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Full text of "Zeitschrift fϋr das Österreichische Blindenwesen"

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American  Foundation 
ForThe  Blind  INC. 


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in  2010  with  funding  from 

Lyrasis  IVIembers  and  Sloan  Foundation 


http://www.archive.org/details/zeitschriftfrd426aphm 


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Organ  des  „Zentralvereineb  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Sestrebungen  der  Blinden.   — 


Schriftleitung 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto rSr.132.257 


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Das  Blatt  erscheint 
monatifdi  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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Bezugspreis 

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ganzjährig  mit 
Postzustellung 

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4  Kronen, 

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Einzelnummer 
40  Heller. 

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4.  Jahrgang. 


Wien,  Februar  1917. 


2.  Nummer. 


INHALT:  Kriegsblindenfürsorge  in  Mähren.  Josef  Umlauf,  Brunn :  Was  ich  beim 
Schreibleseunterrichte  bei  Kriegsblinden  beobachten  konnte.  Blindenschicksale. 
Erika  Rheinsch  :  Der  Erblindende.  Personalnachrichten.  Aus  den  Anstalten. 
Aus  den  Vereinen.  Für  unsere  Kriegsblinden.  Verschiedenes.  Mitteilung. 
(Altes    und  Neues.     Ankündigungen.)  v 


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Beitrittserklärungen    zunn     „Zentralverein    für  das  österreichische^ 
Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung   in    Wien  VIII, 
i]  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K. 

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/\ltes  und  Neues. 


Der  or-efährliche    Tintenstitt. 

Tinte  und  Feder  müssen  in  vielen  Fällen,  besonders  im  Felde, 
dem  bequem  unterzubringenden  und  zu  handhabenden  Tintenstift 
weichen,  dessen  tintenähnliche  Eigenschaften  ihm  vor  der  schnell  sich 
verwischenden   Bieistiftschrift  einen   deutlichen   Vorzug  geben. 

Es  dürfte  aber  sehr  wenigen  überhaupt  nur  bekannt  sein,  daß 
der  Tintenstift  ein  ziemlich  gefährlicher  Geselle  werden  kann.  Arzt- 
liche Erfahrung  zeigt  nämlich,  daß  niclit  selten  Augenschädigungen 
beim  häufigen  Gebrauch  des  Tintenstiftes  sich  einstellen,  die  fast 
ausnahmslos  beim  Anspitzen  zustande  kommen.  Winzige  Teilchen, 
die  dabei  in  den  Bindehautsack  eindringen  und  als  bloße  Fremdkörper 
noch  kamii  eine  Störung  verursachen  würden,  genügen  schon,  um 
bestimmte,  sehr  schädliche  Veränderungen  in  den  Geweben  des  eigent- 
lichen Auges  und  der  Lidteile  liervorzurufen.  Da  der  Endausgang 
selbst  bei  schweren  Formen  der  Tintenstiftverletzung  nicht  unmittelbar 
in  voller  Wirkung  auftritt,  im  Gegenteil  die  eingedrungenen  Teilchen 
eine  Zeitlang  ohne  nennenswerten  Schaden  im  Bindehautsack  ver- 
weilen können,  wird  meist  der  rechte  Moment  für  die  ärztliche  Behand- 
lung versäumt.   Auf  diese  Notwendigkeit  ist  aber  dringend  hinzuweisen. 

Prof.  H.  Olloff,  der  sich  mit  solchen  Schädigungen  des  Auges 
eingehender  befaßt  hat,  weist  in  der  „Münchener  Medizinischen  Wochen- 
schrift" sogar  auf  einen  Fall  hin,  der  zn  fast  völliger  Erblindung  des 
betreffenden  Auges  geführt  hat,  nachdem  der  Patient  eine  sechsmonat- 
liche Lazarettbehandlung  bei  einem  ungewöhnlich  schmerzhaften 
Krankheitsverlauf  hatte  durchmachen  müssen.  Ausschlaggebend  für 
diese  unter  Umständen  verheerende  Wirkung  sind  die  basischen 
Anilinfarbstoffe,  die  im  Tintenstift  enthalten  sind.  Bei  Färbereiarbeitern 
oder  solchen,  die  in  entsprechenden  chemischen  Fabriken  beschäftigt 
sind,  sind  in  der  Tat  ähnliche  Schädigungen  des  Auges  bei  unglück- 
licher Berührung  aufgetreten.  Diese  Giftigkeit  nimmt  zu,  je  stärker 
der  basische  Charakter  der  Anilinfarbstoffe  ist,  ja,  kann  bei  berufs- 
mäßiger Einwirkung  unabhängig  von  den  Augen  Ausschläge  und 
Wucherungen  auf  der  Haut  erzeugen.  Das  Bild  der  Augenentzündung 
kann  daher  sehr  verschieden  ausfallen :  neben  einer  stets  vorhandenen 
Blau-Violett-Färbung  in  leichten  Fällen  nur  geringe  und  schnell 
abheilende  oberflächliche  Bindehautentzündungen,  die  in  schweren 
Fällen  zum  Absterben  der  betreffenden  Gewebeteile,  besonders  der 
Hornhaut,  sogar  zur  völligen  Vereiterung  des  Augapfels  ausarten 
können. 

Wie  weit  diese  Entwicklung  sich  vollzieht,  hängt  außer  von 
der  Giftigkeit  und  der  Größe  der  eingedrungenen  Teilchen  von  der 
Dauer  ihres  Verweilens  im  Auge  ab;  schnelle  Entfernung  des  Herdes 
der  schädlichen  Wirkung  ist  daher  erste  Voraussetzung  für  einen 
günstigen  Verlauf.  In  ganz  frischen  Fällen  soll  außerdem  das  Ein- 
träufeln von  Tanninlösung  Besserung  herbeiführen  können,  da  Tannin 
mit  den  basischen  Anilinfarben  unlösliche  Verbindungen  einzugeben 
imstande  ist  und  diese  dadurch  für  das  Auge  zum  bloßen  Fremd- 
körper umwandelt. 


4.  Jahrgang.  Wien,  Februar  1917.  2.  Mummer. 


^        »Es  ist  genug,    daß  Menschen   blind   geboren  werden,        ^ 
^        Und  zu   viel,  daß  sie  blind  werden  können.«  ^ 

^  Fr.  Hebbel.         « 


Kriegsblinden-Fürsorge  in  Mähren. 

Ein  Tätigkeitsgebiet  der  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger,  das 
vor  besonders  großen  Schwierigkeiten  steht,  ist  die  Fürsorge  für  die 
aus  dem  Felde  erblindet  zurückkehrenden  Krieger.  Es  mußte  deshalb 
die  »Mährische  Landeskommission  zur  Fürsorge  für  heimkehrende 
Krieger,«  der  die  Aufgabe  obliegt,  »erkrankten  und  verwundeten  Krie- 
gern zur  Wiederherstellung  ihrer  Arbeitskraft  zu  verhelfen,  ihre  soziale 
Lage  zu  verbessern  und  sie  dem  Erwerbsleben  wieder  zuzuführen«, 
gerade  auch  dieser  Seite  der  ihr  zufallenden  Fürsorgetätigkeit  ihre  ganz 
besondere  Aufmerksamkeit  zuwenden,  zumal  es  in  diesen  Fällen  der 
Kriegsverletzung  überaus  schwer  ist,  die  Betroffenen  einer  selbständigen 
Arbeitsbetätigung  und  auskömmlichen  Lebenstellung  zuzuführen,  und 
vor  allem  das  Empfinden  der  Arbeitspflicht  in  ihnen  wieder  rege  zu 
machen. 

Die  Kriegsblinden-Fürsorge  in  Mähren  —  über  ihren  gegenwärti- 
gen Stand  wurde  in  der  letzten  Sitzung  des  in  der  Mährischen  Landes- 
kommission zur  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger  gebildeten  Sonder- 
Ausschußes  für  Kriegsblinde  Bericht  erstattet,  und  das  Folgende  ist  im 
Wesentlichen  diesem  Berichte  entnommen  —  ist  derart  organisiert,  daß 
der  mährische  Landes-Ausschuß  für  die  Schulung  der  Kriegsblinden 
durch  seine  Fachkräfte  Sorge  trägt,  und  zwar,  indem  er  die  Durchfüh- 
rung dieses  Teiles  der  Fürsorge  dem  »Kaiser-Franz-Josef-Jubiläums- 
Vereine  zur  Fürsorge  für  männliche  Blinde  in  Mähren  und  Schlesien«' 
übertrug,  und  weiters,  daß  der  mährische    Landes-Ausschuß    für  später- 


Seite  676.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  2.  Nummer. 

hin,  sobald  die  Landes-Blinden-Erziehungsanstalt  ihrem  eigenthchem 
Zwecke  wird  wieder  zurückgegeben  werden  können,  auch  die  Unter-, 
bringung  und  Verpflegung  der  Kriegsblinden  für  so  lange  übernimmt, 
als  sie  zwecks  ihrer  Schulung  in  Brunn  untergebracht  sein  müssen  und 
nicht  eigene  Heimstättten  erhalten  oder  im  Hinblicke  auf  ihre  persön- 
lichen Vnrhältnlsse  in  die  Anstaltspflege  dauernd  übernommen  werden. 
Alle  andere  Fürsorge  für  die  Kriegsblinden  obliegt  der  Mährischen 
Landeskommission  zur  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger,  der  es  also 
insbesondere  zufällt,  die  Kriegsblinden  dem  bürgerlichen  Erwerbsleben 
wieder  zuzuführen  und  ihre  Lebensexistenz  für  später  ausreichend 
sicherzustellen;  gegenwärtig  hat  aber,  solange  die  Landes-Blinden-Er- 
ziehungsanstalt  für  andere  Zwecke  in  Anspruch  genommen  ist,  die 
Landeskommission  auch  für  die  Unterbringung  und  Verpflegung  der 
Kriegsblinden  für  die  Zeit  ihrer  Schulung  aufzukommen. 

Als  provisorisches  Kriegsblindenheim  konnte  dank  dem  weitgehen- 
den Entgegenkommen  des  mährischen  Gewerbevereines  ein  Teil  seines 
Kaiser -Franz -Josef -Jubiläums-Lehrlingsheimes  in  der  Zieglergasse  in 
Brunn  eingerichtet  werden.  Dorthin  werden  alle  nach  Mähren  zuständi- 
gen, im  Kriege  erblindeten  Krieger,  soweit  sie  selbst  zustimmen  und 
eine  andere  Versorgung  vorläufig  noch  nicht  möglich  ist,  gebracht,  und 
dort  werden  sie  zur  Vorbereitung  für  ihren  späteren  Beruf  je  nach 
ihren  Fähigkeiten  geschult :  Blinden-Lesen  und  -Schreiben,  Maschin- 
schreiben, Bürstenbinden,  Korbflechten,  Maschinstricken,  Klavierstimmen, 
und  Ähnliches.  Arbeiten,  die  besonders  geeignet  sind.  Blinde  anregend 
zu  beschäftigen,  sind  landwirtschaftliche,  vor  allem  Garten-Arbeiten, 
und  es  wird  auch  die  Schulung  der  mährischen  Kriegsblinrien  nach 
dieser  Richtung  hin  zu  ergänzen  sein.  Was  bei  anderen  Kriegsverletzten 
als  hauptsächlichstes  Ziel  der  Fürsorge  für  sie  gilt,  sie  möglichst  ihrem 
früheren  Berufe  zu  erhalten  und  ihm  wieder  zuzuführen,  ist  bei  Kriegs- 
blinden eine  schwierig  zu  behandelnde  Frage,  doch  wird  auch  ihr  alle 
Aufmerksamkeit  geschenkt. 

Das  provisorische  Kriegsblindenheim  in  der  Zieglergasse  wurde 
Anfang  Juli  1916  eingerichtet  und  es  wurden  dorthin  sofort  die  inzwi- 
schen in  anderen  Blindenheimen  Österreichs  untergebrachten  mährischen 
Kriegsblinden,  15  an  der  Zahl,  gebracht.  Ihr  Befinden  war  im  Anfange,  be- 
sonders in  Beziehung  auf  ihre  seelische  Verfassung,  ein  wenig  erfreuliches  • 
und  ließ  daran  zweifeln,  ob  es  überhaupt  möglich  sein  wird,  so  tief 
bedrückte  Menschen  wieder  einigermaßen  einer  gewißen  Arbeitsfreude 
zuzuführen.  Doch  hat  sich  ihr  ßeflnden  bald,  nicht  zuletzt  dank  der 
liebevollen  und  verständigen  Behandlung  seitens  aller  jener,  denen  ihre 
Wartung  und  Schulung  obliegt,  auf  das  auffallendste  gebessert,  und  es 
kann  als  sichtliches  und  erfreuliches  Zeichen  hiefür  gelten,  daß  sich 
einige  von  ihnen  sehr  eingehend,  vernünftig  und  in  guter  Zuversicht 
mit  realen  Plänen  für  die  Gestaltung  ihrer  weiteren  Zukunft  beschäftigen, 
wobei  ihnen  natürlich  jedwede  Unterstützung  geboten  wird. 

Die  Zahl  der  in  Brunn  untergebrachten  Kriegsblinden  hat  sich  in- 
zwischen auf  22  erhöht.  Die  Zahl  der  nach  Mähren  zuständigen  Kriegs- 
blinden im  gesamten  geht  derzeit  schon   über  40. 


2.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite   677. 

In  der  die  Fürsotgetätigkeit  der  Mährischen  Landeskommission 
zur  F'ürsorge  für  heimkehrende  Krieger  besonders  beschäftigenden 
Frage,  in  welcher  Weise  die  Versorgung  der  KriegsbHnden  nach  Been- 
digung ihrer  Schulung  anzustreben  wäre,  mußte  von  der  Festlegung 
einheitlicher,  allgemein  einzuhaltender  Grundsätze  vollständig  abgesehen 
und  die  Möglichkeit  weitester  Individualisierung  uneingeschränkt  offen 
gelassen  werden.  Nur  läßt  sich  schon  jetzt  feststellen,  daß  die  persön- 
lichen Wünsche  und  Bestrebungen  der  Kriegsblinden  selbst  hauptsäch- 
lich nach  der  Erwerbung  einer  eigenen  Heimstätte  gehen.  Es  scheint, 
als  wenn  ihnen  gerade  der  Gedanke,  nach  ihrer  Rückkehr  in  die  Heimat 
eine  sozial  höhere  Stellung,  als  welche  der  Besitz  von  Grund  und 
Boden  gewertet  wird,  einzunehmen  und  so  ihr  großes  Opfer  für  das 
Vaterland  allen  offenkundig  hoch  eingeschätzt  zu  wissen,  eine  frohere 
Zuversicht  in  die  Zukunfr  vermitteln  würde.  Wenn  nun  noch  dazu 
kommt,  daß  ja  immerhin  das  Bewußtsein  des  Besitzes  einer  eigenen 
heimatlichen  Scholle  besonders  geeignet  ist,  einem  Menschen  festen 
Halt  im  Leben  zu  geben,  so  kann  es  nicht  ausbleiben,  daß  bei  der 
Fürsorge  für  Kriegsblinde  die  Frage  einer  eigenen  Heimstätte  fast  immer 
in  Erwägung  kommt. 

Die  Mährische  Landeskommission  zur  Fürsorge  für  heimkehrende 
Krieger  steht  in  allen  die  Sorge  für  das  spätere  Schicksal  der  Kriegs- 
blinden betreffenden  Fragen  in  regster  Verbindung  mit  dem  Vorstande 
des  »Kriegsblindenfonds«  im  k.  k.  Ministerium  des  Innern  und  mit 
dem  Vereine  »Kriegsblinden-Heimstätten«,  die  beide  satzungsgemäß 
ihren  vornehmlichsten  Zweck  in  der  Förderung  der  Bestrebungen  zur 
Erleichterung  der  Lebensbedingungen  der  Kriegsblinden  sehen  und  mit 
namhaften  Mitteln  alle  Arbeiten  auf  diesem  Gebiete  unterstützen.  Es 
sind  ganz  bedeutende  Beträge,  die  dieser  Zweig  der  Kriegsfürsorge, 
wenn  er  über  eine  bloße  Unterstützung  hinaus  Lebensmöglichkeiten 
neu  schaffen  soll,  erfordert,  und  die  Hoffnung,  allen  Kriegsblinden  ihr 
neues  Leben  so  einrichten  zu  können,  daß  sie  dauernd  vor  Not  bewahrt 
bleiben,  kann  sich  nur  dann  erfüllen,  wenn  die  Zuversicht  zutrifft,  daß 
sich,  wie  bisher,  die  Freude  guter  Menschen  am  Geben  in  eigenen 
glücklichen  Stunden  auch  weiter  immer  öfter  den  Hilfsbedürftigsten 
der  vom  Kriege  Zerschellten  zuwendet.  Sonderwidmungen  für  Kriegs- 
blinde dürfen  denn  auch,  da  der  Gedanke  an  den  bestimmten  Zweck, 
dem  solche  Gaben  unmittelbar  dienen,  schon  selbst  eine  besondere 
Befriedigung  ist,  gewiß  auch  noch  weiter  in  größeren  Zuwendungen 
erwartet  werden. 

Wie  sich  die  Fürsorge  für  die  Kriegsblinden  rücksichtlich 
der  Schaffung  von  Lebensbedingungen  für  sie  im  Zusammenwirken 
mit  allen  der  Kriegsblinden-F'ürsorge  dienenden  Organisationen  in  der 
praktischen  Durchführung  gestaltet,  kann  ungefähr  aus  den  im  nach- 
folgenden kurz  skizzierten  Einzelfällen  ersehen  werden,  die  in  der  letzten 
Zeit  in   Verhandlung  standen. 

H.  M.,  Korp.  des  L.-I.-R.  25,  geb.  1885,  früher  Zimmermann, 
Besitzer  eines  kleinen  Anwesens  mit  0"6  ha  Feldern,  verheiratet,  2  Kin- 
der,   wurde    im    Bürstenbindergewerbe    ausgebildet,    erhielt    eine  Unter- 


Seite  678.  Zeitschrift  das  für  österreichische  BHndenwesen.  2.  Nummer. 

Stützung  von  4000  K  zur  Tilgung  eines  Teiles  der  auf  dem  Anwesen 
haftenden   Schulden. 

M.  F.,  Inft.  des  L.-I.-R.  25,  geb.  1879,  früher  Maurer,  wurde  im 
Bürstenbinden  ausgebildet,  erhielt  Grundstücke  im  Werte  von  2.200  K 
angekauft ;  außerdem  erliegt  noch  für  ihn  ein  Unterstützungsbetrag  von 
rund  800  K. 

P.  Z.,  Korp.  des  I.-R.  8,  geb.  1885,  Gärtner,  wurde  im  Korbflechten 
geschult,  erhielt  ein  Anwesen  im  Werte  von  3.700  K  ;  er  lebt  in  seiner 
Heimat  in  der  Familie  seines  Bruders,  beschäftigt  sich  mit  Gärt- 
nerei und  Korbflechten  und  beschafft  sich  so  selbständig  seinen  Le- 
bensunterhalt. 

C.  J.,  Inft.  des  I.-R.  100,  geb.  1893,  früher  Schlosser,  erhielt  ein 
Haus  in  M  für  den  Kaufpreis  von  6000  K  und  einen  Betrag  von  rund 
1400  K  zu  dessen  Instandsetzung.  Er  wird  dort  die  Bürstenbinderei 
betreiben,  in  der  er  ausgebildet  wird,  außerdem  will  er  sich,  da  seine 
Braut,  die  er  demnächst  heiraten  wird,  geschäftskundig  ist,  in  M.  ein 
Geschäft  einrichten ;  die  Geschäftsführung  hofift  er  der  Hauptsache 
nach  selbst  besorgen  zu  können  und  wird  zu  diesem  Zwecke  auch  im 
Maschinschreiben  ausgebildet  werden. 

P.  F.,  Inft.  des  L.-I.-R.  24,  geb.  1884,  früher  Maurer,  verheiratet, 
5  Kinder,  besitzt  ein  kleines  Anwesen  in  P.,  das  durch  den 
Ankauf  von  Feldern  im  Werte  von  3000  K  und  durch  einen  Zubau 
zu  seinem  Häuschen  mit  einem  Kostenerfordernisse  von  5.000  K  ver- 
größert werden   soll. 

T.  J.,  Inft.  des  J.  R.  54,  geb.  1887,  verheiratet,  3  Kinder,  ausge- 
bildet im  Maschinstricken,  erhielt  in  seiner  Heimat  in  B.  ein  Anwesen 
im  Werte  von  8.400  K.  außerdem  Unterstützungen  im  Betrage  von 
1.500  K.  ^  s 

U.  Z.,  Korp.  d.  F.  A.  R.  6,  geb.  1884,  früher  Schlosser  und  Maschin- 
führer, verheiratet,  2  Kinder,  wurde  im  Klavierstimmen  und  Maschin- 
schreiben ausgebildet,  erhielt  ein  Anwesen  im  Werte  von  7.750  K  in 
seiner  Heimat  in  H.,  wo  auch  seiner  Frau  eine  Wäscherei  eingerichtet 
wurde,  so  zwar,  daß  die  ganze  Fürsorge-Aktion  einen  Betrag  von 
zusammen   rund  10.000  K  erforderte. 

W.  J.,  Inft.  d.-J.-R.-99.  geb.  1880,  Landwirt,  Besitzer  einer  Wirtschaft 
in  T.,  verschuldet,  zur  Bezahlung  der  drückendsten  Schulden  erhielt 
er  einen  Beitrag  von   rund  2.900  K. 

Z.  L.,  Inft.  d.  J.-R.-3,  geb.  1896,  früher  Maurer,  erhielt  eine  Unter- 
stützung von   3.000  K    zur  Übernahme    der    väterlichen   Verlassenschaft. 

Wenn  sich  so  nach  einigen  im  einzelnen  dargestellten  Fällen  der 
Kriegsblinden-Fürsorge  in  Mähren  die  Art  des  bisher  Erreichten  ergibt, 
so  bilden  diese  Erfolge  und  die  dabei  gemachten  Erfahrungen  zugleich 
den  Ausgang  für  die  weitere  Arbeit  auf  diesem  Gebiete.  Es  werden 
darnach  die  nach  Mähren  zuständigen  im  Kriege  Erblindeten  der  Regel 
nach  in  Brunn  —  vorläufig  im  Lehrlingsheime  des  mährischen  Gewerbe- 
vereines —  untergebracht,  hier  geschult,  im  Lesen  und  Schreiben  unter- 
richtet und  in  einer  berufsgewerblichen  Betätigung  ausgebildet.  Gleich- 
zeitig setzt  die  Fürsorge-Aktion  ein  zur  Schaffung  der  wirtschaftlichen 
Voraussetzungen  für  ihr  .späteres  Erwerbsleben,  wofür  natürlich,  da  die 
Art  der  Fürsorge  wesentlich  bedingt  ist  durch  die  persönlichen  Verhält- 


2.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  679. 

nisse  des  Kriegsblinden,  vorher  eingehendste  Erhebungen  notwendig 
sind.  Mit  dem  Austritte  aus  dem  Kriegsbhnden-Heime  wird  auch  der 
Bezug  der  ihnen  zustehenden  InvaHden-Gebühren  der  Regelung  zugefühit. 

Es  ist  zu  erwarten,  daß  derart  die  im  Lehrlingsheime  des  mähri- 
schen Gewerbevereines  untergebrachten  Kriegsblinden  nach  und  nach, 
je  nach  Maßgabe  des  Abschlusses  ihrer  Schulung,  alle  dem  Erwerbleben 
werden  zugeführt  werden  können,  und  daß  auch  das  Allererstrebens- 
werteste  zu  erreichen  sein  wird,  sie  zurückzugewinnen  dem  Empfinden 
der  Zuiriedenheit  und  der  Freude,  in  ausreichender  Arbeitskralt  und 
nicht  als  Gegenstand  des  Mitleids  im  Leben  zu  stehen  und  von  den 
Mitbürgern  auch  so  gewertet  zu  werden.  Natürlich  wird  auch  noch 
späterhin  die  Fürsorge-Tätigkeit  für  sie  aktiv  bleiben  müssen  und  vor 
allem  Rat  zu  schaffen  haben,  wenn  die  selbständige  gewerbliche  oder 
sonstige  Betätigung  des  Kriegsblinden  im  Leben  nicht  den  erhofften, 
für  die  Befriedigung  der  Lebensbedürlnisse  ausreichenden  Ertrag  abwirft. 

Die  Sorge  um  das  Schicksal  der  Kriegsblinden  ist  die  größte  der 
Kriegstürsorge-Tätigkeit.  Nichtsdestoweniger  darf  mit  vieler  Zuversicht 
erwartet  werden,  daß  denn  doch  die  viele  werktätige  Hilfe,  die  gerade 
den  im  Kriege  Erblindeten  gebracht  wird,  ausreichen  wird,  auch  diese 
herbste  Wunde  des  Krieges  allmählich  heilen  zu  lassen. 

Dr.  H.  M. 


Was  ich  beim  Sdireibleseunterrichte  bei  Kriegsblinden  beobach- 
ten konnte. 

Von  Fachlehrer  Josef  Umlaut,  Brunn. 

Es  ist  nicht  Zweck  dieser  Betrachtung  anzuführen,  wie,  das  Schreiben 
und  Lesen  der  Voll-  und  Kurzschrift  oder  nur  der  Vollschrift  den 
Kriegsblinden  beigebracht  wurde,  wie  viele  Stunden  diesem  Unterrichte 
wöchentlich  gewidmet  wurden  und  wie  lange  derselbe  überhaupt 
dauerte,  sondern  ich  will  auf  einige  psychologisch-  physiologische 
Momente  eingehen,  welche  einesteils  als  solche  ein  allgemeines 
Interesse  erwecken,  anderseits  für  den  Lehrer  in  methodischer  Hinsicht 
von  Bedeutung  sind. 

Erwähnt  muß  werden,  daß  der  Unterricht  auf  die  Individualität 
des  Kriegsblinden  besondere  Rücksicht  nehmen  mußte  ;  es  gibt  da 
große  Unterschiede  in  Bezug  auf  Veranlagung  und  Vorbildung.  Auch 
die  großen  Altersunterschiede  zwischen  19  bis  45  Jahren  sind  wesent- 
lich in  Rechnung  zu  ziehen  und  zu  bedenken,  ob  Personen  mit  35 
bis  45  Jahren  überhaupt  hiezu  heranzuziehen  wären  und  ob  nicht 
vielmehr  deren  Versorgung  in  der  Weise  die  beste  wäre,  daß  dieselbe 
sich  auf  Grund  von  Erhebungen  und  Wünschen,  die  ja  oft  ganz 
gute  Anregungen  bieten  können,  aufbauen   sollte. 

Das  Vermitteln  bezw.  das  Auffassen  der  Buchstabenformen  der 
Punktschrift  ging  recht  schnell  von  statten.  Es  gibt  kaum  was  Einfacheres 
als  die  Buchstaben  der  Punktschrift  ;  umso  leichter  aber  auch  vergißt 
man  dieselben. 

Am  leichtesten  zum  Erlernen  waren  die  Buchstaben  mit  2  Punkten, 
als  schwieriger  galten   die  Formen   mit  3   mehr  auseinander  liegenden 


Seite  680.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Hündenwesen.  2.  Nummer. 

Punkten  z.  B.  o,  m,  ie,  u,  1,  ei  u.  a.;  noch  schwieriger  sind  die  Buch- 
staben mit  3  enganliegenden  Punkten   wie  :   d,  f,   h   und  j  ; 

Die  Buchstaben  mit  4  Punkten  waren  die  schwierigsten,  während 
diejenigen  mit  5  Punkten  leichter  erkannt  wurden. 

Die  verschiedenen  Gegenformen  (f-d;  ssch;  t-ü;  u-ie;  m-ei; 
i-e;  au-äu;  u.  a.)  werden  schlecht  behalten  und  die  Verwechslungen 
wollen   lange   nicht   aufhören. 

Wie  bekannt  befinden  sich  die  ersten  10  Buchstaben  des 
Alphabetes  (a  bis  j)  in  der  O  b  er  h  äl  f  t  e  der  Zelle;  werden  dieselben 
jedoch  in  die  Unt  er  häl  fte  derselben  herabgesetzt,  so  stellen  dieselben 
die  Satzzeichen  dar  (z.  B.  a  herabgesetzt  gibt  den  Beistrich,  b 
herabgesetzt  gibt  den   Strichpunkt   u.   s.   w.) 

Das  Erkennen  dieser  herabgesetzten  Zeichen  ist  schwierig  und 
wirkt   verwirrend, 

Hand  in  Hand  mit  dem  Erlernen  der  ersten  Selbst-  und  Mitlaute 
kommt  die  Bildung  der  einfachsten   Silben   und   Wörter  hinzu. 

Nun,  das  war  schon  zu  viel  verlangt.  Man  hört  :  ,,Herr  Lehrer, 
ich  taste  wohl  viele  Punkte,  kann  jedoch  dieselben  nicht  als  Einzel- 
buchstaben  erkennen." 

Nach  und  nach  und  unter  Anwendung  der  verschiedensten 
„Hilfen"  wurden  die  Schwierigkeiten  behoben  und  langsames,  sehr 
langsames  Lesen  erzielt. 

Noch  schwieriger  gestaltet  sich  das  Lesen  der  Kurzschrift, 
weniger  in  betreff  der  damit  verbundenen  Gedächtnisarbeit  als  viel- 
mehr in  bezug  auf  die  Lesbarkeit  der  durch  die  Kurzschrift  ganz 
veränderten   Wortbilder. 

Unter  den  Kürzungen  sind  die  Laut-  und  Nachsilbenkürzungen 
und  besonders  viele  Wortkürzungen  sehr  beliebt.  Unangenehm  (so 
hat  man's  bezeichnet)  sind   die   Silbenkürzungen. 

Einige  davon  bereiten  zwar  dem  Leser  nur  geringe  Schwierig- 
keiten, während  andere  wie:  ach,  all,  an,  ar,  or,  te,  un  das  Lesen 
sehr  erschweren.  Man  verwechselt  dieselben  teils  mit  Buchstaben, 
teils   mit   Satzzeichen. 

Besonders  praktisch  sind  viele  Wortkürzungen.  Der  Zukunft 
bleibt  es  anheimgestellt  diese  Gruppe  zu  erweitern  und  die  Kurzschrift 
noch  weiter  auszubauen,  da  es  noch  viele  sehr  gebräuchliche  Wörter 
gibt,   deren   Kürzung  wünschenswert  wäre. 

Besondere  Schwierigkeiten    sind  mit    dem   Schreiben  verbunden. 

Aus  der  Umkehrung  der  Zeichen  beim  Schreiben  ergeben  sich 
beim  Schreiben  der  schon  als  Gegen  formen  bezeichneten  Buch- 
staben große  Verwechslungen  :  statt  e  wird  immer  i,  statt  s  wird  seh 
u.  s.  w.   geschrieben. 

Der  j  u  n  geblinde  S  c  hül er  (Zögling) kümmertsich  beim  Schreiben 
sehr  wenig  um  die  Buchstabenbilder;  derselbe  weiß  genau  die  Punkte 
der  Buchstaben  und  er  schreibt  unbekümmert,  gleichsam  mechanisch 
die  Punkte  hin.  Ist  er  mit  seiner  Schreibaufgabe  fertig,  so  wird  das 
Blatt  einfach  herausgenommen  und  gelesen.  Nicht  so  der  Kriegs- 
blinde, Dieser  hat  die  Buchstabenform  beim  Lesen  besser  behalten 
als  die  betreffenden  Punkte    —  er  klammert    sich  mehr  an   die  Form. 


2.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwes  en.  Seite  681. 

Nun  aber  ist  beim  Schreiben  die  Umkehrung  die  richtige  Form. 
Diese  Sachlage  erzeugt  eine  große  Unsicherheit  und  es  bedarf 
einer  großen   Übung  bis   man   zu   einer   gewissen    Sicherheit  gelangt. 

Vorstehende  Angaben  über  das  Erlernen  nur  eines  einzigen  Gegen- 
standes lassen  es  klar  erkennen,  warum  die  verschiedenen  Versuche, 
den  Kriegsblinden  eine  neue  Lebensbahn  zu  eröffnen,  auf  solche 
Schwierigkeiten  stoßen.  Haben  doch  schon  die  alten  Weisen  gesagt: 
,, Erblinden   ist  die  Hälfte  des  Todes." 

Abgesehen  von  den  unendlich  vielen  Lebensfreuden,  die  dem 
Blinden  abgehen  und  die  doch  den  Lebensinhalt  bedeuten,  sind  hier 
die  seelischen  Folgezustände  der  Erblindung  in  Betracht  zu  ziehen. 
Gleichgiltigkeit,  Wiederwille,  Unlust,  Niedergeschlagenlieit,  Ungeduld 
u.  a.  sind  jene  Begleitersclieinungen,  die  man  zu  bekämpfen  hat. 
Dieses  Aufrichten,  Trösten,  Wecken  der  Lebenslust  ist  die  schwerste 
Aufgabe.  Hiezu  sind  die  schönsteh  Worte,  die  größte  Geduld  des 
Lehrers  oder  der  Pfleger  oft  unzureichend.  Wie  einem  Kriegsblinden 
trotz  seiner  Unlust  der  Lesewille  beigebracht  wurde;   sei  kurz  erzählt: 

Ein  Kriegsblinder  zeigte  wenig  Lust,  das  Lesen  und  Schreiben 
der  Punktschrift  zu  lernen.  Sein  gutes  Gedächtnis  versetzte  ihn  in 
die  Lage,  daß  er  die  Punkte  der  Buchstaben  sehr  genau  und  sicher 
kannte  ;  nur  das  Erkennen  derselben  mittelst  des  Tastsinnes  ging 
minder  gut. 

Seine  Rede  war:  ,,Wozu  habe  ich  Weib  und  Kinder?;  will  ich 
etwas  Neues  hören,  so  werden  diese  es  mir  schon  vorlesen  und  Briefe 
schreiben  oder  dgl." 

Da  geschah  es,  als  er  für  mehrere  Tage  auf  Urlaub  in  der 
Heimat  verweilte,  daß  ihm  der  Briefträger  eine  Postkarte  überbrachte. 
Auf  derselben  übermittelten  ihm  seine  Kameraden  ihre  Grüße  und 
Wünsche  in   Punktschrift. 

Ganz  überrascht,  versuchte  er  es,  den  Inhalt  der  Karte  zu 
enträtseln.  Stundenlang  bemühte  er  sich;   doch   es  ging   nicht. 

Er  rief  seine  Frau  und  diese  sollte  helfen.  Doch  auch  das  versagte. 

Endlich  am  nächsten  Tag  wurde  der  Bruder  geholt  und  nun 
gelang  es.  —  Dieser  schrieb  sich  nach  Angaben  des  Blinden  der 
Reihe  nach  alle  Lautzeichen  in  gewöhnlicher  Schrift  nieder  und 
der  Inhalt  der  Karte  wurde  gefunden. 

Hiedurch  umgestimmt,  bemühte  er  sich  nun,  das  Lesen  der 
Punktschrift  doch  zu   erlernen. 

Wenn  es  doch  gelungen  ist,  daß  der  Kriegsblinde  langsam 
zum  Unterrichte  vorbereitet  wurde,  so  treten  noch  andere  Schwierigkeiten 
hinzu.  Einzelne  hievon  hängen  wohl  mit  der  Verwundung  zusammen. 
Es  ist  zu  beobachten,  daß  mancher  plötzlich  nicht  imstande  ist,  etwas 
zu  erkennen;  auch  treten  Schmerzen  auf,  so  daß  das  Lernen  zeitweilig 
unterbrochen  werden   muß. 

Was  nun  das  Tastvermögen  anbelangt,  muß  dasselbe  als  dem- 
vorgerückten  Alter  entsprechend  bezeichnet  werden;  es  erfordert 
aber  für  die  Zwecke  des  Unterrichtes  eine  Verfeinerung  durch  bestän- 
dige Übung.  Wohl  kommen  genug  Fälle  vor,  daß  das  Tastvermögen 
aus  verschiedenen  Gründen  sehr  gering  ist.  Unempfindüchkeit  eines 
der  tastenden  Zeigefinger  (meistens    des  rechten  Zeigefingers)  kommt 


Seite  682.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen.  2.    Nummer. 

auch  vor.  In  einem  Falle  konnte  beobachtet  werden,  daß  bei  andau- 
ernden Tasten  ein  Kribbeln  auftrat,  so  daß  eine  Pause  eintreten 
mußte;  in  einem  zweiten  Falle  konnte  ein  Versagen  des  Tasten» 
festgestellt  werden.  Statt  zu  tasten,  kratzt  mancher  .  den  Buchstaben; 
ein  anderer  hält  wieder  krampfhaft  den  Finger  an  dem  Buchstaben, 
um  denselben  ja  nicht  zu  verlieren.  Manche  sitzen  beim  Unterrichte 
so  tief  vorgebeugt,  als  ob  sie  sich  mit  den  nun  lichtlosen  Augen 
helfen  wollten. 

Um  den  Schreibleseunterricht  zu  fördern,  sei  Folgendes  hervor- 
gehoben. 

1.  Beschreibe  die  Zelle  und  die  darin  möglichen  6  Punkte 
sehr  genau  ; 

2.  das  selbständige  Zusammenstellen  der  Buchstaben,  später 
der  Silben  und  Wörter  mittelst  Stecknadelköpfchen  kann  nicht  genug 
geübt  werden ; 

3.  die  ersten  Buchstabenformen  brauchen  nicht  besonders  groß 
sein ; 

4.  als  sehr  praktisch  hat  sich  —  wie  ich  hörte  —  die  in  Deutsch- 
land geübte  Methode  ergeben,  daß  man  die  ersten  Leseversuche  auf 
Blechtafeln  vornahm,  auf  denen  der  Lesestoff  gedruckt  war.  (In  Brunn 
benützte  ich  die  für  den  Bücherdruck   angefertigten  Blcchplatten.) 

5.  durch  methodisch  gut  vorbereitete  Schreibübungen  soll  das 
Erlernen  und  die  größtmögliche  Sicherheit  des  Schreibens  erzielt 
werden.  — 

Zum  Schluße  sei  gesagt:  „Der  gütige  Schöpfer  möge 
die  Bemühungen  aller,  aller  Personen,  die  den  Kriegs- 
blinden seelisch  und  materiell  helfen,  mit  vollstem 
Erfolge  krönen,   — 


Blindensdiicksale. 

Das  ,,Neue  Wiener  Tagblatt"  veröffentlichte  einen  Artikel 
,Blindenschicksale"  überschrieben,  den  es  mit  folgenden  Sätzen  einleitet: 

„In  peinlich  genauer,  durch  keine  einzige  Korrektur  gestörter 
Maschinenschrift  hat  hier  ein  Blinder  Gedanken  seiner  Schicksals- 
genossen niedergelegt.  Sie  sprechen  eine  viel  deutlichere  Sprache 
als  die  so  manches  —  Sehenden,  dem  das  Los  der  Nichtsehenden 
zu  Herzen  geht.  Sic  verlangen  kein  Mitleid,  sondern  nur  Gerechtigkeit. 
Nicht  sehen  können  sei  nicht  ihr  wahres  Unglück,  sondern  das  Zurück- 
gesetzt- und  Gehemmtsein  in  dem  Willen  zur  Arbeit.  Aufgeklärte 
Zeiten   werden   auch  hier   manches  bessern." 

Das  Blatt  hat  sich  ein  großes  Verdienst  damit  erworben,  auch 
einmal  einen  Blinder  einen  aufklärendes  Wort  über  das  Schiksal  seiner 
Genossen  sagen  zu  lassen.  Hat  doch  —  wie  der  Schreiber  sagt  — 
nicht  nur  das  große  Publikum,  sondern  haben  häufig  genug  auch  den 
Blinden  nahestehende  Personen  kein  richtiges  Urteil  darüber,  was 
eigentlich  das  wahre  und  wirkliche  Unglück  in  der  Blindheit  ist. 
Was  die  Masse  der  Menschheit  als  Unglück  an  der  Blindheit  erkennt, 
ist  die  Tatsache,  daß  der  Blinde  nicht  „sehen"  kann,   daß  er  die  Sonne, 


2.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen.  Seite  683. 

das  Licht  nicht  sieht,  daß  er  die  Farbenpracht,  das  Firmament  nicht 
in  sich  aufnehmen  kann.  Man  glaubt  allgemein,  der  Verlust  des 
Augenlichtes  an  sich,  die  Tatsache,  daß  der  Blinde  das  und  jenes 
nicht  mehr  sehen  könne,  sei  das  große  Unglück,  während  dieses  doch 
vielmehr  in  den  wirtschaftlichen  und  sozialen  Folgeerscheinungen  der 
Erblindung  zu  suchen  ist,  in  der  gewaltigen  Einschränkung  unserer 
persönlichen  Freiheit,  in  der  schweren  Erschütterung  unsrer  sozialen 
und  staatsbürgerlichen  Stellung  und  unsrer  verminderten  Konkurrenz- 
fähigkeit im  Kampfe  ums  tägliche  Leben.  Hier  aber  ist  das  wahre 
Unglück  der  Blindheit  zu  suchen. 

Der  Blinde  kann  ganz  glücklich  sein,  wenn  —  und  das  ist  das 
große  Wort  —  wenn  es  ihm  gelingt,  kraft  seiner  Arbeit  eine  ange- 
messene Stellung  im  Leben  und  in  der  menschlichen  Gesellschaft 
zu  erringen.  Dies  aber  ist  für  ihn  furchtbar  schwer,  denn  eben  bei 
dem  Streben  nach  einem  auskömmlichen  Broterwerb  macht  sich  der 
Mangel  des  Aogenlichtes  auf  Schritt  und  Tritt  fühlbar.  Hier  treten 
die  hemmenden  und  drückenden  Folgen  der  Blindheit  ein,  und  erst 
wenn  sie  da  nicht  überwunden  werden  können,  wird  die  Blindheit 
zum  wahren  Unglück.  Hier  aber  können  sie  überwunden  werden,  und 
zwar  leicht  überwunden  werden,  doch  nur  selten  aus  eigener  Kraft 
des  Blinden,  sondern  unter  Mithilfe  der  vollsinnigen  Menschen,  denn 
die  wahre  Lage  der  Blinden  ist  die,  daß  sie  arbeiten  können,  daß 
sie  gut  arbeiten  können,  daß  sie  aber  minder  konkurenzfähig  sind, 
weil  sie  eben  infolge  der  Blindheit  nur  langsamer  zu  arbeiten  ver- 
mögen als  ihre  sehenden  Mitbewerber.  Betrachten  wir  nur  einmal 
einen  blinden  Klavierstimmer.  Dies  ist  ein  Gebiet,  auf  dem  sich  der 
Blinde  bereits  durchgesetzt  hat.  Aber  unter  wieviel  schwierigeren 
Bedingungen  arbeitet  da  der  Blinde  als  der  Sehende!  Er  muß  auf 
allen  seinen  Wegen  eine  Begleitperson  haben,  die  natürlich  einen 
beträchtlichen  Teil  seines  Verdienstes  beansprucht.  Trotzdem  darf 
er  nicht  um  einen  Heller  mehr  als  der  Sehende  verlangen,  eher 
weniger,  denn  er  muß  ja  konkurenzfähig  bleiben.  Ähnlich  liegen  die 
Verhältnisse  beim  blinden  Musiklelirer,  beim  blinden  selbständigen 
Gewerbetreibenden.  Beim  blinden  Handwerksgehilfen  fällt  hauptsächlich 
der  Umstand  ins  Gewicht,   daß  er  langsamer  als  der  sehende   arbeitet. 

Eines  der  größten  Übel  ist  es  und  zugleich  eines  der  traurigsten 
Zeichen  der  Zeit,  daß  der  Blinde  faßt  ständig  unter  dem  Arbeits- 
mangel leidet.  Er  kann  arbeiten,  er  will  arbeiten,  er  hat  aber  keine 
Arbeit,  weil  er  nicht  vollkommen  konkurenzfähig  ist.  Aber  nicht  nur 
der  kleine  Gewerbetreibende,  sondern  auch  die  großen  Fürsorge- 
und  Beschäftigungsanstalten  für  Blinde  leiden  ständig  unter  Arbeits- 
mangel, weil  insbesondere  die  auf  rein  gewerblicher  Basis  fußenden 
Einrichtungen,  wie  beispielsweise  die  Produktivgenossenschaft  für 
blinde  Bürstenbinder  und  Korbflechter  in  Wien,  mit  den  großen 
Unternehmungen  der  Sehenden  nicht  konkurrieren  können,  da  sie 
ihren  blinden  Gehilfen  doch  weit  höhere  Löhne  zahlen  müssen,  wenn 
diese  auch  nur  ein  bescheidenes  Auskommen  durch  ihrer  Hände 
Arbeit  finden  sollen.  Wäre  es  da  nicht,  ganz  abgesehen  vom  humanitären, 
schon   vom    rein    volkswirtschaftlichen   Standpunkt   aus   die  primitivste 


Seite  684.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Rlindenvvesen.  2.  Nummer. 

Pfliclit  des  Staates,  des  Landes  und  der  Kommunen,  ihre  blinden 
liüro^er  mit  Arbeit  zu  versehen?  Wenn  diese  autonomen  Behörden 
nur  einen  kleinen  Teil  ihres  Bedarfes  an  Bürsten,  Körben,  Sesseln, 
h^iÜmatten  usw.  bei  den  BJindenfürsoro^estellen  decken  wollten,  wie 
viele  ihrer  Bürger  würden  sie  tlamit  zu  nützlichen  Mit<yliedern  der 
menschlichen  Gesellschaft  machen,  wie  viele  brachliegende  Kräfte 
für  das  Wirtschaftsleben  nutzbar  machen  !  Wäre  das  nicht  Volks- 
wirtschaftspolitik  und   soziale   Hilfe  im   besten   Sinne   des  Wortes? 


Der  Erblindende. 

Von   Erika  R  h  e  i  n  s  cli . 

Kühler   wird  es,   wo  ich   wohne, 
Dämmerip^er  nah   und   fern, 
Aus   der  Himmels-Strahlenkrone 
Fehlt  schon    mancher  schöne   Stern. 

Tiefer  fußen   Tal   und   Grüfte, 
Zauberhafter  rauscht  der  Hain 
Und   mit  süßerem   Gedüfte 
Schließt  sein   volles   Laub   mich   ein. 

Magst   du,  bunte  Welt,   verblassen  ! 
Aus  dem   feurigen   Gewühl 
Kehr'    ich  schauernd    und   gelassen 
In   mein   innerstes   Gefühl. 

(Jugend.) 

Personalnachrichten. 

—  Ertrinkungstod  eines  Blinden.  Am  21.  Dezember  l9l6  fand  durch 
einen  Unglücksfall  der  blinde  Organist  Fianz  Hö  Hermann  in  Unterach  am  Attersce 
den  Tod  in  den  Wellen  dts  Sees.  Obwohl  seit  Jugend  mit  der  Gegend  vertraut, 
verlor  er  bei  starkem  Schneefall  den  Weg  und  stürzte  ins  Wasser,  aus  dem  t-r  sich 
nicht  mehr  zu  retten  vermochte.  Höllermann,  ein  tüchtiger  Musiker,  erfreute  sich 
bei  der  einheimischen  Bevölkerung  wie  bei  den  zahlieichen  Sommerfrischlern 
großer  Beliebtheit. 

flus  den  Anstalten. 

—  Od  i  1  i  e  n  -  B  1  i  n  d  e  n  an  s  tal  t  in  Graz.  Aus  dieser  von  DirektO''  Dr. 
Josef  Hartinger  geleiteten  Anstalt  kommt  die  erfreuliche  Nachricht,  daß  trotz 
der  zunehmenden  Schwierigkeiten  der  Betrieb  einen  ungestörten  Fortgang  nimmt. 
Gegenwältig  sind  daselbst  außer  den  sonstigen  Pfleglingen  22  Kriegsblinde  zur 
Ausbildung  untergebracht.  Die  Gesamtzahl  der  Kriegsblinden,- welche  bisher  in  der 
Anstalt  ihre  Ausbildung  genossen,   beträft  38. 

flus  den  Vereinen. 

-  Zehnjähriger  Bestand  der  Pr  oduk  ti  vg  en  o  s  s  e  n  s  ch  a  f  t  fü  r 
blinde  Bürstenbinder  und  Korbmacher  in  Wien  VIII.  Am  10.  März 
sind  es  ]0  Jahre,  daß  diese  auf  den  Prinzipien  einer    Erwerbs-    und    Wirtschaftsge- 


1.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  685. 

nossensChaft  ruhende  Vereinigung  lilinder  Handwerker  als  ein  neues  Glied  in  der 
Kette  der  Fürsorgeeinrichtungen  vom  I.  österr.  Blindenverein  ins  Leben 
gerufen  wurde.  Der  Wert  und  die  Bedeutung  dieser  in  der  gesamten  Blindenwelt 
ersten  und  fast  einzigen  Organisation  liegen  sowohl  in  dem  Zusammenschlüsse  zer- 
splitterter oder  brachliegender  Arbeitskräfte  zu  gemeinsamer,  nutzbringender  Arbeit, 
als  auch  in  dem  ethischen  Momente,  daß  jeder  Teilhaber  sein  bestes  Können  und 
sein  lebhaftes  Interesse  sum  Wohle  des  Ganzen  einsetzt.  Ohne  die  Notwendigkeit 
an  Versorgungsanstalten  und  Heimen  für  sogenannte  wirtschafilich  Schwache  ein- 
zuschränken, soll  die  Genossenschaft  jenen  zugute  kommen,  welche  durch  finanzielle 
Schwäche  oder  andere  Umstände  nicht  lu^standc  sind,  dem  gewerblichen  Wettbe- 
werbe standzuhalten,  dabei  aber  doch  genug  Willenskraft  nnd  Fähigkeit  aufbringen, 
dem  Lebenskampf  draußen"  in  der  Welt  die  Stiine  zu  bieten,  erfüllt  von  dem 
Wunsche  nach  möglichst  freier  persönlicher  Selbstbestimmung.  Daß  diese  hier  zur 
Geltung  gebrachten  Giundsätze  den  tatsächlichen  Verhältnissen  entsprechen,  beweist 
die  große  Zahl  Aufnalimesuchender,  deren  Berücksichtigung  die  derzeitigen  Ver- 
hältnisse noch  nicht  gestatten,  beweist  vor  allem  der  Erfolg  zehnjähriger  mühevoller 
Arbeit,  der  sich  in  dem  gesicherten  und  festen  Bestände  und  der  steten  fortschrei- 
tenden Entwicklung  ausdrückt.  Die  Genossenschaft  zählt  34  Mitglieder  mit  86 
Geschäftsanteilen  zu  50  K,  von  denen  18  dauernd  als  Bürsten-  und  Korbmacher 
oder  Stuhlflechter  Beschäftigung  finden.  Bedenkt  man,  daß  die  Genossenschaft 
genötigt  ist,  alle  Kosten  für  Miete,  Beleuchtung,  Beheizung  etc.  aus  den  Geschäfts- 
gewinne zu  decken  und  ihren  Reservefonds  zu  stärken,  so  ist  dies  sicher  ein 
Beweis  ihrer  Leistungsfähigkeit  un  1  ihrer  kaufmännischen  Führung.  Im  Jahre  1915 
war  es  sogar  möglich,  den  Arbeitern  eine  Prämie  von  80  K  auf  ihren  Jahresverdiest 
zu  bezahlen.  Eine  wichtige  Aufgabe  erlüilt  die  Genossenschaft  besonders  in  den 
heutigen  schweren  Zeiten  der  Materialbeschaffung  ;  sie  überläßt,  soweit  es  ihre 
Verhältnisse  erlauben,  dem  1.  österr.  Blindenverein  für  seine  gewerblich  tätigen 
Mitglieder  Arbeitsmaterial,  Hölzer  oder  fertige  Waren.  Der  Verein  gibt  dieselben 
zum  Kostenpreise  und  gegen  Tragung  der  Frachtspesen  ab.  Viele  Handwerker 
konnten  auf  diese  Weise  ihr  Geschäft  aufrecht  erhalten,  während  ihre  anderen 
Bezugsquellen  versiegt  waren  ;  ganz  besonders  empfinden  die  kriegsblinden  Mit- 
glieder diese  Wohltat,  welche  allerdings  für  ihr  Handwerk  ausgebildet,  mangels 
Materials  dasselbe  nicht  verwerten  können.  Die  Aus^'estaltung  dieser  Rohstoffabgabe 
wird  nach  Wiederkehr  des  Friedens  ein  Hauptziel  des  Zusammenwirkens  zwischen 
Genossenschaft  und  Verein  bilden.  Vor  einigen  Jahren  hat  die  Genossenschaft  eine 
Nachbildung  in  der  Genossenschaft  blinder  Handwerker  zu  Heilbronn  in  Würtemberg 
gefunden,  welche  sich  ausgezeichnet  bewährt  und  in  jüngster  Zeit  will  man  füi  die 
Kriegsblinden  Böhmens  eine  ähnliche  Einrichtung  schaffen.  Die  Genossenschaft  ist 
ein  Kind  des  L  österr.  Blindenvereines  und  derselbe  nimmt  das  Unternehmen  wie 
jeden  einzelnen  unter  seine  Fürsorge  und  so  war  es  möglich,  das  Werk  und  seine 
Glieder  vor  den  schweren  Sorgen  des  Krieges  zu  schützen! 

—  Humanitärer  Verein  »Lindenbund.«  Aus  dem  über  das  Jahr  1916 
ausgegebenen  Bericht  ist  zu  ersehen,  daß  der  unter  dem  blinden  Obmanne  F.  Geb- 
hardt  stehende  Verein  1.579  K  an  Blinde  und  330  K  an  Kriggsblinde  als  Unter- 
stützungen ausgegeben  hat.  Die  Zahl  der  unterstützenden  Mitglieder  hat  1373 
erreicht.  Der  Anschluß  so  vieler  edler  Menschenfreunde  wird  der  Vereinsleitung 
ein  Ansporn  sein,  auf  der  betretenen  Bahn  weiterzuschieiten. 


Für  unsere  Kriegsblinden. 

Die  Kaiserin  bei  den  Kriegsbli  nden.  Dem  mitfühlenden  Herzen 
unserer  jungen  Kaiserin  danken  die  Kriegsblinden  einen  Besuch,  der 
sicher  ein  warmes  Leuchten  der  Glückseligkeit  in  die  Nacht  ihres 
Daseins  gebracht  hat.  Zum  Emptange  Ihrer  Majestät  hatten  sich  im 
k.  k.  Blindeninstitut  in  Wien  II  der  Protektor  der  Kriegsblindenfürsorge 
Erzherzog  Karl  Stephan  und  eine  Reihe  von  Würdenträgern  eingefunden. 
Regierungsrat  A.  Meli  und  seine  Gemahlin  geleiteten  Kaiserin  Zita 
und  die  anwesenden  Würdenträger  in  den  Festsaal,  wo  sich  auch  der 
Lehrkörper  der  Anstalt  eingelunden  hatte. 


Seite  686.  Zeitschrift  für  das  östereichische  Blindenwesen.  2.  Nummer. 

Beim  Eintritt  begrüßte  ein  allerliebstes  blondes  Mädchen  die 
Kaiserin  und  reichte  ihr  einen  Maiglöckchenstrauß.  Die  Kaiserin  liebkoste 
die  Kleine  und  hörte  dann  voll  Teilnahme,  daß  das  Kind  die  herzige 
Olena,  das  Töchterchen  eines  bulgarischen  Offiziers  ist,  eines  Kriegs- 
blinden, der  gegenwärtig  ebenfalls  im  Hause  eine  Heimstätte  gefunden 
hat.  Die  Kaiserin  nahm  hierauf  die  Vorstellungen  entgegen  und  sprach 
nicht  nur  mit  den  kriegsblinden  Offizieren,  sondern  auch  mit  jedem 
einzelnen  der  60  blinden  Soldaten.  Liebevoll  erkundigte  sie  sich  nach 
ihrer  Verwundung.  Sie  ließ  sich  über  die  Einzelschicksale,  über  die 
mitgemachten  Schlachten  und  die  Lebensverhältnisse  berichten.  Die 
Kaiserin  beschenkte  einzelne  von  ihnen  mit  Blindenuhren,  die  durch 
den  Kammerulirmacher  Franz  Morawetz  zur  Verfügung  gestellt  worden 
waren,  dann  begann   der  Rundgang  durch  die  Anstalt. 

Die  Kaiserin  wünschte  dann  das  Haus  und  die  Blindenfürsorge 
genau  kennen  zu  lernen.  Sie  hielt  sich  in  den  meisten  der  Arbeitszimmern 
auf,  sprach  mit  den  Leuten  und  ließ  sich  die  Arbeitsmethoden  erklären. 
Im  Schreibmaschinzimmer  mußte  vor  der  Kaiserin  diktiert  werden  und 
sie  sah  den  Blinden  bei  der  Arbeit  zu.  Eineinhalb  Stunden  währte  der 
Rundgang,  bei  dem  die  Kaiserin  zum  Schlufj  auch  noch  die  Küche 
besichtigte  und  sich  von  der  Wirtschaftsführung  des  Institutes  berich- 
ten ließ.  Um  1 1  Uhr  verließ  die  Kaiserin  die  Anstalt,  nachdem  sie  Direktor 
Meli  ihre  volle  Zufriedenheit  zum  Ausdruck  gebracht  hatte. 

—  Trauung  eines  Kriegsblinden.  Am  18.  Dezember  1916,  fand  in 
der  Garnisonskirche  zu  Brunn  die  Trauung  des  Kriegsblinden  Josef 
Chr  o  mecka  statt,  welcher  seine  Braut  zum  Altare  führte,  die  er  sich  in 
glücklichen  Tag;en,  als  er  noch  im  Besitze  seiner  Augen  war,  fürs  Leben  gewählt 
hatte.  Die  Mährische  Landeskommission  und  die  Verwaltung  d^s  I>ehrlingsheimes 
haben  unter  Mitwirkung  des  Kaiser  Franz  Joseph-Fürsorgevereines  für  männliche 
Blinde  für  eine  würdige  Hochzeitsfeier,  an  der  alle  Kriegsblinden  teilnahmen,  Sorge 
getragen. 

—  Eine  Stiftung  Helen  Kellers  für  deutsche  Kriegsblinde. 
Am  Weihnachtstage  traf,  wie  aus  Stuttgart  gemeldet  wird,  bei  dem  Stuttgarter  Ver- 
leger Robert  Lutz  ein  Brief  der  tauben  und  blinden  Helen  Keller  aus  Amerika 
ein.  Er  lautet:  »Wrentham,  Mass.,  ll.  November  1916.  Lieber  Herr  Lutz!  Ich 
schreibe  Ihnen,  um  Sie  freundlichst  zu  bitten,  Sie  möchten  alle  meine  Einkünfte 
aus  den  deutschen  Ausgaben  meiner  Bücher  (alle  im  Verlage  Robert  Lutz,  Stuttgart, 
erschienen)  zur  Unterstützung  deutscher  im  Kriege  erblindeter  Soldaten 
verwenden.  Ich  möchte,  daß  dies  geschieht,  solange  der  Krieg  andauert,  und  bis 
zum  Schluß  des  Jahres,  in  dem  der  Friede  wiederhergestellt  wird.  Das  ist  eine 
kleine  Gabe  für  das  deutsche  Volk,  dessen  Wertschätzung  und  rasche  Anteilnahme 
an  Franz  Macys  (geb.  Sullivan,  Lehrerin  Helen  Kellers)  und  an  meiner  Arbeit 
mich  so  oft  ermutigt  und  erfreut  haben.  Ich  wollte,  ich  hätte  mehr  zu  geben!  Aber 
zu  dem,  was  es  ist,  gebe  ich  mein  Herz  mit  dazu.  Meine  Bewunderung  für  die 
Deutschen  ist  vermehrt  worden  durch  ihre  glänzende  organisatorische  Fähigkeit, 
ihrem  wilden  Mut  und  ihre  Kraft  des  Durchhaltens.  Ich  hin  neutral  :  aber  ich 
schaue  immer  noch  auf  das  Land  Beethovens,  das  Land  Goethes  und  Kants,  das 
Land  Karl  Marx,  als  auf  ein  zweites  Vaterland.  Aus  der  Nacht  heraus,  die  mich 
umgibt,  schwarz,  unermeßlich  endlos,  halte  ich  meine  Hand  den  tapferen  jungen 
Männern  entgegen,  denen  eine  Granate  das  Augenlicht  für  immer  ausgelöscht  hat. 
Ihr  heldenhaftes  Opfer  und  ihr  erbarmungswürdiges  Hilfsbedürfnis  bringen  sie  mir 
sehr  nahe.  Ich  kenne  jeden  Schritt  des  grausammen  dornigen  Weges,  den  sie  zu 
gehen  haben.  Aber  wieviel  härter  ist  ihr  Kampf  als  der  meine  !  Sie  müssen  das 
Leben  ganz  von  vorne  wieder  anfangen  in  einer  Welt,    die    ihnen    völlig  fremd  ist. 


Herausgeber:    Zentralverein   für  das  österreichische  Blindenwesen  in   Wien.     Redaktionskomitee;   K.  BUrklen- 
J.  Kneis,  A.  t.  Horrath,  F.  Uhl.  —  Druck  »on   Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei  Wien. 


Von  neuem  müssen  sie  anfangen  zu  arbeiten,  ihi  eigenes  Leben  zu  leben,  wenn 
sie  je  wieder  ein  irewisses  Mali  von  Freude  und  Seelenfrieden  erlangren  sollen.  Ich 
kann  nicht  rasten,  bis  ich  alles  getan  habe,  was  ich  kann,  um  sie  aufrichten  zu 
helfen  aus  Elend  und  Verzweiflung.  Mit  freundlichen  Grüßen  bin  ich  Ihre  treuergebene 
Helen  Keller.«  —  Der  Briet  der  taubblinden  Helen  Keller,  ist  nicht  nur  ein 
schönes  Zeugnis  echten  Menschentums,  sondern  für  die  Deutschen  auch  ein  erfreuli- 
ches Zeichen  dafür,  daß  es  auch  m  Amerika  noch  Leute  gibt,  die  sich  ihr 
Urteil  nicht  trüben  lassen,  die  noch  an  die  deutsche  Nation  umJ  die  deutsche 
Kultur  glauben. 

—  Spende  einer  hochherzigen  Frau.  Aus  Triist  wird  berichtet  : 
Die  Witwe  nach  dem  verstorbenen  Präsidenten  des  hiesijjen  sädtischen  Kranken- 
hauses. Frau  Aglaja  v.  Manussi  hat  dem  Präsidium  der  Statthalterei  den  ihr  für 
die  Zeit  vom  1.  Juni  1914  bis  31.  Jänner  1917  gebührenden  Betrag  an  Witwenpen- 
sion, sowie  jenen  des  »Sterbequartals'?,  zusammen  Kronen  4459.58  zugunsten  des 
reines  »Kriegsblindenasyle«  zukommen  lassen. 

—  Wohltätigkeitsfest.  Am  26.  Dezember  1916  veranstalteten  die  in 
der  KriegsfUrsorge  unermüdlich  wirkenden  Damen  Frau  Ol  en  evident  Lina  Strehl  e, 
Frau  Hauptmann  Zikes  und  Frl.  Cäzilie  Zimmermann  zugunsten  erblindeter 
und  verwundeter  Krieger  der  Klinik  des  Hofrates  Prof.  D  i  m  m  e  i,  der  Verwundeten 
des  Filialspitales  Nr.  11  und  des  Reservespitales  eine  C  h  r  i  s  t  b  a  u  m  f  e  i  e  r,  deren 
Reinerträgnis  am  13.  Jänner  1917  im  Saale  »Zur  goldenen  Glocke«,  \'I1.  Neuhaugasse 
5,  an  Soldaten  zur  Verteilung  gelangte. 

—  Ausstellung.  In  der  Galerie  Arnot,  Wien  1.  wurde  eine  Kollektiv" 
ausstellung  von  Studien  und  Bildern  des  Kriegsmalers  Hauptmann  d.  R.  Hugo  v. 
Bouvard  unter  dem  Protektorat  des  Erzherzogs  Karl  Stephan  eröffnet.  fJas 
Ertrags  fließt  den  Kriegsblindenheimstätten  zu. 

—  -Sammlungen   für  Kriegsblinde.  Stand  Ende  Jänner  1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,042.000   K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  1,850.000  K. 

—  Conrad  von  Hötzcndorf-Stiftung:  365.000  K. 

—  Reichspost:  23.600  K. 

—  Linzer  Tagespost  :  47.228   K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  20.320   K. 

Verschiedenes. 

El  inde  n  e  rzich  ung  in  der  Schweiz.  Den  Schweizer  Blinden  im  schul- 
pflichtigen Alter  dienen  fünf  Blindenanstalten  und  zwar  die 

Bernische  Privatblindenanstalt  in  Könitz    mit  47  Schülern,    (deutsch) 

Kantonale  Blinden-  und  Taubstummenanstalt  in  Zürich  Wol- 
lishofen  mit  29  Schülern,  (deutsch.) 

Schule  für  jugendliche  Blinde  in  Frei  bürg  mit  24  Schülern, 
(franz.  deutsch.) 

Blindenasyl  in  Lausanne  mit  18  Schülern,  (franz.) 

Institut  für  schwachsinnige  Blinde  in  Chailly  bei  Lausanne  mit 
42  Schülern,  (franz.  deutsch.) 

Die  Blinden-  und  Taubstummenanstalt  von  Zürich  wurde  mit  einem  Kosten- 
aufwändc  von  630.000  Fr.  in  Wollishofen  bei  Zürich  neu  erbaut.  Der  Neubau  weist 
so  musterhafte  und  alle  Bequemlichkeit  entsprechende  Verhältnisse  auf,  wie  sie  in 
keiner  der  bestehenden  Blindenanstalten  zu  finden  sind.  Auch  die  Anstalt  in  Köniz 
will  durch  Neubauten  den  modernen  Anforderungen  an' hygienischer  und  praktischen 
Anstaltsbetrieb  nachkommen. 

(Jahresbericht  des  Schweiz.  Zentralvereines  für  das  Blindenwesen,  1915.) 

Mitteilung. 

—  Zentralvein  für  das  österreische  Blindenwesen.  Die  p.  t. 
Ausschußmitglieccr  werden  zu  der  am  Freitag,  den  16.  Februar  um  5  Uhr  in  der  Beschäfti- 
gungs-  und  Versorgungsanstalt  in  Wien  VIII,  Josefstädterstraße  80  stattfindenden 
Ausschußsitzung  höflichst  eingeladen.  Tagesordnung:  Mitteilungen.  Kassa- 
bericht. Durchführung  der  Beschlüsse  des  V.  österreichischen  Blindenfürsorgetages. 
Allfälliges. 


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Blinde  unentgeltlich  verliehen!      \jkJ 


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Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde   Kinder  im   vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen   österreichi- 
schen Kronländern   auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 


Organ  des  „Zentralvereine:»  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


j-j  Seh  riftleitu  n  g 
Q  Purkersdorf 

□  bei  Wien. 

D  Österreichisches 

n  Postsparkassen- 

^  kontoNr.l  32.257 


Das  Biatt  ersdieint 
monatlidi  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


n 

Bezugspreis 

D 

D 

n 

ganzjährig  mit 
Postzustellung 

D 

n 

D 

4  Kronen, 

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D 
D 

Einzelnummer 
40  Heller. 

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D 

4.  Jahrgang. 


Wien,  März  1917 


3.  Nummer. 


IMHRLT:  K.  Bürklen,  Purkersdorf:  Die  Entwicklung  der  Blindenschrift.  Klang- 
schrift und  Blinden  -  Prägedruck.  Das  „Postaphon"  von  Wurfschmidt. 
Hofrat  V.  Chlumecky:  Vortrag  über  Kriegsblindenfürsorge  in  Brunn.  Othmar 
Huber:  Rn  die  Sehenden.  Personalnachrichten.  flus  den  Vereinen. 
Für  unsere  Kriegsblinden.  Verschiedenes.  Zentraibibliothek  für  Blinde  in 
(Rltes  und  Neues.     Ankündigungen). 


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D 


?J  Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIII, 
5  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.   [i 

□If^ JÖ 


;Mtes  und  Neues. 


Thu  m  m  er  e  1"  Johannes,  H  a  n  n  e  r  1  e,  ein  Bündenroman.  Leipzig,  Fr. 
Wilh.  Grunow,  1916  (257  S.) 
Das  Buch  ist  ein  Tendenzroman,  der  panthcistische  Ideen  ver- 
breitet. Es  ist  arm  an  Handlungen,  welche  überdies  zeitlich  und  ört- 
lich eng  begrenzt  sind;  der  Verfasser  verlegt  sich  hauptsächlich  auf 
die  Schilderung  der  Natur  und  die  Beschreibung  von  seelischen  Vor- 
gängen, und  hierin  zeigt  er  Geschick.  Die  Betrachtungen  über  die 
Natur  und  die  herangezogenen  Vergleiche  sind  anmutig,  wenn  auch 
seine  Phantasie  mitunter  gar  zu  üppig  wird.  So  spricht  er  S,  8  von 
schweratmenden  Dächern,  und  in  der  Beschreibung  Manerles  S.  9 
erfahren  wir,  daß  sich  ,,dic  große  Unterlippe  in  weitem  Bogen  in  die 
Länge  zog  und  mit  der  breit  herabhängenden  Nase  die  Form  eines 
Ankers  bildete".  Die  Charakteristik  der  blinden  Krämerstochter  Johanna 
Ennepeer  aus  der  böhmisch-sächsischen  Grenze  entspricht  den  Eigen- 
arten der  Blinden  und  läßt  schließen,  daß  der  Verfasser  Gelegenheit 
hatte,  mit  Blinden  zu  verkehren.  Die  Sprachp  fließt  leicht  dahin,  hat 
aber  manche  harte  Wortbildungen.  Es  drängt  sich  dem  Leser  das 
Gefühl  auf,  daß  deshalb  eine  Blinde  als  Hauptperson  des  Romanes 
gewählt  wurde,  um  für  das  Buch,  das  im  übrigen  ziemlich  gehaltlos 
ist,  und  in  letzter  Linie  für  den  Pantheimus  als  Reklame  zu  dienen. 
Der  Verlust  für  die  Literatur  wäre  nicht  groß,  wenn  der  Roman  nicht 
geschrieben  worden  wäre.  Den  Blindenpädagogen  aber  berührt  es 
schmerzlich,  daß  den  Lesern  als  Vertreterin  der  Blinden  ein  achtzehn- 
jähriges sentimentales  Mädchen  vorgeführt  wird,  welches  nie  einen 
Unterricht  genossen  hat  und  sich  weigert,  sich  in  einer  Blindenanstalt 
ausbilden  zu  lassen,  das  sich  aber  naseweis  mit  seinen  überspannten 
Gedanken  aufdrängt.  Läßt  das  Buch  schon  den  nötigen  sittlichen 
Ernst  vermissen,  so  ist  e»  wegen  seiner  Tendenz  vom  christlichen 
Standpunkt  aus  überhaupt  abzulehnen. 

Graz,  Dr.  Josef  Hartinger. 

Man  erlebt  mit  derartigen  Erscheinungen,  die  sich  als  ,, Bünden- 
roman," „Aus  der  Blindenwelt"  usw.  ankündigen,  immer  dieselbe 
Enttäuschung.  Mit  Erwartung  nimmt  man  sie  zur  Hand,  um  sie  mit 
Bedauern  wegzulegen.  Ein  wirklicher  und  wahrhaftiger  Bündenroman 
ist  bisher  nicht  vorhanden  und  soll  erst  geschrieben  werden.  Pflicht 
der  Blindenpädagogen  ist  es,  Stellung  gegen  die  Literaten  zu  nehmen, 
die  sich  in  derartiger  Anmaßung  an  die  Lesewelt  wenden. 


4.  Jahrgang. 


Wien,  März  1917. 


3.  Nummer. 


fmmfi'^^^^^wm^^^M^'Sim^^^Mm^m^^^^M^^^^^^^^^^^m^m^w^»^»^^ 


ii' 


Aus  Finsternis  zum  Licht  steigt  eine  Stufenleiter 
Die    dunkel    ist   am    Fuß    und   an    der    Spitze    heiter. 
Im  Schatten  siehst  du  nicht,   wie   hoch   die   Leiter  du 


m 


*    Aufklommest!  Doch   du  klimmst  zum  Licht  auf,  klimm  nur  zu!    ^ 

■®'  St 

^  F.  Rücker  t.  (Die  Weisheit  des  Brahmanen).        ^ 


Die  Entwicklung  der  Blindenschrift. 

Von   Direktor  K.  ßürklen,  Purkersdorf. 


Die  Blindenschrilt  hat  naturgemäß  ihren  Ausgang  von  der  Schrift 
der  Sehenden  genommen,  denn  die  ersten  Bemühungen,*  Blinde  mittelst 
tastbar  gemachter  Buchstaben  lesen  zu  lehren,  konnten  nur  hier  anknüp- 
fen. Vereinzelte  Versuche  zur  Heistellung  einer  brauchbaren  Blinden- 
schrift, die  schon  in  älterer  Zeit  geschahen,  erlangten  keine  allgemeine 
Bedeutung.  Sie  überzeugten  lediglich  von  der  Möglichkeit,  Blinde  auf 
diese  Art  das  Lesen  zu  vermitteln.  Erst  dem  Begründer  der  ersten 
Blindenanstalt  V.  Haüy  gebührt  das  Verdienst,  eine  Reliefschrift  in 
den  Blindenunterricht  eingeführt  zu  haben.  Wie  Haüy  zu  der  von  ihm 
verwendeten  Tastschrift  gelangte,  erzählt  er  in  seiner  Abhandlung  über 
die  „Erziehung  der  Blinden"  (Paris,  1786),  welches  Buch  zugleich  in 
Schwarz-  und  Reliefschrift  gedruckt,  auch  von  Blinden  gelesen  wer- 
den sollte. 

»Wir  beobachteten,  —  sagt  er  — ,  daß  ein  bedrucktes  Blatt 
beim  Verlassen  der  Presse  auf  der  Rückseite  alle  Buclistaben  erhaben 
zeigte,  aber  verkehrt.  Wir  ließen  Lettern  gießen,  die  so  beschaffen 
waren,    daß    ihr    Abdruck    auf    Papier    von    den  Augen  wahrgenommen 


Seite  692.  Zeitschrift  für  das  öiterreichische  Blindenwesen.  3.    Nummer" 

werden  kann,  und  mit  Hilfe  eines  angefeuchteten  Papiers  gelang  es 
uns,  das  erste  Exemplar  abzuziehen,  das  bisher  mit  erhabenen  Buch- 
staben erschienen  war,  welche  durch  das  Gefühl  unterschieden  werden 
konnten.  Nachdem  wir  nach  und  nach  Buchstaben  von  verschiedener 
Dicke  benützten,  je  nach  der  Beschaffenheit  des  Tastsinnes  unserer 
Schüler,  haben  wir  geglaubt,  uns,  wenigstens  in  der  ersten  Zeit  unseres 
Unterrichtes,  auf  das  beschränken  zu  müssen,  was  dazu  diente,  den 
Haupteil  dieses  Werkes  (der  Abhandlung)  zu  drucken.  Diese  Schriftart 
scheint  uns  die  Mitte  zu  halten  zwischen  denen,  welche  die  des  Lichtes 
Beraubten  fühlen  können,  jeder  nach  dem  Grade  der  Feinheit,  welchen 
die  Natur  ihm  gibt,  oder  welchen  Alter  oder  Arbeit  seinem  Gefühle 
lassen.« 

Der  Hauptteil  der  >Abhandlung«  ist  also  in  einer  Reliefschrift 
gedruckt,  welche  nach  Haüy's  Aussage  von  seinen  Blinden  gelesen 
wurde.  Es  sind  Groß-  und  Kleinbuchstaben  der  damals  zum  Schreiben 
üblichen  Kursivschrift.  (Tafel  Nr.  1).  Die  Formen  der  Kleinbuch- 
staben sind  durchwegs  einfach  und  klar,  was  von  den  Großbuchstaben 
nicht  behauptet  werden  kann.  Betrachtet  man  die  Schrift  von  Haüy 
auf  Größe*  und  Form  hin,  so  muß  sie  wohl  als  für  Blinde  lesbar  an- 
gesehen werden;  jedoch  ist  das  Relief  ein  so  geringes,  daß  man  sich 
wundern  muß,  daß  sie  tatsächlich  von  den  Schülern  Haüys  gelesen 
wurde.  Der  Vorwurf,  daß  Haüys  Typen  einen  zu  großen  Raum  ein- 
nahmen und  daß  daher  nur  wenig  Text  auf  eine  Seite  ging,  ist  nicht 
stichhältig,  da  später  eingeführte  Blindenschriften,  ja  selbst  die  Punkt- 
schrift bedeutend  mehr  Raum  beanspruchten.  (Vergleiche  die  Größen- 
verhältnisse auf  der  Tafel !)  Dagegen  ist  in  der  komplizierten  Form 
namentlich  der  Großbuchstaben  gegenüber  anderer  Schriften  ein  ent- 
schiedener Nachteil  zu  erblicken.  Wie  kam  Haüy  gerade  zu  diesen 
Formen  der  Kursiv-Schreibschrift,  wo  er  doch  in  den  Druckformen  der 
Antiqua  seiner  Zeit  bessere  Vorbilder  vor  sich  hatte?  Er  klärt  uns  da- 
rüber mit  folgender  Bemerkung  auf: 

»Wir  haben  auch  die  Vorsicht  gebraucht,  unseren  Druckbuchstaben 
die  Form  der  geschriebenen  zu  geben,  um  den  blinden  Zögling  früh- 
zeitig an  die  Auffassung  der  Ähnlichkeit  zu  gewöhnen.* 

Haüy  ließ  nämlich  seine  Blinden  mit  einer  eisernen  Feder,  deren 
Spitze  ungespalten  war,  auf  einem  dicken  Papier  durch  Aufdrücken 
vertiefte  Buchstaben  hervorbringen,  die  sie  dann  lesen  konnten,  indem 
sie  die  Finger  über  die  erhöhten  Züge  der  Rückseite  hinweggleiten 
ließen.  Diese  Schreibversuche  waren  also  für  die  Wahl  seiner  Druck- 
buchstaben entscheidend,  denn  er  gewann  damit  eine  einheitliche  Druck- 
und  Schreibschrift.  Dieser  Grund  mag  auch  für  seine  Nachfolger 
maßgebend  geblieben  sein,  denn  obwohl  von  ihnen  bereits  Versuche 
gemacht  wurden,  die  Antiquaschrift  für  den  Blindendruck  zu  verwenden, 
blieb  Haüy's  Kursivschrift  in  Gebrauch  und  wir  finden  sein  Alphabet 
noch  in  Guillie's  »Abhandlung  über  die  Unterweisung  der  Blinden« 
(Paris,  1817)  wiedergegeben.  Die  daran  vorgenommenen  Verbesserungen 


*)   Die    Tafel    enthält    alle    Schriften     in    genauer    Nachbildung    und    natür- 
licher Größe. 


3.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  693. 

bezogen  sich  hauptsächHcli  auf  ein  stärkeres  Relief,  denn  die  bis  zu 
20  mm  erhöhte  Größe  der  Buchstaben  sowie  die  eingeführte  Schräglage 
sind  als  solche  nicht  zu  betrachten. 

Auch  J.  W.  Klein  wählte  zum  Lesen  und  Schreiben  für  Blinde 
die  lateinischen  Buchstaben  der  Kursivschrift,  »weil  die  Blinden  diese 
Formen  am  leichtesten  durchs  Gefühl  lesen.«  In  sein^jm  »Lehr- 
buch zum  Unterricht  der  Blinden«  (Wien  1819)  setzt  er  hinzu: 
»Einige  Buchstaben  müssen  in  dieser  Schrift  noch  vereinfacht  werden, 
so  wie  auch  alle  unwesentliche,  bloß  zur  Verzierung  dienende  Züge 
und  Striche  wegbleiben  müssen.«  Und  weiters  :  »Damit  der  Blinde  nicht 
nötig  hat,  ein  neues  Alphabet  zu  lernen,  wählt  man  zum  Schreibenlernen 
die  gewöhnlichen  kleinen  lateinischen  Buchstaben,  welche  er  schon 
beim  Lesenlernen  durchs  Gefühl  kennen  gelernt  hat.«  Die  auf  einer 
Tafel  dem  »Lehrbuch«  beigegebenen  Kursivformen  seiner  Druckschrift 
.sind  wohl  etwas  vereinfacht,  jedoch  sehr  groß  und  enthalten  schräg 
gestellte  Großbuchstaben  neben  senkrecht  stehenden  Kleinbuchstaben. 
Übrigens  wurde  von  diesem  Druckalphabet  kein  Gebrauch  ge- 
macht. 

Klein  beschreibt  aber  auch  in  seinem  >Lehrbuche«  eine  Schrift, 
welche  dem  Blinden  den  doppelten  Vorteil  gewährt,  daß  er  sie  ohne 
Mühe  selbst  verfertigen  und  nachher  durchs  Gefühl  lesen  kann.  Dazu 
dient  ein  Alphabet,  wovon  jeder  einzelne  Buchstabe  aus  einer  Anzahl 
feiner  Spitzen  gebildet  ist,  die  in  Holz  befestigt  sind.  Klein  erfand 
zur  Herstellung  seiner  Stachelschrift  auch  den  bekannten  Apparat.  Als 
Buchstabenformen  wählte  er  hiezu  »ihrer  Einfachheit  und  Regelmäßigkeit 
wegen  die  sogenannte  Lapidarschrift«,  die  Großbuchstaben  der  Antiqua. 
(Tafel  Nr.  3)  Für  diese  Herstellung  einer  Reliefschrift  durch  Stachel- 
typen eigneten  sich  nämlich  die  Kursivschriftformen  nicht.  Vielmehr 
ergaben  sich  als  hiefür  am  geeignetsten  die  Großbuchstaben  der  Anti- 
qua mit  ihrer  einfachen  geometrischen  Linienführung.  Stacheltypen 
zur  Herstellung  von  Blindenschrift  soll  schon  Haüy  benützt  haben.  Es 
ist  dies  naheliegend,  da  er  bei  der  in  Paris  sich  aufhaltenden  blinden 
Musikerin  M.  Th.  Paradis  eine  Schrift  sah,  die  auf  einer  Karte  durch 
Nadelstiche  gebildet  war.  Zur  brauchbaren  Verwendung  brachte  die 
Stachelschrift  jedoch  erst  Klein. 

Mit  der  Stachelschrift  treten  die  Buchstabenformen  der  Antiqua 
und  zwar  die  Großbuchstaben  im  Blindendruck  auf.  Versuche  zur  Ein- 
führung dieser  Formen  geschahen  schon  in  alter  Zeit.  Auch  Haüy  er- 
probte sie  für  seine  Zwecke;  ebenso  sein  Schüler  Lesueur.  Aber  erst 
in  den  ersten  Jahrzehnten  nach  1800  wird  die  Kursivschrift  langsam 
von  den  Antiquaformen  abgelöst  und  es  entstanden  Blindendrucke  mit 
diesen  Typen.  Damit  verschwanden  die  Kursivschrifttormen  und  es  ergab 
sich  eine  besondere  Druckschrift,  da  weiterhin  in  Kursiv  (Latein)  ge- 
schrieben  wurde. 

Bei  der  technischen  Herstellung  des  Antiquadruckes  unterscheiden 
wir  den  Liniendruck  und  Stachel-  bezw.  Perldruck.  Diese  Druckarten 
gehen  nebeneinander  und  erlöschen  mit  der  Aufgabe  der  Antiquafor- 
men in  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts.  Nur  die  Stachel- 
schrift hat  sich  durch  den    Klein'schen    Apparat   bis    in    die    Gegenwart 


Seit«'  694.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  3.  Nummer. 

gerettet.  Die  Antiqua  auch  als  Schreibschrift  einzuiühren,  wurde  neben 
dem  Klein'schen  Stacheltypenapparat  die  Heboldsche  Schreibtafel  er- 
funden, so  daß  eine  Zeitlang  die  Antiqua  zur  einheitlichen  Druck-  und 
Schreibschrift   für  Blinde  wurde. 

Die  Buchstabenformen  der  Antiqua  haben  während  der  Zeit  ihrer 
Verwendung  mancherlei  Veränderungen  in  Gestalt  und  Größe  erfahren. 
Die  von  Dufau  herrühren.  Typen  der  Großbuchstaben  dieser 
Schrift  (Tafel  Nr.  2)  enthalten  noch  manche  Nebensächlichkeiten  und 
sind  von  geringer  Größe.  Dafür  erscheinen  die  Stachel  typen  Kleins 
(Tafel  Nr.  3),  in  einfachster  Darstellung,  wenn  auch  übergroß.  Die  ebenso 
klaren  Perldruckformen  aus  Stuttgart,  bezw.  lUzach,  (Tafel  Nr.  4) 
gehen  auf  ein  entsprechendes  Maß  zurück.  Der  Wiener  Lin  ien  d  ru  ck 
(Ta'el  Nr.  5.)  verwendet  bei  erheblicher  Größe  Groß-  und  Kleinbuch- 
staben. 

Es  hat  auch  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  die  Formen  der  Antiqua 
zur  Erleichterung  der  Auffassung  durch  die  tastenden  Finger  soweit 
zu  vereinfachen,  daß  man  sich  damit  von  der  für  Sehende  lesbaren 
Schrift  immer  mehr  entfernte  und  zu  einer  spezifischen  Blindenschrift 
gelangte.  So  weist  die  Gall'sche  Runenschrift  (Tafel  Nr.  6)  wohl 
noch  viele  Ähnlichkeiten  mit  den  Antiquavorbildern  auf  Die  Moon'sche 
Schrift  (Tafel  Nr.  7)  ist  jedoch  für  Sehende  nicht  mehr  lesbar  und 
stellt  bereits  eine  besondere  Blindenschrift  dar.  Inbezug  auf  die  Tastbar- 
keit war  diese  Schrift  allerdings  allen  vorher  aufgetretenen  Linien- 
schriften überlegen. 

Die  Lösung  des  Problems  einer  vollendeten  Blindenschrift  gelang 
jedoch  nicht  auf  diesem  Wege.  Sie  ergab  sich  vielmehr  aus  der  Tatsache 
deß  für  das  Tastgefühl  der  Punkt  das  einfachste  Gebilde  sei  und 
daher  eine  Blindenschrift  aus  Punkten  zusammengestellt  werden  muß. 
Die  Erfahrung  lehrte,  daß  gegenüber  dem  Linienrelief  das  Punktrelief 
leichter  zu  tasten  ist.  Das  zeigte  schon  der  Stachel-  und  Perldruck, 
Außerdem  war  durch  eine  Punktschritt  wieder  eine  Vereinheitlichung 
von  Lese-  und  Schreibschrift  möglich.  In  technischer  Beziehung  sprang 
der  große  Vorteil  in  die  Augen,  welche  eine  Punktschritt  dadurch  bot, 
daß  sie  sowohl  im  Druck  als  beim  Schreiben  viel  leichter  herzustellen 
war  als  jede  auch  noch  so  vereinfachte  Linienschrift. 

Gedanke  und  Auslührung  der  Idee,  aus  Punkten  eine  Blindenschrift 
zu  schaffen,  rühren  von  L.  Barbier  her,  der  sich  mit  der  Telegraphie 
beschäftigte,  (Gleichzeitige  Bemühungen  von  Engelmann  in  Linz  führten 
zu  keinem  Ergebnisse.)  Er  stellte  nicht  nur  ein  System  für  eine  solche 
Schrift  auf,  sondern  schuf  auch  eine  Schreibtafel,  mittelst  der  sich 
seine  Punktschrift  leicht  herstellen  ließ.  Wohl  erwies  sich  sein  System, 
das  im  Pariser  Institut  im  Jahre  1821  Eingang  fand,  besonders  wegen 
der  Höhe  der  Schrittzeichen  (bis  zu  6  Punkten  in  der  Höhe,)  als  zu 
umständlich,  fand  jedoch  durch  den  Zögling  des  Pariser  Institutes 
L.  Br  a  i  1 1  e  eine  geniale  Vereinfachung.  Als  B  r  a i  1 1  e'  s c  h  e  P  u  n  k  t  s ch  r  i  f  t 
(Tafel  Nr.  8)  hat  sie  dann  ihren  Siegeslauf  durch  die  Welt  angetreten. 
Mit  ihr  war  eine  ideale  Blindenschrift  geschaffen,  und  zwar  eine  ein- 
heitliche Lese-  und  Schreibschrift,  deren  Vorteile  gegenüber  den  anderen 
Schriften  nicht  zu  verkennen  waren.  Höchste  Einfachheit  und  Klarheit 
der  Zeichen  waren  in  ihr  mit  geringer  Ausdehnung  und  leichtester 
Tasibarkeit    verbunden.  Wer    die  Zusammenstellung    der    verschiedenen 


3.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreirhischr  Blindenwcsen.  Seite'695. 

Schriften  auf  der  Tafel  prüft,  wird  diese  Tatsachen  schon  durcli  die 
bloße  Betrachtung  bestätigt  finden.  Der  sich  immer  mehr  vervollkom- 
mende  Platten-Punktdruck  schul  eigentlich  erst  die  Blindenliteratur. 
Mit  ihr .  erschlossen  sich  den  Blinden  die  Quellen  der  Bücherschätze, 
durch  sie  gelang  der  mühelose  und  sichere  schriftliche  Verkehr  der 
Blinden  untereinander.  Der  Haupteinwand  gegen  die  Punktschrift,  daß 
sie  nur  eine  Blindenschrift  sei  und  daher  die  Blinden  von  den  Sehenden 
scheide,  konnte  ihre  Verbereitung  nicht  hindern.  Wohl  dauerte  es 
Jahrzehnte,  ehe  sie  sich  zur  allgemeinen  Annahme  durchrang,  wohl  gab 
es  noch  einen  harten  Kampf  zwischen  ihr  und  der  Antiqua-Linienschiift, 
aber  die  Jahre  von  1850  bis  1870  entschieden  entgültig  den  Streit 
mit  der  Annahme  der  Punktschrift,  die  seither  die  unbestrittene  Herr- 
schaft auf  dem  Gebiete  des  Blindenunterrichtes  und  der  Blindenbildung 
erlangte. 


Klangschrift  und  Blinden-Prägedruck 

^von  Dr.  Max  Herz,  Wien. 

In  einer  Sitzung  der  Gesellschaft  der  Ärzte  in  Wien  berichtete 
Dozent  Dr.  M.  Herz  über  die  Fortschritte  in  der  Einführung  seiner 
Klangschrift. 

Die  vom  Redner  erfundene  Klangschrift  für  Blinde  ist  vielfach 
besprochen  worden,  die  Darstellung  derselben  ist  aber  ganz  verfälscht 
worden.  Er  bespricht  daher  kurz  das  Prinzip  derselben.  Die  Klangschrift 
ist  nach  Art  der  Morseschrift,  nur  daß  nicht  bloß  kurz  und  lang, 
sondern  auch  hoch  und  tief,  schnell  und  langsam  hierbei  verwendet 
werden.  Zur  Aufnahme  dient  ein  gewöhnliches  Grammophon.  Der 
„Schreibapparat"  hat  Metallzungen,  die  durch  eine  Klaviatur  zum  Tönen 
gebracht  werden.  Die  Töne  werden  auf  Wachsplatten  registriert,  wobei 
sehr  langsam  geschrieben  wird.  Von  der  Wachsplatte  wird  galvano- 
plastisch ein  Abzug  hergestellt,  von  diesem  Abzug  wird  die  Schrift  in 
Stahl-  oder  gewöhnliche  Grammophonplatten  abgedruckt  mittels  einer 
hydraulischen  Presse.  Praktische  Versuche  an  einer  Gruppe  von  Damen 
haben  ergeben,  daß  die  Klangschrift  ebenso  leicht  wie  die  gewöhnliche 
Blindenschrift  zu  erlernen  ist  und  demnächst  wird  der  Unterricht  auf- 
genommen werden.  (Demonstration  des  Schreibens,  der  Aufnahme  und 
des  Abhörens  der  Klangschrifl.)  Redner  ist  von  Blindenlehrern  ange- 
griffen worden,  daß  er  den  Blinden  ihr  kostbarstes  Gut,  die  Braille- 
schrift, entziehe.  Er  hat  daher  untersucht,  ob  die  Brailleschrift  in  der 
Praxis  für  die  Blinden  wirklich  ein  solcher  Segen  sei,  denn  theoretisch 
ist  sie  es.  Er  hat  untersucht,  ob  sie  auch  tatsächlich  die  Verbreitung 
gefunden  hat,  die  sie  haben  müßte,  wenn  sie  einen  größeren  Nutzen 
stiften  sollte.  In  Wirklichkeit  gibt  es  zu  wenig  Bücher  mit  Brailleschrift, 
die  Bücher  sind  sehr  teuer;  ein  Band,  der  den  Inhalt  eines  kleinen 
Reclam-Buches  entspricht,  kostet  3 — 5  Mark;  die  Bücher  sind  sehr 
umfangreich,  die  erhabene  Schrift  wird  bald  abgeflacht,  das  Buch  ist 
unbrauchbar  geworden.  Redner  hat  daher  nach  einem  Verfahren  gesucht, 
welches  diesen  Übelständen  beikommen  kann.  Er  läßt  die  Brailleschrift 
nicht  erhaben   in    ein  Papier    hineinpressen,    sondern   vertieft,    und  zwar 


Seite  696.  Zeilschrift  für  das  östereicliische  IJlindcnwesen.  3.  Nummer. 

läßt  er  das  Papier  dutchlochen.  Dieses  durchlochte  Papier  ist  eine 
Schablone,  von  der  dann  auf  Papier  beliebig  viele  Abzüge  gemacht 
werden  können,  auf  welchem  dann  die  Schriftzeichen  erhaben  sind. 
Man  muß  die  Schablone  nur  mit  einer  dicken  Lösung  bestreichen  — 
Redner  hat  Dextrin  genommen,  derzeit  versucht  er  andere  Lösungen 
— ,  dann  bleiben  beim  Trocknen  die  Zeichen  erhaben  und  gut  tastbar. 
Das  Papier  kann  dabei  dünn  sein,  nicht  so  ungemein  dick,  wie  bei 
der  Braille-Schrift,  ein  Band  kommt  auf  25 — 30  Pfennige,  ist  viel  kleiner 
als  ein  Band  in  gewöhnlicher  Blindenschrift.  Redner  hat  nun  auch 
versucht,  andere  Methoden  für  die  Blinden  zu  verwerten.  Er  fand,  daß 
in  einer  Wiener  Druckerei  mit  gewöhnlichen  Typen  gedruckt  wird,  in 
der  Druckerschwärze  aber  mehr  Terpentin  als  gewöhnlich  ist.  Nach  dem 
Druck  wird  ein  Pulver,  dessen  Zusammensetzung  Geheimnis  der 
Druckerei  ist,  aufgestreut  und  das  Papier  über  Wasserdampf  gehalten, 
die  Schrift  bleibt  dann  erhaben,  tastbar.  Redner  macht  jetzt  Versuche, 
ob  die  gewöhnlichen  Typen  in  praktisch  noch  brauchbarer  Größe  sich 
nach  diesem  Druckverfahren  nicht  zur  Blindenschrift  eignen  werden. 
Auch  Versuche  mit  Gipspapier  stellt  er  jetzt  an.  Man  druckt  aut  Gips- 
papier und  legt  das  Papier  dann  in  verdünnte  Säure.  Der  Gips  wird 
weggeätzt,  nur  wo  gedruckt  wird,  bleibt  der  Gips  stehen.  Schließlich 
berichtete  Dr.  Herz  über  die  Bemijhungen  zur  Schaffung  eines  Illustra- 
tionsverfahrens für  Blindenbücher.  Lineare  Zeichnungen  lassen  sich 
bereits  in  tastbarer  Form  vervielfältigen,  indem  man  dieselben  auf 
Zink  klischiert  und  auf  der  Buchdruckpresse  abzieht. 

Fliezu  sei  festgestellt,  daß  Dn  Herz  von  Blindenlehrern  niemals 
angegriffen  wurde,  sondern  daß  wir  uns  lediglich  erlaubten,  seine 
Erfindung  vom  praktischen  Gesichtspunkte  auf  ihren  Wert  zu  prüfen. 
Wenn  es  Dr.  Herz  gelingt,  an  Stelle  der  Brailleschrift  den  Blinden 
etwas  Besseres  zu  geben  und  den  Prägedruck  nach  seiner  Erklärung 
auf  ein  Zehntel  zu  verringern,  so  wird  ihm  niemand  mehr  dafür  danken 
als  die  Blinden  selbst  und  wir  Blindenlehrer.  Die  über  die  Versuche 
mit  einem  neuen  Prägedruck  gemachten  Angaben  erinnern  leider  an 
sehr  alte  Bemühungen  früherer  Erfinder.  Wir  wollen  jedoch  auch  hierin 
ein  endgültiges  Urteil  der  praktischen  Erprobung  überlassen. 


Das  „Postaphon"  von  Wurfsdimidt. 

In  einer  anderen  Sitzung  der  Gesellschaft  der  Ärzte  in  Wien  berichtete 
Dr.  Philipp  Silberstern  über  Erfindung  des  Ingenieurs  Wurf- 
schmidt, der  seinen  Apparat  „Postaphon"  benannt  hat.  Seine 
Methode  zeichne  sich  im  Gegensatz  zur  Herzschen  Klangschrift 
zunächst  dadurch  aus,  daß  kein  System  von  Morsetastern  und  kein 
neues  Alphabet,  das  erst  erlernt  und  eingeübt,  dann  abgeklopft 
und  dechiffriert  werden  müßte,  erforderlich  ist. 

Schon  ein  verhältnismäßig  kleiner  Apparat  genügt,  um  die 
Worte  auf  einer  Schallplatte  dauernd  zu  fixieren.  Eine  kleine  Um- 
stellung an  dem  Apparat  reicht  hin.  um  das  Gesprochene  zu 
jeder  Zeit  in  beliebiger  Häufigkeit  und  Schnelligkeit  mit  beliebigen 
Unterbrechungen     abzuhören.      Als     Schallplatte     dient     eine     billige 


Zeitschrift  für  das  österreichische 


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1 .  Ältester  Blindendruck  in   Kurs 

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2.  Alterer  Liniendruck  in  Antiq 


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3.      Stacliclschrift   in   Antiqua   vo 


4.  Pcrldruck    in    Antiqua.    Stuttgart. 

ÄBCDEFSHIJKL 

5.  Späterer   A  n  t  i  q  u  a  d  r  u  ck.   Wien. 

6.  Runenschrift  von  J.   Gall.   Starl 

7.  Blindenschrift  von   W.   Moon.  l 
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8.  Punktschrift  von   L.   Braille.  Sp 


Inwesen.  Beilage  zu  Nr.  3,  191' 


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hrift  von   W.   H  a  üy.   Seit  1786. 


Lesueur  seit   1806.   P.   Dufeau   seit   1840. 


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^.   Klein.   Seit   1809. 


1840. 


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1840. 


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nderte  Antiqua.   Seit  1833. 


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sehe  Blindenschrift  in   Liniendruck.   Seit   1847 

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he  Blindenschrift  in   Punktdruck.   Seit  1821. 

3.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichisclie  Blindenwesen.  Seite  697. 

Papierfolie  mit  wachsartigem  Überzug,  die  tausend  Worte  aufzuneh- 
men vermag.  Die  Platte  kann  als  Brief  versendet  werden  und  die 
Wiedergabe  des  Geschriebenen  überall  vermitteln,  wo  ein  ähnlicher 
Apparat  zur  Verfügung  steht. 

Man  kann  also  einen  Brief  sprechen,  einen  Brief  hören  und 
da  die  Schrift  einen  sehr  kleinen  Raum  einimmt,  kann  man  auf 
diese  Weise  auf  geringem  Räume  sprechende  Bücher  herstellen.  Die 
Erfindung  hat  zunächst  für  Zwecke  einer  neuen  Blindenschrift  die 
Anerkennung  eines  Fachmannes  wie  Direktor  Heller  gefunden  nnd 
befriedigt  die  Blinden  außerordentlicli.  Man  wird  mit  diesem  Apparat 
ohne  Hilfe  der  Augen  schreiben  und  lesen  können.  Aber  auch  beim 
Mangel  einer  gebrauchsfähigen  Hand  wird  der  Apparat  briefliche 
Mitteilungen  zustande  bringen  können.  Für  ärztliche  Zwecke  können 
die  Perkutions--  und  Auskultationslaute  auf  der  Papierfolie  des 
Apparats  fixiert  werden.  Eine  so  entstehende  Lautniederschrift  kann 
als  Beilage  zur  Krankengeschichte  aufbewahrt  werden  und  läßt  sich 
an  jedem  Ort  vorführen.  Es  kann  gesammelt  und  die  Sammlungen 
zu   Lehrzwecken  verwertet   werden. 

Das  Problem  des  sprechenden  Briefes,  des  sprechenden  Buches 
ist,  schloß  der  Vortragende  seine  Miteilungen,  schon  heute  durch 
den  Wurfschmidtschen  Apparat,  eine  österreichische  Erfindung,  in 
vollkommener  Weise  gelost  worden.  Dieser  Erfindung  gehöre  die 
Zukunft. 


Vortrag  über  Kriegsblindenfürsorge  in  Brunn. 

Im  großen  Saale  des  deutschen  Kaiser  Franz  Josefs-Lehrlings- 
heimes  zu  Brunn,  in  welchem  sich  derzeit  die  Räume  der  mähr. 
Kriegsblinden-Abteilung  befinden,  hielt  der  bekannte  und  bewährte 
BHnden-Förderer  Dr.  Ludwig  Cohn  aus  Breslau  am  3.  Jänner  1.  J. 
vor  einem  zahlreichen  und  vornehmen  Auditorium  einen  Vortrag  über 
die  Zukunft  der  Kriegsblinden;  längerer  Zeit  als  Vertrauensmann  und 
Berufsberater  des  Kriegsblindenfürsorge-Ausschusses  der  Provinz  Preuß.- 
Schlesien  hervorragend  tätig,  war  Dr.  Cohn  einer  Einladung  der 
mähr.  Landeskommission  zur  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger  gefolgt 

Nach  einem  kurzem  Überblicke  über  die  Entwicklung  und  den 
Stand  des  allgemeinen  Blindenwesens  in  Österreich  und  Deutschland 
wies  der  Vortragende  nach,  daß  durch  den  Eintritt  der  im  Felde 
erblindeten  Kriegsteilnehmer  in  die  Fürsorge  für  diese  eine  neue 
Situation  geschaffen  wurde,  da  es  galt,  die  modernen  Bestrebungen 
in  Absicht  auf  eine  dauernde  und  befriedigende  Versorgung,  welche 
bisher  später  Erblindete  nur  in  wenigen,  vereinzeinten  Fällen  zu  Teil 
werden  konnte,  einer  Hilfsaktien  im  großen  Umfange  zu  gründe  zu 
legen.  Mit  den  bisherigen  System,  erwachsene  männliche  Blinde  im 
Bausch  und  Bogen  durch  Ausbildung  in  den  üblichen  Blindengewerben, 
der  Bürsten-  und  Korbmacherei,  ihren  Broterwerb  finden  zu  lassen, 
müsse  gebrochen  werden;  es  sei  notwendig,  die  Fähigkeiten  jedes 
einzelnen  Individiums  auszunützen,   auf  denen  die  künftige  Versorgung 


Seile  6'J8.  Zeitscluift  das  für  österreichische   Biindcnwesen.  1'..  Nummer. 

autzubauen  sei,  indem  man  die  einen  in  ihren  alten  Beruf  zurückführt, 
die  andern  einen  neuen  erg:reifen  läßt.  Die  bisherigen  Erfahrungen 
in  dieser  Beziehung  lassen  die  gehegten  Erwartungen  durchaus  gerecht- 
fertigt erscheinen.  Redner  führt  die  Erfolge  des  Geheimrats  Prof.  Dr. 
Sil  ex  in  Berlin  an,  der  schon  viele  erblindete  und  augenbeschädigte 
Krieger  in  verschiedenen  militärischen  Betrieben  als  gut  bezalilte 
Arbeiter  untergebracht  hat,  weiters  auf  die  Bestrebungen  des  Landes- 
Versicherungsamtes  in  Stuttgart  deren  Berufsberatungsstelle  die  Anstel- 
lung erblindeter  Soldaten  in  Uhren-Instrumenten-Maschinenfabriken 
durchgesetzt  hat,  endlich  auf  seine  eigenen  Bemühungen,  denen  es 
gelungen  ist,  solche  Krieger  in  das  Bäcker,- Schreiner-  und  Schneider- 
gewerbe zurückzuführen.  Dr.  C  o  h  n,  der  sich  in  seiner  Jugend  in 
allen  Bündengewerben  ausbilden  ließ,  daher  in  den  Handfertigkeiten 
sehr  geübt  ist,  geht  selbst  in  Fabriken  und  gewerbliche  Werkstätten, 
um  selbst  die  Versuche  anzustellen,  welche  Arbeiten  dort  von  Nicht- 
sehenden  verrichtet  werden  können.  Auch  die  geistigen  Kräfte  der 
erblindeten  Krieger  fanden  ihre  Verwertung,  mancher  wurde  wieder 
als  Lehrer,  Beamte  usw.  oder  beim  Militär  als  sog.  Prüfungs-Offizier 
angestellt.  Andere  wandten  sich  dem  Kaufmannstande  in  verschiedenen 
Stellungen  zu,  auch  Techniker  und  Chemiker  gibt  es  unter  ihnen.  Um 
aber  das  Ziel  voll  und  ganz  zu  erreichen,  ist  es  unbedingt  notwen- 
dig, daß  das  Vorurteil  in  Betreff  der  Blinden  und  ihrer  Leistungs- 
fähigkeit, das  noch  immer  selbst  in  den  Köpfen  Gebildeter  spuckt, 
restlos  schwinde,  und  daß  namentlich  die  industriellen  und  gewerb- 
lichen Kreise,  welche  den  augenbeschädigten  Kriegern  die  Pforten 
zu  neuen  Lebensstellungen  öffnen  sollen,  von  der  Überzeugung  durch- 
drungen seien,  die  Faktoren  in  Staat  und  Gesellschaft  seien  verpflich- 
tet, den  blind  gewordenen  Vaterlandsverteitigern  durch  weites  Entgegen- 
kommen ein  Opfer  zu  bringen,  welches  gar  nicht  so  groß  sei, 'denn 
man  weiß  jetzt  schon,  daß  der  Blinde  ein  guter,  verläßlicher'gewissen- 
hafter  Arbeiter  sei,  der  oft  seinen  Platz  besser  ausfüllt,  als  ein  Sehender. 
Auch  die  Frage  der  Ansiedlung  von  Kriegsblinden  auf  Heimstätten 
berührte  Dr.  Cohn  und  wies  hiebei  insbesonders  auf  die  segensreiche 
Einrichtung  des  preußischen  Rentengutsgesetzes  hin.  Unter  Anführung 
einer  seinerzeit  an  ihn  gelangten  sinnigen  Äußerung  der  verstorbenen 
Königin  Elisabeth  von  Rumänien  —  Carmen  Sylva  —  dieser  großen 
Blindenfreundin  auf  dem  Throne,  schloß  Dr.  Cohn  seinen  sehr  interes- 
santen, formvollendeten  und  mit  lebhaftem  Beifalle  aufgenommenen 
Vortrag, 

Hofrat  V,  Chlumecky. 


An  die  Sehenden! 

Von  einem   Kriegsblinden. 

Auch  ich  war  einst  sehend,   ein  Lichtmensch   wie  Ihr, 
Und  golden  erstrahlte  die 'Sonne  auch   mir! 

Ich  lebte  im   Lichte  und  liebte  das  Licht 
Und  dachte  der  Lichtlosen   Finsternis   nicht  ! 


3.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  östeireichiscfie  Blindenwesen.  Seile   699. 

Doch  als  dann   die  Kugel  zu   Boden  mich  riß, 
Da  war  mir  Verzweiflung  und  Unglück  gewiß! 

Nun   bin   ich   ein   Blinder;   um   mich  her  ward   Naclu, 
Die   nie   mehr  ein   Morgen   zum   Tage   mir  maclit.  — 

Ihr  nennet   mich   glücklos,   Ihr   nennet   mich   blind. 
Und   leitet   mich  stets   wie   ein   hilfloses   Kind! 

Auch   ich  sah  einst  fröhlich  des  Erdtages   Licht, 
Auch   ich   sah   die   Welt   und  der  Menschen    Gesicht! 

Ich   sah   auf   der  Erde   das   Keimen    und   Blijh'n 
Und   sah   in   den   Fernen   die   Sterne   erglijh'n! 

Ich  sah  meinen   Vater,   mein   Mütterchen  traut. 

Die   liebend   und   sorgend  auf  mich   einst  geschaut! — 

Dies  sehe  ich   nimmer;   um   mich  her  ist  Nacht! 
Doch  tief  in    der   Seel'   ist  ein  Licht   mir  erwacht : 

Denn    nie   will   ich   missen,   was  einstens  ich   sah. 
Es   bleibe  mir  immerdar  deutlich   und   nah' ! 

Bedenket,   auch  ich  sah  das  leuchtende  Licht ! 
Ich   bin  ja  kein   Blinder,  ich  sehe  nur  nicht  ! 

Graz,   am   18.  Jänner   1917.  Othmar  Huber,   Leutnant. 


Personainachrichten. 

—  Gemeinderat  Th  urner  —  kaiserlicher  Rat.  Der 
Kaiser  verlieh  dem  Gemeinderate  Funktionär  des  Roten  Kreuzes  in 
Innsbruck  Herrn  Franz  T  h  u  r  n  e  r,  den  Titel  eines  kaiserlichen  Rates. 
Gemeinderat  Thurner  ist  leider  derzeit  leidend;  das  Befinden  des 
für  seine  unermüdlichen  Arbeiten  im  Dienste  der  Wohlfahrtspflege 
neuerdings   ausgezeichneten   Mannes  ist  ziemlich   befriedigend. 

Gemeinderat  Thurner  ist  der  Gründer  des  Tir.  Voralb. 
Blindenfürsorgevereines  und  des  B  1  i  n  d  e  n  i  n  s  t  i  t  u  t  e  s  in 
Innsbruck. 

Regierungsrat  A.  Meli  —  Oberleutnant.  Das  Verord- 
nungsblatt für  die  k.  k,  Landwehr  bringt  folgende  Verlautbarung: 
S.  Majestät  geruhten  .weiter  allergnädigst  zu  verleihen,  aus  Allerhöch- 
ster Gnade:  Die  früher  bekleidete  Oberleutnantscharge,  und  zwar  im 
Verhältnis  „außer  Dienst"  der  Landwehr,  dem  ehemaligen  Oberleut- 
nant in  der  Reserve  Alexander  Meli.  Zur  Verfügung  des  zuständigen 
Landwehrterritorialkommandos  —  für  Lokaldienste  im  Mobilisie- 
rungsfalle. 

—  Der  Substitut  Anton  Kaiser  an  der  n.  ö.  Landes  Blindenanstalt  in 
Purkersdorf  wurde  bei  der  Musterung  als  zum  Dienste  mit  der  Waffe  geeignet  befun- 
den und  ist  am  12.  Februar  1.  J.  nach  St.  Polten  eingerückt. 


Seile  70n.  Zeitschrift  für  tias  östfiieichische   FJlindenwesen.  3.  Nummer. 

flus  den  Vereinen. 

—  Zen  tr  a  I  vere  i  n  für  das  österreichische  ß  li  n  d  c  n  wesen.  A  u  s- 
scli  ußsi  tzu  n  54  am  16.  Ki;I)ruar  1.  J.  Vorsitzender  Direktor  H  ürk  I  e  n  machte 
Mitteilungen  ül>cr  den  Mit^liederstand  und  den  Abonnentenstani  der  Zeitschrift, 
welcliei  sich  neuerlich  erhöhte.  Der  von  Kassier  Haupllehrer  Demal  erstattete 
Kassaheridit  war  ein  oünsti>,>er.  An  das  k.  k  Ministerium  für  Kultus  und  Unterricht 
wurde  abermals  um  Empfehlung  der  Zeitschrift  und  Gewährung  einer  Subvention 
herangetreten.  Bezüglich  der  Durchführung  der  auf  den  V.  Blindenfiirsorgetage  gefaßten 
Heschl  isse  wird  vor  allem  an  jene  gedacht  werden,]welche  durch  das  Referat  des  Hofrates 
V  Chlumetzky  angeregt  wurden.  Sie  sollen,  imter  Berücksichligung  der  Zeitum- 
umslände,  den  Behörden  zur  Annahme  unterbreitet  werden,  Die  Referate  von  Alt- 
mann und  Gigerl  unterliegen  der  weiteren  Behandlung  seitens  der  vom  Fürsorge- 
tage gewählten  Komitees.  Obmann  Uhl  verwies  ciurch  eine  Zuschrift  auf  die 
Betrebungen  der  Musikerverbände  zum  Schutze  der  ausübenden  Musiker. ,  Es  wurde 
besclilossen,  mit  diesen  Verbänden  behufs  entsprechender  Berücksichtigung  der 
blinden  Musiker  in   Verbindung  zu  treten. 

—  Ortsausschuß  des  X.  Blindenfürsorgetages.  Derselbe  beendete 
am  16.  Februar  1.  J.  unter  dem  Vorsitze  des  Obmann-Stellvertreters  Direktor 
Stoklaska  seine  Arbeiten.  Obmann  Regieiungsrat  Meli  hatte  vorher  sune  Stelle 
niedergelegt.  Der  aus  der  Verrechnung  sich  ergebende  Übeischuß  wurde  als  Spende 
zur  Errichtung  des  Kriegsblindenheimes  in  Wien  XUl  bestimmt.  Mit  der  Auf- 
lösung des  Ortsausschusses  übernimmt  der  »Zentralverein  für  das  öst.  Blinden- 
wesen-j  die  gesamten  Vorarbeiten  für  die  Veranstaltung  des  nächsten  Tages. 


Für  unsere  Kriegsblinden. 

-r-  Trauungen  von  Kriegsblinden.  Aus  Katzelsdorf  in  Nieder- 
österreich wird  uns  geschrieben:  Herr  Leopold  VVeghofcr,  Stabsfeldwebel, 
erblindete  am  nördlichen  Kriegsschauplatze,  erträgt  aber  sein  schweres  Los 
mit  männlicher  Geduld  und  Ergebung.  Letzthin  ließ  sich  der  Erblindete  mit  seiner 
Braut  Fräulein  Rosalia  H  a  i  1  i  n  g,  der  Tochter  des  Gemeindevorstehers  von  Eich- 
bühl in^  Wiener  St.  Stefansdome  trauen.  Der  blinde  Bräutigam  erlernte  in  der 
Invalidenschule  in  Straß  die  Gäitnerei  und  erhielt  alsliald  in  Trumau  an  der 
Aspangbahn  ein  eigenes  Heim  mit  einem  Garten,  welches" das  neuvermählte  l'aar 
gleich  nach  der  Hochzeit  bezog. 

Aus  Graz  wird  berichtet :  In  der  hiesigen  Mariahilferkirche  fand  die 
Trauung  des  Beamten  der  Österreichischen  allgemeinen  Unfallversichcrungs- 
anstalt  Franz  Eppich  mit  Fräulein  Arranka  Zimmermann  statt.  Herr 
Eppich  hatte  im  Jänner  v.  J.  auf  dem  Monte  San  Michele  durch 
Brandgranaten  so  schwere  Verletzungen  erlitten,  daß  er  das  Augenlicht  verlor. 
Fr  erhielt  die  silberne  Tapferkeitsmedaille  2.  Klasse  und  vi^urde  in  der  hiesigen 
Odi  lien-B  1  indenanstalt  im  Maschinschreiben  ausgebildet.  Durch  Veimittlung 
der  Landesstelle  zur  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger  fand  Eppich  bei  der 
genannten  Versicherungsanstalt  Beschäftigung  und  außerdem  erhielt  er  eine  Tabak- 
trafik auf  dem  Kaiser  josef-Platz.  Wohnung  und  Einrichtung  des  Geschäftes  wurden 
vom  Blindcnfonds  besorgt.  Der  kirchlichen  Feier  wohnte  der  Statthalter  Graf  Clary 
und  Aldringen  bei.  Das  Brautpaar  erhielt  viele  Geschenke. 

—  Spende  für  Kriegsblinde.  Die  mährische  Landeski  mmission  zur 
l'ürsorge  für  heimkehrende  Krieger  hat  auf  Wunsch  des  Fabriksbesilzers  Theodor 
Reiser  in  Klogsdorf  bei  Freiberg  in  Mähren  einen  von  ihm  gewidmeten  Betrag 
von  10.500  Kronen  dem  Armeeoberkommando  zu  dem  Zweck  übermittelt,  daß  dieses 
Kai)ital  in  Verwaltung  ühemommen  und  aus  seinen  Zinsen  alljährlich  arme  Kriegs- 
blinde, die  nach  Tirol  zuständig  und  deutscher  Volksangehörigkeit  sind,  unterstützt 
werden. 

—  W  o  h  1 1  ä  t  i  g  k  e  i  t  s  a  k  t  i  o  n  i  m  R  e  i  c  h  e  n  b  e  r  g  e  r  -  B  e  i  s  1.  Aus  Anlaß 
des  Regierungsantrittes  Kaiser  Karls  I.  hat  eine  Anzahl  von  Srammgästen  des 
R-icheniKirger-Beisl  in  Wien  sichrlie  Aufgabe  gestellt,  zur  Linderung  der  Not  der  im 
Kriege    erblindeten    Soldaten    einen  Fonds  zu  errichten,  der  durch  eine  auf  diesem 


3.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen,  Seite  701. 

Stammtische  aufgestellte  Büchse  seine  Grundlage    finden    soll.     Die  Anregung  hiezu 
kommt    von    einigen    Herren,    die    als  erste  namhafte  Spenden  diesem  humanitären 


Zwecke  zuführten. 


—  Veranstaltungen.  Konzert  der  Konzertsängerin  Laura  Knapek 
unter  dem  Schutze  des  Fürsten  Johann  11.  von  und  zu  Liechtenstein  am  4.  Fe- 
bruar 1.  J.  im  Konzerthaussaale  in  Wien. 

—  Konzert  des  HofopernsäaGfcrs  Hans  D  li  h  a  n  zugunsten  der  »Krie^s- 
lilindenheimstätten«  am  1.  Februar  1.  J    im  Musikvereinssaale  in  Wien. 


m 


Vorstellung    zugunsten    eiblindeter  Krieger    am    9.    Februar    1.  J.    i 
Josefstädtertheater  in   Wien  im   Rahmen  eines  »Bunten  Abends«. 

—  Sammlungen  für  Kriegsblinde.  Stand  Ende  Februar   1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1.057.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  1,91 5.000  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  365.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  55.000  K. 

—  Reichspost:  23.600  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  20.320  K. 

Verschiedenes. 

~  Die  Leidensgeschichte  eines  Blinden.  Bohumil  Swoboda,  ein 
neunzehnjähriger,  nahezu  völlig  erblindeter  Jüngling,  wurde  vor  Weihnachten  von 
dem  Prager  Landesgericht  wegen  Brandlegung  zu  einer  dreijährigen  Kerkerstrafe 
verurteilt.  Wer  kann  beim  Lesen  einer  solch  kurzen  Tatsache  ahnen,  welche  Lei- 
densgeschichte dieser  blinde  Jüngling  mitgemacht  hat!  Und  wohl  hätte  kein  Mensch 
gewußt,  welch  hartes  Los  den  ohnedies  tief  unglücklichen  Jüngling  betroffen  hat, 
wenn  nicht  Dr.  Soukub  in  der  letzten  Sitzung  des  Prager  Stadtverordnetenkolle- 
giums die  Geschichte  dieses  »Falles«  in  einfachen,  tiefergreilenden  Worten  erzählt 
hätte.  Swoboda  war  ein  uneheliches  Kind,  um  welches  sich  nur  seine  Tante,  eine 
arme  Näherin  kümmerte.  Als  Knabe  besuchte  er  die  Volksschule  in  Jitschin  und 
wird  derselbe  von  den  Lehrern  als  braver  und  kluger  Schüler  bezeichnet.  Im  12. 
Lebensjahre  bekam  der  Junge  schlechte  Augen  und  da  dieselben  im  Laufe  der 
Jahre  immer  böser  wurden,  so  daß  er  nur  mehr  Schatten  und  Licht  unterscheiden 
konnte,  wurde  derselbe  auf  die  Prager  Augenklinik  gebracht,  woselbst  man  erkannte, 
daß  es  für  den  armen  Jungen  keine  Rettung  mehr  gebe.  Nun  handelte  es  sich  um 
die  Feststellung  der  Heimatsgemeinde  des  Knaben,  damit  diese  sich  weiter  um 
demselben  bekümmere.  Um  diese  Feststellung  abzuwarten,  wurde  der  blinde  Knabe 
in  den  Prager  Gemeindearrest  gesteckt.  Vieizehn  Monate  wurde  der  Knabe  in 
diesem  Arrest  festgehalten.  Man  schrieb  an  die  Gemeinde  Raschowitz,  die  als  seine 
Heimatsgemeinde  bezeichnet  wurde,  doch  diese  gab  eine  andere  Gemeinde  als 
Heimatsgemeinde  an  und  diese  wieder  eine  dritte  usw.,  keine  Gemeinde  wollte  sich 
mit  dem  blinden  Jüngling  belasten.  Dann  schrieb  man  an  die  Bezirkshauptmann- 
schaft Böhmisch-Brod,  Diese  aber  gab  trotz  Urgierungen  keine  Antuort.  Endlich 
wurde  der  Prager  Magistrat  um  Feststellung  der  Zuständigkeit  des  Blinden  ersucht, 
doch  blieb  auch  dieser  Schritt  erfolglos. 

So  mußte  der  arme  Blinde  vierzehn  Monate  im  Piager  Gemeindearrest  zu- 
bringen, ohne  daß  er  nui-  das  geringste  verschuldet  hätte.  Sein  einziges  »Verbrechen« 
war,  das  er  überhaupt  auf  der  Welt  war  ! 

Inzwischen  mußte  der  Blinde  im  Arrest  Hunger  leiden  und  wurde  nebstdem 
vom  Ungeziefer  so  geplagt,  daß  er  nicht  schlafen  konnte.  Diesem  qualvollen  Zu- 
stande wollte  und  mußte  er  unter  allen  Umständen  entrinnen  und  da  er  gehört 
hatte,  -daß  es  den  Sträflingen  in  den  Strafanstalten  ganz  gut  gehe,  so  beschloß  er, 
ein  Verbrecher  zu  werden.  Zunächst  wollte  er  einen  Mord  be^^ehen.  Da  erinnerte 
er  sich,  daß  ihm  die  im  Gemeindearrest  untergebrachten  Leute  nichts  zuleide  getan 
hätten  und  er  beschloß,  ein  Brandstifter  zu  werden.  Am  20.  November  1916  führte 
er  seinen    Plan    aus.     Er    legte    acht    Strohsäcke    aufeinander,    begoß  dieselben  mit 


Seite  702.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  3.  Nummer. 

Petroleum  und  zündete  die  aufgehäufte  Masse  an.  Der  Brand  wurde  rechtzeitig  er\t- 
dcckt  und  so  ein  größerer  Schaden  verhindert. 

Der  Blinde  wurde  zu  drei  Jahren  schweren  Kerker  verurteilt  und  es  hatte 
sich  hei  der  betreffenden  Strafverhandlung  der  Leitei  des  Prager  Gemeindearrestes 
Kratky  namens  der  königlichen  Hauptstadt  Frag  dem  Strafverfahren  mit  dem 
Anspruch  auf  Ersatz  des  Schadens  von  5  Kronen  angeschlossen. 

»Ich  habe  rrreicht,  was  ich  wollte«,  —  sagte  der  Blinde  seinem  Verteidi- 
ge,- _  »ich  bin  aus  dem  Arrest  weggekommen  und  hier  beim  Landesgericht  be- 
komme ich  doppelt  soviel  Brot  und  schlafe  die  ganze  Nacht.  Ich  bin  zufrieden!  Ich 
weiß  was  ich  begangen  habe,  aber  es  bedrückt  mich  nicht ! 

Der  Bürgermeister  Grosch  versprach  eine  genaue  Untersuchung  dieser 
Angelegenheit  zu. 

Sollte  man  glauben,  daß  sich  so  etwas  »im  Jahre  des  Heiles»  1917  zutra- 
gen kann  ? 

—  Unglücksfall  eines  Blinden.  In  der  Bahnstation  Köbanya  mußte 
ein  Personenzug  we,en  der  großen  Schneemassen  halten.  Einer  der  Passagiere,  der 
frühere  Notar  Eugen  Kalmar,  der  schon  seit  Jahren  auf  beiden  Augen  erblindet 
ist,  stieg,  in  der  Meinung,  daß  der  Zug  bereits  angekommen  sei,  aus  dem  Wagen. 
Kaum  hatte  rr  jedoch  das  andere  Geleiseparr  erreicht,  brauste  ein  Eilzug  heran,  der 
den  Unglücklichen  überfuhr.  Er  blieb  aut  der  Stelle  tot. 

—  Erl)schaft.  In  Wien  starb  die  Hausbesitzerin  Frau  Anna  Bischof  im 
84.  Lebensjahre.  Sie  hat  nahezu  ihr  gesamtes  Vermögen  im  Betrage  von  mehr  als 
500.000  Kronen  wohltätigen  Zwecken  gewidmet.  Dem  k.  k.  Blindenerziehungsinstitut 
und  dem   Verein  zur  Fürsorge  für  Blinde  in  Wien  wendete  sie  je  5000  K  zu. 

—  Das  geblendete  Tauchboot.  Bekanntlich  ledient  sich  das  unter 
Wasser  fahrende  Tauchboot  einer  besonderen  Vorrichtung,  um  die  Vorgänge  über 
dem  Wasser  beobachten  zu  können.  Es  ist  dies  das  Periskop,  ein  mehrere  Meter 
langes  Rohr,  das  durch  die  an  der  Spitze  eingesetzten  Linsen  und  Spiegel  ein 
Bild  von  der  Oberfläche  des  Meeres  bis  in  das  Unterseeboot  wirft.  Mit  diesem 
künstlichen  gestielten  »Auge«  vermag  der  Führer  des  Tauchbootes  seine  Beobach- 
tungen über  Wasser  zu  machen,  obwohl  das  Tauchboot  unsichtbar  im  Wasser  ruht 
oder  dahinfährt.  Bei  der  großen  Gefahr,  welche  die  Nähe  eines  Tauchbootes  für 
den  Feind  bedeutet  ist  dieser,  vor  allem  bestrebt,  das  Tauchboot  zu  »blenden", 
dasselbe  seines  Auges  zu  berauben,  um  seiner  dann  umso  leichter  Herr  werden  zu 
können.  Es  wiederholt  sich  hier  ein  Vorgang,  wie  er  häufig  genug  im  Kampfe 
zwischen  Menschen  oder  zwischen  Tieren  stattfindet.  Die  Mittel  zur  Blendung  des 
Tauchbootes  sind  verschieden.  Das  Auge  (Periskop)  kann  weggeschaffen  werden, 
was  bei  der  Kleinheit  des  Zieles  nicht  leicht  ist.  Da  das  Periskop  nur  in  horizon- 
taler, nicht  aber  in  vertikaler  Richtung  Umschau  halten  kann,  vermag  auch  ein 
Wasserflugzeug  dem  Unterseeboot  unbemerkt  zu  folgen  und  ihm,  sobald  es  auf- 
taucht, das  Auge  zu  zerstören.  Das  geblendete  Tauchboot  ist  dadurch  hilflos  ge- 
worden, denn  es  muß  zu  seiner  Orientierung  voll  auftauchen,  was  dem  Feinde  die 
Zerstörung  erleichtert,  wenn  es  nicht  gelingt,  ein  neues  Auge  herauszustrecken. 
Gegenüber  dem  wirklichen  Auge  genießt  nämlich  das  Periskop  den  Vorteil,  ersetzt 
werden  zu  können.  Und  so  kann  auch  ein  geblendetes  Tauchboot  wieder  sehend 
werden. 

—  Gemütvolle  Engländer.  In  der  englischen  Zeitschrift  ,,The  Daily 
Mirror"  findet  sich  die  Abbildung  eines  Anatomiesaales  mit  einem  Skelett.  Die", 
Al)bildung  ist  überschiieben  :  „Skelett  eines  Hunnen  für  die  Anatomieklasse."  Die 
Unterschrift  lautet:  „Blinde  Soldaten  im  National  Institute  for  the  Blind 
Greav,  Portland  Street,  erhalten  Unterricht  in  der  Anatomie.  Vor  zwölf 
Monaten  war  das  Skelett  ein  lebendiger  Deutscher.  In  der  Verwendung 
von  Skeletten  gefallener  Deutscher  zu  Studienzwecken  noch  dazu  bei  erblindeten 
englischen  Kriegern  —  und  der  Veröffentlichung  des  „Daily  Mirror"  kann  man 
emen  Ausdruck  des  Hochstandes  der  englischen  Kultur  erblicken. 


Herausgeber:    Zeiitralvereiu   für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     RedaktionsUomitee:   K.  Biirltlen, 
J.  Knei«,   A.  t.  Horvaih,   F    Uhl.   ~-  Drucli   ron   Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei  Wien. 


Zentralbibliothek  für  Blinde  in  Österreich. 

Wien,  XVlil.,  WähringergUrtel  136. 

Liste  der  im  Jahre   1916   übertragenen  Werke. 

Andiässy,  Graf  Julius,  Entwickluncr  und  Ziele  Mitteleuropas.  Bartsch, 
Der  Flieger.  Don  Giovanni.  Bernhard,  Sonnenwende.  Borgfeld,  Eine  Opern- 
premiere. Cohn,  Dr.  L.,  Der  Blinde  als  Berater  des  Blinden.  Cohn,  Führende 
Denker.  Gomperz,  Griechische  Denker.  \.  und  II.  Teil.  I.  Abschnitt.  Dehl- 
brück,  Das  Totenvolk.  Desko  vi  c  h-S  e  el  liger,  Das  U-Boot.  Descartes, 
Abhandlung  über  die  Methode  des  reinen  Vernunftgebrauchf s.  Diltey,  Das 
Jahrhundert  und  die  geschichtliche  Welt.  Eh  n  e  r-Es  c  h  e  n  b  a  c  h  Herr  Hofrat. 
Fünf  Novellen.  Ertl,  Die  Leute  vom  blauen  Guguckshaus.  Eckermann, 
Gespräche  mit  Goethe.  Erinnerungen  an  Grillparzer.  Eucken,  Die  Träger  des 
Idealismus.  Frapan,  Novellen.  In  Sehnsucht  leb'  ich.  Fulda,  Abendsonne. 
Ganghof  er,  Der  r.  Niederbruch.  Gerstäcker,  Herr  Hobelmann.  Goethe, 
Die  Leiden  des  jungen  Werther.  Grein  z,  Unter  dem  Doppelaar.  Halm,  Das 
Haus  an  der  Veronikabrücke.  Handel-Maze tti,  Die  arme  Magret.  Deutsches 
Recht  und  andere  Gedichte.  H  a  i  n  k,  Aus  meiner  Opernzeit.  Heine,  Italienische 
Reise.  Hesse,  Peter  Camenzind.  H  e  y  s  e,  Die  Spinnerin.  Die  gute  Tochter. 
(Esparanto).  Hofmann  st  ha),  „Shakespeare"  und  wir.  Höffling,  Ethik. 
Hume,  Eine  Untersuchung  über  den  menschlichen  Verstand.  Ibsen,  Pe<.'r  Gynt. 
Josef,  Erzherzog,  Weidmannserinnerungen.  Karl  weis,  Geschichten.  Kant, 
Grundlegung  zur  Metaphistik  der  Sitten.  Kernstock,  Die  Festenburg.  Die  Schwert- 
lilien Unter  der  Linde.  (Gedichte.)  Kraus,  Schriften.  Liliencron,  Kriegsno- 
vellen. Miscellen.  Lotze,  H.  Grundzüge  der  Ästhetik.  Mann,  Der  kleine  Herr 
Friedemann.  Maupassant,  Novellen.  (Esparanto.)  Novellen.  Maurus,  Ave  Caesar. 
Meyrink,  Der  Golem.  Mücke,  Ayshe.  Nansen,  Jugend  und  Liebe.  ,, Maria." 
Naumann,  Mitteleuropa.  Nietzsche,  Also  sprach  Zaraliestra.  O  s  t  w  a  1  d,  Belgien. 
Pascor.  Conrad  von  Hötzendorf  Plato,  Das  Gastmahl.  Apologie  und  Kriton. 
Die  Verteidigung  des  Sokrates  Krito.  Penk,  Von  England  festgehalten.  Pfohl, 
Richard  Wagoer.  Pfordten,  Mozart.  Raab,  Barbara  Soluta.  Raabe,  Meister 
Autor.  Reuss,  Heimstadten  für  Gartenbau.  Reger,  Beitrag  zur  Modulationslehre. 
Saar,  Gineova.  Innocenz.  Schalek,  An  der  Isonzoarmee.  Kriegsfeuilletons.  Sha- 
kespeare, Medea.  Schlicht,  Kaisermanöver.  Schmitz,  Richard  Wagner.  Scho- 
penhauer, Über  Schriftstellerei.  Über  Lesen  und  Bildung.  Schönherr,  Tiroler 
Bauernsch wanke.  Frau  Suitner.  Schücking,  Die  drei  Großmächte.  Spinoza, 
Abhandlung  über  die  Vervollkouimnuug  des  Verstandes.  Schupp,  Rechtslehre. 
Schnitzler,  Komödie  der  Worte.  Telden.  Ein  alter  Österreicher  und  Mittel- 
europa. Treitschke,  Freiheit.  Unold,  Aufgaben  und  Ziele  des  Menschenlebens. 
Verne,  Der  Archipel  in  Flammen.  Viebig,  Naturgewalten.  Wilde,  Das  Bildnis 
des  Dorian  Grey.  Weule,  Kulturelemente  der  Menschheit.  Zahn,  Einsamkeit. 
Zehme,  Kurzschrift  System.  Esperantofibel  s.  Schlüssel.  Aus  der  weiten  Welt: 
Bilder  aus  Tyrol.  Nordlandsrcisen.  Reise  in  Deutschland.  Aufsätze  v.  Autoren  d. 
Wissenschaft. 

fln  die  Besitzer  von  wertvollen,  in  Blindenschrift  übertragenen  Werke, 
welche  in  den  Blindenbibliotheken  nicht  vorhanden  sind,  stellen  wir,  falls 
die  Bücher  verliehen  werden,  das  Ersudien  um  Bekanntgabe  der  Buchtitel. 
Durch  die  Veröffentlichung  sollen  die  Werke  der  Allgemeinheit  zugänglich 
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Blinde  unentgeltlich  verliehen  !      \tLf 


W.  Kraus,  Berlin  Nr.  54 

(Gegründet  1878.) 

Borsten-,  Rohmaterialien-  und  Werkzeug-Fabrik. 
=======    Bürstenhölzerfabrik.    ===== 


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Faserstoff-Zurichterei  Bergedorf 

Bergedorf  bei  Harnburg. 

Mustergültige   Bearbeitung   von    F  i  b  e  r  und  P  i  a  s  sava 
aller  Arten. 


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von   Oskar  Picht, 
Bromberg. 
A  für  Punktschrift  M  85.80  B  für  gewöhnliche  Schrift  M  80.— 


Organ  des  „Zentralvereine^  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


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Schriftleitun  g 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Nr.l  32.257 


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Das  Blatt  ersdieint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


Bezugspreis 
ganzjährig  mit 
Postzustellung 

4   Kronen, 
Einzelnummer 

40  Heller. 


4.  Jahrgang. 


Wien,  ftpril  1917. 


4.  Nummer. 


INHALT:  Dr.  R.  Marschner,  Prag:  Die  Fürsorge  für  Kriegsblinde  in  Böhmen. 
Kriegsblindenfonds  im  Ministerium  des  Innern.  Personalnachrichten.  Aus 
den  Anstalten.  Aus  den  Vereinen.  Vida  Jeray  :  Der  Blinde.  Für  unsere 
Kriegsblinden.  Verschiedenes.  Bücherschau.  (Altes  und  Neues.  Ankündi- 
gungen). 


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f'^Beitrittserklärungen    zum     „Zentralverein    für  das  österreichische^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung   in    Wien  VIII, 
3  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.  [! 


Zeltes  und  Neues. 


Zwei   Volksbücher  über  Blinde. 

Der  Dichter  des  Bayerischen  Waldes,  Hofrat  Maximilian  Schmidt, 
bekannt  unter  dem  Namen  „Waldschmidt",  berühmter  Volksschrift- 
steller  und  Dialektdichter,  hat  am  25.  Februar  sein  85.  Lebensjahr 
vollendet.  Aus  dem  Bayerischen  Walde  herstammend,  ist  er  seiner 
enteren  Heimat  in  seinen  ofesamten  Werken  treu  geblieben.  Seine 
Volkserzählungen  aus  dem  Bayerischen  Walde  füllen  vier  Bände, 
desgleichen  gehören  seine  Dorfgeschichten,  seine  Volksstücke  und 
Gedichte  zu   den   meistgelesenen  dichterischen   Erzeugnissen. 

Unsere  Leser  seien  darauf  verwiesen,  daß  von  M.  Schmidt 
unsere  zwei  besten  Volksbücher  über  Blinde  herrühren  und  zwar 
sind  dies: 

Der  blinde  Musiker.   Volkserzählung    aus  dem  Böhmerwald. 

Die  Blinde  von  Ku  n  ter  we  g.  Erzählung  aus  den  bayrischen 
Bergen.  (Leipzig,   H.  Hassel.) 

Im  ,, blinden  Musiker"  wird  das  Schicksal  eines  Knaben  geschildert, 
der  durch  Blitzschlag  erblindet,  während  es  seine  Begleiterin,  die 
Jugendgespielin,  beschützt. 

Der  Knabe  kommt  zu  seiner  Ausbildung  in  ein  BJindeninstitut, 
während  der  Ferien  spinnt  sich  jedoch  der  Verkehr  mit  der  Jugend- 
gespielin weiter.  Schwere  Familienzwiste  treten  trennend  zwischen 
die  beiden.  Erst  als  der  Blinde  in  einem  Konzerte  mit  Erfolg  als 
Musiker  auftritt,  sind  die  Angehörigen  des  Mädchens  von  der  ge- 
sicherten Zukunft  des  Blinden  überzeugt  und  geben  ihre  Zustimmung 
zum  Lebensbunde  für  die  beiden  Liebenden. 

Der  „Blinde  Musiker",  ein  Gegenstück  zu  der  „Blinden 
von  Kunterweg",  ist  als  Volksbuch  prächtig  geschrieben  und  von 
allen  sonst  Blindenfiguren  anhaftenden  Unwahrscheinlichkeiten  frei. 
Man  merkt  der  Ausführungen  des  Verfassers  an,  daß  er  tat- 
sächlich einen  Blinden  studiert  und  ein  Blindeninstitut  kennen 
gelernt  hat,  welch  letzteres  er  mit  besonderer  Liebe  schildert.  Abgesehen 
von  dem  Genüsse,  welches  sonst  das  Buch  bietet,  vermag  es  im  Volke, 
das  wenig  von  Blinden  und  ihrer  Erziehung  in  Anstalten  weiß,  in 
richtiger  Weise  aufklärend  zu  wirken. 

Die  „Blinde  von  Kunterweg",  wird  in  ihrer  Liebe  von  einem 
sehenden  Burschen  getäuscht  und  findet  dadurch  den  Weg  zu  ihrem 
Jugendgespielen  zurück.  Nach  einer  glücklichen  Operation  wird  sie 
dessen  Frau.  Eine  etwas  gewaltsame  Täuschung,  die  bei  Blinden 
wohl  schwer  möglich  ist,  führt  zu  einer  Reihe  von  reizvollen  Situationen, 
die  selbst  den  Ungläubigen  fesseln.  Auch  diese  volkstümliche  Erzäh- 
lung erhebt  sich  weit  über  ähnliche  Erzeugnisse  und  wird  immer 
wieder  mit  Genuß  gelesen  werden. 


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4.  Jahrgang.  Wien,  April   1917.  4.  Nunnmer. 


^  ■  ^ 

^     »Meinen  blinden  Kameraden  herzlichen   Gruß !    f 
^     Ich  bin  oft  im   Gedanken  bei  euch!«  ^ 

^  Generalfeldmarschall  von  Hindeuburg         ^ 

^  an  erblindete  Krieger.  ^ 

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Die  Fürsorge  für  Kriegsblinde  in   Böhmen. 

Von  Dr.  Robert  Mar  sehn  er,  Prag. 

Im  Rahmen  der  gesamten  Fürsorge  für  die  Kriegsbeschädigten 
nimmt  jene  für  die  Kriegsblinden  eine  ganz  besondere  Stelle  ein.  Man 
begreift  darunter  jene  heimgekehrten  Krieger,  welche  durch  eine  Kriegs- 
beschädigung auf  beiden  Augen  vollständig  erblindet  sind.  Ihnen  werden 
jene  gleichgehalten,  welche  sozial  resp.  praktisch  blind  sind  d.  h.  auf 
Grund  ihres  Sehrestes  nicht  erwerbsfähig  gemacht  werden  können. 

Die  unter  der  Bevölkerung  verbreiteten  Zahlen  über  die  Kriegsblinden, 
die  sich  stets  in  mehreren  Tausenden  bewegten,  sind  durch  die  bisherigen  Fest- 
stellungen erlreulicberweise  nicht  bestätigt  worden.  Für  ganz  Österreich  wur- 
den vollständig  erblindete  Kriegsbeschädigte  um  die  Mitte  des  Jahres  1916 
in  der  Zahl  von  300  testgestellt,  doch  ist  diese  Statistik  niclit  vollstän- 
dig. In  Böhmen  wurde  die  Zahl  der  Kriegsblinden  im  Wege  der 
k.  k.  Bezirkshauptmannschaften  ermittelt;  ihre  Zahl  betrug  mit  Ende 
Dezember  1916  79. 

Bald  nach  Ausbruch  des  Krieges  hatte  der  damalige  Statthalter 
Fürst  Thun- H  oh  en  stein  der  Fürsorge  für  die  Kriegsblinden  das 
regste  Interesse  zugewendet,  indem  sich  auf  Grund  der  von  ihm  er- 
folgten Ernennung  zu  Beginn  des  Jahres  1915  das  Landeskomitee  für 
Kriegsblindenfürsorge  in  Prag  bildete,  welches  sich  mit  I.Februar  1915 
konstituierte  und  seine  Tätigkeit  begann. 

In  Böhmen  war  der  zivilen  Blindenerziehung  seit  langem  die  ein- 
gehendste Aufmerksamkeit  zugewendet  worden  und  es  bestand  vor 
allem     seit    langen    Jahren     das    Klar'sche  Blindeninstitut,  welches  weit 

Dr.  R.  Marschner  :  Die  Fürsorge  für  Blinde  in  Böhmen.  Prag,  1917,  Selbst- 
verlag der  staatl.  Landeszentrale  zur  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger. 


Seite  708.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  4.  Nummer. 

Über  die  Grenzen  Böhmens  hinaus  bekannt  geworden  ist.  Es  bedeutete 
daher  eigentlich  nur  eine  Erweiterung  des  Wirkungskreises  dieser  Wohl- 
fahrtseinrichtung, daß  sich,  unmittelbar  an  ihre  Einrichtungen  anknüpfend, 
dieses  Landeskomitee  bildete,  das  sich  die  Aufgabe  setzte,  kriegsblinde, 
nach  Böhmen  zuständige  oder  doch  dem  8.  oder  9.  Militärkommando 
in  Böhmen  angehörige  Soldaten  zwecks  Ausbildung  in  einem  Hand- 
werke unterzubringen,  wobei  als  Zeitdauer  je  nach  der  Fähigkeit  1  bis 
3  Jahre  in  Aussicht  genommen  wurden. 

Die  Zahl  der  vom  Landeskomitee  mit  Ende  des  Jahres  1915  in 
der  Klar'schen  Anstalt  untergebrachten  Kriegsblinden  betrug  24.  Die 
Anzahl  erhöhte  sich  bis  Ende  des  Jahres   1916  aut  67. 

Als  weitere  Anstalt,  in  der  solche  Kriegsblinde  untergebracht 
werden  sollten,  käme  die  Deyl'sche  Blindenanstalt  in  Betracht,  welche 
sich  für  den  Fall,  wenn  in  der  Klar'schen  Blindenanstalt  wegen  Platz- 
mangel keine  Kriegsblinden  mehr  aufgenommen  werden  könnten,  nach 
Beschaffung  der  notwendigen  Räumlichkeiten  zur  Aufnahme  und  Aus- 
bildung weiterer  Kriegsblinder  bereit  erklärte.  Das  Landeskomitee 
beschloß  überdies,  nach  Maßgabe  der  Unterbringungsmöglichkeit  und 
der  vorhandenen  Mittel  auch  Kriegsblinde  aus  anderen  Kronländern 
Österreichs  aufzunehmen,  soweit  sie  daselbst  keine  Unterbringung  und 
Unterstützung  finden. 

Die  damit  angebahnte  Fürsorge  schließt  sich  unmittelbar  an  die 
Person  des  einzelnen  erblindeten  Kriegsbeschädigten  an,  sowie  dies  bei 
den  besonderen  Fürsorgeeinrichtungen  zum  Beispiel  der  deutschböhmi- 
schen Fürsorgestelle  für  Kriegskrüppel  und  Kriegsverletzte  in  Reichenberg, 
der  Invalidenschule  und  bei  den  ersten  Einrichtungen  der  durch  das 
Ministerium  für  öffentliche  Arbeiten  errrichteten  Dienststellen  der  Fall 
war,  bezw.  der  Fall  ist.  Durch  die  Notwendigkeit  einer  besonderen 
Betreuung  dieser  Kriegsblinden  gewinnt  dieser  Zweig  der  Fürsorge  ein 
eigenartiges  Interesse,  regt  zu  besonderem  Nachdenken  und  zur  Ver- 
wertung der  bisher  gesammelten  Erfahrungen  an.  Hiezu  kommt,  daß 
auch  noch  nach  der  eventuellen  Schulung  die  dauernde  Versorgung 
des  einzelnen  Kriegsblinden  unentwegt  im  Auge  behalten  werden  muß 
und  zur  Schaffung  weiterer  Fürsorgeeinrichfungen  (Gewährung  von 
Darlehen,  Unterstützungen,  Gründung  von  Kriegsblindenheimstätten) 
führt. 

Während  die  Hauptaufgabe  der  Staatlichen  Landeszentrale  zur 
Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger  darin  besteht,  in  Verbindung  mit 
den  in  Böhmen  geschafifenen  besonderen  Vereinigungen  das  einheitliche 
Zusammenwirken  aller  Kräfte  zum  Behufe  der  Zurückführung  der  Kriegs- 
invaliden in  das  Erwerbsleben  zu  sichern,  ist  dadurch,  daß  sich  das 
erwähnte  Landeskomitee  im  Juni  1916  an  die  Staatliche  Landeszentrale 
anschloß,  letztere  in  die  Lage  versetzt  worden,  sich  an  der  Fürsorge 
nicht  nur  leitend,  sondern  unmittelbar  zu  beteiligen. 

Die  Bereitwilligkeit  des  Landeskomitees  zu  einvernehmlichen  Wir- 
ken wurde  mit  dem  entgegengenommen,  daß  in  keiner  Weise  der 
Wirkungskreis^  des  Landeskomitees  für  Kriegsblindenfürsorge  mit  Rück- 
sicht auf  die  Eigenart  dieses  Fürsorgezweiges  und  der  hiefür  besonders 
gesammelten  Erfahrungen  eingeschränkt  werden  wird  und  daß  auch  die 


4.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  östeneiciiisclie  Blindenwesen.  Seite   709. 

widmungsgemäß  für  die  Kriegsblinden  gespendeten  Beiträge  weiterhin 
nur  für  diese  ihre  Verwendung  zu  finden  haben  werden.  Die  der  Staat- 
lichen Landeszentrale  überwiesenen  Kriegsblinden  sollen  darnach  der 
Fürsorge  des  Komitees  zugeführt  werden  und  ersterer  nur  die  Evidenz 
über  dieselben  verbleiben. 

Innerhalb  der  Landeszentrale  wurde  ein  „Ausschuß  für  Kriegs- 
blindenfürsorge" in  folgender  Zusammensetzung  gebildet  : 

Obmann:  Seine  bischöfl.  Gnaden  Monsignore  Dr.  W.  Frind. 
Obmannstellvertreter:  Seine  Gnaden  Abt.  M.  Zavoral.  Mitglieder: 
Oberinspektor  K.  Dederra,  Universitätsprofessor  Dr.  }.  Deyl,  Uni- 
versitätsprofessor Dr.  A.  El  sehnig,  k.  u.  k,  Oberslabsarzt  Dr.  A.  Mar  kl, 
k.  u.  k.  Major  i.  R.  A.  Müller,  Direktorstellvertreter  Dr.  K.  Peter ka, 
Direktor  K.  Rauter,  Stadtrat  H.  Schick,  Direktor  W.  Schwippe  1, 
Direktor  E.  Wagner  und  Prof.  Dr.  R.  Marschner. 

Die  Ausbildung,  Versorgung  und  Selbständigmachung  der 
heimgekehrten  Kriegsblinden  wurde  also  in"  Prag  bereits  zu  Beginn  des 
Jahres  1915  erkannt  und  angebahnt.  Abgesehen  davon,  daß  die  Klar'sche 
Blindenanstalt  als  die  älteste  und  größte  derartige  Einrichtung,  welche 
auf  eine  84  jährige  segensreiche  Tätigkeit  zurückblicken  kann,  auch 
schon  selbst  auf  eine  Anfrage  des  Prager  Militärkommandos  mit  dem 
k.  u.  k.  Kriegsministeriüm  wegen  Unterbringung,  Verpflegung  und 
Ausbildung  von  im  Kriege  erblindeten  Soldaten  in  Verbindung  getreten 
war,  hatte  das  am  L  Februar  1915  konstituierte  Landeskomitee  für 
Kriegsblindenfürsorge  die  Unterbringung  einer  größeren  Anzahl  von 
erblindeten  Kriegern  in  der  Klar'schen  Blindenanstalt  von  vornherein 
in  Aussicht  genommen,  die  entsprechenden  Adaptierungsarbeiten  ver- 
anlaßt und  es  konnte  daher  die  damit  begonnene  Schulung  und  Ver- 
sorgung der  Kriegsblinden  auch  durch  die  Staatliche  Landeszentrale 
nach  Angliederung  des  früheren  Landeskomittees  in  der  Klar'schen 
Blindenanstalt  fortgesetzt  werden.  In  dieser  Anstalt  wurde  vor  allem  das 
Augenmerk  auf  die  beiden  Blindenhandwerke  der  Bürstenbinderei  undKorb- 
flechterei,  aber  auch  auf  Handfertigkeiten,  wie  das  Maschinenstricken,  die 
Matten-,  Decken-  und  Sesselflechterei,  Anfertigung  von  Netzen,  Bändern, 
Traggurten  und  Eierversandkisten  gerichtet,  um  mit  Hilfe  dieser  den 
Kriegsblinden  eine  eigene  Existenz  gründen  zu  können.  Die  Unter- 
weisung in  den  einzelnen  Handwerken,  bezw.  Handfertigkeiten  erfolgt 
in  hiezu  bestehenden  Werkstätten  unter  Leitung  von  ständigen  Werk- 
meistern. Überdies  erhalten  die  Kriegsblinden  fachlichen  Unterricht  im 
Lesen  und  Schreiben  der  Klein'schen  Stachel-  sowie  der  Braille'schen 
Blindenschrift  und  jene,  welche  die  Eignung  und  Fähigkeiten  besitzen, 
auch  im  Maschinenschreiben,  Klavier-,  Violin-,  Orgel-  und  Zitherspiel 
sowie  Pianostimmen  durch  die  Anstahslehrkräfte.  Die  Wahl  des  Hand- 
werkes bezw.  der  Handfertigkeit  wird  jedem  Einzelnen  selbst  über- 
lassen. In  erster  Linie  ist  die  physische  Verfassung  und  Eignung,  sein 
früherer  Beruf  maßgebend  und  ist  auf  die  Absatzverhältnisse  für  die 
Erzeugnisse  in  jener  Gegend  Rücksicht  zu  nehmen,  welche  der  Kriegs- 
blinde nach  beendeter  Nachschulung  als  seinen  ständigen  Aufenthaltsort 
wählt.  Er  wird  hiebei  durch  die  Erfahrungen  der  Klar'schen  Anstalt 
und  durch  fachmännische  Ratschläge  unterstützt. 


Sfitf  710.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  4.  Nummer. 

Die  Ausbildung  i^eht  jedoch  nicht  einseitig  vor  sich  ;  jedem  Kriegs- 
blinden wird  die  (Gelegenheit  geboten,  nach  der  Erlernung  eines  Hand- 
werkes auch  nocii  die  einzelnen  Handfertigkeiten  sich  anzueignen, 
welche  er  als  Nebenerwerb  ausüben  kann.  Die  Lernzeit  des  einzelnen 
hängt  von  seiner  größeren  oder  geringeren  Befähigung  ab  ;  im  allgemeinen 
ist  sie  auf  1  —  2  Jahre  berechnet. 

Nach  der  Auslehre  erhält  der  Kriegsblinde  ein  Zeugnis,  in  dem 
die  Erlernung  des  betreffenden  Gewerbes  (Bürstenbinderei  oder  Korb- 
flechterei) oder  der  betreffenden  Handfertigkeit  (Matten-  und  Sessel- 
flechten, Maschinenstricken  usw.)  seitens  der  Klar'schen  Blindenanstalt 
bescheinigt  wird.  Ein  Gewerbeschein  selb.st  ist  zur  Ausübung  der 
genannten  Gewerbe  nach  der  kais.  Verordnung  vom  7.  Dezember  1915, 
RGBl.  Nr.  364  (§  4)  tür    erblindete  Kriegsbeschädigte  nicht    notwendig. 

Die  in  der  k.  k.  Augenklinik  des  Univ.  Prof.  Dr.  Deyl  unter- 
gebrachten Kriegsblinden,  insbesondere  die  Offiziere,  werden  von  einer 
Lehrkraft  der  Devrschen  Blindenanstalt  im  Schreiben,  Lesen  und 
Rechnen  in  der  Blindenschrift,  sowie  in  der  Benützung  der  Picht'schen 
Schreibmaschinen  (Flachschrift  und  Punktschrift)  mit  gutem  Erfolge 
unentgeltlich  unterrichtet  und  ihnen  die  nötigen  Lehrbehelfe  unentgeltlich 
beigestellt.  Ebenso  genießen  die  Kriegsblinden  iin  k.  k.  Feldspital  Nr.  11 
am  Hradschin  von  einem  hiezu  bestimmten  Blindenlehrer  teilweisen 
Blindenunterricht.  Über  Ansuchen  wurde  dem  Zweigverein  für  böhmischen 
Blindendruck  eine  jährliche  Zuwendung  von  1000  K  zur  Herausgabe 
einer  periodischen  Blindenzeitschrift  und  der  Klar'schen  Anstalt  der 
gleiche  Betrag  zur  Anschaffung  von  Büchern  für  deutsche  Blinde 
erwirkt. 

Pls  liegt  im  Wesen  der  Sache,  daß  eine  nicht  geringe  Zahl  von 
Blinden  zur  Teilnahme  am  Blindenunterricht  infolge  Kränklichkeit  und 
Verstümmelung  oder  Verlustes  der  Arme  ungeeignet  und  unfähig  ist  ; 
andererseits  sind  jene  Fälle  nicht  gering,  wo  jeder  Lern-  und  Arbeits- 
wille dem  Blinden  abhanden  gekommen  ist  und  selbst  indirekter  Zwang 
schädlich  wäre.  Diese  Blinden  nun,  die  keinen  Blindenunterricht  genießen, 
sind  zum  größten  Teile  in  dem  Garnisonsfilialspital  Nr.  11  am  Hrad- 
schin, dann  auf  den  beiden  Augenkliniken  der  Prager  Universität 
untergebracht  ;  an  anderer  Seile  wurde  bereits  hervorgehoben,  daß 
diese  Blinden  dazu  angehalten  werden,  zum  Mindesten  das  Lesen  und 
Schreiben  zu  lernen.  Hieher  zu  zählen  wären  auch  noch  jene  Blinden, 
die  in  den  ersten  Kriegsmonaten  bereits  superarbitriert  und  in  ihre 
Heimat  abgegangen   sind. 

Das  r.andeskomitee  hat  sich  als  Hauptaufgabe  die  Ausbildung  und 
Versorgung  der  Kriegsblinden  gestellt  und  war  bestrebt,  die  letztere  so 
vielseitig  als  möglich  zu  gestalten.  Die  bisherige  Erfahrung  bei  Blinden 
hat  gezeigt,  daß  trotz  des  Mangels  der  Sehkraft  der  einzelne  Blinde 
doch  in  der  Lage  i.st,  die  verschiedenartigsten  Arbeiten  zu  versehen 
und  es  muß  mit  dem  Vorurteile,  die  Blinden  als  nichtleistungsfähig 
anzusehen,  gebrochen   werden. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  war  das  Landeskomitee  bemüht, 
der  Blindenarbeit  Zutritt  in  die  verschiedensten  Gewerbe  zu  verschaffen, 
um  ihnen  eine  tunlichst  mögliche  Existenz  zu  schaffen.  Das  Landeskomitee 
wandte    sich    daher    an    die  k.  k.   Statthalterei    in    Prag,    die  Gewerbe- 


4.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwes  en.  Seite  711. 

inspektotate  zu  beauftragen,  in  den  verschiedenen  Betrieben  Umschau 
zu  haken  nach  einer  gefahrlosen  Arbeitsmöghchkeit  für  Bhnde,  die 
den  KriegsbUnden,  sowie  gelegentlich  auch  den  Zivilblinden  dauernde 
Versorgung  und  dauernden  Verdienst  schaffen  könnten.  Daraulhin 
vi^urden  die  sämtlichen  Gewerbeinspektorate  in  Böhmen  angewiesen, 
über  die  Möglichkeit  der  Veru^endung  von  Kriegsblinden  in  gewerb- 
lichen und  industriellen  Betrieben  Erhebungen  durchzuführen  und  deren 
Resultat  dem  Landeskomitee  bekanntzugeben. 

Aus  dem  von  den  k.  k.  Gewerbeinspektoraten  gesammelten 
Materiale  ist  Nachstehendes  anzuführen  : 

Nach  dem  Berichte  des  Gewerbeinspektorates  in  Pardubitz  wird 
die  Bürstenbinderei  in  dem  dortigen  Gewerbeinspektionsbezirke  in 
einem  größeren  Betriebe  und  in  mehreren  kleineren  Werkstätten  und 
zwar  durch  Heimarbeiter,  betrieben.  Die  Bürstenfabrik  F.  Filip  in 
Gabel  machte  sich  erbötig,  erblindete  Krieger  in  ihr  Unternehmen 
aufzunehmen  und  ihnen  in  einem  Kurse  die  nötige  Ausbildung  in  der 
Bürstenbinderei  beizubringen.  Sie  erklärte  sich  bereit,  die  Blinden  nach 
der  Ausbildung  in  ein   fixes  Arbeits-  und  Lohnverhältnis  zu  übernehmen. 

In  bezug  auf  die  Unterbringung  von  Kriegsblinden  in  Seifen-- 
fabriken  bestand  nach  der  Äußerung  des  k.  k.  Gewerbeinspektorates 
Tetschen  für  den  dortigen  Bezirk  die  prinzipielle  Geneigtheit,  Kriegs- 
blinde in  den  Seifenfabriken  zu  beschäftigen  und  es  könnten  nach 
Anschauung  dieses  Gewerbeinspektorates  Blinde  noch  beschäftigt  werden  : 

in  Metallknopffabriken   bei   Handpressen, 

in   Steinnußknopffabriken  beim  Polieren, 

in   den   Schokoladen-  und  Kanditenfabriken, 

in  der  Goldschlägerei, 

Kunstblumen-  und  Blätterindustrie  und 

in   der  Kartonnagenerzeugung. 

Es  wurde  daher  die  Verbindung  der  einen  oder  der  anderen 
Industrieart  mit  der  bestehenden  Blindenlehranstalt  angeregt. 

Hatte  man  gehofft,  daß  infolge  der  verringerten  Gefahr  und  der 
vorwiegend  manuellen  Arbeit  eine  Unterbringung  von  Kiiegsblinden 
in  den  Tabakfabriken  möglich  sein  wird,  so  erwiesen  sich  die  betreffenden 
Versuche  als  vergeblich ;  nur  die  k.  k.  Tabakfabrik  in  Tachau 
erklärte  nach,  dem  Berichte  des  k.  k.  Gewerbeinspektorates  in  Pilsen, 
sie  könnte  äußerstenfalls  Kriegsblinde  beim  Füllen  von  Zigaretten- 
kartons und  Zigarrenkisten  beschäftigen.  Die  Tabakfabriken  in  St.  Joachims- 
thal  und  Landskron   lehnten  von  vornherein  die  Beschäftigung  Blinder  ab. 

Die  Erhebungen  der  übrigen  Gewerbeinspektorate  verliefen  über- 
haupt ergebnislos.  So  schrieb  das  k.  k.  Gewerbeinspektorat  in  Budweis, 
daß  die  Mühewaltung  des  Amtes  nahezu  vollkommen  von  einem 
negativen  Resultate  begleitet  sei,  weil  die  betreffenden  Gewerbeinhaber 
mit  ganz  geringen  Ausnahmen  jede  Arbeitsmöglichkeit  für  Blinde  in 
ihren   Betrieben  als  ausgeschlossen  bezeichnen. 

Endlich  berichtete  das  k.  k.  Gewerbeinspektorat  Prag.  Abgesehen 
von  den  Angeboten  zweier  Firmen,  die  eine  beschränkte  Anzahl  Kriegs- 
blinder einzustellen  sich  bereit  erklärten,  sind  die  Verhältnisse  im 
Aufsichtsbezirke  Prag  derartige,  daß  die  Industriezweige,  bei  denen 
Blinde     verwendet    werden    können,    nur    spärlich    vertreten    sind,    daß 


Seite  712.  Zeitsclirifl   fiii    das  österreichische  Hlindenwesen.  4.  Nummer. 

weiters  Bedenken  wegen  der  privat-  und  öffentlich-rechtlichen  Haftung 
bei  Unfällen  ausgesprochen  wurden  und  der  Blinde  mit  seiner  beschränk- 
ten  Arbeitsfähigkeit  einen    kaum    auskömmlichen  Lohn    erzielen  werde. 

Sowie  die  Frage  der  Arbeitsversorgung  überhaupt,  hatte  auch 
die  Angelegenheit  der  Ausbildung  Kriegsblinder  zu  Masseuren  früher 
schon  den  Gegenstand  längerer  Verhandlungen  und  Beratungen  im 
Landeskomitee  für  Kriegsblindenfürsorge  in   Böhmen  gebildet. 

Nachdem  einerseits  vom  ärztlichen  Standpunkte  aus  wichtige 
Bedenken  gegen  die  Verwendung  Blinder  und  speziell  der  Kriegsblinden 
als  Spätererblindeten  geltend  gemacht,  andererseits  auch  nicht  unberech- 
tigte Befürchtungen  wegen  mangelnder  Arbeitsgelegenheit  ausgesprochen 
wurden,  nahm  das  Landeskomitee  von  der  Frage  der  Blinden-Massage 
weiterhin  Abstand.  Trotz  der  gegen  die  Blinden-Massage  angeführten 
Gründe  und  trotzdem  sich  auch  neuerlich  die  Gutachten  zweier  erster 
Fachmänner  auf  dem  Gebiete  des  Blindenwesens  gegen  die  Blinden- 
Massage  ablehnend  verhielten,  hat  gleichwohl  der  Ausschuß  für  Kriegs- 
blindenfürsorge jene  Überweisung  von  Kriegsblinden  zur  Ausbildung 
veranlaßt. 

Die  beiden  Gutachten  der  einvernommenen  ärztlichen  Sachver- 
ständigen wurden  vollständig  unabhängig  von  einander  erstattet  und 
stimmten  trotzdem  im  Wesen   überein. 

Sie  widerraten.  Kriegsblinde  in  der  Massage  auszubilden  und  in 
ihnen  in  dieser  Richtung  Verdiensthoffnungen  zu  erwecken.  Es  ist 
hiebet  nicht  ausgeschlossen,  daß  dem  einem  oder  dem  anderen  Kriegs- 
blinden, der  eventuell  schon  vor  der  Erblindung  als  Masseur  tätig 
war,  auch  weiterhin  die  Ausübung  der  Massage  gestattet  werden  könnte. 

Das  Landeskomitee  erreichte  zwar  durch  einen  Bericht  an  das 
k.  u.  k.  Kriegsministerium  eine  günstigere  Auffassung  dieser  Sache,  doch 
wurde  vorläufig  nicht  an  die  Ausbildung  von  weiteren  Kriegsblinden  zu 
Masseuren  geschritten. 

Was  die  Verleihung  von  Tabakverschleißgeschäfte  an  Kriegs- 
blinde betrißt,  ist  der  Ausschuß  für  Kriegsblinde  der  Ansicht,  daß  die 
Tabakverschleiß  im  allgemeinen  nur  in  seltenen  Fällen  einem  Kriegs- 
beschädigten die  vollständige  Existenzmöglichkeit  bieten  können.  Bessere 
Tabaktrafiken  sollten  daher  nur  für  ganz  Invalide  und  für  solche 
Kriegsblinde  in  Aussicht  genommen  werden,  welche  tatsächlich  irgend 
eine  Arbeitsleistung  ganz  zu  vollführen  außerstande  sind,  abgesehen 
davon,  daß  je  nach  der  Beurteilung  der  persöhlichen  oder  örtlichen 
Verhältnisse  auch  noch  eine  gewisse  Routine  in  bezug  auf  kaufmännische 
Leitung  und  Bedienung  des  Publikums  vorhanden  sein  muß.  Ihrem 
Wesen  nach  bilden  die  Bestrebungen,  den  Kriegsbeschädigten  und 
daher  auch  den  Kriegsblinden  solche  Tabakverschleißgeschäfte  zu  ver- 
mitteln, keinen  Zweig  der  Arbeitsvermittlung,  sondern  sie  beinhalten 
eine  Förderung  der  wirtschaftlichen  Existenzen  im  Wege  von  Unter- 
stützungen. Die  Verleihung  von  Tabaktrafiken  solle  ohne  vorherige 
Schulung  nicht  erfolgen,  denn  bei  Erlangung  der  Trafik  entstehen  für 
die  Schulung  Schwierigkeiten,  wenn  dieselbe  nicht  gar  unmöglich 
gemacht  wird.  Mit  einer  ohne  solche  Schulung  angebahnten  Verleihung 
einer  Trafik  wird  dem  höheren  Zwecke  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge 
nicht  entsprochen,  da    das  Moment    der  Betätigung    ausgeschaltet  wird, 


4.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  Osten  eichisclu;  Hliiidenwesen.  Seite  713. 

abgesehen  davon,  daß  die  Trafik  regelmäßig  keine  volle  Existenz, 
sondern  nur  eine  Nebenexistenz  —  ein  Nebeneinkommen  —  bedeutet! 
Es  muß  daher  als  oberster  Zweck  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge 
zunächst  und  unbedingt  die  Schulung  angestrebt  werden  und  erst 
dann  möge  an  die  Erwerbung  einer  Tabaktrafik  gedacht  werden. 

Bisher  erfolgten  in  Böhmen  in  zehn  Fällen  Verleihungen  von 
Tabakverschleißen  an  Kriegsblinde. 

Mit  dem  unter  dem  Schutze  S.  k.  u.  k.  Hoheit  Admiral  Erzherzog 
Karl  Stephan  stehenden  Verein  „Kriegsblindenheimstätten"  (Präsident, 
Kommerzialrat  H.  Grimm)  wurden  seitens  der  Landeszentrale 
Vereinbarungen  erreicht,  nach  denen  sich  der  genannte  Verein  bereit 
erklärt,  30  kriegsblinden  Soldaten,  welche  in  Böhmen  arbeits-  und 
heimatszuständig  sind,  Kriegsblindenheimstätten  in  Böhmen  entweder 
anzukaufen  oder  für  dieselben  zu  errichten.  Diese  kriegsblinden  Solda- 
ten werden  dem  Verein  vom  Ausschusse  für  Kriegsblindenfürsorge 
in  Böhmen   namhaft  gemacht. 

In  jedem  einzelnen  Falle  wird  der  Verein  sich  mit  dem  Aus- 
schusse ins  Einvernehmen  setzen  und  dessen  Vorschläge  berück- 
sichtigen. 

Für  die  Erwerbung  von  Kriegsblindenheimstätten  liegen  5  Ansuchen 
vor.  Darüber  hinaus  wurden  in  5  Fällen  Beihilfe  bei  Erwerbung  land- 
wirtschaftlichen Besitzes  oder  eines  Geschäftes  gewährt. 

Aus  den  „Kriegsblindenfonds  im  k.  k.  Ministerium  des  Innern 
in  Wien",  in  dessen  Kuratorium  der  Präsident  des  Ausschusses  Weih- 
bischof Dr.  W.  Fr  in  d  und  Oberinspektor  K.  Deddera  berufen  wurden, 
konnten  für  10  Kriegsblinde  Unterstützungen  in  der  Höhe  von  1000 
bis  6000  K  erwirkt  werden. 

Die  im  Vorstehenden  geschilderte  bescheidene  Arbeit  konnte 
nur  geleistet  werden,  weil  dem  Landeskomitee  für  Kriegsblindenfürsorge 
und  später  dem  Ausschusse  für  Kriegsblindenfürsorge  der  Staatlichen 
Ländeszentrale  von  der  gesamten  breiten  Öffentlichkeit  in  einer  Weise 
die  Anteilnahme  an  dem  Lose  der  Kriegsblinden,  und  zwar  werktätig 
durch  Widmung  großer  und  zahlreicher  Spenden  bezeigt  wurde,  daß 
erst  hiedurch  alle  Möglichkeiten  einer  Förderung  der  Kriegsblinden 
sich  in  die  Tat  umsetzen  ließen. 

Es  ist  daher  eine  besondere  Pflicht,  allen  Wohltätern,  welche  die 
Zwecke  des  Landeskomitees  und  des  Ausschusses  durch  Spenden 
und  sonstige  Zuwendungen  unterstützt  haben,  den  innigsten  und  auf- 
richtigsten Dank  auszusprechen.  Vor  allem  der  hohen  k.  k.  Statthalterei, 
welche  durch  die  in  ganz  Böhmen  eingeleitete  Sammlung  die  an- 
sehnliche Summe  von  172.000  K  der  Fürsorge  für  Kriegsblinde 
zuführte. 

Auch  ist  des  werktätigen  Eingreifens  der  gesamten  Prager  Presse, 
welche  sich  mit  allen  ihr  zu  Gebote  stehenden  Kräften  einsetzte,  zu 
gedenken,  indem  sie  die  monatlichen  Spendenausweise  veröffentlichte 
und  selbst  Sammlungen  einleitete ;  an  der  Spitze  steht  das  „Präger 
Tagblatt",    welches    abgesehen    von    den    Sammlungen    im   Jahre    1915, 


Seite  714.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  "  4.  iNummer. 

im  Bericlitsjahre  1916  ein  Ergebnis  von  76.625  K  aufweist  und  dem 
daher  eine  besondere  Hervorhebung  gebührt.  Sodann  die  „Deutsche 
Zeitung  Bohemia",  „Närodni  Listy"  und  „Närodni  Politika",  welche 
Spenden  in  ihren  Administrationen  entgegennehmen  und  insgesamt 
einen  Betrag  von  10.027  K  dem  Landeskomitee  bzw.  dem  Ausschusse 
zuführten.  Auch  wurden  durch  einige  besondere  Veranstaltungen  zu 
Gunsten  der  Kriegsblinden  Einnahmen  erzielt.  All  diesen  sei  herzlich 
gedankt,  allerdings  mit  der  Bitte,  auch  weiterhin  die  gute  Sache  zu 
unterstützen,  denn  das  Los  der  Kriegsblinden  ist  bedauernswert  und 
ihre  Zahl  doch  nur  im  Wachsen  begriffen. 

Die  Arbeiten  steigen  von  Tag  zu  Tag,  die  Anforderungen  sind 
im  steten  Zunehmen  und  nur  mit  Unterstützung  all  dieser  Wohltäter 
und  Spender  können  wir  im  Interesse  der  Blinden  beruhigt  der 
Zukunft  derselben  entgegensehen. 


Kriegsblindenfonds  im  Ministerium  des  Innern. 

Am  23.  März  1.  J.  wurde  im  Ministerium  des  Innern  in  Wien 
die  Jahressitzung  des  Kuratoriums  des  »Kriegsblindenfonds  für  die 
österreichischen  Staatsangehörigen  der  gesamten  bewaffneten  Macht« 
unter  dem  Vorsitze  des  Ministers  des  Innern  abgehalten.  Der  Vor- 
sitzende erstattete  an  der  Hand  des  für  das  Jahr  1916  statutengemäß 
verfaßten  Rechnungsausweises  einen  Bericht  über  die  Tätigkeit  der 
Fondsverwaltung.  Aus  demselben  ist  hervorzuheben:  Eingang  von 
Widmungen  im  Jahre  1916  573.573  Kronen,  Stand  des  Fonds  am 
31.  Dezember  1916,  1,178.930  Kronen,  Gesamtbetrag  der  bisherigen 
Anspcndungen  für  Kriegsblinde  309.  689  K. 

Der  Vorsitzende  hob  angesichts  dieses  befriedigenden  finanziellen 
Ergebnisses  die  erfolgreichen  Bemühungen  des  Herausgebers  der 
»Neuen  Freien  Presse«  um  die  Spendensammlung  hervor  und  aner- 
kannte dankbarst  die  Verdienste  des  geschäftsfUhrenden  Ausschusses 
und  insbesondere  auch  der  Landeskommission  um  die  erfolgreiche 
Durchführung  der  schwierigen   Aufgaben. 

Daran  schlössen  sich  bedeutsame  Referate  über  Berufswahl  und 
Ausbildung  der  Kriegsblinden  (Oberinspektor  Dederra,  Direktor 
Dr.  Hartinger,  Hoirat  Ritter  von  Chlumecky,  Regierungsrat 
Meli);  über  Rechtshilfe  und  Pflegschaft  für  Kriegsblinde  (Finanzpro- 
kurator Dr.  Ritter  von  Mayr-Linegg,  Dr.  Ernst  Benedikt); 
Bildung  einer  Einkaufsstelle  für  Arbeitsmaterial  (Freiherr  v.  Ferste  1), 
Bemerkenswert  war  weiter  die  Anregung  des  Hofrates  Professor 
Dimmer,  betreffend  das  neue  Vervielfältigungsverfahren  der  Blinden- 
schrift von   Dr.   Herz, 

Der  Vorsitzende  gab  zum  Schlüsse  der  Erwartung  Ausdruck, 
daß  es  auch  weiterhin  unter  dem  Schutze  des  Protektors  Erzherzog 
Karl  Stephan  und  mit  Unterstützung  des  Kuratoriums  und  der 
breiten  Öffentlichkeit  gelingen  werde,  das  tief  ergreitende  Geschick 
der  erblindeten  Krieger  zu  mildern  und  diesen  für  das  dem  Vater- 
lande dargebrachte  Opfer  wirksam  zu   danken. 


4.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  715. 

Personalnachrichten. 

—  Auszeichnung;.  Dem  Direktor  der  Kärntner  Landes- 
Hlindenanstalt  Rupert  Mayer  wurde  für  seine  Verdienste  um  die 
lieimische  KriegsbÜndenfürsorge  das  Kriegskreuz  III.  Klasse  für  Zivil- 
verdienste verliehen,  zu  welcher  allerhöchsten  Auszeichnung  ihm 
Seine  k.  u.  k.  Hoheit,  Admiral  Erzherzog  Karl  Stephan,  ein  ehren- 
des Glückwunschtelegramm  übersandte.  Neuerdigs  erhielt  Direktor 
Mayer  das  Ehrenzeichen  II.   Klasse  vom  Roten  Kreuz. 

—  Direktor  Gustav  Funke  f.  Allzu  früh  schied  Professor 
G.  Eunke  durch  sein  am  18.  März  1.  J.  erfolgtes  Ableben  von  dem 
Posten  als  Direktor  der  k.  k.  Lehr-  und  Versuchsanstalt  für  Korb- 
flechterei in  Wien.  In  unseren  Kreisen  sichert  ihm  sein  selbstloses 
Eintreten  für  die  Blindenarbeit  und  seine  Förderung  blinder  Korb- 
flechter ein  ehrendes  Gedenken.  Ihm  ist  es  zu  danken,  daß  eine 
Anzalil  Blinder  die  Meisterkurse  in  der  Lehr-  und  Versuchsanstalt 
besuchen  durfte,  die  nun  als  Werkmeister  in  diesem  Fache  tätig 
sein  können.  Vorurteilslos  und  mit  warmen  Herzen  stellte  er  in  dem 
Widerstreite  zwischen  sehenden  und  blinden  Korbflechtern  auf  Seite 
der  letzteren.  Das  von  ihm  verfaßte  „Lehrbuch  der  Korbflechterei" 
wurde  auch   in  Blindendruck  herausgegeben. 

flus  den  Anstalten. 

—  N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  In  der  5.  Klasse 
dieser  Anstalt  wurde  nach  Besprechung  der  Entbehiunjen  der  Kriegszeit  die  Auf- 
gabe gestellt,  die  nächstliegendsten  Wünsche  für  die  Friedenszeit  in  Versen  dar- 
zulegen. Wie  die  nachstehenden  Beispiele  zeigen  sind  diese  kindlichen  Wünsche 
etwas  weitgehend. 

F  r  i  e  d  e  n  s  w  ü  n  s  c  h  e. 

Wird  es  endlich  Frieden  geben 
Und  der  Weltkrieg  ist  vorbei, 
Möcht'  ich  einmal  köstlich  leben 
Und  da  wünsch'  ich  mancherlei. 
Schnitzel  ist  ein  feines  Essen; 
Auch  ein  Braten  war  nicht  schlecht, 
Doch  da  hätt'  ich  bald  vergessen, 
Daß  Salat  ich  dazu  möcht . 
Entenfleisch  und  Gänsebraten 
Schmeckten  wolil  am  besten  mir. 
Davon  würd'  ich   Durst  bekommen 
Für  ein  Gläschen  bayrisch  Bier. 
Zwetschkenknödel.  Reis  und  Kuchen 
Wären  auch  sehr  angenehm, 
Könnt'  ich  sie  nur  schon  versuchen. 
Wenn  ich  sie  nur  schon  bekam! 
Und  zuletzt  noch  eine  Torte 
Und  auch  etwas  roten  Wein, 
Jedoch  von  der  besten  Sorte 
Und  ein  teurer  muß  es  sein. 
Dieses  wünsch'  ich  mir  vom  Herzen, 
Weil  wir  viel  entl  ehren  jetzt, 
Doch  als  ersten  meiner  Wünsche 
Hab'  den  Frieden  ich  gesetzt. 

Rosina  Bauer. 


Seite  716.  Zcitschrilt  für  das  östcreichische  Blindenwesen.  4.  Nummer. 

Nach  dem  Krieg  im  Land  Tirol 

Ein  kl(r;incs  Häuschen  gefiel  mir  wohl. 

Es  soll  daran  ein  Garten  liegen, 

Hinter  dem  Haus  ein  Stall  mit  zwei  Ziegen. 

Im  Garten  sollen  Äpfel-  und  Birnbäume  sein; 

P'.ine  kleine  Laube  würd  mich  auch  recht  freun. 

Knödel,  Nudel  wollt'  ich  manchen  Tag, 

Strudel  wäre  auch  nach  meinem  Geschmack. 

Zuckersachen  werden  dann  billiger  sein, 

Kaffee  soll  mich  zur  Jause  erfreu'n. 

Darnach  seh'n  ich  mich  so  sehr, 

Wünsch'  d'rum  dieses  und  noch  mehr! 

Ernestine  Mayer. 

—  Anstalt  zur  A  u  s  b  i  1  d  u  n  g  von  S  p  ä  t  e  r  e  r  b  1  i  n  d  e  t  e  n  in  Wien  XIX, 
Am  l8.  März  1.  J.  fand  ein  Besuch  des  Vorstandes  des  Zwei  g  vere  i  nes 
>^  Leopoldstadt«  des  Roten  Kreuzes  statt,  der  sich  um  die  in  der  Anstalt 
untergebrachten  Kriegsblinden  besondere  Verdienste  ei werben  hat.  Die  Gäste  — 
mehr  als  50  an  der  Zahl  —  wurden  von  den  Ausschußmitgliedern  des  »Vereines 
zur  Ausbildung  von  Spätercrblindc-tcn«,  mit  kaiserlichen  Rat  Direktor  S.  Heller, 
dem  Leiter  der  Anstalt,  an  der  Spitze,  herzlichst  begrüßt  und  waren  von  den  Leistun- 
gen der  Blinden  hochbefriedigt,  was  sie  auch  in  einem  anerkennenden  Schreiben 
zum  Ausdrucke  brachten, 

—  Tirol.  -Vorarlberg.  Blinde  n-Lehi-  und  Erziehungsanstalt  in 
Innsbruck.  Unsere  kleine  Anstalt  ist  auch  in  diesem  Schuljahre  wieder  von 
Zöglingen  gut  besucht  und  der  Betrieb  nimmt  unter  der  Leitung  des  für  das  Wohl 
der  Blinden  rastlos  tätigen  hochw,  Herrn  Direktors,  Stadtpfarrer  Johann  Vi  na  t  z  e  r, 
trotz  der  schweren  Zeit,  einen  ungestörten  Fortgang.  Infolge  umsichtiger,  größerer 
Ankäufe  von  Rohmaterial  im  Vorjahre  sind  unsere  angehenden  Handwerker  für  die 
Bürsten-  und  Besenbinderei  gut  versorgt.  Die  Leitung  der  Hauswirtschaft  und  die 
Pflege  der  Zöglinge  hat  seit  Beginn  des  heurigen  Schuljahres  die  neue,  tüchtige 
Oberin  Ehrw.  Schwester  Hieronyma  übernommen. 


flus  den  Vereinen. 

—  Blinden  -  Unter  Stützungsverein  »Die  Purkersdorfer«  in 
Wien  V.  Der  unter  dem  rührigen  Obmanne  F.  Uhl  stehende  Verein  veimittelte 
im  Jahre  1916  in  114  Fällen  unentgeltlich  Dienst  und  Arbeit  und  veitcilte  6275  K 
als  Unterstützungen  an  Blinde  und  Kriegsblinde.  Das  vom  Verein  erhaltene  »Musi- 
kalien-Leihinstitut« wurde  in  5793  Fällen  in  Anspruch  genommen.  Der  Veiein,  der 
sich  sowohl  um  die  ehemaligen  Zöglinge  der  n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Pur- 
kersdorf  als  auch  um  die  Blinden  im  allgemeinen  verdient  macht,  zählte  mit  Ende 
1916  17  Gründer,  4^^  Stifter,  16  Ehrenmitglieder,  188  unterstützende  Mitglieder  und 
iLö  blinde  Mitglieder.  Eine  neue  Aufgabe  erwächst  dem  Vereine  durch  die  Kriegs- 
blinden, indem  er  die  Errichtung  eine  Musikfortbildungs-  und  Klavierstimmschule 
anstrebt,  in  der  begabte  im  Krieg  erblindete  Soldaten  und  jene  Blinden,  die  nach 
dem  überschrittenen  schulpflichtigen  Alter  keine  Aufnahme  in  einer  Blinden-Erzie- 
hungsanstalt  fuiden  konnten,  von' tüchtigen  Lehrkräften   Unterricht  erhalten. 

—  Der  Humanitäre  Blindenverein  »Lindenbund«  in  Wien  XX, 
hielt  kürzlich  seine  XIX.  Generalversammlung  ab.  Der  Berrcht  des  Kassiers  weist 
eine  Einnahme  von  6996  K  auf,  der  gegenüber  von  3756  K,  davon  an  Unter- 
stützungen 1.909  K  verausgabt  wurden.  Das  Vereinsvermögen  beträgt  12  437  K. 
In  die  Vereinsleitung  wurden  gewählt:  Wilhelm  Kreutzer,  Obmann;  Franz 
I^n  gri  seh,  Stellvertreter  ;  Franz  Kote  k,  Schriftführer;  Anton  Czech,  Kassier; 
Paula  Czech,  Rechnungsführerin;  Hugo  Dippel,  Martin  Kr i  s  t  und  Johann  Zein- 
li  nger,  Beisitzer  :  Anna  Karr  er  und  Minna  Kris  t,  Rechnungsprüferinnen.  Zu  Ehren- 
mitglieder des  Vereines  wurden  ernannt:  Regierungsrat  A.  Meli  und  Vereins- 
arzt Dr.  L.  W  i  e  n  e  r. 


i 


4.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  717. 

Der  Blinde. 

Du  sprachst,   o   Gott:  Es  werde! 
Es  ward  das  große  Liclit ; 
Ich  aber  seh'  es  nicht 
Und  taste  auf  der  Erde. 

Sind's  Dornen,   die  verwunden, 
Sind's  Rosen,   die  hier  steh'n  ? 
Ich   muß  vorübergeh 'n 
Und  zähle  dunkle  Stunden. 

Ein   Lied  klingt  aus  der  Weite  : 
Wer  singt  so  weich  und  warm  ? 
Mein  Herz  ist  still   und   arm, 
Wer  tritt  an   meine   Seite? 

Wer  will  die  meine  fassen  ? 
Ich  suche  eine   Hand, 
Ein   Herz,   das  treu   verwandt, 
Ich  nimmermehr  will  lassen ! 


Vida  Jeray. 


Für  unsere  Kriegsblinden. 


—  Vier  Millionen  für  die  österreichischen  Kriegs- 
blinden. Drei  Millionen  flössen  bisher  durch  Spenden  bei  dem  Tag- 
blatt »Neue  Freie  Presse«  ein.  An  der  Spitze  steht  die  Sammlung 
des  Kommerzialrates  H.  Grimm  mit  über  zwei  Millionen  für  die 
»Kriegsblindeiiheimstätten«,  während  die  Sammlung  für  »Erblindete 
Angehörige  des  Heeres«  eine  Million  überschritten  hat.  Rechnet  man 
hiezu  die  »Conrad  von  Hötzendorfstiftung«  und  die  Sammlungen  ver- 
schiedener Blätter  in  Wien  und  in  der  Provinz,  so  dürfte  die  vierte 
Million  voll  sein.  Wenn  uns  etwas  über  das  Schicksal  unserer  erblin- 
deten Helden  beruhigen  kann,  so  ist  es  dieses  zu  edelster  Opfer- 
willigkeit erblühte  Mitgefühl  weiter  Bevölkerungskreise,  hervorgerufen 
und  wachgehalten  von  tatkräftigen  Männern,  denen  die  Ehre  gebührt, 
eine  Kulturarbeit  ersten  Ranges  gefördert  zu   haben. 

—  Auszeichnung  eines  Kriegsblinden.  Am  1.  Mäiz  1.  J.  wurde  in 
der  Odilien-BIindenanstalt  in  Graz  der  KriegsbHnde  Titular-Gefreite  Heir  Peter 
Pailer  mit  der  silbernen  Tapfeikeitsmedaille^I.  Klasse  feierlich  dekoriert.  An  der 
erhebenden  Feier,  bei  welcher  der  Sängerbund  der  Anstalt  zwei  Lieder  vortrug,  be- 
teiligten sich  sämtliche  Kriegsblinde  und  eine  Veitretung  von  Offizieren,  darunter 
Leutnant  Robert  Hren,  der  am  7.  Juni  1916  die  Kompagnie  des  Pailer  bei  der 
blutigen  Erstürmung  des  Monte  Meleta  in  Norditalien  kommandierte.  Bei  dieser 
Erstürmung  zeichnete  sich  Pailer  in  hervorragender  Weise  aus,  zog  sich  abei  eine 
schwere  Verwundung  und  gänzliche  Erblindung  zu.  Der  Dekorierte  war  vor  seiner 
Einberufung  Lehrer  in  Heilbrunn  und  erhält  in  der  Odilien-BIindenanstalt  Unterricht 
in  Blindenschrift,  Maschinschreiben  und  Musik. 

—  Trauungen  von  Kriegsblinden.  In  Wien  vei heiratete  sich  der 
22  jährige  KriegsbHnde  Franz  Winker  mit  der  20jähiigen  Barbara  Graf. 
Winker  hat  auf  dem  russischen  Kriegsschauplatze  einen  Kopfschuß  erlitten,  welche 
seine  Erblindung  auf  beiden  Augen    zur    Folge    hatte.    Für  sein   tapferes  Verhalten 


Seite  718.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenweseti.  4.    Nummer. 

\varWini<er  zum  Feld\vel>ei  befördert  worden.  Während  seiner  Krankheit  wid- 
mete ilim  seine  Braut  die  zärtüchste  Fürsorge  und  sie  entschloß  sich  mit  dem 
jii^rendlichen,  vom  Schicksal  so  schwer  betroffenen  Helden  zum  Traualtar  zu  schrei- 
ten. Dem  Kricgblinden  wurde  eine  kleine  Trafik  im  4.  Bezirk,  Schaumburgerstraße  Nr  4, 
verliehen. 

Dienstag,  den  l3.  März  1.  J.,  fand  in  der  Garnisonskirche  in  Brunn  die  Trauung 
dreier  erblindet  aus  dem  Kriege  zurückgekehrter  Soldaten  statt.  Dem  Trauungsakte, 
dem  u.  a.  Oberst  Langer,  Oberstabsarzt  Professor  Dr.  Schmeichler,  Hofrat 
Ritter  von  Chlumecky,  Direktor  Wokurek  beiwohnten,  folgte  eine  von  der 
I.andeskommission  zur  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger  und  vom  »Kaiser-Franz- 
Joscf-Jubiläums-Vereine  zur  Fürsorge  für  männliche  Blinde  in  Mähren  und  Schlesien« 
veranstaltete  Hochzeitsfeier'  im  Lehrlingsheime  des  Mährischen  Gewerbevereines, 
bei  der  außer  den  Angehörigen  der  Neuvermählten  die  anderen  dort  unterge- 
brachten Kriegsblinden  Gäste  waren,  und  zu  der  sich  auch  die  der  Füisorge  für 
die  Kriegsblinden  nahestehenden  Persönlichkeiten  eingcfunclen  hatten.  Hofrat  Ritter 
von  Chlumecky  hielt  in  beiden  Landessprachen  an  die  Hochzeitsgäste  eine 
sinnige,  rührend-herzliche  Ansprache.  Ein  Tag  schönster  Freude  für  das  Kriegs- 
blindenheim, für  die  blinden  Soldaten  dort,  erhebend  ihr  Gemüt  in  dem  lebhaften 
Empfinden,  wie-  viel  liebevolle  .Sorge  um  sie  ist  und  daß  auch  sie  teilhaben  an 
dem  Glücke  des  Lebens. 

—  Sammlungen  für  Kriegsblinde.  Stand  E|nde  März   1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,074.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  2,154.000  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  365.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  55.000  K. 

—  Reichspost:  23.600  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  22.000  K. 

Verschiedenes. 

—  Helen  Keller  heiratet.  Wie  man  aus  New-York  meldet,  hat  sich 
Miß  Helen  Keller,  die  bekannte  blinde  und  taubstumme  Schriftstellerin,  mit  ihrem 
langjährigen  Sekretär  verlobt.  Die  Hochzeit  soll  bald  stattfinden. 

—  Ein  neuer  Ersatz  für  verlorene  Augen.  Bisher  war  das  übliche 
Material  zum  Ersatz  eines  verlorenen  Auges  bekanntlich  das  Glas,  und  die  Erzeu- 
gung von  Glasaugen  ist  auch  tatsächlich  bereits  eine  ziemlich  vollendete  Kunst  ge- 
worden. Nun  hat  man  eine  ganz  neue  Methode  gefunden,  um  ein  verlorenes  Auge 
zu  ersetzen.  Von  der  Absicht  ausgehend,  ein  künstliches  Auge  herzustellen,  das  sich 
den  Veränderungen  der  Augenhöhle  mehr  anpaßt,  hat  man  zu  Gummi  gegriffen. 
Und  zwar  verwendet  man  zur  Herstellung  des  vorderen  Augapfelteiles  Hartgummi, 
der,  mit  einer  Emailschichte  versf hen,7einen  sehr  'natürlichen  Eindruck  machen 
soll,  und  zur  Herstellung  der  hinteren  Augapfelhälfte  weichen  Kautschuk,  der  wie 
cm  Ballon  hohl  und  mit  Luft  gefüllt  ist.  Die  »Hohiaugen«^  sollen  ihrem  Zweck  in 
jf<^^''  ^^'"sicht  entsprechen.  Sie  sind  weich  und  elastisch,  folgen  den  Bewe;-uigen 
der  Augenhöhle  und  haben  den  Vorzug,  unzerbrechlich  zu  sein, 

—  französische  K  r  i  e'gsbli  n  d  e  als  Funker.  In  Frankreich  v^.irden 
neben  der  Errichtung  der  üblichen  Blindenheime  und  sonstiger  gebräuchlicher  Ar- 
stalten  mehrfach  Lehrmethoden  angewandt,  um  die  für  die  Blinden  geeignetsten 
Berufe  festzu.stellen.  Am  bemerkenswertesten  ist  hier  die  Verwendung  der  Kriegs- 
blinden im  Telephon-  und  T(  legiaphendienst,  ganz  besonders  in  der  drahtlosen 
lelegraphie.  Während  bei  der  Telegraphie  mit  Draht  der  vermittelte  Text  auf 
lapiei streifen  aufgezeichnet  und  einfach  abgelesen  wird,  geht  bei  der  >"rahtlosen 
lelegraphie    die    Vermittlung    lediglich    auf   dem  Wege  der  Akustik  vor  sich.     Die 

Herausgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen   in  Wien.     Redaktionskomitee:   K.   Biirklen, 
J.  Kn<-is,   A.T.Hor»ath,   F.  Uhl.   —    Druck    Ton    Adolf^Eiiglisch.'Purkersdorf  bei   Wien. 


Zeichen  sind  nicht  sichtbar,  sondern  werden  beim  Klappern  des  »Empfängers« 
abgehört.  Da  größere  Entfernungen  schwächer  klingende  Zeichen  und  darum  eine 
um  so  empfindlichere  Gehörfähigkeit  bedingen,  wie  sie  sich  ja  bei  allen  Blinden 
stets  ausbildet,  eignen  sich  die  Kriegsblinden  vorzüglich  zur  Verwendung  im 
staatlichen  Dienst  der  drahtlosen  Telegraphie.  Vermöge  der  besonderen  Schärfe 
ihrer  Gehörnerven  ist  sogar  zu  erwarten,  daß  sie  in  diesem  nützlichen  und  wichti- 
gen Berufe  ihren  sehenden  Kameraden  nicht  nur  an  Leistungsfähigkeit  gleichkommen, 
sondern  sie  sogar  übertreffen  können. 

—  Wettbewerb.  Ein  blinder  Mann  bittet  mich,  ihn  über  die  Straße  zu 
führen.  Wir  sind  noch  nicht  drei  Häuser  weit  gegangen,  so  bietet  er  mir  Wichs- 
bürsten und  Kammputzer  an.  Ich  solle  ihm  doch  etwas  zu  »lösen«  (verdienen)  geben. 
Er  ist  ein  Jude  aus  Ostgalizien,  steht  ganz  allein  da  und  ist  seit  vierzehn  Jahren 
blind.  Auf  der  Straße  bittet  er  um  Führung  und  macht  so  Geschäfte.  Es  geht  ihm 
schlecht,  das  Leben  ist  ihm  zur  Last.  Und  mit  der  Schlauheit  seines  Volkes  sagt 
er  bedrückt:  »Jetzt  wird  es  noch  viel  ärger  werden.  Auf  einmal  diese  Konkurrenz! 
Die  Zivilblinden  tun  keinem  mehr  leid!«  Er  hat  ganz  recht.  Das  Blindenelend 
trägt  nichts  mehr  —  die  Konkurrenz  ist  zu  groß. 

(Arbeiterzeitung), 

—  Lord  Grey  vor  der  Erblindung.  Lord  Grey  ist  auf  seinem 
Landsitz  in  Fallodon  sehr  schwer  erkrankt.  Schon  seit  Jahren  wurde  er  von  einem 
peinlichen  Augenleiden  gequält,  das  ihn  schließlich  an  der  Arbeit  verhinderte.  Jetzt 
ist  er  von  vollständiger  Erblindung  bedroht,  die  auch  durch  eine  Operation  kaum 
noch  wird  behoben  werden  können.  Lord  Grey  hat  das  60,  Lebensjahr  noch 
nicht  erreicht. 


Bücherschau. 

—  Paul  H.  Perls:  Kriegsblindenbeschäftigung  in  der  Werk- 
statt. (Sonderdruck  aus  »Werkstattstechnik«  1917,  Heft  2,  J.  Springer,  Berlin.)  Eine 
dankenswerte  Erscheinung,  die  uns  zum  eistenmale  von  der  praktischer  Möglichkeit, 
Blinde  im  Fabriksbetriebe  zu  beschäftigen,  unterrichtet.  Es  sind  die  Siemens- 
Schuckertwerke  in  Siemensstadt  bei  Berlin,  wo  diese  Verwendungsmöglichkeiten 
von  Blinden  und  Kriegsblinden  bei  der  Massenherstellung  von  elektrischen  Installa- 
tionsmaterialien erprobt  wurden.  Die  Erfolge  sprechen  genug  für  sich,  denn  es  stellte 
sich  heraus,  daß  blinde  Arbeiter  sich  nicht  nur  bald  eingewöhnen,  sondern  einen 
Stundenverdienst  von  55  Pf.  zu  erzielen  vermögen.  Die  von  den  Kriegsblinden  ge- 
leisteten Arbeiten  werden  in  Ausführung  und  Arbeitszeit  genau  beschrieben,  so  daß 
sie  auch  einen  Hinweis  auf  die  Verwendung  in  anderen  Betrieben  bieten.  Einrichten 
der  Maschinen  sowie  Zu-  und  Wegschaffen  der  Materialien  werden  von  Sehenden 
besorgt.  Ebenso  ist  eine  besondere  Sicherung  der  Maschinen  notwendig.  Kranken- 
kasse- und  Invalidenversicherung  fallen  zu  Lasten  des  Arbeitsgebers.  Die  Stimmung 
der  blinden  Arbeiter  ist  im  allgemeinen  gut,  da  sie  mit  Gesunden  zusammenarbeiten 
und  auf  diese  Weise  genügend  Abwechslung  haben.  Für  die  Lösung  der  Arbeits- 
frage Blinder  im  Fabriksbetriebe  wird  sehr  richtig  die  persönliche  Anteilnahme 
des  Arbeitsgebers  betont  und  es  gereicht  den  Siemens-Schuckertwerken  zur  hohen 
Ehre,  in  einer  so  edlen  Sache  mit  überzeugendem  Beispiele  vorangegangen 
EU  lein. 

Zur  Beachtung ! 

fln  die  Besitzer  von  wertvollen,  in  Blindenschrift  übertragenen  Werke, 
weldie  in  den  Blindenbibliotheken  nicht  vorhanden  sind,  stellen  wir,  falls 
die  Bücher  verliehen  werden,  das  Ersuchen  um  Bekanntgabe  der  Buchtitel. 
Durch  die  Veröffentlichung  sollen  die  Werke  der  flllgemeinheit  zugänglich 
gemacht  werden. 


von   Oskar  Picht, 
Bromberg. 


A  für  Punktschrift  M  85.80  B  für  gewöhnliche  Schrift  M  80. 


==  ^syl  für  blinde  Kinder  = 

Wien,  XVII.,  Hernaiser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im  vorscliulpflichtiiTen   Alter  aus   allen   österreichi- 
schen Kronländera  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung?. 


Die  ..ZentPQlbibliothBh  \w  Blinde  in  Osteppeich", 

Wien  XVIII,  Währinger  Gürtel  136 

verleiht  ihie   Bücher  kostenlos  an   alle   Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  Unterstützuüg  l)linder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  tiir  niiude.  Erhaltung 
p«r  Musikalieii-LeihbililiotheU.   Tslephon  10.071. 


Der  blinde  Modelleur 


Littau  in  Mähren, 

empfiehlt  seine  zu  Geschenken  sich 
:  vorzüglich  eignenden  keramischen  : 
Handarbeiten.  Nähere  Auskunft  brieflich. 


Froduhtlugenossinsciiaft  für  blinde 
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Wien  Vlil.,    Flopiani^aHse  Nr.  41. 

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des  Blinden- UnlerstUtzungsverein es 
»Die  Purkersdorfer*  in  Wien  \^, 
:  — :   Nikolsdorfergasse  Nr.  42.   :  — : 


ryn      Blindendrucknoten    werden    an 
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Mustcrgültig^e  Bearbeitung-  von   F  i  b  c  r  und  P  i  a  s  sava 
aller  Arten. 


Organ  des  „Zentralvereine^  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.   — 


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Schriftleitung 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Mr.132.257 


Das  Biatt  ersdieint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


PI  Bezugspreis  Q 

y  ganzjährig  mit  q 

Q  Postzustellung  □ 

G  4  Kronen,  D 

n  Einzelnummer  LI 

n  40  Heller.  ^1 


4.  Jahrgang. 


Wien,  Mai  1917. 


5.  Nummer. 


HiHHLT:  Ignaz  Krieger,  Wien:  Die  internationale  Hilfssprache  Esperanto  und 
die  Blinden.  Dr.  Josef  Hartinger,  Graz:  Die  Berufswahl  der  Kriegsblinden 
aus  dem  Mannschaftsstande  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  alten 
Blindengewerbe.  Personainachrichten.  Aus  den  Anstalten.  Rus  den  Ver- 
einen.    Für  unsere  Kriegsblinden.     (RItes  und   Neues.     Ankündigungen). 


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3~Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische 
Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung   in    Wien  VIII, 
g  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.   ^ 

Ulm wP 


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/Jtes  und  Neues. 

Der  Hund  als  Blindenführer. 

Die  Idee,  den  Hund  als  Blindenführer  zu  benützen,  ist  schon  alt. 
Es  sind  anch  einzelne  Fälle  bekannt,  in  welchen  sie  praktisch  zur 
Anwendung  gekommen  ist,  doch  handelte  es  sich  hier  nur  um  ver- 
einzelt  dastehende  F'älle. 

In  der  heutigen  Zeit,  wo  der  furchtbare  Krieg  den  Blinden 
wieder  neue  Schicksalsgenossen  zugeführt  hat,  ist  man  der  Frage, 
ob  sich  der  Hund  als  Blindenführer  eignet,  wieder  nähergetreten.  Die 
Gesellschaft  zur  Ausbildung  von  Sanitätshunden  in  Deutschland  hat 
sogar  schon  in  mehreren  Städten  begonnen,  die  braven  Tiere  zum 
Führen  der  Blinden  zu  erziehen.  So  auch  bei  uns  in  Bremen,  und 
hier  hat  sich  durch  die  praktische  Handhabung  der  Dressur  Herr 
Polizeileutnant  Meißner  ein  besonderes  Verdienst  erworben.  Um  die 
Ausbildung  einiger  Hunde  gleich  gründlich  und  für  die  Zukunft  zu 
betreiben,   hat  er  bremische  Blinde   dazu   herangezogen. 

Bekanntlich  eignet  sich  der  deutsche  Schäferhund  wegen  seiner 
Intelligenz  und  Treue  am  besten  zum  Sanitätshund.  So  auch  als 
Führer  eines  Blinden.  Durch  ein  leichtes  Ledergeschirr,  das  am  Rücken 
des  Hundes  einen  Handgriff  hat,  den  der  Blinde  erfaßt,  ist  es  letz- 
terem möglich,  jeder  Bewegung  des  Hundes  zu  folgen.  So,  „bei  Fuß" 
neben  dem  zu  Führenden  hertrottend,  weicht  er  jedem  sich  in  den 
Weg  stehenden  Hindernis  getreulich  aus.  Bei  Straßenübergängen 
verlangsamt  der  vierbeinige  Führer  einige  Schritte  vor  dem  Saumstein 
seinen  Gang,  am  Saumstein  setzt  er  sich.  Auf  das  Kopimando  des 
Blinden  „führ  weiter"  überschreitet  er,  wenn  keine  Gefahr  vorhanden, 
langsam  die  Fahrstraße.  Ist  der  Verkehr  zu  stark,  folgt  er  dem  Kom- 
mando noch  nicht.  Ist  aber  die  Straße  überschritten,  so  wiederholt 
sich  das  Manöver  von  vorhin:  Der  Hund  setzt  sich  kurz  vor  dem 
Saumstein,  um   dessen   Vorhandensein   zu   melden. 

Ebenso  interessant  wie  erstaunlich  ist  es,  daß  der  Hund  auf 
bestimmte,  ihm  vorgesprochene  Befehle  und  Wünsche  s,eines  ihm  zur 
Hut  anvertrauten  Blinden  hört.  Zum  Beispiel  auf  der  Promenade: 
„Führ  zur  Bank!"  und  bei  der  nächsten  Bank  wird  Halt  gemacht. 
Oder  :  ,,Zur  Treppe  !"  und  vor  der  gedachten  Treppe  setzt  sich  das 
kluge  Tier  nieder.  Hat  der  Blinde  einige  Male  mit  seinem  Führer 
bestimmte,  und  seien  es  auch  weite  Wege,  gemacht,  so  braucht  er 
ihn  nur  an  ein  bestimmtes  Stichwort  zu  gewöhnen  und,  sobald  er  es 
erfaßt  hat,  führt  er  ihn  selbständig  und  sicher  ans  Ziel.  Verliert  der 
Blinde  irgendwelche  Gegenstände,  so  kann  er  sicher  sein,  daß  ihm 
sein  führender  Freund  alles  unversehrt  wieder'  zuführt.  —  Ich  selbst 
gehöre  zu  denjenigen  Blinden,  die  man  zur  Ausbildung  der  Hunde 
herangezogen  hat  und  kann,  zusammenfassend,  nur  sagen,  daß  ein 
später  Erblindeter  in  einem  guten  Hunde  nicht  nur  einen  wackern 
F"ührer,  sondern  auch  einen  treuen  Freund  und  Gesellschafter  finden 
wird.  Dies  wird  aber  besonders  der  Fall  sein,  wenn  ihm  das  Tier 
ganz  zu  eigen  gehört.  Es  wird  sich  dann  noch  als  bedeutend  leistungs- 
fähiger erweisen,  da  es  auf  die  Individualität,  auf  die  Eigenarte  und 
Gewohnheiten  seines  Herrn  eingehen  kann.  Möchten  diese  Zeilen  für 
manchen  älteren  oder  neueren  Schicksalsgenossen  ein  Fingerzeig  sein. 

Theodor  Oelrichs,  Bremen. 


4.  Jahrgang. 


Wien,  Mai   1917. 


5.  rSunnmer. 


im^'s^^^^^^^^^-^'^MMm^^mw^^^m^mm'^^^mm^^^^^^^m^^^^^m^^mm 


^  *Der  mitleidigste  Mensch  ist  der  beste  Mensch;  wer  uns   ». 

^   mitleidig  macht,   macht  uns  besser  und  tugendhafter. «  ^ 

g  G.  E.  Lessing.         g 


Die  internationale   Hilfssprache  Esperanto 
und  die  Blinden. 

Von  Ignaz  Krieger. 
Ausschußmit>^lied  des  I.  öst.  Blindenvereines  in  Wien. 

Grat  Leo  Tolstio  sagt:  »Die  Opfer,  welche  jeder  gebildete 
Mensch  bringt,  indem  er  wenige  Zeit  dem  Studium  des  Esperanto 
widmet,  sind  so  klein  und  die  Erfolge,  welche  damit  erreicht  werden, 
so  groß,  daß  es  kein  Gebildeter  unterlassen  sollte,  den  Versuch  zu 
machan«.  Jeder,  der  sich"  ernstlich  mit  dem  Studium  des  Esperanto 
befaßt  hat,  so  angelegentlich  wie  er  es  etwa  mit  dem  Erlernen  irgend 
einer  anderen  Fremdsprache  tat,  weiß  sehr  wohl,  wie  recht  der  russi- 
sche Geisteshe.roe  hat  und  daß  man  nach  4  bis  5  Monaten  schon  viel 
tüchtiger  im  Esperanto  ist,  als  dies  in  anderen  Fremdsprachen  nach 
4  bis  5  Jahren  denkbar  sein  kann.  Überdies  erfordert  das  Studium  des 
Esperanto  unvergleichlich  weniger  Lernenergie  und  Gedächtnisarbeit. 
Man  benötigt  dazu  hauptsächlich  ein  gutes  Sprachgefühl  und  die  genaue 
Kenntnis  der  Grammatik  der  INkittersprache.  Mit  diesen  Voraussetzungen 
kann  man  das  Esperanto  sogar  schon  nach  6—8  Wochen  sehr  gut 
beherrschen.  Somit  könnte  jeder  Mensch,  selbst  der  einfache  Arbeiter, 
neben  seiner  teuren,  trauten  Muttersprache  auch  das  Esperanto  ohne  beson- 
dere Opfer  erlernen,  um  schon  nach  wenigen  Monaten  internationale 
Beziehungen  unterhalten  zu  können  z.  B.  der  Gelehrte  aui  seinen 
Kongressen,  der  Kaufmann    aut    seinen  Geschäftsreisen  usw.     Durchaus 

Am  15.  April  1.  J.  starb  in  Warschau  der  Erfinder  des  »Esperanto«  Dr.  Lud- 
'-'  wig  Zamenhof.  »Esperanto«  bedeutet  eigentlich  *Der  Hoffende«  und  war  das 
^'  Pseudonym  des  Erfinders,  der  seine  Sprache  im  Jahre  1887  unter  dem  Decknamen 
^i.     Dr.  Esperanto  veröffentlichte. 


Seite  724.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  5.  Nummer. 

nicht  zum  Wenigsten  könnte  der  Arbeiter  aller  Kategorien  bei  seiner 
Arbeitssuche  im  Ausland  mittelst  des  Esperanto  über  die  Sprach- 
schvvierigkeiten  sich  hinweghelfen. 

In  der  Tat  haben  ja  auch  eine  große  Anzahl  bedeutender  Autori- 
täten aui  dem  Gebiete  des  Schulwesens  im  Kampf  um  die  Hebung  der 
Schulbildung  für  die  unteren  Volksschichten  die  Einheitsschule  gefordert, 
wobei  vor  allem  die  obligatorische  Einführung  des  Esperanto  mit 
Nachdruck  betont  wird.  Es  wären  die  zwangsweisen  Lehrfächer  aus 
anderen  F"remdsprachen  aus  der  Einheitsschule  dem  Spezialstudium  und 
der  Liebhaberei  in  den  höheren  Schulen  zu  überlassen.  Von  der  Kennt- 
nis und  guten  Handhabung  des  Esperanto  ausgehend,  würden  die 
Fremdsprachen  um  vieles  leichter  und  zweckmäßiger  erlernt  werden 
können.  Das  Esperanto  ist  ja  so  vortrefflich  dazu  geeignet  den  Schüler 
zu  zwingen,  daß  er  nachdenke  über  das  innere  Wesen  der  Menschen 
überhaupt  und  daß  der  Schüler  sich  gewöhne,  immer  ganz  klar  und 
sicher  zu  erfassen,  was  er  auszudrücken  hat.  Es  hält  zu  absolut  logi- 
schen Denken  und  sinngemäßen  Gedankenausdruck  an.  Die 
Forderung  nach  Einführung  der  »Einheitsschule«  mit  obliga- 
torischer Pflege  des  Esperanto  hat  vor  Kurzem  sogar  einen  mächtigen 
politischen  Widerhall  gefunden  in  der  Rede  des  Dr.  Steche,  der  im 
Namen  seiner  Gesinnungsgenossen  im  sächsischen  Landtag  in  dieser 
Richtung  einen  Antrag  einbrachte  und  die  Sympathie  sogar  der  Unter- 
richtsbehörden fand.  Sowie  die  Dinge  heute  liegen,  muß  sich  jeder,  der 
eine  fremde  Sprache  braucht,  viele  Jahre  gehörig  abmühen,  um  dann 
am  Ende  doch  nur  Dilettant  darin  zu  bleiben.  Will  jemand  gar  zwei 
oder  mehrere  Fremdsprachen  können,  dann  wird  diese  Aufgabe  seine 
ganze  Geisteskraft  in  Anspruch  nehmen  und  ihm  nicht  viel  Zeit  übrig 
lassen,  seine  Bildung  vielseitig  zu  gestalten.  Wieviel  Energietüchtigkeit, 
Zeit  und  Geld  wird  so  vergeudet,  während  sich  alles  anders,  viel,  viel 
besser  umsetzen  könnte  in  neuschaffende  Kraft,  erfinderische  Tätigkeit, 
auf  dem  Gebiete  der  Kunst,  Wissenschaft  und  des  Handels.  Wie  sehr 
befruchtend  und  erleichternd  würde  eine  durchaus  neutrale,  internatio- 
nale Hilissprache  wirken  können  auf  das  geistige  und  wirtschaftliche 
Znsammenleben  der  Völker! 

Allerdings  hört  es  sich  gerade  jetzt,  in  der  düsteren  Zeit  der  haß- 
erfülltesten Völkerentzweiung  fast  wie  eine  L'onie  an,  von  einer  inter- 
nationalen Hilfssprache  zu  reden.  Jedoch  wie  entsetzlich  auch  immer 
der  Krieg  entarten  mag,  es  kann  ja  nicht  anders  kommen,  als  daß  die 
niedergetretene  Menschlichkeit  sich  tief  beschämt  wieder  aufrafft  und 
einen  geläuterterten,  desto  gefestigteren  »Internationalismus«  im  Wirt- 
schafts- und  Geistesleben  begründet,  welcher  laut  und  unwiderleglich 
nach  einer  Hilfssprache  rufen  wird.  Aus  der  wissenschaftlichen  Kriegs- 
literatur von  heute  ließen  sich  eine  sehr  Anzahl  von  Belegen  aufzählen, 
wie  Gelehrte  auf  allen  Wissenswegen,  Kaufleute,  Politiker  u.  s.  w.  hier- 
über denken,  und  wie  man  fast  allgemein  nur  dem  Esperanto  das 
Wort  redet,  neben  dem  »Volapük«  und  dem  »Ido«  als  den  drei 
konkurierenden  Versuchen  einer  internationalen  Hilfssprache.  Neben 
dieser  Beweisfülle  aus  Büchern,  wäre  auch  eine  Unmenge  an  praktischen 
Tatsachen  zu  zitieren,  welchen  Nutzen  das  Esperanto  selbst  im  Kriege 
stiftet,  wie  lebensfähig  und  existenzberechtigt   es  bleibt.     Wohl  beklagt 


5.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen.  Seite  725 

es  manche  schwere  Einbuße  ;  dennoch  ist  das  Wirken  der  zahlreichen 
Esperantovereine  nirgends  ernstUch  zerstört,  sondern  nur  beeinträch- 
tigt, erschwert.  Leider  erlaubt  es  die  Raumfrage  nicht,  auf  alles  das 
näher  einzugehen  ;  es  mögen  nur  wenige  Tatsachen  gestreift  werden. 
In  Österreich  zählt  man  mehr  als  250  Esperanto- Organisationen  in  allen 
Volksschichten  und  politischen  Richtungen.  Es  gibt  hier  5  Esperanto- 
Zeitungen.  Der  Lehrerverein  »Esperanto«  in  Wien,  Hammerlingplatz  8, 
veranstaltet  Kurse  über  Esperanto  für  Lehrpersonen.  Am  letzten  nahmen 
24,  am  vorletzten  21  Lehrpersonen  teil.  9  Lehrkräfte  unterzogen  sich 
der  Reifeprüfung  für  die  Unterrichtserteilung  in  Esperanto  vor  einer 
Prüfungskommission,  welche  sich  aus  Wiener  Lehrern  und  aus  Ver- 
tretern des  internationalen  Sprachenkomitees  zusammensetzt.  Herr  Schul- 
inspektor Prof.  Dr.  Kammel  empfahl  in  der  Schulleiterkonferenz  für 
den  XIV.  und  XV.  Bezirk  dringend  den  Schulleitern,  sie  mögen  die 
Aufmerksamkeit  der  Lehrerschaft  auf  das  Esperanto  lenken.  Mehrere 
Wiener  Lehrkräfte  erteilen  sehr  erfolgreich  Esperanto -Unterricht  an 
Abiturienten  der  Volks-,  Bürger-  und  Mittelschulen  unter  den  Augen 
der  hohen  Unterrichtsbehörden.  Letzthin  hat  das  k.  k.  Unterrichts- 
ministerium mittels  Erlaß  die  Abhaltung  von  Lesungen  über  Esperanto 
an  der  technischen  Hochschule  in  Wien  verfügt  und  zum  Lektor  in 
diesem  neuesten  Lehrfache  Herrn  Direktor  Schamanek  bestellt.  In 
Deutschland  erscheint  unter  den  Augen  der  hohen  Reichsregierung  die 
halbmonatliche  Esperanto-Zeitung  »Internaria  Bultem«,  welche  so  wie 
der  »Deutsche  Esperantodienst«  bestrebt  ist,  die  Lügen  und  Verleum- 
dungen der  feindlichen  Presse  im  neutralen  Ausland  zu  entkräften. 
Allenthalben  werden  in  Deutschland  Stimmen  laut,  die  verlangen,  man 
möge  durch  Einführung  des  Esperanto  die  Vorherrschaftstellung  des 
Englischen  als  Welthandelssprache  zu  brechen  versuchen.  In  Frankreich, 
wo  Esperanto,  noch  bedeutend  mehr  floriert,  fordern  starke  politische 
Strömungen,  es  sei  mittels  des  Esperanto  das.  verhaßte  Deutsch  zu  ver- 
drängen usw.  Der  spanische  König,  selbst  ein  eifriger  Esperantist, 
sieht  sehr  gerne  die  Pflege  des  Esperanto  in  seiner  Armee.  Auf  dem 
Plsperantoweltkongreß  im  Kambridge,  ferner  in  Dresden  und  in  Barce- 
lona übernahm  der  englische  König  resp.  der  König  von  Sachsen  und 
Spanien  das  Ehrenpräsidium.  Auf  dem  Kongreß  zu  Dresden  wurde 
Goethes  »Iphigenie  auf  Tauris«-,  von  Dr.  Zamenho  f  in  Esperanto  über- 
setzt, von  bedeutenden  Schauspielern  Deutschlands  aufgeführt.  Königin 
Elisabeth  von  Rumänien  (Carmen  Sylva),  selbst  eine  begeisterte 
Esperantistin,  empfing  im  Jahr  1907  in  ihrem  Sommerpalast  in  Sinaia 
die  blinden  Esperantisten  Rumäniens  und  Bulgariens.  Sie  war  eine  der 
ersten,  welche  in  ihrer  neugegründeten  Blindenstadt  »Vatra  luminoasa« 
das  Esperanto  als  obligatorisch  einführen  ließ. 

Aber  selbst  wenn  diese  vielen  untrüglichen  Anzeichen,  daß  das 
Problem  einer  internationalen  Hilfssprache  unbedingt  seiner  Verwirk- 
lichung entgegengeht,  nicht  bestünden,  so  wäre  trotz  allem  für  die 
Blinden  der  gesamten  Kulturwelt  eine  unwiderleglich  nützliche  und 
zweifelsohne  ganz  durchtülirbare  Forderung  nach  Einbürgerung  des 
Esperanto  als  internationale  Hilfssprache  unter  ihnen  gegeben.  Schon 
heute  steht  jeder  Gemütsempfängliche  und  einigermaßen  geistig  reg- 
same Blinde  mit  warmer,   voller   Sympathie  dieser  Idee  gegenüber  und 


Seite  726.  Zeitschritt  für  das  östcreichische  Blindenwesen,  5.  Nummer. 

bedauert  es,  daß  er  als  Erwachsener  nicht  Gelegenheit  hat,  es  nach- 
träglich zu  erlernen.  Die  Sorgen  und  Beschwerden  des  Alltages  und 
viele  andere  Ungunst  der  Umstände  lähmen  ihm  die  Energie  und 
Spannkraft  zum  Lernen  oder  rauben  ihm  die  nötige  Zeit  und  Ruhe 
hiefiir.  Jeder  nur  halbwegs  denkende  und  fühlende  Blinde  sagt  sich, 
daß  die  Blinden  aller  Welt  durch  das  gleiche  harte  Unglück  mit  seinen 
überall  gleichen  Seelenleiden  und  Alltagsbeschwerden  schon  von 
Natur  aus  eine  innige,  feste  Gemeinschaft  bilden.  Wie  immmer  auch 
der  Krieg  auf  moralischem  Gebiet  verwüstend  wirken  mag,  die  Blinden 
kann  er  doch  einander  nicht  entfremden.  Wahrlich  uns  fehlt  nur  noch 
das  äußere  Bindemittel.  Die  ersten  bescheidenen  Ansätze  zur  Verwirk- 
lichung dieser  Idee  bestehen  bereits;  die  in  Esperanto  erscheinende 
Braillezeitung  »Esperanta  ligilo«  vereinigt  nämlich  schon  heute  ganz 
augenfällig  mehr  als  1000  Blinde  aus  27  Kulturländern  der  Welt,  da- 
runter aus  Mexiko,  Peru,  Ostsibirien,  Aegypten  usw.  Im  »Esperanta 
ligilo«  (Bindeglied)  fand  ein  internationaler  Austausch  über  Erfahrungen 
und  Beobachtungen  aller  Art  statt,  man  erteilte  sich  gegenseitig  Rat- 
schläge und  Auskünfte  über  neue  Blindenbehelfe  und  Lehrmittel  und 
einsciilägige  Erfindungen.  Esperanto  war  im  Begriff,  den  Blinden  eine 
Wanderbibliothek  zu  gründen,  besonders  für  wissenschaftlichhe  Werke 
und  Fach-Zeitschriften  in  Brailledruck  würde  Esperanto  eine  ungeheure 
Steigerung  der  Rentabilität  bedeuten.  Esperanto  begann  auch,  der 
»Internationalen  Vereinigung  blinder  Musiker«  sowie  der  >Internationalen 
Vereinigung  akademischer  Blinder«  wertvolle  Dienste  zu  leisten.  Ferner 
vermittelt  es  die  internationale  Pflege  des  Schachspiels. 

Diesem  jungen  grandiosen  Blindenwohltäter  standen  die  berufenen 
Blindenerzieher  allerorts  l:)isher  nur  allzu  zuwartend  oder  skeptisch, 
wenn  nicht  gar  ganz  teilnahmslos  gegenüber.  Man  überließ  und  über- 
läßt die  Verbreitung  des  Esperanto  unter  den  Blinden  mehr  oder 
weniger  sich  selbst  und  den  schvi'achen  Werbekräften  der  wenigen 
Blinden,  welche  trotz  des  Tages  Mühen  und  Sorgen,  dennoch  soviel 
Zeit  und  Idealismus  erübrigen,  für  dieses  Problem  zu  wirken.  Gewiß 
haben  die  Blindenanstalten  in  Paderborn  durch  Herausgabe  der  »Es- 
peranto Grammatik«  und  das  k.  k.  Blindenerziehungs-Institut  in  Wien 
durch  Drucklegung  des  »Esperanto-deutschen  Wörterbuches«  sich  ein 
großes  dauerndes  Verdienst  erworben.  Noch  fehlt  uns  deutschen  Blinden 
aber  das  wichtigere  Deutsch-Esperanto  Wörteibuch  und  ein  Lehrbuch 
für  Fortgeschrittene.  Der  internationalen  Esperanto-Blindenwelt  gebricht 
es  fast  vollständig  an  Lesestoff.  Wann  werden  die  Blindenerzieher  auch 
in  dieser  Hinsicht  eine  wirksame  Iniziative  ergreifen  und  nicht  alles 
unserer  Selbsthilfe  überlasssen  ?  Als  solche  Selbsthilfe  stellen  sich  die 
Bemühungen  der  deutschländischen  blinden  Esperantisten  dar, 
welche  im  Blindenverlag  A.  Wen  dt,  Berlin  eine  Esperantoliteratur  her- 
zustellen trachten.  Bei  Schafifung  von  Lesestoff  könnte  man  gewiß  in 
normalen  Zeiten  auf  materielle  Förderung  von  Seite  der  sehenden 
Esperantisten  rechnen.  Wir  wenigen  Blinden  aber  können  die  Esperan- 
toidee nur  ungemein  langsam  vorwärts  bringen,  denn  der  erwachsene 
Blinde  ist  ja,  wie  schon  gesagt  nur  sehr  schwer  und  selten  zum  nach- 
träglichen Studium  des  Esperanto  zu  bewegen.  Auf  die  Blindcnjugend, 
als  dem  geeignetsten  Werbematerial,  haben  wir  außenstehende  Kollegen 


r 


5.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenvvesen.  Seite  727. 

keinen  Einfluß.  So  geht  es  denn  so  schrecklich  langsam  vorwärts,  so 
bleibt  es  denn  beharrlich  bei  dem  Anschein,  als  ob  das  Esperanto 
eigentlich  nur  eine  Utopie,  ein  Schreibtischideal  wäre.  Wie  aber,  wenn 
die  Blindenjugend  schon  in  der  Schule  das  Esperanto  als  obligat  lernen 
würde  ;  in  einem  lernlustigen,  empfänglichen  Alter,  noch  unberührt  vom 
Realismus  des  Erwerbslebens,  noch  unbeirrt  vom  Widerstreit  spraciien- 
politischer,  chauvinistischer  Hetzereien.  Die  Unterrichtsbehörden  wären 
wohl  sicher  hietür  zu  gewinnen.  Einer  Mehrbelastung  des  jugendlichen 
Intelektes  wäre  durch  manches  Kompromiß  bezüglich  des  Lehrstoffes 
zu  begegnen.  Für  die  Blinden  gäbe  es  vielleiclit  eine  neue  kleine 
Erwerbsgelegenheit,  für  einige  Nichtsehende  ein  anregendes  Arbeitsfeld 
in  Blindenanstalten.  In  anderen  Blindenschulen  zu  Paris,  St.  Mande, 
Dijon,  Woluwe,  (Belgien),  Prag,  Kopenhagen,  Tomteboda,  Stockholm, 
Boston,  Bukarest,  Sofia,  usw.  ist  man  bereits  daran  gegangen,  das 
Esperanto  obligatorisch  zu  lehren.  Was  dort  möglich  ist  und  als  schön 
und  nützlich  erkannt  wurde,  muß  also  doch  auch  endlich  bei  uns  zu 
Lande  platzgreifen  können.  Sagte  doch  z.  B.  Dr.  Prof.  Henry  Dor 
gelegentlich  des  internationalen  Kongresses  zur  Besserung  des  Loses 
der  Blinden  1911  :  »Der  intelligente  Blinde,  der  ja  nicht  unsere  Zer- 
streuungen und  Beschäftigungen  kennt,  würde  die  Grammatik  des 
Esperanto  schon  nach  einer  Stunde  beherrschen  und  nach  drei,  vier 
Monaten  das  Esperanto  sehr  tüchtig  brauchen  können  ;  es  würde  ihm 
eine  Quelle  reichster  Genüsse  und  weittragendster  Vorteile  werden.  Ich 
bitte  Sie  also  dringend,  meine  Herren,  für  die  Einführung  des  Esperanto 
in  den  Blindenschulen  zu  stimmen  !«  Desgleichen  hat  auch  die  »Inter- 
nationale Gesellschaft  zur  Unterstützung  der  Blinden«,  auf  ihren  Kon- 
gressen in  Neapel  und  Kairo,  einstimmig  den  Wunsch  ausgedrückt, 
daß  das  Esperanto  eingeführt  werde. 

So  mögen  sich  denn  auch  bei  uns  wirksame  Faktoren  des  Blin- 
denwesens  finden,  welche  unser  teures  Esperanto  durch  großzügige, 
w^erktätige  Förderung  seiner  grandiosen  Bestimmung  für  die  Blinden 
entgegentragen.  Es  ist  sicher,  daß  die  Geschichte  der  Blindenkultur 
die  Namen  derjenigen  Männer  mit  Dankbarkeit  und  Ehre  verzeichnen 
wird,  welche  sich  des  Esperanto  annehmen. 

Möchte  doch  mit  Wiederkehr  normaler  Verhältnisse  auch  lür  das 
Esperanto  ein  gründlicher,  segensreicher  W^andel  der  Dinge  anbrechen 
und  zur  »internationalen,  gemeinsamen  Blindenschrift«  Braille's  sich 
endlich  auch  die  »internationale,  gemeinsame  Blindensprache«  Dr.  Za- 
menhofs  gesellen! 


Die  Berufswahl  der  Kriegsblinden    aus    dem  Mannschaftsstande 
mit  besonderer  Berücksichtigung    der  alten  Blindengewerbe. 

Von  Direktor  Dr.  Josef  Hartinger,  Graz. 

Es  handelt  sich  hier  um  die  erblindeten  Krieger  aus  den  körper- 
lich arbeitenden  Ständen,  bei  welchen  die  Verhältnisse  betreffs  ihrer 
Berufswahl  ungleich  günstiger  liegen  als  bei  den  gebildeten  Kriegs- 
blinden. Ist  schon  die  Zahl  der  Intelligenzberufe  für  die  im  Felde 
Erblindeten   verhältnismäßig  groß,   so  besteht  für  die  arbeitende  Klasse 


Seite  7L'8.  Zc-itsrhiift  tiir  das  österreichische  Blindenwesen.  5.    Nummer. 

eine  noch  weit  gröi3ere  Reichhaltigkeit  der  Beriifsmöglichkeiten,  in 
welchen  vollwertige  und  einträgliche  Leistungen  zu  erwarten  sind.  Die 
Zahl  dieser  Berufe  ist  für  die  Kriegsblinden  weitaus  größer  als  für 
die  Zivilblinden,  und  die  Verhältnisse  in  denselben  sind  bei  weitem 
günstiger,  schon  deshalb,  weil  die  Kriegsblinden  aus  der  Zeit  vor 
ihrer  Erblindung  die  nötige  Weltkenntnis  besitzen,  weil  die  Fürsorge 
sie  mit  dem  nötigen  Betriebskapital  ausrüstet,  und  weil  das  Wohl- 
wollen der  Öffentlichkeit  sich  ihnen  in  höherem  Grade  zuwendet  als 
den  übrigen  Blinden.  Durch  die  angestrengten  Bemühungen  hoch- 
verdienter Freunde  der  Kriegsblinden  ist  diesen  jetzt  eine  ganze  Reihe 
von  Berufen  und  Beschäftigungen  zugänglich  geworden,  an  welche 
die  Blinden  vor  dem  Kriege  nicht  im  Traume  gedacht  hätten.  Diese 
große  Zahl  und  Mannigfaltigkeit  der  neuen  Blindenberufe  ist  hoch 
erfreulich,  weil  dadurch  der  Neigung  und  Begabung  ein  größerer 
Spielraum  gelassen  ist,  und  weil  besonders  in  großen  Städten  die 
alten  Blindengewerbe  bei  der  großen  Zahl  der  Blinden  und  der  gegen- 
seitigen Konkurrenz  längst  nicht  mehr  ausreichend  waren.  Man  kann 
ruhig  behaupten:  Die  Mannigfaltigkeit  der  Berufe  ist  derart,  daß  jedem 
blinden  Soldaten  ein  Beruf  zugänglich  ist,  der  seinen  Neigungen, 
Fähigkeiten,  Bedürfnissen  und  Verhältnissen  l^illiger  Weise  entspricht 
und  der  geeignet  ist,  eine  gute  Verdienstmöglichkeit  und  eine  wahre 
Berufsfreudigkeit  zu  gewähren,  wenn  anders  der  Mann  guten  Willen 
und  einige  Fähigkeiten  besitzt  und  seine  Ansprüche  und  Erwartungen 
nicht  unvernünftig  hoch  spannt.  Eine  erschöpfende  Aufzählung  der 
Berufe  und  Beschäftigungen,  welche  für  die  blinde  Manschaft  zugäng- 
lich sind,  läßt  sich  wohl   nicht  geben. 

Folgende  Grundsätze,  die  sich  besonders  auf  die  Kriegsblinden 
aus  dem  Mannschaftsstande  beziehen,  sind  gegenwärtig  von  den 
Fachmännern   wohl   allgemein   anerkannt : 

1.  Sollte  jemand  sich  durchaus  weigern,  sich  ausbilden  zu  lassen 
und  irgend  einen  Beruf  zu  ergreifen,  so  liegt  ein  gew^isser  Druck  zwar 
im  wohlgemeinten  Interesse  des  Mannes,  ein  Zwang  aber  ist  zu  meiden. 
Ist  schon  zu  befürchten,  daß  manche  von  jenen,  welche  sich  freiwillig 
zur  Erlernung  eines  Berufes  melden,  später  das  Erlernte  nicht  ausüben 
Avcrden,  so  wäre  dies  bei  einer  erzwungenen  Ausbildung,  selbst  wenn 
sich  der  Blinde  dem  Zwange  fügen  sollte,  wohl  gewiß  zu  erwarten. 
Doch  sollte  ein  großes  Hindernis  der  Berufsfreudigkeit  beseitigt  werden, 
die  sogenannte  Rentenpsychose,  die  Furcht,  daß  durch  die  Ausübung 
eines  Berufes  die  Invalidenrente  verkürzt  werde.  Diese  Furcht  besteht 
tatsächlich  vielfach  und  ist  nur  schwer  zu  beseitigen.  Wenn  auch 
versichert  wird,  daß  die  Invalidenpension  bei  vollständig  Blinden 
durch  die  Ausübung  eines  Berufes  nicht  verkürzt  werde,  so  besteht 
doch  das  Gesetz  v.  27.  XII.  1895  in  Kraft,  welches  die  Invaliden- 
pension nur  jenen  zuspricht,  die  militäruntauglich  und  vollkommen 
erwerbsunfähig  sind.  Nach  der  vorläufigen  Verfügung  des  K.  M. 
Erlasses  v.  22.  I.  1915  besteht  allerdings  "der  Anspruch  auf  Invaliden- 
pension auch  dann,  wenn  neben  der  militärischen  Dienstuntauglichkeit 
die  bUrgerhche  Erwerbsfähigkeit  gegen  früher  um  wenigstens  20  "/o 
geschmälert  erscheint.  Doch  das  genügt  den  Kriegsblinden  nicht,  sie 
erwarten   die  vollständige  Sicherstellung,  daß  bei  gänzlicher  und  dauern- 


5.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindcnwesen.  Seite    729. 

der  Erblindung  die  Invalidenhauspension  dauernd  gewährt  werde, 
selbst  wenn  der  Blinde  einen  Beruf  ausübt  und  es  dabei  zu  tüchtigen 
Leistungen  bringt.  Solange  eine  solche  formelle  Zusicherung  nicht 
vorliegt  —  und  meines  Wissens  ist  bis  jetzt  keine  vorhanden  — 
solange  ist  es  unmöglich,  diese  Scheu  der  Kriegsblinden  gänzlich  und 
allgemein  zu  überwinden.  Sie  sind  nur  zu  sehr  geneigt,  etwaigen 
Einflüsterungen  dieser  Art  Gehör  zu  schenken.  Doch  halte  ich  es 
immerhin  für  günstig,  daß  in  der  Odilien-Blindenanstalt  von  den 
40  Kriegsblinden  außer  2  verstümmelten,  die  zum  Lernen  gänzlich 
unfähig  sind,  nur  einer  sich  grundsätzlich,  und  5  andere,  darunter 
4  Istrianer,  sich  nach  anfänglichen  Versuchen  weigerten,  einen  Beruf 
zu   ergreifen. 

2.  Die  Wahl  des  Berufes  steht  den  Blinden  frei.  Es  soll  ihnen 
kein  Beruf  aufgedrängt  werden,  zu  dem   sie  keine   F"reude  haben. 

3.  Dessen  ungeachtet  muß  eine  Berufsberatung  voraus  gehen; 
man  geht  ihnen  bei  der  Wahl  des  Berufes  an  die  Hand,  wobei  auf 
Begabung  und  Neigung,  auf  die  persönlichen  Verhältnisse,  die  Zeit, 
welche  sie  ihrer  Ausbildung  widmen  wollen,  die  Verhältnisse  in  der 
Heimat,   die   Absatzmöglichkeit  u.   a.  Rücksicht  genommen  wird. 

4.  Als  Ziel  der  Ausbildung  gilt,  die  Kriegsblinden  nicht  dereinst 
in  Asylen  das  Erlernte  ausüben  zu  lassen,  sondern  sie  wirtschaftlich 
selbständig  zu  machen,  womöglich  in  ihrer  Heimat,  wo  sie  entweder 
bei  ihren  Angehörigen  bleiben  oder  sich  ein  eigenes  Heim  erwerben, 
womöglich  sich  auch  in  der  damit  verbundenen  kleinen  Landwirtschaft 
betätigen   und  eine  Familie  gründen. 

5.  Es  ist  soviel  als  möglich  an  den  alten  Beruf  anzuknüpfen,  der 
entweder  ganz  oder  teilweise  wieder  aufgenommen  wird,  oder  ein 
angrenzender  Beruf  zu  empfehlen.  Wo  es  die  Verhältnisse  erlauben, 
so  in  den  Städten  und  Industriebezirken,  käme  die  Unterbringung  in 
Fabriksbetrieben  in  Betracht.  Schließlich  kommt  das  Umlernen  auf 
einen  ganz  neuen  Beruf  in  Erwägung,  auf  ein  Handwerk;  hier  kommen 
nun  die  alten  Blindengewerbe  in  Frage,  vor  allem  das  Bürstenbinden 
und  das  Korbflechten.  Der  Tabakverschleiß  und  die  Landwirtschaft 
werden  hiebei  nicht  als  eigentliche  Lebensberufe  aufgefaßt,  sondern 
als  Beschäftigungen,  mit  welchen  ein  Beruf  verbunden  wird,  der  sich 
als  Heimarbeit  eignet. 

Wie  stellen  sich  nun  die  Kriegsblinden  nach  den  bisher  gemachten 
Erfahrungen  zu  diesen  Grundsätzen,  vor  allem  zum  letzten?  In  der 
Odilien-Blindenanstalt  entschloß  sich  kein  einziger  Handwerker,  zu 
seinem  alten  Berufe  zurückzukehren,  selbst  wenn  dieser  nach  dem 
Urteile  der  Fachmänner  auch  für  Blinde  geeignet  ist  und  tatsächlich 
von  manchen  Blinden  geübt  wird.  Ein  gewesener  Schuster,  dem  wir 
Gelegenheit  bieten  wollten,  zu  seinem  Berufe  zurückzukehren,  sagte 
lachend,  er  sei  viel  eher  imstande,  Schuhe  zu  zerreißen  als  zu  machen. 
Ein  Fabriksarbeiter  in  einem  Eisenwerk  weigerte  sich,  die  Wieder- 
aufnahme in  seine  Fabrik  anzustreben,  obschon  er  noch  einen  ziemlich 
guten  Sehrest  besitzt.  Als  wir  unseren  Blinden  sagten,  daß  es  möglich 
sei,  in  Fabriken  unterzukommen,  besonders  in  Munitionsfabriken,  und 
daß  die  Verdienstmöglichkeit  eine  verhältnismäßig  gute  sei,  da  machte 
die  Sache  Aufgehen.    Doch  nur  2   überlegten  ernstlich,    einer  meldete 


Seite-  730.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Blindenwesen.  5.  Nummer. 

sich  auch  tatsächlich  für  die  Munitionsfabrik,  zog  aber  nachträglich 
sein  Ansuchen  zurück.  Sie  wollten  nicht  in  die  Fremde,  nicht  fort 
von  ihrer  Heimat,  sich  nicht  trennen  von  ihrem  Lieblingsgedanken, 
einmal  ein  eigenes  Anwesen  ihr  Eigen  zu  nennen.  Die  gewesenen 
Landwirte  und  landwirtschaftlichen  Arbeiter  haben  zwar  ihre  Freude 
und  ihr  Interesse  an  der  Landwirtschaft  bewahrt,  sie  wollen  auch  zu 
Hause  sich  weiter  hierin  nach  Gelegenheit  betätigen,  doch  fassen  sie 
dies  nicht  als  einen  eigentlichen  Beruf  für  sie  auf,  ein  einziger 
ausgenommen. 

Alle  Kriegsblinden  aus  den  arbeitenden  Ständen,  die  sich  überhaupt 
zu  einem  Berufe  entschlossen,  wählten  trotz  der  Berufsberatung  und 
der  vollsten. Freiheit  in  der  Wahl  die  alten  Blindengewerbe,  und  zwar 
das  Bürstenbinden  und  das  Korbflechten.  Dabei  war  die  Wahl  keine 
überstürzte,  sondern  wir  ließen  ihnen  hinreichend  Zeit  zur  Überlegung 
Wie  erklärt  sich  diese  Erscheinung,  während  mitunter,  besonders  in 
Deutschland,  Stimmen  laut  wurden,  es  seien  diese  alten  Blindengewerbe 
den  Kriegsblinden  wenig  zu  empfehlen !  Gewiß  spielt  dabei  auch  der 
Nachahmungstrieb  eine  Rolle,  weil  diese  Berufe  auch  von  sovlelen 
anderen  Blinden  mit  schönem  Erfolge  geübt  werden,  vielleicht  auch 
weil  selbst  ein  blinder  Hofrat  sich  unter  die  Korbflechter  setzt  und 
das  Handwerk  lernt.  Doch  warum  ahmen  sie  nicht  auch  die  Matten- 
und  Sesselflechter  nach?  Warum  entscheiden  sie  sich  nicht  auch  für 
das  Maschinstricken?  Auch  aus  den  Berichten  anderer  Blindenanstalten 
sehe  ich,  daß  sich  die  Kriegsblinden  mit  Vorliebe  den  beiden  genannten 
Gewerben  zuwenden,  wenn  auch  nicht  in  dem  Grade  wie  in  unserer 
Anstalt. 

Diese  beiden  Gewerbe  eignen  sich  eben  in  besonderem  Grade 
für  die  Heimarbeit  und  werden  daher  besonders  von  solchen  Blinden 
aus  kleineren  Städten  und  vom  flachen  Lande  gewählt,  welche  wieder 
in  die  Heimat  zurückstreben  und  dort  ein  eigenes  Heim  besitzen 
oder  besitzen  wollen.  Und  das  trifft  bei  uns  so  vielfach  zu.  Diese 
Berufe  können  sie  wie  kaum  ein  anderes  selbständig  und  unabhängig 
von  der  Hilfe  der  Sehenden  ausüben,  ohne  besonders  kostspielige 
Einrichtungen,   ohne  geräumiges   Arbeitslokal. 

Die  Erlernung  ist  nicht  allzu  schwierig ;  bestimmte  Arten  von 
Körben  und  Bürsten  sind  schnell  erlernt.  Nicht  selten  bringt  der 
Neuling  schon  am  ersten  Tage  seiner  Lehrzeit  eine  Bürste  fertig,  was 
ihm  zur  Freude  und  anderen  Neulingen  zur  Aufmunterung  gereicht. 
Das  Handwerk  Ist  in  kurzer  Zeit  soweit  erlernt,  daß  es  wenigstens 
bescheidenen  Ansprüchen  genügen  und  ländliche  Bedürfnisse  befriedigen 
kann.  Sollte  ein  Blinder  schon  nach  kurzer  Ausbildungszeit  nach  Hause 
streben,  so  kann  man  ihn  ruhig  ziehen  lassen.  Ein  Gewerbeschein  ist 
zur  Ausübung  der  genannten  Gewerbe  nach  der  kais.  Verordnung 
V.  7.  XII.  1915,  Reichsgesetzblatt  Nr.  364,  §  4,  für  Kriegsbeschädigte 
nicht  notwendig.  Der  gute  Ruf  der  Blindengewerbe  wird  durch  eine 
kurze  Ausbildungszeit  der  Kriegsblinden  nicht  leiden.  Es  kann  ihnen 
später  immer  noch  Gelegenheit  geboten  werden,  durch  Kurse  ihre 
Kenntnisse  zu  erweitern.  Die  Erlernung  dieser  Handwerke  rückt  also 
den  Blinden  das  Ziel  ihrer  Sehnsucht,  nach  Hause  zurückzukehren, 
nicht  in  allzu   weiter  Ferne.    Und   doch    bieten    diese  Handwerke    den 


5.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Biindenwcsen.  Seite  731. 

Begabten  und   Strebsamen   Gelegenheit,  Hervorragendes    zu   leisten   an 
Kunstfertigkeit,   besonders  in   der  Korbflechterei. 

Die  Blinden  wissen  es  zu  schätzen,  daß  ein  Handwerk  mit  seiner 
Vielseitigkeit  sich  vorteilhaft  unterscheiden  muß  von  der  Fabriksbrbeit, 
die  sich  auf  das  Gemüt  eines  Blinden  besonders  schwer  legen  müßte. 

Diese  Gewerbe  sind  und  bleiben  rentabel,  ausgenommen  in 
großen  Städten.  Die  Odilien-Blindenanstalt  hat  schon  vor  dem  Kriege 
nie  alle  Nachfragen  befriedigen  können,  und  kann  es  jetzt  noch  weniger. 
Auch  unsere  blinden  Korbflechter  und  Bürstenbinder  außerhalb  der 
Anstalt  finden  stets  guten  Absatz.  Die  Anstalt  wird  den  Kriegsblinden 
bei  Ausübung  ihres  Handwerkes  an  die  Hand  gehen  mit  Rat  und 
Tat,  Besorgung  von  Materialien,  Vertrieb  der  Waren. 

Die  Konkurrenz  der  Kriegsblinden  mit  den  Zivilblinden  auf 
diesem  Gebiete  ist  wohl  kaum  nennenswert.  Die  Zivilblindcn  nähren 
keine  Eifersucht  gegen  die  Kriegsblinden,  da  sie  von  der  Kriegsblinden- 
fürsorge  ebenfalls  einen  großen  Vorteil  ziehen,  dessen  TragAveite  jetzt 
noch  gar  nicht  übersehen  werden  kann.  Wenn  auch  die  Zahl  der 
Kriegsblinden  absolut  genommen  eine  traurige  Höhe  erreicht  hat,  so 
ist  sie  doch  weitaus  nicht  so  hoch,  als  die  erregte  Phantasie  des  Volkes 
sich  ausmalt,  und  ist  relativ  sogar  gering  gegen  die  Zahl  von  20.000 
Zivilblinden  Österreichs.  Die  Zahl  der  Kriegsblinden  Österreichs  beträgt 
gegenwärtig  ungefähr  400.  Wenn  auch  davon  hochgegriffen  etwa  200 
sich  den  genannten  Gewerben  zuwenden,  so  ist  diese  Konkurrenz 
wohl  gering  gegen  jene,  welche  von  sehenden  Bürstenbindern  und 
Korbflechtern,  von  den  Großbetrieben  dieser  Art,  von  den  Handwerkern 
in  den  Strafhäusern,  Flüchtlingslagern,  Alters-  und  Invalidenhäusern 
den  blinden  Bürstenbindern  und  Korbflechtern  zugefügt  wird.  Hier 
sollte  der  Hebel  eingesetzt  werden.  Gönnen  wir  es  den  Kriegsblinden, 
wenn  sie  sich  aus  eigenem  Antriebe  zu  diesen  Gewerben  drängen. 
Schon  auf  den  fünften  Blindenfürsorgetage  in  Wien  i.  J.  1914  wurde 
der  Antrag  angenommen  :  ,,Die  Tagung  wolle  eine  Petition  im  Sinne 
der  Einschränkung  und  allmählichen  Auflassung  der  sogenannten 
Blindcngewerbc  in  den  Strafhäusern  bei  der  Behörde  einbringen." 
Diese  Konkurrenz  durch  die  Sehenden  hat  sich  gegenwärtig  nur  noeh 
bedeutend  verschärft.  Könnten  sie  nicht  diese  altehrwürdigen  Blinden- 
gewerbe  den  Blinden  überlassen?  Könnten  die  Gcwerbetörderungsinsti- 
tute  nicht  den  Zudrang  zu  diesen   Gewerben  hintanhalten? 

Gegenwärtig  stellt  sich  diesen  beiden  Gewerben  eine  weit  größere 
Gefahr  entgegen  als  die  Konkurrenz:  Es  ist  dies  der  große  Mangel 
an  Rohmaterial,  besonders  für  das  Bürstenbinden,  sodaß  wir  gegen- 
wärtig schon  einige  Bürstenbinder  vom  Unterrichte  ausschalten  mußten, 
und  daß  Gefahr  besteht,  den  Unterricht  im  Bürstenbinden  gänzlich 
einstellen  zu  müssen."  Dieser  Mangel  ist  verursacht  durch  den  erhöhten 
Bedarf  der  Heeresverwaltung,  der  Invalidenschulen  mit  ihren  vielen 
Korbflecht-  und  Bürstenmacherkursen,  bei  den  Weidenkulturen  durch 
den  Mangel  an  Arbeitskräften,  bei  den  Bürstenmaterialien  durch  den 
Ausfall  der  überseeischen  Produkte,  endlich  durch  den  geringeren 
Bestand  an  Pferden  und  Schweinen.  Diese  Not  an  Materialien  ist  der 
letzte  Beweggrund  meines  Referates.  Alle  unsere  Bemühungen  in 
dieser  Hinsicht   waren  vergebens.  Das  Pferdesammelkommando  in  Graz, 


Seite  732.  Zeitschrift  für  das  österreirhische  Blindenwescn.  5.  Nummer. 

(las  uns  triilier  Pferdehaare  abg^ab,  hat  diese  lum  an  das  Kriegsniinisteriuiii 
abziilielcrn.  Ich  lialte  es  für  aussichtsvoll,  wenn  das  geehrte  Kuratorium  an 
(las  k.  u,  k.  Kriegsministcriiim  herantreten  würde  niitdem  Ersuclien,  die 
Pferdesammelkommanden,  ärarischen  Gestüte  u.  a.  mögen  verhalten 
werden,  ihren  Vorrat  an  Pferdehaaren  den  Blindenanstalten  zum 
Unterrichte  für  die  Kriegsblinden  zur  Verfügung  zu  stellen.  Die 
Anstalten  könnten  dafür  die  Bestellungen  für  den  Heeresbedarf  aus- 
führen. Bezüglich  der  Korbweiden  könnte  die  staatliche  Lehrwerk- 
stätte für  Korbflechterei   abhelfen. 

Ich  beehre  mich  zinn  Schlüsse,  dem  geehrten  Kuratorium  des 
Kriegsblindenfonds  folgende  Anträge  zu   unterbreiten  : 

1.  Das  Kuratorium  wolle  geneigtest  an  mai3geljender  Stelle  die 
formelle  Erklärung  aniegen,  daß  die  gänzlich  und  dauernd  erblindeten 
Soldaten  die  Invalidenhauspension  dauernd  beziehen,  auch  wenn  sie 
einen   einträglichen   Beruf  ausüben. 

2.  Das  Kuratorium  wolle  über  Mittel  und  Wege  beraten,  wie 
die  Konkurrenz  gegen  die  beiden  obgenannten  Blindengewerbe  einge- 
schränkt werden  könne. 

3.  Das  Kuratorium  wolle  helfend  eingreifen,  dafS  der  Bezug  der 
erforderlichen  Rohmaterialien  für  den  Unterricht  der  Kriegsblinden 
in   den   genannten   Gewerben   sicher  crestellt  werde. 


Personalnachrichten. 

—  Auszeichnung.  Dem  Direktor  des  Tirol- Vorarlb.  Blinden- 
institutes  in  Innsbruck,  Stadtpfarrer  Johann  Vi  n  atze  r,  wurde  für  seine 
ersprießliche  Tätigkeit  auf  dem  Gebiete  der  Kriegsfürsorge  das  Ehren- 
zeichen IL  Klasse  vom  Roten  Kreuze  mit  der  Kriegsdekoration 
verliehen.  Das  aufopfernde  Wirken  und  die  edle  Hingabe  dieses  ver- 
dienstvollen Mannes  in  charitativer  Hinsicht  wurde  an  Höchster  Stelle 
schon  zum  zweitenmale  gewürdigt. 

—  Jubiläum.  Am  26.  März  1.  J.  vollendete  der  Fachlehrer  i.  R. 
an  der  Linzer  ßlindenlehranstalt  Herr  Ferdinand  Groß  in  voller  Rüstig- 
keit sein  70.  Lebensjahr.  Aus  diesem  Anlasse  veranstaltete  der  Direk- 
torder beiden  Linzer  Blindenin.stitute  eine  zeitgemäße  Glückwunschfeier. 
Vorstand  und  Zöglinge  überraschten  den  trefflichen  Blindenlehrer  und 
treund  seiner  Schicksalsgenossen  mit  herzlichen  Glückwünschen  für 
die  spätere  Lebendauer.  In  «gewählten  Worten  dankte  der  Jubilar  für 
die  herzliche  Feier.  p 


Aus  den  Anstalten. 


N. 


^-''"  ^^s-BIind  enansla  It  in  P  u  i  k  er  sd  o  r  f.  lnspektion« 
Am  21.  März  !.  J.  bc.-uchte  der  Herr  Landesschulinsnektur  K  Piffl  die  Anstalt 
und  wohnte  dem  Unten  ichte  bei. 

-  Pri  vat-Blindenlehranstalt  in  Linz.  Am  30.  März  1.  J.  unterzog 
'lei  Herr  Landesschulinspektor  Dr.  Kran/.  Kimm  er  die  II.  Klasse  der  Anstalt  einer 
nielustundiacn  Inspektion,  nachdem  bereits  am  20.  März  die  Re!i<nonsinspektion. 
durch  den  Herrn  Domkapitular  Prä'at  Ms^r.  Dr.  Lohningcr  vorfrenommcn 
wurde.  -^  ^^ 


5.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Bliiidenwesen  Seite  733. 

Heuer  versorgte  das  hiterniertenlager  Katzenau  bei  Linz  aus  den  großen 
Donauauen  durch  Internierte  aus  dem  Süden  —  auch  Reichsitaüener  —  die  Anstalt 
mit  nötigen  Korbweiden.  Mit  den  aus  den  Abfällen  der  Weiden  hergestellten  socc- 
nannten  Weidenborsten  machen  wir  in  der  Bürstenbinderei  ganz  gute  Krfahrun^en. 
So  ist  die  Rohstoffrage  ziemlich  gelöst 

Anfangs  Mai  wird  wahrscheinlich  das  alljährlich  recht  gut  besuchte  Blinden- 
konzert  in  der  Blindenbeschäfti^ungsanstalt  abgehalten  werden,  das  aus  den  be- 
kannten Zeitumständen  bisher  verschoben   werden  mußte.  P. 

~-  Blindeversorgungshaus  ,,Francisco-Josephinum"  in  Prag. 
Der  24.  Jahresbericht  über  die  von  der  „Böhmischen  Sparkasse"  gegründete  und 
erhaltene  Anstalt  eiwähnt  das  Jahr  1916  als  schweres  sorgenvolles  Jahr.  Das  Ab- 
leben des  Ian!jjährigen  Obmannes,  kais.  Rat  Ignaz  Homolka,  riß  eine  kaum  aus- 
zufüllende Lücke  in  die  Reihe  des  Direktoriums.  Nicht  nur  die  Pfleglinge,  die 
liebend  an  ihm  hingen,  sondern  auch  das  Direktoiium  betrauert  in  dem  Dahin- 
gegangenen schmerzlich  den  treuen  Freund,  dessen  Wirksamkeit  unvergessen  und 
vorbildlich  bleiben  soll.  An  seiner  Stelle  wurde  Hofiat  Johann  Rotky  zum  Obmann 
und  kais.  Rat  Johann -S  t  ü  d  1  zum  Obmannstellvertreter  gewählt. 

Auch  im  Jahre  1916  wurde  die  Richtung  festgehalten,  die  Pfleglingszahl  tun- 
lichst herabzumindern.  Infolgedessen  haben  Neuaufnahmen  nicht  stattgefunden  und 
und  es  ergibt  sich  bei  9  Ablebensfällen  mit  Jahresschluß  ein  Stand  von  87  Perso- 
nen. Darunter  sind  48  Deutsche  und  39  Tschechen,  bezw.  82  Katholiken,  4  Israe- 
liten und  1  Protestant.  Der  Pfleglingsstand,  dessen  Gesundheitszustand  Dank  der 
ärztlichen  und  verwaltungsseitigen  Umsicht  und  Fürsorge  das  ganze  Jahr  hindurch 
befriedigend  war,  hat  sich  sonach  gegenüber  dem  Vorjahre  um  9  Personen  verrin- 
gert. Trotzdem  schloß  die  Rechnung  mit  einem  erheblichen  Mehraufwand  ab. 

flus  den  Vereinen. 

—  Fürsorgeverein  für  die  Taubstummblinden  in  Osterreich 
IV.  Jahresbericht).  Der  obgenannte  Verein  versendet  soeben  seinen  4.  Jahresbericht, 
welchem  man  manch  erfreuliches  entnehmen  kann.  Die  Einleitung  des  Berichtes 
sind  tiefempfundene  Worte  des  Gedenkens  anläßlich  des  Ablebens  Sr.  Majestät  des 
Kaisers  Franz  Josef  I  und  hoffnungsfreudige  Huldigung  für  Sr.  Majestät  Kai- 
ser Kail  I. 

Die  Zusammensetzung  der  Vereinsleitung  ist  gewissermaßen  der  Spiegel  für 
die  vielseitigen  Sympathien,  deren  sich  der  Veiein  und  seine  Unternehmung  »das 
Taubstummblindenheim«,  Wien  XIII.,  Linzerstraße  478  erfreut.  So  finden  wir  nebst 
Vertretern  vom  Unterrichtsministerium,  der  Landes-,  Bezirksschulbehörde,  Spezial- 
Pädagogen für  Taubstummen-  und  Blindenunterricht  ganz  besonders  vertreten  Spe- 
zialisten für  Augen,  Ohren  und  für  Dermatologie.  Volks-  und  Bürgerschule,  Mittel- 
und  Hochschule  und  Vertretung  der  Mädchenerziehung  fehlen  nicht. 

Mit  dem  finanziellen  Ergebnis  kann  der  Verein  recht  zufrieden  sein.  Trotz 
Kriegsnot  konnten  in  diesem  Jahre  Spenden  in  der  Höhe  von  24000  K  und  eine 
Erbschaft  in  der  Höhe  von  beinahe  24000  K  gut  gebucht  werden.  Zu  dem  bisher 
gewährten  regelmäßigen  Unte  rstützungen  der  hohen  k.  k.  Ministerien  für  Kultus 
und  Unterricht  und  für  öffentliche  Arbeiten  trat  im  abgelaufenen  Jahre  auch  eine 
Subvention  des  hohen  n.  ö.  Landesausschusses. 

Die  Anstalt  beherbergt  derzeit  11  Zöglinge,  darunter  1  Externisten.  Der 
Unterricht  hat  bei  kleinen  Störungen  durch  Personalwechsel  seinen  regelmäßigen 
Fortgang  genommen  und  sehr  hübsche  Erfolge  erzielt.  Für  BlindenKhrer  und  Blinde 
seli)st  sei  noch  die  erfreuliche  Tatsache  verzeichnet,  daß  2  ehemalige  Zöglinge  der 
Purkersdorfer  Blindenanstalt,  Alexander  Heinz  el  und  Elise  Siegl  als  Lehrer  für 
Korbflechterei  einen,  wenn  auch  derzeit  noch  kleinen,  Verdienst  im  Taubstumm- 
blindenheim  finden  .Kneis. 

Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Generalversammlung  des  Vereines  ,,  Kriegsblin- 
denheimstätten ".  Die  Generalversammlung  des  Vereines  „Kriegs- 
blindenheimstätten",   die    am    18.  April  1.  J.  in  Wien   stattgefunden  hat, 


Seite  734.  Zeitschrift  das  für  Österreichische  Blindenwesen.  5.  Nummer. 

entrollte  ein  fesselndes  eindrucksvolles  Bild  des  überaus  segensteichen 
Wirkens  dieser  Institution.  Erzherzog-Protektor  Karl  Stephan  hielt 
zu  Beginn  der  Versammlung  eine  Ansprache  an  die  Erschienenen,  die 
das  Wesen   der  Kriegsblindenheimstätten  beleuchtete. 

Was  zunächst  die  Zahl  der  Blinden  betrifft,  führte  der  hohe  Pro- 
tektor aus,  so  befinden  sich  die  meisten  Blinden  in  Galizien.  Dieses 
Land  hat  102  Kriegsblinde,  Böhmen  86,  Niederösterreich  51,  Mähren 
42,  Tirol  und  Vorarlberg  20,  Steiermark  und  Krain  18,  Schlesien  16, 
Kärnten  und  Küstenland  14,  Dalmatien  und  die  Bukowina  45.  Natur- 
gemäß sind  die  jüngeren  Leute,  die  am  meisten  in  der  Front  sind, 
auch  am  meisten  hergenommen  worden.  Nach  dem  Berufe  klassifiziert, 
sind  213  Kriegsblinde  in  Industrie,  Handel  und  Gewerbe  beschäftigt, 
146  in  Land-  und   F'orstwirtschaft,  67  in  freien  Beruten. 

Die  Erfahrungen,  die  wir  mit  den  Kriegsheimstätten  gemacht  haben, 
waren  bis  jetzt  glücklicherweise  sehr  befriedigend.  Ich  habe  selbst  in 
verschiedenen  Provinzen  die  bereits  untergebrachten  Kriegsblinden  be- 
sucht. Sie  sind  alle  verheiratet  und  haben  alle  ein  kleines  Haus  oder 
ein  kleines  Anwesen  ;  sie  sind  relativ  wirklich  zufrieden  und  glücklich 
und  dem  Verein  unendlich  dankbar.  Das  Systein,  nicht  Häuser  zu 
bauen,  sondern  schon  bestehende  Ubikationen  anzukaufen,  hat  sich 
glänzend  bew^ährt.  Anfangs  waren  die  Verfügungen  unseres  Vereines 
bezüglich  der  Häuser  und  derea  Zueignung  an  die  Blinden  einer 
gewissen  Kritik  sowohl  seitens  des  Publikums  wie  auch  seitens  der 
Blinden  unterworfen.  Wir  sind  für  jede  Kritik  sehr  dankbar.  Denn 
Kritiken  sind  überhaupt  immer  vorteilhaft,  weil  man  dann  gezwungen 
ist,  nachzudenken  und  die  Fehler,  die  einem  die  Kritik  vorwirft,  auch 
beheben  zu  können.  Da  sind  wir  zu  dem  Schlüsse  gekommen,  daß  die 
Kritiken  hauptsächlicli  juridischer  Natur  waren.  Sie  wurden  von  unserm 
Rechtsanwalt  genau  geprüft.  Es  hat  sich  hier  um  die  hypothekarische 
Belastung  der  Häuser  gehandelt.  Das  ist  nicht  geschehen,  um  dem 
Verein  pekuniäre  Vorteile  erwachsen  zu  machen,  sondern  um  die 
Blinden  zu  schützen.  Denn  es  wäre  sehr  leicht  möglich  gewesen,  daß 
die  Verwandten  des  Blinden,  nachdem  er  eine  Heimstätte  bekommen 
hat,  ihn  gezwungen  hätten,  die  Heimstätte  zu  verkaufen  oder  unnützt 
mit  Hypotheken  zu  belasten.  Das  ist  dadurch  vollkommen  behoben 
und  die  Blinden  haben  sich  mit  dieser  Sache  vollkommen  vertraut 
gemacht.  Ich  habe  einen  Blinden  in  seiner  Heimstätte  besucht  und  da 
wurde  mir  von  seinen  Verwandten  gesagt,  ob  es  nicht  besser  gewesen 
wäre,  dem  Manne  statt  des  Häuschens  das  Kapital  in  die  Hand  zu 
geben.  Ich  glaube,  das  war  der  beste  Beweis,  wie  richtig  unsere  Ver- 
fügung war,  dies  nicht  zu  tun. 

Der  Herr  Erzherzog  sprach  sodann  im  Namen  seiner  kriegsblin- 
den Kameraden  den  Mitgliedern  des  Vereines  und  der  breiten  Öffent- 
lichkeit für  die  wahrhaft  erhebende  Betätigung  an  dem  Werke  den 
tiefgefühl festen  Dank  aus. 


i 


Herausgeber:    Zentralyerein   für  das  österreichische  Blindenwesen   in   Wien.     Redaktionskomitee:  K.   Biirklen, 
J.  Knris,   A.T.  rforvalh,   F.  Uhl.   -    Druck    ron    Adolf  Englisch,    Purkersdorf  bei  Wien. 


Aus     dem     Tä  t  i  g  ke  i  t  s  b  e  r  i  c  ht    des     Präsidenten     Koniiiierzial- 
rat     H.    Grimm     <^eln    Iiervor,    daß    das     vom     Vereine  übernommene 
Anfangsvermögen     mit    Ende     des     Vereinsjahres     1916    die  Höhe  von 
rund    1,650.000    K    erreicht    und    im    gegenwärtigen    Zeitpunkte    schon 
weit  überschritten  hat.     Der  Verein  verzeichnete  mit  Ende   1916   inso-e- 
samt  343  Stifter,  654.  Gründer  und  652  ordenthche  Mitglieder.    Gegen- 
wärtig ist  natürHcli  die  Zahl  eine  wesentlich    höhere.     Im    abgelaufenen 
, .  Vereinsjahre  wurden  insgesamt  für  15  Kriegsblinde  Heimstätten  erworben, 
"/'  deren    Anschaffungspreis    sich  zwischen   2500  bis   12.000  K  bewegt  und 
""   für    die    insgesamt    ein    Betrag    von  fast   100.000  K  ausgegeben  wurde. 
^  Im     laufenden    Jahre     wurde     schon    eine    weitaus    größere    Reihe  von 
•  Heimstätten    bewilligt    und    zum    Teile    auch  schon  angeschafft,  und  die 
i   hiefür    erforderliche    Summe    erreicht    schon    jetzt   last  den   Betrag  von 
:   400.000  K. 

Zum  Schlüsse  der  Generalversammlung  wurden  die  bisherigen 
Vorstandsmitglieder  des   Vereines  wiedergewählt. 

—  L  a  n  d  e  s  k  o  m  m  i  s  s  i  o  n  z  u  r  F  ü  r  s  o  r  g  e  f  ü  r  h  e  i  m  k  e  h  r  e  n  d  e 
^Krieger  i  n  Ob  e  r-Öst  e  rr  eich.  Am  29.  März  1917,  fand  im  Sitzungs- 

■  saale  der  k.  k.  Statthalterei  unter  dem  Vorsitze  des  neuen  Statthalters 
Graf  Meran  die  Vollversammlung  der  Landeskommission  zur  Fürsorge 
iür  heimkehrende  Krieger  in  Ober-Osterrsich  statt.  Der  administrative 
Referent  Hofrat  Graf  Rudolf  Attems  brachte  einen  Auszug  des 
umfangreichen,    höchst    lehrreichen    Berichtes    über    das  Jahr  1916  zum 

'  Vortrage,  woraus  zu  entnehmen  ist,  daß  für  die  Abteilung  „Kriegsblinde" 
ein  Betrag  von  74.000  K  der  Kommission  zur  Verfügung  steht.  Näheres 
über  die  Tätigkeit  der  Abteilung  folgt  gelegentlich  später  noch.       P. 

—  Auszeichnung  eines  Kriegsblinden.  Auf  der  Augenklinik  des 
Herrn  Prof.  Ur.  Stefan  ß  e  r  n  h  e  i  m  e  r  fand  vor  einigen  Tagen  eine  besonders 
schöne  Feier  statt.  Der  kriegsblinde  Korporal  Otto  Herzfeld,  der  bereits  zwei- 
mal mit  der  kleinen  Silbernen  Tapferkeitsmedaille  ausgezeichnet  war,  wurde  mit 
der  großen  Silbernen  Tapferkeitsmedaille  dekoriert.  Unter  den  anwesenden  hohen 
Gästen  befand  sich  auch  Se.  Exzellenz  k.  u.  k.  Feldmarschalleutnant  Nikolaus 
Fekete  de  Beta  fa  Iva,  der  den  Blinden  mit  einem  Geldgeschenk  ertreute.  In 
dem  festlich  geschmückten  Saale,  vor  dem    Bilde    des    Kaisers,    hielt    Prof.    Bern- 

;,  heim  er    eine    ergreifende    Ansprache    an    die    Versammelten    und    gab  dann  allen 
;  Verwundeten  seiner  Klinik  eine  kleine  Tatel. 

—  Ein  kriegsblinder  Offizier  alsAkademielehrer.  Wie  S.  k.  u.  k- 
Hoheit  Erzherzog  Karl  Stephan  in  der  Generalversammlung  des  Vereines 
»Kriegblindenheimstätten«  mitteilte,  hat  sich  der  kriegsblinde  Artilleriehauptmann 
Baron  J  e  d  ina -Pal  omb  i  n  I,  ein  hervorragend  intellektueller  Mann,  dem  Studium 
der  Geschichte  gewidmet.  Das  Kriegsministerium  hat  es  möglich  gemacht,  daß 
dieser  Offizier  im  nächsten  Semester  an  der  Wiener-Neustädter  Militärakademie  als 
Lehrer  der  Geschichte  für  die  Zöglinge  angestellt  und  so  auch  als  leuchtendes, 
didaktisches  Beispiel  für  die  jungen  Leute  dienen  wird. 

—  Veranstaltungen.  Konzert  der  »Wiener  Philharmoniker«  zugunsten 
des  Vereines  »Kriegsblindenheimstätten«,  am  4.  April.  Dirigent  Artur  Nikisch. 

ßalladenabend  des  Hofopernsängers  Hans  Duhan  im  Musikvereinssaale 
am  17.  April  zugunsten  der  »Kriegsblindenheimstätten«. 

—  Sammlungen  für  Kriegsblinde.  Stand  Ende  April  1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,088.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten"):  2,279.000  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  365.000  K. 

—  Reichspost:  23.600  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  55.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  22.800  K. 


von   Oskar  Picht, 
Bromherg. 

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schen  Kroniändern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leituncr. 


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verleiht  ihre   Hiichcr  kostenlos  an   alle  Blinden. 


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Direktor  Karl  Bürklen. 


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4.  Jahrgang. 


Wien,  Juni  1917. 


6.  Nummer. 


INHALT:  Der  blinde  Soldat  in  der  Lyrik  des  Weltkrieges.  Die  Kriegsblinden- 
fürsorge in  Niederösterreich  1916.  Die  Kriegsblindenfürsorge  in  Tirol.  Fragen 
bei  der  Lehrbefähigungsprüfung  für  den  Blindenunterricht.  Personalnach- 
richten. Aus  den  Anstalten.  Für  unsere  Kriegsblinden.  Bücherschau-. 
(Altes  und  Neues.     Ankündigungen). 


D 


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3  Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIII, 
g  Josef  Städterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.   [v 

OL -n 


Altes  und  Neues. 

Die  gute  Mutter  der  Blinden    von  Karin   Michaelis.* 

Jeder     von     diesen    Kriegsblinden    hat    dasselbe     durchgemacht. 
Zuerst  die  wilde  Empörung    des  Gemüts    gegen   Gott    und  Menschen^  * 
dann  den  grauen,  schrecklichen  Nebel  der  Stumpfheit    und    langsam, 
langsam   den  mühseligen   Weg  vorwärts,  aufwärts,  dem    neuen  Leben  ,: 
der'^Resignation   entgegen.    Gestern    noch    ein    strebender,    wollender, 
handelnder  Mensch,  heute    ein  Ärmster,    der    sich    selbst    aufgegeben; 
hat,  ohne  Mut  zu  leben,   ohne  Kratt  zu  sterben.   Der  Verlust  des  einen 
Sinnes     scheint    alle    die    übrigen    gelähmt    zu     haben,    stumpf,    mehr 
Tier  als  Mensch,  steigt  er  hinab  in  den  tiefen  Brunen  der  Verzweiflung. 
Aber  mit  unsagbarer  MüV^e  und  grenzenloser  Geduld  muß  die  Rettungs- 
arbeit vorgenommen  werden.  Ist  er  aus  dem  Brunnen  herausgekommen, 
muß  er  wieder  lernen  zu  sprechen   und  zu  hören,  den  Duft  der  Rosen 
und  die   Güte  der  Menschen    zu   fassen,    muß    er    lernen,    den   Willen 
zu   haben,  selbst  Mensch  unter  Menschen   zu   sein. 

Welche  Gedanken  können  nicht  in  einer  einzigen  schlaflosen 
Nacht  gedacht  werden,  wenn  man  daliegt  und  starrt  und  hinausstarrt 
in  die  horizontlose  Öde  der  Finsternis?  Obwohl  man  doch  weiß,  daß 
nach  der  Nacht  ein  Tag  mit  Licht  und  Mut  anbricht.   ... 

Müssen  sich  da  nicht  Gedanken,  schwer  wie  Berge,  über  den 
Lidern  der  armen  erloschenen  Augen  auftürmen,  hinter  deren  Läden 
selbst  der  grellste  Blitz  nicht  einen  noch  so  schwachen  Schimmer 
hervorrufen  kann. 

Wer  kennt  nicht  Breughels  Bild  von  den  Blinden,  auf  dem 
einer  von  dem,  andern  geleitet,  in  den  Abgrund  geht?  Niemals  ist 
Avohl  menschliche  Hilflosigkeit  brutaler,  wahrer,  niederbeugender 
traurig  geschildert  worden.  Für  den,  der  einmal  vor  diesem  Bilde 
gestanden  hat,  werden  das  ganze  Leben  hindurch  die  Blinden  in 
endloser  Reihe  in  den  Bach  hineinwandern,  und  man  spürt  eine 
krankhafte  Sehnsucht,  doch  ihren  Ruf  zu  hören,  wenn  der  Fall  voll- 
bracht ist  und  die  Wasser  sich  über  ihrem  armen,  von  dem 
Weh  und  der  Qual  der  Blindheit  verunstalteten  Antlitz 
schließen. 

Aber  die  Kriegsblinden  Ungarns  gehen  nicht  in  den  Bach.  Der 
eine  Blinde  leitet  nicht  den  anderen  in  den  Tod.  Eine  gute  Mutter, 
eine  schwesterliche  Freundin,  eine  herzens-  und  willenskundige,  liebe- 
volle Ratgeberin  hat  ihre  Hand  ergriffen  und  leitet  sie,  bis  sie  wieder 
festen   Grund  unter  ihren  Füßen  fühlen. 

Auf  diese  Männer,  die  erst  Pflanzen  waren,  die  mit  Wurzeln  aus- 
gerissen und  in  den  Wegestaub  geschleudert  wurden,  die  dem  Sonnen- 
brand und  dem  Zertreten  unter  den  plumpen  Füßen  der  Wanderer 
ausgesetzt  waren,  schüttet  sie  den  ganzen  Reichtum  aus  der  rinnenden 
Quelle  ihrer  Güte.  Und  siehe,  die  Pflanzen  richten  sich  auf.  Die  trok- 
kenen  Wurzeln  saugen  wieder  Saft  ein.     Neue  Keime  sprossen  empor. 

*)  Am  dem  Buche  das  „Opfer"  von  Karin  Michaelis. 


4.  Jahrgang.  Wien,  Juni   1917.  6.  Munnmer. 


i  '^ 

g  DenKriegsblinden.                                        | 

^  Ihr  habt  dem  Vaterlande  das  Licht  Eurer  Augen  geopfert.   ^ 

^  Die  Euch  bewundernde  dankbare  Bevölkerung  ist  bestrebt,  Euch   ^ 

I  durch's  Leben  zu   helfen!                             Erzherzog  Karl  Stephan.       S 

Der  blinde  Soldat  in  der  Lyrik  des 
Weltkrieges. 

Die  Tragik  der  Blindheit  hat  zu  allen  Zeiten  auf  die  Eindrucks- 
fähigkeit der  Dichter  tief  gewirkt  und  es  gibt  kaum  einen  großen 
Dichter,  der  ihr  nicht  erschütternde  Worte  geliehen  hätte.  In  der  Vor- 
stellung des  Sehenden  ist  das  Los  des  in  Dunkelheit  und  Hilflosigkeit 
dahinwandelnden  Blinden  ein  kaum  zu  überbietendes  Unglück.  Der 
Weltkrieg,  der  einer  großen  Zahl  von  Sehenden  das  Augenlicht  raubte, 
vertiefte  noch  diese  Anschauung. 

Es  ist  auch  ein  zu  krasser  Gegensatz,  der  sich  da  auftut  zwischen 
dem  in  voller  Manneskraft  gegen  seine  Feinde  ringenden  Soldaten  und 
dem  wie  vom  Blitze  plötzlich  geblendeten  hilflosen  Krieger.  »Heute  rot, 
morgen  tot«  ist  Soldatenspruch.  An  der  Leiche  des  Gefallenen  träufelt 
der  Allesbezwinger  und  Besänftiger  Tod  Balsam  in  das  blutende  Herz 
der  Trauernden.  Der  Held  hat  ausgerungen  und  nun  ist  ihm  Friede 
geworden.  Ganz  anders  wirkt  der  Anblick  des  blinden  Soldaten.  Auch 
auf  ihn  hat  der  Tod  die  Hand  gelegt,  ohne  ihn  ganz  hinwegzunehmen. 
Seine  Kraft  scheint  in  den  letzten  Fasern  gebrochen,  zum  Kind  gewor- 
den, aui  die  Mithilfe  anderer  Menschen  angewiesen,  ausgeschlossen  aus 
der  Arbeitsgemeinschaft  der  Menschheit,  abhängig  von  Mitleid  und 
Erbarmen,  erwartet  ihn  ein  langsames  unerbittliches  Sterben,  jähre-,  jahr- 
zehntelang. 

So  sieht  der  Kriegsblinde  gewöhnlich  sein  Schicksal  vor  sich,  so 
sehen    es    auch    unsere    Dichter.   Und    die  Zahl  der  Dichter,  die  in  der 


Seite  740.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  6.  Nummer. 

Lyrik  des  Weltkrieges  das  Wort  für  unsere  erblindeten  Helden  ergriffen 
haben,  ist  groß.  Es  befinden  sich  auch  die  besten  und  größten  unter 
ihnen,  welche  diesem  erschütternden  Heldenopfer  der  Erblindung  ihren 
Sängermund  leihen. 

Wenn  man  mit  jenen  Stücken  beginnt,  die  das  Schicksal  der 
Kriegsblinden  der  Allgemeinheit  zu  Herzen  führen  und  zur  Hilfstätig- 
keit für  dieselben  aufrufen  wollen,  so  ist  vor  allem  Gerhart  Haupt- 
manns > Prolog«  zu  nennen,  dessen  edle  Worte  tief  zum  Herzen 
sprechen.  Nicht  danken  wollen  sie:  *  Entweihend  wäre  Mitleid,  wäre 
Dank!«  Beruhigen  wollen  sie  über  die  Zukunft  unserer  blinden  Helden, 
die  klaglos  das  Licht  ihr^r  Augen  preisgaben,  >damit  Germaniens 
blaues  Auge  weithinstrahle  durch  die  Welt,  mit  Adlerblick  voraus  der 
stets  bereiten  Schwinge  eile.«  Der  Schluß  des  Gedichtes  : 

>Wenn  die  Fanfare  klingt,  von  den  Türmen  die  Glocken  Frieden 
rauschen  übers  Land  und  durch  das  Schnauben  königlicher  Rosse  die 
erste  Sichel  aufblitzt,  die  ein  Krieger  sich  wieder  eingetauscht  hat  für 
sein  Schwert  —  dann  sorge  jeder,  der  noch  Augen  hat,  daß  er  ihr 
Licht  in  jene  Kammern  trage,  die  sich  dem  Sonnenstrahle  nicht  mehr 
auttun  !« 

ist  zum  Ausdrucke  unserer  heißesten  Wünsche  geworden,  welche 
dieser  Krieg  gebar. 

Den  Österreichern,  die  das  Los,  das  wechselvolle,  heimkehren 
ließ  zur  väterlichen  Scholle,  die  das  gelobte  Land,  auf  dem  sie  stehn, 
betreten  durften,  doch  nicht  wie  ders  eh n,«  ruft  Ottokar  Kernstock 
tröstend  zu  : 

;»Drum  bangt  nicht,  Ost'reichs  blinde  Schwertgenossen, 
Weil  euch  der  Quell  des  Sehens  ausgeflossen! 
Die  Liebe  wird  nicht  rasten  und  nicht  ruh'n, 
Die  Liebe  wird  an  euch  ein  Wunder  tun!« 

Ein  zweiter  österreichischer  Dichter,  Mirko  J  e  1  u  s  i  c  h,  mahnt  in 
dem  Gedichte  „Blinde  Soldaten"  alle  Sehenden  : 

»Ihr,  die  ihr  froh  des  Lichts  euch  freuet, 
Ihr,  denen  hell  die  Sonne  glänzt, 
Ihr,  denen  Lenz  und  Sommer  streuet 
Der  Farben  Fülle  unbegrenzt, 
Ihr,  die  gewohnt,  die  Welt  zu  finden 
Im  klaren  Blick,  ihr,  die  da  seht  — 
Habt  ihr  bedacht  vor  diesen  Blinden, 
Wie  tief  in  ihrer  Schuld  ihr  steht?« 

Der  Wiener  Josef  Zlatnik  spendet  »Den  Kriegsblinden«  den  Trost: 

»Doch  wir,  des  Himmels  wundervollster  Gabe 
Uns  dankbar  freuend,  wollen  euer  denken, 
An  unsrer  Liebe  treuem  Wanderstabe 
Mögt  ihr  gesichert  eure  Schritte  lenken!« 

Besonders  tief  greift  das  Schicksal  der  blinden  Soldaten  in  die 
Herzen  unserer  Dichterinnen.  Lucy  A b e  1  s  ruft  im  „Blinden  Helden  aus: 


6.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenweien.  Seite  741. 

»Von  all  den  grausen  Bildern,  die  mich  quälen, 
Ist  euer  Bild  das  g^rausigste  von  allen  : 
Ihr  Armen  mit  den  leeren  Augenhöhlen!« 
Margarete  Bruch    sucht    »Für    unsere    blinden    Soldaten«    Wege, 
sehr  zarte,  stille,  Wege  zu  den  Blinden. 

»Bezwingt  der  Stimmen  Überschwang  und  Helle. 

Wir  überschreiten  eine  heilige  Schwelle. 

O  grüßt  die  Augen,  diese  toten,  leeren, 

Grüßt  sie  mit  Ernst  und  königlichen  Ehren. 

Und  eurer  Gruß  soll  stillen  Glocken  gleichen. 

Die  nächtens  schwingen  über  Weihnachtsreichen.« 
Ähnlichen  Gefühlen  geben  Ausdruck  die  Gedichte:  »Der  Kriegs- 
blinde« von  Violet  Blacker,  »Das  Auge«  von  Valeska  Cusig,  »Für 
die  erblindeten  Krieger«  von  Auguste  Poestion,  »Ein  Werk  iür  die 
Kriegsblinden«  von  Marie  Prade  und  »Bei  erblindeten  Kriegern«  von 
Gertrud  Frei  in  von  le  Fort. 

Eine  zweite  Gruppe  von  Gedichten  über  Kriegsblinde  gibt  sich 
schildernd.  »Der  Blinde«  von  Paul  Schroer,  dem  vor  Ypern  ein 
furchtbar  tückisches  Geschoß  den  letzten  Sonnenstrahl  in  ewiges  Dunkel 
bannte,  findet  in  seinem  Weibe  Licht,  Himmel,  Kraft  und  Trost. 
Der  Sieg,    den  er  sah,  verbürgt  ihm  kommendes  Glück : 

»Drum  sprecht  mir  nicht  von  Mitleid  von  den  Blinden, 
Und  daß  der  Tod  wohl  besser  sei,  als  so  zu  leben  ! 

Wir  alle  stehen  in  des  Höchsten  Hand 

Er  hat  mir  Licht  in  dunkle  Nacht  gesandt: 
Ich  seh'  das  Glück!  —  —  — « 

In  Emil  Hadina's  Gedicht:  »Der  Dreizehnte«  kehrt  in  ein 
Dörflein  in  Österreich  der  dreizehnte  von  den  Eingerückten,  »der  wie 
sein  Vater  ein  Pechfink  war«  erblindet  zurück.  K.  Dankwart  Zwerger 
schildert  in  seiner  ergreifenden  Ballade  »Die  Binde«  den  Fiebertraum 
des  Erblindeten  : 

»Kam'raden,  tut  mir  die  Binde  fort ! 

Das  war  ein   heiß'  Turnier  !« 

Kam'raden  sagten  ein  warmes  Wort, 

Die  Binde  ließen  sie  mir. 

Wir  stoben,  wir  schnoben.  Mann  wider  Mann, 

Wir  haben  ganze  Arbeit  getan  ! 

Sieg !  Sieg !  .  .  .  .  Ein  Sausen,  ein  Schrei  — 

Und  war  vorbei  .... 

So  brach  die  Nacht,  die  Nacht  herein  — 

Wann  wird  denn  wieder  Sonne  sein? 

»Im  Lazarett«  von  Rudolf  Presber  tastet  der  bhnde  Held  nach 
dem  rot-weißen  Band  auf  seiner  Brust  und  ruft  getröstet  aus  : 

»Gott  Lob,  das  Letzte,  was  ich  sah,  —  war  Sieg!« 

Ähnliches  drückt  Martha  Grosse  in   »Das  erste  Wort«   aus: 

»Die  Welt  versank.  Doch  eine  neue  hebt 
Sich  aus  den  krausen  Zeichen  und  den  Zahlen 


.Seite  742.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Biindenwesen.  6.  Nummer. 

Der  neuen   Schrift.    Die  steifen  Finger  malen 

Das  erste  Wort,  von   ihrer  Hand  belebt. 

Das  erste  Wort.  Und  einer  sitzt  und  sinnt, 

Summt  vor  sich  hin  ein  Singen  leisen   Schalles, 

Schreibt's  mühsam   nieder:   »Deutschland    über    alles«   — 

Und  d'rüber  toter  Augen  Weinen  rinnt.« 

Humorvoller  ergibt  sich  der  Blinde  in  sein  Geschick  in  »Die  zwei 
Getreuen«  von  K.  Bürklen.  »Wie  geht  es,  liebster  Kamerad  ohne 
Beine?«  fragt  er  seinen  Spitalsgenossen  und  erhält  zur  Antwort:  »Wie 
du  siehst!« 

F.  Lan  ghe  in  rieh's  Gedicht  »Geblendet«  ist  eine  furchtbare 
Anklage  gegen  einen  grausamen  und  heuchlerischen  Feind.  Fritzi  von 
Rupprecht  möchte  »Das  letzte  Bild«,  das  unsere  erblindeten  Krieger 
empfingen,  mit  weicher  Hand  aus  deren  Seele  wischen. 

»Die  Erde  und  der  Himmel  blutig  rot, 
Und  Haß  und  Grau'n   und   Wut  und  Blut  und  Tod   — 
Und  alles  jäh  von  tiefer  Nacht  umfangen.« 
Zur  Anklage  wird  das  Gedicht  »Der  BHnde«   von  Helene  Scheu- 
Riesz,  dessen  Schluß  lautet: 

»Ich  kann  nur  schluchzen,  daß  es  gellt : 

O  war'  doch  der  Haß,  der  Haß  aus  der  Welt !« 

Von  Resignation  erfüllt  ist  das  Poem  »Blind  geschossen«  von 
Helene  Brehm. 

»Nun  hockt  er  stöhnend  in  der  kleinen  Stube, 

Deckt  auf  die  leeren  Augen  seine  Hände 

Und  fragt  verzweifelt:   »Mutter,  was  soll  werden.?« 

Ihr  Auge  sieht  er  nicht.  »Sei  still,  mein  Bube!« 

Sie  tut,  als  ob  ihr  Herz  voll  Hoffen  stände. 

Die  Heldin  tröstet :   »Still  es  wird  schon  werden!« 

Eine  Anzahl  von  Gedichten  versucht  die  Empfindungen  der  blinden 
Soldaten  wiederzugeben.  Zu  den  schönsten  dieser  Art  gehört  »Der 
Erblindete«  von  Erika  R  h  e  i  n  s  c  h.  Wunderbar  fein  ist  hier  die  Stimmung 
der  einbrechenden  Dunkelheit  wiedergegeben.  Ebenso  die  Ergebung 
in  den  letzten  Zeilen  : 

»Magst  du  bunte  Welt  verblassen  ! 
Aus  dem  feurigen  Gewühl 
Kehr'  ich  schauernd  und  gelassen 
In  mein  innerstes  Gefühl.« 
Emil  Hadina  (»Der  Blinde«)  stellt  den    blinden   Soldaten    in  die 
Farben-  und  Blütenpracht  des  Frühlings, 

>>Jetzt  steht  die  Welt  in  Rosen, 
So  schön,  wie  je  zuvor. 
Die  Sommerwinde  kosen 
Und  weh'n  die  süßen,  losen 
Glutlieder  an  mein  Ohr. 


Will  in  den  Garten  gehen, 


6.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  743. 

Wo  mir  ein  Röslein  blüht. 

Zu  seinem  Dufte  werde 

Ich  tasten  mit  dem   Stab, 

Ihm  künd'  ich  mein'  Beschwerde 

Und  küß  die  dunkle  Erde, 

Für  die  ich  alles  gab  .... 
Ebenso   »Der  Blinde«   von  Hermann  Schieder: 

»Jetzt  hat  sich  das  Fenster  weit  aufgemacht.  Frühlingsduft 

Strömt  in  die  Stube  herein. 

O  Erdschollenduft ! 

Nun  müssen  Wölkchen  im  Blau  wie  zerpflückte  Baumwolle  sein. 

Unter  den  Wölkchen  bau'n  heimlich  sich  Hügel  und  Land, 

Dehnt  sich  ein  Wiesenrain,  zieht  sich  um  Ackerland  ; 

Heimat,  du  bist's!  Oh,  du  beglückst  mich  verstohlen 

Im  herben  Duft  frischer  Ackerfurchen  beim  Atemholen.« 
Hieher    gehören    auch    die   >Ballade»    von  Vida  Jeray    und   »Der 
erblindete  Soldat«  von  Burgfried    sowie    das    höchst    stimmungsvolle 
Gebet  »Mein  Weg«   von  St.  Krotte  nthaler. 

Schließlich  gab  auch  mancher  unserem  erblindeten  Helden  selbst 
»ein  Gott,  zu  sagen  was  er  leide.«  Ihr  grausiges  Erleben  läßt  sie  zu 
Dichtern  werden.  So  A.  von  Hatzfeld  mit  dem  Stücke: 

Der  Erblindete. 
Er  geht  im  Garten.  Seine  Augen  sehen 
Hinauf,  wo  hoch  am  Himmel  eine  Sonne  geht.     - 
Wird  nicht  das  Sonnenlicht  die  Augen  ihm  erlöschen? 
Doch  ruhig  wandelt  er  und  steht 
Jetzt  neben  einem  Strauch,  daraus  schon  brechen 
Die  ersten  Knospen  eines  neuen  Auferstehn's. 
Weshalb  nur  zittert  über  diese  Blüten 

Die  Hand.?  Lauscht  er  der  Weise  Kommen  und  Vergehn's? 
Weshalb  erfaßt  sein  Auge  nicht  der  Blätter  Leben 
Und  ist  noch  immer  nach  dem  Sonnenlicht  gerichtet? 
Sei  still.  Er  spricht.  Hat  er  mit  stillen  Worten 
Den  Kampf  in  seiner  jungen  Brust  geschlichtet? 
Othmar  Hub  er  wehrt  sich  noch  mit  folgenden  Zeilen  gegen  die 
Zuzäblung  zu  den  Blinden  : 

»Bedenket,  auch  ich  sah  das  leuchtende  Licht. 
Ich  bin  ja  kein  Blinder,  ich  sehe  nur  nicht  !« 
Und    Jedina     Palombini     mahnt     seine     Schicksalsgenossen     in 
Augenblicken  der  Verzweiflung  : 

»Denkt  dran,  Kameraden,  was  einst  wir  gelobt  — 
Die  Pflicht  auf  dem  Schlachtfeld  ist  nun  getan. 
Für  uns  längt  der  Kampf  um  das  Leben  nun  an  !« 
Aus  einer    weiteren  Reihe    von  Gedichten    von  Kriegsblinden    sei 
noch  eines  seines    urwüchsigen  Volkstones    wegen    herausgegriffen  und 
zwar:     »Der    blinde    Landsturmmann«,     in     der    Gefangenschaft    selbst 
zusammengestellt,     im    Wiener     Dialekt     gesungen    nach     der    Melodie 
»Verlassen,  Verlassen«  von  Koschat. 


Seite  744.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Biindenwesen.  6.  Nummer, 

»Mein  Name  ist  Georg  Bigge, 
Gebor'n  da  in  Wean, 
Mei'  Frau  und  die  Kinder, 
Die  hab'n  mi'  so  gern. 
Sie  hab'n  g'want  weil   i'  fürt  muß 
In  Feldzug  geh'n, 
Gott  waß  ob  wir  nochmals 
Uns  g'sund  wiedersehn,« 
Mit  Landsturm  Nr.   1    geht  es  gegen  Rußland. 

»Es  war  g'rad  Weihnachtsabend, 

Wir  liegen  im   Grab'n, 

Da  plötzlich  die  Russen 

Wie  verruckt  g'schossen  hab'n. 

A  Kugl  in  mein  Rucken 

A  andre  in  mein  Kopf 

Und  so  bin  ich  leider 

A  armer  blinder  Tropf.« 

Recht  drastisch  werden  die  weiteren  Erlebnisse  bis  zur  Heim- 
kehr nach  Wien  geschildert  und  echt  »wienerisch«   geschlossen: 

»Was  kann  ma'  denn  machen. 

Was  hin  is'    —    is'   hin, 

Soll  i  wana,  soll  ich  lachen  — 

Mi'   g'freut's,   i'  bin   in   Wien. 

Daß  i'  blind  bin,  i'  wan  net, 

Das  hab'  i'   ma  g'schwurn. 

Für  mein  Kaiser,  für  mein  Kaiser 

Hätt'  i's  Leb'n  gern  verlur'n!« 

Die  Kriegsblindenfürsorge  in  Niederösterreic±i  1916. 

Aus    dem    amtlichen    Berichte  der  n.  ö.  Landeskommission  zur  Fürsorge  für  heim- 
kehrende Krieger  bei  der  k.  k.  n.  ö.  Statthalterei  in  Wien. 

Das  k.  k.  Blinden-Erziehungs-Institut  in  Wien  diente  auch  im 
Jahre  1916  als  k.  u.  k.  Kriegsblindenzentrale  für  Österreich.  Im  Berichts- 
jahre fanden  in  dieser  mustergültigen,  unter  Leitung  des  als  hervorragender 
Fachmann  auf  dem  Gebiete  des  Blindenwesens  rühmlichst  bekannten 
Regierungsrates  Alexander  Meli  stehenden  Anstalt  123  Kriegsblinde 
aus  allen  Gauen  unserer  Monarchie  liebevollste  Aufnahme.  Von  dort 
wurde  eine  größere  Anzahl  früher  oder  später  nach  Maßgabe  ihrer 
Landeszugehörigkeit  in  die  Blindenanstalten  nach  Agram,  Budapest, 
Brunn,  Graz,  Klagenfurt,  Innsbruck,  Lemberg  und  Salzburg  abgegeben, 
bezw.  in  ihre  Heimat  entlassen,  eine  Anzahl  mußte  wieder  in  Spitälern 
untergebracht  werden.  Eine  große  Zahl,  darunter  die  Niederösterreicher, 
verblieb  im  Verbände  des  Blinden-Erziehungs-Institutes,  ein  kleiner  Teil 
fand  im  Kaiser  Franz  Josef-Blindenarbeiterheim  in  Wien-Baumgarten 
und  in  dem  israelitischen  Blindeninstitut  auf  der  Hohen  Warte 
Aufnahme. 

Eine  wertvolle  Ausgestaltung  erfuhr  das  k.  k.  Blinden-Erziehungs- 
Institut    durch    Erwerbung    des   Landsitzes    »Marienheim c    in    Straß  im 


6.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blitidenwesen.  Seite  745. 

Straßertale  bei  Krems,  Niederösterreich,  wo  die  der  Landwirtschaft 
angehörenden  kriegsbUnden  Soldaten  theoretische  und  praktische  Unter- 
weisung in  landwirtschaftlichen  Arbeiten  erhalten.  Diese  Expositur  des 
Blinden-Erziehungs-Institutes  steht  unter  Leitung  eines  Anstaltslehrers, 
der  auch  den  Untericht  der  Kriegsblinden  im  Lesen  und  Schreiben  der 
Blindenschrift  und  im  Maschinschreiben  erteilt.  Die  ersten  3  Kriegs- 
blinden konnten  am  8.  Februar  1916  im  Straßer  Heime  aufgenommen 
werden;  seither  ist  ihre  Zahl  auf  18  gestiegen.  Durch  diese  Einrichtung 
wird  der  bestens  bewährte  Grundsatz,  die  Kriegsbeschädigten  womöglich 
ihrem  früheren  Berufe  zurückzugeben,  auch  auf  die  Kriegsblinden  und 
zwar  mit  günstigem  Erfolge  angewendet. 

Die  in  den  Wiener  Sanitätsanstalten  untergebrachten  Kriegsblinden 
erfreuten  sich  ohne  Unterschied  ihrer  Landeszugehörigkeit  auch  im 
Jahre  1916  der  allgemeinen  Teilnahme.  So  zeichneten  Ihre  kaiserlichen 
Hoheiten  der  Herr  Erzherzog  Admiral  Karl  Stephan  und  dessen 
Gemahlin  Frau  Erzherzogin  Maria  Theresia,  Frau  Erzherzogin  Maria 
Valerie  und  Herr  Erzherzog  Franz  Salvator  das  k.  k.  Blinden- 
Erziehungsinstitut  durch  ihren  hohen  Besuch  aus,  zogen  die  Kriegsblinden 
in  der  leutseHgsten  Weise  ins  Gespräch  und  bedachten  Regierungsrat 
Meli  und  seinen  Lehrkörper  mit  Worten  der  Anerkennung  und  des  Lobes 
über  die  zum  Wohle  der  Blinden  getroffenen  Maßnahmen.  Besonders 
oft  besuchte  Seine  kaiserliche  Hoheit  Herr  Erzherzog  Karl  Stephan 
die  Anstalt,  erkundigte  sich  eingehendst  nach  dem  Lebenslauf  und 
den  Wünschen  jedes  einzelnen  Kriegsblinden  und  war  stets  mit  Wort 
und  Tat  bereit,  für  ihre  Zukunft  zu  sorgen.  So  mancher  von  ihnen  hat 
Ursache,  dieses  edlen,  warmfühlenden  Gönners  der  blinden  Krieger 
zeitlebens  dankbaren  Herzens  zu  gedenken.  Unter  anderem  gab  Seine 
kaiserliche  Hoheit  seiner  Zufriedenheit  über  die  Leistungen  der  Expo- 
situr Straß,  die  er  am  29.  März  und  26.  Oktober  1916  besuchte,  dadurch 
sichtbaren  Ausdruck,  daß  er  das  in  der  Nähe  des  »Marienheimes« 
gelegene  und  gerade  verkäufliche  »Reuterhaus«  in  Straß  samt  Grund- 
stücken ankaufte  und  dem  Institute  zum  Geschenk  machte,  damit,  wie 
sich  der  Herr  Erzherzog  selbst  äußerte,  noch  mehr  Kriegsblinden  die 
Wohltat  des  landwirtschaftlichen  Unterrichtes  zu  teil  werde. 

Auch  sonst  fanden  sich  viele  Wohltäter,  welche  insbesonders  die 
im  Blinden-Erziehungs-Institut  untergebrachten  Kriegsblinden  in  der 
freigibigsten  Weise  mit  oft  recht  ansehnlichen  Geschenken  bedachten. 
Zu  Weihnachten  wurden  die  Blinden  wie  im  Vorjahre  wieder  reichlich 
beschenkt. 

Die  Anzahl  der  in  die  Obsorge  der  n.  ö.  Landeskommission 
gehörenden  Kriegsblinden  ist  im  Jahre  1916  von  22  auf  41  gestiegen. 
Von  den  19  Kriegsblinden  sind  10  ledig  und  9  verheiratet,  von  diesen 
6  Familienväter.  Im  bürgerlichen  Leben  übten  sie  folgende  Berufe  aus: 
1  Fabriksbetriebsleiter,  1  Landwirt  mit  eigener  Wirtschaft,  1  Schuh- 
machermeister, 1  Zimmermalermeister,  1  Straßenbahnschaffner,  1  Eisen- 
bahnbediensteter, 1  Bäckergehilfe,  1  Elektromechanikergehilfe,  1  Gärt- 
nergehilfe, 1  Jäger,  1  Metalldrehergehilfe,  1  Maschinenschlossergehilfe, 
1  Orgelbauergehilfe,  T  Schriftsetzer,  1  Schuhmachergehilfe,!  Partieführer 
bei  einer  Brückenbauunternehmung,  2  landwirtschaftliche  Arbeiter  und 
1    ungelernter  gewerblicher  Hilfsarbeiter. 


Seite  746.  Zeitschritt  für  das  Östeieichische  Blindenwesen.  6.  Nummer. 

Diese  Blinden  befinden  sich  mit  geringen  Ausnahmen  noch  in 
geschlossener  Anstaltspflege  im  k.  k.  ßlinden-Erziehungs-Institut  und 
Kaiser  P>anz  Josef  Blindenarbeiterheim  in  Wien-Baumgarten,  woselbst 
sie  in  der  üblichen  Blindenausbildung  begriffen  sind.  Je  nach  ihren 
Neigungen  erlernen  sie  Maschinschreiben,  Maschinstricken,  Klavier- 
stimmen, Korbflechten  und  Bürstenbinden,  die  intelligenteren  unter 
ihnen  aiich  mehrere  dieser  Beschäftigungen  gleichzeitig.  Fast  alle  werden 
im  Lesen  und  Schreiben  der  Blindenschrift,  die  meisten  in  Musik 
(Violine,  Zither  und  Mandoline)  unterrichtet  ;  mehrere  standen  bezw. 
stehen  noch  in  landwirtschaftlicher  Ausbildung  in   Straß. 

Von  den  41  in  der  Obsorge  der  n.  ö.  Landeskommission  stehenden 
Kriegsblinden  sind  geboren  im  Jahre  : 

1897  1,  1896  3,  1895  3,  1894  1,  1893  2,  1892  3,  1891  3,  1890  3; 
1889  2,  1888  1,  1887  3,  1886  1,  1885  1,  1884  1,  1883  2,  1882  1,  1881  2, 
1880  1,  1879  1,  1877  2,   1874  1,  1873  2,  1868  1. 

Einer  großen  Anzahl  von  Kriegsblinden  konnte  nachträglich  die 
Verleihung  militärischer  Auszeichnungen  (bronzene,  kleine  und  große 
silberne  Tapferkeitsmedaille  erwirkt  werden. 

Das  unter  Leitung  des  k.  k.  Hofrates  Grafen  St  ein  ach  stehende 
Komitee  zur  Fürsorge  für  Kriegsblinde  bei  der  k.  k.  n.  ö.  Statthalterei, 
das  —  wie  bereits  im  Vorjahre  berichtet  wurde  -—  von  der  n.  ö. 
Landeskommission  mit  den  Agenden  der  ihr  obliegenden  Kriegsblinden- 
türsorgetätigkeit  betraut  ist,  wurde  bereits  im  Jahre  1914  bei  dem 
k.  u.  k.  Kriegsministerium  vorstellig,  die  Kriegsblinden  nicht  schon 
nach  der  ersten  Heilung,  sondern  erst  nach  ihrer  vollständigen  Aus- 
bildung aus  dem  Heeresverbande  zu  entlassen.  Diesem  Ersuchen  wurde 
stattgegeben  und  sind  bisher  nur  wenige  Kriegsblinde,  die  ihre  Super- 
arbitrierung selbst  verlangten,  superarbitriert  worden.  Dadurch  war  es 
dsn  in  Betracht  kommenden  militärischen  Stellen  möglich,  25  Kriegs- 
blinde in  höhere  Chargen  vorrücken  zu  lassen,  wodurch  ihre  Versorgungs- 
gebühren eine  entsprechende,  in  vielen  Fällen  recht  bedeutende  Erhöhung 
erfahren  werden. 

Wenn  sich  von  den  niederösterreichischen  Kriegsblinden  der 
größere  Teil  naturgemäß  noch  in  Ausbildung  und  geschlossener  Anstalts- 
pflege befindet,  so  konnte  doch  ein  Teil  bereits  versorgt  werden.  So 
wurden  bisher  5  Kriegsblinden  Tabaktrafiken  in  Wien,  einem  Blinden 
die  Bewilligung  zur  Führung  eines  Kinos  in  Ober-Grafendorf  verliehen, 
4  Kriegsblinde  erhielten  Kriegerheimstätten  und  zwar  in  Guntramsdorf, 
Markersdorf  a.  d.  Pielach,  Trumau  und  Mitterau  bei  Prinzersdorf  Einem 
wurden  die  auf  seinem  landwirtschaftlichen  Besitze  befindlichen  Schulden 
bezahlt  und  sein  Haus  instandgesetzt.  Einer  erhielt  eine  Strickmaschine 
und  betreibt  das  Maschinstrickergewerbe.  Einer  (Schriftsetzer)  wird 
wieder  in  dem  Betriebe,  in  dem  er  früher  in  Verwendung  stand,  be- 
schäftigt und  erhält  zu  seiner  Rangierung  einen  größeren  Geldbetrag. 
Die  für  die  Einrichtung  der  Trafiken,  die  Erwerbung  der  Heimstätten 
und  die  übrigen  angeführten  Zwecke  verausgabte  Summe  von  63.864  K 
wurde  durch  Beihilfe  des  k.  k.  Kriegsblindenfonds,  des  Kriegsblinden- 
heimstättenvereines,  des  Kriegsfürsorgeamtes,  des  Kriegsblindenfürsorge- 
komitees und  mehrerer  Wohltäter    aufgebracht.     Einige    dieser    Blinden 


6.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  747. 

erhielten  auch  Schreibmaschinen,  alle  verfügen  über  größere  Barbeträge, 
die  sie  während  ihres  Aufenthaltes  im  Blinden-Erziehungs-Institute  aus 
Stiftungen,  Institutsmitteln  oder  von  Wohltätern  erhielten.  Mehrere 
Blinde  befinden  sich  im  Kaiser  Franz  Josef-Blindenarbeiterheim  als 
Bürstenbinder  und  gedenken  auch  künftighin  in  diesem  Heime  zu  ver- 
bleiben. Einer  ist  als  Lokoinvalide  im  k.  u  k.  Invalidenhause  in  Wien 
untergebracht.  Einer  arbeitet  als  Munitionsarbeiter  im  k.  u.  k.  Arsenale. 
Eine  größere  Anzahl  Kriegsblinder  hat  sich  um  Tabaktrafiken  beworben, 
doch  steht  die  Erledigung  ihrer  Gesuche  dermalen  noch  aus ;  ein 
anderer  Teil  wieder  wünscht  die  Erwerbung  von  Kriegerheimstätten. 

Jedenfalls  wird  es  auch  im  Jahre   1917   wieder  gelingen,  eine  ent- 
sprechende Anzahl  Kriegsblinder  zu  versorgen. 


Die  Kriegsblindenfürsorge  in  Tirol. 

Hierüber  schreibt  Oberlandesgerichtsrat  i.  R.  Julius  Red:  Ver- 
möge der  besonderen  Vorschriften  wird  der  Fall  jedes  Kriegsblinden 
individuell  behandelt.  In  Tirol  wuchsen  bis  Ostern  1917  24  Fälle  der 
Landeskommission  zur  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger,  die  als 
Bindeglied  mit  dem  Kriegsblindenfonds  für  die  österreichischen  Staats- 
angehörigen der  gesamten  bewaffneten  Macht  beim  k.  k.  Ministerium 
des  Innern  in  Wien  dient,  zu.  Von  diesen  24  Kriegsblinden  stammen 
vier  aus  Deutsch-  und  neun  aus  Italienisch-Tirol.  Die  hohe  Zahl  der 
Italienisch-Tiroler  ist  daraus  zu  erklären,  daß  diese  bei  Minierarbeiten 
u,  dgl.  vorzugsweise  Verwendung  finden  und  daß  die  Erblindung  in 
den  gegebenen  Fällen  bei  dieser  Beschäftigung  erfolgte.  Die  meisten 
Tiroler  Kriegsblinden  wurden  zunächst  im  Salzburger  Landesblinden- 
heime  untergebracht,  wo  sie  das  Korbflechten  und  Biirstenbinden 
erlernen.  Für  die  Errichtung  einer  eigenen  VVerkstätte  beschafft  der 
Kriegsblindenfonds  die  Mittel  und  sorgt  auch  für  die  Beistelluug  des 
Weideumaterials.  Der  Verein  für  Kriegsblindenheimstätten  in  Wien 
bewilligte  für  jeden  Kriegsblinden,  welcher  die  Errichtung  einer 
Heimstätte  anstrebt,  die  hiezu  erforderliche  Summe.  In  einigen  Fällen 
wurden  bereits  die  Schritte  zum  Ankaufe  eines  Besitzes  eingeleitet, 
darunter  im  Bezirke  Kufstein  mit  Hilfe  des  »Tiroler  Hcldendankes,« 
welcher  überhaupt  die  ersten  Kriegerheimstätten  in  Österreich  erbaut 
hat ;  in  anderen  Fällen  muß  die  Durchführung  deshalb  aufgeschoben 
werden,  weil  die  Heimstättenbewerber  nach  der  -Heimat  trachten, 
letztere  aber  als  engeres  Kriegsgebiet  erst  nach  beendetem  Kriege 
für  diese  Zwecke  zugänglich  erscheint.  Einer  der  Kriegsblinden  wird 
im  k.  k.  Blindenerzichungsinstitut  in  Wien  als  Blindenlehrer  ausgebildet. 
Allen  Kriegsblinden  ist,  dank  der  zielbewußten  Führung  der  staatlichen 
Fürsorge,  welche  alle  Kräfte  der  privaten  Wohltätigkeit  zu  gemein- 
samen Werken  sammelt,  die  Möglichkeit  geboten,  mit  Vermeidung 
des  bleibenden  Aufenthaltes  hinter  den  Mauern  eines  Blindenheimes, 
im  Familienkreise  und  auf  eigenem  Grund  und  Boden  in  solchen 
Verhältnissen  zu  leben,  die  ihnen  Selbständigkeit  und  damit  die 
Wiedererlangung  des  seelischen   Gleichgewichtes  gewähren. 


Seile  748.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Biindenwesen.  6.    Nummer. 

Fragen  bei  der  Lehrbefähigungsprüf ung  für  den  Blindenunterridit. 

Linz,  30.  April  und  14.  Mai  1917.  Vorsitzender:  K.  k.  Landes- 
schiilinspektor  Dr.  Fr.  Rimmer,  Prüfung^skonimissär :  Direktor  Anton 
M.  Plening^er,  Beisitzender:  Direktor  J.   Haben  i  cht. 

Schrittlich:  1 .  t)ie  Entwicklung  des  österreichischen  Biindenwesen 
unter  Kaiser  Franz  Josef  I.  2.  Die  Zukunft  unserer  Kriegsblinden. 
Mündlich  :  Probeschrift  der  gebräuchlichen  Blindenschriften  mit  Lese- 
übung. Hervorragende  Blinde  aus  dem  Altcrtume.  Lebensgeschichte 
»Hellen  Keller.«  »Folgen  der  Blindheit  in  körperlicher  Beziehung,« 
»Der  Tastsinn,  anatomisch  behandelt,«  »Akkomodation  des  Auges« 
mit  Darstellungen.  > Augenverletzungen  und  Erblindungen  im  Kriege,« 
»Grundzüge  des  Lehrplanes  in  der  Blindenschule,«  Tätige  Vorführung: 
»Übungen  am  Barren  auf  ungleiche  Holmen«  durchgeführt  mit  den 
Knaben  der  IL  und  III.  Klasse  im  Freien.  Der  Kandidat  Herr  Josef 
B  a  u  m  g  a  r  t  n  e  r,  prov.  Blindenlehrer  an  der  PrivatBlinden-Lehranstalt 
in  Linz,  erhielt  einstimmig  die  Befähigung  zum   Blindenlehramt.  P. 

Personalnachridhten. 

—  Auszeichnung  nach  dem  Heldentod.  Dem  Fachlehrer 
an  der  n.  ö.  Landes-Taubstummenanstalt  in  Wien,  früher  Lehrer  an 
der  n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf,  August  Karl,  der 
als  Leutnant  i.  d.  R.  des  Landwehrinfanterieregiments  Nr.  1  einge- 
rückt war  und  den  Heldentod  gefunden  liat,  wurde  in  Anerkennung 
tapferen  und  erfolgreichen  Verhaltens  vor  dem  Feinde  der  Orden 
der  Eisernen  Krone  III.  Klasse  mit  der  Kriegsdekoration 
verliehen. 

—  Todesfall.  Am  24.  April  1917,  '/,,  4  Uhr  abends  entschlief  nach  kurzer 
Krankheit  und  Empfang  der  Krankenölun-.;  der  Werkmeister  der  Privat- Blinden- 
Lehranstalt  in  Linz  Herr  Josef  F  o  rs  ti  n  g  e  r,  nachdem  er  noch  am  weißen  Sonntag 
zuvor  mit  unseren  lieben  Rrstkommunikanten  wie  allmonatlich  die  hl.  Kommunion 
empfangen  hatte.  Herr  Forst  ingcr  war  den  vielen  Besuchern  dieser  gastlichen 
Fachanstalt  als  tüchtiger  Werkmeister  in  der  Bürstenbinderei,  Sessel-  und  Matten- 
tlechterei  allbekannt,  diente  er  doch  unter  6  Direktoren  mehr  als  44  Jahre.  Geboren 
zu  Linz,  am  2.  November  1844  als  Sohn  des  Mathias  Forstingcr,  Gastwirt  »zum 
goldenen  Lamm«,  erblindete  er  durch  Scharlach  in  seinem  7.  Lebensjahre,  kam 
L  Oktober  1854  in  die  Anstalt  und  wirkte  daselbst  in  mustergiltiger  Weise  bis 
einige  Stunden  vor  seinem  Tode.  Schon  1904  erhielt  er  die  Medaille  für  40jährige 
treue  Dienstzeit  und  im  Mai  desselben  Jahres  nach  eingehender  Inspektion  das 
silbeine  Verdienstkieuz  Seinen  Leidensgenossen  war  er  ein  mustergiltiger  Lehr- 
meister, der  Festigkeit  mit  Milde  richtig  verband.  Besonders  war  auch  sein 
Gedächtnis  ausgebildet,  das  sich  bei  der  Verrechnung  und  in  manch  anderer  Weise 
hervorragend  bewährte.  Möge  Herrn  Forstinger,  der  so  viel  auch  als  musterhafter 
Meßner  in  unserer  trauten  Kapelle  dem  Herrn"  gedient  hatte,  bald  das  ewige  Licht 
als  Lohn  erstrahlen  ! 

—  Auszeichnung.  Dem  Bibliothekar  des  k.  k.  Blinden-Erziehungs-Insti- 
tutes  in  Wien  Karl  Satzenhofer  wurde  vom  »Roten  Kreuze«  die  silberne 
Ehrenmedaille  mit  der  Kriegsdekoration  verliehen. 

Aus  den  Hnstalten. 

—  N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  Kriegsfür- 
s  o  r  g  e  k  o  n  z  e  r  t  in  Purkersdorf.  Zugunsten  der  Ortsgruppe  »Rotes  Kreuz«  ver- 
anstaltete am  5.  Mai  1.  J.  ein  Kreis  opferwilliger  Damen  im  Festsaale  der  Anstalt 
em  Wohltätigkeitskonzert,  das  von  dem  k.  k.  Hofmusiker  und  Musiklehrer 
der  Anstalt  K.  Jeraj  in  hingebungsvoller  Weise  geleitet  wurde.  Die  Leistungen 
des  Damenchores  waren  außerordentlich,  was  umso  bemerkenswerter  ist,  als  durch- 


6.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite   749. 

wegs  sehr  schwere  Werke  zur  Aufführung  gelangten,  wie  z.  B.  der  »Chor  der 
Spinnerinnen«  aus  dem  »Fliegenden  Holländer«,  »Des  Kindes  Gebet«  von  Reger. 
Sehr  fein  herausgebracht  wurde  das  »Singcrlein«  von  R.  Fuchs,  das  wiederholt 
werden  mußte.  Für  die  Fähigkeiten  des  Chores  bot  aber  die  »Ballade«  von 
K.  Jeraj  (Worte  von  Frau  V.  Jeraj),  die  das  Schicksal  eines  Kriegsblinden  behan- 
delt, den  richtigen  Mal^stab.  Das  Tonstück,  das  hiei'  zur  Uraufführung  gelangte,  ist 
voll  dramatisch  tiefgeschöpfter  Akzente  und  weist  nachdrücklichst  auf  das  eigentliche 
Gebiet  des  Tonsetzers,  auf  das  Musikdrama  hin. 

Von  den  Mitwiikenden  ist  vor  allem  die  Geigerin  Fräulein  Ella  Stiller 
hervorzuheben,  deren  reife  Kunst  den  Saal  begeisterte.  Namentlich  die  restlose 
Auswertung  des  Poesiegehaltes  in  Schumanns  »Abendlied«  offenbarte  den  hohen 
Rang  der  Künstlerin.  Wie  immer  erntete  das  selbstlose  Stieglerquartett  der 
Hofoper  für  seine  einzigartigen  Darbietungen  reichen  Beifall.  Nicht  vergessen  seien 
F'rau  Dr.  Weiß  und  Fräulein  Cibale,  die  als  Solistinnen  beim  Spinnerinnenchor 
das  ihre  zum  vollen  ausgeglichenen  Gelingen  beitrugen.  Zu  wünschen  wäre,  daß 
sich  der  Damenchor  auch  weiterhin  zu  gemeinnützigen  Zwecken  in  künstlerischer 
Arbeit  zusammen  fände. 

—  Blindenbeschäftigungsanstalt  in  Linz.  Konzert.  Die  am 
Sonntag,  den  6.  Mai  1917  stattgehabte  Musikaufführung  der  Blindenbeschäftigungs- 
anstalt in  Linz  gestaltete  sich  zu  einer  glänzenden  Feier.  Schon  der  zahlreiche 
Besuch  im  hübschen  Vortragssaale  bewies  das  rege  Interesse,  das  alle  Kreise  der 
Bevölkerung  dem  humanitären  Wirken  der  beiden  Blindenanstalten  entgegenbringen. 
Aus  der  Reihe  der  Besucher  seien  besonders  erwähnt  :  Se  Exzellenz  der  Herr 
Statthalter  Graf  Rudolf  v.  Meran,  die  Herren  Hofräte  Graf  Rudolf  A  ttem  s, 
Bihler  und  Breuer,  Landesschulinspektor  Dr.  Rimmer,  die  hochwürdigen 
Herren  Domdechant  und  Stadtpfarrer  Kolda,  Prälat  Msgr.  Dr.  Lohninger, 
Kononikus  Dr.  Rettenbacher,  Stadtpfarrer  Ludwig  von  Eferding,  ferner  die 
Mitglieder  des  Stadtschulrates  Linz  die  Herren  Sehen  feld  er  und  Schwager; 
weiters  die  Herren  Graf  Kuenburg,  Dr.  Maurhard,  Oberlandesrat  Kerbler, 
Frommherz,  Regierungsrat  Commenda,  Finanzrat  Seh  edl  usw.  nebst  vielen 
Frauen  und  Fräuleins  aus  Schul-  und  Musikkreisen.  Die  Qualität  der  Darbietungen 
befriedigte  vollauf  die  Erwartungen  der  Besucher.  In  L.  Neuhoffs  Phantasie- 
Sonate  bewies  Herr  J.  Leng  au  er  seine  Meisterschaft  auf  der  Orgel.  Das  groß- 
artige, an  Schönheiten  reiche  Werk  hätte  keine  bessere  Interpretation  finden  können. 
In  J.  Labors,  selbst  blinder  Tondichter,  Orgel-Phantasie  verband  sich  des  ge- 
nannten Spielers  Meisterschaft  mit  der  ebenbürtigen  Kunst  des  Herrn  G.  Brie  dl, 
um  den  Zuhörern  ein  an  technischen  Schwierigkeiten  wie  musikalischen  Schönheiten 
gleich  reiches  Werk  in  vollendeter  Weise  vorzuführen.  Mit  E.  Sauers  »Echo  aus 
Wien«  stellten  sich  die  beiden  Herren  dem  begeistert  lauschenden  Publikum  als 
erstklassige  Pianisten  vor.  Die  enormen  Schwierigkeiten  des  Werkes  wurden  so 
spielend  bewältigt,  daß  die  Schönheiten  des  musikalischen  Gehaltes  dieses  Werkes 
nicht  nur  nicht  litten,  sondern  erst  recht  zur  Geltung  kamen.  Die  Reinheit  des 
Spieles,  die  Exaktheit  des  Zusammenspieles  erregten  die  bewundernde  Anerkennung 
der  Zuhörerschaft.  Eine  Reihe  von  gemischten  Chören,  darunter  M.  Reg  er  s 
schwieriges  »Abendiied«,  Tinels  zartes  »Angelus«  und  herrlicher  »Sonnengesang« 
(aus  dem  Oratorium  »Franziskus«),  der  tiefsinnige  Engelchor  aus  dem  Oratorium 
»Elisabeth«  von  Liszt,  »Die  Birken  und  die  Erlen«  in  schöner  Durchführung  von 
M.  Bruch,  sowie  der  mächtig  ergreifende  Männerchor  »Landerkennung«  von  Grieg 
gaben  uns  Gelegenheit,  das  vortreffliche  Stinimateriale,  das  sich  die  Anstalt  heran- 
gebildet hat,  und  die  vor  keinen  Schwierigkeiten  zurückschreckende  Schulung 
kennen  und  vollauf  würdigen  zu  lernen.  Herr  G.  Briedl  schloß  mit  dem  »Fest- 
präludium« über  Hendels  »Seht,  er  kömmt  mit  Preis  gekrönt^;  und  der  Choral- 
Intonation  »Asperges  me«  für  Orgel  von  F.  Neuhofer  —  einem  grandiosen 
Werke  voll  unübertrefflicher  Schönheiten  —  das  Programm.  Seine  Meisterschaft, 
mit  der  er  die  Orgel  beherrscht,  ist  geradezu  staunenswert.  Die  Herren  Fachlehrer 
Georg  Wolfgruber  und  Emanuel  S  c  h  e  i  b,  welche  die  gewiß  große  Mühe  des 
Einstudierens  aller  der  vorgeführten  Musikstücke  über  hatten,  sind  zu  dem  schönen 
Erfolge  des  Konzertes,  welches  mit  dem  Absingen  der  Volkshymne  seinen  Abschluß 
fand,  herzlichst  zu  beglückwünschen.  Herr  Direktor  Konsistorialrat  Anton  P  len  In- 
ge r  kann  stolz  sein,  an  der  Spitze  eines  solchen  Institutes  zu  stehen,  das  seit 
einigen  Jahren  bereits  solch  herrliche  Vorführungen  bietet,  dessen  enorm  charitati- 
ves  Wirken  in  dieser  harten  Zeit  mehr  als  je  dankenswert  ist. 


Seite  750.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  6.  Nummer. 

Sowohl  bei  der  Hauptprobe  am  2.  Mai  wie  auch  bei  der  2.  Aufführung  am 
10  Mal  war  der  Saal  jedesmal  mit  den  Hospitanten  der  theologischen  Lehranstalt, 
der  beiden  Lehrer-  und  Lehrerinnenbildungsanstalten  und  anderen  Schulen  voll 
liesetz.  Am  16.  Mai  1.  J.  wurden  die  Verwundeten  einzelner  Linzer  Spitäler  zur 
Aufführung  geladen. 

Für  unsere  Kriegsblinden. 

Beschwer  de  von  Kriegsblinden.  Während  es  im  ersten 

Kriegsjahre  hieß,  daß  kein  Kriegsblinder  vor  Beendigung 
des  Krieges  superarbitriert  werden  würde,  erließen  die 
Militärbehörden  vor  einiger  Zeit  den  Auftrag  an  die  Landeskom- 
missionen zur  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger  zur  sofortigen 
Superarbitier  u  n  g  der  in  den  Anstalten  ausgeschulten  blinden 
Soldaten. 

Die  Veranlassung  zu  diesem  Auftrage  soll  die  Beschwerde  des 
k.  k.  Blinden-Erziehungsinstitutes  in  Wien  gegeben  haben,  daß 
Kriegsblinde  in  dieser  Anstalt  verbleiben  und  sich  nicht  der  Super- 
arbitrierung unterziehen  lassen  wollen,  obwohl  manche  unter  ihnen 
bereits  eine  Tabaktrafik  oder  ein  Haus  der  Grimm 'sehen  Aktion  er- 
halten haben.  Darauf  hin  erfloß  die  Entscheidung,  daß  Kriegsblinde, 
deren  Schulung  beendet  ist,  zu  superarbitrieren  und  aus  der  Anstalt 
zu  entlassen  seien.  Eine  Hinausschiebung  ist  nur  dann  gerechtfertigt, 
wenn  eine  im  Interesse  des  Betreffenden  eingeleitete  Wohlfahrts- 
aktion noch  nicht  zum  Abschlüsse  gelangt  ist  (Tabaktrafik,  Kriegs- 
blindenheimstätte u.dgl.)  Die  Heeresverwaltung  trägt  jedoch 
in  jedem  Falle  n  u  r  d  i  e  K  o  s  t  e  n  der  e  1  n  j  ä  h  r  i  g  e  n  S  c  h  u  1  u  n  g. 
Blinde,  die  sich  nicht  entsprechend  unterrichten  lassen  wollen  und 
hiedurch  einen  nachteiligen  Einfluß  auf  die  anderen  Kriegsblinden 
ausüben,  sind  der  zuständigen  Nachbehandlungskommission  vor- 
zustellen. 

Ist  ein  solcher  Erlaß  wirklich  vorhanden  und  wie  vertragen 
sich  seine  Bestimmungen  mit  den  Versprechungen,  die  man  uns 
seinerzeit  gemacht  hat? 

Mehrere  Kriegsblinde. 

Der  Erlaß  ist  tatsächlich  erflossen  und  im  Inhalte  richtig  wieder- 
gegeben. Wir  können  die  Zuschrift  nur  der  Öffentlichkeit  übergeben, 
um  die  zuständigen  Stellen  zu  einer  näheren  Erklärung  zu  ver- 
anlassen. 

Die   Schriftleitung. 

—  Trauung  ei.nes  Kriegsblinden.  Am  3.  Mai  1.  J.  fand  Inder  Pfarr- 
kirche zu  Guntramsdorf  bei  Wien  die  Trauung  des  kriegsblinden  k.  u.  k.  Offiziers- 
stellvertreters i.  P.  Geoj-g  Bö  gl  mit  Fräulein  Marie  Frisch  statt.  Als  Trauzeugen 
fungierten  Regierungsrat  A.  Meli  und  der  Bürgermeister  von  Guntramsdorf 
J.  Rosecker.  Die  Trauung  vollzog  in  feierlicher  Weise  Pfarrer  Czerny.  Durch 
die  Munifizenz  des  Vereines  »Kriegsblindenheimstätten«  wurde  dem  Kriegsblinden 
ein  nettes  Häuschen  samt  Garten  angekauft  und  erfreut  sich  derselbe  auch  des 
besonderen  Entgegenkommens  sämtlicher  Behörden  von  Guntramsdorf. 

—  Vortrag    eines   Kriegsblinden  für  Kriegsblinde.     Einen  ungemein 
esselnden    Vortrag    hielt    der    Wiener    Lehrer    Louis    Schmidinger    im  mittleren 

Konzerthaussaale  zu  Gunsten  der  Kiiegsblinden.  Herr  Schmidinger  ist  Feld- 
webel-Kadettaspu^nt.    Er    ist    zu    Beginn    des    Krieges    in    russische    Kriegsgefan- 

Herausgeber:    Zentralyerein  für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     Redaktionsicomitee:  K.   BUrklen^ 
J.  Kneis,  A.T.  HorTath,  F.  Uhl.  —  Druck  Ton  Adolf  Englisch,  Purkersdorf  bei  Wien. 


genschaft  geraten,  hat  zweiundzwanzig  Monate  meist  im  Lager  von  Nikolsk-Ussu- 
risiiyj  geschmachtet  und  ist  wärend  der  Kriegsgefangenschaft  erblindet.  Als  Aus- 
tauschinvalider ist  Lehre:  Schmidinger  im  Juli  v.J.  in  die  Heimat  zurückgekehrt. 
Er  hielt  in  den  letzten  Monaten  bei  einzelnen  Ersatzkörpern  der  verschiedenen 
Regimenter  Vorträge  über  seine  furchtbaren  Erlebnisse  in  Rußland.  Dem  Vortrag 
wird  allgemein  mit  großem  Interesse  entgegengesehen. 

—  Wehrschild  feier  an  der  Meidlinger  Realschule.  An  der 
Staatsrealschule  in  Meidling  fand  anläßlich  des  Geburtsfestes  der  Kaiserin  eine 
Wehrschildfeier  statt.  Der  Schild,  ein  Werk  Professor  Ulrichs,  wurde  nach  einer 
Ansprache  des  Direktors  Dr.  Ellin  ger,  einer  Aufforderung  zur  regen  Teilnahme 
am  Liebeswerk  durch  den  Religionsprofessor  Jungbauer,  dem  Vortrag  der 
eigenen  Dichtung  eines  Schülers  und  Absingung  der  Volkshymne  und  »Donau- 
wacht« mit  Begleitung  des  Schülerorchesters  der  Öffentlichkeit  übergeben.  Der 
■erste  Tag  brachte  schon  die  stattliche  Summe  von  600  K,  die  wie  alle  folgenden 
Erträgnisse  den  Kriegsblinden  zufließen. 

—  Tabaktrafik  für  einen  Kriegsblinden  in  Temesvar.  Der  in 
Blindenkreisen  sehr  bekannte  Herr  Artur  Weisz  in  Temesvar  richtete  dem  Zugs- 
führer des  61.  Inf.  Reg.,  der  an  der  italienischen  Front  gänzlich  erblindete  und 
einen  Fuß  verlor,  eine  Tabaktrafik  mit  Stempel-,  Marken-  Rauchrequisiten  und 
Schreibrequsiten -Verschleiß  ein.  Der  Besitzer  des  Hauses,  Herr  Ludwig  Weisz 
überließ  ein  Geschäftslokal  gänzlich  gratis.  Schon  in  dieser  kurzen  Zeit,  brachte 
Herr  Arthur  Weisz  dieses  Geschäft  zu  solchem  Schwünge,  daß  Jakob  Ernst 
heute  schon  einer  sorgenfreien  Zukunft  entgegensehen  kann.  Und  Jakob  Ernst 
hat  sich  überraschend  rasch  eingearbeitet  und  führt  sein  Geschäft  mit  unermüdlichem 
Eifer,  Lust,  Umsicht  und  großer  Geschicklichkeit. 

—  Veranstaltungen: 

-   Ausstellung    des    Photoklub    in    seinen    Klubräumliclikeiten    W^ien    I. 
Seilergasse  zugunsten  der  Kriegsblinden. 

—  Sammlungen  für  Kriegsblinde.  Stand  Ende  Mai  1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,100.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  2,360.000  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  380.000  K. 

—  Reichspost:  25.000    K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  55.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  23.000  K. 


Bücherschau. 

—  Arnold  Berger:  Erziehung  zur  Gemeinnützigkeit.  (A.  Haase, 
Prag,  1913.)  Dieses  vortreffliche  Buch  zeigt  die  Wege  zur  sozialen  Erziehung  unserer 
Jugend.  Der  Verfasser  hält  es  für  möglich,  daß  die  Menschen  in  ihrer  großen  Masse 
mit  tätiger  Nächstenliebe,  mit  dem  Gefühle  für  die  Verantwortung  erfüllt  werden 
können,  die  sie  auf  sich  laden,  wenn  sie  sich  der  Darbenden  und  Unglücklichen 
nicht  annehmen.  Dazu  hält  er  eigene  Unterweisungen  für  Gesinnungsbildung,  durch 
die  die  Jugend  aller  Schularten  planmäßig  zu  praktischer  Humanität,  zu  großzügigen 
sozialen  Reformen  angeregt  wird,  für  unerläßlich.  Wie  dies  geschehen  könne,  dafür 
gibt  der  Verfasser  zum  erstenmal  einen  zusammenfassenden  höchst  wertvollen  Hinweis. 
Und  stehen  die  Abschnitte  bezüglich  der  Wohltätigkeit,  der  Hilfe  für  alle  Unglück- 
lichen, zu  denen  vor  allem  die  vier-  und  dreisinnigen  Menschen  zählen,  am  nächsten. 
Wenn  hier  die  Blindenfürsorge  nur  flüchtig  und  allgemein  berührt  ist,  so  dürfte 
eine  Neuauflage  dieses  Versäumnis  wohl  gut  machen.  Das  von  flammender  Menschen- 
liebe durchwehte  Buch  sollte  in  jedes  Erziehers  Hand  sein.  Mehr  aber  noch  sollte 
sich  jeder  Erzieher  bemühen,  die  darin  niedergelegten  Grundsätze  einer  sozialen 
Jugendbildung  zur  Tat  werden  zu  lassen. 


von   Oskar  Pichte 
Bromberg. 

A  für  Punktschrift  M  85.80  B  für  gewöhnliche  Schrift  M  80.— 


^syl  für  blinde  3(in<Ser 


Wien,  XVII.,  Hernaiser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im  vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen  österreichi- 
schen Kronländern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 

Die  ..Zentpolbibliotheli  für  Blinde  in  Osterpeiclt". 

Wien  XVIII,  Währinger  Gürtel  136 

verleiht  ihie  Bücher  kostenlos  an   alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

"Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines;  Unterstützung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsverniiltlung  lür  Blinde.  Erhaltung 
per  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


Den  blinde  Modelleut». 


Littau  in  Mähren, 

empfiehlt  seine  zu  Geschenken  sich 
:  vorzüglich  eignenden  keramischen  : 
Handarbeiten.  Nähere  Auskunft  brieflich 


Fpoduhtivgenossenschaft  für  blinde 
Bürstenbinder  und  Korbflechter. 

G.  m.  b.  H. 

Wien  VIII.,    Flofiani^asse  Nr.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

Alle  Gattungen  Bürstenbinder-  u.  KorbHecbterwaren, 
Verkaufsstelle:    Wien   Vll.,  Neubau^asse  75. 


Musiliaiien  -  Leiliinstitut 


des  Blinden-Unterstützungsvereines 
»Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V., 
:  — :  Nikolsdorfergasse  Nr.  42.   :  — : 


G9 


Blindendrucknoten    werden    an      j^l 
Blinde  unentgeltlich  verliehen!      \mJ 


Gabriel  Böhm,  Wien,  II 13 


Telephon 
Nr.  45.038. 


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Bergedorf  bei  Hamburg. 

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aller  Arten. 


□ 


G 
D 
D 
D 


Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreidiische  Blinden" 
—  wesen"  für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


Schriftleitun  g 

Purkersdorf 

bei  Wien. 

Österreidiisdies 


D 
D 
D 
D 
D 
^     kontoNr.132.257     ^ 


D     Postsparkassen 


Das  Biatt  ersdieint 
monatiidi  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


PI  Bezugspreis  □ 

Q  ganzjährig  mit  q 

□  Postzustellung  n 

n  4  Kronen,  D 

n  Einzelnummer  D 

n  40  Heller.  ^ 


4.  Jahrgang. 


Wien,  Juli  1917. 


7.  Nummer. 


NHHLT:  Siegfried  flitmann.  Wien:  ita  res  video.  Die  Kriegsblindenfürsorge  in 
Oberösterreich,  Krain,  Dalmatien  und  Bukowina  1915,  1916.  Eine  neue  Erfin- 
dung im  Blindenwesen.  Personalnachrichten.  Rus  den  Anstalten.  Aus 
den  Vereinen.  Baron  Jedina-Palombini:  Wir  Kriegsblinden.  Für  unsere 
Kriegsblinden.  Verschiedenes.  Briefkasten.  (Altes  und  Neues.  Ankündigungen). 


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^"Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  Vlll, 

g  Josef  Städterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.   d 

Dlm. -min 


Altes  und   Neues. 

Die  ewigen   Wege.* 

Ich  kann  das  Wort  nicht  hören,  mit  dem  so  mancher  an  sozialen 
Aufgaben  und  sozialer  Pflichterfüllung  sich  vorüberstiehlt  —  das 
Wort:  »Was  kann  ich  da  tun?«  O  doch,  es  kann  jeder  von  uns 
etwas  tun;  es  kann  ein  jeder  von  uns  hineinhorchen  in  das  große 
traurige  Lied,  das  das  Leben  singt  und  dessen  Kehrreim  immer 
lautet,  daß  es  so  viel  Leid  gibt  auf  der  Welt  und  so  wenig  Allgemein- 
sinn für  Hilfe.  Es  kann  jeder  von  uns  hineinsehen  auf  den  ungeheuren 
Zug  der  Mühseligen  und  Beladenen,  der  tagtäglich  an  uns  vorüberzieht, 
und  heimlich  zu  seiner  eigenen  Seele  sprechen  :   »Hier  muß  ich  helfen!« 

»Wenn  dann  jene  Schar  Waisenkinder  an  mir  vorübergegangen 
ist,  so  begegnen  mir  die  Lehrer  und  Lehrerinnen,  die  zur  nahegelegenen 
Taubstummenanstalt  gehen.  Nun  muß  man  ja  nicht  lange  sinnen,  um 
eine  wehmutsvolle  Gedankenverbindung  zuwege  zu  bringen,  die  in 
dem  Begriffe  liegt:  taub,  stumm,  blind,  geistig  verkümmert, 
geistig  umnachtet.  Wie  viele  soziale  Arbeit  im  edelsten  Sinne 
des  Wortes  leisten  die  Männer  und  Frauen,  die  mit  warmen  Herzen 
und,  ich  möchte  sagen,  mit  Christusgeist  in  den  Anstalten  für  die 
Ärmsten  unter  den  Armen  heilen,  helfen,  lehren,  Existenzmöglich- 
keiten, für  das  spätere  Leben  schaffen  helfen,  soweit  sich  solche 
schaffen  lassen.  Wie  viele  Hilfskräfte  haben  sie  nötig,  zum  mindesten 
Hilfskräfte  finanzieler  Art,  —  und  warum,  steht  ihr  nicht  in  den  Reihen 
derer,  die  hier  helfen  wollen?« 

»Du  sollst  dich  also  daran  erinnern,  daß  du  eigentlich  mithaft- 
bar bist  für  deiner  Brüder  leibliche  und  geistige  Not.  Gott  wird  dich 
einmal  zur  Rechenschaft  dafür  ziehen,  warum  du  seine  Güter  geizig 
für  dich  behieltest  und  warum  du  nicht  Sorge  trägst,  daß  sie  in  den 
tausend  Kanälen  privater  und  öffentlicher  Wohltätigkeit  und  sozialer 
Hilfe  auch  deinen  Mitmenschen  zugute  kamen.  Gott  wird  dich  zur 
Rechenschaft  dafür  ziehen,  warum  du  die  Seele  deines  Bruders  und 
deiner  Schwester  in  geistigem  Siechtum  verkommen  ließest,  und  er 
wird  die  Seele  deines  Bruders  und  deiner  Schwester  fordern  aus 
deiner  Hand.« 

»Nicht  jeder  kann  helfen  in  jeder  Not.  Aber  die  Not,  die  dir 
begegnet,  gerade  dir  und  keinem  anderen,  die  ist  dir  ganz  gewiß 
von  Gott  gesandt.  Und  vielleicht  hilft  niemand,  wenn  du  nicht  hilfst, 
wenn  du  nicht  rettest,  wenn  du  nicht  leiblich  oder  geistig  eine  Tat 
der  Barmherzigkeit  vollbringst.  Vollbringst  du  sie,  dann  wird  sie  sicher 
einmal  das  Gegengewicht  sein  gegen  die  Last  der  verhängnisvollen 
Schale  an  der  Wage  des  ewigen  Gerichtes  für  deine  arme  Seele. 
Vollbringst  du  sie  aber  nicht,  —  wer  weiß  es?  —  dann  hast  du  viel- 
leicht gerade  das  nicht  getan,  was  den  Ausschlag  im  Urteile  Gottes 
über  dich  hätte  geben  können.« 

*Dr.  J,  Klug:  Die  ewigen  Wege.  (F.  Schöningh,  Paderborn.) 


4.  Jahrgang.  Wien,  Juli   1917.  7.  Mummer. 


^    »Erinnere  dich  der  Verlassenen  ^ 
^   und    eine    W^elt    geht    dir   auf!«    ^ 

jOi  JIM 

^  M.  V.  Ebner.Eschenbach.         ^ 

Ita  res  Video. 

(Aus  meiner  Mappe). 
Von  Siegfried  Altmann,  Wien. 

Prolog:  »Es    ist   ja,   bei  einem  fortschreitenden  Tun 

und  Handeln,  nicht  die  Frage,  was  einzeln  lobens- 
oder  tadelnswert,  bedeutend  oder  unbedeutend 
sei?  sondern  was  im  Ganzen  für  eine  Richtung 
genommen  worden  und  was  daraus  zuletzt  für  das 
Individuum  selbst,  für  seine  nächsten  Zeitgenossen, 
irgend  für  ein  Resultat  sich  ergeben  und  was 
daher  für  die  Zukunf  zu  hoffen  sei.«    (Goethe.) 

Blindenfürsorge:  Ein  überdefiniertes  Wort,  in  welches  man  so 
vielerlei  Sinn  hineingeschoben  bat,  daß  es  schier  anfängt  gar  keinen 
besonderen   Sinn  mehr  zu  haben. 

* 
Die    Vorzüge    der    Blindenfürsorge    sind    nur    die    Inkognitos  der 
Mängel  der  Blindenversorgung. 

* 
Von  zwei   Seiten  muß  die  BHnden fürsorgefrage  in  Angriff  genom- 
men   werden:     Die    Blindenfürsorgeverhältnisse    selbst    müssen    Gegen- 
stand   der    Reform    sein,    und    der  Blinde,  der  unter  ihnen  leidet,  muß 
Widerstands-  und  anpassungsfähiger  gemacht  werden. 

* 
Die    Blindenfürsorge    soll  der  Blindenerziehung  stets  einen   Schritt 
voraus  sein. 


Seite  756. 


Zeitschrift  für  das  östereichische  Blindenwesen. 


7.  Nummer. 


Man  soll  in  Blindentürsorgefragen  nie  kleinlich  genug  sein. 


Diejenige     Blindenfürsorge     ist     die    beste,    die    sich    überflüssig 


macht. 


Frederic  Harrison  erklärte  jeden  Tag  für  verloren,  an   dem  man: 
nicht  über  das  Los  der  Armen  und  seine  Verbesserung  nachgedacht  hatJ 

Wohltaten: 


Wohltaten,  still  und  rein  gegeben, 
Sind  Tote,  die  im  Grabe  leben. 
Sind  Blumen  die  im  Sturm  besteh'n, 
Sind  Sternlein,  die  nicht  untergeh'n. 
(Claudius  im  Wandbecker-Boten). 


j'Kriegsblindenfürsorgetee  im  Ho- 
tel Bristol  .  .  .  konzertiert  die 
beliebte  Salonkapclle  .  .  .  wie 
allwöchentlich  .  .  .  amüsant  .  .  . 
die  artistische  Leitung  liegt  in 
den  Händen  .  .  .« 


In  der  Blindenfürsorge  wird  die  Wohltat  Plage. 


»Undankbarkeit  ist  eine  Erfindung  falscher  Wohltäter« —  ist  ein 
Ausspruch,  den  —  wenn  ich  nicht  irre  — -  Multatuli  getan,  was  indes 
der  Wahrheit  desselben  keinen  Abbruch  tut. 


Intermezzo:  > Diene  dem  Ganzen,  indem  du  für  die  sorgst,, 

welche  in  irgend  einem  Sinn  dir  anvertraut  sind, 
und  hilf  dir  selbst,  so  daß  du  der  Sorge  der 
andern  nicht  bedarfst,  sondern  selbst  Sorgen  über- 
nehmen kannst.«  (Jodl.  Vom  Lebensweg.  II./49). 

* 
Der  Blindenlehrer  sei  nicht  nur  Landmann,  sondern  auch  Bergmann. 

* 
Vorsorgen  —  und  ohne  Ehrgeiz  voller  Ehre  —  sei  die  Eigenschaft, 
Vordenken    —   und    ohne    Dünkel    wissend    —  sei  das  "Merkmal,  Vor- 
kämpfen   —    und    aus    Schwerstem    helfend,    als  ob  es  nichts  wäre  — 
sei  die  Tugend  des  Blindenlehrers. 


Johann  Wilhelm.  Klein:     das    alte  Testament  des  Blindenwesens. 

* 
Ludwig    August    Fr  an  kl:    Führender  nicht  aus  Amt,  Würde  und 
Zeichen,    sondern    als  bester    Kamerad    der    Blinden ;    —    eine    schöne, 
seltene  und  glückliche  Vermählung  von  Arzt,  Dichter  und  Mensch. 


losef   Labor:    Ein    Ephesischer    Goldschmied    mit  der  fröhlichen 
Morgenröte  der  Jugend  in  infinitum  .  .  . 


Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  767. 


Univ.    med.    Dr.  Philipp  Silberstern:  Ein  Adeliger  ohne  >von«. 

Josef  Herz:  Unbeirrte  Schlichtheit  (die  wortlos  ist,  aber  voll  ein- 
facher Tat)  von  der  Art  Jan  van  Eycks,  der  auf  sein  Werk  schrieb: 
»Als  ikh  kan«   .  .  . 

* 

Wer  in  einem  physikalischen  Institut  arbeiten  will,  muß  doch 
offenbar  früher  Physik  lernen,  und  wer  unterrichten  will,  muß  früher 
Pädagogik  studieren,  —  das  ist  klar.  Nur  Blindenfürsorge  kann  man 
ohne  Erfüllung  der  notwendigsten  Vorbedingung  betreiben  .  .  . 

* 

.  .  .  ? ? 

* 

.  ,  .  Pseudofürsorger. 

* 
.  .  .  und  geistige  Farbenblindheit  gibt  es  auch:  Freund  Urian  ist 
nicht  fähig,  in   der  Blindenfürsorge  schwarz  von  weiß  zu  unterscheiden. 

* 

Augenblickliche  Devise  in  der  Blindenpädagogik:     Soviele  Köpfe, 

soviele  Sinne. 

* 

Der  Mangel  des  rechten  Zusammenwirkens  aller  vorhandenen 
Kräfte  im  Interesse  des  Zweckes  und  Zieles  konnte  es  erreichen,  daß 
die  Blindenlehrer  sich  heute  ins  Schlepptau  nehmen  ließen,  statt  als 
Führer  die  Richtung  zu  weisen,  in  der  es  vorwärts  kommen  soll. 

* 
Diese    organisative    Unerzogenheit  zeitigte  auch,  daß  selbst  ernste 
Fachmäimer  die  auserlesensten  Ideen  der  Pseudofürsorger  zu  genießen 

und  —  zu  verdauen  wissen. 

* 

Ich  bescheide  mich,  bloß  angeregt  zu  haben,  wo  bessere  Männer 
vollenden  mögen:  -.Günstige  Erfolge  zeitigt  die  Beschäftigung  von 
Kriegsblinden  bei  der  Massenherstellung  von  elektrischen  Installations- 
materialien, wie  sie  in  den  Siemens-Schuckertvverken  in  Berlin  durch- 
geführt wird.  Direktor  Perls  berichtet  darüber  auf  Grund  der  Erfah- 
rungen mit  20  Blinden  in  >Werkstatttechnik€,  H.  2.  1917:  Die  Arbeiten 
sind  teils  solche  von  Hand,  teils  solche  an  kleineren  und  größeren 
Maschinen;  Wechsel  in  der  Arbeit  hat  sich  als  vorteilhaft  erwiesen. 
Guter  Wille  seitens  des  Verletzten  und  persönliches  Interesse  des 
Arbeitsgebers  sind  Voraussetzung  des  Erfolges.  Eine  Schwierigkeit  ist 
die  Abhängigkeit  der  Blinden  von  ihren  Führern.  In  den  meisten  Fällen 
finden  sie  aber  Frauen,  die  sie  heiraten,  so  daß  sie  von  fremder  Hilfe 
unabhängig  werden.  Der  Verdienst  der  Leute  ist  nach  kurzer  Übung 
bei  Akkordlohn  etwa  55  Pf.  die  Stunde;  zusammen  mit  der  Ihnen 
zustehenden  staatlichen  Unterstützung  (ca.  114  M.  monatlich)  verdienen 
sie  also  genügend,  um  mit  ihrer  Familie  ohne  Sorge  leben  zu  können.« 


Seite  758. 


Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen. 


7.  Nummer. 


Zeichen  der  Zeit. 


Aufruf ! 

.  .  .    Kriegsblinden  , 
Erkenntnis    beseelt, 
um    eine    dauernde 
für    die    so    schwer 
handelt  .  .  . 


.  .    von    der 

daß    es    sich 

Fürsorge 

Getroffenen 


Der  Vereinsvorstand: 

Kommerzialrat  X, 
Kommerzialrat  Y, 
Kaufmann  Z. 


(Matth.  XVI/3). 

Aufruf! 

.  .  Postaphon  von  Wurfschmidt  . 
.  .  .  Finanzierung  dieser  Er- 
findung   .    .    .    Realisierung    .    . 
Geldmittel  ... 

Der  Arbeitsausschuß: 

X,  Blindenschuldirektor. 
Y,  Blindenlehrer. 
Z,  Blindenlehrer. 


Die  Sätze,  die  ich  im  Folgenden  anführe,  habe  ich  mir  aus  dem 
Autsatze  »Ein  Wort  über  Blindenbücher<  von  Museumsdirektor  Pro- 
fessor Dr.  Schramm-Leip  zig  herausgezogen,  weil  sie  mir  wertvolle 
Wahrheiten  zu  sein  scheinen:  »Im  Gutenberg-Keller  des  Buchhändler- 
hauses zu  Leipzig  ,  .  .waltet  heute  Marie  Lomn  i  t  z-Kl  amroth,  die 
Leiterin  der  Deutschen  Zentralbücherei  für  Blinde,  ihres  Amtes.  Gute, 
einwandfreie  Bücher,  darauf  kommt  es  an,  will  man  den  Blinden  wirklich 
den  Segen  des  Lesens  von  Literatur  der  verschiedensten  Art  zuteil 
werden  lassen.  Was  wird  auf  diesem  Gebiet  nicht  alles  gesündigt ! 
Gewiß,  die  da  auf  diesem  Gebiet  in  uneigennützigster  Weise  vielfach 
schaffen,  sind  vom  besten  Willen  beseelt,  das  Resultat  ist  aber  meist, 
wenn  auch  nicht  ganz,  so  doch  fast  unbrauchbar.  Und  das  liegt  weder 
im  Interesse  des  Verfassers  noch  des  Verlegers,  der  sein  Einverständ- 
nis und  seine  Erlaubnis  zum  Herstellen  seiner  Werke  in  Blindenschrift 
gegeben  hat.  Der  Blinde  muß  auch  von  den  in  Braille-Schrift  herge- 
stellten Werken  den  Eindruck  haben,  daß  der  Verleger  alles  getan  hat, 
um  ein  einwandfreies  Buch  dem  Publikum  zu  bieten,  daß  es  dem  Ver- 
fasser in  jeder  Beziehung  mit  seinem  Buch  Ernst  gewesen  ist.  Inhaltlich 
bis  aufs  kleinste  genau  und  unmißverständlich  muß  das  Buch  auch  in 
Blindenschrift  vorliegen,  ja,  selbst  die  Ästhetik  des  Buches  darf  nicht 
außer  Acht  gelassen  werden.  Wenn  manche  Verleger,  manche  Verfasser 
wüßten,  wie  ihre  Bücher  in  Blindenschrift  voller  Unstimmigkeiten,  ja 
Widersinnigkeiten  wiedergegeben  sind,  sie  würden  ihre  Erlaubnis  nie 
und  nimmer  geben. 

Zur  Herstellung  eines  Buches  in  Blindenschrift  gehört  wahrlich 
mehr  als  die  Kenntnis  des  Blinden-Alphabets  und  guter  Wille.  Eine 
Unsumme  von  Momenten  will  beachtet  sein,  soll  ein  wirklich  einwand- 
freies Buch  entstehen.  Marie  Lomnitz-Klamroth  hat  in  jahrelanger 
Praxis  gefunden,  was  not  tut,  und  ein  festumrissenes  System  geschaf- 
fen, das  heute  in  einer  schmucken  Broschüre  unter  dem  Titel  »Anleitung 
fiir  handschriftliche  Übertragungen  in  Punktschrift«  vorliegt.  Was 
die  Praxis  ihr  an  Erfahrungssätzen  an  die  Hand  gegeben  hat,  hat 
sie     hier     zusammengefaßt.    Blinden-Literatur,    die    nicht     auf    dieser 


7.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Bhndenwesen.  Seite  759. 

Grundlage  hergestellt  ist,  sollte  heute  überhaupt  nicht  melir  ausge- 
geben werden.  .  .  .  Was  nützen  all  die  Neugründungen  von  Blinden- 
büchcreien,  von  Druckereien  und  Abschreibergruppen,  wenn  den 
betreffenden  Personen  jegliches  Verständnis  und  jegliche  Kenntnis 
der  elementarsten  Grundsätze  des  Blindenbuches  abgehen !  Auch 
hier  tut  Fachkenntnis  bitter  not.  Fort  mit  aller  Wohltätigkeitsduselei 
auch  auf  diesem  Gebiet !  Man  schaffe  auch  hier  Kulturwerte  !  Verfasser 
wie  Verleger  sorge  in  Zukunft  mit  dafür,  daß  nur  noch  Brauchbares 
herausgegeben  wird!«,.   .   . 

* 

Blindenfürsorge :  das  Wort  ist  nicht  übel.  Wollte  nur  die 
Sorge  nachkommen. 

* 

Es  gehört  zu  den  vornehmsten  Aufgaben  des  Blindenlehrers, 
die  Zöglinge  zur  Freude  zu  erziehen,  d.  h.  sie  fähig  zu  machen,  die 
Kunst  zu  üben,  sich  zu  freuen.  Die  Freude  ist  für  das  geistige 
Wohlbefinden  aller  Menschen  unsagbar  nützlich.  Und  in  der  Blinden- 
schule heißt  die  starke  Schwungkraft  für  die  Tat  des  ersten  Wurfes 
und  die  Tat  der  letzten  Hand  :   Freude. 


Die    Gründung    der    Blindenfürsorge    auf    die    Blindenerziehung 
ist   nur  eine  verkehrte  Konstruktion. 


Epilog:  »Mir  ist  alles  lieb  und  wert,  was  treu  und 

stark  aus  dem  Herzen    kommt,    mag's    übrigens 
aussehen  wie  ein   Igel  oder  wie  ein  Amor.« 

(Goethe,  Briefe.) 


Die  Kriegsblindenfürsorge   in    Oberösterrerdi,   Krain,  Dalmatien 
und  Bukowina  1915,  1916. 

O  ber Österreich :  Mit  dem  grundlegenden  Erlasse  des  k.  k. 
Ministeriums  des  Innern  vom  29.  Oktober  1915,  ZI.  22.981/M.  I., 
wurden  die  Landeskommissionen  als  Bindeglieder  zwischen  dem 
Kuratorium  des  beim  genannten  Ministerium  errichteten  Kriegsblinden- 
fonds  und  den  einzelnen  Kriegsblinden  ausersehen  und  hat  die 
oberösterreichische  Landeskommission  auf  Grund  der  Direktiven  des 
k.  k.  Ministeriums  des  Innern  und  im  Einvernehmen  mit  dem  Kuratorium 
des  Kriegsblindenfonds  die  im  Jahre  1915  begonnene  Organisation 
der  Kriegsblinden-Fürsorgetätigkcit  in  Oberösterreich  im  Berichtsjahre 
1916  weiter  fortgesetzt  und  ausgestaltet. 

Den  so  überaus  notwendigen  persönlichen  Verkehr  mit  den 
Kriegsblinden  des  Landes  hat  das  Mitglied  des  Schul-  und  Arbeits- 
ausschusses der  oberösterreichischen  Landeskommission,  Hochwürden 
Herr  Konsistorialrat  Anton  Pleninger,  Direktor  der  Privatblinden- 
anstalt in  Linz,  übernommen,  wodurch  die  oberösterreichische  Landes- 
kommission in   die  Lage  versetzt  wird,  jedem   einzelnen  KriegsbUnden 


Seite  760.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  7.  Nummer.    ^ 

mit  Rat   und  Tat  beistehen    und    für    die    künftige   Gestaltung    seines 
Lebensweges  Vorsorge  treffen  zu  können. 

Bis  zum  Schlüsse  des  Berichtsjahres  1916  sind  der  oberöster- 
reichischen Landeskommission  11  Kriegsblinde  gemeldet  worden, 
wovon  1  Mann,  als  nach  Steiermark  zuständig,  in  die  Obsorge  der 
steiermärkischen  Landeskommission  abgegeben  wurde. 

Mit  2  von  den  angemeldeten  Kriegsblinden  war  eine  Fühlung- 
nahme nicht  erforderlich,  da  dieselben  infolge  anderweitiger  Versor- 
gungsmöglichkeit die  Obsorge  der  oberösterreichischen  Landes- 
kommission überhaupt  nicht  angestrebt  haben. 

Von  den  übrigen  8  aus  Oberösterreich  stammenden  Kriegsblinden 
haben  5  über  Veranlassung  der  oberösterreichischen  Landeskommission 
die  Ausbildung  in  der  Bürstenbinderei  des  k.  k.  Blinden-Erziehungs- 
institutes  in  Wien,  II.,  erhalten,  wovon  3  in  Oberösterreich  als 
Bürstenbinder  verbleiben  AvoUen,  während  1  sich  bereits  in  Wien  als 
selbständiger  Meister  niedergelassen  hat  und  1  in  Niederösterreich 
zu  verbleiben  gedenkt ;  die  beiden  letzteren,  sowie  ein  in  Oberösterreich 
ansässiger  Kriegsblinder  haben  die  Obsorge  der  oberösterreichischen 
Landeskommission  hinsichtlich  ihrer  weiteren  Versorgung  bisher  noch 
nicht  angestrebt. 

Mit  der  am  1.  Mai  1916  erfolgten  Eröffnung  des  Landes-Blinden- 
heims  in  Salzburg  haben  nach  den  bestehenden  Vorschriften  die  aus 
Oberösterreich,  Salzburg,  Tirol  und  Voralberg  stammenden  Kriegs- 
blinden in  dieser  Anstalt  die  Ausbildung  durchzumachen  und  hat 
die  oberösterreichische  Landeskommission  dermalen  3  Kriegsblinde 
daselbst  zur  Ausbildung  als  Bürstenbinder  untergebracht. 

Unterstützungen  seitens  der  Landeskommission  genießen  von 
den  erwähnten  8  Kriegsblinden  4  Mann,  und  zwar  die  erwähnten  3 
außerhalb  einer  Anstalt  ansässigen  in  Form  von  monatlichen  Beiträgen, 
während  ein  im  Blindenheim  in  Salzburg  bis  zu  seiner  weiteren  Ver- 
sorgung untergebrachter  Kriegsblinder  vorläufig  eine  Schreibmaschine 
erhalten  hat.  Weiters  wurden  noch  Beträge  für  Krankenkosten  und 
Werkstätteneinrichtung  geleistet. 

Krain:  Die  Landeskommission  hat  sich  mit  den  bei  ihr  für 
Zwecke  der  Kriegsblindenfürsorge  einlaufenden  Spenden  dem  Kriegs- 
blindenfonds  für  die  österreichischen  Staatsangehörigen  der  gesamten 
bewaffneten  Macht  in  Wien  angeschlossen,  welchem  die  im  Berichts- 
jahe  eingelangten  Gelder  im  Gesamtbetrage  von  5868  K  74  h  nach 
Ablauf  jedes  Kalendervierteljahres  eingesendet  wurden.  Die  Tätigkeit 
der  Landeskommission  hatte  sich  daher  in  diesem  Fürsorgezweige 
auf  die  fortlaufende  Evidenzhaltung  aller  im  Lande  befindlichen,  aus 
der  Spitalspflege  bereits  entlassenen  Kriegsblinden,  auf  die  gelegent- 
liche Gewährung  dringender  kleinerer  Unterstützungsbeträge  aus  den 
hiefür  gewidmeten  Spenden,  Vermittlung  von  Arbeitsgelegenheiten, 
dann  auf  die  Berichterstattung  über  Unterstützungen  und  auf  die 
fallweise  Beantragung  sonstiger  Fürsorgemaßnahmen  für  einzelne 
Kriegsblinde  an  den  Vorstand  des  Kriegsblindenfonds  in  Wien  zu 
beschränken. 

Auf  Grund  der  abgegebenen  Gutachten  wurde  über  Antrag  der 
Landeskommission    zur    Auszahlung    von    einmaligen  Unterstützungen 


7.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seile   761. 


sowie  als  Ersatz  der  Kosten  der  Reise  zur  fachärztlichen  Untersuchung 
an  die  als  bedürftig  erkannten  Kriegsblinden  im  Berichtsjahre  ein 
Betrag  von  5000  K  vom  Wiener  Kriegsblindenfonds  zur  Verfügung 
gestellt. 

Außerdem  erhielt  der  auf  beiden  Augen  erblindete  Johann 
Urbanc  in  Drnovo.  Bezirk  Gurkfeld,  für  die  Herstellung  der  Wohn- 
und  Wirtschaftsgebäude  eine  Unterstützung    im  Betrage  von  2000  K. 

Im  übrigen  wurden,  wie  schon  erwähnt,  besondere,  ein  sofor- 
tiges Eingreifen  bedingende  Fälle,  dem  Vorstande  des  Wiener  Fonds 
berichtlich  zur  Kenntnis  gebracht. 

Im  Berichtsjahre  wurden  im  Lande  59  Kriegsblinde,  darunter 
nur  3  auf  beiden  Augen  Erblindete,  gezählt,  von  welchen  43  sich 
zur  oberwähnten  fachärztlichen  Untersuchung  einfanden.  Die  Unter- 
bringung in  einem  Blindeninstitute  wurde  in  einem  Falle  zwar  versucht, 
scheiterte  jedoch  an  dem  passiven  Widerstände  des  Blinden  und 
seiner  Familie. 

Dalmatien:  Was  die  Fijrsorge  für  die  Kriegsblinden  betrifft, 
so  sind  der  Landeskommission  bis  Ende  der  Berichtsperiode  Ausweise 
über  drei  derartige  Fälle  zugekommen.  Ein  Kriegsblinder  wurde  in  der 
Odilien-Blinden-Änstalt  in  Graz,  ein  zweiter  in  der  Abteilung  für 
kriegsblinde  Soldaten  der  Blindenanstalt  des  St.  Veit-Vereines  in 
Zagreb,  im  Bürstenbinden  unterrichtet.  Beide  sind  nach  der  Superar- 
bitrierung in  die  Heimat  entlassen.  Die  Kommission  bemüht  sich 
gegenwärtig,  denselben  eine  BUrstenbinderei  einzurrichten  und  ihnen 
mit  Hilfe  des  Kriegsblindenfonds  ein  bescheidenes  Anliegen  zu 
verschaffen.  Der  Dritte,  bei  dem  noch  Reste  eines  Sehvermögens 
vorhanden  sind,  wurde  von  der  genannten  Blindenanstalt  in  Agram 
einer  geeigneten  Nachbehandlung  zugeführt. 

Bukowina:  Für  die  Unterbringung  von  erblindeten,  eventuell 
auch  taubstumm  gewordenen  Invaliden  wurde  das  Blinden-  nnd 
Taubstummeninstitut  in  Czernowitz  in  Aussicht  genommen,  welches 
Raum  für  40 — 50  Personen  bietend,  dem  bezüglichen  Bedarfe  eine 
angemessene  Subventionierung  vorausgesetzt,  voll  und  ganz  entsprechen 
■würde.  An  Kriegsblinden  wurden  fünf  Invalide  in  Evidenz  genommen, 
von  denen  vier  vorläufig  im  k.  k.  Blindenerziehungsinstitut  in  Wien  IL, 
untergebracht  sind,  während  beim  fünften  (Karl  Häkel)  neben  der 
gänzlichen  Erblindung  eine  anscheinend  unheilbare  Geisteskrankheit 
konstatiert  wurde. 


Eine  neue  Erfindung  im  Blindenwesen. 

So  nennt  Hofrat  Professor  Dr.  F.  Dimmer  ein  Vervielfältigungs- 
verfahren, das  Dr.  M.  Herz,  der  Erfinder  der  sogenanten  »Klang- 
schrift«, für  den  Punktdruck  entdeckt  hat  und  gibt  folgendes  darüber 
bekannt. 

»Während  bisher  bei  dem  Brailleschriftdruck  die  Buckel  aus 
dem  Papier  durch  Zinkplatten  herausgepreßt  wurden,  erzielt  Herz 
die    Erhabenheiten    auf    dem    Papier    durch    Auftragen  einer  fremden 


Seite  762.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenvvtsen.  7.  Nummer. 

Masse  aul  das  Papier  mittels  einer  darauf  gelegten  Schablone.  Hie- 
durch  wird  es  ermöglicht,  jedes  dünne  und  billige  Papier,  selbst 
Makulatur,  zu  verwenden,  und  zugleich  bleibt  die  Schablone  für  die 
Anfertigung  beliebig  neuer  Exemplare  des  Buches  erhalten.  Die 
Schablone  wird  aus  dünnem,  geöltem  oder  irgendwie  wasserdicht 
gemacht^;!  Papier  oder  aus  Zelluloid  derart  hergestellt,  daß 
man  sie  entsprechend  den  Zeichen  der  Brailleschrift  durchlocht. 
Hiezu  hat  der  Erfinder  einen  sehr  einfachen  Apparat  konstruiert,  der 
aus  zwei  init  einem  Gelenk  scharnierartig  verbundenen  länglichen 
Stahlplatten  besteht,  welche  die  Brailleschriftzeiehen  als  Löcher,  die 
in  beiden  Platten  korrespondieren,  enthalten.  Das  zur  Ausführung 
der  Schablone  bestimmte  Blatt  wird  zwischen  die  Platten  gelegt  und 
die  r^öcher  werden  in  dem  Blatte  durch  Einführen  eines  Griffels  in 
die  Löcher  der  Stahlplatten  erzeugt.  Die  fertige  Schablone  wirci  dann 
auf  das  zu  bedruckende  Blatt  gelegt  und  mit  einer  dicklichen,  an 
der  Luft  erhärtenden  Masse  bestrichen,  welche  aus  Dextrin,  Kleister, 
Gummiarabikum  oder  Mischungen  dieser  Substanzen  oder  auch  aus 
Druckerschwärze  besteht.  Die  Masse  dringt  durch  die  Löcher  der 
Schablone  ein  und  verklebt  an  diesen  Stellen  mit  dem  darunter  lie- 
genden Papier.  Nach  Abziehen  der  Schablone  hat  man  ein  Papier 
vorsieh,  welches  die  Brailleschen  Schriftzeichen  als  tastbare  Buckel  zeigt. 
Durch  diese  sehr  einfache  und  billige  Methode  gelingt  es,  den 
Druckereibetrieb  für  Blindenschriftbücher  zu  dezentralisieren 
und  zu  einer  Hausindustrie  zu  gestalten.  Die  ganze  Ausrüstung 
einer  solchen  Druchcrei  kostet  nicht  mehr  als  zirka   150  Kronen. 

Es  hat  iinmcr  P'rauen  gegeben,  welche  sich  höchst  verdienstlich 
damit  beschäftigt  haben,  Bücher  für  Blinde  in  Brailleschrift  abzu- 
schreiben. Durch  die  Erfindung  des  Dr.  Herz  wird  es  ihnen  inöglich, 
Abzüge  zu  machen,  also  gleichsam  eine  Druckerei  für  Blindenschrift- 
bücher zu  etablieren.  Außerdem  verbleiben  die  für  jedes  Buch 
angefertigten  Schablonen  für  spätere  Abdrucke  und  stellen  einen 
dauernden  und  wertvollen  Besitz  der  Blinden  dar,  der  entsprechend 
der  Nachfrage,  die  nach  den  einzelnen  Werken  unter  den  Blinden 
herrscht,  später  zu  neuen  Auflagen  der  Bücher  benützt  werden  kann. 
Die  Leistungsfähigkeit  einer  solchen  häuslichen  Blindenschriftdruckerei 
ist  groß.  Je  nach  Geschicklichkeit  und  Fleiß  lassen  sich  in  einem 
Tage  etwa  500  Blatt  und  mehr  herstellen. 

Der  unter  dem  hohen  Protektorat  des  Erzherzogs  Karl  Stephan 
und  unter  Leitung  des  Präsidenten  des  Technischen  Versuchsamte» 
Exzellenz  Wilhelm  Exner  stehende  Verein  »D  ie  Te  chnik  für  die 
Kriegsinvaliden«  hat  sich  in  werktätigster  Weise  der  Herz'schen 
Erfindung  angenommen.  Es  werden  seitens  des  Vereines  in  seinen 
Werkstätten  Bücher  für  Blinde  auf  die  hier  geschilderte  Weise  her- 
gestellt. Der  Verein  unterstützt  ferner  die  häusliche  Arbeit,  das  heißt 
die  Einrichtung  von  Hausdruckereien  durch  Unterricht  in  dem  Ver- 
fahren, durch  Hersfellung  und  Vertrieb  der  sehr  einfachen  Apparate 
zum  Schablonieren.  Eine  sehr  wichtige  Gründung  ist  ein  Blinden- 
stan  zendr  u  ck  archi  V,  das  in  den  Räumen  des  genannten  Vereines 
aufgestellt  wird.  Es  sollen  dort  alle  durch  die  Arbeit  in  den  Vereins- 
lokalitäten   und    in  den   Heimwerkstätten  gewonnenen   Schablonen  für 


7.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  763. 

spätere  Benützung  aufbewahrt  werden.  So  wird  ein  Zentrum  geschaffen, 
an  das  sich  die  Blinden  selbst,  sei  es  direkt,  sei  es  durch  die 
Blindenanstalten  und  Blindenvereine,  behufs  Erlangung  weiterer 
Abzüge  bestimmter  Werke  werden  wenden  können.« 

Wir  stehen  also  abermals  vor  einer  Erfindung  des  Herrn 
Dr.  Herz,  und  sehen,  wie  sich,  sicher  in  der  wohlmeinendsten  Weise, 
Hofrat  Dr.  Dimmer  wie  der  Verein  »Die  Technik  für  die  Krieg- 
invaliden«  dafür  einsetzen  und  sie  ins  Leben  zu  rufen  suchen. 
Das  geschah  seinerzeit  bei  der  »Klangsschrift«  desselben  Erfinders 
ebenso,  obwohl  wir  heute  sagen  müssen,  daß  diese  Erfindung 
entgültig  abgetan  ist.  Unser  sachliches  Urteil  sagte  dieses  Ereignis 
voraus.  Nun  müssen  wir  uns  notgedrungen  auch  mit  der  neuen  Er- 
findung befassen  und  geben  vor  allem  unserer  Verwunderung  Aus- 
druck, daß  mit  einer  Sache,  die  noch  gar  nicht  spruchreif  ist,  wieder 
in  dieser  Art  vor  die  Öffentlichkeit  getreten  wird.  So  freudig  wir 
jedes  Interesse  für  die  Blindensäche  und  jede  neue  Erfindung  im 
Blindenwesen  begrüßen,  müssen  wir  doch  auch  jetzt  wieder  fragen: 
»Welches  Urteil  haben  die  Blinden  und  die  Fachleute  des  Blinden- 
wesens  über  den  neuen  Blindendruck?  Ist  der  neue  Schriftdruck  von 
Blinden  gelesen  worden  und  welche  Erfahrungen  wurden  damit 
gemacht  und  seit  welcher  Zeit?«  Welche  Bedingungen  berechtigen 
den  Verein  »Die  Technik  für  die  Kriegsinvaliden«  zu  derartig  hoch- 
fliegenden Plänen   in   dieser  Sache?« 

Wir  leben  in  einer  Zeit,  welche  die  Arbeitsgebiete  vielfach 
verschiebt.  Aber  wohin  soll  es  kommen,  wenn  sich  Arzte  und  Tech- 
niker mit  Blindendruck  und  Kommerzialräte  mit  Kriegsblindenheim- 
stätten beschäftigen,  während  sich  Blinde  und  Blindenpädagogen  mit 
Beschaffung  von  Geldmitteln  für  eine  technische  Erfindung,  wie  das 
»Postaphon«  befassen  müssen?  Und  das  alles  ohne  gegenseitige 
Fühlungnahme,   ohne  gedeihliches  Zusammenwirken! 

Unser  Urteil  über  das  neue  Druckverfahren  der  Punktschritt 
wollen  wir  von  einer  sachlichen  Prüfung  abhängig  machen,  obwohl 
wir  jetzt  schon  sagen  müssen,  daß  die  Erfahrungen  mit  früher  ganz 
ähnlicli  hergestellten  Reliefschriften  für  Blinde  an  der  Verwendbarkeit 
stark  zweifeln  lassen.  Verwahren  möchten  wir  uns  aber  gegen  den 
Versuch,  unsere  für  Übertragung  von  Blindendruck  mühsam  gewonne- 
nen Frauen  ihrer  erprobten  Aufgabe  abwendig  zu  machen,  bevor  die 
neue  Erfindung  auf  halbwegs  sicherem  Boden  gegründet  ist,  denn 
wir  wollen  nicht  Schaden  davontragen,  wo  der  Sache  nicht  genützt 
werden  kann.  Darüber  helfen  uns  auch  die  hochflegendsten  Ankün- 
digungen  und  Versprechungen  nicht  hinweg. 


Personalnachrichten. 

—  Am  12.  Juni  d.  J..  fanden  in  Klosterneuburg  an  der  kirchenmusikalischen 
Abteilung  der  k.  k.  Akademie  für  Musik  und  darstellende  Kunst  die  Reife-PrüfunL^en 
statt.  Unter  den  8  Kandidaten  befand  sich  auch  Karl  Bar  tos  der  von  1908—1915 
Z()gling  der  n.  ö.  Landesblindenanstalt  in  Purkersdorf  war. 

Am  25.  September  19l5  wurde  Bar  tos  auf  Grund  einer  Aufnahmsprüfung 
in  den  II.  Jahrgang  der  kirchenmusikaHschen  Abteilung  der  Akademie  aufgenommen. 


Seite  764.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  7.  Nummer. 

Nach  zwei  Jahren  eifrigen  Studiums  hat  nunmehr  der  strebsame  junge  Mann  die 
Reifeprüfung  als  R  eg  erusc  h  or  i  und  Gesangslehrer  mit  gutem,  die  Prüfung 
als  Organist  mit  ausgezeichnetem  Erfolge  abgelegt.  Wir  beglückwünschen 
Karl  Bar  tos  zu  diesem  schönen  Ergebnis  seines  beharrlichen  Fleißes  und  freuen 
uns  mit  ihm,  daß  es  ihm  gelang,  sein  vorläufig  gestecktes  Ziel  zu  erreichen.  Der 
Fall  hat  aber  noch  eine  über  das  persönliche  Moment  hinausgreifende  prinzipielle 
Bedeutung  :  zum  erstenmal  hat  es  sich  ereignet,  daß  der  Zögling  einer  Blinden- 
anstalt in  einer  staatlichen  Musikhochschule  Aufnahme  fand,  sie  absolvieren 
konnte  und  von  ihr  ein  staatsgültiges  Zeugnis  erhielt. 

Wir  müssen  der  Hoffnung  Ausdruck  verleihen,  daß  dieser  Fall  nicht  verein- 
zelt bleibe.  Für  die  Ausbildung  blinder  oder  schwachsichtiger  Musiker  eröffnen  sich 
alsdann  neue,  weite  Perspektiven. 

Möge  es  Herrn  Karl  Bar  tos  recht  bald  vergönnt  sein,  ein  seinen 
Kenntnissen  und  Fähigkeiten  angemessenes  Arbeitsfeld  zu  finden,  um  sich  eine 
Lebensstellung  zu  schaffen,  die  ihn  gegen  die  kleinlichsten  Alltagssorgen  ausrei- 
chend sichert. 

Aus  den  Anstalten. 

—  Asyl  f;ir  blinde  Kinder  in  Wien  XVII.  Der  vom  Vereine  für 
»Kinder-  und  Jugendfreunde«  in  der  Generalversammlung  am  4.  d.  M.  erstattete 
Bericht  zeigte,  wie  inmitten  der  Vernichtung  des  Krieges  im  »Asyl  für  blinde 
Kinder«  Werke  der  Tröstung,  Heilung  und  Wieder-autrichtung  an  den  ärmsten  aller 
Kinder  geübt  werden.  Seit  den  36  Jahren  seines  Bestandes  wurden  daselbst  Hun- 
derte von  diesen  Kindern  des  Elends  vereinigt,  um  ihnen  die  sorgsamste  Pflege, 
die  liebevollste  Erziehung  zuteil  werden  zu  lassen.  Während  der  Kriegszeit  gewann 
diese  segensvolle  Einrichtung  noch  erhöhte  Bedeutung,  denn  heute  beherbergt  das 
Asyl  auch  eine  Anzahl  von  kriegsbetroffenen  blinden  Waisenkindern.  Nach  einer 
von  Dechant  W.  Binder  gegebenen  Anregung  sollen  in  der  Zukunft  auch  taub- 
stumme und  schwachsinnige  Kindern  in  den  Wirkungskreis  des  von  Frau  Jenny 
Pupovac  in  mustergiltiger  Weise  geleiteten  Asyles  gezogen  werden. 

An  Stelle  des  verstorbenen  kais.  Rates  S.  Gerber  wählte  die  Generalver- 
sammlung Direktor  K.  Bürklen  zum  Obmanne  und  Architekt  J.  Fröhlich  zum 
Stellvertreter.  Eine  Dankcssrh'ild  wurde  an  die  seit  der  Gründung  dem  Vereine 
angehöligen  verdienstvollen  Mitglieder  kais.  Rat  Direktor  S.  Heller  und  Buch- 
drnckereibesitzer  R.  Spies  durch  Ernennung  zu  Ehrenmitgliedern  abgetragen. 

—  Die  Odilien-Blindenanstalt  für  Steiermark  im  Jahre  1916. 
Der  vom  Odilienvereins-Ausschusse  ausgegebene  Bericht  verzeichnet  in  dem  von 
Direktor  Dr.  J.  Hartinger  geleiteten  Anstalten  nachstehende  Zahl  von  Pfleg- 
lini.en. 

Erziehungsanstalt:  37  Knaben,  33  Mädchen  =  70  Zöglinge 

Männerheim:  26  Pfleglinge 

Mädchenheim:  27  Pfleglinge. 

Die  Zahl  der  der  Anstalt  zur  Ausbildung  überwiesenen  Kriegsblinden  erhöhte 
sich  von  14  auf  40.  Der  Unterrichtsbetrieb  büLUe  von  den  üblichen  Stundenzahl 
nichts  ein,  obwohl  die  Anstalt  ihre  Räume  mit  den  Kriegsblinden  teilte,  nachdem 
das  Katholische  Lehrerkonvik',  das  eineinhalb  Jahre  in  (1er  Anstalt  untergebracht 
war.  aus  derselben  schied.  Die  Zuteilung  der  Kriegsblinden  machte  manche  Neu- 
einrichtungen, namentlich  Erweiterung  der  Werkstätten  und  Schlafsäle,  not- 
wendig. 

Des  verstorbenen  Adjunkten  Peter  Le  hofer  wird  in  warmen  Worten  gedacht; 
ebenso  der  Hingang  einiger  Zöglinge  und  erwachsener  Zöglinge  beklagt.  Als 
festl.ches  Ereignis  verzeichnet  der  Bericht  das  25jährige  Dienstjubiläum  des  Werk- 
meisters Josef  B  a  u  m  g  a  r  t  n  e  r. 

flus  den  Vereinen. 

—  I.  Ost.  Blindenverein  in  Wien  VIII.  Der  unter  dem  Obmanne 
.\.  V.  Horvath  stehende  Verein  zählte  nach  dem  Bericht  über  das  Veieinsjahr 
l'Jlb  10  Ehrenmitglieder,  135  Gründer,  214  Stifter,  4646  unterstützende  Mitglieder, 
436    blinde    Mitglieder    (darunter    41    Kriegsblinde)    und    zahlreiche    Wohltäter   und 


7.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  765. 

Spender.  Die  freundliche  Aufnahme,  welche  die  mit  dem  Kalender  ausgesandten 
Werbekarten  beim  Publikum  fand,  brachte  nicht  nur  zahlreichen  Musikern  und 
Klavierstimmern  lohnenden  Verdienst,  erhöhte  den  Absatz  der  Erzeugnisse  der 
blinden  Handwerker,  sondern  ermöglichte  auch  die  gesteigerte  Hilfeleistung  an  die 
durch  den  Krieg  ganz  besonders  hart  betroffenen  Blinden.  Außerdem  war 
es  aber  auch  möglich,  dem  seit  Jahren  angestrebten  Ziele  der  Erwerbung  eines 
Vereinshauses  zur  Unterbringung  der  Werkstätten  und  übrigen  Einrichtung  näher 
zu  kommen. 

16.776  K  wurden  1916  in  Geld  und  Arbeitsmaterial  an  notleidende  Blinde 
verausgabt  und  in  316  Fällen  Arbeit  an  Klavierstimmer,  Musiker,  Sesselflechter  etc. 
vermittelt.  Die  Genossenschaft  blinder  Handweiker  konnte  trotz  enormer  Preise 
und  Knappheit  sämtlicher  Rohmaterialien  ihren  Betrieb  aufrecht  erhalten  und  ihren 
Arbeitern  dank  der  Förderung  des  Vereines  den  schweren  Lebenskampf  einiger- 
maßen erleichtern.  Die  für  24  Leser  gewährte  Postportobe^Unstigung  wurde  im 
abgelaufenen  Jahre  fast  erschöpft,  ein  erfreulicher  Beweis  der  Steigerung  des  Lese- 
bedürfnis.ses  bei  Blinden  in  der  Provinz;  ebenso  fand  auch  das  in  370  Exemplaren 
3  mal  im  Jahre  erschienene  Vereinsorgan  lebhaftes  Interesse.  Die  Krankenkasse  für 
Wien,  welcher  .  derzeit  55  Mitglieder  angehören,  zahlte  493  K  in  12  Fällen 
Krankengeld.  Die  Bitte  der  Vereinsleitung  an  die  Wohltäter  um  Spenden  zur 
Weihnachtsbetcilung  war  von  einem  auficrordentlich  schönen  Erfolge  begleitet,  so 
daß  gegen  300  Blinde  zu  Weihnachten  beschenkt  werden  konnten. 

Besonderer  Dank  gebührt  auch  dem  geehrten  Direktorium  der  Versorgungs- 
und Beschäftigungsanstalt  für  erwachsene  Blinde  in  Wien,  welche  durch  mehrere 
Monate  hindurch  je  100.—  K  zur  Unlei  Stützung  Blinder  beistellte  und  3  Blinden 
einen  unentgeltlichen  Mittagstisch  gewährt. 


Wir  Kriegsblinden. 

Für  Kaiser  und  Reich  gaben  viele  ihr  Leben 

Wir  haben   die- Augen  als  Opfer  gegeben  — 

Das  letzte,  das  wir  alle  gesehen, 

Das  war  eine  Mauer,  die  sahen  wir  stehen    — 

Es  ist  eine  Mauer  braver  Soldaten, 

Deutsche  und  Polen,  Magyaren,   Kroaten 

Und  ob  nun  der  Russen  verwegene  Scharen, 

Rumänen  oder  Welsche  es  waren, 

Wir  fochten   gerne,  keiner  ward  weich, 

Den  Kaiser  galt's  ja  und  Österreich   — 

Dann  hat  jeden  von   uns  seine  Kugel  getroffen 

Erst  war  es  ein   langes   Sehnen   und  Hoffen, 

Bis  wir's  bewußt  geworden  sind, 

Wir  sind's  nicht  nur,  wir  bleiben  blind. 

Da  wollte  uns  fast  das  Herz  zerreißen, 

Die  Zähne  mußte  man  zusammenbeißen 

Um  nicht  hinaus  in   die   Welt  zu   schreien. 

Daß  lieber  wir  tot  als  erblindet  seien. 

Doch  wie  dann  die  Körper  langsam  gesunden. 
So  hat  auch  die   Seele  sich  wieder  gefunden  — 
Vor  allem   hat  sie   uns  eines  gebracht   — 
Der  Stern  der  Liebe  durchleuchtet  die  Nacht. 
Er  weist   uns  einen  verschlungenen  Pfad, 
Den  Lieb'   uns  gesucht   und   gefunden  hat. 
Es  ist  der  schmale  Pfad  zum   Glück, 


Seite  766.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen.  7.  Nummer. 

Gar  mancher  irrt  ab   und  bleibt  zurück. 

Es  ist  ein  harter,  beschwerlicher  Weg, 

Über  manch  grausen  Abgrund  führt  er  hinweg 

Herauf  dringt  das  Heulen   der   Verzweiflung  — 

Die  uns  ihr  wehrloses  Opfer  schon  wähnen. 

Doch  schließlich  endet  auch  diese  Qual, 

Es  öffnet  sich   uns  ein  liebliches  Tal  — 

Millionen  sehen  wir  glücklich  leben: 

Auch  dalür  hast  du   deine  Augen  gegeben ! 

Wir  sehen  manch  friedlichen,  häuslichen   Herd, 

Ist  vieler  Glück  nicht  zwei  Augen   wert  ? 

Wir  erkennen  des  Vaterlandes  herrliche  Macht, 

Auch  du  hast  dazu   einen  Baustein  gebracht  — 

Stolz  sehen  wir  Habsburgs  Banner  wehen: 

Soll  dieses  sinken   und  du   sollst  sehen? 

Und  wir  erkennen  tief  drinnen  im   Herzen: 

Umsonst  nicht   waren   alle   Schmerzen, 

Umsonst  nicht  haben  wir  gestritten, 

Umsonst  nicht  Furchtbares  gelitten, 

Umsonst  ist  nur  der  Feinde  Wut, 

Sie  bricht  sich  an  treuer  Krieger  Mut  — 

Wir  taten  ehrlich  unsere  Pflicht, 

Gott,  Kaiser  und  Volk  vergessen  es  nicht; 

Wenn  wieder  einmal  euch  Verzweiflung  umtobt, 

Denkt  dran,  Kameraden,  was  einst  ihr  gelobt  — 

Die  Pflicht  auf  dem   Schlachtfeld  ist  nun  getan, 

Für  uns  fängt  der  Kampf   um   das  Leben   nun  an; 

Keiner  von   uns  darf  unterliegen. 

Wir  müssen,  wir  können,  wir  werden  siegen  ! 

Gewiß:   Wir  verloren   das  Augenlicht, 

Stolz,  Ehre  und  Mut  verloren  wir  nicht ; 

Wir  weichen  keinen   Fußbreit  zurück. 

Wir  erobern  es   wieder:  Das  verlorene  Glück! 

Baron  Jedina-Palombini. 

Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Hochzeitsf-st  von  vier  Kriegsblinden.  Pfingstsonntag  fand  in 
der  Pfarrkiiche  in  Kaisermühlen  und  in  der  Magaretener  Pfarrkirche  die  Trauung 
der  vier  Kriegsblinden  Franco  Kwitek,  Wilhelm  Sittler,  Karl  Müllner,  und 
Karl  Wanzenböck  mit  ihren  Bräuten  statt.  Erschienen  waren  Abordnungen  der 
Roten  Kreuzes,  das  durch  ansehnliche  Geldbeiträge  die  Gründung  des  eigenen 
Herdes  der  blinden  Ehemänner  ermöglichte.  In  Vertretung  Erzherzog  Karl  Stephans 
Herr  Oberst  Gloß,  der  alle  Gebühren  bestritt,  die  Kommandanten  des  Rekonvales- 
zentenheims in  Kaisermühlen,  eine  Deputation  der  Kriegskameraden,  die  Mitgliedes 
des  Hilfskomitees,  geführt  von  dem  durch  seine  humanitäre  Wirksamkeit  im  2.  Bezirke 
bekannten  Industriellen  Herrn  Peter  Falger,  der  sich  mit  seiner  Gattin  um  die 
vier  neuvermählten  Paare  überaus  verdient  gemacht  hat.  Um  3  Uhr  nachmittags 
versammelte  sich  die  ganze  Hochzeitsgesellschaft  in  Drehers  Etablissament,  3.  Bezirk, 
Hauptstraße.  Der  bekannte  Wirt  Herr  Lembacher,    mit    seinem  Mitarbeiter  Herrn 


Herausgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  BHndenwesen  in  Wien.     Redaktionskomitee:  K.  Bürklec, 
J.  Kneis,  A.  r.  Horrath,  F.  Uhl,  —  Druck  Ton  Adolf  Englisch,  Purkeridorf  bei  Wien. 


Franz  Schneider,  hatte  im  festlich  dekorierten,  mit  dem  KaiserVjildnis  geschmückten 
Festsaale  eine  Tafel  von  60  Gedecken  und  ein  reiches  Menü  beigestellt.  Auch 
Hochzeitsgeschenke  gab  es,  aus  Spenden  der  Stammgäste  bei  Dreher,  von  Widls 
»Grünen  Jäger,«  Praterstraße,  vom  »Eisvogel«  im  Prater,  vom  Ehepaare  Falger 
und  Herrn  Lembacher  bestritten.  Ein  Quartett  aus  den  Musikern  Polesny, 
Massari  k,  Kovarik  und  Goldstett  hatte  uneigennützig  die  Tafelmusik  beigestellt. 
Die  mit  einem  überaus  schwungvollen  Kaisertoast  abschließende  Festrede  hielt 
Professor  Ed.' Nasche  r.  Herr  Falger  leerte  sein  Glas  auf  das  Wohl  der  vier 
Brautpaare  und  händigte  ihnen  je  50  K  ein.  Noch  dankte  Herr  Falger  dem  Herrn 
Lembacher,  seiner  eigenen  stets  hilfsbereiten  Gattin,  dem  Roten  Kreuz,  wie 
allen  edlen  Spendern.  Mit  der  jubelnd  akklamierten  Volkshymne  endete  das  Fest. 
Besuch  des  Erzherzogs  Karl  Stephan  bei  Kriegsblinden. 
Der  Protektor  der  Kriegsfürsorge,  Admiral  Erzherzog  Karl  Stephan,  der 
sich  bekanntlich  in  ganz  hervorragendem  Maße  und  in  jeder  Weise  für  die,  Kriegs- 
blinden tatkräftig  einsetzt,  erschien  beim  Praterkommissariat  und  machte  dem  um 
die  Kriegsblindenfürsorge  verdienten  •  Polizeibezirksleiter  Regierungsrat  Otto  Ritter 
v.  Roth  einen  Besuch.  Der  Erzherzog  besuchte  dann  in  Begleitung  des  Regierungs- 
rates Ritter  v.  Roth  die  drei  im  Piater  befindlichen  Tabaktrafiken,  die  Kriegs- 
blinden verliehen  worden  sind,  nämlich  die  des  Alois  Pohl  im  Schützengraben, 
erster  Teil,  die  des  Anton  Blaschka  im  Schützengraben,  zweiter  Teil,  und  die 
des  Georg  B  ig  ge  in  der  Kriegsausstellung.  Er  sprach  die  in  den  Trafiken  beschäf- 
tigten Angehöligen  der  Kriegsblinden  an  un  i  erkundigte  sich  nach  dem  Geschäfts- 
gänge. Er  ließ  sich  auch  über  die  Verhältnisse  berichten  und  freute  sich,  zu  hören, 
daß  die  Trafiken  ganz  nette  Erträgnisse  ergeben  und  so  für  die  Opfer  des  Krieges 
gesorgt  sei.  Mit  seinem  ganz  unerwarteten  Besuche  hat  der  Erzherzog  den  Leuten 
große  Freude  bereitet. 

—  Sammlungen  für  Kriegsblinde.  Stand  Ende  Juni  1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,120.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  2, 460.000  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  380.000  K. 

—  Reichspost:  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  55.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  23.900  K. 


Verschiedenes. 

—  Theatervorstellung  für  Blinde.  In  einer  großen  englischen 
Blindenanstalt  veranstaltete  kürzlich  die  bekannte  englische  Theatertruppe  von 
Rene  Kelly  eine  Vorstellung.  Die  Zuhörerschaft  bestand  durchwegs  aus  Blinden, 
mit  alleiniger  Ausnahme  einiger  Ordner  und  Wärter,  Die  Mitwirkenden  auf  der 
Bühne  trugen  weder  Masken  noch  Kostüme,  auch  gab  es  weder  Dekorationen 
noch  einen  Vorhang.  Ebenso  fehlte  jeglicher  Beleuchtungsaufwand.  Die  Rampen- 
und  Soffittenlichter  brannten  nicht,  auf  der  Bühne  herrschte  ein  mattes  Halbdun- 
kel, in  dem  kaum  die  Konturen  der  Agierenden  zu  erkennen  waren.  Von  Requisiten 
gab  es  nur  eine  Glocke,  die  wiederholt  in  dem  Stücke  gezogen  wird,  und  eine 
Porzellantasse,  die  der  Held  zu  zerbrechen  hat.  Die  Blinden  hatten,  wie  es  heißt, 
viel  Vergnügen  an  dieser  für  Vollsichtige  völlig  unzureichenden  Aufführung  und 
spendeten  am  Schlüsse  der  Vorstellung  großen  Beifall. 


Briefkasten. 

—  An  mehrere  Kriegsblinde.  Wir  können  in  ihrer  Angelegenheit 
leider  nichts  m«hr  tun.  Auf  die  Veröffentlichung  ihrer  Beschwerde  ist  bisher  keine 
Antwort  erfolgt.  Man  hat  also  der  Öffentlichkeit  darüber  nichts  zu  sagen.  Auch 
eine  Antwort  und  noch  dazu  eine  vielsagende  ! 


von   Oskar  Picht. 
Bromberg. 

A  für  Punktschrift  M  85.80  B  für  gewöhnliche  Schrift  M  80.— 

=  fisyX  für  blinde  3(inder  = 

Wien,  XVII.,  HernalseK  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im  vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen  österreichi- 
schen Kronländern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 

Die  „Zentpolbibliotheh  fiii^  Blinde  in  Osteppeicli", 

Wien  XVIII,  Währlnger  Gürtel  136 

verleiht  ihie  Bücher  kostenlos  an   alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

■Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  Unterstützung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  lür  Blinde.  Erhaltung 
per  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


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:  vorzüglicli  eignenden  keramischen  : 
Handarbeiten.  Nähere  Auskunft  brieflich 


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BüPStenbindBP  und  KorbflBChtep. 

G.  m.  h.  H. 

Wien  VIII.,   Floriani^asse  Np.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

Alle  Gattungen  Bürstenbinder-  u.  Korbllechterwaren . 
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des  Blinden-Unterstützungsvei  eines 
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:  — :   Nikolsdorfergasse  Nr.  42.   :  — : 

fn      Blindendrucknoten    werden    an      f^n 
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Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


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S  ch  r  i  f  1 1  e  i  t  u  n  g 
Purkersdorf 
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Österreichisdies 
Postsparkassen- 
kontoNr.132.257 


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Das  Biatt  ersdieint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


Bezugspreis 
ganzjährig  mit 
Postzustellung 

4  Kronen, 
Einzelnummer 

40  Heller. 


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4.  Jahrgang. 


Wien,  August  1917. 


8.  Nummer. 


IMHHLT:  Der  Blinde  des  Orients  im  Spiegel  des  morgenländischen  Schrifttums 
Die  Kriegsblindenfürsorge  in  Schlesien.  Krtegsblindenfonds  im  k.  k.  Mini" 
sterium  des  Innern.  Die  Sprechmaschine  „Postaphon"  und  die  Blinden- 
Heinrich  Kipper:  Der  Blinde.  Personainachrichten.  Aus  den  Anstalten.  Aus 
den  Vereinen.  Für  unsere  Kriegsblinden.  Verschiedenes.  (Altes  und  Neues. 
Ankündigungen). 


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3   Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  Vlli, 
3  Josef  Städterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K,  [7 

Ulm  riilD 


flites  und   Neues. 

»Aus  Wunde  n   und   Wonnen«   v  o  n    H  e  i  n  r  i  c  h    K  i  p  p  e  r.* 

Keinen  besseren  Namen  hätte  der  auch  im  Reiche  schon 
bekannte  und  o^eschätzte  deutsch-österreichische  Verfasser  seinem 
eben  erschienenen  Buche  geben  können,  dessen  Erlös  für  den  Verein 
»Kriegsblindenheimstätten«  bestimmt  ist.  Nicht  Weltschmerz,  keine 
bloß  seelischen  Wunden,  auch  körperliche  sind  es,  die  ihn  niederge- 
worfen haben.  —  Oberleutnant  Heinrich  Kipper,  im  bürgerlichen 
Leben  Professor  an  der  k.  k.  Lehrerinenbildungsanstalt  zu  Czerno- 
witz,  hat  für  sein  heimatliches  Buchenland,  die  Bukowina,  gekämpft 
von  Beginn  des  Krieges  im  Anfange  August  1914  an  und  dann  auch, 
für  dieses  geblutet,  als  es  das  erste  Mal  vor  der  russischen  Übermacht 
geräumt  werden  mußte,  und  es  galt,  ihr  den  Übergang  über  das 
Gebirge  nach  Siebenbürgen  zu  wehren.  Den  ganzen  Neujahrstag  1915 
hat  an  den  steilen  Karpathenhängen  die  kleine  Schar  Kippers 
gekämpft,  der,  weil  er  keine  Offiziere  beim  Bataillon  mejir  hatte, 
»nicht  nur  Bataillons  ,  sondern  auch  vierfacher  Kompagnie-  und  sech- 
zehnfacher Zugskominandant«  sein  mußte.  Bis  zehn  Uhr  nachts 
wenigstens  muß  er  den  Gebirgssattel  halten.  Ein  paar  Minuten  vorher 
ereilt  ihn  daß  Schicksal  :  Eine  russische  Schrapnellkugel  durch- 
schlägt ihm  das  Bein  unter  dem  Knie;  mit  steter  Lebensgefahr,  unter 
den  größten  Schmerzen  wird  er  zurückgeschleppt,  auf  schmalen,  ver- 
eisten und  abschüssigen  Wegen  über  Jakubeni  und  die  Mogura  hinüber 
gefahren  nach  Bistritz  im  Siebenbürger  Sachsenland  und  nach  Wien 
überfülirt,  wo  ihm  das  Bein  abgenommen  wird.  —  Krüppel  auf 
Lebenszeit!  der  vorher  so  Lebenskräftige!  —  der  Verzweiflung  entrei- 
ßen ihn  mit  den  ergreifenden  Lazaretteindrücken,  und  das  [viel  schwierigere 
Los  der  Erblindeten  —  der  treue  Beistand  der  Gattin^ind  seine  Dichtkunst. 

Die  vom  Verfasser  in  seinem  Buche  »Aus  Wunden  und  Wonnen« 
uns  vorgeführten  Verwundetentypen,  Weib  und  Kind  an  seinem 
Schmerzenslager,  seine  Leidensgedichtchen,  sein  tränenbetauter  gött- 
licher Humor,  die  Trostbriefe  begnadeter  Freunde,  die  Mundartproben 
usw.  usw.  bieten  soviel  Erhebendes  und  Großes,  daß  Kippers  Buch 
als  ein  köstliches  Dokument  dieser  Kriegskulturepoche  noch  in  späten 
Jahren  geschätzt  werden   wird.. 

Was  alle  Phantasie  unserer  Dichter  in  den  Schatten  stellt  und 
hinter  sich  zurückläßt,  daß  ist  die  von  Kipper  erlebte  und  in  ergreifender, 
oft  in  erschütternder  Weise  und  in  schlichten  Worten  dargestellte 
Wirklichkeit.  Was  in  den  Herzen  unserer  Helden  vorgeht,  was  ein 
Schwergetroffener  leidet  und  empfindet:  es  erzählt  davon  das  Buch 
Kippers. 

An  mehreren  Stellen  seines  Buches  gedenkt  Kipper  mit  herz- 
licher Teilnahme  seiner  kriegsblinden  Kameraden,  denen  er  den 
Ertrag  des  Buches  widmet.  Möge  recht  starker  Absatz  den  Dichter 
und  Geber  erfreuen  und  einen  namhaften  Beitrag  dem  edlen-  Zwecke 
zuführen. 

Das  Gedicht:  »Der  Blinde«  geben  wir  aus  Kippers  Buch  an 
anderer  Stelle  wieder. 

*)  H.  Kipper:  »Aus  Wundt-n  und  Wcnnen.«  Tagebuchblätter  eines  Verwun- 
deten aus  dem  Wiener  Lazarett.  —  München,  Müller  und  Fröhlich,  Verlagsbuch- 
handlung, geb.  250. 


4.  Jahrgang. 


Wien,  August  1917. 


8.  Nunnmer. 


^  »Ich  verlange  von   Gott  das  Recht  auf  einen  Bissen  Brot,    ^ 

-^     meine    Herren!«  Anmt  blinder  Bettier  in  Ägypten.         ^ 


Der  Blinde  des  Orients  im  Spiegel  des 
morgenländischen  Schrifttums. 

Die  orientalischen  Länder  sind  überreich  an  Blinden.  Gesundheits- 
schädliche Einflüsse  des  Klimas,  Unsauberkeit  und  das  Fehlen  ärztlicher 
Hilfe,  wie  der  im  Glauben  der  Orientbewohner  liegende  Fatalismus 
sind  die  Ursachen  und  Wurzeln  des  unverschuldeten  Übels.  Strafweise 
Blendungen,  wie  sie  bis  in  das  vorige  Jahrhundert  namentlich  an  Kriegs- 
gefangenen sehr  häufig  waren,  kommen  jetzt  wohl  nicht  mehr  vor; 
freiwillige  Blendungen  nur  vereinzelt  bei  religiösen  Fanatikern. 
Wenn  die  Zahl  der  Blinden  im  Orient  auch  nicht  an  die  vielfach  ver- 
breiteten phantastischen  Übertreibungen  heranreicht,  so  ist  sie  immer 
noch  erschreckend  hoch  genug  und  es  gibt  kein  Gebiet  der  Erde,  in 
welchem  die  Blindheit  dieselbe  Verbreitung  erlangt  hätte,  wie  im 
Orient.* 

In  der  Überzahl  sind  die  orientalischen  Blinden  auf  die  Mild- 
tätigkeit ihrer  Glaubensbrüder  angewiesen,  denen  der  Koran  das 
Almosengeben  zur  religiösen  Pflicht  macht.  »Ich  vei  lange  von  Gott  das 
Recht  auf  einen  Bissen  Brot,  meine  Herren!«  ruft  der  blinde  Bettler 
die  Vorübergehenden  an.  Almosen  heischen  ist  für  ihn  weder  verboten, 
noch  entehrt  es  ihn.  »Gott  vermehre  dein  Gut!«  ist  sein  Dank  an  die 
Schenkenden.  Die  meisten  von  ihnen  sagen  Sprüche  aus  dem  Koran 
her,  denn  in  dieser  Betätigung  finden  sie  einen  religiösen  Beruf. 
Begabte  BUnde  werden  darin  besonders  unterwiesen,  um  später  als 
Koranlehrer  für  sehende  Kinder,  als  Vorbeter  und  Ausrufer  in  den 
Moscheen  und  bei  Leichenbegängnissen  tätig  zu  sein,  wofür  sie  meistens 
gut  belohnt    werden.    Mitunter    findet    man   auch  singende  und  musizie- 

*)  Über  Verbreitung  und  Ursachen  der  »Blindheit  im  Orient«  hat  Dr.  M.  Mcyer- 
hof  eine  kurze,  aber  zusammenfassende  Darstellung  in  der  »Deutschen  Optischen 
Wochenschrift«  (Jahrg.  1915/16,  Nr.  20,  Berlin)  gegeben. 


Seite  772.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  8.  Nummer. 

rende  Blinde.  In  den  Harems  der  Vornehmen  werden  Blinde  beiderlei 
Geschlechtes  von  den  barmherzigen  Frauen  mit  durchgefüttert  und  bei 
Festlichkeiten  verwendet,  die  kein  Männerauge  sehen  darf.  BHnde 
Mädchen  dienen  daselbst  zur  Unterhaltung  und  oft  nicht  besonders 
zarten  Belustigung. 

Damit  ist  im  allgemeinen  das  Los  der  Blinden  im  Orient  gekenn- 
zeichnet. Wie  religiöse  Motive  ihm  sein  Dasein  erleichtern,  ist  aus  der 
allgemeinen  Hilfsbereitschaft  zu  ersehen,  mit  der  man  ihm  entgegen- 
kommt. Vielfach  ist  man  geneigt,  ihm  wenigstens  geistig  eine  höhere 
Stellung  einzuräumen,  denn  hervorragenden  Blinden  legt  man  nicht 
den  Beinamen   »der  Blinde«,  sondern   »der  Sehende«   bei. 

Moderne  Bestrebungen  zur  Besserung  des  Loses  der  Blinden  sind 
im  Orient  kaum  in  den  ersten  Anfängen  vorhanden.  Die  Zustände 
haben  sich  während  vieler  Jahrhunderte  kaum  geändert  und  so  ergibt 
sich  im  Spiegel  des  morgenländischen  Schrifttums  auch  ein  heute  noch 
zutreffendes  Bild  über  die   Verhältnisse  der  Blinden. 

Neben  dem  Koran  sind  im  Orient  die  Erzählungen  aus  >Tausend 
und  eine  Nacht«  das  Buch  der  Bücher.  Zahllose  farbenprächtige,  bald 
phantastisch-groteske,  bald  wieder  lebenswahre,  zartempfundene  und 
entzückende  oder  derb-humoristische  Bilder  ziehen  darin  an  den  Augen 
des  Lesers  vorüber.  In  der  Menge  der  Personen  aus  allen  Gesellichafts- 
schichten  hat  auch  der  Blinde  seinen  Platz  und  wir  können  mancherlei 
von  ihm  hören.  Wir  folgen  in  unserer  Wiedergabe  aber  nebenbei  auch 
dem  größten  Nachdichter  der  orientalischen  Literatur,  unserem  vers- 
gewandten deutschen  Fr.  Rückert,  der  mit  seiner  »Weisheit  des 
Brahmanen«  und  den  »Makamen  des  Hariri«  morgenländisches  Dichten 
und  Denken  ausschöpfte  und  widerspiegelte. 

Beginnen  wir  mit  jenem  Blinden,  der  im  Orient  die  hervorstechendste 
Rolle  spielt,   mit  dem  blinden   Bettler. 

Rückert  führt  ihn  uns  folgendermaßen  vor: 

Den  Weg  am  Berg  empor  beschließt  ein  Gittertor, 
Nur  schwankend  angelehnt;  ein  Bettler  sitzt  davor. 

Er  bettelt  nicht,  gelehnt  auf  seinen  Bettlerstab, 
Der  Betschnur  Kügelchen  betet  er  schweigend  ab. 

Er  schaut  nicht,  sondern  horcht,   denn  sein  Gesicht  ist  blind. 
Ob  sich  ein  Fußtritt  naht,  dann  hebt  er  sich  geschwind. 

Dem  Wandrer  öffnet  er  die  beigelehnte  Pforte  ; 

Der  Wandrer  geht  hindurch  und  jener  bleibt  am  Orte. 

Doch  gibst  du  ihm  ein  klein  Almosen,  sagt  er  drauf  : 
So  tue  Gott  dir  einst   das  Paradiestor  auf! 

Doch  wenn  du  nichts  ihm  gibst,  so  sagt  er  nicht  ein  Wort 
Und  ohne  Segen  gehst  du  von  dem  Bettler  fort. 

Die  Spruchweisheit  des  Orientes  mahnt  daher  schon  die  Jugend 
mit  eindringlichen  Worten  und  macht  ihr  Mildtätigkeit  zur  Pflicht. 

Wenn  du  den  Blinden  siehst,  den  armen  Mann,  den  kranken 
Nach  dürft'ger  Gab'   umher  an  seinem   Stabe  wanken; 


8.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen.  Seite  773. 

Bedachtest  du  dabei,   womit  du  das,  o  Kind, 

Verdienst,  daß  du  nicht  auch  bist  arm  und  krank  und  bUnd? 

Nicht  dein   Verdiest  ist  das,  erkenne  Gottes  Gaben 
Und  klage  nicht,  daß  du  bist  anders  auch  beladen. 

Wie  könntest  du   vor   Scham  ganz  sorglos  aufrecht  stehn, 

Und  sähest  so  in   Staub  gebückt  den   Bruder  gehn! 

Freilich  begegnet  der  blinde  Bettler  nicht  in  allen  Menschen  den 
Gebenden,  Zartfühlenden  und  Hifsbereiten.  Olt  wird  er  lästig  und  als 
Landplage  empfunden. 

Der  von  blinden  Bettlern  gemachte  Ausruf:  »Vier  Blinde  für  einen 
Kreuzer«  zeigt  von  keiner  großen  Einschätzung.  Von  gleicher  Anschau- 
ung war  der  türkische  Eulenspiegel  des  14.  Jahrhunderts  Naßr-ed- 
din  bei  folgendem  Schwank: 

»Als  Naßr-ed-din  einmal  am  Ufer  eines  Flußes  saß,  kamen 
fünf  bis  zehn  Blinde  und  schlössen  mit  ihm  das  Übereinkommen,  er  sollte 
sie  für  je  einen  Asper  (Geldstück)  an  das  jenseitige  Ufer  bringen.  Während  sie 
nun  der  Meister  einzeln  hinüber  brachte,  fiel  einer  von  ihnen  unver- 
sehens ins  Wasser.  Als  die  andern  Blinden  hierüber  ein  Geschrei 
erhoben,  sagte  der  Meister:  »Was  erhebt  ihr  ein  Geschrei.?  Gebt 
einen  Asper  weniger!« 

Mitunter  widerfahren  dem  blinden  Bettler  recht  traurige  Erlebnisse. 
Davon  zeigt  eine  der  Geschichten  aus  »Tausend  und  eine  Nacht«,  die 
der  Scheich  Es-Samit,  der  das  Handwerk  eines  Barbiers  treibt,  dem 
Chalifen  El  Muntasir  erzählt.  Sie  lautet: 

Geschichte  des  dritten   Bruders  des  Barbiers. 

Was  nun  meinen  dritten  Bruder  anlangt,  den  Blinden,  so  führte 
ihn  das  Schicksal  und  die  Bestimmung  einmal  zu  einem  großen  Hause, 
an  dessen  Tür  er  pochte,  um  den  Herrn  des  Hauses  zu  sprechen  und 
etwas  von  ihm  zu  erbetteln.  Auf  sein  Pochen  fragte  der  Hausherr: 
»Wer  ist  an  der  Tür?«  Da  ihm  mein  Bruder  keine  Antwort  erteilte, 
lief  er  mit  lauter  Stimme:  »Wer  ist  da.?«  Mein  Bruder  gab  auch  dies- 
mal keine  Antwort  und  hörte  nun  seine  Fußtritte,  bis  er  an  die  Tür 
kam,  sie  öffnete  und  fragte:  »Was  wünschest  du?«  »Etwas  um  Gottes, 
des  Erhabenen,  willen,«  antwortete  mein  Bruder.  Darauf  fragte  er: 
»Bist  du  ein  Blinder?«  Mein  Bruder  antwortete:  »Ja.«  »Dann  gib  mir 
deine  Hand,«  sagte  der  Hausherr.  Als  mein  Bruder  ihm  nun  die  Hand 
gereicht  hatte,  führte  er  ihn  ins  Haus  und  stieg  mit  ihm  die  Treppen 
hinauf,  bis  er  die  oberste  Plattform  erreicht  hatte,  während  mein  Bruder 
glaubte,  er  wolle  ihm  etwas  zu  essen  geben  oder  schenken.  Oben 
angelangt,  fragte  er  dann  meinen  Bruder:  »Was  wünschest  du,  Blinder?« 
Mein  Bruder  antwortete:  »Etwas  um  Gottes,  des  Erhabenen,  willen.« 
Darauf  antwortete  er  ihm:  »Gott  wird  öffnen!«*)  Nun  sagte  mein  Bruder 
zu  ihm:-  »Ach,  warum  hast  du  mir  das  nicht  unten  gesagt?«  Der  Haus- 
besitzer antwortete  ihm  darauf:  ^Elendester  der  Elenden,  warum  hast 
du  mich  nicht  um  etwas  um  Gottes  willen  gebeten,  als  ich  auf  dein 
Pochen  zum  erstenmal  fragte:  Wer  ist  an  der  Tür?«  Mein  Bruder  ent- 
gegnete nun:      »Und  jetzt,  was  willst  du  mit  mir  tun?«    Er  antwortete: 

*)  d.  h.  Du  erhälst  nichts  von  mir. 


Seile  774.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindcnwesen.  8.  Nummer. 

»Ich  habe  nichts  dir  zu  geben.«  »So  führe  mich  zur  Treppe,«  sagte 
mein  Bruder.  Er  versetzte:  »Der  Weg  ist  vor  dir.«  Darauf  erhob  sich 
mein  Bruder  und  ging  zu  den  Treppen.  Schon  war  er  so  weit  hinunter- 
gestiegen, daß  nur  noch  zwanzig  Stufen  zwischen  ihm  und  der  Tür 
lagen,  da  ghtt  er  mit  dem  Fuß  aus  und  zerschkig  sich,  die  ganze 
Treppe  hinunterstürzend,  den  Kopf 

Wie  er  hinaustrat  und  nicht  wußte,  wohin  er  sich  wenden  sollte, 
stießen  einige  seiner  blinden  Gefährten  zu  ihm  und  fragten  ihn,  wie  es 
ihm  den  Tag  über  ergangen  sei.  Da  erzählte  er  ihnen  sein  Mißgeschick 
und  sagte  :  »Meine  Brüder,  ich  möchte  etwas  von  dem  Gelde,  das  wir 
zu  Hause  aufbewahrt  haben,  nehmen  und  für  mich  verwenden.«  Der 
Hausbesitzer  war  aber  meinem  Bruder  nachgefolgt,  um  näheres  von 
ihm  zu  erfahren,  und  vernahm  meines  Bruders  Worte,  ohne  daß  mein 
Bruder  merkte,  daß  ihm  jemand  nachging;  er  merkte  es  auch  nicht, 
daß  er  mit  ihm  in  seine  Wohnung  eintrat,  in  welcher  er  seine  Gefähr- 
ten erwartete. 

Als  nun  dieselbf^n  ankamen,  sagte  er  zu  ihnen  :  »Verriegelt  die 
Tür  und  durchsucht  das  Haus,  ob  nicht  etwa  ein  Fremder  uns  gefolgt 
ist.«  Als  der  Mann  diese  Worte  meines  Bruders  vernahm,  stand  er 
auf  und  hängte  sich  an  ein  Seil,  welches  von  der  Decke  niederhing, 
so  daß  sie,  ohne  beim  Durchsuchen  des  ganzen  Hauses  jemand  gefun- 
den zu  haben  wiederkehrten  und  sich  an  der  Seite  meines  Bruders 
niedersetzten.  Dann  holten  sie  ihr  Geld  hervor,  zählten  es  und  fanden 
etwas  mehr  als  zehntausend  Dirhem.  Nachdem  ein  jeder  von  dem  Über- 
schuß einen  Teil  für  seine  Bedürfnisse  genommen  hatte,  vergruben  sie 
die  zehntausend  Dirhem  wieder  in  einem  Winkel  des  Hauses,  beschaff- 
ten sich  etwas  zum  Essen  und  setzten  sich  zur  Mahlzeit  nieder.  Plötz- 
lich hörte  mein  Bruder  eine  fremde  Stimme  neben  sich  und  fragte 
seine  Freunde:  »Ist  etwa  ein  Fremder  unter  uns?«  Dann  streckte  er 
seine  Hand  aus  und,  wie  er  nun  die  Hand  des  Hausbesitzers  zu  fassen 
bekam,  schiie  er  seinen  Gefährten  zu:  »Hier  ist  ein  Fremder!«  und  sie 
fielen  mit  Schlägen  über  ihn  her  und  prügelten  ihn  so  lange,  bis  es 
ihnen  über  wurde;  dann  schrieen  sie:  *Ihr  Gläubigen,  ein  Dieb  ist  zu 
uns  eingedrungen,  der  uns  unser  Geld  nehmen  will.« 

Als  nun  eine  große  Menschenmenge  zu  ihnen  eindrang,  stellte 
sich  der  fremde  Mann  ebenfalls  blind,  dainit  ihn  keiner  in  Verdacht 
haben  könnte,  und  schrie:  »Ihr  Gläubigen,  ich  rufe  Gott  und  den 
Sultan  an,  ich  rufe  Gott  und  den  Wali  an,  ich  rufe  Gott  und  denEmir 
an,  ich  habe  dem  Emir  einen  wichtigen  Rat  zu  erteilen;«  und  ehe 
sie  sich's  versahen,  waren  auch  schon  die  Leute  vom  Wali  da,  um- 
ringten sie  und  führten  alle  mitsamt  meinem  Bruder  vor  den  Wali. 
Auf  die  Frage  des  Walis,  was  es  gäbe,  sagte  der  fremde  Mann: 
»Höre  mein  Wort,  o  Wali!  wie  es  sich  in  Wahrheit  mit  uns  verhält, 
wirst  du  nur  durch  Schläge  herausbekommen.  Wenn  du  es  willst,  so 
fange  mit  mir  an  und  schlage  mich  zuerst  vor  meinen  Gefährten.« 
Der  Wali  befahl  infolgedessen  ;  »Werfet  diesen  Menschen  zu  Boden 
und  peischt  ihn  aus.«  Sie  taten  es  und,  als  ihn  die  Hiebe  schmerzten, 
öffnete  er  das  eine  seiner  Augen  und  nach  weiteren  Hieben  das  andere. 
Da  sagte  der  Wali  zu   ihm:  »Was  hat  diese  Verstellung  zu   bedeuten, 


8.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  775. 

du  Schurke?«  Er  antwortete:  »Begnadige  mich,  so  will  ich  es  dir 
ansagen.«  Darauf  begnadigte  ihn  der  Wali  und  er  sagte  nun  aus: 
»Wir  vier  stellen  uns  blind,  um  auf  diese  Weise  in  die  Häuser  ein- 
zudringen und  die  Frauen  zu  sehen  zu  bekommen,  sie  mit  List  zu  verführen 
und  Geld  von  ihnen  zu  erhalten;  auf  diese.  Weise  haben  wir  bereits  viel 
Geld  —  zehntausend  Dirhem  —  zusammengebracht.  Als  ich  nun 
von  meinen  Gefährten  zweitausendfünfhundert  Dirhem  als  meinen 
Anteil  verlangte,  fielen  sie  mit  Schlägen  über  mich  her  und  nahmen 
mir  mein  Geld.  Deshalb  bitte  ich  Gott  und  dich  um  Schutz;  du  ver- 
dienst meinen  Anteil  eher  als  meine  Gefährten.  Wenn  du  die  Wahrheit 
meiner  Worte  erfahren  willst,  so  schlage  nur  jeden  von  ihnen  mehr 
als  mich,   dann   werden   sie  schon   ihre   Augen   öffnen.« 

Hierauf  erteilte  der  Wali  Befehl,  sie  zu  züchtigen,  und  der  erste, 
der  geprügelt  wurde,  war  mein  Bruder,  den  sie  nicht  eher  losließen, 
bis  er  halb  tot  war.  Dann  sagte  der  Wali  zu  ihnen:  »Ihr  Schurken, 
verleugnet  ihr  Gottes  Wohltat  urid  stellet  euch  blind  ?«  Mein  Bruder 
rief:  »Gott!  Gott!  Gott!  unter  uns  ist  keiner  der  sieht!«  Sie  aber 
warfen  ihn  von  neuem  nieder  und  peitschten  ihn  zum  zweitenmal  bis 
er  ohnmächtig  wurde,  und  der  Wali  sagte:  »Lasset  ihn  jetzt  in  Ruhe, 
bis  er  wieder  zu  sich  kommt  und  seine  dritte  Tracht  erhält.«  Darauf 
ließ  er  jedem  seiner  Genossen  mehr  als  dreihundert  Hiebe  versetzen, 
während  der  Sehende  ihnen  zurief:  »Öffnet  eure  Augen  oder 
es  setzt  neue  schlimmere  Hiebe.«  Dann  sagte  er  zum  Wali:  »Schicke 
jemand  mit  mir,  daß  er  dir  das  Geld  bringt,  denn  diese  hier  öffnen 
aus  F'urcht  vor  der  Schande  vor  den  Leuten  doch  nicht  ihre 
Augen.« 

So  schickte  denn  der  Wali  jemand  mit  ihm.  Als  ihm  dieser  das 
Geld  gebracht  hatte,  nahm  er  es  und  gab  dem  Manne  davon  zwei- 
tausendfünfhundert Dirhem  als  seinen  Anteil  gegen  den  Willen  der 
andern;  meinen  Brnder  aber  und  seine  beiden  Gefährten  verbannte 
er  aus  der  Stadt.  Da  ging  ich,  o  Fürst  der  Gläubigen,  ihm  nach  und 
fragte  ihn,  was  mit  ihm  vorgefallen  wäre;  als  er  mir  seine  Geschichte 
erzählt  hatte,  führte  ich  ihn  heimlich  in  die  Stadt  zurück  und  setzte 
ihm   für  Speise   und  Trank  ein  Bestimmtes  auf  Lebenszeit  fest. 

(Fortsetzung  folgt). 


Die  Kriegsblindenfürsorge  in  Schlesien. 

Der  Stand  der  Kriegsblinden,  welcher  Ende  1915  vier  Mann 
zählte,  hat  sich  im  Geschäftsjahre  1916  durch  Zuwachs  von  8  Blinden 
auf  12  erhöht  und  ist  nach  dem  Ableben  des  Pomp  Alois  infolge 
Lungentuberkulose  auf  11  Mann  gesunken.  Von  diesen  sind  5  Kriegs- 
blinde nach  genossener  Ausbildung  im  k.  k.  Kriegsblinden-Erziehungs- 
institute  Wien  bereits  in  ihre  Heimat  entlassen,  während  sich  4  noch 
in  weiterer  Ausbildung  in  Wien,  1  in  der  Klarsehen  Blindenanstalt 
in  Prag  und  1  als  Geisteskranker  in  der  Landesirrenanstalt  Kremsier 
befinden. 

Wie  schon  an  früherer  Stelle  erwähnt  wurde,  hat  sich  die 
Direktion   des  k.   k.  Blindeninstitutes    in   derart  hervorragender   Weise 


Seite  776.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenuesen.  8.   Nummer. 

der  schlesischen  Kiieo^sblinden  angenommen,  daß  dieselben  auf  die 
an  sie  erg-angenen  Anfragen,  ob  sie  nicht  lieber  an  dem  von  der 
mährischen  Landeskommission  eingerichteten  und  der  schlesischen 
Landeskommission  angetragenen  Kriegsblindenheime  sich  ausbilden 
wollen,  einmütig  um   die  Belassung  in   Wien   baten. 

Ab  L  Februar  1917  hat  jedoch  der  mährische  Latidesausschuß 
sich  bereit  erklärt,  auch  schlesische  Kriegsblinde  zur  Ausbildung  zu 
übernehmen,  und  es  werden  allfällig  neu  zuwachsende  Kriegsblinde 
dann  nach  Mähren  überstellt  werden. 

Bei  der  Ausbildung  der  Kriegsblinden  war  in  erster  Linie  ihre 
Neigung  und  ihr  Bildungsgrad  zu  einem  Blindenberufe  ausschlaggebend. 
Es  wurden  4  in  der  Biirstenbinderei,  4  in  der  Korbflechterei,  1  in 
der  Strickerei  ausgebildet;  bei  2  ist  die  Ausbildung  noch  in  Schwebe, 
da  sie  krank  sind. 

Große  Schwierigkeiten  bot  die  Beschaffung  von  Rohmaterial 
für  die  Bürstenbinderei,  da  die  Vorräte  meistens  überseeischen 
Ursprunges  und  größtenteils  aufgebraucht  sind.  Infolgedessen  haben 
die  Preise  eine  ungewöhnliche  Höhe  erreicht  und  konnte  für  400  bis 
500  Kronen  nur  eine  ganz  bescheidene  Auswahl  der  nötigsten  Bedarfs- 
mittel  für  je   1    Kriegsblinden  beschafft  werden. 

Hiebei  hat  ebenfalls  das  k.  k.  Blinden-Erziehungsinstitut  die 
schlesische  Landeskommission  auf  das  werktätigste  mit  Rat  und  Tat 
unterstützt.  Die  schlesische  Landeskommission  hat  sich  gleich  zu 
Beginn  ihrer  Tätigkeit  für  den  Anschluß  an  den  Kriegsblinde  ifonds 
im  k.  k.  Ministerium  des  Innern  ausgesprochen  und  die  mit  der 
ausdrücklichen  Widmung  für  Kriegsblinde  in  Schlesien  gesammelten 
Spenden  an  diesen  Fonds  überwiesen.  Aus  diesem  Grunde  erfolgt 
die  Fürsorgetätigkeit  für  die  schlesischen  Kriegsblinden  stets  im 
engsten  Einvernehmen   mit  dem  Kriegsblindenfonds  in   Wien. 

Sobald  die  schlesische  Landeskommission  zur  Kenntnis  eines 
Krlegsblindenfalles  gelangt,  werden  sogleich  die  eingehendsten  Erhe- 
bungen über  die  Familien-,  Vermögens-  und  Erwerbsverhältnisse  des 
Kriegsblinden  eingeleitet  und  das  Ergebnis  dem  Kriegsblindenfonds 
mit  einem  begründeten   Antrag  in   Vorlage  gebracht. 

In  den  meisten  Fällen  geht  der  Wunsch  der  Kriegsblinden 
dahin,  ihre  weitere  Zukunft  soweit  als  möglich  zu  sichern  und  sich 
drückender  Schulden  zu  entledigen.  Weiter  machte  sich  das  Verlangen 
nach  Erwerb  einer  eigenen  Heimstätte  bei  jenen  Kriegsblinden  geltend, 
die  bisher  über  eine  solche  nicht  verfügten.  Waren  sie  aber  im  Besitz 
einer  solchen,  so  strebten  sie  verschiedene  Bauherstellungen  oder 
Ergänzungen  oder  den   Erwerb  eines  Stück  Feldes  an. 

Die  schlesische  Landeskommission  hat  in  allen  Fällen,  in  welchen 
die  erforderlichen  Mittel  vom  Kriegsblindenfonds  auf  die  gestellten 
Anträge  bewilligt  wurden,  die  zweckentsprechende  Verteilung  dieser 
Mittel  besorgt  und  die  hiemlt  verbundenen  vermögensrechtlichen 
Durchführungen  bereitwilligst  übernommen,  obwohl  dieselben  in  der 
gegenwärtigen  Kriegszeit  und  bei  den  schlechten  Verkehrsverhält- 
nissen  oft   mit  den  größten   Schwierigkeiten   verbunden  waren. 

Nach  einer  kurz  gedrängten  Darstellung  der  einzelnen  Lebens- 
verhältnisse der  12   Kriegsblinden  schließt  der  Bericht: 


8.  Nummer.  Zeitschrift   für  das  österreicliische  ßlindenwesen.  Seite  777. 

Hiemitercheint  aber  die  Fürsoio^e  für  die  schlesischen  Kriegsblinden, 
selbst  wenn  sie  bereits  in  ihre  Heimat  entlassen  sind,  noch  nicht 
abgeschlossen,  vielmehr  wird  ihnen  dieselbe  auch  noch  weiter  zuteil 
w'erden,  sei  es,  um  ihnen  die  Wege  für  ihr  weiteres  Fortkommen  zu 
ebnen,  sei  es,  um  sie  auch  weiterhin  zu  unterstützen.  Zu  wünschen 
wäre  nur,  daß  sich  die  Zahl  dieser  bedauernswertesten  Opfer  des 
gegenwärtigen   Krieges  nicht  erhöhen   möchte. 

Leider  ist  in  der  letzten,  bis  30.  September  1916  bearbeiteten 
Statistik  bereits  eine  neuerliche  Steig-erung:  um  5  Blinde  angekündet, 
sodaß   Schlesien   nunmehr  17  Kriegsblinde  zählen   wird. 

Gegen  unser  benachbartes  Kronland  Mähren  mit  43  Kriegsblinden 
ist  dieser  Stand  ein  verhältnismäßig  hoher  und  gewiß  sehr  beklagenswert. 


Kriegsblindenfonds  im  k.  k.  Ministerium  des  Innern. 

Aus  der  am  24.  März  1.  J.  unter  dem  Vorsitze  des  Ministers 
des  Innern  Freiherrn  von  Handel  abgehaltenen  Kuratoriumssitzung 
tragen   wie   nach  : 

Von  dem  am  Erscheinen  verhinderten  Hofrate  d.  R.  Ritter 
V.  Chlumecky  wurde  ein  Referat  vorgelegt,  in  welchem  darauf 
hingewiesen  wird,  daß  bei  intelligenten  Blinden,  die  ungeeignet  tür 
körperliche  Betätigung  sind  oder  ein  Handwerk  nicht  betreiben  wollen, 
der  Drang  nach  höherer  Bildung  besonders  in  letzter  Zeit  lebendig 
geworden  ist.  Angeregt  durch  die  große  Zahl  von  aus  gebildeten 
Kreisen  stammenden  Kriegsblinden,  welche  ihre  durch  den  Krieg 
unterbrochenen  akademischen  Studien  fortsetzen  oder  auf  Grund 
ihrer  Vorbildung  solche  beginnen  wollen,  sei  im  Deutschen  Reiche 
im  vorigen  Jahre  der  »Verein  der  blinden  Akademiker  in 
Deutschland«  gegründet  worden.  Der  Verein,  hat  zum  Zwecke,  den 
Blinden  das  für  sie  bisher  so  schwierige  akademische  i]',.. d'.jm  in 
jeder  möglichen  Weise  zu  erleichtern,  hauptsächlich  dadurch,  daß 
alle  für  solche  Studien  notwendigen  wissenschaftlichen  Werke  in 
Punktschrift  übertragen  und  den  Studierenden  leicht  zugänglich 
gemacht  werden.  Der  Referent  regte  an,  das  Kuratorium  möge  sich 
diesem  Vereine  anschließen  und  Stipendien  für  das  Hochschulstudium 
an  besonders  befähigte  Kriegsblinde  gewähren. 

Vorsitzender  bemerkte,  daß  es  vor  allem  notwendig  sei,  festzu- 
stellen, wie  viel  Kriegsblinde  für  ein  Hochschulstudium  in  Betracht 
kämen.  Der  Vorstand  werde  an  die  Landeskommissionen,  denen  das 
Referat  vollinhaltlich  mitgeteilt  werden  soll,  das  Ersuchen  richten, 
Vorerhebungen  zu  pflegen   und  bezügliche   Anträge  zu   stellen. 

Dr.  Benedikt  trat  in  seinem  Referate  »Pfleger  und  Berater 
für  Kriegsblinde«  dafür  ein,  Mittel  und  Wege  zu  schaffen,  das  Schicksal 
der  aus  den  ßlindeninstituten  Entlassenen  auch  weiterhin  verfolgen 
zu  können,  etwa  diirch  Bestellung  von  vertrauenswürdigen  Personen 
als  Patrone,  Berater,  Vormünder. 

In  der  Aussprache  wies  Kommerzialrat  Grimm  auf  die  in  Mün- 
chen bereits  bestehende  Einrichtung  hin,  nach  welcher  das  Kriegs- 
ministerium für  jeden   Kriegsblinden  einen    Vormund  bestellt. 


Seite  778.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Hlin<lenwesen.  8.  Nummer. 

Der  Vertreter  der  mährischen  Landeskomniission,  Direktor 
Wokurek,  schlug  vor,  mit  der  Verfolgung  des  weiteren  Lebensschick- 
sales der  Kriegsblinden  die  Sozialversicherungsinstitute  zu  betrauen, 
welche  durch  die  Einrichtung  der  Beauftragten  sowie  durch  die  nötige 
Kenntnis  der  Ortsverhältnisse  leicht  in  der  Lage  seien,  diese  Aufgabe 
zu   erfüllen. 

Freiherr  v.  Haupt  sprach  sich  gegen  die  Bestellung  eines 
Vormundes  aus.  Die  bestehenden  Blindenvereine  könnten  auch  für 
die   Kriegsblinden   die   geeigneten   Stützen   bilden. 

Vorsitzender  schlug  vor,  auch  dieses  Referat  den  Landeskommis- 
sionen mit  dem  Ersuchen  um  Erstattung  bezüglicher  Anträge  bekannt 
zu   geben. 

Schließlich  befaßte  sich  das  Kuratorium  mit  einer  Anregung 
des  Hofrates  Professor  Dr,  Dimmer,  der  die  Aufmerksamkeit  des 
Kuratoriums  auf  eine  Erfindung  des  Dr.  Herz  lenkte,  die  eine  einfache 
und  billige  Vervielfältigung  der  Blindenschrift  ermögliche.  Das  Verfahren 
beruht  darauf,  daß  die  Blindenschrift  in  eine  Schablone  gestanzt 
und  diese  durch  Bestreichen  mit  einer  Klebemasse  dazu  verwendet 
wird,  Abzüge  in  beliebiger  Anzahl  herzustellen.  Der  Preis  eines 
Apparates  betrage  nur  150  K,  Mit  der  Vervielfältigung  der  Blindeii- 
werke  könnten  mit  Rücksicht  auf  die  leichte,  einfache  Herstellung 
Frauen  betraut  werden.  Redner  bezeichnete  die  Erfindung  als  eine 
sehr  beachtenswerte  und  beantragte,  das  Kuratorium  möge  wegen 
Verwertung  der  Erfindung  für  die  Kriegsblinden  die  notwendigen 
Verhandlungen   pflegen. 

Vorsitzender  meinte,  daß  es  zweckentsprechend  wäre,  vorerst 
Proben  derartig  hergestellter  Blindenschriften  den  einzelnen  Blinden- 
anstalten  zur  Beurteilung  und  Meinungsäußerung  zu   überlassen. 


Die  Sprechmasdiine  „Postaphon"  und  die  Blinden. 

Zur  Verwertung  der  Wurfschmidt'schen  Erfindung,  der 
Postaphon-Sprechmaschine,  für  Blinde  fand  über  Einladung  von 
Blindenvertretern  und  Blindenfreunden  am  11.  Juni  1.  J.  in  den  Klub- 
räumen des  Ingenieur-  und  Architektenvereines  in  Wien  die  Gründung 
eines  Komitees  statt,  das  sich  zur  Aufgabe  stellt,  vorerst  die 
erforderlichen  Geldmittel  zur  Herstellung  einer  größeren  Zahl  von 
Apparaten  zu  beschaffen  und  die  Blinden  damit  auszustatten,  worauf 
dann  an  die  Ausnützung  der  Vorteile  des  Postaphons  für  die  Blinden, 
namentlich  an  die  Herausgabe  einer  sprechenden  Zeitschrift  und  die 
Erweiterung  der  Blindenbibliotheken   geschritten   werden   soll. 

In  der  vom  Obmann  A.  v.  Horvath  geleiteten  Versammlung 
berichtete^DirektorK.  Bü'rklen  über  die  Bedeutung  und  die  Verwendungs- 
möglichkeiten des  Postaphons  für  die  Blinden.  Eine  Reihe  von  Blinden 
(Braun,  Herz,  Holzer,  Satzenhofer  u.  a.)  gaben  einmütig  ein 
günstiges  Urteil  über  die  neue  Erfindung  ab,  von  der  sie  sich  einen 
bedeutungsvollen  Fortschritt  für  Blindenbildung  und  Blindenerwerb 
versprechen. 


8.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwe;  en.  Seile  779. 

Das  unter  dem  Ehrenpräsidium  Sr.  Exzellenz  des  Markgrafen 
Alexander  Pallavicini  stehende  Komitee,  dem  eine  Reihe  hervoi- 
ragender  Persönlichkeiten  beigetreten  ist,  hat  seine  Arbeiten  aufgenom- 
men und  wird  alles  daran  setzen,  das  gesteckte  Ziel  zu  erreichen. 
Auch  der  Verein  »Technik  für  Kriegsinvalide«  (Präsident;  Geheimrat 
W.  Exner)  bezieht  das  Postaphon  jn  sein  Arbeitsgebiet  ein  und  hat 
als  Fachmänner  die  Herren  Bürklen  und   Horvath  gewählt. 

Wir  legen  der  nächsten  Nummer  unserer  Zeitschrift  eine  Abhand- 
lung über  das  Postaphon  bei,  deren  Inhalt  sicher  allseits  großem 
Interesse  begegnen   wird. 


Der  Blinde. 

Von  Heinrich  Kipper. 

Du   munteres  Vöglein 
Auf  duftschwerer  Lind', 
Du   hüpfendes  Bächlein, 
Du  säuselnder  Wind! 

Ihr  wiegt  euch   und  scherzet 
Besinget  mit  Macht 
In  goldenen  Tönen 
Die  lenzige  Pracht. 

O  eilt  auch  zum   Hüttlein, 
Dort  wohnet  mein  Lieb  — 
Und  blitzt  ihm   in's   Auge, 
Ob's  treu   mir  verblieb  ! 

Und   forschet   beim   Rocken, 
Ob's  Muttchen   nocli  spinnt, 
Wie  trüb  auch  das  Auge, 
Die  Träne  noch  rinnt! 

Und   bringet  mir  Kunde  ! 
Dann   weicht  meine  Nacht ; 
Ich  schau   mit  dem   Herzen 
Die  lenzige  Pracht. 


Personalnachrichten. 

—  Ka  i  s.  Rat  D  irekt  or  S.  He  Her.  Ehrung.  Am  10.  Juni  1.  J. 
überbrachte  eine  Abordnung  des  »Vereines  der  Kinder  und  Jugend- 
freunde«, bestehend  aus  dem  Obmanne  K.  Bürklen,  Stellvertreter 
J.  Fröhlich  und  der  Leiterin  des  »Asyles  für  blinde  Kinder«  Frau 
J.  Pupovac,  dem  kais.  Rate  Direktor  S.  Heller  das  Diplom  seiner 
Ernennung  zum  Eh  r  e  n  m  i  t  g  1  i  e  d  e  des  Vereines,  Seit  der  Gründung 
geliörte  Direktor  Heller  dem  Vereine  an  und  um  Gründung  und 
Ausgestaltimg  des  »Asyles«   erwarb  er  sich  unvergängliche  Verdienste. 


Seite  780.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  8.  Nummer. 

Es  war  daher  eine  alte  Dankesscliuld,  die  mit  die.ser  Ehrung  abge- 
tragen  wurde.  Die  Abordnung  drückte  den  Wunsch  aus,  Dhektor 
Heller  möge  noch  viele  Jahre  seiner  ungeschwächten  Arbeitskraft 
dem   Vereine   wie  dem   Asyle   widmen. 

—  Todesfall.  Am  12.  Juli  1.  J.  verschied  nach  langem  Leiden 
in  Aussig  a.  E,  die  Gemahlin  des  dortigen  Direktors  der  deutschen 
Blindenschule  Frau  Katharina  Rauter,  durch  deren  Hinscheiden 
nicht  nur  ihr  Gatte  sondern  auch  ihr  unmündiger  Sohn,  sowie  auch 
die  Blindenschule,  in  welcher  sich  Frau  Katharina  Rauter  in  her- 
vorragender Weise  betätigte,  einen  unersetzlichen  Verlust  erleiden, 
denn  die  Verblichene  zeichnete  sich  durch  eine  besondere  Herzens- 
und Gemütstiefe  aus  und  die  blinden  Kinder  verlieren  in  ihr  eine 
Mutter. 


flus  den  Anstalten. 

—  V  e  r  s  o  r  g  u  n  g  s  -  und  B  e  s  c  h  ä  1 1  i  g  ii  n  g  s  a  ii  s  t  a  1 1  für  erwachsene 
BlindeinWienVIII. 

In  der  von  Direl<tor  O.  H.  St  o  k  1  as  k  a  geleiteten  Anstalt  befanden  sich  im 
Jahre  1916  45  männliche  und  54  weiV)liche  Blinde.  Die  Zahl  der  in  der  Anstalt 
untergebrachten  Pflegelinge  des  »Roten  Kreuzes«  betrug  58,  darunter 
ein  Kriegsblinder.  Trotz  der  großen  Verwaltungskosten  wendete  das  Direktorium 
während  der  Kriegszeit  den  Blinden  des  I.  Ost.  Blindenvereines  durch  27  Monate 
je  100  K  zu,  womit  es  seine  Hochherzigkeit  gegenüber  den  auswärtsstehenden 
Blinden  in  schönster  Weise  bewies. 

Der  Vereinspräsident  P.  Michael  Hersan  wurde  mit  dem  Ehrenzeichen 
II.  Klasse  vom  Roten  Kreuze  mit  der  Kriegsdekoration  ausgezeichnet  in  Anerken- 
nung der  mit  unserer  Pflcgestätte  für  Verwundete  in  Verbindung  stehenden  Tätigkeit. 
Das  Direktionsmitglied  Herr  Vizebürgermeister  Josef  Rain  erhielt  die  Eiserne 
Krone  111.  Kla.sse.  Der  Vizepräsident  des  Vereines  Herr  Dr.  Rudolf  P  ro  c  k  s  ch 
erreichte  das  25.  Jahr  seiner  Zugehörigkeit  zur  Direktion;  diesen  Anlaß  benützte 
Pi  äsident  P.  Hersan  in  der  Sitzung  am  26.  April,  um  die  Verdienste  des  Genann- 
ten urrt  den  Verein  hervorzuheben  und  ihm  für  seine  uneigennützige  Mühewaltung 
durch  so  viele  Jahre  den  besten  IJank  auszusprechen.  Feinen  schweren  Verlust  erlitt  das 
Direktionsmitglied  Herr  Josef  Bachmayr  durch  das  Hinscheiden  seiner  hochbe- 
tagten Mutter,  der  kais.  Ratswitwe  und  Hausbesitzerin  Frau  Karoline  Bachmayr, 
Sie  war  auch  Mitglied  des  Vereines  und  sicherte  sich  ein  dankbares  Andenken, 
indem  sie  (neben  anderen  Vermächtnissen)  für  die  Anstalt  eine  »Leopold  und 
Karoline  Ba  ch  m  a  y  r -.S  t  i  f  t  u  ng  ^   mit  einem  Betrage  von  5000  K  errichtete. 

—  Anstalt  zur  Ausbildung  von  S  p  ä  t  e  r  e  r  b  1  i  n  d  e  t  e  n  in 
Wien  XIX. 

Im  Mittelpunkte  der  Wirksamkeit,  welche  di^- .Anstalt  im  Jahre  1916  entfaltete, 
stand  die  Fürsorge  für  die  K  r  i  e  g^sb  1  i  n  d  e  n. 

Die  Anstalt  zur  Ausbildung  von  spater  Eiblindetenz  ä'h  1 1  e 
i  m  V  e  r  e  i  n  s  j  a  h  r  e  19  16  zwei  im  I*^  i-  i  e  d  e  n  e  r  b  1  i  n  rl  e  1  e  .S  o  1  d  a  t  e  n  und 
fünfzehn  Kriegsblinde,  über  die  wir  im  vorjährigen  Bericht  Mitteilungen 
gemacht  haben.  Die  Ausbildung  der  Kriegsblinden  wurde  nach  dem  bewähittn  System 
in  gründlichster  Weise  fortgesetzt. 

Die  Schwierigkeiten,  welche  ans  der  NuhrungsmittelbeschaiLmg  und  aus  den 
veränderten  sozialen  Verhältnissen  erwachsen,  machten  es  unmöglich,  alle  Kriegs- 
blinden —  da  die  Anstalt  kein  Internat  ist  —  wie  bisher  in  wohlgeeigneten  Familien 
unterzubringen.  Um  sie  vor  jeglicher  .Sorge  und  Entbehrung  zu  bewahren,  aber  auch 
um  auf  ihre  Lebensführung  wohltätigen  Einlluß  zu  nehmen  und  so  ihre,  zukünftige 
geordnete  Lebensgestaltung  vorzubereiten,  wurden  zehn  Krie\;sblin(le  in  einem 
für  sie  geschaffenen  Heim  vereinigt  und  mit  aller  Sorgfalt  umgeben. 
Der    Einrichtung    und    Führung    des    Kriegsblindenheims    hat    sich    mit    beispiel- 


8.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Bündenwesen.  Seite   7R1. 

f^rebender    Opferfreudigkeit    Frau  Olga  Wetzler,  dem   Zuge  ihres  edlen   Herzens 
folgend,  gewidmet. 

Seit  der  Begründung  der  An.-talt  im  Jahre  1898  haben  in  derselben  237  Zivil- 
1)1  in  de  —  192  Männer,  45  Frauen  und  Mädchen  —  ihre  Ausbildung  nach  den 
aticli  für  die  Kriegsblinden  geltenden  Grundsätzen  und  Absichten,  namentlich  unter 
Anstrebung  der  Wiederanknüpfung  an  die  vor  der  Erblindung  betätigte  Berufsarbeit 
erhalten  Der  über  die  Wiiksamkeit  der  Anstalt  im  Jahre  1916  ausgegebene  Bericht 
zeigt  vor  der  unermüdlichen  Tätigkeit  ihres  Leiteis,  kais.  Rates  Direktor  S.  Heller 
und  dem  regen  Wohltätigkeitssinne  einer  großen  Anzahl  von  Persönlichkeiten. 

—  N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  inPnrkersdorf.  Das  Schuljaln- 
wurde  mit  einer  am  30.  Juni  1.  J.  abgehaltenen  Schlußfeier  beendet.  Tiotz  aller 
Beschwernisse  der  Zeit  ist  es  glücklich  vorübergegangen,  denn  obwohl  sich  der 
Zöglingsstand  auf  die  in  der  44  jährigen  Geschichte  der  Anstalt  nur  einmal  dage- 
wesene Zahl  von  118  erhöhte,  konnte  der  Betrieb  in  vollem  Umfange  aufrecht  er- 
halten werden.  Welche  Bedeutung  dieses  zähe  Festhalten  an  der  ungestörten  Aus- 
bildung und  Versorgung  der  blinden  Kinder  des  Landes  Niederösterreich  hat,  wird 
erst  die  Zukunft  zeigen,  wo  die  zerstörenden  Erscheinungen  des  Weltkrieges  auch 
auf  dem  Gebiete  der  Blindenbildung  deutlich  hervortreten  werden.  Der  Unterricht 
wurde  wie  bisher  in  fünf  aufsteigenden  Schulklassen  und  zwei  Fortbildungsklassen 
erteilt.  Im  Berufsbildungsplane  der  schulentlassenen  Zöglinge  bewährte  sich  neben 
Musik  und  den  typ'sciien  Biindenhandwerken  besonders  die  Gärtnerei  für  schwach- 
sichtige Zöglinge  und  die  Feinflechterei  bei  den  Mädchen.  Dem  Materialmangel  in 
der  Bürstenbinderci  konnte  dui  ch  eine  Ei  findung  des  Anstaltsdirektors  K.  B  ü  r  k  1  e  n, 
Weidenfasern  zur  Erzeugung  von  Bürsten  herzustellen,  glücklich  abgeholfen  werden. 
In  der  Kriegsfürsorge  betätigte  sich  die  Anstalt  durch  Abhaltung  von  Wohltätigkeits- 
konzerten und  Sammlungen.  Auch  die  fachliche  Betätigung  des  Lehrkörpers  in  der 
Blindenfürsorge  war  eine  hervorragende,  denn  die  Ans'alt  besitzt  heute  nicht  nur 
die  Führung  im  »Zentralvereinc  für  das  österreichische  Blindenwesen«,  der  alle 
Blindenbildungs-  und  Fürsorgeanstalten  Österreichs  umschließt,  sondern  ist  auch 
die  geistige  Geburtsstätte  der  »Zeitschrift  für  das  Osten  eichische  Blindenwesen«, 
einem  monatlich  erscheinenden  Fachorgane.  Das  Wohlwollen  und  die  einsichtsvolle 
Förderung  dcsn.  ö.  Landesausschusses  und  die  warme  Anteilnahme  des  Referenten 
L.  A.  K  unschak  sichern  der  Anstalt  auch  in  der  Zukunft  eine  glückliche  Weiter- 
entwicklung. 

—  Tir.-Vorarlb.  Blindeninstitut  in  Innsbruck.  Über  Veran- 
lassung des  Direktors  des  Institutes  Stadtptarrers  Johann  V  i  n  a  t  z  e  r  wurde  der 
Bildhauer  Hinterholzer  mit  der  Aufgabe  betraut,  eine  Reliefplastik  des  verstorbe- 
nen Präsidenten  obgenannten  Institutes,  des  Landeshauptmannes  Frhn.  Dr.  Theodor 
V.  K  a  t  h  r  e  i  n,  zu  schaffen,  um  die  Verdienste  des  dahingeschiedenen  Präsidenten, 
der  sich  so  liebevoll  der  armen  AnstaltszögUnge  annahm,  zu  würdigen  zum  blei- 
l:)enden  Gedächtnis  des  unvergeßlichen  Wohltäters.  Hinterholzer,  der  den 
.Auftrag  kostenlos  übernahm,  hat  nun  das  Plastik-Porträt  in  einem  Schaufenster  der 
Kunsthandlung  Unterberger  (Burggraben)  ausgestellt.  Das  Werk  ist  jedoch 
noch  nicht  ganz  fertig,  da  der  Künstler,  der  gegenwärtig  des  Kaisers  Rock  trägt, 
jäh  ins  Feld  abberufen  wurde.  Trotzdem  zeigt  das  Porträt  schon  heute  die  wohlge- 
troffenen Züge;  der  klare,  energische  Blick,  die  edle,  von  den  Silberhaaren  umrahmte 
Stirn,  der  breite  charakteristische  Mund  und  die  kräftige  Nase  sind  Signaturen,  die 
uns  den  Dargestellten  erkennen  lassen.  Der  Gedenkstein  wird  erst  nach  der  Rück- 
kunft des  Künstlers  vollendet  und  an  einem  hervorragenden  Platze  des  Institutes 
seine  Aufstellung  finden.  Der  gute  Präsident  und  Landeshauptmann  hat  sich  zwar 
im  Herzen  der  armen  Blindenzöglinge  selbst  den  schönsten  Gedenkstein  gesetzt. 
Nun  wird  noch  ein  dringender  Wunsch  der  Zöglinge  des  Blindeninstitutes. erfüllt. 
Den  Gedenkstein  betastend,  werden  sie  in  dem  dargestellten  Porträt  erkennen,  daß 
sie  zur  stetigen  Erinnerung  ein  Plastik-Bild  des  von  ihnen  so  geschätzten  Wohl- 
täters dauernd  in  ihrer  Mitte  haben. 


Hus  den  Vereinen. 

~   Blinden-Unter  st  ützungs  verein   »DiePurkcrsdorfer«  in 
Wien    V.     Der    unter    der    bewährten    Leitung    des    Obmannes    F.  U  h  1  stehende 


Seite  782.  Zeitschritt  für  das  östereichische  Blindenwesen.  8.  Nummer. 

Verein  war  auch  im  Jahre  1916  bemüht,  nicht  nur  das  Los  seiner  bedürftigen  Mit- 
glieder zu  Hndern  sondern  auch  durch  cas  Musikalien-Leihinstitut  die  bhnden  Musiker 
Österreichs  nach  Kräften  zu  fördern.  Aul.ser  den  Barunterstützungen  an  bHnde 
MitgHeder  vermittelte  der  Verein  in  114  Fällen  unentgeltlich  Dienst  und 
Arbeit.  Das  Musikalien-Leih-Institut  wurde  in  5793  Fällen  unentgeltlich  in  Ansprach 
genommen.  Im  abgelaufenen  Vereinsjahre  wurden  9  Ausschuß-Sitzungen  und  eine 
Generalversammlung  abgehalten.  Der  Verein  zählte  mit  31.  Dezember  1916  17  Grün- 
der, 43  Stifter,  16  Fhrenmitgliedei-,  188  unterstützende  Mitglieder  und  115  blinde 
Mitglieder.  Das  Musikalien-Leih-Institut  in  Brailles  Notenschritt  zählt  gegenwärtig 
1975  Musikalien  und  100  musiktheoretische  Bücher. 


Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Erzherzog  Karl  Stephan  für  clieKriegserbliiideten. 
Erzherzog  Karl  Stephan  unternahm  in  Begleitung  des  Kammer- 
vorstehers Grafen  Parsival  Pacht  a- Ray  ho  fe  n,  des  Gouverneurs  der 
Bodenkreditanstalt  Karl  Ritter  v.  Leth,  des  Direktors  dieses  Instituts 
Professor  Dr.  Richard  Reisch  und  des  Präsidenten  des  Vereines 
»Kriegsblindenheimstätten«  Kommerzialrat  Heinrich  Grimm  eine 
Exkursion  nach  Le  op  ol  d  a  II,  wo  die  Bodenkreditanstalt  einen  großen 
Komplex  in  sehr  schöner  Lage  besitzt.  Der  Erzherzog  besichtigte 
dort  die  für  Kriegserblindete  zur  Verfügung  gestellten  Baugründe, 
auf  denen  die  Bodenkreditanstalt  drei  Heimstätten  errichten  und 
dem  Verein  »Kriegsblindenheimstätten«  kostenlos  ins  Eigentum  über- 
geben wird.  Die  restlichen  Heimstätten  auf  diesen  Gründen  erbaut 
der  genannte   Verein  aus  eigenen  Mitteln   selbst. 

Von  hier  begab  sich  der  Erzheizog  in  Begleitung  seines 
Kammervorstehers  und  des  Kommerzialrates  Heinrich  Grimm  nach 
Straßhof,  um  die  großen  Terraine,  gemeinsames  Eigentum  der 
Kreditanstalt  für  Handel  und  Gewerbe  und  der  Baufirma  Redlich 
und  Berger,  zu  besichtigen.  Oberbaurat  Red  li  ch,  durch  Unwohlsein 
am  Erscheinen  verhindert,  hatte  Ingenieur  Steiner  zum  Empfang 
des  Erzherzogs  entsandt.  Die  besichtigten  der  von  Oberbaurat 
Redlich  für  den  Verein  »Kriegsblindenheimstätten«  gewidmeten 
Plätze  fanden  den  besonderen  Beifall  des  Erzherzogs.  Dem  Verein 
wurden  auf  diesen  Gründen  vollständig  gebührenfrei  drei  komplette 
Heimstätten  mit  einem  Garten  und  einem  kleinen  Stück  Feld  gewid- 
met, und  zwar  je  eine  von  Oberbaurat  Redlich,  der  Kreditanstalt 
und  der  Terraingesellschaft  m.  b.  H.  Außerdem  erbaut  Oberbaurat 
Redlich  dem  Verein  dort  drei  weitere  Heimstätten  zum  Selbst- 
kostenpreis. Der  Verein  wird  auf  den  in  dieser  Gegend  gewidmeten 
Gründen  aus  eigenen  Mitteln  je  nach  Bedarf  weitere  Heimstätten 
errichten. 

Beim  Abschluß  der  Exkursion  äußerte  sich  Erzherzog  Karl 
Stephan  dem  Kommerzialrat  Heinrich  Grimm  gegenüber  in 
anerkennender  Weise  über  die  neuen  Widmungen  zugunsten  der 
kriegserblindeten  Krieger. 

—  Eröffnung  eines  Krieg  s^b  1  i  n  d  e  n  h  e  i  m  s.  In  würdiger  Weise 
wurde  am  15.  Juli  1.  J.  das  neue  Kaiser  K  a  r  1-K  r  i  e  gsbl  i  n  d  e  n  h  e  im  in  Wien  XIII 
eröffnet.     Im    sonnigen    Korbtiechtersaale    hielt  der   Präsident    des    Vereines  Hofrat 


Herausgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     Redaktionskomitee:   K.   Bürklen, 
J.  Knois,  A.  T,  Horrath,  F.  Uhl.  —  Druck  Ton   Adolf  Englisch,  Purkersdorf  bei  Wien. 


Edler  v.  Herdlicka  eine  herzliche  Ansprache,  in  welcher  er  jener  Faktoren  ge- 
dachte, welche  durch  Subventionen  und  Geschenke  den  Bau  des  Kriegsbiinden- 
heimes  ermöglichten,  sodann  jenen  Funktionären  des  Vereines  dankte,  welche  sich 
um  das  Zustandekommen  des  Neubaues  verdient  gemacht  hal)en.  Er  wandte  sich 
sodann  an  die  Kriegsblinden  selbst,  hieß  sie  herzlichst  willkommen  und  sprach  die 
Hoffnung  aus,  daß  sie  sich  in  dem  neuen  Heime  wohlfühlen  werden,  daß  sie  sich 
Kenntnisse  und  Fertigkeiten  in  einem  Blindengewerbe  zur  Sicherung  ihrer  Zukunft 
erwerben  wollen.  Regierungsrat  Meli  gab  sodann  einen  kurzen  Überblick 
über  die  Entwicklung  des  von  ihm  vor  23  Jahren  gegründeten  Vereines, 
gedachte  hiebei  der  ihm  zur  Seite  gestandenen  Persönlichkeiten  und 
betonte,  daß  es  besonders  der  Sachkenntnis  und  Energie  des  Architekten  Karl 
Limbach  zu  danken  ist,  daß  die  Errichtung  des  Heimes  in  verhältnis- 
mäßig kurzer  Zeit  möglich  wurde.  Da  das  Heim  den  Namen  des  Kaisers  führen 
darf,  so  wird  es  unter  dem  Schutze  dieses  Namens  zum  Wohle  der  Kriegsblinden 
weiterentwickeln.  Die  Versammlung  stimmte  begeistert  in  ein  Hoch  auf  den  Kaiser 
ein.  Der  Kriegsblinde  Mitte  rmayer  erklärte  namens  seiner  Kameraden,  daß  auch 
diese  sich  verpflichtet  fühlen,  ihren  Dank  für  die  freundliche  Aufnahme  in  das 
Heim  auszusprechen.  Der  erblindete  Krieger  gedachte  des  fürsorglichen  Waltens 
des  Protektors  der  Kriegsblinden,  Erzherzog  Karl  Stephan,  er  dankte  besonders 
dem  Leiter  der  Kriegsblindenzentrale,  Regierungsrat  AI  eil,  für  seine  hilfreiche 
Betätigung.  Generalmajor  von  Rochel  begrüßte  den  Vereinspräsidenten 
namens  des  Kriegsministeriums  und  sprach  dessen  Dank  für  die  Errichtung  des 
Heimes  aus  mit  dem  Versprechen,  dieser  Institution  fortgesetzt  das  Wohlwollen 
dieser  hohen  Stelle  zu  erhalten.  Vor  der  kirchlichen  Weihe  ergriff  Kooperator 
Schuckert  in  Baumgarten  das  Wort,  um  den  Kriegsblinden  den  moralischen 
Wert  der  Beschäftigung  und  lohnenden  Arbeit  vor  Augen  zu  halten.  Hierauf  besich- 
tigten die  Anwesenden  sämtliche  Räumlichkeitez,  die  hübsch  ausgestatteten  Wohn- 
zimmer der  Kriegsblinden,  in  welchen  je  zwei  untergebracht  sind,  die  Werkstätten 
und    Verwaltungsräume. 

—  Die  erste  Tiroler  Blindenheimstätte.  Der  Verein  Tiroler 
Heldendank  in  Kufstein  hat  im  Einvernehmen  mit  der  Landeskommission  für 
heimkehrende  Kri.-ger  in  Innsbruck,  das  in  Bichlwang  bei  .Kirchbichl  in  schöner 
Lage  befindliche  einstöckige  Haus  von  Gut  fei  der  käuflich  erworben.  In  dieses 
Heim  wird  der  Kriegsblinde  Josef  Demut  h,  früherer  Bergarbeiter  einziehen, 
welcher  im  Septernber  1916  an  der  Südfront  durch  eine  -iprengschußverletzung  das 
Augenlicht  verloren  hat.  Gegenwärtig  befindet  sich  der  Kriegsblinde  in  einer  Anstalt, 
um  das  Korbfiechten  zu  erlernen. 

—  Sammlungen  für  Kriegsblinde.  Stand   Ende  Juli  1 .  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,129.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  2,510.000   K. 

—  Conrad  von   Hötzendorf-Stiftung:  380.000  K. 

—  Reichspost:  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  55.000  K. 

—  Artur  Weisz,  (Temesvar)  25.200  K. 


Verschiedenes. 

—  Eine  hypnotische  Behandlung  der  Blindheit.  Von  einer 
erstaunlichen,  wenn  auch  nur  vorübergehenden  Blindenheilung  wissen  die  Annales 
des  Sciences  Psychiques  zu  berichten.  Ein  durch  Explosion  erblindeter  englischer 
Chauffeur  kam,  nachdem  er  sechs  Monate  im  Lazarett  und  acht  weitere  Monate  in 
einer  Blindenanstalt  Londons  zugebracht  hatte,  in  die  Behandlung  eines  Hypnoti- 
seurs. Die  Geschoßexplosion  hatte  die  Augäpfel  zurückgepreßt  und  dadurch  zur 
Zusammenziehung  der  Sehnerven  geführt.  Im  Lazarett  hatte  man  ohne  Erfolg  alle 
Mittel  zur  Behebung  der  Geschoßwirkung  angewendet,  aber  nur  die  hypnotische 
Suggestion  konnte  für  eine  Sekunde  das  normale  Sehvermögen  des  Patienten 
wiederherstellen. 


von   Oskar  Picht. 
Bromberg. 

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Direktor  Karl  Bürklen. 


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n  40  Heller.  ^1 


4.  Jahrgang. 


Wien,  September  1917. 


9.  Nummer. 


INHHLT:  O.  Wanecek,  Purkersdorf:  Über  den  Gebrauch  der  Farbennamen  bei 
den  Blinden.  Der  Blinde  des  Orients  im  Spiegel  des  morgenländischen 
Schrifttums.  Personalnachrichten.  Für  unsere  Kriegsblinden.  Verschiedenes. 
Bücherschau,     (flites  und  Neues.     Ankündigungen). 


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3  Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIll, 
g  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.  ji 

Ulm  mla 


MItes  und   Neues. 

E  in  blinder  Minnesänger. 
Unter  den  deutschen  Minnesängern  des  13.  Jahrhunderts  findet  sich 
der  Mar  n  er,  von  dessen  Erblindung  uns  die  Chronik  berichtet. 
Marner  war  ein  fahrender  Sänger  aus  Schwaben,  wahrscheinhch 
bürgerlichen  Standes,  lebte  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts.  Sein 
eigentlicher  Name  ist  unbekannt,  denn  »Marner«  ist  ein  Deckname 
und  bedeutet  Meerführer.  In  seinen  Diclitungen  lehnte  er  sich  an 
Walther  von  der  Vogelweide  an,  ist  aber  schon  sehr  von  der  alten 
edeln  Gesangweise  abgekommen.  Den  gewöhnlichen  Bildungsgang 
seiner  dichtenden  Zeitgenossen  durchmachend,  war  er  in  der  Jugend 
Sänger  der  konventionellen  Liebe  und  des  Marienkultus.  Bei  ihm  ist 
das  Einwirken  des  volksmäßigen  Elementes  auf  die  ritterliche  Poesie 
nicht  zu  verkennen.  Mit  satirischer  Schärfe  wendet  er  sich  gegen  das 
leere  Treiben  der  Zeit,  gegen  das  öde  Turnierwesen,  die  habgierigen 
Wahlfürsten,  selbst  gegen  den  Papst.  Enttäuscht  und  verdüstert,  wird 
er  schließlich  ein  klagender  Betrachter  der  Welt.  Sein  Talent  ist 
bedeutend.  Er  liebt  sprichwörtliche  Ausdrucksweise  und  entlehnte 
Bilder   und  Beispiele  gern  aus  der  ihn   umgebenden  Natur. 

Zur  Verdüsterung    seines   Gemütes    mag    wohl    seine  Erblindung 
beigetragen   hab^n,   denn   er    wurde  als  alter    blinder  Mann   ermordet. 
Das  ist  aus  einem  Naclinif  von  einem  anderen  Minnesänger,  Meister 
R  u  m  e  1  a  n  d,   zu   ersehen,   in   dem   es  heißt  : 
»Gott   hat  auch   dem   Marner 
Das  Leben   lang  gefristet. 
Der  manches  Mannes  Warner; 
Nun  hat  ihn   überlistet 
Der  mörderische  Tod  — 
Wie  ist  mir's  leid,   o   Gott! 

Schändlichrer  Totschlag  ward   noch  nie  begangen 
An   einem   kranken   blinden  alten  Manne, 
Den  selber  nach  dem   Tod  schon   mocht  verlangen.« 
So  beklagt  Rumeland    tief    den    begangenen   Mord,  trotzdem 
er  früher  in   mehreren  bitteren  Spottgedichten  den  Marner  verhöhnt 
hatte,   der  ihn   nicht  recht  anerkennen  zu   wollen  schien. 

Mit  diesem  blinden  Minnesänger  begann  übrigens  die  Zeit  der 
Polemiken,  in  der  sich  die  verschiedenen  Sänger  auf  das  heftigste 
befehdeten.  Mit  des  Marners  Auftreten  ist  so  die  geschichtliche 
Tatsache  eingeleitet,  die  der  bekannten  Sage  vom  Sängerstreit  auf 
der  Wartburg  zugrunde   liegt. 

Die  Heidelberger  Handschrift  zeigt  in  einem  Bilde  den  Marner, 
wie  er  aus  einer  dargereichten  Schale  trinkt.  An  seinen  aufgeschlagenen 
Augen   ist   noch   nichts  von   der  späteren   Blindheit  zu   merken. 


4.  Jahrgang. 


Wien,  September  1917. 


9.  Nummer. 


■^  »Der  Blindgeborene  denke  sich  das  Licht,   die  Farben,  ^vie   ^ 

*    er  will;   erscheinet  ihm  der  neue  Tag,  ist's  ihm  ein  neuer  Sinn.«    ^ 

if  J.   \V.   V.   Goethe   in   „Torquato  Tasso."  ^ 


Über  den   Gebrauch  der  Farbennamen   bei 

den   Blinden. 

Von  Lehrer  O.  Wanecek,  Purkersdorf. 

Überall  im  Leben,  im  Verkehr  mit  den  Mitmenschen,  in  der  Lektüre 
begegnen  dem  Blinden  die  Namen  der  Farben.  Er  nimmt  sie  in  seinen 
Sprachschatz  auf  und  gebraucht  sie  auch.  Schon  am  Kind  kann  man 
das  beobachten,  wenn  es  in  die  Schule  eintritt.  Wohl  oder  übel  muß 
auch  der  Unterricht  zum  Gebrauche  der  Farbnamen  Stellung  nehmen  ; 
für  den  Blindenlehrer,  der  ja  immer  tiefer  eindringen  will  in  die  Seele 
seiner  Schützlinge,  hat  hier  eine  Untersuchung  noch  ein  ganz  anderes 
Interesse.  Wenn  sich  der  Blinde  durch  falsche  Zusammenschlüsse  von 
Färb-  und  Gegenstandsnamen  in  seiner  nicht  immer  feinfühligen 
sehenden  Mitwelt  lächerlich  macht,  ist  dies  für  den  Unterricht  einerseits 
Anlaß,  beim  Gebrauch  dieser  »leeren  Worte«  sehr  vorsichtig  zu  sein, 
anderseits  wird  er  aber  nie  Mittel  finden,  diese  ganz  von  seinen  Zög- 
lingen ternzuhalten,  wie  er  auch  nicht  die  Macht  haben  kann,  die 
Verwendung  dieser  Namen  unmöglich  zu  machen.  Eine  Fülle  kann 
hier  nur  Verwirrung  anrichten,  da  dem  Blinden  keine  inneren  Gedächt- 
nishilfen für  die  Assoziation  des  Gegenstandes  mit  seiner  Farbe  zu 
Gebote  stehen.  Wenn  überhaupt  von  einem  Gebrauche  der  Farbnamen 
die  Rede  sein  kann,  dann  darf  dies  nur  in  beschränktem  Maße 
geschehen. 

Gewissen  Dingnamen  haften  im  sprachlichen  Gebrauche  Farb- 
namen an,  die  mit  ihnen  zu  einer  schier  untrennbaren,  typischen  Einheit 
verbunden  sind.  Fast  ausschließlich  ist  es  die  »grüne«  Wiese,  die  »weiße« 
Leinwand,    das     »rote«    Blut    u.  s.   w.,    wovon    gesprochen  wird.     Diese 


Seite  788.  Zeitschrift  tiii   das  österreichische  Bhndenvvesen.  '9.  Nummer. 

Wortassoziationen  werden  wohl  auch  im  Sprachscliatze  des  BUnden 
einen  breiteren  Raum  einnehmen.  Neben  diesen  typisclien  Assoziationen 
stehen  aber  gewiß  andere,  /.ufällige,  die  nicht  durcli  den  allgemeinen 
Gebrauch,  sondern  durch  eine  einzelnstehende  Tatsache  dem  Gedächt- 
nis einverleibt  wurden.  Bei  ihnen  fällt  der  typische  Charakter  der  Farbe 
weg,  der  Gegenstand  kann  mr)glicherweise  die  genannte  Farbe  /cij^rn. 
Hielier  müßte  z.  B.  gerechnet  werden  die  Verbindung  von  >'>blaui  und 
*  Buchumschlag. « 

Auf  diese  typische,  bezw.  mögliche  Assoziation  von  Farhn  und 
Gegenstand  läßt  sich  eine  Untersuchung  gründen,  davon  Ergebnisse, 
in  Zahlen  ausgedrückt,  mancherlei   interessante   Schlüsse  gestatten. 

Eine  eingehende,  auf  eine  möglichst  bieite  Umfrage  gestützte 
Untersuchung  wird  aber  ihre  Folgerungen  nicht  allein  auf  das  Zahl- 
verhältnis der  vorgenannten  Fälle  gründen,  sondern  auch  neben  den 
schuldig  gebliebenen  und  falschen  Antworten  die  Zahl  und  die  Gleichi- 
bezw.  Verschiedenartigkeit  der  zur  Antwort  gebrachten  Gegenstände 
in  Betracht  ziehen  müssen.  Auch  das  Alter  der  Versuchspersonen  konnte 
nicht  unbeachtet  bleiben.  Unter  den  an  unserer  Anstalt  zur  Verfügung 
stehenden  Blinden  ergaben  sich  nach  den  bitelligenzstufen  drei  Gruppen, 
nämlich: 

die  I.  Gruppe  Zöglinge  im  Alter  von  7  —  10  Jahren, 
die  IL  Gruppe  Zöglinge  im  Alter  von  10  — 16  Jahren, 
die  III.  Gruppe  Zöglinge  im  Alter  von   16 — 20  Jahren. 

Die  erste  Gruppe  umfaßte  in  die  Schule  eintretende,  die  zweite 
solche  Kinder,  die  im  vollsten  Unterrichtsbetriebe  stehen,  und  die  letzte 
Zöglinge  der  Lehrlingsstufe.  }ede  Gruppe  zählte  20  Personen. 

Die   Untersuchung  entwickelte  sich  folgendermaßen  : 

Zuerst  sollten  auf  die  Fragen:  »Was  ist  rot,  blau 
u.  s.  w. .?«  Gegenstände  genannt  werden.  Das  Ergebnis  war 
folgendes:  ^■ 

charakteristische,     mögliche^       unmögliche, 

■Assoziationen.  '^'^'"«^  Antworten. 

blau  31  16 

grün  50  7 

rot  32  17 

weiß  28  24 

schwarz  34  18 

gelb 20 19 

Im  ganzen  195  101                         4                        6Ö" 

Auf  die  drei  Gruppen  verteilen   sich  diese  Antworten  : 

charakteristische,     mögliche,       unmögliche, 

Assoziationen.  '^'^'"^  Antworten. 

I.  Gruppe  65  32  4  20 

II.  Gruppe  84  22  0  15 

III.  Gruppe  46  47  0  26 

Diese  Zusammenstellung  zeigt,  daß  die  typischen 
Assoziationen      bedeutend      überwiegen.      Verschwindend 


2 

11 

0 

3 

0 

11 

0 

8 

0 

8 

2 

19 

9.   Nummer.  Zt-itschrift  (ür  das  östei  reichische  Bhndenweten.  Seite  789 

gering  sind  die  falschen  Zusammenschlüsse.  Eigenartiger- 
weise treten  die  typischen  Verbindungen  nicht,  wie  man 
erwarten  könnte,  bei  den  Erwachsenen,  sondern  bei  den 
Schülern  am  häufigsten  auf.  Sogar  die  in  die  Anstalt  Eintretenden 
übeltreffen  hierin  die  Großen.  Dies  erklärt  sich  aus  dem  Bestreben  der 
Alteren,  etwas  besonderes  sagen  zu  wollen.  Sie  scheuen  sich,  solch 
alltägliche  Verbindungen  wie  »blauer  Himmel,  weiße  Leinwand«  zu 
gebrauchen.  Das  Leben  hat  sie  gelehrt,  daß  die  Farben  verschieden- 
artig wecliselnd  an  Gegenständen  haften  können,  und  folgerichtig  zeigt 
sich  bei  ihnen  die  höchste  Zahl  der  möglichen  Assoziationen  in  den 
Antworten.  Allerdings  weisen  sie  auch  die  höchste  Zahl  der  schuldig 
gebliebenen  Antworten  auf,  was  sich  auf  die  Scheu  zurückbeziehen  läßt, 
etwas  Unrichtiges  zu  sagen  und  sich  lächerlich  zu  machen,  wofür  die 
Empfindung  bei  den  Erwachsenen  schon  zu  entwickelt  ist.  Daß  die 
Schulkinder  die  typischen  Verbindungen  am  meisten  für  den  Gebrauch 
innehaben,  findet  seine  Eiklärung  darin,  daß  sie  gegen  die  Elementar- 
schüler durch  das  Leben,  die  Lektüre  und  vielleicht  auch  durch  den 
Unterricht  vorgeschritten  sind,  ihnen  aber  die  bildende  Erkenntnis  von 
der  wandelbaren  Gestaltung  der  Umwelt  noch  nicht  so  deutlich  geworden 
ist,  als  den  Großen.  Die  Elementarschüler  bringen  eine  gewiß  ausrei- 
chende Kenntnis  in  den  Farbenbezeichnungen  in  die  Schule  mit; 
namentlich  die  verschwindend  wenigen  falschen  Antworten  mögen 
hervorgehoben   sein. 

Das  Werden  der  einzelnen  nicht  typischen  Assoziationen  von 
Farbnamen  nnd  Dingbegriff  mögen  einzelne  Fälle  aufweisen.  Solche 
Zusammenschlüsse  weisen  olt  eine  außerordentliche  Feinheit  des  Gedächt- 
nisses auf,  was  auch  in  den  späteren  Umfragen  immer  wieder  hervor- 
tritt. Oft  und  oft  läßt  sich  erkennen,  daß  sie  das  Ergebnis  einer  ein- 
maligen gelegentlichen  Erwähnung  sind.  Wie  oft  und  in  welchem 
Zusammenhange  mag  ein  Mädchen  aus  der  ersten  Gruppe  von  einer  »grünen 
Insel«  gehört  haben?  Wie  oft  mag  anderen  gesagt  worden  sein,  daß 
die  Marmelade,  der  Schnuller  der  kleinen  Geschwister  rot  seien?  Ebenso 
mag  die  gelegentliche  Erwähnung  d^r  freilich  jetzt  schon  der  Vergan- 
genheit angehörigen  roten  Hose  der  Dragoner  den  Befragten  bestimmt 
haben,  bei   »rot«   den   ganzen  Mann   zu  nennen. 

Weniger  häufig,  als  zu  erwarten  wäre,  traten  Antworten  zutage, 
die  den  zu  beantwortenden  Farbbegrifit  in  einer  Zusammensetzung  ent- 
halten wie  »Schwarzdruck,  Wäschblau.«  In  diesen  Wörtern  liegt  offenbar 
für  den  Blinden  eine  Abschwächung  des  Farbbegriffes,  der  gar  nicht 
mehr  als  solcher  gefühlt  wird. 

Oft  ist  man  der  Meinung,  die  Farbbegriffe  durch  Qualitäten  anderer 
Sinne  umsetzen,  ihren  Gefühlston  mit  gewissen  ideellen  oder  moralischen. 
Begriffen  ausdeuten  zu  können.  Dafür  dürfte  im  Blinden  kein  ursprüng- 
liches Bedürfnis  liegen,  wenn  auch  drei  Antworten  (bei  »weiß«  »Engel« 
und  »Unschuld,«  bei  »schwarz«  »Trauer«)  darauf  hinzudeuten  scheinen. 
»Unschuld«  und  »Trauer«  tiaten  bei  einem  Kaben  der  zweiten  Gruppe 
auf  und  stehen  offenbar  im  Zusammenhange  mit  dem  Religions- 
unterrichte. 


Seite  790.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Bhndenwcsen.  9.  Nummer. 

Für  die  inbetracht  gezogenen  6  Farbnamen  brachten  die  60  Ver- 
suchspersonen 33  Dingnainen  für  charakteristische  Zusammenschlüsse 
zustande  und  zwar  in  folgender  Zahl  : 

blau  4  (Himmel  22,  Luft  4,  Veilchen  4,  See  1); 

grün  5  (Wiese  21,  Gras   12,  Blatt  8,  Baum  7,  Klee   1); 

rot  5  (Blut   15,  Feuer  7,  Rose  7,  Glut  2,  Ziegel   1); 

weiß  5  (Schnee  23,  Mehl  2,  Kreide  1,  Lilie  1,  Gänseblümchen   1); 

gelb    6    (Butterblume    7,    Eidotter  6,  Chinese  2,  Löwenzahn   2,   Gold   2, 

Orange   1) ; 
schwarz  8  (Kohle   17,  Ofen  5,  Rauchfangkehrer  3,  Trauerlahne  3,  Ruß  2, 

Trauerband  2,  Rabe  1,  Schuhwichse   1). 

Die  I.  Gruppe  wies  28  Gegenstände,  die  II.  Gruppe  24  Gegen- 
stände, die  III.  Gruppe  20  Gegenstände  auf. 

Daraus  '  erkennt  man,  daß  mit  zunehmendem  Alter  die 
typischen  Assoziationen  einförmiger  werden;  die  besonders 
charakteristischen,  die  fortwährend  gebrauchten  prägen  sich  beson- 
ders ein,  andere  weniger  häufig  auftretende,  die  im  Kindesgedächtnis 
lebhafter  erhalten  bleiben,  verblassen   später. 

Bei  den  nicht  typischen,  aber  möglichen  Assoziationen  wurden 
30  Gegenstände  genannt  und  zwar  in  der  I.  Gruppe  18,  II.  Gruppe  16, 
III.  Gruppe  28. 

Daß  hier  die  höchste  Zahl  bei  den  Großen  auftritt,  bestätigt  die 
oben  erwähnte  Tatsache,  daß  die  Personen  der  III.  Gruppe  die  typischen 
Verbindungen  meiden  und  lieber  etwas  nicht  so  eingewurzeltes,  Beson- 
deres sagen.  Allerdings  sind  es  fast  durchwegs  alltägliche  Dinge,  deren 
Farbe  eine  durchaus  unwesentliche  Rolle  spielt.  Diese  Gegenstände 
wurden  in  folgenden  Zahlen  genannt:  Kleid  17,  Blumen  10,  Schürze  6, 
Mauer,  Papier,  Wolken  je  4,  Vorhang,  Tuch,  Licht,  Band,  Erde,  Ilerbst- 
l.uib  je  2,  .Stoff,  Augen,  Polsterzug,  Weiden,  Tor,  Sacktuch,  Haarmasche, 
Bleistift,  Ei,  Bild,  Handtuch,  Rock,  Hut,  Hände  (bei  schwarz-schmutzig), 
Sonne,   Seide,   Schuhe,   Mantel  je   1. 

Bei  den  charakteristischen  Antworten  steht  bei  jeder  Farbe  ein 
Dingnamen,  der  besonders  häufig  auftritt  (Blut,  Schnee,  Himmel  etc). 
Wenn  wir  diese  Antworten  ausschalten,  indem  wir  diese  Gegenstands- 
namen mit  dem  Frage  begriff  zusammensetzen  (himmelblau, 
schneeweiß),  so  sinkt  die  Zahl  der  typischen  Assoziationen, 
anderseits  aber  treten  einzelne  neue,  für  den  neuen  Begriff  typische 
Verbindungen   auf. 

charakt.,     mögliche,      unmögl. 
Assoziationen. 

himmelblau   wies 

auf  7  11  3 

grasgrün  16  5  2 

blutrot  28  8  0 

kohlschwarz  17  4  1 

schneeweiß  18  11  1 

dottergelb  10  8  1 


keine. 

gl 

eichnamig, 

An 

tworten. 

37 

2 

36 

1 

16 

8 

25 

13 

20 

10 

37 

4 

9.   Nuinnit;!.  Zeitschi  ifl   für  das  östti  reichisclic   Hlindenweseii.  Seile    791. 

Auf  die  einzelnen  Gruppen  verteilten  sich  die  Antworten  folgen- 
dermaßen : 

charakt.,     mögliche,     unmögliche,        keine       gleichnamige, 
Assoziationen.  Antworten. 

I.  Gruppe        22  14  3  68  13 

II.  Gruppe         40  11  3  59  7 

III.  Gruppe         34 22 2 44 18 

96  47  8  171  38 

Wie  bei  den  Fragen  der  ersten  Art  treten^auch  hier 
die  meisten  charakteristischen  Antworten  in  der  zweiten 
Gruppe  auf.  Die  Kleinsten  nennen  hier  die  wenigsten  Gegenstände 
und  iDleiben  auch  die  meisten  Antworten  schuldig.  Überhaupt  zeigt  die 
letzte  Rubrik  die  höchste  Zahl  bei  allen  drei  Altersstufen.  Das  weist 
daraufhin,  daß  oftmals  mit  dem  in  de  rFrageauft  retenden 
Gegen  Standsnamen  das  ganze  Wissen  um  die  Farbe 
erschöpft  ist.  Trotz  vorhergegangener  Ermahnung  wurden  die  im 
Fragewort  liegenden  Dingnamen  öfter  zur  Antwort  gegeben,  was  auf 
die  Innigkeit  der  Verschmelzung  von  Farbnamen  und  Gegenstands- 
begriff hinweist,  die  so  groß  ist,  daß  die  Tautologie  nicht  zum  Bewußt- 
sein kommt. 

Wenn  auch  die  absolute  Zahl  der  charakteristischen  Antworten 
im  Vergleich  zur  ersten  Umfrage  bedeutend  gesunken  ist,  so  werden 
zu  diesen  Antworten  doch  43  Gegenstände  herangezogen,  (gegen  33 
iener).  Diese  sind  nun  : 

Himmelblau   3  (v^eilchen  3,  Vergißmeinnicht  3,  Maialtar  1); 
Dottergelb  5    (Löwenzahn    4,    Dotterblume  4,    kleine    Hühner   1,    Pom- 

meranze   1,  Hahnenfuß  1); 
Grasgrün  7   (Frosch   4,   Wiese  3,  Jägergewand  3,  Laub  3,  Heuschrecke  2, 

Baum   1,  Klee   1) ;  . 

Schneeweiß  8  (Leinwand  6,    Lilie  4,   Schneegans    1,  Kommuniontisch  1, 

Kreide  1,  Schimmel  1,  Eis   1,  Bettuch   1); 
Blutrot   10  (Kirsche    13,  Rose  5,  Feuer  4,  Lippe  2,  Morgenrot   1,    wenn 

man    ins    siedende    Wasser    steigt    1,    bei    der    Wiener    Fahne   1, 

Zunge  1); 
Kohlschwarz     12    (Trauerfahne    3,      Rabe    3,    Ofen    2,     Asche,    Köhler, 

Nacht,  Rappe,  Wichse,  Ruß,  Schokolade,  Angebranntes,  Tollkirsche  1). 

Die  einzelnen  Altersstuten  verwendeten  dazu:  I.  Gruppe  17  Gegen- 
stände, 11.  Gruppe  28   Gegenstände,  III.  Gruppe  22   Gegenstände. 

Es  zeigt  sich,  daß  die  Zöglinge  inbezug  auf  Farbenbezie- 
hungen viel  mehr  wissen,  als  man  nach  der  ersten  Umfrage 
annehmen  durfte.  Ganz  andere,  früher  nicht  erwähnte  Gegenstände 
kominen  zum  Vorschein;  Frosch,  Jägergewand,  Heuschrecke,  Morgenrot, 
Zunge,  Köhler,  Nacht,  Schokolade,  Tollkirsche,  Schneegans,  Schimmel, 
u.  s.  w.  Dem  Religionsunterricht  entstammen  die  Wortverbindungen 
vom  blauen  Maialtar  und  weißen  Kommuniontisch,  einem  unangenehmen 
schmerzlichen,  aber  darum  unvergeßlichen  Erlebnisse  die  Antwort: 
Wenn  man  ins  heiße  Wasser  steigt.  Die  19  Gegenstände,  die  hier  zu 
möglichen  Assoziationen  gebraucht  wurden,  sind  wieder  alltägliche,  die 
kein  weiteres  Interesse  erregen.  Es  sind  : 


Seite  792.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  9.    Nummer. 

Blumen  11,  Kleid  8,  Stoff  6,  Tuch  2,  Haare  2,  Fahne,  Masche, 
Haarmasche,  Bank,  Papier,  Beeren,  Schürze,  Wurst,  Frucht,  Wolken, 
Henne,  Hände,  Schaum,  Band  je  1.  Diese  verteilen  sich  auf  die 
einzelnen  Gruppen:  I.  Gruppe  15  Gegenstände.  IL  Gruppe  9  Gegen- 
stände, III.   Gruppe  13   Gegenstände. 

Unter  den  falschen  Antworten  ist  zu  erwähnen,  daß  bei  »himmel- 
blau« dreimal  »Schlüsselblume«  genannt  wurde,  was  seine  Ursache 
im  zweiten  Namen  dieser  Blume  (Himmelschlüssel)  hat.  So  stellt  uns 
diese  Antwort  das  Ergebnis  eines  logischen  Schlusses  dar.  In  dci" 
Mehrzahl  der  Fälle  dürften  die  falschen  Antworten  auf  solchen  beruhen. 
Hiezuwären  zu  vergleichen  »Dragoner«  bei  der  ersten  Umfrage,  »Eisen« 
bei  der  folgenden.  Auf  gelegentliche  scherzhafte  Anwendung  mögen 
die  »grünen  Augen«  zurückgehen.  Unauffindbar,  wahrscheinlich  auf 
bloßes  Raten  begründet,  ist  die  Entstehung  der  Verbindung  »schwarze 
Rose.« 

War  schon  die  Beantwortung  der  letzten  Umfragen  mit  großen 
Schwierigkeiten  verbunden,  so  stiegen  diese  noch  besonders  bei  der 
folgenden.  Nun  sollte  darauf  geantwortet  werden,  was  »rötlich, 
weißlich  u,  s.  w.  ist.  Naturgemäß  fühlten  viele  den  Charakter 
dieser  Farbbegriffe  nicht  und  setzten  sie  der  Grundbedeutung  gleich, 
»rötlich«  wie  »rot«  u.  s,  w.  Es  traten  also  eine  Anzahl  von  Gegen- 
ständen in  den  Antworten  auf,  die  wohl  der  Grundfarbe  typisch  zuge- 
hörten, aber  diesen  besonderen  Begriffen  nicht  entsprachen.  Sie  wurden 
besonders  verzeichnet. 

Es   wurden   orenannt   bei 


chara 

kt. 

f.  d 

Grundf. 

mögl. 

unmögl. 

charakt. 

<"• 

' 

keine 

unverst. 

Assoziationen. 

An 

tworten. 

bläulich 

2 

8 

8 

— 

42 

— 

grünlich 

5 

7 

5 

— 

40 

— 

rötlich 

5 

9 

6 

1 

37 

1 

schwärzlich 

7 

7 

11 

— 

35 

— 

weißlich 

1 

6 

7 

— 

4^ 

1 

gelblich 

6 

7 

8 

2 

37 

— 

26  44  45  3  237  2 

Auf  die   einzelnen   Gruppen   entfielen: 

charakt.     f-  d.  Grunf.      mögl.       uninögl.       ,     . 

charakt.  keine       unverst. 

Assoziationen.  Antworten. 

I.  Gruppe  4  20  9  2  82  1 

II.  Gruppe  10  8  19  1  82  — 

III.  Gruppe         12  16  17  —  73  1 

Am  wenigsten  klar  i  s  t  d  e  r  U  n  t  e  r  s  c  h  i  e  d  zwischen  der 
Grundfarbe  und  dem  besonderen  Färb  begriff  den  Ele- 
mentarschülern. Auffallend  ist,  daß  die  imSchulbetrieb 
stehenden  Kinder  das  feinste  Gefühl  dafür  zu  haben 
scheinen.  Diese  Tatsache  in   Verbindung  mit  den   Höchstzahlen   der 


9.  Nummer.  Zeilscliiift  tür  das  Osten  eichischc   Bliiidenwesen.  Seite  793. 

charakt,  Assoziationen  in  den  beiden  ersten  Umfragen  läßt  den 
Schluß  berechtigt  erscheinen,  daß  d  i  e  S  ch  u  1  k  i  n  d  er  unter  den 
Blinden  am  richtigsten  mit  den  Farbnamen  operieren. 
Dies  erklärt  sich  vielleicht  neben  den  Einflüssen  der  Lektüre  und 
des  Unterriclits  aus  der  Neugierde,  die  gerade  Kinder  in  dieser  Alters- 
stufe immer  wieder  fragen  läßt,  was  für  eine  Farbe  dieser  und  jener 
Gegenstand  habe.  Das  lebhafte  Gedächtnis  dieser  Altersstufe  bewahrt 
dieses  Wissen.  Das  spätere  Alter  hat  diese  Neugierde  überwunden, 
schupft  nicht  mehr  ein  totes  Wissen,  einer  stillen  Resignation 
folgend. 

Für  die  charakteristischen  Antworten  wurden  23  Gegenstände 
gebraucht   und  zwar  bei: 

weißlich   1    (unangestrichenes   Holz); 

bläulich  2  (Ei   des  Kanarienvogels,  Luft  1); 

grünlich  4  (Neue  Gewänder   der  Soldaten,  Wasser  2,   niclit  ganz  reines 

Wasser,   Heuschrecke   1); 
rötlich    4  (Wangen,  Abendhimmel  2,  Morgenhimmel,  der  Himmel,   als 

es  am   Nordbahnhof  brannte  1); 
gelblich     5     (Hautfarbe     2,     Gesicht     des     Kranken,     Stroli,     Rohseide, 

Wachs    1); 
schwärzlich    7    (Wenn     das    Haus  sclimutzig  ist,   wenn   man  sclimutzig 

ist,   wenn  man  sich  nicht  wäscht,  der  Schmied,  Schokolade,  Asr.he, 

Gewitterhimmel). 

Auf     die    einzelnen     Gruppen   entfielen:.  I.   Gruppe  4,  II.   Gruppe 

10,  III.   Gruppe   13   Gegenstände. 

Die  meisten  dieser  Antworten  sind  von  einer  außerordentlich 
treffenden  Charakteristik.  Die  oben  erwähnte  Feinheit  des  Gedächt- 
nisses tritt  auch  hier  ganz  besonders  hervor.  Eine  Tatsache,  die  schon 
um  Jahre  zurückliegt  (Himmel  beim  Brand  am  Nordbahnhof),  die 
einen  äußerst  lebhaften  Eindruck  gemacht  hat,  wird  sofort  mit  dem 
damals  genannten  Farbnamen  ins  Gedächtnis  gerückt.  Aber  auch 
weniger  lebhafte  Eindrücke  werden  bewahrt,  so  z.  B.  »bläulich  ist  das 
Ei  des  Kanarienvogels.«  Dazu  sei  erwähnt,  daß  daheim  bei  dem  Ant- 
wortenden (II.  Gruppe)  nie  ein  solches  Tier  gehalten  wurde,  die 
Assoziation  also  nur  auf  gelegentliches,  vereinzeltes  Hören  zurück- 
gehen  kann. 

Bei  den  möglichen  Assoziationen  traten  26  Gegenstände  auf: 
Blume  5,  Schürze  5,  Haare  4,  Kleid  3,  Stoff  3,  Kugel  2,  Tier  2, 
Schmetterling  2,  Rose  2,  Blätter  2,  Tuch  2,  Mauer  2,  Tinte  2,  Wolle  2, 
Fahne  2,  Masche  1,  Katze  1,  Seifei,  Bank  1 ,  Geigenkasten  1,  Bucli- 
umschlag   1,   Edelstein   1,   Bleistift   1,   Gläser   1,   Licht   1,   Wäsche   1). 

Diese  verteilen  sich  auf  die  einzelnen  Altersstufen :  I.  Gruppe 
8,  II.   Gruppe  9,   III,   Gruppe   17   Gegenstände. 

Unter  den  falschen  Antworten  ist  besonders  auf  eine  hinzu- 
weisen. Bei  rötlich  nannte  einer  von  den  Erwachsenen  Eisen.  Offenbar 
schloß  er  dies  aus  der  Rotfärbung  der  Ziegel  durch  dieses  Metall. 
Es  zeigt  sich   also   auch  hier  eine  logische   Folgerung. 

Zusammenfassend  kann  also  festgehalten  werden, 
daß   der  Blinde  im    Gebrauch   der   F  a  r  b  n  a  m  e  n  typische 


Seite  794.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Bhndenwesen.  9.  Nummer. 

Assoziationen  ani  meisten  gebraucht  und  Fehler  nur 
in  äußerst  g  e  r  i  n  g  e  r  A  n  z  a  h  1  macht.  Nachstehend  darüber 
eine   Übersicht: 

Von   1440  Fragen  wurden 

665  charakteristisch  beantwortet,  das  sind  46.17  "/q. 

200  mögHcherweise  beantwortet,     das  sind   19.44  "/(,. 

501    gar  nicht  beantwortet,  das  sind  34.79  °/o. 

15  falsch  beantwortet  das  sind      1.04  ^/q. 

Dem  Blinden  gegenüber  ist  also  eine  Scheu  im 
Gebrauche  von  Färb  n  amen  nicht  geboten.  Damit  sei 
aber  nicht  gesagt,  daß  man  sich  nicht  doch  Zurück- 
haltung wird  auferlegen  müssen.  Der  Unterricht,  das  Leben, 
die  Lektüre  assozieren  nicht,  wie  es  in  den  vorstehenden  Umfragen 
geschehen  ist,  zum  abstrakten  Farbbegriff  die  Gegenstände  sondern 
umgekehrt.  Daß  aber  die  Farbnamen  am  Gegenstande  leichter  gemerkt 
werden,  ist  einleuchtend  und  wird  durch  die  Ergebnisse  der  letzten  Umfrage 
bestätigt.  Es  sollten  zu  typischen  Gegenständen  die  Farben 
genannt  werden.  Es  zeigten  sich  bei 

charakteristische        mögliche,  ,  . 

Assoziationen  ^eme  Antwort 

der      L  Gruppe  96  9  16 

der    II.   Gruppe  101  6  12 

der  III.   Gruppe  107  8  5 

Bei  dieser  Umfrage  sollten  zu  folgenden  Gegenständen  die  typi- 
schen Farbnamen  genannt  werden:  Himmel,  Wiese,  Leinwand,  Kolile, 
Blut  und  Eidotter.  Dabei  wurde  eine  falsche  Farbe  überhaupt  nicht 
genannt.  Bei  der  geringen  Zahl  der  möglichen  Assoziationen  erwies 
sich  die  vorliegendeUmfrage  als  wenig  ergebnisreich  für  weitere  Schlüsse, 

Der  Übersicht  halber  sei  noch  angeführt,  daß  in  den  ersten  drei 
Umfragen  die 

I.  Gruppe    49    | 

IL   Gruppe    62    >   Gegenstände  zu  charakteristischen  Assoziationen, 
III.  Gruppe    55    J 

I.   Gruppe    41     I 

II.   Gruppe    34     >   Gegenstände  zu   möglichen  Assoziationen 
III.  Gruppe    58    I 

verwendete. 

Das  Gesamtergebnis  bestätigt  also  die  im  einzehien  erschlossenen 
Folgerungen. 

Der  Umstand,  daß  ganz  eigenartige,  selten  gehörte  Verbindungen 
von  Farbnamen  und  Gegenstandsbegriffen  auftreten,  ferner  daß  die 
Farbnamen  der  alltäglichsten  Dinge  in  typischen  und  möglichen 
Assoziationen  richtig  gebraucht  werden,  zeigen  uns,  daß  d  e  r  B  1  i  n  d  e 
ein  scharfes  Ohr  für  die  Tatsachen  seiner  Umwelt 
hat,  die  er  ihrem  eigentlichen  Inhalte  nach  nicht 
erfassen  kann.  Die  Farbnamen  sind  ihm  Münzen,  deren  Wert 
er  nicht  erkennt,  die  aber  deshalb  doch  nicht  den  Wert  verlieren, 
der  ihnen  zukommt. 


9.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Biindenwesen.  Seite  795. 

Der  Blinde  des  Orients  im  Spiegel  des 
morgenländischen  Schrifttums. 

(Fortsetzung.) 

Das  Gebahren  des  blinden  Bettlers  in  den  Moscheen  finden 
wir  in  den  »Verwandlungen  des  Abu  Seid  von  Serug«  (6.  Makame) 
gescliildert,  wo  Hareth  Ben  Hemmam  berichtet,  wie  er  bei  einem 
reiigiösten   Feste   auch   einen   blinden   Bettler  trifft. 

Als  nun  am  vollsten  der  Drang  war,  —  und  am  schmälsten 
der  Gang  war,  —  erschien  ein  Alter,  mit  Lumpen  an  den  Gliedern,  — 
und  mit  eingedrückten  Augenlidern,  —  dem  das  Licht  der  Augen 
ersetzte  —  eine  Führerin,  eine  alte,  gesetzte,  —  die  die  Zucht  der 
Versammlung  nicht  verletzte,  —  da  der  Blick  an  ihrem  Anblick  sich 
nicht  letzte,  —  sondern  sich  davor  entsetzte.  —  Als  es  ihm  nun  mit 
ihrer  Hilfe   geglückt,   —   daß  er  sich  zu  einem  Platze  hindurchgedrückt; 

—  grüßt  er  rechts  und  links  mit  stillem  Zagen  —  und  stand  wie 
einer,  dem  die  Lebensgeister  versagen.  —  Es  war,  ohne  daß  er 
kreischte,  —  zu  verstehn,  was  er  schweigend  heischte.  —  Aber  um 
den  schrecklichen  Fluch  zu  vermeiden,  —  den  nach  des  Propheten 
Spruch  sollen  leiden  —  alle,  die  in  den  Moscheen  betteln,  —  bettelt 
er  nicht  mit  dem  Munde'  sondern  mit  Zetteln,  —  die  er  aus  einem 
Kober  langte,  —  der  ihm  an  Riemen  um  den  Nacken  schwankte;  — 
Blätter,  die,  von  ferne  gesehn,  schon  Beifall  erwarben,  —  weil  sie 
glänzten,  beschrieben  mit  bunten  Farben.  —  Der  Alten  er  die  einhän- 
digte —  und  sie  des  Botengeschäfts  verständigte;  —  die  darauf 
durch   die  Reihen   schlotterte   —   und,    die  Zettel    verteilend,   stotterte, 

—  daß  die  Empfänger,  die  huldigen,  —  möchten  die  Mängel  entschul- 
digen --  der  Schrift,  die  ein  Blinder  geschrieben,  —  dem  aus  der 
Zeit  seines  Sehens  die  Übung  geblieben.  —  Er  wünschet  Glück  mit 
einem  Lied  —  jedem  Gläubigen,  der  den  Tag  des  F'estes  sieht.  — 
So  verteilte  sie  die  stummen  Zungen,  groß'  und  kleine,  —  nach  wohl 
geprüftem  Augenscheine,  —  je  nachdem  sie  Geblust  auf  einem  Antlitz 
schaute,  --  oder  Gebkraft  einer  Hand  zutraute.  —  Und  ich  schien 
ihr  wohl  von  den  Kunden  der  beste,  —  denn  mir  ward  von  den 
Zetteln   der  größte.   —  Darauf  fand  ich  geschrieben: 

Wohl  dem,   der  unterm   Fittiche  des  Glückes  weilt, 

Und  in  dem   Schoß  der  Heimatruh'   darf  rasten! 

Wohl  dem   auch,   der  auf  raschem  Tier  durch  Länder  eilt. 

Mit  Füll'  im   Sack,  um,  wo  er  will,  zu  gasten. 

Doch  wehe  dem,  dem   Gott  die  Armut  zugeteilt; 

Zu   Haus  und  in  der  Fremde  trägt  er  Lasten. 

Der  Neumond  hat,  wie  ein   Spang'   aus   Gold  gefeilt, 

Geblickt   aus   Abendwolken-Purpurquasten; 

Sein  Anblick  hat  die   Sehnsucht  aller  Welt  geheilt; 

Was  hilft  es   dem,  der  noch   am   Fest  muß  fasten? 

Die  lichte   Scheib'  ist  mir  zu   schauen   nicht  erteilt ; 

O   daß  ich   dürft'   ein   Scheibchen  Brot  betasten! 

Ist  hier  nicht  einer,  reich  an  Herden,   welchem   geilt 

Der  wohlgenährte  Hengst  auf  fetten   Masten, 


Seite  796.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  9.  Nummer. 

Und  sieht  hier  einen,  der  den  Bauch  hat  eingeseilt, 

Den   Hunger  zu   ersticken,   den  verhaßten? 

Ist  hier  nicht  einer,  reich   an   Waren,  dem   gezeilt 

Die  Kleiderstoffe  liegen  in  den   Kasten, 

Und  sieht  hier  einen,'  der  zum   F"est  hat  angekeilt 

Am   Leib   die  Lumpen,  die  zu   fallen  hasten? 

Der  gebe  zeitig,   eh'  er  dort  mit  denen  heult, 

Die  hier,   weil  ihre  Brüder  darbten,  praßten. 

Hareth  Ben  Hemm  am  erzählt;  Die  Verse,  die  mir  so  die 
Hölle  heizten,  —  verfehlten  niclit,  daß  sie  meine  Neugier  reizten,  — 
indes  ein  kleiner  Schauder  meine  Hand  durchbebte,  —  daß  sie,  die 
von  Natur  nicht  zusammenklebte,  —  noch  freigebiger  auseinander- 
strebte. —  Icli  fragte  mich  selbst:  wer  ist  der  Mann,  vom  Glück 
verkürzt,  — ■  der  so  bündig  den  Knoten  schürzt  —  und  so  derb  den 
Ausdruck  würzt?  —  und  ich  hoffte,  den  Aufschluß  zu  erhalten  — 
von  der  Alten,  —  wenn  ich  ihre  Verschwiegenheit  —  bekämpfte  mit 
Goldes  Gediegenheit;  —  ich  rechnete  auf  die  weibliche  Gebrechlichkeit 

—  und  die  weltliche  Bestechlichkeit.  —  Da  lief  sie  wieder  —  Reili' 
auf  und  nieder,  —  um  die  Blätter  zurück  zu  empfangen  —  samt 
dem,  was  etwa  daran  blieb  hangen  —  von  den  reichen  Händen, 
durch  die  sie  gegangen.  —  Doch  ihre  Miene  war  mißliebig,  —  weil 
die  Ernte   war   unergiebig;   —   sie    nahm    den   Rückzug    in    Verstörung 

—  und  vergaß  in  der  Gottesbethörung  —  das  Blatt,  das  ihr  am 
besten  sollte  tragen,  —  das  in  meine  Hand  war  verschlagen.  —  Sie 
kehrte  zum  Alten  voll  Bekümmerung,  —  ihm  klagend  der  Hoffnung 
Zertrümmerung,  —  der  Zeiten  und  Menschen  Verschlimmerung.  -  - 
Doch  er  sprach:   Wir  sind  in   Gott!   —   und    kommen    her    von    Gott! 

—  und  kehren   zurück  zu   Gott !  — 

Drauf  sprach  er:  Gieb  dein  Herz  zur  Ruhe,  —  zähle  die  Blätter 
und  thue  —  sie  zurück  in  die  Truhe.  —  Sie  sprach:  Ich  habe  sie 
schon  gezählt,  —  doch  das  größte  fehlt.  —  Da  rief  er:  Weh  dir. 
Unsaubere!  —  so  verhudelst  du,  was  ich  zaubere?  —  Schöpfest 
kein  Wasser  und  zerbrichst  den  Henkel?  —  Fängst  nicht  den  Vogel 
und   verlierst  die  Sprenkel?   — •  Der  Köder  ist  hin    und   fort  der  Lachs; 

—  das  ist  zum   Mißwachs   der  Zuwachs.  —    Gleicli,  eh'   icli   dir  fluclie, 

—  geh  und  noch  einmal  suche!  Da  kehrte  sie  zurück  und  lief  — 
her  und  hin  und  quer  und  schief,  —  suchend  in  nicht  kleiner  Not 
das  verlorene  Kleinod.  —  Und  als  sie  auf  ihrer  Spähe  —  nun  kam 
in  meine  Nähe,  —  legt'  ich  aufs  weiße  Blatt  ein  falbes  —  Goldstück 
und  ein  Groschenstück,  ein  halbes,  —  und  sprach:  Willst  du  auf 
dieses  Ganze  hoffen,  —  so  sei  ganz  oflen  !  —  Doch  willst  du  halb 
bekennen,  halb  lügen,  —  so  laß  dir  an  diesem  halben  genügen  !  — 
Sie  verschlang  den  goldenen  Vollmond  —  mit  Blicken,  des  Glanzes 
ungewohnt,  —  und  sprach:  Wozu  die  Umschweife?  —  Zieh!  mein 
Geheimnis  ist  eine  lockere  Schleife.  —  Ich  sprach:  Nimm  mir  vom 
Auge  die  Binde!  —  Wer  ist  der  alte  Blinde?  —  Und  ist  dies  Gedicht 
Faden   von   seiner  Spule,  —  oder   Gewirk    von    fremden   Webestuhle? 

—  Sie  sprach:  Der  Scheich  ist  von  Serug,  —  und  diese  Kunst  ist 
sein  Acker  und  Pflug,  —  der  aber  jetzt  geht  schlecht  genug;  — 
Gott  verleihe  diesem  spröden   Boden  —  einen    lockernden   Frühlings- 


9.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  797. 

odem  !  —  Dann    stürzte    sie    auf    den    Gulden    wie    ein   Geier  —   und 
schwano-  sicli   davon   wie  ein   Reiher.   —  Doch  ich    spracli  zu   mir   mit 
trüben    Blick':    O    VVeltgeschick !    —     .So     hat     diese    Glanzsonne    des 
Gedichts  —  beraubt    müssen    werden    des    Aug^enlichts  !    ■ —   Und    ich 
brannte     vor    Vcrlano^cn,     beim    Süßmundig-en    —    mich     über    seinen 
Unfall  zu  erkundigen.    —   Doch  mir  war  zu  ihm  der  Zugang  —  gesperrt 
durch   der  Betenden  Zudrang,   —   und  ich  bedachte,   daß  es   nicht  mag 
vorm     Gesetz    bestehn,   —   über    die    Nacken    der  Leute    zu    gehn.   — 
So   bcliauptet'   ich   denn    meinen   Platz    und    schwieg,  —   während   der 
I'^estrcdner  die  Kanzel  bestieg.   —  Als  nun  der  Gottesdienst  geschlossen 
war,  —   und    die  ]5eterflut    auseinander    geflossen    war,  —  säumt'   ich 
nicht,   nach   /\bu   Sciel   zu   rennen;   —   und   mit  meines  Namens  Nennen 
—  gab   ich   mich   ihm   zu    erkennen.   —  Ich   legt'    ihm   aus  Liebe   mein 
Kleid   an,  —   und   er    nahm    es    ohne   Leid    an.   —  Dann    lud    ich   ihn 
auf   mein  Brot   und  Salz,  —   und  zusagte  er  ebenfalls.  —  Dann  machte 
ich   ihm   meinen   Arm   zum   Stabe  ^   und   führt'   ihn    davon,   wie  einen 
Schatz,    im  Trabe,  —   und    die   Alte    ging    drein    als  Zugabe.   —   Als 
ich  so   ihn  gebracht  in     mein   Quartier    mit    der  Eilepost  —   und   dort 
ihm    vorgesetzt    eine   Eilekost,  —    sprach,  er:   O   Hareth !   —  sind    wir 
vor  Zeugen   bewahret.-'  —  Ich   sprach:   Niemand  ist    hier    als  die   alte 
Frau.  —  Er  sprach  :   Vor  ihr  ist  mein    Geheimes  zur   Schau.  —  Dann 
that  er  auf  seine  beiden  Sterne  —   und  blitzte   mit   ihrem  leuchtenden 
Kerne,    —   daß   die  Äpfel  wie  zwei   feurige  Kugeln    rollten,  —  als  ob 
sie    die  Zwilling'    am    Himmel    beschämen    wollten.   —   Erst    wünscht' 
ich  im   Glück  zu   den  gesunden   Sinnen,   —   dann    zeigt'   ich  mich  ihm 
erstaunt   über  sein  Beginnen   —   und   fragt'   ihn,   warum   er  so  entstellt 
und   verstellt  —   umzieh'   in   der  Welt?   —  Doch   er  stellte  sich   stumm 
— -   und  verschlang  das   Frühstück  mit  hum    und  muni,  —  bis  daß  er 
sein   Geschäft  vollendet;  —   da  hub   er  an,  zu   mir  gewendet: 
Da  blind   ist  die  Mutter  der  Menschen,  die   Welt, 
Zudrückend  ihr   Auge  vorm   Guten  geschwind. 
So  drückt'   ich  vorm   Bösen   das  meinige  zu, 
Damit  seiner  Mutter  auch  gliche   das  Kind. 
Doch  hab'   ich  geschlossenen  Auges  gesehn, 
Daß  andere  blind  mit  geöffneten  sind. 
Die  einen  verblendet  der  Haß   und  der  Neid, 
Und   dich   macht   die   Liebe  zum  Seltsamen  blind.« 

(Fortsetzung  tolgt.) 

Personalnachrichten. 

—  Auszeichnung.  Anläßlich  des  Geburtstages  Sr.  Majestät 
unseres  Kaisers  wurde  dem  Direktor  des  Tirol. -Vorarlb.  Blindenin- 
stitutes  Stadtpfarrer  Johann  Bap.  Vi  n  atzer  das  goldene  Verdienst- 
kreuz mit  der  Krone  verliehen.  Direktor  Vi  n  atze  r  erhielt  nun  schon 
die   dritte   Auszeichnung  seit  Kriegsbeginn. 

Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Sc.  kaiserliche  und  königliche  Hoheit  der  Herr  Admiral  Erzherzog  Karl 
Stephan  geruhte  am  14.  d  M.,  die  Klar 'sehe  Blindenanstalt  in  Prag  mit 
höchstseinem  Besuche  zu  beehren.    Derselbe  wurde  von  dem  Üömanne  kaiserl.  Rat 


Seite  798.  Zeitschrift  für  das  östereichische  Blindenwesen.  9.  Nummer. 

Stüdl,  Direktor  Wagner  und  dessen  Gemahlin,  sowie  dem  fvommandanten  des 
Aufsichtsdetachements  Leutnant  Fuchs  ehrerbietigst  begrüßt,  worauf  sich  der  liohe 
Gast  in  die  Anstalt.~-kapelle  begab,  in  welcher  ihm  vom  Prior  P.  Ran  da  das  Aspergill 
gereicht  wurde.  Nach  Verrichtung  eines  kurzen  Gebetes  ließ  sich  Se.  kais.  Hoheit 
die  während  der  Ferien  zurückgebliebenen  Kriegsblinden  vorführen  und  nahm  ihre 
persönlichen  Bitten,  deren  Unterstützung  er  huldvollst  zusicherte,  entgegen.  Nach- 
dem einer  der  Kriegsblinden  namens  seiner  Kameraden  Sr.  kaisl.  Hoheit  den  innig- 
sten Dank  für  alle  ihnen  zugewendete  Huld  und  Förderung  abgestattet  hatte,  wurden 
die  Anstaltsräume  eingehend  besichtigt,  bei  welcher  Gelegenheit  Se.  kais.  Hoheit 
wiederholt  höchstseiner  besonderen  Befriedigung  über  die  Zweckmäßigkeit  der  ver- 
schiedenen Einrichtungen,  besonders  im  neuen  Anstaltsgebäude,  zum  Ausdruck  zu 
bringen  geruhte.  Bei  Besprechung  der  Zweckbestimmung  der  Anstalt  kam  die 
-Sprache  auch  auf  die  Aussiger  i5lindenschule  als  Zweiganstalt,  deren  Besuch  Se. 
kais.  Hoheit  für  einen  späteren  Zeitpunkt  in  Aussicht  zu  stellen  geruhte.  Nach  ein- 
stündigem Aufenthalte  schied  der  hohe  Gast  mit  dem  Versprechen,  höchstseinen 
Besuch  bei  der  nächsten  Anwesenheit  in  Prag  zu  wiederholen. 

—  Tabaktrafik  für  einen  Kriegsblinden.  Der  in  der  Versorgungs- 
und Beschäftigungsanstalt  für  erwachsene  Blinde  in  Wien  VIII  als  Kriegsblinder 
(der  Verwundeten- Abteilung  des  Roten  Kreuzes)  gewesene  Karl  Engelbrecht 
aus  Etsdorf  am  Kamp,  Korporal  und  Besitzer  der  großen  silberne  Tapferkeits-Medaille, 
hat  eine  Tabak-Trafik  in  der  Simmeringer  Hauptstraße  erhalten. 

—  Große  Spende.  Exzellenz  Generaloberst  Eduard  v.  Böhm-Ermolli 
überwies  namens  der  Leitung  des  k.  u.  k.  Feldkinos  im  Bereiche  der  2.  Armee 
als  Stifterbeitrag  15.000  K  zugunsten  des  unter  dem  Protektorat  des  Admirals 
Eizherzog  Karl  Stephan  stehenden  Vereines  »Kriegsblindenheimstätten«  (Aktion 
Kommerzialrat  Heinrich  Grimm).  Generaloberst  v.  Böhm-Ermolli,  dem  diese 
ansehnliche  Widmung  zugunsten  der  Kriegserblindeten  zu  danken  ist,  hat  schon 
wiederholt  sein  besonderes  Interesse  an  dem  Schicksal  dieser  ärmsten  der  Kriegs- 
beschädigten bekundet  und  erst  in  jüngster  Zeit  weitere  namhafte  Spenden  für  den 
Verein  »Kriegsblindenheimstätten«  in  Aussicht  gestellt. 

—  Ver anstal tungen  :  Der  Theaterverein  »Wienerwald«  veranstaltete  im 
Baumgartner  Kasino  am  5.  und  12.  v.  M.  unter  der  bewährten  Leitung  des  Direktors 
Schmid- Winter  zwei  Theatervorstellungen  zugunsten  des  Kaiser-Karl-Kriegs- 
blindenheimes in  Wien  XIII.  Am  Schlüsse  der  zweiten  Vorstellung  dankte  Verwalter 
Rosenmayer  namens  des  Präsidiums  des  Vereines  zur  Fürsorge  für  Blinde  in 
herzlichen  Worten  für  die  menschenfreundliche  Förderung  des  Kaisei -Karl-Kriegs- 
blindenheimes. 

—  Sammlungen  für  Kriegsblinde.  Stand   Ende   August  1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,143.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  2,651.700  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  380.000  K. 

—  Reichspost:  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  55.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  26.250  K. 


Verschiedenes. 

—  Milchinjektionen  bei  Augenerkrankungen.  Der  Augenarzt  Dozent 
Dr.  L.  Müller  in  Wien  hat  bei  verschiedenen  Augenleiden  mit  Einspritzungen 
von  gewöhnlicher  Kuhmilch  in  die  Muskulatur  des  Körpers  gute  Erfolge  erzielt. 
In  einem  typischen  Falle  von  Regenbogenhautentzündung  schwanden  nach  der 
ersten  Milchinjektion  die  Schmerzen,  nach  der  vierten  war  der  Kranke  vollständig 
geheilt.  Bei  einem  an  einer  schweren  Blennorhoe  Erkrankten  zeigte  nach  einer 
einmaligen    Milchinjektion    der    Kranke    am  nächsten    Tage  das  Bild  eines  leichten 


Herausgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen  in   Wien.     RedaktionsWomitee:   K.   Biirklen, 
J.  Kneis,  A.  ▼.  HorTath,  F.  Uhl.  —  Druck  Ton   Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei  Wien. 


Augenkatarrhes;  drei  Tage  nachher  waren  bei  einer  Untersuchung  der  Absonderung 
keine  Krankheitserreger  mehr  {estzustellen.  Es  ist  zu  betonen,  daß  durch  die  Milch- 
injektionen es  von  nun  ab  jedem  praktischen  Arzte,  selbst  wenn  er  nicht  fachlich 
als  Augenarzt  ausgebildet  ist,  ein  leichtes  sein  muß,  jeden  Fall  von  akuter  Blen- 
norhoe  zu  behandeln  und  zu  heilen,  während  es  bis  jetzt  die  größte  Kunst  eines 
Augenarztes  war,  eine  Blennorhoe  bei  einem  Erwachsenen  ohne  Defekt  der  Horn- 
haut zur  Heilung  zu  bringen.  Eine  Bestätigung  dieser  neuen  Heilmethode  bleibt 
abzuwarten. 

Bücherschau. 

—  Abriß  der  englischen  und  französischen  Blinden-Kurzschrift. 
Ins  Deutsche  übertragen  und  mit  Anmerkungen  versehen  von  Alexander  Reuß. 

Im  Verlag  von  Alexander  Reuß,  Straßburg-Stockfeld  im  Elsaß,  ist  vor 
kurzem  obgenanntes  Buch  in  Punktdruck  erschienen.  Ein  solches  Hilfsmittel  zur 
Erlernung  der  fremdsprachigen  Kurzschrift  hat  uns  bisher  gefehlt;  sein  Erscheinen 
entspricht  einem  wirklich  vorhandenen  Bedürfnis.  Der  Blinde,  der  der  hanzösischen 
oder  der  englischen  Sprache  mächtig  ist,  wird  mit  Hilfe  dieses  Abrisses  leicht  in 
den  Stand  gesetzt,  sich  die  Schätze  der  fremdsprachigen  Literaturen  anzueignen, 
insoweit  diese  in  Blindenkurzschrift  vorhanden  sind.  Aber  auch  der  blinde  Musiker, 
der  nur  ein  wenig  das  Englische  und  Französische  versteht,  wird  an  diesem  Buche 
nicht  achtlos  vorüber  gehen.  Es  ist  eine  in  Blinden-Musikei  kreisen  bekannte  Tat- 
sache, daß  noch  aus  der  Zeit  vor  dem  Kriege  viele  französische  und  noch  mehr 
englische  Punktdrucknoten  -  Ausgaben  in  Deutschland  und  Österreich  starke 
Verbreitung  gefunden  haben.  Ich  erinnere  hier  an  die  Auswahl  der  kleinen  Prälu- 
dien für  Klavier  von  J.  S.  Bach,  desgleichen  an  die  3  bändige  Ausgabe  des  »wohl- 
temperierten Klaviers«  sowie  an  die  8  kurzen  nnd  leichten  Präludien  und  Fugen 
für  Ogel  von  Bach;  ferner  an  die  von  Hans  v.  Bülow  50  ausgewählten  Etüden  von 
Cramer,  die  Taussig'sche  Ausgabe  des  Gradus  ad  Parnassum  von  Giemen  ti 
und  an  Mendelssohns  Lieder  ohne  Worte«  (Klindworthj.  Diese  sämtlich 
englischen  Ausgaben  sind  heute  allerdings  durch  deutsche  bei  Vogel  in 
Hamburg  erschienene  größtenteils  ersetzt,  ja  überholt,  wobei  ich  kaum  zu  betonen 
brauche,  daß  mein  Urteil  auf  national-chaurinistischem  Grunde  keineswegs 
erwachsen  ist.  Künstlerische  und  wissenschaftliche  Angelegenheiten  haben  mit  der 
jeweiligen  politischen  Konstellation  nichts  zu  schaffen.  Aber  die  deutschen  Aus- 
gaben sind  uns  in  Allem  und  jedem  (Papier,  Druck,  Gesammtanlage)  viel  vertrauter 
und  daher  sympathischer  als  die  fremdländischen.  Trotzdem  wird  derjenige,  der 
einen  französischen  oder  englischen  Notendruck  besitzt,  ihn  j  e  t  z  t  nicht  ohne  weiters  bei- 
seite tun,  um  sich  dafür  die  deutsche  Ausgabe  anzuschaffen,  das  verwehrt  schon 
der  Kostenpunkt.  Die  englischen  Ausgaben  nun,  sind  durchwegs  mit  mehr  oder 
minder  breit  angelegten  Einleitungen,  Anmerkungen,  Erklärungen,  histor.  Bemer- 
kungen u.  s.  w.  versehen.  Diese  umfangreichen  Text-Zutaten  sind  jedoch  in  englischer 
Kurzschrift  abgefaßt.  Die  Britisch  and  foreign  blind- Assoziation  setzt  bei  ihren 
Abnehmern  die  Kenntnis  der  Kurzschrift  als  etwas  Selbstverständliches  voraus.  Der 
englische  Standp'mkt  ist  hierin  von  dem  deutschen  wesentlich  verschieden;  finden 
sich  in  einer  deutschen  Ausgabe  textliche  Erläuterungen,  wie  beispielsweise  in  dem 
vom  königl.  Musikdirektor  Meyer  in  Berlin  Steglitz  herausgegebenen  Heften  in 
neuer  Notenschreib-Ordnung,  so  sind  sie  in  Voll  seh  ritt  gegeben.  Wer  die 
französische  und  englische  Sprache  versteht,  ilnc  Kurzschrift  aber  nicht  kennt,  hat 
mit  den  fremdsprachigen  Ausgaben  einen  schweren  Stand;  er  muß,  um  auf  den 
Sinn  des  Worttextes  zu  kommen,  sich  aufs  Rätselraten  verlegen,  eine  reeht  mißliche 
und  zeitraubende  Beschäftigung. 

Der  Abriß  der  fi  anzösischen  und  englischen  Blindenkuizschrift  von  Alexander 
Reuß  hilft  diesem  Übelstande  nun  mit  einem  Schlage  ab.  Das  Buch  umfaßt  24 
Seiten  Großformat.  Drei  Viertteile  davon  entfallen  auf  die  englische  Kurzschrift  der 
Rest  auf  die  französische.  Der  Stoff  ist  übersichtlich  geoidnet,  die  Erklärungen 
kii'z  und  klar  >zum  Ausdruck  gebracht.  Man  wird  mit  Hille  dieses  Abrisses  sehr 
bald  Bücher  in  französ.  und  englischer  Kurzschrift  fließend  lesen  können.  Freilich, 
Hauptsache  bei   derartigen  Studien  bleibt  immer  die  Übung. 

Auch  die  Gedächtnisarbeit,  die  das  Studium  der  fremdsprachigen  Kurzschrift 
erfordert,  ist  keine  geringe;  dies  gilt  zumal  von  der  französischen  Kurzschrift  mit 
ihren  zirka  250  Laut-,  Silben-  und  Wortkürzungen.  Als  sehr  willkommenen  Anhang 
gibt  A.  Reuß  in  dem  Abriß  das  Verzeichnis  der  In  französischen  Wörtern  gebrauchten 
Akzent-Buchstaben,  ferner  die  Punktschrift-Darstellung  der  römischen  Zahlen. 
Beides,  Akzent-Buchstaben  und  römische  Zahlen,  düiften  meines  Dafürhaltens  auch 
nicht  im  Regelbuch  der  deutschen  Kurzschrift  fehlen,  und  sollten  bei  einer 
Neuauflage  unbedingt  Aufnahme  finden.  A.  K  r  t  s  m  a  r  v. 


Anfrage.  Ein  Blinder  sucht  einen  seinen  Kenntnissen  und  Fähig- 
keiten enttprechenden  Posten.  Derselbe  war  lange  Jahre  hindurch 
Kaufmann,  verfügt  über  Gewandtheit  auf  den  Schreibmaschinen 
für  Sehende  und  Blinde  und  ist  in  der  Musik  ausgebildet  (Flöte, 
Flügelhorn  u.  Komposition).  Sein  Wunsch  wäre,  eine  Beschäftigung 
zu  erhalten,  in  welcher  er  sein  Können  verwerten  könnte. 
Freundliche  Angebote  bittet  er  zu  richten   an   die 

S  c  h  r  i  f  t  1  e  i  t  u  n  e. 


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von   Oskar  Pieht. 
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nimmt  blinde  Kinder  im   vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen   österreichi- 
schen Kronländern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 

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verleiht  ihie   Bücher  kostenlos  an   alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  UuterstützuDg  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  tiir  Blinde.  Erhaltung 
per  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  I0.071. 


Der  blinde  Modelleur»- 


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Purkersdorf 
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konto Nr.132.257 


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Das  Biatt  ersdieint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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Bezugspreis 
ganzjährig  mit 
Postzustellung 

4  Kronen, 
Einzelnummer 

40  Heller. 


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4.  Jahrgang. 


Wien,  Oktober  1917. 


10.  Nummer. 


INHALT:  J.  Kneis,  Purkersdorf:  flufsichtsdienst.  Der  Blinde  des  Orients  im 
Spiegel  des  morgenländischen  Schriftums.  Über  ein  Einheitsformat  der 
Blindendrudte.  Der  Massepunktdruck  von  Dr.  M.  Herz.  Personalnachrichten. 
Aus  den  Anstalten.  Othmar  Huber:  Eines  Kriegsblinden  Gruß  an  die  Heimat. 
Für  unsere  Kriegsblinden.  Verschiedenes.  Bücherschau.  (Altes  und  Neues. 
Ankündigungen). 


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3  Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  t- 

Blindenwesen"    werden  ^erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  Vlll, 
g  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K, 

Ulm  f^lD 


Altes  und  Meues. 

Erst  durch  die  Selbstbiographie  »Ich«  erfahren  wir,  daß  der 
bekannte  Schriftsteller  Karl  May  in  seiner  Kindheit  blind  war.  An 
seinem  Lebeneabende  enthüllten  Mays  Gegner  die  Verfehlungen 
seiner  Jugendzeit  und  das  »Mayproblem«  ersclieint  auch  heute  noch  zum 
Teil  ungelöst.  Aus  Armut  und  Verbrechen  rang  sich  dieser  Dichter 
zum  Erfolge  durch.  Daß  er  schon  als  Kind  trotz  der  rauhen  Wirk- 
lichkeit zum  Märchenerzähler  und  Phantasten  wurde,  erklärt  er  selbst 
aus  der  Blindheit  seiner  Kinderjahre. 

May  war  im  Jahre  1842  in  einem  ärmlichen  erzgebirgischen 
Weberstädtchen  geboren.  Daß  er  kurz  nach  der  Geburt  sehr  schwer 
erkrankte,  das  Augenlicht  verlor  und  volle  4  Jahre  siechte,  war  nicht 
die  Folge  der  Vererbung,  sondern  der  rein  örtlichen  Verhältnisse, 
der  Armut,  des  Unverstandes  und  der  verderblichen  Medikasterei, 
der  er  zum  Opfer  fiel.  Seine  Mutter,  die  sich  in  Dresden  zur  Hebamme 
ausbildete,  erzählte  den  Ärzten  von  ihrem  elenden,  erblindeten  und 
seelisch  doch  so  regsamen  Knaben.  Diese  ließen  ihn  kommen  und 
behandelten  ihn  mit  so  überraschendem  Erfolge,  daß  der  Knabe 
sehen   lernte  und  gesundend   heimkehren   konnte. 

Mays  Großmutter  war  eine  arme  ungebildete  Frau,  aber  trotz- 
dem eine  Dichterin  von  Gottes  Gnaden  und  darum  eine  Märchen- 
erzälilerin,  welcher  der  Knabe  zu  lauschen  nicht  müde  wurde,  um 
das  Gehörte  im  Kreise  der  Kinder  wiederzuerzählen  ußd  neue  Märchen 
zu  erfinden.  Alles  in  ihm  wurde  Phantasie  und  Seele.  Als  er  sehen 
lernte,  war  sein  Seelenleben  schon  derart  entwickelt  und  festgelegt, 
daß  selbst  die  Welt  des  Lichtes,  die  sich  nun  vor  seinen  Augen 
auftat,  nicht  die  Macht  besaß,  den  Schwerpunkt,  der  in  seinem  Innern 
lag,  ZU'  sich  herauszuziehen.  E!r  blieb  ein  Kind  für  alle  Zeit,  in  dem 
die  Seele  ohne  Rücksicht  auf  die  Außenwelt  die  Oberhand  behielt. 
Alles  Wtrkiiche  trat  in  seiner  Kindheit  als  Seele  an  ihn  heran.  Er 
sagt  darüber: 

»Eigentlich  war  in  meiner  frühen  Knabenzeit  jedes  lebendige 
Wesen  nur  Seele,  nichts  als  Seele.  Ich  sah  nichts.  Es  gab  für  mich 
weder  Gestalten  noch  Formen,  noch  Farben,  weder  Orte  noch  Orts- 
veränderungen. Ich  konnte  die  Personen  und  Gegenstände  wohl 
fühlen,  hören  und  riechen  ;  aber  das  genügte  nicht,  sie  mir  wahr  und 
plastisch  darzustellen.  Ich  konnte  sie  mir  nur  denken.  Wenn  jemand 
sprach,  hörte  ich  nicht  seinen  Körper,  sondern  seine  Seele.  Nicht 
sein  Äußeres,  sondern  sein  Inneres  trat  mir  näher.  Es  gab  für  mich 
nur  Seelen,  nichts  als  Seelen.  Und  so  ist  es  geblieben,  auch  als  ich 
sehen  gelernt  hatte,  von  Jugend  auf  bis  auf  den  heutigen  Tag.  Das 
ist  der  Unterschied  zwischen  mir  und  anderen.  Das  ist  der  Schlüssel 
zu  meinen  Büchern.  Das  ist  die  Erklärung  zu  allem,  was  man  an  mir 
lobt  und  tadelt.  Nur  wer  blind  gewesen  ist  und  wieder  sehend  wurde 
und  nur  wer  eine  so  tief  gegründete  und  so  mächtige  Innenwelt 
besaß,  daß  sie  selbst  dann,  als  er  sehend  wurde,  für  lebenslang  seine 
ganze  Außenwelt  beherrschte,  nur  der  kann  sich  in  alles  hineindenken, 
was  ich  plante,  was  ich  tat  und  was  ich  Schrieb,  und  nur  der  besitzt 
die   Fähigkeit,   mich  zu  kritisieren,  sonst  keiner! 


4.  Jahrgang.  Wien,  Oktober  1917.  10.  Nummer. 


^      »Heil  Euch !    Die  ihr  in  beschränktem  Kreise     M 
^     Stille  übet  eines  Gottes  Weise!«  % 

^  Dem  Blindenlehrer  von  einer  österr.  Blindenfreundin.  ^ 


flufsichtsdienst. 

Von  Hauptlehrer  Johann  Kneis,  Purkersdorf. 

Heute  »Dienst«  —  wie  einfach  das  klingt.  Hat  nicht  jedermann 
seinen  Dienst?  Gewiß!  Doch  was  bedeutet  »Dienst«  beim  BHndenlehrer? 
Das  Wörtchen  bezieht  sich  ja  gar  nicht  auf  seine  Tätigkeit  als  Unter- 
richtserteiler und  Erzieher  in  der  Schule,  sondern  »Dienst«  ist  eine 
notwendige  Draufgabe.  Aufsichtsdienst,  Inspektion,  Präfektendienst, 
Haupt-,  Neben-,  Vertretungsdienst  und  noch  andere  Namen  führt  in  den 
verschiedenen  Blindenanstalten  jene  Arbeitsleistung,  welche  oft  ganz 
unverdientermaßen  als  eine  Nebenleistung  des  Blindenlehrers  angesehen 
und  bewertet  wird. 

Ja,  wenn  es  sich  dabei  darum  handeln  würde,  die  Zöglinge  vor 
körperlicher  Beschädigung  zu  bewahren  oder  die  blinden  Kinder  mit 
strengem  Kommandoton  zur  Ruhe  und  Ordnung  zu  zwingen,  dann 
könnte  man  wohl  geringschätzig  die  Achsel  zucken,  denn  da  brauchte 
man  nicht  erst  einen  studierten  Menschen,  das  träfe  bald  irgend  jemand. 
Die   Sache  liegt  aber  doch  ein  wenig  anders. 

Eine  pädagogische  Begründung  der  Notwendigkeit  einer  Aufsicht 
halte  ich  für  überflüssig  und  will  hier  nicht  vom  Standpunkt  des  Kindes, 
sondern  »ausnahmsweise«  einmal  vom  Lehrer  ausgehen.  Und  wenn 
man  schließlich  herauslesen  sollte,  daß  Schulhygiene  nicht  nur  Schüler- 
sondern auch  Lehrerhygiene  in  sich  schließt,  daß  es  nicht  bloß  eine 
Schonzeit  für  den  Lehrer  geben  soll,  so  darf  doch  unter  keiner  Bedin- 
gung auf  eine  Unzufriedenheit  geschlossen  werden.  Seien  wir  Blinden- 
lehrer offen  und  sagen  alles  wie  wir  es  uns  schon  oft  im  Geheimen 
geklagt  haben. 


Seite  804.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  10.  Nummer. 

Keinen  Blindenlehrer  hörte  ich  während  meiner  20  jährigen  Dienst- 
zeit klagen,  daß  der  Unterricht  ihm  Beschwerden  verursache  daß  der 
eine  oder  andere  Unterrichtszweig  ihm  Schwierigkeiten  bereite,  daß  die 
Unterrichtszeit  zu  reichlich  bemessen  wäre  u.  s.  w.  Doch  der  »Dienst« 
sei  das  Unangenehme!  Und  soll  das  sein?  Leider  scheint  es  vieltach 
so.  Die  Hauptursache  ist  die  Überbürdung  des  Lehrers.  Selbst  der 
laienhafteste  Laie  wird  zugeben  müssen,  daß  der  Blindenunterricht 
zumindest  nicht  leichter  ist  als  der  Unterricht  an  der  Volks-  oder  der 
Bürgerschule.  Dort  hat  die  Erfahrung  ein  Maximum  von  Wochenstunden, 
welche  als  Pflichtstunden  den  Lehrkräften  zugewiesen  werden  können, 
festgelegt.  Dasselbe  geschieht  auch  bei  uns  in  gleicher  Weise  und  mit 
gleicher  Anforderung.  Doch  kommt  nun  obendrein  der  Dienst,  welcher 
als  Zuwage  ohne  Entlohnung  gehalten  werden  muß  —  gehalten  werden 
muß  vom  jungen  und  vom  alten  Lehrer.  Daß  er  gehalten  werden  muß, 
ist  nicht  zu  leugnen,  daß  er  nicht  von  allen  in  gleicher  Weise  versehen 
werden  kann,   daran  liegt  es. 

Der  junge  Lehrer  bringt  Kraft  mit  und  Leichtigkeit,  der  alte  Er- 
fahrung und  Gleichmut.  Beides  ergänzt  sich  und  tut  not. 

Doch  ist  der  ältere  im  Nachteil,  denn  des  jüngeren  Kraft  gehört 
ihm  selbst  und  der  Anstalt,  des  alten  Kraft  wird  auch  von  seiner 
Familie  in  Anspruch  genommen.  Ferner  hat  der  Blindenlehrer,  ins- 
besondere der  ältere  die  moralische  Pflicht,  außerhalb  der  Anstalt  am 
staatsbürgerlichen  Leben  tätigen  Anteil  zu  nehmen.  Sei  es  nun  Blinden- 
fürsorge, sei  es  Armenpflege  oder  Sorge  um  Gemeinde-,  Landes-  oder 
Staatswohl,  der  Blindenlehrer  darf  nicht  abseits  stehen,  einmal  um  der 
Sache  willen,  andererseits  um  nicht  einseitig  und  verzopft  zu  werden. 
Dazu  gehört  aber  Zeit.  Daß  trotz  Zeitmangels  der  Blindenlehrer  nach 
i)czahlter  Nebenbeschäftigung  sucht  und  dieselbe  in  weitaus  beschrank- 
terem Maße  als  der  Lehrer  draußen,  in  der  Anstalt  aber  nur  als  Mehr- 
leistung findet,  kann  von  keinem  Einblickhabenden  Menschen  verübelt 
werden,  es  ist  ja  nicht  Geiz  und  Gewinnsucht,  sondern  das  Bestreben 
nach  höherer  sozialer  Eigenbewertung  und  auch  das  Bestreben,  die 
Sonderstellung  auszugleichen. 

Wie  könnte  nun  ohne  der  Erziehung  unserer  Schüler  Abbruch  zu 
tun,  ja  im  Gegenteil,  um  die  Erziehung  zu  fördern,  eine  Änderung 
eintreten?  Schreiber  dieser  Zeilen  wagt  es  kaum  Vorschläge  zu  machen, 
denn  wie  alles  erfordert  auch  das  wieder  Geld  und  das  klingt  nicht 
wie  Friedensmusik  sondern  wie  Kriegsgeschrei.  Doch  ich  wage  es  — 
vielleicht  gings  so  ; 

Alljährlich  werden  an  Lehrerbildungsanstalten  Kurse  über  Blinden- 
pädagogik  abgehalten,  alljährlich  warten  viele  Bewerber  beinahe  Jahr 
und  drüber  lang  auf  Anstellung  an  einer  Volksschule.  Mit  dem  geringen 
Gehalte  fristen  sie  nur  mühsam  ihr  Leben,  ja  legen  oftmals  den  Grund 
zu  ihrer  Verschuldung.  Könnte  da  nicht  beiden  Teilen  geholfen  werden 
und  obendrein,  weil  dadurch  der  Blindensache  neue  Verteidiger  erwach- 
sen, daß  man  solch  junge  Lehrkräfte  anstellt  und  ihnen  dann  bessere 
Posten  in  Aussicht  stellt,  eben  der  Blindensache  gedient  werden.  Die 
Hauptkraft  könnten  solche  Lehrer  dem  Aufsichtsdienst  widmen.  Weil 
aber  die  Erfahrung  des  älteren  Lehrers  bei  der  Erziehung  nicht  vermißt 
werden    kann,    so    könnte    diesem    wenigstens    ein  Teil    des  Aufsichts- 


10.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen.  Seite  805. 

dienstes  in  die  Pflichtstunden  eingerechnet  werden.  Gewiß  wieder 
ein  Ansporn  für  die  jüngeren  Kräfte,  die  ja  auch  einmal  äUer 
werden. 

Man  wird  sicher  einwenden,  daß  es  doch  nicht  pädagogisch  wäre, 
Krätte  nur  für  ein  oder  zwei  Jahre  anzustellen  ;  der  allzuhäufige  Wechsel 
bringe  manchen  Nachteil.  Dem  steht  gegenüber,  daß  bei  der  geringen 
Freizügigkeit  des  Speziallehrers  im  andern  Fall  keine  jüngeren  Lehrer 
mehr  an  der  Anstalt  sein  werden,  wenn  nach  etlichen  Jahren  die  älter 
werdenden  Lehrer  verlangen,  daß  auch  ihnen  einmal  das  Recht  auf 
Fhe  u.  s.  w.  gegeben  werde. 

Also  für  den  jüngsten  Lehrer  der  Vorteil,  schon  frühzeitig  eine 
sorgenfreie  Anfangszeit  mit  der  Möglichkeit  einer  lückenlosen  Fort- 
setzung seiner  I^ehrtätigkeit,  für  den  älteren  Lehrer  eine  Steigerung 
seiner  Berufsfreudigkeit  und  nicht  zuletzt,  für  die  Blindensache  neue 
Freunde,  die  zwar  hinausziehen  aus  der  Anstalt,  aber,  das  ist  Erfah- 
rungssache und  ließe  sich  mit  Beispielen  belegen,  draußen  als  treue 
Freunde  der  Blinden  weiterwirken  und  die  Stützpunkte  werden  für 
systematischen   Ausbau  der  Blindenfürsorge. 

Daß  Speziallehrer  den  Weg  zur  Volksschule  nicht  mehr  finden 
könnten,  wird  wohl  niemand  glauben.  Im  Gegenteil,  der  gewesene 
Speziallehrer  wird  als  gewissenhafter  und  methodisch  geschulter  Pädagoge 
überall  geschätzt  und  wurde  oft  schon  in  jungen  Jahren  gerne  zu  den 
gewiß  nicht  leichten  Posten  an  Übungsschulen  berufen,  von  eben  welchen 
Posten   er  oft  seinen   weiteren  Aufstieg  begann. 

Der  Blinde  des  Orients  im  Spiegel  des 
morgenländischen  Schrifttums. 

(Fortsetzung.) 

Wie  ein  reicher  Mann  durch  seine  Habgier  zum  blinden  Bettler 
wird,  finden  wir  in  der  Geschichte  Baba  Abdallas  des  Blinden 
erzählt. 

Der  Chalif  Harun  er-Raschid  trifft  auf  einem  Rundgang 
einen  .blinden  Scheich,  der  ihn  an  der  Hand  festhaltend  ausruft:  »O 
gütiger  Mann,  was  immer  du  sein  magst,  den  Gott  antrieb,  mir  ein 
Almosen  zu  geben,  weise  nicht  die  Bitte  ab,  die  ich  an  dich  richte ; 
gib  mir  einen  Backenstreich,  denn  ich  verdiene  dies  und  noch  größere 
Strafe.«  Der  Chalif,  überrascht  von  den  Worten  des  blinden  Bettlers, 
versucht  mit  ablenkenden  Worten  loszukommen,  doch  der  Bettler 
fleht  weiter,  entweder  das  Almosen  zurückzunehmen  oder  seine  Bitte 
zu  erfüllen,  denn  er  will  das  Geschenk  nicht  unter  der  Bedingung 
annehmen,  einen  Eid  gebrochen  zu  haben.  Um  nicht  aufgehalten  zu 
zu  werden,  erteilt  der  Chalif  dem  Blinden  einen  leichten  Schlag, 
worauf  dieser  ihn  sogleich  los  ließ  und  ihm  dankte  und  Segen  erflehte. 
Um  den  Grund  dieses  seltsamen  Verhaltens  kennen  zu  lernen,  läßt 
Harun  er-Raschid  den  Blinden  zu  sich  kommen  und  dieser 
Baba  Abdalla  geheißen,  erzählt  ihm  seine  Geschichte,  die  wir 
mit  F"r.  Rücke  rts  schönem  Gedichte  (mit  Rücksicht  auf  den  Raum 
gekürzt)  wiedergeben. 


Seite  806. 


Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen. 


10.  Nummer. 


Der  Blinde. 


Es  zieht  mit  seiner  Schar  von  hohen 
Kamelen,  achtzig  an  der  Zahl, 
Derweil  des  Mittags  Flammen  lohen, 
Abdalla  durch  das  öde  Thal. 

Und  wo  ein  Kranz  von  Dattelpalmen 
Umziehet  eines  Quelles  Rand, 
Streckt     er     sein    Heer     auf    weichen 

Halmen, 
Und  sich  aufs  schwellende  Gewand. 

Da  tritt,  die  ernsten  Mannesschritte 
Gelenkt  von  einem  Cederstab, 
Ein  Derwisch  in  des  Kreises  Mitte, 
Und  grüßt  zum  Ruhenden  herab  : 

Was  zählest  du  mit  müß'gen  Blicken 
Dein  unbelastet  lagernd  Heer  ? 
Mich  sendet,  um  dich  zu  beglücken, 
Dein  günstiges  Geschick  hieher. 

Steh  auf,  und  zeuch  mit  deinen  Scharen 
Auf  meiner  Spur  vertrauenvoll  ! 
Den  Schatz  will  ich  dir  offenbaren, 
Der  achtzig  Rücken  lasten  soll. 

Gleichwie    der    Wolf     mit     freud'gem 

Schrecken 
Neuhungernd  auf  vom  Lager  springt. 
Wenn  ihm,  dem  satten,    fernes  Blöken 
Der  ungehofften  Beut'  erklingt  ; 

So    springt     der    Kaufmann,    wie     von 

Sinnen, 
Empor,  und  fühlt    sich    plötzlich   arm  : 
Kann  ich  die  Schätze    nicht  gewinnen, 
Was  soll  mir  dieser  dürft'ge  Schwärm? 

Beim  Barte,  der  in  Silberflocken 
Dir  bis  zum  Gürtel  niedersteigt  ! 
Nicht  rasten  sollst  du  mir  noch  stocken. 
Bis  du  die  Schätze  mir  gezeigt. 

Der  Derwisch  an  dem  Cederstabe 
Spricht  ernst  mit  kaum  bewegtem  Kinn; 
Gemach,  mein  Sohn!  gut  ist  die  Habe, 
Doch  besser  ist  ein  weiser  Sinn 

Er  streckt  die  zauberhafte  Rute 
Mit  steter  Hand  zum  Wandern  vor; 
Der  Krämer  folgt  in  dumpfem  Mute 
Mit  seiner  Tiere  stummen  Chor. 

Sie  ziehen  hin  zu  fernen  Gründen, 
Und  eng  und  enger  wird  das  Thal, 
Und  hoch  und  immer  höher  winden 
Sich  rings  die  Berge  schroff  und  kahl. 

Der  strenge  Beter  aber  schreitet 
Zum  Felsen,  der  sich  dräuend  strafft. 
Indem  er  leicht  die  Hand  verbreitet, 
Ihn  zu  berühren  mit  dem  Schaft. 

Kaum      hat      den     Schlag      der     Fels 

empfunden. 
Als  er  erbebt  im  tiefsten  Grund, 
Und,  von  dem  Zauber  überwunden, 
Aufthut  er  seinen  eh'rnen  Mund, 


Und  zeigt  in  düsterroter  Höhle 
die  goldne  Pracht  zur  Schau  gelegt; 
Dem  Krämer  preßt  die  starre  Kehle 
Das  Ach,  das  in  der  Brust  sich  regt. 

Er  blinzt  das  Auge,  krampft  den  Finger; 
Was  aber  hält  noch  seinen  Fuß  ? 
Es  beut  dem  ungeduld'gen  Jünger 
Der  Greis  den  ungehofften  Gruß: 

»Sag  an,  und  steh  gebannt  so  lange. 
Wieviel  der  Tiere  nennst  du  dein?« 
Weh  mir!  ruft  jener  ahnend  bange. 
Sind  den  nicht  diese  achtzig  mein? 

»Behalt  die  vierzig  dir  zur  Linken, 
Die  vierzig  rechten  sind  mein  Lohn; 
Und  wenn  dir  diese  besser  dünken, 
So  nehm'  ich  jene,  lieber  Sohn!« 

Es  wird  von  innerlicher  Fehde 
Abdallas  giere  Brust  zerfleischt. 
Da  seines  Führers  kalte  Rede 
Von  ihm  das  halbe  Leben  heischt. 

Der  Derwisch  deutet  nach  den  Schätzen, 
Und  schwingt  sein    Rohr    dem    Felsen 

nah  ; 
Der  Kaufmann  stammelt  vor  Entsetzen: 
Nimm  sie  nur  hin!  da  sind  sie  ja. 

Nun  auf!  ruft  jener,  auf  die  Hände! 
Wir  tauchen  sie  in  goldne  Flut, 
Daß  unser  Tagewerk  sich  ende, 
Bevor  die  Sonn'  ab  ihrem  ruht. 

Gleichwie      der     Maulwurf    blind      mit 

Schnaufen 
Wühlend  im  Kot  die  Furchen  zeucht. 
So  rafft  der  Krämer  Goldeshaufen, 
Keucht,  kommt  und  geht,   geht  kommt 

und  keucht. 

Doch  wie  die  Biene  summend  leise 
Den  Seim  trägt,  daß  die  Zelle  schwillt. 
So  hat  mit  seinem  Zauberreise 
Der  Greis  die  Säcke  leicht  gefüllt. 

Und  als  die  achtzig  wohlbeladen 
Die  Hälse  sträubend  rückwärts  drehn. 
Geht  noch  einmal  der  Greis  zum  Gaden, 
Und  wohl  sieht  ihn    der  Krämer  gehn. 

Und  sieht,  daß  eine  Salbenflasche 
Er  vorholt  aus  dem  tiefsten  Schacht, 
Und  birgt  sie  in  die  Faltentasche 
Mit  sorgsam  wählendem  Bedacht. 

»Der  Schatz  gewiß  ist  kein  geringer. 
Den  er  davon  so  Sorgsam  trug.« 
Der  Krämer  mit  gekrümmtem  Finger 
Hascht  einen  Goldblock  noch  im  Flug. 

Doch  wie  er  länger  noch  will  tasten. 
Treibt  ihn  hinaus  des  Alten  Wort: 
Wir  dürfen  hier  nicht  länger  rasten; 
Nun  schleuß  dich  wieder,  dunkler  Hort! 


10.  Nummer. 


Zeitschrift  für  das  österreichisclie  Blindenwesen. 


Seite  807. 


Er    spricht's,    und    wie    die     schwanke 

Gerte 
Den  Fels  berührt,  dumpt  tönt  es  nach, 
Und    schwindend     schließt     sich     das 

gesperrte 
Gewölb    in  einem  lauten  Ach. 

Und    mit     ihm     ächzt    des    Kaufmanns 

Seele, 
Wie  er  die  nackten  Wände  schaut: 
Warum  ach  bleibt  der  Grabeshöhle 
Dies  Mark  des  Lebens  anvertraut! 

Doch  tiefer  ächzet  er  und  strenger, 
Als  er  geteilt  die  Herde  sieht; 
Stumm  nimmt  er  seine  vierzig  Gänger, 
Indes  mit  vierz'gen  jener  zieht. 

Und  wo  nun  in  des  Thaies  Mitte 
Der  Kreuzweg  auseinanderweicht, 
Da  hat  der  Greis  nach  Freundessitte 
Die  Hand  zum  Abschied  ihm  gereicht: 

Leb  wohl!  wir  dürfen  nun  nicht  weiter 
Zusammen  eine  Straße  zieh.n. 
Leb  wohl!  und  Gott  sei  dein  Geleiter! 
Er  hat  dir  reiches  Glück  verliehn. 

Der  Krämer  grollt:  Zieh  hin  mit  Segen! 
Auch  diese  vierzig  waren  mein.  — 
Noch  sind  sie  weit  nicht  auf  den  Wegen, 
Da  fällt  dem  Krämer  etwas  ein. 


Umwendend  ruft  er  nach  dem  Greise: 
Hört,  lieber  Vater,  hört  ein  Wort! 
Der  Alte  hemmt  gemach  die  Reise, 
Und  schnaufend  steht  der  Krämer  dort. 

Er  spricht:  Ich  hab'  es    wohl  erwogen, 
Und  unser  Handel  ist  nicht  recht, 
Zum  Gottesmann  seid  ihr  erzogen, 
Und  nicht  zu  der  Kamele  Knecht. 

Es  stampfen  Euch  die  wilden  Tiere 
Mit  ihren  Hufen  in  den  Sand; 
Erlaubt,  daß  ich  Euch  zehn  entführe, 
Auch  dreißig  ist  ein  harter  Stand. 

Nimm    hin,    mein    Sohn,    spricht   jener 

lächelnd. 
Du  hast  mein  Alter  wohl  bedacht. 
Und  schon  hat  der  vor  Freude  röchelnd 
Die  zehn  zu  seiner  Schar  gebracht. 

Doch  wieder  ruft  er  nach  dem  Greise: 
Hört,  guter  Vater,  noch  ein  Wort! 
Der  Alte  wieder  hemmt  die  Reise, 
Und  wieder  steht  der  Krämer  dort, 

Und  spricht:  Ich  habe  dies  gefunden, 
Das  Recht  des  Himmels  wird  gekränkt; 
Ihr  sollt  ja  beten  alle  Stunden; 
Könnt  Ihr's,  wenn  Ihr  die  dreißig  lenkt? 


So  fleht  AbdaUa  in    seiner  Unersättlichkeit    weiter,    bis    ihm    der  Derwisch 
auf  das  letzte  Kamel  abläßt. 


Der  Krämer  küßt  ihm  tief  die  Hände: 
Und  muß  es  nun  geschieden  sein? 
Gott  müsse  dir  für  deine  Spende 
In  beiden  Welten  Heil  verleihn! 

Nie  welken  lass'  er  dir  noch  bleichen 
Des  Lebens  frisch  und  grüne  Lust! 
Du  aber  gieb  zum  Abschiedszeichen 
Mir  noch  die  Flasch'  in  deiner  Brust! 

Ich  merkt'  es  wohl,  wie    du  verborgen 
Für  dich  den  Hauptschatz  eingethan. 
Wirf  von  dir  alle  eitlen  Sorgen, 
Und  laß  die  Flasche  mich  empfahn!  — 

Er  zog  sie  aus  den  Falten  säumend, 
Gab    sie    ihm    hin,    und    schwieg,    und 

sprach: 
So  quell'  aus  ihrem  Schöße  schäumend 
Dir  der  Zufriedenheiten  Bach! 

»Zufriedenheit?  In  Bettlersäcken 

Mag  etwa  diese  wohnen  auch; 

Was    Beßres,      denk'    ich,     muß     hier 

stecken 
In  dieser  Flasche  dunklem  Bauch. 

Geschwind,  sag  an,  o  Herr  und  Meister, 
Und  mach  mir  länger   nicht  Verdruß! 
Was  sind  des  Saftes  Wundergeister? 
Und  welches  ist  der  Zaubergruß?« 


Er    sprach:     Wie    trefflich     kannst    du 

spüren. 
Nur  daß  du's  nicht  ergründen  kannst: 
Merk  auf,  und  laß  dich  nicht  verführen, 
Sieh  zu,  wie  du  den  Argen  bannst! 

Zwiespältig  ist  die  Kraft  der  Quelle: 
Dem  rechten  Auge  eingeflößt,^ 
Macht  sie  des  Geistes  Sehkraft  helle, 
Daß  er  der  Schöpfung  Siegel  löst. 

Dann  thun  sich  auf  des  Erdleibs  Gründe, 
Dich  grüßen  mit  dem  Silberblick 
Die  schlängelnden  Metallgewinde, 
Der  Adern  lebendes  Verstrick. 

Doch  wird  das  Auge  naß  zur  Linken, 
So  stirbt  dahin  die  ird'sche  Pracht. 
Die  Schätze  in  die  Tiefe  sinken. 
Und  deine  Sehkraft  in  die  Nacht. 

Der  Jünger  kniet,  und  streckt  die  Hände 
Schon  zuckend  nach  dem  Greis  empor, 
Daß  er  des  Sehens  Tau  im  spende. 
Ihm  öffne  selbst  des  Auges  Thor. 

Der  Meister  taucht  des  Fingers  Spitze 
Bis  an  den  Nagel  in  den  Saft, 
Er  murmelt  aus  des  Mundes  Ritze, 
Und  neigt  das  Haupt  gedankenhaft. 


Seite  808. 


Zeitschrift  für  das  österreichische  Biindenwesen. 


10.  Nummer, 


Dann  dreimal  auf  zum  Himmel  hebt  er 
Den  feuchten  Finger  hoch  und  lang, 
Und  dreimal  streichend  iiberwebt  er 
Des  rechten  Auges  Wimperhang. 

Und  wie  zum  drittenmal  der  Finger 
Sich  hebt,  hebt  sich  des  Auges  Lid; 
Auftaumelnd  raffet  sich  der  Jünger 
Empor,  und  jauchzet,  was  er  sieht: 

Ich  seh'  aus  goldnem  Stoff  gewoben 
Des  Erdenleibes  Herrlichkeit, 
Die  Decken  sind  hinweggehoben, 
Und  golden  glüht  das  Eingeweid. 

Die  Sterne  blühn  in  Felsenstücken, 
Die  Sonnen  wachsen  in  dem  Erz; 
Wer  läßt  sie  mich  mit  Händen  pflücken? 
Wer  läßt  mich  saugen  sie  ins  Herz? 

O  Herr  und  Meister,  sieh  mich  wimmern, 
O  tauche  deinen  Finger  ein, 
Und  drück  ihn  mit  den  Lebensschimmern 
Auch  in  das  linke  Aug'  herein! 

Ernst  jener  sprach:  Wird  naß  zur  Linken 
Das  Auge,  stirbt  die  ird'sche  Pracht; 
Die  Schätze  in  die  Tiefe  sinken, 
Und  deine  Sehkraft  in  die  Nacht. 

»O  Herr  und  Meister,  hör  mich  ächzen, 
Ins  Auge  geuß  den  Flammenguß: 
O  laß  mich  Armen  nicht  verlechzen 
In  meinem  reichen  Überfluß. 

Was  sollich  denn  das  Funkeln  schauen 
Wenn  es  die  Hand  nicht  greifen  kann? 
O  komm  geschwind  mich  blind  zu  tauen 
Wenn  ich  nicht  anders  Ruh'  gewann!« 

Er  krallt  die  Hand  und  rollt  die  Blicke, 
Und  zucket  nach  des  Greises  Bart. 


Der  beugt  sich  weigernd  noch  zurücke, 
Dann  neigt  er  vor  sich  und  willfahrt. 

Er  tauchet  tief  des  Fingers  Runde 
Ins  Naß  bis  an  des  Gliedes  Reif, 
Und  murmelt  aus  geschloßnem  Munde, 
Und  zieht  aufs  Auge  Streif  um  Streif. 

Da  kommt  die  Nacht  hereingesunken. 
Und  schließt  des  Thoren  Augenlicht; 
Er  fällt  geblendet,  todestrunken. 
Vernichtet,  auf  sein  Angesicht; 

Und  liegt,  und  schweigt;  und  schweigt 

und  starret, 
Dann  ächzt  er    auf  zum  Sonnenschein: 
So  sind  die  Schätze  all  verscharret 
Und  nur  die  achtzig  Lasten  mein! 

Nun  will  ich  einen  Knecht  mir  wählen. 
Der  mir  mein  Gut  nach  Hause  bringt. 
Komm,  führe  mich,  und  laß  mich  zählen! 
Noch  hört  mein  Ohr,  was  golden  klingt. 

Der  Derwisch  aber  zürnend  wendet 
Sich  von  dem  Armen    ab    und  spricht: 
Unsel'ger,  zwiefach  nun  geblendet, 
An  Geistes-  und  an  Augenlicht! 

Bis  fremdes  Mitleid  aufgenommen 
Dich  hier  wird  haben,  harre  du! 
Die  Schätze,  die  dir  nicht  mehr  frommen, 
Führ'  ich  zur  Gabe  Würd'gern  zu. 

Er  spricht's,  und  setzt  in  Zug  die  Herde, 
Und  jener  sitzt  gelähmt  und  stumm, 
Und  kehrt  mit  starrender  Gebärde 
Blind  nach  den  Ziehenden  sich  um. 

Dann  ringend  mit  ohnmächt'gen  Krämpfe 
Wirft  er  sich  auf  sich  selber  hin, 
Und  horcht,  wie  fernhin  mit  Gestampfe 
Die  lauten  Dromedare  ziehn. 


über  ein  Einheitsformat  der  Blindendrucke. 

Der  Durchblick  einer  Blindenbücherei  erweckt  im  Beschauer 
unwillkürlich  den  Gedanken  nach  einem  für  alle  Zwecke  brauchbaren 
und  entsprechendsten  Format  der  Bücher.  Heute  finden  sich  da  neben 
wahren  Folianten  Bände  in  verschiedenster  Größe  bis  zu  Heften  herab, 
welche  den  Umfang  von  Schwarzdruckheften  nicht  überschreiten. 
Außer  dem  Hochformat  findet  sich  das  Querformat,  letzteres  nicht 
allein  für  Zeitschriften  uud  Musikalien,  sondern  auch  für  andere 
Druckwerke.  Den  größten  Umfang  erreichen  Bücher  von  29  cm  Breite 
und  -36  cm  Höhe  (im  Einband),  dann  schwankt  das  Format  abwärts 
mit  28  :  35,  28  :  34,  27  :  34,  26  :  35,  25  :  36  cm.  Eine  Mittelgröße 
nehmen  die  handschriftlich  hergestellten  Werke  ein  mit  25  :  29  cm 
ein,  dann  folgen  kleinere  Formate  mit  24  :  27,  23  :  29  bis  zu  16  :  25 
und  schließlich  die  Querformate  angefangen  mit  28  cm  Breite  und 
24  cm  Höhe  bis  zu  29  :  23,  28   :  24,  27  :  23,  27  :  17. 

Der  Beschauer  wundert  sich  über  diesen  so  überaus  reichen 
Individualismus,    der    auch    in    Dicke    und    Einband    der    Werke    zum 


10.   Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische   IJiindenwesen.  Seite  809. 

Ausdruck  kommt  und  sucht  nach  den  Ursachen.  In  K.  Satz  e  nli  of  er's 
Schrift  über  »Gründung  und  Verwaltung  von  Blindenbibliotheken« 
findet  er  folgende  Begründung:  »Bei  einer  BUndenbibUotliek  kommen 
vier  Abteilungen  in  Betracht,  welche  sich  aus  rein  praktischen  Erwä- 
gungen, das  ist  aus  dem  Format,  ergeben.  Erstens  die  geschriebenen 
Bücher  (Manuskripte),  zweitens  die  gedruckten  Bücher,  drittens  die 
Musikalien  -und  viertens  die  Zeitschriften.  Bei  den  Manuskripten  wird 
sehr  leicht  ein  vollkommen  gleiches  Forinat  erreicht  werden,  wenn 
die  Bibliotheksverwaltung  von  allem  Anfang  an  eine  einheitliche 
Papiergröße  an  ihre  Mitarbeiter  ausgibt.  Bei  den  gedruckten  Büchern 
herrscht  ein  bestimmtes  Format  (29  :  35  cm)  vor.  Bei  den  Zeitschriften 
treten  wohl  die  verschiedensten  Formate  auf,  weshalb  sie  in  dem 
für  sie  bestimmten  Raum  Bücherregale  mit  verstellbaren  Bücherbrettern 
aufzustellen  sind.   Das  gleiche  gilt  auch  von   den   Musikalien.« 

Die  Formate  haben  sich  also  aus  rein  praktischen  Erwägungen 
ergeben.  Die  Druckwerke  hat  man  möglichst  groß  gehalten,  um  den 
Raum  auszunützen  und  möglichst  viel  Inhalt  zu  geben,  die  Hand- 
schriftwerke richten  sich  nach  der  Größe  der  bei  ihrer  Herstellung 
benützten  Punktschrifttafeln,  die  Zeitschriften  zeigen  eine  tür  den 
Postversand  praktische  Größe,  die  Musikalien  sind  Querhefte,  die 
leicht  auf  den  Schoß  gelegt  werden  können  oder  auf  dem  Klavierpult 
bequem  zu  erreichen  sind.  Das  sieht  der  Beschauer  ein.  Warum  herrscht 
nun  aber  in  den  angegebenen  Gruppen  trotzdem  keine  Einheitlichkeit? 
fragt  er  sich.  Wohl  nur  deshalb,  weil  sich  die  Druckereien  bisher 
hierüber  nicht  verständigten  und  eine  wirklich  praktische  Einheitlichkeit 
nicht   anstrebten  ! 

Und  da  der  Beschauer  einmal  nachdenklich  geworden  ist,  fragt 
er  sich  weiter?  Warum  sind  Druck-  und  Handschriftwerke  nicht  gleich 
groß,  da  sie  doch  gleichem  Zwecke  dienen?  Weil  Druckplatte  und 
Punktschrifttafel  nicht  gleich  groß  sind?  Ist  das  eine  einwandfreie 
Begründung?  Hat  man  beim  Blindenbuch  nicht  mehr  an  den  Leser 
und  das  Lesen  zu  denken,  als  an  technisch  sich  herausgebildete 
Besonderheiten  des  Drückens  und  Schreibens? 

Und  der  Beschauer  entwickelt  sich  folgenden  Gedankengang : 
Das  Blindenbuch  kann  der  Punktschriftgröße  wegen  sicher  nicht  so 
klein  und  handlich  sein  als  ein  Schwarzdruckbuch  für  Sehende.  Es 
wird  immer  größer  und  stärker  bleiben.  Wie  groß  darf  es  aber  werden? 
Sicher  nur  so  groß,  daß  es  auch  für  den  Blinden  noch  handlich  bleibt, 
d.  h.  die  Hantierung  mit  demselben  nicht  allzu  schwer  und  mühevoll 
ist.  Es  ist  dabei  nicht  nur  das  geschlossene  sondern  auch  aufgeschla- 
gene Buch  inbetracht  zu  ziehen,  das  einen  doppelten  Flächenraum 
einnimmt.  Betrachtet  man  auf  diese  Zweckmäßigkeit  hin  unsere  größten 
Formate,  so  ist  sofort  festzustellen,  daß  sie  zu  groß  und  meistens 
auch  zu  dick  sind.  Das  Format  wäre  also  nach  beiden 
Richtungen  hin  zu  vermindern.  Damit  nähern  wir  uns  einer 
Mittelgröße,  wie  sie  die  Handschriftwerke  zeigen.  Der  Formatunter- 
schied zwischen  Druck-  und  Handschrift  werken  erscheint 
vom  Standpunkte  des  blinden  Lesers  überhaupt  nicht 
gerechtfertigt  und  wäre  zu  beseitigen.  Man  käme  damit 
bereits  zu  einer  Einheitlichkeit  wenigstens  in  den  Literaturwerken. 


Seite  810.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  10.  Nummer. 

Nun  noch  die  Zeitschriften  und  Musikalien!  Findet  man  bei 
den  früher  genannten  Büchern  vorherrschend  das  Hochformat,  so 
sind  die  Zeitschriften  und  Musikalien,  allerdings  auch  wieder  mit 
Ausnahmen,  im  Querformat  gehalten.  Bei  den  Zeitschriften  scheint 
hiefür  der  Postversand  (Briefform)  ausschlaggebend  gewesen  zu  sein, 
bei  den  Musikalien  das  leichte  Auflegen.  Ist  nun  das  Querformat 
bei  diesen  Büchern  eine  unbedingte  Notwendigkeit?  Bei  den  Zeit- 
schriften sicherlich  nicht;  sie  könnten  ebensogut  im  Hochformat  der 
Bücher  gehalten  sein.  Bezüglich  der  Musikalien  müßte  man  jedoch 
wohl  erst  das  Urteil   der  Musiker  hören. 

Gewiß  ist  von  den  Zeitschriften  eine  für  den  Postversand  entspre- 
chende Form  und  Größe  zu  verlangen.  Unter  eine  Größe  von  25  :  28 
herunterzugehen  erscheint  aus  verschiedenen  Gründen  nicht  praktisch. 
Vergleicht  man  diese  Größe  mit  dem  gemachten  Vorschlage  bezüglich 
der  anderen  Bücher,  so  ist  der  Unterschied  nicht  mehr  so  groß,  daß 
man  nicht  an  ein  Einheitsformat  für  alle  Blindenbücher, 
einschließlich  der  Zeitschriften,  denken  könnte. 

Welche  Größe  wäre  nun  für  ein  derartiges  Einheits- 
format am  zweckmäßigsten?  Sollte  das  Einheitsformat 
im  Hoch-  oder  Querformat  gehalten  sein? 

In  letzterer  Frage  wäre  unbedingt  für  das  Hochformat  zu  ent- 
scheiden. Wohl  bietet  das  Querformat  als  Vorteil  längere  Zeilen, 
doch  ist  es  aufgeschlagen  nach  der  Breite  zu  ausgedehnt  und  erfordert 
beim  Lesen  ein  fortwährendes  Verschieben  nach  links  und  rechts. 
Auch  hat  der  Einband  im  Querformat  durch  den  kurzen  Rücken 
weniger  Haltbarkeit  und  Festigkeit.  Alle  diese  Nachteile  sind  beim 
Hochformat  nicht  vorhanden,  so  daß  für  alle  Bücher  und  Zeitschriften, 
—  die  Musikalien  vielleicht  ausgenommen  —  dieses  Format  zu 
wählen  wäre. 

Am  entsprechendsten  für  ein  Einheitsformat  wäre 
eine  Blattgröße  von  25  cm  Breite  und  30  cm  Höhe  anzu- 
nehmen, wobei  der  Textraum  nach  den  freien  Seiten  zu  nach 
Möglichkeit  auszunützen  wäre,  so  daß  nur  freie  Ränder  von  1  i/g  cm, 
gegen  den  Buchrücken  zu  aber  ein  breiterer  Rand  von  3  cm  frei 
bliebe.  Das  gäbe  ein  zugleich  handliches  und  für  das  Lesen  praktisches 
Format,  welches  auch  für  den  Postversand,  der  bei  Blindenschriften 
eine  große  Rolle  spielt,  vollkommen  zweckentsprechend  wäre  ? 

»Alles  sehr  schön«,  hört  da  der  in  sich  versunkene  Beschauer 
der  Blindenbücher  eine  Fachstimme  geisterhaft  hinter  sich  tönen. 
»Einheitsformat!«  Was  werden  die  Blindendruckereien  dazu 
sagen?  Sollen  sie  ihre  Punziertafeln  verkleinern  und  die  Punktschrift- 
tafeln vergrößern?  Und  die  Buchblätter,  in  einer  Größe  schneiden! 
Warum  denn  auch  das  Blindenbuch  uniformieren?  Es  ist  doch  alles 
am  besten  so,  wie  es  eben  ist.  Und  wenn  selbst  ein  Einheitsformat 
von  Vorteil  wäre,  wieviel  Köpfe  wären  da  unter  einen  Hut  zu  bringen 
und  noch  dazu  solche  von  unseren  Blindenfachkollegen  1  Da  kennen 
sie  uns  schlecht,  lieber  Freund.  Schlagen  Sie  sich  derlei  Gedanken 
nur  wieder  aus  dem  Kopfe  und  lassen  wir  alles  schön  beim  Alten. 
Auch  bezüglich  des  Formates  der  Blindenbücher!« 


lO.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwes  an.  Seite  81 1. 

Etwas  betroffen  hat  der  Beschauer  der  Blindenbibliothek  der 
ironischen  Fachstimme  gelausclit,  dann  aber  doch  wieder  den  Kopf 
g-eschüttelt,  aus  dem  das  Einheitsformat  aber  trotz  dieses  Schütteins 
nicht  heraus  will.  Vielleicht  denken  doch  niclit  alle  so,  sagt  er  sich, 
vielleicht  läßt  sich  auch    eine  freundlichere   Stimme    dazu  vernehmen. 


Der  Masse-Punktdruck  von  Dr.  M.  Herz. 

Der  heutigen  Nummer  unserer  Zeitschrift  liegt  ein  Probedruck 
bei,  durch  den  unsere  Leser  das  von  Dr.  Max  Herz  in  Wien  erfun- 
dene Verfahren  zur  Herstellung  von  Punktdrucken  kennen  lernen.  Die 
Punkte  bestehen  aus  einer  festen  Masse,  die  das  so  leidige  Verdrük- 
ken  der  aus  dem  Papiere  gepreßten  Punkte  nahezu  unmöglich  macht. 
Zum  Auftragen  (Schablonieren)  der  Punkte  ist  eine  ausgestanzte  Folie 
notwendig,  durch  welche  die  Masse  in  Punkten  auf  das  Papier  ge- 
bracht werden.  Das  Verfahren  würde  gegenüber  dem  gegenwärtigen 
Punktdruck  mancherlei  Vorteile  bieten.  Dabei  soll  die  Herstellung  eine 
besonders  billige  sein. 

Zweck  des  beiliegenden  Probedruckes  ist  es,  die  Fachkollegen 
und  Blinden  zu  einem  Urteile  über  die  Lesbarkeit  und  Zweckmäßig- 
keit des  neuen  Masse-Punktdruckes  zu  veranlassen.  Bemerkungen  jeder 
Art  hierüber  sind  willkommen  und  wollen  mitgeteilt  werden  an 
Dr.   Max  Herz  in  Wien  L,  Kärntnerring  3. 


Personalnachrichten. 

—  Direktor  P.  Franz  Weber  -j*.  Ein  überaus  schmerzlicher 
Verlust  hat  das  Blinden-Mädchenheim  »Elisabethinum«  in  Melk  a.  D. 
betroffen.  Direktor  P.  Franz  Weber,  der  seit  September  1915  zunächst 
als  Kurat  bei  einem  Maltheser-Spitalzug,  dann  als  k.  u.  k.  Feldkurat 
eingerückt  war,  ist  am  9.  September  1.  J.  im  Epidemiespital  zu  Arad 
an  Typhus  gestorben.  Neben  seinem  Lehramte  als  Religionsprofessor 
am  k.  k.  Obergymnasium  des  Stiftes  Melk  arbeitete  er  auf  dem  Gebiete 
des  Vereinswesens,  für  das  er  Dank  seines  liebenswürdigen  konzilianten 
Wesens  und  seiner  rednerischen  Begabung  wie  wenige  geeignet  war. 
Schon  neben  dem  Gründer  des  Blinden-Mädchenheimes,  dem  unver- 
geßlichen Regierungsrat  P.  Ulbrich  versah  er  die  Administration 
dieses  Hauses,  um  nach  Ulbrichs  Tod  auch  die  Direktorstelle  zu 
übernehmen.  Seine  Wirksamkeit  an  dieser  Stelle,  der  er  sich  mit 
vollem  Heizen  widmete,  war  eine  leider  allzu  kurze.  Ein  vorzeitiger 
Tod,  fern  von  seiner  Heimat,  hat  ihn  seinen  Angehörigen,  Mitbrüdern 
und  Pfleglingen  entrissen.  In  ihren  Herzen  wird  das  Andenken  an  seine 
von  Güte  und  Frohsinn  erfüllte  Persönlichkeit,  an  sein  selbstloses 
Wirken  und  an   seinen   opfervollen  Tod  nie  erlöschen. 

—  Kaiserl.  Rat  Franz  Th urner  -f.  Im  Morg.engrauen  des 
26.  August  I.  J.  verloren  der  »Blindenfürsorgeverein  für  Tirol  und 
Vorarlberg«  und  die  »Blindenanstalt  in  Innsbruck«  ihren  Gründer, 
ersterer  außerdem  auch  seinen  langjährigen  eifrigen   Sekretär. 


Seite  812.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  10.    Nummer. 

Kaiser].  Rat  Franz  Thurner,  Gemeinderat  der  Stadt  Innsbruck, 
wurde  nach  langem,  schweren  Leiden,  doch  unerwartet  schnell  vom 
Tode  dahingerafft.  Heuer  im  Frühjahre,  erfolgreich  an  der  Speiseröhre 
operiert,  schien  eine  kleine  Linderung  seines  tückischen  Leidens  ein- 
getreten zu  sein.  Ungeachtet  seiner  Schwäche  und  seines  Schonungs- 
bedürfnisses nahm  der  gute  Mann  seine  Tätigkeit  für  das  Wohl  seiner 
dürftigen  Mitmenschen  wieder  auf,  bis  sich  plötzlich  eine  derartige 
V^erschlimmerung  der  unheilbaren  Krankheit  zeigte,  der  er  unterliegen 
mußte. 

Was  der  nimmermüde  Wohltäter  für  die  Anstaltszöglinge  getan, 
wird  ihnen  un\''ergessen  bleiben.  Thurner  wird  überhaupt  tortleben 
in  den  Herzen  aller  dankbaren  Tiroler  Blinden  als  derjenige,  der  sich 
liebevoll  ihrer  hilflosen  Lage  angenommen  und  sich  nach  Kräften 
bemüht  hat,  sie  zu  einem  menschenwürdigen,  erträglichen  Dasein  zu 
füliren.  Er  war  es,  der  seine  Landsleute,  die  Tiroler,  zu  diesem  Werke 
wohltätiger  Menschenliebe  aufgemuntert  und  ihnen  dazu  die  Wege 
geöffnet  hat.  Nun  ruhe  er  aus  in  Gottes  Frieden,  -der  edle  Menschen- 
freund, von  seiner  rastlosen  Arbeit  auf  dem  Gebiete  der  Näch- 
stenliebe. 

—  Vizehofkapellmeister.  Julius  Böhrat.  Auf  seinem  Landsitze  in 
Stockern  ist  am  7.  September  1  J.  der  zweite  Dirigent  der  k.  u  k.  Hofmusikkapc-lle 
und  Vizehofkapellmeister  Julius  Böhm  im  67.  Lebensjahre  gestorben. 

Der  Verstorbene  war  20  Jahre  hindurch  (1874  —  1894)  Musiklehrer  an  der 
n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf  und  eine  lange  Reihe  von  Zöglingen 
dankte  ihm  ihre  musikalische  Ausbildung.  Seine  sonstige  ausgebreitete  Tätigkeit 
zwang  ihn,  diese  Stellung  vorzeitig  aufzugeben. 

—  Regierungsrat  Direktor  A.  Meli  verlor  auf  dem  südlichen  Kriegsschau- 
platze seinen  jüngsten  22  Jahre  alten  Sohn.  Der  betroffenen  Familie  wendet  sich 
die  allgemeine  Teilnahme  zu. 

—  Ehrung.  Der  L  Ost.  BHndenverein  in  Wien  VIII  hat  kais.  Rat  Direktor 
S.  Heller  in  Wien  und  Direktor  K.  Bürklen  in  Purkersdoif  in  Würdigung  ihrer 
Verdienste  um  das  österreichische  Blinden wesen  zu  E  h  r  e  nm  i  tgl  i  eder  n  ernannt. 
Eine  Abordnung  des  Vereines  überbrachte  den  Genannten  die  hierauf  Bezug  haben- 
den schön  ausgestatteten  Diplome. 

—  Auszeichnung.  Dem  Kommerzialrate  H.  Grimm  wurde  in  Anerkennung 
seiner  Verdienste  um  die  Sammlungen  für  Kriegsblinde  (Kriegsblindenheimsiätten) 
der  Adelsstand  verliehen. 

—  Anerkennung.  Der  k.  k.  Bezirksschulrat  Wien  hat  dem  an  der  Schul- 
abteilung für  blinde  Kinder  in  Wien  XVI  beschäftijten  Hilfslehrer,  Herrn  Feier 
Garns,  für  sein  langjähriges,  recht  ersprießliches  Wiikcn  an  dieser  .Schule  die 
belobende  Anerkennung  ausgesprochen. 


Rus  den  Anstalten. 

—  N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  Nach  den 
zweimonatlichen  Ferien  wurde  die  .Anstalt  am  1.  September  1.  J.  mit  102  Zöglingen 
eröffnet.  Außer  der  durch  .Mangel  an  Lehrkräften  bepründ  ten  Zusaminenziehung 
der  1.  und  2.  Klasse  (1.  und  2.  Schuljahr)  wurde  der  Unten  ichtsbetrieb  im  vollen 
Umfange  aufgenommen. 

Der  am  Ende  des  Schuljahres  1916/17  entlassene  Zögling  Wilhelm  Weigert 
hat  die  Aufnahmsprüfung  in  den  I.  Jalirgang  der  Musikakademie  (Kirchenmusika- 
lische Abteilung  in   Klosterneuburg)  mit  gutem  Erfolge  bestanden. 

—  Deutsche  Blindenschule  in  Aussig.  Dank  der  Fürsorglichkeit 
der  Mutteranstalt  und  des  steten  Entgegenkommens  der  Stadtvertretung  Aussigs  in 


10.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Hlindenwesen.  Seite  813. 

Bezug  auf  Verpflegung  konnte  der  Unterricht  auch  im  Jahre  1916  seinen  ungestörten 
Fortgang  nehmen.  Dementsprechend  waren  auch  die  Unterrichtserfolgc  sehr  gute. 
Die  Schule  zählte  34  Schüler  in  2   Klassen. 

Seine  Exzellenz  der  Herr  .Statthalter  Graf  Max  Coudenhove  beehrte  am 
4.  Juli  1916  die  Anstalt  mit  seinem  Besuche,  zu  dem  sich  vom  Direktorium  die 
Herren  kais.  Rat  Stiidl,  Direktor  Wagner  und  Frau,  Dr.  Schmidt,  Medizinalrat 
Dr.  Marian,  sowie  Komm<;rzialiat  Weimann  u.  v.  a.  eingefunden  hatten;  leider 
wai  die  Zeit  so  kurz  bemessen,  daß  der  schönste  Teil  der  Feier  unterbleiben 
mußte. 

Mit  dem  Belage  von  34  Kindern  sind  nun  alle  Räume  des  Hauses  bis  auf 
das  letzte  Plätzchen  ausgenützt.  Eine  Neuaufnahme  von  Kindern  ist  deshalb  aus- 
geschlossen. Die  deutsche  Blindenschule  ist  in  ihrer  Entwicklung  ernstlich  gehemmt 
Unsere  einzige  Hoffnung  ist  auf  den  Frieden  gerichtet,  der  von  der  Menschheit  wie 
eine  Erlösung  empfunden  auch  das  Gefühl  der  Dankbarkeit  auslösen  wird,  aus  dem 
hoffentlich  auch  uns  Hilfe  und  Rettung  zuteil  werden  wird. 

Direktor  Karl  Rauter. 

—  Klar'sche  Blindenanstalten  in  Prag.  Trotz  der  erschwerten  Ver- 
hältnisse konnte  das  Direktorium  die  Anstalten  (Hauptanstalt,  Kindergarten,  Deutsche 
Blindenschule  in  Aussig)  in  vollem  Betriebe  erhalten  und  sich  außerdem  der  Kriegs- 
blinden in  möglichst  ausgedehntem  Maße  annehmen.  Im  Jahre  1916  waren  in  den 
Anstalten  untergebracht: 

Kindergarten  15  Zöglinge  (9  Knaben  und  6  Mädchen).  Hievon  7  Zöglinge 
im  »Heil-  und  Erziehungsinstitute«  am  Hradschin. 

Deutsche  Blindenschule  in  Aussig:  34  Zöglinge  (21  Knaben  und 
13  Mädchen). 

Hauptanstalt:  106  Pfleglinge  (51  männliche  und  55  weibliche)  38  Kriegs? 
blinde. 

Mit  den  ausgetretenen,  transferierten  und  verstorbenen  Kriegsblinden  beträgt 
die  Zahl  der  in  der  Anstalt  autgenommenen  blinden  Soldaten  55.  Zu  dem  »Aus- 
schusse für  Kriegsblindenlürso  gc  in  Böhmen«  steht  die  Anstalt  in  dem  Verhältnisse, 
daß  die  KrieLlsbhnden  der  Anstalt  zum  Zwecke  der  Nachschulung  von  diesem  Aus- 
schusse zugewiesen  werden,  welcher  alle  Auslagen,  die  mit  der  Unterstützung  der 
Kriegsblinden  sowie  deren  F'amilien,  mit  ihrer  Ausrüstung  und  endlich  der  Beschaf- 
fung von  Tahaktrafiken  verbunden  sind,  trägt.  Die  Eifahrungen,  welche  mit  den 
ersten  in  die  Anstalt  eingelieferten  Kriegsblinden  gemacht  wurden,  waren  recht 
betrübliche.  Durch  Energie,  Aufklärung,  gütigen  Zuspruch  und  entsprechende  Ein- 
richtungen gelang  es  dem  verdienstvollen  Direktor  Wagner  eine  vollständige 
Harmonie  beizustellen. 


Eines  Kriegsblinden  Gruß   an  die  Heimat! 

Tief  taucht   mein   Geist  in  holden  Träumen 
In   die   Vergangenheit  zurück  ; 
Er  schwebt  in   lichtdurchstrahlten   Räumen 
Und  träumt  von  Jugend   und  von   Glück! 

Er  träumt;   und  Traumgestalten   neigen 
Zu   mir  sich   nieder,  schön   und   licht, 
Und  aus  den   dunklen  Tiefen  steigen 
Und  treten  vor  mein  Angesicht 

Die  alte  Heimat,   Wälder,   Wiesen 
Und   Felder,   lichter  Firnenschnee 
Der  himmelhohen  Bergesriesen 
Und  mancher  stille  Alpensee. 


Seite  814.  Zeitschritt  für  das  östereichische  Blindenwesen.  10.  Nummer. 

Ich  schau   auf  jene  Stätten   nieder, 
Wo  ich  gelebt  in   Seligkeit, 
Und  meine  Augen  sehen   wieder. 
Was  längst  versank  in  Dunkelheit. 

Ich  höre  altvertraute  Lieder, 
Und  Jauchzen,  hell,  in  freud'ger  Lust, 
Und  Menschen   seh'  ich,  stark  und  bieder. 
Mit  schlichtem   Sinn  und  treuer  Brust. 

Ich  seh'   mich  selbst  auf  stillen   Wegen 
Hinwandeln   durch   das  ganze  Land, 
Vorbei  an  reicher  Täler  Segen 
Und  hoch   an  lichter  Berge  Rand!  — 

In  solcher  Träume  Lust  und   Wehen 
Hab'  ich  ein  heilig  Unterpfand  : 
Denn,  sollt'  ich  nie  Dich  wieder  sehen. 
Ich  kenn'  Dich  doch,  mein  Kärntnerland  ! 

Othmar  Hub  er,  k.  u.  k.  Oberleutnant  i.  R. 


Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Blinde  Musiker  für  Kriegsblinde.  In  Brück  a.  d.  Leitha  wurde 
kürzlich  von  den  blinden  Musikern,  den  Herren  Franz  Kowar,  Friedrich  Koltko, 
Michael  Syslo  und  Vanic  in  Drehers  Bierhalle  ein  Wohltätigkeitskonzert  zu 
Gunsten  des  Fürsorgefonds  für  die  im  Kriege  erblindeten  Soldaten  veranstaltet.  Ein 
interessantes  abwechslungsreiches  Programm  gelangte  unter  Mitwirkung  einiger 
Wiener  blinder  Musiker  zur  Aufführung.  Großen  Beifall  erzielte  die  tadellos  zu  Gehör 
gebrachte  Aufführung  von  Beethovens  Ouvertüre  zu  »Egmont«,  ferner  Vorträge  aus 
»Prophet«,  die  schwungvolle  Vortragsweise  einiger  Walzer  von  Strauß  usw.  Der 
materielle  Erfolg  des  Koazertes  war  ebenso  wie  der  künstlerische  ein  guter.  Die 
Veranstalter  konnten  dem  humanitären  Zweck  einen  ansehnlichen  Betrag  übermitteln. 

—  Sammlungen  für  Kriegsblinde.  Stand  Ende   September  1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,152.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  2,715.000  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  380.000  K. 

—  Reichspost:  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  55.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  26.600  K. 

Verschiedenes. 

—  Die  Blindheit  des  Philosophen  Nietzsche.  Nietzsche  litt 
zeitweise  an  solchen  Augenstörungen,  daß  er  nicht  sehen  konnte  und  langwierige 
Atropinkuren  durchmachen  mußte.  Die  Ursache  dieser  Erkrankung  war  Hysterie,  wie  die 
ganze  Erkrankung  Nietzsches  als  ein  Fall  von  Hysterie  mit  Übergang  in  Paranoia 
aufzufassen  ist.  Die  Hysterie,  die  typische  Erkrankung  des  Künstlers,  ja  die  Bedin- 
gung seines  Schaffens,  besteht  eigentlich  in  einer  Spaltung  des  Individuums  in  zwei 
Partial-Ich,  von  denen  das  eine  objektiv  nachweisbare  »Einschränkung  des  ganzen 
Gesichtsfeldes«,  welche  der  körperliche  Ausdruck  für  dies  »Nichtsehenwollen«  oder 

Herausgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     Redaktionskomitee:  K.   Bürklen, 
J.  Kneis,  A.  t.  Horrath,  F.  Uhl.  —  Druck  ron  Adolf  Englisch,  Purkersdorf  bei  Wien. 


»Nichtwissenwollen«  ist.  Sehr  häufig  finden  sich  bei  Hysterischen  nervöse  Akkomo- 
dationsstörungen, welche  oft  bis  zur  völligen  Blindheit  gehen  können. 

—  Ich  sehe  nicht.  Sie  sprechen  erregt,  es  sind  Kriegsgewinner.  Den  einen 
brachte  der  Kiieg  Millionen,  den  anderen  Titel  und  Ehren.  Sie  ereifern  sich  gegen 
einen  »vorzeitigen«  Frieden.  Nur  einer  sitzt  still  da  und  schaut  merkwürdig  starr 
in  die  Ferne.  Sein  Schweigen  reizt  einen  Sprecher  und  er  wendet  sich  an  ihn  : 
»Sehen  sie  denn  nicht,  wie  der  Krieg  neue  Kräfte  in  uns  geweckt  hat,  wie  er 
unser  Volk  geeinigt  hat?«  —  »Nein,  ich  sehe  nicht,  ich  bin  im  Felde  erblindet.« 
Eisiges  Schweigen  und  sio  entfernen  sich  verlegen.  (Arbeiterzeitung.) 

Bücherschau. 

—  Ein  neues  Buch.  Wir  gestatten  uns  die  höfl.  Mitteilung,  daß  wir  das 
hochinteressante  Buch  »Wir«  von  Anton  Fendrich  in  Punktdruck  erscheinen 
lassen. 

Entsprechend  dem  Untertitel  »ein  Hindenburgbuch«  bringt  das  kleine  Werk 
eine  so  herrliche  Charakterisierung  des  Generalfeldmarschalls  und  des  von  ihm  ins 
ganze  deutsche  Volk  ausstrahlenden  Geistes,  wie  es  bisher  hesser  nicht  zu  finden 
ist.  Weiter  aber  sehen  »wir«  Deutschen  uns  im  Spiegel  der  Zeit  und  lernen  uns 
mit  unseren  Vorzügen  und  Schwächen  kennen  und  beurteilen.  Das  Buch  bietet 
interessante  Einblicke  in  alles,  was  zur  Kriegführung  und  Kriegswirtschaft  gehört 
und  macht  den  Leser  mit  den  interessantesten  und  wichtigsten  Gegenwartsprob- 
lemen bekannt.  Auch  der  Blinde  und  seine  Fürsorge  findet  in  diesem  Buche  eine 
verständnisvolle  und  liebenswürdige  Behandlung,  wie  überhaupt  die  ganze  Schreib- 
weise Fendrichs  ungemein  ansprechend  ist. 

Um  das  Buch  einem  Jeden  zugänglich  zu  machen,  haben  wir  auf  alle  die 
Rücksicht  nehmen  zu  müssen  geglaubt,  die  noch  nicht  Kurzschrift  lesen  können 
und  haben  das  Buch  in  Vollschrift  erscheinen  lassen. 

Eine  nahmhatte  Spende  eines  Breslauer  Gönners  macht  es  uns  möglich,  das 
Buch  billiger  als  zum  halben  Selbstkostenpreis  abgeben  zu  können.  Sein  Preis 
belauft  sich  (es  ist  bei  Zwischenpunktdruck  130  Seiten  stark)  einschlielSlich  Ver- 
packung und  Porto  auf  Mk.  2.75 

Das  Buch  soll  gewissermaßen  unsere  Weihnachtsgabe  sein,  und  wir  gestatten 
uns,  es  als  ein  schönes  Weihnachtsgeschenk  anzubieten,  das  jedem  Leser  eine 
Quelle  von  Belehrung  und  Freude  sein  wird. 

Bestellungen  richte  man  an  nie  Geschäftsführerin  der  schlesischen  Blinden- 
bücherei,  Frau  Grefe  Bial,  Breslau  18,  Eichen-Allee  5. 

Die  schlesische  Blindenbücherei 
Dr.  Ludwig  Cohn. 

—  Praktische  Einführung  in  die  Satz-  und  Wortanalyse.  Hilfs- 
büchlein zum  Unterrichte  in  der  deutschen  Sprachlehre  und  zum  Selbstunterrichte. 
Von  Franz  Stein,  Lehrer  in  Urfahr-Linz.  Preis:  1  K  80  h.  Druck  und  Verlag  bei 
Karl  Hub  er  in  Urfahr. 

Wie  in  der  allgemeinen  Volksschule  überhaupt  so  hat  auch  in  dem  Unter- 
richte der  blinden,  schulpflichtigen  Jugend  das  Analysieren  eine  sehr  wichtige  Stelle. 
Leider  wird  es  infolge  gehäufter  Lesestoffe  besonders  bei  unseren  verschiedenen 
Drucksystem  und  dem  bedauerlichen  Mangel  an  Einheitslesebüchern  oft  zu  wenig 
beachtet.  Da  hat  uns  ein  Amtsbruder  aus  der  Volksschule  für  sehende  Kinder  ein 
treffliches  Hilfs-  und  Wiederholungsbüchlein  für  das  kommende  Schuljahr  beschert. 
Es  ist  erstaunlich,  was  der  in  Methodik  sattelfeste  Verfasser  auf  64  Seiten  alles 
kurz  und  übersichtlich  zusammen  gestellt  hat.  Der  Anhang  auf  Seite  62  sollte 
eigentlich  am  Beginne  des  Buches  stehen,  dann  kann  der  strebsame  Beachter  auch 
der  neuesten  Strömung  auf  dem  Gebiet  der  Sprachlehre  vollauf  befriedigt  werden. 
Auf  einzelne  Punkte  sei  aber  dennoch  im  Interesse  der  eifrigen  Arbeit  aufmerksam 
gemacht,  ohne  den  Wert  des  Buches  zu  schmälern,  nnr  als  Zeichen  eines  gewissen- 
haften Berichters.  Auf  Seite  6  ist  die  Art  der  Biegung  gewisser  Hauptwörter  als 
eine  fragliche,  besser  wohl  »unbestiu^mte«,  auf  Seite  18,  22  und  23  je  ein  Satz 
2  mal  als  Beispiel  angeführt.  Sonst  sind  gerade  die  zahlreichen  Beispiele  außer- 
ordentlich gut  gewählt  und  auch  dem  Inhalte  nach  sehr  reichhaltig.  Mit  der  Art 
der  Behandlung  der  »Hilfszeitwörter  der  Aussageweise«  und  der  »bezüglichen  Für- 
wörter« kann  man  auch  anderer  Ansicht.  Leider  sind  die  Anschauungen  noch  nicht 
geklärt.  Besser  würden  die  Abschnitte  34,  35  un  i  36  vor  31  behandelt  werden.  Die 
»Arten  der  Umstände«  sind  wohl  methodisch  am  Besten  behandelt. 

Für  den  Blindenlehrer  ist  Steins  fleißige,  erschöpfende  Arbeit  bestens  zu 
empfehlen.  Anton  M.  Pleninger. 


Bürklen  Karl :  Das  Tastlesen  der  Blindenpunktschrift. 

Nebst  Beiträgen  zur  Blindenpsychologie  von  P.  Gräsern  an  n- 
Haniläurg,  L.   Cohn-Breslau,   W.  Steinberg.   VII,  93   Seiten 

mit  6  Abbildungen  im  Text  und  6  Tafeln, 
Leipzig,  Barth,   1917 M  5.— 

(Beiheft  16  zur  »Zeitschrift  für  angewandte  Psychologie«  heraus- 
gegeben von  L.   William   Stern   und  Otto  Li p  mann). 

Inhalt:  Das  Tastiesen  der  Blindenpunktschrift  nach  besonderen  Versuchen 
zu  dessen  Erforschung  von  K.  Bürklen.  Eine  Untersuchung  über  das 
Lesen  der  Blinden  von  P.  Grasemann.  —  Beiträge  zur  Biindenpsydho- 
logie  von  L.  Cohn.  —  Der  Blinde  als  Persönlichkeit  von  W.  Steinberg. 


=  Ein  schönes  Geschenk  für  Blinde  = 

ist    das    von    der   schlesischen    Blindenbücherei    in    Breslau    soeben    in 
Punktschrift  herausgegebene  hochinteressante  Buch  von 

Anton  Fendr ich:  „Wir." 

Näheres  sagt  die  Besprechung  des  Buches  in   der  vorliegenden 
Nummer  dieses  Blattes. 

^=  fisyl  für  blinde  Kinder  == 


Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im  vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen  österreichi- 
schen Kronländern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 

Die  „ZentFolbibliotheh  für  Blinde  in  Österpeicli", 

Wien  XVIII,  Währinger  Gürtel  136 

verleiht  ihie  Bücher  kostenlos  an  alle  Blinden. 


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^A^ien  V.,  Nikolsdorfergasse  42, 

Zweck  des  Vereines:  Unterstut2ung  blinder  Mit- 
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Bromberg. 
A  für  Punictsciirift  M  85.80  B  für  gewöhnliche  Schrift  M  80.— 


Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Bünden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


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Schriftleitung 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Nr.132.257 


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Das  Blatt  ersdieint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


r-j  Bezugspreis  □ 

Q  ganzjährig  mit  q 

□  Postzustellung  □ 

D         4  Kronen,  D 

n  Einzelnummer  CD 

n  40  Heller.  ^ 


4.  Jahrgang. 


Wien,  November  1917. 


11.  Nummer. 


INHALT:  Erneuerung  der  Blindenfürsorge  in  Österreich.  Der  Blinde  des  Orients 
im  Spiegel  des  morgenländischen  Schriftums.  J.  Kneis,  Purkersdorf:  Kleine 
Anregungen.  K.  k.  Ministerium  für  soziale  Fürsorge.  Personalnachrichten. 
Aus  den  Anstalten.  A.  Rappawi:  Blinden  Kriegern  alle  Ehren.  Für  unsere 
Kriegsblinden.  Verschiedenes.  Bücherschau.  (Altes  und  Neues.  Ankündi- 
gungen). 


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^   Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^- 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIII, 
i]  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K. 

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flites  und   Neues. 

Die  Haut  des  Blinden   als  Sehorgan, 

Der  Physiker  Professor  Dr,  L.  Zehn  der  in  Berlin  kommt  zu 
dem  Ergebnis,  daß  ein,  wenn  auch  spärlicher,  Ersatz  der  Augen  für 
die  Blinden  nicht  aussichtslos  erscheine.  Jeder  weiß,  so  führt  Professor 
Zehnder  aus,  daiS  man  bei  Sonnenschein  mit  dem  Brennglas  auf 
der  Haut  ein  Sonnenbildchen  erzeugen  kann,  das  die  Haut  in  kurzer 
Zeit  zu  verbrennen  imstande  ist.  Man  fühlt  also  dabei  die  Stelle  des 
Sonnenbildes,  Nun  denke  man  sich  einen  gewöhnlich  dem  Licht  nicht 
ausgesetzten  Teil  des  Körpers,  etwa  die  Brust,  als  Rückwand  einer 
photographischen  Kamera  —  deren  Linse  aus  Quarz  oder  einer  an- 
deren Substanz  besteht,  die  nicht  nur  für  Licht,  sondern  auch  für 
Wärmestrahlen  sehr  durchlässig  ist  —  nach  au(3en  lichtdicht  abge- 
schloßen.  Richtet  man  die  Versuchsperson  mit  der  Brust  und  mit  der 
vor  dieser  in  der  Einstellung  auf  unendlich  befindlichen  Linse  gegen 
die  Sonne,  und  stellt  man  die  optische  Achse  der  Linse  auf  die 
Sonne  ein,  so  wird  also  auf  der  Bruststelle  das  Sonnenbild  erzeugt 
und  bald  würde  sich  Schmerzempflndung  und  Verbrennung  einstellen. 
Um  das  zu  verhindern,  kann  die  Sonne  in  Abstand  von  einigen 
Metern  durch  einen  Schirm  abgeblendet  werden.  Nun  beginne  die 
Schulung!  Es  werden  da,  wo  die  optische  Achse  der  Linse  den 
Schirm  trifft,  verschiedene  Offnungen  eingesetzt,  durch  welche  die 
Sonne  ilire  Strahlen  hindurchsenden  kann;  man  setzt  schmale,  grad- 
linige Öffnungen  ein,  senkrechte,  wagrechte,  schiefe,  Kreislinien  usw., 
ferner  Flächen  von  bestimmten  einfachen  Umrissen,  und  jedesmal 
läi3t  man  das  Bild  der  Öffnung  so  lange  auf  der  Brust  der  Versuchs- 
person  ruhen,   bis  diese  die  Vorstellung  des  Darzustellenden  erfaßt  hat. 

Werden  die  Öffnungen  im  Schirm  als  Buchstaben  ausgeführt, 
so  wird  die  Versuchsperson  durch  dieses  künstliche  Auge  bald  zu 
lesen  imstande  sein;  allerdings  kann  sie  zuerst  nur  Buchstaben  lesen, 
die  aus  dem  Schirm  ausgeschnitten  und  von  der  Sonne  hell  beleuch- 
tet sind. 

Professor  Zehnders  »künstliches  Auge«  besteht  also  im  wesent- 
lichen aus  einer  photographischen  Kamera,  in  der  die  Mattscheibe 
oder  die  photographische  Trockenplatte  durch  einen  möglichst  em- 
pfindlichen Teil  der  Haut  ersetzt  ist.  Als  solche  empfiehlt  er  eine 
entsprechend  große   Stelle  der  Brusthaut. 

Wie  weit  die  Anpassungsfähigkeit  der  Körperoberflächennerven 
an  die  neu  zu  lösende  Aufgabe  geht,  wissen  wir  nicht.  Es  ist  aber 
denkbar,  daß  sich  durch  Übung  auch  diese  Nerven  zu  einer  Feinheit 
und  Brauchbarkeit  entwickeln,  von  der  wir  gegenwärtig  keine  Ahnung 
haben. 

So  unvollkommen  dieses  künstliche  Auge  auch  immer  bleiben 
mag,  verglichen  mit  unseren  hochentwickelten  vollkommenen  leben- 
den Augen,  so  kann  es  doch  immerhin  für  den  Blinden,  der  gar 
nichts  sieht,  als  teilvveiser  Ersatz  ein  äußerst  wertvolles  Organ  werden, 
mit  dem  er  sich  vielleicht  sogar  draußen  im  Freien  tagsüber  ganz 
ordentlich  zurechtzufinden   vermag. 

Der  Vorschlag  Dr,  Zehnders  geht  wohl  über  eine  geistreiche 
Annahme  nicht  hinaus,  denn  praktische  Verwertungsmöglichkeit  dürfte 
ihm  nicht  innewohnen. 


4.  Jahrgang. 


Wien,  November  1917. 


11.  Numnner. 


^  »Es    mag    sein,    daß    Blindheit    und    Taubheit    besonders   ^ 

^   empfänglich  für  den  Sozialismus  macht.«  Heien  Keiier.      g 

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Erneuerung  der  Blindenfürsorge  in 
Österreich. 

Erneuerung,  Umgestaltung,  Verbesserung  oder  Reform?  Welches 
Wort  sagt  am  besten,  was  wir  in  der  Zukunft  für  unsere  Blindensache 
erhoffen,  wünschen  und  anstreben  sollen?  Wir  wählen  das  erste  und 
meinen  damit  eine  innerliche  und  äußerliche  Um-  und  Ausgestaltung 
der  bisher  für  unsere  BHnden  in  Österreich  geschaff'enen  Institutionen. 
Eine  alte  Forderung,  die  wohl  immer  noch  ungehört  verhallte  und  des- 
halb umso  lauter  erhoben  werden  muß.  Und  gerade  in  einer  Zeit,  die 
uns  Erneuerung  und  Umgestaltung  bis  ins  Kleinste  und  Tiefste  hinein 
bringt.  Wohl  spricht  noch  der  eiserne  Mund  einer  historischen  Schick- 
salszeit, wohl  donnern  noch  an  allen  Grenzen  unseres  Reiches  die 
Kanonen,  aber  über  das  Tosen  und  Toben  eines  fessellosen  Kampfes 
hinweg  weht  uns  bereits  der  erste  Hauch  des  Friedens  an,  eines  Frie- 
dens, den  die  Schwachen  vielleicht  fürchten,  von  dem  die  Starken  und 
Aufrechten  aber  die  Erfüllung  einer  besseren  und  reineren  Zeit 
erhoffen. 

Wie  wir  in  diesem  unvergleichlichen  Heldenkampf  gegen  eine 
Welt  von  Haß  und  Verleumdung  ringsum  uns  innerlich  läutern,  wie 
wir  unter  Entbehrungen  uns  bescheiden  lernen,  wie  wir  als  Mensch  zu 
Mensch  einander  in  Not  und  Leid  nähertreten,  so  erneuert  sich  der 
Gedanke  der  Hilfsbereitschaft  in  der  Allgemeinheit,  der  einzige  und 
wahre  Sozialismus  auf  Erden.  Nach  dem  blindwütigen  Haß,  der  Völker 
mordend  gegen  V^ölker  treibt,  muß  die  Menschheit  wieder  zur  Mensch- 
lichkeit und  Nächenliebe  zurückkehren  oder  die  Menschheit  hat  sich 
um  ihre  Daseinsberechtigung  gebracht.     An  diese  Rückkehr  muß  jeder 


Seite  820.  Zeitschrift  das  für  österreichische  BHndenwesen.  11.  Nummer. 

von  uns  glauben.  Haben  wir  doch  manche  Anzeichen  dafür.  Auf  unserem 
Gebiete  spricht  sie  sich  vor  allem  in  der  Anteilnahme  tür  unsere  er- 
blindeten Krieger  aus.  Diese  Teilnahme  ist  allerdings  eine  einseitige, 
sie  ist  aus  dem  Jammer  dieser  Unglücklichen  geboren,  aber  sie  ist 
geeignet,  der  Öffentlichkeit  das  Los  aller  Blinden  näher  zu  bringen. 
Der  Wohltätigkeitssinn  der  Bevölkerung  hat  sich  für  die  Kriegsblinden 
in  hervorragender  Weise  betätigt,  das  ist  außer  Frage.  Wird  man  es 
verstehen,  dieses  Interesse  auch  in  der  Zukunft,  wo  die  Unterscheidung 
von  Friedens-  und  Kriegsblinden  bald  verschwinden  wird,  wach  zuer- 
halten,  dann  könnte  für  alle  Blinden  die  Morgenröte  einer  neuen 
besseren  Zeit  aufgehen. 

Die  Hilfsbereitschaft  der  Allgemeinheit  für  die  Blinden  wird  in 
der  Zukunft  umso  weniger  erlaiimen,  als  durch  die  Versuche  mit 
Kriegsblinden  zum  erstenmale  die  Erkenntnis  in  alle  Schichten  der 
Bevölkerung  gedrungen  ist,  daß  selbst  der  Blinde  noch  arbeitsfähig 
bleibt,  daß  es  für  ihn  Erwerbsmöglichkeiten  gibt,  die  ihn  zum  brauch- 
baren und  nützlichen  Gliede  der  menschlichen  Gesellschaft  machen. 
Von  der  weitesten  Verbreitung  und  Vertiefung  dieser  bereits  im 
Kriege  allgemein  gewordenen  Erkenntnis  wird  die  Zukunft  aller  arbei- 
tenden und  erwerbenden  Blinden  abhängen.  Sie  wird  sie  auch  am 
besten  gegen  den  rücksichtslosen  Wettbewerb  der  Sehenden,  wie  er 
vor  dem  Kriege  bestand,  schützen  und  bewahren. 

Die  durch  das  Auftreten  der  Kriegsblinden  eingeleitete  günstige 
Wendung  kann  für  die  gesamte  Blindenfürsorge  der  nächsten  Jahrzente 
entscheidend  werden.  Die  Grundlagen  in  der  breiten  Öffentlichkeit  sind 
hiefür  geschaffen.  Es  erübrigt  nur  noch  eines,  allerdings  das  Wichtigste, 
die  Durchführung  dieser  Erneuerung. 

Betrachtet  man  die  Entwicklung  der  Blindenfürsorge  bis  zum  heu- 
tigen Tage,  so  kann  jenen  Stellen,  die  zu  ihrer  Förderung  vor  allem 
berufen  sind,  —  dem  Staat  und  seinen  Behörden  —  der  Vorwurf  der 
Lässigkeit  und  des  Versäumnisses  nicht  erspart  werden.  Die  Blindenfürsorge 
war  bisher  für  den  Staat  weniger  als  ein  Stiefkind,  sie  bestand  für  ihn 
überhaupt  nicht.  Unsere  obersten  Behörden  kennen  Erziehung,  Aus- 
bildung und  Erwerbsfürsorge  unserer  Blinden  nur  insoweit,  als  es  sich 
um  ihr  Aufsichts-  und  Kontrollrecht  handelt  und  andere  Stellen,  vor 
allem  die  öffentliche  Mildtätigkeit,  die  Mittel  dafür  aufbringen.*)  Gerade 
hier,  wo  von  der  Anregung,  Mitwirkung  und  Durchführung  das  Beste 
zu  erwarten  wäre,  verhält  man  sich  vollkommen  untätig  und  schiebt 
die  Fürsorge  anderen  Stellen  (Land,  Gemeinde  usw.)  zu.  Von  den  Wünschen, 
Bestrebungen  und  den  harten  Daseinskämpfen  unserer  Blinden  weiß 
die  Leitung  unseres  Staates  herzlich  wenig,  trotzdem  sie  berufen  und 
verpflichtet  wäre,  sich  hierin  nicht  in  Widerspruch  mit  der  Anschau- 
ung der  Allgemeinheit  zu  setzen,  deren  Hilfsbereitschaft  außer 
Frage  steht. 

Selbst  in  der  dem  Staate  aufs  Herz  brennenden  Frage  der  »Kriegs- 
blindenfürsorge«   treibt    er    das    alte  einseitige  Spiel,   nimmt  ohne    Lei- 

*)  Als  treffendstes  Beispiel  ist  unsere  »Staatsanstalt,«  das  k.  k.  Blinden-Erzie- 
hungsinstitut  anzusehen,  welches  diesen  Titel  wohl  führt,  sich  aber  ohne 
Zuwendung  des  Staates  aus  eigenen  Fondsmitteln  erhalten  muß. 


11.  Nummer.  Zeitschrift  (ür  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  821. 

stungen  Rechte  für  sich  in  Anspruch,  ohne  selbst  in  diesen  eine  zielsichere 
Hand  zu  zeigen. 

Verteidiger  dieser  Fahrlässigkeit  werden  sich  mit  mangelnder 
Organisation,  mit  der  Zersplitterung  in  den  Agenden  der  verschiedenen 
Staatsbehörden  inbezug  auf  die  Blindenfürsorge  entschuldigen.  Diese 
Zersplitterung  ist  ein  alter  Jammer.  Aber  hätte  man  dem  Übelstande 
nicht  längst  abhelfen  können?  Kann  man  es  nicht  endlich  jetzt  tun, 
wo  sich  durch  Errichtung  eines  »Ministeriums  lür  soziale  Fürsorge« 
(Siehe  Seite  825)  die  beste  Gelegenheit  bietet,  das  Ganze  der  Blinden- 
fürsorge zu  erfassen  und  einer  Zentralstelle  in  diesem  Ministerium  zu- 
zuweisen }  Wird  auch  dieser  Moment  ungenützt  vorübergehen  und  die 
Blindensaehe  das  alte  Aschenbrödel  bleiben?  Oder  wird  die  Erkenntnis 
endlich  zur  Einsicht  führen,  daß  auch  auf  diesem  Gebiete  Neues  und 
Großes  zu  schaffen  wäre?  Wir  können  nur  das  Letztere  wünschen  und 
hoffen. 

In  welcher  Richtung  diese  Erneuerung  und  der  Ausbau  der 
Blindenfürsorge  unter  hervortretender  Führung  des  Staates  zu  erfolgen 
hätte,  muß  einer  breiteren  Ausführung  vorbehalten  bleiben.  Bliiidheits- 
verhütung  in  den  kommenden  Jahrzehnten,  die  besonders  unserer 
Nachkommenschaft  gefährlich  sein  werden,  Fürsorge  der  Blinden  im 
vorschulpflichtigen  Alter,  Erneuerung  und  Ausgestaltung  des  Blinden- 
unterrichts-  und  Berufsbildungswesens,  Arbeitsschutz,  Sozialversiche- 
rung, Altersversorgung  der  Blinden  wären  Markstein  in  diesem 
Neubau. 

Neben  diesen  Hinweisen  auf  den  äußerlichen  Um-  und  Ausbau 
unserer  Blindenfürsorge  muß  auch  der  Notwendigkeit  einer  inner- 
lichen Erneuerung  gedacht  werden.  Es  ist  damit  das  Verhältnis 
der  bestehenden  Institutionen  und  ihrer  Vertreter  untereinander  sowie 
auch  ihre  Haltung  zu  den  selbständigen  Blinden  gemeint.  Auch  hier 
liegt  vieles  im  Argen  und  zum  Teil  tragen  die  kleinlichen  Eifersüchte- 
leien und  Eigenbrödeleien  der  Fachleute  und  Blindenfreunde  die  Schuld, 
daß  die  Blindenfürsorge  bei  den  Behörden  so  wenig  Ansehen  und 
Beachtung  findet.  Ebenso  läßt  das  Verhältnis  zu  den  erwerbstätigen 
Blinden  viel  zu  wünschen  übrig,  wie  auch  diese  unter  sich  nicht  die 
notwendige  Einigkeit  zeigen.  Soll  auch  das  alles  so  weiter  bleiben  ? 
Wer  den  Ernst  der  Stunde  versteht,  muß  sich  an  die  Brust  schlagen 
und  sagen:  Nein,  das  soll,  das  darf  nicht  sein!  Nur  in  selbstloser  Zu- 
sammenarbeit, in  der  einheitlichen  Festsetzung  unerläßlicher  Forderun- 
gen kann  einer  Erneuerung  unser  vaterländischen  Blindenfürsorge 
die  Bahn  gebrochen,  können  ihr  die  Wege  zu  einer  gedeihlichen  Weiter- 
entwicklung geebnet  werden. 

Der  Blinde  des  Orients  inn  Spiegel  des 
nnorgenländischen  Schrifttums. 

(Fortsetzung.) 

Unter  den  Geschichten  des  Königs  Wird  Chan  aus  »Tausend 
und  eine  Nacht«  handelt  eine  von  einem  Blinden  und  einem  Krüppel, 
die  in  ähnlicher  Form  in  anderen   Sprachen  zu  finden  ist.   Sie  lautet: 


Seite  822.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  11.   Nummer. 

Der  Blinde   und   der  Krüppel. 

Es  waren  einmal  ein  Blinder  und  ein  Krüppel,  die  der  Besitzer 
eines  Gartens  in  seinen  Garten  führte,  indem  er  ihnen  verbot,  etwas 
in  ihm  zu  verderben  oder  beschädigen.  Als  nun  die  Früchte  reif 
wurden,  sagte  der  Krüppel  zum  Blinden:  »Weh  dir,  ich  sehe,  daß  die 
Früchte  reif  sind,  und  habe  Verlangen  nach  ihnen  ;  jedoch  kann  ich 
mich  nicht  zu  ihnen  aufrichten  und  von  ihnen  essen.  Steh  du  aber 
auf,  da  du  gesunde  Beine  hast,  und  hol'  uns  etwas  zum  Essen.«  Der 
Blinde  erwiderte  ihm:  »Wehe  dir,  ich  dachte  gar  nicht  an  die  Früchte, 
bis  du  mir  nun  von  ihnen  sprichst;  doch  kann  ich  nicht  dazu  gelangen, 
da  ich  nicht  sehen  kann;  was  also  ist  zu  tun?«  Während  sie  aber 
noch  miteinander  sprachen,  kam  der  Aufseher  des  Gartens,  der  ein 
kluger  Mann  war,  zu  ihnen,  und  der  Krüppel  sprach  zu  ihm:  »Wehe 
dir,  Aufseher,  wir  haben  auf  einige  dieser  Früchte  Appetit  bekommen, 
wie  du  aber  siehst,  bin  ich  ein  Krüppel  und  mein  Gefährte  da  ist 
blind  und  kann  nichts  sehen.  Was  sollen  wir  da  tun?«  Da  erwiderte 
der  Aufseher:  »Weh  euch,  habt  ihr  vergessen,  daß  euch  der  Herr 
des  Gartens  verpflichtete,  nichts  zu  tun,  was  dem  Garten  Schaden 
zufügen  könnte?  So  beherrzigt  das  Verbot  und  tut  es  nicht.«  Sie  ent- 
gegneten ihm  jedoch:  »Wir  müssen  unbedingt  unseren  Anteil  von 
diesen  Früchten  zu  essen  bekommen  ;  sag'  uns  daher  wie  wir  es  an- 
stellen sollen.«  Wie  nun  der  Aufseher  sah,  daß  sie  von  ihrem  Vor- 
haben nicht  abzubringen  waren,  sprach  er  zu  ihnen:  »Es  läßt  sich  in 
der  Weise  bewerkstelligen,  daß  sich  der  Blinde  erhebt,  dich,  den 
Krüppel,  auf  die  Schultern  nimmt  und  dich  zu  dem  Baum  trägt,  dessen 
Früchte  dir  gefallen,  damit  du  dir  die  Früchte,  die  du  erreichen 
kannst,  pflückst.«  Da  erhob  sich  der  Blinde  und  lud  den  Krüppel 
auf,  worauf  der  Krüppel  ihn  zu  einem  Baum  leitete,  von  dem  er  dann 
nach  Herzenslust  pflückte.  In  dieser  Weise  verfuhren  sie,  bis  sie  alle 
Bäume  im  Garten  ruiniert  hatten,  als  mit  einem  Male  der  Herr  des 
Gartens  erschien,  und  zu  ihnen  sprach:  »Wehe  euch,  was  habt  ihr 
getan !  Habe  ich  euch  nicht  verboten  diesen  Garten  zu  beschädigen?« 
Sie  versetzten :  »Du  weißt,  daß  wir  nicht  imstande  sind  irgend  etwas 
zu  tun,  da  einer  von  uns  ein  Krüppel  ist,  unfähig  sich  aufzurichten, 
und  der  andere  nichts  vor  sich  sehen  kann.  Was  ist  daher  unsere 
Schuld?«  Da  sagte  der  Herr  des  Gartens:  »Ihr  glaubt  wohl,  ich 
wüßte  nicht,  wie  ihr  es  angestellt  habt  mir  den  Garten  zu  verderben? 
Mir  scheint  es,  daß  du,  o  Blinder,  aufgestanden  bist  und  den  Krüppel 
auf  deinen  Rücken  geladen  hast,  worauf  dieser  dir  den  Weg  zeigte, 
und  du  ihn  zu  den  Bäumen  trugst.«  Hierauf  nahm  er  beide  züchtigte 
sie  schwer  und  verstieß  sie  aus  dem   Garten. 

Der  Blinde  nun  im  Gleichnis  ist  der  Leib,  der  nicht  ohne  die 
Seele  sehen  kann,  und  der  Krüppel  ist  die  Seele,  die  sich  ohne  den 
Leib  nicht  zu  bewegeu  vermag;  der  Garten  stellt  die  Werke  dar,  für 
welche  der  Mensch  seinen  Lohn  empfängt,  und  der  Aufseher  ist  der 
Verstand,  der  das  Gute  heißt  und  das  Böse  verbietet.  So  sind  Leib 
und   Seele  Teilhaber  an   Lohn   und   Strafe.« 

In  einer  anderen  Geschichte  dieser  Bücher  macht  sich  ein  böser 
Geist  zum  blinden  Bettler,  um  einem  Pärchen  beim  Stelldichein  auf- 
zuspielen.     »In  regendunkler  Nacht  sehnt  sich  Ishak   bin  Ibrahim 


11.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  823. 

nach  seiner  Geliebten,  als  diese  wie  durch  den  bloßen  Wunsch  ge- 
rufen, bei  ihm  erscheint.  Sie  wollen  sich  nun  vergnügen  und  finden 
vor  der  Tür  einem  blinden  Bettler,  der  ihnen  zur  Laute  singen  soll. 
Ungesehen  glauben  sie  ihr  Spiel  treiben  zu  treiben  zu  können,  werden 
aber  dadurch  erschreckt,  daß  der  Blinde  alles,  was  sie  tun,  in  Versen 
wiedergibt,  bis  er  heimlich  verschwindet.  Eswarlblis,  der  sich  einst- 
wie  alle  Engel  vor  Adam  anbetend  niederwerfen  sollte;  da  er  es 
nicht  [tat,  wurde  er  von  Gott  verstoßen.  Sein  Scherz  mit  dem  Liebes- 
paar löste  die  Verse  aus : 

»Ich  wundere  mich,   in  Iblis  solchen   Stolz  zu  sehen 
Bei  seines  Herzens  Ruchlosigkeit, 
Zu  stolz  war  er,  vor  Adam  sich   niederzuwerfen, 
Und  doch  inacht  er  für  all  seine  Nachkommen  den  Kuppler.« 
Neben  den  Blinden   spielen  die  »E  i  n  ä  ugigen«   in  vielen  Erzäh- 
lungen   ihre    besondere  Rolle.    Vielfach  begegnet  der  Einäugige  dem 
Mißtrauen,     das    allen    »Gezeichneten«    entgegengebracht    wird,    denn 
auf  ihn  ist  das  Dichterwort  gemünzt: 

»Nicht  für  einen  Tag  nimm  den  Einäugigen   zum   Freund, 
Sei   auf  der  Hut  vor  seiner  Bosheit  und  seinem   Falsch! 
Wenn  irgend  ein   gutes  in  diesem  Einaug  wäre. 
So  hätte   Gott  ihm   sein   Auge  nicht  blind   gemacht.« 
Unter    den   Gesetzfragen    des    Islams    lautet  eine:   »Mag  uns  ein 
Einsichtiger  zum  Imam   taugen  ?     —      Nein,   er  soll  sehen   auf  beiden 
Augen.« 

Ein  wahrhaft  salomonisches  Urteil  fand  ein  Einäugiger  nach 
folgender  Geschichte  : 

»Vor  einem  Richter  trat  ein  Einäugiger  und  sprach:  »O  Scheich, 
ich  traf  heute  einen  Mann  mit  blauen  Augen,  der  in  unserer  Stadt 
fremd  war;  da  fing  ich  einen  Streit  mit  ihm  an,  und  sagte  zu  ihm, 
indem  ich  ihn  festhielt:  »Du  hast  mir  mein  Auge  gestohlen;«  und 
ließ  ihn  nicht  eher  los,  als  bis  sich  eine  Anzahl  für  ihn  verbürgte, 
daß  er  zu  mir  zurückkehren  und  mich  für  mein  Auge  entschädigen 
würde.«  Da  versetzte  der  Scheich:  »Wenn  er  will,  bist  du  der  Herein- 
gefallene.« Wie  ist  das  möglich?«  fragte  der  Einäugige.  Der  Scheich 
erwiderte  :  »Er  könnte  zu  dir  sagen  :  »Reiß  dein  Auge  aus,  dann  will 
ich  auch  mein  Auge  ausreißen ;  wir  wollen  dann  beide  Augen  wägen, 
und  mein  Auge  ebenso  schwer  wie  das  deinige  ist,  so  hast  du  recht. 
Auf  diese  Weise  schuldest  du  ihm  das  Sühngeld  für  sein  Auge  und 
du  wärest  ganz  blind,  während  er  wenigstens  noch  auf  seinem  andern 
Auge  sehen  könnte.«  Da  sah  der  Einäugige,  daß  der  Kaufmann  ihn 
durch  diese  Ausrede  hereinlegen  konnte.«  (Schluß  folgt). 


Kleine  Anregungen. 

Von  Hauptlehrer  J.  Kneis,  Purkersdorf. 

Jeder  Blindenlehrer    und    Blindenfreund    kennt  Augenblicke,    wo 

in  ihm  Ideen   auftauchen,  die  er  gerne  mit    anderen  erörtern  möchte, 

wenn  sich  ihm   Gelegenheit  bieten  würde.  Der  ihm  erreichbare  Kreis, 

welcher    ihm    zuzuhören    geneigt    wäre    ist    zu    klein    und    facbfremde 


Seite  824.  Zeitschritt  für  das  östereichische  Blindenwe'sen.  11.   Nummer. 

Kreise  stimmen  ihm  zumeist  weniger  aus  Verständnis  als  aus  Höflich- 
keitsgründen zu;  die  Idee  ist  wieder  einmal  wirkungslos  verpufft. 
Bliebe  also  der  Weg  der  Verallgemeinerung  durch  schriftliche  Ver- 
breitung. Es  ist  aber  nicht  jedermannes  Sache,  eine  formvollendete, 
stilistisch  künstlerische  Abhandlung  zu   bieten. 

Mit  vorliegenden  2  Beispielen  soll  gezeigt  werden,  daß  dies 
auch  gar  nicht  notwendig  ist. 

Vielleicht  gelingt  es  auf  diese  Art,  die  werten  Herrn  Kollegen 
(selbstverständlich  auch  Damen)  zu  bewegen,  furchtlos  ihren  Gedanken 
hier  Ausdruck  zu  geben.  Auf  '  diese  Art  könnte  auch  für  die  Arbeit 
unserer  Fürsorgetage  Material  zusammengetragen  werden. 

Die  Scheu,  schon  Dagewesenes  zu  wiederholen,  soll  nicht  abhalten, 
vielleicht  war  die  Idee  damals  abgetan  worden,  weil  der  Boden 
damals  zu   ungünstig  war. 

Es  sei  nunmehr  gestattet  einige  Beispiele  zu  bieten  und  an  die 
werten  Leser  das  Ersuchen  zu  stellen,  durch  recht  zahlreiche  Beispiele 
die  Reihe  fortführen  zu  helfen. 

Die  Krankenwärterin. 

Wer  auf  dem  Lande  gelebt  hat,  wird  gewiß  erfahren  haben» 
daß  länger  dauernde  Krankheiten  oft  große  Verwirruugen  in  der 
Tageseinteilung  der  gesunden  Hausgenossen  dadurch  hervorrufen, 
daß  man  ja  den  Kranken  tagsüber  nicht  allein  lassen  kann  und  will. 
Aber  auch  Nachtwachen  sind  notwendig  und  der  von"  der  Arbeit 
Ermüdete  kann  sich  nur  schwer  aufrecht  erhalten.  In  den  Städten 
dürfte  es  nicht  besser  sein.  Wie  froh  wäre  man,  für  den  Kranken 
einen  geduldigen,  verläßlichen  Pfleger  und  Gesellschafter  zu  finden. 
Es  gibt  ja  geschulte  Kräfte  für  diesen  Zweck,  doch  ist  die  Kranken- 
pflege für  diese  ein  Beruf,  von  dessen  Erträgnis  die  Familie  erhalten 
werden  muß.  Zu  diesen  Krankenpflegern  wird  nur  der  Wohlhabende 
greifen  und  auch  nur  dann,  wenn  er  Überraschungen  im  Krankheits- 
bilde fürchtet,  oder  wenn  der  Angehörige  des  Kranken  seiner  Pflicht 
nachzugehen  gezwungen  ist.  In  vielen  dieser  Fälle  handelt  es  sich 
darum,  dem  Kranken  die  einfachsten  Handgriffe  zu  leisten,  in  bestimm- 
ten Zeitabschnitten  die  vorbereitete  Medizin  zu  reichen  und  dem 
Patienten  die  Langeweile  mit  all  ihrem  Gefolge  gründlich  zu  vertreiben. 
Dazu  braucht  man  nicht  behördlich  autorisierte  Sanitätsperson  sein, 
dazu  genügt  ein  gutes  Herz,  ein  fröhliches  Gemüt  und  etwas  Zeit, 
Eigenschaften,  die  wir  bei  unseren  Schützlingen,  insbesonders  bei 
den  schwachsichtigen  Mädchen  zumeist  finden. 

Der  Lehrer  der  Blindenanstalt  hat  oft  Gelegenheit  die  überaus 
große  Liebe  und  Geduld  der  schwachsichtigen  Mädchen  gegen  ihre 
ganz   blinden  Mitzöglinge  zu  beobachten. 

Ich  frage  nun:  Wäre  es  nicht  möglich  diese  schönen  Eigenschaf- 
ten zu  benützen,  um  wieder  einer  Gruppe  unserer  Zöglinge  neue 
Aussichten  für  die  Zukunft  zu  eröffnen. 

Wie  ich  schon  angedeutet,  habe  ich  dabei  nicht  die  schwere  Art 
der  Krankenpflege  im  Auge,  sondern  eine  Wartung,  für  die  man  eine 
besonders  hohe  Geldauslage  scheut  und  die  man  deshalb  nur  neben- 
bei selbst  besorgt  oder  häufig  auch  ganz  wegläßt. 


11.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  825. 

Während  der  Kranke  allein  sich  abquält,  um  über  die  Lange- 
weile hinwegzukommen,  sitzt  vielleicht  nur  einige  Häuser  weit  auch 
ein  einsames  Wesen,  treilich  nicht  müßig,  denn  es  beschäftigt  sich  mit 
einer  Handarbeit,  solange  die  Hausbewohner  auswärts  ihre  Arbeit 
verrichten  und  ihr  Gedankengang  gerät,  wenn  schon  nicht  auf  un- 
rechte, so  doch  häufig  auf  unrichtige  Wege.  Das  Stricken,  Häkeln, 
Netzen  u.  s.  w.  erscheinen  ihm  ein  zu  geringer  Lebenszweck,  nur  ein 
Lückenbüßer.  Wie  leicht  könnte  beiden  geholfen  werden. 

Man  sollte  meinen,  es  wäre  eine  selbstverständliche  Sache,  daß 
sich  die  zwei   Leidensgenossen  zusammenfänden. 

Die  Praxis  lehrt  das  nicht.  Auf  der  Seite  der  Angehörigen  des 
Patienten  denkt  man  entweder  gar  nicht  daran  oder  man  hatte  kein 
Vertrauen  zu  der  Blinden,  wie  man  sie  allgemein  nennt.  Die  Blinde 
aber  ist  zu  scheu,  ihre  Dienste  anzubieten  oder  fürchtet,  daß  man 
Unmögliches  von   ihr  verlange. 

Das  nichtvorhandene  Vertrauen  kann  geschaffen,  das  zu  geringe 
Selbstbewußtsein   kann  gehoben   werdsn. 

In  den  Lehrplänen  der  Blindenanstalt  findet  man  Hauswirtschaft 
und  anderes  angeführt.  Warum  nicht  auch  Krankenpflege  und  War- 
tung. Es  könnten  unter  Anleitung  des  Anstaltsarztes  theoretische  und 
praktische  Kurse  abgehalten  werden  und  der  erfolgreiche  Besuch 
solcher  bestätigt   werden. 

Aufklärende  Tätigkeit  könnte  das  Werk  vollenden  und  den 
halbblinden  Mädchen  ein  edles  Dasein  verschaffen.  Viele  der  ehema- 
ligen Zöglinge  müßten  nicht  in  den  Heimen  verbleiben  und  dort  über 
die  Eintönigkeit  ihres  weiteren  Lebens  klagen.  Wo  aber  solche  Heime 
den  Mädchen  Unterkunft  bieten,  was  zumeist  nur  in  größeren  Orten 
der  Fall  ist,  dort  könnten,  wenn  es  einmal  bekannt  ist,  im  Bedarfs- 
falle die  Insassinnen  zur  Hilfeleistung  (Wartung)  angesprochen  werden. 

K.  k.  Ministerium  für  soziale  Fürsorge. 

Mit  Allerhöchstem  Handschreiben  vom  7,  Oktober  1917  wurde 
die  Errichtung  eines  Ministeriums  für  soziale  Fürsorge  genehmigt  und 
soll  dasselbe  nach  der  verfassungsmäßigen  Behandlung  im  Reichsrate 
ins  Leben  treten.  Als  erster  Punkt  des  Wirkungskreises  des  neuen  Mini- 
steriums wurde  die  Jugend  fü  rsorge  festgesetzt,  darunter: 

Angelegenheiten  des  Kinderschutzes  und  der  Jugendfürsorge,  mit 
Ausnahme  der  in  den  Wirkungskreis  der  Gerichte  lallenden  vormund- 
schafts-  und  strafrechtlichen  sowie  der  dem  Ministerium  für  Volks- 
gesundheit vorbehaltenen  gesundheitlichen  Angelegenheiten  und  zwar 
insbesondere  : 

Mutter-,  Säuglings-  und  Kleinkinderfürsorge  in  sozialer  und  recht- 
licher Beziehung,  Zieh-  und  Haltekinderwesen,  Waisenpflege,  Fürsorge- 
einrichtungen für  die  Jugend  (Kindergärten,  Horte,  Tagesheimstätten, 
Heime  u.  dgl.),  Berufsberatung  der  schulentlassenen  Jugend,  Wohlfahrts- 
pflege für  die  im  Gewerbe  tätige  Jugend  (mit  Ausnahme  der  fachlichen 
Einrichtungen  und  Maßnahmen  zu  ihrer  Heranbildung)  usw. ; 


Seite  826.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  11.  Nummer. 

Ausübung  der  staatlichen  Aufsicht  über  die  Anstalten  und  Ein- 
riclitungen  zum  Schutze  der  verwaisten,  verlassenen,  mißhandelten,  ver- 
wahrlosten oder  mit  Verwahrlosung  bedrohten  Kinder  und  Jugendlichen; 
fachliche  Aus-  und  Fortbildung  des  Personales  für  Kinderschutz-  und 
Jugendlürsorgeanstalten  ;  all  dies  unbeschadet  des  dem  Ministerium  für 
Kultus  und  Unterricht  in  Fragen  der  Erziehung  und  des  Unterrichtes 
zustehenden  Wirkungskreises  sowie  vorbehaltlich  der  Mitwirkung  dieses 
Ministeriums  in  grundsätzlichen   und  organisatorischen  Angelegenheiten. 

Organisierung  und  Förderung  der  freien  Selbsttätigkeit  auf  dem 
Gebiete  des  Kinderschutzes  und  der  Jugendfürsorge,  insbesondere  der 
in  dieser  Richtung  wirkenden  Vereine,  Anstalten,  Fonds  und  Stif- 
tungen. 

Weiters:  Fürsorge  für  Kriegsbeschädigte  und  Hinter- 
bliebene. Angelegenheiten  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge,  insbesondere 
Nachbehandlung,  Schulung,  Berufsberatung,  Arbeitsvermittlung  und 
Ansiedlung  Kriegsbeschädigter,  unbeschadet  der  dem  Ministerium  für 
Volksgesundheit  vorbehaltenen  gesundheitlichen  sowie  der  in  den 
Wirkungskreis  des  Ministeriums  für  öffentliche  Arbeiten  fallenden  tech- 
nisch-didaktischen Angelegenheiten  und  der  Zuständigkeit  des  Acker- 
bauministeriums hinsichtlich  der  Wirtschaftsheimstätten  für  Kriegsbeschä- 
digte ; 

Organisierung  und  Förderung  der  freien  Selbsttätigkeit  auf  dem 
Gebiete  der  Kriegsbeschädigten-  und  Hinterbliebenenfürsorge.  Mitwirkung 
bei  Durchführung  und  Ausgestaltung  der  Gesetze,  betreffend  die  Ver- 
sorgung der  Kriegsbeschädigten   und  Hinterbliebenen. 

Sozialversicherung.  Alle  in  den  Bereich  der  Sozialversicherungs- 
gesetzgebung fallenden  Angelegenheiten,  Reform  und  Ausbau  der 
Sozialversicherung. 

Gewerbliches  Arbeitsrecht  und  Arbeiterschutz.  Legis- 
lative und  administrative  Angelegenheiten,  betreffend  die  Regelung  des 
gewerblichen  Arbeits-  und  Dienstverhältnisses  sowie  den  Schutz  der 
Angestellten  und  Arbeiter  in  gewerblichen  und  gewerbemäßig  betriebenen 
Unternehmungen.  Die  Angelegenheiten  der  Gew^erbeinspektion  einschließ- 
lich der  Unfallverhütung. 

Arbeitsvermittlung,  Arbeitslosenfürsorge  und  Aus- 
wandererschutz. Legislative  und  administrative  Angelegenheiten  der 
Arbeitsvermittlung  und  der  Arbeitslosenfürsorge. 

Abgesehen  vomBlindenunterrichtswesen  würde  also  der 
größte  Teil  der  Fürsorge  für  Friedens-  und  Kriegsblinde  in 
das  Arbeitsgebiet  dieses  neuen  Ministeriums  fallen.  Es  ist 
außer  Frage,  daß  eine  derartige  Zentrale  für  die  allgemeine  Blinden- 
fürsorge Segensreiches  schaffen  und  manche  Hoffnungen  die  bisher 
unter  einer  unheilvollen  Zersplitterung  begraben  wurden,  erfüllen  könnte. 

Personalnachrichten. 

—  Direkte  rRupertZeyringer  f.  Am  20.  September  1.  J. 
starb  der  erste  Direktor  der  Odilien-Blindenanstalt  in  Graz,  Rupert 
Zeyringer,    kaiserl.    und    fürstbischöfl.    geistl.  Rat    und  Ritter    des 


11.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwescn.  Seite  827. 

Franz  Josef-Ordens,  nach  längerem  Leiden  im  81 .  Lebensjahre.  Direk- 
tor Rupert  Zeyringer  wurde  am  8.  November  1836  zu  Eisenerz 
geboren  und  am  22.  Juli  1859  in  Graz  zum  Priester  geweiht.  Er 
wirkte  lange  als  Professor  am  fürstbischöfl.  Knabenseminar  in  Graz, 
und  als  im  Jahre  1880  der  Odilienverein  zur  Fürsorge  für  die  Blinden 
Steiermarks  durch  die  Bemühungen  des  St.  Vinzenz- Vereines  und  vor 
allem  des  blinden  Organisten  Flerrn  Gustav  Garzaner  ins  Leben 
trat,  wurde  Zeyringer  als  Direktor  der  zu  gründenden  Blinden- 
anstalt gewonnen.  Durch  18  Jahre,  von  der  Eröffnung  der  Anstalt, 
am  10.  Mai  1881  bis  zum  Jahre  1899  hatte  er  die  Leitung  derselben 
inne  und  widmete  seine  ganzen  Kräfte  dem  Wohle  der  Blinden.  Ihm 
gebührt  ein  hervorragendes  Verdienst  an  dem  mächtigen  Aufschwünge 
der  Odilien-Blindenanstalt,  welche  mit  5  Zöglingen  eröffnet  wurde 
und  sich  bereits  nach  einigen  Jahren  als  zu  klein  erwies,  sodaß  im 
Jahre  1885  nach  seinen  Plänen  mit  dem  Vermächtnisse  des  Advokaten 
Dr.  Georg  May,  des  größten  Wohltäters  der  Anstalt,  zutn  Neubau 
geschritten  wurde.  Zeyringer  besuchte  die  meisten  damals  beste- 
henden Blindenanstalten  Österreichs  und  Deutschlands,  um  die  Pläne 
für  den  Neubau  der  Odilien-Blindenanstalt  herzustellen.  Bald  wurde 
auch  die  neue  Anstalt  zu  klein,  und  es  wurde  im  Jahre  1891  die  Be- 
schäftigungs-  und  Versorgungsanstalt  für  erwachsene  Blinde  in  der 
Grabenstraße  errichtet.  Die  zahlreichen  Blinden  Steiermarks,  welche 
ihm  ihre  Ausbildung  und  Existenz  verdanken,  blieben  ihm  stets  mit 
großer  Anhänglichkeit  zugetan.  Doch  die  großen  Anstrengungen  des 
unermüdlich  tätigen  Direktors  hatten  seine  Kraft  gebrochen;  im  Jahre 
1899  legte  er  sein  Amt  als  Direktor  nieder  und  zog  sich  bald  darauf 
in  das  neuerbaute  Priesterheim  in  Graz  zurück,  wo  er,  obschon  nahe- 
zu blind  und  taub,  bis  zu  seinem  Lebensende  mit  regem  Anteil  die 
Vorgänge  in  der  Odilien-Blindenanstalt  verfolgte.  Er  gründete  auch 
einen  Unterstützungsfond  für  ausgetretene  brave  Zöglinge  und  do- 
tierte ihn  reichlich  aus  seinen   eigenen  Mitteln. 

Durch  einen  unglücklichen  Sturz  zog  sich  Zeyringer  vor 
einigen  Jahren  einen  komplizierten  Schenkelbruch  zu,  der  nicht  mehr 
geheilt  werden  konnte.  So  wurde  der  schwergeprüfte  Mann,  ohnehin 
schon  fast  blind  und  taub,  auch  noch  lahm  und  blieb  an  sein  Zimmer 
gefesselt.  Doch  sein  Geist  blieb  bis  in  die  letzten  Tage  rege  und 
sein  Gemüt  ungebrochen.  Nun  ruht  der  große  Wohltäter  der  Blinden 
Steiermarks  auf  dem  St.  Leonhardfriedhofe  in  unmittelbarer  Nähe 
der  Odilien-Blindenanstalt,  die  ihrem  ersten  Direktor  ein  treues  und 
dankbares  Gedenken  bewahren  wird.  Dr.  J.  Har tinger. 

—  Auszeichnung  eines  blinden  Künstlers.  Herrn  Ludwig  Moser, 
ein  fruchtbarer  Komponist  und  Virtuos  auf  dem  Klavier,  wurde  von  Papst  Benedikt  XV. 
für  seine  Verdienste,  die  er  sich  um  das  kathohsche  Vereinsleben  und  den  Unter- 
richt von  Verwundeten  in  der  Musik  erwogen  hat,  das  Ehrenkreuz  Pro  ecclesia  et 
pontefice  verliehen.  Möge  dem  blinden  Künstler  beschieden  sein,  sich  der  Aus- 
zeichnung lange  Jahre  zu  erfreuen. 

Aus  den  Anstalten. 

—  Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  für  erwachsene 
Blinde  in  Wien  VIII.  Vor  kurzem  wurden  die  in  den  letzten  Monaten  frei  ge- 
wordenen Pfleglingsplätze  besetzt  und  zwar  wurden  drei  Männer  (darunter  wieder 
ein  Kriegsblinder)  und  zwei  Frauen  aufgenommen. 


Seite  828.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen.  11.  Nummer. 

—  Kaiser  Kar  1 -Kr  i  egsbl  i  nd  e  nh  c  i  m  in  Wien  XIII.  In  der  »Reichs- 
post«;  tritt  geistl.  Rat,  W.  Binder  in  Baum^^arten  für  die  Pasterisierun^j  dei-  sowohl 
in  dem  >Arbeiterheim<  als  im  »Kriegsblindenheime«  untergebrachten  Blinden  ein. 
Wie  die  Bl  nden  —  sagt  er  —  aus  physiologischen  Gründen  nach  dem  Sonnenlicht 
verlangen,  ebenso  notwendig  ist  für  sie  das  religiöse  Licht.  Sie  selbst  bitten  um 
dieses  Glaubenslicht.  Deshalb  ist  ein  Kirchlein  bei  diesen  Anstalten  eine  unliedingte 
Notwendigkeit,  damit  ihnen  diese  Wohltat  in  reichlichen  Maße  erschlossen  werden 
könnte. 

Es  können  auch  die  blinden  Männer  aus  diesen  beiden  Anstalten  in  Baum- 
garten durch  die  ruhige  Baumgartnerstraße  ohne  Wagenverkehr  in  mehreren  Abtei- 
lungen in  die  große  neuerbaute,  nahegelene  Baumgartner  Kirche  zur  Predigt  und 
zum  Hochamte  geführt  werden.  Die  Predigt,  das  Wort  Gottes,  würde  ihnen  heil- 
samen, lindernden  Stoff  zum  Nachdenken  geben  und  die  kunstvoll  durchgeführte 
Musik  des  Kirchenchores  würde  ihre  Herzen  erheben  und  begeistern  ;  die  Blinden 
sind  ja  meistens  musikalisch.  Gestärkt  im  Glauben  und  getröstet  im  Leid  würden 
sie  in  ihr  Heim  zurückkehren.  Es  hat  sich  doch  der  Heiland  so  warm  der  Blinden 
angenommen,  ihnen  das  Licht,  das  Glaubenslicht  gespendet,  so  daß  sie  ihm  in 
Treue  und  Liebe  nachfolgten. 


Blinden   Kriegern  alle  Ehren 

Von  k.  k.  Leutnant  A.  Rappawi. 

Als  sie  wieder  heimwärts  kamen, 
Gab's  ein  Jauchzen   und  Frohlocken. 
Doch  auch   Schmerz  und  schriller  Mißton 
Klang  durch   uns're   Siegesglocken. 

Mancher  kam   mit  stummen   Winken, 
An  dem   Arm   die  siechen  Brüder. 
Mancher  sah  nach  schwerem   Leiden 
Seine  Heimat  nimmer  wieder. 

Nicht,  daß  er  gefunden  hätte 
Tod   und   Grab  in  fremden   Landen, 
Oder,   daß  er,  heimverlangend 
Seufzte  in  des  Feindes  Banden  ! 

Mancher  kommt  zur  Heimat   wieder, 
Doch  er  darf  sie  niemals  schauen. 
Weil  das   Schicksal   ihn   geschlagen 
Mit  des  Auges  Nacht  und   Grauen. 

Ei,  wie  konnten   diese   Augen 
Einst  so  lustig  blitzen,  funkeln  ! 
O  wie  traurig  ist  das  Leben, 
Das  er  leben  muß  im  Dunkeln  ! 

Viele  wollen   ihn   nicht  kennen. 
Das  bringt  Schmerz   und  stilles  Grämen. 
Doch  die  Heimat  wird  ihn  grüßen. 
Sich  des  tapfren   Sohns  nicht  schämen. 

Sei  willkommen   lieber  Bruder! 
Schüttle  ab  die  Last  der  Sorgen ! 


11.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Blindenwesen.  Seite  829. 

Sieh,  in  deiner  lieben  Heimat 
Taget  dir  ein  neuer  Morgen. 

Opfernd  wird  sie  gerne  retten 
Alle,  die  das  Licht  entbehren. 
Habt  ihr  rettend   nicht  geopfert! 
Blinden   Kriegern   alle  Ehren! 

Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Konzert.  Zugunsten  des  Vereines  »Kriegsblindenheimstätten«  fand  am 
25.  November  1.  J.  im  großen  Musikvereinssaale  eine  »Buijte  Matinee«  statt.  In 
dem  reichhaltigen  Programm  erschienen:  Hofopernsängerin  Hermine  Kittel, 
Fräulein  Blanke  Glossy  vom  Hofburgtheater  sowie  Fräulein  Mimi  Godlewsky, 
ferner  die  Herren  k.  u.  k.  Kammervirtuose  Franz  Ondricek,  nach  jahrelanger 
Pause,  Kammersänger  Georg  Maikl,  Professor  Paul  de  Conne,  Heinrich  de  Carro, 
früheres  Mitglied  des  Deutschen  Volkstheaters,  und  Kapellmeister  Karl  Kittel 
(Bayreuth). 

—  Sammlungen  für  Kriegsblinde.  Stand  Ende   Oktober  1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,170.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  2,770.000  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  380.000  K. 

—  Reichspost:  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  70.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  27.200  K. 

Verschiedenes. 

—  Papierspagat  als  Ersatz  für  Kernrohr.  In  der  n.  ö.  Landes- 
Blindenanstalt  in  Purkersdorf  wurde  versucht,  das  beim  Zeichnen  wie  auch  beim 
Feinflechten  bisher  verwendete  Kernrohr  durch  Papierspagat  zu  ersetzen,  da  Kern- 
rohr überhaupt  nicht  mehr  erhältlich  ist.  Die  Ergebnisse  sind,  hauptsächlich  bei  der 
Feinflechterei,  durchaus  günstige.  Für  das  Zeichnen  ist  ein  2  mm  starker,  aus  nicht 
zu  zähem  Papiere  gedrehter  Spagat  zu  empfehlen,  denn  in  zähe  Sorten  stechen  sich 
die  Nadeln  schwer  ein.  Die  Farbe  kann  beliebig  gewählt  werden,  doch  empfiehlt 
sich  braun  oder  gelb  vor  allem.  Ein  großer  Vorteil  des  Papiersp>agates  liegt  darin, 
daß  er  nicht  wie  das  Kernrohr  der  einzustechenden  Nadel  ausweicht  und  nicht  wie 
jenes  beim  Einstechen  spaltet  Für  die  Feinflechterei  kommen  Papierspagate  von 
verschiedener  Stärke  und  Farbe  inbetracht.  Es  lassen  sich  daraus  geknüpfte  Taschen, 
Körbchen  verschiedener  Art  (mit  Staffeln  aus  Weidenschienen),  Vasen,  Behälter  u. 
a.  vorzüglich  herstellen  und  haben  die  daraus  erzeugten  Waren  ein  sehr  gefälliges 
Aussehen.  Die  Preise  des  Papierspagates  stellen  sich  verhältnismäßig  billig,  ebenso 
die  daraus  erzeugten  Waren. 

—  Eine  Stiftung  der  Herzogin  Maria  Josefa  in  Bayern  für 
Augen  leid  ende.  Wie  bekanntgegeben  wird,  hat  Herzogin  Mar  ia  J  o  sefa  in 
Bayern,  Witwe  des  1909  verstorbenen,  jahrzehntelang  als  bewährter  Augenarzt  tätig 
gewesenen  Herzogs  Karl  Theodor,  mit  königlicher  Genehmigung  eine  Stiftung 
mit  der  Benennung  »Augenklinik  Herzog  Karl  Theodor«  mit  dem  Sitze  in 
in  München  errichtet  durch  Überlassung  des  Hauses  Nr.  43  der  Nymphenburger- 
straße  in  München  mit  einem  erheblichen  Geldbetrage  zur  dauernden  Fortführung 
der  vom  Herzog  seinerzeit  in  jenem  Hause  errichteten  Augenklinik,  in  erster  Linie 
als  Wohltätigkeitsanstalt  für  unbemittelte  Augenkranke  bayerischer  Staatsangehörig- 
keit, zur  Gewährung  on  Freiplätzen  oder  ambulatorischer  Behandlung  bemittelter 
Kranker  gegen  Entgelt.  Die  Herzogin  stand  bekanntlich  selbst  ihrem  Gemahl  lange 
Jahre  bei  Ausübung  seiner  augenäi  ztlichen  Tätigkeit  helfend  zur  Seite  und  ist  jetzt 
seit  Kriegsausbruch  als  Krankenschwester  tätig. 


Seite  830.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Bhndenwesen.  11.  Nummer. 

—  Neue  Behandlung  der  Nachtblindheit,  Die  »Wiener  Klinische 
Wochenschrift«  veröffentlicht  die  Beobachtungen  des  Wiener  Privatdozenten  Dr.  Emil 
Zak  aus  dem  Gefangenenlazarett  in  Pensa  (Rußland).  Dr.  Zak  konstatierte  in  den 
Frühlingsmonaten  1916  auffallend  viele  Fälle  von  Nachtblindheit  und  von  Skorbut. 
Er  brachte  in  Erfahrung,  daß  in  Rußland  die  Nachtblindheit  unter  den  Bauern  nach 
der  strengen  österlichen  siebenwöchigen  Fastenperiode  auttritt  und  als  »Hühner- 
blindhcit«  bekannt  ist.  Die  Bauern  heilen  sie  durch  das  Auflegen  und  den  Genuß 
roher  Tierleber.  Dr.  Zak  erkannte  sofort,  daß  diese  Erkrankungen  mit  dem  Mangel 
frischer  Nahrung,  besonders  des  frischen  Gemüses  und  Obstes  zusammenhängen 
mußte.  Er  verwendete  als  Heilmittel  den  Preßsaft  frischer  Mohrrüben  mit  ausge- 
zeichnetem Erfolge  bei  beiden  Krankheiten.  Die  sogenannten  gelben  Rüben  wurden 
gereinigt  und  zerkleinert  und  dann  mit  Hilfe  eines  Tuches  ausgepreßt;  es  resultierte 
ein  gelblicher,  angenehm  riechender  Saft  von  gleichem  Geschmack  wie  die  Rübe 
und  etwas  süßer  als  diese.  Es  wurde  der  Preßsaft  von  200  bis  400  Gramm  roher 
Rüben  einmal  im  Tage,  gewöhnlich  des  Morgens,  verabfolgt.  Es  sei  erwähnt,  daß 
der  Saft  der  gelben  Rübe  in  Rußland  eine  große  Beliebtheit  genießt.  Er  gilt  als 
Hausmittel  bei  anämischen  Zuständen.  In  der  Absicht  und  zu  dem  Zwecke,  wie  es 
Dr.  Zak  getan  hat,  ist  er  noch  nicht  in  Anwendung  gekommen.  Es  zeigte  sich 
nun,  daß  schon  nach  kurzem  Gebrauche  dieses  Mittels  die  Kranken  besser  sahen 
und  dann  sehr  rasch  wieder  das  normale  Sehvermögen  auch  bei  vermindertem 
Lichte  auftrat.  Später  kochte  er  die  Rüben  durch  fünf  Minuten  und  konnte  den 
gleichen  Heileffekt  erzielen. 

—  Verschnappt.  Einen  blinden  Bettler  fragte  eine  Dame  nach  dem  Lah- 
men, der  ihn  sonst  ständig  zu  begleiten  pflegt.  »Ich  weiß  nicht,  wo  der  Kerl  steckt«, 
sagt  der  Blinde,  »ich   habe  ihn  seit  ein  paar  Tagen  selber  nicht  gesehen!« 


Bücherschau. 

—  G.  Roßka:  Theoretisch  praktische  Klavierschule  für  den 
Blindenunterricht  mit  besonderer  Rücksicht  auf  teilweisen  Selbstunterricht  erwach- 
sener Blinder.  Dies  ist  der  Titel  eines  Werkes,  welches  zu  verfassen,  sich  der  lang- 
jährig in  Musikunterricht  tätige  Musiklehrer  Gustav  Roßka  in  Wien  zur  Aufgabe 
gestellt  hat.  Folgende  Ziele  schwebten  ihm  dabei  vor: 

1.  Zusammenstellung  eines  für  den  blinden  Anfänger  geeigneten  Übungsstoffes. 

2.  Schaffung  einer  zweckmäßigen  Unterrichtsmethode.  Es  ist  hier  nicht  der 
Ort  über  die  Art  des  Anfangsunterrichtes,  wie  er  im  Allgemeinen  an  Blinden-An- 
stalten  erteilt  wird,  zu  polemisieren,  aber  das  soll  gesagt  sein,  daß  der  Anfangs- 
unterricht in  vielen  F"älien  ein  besserer  und  gründlicherer  sein  sollte.  Blinden 
Klavierschülern  muß  der  Anfangsunterricht  entschieden  anders  erteilt  werden,  als 
dies  bei  sehenden  Seh  ilern  geschieht,  und  es  sollten  füglich  dazu  nur  solche  Lehrer, 
die  mit  den  Eigenheiten  des  Blindenunterrichtes  vollkommen  vertraut  sind,  oder 
was  am  besten  wäre,  tüchtige  blinde  Musiklehrer  verwendet  würden.  Ein  Hauptfehler, 
der  beim  Anfangsunterricht  begangen  wird,  ist  der,  daß  die  Anfängerstufe  ganz  ohne 
Notenkenntnis  durchgemacht  werden  muß,  weil  die  Notenschrift  erst  in  einer  hö- 
heren Klasse  als  besonderer  Gegenstand  gelehrt  wird.  Dies  hat  zur  Folge  daß  es 
blinde  Klavierspieler  gibt,  welche  die  Notenzeichen  sehr  gut  lesen,  auch  ihre 
Bedeutung  erklären  können,  aber  nicht  imstande  sind,  daß  Gelesene  auf  das  Klavier 
zu  übertragen.  Ein  Instrument  spielen  und  Noten  lesen  sind  zwei  Dinge,  die  zusam- 
men gehören,  daher  gleichzeitig  begonnen  und  nebeneinander  fortgeführt  werden 
müssen.  Wer  mag  dies  bestreiten  ?  Endlich  ist  auch  das  Vergessen  des  Übungs- 
stoffes von  einer  Lektion  zur  andern  ein  Übel,  das  nicht  existieren  würde,  wenn 
die  Art  und  Weise  des  Erlernens  eine  andere  als  die  bisherige  wäre. 

All  diesen  Mängeln  will  nun  der  genannte  Musiklehrer  in  seiner  Klavierschule 
für  den  Blindenunterricht  Abhilfe  schaffen,  indem  er  unter  Benützung  von  Unter- 
richtswerken der  besten  Klavierpädagogen  einen  systematisch  geordneten,  für  den 
Blindenunterricht  geeigneten  d.  h.  des  Auswendiglernens  werten  und  nicht  über- 
mäßig großen  Übungsstoff  zusammengestellt  hat  und  diesen  Übungsstoff  auf  eine 
Art  beibringt,  die  es  ihm  ermöglicht,  gleich  von  allem  Anfang  an  die  Notenschrift 
zu  benützen.  Hand  in  Hand  mit  den  Übungen  am  Klavier  gehen  die  theoretischen 

Herausgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     Redaktionskomitee:  K.  Bürklen, 
J.  Kneis,  A.  r.  Horratb,  F.  Uhl,  —  Druck  Ton  Adolf  Englisch,  Purkersdorf  bei  Wien. 


Kenntnisse,  welche  aus  der  allgemeinen  Musik-  und  der  Harmonielehre  bestehen 
und  zwar  so,  daß  der  Schüler  für  jede  Lektion  neben  den  Übuny;en  und  Tonstücken 
auch  aus  diesem  Gegenstand  sein  Pensum  durchzuarbeiten  hat.  Dieser  ganze  theo- 
retisch-praktische Lehrstoff  reicht  vom  ersten  Anfang  bis  zur  Mittelstufe,  also  bis 
dorthin,  wo  der  Schüler  alle  Grundspielarten  ausführen  kann  und  sich  der  Blinden- 
unterricht  von  dem  der  Sehenden  nicht  mehr  wesentlich  unterscheidet.  Die  Noten- 
schrift lernt  der  Schüler  natürlich  nicht  auf  einmal,  sondern  in  kleinen  Lektionen, 
immer  nur  so  viel,  als  er  für  den  Augenblick  braucht. 

Der  Vorgang  während  der  Klavierstunde  ist  nach  dieser  Schule  folgender  : 
Wenn  der  Schüler  nach  einigen  Lektionen,  in  denen  er  die  Grundbegriffe  der 
Musik  und  der  Notenschrift  zu  lernen  hat,  bei  der  ersten  Aufgabe  angelangt  ist, 
wird  diese  ihm  vom  Lehrer  eingehend  bis  zum  vollkommenen  Verstehen  erklärt. 
Ist  das  geschehen,  so  hat  der  Schüler  die  Noten  des  Spielstoffes  dreimal  zu  lesen, 
und  zwar  so,  daß  er  beim  ersten  Mal  bloß  liest,  beim  zweiten  Male  aber  das  Gele- 
sene gleichzeitig  mit  der  freien  Hand  spielt  und  dazu  nach  der  vorgezeichneten 
Taktart  zählt.  Sodann  spielt  der  Lehrer  das  zu  Übende  so  vor,  wie  er  es  in  der 
nächsten  Klavierstunde  vom  Schüler  zu  hören  wünscht  und  überläßt  ihm  schließlich 
die  Aufgabe  zum  Alleinlernen.  In  der  nächsten  Klavierstunde  spielt  dann  der  Schüler 
vor,  was  er  gelernt  hat,  der  Lehrer  gibt  sein  Urteil  darüber  ab,  verbessert  ihm  die 
etwa  gemachten  Fehler,  wiederholt  mit  einigen  Fragen  die  Theorie  der  erlernten 
Aufgabe  und  behandelt  dann  die  neue  Aufgabe,  wie  die  vorhergehende. 

Diese  Art  des  Lernens  fördert  wesentlich  den  Klassenuntei  rieht,  indem  der 
Schüler  den  größtmöglichen  Nutzen  aus  der  Stunde  ziehen  kann:  Alle  am  Unter- 
richt beteiligten  Schüler  werden  gleichzeitig  während  der  ganzen  Stunde  beschäftigt, 
der  Unterricht  gewinnt  Leben  und  wird  tür  den  Schüler  und  Lehrer  interessant. 

Alles  was  über  dieses  Werk  noch  gesagt  werden  muß,  ist  im  Vorwort  nieder- 
gelegt. Wer  sich  hi-für  interessiert  der  wende  sich  mündlich  oder  schriftlich  an 
nachstehende  Adresse,  wo  nähere  Auskunft  bereitwilligst  erteilt  wird.  Gustav  Roßka, 
Wien  V.,  Reinprechtsdorterstraße  3,  3.  Stock  Tür   41. 

—  Dr.  W.  Kammel:  Das  pädagogisch-psychologische  Labora- 
torium an  der  n.  ö.  Landes-Lehrerakademie  in  Wien.  Der  Bericht 
über  das  4.  Studienjahr  zählt  von  den  derzeit  geführten  51  Protokollen  jene  auf, 
die  im  abgelaufenen  Jahre  gefördert,  bezw.  neu  angelegt  worden  sind.  Mit  Genug- 
tiung  wird  auf  die  rege  Anteilnahme  der  Lehrerschaft  an  den  Vorlesungen  des 
Leiters  Dr.  W.  Kammel  und  besonders  auf  die  spontan  übernommenen  wissen- 
schaftlichen Arbeiten  mehrer^T  Lehrpersonen  verwiesen. 

—  A.  Rappawi:  »Soldatenlieder«  und  »  Beiisa r.«  Der  als  k.  u.  k. 
Leutnant  gegenwärtig  dem  Kriegsblindenheim  in  Wien  XIII  zugeteilte  Verfasser  hat 
in  den  »Soldatenliedern«  eine  Reihe  stimmungsvoller  Kriegslieder  gegeben,  während 
»Belisar«  Gedichte  zur  Erinnerung  an  die  werktätige  Fürsorgearbeit  zugunsten  der 
im  Weltkriege  erblindeten  österreichischen  Soldaten  enthält.  Eine  Probe  daraus 
bringen  wir  an  anderer  Stelle  Beide  Büchlein  sind  durch  den  Verfasser  in  Brunn, 
Zeile  59,  gegen  Einsendung  von  1   Krone  zu  beziehen. 


Bürklen  Karl :  Das  Tastlesen  der  Blindenpunktschrift. 

Nebst  Beiträgen  zur  Blindenpsychologie  von  P.  Grasemann- 
Hamburg,  L.   Cohn-Breslau,   W.  Steinberg.   VII,  93   Seiten 

mit  6   Abbildungen   im  Text   und   6  Tafeln, 
Leipzig,  Barth,   1917 M  5.— 

(Beiheft  16  zur  »Zeitschrift  für  angewandte  Psychologie«  heraus- 
gegeben von  L.   William   Stern   und   Otto   Li  p  mann). 

Inhalt:  Das  Tastiesen  der  Blindenpunktschrift  nach  besonderen  Versuchen 
zu  dessen  Erforschung  von  K.  Bürklen.  Eine  Untersuchung  über  das 
Lesen  der  Blinden  von  P.  Grasemann.  —  Beiträge  zur  Blindenpsydio- 
iogie  von  L.  Cohn.  —  Der  Blinde  als  Persönlichkeit  von  W.  Steinberg. 


JF^£Lj[y  ieM^-?^130.g^t;. 


□ 


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Spezialität:  Post-Spagate. 

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Wien   1.,  Getreidemarkt  Nr.    12. 

Telep.  Nr.  512,  9547,  9908.         Telep.  Nr.  512,  9547,  9908. 


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=  iSsyl  f ar  blinde  Rinder  = 

Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im  vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen  österreichi- 
schen Kronländern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 


Die  „ZentPQlbibliQtheh  \w  Bünde  in  Osteppeicli", 

Wien  XVIII,  Währinger  Gürtel  136 

verleiht  ihie  Bücher  kostenlos  an   alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER'' 

"Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines;  Unterstützung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  lür  Blinde.  Erhaltung 
per  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


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Wien  Vlll.,   Florianigasse  Nr.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

Alle  Gattungen  Bürstenbinder-  u.  Korbliechterwareu. 
Verkaulsstelle:    Wien  VII.,  Neubau^asse  75. 


Musilialien  -  Leiliinstitut 

des  Blinden-Unterstützungsvereines 
»Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V., 
:  — :   Nikolsdorfergasse  Nr.  42.  :  — : 


r^L      Bllndendrucknoten    werden    an 
1^1      Blinde  unentgeltlich  verliehen! 


CS 


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von   Oskar  Pieht. 
Bromberg. 


D 


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Bergedorf  bei  J^aJTlbu^g. 

Mustergültige  Bearbeitung  von   Fi  her  und  PI  assava 
aller  Arten. 


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Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"  für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


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Schriftleitung 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Nr.132.257 


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Das  Biatt  ersdieint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


Bezugsp  reis 
ganzjährig  mit 
Postzusteilung 

4  Kronen, 
Einzelnummer 

40  Heller. 


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4.  Jahrgang. 


Wien,  Dezember  1917, 


12.  Nummer. 


INHRLT:  Ein  neues  Fachwerk.  Der  Blinde  des  Orients  im  Spiegel  des  morgen - 
ländisdien  Schriftums.  Petition,  betreffend  die  Erriditung  einer  Zentralstelle 
für  das  Blindenwesen  im  Ministerium  für  soziale  Fürsorge.  J.  Kneis,  Pur- 
kersdorf: Kleine  Anregungen.  Fragen  bei  der  Lehrbefähigungsprüfung  für 
den  Blindenunterricht.  Errichtung  einer  Militärblindenanstalt  in  Lemberg. 
H.  Gutberler:  Der  Blinde.  Esperanto  und  die  Blinden.  Personalnachrichten. 
Für  unsere  Kriegsblinden.  Briefkasten.  Bücherschau.  (Ankündigungen). 


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^"'Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreidiische  ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  Vlll, 
t]  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.  5 

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Dr^ 


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Altes  und   Neues. 

Esperanto  und  die  Blinden. 

Die  Vorkämpfer  des  Esperanto  —  so  auch  N.  v.  Brett  mann 
in  Dresden  —  weisen  immer  von  neuem  auf  die  Bedeutung  dieser 
internationalen  Hilfssprache  für  die  Blinden  hin.  So  führt  dieser  Espe- 
rantist aus: 

Die  Herstellung  von  Blindenbüchern,  aus  denen  die  Blinden 
Belehrung  und  Genuß  schöpfen,  ist  kostspielig,  schon  darum,  weil  es 
sicli  immer  nur  um  eine  kleine  Auflage  handeln  kann,  es  sei  denn, 
daß  man  den  Kreis  der  blinden  Leser  möglichst  groß  zu  machen 
versucht.  Dies  kann  geschehen,  wenn  man  die  Blinden  der  ganzen 
Welt  zusammenfaßt  und  zu  der  gemeinsamen  Blindenschrift  noch 
die  gemeinsame  Blindensprache  hinzufügt.  Hier  tritt  nun  Esperanto 
in   die   Lücke. 

Kann  man  sämtliche  Blinde  veranlassen,  sich  die  so  leicht 
erlernbare  und  überaus  den  Geist  anregende  Hilfssprache  anzueignen, 
die  schon  in  der  ganzen  Welt  bekannt  ist  und  mehr  oder  weniger 
gebraucht  wird,  und  wird  man  dann  die  Blindenbücher  in  dieser 
Sprache  herstellen,  dann  hat  man  mit  einem  Schlage  einen  großen 
Leserkreis  und   eine   umfangreiche  Literatur. 

In  Österreich  ist  es  der  blinde  Musiker  Ignaz  Krieger,  der 
in  unermüdlicher  Weise  seinen  Schicksalsgenossen  die  Vorteile  des 
Esperanto  vor  Augen  zu  führen  sucht.  Krieger  befaßt  sich  nicht  nur 
seit  Jahren  mit  dieser  Sprache,  sondern  ist  durch  eine  im  Mai  1.  J. 
abgelegte  Prüfung  als  Lehrer  für  Esperanto  an  allen  öffentlichen 
Bürger-  und  Mittelschulen  befähigt  worden.  Es  zeigt  von  seinem 
Fleiß  und  seiner  hervorragenden  Intelligenz,  daß  er  unter  13  sehen- 
den Teilnehmern  aus  der  Wiener  Lehrerschaft  diese  Prüfung  mit 
Auszeichnung  ablegen   konnte. 

Krieger 's  Bestreben  ist  es,  Esperanto  unter  den  Blinden 
Österreichs  möglichst  zur  Vorbereitung  zu  bringen  und  scheut  dies- 
bezüglich keine  Mühe.  Die  vielen  praktischen  und  ideellen  Erfolge 
des  Esperanto  unter  den  Blinden,  die  leichte  Erlernbarkeit  und  Ein- 
fachheit, vor  allem  aber  die  Fülle  von  Anregung  für  Geist  und  Herz 
des  Blinden,  die  Schärfung  des  Verstandes  und  Präzisierung  im  Ge- 
dankenausdruck, was  alles  der  Blinde  dem  Esperanto  danken  könnte, 
haben  in  allen  Blinden  die  sich  schon  ernstlich  mit  Esperanto  beschäf- 
tigen, die  feste  Zuversicht  begründet,  daß  das  Esperanto  in  die 
Blindenwelt  Eingang  finden  wird  und  muß.  So  möge  das  endlich  auch 
in  Österreichs  Blindenschulen  zur  Tatsache  werden,  was  sich  anderswo 
schon  durchgesetzt  hat. 

fln  unsere  Leser! 

Mit  vorliegender  Nummer  schließen  wir  den  IV.  Jahrgang  unserer 
Zeitschrift.  Der  vollständige  Jahrgang  1917  legt  neuerlich  Zeugnis  ab  von 
dem  ernsten  Bestreben  der  Schriftleitung,  unser  Fachblatt  immer  weiter 
auszugestalten  und  nicht  nur  das  Interesse  der  Fachkollegen  sondern  auch 
fernerstehende  Kreise  zu  erwecken.  Hls  deutliches  Zeidien  dieses  Erfolges 
ist  ein  starker  Zuwachs  in  der  Hbnehmerzahl  unserer  Zeitschrift  fest- 
zustellen.    Es  geht  also  vorwärts  und  aufwärts ! 

Allen  unseren  Lesern  herzliche  Weihnachtsgrüße! 

(Die  Schriftleitung). 


4.  Jahrgang.  Wien,  Dezember  1917.  12.  Nummer. 


^  »Oft    weicht    der  Blinde    einer    Grube    aus,    in    die    der      ^ 

S        Sehende    fällt.«  Arabisches  Sprichwort.  ^ 


Ein  neues  Fachwerk! 

(Zu  dem  Buche  von  K.  Bürklen:  Das  Tastlesen  u.  a.) 

Es  war  mir  eine  der  erfreulichsten  Überraschungen,  in  einer  Zeit, 
die  alle  friedliche; tachwissenschaftliche  Betätigung  unmöglich  zu  machen 
schien,  diese  Neuerscheinung  auf  dem  Gebiete  der  Blindenpsychologie 
in  die  Hand  zu  nehmen.  Sind  doch  über  20  Jahre  vergangen,  seit 
Dr.  Th.  Hellers  Studien  zur  Blindenpsychologie  erschienen  sind  und 
uns  nun  ein  neues  Werk  dieses  Faches  dargeboten  wird.  Grund  genug 
zur  Freude,  ehe  man  noch  den  Inhalt  des  Buches  näher  kennt. 

Die  Namen  der  Verfasser  (Bürklen  —  Grasemann  —  Dr.  C  o  h  n, 
—  Steinberg)  überraschen  in  ihrer  Zusammenstellung  ebenso  auf 
das  Angenehmste.  Erinnern  wir  uns  doch,  daß  die  beiden  erstem  bereits 
an  verschiedenen  Stellen  für  die  Einführung  psychologischer  Experi- 
mente in  den  Blindenunterricht  eingetreten  sind  und  bereits  mit  dem 
besten  Beispiele  vorangegangen  sind.  Nicht  weniger  wertvoll  erscheint 
es  uns,  mit  den  beiden  letzten  Namen  zwei"Vertreter  der  Blinden  selbst 
das  Wort  nehmen  zu  sehen. 

Das  Stoftgebiet,  das  Bürklen  und  Grasemann  mit  dem  >Tast- 
lesen«  sich  erwählt  haben,  ist  eines  der  interessantesten  der  Blinden- 
psychologie, welches  nicht  nur  Fach-  sondern  auch  weitere  Kreise  zu 
fesseln  vermag.  Professor  Dr.  Stern,  der  sich  mit  der  Herausgabe  der 
Abhandlungen  ein  großes  Verdienst  und  unseren  besonderen  Dank 
erworben  hat,  bezeichnet  als  den  Hauptteil  des  Buches  die  systemati- 
schen experimentell-psychologischen  Uutersuchungen  von  Bürklen  über 
die  Vorgänge  und  die  Ökonomie  des  Tastlesens  der  Punktschrift.  Die 
Arbeit  Grasemanns  steht  der  Hauptabhandlung  inhaldich  nahe  und 
ist  geeignet,  diese  nach  einer  bestimmten  Seite  hin  zu  ergänzen. 


Seite  836.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  12.  Nummer. 

Einen  anderen  Charakter  haben  die  beiden  aus  Vorträgen  hervor- 
gegangenen Aufsätze  von  Dr.  Cohn  und  Steinberg.  Die  Verfasser 
sind  akademisch  gebildete  BUnde,  die  auf  Grund  ihrer  Selbstbeobach- 
tung sowie  vielseitigen  Erfahrungen  an  Schicksalsgenossen  einen 
Gesamtüberblick  über  die  Eigenart  der  Blindenpsyche  zu  geben 
versuchen. 

Die  umfangreiche  Abhandlung  von  Bürklen  erlaßt  das  Problem 
des  »Tastlesens«  in  seiner  Gänze.  Nach  einer  kurzen  Entwicklungs- 
geschichte der  Blindenschrift  (mit  einer  wertvollen  Tafel)  berührt  er  die 
besondere  Eignung  der  Punktschrift  für  das  Tastlesen,  beschreibt  das 
Leseorgan,  den  Vorgang  beim  Lesen  und  gibt  eine  Charakteristik  der 
Punktschrift.  Seine  früheren  Untersuchimgen  über  die  Lesbarkeit  der 
einzelnen  Punktschriitzeichen,  die  ein  lang  eingelebtes  Urteil  umstießen, 
waren  uns  bereits  aus  dem  »Blindenfreund«  (1913)  bekannt.  Völlig  neu 
sind  die  von  ihm  angestellten  Versuche  zur  Aufzeichnung  der  Tast- 
bewegungen, lür  die  er  eine  besondere  Methode  mittelst  des  von  ihm 
erfundenen  »Tastschreibers«  aufstellt.  Es  liegen  damit  die  ersten  bild- 
lichen Wiedergaben  der  Tastbewegungen  vor,  deren  Betrachtung  wert- 
volle Aufschlüsse  gibt.  Bei  entsprechender  Ausbildung  dieser  Methode 
können  wir  ein  vollkommen  klares  und  getreues  Bild  der  äußerlichen 
Bewegungen  der  lesenden  Finger  erhalten. 

Ebenso  neu  ist  die  vom  Verfasser  zuerst  vorgenommene  Auf- 
zeichnung der  Druckstärke  beim  Tastlesen,  die  uns  ebenfalls  auf  einer 
Tafel  dargeboten  wird.  Die  Leseproben  inbezug  auf  die  Leseflüchtigkeit 
der  Punktschrift  umgrenzen  diese  zum  erstenmale  näher.  Die  Verän- 
derungen der  Tastfähigkeit  während  des  Lesens  wurden  durch  das 
Aesthesiometer  geprüft.  Schließlich  bespricht  der  Verfasser  die  neueren 
Forschungen  über  die  Tastempfindungen  und  das  Augenlesen  und  gibt 
eine  übersichtliche  Zusammenfassung  der  Versuchsergebnisse. 

Einzelne  dieser  Ergebnisse,  wie  z.  B.  über  die  Ermüdung  beim 
Tastlesen,  sind  so  überraschende  und  befinden  sich  in  einem  solchen 
Widerspruch  zu  den  Erfahrungen  des  Fachmannes,  daß  man  sie  gerne 
durch  Nachprüfungen  bestätigt  sehen  möchte.  Es  klingt  wohl  sehr  be- 
scheiden, aber  darum  umso  überzeugender,  wenn  der  Verfasser  in 
seiner  Einbegleitung  seine  Arbeit  durchaus  nicht  als  vollkommen  und 
abgeschlossen,  sondern  nur  als  grundlegend  für  weitere  Forschungen 
bezeichnet.  Es  wäre  daher  nur  erfreulich,  wollten  andere  Fachleute 
seinen  Anregungen  folgen  und  mithelfen,  Klarheit  in  so  manchen 
noch  dunklen  Punkten  zu  schaffen.  Am  dringendsten  erscheint  mir  die 
bereits  angedeutete  Gewinnung  einer  Normalgröße  für  die  Punktschrift, 
die  den  großen  Unterschieden  in  der  Schriftgröße  unserer  Punktdruck- 
bücher ein  Ende  bereiten  würde. 

In  allem  bietet  die  Abhandlung  von  Bürklen  über  das  Tastlesen 
soviel  des  Neuen  und  für  den  Fachmann  Wertvollen,  daß  sich  aus  ihr 
nicht  nur  für  die  Punktschrift  selbst,  sondern  auch  für  das  Lesen  und 
Lesenlernen  derselben  wichtige  Folgerungen  ergeben  werden. 

Auch  Grasemann  stellt  im  Anhange  zur  ersten  Abhandlung 
eine  Untersuchung  über  das  Lesen  an  und  zwar  hauptsächlich  im  Hin- 
blick  auf  das  beidhändige    und  einhändige  Lesen.     Er  stellt  die  Über- 


12.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  837. 

legenheit  des  linken  Zeigefingers  als  Lesefinger  über  den  rechten  Zeige- 
finger fest,  untersucht  den  Wert  des  beidhändigen  Lesens  und  zieht 
aus  den  Ergebnissen  Folgerungen  für  die  Methodik  des  Tastlese- 
unterrichtes. 

Wie  schon  erwähnt  wurde,  geben  die  Abhandlungen  von  Dr.  Cohn 
»Beiträge  zur  Blindenpsychologie«  und  von  Stern berg  »Der  Blinde 
als  Persönlichkeit«  einen  Gesamtüberblick  über  die  Eigenart  der  Blin- 
denpsyche.  Sehr  richtig  bemerkt  der  Herausgeber  hiezu :  »Hierbei 
gewinnt  die  Nebeneinanderstellung  der  b^  iden  Sclülderungen  dadurch 
an  Interesse,  daß  die  Verfasser  augenscheinlich  verschiedene  Ideale 
vertreten,  während  der  eine  die  Kluft,  die  zwischen  dem  Blinden  und 
dem  Sehenden  besteht,  möglichst  zu  verringern  strebt,  betont  der 
andere  mit  vollem  Bewußtsein  die  vorhandenen  Verschiedenheiten  und 
fordert  die  Entwicklung  einer  besonderen,  dem  Erleben  des  Blinden 
angemessene,  Persönlichkeitsform.  Mir  scheint,  daß  dieser  Gegensatz 
selbst  psychologischer  Natur  ist ;  vermutlich  gehören  die  beiden  Ver- 
fasser verschiedenen  Typen  an,  die  beide  in  der  Blindenwelt  zahlreiche 
Vertreter  haben.  Eine  solche  Typenscheidung  könnte  gerade  in  unseren 
Zeiten  besondere  Bedeutung  gewinnen,  da  es  sich  darum  handelt,  die 
zahlreichen  Kriegsblinden  in  ihrem  Seelenleben  richtig  zu  verstehen 
und  entsprechend  zu  behandeln.« 

Als  alter  Fachmann  kann  ich  das  tatsächliche  Vorhandensein 
dieser  zwei  grundsätzlich  verschiedenen  Blindentypen  bestätigen.  Ein 
tieferes  Eindringen  in  deren  Eigenarten  würde  nicht  nur  den  Kriegs- 
blinden zugute  kommen,  sondern  könnte  auf  die  gesamte  Blinden- 
bildung  und  Erziehung  umgestaltend  einwirken. 

Ich  muß  nochmals  betonen,  mit  welcher  Freude  ich  das  neuer- 
schienene Werk  durchging  und  immer  wieder  zur  Hand  nehme. 
Erscheint  es  mir  doch  wie  eine  Verheißung,  neues,  geistiges  Leben 
auf  unserem  Gebiete  erblühen  zu  sehen.  Die  Verfasser  können  stolz 
darauf  sein,  es  mit  ihrem  bedeutungsvollen  Werke  eingeleitet  zu  haben. 

Ein  alter  Fachkollege. 

Der  Blinde  des  Orients  im  Spiegel  des 
morgenländischen  Schrifttums. 

(Schluß.) 

In  der  »Geschichte  des  Lastträgers  und  der  drei 
Schwestern«  treten  drei  Bettler  auf,  die  durch  ein  wunderbares 
Zusammentreffen  auf  dem  linken  Auge  blind  sind.  Der  erste  ein 
Königssohn,  schoß  einem  Wesir  ein  Auge  aus.  Diese  Tat  rächte  sich 
nach  dem  Tode  des  Königs.  Der  Wesir  ließ  den  Sohn  gefangen 
nehmen  und  wollte  ihn  köpfen  lassen,  denn  welche  Schuld  ist  größer, 
als  diese,  sagte  er,  indem  er  auf  sein  ausgelaufenes  Auge  zeigte. 
»Ich  habe  das  nicht  mit  Absicht  getan«  erwiderte  der  Gefangene. 
Der  Wesir  aber  antwortete:  »Hast  du  es  unabsichtlich  getan,  so  tue 
ich  es  jetzt  mit  Absicht«  und  rief:  »Führet  ihn  heran  zu  mir!«  Wie 
der  Gefangene  nun  vor  ihn  hingestellt  wurde,    stieß    er    seine  Finger 


Seite  838.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  12.  Nummer. 

in  dessen  linkes  Auge,  daß  es  von  Stund  an  blind  war.  Der  zweite 
Bettler,  ebenfalls  ein  Königssohn,  büßte  ein  Auge  im  Kampfe  mit 
dem  bösen  Ifrit,  der  als  Feuerlohn  über  ihn  kam  ein,  der  dritte 
Bettler  —  auch  er  ein  König  und  Königssohn,  verlor,  wie  zehn  Jüng- 
linge vor  ihm,  ein  Auge  durcli  ein  wildes  Zauberpferd,  weil  er  sich 
nicht  vierzig  Tage  gedulden  konnte  und  in  Ungeduld  ein  strenges 
Verbot  übertrat. 

Die  »Weisheit  des  Brahmanen«  gibt  folgenden  Trost  für  den 
Verlust  eines  Auges. 

»Laß  trösten  dich,  mein   Sohn,  um    eines  Aug's  Verlust! 

Bewahr  doppelt  rein  den   Sinn   in  deiner  Brust! 

So  wird  der  Himmel  voll  dir  durch  ein  Auge  strahlen, 

Und  sanft  auf  Seelengrund  das  Bild  der  Welt  sich   malen  ! 

Das  ist  dir  besser,   als   wenn  unversehrt  vom   Leibe, 

Von   Leidenschaft  getrübt,   du  hättest  alle  beide.« 

So  sehr  in  den  morgenländischen  Schriften  Lob  und  Preis 
der  edlen  Gottesgabe,  des  Augenlichtes,  wiederklingt,  so  finden  sich 
doch  wieder  Stellen,  wo  es  freiwillig  hingegeben  erscheint  für  eine 
innerliche  Einkehr  zu  sich  selbst  und  zu  Gott.  So  wird  berichtet, 
daß  Thabit  el  Banani  weinte,  bis  er  fast  das  Augenlicht  verlor. 
Als  man  ihm  nun  einen  Arzt  brachte,  und  dieser  zu  ihm  sagte  :  »Ich 
will  dich  unter  der  Bedingung  heilen,  daß  du  mir  gehorchst,«  fragte 
Thabit:  »Was  ist's?«  Der  Arzt  antwortete:  »Daß  du  nicht  mehr 
weinst.«  Da  sagte  Thabit:  »Wozu  nützen  denn  meine  Augen,  wenn 
sie  nicht  mehr  weinen  sollen?« 

Oft  genug  soll  es  bei  fanatischen  Mekkapilgern  vorgekommen 
sein,  daß  sie  sich  die  Augen  ausstechen,  damit  sie  das  irdische  Wesen 
nicht  mehr  anschauen  müssen.  Daß  aber  der  unverschuldet  Blinde 
ebensowenig  wie  der  Taul)e,  ja  selbst  der  Taubblinde,  von  den 
Freuden  der  Erde  gänzlich  ausgeschlossen  ist,  sagt  uns  die  »Weis- 
heit des  Brahmanen«  in  folgenden  Versen: 

Den  höchsten  Menschensinn,  das  Augenlicht,  zu  missen, 
Gefangen  wohnend  in  beständ'gen  Finsternissen. 

Ist  doch,  Erfahrung  spricht,   das  höchste  Unglück   nicht, 
Weil  inneres  ersetzt  das  äußerliche  Licht. 

Der  Blindgewordene  sieht  in  Erinnerungen, 

Der  Blindgeborene  wird  doch  vom  Licht  durchdrungen ; 

Dolmetschen  kannst  du   ihm   den   Strahl,   der  ihn  berührt, 
Daß  er  ein  geistig  Bild  der  Welt  in  ihm   aufführt. 

Im  Worte  wird  ihm  kund  die  Weisheit  aller  Weisen, 
Er  kann  mit  Dichtermund  die  Wunder  Gottes  preisen. 

Doch   diesen   andern   Sinn  zu   missen,  den   im   Ohr, 
Entbehrend  ewigen   Weltharmonienchor; 

Verlust,   der  schwerer  schien,  ersetzen  kann   auch   ihn 
Teilnahme  doch  der  anschaubaren  Harmonien. 


12.  Wummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Blindcnvvesen.  Seite  839. 

Des  Menschen  Auge  spricht  dir  und  des  Frühlings  Trift, 
Die   Sprache  spricht  dir  selbst  in  ihrem  Bild,   der   Schrift. 

Dem  Taubgebornen  auch,   und  darum  stumm  geboren, 
Ist  alle  Fähigkeit  der  Bildung  nicht  verloren. 

Zum  Handeln  kannst  du  ihn,  zum   Denken   auch  erziehn ; 
Gewiß  zum  Dichter  nur  erziehst  du   niemals  ihn. 

Wer  aber  blind   und  taub  zugleich  ist   uranfänglich. 

Der  höhern  Menschheit  scheint  er  Menschen  unempfänglich. 

Gott,  der  ihn  so   gemacht,  empfänglich  wird  er  machen 
Ihn  aus  der  Doppelnacht  hier  oder  dort  erwachen. 

Wer  blind  und  taub  nur  ward,  kann   fort  das  Feuer  schüren 
Im  Innern,  mag  man  auch  nach  außen  es  nicht  spüren. 

Der  Muschel  gleich  im   Schlamm,  Licht  saugen  mit  Begier, 
Das  zu  viel  schönrer  Perl'  in  ihm  wird  als  in  ihr. 

So  sah  ich  einen   Greis,  an  Aug'   und  Ohr  verwittert, 
Von  Lustentzückungen  im  Frühlingshain  durchzittert. 

Der  Blüten  Duftgeruch,   der  Abendlüfte  Wehn 

Macht'   ihm   den   Mund  voll  Preis,  das  Aug'  in  Thränen  stehn. 

Er  sog,  was  er  nicht  sah,  und  roch,   was  er  nicht  hörte. 
Und  fühlte  Vollgenuß   und  Andacht   ungestörte. 

So  schön  ist   Gottes  Welt,   daß   auch  ein  leises  Flüstern 
Von  ihr  der  Blindheit  kann   und  Taubheit  Nacht  entdüstern. 


Petition,  betreffend  die  Erriditung  einer  Zentralstelle  für  das 
Blindenwesen  im  Ministerium  für  soziale  Fürsorge. 

Nachstehende  Petition  wurde  vom  »Zentralverein  für  das  öst. 
Blindenwesen«  dem  Herrenhause  und  dem  Abgeordnetenhause 
unterbreitet  und  dem  k.  k.  Minister  für  soziale  Fürsorge  überreicht. 

Die  Rückständigkeit  unseres  österreichischen  Blindenbildungs- 
und  Fürsorgewesens  hat  vor  allem  ihren  Grund  darin,  daß  die  Staats- 
regierung diesem  Gebiete  der  sozialen  Fürsorge  bisher  nicht  jenes 
Augenmerk  zugewendet  hat,  welches  dasselbe  seit  langer  Zeit  verdient. 
Nicht  nur,  daß  die  Regierung  die  Fürsorge  dieser  Viersinnigen  den 
Ländern  bezw.  Gemeinden  überwies  und  sich  selbst  zu  keinerlei 
Leistungen  hiefür  verpflichtete,  fehlte  bisher  auch  jede  Initiative  von 
dieser  zur  Führung  berufenen  Stelle  aus.  Die  Regierung  besaß  andrer- 
seits auch  nicht  die  Macht,  die  Landes-  und  Gemeindeverwaltungen  zur 
Erfüllung  der  denselben  übertragenen  Blindenfürsorge  zu  verhalten 
und  so  kommt  es,  daß  die  Blindenfürsorge  —  mit  Ausnahme  des 
Blindenunterrichtswesens  in  einzelnen  Kronländern  —  heute  eben 
noch  so  wie  zur  Zeit  ihrer  Begründung  vor  mehr  als  hundert  Jahren 
auf  den  Wohltätigkeitssinn  der  Allgemeinheit  angewiesen  ist  und 
aus  diesen  Quellen  die  Mittel  zu  einer  notdürftigen  Erfüllung  schöpfen 
muß.  Wie  sehr  auch  die  Opferwilligkeit  der  breiten  Öffentlichkeit  be- 


Seite  840.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  12.  Nummer. 

sonders  den  Blinden  gegenüber  hervorgehoben  und  gerühmt  werden 
muß,  sind  die  von  ihr  aufgebrachten  Mittel  doch  für  eine  zureichende 
Fürsorge  für  die  große  Masse  der  Blinden,  zu  denen  heute  noch  die 
Kriegsblinden  treten,  nicht  zureichend.  Die  bestehenden  Fürsorge- 
institutionen entsprechen  dem  Bedarf  in  keiner  Weise  und  sind  in 
ihrer  Organisation  infolge  einer  behinderten  Entwicklung  zum  größten 
Teile  veraltet.  Schließlich  hat  sich  durch  die  Mitwirkung  verschie- 
ster  Stellen  eine  unheilvolle  Zersplitterung  des  vaterländischen  Blin- 
denfürsorgewesens ergeben,  die  eine  gedeihliche  Zusammenarbeit 
nicht  aufkommen  läßt.  Als  Beispiel  hiefür  kann  auf  die  erst  seit  dem 
Weltkriege  sich  entwickelnde  Kriegsblindenfürsorge  verwiesen  werden, 
welcher  bisher  eine  Summe  von  über  fünf  Millionen  Kronen  zugeflossen 
ist,  während  die  auf  diesem  Gebiete  erzielten  Leistungen  durchwegs 
sehr  bescheidene  sind  und  mit  der  Opferwilligkeit  der  Allgemeinheit 
nicht  in   Vergleich  zu  bringen  sind. 

^s  wäre  daher  höchste  Zeit,  diesen  krassen  Mängeln  unseres 
österreichischen  Blindenfürsorgewesens  von  Grund  aus  abzuhelfen  und 
dasselbe  auf  eine' vollständig  neue  Grundlage  zu  stellen,  indem  der  Staat 
die  Führung  auf  diesem  Gebiete  übernimmt.  Mit  der  Errichtung  des 
Ministeriums  für  soziale  Fürsorge  zeigt  der  Staat,  daß  er  den  Weg 
einer  tiefgreifenden  Reform  auf  dem  bezogenen  Gebiete  beschreiten 
Avill.  Unter  Hinweis  darauf,  d^Q  die  Blindenhilte  ein  wichtiger  Teil 
der  allgemeinen  Fürsorge  ist  und  das  große  Unglück  der  Blindheit 
den  größten  Anspruch  auf  die  Hilfsbereitschaft  der  Allgemeinheit 
besitzt,  unterbreitet  der  »Zentralverein  für  das  österrei- 
chische Blindenwesen«,  welcher  alle  Blindenfürsorge- 
Institutionen  Österreichs  umfaßt,  gemeinsam  mit  dem 
»I.  Österreichischen.  Blindenverein«  die  Anregung  zur  Er- 
wägung, in  dem  neu  zu  errichtenden  Ministerium  für 
soziale  Fürsorge  eine  »Zentralstelle  für  das  österreichi- 
sche Blindenfürsorgewesen«  zu  schaffen  und  damit  die 
zielsichere  Führung  auf  diesem   Gebiete  zu   übernehmen. 

Die  dem  Ministerium  für  soziale  Fürsorge  zugewiesenen  Auf- 
gaben der  Jugendfürsorge,  der  Fürsorge  für  die  Kriegsbeschädigten, 
der  Sozialversicherung,  des  gewerblichen  Arbeiterrechtes  und  Arbeiter- 
schutzes, der  Arbeitsvermittlung  usw.  enthalten  bereits  den  größten 
Teil  der  Blindenfürsorge,  so  daß  die  Errichtung  einer  eigenen  Ab- 
teilung für  Blindenfürsorge  in  diesem  Ministerium  umsomehr  gerecht- 
fertigt erscheint  und  sich  eigentlich  von  selbst  ergibt. 

Bezüglich  (der  Wünsche  und  Forderungen,  welche  zur  Begrün- 
dung einer  modernen  Blindenfürsorge  in  Österreich  während  der 
letzten  Jahrzehnte  erhoben  wurden  und  auf  deren  Erfüllung  immer 
noch  gewartet  wird,  sei  verwiesen  auf  die  Beschlüsse  der  Blinden- 
fürsorgetage in  Graz  (1906)  und  Wien  (1914),  auf  die  Verhandlungen 
der  Enquete  zur  Förderung  des  Blindenwesens  im  k.  k.  Ministpriura 
für  Kultus  und  Unterricht  (1909),  sowie  auf  die  Petition,  betreffend 
die  »Sozialversicherung  und  die  erwerbstätigen  Blinden«  upd  die  Ein- 
gaben des  »Zentralvereines  für  das  österreichische  Blindenwesen«  an 
verschiedene  Behörden. 


12.  Nummer.  Zcitscliiift   liir  das  (isteneicliische   liliiidcnwt  sen.  Seite  841. 

Aus  denselben  seien  iai  Folgenden  kurz  die  wichtigsten  hervor- 
gehoben : 

Maßnahmen  zur  Verhütung  der  angeborenen  und  erworbenen 
Blindheit.  Fürsorge  für  die  vorschulpflichtigen  blinden  Kinder 
(Asyle,  Kindergärten). 

Durchführung  der  den  Landesverwaltungen  übertragenen 
Fürsorge  für  schulpflichtige  blinde  Kinder. 

Fürsorgegesetz,  welches  den  Anstaltszwang  für  schulpflich- 
tige blinde  Kinder  feststellt. 

Schaffung  neuer  Erziehungsanstalten  für  Blinde  bezw. 
Erweiterung  der  bestehenden   unter  Mithilfe  des   Staates. 

Förderung  und  Erweiterung  der  beruflichen  Ausbildung 
der  Blinden, 

Beseitigung  jener  Schranken,  welche  durch  die  heutige 
Gewerbegesetzgebung  den  arbeitsfähigen,  zu  Handwerkern  aus- 
gebildeten Blinden  die  Gründung  einer  wirtschaftlichen  Existenz 
so  wesentlich  erschweren. 

Schutz  und  Förderung  der  Blindenarbeit,  Arbeitsvermittlung 
für  erwerbstätige  Blinde. 

Begünstigungen  für  Blinde  in  ihrer  Erwerbstätigkeit  sowie 
zur    Förderung    ihrer    beruflichen    und    geistigen    Weiterbildung. 

Förderung  der  von  den  Blinden  zur  Selbsthilfe  geschaffenen 
Vereinigungen  und  deren  Einrichtungen  {Produktivgenossen- 
schaften,  Werkstätten   usw.) 

Schaffung  von  Fürsorgeeinrichtungen,  durch  welche  die 
Existenz  der  arbeitsunfähigen  Blinden  sichergestellt  wird.  Aus- 
bildung eines  modernen  Fürsorge-Hilfsdienstes  für  die  in  freier 
Versorgung  stehenden  Blinden.  Errichtung  von  Altersheimen 
für  Blinde, 

Beseitigung  veralteter  Vorschriften,  welche  die  Rechts- 
fähigkeit der  Blinden  beschränken. 

Statistische  Aufnahme  der  Blinden, 

Diese  umfassende  Arbeit  zur  Arbeit  für  alle  Blinden  Österreichs, 
zu  welchen  auch  die  Kriegsblinden  zu  zählen  sind,  kann  nur  durch 
die  zielbewußte  Tätigkeit  einer  staatlichen  Zentralstelle  bewältigt 
werden.  Um  die  unerläßliche  Verbindung  dieser  amtlichen 
Stelle  mit  den  bestehenden  Fürsorgeeinrichtungen  für 
Blinde  und  mit  den  Blinden  selbst  herzustellen, 
wäre  außerdem  die  Bestellung  eines  fachmännischen 
Beirates  zu  empfehlen,  der  aus  Vertretern  der  Blinden- 
bildungs-  und  Fürsorge  Institutionen,  au^  Augenärzten 
und  Vertretern  der  Blinden  zusammenzusetzen  wäre. 

Nur  auf  diesem  Wege  könnte  die  derzeit  an  mangelnder  Unter- 
stützung seitens  der  Staatsbehörden  und  an  unheilvoller  Zersplitterung 
leidende  Blindenfürsorge  Österreichs  neu  aufgebaut  und  die  Grund- 
la-gei^  für  eine  gedeihliche  Entwicklung  geschaffen   werden. 


Seite  842.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  12.   Nummer. 

Kleine  Anregungen. 

Von  Hauptlehrer  J.  K  n  e  i  s,  Purkersdorf. 
Der  Gärtner. 

Schon  in  früheren  Jahren  wurden  und  auch  derzeit  werden  in 
einigen  Blindenanstalten  Versuche  gemacht,  um  zu  erproben,  ob  nicht 
schwachsichtige  Zöglinge,  deren  es  in  solchen  Anstalten  ja  immer  gibt, 
sich  für  den  Beruf  eines  Gärtners  eignen.  Bisher  sind  nur  wenige  Er- 
fahrungen darüber  veröffentlicht,  sodaß  ein  abschließendes  Urteil  noch 
nicht  gefällt  werden  kann. 

Mit  nachfolgenden  Zeilen  könnte  der  Anfang  zu  Besprechungen 
des  Gegenstandes  gemacht  werden  und  vielleicht,  so  hoffe  ich,  den 
Halbsichtigen  ein  neuer,  gesunder  und  einträglicher  Lebensweg  geschaffen 
werden.  Sollte  etwa  manch  kritisches  Wort  einfließen,  so  wolle  man 
es  nicht  persönlich  nehmen,  weil  dadurch  der  Sache  selbst  nur  gescha- 
det werden  könnte. 

Die  bisher  unternommenen  Veruche  hatten  gewöhnlich  folgenden 
Verlauf  genommen :  Nach  Absolvierung  der  Schulpflicht  wurden  die 
Zöglinge  dem  Anstaltsgärtner  überwiesen.  Es  war  dies  der  erste  große 
Fehler.  Den  Anstaltsgärtnern  (wenn  man  von  solchen  sprechen  will,  denn 
oft  sind  es  gar  keine  gelernten  Gärtner,  sondern  Autoditakten)  ist  bei 
ihrer  Aufnahme  eine  ganz  andere  Aufgabe  gestellt  worden  ;  sie  haben 
den  Anstaltsgarten  zu  pflegen  und  die  Anstalt  mit  Gemüse  zu  versor- 
gen. Damit  hat  der  Gärtner  übrigens  genug  zu  tun  und  es  bleibt  ihm 
bei  bestem  Willen  und  allem  guten  Können  keine  Zeit,  sich  mit  einer 
Anzahl  von  Schülern  zu  beschäftigen.  Vollsichtige  Schüler  könnten 
ihm  für  die  verwendete  Zeit  durch  Arbeitsleistung  einen  teilweisen 
Ersatz  schaffen,  aber  bei  den  schwachsichtigen  Schülern  muß  er  zuerst 
immer  noch  ein  minus  überwinden,  um  plus  autbauen  zu  können, 
d.  h.  er  muß  mit  dem  durch  das  Gebrechen  verursachten  Schaden  und 
und  mit  dessen  Gutmachung  rechnen,  bevor  er  mit  der  ihm  neuestens 
gestellten  Aufgabe  beginnen  kann.  So  leidet  zumeist  entweder  das  not- 
wendige Erträgnis  des  Anstaltsgartens  oder  die  Erzieheraufgabe.  Die 
Erträgnisaufgabe  ist  für  die  Ausbildung  des  Schülers  oft  dadurch  ein 
Hmdernis,  daß  diese  leicht  zur  Schablonenhaftigkeit  gezwungen  ist,  also 
eine  unzulängliche  Ausbildung  zuläßt.  Der  Lehrling  wird  dadurch  eine 
Maschine,  welche  Kraut,  Kohl  etc.  in  bestimmter  Zeit  und  Menge  liefert, 
aber  sich  nicht  dazu  aufschwingen  wird,  jemals  nach  einem  eigenen 
Plane  zu  arbeiten. 

Damit  kommen  wir  gleich  zum  zweiten  Nachteil,  den  eine  derar- 
tige Heranbildung  zum  Gärtner  aufweist. 

Der  Zögling  bleibt  zuviel  Zögling  und  ist  zu  wenig  Lehrling.  Als 
Zögling  unterliegt  er,  wenigstens  in  den  Grundzügen,  der  Tageseintei- 
lung der  Anstalt;  wo  man  aber  die  Zügel  lockerer  läßt,  stört  er  das 
Anstaltsgetriebe.  Der  Wettergott  will  sich  der  von  der  Lehrerkonferenz 
festgelegten  Stundeneinteilung  nicht  unterwerfen  und  keine  6  Uhrglocke 
kann  für  den  Gärtner  maßgebend  sein.  Es  bleibt  der  Ausweg,  den 
Gärtnerlehrlingen  Ausnahmen  zu  gestatten,  was  aber  wieder  eine  eigene 
Beaufsichtigung  verlangt,  denn  man  kann  unmöglich  von  15jährigen 
Jungen  voraussetzen,   daß  sie  so  ernst  sind,  um  nicht  die  günstige  Ge- 


12.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  843. 

legenheit  der  verminderten  Aufsicht  auszunützen.  Meines  Erachtens  ist 
durch  die  Versuche  erwiesen,  daß  sich  die  nicht  blinden,  sondern  nur 
schwachsichtigen  Zöghnge  zum  Gärtnerberufe  eignen  und  man  auch  mit 
Rücksicht  auf  seine  Gesundheit  den  Gärtnerberuf  anempfehlen  kann. 
Das  Verdienst,  dies  festgestellt  zu  haben,  danken  wir  einzelnen  opfer- 
freudigen Blindenanstalten.  Nun  soll  man  den  Weg  aber  weitergehen 
und  versuchen,  wie  weit  es  der  Schwachsichtige  unter  fachgemäßer 
Anleitung  bringen  kann.  Doch  gilt  es  hier  vorerst,  einige  Hindernisse 
beiseite  zu  räumen.  Wollte  man  die  für  den  angeführten  Beruf  geeig- 
neten Zöghnge  nach  vollendeter  Schulpflicht  einfach  einem  Berufsgärt- 
ner aufSerhalb  der  Anstalt  übergeben,  so  fürchte  ich  zweierlei  :  erstens 
wird  ein  derartiger  Gärtner  aus  Vorurteilsgründen  schwer  zu  bewegen 
sein,  einen  gewesenen  Blindenanstaltszögling  als  Lehrling  anzunehmen 
und  zweitens  werden  Zöglinge  wenig  Lust  daran  finden,  die  Anstalt,  in 
welcher  sie,  wenn  sie  sich  einem  in  der  Anstalt  gelehrten  Berufe  wid- 
men, unentgeltlich  und  sorgenfrei,  weiterleben  können,  zu  verlassen. 
Darin  werden  sie  sicher  auch  durch  ihre  Eltern,  welche  andernfalls 
fürchten,  schon  jetzt  für  ihre  Kinder  Opfer  bringen  zu  müssen,  bestärkt. 

Vielleicht  liegt  der  Nachteil  im  Anstaltsstatut,  welches  wohl  Frei- 
plätze und  Stiftplätze  in  der  Anstalt  vorsieht,  nicht  aber  die  Verwendung 
der  darauf  entfallenden  Beträge  für  eine  zweckmäßigere  Ausbildung 
außerhalb  der  Anstalt  zuläßt.  Dies,  häufig  nur  eine  Formsache,  heße  sich 
ja  ändern. 

Dem  Blinden  gewährleistet  man  mit  seiner  Aufnahme  die  Möglich- 
keit einer  Schul-  und  einer  Berufsbildung  und  die  zuständige  Behörde 
bewilligt  die  dazu  notwendigen  Mittel!  Leider  klebt  man  nun  zusehr 
am  Wortlaut  und  scheut  eine  sinngemäße  Auslegung.  Der  Kostenpunkt 
einer  Berufsbildung  außerhalb  der  Anstalt  dürfte  kaum  größer  sein,  als 
wenn  der  Zögling  in  der  Anstalt  weiter  verbliebe.  Der  ZögHng  könnte 
also  während  seiner  externen  Lehrzeit  von  der  Anstalt  in  genügender 
Weise  unterstützt  werde. 

Zur  Vervollkommnung  könnte  nach  beendigter  Lehrzeit  (3  Jahre) 
ein  abschließender  Kurs  in  einer  der  landwirtschaftlichen  Schulen  an- 
gestrebt werden.  Man  braucht  nur  einen  Lehrplan  einer  derartigen 
Schule  zur  Hand  nehmen  und  wird  aus  der  Fülle  und  Manigfaltigkeit 
des  Stoffes  die  Wichtigkeit  und  Notwendigkeit  eines  derartigen  Kurses 
erkennen. 

Einem  so  vorgebildeten  Gärtner  dürfte  es  nicht  schwer  fallen, 
einen  lohnenden  Posten  zu  finden  und  mit  anderen  konkurieren  zu 
können. 

Es  bliebe  noch  zu  erörtern,  was  mit  den  derzeit  bei  einem 
Anstaltsgärtner  in  der  Lehre  stehenden  Zöglingen  geschehen  soll.  Auch 
diese  Zöglinge  sollten  nach  beendeter  Lehrzeit  zum  Besuch  von  Kur- 
sen verhalten  werden,  natürlich  auf  Kosten  der  Blindenanstalt  d.  h. 
des  Erhalters. 

Zum  Schlüsse  ein  Wort  an  die  Halbsehenden  :  Noch  liegt  Dunkel 
über  Eurer  Zukunft ;  Ihr  kennt  noch  nicht  die  Erfolge,  weil  Ihr  keine 
voranleuchtenden  Beispiele  habt,  aber  wer  die  Natur  liebt,  kann  kein 
schlechter    Mensch    werden    und    wer    die    Natur    betraut,  dem  gibt  sie 


Seite  844.  Zeitschrift  für  das  östereichische  Blindenwesen.  12.  Nummer. 

hundertfach.  Der  Krieg  hat  uns  gelehrt,  wie  großen  Segen  uns  Mutter 
Erde  bieten  kann.  Jetzt  ist  es  ein  hartes  Ringen  um  die  Schätze  des 
Bodens,  aber  der  Lohn  bleibt  nicht  aus.  Wenn  man  schon  jetzt  von 
Lohn  sprechen  kann,  so  darf  man  mit  desto  größerer  Sicherlieit  auf 
erhöhten  Lohn  rechnen.  Laßt  Euch  meine  jungen  Freunde  nicht  durch 
den  falschen  Schluß  trügen,  der  da  herumgeschwätzt  wird  und  lautet, 
wer  wird  sich  nach  dem  Kriege  noch  mit  der  Gärtnerei  plagen,  wenn 
man  alles  ohnehin  billig  haben  kann.  Greift  freudig  zu,  wenn  man 
Euch  die  Gelegenheit  bietet,  tüchtige  Gärtner  zu  werden. 


Fragen  bei  der  Lehrbefähigungsprüfung  für  den 
Blindenunterricht. 

Linz,  19.  und  2L  November  1917.  Vorsitzender:  K.  k.  Landes- 
schulinspektor  Dr.  Franz  Rimmer,  Prüfungskommissär:  Direktor 
Anton  M.  P  1  e  n  i  n  g  e  r.  Beisitzender  :  Direktor  Reg,  Rat,  J.  H  a  b  e  n  i  c  h  t. 

Schriftlich:  1.  Welche  Vorschläge  für  die  Erneuerung  beson- 
ders der  Blindenfürsorge  ergeben  sich  bei  der  Betrachtung  der  derzei- 
tigen Bildung  der  Friedens-  und  Kriegsblinden  ?  2.  Die  Selbsterziehung 
in   der  Blindenanstalt. 

Mündlich:  1,  Schriften  in  den  gebräuchlichsten  Blindenschriften 
und  Leseübung  darin.  2.  Unterricht  und  Fürsorge  der  Blinden  in 
Oberösterreich  und  Salzburg.  3.  Folgen  der  Blindheit  in  geistiger 
Beziehung.  4.  Der  Muskelsinn  der  Blinden.  5.  Die  Naturgeschichte 
in  der  Blindenschule.  Hypothesen  über  das  Seilen.  Beide  Fragen  mit 
Darstellungen. 

Tätige  Vorführung:  Das  Haushuhn.  Biologisch  an  einem 
lebenden   Huhn    mit   Schülern     der    3    obersten    Schuljahre    behandelt. 

P. 

Errichtung    einer  Militärblindenanstalt  in  Lemberg. 

In  Lemberg  wird  eine  eigene  Militärblindenanstalt  errichtet. 
Dieselbe  bildet  eine  Unterabteilung  der  Kriegsinvalidenschule  in 
Lemberg.  Die  Anstalt  hat  den  Zweck,  kriegserblindeten  galizischen 
und  bukowinischen  Landesangehörigen  polnischer  und  ruthenischer 
Nationalität  Unterricht  zu  erteilen  und  sie  in  einem  Blindengewerbe 
auszubilden.  Kriegserblindete  Israeliten  sind  nach  wie  vor  im  Israe- 
litischen Blindeninstitut  in  Wien,  Hohe  Warte,  Rumänen  im  k.  k. 
Blindenerziehungsinstitut  in  Wien,  IL,  Witteisbachstraße  Nr.  5,  unter- 
zubringen. 

Die  Heeresverwaltung  trägt  die  Kosten  der  Nachbehandlung 
nur  für  die  Längstdauer  von  einem  Jahre.  Mannschaft,  die  über  ein 
Jahr  in  Sammlung  bleibt,  ist  bei  der  galizischen  Landeskommission 
zur  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger  anzumelden,  die  für  die 
Bestreitung  der   weiteren   Auslagen  Vorsorge  treffen   wird. 

Zum  Leiter  der  Anstalt  wird  der  zum  Blindenlehrer  herangebildete 
kriegsblinde  Leutnant  d.  R.  Johann   Silhan  bestimmt.  Derselbe   wird 


12.  Nummer.  Zeitschrilt  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  845 

auf  Mübilisieruiigsdauer  aktiviert  und  dem  Militärkommando  in  Lem- 
berg  für  obige  Verwenduno^  zur  Dienstleistung  zugewiesen.  Seine  im 
Reservcspital  Nr.  2  in  Wien  als  Operationsschwester  eingeteilte  PVau 
Margit  Silhan  wird  der  Blindenanstalt  zur  Betreuung  der  noch  in 
ärztlicher  Behandlung  stehenden  Kriegsblinden  ausnahmsweise  als 
Assistentin   zugewiesen. 

Dem  Leutnant  d.  R.  Silhan  ist,  als  Leiter  der  Anstalt,  in 
Bezug  auf  Unterricht  und  Ausbildung  der  Kriegsljlinden  sowie  hin- 
sichtlich der  Fürsorge  für  dieselben  volle  Freiheit  einzuräumen.  Er 
hat  auch  für  Ordnung  und  Disziplin  in  der  Anstalt  zu  sorgen.  Mit 
dem  Kuratorium  der  gaüzischen  Blindenanstalt,  der  galizischen  Landes- 
kommission  zur  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger,  der  Kriegsblinden- 
fond's  im  k.  k.  Ministerium  des  Innern  und  dem  Verein  »Kriegs- 
blindenheimstätten« in  Wien  hat  er  im  Interesse  der  Fürsorge  für 
die  Kriegsblinden  stete   Verbindung  zu  halten. 

Die  Erledigung  der  ökonomisch-administrativen  Angelegenheiten 
fällt  nicht  in  seinen  Wirkungkreis,  hierfür  hat  das  Kommando  der 
Kriegsinvalidenschule  vorzusorgen. 

Als  zweiter  Blindenlehrer  wird  der  Landsturmzugsführer  Anton 
Spicka  des  k.  k.  Landsturmbezirkskommandos  Nr.  14  in  Brunn, 
Blindenlehrer  von  Beruf,  zugeteilt. 

Das  Militärkommando  in  Lemberg  hat  vier  geprüfte  Werkmeister 
(zwei  Bürstenbinder  und  zwei  Korbflechter)  beizustellen.  Weisungen 
bezüglich  ihrer  Sprachkenntnisse  und  ihrer  Einführung  in  den  Aus- 
bildungsvorgang bei  Blinden  hat  das  Militärkommando  in  Lemberg 
im  kurzen   Wege  erhalten. 

Weiters  hat  das  Militärkommando  einen  Mann  beizustellen,  der 
den  Blinden  Musikunterricht  (auf  landesüblichen  Instrumenten) 
erteilen  kann. 

Weiters  wolle  es  dem  Kuratorium  der  galizischen  Blindenanstalt 
und  insbesondere  dessen  Präsidenten,  Herrn  Grafen  Stanislaus 
Mycielski,  für  die  dem  Kriegsblinden  durch  zwei  Jahre  gewährte 
Unterkunft  und  Ausbildung  sowie  auch  für  die  Bereitwilligkeit,  an 
der  Fürsorge  künftig  werktätig  teilnehmen  zu  wollen,  den  wärmsten 
Dank  des  Kriegsministeriums  aussprechen. 


Der  Blinde! 

Von  Heinrich  G  u  t  b  e  r  Te  t. 

Tag  für  Tag,  ein  Knäblein  dir  zu  selten 

Sah  ich  dich  durch  stille  Gassen  schreiten. 

Matt  dein  Auge,  tot  des  Lichtes   Schimmer, 

Und  die  Menschen  sehn  dich  traurig  an,  und  immer 

Flüstern  sie  :  „O  Gott,  wie  reich  wir  sind ! 

Seht,  o  seht,  der  arme  Mann  ist  blind." 

Und  du  hörst  es  und  bleibst  unverdrossen 
Auf  den  Stab,  den  stummen  Weggenossen 


Seite  846.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  12.  Nummer. 

Fest  dich  stützend,  gehst  du  ohne  Klage, 
Doch  um  deinen  Mund  spielt  eine  Frage 
Und  ein  Lächeln  weich  wie  Frühlingswind  — 
Sind  wir  wirklich  sehend,  bist  du  blind?  — 

Du  hörst  Brunnen  in  der  Tiefe  rauschen, 
Kannst  den  Tönen  fremder  Sphären  lauschen. 
Du  siehst  Sterne,  die  wir  niemals  sehen. 
Du  hörst  Worte,  die  wir  nicht  verstehen. 
Du  fühlst  Wonnen,  die  uns  ferne  sind.   — 
Du  bist  sehend,  du,  und  wir  sind  blind. 

Deine  Seele  wurzelt  nicht  im  Staube. 
Dich  erfüllt  ein  kindlich-froher  Glaube, 
Ein  unnennbar  süßes,  sel'ges  Ahnen, 
Wo  wir  tasten,  siehst  du  lichte  Bahnen. 
Dich  umfängt  ein  Friede,  leis  und  lind.  — 
Du  bist  sehend,  du,  und  wir  sind  blind. 

Du  gehst  deinen  Weg  am  sich'ren  Stabe. 
Und  wir  hasten  wild  nach  Gold  und  Habe. 
Lächelnd  senkst  du  deinen  Blick  nach  innen. 
Und  wir  jagen  mit  gepeitschten  Sinnen 
Jäh  dem  Abgrund  zu  im  Schicksalswind.  — 
Du  bist  sehend,  du,  und  wir  sind  blind. 

Du  kehrst  heim,  wenn  sich  der  Tag  gewendet, 
Wir  sind  pfadlos,  wenn  dein  Ziel  vollendet. 
Und  wir  flehen:   »Blinder,  woU'  uns  führen 
Zu  der  Wahrheit  goldnen  Himmelstüren, 
Wenn  im  Dunkel  wir  verlassen  sind!«   — 
Du  bist  sehend,  du,  und  wir  sind  blind! 

(Vom  Fels  zum  Meer). 

Personalnachrichten. 

—  Der  Leiter  des  Salzburger  »Blindenheimes«,  Herr  Ferdinand 
Geig  er,  hat  vor  der  k.  k.  Prüfungskommission  in  Linz  die  Befähi- 
gungsprüfung für  das  Blin  denlehramt  mit  Auszeichnung 
abgelegt. 

Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Sammlungen  für  Kriegsblinde.  Stand  Ende    November  1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,800.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  2,800.000  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  380.000  K. 

—  Reichspost:  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  80.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  27.800  K. 

Herausgeber:    Zeutralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     Redaktionskomitee:  K.  Biirklen, 
J.  Kneis,  A.  t.  Horrath,  F.  Uhl,  —  Druck  ron  Adolf  Engliich,  Purkergdorf  bei  Wien. 


Bücherschau. 

—  Einen  höchst  praktischen  Tas  ch  en  ka  1  ender  für  Blinde  hat  der  in 
allen  blindenkreisen  seit  langem  mit  Recht  sehr  beliebte,  und  mir  seit  vielen  Jah- 
ren als  besonders  leistungsfähig  und  rührig  bekannte  Blindendruck-Verlag  J.  W. 
Vogel,  Hamburg  33,  Hufnerstraße  122,  in  Braille-Kurzschrift  für  das  Jahr  1918  er- 
scheinen lassen,  welcher  sich  als  Weihnachtsgeschenk  vortrefflich  eignet.  Ich  ließ 
mir  ein  Exemplar  zur  Ansicht  kommen  und  habe  mich  überzeugt,  daß  dadurch 
einem  von  allen  Blinden  lange  schon  tief  empfundenes  Bedürfnis  in  der  denkbar 
praktischten  Weise  entgegenkommen  worden  ist.  Die  Anordnung  des  Kalendariums 
ist  höchst  übersichtlich,  paßt  sich  jener  der  Schwarzdruckkalender  an,  gestattet  eine 
schnelle  Orientierung;  zudem  sind  die  wichtigsten  christlichen  und  israelitischen 
Feiertage  angegeben,  ebenso  die  Mondphasen.  Da  der  der  Kalender  für  rcichs- 
deutsche  Verhältnisse  auch  einen  Hinweis  auf  des  deutschen  Kaisers  Geburtstag 
enthält,  habe  ich  bei  Herrn  Vogel  angeregt,  daß  in  den  für  Österreich  bestimmten 
Exemplaren  auch  ein  solcher  bezüglich  des  auf  den  17.  August  fallenden  Geburts- 
tages unseres  Kaisers  hinzugefügt  wird,  was  ohne  Schwierigkeit  leicht  ausführbar 
ist.  Am  Schlüsse  dieses  sehr  geschmackvoll  ausgestattt^ten  Büchleins  von  äußerst 
handlicher  Form  —  es  ist  ein  wirklicher  Taschenkalender  —  l)efindet  sich  ein  Aus- 
zug aus  dem  reichsdeutschen  Postportotarif,  der  wohl  im  Allgemeinen  für  wenige 
Wert  besitzt,  aber  gleich  zu  Beginn  dieses  Anhangs  ist  der  Blindendrucktarif  er- 
sichtlich gemacht,  den  auch  wir  Österreicher  uns  zu  Nutze  machen  können.  Die 
Ziffern  der  einzelnen  Portotarif-Ansätze  sind  für  Deutschland  und  Österreich  die 
gleichen;  man  braucht  sich  nur  anstatt  der  Pfennige  Heller  zu  denken.  Der  Preis 
des  Kalenders  beträgt  bloß  60  Pfennige,  also  ungefähr  eine  Krone. 

Hofrat  von  C  h  1  u  m  e  c  k  y. 

Briefkasten. 

—  Blindenfreundin:  Eine  Umfrage  an  die  Blindenanstalten  bezüglich 
der  Wiederaufnahme  des  während  des  Kiieges  unterbrochenen  Unterrichtes,  Zahl 
der  Kinder,  welche  keinen  Unterricht  genießen  usw.  wird  wohl  besser  nach  dem 
Kriegsende  zu  verschieben  sein.  Soviel  uns  bekannt  ist,  haben  folgende  Anstalten 
Isr.  Institut  in  Wien,  Landesanstalt  in  Purker^-dorf,  Odilienanstalt  in  Graz,  Privat 
Blindeninstitut  in  Linz,  Blindeninstitut  in  Innsbruck  und  die  Blindenschule  in  Aus- 
sig ihren  Unterricht  während  der  Kriegszeit  überhaupt  nicht  unterbrochen  und  auch 
nicht  wesentlich  beschränkt.  Von  jenen  Anstalten,  die  den  Unterricht  und  die  Neu- 
aufnahme von  Kindt-rn  zu  Beginn  des  Krieges  einstellten,  .sind  einzelne  noch  nicht 
im  Betriebe,  so  Czernowitz,  Lemberg,  Brunn  und  Klagenfurt.  Das  k.  k.  Blinden- 
institut in  Wien  hat  den  Unterricht  in  stark  beschränktem  Umfange  (mit  3  Klassen) 
wieder  aufgenommen. 

—  Mehrere  Kriegsblinde:  Die  für  Kriegsblinde  gesammelten  Gelder 
sollen  an  den  Kriegsblindenfonds  im  Ministerium  des  Innern  und  das  Kriegsfürsorge- 
amt abgeführt  werden.  Der  Kriegsblindenfonds  weist  die  Verwendung  der  Gelder 
aus.  Ebenso  der  Verein  »Kriegsblindenheimstätten.«  Wie  das  Kriegsfürsorgeamt 
die  Spenden  ihrem  Zwecke  zuführt,  ist  uns  unbekannt.  Die  Hötzendorfstiftung  für 
Kriegsblinde  besitzt  wohl  eigene  Satzungen.  Ob  Beträge  hieraus  bereits  zur  Ver- 
wendung kamen,  ist  uns  ebenfalls  unbekannt. 

—  An  unsere  Mitarbeiter:  Es  wird  um  Entschuldigung  gebeten,  daß 
aus  Raummangel  mehrere  Beiträge  für  die  ersten  Nummern  des  nächsten  Jahrgan- 
ges zurückweisen  mußten. 

Zu  unserer  Beilage. 

Der  heutigen  Nummer  liegt  ein  Heftchen:  Vorlagen  für  das 
Bauen  mit  Zündholzschachteln  von  Fr.  Demal  bei,  das  wir 
unseren  geehrten  Abnehmern  als  unentgeltliche  VVeihnachtsgabe  wid- 
men. Es  wird  gewiß  bei  jedem  wahren  Kinderfreunde  Anklang  finden. 
Die  1.  Auflage  dieses  Heftchens  mußte  der  Kriegsverhältnisse  wegen 
möglichst  schwach  gehalten  werden  und  ist  bereits  vergriffen.  Ob  eine 
zweite  überhaupt  folgt  und  wo  und  zu  welchem  Preise  dann  das 
Vorlagenheft  zu  beziehen  ist,  wird  in  unserer  nächsten  Nummer  be- 
kannt gegeben   werden. 


Bürklen  Karl :  Das  Tastlesen  der  Blindenpunktschrift. 

Nebst  Beiträgen  zur  Blindenpsychologie  von  P.  Grasemann- 
Hamburg,  L.   Cohn-Breslau,  W.  Steinberg.   VII,  93   Seiten 
mit  6  Abbildungen  im  Text   und  6  Tafeln, 

Leipzig,  Barth,  1917 M  5. — 

(Beiheft  16  zur  »Zeitschrift  für  angewandte  Psychologie«  heraus- 
gegeben von  L.   William   Stern  und  Otto  Lipmann). 
Inhalt:    Das  Tastlesen  der  Blindenpunktschrift  nac±i  besonderen  Versuchen 
zu  dessen  Erforschung  von  K.  Bürklen.     Eine  Untersuchung    über   das 
Lesen  der  Blinden  von  P.  Grasemann.  —  Beiträge  zur  Blindenpsycho- 
logie von  L.  Cohn.  —  Der  Bünde  als  Persönlichkeit  von  W.  Steinberg. 


^syl  für  blinde  Kinder 


Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im  vorschulpfhchtigen  Aher  aus  allen  österreichi- 
schen Kronländern  auf.  Nähere  Ausktinfte  durch  die  Leitung. 


Die  „Zentpalbibliotheli  \w  Bünde  in  Östeppeich", 

Wien  XVIII,  Währinger  Gürtel  136 

verleiht  ihie  Bücher  kostenlos  an  alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

\Vien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  Unterstützung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  liir  Blinde.  Erhaltung 
per  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


Der  blinde  Modelleur  • 


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empfiehlt  seine  zu  Geschenken  sich 
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Telephon  Nr.  23407. 

Alle  Gattungen  Bürstenbinder-  u.  Korbflechterwaren. 
Verkaufsstelle:    Wien  VII.,  Neubau^asse  75. 


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des  Blinden-Unterstützungsvereines 
>Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V., 
:  — :  Nikolsdorfergasse  Nr.  42.  :  — : 


<z» 


Blindendrucknoten    werden    an      J^W 
Blinde  unentgeltlich  verliehen  !      läJt 


von   Oskar  Picht. 
Bromberg. 


□ 


□ 


Faserstoff-Zurichterei  Bergedorf 

Bergedorf  bei  Hamburg. 

Mustergültige  Bearbeitung  von  Fiber  undPiassava 
aller  Arten. 


□ 


D 


Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreiciiische  Blinden- 
—  wesen"  für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


D 

n 
n 
n 

D 
B 


Schriftleitung 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Nr.132.257 


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Das  Blatt  ersdieint 
monatlidi  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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Bezugspreis 
ganzjährig  mit 
Postzustellung 

4  Kronen, 
Einzelnummer 

40  Heller. 


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5.  Jahrgang. 


Wien,  Jänner  1918. 


1.  Nummer. 


INHALT:  Der  Einband  des  Blindenbuches.  Zurück  ins  Leben.  (Hans  Schmalfuß). 
Die  Versorgung  der  Später-Erblindeten.  Ministerium  für  Volksgesundheit. 
J.  Moos:  Die  Blindenschule.  Personalnachrichten,  ftus  den  Anstalten.  Rus 
den  Vereinen.  Für  unsere  Kriegsblinden.  Bücherschau,  (flites  und  Neues. 
Ankündigungen). 


=111 


3  Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Blindenv/esen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIII, 
3  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K. 


D 


Altes  und   Neues. 

Wie    die  Simulation    von  Blindheit    festgestellt  wird. 

Läßt  sich  Blindheit  nachweisen  ?  —  Diese  Frage  gehört  zu  den 
heikelsten,  die  den  Ärzten  für  die  Abgabe  von  Gutachten  überhaupt 
vorgelegt  werden,  denn  es  gibt  Simulanten,  die  selbst  dieses  Gebrechen 
vortäuschen  und  ihre  Rolle  oft  so  geschickt  durchführen  daß  der  Arzt 
den  Betrug  nur  mit  viel  Scharfsinn  und  großer  Geduld  nachweisen 
kann.  Die  Simulation  beiderseitiger  Blindheit  kommt  selten  vor.  Nur 
Menschen  mit  großer  Willenskraft  werden  sie  unter  Beobachtung  eine 
Zeitlang  vortäuschen  können.  Um  solche  Simulanten  zu  entlarven, 
gibt  es  mehrere  Mittel.  Das  einfachste  ist  wohl  das,  daß  man  dem 
angeblich  beiderseits  Blinden  mit  einem  spitzen  Gegenstand  auf  die 
Augen  zufährt;  fährt  er  zusammen,  ist  er  entlarvt.  Das  Gegenteil 
jedoch  beweist  nichts,  denn  mit  großer  Willenskraft  läßt  sich  das 
Ruhigbleiben  bewerkstelligen.  Man  kann  den  angeblich  Blinden  auch 
an  eine  Treppe  führen  und  zum  Weitergehen  veranlassen,  allein 
ganz  gewitzigte  Simulanten  werden  sich  in  solchen  oder  noch  unan- 
genehmeren Lagen  ruhig  fallen  lassen;  so  fiel  ein  angeblich  Blinder, 
den  man  ans  Wasser  geführt  hatte,  einfach  hinein,  weil  er  ganz  in 
der  Nähe  einen   Rettnngskahn  gesehen  hatte  ! 

Literarisch  verarbeitet  findet  sich  in  P.  Mille's  Novelle: 
»Der  Blinde«  folgender  Fall:  Ein  Anarchist  simuliert  Blindheit,  um 
dem  Militärdienste  zu  entgehen.  Er  tut  dies  in  ungeschickter  aber 
umso  hartnäckigerer  Weise.  Die  gewöhnlichen  Mittel  zu  seiner  Über- 
führung versagen.  Man  stellt  ihn  daher  auf  einen  schmalen  Fußpfad, 
der  in  einen  abgrundtiefen  Wallgraben  endet  und  befiehlt  ihm,  vor- 
wärts zu  marschieren.  Er  verschwand  in  dem  Abgrunde,  ohne  auch 
nur  einen  Schrei  ausgestoßen  zu  haben.  Aber  das  Netz,  das  man 
unterhalb  des  Abgrundes  aufgespannt  •  hatte,  war  fest  genug,  den 
Simulanten  autzuhalten.  Seine  Hartnäckigkeit  erreichte  es,  als  »blind« 
entlassen  zu   werden. 

Ein  geschickter  Arzt  machte  einen  angeblich  Blinden  im  Hand- 
umdrehen dadurch  sehend,  daß  er  ihn  zu  einer  Augenoperation  auf 
den  Tisch  legen  ließ.  Nicht  gar  so  selten  kommt  Simulation  einseitiger 
Blindheit  vor;  die  Verfahren  zur  Entlarvung  laufen  fast  alle  darauf  hinaus, 
daß  man  dem  Simulanten  etwaszum  Lesen  oder  Betrachten  so  vorlegt,  daß 
er  nicht  weiß,  mit  welchem  Auge  er  sieht;  entlarvt  ist  er  natürlich, 
sobald  er  mit  dem  angeblich  blinden  Auge  doch  sehen  kann.  Recht 
geistreich  sind  die  ärztlichen  Verfahren,  bei  denen  man  den  Simulanten 
durch  verschiedenfarbige  Gläser  sehen  läßt.  Beispielsweise  kann  er 
durch  rotes  Glas  rote  Buchstaben  auf  weißem  Grunde  nicht  erkennen, 
während  sie  durch  grünes  Glas  schwarz  erscheinen,  v.  Haselberg,  der 
diese  Entlarvungsart  ausgebildet  hat,  hat  auf  Tafeln  Buchstaben  und 
Ziffern  drucken  lassen,  deren  eine  Hälfte  rot,  deren  andere  schwarz 
gedruckt  ist.  Hall  man  nun  dem  Verdächtigen  vor  das  angeblich 
blinde  Auge  ein  blaugrünes,  vor  das  rechte  ein  rotes  Glas,  so  wird 
er  statt  einer  zweifarbig  gedruckten  Acht  eine  Drei  lesen,  wenn  das 
Auge  wirklich  blind  ist,  da  das  rote  Glas  des  anderen  Auges  die 
linke  Hälfte  auslöscht.  Sieht  er  dagegen  mit  beiden  Augen,  so  liest 
er  die   ganzen   Buchstaben   und   ist  also   entlarvt. 


5.  Jahrgang.  Wien,  Jänner  1918.  1.  Nummer. 


I  »O  trauert  nicht,  { 

^  Daß  ich  dem  Licht  erstarb;  ^ 

^  Ihr  wißt  nur,  was  ich  verloren,  ^ 

^  Ihr  wißt  nicht,  was  ich  erwarb.«  ^ 

^  A.  V.  Chamisso.  (Der  Blinde).  ^ 


Der  Einband  des  Blindenbuches. 

Der  Einband  von  Blindendruckwerken  soll  diese  gegen  Verlet- 
zungen (Verbiegen  und  Verdrücken  der  Blätter)  möglichst  schützen. 
Mit  Rücksicht  auf  die  Größe  und  die  mit  einer  gegen  Druck  empfind- 
lichen Reliefschrilt  versehenen  Blätter  werden  an  den  Einband  besondere 
Anforderungen  gestellt.  Mit  größter  Haltbarkeit  soll  er  möglichste 
Billigkeit  verbinden,  um  die  ohnedies  kostspieligen  Blindendruckwerke 
nicht  ins  Unerschwingliche  zu  verteuern. 

Die  bisher  übliche  Art,  Blindendrucke  zu  binden,  entwickelte  sich 
in  Anlehnung  an  die  für  Schwarzschrift  geübte  Buchbinderei.  Dünnere 
Hefte  werden  in  der  ganz  gleichen  Art  mit  Hanfzwirn  oder  in  neuerer 
Zeit  auch  mit  Drahtklammern  geheftet.  Bei  dickeren  Büchern  mußte 
man  von  diesem  Verfahren  wohl  abweichen.  Der  für  die  Reliefpunkte 
zwischen  den  einzelnen  Blättern  notwendige  Raum  verlangte  im  Rücken 
das  Einlegen  von  Papierstreifen,  eine  umständliche  und  wenig  prakti- 
sche Arbeit.  Gegenwärtig  macht  man  diese  Streifeneinlagen  überflüssig, 
indem  man  den  gegen  den  Rücken  stehenden  Rand  der  einzelnen 
Lagen  in  1  bis  2  cm  Breite  umbricht  und  so  die  nötigen  Zwischen- 
lagen schafft.  Nun  spielt  sich  das  Einbinden  des  Blindendruckes  so  wie 
bei  Schwarzdruckbüchern  ab.  Die  Lagen  werden  in  der  Heftlade  mittelst 
Hanfzwirn  auf  Bänder  oder  einen  Leinenstreifen  geheftet  wobei 
auf  eine  möglichst  gleichmäßige  Lage  der  Blätter  zu  sehen  ist,  da  das 
Blindenbuch    seiner  ReUefschrift    wegen    nicht    gepreßt  und  beschnitten 


Seite  852. 


Zeitschritt  für  das  österreichische  Blindenwesen. 


1.   Nummer. 


werden  kann.  Auch  beim  Runden  und  Leimen  des  Rückens  kann 
das  Buch  nicht  eingespannt  werden,  so  daß  hiebei  besondere  Vorsicht 
notwendig  ist,  damit  nicht  der  Leim  zwischen  die  Lagen  einfließt.  Das 
Versehen  des  Buches  mit  Deckel  und  Leinwandrücken  erfordert  eben- 
falls besondere  Aufmerksamkeit.  Nach  dem  Aufleimen  von  Rücken  und 
Ecken,  dem  Kaschieren  des  Überzug-  und  Vorsatzpapieres  mit  Kleister 
müssen  die  Deckel  einzeln  zwischen  Eisenplatten  gepreßt  werden,  da- 
mit sich  dieselben  nicht  verziehen. 

Am  wenigsten  verständlich  an  dieser  Art  des  Einbindens  sind  die 
letztgenannten  Arbeiten.  Gewiß  verlangt  ein  entsprechend  starkes  Blin- 
denbuch  feste  Deckel  mit  Leinwandrücken  und  Leinwandecken ;  bei 
entsprechender  Auswahl  des  Deckels  erscheinen  jedoch  Überzug-  und 
Vorsatzpapier  sowie  die  daran  sich  knüpfenden  Arbeiten  vollkommen 
überflüssig.  Da  die  Farbe  des  Überzugpapieres  für  den  blinden  Leser 
nicht  inbetracht  kommt  und  das  Vorsatzpapier  viel  besser  durch  einen 
Leinwandstreifen  zwischen  Deckel  und  dem  ersten  bezw.  letzten  Blatte 
ersetzt  werden  kann,  liegt  hier  wohl  nur  ein  übernommener  Brauch  vor, 
der  den  Blinden  nichts  zu  bieten  vermag,  den  Einband  jedoch  unnötig 
verteuert. 

Auch  in  anderer  Hinsicht  findet  sich  beim  Einband  des  Blinden- 
buches  ein  unpraktischer  Konservatismus  vor.  Dasselbe  soll  nämlich 
den  bestehenden  Anschauungen  nach  möglichst  mit  Hanfzwirn  und  nicht 
mit  Draht  geheftet  sein,  da  diese  Klamm srn  Verletzungen  der  Hände 
des  blinden  Lesers  mit  sich  bringen  können.  Dabei  wird  übersehen, 
daß  bei  entsprechender  Stellung  dieser  Klammern  eine  solche  Gefahr 
gänzlich  ausgeschlossen  werden  kann.  In  den  letzten  Jahren  erscheinen 
auch  die  Drahtklammern  sowohl  bei  Heften  als  auch  Einbänden  von 
Blindenbüchern,  ohne  daß  die  befürchtete  Gefahr  eintritt  oder  auch  nur 
erwähnt  wird. 

Es  tritt  also  die  Frage  nach  dem  einfachsten,  billigsten  und  dabei 
zweckentsprechendsten  Emband  der  Blindendrucke  auf  Dabei  ist 
zwischen  dem  Heften  dünnerer  und  dem  Embinden  dickerer  Werke  zu 
unterscheiden. 

Die  einfachste  und  beste  Art  des  Hefte ns  ist  die  mit- 
telst Drahtklammern.  Bis  zu  10  Bogen  und  darüber  geben  Hefte 
von  verschiedener  Stärke,  die  auch  mit  einem  mehr  oder  minder  starken 
Umschlagpapier  versehen  wer- 
den können.  Die  Stärke  der 
Drahtklammern  hängt  wieder 
von  der  Stärke  des  Heftes  ab. 
Zum  Heften  mit  Drahtklammern 
sind  besondere  Heftmaschinen 
mit  Hand-  oder  Fußbetrieb  not- 
wendig, deren  Anschaffungs- 
preis ein  verhältnismäßig  gerin- 
ger ist.  Das  Heften  geschieht 
am  besten  an  zwei  Stellen,  die 
der  Länge  des  Rückens  ent- 
sprechend zu  verteilen  sind 
(Siehe  Abb.  1).  Mitunter  genügt 


Abb.  1.  Heft,  aus  einzelnen 
Blättern  bestehend. 


1.  Nummer. 


Zeitschrift  Ulf  «las  österreichische  Blindenwesen. 


Seite  853. 


auch  nur  eine  Klammer,  bei  gtößeief  Länge  des  Rückens  werden  viel- 
leiclit  drei  oder  vier  Klammern  notwendig.  Müssen  einzelne  Blätter 
geheftet  werden,  so  gesclüeht  dies  an  den  übereinander  gelegten  Blät- 
tern bis  zu  1  cm  vom  Rand  entfernt  (Abb.  1)  Bei  derartig  zusammen- 
gefügten Heften  müssen 
die  Blätter  beim  Umlegen 
niedergedrückt  werden,  da 
das  Heft  sich  nicht  von 
selbst  auflegt.  Besteht  da- 
her das  Heft  aus  inein- 
ander gelegten  Bogen,  so 
sind  die  Klammern  unbe- 
dingt in  der  Mitte  des 
aufgeschlagenen  Buches 
aufzusetzen.  Dabei  ist  zu 
beachten,  daß  die  Enden 
der  Klammern  fest  nieder- 
gedrückt werden,  damit 
Abb.  2.  Heft,  aus  Bo^en  bestehend.  Fingerverletzungen     ver- 

mieden werden.  Solche  sind  ausgeschlossen,  wenn  die  Enden  am  Rücken 
zu  stehen  kommen  und  der  Rücken  zu  größerem  Halt  und  zum  Finger- 
schutz mit  einem  schmalen  Leinwandstreifen  überklebt  wird.  (Abb.  3). 
Eine  wesentliche  Vereinfachung  und  Verbilli  gütig 
des  Einbandes  stärkerer  Bücher  liegt  gegenüber  dem  bis- 
her üblichem  Brauch  in  nachstehend  ausgeführtem  Ver- 
fahren. Auch  hier  kommt  das  Heften  mit  Drahtkiammern  in  Ver- 
wendung und  zwar  werden  die  aus  ineinandergelegten  Bogen  gebildeten 
Lagen  auf  einen  steifen  Pappendeckelrücken  geheftet.  Man  könnte 
hiefür  auch  Hettbänder  oder  einen  Leinwandrücken  nehmen,  doch  bietet 
gerade  der  Pappendeckelrücken  den  Vorteil,  daß  er  jedem  Druck 
widersteht,  dem  Buche  also  wenigstens  im  Rücken   festen   Halt  gibt. 

Die  einzelnen  Lagen  können  aus  3 — 5  Bogen  (6—10  Blättern) 
bestehen.  Bestehen  die  Lagen  aus  ineinander  gelegten  Bogen,  so  ist 
ein  Umbrechen  des  gegen  den 
Rücken  stehenden  Randes  nicht 
notwendig.  Dies  erweist  sich  viel- 
mehr erst  dann  erforderlich,  wenn 
die  Lage  aus  einzelnen  Blättern 
besteht.  In  diesem  Falle  darf  die 
Zahl  der  Blätter  für  eine  einzelne 
Lage  nicht  zu  groß  sein  (4 — 6 
Blätter). 

Bei  dem  Aufheften  der  ein- 
zelnen Lagen,  bei  denen  wieder 
die  Enden  der  Klammern  nicht 
im  Bug  der  Hefte  sondern  nach 
rückwärts    zu    kommen    haben,    ist 


Abb.  3.  Heft,  mit  Deckeln  und  Rücken 
versehen. 


der  Höhe  der  Punktschriftzeichen 
wegen  eine  entsprechende  Entfernung  einzuhalten,  die  sich  nach  der 
Stätke  der  Lagen  zu  richten  hat.  Jedem  Bogen  ist  1  Vj  mm  Raum 
in  der  Breite  zu  gewähren.  Heftet  man  also  Lagen  von  4,  bezw.  6  Bogen, 


Seit«  854. 


Zeitschrift  für  das  östereichische  Blindenwesen. 


1.  Nummer. 


SO  sind  die  Lagen  in  6,  bezw.  9  mm  Entfernung  voneinander  zu  heften. 
(Abb.  4). 

Der    Rücken,     auf    den    die    Lagen    in    entsprechendem    Abstände 
aufgeheftet     werden,     ist     mit    dem    Buchdeckel    verbun  den,     er    bildet 

den  mittleren  Teil 
desselben.  Als  Buch- 
deckel ist  ein  mög- 
lichst zäher  und  fe- 
ster Pappendeckel  zu 
wählen,  dessen  Stär- 
ke sich  nach  der 
Dicke  des  Buches 
richtet.  Da  Über- 
zugs- und  Vorsatz- 
papier wegfallen,  ist 
die  Farbe  möglichst 
dunkel  zu  wählen, 
denn  lichte  Deckel 
schmutzen  zu  leicht. 
Vor  dem  Einheften 
der    Lagen    ist    der 


Abb.  4.  Buch,  auf  Deckel  geheftet. 


Deckel  in  entsprechender  Größe  zu  schneiden.  Die  Abmessungen  des 
Rückens  richten  sich  nach  der  Zahl  der  Lagen;  die  der  anschließenden 
Deckel  sind  mit  1  cm  Vorstoß  über  die  Blattgröße  anzunehmen.  Der 
Deckel  bildet  also  ein  großes  Stück,  in  dessen  Mitte  der  Rücken  ange- 
zeichnet wird.  (Abb.  4).  Damit  die  Deckel  sich  rechtwinklig  umlegen, 
ist  der  Deckel  an  den  Rückenlinien  bis  zur  halben  Stärke  ein- 
zuritzen. 

Nach  dieser  Vorrichtung  des  Deckels  kann  sofort  an  das  Ein- 
heften der  Lage  an  einer  kräftigen  Heftmaschine  geschiitten  werden, 
wobei  die  Entfernungen  der  einzelnen  Lagen  von  einander  ebenfalls 
vorher  angezeichnet  werden  können.  Nun  erfolgt  noch  die  Ausfertigung 
mit  Rücken  und  Ecken.  Um  zu  verhüten,  daß  die  zur  Hälfte  eingeritzten 
Deckel  sich  mit  der  Zeit 
vom  Rücken  ablösen,  klebt 
man  innen  einen  lichteren 
Leinwandstreifen  zwischen 
Deckel  und  dem  ersten 
bezw.  letzten  Blatt.  Für 
Rücken  und  Ecken  ist  eine 
stärkere  Leinwand  zu  wäh- . 
len,  deren  Farbe  sich  der 
Deckelfarbe  anpaßt,  vor  allem  ^ 

aber  nicht  zu  licht  ist.  Ist 
die  Rückenleinwand  3  cm 
nach   allen  Seiten  größer  als  Abb.  5.  Fertig  frebundenes  Blindenbuch. 

der  Rücken  selbst  geschnitten,  so  wird  sie  mit  Leim  bestrichen,  der 
Rücken  aufgestellt,  die  Leinwand  an  Rücken  und  Deckeln  festgestrichen 
und  die  oben  und  unten  vorstehenden  Teile  nach  innen  eingeschlagen. 
Noch   leichter   können  die  Leinwandecken  befestigt  werden,  die  wegen 


1.  Nummer.  Zeitschiill  tiir  das  österreichische  Bliiidcnwcsen.  Seite  855. 

Beschädigung  der  Ecken  des  Deckels  unerläßlich  erscheinen.  Bei  diesen 
Arbeiten  ist  darauf  zu  achten,  daß  nicht  durch  herausfließenden  Leim 
die  Deckel  beschmutzt  werden. 

Damit  ist  der  Bucheinband  fertig.  Ein  Pressen  der  Deckel  ist  über- 
flüssig, da  die  Gefahr  des  Verziehens  nicht  besteht.  Auf  dem  Rücken 
des  Buches  kann  Verfasser  und  Verfasser  sowohl  in  Punkt-  als  in 
Schwarzschrift  angebracht  werden.  Bei  der  Steifheit  des  Deckels  ist  ein 
Ablösen  dieser  Zettel  nicht  zu  befürchten. 

Ein  derartiger  Bucheinband  entspricht  vollkommen  allen  Anfor- 
derungen. Die  Arbeiten  dabei  sind  höchst  einfach  und  auf  wenige 
Handgriffe  beschränkt,  so  daß  bei  der  nötigen  Ausstattung  an  Werk- 
zeugen und  Maschinen  das  Buchbinden,  für  jeden  Fall  aber  das  Heften 
von  Blindenschriften,  durch  Blinde  selbst  vorgenommen  werden  kann, 
was  bis  jetzt  leider  nicht  durchgesetzt  werden  konnte. 


Zurück  ins  Leben. 

Von  einem   Kriegsblinden. 

An  einem  trüben  Vormittag  des  Monats  März  1915  machte  sich 
die  Kompanie  fertig  zum  Sturme,  um  ein  Grabenstück  den  Franzosen 
wieder  zu  entreißen.  Nichts  rührte  sich  auf  der  Gegenseite  und 
sprungweise  gewannen  wir  Boden.  Schon  waren  wir  dem  feiulichen 
Graben  näher  gekommen,  da  empfängt  uns  ein  rasendes  Kleingewehr- 
feuer, das  jedes  Vorwärtsdringen  unmöglich  macht.  Es  wird  nach- 
mittags und  noch  ist  unser  Ziel  nicht  erreicht.  Aber  die  Zahl  der 
Angreifer  ist  so  zusammengeschmolzen,  daß  es  an  der  gleichen  Stelle 
aushalten  heif3t,  um  sich  bei  Nacht  zurückziehen  zu  können.  Die 
Granaten  fahren  fort,  ihre  unheimliche  Melodie  zu  summen,  da  und 
dort  reißt  eine  krachend  den  Leib  der  Erde  auf.  Jetzt.  —  es  ist 
nachmittags  etwa  5  Uhr  —  platzt  vor  mir  eine,  dann  noch  eine 
Handgranate,  die  mich  an  Arm  und  Bein  verletzt.  Zugleich  aber 
schwindet  alles  um  mich  in  tiefe  Finsternis,  und  warm  rieselt  es  mir 
über  das  Gesicht.  Die  getroffenen  Kameraden  neben  mir  röcheln 
schwer.  Notdürftig  suche  ich  mir  den  Kopf  zu  verbinden;  aber  das 
erste  Verbandpäckchen  entfällt  meinen  Händen  und  die  tastenden 
Finger  drücken  es  tief  in  den  lehmigen  Boden,  sodaß  es  nicht  mehr 
verwendet  werden  kann.  Das  zweite  Päckchen  reicht  zu  einem  mehr- 
maligen Herumschlingen  um  den  Kopf  über  die  Augen  .  .  .  Die  mit 
Sehnsucht  erwarteten  Krankenträger  kommen  nicht,  die  Nacht  läßt 
jedoch  etwss  Ruhe  in  dem  Kampf  eintreten.  Sie  scheint  kein  Ende 
nehmen  zu  wollen.  Endlich  verfalle  ich  in  einen  leichten  Schlummer 
—  oder  ist  es  Bewußtlosigkeit?  — ,  aus  dem  mich  das  Röcheln  der 
Kameraden  neben  mir  weckt.  Nach  seiner  Angabc  graut  jetzt  der 
Morgen.  Wir  versuchen  zusammen  zurückzukriechen,  aber  es  mir  un- 
möglich, ihn  von  der  Stelle  zu  bewegen.  Die  Richtung  aus  der  wir 
anstürmten,  weiß  ich  noch  ungefähr  - —  so  werde  ich  also  allein  ver- 
suchen Hilfe  zu  holen.  Von  den  feindiichen  Granaten  umschwirrt, 
krieche  ich,  Schritt  für  Schritt,  Meter  für  Meter  für  Meter,  durch 
einen  zusammengeschossenen  Wald,  lasse   mich   über  gestürzte  Baum- 


Seite  856.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Bhndcnwesen.  1.  Nummer. 

Stämme  gleiten,  bleibe  immer  wieder  mit  meinem  Verband  im  Ge- 
strüpp hängen  —  weiter  nur  immer  weiter,  der  helfenden  Hand  ent- 
gegen. 

Ich  hörte  rechts  von  mir  Stimmen,  Gott  sei  Dank,  die  Rettung! 
Frischen  Mutes  geht  es  jetzt  vorwärts  und  bald  heben  mich  ein,  zwei 
Paar  hilfsbereite  Arme  in  einem  Graben:  —  »prisonnier«  höre  ich  .  .  . 
Ich  war  den  Franzosen   in   die   Hände  geraten. 

Trotz  all  meiner  Bitten  und  Bemühungen  mußte  ich  noch  ein- 
einhalb Tage  im  feindlichen  Graben  im  Granatfeuer  der  Un- 
seren aushalten,  dann  wurde  ich  in  einem  Barackenlazarett  in  Toul 
nach  Tagen  operiert.  Und  auf  alles  Fragen  und  Drängen  wurde  mir 
während  meiner  Gefangenschaft  immer  wieder  die  Auskunft  zu  teil  : 
das  eine  Auge  sei  vollständig  verloren,  auf  dem  anderen  aber  werde 
ich  in  drei  bis  vier  Monaten  wieder  sehen.  Langsam  erholte  sich  der 
Körper,  und  ich  freute  mich  wie  ein  Kind  auf  den  Augenblick,  der 
die  entsetzliche  Finsternis  beenden,  mir  das  Licht  der  Sonne  wieder- 
geben sollte.  Als  ich  erfuhr,  ich  solle  ausgetauscht  werden,  dämmerte 
mir  etwas  Furchtbares:  Sollte  man  dich  gar  nimmer  zum  Kriegshand- 
werk brauchen  können?  Solltest  du  dauernd  blind  bleiben?  —  Im 
Lazarett  in  Lyon  vergingen  noch  zwei  entsetzliche  Monate  voller 
Zw^eifel,  Hangen  und  Bangen  mit  dem  Verdammtsein  zur  Untätigkeit 
ohne  jede  Bewegung  in  frischer  Luft:  es  war  zum  Wahnsinnigwerden. 
Der  heißersehnte  Austausch  kam  endlich  zustande  und  am  11.  Juli  1915 
waren  wir  wieder  unter  Landsleuten  in  Konstanz.  Welch  ein  Gefülil 
wieder  in  der  Heimat  zu  sein!  In  den  nächsten  Tagen  in  Karlsruhe 
wurde  mir  endlich  die  Gewißheit  über  mein  Geschick  die,  wenn  auch 
noch  so  furchtbar,  mir  doch  willkommener  war,  als  der  bisherige 
Zustand  der  Zweifel.  Beide  Augen  waren  mir  herausgenommen. 
—  »In  drei  bis  vier  Jahren  werden  Sie  so  weit  sein,  daß  Ihnen  das 
Leben  wieder  lebenswert  und  schön  erscheint«,  suchte  mich  der 
Arzt  zu  trösten.  So  lange  aber  sollte  es,  Gott  sei  Dank,  nicht 
dauern. 

Nach  den  ersten  Tagen  des  Zerschmettertseins  bereits  suchte  ich 
aus  dem  mir  Gebliebenen  mein  Leben  wieder  aufzubauen.  Ich  erforschte 
und  erwog  alle  Möglichkeiten,  um  der  Untätigkeit  zu  entrinnen  und 
vorwärts  zu  kommen.  Im  Lazarett  in  Nürnberg  begann  die  Arbeit 
zur  Wiedererlangung  der  Selbständigkeit.  Zuerst  galt  es,  die  Scheu 
vor  den  Menschen  zu  überwinden  und  zu  lernen,  sich  wieder  frei 
unter  ihnen  zu  bewegen,  dann  versuchte  ich,  mich  in  den  Bedürfnissen 
des  täglichen  Lebens  der  Abhängigkeit  zu  entledigen,  zog  mich  wieder 
allein  an,  wusch  und  kämmte  mich  selbst.  Um  die  Verbindung  mit 
der  Geisteswelt  nicht  zu  verlieren,  lag  mir  die  Erlernung  des  Lesens 
und  des  Schreibens  der  Punktschrift  sehr  am  Herzen  und  wie  glück- 
lich fühlte  ich  mich  schon  bei  den  ersten  Fortschritten  !  Bereits  nach 
einigen  Wochen  las  ich  mit  dem  Finger,  wenn  auch  noch  stockend, 
doch  mit  vielem  Vergnügen:  »Die  Pfingstnacht«  von  Rosegger.  Um 
auch  in  der  Musik  wieder  Zerstreuung  zu  finden,  machte  ich  mich 
nach  sechs  Wochen  Vollschriftstudien  an  die  etwas  umständliche 
Notenpunktschrift  und  nach  weiteren  zwei  Monaten  an  die  Kurzschrift. 
Das  Schreiben  auf    der  Punktschriftmaschine    enthob    mich    bald  des 


1.   Nuniinei.  Zeitschrift   für  das  östnreicliisrlic    HliiKlttiutsci».  -Seite  857 . 

langsamen  Schreibens  mit  Tafel  und  Stilt,  Und  heute  könnte  ich 
die  Punktschrift  nicht  mehr  missen,  ersetzt  sie  mir  doch  zum  großen 
Teil  die  Flachschrift  der  Sehenden.  Mit  dem  Maschinenschreiben  war 
ich  bereits  früher  vertraut  gewesen,  und  so  ging  sofort  mein  Bestre- 
ben dahin,  mir  sowohl  in  Bezug  auf  Sicherheit  als  auf  Schnelligkeit 
wieder  die  alte  Gewandtheit  auf  der  Schreibmaschine  der  Sehenden 
zurückzuerobern.  Freilich  lernte  ich  jetzt  mein  Finger  besser  ausnützen: 
statt  mit  zwei,  schreibe  ich  jetzt  mit  zehn  Fingern.  Die  Handhabung 
der  Rechentafel  und  des  Reißbrettes  für  Blinde,  sowie  die  Benützung 
der  Reliefkarte  überzeugten  mich  von  den  Fortschritten  des  Blinden- 
bildungswesens.    Nebenbei   nahm   ich  auch   die    ersten   Klavierstunden. 

Nach  sechsmonatlicher  Ausbildung  drängte  es  mich,  mein  früheres 
Wissen  und  die  mir  verbliebene  Arbeitskraft  wieder  in  einem  Beruf 
zu  verwerten  :  Glücklicherweise  ward  es  mir  vergönnt,  wieder  meine 
frühere  Tätigkeit  aufzunehmen.  Ich  hatte  bei  Ausbruch  des  Krieges 
die  Prüfung  für  den  mittleren  Verwaltungsdienst  bestanden  und  dank 
dem  Entgegenkommen  meiner  Heimatbehörde  ging  es  gleich  nach 
meiner  Heimkehr  wieder  ans  Einarbeiten  in  das  Amt,  das  ich  als 
Sehender  bekleidet  hatte. 

Ich  nehme  jetzt  beim  Versicherungsamt  wieder  die  Protokolle 
auf  und  entwerfe  wie  früher  die  einschlägigen  Verfügungen.  Wo  ich 
mit  der  Schreibmaschine  nicht  mehr  zurechtkommen  kann,  wie  beim 
Ausfüllen  von  Formularen,  erfolgt  dasselbe  nach  meiner  Angabe 
durch  eine  sehende  Hilfe.  Diese  schlägt  inir  die  Gesetzesbestimmun- 
gen und  Kommentare  nach  meinen  Anweisungen  auf  und  leistet  mir 
auch  sonst  die  kleinen  Dienste,  ohne  die  ein  Nichtsehender  beim 
besten  Willen  nun  einmal  nicht  auszukommen  vermag,  z.  B.  wenn 
ich  den  Faden  beim  Maschinenschreiben  verliere  u.  dgl.  Besonderes 
Gewicht  lege  ich  gleich  von  Anfang  an  auf  den  Umgang  mit  den 
beim  Amt  vorsprechenden  Personen.  In  der  mündlichen  Auskunfts- 
erteilung und  Aufklärung  bin  ich  durch  nichts  behindert,  und  so 
gewährt  mir  die  Arbeit  beim  Vollzug  der  sozialen  Gesetzgebung  die 
gleiche  Befriedigung  wie  als  Sehendem.  Erfolge  meines  redlichen 
Bemühens  bleiben  auch  nicht  aus  und  verursachen  mir  jetzt  noch 
größere  Freude  als  früher.  Die  Arbeit  läßt  mich  oft  meinen  Zustand 
ganz  vergessen  und  zu  meinem  Ergötzen  merkt  auch  mancher,  der 
zu  mir  ins  Bureau  kommt,  nichts  von  dem  Gebrechen,  das  eine 
dunkle  Brille  verdeckt.  Allerdings  machte  es  mir  die  Sonderstellung 
die  der  Blinde  bisher  im  täglichen  Leben  einnahm,  zu  Anfang  nicht 
leicht,  mich  einzugewöhnen.  Gar  manchmal  galt  und  gilt  es  noch 
heute,  das  nutzlose  Mitleid  und  unaufhörliche  lästige  Bedauern  abzu- 
schütteln, ohne  das  die  Leute  nun  einmal  nicht  auszukommen  glauben. 

Auf  der  Straße  habe  ich  mich  zu  bewegen  gelernt,  ohne  mich 
des  Armes  des  begleitenden  Sehenden  zu  bedienen.  Das  Schwimmen, 
das  ich  als  Nichtsehender  im  Hallenschwimmbad  versuchte,  setze  ich 
auch  im  freien  Flusse  fort.  Im  geselligen  Zusammensein  stehe  ich 
den  Sehenden  gegenüber  nicht  mehr  zurück,  ich  spiele  meinen  Schaf- 
kopf wie  früher  mit  in  Punktschrift  gezeichneten  Karten,  ich  kegle 
wieder  und  es  gelingt  mir  oft,  einen  einzelnen  Kegel  herauszustechen, 
und    ich    genieße    die  Freuden    des   Gcsellscliaftslebens    so    gern  wie 


Seite  858.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  1.  Nummer. 

ehedem.  Ebenso  habe  ich  mir  auch  den  GenuiS  an  der  Natur  wieder 
erobert :  Der  Sonnenschein  freut  mich  genau  so  wie  als  Sehendcrt 
und  beim  Wandern   über  Stock  und   Stein  bin   ich  wieder  der  alte. 

So  suche  ich,  Schritt  fijr  Schritt,  die  Hindernisse  zu  überwinden, 
die  mir  das  Schicksal  in  den  Weg  geworfen  hat.  Durch  diesen  bestän- 
digen Kampf  mit  den  Schwierigkeiten  wird  die  Willenskraft  in  weit 
höherem  Maße  gesteigert,  als  es  bei  dem  Menschen  der  Fall  ist, 
dessen  Leben  sich  immer  auf  ebener  Bahn  bewegt:  So  lange  nur 
die  geringste  Aussicht  besteht,  eines  Hindernisses  Herr  zu  werden, 
gibt  es  kein  klägliches  »Ich  kann  nicht«,  sondern  nur  ein  eisenfestes 
»Ich  will.«  Und  das  Wollen  wird  dann  schon  zum  Können  verhelfen. 
Es  genügt  mir  auch  nicht  mehr,  mich  geistig  auf  der  gleichen  Stufe 
wie  als  Sehender  zu  halten,  ich  habe  mir  als  Blinder  ein  höheres 
Ziel  gesteckt.  Und  so  habe  ich  auf  meine  Lebensfahne  geschrieben  : 
»Mach  die   Schranke  dir  zur   Staffel,  die  zur   Höhe  führt.«    — 

Hans  Schmaifuß. 


Die  Versorgung  von  Spät-Erblindeten. 

Es  dürfte  —  trotz  der  Schwere  der  jetzigen  Zeit  —  nicht 
unberechtigt  sein,  eine  Anregung  zu  geben,  die  die  Versorgung  von 
Leuten,  die  im  späteren  Alter  ganz  oder  teilweise  erblindeten, 
bezweckt.  Wenn  auch  ungemein  große  Anforderungen  an  Behörden 
und  an  die  öffentliche  Mildtätigkeit  zugunsten  der  Kriegsblinden 
und  der  übrigen  Zahllosen,  die  —  im  Gegensatze  zu  gar  Vielen  — 
als  Opfer  des  Krieges  zu  betrachten  sind,  gestellt  werden,  so  soll 
doch  nicht  jener  Bedauernswerten  vergessen  werden,  die  bei  spät 
eintretender  Erblindung  in  bestehende  Anstalten  nicht  eintreten  können 
oder  wollen.  Die  Blindenversorgungsanstalt  in  Wien,  Josefstädter- 
straße, ist  vorzugsweise  für  arme  Blinde,  die  eine  Blindenerziehung 
genossen  haben,  geschaffen  und  ununterbrochen  ganz  besetzt;  ein 
geplanter  Erweiterungsbau  wurde  durch  den  Krieg  vereitelt  und  wohl 
auch  für  lange  hinausgeschoben.  Bei  der  Aufnahme  wird  überdies 
fast  immer  an  der  seit  jeher  bestehenden  Altersgrenze  von  dreißig 
Jahren  festgehalten.  —  Das  Blindenhaus  im  städtischen  Versorgungs- 
heim in  Lainz  kommt  hier  wenig  inbetracht,  eher  das  Altersheim 
recht  verfehlt  »Greisenasyl«  genannt!  in  der  Gentzgasse  in  Wien; 
doch  fühlen  sich  erfahrungsgemäß  Blinde  unter  vielen  Sehenden  auf 
die  Dauer  nicht  recht  wohl.  —  Die  Anstalt  zur  Ausbildung  später 
Erblindeter,  die  seit  Jahren  sehr  erfolgreich  wirkt,  erfüllt  einen  schönen 
Zweck,  indem  sie  jüngere  dieser  Unglücklichen  in  den  .Stand  setzt, 
wieder  werktätige  Glieder  der  Gesellschaft  zu  werden,  sei  es  in  ihrem 
früheren  Berufe  oder  vermöge  einer  in  der  Anstalt  erworbenen  anderen 
Befähigung.  —  Nach  einer  Anstalt  aber,  die  bemittelten  Blinden  im 
vorgeschrittenen  Alter  —  vorwiegend  gegen  Bezahlung  —  Ver- 
pflegung und  Beschäftigung  bietet,  besteht  zweifellos  ein  Bedürfnis; 
dies  beweisen  die  vielen,  sich  mehrenden  Anfragen.  Es  sind  meistens 
Angehörige  der  mittleren  Gesellschaftsschichten,  Beamte,  Private,  die 
oft    nach    einem    arbeitsreichen  Leben    ihr    Aupfenlicht    einbüßen    und 


1.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreicliische  Blindeinvescn.  Seite  859. 

nun,  meist  auf  einen  mäßig^en  Ruhegehalt  oder  andere  Einkünfte 
angewiesen,  sich  nach  einer  Unterkunft  sehnen,  wo  sie  nicht  als  unbe- 
quem empfunden  werden  und  eine  Beschäftigung  finden,  die  ihnen 
über  ihre  traurigen  Tage  hinweghelfen   kann. 

Es  iiaben  sich  wohl  einige  »Pensionen«  angekündigt,  die  solche 
Wünsche  zu  erfüllen  in  der  Lage  wären  ;  doch  können  sie  nur  eine 
kleine  Zahl  aufnehmen  und  dürfte  wohl  auch  für  die  meisten  zu  teuer 
sein,  da  sie  auf  Gewinn  berechnet  sind.  —  Eine  Anstalt,  die  ihren 
Zweck  erfüllen  sollte,  müßte  im  Anschluß  an  eine  schon  bestehende 
Einrichtung  (Verein  oder  Blindenanstalt)  errichtet  werden,  wie  dies 
in  jüngster  Zeit  geschah,  wo  das  Kaiser  Karl-Kriegsblindenheim  in 
eine  gewisse  Verbindung  mit  dem  Arbeiter-Blindenheim  (im  13.  Bezirke 
in  Wien)  gebracht  wurde.  Die  Vorteile,  die  sich  aus  einer  Angliederung 
sowohl  in  geldlicher  als  auch  zweckdienlicher  Beziehung  —  nament- 
lich für  den  Anfang  —  ergeben  würden,  sind  leicht  zu  erkennen.  — 
Möge  diese  Anregung  auf  fruchtbaren  Boden  fallen,  um  nach  dem 
Kriege,  wenn  der  gewaltige  Umschwung  auf  allen  Gebieten  einsetzen 
wird,   günstig  emporzukeimen. 

Wien.  O.  St. 


Ministerium  für  Volksgesundheit. 

Nach  der  Gründung  des  Ministeriums  für  soziale  Fürsorge  wird 
die  Errichtung  eines  Ministeriums  für  Volksgesundheit  für  Österreich 
angekündigt.  Aus  dem  für  dieses  Ministerium  in  Aussicht  genommenen 
Wirkungskreise,  der  alle  Angelegenheiten  der  Volksgesundheit  umfas- 
sen soll,  ist  für  uns  die  »Gesundheitliche  Jugendfürsorge« 
von  Bedeutung  und  zwar  insbesonders  :  Die  gesundheitlichen  Angelegen- 
heiten der  Kleinkinderfürsorge,  Mitwirkung  in  gesundheitlicher  Hin- 
sicht bei  den  Fürsorgeeinrichtungen  für  die  Jugend  (Kindergärten 
Heime  u.  dgl.),  Aufstellung  für  die  Schulgesundheitspflege,  Gesund- 
heitspflege für  die  beruflich  tätige  Jugend,  Fürsorge  für  die 
körperHch  oder  geistig  minderwertige  Jugend,  nament- 
lich Anstalten  für  schwachsinnige,  geistig  abnormale,  blinde,  taub- 
stumme und  kriippelhafte  Kinder,  vorbehaltlich  des  dem  Ministerium 
für  Kultus  und  Unterricht  in  Fragen  der  Erziehung  und  des  Unter- 
richts zustehenden  Wirkungskreis,  Bekämpfung  der  Infektionskrank- 
heiten, Berufs-  Gewerbe-  untl  Unfallshygiene,  gesundheitliche  Fürsorge 
für  die  Kriegsbeschädigten,   Statistik  des  Volksgesundheitswesens. 

Bei  der  Errichtung  des  Ministeriums  für  soziale  Fürsorge  war 
man  allgemein  der  Ansicht,  daß  die  angeführten  Aufgaben  diesem 
Ministerium  zufallen  würden.  Nun  erscheint  das  neu  zu  errichtende 
Ministerium  für  Volksgesundheit  hiezu  berufen  und  es  findet  dadurch 
wieder  eine  Trennung  nahe  beieinanliegender  Agenden  statt,  was 
bereits  mehrfachen  Widerspruch  hervorgerufen  hat.  Wie  unseren 
Lesern  aus  der  vorigen  Nummer  bekannt  ist,  hat  der  »Zentralverein 
für  das  österreichische  Blindenwesen«  mit  einer  Petition  die  Schaffung 
einer     »Zentralstelle     für     die     österreichische     Blindenfürsorge«      im 


Seite  860.  Zeitschrift  für  das  österreiciiische  Biindenwesen.  1.  Nufifimer. 

Ministerium  für  soziale  Fürsorge  angeregt.  Im  Falle  der  Einrichtung 
einer  solchen  Stelle  würde  derselben  durch  das  Ministerium  für 
Volksgesundheit  natürlich  ein  Teil  ihrer  Aufgaben    entzogen   werden. 


Die  Blindenschule. 

Von  Josefine  Moos. 

Sie   waren  plaudernd   durch   den   Wald  gekommen, 
Die  kleinen  Blinden   mit  der  Lehrerschar, 
Man   hieß  sie  froh   und  liebevoll   willkommen 
Im  schmucken   Gasthaus,  wie  in  jedem  Jahr. 
Sie  taten  gütlich  sich   an   Speis'   und  Trank, 
Der  Garten  klang  von  hellem  Janchzen  wider 
Und  vor  dem  Scheiden   sangen  sie  zum   Dank 
Mit  hellen   Stimmen   ihre  Kinderlieder. 

Und  frisch   und  jubelnd  klang  es  in   die  Runde  — 
Nie  mochten  Klänge  so  zu  Herzen   gehn. 
Wie  jene  Botschaft  von   der  Blinden   Munde: 
»Wie  ist  die  Erde   doch  so  schön,   so  schön!« 
Mir  floß  es  von   der  Wimper  feucht   und  heiß, 
Es  hat  mich  länger  nicht  im   Saal   gelitten  J 
Ich  stahl   mich  heimlich   aus  dem   Lauscherkreis  — 
Nie  hat  ein   Lied   mir  so   ins  Herz  geschnitten. 

Und  wie  im  Traum   ließ  ich   die  Blicke  schweifen 

Bis  zu   den   Abendwolken   goldgetränkt 

Und  ließ  die   Finger  durch   die  Blüten   streifen, 

Als  würde  mir  dies  alles   neu   geschenkt. 

O   Gott,   was   wußten   jene  von   der  Pracht, 

Die  sich  so  reich  auf  Flur  und  Wald  ergossen; 

Es  drang  kein    Strahl   in   ihrer   Seele   Nacht 

Und   alle   Schönheit   war  dem   Blick  verschlossen. 

Und   doch!   Die   Kleinen   schienen    nichts  zu   missen, 

Es  lebte  jedes  seine  eigne  Welt, 

Sie  halfen   sich  einander  dienstbeflissen 

Und  schieden   froh,  das  Herz  von  Dank   geschwellt. 

Und   wanderten   mit  Lachen   und   mit   Singen 

Das  Dorf  iiinunter,  fröhlich   Hand  in   Hand, 

Ich  hört'   es  lange  noch  herUberklingen 

Bis  zu   dem   Wegrain,   wo  ich  lauschend  stand. 

(Stadt   Gottes). 


Personalnachrichten. 

—  Auszeichnung.  Dem  Viohnlehrer  des  k.  Ic.  Bliiiden-Erziehungs-Institutes 
in  Wien  II,  Herrn  Karl  Eich)  er,  wurde  in  Anerkennung  seiner  32jährigen  Tätigkeit 
anläßlich  seines  Übertrittes  in  den  bleibenden  Ruhesland  das  silberne  Ver- 
dienstkreuz mit  der  Krone  verliehen. 


1-  Niimniier.  ^tiitschiift  für  d.is  (isteneichisrhe  Blindenwesen.  Seite  861. 

Aus  den  Anstalten. 

—  N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  Weihnachtsfei- 
er. Am  21.  Dezembtr  1917  vei sammeltens  ich  die  Gönner  und  Freunde  im  Kestsaale 
der  Anstalt  zur  Weihnachtsfeier,  die  noch  immer  keine  Friedensfeier  sein  sollte. 
Doch  hat  das  Friedenshoffen,  das  aus  dem  fernen  Osten  aufgeleuchtet  ist,  auch  in 
diesen  kleinen  Raum  sein  verheißunirsvolles  Licht  gestrahlt.  .Schon  die  Zusammen- 
stelluntj  der  AufführuniJ  sjMenelte  dies  wieder.  Fachlehrer  Krtsmary  hatte  eine 
Reihe  von  Chören  voiberiitet,  die  von  den  Zö^dingen  in  musterhafter  Weise 
gebracht  wurden.  Besonderes  Interesse  erweckten  die  altertümlichen  Klänge  des 
Chores  von  L.  Schröter  »Freut  Euch,  ihr  lieben  Christen«  aus  dem  Jahre  1587 
und  des  Liedes  »Gott  in  der  Höh'  sei  Lob  und  Preis!«  von  Bruder  A.  Hansen, 
einem  ehemaligen  Anstaltszögling.  Viel  Beifall  fand  die  Weihnachtsdeklamation»  von 
O.  Wanecek  »Weiiinachtsfriede.«  Ebenso  die  bedeutenden  Leistungen  des  An- 
staltsorchester und  seiner  Solisten.  Bemerkenswert  war  die  Darbietung  des  Kon- 
zertes für  zwei  Violinen  von  J.  S.  Bach  und  des  Violinkonzertes  von  Richard 
S  t  r  a  u  ß. 

Direktor  Bürklen  konnte  eine  große  Schar  von  Festgästen  begrüßen, 
unter  ihnen  den  warmherzigen  Förderer  der  Anstalt  Landesausschuß  L.  Knnschak, 
Pfarrer  Doczkal  i  k,  Landessekretär  Gemeinderat  Dr.  Hemala  u.  s.  w.  Landes- 
ausschuß Kunschak  brachte  den  Friedensgedanken,  der  allüberall  durch  die  Welt 
geht  und  gerade  zur  Weihnachtszeit  so  eindringlich  redet,  mit  innigen  Worten  zum 
Ausdruck.  Nicht  besser  konnte  er  enden,  als  daß  er  des  Friedenshortes,  unseres 
Kaisers  Karl  gedachte.  Mit  den  weihevollen  Klängen  der  Volkshymne  endete 
die  Feier. 

—  Kaiser  Karl-Kriegsblindenheim  in  Wien  XIII.  In  dem  in  der 
»Reichspost«  vom  21.  Oktober  1.  J.  enthaltenen  Artikel  »Das  Kaiser  Karl  Kriegs- 
blindenheim« ist  bemerkt,  daß  das  Kaiser  Franz  Josef-Blindenarbeiterheim  und  das 
Kaiser  Karl  Kriegsblindenheim  Mangel  an  physischem  und  religiösem 
sem  Lichte  zeigen,  weil  die  Wohnräume  meistens  gegen  Norden  gerichtet,  düster 
und  kühl  seien  und  ein  Kirchlein  fehle.  Diese  Bemerkung  ist  unrichtig,  wie  folgen- 
der Tatbestand  beweist.  Das  Kaiser  Franz  Josef-Blindenarbeiteiheim  und  das  Kaiser 
Karl-Kriegsblindenheim  sind  A  r  be  i  t  er  h  e  i  m  e,  bei  deren  Einrichtung  die  Werk- 
stätten, in  denen  sich  die  Blinden  den  größten  Teil  des  Tages  aufhalten,  selbst- 
verständlich als  das  Wichtigste  betrachtet  werden  mußten.  Im  Kaiser  Franz 
Josef-Blindenarbeiterheime  ist  die  Werkstätte  für  die  Blinden  gartenseitig  mit  den 
Fenstern  nach  Süden  und  Westen  und  nur  die  Werkstätte  für  die  Sehenden  (Zu- 
richterei) nach  Norden  gelegen.  Im  Kaiser  Karl-Kriegsblindenheime  hat  die  Werk- 
stätte 13  Fenster  nach  Osten  in  den  Garten  und  6  Fenster  nach  Westen  in  den 
Garten.  Auch  die  Wohnräume  für  die  Blinden  wurden  —  soweit  dies  möglich  war 
—  in  beiden  Anstalten  mit  den  Fenstern  nach  der  Sonn-  und  Gartenseite  angelegt. 
Im  Kaiser  Franz  Josef-Blindenarbeiterheime  sind  für  die  Blinden  10  Wohnräume 
mit  den  Fenstern  nach  Osten,  Süden  und  Westen  in  den  Garten  und  10  Wohn- 
räume nach  Norden  angelegt.  Im  Kaiser  Karl-Kriegsblindenheime  sind  bei  6  Wohn- 
zimmern für  Blinde  die  Fenster  nach  Süden  in  den  Garten  und  nur  bei  5  Wohn- 
zimmern nach  Norden  gerichtet.  Alle  nach  Osten,  Süden  und  Westen  gelegenen 
Räume  sind  sonnig  und  mit  den  Fenstern  in  den  Garten  gerichtet.  Es  können  aber 
auch  die  straßenseitig  mit  den  Fenstern  nach  Norden  gelegenen  Wohnungen  nicht 
als  düster  bezeichnet  werden,  denn  an  der  Nordseite  beider  Heime  befindet  sich 
ein  Vorgarten  und  zudem  ist  die  durch  ein  Villenviei  tel  führende  Baumgartenstraße 
sehr  breit,  so  daß  sie  reichliches  Tageslicht  und  morgens  und  abends  auch  Sonne 
hat.  Auch  für  Wärme  ist  in  den  beiden  Anstalten  durch  Niederdruckdampfheizungen 
entsprechend  gesorgt.  Im  Kaiser  Karl-Kriegsblindenheime  sind  sogar  die  Gänge,  die 
mit  Sitzplätzen  und  großen  Fenstern  nach  der  Süd-  und  Gartenseite  versehen  sind, 
heizbar.  Von  einem  Mangel  an  physischem  Lichte  oder  an  Wärme  kann  also  bei 
keinem  der  beiden  Heime  die  Rede  sein.  Auch  mit  dem  religiösen  Lichte  ist  es 
nicht  schlimm  bestellt.  In  die  beiden  Anstalten  ist  zwar  kein  Kirchlein  eingebaut, 
aber  es  ist  die  Baumgartner  Pfarrkirche  nur  5  Minuten  entfernt,  die  von  den 
Heiminsassen  gerne  besucht  wird.  Ein  in  einem  Nachbarhause  in  der  Baumgartnerstraße 
wohnender  Bürgerschulkatechet,  zu  dem  die  blinden  Arbeiter  viel  Vertrauen  haben, 
ist  zu  religiösem  Rate  und  zum  Tröste  stets  gerne  erbötig.  Der  Leiter  der  beiden  An- 
stalten, der  sich  in  katholischen  Kreisen  eines  nicht  unbedeutenden  Ansehens 
erfreut,  und  der  erste  Werkmeister,  der  im  katholischen  Vereinsleben  durch  eifrige 


Seite  862.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  1.  Nummer. 

Tätigkeit  bekannt  ist,  sind  mit  Erfolg  bestrebt,  auf  das  religiöse  Leben  der  blinden 
Arbeiter  günstig  einzuwirken.  Auf  die  blinden  Arbeiter,  die  gereifte  Männer  sind, 
in  religiöser  Hinsicht  einen  Zwang  auszuüben,  ist  aus  mancherlei  Gründen  nicht 
angezeigt.  Wie  vom  Vereine  zur  Fürsorge  für  Blinde  nach  Errichtung  des  Kaiser 
Franz  Josef-Blindenarbeiterheimes  die  angrenzenden  Baustellen  erworben  wurden, 
um  auf  diesen  im  Bedarfsfalle  ein  zweites  Haus  —  das  Kaiser  Karl-Kriegsblinden- 
heim —  erbauen  zu  können,  so  wurde  nach  F2rrichtung  des  letzteren  unverzüglich 
ein  weiterer  Baugrund  im  Ausmaße  von  2800  Geviertmetern  angekauft,  um  darauf 
ein  Blinden  feierabendhaus  erbauen  zu  können,  wenn  einmal  eine  größere 
Anzahl  der  in  den  beiden  Arbeiterheimen  beschäftigten  Blinden  arbeitsunfähig  und 
eines  Ruheplätzchen  bedürftig  sein  wird.  In  dieses  Blindenfeierabendhaus  wird  auch 
eine  Kapelle  eingebaut  werden,  welche  der  Verfasser  des  eingangs  erwähnten  Ar- 
tikels wünscht.  Da  es  wiederholt  vorkam,  daß  Zivilblinde  nach  ihrem  Austritte  aus 
dem  Kaiser  Franz  Josef-Blindenarbeiterheime  um  ihre  Wiederaufnahme  ins  Heim 
bat^n  und  daß  Kriegsblinde,  die  zur  Superarbitrierung  kamen,  den  Wunsch  äußerten, 
nach  der  Superarbitrierung  im  Kaiser  Karl-Kriegsblindenheime  bleiben  zu  dürfen, 
kann  wohl  angenommen  werden,  daß  der  Aufenthalt  in  den  beiden  Heimen  nicht 
unbehaglich  ist.  Es  ist  der  Wille  jener  edlen  Menschenfreunde  und  Wohltäter,  die 
durch  Spenden  zur  Ausgestaltung  und  Förderung  des  Kaiser  Franz  Josef-Blinden- 
arbeiterheimes und  des  Kaiser  Karl-Kriegsblindenheimes  beitragen,  daß  den  Blinden, 
die  in  den  beiden  Heimen  Aufnahme  finden,  des  Unglücks  schwere  Last  soweit  als 
möglich  erleichtertT  werde.  Und  daß  dieser  Wille  erfüllt  werde,  dafür  sorgt  das 
Präsidium  des  Vereines  zur  Fürsorge  für"Blinde  in  Wien.  Karl  Rosenmayer. 


flus  den  Vereinen. 

—  Verein  >Kriegsblindenheimstätten«  in  Wien.  Der  unter  dem 
Protektorate  des  Erzherzogs  Karl  Stephan  stehende  und  durch  Kommerzialrat 
H.  V.  Grimm  mit  so  großem  Erfolg  geführte  Verein  erstattet  seinen  Bericht  über 
das  Vereinsjahr  1916.  Der  Bericht  berührt  die  Entstehung  des  Vereines,  seine  her- 
vorragende Sammeltätigkeit  und  die  vielfachen  Verstaltungen,  die  dem  Vereine 
mit  Ende  des  Jahres  1916  mehr  als  1  V2  Millionen  K  einbrachten.  Während  des 
Jahres  1916  wurden  insgesamt  15  Heimstätten  für  Kriegsblinde  erworben,  deren 
Anschaffungspreis  sich  innerhalb  der  Grenzen  von  2.500  bis  12.000  K  bewegt  und 
für  welche  vom  Verein  unter  Einrechnung  der  beim  Erwerb  der  Heimstätten  auf- 
gelaufenen Spesen  insgesamt  ein  Betrag  von  fast  lOO.OOO  K  ausgegeben  wurde. 
Die  Heimstätten  verteilen  sich  auf  die  Kronländer  folgendermaßen  :  Niederösterreich  5, 
Böhmen  3,  Mähren,  Schlesien  je  2,  Oberösterreich,  Salzburg,  Kärnten  je  1.  Nach 
dem  Stande  vom  1.  September  191 7  sind  f  r  51  Kriegsblinde  Heimstätten  gekauft, 
beziehungsweise  Beiträge  zu  solchen  gewährt.  (Gesamtbetrag  372.473  K).  Eine  dem 
Vereine  geschenkte  Heimstätte  wurde  an  einen  Kriegsblinden  vergeben.  In  Behand- 
lung genommen  wurden  38  Gesuche  und  hiefür  ein  Betrag  von  274.440  K  bewilligt. 
Dem  Kollektivansuchen  nachstehender  Anstalten  wurdo  in  d  r  Weise  entsprochen, 
daß  die  genannten  Beträge  zum  Ankaufe  von  Heimstätten  bewilligt  bezw.  reser- 
viert wurden: 

Kaiser  Karl-Kriegsblindenheim  in   Wien für  16  Kriegsblinde  128.000  K 

K.  k.  Blinden-Erziehungsinstitut  in  Wien      für  12  Kriegsblinde  96.000  K 

Tiroler  Landeskommission  in  Innsbruck für  7  Kriegsblinde  66.000  K 

Verein  zur  Ausbildung  von  Späterblindeten  in  Wien  für  6  Kriegsblinde  48.000  K 

Kärtnerische  Landesblindenanstalt  in  Klagenfurt     .    .  für  5  Kriegsblinde  40.000  K 

Stevermärkische  Landeskommission  in  Graz     ....  für  6  Kriegsblinde  36.000  K 

Gal.  Blinden-Erziehungsanstalt  in  Lemberg für  3  Kriegsblinde  24.000  K 

Wohnungsbeiträge  bis  zur  Versorgung  mit  Heimstätten  im  Ausmaße  der 
monatlichen  5  V2  Vo  Zinsen  des  jeweils  reservierten  Betrages  beziehen  im  Kaiser  Karl- 
Kriegsblindenheim  in  Wien  15  Kriegsblinde,  im  k.  k.  Blinden-Erziehungs-Institut  in 
Wien  12  Kricj^sblinde    und  im  Verein  für  Spätererblindete  in  Wien  2  Kriegsblinde. 

Herausgebar:    Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     Redaktionskomitee:  K.   Bürkleo, 
J.  Kneis,   A.  t.  HorTath,  F.  Uhl,  —  Druck  tod    Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei  Wien. 


Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Kiicgsblindenkurs  in  Straß  N.  Ö.  Der  Direktor  der  n.  ö.  Landes- 
Wcin-  und  Obstbauschule  in  Krems,  Herr  R.  Weigl,  der  die  fachliche  Ausbildung 
in  diesem  Kurse  besorgte,  veröffentlicht  hierüber  folj^ende  Angaben.  An  dem  Kurse 
nahmen  12  Kriegsblinde  teil.  In  dem  Kurse  wurden  die  Kriegsblinden,  die  bisher 
in  der  Landwirtschaft  tätig  waren,  in  den  einfachsten  Arbeiten  des  Wein-,  Obst 
und  Gemüsebaues  unterwiesen.  Auch  im  zweiten  Jahre  wurden  bei  diesem  Kurse 
sehr  befriedigende  Erfolge  erzielt. 

—  Große  Spende  für  den  Verein  »Kiiegsblindenheimstätten.« 
Dem  Kommerzialrat  Heinrich  v.  Grimm  wurde  zugunsten  des  von  ihm  gegründeten 
und  geleiteten  Vereines  »Krie<4sblindenheimstätten«  von  einer  Wiener  Familie  zur 
Erinnerung  an  deren  Eltern  der  Betrag  von  einer  Viertelmillion  Kronen  Nominale 
siebente  österreichische  Kriegsanleihe  überwiesen.  Diese  hochherzige  Spende,  die 
sich  vorangegangenen  Widmungen  der  gleichen  Familie  in  beträchtlicher  Höhe  anreiht, 
kommt  dem  Verein  »Kriegsblindenheimstätten«  in  einer  Zeit  zugute,  in  der  durch 
die  Ereignisse  auf  dem  südlichen  Kriegsschauplatze  begreiflicherweise  ein  neuer- 
licher Zuwachs  an  Kriegsblinden  zu  verzeichnen  ist. 

—  Sammlungen    für  Kriegsblinde.  Stand   F".  nile    Dezember  I.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,220.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  3,150.000  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:   320.000   K. 

—  Reichspost:  25.000   K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  80.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  30.000   K. 

Bücherschau. 

Die  Fürsorge-Einrichtungen  der  niederösterj- eichischen 
Landesverwaltung  zum  .Schutze  des  Kindes.  (Verlag  des  Landesaus- 
schusses des  Erzherzogtumes  Österreich  unter  der  Enns,  Wien,  1917.)  Die  n.  ö. 
Landesverwaltung,  deren  Maßnahmen  zur  Kinderfürsorge  das  Land  Niederösterreich 
auf  diesem  Gebiete  sowohl  in  ganz  Österreich  als  auch  dem  gesamten  Auslande 
gegenüber  an  erste  Stelle  gestellt  hat,  schuf  mit  dem  umfassenden  und  vornehm 
ausgestatteten  Werke  einen  brauchbaren  Behelf  für  jene,  die  infolge  ihres  Berufes 
oder  ihrer  freiwilligen  Betätigung  mit  den  Fragen  des  Kinderschutzes  in  Berührung 
kommen.  Der  Inhalt  des  Werkes  erscheint  je  nach  der  Hilfsbedürftigkeit  der  Kinder 
in  Gruppen  gegliedert,  in  denen  die  betreffenden  Anstalten  und  Einrichtungen  der 
Reihe  nach  eingehend  besprochen  werden,  so  Kapitel  über  Säuglingspflege,  ver- 
waiste und  verlassene  Kinder,  sittlich  verwahrloste  und  körperlich  und  geistige 
kranke,  blin<ie  und  taubstumme  Kinder. 

Der  von  Direktor  K.  Bürklen  verfaßte  Teil  über  die  F"ürsorge  für  blinde 
Kinder  in  Niederösterreich  bringt  Allgemeines  über  die  geschichtliche  Entwicklung 
den  gegenwärtigen  Stand  und  die  Zukunftsnotwendigkeiten  auf  diesem  Gebiete. 
Weiters  ist  die  Gründung,  Entwicklung,  Einrichtung  und  Wirksamkeit  der  n  ö. 
Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf  besprochen.  Auch  des  mit  n.  ö.  Landes-Stift- 
plätzen  bedachte  Mädchen-Blindenheim  »Elisabethinum«  in  Melk  a.  D.  ist  Erwäh- 
nung getan. 

In  welch  hervorragender  Weise  die  n.  ö.  Landesverwaltung  ihrer  Aufgabe 
der  allgemeinen  Kinderfürsorge  gerecht  wird,  zeigt  ein  Jahresaufwand  von  5  Milli- 
onen Kronen,  in  dem  die  Ausgaben  der  Gemeindeverwaltung  von  Wien  für  diesen 
Zweck  nicht  inbegriffen  sind. 

Zur  Beaditung ! 

Die  »Vor  1  agen  für  das  Bauen  mit  Zündholzschachteln« 
von  F.  Demal  sind  wegen  der  jetzigen  Verhältnisse  im  Buchhandel 
nicht  erhältlich.  Ihr  Erscheinen   wird    seinerzeit    angekündigt    werden. 


Bürklen  Karl :  Das  Tastlesen  der  Blindenpunktschrift. 

Nebst  Beiträgen  zur  Blindenpsychologie  von  P.  Grasemann- 
Hainburg,  L.   Cohn-Breslau,   W.  Steinberg.   VII,  93   Seiten 
mit  6   Abbildungen  im  Text  und  6  Tafeln. 

Leipzig,  Barth,   1917 .         .  M  5. — 

(Beiheft  16  zur  »Zeitschrift  für  angewandte  Psychologie«  heraus- 
gegeben von   L,   William   Stern   und   Otto   Li  p  mann). 

Inhalt:  Das  Tasllesen  der  Blindenpunktschrift  nach  besonderen  Versudien 
zu  dessen  Erforschung  von  K.  Bürklen.  Eine  (Jntersudiung  über  das 
Lesen  der  Blinden  von  P.  Grasemann.  —  Beiträge  zur  Blindenpsycho- 
logie von  L.  Cohn.  —  Der  Blinde  als  Persönlichkeit  von  W.  Steinberg. 


==  :fisyl  für  blinde  Kinder  == 

Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im  vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen  österreichi- 
schen Kronländern   auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 

Die  „Zentralbibliotheh  füp  Blinde  in  ÖsteppeiGli". 

Wien  XVIII,  Währinger  GUrtel  136 

verleiht  ihie  Bücher  kostenlos  an  alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

,,DiE  PURKERSDORFER" 

^A^ien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  Unterstützung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  lür  Blinde.  Erhaltung 
per  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


Der  blinde  Modelleui» 


Llttau  in  Mähren, 

empfiehlt  seine  zu  Geschenken  sich 
:  vorzüglich  eignenden  keramischen  : 
Handarbeiten.  Nähere  Auskunft  brieflich. 


FrodulitiugenossBnscIiaft  für  blinde 
Bürstenbinder  und  Korbflecliter. 

G.  m.  b.  H. 

Wien  VIII.,    Florianigasse  Nr.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

Alle  Gattungen  Bürstenbinder-  u.  KorbHechterwareu, 
Verkaufsstelle:    Wien  VII.,  INeubau^asse  75. 


Musiifalien  -  Leiiiinstitut 


des  Blinden-Unterstützungsvereines 
»Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V., 
:  — :   Nikolsdorfergasse  Nr.  42.  :  — : 


G9 


Blindendrucknoten    werden    an     f^ 
Blinde  unentgeltlich  verliehen!      I^J 


von   Oskar  Picht» 
Bromberg. 


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□ 


Faserstoff-Zuricliterel  Bergedorf 

Bergedorf  bei  Hairiburg. 

Mustergültige  Bearbeitung  von  Fiber  und  Pi  assava 
aller  Arten. 


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□ 


Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"  für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


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Schriftleitung 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Nr.!  32.257 


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Das  Biatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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Bezugspreis 
ganzjährig  mit 
Postzustellung 

4  Kronen, 
Einzelnummer 

40  Heller. 


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5.  Jahrgang. 


Wien,  Februar  1918. 


2.  Nummer. 


INHALT:  Direktor  S.  Heller,  Wien:  Das  Tastlesen  der  Blindenpunktschrift. 
Das  Vorlesen  in  der  Blindenschule.  Eine  österreichisdie  Blindenzeitung. 
H.  Lingg:  Gesang  der  Blinden.  Personalnachrichten.  Rus  den  Anstalten. 
Rus  den  Vereinen.  Für  unsere  Kriegsblinden.  Verschiedenes.  Bücherschau. 
(Rltes  und  Neues.     Ankündigungen). 


B= 


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3   Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  Vlll, 
g  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.   [^ 

Om  mO 


flites  und  Meues. 

Ein  blinder  Tönemeister  aus  dem  XV.  Jahrhundert. 
Ein  vielgefeierter  und  in  der  Kunstgeschichte  genannter  Töne- 
meister Avar  der  im  Jahre  1410  zu  Nürnberg  geborene  •  Konrad 
P  au  mann.  Frühe  gänzlich  verwaist,  hatte  sich  der  edle  Ulrich 
Grundherr  und  später  dessen  Sohn  des  ganz  hilflosen  Kindes 
angenommen  und  seine  unverkennbare  Begabung  in  die  rechten  Wege 
geleitet.  Schon  1446  wird  er  trotz  des  »Mangels  an  seinem  Gesicht« 
als  Organista  von  St.  Sebald  in  einer  Urkunde  genannt.  1450  erhielt 
er  vom  Rate  die  Erlaubnis,  »seine  Kunst  auch  auswärts  zu  weisen« 
und  sich  weiter  zu  bilden.  So  ward  ihm  an  den  italienischen  Fürsten- 
höfen guter  Name  und  hoher  Ruhm:  der  Herzog  von  Ferrara  bewährte 
den  Ruf  eines  freigebigen  Hauses.  Der  zufällig  anwesende  Kaiser 
Friedrich  III,  verlieh  ihm  ein  brokaten  Kleid  nebst  goldener  Ehren- 
kette, gab  ihm  ein  köstlich  Schwert  und  Ritterschlag.  Auf  dem  Rück- 
weg stellte  ihn  der  für  den  Glanz  seines  Landes  fürsorglich  denkende 
Herzog  Albrecht  III.  an  die  Spitze  seiner  Kapelle,  in  welcher  Eigen- 
schalt Paumann  am  St.  Pauli  ßekehrtage  (25.  Jänner)  1473  aus  dem 
Leben  schied.  Sein  gnädigster  Herr  stiftete  ihm  ein  bleibend  Epitaph 
in  Marmor,  an  der  alten  Liebfrauenkirche.  Da  ist  der  »Kunstreichst 
aller  Instrument  und  Musika  Meister«  sitzend  abconterfait,  auf  dem 
Knie  eine  doppelreihige  Hausorgel  mit  16  Pfeifen,  ohne  Tasten,  aber 
mit  Druckknöpfen,  worauf  er  mit  der  Rechten  fingert,  während  die 
Linke  den  windfütternden  Blasbalg  handhabt.  An,  der  Rückwand 
hängt  eine  breite  Laute,  über  dem  Haupt  eine  seltsame  Flöte  und 
auf  dem  Knie  eine  schwere  Schoßharfe;  zu  Füßen  lehnt  eine  kurzhal- 
sige  Fiedel.  Ein  rührend  Bild  seines  vielseitigen  Schaffens.  Eine 
Nürnberger  Maid  hatte  ihm  tröstlich  Herz  und  Hand  geweiht.  Zahl- 
reiche Scholaren  rühmten  sich  seiner  Unterweisung  und  Lehre.  Der 
lustige  Reimschmied  Hans  Rosenplüt  feierte  den  Meister  in  seinem 
1447  gefertigten  »Spruch  von  Nürnberg«,  folgendermaßen:  »Mit  contra 
tenor  vnd  mit  faberdon  |  mit  primi  tonus  tenoriert  er  |  auf  elamy  so 
sincopirt  er  |  mit  resonanzen  in  accutis  |  ein  trawrichs  herrz  |  würt 
freyes  Mutes  |  wen  er  auss  ottaf  discantirt  j  vnd  quint  vnd  vt  zusamen 
resamirt  j  vnd  mit  proportiones  in  gravibus  |  Respons  antiffen  vnd 
introitus  |  Impin  sequencen  vnd  responsoria  |  das  tregt  er  als  in 
seinem  memoria  |  ym  was  plicetum  oder  geschaczt  |  vnd  was  für 
muscam  wirt  geschaczt  |  zu  kores  amtum  kan  er  aussen  j  rundel 
muteten  kan  er  slugmaussen  |  sein  haubt  ist  ein  solchs  gradual  |  zu 
gemessen  cantum  mit  solcher  zal  |  das  got  hat  selbs  genotirt  dor 
ein  I  wo  mag  ein  besser  meister  sein  |  dor  vmb  ich  nürnberg  preis 
und  lob  I  wan  sie  leit  allen  steten  ob.« 

»Würde  man    einen    seiner  Kunst    wegen    krönen,    so    sollte  er 
wohl  eine  goldene  Krone  tragen.« 


5.  Jahrgang.  Wien,  Februar  1918.  2.  Nunnmer. 


SÄ 


»Während  rings  die  Schöpfung  lacht,  ^ 

Ist  die  äuß're  Welt  uns  Nacht;  ^ 

Doch   die  inn  re  macht  uns  klärer  ^ 

Mitgeteiltes  Licht  der  Lehrer:  ^ 

Lehrer!   Heil  Euch,  Preis  und  Dank!  ^ 

^  (Die  blinden  Zöglinge  an  ihre  Lehrer).  «j 


Das  Tastlesen   der  Blindenpunktschrift 

von   KarlBürklen. 

Besprochen  von  Direktor  S.  Heller,  Wien. 

Die  wissenschaftliche,  insbesondere  die  psychologische  Begründung 
der  Blindenpädagogik,  deren  Notwendigkeit  allzulange  in  Frage  gestellt 
worden  ist,  hat  nun  Fortschritte  zu  verzeichnen,  die  immer  wirkungs- 
voller die  Auffassung  der  gestellten  Probleme  vertiefen,  die  Bildungs- 
gebiete stetig  erweitern  und  die  Ziele  pädagogischer  Tätigkeit  planmäßig 
erhöhen. 

Die  sent  i  ment  al  e  Beurteilung  des  Wesens  der  Blindheit,  welche 
die  unabänderliche  Unzulänglichkeit  des  -von  ihr  Betroffenen,  aber  auch 
seinen  Anspruch  auf  mildtätige  Unterstützung  begründen  sollte,  und 
eigentlich  nichts  anderes  war,  als  die  Verurteilung  des  Blinden  zu  einem 
tatenlosen  Scheinleben  in  erniedrigender  Abhängigkeit,  ist  nun  über- 
wunden. Die  Blindheit  wird  nicht  mehr  als  eine  Negation,  sondein  als 
eine  abgeänderte  Form  menschlicher  Entwicklung  zur  Leistungsfähigkeit 
bewertet,  und  die  Bedingungen  und  Elemente  zu  dieser  Entwicklung 
werden  aus  psycho-physikalischen  Experimenten  und  Beobachtungen 
abgeleitet. 

Unter  den  Schriften,  welche  nach  dieser  Methode  treffliches 
Material    herbeischaffen  und  es  für  die  wissenschaftliche  Ausgestaltung 


Seite  868.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen.  2.  Nummer, 

und  für  die  Praxis  der  Blindenpädagogik  verwerten,  nimmt  die  vorlie- 
gende Publikatiion  einen  ehrenvollen  Platz  ein.  Diesei  muß  ihr  nicht 
allein  wegen  der  exakten  Untersuchungen,  die  sie  anstellt  und  lückenlos 
verbindet,  sondern  auch  darum  eingeräumt  werden,  weil  sie  Aulschlüsse 
über  das  Tastlesen  verspricht  und  nicht  bloß  diese,  sondern  auch 
wertvolle  Beiträge  zur  Lehre  des  Tastens  überhaupt  bietet. 
Dabei  muß  hervorgehoben  werden,  daß  der  Autor,  der  modernen 
Forschung  folgend,  graphische  Darstellungen  durch  das  Experiment 
erzeugt,  sie  mit  Maßzahlen  interpretiert  und  mit  freimütiger  Erklärung 
das  Vorhandensein  von  Lücken  zugesteht,  die  sonst  durch  Hypothesen 
verdeckt  werden. 

Ein  solcher  Vorgang  wirkt  der  falschen  Analogie  zwischen  Gesichts- 
und Tastsinn  erfolgreich  entgegen,  von  welcher  Wundt  (Seite  7) 
sagt,  »dafi  sie  die  lange  Geschichte  der  Überwindung  von 
Vorurteilen  herbeiführte«,  die  aber  auch  der  Blindenpädagogik 
in    ihren  Bestrebungen    und  Zielen    eine  falsche  Richtung  gegeben  hat. 

Der  Gang,  welchen  der  Autor  in  seinen  Untersuchungen  und  in 
der  Darlegung  der  gewonnenen  Ergebnisse  nimmt,  sei  in  nachfolgenden 
Sätzen  zusammengefaßt : 

Die  Punktschrift  und  deren  Anordnung  im  aufrechten 
Sechspunktfelde  eignet  sich  besonders  für  das  Tastlesen, 
für  welche  nicht  die  Punktzahl,  sondern  die  charak- 
teristische Form  der  Zeichen  masgebend  ist.  —  Die 
gebräuchlichste  Größe  der  Zeichen  ist  7  mm  Höhe  und 
4.5  mm  Breite,  der  tauglichste  Abstand    zwischen  2 — 3  mm. 

—  Für  das  Tastlesen  kommen  besonders  die  Zeige-  und 
Mittelfinger  der  beiden  Hände  in  Betracht.  Der  Arm-  und 
Körperhaltung  ist  eine  besondere  Bedeutung  beim  Tast- 
lesen beizulegen.  —  Die  mechanische  Tätigkeit  hierbei 
besteht  in  verschiedenartigen  Bewegungen  der  Finger 
und  Hände,  zwischen  welchen  eine  Arbeitsteilung  statt- 
findet. Diese  Tastbewegungen  sind  teils  Such-  teilsErkenn- 
barkeitsbewegungenundnach  der  Lesefertigkeit  differieren 
ihre  Richtungen  von  der  fortlaufenden  Gradlinigkeit 
bis  zur  Verworrenheit.  —  Mit  den  Tastbewegungen  ist 
ein  entsprechender  Fingerd  ruck  verbunden,  der  bei  guten 
Lesern  gradlinig  und  gleichmäßig  ist  und  bei  Schwierig- 
keiten   sich    mit    den  vermehrten  Tastbewegungen  erhöht. 

—  Die  Abnahme  derTastempfindlichkeit  ist  wie  dieaUge- 
meine  Ermüdung  auch  nach  stundenlangem  Lesen  eine 
sehr  geringe.  —  DasLesen  vonWorten  un  d  Sät  zen  erfolgt 
durch  Erfassung  von  Wortbildern,  bei  Schwierigkeiten 
durch  Zerlegung  des  Wortbildes.  — 

Den  Höhepunkt  dieser  Grundsatzungen  bildet  die  letzt  angeführte, 
die  von  der  Erfassung  der  Wortbilder  durch  den  Tastsinn  handelt. 
Ihr  ist  die  Anmerkung  des  Autors  (Seite  4)  »Der  Vorgang  beim  Tast- 
lesen« entgegenzusetzen,  daß  über  die  innere  Auflassung  beim  Tast- 
lesen bisher  keine  Klarheit  gewonnen  werden  konnte,  eine  Anmerkung, 
die  geradezu  auffordert,  an  dieser  Aufklärung  mitzuwirken. 


2.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  östeneicliische  ßlindenwcsen.  Seite  869. 

Der  Annahme,  daß  der  Blinde  in  gleicher,  oder  in  ähnlicher 
Weise  wie  der  Sehende,  »Wortliilder«  zu  erwerben  vermag,  kann  die 
Berechtigung  wohl  nicht  zugebilligt  werden.  Auch  diese  Annahme 
fließt  aus  der  falschen  Analogie  zwischen  Gesichts-  und  Tastsinn,  welche 
Wundt  als  einen  Irrtum  bezeichnet. 

Wenn  der  Blinde  auch  die  Tastfunktion  mit  den  Fingern  beider 
Hände  zugleich  in  hochgesteigerter  Fertigkeit  ausübt,  so  kann  dadurch 
in  keiner  Weise  der  unwillkürliche  Überblick  des  sehenden  Auges 
ersetzt  werden,  welcher  das  Charakteristische  des  Lesestoffes  rasch 
und  sicher  erfaßt.  Werden  auch  durch  das  Tastlesen  gleiche  Resultate 
wie  durch  das  Lesen  mit  den  Augen  erworben,  die  Vorgänge  bei 
der  Erwerbung  differieren  doch  wesentlich  und  weisen  deshalb  auf 
eigenartige  methodische  Mittel  an. 

Wird  dem  blinden  Schüler  die  daktyle  Untersuchung  eines  Gegen- 
standes unbeeinflußt  überlassen,  so  vollzieht  er  dieselbe  in  der  Regel 
nur  fragmentarisch  und  beschränkt  sich  umsomehr  darauf,  je  weiter 
seine  Intelligenz  fortschreitet.  Schon  frühzeitig  sucht  er  an  den  Objekten 
fast  unwillkürlich  »Erkennungsmarken«  auf,  d.  h.  Merkmale,  welche 
ihn  für  eine  sprachl  i  che  Darstellung  in  den  Stand  setzen,  die  Gegen- 
stände zu  erkennen,  zu  unterscheiden  und  zu  beurteilen.  Diese  Fertigkeit 
wird  bei  verschiedenen  Personen  und  Gelegenheiten  verschieden  ausgeübt 
und  bis  zur  Virtuosität  gesteigert. 

Solche  Erkennungsmarken  bildet  der  blinde  Leser  auch 
individuell  und  spontan  an  Buchstaben,  Wörtern,  Wortverbindungen 
und  Sätzen,  sowie  für  ihre  Beziehungen  unter  einander  aus.  Sie  produ- 
zieren keineswegs  Wortbilder,  weil  doch  diese  eine  übersichtliche 
gruppenweise  Anordnung  zur  Voraussetzung  haben,  aber  si*^  ordnen 
wie  diese  den  mechanischen  Leseakt  den  reflektierenden  und  kombi- 
nierenden Maßnahmen  unter  und  bringen  ihn  so  zu  einer  Geläufigkeit, 
die  ein  Suchen  kaum  erkennen  läßt.  Somit  ist  die  Fertigkeit  im  Tast- 
lesen nur  im  Übergangsstadium  des  elementaren  Unterrichtes,  nicht 
aber  nach  demselben  ausschließlich  oder  auch  nur  vorzugsweise  von 
der  Tastfähigkeit  abhängig. 

Was  der  Autor  (S.  15)  in  wenigen  Worten  vortrefflich  über  den 
Lesevorgang  sagt,  bleibt  aufrecht;  es  soll  hierzu  nur  angemerkt  werden, 
daß  der  blinde  Leser  zum  Anfang  eines  nicht  erkannten  Wortes  zurück- 
kehrt, um   die  Erkennungsmarke  erneuert  aufzusuchen. 

Nachdrücklich  und  überzeugend  weist  der  Autor  (S.  21)  darauf, 
hin,  daß  die  Punktzahl  durchaus  nicht  jene  ausschlagende  Rolle  spielt 
welche  man  ihr  bisher  zugewiesen  hat,  daß  eine  Gruppe  dem  Tastgefühl 
größeren  Anhalt  gibt,  als  ein  oder  zwei  Punkte,  daß  nicht  die  Punktzahl, 
sondern  die  einheitliche  Form  des  Zeichens  als  charakteristisches 
Tastbild  zur  Auffassung  kommt. 

Die  Übereinstimmung  mit  dem  Autor  wird  sofort  hergestellt, 
wenn  die  Fassung  akzeptiert  wird,  daß  die  Charakteristik  und  zugleich 
die  Lesbarkeit  einer  Punktgruppe  umsomehr  zunimmt,  je  mehr  Gelegen- 
heit sie  zur  Bildung  von  Erkennungsmarken  bietet. 

Sollen  diese  die  Unterordnung  des  Leseaktes  unter  den  psychischen 
Vorgängen    der  Reflexion    und   Kombination    herbeiführen,    so    müssen 


Seite  870.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Bhndenwesen.  2.  Nummer. 

sie  selbst  möglichst  ihrer  mechanisierenden  Merkmale  entkleidet  werden. 
Dies  geschieht  am  besten,  wenn  die  Brailleschrift  als  System  dem 
Schüler  zum  vollem  Verständnis  gebracht  wird,  so  daß  er  es  im  Bew'USt- 
sein  der  darin  ausgeprägten  Ideen  anzuwenden  vermag.  Es  ist  dem 
Schüler  nachzuweisen,  wie  die  ersten  grundlegenden  10  Zeichen  durch 
die  Abstraktion  der  Grenzpunkte  der  Antiqua-Buchstaben  entstanden 
sind  und  wie  für  die  Bestimmung  des  restlichen  Alphabets  das  Prinzip 
der  Ableitung  und  der  Gegensätzlichkeit  in  Anwendung  gebracht  wurde. 

Besondere  Bedeutung  kommt  dem  Kapitel :  »Der  Vorgang  beim 
Tastlesen«  auch  darum  zu,  weil  sein  Inhalt  als  eine  Bereicherung 
der  allgemeinen  Blindenpsychologie  bezeicimet  werden  kann.  In  gebo- 
tener Kürze,  aber  mit  aller  Bestimmtheit  wird  auf  die  dem  Blinden 
eigentümlichen  Tastbewegungen  hingewiesen  und  auf  die  damit 
verbundenen  Tastzuckungen,  die  in  ihrer  Wesenheit  Wundt  als 
keine  ursprünglichen  Reflexe,  sondern  als  willkürliche  Bewegungen 
erscheinen  und  von  denen  Czermak  vermutet,  daß  sie  für  den  Blinden 
das  bedeuten,    was    dem  Sehenden   das  Einstellen  der  Sehaxe  ist. 

Über  die  Tastbewegungen  und  die  damit  verbundenen  Zuckungen, 
welche  wohl  als  unwillkürlich  gewordene  Tastbewegungen  bewertet 
werden  können,  sind  bisher  nur  Hypothesen  aufgestellt  worden;  sie 
verdienen  aber  die  genaueste  Beobachtung  u.  zw.  nicht  bloß  beim 
Tastlesen,  sondern  in  allen  Fällen,  in  denen  Tastfunktionen  zur  Erwer- 
bung realer  Erkenntnisse  dienen.  Die  Ergebnisse  werden  Autschlüsse 
darüber  verschaffen,  wie  innere  Vorgänge  sich  im  Tastakte  des  Blinden 
offenbaren.  Mit  Recht  sagt  der  Autor:  (S.  14)  »Aus  den  beobachteten 
Tastbewegungen  ließ  sich  erkennen,  daß  das  Tasten  kein  einfacher 
sondern  ein  kombinierter  Vorgang  ist,  bei  dem  neben  den  äußeren 
auch  innere  Tastempfindungen  mitspielen.« 

Aut  diese  inneren  Vorgänge  weisen  aber  auch  die  von  dem  Autor 
unternommenen  Experimente  bezüglich  der  Druckstärke  hin.  Wäh- 
rend er  findet,  »daß  das  Tastlesen  bei  guten  Lesern  mit  einem  ver- 
hältnismäßig geringen  und  gleichmäßigen  Fingerdruck  vor  sich 
geht«  —  demnach  bei  schlechten  Lesern  mit  den  gegenteiligen  Er- 
scheinungen —  kommt  er  doch  zu  dem  Schlußergebnis,  »daß  jeder 
Leser  aus  dem  charakteristischen  Verlaufder  Drucklinien 
zu  erkennen  ist,  so  individuell  sind  diese  Linien  gestaltet.« 

Damit  ist  gesagt,  daß  sich  die  Gleichmäßigkeit  des  Tastaktes  und 
und  in  ihrem  Gegensatz  Merkmale  der  Eigenart  unkontrollierbarer 
innerer  Vorgänge  konstatieren  lassen  und  dies  bestätigt  im  weiteren 
Sinne  die  Annahme,  daß  der  Blindenunterricht  die  Schüler  zu  den 
verschiedensten  Leistungen  wohl  anleiten,  nicht  aber  die  freie,  der 
Individualität  des  Schülers  angemessene  Ausführung  bestimmen  kann. 

Der  Hinweis  des  Autors  darauf,  daß  das  Tasten  nicht  bloß  beim 
Tastlesen,  sondern  im  allgemeinen  keine  einfache  sondern  eine  kom- 
binierte Aktion  ist,  mußte  notwendig  dazu  führen,  die  Faktoren 
dieser  Kombination  in  Betracht  zu  ziehen.  Als  solche  erkennt  der  Autor 
(S.  14)  die  von  Th.  Heller  aufgestellte  Unterscheidung  von  synthe- 
tischem und  analysi  er  en  dem  Tasten  unr^  die  Lehrsätze  an,  »daß 
das  synthetische  Tasten  (mittelst  des  Raumsinnes  der  Haut)  nicht  ge- 
nügt,   um    dem    Blinden    adäquate  Vorstellungen    zu  schaffen,    sondern 


2.   Nummer.  Zeitschrift  lüi    das  österreichische   iJliii(ieiuvi-t  en.  Seite  871. 

daß  hierzu  das  Tasten  mit  bewegten  Tastorganen  (analysierendes 
Tasten)  unentbehrlich  ist,  daß  das  unvoUkotninene  synthetische  Tasten 
nichts  anderes  veimittelt,  als  ein  schematisches  Gesamtbild  kleiner 
Objekte,  das  erst  durch  analysierende  Tastbewegungen  verdeutlicht 
werden  kann.«  — Unverkennbar  steht  das  syntiietische  Tasten  mit  der  Ge- 
winnung der  oben  abgehandelten  »Erkennungsmarken«  in  Bezie- 
hung, wird  das  analysierende  Tasten  dazu  verwendet,  zunächst 
Ungenauigkeiten  zu  korrigieren,  dann  Größe,  Gestalt,  Anordnung  der 
Details,  Stoff  und  andere  Merkmale  nach  ihrer  Wesenheit  zu  bestimmen. 
Geradeso,  wie  das  analysierende  Tasten  zur  genauen  detaillierenden  Deutung 
also  zur  Vergeistigung  nicht  entbehrt  werden  kann,  ist  das  synthetische 
zur  Schaffung  von  Grundlagen  umso  notwendiger,  als  es  Eninnerungs- 
bilder  an  gleiche  oder  ähnliche  Objekte  erweckt.  Das  synthetische  Tasten 
liefert  also  die  konkrete  Grundlage  für  die  psychischen  Vorgänge,  die 
durch  das  analysierende  Tasten  herbeigeführt  werden  und  in  ihrem 
Umfange  und  ihrem  Werte  durch  Aufgaben  Fragen  und  Anregungen 
eines  geistbildenden  Unterrichtes  hochgesteigert  werden  können.  Der 
Charakter  des  analysierenden  Tastens  hängt  von  dem  Zwecke  ab,  der 
ihm  gegeben  wird  ;  er  ist  fragwürdig,  wenn  das  Tasten  der  Beschrei- 
bung allein,  er  wird  beherrschend,  wenn  er  auch  der  zielbewußten 
Nachbildung  (dem  Modellieren  und  der  Handfertigkeit)  dient.  Damit 
ist  ein  methodisches  Gesetz  für  den  Blindenunterricht 
gegeben. 

Das  große  Verdienst,  welches  sich  der  Autor  durch  die  vorliegende 
Arbeit  erworben  hat,  würde  er  noch  erhöhen,  wollte  er  seine  Unter- 
suchungen auf  die  blinden  Kinder,  die  das  Lesen  eben  erlernen, 
ausdehnen.  Die  dadurch  zu  erzielenden  Ergebnisse  würden  die  er- 
wünschte Gelegenheit  bieten,  Fragen  zu  erörtern,  welche  in  dieser 
Besprechung  unbeantwortet  bleiben  mußten. 


Das  Vorlesen  in  der  Blindenschule. 

Den  Zöglingen  der  Blindenanstalten  wird  durch  die  mehr  oder 
minder  reich  ausgestatteten  Schülerbücherei  Uektüre  in  Punktschrift 
geboten.  Dem  Lesebedürfnis  der  Zöglinge  vermögen  aber  auch  die 
best  ausgestatteten  Schülerbüchereien'nicht  zu  genügen,  denn  die  darin 
enthaltenen  Büehsr  sind  meistens  bald  durchgelesen;  für  keinen  Fall 
reichen  sie  für  eine  Bildungszeit  von  einem  Jahrzehnt  und  darüber. 
Es  darf  auch  nicht  vergessen  werden,  daß  die  Zahl  der  Jugend- 
schriften in  Punktdruck  eine  äußerst  geringe  ist,  denn  der  größere 
Teil  der  Punktschriftliteratur  wurde  ja  für  Erwachsene  geschaffen. 
Es  heißt  also  diese  Lücke  durch  handschriftliche  Übertragungen  aus- 
zufüllen. Aber  auch  bei  dem  größten  Eifer  des  Verwalters  einer 
Schülerbüchcrei  in  der  Beschaffung  von  Jugendschriften  in  Punktdruck 
bleibt  er  sich  gegenüber  den  Wünschen  der  jungen  Leser  der  Unzu- 
länglichkeit seines  Bücherschatzes  bewußt.  Außerdem  kostet  es  ihm 
große  Mü'he,  jeden  einzelnen  Leser  eine  entsprechende  Stufenfolge 
im  Lesestoffe  einhalten  zu  lassen,  so  daß  die  Lektüre  oft  genug  zur 
Planlosigkeit  ausartet,  besonders  wo  den  ■Wür>sChen  der  Leser  frag- 
los nachgekommen   wird. 


Seite  R72.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  2.  Nummer. 

Die  Unzulänglichkeit  der  SchülerbUcherei  hat  zur  Einführung  von 
besonderen  Vorlesestunden  in  den  Blindenanstalten  geführt. 
Die  Vorteile  dieser  Vorlesestunden  liegen  auf  der  Hand.  Es  kann 
der  Lesestoff  nicht  nur  einer  größeren  Anzahl  von  Zuhörern  darge- 
boten werden,  sondern  das  lebendige  Wort  wirkt  in  einem  fesselnden 
Vortrage  auch  ganz  anders  als  der  tote  Buchstabe.  Von  besonderem 
Werte  ist  es  schließlich,  die  Lektüre  durch  das  Vorlesen  vollkommen 
planmäßig  gestalten  zu  können.  Das  geschieht  dadurch,  daß  die 
Zöglinge  nach  Bildungsgruppen  bis  zu  20  zusammengefaßt  werden 
und  der  Lesestoff  der  Stufe  entsprechend  ausgewählt  wird. 

Die  Vorlestunden  liegen  wohl  außerhalb  des  Unterrichtsrahmens. 
Dennoch  darf  die  Beziehung  hiezu  nicht  außeracht  gelassen  und  eine 
möglichst  innige  Verknüpfung  mit  dem  jeweiligen  Unterrichtsstoffen 
angestrebt  werden.  Am  ehesten  kann  dies  erreicht  werden,  wenn  ein 
Klassenlehrer  der  betreffenden  Bildungsstufe  das  Vorlesen  übernimmt. 
Sowohl  diese  Rücksicht,  als  auch  die  Notwendigkeit  eines  einwand- 
freien Vortrages  verlangt  einen  pädagogisch  gebildeten  Vorleser.  Von 
der  Verwendung  einer  beliebigen  Person,  die  sich  vielleicht  freiwillig 
für  das  Vorlesen  meldet,  ist  wenig  oder  gar  nichts  zu  erwarten. 
Natürlich  ist  das  gelegentliche  Auftreten  eines  Vortragsmeisters,  der 
Formvollendetes   darzubieten   vermag,  damit  nicht  gemeint. 

Die  peinlichste  Sorgfalt  erfordert  die  Auswahl  des  Lesestoffes 
für  diese  Stunden.  Bei  den  Zöglingen  sind  die  Vorlesestunden  darum 
besonders  beliebt,  weil  sie  das  Vorgetragene  nicht  nur  in  aller  Be- 
quemlichkeit aufnehmen  können,  sondern  die  Vorlesestunde  als  reine 
Unterhaltungsstunde  auffassen  und  dem  Vorlesenden  mit  ihren  Bitten 
gern  in  dieser  Richtung  zu  lenken  suchen.  Hiezu  soll  nun  die  Vor- 
lesestunde niemals  herabsinken,  wenn  sie  ihren  Zweck  erfüllen  soll. 
Es  ist  vielmehr  Belehrungs-  und  Unterhaltungsstoff  in  angemessener 
Abwechslung  darzubieten.  Wie  schon  gesagt,  liegt  jedoch  in  dieser 
Zusammenstellung  des  Lesestoffes  die  Hauptschwierigkeit  und  es  wäre 
mit  Freuden  zu  begrüßen,  wollten  sich  die  Anstalten  über  die 
Grundzüge  eines  Leseplanes,  der  alle  Bildungsstufen  zu 
umfassen  hätte,  einigen.  Es  sollte  ein  Canon  von  Lese- 
stoffen geschaffen  werden,  der  für  jeden  Fall  gelesen 
werden  müßte.  Die  Angabe  der  Altersstufe  und  der  Lesezeit  für 
jedes  Stück,  könnte  dem  Vorleser  eine  solche  Auswahl  ermöglichen, 
daß  er  auch  nach  seinen  eigenen  Wünschen  Rechnung  zu  tragen 
vermöchte. 

Einen  besonderen  Platz  in  den  Vorlesestunden  hat  die  Zeitung 
einzunehmen.  Was  daraus  den  Zöglingen  mitzuteilen  ist,  muß  natür- 
lich dem  Vorleser  überlassen  werden.  Dies  allein  ist  Grund  genug, 
nur  eine  pädagogisch  gebildete  Lehrkraft  zum   Vorleser  zu   wählen. 

Schließlich  soll  kein  Stück  gelesen  werden,  ohne  daß  die  Zög- 
linge angeregt  werden,  sich  über  das  Gehörte  auszusprechen.  Anderseits 
darf  die  Vorlesestunde  dadurch  nicht  zur  Unterrichtsstunde  werden. 
Aber  es  erscheint  äußerst  wertvoll,  das  Gehörte  in  ein  paar  Sätzen 
zusammenzufassen,  vielleicht  eine  Nutzanwendung  zu  ziehen  und  damit 
das  Aufgenommene  im   Gedächtnisse  der  Zuhörer  zu  befestigen. 


2.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Hlindenweseii.  Seite  873. 

Die  Zahl  der  wöchentlichen  Vorlesestiinden  ist  in  den  Anstalten 
sehr  verschieden.  Vor  einem  Übermaß  dieser  Stunden  muß  ebenso 
gewarnt  werden,  wie  davor,  die  Stunden  dann  abzuhalten,  wenn 
gerade  Zeit  hiezu  ist.  Die  Vorlesestunden  sind  vielmehr  fest  anzusetzen 
und  regelmäßig  abzuhalten.  Das  Ausmaß  von  zwei  Wochenstunden 
für  jede  Gruppe  erscheint  vollauf  genügend. 


Eine  österreidiische  Blindenzeitung. 

Wir  stehen  vor  der  erfreulichen  Tatsache,  den  langgehegten 
Wunsch  der  Blinden  Österreichs  nacli  einer  Zeitschrift  in  Punktdruck, 
die  unter  dem  Titel  »Österr.  Blindenzeitung«  vorerst  monatlich,  später 
in  kürzeren  Zeiträumen  erscheinen  soll,  der  Erfüllung  nahe  zu  sehen. 
Das  Verdienst,  die  Herausgabe  dieser  Zeitschrift  ermöglicht  zu  haben, 
gebührt  dem  Verein  »Technik  für  die  Kriegsinvaliden«  (Aktion 
Geheimer  Rat  Wilhelm  Exner)  und  innerhalb  dieser  dem  Dozenten 
Dr.  Max  Herz  in  Wien,  welcher  sein  neues  Verfahren  zur  Herstellung 
der  Punktschrift  für  Blindenzwecke  zur  Verfügung  stellte.  Gedruckt 
wird  die  Zeitschrift  in  der  von  obgenannten  Verein  eingerichteten 
Blindenbuch- und  Noten-Schablonieranstalt  in  Wien  14.  Ullmannstraße  2. 

Die  Schriftleitung  sowie  den  Versand  hat  der  »I.  österr.  Blinden- 
verein«  Wien,  8.   Florianigasse  41    übernommen. 

Verantwortlicher  Schriftleiter  ist  der  Blindenlehrer  Ottokar 
Wanecek  in  Purkersdorf,  an  den  alle  die  Schriftleitung  betreffenden 
Zuschriften  zu   senden  sind. 

Die  ersten  drei  Nummern  der  Zeitung  werden  den  Lesern 
unentgeltlich  zur  Verfügung  gestellt,  worauf  Mitteilungen  über  den 
Bezugspreis  gemacht  werden  sollen. 

Mit  der  Herausgabe  der  »Österr.  Blindenzeitung«  soll  nicht  nur 
das  neuartige  Druckverfahren  seine  Lebensfähigkeit  erweisen,  sondern 
den  Blinden  Österreichs  ein  Blatt  geboten  werden,  aus  dem  sie 
Aufklärung,  Belehrung  und  Unterhaltung  schöpfen  können. 

Dies  umfassende  Wollen  kann  aber  nur  möglich  werden,  wenn 
alle,  die  berufen  sind  zur  geistigen  und  wirtschaftlichen  Befreiung 
der  Blinden,  mit  Hand  anlegen.  Sie  alle  seien  hiemit  gebeten,  mitzu- 
arbeiten am  Ausbau   der   »Österr.  Blindenzeitung.« 


Gesang  der  Blinden. 

Von  Hermann  Lingg. 

Horch,   aus  tiefstem  Lebensabgrund, 
Drin  kein   Lichtstrahl  je  hinabtaucht, 
Sucht  die  S:imme  frommer  Blinden 

Aufzutönen 

Nach  dem   Schönen, 
Im   Gesang  ein   Licht  zu  finden. 


Seite  874.  Zeitschritt  für  das  östereichische  Hlindenwesen.  2.  Nummer, 

Klaglos  in  der  dunklen  Wohnung, 

Wo  kein  Bild   die  kahle  Wand  schmückt, 

Träumen  sie  hinab  die   Stunden, 

Still  genügsam. 

Fromm   und  fügsam 
Und  in  Eintracht  gramverbunden. 

Lichtlos  sitzen   sie  beim  Nachtmahl 
Wie  die   Schatten   in   der  Grabnacht. 
Keiner  Lampe  trautes  Leuchten 

Kann  der  Kranken 

Nachtgedanken 
Mit  der  Hoffnung  Tau  befeuchten. 

Niemals  können  sie  sich  selig 
Blick  in  Blick   und  liebend  ansehn  ; 
Nur  im  Hauch,   nur  im  Berühren 

Nahen  süße 

Seelengrüße, 
Wenn   sie  Hand   an   Hand  sich   führen. 

Steigt  vor  ihrem   Geist  die   Schöpfung 
Als  ein  Tönemeteor  auf, 
Schmerzlich  ringen  sie  nach  Bildern, 

Ihr  Entzücken 

Auszudrücken, 
Ewiges  im   Wort  zu   schildern. 

Wie  ein   Sturm   der  Nacht   durchatmet's 
Ihre  Brust  in  wilder  Andacht, 
Drängt  ihr  Herz,   ein  Wonnetoben 

Auszuweinen 

Vor  dem  Einen, 
Den  auch  Sterne  tönend  loben. 


Personalnachrichten. 

—  P.  Johann  Vach  al  -{-.  Im  November  1917  starb  nach  längerem 
Leiden  in  Leitmeritz  der  Direktor  der  dortigen  Taubstummenanstalt  Herr 
P.  Johann  Väch  al  im  61 .  Lebensjalire.  Der  Verstorbene  war  ein  Idealist 
und  Priester  in  edelstem  Sinne  des  Wortes,  ein  Mann  der  stets  nur  für 
andere,  für  sich  selbst  aber  garnicht  sorgte,  allem  Schein  abhold, 
von  geradem,  offenem  Wesen.  Von  einfachen  Eltern  stammend  — 
seine  Mutter  war  taubstumm  —  lernte  er  frühzeitig  menschliches 
Elend  empfinden.  Ursprünglich  für  einen  anderen  Beruf  bestimmt, 
beschloß  er  in  gereiften  Jahren,  nachdem  er  seiner  Militärpflicht  als 
einfacher  Soldat  Genüge  geleistet  hatte,  Theologie  zu  studieren.  Als 
Priester  wandte  er  sich  den  Ärmsten  der  Armen  zu  :  den  Blinden  und 
Taubstummen.  Er  wirkte  lange  Jahre  an  der  Klar'schen  Blindenanstalt 
in  Prag  und  später  als  Lehrer  Uind  Katechet  an  der  Taubstummen- 
anstalt in  Leitmeritz. 


2.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BUndenwescn.  Seite  875. 

—  Der  (lef.  Lehrer  II.  Kl.  Friedrich  Bodo  wurde  von  der  n.  ö.  Landes- 
Taubstummenanstalt  in  Wien  XiX  zur  aushilfsweisen  Dienstleistung  der  n.  ö.  Landes- 
Blindenanstalt  in  Purkersdorf  zugewiesen. 


flus  den  Anstalten. 

—  Tirol.  Vorarlb'  B  li  n  d  e  n  i  n  s  t  it  u  t  e  in  Innsbruck. 
Festfeier.  Am  21.  Jänner  überreichte  Seine  Exzellenz  Herr  Statt- 
halter Dr.  Rudolf  Graf  von  Meran  dem  hochwiirdigen  Herrn  Johann 
Vi  n  atzer,  Stadtpfarrej  in  Innsbruck-PradI  und  Direktor  des  Blinden- 
institutes  das  ihm  von  Seiner  Majestät  verliehene  goldene  Verdienst- 
kreuz mit  der  Krone.  Er  hob  bei  diesem  Anlasse  die  Verdienste 
des  Ausgezeichneten  um  den  Bau  der  neuen  romanischen  Pfarrkirche, 
um  die  VerwundetenfiJrsorge,  besonders  aber  die  väterliche  Sorge 
um   das   Wohl  der  Blinden  in  Tirol  hervor. 

Aus  diesem  Grunde  versammelten  sich  am  28.  Jänner  Lehrper- 
sonen, ehrw.  Schwestern  und  die  Zöglinge  der  Anstalt,  um  gemeinsam 
ihrem  hochverehrten  nun  schon  zum  drittenmale  ausgezeichneten 
Herrn  Direktor  die  aufrichtigsten  Glückwünsche  darzubringen.  Vor 
dem  festlich  geschmückten  Bilde  Seiner  Majestät  hielt  Herr  Lehrer 
Troyer  eine  Ansprache,  in  welcher  er  die  mühereiche  Arbeit  des 
Gefeierten   um  das  Wohl   der  Leidenden  hervorhob. 

In  begeisterten  Worten  kündete  ein  Festgedicht,  die  hohe  Würde 
und  Bedeutung  dieses  Tages.  Den  Schluß  der  seltenen  Feier  verherr- 
lichte  die  Kaiserhymne. 

Hochw.  Herr  Direktor  dankte  in  bewegten  Worten  und  versprach 
für  den   nächsten  P'erialtag  einen  gemeinsamen  größeren   Ausflug. 

—  Weihnachtsfeier  im  Kaiser  Karl-Kriegsblindenheim  in 
Wien  XIII.  Am  21.  Dezember  1917  fand  im  Kaiser  Karl-Kriegsblindenheim  zu  Wien- 
Baumgarten  für  die  dort  untergebrachten  Kriegsblinden  und  die  Zivilblinden  des 
Kaiser  Franz-Josef-Biindenarbeiterheimes  eine  gemeinsame  Feier  statt.  Nach  einigen 
stimmungsvollen  Zither-  und  Violinvorträgen  der  Kriegsblinden  wurde  das  Weih- 
nachtslied gesungen,  worauf  der  Präsident  des  Vereines  zur  Fürsorge  für  Blinde, 
Herr  Hofrat  Edler  von  Herdliczka,  nachdem  er  die  Kriegs-  und  Zivilblinden  mit 
liebevollen,  vom  Herzen  kommenden  und  zu  Herzen  gehenden  Worten  begrülit 
hatte,  den  großen  Wert,  welchen  die  Arbeit  für  die  Blinden  hat,  besprach  und  den 
Wunsch  ausdrückte,  daß  alle  Lichtlosen,  die  in  den  beiden  Heimen  Aufnahme  finden, 
in  Eintracht  zusammenleben,  und  sich  bei  der  Arbeit  zufrieden  fühlen  mögen. 
Schließlich  machte  er  die  erfreuliche  Mitteilung,  daß  eine  edle  Wienerin,  die  in 
den  westlichen  Bezirken  als  stille  Wohltäterin  geschätzte  Frau  Franziska  Tursa, 
jedem  der  33  Kriegsblinden  eine  Weihnachtsgabe  von  100  Kronen  und  der  Verein 
zur  Fürsorge  für  Blinde  jedem  Zivilblinden  eine  Weihnachtsspende  von  30  Kronen 
gewidmet  habe.  Nach  Verteilung  dieser  Geldbeträge  sowie  gespendeter  Bäckereien 
und  Zigaretten  dankte  ein  kriegsblinder  Korbflechter  der  hochherzigen  Wohltäterin 
Frau  Tursa  für  die  reichliche  Weihnachtsgabe  und  dem  Präsidium  des  Vereines 
zur  Fürsorge  für  Blinde  für  die  den  kriegsblinden  zugewandte  erfolgreiche  Fürsorge, 
Ein  zivilblinder  Bürstenmacher  sagte  im  Namen  der  blinden  Arbeiter  herzlichen 
Dank  dem  Herrn  Hofrate  von  Herdliczka  für  die  Liebe  die  er  den  Blinden  stets 
entgegenbringt,  dankte  ferner  dem  Vereine  zur  Fürsorge  für  Blinde  für  die  Errich- 
tung des  Kaiser  Franz-Josef-Blindenarbeiterheimes  und  des  Kaiser  Karl-Kriegsblin- 
denheimes, gedachte  mit  Worten  der  Dankbarkeit  jener  Menschenfreunde  und 
Wohltäter,  die  durch  Spenden  den  Bau  der  beiden  Heime  ermöglichten,  und  sprach 
den  Wunsch  aus,  daß  sich  auch  weiterhin  gütige  Menschen  finden  mögen,  die  zur 
Förderung  und  Erweiterung  der  beiden  notwendigen  Wohlfahrtsanstalten  beizutragen 
bereit  sind.  Nun  folgten  einige  Gitarre-  und  Violinvorträge,  die  gut  gefielen.  Hierauf 
ergriff    Exzellenz    Feldmarschalleutnant   Fekete    de    Belatalva    das    Wort.     Ei 


Seite  876.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  2.    Nummer. 

feierte  in  eindrucksvoller  Rede  die  Kriegsblinden,  die  auf  dem  Schlachtfelde  ihr 
Augenlicht  für  Kaiser  und  Vaterland  hingaben,  als  Helden,  hob  die  wohlwollende 
Fürsorge  hervor,  die  ihnen  im  Kaiser  Karl-Kriegsblindenheime  zuteil  wird,  und 
pries  das  uneigennützige  und  segensreiche  Wirken  des  Herrn  Hofrates  von  Herd- 
liczka,  der  als  Präsident  des  Vereines  zur  Fürsorge  für  Blinde  unermüdlich  tätig 
ist,  um  den  Blinden  die  schwere  Last  des  Unglücks  zu  erleichtern.  Er  schloß  mit 
einem  stürmisch  aufgenommenen  Hoch  auf  den  gütigen  Landesvater  und  helden- 
haften Kaiser  Karl  I.  Mit  der  Absingung  der  Volkshymne  fand  die  schöne  Feier 
—  ein  wahres  Familienfest  —  einen  würdigen  Abschluß. 

—  Der  Chor  der  Blinden-Beschäftigungs-  und  Versorgungs- 
anstalt in  Linz,  der  an  gewissen  Tagen  des  Jahres  regelmäßig  in  verschiedenen 
Kirchen  von  Linz  die  Musik  zu  besorgen  hat,  wurde  kürzlich  in  ganz  besonderer 
Weise  in  Anspruch  genommen.  In  den  Tagen  von  6.  —  9.  Dezember  v.  J.  fand  in 
der  Karmeliten-Kirche  und  vom  3.  —  6.  Jänner  d.  J.  in  der  Kirche  der  Karmeli- 
tinnen  eine  Seligsprechungsfeier  statt,  bei  der  folgende  Werke  zur  Aufführung  ge- 
langten: Kempter  Messe  in  D,  op.  9  und  in  G,  op.  15,  Faist  Messe  in  Es,  op.  8; 
Lauretanische  Litaneien  von  Schöpf,  Witt  und  Spieß,  Herz  Jesu-Litanei  von  Mitte- 
rer  ;  Te  Deum  von  Rihovsky,  op.  4,  Asperges  von  Pernklau;  verschiedene  Tantum 
ergo  und  Einlagen  zu  den  Messen. 

Durch  die  Zeitverhältnisse  veranlaßt  fand  die  Christbaumfeier  1917  beider 
Linzer  Blindenanstalten  zum  erstenmal  gemeinsam  statt.  Am  Abend  des  24.  Dezem- 
ber versammelten  sich  die  Zöglinge  und  Ptieglinge  im  Festsaal  der  Beschäftigungs- 
und Versorgungsanstalt  zur  schönen  Feier  mit  folgender  Vortragsordnung:  1.  Lob- 
gesang (Altdeutsch).  2.  Müller:  Der  gute  Ruprecht.  3.  Tippner:  Christkindchens 
Traum.  4.  Reigen  (in  Verbindung  mit  »Stille  Nacht,  heilige  Nacht«).  5.  Wolf-Reger: 
Schlafendes  Jesuskind.  6.  Rheinberger:  Vision.  7.  Mendelssohn:  Wie  lieblich  sind 
die  Boten.  (Aus  »Paulus«)  Hieran  schloß  sich  eine  Ansprache  des  Direktors  und  die 
Verteilung  der  Christgeschenke.  F. 


flus  den  Vereinen. 

—  Zwanzigjähriger  Bestand  des  »Ersten  Österr.  Blinden  ver- 
ver eines«  in  Wien  VIII.  Zwanzig  Jahre  bedeuten  nichts,  gemessen  an  der 
ewigen  Zeit!  Und  doch  bergen  sie  in  sich  eine  Fülle  von  unermüdlicher  Arbeit, 
reichen  Schaffens  und  dauernden  Erfolges  für  uns  und  die  kommenden  Geschlechter. 
Der  sich  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  vorigen  Jahrhunderts  in  allen  Geschäfts- 
kreisen durchringende  mächtige  Gedanke,  daß  nur  durch  den  festen  Zusammenschluß 
aller  Interessenten  eine  wirksame  Förderung  ihrer  sozialen  und  wirtschaftlichen 
Ziele  erreicht  werden  könne,  fand  auch  bei  e  ner,  wenngleich  anfangs  geringen  Zahl 
erfahrener,  im  Leben  stehender  Blinder  verständnisvolle  Aufnahme  und  führte  am 
13.  Dezember  1897  zuerst  zur  Gründung  des  Ersten  Blindenunterstützungs- 
vereines  für  N.  Ö.  Hundeit  Jahre  Erziehung  materieller  und  geistiger  Ausbildung 
sind  nicht  fruchtlos  an  uns  vorübergegangen,  sie  haben  den  Beweis  unserer  bürger- 
lichen Brauchbarkeit  erbracht,  haben  in  uns  den  heißen  Wunsch  erweckt,  der  sehen- 
den Welt  zuzurufen:  Wir  wollen  kein  Gegenstand  sagenhafter  Verehrung  oder 
Bewunderung  sein,  wie  einst  die  blinden  Seher  des  Altertums,  kein  Objekt 
abgestumpfter  Gleichgültigkeit  oder  demütigenden  Mitleids,  wie  es  die  W'elt  noch 
heute  mit  den  Blinden  zu  halten  pflegt,  nein,  wir  wollen  uns  betätigen,  entsprechend 
unseren  Fähigkeiten,  wollen  der  Gesellschaft  nützen,  wollen  selbst  mitarbeiten  an 
der  Fürsorge  für  unsere  schwachen  Leidensbrüder  zum  Wohle  aller  Blinden!  Darin 
liegt  die  große  Bedeutung  dieser  Gründung,  als  eines  Werkes  der  Selbsthilfe!  Und 
deshalb  soll  die  Erinnerung  an  diesen  Tag  unverlöschbar  ins  Gedächtnis  eines 
jeden  Blinden  Österreichs  sich  einprägen,  als  der  Beginn  einer  neuen  Epoche!  Ferne 
aber  stehen  wir  von  jeder  Selbstüberhebung  oder  Überschätzung  unseres  Könnens; 
wir  sind  uns  der  von  der  Natur  gesetzten  Schranken  wohl  bewußt  und  erkennen^ 
daß  wir  das  Erreichte  nur  mit  selbstloser  und  hingebungsfreudiger  Opferwilligkeit 
der  sehenden  Freunde  erlangen  konnten  und  weiter  ausgestalten  können!  Bis  zum 
Eintreten  des  Vereins  in  die  Blindenfürsorge  gab  es  wohl  manche  Wohlfahrtsein- 
richtungen, welche  sich  die  Obsorge  für  ihre  Schutzbefohlenen  in  reichem  Maße 
angelegen  sein  ließ,  aber  es  gab  noch  keine  Organisation  der  außerhalb  dieser  Ein- 
richtungen lebenden  Blinden.     Dieses    unserem  Verein  von  allen  übrigen  Fürsorger' 


2.  Nummer.  Zeitschrift  tiir  das  österreichische   Hlindenwesen.  Seite  877, 

einrichtungen  wesentlich  unterscheidende  Merkmal  haben  wir  bei  der  am  17.  Fe- 
Lruar  1913  erfolgten  Erweiterung  zum  Ersten  österr.  Blindenverein  schon 
im  Titel  unzweifelhaft  hervorgehoben.  War  bis  dahin  die  geschlossene  Fürsorge, 
die  Untcrbiingung  der  Blinden  in  Versorgungs-  und  Beschäfligungsanstalten  und 
später  in  Heimen,  das  fast  ausschlielSlichc  Ziel,  so  tritt  unser  Verein  mit  allem 
Nachdrucke  für  das  Prinzip  der  »freien«  Fürsorge,  der  möglichsten  Förderung  der 
außerhalb  der  geschlossenen,  im  Lebenskampf  alleinstehenden  Blinden  ein;  es  ist 
dies  sicherlich  kein  Kampf  gegen  die  erstere,  deren  Bestand  unentbehrlich  ist, 
sondern  eine  notwendige  Ergänzung  derselben,  wie  sie  sich  schon  aus  der  über- 
wältigend großen  Maße  der  unversorgten  Blinden  ergibt.  Alles,  was  der  Verein  in 
diesen  zwanzig  Jahren  zielbewußter  Arbeit  geschafien,  die  materielle  Unterstützung 
in  Geld  und  Arbeitsmaterial,  die  Gründung  einer  Krankenkasse  für  Wien  (I901j 
die  Errichtung  einer  Arbeitsvermittlungs-  und  Verkaufsstelle  von 
Blindenerzeugnissen  (1903),  die  Schaffung  von  auf  genossenschaftlicher  Grundlage 
ruhenden  Werkstätten  für  Handwerker  (1907),  die  Förderung  der  geistigen  Be- 
düifnisse  durch  Vermittlung  von  Lektüre  usw.,  all  das  ist  ein  Beweis  unseres 
Strebens,  dem  vorgestecktem  Ziele  nahe  zu  kommen.  Wo  immer  sich  Gelegenheit 
geboten  hat,  bei  den  österr.  Blinden-Fürsorgetagen  und  den  deutschen  Blinden- 
lehrer-Kongressen, bei  den  deutschen  Blindentagen,  bei  der  Enquete  über  das 
österr.  Blindenwesen,  überall  hat  der  Verein  die  Interessen  der  selbständigen 
Blinden  mit  Nachdruck,  mit  Erfolg  wahrgenommen.  Aus  den  bescheidensten 
Anfängen  heraus,  und  nicht  ohne  Überwindung  mancher  Widerstände  hat  sich 
unser  Verein  zu  einem  angesehenen,  auf  sicherer  Grundlage  ruhenden  Werke  ent- 
wickelt, das  sich  in  ganz  Österreich  wärmster  Teilnahme  erfreut.  Immer  stärker 
erwacht  das  Gefühl  der  Zugehörigkeit  unserer  ferne  lebenden  Brüder  zum  Ersten 
österr.  Blindenverein,  ihrem  natürlichen  Schutz  und  Helfer!  Nicht  zuletzt  sind  es 
unsere  braven  Helden,  die  Kriegsblinden,  welche,  trotz  des  merkwürdigen  Versu- 
ches, sie  als  eine  besondere  Klasse  von  Blinden  zu  behandeln,  nach  ihrer  Rückkehr 
ins  Zivilleben  innige  Fühlung  und  Anschluß  an  den  Verein  suchen  und  linden. 

Und  nun  den  Blick  in  die  Zukunft!  Der  kommende  Friede  bringt  eine  neue 
Zeit  auch  für  uns!  Manches  Vorurteil  ist  gefallen  und  die,  wenn  auch  beklagens- 
werte neue  Erscheinung  der  Kriegsblinden  hat  der  Gesellschaft  die  Augen  geöffnet, 
was  uns  sonst  niemals  geglückt  wäre.  Günstigere  Verhältnisse  für  die  gewerbliche 
Tätigkeit,  Einführung  neuer  Berufe,  Erschließung  der  Altersversicherung  für  beruf- 
lich tätige  Blinde,  Erweiterung  der  Krankenversicherung  innerhalb  des  Vereines, 
Ausgestaltung  der  Rohstoffabgabe,  Schaffung  gemeinsamer  Arbeitsstätten  für  weib- 
liche Blinde  usw.  Auf  realem  und  geistigem  Gebiete  sind  allgemeine  und  besondere 
Aufgaben,  welche  in  nächster  Zeit  ihrer  Lösung  harren.  Aus  dem  Erfolge  von 
20  Jahren  wollen  wir  frische  Kraft  zu  neuer  Arbeit  schöpfen  in  unerschütterlichem 
Zusammenschluß.  A.  v.  H. 

—  Humanitärer  Blindenverein  »Lindenbund«  in  Wien  XX. 
(Obmann  W.  Kreutzer)  Der  Bericht  über  das  Jahr  1917  zeigt  uns  in  erfreulichem 
Maße,  daß  die  Zahl  edler  Menschen,  die  sich  dem  »Lindenbund«  angeschlossen,  im 
Steigen  begriffen  ist;  nicht  weniger  als  189  neue  Mitglieder  sind  dem  Vereine  als 
Gönner  und  Förderer  beigetreten.  Dank  dieser  Unterstützungen  konnte  der  »Linden- 
bund« auch  allen  Hilfesuchenden  eine  Quelle  neuer  Kraft  und  Stütze  werden.  Die 
Agenden  des  Vereines  wurden  in  einer  Generalversammlung  und  neun  Sitzungen 
des  Vorstandes  erledigt:  139  Unterstützungswerber  wurden  mit  einem  Betrage  von 
zusammen  K  3386  beteilt;  das  Zinsenerträgnis  des  Hilfsfonds  für  im  Kriege  Er- 
blindete wurde  an  17  Petenten  im  Betrage  von  K  520'—  zur  Verteilung  gebracht. 
Neu  beigetreten  sind  vier  Erblindete,  demzufolge  beträgt  der  Stand  der  wirklichen 
Mitglieder:  14  weibliche  und  31  männliche  Erblindete. 

Das  neue  Vereinsjahr  brachte  einen  herben  Verlust.  Zwei  langjährige  Mitglieder 
die  Herren  Leopold  Haller  und  Leopold  Prag  er  sind  der  Tuberkulose  erlegen; 
Ehre  ihrem  Angedenken!  Die  Vereinsleitung  aus  den  Herren:  Kreutzer  Wilhelm, 
Obmann,  Ingrisch  Johann,  Stellvertreter,  Kotek  Franz,  Schriftführer,  Zzech  Anton, 
Kassier,  Dippel  Hugo,  Kr  ist  Martin  und  Zeinlinger  Johann,  Ausschüsse. 


Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Versorgung    der    Kriegsblinden.      Im    Entwürfe    des    neuen    Militär- 
Versorgungsgesetzes    erecheinen  die  Kriegsblinden  besonders  berücksichtigt.     Nach 


Seite  878.  Zeitschrift  das  für  österreichische   IJUndenwesen.  2.  Nummer. 

den  Bestimmungen  dieses  Entwurfes  bekommen  Kriegsblinde  nebst  der  Invaliden- 
pension eine  Kriegszulage  und  eine  bedeutend  höhere  Verwundungszulage,  so  daß 
die  künftigen  Versorgungsgebühren  ungefähr  doppelt  so  hoch  sein  werden,  wie  die 
gegenwärtigen.  Der  bezügliche  Gesetzentwurf  dürfte  von  den  Regierungen  in  näch- 
ster Zeit  den  Volksvertretungen  zur  Gdnehmigung  vorgelegt  werden. 

—  Erzherzog  Karl  Stephan  im  Kriegs blindenheim,  Wien  XIII. 
Am  7.  d.  M.  kam  Erzherzog  Karl  Stefan  in  das  Kaiser-Karl-Kriegsblindenheim 
in  Wien  XIII  und  Kaiser-Franz-Josef-Blindenarbeiterheim  um  sich  über  den  Fort- 
schritt in  der  gewerblichen  Ausbildung  der  Kriegsblinden  zu  überzeugen.  In  der 
Korbflechterei  wie  in  der  Bürstenbinderei  sprach  der  Herr  Erzherzog  jeden  der 
blinden  Arbeiter  an,  erkundigte  sich  eingehend  über  deren  persönliche  Verhält- 
nisse und  nahm  vorgebrachte  Bitten  teilnahmsvoll  und  wohlwollend  zur  Kenntnis. 
Nach  Besichtigung  der  Wohnungen,  Wiitschaftsräume,  Rohstoff-  und  Warenmagazine 
sowie  des  Verkaufsladens  drückte  er  dem  Präsidenten  des  Vereines  zur  Fürsorge 
für  Blinde  Herrn  Hof  rat  von  Herdliczka  die  volle  Anerkennung  für  die  zweck- 
mäßige und  erfolgreiche  BlindenfUrsoige  aus  und  verabschiedete  sich  in  leut- 
seligster Weise. 

—  Weihnachtsfeier  in  Brunn.  Zu  der  im  Kriegsblindenheime  abgehal- 
tenen Feier  hatte  sich  ein  zahlreiches  vornehmes  Publikum  eingefunden.  Die  mähr. 
Landeskommission  hatte  für  zweckmäßige  Geschenke  gesorgt,  die  nach  der  erhe- 
benden Feier  unter  dem  großen  elektrisch  beleuchteten  Christbaume  an  31  Kriegs- 
blinde zur  Verteilung  kamen.  Aus  einer  von  Oberstabsarzt  Prof.  Dr.  Schmeichler 
veranstalteten  Sammlung,  konnte  jedem  Kriegsblinden  ein  Sparkassebuch  mit  300  K 
zugewendet  werden.  Auch  die  auswärtigen,  bereits  entlassenen  Kriegsblinden  wurden 
ausgiebig  beteilt. 

—  Bekanntmachung.  Die  Direktion  des  k.  k.  Blinden-Erziehungs-Institutes 
in  Wien  II  veröffentlicht  folgende  Bekanntmachung  : 

In  der  Landwirtschaftlichen  Expositur  Strass  im  Strassertal  findet  im  Ein- 
vernehmen mit  dem  Vorstand  des  Kriegsblindenfonds  im  Ministerium  des  Innern 
im  Laufe  des  April  1918  ein  Fortbildungskurs  über  Obst-  nnd  Gartenbau 
für  Kriegsblinde  statt.  Die  Verpflegskosten  für  die  Teilnehmer  werden  vom 
Kriegsblindenfonds  bezw.  vom  Kriegsministerium  (»Krie^sfürsorgeamt«)  getragen 
und  werden  die  Reisekosten  eventuell  ganz  oder  teilweise  ersetzt.  Der  Unterricht 
umfaßt  alle  Fächer  des  Obst,-  Gartenbaues  und  der  Kleinviehzucht.  Die  praktischen 
Übungen  werden  auf  dem  Grundstück  der  Realität  ausgeführt.  Für  die  Unterweisung 
sind  tüchtige  Lehr-  und  Hilfskräfte  gewonnen. 

Arbeitsfreudige  und  für  die  Angelegenheit  interessierte  Kriegsblinde  wollen 
sich  wegen  IVIitteilung  der  näheren  Umstände  bis  Ende  Februar  an  die  Direktion 
des  k.  k.  Blinden-Erziehungs-Institutes,  Wien,  IL,  Witteisbachstraße  5,  wenden,  von 
welcher  Stelle  das  Erforderliche  bekanntgegeben  wird. 

—  Sammlungen    für  Kriegsblinde.  Stand  Ende    Jänner  1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,237.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  3,205.000  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  320.000  K. 

—  Reichspost:  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  80.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  30.000  K. 

Verschiedenes. 

—  Blindenführerhunde.  In  München  ist  ein  eigenartiges  Institut  errich- 
tet worden,  das  Hunde  dazu  ausbildet.  Blinden  als  Führer  im  Straßengewühl  zu 
dienen.  Kaum  war  diese  Idee  angeregt,  wobei  es  sich  in  erster  Linie  darum  handelte, 
jenen  Unglücklichen  zu  helfen,  die  auf  dem  Felde  ihr  Augenlicht  eingebüßt  haben, 
als  Prinz  und  Prinzessin  Ludwig  Ferdinand  ihrer  nachdrücklichst  und  aufs 
wärmste  annahmen,  und  so  ist  es  vornehmlich  ihnen  zu  danken,  daß  nun  tatsächlich 

Heraasgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  BlindenweseD  in  Wien.     Redaktionskomitee:  K.  Bürkleo, 
J.  Kneis,  A.  ▼.  Horrath,  F.  Uhl,  —  Drock  Ton   Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei  Wien. 


in  verhältnismäßig  rascher  Zeit  die  »Blindenführerhundeschule«  eröffnet  werden 
konnte.  Zugleich  wurde  aus  den  von  der  Prinzessin  bereitgestellten  Mitteln  ein 
eigener  Zwinger  erbaut,  in  dem  die  Hunde,  die  für  ihren  neuen  Beruf  ausgebildet 
werden  sollen,  untergebracht  sind.  Bis  jetzt  sind  vier  Hunde  angeschafft.  Auf  dem 
Polizeihunde-Übungsplatz  an  der  Glüclcstraße,  der  für  die  Anfangsdressur  dient, 
wurden  künstliche  Straßen  und  Wege  mit  Hindernissen  angelegt.  Die  Rotweiler 
Hündin  »Diva«  die  Frau  Prinzessin  Ludwig  Ferdinand  schon  vor  längerer  Zeit 
erwarb  und  einem  Kriegserblindeten  zum  Geschenke  machte,  ist  in  der  Dressur 
schon  weit  vorgeschritten  und  führt  den  markierten  Blinden  tadellos  an  Hindernissen 
vorbei  und  setzt  sich,  wenn  eine  Stufe  oder  ein  Randstein  kommt.  Die  Hunde  müssen 
später  den  Blinden  auch  über  belebte  Straßen  und  Plätze  führen  und  ihn  auf  alle 
Hindernisse,  wie  Randsteine,  Fuhrwerke,  Straßenbahn,  Radfahrer,  Laternenpfähle 
usw.  aufmerksam  machen  und  ihn  daran  vorbeiführen.  Natürlich  kann  man  von 
dem  Hund  nicht  verlangen,  daß  er  den  Blinden  an  einen  nächstbeliebigen  Ort,  den 
dieser  sich  gerade  wünscht,  führt,  sondern  der  Weg  muß  dem  Blinden  mit  dem 
Hund  öfter  gemacht  werden,  zum  Beispiel  von  der  Wohnung  zur  Arbeitsstätte  und 
zurück  oder  ein  üblicher  Spaziergang  und  dergleichen. 

—  Dänemarks  erster  weiblicher  blinder  Organist.  In  Dänemark  gibt 
es  viele  männliche  blinde  Organisten,  zum  mindesten  ein  Dutzend,  mehreie  von 
ihnen  haben  sehr  gute  Stellen.  So  ist  einer  an  der  Domkirche  in  Odensee  angestellt 
und  ein  anderer  an  der  Erlöserkirche  in  Esbjerg.  —  Nun  hat  Dänemark  auch  seinen 
ersten  weiblichen  Organisten,  da  Frl.  Laura  Nielsen  als  Organist  an  der  Kirche 
in  Agedrup  angestellt  wurde.  Frl.  Nielsen,  die  23  Jahre  alt  ist,  verlor  das  Augen- 
licht im  Alter  von  20  Jahren.  Da  sie  zu  alt  war,  um  in  das  Blindeninstitut  in  Kopen- 
ha.^en  aufgenommen  zu  werden,  erhielt  sie  ihien  ganzen  Unterricht  bei  Herrn 
William  Hansen,  welcher  —  selbst  blind  —  seit  25  Jahren  als  Organist  an  der 
St.  Knuds-Kirche  in  Odense  angestellt  ist.  Im  letzten  Jahre  war  Frl.  Nielsen  viel- 
fach als  Vikar  beschäftigt  und  spielte  häufig  im  Missions-  und  Versammlungshause 
des  Kirchensprengels,  Es  ist  ihr  bereits  gelungen,  etliche  Schüler  zu  bekommen, 
und  sie  wird  ohne  Zweifel  dazu  gelangen,  eine  größere  Unterrichtstätigkeit  enttal- 
ten  zu  können,  da  sie  Gelegenheit  hat,  jeden  Sonntag  vor  der  Kirchengemeinde  zu 
spielen.  Im  Monate  Mai  legte  Frl.  Nielsen  eine  Prüfung  mit  guten  Erfolge  an  dem 
Seminar  in  Scaarup  ab.  (Budstikke). 

—  Eine  verdiente  Blendung.  Eine  recht  nette  Szene  schildert  Daudet 
in  seinem  Roman  »Der  Nabob«:  Der  nicht  gerade  geistreiche,  aber  seelengute 
Abgeordnete  Bernard  Jansaulet  wird  vom  Journalisten  Moessard  dessen  Erpres- 
sungen er  endlich  satt  hat,  im  Blatte  »Massager«  unflätigst  angegriffen,  doch  so 
geschickt  veiblümt,  daß  er  ihn  nicht  gerichtlich  belangen  kann. 

Aber    da    trifft    er  ihn  im  Bois  und  —  Daudet  soll  das  nun  folgende  selbst 

schildern:  »Kaum  hatte  Moessard  einen  Fuß  auf  die  Erde  gesetzt da  warf 

Jansaulet  sich  auf  ihn,  hob  ihn  wie  ein  Kaninchen  am  Genick  empor  und  sagte, 
ohne    im  mindesten    auf  seine    mit    lallender  Stimme  vorgebr^achten  Verwahrungen 

2U    achten:     »EK'nder,    ich  werde  dir  Rechenschaft  geben Aber  vor  allem 

werde  ich  dir  das  tun,  was  man  unsauberen  Tieren  tut,  um  ihnen  die  Unreinlichkeit 

abzugewöhnen Und  nun  begann  er  ihm  mit  der  zusammengeballten  Zeitung 

das  Gesicht  abzureiben,  bis  er  ihn  fast  erstickt  und  mit  der  an  den  Abfschürfungen 
herablaufenden  Schminke  geblendet  hatte 

Bücherschau. 

—  Die  Blindenschule.  Monatsschrift  zur  Förderung  des  Blindenunter- 
richts.  Herausgegeben  von  Schulrat  Friedrich  Zech,  Danzig-Langfuhr,  1918.  Bezugs- 
preis 3.50  M.,  für  das  Ausland  4  M.  Die  neue  Zeitschrift  soll  als  Ergänzung  zum 
»Blindenfreund«  hauptsächlich  der  Blinden-Unterrichtsmethode  gewidmet  sein,  Anre- 
gung für  die  Praxis  des  Unterrichtes  geben  und  zur  Weiterentwicklung  des  Unter- 
richtes beitragen.  Mit  Recht  klagt  der  Herausgeber  über  die  bisherigen  Vernach- 
lässigung auf  diesem  Gebiete,  denn  eine  im  großen  und  ganzen  gefestigte  Blinden- 
Unterrichtslehre  ist  tatsächlich  noch  nicht  vorhanden.  Jeder  Blindenlehrer  wird  ihm 
in  der  Meinung  beipflichten,  daß  für  den  Ausbau  des  Unterrichtes  gar  nicht  genug 
geschehen  kann,  denn  mit  diesen  steigt  und  sinkt  das  gesamte  Blindenwseen.  Die 
bisherigen  Arbeiten  von  Schulrat  F.  Zech  auf  dem  Gebiete  der  Blinden-Unterrichts- 
methodik  lassen  uns  wertvolle  Beiträge  zu  diesem  Fache  des  Blindenwesens  erwarten. 
Möge  sein  Wunsch,  eine  große  Zahl  von  Mitarbeitern  unter  den  deutschen 
FachlcoUegen  zu  finden,  erfüllt  werden  und  dem  neuen  Fachblatt  voller  Erfolg 
beschieden  sein. 


Bürklen  Karl :  Das  Tastlesen  der  Blindenpunktschrift. 

Nebst  Beiträgen  zur  Blindenpsychologie  von  P.  Grasemann- 
Hamburg,  L.   Cohn-Breslau,   W.  Steinberg.   VII,  93   Seiten 

mit  6  Abbildungen  im  Text  und  6  Tafeln. 
Leipzig,  Barth,   1917 M  5.— 


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Wien,  XVil.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im   vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen  österreichi- 
schen Kroniändern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 


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Wien  XVIII,  Währinger  Gürtel  136 


verleiht  ihie   Bücher  kostenlos  an  alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

•Zweck  des  Vereines:  Unterstützung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  lür  Blinde.  Erhaltung 
per  MusiUalien-Leilibibliothek.  Telephon  10.071. 


Den  blinde  JVlodeHeuP' 


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:  vorzüglicli  eignenden  keramischen  : 
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des  Blinden-UnterstUtzungsvereines 
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:  — :  Nikolsdorfergasse  Nr.  42.  :  — : 


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Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"  für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


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D  Österreichisches 

D  Postsparkassen- 

"^  kontoNr.132.257 


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Das  Blatt  ersdieint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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□  4  Kronen,  D 
n  Einzelnummer  CD 
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5.  Jahrgang. 


Wien,  März  1918. 


3.  Nummer. 


INHRLT:  Dr.  F.  v.  Gerhardt:  Grundlegung  der  Blindenpsydiologie.  Offener 
Brief,  Lazarettpfarrer  H.  Schaefer:  Krankenstube  Nr.  24.  Lucie  Rohmer- 
Heilscher:  Die  Blinde.  Personalnachrichten.  Aus  den  Anstalten.  Für 
unsere  Kriegsblinden.  Verschiedenes.  Bücherschau.  (Altes  und  Neues.  An- 
kündigungen). 


-H 


D 


D 


•J   Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  Vlll, 
g  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.   r^ 


flites  und   Meues. 

Ein  Dichter  als  Erzieher  eines  blinden  Knaben. 

Der  deutsche  Dichter  Friedrich  Lienhar  d  erzählt  uns  in  seinen 
Erinnerungen  (Westermanns  Monatshefte  1917),  wie  er  in  seinen  Ber- 
liner Sturm-  und  Drangjahren  Hauslehrer  wurde,  um  zunäclist  einmal 
dem  Leben  einen  Sinn  und  eine  nicht  ganz  nutzlose  Tätigkeit  abzu- 
ringen. 

»Es  bot  sich  in  Großlichterfelde  bei  Berlin  die  schöne  und 
schwere  Aufgabe,  einen  blinden  Knaben  zu  erziehen.  Der  Vater 
des  etwa  zwölfjährigen  Jungen  war  Professor  an  der  Universität  in 
Berlin,  dessen  einziges  Kind  seit  einer  Gehirnhautentzündung  in  frühen 
Lebensjahren  von  so  schwerem   Scliicksal  heimgesucht  war. 

Die  Behandlung  dieses  an  sich  liebenswürdigen  und  gutartigen 
Knaben  war  von  besonderer  Sclnvierigkeit.  Er  war  außer  seiner  Blind- 
heit mit  Epilepsie  behaftet.  Vor  mir  hatten  rasch  hintereinander  vier 
Hauslehrer  umsonst  das  ihre  versucht;  man  sah  mit  Bangen  meinem 
eignen  Versuch  entgegen,  dem  so  von  der  Außenwelt  abgeschlossenen 
und  von  persönlichen  Launen  oder  Dumpfheiten  abhängigen  kleinen 
Sonderling  eine  innere  Welt  beizubringen.  Gleich  der  erste  Spaziergang 
im  Garten  der  Villa  mußte  entscheiden:  »Ob  Max  sich  an  Sie  gewöh- 
nen wird?«  Ich  hatte  den  lieben  Jungen  am  Arm;  seine  lichtlosen 
Augen  waren  durch  eine  dunkle  Brille  und  eine  Schirmmütze  verdeckt; 
er  war  ganz  auf  sein  Gehör  und  auf  sein  Tastgefühl  angewiesen, 
derart,  daß  er  ordentlich  die  Ohren  bewegen  konnte.  Wir  plauderten 
miteinander;  ich  in  meiner  damals  noch  stärker  ausgeprägten  süd- 
deutschen Tonart,  die  dem  norddeutschen  Knaben  neu  war.  Mich 
erfüllte  rasch  unendliches  Mitleid.  Was  ist  all  unser  aufreibendes 
Literaturtreiben  neben  solch  einem  Lebensleid!  Die  Fluten  der  Liebe 
überströmten  mein  Herz  und  zeigten  mir  hier  eine  erwärmende  Aufgabe, 
die  jenes  papierene  Wesen  zurückdrängen  konnte.  Max  schien  diesen 
ganz  allgemeinen  Zug  der  Hinneigung  zu  spüren.  Denn  es  war  ein 
unvergeßlicher  Vorgang,  wie  der  Kleine  plötzlich  hinter  dem  Schutz 
des  Hauses  —  er  hörte  es  am  Schall  der  Tritte  —  stehenblieb, 
meinen  Kopf  zu  sich  herabzog  und  mir  in  der  herzigsten  Weise 
gestand,  daß  er  mir  gut  sei.  Wir  sind  während  der  zwei  Hausleh- 
rerjahre (1890 — 1892)  und  später  bis  an  seinen  Tod  Freunde  geblieben. 

Ich  verfertigte  für  seine  tastenden  Finger  geographische  Karten, 
auf  denen  die  Flüsse  mit  Leim  gezogen,  die  Städte  mit  Reißbrett- 
nägeln bezeichnet  waren.  Rechnen,  Geschichte,  Religion,  Sprachen 
mußten  wesentlich  durch  das  Gehör  bewältigt  werden;  er  kannte 
zwar  die  Blindenschrift,  doch  griff  ihn  das  Schreiben  leicht  an.  Und 
immer  mußte  man  erzählen  und  anregen,  wobei  er  auch  für  Heiterkeit 
und  scherzhafte  Reimereien  viel  Sinn  besaß.  Dazwischen  freilich,  an 
manchen  Tagen  sehr  häufig,  kamen  seine  Anfälle,  wobei  er  unter 
Krämpfen  die  erloschenen  Augen  verdrehte  und  leise  Aveinend  zu 
Boden  fiel,  wenn  man  ihn  nicht  rasch  auffing.  Am  unangenehmsten 
Avar  es  für  mich  schüchternen  und  scheuen  Menschen,  wenn  dergleichen 
einmal  auf  einem  Spaziergang  vorkam,  wo  ich  dann  den  Zusammen- 
gebrochenen manchmal  auf  den  Arinen  nach  Hause  tragen  mußte. 


5.  Jahrgang.  Wien,  März  1918.  3.  Nummer. 


^  Hast  du  in  dir  den  Strahl  gegründet, 

®j  Der  deine  dumpfe  Nacht  erhellt, 

am 

So  glänzt,  dem  Innern  Licht  verbündet, 
Auch  draußen  farbenbunt  die  ^Velt. 

Gottfried  Kinkel. 


m 


^ 


Grundlegung  der  Blindenpsychologie. 

Von  Dr.  F.  von  Gerhardt,  Marburg  a.  d.  L. 

Die  Zahl  derjenigen  Menschen,  die  mit  BHnden  in  nähere  Berüh- 
rung kominen,  ist  im  allgemeinen  nicht  groß,  woraus  sich  die  Tatsache 
zur  Genüge  erklären  mag,  daß  man  sich  nur  in  den  seltensten  Fällen 
veranlaßt  fühlt,  über  das  Leben,  Wesen  und  Streben  der  Nichtsehenden 
einmal  tiefer  nachzudenken.  Unser  sozial  stark  empfindendes  Zeitalter 
hat  zwar  auch  hier  nicht  versagt  und  Blindenanstalten  sowie  Heime 
ins  Leben  gerufen,  die  den  Nichtsehenden  den  Daseinskämpfen  entrücken 
oder  diese  wenigstens  erleichtern  sollen,  aber  man  hat  sich  gleichzeitig 
daran  gewöhnt,  in  jenen  nur  Fürsorgeobjekte  zu  erblicken,  deren  sub- 
jektiven Regungen  kaum  eine  flüchtige  Beachtung  geschenkt  wird.  Das 
sagt  indessen  nicht  mehr  und  nicht  weniger  als,  daß  man  über  der 
sozialen  die  rein  menschliche  Seite  des  Blindenproblems  fast  völlig 
vergessen  hat,  wodurch  ein  Zustand  geschaffen  wurde,  der  nicht  nur 
allen  einschlägigen  Maßnahmen  den  Stempel  gewisser  Einseitigkeit 
aufdrückt,  sondern  auch  in  der  Mehrzahl  der  Blinden  ein  Gefühl  des 
Nichtbefriedigtseins,  des  Nichtverstandenwerdens  erzeugte,  das  sie  je 
nach  ihrer  individuellen  Veranlagung  schmerzlich  niederdrückt  oder 
verbittert.  Gerade  aber,  weil  dieses  Ergebnis  mit  allen  seinen  bedauer- 
lichen Begleiterscheinungen  von  Staat  und  Gesellschaft  nicht  bewußt 
und  nicht  gewollt  herbeigeführt  wurde,  sollten  diese  den  inneren  Drang 
verspüren,  begangene  Fehler  nach  Krätten  wieder  gutzumachen  und 
künftigen  Irrungen  ähnlicher  Ait  rechtzeitig  vorzubeugen. 


Seite  884.  Zeitschrift  das  für  österreichische   BUndenwesen.  3.  Nummer.- 

Wie  ein  Gärtner  die  Entwicklungsbedingungen  und  die  für  eine 
Pflanze  speziell  geeignete  Bodenart  genau  kennen  muß,  wenn  sie  gedeihen 
und  Frucht  bringen  soll,  in  dem  gleichen  Maße  müssen  wir  mit  den 
Voraussetzungen  und  Bedürfnissen  des  Blinden  vertraut  sein,  um  ihm 
den  richtigen  Platz  im  Leben  anzuweisen,  an  dem  er  das  leisten  und 
alles  dessen  teilhaftig  werden  kann,  worauf  ein  Mensch  als  solcher 
Anspruch  erheben  zu  dürfen  glaubt.  Sozialpolitischer  Schematismus 
vermag  hier  keine  günstigen  Resultate  zu  erzielen,  wie  uns  die  bisherige 
Erfahrung  lehrt.  Die  Blinden  sind  nicht  Menschen,  die  sich  darauf 
beschränken  wollen,  zu  empfangen,  die  zufrieden  sind,  wenn  die  äußer- 
ste Not  von  ihnen  ferngehalten  wird,  sondern  sie  möchten  auch  geben 
von  dem,  was  ihnen  verblieben  ist,  sie  streben  darnach,  in  den  seelischen 
und  köiperlichen  Austauschverkehr  der  Allgemeinheit  aktiv  einzugreiten 
und  als  selbständig  handelnde  Subjekte  anerkannt  und  gewertet  zu 
werden.  In  dieser  Richtung  betätigt  sich  ihr  Denken,  Fühlen  und  Wollen; 
von  dieser  Lebensauffassung  aus  betrachten  sie  die  Umwelt  und  ihre 
Mitmenschen,  die  ihnen  feindlich  oder  freundlich  gesinnt  erscheinen, 
je  nachdem  sie  von  diesen  in  ihren  Plänen  gehemmt  oder  gefördert 
werden.  Es  ist  nicht  die  Sucht,  die  durch  die  Blindheit  errichteten 
Schranken  zu  übersteigen,  die  lästigen  Fesseln  zu  sprengen,  sondern 
das  tief  innerliche  Sehnen  nach  dem  Menschsein  unter  anderen  Menschen 
ihre  Leiden  und  Freuden  zu  teilen  und  als  Glied  der  großen  Familie 
zu  fungieren,  das  Pflichten  übernimmt  und  Rechte  genießt,  ohne  aus 
dem  Rahmen  der  anerkannten  Ordnung  herauszutreten.  Der  gesunde 
Selbsterhaltungs-  und  Schaffenstrieb  ist  es,  der  auch  den  Blinden  beseelt, 
und  dessen  Eindämmung  oder  Unterdrückung  von  ihm  weit  schmerzlicher 
empfunden  wird,  als  die  Tatsache  selbst,  daß  sein  Auge  geschlossen 
und  nicht  in  der  Lage  ist,  das  bunte  Bild  zu  erfassen,  das  die  Außen- 
welt dem  Vollsinnigen  bietet.  Ja,  es  können  Stunden  und  Tage  kommen, 
in  denen  der  Nichtsehende  sein  Leiden  gewissermaßen  vollständig 
vergißt,  wo  er  sich  nur  als  Mensch  fühlt,  als  ganzer,  gleichberechtigter 
und  gleichverpflichteter  Mensch,  und  diese  Zeitspannen  sind  für  ihn 
die  schönsten,  die  gesegnetsten  seines  Lebens.  Ein  solches  seelisches 
Gleichgewicht,  oder  besser  gesagt,  ein  solch  innerer  Ausgleich,  tritt 
jedoch  immer  nur  dann  ein,  wenn  der  Blinde  sich  verstanden  weiß 
und  dazu  berufen  wird,  ein  Werk  fördern  zu  helfen,  das  seinen  Leistun- 
gen und  Fähigkeiten  entspricht.  Sei  es  Hand-  oder  Geistesarbeit,  ihm 
wird  sie  Befriedigung  verschaffen,  wenn  sie  auf  seine  Individualität, 
sein  spezielles  Ich,  gebührende  Rücksicht  nimmt.  Nur  kein  Hindämmern, 
kein  Müßigsein,  keine  Langeweile  !  Jene  drei  Todfeinde  des  Nichtsehen- 
den  können  selbst  durch  die  liebevollste  Wartung  oder  beste  Verpflegung 
nicht  entwaffnet  werden,  denn  sie  dringen  auf  sein  Gemüt  ein,  das  an 
und  für  sich  durch  die  Blindheit  schwer  genug  belastet  ist  und  sich 
außerstande  befindet,  noch  neue  drückende  BiJrden  zu  tragen. 

Um  dies  in  seiner  ganzen  Tragweite  verstehen  und  würdigen  zu 
können,  müssen  wir  uns  ständig  gegenwärtig  halten,  wie  verhältnis- 
mäßig gering  die  Eindrücke  und  Anregungen  sind,  die  der  Blinde  von 
der  umgebenden  Außenwelt  her  empfängt.  Was  nicht  durch  Gehör, 
Geruch  oder  Gefühl  zu  ihm  dringt,  existiert  für  ihn  nicht  ;  alle  die 
tausend  Gesichtswahrnehmungen,  die  auf  Schritt  und  Tritt  oft  unwill- 
kürlich und  unbewußt  gemacht  werden,  kommen  für  ihn  nicht  in  Frage, 


3.  Nummer.  Zeitschiifl  fiir  das  östcneichischc  Hlindenwesen.  Seite  885. 

SO  daß  der  Denkstoiit,  der  seinem  Gehirn  zugeführt  wird,  schon  quanti- 
tativ weit  hinter  dem  eines  normalen  Menschen  zurückbleibt.  Freilich 
wird  nun  vielfach  behauptet,  daß  man  nur  das  vermissen  könne,  was 
man  kennt,  was  man  früher  vielleicht  einmal  besessen  hat.  In  vollem 
Umfang  trifft  dieser  Satz  bei  dem  geistig  regen  Blinden  nicht  zu,  denn, 
wenn  er  —  beispielsweise  als  Blindgeborener  —  auch  keine  Vorstellung 
davon  hat,  was  Licht  und  Finsternis,  Farben  und  Perspektiven  bedeuten, 
so  hat  er  doch  von  Jugend  auf  gelernt,  daß  jene  Begriffe  existieren 
und  im  Leben  der  sehenden  Mitinenschen  eine  hervorragende  Rolle 
spielen.  Weiß  er  doch,  daß  es  gerade  diese  Begriffe  sind,  die  ihn  selbst 
in  eine  Sonderstellung  drängen,  und  daß  ihr  Fehlen  den  Inhalt  des 
Wortes   »Blindsein«   ausmacht. 

Es  kommt  demnach  hier  nicht  darauf  an,  das  Wort  »vermissen« 
mit  »sich  danach  sehnen«  zu  identifizieren,  sondern  es  genügt  die 
Feststellung  des  im  Blinden  vorhandenen  Bewußtseins,  daß  es  Dinge 
und  Erscheinungsformen  gibt,  die  ihm  nicht  zugänglich  sind.  Hieraus 
resultiert  für  ihn  mit  logischer  Notwendigkeit  die  Überzeugung,  daß 
seine  Vorstellungen  von  der  Außenwelt  keine  vollständigen  sind,  daß 
jedes  Bild  von  da  draußen  für  ihn  eine  Lücke  aufweist,  die  er  aus 
eigenem  Vermögen  nicht  ausfüllen  kann.  Mehr  als  das  fehlende  Sehen 
an  sich  schmerzt  ihn  dieses  Bewußtsein,  denn  es  schließt  eine  gewisse 
Inferiorität  in  sich,  zu  deren  Bekämpfung  er  einen  außerordentlichen 
Aufwand  von  seelischen  Kräften  aufbieten  zu  sollen  vermeint.  Er  wird 
somit  einen  großen  Teil  seiner  geistigen  Funktionen  darauf  einstellen, 
Eindrücke  und  Wahrnehmungen  zu  sammeln,  die  dann  verarbeitet, 
kombiniert  und  miteinander  in  Zusammenhang  gebracht  werden  müssen. 
Dadurch  befindet  sich  seine  Denktätigkeit  in  dauernder  Anspannung 
und  dürstet  förmlich  nach  Ergänzung  des  gesammelten  Materials,  die 
durch  das  versagende  Auge  so  überaus  erschwert  wird.  Je  mangelhafter 
und  quantitativ  geringer  die  Anregungen  und  Eindrücke  sind,  die  er 
seinem  Gehirn  zur  Verarbeitung  vorlegen  kann,  desto  mehr  ist  er  darauf 
angewiesen,  seinen  Geist  spekulativ  zu  betätigen  und  auch  der  eigenen 
Fantasie  einen  Spielraum  zu  gewähren,  der  häufig  genug  das  Maß  des 
Wünschenswerten  oder  Ersprießlichen  überschreitet. 

Naturgemäß  kann  der  Blinde  nicht  dauernd  mit  diesen  rein  inner- 
lichen Funktionen  auskommen,  die  gar  bald  zu  Ermüdung,  Abspannung 
und  zur  —  Langeweile  führen.  Von  Zeit  zu  Zeit  muß  immer  wieder 
ein  Kontakt  mit  der  Außenwelt  hergestellt  werden,  der  eine  neue  Zufuhr 
geistiger  Nahrung  bringt  und  das  zum  Teil  unfruchtbare  Grübeln  oder 
gar  Hinträumen  unterbricht.  Ablenkung  und  Neubelebung  seiner  Ideen- 
und  Gedankenwelt  ist  es,  was  er  —  vielleicht  mehr  als  andere  —  zu 
seiner  geistigen  Gesunderhaltung  braucht.  Darum  begreift  sich  der  freu- 
dige Eifer,  mit  dem  jede  nutzbringende  Beschäftigung  aufgenommen 
und  mit  bewundernswerter  Energie  durchgeführt  wird.  Die  Betätigung 
selbst  bedeutet  für  ihn  eine  Ablenkung,  so  daß  er  sich  voll  und  ganz 
auf  sie  konzentriert  und  als  eine  seelische  Wohltat  empfindet.  Man 
muß  einmal  einen  Blinden  bei  der  Ausübung  seines  Berufes  beobachtet, 
man  muß  die  stille  Zufriedenheit  dabei  in  seinen  Zügen  gesehen  haben, 
wenn  man  in  den  tiefernsten  Sinn  des  eben  Gesagten  restlos  einzu- 
dringen wünscht. 


Seite  886.  Zeitschritt  für  das  östereichische  Blindenwesen.  3.  Nummer. 

Je  inniger  die  Verbindung  ist,  in  der  ein  Blinder  mit  der  Außen- 
welt steht,  je  reichhaltiger  somit  das  Material  wird,  das  er  seinem  Gehirn 
zur  Verarbeitung  zuführt,  um  so  höher  wird  seine  Lebensfreudigkeit  und 
sein  Selbstvertrauen  steigen,  die  ihn  wiederum  ihrerseits  anspornen,  seine 
sämtlichen  Kräfte  einzusetzen,  um  das  höchstmögliche  Ziel  zu  erreichen. 

Umgekehrt  aber  führt  der  Mangel  an  Anregung,  an  geistiger  Nahrung 
mit  der  Zeit  zu  einer  gewissen  Stumpfheit,  die  das  ganze  Dasein  des 
Blinden  wie  eine  düstere  Wetterwolke  überschattet  und  jedes  kräftigere 
Fühlen  und  Wollen  bereits  im  Keime  erstickt.  Traurige  Beispiele  genug 
bietet  hierfür  die  tägliche  Erfahrung,  namentlich  dort,  wo  es  sich  um 
blindgeborene  oder  früherblindete  Kinder  handelt,  deren  Erziehung  und 
verständige  Anleitung  im  Elternhaus  vernachläßigt  wurde.  Meist  ist  sol- 
chen bedauernswerten  Geschöpfen  in  der  Folge  nicht  mehr  zum  helfen. 

Diese  vorerwähnten  Punkte  müssen  in  allererster  Linie  berücksich- 
tigt werden,  wenn  es  sich  darum  handelt,  für  einen  Blinden  wirklich  zu 
»sorgen«  und  ihm  das  Leben  erträglich  und  menschlich  zu  gestalten. 
Gleichzeitig  aber  weisen  sie  dem  Psychologen  den  Weg,  wo  und  wie 
das  Seelenleben  jener  Stiefkinder  des  Schicksals  zu  erschließen  ist  und 
in  welchen  Bahnen  es  sich  vollzieht.  Beschreiten  wir  den  angedeuteten 
Pfad,  so  wird  sich  ein  Rätsel  nach  dem  anderen  gleichsam  von  selbst 
lösen,  an  dem  man  bisher  vielleicht  mit  einer  gewissen  Scheu  vorüber- 
ging. Es  kann  aber  für  den  Forscher  kaum  eine  fruchtbringendere  Be- 
tätigung geben,  als  gerade  sich  in  die  Psyche  des  Blinden  zu  vertiefen, 
wodurch  nicht  nur  die  Wissenschaft  eine  wertvolle  Bereicherung  erfährt, 
sondern  auch  die  Blindensache  selbst  infolge  größeren  Verständnisses 
und  allgemeiner  Aufklärung  bedeutend  gefördert  wird.  Gerade  aber  der 
Fortschritt  des  rein  Menschlichen  ist  der  oberste  Zweck  der  psycholo- 
gischen Wissenschaft,  die  sich  nicht  damit  begnügt,  Probleme  zu  suchen 
und  zu  lösen,  sondern  danach  strebt,  die  gewonnenen  Endergebnisse  der 
Allgemeinheit  zugänglich  und  dienstbar  zu  machen.  Auf  unserem  Gebiet 
ist  bisher  leider  fast  noch  nichts  geschehen,  was  sicherlich  nicht  ohne 
schädigende  Wirkung  auf  das  Blindenwesen  geblieben  ist.  Es  reicht  auch 
beiweitem  nicht  aus,  gewisse  theoretische  und  praktische  Kenntnisse  auf 
die  Nächstbeteiligten,  die  Organe  der  eigentlichen  Blindenfürsorge,  zu 
beschränken,  sondern  die  Gesamtheit  muß  mit  ihnen  in  mundgerechter 
Form  vertraut  gemacht  werden,  damit  man  allenthalben  dem  Blinden 
mit  Verständnis  begegnet  und  sich  nicht  hinter  billiges,  bequemes  Mit- 
leid verschanzt,  das  nichts  weiter  als  »Unterstützungen«  zu  geben  hat. 
Mit  anderen  Worten:  Die  psychologische  Forschung  ist  vor  allem  anderen 
dazu  berufen,  den  Blinden  von  den  sozialen  Isolierschemel  herunterzu- 
holen und  ihn  in  die  Gesamtheit  einzugliedern,  in  die  er  gehört  und  in 
der  allein  er  sich  zum  eigenen  Vorteil  und  dem  seiner  Umgebung  voll 
zu  entfalten  vermag. 

Ein  ernstes  Streben  in  dieser  Richtung  wird  ohne  Zweifel  zu  hoch- 
jnteressanten  und  wichtigen  Endergebnissen  führen,  die  eine  wertvolle 
Ergänzung  des  bisherigen  Wissens  vom  Seelenleben  des  Menschen  über- 
haupt darstellen.  Nur  sei  dringend  davor  gewarnt,  mit  vorgefaßten  Mei- 
nungen an  die  Materie  heranzutreten  und  sich  auf  gelegentliche  Einzel- 
erfahrungen zu  stützen,  denn  das  Wort  »Blinde«  bezeichnet  keinen  scharf- 
umgrenzten generellen  Begrifif,  sondern  schließt  eine  Summe  von  Indi- 


3.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwcsen.  Seite  887. 

vidualitäten  und  somit  Verschiedenheiten  in  sich.  Diese  einzelnen  Kompo- 
nenten jener  großen  Summe  können  natürHch  nicht  von  vornherein 
gesondert  betrachtet  werden,  aber  sie  dürfen  nie  aus  dem  Auge  ver- 
schwinden, wenn  es  sicli  vorerst  auch  nur  darum  handeln  wird  und 
muß,  gemeinsame  Züge,  d.  h.  durch  die  Blindheit  bedingtes  »Typisches« 
herauszuschälen  und  mit  der  allgemeinen  Psychologie  in  Beziehung  zu 
setzen.  Nur  diese  typischen  Charakteristika  sind  es  auch,  die  für  die 
Allgemeinheit  eine  Bedeutung  haben,  und  deren  nähere  Kenntnis  dem 
Blinden  mancherlei  Erleichterungen  verbürgt.  Sie  bilden  den  Schlüssel 
zu  einzelnen  individuellen  Verschiedenheiten,  die  teils  auf  persönlicher 
Veranlagung,  teils  auf  dem  Grad  und  der  Art  der  Erblindung  basieren. 
Namentlich  das  letztere  muß  als  ein  wesentlicher  Faktor  bei  der  Beur- 
teilung singulärer  Beobachtungen  angesehen  werden,  da  es  für  das 
Seelenleben  eines  Menschen  durchaus  nicht  gleichgültig  ist,  ob  er  das 
Augenlicht  bei  der  Geburt,  als  Kind  oder  in  gereifterem  Alter,  ob  er 
es  vollständig  oder  nur  teilweise  verloren  hat. 

Der  Blindgeborene  ist  gleichsam  in  eine  Welt  der  Nacht  hinein- 
gesetzt. Sein  Begriffsvermögen  wird  nur  selten  oder  schwer  jene  Erschei- 
nungen erfassen,  die  wir  mit  »Licht«  oder  »Farbe«  bezeichnen.  Sie 
bleiben  für  ihn  Abstrakta,  die  in  seinem  Geistesleben  eine  Resonnanz 
nicht  finden,  höchstens  ein  negatives  Gefühl  auslösen,  von  dem  bereits 
weiter  oben  gesprochen  wurde.  Die  Späterblindeten  retten  sich  dagegen 
eine  ganze  Reihe  von  Vorstellungen  in  die  Blindheit  hinüber,  die  als 
Erinnerungen  fortleben  und  trotz  des  allmählichen  Verblassens  immer- 
hin befruchtend  wirken.  Sie  haben  zwar  einen  Teil  der  Welt  verloren, 
diese  aber  ist  ihnen  wenigstens  nicht  fremd  geblieben. 

Schließlich  besteht  ein  großer  Unterschied  zwischen  denen,  die 
noch  über  größere  oder  kleinere  Sehreste  verfügen  und  jenen,  die  gegen 
jede  Lichteinwirkung  absolut  unempfindlich  sind.  Mit  dem  Grad  des 
verbliebenen  Sehrestes  hängt  die  Reichhaltigkeit  der  Wahrnehmungen 
und  die  Regheit  des  Geisteslebens  —  natürlich  bei  normal  Veranlagten 
—  eng  zusammen.  Schon  die  einfache  Möglichkeit,  Hell  von  Dunkel 
zu  unterscheiden,  bedeutet  für  den  Blinden  einen  Vorteil,  den  er  nicht 
missen  möchte,  wenn  ihm  diese  Lichtempfindung  auch  sonst  keine 
weiteren  praktischen  Erleichterungen  bietet.  Er  fühlt  sich  dem  Sehenden 
dadurch  um  einen  kleinen  Schritt  näher  und  empfindet  dessen  »Über- 
legenheit« schon  um  einen  Grad  weniger  drückend,  als  seine  völlig 
lichtlosen  Genossen.  Gerade  hierüber  lassen  sich  in  den  Blindenanstalten 
äußerst  interessante  Studien  machen,  bei  denen  zuerst  auffallen  dürfte, 
daß  unter  solchen  Blinden,  die  noch  etwas  sehen  können,  eine  gewisse 
Sucht  besteht,  sich  auf  diesen  Sehrest  Etliches  zugute  zu  tun  und  gele- 
gentlich mit  ihm  zu  »renomieren«.  (Parmis  les  aveugles  le  borgne  est 
le  roi.)  Er,  der  sonst  immer  selbst  von  den  Sehenden  belehrt  und 
geleitet  wurde,  sucht  etwas  darin,  diese  Mentorrolle  wenigstens  teilweise 
dem  Lichtlosen  gegenüber  auch  einmal  spielen  zu  können,  wobei  er 
sich  nicht  selten  Übertreibungen  zuschulden  kommen  läßt,  die  lediglich 
als  Argument  dafür  zu  werten  sind,  wie  sehr  er  sich  seiner  schwachen 
Gesichtswahrnehmungen  freut  und  in  welchem  Maße  er  sich  danach 
sehnt,  über  den  vollen,  uneingeschränkten  Besitz  des  Auges  zu  verfügen. 


Seite  888.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen.  3.    Nummer. 

Ceteris  paribus  wird  ein  solcher  Blinder  in  seiner  Vorstellungs- 
und Ideenwelt  dem  Lichtlosen  aber  auch  tatsächlich  überlegen  sein, 
denn  er  kann  immerhin  eine  ganze  Reihe  von  Eindrücken  unmittelbar 
gewinnen,  die  jener  nur  aut  dem  Umweg  über  das  Gehör  (durch  Beschrei- 
bung) oder  über  den  Tastsinn  empfangen  kann.  Für  ihn  scheint  außer 
der  »wärmenden«  auch  eine  strahlende  Sonne,  er  sieht  das  Grün  des 
Grases,  während  jener  nur  die  Substanz  als  solche  fühlt. 

Diese  teils  essenziellen,  teils  graduellen  Differenzierungen  müssen 
wir  im  Auge  behalten,  um  die  gelegentlichen  Widersprüche  verstehen 
zu  können,  die  uns  mitunter  entgegentreten.  Diese  sind  indessen  keines- 
wegs grundlegender  Natur  und  vermögen  daher  auch  niemals  das 
»Typische«  zu  verwischen  oder  in  den  Hintergrund  zu  drängen.  Sie 
sind  es  gerade,  die  das  Studium  der  Blindenseele  so  überaus  inte- 
ressant und  fruchtbar  gestalten,  weil  sie  bemüht  ist,  anpassend  zu 
wirken  und  die  kleinsten  vorhandenen  Elemente  zu  einem  größeren 
Ganzen  zusammenzufügen. 

Um  nun  gleich  von  vornherein  einen  kleinen  Wegweiser  an  die 
Hand  zu  geben,  möchten  wir  einen  Bruchteil  des  Endergebnisses  vorweg- 
nehmen und  als  eine  wesentliche  Feststellung  aus  der  Blindenpsycholo- 
gie  registrieren,  daß  ein  wunderbares  Ineinandergreifen  der  einzelnen 
Sinnesfunktionen  zu  beobachten  ist,  die  gewissermaßen  danach  streben, 
die  durch  das  fehlende  Augenlicht  entstandene  Lücke  auszufüllen  und 
an  die  Stelle  der  Sehwahrnehmungen  Surrogatvorstellungen  zu  setzen. 
Die  große  Kunst  des  Blinden  besteht  nun  darin,  diese  Surrogate  nach 
Kräften  der  Wirklichkeit  anzupassen,  d.  h.,  eine  Übereinstimmung 
zwischen  dem  zu  erzielen,  was  er  auf  Umwegen  wahrnimmt  und  dem, 
was  er  durch  Sehende  von  der  tatsächlichen  Außenwelt  erfährt.  Gerade 
hierbei  hat  der  Nichtsehende  eine  außerordentliche  Geistesarbeit  zu 
leisten,  deren  Erfolg  oft  von  wesentlichem  Einfluß  auf  die  Gestaltung 
seines  ganzen  Lebens  ist.  Muß  er  sich  doch  der  Welt  der  Sehenden 
assimilieren,  soweit  es  die  besonderen  Verhältnisse  irgend  gestatten, 
um  nicht  in  ihr  als  Fremdling  zu  erscheinen  und  als  ein  solcher  behan- 
delt zu  werden.  Seine  ihm  verbliebenen  vier  Sinne  sind  doppelt  geschäf- 
tig, und  an  seine  Nervenkraft  werden  dadurch  unstreitig  erhöhte  Anfor- 
derungen gestellt. 

Es  wäre  gänzlich  verfehlt,  der  Annahme  zu  huldigen,  wie  es 
leider  noch  immer  vielfach  geschieht,  daß  die  Blindheit  an  sich  eine 
Schärfung  der  übrigen  Sinne  bedingt  und  sonst  nicht  vorhandene 
Fähigkeiten  hervorzaubert.  So  verschwenderisch  geht  die  Natur  an  keiner 
Stelle  mit  ihren  Gaben  um,  vielmehr  ist  das,  was  uns  bei  den  Blinden 
als  außerordentlich  oder  zunächst  unbegreiflich  erscheint,  die  Frucht 
mühsamer  und  an  Enttäuschungen  reicher  Arbeit,  unermüdlicher  Aufmerk- 
samkeit nach  innen  wie  nach  außen.  Daher  sollte  man  jeden  Erfolg, 
den  ein  Blinder  auf  geistigem,  künstlerischem  oder  gewerblichem  Gebiet 
erzielt,  doppelt  hoch  veranschlagen,  denn  er  hat  damit  mehr  geleistet, 
unsagbar  viel  mehr,  als  sein  sehender  Kollege,  der  ans  gleiche  Ziel  gelangt. 

Diese  Sonderwertung  kann  und  muß  der  Blinde  für  sich  in  Anspruch 
nehmen,  denn  er  selbst  weiß  am  besten,  daß  er  das  ganze  Sein,  die 
gesamte  Persönlichkeit  auf  eine  Aufgabe  konzentrieren  muß,  wenn  er 
sie  glücklich  lösen  will. 


3.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  889. 

Offener  Brief 

an  das  Präsidium  des  Zentralvereines  für  das  österr, 

Blindenwesen 
zuhanden  des  Präsidenten  Herrn  Direktor  Karl  Bürklen. 

Sehr  geehrter  Herr  Direktor! 

Die  Veranlassung  zu  diesem  Schreiben  findet  in  der  Wich- 
tigkeit des  Gegenstandes  die  Erklärung  und  erscheint  durch  die 
folgende  Betrachtung  begründet. 

Die  Blindenfürsorge  steht  im  Zeichen  einer  Wende  und 
Wandlung;  der  Krieg  reift  zu  äußerer  Wirklichkeit,  was  längst 
innere  Notwendigkeit  war;  neue  Fürsorgefragen  dämmern;  auf- 
gezeigte Probleme  und  Aufgaben  harren  noch  der  Lösung;  andere, 
bereits  errungene,  unterliegen  noch  weiteren  Entwicklungen, 

Den  vielverzweigten  Bestrebun-gen,  die  so  im  Gange  sind, 
fehlt  eine  gemeinsame  Zentralstelle  und  den  Vertretern  der  ein- 
zelnen Aktionen  eine  Gelegenheit  ( —  oder  Willigkeit?  — )  zur 
unmittelbaren  Berührung  und  Verständigung,  eine  Möglichkeit 
(^-  oder  Willigkeit?  — )  gegenseitiger  Kenntnisnahme  und  Ver- 
bindung. Ein  solcher  Mangel  an  gegenseitiger  Fühlung  bedeutet 
aber  offenbaren  Nachteil  für  die  theoretische  Erkenntnis  wie  für 
die  Praxis  der  Blindenfürsorge  —  und  damit  eine  Schädigung 
ihrer  Interessen.  Da  ergibt  sich  denn  die  Autgabe,  in  alle  Unklar- 
heiten hineinzuleuchten,  den  Schein  zu  zerstören  und  das  praktisch 
Richtige  hinzustellen  als  einen  Markstein  für  die  Beurteilung,  als 
eine  Richtschnur  für  das  Handeln. 

Dieser  Einsicht  entspringt  die  Vorlage  meines  folgenden 
Antrages:  das  Präsidium  wolle  die  Einberufung  des 
VI.  österreichischen  Blindenfürsorgetages  für  Ende 
d.  J.  (nach  Wien)  in  Erwägung  ziehen. 

Niemals  vorher  war  ein  Blindenfürsorgetag  notwendiger. 

Ein  mannigfacher  Stoff  erwartet  seine  Bewältiger,  denn  die 
Zeit  des  Überganges  und  der  Neubildung,  die  nunmehr  beginnt, 
wird  der  Blindenfürsorge  wenig  günstig  sein.  Es  handelt  sich  diesmal 
nicht  um  Aufgaben,  die  reichlich  Zeit  —  oder  auch  nur  Zeit  — 
haben,  in  der  kommenden  Friedensperiode  mit  behaglicher  Breite 
behandelt  zu  werden ;  von  höchster  Aktualität,  können  sie  die 
Wirklichkeit  von  morgen  sein  und  verlangen  so,  gleich  in  Angriff 
genommen  zu  werden. 

Um  jedoch  alle  diese  Ideen  und  Gedanken  festzuhalten, 
durchzudenken,  zu  ordnen  und  die  daraus  resultierenden  Aufgaben 
durchzuführen,  muß  —  wie  bei  jeder  Interessengemeinschaft  —  eine 
Verständigung  vorausgehen  ( —  die  stets  grundlegend  wird  für  alles 
Soziale  — )  eine  Konvention,  die  eine  innere  Verbindung  für  jetzt 
einleitet  und  eine  organische  Vereinigung  für  späterhin  erleichtert, 
damit  die  Zeiten  kritischer  Entscheidung  über  die  Zukunft,  die 
kommen   müssen,  uns  stark  und  wenn  inöglich   —   Examen  rigoro- 


Seite  890.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  3.  Nummer. 

sum!    —    uns    auch    einig  finden.    Genehmigen  Sie,    sehr  geehrter 
Herr  Direktor,    den  Ausdruck   meiner  besonderen    Wertschätzung. 

Hochachtungsvoll 

Siegfried  Altmann, 
dzt.  k.  u.  k.  Leutnant  Rfr.  i.  d.  Res. 

Wien,  am  17.  Februar  1918. 

Indem  ich  dieses  Schreiben  allen  Ausschußmitgliedern  des  Zentral- 
vereines sowie  allen  in  der  Blindenfürsorge  tätigen  Amtsgenossen  zur 
Kenntnis  bringe,  bitte  ich  durch  gütige  schriftliche  Mitteilung  an  mich, 
Stellung  hiezu  zu  nehmen. 

Der  Präsident  des  Zentralvereines 
für  das  öst.  Blindenwesen; 

K.  Bürklen. 


Krankenstube  Nr.  24. 

Die  Krankenstube  Nr.  24  kann  ich  nicht  vergessen.  Sie  war 
mein  erstes  Ziel,  als  ich  meine  Arbeit  hier  begann. 

Gleich  an  der  Tür  rechter  Hand  ist  ein  Bett,  vor  dem  ich  so 
manches  Mal  erschüttert  gestanden  habe,  erschüttert  von  bohrendem 
Mitleid  und  auch  von  einer  frohen  Bewunderung  darüber,  wie  hier 
ein  schweres  Leid  glaubensstark  getragen  wurde. 

Es  war  ein  Bahnwärter  aus  Hessenland,  jung,  groß  und  stark. 
Um  seinen  Kopf  trug  er  eine  weiße  Binde;  sie  ging  quer  über  die 
Augen.  Wenn  man  sie  sah,  wußte  man  alles.  Sie  barg  das  größte 
Leid,  das  einem  widerfahren  kann.  Eine  unglückselige  Kugel  war  in 
der  linken  Schläfengegend  eingedrungen,  hatte  den  Sehnerv  des  linken 
Auges  zerstört  und  das  rechte  Auge  herausgerissen. 

Zuerst  hatten  wir  die  Hoffnung,  daß  auf  dem  linken  Auge  noch 
ein  schwacher  Schein  zu  retten  sei,  der  bei  sorglicher  Pflege  sich 
immer  mehr  erhellen  würde.  Aber  die  Hoffnung  ging  nicht  in  Erfül- 
lung. Es  war  für  uns  alle  eine  schwere  Erkenntnis.  Und  als  wir  es 
ihm  sagen  mußten,  schnitt  es  uns  selbst  ins  Herz  wie  mit  spitzen 
Messern.  Er  saß  lange  still  da,  als  er  die  bittere  Wahrheit  vernahm. 
Aber  keine  Klage  kam  über  seine  Lippen.  Er  hatte  sich  schon  in  der 
Stille  darauf  gefaßt  gemacht.  Ach,  wenn  er  wenigstens  noch  hätte 
weinen  können!  Aber  auch  der  lindernde  und  tröstende  Tränenstrom 
war  versiegt. 

Ich  habe  viel  an  seinem  Bette  gesessen,  und  darüber  sind  wir 
gute  Freunde  geworden.  Manches  Wort  ist  zwischen  uns  hin  und  her 
gegangen  und  hat  uns  herzlich  miteinander  verbunden. 

Von  der  Welt,  die  er  nun  nicht  mehr  sehen  konnte,  habe  ich 
ihm  erzählt  und  vorgelesen.  Und  er  hat  mir  in  seiner  bescheidenen 
Art  berichtet  über  seine  Kriegserlebnisse,  seine  Eltern,  seine  Jugend, 
seine  Lebensführungen.  Ein  Stück  gesunden  deutschen  Familienlebens 
ist  da  vor  meinen  Augen  enthüllt  worden.  Das  Beste,  was  sie  hatten, 
haben  die  schlichten  Eltern  dem  Sohne  mit  auf  den  Weg  gegeben: 
ein  treues,  frommes  Herz  und  jenen  Glauben,  der  die  Welt  über- 
windet. 


3.  Nummer.  Zeitschrift  lür  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  891. 

Hier  lag  das  Geheimnis,  daß  er  ein  so  großes  und  bitteres 
Lebensleid  so  stark  und  ergeben  zu  tragen  vermochte. 

Wenn  er  von  den  tiefsten  und  größten  Dingen  der  Menschheit 
sprach,  von  Gott  und  seinen  wunderbaren  Führungen,  von  Christus 
und  seinem  Kreuze,  von  jenem  ewigen  Licht  des  Glaubens,  das  kein 
Geschoß  zu  löschen  vermag,  und  das  umso  heller  brennt  und  leuch- 
tet, je  dunkler  es  auf  dieser  Welt  ist,  dann  konnte  ich  solchem  treuen, 
schlichten  Gottvertrauen  gegenüber  kaum  meine  innere  Bewegung 
meistern.  Er  machte  nicht  viel  Worte  um  diese  heiligen  Dinge,  denn 
er  war  schon  aus  Veranlagung  ein  stiller,  schweigsamer  Mensch.  Um 
so  tiefer  aber  wirkte  das  Wenige,  und  über  allem  stand  die  leuch- 
tende Glaubenstat  seiner  starken  Ergebung  in  Gottes  Willen.  Ich 
weiß,  daß  ihm  diese  Ergebung  nicht  leicht  geworden  ist.  Was  muß 
es  für  einen  starken  Zwanzigjährigen  für  ein  innerer  Kampf  sein,  sich 
damit  abzufinden,  daß  es  nun  ein  ganzes  Leben  lang  finstere  Nacht 
um  ihn  sein  soll!  Er  ist  Sieger  geblieben  auch  in  diesem  Kampf.  Der 
Glaube  hat  ihm   geholfen. 

Nach  Ausheilung  seiner  Wunden  haben  wir  von  ihm  Abschied 
nehmen  müssen.  Er  ging  in  ein  Blindenheim,  um  dort  sein  Leben 
noch  einmal  wieder  von  vorne  an  aufzubauen.  Seine  gesunde  Natur 
verlangte  nach  Betätigung.  Er  ist  so  glücklich,  daß  er  mit  den  Fin- 
gern lesen  lernen  darf  und  daß  er  in  allerlei  Flechtarbeit  und  Kunst- 
fertigkeit einen  neuen  Lebensberuf  findet.  Erfinderische  Nächstenliebe 
hilft  ihm.  Stein  für  Stein  ein  neues  Leben  zu  bauen.  Als  ich  den 
ersten  selbstgeschriebenen  Schreibmaschinenbrief  von  ihm  erhielt, 
merkte  ich  deutlich,  daß  es  um  ihn  schon  heller  geworden  war.  Und 
seine  größte  Freude  war  die,  daß  ihm  das  Evangelium  des  Johannes, 
in  dem  so  viel  geschrieben  steht  von  dem  inneren  Licht  der  Seele 
und  der  Welt,  in  Blindenschrift  geschenkt  worden  ist,  und  daß  er  es 
täglich  besser  mit  seinen   Fingern  zu  lesen  versteht. 

»Ich  kann  noch  glücklich  und  zufrieden  sein,«  sagte  er  mir  ein- 
mal als  ich  ihn  besuchte.  »Hier  im  Institut  sind  Kameraden,  die  haben 
es  noch  viel  schwerer  als  ich.«  Er  meinte,  daß  mancher  neben  dem 
verlorenen  Augenlicht  auch  noch  den  Verlust  dieses  oder  jenes 
Gliedes  zu  tragen  haben.  Ich  aber  dachte  bei  seinen  Worten:  Wenn 
jene  Kameraden  nicht  den  köstlichen  Besitz  im  Herzen  haben,  den 
dieser  schlichte  Dorfbewohner  aus  dem  Hessenland  von  seinen  Eltern 
i.iitbekam  und  treulich  aucli  in  den  schwersten  Stunden  bewahrt  hat, 
dann  weiß  ich  nicht,  wie  sie  stark  genug  sein  sollen,  so  schwere  Last 
auch  nur  durch   einen  einzigen  dunklen  Tag  zu  tragen. 

Lazarettpfarrer  H.  Schaefer. 


Die  Blinde. 

Von  Lucie  K  o  h  m  er  -  H  c  i  Isch  c  r. 

Ich   warte  still.   Die  Sonnenstrahlen   gleiten 

Hin    über   Sclirank   und   Fach   voll   Heimlichkeiten, 

Vertrauter  Hausrat  blinkt   noch  wie  vor  Zeiten. 


Seite  892.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Bhndenwesen.  3.  Nummer. 

Geöffnet  blieb  die  Tür.  Ein  kleiner  Garten 

Kniet  demütig  mit  Blumen  an  der  Schwelle, 

Und  eine  Birke  hängt  voll   Glanz  und  Helle  .... 

Da  trittst  Du   tastend  in  das  Dämmerdunkel, 
Von  Licht  umfangen.  Mit  den  schmalen   Händen 
Ahnst  Du   das  stumm   Geräte  an  den   Wänden. 

Wie  Zeichen   auf  vergilbten  Pergamenten 
Sind  Deiner  Stirn   und  Deiner  Augen  Falten, 
Dein  blasser  Mund,  den  Einsamkeiten  malten. 

Du  sprichst  zu   mir.   Hart  geht  ein  Klang.  Darinnen 
Schwingt  schrill  ein  Ton  von   unnennbarer  Trauer, 
Der  ohne  Echo  stirbt  an  kalter  Mauer  .... 

Mir  ist  so  bang,  ich  weiß  nicht,   wo  Dich  finden. 

Und  fühle  meiner  armen   Worte   Sünde: 

Ich  hab'   das   Augenlicht  und   bin   die  Blinde. 

Und  aus  dem  bunten   Gaukelspiel  der  Farben 
Taucht  jäh  Dein  starrer  Blick   und  bohrt  ins  Weite, 
Ins  Unsichtbare  sich   und   Wehbefreite. 

(Bergstadt). 


Personalnachrichten. 

—  Zum  Direktor  des  Blinden-Mädchenheimes  »Elisabethinum« 
in  Melk  a.  D.  wurde  der  Prior  des  Stiftes  Melk  P.  Kolumban 
Ressavar  bestellt. 

—  Der  blinde  Violin-Hilfslehrer  am  k.  k.  Blinden-Erziehnngs-Inslitute  in  Wien, 
Herr  Karl  Eichler,  selbst  ehemaliger  Zögling  der  Anstalt,  wurde  anläßlich  der 
Enthebung  von  dieser  Lehrtätigkeit  durch  die  Verleihung  des  silbernen  Verdienst- 
kreuzes mit  der  Krone  Allerhöchst  ausgezeichnet.  Am  25.  Jänner  1918  überreichte 
ihm  der  Direktor  der  Anstalt,  Regierungsrat  A.  Meli,  diese  Auszeichnung  in  Gegen- 
wart aller  Zöglinge  und  des  Anstaltslehrkörpers,  indem  er  die  ersprießliche  mehr 
als  dreißigjährige  Tätigkeit  des  Ausgezeichneten  hervorhob,  welcher  unter  Belassung 
seiner  bisherigen  Remuneration  als  Gnadengabe  der  Dienstleistung  in  Berücksichti- 
gung des  erreichten  höheren  Alters  enthoben  wurde.  Er  sprach  seine  Befriedigung 
darüber  aus,  daß  Herr  Eichler  nunmehr  in  der  Reihe  der  Allerhöchst  ausgezeich- 
neten ehemaligen  Zöglinge  der  Anstalt  stehe,  von  denen  sich  viele  durch  redliche 
Arbeit  und  ernstes  Streben  eine  sehr  geachtete  Stellung  im  Leben  errungen  halten. 
Ein  ehemaliger  Zögling  dankte  dem  Herrn  Lehrer  in  innigen  Worten  für  seine 
Bemühungen,  worauf  der  Gefeierte  in  Rührung  seinerseits  die  Bitte  aussprach, 
seinen  Dank,  der  in  ein  dreimaliges  Hoch  auf  Seine  Majestät  den  Kaiser  ausklang, 
an  die  Stufen  des  Thrones  gelangen  zu  lassen. 


Aus  den  Hnstalten. 

—  N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  Faschingsabend 
Zum  erstenmale  seit  Kriegsbeginn  wurde  der  Faschingssonntag  wieder  mit  einer 
Theatervortührung  und  musikalischen  Vorträgen  gefeiert.  Die  Zöglinge  und  eine 
Anzahl  von  Angehörigen  erheiterten  sich  an  der  Aufführung  des  harmlos  lustigen 
Stückes  »Das  Krautschaffel.«  Mit  anderen  Genüssen  mußten  sie  sich  allerdings  auf 
die  kommende  Friedenszeit  vertröstet  werden. 


:<.   Nummer.  Zeitschrift    für  das  r)stt  rieicliisrfie   Hliiideinvescn.  Seilt;  893, 

Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Bericht  der  küstenländischen  Landeskommission 
zur  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger  über  ihre  Tätigkeit 
im  Jahre  1916.  Die  Landeskommission  liatte  bisher  nicht  Gelegenheit, 
sicli   mit  der  Kriegsblindenfürsorge  zu  befassen. 

Die  Baronin  Rittmeyer'sche  Stiftung  hat  beschlossen,  ein  provi- 
sorisches B  li  n  deni  n  sti  t  u  t  zu  errichten  und  in  demselben  eine 
besondere  Abteilung  den  Kriegsl)linden  aus  dem  ganzen  Küstenlande 
zu  reservieren.  Die  Eröffnung  des  Institutes  ist  für  den  Monat  April 
1.  J.  vorgesehen.  Sache  der  Landeskommission  wird  es  sein,  die 
Kriegsblinden  aus  dem  Küstenlande,  die  bisher  in  den  Anstalten  des 
Inlandes  gepflegt  wurden,  ausfindig  zu  machen  und  in  das  Triester 
Institut  aufnehmen   zu   lassen. 

Der  Kriegsbündenfond  hatte  im  ersten  Reclinungsjahre  11.989  K 
Einnahmen   und  29  K  Ausgaben. 

—  Die  Kaiserin  für  die  Kriegsblindenheimstätten.  Die  Kaiserin  hat 
dem  Verein  Kriegsbiindenheimstätten  in  Wien  einen  ihr  zur  Verfügung  gestellten 
Betrag  zugewendet. 

—  Erzherzog  Franz  Salvator  besuchte  am  14.  Februar  l.  J.  das  Kaiser 
Karl-Kriegsblindenlieim  in  Wien  XIlI  und  nahm  dessen  Einrichtungen  mit  großer 
Befriedigung  in  Augenschein. 

—  Ausstellung.  Die  Malerin  Mina  Loebell  hat  das  Reinerträgnis  der 
von  ihr  in  der  Zedlitzhalle  in  Wien  I  veranstalteten  Ausstellung  der  Kriegsblinden- 
fürsorge gewidmet. 

—  Veranstaltung.  In  Probstdorf,  N.  Ö.  wurde  am  10.  Februar  1.  J.  in 
Herrn  Pfeifers  Saailokalitäten  zugunsten  der  im  Kriege  erblindeten  Soldaten  von 
der  Ortsgruppe  Probstdorf  des  Bundes  der  Deutschen  in  Niederösterreich 
ein  Wohltätigkeitski  änzchen  abgehalten.  Das  rührige  und  umsichtige  Komitee  hat 
durch  seine  gute  Einteilung  und  das  vortreffliche  Arrangement  das  Kränzchen  zu 
einem  wirklich  schönen  Feste  gestaltet,  das  ein  Reinerträgnis  von  893  K  ergab. 
Dieser  Betrag  wurde  einem  Institut  für  erblindete  Soldaten  überwiesen.  Besondere 
Verdienste  als  Leiter  des  Ganzen  hat  sich  Ortsgruppenobmann  Herr  Karl  Fro- 
sch a  u  e  r  erworben. 

—  Ein  Kinostück  zugunsten  der  Aktion  des  Kommerzialrates  Grimm. 
In  der  Urania  in  Wien  fand  kürzlich  die  Erstaufführung  des  von  der  österr.  Film- 
gesellschaft F"ilmag  hergestellten  Filmes  »Konrad  Hartls  Lebensschicksal« 
statt,  dessen  Reinerträgnis  der  obigen  Aktion  zufließt.  Es  stellt  das  Leben  eines 
erblindeten  Kriegers  dar  und  dürfte  geeignet  sein,  Interesse  für  diese  Vaterlands- 
helden in  den  weitesten  Kreisen  hervorzurufen.  Rühmenswert  ist  vor  allem  die 
durchaus  lebenswahre  Darstellung  des  Blinden  durch  den  Hofburgschauspieler 
Walter  Huber,  dessen  Darbietung  sich  von  den  andern  bisher  gezeigten  Kino- 
blinden vorteilhaft  abhob  durch  den  gänzlichen  Verzicht  auf  die  Äußerlichkeiten, 
die  sonst  den  Blinden  besonders,  aber  immer  übertrieben  unw'ahr  markieren  sollen. 
Dem  Werk  und  damit  seiner  Widmung  ist  ein  großer  Erfolg  nur  zu  wünschen. 

—  Sammlungen   für  Kriegsblinde.  Stand  Ende    Februar  I.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,245.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  3,270.000  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  320.000  K. 

—  Reichspost:  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  85.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  30.000  K. 


Seite  894.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  3.  Nummer. 

Verschiedenes. 

—  Annahme  eines  Blindenkalenders  in  Brailleschrift  durch 
die  Kaiserin.  Über  Bitte  des  Präsidenten  des  k.  k.  Vereines  »Die  Technik  für 
die  Kriegsinvaliden«  hat  der  Protektor  des  Vereines  Erzherzog  Karl  Stephan 
der  Kaiserin  den  Blindenkalender,  der  nach  dem  Dozent  Dr.  Herz'schen  Veiviel- 
fältigungsverfahren  ant^efertigt  wurde,  überreicht.  Die  Kaiserin  nahm  die  Widmung 
dieses  Neudruckes  mit  warmen  Worten  der  Anerkennung  und  des  Dankes  huldvollst 
entgegen.  Für  die  beifällige  Aufnahme  und  Beurteilung,  die  dieser  Kalender  in  den 
Kreisen,  für  die  er  bestimmt  ist,  findet,  gibt  ein  Brief  des  Hofrates  v.  Chlumetzky 
aus  Brunn  beredtes  Zeugnis,  den  er  an  den  Präsidenten  des  k.  k.  Vereines  »Die 
Technik  für  die  Kriegsinvaliden«  richtete.  Der  selbst  blinde  und  auf  dem  Gebiete 
der  Blindenfürsorge  tätige  Hofrat  v.  Chlumetzky  beglückwünscht  den  Verein  zu 
den  Erfolgen  auf  dem  Gebiete  des  Herz'schen  Vervielfältigungsverfahrens  für 
Punkt^'chrift  und  sagt  dann  wörtlich:  »Diesem  zielbewußten  Eingreifen  des  Vereines 
in  das  etwas  schwierig  arbeitende  Räderwerk  ist  es  ja  vor  allem  zu  danken,  daß 
schon  so  bald  ein  verheißungsvoller  Versuch  gemacht  werden  konnte.  Mir  ist  dieser 
Tage  der  mittelst  der  neuen  Methode  herrgestellte  Kalender  für  Blinde  zugekommen, 
der  schon  was  die  Form  der  Darbietung  anlangt,  als  eine  überaus  glücklich  getrof- 
fene Wahl  bezeichnet  werden  muß  und  in  Ansehung  der  Ausführung  und  namentlich, 
was  die  glänzende  Tastbarkeit  der  Schrift  und  ihre  tadellose  Haltbarkeit  anlangt, 
alle  meine  Erwartungen  übertrifft.  Der  erste  Schritt  ist  also  in  verheißungsvoller 
Weise  getan,  und  das  läßt  in  mir  die  feste  Zuversicht  entstehen,  daß  es  trotz  aller 
Schwierigkeiten,  welche  insbesondere  die  Not  der  Zeit  dem  Werke  in  den  Weg 
stellt,  das  Unternehmen  gedeihen  und  sich  zu  einer  bedeutenden  Errungenschaft 
für  die  Blindenwelt  nicht  nur  Österreichs,  sondern  auch  anderer  Länder  ausgestalten 
wird.«  Der  Verein  »Die  Technik  f  r  die  Kriegsinvaliden«,  der  das  Prothesenproblem 
unter  Mitarbeit  von  Arzt,  Techniker  und  Handwerker  als  erster  und  fürs  Ausland 
vorbildlich  in  fachkundige  Behandlung  genommen  hat,  wird,  durch  den  obigen  Brief 
ermuntert,  auch  auf  dem  ihm  ursprünglich  entfernter  gelegenen  Gebiete  der  tech- 
nischen Blindenfürsorge  seine  Bemühungen  nach  besten  Kräften  fortsetzen. 

—  Vortrag  eines  blinden  Esperantisten.  Der  blinde  Musiker 
J.  Krieger  hielt  am  1.  Februar  1918  im  I.  Wr.  Esperanto-Verein  eine  Vor- 
lesung in  Esperanto  und  zwar  las  er  die  Übersetzung  der  Novelle  »Die  Gefahr«, 
deren  Verfasser  der  Blinde  O.  Baum  ist. 

—  Das  Wachstum  des  Auges.  Kinder  haben  verhältnismäßig  große 
Augen.  Interessant  ist,  daß  sich  das  Auge  bezüglich  seiner  Größenverhältnisse  bei 
der  Geburt  und  seines  Wachstums  ahnlichlich  verhält  wie  das  Gehirn.  Das  Gewicht 
des  Gesamtkörpers  wächst  bis  zur  Vollentwicklung  um  las  21  fache.  Das  Gesamt- 
wachstum des  Auges  beträgt  nur  das  3"252  fache.  Das  Gewicht  des  Gehirns  nimmt 
um  das  3.76  fache  zu. 

—  Beschäftigung  der  im  Kriege  erblindeten  Soldaten  in 
England.  Alle  teilweise  oder  ganz  erblindete  Soldaten  und  Matrosen  werden 
zunächst  in  das  Londoner  allgemeine  Krankenhaus  in  Chelsea  gebracht,  wo  außer 
den  Pflegerinnen  die  Mitglieder  der  Blindenfürsorgeaktion  sich  bemühen,  den  blinden 
Patienten  ihr  Los  so  viel  als  möglich  zu  erleichtern  und  sie  zu  l  schäftigen,  sobald 
ihr  Gesundheitszustand  dies  zuläßt  und  sie  in  möglichst  kurzer  Zeit  selbständig  zu 
machen.  In  dem  Blindenheim  der  Hilfsaktion  in  St.  Dunstan  sind  z.  B.  die  Fußböden 
mil  Linoleumstreifen  bedeckt,  die  es  den  Blinden  ermöglichen,  sich  in  der  kürze- 
sten Zeit  in  dem  ganzen  großen  Hause  ohne  Führung  leicht  zurechtzufinden.  Im 
Hofe  und  in  den  Gärten  sind  zum  gleichen  Zwecke  längst  der  Fußwege  Drähte 
gespannt  und  Bretter  bei  Stufen  und  anderen  Hindernissen  angebracht.  In  den 
Schulzimmern  werden  die  Männer  zuerst  in  der  Blindenschrift  unterrichtet,  die  sie 
sich  erstaunlich  schnell  aneignen.  Jeder  Mann  hat  seine  besondere  Lehrerin,  eine 
Arbeit,  der  sich  150  Damen  täglich  widmen.  Verhältnismäßig  bald  kann  man  auch 
daran  gehen,  die  intelligenten  Blinden  im  Maschinschreiben  zu  unterrichten.  Viele 
von  ihnen  schreiben  außerordentlich  genau  und  flink.  In  ihren  Mußestunden  beschäf- 
tigen sich  viele  mit  der  Anfertigung  von  Fischnetzen  und  verdienen  dadurch  12  bis 
15  Kronen  per  Woche  als  Taschengeld.  Eine  der  besten  Beschäftigungen  für  intelli- 

Herausgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     Redalctionskomitee:   K.   Bürkleo, 
J.  Kneis,  A.  t.  Horrath,  F.  Uhl,  —  Druck   tod   Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei  Wien. 


cjentc  Blinde  ist  Massage.  Die  Männer,  welche  diesen  Beruf  ausüben  wollen,  müssen 
mittelst  in  Blindenschrift  geschriebener  Bücher  einige  Kenntnisse  in  Anatomie,  Phy- 
siologie und  Pathologie  erwerben  und  die  gleiche  strenge  Prüfung  ablegen  wie 
Masseure  mit  gesunden  Augen.  Der  Erfolg  der  in  St.  Dunstan  herangebildeten 
blinden  Masseure  ist  so  günstig  gewesen.,  daß  ihr  Instruktor  von  dem  Middlesex 
Spital  in  London  den  Antrag  erhielt,  mit  seinen  blinden  Massenren  die  Massage- 
abteilung des  Spitals  zu  übernehmen.  Eine  weitere  Berufsmöglichkeit  für  Blinde 
biete,  so  unglaublich  es  klingt,  die  Erlernung  der  Stenographie.  Mittelst  einer  sinn- 
reichen kleinen  Maschine  und  der  Anwendung  einer  aVjgekürzten  Blindenschrift  sind 
viele  Blinde  in  St.  Dunstan  in  kurzer  Zeit  ausgezeichnete  Stenographen  geworden, 
die  120  Worte  in  der  Minute  aufnehmen  können,  eine  Geschwindigkeit,  die  ja  für 
die  Arbeit  eines  gewöhnlichen  Stenographen  vollkommen  genügt.  Viele  Blinde  sind 
auch  in  der  Anstalt  zu  sehr  tüchtigen  Telephonisten  ausgebildet  worden,  und  zwar 
nicht  nur  für  das  Blitz-,  sondern  auch  für  das  Klappensystem,  da  sie  sehr  bald  nach 
dem  Klange  genau  wußten,  welche  Klappe  herabgefallen  ist.  In  St.  Dunstan  wird 
natürlich  auch  Korb-  und  Mattenflechterei  gelehrt.  Aber  auch  zu  guten  Schuhflickern 
sind  viele  blinde  .Soldaten  ausgebildet  worden,  die  ebensogut  Stiefel  mit  neuen 
Absätzen  und  Sohlen  versehen  können  wie  ein  Schuster  mit  sehenden  Augen. 
Manche  Blinde  haben  es  erlernt,  nette  Bilderrahmen  anzufertigen,  andere  wurden  zu 
Tischlern  oder  Zirnmerleuten  ausgebildet  und  eine  Anzahl  von  früheren  Insassen 
der  Anstalt  beschäftigt  sich  in  sehr  wirksamer  Weise  mit  Geflügelzucht.  Mit  sehr 
zufriedenstellendem  Ergebnis  werden  auch  Anstrengungen  gemacht,  die  erblindeten 
Soldaten  ihrem  früheren  Berufe  zurückzuführen.  Ein  großes  Hindernis  hiefür  ist 
jedoch  das  Vorurteil  der  Arbeitgeber,  welche  zu  denken  scheinen,  daß  ein  Mann, 
der  sein  Augenlicht  verloren,  auch  damit  jeden  Funken  Verstand  eingebüßt  hat. 

—  Der  junge  Neuseeländer  Clutha  M  ackenzie,  der  im  Weltkrieg  durch  das 
Platzen  einer  Granate  des  Lichtes  beider  Augen  beraubt  wurde,  jetzt  in  London 
als  Journalist  niedergelassen.  Unterstützt  durch  einen  Stab  getreuer  Mitarbeiter  redi- 
giert er  in  vorzüglicher  Weise  das  neue  Blatt  »The  Chronicles  of  the  New  Zea- 
land«,  das  infolge  seines  anziehenden  Inhalts  und  der  guten  Darstellung  schon 
Tausende  von  Lesern  zählen  soll. 


Bücherschau. 

—  Gerhardt,  Dr.  F.  v. :  Materialien  zur  Blindenpsychologie- 
(Langensalza,  Wendt  &  Klauwell,  1917).  Der  Verfasser  der  im  Jahre  1916  erschie- 
nen Schrift  »Aus  dem  Seelenleben  der  Blinden<,  läßt  dieser  programmatischen  Ab- 
handlung ein  Sammelwerk  folgen,  das  dazu  beitragen  soll,  einer  dereinstigen  syste- 
matischen Darstellung  der  Blindeiipsychologie  die  Wege  zu  weisen  und  zu  ebnen. 
Die  Mehrzahl  dei  gebotenen  Abhandlungen  ist  von  Blinden  (Baum,  Hauptvogel, 
Hirsch,  Reuß,  Schmittberg,  Schneider)  selbst  geschrieben  und  besitzen 
durch  ihren  autobiographischen  Charakter  einen  besonderem  Wert  für  die  unmittel- 
bare Forschung.  Von  älteren  Autoren  finden  sich  Ansaldi,  Georg i,  Knell  und 
Kunz  vertreten.  Dadurch  erscheinen  alle  wichtigen  Kapitel  der  Blindenpsychologie 
berührt  und  in  allen  wird  Interressantes  und  Wertvolles  geboten.  Wir  müssen  dem 
Verfasser  für  seine  seltene  Gabe,  die  eine  wissenschaftliche  Erforschung  des 
Seelenlebens  der  Blinden  hoffnungsvoll  einleitet,  herzlichst  Dank  sagen.  Mit  seiner 
gütigen  Erlaubnis  geben  wir  die  Einbegleitung  des  Buches  an  der  Spitze  dieser 
Nummer  wieder.  Wer  sie  liest,  wird  sich  nach  dem  Buche  selbst  verlangen.  Wir 
werden  noch  Gelegenheit  finden,  auf  einzelne  Kapitel  desselben  zurück  zu  kommen. 

—  Niepel  E.:  Arbei  tsmö  gli  chkeiten  für  Blinde,  insbesondere 
Kriegsblinde,  in  gewerblichen  Betrieben  (Berlin  1918.  Heymann. 
Preis:  1  M  50.  Direktor  E.  Niepel  veröffentlicht  in  dieser  Schrift  die  Ergebnisse 
der  bisherigen  Versuchsarbeiten  des  Ausschusses  zur  Untersuchung  der  Arbeits- 
möglichkeiten für  Blinde  in  gewerblichen  Betrieben  und  zwar  der  Papier-,  Glüh- 
lampen-, Schokoladen-,  Knopf-,  Kartonagen-,  Stahlfeder-,  Porzellan-  und  Seifen- 
fabrikation, in  der  Tabak-,  Werkzeug-  und  Bekleidungsindustrie.  Es  wurde  durch 
praktische  Versuche  ermittelt,  welche  .Arbeiten  für  Blinde  ausführbar  und  lohnend 
sind,  ohne  daß  die  Beschäftigung  aus  Mitleid  erfolgt.  Die  Ergebnisse  sind  so  gün- 
stige, daß  der  Ausschuß  zu  denselben  nur  zu  beglückwünschen  ist.  Die  damit  für 
die  Erweiterung  der  Blindcnarbeit  geleistete  Arbeit,  von  der  die  Schrift  ein  aus- 
führliches und  interessantes  Bild  gibt,  ist  so  .  zielbewußt,  wie  es  nur  deutscher 
Gründlichkeit  möglich  ist. 


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Eine  neue 
„Titaiiia-  I^iiT)litscljLi*if*tinascliiii€3** 

zur  Aufnahme  von  Stenogrammen,  ist  für  i6o  Mark  zu  verkaufen. 

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^Vien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  UnterstützuDg  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  tür  Blinde.  Erhaltung 
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Blindendrucknoten    werden    an     I^n 
Blinde  unentgeltlich  verliehen!     iäJ 


von   Oskar  Picht. 
Bromberg. 


W.  Kraus,  Berlin  N  54 

(Gegründet  1878.) 

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aller  Arten. 


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□ 


Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


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Schriftleitung 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Nr.132.257 


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Das  Blatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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Bezugspreis 
ganzjährig  mit 
Postzusteilung 

4  Kronen, 
Einzelnummer 

40  Heller. 


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5.  Jahrgang. 


Wien,  Rpril  1918. 


4.  Nummer. 


INHALT:  O.  Wanecek,  Purkersdorf:  Die  Blendung  in  der  Geschichte  des  Rechtes. 
Der  Hund  als  Blindenfreund.  Blindenpädagogik  in  der  Lehrerbildung.  Per- 
sonalnachrichten. f\us  den  Anstalten.  Für  unsere  Kriegsblinden.  Versdiie- 
denes.     Büdierschau.     (Altes  und  Neues.     Ankündigungen). 


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?  Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VI!!, 
i]  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K, 


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Altes  und   Neues. 

Elektrizität  und  B 1  i  n  d  e  n  s  c  h  r  i  f  t. 

Neuerdings  ist  von  Dr.  Thierbach  in  Berlin-Marienlelde  ein  Weg 
angegeben  worden,  der  unter  Verzicht  auf  das  unmittelbare  Abtasten 
der  Punktschritt  zu  einer  wesentlichen  Verringerung  des  Umfanges  (?) 
der  Blindenbücher  und  damit  zu  einer  Verbilligung  und  bequemeren 
Handhabung  derselben  führen  dürfte.  Unter  Beibehaltung  der  für  das 
Lesen  mit  der  Fingerspitze  durchaus  bewährten  Punktschrift.  Thier- 
bach geht  von  dem  bekannten  Siemens'schen  Schnelltelegraphen  aus, 
bei  dem  die  einzelnen  Buchstaben  zunächst  als  feine  Löcher  in  einen 
schmalen  Streifen  von  dünnem  Papier  eingestanzt  werden.  Diese  den 
Text  des  Telegramms  in  Lochschrift  enthaltenden  Papierstreifen  werden 
bei  der  Aufgabe  durch  den  Telegraphenapparat  hindurchgezogen,  wobei, 
je  nachdem  ein  gelochter  oder  ungelochter  Teil  des  Papiers  an  den 
Kontakträdchen  vorübergeführt  wird,  elektrische  Ströme  aus-  oder  ein- 
geschaltet werden,  die  am  Empfangsapparat  den  Buchstabendrucker  in 
Bewegung  setzen,  der  das  Telegramm  in  gewöhnlichen  Buchstaben 
niederschreibt.  Mit  einer  solchen  Niederschrift  kann  nun  zwar  der  Blinde 
nichts  anfangen,  aber  wenn  man  an  Stelle  des  Buchstabendruckers  nach 
Thierbachs  Vorschlag  nun  sechs  kleine,  in  drei  Reihen  zu  je  zwei 
übereinander  angeordnete  Stifte  setzt,  die  durch  den  elektrischen  Strom 
je  nach  dem  durch  das  Vorbeiziehen  des  Lochstreifens  bewirkten 
Schließen  oder  Offnen  des  Stromkreises  gehoben  und  gesenkt  werden, 
so  kann  man  dem  auf  diese  sechs  Stifte  gelegten  Finger  des  Blinden 
von  jedem  Buchstaben  der  Punktschritt  genau  den  Eindruck  vermitteln, 
den  er  auch  empfängt,  wenn  er  den  ins  Papier  eingedrückten  Buchstaben 
unmittelbar  abtastet.  Ein  Blindenbuch  würde  also  nur  aus  einer  wenig 
Q)  umfangreichen  Rolle  eines  dünnen,  gelochten  Papierstreifens  bestehen, 
und  der  Blinde  würde  dieses  »Buch«  viel  bequemer  (?)  lesen  können, 
als  die  jetzigen  Folianten,  die  er  bewegen  und  umblättern  muß,  bei 
denen  er  den  jedesmaligen  Zeilenantang  tastend  suchen  und  über  dessen 
ganze  Seite  er  fortwährend  den  Finger  hin-  und  herbewegen  muß.  Man 
kann  aber,  wie  Thierbach  ausführt,  noch  weitergehen,  und  an  Stelle 
der  auf  dem  engen  Raum  einer  Fingerspitze  zusammengedrängten  sechs 
Stiftchen  sechs  Tasten  verwenden,  für  jeden  Finger  eine  und  die  letzte 
für  irgend  eine  Stelle  der  Handfläche,  und  wenn  der  Blinde  dann  auf 
diese  Tastatur  seine  Hand  legt,  wird  er  sicherlich  noch  deutlicher  als 
mit  einer  Fingerspitze  allein  fühlen  können,  daß  beispielsweise  die  erste, 
dritte  und  fünfte  Taste  gleichzeitig  angehoben  werden,  um  den  Buch- 
staben L  zu  kennzeichnen.  Man  könnte  ferner  daran  denken,  überhaupt 
auf  bewegliche  Tasten  oder  Stifte  zu  verzichten  und  eine  leichte  Reizung 
der  Fingerspitzen  bezw.  der  Handfläche  direkt  durch  den  elektrischen 
Strom  herbeizuführen,  oder  als  Bewegungsmittel  für  Tasten  oder  Stifte, 
die  aus  ihrer  Anwendung  bei  den  ebenfalls  mit  gelochten  Papierstreifen 
arbeitenden  mechanischen  Klavieren  und  anderen  Musikwerken  bekannte 
Druckluft  zu  verwenden,  die  eine  Vereinfachung  (?)  des  gesamten 
Lesemechanismus  herbeiführen  und  diesen  unabhängig  von  einer  nicht 
überall  vorhandenen  Elektrizitätsquelle  machen  würden,  da  der  Blinde, 
wie  der  Klavierspieler  am  Pianola,  sich  die  erforderliche  Druckluft 
durch  Treten  von  Bälgen  leicht  selbst  erzeugen  könnte. 


5.  Jahrgang, 


Wien,  April   1918. 


4.  Nummer. 


^ 


m 

»Einem    erst    die    Augen    ausstechen        ^ 
und  ihn  dann  führen :  ob  das  wirklich  eine        ^ 

Tugend    ist?  Friedrich  Hebbel.  ^ 

SS 


Die  Blendung  in  der  Geschichte  des  Rechtes. 

Von  Lehrer  Ottokar  Wanecek,  Purkersdorf. 

So  unheimlich  die  verschiedenen  verstümmelnden  Leibesstraten 
früherer  Zeit  sein  mögen,  grauenhafteres  tritt  in  ihrer  Reihe  dem  moder- 
dernen,  an  humanitären  Ideen  geläuterten  Empfinden  wohl  kaum  ent- 
gegen als  die  Blendung.  Von  den  ältesten  Zeiten  bis  hoch  herauf  in 
die  letzten  Jahrliunderte  läßt  sie  sich  als  Strafmittel  feststellen.  Das 
ursprünglichste  Rechtsempfinden  prägte  das  Wort :  »Aug'  um  Auge, 
Zahn  um  Zahn.<  Die  aufdämmernde  Kultur  kann  sich  mit  diesem  ein- 
fachen Ausgleich  nicht  mehr  begnügen.  Die  Vergehen  gegen  den  Besitz 
des  Nächsten  werden  häufiger  als  die  gegen  seinen  Leib.  Das  Real- 
konforme in  Tat  und  Sühne  wird  unmöglich.  Jetzt  aber  tritt  die 
Blendung  häufig  auf. 

Im  ursprünglichen  Rechtsemfinden  mag  nämlich  mehr  die  Absicht 
gesteckt  haben,  eine  Wiederholung  des  Verbrechens  unmöglich  zu 
machen,  als  den  sittlichen  Ausgleich  durch  die  Strafe  herbeizuführen. 
Weit  herauf  in  der  Geschichte  reichen  die  Leibesstrafen,  die  eine  solche 
Absicht  deutlich  aufweisen,  wie  das  Zungenausreißen  für  Verleumder 
und  solche,  die  ihre  Eltern  geschmäht  haben,  das  Handabhauen  für 
Diebe  und  ähnliches.  In  den  meisten  Straffällen  mag  aber  das  Augen- 
ausstechen  als  die  gründlichste  Vorkehrung  angesehen  worden  sein, 
eine  Wiederholung  hintanzuhalten.  Wie  tief  diese  Anschauung  im 
Volksbewußtsein  wurzelt,  beweist  ein  Sagenrest,  dem  die  Wiederlands- 
sage  zugrunde  liegt.  Er  wurde  1875  in  Sachsen  aufgefunden  und  erzählt, 
daß  der  Schmied  Meland  im  Sachsenvvalde  von  einem  grausamen  König, 
der  sich  seine  Kunstfertigkeit  sichern  wollte,  geblendet  wurde.    Dadurcli 


Seite  900.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  4.  Nummer. 

ist  ihm  allerdings  auch  die  Möglichkeit  fernerer  kunstvoller  Arbeit  genom- 
men, eine  Tatsache,  die  die  naive  Volksanschauung  vergißt.  Ihr  genügt 
es,  damit  das  beste  Mittel  gegen  eine  etwaige  Flucht  gekennzeichnet 
zu  haben.  (Vergleiche  Otto  L.  Jiriczek,  Deutsche  Heldensage,  S.  24.) 

Die  Meinung,  daß  durch  den  Verlust  des  Augenlichtes  dem  Menschen 
eine  bestimmende,  notwendige  Voraussetzung  für  ein  ferneres  selb- 
ständiges Wirken  genommen  sei,  läßt  die  Blendung  zu  einem  Mittel 
der  Staatspolitik  werden.  So  erzählt  der  Afrikareisende  Nachtigall,  daß 
im  Lande  Wadai  der  zur  Regierung  gelangende  König  seine  Brüder 
blenden  läßt,  um  sie  zu  einer  Thronbesteigung  unfähig  zu  machen.  Auch 
die  Regenten  der  Insel  Ormus  nehmen,  indem  sie  Brüdern  und  Anver- 
wandten das  gleiche  Schicksal  bereiten,  diesen  allfällige  Gelüste  nach 
der  Herrschaft.  Die  derart  Ausgeschalteten  erhalten  aber  eine  reichliche 
Versorgung  bis  an  ihr  Lebensende. 

Wenn  auch  derartige  Greueltaten  in  ihrer  selbstverständlichen 
Regelmäßigkeit  nur  bei  den  wilden  Völkern  möglich  sind,  so  ist  die 
Staatspolitik  auch  höher  gesitteter  Reiche  vor  der  gleichen  Maßnahme 
nicht  zurückgeschreckt.  Diese  Rechtssprüche  —  allerdings  sind  sie  meist 
Willkür-  und  Unrechtsentscheidungen  —  traf  der  Herrscher  als  oberster 
Richter.  Wo  eine  wirkliche  oder  vermeintliche  Verschwörung  aufgedeckt, 
ein  zu  fürchtender  Feind  gefangen  genommen  oder  ein  unbequemer 
Verwandter  lästig  wurde,  war  man  damit  gleich  bei  der  Hand. 

Als  einer  der  geschichtlich  älteste  dieser  Fälle  ist  der  des  letzten 
Judenkönigs  Zedekia  (Matanja)  zu  nennen.  Diesen  hatte  597  v.  Ch. 
Nabukadnezar  eingesetzt.  Er  empörte  sich  aber  gegen  den  babylo- 
nischen König  und  verband  sich  mit  Ägypten.  586  wurde  Zedekia 
auf  nächtlicher  Flucht  bei  Jericho  ergriffen  und  nach  Hinrichtung  seiner 
Söhne  des  Augenlichtes  beraubt. 

Die  fränkische  Geschichte  der  Karolinger  erzählt  eine  ganze  Reihe 
von  Verwandtenblendungen  aus  staatspolitischen  Gründen.  Karl  der 
Große  hatte  seinen  Enkel  Bernhard  zum  König  von  Italien  gemacht. 
Da  die  Reichsteilung  Ludwig  des  Frommen  817  Lothar  die' Kaiserkrone 
zusprach,  fühlte  jener  sich  benachteiligt  und  empörte  sich.  Unter  dem 
Schein,  Unterhandlungen  eingehen  zu  wollen,  lockte  man  ihn  nach 
Chalon  an  d.  Saone,  wor  er  geblendet  wurde.  Er  starb  818.  Für  diese 
Tat  mußte  Ludwig  der  Fromme  822  öffentliche  Kirchenbuße  tun. 

Dieser  König  ließ  übrigens  auch  dem  Geliebten  seiner  Schwester 
die  Augen  ausstechen. 

Karl  der  Einfältige,  der  französische  Karolinger,  ließ  873  seinen 
Sohn  Karlmann  blenden,  weil  dieser  sich  weigerte,  Geistlicher  zu  werden 
und  damit  seinen  Erbanspruch  aufzugeben. 

Ludwig  III.  wurde  als  König  von  Burgund  von  Karl  dem  Dicken 
anerkannt  und  an  Kindes  statt  angenommen.  Als  er  900  den  Longo- 
barden  gegen  die  Ungarn  zu  hilfe  kam,  schmückte  ihn  das  dankbare 
Volk  mit  der  eisernen  Krone  der  Longobardenkönige.  901  erwarb  er 
auch  die  römische  Kaiserkrone.  Berengar  von  Friaul  überfiel  ihn  in 
Verona  und  blendete  ihn.  Ludwig  kehrte  nach  Arles  zurück,  wo  er  im 
Elend  starb. 


4.  Niiinmcr.  Zeilscliiifl  Mir  das  österreichische  Fiiindenwesen.  Seite  901. 

In  gleicher  Weise  wollte  Hugo,  König  von  Italien  gegen  Berengar 
vorgehen  (937),  welch  Beginnen  aber  seinen  eigenen  Sturz  herbeiführte. 

Der  Gegenkönig  des  schon  genannten  Karl  d.  Einfältigen,  Hugo 
der  Große  von  Burgund  ließ  949  seinem  eigenen  Bruder  die  Augen 
aussteclien. 

Auch  dem  späterem  Mittelalter  sind  Blendungen  aus  dem  gleichem 
Motive  nicht  fremd.  Zwei  Fälle  weist  die  Geschichte  des  Königstammes 
der  Arpaden   auf. 

Der  Nachfolger  Stephans  des  Heiligen,  sein  Neffe  Peter  der  Vene- 
zianer (1038 — 41),  war  ein  gewalttätiger  Herrscher.  Deswegen  und  wegen 
seiner  Vorliebe  für  Ausländer  brach  ein  Aufstand  der  nationalen,  damals 
noch  heidnischen  Partei  aus.  Der  König  wurde  vertrieben,  besiegte  aber 
mit  Hilfe  des  deutschen  Kaisers  Heinrich  II.  und  seines  Schwagers 
Adalbert  von  Österreich  seine  Gegner.  Im  Jahre  1046  wurde  er,  weil 
er  Ungarn  als  Lehen  vom  deutschen  Kaiser  genommen  hatte,  abermals 
gestürzt  und  geblendet. 

König  Koloman  (1095 — 1116)  ließ  seinen  Bruder  Almos  und 
dessen  Sohn  des  Augenlichtes  berauben.  Trotzdem  kam  letzterer  als 
Bela  II.  der  Blinde  im  Jahre  1131  zur  Herrschaft,  die  er  aber  unselb- 
ständig führte.  Fortwährend  lag  er  mit  Borics,  einem  andern  Thronwerber 
in  Streit. 

Auch  Robert  von  der  Normandie  verlor  sein  Augenlicht  durch 
seinen   Bruder  Heinrich  I-  von  England.  (1134) 

Ein  Blick  in  die  griechisch-byzantinische  Geschichte  jener  Zeit 
fördert  ebenfalls  ähnliche  grausenvolle  Tatsachen  zu  Tage. 

Isaak  Angelos  II.  wurde  von  seinem  eigenen  Bruder  vom  Throne 
gestoßen  und  verlor  durch  ihn  das  Augenlicht  (1195).  Im  Verlaufe  des 
vierten  Kreuzzuges  wurde  er  aber  1203  mit  seinem  Sohn  Alexios  auf 
den  Thron  erhoben. 

Johann  I\^  Laskaris  wurde  als  unmündiges  Kind  auf  den  Thron 
erhoben,  aber  noch  im  selben  Jahre  (1259)  von  Paläologus  gestürzt  und 
trotz  seiner  unschuldvollen  Jugend  geblendet.  In  diesem  Zustande  verlebte 
er  noch  25  Jahre  im  Kerker. 

Andionicus  IV.  führte  während  der  Abwesenheit  seines  Vaters, 
der  im  Abendlande  Schutz  gegen  die  Türken  suchte,  die  Regierung, 
verschwor  sich  später,  als  er  sich  vom  Vater  zurückgesetzt  glaubte, 
1375  mit  Sandschi,  dem  Sohne  Murads  I.  zum  Sturze  der  Väter.  Er 
wurde  aber  eingekerkert  und  geblendet.  Von  den  mit  seinem  Vater 
verbündeten  Genuesern  befreit,  erhielt  er  durch  Vertrag  mit  den  Türken 
1381    einige  Landstriche  zur  selbständigen  Herrschaft.  Er  starb  1385. 

Ferdinand  der  Katholische  von  Spanien  vertrieb  1490  den  letzten 
Maurenkönig  aus  PLuropa.  Dieser  empörte  sich  in  Afrika  gegen  die 
Spanier,  wurde  aber  gefangen  und  geblendet.  Mit  einem  Zettel  am 
Kleide  tastete  er  sich  weiter.  Auf  jenem  stand  :  »Seht  hier  den  unglück- 
lichen  Beherrscher  Andalusiens.« 

Die  Despotenangst  um  die  Herrschaft  trieb  auch  Abbas  den  Großen 
von  Persien  (1557 — 1629)  zu  einer  solchen  Maßnahme  gegen  seine 
Söhne  und  Enkel.  Goethe  erzählt  davon  in  den  Noten  und  Abhandlungen 


Seite  902.  Zeitschrift  für  das  österreichische  f31inden\vesen.  4.  Nummer. 

zum  westöstlichen  Diran  (Pietro  della  Valle),  daß  man  dem  Großkönig 
jene  verdächtig  gemacht  habe.  Einer  sei  unschuldig  getötet,  ein  andere 
halbschuldig  geblendet  worden.  Dieser  habe  gesagt :  »Mich  hast  du 
nicht  des  Lichtes  beraubt,  aber  das  Reich.«  (Fortsetzung  folgt). 


Der  Hund  als  Blindenfreund. 

Der  Hund  ist  als  der  älteste  Freund  des  Menschen  unter  den 
Tieren  auch  der  älteste  Blindenfreund.  Seine  Treue,  Anhänglichkeit 
und  Klugheit  machten  ihn  schon  in  den  frühesten  Zeiten  dem  Blinden 
wertvoll.  Nicht  nur,  daß  der  arme,  meistens  auf  sich  selber  angewiesene 
Blinde  an  einem  Hunde  einen  treuen  und  anspruchslosen  Gesellschafter 
fand,  der  Hund  lernte  dem  Gesichtslosen  auch  verschiedene  Dienste 
leisten,  leitete  ihn  auf  seinen  Wegen,  schützte  ihn  vor  Fehltritten 
und  Überfällen  und  erfüllte  mancherlei  kleine  Aufträge,  zu  denen  er 
abgerichtet  war. 

Bis  in  die  neueste  Zeit  herein,  wo  der  Blinde  sich  durch  Erziehung 
und  besondere  Ausbildung  freier  und  sicherer  bewegen  lernte,  finden 
wir  daher  Hunde  im  Dienste  der  Blinden.  Das  zeigen  uns  sowohl 
alte  Abbildungen,  auf  denen  Blinde  mit  ihren  vierbeinigen  Führern 
zu  sehen  sind,  ein  Hund  den  Hut  oder  das  Almosenschüsselchen 
des  blinden  Bettiers  im  Maule  hält  oder  dessen  Werkelkarren  zieht, 
als  auch  mancherlei  Geschichten  und  Dichtungen,  in  denen  die  Treue 
der  Hunde  gegen  ihre  blinden  Herrn  erwähnt  und  gepriesen  wird. 
Eine  der  rührendsten  dieser  Erzählungen   ist  die   nachfolgende  : 

Der  blinde  Lautner. 

Eine  der  schönsten  Städte  des  herrlichen  Böhmerlandes  ist  die 
deutsche  Elbestadt  Leitmeritz.  Sie  liegt  in  einer  gesegneten  Landschaft, 
der  man  nicht  mit  Unrecht  den  Namen  »das  böhmische  Paradies« 
gegeben  hat,  am   Fuße  rebenbewachsener  und  obstreicher  Höhen. 

Ein  Wahrzeichen  der  Stadt  ist  die  Rolandssäule,  welche  an 
einer  Ecke  des  alten  Rathauses  nach  dem  Markte  zu  steht ;  sie  galt 
als  das  Zeichen  des  Stapelrechtes  der  Stadt.  Eine  andere  Säule,  die 
sogenannte  Blindensäule,  ist  längst  zerstört,  doch  weiß  die  Sage 
folgendes  darüber  zu   erzählen: 

Es  war  am  Ende  des  Heumonats  1393,  als  König  Wenzel  IV. 
auf  der  Burg  Karlstein  Hof  hielt.  Wie  gewöhnlich  hatten  sich  auch 
einheimische  und  fremde  Springer,  Gaukler  und  Sänger  eingefunden, 
um  sich  vor  Fürsten  und  Grafen,  Herren  und  Rittern  schauen  und 
hören  zu  lassen.  Unter  andern  stand,  wie  alles  sich  im  Burghofe 
bunt  durcheinander  trieb,  ein  alter  blinder  Sänger,  die  Laute  in  der 
Hand,  begleitet  von  seinem  treuen  Hunde.  Vergebens  wartete  er  still 
und  lange,  bis  man  ihn  rufen  würde,  während  der  Hund  sich  in  eine 
Ecke  kauerte. 

Da  kam  gegen  Abend  Herzog  Bernhard  von  Braunschweig  des 
Weges  gezogen;  sein  Kämmerling  Lu  dger  redete  den  Blinden  über- 
mütig an:  »Was  harrest  du  hier,  du  alter  Maulwurf?  Gehe  in  die 
Gemächer  der  Burg  und  mache  dort  deine   Schwanke!«    — 


4.   Niimmtr.  i^eilsclirifl  Kir  das  östcneicliisclic   I51iiidcii\vt;s<;ii.  Seite  903. 

»Ich  bin  kein  Possenreisser,«  entgegnete  der  Lautner;  »aber 
euere  Stimme  ist  mir  zu  gut  bekannt,  als  daß  ich  noch  zweifeln 
könnte,  daß  ihr  besser  dahin  gehört.« 

Hochrot  gleich  einem  Wamse  glühte  Ludgers  Gesicht;  er 
erhob  die  Hand,  dem  Blinden  einen  Schlag  zu  versetzen  —  aber  wie 
ein  Hlitz  flog  der  getreue  Hund  heran  und  hinderte  nicht  nur  den 
Schlag,  sondern  zerriß  im  Abwehren  das  Gewand  des  Kämmerlings 
derart,  daß  die  Schellen  (eine  Zierde  damaliger  Zeit)  über  den  Felsweg 
kollerten,  f^udger  zog  das  Schwert,  allein  der  Hund  setzte  ihm  so 
hart  zu,  daß  er  sich  genötigt  sah,  durchs  Tor  hinweg  und  seinem 
Herrn  nachzueilen. 

Mittlerweile  griff  der  Lautner  voll  Rührung  in  die  Saiten  und 
sang  das  Lied  von  der  Treue,  wie  sie,  von  Menschen  verbannt,  bei 
dem  Hundegeschlechte  Aufnahme  gefunden.  Während  er  so  sang, 
merkte  er  durch  die  Wärme  und  den  Odem,  daß  jemand  ihm  sehr 
nahe  stehe.  Und  als  der  letzte  Ton  der  Laute  verklungen  war,  hörte 
er  von   dem  Nahestehenden   die  Worte  : 

>Gar  wohl  hat  mir  dein  Liedlein  gefallen.  He,  Hynek,  führe 
den  Lautner  in  die  Küche  und  labe  ihn  —  doch  vergiß  seines  Hundes 
nicht !« 

Es  war  König  Wenzel  selbst,  der  also  sprach. 

Der  gebissene  Kämmerling  hatte  bereits  seinen  Herrn  um  Genug- 
tuung wegen  des  Lautners  angesprochen  und  diese  zugesagt 
erhalten.  Am  Abend  kamen  die  Fürsten  mit  dem  König  beim  Imbiß 
zusammen.  Fröhlich  kreiste  der  Becher,  alles  wetteiferte,  um  die  hohen 
Herren  zu  vergnügen.   Aber  König  Wenzel   rief: 

»Laßt  einmal  den  bHnden  Lautner  holen,  der  mich  heut'  ergötzt 
hat;  nicht  minder  wird  er  wohl  dje  edlen  Herren  hier  ergötzen,  da 
auch  sie  die  Treue  der  Hunde  kennen.« 

Beifällig  nickten  die  Fürsten;  aber  Ludger,  der  in  der  Nähe 
stand,  ergrimmte,  als  er  des  Königs  Worte  hörte  und  den  Lautner 
darauf  eintreten  sah.  Und  kaum  setzte  dei  Mundschenk  dem  Blinden 
einen  vollen  Becher  zur  Labung  hin,  da  klagte  Herzog  Bernhard 
von  Braunschweig  über  Verhöhnung  seiner  Person  in  seinem  Diener. 
Aber  König  Wenzel   entgegnete: 

»Es  tut  mir  leid,  Vetter,  aber  euch  hat  der  Lügenmund  eures 
Dieners  genarrt.  Habe  ich  doch  selbst  unbemerkt  von  der  Warte 
zugesehen   und  weiß  gar  wohl,  wie  alles  gekommen  ist.« 

Hiemit  war  die  Sache  scheinbar  beigelegt.  Aber  Ludger, 
längst  von  den  Hildesheimern  erkauft,  seinen  Herrn  zu  beseitigen, 
schritt  in  seiner  Aufregung  zu   einer  verbrecherischen  Tat. 

Eben  sang  der  Lautner  dem  Herzoge  Bernhard  vor  seinem 
Gemache  den  Abschied,  als  dieser,  tief  ergriffen,  des  Vorgefallenen 
vergaß  und  dem   Sänger  seinen  eigenen  Becher  darbot. 

Als  nun  der  Lautner  dem  Pokal  an  den  Mund  setzte,  schmiegte 
sich  der  Hund  mit  einem  solchen  Ungestüm  an  ihn,  daß  der  Alte 
erbebte  und  den  Becher  fallen  lies.  Und  seltsam!  Der  auf  dem  Marmor- 
boden vergossene  Wein  brauste   und  schäumte  und  höhlte  verzehrend 


Seite  904.  Zeitschrift  das  für  österreicliische   Bliiidenwesen.  4.  Nummer. 

die    Steinplatten,    und    der    Hund,    der    beg^ierig  daran  geleckt,    sank 
unter  Zuckungen   zu   seines  Herrn   Füßen. 

Man  forschte  nun  nach,  wer  den  Becher  gefüllt.  Einer  von  den 
Dienern  hatte  ihn  in  Ludgers  Händen  gesehen,  der  zu  ihm  sagte, 
er  hole  für  den  Herzog  den  Nachtrunk.  Bald  war  es  sonnenklar,  daß 
Ludger  seinen  Herrn  hatte  vergiften  wollen.  Zur  Strafe  dafür  wurde 
er  durch   Henkershand  gerichtet. 

Wehmütig  klagten  die  Lieder  des  blinden  Greises  um  den  Verlust 
des  teuren  Hundes,  Der  Herzog  B  er n  h  ard  aber  verließ  den  Sänger 
nicht.  Dieser  sollte  fortan  am  Hofe  in  Braunschweig  verpflegt  .werden. 
Allein  schon  in  Leitmeritz  erkrankte  der  Lautner  uud  starb  nach 
wenigen   Stunden, 

Zwei  Jahre  später  ließ  Herzog  Bernhard  mit  Einwilligung 
des  Königs  Wenzel  bei  der  St.  Michaelskirche  in  Leitmeritz  ob  dem 
Grabe  des  blinden  Lautners  eine  steinerne  Säule  errichten,  auf  deren 
Untersatze  ein  Blinder  mit  seinem  Hund  ausgehauen  war.  Man  pflegte 
sie  noch  lange  die  Säulei  des  Blinden  zu  nennen;  sie  fiel  aber,  als 
am  26.  März  1511  eine  Erderschütterung  die  Stadt  Leipzig  schwer 
beschädigte,* 

So  sagenhaft  ausgeschmückt  diese  Erzählung  auch  ist,  gibt  sie 
uns  doch  in  ihrem  sicherlich  wahren  Kern  ein  Bild  von  der  rührenden 
Treue,  mit  welcher  der  blinde  Mensch  und  der  Hund  aneinander 
hängen   können. 

Auch  der  selbst  erblindete  Dichter  G.  Pfeffel  schildert  uns 
diese  Liebe  in  gleich  rührender  Weise  an  einem  blinden  Invaliden 
und  seinem  Pudel.  Der  Pudel  —  welcher  selbst  als  Erzähler  seiner 
Lebensgeschichte  auftritt  —  kommt  in  der  vierten  Woche  seines 
Lebens  zu  dem  Invaliden,  der  ihrn  verschiedene  Kunststücke  beibringt, 
um  durch  ihn  sein  Brot  zu  verdienen.  Sie  müssen  sich  jedoch  von 
einander  trennen  und  erst  das  Ende  der  Erzählung  führt  die  Beiden 
wieder  zusammen.  Der  Invalide  ist  mittlerweile  erblindet  und  der 
Pudel  wird  nun  sein  Führer.  »An  einer  dünnen  Schnur,  —  wozu  hätte 
es  eines  Strickes  bedurft  —  schritt  ich  langsam  vor  ihm  her  und 
schützte  seinen  Fuß  vor  den  Steinen  und  seinen  Körper  vor  den 
Stößen  der  noch  fühUoseren  Menschen«  Als  ein  Knabe  den  Blinden 
necken  will,  beißt  ihn  der  Pudel,  Zwei  Stadtknechte  mit  F"linten  sollten 
ihn  dafür  strafen,  »Ich  hätte  fliehen  können,«  erzählt  der  Pudel, 
»allein  ich  schmiegte  mich  nur  fester  an  meinen  Meister,  Dieser, 
der  aus  den  Reden  der  Umstehenden  die  Gefahr  vernahm,  die  mir 
drohte,  beugte  sich  über  mich  hin  und  flehte  um  mein  Leben.  Allein 
umsonst:  der  Sklave  drückte  los,  und  eben  die  Kugel,  die  mir  durch 
den  Kopf  fuhr,  durchbohrte  meinem  alten  Freunde  die  Brust,  »Legt 
ihn  in  mein   Grab!«   waren  seine  letzten   Worte,« 

Die  Reihe  dieser  Schilderungen  ließe  sich  noch  fortsetzen,  doch 
bieten  sie  immer  den  gleichen  Stoff,  wenn  auch  in  verschiedener 
Bearbeitung.  Nur  einer  der  durch  die  Literatur  unsterblich  gemachten 
Vierfüßler  sei  noch  erwähnt,  denn  die  Art  und  Weise  seines  Benehmens 
der  blinden  Herrin  gegenüber  ist  hier  in  besonders,   anziehender  und 


*)  Ein  prächtiges  Stück,  das  in  keinem  Lesebuch  tür  Blinde  fehlen  sollte. 


4.  Numinei.  Zeitschrift   fdr  t!as  östrricichisrht;   Hliiidenwesen.  Seite  005. 

launiger  Weise  oreschildert.  Es  handelt  sich  um  den  kleinen  lioxer 
in  Ch.  Dickens  Erzähluno^  »Das  Heimchen  am  Herd,«  welcher  der 
blinden  Puppenschneiderin   Berta  Führer  und   Gesellschafter  ist. 

»Boxer  machte«  —  so  erzählt  uns  der  Dichter  —  »gewisse 
zarte  Unterscheidungen  in  seinein  Verkehr  mit  Berta,  woraus  ich  die 
volle  Überzeugung  gewinnen  mußte,  daß  sie  blind  war.  Er  suchte 
nie  ihre  Aufmerksamkeit  auf  sich  zu  ziehen  dadurch,  daß  er  sie  anblickte, 
wie  er  es  oft  anderen  Leuten  gegenüber  tat,  sondern  stieß  sie  dann 
jedesmal  sachte  an.  Welche  Erfahrungen  er  bei  blinden  Menschen 
oder  blinden  Hunden  gesammelt  haben  konnte,  weiß  ich  nicht.  Er 
hatte  nie  bei  einem  blinden  Herrn  gedient,  auch  waren,  so  viel  mir 
bekannt  geworden,  weder  Herr  Boxer  Vater  noch  Frau  Boxer  noch 
irgend  ein  anderes  Mitglied  seiner  achtungswerten  Familie,  sei  es 
von  väterlicher,  sei  es  von  mütterlicher  Seite,  jemals  von  Blindheit 
heimgesucht  worden.  Vielleicht  hatte  er's  selbst  herausgefunden ; 
jedenfalls  hielt  er  sich  daran   in   seinem    Verkehr  mit  Blinden.« 

Als  Plan  und  Ziel  in  die  Ausbildung  und  Fürsorge  der  Blinden 
kamen,  versuchte  man  auch  das  Abrichten  von  Hunden  zu  dem 
besonderen  Zwecke  der  Blindenführung.  Man  wählte  hiezu  Pudel  und 
Schäferhunde  als  die  tauglichsten  aus  und  ließ  sie  an  einer  Band- 
schlinge oder  an  einem  Stabe,  welche  leicht  losgemacht  werden 
konnten,  an  der  linken  Hand  des  Blinden  gehen,  während  dessen 
rechte  Hand  einen  Stock  zum  Tasten  trug.  Das  Abrichten  der  Hunde 
geschah  derart,  daß  sie  anfänglich  durch  einen  Sehenden  mehrere- 
male  denselben  Weg  geführt  wurden  und  ihn  besonders  sorgfältig 
an  solchen  Stellen  übten,  wo  er  durch  Wendungen,  durch  langsames 
Gehen,  durch  Stillestehen  oder  auf  andere  Art  den  Blinden  auf  die 
Krümmung  des  Weges,  auf  ein  vorliegendes  Hindernis  oder  sonst 
auf  etwas  aufmerksam  machen  sollte.  Schließlich  übernahm  der  Blinde 
den  Hund  und  benützte  vorerst  Wege,  die  ihm  genau  bekannt  waren, 
um  sich  an  die  Bewegungen  und  Kennzeichen  des  Hundes  zu  gewöhnen. 
Selbstverständlich  übernahm  der  Blinde  auch  die  Fütterung  und  Pflege 
des  Hundes,  der  ihm  zum  Führer  gegeben   wurde. 

Die  besondere  Schulung  der  Blindenhunde  erwies  sich  als  selir 
vorteilhaft  und  mancher  Blinde  befreundete  sich  mit  diesem  stets 
bereiten,  genügsamen  und  anhänglichen  Führer.  Allerdings  beschränkte 
sich  die  Führung  nur  anf  bekannte  Wege  und  versagte  auf  fremden 
Gebieten  oder  im  Straßengewühle  einer  großen  Stadt.  Daher  wurden 
die  Blindenführerhunde  mehr  auf  dem  Lande  als  in  den  Städten 
heimisch,  wo  die  meisten  Blinden  wohnen.  Auch  die  Schwierigkeiten 
der  Haltung  eines  Hundes  in  einer  Stadtwohnung  trugen  dazu  bei, 
die  Führung  von  Blinden  durch  Hunde  auf  einzelne  Fälle  zu  beschrän- 
ken. Schließlich  lernten  die  Blinden  durch  entsprechende  Gewöhnung 
und  Übung  sich  an  bekannten  Örtlichkeiten  freier  und  selbständiger 
bewegen  und  zogen  im  Notfalle  die  Führung  durch  einen  hilfsbereiten 
Mitmenschen  der  unsicheren   Leitung  durch  einen   Vierfüßler  vor. 

Erst  das  Auftreten  der  Kriegsblinden  hat  wieder  den  Gedanken 
an  die  Brauchbarkeit  der  Hunde  als  Blindenführer  wachgerufen  und 
die  Leistungen  der  Kriegsbunde  ermunterten  zur  Aufnahme  neuer 
Versuche.  Und  so  sind    denn  bereits    in  mehreren  deutschen  Städten 


Seite  906.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  4.   Nummer. 

Hunde  als  Blindenführer  tätig  und  mancher  Blinde  hat  in  ihnen  einen 
khigen  Helfer  und  selbstlosen  Gefährten  gefunden. 

Sehen  wir  einmal  zu,  was  ein  solcher  vierbeiniger  Blindenführer 
zu   leisten  vermag. 

Der  Bll^idenhund  trägt  außer  dem  Halsbande  ein  ledernes  Brust- 
geschirr, an  dem  ein  straffer,  hochstehender  Lederbügel  angebracht 
ist,  den  der  Blinde  erfaßt,  um  sich  von  dem  Hunde  leiten  zu  lassen. 
Dieser  Lederbügel  ist,  um  jederzeit  ohne  Schwierigkeiten  abgehängt 
werden  zu  können,  an  zwei  Karabinerhaken  befestigt.  Dies  ist  wichtig, 
wenn  z.  B.  der  Hund  frei  laufen  soll,  um  einen  verlorenen  Gegenstand 
zu  bringen  oder  eine  ähnliclie  Arbeit  auszuführen.  Der  Blindenhund 
hat  nämlich  nicht  nur  die  Aufgabe,  seinen  Herrn  auf  bestimmten 
Wegen  zu  führen,  sondern  auch  verlorene  Sachen  aufzunehmen  und 
soll  außerdem  einen  persönlichen   Schutz  für  seinen  Herrn  bilden. 

Der  Hund  geht  links,  dicht  an  seinem  Herrn.  Naht  ein  Hinder- 
nis, so  geht  der  Hund  langsamer  als  bisher.  Vor  dem  Hindernis 
selbst  setzt  er  sich.  Durch  Tasten  mit  dem  Stock  kann  sich  der 
Blinde  vergewissern,  welcher  Art  das  Hindernis  ist,  ob  er  z.  B.  vom 
Saumstein  heruntergehen  muß  oder  ob  das  Hindernis  derart  ist,  daß 
er  um  dasselbe  geführt  werden  soll.  Durch  die  Befehle  »Führ'  weiterl 
oder  »Führ'  um  zu !«  gibt  er  dem  Hund  Anweisungen,  in  welcher 
Art  er  weiterzugehen  beabsichtigt.  Auch  auf  jede  Stufe  muß  der 
Blindenhund  regelmäßig  durch  Sichsetzen  aufmerksam  machen.  Um 
kleinere  Hindernisse  führt  er  seinen  Herrn  ohneweiters  herum.  Naht 
sich  beim  Überschreiten  der  Fahrstraße  ein  Straßenbahnwagen,  Kraft- 
wagen, Radfahrer  oder  sonstiges  Fuhrwerk,  so  hält  der  Hund  seinen 
Herrn  solange  zurück,  bis  das  betreffende  Fahrzeug  vorüber  ist  und 
erst  dann  führt  er  weiter.  Auf  diese  Art  vermögen  sich  Blinde  mit 
Hilfe  ihres  Hundes  auch  im  Straßengewühle  mit  ziemlicher  Sicherheit 
zu  bewegen. 

Schließlich  hat  es  sich  gezeigt,  daß  der  Hund  verhältnismäßig 
leicht  abzurichten  ist,  Rasen  und  Beete,  selbst  wenn  diese  nicht  ein- 
gefriedet sind,  zu  umgehen.  Für  bestimmte  Tätigkeiten  wurden  ein- 
zelne, möglichst  kurze  und  scharte  Befehlsworte  geprägt.  Das  Wort 
»Bank«  bedeutet,  daß  der  Hund  seinen  Herrn  zur  nächsten  erreich- 
baren Sitzbank  führen  soll.  Auf  das  Wort  »Arb«  hat  der  Hund  als 
Ziel   des  Weges  den  Arbeitsplatz  seines  Herrn  zu  wählen. 

Auf  diese  Art  erfüllt  der  vierbeinige  Gefährte  des  Blinden  seine 
Führerarbeit  und  leistet  dem  Gesichtslosen  wertvolle  Dienste.  Aber 
außer  dieser  praktischen  Verwendung  erfüllt  er  auch  eine  höhere 
Aufgabe.  Durch  seinen  ständigen  Aufenthalt  bei  dem  Blinden  nimmt 
er  diesem  das  Gefühl  des  Alleinseins,  bietet  ihm  mancherlei  Zerstreuung 
und  wird  ihm  in  jeder  Beziehung  ein  guter  und  treuer  Kamerad.  Damit 
erwirbt  er  sich  die  Zuneigung  und  Liebe  seines  blinden  Herrn  und 
mit  Salomo  kann  mancher  Blinde  seinen  Hnnd  als  wahrsten  Freund 
bezeichnen   und  preisen.  K.  B. 


4.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Bliiidenwesen.  Seite  907. 

Blindenpädagogik  in  der  Lehrerbildung. 

Nach  lantfeii  Vorbeieiliiii^en  und  I^röt tcnin^cn  soll  nunmehr  die 
Erweiterung  der  Lehrelbildung  zur  Befähigun<^  zum  Lehramte  an  Volks- 
und Bürgerschulen  zur  Beratung  im  Reichsrate  gestellt  werden.  Außer 
einem  diesbezüglichen  Gesetzentwurfe  des  Abgeordneten  A.  M.  K  e  m  e  1 1  e  r 
wurde  eine  Regierungsvorlage  eingebracht;  wir  entnehmen  aus  derselben 
jene  Bestimmungen,   welche  auf  den  Blindenunterricht  Bezug  haben. 

Über  die  allgemeine  Unterweisung  der  Kandidaten  an  den  Lehrer- 
bildungsanstalten in  diesem  Spezialfache  sagt  der  §  10  des  Regierungs- 
entwurfes : 

»An  allen  Lehrerbildungsanstalten,  an  denen  sich  Gelegenheit 
dazu  bietet,  sind  die  Zöglinge  mit  der  Methode  des  Unterrichtes  für 
blinde,  taubstumme,  mit  Sprachfehlern  behaftete  oder  sonst  abnormale 
Kinder  sowie  mit  der  Einriciitung  eines  Kindergartens,  mit  Jugend- 
fürsorgeeinrichtungen und  den  Erziehungsanstalten  für  sittlich  verwahrloste 
Kinder  bekanntzumachen.« 

Der  Entwurf  von  Kemetter  (§  4)  zählt  dagegen  unter  den 
Unterriclitsgegenständen  ohne  weitere  Beschränkung  auf:  »Methode  des 
Unterrichtes  viersinniger  und  schwachsinniger  Kinder,  Sprachheilkunde.« 
Was  der  eine  Entwurf  also  nur  unter  bestimmten  Voraussetzungen 
gelten  läßt,  führt  der  andere  als  gleichwertigen  Unterrichtsgegenstand 
an.    Man  kann   sich  keinen   größeren   Gegensatz  denken. 

Der  Fassung  im  Regierungsentwurfe  muß  ein  »Entweder  -  Oder« 
gegenübergestellt  werden.  Entweder  ist  es  notwendig,  die  Zöglinge 
über  die  Blindenbildung  (nicht  allein  über  die  Unterrichtsmethode)  und 
die  Blindenfürsorge  zu  orientieren  oder  nicht.  Wenn  ja,  dann  darf  es 
keine  Einschränkung  geben  und  die  »Gelegenheit«  hiezu  muß  auch 
dort  geschalTen  werden,  wo  sie  derzeit  nicht  vorhanden   ist. 

Nach  Kemetter  die  Unterrichtsmethode  viersinniger  Kinder  neben 
29  Pflichtgegenständen  noch  als  besonderes  Unterrichtsfach  einzuführen, 
ist  gänzlich  verfehlt. 

Vom  Interesse  sind  auch  die  Bestimmungen  über  die  Heranbildung 
von  Lehrern  für  spezielle  Unterrichtsgebiete  (Sonderprüfungen).  Wir 
setzen   die  beiden  Entwürfe  wieder  nebeneinander. 

Regierungsentwurf  §  13: 

»Zur  Ausbildung  von  Lehrern  für  ländliche  Fortbildungsschulen, 
dann  für  andere  Unterrichts-  und  Erziehungsanstalten  besonderer  Richtung 
(Blinden-  und  Taubstummenschule,  Anstalten  für  schwachsinnige  oder 
andere  abnormale  Kinder  u.  dgl.)  sind  eigene  Kurse  einzurichten,  zu 
deren  Besuch  die  mit  dem  Lehrbefähigungszeugnisse  für  allgemeine 
Volksschulen  versehenen   Lehrkräfte  zuzulassen  sind. 

Ausnahmsweise  kann  von  der  Beibringung  des  Lehrbefahigungs- 
zeugnisses  dann  abgesehen  werden,  wenn  eine  anderweitige  entsprechende 
X'orbildung  und  eine  längere  tatsächliche  Verwendung  im  praktischen 
Dienste  an  Anstalten  der  betreffenden  Art  nachgewiesen  wird. 

Die  Errichtung  und  Einrichtung  solcher  Kurse  wird  im  Verordnungs- 
wege geregelt. 


Seite  908.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Bündenwesen.  4.   Nummer. 

Für  den  Fall  der  Errichtung  eigener  Anstalten  zur  Heranbildung 
von  Lehrern  an  Schulen  für  nicht  vollsinnige  und  sonst  abnormale 
Kinder  werden  diese  Anstalten  den  Lehrerbildungsanstalten  gleichgehalten.« 

Entwurf  Kerne  tt er  §  22: 

>Die  Fortbildung  von  Lehrern  zu  Speziallehrern  an  Unterrichts- 
anstalten für  nicht  vollsinnige  Kinder  erfolgt  in  eigenen  vom  Staate 
errichteten,  mit  dem  k.  k.  Blinden-  bezw.  Taubstummeninstitut  und  mit 
der  neu  zu  schaffenden  k.  k.  Erziehungsanstalt  für  schwachsinnige  Kinder 
in  Verbindung  stehenden  Kursen.  Diese  Anstalten  sind  dem  Rang  und 
den  Rechtsverhältnissen  nach  den  k.  k.  Lehrerbildungsanstalten  gleich 
zustellen. 

Die  Bildungsdauer  in  diesen  Kursen  beträgt  zwei  Jahre.  Für  die 
Aufnahme  ist  die  Absolvierung  einer  Lehrerbildungsanstalt  erforderlich. 

Die  erfolgreiche  Absolvierung  dieser  Kurse  berechtigt  zur  defini- 
tiven Anstellung  als  Lehrer  an  einer  Blinden-,  bezw.  Taubstummen- 
oder Schwachsinnigenanstalt. 

Lehrer,  die  diesen  Spezialkurs  nicht  absolviert  haben,  bedürfen 
zur  definitiven  Anstellung  einer  Sonderprüfung  vor  eigenen  Kommissionen, 
welche  erst  nach  einer  mindestens  zweijährigen  Betätigung  im  Spezial- 
fache  abgelegt   werden  können.« 

Während  in  diesem  Punkte  der  Regierungsentwurf  allgemein 
gehalten  ist,  ist  der  Entwurf  von  Kemetter  schärfer  umrissen.  Über 
die  praktische  Notwendigkeit  und  Durchtührungsmöglichkeit  scheinen 
sich  die  Verfasser  beider  Entwürfe  nicht  klar  zu  sein.  Wir  kommen 
deshalb  in  einer  ausführlichen  Besprechung  darauf  zurück, 

Personalnachrichten. 

—  Direktor  Rupert  Mayer  j.  Am  4.  März  raffte  der.  Tod 
den  noch  im  kräftigen  Mannesalter  stehenden  Direktor  der  kärntneri- 
schen Landes-Blindenanstalt  in  Klagenfurt  ganz  unerwartet  rasch  dahin; 
er  ist  im  5\.  Lebensjahre  einem  Gehirnschlage  erlegen.  Direktor 
Rupert  Mayer,  im  Jahre  1867  zu  Villach  geboren,  zunächst  als  Volks- 
schullehrer in  Krumpendort  und  Klagenfurt  tätig,  dann  am  k.  k.  Blinden- 
erziehungsinstitute  in  Wien  für  das  Blindenlehramt  ausgebildet,  war 
dazu  ausersehen,  die  ersten  Bestrebungen  der  zu  begründenden  kärnt- 
nerischen Blindenanstalt  werktätig  zu  unterstützen.  Mit  August  1898 
zum  provisorischen  Anstaltsleiter  bestimmt,  wurde  er  am  8.  Dezem- 
ber 1898  zum  Direktor  ernannt.  Direktor  Rupert  Mayer  arbeitete 
gleichzeitig  auf  dem  Gebiete  des  Vereinswesens  und  es  gebührt  ihm 
das  große  Verdienst  im  Jahre  1907  den  Blindenfürsorgeverein,  dessen 
Geschäftsführer  er  bis  zu  seinem  Tode  war,  mitbegründet  zu  haben. 
Durch  20  Jahre  mit  dem  Bündenwesen  eng  verknüpft,  hatte  er  Gele- 
genheit manche  wertvolle  Anregung  zu  geben  und  zur  Entwicklung 
der  Kärtner  Blindenfürsorge  beizutragen.  Leider  gelang  es  ihm  nicht, 
die  Anstalt  auch  in  der  schweren,  opferreichen  Zeit  des  Krieges  in 
Betrieb  zu  erhalten,  und  hat  die  eigentliche  Blindenschule  schon  zu 
Beginn  des  Weltenbrandes  einen  jähen  Abbruch  erlitten.  Ausbildung 
und    Versorgung    der    Kriegsblinden    standen    nun    im    Vordergrunde 


4.  Niiminer.  7,citsclirift  fih   i\:\s  österreichische  Blindenvvesen.  Seite  909. 

seiner  hilfreichen  l^estrehuno^en  und  wurden  ihm  für  seine  Verdienste 
um  die  heimische  Kriegsblindenfürsorj);e  das  Kriegskreuz  III.  Klasse 
und  das  Khrenzciclien  II.  Klasse  vom  Roten  Kreuze  mit  der  Kriegs- 
dekoration verliehen.  Die  Kärntner  Blinden  werden  ihrem  verstorbenen 
Direktor  und  langjährigen  Führer  ein  dankbares  Gedenken  bewahren, 
und  allen,  lüe  ihn  kannten,  wird  der  stets  gütige  und  herzlich  gemüt- 
liche Mensch,  der  auch  das  Cello  zur  Freude  so  vieler  zu  meistern 
verstand,  in   lieber  Erinnerung  bleiben.  Friedrich  J öl! y. 

—  Professor  Dr.  Stephan  Bernhcimer  gestorben.  Nacli  längerem 
Leiden  ist  am  19.  März  1.  j.,  der  Vorstand  der  ersten  Augenklinik  im  Allgemeinen 
Krankenhause  in  Wien  Professor  Dr.  Stephan  Bern  heim  er  im  57.  Lebensjahre 
gestorben.  Kaum  zweieinhalb  Jahre  war  es  dem  hervorragenden  Augenarzt  gegönnt, 
an  der  Wiener  Universität  sein  Lehramt  auszuüben,  als  er  von  einer  schweren 
Krankheit  befallen  wurde,  der  er  nun  erlegen  ist.  Seine  zalilreichcn  Veröffentlichungen 
umfassen  die  wichtigsten  Gebiete  der  Augenlieilkunde  und  der  Grenzgebiete  der- 
selben. Viele  Arbeiten  behandeln  den  operativen  und  klinischen  Teil  der  Augen- 
heilkunde. 

—  Auszeichnung.  Dem  blinden  Orgel  virtuosen  und  Komponisten  Profes- 
sor Ludwig  Moser  wurde  in  Anerkennung  seiner  Verdienste  um  den  unentgeltlichen 
Unterricht  verwundeter  Soldaten  und  für  seine  Mitwirkung  bei  verschiedenen  Kon- 
zerten für  letztere  das  Ehrenzeichen  IL  Klasse  vom  Roten  Kreuz  mit  der  Kriegs- 
dekoration verliehen. 


Hus  den  Anstalten. 

—  \'ersorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  füi-  erwachsene 
Blinde  in  Wien  VIII.  Die  von  Direktor  O.  H.  Stoklaska  geleitete  Anstalt 
versorgte  im  Jahre  1917  46  männliche  und  53  weibliche  Pfleglinge. 

Am  29.  Juli  1917  wurde  die  Erinnerung  an  die  vor  fünfzig  Jahren  durch  den 
Präsidenten  unseres  Vereines  P.  Michael  Hers  an,  gelesene  erste  heilige  Messe 
feierlich  begangen. 

Anstaltsarzt  Dr.  Theodor  Hie  bei  erhielt  das  Ritterkreuz  des  Franz  Josef- 
Ordens  mit  der  Kriegsdekoration. 

Einen  wichtigen  Gegenstand  bildete  in  verstärktem  Malie  die  Versorgung  der 
Pfleglinge  mit  Nahrungsmitteln  und  Bekleidungsstücken.  Daß  sich  die  Verpflegung 
immer  noch  in  zureichender  Weise  d.irchfüliren  liel.\  war  zu  einem  guten  Teile 
der  Mitwirkung  des  Direktionsmitgliedes  Herrn  Vizebürgermeister  Rain  sowie 
einiger  amtlicher  Stellen  zuzuschreiben,  was  mit  großem  Danke  hervorgehoben  wird. 
Die  waclisenden  Kosten  und  Schwierigkeiten  der  Verpflegung  nötigten  zur  Auflas- 
sung der  Verwnndetenabteilung  mit  Ende  März  nachdem  sie  zwei  und  ein  halbes 
Jahr  bestanden  halte.  Im  letzten  Vierteljahre  verpflegte  sie  noch  25  Mann.  Anläß- 
lich der  Auflassung  wurde  seitens  der  Leitung  des  RotenK  reuzes  für  die  opfer- 
willige Unterstützung  der  tiefgefühlte  Dank  in  einem  Diplome  ausgesprochen. 

Der  gewerbliche  Betrieb  mußte  eingeschränkt  werden,  weil  wiederholt 
Mangel  an  Kohle  eintrat  und  weil  gewisse  Rohstoffe  teils  nicht  mehr  zu  beschatTen, 
teils  im  Preise  ungemein  gestiegen  sind. 

Zum  Schluße  wird  mitgeteilt,  daß  zwei  Männer  mit  gefälschten  Karten  und 
Stampiglien  Beträge  für  einige  Vereine  —  darunter  auch  für  unseren  Verein  —  ein- 
gehoben haben.  Es  wurden  sofort  Schritte  dagegen  eingeleitet,  die  insoferne  Erfolg 
hatten,  als  der  eine  dieser  Leute  in  Untersuchungshaft  ist. 


Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Rohstoffzentrale  für  kriegsblinde  Handwerker.  Die 
Schwierigkeiten  in  der  Beschafifung  der  Materialien  für  die  Bürsten- 
binderei und  Korbflechterei  veranlaßte  den  »Kriegsblindenfonds  int 
Ministerium  des  Innern«   in  Wien  einen  Betrag  von   100.000  K  für  diesen 


Seite  910.  Zeitschrift  für  das  östereichische  Blindenwesen.  4.  Nummer. 

Zweck  zur  Verfügung  zu  stellen.  Eine  besondere  Einkautsstelle  soll 
den  Geschäftsbetrieb  beso'rgen,  die  Materialien  zum  Selbstkostenpreise 
abgegeben  werden.  Auch  Zivilblinde  sollen  das  Bezugsrecht  besitzen, 
jedoch  sind  die  Preise  für  diese  um  10  v.  H.  höher  als  bei  den 
Kriegsblinden. 

—  Veranstaltungen: 

—  Akademie  zugunsten  erblindeter  Soldaten  im  Lehrerhausver- 
ein, Wien.  Das  reichhaltige  Programm  enthielt  lebende  Bilder,  Gesangsvorträge  und 
Deklamationen. 

—  Akademie  zugunsten  der  Kriegsblindenheimstätten.  Ried- 
hof, Wien,  am  17.  März  1.  J. 

—  Sammlungen    für  Kriegsblinde.  Stand  Ende    März  1.  J. 

—  Neue  Freie  Fresse:  1,252.000  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  3,470.000  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  320.000  K. 

—  Reichspost:  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  85.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  30.800  K. 

Verschiedenes. 

—  Blindenkalender.  hn  Nachhange  zu  der  Notiz  in  Nr.  3  Seite  8  94  der 
Zeitschrift,  betreflfend  die  Herz'sche  Schablonenschrift,  wird  mitgeteilt,  daß 
Ihre  Majestät  die  Kaiserin  und  Königin  die  Einverleibung  des  Allerhöchst  Ihr  über- 
reichten Blindenkalenders  in  das  Museum  des  Blindenwesens  im  k.  k.  Blinden- 
Erziehungs-Institute  Allergnädigst  zu  gestatten  geruhten,  was  mit  Erlaß  des  Oberst- 
hofmeisteramtes vom  20.  Februar  191 8  bekanntgegeben  wurde. 

—  Zwei  Blinde  von  der  Straßenbahn  überfahren.  Am  18.  März  1.  J., 
ereignete  sich  der  tragische  Fall,  daß  zwei  Blinde  dem  Wiener  Straßenveikehr  zum 
Opfer  fielen.  Der  eine  von  ihnen  der  40  jahrige  Josef  Harr  er  erlitt  einen  Bruch 
des  Schädels  und  war  sofort  tot.  Der  zweite,  der  24jährige  Josef  Hanausek,  kam 
mit  leichteren  Verletzungen  davon.  Er  wurde  von  der  Rettungsgesellschaft  in  die 
Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  für  Blinde  in  Wien  VIII,  deren  Pfleglinge 
die  beiden  Verunglückten  sind,  überführt. 

—  Das  Testament  eines  Wohltäters.  In  Wien  ist  der  Kommerzialrat 
Julius  Edler  v.  Wickede  gestorben.  Dei  Verblichene  war  ein  bekannter  Wohltäter, 
welcher  alle  humanitären  Bestrebungen  in  unserer  Stadt  gerne  unterstützte  und 
zahlreichen  philanthropischen  Vereinen  angehörte.  Seinen  Wohltätigkeitssinn  hat  er 
auch  in  seinem  Testamente  bewiesen,  welches  nebst  anderen  Vermächtnissen  auch 
den  Blindenfürsorgeverein  bedenkt. 

—  Die  falsche  Pf  lege  s  c  h  w  e  ster.  In  der  ersten  Hälfte  des  vorigen 
Jahres  tauchte  in  Wien  eine  hübsche  Frauensperson  in  Pflegerinnentracht  auf, 
mietete  sich  bei  verschiedenen  Leuten  ein  und  entwendete  bei  der  ersten  Gelegen- 
heit, die  sich  ihr  bot,  Schmucksachen,  Kleider  und  Wäsche.  Mit  besonder  Verschla- 
genheit wußte  sie  sich  Sachen  aus  der  Wohnung  der  Frau  Johanna  Popovics  zu 
verschaffen.  Die  falsche  PHcgerin  wußte  das  Vertrauen  der  blinden  Dame  zu  gewin- 
nen, führte  sie  einigemal  vom  Spaziergang  nach  Hause  und  erspähte  die  Gelegenheit 
zu  einem  Diebstahl.  Eines  Tages  erhielt  der  Sohn  der  Blinden  einen  Brief,  er  möge 
sofort  einen  Bekannten  aufsuchen,  worauf  die  Verbrecherin  der  alten  Frau  in  der 
Anlage  den  Wohnungsschlüssel  entwendete,  rasch  dahin  eilte  und  einen  Jackett- 
anzug, sowie  einen  Rock  im  Werte  von  250  Kronen  entwendete.  Erst  nach  lang- 
wierigen Erhebungen  konnte  die  falsche  Pflegerin  —  es  war  die  27jährige  Franziska 
Wagner  —  ausgeforscht  werden,  die  bereits  sechsmal  empfindlich  wegen  Diebstahls 
vorbestraft  ist. 

Herausgeber:    Zeotralverein   für  das  österreichische  Blindenwesen  in   Wien.     Redaictionskomitee:  K.  Bürklen, 
J.  Rneis,  A.  t.  Horrath,  F.  Uhl,  —  Druck  Ton   Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei  Wien. 


—  Die  Zahl  der  Ki  i  cg  s  h  li  n  d  c  n  in  Deutschland.  Dii-  Zaiil  der 
Kriegsblinden    ist    nach    amtlichen  Ermittlungen  im  ganzen  Deutschen  Reiche  1850. 

—  l'lötzliche  Heilung  eines  Kriegsblinden.  Nach  einer  Blindheit 
von  21  Monaten  ist  der  im  Blindenheime  zu  Bromberg  zur  Ausbildung  befindliche 
Kriegsblinde  Wladislaus  Barcz  am  8.  Februar  d.  J.  plötzlich  wieder  sehend 
geworden.  Ks  lag  der  seltene  Kall  von  hysterischer  Erblindung  vor.  Im  Mai  1916 
h .  ttc  er  im  Schützengraben  infolge  einer  in  seiner  nächstea  Nähe  sprengenden 
•Granate  sofort  sein  Augenlicht  vollkommen  verloren.  Durch  Anwendimg  von  Hyp- 
jiose  und  Elektrizität  wurde  nun  seine  Blindheit  in  dem  Bromberger  Reservelazarett 
Kriegsschule  durch  den  leitenden  Nervenarzt  Dr.  Stern  mit  einem  Schlage  behoben. 
Allerdings  war  seine  .Sehfähigkeit,  obwohl  Augen  und  Nerven  in  Ordnung  waren, 
anfänglich  doch  matt,  so  daß  ihm  die  Gegenstände  wie  mit  einem  Schleier  umge- 
Taen  erschienen,  und  er.  sich  seiner  Gewohnheit  als  Blinder  nach  erst  durch  Tasten  von 
ihrer  Wirklichkeit  überzeugte.  Nach  einigen  Tagen  jedoch  hatte  ir  dir  frühen- 
Klarheit  seines  Seliens  vollständig  wiedererlangt. 

—  Opfer  der  schlechten  Beleuchtung  in  Paris.  Paris  war  schon 
immer  die  Stadt  der  Eifersuchtsdramen  im  Kriege  ist  sie  es  mehr  denn  je,  nach- 
dem es  sich  herumgesprochen  hat,  duli  die  »Poilus«  den  Mord  an  ihrer  Frau  oder 
Geliebten  gewöhnlich  nur  mit  einer  »Strafversetzung«  an  die  Front,  was  mit  Straf- 
losigkeit gleichbedeutend  ist,  zu  büßen  hatten.  In  letzter  Zeit  aber  haben  sich  die 
Fälle  gemehrt,  in  denen  sich  die  Eifersüchtigen  in  der  Person,  an  der  sie  sich  zu 
rächen  wünschten,  geirrt  haben. 

Der  Herr,  der  in  der  Rue  Montesquieu  mit  zwei  Revolverschüssen  eine  ihm 
gänzlich  unbekannte  Dame  niederstreckte,  entzog  sich,  als  er  seines  Irrtums  gewahr 
wurde,  selbst  mit  einer  Kugel  der  irdischen  Gerechtigkeit.  Von  weiblicher  Seite 
wird  ein  so  kleines  Versehen  weniger  ernst  genommen.  Ein  junger  Mann,  der  in 
der  Rue  Reaumur  nichtsahnend  in  seine  Zeitung  blickte,  empfing  plötzlich  einen 
kräftigen  Strahl  Vitriol  ins  Gesicht,  der  ihm  das  Augenlicht  raubte  und  ihn  bis  zur 
Unkenntlichkeit  verunstaltete.  Gleich  darauf  sah  die  Dame  mit  der  Vitriolflasche, 
daß  der  Herr  ihr  ein  Fremder  war,  und  etwas  verwirrt  stammelte  sie:  »O  verzeihen 
Sie,  mein  Herr,  ich  habe  mich  bloß  geirrt,  Sie  entschnldigen  wohl  .  .  .« 

Zu  ihrer  Rechtfertigung  führen  die  Attentäter  gewöhnlich  an,  daß  die  Beleuch- 
tung in  Paris  seit  den  deutschen  Fliegerangriffen  derart  mangelhaft  sei,  dafS  mit 
dem  Verkennen  von  Personen  gerechnet  werden  müsse. 

—  Die  Werke  Dickens'  in  Blindenschrift.  Um  die  Übertragungs- 
kosten sämtlicher  Dickens- Novellen  in  die  Braillesche  Blindenschrift  zu  decken,  ver- 
anstaltet, wie  die  »Times«  berichtet,  die  Dickens- Gesellschaft  Vorlesungen  aus  des 
Dichters  Werken  in  London  und  vielen  Provinzstädten.  Eine  Sammlung,  die  kurz 
vor  Kriegsausbruch  zu  dem  Zweck  der  Anlage  einer  Dickens-Bibliothek  eingeleitet 
wurde,  hatte  ein  so  reiches  Ergebnis,  daß  bald  sämtliche  Werke  Dickens  in 
Blindenschrift  werden  erscheinen  können. 

—  40.000  erblindete  Soldaten  in  Frankreich?  Nach  einer  Meldung 
des  »Daily  Telegraph«  hat  der  Präsident  der  AUiance  Franco-Britannique,  General 
Sir  Alfred  Turner,  kürzlich  einen  Aufruf  zugunsten  einer  in  Paris  gebildeten 
Gesellschaft  zur  Unterstützung  französischer  Soldaten,  die  der  Krieg  des  Augen- 
lichtes beraubte,  veröffentlicht.  Aus  diesem  Autrufe  soll  die  Tatsache  hervorgehen, 
dafS  die  Zahl  der  erblindeten  Soldaten  in  Frankreich  bisher  nicht  weniger  als 
40.000  beträgt.  Der  Propagandaeiter  hat  die  wirkliche  Zahl  der  Kriegsblinden  in 
Frankreich  wohl  ins  Ungeheuerliche  erhöht. 

—  AnzeigeineinemWie  ner  Blatte.  Weiß  jemand  einen  Unglücklichen, 
Blinden  oder  Krüppel,  bis  60  Jahre,  den  ich  durch  Ehe  glücklich  machen  könnte  ? 
Unter  »Wien  erwünscht  18129«  an  die  Verwaltung  des  Blattes. 

Es  wäie  interessant,  die  Antworten  auf  diese  Anzeige  kennen  zu  lernen. 


Bücherschau. 

—  Silex,  Prof.  Dr.  P.  und  Hirsch  Betty:  Bericht  über  die  dreijährige 
Tätigkeit  an  der  Blindenlazarettschule  in  Berlin.  (Berlin  1918,  Selbstverlag).  Die 
Schrift  zeigt,  wie  in  dieser  Lazarettschule  im  Laufe  von  3  Jahren  250  Kriegsblinde 
ausgebildet  wurden.  Durch  die  zahlreichen  neuen  Erfahrungen  und  Gedanken  bei 
Beobachtung  der  Seele  der  Kriegsblinden  erweist  sich  die  Schrift  für  jeden,  der  den 
besonderen  Zweig  dieser  Fürsorge  bearbeitet,  als  wertvoll  und  ist  bestens  zu  empfehlen. 


Bürklen  Karl :  Das  Tastlesen  der  Blindenpunktschrift. 

Nebst  Beiträgen  zur  Blindenpsycliologie  von  P.  Grasemann- 
Hamburg,  L.   Cohn-Breslau,   W.  Steinberg.   VII,  93   Seiten 

mit  6   Abbildungen   im  Text   und  6  Tafeln. 
Leipzig,  Barth,   1917 M  5.— 


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—  wesen"  für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


Schriftleitiing 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreich  sches 
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konto Nr.1 32.257 


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Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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5.  Jahrgang. 


Wien,  Mai  1918. 


5.  Nummer. 


INHALT:  Die  Heranbildung  von  Blinden-  und  Taubstummenlehrern.  O.  Wanecek, 
Purkersdorf:  Die  Blendung  in  der  Geschichte  des  Rechtes.  F\.  Krtsmäry,  Pur- 
kersdorf: Königlicher  Musikdirektor  Friedrich  Meyer  und  die  Reform  der 
Braiile'schen  Notenschrift.  K.  R.  Schmidt:  Fünfundzwanzigster  Spiegel.  Per- 
sonalnachrichten. f\us  den  Anstalten.  Aus  den  Vereinen.  Für  unsere  Kriegs- 
blinden. Verschiedenes.  Briefkasten.  Büdierschau.  (Altes  und  Neues.  Ankündi- 
gungen). 


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-H 


fJ   Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische 
Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  Vlll, 
i]  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K. 


flites  und   Neues. 

..  I )  ('  V  S  (•  h  ]  o  i  ('  r  des  Glück  s  ." 

Der  gegenwärtig  in  scliwercr  Stunde  die  Geschicke  Frankreich« 
leitende  Ministerpräsident  G.  Giern  ence  au,  welcher  sich  wegen  seiner 
rücksichtslosen  Politik  den  Namen  ,.Tiger-'  erwarb,  überraschte  die 
Pariser  dadurch,  daß  er  auf  seine  alten  Tage  unter  die  Komödienschreiber 
ging.  Im  Jahre  1901  ließ  er  ein  Theaterstück  „Der'  Schleier  des 
Glücks"  auiluhren  und  man  war  allgemein  gespannt  darauf,  was  dieser 
Gewaltjnensch  der  ÖtTentlichkeit  damit  zu  sagen  hatte.  Das  Trostloseste, 
was  man  sich  denken  kann! 

Das  Stück  zeigt  einen  blinden  Vizekönig  von  Ghina,  dem  ein 
europäischer  Arzt  mit  einein  Augenwasser  die  Sehkraft  wiedergibt,  ohne 
daß  seine  Umgebung  es  ahnt.  Er  sieht  nun  entsetzt  und  verzweifelt, 
daß  ein  verurteilter  Dieb,  für  den  er,  da  er  ihn  unschuldig  glaubte,  die 
Begnadigung  beim  Kaiser  erwirkt  hat,  bei  seinem  Dankbesuch  alles 
stiehlt,  was  ihm  unter  die  Hand  gerät,  daß  die  Sammlung  seißer  Gedichte, 
die  er  seinem  Sekretär  und  Vertrauten  zur  Veröffentlichung  übergeben 
hat.  von  diesem  unter  seinem  eigenen  Namen  herausgegeben  worden 
ist.  daß  sein  einziger  Sohn  im  Hof  des  Yamen  unter  den  Augen  seines 
beifällig  lächelnden  Erziehers  seinen  blinden  Vater  durch  NachäfTung 
seines  unsicheren  Ganges  und  seines  Tastens  grausam  verhöhnt,  daß 
sein  angebetetes  junges  Weib  ihn  mit  seinem  besten  Freunde  betrügt. 
Er  kann  diesen  fürchterlichen  Anblick  nicht  ertragen.  Er  überredet  sich, 
daß  er  Fiebergesichte  gehabt  hat,  und  um  ihnen  nicht  wieder  ausgesetzt 
zu  sein,  zer.stört  er  sein  wiedergewonnenes  Augenlicht  aufs  neue.  Jetzt 
umgibt  ihn  ewige  Nacht,  aber  der  Mandarin  begrüßt  sie  als  Erlöserin. 
Er  ist  wieder  glücklich,  wie  er  es  gewesen,  ehe  der  Europäer  ihn  sehend 
gemacht:  seine  Blindheit  ist  ,.der  Schleier  des  Glückes." 

Moral:  Das  Leben  ist  Laster  und  Verbrechen  erträglich  macht 
es  einzig  die  Selbsttäuschung. 

Diese  Weltanschauung  entspricht  —  wie  dies  ein  Beurteiler  des 
Lebensganges  von  Giemen ceau  ausdrückt  —  schwerlich  der  Wirklich- 
keit, in  der  eine  objektive  Betrachtung  Gutes  neben  Bösem  entdeckt. 
Aber  .sie  ist  folgerichtig  aus  Clemenceau's  Lebenserfahrung  abgeleitet. 

Glemenceau  ist  ein  Menschenverächter  und  er  nimmt  die 
kleinen  Interessen,  die  geringfügigen  Freuden  und  Schmerzen,  all  das 
vergängliche  Treiben  der  SterlDlichen  nicht  ernst.  Das  ist  vielleicht  eine 
Tugend  für  einen  Philosophen;  es  ist  sicher  keine  für  einen  Regierenden, 
der  nur  dazu  bestellt  ist,  endliche  Dinge  zu  verwalten.  Er  ist  ein  Ver- 
neiner und  den  Völkern  ist  bei  der  Leitung  ihrer  Geschäfte  nur  mit 
einem  Bejaher  gedient. 

Clemenceau's  philosophischer  Monolog  —  das  ist  ,. Der  Schleier 
des  Glücks"  —  ist  bitter. 


5.  Jahrgang. 


Wien,  Mai   1918. 


5.  Nummer. 


^  Dafür,    daß  mir  Gott,    der  Herr,  ^ 

1^  Ließ  der  Augen  Schein,  ^ 

W  Will  dem  blinden  Bruder  ich  & 

^  Freund  und  Helfer  sein.  & 


^IS^«^®S^II»l«i8igg^«l!S^^ISS^^§S^^S^S|gf«gf®MI^S^^ 


Die  Heranbildung  von   Blinden-  und 
Taubstummenlehrern. 

Die  Einbringung  zweier  Gesetzentwürfe  über  die  Neugestaltung  der 
Lehrerbildung  im  österreichischen  Reichsrate  stellt  auch  obige  Frage 
wieder  auf  die  Tagesordnung..  Nachdem  wir  bereits  in  der  vorigen  Num- 
mer die  in  den  Entwürfen  gebrachten  Vorschläge  zur  Heranbildung  von 
Lehrern  an  Schulen  für  nicht  vollsinnige  Kinder  anführten,  wollen  wir 
sie  diesmal  einer  näheren  Betrachtung  unterziehen. 

In  den  Anfängen  des  Spezialunterrichtes  für  Viersinnige  gestaltete 
sich  die  Ausbildung  von  Lehrern  für  diese  Fächer  sehr  einfach.  Nach 
tier  Gründung  der  ersten  Anstalten  (vielfach  geschah  diese  durch  Nicht- 
pädagogen)  fanden  sich  Männer,  die  freiwillig  oder  dazu  berufen,  an 
diesen  Anstalten  die  Unterrichtsmethode  kennen  lernten,  um  sie  dann 
daselbst  oder  an  anderer  Stelle  selbsttätig  auszuüben.  Vorschriften  dafür 
gab  es  noch  keine.  Einige  hervorragende  Fachleute  fanden  an  ihren 
Musteranstalten  besonderen  Zulauf  unil  bildeten  dort  ihre  ,.Schüler-' 
aus,  so  für  den  Blindenunterrichl  Klein  (^Wien)  und  Zeune  (Berlin), 
für  den  Taubstummeimnterricht  Heini'cke  (Leipzig),  Stork  (Wien) 
und  Frost  (Prag).  Dieses  System  hielt  sich  bei  der  geringen  Zahl  der 
Anstalten  für  Nichtvollsinnige  auch  noch  lange  nach  Einführung  beson- 
derer Vorschriften  für  die  Ausbildung  des  notwendigen  Nachwuchses 
und  bewährt  sich  auch  heute  noch  dort,  wo  eine  hervorragende  Autori- 
tät auf  einem  dieser  Gebiete  vorhanden,  ist. 


Seite  916.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen.  5.  Nummer. 

Die  ersten  gesetzlichen  Bestimmunoen  über  die  Blinden-  und  Taub- 
stummenlehrerbildnnti;  für  Österreich  wurden  unter  Kaiser  Franz  II.  in 
den  ersten  Jahrzehnten  des  vorigen  Jahrhunderts  gegeben.  Als  Ausbil- 
dungsstätten wurden  die  in  damaliger  Zeit  nahezu  allein  bestehenden 
k.  k.  Blinden-  und  Taubstummeninstitute  in  Wien  bestimmt,  deselbst 
besondere  Kurse  für  Priester,  Lehramtskandidaten,  Beamte  und  Lehrer 
abgehalten,  die  mit  einer  Prüfung  endeten.  Dieser  Zustand  dauerte  bis 
zur  Erlassung  des  Reichsvolksschulgetzes  im  Jahre  1869,  worauf  eine 
lange  Pause  eintrat,  da  die  mit  diesem  Gesetze  erhoffte  Neuordnung 
der  Blinden-  und  Taubstummenlehrerbildung  ausblieb.  Die  Anstalten 
mußten  selbst  für  die  Heranbildung  ihrer  Lehrkräfte  Sorge  tragen  und 
dieser  Zustand  besteht  eigentlich  auch  heute  noch.  Wohl  wurden  mit 
der  Einführung  einer  besonderen  Befähigungsbrüfung  für  den  Blinden- 
und  Taubstummenunterricht  wieder  2  '/a  monatliche  spezielle  Lehrkurse 
für  diese  Fächer  eingeführt,  blieben  jedoch  nicht  mehr  auf  die  früher 
genannten  Institute  beschränkt  und  bewährten  sich  in  keiner  Weise, 
denn  soweit  diese  Kurse  nicht  von  bereits  iiu  Fache  tätigen  Blinden- 
und  Taubstmmenlehrern  zur  bequemen  Vorbereitung  für  die  abzulegende 
Befähigungsprüfung  benützt  wurden,  fanden  sich  aus  anderen  Lehrer- 
und Lehrerinnenkreisen  nur  zeugnissammelnde  Leute  ein,  um  sich  daran 
genug  sein  zu  lassen.  Fachleute  sind  aus  diesen  Kursen  keine  hervor- 
gegangen und  die  Kurse  schliefen  glücklich  ein,  denn  seit  10  bezw.  25 
Jahren  hört  man  nichts  mehr  von  ihnen. 

Daß  ein  derartiger  Zustand,  vielmehr  Rückstand,  von  den  Fachleuten 
selbst  am  schwerstei^  empfunden  wird,  zeigen  die  diesbezüglichen  Erör- 
terungen auf  den  ,,Öst.  Taubstummenlehrertagen*'  im  Jahre  1902  und 
1905,  während  diese  Frage  von  den  Blindenlehrern  erst  auf  dem  „Blinden- 
fürsorgetag" im  Jahre  1914  ganz  nach  dem  von  den  Taubstummenlehrern 
gegebenen  Anregungen  besprochen  wurde.  Die  Forderungen  gingen  auf 
eine  zweijährige  Ausbildung,  die  Praxis  und  Theorie  zu  umfassen  hätte,  hinaus. 
Die  Kosten  hiefür  sollte  der  Staat  übernehmen,  welcher  zur  Ausbildung 
aller  Lehrer  verpflichtet  ist.  Der  Anregung,  die  k.  k.  Blinden-,  bezw. 
k.  k.  Taubstummenanstalt  als  zentrale  „Lehrerbildungsanstalten-'  für 
ganz  Österreich  zu  bestimmen,  begegneten  namentlich  die  nicht- 
deutschen Fachleute  aus  der  Provinz  mit  Widerspruch.  Eine  behördliche 
Stellungnahme  zu  den  erhobenen  Wünschen  hat  bisher  nicht  stattge- 
funden. Erst  die  bereits  mitgeteilten  Gesetzentwürfe  berühren  nunmehr 
auch  diese  Sache. 

Beide  Gesetzentwürfe  verlangen  eigene  Kurse  zur  Heranbildung 
von  Lehrern  an  Schulen  für  nicht  vollsinnige  Kinder.  Im  Regierungs- 
entwurfe ist  keine  nähere  Zeitd  auer  für  diese  Kurse  angegeben,  der 
Entwurf  von  K.  setzt  die  Bildungsdauer  auf  zwei  Jahre  fest.  Als  Vorbe- 
dingung für  die  Aufnahme  verlangt  der  erstere  das  L  e  h  r  b  e  f  ä  h  i  g  u  n  g  s  - 
Zeugnis  für  allge  m  eineVolksschuIen,  enthält  jedoch  den  Zusatz: 
„Ausnahmsweise  kann  von  der  Beibringung  des  Lehrbefähigungszeug- 
nisses  dann  abgesehen  werden,  wenn  eine  anderweitige  entsprechende 
Vorbildung  und  eine  längere  tatsächliche  Verwendung  im  praktischen 
Dien.ste  an  Anstalten  der  betreffenden  Art  nachgewiesen  wird."  Nach 
K.  wäre  für  die  Aufnahme  in  den  Kurs  nur  das  Rei  f  ezeugnis  (Absol- 
vierung einer  Lehrerbildungsanstalt)  erforderlich. 


5.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blinden wesen.  Seite  917. 

Die  Krriclilium-  iiiul  Kinrichliinii;  der  Kur.^c  .'^oll  nach  dem  I{('<,'i('riin«,'.s- 
oiilwiii-rc  im  \'(M'()r(liiuii<is\v(\L;(!  i^'crc^cll  werden,  wobei  für  den  Fall  der 
K  r  r  i  c  h  t  u  n  <^-  e  i  f>'  e  n  e  r  A  n  s  I  a  It  o  n  z  u  r  H  e  r  a  n  b  i  I  d  u  n  g  v  o  n  L  e  h  r  o  r  n 
für  N  i  (•  h  l  V  o  1!  .si  n  n  i}4(>  die.so  Anstalten  den  Lehrerbi]dunf,'.sanstalten 
gleichzuhallen  wären.  K.  verlan<i;t  die  Kurse  in  eigenen,  vom 
Staate  erricblelen  Anstalten,  die  mit  dem  k.  k.  Rlinden-,  bezw. 
Taubstummeninsliliil  zu  verbinden  wären  und  dem  l^ang  und  den 
Reclitsvei'bältnisseii  nach  den  k.  k.  Lehrerbildungsanstallen  gleichzustellen 
sind.  Ob  das  Kurszeugnis  nach  dem  Kegierungsenlwurfe  zur  Ausübung 
des  Lehramtes  an  Blinden-  und  Taubstummenanstalten  berechtigt,  ist 
nicht  weiter  berühr!.  Hei  K.  heißt  es:  „Die  erfolgreiche  Absol- 
vierung dieser  Kui-se  berechtigt  zur  definitiven  Anstellung  als  Lehrer 
an  einer  Hlinden-,  bezw.  Taubstumnu'naiislalt.  Lehrer,  die  diesen  Spezial- 
kurs  nicht  absolviert  haben,  bedürfen  zur  detinitiven  Anstellung  einer 
Sonderprüfung  vor  eigenen  Kommissionen,  welche  'erst  nach  einer 
mindestens  zweijährigen  Betätigung  im  Spezialfache  ahgclogt  werden 
kann.-' 

Die  Forderung  heider  Entwürfe  geht  trotz  mancher  Verschiedenheiten 
auf  die  Einrichtung  von  Kursen  an  b e s t i m mten  Anstalten 
(die  als  Lehrerhildungsanstalten  zu  gelten  hätten)  hinaus.  Wir  haben 
bereits  gehört,  daß  dieser  Wunsch  gerade  100  Jahre  alt  geworden  ist, 
um  als  neue  Forderung  aufzutauchen.  Sollte  er  nach  100  Jahren  erhoben 
werden,  so  grüßen  wir  seine  Antragsteller  im  Geiste  und  erlauben  uns, 
ihnen  zu  sagen,  daß  der  Gedanke  dazu  aus  dem  vorigen  Jahrhundert 
stammt. 

Den  heutigen  Antragstellern  aber  sei  zu  dieser  Sache  etwas  mehr 
gesagt.  Vor  allem  heißt  es  die  Frage  beantworten:  ,.Wel che  Aus- 
sichten sind  für  die  Beschickung  der  gedachten  Kurse 
vorhanden"? 

Wir  haben  in  Österreich  14  Blindenunterrichtsanstalten  mit  kaum 
30  Klassenlehrern  und  14  Leitern,  für  welche  die  gesetzliche  Befähigung 
vorgeschrieben  ist,  denn  alle  sonstigen  Hilfskräfte  kommen  für  einen 
Besuch  der  gedachten  Kurse  nicht  inbetracht.  Läßt  man  auch  alle 
Besucher  außer  Frage,  welche  lediglich  des  Zeugnisses  wegen  um  Auf- 
nahmen ansuchen,  so  ist  gar  nicht  abzusehen,  wann  als  Nachwuchs  im 
Blindenlehrerwesen  ein  Besuchsminimum  von  10  Teilnehmern  zusammen- 
kommen soll.  Im  Taubstununenunterrichtswesen  stehen  die  Verhältnisse 
wohl  etwas  günstiger,  denn  es  zählt  in  29  Anstalten  ungefähr  200  befähigte 
Lehrkräfte.  Aber  selbst  hier  ist  ebenfalls  mit  keinem  so  großen  Bedarf  an 
Nachwuchs  zu  rechnen,  daß  die  Abhaltung  eines  zweijährigen  Kurses 
zustande  konnnen  könnte. 

Nun  haben  wir  aber  noch  mit  der  Verschieden.sprachigkeit  und 
den  unterschiedlichen  Organisationen  unserer  Anstalten  zu  rechnen. 
Bei  der  Zentralisierung  der  Kurse  in  den  Wiener  Anstalten  müßten  auch 
die  nichtdeutschen  Kollegen  zum  Besuche  der  daselbst  stattfindenden 
Kurse  veranlaßt  wenlen,  ilenn  an  Kurse  in  verschiedeiuMi  Ländern 
ist  überhaupt  nicht  zu  denken.  Wir  haben  auf  dem  Blindenfürsorgetag 
im  Jahre  1914  bereits  das  Echo  auf  eine  derartige  Forderung  gehört. 
Mit  den  Kursen  stehen  und  fallen  natürlich  auch  die  gedachten  Lehrer- 
bildungsanstalten. 


Seite  918.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  5.  Nummer. 

Es  ist  eine  alte  Geschichte, 

doch  bleibt  sie  ewig  neu: 

Mit  Fordern  und  Nichtsgeben 

geht  nur  der  Topf  entzwei! 

In  diesem  Verhältnisse  stehen  auch  Staat  und  Blindenunterrichs- 
wesen.  Der  Staat  hat  bisher  für  die  Heranbildung  der  Lehrer  nicht- 
vollsinniger  Kinder  nicht  das  Geringste  getan,  obwohl  die  Lehrerbildung 
seine  Verpflichtung  ist.  Stellt  er  diesbezüglich  Bedingungen  und  Vorschrif- 
ten, die,  so  streng  sie  auch  sein  mögen,  von  den  Fachleuten  im  Inter- 
esse eines  tüchtigen  Nachwuchses  nur  freudigst  begrüßt  werden,  so 
erfülle  er  auch  seine  damit  verbundene  Aufgabe  bezüglich  der  Durch- 
führung. Vor  allem  ist  aber  zu  verlangen,  daß  er  sich  auch  in  dieser 
Sach^  auf  realen  Boden  stelle  und  nicht  das  Haus  mit  dem  Dach  zu 
bauen  anfange.  Ehe  wir  nicht  die  notwendige  Zahl  von  Anstalten  für 
nichtvollsinnige  Kinder  besitzen  und  diese  entsprechend  organisiert 
sind,  ehe  nicht  die  materiellen  und  ideellen  Verhältnisse  auf  diesem 
Gebiete  solche  sind,  daß  sie  einen  Anreiz  auf  hervorragende  Kräfte 
der  Lehrerschaft  ausüben,  erscheinen  alle  Ausbildungs-  und  Prüfungsvor- 
schriften verfrüht  und  dürften  die  gute  Absicht  nur  ins  Gegenteil  verkehren 

Der  Kernpunkt  der  Beschaffung  tüchtiger  Lehrer  für  Nichtvollsinnige 
liegt  ganz  wo  anders,  als  dort,  wo  man  ihn  sucht.  Wir  möchten  daher 
den  beabsichtigten  Forderungen  der  Regierung  nachstehende  Wünsche 
der  Lehrerschaft,  welche  an  Schulen  für  nicht  vollsinnige  Kinder  tätig 
sind,  entgegensetzen. 

Die  Ausbildung  in  den  genannten  Spezialfächern, 
sowohl  praktisch  als  theoretisch  soll  so  gründlich  als  nu  r 
möglich  sein.  Bevor  jemand  Lehrer  der  Viersinnigen  sein 
kann,  muß  er  erst  überhaupt  Lehrer  sein,  muß  also  die 
Lehrtätigkeit  bei  vollsinnigen  Kindern  ausgeübt  haben. 
Die  Heranbildung  von  Blinden-  und  Taubstummenlehrern 
hat  nach  Bedarf  zu  geschehen.  Die  Ausbildung  sei  eine 
möglichst  freie  und  vielseitige.  Die  Möglichkeit  hiezu  ist 
durch  Staatsstipendien  zu  schaffen,  welche  eine  mehr- 
jährige Unterweisung  an  Anstalten  verschiedener  Einrich- 
tungen und  Länder  sichert,  DasStipendiumverpflichtetzur 
Ausübung  der  Lehramtstätigkeit  an  Schulen  Nichtvoll- 
sinniger  durch  mindestens  eine  bestimmte  Zahl  von 
Jahren.  Die  Befähigung  für  den  Blinden-  und  Taubstum- 
menunterricht kann  nur  vor  einer  Prüfungskommission 
erla  ngtw  erden, diein  den  ein  schlägigen  Fächern  möglich  st 
hohe  Forderungen  zu  stellen  hat.  Dem  befähigten  Blinden- 
und  Taubstummenlehrer  ist  die  Gewähr  einer  entspre- 
chenden Berufs  Stellung  zu  geben  und  der  Staat  sichert 
ihm  ein  Gehaltsminimum,  welches  seiner  Vorbereitung 
und  seiner  Lehrtätigkeit  entspricht  und  würdig  ist. 

So  meinen  wir,  könnten  wir  vollwertige  und  hervorragende  Kräfte  für 
unsere  Unterrichtsfächer  gewinnen.  Daß  uns  solche  Kräfte  durch  die 
engbrüstigen  und  dabei  nicht  einmal  zu  verwirklichenden  Vorschriften 
der  beiden  bezogenen  Gesetzentwürfe  nicht  gegeben  werden  könnten 
ist  seit  100  Jahren  wohl  klar. 


5.  Numni<;r.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenvvesen.  Seite  919. 

Die  Blendung  in  der  Gesdiidite  des  Rechtes. 

Von  l.i'hrer  Ottokar  Wanccek,  Purkersdorf. 
(Fortsetzung.) 

Ebenso  i.st  der  berüchtigte  Sefi  von  Persien  vor  Verwandtenblen- 
dung nicht  zurückgeschreckt. 

Neben  den  Gegenkcinigen  und  Verwandten  traf  diese  Strafe  vor 
allem  Verschwörer  und  in  Ungnade  getallene  GünstUnge. 

Von  den  letzteren  ist  am  bekanntesten  der  byzantinische  Feldherr 
Belisar.  Aber  gerade  dessen  Blendung  soll  ungeschichtlich  sein. 

Heinrich  I.  von  England,  der,  wie  oben  erwähnt  wurde,  auch 
seinem  Bruder  Robert  v.  d.  Normandie  das  Augenlicht  nehmen  ließ, 
bereitete  das  gleiche  Schicksal   dem  Barden  Lake  de  Barre. 

Das  spanische  Gesetzbuch  vom  Jahre  1255  legt  diese  Strafe  bereits 
für  begnadigte  Hochverräter  lest.  Diese  wurden  aber  schon  früher  und 
auch  an  anderen  Orten  derart  gestraft,  ohne  daß  ein  schriftlich  nieder- 
gelegtes Recht  bestanden  hätte.  Friedrich  Barbarossa  ließ  sie  an  Ver- 
rätern  und  Überläufern  vollziehen. 

Während  des  großen  Bauernaufstandes  1525  ließ  Kasimir  von 
Ansbach  57  Männern  die  Augen  ausstechen,  weil  sie  einst  ausgerufen 
hatten,  sie  wollten  überhaupt  keinen  Markgrafen  mehr  sehen. 

Unter  den  Kriegsgreueln  alter  Zeit  nimmt  die  Blendung  eine  bedeut- 
same Stelle  ein.  Der  besiegte  Feind,  namentlich,  wenn  er  durch  zähen 
Widerstand  Erbitterung  hervorgerufen  hatte,  mußte  dergestalt  des  Siegers 
Grausamkeit  oft  fühlen. 

Schon  während  der  Christenverfolgungen  kam  diese  Strafe  vor. 
Das  große  Mart^T-Buch  und  Kirchenhistorien  aus  dem  J,  1 572  erzählt 
darüber  folgendes  : 

»Auch  hat  man  eine  neue  Weise  erdacht,  die  Christen  von  ihrem 
tapferen  Mut  abzuschrecken,  und  mit  langwierigem  Elend  zu  quälen. 
Man  ließ  sie  bei  Tausenden  zusammen  auf  einen  Platz  fordern  und 
einem  nach  dem  andern  erstlich  das  rechte  Auge  ausstechen,  darnach 
lähmte  man  ihnen  mit  einem  glühenden  Eisen  die  linke  Kniekehle, 
auf  daß  sie  also  einäugig  und  halb  lahm  wurden.  Darnach  führte  man 
sie  ins  Bergwerk,  allda  zu  graben.-« 

Ein  Bild  vervollständigt  die  schreckliche  Schilderung  dieser  Martern. 

Wilhelm  der  Eroberer  ließ  auf  seinen  Kriegszügen  manchen 
des  Augenlichtes  berauben  ;  eine  Massenblendung  aufsein  Geheiß  wurde 
1074  bei  Cambridge  vollzogen  an  sächsischen  und  normannischen 
Edelleuten. 

Auch  im  Kriege  Richards  I.  v.  England  gegen  Philipp  v.  Frankreich 
wird  diese  Tatsache  von  beiden  Seiten  erwähnt. 

Der  Hohenstaufe  Friedrich  II.  sah  sich  durch  die  Widerspenstig- 
keit der  süditalischen  Normannen  zu  diesem  grausamen  Zwangsmittel 
veranlaßt. 

Basilius  II.,  byzantinischer  Kaiser,  der  976  zur  Regierung  kam, 
soll  15000  Bulgaren  blenden  haben  lassen.  Jeder  Hundertste  behielt 
ein  Auge,    damit    er    seinen  Unglücksgefährten  Führer  sein  könne.  Der 


Seite  920.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  5.  Nummer. 

bulgarische  König  soll  beim  Anblick  dieses  fürchterlichen  Zuges  gestorben 
sein.  Massenhafte  Augenausstechungen  sind  geschichtlich  verbürgt. 

Ein  Perserschah  des  18.  Jahrhunderts  hat  seinen  Bruder  blenden 
lassen  und  den  Befehl  gegeben,  die  Bewohner  einer  eroberten  Stadt 
zu  töten  oder  zu  blenden. 

Auch  die  Straßenräuber  der  Faustrechlzeit  wußten  sich  dieses 
Mittels  gar  wohl  zu  bedienen  ;  so  heißt  es  in  Wernher  des  Gärtners 
Dorfgeschichte  Maier  Helmbrecht  : 

»Einstmals  hört'  man  die  Losung  so  : 

Heia  Ritter,  frisch  und  froh  ! 

Jetzt  aber  schreit  es  Nacht  und  Tag  : 

Hussa,  Ritter,  jage,  jag'! 

Stich  drauf  los  und  schlage  nur  zu ! 

Wer  sich  da  wehrt,  den  blende  Du!« 

Die  mannigfachsten  Gründe  konnten  übrigens  despotische  Herrscher 
bewegen,  Übeltäter  der  Augen  zu  berauben.  Iwan  der  Schreckliche  hat 
einem  Moskauer  Baumeister  dieses  Schicksal  zuteil  werden  lassen,  auf 
daß  er  niemanden  eine  so  schöne  Kirche  mehr  bauen  könne,  wie  er 
ihm  eine  errichtet  hatte.  Eine  ähnliche  Geschichte  enthält  die  deutsche 
Sage  von  einem  Uhrmacher. 

So  traf  unter  dem  Papste  Paschalis  I.  (817 — 824)  jeden  Mönch 
diese  Strafe,  wenn  er  für  den  deutschen  Kaiser  predigte. 

Ein  Graf  Herbert  zu  Rothenburg  hat  ungerechten  Richtern  die 
Augen  ausstechen,  einem  aber,  der  sein  Gevatter  war,  nur  eines  nehmen 
lassen,  damit  er  die  andern  heimführen  konnte. 

Nadir  von  Persien  ließ  seinem  ältesten  Soldaten  1743  die  Augen 
ausstechen. 

Floß  in  allen  den  angeführten  Fällen  diese  Strafe  aus  dem  einzel- 
nen Willen  des  unumschränkten  Herrschers,  so  spielt  nebenher  die 
Blendung  in  Fällen  der  alltäglichen  Rechtssprechung,  im  alltäglichen 
Gewohnheitsrechte  ihre  bedeutungsvolle  Rolle. 

Die  Griechen  straften  damit  vornehmlich  Ehebrecher.  Zalenkos 
gab  den  Lokrensern  ein  Gesetz,  dem  gemäß  man  solchen  beide  Augen 
ausstechen  sollte.  (Valerius  Max.  lib.  6  c.  5)  Später  wurde  der  Kirchen- 
räuber, dann  aber  auch  der,  welcher  vorgenommener  Weise  jemanden 
des  Augenlichtes  beraubte,  so  gestraft.  Doch  wurde  im  letzten  Falle 
meist  nur  mit  einem  Auge  gebüßt. 

Bei  den  Römern  kann  sie  nur  vereinzelt  vorgekommen  sein,  da 
diesem  Volke  die  Leibesverstümmelungen   fast  unbekannt  blieben. 

Die  Westgothen  bestraften  die  Abtreibung  der  lebenden  Frucht 
an  Vater  oder  Mutter  durch  Verlust  beider  Augen. 

Die  Longobarden  sühnten  damit  den  einfachen  Diebstahl. 

Bei  den  Franken  mehrten  sich  zur  Merowinger-  und  Karolingerzeit, 
von  Chilperich  angefangen,  solche  Strafen  bedeutend.  Insbesondere 
verfielen   ihr  diebische  Sklaven,  Straßenräuber  und  Verschwörer. 

Die  vornormannische  Zeit  Englands  strafte  Notzucht  und  Defloration 
mit  Blendung  und  Kastration. 

Das  alte,  mündlich  überlieferte  Recht  der  Germanen  wai-  der  Gefahr 
des  Vergessenwerdens    oder    der  Entstellung    ausgesetzt,    weshalb    man 


5.  Nummer.  Zeitsclnifl  fdr  das  öslerreichische  Blindenwesen.  Seite  921. 

in  späterer  Zeit,  nach  dem  13.  Jahrhundert  begann,  rechtskundige  Männer 
um  Rat  und  Urteil  in  den  versciiiedenen  Rechtsfällcn  anzugeiien.  Auf 
diese  Art  entstanden  Niederschrilten  des  herkömmhchen  Gewohnheits- 
rechtes, die  man  Weistümer  nennt.  Die  damahgen  Rechtskreise  waren 
klein  ;  einzehie  Döifer,  Hofmarken,  Gerichte,  Ilerrscliaften,  Amter, 
Marken,  Weinbergs-,  Schiffer-,  Fischer-,  Müller-  und  Flößergenossen- 
schaften hatten   ihre  eigenen   Rechtsaufzeichnungen. 

Als  Überreste  des  eciiten  Dinges  bei  den  Franken  spielten  die 
jährlich  ein-  bis  viermal  abzuhaltenden  Gerichtstage,  rechtweisende  und 
rechtsprechende  Versammlungen  auch  im  späteren  Mittelalter  noch  eine 
bedeutende  Rolle.  Der  Name  dieser  Versammlungen,  Ehhalttaiding  oder 
Banntaiding,  ging  auf  die  noch  erhaltenen  Urkunden  über.  Taiding  heißt 
soviel  wie  Tageding,  das  an  einem  bestimmten  Tage  abzuhaltende  Ding. 
Ehhafttaiding  ist  die  wörtliche  Übersetzung  des  bei  den  Franken  gebräuch- 
lichen Ausdruckes  placitum  legitimum.  Bann  wird  zweifach  erklärt  ; 
einmal  als  bestimmter  Bezirk  (nach  Kaltenbaeck)  oder  nach  Osenbrüggen 
als  unter  Strafe  gestellte  Verpflichtung  zum  Erscheinen  aller  zugehörigen 
Personen  und  zum  Ausharren  bis  zum  Ende  der  Tagung.  (Näheres  siehe 
im  Jahrbuch  des  Vereines  für  Landeskunde  in  N.  Ö.  1914/15). 

Grimm  hatte  als  erster  diese  Rechtsaltertümer  gesammelt.  Für 
das  österreichische  Gebiet  stellen  die  im  Auftrage  der  k.  k.  Akademie 
der  Wissenschaften  zusammengestellten  Weistümer  eine  reiche  Fund- 
grube für  den  Kulturforscher  dar.  In  beiden  Werken  finden  wir  auch 
öfter  die  Strafblendung  erwähnt  und  zwar  für  Untaten,  die  uns  in  keinem 
rechten  Verhältnis  zur  dieser  entsetzlichen  Sühnung  zu  stehen  scheinen. 
Vor  allem  verfallen  ihr  die  Jagdfrevler. 

Das  Banntaiding  von  St.  Lambrecht  aus  dem  15.  Jahrhundert 
bestimmt  :  »Das  rotwild  und  sweinen  wildpret  verpeut  man  auf  und 
ab  des  gotshaus  grünten  zu  jagen  bei   verlierung  der  äugen.« 

Anschließend  noch  einige  ähnliche  Vorschriften :  »Von  wegen 
rath-  und  schwarzwiltpräth,  rech,  füx  und  haaßen,  fischwait  und  rebhiener, 
der  ist  verfallen  umb  die  zwai  gÜder,  das  ist  die  äugen.«  (Bann-  und 
Hohaiding  zu  Neumarkt  in  Steiermark,  16.  Jahrhundert). 

»Ob  jemand  begriffen  wurd,  der  on  willen  und  erlaubnuß  wilpräd 
abstul  aus  allem  gejaid,  es  war  welherlai  wilpräd  das  war,  der  ist 
wandlvällig  von  aim  hirsen  oder  hinden,  von  aim  pern  oder  rech  V 
pfund  phennig  oder  die  äugen.«  (Banntaiding  von  Reichenau  und  Prein, 
16.  Jahrhundert). 

Die  zur  Jagd  abgerichteten  Falken,  das  Federspiel,  sowie  die  Nester 
des  Vogelwildes,  der  Gestöllbaum  oder  das  Sperbergestell  zu  schützen, 
scheint  den  adeligen  Nimroden  besonders  am  Herzen  gelegen  zu  sein. 
Wenigstens  finden  sich  darauf  bezügliche  Stellen  sehr  häufig  in  den 
Weistümern.  Doch  wurden  solche  Vergehen  nicht  überall  mit  Ausstechen 
der  Augen  gebüßt.  Die  ständig  wiederkehrende  Formel  des  Abwerfens 
oder  Verderbens  des  Federspieles  bedeutet  das  Abwerfen  der  Nester. 
Hier  einige  Belege  : 

»Wer  ein  vederspill  verderbt  mit  willen,  der  ist  verfallen  1  pfund 
pfennig  und  die  äugen,  wo  man  ihn  begreift.«  (Banntaiding  Ratten  bei 
Vorau  in   Steiermark,  16.  Jahrhundert). 

(Schluß  folgt). 


Seite  922.  Zeitschrift  für  das  Österreichische  Blindenwesen.  5.  Nummer. 

Königlidier  Musikdirektor  Friedrich  Meyer  und  die  Reform  der 
Braiilesdhien  Notenschrift. 

(Ein  Nachruf).  Von  Musikfachlehrer  A.  Krtsmäry. 

Die  ansehnliche  Gemeinde  der  nmsiklehrenden  und  musii^lernenden 
Blinden  hat  einen  schmerzlichen  Verlust  zu  heklagen:  Am  4.  Fehruar  1918 
erlag  der  kgl.  Musikdirektor  Friedrich  Meyer  im  57.  Lebensjahre  einer 
Lungenentzündung.  Der  Dahingegangene  war  durch  36  Jahre  ordent- 
licher Lehrer  an  der  kgl.  Blindenanstalt  in  Berlin-Steglitz.  —  Er  hat 
der  musikalischen  Aus])ildung  der  Zöglinge  ganz  besondere  Sorgfalt 
gewidmet  und  in  der  langen  Zeit  seiner  Amtstätigkeit  zahlreiche  Schüler 
herangezogen.  Über  F.  Meyers  pädagogische  Wirksamkeit  steht  mir 
kein  Urteil  zu,  da  ich  deren  Ergebnisse  nicht  kenne;  aber  ich  stelle 
einen  zuverlässigen  Zeugen:  seinen  ehemaligen  Schüler  und  späteren 
Mitarbeiter,  den  Herrn  Franz  Lange,  zur  Zeit  Organist  an  der  Matthäus- 
kirche in  Berlin.  Dieser  sagt  von  seinetn  Lehrer  in  einem  im  Märzheft 
der  ,.Mitteilungen  des  Vereines  der  deutschredenden  Blinden-'  erschie- 
nenen Nachruf  u.  a.  folgendes:  —  nicht  wenige  seiner  Schüler  sind  es, 
die  sich  jetzt  als  Organisten  und  Chorleiter  betätigen.  Stets  von  sich 
ohne  Schonung  seiner  Gesundheit  das  Äußerste  fordernd,  hat  er  den 
Anstaltschor  zu  einer  Leistungsfähigkeit  erhoben,  die  jeden,  der  ihn 
gehört  hat,  mit  Staunen  und  Bewunderung  erfüllen  muß.*' 

Weit  über  die  Grenzen  Berlins  hinaus  ist  Friedrich  Meyer  durch 
seine  Tätigkeit  auf  dem  Gebiete  der  Notenschrift  und  des  Notendruckes 
für  Blinde  bekannt  geworden.  Schon  in  der  Musikschriftfibel  vom  Jahre 
1889  finden  wir  unter  den  Mitarbeitern  seinen  Namen.  An  den  „Ergän- 
zungen" zum  Musikschrift-System,  Berlin  1898  hat  er  hervorragenden 
Anteil.  Bald  begann  F.  Meyer  sich  auch  mit  dem  Druck  und  der 
Herausgabe  von  Noten  in  Braille'scher  Musikschrift  zu  befassen:  so  hat 
er  im  Laufe  der  nächsten  Jahre  unsere  Punktschrift-Musik-Literatur 
um  manches  wertvolle  Werk  aus  älterer  und  neuerer  Zeit  bereichert. 
Diese  Notendrucke  wurden  in  der  damals  allein  gebräuchlichen  Noten- 
schreibordnung  dargestellt;  sie  zeichnen  sich  durch  ihren  klaren  Druck, 
fast  gänzliche  Fehlerfreiheit  —  überhaupt  durch  eine  gewissenhafte 
Schluß-Redaktion  aus.  Seine  wirkuugsreichste  Tätigkeit  entfaltete  er 
aber  als  Vorsitzender  der  Musikschrift-Kommission,  die  vom  12.  Blinden- 
lehrer-Kongreß zu  Hamburg  bestellt  worden  war,  um  verschiedene 
Vorschläge  betreffend  die  Reform  der  Braille'schen  Notenschrift  zu 
überprüfen  und  in  praktischer  Folge  dieser  Aktion,  als  Herausgeber 
von  Notenheften  in  neuer  N  o  t  e  n  s  c  h r  e  i  b  -Ordnung  vom  September 
1913  ab.  — 

Es  mögen  etwas  über  ein  Dutzend  Jahre  sein,  da  trat  der  blinde 
Organist  Franz  Tiebach  in  Berlin  mit  einer  neuen  Notenschreib- 
Ordnung  ans  Licht  der  Ölfentlichkeit,  welche  berechtigtes  Aufsehen  bei 
den  Interessenten  hervorrief.  Tiebach  hat  die  Braille'sche  Notenschrift 
keineswegs  verdrängen  und  durch  etwas  gänzlich  Neues  ersetzen  wollen: 
es  handelte  sich  ihm  lediglich  um  eine  Neuordnung  der  Schreibweise. 
Von/ler  richtigen  Erkenntnis  geleitet,  daß  der  nmsikalische,  insbesondere 
der  harmonische  Inhalt  eines  -  Musikstückes,  zu  dessen  leichter  und 
rascher  Aufnahme  möglichst  eng  konzentriert  zur  Darstellung  gebracht 


5.  Nummer.  Zeitschrift  fdr  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  923. 

werden  müßte,  seliliiü;  Tiebach  voi',  die  einzelnen  Spielorj^mne  (rechte 
Hand  -  linke  Hand)  taklweise  unniiltelhar  einander  lol^'en  zu  lassen 
und  sie  nin-  diwcli  eigene  llandstiniinzeielien  auseinander  zu  halten. 
Mochte  di(\<es  l'i-inzip  einei'  starren  Kinnktiiiikeit  auch  zu  weit  j^reifend 
und  einseiti.u'  sein,  der  zu  Griuide  lie,t<en(le  Gedanke  war  jedenfalls  j,'ut. 

>\uch  sei  es  Tiebach  tnivei'.ii;essen  inid  an  diesei- Stelle  besondei's 
anji'eiuerkt,  daß  er  {\en  Spielschlüssel  bei  Ki.tijui-en  mit  einantlei-  ablfi- 
senden  S])ielor,tjanen  ersonnen,  sowie  die  Taktskala  erstnuilif,'  konsequent 
durch.ueführt  hat:  beides  sind  Ncuerun<,'en.  die  unserer  Notenschrift 
unverlierbare  praktische  Werte  zuj^efttbrl  haben.  Nicht  unerwähnt  bleibe, 
daß  sich  die  Taktskala  in  einer  enii;lischen  Auswahl-Aus<iabe  des  ..Wohl- 
temperierten Klaviers  von  J.  S.  Hach*'  bereits  vorj^'ebildet  fand.  — 
Kranz  Tiebach  blieb  nicht  der  einzige  Neuerer  auf  dem  Gebiete  der 
Notenschrift,  neben  ihm  und  teilweise  gegen  ihn  trat  Ernst  Haun 
in  Dresden  auf  den  Plan.  Dieser  befürwortete  Zweitakt-Gruppen  und 
betonte  lebhaft  deren  sinngemäße  Abgrenzung  nicht  nach  Taktstrichen 
sondern  nach  Phrasen-Enden.  Außerdem  meldete  der  Verein  Valentin 
llaüy  in  Paris  eine  stattliche  Reihe  von  Anderungs-  und  Erweiterungs- 
Vorschlägen  zur  Rrailleschen  Notenschrift  an,  die  der  Hauptsache  nach 
darauf  hinausliefen,  die  Wirkungsdauer  von  Vortrags-  und  Phrasierungs- 
])ezeichnungen  deutlicher  und  sinnfälliger  zu  gestalten.  Diese  Eülle  von 
Änderungen  und  Neuerungen  zu  überprüfen,  das  Beste  daraus  zu  behalten 
und  dem  bestehenden  Musikschrift.system  einzuordnen,  war  Aufgabe 
i!er  vom  12.  Blindenlehrer  Kongrel3  eingesetzten  Musik-Konnnission. 
Diese  Kommission  rekrutierte  sieh  aus  blinden  und  sehenden  Musik- 
lehrern, sowie  aus  namhaften  blinden  Musikern:  sie  trug  internationales 
Gepräge,  da  neben  Deutschland  und  Österreich  auch  Dänemark.  England 
und  Frankreich  vertreten  waren.  Zu  ihrem  Vorsitzenden  wurde  zuerst 
Direktor  A.  Brands  tat  er  aus  Königsberg  gewählt,  nach  dessen  baldigem 
Verzicht  auf  diesen  Posten  trat  Friedrich  Meyer  an  seine  Stelle.  Er 
setzte  sich  mit  den  einzelnen  Kommission.s-Mitgliedern  in  Verbindung 
und  holte  ihr  Gutachten  auf  schriftlichem  W^ege  ein.  Da  ich  die  Ehre 
hatt(\  der  Konnnission  anzugc^hören.  trat  Fried.  Meyer  auch  mit  mir 
in  Verkehr.  Ich  habe  meine  Meinung  über  die  vorgeschlagenen  Neuerungen 
in  mehreren  ausführlichen  Zuschriften  an  ihn  geäußert  und  begründet. 
Fnser  Verkehr  blieb  rein  sachlich  auf  den  Gegenstand  beschränkt,  eine 
per-sönliche  Note  hat  darin  niemals  angeklungen,  ein  Umstand,  den  ich 
heute  aufrichtig  bedauere,  denn  ich  habe  die  objektive  Amtsführung 
und  den  Arbeitseifer  des  Vorsitzenden  hochgeschätzt  und  nahm  doch 
niemals  die  Gelegenheit  wahr,  ihn  dessen  zu  versichern. 

Die  Arbeiten  der  Kommission  zogen  sich  durch  Jahre  hin.  war 
doch  das  zu  bewältigende  Material  recht  umfangreich  und  die  räumliche 
Tremnuig  der  einzelnen  Mitglieder  und  die  dadurch  bedingte  schrift- 
liche Führung  der  .Verhandlungen  —  einer  raschen  Abwicklung  der 
ganzen  Angelegenheit  nicht  eben  günstig.  In  der  ersten  Hälfte  des  Jahres 
lODMuit  die  Musiksclirift-Konunission  ihre  Aufgabe  l)een(ligt  und  ihre  Be- 
schlüsse konnlendem  im.luli  h)i;}in  Düsseldorf  versannnellen  11-.  Blinden- 
lehrer-Kongreß zur  Amudune  vorgelegt  werden.  Die  vom  Kongreß  geneh- 
migten Beschlüsse  der  Kommission  bestanden  in  den  vier  folgenden 
Punkten:   1.)  Forderung  nach  möglichst  kurzen  Abschnitten  für  die  rechte, 


Seite  924.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  5.  Nummer. 

linke  Hand,  beziehungsweise  Orgelpedal  beim  Drucke  eines  Musikstückes. 
Die  sinngemäße  Abgrenzung  der  Abschnitte  ergibt  sich  dabei  ganz 
ungezwungen  von  selbst  aus  dem  motivischen  Aufbau  des  Tonstückes: 
2.)  Einführung  eines  Spielschlüssels  bei  Figuren  mit  einander  ablösenden 
Spielorganen.  Dies  ist  wohl  die  weitest  gehende  aller  Neuerungen,  sie 
verlangt  die  Aufstellung  von  einigen  wenigen  neuen  Zeichen,  gewährt 
aber  auch  die  denkl)ar  größten  Vorteile  für  den  Leser.  Übrigens  kann 
der  Spielschlüssel  auch  bei  Akkorden,  die  sich  auf  beide  Hände  verteilen 
mit  Glü€k  angewendet  werden.  3.)  Annahme  einiger  der  Erweiterungs- 
und Änderungs- Vorschläge  des  Vereines  Valentin  Haüy.  Sie  betreffen, 
wie  schon  erwähnt,  hauptsächlich  Vortrags-  und  Phrasierungs  Bezeich- 
nungen und  dringen,  um  nur  ein  Beispiel  anzuführen,  auf  eine  strenge 
Unterscheidung  zwischen  Binde-  Halte-  und  Phrasierungs-Bogen,  wodurch 
einer  langjährigen  Unklarheit  ein  Ende  bereitet  wurde.  4.)  Anwendung 
einer  fortlaufend  nummerierten  Takt-Skala  am  linken  Rand  des  Noten- 
blattes; sie  dient  der  raschen  Orientierung,  doch  empfiehlt  sie  sich  nur 
bei  komplizierten  Tonwerken  größeren  Umfangs;  bei  kürzeren  Stücken 
nimmt  man  besser  davon  Abstand,  da  der  hiebei  in  Betracht  kommende 
Raumverlust  nicht  unerheblich  ins  Gewicht  fällt.  — 

Um  die  Brauchbarkeit  der  in  diesen  4  Punkten  aufgestellten 
Neuerungen  zu  erproben  und  ihre  Zweckmäßigkeit  nachzuweisen,  erschie- 
nen seit  September  1918  einzelne  Hefte  in  zwangloser  Folge  mit  Klavier- 
und  Orgel-Kompositionen  berühmter  Tonmeister  klassischer,  romantischer 
und  moderner  Richtung.  Diese  Hefte,  hergestellt  in  der  Druckerei  der 
königl.  Blindenanstalt  zu  Berlin-Steglitz  und,  wie  es  auf  dem  Titelblatt 
der  Hefte  heißt:  „Zum  Studium  der  Braille'schen  Musikschrift  nach  den 
Beschlüssen  des  14.  Blindenlehrer-Kongresses  zu  Düsseldorf  am  Rhein 
eingerichteU'  und  herausgegeben  von  Friedrich  Meyer  und  Franz  Lange, 
haben  Großformat  und  sind  bloß  einseitig  bedruckt;  sie  bringen  als 
Einleitung  stets  einige  Vorbemerkungen,  in  denen  die  im  folgenden 
Musikstück  vorkommenden  neuen  Zeichen  und  Regeln  kurz  und  klar 
erläutert  werden,  so  daß  sich  jeder  blinde  Musiker,  der  nur  überhaupt 
die  FJraille'sche  Notenschrift  kennt,  ohne  besondere  Mühe  darin  zurecht- 
finden kann.  Die  schmucklosen  Hefte,  die  sich  in  aller  Bescheidenheit 
als  schlichter  Versuch  gaben.  Neues  nach  Form  und  Inhalt  zu  bieten, 
gehören  in  ihrer  gesammten  Anlage,  ihrer  vortrefflichen  Gliederung  in 
kurze,  sinngemäß  begrenzte  Abschnitte,  in  der  Reinheit  des  musikalischen 
Textes,  der  Sorgfalt  und  Sauberkeit  der  Ausführung  bis  ins  Kleinste  — 
zum  Besten,  was  wir  überhaupt  an  Notendrucken  besitzen.  Musik  aus 
diesen  Vorlagen  gedächtnismäßig  in  sich  aufzunehmen,  etwa  die  G-dur 
Phantasie  für  Orgel  von  J.  S.  Bach,  die  zweite  Novelette  von  Roh. 
Schumann,  die  Stimmungsbilder  von  Heinrich  H  o  f m  a  n  n  oder  die 
Reisebilder  von  Karg-Elert,  schatft  im  Hinblick  auf  die  bedeutend  erleich- 
terte Aneignungsmöglicbkeit  einen  hohen  geistigen  Genuß;  und  die 
geschickte,  sinnreiche  Verwertung  und  Ausnützung  der  neuen  Zeichen 
und  Regeln  gewährt  dem  Leser  reines  ästhetisches  Vergnügen.  Dennoch 
haben  die  Mey er-Lange'schen  Notenausgaben  vorerst  nicht  den 
Beifall  gefunden,  den  sie  erwarten  durften  und  den  sie  verdient  hätten. 
Die  Ursache  hievon  ist  in  psychologischen  Momenten  zu  suchen.  Es 
ist  eine  kulturgeschichtlich  erhärtete  Tatsache,  daß  das  vorwaltende 
Grundgesetz  im  Seelenleben  der  meisten  Menschen  das  geistige  Beharrungs- 


5.  Nummer.  Zeitschrift  fdr  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  925. 

vormögen  isl:  .si(^  klohoii  zäli  am  Liohtfcwoliiilcn.  |Allli('i'<.,'el)i"iiclil('ii.  imd 
koinmen  sie  ja  in  Uewoj^'ung,  so  laufen  sie  im  gleiciien  Geleise  die 
(M'simalif,'  eingeschlagene  liahn  auf  und  nieder.  —  Darum  braucht  eine 
neue  Krlindinig,  eine  neue  Entdeckung,  eine  neue  Wahrheit,  ein  neu- 
artiges Kunstwerk  —  Zeit,  viel  Zeit,  um  die  Widerstände?  des  ..ewig 
Gestrigen-*  zu  überwintlen  und  sich  siegre'ch  durclizus(!tzen.  So  war 
es  von  jeher  und  so  wird  es  immer  sein.  Was  aber  für  die  tnenschlichc 
Natur  im  allgemeinen  gilt,  das  gilt  auch  für  die  des  Blinden  im  Beson- 
deren, ja  noch  mehr,  der  Blinde  ist  vorwiegend  konservativ  beanlagt: 
er  paßt  sich  schwer  und  ungern  geänderten  Verhältnissen  an,  das 
Umlernen  und  Neuorientieren  bereitet  ilnn  Mißbehagen.  Gewiß,  es  gibt 
Ausnahmen,  viele,  glänzende  Ausnahmen,  aber  diese  bestätigen  hier, 
wie  immer  und  überall,  die  Kegel.  Dies  der  eine  Grund,  warum  die 
Steglitzer-Hefte  keinen  rechten  Anklang  fanden.  Außerdem  haben  aber 
auch  andere  ,.menschliche,  allzumenschliche''  Motive  mitgespielt.  Selbst- 
verständlich waren  die  beiden  Keformatoren  verstiunnt,  daß  die  Musik- 
Konnnission  ihre  teilweise  einander  widerstreitenden  PXindungen  nicht 
in  Bausch  und  Bogen  und  mit  Haut  und  Haaren  angenommen  hatte. 
I'nd  mancher  andere  Musiker  mochte  sich  verletzt  fühlen,  daß  er  der 
Kommission  nicht  beigezogen  worden  war;  so  konnte  es  denn  Herr 
X.  N.,  Organist  in  X,  und  Herr  Y,  Pianist  in  Z  absolut  nicht  verwinden, 
ilaß  eine  neue  Notenschreibordnung  ohne  seine  ausdrückliche  Zustini- 
nunig  zustande  gekommen  war.  Es  kam  im  Blindenfreund  und  in  den 
Mitteilungen  des  Vereines  der  deutschredenden  Blinden  zu  recht  uner- 
(juicklichen  Auseinandersetzungen,  Verwahrungen  und  Protesten.  Königl. 
Musikdirektor  Meyer  sah  sich  sogar  zu  einer  Abwehr  veranlaßt:  sie 
war  kühl  und  durchaus  sachlich  gehalten  und  im  Übrigen,  und  das  blieb 
die  Hauptsache,  ließ  er  seine  Hefte  weiter  erscheinen.  Schade  nur, 
(laß  die  neue  Notenschreil)ordnung  in  den  übrigen  deutschen  Noten- 
Druckereien  keine  Gefolgschaft  gefunden  hat;  dort  blieb  bisher  alles 
beim  Alten  —  mit  vielleicht  alleiniger  Ausnahme  der  gegen  früher 
wesentlich  kürzer  gewordenen  Abschnitte.  Wird  man  im  Deutsch  1  and 
des  Friedens  das  Gute  und  Praktische  auch  nur  als  gut  und  praktisch 
gelten  lassen,  —  wenn  es  aus  Paris  oder  London  bezogen  werden 
kann?  — 

Das  Tngewitter  des  Weltkrieges  hat  das  Erscheinen  der  Hefte  in 
neuer  Notenschreib-Ordnung  zwar  gehemmt  und  erschwert,  aber  keines- 
wegs unterbrochen.  Erst  der  unerl)ittliche  Tod  hat  der  Wirksamkeit 
Friedrich  Meyers  ein  jähes,  allzufrühes  Ziel  gesetzt.  Nun  ist  die  Hand 
erkaltet,  die  sich  so  redlich  gemüht  hat,  den  blinden  Musikern  Schönstes 
und  Bestes  darzureichen.  Der  Geist  ist  erloschen,  der  nimmer  müde 
ward,  im  Dienste  der  Blindensache  zu  sinnen  und  zu  schaffen,  aber 
(las  Andenken  des  treuen  schlichten  Mannes  lebt  und  wirkt  in  seinen 
Schülern,  lebt  und  wirkt  vor  allem  in  seinem  Mitarbeite)' Franz  L  a  nge. 
Fnd  jeder  Blinde,  der  am  Werke  ist,  sich  geistige  Erhebung  und  ästhe- 
tisches Hochgefühl  aus  den  einfachen  braunen  Heften  zu  holen,  der 
wird  ein  stilles,  dankbares  Gedenken  dem  kgl.  Musikdirektor  Friedrich 
Meyer  weihen,  der  in  seinem  Tun  und  Wirken,  wemi  auch  in  verhält- 
nismäßig engum/.irklem  Bereich,  deutsche  Arbeitsfreude,  deutsche  Sach- 
kemUnis  und  Plliehttreue.  mit  einem  Worte  —  deu  t  sc  he  G  ed  i  egen  h  ei  t 
—  zu    so  hervorragend    hoher    untl    reiner  Leuchtkraft    entwickelt  hat. 


Seite  926.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwet-en.  5.  Nummer. 

den  ])linden  Musiklehrcrn  und  Kunstjüngern  zu  Nutz  und  Frommen,  — 
sich  selbst,  seinem  Stande  nnd  seinem  Volke  zu  dauernder  Ehre! 


Fünfundzwanzigster  Spiegel. 

Aus  »Die  Blinde«   von  K.  R.  Schmidt. 

Und  heute  weiß  ich,  daß  mein  Geist  gesundet. 

Der  Lebensrauscli,  der  mir  ins  Herze  brach. 

ist  starker,  milder  Heiterkeit  gewichen, 

die  reich  mein  ganzes  Wesen  überfließt 

wie  Herbstesklarheit  reife  Sommerwelt. 

Als  heut'  ich  leise  mit  dem  Schicksal  sprach, 

da  wollt'  ein  Schatten  in  die  Seele  fallen: 

das  harte  Wort,  das  mich  zum  Wahnsinn  riß, 

wuchs  drohend  auf  —  ich  krampfte  tief  die  Nägel 

ins  Fenstersims  und  warf  Gedankenwucht 

dem  Feind  entgegen,  ihn  zu  töten  —  doch 

es  stieg  und  stand  auf  meinen  Lippen,  und 

ich  sprach  das  Wort  —  hinlauschend  bang  und   schwer  — 

und  —  sprach  erstaunt  es  vv^ieder:  Ich  bin  blind! 

P>mattet  kam  es  von  den  Wänden  wieder 

und  sank  entkräftet  mir  zu  Füßen  hin. 

Ich  kann  es  hören  ohne  Grauen.  Kann 

den  dunklen  Weg,  der  weit  sich  vor  mir  dehnt, 

durchtasten  ohne  Schmerz,  mit  stillem  Lächeln. 

E4ns  aber  wächst  nun  riesengroß  empor, 

die  Sehnsucht  wächst:  Ich  möchte  heim!  ja  heim!! 

Personalnachrichten. 

—  Infolge  andauernder  Erkrankung  schied  Hofrat  Prof.  Dr. 
Otto  Bergmeister  von  seinem  Posten  als  Augenarzt  der  n.  ö.  Landes- 
Rlindenanstalt  in  Purkersdorf.  nachdem  er  diese  Stelle  mehr  als  i-0  Jahre 
inne  hatte.  Zu  seinem  Nachfolger  wurde  sein  Sohn,  Privatdozent  Dr. 
Rudolf  B  ergmeister,  bestellt. 


Hus  den  Hnstalten. 

—  ßlindenfür  so  r  geheim  zu  Kiagenturt.  Feier.  Am  8.  April 
versammelten  sich  die  Schützlinge  des  Blindenfürsorge-Vereines  in  Kärnten,  die 
Heimzöglinge  und  die  Kriegsblinden,  in  einem  blumen^eschmückten  Raumee  des 
Männer-Blindenheimes,  um  ihren  unermüdlichen  Wohltätein,  Herrn  Obermedizinalrat 
Dr.  Othmar  Purtscher  und  seiner  edlen  Gemahlin,  anläßlich  der  Feier  ihrer  silber- 
nen Hochzeit  eine  Ehrunn  zu  bereiten.  Es  war  ein  Herzenswunsch  der  Zöglinge, 
das  hochverehrte  Jubelpaar  an  diesem  Tage  in  ihren  Räumen  begrüßen  und  ihre 
Glückwünsche  persönlich  daibringen  zu  können,  uud  sie  haben  auch  alle  Ursache, 
einen  Feiertag  im  Leben  ihres  rrütii^ren  Gönners  warmfühlend  mitzuerleben,  denn 
seiner  Fürsorge  habjn  sie  lichtvolle  Stunden  zu  verdanken.  Die  blinden  Mädchen 
leiteten  die  interne  F(  irr  mit  einem  festlichen  Chore  ein,  hierauf  richtete  der  Geschäfts- 
führer des  Vereines,  Fachlehrer  Friedrich  Jölly,  eine  warmempfundene  Ansprache 
an  das  Jubelpaar,  in  wclchtr  er  demselben  für  das  «jütige  Erscheinen  dankte  und 
der  herzlichsten  Beglückwünschung  Ausdruck  gab.  Mit  lebhaften  Worten  würdigte 
er  die  Verdienste  Hr.  Obermedizinalrat  Dr.  Purtschers  um  den  Verein  für  Blinden- 


5.  Nummer.  Zeitschrift  (Ur  das  /isterreichischc  Blindenwesen.  Seite  927. 

füisorgc,  deren  Ehrenmitglied,  Begründer  und  eifrigster  Körderer  er  ist.  Seine  edle 
Persönlichkeit  begnügt  sich  nicht  mit  der  segensvollen  Ausübung  seines  Berufes  als 
ganz  hervorragender  Augenarzt  —  er  hilft  auch  mit,  wo  die  ärztliche  Kunst  ver- 
sagt, und  lindert  durch  seine  Fürsorge  die  Leiden  der  armen  Lichtberaubten.  Im 
Namen  des  Vereins-Ausschußes  sprach  Herr  Direktor  Hermann  Preschern,  im 
Namen  aller  Blinden  noch  ein  Heimzögling  filürku  iinsche  aus,  worauf  ein  Chor  die 
schöne  Feier  beschloß. 

—  Blinden  Versorgungshaus  »Francisco-Josephinum«  in 
Prag.  Kiner  der  liebenswürdigsten  und  tatkräftigen  Förderer  des  Hauses,  Herr  Hofrat 
Johann  Rotky,  verschied  am  26.  Februar  1917,  nachdem  er  nur  wenige  Monate 
hindurch  die  Öbmannstelle  des  Direktoriums  inne  hatte  und  mit  besondeier  Umsicht 
und  Energie  ausfüllte. 

In  der  Sitzung  vom  24.  April  1917  wuiden  Herr  kais.  Rat  Johann  Stüdl  zum 
Obmann    und  Herr    kais.  Rat  Karl  Kleteschka  zum  Obmannstellvertreter  gewählt. 

Am  1.  Mai  1917  verschied  der  ehemalige  Anstaltsverwalter  Herr  JosefSimbürger 
in  seinen  geliebten  Tiroler  Bergen.  Der  Dahingcj^angene  hatte  die  Anstalt  durch 
elf  Jahre  treu  und  mit  seltener  Hingabe  geleitet.  Den  Pfleglingen  war  er  ein  fürsorg- 
licher Vater.  Diese  und  seine  Freunde  betrauern  ihn  tief  und  werden  ihn  nie  vergessen. 

Im  Jahre  1917  wurde  ebenso  wie  in  den  letzten  Jahren  an  der  unumgänglich 
notwendig  gewordenen  Maßn  hme  festgehalten,  keine  neuen  PHt-glinge  aufzunehmen. 
Es  ergibt  sich  bei  9  Todesfällen  ein  Stand  von  78  Personen  gegen  87  Personen 
bei  Jahresschluß  1916. 

Darunter  sind  42'Dcutsche,  36  Tschechen,  bezw.  72  Katholiken  und  4  Israeliten 

Zu  ganz  besonderem  Danke  fühlt  sich  das  Direktorium  Herrn  Inspektor 
Markup  verpflichtet  für  seine  Umsicht  und  Fürsorge  um  der  Anstalt,  insbesondere 
für  seine  Bemühungen  bei  Beschaffung  der  nötigsten  Lebensmittel  und  Bedarfsartikel 
wie  z.  B.  Kohle.  Seiner  rastlosen  Arbeit  ist  es  zuzuschreiben,  daß  der  Betrieb  der 
Anstalt  trotz  der  allbekannten  großen  Verpflegsschwierigkeiten  in  vollem  Umfange 
aufrecht  erhalten  werden  konnte. 

In  dankbarer  Anerkennung  hat  das  Direktorium  in  der  Sitzung  vom  30.  Okto- 
ber 1917  beschlossen,  Herrn  Markup  den  Titel  eines  Direktors  der  Anstalt 
zu  verleihen. 


flus  den  Vereinen. 

—  Vollversammlung  des  Blindenfürsorgevereins  für  Tirol 
und  Vor  ar  1  be  r  g.  Am  16.  März  fand  unter  guter  Beteiligung  die  Vollversammlung 
des  Blindenfürsorgevereines  für  Tirol  und  Vorailberg  statt. 

Hofrat  Dr.  Hans  Hausotter  leitete  dieselbe  mit  einer  Begrüßung  der  Anwe- 
senden ein  und  hob  speziell  die  ehrende  Anwesenheit  Sr.  Exzellenz  des  Herrn 
Statthalters  Graf  von  Meran  und  seiner  hohen  Frau  Gemahlin  und  des  Herrn 
Bürgermeisters  Wilhelm  Greil  mit  besonderm  Dank  hervor,  hierauf  erwähnte  er 
mit  tief  empfundenen  Worten  den  Abgang  so  mancher  arbeitstüchtigen  Mitglieder 
des  nunmehr  verwaisten  Vereines.  Die  Krieg.sjahre  haben  überall  herbe  Wunden 
geschlagen,  aber  diesen  Verein  hatte  das  Schicksal  schon  ganz  besonders  schwer 
getroffen.  Ein  hervorragender,  einflußreicher  Helfer  war  der  Vereinspräsident 
Landeshauptmann  Dr.  Theodor  Freiherr  von  K  a  t  h  r  e  i  n,  dessen  Verlust  Dank 
seines  besonders  warmen  Interesses  für  den  Blindenfürsorge- Verein  schwer  zu  ersetzen 
ist.  Ferner  der  Gründer  des  Vereines,  kais.  Rat  Franz  Thurner,  welcher  mit 
weitschauendem  Blick  dem  jungen  Verein  die  Ziele  gesteckt,  das  Blindenerziehungs- 
institut  gegründet,  die  Bahnen  gewiesen  und  seinem  lieb.sten  Sorgenkind  bis  zum 
letzten  Atemzuge  rastlos  und  unermüdet  mit  ganzer  Kraft  seine  Tätigkeit  gewidmet 
hat,  sowie  auch  Frau  Hofrätin  Maria  Hausotter,  die  mit  mütterlicher  Liehe  sich 
der  blind6n  Kinder  annahm  und  mit  besonderem  Eifer  bemüht  war,  anläßlich  der 
Weihnachtsbescherung  die  lauten  und  stillen  Wünsche  der  armen  Geschöpfe  zu 
erfüllen  und  so  ihnen  einen  Freudenstrahl  ihn  ihr  lichtloses  Leben  zu  bringen.  Sie 
alle  hat  der  Tod  grausam  entrissen  und,  wird  einmal  die  Geschichte  des  Vereines 
geschrieben,  so  wird  auch  zu  Tage  kommen,  welch  unvergängliche  Verdienste  die 
edlen  Verblichenen  sich  um  den  Verein  erworben  haben.  Der  Lauf  der  Zeit  hat 
auch  so    manche   treue  Mitarbeiter    entführt,    die  Protektorin,  Exzellenz  Gräfin  von 


Seite  928.  Zeitschrift  für  das  Österreichische  Blindenwesen.  5.    Nummer. 

Toggenburg,  weilt  nunmehr  in  der  Reichshauptstadt  und  ist  daher  nicht  mehr 
in  der  Lage,  das  Protektorat  fortzuführen,  Univ. -Prof.  Hofrat  Dr.  Stefan  Bernheimer, 
Chefarzt  an  der  Augenklinik  der  sich  der  ärztlichen  Pflege  und  Untersuchung  der 
blinden  Kinder  besonders  annahm,  ''olgte  einem  Ruf  nach  Wien;  leider  ist  auch  er 
vor  einigen  Tagen  gestorben.  Im  Kriegsdienste  steht  dermalen  der  Präsident  Stell- 
vertreter Hofrat  Paul  Freiherr  von  Sternbach,  Landesauischuß,  in  russische 
Gefangenschaft  geriet  der  Vereinskassier  Oskar  Hueber  ;  besonderen  Dank  verdient 
dessen  Frau  Gemahlin,  welche  durch  ihre  Angestellten  das  ganze  Kassengeschäft 
in  musterhafter  Weise  fortfuhren  läßt.  —  In  einfacher,  aber  sehr  würdiger  Weise 
wurde  am  1.  Dezember  1907  vormittags  in  Gegenwart  des  Erzherzog  Eugen,  der 
seit  jeher  das  Fortschreiten  der  Blindensache  in  Tirol  aufmerksam  und  fördernd 
verfolgte,  die  Eröffnung  des  zur  Erinnerung  an  das  60jährige  Regierungsjubiläum 
des  Kaisers  Franz  Josef  errichtete  Blindenerziehungsinstitut  gefeiert.  Der  unter  dem 
Protektorat  der  damaligen  Fiau  Statthalterin,  Albertine  Freiin  von  S  p  i  e  gel  f  el  d, 
und  unter  der  Präsidentschaft  des  Landeshauptmannes,  Herrenhausmitglied  Dr  .Theodor 
Freiherrn  von  K  a  t  h  r  e  i  n  stehende  tirolisch  und  vorarlbergische  Blindenfürsorg- Verein 
hatte  damit  einen  großen  Schritt  vorwärts  getan.  Hervorragende  Persönlichkeiten 
aus  der  Gesellschaft,  dem  Gelehrtenstande,  aus  den  besten  bürgerlichen  Kreisen 
der  Bevölkerung  schlössen  sich  mit  Interesse  der  Bewegung  an,  doch  blieb  der 
Gründer  Franz  T  h  u  r  n  e  r  auf  seine  Arbeitskraft  faßt  allein  angewiesen. 

Das  Institut  stand  unter  der  Leitung  des  blinden  Lehrers  Oskar  Troyer 
und  seiner  Frau  und  zählte  sechs  Zöglinge.  Bis  zum  Jahre  1910/11  ist  auch  der 
erste  Bürstenbinder,  Matten-  und  Sesselflechterkurs  entstanden  und  wurde  zum 
Unterricht  Werkmeister  Lohschelder  angestellt.  Im  Jahre  1913  wurde  hochw. 
Pfarrer  J.  Vinatzer,  der  seit  Gründung  den  Religionsunterricht  leitet,  als  Direktor 
bestellt.  Heute  stehen  als  Lehrer  und  Lehrerinnen  in  Verwendung  :  Direktor  :  Pfarrer 
J.  Vinatzer,  Religionsunterricht;  Leiter  Oskar  Trojer,  Elementarunterjicht  und 
Musik;  Lehrerin  Pauline  FMladelfi,  Elementarunterricht;  Kindergärtnerin  Maria 
M  a  i  r,  Fröbelarbeit  und  Handarbeit  ;  Werkmeister  Heinrich  Lohschelder,  Bürsten- 
binder, Sessel-  und  Mattenflechten. 

Sämtliche  Lehrer  sind  für  den  Blindenunterricht  ordnungsmäßig  geprüft,  ihre 
Bezüge  wurden  im  September  verflossenen  Jahres  den  jetzigen  Verhältnissen  ent- 
sprechend neu  geregelt.  Im  Jahre  l9l4  wurde  der  Anstalt  das  Bürstenmacher- Matten- 
qnd  Sesselflechter-Gawerbe  förmlich  verliehen,  sc  daß  die  Zöglinge  im  Institut  die 
3  Lehrjahre  und  das  gesetzliche  Gesellenjahr  durchmachen  können.  Die  Hauswirt- 
schaft besorgen  seit  1912  Barmherzige  Schwestern  aus  dem  Mutterhaus  in  Zams 
mit  bewährter  Reinlichkeit  und  Ordnung,  auch  der  jetzt  sehr  schwierigen  Ernährungs- 
frage erwiesen  sich  die  Schwestern  gewachsen.  Heute  zählt  das  Institut  15  Zöglinge. 
Ausgeschult  sind  bereits  5  Knaben  und  5  Mädchen,  wovon  Friedrich  Longhi  zur 
Ausbildung  als  Flötenvirtuos  die  Wiener  Musikakademie  besucht,  Rusch,  Dagen, 
Rech  eis  in  ihrer  Heimat  Bürstenbinderwerkstätten  errichtet  haben  und  wird 
ihnen  nach  Möglichkeit  das  dazugehörige  Material  gegen  Entgeld  vom  Institut  zur 
Verfügung  gestellt. 

Ein  Mädchen  wird  daheim  zur  Wartung  kleiner  Kinder  verwendet  und  hat 
nebenbei  durch  Stricken  einen  kleinen  Nebenverdienst,  hat  auch  Büistenbinden 
erlernt,  doch  übt  sie  es  nicht  aus,  die  anderen  4  Mädchen  befassen  sich  mit  weib- 
lichen Handarbeiten. 

Im  Jahre  1912  wurde  ein  Baugrund  angekauft,  das  Hauptverdienst  bei  diesen 
günstigen  Ankauf  geb  ihrt  wieder  dem  Vereinsgründer  kaiserlichen  Rat  Franz  T  h  u  rn  e  r, 
auch  mehrere  Pläne  sind  entworfen,  und  war  für  Herbst  1914  die  Grundsteinlegung 
in  Aussicht  genommen,  der  Krieg  vereitelte  damals  das  Vorhaben  und  ist  somit 
die  notwendige  Erbauung  eines  eigenen  Blinden-Institutes  leider  wieder  in  die 
Ferne  gerückt.  Die  Erziehungsanstalt  ist  seit  Errichtung  in  dem  der  Stadtgemeinde 
Innsbruck  gehörenden  sogenannten  Egger-  oder  Leopardischlößl  in  Pradl  für  die 
heutigen  Verhältnisse  entsprechend  untergebracht.  Der  Verein  erfre  t  sich  der 
allgemeinen  Sympathie,  Beweis  dessen  sind  die  verschiedenen  großen  und  kleinen 
Spenden  unl  Zuwendungen  wie  aus  nachfolgendem  Rechnungsabschluß  ersichtlich  ist. 

Hierauf  erstattete  Landes-Rechnungsrat  Albert  Brunn  er  den  Bericht  über 
c|en  Vermögens-  und  Kassenstand  des  Vereines  :  die  Rechnung  umfaßt  den  Zeitraum 
vom  1.  Jänner  1910  bis  31.  Dezember  1917  und  ist  das  Rechnungsergebnis  folgendes: 
Bargeld  6665  K  85  h,  Wertpapiere  und  Sparbücher  209.040  K  12  h,  Schuld  an    die 


5.   NiimnKM.  Zeitschrift   Kir  das  östt-neichisrlie   liliiideiiwc!  en.  Seite  929. 

Zentralbank  der  deutschen  Sparkassen  9696  K,  daher  reines  Vermögen  am  31.  De- 
zcmLer  1917:  2ü6.009  K  97  h.  lunen  Vcrmü^enszuwachs  bildet  der  im  Jahre  1912 
in  Pradl  angekaufte  Grund  für  die  Krrichtuni^'  eines  vollkommen  zweckentsprechenden 
Institutes,  der  Kaufpreis  betru}^  damals  31.664  K  50  h  und  ist  bar  erle^'t  worden. 
Heute  dürfte  der  Wert  des  Hau^rundes  mit  ,50.000  K  nicht  zu  hoch  j^egriffen  sein, 
der  Wert  des  Inventars  kann  mit  10.000  K  angenommen  werden,  sodaß  das  Geamt- 
vermöaen  mit  linde  1917  sich  rund  auf  260.000  Kronen  beläuft. 

Am  31.  Dezember  1909  bezifferte  sich  das  Vermögen  an  Bargeld  und  Wert- 
papieren auf  72.262  K  95  h,  sodaß  daher  ein  Vermögenszuwachs  von  rund  190.000  K 
sich  er>.;ibt.  Das  Vermögen  besteht  allerdings  zum  gr<)ßten  Teil  in  Wertpapieren 
und  Sparbüchern. 

Der  Ausfall  an  Bargeld  ist  wohl  auch  darauf  zuiückzuführen,  daß  die  Mitglieder- 
bewegung infolge  der  Kric-gs-Verhältnisse  eine  beträchtliche  Einbuße  eilitt  und  die 
Jahresbeiträge  seit  mclireren  Jahren  nicht  mehr  eingehoben  worden  sind. 

Zur  Deckung  der  laufenden  Auslagen  im  Rechnungs-Zi  itraum  standen  dem 
Vereine  zur  Verfügung:  der  Barbestand  am  31.  Dezember  1909  von  rund  52.423  K, 
an  Jahres-Beitragen  der  Mitgleder  rund  1450  K,  die  Zuwendungen  des  Tiroler 
Landesausschusses  von  zusammen  9200  K,  an  Spenden  von  Wohltätern  21.270  K,  der 
Betrag  pro  19l4  der  k.  k.  Statthalterei  von  2000  K,  die  Erträgnisse  aus  .Veran- 
staltungen von  rund  11  500  K,  Kostgeld  für  Plleglinge  rund  3512  K,  die  Zinsen 
der  Wertpapiere  von  rund  47.200  K,  endlich  der  lulös  aus  dem  Verkauf  der  Werkstatt- 
Erzeugnisse  von  rund  44.472  K,  somit  durchschnittlich  eine  jährliche  Einnahme 
von  rund  24.129  K.  Die  Ausgaben  des  Institutes  betrugen  in  derselben  Zeit,  soweit 
die  Ausscheidung  des  reinen  Aufwandes  für  dasselbe  mö::,'lich  war,  zusammen  rund 
174.334  K,  was  einem  Durchschnitts-Erfordernis  von  jährlich  21.792  K  entsprechen 
würde.  Das  Durchsc'r.niLtsersparnis  von  jährlich  rund  2340  K  ist  nur  ein  scheinbares 
und  mußte  für  den  Ankauf  des  Baugrundes  aufgewendet  werden.  Die  Schuld  von 
9696  K  ist  durch  Bareinlagen  im  Jahre  1918  bereits  zurückgezahlt. 

Der  Verein  beteiligte  sich  auch  an  der  Zeichnung  der  Kriegsanleihe  und 
zwar:  an  der  1.  österreichisch  n  Kriegsanleihe  mit  lO.OoO  K,  an  der  3.  mit  12.000  K, 
an  der  5.  15.000  K  und  an  der  6.  mit  50.000  K. 

Der  Vorstand  dankte  dem  Berichterstatter  im  Namen  des  Vereines  für  die 
große  Mühe,  welcher  er  sich  durch  die  Zusammenstellung  der  umfangreichen  Rechnung 
unterzogen  hat.  Es  wurden  sodann  über  Antrag  des  Vorstandes  von  cer  Versamm- 
lung drei  Rechnungs-Kevisoren  znr  Überprüfung  der  Rechnung  einstimmig  gewählt, 
da  es  sich  unmöglich  erwies,  die  zahlreichen  Belege  noch  während  der  Versamm- 
lung durchzusehen,  und  wiid  das  Ergebnis  der  Überprüfung  einer  neuerlichen  Voll- 
versammlung zur  Genehmigung  unterbreitet  werden. 

Zum  Schluß  wurde  zur  Neuwahl  des  Ausschusses  getreten  und  übernahm  in 
liebenswürdiger  Weise  ihre  Exzellenz  Frau  Statthalter  Gräfin  von  Meran,  geb. 
Prinzessin  Auersberg,  k.  u.  k.  Palastdame,  das  Protektorat;  Herr  Landeshaupt- 
mann von  Tirol,  Josef  S  ch  ra  ff  1,  und  Se.  Exzellenz  Landeshauptmann  von  Vorarl- 
berg, Adolf  Rhomberg,  Geheimer  Rat  und  Henenhausmitglied,  wurden  zu  Ehren- 
präsidenten ernannt.  Der  Ausschuß  besteht  aus:  Präsident:  Dr.  Hans  Hausotter, 
k.  k.  Hofrat  und  Landesschulinspektor.  Präsident-Stellvertreter:  Dr.  Paul  Freiherr 
von  Sternbach  k.  k.  Hofrat,  Landesausschußmitglied,  k.  k.  Lst. -Hauptmann; 
Philipp  Freiherr  von  WM  n  k  I  e  r,  k.  k.  Hofiat.  Geschäftsführer:  Kais.  Rat  Karl 
Molinari,  Bankier.  Ausschußmitglieder:  Baronin  Agnes  Fenn  er  von  und  zu 
Fennberg,  Oberin  des  gräfl.  Wolkenstcin'schen  a'leligen  Damenstiftes;  Dr.  Alois 
Hirn,  Stadtarzt;  Oskar  H  u  e  b  e  r,  Kaufmann,  k.  k.  Oberleutnant  1.  d.  R.;  Frl. 
Josefine  von  Sold  er,  k.  k.  Übungsschullehrerin;  Dr.  Alfred  Ritter  von  Wr  e  t  s  c  h  k  o, 
k.  k.  Univ. -Professor;  Albert  Brunn  er,  Landesrechnungsrat;  Dr.  Friedrich  von 
H  erren  s  ch  wan  dt,  Privatdozent,  Univ.-Assistenz  an  der  Augenklinik;  Ernst 
Kiechl,  k.  k.  Professor;  Frau  Hedwig  Plattner;  Dr.  Karl  Pusch,  Rechtsanwalt; 
Frau  kais.  Rat  Sophie  Thurner;  Hochw.  Pfarrer  Johann  Vinatzer,  Direktor  des 
Blindeninstitutes;  Heinrich  G  Schließer,  Obermagistratsrat. 

Mit  besonderer  Freude  wurde  noch  der  Antrag  begrüßt  und  angenommen, 
Exzellenz  Frau  Gräfin  To  ggenb  u  r  g  und  den  gioßen  Wohltäter  des  Vereines 
C.  L.  Erdmann  in  Eggenberg  bei  Graz  zu  Ehrenmitgliedern  des  Vereines  zu 
ernennen. 


Seite  930.  Zeitschrift  für  das  östereichische  Blindenwesen.  5.  Nummer. 

Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Landwirtschaft  liehe  Schule  für  Kriegsblinde  in  Temesvar. 
In  den  allernächsten  Wochen  wird  in  Temesvar  (Ungarn)  die  erste  ungarländische 
landwirtschaftliche  Schule  für  Kriegserblindete  eröffnet.  Die  Großindustriellen  Brüder 
Prochaska  schenkten  für  diese  Zwecke  ein  in  der  nächsten  Nähe  liegendes 
Grundstück.  Die  auf  demselben  befindlichen  Baulichkeiten  werden  gründlichst  adap- 
tiert und  mit  einem  Neubau  ergänzt.  Auf  dem  circa  6  Joch  großen  Grundstück  wird 
Gemüse  kultiviert  werden. 

Die  Kurse  werden  ein  Jahr  dauern;  der  theoretische  und  praktische  Unter- 
richt wird  von  Fachleuten  geleitet.  Nach  Absolvierung  des  Kurses  erhalten  die 
mittellosen  Kriegsblinden  im  Heimatsorte  eine  eigene  Heimstätte,  d.  h.  Feld  und 
Haus  mit  komplett  eingerichteter  Wirtschaft. 

Die  Herren  Oskar  und  Eduard  Prochaska  führen  nicht  nur  die  unter  den 
heutigen  Verhältnissen  ungemein  schwierigen  Bauarbeiten  selbst  aus,  sondern  über- 
nahmen auch  noch  die  große  Arbeit  der  Einrichtung  und  Organisierung  der  Schule. 
Sie  sind  für  die  Sache  von  solcher  Liebe  erfüllt,  bewältigen  alles  mit  rastlosem 
Eifer  und  großem  Geschick,  so  daß  die  Eröffnung  der  Schule  bevorsteht. 

Nicht  nur  daß  die  genannten  Stifter  das  schöne  Giundstück  mit  allen  Bau- 
lichkeiten Zwecken  der  Kriegsblinden  schenkten,  haben  sie  sog  r  für  die  Erhaltung 
der  Schule  für  Jahre  vorgesorgt,  indem  sie  eine  Sammlung  einleiteten  und  dieselbe 
mit  40.000  Kronen  eröffneten. 

Die  Kriegsblindenfürsorge  ist  in  Temesvar  überhaupt  sehr  beachtenswert, 
denn  auch  anderen  Berufen  wurden  Kriegserblindete  zugeführt.  Sie  weisen 
als  Trafikaten,  Telephonisten,  Fabriksarbeiter  so  schöne  Erfolge  auf,  daß  einige 
von  ihnen  heute  schon  nicht  nur  ihre  Familien  erhalten,  sondern  bereits  über  Er- 
sparnisse verfügen.  A.  W. 

—  Kirchenkonzert  zugunsten  der  Kriegsblinden.  Der  Pur- 
kersdorfer  Männerchor  veranstaltete  im  Verein  mit  einem  Damenchor  am  14.  April  l.J. 
in  der  Purkersdorfer  Pfarrkirche  eine  Aufführung,  deren  Reinertrag  (400  K)  dem 
Kriegsblindenfonds  zufloß.  Die  künstlerische  Vollendung  der  Darbietungen  ist  vor 
allem  das  Verdienst  des  Dirigenten  Heinrich  S  c  h  ö  n  y  ,  der  auch  mit  einigen  fein- 
empfundenen Kompositionen  verdiente  Anerkennung  fand.  So  namentlich  mit  einem 
»Gegrüßet  seist  du  Maria,«  das  J.  Stadelmeier  mit  warmer  Eindringlichkeit  sang. 
Von  den  ausgeglichenen  Leistungen  des  Chores  sei  namentlich  Schuberts  »An  die 
Nacht,«  die  »Sturmbeschwörung«  von  Dürrner  und  das  prachtvoll  gebrachte  »Wir 
treten  zum  Beten«  erwähnt.  Unter  den  Solisten  trat  namentlich  die  junge  Geigerin 
Frl.  Mizzi  Büllik  hervor,  die  in  einem  Andante  religioso  herrliche  Tongebung 
mit  tief  musikalischem  Empfinden  verriet.  Zu  nennen  ist  ferner  die  Leistung  des 
Streichquartettes,  das  einen  Satz  aus  einem  Schubertquartett  stimmungsvoll  spielte. 
Der  Tenor  D.  Kiesling  schöpfte  die  lyrischen  Schönheiten  des  »Ave  Marias«  von 
Kral  voll  aus. 

—  Wohltätigkeitsaufführung.  Am  7.  April  1.  J.  wurde  im  Wiener 
Bürgertheater  zugunsten  der  im  Felde  erblindeten  Soldaten  eine  Aufführung  ver- 
anstaltet, bei  welcher  unter  Mitwirkung  des  Wiener  Tonkünstierorchesters  eine 
Erzählung  von  R.  Benda:  »Das  Alte  stürzt  .  .  .«  und  ein  Mahnruf  »Pflicht«  von 
demselben  Verfasser,  Musik  von  A.  M.  Wichtl,  mit  großem  Beifalle  vorgeführt 
wurden.  Veranstalter  war  der  »Deutsche  Wehrausschuß.« 

—  Sammlungen    für  Kriegsblinde.  Stand  Ende    April  l.  J. 

—  Neue  Freie  Presse:  1,272.168  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  3,566.946  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  320.000  K. 

—  Reichspost:  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  85.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  32.000  K. 


Heraasgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenweseo  in  Wien.     Redaktionskomitee:   K.   Bürkleo, 
J.  Kneis,  A.  r.  Horr.ith,  F.  Uhl.  —  Druck  Ton  Adolf  Englisch,  Purkersdorf  bei  Wien, 


Verschiedenes. 

—  Ein  blinder  deutsch-un^' arischer  Dichter.  Im  Organ  der  Kar- 
pathendeutschen  »Von  der  Heide«  wird  eines  blinden  Deutschun{/arn  jjedacht,  der 
seinerzeit  eine  hervorragende  literarische  Tätigkeit  entwickelte.  Es  ist  Dr.  Gottfried 
Feidinger.  In  Tcmesvar  geboren,  erblindete  er  am  linken  Auge  schon  in  der 
zweiten  Woche.  Das  rechte  Auge  blieb  so  schwach,  daß  er  beim  hellsten  Tageslicht 
kaum  lesen  konnte.  Trotzdem  studierte  er,  legte  1843  die  Advokatenprüfung  ab, 
waif  sich  dann  auf  das  Studium  der  Philosophie  und  Literatur.  An  der  Universität 
Halle  erlangte  er  den  Doktortitel.  Unausgesetzt  literarisch  tätig,  gründete  er  im 
Jahre  1851  die  schöngeistige  Zeitschrift  »Euphrosine«,  die  sich  der  Mitarbeiterschaft 
Bauern  fei  ds,  Gutzkows,  J.  N.  Vogls  u.  a.  bedeutender  Dichter  jener  Zeit 
erfreute.  Allerdings  mußte  der  zu  ideal  .gesinnte  Dichter  sein  Werk  bald  einstellen. 
Nach  dem  Ausgleich  stand  er  im  Preßbureau  in  Pest  in  Verwendung. 

Unter  seinen  lyrischen  Schöpfungen  werden  namentlich  seine  Sonette  geprie- 
sen. Er  ist  auch  der  erste  Biograph  Petöfis.  Außer  seiner  literarischen  Neigung 
leistete  er  beachtenswertes  auf  dem  Gebiete  der  Musik  und  zeichnete  sich  als  fein- 
sinniger Komponist  aus.  Leider  sind  seine  Dichtungen  bis  heute  nicht  gesammelt. 
Doch  verdient  es  der  blinde  Sänger,  der  Vergessenheit  entrissen  zu  werden. 

Anfangs  der  neunziger  Jahre  starb  er,  nachdem  ihm  kurze  Zeit  vorher  seine 
Gemahlin  durch  die  Cholera  entrissen  worden  war.  W. 

—  Die  Blendung  der  Jagdfalken.  Die  Falkenzucht  im  deutschen 
Mittelalter,  die  uns  Kaiser  Friedrich  II.  in  eingehender  Weise  geschildert  hat,  war 
sehr  schwierig.  Um  dem  scheuen  Vogel  für  einige  Zeit  das  Augenlicht  zu  rauben, 
schloßi  man  ihm  die  Augen,  indem  man  an  den  unleren  Augenlidern  einen  Faden 
befestigte  und  diese  damit  in  die  Höhe  zog.  Dem  so  geblendeten  Tiere  legte  man 
kunstvolle  Fessel  an  die  Füße  und  gewöhnte  es  an  die  mit  einem  Lederhandschuh 
geschützte  Hand.  War  die  erste  Scheu  des  Tieres  überwunden,  so  wurden  ihm  all- 
mählich die  Augen  wieder  geöffnet. 


Bücherschau. 

—  Schmidt  K.  R. :  Die  Blinde  (Stuttgart,  Greiner  und  P  fe  i  f  fer).  Die 
Dichtung  sucht  die  Seelenqual  einer  bei  der  Geburt  ihres  Kindes  erblindeten  Frau 
lyrisch  auszuschöpfen.  Neben  krassen  Verzweiflungsausbrüchen  finden  sich'Töne  der 
Ergebung  und  des  Wiederfindens.  Wir  geben  ein  Bild  aus  dem  Seelenspiegel  der 
Blinden  an  anderer  Stellew  ieder. 


Briefkasten. 

—  Zivilblinder.  Sie  beklagen  sich,  daß  Sie  auf  dt  n  Umwege  über  Deutsch- 
land durch  den  »Blindenfreund«  von  der  Errichtung  einer  österreichischen  »Rohstoff- 
einkaufsstelle für  Blinde«  erfahren  mußten.  Dazu  können  wir  Ihnen  nur  sagen,  daß 
es  uns  ebenso  gegangen  ist,  denn  man  scheint  unser  österreichisches  Fachblatt  an 
den  betreffenden  Stellen  krampfhaft  übersehen  zu  wollen.  Trotzdem  haben  wir 
—  auch  nach  dem  »Blindenfreund«  —  eine  kurze  Notiz  darüber  gebracht,  weil  die 
Errichtung  einer  solchen  Stelle  von  Interesse  vor  allem  für  unsere  österreichischen 
Blinden  schien.  Auf  Ihre  Anfrage,  wo  sich  eigentlich  diese  Rohstoffstelle  befindet, 
da  Sie  nirgends  ihre  Adresse  finden  können,  vermögen  auch  wir  Ihnen  nichts  Be- 
stimmtes anzugeben  und  Sie  müssen  sich  wohl  an  den  »Kriegsblindenfonds  im 
Ministerium  für  soziale  Fürsorge  in  Wien«  wenden.  Ebensowenig  können  wir  Ihnen 
sagen,  welche  Rohstoffe  und  in  welcher  Menge  dieselben  bereits  erhältlich  sind.  Ihr 
Zweifel,  ob  solche  wohl  vorhanden  sind,  trotzdem  die  Rohstoftstelle  bereits  ein 
Statut,  einen  Ausschuß,  eine  Geschäftsleitung  und  Bedienstete  besitzt,  ist  wohl  iro- 
nisch gemeint.  Sie  können  sich  ja  darüber  durch  eine  direkte  Anfrage  Klarheit  verschaffen 
Ihre  Verwunderung,  warum  Zivilblinde  die  Rohstoffe  »um  10  vom  Hundert«  teurer- 
zahlen sollen  als  Kriegsblinde,  nachdem  doch  schon  von  diesen  die  Selbstkosten- 
preise verlangt  werden,  müssen  wir  allerdings  teilen.  Der  Engländer  sagt;  »Geschäft 
ist  Geschäft.« 


Bürklen  Karl :  Das  Tastlesen  der  Blindenpunktschrift. 

Nebst  Beiträgen  zur  Blindenpsychologie  von  P.  Grasemann- 
Hamburg,   L.   Colin-Breslau,   W.   Stein berg.    VII,  93   Seiten 

mit   6   Abbildungen   im  Text   und  6  Tafeln, 
Leipzig,   Barth,   1917 M  5.— 


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Wien,  XVII.,  Hernaiser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde   Kinder  im   vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen  österreichi- 
schen  Kronländern   auf.  Nähere  Auskünfte  durch   die  Leitung. 

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Wien  XVIII,  Währinger  Gürtel  136, 

* verleiht  ihre  Bücher  kostenlos  an   alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  Unterstützung  blinder  Mit-- 
glieder.  Arbeitsvermittlung  tür  Blinde.  Erhaltung 
der  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


Den  blinde  Modelleur' 


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:— :   Nikolsdorfergasse  Nr.  42.  :  — : 

ryn      Blindendrucknoten    werden    an     pm 
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von   Oskar  Picht. 
Bromberg. 


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(Gegründet  1878.) 

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Mustergültige  Bearbeitung  von   Fiber  und  Piassava 
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ZEITSCHRIFT 

FÜR  DAS  ÖSTERREICHISCHE 

BLINDENWESEN. 


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Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


S  ch  r  i  f  1 1  e  i  t  u  n  q 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreich'sches 
Postsparkassen- 
konto ISr.132.257 


D 
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Das  Blatt  ersdieint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter; 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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Bezugspreis 

D 

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ganzjährig  mit 

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Postzustellung 

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4  Kronen, 

D 

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Einzelnummer 
40  Heller. 

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5.  Jahrgang. 


Wien,  Juli  1918. 


7.  Nummer. 


INHALT:  S.  Rbeles,  Wien:  Die  kaufmännische  Ausbildung  der  Kriegsblinden. 
Die  Anwendung  der  Binet-Simon-Methode  zur  Intelligenzprüfung  bei  blinden 
Kindern.  (Fortsetzung).  Dr.  Silex,  Berlin:  Kriegsblinde  als  flktenhefter.  VI. 
Osterr.  Blindenfürsorgetag  (Blindenlehrertag)  Wien  1918.  Maria  Rilke:  Pont 
du  Carrousel.  Personalnachrichten.  Aus  den  Anstalten.  Aus  den  Vereinen. 
Für  unsere  Kriegsblinden.  Verschiedenes.  Mitteilung.  (Altes  und  Neues.  An- 
kündigungen). 


D 


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"^   Beitrittserklärungen    zum     „Zentralverein    für  das  österreichische^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung   in    Wien  VI!!, 
3^  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.   g 


D 


Altes  und   Neues. 

Das  Ende  einer  deutschen  Greueltat.  (Wahrheit  und  Dichtung.) 

Wir  dürfen  annehmen,  daß  bis  Friedensschluß  so  ziemlich  alle 
erdichteten  deutschen  Greueltaten  richtiggestellt  sein  werden.  Als  Bahn- 
brecher wirkt  in  dieser  Richtung  der  auch  bei  uns  geschätzte  Dichter  Anatole 
France,  indem  er  nachwies,  wie  manche  Flüchtlinge  systematisch  ange- 
halten werden,  sich  mit  immer  neuen  Erzählungen  von  deutschen  Greuel- 
taten in  der  Gunst  der  ihnen  Barmherzigkeit  erweisenden  neuen  Umgebung 
festzusetzen  und  das  Mitleid  mit  ihnen  wachzuhalten.  Im  Grunde  haben 
sie  nichts  erlebt,  die  Deutschen  überhaupt  nicht  zu  Gesicht  bekommen, 
aber  damit  läßt  sich  natürHch  das  Herz  eines  französischen  Bürgers 
nicht  erweichen.  Erst  wenn  weidHch  auf  die  unmenschlichen  und  rohen 
»Boches«  geschimpft  werden  kann,  öffnen  sich  die  Portemonnaies.  Nun 
liefert  der  »L'  Oeuvre«  (vom  19.  Mai  1918)  einen  neuen  Beleg  für  die 
Glaubwürdigkeit,  die  den  eidlich  erhärteten  deutschen  Greueltaten  bei- 
zumessen ist.  Im  »Phare  de  Nantes«  hatte  sich  ein  mit  vollem  Namen 
hervortretender  französischer  Deputierter  dafür  verbürgt,  daß  ein  deut- 
scher Stabsarzt  eine  Honorierung  für  geburtsärztliche  Hilfe  bei  einer 
französischen  Dame  mit  den  Worten  abgelehnt  hatte  : 

»Ich  habe  mich  schon  selbst  bezahlt  gemacht.  Ihr  Sohn,  Madame, 
wird  kein  Soldat  werden!  Ich  habe  dafür  gesorgt,  daß  er  blind  zur 
Welt  kommt.« 

Das  hatte  einen  Entrüstungsschrei  in  der  französischen  Presse 
ausgelöst,  die  nicht  verfehlt  hatte,  die  Schauergeschichte  zu  Propaganda- 
zwecken auszuschlachten.  Leiderjnur  hat  sich  nachträglich  herausgestellt, 
daß  dieselbe  Geschichte  mit  ganz  den  gleichen  Worten  in  dem  Roman: 
»Französische  Herzen,  englische  Gewissen  !«  von  M.  J.  Henouard  erzählt 
ist  und  der  Autor  hat  nicht  in  Abrede  stellen  können,  daß  er  den 
Vorfall  frei  erfunden  habe.  Die  Franzosen  aber  stehen  zum  erstenmal 
starr,  daß  einer  ihrer  Parlamentarier  es  beschwören  konnte,  das  blinde 
Kind,  die  unglückliche  Mutter  und  das  Monstrum  von  einem  Arzt  zu 
kennen,  die  nirgends  anders  als  in  der  Phantasie  eines  unbekannten 
Dichterlings  bestanden  haben.  Sie  wissen  noch  nicht,  wie  viele  Mein- 
eide auf  deutsche  Greueltateu  geschworen  wurden. 

Blinde  Ruderknechte. 
In  dem  interessanten  Buch  des  Legationssekretärs  Dr.  von  Heutig 
»Meine  Diplomatenfahrt  ins  verschlossene  Land«  finden  wir  folgende 
Tatsache  erwähnt.  Der  Verfasser,  der  im  Kriegsjahr  1915  die  äußerst 
Gefahrvolle  Reise  nach  Persien,  Afghanistan  und  China  unternahm, 
fuhr  am  Euphrat  von  den  Bergen  Armeniens  im  Boote  bis  Bagdad.  Er 
erzählt :  »Unsere  blinde  Schiffsmannschaft  —  blind  wie  die  meisten 
Araber  am  Euphrat,  infolge  epidemischer  Augenkrankheit  —  ruderte 
mit  bewundernswerten  Fleiß  täglich  hundertzehn  Kilometer,  von  4  Uhr 
morgens  bis  12  Uhr  mittags.  Dann  trieb  gewöhnlich  daß  Floß,  während 
der  heißen  Mittagstunden  nur  von  dem  einäugigen  Steuermann  gesteuert. 
Wie  leblos  fielen  die  blinden  Ruderer  auf  ihren  Bänken  zusammen 
und  versanken  in  tiefen  Schlaf.  Des  Nachts  wurde  Mannschaft  und 
Passagieren  eine  kurze  Nacht-  und  Dachruhe  gewährt.« 


5.  Jahrgang.  Wien,  Juli   1918.  7.  Nunnmer. 


3S  »Dies    ist    die  neue  Barmherzigkeit:    nicht  nur  Schwache   ^ 

®  SS 

JS  erhalten,  nicht  nur  augenblicklich  helfen  von  Mensch  zu  Mensch,   ^ 

^  iSi 

J»  sondern    die  Schwachen    stärken,    den    blinden  Kriegsinvaliden   äS 

^  ^ 

S*  nicht    mit  Geschenken  notdürftig  am  Leben  erhalten,    sondern   ^ 

5S  ihn,  wie  all  alle  anderen  Schwachen  auch,  durch  eine  vernünf-  ei 

»   tige  'Wohltat,    die    sich  mit  ganzem   Gemüt  in  seine  Lage  ver-   ^ 

^   senkt    hat,    wieder    zu  neuem  Leben  und  Schaffen  erwecken.«    ä» 

^  H    Ostwald.  g 


Die  kaufmännische  Ausbildung  der 
Kriegsblinden. 

Von  Präfekt  S.  Abel  es,  Wien. 

Es  ist  ein  bei  Erwachsenen  selbstverständlicher  Zug,  nach  sozialer 
Selbständigkeit  zu  streben.  Daher  werden  nur  wenige  Kriegsblinde 
nach  der  Entlassung  aus  der  Blindenanstalt  ihr  Brot  als  Arbeiter  oder 
sonstige  Angestellte  verdienen.  Die  meisten  wollen  und  sollen  vielmehr 
ihre  eigenen  und  diesen  verwandte  Erzeugnisse  selbst  vertreiben  und 
mancher  wird  außerdem  ein  konzessioniertes  Gewerbe  zu  führen  haben. 
Das  dringende  Gebot,  einem  großen  Teil  der  Krieg.sblinden  eine,  wenn 
auch  noch  so  bescheidene  kaufmännische  Bildung  zu  vermitteln,  ist 
daher  bald  erkannt  worden. 

Bei  den  vielen  Kriegsblinden,  deren  Schulbildung  oder  deren 
Kenntnis  der  deutschen  Sprache  vieles  zu  wünschen  übrig  läßt,  muß 
der  entsprechende  Unterrieht  in  Form  von  Rechtschreib-  und  Stilübungen 
schon  bei  der  Unterweisung  in  Punkt-  und  Alaschinschreiben  einsetzen. 
Hierauf  folgen  Übungen  im  Briefstil  und  einfaches,  auf  praktischen 
Beispielen  fußendes  Rechnen  mit  und  ohne  Hilfe  der  Rechentafel  und 
mit  besonderer  Berücksichtigung  aller  erprobten  Kopfrechenvorteile. 
Als  unser  Ziel  «mU  es  aber,   dem  Blinden  durch  die  Kenntnis  einer  für 


Seite  956  Zeitschrift  für  das  österreichische  BlindenweLen.  7.  Nummer. 

ihn  leichten  und  praktischen  Buchführung  ein  Mittel  an  die  Hand  zu 
geben,  seine  laufenden  Geschäfte,  seine  Schuldenverhältnisse,  Gewinn 
und  Verlust,  sowie  seinen  gesamten  Vermögensstand  überprüfen  zu 
können.  Selbst  der  ehemalige  Buchhalter  hat  hier  ein  wenig  zu  lernen, 
da  es,  wenn  wir  uns  mit  der  üblichen  Punktschrifttafel  begnügen  wollen, 
unmöglich  ist,  die  Buchhaltung  der  Sehenden  ohne  besondere  Anpassung 
zu  übernehmen. 

Der  Buchhaltungsunterricht  setzt  aber  zumindest  Vertrautheit  mit 
der  Braille'schen  Vollschrift  und  die  Kenntnisse  des  eben  angeführten 
vorbereitenden  Unterrichts  voraus.  Selbst  wenn,  wie  es  in  berück- 
sichtigenswerten  Fällen  geschieht,  die  von  der  Militärverwaltung  im 
Prinzip  zugebilligte  Ausbildungszeit  erheblich  überschritten  wird,  kann 
infolgedessen  der  Buchhaltungsunterricht  erst  im  letzten  Viertel  der 
Gesamtausbildung  mit  Aussicht  auf  Erfolg  begonnen  werden.  Auch 
innerhalb  dieser  kurzen  Frist  darf  er  nur  wenige  Lehrstunden  der  Woche 
in  Beschlag  nehmen,  da  zumeist  gleichzeitig  die  Erlernung  des  Hand- 
werkes, eines  Musikinstrumentes,  sowie  die  Übungen  in  Kurz-,  Flach- 
und  Maschinschrift  fortgesetzt  werden. 

Jedoch  nicht  nur  Zeitmangel  und  Furcht  vor  Überbelastung  der 
Lernenden,  vor  allem  auch  die  Rücksicht  auf  deren  meist  geringfügige 
spezielle  Vorbildung  macht  es  notwendig,  die  übliche  einfache  Buch- 
haltung, soweit  dies  ihrer  Verwertbarkeit  keinen  Eintrag  tut,  noch  zu 
vereinfachen.  Da  die  Bücher  nur  dem  Schreibenden  selbst  dienen  sollen 
und  eine  Buchhaltung,  deren  Zitfern  jederzeit  durch  Hinzufügung  eines 
Punktes  gefälscht  werden  können,  niemals  gesetzlich  anerkannt  werden 
wird,  ist  dem  Lehrer  bei  diesen  Vereinfachungen  und  Änderungen  kein 
allzuenger  Spielraum  gewährt.  Vor  allem  kann  er  den  bekannten  schie- 
fen Strich,  die  sogenannte  Buchnase,  der  spätere  Eintragungen  unmög- 
lich machen  soll  und  dessen  Ausführung  jedenfalls  umständlich  wäre, 
unterlassen.  Infolge  der  geringen  Zellenzahl  der  gewöhnlichen  Tafel 
muß  auch  auf  die  zweite  Ziffernkolone  und  auf  eine  besondere  Rubrik 
für  den  Hinweis  auf  die  entsprechende  Eintragung  in  einem  anderen 
Buche  verzichtet  werden.  Diesen  Hinweis  fügen  wir,  in  Klammer  gesetzt 
dem  Buchungstexte  hinzu. 

Da  zu  Beginn  des  Unterrichtskurses,  aus  dessen  Lehrgang  ich 
hier  einiges  hervorheben  will,  noch  kein  Schüler  die  Kurzschrift  voll- 
kommen beherrschte,  mußten  die  auch  bei  Eintragungen  in  Vollschrift 
unerläßlichen  Kürzungen  als  Vorübung  durchgenommen  werden.  Es  ist 
dies  die  Kurzschreibung  für  Daten,  benannte  Zahlen,  Dezimal  und 
gemeine  Brüche,  das  Prozentzeichen,  das  Zeichen  ,.bis"  (Bindestrich) 
in  Zahl  und  Zeiträumen  und  „zu"  als  Ersatz  des  französischen  ä.  Auch 
das  schriftliche  Addieren  mußte  geübt  werden.  Die  Schwierigkeit,  die 
sich  daraus  ergibt,  daß  die  Rechenoperation  nicht  auf  der  Schreibseite 
vollzogen  werden  kann,  behoben  wir  einfach  dadurch,  daß  wir  die 
Summe  auf  ein  beliebiges  Blättchen  vermerkten  und  hernach  auf  das 
wieder  eingespannte  Blatt  eintrugen.  Schon  jetzt  wurde  auf  die  Ein- 
haltung der  Ziffernkolone  geachtet,  so  daß  in  der  ersten  und  zweiten 
Zelle  von  links  die  Einer  und  Zehner  der  Heller,  in  der  vierten  inklu- 
sive siebenten  Zelle  die  Einer  bis  Tausender  der  Kronen  geschrieben 
und  die  dritte  Zelle  als  Spatium  belassen  wurde.  Hier  machte  ich  auch 


7.  Niimmci.  Zeitschrift  Kii    das  r)sterreichisch(;  Blindcnwcsen.  Seite  957. 

nufnKM'ksaiii.  daß  die  /irrciii  hei  den  Daten  und  tU'V  Wertangabo  durch 
ilii-(>  al»,u('sond('i'l('.  ITir  iiiinicr  lixicrlc  SUdhiii;,',  hei  dcüi  cvciilucll  aii.i^'c- 
lülirlcn  SlückprciscM.  dm-cli  das  Wörlclieii  zu  (ä)  j,aMiüg(3iid  <,'okomiz('it'li- 
MC't  soion  und  wir  daher  in  diesen  Fällen  kein  Ziffernzeichen  schreiben 
nuiüleii.  Auch  s|)annton  wir  zwischen  die  achte  und  neunte  Zelle  von 
links,  niittcis  zweier  Klammern,  die  wir  an  den  oberen  und  inileren 
Hand  der  HraiMelafel  heresii^ten,  einen  dünnen  Draht,  um  zu  verhindern, 
ilal.i  DuchslaJjen  des  Textes  in  den  Kaum  der  Zahlen  geschrieben  würden. 

Bei  der  kurzen  theoretischen  Erläuterung  des  Wesens  und  Zwecks 
der  Ikielihallung.  der  Erklärung  ihrer  wichtigeren  Begriffe  und  während 
(h'r  niündlichen  Übung  des  Gel)rauches  von  ,.Soll  und  Ilaben-',  welche 
mm  b)lgten,  mußte  ich  des  Tauschgeschäftes  (Ware  gegen  Wechsel 
otler  Münze)  kaum  Erwähnung  tun  und  Geschäfte  der  Banken  konnte 
ich  v(")llig  außer  acht  lassen.  Die  Vertrautheit  mit  dem  Ziele  der  Kriegs- 
l)linden  und  mit  den  Möglichkeiten,  die  ihnen  die  Zukunft  bietet,  gewährt 
nämlich  den  Vorteil,  nicht  wie  bei  den  Handelsschülern,  welche  einst 
in  den  verschiedenartigsten  Betrieben  arbeiten  sollen,  alle  erdenklichen 
Geschäftsfälle  des  Gewerbes,  des  Handels  und  der  Bank  durcharbeiten 
zu  müssen.  Dadurch,  daß  wir  fast  ausschließlich  die  Führung  einer 
kleiner  Werkstätte,  verbunden  mit  kleinem  Detailgeschäft,  vor  Augen 
liatten  und  uns  allen  Geschäftseinrichtung,  Waren  und  Preise  mehr 
oder  weniger  bekannt  waren,  verlor  unser  Unterricht  auch  das  Abstrakte, 
das  sich  sonst  im  Reiche  der  Zahlen  so  leicht  geltend  macht. 

Wir  benötigten  selbstverständlich  für  die  Veränderungen  unseres 
liarstandes  ein  Kassabuch,  für  die  Geschäfte  auf  Ziel,  welche  selbst 
im  kleinsten  Betrieb,  zumindest  beim  Einkauf  vorkommen,  ein  Haupt- 
l)uch;  dagegen  konnten  wir  auf  das  Journal  verzichten,  da  wir  bezüg- 
lich unserer  wenigen  Tausch-  und  Zielgeschäfte  mit  den  Eintragungen 
im  Hauptbuch  unser  Auslangen  linden  konnten.  In  unserm  Detailgeschäft 
benötigten  wir  aber  ein  Buch,  in  welches  jede  kleine  Einnahme  oder 
Ausgabe  eingetragen  wird  und  das  man  allabendlich  abschließt.  Diesem 
sogenannten  ,.Schmierbuch-'  der  Geschäftsleute  widmeten  wir  nicht 
geringere  Sorgfalt  als  den  anderen  Büchern. 

Um  allzuviele  Wiederholungen  zu  vermeiden,  nahmen  wir  die 
Eröffnung  unseres  Betriebes  im  August  an.  Es  war,  dem  Berufe  der 
Mehrzahl  der  Schüler  entsprechend,  ein  Bürstengeschäft.  Einrichtung, 
einige  fertige  Waren  und  etwas  Material  wurden  als  bereits  vorhanden 
angenommen. 

Es  bereitete  den  Kriegsblinden  sichtlich  Vergnügen,  das  Inventar 
selbst  zu  verfas.sen:  heimlich  gehegte  Wünsche  waren  es,  die  hier  zum 
Ausdruck  kamen.  Nur  das  Barvermögen  und  den  einzigen  Passivj)osten. 
eine  Schuld  von  K  800  für  fertige  Ware  habe  ich  genannt.  Mittels 
einiger  Geschäftskataloge  vermochte  ich  ungefähr  richtige  XVer-te  für 
vorliandene  Ware,  Fabrikationsmaterial,  Werkzeuge  und  Mobilien  einzu- 
setzen. Um  das  erste  Inventar  möglichst  einfach  zu  gestalten,  führte 
ich  keine  Immobilien,  keine  Schuldner,  nur  einen  Gläubiger  und  selbst- 
verständlich keine  Elfekten,  Wechsel  u.  a.  an.  Wir  wichen  in  diesem 
engen  Rahmen  kaum  wo  von  der  gewohnten  Schablone  des  paginierten 
Inventars  ab;  nur  daß  wir  nicht  2  Zahlenkolonnen  führten,  sondern 
die  Summe  der  Detailkolone  unter  dieser  in  der  Textrubrik  in  Klammer 


Seite  958.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  7.   Nummer. 

setzten.  Der  Abschluß  dieses  ersten  Inventars,  die  Feststellung  des  Rein- 
vermögens durch  Abzug  der  Passiva  von  den  Aktiven,  ist  so  einfach 
und  klar,  daß  er  den  schwierigeren  Abschluß  der  andern  Bücher  aufs 
beste  vorbereitet. 

Für  unser  „Tageskassabuch"  wählten  wir  die  Form  von  Tages- 
zetteln und  zwar  je  ein  Zettel  für  Einnahme  und  Ausgabe,  welclie. 
nach  Datum  geordnet,  in  2  Mappen  aufbewahrt  werden  sollen.  Über 
die  Kopflinie,  welche  wir  mittels  der  Punktreihe  2,  5  stachen,  schrieben 
wir  das  Tagesdatum,  „Einnahme"  („Ausgabe"),  in  der  2.  Zelle  von 
links  die  Kürzung  für  Heller,  in  der  5.  links,  die  für  Kronen.  Die  ein- 
fache Aufzählung  der  verkauften  oder  gekauften  Gegenstände  bildet 
den  Buchungstext  und  täglich  werden  Einnahme  und  Ausgabe  bilanziert. 
Ein  Übertrag  wird  am  nächsten  Tag  nicht  gemacht.  Ich  riet  den  Blin- 
den, bei  praktischer  Ausübung  täglich  eine  bestimmte  Summe  Wechsel- 
geldes, welches  nicht  mitgezählt  wird,  in  die  Kasse  zu  geben. 

Hieran  schloß  sich  eine  praktsche  Übung.  Wir  gaben  für  die 
Einnahmen  eines  Tages  tatsächlich  Geld  in  eine  Schachtel  und  entnahmen 
ihr  die  Ausgaben.  Beim  Kassaschluß  wurde  nun  zuerst  die  vorhandene 
Geldsumme  gezählt  und  erst  dann  subtrahierten  wir  im  Buche  die 
Ausgaben  von  den  Einnahmen.  Der  Rest  mußte  nun,  nachdem  wir  vom 
Kassastand  das  Wechselgeld  abgezogen  hatten,  mit  ersterem  überein- 
stimmen. 

Das  Hauptkassabuch  wurde  von  uns  in^ein  Einnahme-  und  ein 
Ausgabebuch  geteilt.  Mit  größter  Regelmäßigkeit,  nämlich  am  10.  20. 
und  am  letzten  Tag  jedes  Monats  buchten  wir  die  Summe  der  Ein- 
nahmen und  die  der  Ausgaben  des  Detailgeschäftes.  Sowohl  in  diesem 
Buch  wie  im  Hauptbuch  wurden  das  etwas  zopfige  „an"  oder  „für  an" 
bei  den  Einnahmeposten  und  „per"  bei  den  Ausgabeposten  weggelassen. 
Auch  Wörter  wie  „gekauft",  ,. verkauft",  „bezahlt"  u.  ä.  waren  ent- 
behrlich, da  aus  dem  Kopftitel  der  Buchseite  auch  für  den  schwächsten 
Schüler  klar  genug  hervorgehen  mußte,  ob  es  sich  uni  einen  Soll  oder 
Habenposten  handle. 

Das  Hauptbuch  haben  wir  foliiert  geführt.  Es  war  manchem  Kriegs- 
blinden nicht  leicht,  die  Eigenart  dieses  Buches  zu  erfassen,  die  uns 
der  Notwendigkeit  enthebt,  je  ein  Buch  für  Käufer  und  Verkäufer  zu 
führen.  Als  wir  dann  übten,  Rechnungen  auszuziehen,  zeigte  sich  aber, 
daß  sich  bei  allen  bereits  das  Verständnis  für  Zweck  und  Handhabung 
des  Hauptbuches  erschlossen  hatte.  Auch  legten  wir  einen  alphabetischen 
Index  an. 

Ein  Inventar,  aufgenommen  am  1.  Jänner,  das  zeigte,  was  das 
verflossene  Geschäftsjahr  an  Gewinn  und  Verlust  gebracht  hatte,  schloß 
unsern  Lehrgang  ab.  Dieser  dürfte  dem  Blinden  die  Buchhaltung  über- 
sichtlich genug  gestalten  und  den  Bedürfnissen  eines  kleinen  Geschäfts- 
mannes vollauf  entsprechen. 

Ob  ich  nun  der  Meinung  bin,  daß  die  Blinden  tatsächlich  ihre 
Bücher  selbst  führen  werden?  Einzelne  Fälle  dürften  jedem,  der  mit 
berufstätigen  Blinden  verkehrt,  bekannt  sein.  Meist  werden  sie  aber 
nur  einen  bestimmten  Teil  der  Buchführung  ihres  Geschäftes  über- 
nehmen. Uns  kann  es  schon  genügen,  den  Blinden  befähigt  zu  haben, 
stets,  wenn  auch  vielleicht  nur  stichprobenweise,  Kontrolle  über  alle 
Vorgänge  zu  üben,  die  auf  sein  Soll  und  Haben  unmittelbar  einwirken. 


7.   Nummer.  Zeitschrift  f(ir  das  österreichische   Bliiideiiweien.  Seite  950. 

Die  Anwendung  der  Binet-Simon-Methode  zur  Intelligenzprüfung 

bei  blinden  Kindern. 

(Fortsetzung). 

Anleitung  zur  A  u  s  f  ü  li  r  u  n  g  der  Prüfungen. 

3  J.  a.  W  0  r  t  V  e  r  s  t  ä  n  d  n  i  s. 

Ausführung:  Man  fordert  das  Kind  auf:  „Zeige  mif  doi-  Hand 
deinen  Mund  —  deine  Oiiren  —  deine  Nase/'  Das  Kind  muß  ausnahms- 
los richtig  reagieren. 

(Verändert  nach  ßo.) 

8  J.  b.  Satz  mit  6  Silben  nachsprechen. 

Ausführung:  Bei  Kindern  im  schulpflichtigen  Alter  genügt  es, 
zu  sagen:  ..Sprich  genau  nach,  was  ich  dir  jetzt  vorsprechen  werde;-' 
hei  jüngeren  Kindern  wecke  man  das  Verständnis,  indem  man  zuerst 
einzelne  Worte  nachsprechen  läßt.  Man  muß  langsam  und  absolut  deut- 
lich sprechen,  in  Tischbreite  vor  dem  Kind  und  ihm  zugewendet.  Auf 
höheren  Altersstufen  fange  man  mit  etwas  kürzeren  Sätzen  an,  als  der 
in  Betracht  kommenden  Altersstufe  entspricht. 

Das  Kind  soll  immer  wenigstens  einen  von  den  zwei  Sätzen 
mit  gleicher  Silbenanzahl  richtig  wiedergeben. 

Siehe  die  Fortsetzungen  5  J.  b,  6  J.  b,  10  J.  b! 

Beispiele  von  Sätzen  mit  verschiedener  Silbenzahl; 

6  S.  Ich  habe  einen  Hund. 
Ich  bin  ein  gutes  Kind. 

8  S.  Ich  sitze  auf  einem  Stuhle. 
Mein  Bruder  ist  fortgegangen. 

10  S.  Ich  wohne  in  einem  großen  Hause. 

Ich  gehe  heute  zu  meiner  Mutter. 
12  S.  Ich  werde  morgen  meinen  Vater  besuchen. 

Ich  habe  mir  einen  neuen  Anzug  gekauft. 
1  i  S.  Wir  haben  unsere  Schularbeiten  noch  nicht  gemacht. 

Wir  wollen  dann  zusammen  ein  Stück  spazieren  gehen. 
10  S.  Ich  habe  meinem  Bruder  gesagt,  daß  er  mich  besuchen  soll. 

Wenn  wir  unsere  Arbeit  gemacht  haben,  dürfen  wir  spielen. 
18  S,  Meine  Mutter  hat  viele  Besorgungen  in  der  Stadt  machen  müssen. 

Als  Fritz  heute  fortgehen  wollte,  kamen  seine  Eltern  zu  ihm. 
20  S.  Mein  Bruder  hat  mir  einen  Brief  geschrieben,  den  ich  noch  nicht 

gelesen  habe. 

Onkel   und  Tante   haben    eine  Reise  gemacht,    die  viel  Geld  ge- 
kostet hat. 

22  S.  Wenn  ich  am  Abend  schlafen  gehe,  bete  ich  vorher  immer  mein 
Abendgebet. 

Wenn  du  artig  gewesen  bist,  werde  ich  dir  eine  schöne  Geschichte 
erzählen. 

21-.  S.  Ich    habe    meiner    ältesten   Schwester   geschrieben,    daß  ich  sie 
nächstes  Jahr  besuchen  werde. 


Seite  960.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  7.   Nummer. 

Wenn    es    morgen    schönes  Wetter   ist,    werde    ich    mit    meiner 
Mutter  einen  Spaziergang  machen. 
26  S.  Gestern  Abend    traf   mein  Vater   einen  alten  Belvannten,    den  er 
schon  lange  nicht  gesehen  hatte. 

Heute  Nachmittag   werde   ich    die  Briefe    absenden,    die   ich    an 
meine  Freunde  geschrieben  habe. 
(Unverändert  nach  Bo.  Kleine  Änderungen  an  den  Sätzen.) 

3  J.  c.  2  Zahlen  nachsprechen. 

Ausführung:  Man  sagt  dem  Kinde,  daß  man  ihm  jetzt  ein  paar 
Zahlen  vorsprechen  werde,  die  es  ganz  genau  nachsprechen  soll: 
eventuell  erläutert  man  es:  „Wenn  ich  sage  7,  sollst  du  auch  sagen  7. 
Wenn  ich  sage  3  —  2,  so  sollst  du  auch  sagen  3  —  2."  Man  versichere 
sich,  daß  das  Kind  ganz  still  sitzt  und  gut  aufpaßt.  Das  Vorsprechen 
soll  mit  einer  Geschwindigkeit  von  zwei  Zahlen  pro  Sekunde  und 
ohne  Rhytmus  geschehen,  natürlich  so  deutlich  wie  möglich.  Bei  jeder 
irgend  erheblichen  Störung  wird  der  Versuch  ungültig  und  es  muß 
eine  andere  Reihe  vorgesprochen  werden;  ein  mehrmaliges  Vorsprechen 
derselben  Reihe  ist  unzulässig.  Es  empfiehlt  sich,  jedesmal  zu  fragen: 
,.Hast  du  die  Zahlen  richtig  nachgesprochen?  War"s  richtig?"  bezw. 
vor  dem  Versuch  die  allgemeine  Instruktion  zu  geben. 

Siehe  Fortsetzungen  die  4  J.  c.  5  J.  c,  7  J.  c,  10  J.  c! 

Wird  eine  höhere  AS  geprüft,  so  beginne  man  mit  zwei  Reihen 
die  um  zwei  Zahlen  kürzer  sind  als  diejenigen,  die  man  auf  der  betref- 
fenden AS  erwarten  kann. 

Die  Versuche  werden  solange  fortgesetzt,  bis  von  drei  Reihen, 
gleicher  Länge  keine  einzige  mehr  richtig  wiederholt  wird. 

Beispiele  von  Zahlenreihen: 

2  Z.  6  4  5  Z.   5   19  4  2 

3  7  6  4  8  5  3 

8  1  9  3  7   18 

3  Z.  7   1  4  6  Z.  2  5  0  8  4  1 

286  573916 

539  095827 

4  Z.  3681  7    Z,  9640518 

2964  7384261 

8527  5928037 

(Unverändert  nach  B  o.) 

3  J.  d.  Familiennamen  angeben. 

Ausführung:  Man  fragt  das  Kind:  „Wie  heißt  du?"  Antworlel 
es  mit  dem  Vornamen,  so  fragt  man  nach  dem  Familiennamen:  „Wie 
noch?  „oder  „Wie  son.st  noch?" 

(Unverändert  nach  Bo.) 

3  J.  e.  Rund  und  eckig  unterscheiden. 

Ausführung:  Man  gibt  dem  Kinde  einen  Würfel  (3  cm  Höhe) 
aus  Holz  in  die  linke,  dann  eine  Kugel  (4  cm  Durchmesser)  aus  Holz 
in  die  rechte  Hand.  Dann  fragt  man:  „Welches  Ding  ist  rund?  Zeige 
mir  das  runde  Ding!  Zeige  mir  das  eckige  Ding!" 


7.  Nummer.  Zeitsclnift  fiii    das  ösleneichische  Blindenvvescn.  Seite  961. 

(N(>u  VOM   niirkicii  an  Stolle  von  „iiild  (Aurzäiiluiijj;)" 

4  J.  a.  (icgcMi  sl  ä  lul  ü  benennen. 

Ausführung:  Man  legt  dem  Kinde  drei  bekannte  Gegenstände 
(Seblüssel,  Taschenuhr,  Zweihellerstiiek)  in  die  Hand  und  fragt  Jedesniai : 
..Was  ist  das?",  worauf  das  Kind  sofort  ausnahmslos  richtig  reagieren 
MuiM.  Kleine  Irrtümmer,  wie  z.  H.  „Heller"  statt  ,.Zweiheller," 
werden  dabei  nicht  beachtet;  es  genügt,  wenn  das  Kind  die  Gattungs- 
namen der  Dinge  richtig  angibt. 

(Verändert  nach  Ho:) 

1-  .J.  b.  Länge  zweier  Stäbchen  vergleichen. 

.Vusführung:  Man  gibt  dem  Kinde  zwei  Holzstäbchen  ((>  und 
;i  cm  lang.  4  mm  stark)  in  die  linke  Hand  und  fragt:  „Welches  von 
den  beiden  Stäbchen  ist  das  längere"?  Zeig  es  mir!  Welches  ist  das 
kürzere?"'   Das  Kind  soll  nach  kurzer  Zeit  richtig  reagieren. 

(Verändert  nach  Bo.) 

4  J.  c.  3  Zahlen  nachsprechen. 
Ausführung:  Siehe  3  J.  c! 
(Unverändert  nach  Bo,) 

i  J.  d.  2  Gewichte  vergleichen. 

Ausführung:  Auf  den  niederen  AS  nimmt  man  erst  das  leich- 
teste und  zweitschwerste,  dann  das  zweitleichteste  und  schwerste 
Kästchen,  stellt  sie  vor  das  Kind  auf  den  Tisch,  legt  dessen  Hände 
darauf  und  läßt  die  Kästchen  betasten,  während  man  spricht:  ,.Hier 
hast  du  zwei  Kästchen.  Das  eine  ist  so  groß  wie  das  andere;  das  eine 
aber  ist  schwerer,  das  andere  ist  leichter.  Hebe  mit  einer  Hand  das 
erste  Kästchen  auf.  dann  (mit  derselben  Hand)  das  zweite!  Welches 
ist  schwerer?  Gib  mir  das  schwerere  Kästchen!" 

Man  wiederholt  den  Versuch  mehrmals,  indem  man  das  schwerere 
Kästchen  bald  rechts,  bald  links  hinstellt,  bis  jeder  Zweifel  an  der 
Richtigkeit  des  Urteils    oder   dem  Unvermögen  des  Kindes  beseitigt  ist. 

(Verändert  nach  Bo.) 

4  J.  e.  Geschlecht  angeben, 

Ausführung:    Man    fragt:    ,.Bist    du    ein    Bub   (Junge)    oder  ein 
Mädel?"  Man  darf  sich  nicht  mit  der  Antwort  „ja"  oder  ..nein"  begnügen. 
(Unverändert  nach  Bo.) 

f)  J.  a.  Begriffe  erklären,  (Zweckangabe) 

Ausführung:  Man  läßt  „Gabel,  Stuhl,  Puppe,  Pferd,  Soldat" 
erklären,  indem  man  fragt:  „Was  ist  eine  Gabel?"  (Wäre  nicht  besser 
die  Frage:  ..Wozu  ist  (dient)  eine  Gabel?"  usw.)  Findet  das  Kind  von 
selbst  keine  Erklärung,  so  hilft  man  zu  Anfang  nach:  „Eine  Gabel  ist 
zum  —  — ?"  Auf  der  AS  5  Jahre  sollen  die  Kinder  imstande  sein, 
entweder  spontan  oder  mit  einmaliger  Nachhilfe  Zweckangaben  zu 
finden.  Auch  Beschreibungen  und  StolTangaben  gelten  als  richtig. 

Von  den  fünf  Aufgaben  müssen  mindestens  drei  gut  sein. 


Seite  962.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  7.  Nummer. 

(Unverändert  nach  Bo.) 

5  J.  b.  Satz  mit  10  Silben  nachsprchen. 
Ausführung:  Siehe  3  J.  b! 
(Unverändert  nach  Bo.) 

5  J.  c.  4  Zahlen  nachsprechen. 
Ausführung:  Siehe  3  J.  c! 
(Unverändert  nach  Bo.) 

5  J.  d.  2  Figuren  ins  Formen  breit  einpassen. 

Ausführung:  Das  Formenbrett  (20/15  cm),  in  dem  sich  links 
eine  vertiefte  Kreisfläche  (6  cm  Durchmesser)  und  rechts  eine  vertiefte 

Quadratfläche  (auf  der  Spitze  ste- 
hend, 6  cm  Diagonalhöhe)  befinden, 
wird  vorgelegt  und  von  dem  Kind 
betastet.  Man  sagt  dabei:  „Du  findest 
auf  dem  Brett  etwas  Rundes  (Greife 
hinein!)  und  etwas  Eckiges,  eine 
runde  Fläche  und  eine  eckige  Flä- 
che! Hier  hast  du  zwei  Brettchen, 
die  da  genau  hineinpassen.  Lege 
sie  in  die  Vertiefungen  (Löcher), 
wo  sie  hineingehören!" 

Die  Zeit  hiezu,  welche  2  Mi- 
nuten nicht  überschreiten  soll,  ist  zu  messen. 

(Neu  von  Bürklen  (nach  Goddard). 

5  J.  e.  4  Knöpfe  abzählen. 

Ausführung:  4  Knöpfe  (3  cm  Durchmesser,  Rand  abgerundet, 
sonst  glatt)  werden  dem  Kind  in  die  rechte  Hand  gelegt,  indem  man 
sagt:  ,.Hier  hast  du  mehrere  Knöpfe.  Sage  mir,  wieviele  es  sind.  Du 
mußt  jeden  zeigen  und  dann  auf  den  Tisch  legen.  Also  los!*' 

Das  bloße  Hersagen  der  Zahlen  bis  4  genügt  nicht;  es  muß  bei 
jeder  Zahl  der  zugehörige  Knopf  gezeigt  und  •  auf  den  Tisch  gelegt 
werden  und  zwar  soll  dies  beim  ersten  Versuch  gelingen. 

(Verändert  nach  B  o.) 

6  J.  a.  Figur  z  u  s  a  m  m  e  n. 

Ausführung:  Man  legt  dein  Kind  ein  rechteckiges  Brettchen 
(7  ^I^Jb  cm)  in  der  Breitenlage  hin  und  läßt  es  ohne  Veränderung  der 
Lage  betasten,  mit  den  Worten:  „Hier  ist  ein  viereckiges  Brettchen. 
Betrachte  es!"  Dann  legt  man  unterhalb  des  rechteckigen  Brettchens 
die  zwei  Dreiecke  auf  den  Tisch,  so  daß  sie,  einige  cm  voneinander 
entfernt,  sich  die  rechten  Winkel  zukehren,  legt  die  Hände  des  Kindes 


Nummer. 


Zeilschiifl  für  das  österreichische   Hlindenwesen. 


Seite  963. 


darauf  und  sagt:  „Jetzt  sollst  du  diese 
beiden  Stücke  hier  so  zusammenlegen,  so 
nebeneinander  oder  aneinander  legen, 
daß  sie  dann  zusammen  genau  so  sind 
wie  das  viereckige  Brettchen,  Du  mußt 
die  beiden  Stücke  auf  dem  Tische  ein 
bischen  hin  und  herschieben  und  solange 
versuchen,  bis  es  geht!" 

Eventuell  wiederhole  man  die  Auf- 
gabe noch  einmal ;  wird  dann  die  Lösung 
in  1  Minute  nicht  gefunden,  so  gilt  der 
Test  als  nicht  gelöst.  Man  achte  darauf, 
daß  das  Kind  seine  Arme  ,und  Hände 
bequem  auf  dem  Tisch  bewegen  kann. 
Wenn  es  während  des  Versuches  ein 
Dreieck  versehentlich  umwendet,  so 
bringe  man  es  wieder  in  die  richtige 
Lage. 
(Verändert  nach  B  o.) 

6  J.  b,  Satz  mit  16  Silben  nachsprechen. 
Ausführung:  Siehe  3  J.  b ! 
(Unverändert  nach  Bo.) 

6  J.  c.  Ästhetischer  Vergleich. 

Ausführung:  Man  gibt  dem  Kinde  zwei  Pfeifchen  (tönendes 
und  schnarrendes)  in  die  Hände  nnd  sagt:  ,,Da  hast  du  zwei  Pfeifchen 
(Pfeiferl).  Blase  einmal  in  das  eine  und  dann  in  das  andere  und  sage 
mir,  welches  schöner  klingt!"  Man  lasse  bis  zu  dreimal  wiederholen, 
wenn  früher  kein  Urteil  erfolgt. 

Man  schlägt  dann  ein  hell-  nnd  ein  dumpfklingendes  Blech  an  und 
fragt:  „Welcher  Ton  klingt  schöner,  der  erste  oder  der  zweite?"  Vor- 
her sind  die  Pfeifchen  wegzunehmen  und  das  Kind  zu  ermahnen. 
„Paß  jetzt  gut  auf!" 

Man  schlägt  schließlich  auf  einem  Klaviere  den  Akkord  c-e-g  an, 
hierauf  den  Akkord  c-cis-d  und  fragt  wieder:  „Was  klingt  schöner? 
Das  erste,  was  ich  gespielt  habe  oder  das  zweite?" 

Der  Test   gilt   als    gelöst,  wenn  zwei  richtige  Antworten  erfolgen. 

(Neu  von  Bürklen  an  Stelle  von  „Ästhetischer  Vergleich  an 
Bildern  von  schönen  und  häßlichen  Gesichtern.") 

6  J.  d.  3  Aufträge  ausführen. 

Ausführung:  Man  sagt  dem  Kinde:  „Ich  lege  hier  einen  Schlüs- 
sel auf  den  Tisch,  (soll  so  geschehen,  daß  es  das  Kind  hört,  du  sollst 
den  Schlüssel  nehmen,  dann  die  Schublade  an  diesem  Tisch  aufmachen, 
den  Schlüssel  hineinlegen  und  die  Schublade  wieder  zumachen.  Also: 
Schlüssel  nehmen,  Schublade  aufmachen,  Schlüssel  hineinlegen  und 
Schublade  zumachen.  Also  vorwärts,  Hier  ist  der  Schlüssel!"  Man  legt 
den  Schlüssel  auf  den  Tisch. 


Seite  964.  Zeitschrift  das  für  österreichische   BHndenwesen.  7.   Nummer. 

Die  Aufträge  müssen  ganz  selbständig  und  richtig  ausgeführt  werden. 
(Verändert  nach  B  o:) 

6  J.  e.  Rieht  u  n  g  angebe  n. 

Ausführung:  1  m  oberhalb  des  Kopfes  des  Kindes  ist  eine 
elektrische  Klingel  angebracht.  Man  sagt:  ,.Es  wird  jetzt  im  Zimmer 
irgendwo  läuten  (klingeln).  Zeige  dorthin,  wo  du  es  klingeln  hörst  !•' 
Nachdem  man  eine  Sekunde  lang  geläutet  hat,  sagt  man,  wenn  das 
Zeigen  noch  nicht  erfolgt  ist:  „Zeige  mir,  wo  es  läutet!"  Nun  läutet 
man  abermals  eine  Sekunde  lang. 

Das  Zeigen  muß  nun  sofort  erfolgen. 

(Neu  von  Bürklen  an  Stelle  von  „Bild  (Beschreibung).-' 

6  J.  u.  7  J.  a.  Fehlendes  an  Spiel  Zeugmodellen  angeben" 
Ausführung:  Man  gibt  dem  Kind  eine  männliche  Puppe  (15  cm 

groß)  in  die  Hand,  an  welcher  ein  Bein  fehlt  und  frngt:  „Sage  mir, 
was  fehlt  an  dieser  Puppe?"  10  Sekunden  Zeit  zur  Antwort.  Erfolgt 
keine  richtige  Antwort,  so  gibt  man  sie  selbst  und  fordert  die  Zustim- 
mung des  Kindes. 

Dann  wird  eine  weibliche  Puppe  vorgelegt,  der  ein  Arm  fehlt,  mit 
der  Frage:  „Und  was  fehlt  an  dieser  Puppe?" 

Weiters:  „Hier  ist  ein  kleiner  Wagen.  Was  fehlt,  an  dem?"  (Ein  Rad). 

Schließlich  eine  Blechlokomotive  ohne  Rauchfang. 

Die  Antworten  sollen  stets  innerhalb  von  10  Sekunden  erfolgen. 
Die  drei  letzten  Male  wird  nicht  mehr  nachgeholfen.  Von  den  vier 
Antworten  müssen  mindestens  drei  richtig  sein. 

(Neu  von  Bürklen  anstelle  von  „Lücken  in  Figuren  angeben.") 

7.  J.  b.  Rechts  und  links  unterscheiden. 

Ausführung:  Man  sagt:  „Hebe  die  rechte  Hand' auf.  Zeige  das 
linke  Ohr!"  Wenn  das  Kind  automatisch  erst  das  rechte  Ohr  zeigt,  sich 
aber  sofort  verbessert,  so  gilt  dies  als  richtig.  Bei  eventuellen  weiteren 
Fragen  (linkes  Auge  rechtes  Ohr)  muß  absolut  richtig  reagiert  werden. 

(Verändert  nach  Bo.) 

7.  J.  c.  5  Zahlen  nachsprechen. 
Ausführung:  Siehe  3  J.  c! 
(Unverändert  nach  Bo.) 

7  J.  d.  Kugel  und  Stange  formen. 

Ausführung:  Man  gibt  dem  Kinde  ein  nußgroßes  eckiges  Stück 
Ton  oder  Wachs  und  sagt:  „Mache,  so  schnell  du  kannst,  aus  diesem 
Stück  Ton  (Wachs)  eine  schöne  Kugel!  Arbeitszeit  1  Minute.  Man  be- 
achte, ob  das  Kind  nur  knetet  oder  auf  dem  Tische  rollt. 

„Mache  nun  aus  der  Kugel  eine  Stange  ungefähr  so  lang  wie  ein 
Finger!   Arbeitszeit  1  Minute. 

(Neu  von  Bürklen  an  Stelle  von  „Rhombus  abzeichnen".) 

7  J.  e.  1  h  bis  1  K  erkennen. 

Ausführung:  Die  Münzen  werden  in  der  Reihenfolge  Zweiheller- 
stüch,    Zehnhellerstück,    Einkronenstück,    Zwanzighellerstück,    Einheller- 


7.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  Osten  eichische   HHndenwesen.  Seite  965. 

stück  dem  Kind  in  die  Hand  gegeben  und  jedesmal  gefragt:  „Was  ist 
das?*'  Die  Münzen  müssen  blank  und  unabgenülzt  sein  und" mit  der 
Bildseite  nach  oben  gelegt  werden. 

Die  Antworten  müssen  prompt  erfolgen;  vulgäre  Ausdrücke  sind 
gestattet.  Ein  einmaliger  Irrtum  sollte  gestattet  sein.  Sagt  das  Kind 
im  Anfange  nur  „Münze*',  so  fragt  man:  „Was  für  eine  Münze?*'  Wenn 
notwendig,  nemit  man  beim  Zweihellerstück  den  Wert. 

(Verändert  nach  B  o.) 

8  J.  a.  Vorlesen,  einen  Hauptpunkt  angeben. 

Ausführung:  Man  liest  dem  Kinde  nachstehende  Zeitungsnotiz 
hiut  vor,  indem  man  sagt:  „Hör  einmal  gut  zu,  ich  werde  dir  etwas 
vorlesen!" 

..Am  ersten  Weihnachtstage  zeigte  der  Arbeiter  Johann  Grub  er 
seinem  zweijährigen  Sohne,  den  er  auf  dem  Arme  hielt,  den  Christbaum, 
wobei  er  in  der  anderen  Hand  die  Petroleumlampe  hielt.  Als  Grub  er 
um  den  Weihnachtsbaum  herumging,  stolperte  er  und  fiel  mit  Kind 
und  Petroleumlampe  hin,  wobei  die  Lampe  zerbrach.  Die  herbeieilenden 
Nachbarn  löschten  zwar  den  sofort  entstandenen  Brand,  Grub  er  und 
das  Kind  erlitten  aber  solche  Brandwunden,  daß  sie  nach  Einlieferung 
in  das  Krankenhaus  beide  starben." 

Nach  dem  Vorlesen  sagt  man  zu  dem  Kinde:  „Nun  erzähle  mir, 
was  du  von  der  Geschichte  noch  weißt,  soviel  du  davon  behalten 
hast!"  Man  muß  eventuell  etwas  drängen  und  zufügen:  „Du  brauchst 
es  nicht  etwa  wörtlich  zu  wiederholen;  du  brauchst  bloß  zu  sagen, 
was  du  gerade  noch  weißt!"  Man  darf  nicht  verbessern  und  tadeln. 

Zur  Bewertung  der  Leistung  unterscheidet  man  am  besten  folgende 
7  Hauptpunkte.  1.  Es  war  ein  Mann  und  ein  Kind.  2.  Der  Mann  zeigte 
dem  Kinde  den  ChrLstbaum  (ging  mit  ihm  um  den  Ghristbaum).  3.  Er 
hielt  eine  Lampe.  4.  Er  (stolperte  und)  fiel  hin.  5.  Es  brannte  (Sie 
haben  sich  verbrannt.)  6.  Die  Nachbarn  löschten.  7.  Mann  und  Kind 
kamen  ins  Krankenhaus  (starben). 

Man  verlangt  auf  dieser  AS  die  Angabe  von  mindestens  einem 
Hauptpunkte. 

(Verändert  nach  B  o.)  (Fortsetzung  folgt). 


Kriegsblinde  als  Aktenhefter. 

Von  Geh.  Med.  Rat  Professor  Dr.  Sil  ex,  Berlin. 

Die  Zahl  der  Kriegsblinden  wächst  und  es  kommen  jetzt  recht 
viel  hinzu,  deren  Erltlindung  auf  schwere  allgemeine  Nervenerkrankung 
zurückzuführen  sind.  Kürzlich  hatten  wir  in  der  deutschen  Kriegsblinden- 
stiftung  schon  die  Nummer  2560.  hifolgedessen  ist-  es  unsere  Pflicht, 
immer  weiter  nach  passenden  Arbeitsgelegenheiten  Umschau  zu  halten. 
Eines  paßt  nicht  für  alle.  So  ist  es  erklärlich,  daß  der  eine  die  Fabrik- 
arbeit, der  andere  die  alten  Blindenhandwerke,  der  dritte  den  Büro- 
betrieb, der  vierte  die  Landwirtschaft,  der  fünfte  das  Studium  usw. 
bevorzugt. 


Seite  966.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  7.  Nummer. 

Schwierigkeiten  mit  der  ArbeitsbeschafFung  hatten  wir  öfters  bei 
den  Kameraden  aus  dem  Arbeiter-,  Handwerker-  und  Beamtenstande 
und  dies  dann  besonders,  wenn  ihr  Nervensystem  sehr  gelitten  hatte. 
Sie  vertragen  keine  anstrengende  Arbeit  und  auch  nicht  eine  solche, 
bei  der  viele  Menschen  zusammen  sitzen  und  wo  größerer  Lärm  sich 
findet.  Zum  Blindenhandwerk  hatten  sie  keine  Kraft  und  auch  keine 
Lust,  weil  sie  für  diese  Betätigung  einen  längere  Zeit  dauernden  Kurs 
durchmachen  müssen.  In  dieser  Bedrängnis  kamen  wir  in  unserer 
Lazarettschule  für  Blinde  auf  den  Beruf  eines  Aktenhefters  und  wand- 
ten uns  wegen  Anstellung  an  verschiedene  Behörden.  Es  kamen  abschlä- 
gige und  zusagende  Bescheide  und  schließlich  nahm  sich  unserer  Bestre- 
bungen der  Magistrat  von  Berlin  (Herr  Stadtrat  Preuß)  in  zuvor- 
kommendster Weise  an  und  stellte  einen  unserer  Kriegsblinden  als 
Aktenhefter  ein.  Herr  Stadtrat  Pre-uß  schreibt  unter  anderem:  .  .  . 
„Der  Kriegsblinde  St.  hatte  bei  seinem  Eintritt  von  der  Arbeit  nur 
geringe  Kenntnis,  ist  jedoch  nach  kurzer  Unterweisung  in  der  Lage 
gewesen,  zur  Zufriedenheit  die  übertragenen  Arbeiten  auszuführen  und 
erledigt  zur  Zeit  genau  so  viel,  wie  die  mit  ihm  tätigen  sehenden 
Aktenhefter.  .  .  .  Die  Arbeit  wird  ihm,  wie  den  sehenden  Aktenheftern, 
vorgelegt.  Seine  Tätigkeit  besteht  dann  darin,  die  losen  Stücke  mit 
einem  Falz  zu  versehen  und  dann  in  die  Akten  einzuheften  oder  einzu- 
kleben. Diese  Arbeit  übt  er  mit  großer  Geschicklichkeit  und  Umsicht 
aus.  Fehler,  die  vorkamen,  waren  nicht  seine  Schuld,  sondern  ließen 
sich  auf  ein  unrichtiges  Hineinlegen  der  Stücke  in  die  Akten  durch 
die  Registraturen  zurückführen."  .  .  . 

Der  Mann  ist  außerordentlich  zufrieden  und  verdient  pro  Tag  bei 
7  stündiger  Arbeitszeit  5  Mark.  Er  fühlt  sich  sehr  wohl,  weil  die  Arbeit 
leicht  —  ist  Geräusche  fehlen  —  und  weil,  was  mir  gegenüber  mehrfach 
hervorgehoben  wurde,  im  Verkehr  mit  Beamten  ein  guter  Ton  herrscht. 

Da  dieser  erste  Versuch  für  Arbeitgeber  und  Arbeiter  zur  vollen 
Zufriedenheit  ausgefallen  ist,  so  hoffen  wir,  daß  diese  Berufsart  in  den 
weitesten  Kreisen  der  Blinden  Nachahmung  finden  wird.  Es  kommen 
für  die  Arbeit  besonders  solche  Leute  in  Frage,  die  im  Zivilberuf  Buch- 
binder, Schriftsetzer,  Lithographen,  Bürodiener  usw.  waren.  Gerade  für 
diese  ist  es  wichtig,  eine  leichtere  Tätigkeit  im  Büro  zu  finden,  weil 
sie  weder  für  schwere  Fabrikarbeit  noch  für  höhere  kaufmännische 
Ausbildung  geeignet  sind.  Da  in  Friedenszeiten  in  jedem  großen  behörd- 
lichen Betriebe  die  Arbeit  des  Aktenheftens  eine  laufende  ist,  so  wäre 
Hunderten  von  Kriegsblinden  hierdurch  ständige,  lohnende  Beschäftigung 
gegeben. 


VI.  Österr.  Blindenfürsorgetag   (Blindenlehrertag)  Wien  1918. 

Der  für  das  Jahr  1917  beschlossene  Blindenfürsorgetag  (Blinden- 
lehrertag)  konnte   widriger  Umstände   wegen  nicht  abgehalten  werden. 

Die  durch  den  Krieg  geschaffenen  Verhältnisse  in  der  Blinden- 
fürsorge, namentlich  aber  in  der  Kriegsblindenfürsorge  und  die  damit 
verbundenen  Umwälzungen  auf  diesen  Gebieten  fordern  in  so  dringender 
Weise  eine  Aussprache  und  Aufklärung,  daß  der  „Zentralverein  für 
das   österr.   Blindenwesen"    die   Abhaltung    eines    Blindenfürsorgetages 


7.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  967. 

noch  in  diesem  Jahre  für  unbedingt  notwendig  erachtet.  Nach  einem 
diesliezüglich  gefaßten  Ik^schlusse  soll  dieser  Tag  am  27.  und  28.  Sep- 
tember 1.  J.  in  Wien  stattfinden. 

Es  werden  Vorkehrungen  getroffen,  daß  die  aus  der  Provinz  Ivom- 
iiienden  Teilnehmer  zu  günstigen  Bedingungen  Quartier  und  Verpflegung 
erhallen  und  ihnen  die  13ahnfahrt  gesichert  wird.  Zu  diesem  Zwecke 
iiuiß  jedoch  die  Anmeldung  bis  längstens  20.  Juli  1.  J.  geschehen:  bei 
Anstalten  kann  die  Anmeldung  gemeinsam  durch  die  Direktionen,  bei 
\'ereinen  durch  die  Leitungen  erfolgen,  weshalb  um  besondere  Ver- 
ständigung der  p.  t.  Mitglieder  gebeten  wird. 

Die  Tagung  soll  sich  in  der  Hauptsache  mit  der  allgemeinen 
Blindenfürsorge  sowie  der  Kriegsblindenfürsorge  und  deren  gegenseitiger 
Stellung  befassen.  Es  wird  daher  ersucht,  nur  diesbezügliche  Vortra-gs- 
stotfe  zu  wählen.  Die  Anmeldung  der  Vorträge  wolle  ebenfalls  längstens 
bis  20.  Juli  1.  J.   an  K.  Bürklen  in  Purkersdorf  bei  Wien  geschehen. 

Es  gilt  Frage  und  Tateii  der  Zukunft  für  unsereBlin- 
il  e  n  s  a  c  h  e.  Alle  Wohlgesinnten  sind  daher  z  u  r  M  i  t  wm  r  k  u  n  g 
an  der  kommenden  Tagung  g e b e t e n. 

Pont  du  Carrousel. 

Von  Rainer  Maria  Rillte. 

Der  blinde  Mann,  der  auf  der  Brücke  steht, 
Grau  wie  ein  Markstein  namenloser  Reiche, 
Er  ist  vielleicht  das  Ding,  das  immer  gleiche. 
Um  das  von  fern  die  Sternenstunde  geht 
Und  der  Gestirne  heller  Mittelpunkt, 
Denn  alles  um  ihn  irrt  und  rinnt  und  prunkt. 

Er  ist  der  unbewegliche  Gerechte, 
In  viele  wirre  Wege  hingestellt; 
Der  dunkle  Eingang  in  die  Unterwelt. 
Bei  einem  oberflächlichen  Geschlechte. 

Personalnachrichten. 

—  Auszeichnung.  Dem  Obmann  des  „I.  Ost.  Blindenvereines" 
in  Wien  VIII,  Herrn  August  von  Horvath  wurde  mit  Allerhöchster 
Entschließung  in  Würdigung  seiner  Verdienste  um  das  österreichische 
Blindenwesen  der  Titel  „Kaiserlicher  Rat"  verliehen.  Es  ist  der 
erste  Fall  in  Österreich,  daß  ein  für  seine  Schicksalsgenossen  tätiger 
Blinder  eine  derartige  Anerkennung  findet.  Sie  wird  daher  von  allen 
Blinden  mit  Genugtuung  empfunden  werden.  Diejenigen  aber,  die  dem 
der  allgemeinen  Sympatie  sich  erfreuenden  Ausgezeichneten  näherstehen, 
entbieten  ihm  zu  dieser  Gelegenheit  die  herzlichsten  Glückwünsche. 

Rus  den  Anstalten. 

—  N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  Ausflug.  Von 
herrlichem  Wetter  begünstigt,  brachte  auch  der  heurige  Ausflug  am  6.  Juni  1918 
unseren  Zöglingen  wieder  einige  Stunden  fröhlicher  Ablenkung.  Wie  in  den  vergan- 
genen Kriegsjahren    konnte    ihm    auch  diesmal   nur  die  nahegelegene  Hochramalpe 


Seite  968.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  7.  Nummer. 

als  Ziel  gesteckt  werden.  Die  Not  der  Zeit  gestaltete  es  nicht  anders.  Doch  ist 
dieser  Ausflugsort  unseren  Zöglingen  lieb  geworden.  Bietet  er  doch  genug  der 
Unterhaltungen.  Beim  Schaukeln,  Eselreiten  und  Kahnfahren  verflog  die  Zeit  nur  all- 
zurasch. Glücklicherweise  konnte  auch  eine  ausgiebige  Jause  gegeben  werden.  Der 
Zöglingschor  erweckte  mit  dem  Vortrag  einiger  Lieder  den  lebhaften  Beifall  der 
zahlreich  anwesenden  Ausflügler.  Auch  diesmal  konnten  die  Zöglinge  ihren  väter- 
lichen Gönner  und  Freund,  HerrnLandesausschußL.Kun  schak  begrüi^en. Trotzseiner 
arbeitsüberlastften  Zeit  ließ  er  es  sich  nicht  nehmen,  in  Begleitung  des  Herrn 
Landessekretärs  Dr.  Hemala  bei  dem  Festtage  seiner  Schützlinge  zu  erscheinen. 
Jeder  der  Anwesenden  nahm  wohl  ein  schönes  Erinnern  mit  an  den  sonnigen  Tag, 
als  einen  Lichtblick  in  der  schwer  lastenden  Gegenwart. 

Opernaufführung.  Eine  bisher  unerreichbar  schienene  Leistung  vollbrachten 
am  lÖ.Junil.J.  die  Zöglinge  dieser  Anstalt  indem  sie  in  einer  der  Blindenfürsorge  dienen- 
den Wohltätigkeitsvorsttllung  die  Szenen  aus  Humperdinks  Märchenoper  »Hansel  und 
Grefe  1«  mustergültig  vorführten.  Dabei  bewältigten  sie  nicht  nur  den  gesang- 
lichen und  den  für  Blinde  doppelt  schweren  darstellerischen  Teil,  sondern  sie  stellten 
auch  die  orchestrale  Begleitung  bei.  Die  einzelnen  Rollen  des  Besenbinders  und 
seiner  Frau  u.  s.  w.  waren  gut  besetzt.  Besondere,  ganz  ernst  zu  nehmende  Leistun- 
gen waren  aber  die  Hexe  und  vor  allem  die  beiden  Kinder,  die  mit  einer  Natür- 
lichkeit und  Sicherheit  spielten  und  sangen,  die  allgemeine  Überraschung  hervorrief. 
Die  Besucher  der  beiden  Vorstellungen  —  die  n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  sah  wohl 
noch  nicht'oft  einen  solchen  Massenbesuch  —  bezeugten  durch  stürmischen  Beifall,  wie 
hoch  die  Leistungen  der  blinden  Kinder  zu  weiten  sind  Der  Name  des  Leiters  der 
Veranstaltung,  des  Herrn  Hofmusikers  Karl  Jeray,  Musil<lehrers  der  Anstalt,  der 
sich  schon  öfter  durch  Veranstaltung  mustergültiger  Konzerte  zu  Blindenfürsorge- 
und  Kriegshilfszwecken  verdient  gemacht  hat,  bürgte  wohl  für  den  künstlerischen 
Wert  der  Darbietungen.  Daß  aber  die  Erwartungen  weit  übertroffen  wurden,  läßt 
eine  spontane  Huldigung  vermuten,  die  von  den  Besuchern  dem  selbstlosem  Künst- 
ler gebracht  wurde.  Der  Blindenfürsorge  dürfte  ein  sehr  bedeutender  Reineitrag 
zufließen. 

—  Privat-Blindenlehranstalt  in  Linz.  In  der  Blindenbeschäftigungs- 
und  Versorgungsanstalt  wurde  am  16.  Juni  1.  J.  (Wiederholung  am  18.  Juni)  eine 
mit  großem  Beifalle  bedachte  M  u  s  i  k  au  ff  ü  h  r  u  n  g  lebender  oberösterreichischerTortdich- 
ter:  MaxSpri  n  ger,  Aug.  Brunetti-Pisano,  Emil  Sauer,  Rudolf^P  ernk  1  au,  Josef 
Fr.  Hummel,  Josef  Reiter,  Ernst  S  o  m  p  e  k,  Otto  R  i  p  p  I,  Hugo  R  e  i  n  h  o  1  d  und 
Franz  Neuhof  er  veranstaltet.  Nicht  nur  die  Zusammenstellung  der  Vortragsord- 
nung sondern  auch  die  musikalische  Durchführung  zeigte  von  dem  hohen  Stand 
der  Musikpflege  in  den  Linzer  Blindenanstalten,  um  die  Konsistorialrat  A.  M.  P 1  e- 
ninger  nach  jeder  Richtung  hin  in  der  unermüdlichsten  und  selbstlosesten  Weise 
tätig  ist. 

Aus  den  Vereinen. 

—  Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen.  In  der 
Ausschußsitzung  am  14.  Juni  1.  J.  teilte  der  Vorsitzende  K.  B  ürkl  en  mit,  daß 
16  neue  Mitglieder  ihren  Eintritt  anmeldeten.  Ebenso  hat  die  Zahl  der  Bezugsnahme 
der  »Zeitschrift«  neuerlich  eine  Erhöhung  erfahren.  Es  wurden  die  vom  Vereinsaus- 
schusse unternommenen  Aktionen  bezüglich  der  Errichtung  einer  »Zentralstelle  für 
das  Blindenfürsorgewesen  im  Ministerium  für  soziale  Fürsorge«,  den  Schutz  blinder 
Musiker  durch  die  neu  zu  schaffende  Musikerkammer,  die  bisher  noch  immer  nicht 
erfolgte  Empfehlung  und  Subvention  der  »Zeitschrift«  durch  das  Unterrichtsmini- 
sterium und  schließlich  die  Angelegenheit  des  nächsten  Blindenfürsorgetages  einge- 
hend besprochen.  In  letzterem  Punkte  wurde  der  Beschluß  gefaßt,  den  in  Salzburg 
ausgefallenen  Tag  am  27.  und  28.  September  1.  J.  in  Wien  zu  veranstalten.  Siehe 
hierüber  die  Veröffentlichung  »Blindenfürsorgetag«. 

—  Bli  nd  en  -  Unt  er  s  tu  tzu  ngs  V  er  ein  >Die  Pur  ker  s  dorf  er  in 
Wien  V.  Der  unter  dem  blinden  Obmanne  F.  Uhl  stehende  und  auf  dem  Gebiete 
der  Blindenfürsorge  höchst  rührige  Verein  versendet  seinen  Rechenschaftbericht 
über  das  Jahr  1917.  Außer  den  ßarunterstützungeo  an  blinde  Mitglieder  (7362  K) 
vermittelte  der  Verein  in  117  Fällen  unentgeltlich  Dienst  und  Arbeit.  Das  Musika- 
lien-Leih-Institut  wurde  in  6842  Fällen  unentgeltlich  in  Anspruch  genommen.  Im 
abgelaufenen  Vereinsjahre  wurden  9  Ausschuß-Sitzungen  und  eine  Generalvcrsamra- 


7.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  969. 

lung  abgehalten.  Der  Verein  zählte  mit  31.  Dezember  1917  28  Gründer,  61  Stifter, 
18  Ehrenmitglieder,  182  unterstützende  Mitglieder  und  118  blinde  Mitglieder,  davon 
sind  3  gestorben.  Das  Musikalien-Lcihinstitut  in  Braill's  Notenschrift  zählt  gegenwärtig 
2147  Musikalien  und  100  musiktheoretische  Bücher. 

—  Verein  »Kriegsblinden-Heimstätten«  in  Wien.  Bericht  über 
das  Vereinsjahr  1917. 

Zuzüglich  des  Anfangsvermögens  aus  der  Aktion  Grimm  sowie  der 
Spendeneingänge  im  Jahre  1916  im  Betrage  von  zusammen  rund  1,650.000  K  betrug 
das  gesamte  Sammeleigebnis  zu  gunsten  des  Vereinszweckes  am  Ende  des  Jahres 
1917  rund  3,150.000  K. 

Vom  Vermögenszuwachs  im  Jahre  1917  entfallen  ungefähr  1,118.000  K  auf 
Beiträge  von  Stiftern,  derert  Zahl  im  Laufe  des  zweiten  Vereinsjahres  von  343  auf 
437  gestiegen  ist,  und  deren  Gesamtbeiträge  Ende  1917  rund  2,300.000  K  erreichten. 
69.000  K  entfielen  auf  Beiträge  von  Gründern,  deren  Zahl  sich  von  654  auf  769 
erhöhte,  und  deren  Gesamtbeiträge  Ende  1917  rund  300.000  K  betrugen.  13  Mit- 
glieder, welche  im  Jahre  1916  noch  im  Jahre  1916  als  Gründer  geführt  wurden, 
haben  im  Laufe  des  Vereinsjahres  1918  ihre  Beiträge  durch  neuerliche  Spenden 
derart  erhöht,  daß  deren  Aufnahme  in  die  Stifterliste  durchgeführt  werden  konnte. 
Auf  Jahresbeiträge  ordentlicher  Mitglieder,  deren  Gesamtzahl  sich  am  Ende  des 
zweiten  Vereinsjahres  auf  646  bezifferte,  entfielen  rund  5300  K.  An  einmaligen  und 
wiederholten  Spenden,  die  den  Gründerbeitrag  nicht  erreichten  oder  aus  sonstigen 
Gründen  nicht  als  Stifter-  oder  Gründerbeiträge  in  Betracht  kommen,  liefen  im 
Jahre  1917  insgesamt  rund  304.500  K  ein.  Der  Gesamtbetrag  derartiger  Spenden 
erreichte  mit  Ende  des  zweiten  Vereinsjahres  die  Höhe  von  518.000  K.  Aus  ver- 
schiedenen Veranstaltungen,  Konzerten  und  Ausstellungen  sind  dem  Vereine  im 
Jahre  1917  rund  20.000  K  zugeflossen.  Der  vom  »Verlag  für  Technik  und  Industrie« 
(Julius  Brüll)  besorgte  Vertrieb  des  »Kriegsblindenheimstättenbildes«,  welches 
sich  heute  der  größten  Verbreitung  erfreut,  hat  dem  Vereine  im  Jahre  1917 
76.800  K.  beziehungsweise  seit  Beginn  des  Vertriebes  insgesamt  95.800  K  ab- 
geworfen. Namhafte  Zuwendungen  wurden  dem  Vereinszwecke  aus  den  Erträgnissen 
von  Feldkinos  gewidmet. 

Schon  im  Jahre  1916  war  es  in  einzelnen  Fällen  recht  schwer,  geeignete 
Realitäten  für  die  Kriegsblindenheimstätten  ausfindig  zu  machen,  da  die  Kriegs- 
blinden selbstverständlich  immer  den  Wunsch  äußern,  in  ihrer  Heimat  oder  im 
letzten  Aufenthaltsorte  vor  ihrer  Einrückung  angesiedelt  zu  werden,  so  daß  die 
.Auswahl  der  käuflichen  Realitäten  an  und  für  sich  beschränkt  wird.  Infolge  der 
exorbitanten  Materialpreise  ist  an  den  Bau  von  Heimstätten  vorläufig  nicht  zu  denken, 
sodaß  nur  bestehende  Objekte  erworben  werden  können.  Im  Berichtsjahre  1917 
wurden  insgesamt  49  Kriegsblinde  durch  Verleihung  käuflicher  Heimstätten  in  ihrer 
Heimat  oder  in  einer  selbstgewählten  Ortschaft  versorgt. 

Im  allgemeinen  stand  die  Möglichkeit,  Kriegsblinde  mit  Heimstätten  zu  ver- 
sorgen, im  Jahre  1917  hinter  den  Erwartungen  der  Vereinsleitung  zurück.  In  allen 
diesen  Fällen,  in  denen  eine  Verleihung  einer  Heimstätte  selbst  vorläufig  nicht 
durchführbar  war,  wurde  den  Kriegsblinden  für  den  späteren  Ankauf  einer  Heim- 
stätte seitens  des  Vereines  ein  bestimmter  Betrag  (5000  bis  10.000  K)  zuerkannt 
und  bis  auf  weiteres  rückgestellt.  Solche  Kapitalsrückstellungen  mit  und  ohne  Zin- 
sengenuß wurden  im  Laufe  des  Jahres  1917  insgesamt  236  Kriegserblindeten  bewilligt 
und  die  Gesamtsumme  der  hinterlegten  Gelder  beträgt  über  1,735.000  K,  so  daß 
von  dem  Rechnungsabschluß  ausgewiesenen  Vermögenstande  am  Schluße  des  zweiten 
Vereinsjahres  im  Ausmaße  von  rund  2,735.000  K  am  Beginne  des  dritten  Vereins- 
jahres nur  mehr  rund  1,000.000  K  zur  freien  Verfügung  des  Vereines  standen. 


Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Kriegshlindenfonds  für  österreichische  Staat.sange- 
hörige  der  gesamten  bewaffneten  Macht.  Infolge  der  am  1.  Jän- 
ner 1918  erfolgten  Aktivierung  des  k.  k.  Ministeriums  für  soziale  Für- 
sorge sind  die  mit  dem  Vorsitze  im  Kuratorium  des  Kriegshlindenfonds 


Seite  970.  Zeitschritt  für  das  östereichische  Blindenwesen.  7.  Nummer. 

verbundenen  Agenden   vom  Minister   des  Innern   auf   den  Minister    für 
soziale  Fürsorge  übergegangen. 

Für  den  Kriegsblindenfonds  bestimmte  Zuschriften,  Berichte  und 
Eingaben  sind  daher  nunmehr  an  diesen  Fonds  im  k.  k.  Ministerium 
für  soziale  Fürsorge  in  Wien,  I.,  Hoher  Markt  Nr.  5,  zu  richten. 

—  Zivilpersonen  als  Begleiter  von  Kriegsblinden.  Das  Kiiegs- 
ministerium  gibt  einen  Erlaß  bekannt,  daß  Zivilpersonen  als  Begleiter  von  Kriegs- 
blinden auf  den  Heeresbahnen  nach  dem  Militärtarif  abzufertigen  sind. 

—  Akademie  im  Saale  des  kaufmännischen  Vereines  in  Wien,  am  24.  April 
1.  J.,  um  deren  Zustandekommen  Frau  Dr.  Singer  (Lyzeum  Fligelmann),  Frl. 
Julia  Weinstabl  und  Frl.  Lotte  Steiner  bemühten,  Es  gab  Vorträge  am  Klavier 
Gedichte.  Tanz  und  ein  Theaterstück,  welches  von  Damen  dargestellt  wurde.  Ein 
ansehnlicher  Beitrag  wurde  den  Kriegsblinden  zugeführt 

—  Heiterer  Abend  im  Theatersaale  des  Vereinshauses  in  Wien  XXI, 
am  16.  April  1.  J.  an  dessen  Gelingen  sich  die  Herren  Inspektor  Julius  Uchatzy 
und  Revident  Hugo  Riedel  verdient  gemacht  haben.  In  liebenswürdiger  Weise 
wirkten  das  Doppelquartett  des  Gesangvereins  Österreichischer  Eisenbahnbeamten 
unter  Leitung  des  Chormeisters  Karl  Führ  i  c  h,  der  Lautensänger  Heinrich  Negri  - 
Olli  und  der  Illusionist  Rudolf  Gschwend  tn  er  mit.  Das  Reinerträgnis  betrug 
159  K  50  h. 

—  Vortrag.  Im  Schöße  der  in  Prag  für  die  Kriegsblindentürsorge  tätigen 
Kreise  entstand  die  Anregung,  einen  Blinde  sprechen  zu  lassen  und  so  wurde 
Dr.  Ludwig  Cohn  aus  Breslau  zu  einen  Vortrage  gewonnen,  der  am  22.  Mai  1.  J. 
in  der  Klar'schen  Blindenanstalt  in  Prag  mit  warmer  Aufnahme  stattfand. 

—  Ein  Einakterabend,  in  dessen  Verlauf  man  zwei  ueue  Stücke  eines 
begabten  Dramatikers,  Alexander  E.  S  e  d  1  m  a  y  r,  kennen  lernte,  wurde  am  25.  Mai 
1.  J.  auf  der  Wiener  Volksbühne  zugunsten  kriegserblinder  Schauspieler  statt. 

—  Am  26.  Mai  1.  J.  fand  im  Verbandsheim  ein  von  der  der  Klavierschule 
Milly  Schafranek  in  Wien  XIV  veranstaltetes  Schülerkonzert  statt,  das  ein 
Reinerträgnis  von  300  K  erbrachte.  Dieser  Betrag  wurde  von  der  Leiterin  der 
Schule  Fräulein  Milly  Schafranek  zugunsten  der  im  Kaiser  Franz  Josef-Blinden- 
arbeiterheim,  XIII.  Bezirk,  Baumgartenstraße  Nr.  75-79,  untergebrachten  blinden 
Soldaten  bestimmt. 

—  Sammlungen   für  Kriegsblinde.  Stand  Ende  Juni    1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse.  1,295.975  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  3,747.137  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  320.000  K. 

—  Reichspost:  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  85.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  33.000  K. 

Verschiedenes. 

—  Neue  Lehrmittel  für  Naturgeschichte.  Unser  reichsdeutscher 
Kollege,  Herr  Blindenlehrer  E.  Marold  aus  Königsberg,  hat  eine  Folge  naturge- 
schichtlicher Lehrmittel  herausgegeben,  die  jeder  Blindenanstalt  nur  wärmstens  zu 
empfehlen  sind. 

Schon  auf  dem  Düsseldorfer  Kongresse  hatten  wir  das  Vergnügen,  seine 
schönen,  dem  Blindenunterrichte  eigenes  angepaßten  Lehrmittel  für  Natur  lehre 
bewundern  zu  können.  Als  er  nun  in  der  »Blindenschule  mitteilte,  daß  er  auch  für 
Naturgeschichte  besondere  Lehrmittel  für  Blinde  herstelle  und  abgebe,  bestellten 

Herausgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     Redaktionskomitee:  K.   Biirklen, 
J.  Kneis,  A.  t.  Horrath,  F.  Uhl.  —  Druck  Ton  Adolf  Englisch,  Purkersdorf  bei  Wien. 


wir  sofort  ungesehen,  bloß    auf  das  Geschick  und  die  fachmännische  Einsicht  M  a  - 
rolds  bauend,  die  ganze  Reihe. 

Und  wir  hatten  es  nicht  zu  bereuen.  Wir  haben  an  den  Dingen  unsere 
herzliohe  Freude.  Ihre  Hauptvorzüge  sind: 

1.  Sie  sind  wirklich  schön,  nämlich  für  Auge  und  Hand  gleich  gefällig. 

2.  Sie  sind  im  richtigen,  dem  Tastsinn  am  besten  entsprechenden  Maßstab 
gemacht. 

3.  Sie  enthaten  nur  das  A  llerno  t  wen  di  gst  e,  dieses  dafür  aber  umso 
deutlicher. 

4.  Sie  bestehen  nur  aus  dauerhaften  Stoffen:  Holz,  Draht,  Leinwand, 
Zelluloid. 

5.  Sie  erstrecken  sich  auf  lauter  E^inge,  die  bisher  im  Handel  entweder 
gar  nicht  oder  wenigstens  nicht  eigens  für  Blinde  eingerichtet  zu  haben 
waren  und  füllen  daher  eine  recht  empfindliche  Lücke  in  jeder  Lehrmittelsamm- 
lung aus. 

Die  Folge  besteht  aus  24  G  e  genständen,  die  ich  hier  kurz  anführe: 
Fledermaus,  Wasserfrosch,  Eidechse,  Kreuzotterrachen,  Hecht,  Flußbarsch,  Kohl- 
weißling, Maikäfer,  Stubenfliege,  Kreuzspinne  mit  Netz,  Laubheuschrecke,  Wasser- 
jungfer, Waldameise,  Weinbergschnecke,  Krebs,  Blutegel,  Finne  und  Bandwurmkopf, 
Blüten  von  Weide,  Löwenzahn,  ScJmeeglöckchen,  Veilchen,  Erbse  und  Roggen, 
Blütenstände. 

Die  schönen  Dinge  hier  genau  zu  schreiben,  führt  wohl  zu  weit.  Wer  miß- 
trauisch und  doch  zugleich  neugierig  darauf  ist,  möge  sich  einfach  ein  Probestück 
bestellen.  Übrigens  kostet  die  ganze,  viel  Fleiß  und  Kunstgeschick  hei- 
schende Sammlung  kaum  mehr  als  10  kg  Mehl  im  Schleichhandel. 

(Friedrich  Demal,  Purkersdorf). 

—  Asylstiftung  für  Blinde.  Frau  Helene  Suehs-Rath  in  Wien  hat  letzt- 
willig eine  Asylstiftung  für  erwachsene  Blinde  errichtet.  Die  Verlassenschaft  beziffert 
sich  auf  164.700  K. 

—  Auszeichnung  einer  blinden  Massie rerin.  Die  in  der  Bromberger 
Blindenanstalt  ausgebildete  Massiererin  Frl.  Lucie  Rolle  in  Posen,  erhielt  als  Aner- 
kennung ihrer  Tätigkeit  die  Rote  Kreuz-Medaille  3.  Klasse  und  vom  Vaterländi- 
schen Frauenverein  die  eiserne  Medaille  mit  Kette  als  Auszeichnung,  ein  Be- 
weis, daß  Blinde  diesen  Beruf  ganz  vorzüglich  auszuüben  vermögen. 

—  Ein  neues  Verfahren  zur  Ermittlung  der  Leistungsfähig- 
keit der  Augen  im  Dunkeln  ist  im  Krieg  besonders  für  Flugzeugführer,  Beob- 
achter und  Flugschützen  wichtig  geworden.  Es  kommt  vor  allem  darauf  an,  daß  die 
Untersuchung  leicht  durchführbar  ist  und  auch  eine  gewisse  Sicherheit  gegen  Simu- 
lation bietet.  In  der  »Münchener  Medizinischen  Wochenschrift«  gibt  jetzt  Geheimer 
Sanitätsrat  Dr.  Gramer  ein  Verfahren  an,  das  auch  von  augenärztlich  nicht  Vor- 
gebildeten ausgeführt  werden  kann.  Der  zu  Untersuchende  wird  in  einen  durchaus 
lichtfreien  Raum  gebracht,  und  zwar,  um  das  Auge  an  die  Dunkelheit  zu  gewöhnen, 
etwa  eine  halbe  bis  drei  Viertelstunden  vor  der  Untersuchung.  Zur  Prüfung  dient 
ein  auf  einer  großen  schwarzen  Holztafel  in  stark  radioaktiven  Leuchtfarben  auf 
Schwefelzink  und  radioaktiven  Substanzen  angebrachter  Ring  (das  ist  ein  nicht  voll- 
ständig geschlossener  Kreis).  Dann  wird  ein  Schnallband  um  den  Kopf  des  Prüflings 
gelegt  woran  ein  etwa  sechs  Meter  langes  Band  befestigt  ist,  das  in  Abständen  von 
je  einem  Meter  einen  großen,  in  Abständen  von  je  50  Zentimeter  einen  kleinen 
Druckknopf  trägt.  Der  Untersucher  nimmt  das  Band  in  die  Hand,  wechselt  die 
Stellung  des  leuchtenden  Ringes  und  läßt  den  Untersuchten  angeben,  nach  welcher 
Richtung  die  dunkle  Lücke  entsteht.  Die  Entfernung,  in  welcher  dies  noch  erkannt 
wird  läßt  sich  im  Dunkeln  an  den  Knöpfen  abzählen.  Die  Untersuchungen  ergaben, 
daß  der  Unterschied  zwischen  Nachtblinden  und  Normalen  sehr  groß  ist.  Unbe- 
schränkt kriegsbrauchbar  sind  Leute,  die  die  Lage  der  Lücke  im  Ring  von  über 
drei  Meter  erkennen.  Wer  dies  erst  in  einer  Entfernung  von  einem  Meter  und  da- 
runter kann,  ist  als  nachtblind  für  den  Flugdienst  im  Feld  und  in  der  Heimat  un- 
brauchbar. Simulationen  sind  bei  dem  Verfahren  ausgeschlossen,  denn  der  Untersuchte 
weiß  nicht,  in  welcher  Entfernung  der  Prüfende  steht. 

Mitteilung. 

—  Zentralverein  für  das  öst.  Blinden wesen.  Die  p.  t.  Ausschuß- 
mitglieder werden  zu  der  am  Montag,  den  29.  Juli,  5  Uhr,  in  der  Blinden-Beschäftf- 
gungs-  und  Versorgungsanstalt  in  ^A^ien  VIII  stattfindenden  Ausschußsitzung 
höflichst  eingeladen.  Tagesordnung:  Blindenfürsorgetag  1918. 


Für    8  jähriges  Mädchen    wird  zum  weiteren  Privatunterricht    auf 
dem  Lande  in  schöner  Gebirgsgegend  Schlesiens  sehender  Blinden- 
lehrer oder  Blindenlehrerin  tür  bald  oder  später  gesucht. 
Bewerbungen  mit  Zeugnis  und  Bild  an: 
Dr.  F.  G  ehr  mann  in  Jamowitz  am  Riesengebirge. 


==  ^syl  für  blinde  Kinder  == 

Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im   vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen  österreichi- 
schen Kronländern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 

Die  „ZentPfllbibliotheh  fui'  Blinde  in  Osterpeicit", 

Wien  XVIII,  Währinger  GUrtel  136, 


verleiht  ihre  Bücher  kostenlos  an  alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

W^ien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  Unterstützung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  tür  Blinde.  Erhaltung 
der  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


Der  blinde  ModeUeup. 


H 11  !:>  43 1  •  t  IVX  o  n  d  r*y , 

Littau  in  Mähren, 

empfiehlt  seine  zu  Geschenken  sich 
:  vorzüglicli  eignenden  keramischen  : 
Handarbeiten.  Nähere  Auskunft  brieflich. 


Froduhtlugenossenschoft  für  blinde 
Bürstenbinder  und  Korbflechter. 

G.  IM.  b.  H. 
Wien  VIII.,   Floriani^asse  Nr.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

Alle  Gattungen  Bürstenbinder-  u.  Korbllechterwaren. 
Verkaulsstelle:    Wien  VII.,  Neubau^asse  75. 


Musiliolien  -  Leiliinstitut 

des  Blinden-Unlerstützungsvereines 
»Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V., 
:  — :  Nikolsdorfergasse  Nr.  42.  :  — : 

f^V      Blindendrucknoten    werden    an      xik 
likJ      Blinde  unentgeltlich  verliehen!      \a3 


von   Oskar  Pieht, 
Bromberg. 


W.  Kraus,  Berlin  N  54 

(Gegründet  1878.) 

Borsten-,  Rohmaterialien-  und  Werkzeug-Fabrik 
=====    Bürstenhölzerfabrik.    ==^== 


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□ 


Faserstoff-Zurichterei  Bergedorf 

Bergedorf  bei  H^^^^burg. 

Mustergültige  Bearbeitung  von  Fiber  und  Piassava 
aller  Arten. 


□ 


□ 


Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.   — 


Schriftleitunq 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreich  sches 
Postsparkassen- 
kontoNr.132.257 


D 
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Das  Blatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


I  ,  Bezugspreis  Q 

Q  ganzjährig  mit  ^ 

Q  Postzustellung  Q 

3  4  Kronen,  D 

D  Einzelnummer  D 

n  40  Heller.  ^ 


5.  Jahrgang. 


Wien,  Oktober  1918. 


10.  Nummer. 


INHHLT:  Der  VI.  Ost.  Blindenfürsorgetag.  O.  Wanecek,  Purkersdorf:  Eine  Plau- 
derstunde über  den  Krieg  bei  blinden  Erstklassern.  Personalnachrichten. 
Mus  den  Anstalten.  Rus  den  Vereinen.  Für  unsere  Kriegsblinden.  Ver- 
schiedenes.    Bücherschau.     Mitteilung,     (ftites    und  Neues.     Ankündigungen). 


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?  Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIII, 
3  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.  g; 

□Ir^ ■ f^B 


MItes  und   Neues. 

Das  empfindliche  Gehör  des  Blinden. 

So  notwendig  e.s  ist,  sieli  bei  einer  Annäherung  an  einen  Blinden 
durch  eine  entsprechenae  Anrede  zu  erkennen  zu  geben,  so  muß  dies 
bei  der  Empfindlichkeit  des  Gehöres  bei  Blinden  doch  in  entsprechen- 
der Weise  geschehen.  Das  macht  uns  ein  Erlebnis  klar,  welches  uns 
P.  Lang  in  dem  Buche  ..Den  Kopf  hoch!"  (Würzburg  1918.  H.  Stürtz) 
erzählt : 

,.lch  bin  einmal  vor  Jahren  auf  freier  Landstraße  von  einem  heftigen 
Gewitter  überrascht  worden  und  erlebte  es  dabei,  daß  etwa  fünfzig 
Schritte  von  mir  entfernt  der  Blitz  in  eine  alte  Pappel  schlug.  Ich 
brauche  wohl  kaum  zu  versichern,  daß  mir  der  ohrenbetäubende  Krach 
einen  mächtigen  Schrecken  in  die  Glieder  jagte.  Nicht  weniger  erschrack 
ich  vor  einiger  Zeit  im  Stiegenhaus  eines  Gebäudes,  in  dem  ich  zufällig 
zu  tun  hatte.  Auf  einer  Treppenstufe  stand  ein  temperamentvoller  Be- 
kannter von  mir,  ohne  daß  ich  seine  Gegenwart  ahnte.  Er  hatte  durch 
ein  Fenster  in  den  Hof  gebhckt  und  sich  erst  umgesehen,  als  ich  diclit 
an  ihm  vorüber  ging.  Wir  waren  uns  lange  nicht  mehr  begegnet  und 
in  der  Überraschung  mich  hier  zu  treffen,  fiel  seine  Anrede  sehr  stimm- 
gewaltig aus  und  der  geschlossene  Raum  verstärkte  noch  die  Wirkung. 
Diese  aber  war  gewaltig.  Wenn  am  jüngsten  Tag  ein  Engel  des  Ge- 
richtes seine  Posaunenstöße  aus  allernächster  Nähe  ins  Ohr  eines  Auf- 
erstehenden schmettert.  —  der  arme  Sünder  kann  nicht  ärger  zusam- 
menschrecken als  ich  bei  jenem  unvermuteten  Freudenausbruch  meines 
Bekannten.  Mir  schlotterte  im  wahren  Sinn  des  Wortes  mein  Gebein. 
Ähnliche  Erlebnisse  habe  ich  schon  öfter  gehabt,  wenn  auch  bezüglich 
des  Schreckens  in  verjüngtem  Maßstab.  Dem  Sehenden  der  einen  Blin- 
den in  eine  solche  Gemütserschütterung  versetzt,  wäre  es  gewiß  unan- 
genehm, wenn  er  von  der  Wirkung  seiner  unbedachten  Handlungsweise 
erfahren  würde:  denn  es  liegt  ihm  ein  solcher  Angritf  auf  die  Nerven 
eines  Blinden  sicherlich  fern.  Wenn  der  erlittene  Schrecken  nicht  im 
Mienenspiel  und  in  unwillkürlichen  Körperbewegungen  des  Blinden  zum 
Ausdruck  kommt,  wird  der  andere  freilich  selten  etwas  davon  erfahren. 
Es  gilt  ja  nicht  für  besonders  männlich,  wenn  man  leicht  erschrickt; 
die  meisten  Blinden'  ließen  sich  deshalb  lieber  ein  dutzendmal  aufs 
heftigste  erschrecken,  als  daß  .sie  sich  offen  zu  ihrem  ersten  Schrecken 
bekennen  möchten,  auch  wenn  sie  sich  damit  die  elf  folgenden  Schrek- 
ken  ersparen  könnten.  Unmännlich  zu  erscheinen,  dünkt  ihnen  wohl 
noch  schlimmer.  Und  doch  ist  der  Schrecken  im  Grunde  durchaus  nicht 
unmännlich.  Ich  möchte  den  Sehenden  kennen,  auf  den  es  ohne  Ein- 
druck bliebe,  wenn  er  von  vollständiger  Dunkelheit  umgeben  und  ohne 
die  Anwesenheit  eines  Menschen  zu  ahnen,  plötzlich  aus  unmittelbarer 
Nähe  laut  angerufen  würde. 

Hätte  jener  Bekannte  von  mir  vor  seinem  überwältigenden  Stie- 
genhaus-Posaunengruß nur  ein  wenio-  mit  dem  Fuß  über  den  Boden 
gestreift,  so  wäre  mir  die  Gegenwart  eines  Menschen  verraten  gewesen 
und  das  Folgende  nicht  halb  so  überraschend  gekommen.  Darum:  „Rede, 
damit  ich  dich  sehe,  aber  schreie  mich  nicht  an.  mißhandle  mich  nicht 
mit  plötzlichem  Lärm,  wenn  ich  auf  deine  Gegenwart  oder  deinen  Lärm 
nicht  vorbereitet  bin!" 


5.  Jahrgang. 


Wien,  Oktober  1918. 


10.  Nummer. 


„Wir  dürfen  nicht  mehr  den  Luxus  betreiben,  daß  wir  nur 
die  ganz  Starken,  ganz  Gesunden  für  unsere  Wirtschaft  verwen- 
den und  daß  wir  über  die  anderen,  die  weniger  brauchbar  und 
scheinbar  weniger  leistungsfähig  sind,  mit  einem  Achselzucken 
hinweggehen  und  ihnen  höchstens  eine  sie  demütigende  charita- 
tive  Fürsorge  widmen.  Ruch  in  dem  Blinden  steckt  noch  soviel 
wirtschaftliche  Kraft,  daß  es  törichte  Verschwendung  wäre,  auf 
ihre  Mitarbeit  zu  verzichten.  Wenn  wir  von  diesem  Grundsatze 
iffi  ausgehen,  erkennen  wir,  daß  das  Interesse  der  Blinden  mit  dem 
^  der  Gesellschaft  zusammenfällt,  wissen  wir,  daß  unser  Wohltun 
g  Zinsen  bringen  wird  nicht  nur  den  Blinden,  sondern  auch  der  g 
®s  ganzen  Gesellschaft,  deren  wertvolle  Mitglieder  sie  sein  wollen,  m 
^   sein  sollen  und  sein  können."  ^ 

H  O.  V.  Gastei^er,  ^ 

^  Sektionschet  im  Ministerium  für  soziale  Fürsorge  ^ 

iSai  bei  der  Begrüßung  des    VI.  Ost.  Blindenfürsorgetages.     S* 


^ 


<& 


Der  VI.  Ost.  Blindenfürsorgetag. 


Trotz  der  Ungunst  der  Zeitverhältnisse  hatte  sieh  am  30.  Septem- 
ber und  1.  Oktober  1.  J.  im  Landtagssitzungssaale  in  Wien  zum  VI.  Ost. 
Blindenfürsorgetage  (Blindenlehrertag)  eine  ganz  unerwartet  große  Teil- 
nehmerzahl  zusammengefunden.  Das  mächtige  Interesse,  welches  heute 
dem  Schicksale  der  Kriegsblinden  und  damit  auch  den  Friedensblinden 
in  der  Öffentlichkeit  entgegengebracht  wird,  regte  nicht  nur  die  Fach- 
kreise sondern  auch  die  Behörden,  Blinde  und  bisher  Fernerstehende 
zur  Mitarbeit  an  den  Fragen  an,  welche  zur  Behandlung  vorlagen. 
Keine  Stelle,  welche  heute  in  der  öst.  Blindenfürsorge  mitwirkt,  blieb 
unvertreten. 


Seite  1008.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  10.  Nummer. 

War  so  dem  Tage  das  Gepräge  einer  vollständigen 
Repräsentanz  des  vaterl  ändischen  Blindenwesens  gege- 
ben, so  wirddieseerfreulicheTatsachenochüberragtvon 
dem  schönen  Verlaufe  und  der  einschneidenden  Bedeu- 
tung der  auf  der  Tagung  gefaßten  Beschlüsse.  Ein  neuer 
Abschnitt  in  der  Entwicklung  unseres  Blindenwesens  ist 
damit  eingeleitet.  Das  sagte  uns  schon  die  Erkenntnis, 
welche  aus  den  vorangestellten  Wort  en  des  Vertr  et  ers 
des  Ministeriums  für  soziale  Fürsorge.  Sektions chef  v. 
Gasteiger,  spricht.  Auch  eine  Reihe  von  Vertretern  ande- 
rer Behörden  gab  der  gleich  e  n  Ans  chauungAus  druck,  daß 
die  soziale  Frage  der  Blindenfürsorge  zu  einer  öffent- 
Angelegenheit  gewordenist,  über  welche  nicht  mehr  wie 
früher  hinweggegangen  werden  kann  und  wird.  Wir  ge- 
wannen auf  der  Tagung  neben  den  Herzen  von  ausschlag- 
gebenden Männern  auch  ihre  Zusicherung  tatkräftigster 
Mithilfe  und  wir  es  liegt  kein  Grund  vor,  an  ihrem  guten 
Willen  zur  H  il  fsbereits  chaft  zu  zweifeln.  Namentlich  die 
Vertreter  der  Staatsbehörden  zeigten  eine  Gesinnung, 
welche  einen  Ausblick  auf  künftige  glücklichere  Zeiten 
in  der  Entwicklung  unserer  Blindensache  gewährt. 

Ein  nicht  hoch  genug  anzuschlagender  Erfolg  der 
Tagung  liegt  darin,  daß  endlich  die  künstlich  errichteten 
Schranken  zwischen  der  öst.  Blinden  weit  und  den  öffent- 
lichen  Stellen,  wellche  zur  Blindenfürsorge  berufen  sind, 
niedergerissen  werden  konnten.  Diesmal  sahen  sich  die 
Vertreter  der  Behörden  der  Gesamtheit  aller  in  der  vater- 
ländischen Blindenfürsorge  tätigen  Faktoren  gegenüber, 
lernten  dieBlinden  mit  ihren  Wünschen  und  Forderungen 
kennen,  hörten  die  Ausführungen  der  Fachleute  und  ge- 
wannen einen  Einblick  in  d  a  s  Zusammenwirken  der  Fach- 
kräfte und  Blindenfr eunde.  Es  ist  ihnen  wohl  auch  zum 
Bewußtsein  gekommen,  daß  nur  durch  die  Heranzie- 
hung aller  dieser  Faktoren  eine  gedeihliche  Lösung 
der  Gegenwarts-  un  d  Zukunfts  fragen  auf  unserem  Gebiete 
unternommen  werden  kann. 

Wir  stellen  die  gefaßten  Beschlüsse  und  einige  wichtige 
Anregungen  an  die  Spitze  des  Berichtes.  (Der  ausführhche  Bericht 
wird  nach  Drucklegung  den  Teilnehmern  des  Tages  und  den  zuständigen 
Stellen  übermittelt  werden.) 

Die  bisher  nicht  durchgeführten  Beschlüsse  früherer  Tage 
sind  in  Erinnerung  zu  bringen. 

Das  Ministerium  für  soziale  Fürsorge  wird  gebeten,  die  Erlassung 
eines  Fürsorgegesetzes  anzuregen,  in  welchem  der  Anstaltszwaiig 
für  schulpflichtige  blinde  Kinder  festgelegt  erscheint.  (Antrag  U hl). 

Die  allgemeine  Jugendfürsorge  ist  auch  auf  die  blinden  Kinder 
zu  erstrecken.  (Anregung  Fiürklen). 

Das  Ministerium  für  Kultus  und  Unterricht  möge  gebeten  werden, 
daß  jene  Unterrichtsanstalten,  welche  bisher  Kriegsblinden-  oder 
anderen  militärischen  Zwecken  ganz  oder  teilweise  gewidmet 
waren,   ihrem  eigentlichem  Zwecke    ohne  Verzögern  zurückge- 


lU.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  Österreichische  Blindenwesen.  Seite  1009. 

fülirt  worden.  Gleichzeitig  möge  eine  Petition  an  das  Parlament  nnd 
die  Hegierung  bezw.  das  k.  k.  Landes-Verteidigangsministeriuin  dahin 
gerichtet  werden,  es  wolle  eine  Änderung  hezw.  Ergänzung  des  Kriegs- 
dienstleistungsgesetzes vom  26.  XII.  1912  §  1  Absatz  III  in  dem  Sinne 
vorgenommen  werden,  daß  jene  Baulichkeiten,  welche  der  Erziehung 
und  dem  Unterrichte  abnormaler  Kinder  dienen,  in  die  Reihe  der  von 
der  Kriegsdieiistleistuiig  befreiten  Bauliclikeiten  einbezogen  wer- 
den. (Antrag  Horvath). 

Unterriclit  nnd  bernfliclie  Ausbildung  der  Scliwaclisichtigen 

sollen  in  die  richtigen  Wege  geleitet  werden.  (Anregung  Bürklen). 

Der  VI.  österreichische  Blindenfürsorgetag  in  Wien  gibt  seiner 
Üherzeugung  Ausdruck,  daß  die  Kriegsblinden  als  keine  besondere 
Klasse  der  Blinden  zu  betrachten,  sondern  als  Spätererblindete  den 
übrigen  Blinden  zuzuzählen  sind  und  für  dieselben  die  gleichen 
Grundsätze  der  Ausbildung  und  Berufs  Zuführung  zu  gelten  haben. 
(Antrag  Horvath). 

Die  Durchführung  einer  modernen  Kriegsblindenfürsorge 
kann  nur  im  Zusammenwirken  aller  berufenen  Faktoren  gesche- 
hen,    wobei     auch     auf    die     Heranziehung     von      Blinden     und 

ihrer  Vereinigungen  ein  Hauptgewicht  gelegt  werden  soll.  (Antrag 
Horvath). 

Im  Ministerium  für  soziale  Fürsorge  möge  im  Sinne  der  Petition 
des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blindenwesen,"  bei  mög- 
lichster Ausschaltung  des  bürokratischen  Systems  eine  Zentralstelle  für 
das  gesamte  österreichische  Blindenwesen  unter  Heranziehung 
eines  aus  Blindenfachmännern  bestehenden  Beirates  errichtet  werden. 
(Antrag  Horvath). 

An  das  Ministerium  für  soziale  Fürsorge  ist  das  Ersuchen  zu  stellen 
im  Einvernehmen  mit  der  k.  u.  k.  Militärverwaltung  Richtlinien  über 
den  Begriff  des  sozial  oder  praktisch  Blinden  aufzustellen.  (An- 
trag Mar  sehn  er). 

Der  VI.  Ost.  Blindenfürsorgetag  beschließt  die  Frage  der  Eröffnung 
neuer  Erwerbsmöglichkeiten  über  den  Rahmen  der  bisherigen 
Blindenhandwerke  hinaus  das  regste  Augenmerk  zuzuwenden  und  eine 
schriftliche  und  mündliche  Enquete  hierüber  einzuleiten.  (Antrag 
Marschner). 

Dem  Ministerium  für  soziale  Fürsorge  wolle  es  gefällig  sein,  im 
Interesse  der  Blinden  des  Reiches,  mit  Unterstützung  der  kompetenten 
Stellen  an  die  Fabriken  und  Großbetriebe  mit  dem  Ersuchen  heranzu- 
treten, Versuche  sowohl  mit  Kriegsblinden  namentlich  aber  mit  Zivil- 
blinden unternehmen  zu  wollen,  zu  dem  Zwecke,  ihnen  lohnende 
Arbeitsmöglichkeiten  zu  geben  und  solche  den  Blinden  für  die 
Zukunft  zu  sicliern.  (Antrag  Haiare  vi  ci). 

Die  Möglichkeit  neuer  Berufsarten  ist  abgesehen  von  ganz  indivi- 
duellen Berufszweigen  zuerst  an  Friedensblinden  zu  erproben  und  sind 
diese  dann  zur  Ausbildung  von  Kriegsblinden  heranzuziehen.  (Anregung 
Bürklen). 


Seite  lülO.  Zeitschrift  für  das  österreichisclie  Blindenwesen.  10.  Nummer. 

An  das  Handelsministerium  ist  mit  dem  Ersuciien  heranzutreten, 
die  amtliche  Scliulimg  von  Zivilbliiideii  als  Teleplionciiischaltor 

anzuordnen  und  ihre  seinerzeitige  Anstellung  zu  verfügen.  (Antrag 
Halarevici). 

Mit  Rücksicht  auf  die  Schwierigkeiten,  denen  studierende  Kriegs- 
und Zivilblinde  in  Bezug  auf  mangelnde  Büchereien  begegnen,  wolle  das 
Ministerium  für  soziale  Fürsorge  die  Gewogenheit  haben,  aus  den 
Mitteln  des  Staates  eine  solche  Bibliothek,  die  aus  den  mit  der  Hand 
oder  durch  den  Druck  in  Blindenschrift  übertragenen  allgemein  zugäng- 
lichen Studieuwerken  bestehen  müßte,  im  Anschluße  an  das  k.  k. 
Blinden-Erziehungsinstitut  oder  an  einen  der  bestehenden  Blindenfür- 
sorge-Vereine ins  Leben  zu  rufen.  (Antrag  Halarevici). 

Es  sind  die  nötigen  Schritte  bei  den  Behörden  zu  unternehmen, 
daß  in  ähnlichem  Sinne  wie  für  die  Kriegsblinden  auch  für  die  anderen 
Spätererbliiideteii  die  Erlangung  des  Meisterrechtes  bei  nachge- 
wiesener Ausbildungszeit  in  einer  dazu  befugten  Anstalt  und  Itei  er- 
probter Qualitikation  ermöglicht  werde.  (Antrag  Herz). 

Um  dem  hindernden  Wettbewerb  und  dem  Materialmangel  in  den 
Blindenhandwerkeu  abzuhelfen,  sind  bei  den  zuständigen  Behörden 
Schritte  zu  tuu,  ein  Verbot  der  Blindenhandwerke  in  den  Inva- 
lidenhäusern zu  erwirken.  (Anregung  Wagner). 

Es  mögen  bei  den  kompetenten  Stellen  Schritte  behufs  seiner- 
zeitiger Verwendung  der  für  die  Kriegsblindenfürsorge  gesam- 
melten 31ittel  eingeleitet  werden,  mit  der  Bitte,  diese  3[ittel  seiner- 
zeit der  allgemeinen  Blindenfürsorge  zuzuführen.  (Antrag 
Horvath). 

Das  Ministerium  für  soziale  Fürsorge  ist  zu  ersuchen,  im  Einver- 
nehmen mit  der  k.  u.  k.  Militärverwaltung  der  Züchtung  und  Anler- 
nung von  Blindenführhunden  das  regste  Augenmerk  und  materielle 
Unterstützung  angedeihen  zu  lassen,  um  ähnlich  wie  im  deutschen 
Reiche  in  entsprechenden  Fällen  Kriegs-  und  Friedensblinde  mit  Blin- 
denführhunden zu  beteilen.  (Antrag  Marschner). 

Schalfung  einer  Institution  (aufgebaut  auf  dem  Boden  der  Selbst- 
verwaltung) als  Zentralorgan  der  Blindenfürsorge,  das  die  Richt- 
kraft sichert  und  dem  gesamten  Fühlen  und  Wollen  der  Blinden  Aus- 
druck und  Verkörperung  verleiht, 

Schaffung  einer  generellen  Produktiv-Assoziation  zur  Sicher- 
stellung der  ökonomischen  Existenz  der  Blinden. 

Die  Durchführung  der  Reformtätigkeit  soll  als  Aktion  der  Selbst-. 
Geselischafts-  und  Staatshilfe,  die  Gestaltung  der  Blinden-Arbeit  wie 
die  Erfüllung  der  weittragenden  Aufgaben  selbst  als  Aktion  der  Selbst- 
fürsorge getroffen  werden.  (Anregung  Altmann). 

Das  Ministerium  für  Volksgesundheit  ist  um  die  obligatorische 
Einführung  des  Crede-Verfahrens  zur  Verhütung  der  Angenentzüu- 
dung  der  Neugeborenen  zu  bitten.     (Anregung  Wagner-R  aut  er). 

Der  Verlauf  der  Tagung  war  in  Kürze  folgender: 

Der  Obmann  des  vorbereitenden  Ausschusses,  Direktor  K.  Bürklen 
leitete  dieselbe  mit  der  Darlegung  der  Gründe  ein,    welche  zur  Abhal- 


10.   Niiinmer.  Zeitschrift  für  das  Osten  eichische  Blindenwesen.  Seite  1011, 

tung  in  Wien  führten    und  machte  den  Vorschlag  zur  Wahl  ins  Präsi- 
dium : 

Ehrenpräsident:    Hofrat  H.  Ritter  von  Ghlumetzky,  Brunn. 

Präsident:  Kons-istorialrat  Direktor  A.  M.  Pleninger,  Linz. 

1.  Vizepräsident:  Regierungsrat  Dr.  R.  Marschner,  Prag. 

II.  Vizepräsident:   Leiter  des  Blindenheimes  F.  Geiger,  Salzburg. 

IIL  Vizepräsident:  Dr.  F.  Elias,  Triest. 
Schriftführer:   S.  Altmann,  Wien,  A.  Zierfuß  und  0.  Wanecek. 

Purkersdorf. 

Es  ergab  sich  hiebei  nur  die  Störung,  daß  den  erkrankten  Präsi- 
denten Direktor  Pleninger  Direktor  Bürlen  vertreten  mußte,  bis 
die  Leitung  au  den  L  Vizepräsidenten  Dr.  Marschner  übergeben  wer- 
den konnte. 

Als  Erster  ergriff  der  Ehrenpräsident  Hofrat  v.  Chlumetzky  das 
Wort  nnd  berührte  mit  markigen  Worten  die  große  Bedeutung  des 
Tages.  Die  x\nsprache  des  Präsidenten  Konsistorialrat  Pleninger  gab 
nach  einem  von  tiefer  Empfindung  getragenen  Nachruf  für  weiland 
Kaiser  Franz  Josef  einen  Überblick  über  die  Errungenschaften  auf 
dem  Gebiete  der  Blindenfürsorge  in  der  franzisco-josefinischen  Zeit. 
Huldigungsworte  wurden  an  Ihre  Majestäten  Kaiser  Karl  und  Kaiserin  Zita, 
sowie  an  den  nohen  Schutzherrn  der  Kriegsblinden  P>zherzog  Karl 
Stephan  gerichtet. 

Nun  folgten  die  Begrüßungsausprachen  der  Vertreter  von  Behörden 
und  Körperschaften,  von  denen  sich  besonders  die  des  Sektionschefs 
im  Ministerium  für  soziale  Fürsorge  v.  Ga  Steiger  durch  Geist  und 
Herz  sowie  klare  Erkenntnis  der  Sachlage  auszeichnete,  worauf  in  die 
Verhandlungen  eingegangen  werden  konnte. 

Am  ersten  Tage  behandelte  der  Nestor  der  österr.  Blindenlehrer- 
schaft kais.  Rat  Direktor  S.  Heller  die  Aufgaben  der  Kriegs- 
blindenfürsorge. Seine  tiefdurchdachten,  das  ganze  schwierige  Prob- 
lem erleuchtenden  Ausführungen  besagten,  daß  der  unvermittelte  Über- 
gang von  der  Sehfähigkeit  zur  Blindheit  die  seelische  Verfassung  derart 
beeinflußt,  daß  der  Kriegsblinde  einerseits  glaubt,  sozial  vernichtet  zu 
sein,  anderseits  aber  unklare  Rechtsansprüche  nährt.  Den  seelischen 
Au.sgleich  vermag  nur  die  Arbeit  zu  bringen.  Kais.  Rat  Heller  hat  die 
weiteren  Wege  mit  überzeugender  Sicherheit  aufgewiesen,  was  seine 
Ausführungen  zu  den  bedeutsamsten  unter  den  Publikationen  macht, 
die  diesen  Fragen  gewidmet,  worden  sind. 

Direktor  Bürklen  erstattete  über  den  Stand  der  Blindenfürsorge 
in  Österreich  einen  genauen  Bericht  und  sprach  über  die  Richtlinien, 
die  eine  gesunde  Entwicklung  nehmen  sollte.  Er  trat  vor  allem  für  die 
Selbsthilfe  der  Blinden,  für  unterrichtliche  und  berufliche  Ausbildung 
Schwachsichtiger,  Errichtung  von  Anstalten  und  Vorschulen  ein  und 
richtete  an  den  Staat  den  Ruf,  die  Führung  in  der  Blindenfürsorge 
zu  übernehmen. 

Besondere  Beachtung  wurde  dem  Vortrag  des  Obmannes  des  öst. 
Blindenvereines  kais.  Rat  v.  Horvath  geschenkt.  Er  sprach  über  Ein- 


Seite  lOl'J.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  10.    Nummer. 

Wirkungen  der  Kriegsblindenfürsorge  auf  die  allgemeine 
Blindenfürsorge  in  günstigen  wie  in  ungünstigem  Sinne.  Nachdrück- 
lichst erhob  er  den  Vorwurf,  daß  man  die  Friedensblinden  und  ihre 
Organisationen  bei  der  Behandlung  der  Kriegsblindenfrage  unberück- 
sichtigt gelassen  und  sie  nicht  zur  Mitarbeit,  die  sicher  segensreich 
gewesen  wäre,  herangezogen  hat.  Seine  Rede  gipfelte  in  einer  Reihe 
von  Anträgen,  die  Wandlung  in  dieser  Hinsicht  anstreben.  Sie  wurden 
allseitig  lebhaft  begrüßt. 

Am  zweiten  Tage  sprach  Blindenlehrer  AI  tmann  über  die  Reform 
der  Blindenfürsorge  und  bewies,  daß  sie  in  ihren  heutigen  Formen 
überlebt  ist.  Nicht  nur  die  ethische  Seite  sondern  die  ökonomisch  posi- 
tive, neugestaltende  Seite  müsse  die  Reformbewegung  vor  allem  ins 
Auge  fassen.  Nur  einträchtiges  Zusammenwirken  soll  in  der  Blinden- 
fürsorgo  platzgreifen,  nur  ein  solches,  von  der  Gesamtheit  diktiertes 
Streben  führt  zum  Erfolg.  Wir  brauchen  einerseits  eine  zentrale  Stelle, 
einen  Kristallisationspunkt  aller  Blindenfragen,  anderseits  aber  Arbeit- 
Assoziation,  um  die  ökonomische  Existenz  der  Blinden  zu  sichern.  Die 
Errungenschaften  der  sozialen  Gesetzgebung  müßten  auch  für  die 
Blinden  erreicht  werden.  Altmann  hat  in  geistvoller,  temparament- 
voller  Art  ein  klares  Bild  einer  möglichen  und  befriedigenden  Reform 
gezeichnet. 

Blindenlekrer  Halarevici  (Thema  Blindenberufe  und  Kriegs- 
blinde) zeigte,  daß  die  Forderung,  die  Kriegsblinden  in  ihre  alten  Be- 
rufe zurückzuführen,  namentlich  bei  den  Landwirten  möglich  ist. 
Die  landwirtschaftliche  Schule  in  Straß  hätte  derartige  Erfolge  gezeigt, 
daß  derartige  Versuche  an  verschiedenen  Stellen  mit  bestem  Gelingen 
nachgeahmt  wurden.  Er  gedachte  aber  auch  anderer  Berufe,  namentlich 
auch  der  geistigen  und  forderte  die  Errichtung  einer  Institution  ähnlich 
dem  Marburger  Studienheim. 

Lehrer  Wanecek  brachte  eine  kleine  Auswahl  von  neuen  Lohr- 
behelfen,  zu  denen  er  erläuternde  Bemerkungen  machte,  und  wies  auf 
die  Neuerungen  namentlich  in  bezug  auf  die  neuen  Druck-  und 
Schreibmethoden,  auf  den  Ausbau  der  Blindenbibliotheken  und  das 
Hochulstudium  der  Blinden  hin. 

An  den  Wechselreden  beteiligten  sich  eine  große  Anzahl  von 
Rednern. 

In  den  Schlußreden  konnten  der  Ehrenpräsident  v.  Chlumetzky 
und  der  Vizepräsident  Dr.  Mars  ebner  auf  die  erfreulichen  Ergebnisse 
der  Tagung  hinweisen.  Mit  einem:  „Auf  Wiedersehen  in  Salzburg!,"  wo 
der  nächste  Tag  stattfinden  soll,  gingen  die  Teilnehmer  auseinander. 

Es  sei  noch  erwähnt,  daß  die  Teilnehmer  das  „Laboratorium 
für  exp.  Pädagogik  an  der  Lehrerakademie"  besuchten,  wo  sie 
vom  Leiter  desselben  Inspektor  Dr.  Kammel  begrüßt  und  ihnen  die 
Versuche  zur  Festeilung  der  Druckstärke  beim  Tastlesen  gezeigt  wurde 

An    festlichen   Veranstaltungen,    wie    sie   mit    früheren  Tagungen 
verbunden  waren  waren,   fehlte   es    am  VI.  Fürsorgetag  zum  Bedauern 
des  Ortsausschusses,    der  gerne    die    Gastlichkeit    der  schönen  Wiener 
Stadt  in  besserem  Lichte  gezeigt  hätte. 


I 


10.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1013. 

Eine  Plauderstunde  über  den  Krieg  bei  blinden  Erstklassern. 

Eine  Kriegsplauderstuiide  mit  20  blinden  Kindern.  Wie  frucht- 
briitgend  wäre  es,  einzugehn  auf  das  Gefühlsmäßige,  den  Seelenschwan- 
kungen nachzuspüren,  die  das  Innere  unserer  kleinen  Blinden  erschüttern, 
wenn  Begeisterung  und  Weh,  Glücksempfmden  und  jammerndes  Herz- 
leid auch  an  ihre  kleine  Welt  heranbranden!  Wie  dankbar,  wenn  wir 
abwägen  könnten  zwischen  der  eigenartigen  Gestaltung  der  Kriegsphy- 
chosen  im  blinden  Elementarschüler  im  Gegensatz  zum  Sehenden! 
Nichts  von  alle  dem.  Die  folgenden  Zeilen  wollen  anspruchsloser  sein. 
Nur  plaudern! 

Was  für  eine  Menge  neuer  Begriffe  hat  uns  das  militärische,  das 
wirtschaftliche  Geschehen  um  uns  nicht  gegeben!  Militärische  Chargen, 
Ausrüstungsgegenstände,  Kriegsmittel,  Namen  der  Fürsten,  Heerführer, 
Länder  und  Völker,  leider  auch  neue  Rechtsbegriffe,  um  nur  eine  Handvoll 
zu  nennen  von  dem,  was  um  uns  immerfort  genannt  wird  mit  all  den 
Betonungen,  die  unser  Empfinden  nur  in  den  Wortklang  zaubern  kann. 
Was  davon  im  Gedächtnis  der  blinden  Kinder,  wie  sie  in  die  Schule 
eintreten,  haftet,  das  soll  im  Nachstehenden  festgehalten  werden.  Dabei 
soll  auf  ein  scharf  durchdachtes  System  verzichtet,  sondern  nur  kurz 
angeführt  werden,  was  sich  während  der  Schulstunde  ungezwungen 
ergab. 

Kriegsemplinden  hat  sich  von  je  im  Ton  der  militärischen  Musik- 
mittel am  ursprünglichsten  geäußert.  Wer  hätte  sich  im  Frieden  Sol- 
daten denken  können  ohne  Trommel  und  Trompete!  Und  doch  haben 
sich  nur  sieben  von  den  unsrigen  an  den  Trommelton,  ebensoviele, 
aber  keineswegs  dieselben  an  den  der  Trompete  erinnert.  Da  waren 
gewiß  große  Gedächtnislücken.  Jene  7  wußten  sehr  genau  anzugeben, 
wo  sie  trommeln  und  trompeten  gehört  hatten.  „In  der  Rossauerkaserne, 
wie  ich  mit  der  Mutter  auf  der  Schmelz  war."  Einer  weiß  es  von  den 
Donaumonitoren,  die  an  seinem  Heimatort  vorübergefahren  sind. 

Fast  ausschließlich  die  Stadtkinder  sind  es,  die  Militärmusik  ge- 
hört haben.  Die  im  Wiener  Asyl  für  blinde  Kinder  die  Vorschule  be- 
sucht haben,  wußten  alle  davon.  Dort  ist  öfter  „die  Musik"  vorbeige- 
zogen. Einer  erzählt  vom  Fackelzug  zu  Kaisers  Geburtstag;  da  war  sie 
auch  dabei. 

Da  wir  gerade  bei  den  Kriegstönen  waren,  wurde  gleich  gefragt, 
wer  schon  einmal  Soldaten  marschieren,  wer  solche  reiten  gehört  habe. 
Dabei  mag  es  nicht  verwunderlich  erscheinen,  daß  sie  sich  mehr  der 
Reiter  als  des  Fußvolkes  erinnerten.  Ist  doch  das  Erscheinen  eines 
Reiterzuges  immer  etwas  Auffallendes.  Wieder  sind  es  die  Landkinder 
die  diese  Gehörvorstellungen  nicht  in  Erinnerung  haben.  Einer 
aber  weiß  es  von  deutschen  Truppen  her;  der  tut  gar  stolz.  Ein  anderer 
hat  die  Reiter  gehört,  als  daheim  in  ihrem  Dorfe  eine  Anzahl  Russen 
entsprungen  war.  Ein  Mädchen  aber  weiß  es  sehr  genau,  freilich  hat 
ein  andrer  Sinn  ihr  einst  davon  Kunde  gegeben :  ,.Als  ich  noch  in  der 
Schule  der  Sehenden  war  ..." 

Marschieren  und  Reiten  ist  besser  bekannt  als  das  schwere  Vor- 
beirasseln der  Kanonen.  Nur  ihrer  fünf  erinnern  sich  daran.  Eine  dieser 
Antworten  ist  aber  zweifellos  unrichtig.    Von  einem  Mädchen  mit  Seh- 


Seite  1014.  Zeitschrift  für  das   österreichische  Hhiideii\vcLc;ii.  10.  Nummer 

rest  und  sehr,  sehr  lebhafter  Phantasie.  Sie  war  in  der  Kriegsausstellung 
gewesen.  Und  da  sind  sie  mit  den  Kanonen  herumgefahren.  An  einem 
Sonntag  war's,  trotz  der  vielen  Leute  sind  sie  gefahren?  Ja.  Kein  Ein- 
wand kann  sie  davon  abbringen.  Es  ist  eine  offenkundige  Unrichtigkeit. 
Und  doch  —  wer  mag  das  Mädel  Lügnerin  schelten?  Für  sie  sind  alle 
Kanonen  in  der  Kriegsausstellung  gefahren  mit  sechs  Pferden  vorn  und 
sckmucken  Artilleristen  auf  den  Protzen. 

Fast  alle  kennen  aber  das  Schießen;  keiner  aber  vom  Krieg  her. 
Einmal  war's  ein  Jäger,  ein  anderes  Mal  beim  „Umgang."  Einer  erzählt: 
„Bei  uns  in  Ybbs  früher,  wenn  Kirtag  war."'  Wer  mag  heute  in  Ybbs 
Kirchweih  feiern  mit  Freudenschießen?  Die  Totenglocke  schwingt  und 
klingt  stärker  .  .  . 

Hören  ist  dem  Blinden  leichter,  als  sehen,  d.  h.  in  Händen  haben 
und  betasten.  Und  doch  haben  die  meisten  schon  ein  Gewehr  befühlt. 
Wieder  ist  ein  Jäger  der  Vermittler  gewesen.  Dann  auch  der  Vater,  Bruder 
oder  Onkel,  der  hat  einrücken  müssen.  Elinen  aber  hat  ein  fremder 
Zugsführer  auf  der  Gasse  seine  Waffe  angreifen  lassen.  Wohl  in  dem 
unbewußten  Drang  eines  Naturpädagogen.  Ob  er  ahnt,  was  für  einen 
starken  Eindruck  er  in  die  Erinnerung  des  blinden  Kindes  geprägt,  was 
für  eine  bleibende,  klar  umrissene  Vorstellung  er  ihm  geschenkt  hat? 

Eigenartigerweise  ist  der  Säbel  weit  weniger  bekannt.  Einmal  war 
ein  Wachmann  der  Vermittler  der  Anschauung. 

Bisher  hatten  die  Kinder  zu  sagen  gehabt,  ob  und  von  wem  sie 
dies  oder  jenes  gehört,  bezw.  betastet  haben.  Nun  aber  kam  ein  tie- 
feres Schürfen.  Sie  sollten  sich  aussprechen,  das  in  Worten  so  abkon- 
terfeien, wie  es  ihre  Seele  kannte,  was  ihnen  als  einzelnes  Wort  vor- 
gesagt wurde. 

Da  waren  vor  allem  die  Chargen  der  Soldaten.  Was  denn  ein 
Hauptmann,  sei  wurde  gefragt.  Es  wurde  natürlich  nicht  eine  genauere 
Umschreibung  des  Begriffes  erwartet.  Manche  Antwort  zeigte  richtiges 
Verständnis.  Der,  der  immer  bei  den  Soldaten  ist,  der  Anschaffende,  der 
Anführer.  Ein  Mädchen  nannte  ihn.  ihrem  richtigen  Sprachgefühl  fol- 
gend, einen  sehr  wichtigen  Mann  bei  den  Soldaten.  In  der  Beantwortung 
dieser  Frage  hatte  sich  das  Wissen  über  die  Vorgesetzten  erschöpft. 
Vom  General  wußte  nur  einer  etwas  zu  sagen,  nämlich,  daß  er  der 
höchste  sei. 

Lebhafte  Beteiligung  rief  auch  das  Wort  „Landsturmmann-'  heivor; 
aber  zu  einer  sprachlichen  Erklärung  waren  nur  vier  befähigt.  Eine 
schöne  Erklärung  gab  einer:  „Der  mit  den  Soldaten  hinausgeht  und  bei 
dem  Angriff  mit  dabei  ist."  Ein  anderer  meint  damit  einen,  der  schon  ein- 
mal verwundet  war  und  jetzt  schon  alt  ist  und  nicht  mehr  in  den 
Krieg  kann.  Ein  dritter  haftet  an  dem  Bestimmungswort  und  sagt : 
„Einer,  der  für  das  Land  kämpft."  Bei  dem  Einwand,  daß  dies  ja  auch 
die  anderen  Soldaten  täten,  weiß  er  nicht  weiter.  Die  beiden  ersten 
Antworten  deuten  beziehungsreich  an,  daß  den  Kindern  die  Kriegslasten 
und  -leiden  der  älteren  Volkshelden  nicht  fremd  sind,  daß  das  Wort  eine, 
wenn  auch  nicht  allgemeine,  treffende  Vorstellung  konkretester  Art  in 
ihnen  wachzurufen  imstande  ist. 

Von  den  modernen  Kampfmitteln  ist  es  namentlich  das  Untersee- 
boot mit  seiner  ans  Märchenhafte  grenzenden  Eigenart,  das  die  Kinder 


10.   Nummer.  Zeilschrifl  für  das  österreichische  Biindenwesen.  Seile  1015. 

hesoiiders  beschäftigt.  F^in  Schiff,  das  manchmal  imterm  Wasser  fährl 
und  doch  nicht  untergeht!  Kin  Schilf,  das  taucht!  Ein  Schilf,  das  auf 
dem  Wasser  fährt,  das  untertaucht,  wenn  ein  Feind  kommt  und  das 
dicke  Glasfenster  hat!  Ein  Schilf,  das  unterm  Wasser  fährt  und  auf  ein 
anderes  ,.solche  Ding-'  schießt!  All  diesen  Antworten  war  der  Ton 
eigen,  der  das  Wunderbare,  das  Phantastische  an  dieser  Leistung  der 
Menschentatkraft  kennzeichnete.  Die  Stärke,  mit  der  dieses  Wort  die 
Kleinen  zu  fesseln  vermochte,  zeigt  die  spontan  auf  die  Frage  zur  Er- 
widerung gegebene  Gegenfrage:  „Bitte,  was  schießen  sie  da  für  Kugeln 
liei-aus?"' 

Im  Bereich  der  Luft  sind  sie  weit  weniger  daheim.  Ein  Zeppelin 
ist,  was  in  der  Luft  so  fliegen  kann  und  wo  sehr  viele  Soldaten  darinnen 
sitzen.  Einer  versuchte  auch  eine  Beschreibung,  die  einfach  genug  aus- 
fiel :  Er  fliegt  in  der  Luft,  daran  ist  ein  Korb,  in  dem  sind  Bänke 
rundherum  und  da  können  die  Leute  sitzen. 

Von  den  Mämiern,  deren  Namen  heute  alle  Welt  durchdringt,  ist 
nicht  allzuviel  tatsächliches  im  Wissen  der  Kinder.  Am  bekanntesten 
ist  natürlich  Hindenburg.  Die  Leute  reden  sehr  viel  von  ihm.  hieß  es 
meistens.  Ja  aber  was  denn  ?  Daß  er  schon  sehr  viele  erschossen  habe. 
Ein  anderer  sagt  gar.  daß  er  schon  viele  Kompagnien  desselben  Todes 
hat  sterben  lassen.  Den  Vogel  aber  schoß  ein  Kleiner  ab,  der  behaup- 
tete, daß  die  Mutter  gesagt  habe,  in  der  Zeitung,  wo  ja  bekanntlich  jede 
Wahrheit  zu  finden  ist,  stehe,  daß  sie  jetzt  Hindenburg  schon  erobert 
hätten. 

Dem  Grundsatze:  ..Kein  Prophet  in  seinem  Vaterlande"  getreu, 
wußte  keines  etwas  von  unserem  Motzend or f.  Naheliegend  war,  daß 
eine  kleine  Meidlingerin  ihn  mit  dem  benachbart  liegenden  Hetzendorf 
verwechselte.  Und  ein  anderes  Mädchen  sagte,  es  sei  dies  ein  Land,  wo 
jetzt  gekämpft  werde. 

Tief  aufgeregt  hat  einst  die  wiederholte  Umschließung  und  der  zwei- 
malige Fall  der  Festung  Przemysl  die  Leute.  Die  Annahme,  daß  dieser 
Ort  zu  den  bekanntesten  Kriegsplätzen  gehöre,  fand  ihre  Bestätigung  in 
der  großen  Anzahl  von  Antworten.  Freilich  wußte  nur  ein  einziger 
den  rechten  Sachverhalt.  Sonst  wurde  abwechselnd  von  einem  unserer 
Verluste,  beziehungsweise  einer  unserer  Eroberungen  gesprochen.  Recht 
bezeichnend  sagte  einer:  „Bitf  ich  habe  schon  viel  gehört  davon,  weiß 
aber  nicht  mehr  was.*' 

Über  unsere  Freunde  und  Feinde  siud  sie  im  allgemeinen  nicht 
schlecht  orientiert.  Sie  wurden  nach  dem  besten  Freund  gefragt.  Dieser 
Ehrennamen  wurde  5  mal  ..dem  Ungarn,"  4  mal  „dem  Deutschen."  1  mal 
..dem  Böhm"  zuteil.  In  der  Ludendorff-Art  wurden  immer  die  Namen 
in  der  Einzahl  gegeben;  dies  wurzelt  also  tief  in  der  t^igenart  der 
Volkssprache.  Einer  vergriff  sich  gewaltig,  als  er  „den  Deutschen" 
unsernf größten  Feind  nannte.  Bei  dieser  Frage  wurden  je  einmal 
angeführt  „der  Ruß"  und  „der  Franzos."  Das  sind  keine  beson- 
ders populären  Feinde.  Anders  beim  Italiener.  In  9  Fällen  —  Kinder 
sprechen  die  Wahrheit!  —  war  er  es,  der,  dem  Volksempfinden  gemäß. 
zu  unserm  größten  Hasser  gestempelt  wurde.  Dabei  tat  einer  noch  ein 
übriges  und  wollte    das    besonders  Verächtliche    dieses  Feindes    kenn- 


Seite  1016.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  10.  Nummer. 

zeichnen,  indem  er  ihn  mit  einer  bezeichnenden  Gesichtsgrimasse  als 
,,Italiansi<i"  abtat. 

Nicht  so  kar  sind  die  BegrifTe  über  unsere  fernen  Freunde  am 
Balkan.  Fast  gleichmäßig  wurden  sie  unter  die  Freund-  und  Feindes- 
staaten gestellt. 

Deutlich  prägte  sich  die  außerordentliche  Beliebtheit  imseres  jungen 
Monarchen  aus.  „Der  war  bei  allen  Eroberungen  dabei  :•'  „Der  hat 
Görz  erobert."'  „Der  ist  überall  vorn  mit  dabei."  hieß  es.  Das  sind 
durchwegs  die  Urteile  der  Knaben.  Ein  Mädchen  wußte  schlichter,  inni- 
ger zu  antworten:  „Der  ist  recht  lieb  und  gut  mit 'allen.-'  Unser  Ybh- 
ser  brachte  Biographisches:  „Er  ist  in  Persenbeug  geboren.-'  Der  tiefe, 
ehrliche  Friedenswille  des  Monarchen  hat  im  naiven  Gemüt  des  Volkes 
sich  beredt  eingeprägt.  Das  hört  man  aus  folgender  Antwort  heraus: 
„Bitf  im  Sommer  ist  in  der  Zeitung  gestanden,  daß  er  bald  abdanken 
wird,  wenn  nicht  bald  Frieden  wird.-' 

Die  Zeitung,  dieser  Hort  der  Wahrheit,  wurde  öfter  als  Beleg 
herangezogen.  So  auch  bei  der  Frage  über  Kaiser  Wilhelm.  In  der 
Zeitung  ist  gestanden,  daß  er  erstochen  worden  ist."  Ob  wohl  die  Kleine 
ihre  Weisheit  aus  der  ,.Temps"  zu  Kriegsbeginn  geschöpft  hat?  Eine 
andere  kündet  freudestrahlend,  daß  sie  mit  ihm  am  selben  Tage  Ge- 
burtstag habe,  was  sich  auch  als  richtig  erwies.  Sonst  ist  der  Bundes- 
monarch nicht  so  allgemein  bekannt  bei  den  Kindern  wie  Kaiser  Karl. 
Eine  wichtige  Aufgabe  weist  ihm  einer  zu:  ,.Wenn  einer  recht  tapfer 
ist,  so  kommt  Kaiser  Wilhelm  über  den  Kriegsschauplatz  geritten  und 
gibt  ihm  die  Medaille." 

Nun  noch  eine  Frage,  die  das  Hechtsgefühl  zur  Äußerung  bringen 
sollte:  „Wer  hat  den  Krieg  angefangen?"  Überraschend  war  die  unbe- 
irrbare Bestimmtheit,  mit  der  ein  Mariazeller  Bauernbub  behauptete: 
„Der  Serb."  Der  Vater  hätte  es  gesagt.  Durchwegs  wurde  „der  Serl)" 
als  Anstifter  bezeichnet.  Einer  aber  wußte  sein-  genau.  Es  sei  zum 
Kriege  gekommen,  weil  die  Serben  den  Thronfolger  (^-mordet  und  dem 
Kaiser  keine  Ruh  gegeben  hätten. 

Am  Schlüsse  wurden  sie  gefragt:  „Was  machst  Du,  wenn  der 
Friede  kommt?"  Da  wußten  fast  alle  eine  originelle  Antwort.  Viele 
rechnen  scheinbar  noch  mit  einer  längeren  Dauer  des  Krieges.  ,.Dann 
werde  ich  schon  Musik  können  und  dann  fahr  ich  mit  dem  Schiff  nach 
Venedig.-'  Ein  anderer  meint  auch,  daß  er  dann  schon  Musik  können 
wird,  der  will  dann  mit  seinem  Bruder  zusammenspielen.  Ein  dritter 
erweist  seine  praktische  Natur:  „Dann  kann  man  wieder  etwas  ver- 
dienen." Rührend  bescheiden  ist  die  Antwort  eines  ganz  Kleinen:  „Dann 
setz  ich  mich  auf  den  Vater  seinen  Schoß  und  laß  mir  erzählen.-'  Ein 
anderer  aber  will,  daß  ihm  dann  seine  Mutter  eine  Ziege  und  ein 
(Trammophon  kaufe.  HolTentlich  treibt  er"s  mit  dem  letzteren  dann  nicht 
so  arg  wie  dies  Gebrauch  der  (Jrammophonbesitzer  ist. 

Zwei  aber  sagen:  ..Wenn  Frieden  ist.  wünsche  ich  mir.  daß  ich 
sehend  werde.-'  Wäre  die  Menschheit  sehend,  dann  müßte  längst  ein 
Friedenssonnentag  übei-  der  Welt  strahlen.  Hollen  wir,  daß  sein  Morgen- 
rot bald  verheißungsvoll,  daß  der  kleine  Blinde  am  Schöße  seines  Vaters 
sitzen  und  sich  erzählen  lassen  kann  —  nicht  vom  Krieg  und  seinen 
Schlachten  sondern  von  der  leuchtenden  Zukunft  im  friedengesegneteii 
Vaterland.  W. 


10.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1017. 

Personalnachrichten. 

—  Hofrat  Prof.  Dr.  0.  Bergmeister.  Am  3.  Oktober  ist  der 
lierühmte  Augenarzt  im  75.  Lebensjahre  gestorben.  Hofrat  Bergmeister 
war  184.5  zu  Silz  in  Ttrol  geboren,  studierte  in  Innsbrucic  und  Wien. 
[874-  habilitierte  er  .sich  als  Privatdozent  der  Augenheilkunde  an  der 
Wiener  Universität  auf  (irund  einer  Abhandlung  „Beiträge  zur  Beur- 
teilung der  Aderhautentzündung  und  ihres  Eintlußes  auf  das  Sehvermö- 
gen."' die  in  v.  Grollers  Archiv  erschien.  Schon  vorher  hatte  er  sich  in 
der  medizinischen  Literatur  eingeführt  und  die  Aufmerksamkeit  der 
Fachkreise  auch  des  weitesten  Auslandes  auf  sich  gelenkt.  Bald  folgte 
eine  Reihe  Veröffentlichungen  klinischen  Inhaltes  sowie  vergleichende 
Studien  über  die  P^ntwicklungsgeschichte  des  Auges ;  zugleich  entwik- 
kelte  er  eine  ungemein  rege  Lehrtätigkeit,  die  sich  auf  alle  Gebiete  der 
Augenheilkunde  erstreckte  und  ihn  zu  einem  der  gesuchtesten  Dozenten 
machte.  Sein  menschenfreundlich.es  Wesen  und  der  tiefe  Berufsernst, 
die  ihn  erfüllten,  hatten  ihm  vom  Anbeginn  die  Liebe  und  Verehrung 
seiner  Hörer  erworben. 

Hofrat  Dr.  Bergmeister  war  mehr  als  40  Jahre  lang  Augenarzt 
der  n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf  und  lieh  auch  dem  A.syl 
für  bltnde  Kinder  in  Wien  XVII  seine  wertvolle  Mithilfe.  Hatten  wir 
vor  einem  Jahre  den  großen  Arzt  und  edlen  Menschen  von  seiner  Le- 
bensarbeit scheiden  sehen,  so  erfüllt  uns  sein  Hingang  mit  Wehmut 
und  Trauer.  Sein  Andenken  werden  wir  in  Treue  bewahren. 

—  Auszeichnung.  S.  M.  der  Kaiser  hat  dem  Direktor  des  k.  k. 
Blinden-Erziehnngs-Institutes  in  Wien  II  Regierungsrat  A.  Meli  in  An- 
(>rkennung  seiner  Verdienste  um  die  Kriegsblindenfürsorge  den  Titel 
und  Charakter  eines  Hofrates  verliehen. 

Aus  den  Anstalten. 

—  In  der  Wiener  Blinden -Versorgungs-  und  Beschäftigungs- 
anstalt sind  —  zum  größten  Teile  infolge  von  Todesfällen  —  mehreie  Plätze 
erledigt.  Trotz  der  Schwierigkeit  der  Verpflegung  hat  die  Direktion,  um  mehreren, 
sehr  berücksichtigungswerten  armen  Blinden  zu  helfen,  zwei  männliche  und  vier  weib- 
liche Blinde  mit  Anfang  Oktober  aufgenommen. 

Aus  den  Vereinen. 

—  Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Am 
1.  Oktober  d.  J.  fand  im  Sitzungssaale  des  n.  ö.  Landhauses  die  Generalversamm- 
lung des  Zentralvereines  für  das  österreichische  Blindenwesen  statt.  Die  Teilnehmer- 
zahl, verstärkt  durch  früher  erschienene  Mitglieder  und  Gäste  des  VI.  Ost.  Blinden- 
fürsorgetages, war  diesmal  größer  als  in  früheren  Jahren. 

Nach  der  Begrüßung  durch  den  Präsidenten,  Direktor  K.  Bürklen  und  Ver- 
handlungsschrift durch  den  Schriftführer  Hauptlehrer  J.  Kneis  erstattete  der  erstere 
den  Tätigkeitsbericht,  welchem  zu  entnehmen  ist  : 

Die  Mitgliederzahl  beträgt  einschließlich  der  3  Ehrenmitglieder  126.  Das 
Hauptbestreben  galt  der  Weiterführung  und  Ausgestaltung  des  Fachorganes,  der 
»Zeitschrift  für  das  öst.  Blindenwesen.«  Den  finanziellen  Schwierigkeiten,  denen  die 
Zeitschrift  ausgesetzt  war,  suchte  das  Präsidium  durch  Werbung  um  Spenden  und 
Subventionen  Herr  zu  werden,  was  auch  dank  ger  Opferbereitschaft  vornehmlich 
privater  Kreise,  Industrieunternehmungen  u,  s.  w.  gelang. 


Seite  1018.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  11.  Nummer. 

In  dem  Bestreben,  den  durch  den  Krieg  in  Not  geratenen  BHnden  und 
ärmeren  Blindenvereinigungen  zu  helfen,  wendete  sich  das  Präsidium  an  die  ver- 
mögenden Blindenvereine  und  Fürsorgeanstalten.  Dem  Direktorium  der  Beschäfti- 
gungs-  und  Versorgungsanstalt  in  Wien  VIII  und  seinem  Direktor  H.  O.  Stok- 
laska  sowie  dem  I.  öst.  Blindenvereine  gebührt  tür  die  rasche  Unterstützung  der 
wärmste  Dank. 

Zum  Schutze  der  blinden  Musiker,  wurde  über  Anregung  des  Blindenunter- 
stützungsvereines  >Die  Purkersdorfer«  an  den  Musikerverband,  der  die  Gesetzwer- 
dung  eines  allgemeinen  Musikerschutzes  anstrebt,  eine  Eingabe  gerichtet  und  um 
Berücksichtigung  der  blinden  Musiker  im  Gesetzentwurf  gebeten.  Diese  Bitte  fand 
freundliches  Entgegenkommen  und  wird,  wenn  die  Angelegenheit  spruchreif  sein 
wird,  beachtet  werden. 

Neue  Errungenichaften,  wie  das  Dr.  Herzsche  Druckverfahren  und  das  Posta- 
phon  wurden  begutachtet  und  nach  Kräften  gefördert. 

Manche  Anregungen  des  letzten  Fürsorgetages  konnten  wegen  der  Kriegs- 
verhältnisse noch  nicht  zur  Durchführung  gelangen,  wurden  aber  stets  im  Auge 
behalten  und  werden  bei  der  ersten  sich  bietenden  Gelegenheit  weiter  verfolgt 
werden. 

Neuwahl  :  Über  Antrag  des  Herrn  Fachlehrer  J.  Umlauf,  Brunn,  wird  die 
alte  Vereinslnitung  vollzählig  wiedergewählt. 

Die  Generalversammlung  genehmigt  sodann  den  Antrag  des  Ausschusses, 
Herrn  Hoforganisten  J.  Labor  zum  Ehrenmitgliede  zu  ernennen. 

Kassier  Hauptlehrer  De  mal  berichtet  über  die  Kassagebahrung.  Der  derzeitige 
Kassastand  sei  günstig  und  betrage  4949  K.  So  erfreulich  diese  Ziffer  auch  sei, 
müsse  man  aber  doch  auch  auf  die  Zukunft  bedacht  sein,  weil  die  Kosten  für  die 
Zeitschrift  stetig  wachsen.  Mit  Rücksicht  darauf  beantragt  Kassier  Demal  die  Hin- 
autsetzung des  Mitgliedsbeitrages  (inklusive  Zeitschrift)  von  4  auf  6  K,  ebenso  der 
Abnahmegebühr  für  Nichtmitglieder  von  4  auf  6  Kronen  jährlich.  Nach  längerer 
Wechselrede  einigt  man  sich  auf  Mitgliedsbeitrag  3  K,  Zeitungsgebühr  für  Mitglieder 
3  K  (zusammen  5  K)  und  Bezugspreis  für  Nichtmitglieder  6  Kronen. 

Rechnungsprüfer  Wanecek  beantragt  die  Entlastung  (angenommen). 

Anträge:  Obmann  F.  Uhl  beantragt:  Daß  die  noch  nicht  erledigten  Beschlüsse 
vorangegangener  Fürsorgetaoe  aufgegriffen  und  baldiger  Behandlung  zugeführt 
werden. 

Direktor  Rauter  regt  an,  daß  man  an  das  neugegrUndete  Ministerium  für 
Volksgesundheif  herantrete  und  wegen  Gesetzwerdung  des  Impf-  und  Credeisierungs- 
zwanges  vorstellig  werden  sollte. 

Mit  dem  Dank  für  bisherige  und  der  Bitte  um  zukünftige  Unterstützung 
schließt  der  Präsident  die  Generalversammlung. 


Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Sammlungen    für  Kriegsblinde.  Stand  Ende  Septem bjer   1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse.  1,318.375  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  4,221.514  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  320.000  K. 

—  Reichspost:  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  85.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  35.800  K. 


Herausgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  Blindeowesen  in  Wien.     Redaktionskomitee:  K.  BUrklen, 
J.  Kneis,  A.  t.  Horvath,  F.  Uhl,  —  Drack  tod   Adolf  Englisch,  Purkersdorf  bei  Wien. 


Verschiedenes. 

—  Wirkung  der  Milchinjektionen.  Die  auffallendste  Wirkung  ent- 
falten die  Milchinjektionen  bei  der  Augenblennorhöe.  Die  erste  Mitteilung  des  Wie- 
ner Augenarztes  Dozenten  Leopold  Müller,  der  einige  verzweifelte  Fälle  durch  Milchin- 
jektionen heilte,  hat  großes  Aufsehen  hervorgerufen,  wurde  sogar  bezweifelt.  Aber  die 
Nachprüfung  ergab  die  Richtigkeit  der  zauberhaften  Wirkung.  Nun  veröffentlicht 
der  Budapester  Augenarzt  Dozent  Dr.  L.  v.  Liebermann  in  der  »Wiener  Med. 
Wochenschrift«  seine  Erfahrungen,  die  er  im  Rochusspital  mit  den  Milchinjektionen 
bei  Augenblenorrhöe  in  150  Fällen  erzielt  hat  und  bestätigt  die  großartige  Wirkung 
des  einfachen  Mittels.  Er  kommt  zu  folgenden  bemerkenswerten  Schlüssen.  »Die 
Unannehmlichkeiten  der  Milchinjektion  wurden  von  einigen  Autoren  bedeutend 
überschätzt.  Sie  stehen  zum  mindesten  in  gar  keinem  Verhältnis  mit  der  »Unan- 
nehmlichkeit einer  eventuellen  Erblindung!  Die  Temperaturen  von  39  bis  40*5*'  C 
werden  ausnahmslos  gut  vertragen.  Schüttelfrost  ist  selten,  Kopfschmerzen  in  er- 
träglichen Grenzen.  Die  nach  fünf  bis  zehn  Kubikzentimeter  (gewöhnlich  gebe  ich 
sieben  bis  acht  Kubikzentimeter)  entstehenden  lokalen  Anschwellungen  sind  selten 
länger  als  24  bis  48  Stunden  schmerzhaft.  Angesichts  solcher  Resultate,  wie  die 
hier  mitgeteilten,  die  mit  den  Beobachtungen  fast  aller  Ophtholmologen  überein- 
stimmen, halte  ich  es  für  unangebracht,  wenn  Arbeiten  lediglich  durch  theoretische 
Einwände  die  Milchtherapie  zu  diskreditieren  suchen  und  vor  weiterer  klinischer 
Anwendung  und  Erprobung  derselben  warnen.  Daß  die  theoretischen  Grundlagen 
noch  wenig  erforscht  sind,  ändert  an  den  zahlreichen  einwandfrei  beobachteten  kli- 
nischen Erfolgen  nichts  und  die  theoretische  Möglichkeit  gewisser  Schädigungen 
kann  nach  so  vielen  klinischen  Beobachtungen,  die  die  Unbedenklichkeit  der  Be- 
handlung zeigen,  wohl  auch  als  erledigt  gelten.  Zum  mindesten  stehen  die  theore- 
tisch nicht  auszuschließenden  Schädigungsmöglichkeiten  prozentuell  in  gar  keinem 
Verhältnis  zu  den  sowohl  auf  diesem,  wie  auch  auf  anderen  Gebieten  erzielten  be- 
deutenden Heilerfolgen.« 

—  Erblindung  durch  Geschoßexplosionen.  Die  Geschwindigkeit  der 
Schallwellen  beim  Abgang  ans  dem  Geschoß  hängt  demnach  von  der  Menge  und 
der  Art  des  Explosivstoffes  ab.  Sie  beträgt  schon  in  einer  Entfernung  von  30  Metern 
nur  noch  400  Meter,  bei  einer  Anfangsgeschwindigkeit  von  etwa  2000  bis  3000  Se- 
kundenmetern. Auch  der  Druck  nimmt  rasch  ab  und  beträgt  bei  20  Metern  nur 
mehr  2  bis  3  Kilogramm,  bei  50  bis  60  Metern  ist  er  praktisch  gleich  Null.  Die 
Gehirnrinde  ist  aber  überaus  empfindlich.  Man  kann  das  Gehirn  als  einen  Körper 
aus  einer  verschiebbaren  Masse  auffassen,  die  mit  einer  nicht  komprimierbaren 
Flüssigkeit  in  einer  starren  Kapsel,  dem  Schädel,  eingeschlossen  ist  und  mit  der 
Außenwelt  nur  ganz  schmale  Verbindungen  besitzt,  je  nach  dem  Standort  des 
Mannes  gerade  im  Augenblick  der  Explosion  können  durch  die  heftige  Erschütterung 
die  verschiedensten  Erscheinungen  auftreten,  unter  anderem  auch  Blindheit  und 
Taubheit. 

Bücherschau. 

—  P.  Lang:  Den  Kopfhoch!  Ein  Ratgeber  und  Trostbuch  für  Erblindete 
und  deren  sehende  Umwelt.  (H,  Stürtz,  Würzburg  1918).  Wieder  ein  Buch  eines 
Blinden,  in  dem  uns  der  erblindete  Lehrer  Paul  Lang  in  Würzburg  Erlebtes,  Er- 
dachtes und  Erfragtes  aus  seiner  Blindheit  mitteilt.  Und  alles  gleich  wertvoll  und 
gehaltvoll.  Wir  erleben  in  dem  Buche  den  erschütternden  aber  auch  erhebenden 
Verlauf  des  Erblindetenschicksals  und  ist  es  dadurch  ein  Trostbuch,  so  bietet  es 
als  Ratgeber  den  Schicksalsgenossen  wichtige,  praktische  Winke  für  das  Verhalten 
in  seiner  Blindheit.  In  dem  Kapitel  drückt  sich  die  scharfe  Beobachtungsgabe  des 
Verfassers  aus.  Aber  wir  lernen  ihn  auch  als  gemütstiefen  Menschen  und  federge- 
wandten Schriftsteller  kennen.  Namentlich  die  von  ihm  herrührenden  eingestreuten 
Gedichte  zeugen  davon.  Das  Buch  Lang's  wird  uns  jenes  von  Jüval  (Der  Blinde 
und  seine  Welt)  mehr  als  ersetzen. 

Mitteilung. 

—  Ortsausschuß  für  den  VI.  Ost.  Blindenfürsorgetag.  Die  p.  t.  Aus- 
schußmitglieder werden  zu  der  am  Montag,  den  21.  Oktober  1.  J.  in  der  Ver- 
sorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  für  erwachsene  Blinde  in  Wien  VIII,  Josef- 
städterstraße stattfindenden  Ausschußsitzung  höflichst  eingeladen. 


Für    8  jähriges  Mädchen    wird  zum  weiteren   Privatunterricht    auf 
dem  Lande  in  schöner  Gebirgsgegend  Schlesiens  sehender  Blinden- 
lehrer oder  Blindenlehrerin  tür  bald  oder  später  gesucht. 
Bewerbungen   mit  Zeugnis  und  Bild  an: 
Dr.  F.  Gelirma  11 11  in  Jamowitz  am  Riesengebirge. 


^syl  für  blinde  Kinder  == 

Wien,  XVII.,  Hernaiser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder   im   vorschulpflichtigen   Alter  aus  allen  österreichi- 
schen Kronländern   auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 

Die  „ZentPQibibliotheh  filp  Bünde  in  Osteppeicli", 

Wien  XVIII,  Währinger  Gürtel  136, 

• verleiht  ihre   Bücher  kostenlos,  an   alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  Unterstützung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  liir  Blinde.  Erhaltung 
derMusikalien-Leilibibliotbek.   Telephon  10.071. 


Der  blinde  Modelleur 

FI  u  V>  <* i*t    3Xo  1 1  <\  vy\ 

Littau  in  Mähren, 

empfiehlt  seine  zu  Geschenken  .sich 
:  vorzüglich  eignenden  keramischen  : 
Handarbeiten.  Nähere  Auskunft  brieflich. 


FpoduhtiugenossensGlioft  für  blinde 
Bürstenbinder  und  Korbfieciiter. 

G.  m.  b.  H. 

Wien  VIII.,    FloHanigasse  Np.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

Alle  Gattungen  Bürstenbinder-  u.  KorhHecliterwaren. 
Verkaufsstelle;    Wien  VII..  Neubaugasse  75. 


Musiholieii  -  Leihinstitut 

des  Blinden-Unterstützungsvereines 
»Die  Purkersdorfer«  in  Wien,  V.. 
:  —  :   Nikolsdorfercasse  Nr.  42.   :  — : 


f^      Blindendrucknoten    werden    an 
VLJ      Blinde  unentgeltlich  verliehen! 


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von   Oskar  Picht. 
Bromberg. 


W.  Kraus,  Berlin  N  54 

(Gegründet  X878.) 

Borsten-,  Rohmaterialien-  und  Werkzeug-Fabrik 
===^==    Bürstenhölzerfabrik.     ===== 


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Mustergültige  Bearbeitung  von   Fi  be  r  und  Pi  as  sava 
aller  Arten. 


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Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.   — 


Schriftleitung 
Purkersdorf 
bei  'Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Nr.l  32.257 


Das  Blatt  erscheint 
monatHc±i  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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Bezugspreis 

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ganzjährig  mit 

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4  Kronen, 

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Einzelnummer 

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40  Heller. 

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5.  Jahrgang. 


Wien,  November  1918 


11.  Nummer. 


INHRLT:  Die  Zeitereignisse  und  unsere  Sactie.  F.  Demal,  Purkersdorf:  Der 
Dezimalpunkt.  Ig.  Krieger,  Wien:  Kindergärten  für  Blinde.  Die  Kriegsblinden- 
fürsorge in  Mähren.  Personalnachrichten.  f\us  den  Anstalten.  Für  unsere 
Kriegsblinden.      Verschiedenes.     (Ankündigungen). 


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3   Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Biindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung   in    Wien  VIII, 
3  Josef  Städterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.   ^ 

□Im  -  .^[51 


Bücherschau. 

—  F.  V.  Gerhardt,  Abriß  der  Blindenkunde,  Vom  Verein  der  deutsch- 
redenden Blinden  wurde  eine  Zentralstelle  für  Blindenforschung  geschaffen,  als  deren 
Leiter  Dr.  Ferd.  v.  Gerhardt  zeichnet.  Sie  will  unter  anderem  eine  Reihe  von 
Schriften  herausgeben,  die  im  Dienste  der  Blindenforschung  stehen.  Die  erste  davon 
liegt  bereits  vor.  Sie  führt  den  Titel  »Abriß  der  Blindenkunde«  und  hat  Dr.  Ferd.  v. 
Gerhardt  zum  Verfasser.  Sie  gibt  vorerst  einen  kurzen  geschichtlichen  Überblick 
über  das  Blindenwesen,  der  auf  so  manche  im  Volke  noch  heute  lebendige  Wahn- 
vorstellung von  Sein  und  Können  der  Lichtlosen  hindeutet.  Dr.  v.  Gerhardt  ver- 
tritt die  Ansicht,  daß  wohl  äußere  Maßnahmen  und  EinJichtungen  für  Blinde  zahl- 
reich vorhanden  wären,  doch  die  innere  Geschlossenheit  eines  Systems  fehlt,  das 
den  Blinden  stützt  und  in  allen  Lebenslagen  Halt  gibt.  Die  heutigen  Fürsorgeein- 
richtungen seien  noch  vielfach  von  den  Begriffen  Mitleid  und  Wohlwollen  zu  sehr 
beeinflußt.  Darunter  leide  aber  das  eigentliche  Ich  des  Blinden,  der  sich  nicht  ge- 
nügend verstanden  und  unbefriedigt  fühlt.  Die  Tatsache,  daß  der  Blinde  im  Gegen- 
satz zum  Sehenden  einen  Vorstellungsinhalt  nicht  durch  einen  Gesamteindruck  er- 
hält, sondern  ihn  stückweise,  wie  es  die  verbliebenen  Sinne  bedingen,  aufbauen  muß, 
führt  den  Verfasser  zu  einer  Reihe  von  Forderungen  für  die  Behandlung  des 
blinden  Kindes  im  Elternhaus  und  in  der  Schule,  Praktische  Ratschläge  uud  An- 
sichten äußert  er  auch  über  Berufswahl  und  Blindenehe.  Umfangreiche  Zusammen- 
stellungen von  Blinden-Anstalten  und  -Asylen,  sowie  von  Stiftungen,  für  Blinde  be- 
stimmt, beschließen  das  Büchlein,  das  als  Ratgeber  für  Fürsorgestellen,  Ärzte,  Geist- 
liche und  Erzieher  gedacht  ist,  und  auch  von  jedem  Fachmann  mit  Gewinn  gelesen 
werden  wird.  ^^■ 

—  Kodolitschv.  NenweinsbergHelen:  »Mein  Bl  i  nder .«  (Graz  1917, 
Leykam).  Die  Dichterin  schildert  in  gewandten  Versen  die  Rückkehr  eines  kriegs- 
blinden Offiziers  zu  seiner  Frau.  Schwer  ringt  der  Erblindete  mit  seinem  Schicksal, 
bis  ihm  auf  dem  Firmamente  seiner  Finsternis  vier  Sterne  aufgehen,  welche  ihm  zur 
Hoffnung  der  Zukunft  werden:  »Mein  Gott  der  Weisheit  und  mein  Vaterland,  mein 
treues  Weib  und  unser  Kind  der  Liebe.«  Ebenso  tief  wie  das  Schicksal  des  Erblin- 
deten fühlen  wir  die  seelische  Erschütterung  der  Frau,  deren  unwandelbare  Liebe 
den  schwankenden  Mann  wieder  zur  Bejahung  des  Lebens  führt.  Das  Gedicht  ist  das 
Bekenntnis  eines  edlen  Frauenherzens. 

—  Rappawi  A.  :  Beiträge  zur  Geschichte  der  Kriegsblinden- 
(Brunn,  Selbstverlag).  Das  Heftchen  enthält  verschiedene  Fülle  von  Kriegserblindungen 
aus  alten  Zeiten  wie  aus  der  Gegenwart,  wobei  Fälle  grausamer  Blendungen  im  Welt- 
kriege besonders  angeführt  werden. 

—  Halarevici  G.  Die  Fürsorge  für  die  Kriegsblinden  des  Her- 
zogtums Bukowina  im  Rahmen  de  r  B  1  i  nd  enf  ür  sorge  Ös  ter  r  ei  ch  s 
(Cernowitz,  Landeskommissiem  für^  heimehrende  Krieger).  Das  mit  Bildern  reich 
ausgestattete  Büchlein  gibt  einen  Überblick  über  das  Auftreten  der  Kriegsblinden, 
erwähnt  besonders  die  Tätigkeit  des  k.  k.  Blinden-Erziehungs-Institutes  inWien  II. 
für  die  österreichischen  Kriegsblinden  und  zeigt  uns  das  Leben  in  der  landwirt- 
schaftlichen Kriegsblindenschule  in  Straß  (N.  Ö).  Für  die  Bukowina  schlägt  der  Ver- 
fasser die  Schaffung  eines  Kriegsblindenheimes  und  einer  Reihe  anderer  mit  der 
Kriegsblindenfürsorge  zusammenhängenden  Einrichtungen  vor. 

Verschiedenes. 

—  Ungarischer  Blindenhund.  Am  22.  Sept.  1.  J.  fand  in  Budapest  die 
Gründung  des  »Blindenbundes«  für  Ungarn  in  einer  Versammlung  von  bei  nahe 
300  Teilnehmern  statt.  Diese  erste  Vereinigung  der  Zivil-  und  Kriegsblinden  beab- 
sichtigt in  allen  gemeinsamen  Interessen  der  Blinden  weit  eigenen  Kräften  tätig  zu 
sein. 

Es  wurden  zur  Vertretung  des  j^Blindenbundes«  gewählt:  Dr.  Mändy,  Advo- 
kat (erbl.  Oberleutnant),  J.  Verar,  Grundbuchsführer  (erbl.  Stabswachmeister), 
G.  Baikay,  ßlindendrucker,  Dr.  N.  Bänö,  Ingenieui  und  Notar,  G.  Ru  snäk, 
Korbflechermeister  (letzter  Zivilblinde),  ergänzt  durch  einen  Ausschuß  von  30  Mit- 
gliedern aus  den  erfahrensten  und  intelligentesten  Blinden. 


5.  Jahrgang. 


Wien,  November  1918. 


11.  Nummer. 


^  Blindheit    und  Taubheit    machen    für  den  ^ 

^  Sozialismus  besonders  empfänglich.      Helene  Heiler       ^ 


Die  Zeitereignisse    und    unsere  Sache. 

Sowohl  der  V.  als  auch  der  VI.  Österr.  Blindenfürsorgetag  fanden 
unmittelbar  vor  dem  Eintritte  welthistorischer  Ereignisse  statt.  Bald 
nach  dem  V.  Tage  standen  wir  in  den  Stürmen  des  Weltkrieges  und 
wir  richteten  damals  in  einem  Aufrufe  an  unsere  Fachkreise  die  Bitte, 
unbeirrt  von  den  blutigen  Kämpfen  auf  den  Schlachtfeldern,  opferfreudig 
in  dem  Gedanken  an  eine  siegreiche  Überwindung  aller  kommenden 
Schwierigkeiten,  in  unserem  Fache  weiter  zu  arbeiten,  mit  doppeltem 
Eifer  tätig  zu  sein  auf  dem  Gebiete,  in  das  uns  die  Bestimmung  ge- 
stellt hat,  in  der  Fürsorge  für  unsere  Blinden.  Dieser  Aufruf  ist 
nicht  ungehört  verhallt,  wenn  auch  die  durch  den  Krieg  hervorgeru- 
fenen Hemmungen  fühlbar  genug  waren  und  der  Blindenfürsorge  durch 
den  Krieg  zu  der  alten  auch  noch  neue  Aufgaben  erwuchsen.  Der  VI.  Tag, 
der  abermals  alle  Fachkreise  unseres  Vaterlandes  Österreich  zu  gemein- 
samer Beratung  vereinigte,  zeigte  von  dem  ernsten  Streben,  für  unsere  Sache 
neue  Grundlagen  zu  einer  glücklichen  Weiterentwicklung  zu  schaffen. 
Ehe  noch  an  die  Durchführung  der  Versammlungsbeschlüsse  gegangen 
werden  kann,  setzten  politische  Ereignisse  ein,  welche  tiefgehende  Um- 
wälzungen in  unserem  Staatsleben  hervorrufen  dürften.  Welche  Ver- 
änderungen sie  auf  dem  bisher  gemeinsamen  Gebiete  unserer  Blinden- 
fürsorge mit  sich  bringen  werden,  ist  heute  wohl  noch  unklar.  Wenn 
dieselben  durchaus  nicht  so  bedeutende  sein  dürften,  als  von  mancher 
Seite  vielleicht  angenommen  wird,  so  empfiehlt  es  sich  doch,  unseren 
Standpunkt  in  der  Sache  möglichst  früh  festzulegen  und  den  Tatsachen 
kühl  ins  Auge  zu  sehen.  Es  sind  daher  einige  Worte  zu  den  Zeitereig- 
nissen wohl  am  Platze. 


Seite  1024.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BUndenwes^en.  11.  Nummer. 

Im  politischen  Treiben  der  Gegenwart  spielen  die  Nationalitäten- 
fragen ganz  eine  exzesive  Rolle.  Im  Parlamente  sagte  ein  Redner  sehr  rich- 
tig, daß  es  geradezu  eine  „Krankheit  der  Zeit  ist,  alles  in  der  Welt  nur 
durch  die  nationale  Brille  zu  sehen".  Wie  hat  sich  unsere  Sache  zu 
den  nationalen  Leben  der  östereichischen  Völker  bisher  verhalten  und 
wie  soll  dies  weiter  geschehen,  ob  diese  Völker  nur  politisch  vereinigt 
bleiben  oder  nicht? 

Völkerstreit  gehört  zur  Politik  und  —  es  muß  dies  besonders  heute 
betont  werden  —  Politik  hatmitunsererSachenichts  zu  tun. 
Vor  dem  Elend  und  der  Hilfs  bedürftigkeit,  wie  sie  si  ch  be- 
sonders in  der  Blindheit  verkörpern,  hat  jede  Politik  Halt 
zu  machen,  denn  es  wäre  erbärmlich,  wollten  politischer  Haß  und 
Unduldsamkeit  sich  auch  in  diese  Kreise  humanitären  und  sozialen  Wir- 
kens eindrängen.  Bisher  war  unsere  Gemeinschaft  zum  Wohle  der  öster- 
reichischen Blinden  frei  von  derlei  zersetzenden  Bestrebungen.  Ein- 
trächtig wirkten  Männer  und  Frauen  der  verschiedensten  nationalen, 
religiösen  und  sozialen  Bekenntnisse  für  unsere  schöne  Aufgabe  und 
stellten  in  Gefühl  und  Vernunft  die  Sache  stets  über  alle  trennenden 
Momente.  Und  so  wird  es  auch  in  der  Zukunft  bleiben.  Dafür  birgt 
die  Heiligkeit  der  Sache,  welcher  wir  dienen,  und  welche  nur  reine 
Menschlichkeit  und  soziales  Mitempfinden  als  Triebfedern  anerkennen  kann. 

Die  Blindenfürsorge  ist  eine  soziale  Aufgabe  und  nur 
insoweit  politische  Gemeinschaften  sozial  zu  wirken  vermögen,  haben 
sie  ein  Recht,  an  dieser  Aufgabe  teilzunehmen.  Wenn  der  Nationalismus 
Streben  nach  möglichster  Vervollkommnung  eines  Volkes  auf  allen  Ge- 
bieten bedeutet,  so  wird  er  auch  fähig  sein,  der  Fürsorge  für  die  Blin- 
den zu  dienen.  Es  kann  nur  freudigst  begrüßt  werden,  wenn  jedes 
Volk  für  sich  auf  dem  Gebiete  der  Ausbildung  und  Versorgung  seiner 
Blinden  sich  die  bestmöglichsten  Einrichtungen  schafft.  In  diesem  edlen 
Wettbewerb  wird  sicher  kein  Volk  das  andere  hindern.  Im  Gegenteil ! 
Der  Wettbewerb  wird  anregend  und  über  politische  Grenzen  hin  anzie- 
hend wirken.  In  diesem  Sinne  wird  die  Blindefürsorge  eine  gemein- 
same Angelegenheit  aller  Völker  werden,  mehr  als  bisher ! 

Nun  noch  etwas  zur  Frage  der  zukünftigen  Regierungs-  bezw.  Ver- 
waltungsform in  den  einzelnen  Volksgebieten.  Das  Streben  der  Zeit  geht 
nach  Demokratisierung.  Wird  diese  Regierungsform  die  großen  sozialen 
Aufgaben  der  Gegenwart  und  Zukunft  zu  bewältigen  vermögen,  so  wird 
sie  auch  für  die  Bindensache  segenbringend  sein.  Soziale  An-  und- 
Ausgleichung  war  von  jeher  das  Bestreben  der  Blindenwelt  und  ihrer 
Freunde.  Wahrhaft  sozial  fühlende  Bestrebungen  der  verschiedensten 
Parteien  werden  daher  der  Entwicklung  des  Blindenwesens  nur  förder- 
lich sein.  Nochmals  muß  aber  gesagt  werden,  daß  das  sonstige  politi- 
sche Treiben,  namentlich  in  den  vielfach  entarteten  Formen  der  Gegen- 
wart, innerhalb  unseres  Gebietes  keinen  Platz  finden  darf.  Für  unsere 
A  u  f  g  a  b  e  m  u  ß  1  e  d  i  g  1  i  c  h  r  e  i  n  e  M  e  n  s  c  h  e  n  1  i  e  b  e  u  n  d  s  e  1  b  s  1 1  0  s  e 
Hilfsbereitschaft  für  unsereBlinden  maßgebend  bleiben. 

Noch  zählt  zu  den  Fragen  der  Zukunft,  wie  weit  sich  unser  Ar- 
beitsgebiet in  der  „österreichischen"  Blindenfürsorge,  wie  sie  bisher  be- 
stand, erstrecken  wird.  Es  braucht  uns  auch  bei  der  Beschränkung  auf 
ein  engeres  Feld  nicht  bange  zu  sein.  Kleinmut  und  Jammer  sind  durch- 
aus  nicht  am  Platze.     Wir   werden   auf   allen  Gebieten  stets  das  sein, 


11.  Nummer. 


Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen. 


Seite  )025. 


was  wir  aus  uns  zu  machen  verstehen.  Auch  unsere  noch  öster- 
reichische Blindenfürsorge  wird  den  errungenen  Ehren- 
[)  1  a  t  z  h  e  h  a  u  p  t  e  n  und  sich  glücklich  Weiterentwickeln, 
vielfach  zum  Vorbilde  für  Kreise,  bei  denen  heute  das 
Streben  nach  L  o  s  1  ö  s  u  n  g  besteht.  N  u  r  m  ü  s  s  e  n  w  i  r  a  u  c  h  u  n  - 
serer  Aufgab  e  j  e  d  erzei  t  bewußt  bleiben  und  sie  mit  allen 
e rr e i  c h b  ar  e n  M  it te  1  n  ei  n t r  äc h t i  g  z  u  b  e  w  ä  1 1 i  g e  n  V  e  r  s  u  c  h  e  n. 
In  diesem  Gedanken  gibt  e  s  k  e  i  n  R  ü  c  k  w  ä  r  t  s  u  n  d  A  b  w  ä  r  t  s , 
sondern  nur  ein  Vorwärts   und  Aufwärts! 

Der   Dezimalpunkt. 

Ein  methodischer  Vorschlag  von  Hauptlehrer  Friedrich  Demai   in  Purkersdorf. 

Beim  schriftlichen  Rechnen  im  Blindenunterricht  wird,  gleichgiltig 
ob  man  Apparate  mit  arabischen  oder  Punktschriftziffern  verwendet, 
wie  bei  Sehenden  der  Dezimalpunkt  zwischen  Einer  und  Zehntel  gesetzt. 
Während  er  nun  in  der  gewöhnlichen  Schrift  nur  einen  kleinen  Platz 
einnimmt,  beansprucht  er  auf  dem  Blindenapparate  ein  vollesFeld. 
Ich  behaupte  nun,  —  die  nachfolgenden  Beispiele  sollen  dies  näher  aus- 
führen —  daß  diese  übliche  Stellung  des  Dezimalpunktes 
den  blinden  Schüler  zu  Rechenfehlern  verführen  kann. 
Dies  ist  umso  bedauerlicher,  da  sich  der  gedeihlichen  Durchführung 
dieses  Gegenstandes  ohnehin  noch  andere  Übelstände  hemmend  in  den 
Weg  legen:  die  kurz  bemessene  Unterrichtszeit,  da  ja  das  Kopfrechnen 
doch  die  Hauptsache  bleibt,  die  zeitraubende  Hantierung  mit  den  einzu- 
setzenden Ziffern,  die  geringe  Übersichtlichkeit  der  nach  Länge  und  Breite 
viel  Raum  einnehmenden  größeren  Rechnungen. 


1.  a) 


16-89 
25-67 
38-98 
47-65 


b) 


16-89 
25-67 
38-98 
47-65 


129-19* 


128919 

iMit  Dez.-Punkt  12S9-19) 


a)  348-67X43 
139468 
104601 


1499281 
(14992-81; 


b)  348-67X43 
1394  68 
104  601 
1499  281 
(14992-81) 


175-84 
78 
224 


(I)   348-67X13 
104601 
3585271 

(35852-71) 

56  =  3-14  b)  175-84 

78 
228 


2.  a)  316-89 

-46-97 

269-92 

b)  316-89 

-47-97 

269992 

(Mit  Dez.-Punkt  2699-92) 

c)  348-67X43 
1395468 
104601 
14059281 
(140592-81 

348-67X13 
104  601 


453  271 

(4532-71) 

ä6  =  3- 1407     c)   175-84  : 
7  8 
2  24 

440  (Rest  48) 


bii 


•14 


*  Aus  Gründen  der  Zeit-  und  Raumersparnis     bleiben  im  Unterrichte  bei  allen 
Rechnungsarten  die  bei  Sehenden     üblichen  Trennungslinien  weg. 


Seite  1026.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  11.  Nummer. 

ö.     a)  2092-2  :  600  =  20-922  :  6 

b)  20922  :  600  »  2Ö922  :  6 

c)  348654  :  487  =    348654  :  487 

Die  voranstehenden  Beispiele  mit  ihrer  Gegenüberstellung  der  rich- 
tigen und  falschen  Ausrechnung  zeigen  uns,  wie  sich,  durch  den  Dezimal- 
punkt veranlaßt.  Fehler  einschleichen  können :  die  Missetäter  sind  frei- 
lich meist  schwächer  begabte  oder  gedankenlose  Schüler. 

Addieren:  Beispiel  la  ist  richtig:  b  ist  dadurch  falch  gewor- 
den, daß  der  Schüler  nach  dem  Addieren  der  Zehntel  nicht  sofort  den 
Dezimalpunkt  setzte,  sondern  den  9er  der  Einersumme  gleich  an  die 
Zehntel  anschloß  und  nun  die  Einer  irrtümlich  nochmals  addierte :  den 
Dezimalpunkt  setzte  er  erst  am  Schluße. 

Subtrahieren:  2a  ist  richtig,  b  ist  falsch.  Der  Fehler  entstand 
genau  so  wie  in  Ib.  —  Daraus  folgt:  Beim  Addieren  und  Subtrahieren 
ist  schon  vor  Ausführung  der  Rechnung  der  Dezimalpunkt  zu 
setzen.  Im  übrigen  sind  gerade  bei  diesen  zwei  Rechnungsarten  bei  der 
Ausführung  auf  Blindenapparaten  weniger  leicht  Fehler  möglich  als  bei 
der  gewöhnlichen  Schrift,  da  bei  der  letzteren  den  Schülern  das  genaue 
Darunterschreiben  .„Einer  unter  Einer  etc."  Schwierigkeiten  macht,  wäh- 
rend auf  dem  ßlindenapjjarat  die  gleichstelligen  Zittern  durch  die  vor- 
handenen Löcher  der  Setztafel  oder  eine  andere  Vorrichtung  in  kerzen- 
gerade Reihen  gezwungen  werden. 

Multiplizieren:  Hier  kann  es  dem  Schüler  freigestellt  werden 
unter  dem  Dezimalpunkte  des  Multiplikanten  Ziffern  anzusetzen  (3a)  oder 
nicht  (3  b.)  Ich  habe  schon  Schüler  aus  anderen  Klassen  übernommen, 
die  entweder  die  eine  Art  oder  die  andere  übten.  Ich  bin  entschieden 
für  die  zweite,  also  dafür,  daß  unter  den  D  e  z  i  m  a  1  p  u  n  k  t  keine 
Ziffer  kommt,  denn:  1.  können  sonst  wieder  leicht  Fehler  entstehen 
(3c:  die  Einer  wurden  zweimal  multipliziert),  2.  ist  die  erste  Art  auch 
nicht  immer  möglich  (3d  als  Beispiel  einer  Aufgabe  mit  Anwendung 
eines  Rechenvorteiles),  während  die  zweite  Art  immer  durchführbar  ist 
3e,    was   für    schnelles    mechanisches  Rechnen    von  großem  Vorteil  ist. 

Dividieren:  Auch  bei  dieser  Rechnungsart  kann  man  beide  Ge- 
bräuche üben:  Man  kann  unter  den  Dezimalpunkt  des  Dividenden  Ziffern 
der  Reste  setzen  oder  nicht.  Bei  der  ersten  Art  kommt  die  herabgesetzte 
Ziffer  nicht  genau  unter  die  gleiche  obere  was  sich  entschieden  nicht 
gut  ausnimmt  (4a)  oder  gar  zu  Fehlern  führt  (4b.)  Es  ist  daher  auch  hier 
am  besten,  unter  den  Dezimalpunkt  keine  Ziffern  zu  setzen 
(4e.).  Freilich  erscheinen  dann  die  Reste  unangenehm  zerrissen,  wie  es 
auch  beim  Multiplizieren  mit  den  Teilprodukten  der  Fall  ist  (3b.) 

Die  Unzukömmlichkeiten  beider  Methoden  (das  fehlerhafte  Darun- 
terschreiben bei  der  ersten  und  das  Zerreißen  der  Produkte  und  Reste 
bei  der  zweiten)  lassen  sich  am  besten  dadurch  vermeiden,  daß  man 
beim  Multiplizieren  und  Dividieren  —  beim  Addieren  und  Sub- 
trahieren ist  es  nicht  angezeigt  —  den  Dezimalpunkt  nicht  vor,  son- 
dern auf  die  Zehntel  setzt.  Dies  ergibt  folgende  V^orte  il  e:  1.  wer- 
den die  bei  der  üblichen  Dezimalpunkt-Setzung  aufretenden,  eben  an- 
geführten Uebelstände  beseitigl.    2.  Die  Zahlen  erscheinen  übersichtlicher 


11.   Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Bhndenweien.  Seile  1027. 

zusanimeiigeschobeii.  o.  Multiplikationen  mit  und  Divisionen  durch  Zeh- 
ner-, Hunderter-  und  Tausenderzahlen  lassen  sich  viel  einfacher  durch- 
fühi'en.  So  muß  bei  Beispiel  5a  der  Schüler  den  Dezimalpunkt  und 
Kiner  und  Zehner  herausnehmen,  die  zwei  Zittern  nach  rechts  rücken 
und  dann  wieder  den  Dezimalpunkt  einfügen,  Arbeiten,  die  Zeit  erfor- 
dern und  auch  leicht  zu  Fehlern  führen.  Bei  der  vorgeschlagenen  Dezimal- 
punkt-Setzung hingegen  (5b)  ist  blos  der  Punkt  um  2  Stellen  nach 
links  zu  setzen.  Diese  Versetzung  des  Dezimalpunktes  kommt  beson- 
ders bei  Divisionen  von  Dezimalzahl  durch  Dezimalzahl  vor 
(5e),  wo  es  sich  darum  handelt,  den  Divisor  in  eine  ganze  Zahl  zu  ver- 
wandeln, wodurch  für  die  Schüler  das  Stellen  wer  tb  e  stimmen  wesent- 
lich erleichtert  wird. 

Ich  will  nicht  verkennen,  daß  auch  die  vorgeschlagene  Punktse- 
tzung einen  Nachteil  hat:  der  über  der  Zahl  stehende  Dezimalpunkt  be- 
nötigt eine  eigene  Zeile.  Aber  dagegen  gäbe  es  tech  ni  s  che  Mittel,  die 
wohl  erst  vom  Mechaniker  zu  lösen  sind :  Entweder  benützt  man  für 
Zehntel  etwas  erhöhte  Typen,  von  denen  jeder  Apparat  einige  Stücke 
für  jede  Zitfernart  enthalten  müßte,  oder  man  erzeugt  statt  der  Dezi- 
malpunkte erhöhte  T  r  e  n  n  u  n  g  s  p  1  ä  1 1  c  h  e  n ,  die  kein  eigenes  Feld 
beanspruchen,  sondern  zwischen  Einer  und  Zehntel  einge- 
klemmt werden. 

Das  Voranstehende  kurz  zusammengefaßt  ergibt: 

1.  Der  Umstand,  daß  bei  Rechnungen  mit  Blindenapparaten  der 
Dezimalpunkt  ein  volles  Feld  einnimmt,  führt  leicht  zu  Fehlern  vonseite 
der  Schüler.  Es  ist  daher  für  alle  Rechnungsarten-  die  Regel  zu  be- 
achten:  Unter  dem  D  e  z  i  m  a  1  p  u  n  k  t  kommt  nie  eine  Ziffer. 

2.  Für  das  Multiplizieren  und  besonders  das  Dividieren  empfiehlt 
es  sich,  den  Dezimalpunkt  nicht  vor,  sondern  auf  die  Zehntel  zu 
setzen. 

'6.  Es  ist  technisch  zu  erwägen,  ob  sich  der  Punkt  nicht  durch  er- 
höhte Zehntel-Typen  oder  durch  Trennnngspl  ä  ttchen,  die 
kein  eigenes  Feld  brauchen,  ersetzen  ließe. 

Kindergärten  für  Blinde. 

Von  Ignaz  Krieger,    Wien,    Ausschußmitghed  des  I.   Österr.  BHndenvereines. 

Herr  Direktor  Karl  B  ü  r  k  I  e  n  hat  am  VI.  österreichischen  Blindenfür- 
sorgetag in  seinem  ausgezeichneten  Referat  mit  Recht  die  hohen  Segnun- 
gen der  Kindergärten  für  Blinde  betont  und  darüber  bitter  geklagt,  daß- 
diese  Einrichtungen  des  Blindenerziehungswesens  bisher  eigentlich  nicht 
über  dasVersuchsstadium  hinausgewachsen  sind.  Und  doch  sind  es  nun 
schon  mehr  als  dreißig  Jahre  her,  seitdem  man  an  die  Errichtung  des  er- 
sten Kindergartens  geschritten  ist,  welchem  sich  nur  ein  zweiter  ähnlicher 
Versuch  angeschlossen  hat.  Als  Blinder,  welcher  unter  denjenigen  blinden 
Kindern  das  unendliche  Glück  hatte,  sein  vorschulpflichtiges  Alter  im 
„Asyl  für  blinde  Kinder"  zu  Wien  verbracht  haben  zu  können,  gestatte 
ich  mir  höflichst  an  die  Bemerkungen  des  Herrn  Direktor  Bür kl en  an- 
zuknüpfen. Es  steht  mir  natürlich  gar  nicht  das  Recht  zu,  über  den  erzieh- 
lichen Nutzen  von  Kindergärten  überhaupt  und  von  Stätten  für  blinde 
Kinder    im  vorschulpflichtigen  Alter  im    besonderen,    zu    urteilen.     Ich 


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möchte  auch  Herrn  Direktor  B  ü  r  k  1  e  n  keine  direkte,  durch  meine  Theo- 
rie oder  Praxis  mir  bestätigte  Auffassung  entgegenstellen,  indem  ich 
Herrn  Direktor  Bürklen  darin  nicht  beipflichten  kann,  daß  das  Eltern- 
haus eine  wertvollere  Erziehungsstätte  für  blinde  Kinder  im  vorschul- 
pflichtigen Alter  darstellt,  als  es  der  Kindergarten  zu  sein  vermag.  Ich 
glaube  ganz  im  Gegenteil,  daß  für  die  weitaus  größere  Anzahl  solcher 
Fälle  die  Kindergärten  viel  viel  nützlicher  wären,  als  das  Elternhaus. 
Ich  spreche  nicht  als  Fachmann,  sondern  nur  aus  meinem  eigenen  Er- 
leben an  mir  und  an  vielen  meiner  Jugend-  und  Leidensgefährten  her- 
aus. In  dieser  Eigenschaft  kann  ich  wohl  sagen,  daß  ich  nach  jener  ziel- 
bewußten, hingebungsvollen  Betreuung  meiner  körperlichen  und  seeli- 
schen Gesundheit,  wie  ich  sie  im  „Asyle"  genoß,  es  nach  meinem 
Eintritt  in  die  eigentliche  Blindenschule  vielfach  leichter  hatte  mit  dem 
Erlernen  des  ersten,  verschiedenartigen  Unterrichtsstoffes,  als  viele  meiner 
acht-  und  neunjährigen  Kameraden.  Ich  glaube  schon  als  Kind  beobach- 
tet haben  zu  können,  daß  ich,  im  Kindergarten  vorgeschult  für  Reinlich- 
keit, Ordnungsliebe,  Disziplin  überhaupt,  an  Pflicht-  und  Verantwortungs- 
gefühl gewöhnt,  mich  viel  leichter  hineinfand  in  den  unvermeidlichen  Vor- 
schriftenzwang des  Gemeinlebens  in  der  Blindenschule,  als  andere  meiner 
Mitschüler.  Eine  solche  Vorschulung  des  Gemeinsinnes  und  vieler  an- 
derer Tugenden  eines  Internisten  kann  das  Elternhaus  wohl  kaum  dem 
blinden  Kinde  bieten.  Ich  glaube  auch,  daß  nur  sehr  wenige  Elternhäuser 
in  der  Lage  sind,  die  altersgemäßen  und  wesenseigenen  Vorkehrungen 
zu  treffen,  damit  das  blinde  Kind  noch  vor  der  Schule  die  Anregungen 
des  Geistes,  der  Lernfreude,  und  der  Lernbeharrlichkeit  finde.  Gar  nicht 
zu  sprechen  darüber,  daß  blinde  Kinder,  besonders  im  Elternhause  auf 
dem  Lande  und  in  der  Kleinstadt,  oftmals  körperlich  und  seelisch  verküm- 
mern müssen  oder  doch  nur  eine  unsachgemäße  Obhut  finden.  Die  weit- 
aus meisten  Kinder  würden  wohl  das  Gefühl  des  Heimwehs,  der  Ver- 
lassenheit bei  ihrem  Eintritt  in  die  Blindenschule  viel  leichter  überwinden, 
wenn  sie  schon  im  Kindergarten  ähnliches  durchlebt  hätten.  Solche  See- 
lenzustände,  welche  bekanntlich  sich  bis  zur  Herabgedrücktheit  steigern 
können,  würden  nicht  so  lähmend  auf  die  Lerntätigkeit  der  Kinder  wir- 
ken. Ich  kann  mich  sehr  wohl  an  viele  diesbezügliche  Tatsachen  er- 
innern, und  weiß  von  mir  selbst,  daß  ich,  der  ich  ja  bereits  vorgeschult 
war  und  außerdem  meine  Eltern  nicht  weit  weg  von  mir  wußte,  den- 
noch unter  dem  Heimweh  sehr  litt. 

Es  wurde  in  mehreren  Referaten  am  VI.  Österreichischen  Blinden- 
fürsorgetag die  Notwendigkeit  neuerdings  anerkannt,  daß  die  Körperpfle- 
ge der  Blinden  in  erhöhtem  Maße  betrieben  werden  muß,  als  dies  bis 
nun  der  Fall  war.  Auch  hier  kann  man  nicht  besser  verfahren,  als  wenn 
man  darnach  streben  wollte,  schon  dem  vorschulpflichtigen  Kinde  die 
systematische  Körperpflege  und  Gesundheitserstarkung  zu  bieten.  Denn 
auch  hier  kann  das  Elternhaus  entweder  gar  nichts,  oder  nur  Unzuläng- 
liches tun. 

Aus  alledem  komme  ich  dahin,  Herrn  Direktor  Bürklen  nicht 
beipflichten  zu  können,  wenn  er  —  und  ich  glaube  mich  nicht  zu  irren 
—  das  Elternhaus  dem  Kindergarten  vorzieht.  Das  mag  seine  Berech- 
tigung haben  für  das  sehende  Kind  und  höchstens  in  mancher  Beziehung 
für  blinde  Kinder  aus  besitzenden  und  dabei  wirklich  gebildeten  Fami- 


11.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwcsen.  Seite  1029. 

lien.  Weil  ich  aber  fest  überzeugt  bin,  daß  Kindergärten  für  Blinde 
ebenso  wichtig,  wenn  nicht  noch  viel  wichtiger  sind  als  Heime  für  er- 
wachsene, herangebildete  Blinde,  weil  ich  glaube,  daß  es  viel  sozialer 
und  ökonomischer  wäre,  in  den  Kindergärten  bei  Zeiten  zarteste  Seelen 
und  Körper  der  Blinden  zu  retten  vor  dem  Untergang,  als  nachher  die 
ausgebildeten  Begabungen,  Neigungen  und  Fertigkeiten  der  Erwachsenen 
wieder  in  Heimen  verdorren  zu  lassen,  obgleich  man  so  und  soviel 
Zeit,  Mühe,  Geld  auf  die  Heranbildung  verwandte;  weil  ich  das  glaube, 
so  hat  mir  Herr  Direktor  Bürklen  so  recht  vom  Herzen  gesprochen, 
als  er  den  lauten,  eindringlichen  Appell  an  alle  öffentlichen  und  privaten 
Faktoren  der  Hilfeleistung  richtete,  man  möchte  doch  endlich  diesem  Stief- 
kinde aller  Blindenfürsorgeeinrichtungen  erhöhte  Aufmerksamkeit  widmen. 
Ich  verfange  mich  sogar  so  weit  zu  gehen  und  den  Wunsch  zu  be- 
kennen, es  sollten  eher  die  Mittel  für  Errichtung  von  Kindergärten  ver- 
wendet werden,  anstatt  für  Heime  der  Erwachsenen.  Es  scheint  mir, 
daß  der  erwachsene,  ausgebildete  Blinde  niemals  so  grausam  der  Ver- 
elendung anheim  fallen  kann,  wie  das  blinde  Kind,  das,  wenn  es  auch 
keine  Blindenschule  besuchen  kann,  nicht  einmal  das  Glück  hat,  die 
wenigen  rosigen  Jahre  des  vorschulpflichtigen  Alters  in  der  Obhut  eines 
Kindergartens  verleben  zu  können.  Der  erwachsene  Mensch  im  allge- 
meinen pflegt  von  der  Nachgeneration  zu  sagen:  „Sollen  es  die  Kinder 
nur  recht  gut  haben,  wer  weiß,  was  ihnen  das  Leben  nachher  beschert". 
Das  gilt  aber  gewiß  vom  blinden  Kinde  nicht  minder.  Ihm  ist  vor  allem 
wenigstens  in  der  Jugend  auch  schon  vor  der  Schule  Licht,  Freude, 
Kinderbefriedigung  so  viel  als  nur  möglich  aus  vollstem  Herzen  zu  wün- 
schen, weil  ihm  nachher  das  Leben  keinesfalls  all  zu  viel  Rosen  be- 
schert. Wenn  man  darauf  ausgeht,  der  heranwachsenden  Generation 
möglichst  viele  freudige,  kostbare  Jugenderinnerungen  zu  übermitteln, 
jene  Schätze  des  Herzens,  von  denen  wir  alle  dereinst  zehren  sollen  in 
den  Bitternissen  des  Lebens,  so  gilt  das  vor  allem  und  vielleicht  ganz 
besonders  vom  vorschulpflichtigen  blinden  Kinde.  In  der  Blindenschule 
wird  nach  bestem  Können  und  Wissen  dieses  angestrebt,  aber  man  ver- 
gißt dabei  oft,  das  sich  leider  in  unserer  heutigen  Zeit  das  unbefan- 
gene Alter  des  Kindes  bei  vielen  schon  sehr  bald  verliert.  Realismus, 
Nüchternheit  und  Armut  der  Kinderphantasie  stellen  sich  leider  oft  schon 
früh  noch  während  der  Zöglingszeit  in  der  Blindenschule  ein.  Sie  ma- 
chen viele  blinde  Kinder  zu  bald  verarmen  an  jenen  unschuldigen  Kin- 
derfreuden, unbefangenen  Kinderträumen,  jenen  echten  Kinderbefriedi- 
gungen, welche  der  seelische  Sparpfennig  jedes  Menschen  sind.  Dieser 
Sparpfennig  wäre  gewiß  viel  reichlicher,  wenn  möglichst  viel  blinde 
Kinder  im  vorschulpflichtigen  Alter  vor  der  Nüchternheit  und  dem  Rea- 
lismus der  meisten  Elternhäuser  bewahrt  blieben. 

Der  Herr  Vertreter  des  Ministerums  für  soziale  Fürsorge  hat  beim 
VI.  Österreichischen  Blindenfürsorgetag  gesagt,  es  sei  ein  erstes  Gebot 
der  nunmehrigen  Staatsökonomie,  auch  die  bisher  außer  Acht  gelassenen 
Schwachen  in  den  Arbeitskreislauf  der  Menschengesellschaft  einzube- 
ziehen  und  zur  möglichsten  Entfaltung  zu  führen.  Wohlan!  So  beginne 
man  schon  beim  blinden  Kinde  im  vorschulpflichtigen  Alter.  Dem  ge- 
genüber ist  es  aber  recht  merkwürdig,  daß  die  letzten  Jahre  sozialer 
Fürsorgebestrebungen,  welche  doch  ganz  im   Zeichen  „des  KindeR„  ste- 


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hen  mit  der  Losung  ,.Alle.s  für  das  Kind",  daß  man  in  dieser  Zeit  fast 
ganz  an  blinde  Kinder  vergißt.  Nur  für  das  sehende  Kind,  auch  schon 
im  vorschulpflichtigen  Alter,  ist  man  am  Werke.  Man  schafft  Tagesstätten 
Ferienkolonieen,  verschiedene  Kinderheilstätten.  Rechts-  und  Schutz- 
stellen, Spiel-  Belustigungsplätze  usw.  Dabei  geht  man  von  der  Not- 
wendigkeit aus,  daß  das  Kind  unbedingt  gleichaltrige  und  gleichartige 
Kameraden  zu  seiner  Entwicklung  braucht.  Das  blinde  Kind  aber  beläßt 
man  weiter  in  seiner  traurigen,  trübseligen  Einsamkeit,  dabei  in  einer 
Umgebung,  die  seinem  Gebrechen  und  seinem  damit  bedingten  Ander.s- 
wesen  durchaus  fremd  ist.  Nur  ganz  wenigen  ist  es  vergönnt,  mit  gleich- 
artigen und  gleichaltrigen  Spiel-  und  Lernkameraden  beisammen  sein 
zu  können. 

Herr  Direktor  ßürklen  hat  in  seinem  Vortrag  ausgeführt,  daß  eine 
der  Ursachen  für  die  all  zu  langsame  Entstehung  von  Kindergärten  darin 
zu  suchen  ist,  daß  sie  nicht  populär  werden,  weil  ihnen  das  Mißtrauen 
der  Eltern  von  blinden  Kindern  gegenüber  steht.  Ich  kann  mir  sehr  wohl 
dieses  Mißtrauen  vorstellen,  schon  darum,  weil  es  den  Eltern  in  den 
weitaus  meisten  Fällen  an  den  geeigneten  Beratern  fehlt.  Ich  denke  da- 
bei vor  allem  an  die  nahestehensten  Ratgeber  in  allen  Krankheiten  oder 
gar  bei  Sorgen  über  .schon  hereingebrochene  oder  bald  zu  erwartende 
Erblindungen,  also  an  Ärzte  im  allgemeinen  und  Augenärzte  im  beson- 
deren. Ich  meine  das  so:  von  den  Augenärzten  muß  man  wohl  schlechter- 
dings annehmen,  daß  sie  über  die  verschiedenen  Einrichtungen  der 
Blindenerziehungs-  und  Fürsorgebestrebungen  vollauf  unterrichtet  sind, 
so  daß  sie  also  ratbedürftigen  Eltern  von  noch  nicht  schulpflichtigen 
Blinden  den  einzig  richtigen  Weg,  nach  den  Kindergärten  weisen  können. 
Dennoch  könnte  man.  sich  auch  darin  irren  und  es  Augenärzte  geben, 
welche  nichts  wissen  über  den  Bestand  von  Kindergärten.  Hauptsächlich 
aber  ziele  ich  ab  auf  die  Ärzte  in  den  Landgemeinden  und  Kleinstäd- 
ten, welche,  ohne  sich  spezialisieren  zu  können,  doch  auf  allen  Gebie- 
ten der  ärztlichen  Hilfeleistung  und  Raterteilung  tätig  sein  müssen.  Da 
wird  es  sich  ganz  gewiß  leider  nur  all  zu  oft  ereignen,  daß  Ärzte  nicht 
allzuviel  und  Genaues  wissen  von  den  Errungenschaften  und  Einrich- 
tungen ;^des  Blindenerziehungswesens.  Sie  haben  vielleicht  irgendwo  ir- 
gendetwas darüber  gehört  oder  gelesen,  aber  Ziel,  Zweck  oder  gar  Or- 
ganisation solcher  Einrichtungen  kennen  doch  nur  die  kleinere  Anzahl 
unter  ihnen.  Sogar  in  der  Großstadt,  z.  B.  in  Wien,  mitten  zwischen 
drei  Blindenerziehungsanstalten  kann  es  der  Blinde  oft  genug  erleben, 
daß  Ärzte,  ja  mitunter  sogar  auch  Augenärzte  wie  der  ,,Mann  vom 
Monde"  über  die  Brailleschrift,  das  Braillenotensystem,  über  das  Biblio- 
thekswesen und  über  viele  andere  schon  längst  selbstverständliche  Dinge 
aus  dem  ,,Einmaleins"  des  Blindenbildungswesens  staunen.  Was  kann 
man  aber  dann  vom  Landarzte  erwarten,  der  mehr  oder  weniger  ein- 
sam als  „akademischer  Robinson"  in  irgend  einem  verlorenen  Dörfchen 
oder  Städtchen  sitzt?  Wie  kann  er  mehr  wissen  vom  Blindenkinder- 
gärten,  wenn  es  seine  Kollegen  in  der  Großstadt  kaum  wissen?  Aber 
gerade  den  allerunerfahrensten  hilflosesten  Eltern  blinder  Kinder  sollen  sie 
raten  und  beistehen.  Sie  sollen  Mut  und  Hoffnung  in  die  Seelen  der 
verzweifelten  Eltern  träufeln;  das  ist  ihre  göttliche  Mission.  Ähnlich  ver- 
hält es  sich  auch  mit  den  Lehrern  und  Seelsorgern  auf  dem  Lande.    Ins- 


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hosonders  der  Seelsorger  ist  doch  die  Zuflucht  aller  bedrückten  und  be- 
Irübten  Eltern  auf  dem  Lande.  Zu  seiner  Mission  gehört  es  ja  vor  allem, 
Kenntnis  zu  haben  von  den  Einrichtungen  des  Blindenwesens. 

Alle  die  hier  nur  angedeuteten  Tatsachen  lassen  mir  den  Wunsch 
als  sehr  berechtigt  erscheinen,  es  möchten  die  maßgebenden  Faktoren 
des  Blindenwesens  die  geeigneten  Mittel  und  Wege  ausfindig  -machen 
und  nacher  auch  wirklich  gebrauchen,  um  die  Ärztewelt  in  einen  viel 
engeren  und  beständigeren  Kontakt  mit  den  Kindergärten  und  Schulen 
für  Blinde  zu  bringen.  In  den  großen  Städten  würde  es  sich  insbeson- 
ders  um  Augen-  und  Kinderärzte  handeln,  ferner  um  die  verschiedenen 
Kategorien  von  Amts-  Bezirks-  Polizei-  und  Armenärzten  u.  s.  w. 
Hauptsächlich  aber  kämen  hiernach  die  Landärzte  in  Betracht,  sowie  Seel- 
sorger und  Lehrer  auf  dem  Lande.  In  eine  positive,  plausible  Form, 
wie  man  es  machen  sollte,  kann  ich  meinen  Vorschlag  nicht  klei- 
den ;  es  fehlt  mir  leider  die  nötige  Sachkenntnis  der  Dinge.  Vielleicht 
wären  ärztliche  Zeitschriften  oder  öffentliche  Vorträge  usw.  die  geeig- 
neten Mittel.  Aber  ganz  deutlich  schwebt  es  mir  vor,  daß  man,  wenn 
es  gelänge,  die  Ärzte,  Seelsorger  und  Lehrer  viel  intensiver  zur  Mit- 
arbeit als  Berater  der  Eltern  von  blinden  Kindern  und  auch  erwachsenen 
Blinden  heranzuziehen,  dadurch  viel  beigetragen  würde  zur  Linderung  des 
Unglückes.  Viele  Eltern  wüßten  dann  rechtzeitig  etwas  von  den  Kinder- 
gärten, würden  ihre  Kinder  denselben  übergeben.  Die  Kenntnis  dieser 
p]inrichtungen  würden  sich  in  der  Öffentlichkeit  doch  mehr  verbreiten, 
Mittel  aller  Art  würden  auch  für  diese  Einrrichtungen  gespendet  werden. 
Die  Behörden  müßten  schließlich  darauf  aufmerksam  werden  und  ihre 
Beihilfe  angedeihen  lassen. 

Solange  Ärzte,  Lehrer  und  Seelsorger  so  naiv,  unerfahren,  ja  öfter 
sogar  gänzlich  fremd  den  Bemühungen  des  Blindenwesens  gegenüber- 
stehen, kann  man  meines  Erachtens  nicht  erhotfen,  daß  die  Blindenfra- 
ge  in  modernem  Geiste  das  Verständnis  des  ganzen  Volkes  finde  und 
von  da  aus  eine  Angelegenheit  des  Staates,  der  menschlichen  Gesellschaft 
werde. 

Die  Kriegsblinden-Fürsorge  in  Mähren.* 

Die  Mährische  Landeskonunission  zur  Fürsorge  für  heimkehrende 
Krieger  hat  vor  allem  auch  im  Jahre  1917  wieder  der  Schulung  der 
Kriegsblinden  ihr  besonderes  Augenmerk  zugewendet,  indem  sie  hiebei 
die  maßgebenste  Unterstützung  seitens  des  Mährischen  Landesausschus- 
ses fand,  der  sowohl  für  den  Unterricht  der  Kriegsblinden  im  Lesen 
und  Schreiben  der  Blindenschrift  als  auch  für  ihre  fachliche  Schulung 
die  Lehrkräfte  der  Mährichen  Landes-Blinden-Erziehungsanstalt  zur  Ver- 
fügung stellte  und  durch  diese  nicht  hoch  genug  zu  bewertende  Förder- 
ang der  Kriegsblinden-Fürsorge  einen  wesentlichen  Anteil  an  ihrem  Er- 
folge hat. 

Für  die  Unterbringung  der  Kriegsblinden  war  in  gleicher  Weise 
wie  im  Vorjahre  vorgesorgt;  sie  konnten  weiter  in  einem  eigenen  Kriegs- 
blindenheime untergebracht  werden,  welches  unter  ganz  besonderem 
Entgegenkommen  des  Mälirischen  Gewerbevereines  in  dessen  Kaiser 
Franz  Josef-Jubiläums-Lehrlingsheime    schon    im  Juli    1916  eingerichtet 

*  Aus  dem  Bericht  über  die  Tätigkeit  der  Mährischen  Landeskommission  zur  Für- 
sorge für  heimkehrende  Krieger  im  Jahre  1-917  (Brunn  1918). 


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wurde.  Hier  haben  si(^  Wohnuiiff  und  Verpflegung,  und  hier  ])efinden 
?>ich  auch  die  für  ihre  Ausbildung  erforderlichen  Schul-  und  Arl^eits- 
räume.  Es  ist  den  Kriegsblinden  inzwischen  zu  einem  wirklichem  Heime 
geworden. 

Die  Schulung  der  Kriegsblinden  bezog  sich  auch  in  diesem  Jahre 
wieder  einerseits  auf  die  Erlernung  des  Lesens  und  Schreibens  der  Blin- 
denschrift, zum  Teile  auch  auf  Musik,  andererseits  auf  die  Ausbildimg 
in  einer  gewerblichen  Betätigung,  und  zwar  von  den  Blinden  selbst  noch 
immer  am  meisten  bevorzugt,  in  der  Regel  im  Bürstenbinden  oder  Korb- 
flechten. Diese  gewerbliche  AusbikUuig  wird  auch  in  Fällen  angestrebt. 
in  welchen  die  spätere  Versorgung  des  Kriegsblinden  der  Hauptsache  nach 
in  anderer  Weise,  z.  B.  durch  Einrichtung  eines  Geschäftes",  Uebernahme 
einer  Tabaktrafik,  Bewirtschaftung  eines  Anwesens  u.  dgl.  sichergestellt 
sein  wird. 

Versuche,  die  Kriegsblinden,  wenn  es  sonst  nicht  aussichtslos  ist, 
wieder  ihrem  früheren  Berufe  zuzuführen,  führen  praktisch  kaum  ein- 
mal zu  einem  Erfolge,  sie  stoßen  auch  in  der  Regel  sofort  auf  den  Wider- 
spruch des  Kriegsblinden  selbst,  dem  ja  immerhin  in  der  Beurteilung 
der  Fragen,  inwieweit  er  sich  für  fähig  hält,  seinen  früheren  Beruf  wie- 
der auszuführen,  ein  besonders  inaßge!)endes  Verständnis  zugestanden 
werden  muß. 

Auch  die  Frage,  ob  es  möglich  mid  zweckmäßig  ist,  die  Kriegs- 
blinden in  industrielle  Betriebe  als  Arbeiter  einzustellen,  konnte  rück- 
sichtlich der  mährischen  Kriegsblinden  praktisch  noch  nicht  zur  Ent- 
scheidung gebracht  werden,  obwohl  atich  diese  Frage  mit  regstem  In- 
teresse verfolgt  wird.  Es  scheint,  als  wenn  bei  der  verhältnismäßig  doch 
nicht  großen  Zahl  der  Kriegsblinden  die  Befürchtung,  sie  nicht  alle  in 
kleinwirtschaftliche  Verhältnisse  bringen  zu  können,  als  zu  weit  gehend 
angesehen  werden  darf,  daß  es  vielmehr  möglich  sein  wird,  alle  Kriegs- 
blinden in  den  Frieden  und  die  Ruhe  des  Landlebens  bringen  zu  kön- 
nen und  ihnen  ein  neues  Leben  in  aller  Selbständigkeit,  in  freigewähl- 
ter Arbeit  und  in  vielseitigster  Betätigung  zu  schaffen.  Dahin  allein 
geht  auch  der  Wunsch  der  Kriegsblinden  selbst. 

Die  Dauer  der  Schulung  der  Kriegsblinden  hat  sich  nach  den  bis- 
herigen Erfahrungen  als  mit  l'/»  Ins  -  Jahren  als  hinreichend  erwiesen. 
Während  der  Dauer  eines  Aufenthaltes  der  Kriegsblinden  im  Kriegblin- 
denheime wird  seitens  der  Mährischen  Landeskomission  zur  Fürsorge 
für  heimkehrende  Krieger  auch  schon  alles  das  in  die  Wege  ge- 
leitet, was  zur  vollsten  Sicherstellung  der  Lebensexistenz  der  Kriegs- 
blinden für  die  Zeit  nach  ihrer  Entlassung  aus  dem  Heime  notwendig  ist. 
In  dieser  Beziehung  steht  die  Landeskonnnission  in  regster  Verbindimg 
mit  dem  Kriegsblindenfonds  im  k.  k.  Ministerium  des  Innern  (inzwischen 
übergegangen  an  das  k.  k.  Ministerium  für  soziale  Fürsorge),  mit  dem 
Kaiser  und  König  Karl-Kriegsfürsorgefonds  und  mit  dem  Vereine  ,. Kriegs- 
blindenheimstätten" in  Wien.  Es  ist  so  durch  die  Inanspruchnahme  die- 
ser Fonds,  deren  Fürsorgetätigkeit  für  die  Kriegsblinden  eine  ganz  außer- 
ordentlich weitgehende  ist,  und  durch  Beiträge  aus  den  Mitteln  der  Mähri- 
schen Landeskommission  möglich,  für  die  Versorgung  der  Kriegsblinden 
in  je  einem  einzelnen  Falle  Beträge  von  im  Mittel  K  10.000.  in  einzel- 
nen Fällen  bis  K  L5.000  aufzuwenden. 


il.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1033. 

V'iel  Schwierigkeit  liietet  gegenwärtig  die  Beschatfung  der  Werk- 
zeuge und  des  Ari)eitsrohmateriales  für  die  gewerbliche  Betätigung  der 
sehon    in    die  Heimat  entlassenen  Kriegsblinden. 

Die  Zahl  der  mährischen  Kriegsblinden  betrug  Ende  1917.  soweit 
sie  von  der  Landeskommission  in  Fürsorge  übernommen,  das  heißt  aus 
der  Heilbehandlung  schon  entlassen,  ö7. 

Hievon  waren  in  Kriegsblindenheim  in  Brunn  28,  schon  in  die  Hei- 
mat entlassen  waren  21,  ohne  Schulung  in  der  Heimat  waren  6,  in  die 
Spitalspflege    zurückgestellt    1    und   1   ist  in    Schulung  (Musik)  in  Wien. 

Eine  der  Hauptfragen  bei  der  Versorgung  der  Kriegsblinden  ist  die 
Erwerbung  einer  eigenen  Heimstätte  für  sie.  Bis  Ende  1917  wurden  im 
ganzen  für  15  mährische  Kriegsblinde  Anwesen  als  ihnen  in  das  Eigen- 
tum gehörende  Heimstätten  erworben,  außerdem  konnte  für  12  weitere 
Kriegsblinde  das  für  die  Erwerbung  einer  Heimstätte  notwendige  Kapi- 
tal bereits  sichergestellt  werden. 

Für  einen  der  mährischen  Kriegsblinden  wurde  die  Erwerbung 
einer  Heimstätte  durch  die  Klar'sche  Blindenanstalt  durchgeführt.  8 
Kriegsblinde*  sind  bereits  früher  Besitzer  einer  eigenen  Landwirtschaft 
gewesen,  sodaß  in  Hinsicht  auf  die  Schaffung  von  Kriegsblindenheim- 
stätten von  den  bl  mährischen  Kriegsblinden  bereits  36  als  versorgt 
gelten  können. 

Der  Erfolg  der  Heimstättenaktion  ist  auf  das  nachdrücklichste  ge- 
fördert auch  durch  die  andere  Fürsorge  für  die  Kriegsblinden,  durch  die 
Schulung,  durch  Beschaffung  von  Werkzeugen  und  Materialien  für  ihre 
gewerbliche  Betätigung,  durch  Gewährung  von  Beihilfen  für  Wohnungs- 
und Wirtschaftseinrichtung,  für  die  Errichtung  von  Kaufläden  und  Tabak- 
trafiken u.  dgl.,  wofür  der  Kriegsblindenfonds  im  k.  k.  Ministerium  des 
Innern  und  die  Landeskommissionen  zur  Fürsorge  für  heimkehrende 
Krieger  aufkommen,  und  was  die  Kriegsblinden  auch  nach  ihrer  Ent- 
lassung in  die  Heimat  noch  weiter  in  ständiger  Verbindung  mit  diesen 
Stellen  stehen  läßt. 

Personalnachrichten. 

—  Katharina  Hügel  f  Im  Blindenheim  in  Melk  a.  D.  starb  am  23.  Oktober 
1.  J.  nach  kurzem  Krankenlager  die  taublinde  Katharina  Hügel  im  31.  Lebensjahre. 
Als  Kind  eines  Wiener  Hilfsarbeiters  besuchte  Hügel  durch  4  Jahre  die  öffentliche 
Volksschule,  erblindete  und  ertaubte  dann  und  verlor  auch  den  Geruchsinn.  Nur  auf 
einem  Auge  behielt  sie  ein  geringes  Sehvermögen,  das  sie  später  gänzlich  verlor. 
In  die  n.  ö.  Landes-BUndenanstalt  in  Purkersdorf  aufgenommen,  wurde  sie  hier  von 
Hauptlehrer  A.  Godai  mittelst  einer  von  ihm  selbst  zurecht  gelegten  Tastsprache 
weitergebildet.  Durch  diese  vermocht  Hügel  in  Verkehr  mit  ihrer  Umwelt  treten 
und  zeigte  ein  großes  Bildungsbedürfnis.  Der  Tonfall  ihrer  ihrer  Sprache  litt  natür- 
lich stark  unter  ihrer  Gehörlosigkeit,  aber  sie  vermochte  sich  jedermann  verständ- 
lich zu  machen.  Nach  Ablauf  ihrer  7jährigen  Bildungszeit  verlies  sie  die  Anstalt  in 
Purkersdorf  und  fand  Aufnahme  in  das  Blinden-Mädchenhcim  in  Melk  a.  D.,  wo  sich 
ihrer  der  Direktor  Regicrungsrat  P.  H.  U 1  b  r  i  c  h  in  der  liebevollsten  Weise  annahm. 
Kathi  Hügel    war    dia  erste  Taubblinde,    welche  in  Österreich  unterrichtet  wurde. 

flus  den  Anstalten. 

—  N  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  Grippeepi- 
demie. Ein  böser  Gast  zog  Mitte  Oktober  in  diese  Anstalt  ein,  indem  er  mit  ei- 
nem Schlage  fast  drei  Virtel  aller  AnstaUsbewohner  —  Zöglinge  und  Bedienstete 
—  anf  das  Krankenlager  warf.  Es  war  eine  schwere  Zeit  für  Kranke  und  Gesundge- 
bliebene. GlücklicheJweise  gesundeten  bis  auf  einen  Zögling,  bei  welchem  eine  Lun- 
genentzündung hinzutrat,  welcher  er  erlag,  alle  Erkrankten,  so  daß  der  auf  kurze  Zeit 
unterbrochene  Unterricht  wieder  aufgenommen  werden  konnte. 


Seite  1034.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen,  11.  Nummer. 

Die  in  der  Hauswirtschaft  tätige  barmherzige  Schwester  Bonita  Feilner  ent- 
schlief nach  viermonatlichen  Krankenlager.  Im  Rückblick  auf  die  durchgemachten 
schweren  Wochen  muß  mit  Anerkennung  der  Pflegebereitschaft  der  Anstaltsbedien- 
steten wie  der  ärztlichen  Hilfe  des  Hausarztes  Dr.  K.  M.  Zingher  gedacht  werden. 
Besonders  Dank  gebührt  auch  dem  Religionslehrer  und  Anstaltsseelsorger  Herrn  J. 
Pinkas,  der  in  hingebungsvollster  Weise  bei  seinen  Krankenbesuchen  die  Leiden- 
den zu  trösten  und  zu  stärken  wußte. 

—  Klar 'sehe  Blindenanstalt  in  Prag.  Jahresbericht  1917.  Für 
eine  Wohltätigkeitsanstalt,  welche  zu  ihrer  Bestandsmöglichkeit  zum  überwiegend 
größten  Teile  auf  die  Unterstützung  von  Wohltätern  und  Gönnern  angewiesen  ist, 
die  in  nie  dagewesenem  Maße  neben  anderen  Unternehmungen  vom  Staate  selbst  in 
Anspruch  genommen  wird,  ist  es  eine  kaum  zu  bewältigende  Aufgabe,  in  dem  Chaos 
unserer  gegenwärtigen  Wirtschaftslage  nicht  unterzugehen. 

Und  doch  ist  es  uns  dank  der  Sympathien,  welche  unseren  drei  Anstalten 
seitens  hervorragender  Gönner  sowie  der  Bevölkerung  entgegengebracht  werden, 
auch  in  diesem  Jahre  gelungen,  die  finanziellen  Versorgungsschwierigkeiten  recht  und 
schlecht  zu  überwinden. 

Der  Kindergarten  beherbergte  10  Zöglinge  (5  m.  und  5  w.)  die  Hauptanstalt 
97  Pfleglinge  (42  m.  und  55  w.)  und  74  Kriegsblinde.  Außerdem  waren  in  der  Haupt- 
anstalt   6  schulpflichtige  Kinder  tschechischer  Nationalität  untergebracht. 

Die  Nachschulung  der  Kriegsblinden  ging  bei  allen  jenen,  welche  nicht  noch 
krank  oder  arbeitsunwillig  waren  dank  der  ungeheueren  Geduld,  Mühe  und  Aufop- 
ferung unseren  Lehrer,  Herrn  Macan,  Frau  Klastersky,  Frl.  Blindlechner, 
welche  die  Soldaten  im  Lesen  und  Schreiben  der  Blindenschriften  unterrichten, 
sowie  der  Meister  Herren  Bernasek,  Mosinger,  Paulin  Anbrecht,  Hoia, 
und  der  Meisterinnen  Frl.  Bergmann  und  Markert,  denen  die  techniche  Aus- 
bildung obliegt,  rüstig  und  gediegen  vonstatten,  so  daß  die  für  einen  neuen  Lebens- 
erwerb tüchtig  ausgebildeten  und  wohl  ausgerüsteten  Kriegsblinden  dem  soliden 
Erwerbsleben  wieder  zurückgegeben  werden  konnten,  von  denen  sich  viele  eine  sehr 
schöne  und  geachtete  Stellung  zu  verschaffen  verstanden  und  unserer  Anstalt  im 
Leben  Ehre  machen. 

Es  ist  besonders  erfreulich,  daß  es  gelungen  ist,  in  den  blinden  Soldaten  das 
Bewußtsein,  daß  die  Arbeit  ihre  beste  Freundin  und  sicherste  Stütze  für  ihr  künf- 
tiges Leben  sei,  derart  geweckt  zu  haben,  daß  selbst  Leute,  welche  arbeitsunwillig 
kamen  und  lange  blieben,  heute  selbst  als  eifrigste  Vertreter  dieser  Ansicht  unter 
ihren  Kameraden  auftreten  und  diesen  zureden,  nicht  auch  so  unvernünftig  zu  sein, 
wie  sie  es  waren. 

Nur  ist  dadurch  ein  sehr  störendes  Hindernis  zu  allen  anderen  Schwierigkei- 
ten hinzutreten,  daß  wir  nicht  in  der  Lage  sind,  genügend  geeignetes  Arbeitsmaterial 
aufzubringen,  welches  wir  sowohl  für  den  Unterricht  sowie  den  Bedaif  der  selbsstän- 
dig  gewordenen  Kriegs-  und  Friedensblinden  brauchen. 

Aufträge  gibt  es  in  Hülle  und  Fülle,  welche  bei  genügendem  Arbeitsmaterial 
einen  zufriednstellenden  Gewinn  brächten. 

Eine  besondere  Vorliebe  haben  unsere  blinden  Soldaten  für  die  Erlernung 
des  Maschinenstrickens  unter  Beihilfe  ihrer  Frauen,  Mütter  oder    Schwestern. 

Bei  der  durch  die  Kiiegsblinden  entstandenen  vermehrten  Konkurrenz  sinnen 
wir  auf  immer  neue,  für  den  Eigenbetrieb  geeignete  Erwerbsmöglichkeiten  zu  deren 
Verminderung. 

Nur  müssen  erst  die  jeder  Neuerung  anhaftenden  Schwierigkeiten,  die  der 
Handhabung  durch  Blinde  entgegenstehen,  überwunden  werden,  bevor  man  den  neu 
zugekommenen  Betrieb  laufen  lassen  kann. 

Hiezu  gehören  als  Ergebnisse  des  Jahres  1917  die  Erzeugung  von  Bienenstö- 
cken uud  Kochkisten  aus  Stroh,  erstere  in  Verbindung  mit  Holzbestandteilen  sowie 
die  Herstellung  von  Tragbändern  und  Gurten  aus  Hanf  einerseitsts  für  RücUenkorb- 
tragbänder,    anderseits  als  Riemenersatz  für  Pferde-,  Rinder-  und  P'ußbodenbürsten. 

Im  Jahre  1917  wurden  ausgebildet  ausgerüstet  etabliert:  6  Maschinenstiicker, 
4  Bürstenbinder,  2  Matten-  und  Sesselfllechter  und  1  Korbmacher. 

Herausgeber:    Zentralvereia  für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     Redaktionskomitee:  K.   Biirklen, 
J.  Kneis,  A.  t.  HorTOth,  F.  Uhl,  —  Druck  Ton   Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei  Wien. 


Weitere  Versuche  in  der  Individualisierung  und  Spezialisierung  sind  bereits 
im  Gange. 

Mit  den  ausgetretenen  Kriegsblinden  bleibt  die  Anstalt,  um  sie  vor  Übervor- 
teilung zu  schützen,  wie  dies  auch  bei  den  Friedensblinden  immer  der  Fall  war,  in 
Bezug  auf  Beschaffung  des  Betriebmaterials  in  unausgesetzter  Verbindung. 

Der  Bericht  legt  Zeugnis  ab  von  der  hervorragenden  Leistung  des  umfassend 
und  unermüdlich  tätigen  Direktors  E.  Wagner. 

—  Deutche  Blindenschule  in  Aussig.  In  dieser  von  Direktor  K. 
Rauter  in  vortrefflichster  Weise  geleiteten  Zweiganstalt  der  Klar 'sehen  Blindenan- 
stalt blieb  die  Schülerzahl  (34)  und  Klasseneinteilung  unverändert.  Neuaufnahmen 
waren  wegen  Platzmangel  unmöglich,  obwohl  bereits  10  Kinder  auf  die  Aufnahme 
warten.  Der  Gesundheitszustand  blieb  das  ganze  Jahr  hindurch  ein  ausgezeichneter. 
Erfreulicherweise  hebt  sich  das  Interesse  für  die  Schule  zusehends,  was  wohl  in  den 
stets  zahlreicher  werdenden  Spenden  und  Besuchen  seinen  besten  Ausdruck  findet. 

Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  K.  k.  ß  li  nden-Er  z  ieh  ungs- Inst  it  ut  i  n  Wien  II.  Anerkennung. 
Das  Kriegsministerium  erlaubt  sich  die  Gelegenheit,  die  ihm  durch  die  freundliche 
Übersendung  des  Tätigkeitsberichtes  für  die  Zeit  vom  24.  September  1914  bis  24. 
September  1917  geboten  wird,  wahrzunehmen  und  das  k.  k.  Blinden-  Erziehungs- 
Institut  zu  den  Erfolgen,  die  es  bei  jenen  erreicht  hat,  die  ihre  Zuflucht  in  dieser 
Stätte  edelster  Menschlichkeit  gesucht  und  gefunden  haben,  auf  das  herzlichste  zu 
beglückwünschen. 

Es  liegt  gewiß  viel  mehr  unablässige  Arbeit,  ausharrende  Geduld  bei  dem 
Werke,  in  den  Blinden  das  Gefühl  ruhiger  Zuversicht  und  das  Vertrauen  in  eine 
sorgenlose  Zukunft  zu  erwecken,  als  es  dieser  kurzgefaßte  Bericht  zu  schildern  vermag. 

Das  k.  k.  Blinden-Erziehungs-Institut  kann  mit  berechtigtem  Stolze  auf  seine 
vierjährige  Tätigkeit  zurückblicken,  es  hat  ein  Werk  geschaff"en,  wofür  es  Dank 
und  Anerkennung  bei  all  jenen  finden  wird,  die  menschlichen  Fleiß  und  patriotische 
Arbeit  zu  würdigen  verstehen. 

Für  den  Minister:  Lelion,  Fmit.,  m.  p. 

—  Sammlungen    für  Kriegsblinde.  Stand  Ende  September  1.  J. 

—  Neue  Freie  Presse.  1,325.874  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  4,243.357  K. 

—  Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:  320.000  K. 

—  Reichspost:  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  85.000  K. 

—  Artur  Weisz  (Temesvar)  35.800  K. 


Bürklen  Karl:  Das  Tastlesen  der  Blindenpunktschrift. 

Nebst  Beiträgen  zur  Blindenpsychologie  von  P.  Grasemann- 
Hamburg,  L.   Cohn-Breslau,  W.  Steinberg.   VII,  93   Seiten 

mit  6   Abbildungen  im  Text  und  6  Tafeln. 
Leipzig,  Barth,   1917 M  5.— 


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Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im   vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen  österreichi- 
schen Kronländern   auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 


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Wien  XVIII,  Währinger  GUrtel  136, 

verleiht  ihre  Bücher  kostenlos   an   alle  Blinden. 


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Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereiues:  UnterstützuDg  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  tür  Blinde.  Erhaltung 
der  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.07I. 


Der  blinde  Modelleur- 


Littau  in  Mähren, 

empfiehlt  seine  zu  Geschenken  sich 
:  vorzüglich  eignenden  keramischen  : 
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PpQdutitiugBnossBnschaft  für  blinde 
Bürstenbinder  und  Korbfiecbter. 

G.  m.  b.  H. 

Wien  VIII.,   Flopianiga«»e  Nr.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

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Verkaufsstelle:    Wien  VII.,  Neubaußasse  75. 


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des  Blinden-Unterstützungsvereines 
»Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V., 
:  — ;   Nikolsdorfergasse  Nr.  42.   ;  — : 

Ö      Blindendrucknoten    werden    an      ryn 
Blinde  unentgeltlich  verliehen  I      Vkl 


von   Oskar  Picht, 
Bromberg. 


W.  Kraus,  Berlin  N  54. 

(Gegründet  1878.) 

Borsten-,  Rohmaterialien-  und  Werkzeug-Fabrik 
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Mustergültige  Bearbeitung  von  Fiber  und  Pi  assav  a 
aller  Arten. 


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Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.   — 


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S  ch  I  i  f  t  i  e  i  t  u  n  g 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Nr.132.257 


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Das  Blatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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Bezugspieis 
ganzjährig  mit 
Postzustellung 

4  Kronen, 
Einzelnummer 

40  Heller. 


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5.  Jahrgang. 


Wien,  Dezember  1918. 


12.  Nummer. 


INHALT:  Grundzüge  für  die  Neugestaltung  der  Blindenbildung  und  der  Blinden- 
fürsorge in  Deutschösterreich.  J.  Oidendorp:  Das  künstliche  Rüge.  S.  Heller: 
Der  Hund  und  der  Blinde.  F.  Müller:  Blinde  Gemsen.  Kriegsbündenfürsorge 
in  Ober-Österreich.  P.  Lang:  Mein  Garten.  flus  den  Anstalten,,  flus  den 
Vereinen.  Für  unsere  Kriegsblinden.  Verschiedenes.  Bücherschaü.  Zur  Be- 
achtung,    RItes  und  Neues.     (Rnkündigungen). 


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3  Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  Vlli, 
g  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.   5 

□Im- ^ -^[Q 


Altes  und   Neues. 

Zahn  Ernst  :  Nacht.  Erzählunp^.  (Stuttgart  1918,  Deutsche 
Verlagsanstalt. 

In  dem  Städtchen  Infelden  wachsen  drei  Kinder  aus  guter  Familie 
heran  und  treten  früh  in  Herzensbeziehungen  zu  einander.  Christlieb 
V.  Tschurner  wird  Gelehrter,  während  sein  Freund  Benedikt  J o w a  1 1 
sich  zum  Advokaten  ausbildet.  Schon  früh  ist  Ersterer  der  schlanken 
blonden  Spes  Muoth  nahe  gekommen  und  heiratet  sie,  trotzdem  sie 
Erblindung  zu  befürchten  hat,  denn  er  meint  »das  wäre  wohl  ein 
Unglück,  aber  doch  kein  Hindernis  für  ein  zufriedenes  Leben  im  Hause 
eines  rechtschaffenen  Mannes.«  Dieses  traurige  Ereignis  tritt  auch  bald 
nach  der  Geburt  eines  Töchterchens  ein,  aber  keine  Klage,  Verstimmt- 
heit oder  Niedergedrücktheit  kommt  deshalb  in  die  glückliche  Ehe,  denn 
der  Gatte  begegnete  seiner  blinden  Frau  mit  der  zartesten  Rücksicht. 
Spes  wußte  zwar  nun,  was  durch  ihr  Gebrechen  jetzt  »anders«  war,  Sie 
fühlte,  »daß  eine  Grenze  zwischen  sie  und  die  andere  gezeichnet  war, 
trotz  der  hundert  Wegen,  die  die  Liebe  jener  zu  ihr  suchte.  Jene  hatten 
zu  viel  Dinge  gemein,  von  denen  sie,  Spes,  ausgeschlossen  war. 
So  lebten  jene  ein  eigenes  Leben,  an  dem  sie,  Spes,  keinen  Anteil  hatte. 
In  einsamen  Stunden  bedachte  sie  das.  Und  wußte  dann,  daß  sie  ein- 
sam war.  Sie  war  aber  klug  und  stark  genug,  sich  mit  dieser  Erkenntnis, 
als  eines  Unglücks,  das  ertragen  sein  mußte  abzufinden.  Und  sie  fühlte 
sich  durch   alles,   was  ihr  geblieben   war,   entschädigt   und  reich.« 

Da  tritt  mit  Spes  jüngerer  Schwester  Esther,  die  aus  der  Erzie- 
hungsanstalt zurückkehrt  und  von  Benedikt  Jowalt  heiß  umworben 
wird,  das  Verhängnis  ins  Haus.  Christlieb  und  Esther  werden  sich 
bald  inne,  daß  sie  mit  ihren  Blicken  auch  in  der  Gegenwart  Spes'  mit 
einander  allein  seien.  Bald  vertieft  sich  auch  diese  Vertraulichkeit  in  viel- 
fachen Beisammensein  und  führt  sie  zu  einer  uneingestandenen  Liebe. 
Die  wilde  Leidenschaft  Jowalts  für  Esther  führt  alle  zur  Erkenntnis 
der  Lage,  auch  Spes.  Diese  spürte  bald  die  Fäden,  die  zwischen  Mann 
und  Schwester  gesponnen  waren,  als  ob  es  feine,  leuchtende  Spinne- 
fäden wären,  die  sich  ihr  um  die  blassen  tastenden  Finger 
hingen.  Gott!  O  Gott!  Welch  eine  Zeit!  Waren  etwa  die  beiden  zu 
tadeln,  die  sich  da  fanden  oder  gefunden  hatten  .■*  War  nicht  viel- 
mehr sie  selbst  die  unschuldig  Schuldige.?  Sie  nur  ein  halber  Mensch, 
sie,   deren   Mängel  nicht  auszugleichen  waren  !« 

Das  Eingretfen  des  in  seiner  Liebe  zu  Esther  haltlos  geworde- 
nen Jowalt  bringt  die  Entscheidung.  Esther  verläßt  Haus  und  Heimat 
um  das  Glück  ihrer  blinden  SchAvester  zu  retten.  Christlieb  überwindet 
seine  Liebe  erst  nach  Jahren,  kehrt  aber  innerlich  zu  seiner  Frau 
zurück.  Es  kommt  zur  Aussprache  und  Versöhnung  zwischen  den 
Gatten,  und  das  Ziel,  welchem  die  Beiden  zustreben  ist  nicht  sowohl 
die  große  Liebe  als  der  große  Friede  des  Lebens.  Sie  sehen  die  Zu- 
kunft nunmehr  in  ihrem  heranwachsenden  Kinde. 

Es  bietet  einen  hohen  Genuß,  unter  den  vielen  minderwertigen 
Sachen,  welche  über  Blinde  geschrieben  wurden,  eine  Perle  entdeckt 
zu  haben.  Das  Buch,  welches  sich  schlicht  eine  »Erzählung«  nennt, 
ist  von  Schönheit  und  sittlichen  Größe  erfüllt  und  hat  nicht  seines- 
gleichen in  unserer  Literatur.  Auch  die  psychologische  Erfassung  der 
Blindheit  ist  von  seltener  Feinheit. 


S.Jahrgang.  Wien,  1918.  1.-12.  Nummer. 

Inhaltsverzeichnis. 

Abhandlungen   und  größere  Beiträge. 

Rüge.  Das  künstliche  —  Von  J.  Oldendorp    .    .    .    .  1043—1044. 

Blendung  in  der  Geschichte  des  Rechts.  Die  --  Von  Lehrer 
O.  Wanecek,  Purkersdorf       .    .  899—902,  919—921,  840—945. 

Blinde  Gemsen.  Von  F.  Müller  1046—1047. 

Blindenfürsorgetag.  Der  VI.  österr.  —  Einladung  966 — 967,  Bericht 
1007—1012,  Verständigung  1000. 

Blindenpsychologie.  Grundlegung  der  —  Von  Dr.  F.  v.  Ger- 
hardt, Marburg  a.  d.  L 883—888. 

Blinden-  und  Taubstummlehrern.  Die  Heranbildung  von  — 
Von  Direktor  K.  Bür kl en,  Purkersdorf 915—918. 

Blindenzeitung.  Eine  österreichische  — 873. 

Braillesdien  Notenschrift.  —  Königlicher  Musikdirektor 
Friedrich  Mayer  und  die  Reform  der  —  Von  Musikfach- 
lehrer A.  Krtsmary,  Purkersdorf *.    .  922 — 926. 

Brief.  Offener  —  Von  Fachlehrer  S.  Alt  mann,  Wien      .  889—890. 

Dezimalpunkt.  Der  —  Ein  methodischer  Vorschlag  von  Hauptlehrer 
F.  De  mal,  Purkersdorf   ...  1025—1027. 

Einband  des  Blindenbuches.  Der  —  Mit  fünf  Abbildungen.  Von 
Direktor  K.  Bürklen,  Purkersdorf 851—855. 

Erblindeten.  Den  Angehörigen  und  Freunden  derimFelde  — 
Sonderabdruck  aus  dem  »Evangelischen  Hausfreund.«  (Beilage  zu 
Nr.  8) 1038. 

Hund  alsBlindenfreund.  Der  —  Von  Direktor  K.  Bürklen, 
Purkersdorf 902—906. 

Hund  und  der  Blinde.  Der  —  Von  Direktor  S.  Heller,  Wien. 
1045—1046. 

Intelligenzprüfung  bei  blinden  Kindern.  Die  Anwendung 
der  Binet-Simon-Methode  zur  ^  Von  Direktor  K.  B  ü  r  k  - 
len,  Purkersdorf      .......  935—939.  959—965,  977—985. 


Kindergärten   tür  Blinde.  —  Von  J.  Krieger,  Wien*.  1027 — 1031. 

Krankenstube  Nr.  2  4.  —  Von  Lazarettpfarrer  H.  Schaefer. 
890—891. 

Krieg  bei  blinden  Erstklas  s  e  r  n.  Eine  Plauderstunde  über 
den  —  Von  Lehrer  O.  Wanecek,  Purkersdorf  .    ,  1013 — 1016. 

Kriegsblinde  als  Akten  lieft  er.  Von  Geh.  Med.  Rat  Professor  Dr. 
Sil  ex,  Berlin 965—966. 

Kriegsblinden.  Die  kaufmännische  Ausbildung  der  —  Von 
Präfekt  S.  Abel  es,  Wien 955_958. 

Kriegsblindenfürsorge  in  Mähren  1031 — 1033,  in  Niederösterreich 
996—998,  in  Ober-Österreich   1048. 

Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf  während  ihres  45jäh- 
rigen  Bestandes.  DieZöglingsbewegung  in  der  —  Von 
Direktor  K.  Bürklen,  Purkersdorf 945  —  948. 

Leben.  Zurück  ins  —  Von  einem  Kriegsblinden     ....  855 — 858. 

Lehrerbildung.    Blindenpädagogik  in  der    —    Von  Direktor  K. 

Bürklen,  Purkersdorf 907—908. 

Neugestaltung  derBlindenbildung  und  derBlindenfürsorge 
in  Deutschösterreich.    Grundzüge  für  die.  1039 — 1042 

Punktsdirift.  Die  Größenverhältnisse  der  —  Mit  1  Tabelle 
und  5  Abbildungen.  Von  Direktor  K.  Bürkien,  Purkersdorf, 
991-996. 

Rosegger  und  die  Blinden,  Peter  —  Von  Direktor  K.  Bürklen, 
Purkersdorf 975—976. 

Spät-Erblindeten.  Die  Versorgung  von  —  Von  O.  St.  Wien, 
858—859. 

„Tastlesen  der  Blinden-Punktschrift.«  Kritische  Betrach- 
tungen über  das  —  Von  Hofrat  H.  Ritter  v.  C h  1  u m e t z k y. 
Brunn  (Beilage  zu  Nr.  8) 975. 

Tastlesen  der  Blindenpunktschrift.  Das  — -  Von  Karl  Bürk- 
len. Besprochen  von  Direktor  S.  Heller,  Wien.  .    .    .  867 — 871. 

Volksgesundheit.  Mini  ster  i  um  f  ü  r  — 859—860. 

Vorlesen  in  der  Blindenschule.  Das — .871 — 873. 

Zeitereignisse  und  unsere  Sache.  Die  — 1023 — -1025. 

Personalnachrichten. 

Bergmeister  Hofrat  Dr.  O.,  Niederlegung  seiner  Stelle  als  Augenarzt  der  n.  ö« 
Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf  926.  —  Hofrat  Dr.  O.,  Tod  1017.  —  Privatdozent 
Dr.  R.  Augenarzt  an  der  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf  926.  —  Bernheimer 
Dr.  St ,  Professor,  Tod  909.  —  Bodo  F.,  Taubstummenlehrer,  Überweisung  an  die 
n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf  875.  —  Eichler  K.,  Musiklehrer,  Auszeich- 
nung 992.  —  Fast  A.,  Adjunkt,  Bestellung  949.  —  Horvath  A.  v.,  Ernennung  zum 
kaiserlichen  Rat  967.  —  Hügel  K.,  taubblind.  Tod  1033.  —  Mayer  R.,  Direktor, 
Tod  908.  —  Meli  A.,  Hofrat,  Ernennung  zum  —  1017.  —  Moser  L.,  Professor, 
Auszeichnung  909.  —  Pleninger  A.  M.,  Konsistorialrat,  Auszeichnung  949.  — 
Ressavar  P.  K.,  Bestellung  zum  Direktor  des  Mädchenheims  in  Melk  892.  — 
Rosenmayer  K.,  Verwalter,  Auszeichnung  949.  —  Siegl  E.,  Hilfskraft  für  Fein- 
flechterei,  Tod  1001.  —  Vichal  J.  P.,  Tod  874. 


Mitteilungen  aus  den  Anstalten  und  Vereinen. 

Asyl  für  blinde  Kinder  in  Wien  XVII.  Bericht  986. 

Blindenheim  zu  Klagen  fürt.  Feier  926. 

B  lin  de  n  ver  sor  ßu  ng  shaus  »Franz  i  sco-Jo  se  ph  i  n  u  m«  i  n  P  r  a  g.  Bericht  927. 

Deutsche  Blindenschule  in  Aussig.  Bericht  1035. 

Deyl'sches  Bli  ndenins  titut  in  Prag.  Bericht  1001. 

Kaiser  Karl-Kriegsblindenheim  in  Wien  XIII.  Weihnachtsfeier  875. 
Bericht  861. 

Klar 'sehe  Blindenanstalt  in  Prag.  Bericht  1 034. 

N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  Austiug  967,  Faschingsabend 
892,  Grippeepidemie  1033,  Kriegergedenkfeier  1049,  Opernaufführung  968 
Schulschlußfeier  986,    Weihnachtsfeier  861,  Wohltätigkeits-Akademie  1001.      , 

Odilien-Blindenanstalt  in  Graz.  Jahresbericht  949. 

Privat-Blind enlehranstalt  in  Linz.  Christbaumfeier  876,  Glückwunschfeier 
986,  Musikaufführung  968. 

T  ir  ol.-V  o  ra  r  Ib.    Blindeninstitut  in  Innsbruck.  Festteicr  875. 

Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  für  Blinde  in  Linz.  Chor 
876,  Christbaumfeier  876. 

Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  für  erwachsene  Blinde, 
in  Wien  VIII.  Aufnahme  1017,  Bericht  909. 

B  1  in  d  e  n  t  ür  sor  ge  V  e  r  ei  n  für  Tirol  und  Vorarlberg.  Vollversamm- 
lung 927. 

Blindenheimverein  in  Melk.  Jahresbericht  1916,   1917.   1050. 

Blind  en-Unte  rstützungsve  rein  »die  Pu  rker  sdorfer«  in  Wien  V.  Be- 
richt 968. 

Humanitärer  Blindenverein  »L  indenbn  nd«:  Wien  XX.  Bericht  877. 

K.  F.  J.  J  ubil. -Verein  zur  Fürsorge  für  männl.  Blinde  in  Mähren  und 
Schlesien.   Hauptversammlung  949. 

I,  Österr.  Blindenverein  in  Wien  VIII.  Bericht  1002,  zwanzigjähriger  Be- 
stand 876. 

Verein  »Kriegsblin  denheimst  ätten«  in  Wien.  Anerkennung  950,  Bericht 
862,  Bericht  969,  Spende  863. 

Verein  zur  Ausbidung  von  Spätererblindeten  in  Wien.  Bericht  987. 

Zentralverein  für  das  österr.  Bli  ndenwesen.  Ausschußsitzung  968,  Erhöhung 
der  Mitgliedsbeiträge  1051,  Generalversammlung  1017,  Hauptversammlung. 
Denkschrift  1049—1050. 


Für  Kriegsblinde. 


Husstellungen  893  —  Beschäftigung  kriegsblinder  Soldaten  in  England  894- 
—  Böhmen.  Kriegsblindenheimstätten  in  —  987.    —    Erzherzog  Karl  Stephan 

877.  —  K.  k.  Blinden-Erziehungs-Institut  Wien  II,  Anerkennung  1035.  --  Kon- 
zerte undVeranstaltungen  893,  910,  930,  951,  970.  —  Kriegsblindenfonds998— lOOO, 
Übertrag  an  das  k.  k.  Ministerium  für  soziale  Fürsorge  969.  —  Kriegsblindenkurs 
in  Straß  863,  878.  —  Küstenländische  Landeskommission,  Bericht  893.  — 
Landwirtschaftliche  Schule  für  Kriegsblinde  in  Temesvar  930.  —  Rohstoff- 
zentrale für  kriegsblinde  Handwerker  909.  —  Trauungen  von  Kriegsblinden 
951,  987.  —    Versorgung  der  Kriegsblinden  877.    —    Weihnachtsfeier  in  Brunn 

878.  —  Zahl  der  Kriegsblinden  in  DeutscOland  911,  in  Frankreich  911.  — 

Verschiedenes. 

Altes  und  Meues.  Bismark  und  der  kriegsblinde  Franzose  990.  Blinde  Ruderknechte 
954.  Das  empfindliche  Gehör  des  Blinden  1006.  Das  Ende  einer  deutschen 
,  Greueltat  954.  Der  Schleier  des  Glücks  914.  Die  Leib  Ärtzt  oder  Medici 
pflegen  zu  Zeiten  den  Kranken  aus  Eigennützigkeit  aufzuziehen  974.-  Ein 
blinder  Gärtner  in  der  Literatur  934,  Ein  blinder  Tönemeister  Hus  dem  XV. 
Jahrhundert  869.  Ein  Dichter  als  Ei  zieher  eines  blinden  Knaben  882.  Elektri- 
zität und  Blindenschrift  898.  Nacht.  Erzählung  von  Ernst  Zahn  1038.  Wie  die 
Simulation  von  Blindheit  festgestellt  wird  850. 

Blendung.  Eine   verdiente  --   879.  —  der  Jagdfalken  931. 

Blindenführerhunde  878.  -  Blindenkalender.  Annahme  durch  die  Kaiserin 
894,  910. 

Blindenkalender  1919.  1051. 

Briefkasten  931.  —  Dänemarks  erster   weiblicher  blinder  Organist  879. 


Dichter.  Ein  blinder  deutsch-ungarischer  —  93l.  —  Erblindung  durch  Geschoß- 
explosionen 1019. 

Gedichte:  Dankgebet  eines  Bhnden.  (O.  Huber)  1000.  Die  Bünde.  (L.  Rohmer- 
Heilscher)  891.  Die  Blindenschule.  (J.  Moos)  860.  Gesang  der  Blinden. 
(H.  Lingg)  878.  Fünfundzwanzigster  Spiegel.  (K.  R.  Schmidt)  926.  Mein 
Garten.  (P.  Lang)   1048—1049.   Pont  du  Carousel.  fR.   M.   Rilkej  967. 

Journalist.  Ein  blinder  —  895.  —  Lehrmittel.  Neue  für  Naturgeschichte  —  970. 

Leistungsfähigkeit  der  Rügen  im  Dunkeln  971.  —  Leipziger  Blindendruckerei. 
Aus  der  —  1051.  —  Licht  und  fluge  1002. 

Milchinjektionen.  Wirkung  der  —  1019.  —  Schwachsichtigenklassen  in  der 
Schweiz  1051  —  Schwachsichtige.  Schulen  für  1002. 

Stiftungen  für  Blinde  970,  971    —  Studienanstalt  für  blinde  Studierende  1002. 

ungarischer  Blindenhund,  Gründung  1022.  —  Unglücksfälle  Blinder  910.  —  Ver- 
steigerung. Eine  seltsame  —  1051. 

Bücherschau. 

flrbeitsmöglichkeiten  für  Blinde.  Niepel  E.,  895.  —  Beiträge  zur  Geschichte  der 
Kriegsblinden.  Von  Rappawi  A.  1022.  —  Bericht  über  die  dreijährige 
Tätigkeit  an  der  Blindenlazarettschule  in  Berlin.  Von  Silex,  Prof.  Dr.  P.  911. 

Blindenkunde.  Abriß  der  —  F.  v  Gerhardt  1022.  —  Die  Fürsorge  für  die 
Kriegsblinden  des  Herzogtumes  Bukowina  im  Rahmen  der  Kriegsblin- 
denfürsoige  Österreichs.  Von  G.  Halerevici.  1022.  -  Den  Kopf  hoch! 
Von  Lang  P.   1019. 

Die  Blinde.  Von  Schmidt  K.  R.  931.  ~  Die  Blindenschule.  Von  Zech   F.  879. 

Die  Fürsorgeeinrichtungen  der  n.  ö.  Landesverwaltung  zum  Schutze  des 
Kindes.   Verlag  des  Landesausschusses  von  Niederösterreich  863. 

Geschichte  der  österr.  Jugendfürsorge.  Von  Breulich  F.  1003. 

Jugenderinnerungen  eines  blinden  Mannes.  Von  Haun  E.  1003. 

Materialien  zur  Blindenpsychologie.  Gerhardt  Dr.  F.  v,  895. 

Mein  Blinder.  Von  H.  Kodolitsch  v.  Neuweinsberg  1022.  —  Nacht.  Von  Ernst 
Zahn  1038.  —  Schutz  gegen  Geschlechtskrankheiten.  Von  Dr.  Panesch  l051. 

Mitarbeiter. 

flbeles  S.,  Präfekt.  Die  kaufmännische  Ausbildung  der  Kriegsblinden  955—958. 

flltmann  S.,  Fachlehrer.  Offener  Briet  889-890. 

Bürklen  K.,  Direktor.  Blindenpädagogik  in  der  Lehrerbildung  907—908.  Der  VI. 
Ost.  Blindenfürsorgetag.  Bericht.  1007  — 1012.  Der  Einband  des  Blindenbuches 
851—955.  Der  Hund  als  Blindenfreund  902  —  906.  Die  Anwendung  der  Binet- 
Simon-Methode  zur  Intelligenzprüfung  bei  blinden  Kindern  935  —  939,959—965, 
977—985.  Die  Größenverhältnisse  der  Punktschrift  991  —  996.  Die  Heranbildung 
von  Blinden- und  Taubstummenlehrern  915—918.  Die  Zöglingsbewegung  in  der 
Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf  während  ihres  45jährigen  Bestandes 
945—948.  Die  Zeitereignisse  und  unsere  Sache.  1023—1025.  Peter  Rosegger 
und  die  Blinden  975—976.  Das  Vorlesen  in  der  Blindenschule  871—873. 

Chlumetzky  H.  v.,  Hofrat.  Kritische  Betrachtungen  über  »das  Tastlesen  der  ßlin- 
denpunktschrift«  von  Karl  Bürklen  und  die  beigehefteten  Aufsätze.  Beilage 
zu  Nummer  Nr.  8.  975. 

Demal  F.,  Hauptlehrer.  Der  Dezimalpunkt  1025—1027.  Neue  Lehrmittel  für  Natur- 
geschichte 970. 

Gerhardt  F.  v.,  Dr.  Grundlegung  der  Blindenpsüchologie  883—888. 

Heller  S.,  Direktor.  »Das  Tastlesen  der  Blinde^npunktschrilt  von  Karl  Bürklen.«  Be- 
sprechung 867—871.  Der  Hund  und  der  Blinde   1045  —  1046. 

Krieger  J.,  Kindergärt.m  für  Blinde.  1027  —  1031. 

Krtsmary  fl.,  Musikfachlehrer  Friedrich  Mayer  und  die  Reform  der  BraiH'schen 
Notenschrift  922—926. 

Müller  F.  Blinde  Gemsen  1046  —  1047. 

Oldendorp  J.  Das  künstliche  Auge  1043  —  1044. 

Schaefer  H.,  Lazarettpfarrer.  Krankenstube  Nr.  24.   890—891. 

Silex,  Dr.  Geh.  Med. -Rat,  Prof.  Kriegsblinde  als  Aktenhefter  965—966. 

Stoklaska  O.,  Direktor.  Die  Versorgung  von  Spät-Erblindeten  858—859. 

Wanecek  O.,  Lehrer.  Die  Blendung  in  der  Geschichte  des  Rechts  899—902, 
919—921,  940—945.  Eine  Plauderstunde  über  den  Krieg  bei  blinden  Erst- 
klassern  1013—1016. 

Her.Tnsgrber:     Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen   in    Wien.      Redaktionskomifee:    K.   Bürklen, 
J.  Kneis,    A.  t.  Hor»ttth,   F.  Uhl.   —  Druck    »nn    Adolf  Rnglisch,    Purkersdorf  hei   Wien. 


5.  Jahrgang. 


Wien,  Dezember  1918. 


12.  Nummer. 


ßi^m^m^^^^^i&m^^-^^^i^'^^'^^ü^^m^mm^i^^^^^^^i^m^mmi^^^^ 


^ 


»Mitleid  ist  nicht  zu   entbehren 

zur  sozialen  Entwicklung.«  k.  Ostwaw. 


»sc  fjßt 


Grundzüge  für  die  Meugestaltung 

der  Blindenbildung    und    der    Blindenfürsorge 

in   Deutschösterreich. 

Die  Errichtung  des  „deutschösterreichischen  Staates"  läßt  die  Be- 
gründung einer  modernen  Blindenfürsorge  näher  gerückt  erscheinen  als 
in  den  Zeiten,  da  die  Verbindung  mit  anderen  Nationen  eine  einheitliche 
Neuordnung  behinderte.  Bei  den  gegenwärtigen  Umwandlungen  im  Staats- 
leben darf  die  heimische  Blindenfürsorge  nicht  vergessen  werden.  S  i  e 
muß  auf  sozialer  Grundlage  und  unter  Mitwirkung  der 
breiten  Öffentlichkeit  vor  sich  gehen.  Wir  treten  daher  an  die 
Allgemeinheit  sowie  an  die  berufenen  Stellen  mit  der  Bitte  heran, 
dieser  dringend  notwendigen  Neugestaltung  ihre  volle  Aufmerksamkeit 
und  Werktätigkeit  zuzuwenden  und  die  günstige  Gelegenheit  zu  einer 
modernen  Umwandlung  unserer  Blindenfürsorge  nicht  zu  versäumen. 
Neben  jahrzehntealten  Forderungen  unterbreiten  wir  die 
Bitte  nach  Neueinrichtungen  und  Umgestaltungen,  wie  sie 
sich  aus  u  n  a  b  w  e  i  s  b  a  r  e  n  B  e  d  ü  r  f  n  i  s  s  e  n  e  r  g  e  b  e  n  u  n  d  den  ge- 
änderten staatlichen  u  n  d  g  e  s  e  1 1  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e  n  Verhältnissen 
entsprechen.  Damit  werden  auch  die  Grundzüge  festgelegt,  unter 
denen  die  Reorganisation  der  Blindenfürsorge  in  Deutschösterreich  voll- 
zogen werden  könnte. 

Bisher  litt  die  heimische  Blindenfürsorge  unter  einer  schweren 
Vernachlässigung  seitens  der  öffentlichen  Stellen  und  an  dem  verhäng- 
nisvollen Irrtum,  daß  Blindenbildung  und  Blindenfürsorge  Angelegen- 
heiten der  Privatwohltätigkeit  seien,  sowie  an  der  Verkennung  der  durch 


Seite  1040.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  12.   Nummer. 

das  Bildungsbedürfnis,  die  Bildungsfähigkeit  und  den  Bildungserfolg 
längst  erwiesenen  Pflicht  des  Staates,  Blindenbildung  und  Blin- 
denfürsorge als  berechtigte  Aufgaben  der  Volksbildung 
und  \^ o  1  k s w o h  1  f a h r t  zu  e r f u  1 1  e n. 

Zur  Durchführung  dieser  staatlichen  Für  sorgeist  die 
Schaffung  besonders  beauftragter  Stellen  drin  gen  st  ge- 
boten und  zwar  einer  ,.St  a  at  sstel  le  für  Blindenfürsorge" 
und  der  ihr  untergeordneten  ..Landesstellen". 

Die  Aufgabe  dieser  Stellen  wäre  die  ungesäumte  Durchführung 
der  Fürsorge  für  sämtliche  Blinde  (Kriegsblinde  eingeschlossen).  Sie 
hätte  sich  auf  folgende  Gebiete  zu  erstrecken: 

Maßnahmen  zur  Blindheitsverliütung. 

Statistische  Erhebungen  über  die  Blinden  Deutschösterreichs. 

Fürsorge  für  die  vorschulptlichtigen  blinden  Kinder. 

Beschulung  der  scbulptlichtigen  blinden  Kinder. 

Beschulung  schwachsichtiger  Kinder. 

Berufliche  Ausbildung  der  jugendlichen  Blinden. 

Berufszuführung  von  Spätererl)lindeten  (darunter  auch  der  Kriegs- 
blinden). 

Unterstützung  und  Versorgung  arbeitsschwacher,  kranker  und  alter 
Blinder  in  freier  und  geschlossener  Fürsorge. 

Die  ..Staatsstelle"  bezw.  die  „Landesstellen"  hätten  sich  aller  be- 
stehenden Blindenfürsorgeeinrichtungen  ( Anstalten,  Heime,  Vereine  usw.) 
unter  Wahrung  ihrer  Selbständigkeit  zu  bedienen  und  die  sonst  not- 
wendigen Neueinrichtungen  zu  schaffen.  Neben  den  vorhandenen  und 
aus  der  privaten  Wohltätigkeit  auch  in  Zukunft  zu  gewärtigenden 
Mitteln  müßten  die  Länder  und  Gemeinden  l)ezw.  der  Staat  die  rest- 
lichen Bedürfnisse  befriedigen. 

Die  ,.Staatsst eile"  wie  die  ..Landesstellen"  wären  als 
Staatsbehörden  bzw.  als  L a n d e s b e h ö r d e  auf  demokrati- 
scher Grundlage  zu  errichten.  Die  hierzu  berufenen  Funktionäre 
hätten  sich  zusammenzusetzen  aus:  Beamten,  Vertretern  der  Erhalter 
der  in  Anspruch  genommenen  Fürsorgeeinrichtungen,  Fachmännern  und 
Blinden. 

Die  Zahl  der  in  Obsorge  der  genannten  Stellen  fallenden  deutsch- 
österreichischen Blinden  beträgt  in  runder  Summe  6500   und   zwar  in  : 

Niederösterreich 2600  Blinde 

Oberösterreich  und  Salzburg  ....    800  „ 

Steiermark 750  ,. 

Kärnten 250  „ 

Tirol  und  Voralberg 400  ,. 

Deutschböhmen 1200  „ 

Sudetenland 500  „ 

Als  allgemeiner  Grundsatz  der  Blindenfürsorge  hat  zu  gelten: 
Für   alle   Blinden   ist    das  Recht    auf  Bildung  und  das 

Recht    a  u  f  A  r  b  e  i  t    dem    Recht    auf    eine    menschenwürdige 

Versorgung  voranzustellen. 


12.  Nummer.  Zeitschiilt  f(ii-  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite    1041. 

A I  s  d  r  i  u  g  e  n  d  s  1 0  F  o  r  d  e  r  u  ii  g  e  n  einer  ni  o  d  e  r  n  e  n  d  e  u  l  .'^  c  h- 
f) .s  t  e r r e i  c h i  s c h  e n  Blindenfürsorge  d u r cli  die  b  e .s t e h e n d e n 
wie  dnreh  die  neu  zu  schaffenden  Einricli t ungen  werden 
[)  e  z  e  i  c  im  e  t : 

Fürsorge  für  l) linde  Kinder  im  vorschulpflichtigen 
Alter.  Außer  den  bestehenden  Vorschulen  für  blinde  Kinder  (Asyl  für 
brnde  Kinder  in  Wien,  Kindergarten  der  Klar'schen  Blindenanstalt  in 
Prag)  wären  solche  Vorschulen  nach  Bedürfnis  auch  in  den  anderen 
Ländern  zu  schaffen. 

Beschulung  blinder  Kinde  r. 

Die  unterrichtliche  xVusbildung  muf3  als  sicherste  Grundlage  der 
Blindenfürsorge  angesehen  werden.  Blindenanstalten  seien  daher  hinfort 
aus  öffentlichen  Mitteln  erhaltene  Pflichtschulen,  woraus  sich  die  Not- 
wendigkeit ergibt,  den  Anstaltszwang  für  blinde  Kinder  gesetzlich  fest- 
zulegen. Da  der  Blindenunterricht  auch  die  Aufgabe  zu  erfüllen  hat, 
au  der  Ausgestaltung  der  Blindenpädagogik  mitzuwirken,  ist  ihm  kein 
fester,  sondern  ein  Ideallehrplan  zugrunde  zu  legen  und  die  Freiheit 
der  Methode  zu  gewährleisten.  Zur  Erlangung  voller  Klrwerbsfähigkeit 
muß  die  Bildungszeit  nach  Notwendigkeit  auch  über  die  Schulpflicht 
hinaus  ausgedehnt  werden. 

Die  Unterrichtsanstalten  für  blinde  Kinder  sind  bis  auf  Tirol  und 
Vorarlberg  für  die  Unterbringung  der  blinden  Landeskinder  hinreichend. 
Nach  Notwendigkeit  wären  einzelne  Anstalten  für  eine  größere  Inan- 
spruchnahme zu  erweitern.  Niederösterreich  erscheint  durch  4  Unterrichts- 
anstalten (N.  ö.  Landes-Blindennnstalt  in  Purkersdorf.  k.  k.  Blinden-Er- 
ziehungsinstitut  in  Wienll.  Israelitisches  Blindeninstitut  in  Wien  XIX  und 
städtische  Schulabteilung  für  blinde  Kinder  in  Wien  XVI)  über  den 
Bedarf  hinaus  bedacht.  Die  unvollkommen  organisierte  Schulabteilung 
ftir  blinde  Kinder  in  Wien  XVI  wäre  bei  Nachweis  des  Bedürfnisses 
zu  einer  Tagesschule  für  Blinde  auszugestalten  oder  im  Gegenfalle  auf- 
zulassen. Das  bisherige  k.  k.  Blinden-Erziehungsinstitut  in  Wien  II,  wel- 
ches zum  größten  Teil  seine  Zöglinge  aus  den  abgetretenen  Kronländern 
verliert,  wäre  in  eine  ,.Blinden-Studienanstalt"  zur  Erlangung  einerhöheren 
geistigen  und  musikalischen  Ausbildung  (Mittel-  und  Hochschulstudium) 
und  in  eine  Anstalt  zur  Heranbildung  von  Blindenlehrern  (nach  erfolgter 
Absolvierung  einer  Lehrerbildungsanstalt)  umzuwandeln. 

Beschulung  von  schwachsichtigen  Kindern. 

Die  unterrichtliche  Ausbildung  von  schwachsichtigen  Kindern  er- 
fordert besondere  Maßnahmen,  da  diese  Kinder  im  Volksschulunterrichte 
nicht  fortzukommen  vermögen  and  in  den  Blindenanstalten  keine  Auf- 
nahme finden  können.  Es  sind  daher  in  den  großen  Städten  Sonder- 
klassen für  schwachsichtige  Kinder  zu  errichten  oder  Abteilungen  für 
Schwachsichtige  den  Blindenanstalten  anzugliedern. 

Die  heruflliche  Ausbildung,  w^elche  an  den  Blindenunterrichtsanstalten 
oder  eigenen  Anstalten  vorgenommen  wird,  wäre  zu  erweitern  und  zu  ver- 
tiefen. Durch  die  Umwandlung  des  bisherigen  k.  k.  Blinden-Erziehungs- 
institutes  in  Wien  II  in  eine  „Blinden-Studienanstalt*'  könnte  das  Ver- 
langen talentierter  Blinder  nach  höherer  geistiger  und  musikalischer 
Ausbildung    endlich    erfüllt    werden.    Durch   Ausgestaltung  der   „Anstalt 


Seite  1042.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  12.  Nummer. 

zur  Ausbildung  Spätererblindetcr  in  Wien  XIX''  würde  dem  bi.sher  stark 
vernachlässigten  Zwecke  der  beruflichen  Ausbildung  der  Spätererb  bil- 
deten (Kriegsblinden)  gedient  werden. 

Förderung  der  freien  Erwerbstätigkeit  ausgebildeter 
Blinder. 

Die  für  diese  Aufgabe  bestehenden  Einrichtungen  sind  in  allen 
Ländern  unzureichend.  Es  wären  daher  die  bestehenden  Werkstätten 
für  blinde  Handwerker  auszugestalten  und  neue  Arbeitsstätten,  nament- 
lich auch  für  weibliche  Blinde,  in  den  größeren  Städten  zu  errichten, 
die  Arbeitsvermittlung  zu  organisieren  und  neue  Berufszweige  für  Blinde 
auf  Grundlage  eines  ausgestalteten  Systems  der  Handfertigkeit  in  den 
Blindenunterrichtsanstalten  zu  eröffnen.  In  den  bestehenden  „Beschäf- 
tigungs-  und  Versorgungsanstalten  für  männliche  und  weibliche  Blinde" 
wäre  das  Hauptgewicht  auf  die  Erwerbstätigkeit  zu  legen,  wenn  nicht 
die  Umwandlung  in  reine  Versorgungsanstalten  zu  erwirken  ist,  wobei 
eine  auf  das  Haus  beschränkte  Beschäftigung  wünschenswert  erscheint. 
Für  alle  erwerbstätigen  Blinden  ist  die  Kranken-Unfall-  und  Sozialver- 
sicherung durchzuführen. 

Unterstützung  u  n  d  V  e  r  s  o  r  g  u  n  g  a  r  b  e  i  t  s  s  c  h  w  a  c  h  e  r 
kranker  und  alter  Blinder  in  freier  und  geschlossener 
Fürsorge. 

Bei  der  Versorgung  der  Blinden  ist  die  Ermöglichung  einer,  wenn 
auch  nur  beschränkten  Erwerbsmöglichkeit  der  bloßen  Armenversorgung 
stets  voranzustellen.  Beide  Arten  der  Versorgung  haben  sich  in  möglichst 
freier  Fürsorge  zu  vollziehen.  Neben  den  bestehenden  Unterstützungs- 
fonds wären  unter  Heranziehung  der  öffentlichen  Armenmittel  bei  den 
„Landesstellen-'  ,.Hilfskassen-'  für  Blinde  zu  errichten,  aus  denen  diese 
nach  dem  Grade  ihrer  Arbeitsfähigkeit  Unterstützungen  genießen  könnten. 
Dagegen  sind  entsprechende  Maßnahmen  gegen  den  Bettel  durch  Blinde 
zu  ergreifen. 

Für  die  geschlossene  Fürsorge  kranker  und  alter  Blinder  sind 
dringende  Vorkehrungen  nötig,  da  für  die  Unterbringung  solcher  Blinder 
nur  eine  einzige  Anstalt  (das  von  der  ..Böhmischen  Sparkasse  erhaltene 
Francisco-Josephinum  in  Prag")  besteht.  Die  Gemeinde  Wien,  welcher 
für  diesen  Zweck  bereits  größere  Mittel  von  der  Privatwohltätigkeit  zur 
Verfügung  gestellt  wurden,  wäre  in  erster  Linie  zur  Errichtung  einer 
Versorgungsanstalt  zu  veranlassen.  x\uch  in  Niederösterreich  (außerhalb 
Wiens)  sowie  in  den  anderen  Ländern  müßten  solche  Alters-  bezw. 
Kranken-  und  Erholungsheime  für  Blinde  errichtet  werden. 

Die  Durchführung  aller  dieser  Maßnahnien  müßte  unter 
Mitwirkung  und  Unterstützung  der  breiten  Öffentlichkeit  sei- 
tens der  „Staatsstelle"  für  Blindenfürsorge  geschehen.  Es  be- 
darf in  dieser  Hinsicht  dringend  der  bisher  mangelnden  An- 
regung und  Führung  durch  berufene  Kreise,  welche  mit  ent- 
sprechenden Befugnissen  ausgestattet  sind.  Man  schreite, 
daher  ungesäumt  an  die  Schaffung  der  vorgeschlagenen  Kor- 
porationen, welche  die  Neugestaltung  des  deutsehöster- 
reichischen  Blindenwesens  in  die  richtigen  Bahnen  leiten. 


i2.   Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Blindenwesen.  Seite  1043. 

Das  künstlidie  Rüge. 

Von  Justus  O  1  d  e  n  d  o  r  p. 

Die  augenärztJiche  Kunst  steht  auf  dein  durcli  Krtahrung  gefestig- 
ten Standpunkt,  wonach  das  künstliche  Auge  als  unerläßliches  Hilfsmittel 
zur  Gesunderhaltung  der  Augenhöhle  angesehen  werden  muß,  ja  es 
darf  geradezu  als  notwendiger  Heilfaktor  gelten.  Demnach  empfiehlt 
sich  auch  bei  Vollblinden  das  Tragen  von  Prothesen  aus  hygienischen 
Gründen  und  nicht  nur,  um  die  abstoßende  Wirkung  der  leeren  Augen- 
höhlen zu  beheben.  Welch  hohen  Wert  für  das  seelische  P^mpfmden 
des  am  Sehorgan  Geschädigten  das  bloße  Bewußtsein  verleiht,  daß  diese 
Verunstaltung  nicht  von  jedermann  zu  gewahren  ist,  bedarf  keiner  be- 
sonderen Worte.  Das  ganze  Auftreten  eines  mit  einer  Prothese  verse- 
henen Menschen  im  Verkehr  mit  der  übrigen  Welt  vollzieht  sich  unbe- 
fangener und  sicherer  als  ohne  diese  nicht  hoch  genug  zn  schätzende 
Kunsthilfe.  Doktor  Kitt  er  ich  nannte  es  vor  über  sechzig  Jahren 
geradezu  fehlerhaft,  den  Gebrauch  dieses  Hilfsmittels  jahrelang  aufzu- 
schieben. Das  Vorurteil  für  den  Gebrauch  künstlicher  Augen  wird  sich 
für  die  nächste  Generation  bedeutend  verringern  :  die  durch  Unwissen- 
heit hervorgerufene  Scheu  vor  Prothesen  und  die  Furcht  vor  ärztlichen 
Eingriffen  erhielten  durch  die  Behandlung  unserer  Kriegsbeschädigten 
eine  bedeutsame  Berichtigung. 

Sichere  geschichtliche  Überlieferungen  über  die  Herstellung  künst- 
licher Augen  aus  älterer  Zeit  sind  nur  wenige  bekannt.  Eine  genauere 
Beschreibung  gab  erst  Ambroise  Pare  in  einem  1561  gedruckten  Werk. 
Die  Kunst,  (ilasaugen  für  den  Ersatz  eines  verlorenen  Sehorgans  zu 
machen,  scheint  einst  in  Venedig  ihren  Sitz  gehabt  zu  haben;  lange  Zeit 
galt  F\aris  als  die  Stätte  der  entwickelten  Technik.  Der  deutsche  Augen- 
arzt Ritterich  bemühte  sich  im  vorigen  Jaln'hundert,  um  Deutschland, 
wie  er  sagt,  „von  diesem  Tribut  an  Frankreich  zu  befreien."  Hazard- 
Mirault  in  Paris  verlangte  um  1850  für  ein  Auge  fünfundzwanzig  bis 
fünfzig  Franken.  Ritterich  lernte  1851  die  Arbeiten  des  in  Lauscha 
bei  Saalfeld  in  Thüringen  geborenen  Ludwig  Müller  kennen,  der  schon 
1835  durch  den  Würzburger  Professor  Adel  mann  zur  Herstellung 
künstlicher  Augen  angeregt  worden  war.  Über  die  Prothesen  urteilte 
Ritt  er  ich  1852:  „Seine  Ersatzaugen  sind  denen  der  besten  Pariser 
Erzeugnisse  gleichzustellen,  in  mehrer  Beziehung  sogar  vorzuziehen." 
Müllers  künstliche  Augen  kosteten  zweieinhalb  bis  drei  Taler.  Dem 
Neffen  des  Genannten,  Friedrich  Adolf  Müller,  der  sich  seit  1855  be- 
tätigte, gelang  es  gegen  Ende  der  sechziger  Jahre,  ein  neues  bildsames 
Material  anzuwenden,  das  dem  zerstörenden  Einfluß  der  Tränenflüssigkeit 
viel  besser  widerstand  und  leichter  war  als  das  französische  Glas.  Das 
günstige  Vorurteil  gegenüber  französischen  Erzeugnissen  verlor  sich  erst, 
als  durch  den  Krieg  1870/71  Paris  verschlossen  blieb,  und  die  Notwen- 
digkeit gebot,  nach  der  einheimischen  Arbeit  zu  greifen.  Seit  jener  Zeit 
übertlügelte  das  Können  deutscher  Künstler  die  französischen  Erzeug- 
nisse immer  entschiedener.  Die  echt  gallische  Eitelkeit  zeigte  sich  über 
diese  Erfolge  sehr  verbittert.  Als  auf  der  Pariser  Weltausstellung  des 
Jahres  1900  die  ^Erzeugnisse  des  Wiesbadener  Hauses  Friedrich  und 
Albert  Müller  auf  dem  internationalen  Kongreß  der  Augenärzte  unge- 


Seite  1044.  Zeitschrift  für  das  österreichische   BUndenwesen.  12.  Nummer. 

teilte  Anerkennung  fanden,  hielt  es  das  Ausstellungsgericht  für  gehoten, 
diese  Erzeugnisse  deutschen  Könnens  mit  einer  untergeordneten  Bewer- 
tung zu  bedenken.  Als  Grund  gab  man  ebenso  dünkelhaft  wie  gehässig 
J.Imitation  französischer  Kunst"  an!  Inzwischen  haben  unsere  Erzeug- 
nisse die  französischen  überflügelt,  die  sich  nicht  einmal  auf  der  Höhe 
von  1850  zu  halten  vermochten.  Deutschen  Bemühungen  ist  es  auch 
zu  danken,  daß  ein  neues  Material,  das  Kryolithglas.  gefunden  und  ver- 
arbeitet werden  konnte,  das  den  Einwirkungen  der  Alkalien  dauernden 
Widerstand  zu  leisten  vermag.  Aus  bleihaltiger  Komposition  verfertigte 
Augen  —  wie  die  Pariser  —  beginnen  nach  etwa  viemionatigem  Ge- 
brauch auf  der  ganzen  Oberfläche  matt  zu  werden :  aus  gutem  Material 
hergestellte  erst  nach  einjähriger  Tragzeit.  Das  deutsche  Kryolithglas 
—  das  die  Kernmasse  der  Prothese  bildet  —  wird  von  der  Tränen- 
masse überhaupt  nie  rauhgefressen:  nur  das  Kristallglas,  aus  dem  die 
Hornhaut  gebildet  werden  muß,  erleidet  eine  oberfiächliche  Zersetzung; 
auf  dem  Kristall  der  Iris  entstehen  blinde  Stellen,  welche  die  Schleim- 
haut eher  spürt,  als  sie  äußerlich  wahrgenommen  werden.  Solange  das 
Auge  glatt  ist.  wirkt  es  wohltätig  auf  die  Muskulatur  und  die  Schleim- 
haut der  Augenhöhle:  erst  dann,  wenn  die  Oberfläche  rauh  zu  werden 
beginnt,  überträgt  sich  der  Reiz  auf  die  ganze  Augenhöhle.  Bei  fortge- 
setzter Dauer  tritt  chronischer  Bindehautkatairh  ein,  der  sich  auf  das 
gesunde  Auge  überträgt.  Aber  auch  noch  weitergehende  Schädigungen 
können  die  Folge  verdorbener  Prothesen  sein.  Aus  diesem  Grijnde 
empfiehlt  es  sich,  keine  geringwertigen  P^rzeugnisse  zu  erwerben. 

Statt  der  schalenförmig  gebildeten  Prothesen  gelang  es  lc^99. 
doppelwandige,  völlig  geschlossene  Kimstaugen  herzustellen.  Bald  darauf 
wurde  es  möglich,  diese  unter  dem  Namen  „Reformaugen''  eingeführten 
Gebilde  in  beliebigen  Formen  herzustellen  und  die  Rückwand  je  nach 
den  Verhältnissen  der  Augenhöhle  mehr  oder  minder  konvex,  konkav, 
plan-  und  konkav-konvex  zu  gestalten  und  genau  der  Beschaffenheit 
des  Augenhöhlenbodens  anzupassen.  Dieses  Kunslauge  erlaubt  eine 
größere  Bewegungsfähigkeit  als  die  bloße  Schale:  weil  es  sich  ganz 
der  Form  des  noch  vorhandenen  Augapfels  anzupassen  vermag,  macht 
es  alle  Bewegimgen  des  gesunden  Auges  tnit. 

Ritterichs  Worte  sind  heute  so  wahr  wie  vor  einem  halben 
Jahrhundert,  da  er  schrieb:  ,.Die  Erlangung  eines  künstlichen  Anges  ist 
für  den  Armen  oft  noch  von  höherer  Wichtigkeit  als  für  den  Wohl- 
habenden. Wenn  es  bei  diesem  meist  dazu  dient,  das  Aussehen  zu  ver- 
bessern, so  ist  es  bei  dem  Unbemittelten  nicht  selten  zugleich  ein 
Schutz  gegen  Mangel  und  Elend,  Ein  Einäugiger  wird  von  niemand  gern 
in  Dienst  genommen  und  ihm  nicht  leicht  ein  Geschäft  übergeben,  zu 
dessen  Ausführung  ein  nur  irgend  gutes  Gesicht  gehört,  obgleich  das- 
selbe recht  wohl  mit  einem  Auge  zu  verrichten  wäre.  Trägt  er  aber 
ein  künstliches  Auge,  hat  er  also  anscheinend  zwei  gesunde  Augen,  so 
findet  er  weit  leichter  Unterkommen  und  Brot." 

Für  die  im  Kriege  um  das  Augenlicht  gekommenen  Kämpfer  ge- 
schieht alles;  sie  erhalten  selbstverständlich  auch  Prothesen.  Eine  hoch- 
entwickelte Kunstfertigkeit  traf  mit  den  Kriegsereignissen  zusammen, 
um  das  Menschenmögliche  erreichbar  zu  machen. 


Beilage  zu  Nr.  12  der  Zeitschrift  für  das  österr.  Blinden wesen. 


Den  Angehörigen  und  Freunden 
der  im  Felde  Erblindeten. 

Sonderabdruck  aus  dem  „Evangelisdien  Hausfreund",  Februar  1918 
von  E.  G.  B.,  Wien. 

Man  liest  nun  viel  von  all  den  großen  Instituten,  wo 
das  Sehen  mit  den  Fingerspitzen  gelehrt  wird,  um  lesen  zu 
können,  Musik  zu  treiben  und  so  manche  Handfertigkeit  —  es 
werden  Blindenheime  für  erblindete  Krieger  errichtet,  große 
Summen  kommen  ins  Rollen,  ihr  Elend  zu  lindern. 

Dagegen  scheint  es  geringfügig  zu  sein,  was  ich  vornehmlich 
zu  geben  habe,  doch  ist  es  nicht  leicht  erworben,  in  fast  zwei 
zwei  Jahrzenten  unermüdlich  ernsthafter  Betreuung  eines  Erblin« 
deten,  und  von  diesem  teueren  Gut  —  Erfahrung  —  möchte  ich 
mitteilen,  mit  den  Freunden  und  Angehörigen  jener  —  teilen! 

Viele  Erblindete  werden  im  häuslichen  Verband  bleiben 
können,  dank  irgend  günstiger  Familienverhältnisse,  vielen  Menschen 
wird  es  nun  häufiger  als  bisher  begegnen,  mit  Blinden  da  oder 
dort  umzugehen,  die  Anregung  für  Freitische  ward  öffentlich  ge- 
geben, damit  auch  die  in  Blindenheimen  Wohnhaften  mit  der 
Außenwelt  in  Fühlung  bleiben.  —  „Bringen  wir  ihnen,"  sagt  Peter 
Rosegger  im  Heimgarten  —  er  schildert  die  Verzweiflung  eines 
kriegserblindeten  Studenten  — ,  „Ehre  und  Liebe  entgegen,  wo  und 
wie  immer  wir  können!" 

Könnte  ich  irgend  ein  Bindeglied  sein,  das  Verständnis, 
die  notwendige  Technik  für  den  Verkehr  mit  Nichtsehenden  zu 
erleichtern,  beiden  —  den  Nehmenden  wie  auch  den  Gebenden  — 
zuliebe.  Mein  Vater  war  schon  über  60  Jahre  alt,  als  die  seit 
langem  abnehmende  Sehkraft,  als  die  Sonne  für  ihn  —  erlosch. 
Die  Allmählichkeit,  diese  so  einzig  versöhnende  Macht,  hatte  er 
jenen  voraus,  welche  im  Feld  der  furchtbare  Verlust  wohl  zumeist 


plötzlich  traf.  Doch  das  Geizen  um  den  langsam  hinschwindenden 
Schein  —  der  Tag  und  Nacht  noch  unterscheidet  —  ist  herzzer- 
reißend gewesen.  Die  Tragik,  daß  es  diesen  Helden  in  Jüngeren 
Jahren  widerfuhr,  birgt  die  versöhnende  Gewißheit  in  sich,  sie 
noch  der  Errungenschaften,  welche  die  Blindenlehre  verbreitet  mit 
Energie  und  Lust  teilhaft  werden  zu  sehen.  Die  Braillesche  Schrift 
ist  schwer,  weniger  für  den  Blindgeborenen  oder  als  Kind  Erblin- 
deten, der  Tastgefühl  von  vorneherein  ganz  besonders  fein  ent- 
wickelt ist.  Wenn  ich  demnach  bei  höherem  Alter  bezüglich  solcher 
Entlastung  völlig  resignierte,  so  glaube  ich,  man  werde  gerne  ge- 
willt sein,  den  Hilflosgewordenen  den  harten  Übergang  zu  erleichtern 
und  ihnen  nach  Bedürfen  vorzulesen — .es  bietet  unsagbar 
viel  lebendigste  Zerstreuung — ,  bis  sie  von  der  arg  mühe 
samen  Technik  zum  freudigen  Genießen  vorgeschritten  sind.  Freund- 
liche Helfershelfer  finden  sich  sicher  im  eigenen  Kreise,  und  so 
manche  Vereine  stellen  gewiß  gute  Kräfte  zur  Verfügung.  Es  wäre 
vorzulesen,  was  besonders  interessiert  —  in  der  Brailleschrift  über- 
dies nicht  Erhältliches  — ,  so  auch  manch  Fachwissenschaftliches, 
wie  aus  der  Zeitung!'  Nichts  aufdrängen  was  dem  Vorlesenden 
vielleicht  näherliegt;  leset  geduldig,  etwa  den  Leitartikel,  alle 
Telegramme,  die  den  Tapferen  vor  allem  am  Herzen  liegen  dürften. 
Wenn  dem  Blinden  geholfen  sein  soll,  muß  ihm  gedient 
werden;  nur  so  wird  jegliche  Entmündung  vermieden,  die  als 
drohendstes  Gespenst  dem  Lichtlosgewordenen  vorschweben  mag. 
Nicht  er,  sondern  Ihr  seid  abhängig  geworden  —  so  sei's!  Indes 
die  Seelenbeziehungen  werden  sich  ungeahnt  festigen, 
erhöhen  durch  das  Unglück,  und  da  kommt  es  mit  der  Zeit  zu 
einem  Austausch  der  Geschmacksbildung,  der  Fähigkeiten.  Er  wird 
nicht  blos  „mit  Euren  Augen  sehen"  lernen.  .  .  .  Mein  Vater  liebte 
den  Vortrag  heiterer  Musik,  durch  den  ich  ihn  unterhielt,  obwohl 
ich  für  mich  die  klassische  Richtung  pflegte.  Durch  oftmaliges 
Zuhören,  zuerst  aus  anderem  Zimmer  herüber,  ist  er  da  völlig 
eingedrungen  und  machte  sich,  es  erhellte  aus  seiner  richtigen 
Kritik,  selbst  schwere  Kompositionen  ganz  zu  eigen,  was  bei 
„leichter  Musik"  im  Fluge  gelingt  und  deshalb  um  so  erfreulicher 
wirkt,  wo  es  an  Zeit  und  Gelegenheit  gebricht.  —  Musik  ist  für 
Lichtlose  die  holdeste  Licht-  und  Freudenbringerin.  Wenn  nur  ir- 
gend Liebe  dafür  vorhanden  ist,  werde  sie  entwickelt,  gepflegt  durch 
gute    Hausmusik,    Besuch    von    Konzerten.    So    manchem  sagt  der 


—  3  — 

Gesang  am  meisten  zu.  Es  ist,  auf  die  Lektüre  rückkommend,  n  i  c  h  1 
gleichgülti.y.  wie  einem  Blinden  vorgelesen  wird.  Einförmiges  Lesen 
schläfert,  wo  außerdem  ringsum  nichts  anregt,  leicht  ein.  Zu  lautes 
Lesen  betäubt!  Man  sage  sich's  nur  immer  wieder,  daß  man  dem 
P>blindeten,  im  Lesen  wie  im  Erzählen,  nicht  nur  alles  zu  Gehör, 
sondern  auch  „zu  Gesicht"  bringen  muß  durch  eine  nicht  auf- 
dringliche Eindringlichkeit,  wie  man  sie  der  Jugend  gegenübnr  an- 
wendet, um  ihre  Vorstellungskraft  zu  festigen,  zu  steigern. 

Die  Konversation,  der  Austausch  von  Gedanken,  ist  mög- 
liehst dahin  zu  lenken,  daß  der  Blinde  spricht  und  aus  seinen 
Erinnerungen  schöpft,  er  wird  es  als  Wohltat  empfinden,  wenn 
jemand  ihm  da  niederschreibend  zur  Verfügung  steht  (auch  gibt 
es  für  ihn  gute  Schreibbehelfe,  Verwendung  des  Diktaphons),  be- 
sonders alles  mit  dem  Wendepunkte  seines  Lebens  Zusammen- 
hängende ist  jedem  Krieger  für  ihn  und  die  ihn  kennen,  festzuhalten! 
Jedoch  die  Nacht  die  ihn  umgibt,  läßt  auch  Weitfernliegendes,  das 
seine  Kindheit,  seine  Jugendzeit  erhellt  haben  mag,  beglückend 
aufleuchten.  Lasset  an  seinem  geistigen  Auge  all  das  vorüberziehen. 
Neues  Erleben  tritt  in  ganz  neuer  Form  an  ihn  heran,  man  halte 
mit  ihm  den  unvergänglichen,  kostbaren  Schatz  seiner  Erinnerungen 
heilig  wert  und  gewinne  dadurch  Haftpunkte,  sei  es,  um  Ähnlich- 
keiten mit  neuhinzutretenden  Menschen  festzustellen,  sei  es,  um 
neue  Gegenden,  auftauchende  Farben  und  Formen  ihm  zu  ver- 
dolmetschen. Über  alles  hoch  ist  es  zu  werten,  wie  das  Gedächt- 
nis die  edlen  Sinne  bevorzugt,  so  daß  selbst  bei  Verlust  eines 
solchen  die  unedleren  nie  zu  übertönen  brauchen,  deren  Genuß 
mit  dem  Augenblicke  der  Erfüllung  —  in  Nichts  versinkt.  Die 
Kunst  des  Lauschens,  Daranknüpfen  ist  entwicklungsfähig,  gar  sehr 
ausgiebig  bleibt  noch  die  Rolle  des  redenden  Teils.  Schweigsames 
Zusammensein  bei  Mahlzeiten,  bei  Spaziergängen  ist  dem  Nicht- 
sehenden  wohl  nur  selten  Bedürfnis,  man  achte  aber  solche  Re- 
gungen, den  eigenen  Gedanken  „Audienz  geben"  zu  wollen,  rück- 
sichtsvollst, und  man  lernt  —  ich  habe  erst  in  jenen  Jahren  un- 
versehens zu  zeichnen  begonnen  — ,  erhöht  bewußtes  Schauen, 
scharfes  Beobachten,  wenn  immer  davon  weitergegeben  werden 
muß.  So  auch  erweckt  —  in  uns  selbst  —  ein  Dichter  lebhafte 
Vorstellungen  von  fernem  nie  Erschauten  durch  sein  macht- 
volles Beschreiben  und  Schildern  —  dem  eifere  man  nach 
bestem  Können  nach! 


_  4  — 

Durch  das  Dunkel  ist  große  Gefahr  der  Monotonie  und  Apathie 
gegel)en;  der  darin  Weilende  ist  jedoch  zumeist  jeder  Abwechs- 
lung leicht  zugänglich,  sei  es  eine  Reise,  ein  Ausflug,  Gesellig- 
keit oder  Besuch  von  Unterhaltungen.  Für  die  Geselligkeit 
es  viele  Spiele:  so  Dame,  Schach,  Mühle  (letztere  selbst  kostruier» 
bar),  es  gibt  eigene  Drechslereikunst  solcher  Artikel.  Sehr  anregend 
wirken  geistvolle  Gesellschaftsspiele.  Bei  Reisen  mag  der  Bädeker 
schon  auf  der  Fahrt  gute  Dienste  tun,  zur  Ausschmückung  fällt 
wohl  stets  so  manches  auf.  Vor  Besuch  eines  Theaters  wird 
das  Textbuch  oder  das  Stück,  der  Theaterzettel  mit  Vorteil  vor- 
gelesen, Klavierauszüge,  vor  wie  nach,  vorgespielt  werden,  bei  der 
Vorstellung  gibt  es  noch  genug  bezüglich  des  Aussehens,  der  Klei- 
dung der  Spielenden  usw.  zuzuflüstern.  (Mein  Vater  verließ  sich  so 
völlig  auf  mich,  daß  er  auch  durchaus  ins  Kino  mitwollte,  was 
ich^ihm  aber  —  Gefahr  einer  Panik  vorschützend  —  ausreden 
mußte).  Gemälde  konnten  oftmals  nahegebracht  werden  durch 
eingehende  Beschreibung.  Manchen  Erblindeten  ist  die  Bildhauerei 
ganz  zugänglich  für  ihr  Verständnis.  Bei  Festlichkeiten  sei  es 
aller  Bestreben,  sich  in  „seine"  Aufnahmsmöglichkeiten  hineinzu- 
denken! Weihnacht!  —  das  Glöcklein,  der  Duft  der  Tanne,  der 
Wachskerzchen,  hellerklingende  Weihnachtslieder  feierliche  Musik, 
Jubel  beschenkter  Kinder,  Freude  in  Geben  und  Empfangen  und 
—  es  wird  ihm  nichts  fehlen.  Am  Festmorgen  festlich  mundender- 
Kuchen,  Blumen,  die  sich  bei  ihm  einzuschmeicheln  wissen  .  . 
Zärtlichkeit  —  kann  da  als  ,.Tochter"  nur  ahnen,  wie  in  solcher 
Lage  das  Erwidertwerden  am  wohlsten  tun  mag.  Etwas  Schweres 
muß  ich  einfügen :  Laßt  euch  nicht  überwältigen  von  der  erblühen- 
den Dankbarkeit,  vom  Bewußtsein,  ganz  .unentbehrlich  zn  sein, 
wachset  darüber  hinaus,  auch  andere  mögen  teilhaben  an  der 
steten  Obsorge,  denn  es  ist  nicht  gut,  daß  die  volle  Lebensmöglich- 
keit eines  Menschen  nur  „auf  zwei  Augen  ruhe!*'  .  .  . 

Und  zulernen  durch  den  Umgang  mit  Blinden  immerzu! 
Beim  Suchen  einer  Behausung  gar  in  der  friedlichen  Stille  am 
Lande  wird  ihm  lärmende  Nähe,  z.  B.  einer  Schmiede  oder  das 
Wohnen  beim  Backhause  —  der  Unruhe,  auch  des  Nachts,  der 
ausstrahlenden  Wärme  und  Gerüche  halber  —  unleidlich  werden. 
Unsere  Schutzbefohlenen  sind  im  Eigentlichen  weit  weniger  zu 
täuschen  als  wir,  die  wir  abgelenkt  werden  durch  alles  zu  Schauende, 
alle  „Aufmachung''.  Sie  erkennen  bald  in  ihrem  erhöhten  Feinsin 


—  5  — 

flas  Wesen  der  Menschen  aus  deren  Händen,  ihrem  Händedruck 
—  er  sei  nie  flüchtig,  wo  er  so  viel  gibt  — ,  al)er  vor  allen  ver- 
rät ihnen  gar  viel  deren  Stimme  mit  ihren  Unter- und  Obertönen. 
Auch  für  die  Art  des  Sprechenden  erwächst  Überempfmdlichkeit : 
Jene,  die  nur  sich  selbst  hören,  kein  innerliches  Zuhorchen  für 
andere  besitzen,  daher  aus  allem  falsche  Schlüsse  ziehen,  sei  es 
in  Gleichgültigkeit  oder  böser  Absicht,  oder  solche,  die  in  Ent- 
zückungsrufe ausbrechen,  wenn  Schönes  zu  erblicken  ist,  unver- 
mittelt — ^.  ohne  die  toten,  suchenden  Augensterne,  das  wehe  Zucken 
um  den  Mund  zu  gewahren,  ohne  erschaute  Pracht  sachte  und 
willig  nahezubringen  — ,  alle  solche  Art  durchschaut  niemand 
angewiderter,  als  der  in  seinem  Dunkel  nach  wohltuenden,  har- 
monischen Eindrücken  heiß  Lechzende!  Bringt  ihm  ofmals  Kinder 
nahe,  sie  sind  heller  Sonnenschein  für  sein  Gemüt.  Ihr  aber  leset 
jene  Dichter,  die  die  Welt  des  Wunderbaren,  in  der  ihr  lebt,  er- 
kannt haben  .  .  .  und  schlichte  Menschen  selbst  am  Lebenswege 
sind  oft  unerwarteten  Verständnisses  voll  —  „tröstet  euch,  es  gibt 
noch  edle  Herzen" ! 

Bekennt  es  den  Blinden  dankbar,  wie  ihr  es  von  ihnen  lernt, 
unabgelenkt,  tiefer  zu  sehen  durch  Schließen  der  Augen,  wenn 
Schönes  erklingt,  ihr  es  ihnen  nachtut  in  Wald  und  Flur  alle 
würzige,  lieblich  durchduftete  Luft  tiefer  einzuatmen,  der  Vögel 
Gesang,  Tirillieren  und  Rufe  in  all  ihren  Abarten  zu  unterscheiden, 
alles  „Weben"  in  der  Natur  anzustaunen.  Man  tue  es  ihm  nach, 
aber  auch  dann  ■ —  man  schließe  die  Augen  für  eine  Weile 
— ,  wenn  die  Kraft  erlahmen  will,  die  Geduld  — .  laßt  es  um  euch 
draußen  mitten  am  hellen  Tag  oder  im  trauten  Gemach  bei  Lampen- 
schein dunkel  werden  und  ihr  taucht  empor  zum  Licht  der  Er- 
kenntnis, was  er  durch  den  Tod  des  Auges  verlor  und  was  ihr 
zu  geben  habt  —  lichtbringende  Liebe,  endlose  Hilfsbereitschaft. 
Oh,  man  bedarf  ihrer,  denn  jenes  stete  Leiden  bringt  noch  be- 
sondere Qualen  mit  sich:  Unsicherheit,  Ungewißheit,  die  sich  oft- 
mals in  Mißtrauen  umzusetzen  drohen.  Das  wird  die  Betroffenen 
tief  kränken!  Es  ist,  betrachtet  man's  einsichtsvoll  —  doch  aber 
bloß  der  ganz  natürliche  Versuch,  sich  zu  vergewissern,  eine 
Kontrolle  auszuüben,  die  der  Sehende  tausendfach  unbeobachtet 
nnd  unwillkürlich  betätigt,  besonders  bezüglich  jedweder  Reinlich- 
keit und  das  Aussehen  jeder  Speise,  jedes  Trunkes.  Nicht  mehr, 
nicht  weniger  gilt's,  als  —  sich    in  die  Lage  eines  anderen 


—  6  — 

versetzen  zu  können!  Am  leichtesten  isfs,  im  Geldgebahren 
vormalige  Gepflogenheit  aufrecht  zu  halten  diu-ch  gemeinsames 
Budgetieren  und  Verrechnen.  Man  trage  dem  Selbständigkeitsdrange 
Rechnung!  Das  kleinere  Nickelgeld  unterscheidet  sich  vom  Kupfer 
durch  den  gerifften  Rand,  es  ist  bald  erlernt,  da  und  dort  selbst 
bezahlen  zu  können.  Alles  von  Wert,  das  der  Blinde  bei  sich  trägt, 
sei  wohlverwahrt,  ein  Taschendiebstahl,  dem  er  leicht  ausgesetzt 
ist.  würde  ihn  sehr  deprimieren:  besonders  auch,  da  er  an  seinen 
ihm  liebvertrauten  Gebrauchsgegenständen  lebhaft  hängt. 

Höchstes  —  ..blindes  Vertrauen  haben*',  nennt  es  der  Sprach- 
brauch. Dessen  würdig  macht  —  lautere  Wahrhaftigkeit!  Erlaubt 
sei  nur  jenes  Verschweigen,  das  der  Blindheit  Vorteil  gewährt, 
wie  bei  so  manchem  traurigen  oder  häßlichen  Anblick.  Gönnt  ihnen 
das  Glück  ihrer  Lage,  das  alles,  auch  das  eigene  Ich.  ewig  jung 
erscheinen  läßt  und  sich  gern  alles  schön  ausmalt.  Haltet  mit 
ihm  auf  seine  Kleidung,  durch  Feinfühligkeit  in  den  Fingerspitzen 
ist  er  gut  in  der  Lage.  Stoffe  mitauszuwählen,  auch  anderer  Ge- 
wandung und  Möbelstoffe  sich  klarer  vorzustellen.  Seid  —  er  kann 
sich  nicht  besehen  —  ein  freundlich  Spiegelein!  Es  erhöht  sein 
Lebensgefühl  wesentlich,  sich  auch  äußerlich  gehegt  und  gepflegt 
zu  wissen.  Gerne  hat  er  eine  Blume  im  Knopfloch,  deren  Duft 
ihn  begleitet,  deren  Zartheit  ihn  entzückt. 

Der  „Unsicherheit"'  werde  Abhilfe  durch  pedantische 
Ordnung  in  der  Wohnung,  in  seinen  Schränken,  durch  genaue  An- 
ordnung heikler  Gegenstände,  sei  es  beim  Speisen  oder  am  Wasch- 
tische, so  daß  man  ..blind''  nach  allem  greifen  kann.  Der  zugefügte 
Schaden  ist.  wenn  er  etwas  von  Haushaltungsgegenständen  zer- 
bricht, nichtig  gegen  den  jähen  Schreck,  den  es  dem  hilflos  Tasten- 
den bereitet.  Da  ist  rasch  die  Schuld  auf  eigene  Schultern  zu 
nehmen,  aber  ernsthaft  darauf  zu  sehen,  daß  er  sich  übe,  alles 
—  auf  dem  richtigen  Orte  —  richtig  zu  greifen.  Auch  beim  Speisen 
wäre  konsequent  achtzugeben,  daß  Beilagen  oder  dergleichen  stets 
in  gleicher  Anordnung  zu  finden  seien,  Gabel  und  Brotlöflfel  sind 
die  besten  Behelfe,  wenn  vorher  zerkleinert  wurde,  der  „Hinder- 
nisse halber  (ein  kleiner  Beiteller  sollte  nie  fehlen).  Man  mache 
klar,  wie  Appetitlichkeit  angenehm  geselligan  Verkehr  eröffnet  und 
sichert.  Selbstredend  sage  man  vor  jeder  Speise,  was  nun  kommt, 
wie  es  aussieht  und  ist  es  auf  Wohlgeschmack  bei  jeglichem 
Trunk  und  Gericht  besonders  Gewicht   zu  legen,    da    auch   hierin 


__  7  — 

dir  erhöhte  Km  j)  find  1  i  chkeit  mitspielt  und  die  erhöhte  Mög- 
lichkeit zu  er(|  nicken.  So  ist  ihm.  als  Raucher,  der  Glimmstengel 
ein  ganz  hervorragendes  Labsal ;  ein  selbst  zünden  des  'l'aschen- 
feuerzeug,  Aschenbecher  (nicht  schale)  aus  Metall  sind  hier  gute 
Behelfe.  „Spitzen"  ratsam,  entzündlicher  Augenlieder  halber  und 
weil  schutzbietend.  Einer  kleiner  Nachmittagsschlaf  ist  sehr  zu 
empfehlen,  damit  erhöhte  Frische  gewonnen  wird,  die  neue  Lebens- 
führung strengt  an.  spannt  ab. 

Bewegung  außer  Haus  werden  nach  Möglichkeit  gepflogen. 
Oberstes  Gesetz  muß  es  sein,  den  Blinden  in  garnichts  ab- 
hängig zu  machen,  wo  es  anders  angeht,  und  dieses  mit  seiner 
wachsenden  Geschicklichkeit  noch  stetig  zu  steigern;  Trepp  auf 
und  ab  hilft  viel  das  Geländer,  der  Stock  in  der  rechten  Hand 
(er  habe  eine  kleine  Eisenspitze)  hilft  zu  seiner  Orientierung,  lehrt, 
wenn  der  Führende  stehen  bleibt,  gar  bald,  ob  es  bei  Straßen- 
übergängen Stufe  auf  oder  ab  geht,  ,,großer  Schritt"  warnt  bei 
Pfützen,  bei'unebenen  Wegen  wird  man  den  sich  Einhängenden 
geschickt  unmerklich  lenken.  Ist  er  gewillt,  ein  dunkles  Augenglas 
zu  tragen,  so  fällt  er  niemandem  auf.  Ein  kleines  Signalpfeifchen 
habe  er  stets  bei  sich.  Neue  Schuhe  sind  mit  grober  Feile  an  der 
Sohle  rauh  zu  machen,  aus  Vorsicht.  Leeres  Markieren  von  Ob- 
sorge —  so  manchen  Orts  beliebt  —  hier  würde  sich's  sofort 
rächen!  Das  Tastenlehren  sei  sehr  umsichtig  besorgt,  greift  der 
Tastende  z.  B.  nur  nach  der  Seiten-,  nicht  auch  Rückenlehne  eines 
Fauteuils,  könnte  er  in  die  Luft  zu  sitzen  kommen  und  fallen. 
Mein  Vater  ist  nie  gefallen,  hat  sich  nie  irgendwie  verletzt  — ,  das 
wirkt  noch  heute  wundervoll  tröstend  nach.  Und  wie  geschickt 
würde  er  in  allem,  noch  in  so  hohen  Jahren!  Sein  Wesen  blieb 
heiter  und  geistig  rege.  Niemand  wollte  an  die  „völlige  Nacht"  um 
ihn  glauben.  „Unabhängigkeit"  —  immer  trug  er  eine,  auf 
Druck  auch  die  Viertelstunden  angebende  Taschenuhr  bei  sich, 
unter  Antiquitäten  finden  sich  solche,  eigenartig  und  preiswert  (es 
gibt  Blinde,  die  die  Stellung  der  Zeiger  mit  zarten  Fingerspitzen 
suchen).  —  Auch  im  Speisezimmer  hatten  wir  ein  schön  klingendes 
Schlagwerk;  so  konnte  er  selbst  auf  genaues  Beachten  seiner 
Tagereinteilung  sehen,  wußte  bei  Schlaflosigkeit  die  Stunde,  auch 
wenn  ihm  der  grauende  Morgen  nichts  vom  nahenden  Tag  verriet. 
Es  tut  zu  dieser  Stunde  überhaupt  wohl,  wenn  über  positive  Mo- 
mente positive  Auskunft  wire,  so:  Stand  des  Barometers,  Thermo- 


—  8  — 

meters  vor  dem  Fenster  und  im  Zimmer,  etwas  „Kalenderweis- 
heit", .  .  .  das  gibt  am  Morgen  den  Versuch  eines  leidlichen  Über- 
ganges von  der  Nacht  zur —  ewigen  Umnachtung  der  Augen, 
für  unsere  Ärmsten  die  schwerste  Tageszeit,  zu  der  uns  das 
morgendlich  leuchtende  Sonnenlicht,  so  der  Vorhang  weicht,  am 
meisten  beseligt.  Nähere  Bemerkungen,  wie  es  heute  draußen  aus- 
sieht, ob  die  Sonne  schön  „warm"  scheint,  was  an  Briefen  einlief, 
würden  sich  daranknüpfen,  die  Zeitungsübersicht  und,  läßt  diese 
es  aufkommen  —  mal  ein  geträllertes  Liedchen ;  .viel  ist  schon 
gewonnen,  wenn  auch  „er"  des  Morgens  etwas  vor  sich  hinsingt 
oder  summt.  Der  Sonnenschein  in  seiner,  alle  Kreatur  labenden 
Wärme,  flute  bei  den  Türen  herein,  werde  im  Freien,  soweit  es 
nur  irgend  Bedürfnis  ist,  genossen,  in  erquickender  Luft.  Aber 
auch  das  frische  Wasser  belebt  durch  einen  Morgentrunk, 
morgendliche  Anregung  der  Haut,  verbunden  mit  Körper- 
bewegung, ganz  besonders  —  unsere  Sorgenkinder.  Bis  zum 
80.  Lebensjahre  blieb  es  meinem  Vater  Bedürfnis ;  er  war  durch 
zweimaligen  Aufenthalt  bei  Pfarrer  Kneipp  an  freie  Atmung 
der  Haut  durch  luftdurchlässige  Wäsche  und  recht  rigorose 
Wasserkuren  gewöhrt.  In  diesem  bayrischen  Lourdes  ist  man  von 
so  verschiedenartigen  schweren  Gebrechen  umgeben,  die,  durch 
das  Mitgefühl  mit  den  Geschicken  anderer  —  den  gütigen  viel 
Ablenkung  vom  eigenen  bitteren  Los  finden  ließen. 

Angehörige  und  Freunde  der  im  Felde  Erblindeten!  Die 
Eueren  werden  —  es  ist  nicht  auszudenken  —  Schicksalsge- 
nossen ohne  Zahl  haben,  bedrücktere,  heiterere,  besser 
oder  minder  Betreute.  Legt  ihre  „suchenden"  Hände  ineinander! 
Führt  sie  zusammen,  einander  zu  beraten,  zu  helfen.  Ge- 
legenheit hiefür  sollte  durch  Veranstaltungen  erwachsen,  die  Zer- 
streuung bieten.  Und  Eines  wird  da  unendlich  erhebend,  ergreifend, 
verbrüdernd  mitwirken,  —  daß  sie  alle  für  die  Tragik  der  krie- 
gerischen Verwicklungen,  in  die  uns  habgierige  Völker  gestürzt, 
das  hehrste  Siegesopfer  heldenhaft  gebracht  haben  —  das  Licht 
ihrer  Augen!  Es  erhebe  auch  Euere  großen  dargebrachten 
Liebesopfer  zur  Tat  fürs  Vaterland,  eueren  Seelen  aber  ward  das 
menschlich  Höchste  beschieden.  —  durch  hingebende  Liebe  das 
grause  Geschick  entwaffnet  zu  haben.  —  Tod,  wo  ist  dein  Stachel, 
Hölle,  wo  ist  dein  Sieg?!  .  .  . 

Budidruckerei  Englisdi,  Purkersdorf  bei  Wien. 


12.  Nummer.  Zeilschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  K)45. 

Der  Hund  und  der  Blinde. 

Von  Direktor  S.  Heller,  Hohe  Warte  in  Wien. 

Zwischen  dem  Blinden  und  dem  Hunde  bilden  sich  Beziehungen 
aus,  welche  dem  nachdenklichen  Beobachter  keinen  Zweifel  daran  lassen, 
daß  das  treue,  gelehrige  Tier  nicht  blos  instinktiv,  sondern  bewußt  er- 
kennt, wie  hilflos,  wie  mannigfachen  Fälirlichkeiten  preisgegeben,  der 
Mensch  ist.  der  sich  ibm  anvertraut. 

Nicht  allein  die  vorsichtige,  zweckmäßige  und  sichere  Führung 
besorgt  der  Hund,  er  weiß  sich  den  Eigentündichkeiten,  seines  Schutz- 
befohlenen in  einer  Weise  anzupassen,  und  korrespondierende  Zeichen 
auszubilden,  die  es  mehr  als  wahrscheinlich  erscheinen  lassen,  daß  der 
Hund  mit  scharfer  Beobachtungsgabe  erfaßt,  was  dem  Blinden  Bedürf- 
nis und  Annehmlichkeit,  aber  auch  was  seine  Ängstlichkeit  und  Un- 
schlüssigkeit zu  vermehren  geeignet  ist. 

Wer  es  erfahren  hat.  daß  der  Hund  unruhig  wird,  wenn  sein  Herr 
die  gewohnte  Tagesordnung  autfallend  abändert,  daß  das  Tier  eine  ihm 
be(h'ohlich  erscheinende  Handlung,  wie  das  Betreten  einer  steilen  Treppe 
verhindern  wall  und  verhindert,  wie  es  winselnd  das  einsame  Kranken- 
lager des  Blinden  umkreist,  an  die  Stubentür  eilt,  um  Vorübergehende 
herbeizurufen,  an  der  Zwischenwand  kratzt,  um  Nebenanwohnende  auf 
den  Zustand  seines  Herrn  aufmerksam  zu  machen,  wie  der  Hund  sich 
vor  Freude  nicht  zu  fassen  vermag,  wenn  er  nach  der  Genesung  des 
Blinden  wieder  zu  einem  Ausgange  herbeigerufen  wird,  der  muß  daran 
glauben,  daß  Mitgefühl  und  Mitleiden  das  Freundschaftsband  gewoben 
haben,  welches  den  Hund  mit  dem  lichtberaubten  Menschen  ver- 
einigt. 

Interessant  und  psychologisch  merkwürdig  ist  das  Verhältnis  des 
Hundes  zu  jenen  Personen,  welche  den  Umgang  des  Blinden  bilden, 
oder  mit  welchen  dieser  auch  nur  einmal  in  eine  besondere  Beziehung 
getreten  ist. 

Den  Freund  eines  Blinden,  den  der  Hund  mit  allen  Zeichen  der 
Zuneigung  zu  begrüßen  gewohnt  war,  belauerte  er  angritfsbereit,  seit 
der  Zeit,  da  die  beiden  Männer  in  einen  heftigen  Wortwechsel  geraten 
waren.  Einem  Schulknaben,  der  einst  dem  FJlinden  dem  diesen  entfal- 
lenen Stock  aufgehoben  und  in  die  Hand  gedrückt  hatte,  bewillkommte 
das  treue  Tier  bei  jeder  Begegnung  mit  allen  Zeichen  der  Freude;  mit 
einem  eigentümlichen,  sanften  Gebell  meldete  er  dem  Blinden  das  Nahen 
und  die  Anwesenheit  des  braven  Knaben.  Wenn  dieser  dem  Hunde  das 
Fell  kraute,  leckte  das  beglückte  Tier  die  Hand  des  Kindes 
zärtlich. 

Jahrzehnte  sind  dahingegangen,  seitdem  ein  Vorfall,  der  mich 
noch  als  Erinnerung  tief  bewegt,  mir  die  Anregung  gab,  die  Beziehun- 
gen zwischen  dem  Blinden  und  dem  Hunde  zum  Gegenstand  eingehen- 
der Nachforschungen  zu  machen. 

Ein  zur  Ausbildung  aufgenonnnener  8  jähriger  blinder  Knabe  war 
in  die  Anstalt  nicht  eingetreten  in  des  Wortes  eigentlicher  Bedeu- 
tung, sondern  auf  den  Armen  des  Vaters  in  unser  Haus  getragen 
worden.  Er  hatte  bis  dahin  nicht  die  Füße  gebrauchen  gelernt;  falsche 
Mutterliebe  hatte  ihn,  „damit  er  sich  nicht   anschlage"    zum    Stillsitzen 


Seite  1046.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen.  12.  Nummer. 

gewöhnt.  —  Nach  langem  und  eifrigen  Bemühen  war  es  endlich  ge- 
lungen, dem  Kinde  die  Bewegungsmöglichkeit  zu  verleihen  und  nun 
wurde  es  —  wie  so  oft  mit  Erfolg  —  altern  Zöglingen  überlassen,  um 
den  Zurückgebliebenen  als  Spielkameraden  im  Gehen  einzuüben  und 
freudiger  Selbständigkeit  zuzuführen. 

Sooft  diese  blinden  Kinder  in  den  Garten  gingen,  blieben  sie  vor 
der  Hundehütte  stehen,  riefen  sie  ihrem  Freunde  „Cäsar"'  und  brachten 
ihm  die  Bissen,  die  sie  für  ihn  aufbewahrt  hatten.  Mehrere  Händchen 
streckten  sich  dem  treuen  Hüter  des  Hauses  entgegen,  aber  bald  konnte 
man  bemerken,  daß  Cäsar  die  ihm  zugedachten  Liebesgaben  zuerst  von 
dem  zurückgebliebenen  Kinde  nahm. 

Eines  Tages  drang  in  meine  Studierstube,  deren  Fenster  in  den 
Garten  gingen,  das  Jauchzen  der  blinden  Kinder  und  bald  darauf  das 
klägliche  Geheul  des  Hundes.  Durch  das  Fenster  spähend  erblickte  ich 
mein  Sorgenkind,  auf  Händen  und  Füßen  hilflos  am  Boden  kauernd; 
seine  Fürsorger  hatten  es,  von  dem  Zuruf:  „Wir  haben  ein  Nest  im 
Busch  gefunden-' !  angezogen,  leichtfertig  verlassen.  Cäsar  sprang  aufge- 
regt um  das  Kind  herum  und  schickte  seine  Hilferufe  in  den  Garten 
hinaus.  Plötzlich  wurde  er  still,  stand,  wie  überlegend  eine  Weile  da. 
dann  schob  er  sich  behutsam  unter  das  Kind  und  hob  es  mit  sanfter 
Bewegung  allmählich  empor,  bis  es  fest  auf  den  Füßen  stand.  Hierauf 
umkreiste  er  den  blinden  Knaben  bedächtig,  als  wollte  er  sicii  verge- 
wissern, daß  ihm  kein  Leid  widerfahren  sei. 

Wer  darf  vom  Hunde  sagen:  Was  weiß  ein  solch  unvernünftiges  Tier  ? 

Blinde  Gemsen. 

Von  Fritz  Müller. 

Von  Tirol  hat  eine  Krankheit  übers  Wettersteingebirge  gegrilTen. 
Keiner  kennt  sie.  Kund  ist  nur  die  Wirkung:  Die  Gemsen  wer- 
den blind. 

Nichts  ist  sonst  scheuer  auf  der  Welt  als  Gemsen.  Nicht  einmal 
der  Hunger  zwingt  sie.  Der  treibt  wohl  das  andere  Wild  im  strengen 
Winter  scharenweise  in  das  Tal  zur  Futterkrippe,  die  das  königliche? 
Forstamt  vor  dem  Dorfe  aufgestellt.  Da  stehen  sie  in  Reihen  an  ge- 
füllten Futterraufen  und  lassen  sich  von  fremder  Neugierhand  fast 
tätscheln.  Des  lieben  Futters  wegen.  Die  Gemsen  aber  sind  für  des 
Staates  Futterkrippen  nicht  zu  haben.  Lieber  scharren  sie  da  droben 
dürre  Sommerblätter  als  freie  Nahrung  aus  dem  Hochlandsschnee.  Und 
wenn  selbst  das  versagt,  um  den  mageren  Körper  übern  Winter  in  den 
neuen  Frühling  zu  retten,  kann  eine  Gemse  auch  sterben.  Freiheit 
über  alles. 

Das  weiß  der  Jäger.  Auch  der  im  grünen  Forstamtsrock  schlägt 
mit  der  Stimme  um,  wenn  er  von  Gemsen  spricht.  Halb  achtungsvoll, 
halb  zärtlich.  Ein  Jäger,  der  im  Krieg  war  und  trotz  der  zerschmetter- 
ten Schulter  jetzt  wieder  leichten  Dienst  tut,  hat  mir  von  den  Gemsen 
im  Wetterstein  erzählt.  Auch  von  der  Blindheit,  die  jetzt  über  sie  ge- 
kommen ist. 

Neulich  sei  er  auf  einem  alten  Gamsenstand  gewesen.  Gegenüber 
war    ein  Lieblingsplatz    der  Gemsen,    eine  große  überhängende   Felsen-- 


12.   Nummer.  Zeitschrift  für  das  r)stei  reichische   BlindeiiwcJ  en.  Seite  1047. 

platte.  Die  sei  erst  vor  kurzem  mit  der  einen  Hälfte  abgehrociien.  Durch 
eine  Lawine  oder  einen  Bergrutsch.,  Aiif.  einrnp»!  jsieht  er  drüben  eine 
(iemse  kommen.  Merkwürdig  geht  sie,  denkter,,gar  nicht  so,  w-;e  son.^t. 
Der  Wind  kommt  von  der  Gemse  her.  Also  kann, ihr  sonderbar  zögeru- 
der  Gang  nicht  davon  kommen,  daß  , sie  ihn  gewittert  hätte.  Fneilich, 
drei  Sehritte,  wenn  sie  diese  noch  tut.  dann^._miiß  sie  ihn  sehen. 
dann  heidi.  üo  '  -i- 

Aber  drei  Schritte,  vier,  fünf,  immer  weiter  geht  sie,  hebt  jetzt 
gar  den  Kopf,  starrt  ihm  fest  ins  Gesicht  und  reißt  docli  uicht  aus.  Wie 
sonderbar,  das  hat  er  nie  bei   einer  Gemse  erlebt. 

Auf  eimnal  wird's  ihm  klar.  Geradeso  wie  diese  Gemse  tastel 
(h'unten  im  Dorf  der  Gemeindeblinde.  Ja,  und  auch  die  Augen  hat  sie 
so  stumpf  wie  er.  Die  Krankheit  ist  es,  die  trot^'  Sperre  übern;  grauen 
Grenzkamm  kam  und  dieses  arme  Tier  gepackt  hat.    '^ 

Auch  den  Jäger  packt  was,  das=  ihn;  s^onst  nicht  leicht  packt:  das 
Mitleid.  P'ür  den  Gemeindeblinden  sorgt  das  Dorf.  Es  nährt  ihn.  tränkt 
ihn,  kleidet  ihn,  Kinder  führen  ihn  geduldig  durch  die  Straß(Mi.  Wer 
aber  führt  im  schwarzgewordenen  ihrer  Hochwelt  diese  arme  Gemse  V 
Da  ist  es  ihm.  als  müßte  er  sie  führen,  statt  zu  schießen.  Kaum  merk- 
l)ar  schiebt  sich  sein(^  Schulter  vor.  Ist  aber  schon  genug  für  eine 
Gemse.  Sie  stutzt.  Ihr  Auge  ist  nicht  mehr  stumpf.  Kinen  entschlosse- 
nen Satz  macht  sie  dahin,  wo  sie  von  früher  her  noch  den  Teil  der 
Felsenplatte  weiß,  der  jetzt  fort  ist,  und  .springt ,  ms  Leere  in  den  Tod. 
Krst  nach  Sekunden  hörte  man  den  Aufschlag  aus  der  Tiefe. 

„Entsetzlich!*'  sag'  ich. 

Der  Forstgehilfe  schweigt.  ,.Nicht  so  entsetzhch  wie  das  andere,"' 
sagt  er  endlich  und  schweigt  wieder. 

..Meinen  Sie  den  Krieg,  aus  dem  Sie  kommen? 

„Nein,  eine  zweite  Gemse,  die  mir  im  Dorf  begegnet  ist." 

,.Im  Dorf?  Sic  scherzen?  Ins  Dorf  kommt  keine  Gemse  mit  füuf 
Sinnen.*' 

..Die  ich  meine,  hat  nur  vier  gehal)t.  Tref  ich  neulich  rauchend 
vor  die  Tür.  Steht  zitternd  eine  Gemse  da.  Mitten  im  Dorf,  Herr,  ganz 
bhnd.  Aus  einem  Fenster  gegenüber  schauen  Kinder.  Haben  in  (he 
Hände  geklatscht:  ,.0  je,  a  Gams,  a  Gams!*'  Schießt  che  Gemse  hinüber 
nach  der  andern  Seite.  Dort  macht  ein  Schwein:  Fi  ui,  ui  ui.  Schießt 
die  Gemse  nach  vorn,  wo  einer  neben  einem  Mistwagen  hergeht  und 
mit  seiner  Peitsche  knallt.  Schießt  die  Gemse  z-urück.  wo  eine  Dame 
aus  der  Winterfrische  ihren  Zwicker  an  einem  Stecken  hochheljt:  Eine 
Gemse,  nein,  wie  ich  das  linde:*'  Steht  die  arme  Gemse  in  ihrer  Blind- 
von  vier  Seiten  angegrunzt.  j)lötzlich  totenstill.  Dann  macht  sie  einen 
fürchterlichen  Sprimg.  Vor  nuMuer  Hauswand  liegt  sie.  (lanz  zerschmet- 
tert ist  der  Kopf.*' 

Wieder  ist  er  eine  Weile  still.  Einen  Zug  noch  macht  er  aus  der 
Pfeife:  „Herr,  manchen  hab"  ich  draußen  im  Krieg  zerschmettert 
g'sehn.  Mag  eine  Sund"  sein,  wenn  ich's  sag',  ist .  aber  doch  so:  Hab" 
bei  keinem  weinen  können.  Bei  der  Gems  vor  meiner  Mauer  aber  bah' 
ich  g'heult.  weiß  net  warum,  weiß  wirklich  net  warum.  Herr  .  .  .*' 

(Roseggers  Heimgarten). 


Seite  1048.  Zeitschrift  fUr  das  österreichische  Blindenwesen.  12.    Nummer. 

Kriegsblindenfürsorge  in  Ober-Österreich.* 

Mit  Schluß  des  Berichtsjahres  1916  hatte  die  oherösterreichische 
Landeskommission  einen  Stand  von  11  ihrer  Fürsorge  angehörenden 
Kriegsblinden  zu  verzeichnen.  Leider  hat  sich  diese  Zahl  im  Laufe  des 
Jahres  1917  um  6  vermehrt,  so  daß  mit  Schluß  des  gegenvi^ärtigen  Be- 
richtsjahres 17  Kriegsblinde  in  der  Obsorge  der  oberösterreichischen 
Landeskommission  stehen.  Von  diesen  17  Kriegsblinden  nahmen  bisher 
ö  die  Obsorge  der  oberösterreichischen  Landeskommis.sion  noch  nicht 
in  Anspruch,  da  sie  sich  einesteils  noch  in  ärztlicher  Behandlung  be- 
finden, zum  anderen  Teile  aber  der  landwirtschaftlichen  Bevölkerung.s- 
schichte  angehörend  in  ihrer  Heimat  ihr  Fortkommen  finden  und  sich 
noch  zu  keinem  Berufe  entschlossen  haben,  weshalb,  abgesehen  von 
kleineren  Unterstützungen,  eine  Fürsorgetätigkeit  derzeit  noch  nicht  ein- 
zusetzen brauchte. 

•Das  fachmännische  Mitglied  des  Schul-  und  Arbeitsausschusses, 
Hoch  würden  Herr  Konsistorialrat  A.  Pleninger,  Direktor  der  Privat- 
Blindenanstalt  in  Linz,  der  auch  wieder  in  dankenswerter  Weise  den 
persönlichen  Verkehr  mit  den  Kriegsblinden  besorgte  ist  jedoch  unab- 
lässig bemüht,  auch  dieser  Kategorie  von  Kriegsblinden  die  so  wün- 
schenswerte Erlernung  des  Lesens  und  Schreibens  der  gebräuchlichsten 
Blindendrucke  und  Schriften  nahezulegen. 

Die  Fürsorge  für  die  übrigen  Kriegsblinden  erstreckte  sich  im 
laufenden  Jahre  auf  die  Beschaffung  von  Kriegsblindenheimstätten  und 
deren  Ausstattung  und  hat  der  Verein  „Kriegsblindenheimstätten-'  in 
Wien  für  sämtliche  in  Betracht  kommende  Kriegsblinde  den  zum  An- 
kaufe je  einer  Heimstätte  normierten  Betrag  von  8000  K  reserviert. 

Die  Mittel  für  Kriegsblindenfürsorge  haben  sich  von  10.670  K 
88  h  auf  13,429  K  erhöht;  letzterer  Betrag  bildet  zusammen  mit  den  pri- 
vaten Sammlungsergebnissen  der  Herren  Wimmer  und  Huster  in 
Linz  (35.993  K  16  h).  des  Vereines  für  Fraueninteressen  (25.Ö80  K  3ö  h) 
und  der  katholischen  Frauen-Organisation  in  Linz  (10.30Ö  K  08  h)  in 
der  Höhe  von  rund  71.878  K  einen  der  oberösterreichischen  Landes- 
konnnission  für  Kriegsblinde  zur  Verfügung  stehenden  Gesamtbelrag  von 
rund  85.307  K. 

Mein  Garten. 

Von  Paul  Lang. 

Flieder  pflanzt  in  meinen  Gartoi, 
Flieder.  Rosen  und  Jasmin, 
Und  der  Nelken  bunte  Arten 
Laßt  auf  seinen  Beeten  blühn ! 

Stellt  in  eine  lausch'ge  Ecke 
Eine  Ruhebank  hinein. 
Daß  sie  mich  der  Welt  verstecke 
Im  Gerank  von  wilden  Wein. 

*)  Jahresbericht  der  Landeskommission  zur  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger 
in  Linz  für  das  Jahr  1917. 


12.  Nummer.  Zeilschrifl  ftlr  das  Österreichische  Blindenwesen.  Seite  1049. 

Und  dann  laßt  mich  träumen,  träumen 
Von  dem  .stillen  Blütenmeer, 
An  den  Büschen,  an  Bäumen, 
Auf  den  Beeten  um  mich  her! 

Ist  mir  auch  der  Blick  gestorben 
Für  der  Farben  stolze  Pracht, 
Leuchtet  sie  doch  unverdorben 
Ihren  Trost  in  meine  Nacht. 

Wenn  mit  schwärmerischen  Kosen 
Blumendüfte  mich  umziehn, 
Seh'  ich  Flieder,  seh'  ich  Rosen, 
Seh'  ich  Nelken  nud  Jasmin. 

Und  ich  fühle  alle  Wonnen 
Glückberauschter  Maienzeit 
Und  ich  lasse  still  besonnen 
Von  der  Luft  mein  tiefes  Leid. 

Darum  ptlanzt  in  meinen  Garten   . 
Blumen,  Blumen  allerlei, 
Daß  an  Düften,  herben',  zarten, 
Um  mich  her  kein  Mangel  sei ! 

Hus  den  Hnstalten. 

—  N.  ö.  Landesblindenanstalt  in  Purkersdprf.  Kriegerg  e- 
denkfeiet.  Am  1,  Dezember  veranstaltete  der  leider  viel  zu  wenig  bekannte 
Komponist  Heinrich  S  c  h  ö  n  y  im  Festsaale  der  Anstalt  zugunsten  von  Blinden  und 
Waisen  eine  Kriegergedenkfeier,  bei  der  ein  von  ihm  komponiertes  Requiem  auf- 
geführt wurde.  Das  packende  Werk,  durchaus  im  modernem  Geiste  gehalten,  zeigte 
namentlich  im'Benediktus  (für  4  Einzelstimmen  und  Chor)  die  bedeutende  Begabung 
seines  Schöpfers.  Die  würdige  Aufführung  wurde  eingeleitet  durch  ein  stimmungs- 
volles Andante  aus  einem  Streich-Quartett  Schuberts  (Ausführende:  M.  B  ü  11  i  k, 
H.  Heger,  H.  Schöny  und  A.  Zierfuß),  durch  einige  Schubertlieder  von 
J.  Stadelmaie  r  wirkungsvoll  gesungen,  unn  einige  zeitgemäße  Worte  des  Herrn 
O.  W  a  n  e  c  e  k.  Dem  prächtig  ergreifenden  Requiem  wäre  das  Interesse  eines 
großen  Gesangskörpers  zu  wünschen,  der  über  hervorragende  Solisten  verfügt,  die 
—  namentlich  in  dem  großen  Tenor-Solo  (Tuba  mirum)  —  notwendig  sind,  um  den 
Wert  des  Werkes  auszuschöpfen. 

flus  den  Vereinen. 

—  Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen. 
Hauptversammlung.  Die  politischen  und  sozialen  Umwälzungen  der  Gegen- 
wart drängen  zu  raschem  Handeln  auch  auf  dem  Gebiete  der  Blindenfürsorge.  Um 
sich  keines  Versäumnisses  in  dieser  Hinsicht  schuldig  zu  machen,  berief  die  Leitung 
am  14.  November  1.  J.  eine  Hauptversammlung  ein,  auf  der  die  an  der 
Spitze  der  Nummer  abgedruckten  „Grundzüge  für  die  Neugestaltung  der  Blinden- 
bildung  und  der  Blindenfürsorge  in  Deutschösterreich«  zur  Beratung  und  Annahme 
gelangten. 

Diese  Denkschrift  wird  den  neuen  Staats-  und  Landesstellen  übermittelt 
werden,  um  dieselben  zu  einem  tatkräftigen  Eingreifen  zu  veranlassen.  Um  aber 
auch  dem  Willen  der  allgemeinen  Vertretung  für  das  heimische  Blindenwesen  end- 
lich die  verdiente  Beachtung  zu  schaffen,  wurde  nachstehende  an  die  genannten 
Behörden  gerichtete  Resolution  gefaßt: 


Seite  1050.  Zeitschrift  für  das  österreicfiische  HlindenweLen.  12.  Nummer. 

Die  im  ..Zentral verein  für  das  österreichische  Blindenwesen-'  zu- 
sammengeschlossenen Vertreter  der  deutschösterreichischen  Blinden- 
fürsorgeeinriehtungen  (Anstalten.  Heime  und  Vereine  usw.)  und  der  or- 
ganisierten Blinden  protestieren  dagegen,  daß  die  Angelegenheitten  der 
Blinden  wie  bisher  von  einer  einzigen  Person  vertreten  und  beeinflußt 
werden  und  dies  umsomehr.  als  der  bisherige  fachmännische  Beirat  in 
den  Staatsämtern  (früher  k.  k.  Ministerium)  für  Unterricht,  soziale  Für- 
sorge und  Volksgesiindheit  Hofrat  Alexander  Mel  1  das  Vertrauen  aller 
Organisationen  von  Blinden  und  Blindenlehrern  im  Hinblick  auf  seine 
Haltung  und  Wirksamkeit  niemals  jiesessen  hat  und  auch  gegenwärtig 
nicht  genießt. 

Sie  stellen  daher  in  Form  einer  ßilte  die  Forderung,  zur  Wahr- 
nehmung und  Wahrung  der  Interessen  der  deuiscbösterreichischen 
Blindenfürsorge  eine  ..Staatsstelle  für  Blindenfürsorge''  deren 
Zusammensetzung  und  Wirksamkeit  in  den  beigegelienen  ..Grundzügen 
für  die  Neugestaltung  der  Bhndenfürsorge  in  Deulschösterreich"  näher 
erläutert  ist,  ohne  \'erzug  ins  Leben  treten  zu  lassen,  um  die  allge- 
meine Blindensache  in  Deutschösterreich  vor  Schädigung  zu  hewahrnn. 

Die  Vereinsleitung  bringt  Vorstehendes  zur  Kenntnis  aller  Vereinsmitglieder 
und  bittet  um  tatkräftigste  Unterstützung  der  eingeleiteten  Aktion,  um  endlich  ver- 
alteten und  unwürdigen  Zustünden  auf  unserem  Gebiete  ein  Ende  zu  machen. 

—  Blinden  heim  verein  in  Melk.  Vereinsvorstand:  Bürgermei- 
ster Notar  K.  Prinz  1.  Jahresbericht  1916,  1917.  Die  Wirksamkeit  des 
Blindenheimvereines  blieb  in  den  genannten  Jahren  eingeschränkt:  »Die  Aufbringung 
der  notwendigsten  Nahrungsmittel  und  sonstiger  Bedarfsartikel  für  die  blinden 
Zöglinge    war  Ursache    steter    Sorge    der  Administration    und    Haushaltungsführung, 

darauf  mußte  vor  allem  die  Aufmerksamkeit  gerichtet  werdan' 

Wenn  aach  hiebei  die  intetlektuelle  Ausbildung  uud  die  zweckentsprechende 
Beschäftigung  der  Blinden,  die  Pflege  religiöser  Übungen  etc.  nicht  vernachlässigt 
wurde,  sa  m-ußte-  doch  so  manches  unterbleiben,  was  in  ruhigen  Zeiten  von  den 
Blinden  und  für  diese  veranstaltet  wurde,  daher  diesbezüglich  wenig  Stoff  zur  Be- 
richterstattung vorliegen  kann.« 

Irn  Jahre  1916  hatte  der  Verein  den  Vei;lust  einer  edlen  Gönnerin  der  Blin- 
densaclie  von  Frau  Elise  Linde  und  des  Direktors  P.  F.  Weber  zu  beklagen. 
Beiden  Verewigten  widmet  der  Bericht  warme  W'orte  des  Dankes  und  der  Er- 
inneiung^.^   .:    --^      c 

^  ,  In  den  Jahren  1916  und  1917  waren  in  dem  vom  Vereine  geführten  »Mäd- 
clieh-'Blinderiheirai'  25  blinde  OTädcben  untergebracht,  von  den  leider  einige  mit  Tod 
abgingen. 

Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Sammlungen    für  Kriegsblinde.  Stand  Ende  November   1.  j. 

—  Neue  Freie  Presse.  1,326.831  K. 

—  Neue  Freie  Presse  (Kriegsblindenheimstätten):  4,267.808   K. 
-   Conrad  von  Hötzendorf-Stiftung:   320.000  K. 

—  Reichspost:.  25.000  K. 

—  Linzer  Sammelstellen  :  85.000  K. 
--  Artur  Weisz  (Temesvar)  37.000  K. 

Herniisgtber;    ZentraWereia   für  das  Österreichische  Blindenwesen   in   Wien.     Redaktionskoinitee:    IC.   Bürlileu, 
J.  Kneis,  A.  t.  HorTath,  F.  Uhl,  —   Drack  ron   Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei  Wien. 


Verschiedenes. 

—  Blindenkalender  1918.  Auch  heuer  stellt  die  Blindenbuch-  und  No- 
tenschablonieranstalt  in  Wien  14,  Ulimannstraße  2  einen  Kalender  in  Massivschrift 
her,  der  einen  Tfeil  der  vergrößerten  Jännernummer  der  österr.  Blindenzeitung 
bilden  wird.  Es  sind  jedoch  auch  Separatabdrücke  zum  Preise  von  1  K  durch  die 
obige  Adresse  zu  beziehen.  Der  Kalender  enthält  christliches  und  israelitisches  Ka- 
lendarium  und  Gedenktage  des  Blindenwesens. 

—  Aus  der  Leipziger  Blindendruckerei.  Diese  Stelle  versendet 
das  erste  mit  dem  »Leipziger  Schreib-Satz-Druckgerät«  (System  Haake)  hergestellte 
Werk  »Vom  Kampfe  in  der  Natur.'  Es  handelt  sich  um  ein  Druckverfahren  ohne 
Metallplatten,  das  eine  nicht  zu  übertreffende  Genauigkeit  des  Zwischenpunktdruckes 
und  eine  außerordentliche  Klarheit  und  Ebenmäßigkeit  der  Punkte  aufvi^eist.  Die 
Abzüge  werden  ohne  Gutta-Percha  —  bzw.  ohne  Gummiplatten  hergestellt.  Ohne 
Zweifel  bringt  das  neue  Schreib-Satz-Druckgerät,  das  auch  eine  genaue  Korrektur 
mittels  eines  Magneten  ermöglicht,  eine  neue  Grundlegung  des  Prägedruckes.  W^ 

—  Schwachsichtigenklassen  in  der  Schweiz.  A.  Die  Delegierten- 
versammlung des  schweizerischen  Zentralvereins  für  das  Blindenwesen,  die  am  14. 
Oktober  1917  in  Freiburg  tagte,  beschäftigte  sich  mit  der  Frage  der  Errichtung 
von  Spezialklassen  für  Schwachsichtige.  Nach  Referaten  von  Blindenlehrer  Gamper, 
in  Stuttgart  und  Direktor  Altherr,  in  St.  Gallen,  und  anschließender  lebhafter 
Diskussion  erklärte  sie  sich  grundsätzlich  überzeugt  von  der  Notwendigkeit  der 
neuen  Institution  und  überwies  die  Angelegenheit  zum  weiteren  Studium  einer 
Spezialkommission.  Gestützt  auf  die  Ergebnisse  der  Beratung  dieses  Ausschußes 
erklärt  die  Zentralstelle  für  das  schweizerische  Blindenwesen  es  als  höchst  wün- 
schenswert, für  die  schwachsichtigen  Kinder  der  Großstädte  selbständige  Spe- 
zialklassen zu  errichten  und  für  die  schwachsichtigen  auf  dem  Lande  den  be- 
stehenden Blindenanstalten  als  besondere  selbständige  Institution  Spezial- 
klassen für  Schwachsichtige  anzugliedern.  In  eine  Spezialklasse  für 
Schwachsichtige  gehören  nach  den  Ausführungen  der  Zentrallstelle  für  das  Schweiz. 
Blindenwesen  alle  geistig  normalen  Kinder  vom  6.  bis  14.  Altersjahr,  bei  denen  die 
korrigierte  Sehschärfe  des  besseren  Auges  0,2  nicht  erreicht.  In  diesen  Spezial- 
klassen, die  auf  die  Dauer  nicht  mehr  als  20  Schüler  zählen  sollten,  haben  die 
Kinder  das  gleiciie  Lehrziel  wie  die  Normalschüler  zu  erreichen,  nur  auf  etwas  an- 
derem Wege  und  mit  andern  Mitteln.  Als  Lehrpläne  mußten  diejenigen  der  normalen 
Volksschulen  zugrunde  gelegt  werden,  dagegen  wären  besondere  Lehrmittel  zu  erstellen. 

Für  Lehrkräfte  an  diesen  Spezialklassen  für  Schwachsichtige  wären  anatomisch- 
physiologische und  pathologische  Kenntnisse  bezüglich  des  Sehorganes  und  aus- 
reichende heilpädagogische  Schulung  unerläßlich. 

—  Eine  seltsame  Versteigerung.  In  London  wurde  dieser  Tage  eine 
Versteigerung  verschiedener  mehr  oder  minder  interessanter  Gegenstände  zugunsten 
der  Schaffung  eines  Heimes  für  erblindete  Soldaten  veranstaltet.  Bei  dem  Verkauf 
erzielte  ein  Spazierstock  Lloyd-Georges  einen  Preis  von  120,  ein  anderer  Spa- 
zierstock Sir  Edward  Carsons  70,  ein  Golfstock  Balfours  36,  eine  Tabakspfeife 
Bonar  Laws  6    und    ein  von  Asquith    unterzeichneter    Scheck    56  Pfund  Sterling. 

Büchersdiau. 

—  Schutz  gegen  die  Geschlechtskrankheiten.  Von  Dr,  med. 
P  a  n  e  s  c  h,  Selbstverlag,  Wien  I.  Naglergasse  3. 

Die  volkstümliche  Darstellung,  die  dies  auf  reicher  Erfahrung  beruhende  Buch 
vor  anderen  auszeichnet,  gestattet  jedermann,  sich  auf  dem  Gebiete  der  Geschlechts- 
krankheiten rasch  zurechtzufinden.  Das  Buch  —  vorzüglich  für  die  Hand  der 
Soldaten  geschrieben  —  vermag  aufklärend  und  vorbeugend  zu  wirken.  Besonders 
wird  auch  auf  den  ursächlichen  Zusammenhang  hingewiesen,  der  zwischen  Ge- 
schlechtskrankheiten und  Erblindung  besteht.  Es  ist  diesem  Buche  die  weiteste 
Verbreitung  zu  wünschen. 

Zur  Beachtung. 

Die  Generalversammlung  des  »Zentralvereines  für  öst.  Blindenwesen«  am 
1.  Oktober  1918  hat  beschlossen,  den  Mitgliedsbeitrag  sowie  den  Bezugspreis 
der  „Zeitschrift"  auf  jährlich  6  K  zu  erhöhen.  Die  p.  t.  Mitglieder  erhalten  für 
den  Mitgliedsbeitrag  auch  die  »Zeitschrift«  ohne  weitere  Leistung  zugestellt. 

Die  Erhöhung  erscheint  mit  Rücksicht  auf  die  Druckkosten  der  Zeitschrift, 
welche  sich  in  den  letzten  Jahren  mehr  als  verdoppelten,  vollauf  gerechtfertigt. 

Vollständige  Jahrgänge  der  »Zeitschrift«  (1914,  1915,  1916,  1917,  1918)  sind 
noch  in  beschränkter  Zahl  vorhanden  und  werden  zum  Preise  von  8  K  per  Jahrgang 
abgegeben. 


Bürklen  Karl:  Das  Tastlesen  der  Blindenpunktschrift. 

Nebst  Beiträgen  zur  Blindenpsychologie  von  P.  G'rasemann- 
Hamburg,  L.   Cohn-Breslau,   W.   Steinberg.   VII,  93   Seiten 

mit  6   Abbildungen   im   Text   und   6  Tafeln. 
Leipzig,   Barth,   1917 M  5.— 


^=  ^syl  für  blinde  3C>nder  == 

Wien,  XVII.,  Hernaiser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder   im   vorschulpflichtigen   Alter  aus  allen   österreichi- 
schen Kronländern  auf.  Nähere  Ausktinfte  durch  die  Leitung. 

Die  „Zentpalbibliotheh  für  Blinde  in  Osteppeicli", 

Wien  XVIII,  Währinger  GUrtel  136, 


verleiht   ihre   Bücher  kostenlos   an   alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

Wien   V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereiues:  Unterstützung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  tür  Blinde.  Erhaltung 
der  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


Der  blinde  Modelleur 


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:  vorzüglich  eignenden  keramischen  : 
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Wien  VIII.,    Floriani^asse  Nr.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

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Vkl      Blinde  unentgeltlich  verliehen!      i^l 


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von   Oskar  Pieht. 
Bromberg. 


W.  Kraus,  Berlin  N  54. 

(Gegründet  1878.) 

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Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


Seh  rif  tlei  tun  g 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Nr.132.257 


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Das  Blatt  erscheint 
monatlidi  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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Bezugspreis 
ganzjährig  mit 
Postzustellung 

6  Kronen, 
Einzelnummer 

50  Heller. 


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6.  Jahrgang. 


Wien,  Jänner  1919. 


1.  Nummer. 


INHALT:  K.  Bürklen:  Die  Kritik  meines  Buches  „Das  Tastlesen  der  Blinden- 
Punktschrift.  fl.  Zierfuß:  Über  das  Merken  der  Vorzeichen.  O.  Wanecek: 
Das  Redit  des  Blinden  auf  Rrbeit  im  sozialen  Staat,  fl.  Butze:  Erfahrungen 
über  die  Dr.  Herz'sdie  Massivschrift.  Begriff  der  Blindheit  bei  Kriegsbeschä- 
digten. Personalnachrichten,  fl.  Rappawi :  Gebt  den  Blinden,  was  der  Blinden 
ist!  Aus  den  Anstalten.  Für  unsere  Kriegsblinden.  Verschiedenes.  Bücher- 
schau.    Altes  und  Neues.     (Ankündigungen). 


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f   Beitrittserklärungen    zum     „Zentralverein    für  das  österreichische  1^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIII, 
i]  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  2  K,  Zeitungsbeitrag  2  K.  5 

□Inn r^[g 


Altes  und   Neues. 

Die  Abweicliung  des  Blinden  von  der  geraden  Weg- 
,richtung. 

Nach  welcher  Seite  würde  der  Blinde  auf  einem  großen  ebenen 
Platze,  auf  welchem  ihn  im  Gehen  nichts  behindert  von  der  geraden 
Wegrichtung  abweichen?  Nach  rechts  oder  nach  links? 

Es  wäre  ein  interessantes  Experiment,  welches  sich  diesbezüglich 
mit  Blinden  veranstalten  ließe  und  würde  vielleicht  ein  ganz  überraschendes 
Ergebnis  liefern.  Die  Anregung  hiezu  findet  sich  in  dem  Buche  Karl 
Mays  >Am  Jenseits,<  wo  dem  Blinden  Münedschi  die  Aufgabe 
gestellt  wird,  nach  einem  bestimmten  Punkte  hinzugehen.  Die  Stelle 
lautet  folgendermaßen: 

»Da  stand  der  Münedschi,  mit  dem  Gesichte  nicht  etwa  ganz 
genau  dahin,  wohin  er  gehen  sollte,  sondern  ein  wenig  nach  rechts 
gerichtet.  Warum  das?  Darum:  Wer  sich  in  einem  wegelosen  Wald 
verläuft  und  immer  wieder  an  die  Stelle  kommt,  von  w^elcher  er  aus- 
gegangen ist,  der  weiß  wohl  kaum,  weshalb  sein  Weg  einen  Kreis 
bildete.  Ganz  dasselbe  kann  einem  in  der  Wüste,  in  der  Prärie, 
auf  jeder  pfadlosen  Strecke  begegnen,  wenn  die  Sonne  nicht  scheint 
■  oder  es  keine  Sterne  gibt  und  man  die  Zeichen  nicht  kennt,  aus  denen 
die  Himmelsrichtung  zu  ersehen  ist.  Die  Kreislinie,  welche  man 
läuft,  wird  stets  nach  links  gerichtet  sein  und  zwar  des- 
halb, weil  bei  den  meisten  Menschen  der  Schritt  des 
rechten  Fußes  oder  Beines  ein  wenig  länger  als  derjenige 
des  linken  ist.  Dadurch  wird  der  Körper  mehr  und  mehr  nach  links 
gedreht,  während  man  doch  überzeugt  ist,  in  schnurgerader  Richtung 
zu  gehen.  Jeder  Westmann,  jeder  Beduine,  jeder  mit  der  Wildnis  ver- 
traute Mensch  weiß  ganz  gut,  wie  sehr  schwer  es  ist,  auch  nur  eine 
halbe  Stunde  lang  einen  genau  linealen  Weg  zurückzulegen,  wenn  die 
natürlichen   Richtungszeichen  fehlen. 

Der  Münedschi  sollte  nach  dem  ersten  Feuer  der  Beni  Khalid 
gehen.  Er  war  blind,  und  konnte  es  also  nicht  sehen.  Folglich  stellte 
ich  ihn  nicht  front  zum  Feuer,  sondern  ein  ganz  wenig  nach  rechts  ge- 
dreht. Die  Folge  zeigte  dann,  daß  das  ganz  richtig  gewesen  war.  Er 
behielt  diese  Stellung  die  kurze  Zeit  bei,  während  welcher  ich  mit 
Halef  hinter  den  Felsen  ging,  um  die  beiden  Fackel  anzuzünden,  was 
sehr  leicht  und  schnell  geschah,  weil  sie  oben  ausgefasert  waren.  Sobald 
sie  brannten,  sprangen  wir  zu  dem  Münedschi  zurück  und  gaben  sie 
ihm  mit  der  Weisung  in  die  Hände,  nun  gerade  vorwärts  zu  gehen 
und  sie  schräg  nach  oben,  damit  kein  Funke  auf  ihn  ginge,  weit  von 
sich  abzuhalten.  Er  tat  das  und  setzte  sich  langsamen  Schrittes  in 
Bewegung. 

Zunächst  hatte  es  den  Anschein,  als  ob  der  Blinde  viel  zu  weit 
nach  lechts  gehen  werde. 

Aber  wie  ich  gesagt  hatte,  so  geschah  es.  Die  Linie,  welche  er 
ging,  neigte  sich,  als  ob  unser  Wunsch  ihm  Führer  sei,  nach  und  nach 
dern  uns  am  nächsten  liegenden  Feuer  der  Beduinen  zu.  Ich  hatte  also 
ganz  richtig  gerechnet.  < 


6.  Jahrgang.  Wien,  Jänner    1919.  1.  Nummer. 

»  las 

*       »Wer  sucht,  der  findet.  Ja !  nur  der  nicht,  wer  erblindet      ^ 

<R      An  Orten  sucht,   wo  sich  nicht  das  Gesuchte  findet.«       ^ 

^  F.  Rückert  (Die  Weisheit  des  Brahmanen).  ^ 

Die  Kritik  meines   Buches 
„Das  Tastlesen   der  Blinden-Punktschrift". 

Von   Direktor  K.  Bürklen,  Purkeisdorf. 

Als  ich  das  Ergebnis  meiner  Versuciie  über  das  Tastlesen  der 
ÖfTenflichkeit  ükergab,  führte  ich  in  den  ersten  Sätzen  der  Abhandlung 
ausdrücklich  an,  daß  ich  die  vorliegende  Arbeit  durchaus  nicht  als  voll- 
kommen und  abgeschlossen,  sondern  nur  als  grundlegend  für  weitere 
Forschungen  betrachte.  Die  auf  den  Experimenten  fußenden  Folgerungen 
legte  ich  in  äußerst  vorsichtigen  Fassungen  nieder  nnd  vermied  es  mit 
Absicht,  mich  auf  das  Gebiet  von  Vermutungen  zu  begeben,  selbst  wo 
diese  vielleicht  durch  die  Erfahrung  zu  begründen  gewesen  wären.  Ich 
glaube  mich  also  in  jeder  Weise  auf  Tatsachen  beschränkt  zu  haben 
inid  dem  unsicheren  Gebiete  der  Spekulation  ausgewichen  zu  sein. 

Was  konnte  ich  als  Kritik  meiner  Abhandlung  und  meiner  Be- 
mühung erwarten  ? 

Vor  allem  das  Interesse  aller  Jener,  die  rnit  dem  Tastlesen  selbst- 
tätig oder  im  Unterrichte  zu  tun  haben.  Die  Ersteren  konnten  mit  den 
Ergebnissen  der  Selbstbeobachtung  antworten,  die  Letzteren  mit  ihrer 
pädagogischen  Erfahrung.  Man  konnte  meine  Versuchsergebnisse  mit  den 
gleichen  Methoden  nachprüfen  oder  sie  nach  neuen  Methoden  ergänzen 
bezw.  widerlegen.  Sachliche  Kritik  konnte  ich  mir  nicht  anders  denken 
als  so. 

Nur  zum  Teil  hat  sich  diese  Voraussetzung  erfüllt.  Mit  besonderem 
Danke  muß  ich  die  Tatsache  an  die  Spitze  stellen,  daß  meine  Abhand- 
lung bei  den  Blinden  selbst  die  beste  Aufnahme  fand  und  bereits  mehr- 


Seite  1056..  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  1.  Nummer. 

fach  Übertracjunoen  des  Buches  in  Punktschrift  vorliegen.  Eine  große 
Anzalil  von  Zuschriften  drückten  mir  Dank  und  im  Allgemeinen  Be- 
stätigung meiner  Versuchsergebnisse  aus.  Die  meisten  Schreiber  erklär- 
ten, daß  sie  erst  durch  meine  Schrift  zur  Selbstbeobachtung  angeregt 
wurden  und  ihre  oft  entgegengesetzten  Anschauungen  berichtigt  haben. 
Namentlich  galt  dies  über  die  Leseleistungen  der  beiden  Hände.  Sonst 
brachten  jedoch  die  Bemerkungen  der  einzelnen  Tastleser,  so 
interessant  sie  waren,  keine  neuen  Fingerzeige.  Dazu  ist  die  Selbstbe- 
obachtung eben  «zu  persönlich  und  es  muß  immer  wieder  darauf  ver^ 
wiesen  werden,  daß  nur  der  exakte  Versuch  Aufklärung  in  das  Prol)lem 
der  Sache  bringen  kann.  Immerhin  waren  mir  die  Bemerkungen  der 
blinden  Leser  höchst  wertvoll  und  ich  habe  sie  mit  Dank  und  Freude 
entgegengenommen,  auch  wo  ich  ihnen  nicht  zustimmen  konnte. 

Am  ausführlichsten  befaßte  sich  Hofrat  v.  Chlumetzky  (Brunn) 
mit  meiner  Abhandlung  und  legte  seine  Anschauungen  in  den  ,.Kritischen 
Betrachtungen"  hiezu  („Zeitschrift  für  das  österr.  Blindenwesen*'  1918. 
Beilage  zu  Nr.  8)  nieder.  Den  großen  Wert  der  Arbeit  hervorhebend, 
sind  seine  Ausführungen  als  ..blinder  Leser"  zum  größten  Teile  zustim- 
mend. Zum  Teil  steht  er  jedoch  dem  Werte  mancher  Versuche  skeptisch 
gegenüber,  liefert  aber  viel  Material  der  Selbstbeobachtung. 

Unter  den  Fachkollegen  im  Blindenunterricht  war  die  Aufnahme 
meiner  und  der  beigedruckten  Abhandlungen  von  Grase  mann.  Dr. 
Cohn  und  Steinberg  weit  zurückhaltender.  Ich  setzte  durchaus  nicht 
mehr  voraus,  denn  ich  erwartete,  wie  schon  gesagt,  nur  sachliche  Be- 
urteilung und  die  erfordert  doch  etwas  mehr  als  einen  halbstündigen 
Federspaziergang. 

Als  Erster  der  Fachleute  würdigte  Direktor  Heller  (Wien)  die 
Schrift  einer  Besprechung  (Zeitschrift  für  das  österr.  Blindenwesen  1918, 
Nr.  2)  und  bezeichnet  sie  darin  als  einen  wertvollen  Fortschritt  auf  dem 
Wege  von  der  sentimentalen  Beurteilung  der  Blindheit  zur  Klarstellung 
durch  psycho-physikalische  Experimente  und  Beobachtungen.  Eine  wert- 
volle Ergänzung  liefert  bei  der  Besprechung  Direktor  Helle-r  selbst 
durch  seine  Ansichten  über  die  innere  Auffassung  beim  Tastlesen,  bei 
welcher  „Erkennungsmarken"  eine  wesentliche  Rolle  spielen.  Auch  an 
andere  Kapitel  schließt  Direktor  Heller  aus  seiner  reichen  Erfahrung 
und  tiefen  Erkenntnis  hervorgehende  Folgerungen  an. 

Der  Mühe  einer  Nachprüfung  des  Versuches  über  die  Leseflüchtig- 
keit hat  unter  Anerkenmmg  der  Wichtigkeit  der  Sache  sich  bisher  nur 
Kollege  G.  Hart  mann  (Neukloster)  unterzogen  (Blindenfreund  1918. 
Nr.  5).  Er  gelangte  zu  denselben  Verhältniszahlen  wie  Grasemann 
und  Bürklen.  Entgegen  Grasemann  zieht  er  aus  den  Ergebnissen 
des  Versuches  die  Folgerung,  daß  das  Lesen  nicht  besonders  hohe  An- 
forderungen an  die  Intelligenz  stellt,  aber  ein  hohes  Maß  von  Übung 
fordert.  Er  schließt  mit  der  Aufforderung  an  die  Fachkollegen  zur  Mit- 
arbeit: „Die  Arbeiten  von  Bürklen  und  Grase  mann  sind  sehr  an- 
regend und  verdienen  Dank.  Es  ist  nur  zu  wünschen,  daß  recht  viele 
Nachprüfungen  gemacht  werden.  Sie  sind  zwar  etwas  zeitraubend,  doch 
aber  lohnt  es  sich  der  Mühe,  zumal  auch  für  die  Kinder  derartige 
Übungen  nicht  ganz  ohne  Nutzen  sind." 


1.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1057. 

In  einem  Aufsatze  „Neuzeitliches  auf  dem  Gebiete  des  Blinden- 
wesens"  (Blindenfreund  1918,  Nr.  6)  bespricht  Herr  Direktor  Lembcke 
(^Neukloster)  die  Aufsätze  von  Dr.  Cohn  und  Steinberg  und  zeigt 
durch  Geo;enüberstellung  von  einzelnen  Stellen  „wie  wenig  Wert  die 
Selbstbeobachtung  Blinder  an  sich  als  Quelle  und  Vorbedingung  für  eine 
norinensuchende  Blindenpsychologie  hat.*'  Trotzdem  schließt  er  seine 
Kritik  mit  dem  Satze:  „Vom  Standpunkt  der  Blindenpädagogik  steht  in 
beiden  Autoren  der  mit  Vorsicht  aufzunehmende  Illusionist  (Dr.  Cohn) 
dem  gediegenen  imd  ernsteren  Forscher  (Steinberg)  gegenüber,  der 
Vertrauen  erweckt  und  verdient."  Es  kann  also  doch  wenigstens  die 
Arbeit  des  Letzteren  nicht  ohne  Wert  für  Blindenpsychologie  und 
Blindenpädagogik  sein. 

Alle  bisher  angeführten  Beurteilungen  meiner  Abhandlungen  über 
das  Tastlesen  waren  auch  bei  gegensätzlichen  Anschauungen  auf  den 
Ton  gestimmt,  daß  hier  zum  erstenmale  und  nicht  ganz  ohne  Geschick 
der  Beginn  zur  Erforschung  des  Tastlesens  gemacht  wurde. 

Allgemein  ablehnend  sind  die  Zeilen  gehalten,  welche  Herr 
Schulrat  A.  Brandstaeter  (Danzig)  in  Nr.  9  des  Blindenfreundes  im 
Anhang  an  die  Erwähnung  der  „Kritischen  Betrachtungen  über  das  Tast- 
lesen •'  von  Hofrat  Chlumetzky  (Brunn)  schreibt.  Er  sagt  da:  „Wer 
aber  die  Bedeutung  des  Buches  (von  Bürklen)  nicht  so  hoch  ein- 
schätzt (wie  Chlumetzky),  wer  zweifelnd  fragt,  welchen  W^ert  die 
angestellten  Versuche  und  die  daraus  gezogenen  Schlußfolgerungen  für 
die  Wissenschaft  und  für  die  Praxis  des  Blindenunterrichtes  haben,  der 
findet  in  den  „Kritischen  Betrachtungen"  nicht  nur  Nahrung  für  seine 
Zweifel,  sondern  trotz  aller  das  Vorgehen  der  Verfasser  lobenden  Worte 
die  klare  Aufforderung,  den  Wert  der  Versuche  und  Untersuchungen 
zu  leugnen.  Jedenfalls  ist  auch  nach  dem  Erscheinen  dieses  Heftchens 
die  Frage,  ob  das  Thema  der  Herren  Bürklen  und  Grasemann  ein 
lösbares  Problem  enthält,  und  ob  dessen  Bearbeitung  für  Wissensch9.ft 
und  Praxis  irgend  einen  Wert  und  welchen  Wert  hat,  noch  nicht  ge- 
klärt. Es  sei  daher  nicht  versäumt,  auch  bei  Erscheinen  der  „Kritischen 
Betrachtungen"  die  Blindenlehrer  einzuladen,  sich  mit  der  in  Rede 
stehenden  Sache  eingehender  zu  befassen." 

Darauf  muß  ich  wohl  antworten.  I.st  Herr  Schulrat  Brandstaeter 
geneigt,  den  Wert  meiner  Untersuchungen  in  Abrede  zu  stellen,  so  trifft 
er  damit  den  Wert  der  experimentellen  Versuche  in  Wissenschaft  und 
Pädagogik  überhaupt.  Dann  bin  ich  wohl  nicht  berufen,  seine  Anschau- 
ung ändern  zu  wollen.  Nach  meiner  Überzeugung  besteht  dieser  Wert, 
sonst  hätte  ich  mich  ja  nicht  an  diese  Arbeit  gemacht.  Vor  zu  weit 
gehenden  Folgerungen  über  den  Wert  des  Experimentes  habe  ich  mich 
selbst  zu  bewahren  gewußt.  Aber  ich  sehe,  um  nur  einen  Punkt  heraus- 
zugreifen, z.  B.  bei  der  Frage,  wie  viele  Zeichen  und  Worte  in  einer 
bestimmten  Zeit  mit  den  Fingern  gelesen  werden,  keine  andere  Möglich- 
keit der  Feststellung  als  einzig  und  allein  den  Versuch. 

Für  mich  steht  also  der  allerdings  begrenzte  Wert  von  experi- 
mentellen Untersuchungen  für  Wissenschaft  und  Praxis  der  Erziehung 
und  des  Unterrichtes  fest.  Ob  er  groß  oder  gering  ist,  ist  allerdings  eine 
Frage,  die  erst  entschieden  werden  muß.  Niemand  wird  sich  mehr 
darüber  freuen  als    ich,    wenn    die  Blindenlehrer   dem  Rufe    des  Herrn 


Seite  1058.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Blindenwesen.  1.  Nummer. 

Schulrates  Brandstaeter  folgen  und  sich  mit  der  Sache  eingehender 
befassen.  Aber  dann  bitte  ich,  mit  derselben  Sacblichkeit  und  Vorur- 
teilslosigkeit, welche  ich  an  meine  Arbeit  \vandt(\ 

hl  ähnlicher  Weise  wie  Herr  Schulrat  Hran  dst  aeter  erklärt 
Herr  Schulrat  F.  Zech  (Danzig)  in  der  ,.Blindenschule"  1918,  Nr.  11 
und  12,  daß  abgewartet  werden  müsse.  ,.ob  bei  solchen  Untersuchungen 
für  die  l]lindeii]iädagogik  viel  herauskommen  wird''  und  stellt  in  einem 
folgenden  Artikel  ablehnende  Urteile  über  das  Pl\i)erinient  in  der  Sclinlc 
und  den  ex])erimenli(Menden  F^ehrer  zusammen.  Nach  si  iner  Meinuiiü 
hat  der  Blindenlehrer,  um  seine  wissenschaftliche  Befähigung  iiacli/ii- 
weisen,  gar  nicht  nötig,  aus  dei- Scluilslid»e  eine  W'erksliitte  der  experi- 
mentellen Psychologie  zu  machen. 

Ich  kann  auf  diese  Zeilen  nur  dasselbe  erwidern,  was  ich  bereits 
gegenüber  Herrn  Schulrat  Brand  st  aeter  angefühlt  habe.  Mir  fällt  es 
auch  nicld  im  geringsten  ein,  ans  der  Schulstube  eine  Werkstätte  der 
experimentellen  Psychologie  zu  nuichen.  Meine  Ansicht  geht  nur  dahin, 
dati  der  f^lindenlehrer  nicht  an  einer  so  bedeutungsvollen  Sache,  wie 
es  das  pädagogische  Experiment  trolz  aller  gegenteiligen  Ansichten  ist. 
den  ablehnenden  Urteilen  von  Herrn  Sehulrat  Zech  könnte  man  eben- 
soviele  günstige  gegenüberstellen  —  kurz  vorübergehen,  sondern  sich 
unter  Oberleitung  eines  Forschers  nach  Kräften  an  ihrer  Lösung  beteiligen 
soll.  Ob  dabei  viel  herauskommt  ist  eine  Frage  für  sich.  Meiner  Meinung 
nach  kommt  bei  jeder  Arbeit  doch  ..etwas"  heraus  und  selbst  ein  ne- 
gatives Ergel)nis  hat  den  Wert  der  Erkenntnis. 

Herr  Schulrat  Zech  befaßte  sich  aber  doch  eingehender  mit  ein- 
zelnen von  mir  gemachten  Versuchen,  besonders  mit  der  vo)i  mir  fest- 
gestellten geringen  Abnahme  der  Tastemj)fmdlichkeit  beim  Tastlesen 
und  wendet  sich  dagegen,  daß  durch  solche  und  ähnliche  Experimente 
langjährige  Beobachtungen  und  Erfahrungen  der  Blinden})ädagogen  imn 
mit  einem  Male  als  falsch  und  unwissenschaftlich  hingestellt  werden". 
Die  wahrscheinliche  Fehlerquelle  vermutet  er  in  der  angewandten  \'ct- 
suchsmethode.  Mag  er  darin  vielleicht  recht  haben,  so  l)egründet  dies 
wieder  nicht  eine  allgemeine  Abweisung  des  Versuches  überhaupt,  son- 
dern verlangt  die  Vornahme  neuer  Versuche  zur  endgültigen  Klarstellung 
der  Sache  und  ich  glaube  in  meiner  Abhandlung  mit  Nachdruck  auf 
die  Notwendigkeit  weiterer  Versuche  und  neuer  Versuchsmethoden  ver- 
wiesen zu  haben.  Mit  einem  bloßen  Hinweis  auf  „Beobachtung  und 
Erfahrung"  ist  trotz  aller  Beachtung  der  Empirik  kein  brauchbares 
Resultat  zu  erlangen,  wober'nur  daran  erinnert  wird,  daß  sich  seiner- 
zeit ..Beobachtung  und  Erfahrung"  gegen  die  Einführung  der  Punktschrift 
überhaupt  aussprachen.  Wer  könnte  heute  noch  an  diesem  Standpunkte 
der  seinerzeitigen  Blindenpädagogen  festhalten? 

Ebenso  zweifelnd  steht  Herr  Schulrat  Zech  einigen  anderen  Er- 
gebnissen meiner  Untersuchungen  gegenüber,  insonderheit  der  Reihen- 
folge der  Lesbarkeit  der  Tastzeichen.  Auch  diesbezüglich  fragt  er  wieder: 
,.Haben  diese  Untersuchungen  praktische  Bedeutung  für  den  Unterricht? 
Sollte  es  einen  Blindenlehrer  geben,  der  unter  Berufung  auf  Bürklens 
Untersuchungen  seine  Schüler  auch  nur  zwei  oder  drei  Stunden  zum 
ununterbrochenen  Lesen  zwingen  wollte?  Und  sollte  ein  Fibelschreiber 
den  Mut  haben,  nach  Bürklens  Tasttabelle  eine  Fibel  für  Blinde  zu 
bearbeiten?" 


1.   Nummer.  Zeitschrift  tflr  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1059. 

Zur  or.ston  Fraso:  Die  Tastbarkeit  der  Punkt.«;chriftzeichen  erseheint 
Hill-  als  Metliodiker  für  den  ersten  Leseunterricht  von  der  größten 
Wichtigkeit  und  ist  in  diesem  Unterrichte  unbedingt  zu  beachten.  Eine 
Methodik,  welche  dies  nicht  tut,  ist  nach  meiner  Anschauung  eben  keine 
Methodik.  Mit  der  gleichen  Verwunderung  wie  diese  Erklärung  des  Herrn 
Schulrat  Zech  nahm  ich  seinerzeit  davon  Kenntnis,  wie  sich  Herr 
Schulrat  Brandstaeter  gegen  den  von  den  Blindenlehrern  De  mal 
nnd  Wanecek  aufgstellten  Sohreiblehrgang  der  Punktschrift  wendete 
und  eine  solche  Aufstellung  als  überflüssig  erklärte. 

Zur  zweiten  Frage:  Wann  und  wo  habe  ich  als  Folgerung  meiner 
Versuche  das  Verlangen  gestellt,  daß  der  Lehrer  seine  Schüler  auch 
nur  zwei  oder  drei  Stunden  zum  ununterbrochenen  Lesen  zwingen  soll  ? 
Nirgends  und  niemals!  Daß  ein  so  langes  Lesen  möglich  ist,  geht  daraus 
hervor,  daß  wir  oft  Mühe  haben,  unsere  Zöglinge  in  der  freien  Zeit  von 
einem  mehrere  Stunden  langem  Lesen  abzuhalten. 

Zur  dritten  Frage :  Sie  hätte  ein  so  ausgezeichneter  und  erfahrener 
Methodiker  wie  Herr  Schulrat  Zech  überhaupt  nicht  stellen  sollen. 
Die  Fibelschreiber  für  Sehende  haben  bisher  den  Mut  aufgeltracht.  die 
Schwierigkeiten  der  Lesebuchstalien  ])ei  ihrer  Arbeit  zu  beachten.  Soll 
dasselbe  nicht  auch  für  eine  Blindenübel  gelten?  Mir  erscheint  es  viel 
fragwürdiger,  wie  die  bisherigen  Fibelschreiber  für  Blinde  den  Mut 
aufbringen  konnten,  ohne  jede  Beachtung  der  Leseschwierigkeiten  der 
Piuiktschriftzeichen,  mit  geringen  Abänderungen  einfach  irgend  eine 
Volksschulübel  für  blinde  AtiCischützen  „zurechtzumachen".  Nennt  sich 
das  ,.Methodik'' ?  Ich  hotTe,  es  wird  sich  trotz  der  Warnung  des  Herrn 
Schuirates  Zech  ein  zukünftiger  Fibelbearbeiter  finden,  welcher  bei 
seiner  Arbeit  den  Mut  aufbringt,  das  nach  meiner  Anschauung  höchst 
wichtige  Moment  der  Leseschwierigkeit  der  Braillezeichen  im  ersten 
Lesebuch  der  Blinden  nach  seiner  Bedeutung  zu  würdigen. 

So  ungern  ich  mich  in  den  vorstehenden  Zeilen  gegen  die  An- 
sichten zweier  Fachleute  stelle,  welche  auf  eine  lange  und  fruchtreiche 
Arbeit  auf  dem  Gebiete  des  Blindenunterrichtes  zurücksehen,  kann  ich 
ilire  kritischen  Äußerungen  aus  sachlichen  Gründen  nicht  unerwidert 
lassen.  Im  Übrigen  bin  ich  für  jede  Kritik  dankbar,  die  der  Mitarbeit 
an  der  Sache  selbst  entlließt. 

über  das  Merken  der  Vorzeidien. 

Von   Hauptlehrer  Adalbert  Zier  fuß,  Purkersdorf. 

Jeder  Musiklehrer  —  nicht  nur  an  Blindenanstalten  —  wird  schon 
öfters,  vielleicht  häulig  die  Erfahrung  gemacht  halben,  daß  Schüler,  die 
sonst  zur  vollen  Zufriedenheit  ihres  Lehrers  arbeiten,  sowohl  pr.aktisch 
auf  dem  betrelTenden  Instrument  als.  auch  theoretisch  in  Musik-  und 
Harmonielehre,  fast  vollständig  versagen,  wenn  sie  rasch  die  Vor- 
zeichen einer  Tonart  angeben  sollen.  Nach  einigem  Zuwarfen  trifft's 
ja  wohl  jeder  halbwegs  vorgeschrittene  Schüler,  indem  er  sich's  mit 
Hilfe  des  Quintenzirkels  (bei  Molltonarten  mit  der  drei  Halbtöne  höher- 
liegenden Parallel-  (Dur-)tonart)  auszählt.  Damit  sollte  man  sich  aber, 
meines  Erachtens,  doch  nicht  zufrieden  geben  bei  Leuten,  die,  wie 
unsere  Musikschüler,  die  Musik  als  Lebensberuf  erwählt  haben  und, 
wie  innner  wieder  betont  wird,  nicht  Musikanten  sondern  Musiker  sein 
sollen  und  wollen. 


Seile  1060.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenweten.  1.  Nummer. 

Jeder  Musiker  —  auch  der  blinde  —  sollte  denn  doch  imstande 
sein,  die  Vorzeichen  einer  Tonart  mit  dersel])en  Raschheit  und  Sicher- 
heit anzugeben,  wie  etwa  der  Sehende  die  Farben  benennt.  Daß  dies 
möglich  ist,  haben  mir  Versuche  mit  theoretisch  äußerst  schwachen, 
aber  sonst  ganz  braven  Klavierschülern  gezeigt. 

Ich  bediente  mich  dabei  eines  Vorgehens,  das  zu  meiner  Über- 
raschung und  Verwunderung  vielen,  darunter  sogar  ganz  namhaf- 
ten Berufsmusikern  vollständig  unbekannt  ist.  Woher  es  stammt,  kann 
ich  nicht  angeben.  Ich  hab's  von  meinem  Bruder  und  glaube  nicht 
fehl  zu  gehen,  wenn  ich  sage,  daß  er  unserem  gemeinsamen  hochver- 
ehrten Lehrer,  dem  leider  allzufrüh  verstorbenen  Wr.  Neustädter  Pro- 
fessor E.  W.  Chladek,  diese  Kenntnis  verdankt. 

Im  Folgenden  will  ich  nun  die  Sache  den  Musikunterricht  trei- 
benden Kollegen  mitteilen  in  der  Erwartung,  daß  sie  in  Zukunft  viel- 
leicht der  eine  oder  der  andere  benützt  und  dadurch  sich  und  seinen 
Musikschülern  manche  Mühe  und  manchen  Arger  erspart.  Um  etwaigen 
Einwürfen  zuvorzukommen,  bemerke  ich  ausdrücklich,  daß  das  Folgende 
nicht  etwa  an  Stelle  des  Kapitels  von  den  Tonarten  und  ihren  Vor- 
zeichen in  der  Musiklehre  treten  soll;  keineswegs.  Es  ist  nur  gedacht 
als  gewissermaßen  mechanisches  Hilfsmittel  für  das  Merken  der  Vor- 
zeichen. 

Und  nun  zur  Sache! 

Drei  Regeln  sind  es,  deren  häufigere  Übung  und  Anwendung  ein 
sicheres  Merken  der  Vorzeichen  nahezu  verbürgen. 

1.  Wird  eine  Tonart  um  einen  halben  Ton  erhöht  (oder  ernied- 
rigt), so  vermehren  (vermindern)  sich  die  Vorzeichen  um  7. 

2.  Die  Vorzeichen  enharmonisch  verwechselter  Tonarten  ergänzen 
einander  auf  12. 

3.  Eine  Molltonart  hat  stets  um  drei  Erhöhungen  weniger  (um 
drei  Erniedrigungen  mehr)  als  die  gleichnamige  Durtonart. 

Um  dem  Schüler  die  erste  Regel  recht  anschaulich  und  deutlich 
zu  machen,  zeichnete  ich  ihm  (es  war  ein  Schüler  mit  bedeutenden 
Sehresten)  die  Tonarten  in  der  Weise  der    ,.Zahlenreihe"  auf  ein  Blatt 

Papier.  ^^^  ^^^     as       es       b        f         c         g       d        a        e        h        fis 

I 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 \ 1 

654321         0         1234        5        6 

Bei  den  Tonarten  mit  wenigen  Vorzeichen  kann  der  Schüler  wohl 
leicht  ausrechnen,  bezw.  auszählen:  G  =  0,  eis  =  7  ;;  g  =  1  ;,  gis  =  8  ;. 
Reicht  beim  Auszählen  die  Reihe  nicht  aus,  z.  B.  wenn  wir  A-dur  oder 
E-dur  um  einen  halben  Ton  erhöhen  sollen,  so  kann  man  fis  gleich  ges 
setzen  und  von  links  weiterzählen,  wobei  man  natürlich  auf  die  einen 
halben  Ton  höher  gelegenen  (aber  enharmonisch  verwechselten)  Tonarten 
Be-dur  und  F-dur  kommt.  Bequemer  ist  es  aber,  hier  gleich  Regel  2 
zu  benützen,  wobei  man  direkt  die  Vorzeichen  der  um  einen  halben 
Ton  höheren  Tonart  erhält.  Einige  Beispiele  mögen  dies  verdeutlichen. 
-  A-dur  hat  3  j;  die  um  einen  halben  Ton  höhere  Tonart  B«-dur  muß 
um  7:  mehr,  also  10:;  haben:  nach  Regel  2  auf  12  ergänzt,  ergibt 
sich  2,  natürlich  jetzt  nicht  ;  sondern  ^;  Be-dur  hat  also  2  ?  vorgezeich- 
net. —  D-dur  hat  2^;  bei  der  um  einen  Halbton  höheren  Tonart  Es-dur 


1.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1061 

kommen  7;  dazu,  gibt  9:;  auf  12  ergänzt,  gibt  3,  natürlich  wieder 
niclit  mehr  ;  sondern  -.:  P^s-dur  hat  also  3?  vorgezeichnet,  e-moil  hat 
1  ;:  die  um  einen  Halbton  höhere  Tonart  f-nioll  hat  um  7  j  mehr,  gibt 
S  ;;  ergänzt  auf  12,  ergeben  sich  für  f-moli  4  9. 

Dies  läßt  sich  je  nach  Zeit  und  Stufe  des  Schülers  beliebig  fort- 
setzen. Cis-dur  hat  7,  Cisis-dur  14,  Ci.s,isis-dur  21  ;  u.  s.  w. ;  Ces-dur  hat 
7.  Geses-dur  14,  Ceseses-dur  21  y  u.  s.  w.  Bei  jedem  Halbton  Erhöhung 
(bezw.  P>niedrigung)  vermehren  sich  die  :  (bezw.  7)  um  7. 

Wollen  wir  also  Es-dur  von  C  aus  benennen,  so  heißt  es  Cisisis-dur; 
dies  muß  nach  Regel  1  3X7  =  21;  haben;  enharmonisch  ergänzt  auf 
die  nächste  Zwölferzahl  (24)  gibt  3;  Es-dur  hat  also  3  ■>.  —  Was  für 
Vorzeichen  nuiß  ein  in  C-dur  geschriebener  Tonsatz  haben,  damit  er 
in  G-dur  erklingt?  a)  G-dur  ist  um  7  Halbtöne  höher  als  G-dur,  hat 
also  7  X  7  =  49  ; ;  die  vorhergehende  Zwölferzahl  48  weggelassen,  ergibt 
1  ;,  was  ja  auch  wirklich  G-dur  entspricht :  b)  G-dur  ist  um  5  Halbtöne 
tiefer  als  G-dur,  muß  also  5X7  =  35  •>  haben:  anf  die  nächste  Zwölfer- 
zahl 36  ergänzt,  ergibt  wieder  1  ;,  also  dasselbe  wie  unter  a). 

Es  ist  wohl  selbstverständlich,  daß  solche  Beispiele  keinerlei  prak- 
tische Bedeutung  haben:  sie  sollen  nur  zeigen,  daß  obige  Regeln,  richtig 
angewendet,  innuer.  auch  bei  den  unmöglichslen  Tonarten,  ein  richtiges 
Ergebnis  liefern. 

Die  3.  Regel  dürfte  so  ziendich  verständlich  sein.  Doch  will  ich 
der  Sicherheit  halber  einige  Bemerkungen  dazu  machen.  H-dur  =  5  ;. 
h-moll  =  2  ;;  Gis-dur  =  7  ;,  cis-moll  =  4  j;  Be-dur  =  2  7,  be-moll  =  5  r- ; 
lils-dur  =  3  ^7,  es-moll  =  9  ;;  solche  Fälle  sind  ohneweiters  klar.  Was 
ist's  aber  mit  G-  and  D-dur?  Da  hilft  uns  am  besten  wieder  folgende 
Zeichnung,  die  sowohl  in  Schwarz-  als  auch  in  Punktdruck  ausgeführt 
werden  kann. 

6        ö       +       3        2        1         0        12       3       4        5        6 

I— I— I— l-H— I— I— I— I— I— I— I— I 

Die  Zittern  reclits  bedeuten  wie  früher  ;,  die  Zitfern  links  bedeu- 
ten '.  Man  braucht  von  einer  Dur-Tonart,  deren  Zahl  der  Vorzeichen  ihr 
die  Stelle  in  obiger  Reihe  anweist,  nur  innner  um  3  Punkte  nach  links 
zu  gehen*,  so  gibt  die  gefundene  Zilfer  die  Zahl  der  Vorzeichen  der  gleich- 
namigen Moll-Tonart  an,  wobei,  wie  schon  bemerkt,  die  Zitfern  rechts  ?, 
die  links  von  0  ':>  bedeuten.  Kommt  man  bei  diesem  Auszählen  über  die 
Reilie  hinaus,  so  nimmt  man  wieder  nach  der  2.  Regel  die  enharmonische 
Verwechslung  vor.  Z.  15.  Des-dur  hat  5  ^,  des-moU  folglich  8  ^  was  aber 
praktisch  nicht  ül)lich  ist.  Wir  ergänzen  wieder  auf  12,  ergibt  4,  natür- 
lich nicht  \  sondern  ;;  cis-moll  hat  wirklich  4  ;.  Dasselbe  Ergebnis 
hätten  wir  erhalten,  wenn  wir  gleich  von  G  ausgegangen  wären :  G  =  0, 
Gis-dur  7  ;.  cis-moll   i  ;. 

Ich  bin  am  Ende  meiner  Ausführungen.  Die  Anwendung  und  öftere 
Übung  obiger  3  Regeln  wird  nicht  nur  unseren  Musikschülern  das 
xMerken,  bezw.  Selbstlhiden  der  Vorzeichen  wesentlich  erleichtern  sondern 
auch,  wie  ich  zuversichtlich  hoffe,  manchem  Musikunterricht  erteilenden 
Kollegen  einige  Freude  bereiten. 

*)  Ein  Hinweis  auf  die  Rechauiigen  mit  Wärme-  und  ICältegraden  wird  hier 
angebracht  sein. 


Seite  1062.  Zeitschrift  das  für  österreichische  BUndenwesen.  1.  Nummer. 

Das  Redit  des  Blinden  auf  Arbeit  im  sozialen  Staat. 

Von  Blindenlehrer  Ottokar  Wanecek,  Purkersdorf. 

Die  tiefpflügenden,  bis  an  die  Wurzel  greifenden  Umgestaltungen 
der  Jetztzeit  machen  auch  die  Blinden  zu  einem  ..Politikum"  in  dem 
Sinne,  daß  der  sozial  sanierte  Staat  auch  zu  ihnen  in  ein  neues  Ver- 
hältnis treten  muß.  Namentlich  der  blinde  Arbeiter  wird  Gegenstand 
ernster  Erwägungen  werden  müssen,  da  ja  die  Sozialisierung  eines 
Staatswesens  zu  einem  großen  Teil  mit  der  Lösung  der  Arbeiterfrage 
zusammenfällt. 

Der  Arbeitspolitiker  des  Staates  älteren  Stils  mußte  vor  der  Tat- 
sache des  drückenden  Lohnkampfes  und  der  Arbeitslosenhättfiing  be- 
strebt sein,  jede  fernzuhaltende  Konkurrenz  auszuschalten.  Daher  tlie 
Stellung  der  genossenschaftlichen  Lrwerbsverbände  wie  der  Sozial- 
demokratie gegen  den  blinden  Arbeiter,  dem  noch  dazu  das  Mitleid  mit 
seinem  Gebrechen  ein  gewaltiges  Plus  in  seinem  Kampfe  um's  tägliche 
Brot  sein  konnte.  Folgerichtig  verlangte  die  Sozialdemokratie  vom 
Staate,  daß  er  diese  unschuldigen  Opfer  der  Gesellschaft  erhalte,  dem 
Ringenden  im  Leben  aber  diese,  wenn  auch  kleine  Fessel  abnebme. 
Soviel  dazu  von  Seite  der  blinden  Arbeiter  eingewendet  werden  komife. 
dem  sehenden  Arbeiter   konnte    diese  Fordertmg   berechtigt  erscheinen. 

Wie  die  sozialdemokratische  Staatspolitik,  der  veränderten  Sach- 
lage folgend,  begann,  leitenden  Anteil  an  den  Kegieritngen  zu  nehmen, 
so  wäre  es  auch  denkbar,  daß  sie  in  der  Frage  der  Blindenarbeit. 
ebenfalls  der  veränderten  Sachlage  folgend,  andere  Grundlegungen  an- 
nimmt. Da  ja  der  soziale  Staat  die  beste  Bürgschaft  sein  muß  dafür, 
daß  das  Arbeitslosenelend  und  der  würgende  Konkurrenzkampf  wegfällt. 
kann  der  sehende  Arbeiter  im  Blinden  keine  Henmiung  seiner  Leljens- 
forderungen  sehen. 

Die  Sache  hat  aber  noch  eine  zweite  Seite,  die  etblsche  Autfas- 
siing  von  der  Pflicht  gegen  den  Blinden.  Denn  im  weitesten  Sinne  sind 
ja  alle  oder  wenigstens  die  meisten  Blinden  Fluchfrüchte  sozialer 
Übelstände.  Der  Gedanke,  daß  die  Gesellschaft,  die  Blinde  werden  ließ, 
auch  für  sie  zu  sorgen  hat.  erscheint  so  ganz  einleuchtend.  Und  doch 
hinkt  er.  Denn  er  vergißt  des  Blinden  selbst,  der.  Mensch  wie  alle,  seine 
Sehnsucht  nach  Arbeit  imd  Tätigkeit  trägt.  Würde  er  in  den  Stand 
des  (lenießens  gesetzt,  dann  würde  der  soziale  Staat  an  ihm  ein  Un- 
recht begehen.  Denn  alle  sozialen  Forderungen,  jegliche  Sicherstellung 
der  materiellen  Existenz  des  Staatsbürgers  sind  ja  in  letzter  Hinsicht 
nur  Vorbedingungen.  Das  letzte  Ziel  alles  Sozialismus  ist.  die  Menschen 
zu  einem  inneren  Glück  zu  führen.  Das  aber  flndet  auch  der  Blinde 
nur  im  Bewußtsein  eigener,  der  Allgemeinheit  dienender  Leistungen  im 
Bewußtsein  des  selbstgestalteten  Lebens.  Darum  i.st  und  bleibt  dem 
Blinden  die  Arbeit  notwendig.  Und  daraus  folgt,  daß  ihm  der  soziale 
Staat  das  Recht  auf  Arbeit  einräumen  muß. 

Die  ganze  Frage  hat  darin  eine  Komplikation  gefunden,  daß  die 
an  sich  billige  Forderung,  die  Opfer  der  Staatspolitik  vom  Staate  voll 
und  ganz  versorgen  zu  lassen,  heute  mit  der  ungeheuren  Zahl  der 
Kriegsinvaliden  schon  nach  der  materiellen  Seite  hin  kaum  durchzu- 
führen sein  wird.     Es   wäre   ja    auch  eine  beispiellose  Verschwendung 


l.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1063. 

an  Arbeitskraft,  diese  uiizäliligea  Teilkräfte  brach  liegen  zu  lassen. 
Werden  aber  die  Kriegsinvaliden  herangezogen,  dann  dürfen  ancii  die 
Blinden  in  ihrem  Arbeitsrecht  nicht  verkürzt  werden. 

Es  wäre  denkbar,  daß  sich  der  soziale  Staat  der  blinden  Arbeiter 
insofern  annimmt,  daß  er  .sie  ähnlich  wie  die  Kriegsinvaliden  teilweise 
unterstützt,  den  Rest  ihres  Lebensunterhaltes  aber  aus  ihrer  Kraft 
schöpfen  läßt.  Damit  fiele  für  den  blinden  Arbeiter  die  Notwendigkeil 
oder  der  Vorwand  weg,  in  seinem  P>werbsleben  sein  Gebrechen  als 
betonendes  Element  hervortreten  zulassen,  damit  aber  müßten  die  He- 
denken der  sehenden  Arbeiter  gegen  ihre  blinden  Werkbrüder  wegfallen. 

So  erwächst  der  staatlichen  Arbeiterfürsorge  im  sozialen  Gemein- 
wesen eine  wichtige,  beide  Teile,  sehende  wie  blinde  Arbeiter,  befrie- 
gende  Lösung  der  Blindenarbeiterfrage.  Und  der  blinde  Handwerker 
mag  getrost  in  die  Zukunft  blicken:  Der  soziale  Staat  wird  ihm  geben 
können,  was  er  braucht:  Arbeit  und  Fürsorge. 


Erfahrungen  über  die  Dr.  Herz'sche  Massivschrift. 

Wenn  in  den  heutigen  schweren  Zeitverhällnissen  die  Technik 
und  Industrie  eine  vorteilliafte  Neuerung  zur  Welt  bringen  und  ihr  Er- 
linder ist  von  ihrer  Lebensfähigkeit  und  Brauchbarkeit  überzeugt,  so 
ist  damit  lange  noch  nicht  praktisch  nachgewiesen,  daß  des  Erfinders 
sinnreiches  Werk  auch  hält,  was  es  der  überraschten  Menschheit  ver- 
spricht: praktisch,  billig  und  zeitsparend  zu  sein. 

Der  jetzige  hohe  Aufwand  an  Kriegsrohstotlen,  der  die  Bereitschaft 
und  KamptTähigkeit  unserer  tapferen  Heere  gewährleisten  muß,  entzieht 
jedem  erfinderischen  Geist  in  geradezu  empfindsamer  Weise  din-ch  die 
stetig  steigenden  Kriegslieferungen  dasjenige  Material,  was  ihm  zum 
Ausl)au  und  zur.  Vervollkommnung  seines  idealen  Gedanken  als  not- 
wendig erscheint  und  macht  ihn  nur  dadurch  zu  einem  mißmutigen  und 
verzweiflungsvollen  I^eschimpfer  der  häßlichen  Kriegsverhältnisse.  Seine 
großen  Hottnungen  bleiben  für  diese  Zeit  unerfüllt  und  er  nniß  sein 
geistiges  Werk  in  den  Schalen,  in  denen  es  geboren  wurde,  für  eine 
zukünftige  l)essere  Zeit  schlummern  lassen.  Mit  solchen  Schwierigkeiten 
mußte  auch  der  Erfinder  der  Massivschrift,  Herr  Dr.  M.  Herzj  Privat- 
dozent für  Herzkrankheiten  an  der  Universität  zu  Wien,  rechnen,  als 
er  seine  gute  Idee  der  Ött'entlichkeit  bekaimtgab  und  bald  darauf  den 
Blinden  Österreich-Ungarns  in  Giestalt  und  Form  einer  ,.Österreichischen 
Blindenzeitung"  praktisch  zeigte.  Das  war  in  den  ersten  Monaten  dieses 
Jahres.  Seit  dieser  Zeit  sind  vom  k.  u.  k.  Verein  „Die  Technik  für  die 
Kriegsinvaliden*',  Wien,  der  das  neuartige  Verfahren  zum  V^ervielfältigen 
der  Punktschrift  und  damit  die  Massivschrift  auszubauen  und  zu  ver- 
bessern übernonmien  hat,  schon  recht  gute  Erfolge  mit  diesem  V^erfahren 
gemacht  worden.  Aber  auch  hierl)ei  hat  das  technische  N^ersuchsamt  des 
genannten  österr.  \'ereines  mit  den  großen  wirtschaftlichen  Schwierigkeiten 
bei  regelmäßiger  Beschaffung  des  Kaolins  (weiße  Tonmasse,  woraus  die 
harten  und  glatten  Punkte  schal)loniert  werden),  zu  kämpfen  und  war 
eines  Tages  genötigt,  zu  einem  Behelfsmittel  zu  greifen,  weil  das  Kaolin 
von  der  österreichischen  Heeresverwaltung  beschlagnahmt  worden  war. 


Seite  1064.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  1.  Nummer. 

Mit  diesem  Hilfsmittel  iimßten  erst  Erfahrungen  gemacht  Averden.  wes- 
halb entschuldbar  ist.  daß  die  Mai-  und  Juninummer  der  ..Österreichi- 
schen Blindenzeitung"  mit  ihren  massiven  Punkten  nicht  einwandfrei 
ausgefallen  waren.  In  diesen  Nummern  lösten  sich  beim  Lesen  der 
Schrift  die  Punkte  und  man  mußte  nach  wenigen  Zeilen  erst  stets  die 
vordere  Fingerfläche  von  den  anhaftenden  Punkten  reinigen,  was  sich 
leider  durch  diese  Nummern,  vornehmlich  aber  der  Mainummer,  wieder- 
holte. Schon  durch  den  Versand,  anscheinend  aber  auch  schon  durch 
das  Längsbrechen  der  Zeitungen  für  den  Postversand,  hatten  sich  zahl- 
reiche Punkte  gelöst,  deren  Felilen  das  Lesen  recht  erschwerte.  Mitunter 
waren  auch  die  Punkte  gewiß  durch  die  schablonenmäßige  Herstellung 
sehr  niedrig,  so  daß  man  große  Schwierigkeiten  hatte  die  zu  flachen 
Schriftzeichen  zu  entzilTern.  Es  ist  aber  auch  vorgekoinmen,  daß  die 
Punkte  wieder  zu  hoch  und  zu  spi'tz  waren  und  übertrieben  stark  er- 
schienen und  sich  zum  Lesen  ebenfalls  nicht  eigneten.  Dagegen  sind 
die  Punkte  in  der  Juli-  und  Augustnummer  recht  gut  ausgefallen  und 
mit  Vergnügen  und  Freude  überfliegt  man  die  Zeilen. 

Der  Gedanke,  die  massiven  F^nikte  auf  ein  weniger  starkes  Papier 
aufzuschablonieren,  nuißte  bald  fallen  gelassen  werden,  weil  die  prak- 
tische Erfahrung  ergab,  daß  einmal  beim  Lesen  auf  dünnem  Papier  die 
Punkte  der  Gegenseite  mitzufühlen  waren  und  zum  andern,  um  diesen 
Übelstand  abzuhelfen,  das  einzelne  Blatt  auf  eine  weiche  Unterlage 
gelegt  werden  mußte.  Dadurch  ist  man  gezwungen  gewesen,  von  der 
dünnen  auf  eine  stärkere  Papiersorte  überzugehen  und  verwendet  jetzt 
ein  Papier,  das  das  Lesen  der  massiven  Punkte  ohne  Störung  und  ohne 
eine  weiche  Unterlage  gestattet. 

Hin  und  wieder  kam  manchmal  noch  ein  ungleichmäßiger  Punkt- 
druck vor,  auch  wurde  eine  Zeitlang  gegen  die  Regeln  der  Kurzschrift 
verstoßen,  doch  wird  die  Schriftleitung  der  ,.Ö.sterreichischen  Blinden- 
zeitung-' und  ,.Die  Blindenschrift-  und  Blindennotenvervielfältigungsan- 
stalt",  der  das  Scluiblonieren  dieser  Zeitung  übertragen  wurde,  ernstlich 
bestrebt  sein,  alle  die  vorgenannten  noch  vorhandenen  Mängel  in  Schrift 
und  Ausführung  der  Zeitung  unter  Berücksichtigung  der  jetzigen 
schwierigen  Verhältnisse  baldigst  abzustellen. 

Wir  wollen  darum  alle,  für  die  die  neue  Schrift  geschaffen  worden 
ist,  nicht  ermüden.  Erfahrungen  zu  sannneln.  wie  sich  die  Massivschrift 
in  der  Praxis  bewährt  und  ob  sie  unseren  Hoffnungen  auf  eine  Tages- 
zeitung in  Blindenschrift  gerecht  zu  werden  vermag. 

Ich  kann  einen  ständigen  Bezug  der  ,.Österreichischen  Blinden- 
zeitung-' nur  wärmstens  empfehlen,  denn  ihr  Inhalt  ist  wissenswert, 
unterhaltend  und  belehrend  und  gibt  in  jeder  Nummer  in  Vollschrift 
einen  klaren  Überblick  der  letzten  Kriegsereignisse.  Die  Zeitung  wird 
von  dem  I.  österr.  Blindenverein  in  Wien.  Florianigasse,  herausgegeben. 
Ihr  jährlicher  postfreier  Bezug  beträgt  nur  6  Kronen,  welche  geringe 
Ausgabe  jeder  lesende  Blinde  trotz  der  jetzigen  verteuerten  Zeit  ver- 
schmerzen kann.  Dafür  wird  ihm  aber  auch  etwas  Neues  und  Inhalt- 
reiches geboten. 

Max  Albert  Butze. 


1.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  J065. 

Begriff  der  Blindheit  bei  Kriegsbesdiädigten. 

Universitätsprofessor  Dr.  J.  Deyl  in  Prag  erklärt  sich" in  seinem 
Aufsatz  über  den  Begrilf  der  Blindheit  in  der  Fachschrift  „Deyluv 
Obzor"  1918  Nr.  6,  mit  dem  in  dem  vorjährigen  Berichte  erwähnten 
Grenze  der  Herabsetzung  der  Sehschärfe  bei  Kriegsblinden  für  die  Be- 
urteilung des  Vorhandenseins  der  sozialen  Blindheit  nicht  einverstanden 
und  faßt  seine  Ausführungen  wie  folgt  zusammen : 

1.  Das  bisherige  Maß  für  die  Prüfung  der  praktischen  oder  sozialen 
Blindheit,  d.  h.  die  Zählung  der  Finger  auf  die  Entfernung  von  1  m  an 
gegen  einen  dunklen  Hintergrund  ist,  insbesondere,  wenn  dieselben  be- 
leuchtet sind  und  bewegt  werden,  wobei  der  Untersuchte  mit  dem 
Rücken  gegen  das  Fenster  gekehrt  ist  (nicht  geblendet  ist)  zu  niedrig 
und  bei  Soldaten,  die  sozusagen  das  Teuerste,  das  sie  besaßen,  ihrer 
Bürgerpflicht  zum  Opfer  gebracht  haben  —  ungerecht. 

2.  Diese  Grenze  'ist  mindestens  auf  die  Zählung  der  Finger  auf 
2  1/2  bis  3  m  zu  erhöhen,  wobei : 

a)  das  Gesichtsfeld  nicht  bedeutender  eingeengt  sein  darf  (es  darf 
z.  B.  nicht  auf  10  bis  lö  «  eingeengt  sein: 

b)  es  darf  auch,  wenn  die  Finger  auf  2 1/.,  bis  8  m  gesehen 
werden,  keine  Vernarbung,  keine  Verkürzung,  keine  Verletzung  der  Augen- 
lider, der  Bindehaut,  der  Tränenorgane  bestehen,  keine  Narben  und  wieder- 
holten Entzündungen  der  Hornhaut  und  keine  beweglichen  Fremdkörper 
am  Glaskörper,  Nachtblindheit,  weil  diese  Mängel  eine  Nichtblinden- 
arbeit  fast  unmöglich  machen. 

3.  Sind  diese  Komplikationen  bei  Herabsetzung  der  Sehschärfe 
auf  2  Y2  l^'-^  '^  in  bleibend,  so  ist  der  Betrotfene  für  sozialblind  zu 
halten. 

4.  Diese  Grundsätze  sind  auch  auf  die  Frauen  auszudehnen,  falls 
sie    zu  Kriegsdienstleistungen  zugezogen    oder  einberufen    worden  sind. 

Professor  Dr.  S i  1  e X  in  Berlin  beantwortet  die  Frage;  ,,In  welcher 
Lage  muß  sich  ein  Kriegsbeschädigter  befinden,  damit  ihm  gerechter 
Weise  die  Mitgliedschaft  der  Kriegsblindenstiftung  zuteil  wird?"  durch 
Aufstellung  folgender  Gruppen: 

1.  Verletzte,  die  keinen  Lichtschein  mehr  wahrnehmen,  das  sind 
die  Stockblinden; 

2.  Verletzte,  die  nur  hell  und  dunkel  und  Handbegungen  unter- 
scheiden ; 

3.  Verletzte,  die  Sehschärfe  —  '/30  (Fingerzählen  2  m)  und  weni- 
ger haben,  gleichgiltig  ob  das  Gesichtsfeld  frei  oder  beschränkt  ist: 

4.  Verletzte  mit  Sehschärfe  von  ^/^o  herauf  bis  Y20  l^t'i  geschä- 
digtem Gesichtsfeld. 

Diese  vier  Gruppen  gelten  für  uns,  die  wir  das  Praktische  im 
Auge  haben,  als  unzweifelhaft  blind. 

5.  Verletzte  mit  Sehschärfe  von  Vso  herauf  bis  1/20  ''<''  freiem 
Gesichtsfeld  stellen  Grenzfälle  dar.  bei  denen  wir  uns  nach  Nebenum- 
ständen umsehen,  z.  B.  ob  das  Resultat  mittels  eines  Starglases  oder 
mit  freiem  Auge  erreicht  wird,  ob  Nachtblindheit  besteht  usw.  Bei  Ab- 
wesenheit solcher  Komplikationen  sind  wir  geneigt,  sie  den  Gruppen 
1 — 4  zuzuordnen. 


Seite  1066.  Zeitschrift  für  das  österreicliische  Blindenwesen.  1.  Nummer. 

0.  Wer  exakte  Sehschärfe  von  V^o  iinfl  etwas  mehr  hat  hei  in- 
taklein  Gesichtsfekle  ist  m.  E.  nicht  mehr  aLs-  Ijünd  zu  ])ezeiclinen.  Wir 
möchten  vorschlagen,  ihn  in  den  Listen  als  „schwergeschädigt*'  zu  führen, 
und  empfehlen,  daß  ihm  vorderhand  (Üeselhen  Benefizien  wie  den 
Blinden  gewährt  werden,  denn  auch  für  die  hat  nach  den  .Statuten  die 
Kriegshlindenstiftung  Geld  zur  Verfügung.  Die  Darhietung  der  Mittel 
in  gleicher  Höhe  wie  hei  den  Blinden  stellt  eine  gewisse  Ungerechtig- 
keit dar,  die  später  ausgeglichen  werden  muß.  weil  es  jedem  einleuch- 
ten dürfte,  daß  z.  B.  ein  Stockblhider  in  hezug  auf  Führung,  Wartung 
Verdienst  usw.  im  allgemeinen  schlechter  dasteht,  als  die  Geschädigten 
der  Gruppe  ,.6.'' 

Personalnachrichten. 

—  Fachlehrer  Ferdinand  Groß  f.  Die  beiden  Linzer  Bhnden- 
anstalten  haben  kurz  vor  Jahresschluß  noch  einen  herben  Verlust  er- 
litten. Am  20.  Dezember  1918  verschied  nach  kaum  dreitägigem  Herz- 
leiden doch  wohlvorbereitet  durch  den  Empfang  der  hl.  Sterl)esakra- 
mente  um  9  Uhr  aljcnds  im  Krankenhause  der  barmherzigen  Brüder 
in  Linz  Herr  Ferdinand  Groß,  pensionierter  Fachlehrer  an  der  Prival- 
Blindenlehranstalt  daselbst. 

Da  der  nunmehr  Heimgegangene  in  den  Kreisen  der  blinden  wie 
sehenden  Fachleute  überhaupt,  so  aber  den  vielen  Besuchern  aus 'Nah 
und  Ferne  der  Linzer  Schwesteranstalten  besonders  beliebt  und  bekannt 
war,  mögen  diese  Zeilen  Allen  unseren  lieben  Herrn  Groß  nochmals 
in  dankbare  pietätsvolle  Eriiuierung  zurückrufen,  (^eboren  am  26.  März 
1847  als  Sohn  des  noch  jetzt  bestens  bekannten  Lhnnachers  und  Gold- 
und  Sinierwarenhändlers  Ferdinand  Groß  in  Wien,  VII.,  Burggasse  er- 
blindete er  leider  bald  durch  Fraisen.  Mit  8  Jahren  kam  der  geistig 
geweckte  und  körperlich  gesunde  Knabe  in  das  k.  k.  Blindenerziehungs- 
institut  in  Wien.  Vom  1.  Mai  1855  l)is  80.  Septemljer  1864  war  er 
unter  der  treftlichen  Leitung  des  bekannten  Ty])hlo])ädagogen  Matthias 
Pablasek  einer  der  strebsamsten  und  besten  Schüler  dieser  Anstalt. 
x\uf  Anregung  seines' wohlwollenden  Direkiors,  def  die  pädagogischen 
Talente  seines  Musterschülers  richtig  erkannte,  widmete  er  sich  dem 
Lehrfache  für  Blindenunterricht  und  liesuchte  vom  1.  Oktober  1864  bis 
Ende  September  1867  dasselbst  den  Blindenlehrer-Bildungskurs,  den  et 
mit  gleich  sehr  guten  Erfolg  wie  seine  frühere  liildungszeit  vollendete. 
Sein"  Austrittszeugnis  vom  6.  August  1867  weist  lauter  Noten  erster 
Stufe  in  den  zahlreichen  literarischen,  musikalischen  (Gesang,  Harmonie- 
lehre. Violine,  Klavier  und  Orgel)  und  technischen  Gegenständen  (Si)in- 
nen  und  Korbtlechten)  auf. 

Sofort  erhielt  er  ein  Lehrerslipendium  und  wirkte  als  junger 
Elementarlehrer  an  seiner  Bildungsanstalt  fast  6  Jahre  lang. 

~  Am  1.  Mai  1873  berief  hochw.  Herr  Direktor  Josef  Leeb  den 
eifrigen  Stipendisten  als  Nachfolger  des  verstorbenen  besonders  wegen 
seines  Rechentalentes  bekannten  Fachlehrers  Daniel  Heider  an  die 
Blindenanstalt  in  Linz. 

Nur  ungern  sah  Pablasek  seinen  treuen,  musterhaften  Mitarl)eiter 
scheiden,  freute  sich  aber  in  echt  selbstloser  Weise  mit  Recht  darüber, 
daß  Groß  als  einer  der  wenigen  Blinden  dazumal  einen  Posten  als 
selbständiger  Blindenlehrer  antreten  durfte  und  konnte. 


1.  Nummer. 


Zeitschrift  für  das  österreichischt-  Blindenwesen. 


Seite  1067. 


Jesus'  heilt  den  Blinden. 

Dab  Bild,  welches  den  Altar  der  Versorgungs-  und  Beschäftigungsenstalt  für 
erwachsene  Blinde  in  F.inz  a.  D.  schmückt,  stellt  sich  uns  nicht  nur  als  vornehmes 
Kunstwerk  guter  alter  Schule  dar,  sondern  erscheint  uns  besonders  beachtenswert 
durch  die  Gestalt  des  Blinden,  in  dem  wir  den  am  Linzer  Blindeninstitut  wirken- 
den und  nunmehr  verewigten  Blindenlehrer  ¥.  Groß  erkennen.  (Siehe  den  Nachruf 
bei  den  Personalnachrichlen). 

An    dem  lieben  alten  Freunde    ist  nun  Gottes  Wort  doppelt  wahr  geworden! 

»Über  den  Sternen  da  schwindet  die  Täuschung, 

Da  siehst  du  alles  enträtselt,  enthüllt; 

Was  du  erwartet,  des  Himmels   Verheißung, 

Dort  wird  es  herrlich  und  ewig  erfüllt. < 


Seite  1068.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  1.  Nummer. 

Im  Verwendung.szeu.unisse  gab  er  dem  Scheidenden  folgende  ehrende 
Worte  mit:  Herr  Ferdinand  Groß  hat.  unterstützt  von  einem  hei  seiner 
Erblindung  ihm  gel)lie])enen  nicht  unbedeutenden  Lichtschein,  im 
Schul-  und  Musikunterricht  mit  ausgezeichnetem  Erfolg  bisher  an  dem 
k.  k.  Rlindenerziehungsinslitute  in  Wien  gewirkt,  sodaß  ihm  als  F'ädagogen 
und  Lehrer  für  Blinde  das  empfehlendste  Zeugnis  gegeben  werden  kann. 
Gleiches  kann  auch  von  seiner  Sittlichkeit  und  Religiosität,  seiner  Streb- 
samkeit und  seinem  Pflichteifer,  sowie  von  seiner  liebe-  und  taktvollen 
Behandlung  der  blinden  Kinder  gesagt  werden." 

In  dieser  Stellung  in  Linz  wirkte  nun  Groß  an  der  Seite  der 
4  Direktoren  L  e  e  b,  H  e  1 1  e  t  s  g  r  u  b  e  r,  Ludwig  und  P I  e  n  i  n  g  e  r  durch 
volle  40  Jahre  in  eifrigster  Weise.  Im  Jahre  1875  vermählte  er  sich 
mit  der  Lehrerin  Frl.  Klementine  Gärtner,  die  bis  zu  ihrem  Tode  am 
7.  Jänner  1899  als  treue  Gattin  nnd  Mutter  Freud  und  Leid  mit  ihm  in 
edler  Weise  teilte.  Von  seinen  8  .Kindern  überlebten  ihn  sein  Sohn 
Rechtsanwalt  Dr.  Ferdinand  Groß  in  Perg,  Ober-Österr.  und  Henriette 
Bayr,  Zollrevidentensgattin  in  Sombach,  Bayern,  die  in  liebevollster 
Art  an  dem  geschätzten  Vater  hingen.  In  gleicher  Form  war  auch  das 
innige  Verhältnis  mit  seinen  noch  lebenden  2  Schwestern  Fanny  Marlott 
und  Fräulein  Helene  Groß  in  Wien. 

Seine  Lehrtätigkeit  im  allgemeinen  wie  besonders  auch  in  der 
musikalischen  Ausbildung  der  Blinden,  sein  werktätiger  liebevoller  Dienst- 
eifer und  treue  Mitarbeit  mit  seinen  Vorgesetzten  und  Kollegen  wurden 
auch  vielfach  nach  Verdienst  und  Gebühr  anerkannt.  Anläßlich  der 
25jährigen  Lehrtätigkeit  an  der  Linzer  Fachanstalt  drückte  ihm  das 
bischöfliche  Ordinariat  in  Linz  „für  das  ebenso  eifrige  als  ersprießliche 
Wirken  als  Lehrer,  der  stets  treu  auf  Seite  seines  Direktors  stand  und 
überall  die  Interessen  der  Anstalt  wahrgenommen  und  warm  vertreten 
hat,  den  Dank  und  die  volle  Anerkennung  aus*'. 

Aus  ebendiesem  Anlasse  verlieh  Seine  k  u.  k.  apostolische  Majestät 
Kaiser  Franz  Josef  I.  dem  Jubilare  mit  Allerhöchster  Entschließung  vom 
19.  April  1898  das  silberne  Verdienstkreuz  mit  der  Krone,  das  ihm 
unter  allgemeiner  freudiger  Anteilnahme  seiner  sehenden  und  blinden 
Freunde  in  feierlicher  Weise  überreicht  wurde. 

Bei  seinem  Übertritt  in  den  wohlverdienten  Ruhestand  mit  Schul- 
schluß 1913  drückte  der  k.  k.  Landesschulrat  von  Österreich  ober  der 
Enns  dem  Scheidenden  ,.für  seine  fast  46jährige,  sehr  ersprießliche 
Tätigkeit  auf  dem  Gebiete  der  Erziehung  und  des  Unterrichtes  blinder 
Schulkinder  die  vollste  Anerkennung  und  den  Dank  aus". 

In  den  Kreisen  der  Fachmänner  war  Herr  Groß  durch  seine 
reichen  Kenntnisse  und  seinen  liebenswürdigen,  stets  heiteren  Umgang 
allseits  gerne  gesehen.  Stets  war  er  auf  seine  Fortbildung  bedacht,  las 
selbst  sehr  viel,  wie  seine  Bücherei  zeigte,  die  er  in  dankbarer  Weise 
seinem  lieben  Linzer  Institute  vermachte,  und  ließ  sich  viel  und  gerne 
vorlesen.  Mit  größter  Freude  verfolgte  er  den  gewaltigen  Aufschwung, 
den  die  Blindensache  besonders  seit  1878  in  jeder  Beziehung  machte 
und  freute  sich  herzlichst  für  seine  Schicksalsgenossen  der  vielen  er- 
rungenen Erfolge.  Für  die  Erziehung  gab  er  durch  sein  erbauliches 
religiöses  Lel)en  ein  nicht  genug  zu  schätzendes  Beispiel  für  Sehende 
und  Blinde,  wodurch  er  auch  seinem  meist  lebhaften  Lehrton  den  rieh- 


1.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1069. 

ti.^en  [^nlortiTund  verlieh.  Pectu.s  est.  qiiod  dis.serlum  fedit!  (Aus  dem 
(lenüU  kuDimt  der  rechio  Ton!)  Was  er  lehrte,  hit  er  selbst  als  echter 
Schüler  Vater  Kleins! 

Die  alloemeine  Teilnahme  bei  seinem  Hinscheiden  von  so  vielen 
Seiten  zeigte  von  der  großen  Wertschätzung  für  den  edlen  Toten. 

Möge  in  Erfüllung  gehen,  was  das  l)ischöfliche  Ordinariat  \A\r/.  Ihm 
hei  seinem  Cl)ertritte  in  den  wohlverdienten  Ruhestand  unter  (h-iii 
12.  A])ril  1913  so  herzlich  schrieb:  „Gott  möge  IhiuMi  hi(^r  schon,  be- 
sonders aber  im  .Ifenseits  alle  Ihre  im  schweren  aber  schönen  iJciure 
vollln'achlen  Arbeiten,  die  überstandenen  Mühen  und  Sorgen,  die  ge- 
habten   Erfolge   reichlich    lohnen!"'  Anton  M.  IMeninger. 

Gebt  den  Blinden,  was  der  Blinden  ist! 

Von  A.  Kappawi,  Brunn. 

Geimg  des  Janmierns  und  der  bittren  Klage! 
Er])arnit  Euch  jener,  die  vorm  Tore  stehen 
Und  zil:ternd  in  ihr  Heim  um  Einlaß  flehen! 
Bejahet  rasch,  der  Blinden  Lebensfrage! 

War's  nicht  genug,  daß  sie  durch  tausend  Tage 
Des,  harten  Krieges  mußten  einsam  gehen? 
Wer  soll  den  müden  Geist  zn  Gott' erhöhen, 
Weim  Ihr  verstummt,  Erzieher,  ratlos,  zage? 

Gebietend  mahnt  des  Blindenelends  Stunde: 
Wer  helfen  will,  der  eine  sich  zum  Bunde, 
Um  selbstlos  der  Bedrängten  Glück  zu  gründen. 

Vom  Worte  laßt  zur  Tat  uns  mutig  schreiten 

Und  neue  Wege  neuen  Heils  bereiten ! 

Wer  andern  hilft,  wird  selbst  einst  Hilfe  finden. 

Für  unsere  Kriegsblinden. 

In^  Wien,  wo  die  politischen  Ereignisse  der  Gegenwart  am  un- 
mittelbarsten und  kräftigsten  auf  alle  Kreise  einwirken,  hat  sich  auch 
(Mue  Bewegung  unter  den  Kriegsblinden  geltend  gemacht,  welche  den 
Kriegsblinden  nicht  mehr  nur  als  passives  und  bevormundetes  Objekt 
der  Fürsorge"gelten  lassen  will,  sondern  die  eigene  aktive  Teilnahme 
an  der  Fürsorge  erstrebt.  In  einer  Versammlung  von  Kriegsblinden 
wurde  das  Verlangen  gestellt,  in  allen  Fürsorgeeinrichtungen  für  Kriegs- 
blinde auch  durch  Kriegsblinde  vertreten  zu  sein  und  durch  diese  Ver- 
treter auf  die  Leitung  dieser  Einrichtungen  entsprechenden  Einfluß  zu 
nehmen.  Namentlich  wurde  diese  Forderung  bezüglich  des  Kuratoriums 
des  „Kriegsblindenfonds  im  Staatsamt  für  soziale  Fürsorge*'  und  des 
„Kriegsblindenheimes  in  Wien  XIII"  gestellt.  An  den  betroffenen  Stellen 
wußte  man  wohl  oder  übel  dieser  Forderung  nachgeben  und  damit  ist 
etwas  Selbstverständliches  zur  Tatsache  geworden.  Es  ist  dadurch  der 
Bann  eines  Systems"  gebrochen,  das  sich  zu  einer  gedeihlichen  Lösung 
der  Kriegsblindenfrage  von  vornherein  als  unfähig  erwies  und  es  kaiui 
gehofft  werden,  daß  die  aktive  Mitarbeit  der  Kriegsblinden  an  ihrer 
Fürsorge  die  Wege  zu  einer  befriedigenden  Gestaltung  der  Kriegs- 
blindenfürsorge eröffnet. 


Seite  1070.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  1.    Nummer. 

Hus  den  Hnstalten. 

—  N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  Weihnachts- 
feier. Trotz  der  schwierigen  V'erlvchrsverhältnisse  konnte  diese  Anstalt  am  23.  De- 
zember eine  große  Anzahl  von  Festgästen  begrüßen,  die  in  ihren  Erwartungen  nicht 
getäuscht  wurden.  Wie  immer  fanden  die  Leistungen  der  blinden  Kinder  wohlver- 
dienten Beifall.  Eingeleitet  wurde  die  Feier  durch  den  altertümlichen  Chor  »O,  Hei- 
land reiß  die  Himmel  auf.«  Nicht  minder  gefielen  die  Solostücke  auf  der  Orgel  und 
auf  dem  Klavier  (Chopin,  Präludium),  vom  Zögling  J.  Lhotan  mit  groLsem  Ver- 
ständnis vorgetragen.  Drei  Solostimmen  und  eine  Violine  vei einigten  sich  mit  Har- 
monium und  Klavier  in  dem  wunderbar  klangschönen  »Ave  Maria«  von  Gounod. 
Im  Mittelpunkt  der  Darbietung  stand  ein  langes  Melodram  »Der  Christljaum«  von 
Proch,  in  das  einzelne  Chöre  verflochten  wurden.  Das  treffliche  Orchester  bot  in 
der  Begleiuing  einiger  Chöre,  sowie  in  einem  Straußwalzer  und  in  der  >Mühle  im 
Schwarzwald«  von  Filenberg  treffliche  Leistungen.  Um  die  Einstudierungen 
machten  sich  die  Anstaltslehrer  Büllik,  Krtsmary  und  Jeray  verdient.  In  den 
Ansprachen  Direktor  Bürklens  und  des  Landesrates  Kunschak  spiegelte  sich 
die  Überzeugung,  daß  der  kommende  Friede  auch  mancher  willig  ertragener  Ent- 
behrung innerhalb  der  Anstalt  ein  Ende  machen  und  bessere  Veriiältnisse  schaffen 
werde.  W. 

—  Privat -Blindenlehranstalt  Linz.  Christbaumfeier.  Trotz, 
der  Ungunst  der  Zeiten  konnte  doch  auch  in  diesem  Jahre  eine  recht  stilvolle 
Weihnachtsfeier  mit  Gabenspende  an  fast  100  Teilnehmern  im  Vortragssaale  der 
Biindenbeschäftigungsanstalt  am  24.  Dezember  1.  J.  ^/o5  Uhr  abends  veranstaltet 
werden.  Unter  den  9  Vortragsnummern  ragten  besonders  Kehldorters  herziges 
Weihnachtslied  für  die  Kleinen,  Rheinbergers  Vision  für  die  Orgel,  gespielt  vom 
Zöglinge  J.  Lengauer,  das  Gedicht  »Weihnachtsgedanken,«  verfaßt  und  gesprochen 
vom  Zöglinge  J.  Briedl  und  der  vierstimmige  Chor  mit  Soli  »Der  gute  Hirt«  vom 
blinden  Klavierlehrer  R.  Pernklau  hervor. 

Mit  einer  zeitgemäßen  Ansprache  schloß  Direktor  PI eninger  die  hehre  Feier. 

Verschiedenes. 

—  Aus  Georg  Droste's  Leben,  in  einer  kleinen  Kate  hinterm  Weser- 
deich als  Sohn  eines  Schneidermeisters  (1866)  geboien,  kam  Droste  mit  14  Jahren 
als  Laufjunge  zu  einem  Buchhändlei.  Als  sein  Brotherr  eines  Tages  durch  Zufall 
dahinter  kam,  daß  der  Junge  in  seiner  Freizeit  auf  eigene  Faust  Englisch  lernte, 
brachte  er  ihn  als  Lehrling  in  ein  Wollgeschäft.  Und  damit  war  Droste  an  den  Anfang 
einer  Bahn  gestellt,  auf  der  er  —  vielleicht  —  zum  Bremer  Großkaufmann  halte  auf- 
steigen können.  Da  befiel  den  Zwanzigjährigen  eine  Sehnervenentzündung.  »Mein  Ogen- 
licht  war  weg  un  ick  seet  gänzlich  in'n  düstern.  Wat  nu  r  Kranken- und  Invalidenkasse 
geef  dat  nich,  dat  bäten,  wat  ick  mi  öberspart  hair,  weer  dör  de  Ogenkrankheit 
upbruckt,  mien  Ollern  weern  jo  aime  Lue  und  weern  ock  old  un  stumperig.  So 
seet  ick  dar  her,  vullkamen  öberleidig,  un  dat  Leben  harr  keenen  Sinn  mehr  .  .  . 
Aber  mien  gesunnen  Körper  un  vor  allen  Dingen  de  Wille  ton  Leben  kreeg  de 
Oberhand.«  Für  seinen  letzten  Taler  kaufte  er  sich  schwedische  Streichhölzer  und 
fing  damit  an  zu  handeln.  Zu  den  Streichhölzern  kamen  Seife  und  Zigarren,  und 
endlich  hatte  Droste  dabei  soviel  erübrigt,  daß  er  auf  die  Blindenanstalt  in  Han- 
nover gehen  konnte,  wo  er  Korbmachen,  Musik  und  Blindenschrift  lernte.  »Und  as 
ick  nah'ii  ganz  Jahr  wedder  nach  Bremen  kam,  harr  ich  fast  vergäten,  datt  mi  een 
Sinn,  de  Hauptsinn,  fehlde.  De  Arbeit  weer  miene  Trösterin  worrn,  siene  Föhlers 
weern  mi  wussen,  um  geheeme  Kräfte,  de  froher  in  mi  slapen  harrn,  de  ick  garnich 
kennt  harr,  de  weern  upwackt  un  hulpen  mi,  ut  eegen  Kraft  ok  in'n  Düstein  den 
Weg  dort  Leben  to  finnen  un   to  gähn.« 

Er  fing  ein  Korbmachergeschäft  an,  flocht  Kohlenkörbe  für  die  Bremer 
Schiftahrtsgesellscbaften  —  »wird  ober  teintusend  Stück«  —  verheiratete  sich  und 
bekam  fünf  Kinder.  Denen  pflegte  er  in  der  Schlummerstunde  »Geschichten  tu 
verteilen.  Meist  ut  mien  egen  Kinnerparadies  achtem  Diek.  Dar  meend  de  ollste 
Deern  mal',  ick  scholl  ehr  dat  doch  »diktieren,«  denn  woll  se  dat  upschrieben  un 
wir  woH'n  dat  drucken  laten  un'n  Barg  Geld  darmit  verdeenen.  Erst  lachte  ick  ähr 
ut,  denn  leet  ick  mi  de  Sacke  dörrn  Kopp  gähn  un  endlich  leet  ick  de  Deern 
schrieben.  Up  Flikens  un  in  ole  Schrietböker  is  u'p  de  Art  mien  eerstet  bescheiden 
lüttjet  Bok  »■  Achtern  Diek«  in  de  Welt  sett't  worrn.«  Auf  eigene  Rechnung  Dro- 
stes  gedruckt,  war  die  erste  Auflage  in  sechs  Wochen  vergriffen.  Ein  zweiter, 
dritter  und  vierter  Band  kleinerer  Geschichten  folgten  dem  ersten.  Dann  erschien 
Herausgeber:  ZeDtralverein  für  dai  östeireicbische  Blindenwesen  in  Wien.  Redaktionskomitee:  K.  Bürklen, 
J.  Rnei«,  A.  ▼.  Horvatb,  F.  Uhl.  —  Drock  Ton   Adolf  Engliich,  Purkersdorf  bei  Wien. 


1913  der  erste  >Ottjen  AUdag  un  sien  Kaperstreiche«  Roman,  dem  zwei  Jahre  später 
ein  zweiter  (Ottjen  AUdag  un  sien  Lehrtied«)  mit  demselben  Helden  folgte  und 
jetzt  ein  dritter  folgen  soll. 

Als  Blinder  schreibt  Georg  D  roste  seine  Bücher.  Aber  freilich,  ehe  er  blind 
wurde,  hat  er  zwanzig  Jahre  als  Sehender  unter  den  Menschen  und  in  der  Natur 
aelebt.  Die  ersten  schönsten  zwanzig  Jahre  des  Lebens.  Ihre  Eindrücke  vergißt  man 
nicht.  Vergißt  vollends  der  Blinde  nicht,  dem  durch  die  Augen  keine  neuen  Ein- 
drücke mehr  zugehen.  Gar  so  wunderbar  wie  manche  Kritiker  Drostes  es  finden 
wollen,  daß  der  Blinde  unsere  Welt  sieht  und  schildert,  ist  es  also  nicht.  Überhaupt 
kommt  es  ja  bei  schriftstellerischen  Werken  nicht  auf  die  Schwierigkeiten  an,  unter 
denen  sie  entstanden  sind,  sondern  auf  die  Werke  selbst.  Und  die  halten  bei 
Droste  auch  scharfem  Urteil  stand,  wofern  man  nicht  einen  zu  hohen  Maßstab 
anlegt.  Die  Vorkämpfer  für  niederdeutsches  Schrifttum  sind,  aus  ehrlichem  Eiler 
für  ihre  gute  Sache  heraus,  leicht  geneigt,  ihre  Schriftsteller  zu  hoch  einzuschätzen. 
Auch  in  Bezug  auf  Droste  macht  sich  dies  Bestreben  bemerklich.  Zu  Unrecht. 
Wenn  man  Droste  als  großen  Dichter  vorführt,  werden  prüfende  Leser  enttäuscht 
werden.  Stellt  man  ihn  aber  als  volkstümlichen,  humorvollen  Schriftsteller  vor,  so 
wird  jeder  sich  der  neuen  Bekanntschaft  freuen.  Er  hat  Menschen  und  Tiere,  er 
hat  auch  die  leblose  Natur  gut  beobachtet  und  weiß  seine  Beobachtungen  gut  vor- 
zutragen. Er  weiß  zu  charakterisieren  und  versteht  Stellung  zu  nehmen.  Er  ist  kein 
Witzemacher  und  kein  Anekdotenerzähler,  sondern  er  hat  ein  fröhliches  Herz  und 
kann  allem  im  Leben,  ohne  es  auf  die  leichte  Achsel  zu  nehmen,  die  heitere  Seite 
abgewinnen.  Er  schlägt  seine  Leser  nicht  nieder,  sondern  er  erhebt  sie.  Erhebt  lie 
doppelt,  wenn  sie  hinter  seinen  herzhaften  Geschichten  das  stille  Gesicht  des  blin- 
den Korbmachers  sehen.  Mit  einem  Wort:  er  ist  ein  echter  und  rechter  Volka- 
schriftsteller,  der  seinen  Platz  in  den  Ouickborn-Büchern  verdient. 

—  Augenschädigungen  durch  Tabak.  In  letzter  Zeit  häufen  sich,  wie 
Dr.  Erlangen  schreibt,  die  Fälle  von  Sehstörungen  bei  Rauchern.  Meistens  han- 
delt es  sich  um  Männer  vorgerückten  Alters,  die  von  dem  Leiden  befallen  werden. 
Gerade  jetzt  kommen  alle  Bedingungen  zusammen,  die  die  Entstehung  der  Sehstörung 
begünstigen:  Einschränkung  in  der  Ernährung,  seelische  Aufregungen  und  auch  zu- 
letzt Abnahme  der  Qualität  der  Tabakfabrikate.  Die  Sehstörung  setzt  ganz  allmäh- 
lich ein.  Zuerst  sieht  man  leichte  Nebel  vor  den  Augen,  die  man  vergeblich  wegzu- 
wischen versucht.  Die  Sehschärfe  sinkt  immer  weiter,  auf  ein  Zehntel  der  normalen 
und  darunter.  Werfen  wir  mit  dem  Augenspiegel  einen  Blick  in  das  Auge,  so  ent- 
decken wir  sonderbarerweise  keine  Veränderung  an  der  Hornhaut,  der  Linse,  dem 
Glaskörper,  auch  die  Netzhaut  und  die  Aderhaut  sowie  der  Sehnerv  an  seinem 
Eintritt  in  das  Auge  sind  von  normaler  Beschaffenheit.  Genaue  Untersuchungen  er- 
gaben dann,  daß  der  Sehnervenstamm  erkrankt,  und  zwar  leiden  gerade  die  emfind- 
lichsten  Fasern,  die  Stelle  des  schärfsten  Sehens  versorgen.  Der  Raucher  ist  sich 
in  den  seltensten  Fällen  dieser  Erscheinung  bewußt.  Der  Arzt  muß  dem  Raucher  so- 
fort das  Rauchen  verbieten  und  eine  Sehwitzkur  verordnen.  Dadurch  ist  manchmal 
Heilung  zu  erzielen.  Ist  aber  das  Leiden  schon  soweit  fortgeschritten,  dann  kann 
auch  der  Sehnerv  zum  Teil  entarten  und  schwinden. 

—  Ein  schönes  Testament.  Die  in  St.  Polten  verstorbene  Private 
Amalie  Wiesner  hat  zum  Universalerben  ihres  allerdings  recht  bescheidenen 
Vermögens  die  blinden  Soldaten  eingesetzt. 

Bücherschau. 

—  MarschnerDr.  R. :  DieFür sorge  fürKriegsblinde  in  Böhmen. 
(Prag,  1918,  Staatl.  Landeszentrale^  zur  Fürsorge  für  heimkehrende  Krieger.)  Der 
Bericht  befaßt  sich  mit  dem  Begriff"  und  der  Zahl  der  Kriegsblinden  von  dem  im 
Jahre  1917  in  Böhmen  144  gezählt  wurden  und  zeigt  die  Tätigkeit  des  Ausschusses 
für  Kriegsblindenfürsorge  inbezug  auf  Unterbringung,  Schulung  und  Versorgung  der 
gefühlslosen  Invaliden.  Wenngleich  der  Ausschuß  einer  Erweiterung  der  Erwerbs- 
möglichkeiten für  die  Kriegsblinden  unausgesetzt  sein  Augenmerk  zugewendet  und 
in  dieser  Richtung,  besonders  im  Jahre  1918  neue  Bahnen  einschlägt,  so  konnte 
während  des  Jahres  1917  doch  nur  als  Ziel  der  Versorgung  entweder  die  Erlangung 
einer  Tabaktrafik  oder  eines  Tabakhauptverlages,  die  Erwerbung  einer  Kriegsblin- 
denheimstätte, die  Entschuldung  oder  die  Sicherung  bereits  vorhandenen  Besitzes, 
die  Einrichtung  eines  Geschäftes  oder  die  Erlangung  eines  Kinematographen  in 
Betracht  gezogen  werden.  Die  Fondsverwaltung  wies  eine  enorme  Erweiterung  der 
Geschäftsagenden  aus.  Während  die  Gesamtausgaben  1915  nur  20.443  K  betrugen, 
stiegen  dieselben  1917  auf  254.655  K,  zu  deren  Deckung  zum  größten  Teil  das 
Vermögen  aus  dem  Vorjahre  herangezogen  werden  mußte.  Gegenwärtig  beträgt 
der  Vermögensstand  noch  478.664  K. 


Bürklen  Karl:  Das  Tastlesen  der  Blindenpunktsdirift. 

Nebst  Beiträgen  zur  Blindenpsychologie  von  P.  Grasemann- 
Hamburg,  L.   Cohn-Breslau,   W.  Steinberg,   VII,  93   Seiten 

mit  6  Abbildungen  im  Text  und  6  Tafein, 
Leipzig,  Barth,   1917    . M  5.— 


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Wien,  XVII.,  Hernaiser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im   vorschulpfliciitigen  Alter  aus  allen  österreichi- 
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Die  „Zentpalbibliotlieh  fp  Blinde  in  Osteppeicii". 

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verleiht  ihre  Bücher  kostenlos  an  alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

,,DIE  PURKERSDORFER" 

Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines;  Unterstützung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  tür  Blinde.  Erhaltung 
der  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


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Wien  VIII.,   Flofianigasse  Nr.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

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des  Blinden-Unterstützungsvereines 
»Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V., 
:  — :  Nikolsdorfergasse  Nr.  42.  :  — : 


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Blindendrucknoten    werden    an      j^l 
Blinde  unentgeltlich  verliehen  !      VkJ 


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von   Oskar  Picht. 
Bromfoerg. 


W.  Kraus,  Berlin  N  54. 

(Gegründet  1878,) 

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Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.   — 


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S  ch  r  i  f  1 1  e  i  t  u  n  g 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
kontoNr.132.257 


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Das  Blatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


Bezugspreis 
ganzjährig  mit 
Postzustellung 

6  Kronen, 
Einzelnummer 

50  Heller. 


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6.  Jahrgang. 


Wien,  Februar  1919. 


2.  Nummer. 


INHRLT:  O.  Wanecek:  Der  Blinde  in  der  Sage,  im  Märchen  und  in  der  Legende. 
Die  Eingliederung  der  Blinden  in  die  Rrbeitsgebiete  der  Sehenden.  R.M.Rilke: 
Die  Blinde.  Aus  den  Anstalten.  Aus  den  Vereinen.  Für  unsere  Kriegsblin- 
den.    Verschiedenes.     Bücherschau.     Altes  und   Neues.     (Ankündigungen). 


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3  Beitrittserklärungen    zunn    „Zentralverein    für  das  österreichische 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIII, 

g  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  3  K,  Zeitungsbeitrag  3  K.  5 

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Altes  und  Neues. 

Leseflüchte    aus  Tliomson:    Das   Gehirn   und  der  Mensch. 

—  Die  graue  Masse  der  Gehirnoberfläche,  mit  dem  technischen 
Ausdruck  Hirnrinde  genannt,  ist  der  letzte  Sitz  aller  mit  Gefühl  und 
Gedanken  verbundenen   Vorgänge. 

—  Das  Bewußtsein  des  Gesichts  oder  Gehörs  ist  nicht  im  Auge, 
bezw.  im  Ohr,  sondern  in  besonderen  Stellen  auf  der  Gehirnoberfläche. 

—  Krankheitsprozesse  ermöglichen  es,  den  Gehirnmechanismus  der 
Sprache  mit  aller  Genauigkeit  wohlüberlegter  Experimente  zu  analy- 
sieren. Nur  auf  diese  Weise  erfahren  wir,  daß  die  Sprache  von  zwei- 
facher Art  ist.  Die  erste  besteht  aus  Worten,  welche  zu  uns  kommen. 
Das  sind  Worte,  welche  durch  das  Ohr  kommen  und  dann  an  eine 
besondere  Stelle  in  der  sogenannten  ersten  Schlätenwindung  in  der 
Hörzone  der  Hirnrinde  gelien,  wo  sie  als  Worte  aufgenommen  werden, 
und  Worte,  welche  durch  das  Auge  beim  Lesen  zu  uns  kommen 
und  die  an  eine  ganz  andere  Stelle  gehen  als  die  Ohrworte,  nämlich 
in  der  sogenannten  Winkelwindung  in  der  Hirnrindensehsphäre,  welche 
sie  als  Worte  aufnimmt.  Wir  müssen  uns  daran  erinnern,  daß  keine 
Ähnlichkeit  irgendwelcher  Art  zwischen  dem  Klang  des  Wortes 
»Mensch«  z.  B.  und  dem  geschriebenen  Wort  »Mensch«  besteht,  denn 
Ton  und  Aussehen  sind  zwei  völlig  getrennte  Dinge;  also  haben 
gehörte  und  gesehene  Worte  beide  ihre  besonderen  Gehirnregister. 
Neuerdings  hat  sich  zweifellos  ein  drittes  mit  dem  Tast- 
sinn verbundenes  Wortregister  ergeben,  wodurch  die 
Blinden  befähigt  werden,  zu  lesen,  abersei  ne  besondere 
Stelle  ist  noch  nicht  bestimmt. 

—  Was  die  Ausbildung  und  Leitung  von  Gedanke  und  Gefühl 
angeht,  gewinnt  das  menschliche  Wesen  im  Unterschied  Von  den 
Tieren,  mehr  durch  den  zuleitenden  Kanal  des  Ohres  als  durch  den 
des  Auges. 

—  Es  ist  das  Ohr,  nicht  das  Auge,  welches  das  Herz  bewegt.  Wir 
sehen  gleichgültig  einen  Fisch  in  seinen  Todeszuckungen,  aber  wir 
können   Schmerzensschreie   nicht  ungerührt  hören. 

—  Wenn  wir  unsere  Ausrüstung  zu  geistiger  Ausbildung  einem 
Boot  vergleichen,  das  uns  über  das  Meer  des  Lebens  bringen  soll, 
könnten  die  großen  zuleitenden  Mechanismen  des  Auges  und  des 
Ohres  mit  dem  Rumpf  und  dem  Gerippe  verglichen  werden.  Kann 
die  Persönlichkeit  nun  den  vollkommenen  Schiffbruch  beider  über- 
leben und  weiterfahren,  wenn  sie  nichts  hat  als  den  Kiel,  sich  daran 
zu  klammern?  Die  Antwort  würde  mit  Sicherheit  nein  sein,  wenn 
die  Persönlichkeit  nicht  nur  in  ihrer  Entwicklung,  sondern  auch  nach 
ihrem  Ursprung  von  den  zuleitenden  Mechanismus  abhinge.  Wenn 
dagegen  der  Zuleiter  nur  insofern  mit  der  Persönlichkeit  zu  tun  hat, 
als  er  sie  unterrichtet,  wird  den  Verlust  des  Zuleiters  keine  andere 
Wirkung  auf  die  Persönlichkeit  haben,  als  die,  sie  in  Unwissenheit 
zu  lassen.  Die  Persönlichkeit  würde  dann  einfach  einem  zu  Einzelhaft 
Verurteilten  gleichen.  Und  wenn  das  so  wäre  und  irgendwelche 
Botschaft  könnte  sie  nur  auf  irgendeinem,  wenn  auch  noch  so  unge- 
wöhnlichen und  indirekten  Wege,  erreichen,  so  würde  die  Per- 
sönlichkeit so  vollständig  und  indiduell  wie  immer 
gefunden  werden. 


6.  Jahrgang. 


Wien,  Februar  1919. 


2.  Nummer. 


»Unserm  innern  Auge  strahlet 
Zwar  nicht  täuschend  Farbenspiel, 
Aber  Phantasie  uns  malet 
Ungeseh'nes  Schönes  viel,« 

'm,  ]■  W.   Klein  (Die  Blinden). 


Der  Blinde  in  der  Sage,  im  Märchen  und 
in  der  Legende. 

Von  Blindenlehrer  Ottokar  Wanecek,  Purkersdorf. 

Die  dichterische  Beachtung,  die  die  BHndheit  findet,  äußert  sich 
nicht  nur  in  der  mehr  oder  minder  glücklichen  Schilderung  des  alltäg- 
lichen Lebens  der  Lichtlosen.  Häufig  ist  es  das  wirklich  oder  vermeint- 
lich verwickelte  Seelenleben  solcher  Menschen,  was  den  Dichter  zum 
Schaffen  anreizt.  Nicht  zuletzt  wird  der  Blinde  rein  gefühlsmäßig  zu 
einem  Träger  tiefsinniger  Ideen  und  Symbole  gemacht.  Faust  erbhndet 
im  Besitz  der  höchsten  Weisheit,  während  in  Claudels  ,, Verkündigung" 
die  seelisch  geläuterte  Heldin  ebenso  auftritt. 

Dies  alles  ist  aber  nur  der  Ausdruck  des  in  der  Volksseele  tief 
wurzelnden  Empiiudens,  das  mit  der  äußeren  Abgeschlossenheit,  wie 
sie  die  toten  Augen  bringen,  ein  Erwachen  des  inneren  Auges,  ein  den 
andern  verschlossen  bleibendes  geistiges  Erkennen  gegeben  glaubt.  Darum 
ähnliche  INIotive  wie  die  oben  angedeuteten  dort,  wo  das  Volk  als 
Dichter  auftritt,  in  den  Sagen,  Märchen  und  Legenden;  darum  die 
vielen  Gestalten  in  den  frühesten  Erzählungen  aller  Völker  von  blinden 
Dichtern,  Sängern  und  Sehern.  Daß  dazu  die  Erfahrung  beigetragen, 
die  uns  ja  oft  im  Leben  Altersblinde  entgegengeführt  im  Besitze  einer 
Abgeklärtheit  und  Weisheit,  wie  das  Alter  es  oft,  nicht  nur  dem  Blinden, 
gibt,  ist  nicht  abzuweisen. 


Seite  1076.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  2.  Nummer. 

Das  uns  geläufigste  Urbild  dieser  Richtung  ist  Homer.  Doch 
kennt  die  griechische  Sagenwelt  noch  einige  andere  i)]inde  Sänger  und 
Seher.  So  D  e  m  o  d  o  k  o  s,  der  Barde  am  Hofe  A 1  c  i  n  o  u  s,  dem  die 
Musen  das  rnglück  seiner  Blindheit  durcli  di(^  Gabe  des  Gesanges  ver- 
galten. ^Odvsseus  wurde  durcli  seinen  Gesang  zu  Tränen  rührt. 
Von  Interesse  ist  die  Beschreibung  in  der  Odyssee  Seite  44 — 83,  nacli 
der  er  in  der  Mitte  des  Saales  sa(i  angelehnt  an  eine  Säule.  An  diese 
hatte  ein  Herohl  die  Leyer  des  Sängers  gelienkt.  Xe])en  ihm.  grilTnah. 
stand  der  Korb  mit  seinem  Ksseii.  ein  Tisch  imd  ein  Becher. 

Die  Geschichle  der  Erblinihmg  (h^s  Tiresias,  des  Solmes  der. 
Nymphe  Ghariklo  und  des  Kveres  wird  verschie<len  erzählt.  Nach 
Hesiod.  Apollodorus  1.  c,  Hyp.  fab.  75  und  Ant.  Liberal  c.  16  traf  er 
einmal  zwei  sich  begattende  Schlangen.  I*]r  schlug  zwi.schen  sie  mit 
seinem  Stabe  und  sah  sich  in  ein  Weib  verwandelt.  Als  er  später 
wieder  auf  die  Schlangen  traf  und  wieder  dazwischen  schlug,  wurde 
er  wieder  zum  Manne.  Als  nun  Juno  imd  ,luj)iter  einmal  miteinander 
stritten,  wer  bei  der  ehelichen  Umarmung  mehr  Vergnügen  empfände, 
ob  der  Mann  oder  das  Weib,  wurde  Tiresias  zum  Schiedsrichter 
bestimmt,  da  er  ja  beides  gewesen  war  und  es  so  am  besten  entschei- 
den konnte,  Er  sprach  dem  Manne  9  Tieile,  dem  Weibe  aber  nur  einen 
1  Teil  der  Empfindungen  zu.  Juno,  unwillig  über  diese  Feststellung, 
beraubte,  ihn  der  Augen.  Jupiter  aber  schenkte  ihm  zum  Ersatz  die 
Gabe  der  Weissagung.  Nach  anderem  Autoren  soll  Tiresias  Geheim- 
nisse der  Götter  den  Menschen  entdeckt  hal)en.  Nach  Pherecyd  ap. 
Apollodorus  I.  c  machte,  und  das  ist  die  bekannteste  Fassung  der  Sage, 
Pallas  ihn  blind,  weil  er  sie  einst  bei  seiner  Mutter,  ihrer  Freundin, 
nackt  gesehen  hatte.  Ghariklo  Hebte  die  Göttin  an,  doch  konnte  ihm 
diese  das  Gesicht  nicht  mehr  zurückgeben.  Sie  schärfte  aber  sein 
Gehör,  so  daß  er  die  Stimmen  der  Vögel  verstehen  konnte  und  gab  ihm 
die  Fähigkeit  in  die  Zukunft  zu  blicken.  Ein  ])lauer  Stab  diente  ihm 
statt  der  Augen.  Athene  hatte  ihm  denselben  verliehen.  Man  rühmte 
unter  anderem  namentlich  seine  Kenntnis  der  Sterne.  Von  seinem  Tode 
gehen  verschiedene  Sagen.  Nach  einigen  starb  er.  als  er  auf  der  Flucht 
aus  dem  zerstörten  Hieben  aus  dem  Brunnen  Tilyphosa  trank.  (Diod. 
Sicc.  IV.  69)  Nach  andern  win-de  er  gefangen  nach  Delphi  geschickt. 
p]r  erreichte  ein  hohes  Alter.  Er  soll  o,  6,  7,  ja  sogar  9  Generationen 
überlebt  haben.  Proserpina  bewilligte  auch  seinem  Schatten  die  Gabe 
der  Weissagung.  In  der  l^nterwelt  hat  er  dem  Odysseus  seine  Irrfahrten 
vorhergesagt.  Nach  Pind.  Nem.  I.  92  verkündigte  er  auch  dem  Amphy- 
tryo  die  Taten  des  Herkules. 

Die  keltische  Sage  erzähl!  von  Ossi  an.  dem  Sohne  eines  Königs 
Fingal  von  Alba  in  Hochschottland.  Der  Barde  lebte  im  3.  Jahrhundert 
und  soll  in  seinem  Alter  erblindet  sein. 

Auch  die  Göttermythen  des  germanischen  Nordens  enthalten  den 
Zug,  daß  Weisheit  mit  der  Blindheit  verbunden  sei.  Die  Edda  erzählt, 
das  Odhin.  der  weiseste  der  Äsen,  seine  Weisheit  erst  erhielt,  als  er, 
um  aus  dem  Quell  Miniirs  zu  Irinken,  eines  seiner  Augen  gab. 

Die  indischen  Vorvätergeschichten  erzählen  von  dem  König  Q  udra  ka, 
dem  eigentlichen  Begründer  des  indischen  Dramas.  Entgegen  früheren 
Annahmen  setzt  man  die  Blüte  der  mitttelalterlichen  Literatur  Indien», 


2.  Nummer.  Zcitschrilt  für  das  österreichische  Bliudcnwcscn,  Seite   1077. 

w\c  sie  (liii'ch  Kalidasa  verk<Jr})('rt  <>r,sclieiiü  um  öOO  n.  Cili.  an.  Daher 
müßte  Ciidraka  im  vorliergehendoii  Jahrhundert  .i^eU'ht  hnhen.  Üher 
seine  lUindheit  bericidet  das  Vorspiel  zu  seinem  Draiiui  Vasaiitasene, 
das  unter  allen  indischen  Dramen  vielleicht  am  ehesten  dem  modern 
gescliulten  Geiste  entsprechen  dürfte.  Dort  sagt  der  Schauspieldirektor; 
„Cludraka  war  es,  der  gepriesene,  der  hochweise,  der  tretHichste  der 
Brahmanen.  Durch  C'Jvas  Gnade  erhielt  er  die  Sehkraft  der  Augen 
wieder." 

Die  Vorstellung,  daß  die  verlorene  Sehkraft  wiedergegeben  werden 
köimte,  kehrt  in  Sagen,  Märchen  und  Legenden  immer  wieder.  Die 
indische  Sage  von  Sawitoi  erzählt:  „Es  war  einst  in  Calva  ein  ptlichl- 
treuer  Landesherr,  edlem  Kriegergesehlecht  entsprossen.  D  y  um atsena 
war  sein  iVame.  Später  aber  ward  er  blind.  Und  da  er  nun  also  beraubt 
seines  Augenlichtes  und  sein  Sohn  annoch  ein  kleiner  Knabe  war,  so 
ward  dem  weisen  Fürsten  l)ei  diesem  Leibesgebrechen  geraubt  das 
Reich  von  einem  nachbarlichen  alten  Feinde.  Da  zog  er  hinaus  zum 
Walde  mitsamt  der  Gattin,  der  Mutter  des  jungen  Söhnleins.  Und  er 
gelangte  zu  der  großen  Waldeinöde  und  lag  da  ob  mit  frommen  Sinne 
dem  Werke  der  Duße.  Sein  Sohn,  in  der  Stadt  geboren,  aufgewachsen 
im  Hüßerhain,  ist  Satyawant  ( Wahrnumtl).  Diesen  Wahrnmnd  erwählt 
nun  Sawitoi  zu  ihrem  (latten,  obwohl  er  einer  Weissagung  nach  nur 
ein  Lebensjahr  mehr  vor  sich  hat.  l^ei  der  Vermählung  sah  nun  Sawitoi 
sitzen  ..Djumalsena,  den  hochwürdigen  Mann  unter  einem  Calval)aum 
auf  einer  Matte  von  Gucagras,  den  des  Augenlichtes  beraubten  Fürsten."' 
An  dem  Tag,  der  der  letzte  Satyawants  werden  soll,  weilt  Sawitoi  mit 
dem  heißgeliebten  Gatten  im  Walde.  Als  nun  Yama,  der  Todesgott,  er- 
scheint, vermag  das  unglückliche  Weib  diesen  zu  rühren.  Allerdings 
gelingt  es  ihm  vorerst  nicht,  den  Gatten  loszubitten.  Wohl  aber  ver- 
langt sie  das  Augenlicht  des  Schwiegervaters,  indem  sie  fleht: 

„Mein  Scbwäher  zog  ztun   Hüßerhain, 
Da  Reich  und  Herrschaft  er  verloren. 
Blind  in  des  Waldes  Siedelein 
hat  er  sich  Einsamkeit  erkoren. 

i^egnade  ihn  zu  hellem  S(>lin. 
(iieb'  Herr,  das  Augenlicht  ihm  wieder, 
Dem  starken  Fürsten,  hör  mich  llehn! 
Dem  lioheitsstrahlenden  Gehieter." 

Yama  erhört  sie: 

„Schon  ist's  gewährt,  wie  du"s  gesprochen. 
iJas  Augendunkel  ist  gebrochen." 

Endlich  ringt  sie  dem  Todesgotte  auch  das  Leben  des  Gatten  ab. 
Dichterisch  hervorragend  schön  ist  die  Stelle,  da  der  aus  dem  Todes- 
schlaf erwach(;nde  Wahrnumd  (\(^^  blinden  Vaters  gedenkt: 

..Früher  schon  sprachen  bei  nächtlicher  Weile  vom  Lager  sich 
erhehend  in  schwerer  tiefer  Betrübnis  die  lieben  beiden  Meinigen: 

..Verlassen  von  dir,  werden  wir  nicht  eine  Stunde  mehr  h/ben, 
o  llei'zenssolin!  Solange  du  aber,  Sohn,  uns  erhalten  bleibst,  so  lange 
iiat's    mit  uns(^rem  Leben  keine  Gefahr.     Du    bist  das  Auge  der  beiden 


Seite  1078.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwescn.  2.  Nummer. 

alten  blinden  Leute.  Auf  dir  ruht  unser  Stammbaum  und  die  Ahnen- 
spende, die  Kunde  von  uns  nach  dem  Tode  und  unseres  Geschlechtes 
Fortdauer. 

Jetzt  aber.  ach.  zu  dieser  Stunde  fraget  mein  Vater,  der  hell- 
sehende Blinde  verworrenen  Sinnes  jeglichen  der  Einsiedler  nach  mir. 
Nein,  nicht  mich  selbst  beweine  ich  so,  wie  ich  den  Vater  beweine, 
o  Gute,  wie  auch  die  Mutter,  die  dem  Gatten  folget  auf  Schritt  und 
Tritt,  die  arme,  hinfällige  Frau.  Ja.  meinetwegen  werden  sie  beide 
Schmerzensqualen  erdulden. 

,,So  lang  die  beiden  leben,  leb  ich  nur  für  sie  und  spreche:  „Sie 
muß  ich  erhalten  und  ihnen  Liebes  muß  ich  erweisen,  den  blinden 
Meinigen."  Das  ist  meine  Denkungsart." 

Die  Sohnestreue  Wahrmunds  erinnert  an  die  des  jungen  Tobias, 
der  seinen  blinden  Vater  das  Augenlicht  wiederbringt. 

Die  Fähigkeit.  Blindheit  zu  heilen,  spricht  eine  weitverbreitete 
Sage  den  Kindern,  die  nach  des  Vaters  Tode  geboren  wurden,  zu.  Sie 
haben  die  Kraft,  die  Blindhäutclien,  so  auf  kranken  Augen  wachsen, 
drei  Freitage  nacheinander  abblasen  zu  kömien.  Einen  ähnlichen  Zug 
erzählt  die  Ghronik  Rikenmanns  von  den  Grafen  von  A  It-Rappers- 
wil:  ..und  so  reiner  leuth  warend's,  wenn  man  jhnen  ein  Kind  bracht, 
besorgt,  daß  es  stumm  oder  blind  werden  wolle,  und  sy  es  küsten,  so 
ward  es  grecht  und  gsund."  Auch  den  Grafen  von  Habsburg 
sagte  man  nach,  sie  könnten  stannnelnde  Kinder  durch  einen  Kuß 
heilen. 

Die  polnische  Sage  erzälilt  von  dem  Sohne  Zemomysls  Mieczko 
Als  dem  Herzog  der  Knabe  geboren  wurde,  sollte  der  (leburtstag  ein 
Tag  tiefer  Trauer  werden,  denn  das  Kind  war  blind.  1'rotzdem  wurde 
es  sorgfältig  erzogen.  Als  es  7  Jahre  alt  war.  ordnete  der  Herzog  zu 
seiner  Haarbeschneidung  ein  großes  Fest  an.  bei  dem  es  den  Namen 
Mieczko  erhielt.  Während  im  Schlosse  der  größte  Juliel  herrschte 
und  jeder  sich  ausgelassener  Freuile  hingab,  zog  sich  der  Herzog  zurück 
und  war  traurig,  da  er  des  l^nglückes  seines  Kindes  gedachte.  Da  er- 
scholl plötzlich  die  Kunde,  der  l)linde  Knabe  sei  sehend  geworden.  Die 
Nachricht  bestärkte  sich,  (he  Mutter  selbst  führte  den  sehenden  Knaben 
in  den  Saal.  Unermef^ich  war  die  Freude  der  Anwesenden,  die  Mutter 
wiu"de  von  tiefer  Kühruiig,  der  Vater  vom  heiligem  Ernst  ergrilfen:  die 
alten  Räte  deuteten  das  Wunder  dahiii.  daß  l»isher  im  Polenlande  die 
Nacht  und  Blindheit  geherrscht  habe  und  Mieczko  von  der  Vorsehung 
bestimmt  sei,  es  zu  erleuchten  und  zu  herrlichem  Glänze  empor  zu 
führen.  Mieczko  heiratete  die  Tochter  Boleslaws  des  Grausamen  von 
Böhmen  Dubrawka,  die  I)ereits  Christin  war.  Ihr  gelang  es.  Mieczko  zur 
Aunahme  der  Lehre  Christi  zu  bewegen.  So  erfüllte  sich  die  Weissa- 
gung, die. sich  an  das  Wurder  geknüpft  hatte.  (Siehe  ..Unser  deutsches 
Land  und  Volk."  Vlll.  Band.  Schlesien  und  }N)leu  von  Dr.  K.  Bur- 
mann.) 

Aus  Schlesien  ist  auch  folgende  Legende  zu  berichten:  Im  Dorfe 
Albendorf,  südöstlich  von  Wünsche! bürg,  steht  eine  ))rächtige  Kirche, 
die  zu  der  kleinen  Ansiedlung  in  keinem  richtigen  Verhältnis  steht. 
Einst    soll    an    ihrer  Stelle    eine  Linde  gestanden  haben,  unter  der  ein 


'2.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Hlindenwesen.  Seite  1079. 

1  Minder  oft  .sein  Gebet  vernchtete.  Nachclcfn  er  eine.s  Tages  sich  fülil- 
har  an  den  Raum  gestoßen  hatte,  betete  er  nochmals,  fühlte  plötzlich 
eine  Erschütterung  und  sah  mit  otfenen  Augen  da.s  Bild  der  Mutter- 
gottes. Dankbar  für  die  wunderbare  Heilung  errichtete  er  unter  der 
Linde  einen  steinernen  Altar,  der  die  Inschrift  1218  trug.  Im  Jahre 
1()23  wurde  dort  eine  Kirche  erbaut,  an  deren  Stelle  1720  die  jetzige 
trat,  zu  der  in  numchen  Jahren  gegen  80.000  Pilger  wandern,  um  Heilung 
von  allerlei  körperlichen  Gebrechen  zu  erflehen. 

In  Notkers  des  Stammlers  Geschichten  von  Karl  dem  Großen 
ist  eine  schöne  Legende  zu  lesen:  ,.So  verleumdeten  ihrer  (die  Römer) 
einige,  blind  vor  Neid,  den  Papst  Leo  heiliger  Gedächtnis  eines  Ver- 
gehens, darauf  der  Tod  stand,  und  versuchten,  ihn  zu  blenden.  Aber 
Gott  ließ  es  nicht  zu  und  schreckte  sie  so  zurück,  daß  sie  ihm  nicht 
die  Augen  ausreißen  konnten,  sondern  sie  ihm  imr  mit  Schermessern 
mitten  durchschnitten.  —  Danach  bat  der  Papst  den  unbesiegten  Karl 
nach  Rom  zu  kommen.  —  Die  Unschuld  des  seligen  Papstes  Leo  aber 
bewies  Gott,  der  Gesundheit  gibt  und  wiedergibt,  dadurch,  daß  er  ihm 
anstatt  der  grausam  weh  durchschnittenen  Augen  klarere  gab,  als  sie 
zuvor  gewesen  waren.  Nur  zierte  zum  Zeichen  seiner  Rechtschaffenheit 
eine  schöne  Narbe  seine  Taubenaugen  mit  weißen  Glänze  wie  ein 
Faden." 

Im  Grimmschen  Märchen  von  Rai)unzel  wird  der  Königssohn 
durch  einen  Sturz  vom  Turm  in  (mii  Dorngelnisch  blind.  Wie  er  dann 
Kapimzel  wiederfindet,  fallen  ihre  Tränen  auf  seine  Augen  und  machen 
ihn  wieder  sehend. 

Die  österr.  Volksmärchen  von  Kuthmayer  enthalten  die  G  e  s  c  h  i  c  b  I  e 
vom  Vogel  Phönix.  Hin  König  ist  blind.  Alle  erdenklichen  Mitteln 
haben  ihm  das  Augenlicht  nicht  wiedergeben  können.  Da  wird  ihm 
geweissagt,  daß  er  nur  dm'ch  den  Gesang  des  Vogels  Phönix  sehend 
werden  könne.  Da  schickt  der  Runde  seine  3  Söhne  aus,  einen  nach 
dem  andern.  Die  beiden  älteren  kommen  nicht  zurück.  Von  schönen 
Fräulein  werden  sie  in  einen  Palast  gelockt,  wo  sie  des  Auftrages  ver- 
gessen. Aber  auch  der  jüngste  Sohn  vermag  den  Auftrag  nicht  ohne 
weiteres  zu  lösen.  Er  verschafft  der  Seele  eines  Ermordeten  Ruhe,  indem 
er  dessen  Leib  begräbt.  Ein  Wolf  wird  sein  fernerer  Berater.  Aber  den 
Vogel  Phönix  ninnut  er  nicht  mit,  denn  er  kann  nicht  glauben,  daß  das 
Wundertier  so  armselig  aussehen  könne.  Nach  mannigfachen  Prüfungen 
l)efreit  er  eine  Prinzessin  und  erringt  nocbeinmal  den  Vogel  Phönix. 
Noch  ist  er  aber  nicht  am  Ziele.  Seine  Rrüder,  die  er  vom  Galgen 
befreit  hatte,  bringen  ihn  um.  Den  Vogel  aber  bringen  sie  dem  blinden 
Vater.  Das  Tier  will  aber  nicht  singen,  dem  König  kehrt  das  Augen- 
licht nicht  zurück.  Der  Wolf  aber,  in  dem  die  Seele  des  vom  jüngsten 
Sohn  bestatteten  Ermordeten  steckt,  erweckt  aber  jenen  wieder  zum 
Leben.  Rei  seiner  Heimkehr  singt  der  Vogel  Phönix  imd  im  nämlichen 
Augenblick  sieht  der  Vater  wieder. 

Öfter  kehrt  der  Gedanke  in  der  griechischen  Sage  wieder.  Mela- 
nippe,  eine  Tochter  des  Aeolus  fesselte  durch  ihre  Schönheit  den 
Xe]ttun,  der  bei  ihr  Erhörung  fand.  Als  ihr  Vater  die  Folgen  dieser 
Liebe  ])emerkte,  blendete  er  das  Mädchen  und  sperrte  es  in  enn  festes 
Schloß,  ihre  Kinder    aber  ließ  er  den  wilden  Tieren  vorwerten.     Diese 


Seile  1080.  Zeitschrift  für  das  östeneicliische  Hiin<fenweL^n.  2.  Nummer. 

schonten  ihrer  und  eine  Kuh  säugte  sie.  I^rwachsen  befreiten  sie  iiu'e 
Mutter,  die  von  Neptun  wieder    das  Augenlicht  erhielt.  (Hyg.  fah.  186). 

Im  vorliegenden  Falle  haben  wir  es  mit  einer  Strafblendung  zu 
tun,  wie  sie  in  Sagen  und  verwandten  Erzählungen  häufig  für  Vergehen 
gegen  die  Keuschheit  und  Götterfrevel  erscheinen  lassen.  So  finden  wir 
bei  Apollod.  I.  4.  3:  Arion  hatte  die  Tochter  Oenopions  Meroyn  ge- 
schwängert. Ihr  Vater  war  darüber  so  aufgebracht,  daß  er  dem  Orion 
die  Augen  ausstechen  und  ihn  aus  Chios  verjagen  ließ.  Doch  erhielt 
dieser  mit  Hülfe  der  Götter  die  Sehkraft  wieder. 

Die  Tragiker  und  nach  ihnen  Apollod.  III.  13.  8.  erzählen,  daß 
Phoenix,  ein  Sohn  des  Amyntor  und  der  Kleubule.  auf  Bitten  sein(n' 
Mutter  sich  der  Beischläferin  seines  \'aters.  Klytia  näherte.  Amyntor 
kam  dahinter  und  ließ  Phoenix  die  Augen  aiissteciien.  Von  seiner 
Blindheit  wurde  Phoenix  später  bei  Polens  durch  Chiron  befreit. 

Blind  wurde  auch  ein  Frevler  an  der  Opferwilligkeit  einer  reinen 
Frau.  Godiwa,  die  schöne,  junge  (remahlin  des  Grafen  Beofric  von 
Ghester  (gest.  1057).  Gründerin  eines  Klosters  zu  (bventry,  soll  nach 
einer  im  13.  Jahrhundert  auftretenden  Sage  diese  Stadt  von  einer  hohen 
Geldstrafe,  die  der  Graf  ihr  auferlegt  hatte,  dadurch  befreit  haben,  daß 
sie,  die  von  ihrem  Gemahl  gestellte  Bedingung  erfüllend,  nackt  durch 
die  Straßen  ritt.  Allen  Männern  soll  verboten  worden  sein,  sich  auf 
der  Straße  oder  an  den  Fenstern  blicken  zu  lassen.  Nur  einer  soll  seine 
Begierde  nach  diesem  Anblick  nicht  haben  unterdrücken  können.  Blen- 
dung war  sein  Lohn.  (Vergl.  das  Gedieht  Tennysons  und  Maeterlincks 
„Monna  Vanna.'') 

Unter  der  Strafblendung  für  Götterfrevel  sei  der  Sage  von  Plii- 
neus  dem  Sohn  Agenors  von  Phönizien,  erwähnt.  Fr  besaß  die  Gabe 
der  Weissagung.  Da  er  den  Menschen  Zukünftiges  voraussagte,  wurde 
er  von  den  erzürnten  Göttern  des  Augenlichtes  beraubt.  (Apolod.  I.  9. 
91.)  Nach  andern  Autoren  geschah  ihm  dies  von  Boreas  und  den  Ar- 
gonauten, weil  er  seine  eigenen  Kinder  auf  Verleumdung  ihrer  Stief- 
mutter hatte  blenden  lassen  oder  weil  er  den  Kindern  des  Phrixus  den 
Weg  aus  Kolchis  nach  Griechenland  gezeigt  hatte.  (Hesiod).  Die  Stief- 
mutter soll  nach  einer  weiteren  Fassung  die  Kinderblendungen  selbst 
vorgenommen  haben.  (Sophokles,  Antip.  985).  Das  Gesicht  erhielten  die 
Kinder  von  den  Boreaden  oder  von  Aeskulap  wieder.    (Fortsetzung  folj^t). 

Die  Eingliederung  der  Bünden  in  die  Arbeitsgebiete 
der  Sehenden. 

Die  Welt  mit  ihren  gesamten  Fiiu'ichtungen  ist  die  Welt  der 
Sehenden,  von  ihnen  geschaffen  und  beherrscht.  Die  Aufteilung  der 
Arbeit  baut  sich  auf  der  Erde  in  der  gleichen  Richtung  auf.  ist  gegliedert 
nach  den  körperlichen  und  geistigen  Fähigkeiten  seiner  vollsinnigen  he- 
wohner.  Jede  dieser  Berufsarten  umfaßt  ein  festumschriebeues  Ausmaß 
von  Tätigkeiten,  bei  welchen  der  Gesichtssinn  eine  notwendige  Voraus- 
setzung ist. 

Die  Berufstätigkeit  grenzt  sich  nach  der  besonderen  Eignung  Ein- 
zelner ab  und  so  entstanden  die  verschiedenen  Berufsarten  der  Arbeiten-, 
Handwerker.  Bauei-n.  Beamten  usw. 


1.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreicliisclie  Blin(Jeinvcsfn.  Seile   1081. 

Wir  linden  aiicli  keine  l^erufsarbeit.  bei  welcher  tia.s  Auge  nicht 
wenigstens  eine  leitende  und   kontrollierende  Arbeit  zu  verrichten  hätte. 

Als  sich  nun  mit  dem  Beginne  der  Blindenbildung  die  Notwendig- 
keil ergab,  Gesichtslosen  irgend  ein  Arbeitsfeld  zu  erschließen,  war  es 
unendlich  schwer,  für  dieselben  halbwegs  ent.sprechende  Berufsarten  zu 
linden.  Von  einigen  vereinzelten  Fällen  geleitet,  bei  denen  Blinde  sich 
beseits  in  diesem  oder  jenen  lierufe  versucht  hatten,  suchte  man  lange 
nach  brauch])aren  Beschäftigungen  und  fand  sie  endlich  in  einigen  solchen, 
wo  die  Mitarbeit  der  Augen  nicht  unumgänglich  notwendig  erschien, 
in  den  sogenannten  J^lindenhandwcrken  (Bürstenbinderei,  Korbflechterei, 
Seilerei),  im  Klavierstimmen  in  der  Ausübung  der  Musik  und  in  den  geistige 
Berufen  als  Sprachlehier.  Schriftsteller  und  Pädagogen.  Damit  schien 
bis  in  die  neueste  Zeit  die  Möglichkeit  der  Berufstätigkeiten  FJlinder 
erschöpft  und  selbst  in  diesen  hat  der  Blinde  gegenüber  den  Sehenden 
einen  äußerst  schweren  Stand,  denn  bei  aller  Tatkraft,  dem  festesten 
Willen  und  dem  größten  Fleiße  bleibt  er  durch  "die  Ausschaltung  des 
Gesichtssinnes  in  der  Leistungsfähigkeit  immer  minderwertig. 

Krst  den  unablässigen  Bemühungen  der  Gegenwart  ist  es  gelungen, 
den  bisherigen  engen  Berufskreis  der  Blinden  zu  durchbrechen.  Die 
mit  Blinden  angestellten  Ver.^uche  haben  erw^iesen,  daß  sie  auch  den 
bisherigen  Blindenarbeiten  fernstehende  Fabriksarbeit  zu  leisten  ver- 
mögen, die  Beschatfung  technischer  Hilfsmittel  gibt  die  Möglichkeit,  sie 
in  lUiros  zu  Ijeschäftigen  und  auch  die  geistigen  Berufstätigkeiten  in 
Schule  und  Amt  haben  sich  für  si(^  als  zugänglich  erwiesen.  Trotzdem 
begegnet  es  den  größten  Schwierigkeiten,  diese  Möglich- 
keiten praktisch  zu  gestalten.  Worin  liegt  eigentlich  die 
Ursache    dieser    hemmenden    Erscheinung? 

Betrachten  wir  sie  an  dem  Beispiele  eines  blinden  Fabriksarbeiters. 
In  jedem  Fabriksl)etriebe  ist  die  Arbeit  jedes  Einzelnen  bis  ins  Kleinste 
geregelt.  Sie  besteht  aus  einer  Suimne  von  Handgriffen,  von  denen  ein 
Teil  vollkommen  mechaniscli,  also  fast  ohne  Mithilfe  des  Auges  ge- 
leistet werden  kann,  während  ein  anderer  Teil  die  Kontrolle  des  Ge- 
sichtes erfordert.  Wird  nun  ein  Blinder  kurzweg  an  die  Stelle  eines 
sehenden  Arbeiters  gesetzt  unti  von  ihm  die  Übernahme  aller  vom 
Sehenden  geleisteten  Arbeit  verlangt,  so  muß  er  versagen,  denn  er  wird 
nur  jenen  Teil  von  dessen  Arbeit  erfüllen  können,  die  einen  Ausschluß 
des  Auges  gestattet.  Die  Berliner  Versuche  mit  Blinden  in  der  Fabriks- 
arl)eil*)  haben  dies  deutlich  gezeigt.  Der  Blinde  vermag  in  solchen 
Betrieben  Teilarbeit  zu  leisten  und  sich  in  dieser  auch 
lohnend  zu  betäligen.  einfach  an  die  Stelle  eines  sehen- 
den Arbeite r s  zu  t r e t e n  v e r m a g  er  nicht.  Es  müssen  ihm 
daher  verschiedene  llandgrilTe.  bei  denen  die  Mitwirkung  des  Auges 
unerläßlich  i.st.  von  Sehenden  abgenommen  werden.  Dadurcli  ist  eine 
neue  Arheitsverteilung  notwendig,  die  natürlich  in  einem  bis  ins  Kleinste 
geregelten  Betriebe  mit  den  größten  Schwierigkeiten  verlmnden  ist. 
Einem  oder  wenigen  l)linden  Arbeitern  zuliebe,  will  man  sich  den  Betrieb 
nicht  stören  lassen  und  eine  neue  Arbeitsverteilung  vornehmen. 
Dafür  i.st  der  F'abriksbesitzer  selten  zu  haben,  die  große  Masse  der 
sehenden  Arbeiter  fühlt  sich  durch  den  Blinden  zum  mindesten  irritiert 

*)  Niepel:  Arbeitsmöcflichkeiten  für  Blinde  (Berlin    1918). 


Seile   1082.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  2.  Nummer. 

und  auch  der  lieste  Wille  dem  Gesichtslo.seii  gegenüber  wird  erstickt 
von  der  Nodwendigkeit  hastenden  Stundenverdienstes.  Die  Folge  davon 
ist,  daß  sich  einzelne  blinde  Arbeiter  in  den  großen  Körper  der  sehen- 
den Arbeiter  nicht  einzuleben  vermögen. 

Die  gleichen  Umstände  bestehen  für  den  l^linden  Lehrer  und  Be- 
amten. Als  Klassenlehrer  kann  der  Blinde  nicht  einmal  in  einer  Blinden- 
anstalt verwendet  werden,  denn  die  Klassenarbeit  umfaßt  so  viele  Unter- 
richtsgegenstände, daß  der  Blinde  dieser  Gesamtleistung  nicht  gewachsen 
ist.  Einzelne  Unterrichtsgegenstände  können  dagegen  von  ihm  ebenso, 
wenn  nicht  besser  als  durch  eine  sehende  Lehrkraft  erteilt  werden. 
Man  denke  nur  an  den  Sprachunterricht  (mit  Ausschluß  des  Anschau- 
ungsunterrichtes), an  Lesen  und  Schreiben  der  Punktschrift,  Rechnen 
und  Gesang.  Darin  ist  seine  Leistung  vollkommen  gleichwertig.  Um  den 
blinden  Lehrer  nun  aber  die  Verwendung  auch  in  den  Unterklassen  zu 
ermöglichen,  müßte  daselbst  das  Klassensystem  fallen  und  das  Facii- 
system  eingeführt  werden.  Dagegen  sprechen  jedoch  nicht  nur  j)ädago- 
gische  Gründe,  sondern  auch  die  Mehrzahl  sehender  Lehrkräfte  und  die 
Zerreißung  des  Stundenplanes.  Wir  sehen  auch  hier  wieder  die  großen 
Schwierigkeiten,  einem  Blinden  zuliebe  einen  ganzen  Organismus,  der 
auf  die  Arl)eit  Sehender  gestellt  ist,  umzuwandeln  und  neu  einzurichten. 

Als  Beamter  findet  sich  der  Blinde  in  der  gleichen  Lage.  Tritt  er 
in  irgend  eine  Stelle,  so  wird  von  ihm  die  festumgrenzte  Arbeit  ver- 
langt, welche  sein  sehender  Vorgänger  leistete.  Kann  er  derselben  nicht 
in  ihrer  Gänze  nachkommen  —  und  dies  ist  ihm  ohne  die  Beihilfe 
Sehender  nicht  möglich  —  so  betrachtet  man  ihn  eben  als  unfähig  im 
allgemeinen  und  verzweifelt  an  seiner  Verwendungsfähigkeit. 

Wir  sehen  also  überall,  wo  die  Blinden  nach  einer  Erweiterung 
ihrer  Berufstätigkeiten  suchen,  die  gleiche  Erscheinung.  Ihre  Einglie- 
derung in  das  Arbeitsgebiet  der  Sehenden  bereitet  deshalb 
so  große  Schwierigkeiten,  weil  der  Blinde  nur  bestimmte 
Teilarbeiten  leisten  k a n n.  w e  1  c h e  in  d e n  A r b  e i t s b  e t r i  e b e n 
Sehender  eine  neue  Arbeitsverteilung  verlangen. 

Wird  diese  für  den  Blinden  notwendige  Arbeitsneueinteilung  in 
den  Betrieben  Sehender  in  der  Zukunft  erreicht  werden  können"?  Ein- 
zelfälle ausgenommen,  ist  daran  wohl  zu  zweifeln.  Eine  dauernde  Ein- 
gliederung Blinder  könnte  nur  dort  erreicht  werden,  wo  sich  ein  größerer 
Stock  blinder  Arbeiter  in  einem  Betriebe  Sehender  zusammenfinden 
würde.  Diese  Bedingung  wird  kaum  wo  anders  als  nur  in  großen  Städ- 
ten vorhanden  sein.  Hier  müßte  also  der  Versuch  in  erster  Linie  in 
Angriff  genommen  werden.  Da  taucht  nun  aber  die  Frage  auf:  Sind  an 
einem  Platze  genügend  blinde  Arbeitskräfte  für  irgend  ein  Arl)eitsgebiet 
vorhanden,  empfiehlt  es  sich  da  nicht  besser  für  diese  Blinden  eigene 
Betriebe  einzurichten  und  deren  Einrichtung  der  Leistungsfähigkeit 
Blinder  entsprechend  zu  organisieren V  Sicherlich!  Wir  kommen  damit 
zu  den  Bestrebungen  behufs  Errichtung  von  Bli  n  den  ar- 
beit sstätten  verschiedenster  Kategorie  (Bürstenbi  n  der- 
und Korbflechter  Werkstätten,  Maschinstrickereien  für 
blinde  Mädchen,  Bürostuben  für  blinde  Beamte  u.  s.  w.) 

In  solchen  Betrieben  wären  die  Blinden  vorherrschend  und  die 
uimmgänglich  notwendigen  sehenden  Hilfskräfte  hätten  sich  ihnen  anzu- 


1.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1083. 

pttsscn.  während  dies  Verhältni.s  in  den  Betrieben  der  Seilenden  ein 
umgekehrte.s,  daher  für  den  Blinden  ungünstiges  ist. 

Ehe  wir  also  eine  g  e  d  u  1  d  e  t  e  u  n  d  a  1  s  H  i  ii  d  e  r  n  i  s  e  m  - 
p fluiden e  Mitarbeit  Sehender  in  den  Betrieben  Sehender 
anstreben,  haben  wir  erst  die  Frage  der  selbstständigen 
B 1  i  n  d  e  n  b  e  t  r  i  e  b  e  zu  entscheiden  u  n  d  i  n  d  i  e  W  i  r  k  1  i  c  h  k  e  i  t 
umzusetzen.  Verfolgen  wir  a  1  s  o  v  o  r  a  1 1  e  m  d  i  e  E  n  t  w  i  c  k  1  u  n  g 
der  h i e z u  bereits  bestehenden  Ansätze  in  d e n  B 1  i n d e n- 
werkstätten,  erweitern  wir  dieselben  nach  den  verschie- 
densten Richtungen  u  n  d  in  a  c  h  e  n  wir  diese  Betriebe  1  e  i  - 
stungs-  und  ausbaufähig. 

Damit  wäre  der  großen  Masse  der  Blinden  gegenwärlig  am  besten 
gedient. 

Allerdings  bleibt  daneben  noch  die  Sorge  um  die  Erwerbsmög- 
lichkeit einzelner  Blinder  bestehen,  bei  denen  ein  Großbetrieb  nicht  in 
Frage  kommt.  Es  gilt  dies  hauptsächlich  für  die  Intelligenzberufe.  Wo 
ein  Blinder  in  diesen  Berufen  gemeinsam  mit  Sehenden  tätig  sein  soll 
muß  wohl  auf  die  Hilfsbereitschaft  und  das  Entgegenkommen  der  maß- 
gebenden Faktoren,  denen  die  Diensteseinteilung  obliegt,  wie  der  sehen- 
den Mitarbeiter  aufgebaut  werden,  so  bitter  dieser  Anruf  für  einen 
arbeitstüchtigen  Blinden  auch  sein  mag.  Auf  eine  andere  Art  ist  wenig- 
stens vorläufig  an  eine  Eingliederung  einzelner  Blinder  in  das  Arbeits- 
gebiet der  Sehenden  nicht  zu  denken. 

Die  Blinde. 

Von  Rainer  Maria  Rilke. 

Der  Fremde:  Du  bist  nicht  bang,  davon  zu  sprechen? 

Die  Blinde:     Nein. 

Es  ist  so  lerne.  Das  war  eine  andre. 

Die  damals  sah,  die  laut  und  schauend  lebte. 

die  starb. 

Der  Fremde:  Fnd  hatte  einen  schweren  Tod? 

Die  Blinde:     Sterben  ist  Grausamkeit  an  Ahnungslosen. 

Stark  muß  man  sein,  sogar  wenn  Fremdes  stirbt. 

Der  Fremde:  Sie  war  dir  fremd? 

Die  Blinde:     —  Oder  sie  ist's  geworden. 

Der  Tod  entfremdet  selbst  dem  Kind  die  Mutter.  — 

Doch  war  es  schrecklich  in  den  ersten  Tagen. 

Am  ganzen  Leibe  war  ich  wund.  Die  Welt, 

die  in  den  Dingen  blüht  und  reift, 

war  mit  den  Wurzeln  aus  mir  ausgerissen, 

mit  meinem  Herzen  (schien  mir),  und  ich  lag 

wie  aufgewühlte  Erde  offen  da  und  trank 

den  kalten  Kegcii  meiner  Tränen. 

der  au^'den  toten  Augen  iniaiifhörlich 

und  leise  strömte,  wie  aus  leeren  Himmeln. 

wenn  (lott  gestorben  ist,  die  Wolken  fallen. 


Seite  1084.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  1.  Nummer. 

•  Und  mein  Gehör  war  groß   und  allem  oH'en. 
Ich  hörte  Dinge,  die  nicht  hörbar  sind: 
die  Zeit,  die  über  meine  Haare  floß, 
die  Stille,  die  in  zarten  Gläsern  klang, 
und  fühlte:  nah  bei  meinen  Händen  ging 
der  Atem  einer  großen  weißen  Rose. 
Und  immer  wieder  dacht  ich:  Nacht  und  Nacht 
und  glaubte  einen  hellen  Streif  zu  sehn, 
der  wachsen  würde  wie  ein  Tag: 
und  glaubte  auf  den  Morgen  zuzugehn. 
der  längst  in  meinen  Händen  lag. 
Die  Mutter  weckt  ich,  wenn  der  Schlaf  mir  se-liwer 
hinunterfiel  vom  dunklen  Gesicht, 
der  Mutter  rief  ich:  ,.Du  komm  her! 
Mach  Licht!" 

Und  horchte.  Lange,  lange  blieb  es  still. 
und  meine  Kissen  fühlte  ich  versteinen,  — 
dann  war's,  als  seh  ich  etwas  scheinen: 
das  war  der  Mutter  wehes  Weinen, 
an  das  ich  iiicht  mehr  denken  will. 
Mach  Licht!  Mach  Licht!    Ich  schrie  es  oft  im  Traiun. 
Der  Kaum  ist  eingefallen.  Ninun  den  llaum 
mir  vom  Gesicht  und  von  der  Brust. 
Du  mußt  ihn  heben,  hochheben, 
mußt  ihn  wieder  den  Sternen  geben: 
ich  kann  nicht  leben  so.  mit  dem  Himmel  auf  mir. 
Aber  Sprech  ich  zu  dir  Mutter? 
Oder  zu  wem  denn?  Wer  ist  denn  dahinter? 
Wer  ist  denn  hinter  dem  Vorhang?  —  Winter? 
Mutter:  Sturm?  Mutter:  Nacht?  Sag! 
Oder:  Tag!  ....  Tag! 

Ohne  mich!     Wie  kann  es  denn  ohne  mich  Tag  sein? 
Fehl  ich  denn  nirgends? 
Fragt  denn  niemand  nach  mir? 
Sind  wir  d(Min  ganz  vergessen? 
Wir?  .  .  .  Aber  du  bist  ja  dort; 
du  hast  ja  noch  alles,  nicht? 
Um  dein  Gesicht  sind  noch  alle  Dinge  bemüht, 
ihm  wohlzutun. 
Wenn  deine  Augen  ruhn 
und  wenn  sie  noch  so  müd  waren, 
sie  können  wieder  steigen. 

Meine  schweigen. 

Meine  Blumen  werden  die  P'arbe  verlieren. 

Meine  Spiegel  werden  zufrieren. 

In  meinen  Büchern  werden  die  Zeilen  verwaschen. 

Meine  Vögel  werden  in  den  Gassen 

herumtlattern  und  sich  fremden  Fenslern  verwunden. 

Nichts  ist  mehr  jnit  mir  verbunden. 

Ich  bin  von  allen  verlassen.  — 


1.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  Österreichische  Blindenwesen.  Seite  1085. 

Der  Fremde:  Und  ich  bin  über  das  Meer  ^pkoniinen. 
Die  DUnde:      WieV  Auf  die  Insel?  .  .  .  Heroekoiinnen V 

Der  Freuule:  Ich  bin  noch  im   Kahne. 

Ich  habe  ihn  leise  angeleot.  — 
an  dich.  Kr  ist  bewegt: 
Seine  Fahne  weht  htndein. 

Die  Ulindc:     Ich  l)in  eine  Insel  und  allein. 
Ich  bin  reich.  — 

Zuerst,  als  die  alten  Wege  noch  waren 
in  meinen  Nerven  ausgefahren 
von  vielem  Gebrauch: 
da  litt  icli  auch. 

Alles  ging  mir  aus  dem  Herzen  fort, 
ich  wußte  erst  nicht  wohin; 
aber  dann  fand  ich  sie  alle  dort, 
alle  Gefühle,  das,  was  ich  bin, 
stand  versammelt  und  drängte  und  schrie 
an  den  vermauerten  Augen,  die  sich  nicht  rührten. 
Alle  meine  verführten  Gefühle  .  .  . 
Ich  weiß  nicht,  ob  sie  „Jahre  so  standen, 
aber  ich  weiß  von  den  Wochen, 
da  sie  alle  zurückkamen  gebrochen 
und  niemanden  erkannten. 
Dann  wuchs  der  Weg  zu  den  Augen  zu. 
Ich  weiß  ihn  nicht  mehr. 
Jetzt  geht  alles  in  mir  umher, 
sicher  und  sorglos;  wie  Genesende 
gehn  die  Gefühle,  genießend  das  Gehn, 
durch  meines  Leibes  dunkles  Haus. 
Einige  sind  Lesende 
über  Erinnerungen; 

aber  die  jungen 

sehn  alle  hinaus. 

Denn  wo  sie  hintreten  an  meinen  Rand, 

ist  mein  Gewand  von  Glas. 

Meine  Stirne  sieht,  meine  Hand  las 

Gedichte  in  anderen  Händen. 

Ich  muß  nichts  mehr  entbehren  jetzt, 

die  Farben  sind  übersetzt 

in  Geräusch  und  Geruch. 

Und  sie  klingen  unendlich  schön 

als  Töne. 

Was  soll  mir  ein  Buch"? 

In  den  Bäumen  blättert  der  Wind; 

und  ich  weiß,  was  dorten  für  Worte  smd 

und  wiederhole  sie  manchmal  leis. 

Und  der  Tod,  der  Augen  wie  Blumen  bricht, 

findet  mein  Auge  nicht  .  .  . 
Der  Fremde  (leise):  Ich  weiß. 


Seite  1086.  Zeitschrift  für  das  österreichisclie  Blindenwesen.  1.  Nummer. 

Aus  den  Anstalten. 

—  N.  ö.  L  a  n  d  e  s  -  B  I  i  n  d  e  n  a  n  s  t  a  1 1  in  P  u  r  Ic  e  r  s  d  o  r  f.  Ehrung.  Mit 
Ende  des  vergangenen  Schuljahres  beschloß  der  Direktor  dieser  Anstalt,  Herr  Karl 
Hürklen,  das  30-  Jahr  seiner  Tätigkeit  als  Lehrer.  Eine  öffentliche  Ehrung  für 
diesen  verdienstvollen  Fachmann  und  Organisator  der  Blindenfürsorge  hat  die  staat- 
liche Umwälzung  unmöglich  gemacht.  Nichtsdestoweniger  wollte  der  Lehrkörper 
doch  seiner  Verehrung  Ausdruck  geben.  Den  Anlaß  hiezu  bot  der  Namenstag  Direktor 
Bürklens  am  28.  Jänner  1.  J.  Lehrer,  Zöglinge  und  sämtliche  Bedienstete  ver- 
einigten sich.  Hauptlehrer  Kneis  hielt  eine  Ansprache,  in  dei-  er  ausführte,  in  wel- 
cher Weise  der  Gefeierte  das  Ansehen  der  Anstalt  gehoben  hat  und  was  sein 
Name  in  den  weitesten  Kreisen  der  Faehleute  und  Blinden  bedeutet.  Als  äußeres 
Zeichen  der  Anerkennung  seiner  Verdienste  wurde  in  dem  Dienstraum  der  Lehr- 
personen, das  von  ihnen  gespendete  Bild  ihres  Führer  gehängt.  Was  ein  Zögling 
sagte,  wird  seinen  Widerhall  an  vielen  Stellen  iinden,  daß  nähmlich  Direktor  Bürk- 
len  noch  lange  mit  dem  Wert  seiner  Persönlichkeit  und  der  lauteren  Tatkraft  seines 
Wollens  wirken  könne  zum  Besten  aller  Blinden.  W. 

—  Landes-Blindenheim  in  Salzburg.  Bericht  über  die  Jahre  1916 
und  1917.  In  dieses  Heim  wurden  aufgenommen:  31  Kriegsblinde,  7  interne  und 
4  externe  Zivilblinde,  entlassen  13  Kriegsblinde  und  3  externe  Zivilblinde.  Der  Stand 
Ende  1917  war  17  Kriegsblinde,  6  interne  und  1  externer  Zivilblinder.  Während  die 
Zivilblinden  sämtlich  aus  dem  Lande  Salzburg  waren,  besaßen  die  Kriegsblinden 
folgende  Heimatszuständigkeit:  Salzburg  5,  Oberösterreich  8,  Tirol  15,  Böhmen  1, 
Galizien  2.  Als  ehemaliger  Beruf  werden  aufgezählt:  Landwirtschaftliche  Arbeiter  13, 
gewerbliche  Arbeiter  9,  Hilfsarbeiter  7,  Bankpraktikant  1,  Hörer  der  Rechte  1. 
Ausgebildet  wurden  Kriegs-  und  Zivilblinde  im  Lesen  und  Schreiben  der  Punkt- 
schrift 36  (27  in  Vollschrift,  9  auch  in  Kurzschrift),  im  Maschinschreiben  10,  im 
Klavierspiel  7,  im  Violinspiel  1,  in  Zitherspiel  4,  im  Klavierstimmen  2,  im  Bürsten- 
binden 17,  im  Korbflechten  14,  im  Sesselflechten  4.  Die  Ausbildungszeit  im  Punkt- 
schriftlesen und  -schreiben  dauerte  durchschnittlich  4  bis  6  Monate,  im  Maschin- 
schreiben 5  Monate,  im  Klavierstimmen  10  Monate,  im  Bürstenbinden  12  bis  14  Mo- 
nate, im  Korbflechten  18  bis  24  Monate,  im  Sesselfiechten  1  bis  2  Monate.  Die  Für- 
sorgetätigkeit des  Heimes  erstreckte  sich  auf  die  Ausstattung  mit  Kleidern,  Wäsche, 
Wohnungs-  und  Werkstätteneinrichtungen  sowie  Lieferung  von  Arbeitsmaterial  zum 
Selbstkostenpreise.  5  Kriegsblinde  erhielten  Heimstätten,  während  den  anderen  der 
Betrag  von  8000  K  für  den  späteren  Ankauf  reserviert  wurde. 

Als  Direktor  des  Heimes  fungiert  Regierungsrat  Dr.  K.  Gampp,  als  Leiter 
F.  Geiger.  In  der  Unterweisung  waren  tätig  F.  Gärtner  als  Werkmeister  für 
Korb-  und  Sesselflechterei.  M.  Schwarzenberger  (blind)  als  Werkmeister  für 
Bürstenbinderei,  Mizzi  Cumpl  (blind)  als  Musiklehrerin. 

—  Mähr. -schles.  Landes-Blindenanstalt  in  Brunn.  Der  bisherige 
Lehrer  dieser  Anstalt  Herr  Anton  Spicka  wurde  ab  1.  Februar  zum  provisorischen 
Leiter  der  Anstalt  ernannt. 

flus  den  Vereinen. 

—  Humanitärer  Blindenverein  >Lindenbund«  in  Wien  XX 
Über  die  Tätigkeit  des  Vereines  muß  in  kurzen  Zügen  berichtet  werden,  daß  die 
Geschäfte  in  einer  Generalversammlung  und  10  Sitzungen  erledigt  wurden.  Neubei- 
getreten sind  dem  Vereine  36  Erblindete,  durch  Tod  abgegangen  sind  5,  demzufolge 
zählt  der  Mitgliederstand  20  weibliche  und  54  männliche  Erblindete;  die  Zah!  unserer 
Gönner  ist  auf  1381  gestiegen.  An  Unterstützungen  wurde  in  181  Fällen  ein  Betrag 
von  K  5560.—  verausgabt;  das  Zinsenerträgnis  des  Hilfsfonds  für  erblindete  Krieger 
wurde  mit  einem  kleinen  Vereinszuschuß  im  Gesamtbetrag  von  K  510. —  an  13  Pe- 
tenten verteilt. 

Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Rohstoffeinkaufsstelle  für  kriegsblinde  Handwerker  in 
Wien.  Mit  der  Leitung  derselben  wurde  Herr  Anton  Strobl,  Rechnungsrat  im 
Deutschösterreichischen  Staatsamte  für  soziale  Fürsorge,  betraut.  Alle  für  die  Ein- 
kaufsstelle bestimmten  Zuschriften  und  Geldsendungen  sind  daher  an  dessen  Woh- 
nungsadresse, Wien,  XIII.,  Guldengasse  6,  zu  richten. 

Herausgeber:    ZeDtralverein   für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     Redaktionskomitee:   K.   Biirklen, 
J.  Kneis,  A.  t.  HorTsth,  F.  Uhl.  —  Drnck  tod   Adolf  Englisch,' Purkersdorf  bei  Wien. 


Verschiedenes. 

—  Die  Blinden  bei  den  Wahlen.  Das  Veihältniswahlrecht,  das  bei 
sämtlichen  Wahlen  für  Nationalversammluncj,  Landesveisammiung  und  Gemeinde- 
vfertretangen  in  Deutschösteneich  zur  Anwendung  kommt,  bringt  ein  etwas  um- 
ständliches Wahlverfahren  mit  sich.  Es  ist  dabei  für  den  Blinden  Folgendes  zu  beachten: 

Jeder  Blinde,  der  am  1.  Jänner  1919  zwanzig  Jahre  alt  war,  ist  berechtigt, 
seine  Stimme  abzugeben. 

Jeder  Blinde,  der  am  I.Jänner  1919  das  neunundzwanzigste  Lebensjahr  über- 
schritten hat,  kann  als  Abgeordneter  oder  Gemeindevertreter  gewählt  werden. 

Vom  Walilrechte  und  von  der  Wahlarbeit  sind  nur  ausgeschlossen;  entmün- 
digte, wegen  Verbrechen  abgestrafte,  unter  Polizeiaufsicht  stehende  und  in  einer 
Zwangsarbuitsanstalt  befindliche  Personen. 

Der  Genuß  einer  Ärmenunterstützung  schließt  vom  Wahlrechte  nicht  aus. 

Die  Abstimmung  geschieht  mittelst  geschriebener  oder  gedruckter  Stimm- 
zetteln. Der  Blinde  bediene  sich  vorgedruckter  nicht  geschriebener  Stimmzettel. 
Diese  sind  bei  der  Partei  zu  haben,  welcher  der  Blinde  angehört  und  liegen  auch 
in  der  Wahlzelle  auf.  Auf  einem  solchen  Stimmzettel  ist  durch  einem  Haken  (mit 
Bleistift;  die  Partei  zu  bezeichnen,  deren  Kandidaten  man  wühlen  will.  Bezeichnet  man 
mehrere  Parteien  oder  Personen  verschiedener  Parteien,  so  ist  der  Stimmzettel  un- 
gültig. Die  Unterschrift  des  Wählers  ist  nicht  notwendig,  ja  sogar  unstatthaft. 

Die  Wahl  vollzieht  sich  im  amtlichen  Wahllokal.  Blinde  und  Bresthafte  können 
sich  von  einer  Begleitperson  führen  und  diese  für  sich  abstimmen  lassen. 

Der  Wähler  (der  Blinde  gemeinsam  mit  seinen  Führer),  tritt  vor  die  Wahl- 
behörde, nennt  seinen  Namen,  bezeichnet  seine  Wohnung,  legt  eine  Urkunde  oder 
eine  sonstige  amtliche  Bescheinigung  vor,  aus  der  seine  Staatszugehörigkeit  und 
Personenstand  ersichtlich  ist  (Taufschein,  Heimatschein  oder  sonst  ein  Dokument) 
und  erhält  darauf  das  undurchsichtige  Wahlkuvert  und  auf  Verlangen  einen  Stimmzettel. 

Der  Wähler  (der  Blinde  mit  dem  Begleiter)  hat  sich  hierauf  in  die  Wahlzelle 
zu  begeben,  den  gezeichneten  (eingehakten)  Stimmzettel  in  das  Kuvert  zu  legen  und 
tritt  dann  aus  der  Zelle  und  übergibt  das  Kuvert  geschlossen  dem  Wahlleiter. 

Damit  hat  der  Blinde  seine  Wahlpflicht  erfüllt.  Als  Führer  wähle  der  Blinde 
nur  eine  ihm  bekannte  und  vertrauenswürdige  Person,  auf  die  er  sich  verlassen  kann. 

Bücherschau. 

—  ßielschowsky,  Dr.  A.:  Beiträge  zum  Blindenbildungswesen. 
(Berlin,  1918,  J.  Springer).  Der  Direktor  der  Blinden-Studienanstalt  in  Marburg 
a.  d.  I..  liefert  uns  darin  einen  Bericht  über  Entwicklung  und  Tätigkeit  der  Hoch- 
schulbüchererei.  Studienanstalt  und  Beratungsstelle  für  blinde  Akademiker  und  der 
damit  geleisteten  hervorragenden  Arbeit  auf  dem  Gebiete  geistiger  Betätigung  Blinder. 
Die  ersten  fünf  zur  Maturitätsprüfung  vorbereiteten  Kriegsblinden  haben  die  Prüfung 
bestanden.  Als  wertvolle  Aufsätze  des  Heftes  sind  zu  nennen:  »Angebliche  und  tat- 
sächliche Verbesserungen  in  technischen  Fragen  des  Blindenbildungswesens« 
(Strehl)  »Die  Berufsfragen  des  blinden  Akademikers«  (P  i  n  ker  n  e  i  1),  »Die  recht- 
liche Stellung  der  Blinden  nach  dem  Bürgerlichen  Gesetzbuch«  (Grah). 

Mitteilung. 

—  Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen  in 
Wien.  Die  p.  t,  Ausschußmitglieder  werden  zu  der  am  Donnerstag,  deu  13.  Fe- 
bruar 1919,  4  Uhr,  in  der  Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  für  erwachsene 
Blinde  in  Wien  VIII,  Josefstädterstraße  80  stattfindenden  A  usschußsitzung  höf- 
lichst eingeladen.  Tagesordnung:  Bericht  über  die  Schaffung  einer  Blindenfürsorge- 
kommission im  Staatsamt  für  soziale  Fürsorge. 


fln  die  Mitglieder  des  „Zentralvereines"  und  die  Abnehmer  unserer 
„Zeitschrift".  Es  wird  nochmals  zur  gefälligen  Kenntnisnahme  gebracht,  daß 
sich  ab  1.  Jänner  I.  J.  der  Mitgliedsbeitrag  (einschließlich  des  Bezuges  der 
„Zeltschrift")  sowie  der  Bezugspreis  der  „Zeitschrift"  auf  6  K  erhöht  hat. 
(Beschluß  der  Generalversammlung  vom  1.  Oktober  1918).  Wir  bitten  daher  die 
Obgenannten,  die  Einzahlung  dieses  Betrages  rechtzeitig  vornehmen  zu  wollen. 


österreichische  Slixdenzeitung 

Erscheint  monatlich  einmal.  : : :  Bezugspreis  jährlich  6  K. 


Verlag:  1.  Österr.  Blfndenverein,  Wien  VlII,  Florianiegasse  41. 

Die  »Österreichische  Blindenzeitung«,  hergestellt  nach  dem  vom  Dozenten  Dr.  Max 
Herz  erfundenen  Massedruck  der  Blinden-Punktschrift,  will  auf  humanitärer  Grund- 
lage fußend,  den  Blinden  geistig  fördernden  und  unterhaltenden  Inhalt  bieten. 
fllle  Blindenfreunde  werden  um  Unterstützung  dieser  Bestrebungen  gebeten. 

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nimmt  blinde  Kinder  im  vorscliulpfiichtigen   Alter  aus  allen  österreichi- 
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Zweck  des  Vereines:  Uiiterstützuiii;  blinder  Mit- 
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der  Musikalien-LeihUibliotliek.  Telephon  10.071. 


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Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


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Schriftleitung 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Nr.132.257 


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Das  Blatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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Bezugspreis 
ganzjährig  mit 
Postzustellung 

6  Kronen, 
Einzelnummer 

50  Heller. 


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6.  Jahrgang. 


Wien,  März  1919. 


3.  Nummer. 


IMHHLT:  fl.  Krtsmary,  Purkersdorf:  Offener  Brief  an  die  Musiklehrer  der  Blinden- 
anstalten und  an  alle  blinden  Musiker  der  deutschösterreichischen  Republik. 
O.  Wanecek,  Purkersdorf:  Der  Blinde  in  der  Sage,  im  Märchen  und  in  der 
Legende  (Fortsetzung).  R.  v.  Chlumetzky,  Brunn:  Blindenwesen  und  Blinden- 
fürsorge in  Holland.     Verschiedenes.     Altes  und  Neues.     (Ankündigungen). 


D 


3  Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIII, 
i]  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  3  K,  Zeitungsbeitrag  3  K.  g 
3m wH 


flites  und  Meues. 

Die  mimischen  Erscheinungen  beim  horchenden 
Blinden.  Als  auftallendste  Ausdruckbewegungen  beim  Blinden  er^ 
scheinen  wohl  die,  welche  sich  in  seiner  Körper-  und  Kopfhaltung 
sowie  in  seinem  Gesichte  beim  aufmerksamen  Zuhören  oder  Horchen 
ausprägen.  Er  wendet  dabei  dem  Schallgeräusch  eines  seiner  Ohren 
zu,  der  Mund  öffnet  sich,  die  Nasenflügel  erscheinen  gespannt,  die 
Atmung  ist  unterbrochen  oder  wenigstens  herabgesetzt.  Alle  seine 
noch  intakten  Sinnespforten  sind  gleichmäßig  für  die  Aufnahme  der 
Reize  in   ihrer  jeweiligen  Art  der  Bereitschaft  geöffnet. 

Sind  diese  mimischen  Ausdrucksbewegungen  etwas  besonderes, 
nur  ihm  eigenes.?*  Durchaus  nicht,  denn  wir  finden  sie  gleicherweise  beim 
Sehenden,  wenn  sie  beim  Blinden  durch  das  Fehlen  des  Gesichts  auch 
stärker  in  Erscheinung  treten.  Über  die  Ursachen  derselben  finden 
wir  in  dem  Buche  > Grundformen  der  Mimik  des  Antlitzes«  von  Dr. 
H.   Heller  (Wien   1902,)  folgendes: 

»Für  das  Horchen  ist  im  allgemeinen  das  Einstellen  des  Schall- 
trichters durch  die  ganze  Kopf-  und  Körperhaltung  und  das  sorgsame 
Vermeiden  von  gleichzeitigen,  etwa  am  eigenen  Körper  auftretenden 
Geräuschen,  das  Anhalten  in  einer  Bewegung,  das  Innehalten  in  der 
Rede  und  Aussetzen  mit  eben  betriebenen  Hantierungen  charakteristisch. 

Aber  wer  aufmerksam  horcht  —  sagt  Piderit  — ,  wer  auf  ein  un- 
deutliches Geräusch  lauscht,  öffnet  auch  meistens  den  Mund,  um  die 
Schalleindrücke  nicht  allein  durch  das  Ohr,  sondern  auch  durch  den 
Mund  aufzunehmen  und  auf  sich  einwirken  zu  lassen.  Dabei  läßt  man 
die  Unterkinnlade  schlaff  heruntersinken,  so  daß  in  der  Profillinie  des 
Gesichtes  die  Unterlippe  merklich  gegen   die  Oberlippe  zurücktritt. 

Für  die  ursächliche  Erklärung  dieses  Mundöffnens  beim  Horchen 
scheinen  mehrere  physiologische  Tatsachen  wertvoll.  Erstens  gewährt 
die  geöffnete  Mundhöhlung  einer  Reihe  von  Schallwellen,  die  nicht 
vom  Schalltrichter  des  äußeren  Ohres  aufgefangen  wurden,  insoferne 
dennoch  Zugang,  als  sich  die  Schädelknochen  des  Rachengewölbes 
mehr  oder  weniger  schalleitend  erweisen.  Zweitens  schaltet  die  Er- 
schlaffung der  Kiefermuskel  eine  Reihe  störender  Nervenimpulse  aus 
und  dieses  Abspannen  der  starken  Kiefermuskulatur  vermeidet  auch 
verschiedene,  mit  der  Abspannung  immerhin  einhergehende  Geräusche 
und  Erschütterungen  der  Muskeln  und  des  Gebisses.  Endlich  verhindert 
die  Erschlaffung  die  mit  jeder  Muskelkontraktion  für  die  Umgebung 
verbundene  Blutstauung,  die  im  nachbarlichen  Gehörorgane  ebenfalls 
erfahrungsgemäß  die  Empfindungsfähigkeit  herabsetzt.  Drittens  setzt 
man  im  Augenblicke  des  Horchens  meist  mit  der  Atmung  aus.  Hiedurch 
vermeidet  man  sowohl  die  oft  störenden  Atmungsgeräusche,  als  auch 
häufig  ein  Knistern  oder  Rascheln  der  Wäsche  und  des  Kleides.  Da 
aber  die  Nasenatmung  besonders  durch  die  Resonanz  der  geschlossenen 
Mundhöhle  des  Menschen  störend  wirkt,  so  erfolgt  gewöhnlich  zu  Be- 
ginn des  Horchens  meist  noch  schnell  ein  ausgiebiges,  einer  etwa  später 
auftretenden  Atemnot  vorbeugendes  Einatmen  durch  den  Mund.  Be- 
merkenswert ist  weiters,  daß  man  mit  dem  Ausatmen  wartet.  Es  scheint 
nun,  daß  auch  hier  wieder  u.  a.  dem  infolge  der  Exspiration  gesteigerten 
Blutdrucke  des  Kopfes  in  unbewußter  Weise  ausgewichen  wird. 


6.  Jahrgang.  Wien,  März  1919.  3.  Numnner. 


^ 


Blind  im  Käfigwall  ^ 

Fühlt  die  Nachtigall  i 

ü  Den  Akkord  des  Lichts;  ^ 

H  Und  ihr  wird's  zum  Schall,  ^ 

^  Und  den  Kerker  bricht's,  ^ 

S  Fr.  Rücken.  g 


Offener   Brief    an    die    Musiklehrer 

der  Blindenanstalten  und  an  alle  blinden  Musiker  der 
deutsch-österreichischen  Republik. 

Hochgeschätzte  Kollegen,  liebwerte  Schicksalsgenossen!  Die  Zeit 
in  der  wir  uns  befinden,  ist  eine  Zeit  des  Übergangs,  eine  Zeit  lebhaf- 
tester Bewegung  und  Gährung.  Wichtige  Fragen  wollen  beantwortet  sein, 
schwierige  Probleme  müssen  gelöst  werden.  Der  Entwicklungsprozeß 
hat  ein  beschleunigtes  Tempo  angenommen  und  auf  allen  Gebieten 
geistiger  und  materieller  Tätigkeit  drängen  und  treiben  frei  gewordene 
Kräfte  auf  neuen  Bahnen,  neuen  Zielen  zu.  Durch  alle  Zweige  streicht 
ein  frischer  Frühlingshauch  und  die  jungansetzenden  Triebe  und  Knos- 
pen verheißen  reichen  Segen  an  Blüte  und  Frucht. 

Auch  das  Blindenwesen  soll,  wie  die  Leser  der  „Zeitschrift"  wissen, 
vollständig  neu  organisiert  werden.  Üb  und  wieweit  hiebei  auch  die 
Musik  berücksichtigt  werden  soll,  konnte  ich  noch  nicht  erkunden; 
Anzeichen  hievon  habe  ich  bis  jetzt  nicht  bemerken  können  und  fast 
möchte  ich  besorgen,  es  würde  im  Bereiche  des  Musikunterrichtes 
alles  beim  Alten  bleiben.  Das  sollte  nun  nicht  geschehen.  „Aber"  höre 
ich  den  Laien,  der  diese  Zeilen  liest,  einwenden,  „ist  denn  der  Musik- 
unterricht an  den  Blindenanstalten  überhaupt  reformbedürftig?  Nimmt 
er  in  deren  Lehrplan  nicht  ohnedies   einen  breiten  Raum  ein?    Finden 


Seite  1092.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  3.  Nummer. 

denn  nicht  viele  Blinde  gerade  durch  die  Musik  ihren  Lebensunterhalt 
und  eine  geachtete  Stellung?"  Gewiß,  alles  richtig;  aber  ebenso  richtig 
ist  es,  daß  der  Musikunterricht  an  Blindenanstalten  in  manchem  Belange 
verbesserungsbedürftig  und  verbesserungsfähig  ist.  Ich  will  mich  hier 
nicht  zuviel  in  Einzelheiten  verlieren,  sondern  deren  nähere  Ausführung 
einem  späteren  Zeitpunkte  vorbehalten;  aber  eines  muß  doch  gesagt 
werden,  es  fehlt  uns  die  Einheitlichkeit  des  rnterrichtsvorgangs  und 
der  Unterrichtsgrundsätze.  Ich  weiß  sehr  genau,  daß  diese  Einheitlichkeit 
nicht  leicht  zu  erzielen  ist,  denn  die  Arbeitsbedingungen  und  die  Arbeits- 
möglichkeiten sind  an  den  verschiedenen  Anstalten  nicht  die  gleichen; 
immerhin  lassen  sich  einheitliche  Gesichtspunkte  ausfindig  machen  und 
feststellen.  —  Es  gibt  aber  einen  ganzen  Komplex  von  Fragen,  der  bis 
jetzt  noch  keine  übereinstimmende  Antwort  gefunden  hat,  Fragen,  die 
also  noch  immer  offen  zur  Diskussion  stehen,  Fragen,  die  nicht  nach 
richtigor  Erkenntnis  und  aus  innerer  Notwendigkeit  sondern  fallweise, 
nach  äußerlichen  Momenten  und  zufälligen  Umständen,  bald  so,  bald 
anders  hier  bejaend,  dort  verneinend  entschieden  werden.  Einige  dieser 
Fragen  seien  zum  Exempel  angegeben:  Ruht  der  elementare  Instrumental- 
unterricht auf  einer  genügend  breiten,  tragsicheren  Basis  ?  Soll  der  An- 
fangsunterricht analog  wie  beim  Sehenden  so  früh  wie  möglich  auf  die 
Notenschrift  eingestellt  werden,  so  daß  die  Erlernung  der  Braille'schen 
Musikschrift  mit  den  Anfangsgründen  auf  dem  Instrument  im  logischen 
Zusammenhang  und  im  sinngemäßen  Parallelismus  stände  oder  soll  die 
Notenschrift  erst  auf  einer  späteren  Stufe  klassenweise  gelehrt  werden? 
Soll  für  den  Beginn  des  Musikunterrichts  eine  Altersgrenze  nach  unten 
und  oben  festgelegt  werden?  Soll  der  Schüler  vom  Anfang  bis  zum 
Ende  seiner  Bildungszeit  unter  der  Führung  eines  Lehrers  bleiben, 
oder  ist  es  vorteilhafter,  daß  er  den  Lehrer  und  mit  ihm  die  Methode 
zu  wiederholtenmalen  wechsle?  Sollen  nur  die  ganz  starken  Begabun- 
gen zum  instrumentalen  Musikunterricht  herangezogen  werden,  die  mitt- 
leren Talente  unberücksichtigt  bleiben  und  so  der  Segnungen  musika- 
lischer Schulung  und  Bildung  überhaupt  verlustig  gehen? 

Welches  ist  das  Mindestausmaß  der  wöchentlichen  Unterrichts- 
stunden und  der  täglichen  Übungszeit  auf  der  Unter-,  Mittel-  und 
Ober-Stufe,  bei  starken,  bei  mäßigen  Begabungen?  Machen  sich  im 
Anstaltsbetrieb  nicht  zuweilen  Einflüsse  und  Bestrebungen  geltend,  welche 
von  Musiklehrern  und  Schülern  als  Störungen  eines  gedeihlichen  Musik- 
unterrichts empfunden  werden  müssen  und  welche  auf  die  freie  und 
volle  Entfaltung  der  musikalischen  Anlagen  hemmend  oder  doch  retar- 
dierend einzuwirken  geeignet  sind?  Ich  könnte  die  Reihe  der  Fragen 
mühelos  verdoppeln  und  verdreifachen,  will  mich  aber  für  diesmal  da- 
mit bescheiden.  Jeder  von  uns  hat  diese  und  ähnliche  Dinge  bald  nach 
seinem  Amtsantritt  richtig  erkannt  und  schmerzlich  empfunden  und 
gewiß  hat  sich  auch  jeder  mit  all  seinen  Kräften  bemüht,  Wandel  zu 
schaffen,  im  allgemeinen  zumeist  vergebens.  Der  einzelne  Musiklehrer 
mag  die  vorhandenen  Mängel  noch  so  deutlich  erkennen,  dagegen  viel 
auszurichten  wird  er  kaum  imstande  sein,  weil  er  nicht  den  Einfluß 
und  die  Machtmittel  besitzt,  einschneidende  Reformideen  durchzusetzen. 
Was  aber  dem  Einzelnen  zu  leisten  nicht  möglich  ist,  das  kann  die 
Gesamtheit  der  Blindenlehrer  zustandebringen  und  —  hier  bin  ich  beim 


3.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwcscn.  Seite  1093. 

Kernpunkt  meiner  Ausführungen:  Hochgeschätzte  Kollegen,  liebe  Schick- 
salsgenossen, linden  wir  uns  zusammen  zu  einer  aufklärenden  Aus- 
sprache, sie  kann  der  Sache,  der  wir  dienen,  nur  zum  Heil  gereichen. 
Tauschen  wir  unsere  Erfahrungen  aus,  erwägen  wir  Meinung  und  Gegen- 
meinung, äußern  wir  unsere  Wünsche  laut  und  vernehmlich,  formen 
wir  würdig  aber  deutlich  unsere  Forderungen  und  suchen  wir  vor 
allem  Mittel  und  Wege,  den  Musikunterricht  an  Blindenanstalten  so 
gedeihlich  und  so  erfolgverheißend  als  nur  irgend  möglich  um-  und 
auszugestalten.  Ehe  wir  aber  zu  einer  Zusammenkunft  schreiten,  muß 
ich  wissen,  wie  Ihr  Euch  zu  dieser  Frage  stellt.  Daher  bitte  ich  Euch 
um  schriftliche  Äußerung  zu  meinem  weiter  unten  entwickelten  Pro- 
gramm. Zuschriften  erbitte  ich  unter  meiner  Privatadresse  „Hadersdorf- 
Weidlingau,  Hauptstraße  140"  bis  spätestens  1.  Mai  1.  J.,  da  ich  in  der 
Juni-Nummer  dieser  ,.Zeitschrift"  über  das  mir  zugegangene  Material 
sowie  über  den  Stand  der  ganzen  Angelegenheit  kurz  zu  berichten  ge-* 
denke.  Bis  dorthin  wird  es  auch  schon  möglich  sein,  bestimmen  zu 
können,  ob,  wann  und  wo  unsere  Zusammenkunft  stattfinden  kann. 

Mein  Programm  ist  folgendes : 

1.  Stellungnahme   zur  Frage    der  Reformbedürftigkeit   des    Musik- 
unterrichtes an  Blindenanstalten. 

(Zustimmung,  Ablehnung,  Anregungen,  Winke,  Ratschläge,  Richt- 
linien). 

2.  Zeit  und  Ort  der  Zusammenkunft. 

Als  Zeitpunkt  für  unsere  Zusammenkunft  schlage  ich  einen  Tag 
im  Laufe  der  Woche  nach  Schluß  des  heurigen  Schuljahres 
vor.  Als  Ort  habe  ich  den  Saal  in  der  Versorgungs-  und  Be- 
schäftigungsanstalt in  Wien,  Josefstadt  ins  Auge  gefaßt,  wenn 
er  für  diesen  Zweck  zu  haben  ist.  Sollte  ein  früherer  Termin 
—  allenfalls  der  Pfingstdienstag,  10.  Juni  —  oder  ein  anderer 
Raum  zur  Abhaltung  der  Versammlung  erwünschter  sein,  so 
bitte  ich,  mir  das  bekannt  zu  geben. 

3.  Teilnehmer. 

An  unserer  Versammlung  mögen  teilnehmen: 

a)  alle  Musiklehrer  und  Musiklehrerinnen,  welche  an  einer  Blin- 
denanstalt des  deutschösterreichischen  Staates  wirken  und 
ein  staatsgiltiges  Musikzeugnis  besitzen  oder  eine  Musikhoch- 
schule absolviert  haben ; 

b)  alle  blinden  Musiklehrer  und  -Lehrerinnen,  welche,  wenn- 
gleich an  keiner  Blindenanstalt  wirkend,  ein  staatsgiltiges 
Musikzeugnis  besitzen  oder  eine  Musikhochschule  absolviert 
haben  ; 

c)  alle  blinden  Musiker,  die  aus  irgend  welchen  Gründen  kein 
staatsgiltiges  Musikzeugnis  erwerben  konnten,  die  auch  keine 
Musikhochschule  besucht. haben,  die  sich  aber  für  diese  An- 
gelegenheit interessieren  und  die  uns  durch  ihre  Erfahrungen 
sowohl  als  gewesene  Zöglinge  einer  Blindenanstalt,  wie  auch 
durch  praktische-musikalische  Betätigung  gute  Ratschläge 
erteilen  können; 


Seite  1094.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindcnwesen.  3.  Nummer. 

d)  Vertreter  der  Presse,  Mitglieder  von  musikalischen  Körper- 
schaften, von  Blindenvereinen,  sowie  Blindenlehrer  und  Blin- 
deufreunde  sind  als  Gäste  willkommen. 

4.  Tagesordnung  der  Zusammenkunft: 

Begrüßung  durch  den  Einberufer. 

Wahl  eines  Ausschusses  zur  Leitung  der  Versammlung. 
Festlegung  der  Grundlinien,    in  denen   sich  die  geplante  Re- 
form bewegen  soll. 
Anregungen,  Vorschläge,  Anträge  und  Beschlüsse. 
Wahl  eines  Arbeitsausschusses. 
Schlußwort. 

5.  Aufgabe  des  Arbeitsausschusses: 

Da  die  Versammlung  nur  vorbereitenden  Charakter  haben  kann, 
wählt  sie  aus  ihrer  Mitte  einen  Arbeitsausschuß.  Dieser  hat  die 
Aufgabe  auf  Grund  der  während  der  Tagung  gefaßten  Beschlüsse 
eine  Denkschrift  auszuarbeiten,  in  welcher  die  Wünsche  und 
Forderungnn  der  Musiklehrer  klar  formuliert  sind.  Diese  Denk- 
schrift wird  zu  einem  späteren  Termin  einer  neuerlich  einzu- 
berufenden Versammlung  vorgelegt,  allenfalls  mit  Zusätzen  oder 
Abänderungen  versehen,  um  im  fertigen  Zustande  den  in  Be- 
tracht kommenden  Staats-  und  Landesbehörden,  sowie  den 
Leitern  der  Blindenanstalten  Deutschösterreichs  überreicht  zu 
werden.  Die  Staatsbehörde  (Staatsamt  für  Unterricht)  wird 
deputativ  gebeten,  die  Denkschrift  gewissenhaft  zu  überprüfen 
alsdann  für  ihre  Durchführung  Sorge  zu  tragen  und  durch  ein 
Musik-Inspektorat  für  Blindenanstalten  die  Bestimmungen  der 
Denkschrift  überwachen  zu  lassen. 

6.  Wahlberechtigung : 

Das  aktive  Wahlrecht  kann  von  allen  Teilnehmern  der  Ver- 
sammlung ausgeübt  werden.  Das  passive  Wahlrecht  ist  jedoch 
nur  den  Gruppen  a)  und  b)  unter  Punkt  3  zuzugestehen.  Diese 
Einschränkung  ist  notwendig;  sie  ist  keineswegs  aus  Fach-  und 
Prüfungsdünkel  erflossen,  von  dieser  Schwäche  weiß  ich  mich 
frei;  allein  die  staatlich  autorisierten  Musiklehrer  müssen  die 
Führung  der  ganzen  Angelegenheit  in  Händen  behalten.  Geht 
sie  doch  die  Sache  zunächst  an.  weil  es  sich  ja  um  ihre  eige- 
nen und  die  Interessen  ihrer  Schüler  handelt.  Auch  können  nur 
mit  staatlicher  Lehrbefähigung  ausgerüstete  Organe  den  Behör- 
den gegenüber  mit  dem  nötigen  Nachdruck  auftreten.  Wer  da 
weiß,  was  in  Österreich  Prüfungen  und  Zeugnisse  von  jeher 
gegolten  haben  und  noch  gelten,  wird  mir  ohne  weiters  recht  geben. 

7.  Anschluß  an  die  Musikerkammer: 

Die  Musiklehrer  der  Blindenanstalten  Deutschösterreichs  müssen 
trachten  in  der  zu  errichtenden  Musikerkammer  Sitz  und  Stinmie 
zu  erhalten. 

Dies  —  mein  Programm. 


3.  Nummer.  Zeitschrilt  tür  da«  österreichische  Blindenweien.  Seite  3  096. 

Ich  will  nun  warten,  welchen  W.ederhall  es  bei  Euch,  hochge- 
schätzte Kollegen,  liebwerte  Schicksalsgenossen,  finden  wird.  Nach  meiner 
Überzeugung  muß  die  Reform  des  Musikunterrichts  an  Blindenanstalten 
früher  oder  später  kommen.  Wenn  wir  sie  jetzt  nicht  machen,  werden 
sie  die  andern,  die  nach  uns  kommen  machen  müssen;  aber  gerade 
jetzt  sind  Zeit  und  Gelegenheit  Reformbestrebungen  günstiger  als  je 
zuvor.  Wir  stehen  vor  einer  Entscheidimgsstunde.  In  unserem  Willen 
zur  Tat  ruht  ein  Stück  glücklicher  Zukunft  jener  Hunderten  von  Blinden, 
welche  sich  dem  Musikstudium  widmen  und  denen  dereinst  die  Musik 
das  tägliche  Brot  schaffen  und  den  sicheren  Boden  einer  geordneten 
Existenz  bieten  soll;  ihre  Zahl  kann  unter  günstigen  Unterrichtsbedin- 
gungen erheblich  gesteigert,  ihre  Leistungsfähigkeit  erhöht  werden.  Aber 
auch  jener  vielen  anderen  Blinden  wollen  wir  nicht  vergessen,  die  die 
Musik  zwar  nicht  zum  Lebensberuf  erwählen  können,  denen  sie  aber 
Trost  im  Leid,  Licht  in  der  Dunkelheit,  Erhebung  über  den  nüchternen 
Alltag,  Befreiung  von  aller  Erdenschwere  —  mit  einem  Wort  —  irdi- 
sche Glückseligkeit,  oft  die  einzige,  deren  sie  teilhaftig  werden,  be- 
deutet. 

Hochgeschätzte  Kollegen,  liebwerte  Schicksalsgenossen!  Es  ist  eine 
schöne  und  eine  gute  Sache,  deren  Dienste  wir  uns  weihen:  die  Sache 
der  Kunst,  die  Sache  der  Blindenbildung.  Wer  wollte  da  nicht  kommen, 
wo  es  gilt,  mitzuraten,  mitzuhelfen,  mitaufzubauen!  Und  darum, 
frisch  ans  Werk  zu  Wort  und  Tat! 


Mit  kollegialem  Gruße 

Anton  K  r  t  s  m  a  r  y, 

ichlehrer  an  der  n.  ö.  ] 
Blindenanstalt  in  Purkersdorf. 


Weidlingau,  im  Februar  1919. 

Musikfachlehrer  an  der  n.  ö.  Landes- 


Der  Blinde  in  der  Sage,  im  Märdien  und  in  der  Legende. 

Von  Blindenlehrer  Ottokar  W  a  n  e  c  e  k,  Purkersdorf. 
(Fortsetzung). 

Der  griechische  Sänger  Thamryas  hielt  sich  würdig  genug,  die 
Musen  im  Gesang  zu  überwinden.  Blindheit  ist  sein  Lohn. 

Anchises  zeugte  mit  Venus,  die  sich  in  den  schönen  Jüngling 
yerliebt  hatte,  am  Flusse  Simois  unter  der  Gestalt  einer  Hirtin  den 
Aeneas.  Er  sollte  aber  nicht  sagen,  daß  Aeneas  der  Venus  Sohn  sei. 
Anchises  hält  das  Schweigen  nicht  und  Jupiter  schleudert  auf  Bitten 
der  Venus  seinen  Blitz  auf  ihn.  Sie  lenkt  diesen  aber,  im  letzten  Augen- 
blick ihrer  Liebe  zu  ihm  gedenkend,  von  seinem  Leben  ab,  so  daß  er 
bloß  ein  Auge  verliert. 

Als  Strafe  für  unersättlichen  Geiz  erscheint  die  Blindheit  in  der 
orientalischen  Sage  von  Abdallah,  die  Rückert  und  Ghamisso  behandelt 
haben.  (Siehe  Bürklen:  „Der  Blinde  im  Spiegel  morgenländischen 
Schrifttums,"  Zeitschrift  für  das  österr.  Blindenwesen  1917,  Nr.  8,  9,  10, 
11,  12). 

Der  bösen  Stiefmutter  im  Märchen  vom  Aschenbrödel  picken 
die  Tauben  die  Augen  aus. 


Seite  1096.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  3.  Nummer. 

Für  die  Schändung  der  Leiche  der  Penthesiieia,  der  er  ein  Auge 
mit  dem  Speer  ausstieß,  wird  Thersites,  der  schmähsüchtige,  häßHche 
Grieche  von  Achilleus  mit  der  Faust  erschlagen. 

Bemerkenswert  ist  auch,  daß  in  der  Sage  Verbrecher  an  sich 
selbst  Gericht  üben,  indem  sie  sich  blenden.  Erinnert  sei  hier  an  G  o  1  o 
im  Märchen  von  Genofeva,  der  bei  der  Einsicht  seiner  Niedertracht  zu 
dieser  furchtbaren  Selbststrafe  schreitet.  (Vergl.  Hebbels  „Genofeva"). 
Zu  bekannt  ist  ferner  die  Geschichte  des  0  e  d  i  p  u  s,  als  daß  sie  hier 
des  weiteren  erörtert  zu  werden  brauchte.  (Hyg.  fab.  67,  Diod.  Sicc. 
IV.  66).  Erwähnt  sei  nur,  daß  der  Blindheit  in  den  ursprünglichen  Fas- 
sungen der  Sage  nicht  erwähnt  wird.  F>st  die  Tragiker  verflochten  sie 
mit  dem  beliebten  Gegenstand. 

Aber  es  wurden  auch  andere  Motive  der  Selbstblendung  gefunden 
als  das  Bewußtsein,  eine  schwere  Schuld  sühnen  zu  müssen.  Von  dem 
berühmten  Philosophen  Demo kri tos  wird  erzählt,  daß  er,  um  sich 
ganz  den  Betrachtungen  widmen  zu  können,  sich  nicht  nur  in  die 
Wohnungen  der  Toten  zurückgezogen,  sondern  sich  auch  die  Augen 
ausgerissen  habe.  Allerdings  achtete  man  dabei  des  Widerspruches 
nicht,  der  sich  ergeben  mußte,  wenn  üemokrit  auch  dann  noch  ganz 
den  Beobachtungen  der  Natur  sein  Leben  weihen  sollte.  Blind  in  der 
Einsamkeit  soll  er  zufrieden  die  Torheiten  der  Menschen  belacht  haben. 
(Aul.  Gellius.  N.  Att.  X.  17.) 

Es  ist    wohl  kaum    ein  Irrtum,  wenn  wir  in  der  Fabel  von  Demo- 
krit  die  griechisch  heitere  Fassung  des  tiefen  Gedankens  der  Läuterung 
und  des  Entgehens  sündiger  Gelegenheiten,  wie  sie  das  Zusammenleben 
der  Menschen  bringt,  durch  die  Blindheit  sehen.  Derselbe  Gedanke  ist's, 
der  Christus  sagen  läßt:  „Wenn  Dich  ein  Auge  ärgert,  so  reiße  es  aus", 
derselbe  Gedanke,  über    den    wir    in  der  chinesischen  Bearbeitung  von 
Acvagoshas  Buddha  Carita  (Buddhas  Leben)  lesen: 
„Weit  besser  wär's,  ihr  bohrtet 
Euch  glühende  Nägel  in  die  beiden  Augen 
als  das  Ihr  Lustgedanken  in  Euch  hegtet 
und  einem  Weibe  nachsäht  mit  Verlangen 
von  schlechter  Art." 
Die  Blindheit    erscheint   hier   als    wirksames  Hilfsmittel  zu  einem 
asketischen  Leben.     Ähnliche  Vorstellungen  lassen  Ottilie  die  Blindheit 
begehrenswerter  erscheinen  als  das  Licht.     Hierüber  Rückerts  Gedicht: 

Ottilie. 

Von  Friedrich  R  ü  c  k  e  r  t. 

Im  Elsaß  wohnt'  ein  Gräfe,  von  Hohenburg  genannt. 
Durch  Macht  und  großen  Reichtum  im  ganzen  Land  bekannt: 
Er  hatte,  was  er  mochte,  Schlösser,  Wälder,  Knappen  und  Roß, 
Auch  eine  schöne  Hausfrau  hatt'  er  auf  seinem  Schloß. 

Er  hätte  selbst  nichts  wünschen  mögen  zu  seinem  Glück, 
Es  fehlte  zu  dem  allen  ihm  nur  ein  einzig  Stück, 
Daß  er  kein  Kind  nicht  hatte,  des  war  sein  Kummer  groß, 
Wem  sollt'  er  hinterlassen  seinen  Reichtum  und  sein  Schloß? 


3.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite   1097. 

Und  als  um  Ehesegen  er  nun  zehn  lange  Jahr" 

Dem  Himmel  angelegen,  wollt  er  verzweifeln  gar; 

Da  war  ihm  noch  gehören  im  elften  Jahr  ein  Kind; 

Die  Lust  war  halh  verloren,  denn  von  Gehurt  war's  hlind. 

Es  wuchs  lind  wurde  größer,  so  konnf  es  leider  nicht 
Des  Vaters  Hurgen  und  Schlösser  sehn  mit  dem  Augenlicht. 
Es  ward  nach  des  Vaters  Willen  genannt  Ottilie; 
Da  erwuchs  es  fromm  im  stillen,  wie  eine  Lilie. 

Wie  eine  blühende  Lilie,  die  jeden,  der  sie  schaut, 
Erfreut  und  ihm  gemahne!  wie  eine  Gottesbraut, 
Die  mit  ihren  blinden  Augen  des  Himmels  reinstes  Licht 
Doch  wollt  in  sich  kann  saugen,  daß  ihr  kein  Glück  gebricht. 

Da  hatte  doch  der  Vater  nur  diesen  Wunsch  allein. 
Daß  sehend  möchte  werden  sein  blindes  Mägdelein; 
Wenn  sie  das  Licht  des  Tages  mit  Augen  sollte  sehn, 
Er  dachte,  daß  er  zufrieden  dann  wollte  zu  Grabe  gehn. 

Da  war  zuletzt  von  Wünschen  des  Kindes  Herz  geschwellt, 
Daß  sie  mit  ihren  Augen  sehn  dürfte  diese  Welt, 
Von  der  all  ihre  Lieben  bei  Tag  und  auch  bei  Nacht 
So  wundervoll  beschrieben  alle  die  sichtbare  Pracht. 

Und  als  das  Kind  Ottilie  ward  vierzehn  Jahre  alt. 
Und  kam  zur  vollen  Blüte  jungfräulicher  Gestalt: 
Ward  ihr  der  Wunsch  erfüllet,  das  Wunderwerk  geschah. 
Daß  sie  vor  sich  enthüllet  das  Licht  des  Tages  sah. 

Sie  sähe  mit  den  Augen  nun  diese  schöne  Welt, 

Die  man  der  Blinden  hatte  so  reizend  vorgestellt; 

Sie  sah  auch  ihren  Vater,  seinen  Reichtum  und  sein  Schloß; 

Seine  Freude  darüber  war  über  die  Maßen  groß. 

Doch  ihre  eigne  Freude  war  an  dem  allem  klein: 

Sie  kehrte  ihre  Blicke  erst  recht  in  sich  hinein, 

Oder  kehrte  sie  aufwärts  zu  des  Himmels  Zelt, 

Sie  ließ  nicht  einen  haften  an  aller  dieser  schönen  Welt. 

Der  Vater  aber  machte  nun  seine  Pläne  gleich; 

All  auf  und  nieder  dachte  er  hin  durchs  ganze  Reich, 

Wen  er  sollt'  als  Eidam  führen  in  sein  Haus: 

Den  allerreichsten  und  edelsten  sucht'  er  dazu  sich  aus. 

Und  als  sie  eines  Abends  von  ihrem  Gebete  kam, 
Sprach  er  zu  ihr:  Erlesen  ist  dir  ein  Bräutigam. 
Du  sollst  ihn  zu  empfangen,  dich  rüsten  und  schicken  fein; 
Denn  morgen  mit  dem  frühesten  soll  deine  Hochzeit  sein. 

Wie  sehr  erschrak  die  Jungfrau,  da  sie  das  Wort  vernahm! 
Sie  sprach  bestürzt:  Ich  habe  schon  einen  Bräutigam, 
Und  will,  bei  meinem  Heile!  stets  haben  diesen  nur. 
Da  tat  der  zürnende  Vater  einen  unerhörten  Schwur. 


Seite  1098.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindcnwesen.  3.  Nummer. 

Anblickt'  er  seine  Tochter  mit  Augen  voller  Zorn : 

Da  stach  so  recht  die  sanfte  durch  Herz  ein  scharfer  Dorn. 

Sie  wünschte,  daß  sie  doch  lieber  geblieben  wäre  blind, 

Als  daß  so  seinen  Vater  sollte  zürnen  sehn  ein  Kind. 

Sie  floh  in  ihre  Kammer  vor  ihres  Vaters  Zorn, 

Und  weinte  aus  den  Augen  von  Tränen  einen  Born, 

Sie  sprach:  0  weh  des  Wunsches,  daß  ihn  mir  Gott  verlieh; 

Solang'  ich  blind  gewesen,  hab*  ich  geweinet  nie. 

Die  Sterne  Gottes  schauten  mild  in  der  Jungfrau  Jammer, 

Es  war  als  ob  sie  riefen:  Komm  aus  der  dunklen  Kammer! 

Sie  schritt  im  tiefen  Schweigen  der  Nacht  aus  dem  Gemach, 

Sie  wußte  nicht  wohin  sie  ging,  sie  ging  nur  den  Sternen  nach. 

Und  als  der  helle  Morgen  auf  Hohenburg  nun  kam, 

Die  Braut  war  fern  geborgen  vorm  neuen  Bräutigam. 

Er  kam  auf  hohem  Rosse  geritten  im  Morgenlicht, 

Da  war  im  ganzen  Schlosse  die  Jungfrau  zu  finden  nicht. 

Dem  Vater  und  dem  Bräutigam  ward's  allen  beiden  jach: 

Sie  ritten  mit  klirrenden  Sporen  der  entwichenen  Jungfrau  nach. 

Hinzu  nach  der  Stadt  Offenburg  im  Preisgau  den  Weg  sie  nahmen; 

Sie  fanden  sie  da  nirgends,  wo  sie  vorüber  kamen. 

Und  als  der  Tag  sich  neigte,  wollten  sie  umzusehn. 

Noch  einen  Berg  aufreiten,  und  dann  zur  Herberg"  gehn. 

Da  sahen  sie  auf  dem  Berge,  hoch  oben  im  Sonnenlicht, 

Stehn  die  Jungfrau  Ottilie  mit  verklärtem  Angesicht. 

Sie  hielten  eine  Weile  und  wagten  nicht  zu  nahn; 

Dann  sprengten  sie  die  Steile  des  Berges  rasch  hinan. 

Die  Jungfrau  Ottilie  sah  ihr  Herreiten  nicht; 

Ob  ihr  die  Augen  blendete  das  Abendsonnenlicht? 

Oder  ob  es  thaten  die  Tränen,  die  ihr  flössen? 

Sie  merkt"  es  nicht,  bis  sie  nahten  mit  ihren  lauten  Rossen. 

Da  erkannte  sie  plötzlich,  wie  nah  die  Gefahr  ihr  sei, 

Und  tat  empor  zum  Himmel  einen  hilferufenden  Schrei. 

Der  Himmel  kam  zu  Hilfe  seiner  erwählten  Braut; 

Vom  Vater  und  vom  Bräutigam  ward  das  Wunder  geschaut. 

Sie  schreckten  auf  ihren  Rossen  rückwärts  um  einen  Schritt, 

Als  sich  auftat  der  Boden  und  sie  sanft  hinunterglitt. 

Die  Erde,  da  sie  also  half  in  ein  schützend  Grab 

Die  Jungfrau  da  geborgen,  sich  wieder  zusammengab, 

Daß  auf  derselbigen  Stelle  blieb  keine  weitere  Spur 

Als  eine  klare  Quelle  floß  aus  einer  Spalte  nur. 

Die  Quelle  fließt  noch  heute,  und  ist  im  Lande  bekannt; 

Es  ist  auch  der  Ottilienberg  derselbige  Ort  genannt. 

Es  soll  für  schwache  Augen  Stärkung  die  Quell'  erteilen; 

Man  sagt,  sie  solle  taugen,  die  Blindheit  gar  zu  heilen. 

Es  stammt  die  Quell'  aus  Tränen  solch  einer  Jungfrau  ja, 

Die  selber  blind  gewesen  und  dann  das  Tagslicht  sah. 

Zu  ihrem  eignen  Glücke  hat  sie  es  nicht  gesehn; 

Wir  wünschen,  daß  es  andern  möge  zum  Glück  geschehn. 

(Fortsetzung  folgt.) 


3.  Nummer.  Zeitschritt  für  das  österreichische  Biindcnwesen.  Seite   1099. 

Blindenwesen  und  Blindenfürsorge  in  Holland. 

Herr  Dr.  Ludwig  Colin  in  Breslau,  welcher,  bekanntlich  selbst 
blind,  seit  einer  Reihe  von  Jahren  eine  rührige  und  sehr  erfolgreiche 
Tätigkeit  auf  dem  Gebiete  des  Blindenwesens  in  Deutschland  entfaltet 
und  im  Laufe  des  Weltkrieges  auf  die  Gestaltung  der  Kriegsblindenfür- 
sorge höchst  ersprießlich  nach  modernen  Grundsätzen  Einfluß  genommen 
hat,  ist  auch  bemüht,  die  Blindenwohlfahrtseinrichtungen  fremder  Länder 
kennen  zu  lernen.  Nachdem  er  schon  wiederholt  die  bestandene  Öster- 
reich-ungarische Monarchie  besucht  und  in  mehreren  Städten  daselbst 
sehr  interessante  Vorträge  gehalten  hatte,  unternahm  er  in  den  Weih- 
nachtsferien des  Jahres  1917  eine  Studienreise  durch  Holland,  um  auch 
dort  Erfahrungen  zu  sammeln.  Die  Ergebnisse  dieser  Reise  hat  er  in 
einem  Berichte  an  den  Kriegsverletzteiifürsorge-Ausschuß  der  Provinz 
Schlesien,  mit  welchem  er  als  Berufsberater  für  Kriegsblinde  in  Ver- 
bindung steht,  zusammengefaßt,  von  welchem  er  mir  eine  Abschrift  in 
Braille  zugehen  zu  lassen  so  liebenswüadig  war.  Da  dieser  Bericht 
Vieles  enthält,  was  auch  für  uns  interessant  und  anregend  ist,  gebe  ich 
ihn  im  Folgenden  mit  Zustimmung  des  Verfassers  auszugsweise  wieder. 

Über  die  berutliche  Ausbildung  der  Blinden: 

„Während  meines  Aufenthaltes  in  Holland  habe  ich  alle  Anstalten 
und  Einrichtungen  hesuchl,  welche  der  Ausbildung  oder  Beschäftigung 
Blinder  dienen.  Der  Blindenunterricht  bewegt  sich  in  Holland  in  eben- 
demselben Rahmen,  wie  bei  uns  in  Deutschland.  Dem  Anschauungs- 
unterrichte wird  in  der  Schule  ganz  besondere  Aufmerksamkeit  gewidmet. 
Die  beiden  Landes-Blindenaiistalten  in  Amsterdam  (evangelisch)  und 
Grave  (katholisch)  bilden  ihre  Arbeitszöglinge  nur  in  den  üblichen 
Blindenberufen  aus  und  von  beiden  Instituten  wurde  mir  übereinstim- 
mend mitgeteilt,  daß  keiner  der  alten  Blindenberufe  imstande  sei,  den 
Blinden  zu  ernähren,  wenn  derselbe,  ohne  irgend  einer  Arbeitsorganisa- 
tion anzugehören,  auf  den  Ertrag  seiner  Arbeit  allein  angewiesen  sein 
soll.  Die  Blindenanstalten  selbst  aber  seien,  da  sie  sich  in  der  Haupt- 
sache mit  der  schulmäßigeii  Ausbildung  ihrer  Zöglinge  zu  befassen 
haben,  weder  die  geeigneten  Arbeitsgeber  noch  die  geeigneten  Arbeits- 
vermittler. Daher  lebt  in  Holland  der  überwiegend  größere  Teil  der  er- 
wachsenen Blinden  weniger  vom  Arbeitsertrag  als  vielmehr  von  Bar- 
unterstützungen. 

In  Amsterdaui,  wo  mir  Herr  Dr.  Beizer,  der  Direktor  der  Anstalt, 
in  liebenswürdigster  Weise  Auskunft  gab,  fand  ich  einen  blinden  Portier, 
der  alle  Arbeiten,  die  seine  Stellung  fordert,  gut  und  gewissenhaft  leistet. 
Der  Herr  Direktor  sagte  mir,  daß  sich  der  Mann  ganz  ausgezeichnet 
bewähre  und  er  nur  raten  kann,  daß  sich  jede  Blindenanstalt  einen 
intelligenten  Blinden  für  einen  solchen  Posten  ausbilde.  Ich  habe  gestaunt, 
mit  welcher  Sicherheit  und  Gewandtheit  dieser  Mann  "umhergeht  und 
alles  tut,  was  von  ihm  gefordert  wird.  In  der  Druckerei  der  Anstalt 
habe  ich  ein  Druckverfahren  gesehen,  das  meines  Erachtens  praktischer 
und  billiger  ist,  als  das  bei  uns  übliche.  Der  Satz  wird  hier  wie  in  der 
Druckerei  für  Sehende  durch  Matrizen  hergestellt,  (Metallklötzchen  mit 
aufgeprägten  Punktbuchstaben),  in  einen  Rahmen  gespannt  und  dann  in 
die  Presse  getan.  Der  —  l)linde  —  Drucker  bedient  sich  des  üblichen 
Setzkastens    und    es    war    zum  Staunen,    mit  welcher  Gewandtheit  und 


Seite  1100.  Zeitschrift  für  das  östcT reichische  HMndenwes,en.  3.  Nummei. 

Sicherheit  er  nach  dem  Abdrucken  des  Satzes  jeden  einzehien  Buch- 
staben in  das  für  ihn  bestimmte  Kästchen  zurückwarf." 

Nach  einer  Betrachtung  über  die  Nutzanwendung,  welche  hieraus 
unter  gewissen  Voraussetzungen  hinsichtlich  der  Verwendung  von  Blinden 
in  Schwarzdruckereien  möglicherweise  gezogen  werden  könnten,  sowie 
nach  der  Mitteilung,  daß  in  der  Amsterdamer  Blindenanstalt  neben  einer 
Punkt-Zeitschrift  auch  eine  solche  in  lateinischer  Reliefschrift,  deren 
Grösse  etwa  ein  Drittel  derjenigen  der  Braillezeichen  beträgt,  gesetzt 
wird,  fährt  Dr.  Cohn  fort: 

„Als  einzige  neue  Arbeit  zeigte  mir  die  Amsterdamer  Anstalt  die 
Anfertigung  von  Schuhen,  auf  welche  ich  weiter  unten  zurückkommen 
werde.  In  der  katholischen  Blindenanstalt  Grave  wird  neben  den  üblichen 
Blindengewerben  noch  die  Zigarrenmacherei  betrieben  und  zwar  werden 
hier  Zigarren  von  ein-  und  derselben  Sorte  kleineren  Formats  und  nicht 
besonders  guter  Qualität  hergestellt.  Ich  habe  Gelegenheit  genommen, 
mit  einem  Zigarrenfabrikanten  eingehend  über  Zigarrenmacherei  als 
Blindenberuf  zu  sprechen,  wobei  ich  besonderes  Gewicht  auf  die  Ver- 
arbeitung des  Deckblattes  legte;  hierbei  kommt  es  bekanntlich  darauf 
an,  daß  das  Deckblatt  ohne  Fehler  ist,  was  der  Blinde  kaum  wahrnehmen 
kann.  Mir  sagte  nun  jener  Fabrikant,  daß  der  Blinde  als  einwandfreier 
Arbeiter  nur  dann  zu  beschäftigen  ist,  wenn  es  sich,  wie  eben  in  Grave, 
um  die  Erzeugung  ein-  und  derselben  Sorte  handelt,  und  wenn  ihm, 
was  in  großen  Betrieben  der  Fall  ist,  die  Deckblätter  von  der  Deckblatt- 
Maschine  beschnitten  übergeben  werden.  Diese  Deckblätter  sind  dann 
fehlerfrei  und  der  Blinde  kann  sie  ohne  weiteres  verarbeiten.  Aber  auch 
in  der  Zigarrenindustrie  kann  der  Blinde  nur  dann  etwas  verdienen, 
wenn  er  von  einem  größeren  Unternehmen  dauernd  voll  beschäftigt  wird. 

Ich  fuhr  auch  nach  Rotterdam,  um  mit  dem  Vorsitzenden  der 
niederländischen  Blindenvereinigung,  Herrn  Tewechel,  zu  sprechen. 
T.,  der  im  30.  Lebensjahr  erblindet  ist,  war  vorher  in  Holland  und  im 
überseeischen  Ausland  als  Großkaufmann  tätig  und  ist  als  Blinder  von 
einer  großen  Plantagengesellschaft  als  Direktor  angestellt  worden;  er 
leitet  seinen  großen  Betrieb  ganz  selbständig,  doch  hat  er  noch  einen 
zweiten  Direktor  zur  Seite.  Herr  Tewechel  ist  Leiter  des  niederlän- 
dischen Blindenvereins  und  wir  haben  ganz  eingehend  über  die  Erwerbs- 
tätigkeit der  niederländischen  Blinden  gesprochen.  Er  bestätigte  mir  das, 
was  mir  Direktor  Beizer  schon  gesagt  hatte  nnd  erzählte,  daß  er 
daran  arbeite,  eine  durchgreifende  Besserung  dadurch  herbeizuführen, 
daß  er  die  Blindenarbeit  zentralisieren  und  durch  eine  laufende  Staats- 
hilfe subventionieren  lassen  wolle.  Von  dieser  Maßregel  verspreche  er 
sich  sehr  viel.  Eine  Einrichtung,  wie  er  sie  für  Rotterdam,  Amsterdam 
und  andere  Städte  des  Königreiches  plane,  besteht  schon  in  Utrecht. 
Ich  fuhr  daher  dorthin,  um  mir  dies  näher  anzusehen.  Dort  besteht  ein 
Verein,  welcher  sich  die  Aufgabe  gestellt  hat.  Blinde  unentgeltlich  zu 
beschäftigen;  er  hat  ein  Haus  gekauft  und  in  demselben  die  verschie- 
denen Werkstätten  für  Blindengewerbe  eingerichtet.  Der  Verein  besorgt 
die  Beschaffung  des  Materials  und  der  Arbeitsaufträge,  letztere  durch 
besondere  Angestellte.  Außerdem  läßt  er  auch  auf  Vorrat  arbeiten  und 
bringt  die  Ware  durch  selbständigen  Verkauf  zum  Absatz.  Die  Blinden 
von  Utrecht  und  Umgegend  kommen  morgens  9  Uhr  dorthin  und  arbeiten 


?,.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  ^Jsterreichisrhe  Rlindenwesen.  Seite  1101. 

bis  halb  ö  Uhr  nachmittag.s,  mil  einer  halb.stündigen  Kafleepause  um 
12  Uhr.  Es  werden  Wochenlöhne  gezahlt,  und  die  Blinden  haben  sich 
nicht  darum  zu  kümmern,  ob  ihre  Arbeitsprodukte  verkauft  werden 
oder  nicht.  Die  Einrichtung  ist  noch  zu  jung.  ;als  daß  sie  von  einer 
langen  Erfahrung  sprechen  könnte,  aber  sie  läßt  ihre  Blinden  so  viel 
verdienen,  daß  die  meisten  ohne  eine  Barunterstützung  ihr  Aaskommen 
finden.  Für  solche  Institute  wünscht  Herr  Tewechel  eine  laufende 
StaatsunterstüJzung,  um  den  blinden  Arbeiter  so  zu  entlohnen,  damit  er 
von  dem  P^trage  seiner  Arbeit  leben  kann.  Das  Institut  in  Utrecht  lol)t 
ganz  besonders  die  frohe  arbeitsfreudige  Stinnuung  seiner  Arbeiter  und 
ist  mit  ihrem  Fleiß  und  dem  pünktlichen  Erscheinen  der  Blinden  sehr 
zufrieden.  (Das  ist  nun  allerdings  eine  Fürsorgemethode  ältesten  Stils, 
die  auf  dem  üblichen  rein  humanitären  Prinzipe  bernht:  da  haben  wir 
doch  modernere  Einrichtungen.) 

Von  Herrn  Tewechel  wurde  ich  auf  das  Invalidenhaus  in 
Bronweeg  bei  Arnheim  aufmerksam  gemacht,  in  welchem  die  In- 
validen der  holländisch-indischen  Armee  untergebracht  und  beschäftigt 
werden:  hier  ist  auch  eine  eigene  Abteilung  für  Blinde.  Ein  Herr  Stöcker, 
der  lange  Zeit  in  Indien  gewesen  ist,  hat  es  sich  zur  Aufgabe  gemacht, 
für  das  Wohl  der  in  Bronweeg  befindlichen  Blinden  zu  sorgen.  Ich  be- 
gab mich  mit  Herrn  Stöcker  nach  B.  und  fand  dort  fünf  Blinde,  von 
denen  einige  seit  einem  Jahre,  einige  seit  zwei  Jahren  unter  Stock  er  s 
Leitung  gewerblich  tätig  sind.  Herr  Stock  er  ist  bemüht,  immer  neue 
Arbeitsgebiete  zu  finden  und  so  die  Tätigkeit  des  Blinden  mannigfaltig 
zu  fördern.  Neben  der  großen  Stroh-  und  Bastflechterei  betreibt 
Herr  Stöcker  die  feine  Kunstflechterei  mit  geradezu  vollendetem 
Resultate.  Ich  habe  einen  Untersatz  für  Teekannen  aus  Palmenbast  mit- 
gebracht, bei  dem  nicht  nur  die  Bastfarbe,  sondern  auch  die  Fasern- 
knüpfarbeit sauber  und  schön  ausgeführt  ist.  Sodann  läßt  Herr  Stöcker 
seine  Leute  die  sogenannte  Macramearbeit  (Knüpfarbeit  mit  Perlgarn) 
machen,  und  es  ist  wirklich  ganz  wunderbar,  mit  welcher  Exaktheit  die 
Leute  die  anscheinend  sehr  schwierigen  Muster  beherrschen.  In  diese 
Macramesachen  werden  häufig  größere  und  kleinere  Perlen  eingearbeitet. 
Überdies  läßt  Herr  Stock  er  auch  die  üblichen  Holzperlenarbeiten 
(Serviettenbänder,  Untersätze,  Körbchen  u.  s.  w.)  anfertigen.  Diese  Arbei- 
ten gehören  sämtlich  in  das  Gebiet  des  Kunstgewerbes  und  werden  in 
Bronweeg  in  einer  so  schönen  Ausführung  hergestellt,  daß  sie  gerne 
gekauft  und  als  Luxusgegenstände  gut  bezahlt  werden. 

Das  Wichtigste  aber,  was  in  Bronweeg  geleistet  wird,  ist  die  Her- 
stellung von  Schuhen,  wovon  ich  schon  oben  sprach.  Hier  handelt  es 
sich  tatsächlich  um  einen  Beruf  für  Blinde,  welcher  überall,  besonders 
in  der  Gegenwart  mit  dem  besten  Erfolg  eingeführt  werden  kann.  Herr 
St.  war  so  liebenswürdig,  mir  durch  einen  seiner  Arbeiter  die  Her- 
stellung der  Schuhe  genau  erklären  und  mich  auch  an  einem  Schuh 
arbeiten  zu  lassen.  Es  handelt  sich  um  eine  Arbeit  mit  Tuchstreifen, 
welche  aus  den  Resten  von  Militärtuchen  oder  aus  alten  Uniformen 
gewonnen  werden  können.  Diese  Tuchstreifen  werden  in  einer  ganz  be- 
sonderen, aber  sehr  einfach  und  leicht  zu  erlernenden  Weise  über 
Schuhleisten  gespannt  und  dann  in  entsprechender  Form  behandelt.  Ein 
solcher  Schuh,    der    noch    durch  Futter   oder  eine  eingearbeitete  Sohle 


Seite  1102.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  3.  Nummer. 

verschönt  werden  kann,  ist  sehr  haltbar  und  warm  und  ich  bin  über- 
zeugt, daß,  wenn  wir  hier  diese  Arbeit  einführen  würden,  wir  eine 
reichliche  und  sehr  gut  gelohnte  Beschäftigung  für  unsere  Kriegsblinden 
haben  könnten.  Diese  Tätigkeit  empfielt  sich  um  so  mehr,  als  es  hierzu 
keiner  besonderen  Werkstätten  bedarf,  indem  der  Arbeiter  nichts  als 
seine  Leisten,  Stoffreste,   ein    paar  Nägel,    Nadel    und   Zwirn   braucht." 

Dr.  Cohn  erteilt  dann  einige  Ratschläge,  in  welcher  Weise  für 
die  Weiterverbreitung  nnd  Erlernung  dieses  Erwerbszweiges  in  Deutsch- 
land gesorgt  werden  könnte,  warnt  davor,  sie  bloß  als  Sport  oder  zur 
Cnterhaltung  zu  betreiben,  wünscht  vielmehr,  daß  sie  zu  einem  regel- 
rechten Blindenberufe  ausgestaltet  werden  sollte  und  macht  noch  auf 
eine  sehr  praktische  Nähnadel  für  Blinde  aufmerksam,  die  er  bei  dieser 
Gelegenheit  keimen  gelernt  hat  und  die  es  den  Blinden  ermöglicht,  ohne 
sehende  Hilfe  schnell  und  sicher  einzufädeln.  Was  die  Herstellungskosten 
der  Schuhe  anlangt,  so  sind  sie  angesichts  der  Billigkeit  der  Tuchabfälle, 
welche  man  vielleicht  aus  den  Bekleidungsanstalten  auch  umsonst  er- 
halten könnte,  sehr  niedrig.  Direktor  Dr.  Beizer  in  Amsterdam  ver- 
anschlagt sie  für  das  Paar  auf  etwa  15 — ^20  Pfennige,  wogegen  der 
Verkaufspreis  in  Holland  das  Sechsfache  beträgt.  „Um  wie  viel  mehr", 
sagt  Dr.  Cohn,  ..heutzutage  bei  uns,  wo  wir  mit  der  Lieferung  warmer, 
haltbarer  Schuhe  für  jedes  Haus  der  Bevölkerung  wirklich  etwas  wert- 
volles bieten  könnten." 

„Auf  die  Ausbildung  blinder  Maschienenschreiber  wird  in  Holland 
nicht  gerade  viel  Gewicht  gelegt,  es  ist  aber  von  einem  Lehrer  der 
Amsterdamer  Anstalt  eine  sehr  zweckmäßige  Erfindung  zur  Ausbildung 
gemacht  worden,  nämlich  durch  die  Zeichnung  einer  Hand,  die  für 
jeden  Finger  beider  Hände  diejenigen  Buchstaben  vermerkt,  welche  in 
den  verschiedenen  Tastenreihen  geschrieben  werden  sollen.  Auf  diese 
Weise  kann  der  Blinde,  auch  wenn  er  die  Maschine  nicht  zur  Verfügung 
hat,  das  Schreiben  mit  Fingersatz  sehr  gut  üben. 

Musik  wird  in  den  holländischen  Blindenanstalten  sehr  gnt  gepflegt 
und  es  gibt  außerordentlich  tüchtige  blinde  Organisten  im  Lande.  Augen- 
blicklich beschäftigt  man  sich  mit  der  Frage,  in  welcher  Weise  und 
mit  welchem  Erfolge  blinde  Musiker  in  Orchestern  unterzubringen  wären. 

Sehr  interessant  ist  mir  gewesen,  daß  ich  in  Holland  eine  aus- 
gesprochene Abneigung  fand,  den  Blinden  in  der  Landwirtschaft  zu 
beschäftigen  oder  anzusiedeln.  Ich  hatte  geglaubt,  in  diesem  Agrarlande, 
in  welchem  Garten-  und  Gemüsebau  einen  so  breiten  Raum  einnimmt, 
könnte  auch  für  die  Blinden  die  Möglichkeit  bestehen,  daß  sich  Blinde 
in  der  Landwirtschaft  betätigen.  Herr  Tewechel.  mit  dem  ich  auch 
über  diese  Angelegenheit  eingehend  sprach,  kennt  zwar  blinde  Land- 
wirte, die  auf  eigener  Scholle  sitzen,  die  aber  selbst  meinen,  Landwirt- 
schaft käme  für  einen  Blinden  nur  zur  Unterhaltung  in  Betracht,  wäh- 
rend er  zu  einer  ersprießlichen  Tätigkeit  außerhalb  des  Hauses  in  Feld 
und  Gartenland  garnicht  oder  nur  ganz  nebenbei  zu  verwenden  wäre. 
Auch  Herr  Direktor  Beizer  sagte  mir,  daß  diese  Versuche,  die  selbst 
mit  jüngeren  Leuten  auf  diesem  Gebiete  angestellt  wurden,  immer  fehl 
geschlagen  wären." 

Brunn,  im  Jänner  1919.  Hofrat  von  Chlumecky. 

Herausgeber:    ZeutraWerein  für  das  östeireicbische  Blindenwesen  in  Wien.     Redaktionskomitee :  K.  Bürklen, 
J.  Kneis,   A.  t.  Horyath,  F.  Uhl,  —  Drnck  tod   Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei  Wien. 


Verschiedenes. 

Eine  Stiftung  für  kriegsblinde  Offiziere.  Rittmeister  Prospcr 
Piettc  V.  Rivage  und  seine  Gattin  Alice  haben  dem  Landesvereine  vom  Roten 
Kreuz  für  Niederösterreich  ein  Kapital  von  50.000  Kronen  Kriegsanleihe  mit  der 
Widmung  für  bedürftige  kriegsblinde  Offiziere  deutschösterreichiBcher  Nationalität 
übergeben.  Die  jeweils  fälligen  Zinsen  dieses  Widmungskapitals  werden  am  1.  Februar 
und  am  i.  August  jeden  Jahres  zur  Auszahlung  gebracht.  Bewerber  für  die  am 
1.  Februar  fällig  gewesenen  Unterstützungen  wollen  ihre  Gesuche  bis  15.  März  1.  J. 
»n  das  Präsidium  des  Landesvereines  vom  Roten  Kreuz  für  Niederösterreich, 
1.  Bezirk,  Milchgasse  1,  einsenden. 

—  Neue  Systeme  der  Punktschrift.  Die  Hochschulbücherei  für 
blinde  Akademiker  in  Marburg  a.  d.  L.  läßt  es  sich  angelegen  sein,  Punkt- 
schriftsysteme für  fremdsprachige  und  solche  wissenschaftiche  Texte  auszuarbeiten, 
für  die  bisher  überhaupt  keine  oder  doch  wegen  ihrer  Mangelhaftigkeit  nicht  ein- 
heitlich angewandte  Schriftsysteme  vorliegen  und  hat  auch  bereits  das  hebräische, 
griechische  und  latei  n  i  seh  e  Punktschriftsystem  fertiggestellt.  Die  Arbeiten 
der  Kommission  zur  Ausarbeitung  einer  Punktschrift  für  mathematische,  physi- 
kalische und  chemische  Texte  nähern  sich  dem  Abschluß.  Das  Resultat  wird 
allen  Interessenten  auf  Wunsch  zur  praktischen  Erprobung  in  Punktschrift  zugestellt. 
Etwaige  Vorschläge  für  Abänderungen  werden  von  der  Marburger  Geschäftsstelle 
entgegengenommen  und  der  Kommission  zur  Begutachtung  vorgelegt  werden,  bevor 
das  neue  System  eingeführt  wird,  mit  dessen  Hilfe  einige  Lehrbücher,  For  mel- 
sammlungen  sowie  eine  handliche  dreistellige  Logarithmentafel  in  Punktdruck  ver- 
legt werden  sollen.  Die  Geschwindschriftsysteme  von  Zehme  und  Zak- 
rewski  (Berlin),  sind  zum  privaten  Gebrauch  der  Blinden  in  Punktdruck  heraus- 
gegeben und  gleichfalls  von  hier  zu  beziehen.  Die  zur  Ausarbeitung  einer  Debatten- 
kurzschrift gewählte  Komission  wird  von  allen,  die  das  eine  oder  andere  System 
erprobt  haben,  nach  Jahresfrist  Gutachten  einholen,  um  eine  möglichst  breite  Unter- 
lage für  ihre  Enscheidung  zu  gewinnen.  Die  Arbeiten  der  Kommission  zur  Aus- 
arbeitung einer  Lautschrift  sind  noch  nicht  fertig. 

—  Vom  türkischen  Eulenspiegel  des  14.  Jahrhunderts  Nasred  i  n  (bereits  er- 
wähnt in  Nr.  8,  1917)  wird  folgender  Schwank  erzählt,  der  in  ähnlicher  Weise  von 
Hans  Sachs  (Eulenspiegel  und  die  Blinden.  Siehe  Nr.  6,  1916)  verwertet  wurde. 
Er  betitelt  sich: 

Das  Almosen.  Eines  Tages  trat  der  lustige  Nasredin  aus  der  Moschee 
und  fand  vor  der  Tür  drei  Blinde,  die  ihn  einer  nach  dem  andern  um  ein  Almosen 
baten.  N.  griff  in  die  Tasche,  merkte  indes,  daß  er  kein  Geld  bei  sich  habe.  Da  er 
jedoch  auf  seine  Weise  eine  Wohltat  verrichten  wollte,  sagte  er  :  »Da  habt  ihr 
einen  Piaster,  teilt  ihn  unter  euch.« 

Die  Blinden,  in  der  Meinung,  daß  er  das  Geldstück  irgend  einem  von  ihnen 
in  die  Hand  gedrückt,  dankten  dem  Spender  voller  Freuden  und  flehten  den  Segen 
Allahs  auf  ihn  herab. 

»Nun  wollen  wir  teilen«,  nahm  einer  von  ihnen  das  Wort.  »Wer  hat,  lasse 
wechseln«  sagte  der  andere.  Jeder  von  ihnen  aber  versicherte;  »Ich  habe  nichts;  du 
mußt  es  haben.«  »Nein,  du!«  Von  Mißtrauen  erfüllt,  das  sich  allsogleich  zur  Wut 
steigerte,  gerieten  sie  einander  schließlich  in  die  Haare  und  es  entstand  unter  ihnen 
eine  mörderische  Prügelei. 

Nasredin  sah,  abseits  stehend,  dem  Treiben  eine  Weile  belustigt  zu,  dann 
näherte  er  sich  ihnen  und    sagte:    »Aber  warum  haut  ihr  den  so  toll  aufeinander?« 

Da  riefen  sie  alle  zur  gleichen  Zeit:  »Der  ihn  hat,  und  will  den  Piaster  nicht  teilen!» 

»Oh  weh,  ich  sehe  er  ist  auf  die  Erde  gefallen.  Da  will  ich  ihn  zur  Strafe 
für  eure  Rauflust  doch  lieber  wieder  einstecken«,  sagte  der  lustige  Bruder  und  ging 
lachend  davon. 

—  Der  erblindete  Maler.  Der  französische  Maler  De  gas  war,  nach 
einem  an  Entbehrungen  reichen  Leben,  in  seinem  Alter  noch  Zeuge  davon,  wie 
seine  Bilder  fabelhaft  hoch  bezahlt  wurden  und  es  Mode  wurde,  für  jeden  Empor- 
kömmlig,  der  sich  als  Kunstkenner  fühlen  wollte,  einen  »Degas«  sein  eigen  zu 
nennen.  Degas  war  schon  erblindet,  als  er  sich  eines  Tages  bewegen  ließ,  eines 
seiner  Jugendwerke^  das  für  ungeheueres  Geld  in  den  Besitz  eines  Millionärs  von 
gestern  übergegangen  war,  wenn  nicht  zu  besehen,  so  doch  zu  befühlen.  Er  strich 
mit  den  Fingerspitzen  über  das  Bild  hin,  wunderte  sich,  mit  wie  dünnem  Aufstrich 
er  das  Bild  einst  gemalt  habe  und  sprach  zu  dem  glücklichen  Besitzer  die  Worte: 
»So  wenig  Farbe  nur?    Man    hat  Sie  um  ihr  Geld  betrogen,  mein  lieber  Herr!« 


österreichische  Slindenzeitung 

1^1     Erscheint  monatlich  einmal.  : : :  Bezugspreis  jährlieh  6  k.      [^i 

|r^|  Verlag:  I.  Österr.  Blindenverein,  Wien  VIII,  Florianiegasse  41.  |r^| 
Die  »Österreichische  Blindenzeitung«,  hergestellt  nach  dem  vom  Dozenten  Dr.  Max 
Herz  erfundenen  Masst-druck  der  Blinden-Punktschriit,  will  auf  humanitärer  Grund- 
lage fußend,  den  Blinden  geistig  fördernden  und  unterhaltenden  Inhalt  bieten. 
Alle  Blindenfreunde  werden  um  Unterstützung  dieser  Bestrebungen  gebeten. 

=  ^syl  für  blinde  l{inAer  = 

Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im   vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen  österreichi- 
schen Kronländern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 

Die  „Zentralbibliotlieli  fiip  Blinde  in  Osterpeich", 

Wien  XVIII,  Währinger  GUrtel  136, 


verleiht  ihre   Bücher  kostenlos  an   alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  Unterstülzung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  lür  Blinde.  Erhaltung 
der  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.07I. 


Der  blinde  Modelleur- 


Littau  in  Mähren, 

empfiehlt  seine  zu  Geschenken  sich 
:  vorzüglich  eignenden  keramischen  : 
Handarbeiten.  Nähere  Auskunft  brieflich. 


FpoduhtiugBnossBnschaft  für  blinde 
BüPStenblndBP  und  Korbfieciitep. 

G.  in.b,  H. 

Wien  Vlli.,    Florianigasse  Nr.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

Alle  Gattungen  Bürstenbinder-  u.  Korbflechterwaren. 
T«rkautsstelle:    Wien  VII.,   Neubau^asse  75. 


Muslhfllien  -  Leihlnstitut 


des  Blinden-Unterstützungsvereines 
»Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V., 
:  — :   Nikolsdorfergasse  Nr.  42.   :  — : 


<z» 


Blindendrucknoten    werden    an      x^i 
Blinde   unentgeltlich  verliehen  I      T^I 


Bll 


von   Oskar  Pieht. 
Bromberg. 


W.  Kraus,  Berlin  N  54 

(Gegründet  1878.) 

Borsten-,  Rohmaterialien-  und  Werkzeug-Fabrik 
=====    Bürstenhölzerfabrik.    ===== 


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Faserstoff-Zurichterei  Bergedorf 

Bergedorf  bei  Hamburg. 

Mustergültige  Bearbeitung  von  Fiber  und  Piassava 
aller  Arten. 


Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.   — 


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S  ch  I  i  f  t  i  e  i  t  u  n  g 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Nr.132.257 


Das  Blatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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Bezugspreis 
ganzjährig  mit 
Postzusteilung 

6  Kronen, 
Einzelnummer 

50  Heller. 


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6.  Jahrgang. 


Wien,  Rpril  1919. 


4.  Nummer. 


INHALT:  Das  Grammophon  im  Musikunterrichte  der  Blinden.  O.  Wanecek, 
Purkersdorf:  Der  Blinde  in  der  Sage,  im  Märchen  und  in  der  Legende. 
Sendschreiben  des  „B'indenfreundes"  über  die  Neugestaltung  des  deutsch- 
österreichischen Blindenwesens.  Heilpädagogik  in  dei  Lehrerakademie  in  Wien. 
Heilpädagogische  Vereinigung  in  Hamburg.  Aus  den  Anstalten.  Rus  den 
Vereinen.  Für  unsere  Kriegsblinden.  Mitteilung.  Briefkasten.  RItes  und  Neues. 
(Rnkündigungen). 


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3  Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische   ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  Vlil, 
ij  Josef  Städterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  3  K,  Zeitungsbeitrag  3  K.   ^ 

□Iw       —  wE 


Altes  und   Neues. 

Der  blinde  Berto.  Der  Träger  dieses  Namens  ist  ein  Pferd, 
das  oremeinsam  mit  einigen  sehenden  Vertretern  dieser  Tiergattung 
eine  gewisse  Berümtheit  erlangte.  Der  Pferdebesitzer  K.  Krall  in 
Elberfeld  machte  vor  Jahren  die  Öffentlichkeit  mit  einer  Anzahl  rech- 
nender und  denkender  Pferde  bekannt  und  glaubte  damit  die  Denk- 
fähigkeit der  Tiere  nachgewiesen  zu  haben.  Seine  Pferde  vermochten 
mit  schriftlich  vorgehaltenen  oder  vorgesprochenen  Zahlen  zu  rechnen, 
indem  sie  mittels  Hufschlägen  das  Resultat  angaben  und  zwar  be- 
tätigten sie  sicli  in  allerlei  Rechnungsarten,  sogar  im  Wurzelziehen 
unter  der  Leitung  ihres  Lehrlierrn  mit  großer  Sicherheit.  Sie  ver- 
standen es  sogar,  auf  Fragen  in  Sätzen  zu  antworten,  indem  sie  nach 
einem  Klopfsystem  Worte  bekanntgaben,  in  denen  merkwürdigerweise 
die  Selbstlaute  meistens  ausblieben  z.  B.  ig  dnkn  =  ich  denken,  als 
was  lebd   hd  sl  =  alles   was  lebt,  hat   Seele. 

Hatte  die  Rechenfähigkeit  der  Pferde  schon  verblüfft,  so  muSte 
ihre  Fähigkeit  Reime  zu  finden,  Spitznamen  zu  geben,  ja  sogar  ihre 
eigene  Denkfähigkeit  zu  behaupten,  doch  Zweifel  inbezug  auf  die 
richtige  Ausdeutung  dieser  Tatsachen  erwecken.  Die  Angelegenheit 
fing  an,  die  Wissenschaft  zu  beschäftigen,  aber  dieu  rechnenden  und 
denkenden  Pferde  vermochten  den  wissenschaftlichen  Untersuchungen 
nicht  Stand  zu  halten.  Es  stellte  sich  nämlich  heraus,  daß  eine  eigent- 
liche Rechen-  und  Denkleistung  den  Elberfelder  Pferden  nicht  zukommt, 
sondern  daß  bei  ihren  Klopfaussagen  eine  bewußte  oder  unbewußte 
Zeichengebung  des  menschlichen  Fragestellers  vorliegt.  Zum  Teil  sind 
dies  optische  Zeichen  (Kopf-,  Hand-  oder  Augenbewegungen)  zum 
Teil  unwillkürliche  akustische  Zeichen,  durch  welche  der  Fragesteller 
den  Tieren  die  richtigen  Antworten  unbewußt  suggeriert.  Eine  ent- 
sprechende Antwort  ist  von  den  Tieren  auch  nur  zu  erhalten,  wenn 
der  Prüfende  Frage  und  Antwort  selbst  kennt.  Kennt  der  Herr  diese 
nicht,  so  erfolgt  eine  Fehlantwort  oder  überhaupt  keine.  Staunenswert 
bleibt  immerhin  die  Auffassungsfähigkeit  der  Tiere  für  eine  ganz  un- 
auffällige Zeichengebung,  die  manchmal  garnicht  in  der  Absicht  des 
Fragestellers  liegt. 

Das  blinde  Pferd  Berto  tat  sich  in  den  genannten  Künsten  ganz 
besonders  hervor,  denn  es  versagte  selbst  bei  strengen  Prüfungen 
niemals  ganz  und  übertraf  damit  seine  sehenden  Kollegen  bei  weitem. 
Optische  Zeichen  konnten  bei  ihm  nicht  in  Betracht  kommen,  es  mußte 
seine  Antworten  aus  akustischen  und  taktilen  Zeichen  (Zügelbewegun- 
gen) entnommen  haben.  Hat  mit  der  wissenschaftlichen  Nachprüfung 
die  Theorie  der  Denkfähigkeit  der  Tiere  auch  Schiffbruch  gelitten, 
so  könnten  doch  weitere  Versuche  in  mancher  Hinsicht  wertvolle 
Streiflichter  über  die  Tierpsychologie  Averfen  und  der  blinde  Berto 
wäre  hiefür  ein  ganz  besonders  interessantes  Versuchsobjekt. 

Briefkasten.  ^ 

—  Eine  Reihe  von  Mitteilungen  konnten  in  der  vorliegenden  Nummer  nicht 
mehr  untergebracht  werden.     Wir  bitten  daher  unsere  p.  t.  Mitarbeiter  um  Geduld. 


6.  Jahrgang.  Wien,  April  1919.  4.  Nummer. 


i  ^ 

^  »Die  Musik  ist  blind,  die  Bildhauerkunst  taub,  die        ^ 

^  Malerei  stumm.«                                                      (Fr.  Hebbel).          ^ 

I  ^ 


Das  Grammophon  im  Musikunterrichte 
der  Blinden. 

Das  Grammophon  ist  heute  noch  ein  mehr  gefürchtetes  als  ge- 
suchtes Musikinstrument.  Als  Prachtgrammophon  spreizt  es  sich  protzig 
in  Prunkgemächern,  führt  ein  zweifelhaftes  Halbweltdasein  in  rauchigen 
Wirtschaften  und  wird  in  Familienkreisen  nur  selten  mit  Geschmack 
gehandhabt.  Und  dennoch  hat  es  einen  großen  volkserzieherischen  Beruf, 
der  nur  langsam  erkannt  und  ausgenützt  wird. 

In  Schulen  hat  es  schon  seinen  Mund  geöffnet,  wenigstens  zu 
Sprechübungen  im  fremdsprachigen  Unterricht.  In  unseren  Blinden- 
anstalten finden  wir  es  als  beliebtes  Unterhaltungsmittel  und  geschickt 
ausgewählte  Musikvorträge  von  tadellosen  Platten  finden  an  unseren 
blinden  Zöglingen  entzückte  Zuhörer.  Daß  derartige  Vorführungen  auch 
auf  den  musikalischen  Sinn  der  Blinden  fördernd  einzuwirken  vermögen, 
wird  ohne  Rückhalt  auch  von  jenen  zugegeben,  die  am  Grammophon 
im  allgemeinen  keinen  Gefallen  zu  finden  vermögen.  Den  Wert  oder 
Unwert  des  Grammophons  für  den  Musikunterricht  der  Blinden  darzu- 
zustellen wurde  bisher  von  keiner  Seite  unternommen.  Es  dürfte  daher 
von  Nutzen  sein,  einmal  etwas  über  die  Möglichkeiten  der  Verwendung 
dieses  Universalinstrumentes  für  den  Musikunterricht  —  natürlich  auch 
für  Blinde  und  wir  denken  sogar  für  diese  in  erster  Linie  —  zu  hören. 
Wir  folgen  zu  diesem  Zwecke  dem  in  den  „Stimmen  der  Zeit"  (Mai 
1916)  veröffentlicht  Aufsatze  ,.Der  Bildungswert  des  Grammophons" 
von  Stanislaus  von  Dunin-Borko  wski  indem  wir  jenen  Teil,  wieder- 
geben, der  sich  auf  Musikdarbietungen  dieses  Instrumentes  bezieht. 


Seite  1108.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  4.  Nummer. 

Für  musikalische  Darbietungen  —  heißt  es  da  —  eignet  sich  die 
Sprechmaschine  am  besten.  Das  Leben  und  die  WirkHchkeit  kann  sie 
natürhch  bei  weitem  nicht  ersetzen.  Aber  auch  darin  liegt  ein  lehr- 
reiches Moment.  Der  Lehrer  wird  auf  die  veränderte  Klangfarbe  der 
Geige  hinweisen;  er  wird  mit  Interesse  beobachten  lassen,  wie  bei  eini- 
gen Tönen  ein  Mittelding  zwischen  Flöte  und  Klarinette  herausklingt, 
während  tiefere  Lagen  den  Violinton  weit  richtiger  wiedergeben.  Ge- 
tragene Stücke,  wie  Schuberts  „Ave  Maria",  Schumanns  „Träumerei", 
RofTs  Cawatine,  alte  Menuetten  und  Gavotten,  selbst  noch  Kompositionen 
von  Drdla  und  Sarasate,  ermöglichen,  von  Künstlern  wie  Vecsey, 
Kubelik  und  Burmester  gespielt,  einen  wirklichen  Genuß :  reine  Virtuo- 
senstücke, mögen  sie  auch  von  solchen  ersten  Größen  vorgetragen  sein, 
sind  ziemlich  unleidlich  anzuhören.  Ungewöhnliche  Schwierigkeiten 
stellen  sich  bei  Gellovorträgen  ein.  Man  muß  lange  und  geduldig  suchen, 
bis  verhältnismäßig  so  lichtvolle  Aufnahmen,  wie  „Caro  mio  Ben*',  das 
,.Ave  Maria"  und  Schuberts  „Ständchen"  von  Helking  gespielt  (Anker- 
platten) auftauchen.  Am  wenigsten  befriedigt  das  Klavier.  Gewiß  kann 
man  auch  hier  die  wunderbare  Technik  d'  Alberts  und  Paderewskis 
bewundern  und  pädagogisch  verwerten,  aber  die  Kraft  des  Spieles,  die 
Schönheit  des  Anschlages  und  die  Klangfarbe  der  tiefen  Lagen  kommen 
nicht  zu  voller  Geltung,  Flöte  und  Kornett  klingen  gut,  Schaustück- 
chen  mit  Glockenspiel,  Xylophon,  Kunstpfeifern   gelingen   recht   schön. 

Am  bekanntesten  sind  die  Orchesterdarbietungen,  Militärkapellen 
rauschen  ganz  lustig  und  musikalisch  vorüber,  während  die  Streich- 
orchesterplatten mit  Auswahl  zu  genießen  sind.  Einfachere  Zusammen- 
stellungen klingen  ziemlich  rein,  voll  und  in  einigermaßen  gesonderten 
Klangfarben  der  einzelnen  Instrumente  aus  dem  Trichter,  verwickelte 
Tonmassen  aber  verwirren  sich,  stoßen  die  fübrenden  Instrumente  mit 
herzlosem  Ungestüm  in  einen  vereinsamten  Vordergrund  und  verur- 
teilen die  Begleitung  zu  einem  demütigen,,  allgemein  unmusikalischen 
Gebrumm.  Es  gibt  Ausnahmen,  auch  viele  Ausnahmen  bei  der  riesigen 
Auswahl,  so  zumal  die  Aufnahmen  des  Berliner  Philharmonisehen  Orchester 
(Odeon)  und  die  des  Neuen  Symphonie-Orchesters  und  des  Neuen  Ton- 
künstler-Orchesters (Grammophon),  aber  auf  diesem  Gebiete  muß  der 
Käufer  alles  prüfen  und  mehrmals  anhören,  bevor  er  zugreift.  Man  hat 
jetzt  neue  Methoden  der  Aufnahme,  die  eine  weit  gerechtere  Verteilung 
der  einzelnen  Orchesterstimmen  ermöglichen;  die  Ausführung  scheint 
aber  durch  den  Krieg  aufgehalten  worden  zu  sein. 

Der  oben  erwähnte  Mißstand  beleidigt  bei  Symijhonien,  die  eine 
ganz  deutliche  Scheidung  der  einzelnen  Instrmnentengruppen  fordern, 
bis  zur  unerträglichen  Qual.  Man  hat  abzuhelfen  gewußt,  indem  man 
das  Orchester  stark  verminderte.  Es  gibt  Platten  für  die  ganze  fünfte 
und  sechste  Symphonie  Beethovens,  Mozarts  Es-Dur-  und  G-Moll-Sym- 
phonie,  Vater  Haydns  Kindersymphonie  und  die  mit  dem  Paukenschlag. 
Sie  klingen  ganz  nett,  man  kann  an  ihnen  die  Eigenart  dieser  mu.sika- 
lischen  Gattung  gut  erklären,  vermag  sich  aber  des  Eindruckes  einer 
Miniaturmusik  nicht  ganz  zu  erwekren. 

Quartette  und  Trios  dagegen  bieten  sich  fast  tadellos.  Alle  Odeon- 
Aufnahmen  und  Klingler-Streichquartetts  sind  gelungen.  Leider  versuchte 


4.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreiciiische  Blindenwesen.  S«ite  1109. 

man  es  bisher  nur  mit  einigen  Variationen,  Menuetten  und  Scherzo« 
aus  Werken  Beethovens,  Mozarts,  Haydns  und  Schuberts.  Eine  unver- 
kürzte Wiedergabe  der  berühmtesten  Streichquartette  wäre  äberau.s 
lohnend  und  lehrreich.  Recht  schön  hören  sich  auch  das  Renard-Trio 
und  die  Berliner-Trio-Vereinigung  (Dessau,  Mayer-Mahr,  Heinrich  Grünfeld) 
auf  den  Grammophonplatten  an.  Bedauerlichervi^eise  sind  es  auch  hier 
nur  wenige  Sätze,  die  zur  Aufnahme  kamen. 

Die  größten  Gesangskünstler  hielten  es  nicht  unter  ihrer  Würde? 
ihre  Stimme  in  der  Sprechmaschine  zu  verewigen,  und  bezeugen  selbst 
zu  wiederholten  Malen,  daß  sie  mit  der  Wiedergabe  sehr  zufrieden  sind. 
Wenn  irgendwo,  so  muß  auf  diesem  Gebiet,  will  man  pädagogisch 
wirken,  jede  falsche  Sparsamkeit  überwunden  werden  und  nur  die  besten 
Instrumente  und  vollkommensten  Platten  zur  Wahl  kommen.  Die  Fir- 
men stellen  ungerechte  Forderungen  an  den  Käufer,  wenn  sie  von  ihm 
verlangen,  daß  er  eine  Platte  von  vornherein  fest  erwirbt  oder  gleich 
zugreift  nach  dem  einmaligen  Anhören  im  Geschäft.  Eine  rühmliche 
Ausnahme  macht  die  Odeongesellschaft.  welche  unverkäufliche  Muster- 
platten herstellt  und  sie  jedem  Kunden  auf  Verlangen  ins  Haus  ohne 
Verpflichtung  schickt.  Die  Geschäfte  entschuldigen  sich  wohl  und  gewiß 
mit  Recht  mit  dem  hochnäsigen  Geizkoller  steinreicher  Musikprotzen, 
die  sich  Dutzende  von  teuren  Platten  zu  musikalischen  Intermezzos 
lukullischer  Abendgesellschaften  mit  gnädiger  Handbewegung  leihen 
lassen,  um  sie  nach  getaner  Arl)eit  und  eingestrichenem  Lob  in  Be- 
gleitung eines  höchst  ungnädigen  Bedientenbescheids  zurückzuschicken. 
Der  Kaufmann  muß  denn  doch  seine  Kunden  kennen.  Auch  täten  un- 
sere. Grammophongesellschaften  hierzulande  gut  daran,  das  Beispiel  eini- 
ger ausländischer  Firmen  nachzuahmen  und  einen  ^Einheitspreis  einzu- 
führen, um  so  tien  Liebhabern  künstlerischer  Platten  die  Möglichkeit 
guter  Vorführungen  zu  erleichtern.  Das  wäre  auch  der  einzige  Weg,  das 
Grammophon  in  größerem  Maßstab  pädagogisch  zu  verwerten.  Die  Preise 
der  Kunstaufnahmen  in  der  Grammophongesellschaft  sind  unverhältnis- 
mäßig hoch. 

Welclien  Lerngewinii  kann  die  Sprechmas'chine  für  die  Musik- 
geschichte blieten!  Denken  wir  nur  an  die  Entwicklung  der  Arie.  Die 
italienische  Schule,  die  unserem  Mozart  die  ersten  Vorbilder  reichte,  die 
Durchdringung  von  Drama  und  Musik  bei  Gluck,  die  ungemein  einheit- 
liche und  originelle  Entwicklung  der  französischen  Oper,  die  langsame 
Beeinflußung  der  italienischen  Arie  durch  deutsche  und  französische 
Vorbilder,  die  verschlungenen  Wege,  die  von  Marschner,  Weber  und 
Meyerbeer  zu  Richard  Wagner  führen,  die  wunderbare  Geburt  der  Arie 
aus  der  Fülle  des  Orchesters  in  einigen  Kompositionen  von  Richard 
Strauß,  das  schafft  schon  mehrere  lehrreiche  Musikstunden.  Fni  aber  die 
Linie  vollkommen  zeichnen  zu  können,  müßten  die  Aufnahmen  weit  plan- 
mäßiger geschehen.  So  fehlt  die  alte  italienische  Oper  ganz.  Nur  wenige 
alte  Lieder  stehen  in  den  Katalogen,  Außer  dem  unschön  gesungenen, 
berühmten  ,.('.aro  mio  Ben"  von  Giordano  sind  nur  zwei  gut  vorgetra- 
gene Lieiler  Pergolesis  zur  Verfügung.  Von  den  Arie  antiche  etwa  von 
von  Leuto,  Falconieri,  Gesti,  Stradella,  Bassani,  Scarlatti  ist  keine  ver- 
treten. Nach  einer  Arie  aus  Havdns  Opern  sucht  man  vergebens.  Auch 
Bachs,  Handels,  Haydns.  Mendelsohns  Oratorien  sind  ganz  stiefmütterhch 


Seite  1110.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwei-en.  4.  Nummer. 

behandelt.  Glucks  Neuschöpfiing  läßt  sich  an  den  spärlichen  Beispielen 
nicht  deutlich  nachweisen.  Der  zum  Verständnis  Wagners  unentbehr- 
liche Marschner  taucht  ein-  oder  zweinial  ganz  schüchtern  auf.  Solche 
pädagogische  Wünsche  ließen  sich  noch  sehr  vervielfältigen.  Auch 
hier  hat  uns  die  Ausländerei  mitgespielt.  Aus  Bizets  „Carmen"  hat 
man  an  300  Aufnahmen,  aus  dem  „Barbier  von  Bagdad-'  von  Peter 
Cornelius  und  Webers  „Euryanthe"  je  6;  Gluck  gehören  12  Nummern 
Donizetti  an  100. 

Eine  ganze  deutsche  Oper  ist  für  die  Sprechmaschine  noch  nie  auf- 
genommen worden.  An  zusammenhängenden  Scenen  muß  man  sich  mit 
„Lohengrins"  drittem  Akt  begnügen.  Dagegen  ist  Gounods  „Margarete" 
als  Ganzes  zu  haben.  Außerdem  nur  noch  der  oberflächliche  Einakter 
Mascagnis  „Cavalleria  rusticana"  und  Leoncavallos  musikalisch  sehr  un- 
gleichmäßiger „Bajazzo". 

Trotzdem  lassen  sich  schon  jetzt  mit  dem  vorhandenen  Material 
lehrreiche  Vorführungen  abspielen.  Das  Charakteristische  in  der  Musik 
der  verschiedenen  Völker  tritt  vollkommen  deutlich  hervor,  wenn  man 
sorgfältig  gewählte  Reihen  von  Arien  aus  den  berühmtesten  Weltopern 
hintereinander  zu  Gehör  bringt.  Diese  Eigenarten  prägen  sich  besser  ein, 
sobald  man  das  Volkslied  mit  dem  Kunstlied  und  dem  dramatischen 
Gesang  in  Vergleich  bringt. 

Auch  die  Verwandschaft  von  Sprache,  Akzent,  Wortbild  und  Musik 
läßt  sich  greifbar  und  lehrreich  nachweisen.  Französische  Arien  in 
der  eigenen  Sprache  und  gleich  darauf  deutsch  gesungen,  urdeutsche 
Weisen  wie  Lieder  aus  den  „Meistersingern",  in  beiden  Sprachen  vor- 
getragen, ergeben  die  schlagendsten  Unterschiede.  Doch  gibt  es  hier  auch 
ein  neutrales  Gebiet;  man  versuche  es  nur  mit  Lohengrins  Gralserzäh- 
lung deutsch  und  französisch. 

Die  italienische  Oper  ist  so  reich  vertreten,  daß  die  Auswahl 
keine  Schwierigkeiten  bietet.  Zudem  haben  auf  diesem  Felde  die  be- 
rühmtesten Sänger  ihre  Stimme  geliehen.  Am  lohnendsten  wird  es 
sein,  die  Entwicklung  Verdis  auf  breiter  Linie  darzulegen.  Die  franzö- 
sichen  und  deutschen  Elemente  bei  diesem  allmählichen  Emporsteigen 
lassen  sich  deutlich  nachweisen.  Lehrreich  ist  es  auch,  die  grellen 
Wirkungen  Mascagnis  und  Leoncavallos  mit  der  auserlesenen  Musik 
Puccinis  zu  vergleichen.  Hier  wie  in  der  deutschen  Oper  wird  sich 
Gelegenheit  bieten,  Wert  und  Unwert,  Ernst  und  Liederlichkeit  des 
Textes  ins  richtige  Licht  zu  stellen.  Die  Musik  vermag  einen  nichts- 
sagenden oder  sogar  einen  häßlichen  Text  zu  verklären  und  in  einem 
Meer  von  Schönheit  ertränken,  wie  bei  Mozart,  sie  kann  aber  auch 
seine  Entartung  unterstreichen,  wie  leider  nur  zu  häufig  bei  Richard 
Strauß. 

In  der  italienischen  und  französischen  Musik  ist  es  leichter,  den 
Zusammenhang  von  Volks-  und  Kunstmusik,  Musik  und  Volkscharakter 
nachzuweisen,  als  in  der  deutschen.  Es  ist  deshalb  von  Vorteil,  dort 
den  Anfang  zu  machen.  Die  Vorführungen  fremder  Musik  sollen  aber 
zur  gründlichsten  Einführung  in  die  deutsche  Kunst  hinüberleiten.  Diese 
erfaßt    das    Wesen    und    die    Abgründe    der    Musik,    ihren    absoluten 


4.  Nummer,  Zcitschrill  fiii    das  österreichische  Blindenwesen.  S«ite  1111. 

Charakter  am  tiefsten,  sprengt  die  nationalen  Grenzen  weil  (iiiergisciier 
als  die  romanische  Kunst.  Aber  deutsches  Wesen,  Fühlen  und  Denken 
arbeitet  und  glüht  in  deutscher  Musik,  und  das  nachzuweisen,  ist  im 
höchsten  (rrad  erzieherisch. 

Zwei-  und  Üreigesänge,  Vier-  und  Öechsgesänge  bieten  der  Auf- 
nahme weit  größere  Schwierigkeiten  als  der  Eingesang.  Mächtige  Sam- 
melszenen mit.  Chor  sind  am  heikelsten.  Nur  zu  leicht  verschwimmt  der 
Chor  im  Nebel  oder  hallt  ersterbend  aus  schier  unendlichen  Entfernun- 
gen weit  hinter  einer  alles  beherrschenden  Einzelstimme,  wie  z.  B.  im 
„Pater  noster"  des  Chores  der  Westminsterabtei.  Daß  hian  aber  l)ei 
richtiger  Verteilung  und  Mäßigung  der  Stimmen  hübsehe  Erfolge  erzielen 
kann,  beweist  unter  anderem  die  schöne  Kinderszene  aus  Kienzls  „F^van- 
gelimann"  „Selig  sind,  die  Verfolgung  leiden-',  Terzett  und  Chor  aus  dem 
„Freischütz",  „0  diese  Sonne*',  das  „Salem  aleikunr'  aus  dem  zweiten 
Akt  des  „Barbier  von  Bagdad"  von  Cornelius  und  in  hervorragender 
Weise  einige  Platten  mit  \^erdis  „Miserere"  aus  dem  „Troubadour". 
Auch  die  Vorführmigen  des  Kölner  Domchores  und  des  Chores  von 
St.  Stephan  in  Wien  sind  recht  gut.  Der  schrecklichste  der  Schrecken 
ist  aber  ein  Attentat  auf  „Sicut  reversus"  von  Palästrina.  Einiges 
geht  vorläuhg  noch  über  die  Leistungsfähigkeit  der  Sprechmaschine  hin- 
aus. Sie  sollte  uns  nicht  die  Wolfsschluchtszene  ans  dem  „Freischütz" 
und  den  Zusammenhang  aus  dem  zweiten  Akt  von  „Tannhäuser"  ..Er- 
barme dich  mein"  verleiden.  Die  berühmten  Massengesänge  aus  „Car- 
men" eignen  sich  nicht  sonderlich  für  das  Granmiophon,  und  es  beweist 
geringes  Verständnis  für  die  Eigenart  der  Sprechmaschine,  wenn  man 
diese  Stücke  nur  deshalb  so  häufig  aufnimmt,  weil  sie  auf  der  Bühne 
beliebt  sind. 

Auch  auf  diesem  Gebiet  stehen  übrigens  Verbesserungen  in  Aussicht, 
und  sie  werden  gewiß  mit  Sorgfalt  durchgeführt,  weim  die  kaufende  Welt 
sich  entschließt,  statt  Lärm  Kunst  zu  verlangen. 


Der  Blinde  in  der  Sage,  im  Märdien  und  in  der  Legende. 

Von  Blindenlehrer  Ottokar  Wanecek,  Purkersdorf. 
(Fortsetzung  und  Schluß). 

Andere  Sagen  lassen  die  Blendung  als  Kriegslist  erscheinen.  So 
blendet  Odysseus  den  einäugigen  Cyclopen  Polyphem,  indem  er 
ihm  einen  glühenden  Pfahl  in's  Auge  treibt.  (Hom.  Odys.  L  189,  297  : 
Serv.  ad.  Virg.  Aen.  III.  636). 

Idomeneus  vermag  Alcathous,  den  Sohn  des  Ansyetus, 
beim  Sturm  auf  Troia  zu  erlegen,  weil  Neptun  diesen  blendet.  (Homer, 
Hesiod). 

Die  Philister  suchen  S  i  m  s  o  n  unschädlich  zu  machen,  indem  sie 
ihm  die  Augen  ausstachen.  Darüber  erzählt  das  Buch  der  Richter  16, 
21.:  „Da  ergriffen  ihn  die  Philister  und  stachen  ihm  die  Augen  aus 
und  führten  ihn  mit  Ketten  gefesselt  nach  Gaza,  schlössen  ihn  m  das 
Gefängnis  und  ließen  ihn  Mühlen  drehn." 

Im  kleinen  Rosengarten  wird  erzählt,  welche  Mühe  Dietrich  von 
Bern  bei  der  Überwindung  des  Zwergkönigs  Laurin  hatte,  da  dieser 


Seite  1112.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Blindenwesen.  4.  Nummer. 

Nacht  vor  seine  Blicke  zaubert.  Krst  ein  Zauberring  vermag  die  Dunkel- 
heit zu  bannen. 

Nicht  immer  begnügt  sich  die  Sage  mit  der  rein  äußerlichen 
Wiedergabe  des  Gesichtes  als  des  Zeichens  der  ausgleichenden  Ge- 
rechtigkeit. Die  uralte,  höchst  bedeutsame  Sage  von  Thassilo  von 
Bayern  stellt  einen  inneren  Sieg  des  Geblendeten  über  den  Rich- 
ter dar. 

Der  Herzog  Thassil  0  v.  Bayern  empörte  sich  gegen  Kaiser 
Karl  den  Großen,  nachdem  er  eine  Zeit  lang  in  Freundschaft  mit  ihm 
gelebt  hatte.  Eine  schöne  Frau  trag  die  Schuld.  Dem  erzürnten  Kaiser 
geläng  es.  den  Emj)örer  gefangen  zu  nehmen.  Fr  ließ  ihn  l)lenden.  zum 
Mönch  scheren*  und  der  aller  Güter  Beraubte  flüchtete  sich  in  die  Abtei 
Kremsmünster,  die  er  schon  vor  Jahren  dem  Andenken  seines  Sohnes, 
der  dort  auf  der  Jagd  dem  Zahn  eines  Ebers  zum  Opfer  gefallen  war, 
errichtet  hatte.  Nach  vielen  Jahren  übernachtete  Karl  in  dieser  Abtei 
und  begab  sich  des  Nachts  allein  in  die  Kirche.  Da  sah  er.  wie  ein 
Engel  einen  alten  bhnden  Mann  zum  Altar  führte.  Der  Kaiser  wollte 
seinen  Augen  nicht  trauen  und  bat  den  Abt  des  Klosters,  die  nächste 
Nacht  mit  ihm  zu  wachen.  Dieselbe  Erscheinung  wiederholte  sich  und 
der  Abt  berichtete  seinem  Herrn,  daß  dieser  Alte  der  einstige  Herzog 
Thassilo  von  Bayern  sei.  In  der  Erkenntnis,  daß  man  auch  seinen 
Feind  nicht  zu  streng  strafen  dürfe  und  daß  tler  Himmel  barmherziger 
gewesen  war  als  er.  fiel  der  Kaiser  dem  armen  Alten  zu  Füßen  und 
beide  versöhnten  sich  am  P^nde  ihres  Lebens. 

Alcander,  ein  vornehmer  Jüngling  in  Sparta,  der  mit  Lykurgs 
Neuerungen  nicht  einverstanden  war.  schlug  dem  Gesetzgeber  während 
eines  Straßentumultes  ein  Auge  aus.  Das  Volk  lieferte  ihn  dem  Ver- 
wundeten aus,  der  den  Übeltäter  aber  gütlich  und  freundlich  behandelte 
und  dadurch  von  seiner  edlen  Gesinnung  Zeugnis  gab. 

In  dieser  Reihe  ist  auch  die  Sage  vom  blinden  Lautner  zu  nennen, 
die  in  der  Arbeit  Direktor  Bürklens  über  die  Blindenführerhunde 
erzählt  wird.  (Zeitschrift  für  das  österr.  Blindenwesen,  1918,  4). 

Von  Interesse  sind  auch  die  Ansichten  der  Sage  über  das  Ver- 
halten beim  Blindwerden.  Dem  Sehenden  erscheint,  wie  auch  Schiller 
im  Teil  ausspricht,  oft  die  Blindlieit  .schrecklicher  als  der  Tod.  Kein 
Wunder  also,  daß  die  Sage  selbst  Sesostris.  den  großen  Ägypter- 
könig ob  seiner  Erblindung  so  verzweifeln  läßt,  daß  er  sein  Leben 
zerbricht. 

Demgegenüber  steht  aber  das  Ertragen  dieses  Schicksalsschlages 
als  (4ottesdienst,  wie  es.  ganz  aus  dem  Geiste  der  Mystik  geboren,  die 
Legende  der  Adelheid  von  Schar  emb  ek  e  (!rzählt.  Diese  .selige  Zister- 
zienserin aus  Brabant,  gestorben  1250,  wurde,  wie  ein  gleichzeitiger 
Berichterstatter  erzählt,  vom  Aussatz  befallen.  Sie  verlor  das  rechte 
Auge.  Diesen  Verlust  opferte  sie  für  den  kürzlich  erwählten  deutschen 
König  Wilhelm  von  Holland  auf.  damit  Gott  ihn  erleuchte.  Nicht 
lange  darnach  -erblindete  sie  auch  auf  dem  linken  Auge.  Ergebungsvoll 
nahm  sie  diese  neue  Prüfung  hin  als  Leidensopfer  für  den  Franzosen- 
könig Ludwig  IX..  der  eben  damals  seinen  Kreuzzug  unternommen 
hatte.    (Vergleiche  Dr.  Wilhelm  Oehl,  die  deutsehe  Mvstik.  Grat   1908). 


4.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  Osten  eichische  Blindenwesen.  Seite   lllL^. 

Eigenartig  ist,  daß  Blinde,  die  unschuldig,  weil  unwissend,  ein 
Unheil  angerichtet  haben,  in  der  Sage  nicht  losgesprochen  werden.  So 
wird  FI  ö  d  u  r,  der  auf  Anstiften  L  o  k  i  s  auf  B  a  1  d  e  r  den  todbringenden 
Pfeil  geschleudert  hat.  von  Wali,  Odhins  jüngstem  Sohn,  gerichtet. 

Nicht  zuletzt  erkennen  verwandte  Erzählungen,  daß  die  Blindheit 
zu  falschen  Beschuldiginigen  gegen  den  Blinden  ausgenützt  wird.  Diese 
Erkenntnis  spiegelt  eine  Fabel  aus  dem  indischen  Hitopadesa,  einer 
Sammlung  von  Erzählungen  und  Sprüchen,  die  der  Dichter  Narajana, 
der  im  Zeitraum  vom  2.  Jahrhundert  vor  bis  zum  ix  Jahrhundert  nach 
Christi  gelebt  haben  kann,  verfaßt  hat.  Es  ist  die  Fabel  vom  blinden 
Geier,  der  durch  Schicksalstücke  seine  Augen  verloren  hat  und  auf 
einem  großen  Feigenbaum  an  der  Ganga  wohnte.  Von  den  mitleidigen 
Vögeln  wird  er  gefüttert  mit  den  Überresten  ihrer  Mahlzeiten.  — 
Blindenlos.  Einem  Kater  erweist  er  sich  mißtrauisch,  doch  wird  er  von 
dessen  frommen  Keden  getäuscht  und  von  ihm  betrogen.  —  Wieder 
Blindenlos.  Und  der  Blinde  wird  anstatt  des  tückischen  Katers  getötet, 
welch  letzterer  den  anderen  Vögeln  des  Feigenbaumes,  den  Wohltätern 
des  Geiers,  die  Jungen  gefressen  hat. 

Hier  sei  auch  vermerkt,  daß  die  Mahabharata,  das  große  indische 
Heldengedicht,  den  Kampf  zwischen  den  5  Pandusöhnen  und  den  100 
Söhnen  des  blinden  Dhri  taraschtra  erzählt.  Der  nähere  Inhalt  ist 
mir  leider  nicht  zugänglich  gewesen. 

Auch  mit  Einäuigigen  beschäftigt  sich  die  Sage  mehrfach.  Erinnert 
sei  an  die  Cyclopen.  ferner  an  das  sagenhafte  scythische  Volk  der  Ari- 
maspen.  Hagen  von  Tronje,  der  finstere  Recke,  erscheint,  einäugig,  wie 
der  gewaltige  Göttervater  Odhin.  Die  griechische  Sage  erzählt  von  Cae- 
culus,  den  Erbauer  Pränestes,  der  seinen  Namen  von  caecus  =  blind 
bat  wegen  der  ungewöhnlichen  Kleinheit  seiner  Augäpfel. 

Manch  tiefen,  lebenswahren  Zug  aus  dem  Schicksal  des  Blinden 
finden  wir  so  in  den  Dichtungen  der  Völker  verwoben.  Sie  beweisen 
uns,  wie  klar  die  Intuition  der  Volksseele  die  Verhältnisse  zu  erfassen 
vermag.  Nicht  zuletzt  spricht  das  warme  Herz  der  Menschheit  mit  und 
macht  den  Blinden  zum  Symbol  der  Armut  und  der  Leiden.  Vielleicht 
ist  das  folgende  Gedicht,  das  meine  Ausfühnmgen  abschließen  soll,  aus 
einem  ähnlichen  im  Volksmäßigen  wurzelnden  Gefühl  zu  erklären. 
Seinen  Verfasser  konnte  ich  nicht  ermitteln. 


Der  bHnde  Knabe. 

Mit  der  Harte,  mit  dem  Stabe 
Reiste  jüngst  ein  blinder  Knabe 
Durch  das  Land  der  Gastlichkeit: 
Und  besang  in  frohem  Mute 
An  den  Orten,  wo  er  ruhte, 
Gottes  Huld  und  Herrlichkeit. 

Und  die  fromme  Milda  sab 
Seine  Blindheit  und  vernahm 
Seines  Liedes  Klang,  der  nah 
Zu  ihr  von  dem  Wege  kam. 


Seite  1114.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwe«en.  4.  Nummer, 

Und  sie  rief  den  kleinen  Sänger, 
Öffnend  ihm  des  Hauses  Tor, 
Spreciiend:  „Komm  und  singe  länger 
Mir  und  meinen  Schwestern  vor!" 
Und  der  kleine  Sänger  nickte 
Freundlich  ihr  und  trat  hinein, 
Und  die  gute  Magd  erquickte 
Liebreich  ihn  mit  Brot  und  Wein. 

Da  mit  einem  Male  schlägt 
Et  die  Augen  groß  empor, 
Und  ein  goldner  Schimmer  legt 
Sich  um  seines  Hauptes  Flor, 
Und  anstatt  der  Silberlahne 
Seiner  Harfe,  wallet  ihm 
In  der  Hand  die  Siegesfahne. 
Das  Panier  des  Seraphim. 
Höher  schwebend  im  Erscheinen, 
Redet  lächelnd  er  sie  an: 
..Was  Du  tatest  diesem  Kleinen, 
Sieh"  das  hast  Du  mir  getan!*' 

Dr  uckfehle  rberichtigung, 

In  der  Februarnummer  finden  sich  in  dem  Aufsatze:  »Der  Blinde  in  der  Sage 
im  Märchen  und  in  der  Legende«  zwei  Druckfehler  bei  Eigennamen.  S«ite  1077  ist 
statt  Sawitoi  Sawitri,  Seite  1080  statt  Meroyn  Merope  zu  lesen. 


Sendsdireiben    des   „Bündenfreundes"   über   die   Neugestaltung 
des  deutsdiösterreichisdien  Blindenwesens. 

In  Nr.  2  des  ,.Blindenfreundes"'  (1919)  hat  sich  ein  ungenannt  ge- 
bliebener reichsdeutscher  Fachmann  über  die  von  un.s  in  Nr.  12  unserer 
„Zeitschrift"  (1918)  veröffentlichten  „Grundzüge  zur  Neugestaltung 
unseres  Blindenwesens"  ausgesprochen,  im  allgemeinen  nicht  in  zustim- 
mendem Sinne,  denn  als  Mensch  und  Reichsdeutscher  beantwortet  er 
die  Frage,  ob  man  auch  in  Deutschland  auf  eine  Neugestaltung  der 
Blindenpflege  auf  sozialer  Grundlage  durch  den  Staat  dringen  soll,  mit 
einem  klaren  „Nein". 

Betrachten  wir  die  Gründe  dieser  Ablehnimg.  Der  Sendschreiber 
sagt  über  die  Grundzüge:  „Bei  der  Forderung  nach  der  sozialen  Grund- 
lage für  die  Neugestaltung  des  Blindenwesens  ist  also  von  dem  Gedan- 
ken ausgegangen,  ,daß  die  Volksgemeinschaft  der  alleinige  Träger  aller 
Pflichten  und  Lasten  dieser  Einrichtungen  für  die  Blinden  sein  soll,  und 
daß  die  Staatsbehörden  als  Beauftragte  dieser  im  demokratischen  Sinne 
geleiteten  Volksgemeinschaft,  die  Organe  einzusetzen  hat,  die  zur  Durch- 
führung dieser  staatlichen  Maßnahmen  erforderlich  sind.  Diese  Organe 
sollen  auf  demokratischer  Grundlage  eingerichtet  werden  und  die  Auf- 
gabe haben,  die  ungesäumte  Durchführung  der  Fürsorge  für  sämtliche 
Blinde  —  Kriegsblinde  mit  eingeschlossen  —  zu  bewirken."  Der  Schreiber 
findet  nach  den  Verhältnissen  in  Deutschland,  daß  die  bisher  am  Blinden- 


4.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1115. 

werke  beteiligten  Faktoren  „Staat,  Land  und  Privatwohltätigkeit"  durch- 
aus Gleichwertiges  leisteten,  so  daß  man  nicht  wünschen  oder  fordern 
müßte,  die  gesamte  Blindenpflege  möge  künftig  nur  in  einer  Kand,  in 
der  des  Staates  ruhen.  Im  Gegenteil,  ich  glaube  im  Namen  aller  deut- 
schen Blindenlehrer,  die  eine  derartige  Teilung  der  Blindenfürsorge- 
arbeit aus  Erfahrung  kennen,  es  aussprechen  zu  dürfen,  daß  die  Er- 
gänzung der  behördlichen  Blindenpflege  durch  die  freie  Liebestätigkeit 
privater  Vereine  und  Gesellschalten  sich  als  ein  Vorzug  erweist,  den 
wir  um  keinen  Preis  aufgeben  möchten." 

Die  Auffassung  des  Schreibers  geht  also  dahin,  als  verlangten  wir 
in  Österreich  von  unserer  Staatsleitung  unter  Ausschaltung  aller  anderer 
Faktoren,  selbst  der  Privatwohltätigkeit,  eine  diktatorische  und  aus- 
schließliche Übernahme  des  Blindenwerkes.  Diese  Auffassung  hätte  bei 
aufmerksamem  Lesen  der  „Grundzüge"  nicht  aufkommen  können,  denn 
in  denselben  wird  nicht  nur  vom  Staat,  sondern  auch  von  Ländern  und 
Gemeinden,  also  allen  Stellen  gesprochen,  in  denen  sich  die  Allgemein- 
heit verkörpert  und  die  Fortwirkung  der  Privatwohltätigkeit  wird  besonders 
erwähnt.  Wenn  unsere  Stellung  zum  Staate  nochmals  erläutert  werden 
soll,  so  ist  sie  folgende:  Bisher  waren  —  in  Deutschland  allerdings 
weniger  als  bei  uns  —  Blindenbildung  und  Blindenfürsorge  fast  nur 
Angelegenheiten  der  Privatwohltätigkeit,  während  sie  eine  soziale  Auf- 
gabe der  berufenen  Stellen  hätten  sein  sollen.  Aus  dieser  Anschauung 
sind  alle  aufgestellten  Forderungen  hervorgegangen,  um  dem  gegen- 
wärtigen, die  Blinden  beschämenden  und  unwürdigen  Zustand  ein  Ende 
zu  machen.  Von  der  Staatsleitung  verlangen  wir  als  berufenste  Stellung 
die  oberste  Führung  und  die  Erfüllung  aller  restlichen  Bedürfnisse,  die 
von  Land  und  Gemeinde  nicht  erfüllt  werden  können.  Der  privaten 
Mildtätigkeit  ist  dadurch  keinerlei  Schranke  gesetzt.  Wenn  in  Deutsch- 
land diese  Wünsche  nicht  so  scharf  hervortreten,  so  liegt  dies  wohl 
daran,  daß  sich  die  dortige  Staatsregierung  ihrer  Pflicht  schon  früher 
bewußt  geworden  ist.  Daß  aber  auch  dort  noch  die  Notwendigkeit  nach 
staatlichen  Einrichtungen  besteht,  ersehen  wir  aus  der  an  anderer  Stelle 
berührten   Beratung   der  ,.Heilpädagogischen  Vereinigung  in  Hamburg." 

Der  Sendschreiber  findet  aber  auch,  daß  die  Fassung  der  Aufgabe 
in  den  „Grundzügen"  die  Ausübung  eines  Zwanges  einschließt,  „des 
Zwanges  für  die  Blinden  —  für  sämtliche  Blinden  —  sich  dieser 
Fürsorge  zu  unterwerfen."  Er  verteidigt  die  Blinden  mit  besonderer 
Wärme  gegen  diesen  Zwang  und  will  ihre  Freiheit  und  Menschenwürde 
durch  gesetzliche  Maßnahmen  nicht  angetastet  sehen.  Er  geht  darin  — 
irgendwelcher  Befürchtungen  wegen  —  wohl  zu  weit.  Nun,  jede  Ge- 
sellschaftsordnung und  jede  gesetzliche  Maßnahme  bedeutet  einen  Zwang, 
den  aber  kein  Staatsbürger,  welcher  der  Segnungen  dieser  Ordnung  teil- 
haftig werden  will,  ablehnen  darf.  Die  „Freiheit  des  Blinden,  sein  Leben 
nach  seinem  oder  seiner  Eltern  Willen  zu  gestalten"  müßte  selbst  bei 
einer  ausschließlich  staatlichen  Blindenfürsorge,  von  der  übrigens  keine 
Rede  ist,  ebenso  unangetastet  bleiben  wie  bei  jedem  sehenden  Mitbürger. 
Ob  die  „Macht  des  Gedankens-'  hinreicht,  gesetzliche  Maßnahmen  zur 
Blindenbildung  und  Fürsorge  üljerflüssig  zu  machen,  möchten  wir  be- 
zweifeln, wenn  diese  Macht  auch  viel  zur  Erfüllung  der  gestellten  Auf- 
gal)en  beizutragen  vermag. 


Seite  1116.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  4.  Nummer. 

Fast  seheint  es,  als  tiätte  der  Sendschreiber  aus  unseren  „Grund- 
zügen"  Dinge  herausgelesen,  die  ihm  7a\  derartigen  Befürchtungen  Anlaß 
geben.  Wir  können  ihn  diesbezüglich  beruhigen,  denn  wir  sind  uns  bei 
Abfassung  der  „Grundzüge"  sicher  bewußt  gewesen,  von  welchen  Vor- 
aussetzungen wir  ausgehen  und  welche  Folgen  die  Durchführung  unserer 
Forderungen  haben  muß.  Uns  ist  der  Blinde  ein  Teil  des  Vol- 
kes, dem  die  Allgemeinheit  Bildungs-  und  Lebensmöglich- 
keit schaffen  muß,  nicht  nur  nach  den  Geboten  der  Näch- 
stenliebe und  Mildtätigkeit,  sondern  auch  kraft  seiner 
Menschenrechte.  Diese  Forderung  kann  nur  durch  die  Allgemein- 
heit restlos  erfüllt  werden  und  dazu  haben  wir  sie  in  unserem  Öster- 
reich aufgerufen. 


Heilpädagogik  in  der  Letireraltademie  in  Wien. 

Mit  der  Ernennung  des  bisherigen  Leiters  des  pädogogisch-psycho- 
logischen  Laboratoriums  an  der  n.  ö.  Landes-Lehrerakademie  in  Wien 
Dr.  Willibald  Kammel  /um  Direktor  der  Lehrerakademie  verwirklichen 
sich  weitgehende  Pläne  dieses  hervorragenden  Schulmannes.  Bereits  zu 
Beginn  des  kommenden  Schuljahres  wird  das  genannte  Laboratorium 
zu  einem  Institut  für  J  u  g  e  n  d  k  u  n  d  e  ausgestaltet  und  werden  fol- 
gende Seminarien  in  demselben  errichtet:  1.  Seminar  für  das  gesamte 
Gebiet  der  Heimatkunde,  2.  Seminar  für  Kunstpädagogik,  H.  Seminar 
für  Arbeitsschulbewegung,  i.  Seminar  für  Hei  1  pädagogi  k.  Dieses 
Seminar  soll  sich  nicht  nur  mit  der  Heranbildung  von  Hilfsschullehrern 
bei  Schwachbegabten  und  schwachsinnigen  Kindern  beschäftigen,  sondern 
es  knüpft  sich  daran  auch  die  Hotfnung,  die  Er/Zieh ungs-  und  l^nterrichts- 
kunde  der  Vier-  und  Dreisimiigen  (blinder,  taübsliunmer  und  taubstunmi- 
blinder  Kinder)  in  entsi)rechender  Weise  berücksichtigt  zu  sehen.  Damit 
könnte  ein  Mittelpunkt  für  die  Aus-  und  Weiterbildung  von  Lehrern 
dieser  Kinder  geschaffen  und  die  l)isher  so  stark  vernachlässigte 
wissenschaftliche  Behandlung  dieses  Gebietes  in  fruchtbare  Bahnen  ge- 
leitet werden. 

Eine  diesbezügliche  Aiu-egung  des  „Zentralvereines  für  das  österr. 
BUndenwesen"  an  die  Direktion  der  n.  ö.  Landes-Lehrenakademie  wurde 
von  derselben  herzlichst  l)egrüßt  und  versichert,  dem  Blindenwesen  die 
ihr  gebührende  Pflege  zuteil  werden  zu  lassen.  Zu  diesem  Zwecke  er- 
scheint es  notwendig, V einen  Arbeit.splan  für  unser  Teilgebiet  der  Heil- 
pädagogik auszuarbeiten  und  eine  Anzahl  von  Dozenten  namhaft  zu 
machen,  die  für  die  Vorträge  an  der  Akademie  in  Betracht  kämen. 

Wir  richten  daher  an  alle  Fachkollegen  die  Auffor- 
derung, sich  für  diese  Aufgabe  vorzubereiten  und  die 
Übernahme  von  Vorträgen  an  der  n.  ö.  Landes-Lehrer- 
akademie dem  ,.Zentral  verei  n"  schon  in  nächster  Zeit 
a  n  z  u  in  e  1  d  e  n. 

Mit  Vorbehalt  einer  entsprechenden  Änderung  bezw.  Ergänzung 
empfehlen  wir  die  Wahl  folgender  Vorträge:  1.  Die  Entwicklung  der 
Blindenbildung  und  Blindenfürsorge  (allgemein).  2.  Die  Entwicklung  der 
deutschen  und  österreichischen  Blindenbildung  und  Blindenfürsorge. 
3.  Die  Psychologie  des  jugendlichen   und  erwachsenen  Blinden,    i.  Das 


I 


4.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1117. 

Anschauuiigs-  und  Arbeitsprinzi})  im  Blindenunterricht.  5.  Die  Entwick- 
lung der  Blindensciirift  und  das  System  der  Punktschrift.  6.  Das  Tast- 
lesen   der    Punktschrift.    7.  Lehr-  und  Lernmittel    im    Blindenunterricht. 

5.  Die  musikalische  Ausbildung  des  Blinden.  9.  Beziehungen  zwischen 
dem  LJnterrichte  Voll-  und  Viersinniger.  10.  Das  schwachsichtige  Kind 
in  seiner  Stellung  zum  Unterrichte  der  Sehenden  und  Blinden.  11.  Unter- 
richt und  Erziehung  taubblinder  Kinder.  12.  Die  Bedeutung  der  experi- 
mentellen Pädagogik  für  Blindenunterricht  und  Blindenerziehung. 

Es  ist  nicht  zu  zweifeln,  daß  die  Pläne  des  unermüdlichen  Aka- 
demiedirektors Dr.  Kammel  einen  vollen  Erfolg  zeitigen  werden.  An 
uns  Blindenpädagogen  wird  es  liegen,  auf  diesem  Neuboden  das  Beste 
zur  Förderung  der  eigenen  Sache  zu  leisten. 

Erfreulich  ist  es,  von  ähnlichen  Bestrebungen  aus  Hamburg  zu 
hören.  Herr  H.  Peyer.  Inspektor  der  Blindenanstalt  dortselbs!  über- 
mittelt uns  hierüber  nachstehenden  Bericht. 


Heilpädagogisdie  Vereinigung  in  Hamburg. 

Die  Lehrkräfte  der  Blindenanstalt,  der  Taubstummenanstalt,  der 
Schwerhörigenschule,  der  Sonderklassen  für  Sprachkranke  und  der 
Alsterdorfer  Anstalten  für  Schwachsinnige  haben  sich  zu  einer  Arbeits- 
gemeinschaft zusammengeschlossen,  um  die  Interessen  ihrer  Schulen 
und  Schüler  besser  vertreten  zu  können.  Ferner  will  die  Vereinigung 
die  Aufmerksamkeit  der  Lehrer,  Ärzte  und  Eltern  in  erhöhtem  Maße 
für  die  Sonderschulen  gewinnen  und  allen  Interessenten  mit  fachmän- 
nischem Rate  zur  Seite  stehen.  Da  die  Verfügungen  des  Arbeiter-  und 
Soldatenrates  trotz  der  Beratung  durch  den  Lehrerrat  sich  nicht  kurzer- 
hand ohne  grossen  Schaden  auf  die  Sonderschulen  anwenden  lassen, 
erstrebt  sie  fachmännische  Vertretung  im  Lehrerrat. 

Die  Leitung  der  Vereinigung  liegt  in  den  Händen  eines  Aus- 
schusses, dem  von  jedem  Kollegium  ein  Vertreter  angehört.  In  den 
ersten  Versammlungen  standen  zur  Beratung:  Die  Notwendigkeit  der 
Einrichtung  von  staatlichen  Kindergärten  und  Vorschulklassen  für  die 
Abnormen,  ihre  Einbeziehung  und  die  der  Fortbildungsschule  in  das 
Schulzwangsgesetz,  die  Notwendigkeit  von  Sonderklassen  für  Schwach- 
sichtige, die  Heilpädagogik  in  der  Lehrerbildung. 

Die  Ergebnisse  der  Verhandlungen  werden  der  Oberschulbehörde 
unterbreitet,  die  dieser  Arbeitsgemeinschaft  lebhaftes  Interesse  ent- 
gegenbringt. 

Aus  den  Hnstalten. 

-  P  ri  va  t- Bl  i  n'd  en  I  ehr  an  «tal  t  Linz.  Der  bisherige  Fachlehrer  an 
dieser  Anstalt  Herr  Josef  Baumgartner  wurde  vom  ob.-öst.  Landesausschuße 
über  Vorschlag  des  bischöflichen  Ordinariates  in  Linz  mit  Dekret  vom  10.  Februar 
1919  zum  definitiven  Fachlehrer  an  dieser  Anstalt  ernannt. 

Als  Hospitantin  der  Elementarklasse  wurde  Fräulein  Sidonie  Schütz 
(blind)  durch  den  Herrn  Landesschulinspektor  Dr.  Franz  Rimmer  zugelassen,  die 
den  Lehrgang  der  Fröbelstiftung  des  Fröbelschen  Erziehungsvereines  in  Dresden 
von  1909  —  1910  besuchte  und  die  Abschlußprüfung  da»elb«t  machte. 


Seite  1118.  Zeitschrift  für  das  österreidiische  Blindenwesen.  4.   Nummer. 

Mit  Erlaß  vom  4.  März  1919  Z.  1647  hat  die  Landesregieiung  für  Slovenien 
der  Direktion  der  Priat-Blindenlehranstalt  in  Linz  den  Dank  mit  der  Bitte  ausge- 
sproclien,  für  die  slovenischen  Blinden  noch  fortiiin  Sorge  tragen  zu  wollen. 

Die  Anstaltsdirektion  hat  bereits  vor  Jahren  und  zuletzt  1918  der  erwähnten 
Regierung  eingehende  Vorschläge  über  die  Errichtung  einer  Blindenanstalt 
in  Laibach  erstattete,  die  dann  einer  Beratung  unterzogen  werden. 


Hus  den  Vereinen. 

—  Verein  zur  Versorgung  und  Beschäftigung  erwachsener 
Blinder  in  Wien  VIII.  Der  Verein  versendet  seinen  Rechenschaftsbericht  für  das 
Jahr  1918,  aus  dem  wir  Folgendes  entnehmen.  Bei  der  am  9.  April  d.  J.  stattgefun- 
denen Hauptversammlung  wurde  Präsident  P.  M.  H  e  r  s  a  n  wiedergewählt  und  er- 
reichte damit  das  vierzigste  Jahr  seiner  Zugehörigkeit  zur  Direktion,  wofür  ihm  unter 
allseitiger  Zustimmung  der  herzlichste  Dank  mit  den  aufrichtigsten  Wünschen  für 
sein  weiteres  Wohlergehen  ausgedrückt  wurde. 

Die  so  lange  Beendigung  des  Krieges  hatte  die  erhofften  Erleichterungen  in 
der  Versorgung  mit  den  notwendigsten  Dingen  nicht  im  Gefolge  und  so  blieben 
in  der  vom  Vereine  erhaltenen  Anstalt  große  Schwierigkeiten  in  dieser  Hinsicht 
auch  weiter  bestehen;  immerhin  blieb  diese  aber  von  dem  gewaltigen  Umschwünge, 
der  sich  auf  allen  Gebieten  des  öffentlichen  Lebens  vollzogen  hatte,  unberührt.  In 
der  Anstalt  waren  am  Schlüsse  des  Jahres  1918  35  männliche  und  50  weibliche 
Blinde  untergebracht.  Leider  war  eine  größere  Zahl  von  Todesfällen  unter  den 
Pfleglingen  zu  verzeichnen.  Die  Ursache  war  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  Alters- 
schwäche. Direktor  O.  H.  Stoklaska  waridte  seine  ganze  Kraft  dem  Bestreben 
zu,  für  eine  entsprechende  Verpflegung  der  blinden  Hausinsassen  zu  sorgen  und 
wurde  darin  von  den  Herren  Vizebürgermeister  Rain,  Stadtrat,  Dechant  und  Markt- 
amtsdirektor Bauer  werktätig  unterstützt.  Die  Gemeinde  Wien  und  der  n.  ö.  Lan- 
desrat erhöhten  die  Verpflegsbeiträge  für  die  von  ihnen  gestifteten  Pfleglingsplätze 
von  680  K  auf  1280  K.  Die  Beschäftigung  der  Zöglinge  konnte  nur  in  beschränktem 
Maße  aufrecht  erhalten  werden. 

—  Humanitärer  Blindenverein  »Lindenbund«  in  Wien.  Dem  in 
letzter  Nummer  veröffentlichten  Bericht  des  Vereines  ist  noch  nachzutragen,  daß  in 
der  letzten  Generalversammlung  folgender  Vorstand  gewählt  wurde:  Franz  Gelben- 
cgger,  Obmann;  Otto  Reiter,  Stellvertreter;  Franz  Kotek,  Schriftführer;  Paula 
Czech,  Rechnungsführerin;  Anton  Czech,  Kassier;  Franz  Bern  hart,  Anton 
Hönigsberger,  Martin  K  r  i  s  t  und  Franz  R  u  m  b  o  1  d,  Ausschüsse. 

—  Humanitärer  Geselligkeitsklub  »Die  Freunde  der  Blinden« 
i  n.  W  i  e  n  V.  Genannter  Klub  hat  im  Jahre  1914  mit  Beginn  des  Weltkrieges  wegen 
Masseneinrückung'seiner  Mitglieder  seine  Tätigkeit  eingestellt.  Nun  haben  mehr  als 
20  Mitglieder  die  dem  Klub  noch  verblieben  sind,  beschlossen,  die  Wiederinangriff- 
nahme der  Tätigkeit  zur  Durchführung  zu  bringen.  Dei  Verein  hielt  am  Donnerstag 
den  20.  Februar  1.  J.  in  der  Vereinskanzlei  des  Blindenunterstützungsvereines  »Die 
Purkersdorfer«  in  Wien,  V.,  Nikolsdorfergasse  42  seine  achte  ordentliche  General- 
versammlung ab,  bei  der  28  Mitglieder  anwesend  waren.  Auf  der  Tagesordnung 
stand:  Die  Neuwahl  der  Klubleitung,  Bericht  über  die  fernere  Tätigkeit  und  die 
Ziele  des  Klubs,  Anträge  der  Mitglieder,  die  Neuwahl  wurde  per  Zuruf  durchgeführt. 
Es  wurden  gewählt:  Zum  Obmann  W.  Birnbaum,  zum  Obmannstellvertreter 
F.  Uhl,  zum  1.  Kassier  E.  T  sc  hau  n  er,  zum  2.  Kassier  L.  B  ran  d  stette  r,  zum 
1.  Schriftführer  K.  Reiter,  zum  2.  Schriftführer  F.  Bartosch  jun.,  zu  Rechnungs- 
prüfern F.  Hermann,  und  A.  Schwär  zi  nger,  als  Ausschußmitglieder  Frau 
A.  Jänner,  Frau  H.  J  a  i  t  n  e  r,  Frl.  M.  Bartosch  und  Frl.  J.  Bartosch,  Lehrerin 

Für  unsere  Kriegsblinden- 

Die  Arbeit  eines  kriegblinden  Offiziers.  Von  Hauptmann  Rudolf 
Ritter  von  J  e  d  i  n  a  ist  im  Verlage  der  Manzschen  Buchhandlung  in  Wien  ein  kurzer 
Grundriß  des  Völkerrechtes  in  seinen  Beziehungen  zum  Landkrieg  erschie- 

Haraosgabsr:    Zantralraraia  für  das  ötUiraichiich*  Blindanwaien  in  Wien.     Redaktionskomitee:  K.  BUrklao, 
J.  Kneis,  A.  r.  Harvath,  F.  UbI,  —  Druck  tob  Adolf  BngliKh,  Purkeitdorf  bei  Wies. 


nen.  Der  Verfasser  bezeichnet  es  als  sein  Streben,  das  Kriegsrecht  zu  schildern, 
wie  es  sich  einem  Truppenoffizier  darstellt,  Anhaltspunkte  für  die  richtige  Beurtei- 
lung der  Kriegsereignisse  zu  geben  und  das  Verständnis  der  Friedensverhandlungen 
zu  erleichtern.  Dieser  Aufgabe  ist  er  auch  gerecht  geworden.  Das  Büchlein  wird 
vielen  willkommen  sein,  weil  es  eine  knappe  und  dabei  klare  Fassung  aller  Völker- 
rechtsgrundsätze und  eine  übersichtliche  Anordnung  des  Stoffes  bringt.  Es  ist  eine 
Dissertationsarbeit  und  um  so  verdienstlicher,  als  Hauptmann  v.  J  e  d  i  n  a  bei  einem 
Kampfe  an  der  Isonzofront  das  Augenlicht  völlig  verloren  hat  und  ihm  das  Quellen- 
material erst  in  Blindenschrift  zugänglich  gemacht  werden  mußte. 

—  Kriegsblindenheim  in  Wien  XIII.  Zu  den  Befürchtungen  der  da- 
selbst untergebrachten  Kriegsblinden,  wegen  Kompetenzschwierigkeiten  ihre  Ver- 
pflegung zu  verlieren,  teilt  das  Staatsamt  für  soziale  Verwaltung  mit,  daß  die  zur 
Fortführung  des  gesicherten  Betriebes  des  Kriegsblindenheims  erfoiderlichen  Mittel 
dem  Staatsamt  iür  soziale  Verwaltung  bis  einschließlich  31.  März  1.  J.  zur  Verfügung 
gestellt  wurden.  Auch  über  diesen  Zeitpunkt  hinaus  wird  das  Staatsamt  dafür  Vor- 
sorge treffen,  daß  bis  zur  Klärung  der  Frage,  weichem  Ressort  die  Kosten  der  Er- 
haltung des  Kriegsblindenheims  obliegen,  keine  Unterbrechung  des  geordneten  Be- 
triebes in  dieser  Wohlfahrtseinrichtung  eintritt. 

Eine  Wiener  Zeitung  nimmt  diese  Vorgänge  zum  Anlasse,  folgendes  Gedicht, 
das  wir  lediglich  als  Zeitdokument  wiedergeben,  zu  veröffentlichen. 

Die  Kriegsblinden. 
Sie  sind  in  ew'ge  Nacht  gesunken.  —  Der  Frühlingssonne  goldne  Funken  — 
Erstrahlen  ihnen  nimmermehr,  —  Der  Tag  ist  ihnen  schwarz  und  leer.  —  Sie  sehen 
nicht  der  Wiese  Maienpi  acht,  —  Des  Waldes  grüne  Zaubernacht,  —  Die  Berge  hoch 
und  lichtumflossen.  —  Das  Heimatdorf,  in  Blüten  eingeschlossen.  —  Im  Friede.n  fiel 
es  keinem  ein,  —  Ein  Mörder  und  Soldat  zu  sein.  —  Der  Kaiser  aber  frug  nicht 
lange  —  Und  stellte  sie  dem  blut'gen  Zwange  —  Der  Mann  kennt  seinen  Kaiser 
nicht  —  Und  opfert  ihm  sein  Augenlicht.  —  Er  weiß  nicht,  was  der  Kaiser  will,  — 
Erblindet  für  ihn  sanft  und  still.  —  Er  wird  als  braves  Landeskind  —  Dressiert  und 
für  den  Ksiser  blind.  —  Der  Kaiser  saß  in  seinem  Schloß.  —  Den  Landsturmmann 
traf  ein  Geschoß.  —  Der  Kaiser  wurde  fortgetrieben,  —  Die  Blinden  sind  im  Land 
geblieben.  —  Wer  wird  jetzt  für  die  armen  Blinden  —  Noch  Mitleid  oder  Nahiung 
gnden.?  —  Der  Sehende  hat  nichts  zu  essen,  —  Da  ist  der  Blinde  bald  vergessen. 
—  Wer  sehen  kann,  sagt  sich  geschwind:  —  Ich  bin  viel  lieber  tot  als  blind.«  — 
Doch  kommt  die  Probe,  dann  erheben  —  Die  Blinden  auch  ihr  Recht  zu  leben.  — 
Die  Kreatur  durchgellt  ein  Schrei:  —  >Nur  leben,  leben!  Wie  es  sei«  —  Der  Blinde 
leblt  an  seinem  Stabe,  —  Tot  ist  man  lang  genug  im  Grabe.  —  Laßt  nur  die  Liebe 
ihn  umfächeln,  —  Dann  lernt  sogar  der  Blinde  lächeln!  —  Seid  ihm  behilflich,  treu 
und  gut,  —  So  findet  auch  der  Blinde  Mut,  —  Sein  armes  Dasein  auszuleben  — 
Und  nach  dem  inne:n  Licht  zu  streben.  —  Verlangt  nicht  alles  von  dem  Staat!  — 
Er  weiß  sich  selbst  noch  keinen  Rat.  —  Von  Amt  zu  Amt  stößt  er  die  Blinden.  — 
Will  sich  nicht  durch  Verpflichtung  binden.  —  Er  hat  nach  allen  Ungewitern  — 
Noch  sehr  viel  Sehende  zu  füttern,  —  Die  tief  besorgt  um  ihre  Pfründen  —  Nichts 
opfern  können  unsern  Blinden.  —  Drum  soll  der  Einzelne  der  Armen  —  Ermun- 
ternd, hilfreich  sich  erbarmen.  —  Führt  zum  Beruf  sie  und  zum  Werke,  —  Daß 
Arbeit  ihre  Seelen  stärke!  —  Laßt  sie  nicht  darben,  murren,  betteln,  —  Tief  grol- 
lend ihre  Kraft  verzetteln!  —  Vergeßt  die  schuldlos  Blinden  nicht!  —  Seid  dankbar 
eurem  eig'nen  Licht!  —  Dem  Blinden  Zuversicht  gewähren,  —  Ist  Sonnendienst, 
heißt  selbst  euch  ehren.  r.  g. 

—  Veranstaltung.  Oberstleutnant  Josef  Patzak  hat  im  Baumgartner 
Kasino  ein  Tanzkränzchen  veranstaltet  und  das  gesamte  bedeutende  Reinerträgnis 
dem  Blindenarbeiterheime    und  Kriegsblindenheime  in  Wien-Baumgatren    zugeführt. 


Mitteilung. 

—  Zentralverein  für  das  österreichische  Blinden wesen.  Die 
p.  t,  Ausschußmitglieder  werden  zu  der  am  Freitag,  den  26.  April,  4  Uhr,  in  der 
Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  in  Wien  VIII.,  Josefstädterstraße  80,  statt- 
findenden Ausschußsitzung  höflichst  eingeladen.  Tagesordnung:  Blindenfürsorge- 
kommission im  Staatsamte  für  soziale  Verwaltung.  Seminar  für  Heilpädagogik  an  der 
n.  ö.  Landes-Lehrerakademie.  Laufende  Angelegenheiten. 


Österreichische  B^inilenzeitung 

j^i      Erscheint  mouatlirli  einmal.  : : :  Bezugspreis  jährlich  6  K.      [^i 

|e2£I|       Verlag:  I.  Österr.  Blindenverein,  Wien  VIII,  Florianiegasse  41.       \^^\ 

Die  ^-Österreichische  Blindenzeitung«,  hergestellt  nach  dem  vom  Dozenten  Dr.  Max 
Herz  erfundenen  Massedruck  der  Blinden-Punktschiift,  will  auf  humanitärer  Grund-- 
lage  fußend,  den  Blinden  geistig  fördernden  und  unterhaltenden  Inhalt  bieten. 
fllle  Blindenfreunde  werden  um  Unterstützung  dieser  Bestrebungen  gebeten. 

=  i^syl  für  blinde  Rinder  == 

Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im  vorschulpflichtigen  Aker  aus  allen  österreichi- 
schen Kronländern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 

Die  „ZentraibibliotiiBli  für  Blinde  in  Osterreicli". 

Wien  XVIII,  Währinger  GUrtel  136, 


verleiht  ihre  Bücher  kostenlos  an  alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  Unterstützung;  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  tiir  Blinde.  Erhaltung 
der  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


Der  blinde  Modelleur 

LIttau  in  Mähren, 

empfiehlt  seine  zu  Geschenken  sich 
:  vorzüglich  eignenden  keramischen  : 
Handarbeiten.  Nähere  Auskunft  brieflich. 


FpoduhtiugBnossBnschaft  für  blinde 
Bürstenbinder  und  Korbflechter. 

(■;.  m.  b.  11. 
Wien  VIII.,    Florianigasse  Nr.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

Alle  Gattungen  Bürstenbinder-  u.  Korbdechterwaren. 
Verkautsstelle:    Wien  VII.,   Neubau^asse  75. 


Musiifalien  -  Leihinstitut 

des  Blinden-Untcrstützungs Vereines 
»Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V., 
:  — :   Nikolsdorfergasse  Nr.  42.  :  — : 

fn      Blindendrucknoten    werden    an      x^fi 
\jk3      Blinde  unentgeltlich  verliehen!      IäJ 


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von   Oskar  Picht. 
Bromberg. 


W.  Kraus,  Berlin  N  54. 

(Gegründet  1878.) 

Borsten-,  Rohmaterialien-  und  Werkzeug-Fabrik 
======    Bürstenhölzerfabrik.    ====^ 


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Faserstoff-Zurichterei  Bergedorf 

Bergedorf  bei  Hai^fibi-TQ- 

Mustergültige  Bearbeitung  von   Fiber  und  Piassava 
aller  Arten. 


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Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.   — 


S  ch  r  i  f  1 1  e  i  t  u  n  g 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
kontoMr.132.257 


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Das  Blatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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Beziiyspreis  □ 

ganzjährig  mit  q 

Postzustellung  n 

6   Kronen,  D 

Einzelnummer  LJ 

50  Heller.  ^ 


6.  Jahrgang. 


Wien,  Mai  1919. 


5.  Nummer. 


INHALT:  Fr.  Demal :  Vom  Holzarbeits-Unterricht.  Dr.  J.  Haas:  Ein  deutsches 
Punktschrift-RIphabet.  Personalnachrichten.  Aus  den  Anstalten.  Aus  den 
Vereinen.  Karl  Henckell :  Blindenklage.  Für  unsere  Kriegsblinden.  Ver- 
schiedenes. Bücherschau.  Bemerkung.  Altes   und   Neues.     (Ankündigungen.) 


ff  ^% 

3   Beitrittserklärungen    zum     „Zentralverein    für  das  österreichische   ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten     an    die    Leitung   in    Wien   Vlil, 
g  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  3  K,  Zeitungsbeitrag  3  K.   g 

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flites  und   Neues. 


Die  Blinden  in  Japan  und  China.  Eine  ganz  eigentümliche 
Entwicklung  nahm  das  Blindenwesen  im  Lande  der  aufgehenden  Sonne, 
in  Japan,  wie  dies  übereinstimmend  in  verschiedenen  Berichten  ge- 
schildert wird.  Seit  dem  Jahre  885,  bis  zu  welcher  Zeit  sie  ein  elendes 
Dasein  fristeten,  bildeten  die  Blinden  dort  eine  eigene  hochstehende 
Kaste,  weil  dem  Mikado  ein  blinder  Prinz  geboren  wurde.  Mit  dreißig 
Jahren  wurde  derselbe  zum  Gouverneur  von  drei  Provinzen  ernannt, 
zu  deren  Regierung  er  sich  mit  blinden  Beamten  umgab;  auch  nach 
seinem  Tode  wurden  zahlreiche  Amter  von  Blinden  verwaltet,  bis 
1 180  der  Bürgerkrieg  dem  ein  Ende  machte.  Seitdem  verfiel  ihr  An- 
sehen, doch  blieben  sie  im  Besitze  wichtiger  Privilegien,  unter  denen 
das  einträglichste  war,  daß  bei  der  Geburt,  bei  der  Heirat  und  an- 
deren Familienfesten  sie  ein  Geschenk  beanspruchen  durften.  Um 
Ungleichheiten  zu  vermeiden,  mußte  ein  Blinder  nach  3  Tagen  weiter- 
ziehen. Die  Blinden  hatten  ferner  ein  Vorrecht  auf  die  Ausübung  der 
Musik,  der  Massage,  und  der  Nadelpunktur,  die  darin  besteht,  daß 
an  kranken  Körperstellen  zahlreiche  feine  Nadelstiche  in  die  Haut 
zur  Ableitung  angebracht  werden.  Der  Japaner  liebt  nach  dem  Bade, 
nach  körperlichen  Anstrengungen  und  zur  Behandlung  die  Massage 
sehr,  mit  welcher  deshalb  zahlreiche  Menschen  Beschäftigung  finden. 
Die  regelrechte  Ausübung  dieser  Handgriffe  verlangt  anatomische 
Kenntnisse,  in  denen  die  Blinden  geprüft  werden.  Wer  sich  in  Musik 
auszeichnete,  konnte  noch  höhere  Grade  erreichen,  über  deren  Erteilung 
besonders  berühmte  Blinde  zu  bestimmen  hatten.  Die  geprüften  Blin- 
den durften  auch  heiraten,  aber  nur  sehende  Frauen,  eine  Erlaubnis, 
die  für  die  meisten  Fälle  unbedenklich  ist,  da  Blindheit  sich  nur 
relativ  selten   vererbt. 

Viele  Spätererblindete  suchten  als  Erzähler,  als  Dichter  oder 
Wahrsager  ihr  Brot.  So  war  in  Japan  das  Los  der  Blinden  auch 
damals  noch  wesentlich  besser,  als  in  Europa.  Allein  das  Vorrecht 
auf  die  genannten  Berufe  wurde  verloren,  und  seitdem  sich  jeder 
Japaner  mit  ihnen  beschäftigen  darf,  sind  die  Blinden  bald  zurück- 
gedrängt worden.  So  ist  ein  x'\ufschwung  erst  wieder  erfolgt,  als  mit 
dem  Eindringen  der  europäischen  Kultur,  besonders  auf  Anregung 
der  Missionäre,  sich  dann  in  Japan  eine  ähnliche  Blindenfürsorge  und 
ein  Blindenunterricht  einzurichten  begann,  wie  Europa  und  die  Ver- 
einigten  Staaten   von  Nordamerika  sie  besitzen. 

In  China  haben  schon  seit  alter  Zeit  Schulen  bestanden,  in  wel- 
chen Blinde  zu  Scharen  ausgebildet  wurden.  Ein  Teil  von  ihnen  fand 
auf  diese  Weise  Beschäftigung,  die  Mehrzahl  lebte  im  Elend.  Seit 
1880  hat  der  Schotte  Muray  eine  besondere  Blindenmission  gebildet, 
welche  hauptsächlich  den  männlichen  Blinden  dient.  Eine  deutsche 
Gesellschaft  mit  dem  Sitze  in  Hildesheim  hat  sich  besonders  der  bis 
dahin  der  Prostitution  verfallenen  blinden   Mädchen   angenommen. 

Th.  Axenfeld. 


6.  Jahrgang.  Wien,  Mai  1919.  5.  Nummer. 

^  Das  große  Resultat  des  Unterrichtes  ist  ein  Verstand     ^ 

^  US 

^  mit  richtigem  Vermögen  zum  Unterscheiden,   mit  freier  ^ 

«  ■  ^ 

^  Kraft  zum  Tun:   der  große   Schulmeister  ist  die  Praxis.  ^ 

*  (Thomas  Carlye.)  ^ 

Vom   Holzarbeits-Unterricht. 

Von   Hauptlehier  Fr.  Demal  in  Purkeisdorf. 

Der  Wert  des  Handfertigkeits-Unterrichtes  für  Blinde  wird  wohl 
von  keinem  Fachmanne  mehr  angezweifelt.  Die  Erhöhung  der  Hand- 
geschicklichkeit, die  Erweckung  und  Erhaltung  des  Tätigkeitstriebes, 
Gewöhnung  an  Ordnung  und  Genauigkeit,  Stärkung  von  Selbstvertrauen 
und  Selbständigkeit  und  vieles  andere  sind  die  Früchte  dieses  bei  den 
Kindern  überdies  sehr  beliebten  Unterrichtes.  Dasselbe  gilt  natürlich 
auch  von  dem  einen  Zweig  des  Handfertigkeits-Unterrichtes,  von  dem 
wir  in  diesen  Zeilen  sprechen  wollen,  vom  Unterrichte  in  Holzarbeiten, 
der  aber  gegen  die  anderen  Handfertigkeitsfächer  überdies  noch  darum 
im  Vorteil  ist,  weil  er  mehr  als  die  übrigen  den  praktischen  Bedürfnissen 
des  späteren  Lebens  im  allgemeinen  dient  und  auch  jene  Handgriffe 
vorübt,  die  für  die  nachmalige  Erlernung  eines  Handwerkes  von  großem 
Nutzen  sind.  So  wird,  um  nur  einiges  anzuführen,  dem  späteren  Bürsten- 
binder die  Übung  im  Schraubeneindrehen  vonstatten  kommen,  dem 
Korbflechter  die  Fertigkeit  im  Schneiden  und  Hobeln  von  Leisten  und 
Brettern,  um  daraus  das  Gerippe  für  Gartenmöbel  u.  dgl.  zusammen- 
zustellen, dem  Klavierstimmer  die  genannten  und  noch  andere  Fertig- 
keiten, wie  z.  B.  Schnitzen  und  Leimen,  um  kleine  Reparaturen  vor- 
nehmen zu  können. 

Der  Zweck  dieser  Zeilen  ist  aber  nicht  die  Begründung  der  Be- 
lechtigung  eines  Holzarbeits-Unterrichtes;  die  ja  unbestritten  ist,  sondern 


Seite  1124.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  5.  Nummer. 

es  sollen  hier  praktische,  in  viel  jähriger  Unter  ri  chtsert  ei- 
lung erworbene  Erfahrungen  mitgeteilt  werden.  Dadurch  möge 
dem  jungen  Lehrer  das  Tappen  auf  unbekanntem  Gebiete  und  manche 
bittere  Enttäuschung  möglichst  erspart  bleiben  und  der  ältere  Fachge- 
nosse angeregt  werden,  sich  ebenfalls  über  die  seinerseits  gemachten 
Beobachtungen  zu  äußern. 

Von  der  Aufstellung  eines  L(>hr ganges  will  ich,  wenigstens  für 
diesmal,  absehen,  da  solche,  recht  gut  brauchbare  ohnehin  bestehen 
(„Lehrgang  für  den  Lnlerricht  in  llolzarbeiten  in  den  Blindenanstalten-' 
von  .].  Dietrich  inid  (i.  Köhler.  Dresden,  ,.Der  llandfertigkeitsnnter- 
richt  in  der  Rlindenschnle",  Vortrag  von  N.  Görner  auf  dem  VIL 
Blindc^nlehrer-Kongreüi;  außerdem  richtet  sich  die  Stoffverteilung  all- 
zusehr nach  den  jeweiligen  l>(Hlürfnissen  verschiedener  Anstalten,  z.  B. 
nach  der  Anzahl  der  für  diesen  Unterricht  herangezogenen  Altersstufen 
und  der  zur  Verfügung  stehenden  Stundenzahl. 

Doch  sind  meines  Erachtens  folgende  G  r  und  s  ;i  t  z  e  zu  l)eächten. 
soll  der  Unterricht  Ersprießliches  leisten: 

1.  An  dem  Unterricht  nehmen  mindestens  die  vier 
ältesten  Jahrgänge  der  d  i  (^  Schule  besuchenden  Zöglinge 
teil. 

2.  Für  jede  Stufe  beträgt  die  wöchentliche  Unter- 
richtszeit mindestens  zwei,  zusammenhängend  zu  ertei- 
lende St  un  den. 

8.  Die  Schülerzahl  darf  für  jede  Lehrkraft  höchstens 
sechs  betragen. 

4.  Die  methodi  sehe  A  nordnung  des  Unterrichtsstoffes 
richtet  sich  nach  den  Werkzeugen,  d.  h.  nach  der  Schwierig- 
keit ihrer  Handhabung. 

5.  Es  werden  nur  die  einfachsten  Handgriffe  dafür 
aber  gründlich  gelehrt;  auf  Vollständigkeit,  etwa  Unter- 
weisung in  schwierigen  Tischlerarbeiten,  muß  verzichtet 
werde  n. 

Zur  Begrün  d  u  n  g  der  vorstehenden  Punkte : 

\.  Der  Holzarbeitsunterricht  setzt  erst  mit  den  ältesten  Jahrgängen 
ein,  da  er  körperlich  anstrengender  ist  und  auch  mehr  Geschicklichkeit 
verlangt  als  die  anderen  Handfertigkeiten,  diese  ihn  also  vorbereiten 
helfen  sollen.  Er  soll  aber  in  mindestens  vier  Jahrgängen  betrieben 
werden,  weil  nur  bei  ausgiebiger  und  mehrjähriger  Übungszeit  die  Ge- 
v/ähr  besteht,  daß  die  Zöglinge  durch  ihn  in  ihrer  Handgeschicklichkeit 
tatsächlich  gefördert  werden. 

2.  Wie  schon  die  Erfahrungen  des  täglichen  Lebens  beweisen, 
braucht  man  zur  Verrichtung  jeder  Handarbeit  meist  mehr  Zeit  als 
man  veranschlägt  —  ,.man  richtet  wenig  aus"  —,  umsomehr  blinde 
Schüler,  die  auch  in  den  einfachsten,  von  sehenden  Kindern  durch 
bloßes  Absehen  erlernten  Handgriffen  unterwiesen  werden  müssen  und 
die  bei  der  Vollführung  vieler  Arbeiten  zum  Ersätze  der  Augen  erst 
zeitraubender  Vorbereitungen  bedürfen.  Es  sind  daher  mindestens  zwei 
wöchentliche  Stunden  zu    erteilen    und    zwar    als    Doppelstunde,    damit 


5.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndeiiwesen.  Seite  1125. 

das  Arhciton  im  Kluß  hloil)!  uml  keine  uiiiu'Higo  Zeil  für  /\veiiiiiili,!.;-es 
\'oi'l)ei'eilen  und  Einräumen  vergeudet  wird.  —  Bei  geringer  Schüler- 
zaid  iiönnen  auch  au.s  Ersparungsrücksichten  zwei  Altersstufen  zu  einer 
Gruppe  zusammengefaßt  werden,  doch  ohne  Schädigung  des  folgenden 
Grundsatzes. 

8.  Die  Forderung,  nicht  mehr  als  sechs  Schüler  gleichzeitig  zu 
unterrichten,  ist  wohl  gerechtfertigt,  wenn  man  hedenkt,  wie  manuell 
ungeschickt  doch  viele  Blinde  sind,  daß  wir  Schüler  hahen,  von  denen 
jeder  einzelne  allein  einen  Lehrer  henötigte  und  daß  wir  auch  diese 
wirklich  fördern  wollen. 

Auch  bei  nur  sechs  Schülern  hat  der  Lehrer  gerade  bei  diesem 
Unterricht  eine  Unsumme  von  Arbeit  zu  leisten:  Die  F'estsetzung  der 
Arbeit  für  jeden  einzelnen,  die  Verteilung  des  Arbeitsmaterials,  die  prak- 
tische Unterweisung  eines  jeden  einzelnen  und  fortwährende  Kontrolle 
und  Hilfeleistung  beim  Arbeitsfortgange.  Eine  größere  Schülerzahl  könnte 
nur  dann  angenommen  werden,  wenn  man  den  Unterricht  als  Massen- 
unterricht auffaßt.  Leider  ist  er  praktisch  nicht  durchführbar:  Weist 
man  auch  anfangs  allen  Schülern  die  gleiche  Arbeit  zu,  so  werden 
schon  nach  einigen  Stunden  die  einen  voreilen,  die  andern  zurückbleiben 
und  man  hat  eben  dann,  will  man  keine  Art  der  Schüler  schädigen, 
mehr  oder  weniger  Einzelunterricht  zu  betreiben. 

4.  Beim  Handfertigkeitsunterricht  Sehender  ist  der  Lehrstolf  meist 
nach  der  Beschaffenheit  des  Materials  angeordnet,  so  daß  z.  B. 
zuerst  längere  Zeit  Arbeiten  mit  schmalen,  dann  mit  breiten  Leisten 
u.  s.  f.  ausgeführt  werden,  wobei  zur  Herstellung  eines  Gegenstandes 
gleichzeitig  mehrere  Werkzeuge  verwendet  werden.  Dieser  Vorgang  ist 
für  uns  nicht  zu  em])fehlen.  Da  unsere  Ptleglinge  von  daheim  so  gut 
wie  keine  Kenntnisse  über  Werkzeuge  mitbringen,  auch  meist  sehr  un- 
beholfen sind,  so  bleibt  der  richtige  Vorgang  nur  der:  Es  ist  die  Hand- 
habung nur  eines  Werkzeuges  so  lange  zu  üben  (an  bloßen  Übungs- 
arbeiten und  wirklichen  Erzeugnissen),  bis  alle  Schüler  damit  vertraut 
sind,  dann  tritt  ein  zweites  dazu  u.  s.  f. 

5.  Bei  der  Auswahl  der  Arbeiten  wollen  wir  bedenken,  daß 
es  schon  unter  Sehenden  genug  gil)t,  die  nicht  die  geringste  Eignung 
und  daher  auch  keine  [.iebe  für  Handfertigkeiten  besitzen;  dasselbe  gilt 
in  erhöhtem  Maße  von  den  Blinden:  Viele  sind  eben  keine  „Bastler*' 
und  werden  es  auch  nie.  Bei  dieser  Art  von  Schülern  muß  man  das 
Lehrziel  möglichst  tief  setzen.  Aber  auch  bei  allen  übrigen  wollen  wir 
in  unseren  Forderungen  höchst  bescheiden  sein,  wollen  wir  nicht  bittere 
Enttäuschungen  erleben.  Die  Schranke  des  Nichtsehens  ist  einmal  da 
und  bleibt  bestehen.  Freilich  gelingt  es  oft  (durch  allerlei  Hilfsmittel 
und  Kunstgritre)  den  Blinden  dahin  zu  bringen,  daß  er  fast  unmöglich 
scheinende  Arbeiten  vollbringt;  aber  wird  er  sie  auch  dann  daheim, 
ohne  teure  Hilfsapparate  und  ohne  fremde  Hilfe,  ausführen  können? 

Wir  wollen  daher  bescheiden  sein  und  schon  im  Vorhinein  auf 
Kunstwerke  unserer  Schüler  verzichten.  Wecken  und  erhalten  wir  in 
ihnen  den  Tätigkeitstriel)  und  das  Selbstvertrauen,  befähigen  wir  sie  zur 
Ausführung  der  gebräuchlichsten  im  Haushalte  vorkommen- 
den Handgriffe  und  wir  haben  genug  getan.  Es  ist  besser,  der  junge. 


Stile  1126.  Zeilschrift  für  das  ösleireichische  Blindenwesen.  5.  Nuimner. 

blinde  iMami  ist  ein  tüeiitiger  Brennholzschneider,  als  er  macht  schlechte 
Zinken  und  Zapfen!  „Liebe  Frau  Kemeter  mach'  sie  lieber  Hemeter!" 
Einige  zweckmäßige  Arbeiten  mögen  angef ü  hr t  werden : 
Bloße  Übungsarbeiten  an  wertlosem  Material,  x\.usbessern  und  Herstellen 
einfacher  Spielsachen,  Verfertigung  von  Lehrmitteln  in  einfacher  Form, 
besonders  für  Naturlehre  (z.  B.  Schrotwage,  Wage,  verschiedene  Stative, 
Keil,  schiefe  Ebene.  Haspel,  Winde,  Mühlräder  mit  Hammerwerk  u.  dgl.. 
Windräder  mit  Klappergeräusch,  Knallbüchsen.  Holz-Tonleiter,  elektr. 
Pendel.  P]lektrophor.  Isolierschemel.  Elektromagnet).  Unterweisung  in 
Handgriffen,  wie  sie  das  Leben  tagtäglich  fordert:  Nägel  herausziehen 
und  gerade  klopfen,  vernagelte  und  verschraubte  Kisten  öffnen,  Nägel 
einschlagen  in  Holz  und  Mauer,  Vergipsen  von  Löchern,  das  Hantieren 
mit  Draht  und  Blech.  Schneiden  von  Brennholz,  Spalten  von  kleinem 
Unterzündholz.  Ausbessern  von  Haus-  und  (Tartengeräten  (z.  B.  Leimen 
verschiedener  Sachen,  Verkeilen  wackeliger  Hammer-  und  Schaufelstiele. 
Erneuerung  von  Rechenzähnen  u.  dgl),  \^erfertigung  einfacher  Gegen- 
stände für  Haus  und  Garten,  z.  B.  Kleiderrechen,  verschiedene  Kistchen 
und  Kästchen,  Schemel.  Feldsessel,  Gartenbänke  und  -Tische.  Setzhölzer, 
Blumenstäbe,  Rosenstöcke,  Schattengitter,  Werkzeugstiele,  Nistkästchen. 
Vogelfutterhäuschen.  Hühner-  und  Hasenställe  imd  vieles  andere. 

Nun  wollen  wir  über  den  Gei> rauch  der  wichtigsten  Werk- 
zeuge reden  und  diese  dabei  in  der  Aufeinanderfolge  anführen,  in  der 
sie  zweckmäßig  im  Unterrichte  auftreten. 

L  Der  Hammer.  Er  dient  zum  Einschlagen  und  Geradeklopfen 
von  Nägeln,  wenn  er  mit  einer  Klaue  versehen  ist,  auch  zum  Nägelziehen. 

Beim  Nägeleinschlagen  ist  der  Hammer  zuerst  ganz  kurz  zu  nehmen 
und  der  Nagel  vorerst  durch  ganz  leichte  Schläge  mit  der  Schmalseite 
des  Hammers  festzudrücken.  Hierauf  sind  kräftige  Schläge  zu  führen, 
aber  stets  streng  lotrecht  und  mit  der  vollen  Hammerfläche.  Nach  je 
2  bis  3  Schlägen  ist  der  Gang  des  Nagels  zu  kontrollieren.  Trotz  der 
angegebenen  Arbeitsweise  bleibt  doch  das  Nägeleinschlagen  für  Blinde 
eine  böse  Sache:  Entweder  zerspringt  das  Holz  oder  der  Nagel  bricht 
an  der  Seite  durch  oder  er  verbiegt  sich:  daher  beste  Vorbeugung: 
Stets  vorbohren! 

Zum  Geradeklopfen  von  Nägeln  nnd  Draht  gehört  eine  Fnterlage 
von  hartem  Holz  oder  noch  besser  von  Eisen. 

Ein  echter  Tischlerhammer  hat  wohl  keine  Klaue,  jedoch  jeder 
Haushaltungshammer.  Man  schaffe  nur  letztere  an,  da  damit  das  Nagel- 
ziehen wegen  des  langen  Hebelarines  viel  leichter  geht  als  mit  der 
Zange.  Nur  hat  man  (wie  auch  bei  der  Zange)  unter  den  Stützpunkt 
ein  Blech  oder  Brettchen  zu  legen,  um  den  Gegenstand  nicht  durch 
Druck  zu  verletzen. 

2.  Der  Drillbohrer.  Der  beste  Bohrer  für  Blinde,  da  er  am 
sichersten  lotrechte  Löcher  erzeugt.  Seine  Handhabung  ist  auch  für 
Blinde  riesig  leicht.  Die  Stelle,  an  der  gebohrt  werden  soll,  wird  zuerst 
durch  einen  Spitzbohfer  bezeichnet,  da  sonst  der  Schüler  beim  Beginn 
des  Bohrens  leicht  mit  dem  Gerät  ausgleitet  und  dann  eine  falsche 
Stelle  anbohrt.  Beim  Bohren  hat  man  nur  auf  wirklich  lotrechte  Haltung 
des  Bohrers  zu  achten  und  keinerlei  Druck  auszuüben.  Das  Herausziehen 


5.   Nummer.  Zcitschritl  für  das  österreichische   Blindenwesen.  Seite   1127. 

des  Bohrers  geschieht  nicht  etwa  durch  starjjes  Reißen  oder  heruin- 
wackehi  (denn  dadurch  bleiht  der  Bohreinsatz  entweder  im  Holz  stecken 
oder  er  bricht  gar  ab),  sondern  man  bewegt  den  Schieber  sehr  rasch 
(ruckweise)  nach  aufwärts,  läßt  ihn  dann  von  selbst  heruntergleiten  und 
wiederholt  dies  einigemale. 

3.  Die  Beiß-  oder  Nagelzange  verwendet  man  fast  nur  zum 
Herausziehen  von  Nägeln.  Dabei  sind  folgende  Fälle  möglich,  die  im 
praktischen  Leben  oft  genug  vorkommen: 

a)  Der  Nagel  steht  noch  ein  Stück  heraus:  dann  ist  er  sehr  leicht 
zu  fassen  und  die  Hantierung  selbstverständlich. 

b)  Der  Nagel  hat  sich  beim  Einschlagen  verbogen  und  wurde  ein- 
fach umgeschlagen  und,  um  den  Fehler  möglichst  ungeschehen,  d.  h.  nicht 
bemerkbar  zu  machen,  mit  zahlreichen  Hammerschlägen  tief  ins  Fleisch 
des  Holzes  eingebettet  —  ein  nicht  genug  zu  rügendes  Vorgehen  leicht- 
fertiger Arbeiter:  Da  ist  vorerst  der  verbogene  Nagelteil  mit  einem 
kräftigen  Nagel  oder  Spitzbohrer,  am  besten  aber  mit  einem  Schrauben- 
zieher (nicht  mit  dem  geschliffenen  Stemmeisen!)  zu  heben  und  dann 
mit  der  Zange  zu  ziehen. 

c)  Die  Nägel  sind  zwar  bis  zu  den  Köpfen  eingeschlagen,  stehen 
aber  auf  der  anderen  Brettseite  mit  den  Spitzen  heraus:  Da  sind  die 
Nägel  zuerst  mit  Hammerschlägen  auf  die  Spitzen  soweit  zurückzu- 
treiben, bis  die  Köpfe  gut  mit  der  Zange  zu  packen  sind. 

d)  Eine  gut  vernagelte  Kiste  ist  zu  öffnen  —  ein  verpfuschtes 
Machwerk  auseinander  zu  nehmen:  Mit  einem  starken  Schraubenzieher 
(hier  kann  es  auch  ein  Stemmeisen  oder  Lochbeitel  sein)  fährt  man 
an  mehreren  Stellen  zwischen  Kiste  und  Deckel  und  hebt  letzteren  so 
um  einige  Millimeter  (praktische  Physik:  Das  Stemmeisen  wirkt  als 
Keil !).  Hierauf  führt  man  einige  kräftige  Hammerschläge  auf  den  Deckel, 
natürlich  nicht  auf  die  Nägel,  sondern  zwischen  diese :  Der  Deckel 
senkt  sich,  die  Nägel  gehen  infolge  des  Beharrungsvermögens  nicht  mit 
und  stehen  nun  weit  genug  heraus,  um  mit  der  Zange  gefaßt  zu  werden_ 

Bei  allen  vier  Fällen  darf  man  aber  nicht  kerzengerade  in  die 
Höhe  ziehen  (denn  da  gelingt  das  Herausziehen  des  Nagels  bestimmt 
nicht,  überdies  kann  sich  der  Schüler  mit  der  abrutschenden  Zange 
böse  in  das  über  das  Arbeitsstück  gebeugte  Gesicht  fahren),  sondern 
man  gebraucht  die  Zange  als  Hebel,  dessen  Stützpunkt  eine  der  Zangen- 
wangen ist,  unter  welche  man  aber  wieder  zum  Schutze  gegen  Ver- 
letzung des  Gegenstandes  eine  Unterlage  zu  schieben  hat. 

4.  Der  Spitzbohrer  (Ahle,  Richtnadel)  dient  als  Hilfswerkzeug, 
um  nach  vorausgegangener  Messung  mit  einem  tastbar  eingeteilten 
Meter-  oder  Gliedermaßstab  die  Stelle  zu  bezeichnen,  wo  genagelt,  ge- 
stemmt oder  gesägt  werden  soll,  kurz,  er  vertritt  die  Bleistiftmarke  des 
Sehenden.  Auch  genügt  das  durch  ihn  erzeugte  Loch  meist,  um  darein 
kurze  Nägel  ohne  Benützung  des  Drillbohrers  einschlagen  zu  können. 
Er  wird  bloß  mit  dem  Handballen  ins  Holz  getrieben  und  durch  Drehen 
zwischen  beiden  Handflächen  (wie  beim  quirlen)  wieder  entfernt. 

(Fortsetzuncr  folgt.) 


Seite  1128.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  5.  Nummer. 

Ein  deutsdies  Punktsdirift-RIphabet. 

Vo»!  Professor  Dr.  J.  Haas,  Innsbruck. 

Das  heute  verwendete  Braille"sche  Punktschriftsystem  hat  neben 
den  anerkannt  großen  Vorzug  auch  bedeutende  Nachteile.  Besonders 
dem  später  Erblindeten  und  vor  allem  demjenigen,  dessen  Hände  durch 
rauhe  Arbeit  weniger  empfindlich  geworden  sind,  macht  das  Lesen  dieser 
Schrift  bekannthch  große  Mühe. 

Die  Hauplschwierigkeit  liegt  in  der  Häufung  der  Punkte  auf  engem 
Raum.  Piclativ  einfache  Zeichen,  gebildet  aus  den  Prunkten  der  zwei 
obern  Punkt])aare  liefern  die  ersten  zehn  Buchstaben  des  Alphabets; 
die  folgenden  zehn  werden  durch  Hinzufügung  des  Punktes  3  zu  jedem 
der  zehn  ersten  Zeichen  gebildet,  die  weitern  durch  Hinzufügung  der 
Punkte  3  und  (J.  Dieses  System  ergibt  daher  umso  punktreichere,  also 
im  allgemeinen  schwieriger  lesbare  Zeichen  je  später  sie  im  Alphabet 
auftreten.  Nun  bringt  unser  Alphabet  bekanntlich  die  Buchstaben  in 
bunter  Anordnung.  Es  ist  keine  Rede  davon,  daß  etwa  die  seltener  ge- 
brauchten Buchstaben  eine  spätere  Stelle  in  der  Reihe  einnehmen. 
Daraus  ergibt  sich  ein  Nachteil  des  Braille'schen  Systems  für  alle 
Sprachen.  Es  mag  sein,  daß  das  dem  Alphabet  aufgezwungene  Braille'sche 
System  der  französischen  Schrift  angepaßt  ist,  den  Bedürfnissen  der 
deutschen  Sprache  gemäß  ist  es  aber  sicherlich  nicht.  Für  diese  ergeben 
sich  aus  dem  System  ganz  unnötige  Erschwernisse,  die  bei  einer  andern, 
unserer  S])rache  mehr  angemessenen  (iru))])ierung  der  Punkte  zu  Schrift- 
zeichen so  vermieden  werden  können,  daß  das  Lesen  auch  dem  später 
Erblindeten  bedeutend  erleichtert  wird. 

Für  meinen  eigenen  (Tebraucii  —  ich  bin  im  6(i.  Lebensjahre 
erblindet  —  habe  ich  mir  ein  Alphabet  zusammengestellt,  welches  mir 
das  Lesen  deutscher  Texte  bedeutend  erleichtert.  Ich  lege  im  folgenden 
diesen  A'ersuch  eines  deutschen  Alphabets  vor.  Vielleicht  ist  damit  dem 
einen  oder  andern  meiner  altern  Schicksalsgenossen  wenigstens  für 
seinen  Privatgebrauch  ein  Dienst  geleistet.  Gegen  eine  allgemeine  Ein- 
führung (üeser  Zeichen  wird  man  einwenden,  daß  sie  für  den  inter- 
nationalen Verkehr  nicht  geeignet  sind.  Das  mag  sein,  für  diesen  mag 
jeder  die  Brailleschen  Zeichen  beibehalten.  In  der  Regel  wird  aber  der 
Deutsche  mit  Deutschen  verkehren,  so  daß  die  vorgeschlagene  An- 
passung der  Zeichen  an  unsere  Sprache  auch  für  unsern  gegenseitigen 
Verkehr  vorteilhaft  sein  (hirfte. 

Die  Grundsätze,  die  für  meinen  A'orschlag  maßgebend  waren,  will 
ich  in  einer  späteren  Mitteilung  ausführlicher  auseinandersetzen,  falls 
diese  Anregung  Anklang  findet.  Hier  möge  nur  angedeutet  werden: 

1.  Für  die  häufigsten  Buchstaben  die  einfachsten 
Zei  eben. 

2.  ein  sofort  in  d i e  A u g e n.  d.  h.  also  bei m  Blinden  in 
den  Finger  s|)ri  ngeii  der  Unterschied  von  Vokalen  und 
Konsonanten. 

Leicht  lesbar  sind  punktarme,  weitp  unkt  ige  und  symme- 
trische Zeichen.  In  der  deutschen  Sprache  ist  der  häutigste  Buch- 
.«stabe  e,  er  soll  also  das  einfachste  Zeichen  (Punkt  1)  erhalten.  Es  ist 
ein  wahres  Glück,  daß  dieser  Buchstabe  im  Alphabet  den  5.  und  nicht 


5.  Nummei.  Zeitschiitt  für  das  österreichische  Blindenwcsen.  Seite   1129. 

etwa  den  17.  Platz  inne  hat,  denn  im  letzteren  Falle  müßten  wir  ihn 
nach  Braille  mit  fünf  gehäuften  Punkten  schreiben.  Ganz  ähnliches  gilt 
vom  n,  r  und  ß.  Andererseits  sind  bei  Braille  für  im  Deutschen  seltene 
oder  überhaupt  nicht  gebrauchte  Buchstaben  sehr  einfache,  gut  le.'^bare 
Zeichen  verwendet,  also  für  uns  sozusagen  verschleudert,  vgl.  c  und  x. 
Die  Vokale  sind  in  meinem  Alphabet  ihrer  hohen  Be- 
deutung für  das  syllabiren de  Lesen  entsprechend,  dadurch 
von  den  Konsonanten  unterschieden,  daß  ihre  Zeichen 
nur  den  oberen  beiden  Punktpaaren  entnommen  sind. 

D e u  t  s  c h e s  AI p habe t. 

a  14,  b  1236,  c  IBoG,  d  130.  e  1,  f  1234,  g  3456,  h  126,  i  12, 
j  1456.  k  34,  l  123,  m  1346,  n  1245,  o  15,  p  136,  q  12345,  r  346, 
s  234,  t  13,  u  24.  v  246.  w  2456,  x  1345,  y  1246.  z  16,  ä  245, 
ö  145.  ü  124,  ie  125,  ch  345,  seh  156,  ß,  ss  2345,  st  2346,  ck  134, 
tz  146.  .  2356,  ,  2,  :  23,  :  25,  '?  26,  !  35,  ,...."  256  . . .  256,  —  36, 
'  Apostroph  235,  (  )  Klammer  236—356. 

Zahlenzeichen:  1  =  1,  2=12.  3=13.  4  =  14.  5=15.  6=16,  7  =  134, 
8=135,  9  =  136.  0=123. 

••   '•  '•     •'   '•  •'  •'   ■•     •'      ••  -• 
..  ••  ••  ••      «.  ••  .»      .«  «.  «.  »«         «» 

a   b   c   d   e   f   g   h   i   j   k   1   ni   n   o   p 

••   ■•   ■•  ••   '•   ■•   '•  ••  ••  •■   ••  ••  ••  •-   ••  •■ 

••      ••      •■   •'   ••   ••  •■      ••   '•  •'   ••   '•  '• 

•  ■   ••  ••   •■      ••   ••  ••   ••   ■• •-   '• 

q   r   s   t   u   V   w   x   y   z   ä   ö   ü   ie   ch  seh 

•   ••  ••  •• 

•  •  • ••  •■  •■  ••  •■   ■•  ••-■••     ••  ••-■■• 

•  •   ••  ••   ••  •.  •      ••      ■•  ••   ••   .*  ••  •■  ••   •• 

ß   st   ck   tz   .   ,   :   :   V   !   ,,  —  •'--'  (    —  ) 


•■  •'  •■  ••  •■  ••  ••  ••  ••  • 


•  • 


•  •  • •  ••  ••  ••  •• 

Zahlzeichen     12       3       4       5       6       7       8       9       0 


•■    ■••■•••■•■    '••■•••■   ••  ••••   ••••        •■•'    '• 

•  ••■••• ••'-••  ••■•••••         ...... 

■  •••■••■•'••••'••'■■.  ■• ••'•• 

Schriftprobe:  W  e  n  n  d  e  r 

■••••'         •'•'•••'■•         •■•■■••'••         •'•'••••••«■ 

•■••••••••  ...«....«•  ■■•■•»■■■■%• 

••••••  •■  •...«•....  ••■'•■ 

Hat  eines  Tore  n  c  i  n  m  a  1 

■•'••-     •■'•■•      •••■      ••■•••     •■••••     •■••••     '••■■• 
•••■    ••     ••••••      •■    ••      -•••••     •■••••     ■'••••     ■•••    •• 

•  ••••     ■■••■•      ••••      •••■••      •■•• ••'•• 

gut  ist,         so         muß  ihn  ein  g  e  - 

•  '   •'   •'   •■  •■    ••     ••••••••     ••  ••  ■•••••••    •••■  ••  •• 

■•••• ••••      ■••■•■•■•'• •••• 

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s  c  h  e  i  t  e  r  Mann  a  u  .s  f  ü  h  r  e  n. 


•■•■  ■•-••■••'•' 
•■  •-•••■•■••■••• 
•  '    '■  •-  • •••• 

L  e  s  s  i  n  g . 


Seile  1130.  Zeitsclirift  tür  das   Osten  eicliische  BlindenweLcn,  5.  Nummeiv 

Zu  vorstehendem  Vorschlage  erlauben  wir  uns  folgende  Bemerkungen. 

Die  Forderung,  bei  der  Punktschrift  die  L  e  s  b  a  r  k  e  i  t  d  e  r  Zeichen 
mit  der  Häufigkeit  ihres  Vorkommens  in  Übereinstim- 
mung zu  bringen,  tauchte  bald  nach  der  Einführung  des  Braille'schen 
Systemes  auf,  denn  es  ist  unverkennbar,  daß  in  dieser  Hinsicht  die 
Braille'sche  Punktschrift  einen  großen  Mangel  zeigt,  der  allerdings  im 
Französischen  nicht  so  sehr  zutage  trat,  als  in  anderen  Sprachen.  Auch 
hat  es  an  Vorschlägen  zu  einer  Änderung  in  dieser  Hinsicht  nicht  ge- 
fällt (Guadet,  New-Yorker  System,  St.  Marie,  Javal).  Bürklen  hat  in 
mehreren  Arbeiten*  darauf  hingewiesen,  warum  eine  diesbezügliche 
Besserung  bisher  nicht  erreicht  werden  konnte.  Während  nämlich  die 
Häufigkeit  unserer  deutschen  Schriftzeichen  nach  dem  Gießzettel,  besser 
aber  noch  nach  den  Häufigkeitszählungen  von  Kä ding  feststeht,  ist  die 
Lesbarkeitsreihe  für  die  Punktschriftzeichen  nicht  genügend  erforscht. 
Die  frühere  Annahme,  daß  die  Lesbarkeit  derselben  mit  der  Zahl  der 
Punkte  parallel  gehe,  ist  nämlich  nicht  oder  nur  im  beschränkten  Maße 
richtig.  Solange  also  nicht  eine  endgültige  Reihung  der 
Punktschrift  zeichen  bezüglich  ihrer  Lesbarkeit  stattge- 
funden hat,  wird  die  Aufstellung  eines  Systems  nach 
obigem  Grundsatze  nicht  möglich  sein. 

Trotzdem  erscheint  der  vorstehende  Vorschlag  Dr.  Haas"  in 
mehreren  Punkten  interessant  und  wertvoll.  Einmal  dadurch,  daß  er  als 
Spätererblindeter  ohne  Kenntnis  unserer  Literatur  die  Mängel  des  Braille- 
systems  erkannte.  Weiters  durch  die  Bezeichnung  von  leichter  und 
schwerer  lesbaren  Zeichen.  Als  leicht  lesbar  findet  er  p  unkt  arme, 
weit  punktige  und  symmetrische  Zeichen.  Stellt  man  die  von  ihm 
aufgestellte  Reihung  mit  jener  von  Bürklen  gefundenen  zusammen, 
so  übergeben  sich  vielerlei  Übereinstimmungen,  ohne  daß  jedoch  ein 
klares  Grundgesetz  der  Lesbarkeit  zu  erkennen  wäre.  Dieses  Grund- 
gesetz zu  finden,  muß  jedoch  Aufgabe  der  Forschung  sein  und  es  sind 
daher  alle  Beiträge  willkommen,  welche  in  dieser  Hinsicht  aufklärend 
wirken  können. 

Ein  äußerst  beachtenswerter  Vorschlag  von  Dr.  Haas  liegt  auch 
darin,  Vokale  (als  kurz)  und  Konsonanten  (als  lang)  in  den 
Schrift  zeichen  deutlich  zu  unterscheiden.  Bis  auf  das  Zeichen 

n  (••)ist  er  diesem  Grundsatze  in  seiner  Aufstellung  auch  treu  geblie- 
ben. (Besondere  Zeichen  für  au,  ei,  eu  und  äu  fehlen.)  Ebenso  bestehen 
alle  Satzzeichen  aus  kurzen  Buchstaben.  Für  die  Ziffern  verwendet  er 
kurze  und  lange  Zeichen,  obwohl  auch  hier  durch  die  Zusammenstellung 
mit  dem  langen  Zilfernzeichen  kurze  Zeichen  charakteristischer  wirken 
würden. 

Alles  in  allem  sind  die  gemachten  Vorschläge  höchst  bemerkens- 
wert und  sollten  uns  in  der  Zukunft  nicht  aus  den  Augen  entschwinden. 


*)  Blindenfreund   1913  und   1915,  Tastlesen  der  Blinden-Punktschrift.  (l.eipzig, 
1917,   Barth). 


5.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Bliiidenwesen.  Seite   1131. 

Personalnachrichten. 

Dirckloi'  K.  Waiiner  im  Ruhestände.  Der  Kiitwiokluiig  dei- 
politischen  Verhältnisse  in  Böhmen  ist  es  zuzuschreihen.  daß  der  Direktor 
der  Klar'schen  Blindenanstalt  in  Prag  Emil  Wagner,  nach  zwanzig- 
jähriger höchst  erfolgreicher  Tätigkeit  im  Blindenwesen  am  1.  Dezemher 
V.  J.  seine  Stelle  niederlegte  und  nunmehr  in  Klagenfurt  seinen  Wohn- 
sitz aufgeschlagen  hat. 

Mit  dem  Scheiden  Direktor  \Vagners  von  der  Leitung  der  Klarsehen 
Anstalt  schließt  wohl  ein  hedeutungsvolles  Kapitel  dieser  deutschen 
Gründung,  deren  Huf  weit  über  die  Grenzen  unseres  alten  Vaterlandes 
Österreich  hinausreicht.  Seit  Errichtung  der  Anstalt  (1832)  waren  vier 
Mitglieder  der  edlen  Familie  Klar  an  ihrer  Spitze  gestanden,  bis  der 
Mannesstamm  dieses  Geschlechtes  mit  Rudolf  Ritter  von  Klar  im 
Jahre  1898  erlosch.  Hiedurch  überging  die  Anstalt  aus  einer  mehr  oder 
weniger  unverantwortlichen  FamiMenverwaltung  in  eine  solche  mit  ver- 
antwortlichem Direktorium,  an  dessen  Spitze  Wagner  berufen  wurde. 
Die  Bedingungen,  imter  welchen  diese  Übernahme  erfolgte,  waren  nicht 
die  günstigsten,  den  der  Betrieb  der  Anstalt  wies  einen  ziemlich  großen 
Abgang  auf.  Es  gehörte  von  allem  Anfang  an  das  Finanzgenie  Wagners 
dazu,  diese  Sachlage  zu  bessern  und  in  der  Zukunft  die  Mittel  für  seine 
weitausgreifenden  Pläne  zu  beschaffen.  Sein  Verdienst  ist  es,  diese  Auf- 
gabe in  glänzender  Weise  gelöst  zu  haben.  Aber  auch  die  Neu- 
organisation seiner  Anstalt  in  der  musikalischen  wie  gewerblichen  Aus- 
bildung der  Blinden  nahm  er  ungesäumt  in  Angriff  und  entwickelte  aus 
der  industriellen  Tätigkeit  ein  ansehnliches  kaufmännisches  Geschäft. 
Nach  der  Bestiiumung  der  Klar'schen  Anstalt  als  Beschäftigungsanstalt 
erschien  die  Aufnahme  des  Unterrichtes  blinder  Kinder  nicht  möglich. 
Wagner  sah  sich  daher  veranlaßt,  mit  dem  Privat-Erziehungs-  und  Heil- 
institut in  Prag  zum  Zwecke  der  Aufnahme  der  dem  Kindergarten  der 
Klar'schen  Anstalt  entwachseiu^n  Kinder  in  Verbindung  zu  treten.  Ein 
anderer  großer  l^lan  aber  ließ  Wagner  nicht  rasten  und  nicht  ruhen: 
Die  Schaffung  einer  Blindenvolksschule  für  Deutschböhmen.  Vorerst  war 
es  jedoch  seiner  unermüdlichen  Tätigkeit  zu  danken,  daß  im  Jahre  1907 
neben  der  alten  Anstalt  ein  prächtiger  Neubau  erstand,  zu  dessen 
Grundsteinlegung  Kaiser  Franz  Josef  I  in  Prag  erschien.  Im  Jahre  1913 
aber  erstand  als  sein  eigenstes  Werk  und  dauerndes  Denkmal  die 
„Deutsche  Blindenschule  in  Aussig  a.  E.'' 

Es  ist  heute  noch  zu  früh,  der  aufopferungsvollen  Tätigkeit  Direktor 
W^agners  für  die  Blindenfürsorge  in  Böhmen  in  voller  Weise  gerecht 
zu  werden.  Was  er  allgemein  für  das  Gebiet  der  Blindheitsverhütung 
und  die  Blindenstatistik  leistete,  ist  ja  allbekannt.  Es  sind  auch  keine 
Abschiedsworte,  die  wir  seinem  hervorragenden  Werke  zollen,  denn 
noch  steht  er  in  voller  Rüstigkeit  in  unserer  Mitte  und  wird  es  sich  in 
seiner  Tatkraft  nicht  nehmen  lassen,  auch  weiterhin  an  unserem  vater- 
ländischen Blindenwerke  mitzuarbeiten.    Dazu   ein  herzliches  Glückauf! 

—  M  u  s  i  k  1  e  h  r  e  r  Karl  J  e  r  a  j .  Abschied.  Infolge  Übersiedlung 
ins  Ausland  mußte  Herr  K.  .leraj  seine  Stelle  als  Musiklehrer  an  der 
n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf  aufgeben.  Die  Anstalt  erleidet 
damit  einen  schweren  Verlust.  Im  Jahre  1912  als  Mitglied  des  Hofopern- 


Seite  1132.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Hiindenwesen.  5.  Nummer. 

Orchesters  zum  Lehrer  für  Violin,  Kontrabaß  und  Orchester  an  die 
Anstalt  berufen,  widmete  er  sich  mit  Eifer  und  Hingebung  seiner  neuen 
Aufgabe.  Sein  seltenes  Lehrgeschick  zeitigte  bald  die  schönsten  Erfolge. 
Diese  zeigten  sich  nicht  nur  in  den  Fortschritten  seiner  Schüler,  sondern 
auch  in  mustergültigen  Aufführungen,  die  er  bei  verschiedenen  Anlässen 
im  Festsaale  der  hiesigen  Anstalt  veranstaltete.  Seine  Verbindungen  in 
Künstlerkreisen  ermöglichten  die  Gewinnung  hervorragender  Kräfte  für 
groß  angelegte  Konzerte  in  der  Anstalt,  die  einesteils  der  Blindenfürsorge, 
anderenteils  der  Kriegsfürsorge  gewidmet  waren  und  nahmhafte  Rein- 
erträgen brachte.  So  wurde  unter  seiner  Führung  die  Purkersdorfer 
Blindenanstalt  zu  einem  künstlerischen  Mittelpunkte  des  Wientales, 
dessen  weitere  Entwicklung  nun  durch  den  Weggang  ihres  Trägers  jäh 
unterbrochen  ist.  Dankbare  Erinnerung  an  den  Lehrer  und  Künstler 
K.  Jeraj  werden  noch  lange  in  seinen  Schülern  wie  in  den  Kunst- 
freunden unseres  Ortes  und  seiner  Umgebung  wachbleiben. 

flus  den  Anstalten. 

N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  Lehrer  G.  Posch 
erhielt  einen  Krankenurlaub  und  wurde  an  seiner  Stelle  der  Lehrer  der  Taub- 
stummenanstalt in  Wr. -Neustadt  Karl  Nemec  der  Anstalt  aushilfsweise  zugewiesen. 

Veranstaltung.  Die  freie  Künstlervereinigung  »Ver«  aus  Wien  hielt  am 
27.  April  1919  zugunsten  der  Blindenfürsorge  in  Purkersdorf  eine  Veranstaltung  ab. 
Vor  zahlreichem  Publikum  trugen  im  Festsaale  der  Anstalt  die  Mitglieder  der  Ver- 
einigung Frl.  Friederike  Ehr  mann  und  die  Herren  Ottokar  Wanecek,  Karl  J. 
Haidvogel,  Fritz  Karpfen  und  K.  F.  Kocmata  eigene  Dichtungen  vor,  die 
reichen  Beifall  fanden.  Besonders  bemerkt  wurde  der  dramatische  Vortrag  Frl.  Ehr- 
manns, der  ihren  Gedichten  zu  höchster  Wirkung  verhalf.  Außerdem  brachte  Herr 
Fritz  Dan  kl,  am  Klavier  begleitet  von  Herrn  Franz  Büllik,  mit  seiner  weichen 
Stimme  eine  Auslese  von  Liedern  zu  Gehör,  die  ihm  reichen  Beifall  brachten.  Für 
den  wohltätigen  Zweck  konnte  ein  namhafter  Betrag  abgeführt  werden.  F.  B. 

flus  den  Vereinen. 

Zentr  al  ver  e  i  n  für  das  öst.  Bl  i  nde  n  wesen.  Ausschußsitzung  am 
25.  April  1.  J.  Der  Vorsitzende  Direktor  K.  Bürklen  macht  Mitteilung  über  den 
Mitgliederstand  des  Vereines,  der  sich  in  erfreulicher  Weise  gehoben  hat.  Mit  be- 
sonderer Freude  begrüßte  der  Ausschuß  den  Beitritt  des  gesamten  Lehrkörpers  des 
Blinden-Erziehungs-Institutes  in  Wien  II  zum  Zentralvereine,  zu  dessen  Vertretung 
Hauptlehrer  E.  Gigerl  in  den  Ausschuß  entsendet  und  zugewählt  wurde.  Frau 
Hauptlehrerin  Halarevici-Mell  erklärte  ihren  Austritt  sowohl  aus  dem  Aus- 
schusse als  auch  aus  dem  Vereine  und  begründet  ihren  Entschluß  mit  den  Vor- 
gängen, welche  zu  der  Beurlaubung  ihres  Vaters  geführt  haben. 

Kasseverwalter  Hauptlehrer  F.  D  e  m  a  1  berichtete  über  den  Kassastand  und 
die  andauernd  steigenden  Anforderungen  durch  die  Druckkosten  der  >Zeitschritt«. 
Zur  Deckung  des  Fehlbetrages  dieser  Post  wird  eine  Subvention  beim  Staatsamte 
für  soziale  Verwaltung  angesucht  werden. 

Die  Konstituierung  der  »Blindenfürsorgekommission  beim  Staatsamte  für 
soziale  Verwaltung«  steht  für  nächste  Zeit  bevor.  Es  werden  dann  dem  Staatsamte 
für  soziale  Verwaltung  sofort  Anträge  bezüglich  der  Durchführung  der  Neugestaltung 
der  Blindenbildung  und  Blindenversorgung  in  Niederösterreich,  bezüglich  der  Über- 
lassung eines  grölieren  Objektes  zu  Zwecken  der  Blindenfürsorge  u.  s.  w.  überreicht 
werden.  Die  Errichtung  eines  Seminares  für  Heilpädagogik  an  der  n.  ö.  Landes- 
Lehrerakademie  wird  mit  Freuden  begrüßt  und  beschlossen,  an  dessen  Ausgestaltung 
tatkräftig  mitzuarbeiten.  Der  Arbeitsplan  wird  sofort  ausgearbeitet  und  vorgelegt 
werden,  sobald  Ziel  und  Zweck  des  Seminares  genau  festgestellt  sind" 


5.  Nummer.  Zeitschiirt   für  das  österreichische  Bhndenwesen.  Seile  1133. 

Eine  lebhafte  Wechsehede  entwickelte  sich  über  die  Anregung  eines  engeren 
Zusammenschlusses  der  Organisationen  der  Blinden  und  wurden  die  Vertreter  der 
Vereine  Horvath,  Uhl  und  Czech  ersucht,  diesbezüglich  Beratungen  zu  pflegen. 

—  Blindenverein  »Lindenbund«  in  Wien.  Der  Vorstand  dieses 
Vereines  berief  am  18.  April  1.  J.  eine  »Freie  Blindenversammlung^<  ein,  in  welcher 
aktuelle  Fragen  der  Blindenfürsorge  zur  Besprechung  gelangten.  »Die  Zukunft  der 
Blinden  und  ihre  Organisation«  bildete  den  Gegenstand  der  Aussprache.  Ein  ge- 
wähltes Aktionskomitee  soll  die  Durchführung  notwendiger  Reformen  mit  Nachdruck 
verfolgen. 


Blindenklage. 

Von  Karl  H  e  n  c  k  c  1 1. 

Wenn  ich  dich  frage,  dem  das  Le])en  blüht, 

0  sag  mir,  sage,  wie  das  Mohnfeld  glüht! 

Das  rote  Mohnfeld,  wie  es  jauchzt  und  lacht  .  .  . 

Tot  ist  mein  Pfad  und  ewig  meine  Nacht. 

Wohl  manch  ein  Unglück  schlägt  den  Menschen  schwer, 

Wer  soviel  trägt,  kennt  keinen  Jammer  mehr. 

Die  sonnenhellen  l^Muren  wankt  er  blind 

Und  tappt  nach  Spuren,  die  verschüttet  sind. 

Ich  träume  Sonnen  strecke  weit  die  Hand, 

Ich  möchte  greifen  durch  die  dunkle  Wand, 

Ich  möchte  fassen  durch  der  Schatten  Schicht 

In  roten  Mohn  und  strahlengohrnes  Licht. 

Aus  alten  Zeiten  lockt  ein  Schiumier  nach. 

Im  toten  Auge  blieb  die  Sehnsucht  wach. 

Und  wissend  von  der  Herrlichkeit  des  Lichts, 

So  ganz  enterl)t,  geh'  ich  durch  Nacht  und  Nichts. 

Ich  weiß  von  Gott  und  seinen  dunklen  Wegen, 

Tot  ist  mein  Fluch  und  tot  ist  auch  mein  Segen. 


Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Stiftungen  für  Kriegsblinde.  Die  »Kriegsbeschädigtensektion  für 
Gagisten  des  Zentralverbandes  deutschösterreichischer  Kriegsbeschädigter«  in  Wien 
bringt  folgende  Stiftungen  zur  Vergebung:  Vom  Generalmajor  Kletus  Pich  1er  an- 
geregte Stiftung  der  Ouartiermeisterabteilung  des  1.  Armeekommandos.  Anzahl  der 
erledigten  Plätze:  6.  Betrag  des  Stiftungsgenusses:  K  250. —  Bezugsdauer:  Einmalige 
Beteiligung.  Hierauf  haben  Anspruch:  Gagisten  oder  Mannschattspersonen,  die  im 
Kriege  gegen  Rußland  in  der  Zeit  vom  21.  Dezember  1914  bis  einschließlich  15.  Mai 
1915  dem  Verbände  der  1.  Armee  angehöit  haben  und  während  oder  infolge  der 
Kriegsdienste  erblindet  sind.  In  deren  Ermanglung  alle  im  gegenwärtigen  Kriege, 
dann  alle  im  Kriege  überhaupt  erblindeten  Gagisten  und  Mannschaftspersonen.  Den 
Gesuchen  sind  beizuschheßen  die  Nachweise,  die  die  obenstehenden  Bedingungen 
bekräftigen.  —  Vom  Generalmajor  Emil  von  Hueber  und  dessen  Ehegattin  Hen- 
riette von  Hueber:  Anzahl  der  erledigten  Plätze:  1.  Betrag:  K  504.  — .  Bezugsdauer: 
Lebensdauer.  Hierauf  haben  Anspruch:  Erblindete  aus  Kärnten,  Ober-  oder  Nieder- 
österreich, Steiermark,  Nordtirol,  gebüilige  Offiziere  und  Beamte  des  ehemaligen 
Heeres.  Infolge  eines  Kriegsereignisses  Erblindete  haben  den  Vorzug.  Besitzer  von 
Privatvermögen  oder  Pensionsgenuß  von  mehr  als  K  4000. —  sind  vom  Stiftungs- 
genuß ausgeschlossen.  Den  Gesuchen  sind  beizuschließen  der  Vermögensnachweis 
und  der  Nachweis  der  Erblindung. 


Seite  1134.  Zeitschrift  fUr  das  Österreichische  BHndenwesen.  5.    Nummer. 

Verschiedenes. 

Vorschlag  eines  Dichters.  Der  im  Herbste  1918  in  Wien  verstorbene 
Peter  Altenberg,  ein  Dichter  besonderer  Eigenart,  machte  in  seinem  Buche 
»Vita  ipsa«  nachstehenden  originellen  Vorschlag. 

Musterschutz. 
Unterfertigter  meldet  höflichst  einen  Musterschutz    an    für  folgenden  kunstge- 
werblichen Gegenstand  (Brosche)  : 

Es  sind  vom  Stein-Schleiter  geschliffene  und  politierte  Donau-Kiesel 
in  allen  Farben  und  Formen,  in  beliebigem  Metalle  gefaßt  mit  Nadel,  als  Brosche, 
Anhänger,  Krawattennadel,  Schnalle  etc,  etc.  zu  tragen  und  zugleich  als  p)a trio- 
tische Gabe,  20''/(,  des  Reingewinnes  der  Kriegs-ßlinden- Fürsorge,  auf- 
zulassen. Das  Ganze  ist  eine  vollkommen  neue  Erfindung  des  Unterfertigten  und 
dient  patriotischen  Gefühlen  und  Zwecken!  Name:  Donau-Kiesel. 

Ergebenst 

Peter  A 1 1  e  n  b  e  r  g,  Schriftsteller 
Wien  1,  Grabenhotel. 
Bisher  ist  über  die  Verwirklichung  dieses  Vorschlages  nichts  bekannt  gewor- 
den. Zu  derselben  würde  neben  dem  Gedanken  eines  Dichters  auch  das  praktische 
Genie  eines  —  Selbstgewinners  gehören. 

—  Ein  Holzhack« r,  der  sich  selbst  den  Star  sticht.  Der  Berliner 
Augenarzt  Dr.  Eugen  Berger  hat  unlängst  einen  Fall  zu  sehen  bekommen,  wie  er 
wohl  noch  nie  da  war.  Es  kam  zu  ihm  ein  SSjähiiger  Landwirt  in  die  Sprechstunde, 
dessen  Augenuntersuchung  nach  einem  Berichte  der  »Klinisch-therapeutischen 
Wochenschrift«  folgendes  ergab  :  Die  rechte  Linse  war  in  den  Glaskörper  zurück- 
gesunken, die  voidere  Augenkammer  durch  Zurücksinken  der  Iris  außergewöhnlich 
tief;  mit  dem  Augenspiegel  konnte  die  durch  den  Star  getrübte  Linse  aufgefunden 
werden.  Der  Landwirt  erzählte,  vor  wenigen  Jahren  sei  er  auf  dem  rechten  Auge 
völlig  blind  gewssen;  beim  Holzhacken  sei  ihm  ein  Stück  Holz  gegen  das  Auge 
geflogen  und  von  da  an  habe  er  auch  rechts  wieder  sehen  können.  Damals  wurde 
er  in  der  königlichen  Augenklinik  vorgestellt,  und  der  Unfall,  der  ihm  durch  eine 
Augenverletzung  das  Augenlicht  wiedergegeben  hatte,  machte  begreifliches  Aufsehen; 
der  Holzhacker  hatte  sich  selbst  zufällig  den  Star  gestochen.  Nun  aber  kommt  das 
Wunderbare:  F"ünf  Tage  darauf  kommt  der  greise  Landwirt  wieder  zu  dem  Augen- 
arzt, und  jetzt  war  er  auf  dem  rechten  Auge  wieder  blind;  beim  Holzhacken,  wobei 
er  sich  häufig  bücken  mußte,  war  nach  seiner  Erzählung  das  Augenlicht  plötzlich 
wieder  erloschen.  Die  Untersuchung  ergab,  daß  die  trübe  Linse  in  die  vordere 
Augenkammer  gefallen  war.  Dr.  Berger  riet  dem  Wiedererblindeten,  sogleich  die 
Linse  entfernen  zu  lassen.  Allein  alles  Zureden  war  vergeblich,  der  Landwirt  wollte 
den  Eingriff  nicht  gestatten.  Drei  Monate  später  suchte  er  den  Arzt  wieder  auf; 
damals  war  es  jedoch  zu  spät  zur  Operation,  denn  mittlerweile  war  das  Auge 
zugrunde  gegangen. 

—  Eine  Bettlerschule  in  England.  England  darf  sich  rühmen,  eine 
systematische  Bettlerschule  und  Fabrik  zu  besitzen.  Ihr  Sitz  ist  Hackney,  wo  ein 
pfiffiger,  skrupelloser  Bettlerfabrikant  ein  heimliches,  dunkles,  aber  blühendes  Ge- 
schäft betreibt,  für  das  er  eine  ausgedehnte  Reklame  macht.  Kunst,  Vielseitigkeit, 
Kaltblütigkeit  und  Technik  tragen  dazu  bei,  in  kurzer  Zeit  einen  bemitleidenswerten 
Bettler  zu  erzeugen.  Lahme,  Einäugige,  Einarmige,  mit  Ausschlag  behaftete  usw. 
werden  »gemacht«  und  eingeübt.  Den  Blinden  stellt  er  dressierte  Hunde  zur  Ver- 
fügung, die  ihren  bettelnden  Herrn  kundig  durch  die  Straßen  führen.  Bettlerinnen 
leiht  er  kleine  Kinder,  denn  Kinder  bilden  bei  den  Stlaßenbettlern  immer  ein  em- 
pfehlenswertes »Aushängeschild«  ihres  Elends.  Für  seine  Mühewaltung  verlangt  der 
Bettlerfabrikant  einen  bestimmten  Prozentsatz  der  täglichen  Beltlereinnahme  und 
läßt  sich  auch  auf  eine  einmalige  Abzahlung  ein. 

—  Bettle  rhumor:  Dame  (zum  blinden  Bettler):  Was?  Gestern  waren  Sie 
taubstumm  und  heute  sind  Sie  blind? 

Bettler;  Na,  Madamken,  wie  ist  das  anders  /.u  machen?  Heutzutage  will  das 
Publikum  Abwechslung  haben. 

Herausgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  Bliodenwesen   in  Wien.     Redaktionskomites:  K.   Bürkleh, 
J.  Rneis,   A.  ».  HorTath,   F.  Uhl.   —   Druck    Ton    Adolf  Englisch,    Piirkersdorf  bei  Wien. 


Bücherschau. 

—  Bericht  über  den  6.  Österr.  Bl  i  ii  d  c  ii  fürs  orgeta.y-, 
Wien  1918.  Mit  einer  durch  die  Zeitverhältnisse  bedingten  Ideinen 
A'('is})ätung  erscheint  der  gedruckte  Bericht  über  die  Verhandlungen  des 
().  Österr.  Blindenfürsorgetages.  Es  ist  damit  Gelegenheit  geboten,  die 
wertvollen  Ausführungen  aller  Vorträge  in  der  nötigen  Ruhe  in  sich 
aufzunehmen  und  zu  verarbeiten.  Während  die  Vorträge  im  Berichte 
unverkürzt  erscheinen,  mußten  die  Wechselreden  der  bedeutenden  Druck- 
kosten auf  das  Wesentlichste  beschränkt  werden,  wodurch  der  Bericht 
an  Übersichtlichkeit  nur  gewinnen  konnte.  Die  Schriftführer  haben  sich 
damit  wohl  den  Dank  aller  Leser  erworben. 

Einer  Anzahl  von  Teilnehmern  konnte  der  Bericht 
wegen  Behinderung  des  Postverkehres  oder  nicht  mehr 
gültiger  Adressen  nicht  übermittelt  werden.  Die  Betref- 
fenden werden  gebeten,  die  Eröffnung  des  Postverkehres 
abzuwarten,    bezw.    ihre    richtigen    Adressen    anzugeben. 

Noch  vorrätige  Berichte  köimeii  zum  Preise  von  10  Kronen 
beim  „Zeutralverein  für  das  österr.  Blindenwesen",  Versand 
Purkersdorf  bei  Wien  (Blindenanstalt),  bezogen  werden. 

—  MellA.:  Mitteilungen  aus  dem  Gebiete  des  Blinden  wesens. 
1.  Heft  (Wien  1919,  Selbstverlag  des  Blinden-Erziehungs-Institutes).  Wie  es  in  der 
Einleitung  heißt,  haben  die  Sammlungen  des  Blinden-Erziehungs-Institutes  in  Wien 
einen  Umfang  erreicht,  der  es  erlaubt,  an  ihre  wissenschaftliche  Verwertung  auf 
breiler  Grundlage  heranzutreten.  Nach  verschiedenen  Richtungen  soll  dies  in  zwang- 
loser Folge  von  Publikationen  ausgeführt  werden,  von  denen  hiemit  die  erste  der 
Öffentlichkeit  übergeben  wird.  Das  erste  Heft  enthält  die  Abhandlung  »Zur  Ent- 
stehungsgeschichte der  Blindenschrift  mit  besondererRücksicht 
auf  die  Punkt  schritt«  von  Dr.  Alfred  Meli.  Die  Abhandlung  spüit  allen  wis- 
senschaftlichen Quellen  auf  diesem  Gebiete  nach  und  berührt  in  ausführlicher  Weise 
die  Verdienste  des  italienischen  Jesuiten  Lana  und  des  französischen  Offiziers 
Barbier  um  die  Entwicklung  der  Blindenschrift.  Die  Entwicklung  scheint  damit 
Avohl  in  allen  Zusammenhängen  klargelegt  und  wir  empfehlen  die  Schrift  allen  Fach- 
genossen als  gründliche  und  wertvolle  Arbeit. 

—  Aus  der  Praxis  für  die  Praxis.  Berichte  der  deutschen  Zentral- 
bücherei für  Blinde  zu  Leipzig.  1.  Bericht.  Januar  1919.  Museumsdirektor  Prof. 
Dr.  Schramm  begründet  damit  unter  Mitwirlcung  der  verdienstvollen  Frau  Marie 
Lomnitz-Klamroth  ein  für  das  deutsche  Blindenschriftwesen  höchst  wertvolles 
Werk.  Das  erste  Heft  enthält  einen  Jahresbericht  über  die  Zenlralbücherei  für  Blinde 
und  den  bibliographischen  Apparat  dieses  Institutes,  die  Bücherliste  der  1918  ein- 
gestellten handschriftlich  hergestellten  Werke  und  der  Musikalien,  sowie  eine  Be- 
schreibung des  Leipziger  Schreib-Satz-Druckgerätes  (System  Haake).  Schließlich 
versucht  Renate  Dumant  Material  zur  Blindenbibliographie  beizubringen,  das  nach 
Erscheinungsjahren  geordnet  ist.  Obwohl  die  Aufstellung  noch  Lücken  enthält,  ist 
mit  dieser  verdienstvollen  Arbeit  die  Hoffnung  gegeben,  endlich  einmal  zu  der  schwer 
vermißten  Bibliographie  unseres  deutschen  Hlindenwesens  zu  gelangen.  Weiteren 
Veröffentlichungen  auf  diesen  Gebiete  sehen  wir  mit  Interesse  und  Dank  entgegen. 

—  O.  Wanecek:  Über  besondere  Maßnahmen  für  den  Unter- 
richt Schwachsichtiger.  (Zeitschrift  für  das  deutschösterreichische  Volks- 
schulwesen. 1919,  1-3  Heft.) 

Bemerkung. 

VI.  Österr.  Blindenfürsorgetag.  Es  sei  hiemit  nachgetragen,  daß  am 
VT.  Österr.  Blindenfürsorgetag  die  Grazer  Ödilienanstalt  durch  den  Herrn  Direk- 
tionsadjunkten Alois  Fast  vertreten  war. 


Österreichische  31i**<lsn2eitung 

r^      Erscheint  moiiatlicli  eiumal.  : : :  Bezugspreis  jährlicli  6  K.      [^i 

f^^l       Verlag:  I.  Österr.  Blindenverein,  Wien  VIII,  Florianiegasse  41.       I^jj 

Die  »Österreichische  Blindenzeitunji«,  hergestellt  nach  dem  vom  Dozenten  Dr.  Max 
Herz  erfundenen  Massedruck  der  Blinden-Punktschrift,  will  auf  humanitärer  Grund- 
lage fußend,  den  Blinden  geistig  fördernden  und  unterhaltenden  Inhalt  bieten. 
Alle  Blindenfreunde  werden  um  Unterstützung  dieser  Bestrebungen  gebeten. 

■ ^syl  für  blinde  3(inder  == 

Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im   vorschulpflichtigen   Alter  aus  allen   österreichi- 
schen Kronländern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 

Die  „ZentPolbibliotliBii  fOi*  Blinde  jn  Östeppeicii", 

Wien  XVIII,  Währinger  GUrtel  136, 


verleilit  ihre   Bücher  kostenlos   an   alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines;  Uiilerstützung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  tür  Blinde.  Erhaltung 
der  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


Den  blinde  Modelleur' 


Llttau  in  Mähren, 

empfiehlt  seine  zu  Geschenken  sich 
:  vorzüglich  eignenden  keramischen  : 
Handarbeiten.  Nähere  Auskunft  brieflich. 


PpodutitiugBnossBnsctiQft  für  blinde 
Böpstenbindep  und  KorbflBchter. 

C.  i„.  1).  JI. 

Wien  Vlil.,   Floriani^asse  Ni».  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

Alle  Gattungen  Bürstenbinder-  u.  Korlittechterwaren. 
Verkautsstelle.    Wien   VII.,   Neubau^asse  75. 


MusiiialiBn  -  Leiiiinstitut 

des  Blinden-Unterstützungsvereines 
»Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V.. 
:  — :   Nikolsdorfergasse  Nr.  42.   :  —  : 


<z» 


Blindendrucknoten    werden    an      fWk 
Blinde  unentgeltlich  verliehen!      lAJ 


von  Oskar  Picht. 

B  romberg. 


W.  Kraus,  Berlin  N  54 

(Gegründet  1878.) 

Borsten-,  Rohmaterialien-  und  Werkzeug-Fabrik 
=^====:    Bürstenhölzerfabrik.     =====^= 


□ 


□ 


Faserstoff-Zurichterei  Bergedorf 

Bergedorf  bei  H^^rnburg. 

Mustergültige  Bearbeitung  von   Fiber  iindPiassava 
iiller  Arten. 


□ 


a 


Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  BÜnden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


D 

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Schriftleitunq 
Purkersdorf 
bei  <Wien. 
Osterreidiisches 
Pöstsparkassen- 
kontoNr.l3Z257 


D 
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Das  Blatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  BQrklen. 


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Bezugspreis 
ganzjährig  mit 
Postzustellung 

6  Kronen, 
Einzelnummer 

50  HeHer. 


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6.  Jahrgang. 


Wien,  Juni  1919. 


6.  Nummer. 


INHALT:  Blindenfürsorgekommission  im  Staatsamte  für  soziale  Verwaltung. 
Fr.  Demal:  Vom  Holzarbeits-Ünterridit.  (Fortsetzung).  F\.  Krtsmäry:  Nach- 
wort zu  meinem  „offenen  Briefe"  an  die  Musiklehrer  der  Blindenanstalten 
und  an  alle  blinden  Musiker  der  deutsdiösterreidiischen  Republik. 
Die  Versorgung  der  Kriegsblinden  und  flugenbesdiädigten  in  Deutsdi- 
österreich.  Rus  Mähren.  Personalnadiriditen.  Rus  den  Anstalten.  Rus 
den  Vereinen.  Für  unsere  Krie§sbl5nden.  Mitteilung.  Berichtigung.  Altes 
und  Neues.     (Ankündigungen.) 


13= 


'-S[\ 


^  Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Bijndenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIII, 
.3  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  3  K,  Zeitungsbeitrag  3  K.  {s 

& ^ 


D 


Altes  und  Neues. 

Blindheit  als  Motiv  einer  komischen  Oper. 

In  Paris  wurde  im  Jahre  1835  die  später  auch  in  Deutschland  ge- 
gebene Oper  >Der  Blitz«  von  F.  Halevy  (Text  von  St.  Georges  und 
Pianord)  aufgeführt,  in  welcher  dies  seltsame  für  Komik  wenig  ge- 
eignete Motiv  erscheint.  Die  Handlung  ist  folgende:  Auf  einer  Plantage 
in  der  Nähe  von  Boston  lebt  die  junge  kokette  Witwe  Madame  Darbel 
mit  ihrer  tiefer  veranlagten  Schwester  Henriette.  Bei  ihnen  erscheint 
ihr  Vetter  Georg,  ein  junger  Engländer  auf  Brautschau.  Die  Wahl 
zwischen  der  munteren  Madame  Darbel  und  der  sanften  Henriette  fällt 
ihm  schwer,  umsomehr,  als  er  sich  von  beiden  geliebt  glaubt.  Da  bringt 
man  während  eines  heftigen  Gewitters  einen  Offizier  der  amerikanischen 
Marine,  namens  Lionel,  als  Blinden  ins  Haus.  Ein  Blitz  hat  ihm  bei 
der  Jagd  den  Kahn  zertrümmert  und  ihn  selbst  geblendet.  Mit  Not  hat 
ihn  Henriette  vom  Tode  errettet  und  nimmt  sich  seiner  nun  besonders 
an,  während  Mme.  Darbel  verreist.  Als  diese  nach  dreimonatlicher  Ab- 
wesenheit zurückkehrt,  hat  sich  zwischen  Lionel  und  Henriette  bereits 
eine  tiefe  Neigung  entwickelt.  Bei  der  Rückkehr  Mme.  Darbeis  ent- 
wickelt sich  nun  folgender  Auftritt.  Während  Henriette  zu  dem  Blinden 
spricht,  reicht  ihm  Mme.  Darbel  die  Hand.  Er  erkennt  wohl  die  Stimme, 
aber  die  Hand  ist  ihm  fremd.  Dann  spricht  Mme.  Darbel  während  er 
Henrittens  Hand  in  der  seinen  hält.  Auch  jetzt  läßt  er  sich  nicht 
täuschen,  denn  sein  Herz  irrt  nicht.  Schließlich  endet  man  den  Scherz 
und  Mme.  Darbel  gibt  sich  zu  erkennen.  Lionel  erklärt  seine  Liebe  zu 
Henriette,  während  Georg  um  Mme.  Darbel  wirbt.  Henriette  bittet  den 
Himmel,  ihren  Geliebten  das  Augenlicht  wiederzugeben.  Dies  geschieht 
tatsächlich.  Lionel  nimmt  die  Binde  von  den  Augen,  sieht  die  Schwe- 
stern vor  sich  stehen  und  umarmt  mit  dem  Rufe  »Henriette!«  —  Mme. 
Darbel.  Henriette  stürzt  mit  einem  Schrei  zusammen  und  entflieht 
schließlich  als  Enttäuschte  aus  dem  Hause,  in  das  sie  nur  wieder  durch 
eine  List  zurückgebracht  wird.  Man  läßt  ihr  nämlich  wissen,  Lionel  habe 
sich  mit  Mme.  Darbel  verheiratet.  Beim  Wiedersehen  mit  Lionel  klärt 
dieser  jedoch  die  List  auf  und  die  Liebenden  sinken  sich  in  die  Arme, 
während  sich  Mme.  Darbel  an  den  philosophischen  Georg  hält  und  mit 
diesem  zum  Altare  tritt. 

Die  Erblindung  Lionels  gibt  Anlaß  zu  gefühlvollen  Romanzen,  wie: 
»Ach  der  Sonne  Strahlen  Alle  Erdenfreuden 

Sieht  mein  Auge  nicht,  Raubt  ein  Augenblick.  — 

Ewig  sind  die  Qualen,  Ach,  kein  Trost  im  Leiden 

Bis  das  Herz  mir  bricht.  Bleibet  mir  zurück!« 

Oder    das    Gebet,    welches    Henriette    um    Wiedergewinnung    des 
Augenlichtes  für  ihren  Geliebten  an  den  Himmel  richtet: 
»Großer  Gott,  hör'  mein  Flehen, 
Täusche  Hoffnung  mich  nicht. 
Laß  es  gnädig  geschehen. 
Schenk,  ihm  wieder  das  Licht!« 
Daß  das  verwendete  Motiv  der  Blindheit  in  der  Wirklichkeit  kein 
komisches,  sondern  ein  tragisches  ist,    hat  der  Komponist  E.  d'Albert 
erkannt,  und  es  als  solches  in  seiner  Oper  >Die  toten  Augen«   verwertet. 
(Siehe  »Zehschrift,  1916,  Nr.  4  unter  »Altes  und  Neues«.) 


6.  Jahrgang,  Wien,  Juni  1919.  6.  Nummer. 


I  ^ 

3  »Eine    moderne  Blindenfürsorge    ist   nicht   nur  mit  f 

*  neuem   Geist    zu    erfüllen,    son<fern    es  gilt  für  sie  auch  ^ 

*  eine  neue  Form  zu  finden.«  ^ 


Blindenfürsorgekommission  im  Staatsamte 
für  soziale  Verwaltung. 

Unter  Teilnahme  der  Vertreter  fast  sämtlicher  Fürsorgeeinrichtungen 
Deutschösterreichs  fand  am  5.  Juni  1.  J.  die  konstituierende  Sitzung 
dieser  Kommission  statt.  Als  Vorsitzender  fungierte  Staatssekretär  für 
soziale  Verwaltung  F.  Hanusch,  der  in  seiner  Begrüßung  den  ernstlichen 
Willen  der  Staatsverwaltung  hervorhob,  als  führender  und  entschei- 
dender Faktor  in  die  Blindenfürsorge  einzugreifen.  Direktor  Bürklen 
drückte  für  diese  Erklärung  den  Dank  des  „Zentralvereines".  Obmann 
Uhl  den  der  Blindenorganisationen  aus. 

Sektionschef  Gas  teiger  regte  zu  einer  Aussprache  über  die  Ein- 
richtung der  Kommission  an,  um  sie  zu  einem  tauglichen  Instrument 
der  Blindenfürsorge  zu  gestalten.  In  der  sich  daran  knüpfenden  Wechsel- 
tcde  wurde  übereinstimmend  zum  Ausdruck  gebracht,  in  der  Kommission 
eine  Zentralstelle  für  sämtliche  Blindenangelegenheiten  zu  schaffen  und 
(Mue  Trennung  der  Blindenbildung  und  der  sozialen  Fürsorge  nicht  zu- 
zulassen. 

Die  Kommission  setzt  sich  zusammen  aus  den  Vertretern  der  in 
Betracht  kommenden  Staatsämter  und  je  einem  Vertreter  folgender  Für- 
sorgeeinrichtungen : 

E  r  z'i  e  h  u  n  g  s  -  und  Bild  u  n  g  s  a  n  s  I  a  1 1  e  ii : 

1.  Asyl  für  blinde  Kinder  in  Wien  XAII. 

2.  Blinden-Erziehunusinstilut  in  Wien- II. 


Seite  1140.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindcnwesen.  6.  Nummer. 

3.  Isr.  Blindeninstitut  in  Wien  XIX. 

4.  N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf. 

5.  Sehulabteilung  für  blinde  Kinder  in  Wien  XVI. 

6.  Taubstunimblindenheim  in  Wien  Xlll. 

7.  Blindenlehranstalt  in  Linz. 

8.  Odilien-Blindenanstalt  in  Graz. 

9.  Kärntn.  Lande.s-Blindenanstalt  in  Klagenfurt. 

10.  Blinden-Erziehungsinstitut  in  Innsbruck. 

11.  An.stalt  zur  Au.sbildung  von  Spätererblindeten  in  Wien  XIX. 

Arbeitsstätten: 

12.  Blinden- Arbeiterheim  in  Wien  XIU. 

13.  Produktivgenossenschaft  für  blinde  Bürstenbinder  und  Korbflechter 
in  Wien  VIII. 

V  e  r  s  o  r  g  u  n  g  s  a  n  s  t  ä  1 1  e  n  und  Heime: 

14-.  Versorgung.s-  und  Beschäftigungsanstalt  in  Wien  VIII. 

lö.  Przybram'sches  Blinden-Mädchenheim  in  Wien  XIII. 

16.  Blinden-Mädchenheim  in  Melk. 

17.  Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  in  Linz. 

18.  Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  in  Graz. 

19.  Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  in  Klagenfurt. 

20.  Landes-Blindenheim  in  Salzburg. 

Vereine: 

21.  Zentralverein  für  das  öst.  Blindenwesen  in  Wien  VIII. 

22.  I.  Öst.  Blindenverein  in  Wien  VIII. 

23.  Blinden-Unterstützungsverein  „Die  Purkersdorfer"  in  Wien  V. 

24.  Blindenverein  ,.Lindenbund"  in  Wien  XX. 

25.  Verband  der  Kriegsblinden  Deutschösterreichs  in  Wien  VIII. 

Anstalten,  die  unter  gemeinsamer  Leitung  stehen,  können  nur 
einen  Vertreter  entsenden. 

Die  genannten  Fürsorgestellen  wer  den  aufgefordert, 
ihre  Vertreter  dem  Staatsamte  für  soziale  Verwaltung 
sobald  als  möglich  namhaft  zu  machen. 

Die  Geschäftsordnung  der  Kommission  kommt  in  der  nächsten 
Sitzung  zur  Beratung. 

Schließlich  wurde  in  einer  Aussprache  über  die  ,,Grundzüge  zur 
Neugestaltung  der  Blindenfürsorge"  eingetreten,  wobei  dieselben  im 
allgemeinen  Zustimmung  fanden.  Gegenüber  dem  Vertreter  des  Staats- 
amtes für  Finanzen,  welcher  an  die  geringe  Leistungsfähigkeit  des 
neuen  Staates  erinnerte,  wurde  darauf  verwiesen,  daß  bei  einer  Ver- 
einfachung und  rationellen  Gestaltung  der  gegenwärtig  äußerst  zer- 
splitterten Fürsorgeaktionen  auch  mit  den  vorhandenen.  Mitteln  Erfolge 
zu  erzielen  wären. 

Sektionschef  Gasteiger  schloß  die  Beratung  mit  Dank  an  die 
Erschienenen  und  dem  Ausdrucke  .der  Hoffnung,  recht  bald  zu  einer 
gedeihlichen  sachlichen  Arbeit  zu  kommen. 

Eine  Anzahl  von  Anträgen  für  eine  solche  Behandlung  wurde 
bereits  schriftlich  eingebracht. 


6.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1141. 

Vom  Holzarbeits-Ünterricht. 

Von  Hauptlehrer  Fr.  Demal  in  Purkersdorf. 
(Fortsetzung.) 

ö.  Die  Fuchsschwanz -Säge  dient  zum  Zersägen  von  Leisten 
und  schmalen  Brettchen.  Sie  wird  wagrecht  geführt  und  zwar  mit  oder 
ohne  Verwendung  der  Schneidlade.  Benützt  man  eine  Schneid- 
lade (käuflich  oder  seihst  herzustellen),  so  bestimmt  der  Schüler  zuerst 
mittels  Meterstab  und  Spitzbohrer  die  Schnittstelle.  Nun.  wird  das 
Arbeitsstück  in  die  Schneidlade  gelegt,  unter  die  eingelegte  Säge  ge- 
schoben, bis  der  Spitzbohrer  die  Säge  berührt  und  nun  gesägt,  wobei 
(las  Arbeitsstück  stramm  an  die  Lade  gepreßt  werden  muß. 

Geübte  Schüler  mögen  auch  ohne  Schneidlade  sägen.  Doch 
müssen  sie  dann,  um  einen  schönen,  auf  der  Längsrichtung  wirklich 
senkrecht  stehenden  Schnitt  zu  bekommen,  längs  eines  Winkelhakens 
sägen.  Dieser  wird  mit  dem  kürzeren  Schenkel  an  die  Längskante  des 
Arbeitsstückes  angelegt  und  fest  angepreßt,  während  der  längere  den 
Spitzbohrer  berührt.  Nimmt  man  nun  letzteren  weg,  so  entsteht  genau 
an  seiner  Stelle  der  Schnitt,  der  aber  auch  dann  erst  wirklich  schön 
wird,  wenn  man  die  Säge  stets  genau  am  langen  Winkelschenkel  ent- 
hmg  führt  und  Sie  auch  nicht  nach  links  oder  rechts  neigt.  Auf  die 
Erzeugung  sauberer  Schnittflächen  ist  stets  das  größte  Gewicht 
zu  legen.  Sie  ist  eigentlich  das  Um  und  Auf  der  Tischlerei:  Ohne 
x^änkelrechte  Schnitte  und  Flächen  ist  das  einfachste  Kistchen  unmöglich ! 

6.  Die  Hand  säge.  Mit  ihr  zersägt  man  dicke  Leisten  (Polster- 
hölzer) und  breite  Bretter^  nach  der   Quer-,  Längs-  und  Schrägrichtung. 

a)  Das  Quersägen  (im  rechte  Winkel  zur  Längsfasser).  Es  ge- 
schieht wieder  mit  oder  ohne  Schneidlade.  Da  es  meines  Wissens  keine 
so  großen  Schneidladen  im  Handel  gibt,  um  darein  auch  sehr  breite 
Laden  legen  zu  können,  so  werden  einige  dieser  Hilfswerkzeuge  unter 
Anleitung  des  Lehrers  selbst  hergestellt  und  zwar  in  verschiedener 
Breite.    Die  Schnittschlitze  werden   mit   starkem  Bleche   ausgeschlagen. 

Zum  Sägen  mit  der  S  c  h  n  e  i  d  1  a  d  e  verwendet  man  nur  fein- 
zähnige  Sägen  mit  breitem  Blatte,  sogenannte  Absatzsägen  und  legt  sie 
so  ein,  daß  die  Längsseite  der  Zähne  zum  Schüler  schaut.  ^  („Fahre  vor- 
sichtig tastend  an  den  Zahnspitzen  entlang:  Nach  einer  Richtung  hin 
gleiten  die  Fingerkuppen  ganz  gut  darüber,  nach  der  anderen  bleiben 
sie  stets  an  den  scharfen  Zähnen  hängen.  Benutze  die  Säge  stets  so, 
daß  du  in  der  Richtung  von  deinem  Körper  die  er.ste  Bewegung  aus- 
führen kannst"). 

Damit  der  Blinde  Holzarbeiter  auch  ohne  Schnei  dl  ade  gute, 
rechtwinkelige  Schnitte  ausführen  kann,  braucht  er  wieder  einen 
Winkelhaken  und  ein  Sägelineal.  Es  ist  dies  einfach  eine  mit 
mehreren  Löchern  versehene  Leiste,  die  dem  Blinden  den  Bleistiftstrich 
ersetzen  muß.  Dabei  kommen  folgende  Arbeiten  vor:  Vom  linken  Ende 
des  Brettes  ausgehend  wird  mit  dem  längs  einer  Kante  aufgelegten 
Maßstab  die  verlangte  Länge  bestimmt  und  mit  einem  Spitzbohrer  be- 
zeichnet. Von  rechts,  her  wird  jetzt  der  Winkelhaken  angeschlagen  und 
ein  zweiter  Spitzbohrer  gesteckt,  der  vom  ersten  eine  Breftbreite  ent- 
fernt ist.  Das  Sägelineal  wird  an  der  linken  Seite  der  Spitzbohrer  an- 
'JH'legt  und  mit  einigen  Nägeln,   die   durch  die  vorhandenen  Löcher  ge- 


Seite  1141'.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  6.  Nummer. 

steckt  werden,  schwach  angeheftet.  Man  schneidet  nun,  natürlich  nach 
Entfernung  der  Spitzbohrer,  an  der  rechten  Seite  des  Lineals  entlang 
und  hält  die  Säge  entweder  wagrecht  oder  schräg.  Das  Wagrecht- 
sägen ist  für  den  Blinden  vorzuziehen.  Er  erhält  dadurch  sicherer 
schöne  Schnittflächen.  Freilich  ist  es  auch  langwieriger  —  man  ver- 
wendet wieder  Absatzsägen  —  als  das  Schrägsägen.  Dieses  ist  hand- 
werksmäßiger und  geht  rascher,  da  es  mit  einer  grobzähnigen  Säge 
mit  schmalem  Blatte  geschieht.  Ungeübte  kommen  aber  leicht  schief 
oder  sägen  gar  ins  Lineal,  weshalb  dieses  mit  Eisen  zu  beschlagen  ist. 

b)  Das  Längs  sägen  (gleichlaufend  zur  Holzfaser).  Den  Bleistift- 
strich vertritt  wieder  das  Sägelineal.  Da  es  sich  meist  um  sehr  lange 
Schnitte  handelt,  verwenden  wir  dazu  auch  mit  Eisen  beschlagene 
Meterstäbe,  an  denen  entlang  gesägt  wird.  Leisten  und  schmale  Bretter 
spannt  man  hiebei  meist  lotrecht,  lange  Bretter  wagrecht  ein.  Im  ersten 
Falle  wird  daher  die  Säge  wagrecht,  im  letzten  lotrecht  geführt 
oder,  wie  man  sagt:  Man  schneidet  nach  der  Faust. 

Beim  Schneiden  nach  der  Faust  ist  die  Sägehaltung  wenig 
anstrengend  und  man  kann  hier  ruhig  ganz  große  Sägen  verwenden, 
bei  denen  selbst  beim  Durchschneiden  sehr  breiter  Bretter  kaum  das 
lästige  Verstellen  des  Sägesteges  nötig  sein  wird. 

Die  stets  gleichmäßig  schiefe  Haltung  des  Sägegestelles  (mit  schräg 
j^estelltem  Sägeblatt)  beim  Wag  rechtsägen  erfordert  viel  mehr 
Kraft.  Daher  lasse  man  hier  nur  kurze,  (50 — 60  cm  lange)  Sägen  be- 
nützen. Hiebei  hat  der  Schüler  folgendes  zu  beachten:  Hört  er,  daß  die 
Zähne  am  Lineal  wetzen,  hat  er  das  Sägegestell  zu  heben;  fühlt  er, 
daß  sich  der  Schnitt,  zu  weit  vom  Lineal  entfernt,  muß  er  das  Gestell 
senken.  Nach   je   einigen  Zügen   betaste    er   das  Ergebnis. 

Sowohl  l)ei  wagrechter  als  auch  lotrechter  Sägehaltung  verwendet 
man  nur  grobzähnige,  schmalblättrige  Sägen;  denn  nur  solche  lassen 
sich,  sollten  sie  auf  Abwege  geraten  sein,  leicht  wieder  auf  den  rich- 
tigen Weg  zurückbringen. 

c)  Schrägschnitte  kommen  selten  vor.  Handelt  es  sich  um 
einen  Schnitt  im  Winkel  von  45",  erzeugt  man  ihn  in  der  Gehrungs- 
lade, alle  anderen  aber  längs  des  Sägelineales,  das  man  mittels  Schräg- 
maß (Winkelhaken  mit  beweglichen  Schenkeln)  in  die  gewünschte 
Richtung  bringt. 

7.  Der  Hobel.  Seine  Handhabung  und  die  Nachprüfung  des  Ar- 
beitsergebnisses ist  auch  für  Blinde  nicht  schwer.  Trotzdem  kommen 
oft  folgende  Fehler  vor,  die  natürlich  zu  rügen  und  durch  praktische 
Lnterweisungen  abzustellen  sind:  Der  Schüler  stellt  das  Eisen  zu  weit 
vor,  um  rasch  mit  der  Arbeit  fertig  zu  sein.  Er  erreicht  gerade  das 
Gegenteil:  Der  Hobel  reißt  das  Holz  ein,  verstopft  sich,  wird  leicht 
schartig  u.  s.  f.  —  Der  Zögling  hobelt  nicht  parallel,  sondern  schräg 
zu  den  Fasern  und  bekommt  nie  ein  schönes  Resultat.  —  Er  hobelt 
(bei  minderwertigen,  verwachsenen  Brettern)  an  einer  rauhen  Stelle 
hundertmal  vorülDer,  die  glatten  läßt  er  aus;  Dadurch  wird  das  Brett 
ungleich  dick.  —  Beim  L  ängskantenhobeln  fährt  er  nicht  gleich- 
mäßig über  die  ganze  Kante,  sondern  berücksichtigt  Anfang  und  Ende 
nin  meisten:  Die  Kante  wird  bucklig.  Diesen  Fehler  vermeidet  man 
sicher,   wenn   man   zum  Hobeln    langer  Kanten    nur    die    Rauhbank 


6.  Nummer.  iieilschiift  für  das  Österreichische  Blindenwesen.  Seite  1143 

verwenden  läßt.  —  Hält  der  Schüler  beim  Kantenhobeln  den  Hobel  nicht 
wagrecht,  sondern  neigt  ihn  nach  links  oder  rechts,  so  wird  die  Kanten- 
fläche schräg  und  das  Brett  für  zusammengesetzte  Arbeiten  unbrauch- 
bar. —  Auch  das  Behobeln  der  Querkanten  (des  Hirnholzes)  ist 
nicht  jedermanns  Sache:  Meist  wird  mit  grob  gestelltem  Hobel  über  die 
ganze  Kantenfläche  gehobelt.  Erfolg:  Die  Fläche  wird  nie  glatt  und  reißt 
jämmerlich  ein.  Mittel  dagegen:  Der  Hobel  ist  möglichst  fein  zu  stellen 
und  es  ist  nur  bis  zur  Mitte  und  dann  von  der  anderen  Seite  aus 
wieder  bis  zur  Mitte  zu  hobeln;  man  führt  dabei  gerne  mehr  reibende, 
Schlingen  bildende  Bewegungen  (ähnlich  wie  beim  Politieren)  aus. 

Daß  das  Hobeleisen  nie  zu  weit  vorstehen  soll,  wurde  schon  er-, 
wähnt.  Das  Eisenstellen  erfolge  nur  in  folgender  Weise:  Steht  das 
Eisen  zu  wenig  vor,  führt  man  einen  ganz  leichten  Hammerschlag 
auf  das  obere  Eisenende  und  stellt  mit  vorsichtig  über  die  Schneide 
gleitenden  Fingern  (oder  auch  durch  einen  Hobelversuch)  das  Ergebnis 
fest.  Sollte  ein  Schlag  nicht  genügen,  so  folgen  weitere.  Zuletzt  bekommt 
auch  der  Holzkeil  noch  einen  festeren  Hieb.  Steht  das  Eisen  zu  viel 
vor,  führt  man  einen  kräftigen  Schlag  gegen  das  hintere  Ende  des 
Hobelkastens,  den  dabei  die  linke  Hand  recht  locker  hält:  Das  Eisen 
fährt  ein  Stück  zurück  und  wird  wieder  durch  einen  Schlag  auf  den 
Keil  festgemacht. 

In  dieser  Weise  lockert  man  auch  das  Eisen,  um  es  etwa  zum 
Schleifen  herauszunehmen.  Ja,  das  Schleifen!  Kann  man  auch  diese 
Arbeit  von  Blinden  verrichten  lassen?  Es  gibt  genug  sehende  Hand- 
werker die  damit  auf  Kriegsfuß  stehen.  Beweis  dafür  ist,  daß  viele 
Werkzeugfirmen  es  für  nötig  halten,  ihren  Preisverzeichnissen  eine  An- 
leitung über  das  Schärfen  der  Werkzeuge  anzufügen.  Nach  meiner  Er- 
fahrung steht  fest,  daß  auch  diese  Arbeit  von  einem  geschickten  Blinden 
befriedigend  ausgeführt  werden  kann,  aber  wirklich  nur  von  einem 
tüchtigen  Arbeiter  der  letzten  Jahrgänge.  Dabei  verwende  man  eine 
Eis'enauflage  und  Schleiflehre,  die  es  ermöglicht,  daß  das  Eisen  stets  im 
selben  Winkel  an  den  gedrehten  oder  liegenden  Schleifstein  (Rutscher) 
gehalten  wird:  Zuerst  im  Winkel  von  20°  (zur  Erzeugung  der  Fase), 
dann  (am  Abzugstein)  im  Winkel  von  30 — 35»  (zur  Erzeugung  des 
Zuschär fungs winkeis).  (Schluß  folgt.) 


Nachwort   zu    meinem  „offenen  Briefe"  an  die  Musiklehrer  der 
Blindenanstalten  und  an  alle  blinden  Musiker  der  deutsdi- 
österreichischen  Republik. 

Hochgeschätzte  Kollegen,  liebwerte  Schicksalsgenossen!  Um  es 
ohne  alle  Umschweife  klipp  und  klar  alsogleich  herauszusagen:  die  von 
mir  angeregte  Zusammenkunft  der  Musiklehrer  an  den  deutschösterrei- 
chischen  Blindenanstalten,  sowie  der  blinden  Musiker,  die  den  Zweck 
haben  sollte,  eine  Reform  des  Musikunterrichts  an  Blindenanstalten  in 
ihren  Grundlinien  zu  zeichnen,  kann  vorläufig  nicht  stattfinden,  min- 
destens nicht  zum  vorgesehenen  Termin  in  der  Woche  nach  dem  dies- 


Soite  1144.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwescn.  6.  Nummer. 

jährigen  Schiilschluß.  Das  für  diese  Angelegenheit  bekundete  Interesse 
war  doch,  ein  weit  geringeres,  als  ich  es  bei  der  Abfassunjg  meines 
„offenen  Briefes"  vorausgesetzt  und  erhofft  hatte. 

Wohl  erhielt  ich  einige  schriftliche  Äußerungen  zustimmender 
Natur  und  zwar  nur  solche,  aber  es  sind  ihrer  doch  zu  wenige,  um 
darauf  einen  weitgreifenden  Reformplan  gründen  zu  können. 

Die  Umgestaltung  des  Musikunterrichtes,  wie  sie  mir  vorschwebt, 
muß  meiner  Überzeugung  nach  von  allen  Interessenten  in  Angriff  ge- 
nommen und  durchgeführt  werden;  nur  als  die  Frucht  gemeinsamer 
Beratungen,  nur  als  Ergebnis  von  Rede  und  Gegenrede  kann  sie  uns 
erstehen  und  zu  gedeihlichem  Erfolge  führen.  Handelt  es  sich  dabei 
doch  nicht  bloß  um  eine  spezielle  Unterrichtsfrage,  sondern  eben- 
sosehr um  eine  allgemeine  Erziehungs- und  Fürsorgefrage.  Nach 
dieser  dreifachen  Bedeutung  hin  will  die  Umgestaltung  des  '  Musik- 
unterrichts aufgefaßt  und  gelöst  werden- 

Denjenigen,  vv'elche  dies  mit  mir  richtig  erkannt  und  die  meinem 
offenen  Briefe  freudig  zugestimmt  haben,  sage  ich  hiermit  herzlichen 
Dank.  Sie  haben  in  mir  das  Bewußtsein  gestärkt,  mit  meinen  Ansichten 
nicht  allein  dazustehen,  Gesinnungsgenossen  zu  besitzen,  denen  mich 
das  gleiche  Streben  und  Wollen  eint.  Auf  ihre  Mithilfe  darf  ich  auch 
zählen,  wenn  die  Reform  des, Musikunterrichts  früher  oder  später  doch 
noch  in  Fluß  gerät,  denn  der  einmal  vollendete  Stein  wird  kraft  seines 
Beharrungsvermögens  auch  noch  weiter  rollen.  Im  Augenblicke  steht 
die  Angelegenheit  so:  Mein  „offener  Brief  ist  in  den  Mai-Mittei- 
lungen des  I.  österr.  Blindenvereines  zum  Abdruck  gelangt;  dadurch 
soll  einer  größeren  Anzahl  blinder  Musiker  Gelegenheit  geboten  werden, 
meine  Bestrelnmgen  kennen  zu  lernen  und  ihnen  gegenüber  Stellung 
zu  nehmen.  Schriftliche  Äußerungen  sind  bis  1.  August  1.  J.  an  meine 
Privatadresse  erbeten.  Ob  alsdann,  Ende  September,  eine  Zusammen- 
kunft doch  noch  stattfinden  kann  oder  ob  die  Frage  der  Reform  des 
Musikunterrichts  an  Blindenanstalten  einem  der  Blindenlehrerkongresse 
oder  Fürsorgetage  zur  endgiltigen  Lösung  vorbehalten  bleibt,  kann  ich 
heute  noch  nicht  sagen,  werde  es  aber  rechtzeitig  bekannt  geben. 

Diejenigen,  welche  ein  erstrebenswertes  Ziel  richtig  erkannt  und 
fest  ins  Äuge  gefaßt  haben,  werden  den  eingeschlagenen  Weg  mutig  und 
rüstig  wie  bisher  weiter  schreiten,  allen  Hemmungen  und  Widerständen, 
aktiven  wie  passiven,  —  die  letzteren  sind  die  gefährlicheren,  —  zu 
Trutz,  den  ihrer  Obhut  anvertrauten  Kunstjüngern  zu  Nutz  und 
Schutz,  immer  getreu  dem  lapidaren  Leitspruch  aller  Beherzten  und 
darum  Zukunft-Sicheren:  „Arbeiten  und  nicht  verzweifeln!"'  — 

Mit  kollegialem  Gruße 

Anton  Krtsmärv, 

Weidlinnau-IIadcrsdoif,   Ende  Mai  1919. 

Musikfachlehrer  an  der  n.  ö.  Landes- 

Biindenanstalt. 


6.  Nummer.  Zeilscluift  fiii    das  östci  icichische  Blindeiiwcseii.  Seite   1145. 

Die  Versorgung  der  Kriegsblinden  und  flugenbeschädigten 
in  Deutsdiösterreich. 

Die  deutschösterreichische  Nationalversammlung  traf  mit  Gesetz 
vom  25.  April  1919,  St.-G.-Bl.  Nr.  245  Bestimmungen  über  die  staatliche 
Entschädigung  der  Kriegsinvaliden,  dem  wir,  als  für  Kriegsblinde  und 
Augenbeschädigte  wichtig,  folgendes  entnehmen. 

Die  Fürsorge  der  Kriegsbeschädigten  bezieht  sich  auf  Heil- 
li  eh  a.ndlung,  Körperersatzstücjte,  berufliche  Ausbildung, 
Invalidenrente  und  Krankengeld,  im  Falle  des  Todes  auf  Hinter- 
1)  lieben  euren  ten  und  Sterbegeld. 

Die  Heilbehandlung  umfaßt  die  von  zuständigen  Organen  des 
ölTentlichen  Gesundheitsdienstes,  einschließlich  der  Gemeindeärzte  als 
notwendig  erkannte  ärzthche  Hilfe,  Heilmittel  und  therapeutische  Be- 
ll elfe.  Zu  den  Kör  per  ersatzstücken  für  Kriegsblinde  zählen  wohl 
auch  künstliche  Augen. 

Der  Geschädigte  hat  Anspruch  auf  unentgeltliche  berufliche 
Ausbildung  zur  Wiedergewinnung  oder  Erhöhung  seiner  Erwerbs- 
fähigkeit. Diese  Ausbildung  ist  innerhalb  der  Höchstdauer  eines  Jahres 
bis  zur  Erreichung  ihres  Zieles  fortzusetzen.  In  rücksichtswürdigen 
Frdlen  kann  sie  bis  zur  Höchstdauer  von  drei  Jahren  ausgedehnt 
werden. 

Die  Invalidenrente  ist  nach  der  Minderung  der  Erwerbsfähig- 
keit, nach  Ortsklassen,  nach  der  Vorbildung  und  dem  früheren  Erwerb 
abgestuft.  Bei  einer  Minderung  der  Erwerbsfähigkeit  um  mehr  als  75 
von  Hundert,  welche  für  alle  Kriegsblinden  zutrifft,  gebührt  die  Voll- 
rente der  betreffenden  Stufe,  darunter  gebühren  Teilrenten  in  sechs  Ab- 
stufungen. Bei  der  Rentenbemessung  werden  weiters  drei  Vorbildungs- 
stufen (Hochschulbildung,  über  die  Volksschule  hinausreichende  Schul- 
l)i!dung  oder  praktische  Ausbildung,  geringere  Vorbildung)  und  5 
Ortsklassen  (entsprechend  der  Einwohnerzahl)  unterschieden.  Darnach 
werden  die  Invalidenrenten  in  der  Höhe  von  1200  K  bis  3360  K  jährlich 
bemessen.  Ist  der  Geschädigte  derart  hilflos,  daß  er  ständig  der  Hilfe 
einer  anderen  Person  bedarf,  so  gebührt  ihm  ein  Rentenzuschuß,  der 
nach  der  Ortsklasse  von  800  K  bis  1600  K  zu  bemessen  ist.  Diesen 
Zuschuß  erhält  bei  Verehelichung  eines  Kriegsblinden  dessen  Frau.  An 
die  Stelle  der  Invalidenrente  tritt,  wenn  dies  für  den  Geschädigten 
günstiger  ist,  die  Bemessung  nach  dem  früheren  Jahreseinkommen'  Für 
diese  Fälle  ergeben  sich  'Jahresrenten  von  1320  K  bis  4320  K.  Im 
ersten  Jahre  der  Wirksamkeit  des  Gesetzes  kommen  hiezu  Teuerungs- 
zulagen in  der  Höhe  von  50  vom  Hundert  des  Rentenanspruches. 

Während  der  Dauer  der  Heilbehandlung  oder  der  beruflichen  Aus- 
bildung gebührt  dem  Kriegsbeschädigten,  sofern  er  nicht  schon  die 
Invalidenrente  bezieht,  ein  tägliches  Krankengeld. 

Nach  dem  Tode  des  Kriegsbeschädigten  erhalten  die  Hinterbliebenen 
ein  Sterbegeld  und  haben  dieselben  Ansprach  auf  einen  Teil  der 
vom  Ver.storbenen  bezogenen  Rente. 

Mit  der  Durchführung  des  Gesetzes  ist  das  „Staatsamt  für 
soziale  Verwaltung"  in  Wien  betraut.  Alle  A  n  s  p  r  u  c  h  s  a  n  m  e  1  d  u  n  g  e  n 


Seite  1146.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  6.  Nummer. 

sind  mündlich  oder  schriftlich  bei  der  nach  dem  Aufenthalt  des  An- 
spruchsbewerbers zuständigen  politischen  Bezirksbehörde  zu  erstatten. 
Für  jedes  Land  wird  am  Sitze  der  Landesregierung  eine  Invaliden- 
entschädigungskommission  errichtet,  welche  die  Durchführung 
des  Gesetzes  leitet  und  überwacht. 


Aus  Mähren. 

Vereinigung  der  mährisch-schlesischen  Kriegsblinden. 

Die  Kriegsblinden  aus  Mähren  und  Schlesien  hielten  am  1.  März 
1919  in  ihrem  derzeitigen  Heim,  Brunn,  Zieglergasse  19  die  gründende 
Vollversammlung  ihrer  Vereinigung  ab. 

Tagsdarauf  am  2.  März  1.  J.  veranstalteten  dieselben  in  ihrem 
Heim  eine  Manifestations Versammlung,  bei  welcher  verschiedene 
Vertreter:  Abgeordnete,  Vertreter  der  Behörden,  der  Blindenanstalt  u.  a. 
anwesend  waren.  Nach  Anhörung  zweier  Vorträge  wurde  eine  Resolution 
angenommen,  welche  die  Wünsche  und  Ziele  der  Kriegsblinden  enthielt, 
durch  deren  Verwirklichung  ihre  Lage    in    der  Zukunft  gesichert  wäre. 

Oberwähnte  Wünsche   und  Ziele   enthält  §  2  der  Vereihsstatuten. 

Den  Zweck  der  Vereinigung  bilden: 

1.  Vereinigung  sämtlicher  mähr.-schlesi  Kriegsblinden  ohne  Unter- 
schied der  Nationalität  in  einer,  die  Selbsthilfe  bezweckenden  Organisation. 

2.  Gewährung  von  Rechtsschutz  allen  ihren  Mitgliedern  in  finan- 
zieller  und    geistiger    Beziehung   im  Rahmen   der  Vereinigungsstatuten, 

3.  Alle  nötigen  Schritte  zu  unternehmen,  um  die  gesetzmäßige 
Regelung  der  Invalidenrenten,  sowie  deren  Erweiterung  auf  Familien- 
mitglieder respektive  Pflegepersonen  mit  Abstufung  von  Minderbelasteten 
und  Sehenden  zu  erwirken. 

4.  Fürsorge  für  erkrankte  Kriegsblinde  und  deren  Familienmitglieder. 
Die  Kosten  einer  jeweiligen  ärztlichen  Behandlung  im  Hause,  in  einem 
Sanatorium  oder  in  einem  Bade  sind  aus  Staatsmitteln  zu  bestreiten; 
ebenso  sind  die  Kosten  der,  auf  Grand  eines  ärztlichen  Gutachtens  an- 
zuschaffenden Prothesen  vom  Staa'.e  zu  tragen. 

5.  Mitwirkung  bei  Errichtung  von  Sanatorien  und  Heilanstalten 
für  Kriegsblinde  auf  demokratischer  Grundlage. 

6.  Veranstaltung  von  theoretischen  und  praktischen  Kursen  für 
Invalide,  Ermöglichung  des  unentgeltlichen  Besuches  von  Fachlehran- 
stalten behufs  eventueller  Aneignung  eines  neuen,  praktischen  Berufes. 
Erwirkung  von  Verpflegskostenheiträgen  für  Teilnehmer  an  solchen  Kursen. 

7..  Erwirkung  von  Erleichterungen  bei  Gründung  eines  selbständi- 
gen Unternehmens,  mit  Nachsicht  der  gesetzlichen  Bestimmungen  über 
den  Befähigungsnachweis,  falls  sich  der  Bewerber  in  seinem  Berufe 
bewähren  kann. 

8.  Stellenvermittlung    für    Absolventen    früher    erwähnter   Kurse. 

9.  Erwirkung  der  Zentralisierung  aller  bei  Regimentern,  Städten, 
Gemeinden,  Korporationen,  sowie  beim  Staate  bestehenden  Hilfsfonds 
und  Stiftungen  für  Kriegsblinde,  unter  Kontrolle  Kriegsblinder,  denen  im 
Verwaltungskörper  Sitz  und  Stimme  verliehen  wird. 


6.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  U47. 

10.  Erwirkung  freier  Fahrt  auf  Staats-,  Lokal-  und  elektrischen 
Straßenbahnen  für  den  Blinden  und  seinen  Begleiter. 

11.  Erwirkung  des  unentgeltlichen  Besuches  von  Mittel-,  Fach- 
und  höheren  Schulen  für  die  Kinder  des  Erblindeten. 

12.  Erwirkung  der  direkten  Vertretung  der  Kriegsblinden  in  allen 
Korporationen,  deren  Zweck  die  soziale  Fürsorge  für  Invalide  ist,  d.  i. 
im  Ministerium  und  bei  allen  anderen  Institutionen. 

13.  Unterstützung  der  zweckmäßigen  Errichtung  von  Heimstätten 
für  Kriegsblinde,  welche  sich  mit  Erfolg  der  Landwirtschaft  widmen 
können. 

14.  Erstrebung  der  Revision  der  Tabaktrafiken  und  Hauptverlage, 
in  weiterer  Folge  Rayonierung  derselben  und  Verpachtung  an  Kriegs- 
blinde oder  Vereinigungen  Kriegsblinder. 

15.  Kinematographenkonzessionen  sind  nur  solchen  Gesellschaften 
zu  erteilen,  bei  denen  Kriegsblinde  mitbeteiligt  sind. 

16.  Mitwirkung  bei  Gründung  von  Verkaufsstellen  für  Erzeugnisse 
Kriegsblinder  in  größeren  Städten. 

17.  Organisation  der  zeitweiligen  Unterbringung  von  Kindern  armer 
Kriegsblinder  während  der  Sommerferien  bei  reicheren  Familien  am  Lande. 

18.  Die  Gründung  und  Erhaltung  von  eigenen  Unterstützungsfonden, 
deren  Zweck  ist: 

a)  Unterstützung  armer  Familien, 

b)  Unterstützung  Erkrankter, 

c)  Beitragsleistung  zu  den  Begräbniskosten  für  verstorbene  Kriegs- 
blinde. Die  Höhe  des  jeweiligen  Beitrages  bestimmt  die  Vollversammlung. 

19.  Der  Verein  wird  zu  diesem  Zwecke: 

a)  Im  Sinne  seines  Programmes  den  gesetzgebenden  Körperschaften 
Gutachten  und  Vorschläge  unterbreiten,  auf  geeignete  Einrichtungen 
hinweisen  und  den  berufenen  Stellen  eine  zweckmäßige  und  gesunde 
soziale  Fürsorge  für  Invalide  ans  Herz  legen. 

b)  Versammlungen,  Beratungen,  Vorträge,  Konzerte,  Theatervor- 
stellungen und  Unterhaltungen  veranstalten;  Broschüren,  Zeitschriften, 
sowie  andere  Druckschriften  zum  Zwecke  der  Propaganda  herausgeben. 

c)  Beratungsstelle  in  Organisations-,  wirtschaftlichen,  technischen 
und  Rechtsfragen  sein,  soweit  dieselben  Kriegsblinde  betreffen. 

20.  Sorge  betreffend  kultureller  und  sozialer  Interessen  der  Kriegs- 
blinden. 

Vortragsabend  in  Brunn.  Im  Festsaale  der  Kronprinz  Rudolf-Bürger- 
schule daselbst  fand  am  9.  März  1.  J,  ein  Vortragsabeud  statt,  der  durch  einen  von 
Blindenfachlehrer  Anton  Rappawi  mit  großem  Beifall  aufgenommenen  Vortrag 
einf,feleitet  wurde.  Titel  und  Inhalt  desselben  waren:  Die  Jugendlichen  nach 
dem  Weltkriege.  (Wiedererrichtung  der  Kulturwerte.  —  Ursachen  der  Verwahr- 
losung nnserer  Jugend.  —  Der  Weltkrieg  und  die  Blinden.  —  Stillstand  ist  Rück- 
schritt. —  Betteln  als  Blindene  werb.  —  Blendung  sehender  Kinder.  —  Die  blinde 
Vera.  —  Auf  der  Wranauer-Straße.  —  Zwei  ausgebildete  Blinde  als  Bettler.  —  Sachsen 
hat  keine  bettelnden  l:>linden.  —  Der  Blinde  von  Schelklingen.  —  »Einem  Tiere 
weit  ähnlicher  als  einem  Menschen  !«  —  Wohin  die  elterliche  Verzärtelung  des 
Blinden  führt.  .—  »Ein  Stall  war  seine  Stube  und  seine  Welt.«  —  Verwahrloste 
Blinde  sind  bildungsunlähig.  —  MaßnahAen  zur  Verbesserung  des  Blindenloses.  — 
Wer  anderen  hilft,  wird  selbs  einst  Hilfe  finden.) 

Die  anderen  Teile  des  Abends  wurden  bestritten  von  Frl.  A.  Drucker, 
Honzertsängerin  M.  Pokorny  und  Musiklehrerin  A.  Adamczik.  Frl.  Drucker 
trug  »Die  Engelsglocke«  von  K.  Seh  1  euß  n  er  (blind)  und  »Ein  Sonntagskind«  von 
K.  Hirsch  vor. 


Seite  1148.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Blindenwesen.  6.  Nummer. 

Personalnachrichten. 

—  Abschied  des  Landesrates  L.  Kunschak  von  der 
n.  ö.  L a n d e s - B 1  i n d e n a n s t a  1 1  in  P u r k e r s d o r f.  Nach  sechsjähriger 
Tätigkeit  in  der  n.  ö.  Landesvervvaltung  und  in  der  Oberleitimg  der 
Anstalt  schied  Landesrat  L.  Kunschak  aus  dieser  Stellung  und  ver- 
abschiedete sich  am  17.  Mai  1.  J.  von  den  Bediensteten  und  Zöglingen. 
Nach  einem  von  den  Zöglingen  gesungenen  Psalm  gedachte  Direktor 
K.  Bürklen  des  besonderen  Verdienstes  des  scheidenden  Landesrates, 
die  Anstalt  glücklich  über  das  Chaos  des  Weltkrieges  hinübergerettet 
zu  haben  und  dankte  ihm  für  die  väterliche  Fürsorge,  mit  welcher  er 
stets  allen  Bewohnern  des  Hauses  entgegengekommen  war.  Ein  Zögling 
brachte  ihm  den  Dank  der  blinden  Kinder  dar,  zu  denen  er  während 
seiner  Amtszeit  in  ein  selten  inniges  Verhältnis  getreten  war. 

Mit  welcher  Liebe  und  welchem  Stolz  Landesrat  L.  Kunschak 
an  der  Anstalt  hing,  ging  aus  den  Worten  hervor,  welche  er  an  Be- 
dienstete und  Zöglinge  richtete.  Rühmend  hob  er  hervor,  daß  nie  ein 
Mißton  zwischen  ihm  und  den  Bewohnern  der  Anstalt  das  schöpe  Ver- 
hältnis getrübt  nahe,  wie  die  Erinnerung  daran  nie  in  ihm  verlöschen 
werde  und  er  stets  ein  Freund  und  t'örderer  der  Blinden  und  ihrer 
Bestrebungen  bleiben  wolle. 

—  Abschied.  Die  Umwälzungen  bei  Errichtung  des  tschecho- 
slovakischen  Staates  sowie  deren  weitere  Folgen,  besonders  in  einer 
geänderten  Zusammensetzung  des  Kuratoriums  der  Klarsehen  Blinden- 
anstalt in  Prag  haben  mich  veranlaßt,  noch  während  der  Amtierung 
des  alten  Kuratoriums,  meine  Pensionierung  .als  dessen  leitender  Direktor 
zu  erwirken. 

Beim  Rücktritte  von  meiner  liebgewordenen  jahrzehntelangen  Be- 
tätigung in  der  Blindenfürsorge  rufe  ich  allen  meinen  lieben  Berufs- 
genossen und  Freunden  ein  herzliches  Lebewohl,  mit  der  Bitte  zu,  mir 
eine  freundliche  Erinnerung  bewahren  zu  wollen. 

Klagen  fürt,  im  Mai  1919.  Direktor  Emil  Wagner. 

—  Fachlehrer  A.  Zier  fuß  der  n.  ö.  Landes-BIindenanstalt  in  Purkersdorf 
wurde  unter  Verleihung  des  Titels  »  Hau  p  tl  e  h  r  e  r  «  in  die  IX.  Ran^klasse  der 
n.   ö.  Landesbeamten  befördeit. 

—  Substitut  A.  Kaiser  wurde  zum  prov.  Lehrer  II.  Kl.  an  der  n  ö.  Landes- 
Taubstummenanstalt  in  Wien  XIX  ernannt,  bleibt  jedoch  vorläufig  der  n.  ö. 
Landes-BIindenanstalt  in  Purkersdorf  zur  Dienstleistung  zugewiesen. 

—  Direktionsmitglied  Johann  Hager  j.  Am  30.  Mai  1.  J.  staib  das 
Direktionsmitglied  und  Referent  der  Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  für 
erwachsene  Blinde  in  Wien  VIII,  Herr  Johann  Hager,  der  jahrzehntelang  als 
treuer  und  selbstloser  Freund  der  Blinden  dieser  Anstalt  seine  Dienste  widmete. 


flus  den  Anstalten. 

—  N.  ö.  Landes-BIindenanstalt  in  Purkersdorf.  Besuch  durch 
Staatssekretär  Hanusch.  Am  17.  Mai  1.  J^  erschien  der  Staatssekretär  für 
soziale  Verwaltung  F.  Hanusch  in  Begleitung  des  Sektionschefs  Hofrat  O.  Ga- 
steiger  und  des  Ministerialrates  Dr.  M.  Leder  er  in  der  Anstalt,  um  deren  Ein- 
richtung und  Bewohner  kennen  zu  lernen.  Mit  Interesse  und  Teilnahme  überzeugte 
er  sich  von  dem  Wohlbefinden  der  Zöglinge  und  fand  Worte  der  Anerkennung 
für  ihr  Aussehen  und  ihre  Haltung.  In  gleicher  Weise  nahm  er  Kenntnis  von  den 
EinrichturjCTcn  der  Anstalt  und   hörte  den  Bericht  des  Anstaltsdirektors  an.    Es  war 


6.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1149. 

unverkennbar,  daß  die  Blinden  in  Staatssekretär  Hanusch  einen  warmen  Freund 
Ljefunden  haben,  von  dessen  Einsicht  und  Wohlwollen  sie  getrost  das  große  Reform- 
werk der  vaterländischen  Blindenfürsorge  erwarten  können,  das  sich  im  Staatsamt 
für  soziale  Verwaltung  vollziehen  soll. 

—  Übernahme  der  Oberleitung  durch  Landes  rat  Karl 
Volk  er  t.  An  Stelle  des  abtretenden  Landesrötes  L.  Kunschak  übernahm 
Landesrat  K.  Volker  t  das  Referat  über  die  Anstalt.  Es  ist  nicht  zu  zweifeln,  daß 
Landesrat  Volkert  den  blinden  Zöglingen  ein  warmer  Freund  und  der  Anstalt 
ein   tatkräftiger  Förderer  sein  wird. 

—  Israelitisches. Blinden  Institut  in  Wien  XIX.  Ausstellung 
von  Handfertigkeitsarbeiten.  In  Anwesenheit  des  Kuratoriums,  des  Herrn 
Sektionsrates  Dr.  Leo,  Wiesmayer,  in  Vertretung  des  Staatsamtes  für  soziale 
Fürsorge,  des  Herrn  Regierungsrates  Rudolf  Hammel,  in  Vertretung  des  Staats- 
amtes für  öffentliche  Arbeiten  und  eines  zahlreichen  distinguierten  Puklikums  wurde 
im  Israel.  Blinden-Institute  Hohe  Warte  am  18.  d.  M.  nach  einem  Weihelied  aus 
der  »Schöpfung«  und  dem  Vortrage  einer  Symphonie  von  Josef  Haydn  die  Aus- 
stellung von  Handfertigkeitsarbeiten  der  Zöglinge  mit  einer  Rede  des  Direktors 
Heller  eröffnet,  in  welcher  er  die  Bedeutung  des  Handfertigkeitsunterrichtes  für 
Blindenschulen  darlegte.  Die  Exposition  stellt  ein  System  dar,  welches  vom  Spiele 
des  Kindes  ausgeht.  In  geordneter  Stufenfolge  werden  angeboten:  Kindergarten- 
arbeiten aller  Art,  Arbeiten  aus  Holzstäben  mit  Nagel  und  Hammer,  Papparbeiten, 
Zeichnungen  und  Modellierarbeiten,  auch  solche  nach  der  Natur  und  aus  dem  Ge- 
dächtnisse, Schnitzarbeiten  in  Holz,  Steinarbeiten,  durch  Tischlerarbeiten  hergestellte 
zu  instruktiven  Lehrmitteln  geeignete  Lebensbilder,  wie  ein  Bauernhof,  ein  Dorf, 
ein  Hafen,  eine  Kettenbrücke  über  ein  Flußbett,  ein  Blockhaus,  die  verschiedensten 
Gebrauchsgegenstände  und  Werkzeuge  aus  Holz  und  Eisen  in  verkleinertem  Maß- 
stabe, Eisenarbeiten,  wie  Leuchter,  Kästen,  Schatullen,  Ofenschirme,  Palmständer 
mit  feinen  Zierformen,  ein  Lehrgang  der  Uhrmacherei,  Wand-  und  Stehuhren  in 
verschiedener  Ausführung.  Die  weiblichen  Handarbeiten  zeigen  allerlei  Produkte  der 
Maschin-  und  Handstrickerei,  des  freien  Nähens  und  des  Häkeins;  neben  Bürsten- 
waren sind  in  einem  von  den  Zöglingen  errichteten  Pavillon  allerlei  Erzeugnisse 
der  Kunstkorbflechterei  ausgestellt;  Feine  Korbmöbel,  Näh-  und  Blumenkörbe, 
Blumenständer,  Wandkörbe,  Schatullen,  Reisekörbe  u.  a.     ' 

—  Odilien-Blindenanstalt  in  Graz  im  Jahre  1918.  Aus  dem 
Jahresberichte  der  von  Direktor  Dr.  J.  Har tinger  geleiteten  Anstalt  ist  zu  ersehen, 
daß  sich  daselbst  im  Jahre  1918  55  Zöglinge  (30  Knaben  und  25  Mädchen)  im 
Unterrichte  befanden.  Der  Unterricht  wurde  im  vollen  Umfange  wie  vor  dem 
Kriege  erteilt.  Die  Beschäftigungs-  und  Veisorgungsanslalt  beherbergte  19  Blinde 
im  Männerheim.  Bis  Ende  1917  waren  der  Blindenanstalt  insgesamt  63  Kriegsblinde 
zugeteilt.  Seit  Beginn  1918  traten  18  Blinde  neu  ein.  Von  den  im  Stande  befindlichen 
Kriegsblinden  wurden  16  superarbitriert,  2  wurden  in  Spitäler  abgegeben,  einer  kam 
in  das  Blindenheim  in  Wien  und  einer  in  das  Militärinvalidenhaus.  Am  22.  November 
übersiedelten  die  nichtdeutschen  Kriegsblinden,  20  an  der  Zahl,  in  Begleitung  einer 
slowenischen  Lehrschwester  von  unserer  Anstalt  nach  Laibach,  wo  sie  in  einer 
für  sie  eingerichteten  Baracke  die  Ausbildung  vollenden.  Unsere  Anstalt  hat  ihnen 
einen  Korbflechter  beigestellt  und  geht  ihnen  soviel  als  möglich  an,  die  Hand. 
Gegenwärtig  sind  bloß  die  deutschsteirischen  Kriegsblinden,  11  an  der  Zahl,  in 
unserer  Anstalt.  Die  Schwierigkeit  bei  Beschaffung  der  Lebensmittel  hat  sich  seit 
dem  Vorjahre  nicht  gebessert,  die  finanziellen  Schwierigkeiten  aber  waren  grölSer 
als  je.  Doch  auch  die  Spenden  und  Subventionen  haben  bedeutend  zugenommen,  ein 
Beweis  dafür,  daß  man  unsere  Anstalt,  die  auch  in  schwerster  Zeit  ihrer  Aufgabe 
treu  geblieben  ist,  nicht  im  Stiche  lassen  will. 


Aus  den  Vereinen. 

—    B  1  i  nd  en  ver  sam  m  1  u  n  g.     Der    »I.    Ost.    Blindenverein«,    der    Blinden- 
Unterst.itzungsverein  »Die  Purkersdorfer«   und  der  Blindenverein  »Lindenbund«  ver- 
anstalteten   zur  Besprechung    von    zeitgemäßen  Fragen    der  Blindenfürsorge  am  27. 
t    Mai  1.  J.  in  den  Räumen  des  Deutschen  Schulvereines  in  Wien  VIII  eine  allgemein 


Seite  1150.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Blindenwesen.  6.  Nummer. 

zugängliche  Blindenversammlung.  Die  gleich  anfangs  einsetzende  Opposition  gegen 
die  Einberufer  verlangte  die  Ausscheidung  aller  Direktoren  und  sehenden  Lehrer 
vom  Abstimmungsrechte  und  wählte  unter  Protest  das  Präsidium  aus  den  Bezirks- 
vorsteherstellvertreter Brückner  und  H.  B  r  o  c  z  y  n  e  r.  Während  nun  die  Referenten 
Obmann  Horvath  und  Obmann  Uhl  von  ihrem  Referate  zurücktraten,  erstattete 
Direktor  Bürklen  einen  Bericht  über  die  Tätigkeit  des  »Zentralvereines«.  Nach 
dieser  einziger  sachlichen  Erörterung  wurde  stundenlang  über  die  Wahl  eines 
Blindenrates  gestritten,  bis  endlich  Landesrat  Volk  er  t  die  Versammlung  zu  beru- 
higen suchte  und  einen  Vorschlag  für  die  W'ahl  eines  Komitees  machte.  Nach  diesem 
wurde  der  Beschluß  gefaßt,  in  dieses  Komitee  je  drei  Vertreter  aus  den  Vereinen 
(Zentralverein,  I.  Ost.  Blindenverein,  Blindenunterstützungsverein  »Die  Purkersdorfer« 
und  Blindenverein  »Lindenbund)  und  drei  gewählte  Vertreter  aus  der  Versammlung 
(A  b  e  1  e  s,  P  o  1 1  i  r  e  r,  Z  e  h  e  t  n  e  r)  zu  entsenden. 

Die  Art  und  Weise  der  in  den  Tagesblättern  erschienenen  Berichte  über  die 
Versammlung,  veranlaßte  die  Leitung  des  »Zentralvereines«  zu  nachstehender  Er- 
klärung an  die  Öffentlichkeit:  »Bisher  ist  das  Gebiet  des  Blindenwesens  von  allen 
politischen  Parteien  als  neutraler  Boden  respektiert  worden.  In  der  angeführten 
Blindenversammlung  wurde  nun  von  einer  kleinen  Gruppe  von  Blinden  der  Versuch 
gemacht,  die  Sache  der  Blindenfürsorge  in  politisches  Fahrwasser  zu  leiten.  Zu 
diesem  Zwecke  wurde  behauptet,  der  »Zentralverein«  habe  bisher  nichts  geleistet, 
man  müsse  also  eine  neue  Organisation  an  seine  Stelle  zu  setzen.  Demgegenüber 
muß,  wie  dies  auch  aus  dem  Referate  des  Präsidenten  K.  Bürklen  bei  der  Ver- 
sammlung hervorging,  festgestellt  werden,  daß  der  »Zentralverein«  bisher  in  der 
intensivsten  Weise  für  die  Sache  der  Blinden  eingetreten  ist,  daß  er  im  Herbste  des 
Vorjahres  den  »VI.  Österr.  Blindenfürsorgetag«  in  Wien  veranstaltete  und  es  endlich 
erreichte,  daß  sich  der  Staat  durch  Errichtung  einer  »Blindenfürsorgekommission« 
im  Staatsamt  für  soziale  Verwaltung  mit  der  Blindensache  zu  beschäftigen  anfängt. 
Weiters  muß  festgehalten  werden,  daß  der  »Zentralverein«  seit  Jahren  auf  die  viel- 
fachen Mißstände  und  Versäumnisse  hingewiesen  hat  und  deren  Abhilfe  verlangte. 
Er  hat  also  auch  in  dieser  Hinsicht  das  Interesse  der  Blinden  nach  Kräften  gewahrt. 
Die  von  den  Führern  der  neuen  Bewegung  angeregten  sachlichen  Fragen  (Ersetzung 
aller  sehenden  Direktoren  an  den  Blindenanstalten  durch  gewählte  Blinde  —  ein 
sehender  Mitdirektor  darf  angestellt  werden,  ebenso  ein  Teil  sehender  Lehrer,  — 
Ablehnung  der  Blindenfürsorge,  Auflösung  der  Blindeninternate  und  Besuch  der 
öffentlichen  Volksschule  durch  blinde  Kinder)  sind  teils  so  unreif  teils  so  veraltet, 
daß  sich  weder  ein  ernster  Fachverein,  noch  die  Behörde  damit  zu  befassen  vermag. 
Schließlich  muß  der  »Zentralverein«  eine  einseitige  Tagespolitik  ablehnen,  da  er 
für  sein  Wirken  weder  konfessionelle  noch  politische  Schranken  zulassen  kann.  Für 
das  Getriebe  der  Tagespolitik  steht  das  UnglOck  der  Blindheit  zu  hoch  und  das 
Elend  der  Blinden  zu  tief.« 

Im  Anschlüsse  an  diese  Erklärung  wurde  die  Bitte  gestellt,  den  Inhalt  der 
über  angebliche  Mißstände  und  Verfehlungen  in  der  Blindenfürsorge  gemachten 
Einsendungen  an  die  Tagesblätter  vor  der  Veröffentlichung  auch  nur  einigermaßen 
auf  ihre  Stichhältigkeit  zu  prüfen,  da  durch  derartige  Berichte  in  der  letzten  Zeit 
geradezu  Mißbrauch  mit  der  Presse  und  der  Öffentlichkeit  getrieben  wird,  wobei 
keineswegs  tatsächliche  Übelstände  und  gerechtfertigte  Anschuldigungen  verheimlicht 
werden  sollen.  Aber  die  bisherige  Art  und  Weise  in  der  Ausnützung  einer  unbe- 
sohränkten  Preßfreiheit,  welcher  die  Angriffsobjekte  schutzlos  preisgegeben  sind, 
kann  nur  eine  schwere  Schädigung  unserer  Blindensache,  an  welcher  die  meisten 
Personen  freiwillig  und  in  selbstloser  Weise  mitarbeiten,  verbunden  sein. 

—  Blinden-Unterstützungsverein  »Die  Purkersdorfer«  in 
Wien  V.  Diese  Blindenorganisation  hat  auch  im  Jahre  1918  erfreuliche  Erfolge 
aufzuweisen,  welche  vor  allen  dem  ver-iienstvollen  Wirken  ihres  Obmannes  F.  Uhl 
zuzuschreiben  sind. 

Außer  den  Barunterstützungen  in  der  Höhe  von  10.550  K  an  blinde  Mitglieder 
vermittelte  der  Verein  in  117  Fällen  unentgeltlich  Dienst  und  Arbeit.  Das  Musi- 
kalien-Leihinstitut wurde  in  5179  Fällen  unentgeltlich  in  Anspruch  genommen. 


Herausgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     Redaktionskomitee:  K.   Bürklen, 
J.  Kneis,   A.  t.  Horratb,   F.  Uhl.  —  Drack   too    Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei  Wien. 


Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Verband  der  Kriegsblinden  Deutschösterreichs.  Am  12.  Mai 
1919  hat  die  konstituierende  Sitzung  des  neu  gegründeten  Verbandes  der  Kriegs- 
bhnden  Deutschösterreichs  stattgefunden.  Der  Sitz  des  Verbandes  befindet  sich  in 
Wien,   XIII.,  Raumgartenstraße  71. 

—  Besetzung  von  Tabak  Verschleißgeschäften.  Das  Staatsamt 
für  Finanzen  erließ  neue  Bestimmungen,  betreffend  die  Besetzung  und  Kündigung 
der  Tabakverschleiß'^^eschäfte.  Ein  unbedingtes  Vorzugsrecht  bei  der  Besetzung  von 
Tabakverschleißgeschäften  jeder  Art,  auch  den  mit  LottokoUekturen  verbundenen, 
genießen  die  Kriegsbeschädigten,  Kriegswitwen  und  Kriegswaisen.  Für  die  Auswahl 
unter  mehreren  bevorzugten  Bewerbern  ist  im  allgemeinen  das  Maß  der  Bedürftigkeit 
entscheidend,  wobei  jedoch  nicht  nur  die  Höhe  der  Militärversorgungsgenüsse  und 
des  sonstigen  Einkommens,  sondern  auch  auf  die  Zahl  der  in  der  Versorgung  des 
Bewerbers  stehenden  Familienmitglieder  Rücksicht  zu  nehmen  ist.  Unter  mehreren 
gleich  bedürftigen  Kriegsbeschädigten  entscheidet  der  Grad  der  Erwerbsunfähigkeit 
(Invalidität);  unter  den  Erwerbsunfähigen  gleichen  Grades  gebührt  den  erblindeten 
Kriegsbeschädigten  der  Vorzug. 

—  Der  Verband  der  Kriegsblinden  Deutschösterreichs  ver- 
anstaltete am  23.  Mai  1.  J.  eine  Wohltätigkeitsakademie  im  Großen  Konzert- 
haussaal, an  der  verschiedene  Künstler  mitwirkten. 

—  Ein  großes  Gartenfest  für  dieKriegsblinden,  die  Unglück- 
lichsten der  Unglücklichen,  soll  im  Wiener  Vergnügungspark  (vormals  Kaisergarten 
im  Prater)  unter  der  Devise  »Ein  Linkswalzer  um  den  Blaufuchs«  veranstaltet 
werden.  Außer  diesem  Preistanzen,  dessen  Hauptprämie  ein  Blaufuchs  im  Werte 
von  20.000  Kr.  ist,  bietet  das  Programm  u.  a.  eine  Modenschau,  Bar,  Kabarett, 
einen  Heurigen  mit  Sängern,  ein  Türkisches  Cafe,  Hippodrom,  Zaubertheater,  Luna- 
park,  fünf  Konzertorchester  usw. 

Welchen  Leser  taucht  da  nicht  der  Gedanke  auf,  ob  denn  da  wirklich  »Mittel« 
und  »Zweck«  einander  angemessen  sind.  Gibt  es  denn  keine  edleren  Formen  der 
Wohltätigkeit  mehr  ? 

Selbst  die  Behörde  kam  bereits  zu  dieser  Ansicht  und  verweigerte  die  Ab- 
haltung dieses  Festes,  erteilte  jedoch  schließlich  die  Bewilligung  dazu  über  beson- 
deres Ansuchen  der  Kriegsblinden  selbst. 


Mitteilung. 

—  Zentralverein  für  das  öst  Blindenwesen.  Die  p.  t.  Ausschuß- 
mitglieder werden  zu  der  am  Mittwoch,  den  18.  d.  M.,  4  Uhr,  in  der  Versorgungs- 
und Beschäftigungsanstalt  für  erwachsene  Blinde  in  Wien  VIII,  Josefstädterstr.  80 
stattfindenden  Au  s seh  ußsi  tzun  g  höflichst  eingeladen.  Tagesordnung:  Mitteilungen. 
Kassabericht.  Blindenfürsorgekommission.  Freie  Blindenversammlung. 


Berichtigung. 

Der  Verfasser  des  Artikels  »Ein  deutsches  Punktschriftalphabet«  in  voriger 
Nummer  wurde  irrtümlicherweise  »Haas«  bezeichnet,  während  es  richtig  »Blaas« 
heißen  muß. 


österreichische  Bl^ndenzeitung 

ra     Ersclieiiit  monatlicli  einmal.  : : :  Bezugspreis  jährlich  6  K.     [^ 

|B^|       Verlag:  I.  Österr.  Blindenverein,  Wien  VIII,  Florianiegasse  41.       |1^| 

Die  »Österreichische  Blindenzeitun^«,  hergestellt  nach  dem  vom  Dozenten  Dr.  Mnx 
Herz  erfundenen.  Massedruck  der  Blinden-Punktschrift,  will  auf  humanitärer  Grund- 
lage fußend,  den  Blinden  geistig  fördernden  und  unterhaltenden  Inhalt  bieten. 
Alle  Blindenfreunde  werden  um  Unterstützung  dieser  Bestrebungen  gebeten. 

==  ^syl  für  blinde  Kinder  == 

Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im  vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen   österreichi- 
schen Kroniändern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 

Die  „ZBntroIbibliothBh  fiip  Blinde  in  OstBPPBicIi", 

Wien  XVIII,  Währinger  Gürtel  136, 


verleiht  ihre  Bücher  kostenlos  an  alle  Blinden. 


Blinden-Uniterstützungsverein 

„DIE  PÜRKERSDORFER" 

Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  Unterstützung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  tiir  Blinde.  Erhaltung 
der  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


Der  blinde  Modelleur- 


Littau  in  iVlähren, 

empfiehlt  seine  zu  Geschenken  sich 
:  vorzüglich  eignenden  keramischen  : 
Handarbeiten.  Nähere  Auskunftbrieflich. 


FfOiiiititiygBnossenscIiaft  für  blinde 
Bürstenbinder  und  Korbflechter. 

G.  m.b.H. 
Wien  VIII.,   Florianigasse  Nr.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

Alle  Gattungen  Bürstenbinder-  u.  KorbHechterwaren, 
VerkautasteHe.    Wien  VII.,  Neubau^asse  75. 


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des  Blinden-Unterstützungsvereines 
»Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V., 
:  — :  Nikolsdorfergasse  Nr.  42.  :  — : 


Blindendrucknoten    >verden    an      fWk 
Blinde  luienlj^eltlich  verliehen!      ^AJ 


ili 


I 


von  Oskar  Picht. 

B  r  0  m  b  e  r  g. 


W.  Kraus,  Berlin  N  54. 

(Gegründet  1878.) 

Borsten-,  Rohmaterialien-  und  Werkzeug- Fabrik 
=====    Bürstenhölzerfabrik.  


□ 


□ 


Faserstoff-Zurichterei  Bergedorf 

Bergedorf  bei  ^^amburg. 

Musteigültige  IJearbeitung  von   F  i  b  e  r  und  P  i  as  sava 
aller  Arten. 


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Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.   — 


Schriftleitunq 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
kontoNr.132.257 


Das  Blatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


j  I  Bezugspreis  □ 

Q  ganzjährig  mit  q 

□  Postzusteilung  □ 

G         6  Kronen,  Q 

Q  Einzelnummer  G 

n  50  Heller.  ^ 


6.  Jahrgang. 


Wien,  Juli  1919. 


7.  Nummer. 


mHHLT:  K.  Bürklen:  Das  Gesicht  des  Blinden,  Fr.  Demal:  Vom  Holzarbeits- 
ünterricht.  (Schluß).  S.  Heller:  Rede  zur  Eröffnung  der  Ausstellung  von 
Handfertigkeitsarbeiten  der  Zöglinge  des  Isr.  Blindeninstitutes  in  Wien  XIX. 
Personalnachrichten.  f\us  den  Vereinen.  Verschiedenes.  Bücherschau.  Zur 
Beachtung,     RItes  und  Neues.     (Ankündigungen.) 


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3  Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische   ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  Vlll, 
g  Josefstädterstraße  80,  Mitgliedsbeitrag  3  K,  Zeitungsbeitrag  3  K.   [^ 


flites  und  Neues. 

Darstellung  des  Blinden  in  der  modernen  Malerei. 

Expressionistische  Malerei  ist  ihrem  innersten  Wesen  nach  immer 
Problemmalerei.  Das  Objekt  ist  nur  Mittel.  Nicht  sein  Festhalten  im 
Bild  ist  mehr  die  Aufgabe  der  Kunst;  es  wird  zum  Anreger.  Was  es 
im  Maler  hervorzurufen  vermag,  was  an  Gefühlsgehalten  wachgerufen 
wird,  was  hinter  dem  Gegenständlichen  zu  ahnen  und  zu  spüren  ist, 
wird  das  Wichtigere  für  die  Darstellung.  Darum  sind  namentlich 
Menschendarstellungen,  Porträts,  von  expressionistischen  Malern  von 
außerordentlichem  Reiz,  da  einerseits  solche  Darstellungen  doch  an  das 
Stoffliche  gebunden  bleiben  müssen,  anderseits  aber  das  Dahinterliegende, 
vom  Maler  in  der  Intuition  Erfaßte,  Hauptzweck  der  Darstellung  bleiben 
soll.  In  diesem  Sinne  wird  selbst  die  vom  Stofflichen  so  abhängige 
Menschendarstellung  und  Porträtierkunst  Problemmalerei.  Der  Maler 
malt  das  Schicksal  und  die  Seele  mit  und  begnügt  sich  nicht,  dies  nur 
empirisch  in  den  Äußerungen  der  Gesichts-  und  Gebärdenmimik  an- 
zudeuten. 

Von  diesem  Standpunkt  aus  muß  die  Darstellung  des  Blinden 
äußerst  verlockend  sein  für  den  Expressionisten,  denn  der  Blinde  wird 
ja  und  ist  ja  der  Träger  tiefer  Probleme,  ist  Schicksal,  Schmerz,  Hilf- 
losigkeit oder  ganz  Träumerei  und  Seele. 

Von  besonderem  Interesse  sind  drei  Darstellungen,  die  Georg  Ehr- 
lich in  der  Ausstellung  des  Künstlervereines  »Freie  Bewegung«  (Wien  I., 
Kärntnerstraße  4)  zeigt.  Zuerst  eine  Federzeichnung  mit  den  dürftigsten 
Strichen,  fein  und  zart:  Blindes  Mädchen.  Zusammengekauert,  die  Arme 
fest  um  den  Leib  geschlungen,  bildet  die  Körperhaltung  den  vollendet- 
sten Ausdruck  der  Hilflosigkeit,  des  Wartenmüssens  und  der  Angst  vor 
dem  ungekannten  Umgebenden.  Dabei  ist  die  Physiognomie  von  hervor- 
ragender Natürlichkeit  mit  den  geschlossenen,  eingedrückt  erscheinenden 
Lidern. 

Ein  großes,  in  den  Senkrechten  dreigeteiltes  Ölbild  betitelt  sich 
die  »Verklärung  der  Blinden. <  Das  untere  schmale  Feld  zeigt  Köpfe 
(Sehende),  einen  männlichen  und  einen  weiblichen.  Das  mittlere  das 
kniende  blinde  Mädchen  und  den  nach  ihr  tastenden  Mann.  Das  obere 
Schmalfeld  Kinderfiguren  in  heller  Freudigkeit.  Die  beiden  Blinden  sind 
famos  getroffen.  Das  Mädchen  streckt  in  hilflosem  Erwarten  die  Arme 
aus.  Das  Antlitz  —  es  ist  dasselbe  wie  in  der  Federzeichnung  — 
spricht  ungemein  deutlich  das  weihevolle  Erwarten  aus.  Der  Mann 
schreitet  auf  sie  zu,  ertastet  ihren  Arm  und  sucht  mit  der  anderen 
Hand  ihren  Scheitel,  als  wollte  er  sie  segnen.  Diese  Tastbewegung 
und  der  vordringende  Kopf,  der  Suchen  und  Wissen  vom  Blinden  ist, 
sind  das  Beste  am  Bild.  So  denkt  sich  der  Maler  die  Verklärung  der 
Blinden  in  dem  restlosen  Vereinen  in  der  Liebe.  Nur  der  Blinde  kann 
den  Blinden  voll  erfassen  und  ganz  lieben.  Zur  Verdeutlichung  des 
Problemes  die  jubelnden  Kinder  fm  oberen  Schmalfeld. 

Die  dritte  Darstellung,  abermals  eine  Federzeichnung,  »Blindes 
Liebespaare,  ist  eine  Vorstudie  zu  dem  Ölbild  und  ist  in  seinem  An- 
deuten mit  wenigen  Strichen  vollendet.  O,  W. 


-Zeitschrift  für  das  österreichische 


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Beilage  zu  dem  Artikel  von  Bürklen: 


1.  Total  blind. 


2.  Total  blind. 


3.  Mit  Lichtschein. 


4.  Total  blind. 


5.  Mit  sehr  geringem 
Sehvermögen. 


6.  Total  blind. 


7.  Mit  Lichtschein.         8.  Mit  sehr  geringem     9.  Ein  Muge  schwachsichtig, 

Sehvermögen.  das  andere  total  blind. 


Blindenwesen",    Juli  1919,    Nr.  7. 


„Das  Gesicht  des  Blinden". 


10.  Total  blind. 


n.  Total  blind. 


12.  Total  blind. 


13.  Total   blind. 


14.  Total   blind. 


15.  Mit  sehr  geringem 
Sehvermögen. 


16.  Total  blind. 


17.  Mit  sehr  geringem 
Sehvermögen. 


18.  Total  blind. 


6.  Jahrgang.  Wien,  Juli   1919.  7.  Numnner. 


I  I 

^  Das  Auge  ist  das  Organ,  welches  für  die  Nährung  unseres  ^ 


Geistes,    für  die  Begründung  unserer  Weltanschauung  und  für 


ä& 


p  die  Beziehung  der  Menschen  unter  sich  einen  Einfluß  übt,   über  ^ 

*  dessen  Umfang    sich    der  in   ungeschmälertem  Besitz  Stehende  ^ 

^  kaum  volle  Rechenschaft   zu  geben  vermag.   Redner  haben   das  ^ 

m  Auge    gepriesen.    Dichter    haben    es    besungen,    aber   der  volle 

%  ^Vert  desselben  ist  versenkt  in  das  dumpfe  Sehnen  derer,    die 

^  es  einst  besessen  und  dann  verloren  haben.  Dr.  a.  v.  Gräie.  ^ 

SS  JeS 


Das  Gesicht  des  Blinden. 

V'^on  Direktor  K.  B  ü  r  k  1  e  n,  Purkersdorf. 
(Mit  einer  Tafel). 

„In  jedes  Menschen  Gesichte 
Steht  seine  Geschichte, 
Sein  Hassen  und  Lieben 
Deutlich  geschrieben."  (Mirza  schartv). 

„Und  sein  Leiden!"  müssen  wir  den  Dichter  ergänzen,  wenn  wir 
das  Gesicht  eines  Blinden  sehen,  denn  wohl  kaum  eine  andere  patho- 
logische Erscheinung  wirkt  so  stark  auf  die  stumme  Sprache  des  Anl- 
litzes  ein  als  die  h^rblindung.  Im  Gesichtsausdruck  des  Menschen  spielen 
die  Augen  mit  den  sie  umgebenden  Muskelpartien  die  Hauptrolle.  Die 
reiche  und  seltsame  Ausdrucksfähigkeit  dieser  Sinnesorgane,  welche  bis 
heute  mehr  durch  die  Dichter  als  die  Physiologen  erfaßt  wurde,  der 
lebendige  Blick  in  seinen  hundertfachen  Gefühlsabstufungen,  spiegeln 
die  Seele  des  Menschen  nach  außen  wieder,  geben  uns  Kunde  von 
tausenderlei  Geftihlserregungen  in  seinem  Innern.  .Je  tiefer  das  Gemüts- 
leben, je  reicher  die  Geistesbildung  eines  Menschen  ist,  desto  mehr  drängt 
sich  der  Ausdruck  hievon  in  seinen  Augen  zusammen.  Darum  sehen  wir 
die  Maler  so  intensiv  und  vielseitig  mit  der  bildlichen,  die  Dichter  mit 
der  beschreibenden  Darstellung  des  Menschenauges  beschäftigt. 


Seite  1156.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  7.  Nummer. 

Es  ist  ali^o  schon  von  vornherein  klar,  daß  die  Blindheit  mit  einem 
gänzlichen  oder  auch  nur  teilweisen  Ausfall  des  Sehvermögens,  eine 
tiefprüfende  Veränderung  des  Gesichtsausdruckes  hervorrufen  muß  und 
zwar  nicht  nur  dadurch,  daß  heim  Gesichtslosen  die  Ausdrucksfähigkeit 
des  Augenspieles  überhaupt  wegfällt,  sondern  auch  durch  die  Mißbildungen 
des  Sehorganes.  welche  das  Krankhafte  besonders  hervortreten  lassen 
und  den  noch  möglichen  Ausdruck  verwirren  und  oft  ins  Gegenteil 
verkehren.  Wohl  tritt  auch  beim  Blinden  in  der  unteren  Gesichtshälfte 
noch  das  gleiche  Mienenspiel  wie  beim  Sehenden  auf,  aber  auch  dies 
ist  viel  weniger  ausgeprägt  als  beim  Sehenden,  da  beim  Gesichtslosen 
und  zwar  hauptsächlich  heim  .lugendhlinden  die  Möglichkeit  der  Nach- 
ahmung fehlt. 

Wollen  wir  also  den  Gesichtsausdruck  des  Blinden  näher  betrachten, 
so  müssen  wir  uns  vorerst  mit  den  Veränderungen  befassen,  welche 
sich  an  seinen  Augen  und  deren  Umgebung  vollzogen  haben  und  seinem 
Gesichte  ein  dauerndes  Gepräge  geben. 

Bisher  hat  der  Gesichtsausdruck  des  Blinden  eigentlich  nur  die 
Künstler  in  Malerei  und  Plastik  beschäftigt.  Die  reiche  Zahl  der  Blinden- 
darstellnngen  dieser  Art  aus  allen  Zeiten  vermögen  uns  aber  durchaus 
keinen  richtigen  Aufschluß  zu  geben,  denn  der  Künstler  bildet  aus  einer 
Summe  von  Beobachtungen  stets  einen  Idealtypus  heraus  und  läßt  sich 
selten  an  einer  realistischen  Darstellung  genügen.  Wir  finden  daher 
an  den  Bildwerken  von  Blinden  die  Augen  meistens  in  ihrer  normalen 
Gestalt  erhalten,  einerseits  mit  wie  im  Schlafe  gesenkten  Lidern  ge- 
schlossen, andrerseits  die  Augen  geöffnet  und  ins  Leere  blickend.  In 
der  Wirklichkeit  treten  diese  Fälle  bei  weitem  seltener  auf  als  man  dar- 
nach annehmen  möchte.  Es  ist  daher  notwendig,  das  Gesicht  des  lebenden 
Blinden  zu  betrachten,  wollen  wir  seinen  Ausdruck  kennen  lernen,  und 
wir  beschäftigen  uns  also  (ausgenommen  Nr.  10,  11  und  12  der  Tafel) 
mit  Bildern,  wie  sie  uns  der  photographische  Apparat  nach  dem  Leben 
wiedergibt.  Wir  wählen  bei  dieser  Betrachtung  eine  solche  Anordnung, 
daß  wir  allmählich  von  geringen  zu  immer  deutlicher  werdenden  äußeren 
Veränderungen  des  Gesichtsausdruckes  weiterschreiten. 

Es  gibt  Blindheitsfälle,  in  denen  die  Augen  äußerlich  ihre  normale 
Gestaltung  aufweisen.  Aber  selbst  wo  die  Augen  des  Blinden  äußerlich 
unverändert  geblieben  sind,  finden  sich  in  der  Blickrichtung  Anhalts- 
für sein  Gebrechen.  Abgesehen  von  dem  mitunter  auftretenden  Augen- 
zittern, ist  die  Blickrichtung  bei  Blinden  von  jener  der  Sehenden  ab- 
weichend. Im  Gespräche  hält  der  Sehende  seine  Augen  gewöhnlich  auf 
sein  Gegenüber  gerichtet,  der  Blinde  blickt  ins  Leere,  wendet  die  Augen 
zur  Seite  oder  nach  oben.  Der  Blick  ins  Leere  ist  besonders  Später- 
erblindeten eigen,  wie  man  dies  bei  der  bekannten  Büste  Homers 
beobachten  kann,  der  wohl  nur  als  Spätererblindeter  gelten  kann. 

Dieser  Blick  ins  Leere  nach  verschiedenen  Richtungen  hin.  vermag 
dem  Gesichte  des  Blinden  einen  Ausdruck  zu  geben,  der  zu  ganz  irrigen 
Deutungen  Anlaß  gelxMi  kann.  Wer  verinöchto  z.  B.  dem  hübschen  Kinde 
in  Abb.  1  anzusehen,  daß  sein  ruhig  und  seek^nvoil  blickendes  Auge 
keinen  Lichtstrahl  mehr  empfängt  und  wiedergibt?  Der  Knabe  in  Abb.  2 
wendet  die  Augäpfel  nach  oben  und  erweckt  damit  den  Eindruck  der 
Andacht,  während  jener  in  Abb.  3  mit  den  seitlich  gestellten  Augen  den 


7.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen,  Seite   1157. 

versteckten  Blick  des  Mißtrauens  zeigt,  ohne  daß  die  ein(>  oder  andere 
Ausdeutung  irgend  eine  andere  Begründung  als  die  einer  j)athologischen 
Erscheinung  hätte.  Desgleichen  kömite  man  aus  den  total  erhlindeten 
des  Mädchens  in  Ahh.  I  Schuldhevvußtsein.  aus  jenen  in  Ahh.  ö  heftige 
Erregung  herauslesen,  wohei  das  Spielen  der  Augäpfel  noch  zu  weiteren 
Mißdeutungen  Anlaß  geben  kann. 

Bei  Sehnervscluvund  hieiht  das  Außcr-e  der  Augen  unverändert. 
Die  Starrheit  der  IMiitillciKiHnung  vci-luniden  mit  einer  starken  \"eren- 
gerinig  dprselhen,  kann  dem  Dlick  des  Blinden  unheahsichtigt  zu  einem 
kalten  untl  stechenden  nutchen.  Andererseils  kann  durch  eine  starke  und 
bleibende  Pnpillenerweiterung  das  Auge  Blinder  ganz  seelenvoll  verschönt 
erscheinen.  Aber  weder  Kälte  noch  Wärme  solcher  Augen  haben  eine 
tiefere  Bedeutung.  Wer  iiähei-  zusieht,  wird  bald  wahrnehmcMi,  daß  diesen 
Augen  die  natürliche  Blickrichtung  fehlt,  daß  sie  auf  starken  Diehteinfall 
weder  durch  eine  i*uj)illeni-eaktion  noch  durch  Liderverengung  antworten. 

Auch  die  verschiedenen  W'ränderungen  der  Augäpfel  bei  Blinden 
sind  in  der  gleichen  Weise  zu  werten.  Der  erloschene  Blick  getrübter 
Augen,  die  mamiigfachen  Verunstaltungen  der  Augäpfel,  das  teilweise 
oder  gänzliche  Kehlen  derselben  geben  dem  l^linden  ein  Aussehen,  das 
sein  Gebrechen  sofort  erkennen  läl.it.  obne  daß  damit  al<er  bestimmte 
Züge  seiner  Innerlichkeit  zum  Ausdrucke  kämen.  Am  besten  zeigt  uns 
dies  der  mit  Buj)htlialmus  behaftete  blinde  Knabe  in  Abb.  (i,  dessen 
Augen  uns  in  Erstaunen  oder  Schreck  anzustarren  scheinen.  Besonders 
deutlich  tritt  dies  in  Erseheinung.  wenn  nuin  sich  auf  diese  weißen 
Augäpfel  von  inigew()linlicher  {irr)tie  die  Iris  und  Pui)ille  in  entspre- 
chender (Iröße  einzeichnet. 

Die  Augen  des  jungen  Mannes  in  Abb.  7  machen  den  Eindruck 
mühseligen  Schauens.  während  von  jenen  des  Knaben  in  Abb.  8  durch 
die  nahezu  geschlosseiuMi  Eider  wenig  zu  sehen  ist.  In  Abb.  9  ist  ein 
r^eisjjiel  dafür  gegeben,  zu  welch  tiefgehender  Veränderung  des  Gesichts- 
ausdruckes die  Blindheit  führt.  Der  junge  Maim  ist  auf  dem  rechten 
Auge  wohl  schwachsichtig,  doch  hat  diese  Gesichtshälfte  noch  inuner 
volle  Lebendigkeit,  w;ihi'end  die  linke  mit  dem  fehlenden  Auge  in  Leb- 
losigkeit erstarrt   ist. 

Schrumpfung  oder  gänzliclies  Eeblen  der  Augäpfel  bedingen  ein 
Einfallen  der  Augenlider  in  die  Augenhöhlen.  Beispiele  dafür  sehen  wir 
in  den  Abbildungen  10 — 16  und  18.  Häutig  tritt  diese  Veränderung 
an  den  iVugen  ein  und  derselben  Person  verschieden  auf.  (Abb.  12,  18, 
1().  18).  Je  tiefer  die  leeren  Augenhöhlen  sind,  wozu  oft  die  üble  An- 
gewohnheit des  Augenbohrens  beiträgt  (rechtes  Auge  in  Abb.  16),  desto 
mehr  verstärkt  sich  der  Eindruck  des  Totenkopfähnlichen,  welcher  auf 
den  Beschauer  besonders  schreckhaft  wirkt. 

Bei  Sehenden  ergibt  sich  der  Zustand  geschlossener  Augenlider  im 
Schlafe,  aber  auch  wachend  bei  der  A])wendung  von  allem  Irdischen, 
im  Zustande  tiefen  Schmerzes  oder  der  Verzückung.  Sind  bei  Blinden 
unter  den  Augenlidern  noch  die  Augäpfel  zu  erkennen,  so  kann  leicht 
einer  dieser  Eindrücke  erweckt  werden,  besonders  aber  jener  der  Well- 
entrücktheit.  Der  für  diese  Eindrücke  erforderliche  Ruhezustand  dei- 
Augenlider  und  deren  vollkommene  Geschlossenheit  ist  jedoch  bei  Blinden 
selten  vorhanden,  so  daß  wir  diesem  typischen  Bilde  der  Blindheit,  wie 


Seite  1158.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  7.  Nummer. 

es  Ulis  die  darstellende  Kunst  meistens  darbietet,  in  der  Wirklichkeil 
wenig  begegnen.  Es  sind  vielmehr  bei  solchen  Blinden  immer  noch 
mannigfache  Bewegungen  der  Augenlider  zu  bemerken,  an  denen  auch 
die  nächstliegenden  Muskeln  um  das  Auge  teilnehmen.  Wir  werden 
noch  hören,  welche  Ursachen  für  diese  Erscheinungen  vorhanden   sind. 

Bisher  beschäftigten  wir  uns  lediglich  mit  dem  durch  die  krank- 
haften Veränderungen  der  Augen  hervorgerufenen  Ausdruck  bei  Blinden 
und  versäumen  nicht,  nochmals  zu  betonen,  daß  dieser  nicht  wie  bei 
Sehenden  aus  bestimmten  Ursachen  (imaginäre  Sinneserregungen  und 
psychische  Reize)  entsteht,  sondern  rein  pathologisch  ist.  Der  dadurch 
dem  Gesichte  des  Blinden  so  deutlich  aufgeprägte  Stempel  des  Gebre- 
chens beschränkt  sich  in  der  Überzahl  der  Fälle  auf  die  Augäpfel  und 
die  Augenlider,  während  die  um  das  Auge  gelagerten  Muskelpartien  der 
Augenbrauen,  des  Nasenrückens  und  der  Stirn  den  gleichen  Gesetzen 
der  Physiognomik  und  Mimik  wie  bei  Sehenden  folgen. 

Allerdings  ergibt  sich  auch  für  diese  Gesichtsteile  aus  der  Blind- 
heit wenn  auch  keine  Abänderung,  so  doch  eine  bedeutende  Abschwächung 
der  Ausdrucksbewegungeu.  Krukenberg  sagt  darüber:  ..Wenn  unsere 
Annahme  richtig  ist.  daß  das  ganze  Mienenspiel  ursprünglich  durch 
Sinnesreize  hervorgerufen  wird,  so  müssen  l)ei  Fehlen  eines  Sinnes- 
organes, sofern  es  an  der  Entstehung  des  Mienenspieles  beteiligt  ist. 
auffällige  Ausfallserscheinungen  entstehen.  Es  muß  also  z.  B.  bei  ange- 
borener Blindheil  das  Mienenspiel,  soweit  es  durch  das  Sehorgan  her- 
vorgerufen wird,  ausfallen  und  zwar  nicht  nur  bei  spezifischen  Reizen 
auf  das  Auge,  sondern  auch  bei  ideellen  Reizen."  Daß  der  Ausfall  des 
Gesichtssinnes  tatsächlich  dauernde  Folgen  für  die  Entwicklung  des 
Mienenspieles  hat.  wurde  bereits  von  zwei  Forschern |(Birch-Hi rsch- 
feld  und  Sante  de  Sanctis)  berührt.  Sie  fanden,  daß  bei  Blinden 
die  Mimik  des  Stirnmuskels,  des  Augenringmuskels  und  des  Augenbrauen- 
runzlers  erheblich  geringer  entwickelt  ist.  als  bei  normalen  Personen. 
Krukenberg  bestätigt  im  wesentlichen  diese  Behauptung.  Xacli  ihm 
fehlt  bei  angeborener  Blindheit  die  Mimik  am  Auge  und  besonders  an 
der  Stirne  vollständig,  denn  diese  Teile  sind  mimisch  tot. 

In  dieser  Allgemeinheit  bestätigt  sich  jedoch  die  Annahme  eines 
gänzlichen  Fehlens  einer  mimischen  Ausdrucksfähigkeit  der  oberen 
Gesichtshälfte  bei  Blinden  nicht.  Krukenberg  selbst  ist  es  nicht  ent- 
gangen, daß  auch  bei  gänzlich  Blinden,  vornehmlich  aber  noch  bei 
solchem  mit  geringer  Eichtemphndung,  sich  trotzdem  mimische  Aus- 
drucksbewegungeu zeigen.  ..Solche  Bewegungen  sind  aber  —  nach  seiner 
Ansicht  —  nicht  mehr  als  gesetzmäßige,  eine  Stimmung  oder  einen  Sinnes- 
eindruck cliarakterisierende  [>ewegungen  aufzufassen,  es  sind  von  ander- 
weitigen Reizen  abhängige  Krampfzustände  der  Mu.skulatur.  die  als 
Störungen  des  Mienenspiels  zu  deuten  sind:  sie  sind  vielleicht  der  letzte 
Rest  eines  der  Erblindung  voraufgehendeii  oder  sie  begleitenden  mit 
Schmerzen  und  Lichtscheu  verl)un(lenen  Entzündungsprozesses.  (Spatische 
Bewegungen).  Hieher  gehört  das  Liderzukneifen  des  Knaben  in  Abb.  8. 
das  sicher  auf  Lichtempfindlichkeit  zurückzuführen  ist.  sowie  das  Auf- 
reißen der  Augen  bei  dem  jungen  Manne  in  Abb.  8  aus  Lichthunger. 
In  beiden  Fällen    treten  starke  Bewegungen    des  Stirnmuskels    und  des 


7.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BUndenwesen.  Seite   1159. 

Au,t;enhrauenmiizlei's   auf.     Mildere    Formen    ähiilichei-  Aiiscli'uckshevve- 
uiin^eii    treten  in  den  Abb.  8,  4,   12,  13,   15  und   17  auf. 

ALso  auch  die  von  Krukenberg  bezeichneten  Krampfzu.stände 
gestatten  keine  Rückschlüsse  auf  Emptindungs-  und  Alfektzustände,  geben 
aber  dem  Gesichte  des  Blinden  einen  charakteristischen  Leidens-  und 
Schmerzenszug.  Nun  sei  aber  auch  darauf  verwiesen,  daß  ähnliche 
Ausdrucksbewegungen  in  der  Augen-  und  Stirnmuskulatur  auch  durch 
Aufmerksamkeit  und  Konzentration  der  Denktätigkeit  hervorgerufen 
werden  können  und  solche  hauptsächlich  bei  Spätererblindeten  unab- 
hängig von  spatischen  Bewegungen  auftreten  können,  auch  tatsächlich 
auftreten.  Manches  (iesicht  älterer  Blinder  erhält  dadurch  einen  dauern- 
den  Ausdruck. 

Kin  getreueres  Al)bil(l  der  (Gemütszustände  vermag  uns  gegenüber 
der  oberen  durch  Krankheit  entstellten  und  beeinflußten  Gesichtshälfte 
der  untere  Teil  des  Gesichtes  beim  Blinden  zu  geben.  Wie  wir  bereits 
hörten,  sind  die  Ausdrucksbewegungen  dieser  Gesichtshälfte,  an  denen 
Mund.  Wangen  und  Nasenflügel  beteiligt  sind,  bei  Blinden  im  allgemeinen 
(he  gleichen  wie  bei  Sehenden,  jedoch  hauptsächlich  infolge  der  Er- 
schwerung nachahmender  .Mimik  abgeschwächt  und  beschränkt.  Wenn 
wir  die  vorliegenden  Abbildungen  der  Reihe  nach  betrachten,  so  finden 
wir  am  Munde  der  Blinden  meistens  einen  ernsten  Zug,  der  sich  mit- 
unter zum  traurig-leidenden,  ja  auch  bitteren  und  verbissenen  steigert. 
Andererseits  lindet  sich  vor  allem  bei  weiblfthen  Blinden  auch  der 
süßliche  /Cug  um  den  Mund  vor  (Abb.  11,)  der  sich  namentlich  im  Ver- 
kehre mit  Sehenden  und  vor  der  Kamera  des  Fhotographen  deutlich 
ausprägt.  Bei  angestrengtem  Horchen  ölfhet  sich  häufig  der  Mund  der 
Blinden,  wie  wir  dies  bei  dem  Blinden  in  Abb.  18  sehen.  Hiezu  kann 
auch  Schwerhörigkeit  und  behinderte  Nasenatnunig  beitragen. 

Es  ist  nur  eine  flüchtige  Skizze,  die  wir  mit  unserer  Betrachtung 
über  das  Gesicht  des  Blinden  darbieten,  und  wir  haben  damit  das 
interessante  aber  bisher  wenig  erforschte  Gebiet  der  mimischen  Aus- 
drucksbewegungen bei  den  Gesichtslosen  kaum  berührt.  Diese  wenigen 
Zeilen  wollen  nur  als  bescheidene  Einführung  in  die  Physiognomik  des 
blinden  Menschen  angesehen  werden,  um  das  Tor  für  das  Studium  seiner 
Mimik  zu  eröffnen.  Es  muß  endlich  auch  dafür  die  Zeit  kommen,  denn 
selbst  von  den  Blindenerziehern,  welche  den  Blinden  doch  am  nächsten 
stehen,  gilt  heute  noch  der  Satz  des  Dichters,  mit  dem  er  vom  Gesichte 
des  Sehenden  spricht: 

„Sein  innerstes  Wesen. 
Es  tritt  hier  ans  Licht  — ■ 
Doch  nicht  jeder  kann"s  lesen, 
Verstehn  jeder  nicht!  (Mirra  Schaffy). 

Benützte  Literatur: 

Krukenberg  D.H.:  Der  Gesichtsausdruck  des  Menschen.  (Enke,  Stuttgart  1913). 
Santa  de  Sanctis:  Die  Mimik  des  Denkens.  Übersetzt  von  J.  B r e s  1  e r.  (Marhofd, 

Halle  a.  S.  1906). 
Heller  H.  v. :  Grundformen  der  Mimik  des  Antlitzes.  (Schroll,  Wien  1902). 
Holländer  E.:  Plastik  und  Medizin.  (Enke,  Stuttgart,  1912). 


Seile  1160.  Zeilscliritt   tür  das  österreichische  Hiii)(1ciuvei,eii.  7.  Nummer. 

Vom  Holzarbeits-CJnterricht. 

Von   Hauptlehrer  l'r.   Demal  in  Puri<ersdorf. 
(Fortsetzung  und  Schluß.) 

8.  Das  Taschenmesser,  Das  Ideal  eines  jeden  echten  KnaJ)t'n 
ist  der  Besitz  eines  Taschenmessers.  Hat  er  nun  ein  solches,  muß  er 
es  auch  gebrauchen  lernen,  trotzdem,  eigentlich  weil  die  Hantierung 
damit  nicht  ganz  ungefährlich  ist.  Seine  Anwendung  i.st  so  mannigfaltig, 
daß  wir  hier  nicht  ins  Einzelne  gehen  können.  Um  Verletzungen  zu 
vermeiden,  ist  es  wichtig,  das  Messer  bei  der  Arbeit  nie  gegen  den 
Körper  zu  richten,  sondern  umgekehrt:  Die  Linke  hält  das  Arbeitsstück 
und  die  Rechte  führt  das  Werkzeug  in  der  Kichtung  vom  Körper  weg: 
oder  man  stützt  das  Holz  auf  (he  Hank  auf  und  schneidet  abwärts  zu. 
Noch  sicherer  ist  es,  wenn  man  sitzend  schneidet  und  das  Messer  fest 
auf  dem  Knie  ruhen  läßt,  während  die  Linke  das  Holzstück  die  Schneide 
entlang  zielit.  Aus  Sicherheitsgründen  lasse  man  zuerst  mit  kleinen 
Schnitzme.ssern  arbeiten,  die  nicht  einkla])])en  und  dann  erst  mit 
Taschenmessern,  deren  S])itzen  man  noch  zur  Vorsicht  abrunden  kaim. 

Die  wichtigsten  Verrichtungen  ilamit.  die  das  Leben  tagtäglich 
fordert  und  die  daher  auch  im  Unterrichte  geübt  werden  sollen,  sind: 
Das  Spalten  kurzer,  weicher  Holzstücke  in  düime  Spänne  (,.Spann]- 
machen").  das  Rundschnitzen  und  Zuspitzen  von  Stäben,  das  Einkerl)en 
zum  Zwecke  der  Verzierung  oder  der  Teilung  in  mehrere  Stücke,  das 
Abschneiden  und  Schälen  von  Xaturholz  (Weiden  a.  dgl.). 

9.  Raspel  und  Feile.  Im  Allgemeinen  werden  diese  Werkzeuge 
viel  zu  oft  angewendet:  Der  eilfertige  Schüler  mißt  schlecht,  schneidet 
vom  Laden  ein  zu  langes  Stück  herunter  und  will  es  nun  kürzer 
raspeln,  oder:  Kr  bohrt  ein  zu  kleines  Loch  und  will  es  größer  raspeln 
u.  s.  w.  P]s  reißt  dann  beim  Schüler  leicht  der  Gedankengang  ein: 
„Wenn  ich  auch  ungenau  arbeite,  die  Raspel  schafft  dann  die  P'ehler 
schon  weg."  Meist  macht  sie  sie  ai)er  größer:  Sie  erzeugt  bucklige 
Kanten,  reißt  das  Holz  ein.  zerkratzt  es  an  uiu'ichtiger  Stelle  u.  s.  f. 
Sie  soll  daher  nie  als  sell)ständiges  Werkzeug  auftreten,  sondern  inmier 
nur  nach  vorausgehender  Hantierung  mit  einem  anderen:  Einem  rund- 
gehobelten Stab  werden  die  letzten  Kanten  genommen,  ein  mit  Absicht 
etwas  stärker  gesägter  Zapfen  wird  ins  Loch  eingepaßt  u.  dgl.  —  Nach 
ihrer  Anwendung  folgt  die  Feile,  die  das  aufgerauhte  Werkstück  glättet. 
Je  größer  man  beide  Werkzeuge  wählt,  desto  schndler  und  sicherer 
(gleichmäßigen  geht  die  Arbeit.  Zur  Bearbeitung  größerer  Flächen 
dienen  sie  natürlich  nicht.  Hiezu  gehören  Hobel.  Ziehklinge  und 
Glaspai)ier.  Letzteres  hält  man  am  bequemsten  und  gebraucht  man 
am  sparsamsten,  wenn  man  es  um  ein  vierkantiges  Holstück  (Zündholz- 
schachtel) wickelt.     Man    putze  nur  den  Längsfasern  entlang,  nie  quer! 

10.  Die  Bohrwinde  mit  dem  Zent  rums  bohr  er  wenden  wir 
viel  häutiger  an  als  sonst  bei  sehenden  Schülern  üblich  ist.  Alle  kleinen 
Löcher  erzeugt  fler  Drillbohrer,  die  großen  der  Zentrumsbohrer.  Das 
Holz  zerspringt  weniger  leicht,  die  Löcher  werden  sicherer  winkelrecht 
als  bei  der  Benützung  des  Handbohrers.  Man  bohrt  entweder  bei  wag- 
rechter Haltung  der  Bohrwinde  und  übt  daliei  mit  der  Brust  den  Druck 
aus  (es  gibt  eigene  Brustleiern)    oder    hält    ilas    (lerät    lotrecht.     Hierbei 


7.  Nummer.  Zeitschrift  lür  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite    1161. 

ül)t  die  linke  Hand  den  Druck  aus  und  hält  auch  das  Gerät  in  der 
richtigen  Lage.  Zur  Verstärkung,'  des  Druckes,  besonders  aber,  um  das 
Gerät  noch  mehr  zu  fixieren,  legen  die  Schüler  auch  noch  gerne  den 
Kopf  auf  die  Hand  oder  aber  verrichten  die  Arbeit  knieend.  —  Sie  sind 
darauf  aufmerksam  zu  irfachen,  daß  das  Loch  nie  von  einer  Seite  au.s 
ganz  durchbohrt  werden  darf,  da  sonst  das  Holz  ausreißt,  sondern  man 
bohrt  solange,  bis  man  die  Bohrerspitze  auf  der  anderen  Seite  fühlt, 
dreht  nun  das  Werkstück  um  und  bohrt  fertig. 

Der  Zentrumbohrer  muß  auch  in  vielen  Fällen  das  Stemmeisen 
ersetzen.  So  lasse  ich  meist  Zapfen  (etwa  bei  der  Herstellung  eines 
LiegestuhlesVrund  verfertigen  und  daher  auch  die  entsprechenden  T.öcher 
statt  stemmen  bohren. 

11.  Den  Handbohrer  verwenden  wir.  da  er  langsam  und  un- 
sicher arbeitet,  nur.  weil  er  auch  in  dem  einfachsten  Haushalte  anzu- 
tretfen  ist  und  nur  dann,  wenn  man  mit  einem  anderen  Bohrer  nicht 
herankann.  Um  nicht  schief  zu  koiiimen.  schlägt  man  zuerst  mit  dem 
Spitzbohrer  ein  Loch  vor. 

12.  Der  Schraubenzieher  wird  ebenfalls  erst  nach  einem 
Bohrer  verwendet,  da  sonst  die  Schraube  entweder  nicht  anpackt  oder 
AU.  schwer  zu  drehen  ist.  Schraubenzieher  mit  runden  Heften  sind  denen 
mit  flachen  vorzuziehen.* 

13.  Das  Stemmeisen.  Seine  Anwendung  ist  für  den  Blinden 
leicht,  wenn  es  sich  etwa  um  das  OlVnen  einer  Kiste  oder  das  Erzeugen 
eines  Spaltes  zur  Aufnahme  eines  Keiles  [z.  B.  beim  Festkeilen  eines 
\A'erkzeugstieles)  handelt,  sehr  schwer,  wenn  er  damit  (wie  z.  B.  bei 
der  Holzverbindung  „Schlitz  und  Zapfen")  groß e,  tiefe  Löcher  her- 
stellen soll.  Sie  fallen  meist  ganz  miserabel  aus:  Sind  an  den  Rändern 
unsauber,  zu  eng  oiler  zu  weit,  schief,  an  unrichtigem  Orte,  und  kann 
man  das  Loch  wegen  zu  großer  Tiefe  auf  der  einen  Seite  nur  bis  zur 
Hälfte  stemmen  und  muß  nun  von  der  anderen  Seite  aus  entgegen- 
stemmen, so  treffen  die  Löcher  bestimmt  nie  scharf  zusammen! 

Seien  wir  also  ])escheiden  und  lassen  wir  solche  Arbeiten  weg, 
wir  ersparen  uns  und  den  Schülern  viel  Ärger  und  Enttäuschung.  Wollen 
wir  aber  auf  das  eine  oder  andere  Erzeugnis  durchaus  nicht 
verzichten,  so  greife  man.  wie  ich  schon  erwähnte  zu  einem  Ersatz- 
mittel: Man  stelle  kleinere  Löcher  bis  ö  cm  Durchmesser  mit  dem 
Zentrumbohrer,  größere  (auch  eckige)  mit  der  Loch-  oder  Schweifsäge 
her.  Natürlich  muß  sich  hei  letzterer  zu  diesem  Zwecke  das  Blatt  au.s- 
hängen  lassen. 

14.  Die  Seh  weif  säge  gehört,  wie  schon  der  Name  sagt,  vor- 
nehmlich zur  Erzeugung  von  Schweifungen.  Ihren  Gebrauch  schränke 
ich,  sogerne  ich  sie  selber  verwende,  im  Lnterricht  möglichst  ein,  denn 
1.  gehört  sie  nicht  zu  den  gebräuchlichsten  und  notwendigen  Werkzeugen 
eines  Haushaltes  und  2.  sind,  um  sie  -für  Blinde  anwendl)ar  zu  machen, 
soviel  Vorkehrungen  nötig,  daß  mir  ihre  Verwendung  gezwungen  und 
unnatürlich    erscheint:     Die  Zeichimng   macht    der  Lehrer,    ebenso    die 


*)  Hat  man  viele  Schrauben  auf  einmal  einzudrehen,  bedient  man  sich  mit 
Vorteil  der  Bohrwindfc,  in  die  man  einen  Schraubenzieher  ohne  Heft  (für  diesen 
Zweck  käuflich)  einsetzt. 


.Seite  1162.  Zeitsclnift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  7.  Nummer. 

Schablone  aus  Pappe,  Holz  oder  Blech,  die  dann  an  das  Werkstück 
geheftet  wird  und  nun  erst  beginnt  die  Arbeit  des  Schülers,  die  meist 
sehr  verbesserungsbedürftig  ausfällt.  Da  aber  ohne  Zweifel  auch  Blinde 
an  schön  geschwungenen  Linien  Freude  haben,  so  mögen  sie  immerhin 
auch  im  Gebrauche  der  Schweifsäge  unterwiesen  werden,  aber  wieder 
nur  die  geschickteren  der  ältere  Jahrgänge. 

Hiermitwären  die  wichtigsten  Werkzeuge  in  Kürze  abgetan. 
Mit  ihnen  kann  und  soll  das  Auslangen  gefunden  werden.  Wie  aber  nun 
der  eine  Liebhaber  von  Büchern  ist,  der  andere  hingegen  sein  über- 
flüssiges Geld  in  die  Berge  trägt  oder  für  Konzert  und  Theater  ver- 
wendet, so  gibt  es  auch  solche,  die  Freude  am  Basteln  haben  und  sich 
später  gewiß  in  den  Besitz  einer  möglichst  vollständigen  Werkzeug- 
sammlung setzen  werden  wollen.  Diese  mögen  daher  auch  schon  im 
Unterrichte  folgende  Werkzeuge  gebrauchen  lernen,  deren  Anwendinig 
übrigens  nicht  schwer,  sondern  nur  seltener  ist: 

Verschiedene  Zier  ho  bei  (für  Verzierungsleisten),  G  r  a  t-  ii  n  d 
Grundhobel  und  Gratsäge  (zur  Herstellung  eines  Schemels,  Wand- 
brettes), Feder- und  Nuthobel  (bei  der  Herstellung  breiter  Flächen); 
Zwick-,  Spritz-  und  Flachzangen  (für  Drahtarbeiter),  Meißel 
und  Blechschere  (ebenfalls  für  Draht- und  Blecharbeiten),  Küchen- 
hacke (zum  Pfähle  spitzen,  Kleinholz  spalten.  Spalten  kurzer  Brett- 
stücke), die  Loch  säge  (zum  Aussägen  großer  Löcher,  auch  kaim  sie 
beim  Längssägen  von  schwächeren  Schülern  statt  der  schwerer  zu 
handhabenden  Spannsäge  benützt  werden.) 

Als  Hilfs Werkzeuge  kommen  noch  in  Betracht:  Die  Hobel- 
bank (als  vielseitiger  Arbeitstisch),  der  Bankknecht  (zum  Aufstützen 
langer  Laden  beim  Kantenhobeln),  die  Schraub-  oder  L  e  i  in  z  w  i  n  g  e 
(mit  ihr  schraubt  man  Werkstücke  auch  an  jedem  beliebigen,  derj^en 
Tische  an,  zum  Ersätze  einer  Hobelbank,  natürlich  verwendet  man  sie 
auch  beim  Leimen),  der  Handfeilkloben  (zum  Festhalten  kleiner, 
zu  bearbeitender  Metallstücke),  der  Schraubstock  (zum  Auflegen 
und  Festhalten  größerer  Metallstücke,  der  Leimkocher  (man  ver- 
wende einen  solchen  mit  Wasserbad.  damit  der  Leim  stets  heiß  und 
daher  tlüssig  bleibt).  Das  Leimen  ist  für  Blinde  ziemlich  umständlich. 
Gar  zu  leicht  tragen  sie  zuviel  oder  zu  wenig  auf  oder,  besudeln  das 
Arbeitsstück.  Man  wende  es  daher  nnr  in  den  dringendsten  Fällen  an 
und  halte  dann  zur  größten  Sauberkeit  an.  Bei  kleineren  Arbeiten  ver- 
wende man  einfach  Syndetikon,  das  der  Blinde  direkt  mit  dem  Finger 
auftragen  kann. 

Anhangsweise  möchte  ich  noch  kurz  erwähnen,  daß  wir  unsere 
meisten  P]rzeugnisse  wohl  schön  putzen,  im  übrigen  aber  roh  lassen. 
Das  Anstreichenlassen  mit  Ölfarben  und  Lacken  führt  zu  nichts. 
Am  vorteilhaftesten  ist  das  Färben  mit  Wasserbei  zen,  die  vom 
Lehrer  im  gewünschten  Farbenton  bereitet  werden.  Ihre  Vorteile:  Sie 
lassen  die  Struktur  des  Holzes  schön  durchscheinen  und  sind  auch  von 
Blinden  leicht  aufzutragen.  Will  man  dem  Gegenstand  darauf  einen 
matten  Glanz  geben,  so  lasse  man  ihn  mit  Wachs  (auch  Fußboden- 
wichse) ein  und  verbürste  es.  —  Ist  man  mit  bescheidenen  F^rfolgen 
zufrieden  und  steht  überflüssige  Zeit  zur  Verfügung  so  mag  auch  das 
Poli  tieren  versucht  werden.  Unmöglich  ist  es  ja  nicht;  doch  halte  ich 


7.  Nummer.  Zeilschrifl  für  das  österreichische  IJiindenwesen.  Seile  1163. 

(^s  für  unsere  Zwecke  al.^^  nicht  nötig  mid  übe  es  daher  auch    nie    mit 
meinen  Schülern. 

Ich  glaube,  nun  im  Ausmaße  des  verfügbaren  Raumes  das  Not- 
wendigste erwähnt  zu  haben  und  hoffe,  durch  meine  Ausführungen 
einiges  zur  zweckmäßigen  Erteilung  eines  gesunden,  fröhlichen  Hand- 
fertigkeits-Unterrichtes beigetragen  zu  haben.  Wenn  wir  auch,  oder 
gerade  weil  wir  mit  unseren  Anforderungen  nicht  zu  weit  gehen  und 
daher  manchem  Schüler  Enttäuschungen  ersparen,  ist  jeder  echte  Knabe 
gerade  bei  diesem  Gegenstande  mit  ganzer  Seele  und  sein  Eifer  wird 
noch  mehr  entfacht,  wenn  man  ihm  von  Zeit  zu  Zeit  (?<egenstände  nach 
ircier  Wahl  ausführen  läßt,  die  dann  in  sein  Eigentum  übergehen. 


Rede  zur  Eröffnung  der  Ausstellung  von  Handfertigkeitsarbeiten 
der  Zöglinge  des  Isr.  Blindeninstitutes  in  Wien  XIX. 

Gehalten  am  18.  Mai   1919  von  Direktor  S.  Heller. 
Hochgeehrte  Versannnlung ! 

L'nter  herzlicher  Begrüßung  sage  ich  ihnen  Dank  für  die  Ehr(^ 
ihrer  Anwesenheit,  mit  welcher  Sie  Ihr  Interesse  für  die  Hlindenbildung 
und  insbesondere  für  jenen  Zweig  derselben  bekunden,  der  in  dieser 
Ausstellung  zur  Anschauung  gebracht  werden  soll. 

Mit  dieser  Ausstellung  ist  die  Demonstration  eines  Systems  beab- 
sichtigt, welches  für  unsere  Anstalt  von  entscheidender  Bedeutung  ge- 
worden ist  und  von  dem  mit  Berechtigung  erhofft  werden  kann,  daß  es 
zur  Verwirklichung  des  großen  Planes  beitragen  werde,  die  Blindenbildung 
zu  einem  vollberechtigten  Teil  der  Menschenbildung  zu  erheben  und  die 
r^linden  zur  Mitarbeiterschaft  an  den  Aufgaben  der  Menschheit  tauglich 
/u  machen. 

Die  vorherrschende  Einwirkung  mechanischer  Nachahnumg  im  tech- 
nischen Unterrichte,  sowie  die  des  \'erl)alismus  im  Intelligenzunterrichte 
und  mit  diesen  die  ihnen  anhaftenden  Unzulänglichkeiten,  müssen  über- 
wunden, alle  Fertigkeiten  und  Erkenntnisse  müssen  vom  Schüler  selbst- 
tätig erarbeitet  und  in  diesem  Sinne  muß  die  Blindenschule  zur 
Arbeitsschule  umgewandelt  werden. 

Darum  ist  in  der  Schule  der  Blinden  dem  Handfertigkeitsünter- 
richte  eine  dominierende  Stellung  einzuräumen,  nicht  allein,  weil  er  die 
Geschicklichkeit  des  Kindes  ausbildet  und  das  vornehmste  Mittel  der 
Darstellung  bietet,  sondern  weil  er  das  ganze  Innenleben  des  blinden 
Kindes  umzugestalten  geeignet  ist.  indem  er  eine  reiche  Quelle  der 
SchalTenskraft  eröffnet  und  eine  der  wichtigsten  Aktionen  fortgesetzt, 
welche  die  Natur,  die  Meisterin  jeglichen  Unterrichtes  und  jeglicher  Er- 
ziehung, im  Spiele  des  Kindes  begonnen  hat. 

In  keinem  Stadium  des  Lebens  entwickelt  der  Mensch,  von  der 
l'hantasie  beflügelt,  mehr  Beharrlichkeit  in  der  Erfüllung  einer  selbst- 
gewählten Aufgabe,  findet  er  mit  mehr  Sicherheit  den  Weg  und  die 
richtigen  Mittel  und  Vorrichtungen  zur  Erreichung  dieses  Zieles  als  in 
jenem  Stadium,  da  er  sich  als  Kind  seinem  Spiele  hingibt.  Und  dies 
geschieht  mit  so  hohen  Lustgefühlen,  daß  sie  wesentlich  dazu  beitragen, 
die  Kindheit  zum  Paradiese  des  Lebens  zu  gestalten. 


Seile  1164.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Hlindenwesen.  7.    Nummer. 

Es  ist  eine  arge  Verkennnng  psychischer  Werte,  wenn  man  der 
Arbeit  das  Spiel  kontrastierend  gegenüberstellt  und  es  ist  ein  schweres 
T^nreeht,  die  hohe  Bedeutung  der  Motive  und  der  motorischen  Kräfte 
zu  mißachten,  die  im  Spiele  hervortreten. 

Soweit  uns  die  Kindheitsgeschichten  großer  Denker,  Entdecker  und 
Erfinder  erhalten  sind,  soweit  bezeugen  sie,  daß  die  Mannestaten  dieser 
Heroen  schon  in  ihren  kindlichen  Spielen  vorbereitet  waren. 

Der  Handfertigkeitsunterriclit  ist  es.  welcher  vom  kindlichen  Spiele 
zur  Arbeit,  von  den  Lustgefühlen,  welche  dieses  Spiel  hervorruft,  zur 
Arbeitsfreude  überleitet  und  somit  für  den  Lebenserfolg  des  Blinden 
von  großer  Wichtigkeit  ist. 

Jahrzehnte  der  Nachforschung  nach  dem  Spiele,  wie  es  das  Kind 
betreibt,  haben  mich  zu  dem  System  geführt,  das  Ihnen  in  dieser  Aus- 
stellung entgegentritt.  Die  Handfertigkeit  ist  es  auch,  welche  den  vor- 
nehmsten Sinn  des  Blinden,  die  Tastfähigkeit  der  Hand,  zu  dem  heran, 
bildet,  was  von  ihr  vergleichsweise,  aber  inu-  zu  oft  ohne  Berechtigung 
behauptet  wird,  zum  Auge  des  Blinden. 

Die  Qualität  des  Tastsinnes,  wie  (üe  Xalur  sie  darbietet,  die  Lei- 
stungsfähigkeit, welche  dieser  Sinn  erhingt,  wenn  seine  Ausbildung  dem 
Zufall  oder  iler  Willkür  anheimgegeben  ist.  erweist  sich  bei  psycholo- 
gischer Prüfung  als  minderwertig.  Xur  wenn  die  Tastfähigkeit  sich  in 
Gestaltungsfähigkeit  umwandelt,  wenn  der  Blinde  beim  Beta.sten  eines 
Gegenstandes  solche  Bewegungen  macht,  als  ob  er  denselben  neu  her- 
vorbringen wollte  und  so  in  das  Wesen  der  Objekte  eindringt,  nur  wenn 
diese  Bewegungen  nicht  nachahmend,  sondern  aus  einer  innern  Not- 
wendigkeit heraus  geschehen,  dann  nähern  .sich  die  Resultate  des  Tastens. 
die  Gestaltwirkung  betreffend,  denen  des  Gesichtes. 

So  wird  die  bewegte  Hand  wie  das  l)ewegte  Auge  zum  Organ 
des  Beobachtens.  so  führt  der  Taslprozeß  ähnlich  wie  der  Gesichtsakt 
dazu.  Einzelwahrnehmungen  zu  Kollektivwahrm^huningen  zu  vereinigen 
und  hierbei  die  Begriffe  von  der  Form,  der  Distanz,  des  Maßes,  der  Zahl, 
der  Aktion  und  des  Zeitverbrauches  zu  gewinnen. 

Dies  alles  und  noch  mehr  wird  von  dem  Handfertigkeit^junterricht 
vollbracht;  er  tritt  so  in  den  Dienst  tier  BegrilTsbildung  und  damit  in 
den  des  wissenschaftlichen  Unterrichte.'^,  zuhöchst  aber  dadurch,  daß  die 
Vorstellungsfähigkeit  und  Vorstellungsrichtigkeit  des  blinden  Kindes  da- 
mit bewiesen  werden  können,  daß  der  Schüler,  anstatt  viele  Worte  zu 
gebrauchen,  das  erworbene  Seelenbild  durch  eine  Nachbildung  über- 
zeugend aufweist. 

Der  Handfertigkeitsunterricht  bildet  dem  Blinden  das  bewunderungs- 
würdige Werkzeug  aus.  welches  ihm  in  der  Hand  verliehen  worden  ist 
und  macht  die  verschiedenartigen  Instrumente  zur  Verlängerung  und  zur 
Ausrüstung  der  Hand,  indem  sie  alle  ihre  Bewegungen  auf  diese  zweck- 
mäßig zu  übertragen  erlernt. 

Eines  besonderen  Beweises  bedarf  es  sicherlich  nicht,  daß  der 
Handfertigkeitsunterriclit  die  Geschicklichkeit  zur  Erlernung  und  zur 
Ausübung  eines  Handwerkes  außerordentlich  erhöht,  daß  neue  Hand- 
werke für  den  Blinden  am  besten  aus  den  Erfahrungen  im  Handfertig- 
keitsnnterrichte  gewonnen  werden  können  und  daß  aus  seinem  Boden 
die  gesicherte  Blindenfürsorge  erwächst.  Aber  nachdrücklich  sei  darauf 


7.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische;  Blindenwesen.  Seite  1165. 

hingewiesen,  daß  ITandferligkeitsunterricht  einer  absonderlichen  und  ver- 
hängnisvollen Irrung  entgegenwirkt.  Für  die  Erlernung  einer  jeden  Be- 
schäftigung sind  bestinuute  VoraussetzAuigen  unentbehrlich ;  die  traditio- 
nelle gewerbliche  Austüldung  entbehrt  dieser  Vorausset /.ungen  nur  zu 
oft   um!  muß  von  Kall  zu  Fall  er.st  geschatFen  werden. 

Das  ist  so  widersinnig,  als  wollte  der  Bauer,  der  sein  Feld  zu 
:u-kern  beabsichtigt,  erst  den  Pflug  verfertigen,  dessen  er  zu  seiner 
Arbeit  schon  bedarf. 

Der  Handfertigkeitsunterricht  dagegen  schafft  eine  volle  Hüstkanuner 
mit  trefflichen  Mitteln  für  jegliche  Beschäftigung,  aus  der  im  Bedarfs- 
fälle geholt  werden  kann,  was  benötigt  wird. 

Da  die  Handfertigkeit  nicht  allein  der  Arbeit  dient,  sondern  auch 
Arbeit  ist,  so  begründet  und  festigt  sie  die  Charakterbildung. 

Der  Handfertigkeitsunterricht  bindet  die  Fantasie,  die  in  ihrem 
schrankenlosen  Walten  das  Traumleben  in  dem  Blinden  hervorruft,  das 
ihn  schlaff  und  elend  macht,  an  reale  Dinge  und  Vorgänge  und  ver- 
wandelt sie  so  zu  einer  wohltätig  wirkenden  Kraft,  die  den  Blinden 
zum  ästhetischen  Genuß  von  Schönheitsformen  in  der  bildenden  Kunst 
befähigt  und  seine  Erlindungsgabe  erweckt,  die  er  im  Kunsthandwerk 
zu  betätigen  vermag. 

Diese  hat  vielfach  dazu  geführt,  daß  blinde  Schüler  ohne  Anleitung 
und  Aufforderung  lirauchbare  rnterrichtsbehelfe  ausgeführt  haben,  und 
so  ist  die  Schaffung  auch  kombinierter  Lehrmitt(^l  zu  einem  der  Haupt- 
ziele des  Handfertigkeitsunterrichtes  geworden. 

Ich  kann  meine  Erklärungen  nicht  schließen,  ohne  meinen  Mit- 
arbeitern Dank  für  die  Förderung  zu  sagen,  die  sie  mir  verschafft 
haben.  Der  innigste  Dank  aber  sei  dem  großen  Meister  der  Hand- 
fertigkeit Wilhelm  Kopka.  dargebracht,  der  sich  durch  seine  Wirksam- 
keit nicht  allein  ein  Ehrendenkmal  in  diesem  Hause,  sondern  auch  in 
der  Geschichte  der  Blindenbildung  gesichert  hat. 

Personalnachrichten. 

Hofrat  A.  Meli.  Pensionierung.  Der  Direktor  des  Blinden- 
Erziehungsinstifutes  in  Wien  II  Hofrat  A.  Meli  wurde  nach  iOjähriger 
Dienstleistung  über  eigenes  Ansuchen  in  den  dauernden  Ruhestand 
versetzt. 

Mit  der  Leitung  des  Blinden-Erziehungsinstitutes  wurde  Haupt- 
lehrer E.  Gigerl  betraut. 

—  Musiklehrer  A.  Krtsmary  an  der  n.  ö.  Landes-Blinden- 
anstalt  in  Purkersdorf  wurde  unter  Verleihung  des  Titels  „Haupt- 
lehrer" in  die  neunte  Rangklasse  der  Landesbeamten  befördert. 

—  Am  9.  Mai  d.  J.  hat  Herr  Erich  Indrasc  seine  Staatsprüfung  in  Kiaviei' 
mit  gutem  Erfolge  abgelegt,  nachdem  er  früher  schon,  u.  zw.  im  Dezember  1917, 
die  Lehramtsprüfung  im  Orgelspiel  absolviert  hat.  Er  genoß  zur  Erreichung  dieses 
schönen  Zieles  den  Privatunterricht  bei  J.  Herz,  der  angesichts  des  seltenen  Ernstes 
und  Fleil-^es  des  jungen  Mannes  mit  besonderer  Freude  auf  das  Ergebnis  blickt. 
Indrase  ist  tätiger  Kirchenorganist. 


Seite  1166.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenvvesen.  7.  Nummer. 

flus  den  Vereinen. 

—  Zentralverein  für  das  österr.  Blinden wesen;  Ausschuß- 
sitzung. Nach  dem  Beuchte  des  Vorsitzenden,  Direktor  Bürklen  über  laufende 
Angelegenheiten  (Mitgliederzahl,  Zeitschriftversand,  Beantwortung  von  Zuschriften 
u.  a.),  und  nach  den  Mitteilungen  des  Kassiers  über  den  Kassastand  wird  für  die 
vom  Reichsverband  für  Erziehung  und  Unterricht  für  den  22.  Juni  über  den  Gegen- 
stand »Pflege  und  Erziehung  noch  nicht  schulpflichtiger  Kinder«  einberufene  Tagung 
Lehrer  Alt  mann  mit  der  Vertretung  des  Zentralvereines  betraut.  Über  Anfrage  des 
Unterstaatssekretariates  für  Unterricht  in  der  Frage  der  Lehrerkammern,  der  Eltern 
und  Erzieherräte  wurde  vom  Präsidium  dorthin  berichtet,  daß  der  Zentralverein 
160  Mitglieder,  darunter  64  Lehrpersonen  umfasse  und  eine  entsprechende  Ver- 
tretung in  genannter  neuer  Organisation  wünsche.  Als  Vertreter  für  die  Blinden- 
kommission  im  Staatsamte  für  soziale  Verwaltung  wird  einstimmig  Direktor  Bürklen 
gewählt.  Einige  Anträge  seien  an  diese  Kommission  schon  eingesendet,  einige  An- 
regungen gegeben  worden;  so:  Zusammenlegung  der  gewerblicher  Unterrichts- 
und Fortbildungsanstalten,  —  Überlassung  von  Objekten,  —  Schöpfung  eines  Er- 
holungsheimes, —  Arbeitslosenunterstützung  für  Pfleglinge  von  Blindenheimen  u.  a. 

Recht  lebhaft  gestaltete  sich  die  Besprechung  der  Vorgänge  bei  der  letzen 
»Allgemeinen  Biindenversammlung.«  Herr  F.  Uhl,  Obmann  des  Blinden-Unter- 
stützungsvereines  »Die  Purkersdorfer«,  welcher  über  diesen  Gegenstand  berichtete, 
trat  in  energischer  Weise  und  mit  scharfen  Worten  den  dort  erkannten  Absichten 
entgegen  und  verurteilte  ganz  besonders  die  Drahtzieher  dieser,  die  Blinden  herab- 
würdigenden Versammlung.  Herr  Czech,  der  Vertreter  des  »Lindenbund«,  suchte 
seine  dort,  wie  auch  schon  früher  anderen  Orts  gemachten  Äußerungen  teils  zu 
erklären,  teils  zu  entschuldigen,  indem  er  diese  Äußerungen  auf  eine  längst  ver- 
gangene Zeit  bezogen  haben  wollte. 

Nach  längerer,  lebhaftester  Aussprache  wird  über  Antrag  des  Lehrers  A 1 1- 
mann  dem  Präsidenten  Direktor  Bürklen  einstimmig  das  Vertrauen  ausgesprochen. 
Der  Antrag,  Herrn  Czech  das  Mißtrauen  auszusprechen,  wird  mit  10  Stimmen  »ja« 
(2  Stimmzettel  waren  leer)  angenommen.  Das  Mißtrauen  gilt  für  die  ungerechtfertigten 
Angriffe  auf  die  Tätigkeit  des  Zentralvereines  und  seine  Untätigkeit  im  Ausschuß 
desselben  Vereines,  Herr  Czech  zog  daraus  die  Konsequenzen  und  verließ  den 
Sitzungssaal.  Der  »Lindenbund«  wird  ersucht,  einen  neuen  Vertreter  in  den  Ausschuß 
zu  entsenden. 

Eine  Zuschrift  der  sich  als  Aktionskommitee  bezeichnenden,  in  der  Biinden- 
versammlung gewählten  3  Blinden  (Polierer,  Abeles,  Zehetner),  mit  dem  Er- 
suchen um  Namhaftmachung  von  Vertretern  des  Zentralvereines  wird  unbeantwortet 
bleiben,  da,  wie  bei  der  Sitzung  der  Fürsorgekommission  aus  den  Worten  des 
Herrn  Staatssekretärs  hervorging,  daß  nur  Organisationen  das  Recht  haben,  Ver- 
treter zu  entsenden,  die  Biindenversammlung  aber  erst  eine  Organisation  schaffen 
müßte. 

Es  wurde  von  berufenen  Vertretern  der  Blinden  noch  festgestellt,  daß  die 
Vorgänge  der  Biindenversammlung  den  Blinden  bereits  unangenehm  und  schädigend 
fühlbar  geworden  seien.  Obmann  Uhl  spricht  in  einer  Zuschrift  den  Leitern  und 
Lehrern  der  Blindenanstalten  den  Dank  und  das  Vertrauen  seines  Vereines  aus. 

Anstaltsleiter  Gigerl  berichtet  sodann  über  seine  Besprechungen  mit  Aka- 
demiedirektor Dr.  Kam  mal,  dem  Leiter  des  »Heilpädagogischen  Seminars.«  Vor- 
läufig bestünde  nicht  die  Ab.sicht,  das  Unternehmen  zur  Heranbildung  von  Fach- 
lehrern zu  gestalten,  sondern  im  kommenden  Jahr  ein  Übergangsstadium  zu  schaffen. 
Allgemeine  Gesichtspunkte  für  das  Programm  seien  bereits  festgelegt,  ein  genauerer 
Arbeitsplan  müsse  erst  entworfen  werden.  Eine  von  Hanptlehrer  Gigerl  in  Vor- 
schlag gebrachte  Stoffsammlung  für  künftige  Vorlesungen  ergibt,  daß  mit  der  zur 
Verfügung  stehenden  Zeit  unmöglich  ein  Auslangen  gefunden  werden  könnte.  Auch 
über  die  Kompetenz  der  Vortragsgebiete  (Arzt  und  Pädagoge)  konnte  man  nicht 
schlüssig  werden. 

Mit  herzlichen  Dankesworten  für  die  Arbeitslust  und  Ausdauer  schloß  der 
Präsident  die  Sitzung.  Hans  Kneis,  Schriftführer. 


Herausgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  BliodenweseD   in   Wien.     Redaktionslcomitee:   K.   Büritlen, 
J.  Kneis,  A.     .  HofTath,  F.  Uhl,  —  Druck  »on   Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei  Wien. 


Verschiedenes. 

—  Die  Musik  und  die  Blinden.  Unter  diesem  Titel  hielt  der  Musik- 
lehrer Bartosch  vom  Blinden-Erziehungsinstitute  in  Wien  in  der  Urania  einen 
äußerst  gehaltvollen  Vortrag.  Ausgehend  von  der  Bedeutung  der  Musik  als  Haupt- 
faktor einer  künstlerisch-ästhetischen  Erziehung  und  von  der  durch  die  Blindheit 
gegebenen  Voraussetzungen  für  die  Musik  entwickelte  der  Vortragende  in  scharfem 
Umriß  die  Methode  des  Musikunterrichtes,  wobei  er  dessen  geschichtliches  Werden 
kurz  berührte.  An  blinden  Zöglingen  zeigte  er  den  Vorgang  der  zielbewußten  Gehör- 
bildung, des  Einstudierens  nach  Noten  und  nach  dem  Gehör.  Vollendet  in  der  Aus- 
führung waren  die  musikalischen  Darbietungen  des  Chores  und  der  Klaviervortrag 
der  Elsa  Wunderlich,  die  auch  durch  ihr  außerordentlich  großes,  gedächtnismäßig 
beherrschtes  Repertoir  (254  Stücke)  Staunen  erweckte.  Lebhaften  Beifall  erntete 
auch  die  bekannte  blinde  Sängerin  Frl.  Rotter. 

—  Ein  Heim  für  blinde  Mädchen.  Eine  Gruppe  von  Menschenfreunden 
plant  die  Errichtung  eines  Blindenheims  für  israelitische  Mädchen  und 
hat  einen  Verein  zur  Förderung  und  Durchführung  dieser  Institution  begründet.  In 
den  Blindenanstalten,  wo  die  Zöglinge  in  der  Regel  bis  zum  vollendeten  18.  Lebens- 
jahre verbleiben,  wird  angestrebt,  die  UnglückHchen  durch  eine  sorglose  Jugend  mit 
ihrem  traurigen  Geschick  zu  versöhnen  und  sie  mit  der  Fähigkeit  auszurüsten,  im 
Leben  ihr  Brot  ehrenvoll  zu  erwerben.  Durch  Erziehung  und  Unterricht  gelangen 
blinde  Männer  in  soziale  Stellungen,  zum  Beispiel  als  selbständige  Unternehmer, 
Musiklehrer,  Musikschulinhaber,  Künstler  usw.  An  die  Erlangung  einer  sozialen 
Position  bei  einem  blinden  Mädchen  ist  dagegen  kaum  zu  denken.  Auf  sich  selber 
angewiesen,  steht  die  Blinde  hilflos  da  und  vermag  die  in  den  Anstalten  erworbenen 
Kenntnisse  nicht  zu  verwerten.  Um  diesen  doppelt  Unglücklichen  eine  Zufluchts- 
stätte zu  schaffen,  wo  sie  sich  ihrer  Arbeit  widmen  und  ihre  Bedürfnisse  ganz  oder 
teilweise  erwerben  können,  hat  sich  ein  höchst  fördenswerter  Verein  gebildet,  in  dessen 
Aktionskomitee  Universitätsprofessor  Dr.  Ludwig  Braun,  Frau  Anitta  Müller, 
Rechtsanwalt  Dr.  Arnold  Wassing,  Fabrikant  Ingenieur  Edmund  Hirsch,  Dr. 
med.  Hugo  Redlich,  Fabrikant  J.  Schumann,  M.  Beamt,  Professor  S.  Storch, 
Armenrat  S.  Lemberger  und  Ida  Mittler  wirken. 

—  Schwachsichtige  Bürstenbinder.  In  Wien  wurden  4000  Lehrlinge 
von  Schulärzten  untersucht.  Dabei  ergab  sich,  daß  bei  den  Bürstenbindern  die 
relativ  größte  Zahl  Schwachsichtiger  (42''/o)  zu  verzeichnen  war.  Es  dokumentiert  sich 
darin  die  besondere  Eignung  dieses  Gewerbes  für  Schwachsichtige  auch  unter  den 
Normalsinnigen. 

—  Helen  Keller  als  Kinodarstellerin.  Wie  aus  New-York  gemeldet 
wird  ist  die  bekannte  taubblinde  Schriftstellerin  Helen  Keller  Kinodarstellerin 
geworden.  Sie  tritt  in  einem  Film  auf,  welcher  beweisen  soll,  wie  ein  blind,  stumm 
und  taub  gewordenes  Kind  alle  Schwierigkeiten  überwinden  und  eine  hervorragende 
Stellung  in  Kunst  und  Wissenschaft  einnehmen  kann. 


Bücherschau. 

—  Rappawi  A.:  Diejugendblinden  nach  dem  Weltkriege.  (Brunn, 
1919,  Selbstverlag).  Damit  liegt  der  von  Fachlehrer  Rappawi  im  Deutschraährischen 
Volksbildungsverein  in  Brunn  gehaltene  Vortrag  gedruckt  vor.  Er  berührt  besonders 
die  Blindenunterrichtsverhältnisse  während  des  Krieges  und  tritt  in  warmer  Weise 
für  die  Besserung  derselben  in  der  Zukunft  ein. 


Zur  Beachtung! 

RUe  blinden  Kenner  und  Anfänger  oder  Freunde  der  H.  Sprache  Espe- 
ranto in  Deutschösterreich,  sowie  auch  sehende  Freunde  der  Esperantosache 
sind  eindringlichst  gebeten,  ihre  genaue  Adresse  behufs  Neuanlage  eines 
möglichst  umfaßenden  Esperantistenverzeichnisses  dem  Unterfertigten  ein- 
senden zu  wollen.  Jeder  blinde  Esperantist  mache  es  sich  in  Hinkunft  zur 
Pflicht,  jede  Adressenveränderung  innerhalb  Deutschösterreich  mir  recht- 
zeitig anzuzeigen.    Ignaz  Krieger,  Wien  VII.,  Zieglergasse  25. 


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—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.   — 


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□  bei  Wien. 

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konto Nr.132.257 


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Das  Blatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


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n          50  Heiler.  ^ 


6.  Jahrgang. 


Wien,  Rugust  1919. 


8.  Nummer. 


INHRLT:  Dr.  Kurt  Schwarz:  Der  Sonderschuizwang  für  blinde  Kinder.  Nora  Wyden- 
bruck :  Die  Insel  der  Heiteren.  Rus  den  Anstalten.  F\us  den  Vereinen. 
Druckfehlerberichtigung,     flites  und  Neues.     (Rnkündigugen.) 


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^   Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIII, 
g  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  3  K,  Zeitungsbeitrag  3  K.   [i 


flites  und   Neues. 

über  die  Hypnose  bei  Blinden. 

Unter  Hypnose  versteht  man  die  Hervorrulung  eines  schlafähnlichen 
Zustandes,  der  verschiedene  Grade  aufweisen  kann,  in  welchem  die 
Empfänglichkeit  der  Versuchsperson  für  die  Fremdsuggestion  er- 
höht ist  und  ihre  Autosuggestion  mehr  oder  weniger  verblaßt.  Den 
hypnotischen  Schlaf  ruft  man  hervor,  um  kräftiger  als  die%  im  wachen 
Zustande  möglich  ist,  auf  das  Vorstellungsvermögen  und  dadurch  auf 
das  gesamte  Seelenleben  einzuwirken.  Die  Tatsache  solcher  Möglichkeit 
läßt  die  Verfechter  dieses  neuen  Erkenntnisgebietes  namentlich  die 
pädagogische  Bedeutung  der  mit  der  Hypnose  verbundenen  Fremd- 
suggestion betonen.  Eine  große  Reibe  moralischer  Defekte  konnte  den 
an  ihnen  Leidenden  in  der  Hypnose  verboten  werden.  Es'  werden 
genannt  Lügenhaftigkeit,  Naschhaftigkeit,  Stehlsucht,  Faulheit,  Unauf- 
merksamkeit, Furchtsamkeit,  Widerwillen  gegen  gewisse  Speisen.  Aber 
auch  das  Stottern,  Nägelkauen  und  die  Onanie  wurden  mit  ihr  erfolg- 
reich bekämpft. 

Möglicherweise  ist  der  h^^pnotische  Schlaf  auch  ein  einfaches  Mittel, 
in  das  so  interessante  und  für  die  Blindenpsychologie  so  wichtige  Ge- 
biet der  Träume  bei  Blindgeborenen  einzudringen. 

Allerdings  sind  die  Mehrzahl  der  Methoden  zur  Hervorrufung  des 
hypnotischen  Schlafes  für  Blinde  ungeeignet,  da  sie  alle  sich  des  Auges 
bedienen.  Es  sind  die  sogenannten  Fixationsmethoden,  bei  denen  der 
Blick  auf  irgend  einen  auffallenden,  vor  die  Augen  gebrachten  Punkt 
konzentriert  wird.  Doch  nennt  Professor  Bernheim  einen  Vorgang, 
den  er  mit  bestem  Erfolg  bei  Blinden  angewendet  hat.  Er  besteht  in 
der  Möglichkeit,  den  natürlichen  Schlaf  in  einen  hypnotischen  über- 
zuführen.    Er  beschreibt  diese  Art  wie  folgt : 

»Nähern  Sie  sich  dem  Schläfer  mit  Vorsicht,  prüfen  Sie  die  Tiefe 
des  Schlafes  und  vertiefen  Sie  diesen  nötigenfalls  durch  mesmerische 
Striche.  Sodann  sprechen  Sie  halblaut  zum  Schläfer  (am  besten  gegen 
die  Magengrube),  doch  sanft  und  mit  Ruhe,  damit  nicht  ein  spontanes 
Erwachen  hervorgerufen  werde.  Vorher  suggerieren  sie  den  Schlaf 
etwa  so:  »Sie  schlafen  ruhig  und  tief.  Der  Schlaf  ist  fest,  Sie  können 
nicht  erwachen,  aber  Sie  hören  ganz  deutlich  meine  Stimme.«  Erfolgt 
nicht  gleich  ein  »Ja«,  so  wiederholen  Sie  die  Suggestion,  vermeiden 
indessen,  den  Namen  des  Schläfers  zu  nennen.« 

Auch  R.  Gerling  nennt  diese  Methode  in  seinen  hypnotischen 
Unterrichtsbriefen  (S.  66)  sehr  zuverlässig,  empfehlenswert  und  nament- 
lich wegen  ihrer  Anwendbarkeit  bei  Blinden  wichtig. 

Nicht  nur  unterrichtlichen  sondern  namentlich  Heilzwecken  soll  und 
kann  die  Hypnose  dienen.  Die  wunderbaren  Erzählungen  von  der 
Heilung  Erblindeter  durch  sie  (in  Bromberg  wurde  ein  Kriegsblinder 
auf  diese  Art  geheilt)  werden  so  des  Märchenhaften  entkleidet.  Aller- 
dings vermag  die  Hypnose  bei  organischen  Mißbildungen  (Sehnerven- 
schwund, Hornhautzerstörungen,  Fehlen  der  Augäpfel)  nichts  auszurichten. 
Sie  kann  einzig  und  allein  auf  die  Fälle  der  sogenannten  Seelen- 
blindheit angewendet  werden,  bei  denen  eine  psychische  Störung  vor- 
liegt. Hier  aber  sind  ihre  Erfolge  bedeutend  und  die  Zeit  ihrer  allgemeinen 
Aufnahme    unter    die  Kampfmittel  der  Ärzte    ist  wohl  nicht  mehr  fern. 

O.  Wanecek. 


6.  Jahrgang. 


Wien,  August  1919. 


8.  Nummer. 


^ 


»Erziehung  ist  das  größte  Problem  und  das  schvirerste, 
was  dem  Menschen  kann  aufgegeben  werden.« 

I.  Kant.   »Über  Pädagogik.« 


»««^8^®«  J)riSgt«^^®S@»Ctäg§§^|l8  «S»*®«t«l®.©^§'§'§^S^äf«i»^^ 


Der  Sonderschulzwang  für  blinde  Kinder. 

Von  Dr.  Kurt  Schwarz,  Berlin. 

Gegenüber  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  braucht  die  Forderung, 
tlaß  den  blinden  Kindern  ein  ihrem  Gebrechen  angepaßter  Unterricht 
zuteil  werden  muß,  nicht  besonders  begründet  zu  werden.  Schon  seit 
vielen  Jahrzehnten  kämpfen  ja  alle  Blindenfreunde  und  Sachverständige 
unentwegt  für  das  Ziel,  daß  alle  blinden  Kinder  solchen  Unterricht  er- 
halten. Dies  läßt  sich  aber  wohl  nur  erreichen,  wenn  einerseits  die 
ötfentlichen  Verbände  die  nötigen  Schuleinrichtungen  bereitstellen  und 
in  de'i  Fällen,  in  denen  die  nächsten  Unterhaltspflichtigen  die  nötigen 
Kosten  nicht  zu  tragen  vermögen,  diese  übernehmen  und  wenn  anderer- 
seits die  Erziehungspflichtigen  gezwungen  werden,  ihre  blinden  Kinder 
einem  Sonderunterricht  zuzuführen.  Deshalb  erscholl  bei  den  Verhand- 
lungen der  Blindenlehrer  immer  wieder  der  Ruf  nach  dem  Anstaltszwang 
der  blinden  Kinder,  so  auch  zuletzt  auf  dem  6.  Österreichischen  Blinden- 
fürsorgetag im  Herbst  1918  in  Wien.* 

Die  Forderung  des  Anstaltszwanges  für  nichtvoUsinnige  Kinder  — 
gleiches  wie  für  die  Blinden  gilt  ja  auch  für  die  Taubstummen  —  ist 
wohl  nicht  in  dem  Sinne  zu  verstehen,  daß  diese  Kinder  ohne  Rücksicht 
darauf  ob  sie,  obwohl  sie  bei  den  Eltern  oder  sonstigen  Angehörigen 
am  Sitze  der  Anstalt  wohnen  können,  als  Interne  in  die  Anstalten  ein- 
treten müssen  und  im  Weigerungsfalle  dazu  in  einem  besonderen  Ver- 
fahren gezwungen    werden  können.    Ein  solches  Verlangen   ginge  m.  E. 

*)  Siehe  diese  Zeitschrift  5.  Jahrgang,  Nr.  10  S.  1008  und  Nr.  12,  S.  1041. 


Seite  1172,  Zeitschrift  das  für  Österreichische  Blindenwesen.  8.  Nummer. 

ZU  weit  und  wäre  sachlich  und  rechtlich  nicht  zu  rechtfertigen.  Auf 
Grund  der  allgemeinen  Schulpflicht,  wie  sie  in  den  meisten  Kultur- 
staaten hesteht,  haben  die  Kinder  im  schulpflichtigen  Alter  nur  die  ali- 
gemeinen Unterrichtsstunden  zu  besuchen.  Für  die  Gesunden  bestehen 
in  allen  Orten  Schulen,  die  sie  vom  h^lternhaus  aus  täglich  erreichen 
können.  Die  Zahl  der  nichtvollsinnigen  Kinder  ist  zum  Glück  nicht  so 
groß,  als  daß  man  auch  nur  in  den  größeren  Gemeinden  für  sie  eigene 
Schuleinrichtungen  schaffen  könnte.  Denn  wenn  man  auch  vom  Staate 
verlangt,  daß  er.  wenn  er  die  allgemeine  Schulptlicht  verordnet,  auch 
dafür  sorgt,  daß  auch  die  anormalen  Kinder  einen  Unterricht  erhalten, 
aus  dem  sie  wirklich  Nutzen  ziehen  können,  so  darf  man  doch  schon 
aus  staatswirtsehaftlichen  Gründen  nicht  so  weit  gehen  zu  fordern,  daß 
für  alle  nichtvollsinnigen  Kinder  am  Wohnort  ihier  Altern  —  und  mag 
er  noch  so  klein  sein  —  eine  Sonderschuleinrichtung  bereitgestellt  wird. 
Es  werden  daher  viele  solche  Tvinder  das  Elternhaus  verlassen  müssen, 
um  die  meist  nur  in  größeren  Städiten  bestehenden  Hunden-  oder  Taub- 
stummenschulen zu  besuchen.  Für  manche  unter  ihnen  wird  die 
Unterbringung  in  einer  Anstalt  notwendig  oder  doch  wünschenswert 
sein.  Daß  aber  für  manche  dieser  Kinder  der  Sonderschulzwang  so 
praktisch  zu  einem  Anstaltszwang  wird,  ist  noch  kein  ausreichender 
Grund  diesen  gesetzlich  festzulegen  und  damit  auch  die  Kinder  in  An- 
stalten zu  zwingen,  die  bei  ihren  Eltern  oder  sonstigen  Verwandten  am 
Sitze  der  Schule  wohnen  können. 

Wenn  auch  gerade  bei  gebrechlichen  Kindern  die  Anstaltspflege 
nicht  so  allgemein  verurteilt  wird  wie  bei  gesunden  Kindern,  ja  ihr 
sogar  von  manchen  Fachleuten  der  Vorzug  gegeben  wird,  vor  der  Unter- 
bringung in  einer  Familie,  die  den  besonderen  Bedürfnissen  ihrer  Ge- 
brechen nicht  das  nötige  Verständnis  entgegenbringt,  so  kann  doch  aus 
diesem  Umstand  noch  kein  Recht  abgeleitet  werden,  all  diese  Kinder 
der  Familie  und  dem  Alltagsleben  für  die  längste  Zeit  des  Jahres  zu 
entziehen.  Gerade  im  Zusammenleben  mit  Gesunden  im  trauten  Kreise 
einer  Familie,  die  das  blinde  Kind,  Bruder  oder  Schwester,  mit  beson- 
derer Liebe  umgibt,  liegt  ein  reicher  Segen  auch  für  diese  Kinder.  Dies 
ist  auch  die  beste  Vorbereitung  für  den  späteren  Kampf  dieser  Ge- 
brechlichen im  Wirtschaftsleben,  Viele  Beispiele  beweisen,  daß  auch 
blinde  und  besonders  taubstumme  Kinder  recht  wohl  als  Externe  die  Anstalt 
besuchen  können.  Es  muß  in  diesen  Fällen  —  und  dies  gilt  in  besonderem 
Maße  für  die  blinden  Kinder  —  durch  die  Angehörigen  für  eine  ent- 
sprechende Begleitung  auf  dem  Schulweg  gesorgt  werden. 

Auch  in  den  deutschen  Einzelstaaten,  in  denen  die  Sonderbeschulung 
nicht  vollsinniger  Kinder  gesetzlich  geregelt  ist,  ist  nirgends  der  Anstalts- 
zwang' in  dem  engen  Wort  rechtens,  daß  die  Unterbringung  solcher 
Kinder  in  Anstaltspflege  von  den  Verwaltungs-  oder  Schulbehörden  ohne 
hianspruchnahme  des  Vormundschaftsgerichtes  erzwungen  werden 
könnte.  Dieses  kann  aber  nach  §  1666  und  §  1838  des  deutschen 
bürgerlichen  Gesetzbuches  nur  eingreifen,  wenn  die  Erziehungsberechtigten 
das  Recht  der  Sorge  für  die  Person  des  Kindes  mißbrauchen  oder  ver- 
nachlässigen imd  dadurch  dessen  geistiges  und  leibliches  Wohl  gefährden. 
Gegenüber  den  Eltern  ist  ein  Einschreiten  nur  bei  vorsätzlich  oder  fahr- 
läßig   schuldhaftem  Verhalten   zulassig.     Häufig   sprechen    die  in  Frage 


8.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1173. 

kommenden  Ge.setze  nicht  einmal  den  Sonderschulzwang  aus.  Aber 
meist  genügt  es.  daß  die  Sonderschulpflicht  gesetzlich  ausgesprochen 
ist  und  entsprechende  Schuleinrichtungen  bereitgestellt  sind,  um  die 
Eltern  auch  ohne  besondere  Zwangsmittel  zur  Verbringung  ihrer 
gebrechlichen  Kinder  in  die  Sonderschulen  zu  veranlassen. 

Nach  §  4  Abs.  5  des  sächsischen  Gesetzes,  betretfend  das  Volks- 
schulwesen vom  26.  April  1878  (G.-V.-Bl.  S.  350V  sind  nichtvoUsinnige 
Kinder  in  Sachsen  in  den  hiezu  bestimmten  öffentlichen  oder  privaten 
Anstalten  unterzubringen,  sofern  nicht  durch  die  hierzu  Verpflichteten 
anderweit  für  ihre  Erziehung  hinreichend  gesorgt  ist.  Und  §  9  Abs.  2 
der  zu  diesem  Gesetz  ergangenen  Ausführungsverordnung  vom  25.  August 
1874  (G.-V.-Bl.  S.  155)  in  der  Fassung  des  Gesetzes  vom  6.  Juli  1899 
(G.-V.-Bl.  S.  203)  bestimmt,  daß  nur  das  Vormundschaftsgericht  die  von 
der  Bezirksschulinsj)ektion  angeordnete  Unterbringung  in  eine  Erziehungs- 
anstalt durchsetzen  kann,  falls  ihr  die  Erziehungsberechtigten  wider- 
sprechen, und  dieses  ist  wieder  an  die  Voraussetzungen  der  §^  1666 
und   1838  V.-G.-Bl.  gebunden. 

Ganz    ähnlich    ist   die  Rechtslage  in  Baden.     Dort  sind  die  Eltern 
ebenfalls    verpflichtet    ihre  Kinder,    die    wegen   mangelhaftem  Hör-  und 
^   Sehvermögen   nicht    mit  Erfolg   am  Unterricht   in    der  Volkschule   teil- 
nehmen können  und  daher  zu  diesem  nicht  anzuhalten  sind,    eine  dem 
Volksschulunterricht  nach  Ziel  und  Umfang  entsprechenden  Ausbildung 
zuteil  werden  zu  lassen.  (§  3  des  Gesetzes  über  den  Elementarunterricht 
vom    13.  Mai    1892    in    der  Fassung   des  Gesetzes    vom    10.  Juli    1910 
(G.-V.-Bl.  S.  385)  und  §  1  des  Gesetzes  „Die  Erziehung  und  den  Unter- 
richt nichtvollsinniger  Kinder  betreffend*'  vom  11.  August  1902  G.-V.-Bl. 
S.    242).     Auch    hier    kann    nach    §  6    des    genannten   Gesetzes    vom 
1 1.  August  1902  die  Sonderbeschulung  der  nichtvollsinnigen  Kinder  oder 
,    ihre  Unterbringung  in  einer  Anstalt  nur  durch  das  Vormundschaftsgericht 
f    erzwungen  werden.     Die  Oberschulbehörde  ist  freilich  verpflichtet,  unter 
i   Umständen    einen    entsprechenden   Antrag    an    das    Gericht   zu    stellen. 
1    Sie   hat  auch  ein  selbständiges  Beschwerderecht  gegen  die  ablehnende 
Entscheidung  des  Vormundschaftsgerichts  (§  38  der  Vollzugsverordnung 
zum  vorgenannnten  Gesetz  vom  9.  Juni  1904  G.-V.-Bl.  S.  98). 

In  Sachsen-Weimar-Eisenach  soll  zwar  nach  §  2  des  Gesetzes 
betreffend  die  Aufnahme  taul)stummer  und  blinder  Kinder  in  die  ehe- 
^  mal  ige  Großherzogliche  Taubstummen-  und  Blindenanstalt  in  Weimar 
vom  28.  Mai  1874  in  der  Regel  jedes  taubstumme  und  jedes  blinde 
Kind  nach  tunlichster  Vorbereitung  in  der  Volksschule  der  Anstalt  an- 
geliören,  wenn  es  nicht  für  dieselbe  ungeeignet  ist  oder  anderweitig 
für  seine  besondere  Erziehung  und  Au.sbildung  gesorgt  wird.  Über  die 
Eltern,  die  ein  solches  nichtvollsinniges  Kind  ohne  ausreichenden  Grund 
(hn'  Anstalt  vorbehalten,  können  auf  Antrag  der  Obersten  Schulbehörde 
--ogar  Geldstrafen  verhängt  werden.  Die  zwangsweise  Verbringung  in 
die  Anstalt  kann  aber  nur  durch  das  Vormundschaftsgericht  auf  Antrag 
der  Obersten  Schulbehörde  verfügen,  die  sich  hierbei  wiederum  an  die 
Vorschriften  des  §   1666  B.-G.-B.  halten  muß. 

In  Lippe-Detmold  müssen  die  blinden  Kinder  in  ent.sprechenden 
Anstalten  untergebracht  werden  (§  107  Abs.  4  des  Volksschulgesetzes 
vom  11.  März  1914,    G.-S.   S.  139),  wovon  die  Oberschulbehörden    aus 


Seite  1174.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  8.    Nummer, 

besonderen  Gründen  entbinden  können.  Die  taubstummen  Kinder  hin- 
gegen sind  nach  §  107  Abs.  8  des  vorgenannten  Gesetzes  überhaupt 
nur  zur  Aufnahme  in  die  Taul)stunuuenanstalt  des  Landes  anzumelden 
und  während  der  Dauer  der  Schulpflicht  tunlichst  in  einer  Anstalt 
unterzubringen.  Auch  in  diesem  Gesetz  sind  keine  Zwangsmaßnahmen 
vorgesehen,  falls  die. Eltern  dies  nicht  freiwillig  tun* 

In  Anhalt  müssen  nach  §  1  des  Gesetzes,  die  Ausbildung  nicht- 
vollsinniger,  schwach-  und  blödsinniger  Kinder  betreffend,  vom  1.  April 
1884  die  nichtvollsinnigen  Kinder,  sobald  sie  das  schulpflichtige  Alter 
erreicht  haben  und  wegen  unzulänglicher  Bildungsfähigkeit  in  der  öffent- 
lichen Schule  keine  Aufnahme  finden  oder  wieder  daraus  entlassen 
worden  sind,  für  die  Dauer  des  schulpflichtigen  Alters  in  den  zur  Er- 
ziehung und  Ausbildung  solcher  Kinder  bestimmten  Anstalten  unter- 
gebracht werden,  sofern  sie  nicht  entweder  gänzlich  bildungsunfähig 
sind  oder  von  den  zu  ihrer  Erziehung  Verpflichteten  nicht  auf  andere 
Weise  für  die  erforderliche  Ausbildung  Sorge  getragen  wird. 

Mit  den  gleichen  Einschränkungen,  bestimmt  auch  Art.  1  des  Ge- 
setzes von  Sachsen-Meiningen  betrefifend  die  Erziehung  Blinder  und 
'faubstummer  vom  18.  Februar  1887  (Sammlung  der  landesherrlichen 
Verordnungen  für  Sachsen-Meiningen-Hildburghausen  S.  1''38),  daß  jedes 
blinde  und  taub.stumme  Kind  in  einer  zum  Unterricht  solcher  Kinder 
bestimmten  Anstalt  zu  unterrichten  ist.  imd  ebenso  für  Braunschweig 
§  1  des  Gesetzes,  die  Ausbildung  nicht  vollsinniger,  schwach-  und  blöd- 
sinniger Kinder  betreffend  vom  30.  März  1894,  daß  jedes  nichtvollsinnige 
Kind,  zu  denen  auch  die  hochgradig  schwerhörigen  gezählt  werden,  in 
einer  zu  ihrer  Ausbildung  bestimmten  Anstalt  untergebracht  werden 
müssen.  Von  dem  Zwang  zur  Aufnahme  in  die  Anstalt  sind  die  am 
Sitz  der  Anstalt  wohnenden  Kinder  befreit,  sie  haben  jedoch  an  den  be- 
treffenden Unterrichtsstunden  teilzunehmen. 

In  Anhalt,  Sachsen-Meiningen  und  Braunschweig  kann  die  Ein- 
schulung nichtvollsinniger  Kinder  auch  durch  die  Verwaltungs-  und 
Schulbehörden  erzwungen  werden.  In  Sachsen-Meinigen  können  die  Erzie- 
hungsberechtigten vom  Landrat  nicht  nur  durch  Geld-  und  sogar  durch  Hafl- 
strafen  angehalten  werden,  die  Kinder  dem  Untericht  zu  überweisen, 
sondern  der  Landrat  kann  die  Kinder  auch  zwangsweise  der  Unterrichts- 
anstalt zuführen  lassen.  In  Braunschweig  ist  ein  eigenes  Verfahren 
ausgebildet  für  den  Fall,  daß  sich  die  Elfern  der  Unterbringung  der 
Kinder  in  eine  Anstalt  widersetzen.  Nach  der  endgültigen  Entscheidung 
hat  die  Kreisdirektion  —  in  der  Stadt  Braunschweig  die  Polizeidirektion 
—  erforderlichenfalls  die  zwangsweise  Einlieferung  des  Kindes  in  die 
Anstalt  zu  I)ewirken.  In  §  7  des  Anhaltischen  Gesetzes  ist  die 
Ausschaltung  des  Vormundschaftsgerichtes  noch  ausdrücklich  ausge- 
sprochen. 

*)  In  Oldenburg  (Art.  1,  §  L  des  Gesetzes  betreffend  die  SchulpHichtiglicit 
taubstummer  Kinder  vom  18.  jänner  1876  G.-S.  Band  24,  S.  56)  in  Sachsen-Koburg- 
flotha  (Gesetz  vom  18.  Mai  1877  für  Coburg  in  der  Fassung  des  Art.  18  b  des 
Volksschulgesetzes  in  der  Textierung  vom  21.  April  1  05  G.-S.-S.  77  und  Gothai- 
sches Volksschulgesetz  in  der  Fassung  vom  4.  Mai  1906  G.-S.  Nr.  17),  sowie  in 
den  beiden  Hansastädten  Lübeck  (Gesetz  vom  19.  März  1888)  und  fJremen  (Gesetz 
vom  1.  Juli  1898)  ist  nur  die  Sonderbeschulung  der  taubstummen  Kinder  gesetzlich 
geregelt. 


8.  Nummer.  Zeitschrilt   tCn    das  österreichische   Bliiidenweseii.  -Seite   1175. 

Diesen  Vor.schriften  sind  die  Bestimmungen  des  preußischen  Ge- 
setzes betrefiend  die  Beschulung  blinder  und  taubstummer  Kinder  vom 
7.  August  1911   (G.-S.  S.  168)  nahe  verwandt.* 

Dieses  Gesetz  hat  nicht  nur  deshalb  besondere  Bedeutung,  dafi  es 
für  den  größten  deutschen  Einzelstaat  gilt  und  daher  den  größten  Wir- 
kungskreis hat,  sondern  es  ist  auch  eines  der  neuesten  und  kann  wohl 
als  das  vollkommenste  bezeichnet  werden. 

In  §  1  Abs.  l  wird  für  blinde  und  taubstumme  Kinder,  die  ge- 
nügend entwickelt  und  bildungsfähig  erscheinen  die  ausdrücklich  als 
..Schulpflicht-'  bezeichnete  Verpflichtung  ausgesprochen,  den  in  Anstalten 
für  solche  nichtvollsinnigen  Kinder  eingerichteten  Unterricht  zu  besuchen. 
Zu  den  taubstummen  Kindern  werden  außer  den  stummen  und  ertaubten 
auch  solche  Kinder  gezählt,  deren  Gehörreste  so  gering  sind,  daß  sie 
die  Sprache  auf  natürlichem  Wege  nicht  erlernen  können  und  die  er- 
lernte Sprache  durchs  Ohr  zu  verstehen  nicht  mehr  imstande  sind.  Zu 
den  blinden  Kindern  gehören  auch  solche,  die  so  schwachsichtig  sind, 
daß  sie  den  blinden  Kindern  gleichgeachtet  werden  müssen.  Auf  die 
besonders  bedauernswerten  taubstumm-blinden  Kinder  wurde  der  Schul- 
zwang damals  nicht  erstreckt,  weil  die  Fürsorge  für  sie  bei  Erlaß  des 
Gesetzes  noch  zu  jung  war,  als  daß  die  gesammelten  Erfahrungen  solche 
Gesetzesmaßnahmen  hätten  rechtfertigen  können.  Es  wurde  aber  eine 
spätere  Ausdehnung  des  Gesetzes  auf  sie  in  Aussieht  genommen.  Übri- 
gens erklärte  der  Vertreter  des  preußischen  Kultusministeriums  auf  dem 
14.  Blindenlehrerkongreß,  daß  diese  Kinder,  soweit  sie  bildungsfähig 
sind,  in  Preußen  durchweg  den  Blinden-  und  Taubstummenanstalten 
überwiesen  sind,  und  gleiches  gilt  auch  für  Bayern. 

Über  den  Eintritt  der  Schulpflicht  und  damit  über  die  genügende 
Entwicklung,  Bildungsfähigkeit  und  das  vorgeschriebene  Lebensalter 
beschließt  in  kreisfreien  Städten  die  Schuldeputation,  sonst  nach  An- 
hörung der  Ortsschulbehörde  die  Schulaufsichlsbehörde.  Gegen  diesen 
Beschluß  können  die  Eltern  und  gesetzlichen  Vertreter  aber  auch  der 
finanziell  beteiligte  Kommunalverband  binnen  14  Tagen  Beschwerde 
einlegen.  Über  sie  hat  in  kreisfreien  Städten  der  Stadtausschuß,  sonst 
der  Kreisausschuß  nach  Anhörung  der  beteiligten  Stellen  und  Personen 
zu  entscheiden.  Gegen  die  Beschlüsse  des  Kreis-  oder  Stadtausschusses 
ist  noch  weitere  Beschwerde  zum  Bezirksausschuß  und  weiter  an  den 
Provinzialrat  zulässig.  Die  Frage  der  Schulpflicht  ist  grundlegend  und 
greift  tief  ein  in  die  Elternrechte,  weshalb  es  auch  wohl  berechtigt 
erscheint,  daß  ihnen  ein  so  weifgehendes  Beschwerderecht  einge- 
räumt ist. 

Erst  wenn  über  die  Einschulung  eines  nichtvollsinnigen  Kindes 
rechtskräftig  ])eschlossen  ist,  hat  der  Kommunalverband  —  und  bei 
Beschwerde  der  Eltern  oder  sonstigen  Erziehungsberechtigten  —  die 
Aufsichtsbehörde  darüber  zu  entscheiden,  ob  das  Kind  in  einer  Blinden- 
oder  einer  Taubstummenanstalt  oder  an.  einem  Ort  untergebracht  werden 
oder  belassen  werden  soll,  von  welchem  aus  es  eine  Unterrichts- 
veranstaltung der  bezeichneten  Art  besuchen  kann.  Nach  Art.  10  und  18 
des  Kriegsgesetzes  zur  Vereinfachung  der  Verwaltung  vom   18.  Mai  1918 

*)  Siehe  Dr.  Anton  Glatt  felter  »Das  Gesetz  betreffend  die  Beschulung 
blinder  und  taubstummer  Kinder«   vom   7.  August  1911,  Düsseldorf  1912. 


Seile  1176.  Zeitschrift   für  (Jas  österreichische   Blindei.wesen.  8.  Nummer. 

G.-S.  S.  ö8)  wurde  für  die  Zeit  bis  zum  Ahlauf  von  2  Jahren  nach 
Beendigung  de?^  Kriegszustandes  die  Entscheidung  dem  Vertreter  des 
Kommunalverbandes  in  erster  und  dem  Oberpräsidenten  in  zweiter 
Instanz  übertragen.* 

Der  Verteter  des  Kommunalverbandes  hat  während  dieser  Zeit 
auch  an  Stelle  der  Schulaufsichtsbehörde  die  Überführung  eines  nicht- 
vollsinnigen  Kindes  in  die  Anstalt  anzuordnen,  wenn  dies  die  hierzu 
verpflichteten  gesetzlichen  Vertreter  nicht  nach  dem  vorangegangenen 
Verfahren  von  selbst  tun.  Er  hat  nach  dem  genannten  Kriegsgesetz 
auch  an  Stelle  des  Kommunalverbandes  über  die  Ausdehnung  der  Schul- 
pflicht nichtvollsinniger  Kinder,  die  das  Lehrziel  nicht  in  der  gesetzlich 
festgesetzten  Zeit  erreicht  haben,  wie  auch  über  die  Entlassung  und 
und  Zurttckstellnng  eines  solchen  Kindes  zu  befinden.  Auf  Beschwerde 
entscheidet  nunmehr  auch  statt  der  Schulaufsichtsbehörde  der  Ober- 
präsident. 

Das  preußische  Gesetz  setzt  gleich  dem  badischen  als  Beginn  der 
Schulpflicht  für  blinde  Kinder  das  vollendete  6.  Lebensjahre  fest,  für 
taubstumme  Kinder  das  vollendete  7.  Jahr.  In  Sachsen  werden  die 
blinden  Kinder  ebenfalls  mit  6  Jahren,  die  taubstunmien  aber  erst  mit 
8  Jahren  schulpflichtig,  in  Braunschweig  und  Sachsen-Weimar  aber 
beide  Gruppen  mit  7  Jahren.  In  Sachsen-Koburg-Gotha  und  Lübeck, 
die  gleich  Oldenburg  und  Bremen  den  Sonderunterricht  nur  für  taul)- 
stuiimie  Kinder  gesetzlich  geregelt  haben,  beginnt  die  Schulpflicht  für 
taubstumme  Kinder  ebenfalls  mit  7  Jahren,  in  Oldenburg  mit  8  Jahren. 
In  letzterem  Staat  allein  dauert  sie  nur  6  Jahre,  während  sie  sonst 
überall,  wie  jetzt  auch  meist  bei  den  vollsinnigen  Kindern,  8  Jahre 
umfaßt. 

In  allen  Staaten  sind  die  nichtvollsinnigen  Kmder  von  dem  Besuch 
der  Blinden-  und  Taubstummenanstalt  befreit,  somit  ihnen  entsprechender 
Privatunterricht  erteilt  wird,  der  selbstverständlich  auch  ihrem  Gebrechen 
angepaßt  sein  muß.  Ob  dieser  Ersatzunterricht  im  Einzelfall  den  be- 
rechtigten Anforderungen  an  einer  solchen  entspricht,  haben  meist  die 
Schulbehörden  zu  prüfen,  in  Preußen  der  Kreisschulinspektor  und  das 
Provinzialschulkollegium,  in  Sachsen  Schulvorstand  und  Bezirk.sschul- 
inspektion,  in  Baden  Kreisschulvisitation  und  Oberschulbehörde. 

Aber  von  dieser  Ermächtigung  zum  Privatunterricht  dürfte  doch 
nur  selten  Gebrauch  gemacht  werden,  denn  diese  Gebrechen  kommen 
weit  häufiger  in  weniger  vermögenden  Familien,  als  in  reichen  vor,  die 
die  immerhin  erheblichen  Kosten  eines  solchen  Privatunterrichtes  nicht 
zu  tragen  vermögen.  Deshalb  ist  es  besonders  erfreulich  und  wichtig, 
daß  die  Gesetze  über  die  Sonderbeschulung  fast  durchweg  auch  die 
Frage  der  Kostentragung  in  den  Fällen  befriedigend  regeln,  in  denen 
die  Eltern  hierzu  nicht  fähig  sind.  Wie  ich  oben  schon  angedeutet 
habe,  halte  ich  es  für  selbstverständlich,  daß  in  den  Staaten,  wo  der 
allgemeine  Volksschulunterricht  in  einer  entsprechenden  Anstalt  unengelt- 
lich  ist,  es  auch  der  Spezialunterricht  in  einer  entsprechenden  Anstalt 
ist,  ohne  Rücksicht  auf  die  Vermögensverhältnisse  der  Eltern.  Dies 
kommt  in  den  Gesetzen  von  Preußen,  Baden,  BraunschVveig  und  Sachsen- 

*)  Über  die  Gesetzgebungsverhandinng  vergl.  Bl  i  nden  freund  39.  Jahrgang, 
Heft  4,  S.  86  ff. 


8.  Nummer.  Zcilschrilt  für  das  östei  reicliische   IJlindenwesen.  Seite   1177. 

VVeiniar-Eiseiiach  auch  deutlich  zum  Ausdruck.  In  Preußen  werden 
die  Kosten  vom  Kommunalverband,  in  Baden  vom  Staate  getragen. 
Dagegen  müssen  für  die  ünterhaltkosten  mit  Recht  in  erster  Linie  die 
Eltern  oder  sonstigen  Unterhaltspflichtigen  aufkommen.  Wenn  diese 
hierzu  nicht  imstande  sind,  fallen  diese  in  Preußen  gleich  denen  für 
Unterricht  und  Erziehung  dem  Kommunalverband  zur  Last,  nur  die 
Kosten  für  die  Überführung  des  Kindes  in  die  Anstalt  und  die  Rück- 
reise des  Entlassenen  hat  wie  auch  die  für  die  reglementmäßige  erste 
Ausstattung  und  etwa  für  die  Beerdigung  der  Ortsarmenverband  des 
Unterstützungswohnsitzes  zu  tragen. 

In  Baden  ist  die  Gemeinde,  in  der  das  Kind  seinen  Unterstützungs- 
wohnsitz hat,  oder  der  Kreis  des  Landarmenverbandes,  der  im  Fall 
der  armenrechtlichen  Hilfsbedürftigkeit  einzutreten  hätte,  oder  auch  der 
Staat  kostenpflichtig,  aber  nicht  in  der  Eigenschaft  als  Armenverband. 
Diese  Leistungen  haben  daher  auch  nicht  die  Nachteile  der  Armen- 
unterstützung im  Gefolge. 

Auch  in  Sachsen-Koburg-Gotha  hat  die  Wohnsitzgemeinde  gege- 
benenfalls mit  Beihilfe  des  Staates,  wenn  sie  selbst  dazu  außerstande 
ist,  aber  keinesfalls  der  Armenverband  die  notwendigen  Mittel  aufzu- 
bringen, in  Oldenburg  der  Amtsverband,  in  Bremen  ebenfalls  die 
Wohnsitzgemeinde,  wobei  den  Landgemeinden  die  Hälfte  der  Kosten 
vom  Kreis  zu  erstatten  sind. 

in  Weimar  hat  die  Schulgemeinde  die  Kosten  für  Ausstattung, 
Pllegegeld  und  Zurückführung  im  Unvermögensfall  der  zunächst  Ver- 
pHichtete  aufzubringen.  Ist  sie  überlastet,  so  übernimmt  die  Staatskasse 
die  Kosten  ganz  oder  teilweise.  In  Braunschweig  müssen  die  Orts-  und 
Landarmenverbände  die  Kosten  für  die  Unterbringung  des  Kindes  in 
der  Anstalt  sowie  für  die  Einlieferung  tragen,  wenn  die  Unterhalts- 
pflichtigen hierzu  nicht  im  Stande  sind.  Trotzdem  sind  diese  Unter- 
stützungen nach  der  Entscheidung  des  obersten  Gerichts  des  Bundesamts 
für  das  Heimatwesen  nicht  als  Armenunterstützungen  zu  erachten,  weil 
in  Braunschweig  die  Erziehung  nicht  zu  den  Aufgaben  der  Armenpflege 
gehört.  Auch  in  Anhalt  hat  der  verpflichtete  Ortsarmenverband  die 
Kosten  zunächst  auszulegen.  Wenn  er  von  dem  Kind  oder  seinen  An- 
gehörigen keinen  Ersatz  erhalten  kann,  muß  ihm  der  Landarmenverband 
ihn  zur  Hälfte  erstatten. 

Besonders  auch  in  den  Staaten,  in  denen  die  Sonderbeschulung 
der  nichtvoUsinnigen  Kinder  nicht  eigens  gesetzlich  geregelt  ist,  haben 
meist  die  Armenverbände  die  Kosten  für  die  Unterbringung  nichtvoll- 
sinniger  Kinder  in  Anstalten  zu  tragen.  Erfreulicherweise  obliegt  die 
Kostenpflicht  meist  zum  großen  Teil  den  leistungsfähigeren  Landarmen- 
verbänden und  nicht  den  oft  recht  leistungsschwachen  Ortsarmen- 
verbänden. So  ist  in  Bayern,  wo  die  gesetzliche  Regelung  der 
Sonderbeschulung  vor  allem  durch  den  Weltkrieg  unmöglich  gemacht 
wurde,  nicht  nur  für  die  hilfsbedürftigen  Taubstummen  und  Blinden, 
die  der  Anstaltspflege  bedürfen,  Aufgabe  der  Landarmenverbände, 
sondern  auch  die  Erziehung  und  Ausbildung  blinder  und  taubstummer 
Kinder  soweit  sie  bildungsfähig  sind  und  der  Unterbringung  in  Anstalten 


Seite   1178.  Zeilschrift  für  das  österreichische   Blindenwesen.  8.   Nummer. 

bedürfen.*  Aber  auch  dort,  wo  den  Armenverbänden  die  Ko.sten  auf- 
gebürdet sind,  werden  dadurch  meist  die  politischen  Rechte  des  Famihen- 
hauptes  nicht  beeinträchtigt,  weil  in  vielen  Einzelstaaten  die  einem  An- 
gehörigen wegen  körperlichem  oder  geistigem  Gebrechen  gewährte 
Anstaltspflege,  wie  auch  Unterstützungen  zum  Zwecke  der  Erziehung 
und  Ausbildung    zu    einem  Beruf   nicht    als  Armenunterstützung  gelten. 

Wenn  auch  in  einzelnen  auch  größeren  Staaten  wie  Bayern,  Würtem- 
berg.  Hessen  u.  s.  w.  die  Sonderschulpflicht  für  nichtvollsinnige  Kinder 
nicht  ausdrücklich  gesetzlich  geregelt  ist,  so  darf  daraus  noch  keines- 
wegs der  Schluß  gezogen  werden,  als  ob  dort  weniger  gut  für  sie 
gesorgt  wird.  In  den  Vollzugsbestimmungen  oder  in  sonstigen  Erlässen 
dieser  Staaten  sind  die  Schulbehörden  meist  angewiesen,  dafür  Sorge 
zu  tragen,  daß  diesen  Kindern  ein  entsprechender  Sonderunterricht  zu- 
teil wird.  Wo  sich  die  Erziehungsberechtigten  dagegen  sträuben,  können 
sie  unter  Umständen  vom  Vormundschaftsgericht  mit  Hilfe  der  §§  1666, 
1838  B.-G.-B.  oder  der  Fürsorgeerziehungsgesetze  dazu  gezwungen 
werden.  Dieser  Weg  muß  ja,  wie  wir  vorhin  gesehen  haben,  auch  in 
manchen  anderen  Staaten  mit  eigener  Gesetzgebung  beschritten  werden. 
Daß  er  wohl  gangbar  ist.  wenn  nur  die  Kostenfrage  befriedigend  gere- 
gelt ist,  beweisen  zahlreiche  Entscheidungen  der  verschiedensten  Ober- 
landesgerichte. Wenn  diese  bisweilen  die  Anwendung  dieser  Vorschriften 
ablehnten,  so  geschah  dies  fast  immer  deshalb,  weil  kein  anderer 
Kostenträger  als  die  Armenverbände  in  Frage  gekommen  wären,  diese 
aber  in  vielen  Staaten  wie  z.  B.  in  Preußen,  wo  die  Frage  für  die 
nichtvollsinnigen  Kinder  durch  das  Gesetz  vom  7.  August  1911  nun- 
mehr vollbefriedigend  gelöst  ist,  nicht  für  die  Erziehung  und  Ausbildung 
zu  sorgen  haben. 

Wenn  die  nichtvollsinnigen  Kinder  keiner  besonderen  Anstalt  zu- 
geführt werden  können  oder  brauchen,  so  unterliegen  sie  doch  meist 
wenigstens  der  allgemeinen  Schulpflicht,  denn  man  kann  wohl  nicht 
ohne  weiteres  sagen,  daß  sie  für  den  allgemeinen  Volksschulunterricht 
ganz  untauglich  sind,  etwa  wie  geisteskranke  Kinder.  An  einzelnen 
Unterrichtsstunden  können  auch  die  Blinden,  an  anderen  die  Taubstummen 
wohl  mit  Erfolg  teilnehmen  und  dann  ist  für  sie  auch  diese  mangel- 
hafte Schulbildung  immer  noch  besser  als  gar  keine,  wenn  auch  der 
Notbehelf  sehr  mangelhaft  und  unbefriedigend  ist. 

Auch  in  Österreich  sind,  soweit  ich  sehe,  nach  dem  bisherigen  Recht 
die  nichtvollsinnigen,  bildungsfähigen  Kinder  der  allgemeinen  Schulpflicht 
unterworfen  und  haben,  wenn  nicht  ganz  besondere  Umstände  eine  Be- 
freiung nach  §  23.  Abs.  2  des  Reichsvolksschulgesetzes  vom  14.  Mai  1869 
rechtfertigen,  am  allgemeinen  Volksschulunterricht  teilzunehmen.  Nach 
§  59  und  §  62  des  genannten  Reichsvolkschulgesetzes  in  der  Fassung 
der  Novelle  vom  2.  Mai  1883  hatten  die  einzelnen  Kronländer  die  für 
ihren  Bereich    notwendigen  Schul-    und  Erziehungsanstalten    für    nicht- 


*)  Artikel  58  des  Bayerischen  Armengesetzes  vom  21.  August  1914  G.-V.-Bl. 
S.  551  vgl.  über  die  einschlägigen  Gesetzesbestimmungen  der  verschiedenen  Einzel- 
staaten »Rechtliche  Fürsorge  für  die  von  Jugend  an  körperlich  Gebrechlichen«  mit 
besonderer  Berücksichtigung  Bayerns  von  Dr.  Kurt  Schwarz,  München-Leipzig  1915, 
S.  109  ff.  Dort  findet  sich  auch  weiteres  Material  über  die  Gesetzgebungsverhandlung 
und  über  die  ausländische  Gesetzgebung,  über  die  Sonderbeschulung  nichtvoll- 
sinniger  Kinder. 


8.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  Österreichische  Blindenwesen.  Seite  1179. 

vollsinnige  Kinder  zu  errichten.  Man  versuchte  aher  gerade  in  den 
Ländern,  wo  wegen  Mangel  an  geeigneten  Anstalten  der  Sonderschul- 
oder Anstaltszwang  nicht  eingeführt  werden  könnte,  durch  Aushildung 
der  allgemeinen  Lehrer  in  den  besonderen  rnterrichtsinethoden  für  nicht- 
vollsinnige  Kinder  aber  auch  durch  Angliederung  von  Sonderklassen  an 
die  allgemeine  Volkschule  diesen  Kindern  doch  einen  entsprechenden 
Schulunterricht  zu  verschaffen. 

Auch  der  österreichische  Gesetzesentwurf,  betreffend  die  Erziehungs- 
und ITnterrichtsanstalten  für  taubstunmie  und  l)linde  Kinder*,  der  aber 
nicht  Gesetz  geworden  ist,  sah  neben  dem  l'nlerricht  in  Sonderanstalten 
auch  solchen  in  Sondervolkschulklassen  für  inchtvollsinnige  Kinder  vor. 
Diese  sollen  dann  unterrichtet  werden,  wenn  12  blinde  oder  12  taub- 
stumme Kinder  in  einer  Schulgemeinde  wohnen.  Hei  einer  größeren 
Zahl  solcher  Kinder  sollten  die  Klassen  vermehrt  und  entsprechend  auf 
die  Stadtbezirke  verteilt  werden.  Wenn  die  Kinder  zu  wenig  wären,  als 
daß  sich  die  Einrichtung  eigener  Klassen  gelohnt  hätte,  so  war  vorgesehen, 
daß  sie  an  den  Unterrichtsstunden  für  vollsinnige  Kinder  teilnehmen  sollten, 
aus  denen  auch  sie  Nutzen  ziehen  könnten  und  daneben  noch  besonderen 
Unterricht  durch  die  Volksschullehrer  bekommen  sollten  und  zwar  wöchent- 
lich mindestens  4  Stunden,  für  die  die  Lehrer  eigens  entlohnt  werden  sollten. 

Der  Vorschlag  solcher  Sonderschulklassen  hat  unbedingt  etwas  Be- 
stechendes an  sich,  denn  er  würde  es  in  bedeutend  mehr  Fällen  ermög- 
lichen, daß  die  Kinder  im  Kreise  ihrer  Angehörigen  bleiben  können,  was 
ihnen  nicht  nur  allein  rein  menschlich  zu  wünschen  ist,  sondern  meist  auch 
für  ihr  ihr  weiteres  Lebe]i  von  nicht  gering  zu  schätzender  Bedeutung 
ist.  In  der  praktischen  Durchführung  dürfte  sich  besonders  bei  der 
Gliederung  in  aufsteigende  Klassen  große  Schwierigkeiten  ergeben.  Der 
Ausweg  der  Teilnahme  am  allgemeinen  Unterricht  mit  einigen  besonderen 
Stunden  vermag  aber  keinesfalls  zu  befriedigen. 

Wenn  ich  in  Vorstehendem  in  Anbetracht  der  beabsichtigten  ge- 
setzlichen Regelung  der  Sonderbeschulung  nichtvoll.sinniger  Kinder  in 
Österreich  einen  Überblick  über  die  deutsche  Gesetzgebung  zu  geben 
versucht  habe,  so  wollte  ich  damit  keineswegs  die  Lösung  dieser  Frage 
in  meiner  Heimat  als  die  einzig  richtige  bezeichnen  und  zur  Nachahmung 
empfehlen.  Nationale  Eitelkeiten  müssen  bei  diesen  Fragen  ganz  in  den 
Hintergrund  treten.  Alle  deutschen  Blindenfreunde  haben  nur  den  einen 
Wunsch,  daß  auch  außerhalb  Deutschlands  möglichst  gut  für  alle  Blinden 
besonders  für  die  ihnen  stanunverwandten  Deutsch-Österreichs  gesorgt 
wird  und  werden  es  freudigst  begrüßen,  wenn  das  neue  deutsch-öster- 
reichische Gesetz  die  Frage  noch  besser  regelt,  als  es  in  den  deutschen 
Staaten  bis  jetzt  geschehen  ist  und  dankbarst  von  ihm  lernen.  Sie  er- 
wartet auch  besonders  Gutes  von  diesem  Gesetz,  da  wohl  die  ständige 
Blindenfürsorgekommission  im  Staatsamt  für  soziale  Verwaltung**  in  der 
sicher  die  hervorragendsten  Sachverständigen  —  Blindenerzieher  und 
Blinde  selbst,  —  zum  Besten  dieser  Unglücklichen  zusammenwirken,  wohl 
j)ei  dem  Entwurf  dieses  Gesetzes  tatkräftigst  mitarbeiten  wird.  Anderer- 
seits würde  es  auch  die  deutschen  Blinden    und  die  Mitarbeiter  in  der 


*)  Blindenfreud  9.  Jahrg.,  S.   169  ft,  vergl,  auch   10.  Jahrg.  S.  :^1. 
**)  AmtHche  Nachrichten  des  Deutschösterreichisclien  Staatsamtes  für  soziale 
Verwaltung  Heft  10,  S,  376,  Heft  11,  S.  425. 


Seite  IISO.  Zeitschrift  für  das  österreichische  i}Hndenwei,en.  8.  Nummer. 

Blindenfüi'sofgo  freuen,  wenn  den  deutsch-österreichischen  Blinden  aus 
den  Krfahrunj?en  der  deutschen  Blindenfürsorge  recht  reicher  Segen 
erwachsen  möchte.  Unsere  herzlichsten  Wünsche  hegleiten  jedenfalls  alle 
Bestrebungen  zur  gesetzlichen  Regelung  des  Sonderschulunterrichts  der 
Blinden  in  Deutsch-Österreich. 

Die  Insel  der  Heiteren. 

(Aus  meinen   besuchen  in  der  Kärntnerischen  Landes-Blindenanstalt) 
von  Nora  W  y  d  c  n  b  r  u  c  k. 

p]s  dürfte  wohl  wenig  Menschen  geben,  die  die  letzten  Jahre  be- 
wußt miterlebten  und  nicht  eine  tiefgreifende  psychische  Veränderimg 
erleiden  mußten.  In  manchen  bebt  das  ungeheuerliche  Grauen  noch 
fort  und  sie  finden  sich  nur  tastend  und  schüchtern  in  den  Alltag  zu- 
rück. i\ndere  wieder  sind  seelisch  gleichsam  zermürbt  von  Not,  Sorgen 
und  Elend  und  das  Bedürfnis  der  nächsten  Stunde  martert  unablässig 
ihr  armes  Gehirn.  Doch  allen  ist  gleicherweise  eines  verloren  gegangen 
—  die  ruhige  Heiterkeit,  die  sowohl  die  menschliche  Gemeinschaft  wie 
die  Einsamkeit  erträglich  macht. 

Außer  den  unwissenden  Kindern  sind  nur  mehr  jene,  die  das 
Geschick  schon  vorher  am  härtesten  getroffen  hat  und  die,  welche  in 
dieser  Zeit  den  Abgrund  menschlichen  Wehs  berührten,  ihrer  noch  teil- 
haftig. Mitten  im  Kriege  war  es  mir  vergönnnt,  solche  Menschen  zu 
linden.  Das  war.  als  ich  zum  erstenmal  ins  Blindenheim  ging.  Ich 
gestehe,  daß  ich  auf  diesem  Gange  eine  seelische  Feigheit  zu  über- 
winden hatte.  Denn  ich  fürchtete  mich  vor  dem  Schmerz,  den  ohn- 
mächtiges Mitleid  schafft.  Doch  statt  dessen  bemächtigte  sich  meiner 
ein  längst  vergessenes,  sehr  beglückendes  Gefühl:  ich  kam  mir  vor,  wie 
das  einzige  Kind  unter  lauter  Erwachsenen,  die  sich  alle  mit  gerührter 
Freude  um  mich  scharten.  Die  Unrast  des  Tages  und  die  Bängnis  vor 
der  drückenden  Zukunft  waren  ausgetilgt  —  ich  fühlte  irgendwie  die 
Nähe  des  einzig  Wesentlichen,  das  mich  unsäglich  beruhigend  umfing, 
wie  ein  tiefer,  langanschwellender  Orgelton. 

Die  Alten  sahen  in  der  Blindheit  was  Göttliches;  mit  diesem  Ge- 
brechen behaften  sie  Themis  und  Erves.  Jene,  die  die  Grenzen  der 
Menschheit  verschauenden  Geistes  überschreiten,  die  Seher,  sind  — 
eine  merkwürdige  contradictio  in  adjectic  —  meist  psychisch  blind.  Mit 
sicherem  Instinkt  erkannten  sie  a  priori,  was  wir  in  spitrfindig  phsycho- 
logischen  Untersuchungen  zu  ergründen  trachten.  So  war  es  ihn(Mi 
auch  klar  geworden,  daß  das  geistige  Sehen  erst  durch  Überwindung 
des  trügerischen  Scheines  der  Außenwelt  ermöglicht  wird:  die  Blindheit 
der  Begradeten  ist  das  Symbol,  wodurch  sie  diese  Wahrheit  aus- 
drücken. 

All  dies  ging  mir  nach  jenetn  ersten  Besuche  dort  draußen  durch 
den  Sinn  und  ich  beschloß  in  nähere  Berührung  mit  jenen  rätselhaften 
Menschen  zu  treten.  Eine  Flucht  sollte  es  sein  von  den  Wirrnissen 
der  Zeit,  eine  Pilgerfahrt  zu  Quellen  der  Ruhe  und  der  verloren  ge- 
glaubten Heiterkeit.  Und  so  kam  ich  wieder  und  versuchte  ihnen  die 
Ruhe,  die  sie  mir  schenkten,  mit  etwas  Schönheit  und  Wohlklang  aus 
dem  Lande  der  Sehenden  zu  vergelten.  Ich  las  ihnen  aus  meinen 
liebsten  Büchern  vor.     Den  Beginn  machte  ein  Märchen  von  Anderson, 


8.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1181. 

jene  Geschichte  von  der  Sehneekönigin,  das  ein  tiefes  Symbol  ist,  in 
leuchtendes  MärchengoUl  vcn-hüllt.  Da  machte  ich  zwei  i^]rfahrungen, 
tlie  mich  erstaunten:  erstens,  daß  der  eigentliche  Sinn  der  Geschichte 
von  allen  diesen  einfachen  Menschen  intuitiv  aufgegrifVen  und  verstanden 
wurde.  Sodann  aber,  daß  auch  jene  Abseitigen  ihr  Teil  an  der  NoI 
des  Tages  tragen  müssen.  Denn  als  der  Dichter  weitläufig  die  Herrlich- 
keiten des  mit  Lebkuchen  und  Marzipan  ausgefütterten  Reisewagens 
beschreibt,  ging  ein  wollüstiges  Stöhnen  um  ih^n  Tisch  und  eine  meinte 
seufzend:  „Wenn  es  auch  nur  Drot  wäre,  wie  gerne  würde  ich  in 
diesem  Wagen  fahren!" 

.Ja,  jene  Menschen,  die  nur  mehr  mit  so  wonnigen  Fäden  an  unser 
gemeinsames  Leben  verknüpft  sind,  müssen  alle  leiblichen  Genüsse  ge- 
rade so  entbehren  wie  wir,  nur  tragen  sie  es  geduldiger,  wie  die  meisten 
unter  uns. 

Nach  dieser  Erfahrung  beschloß  ich,  die  Märchen  zu  lassen,  um 
keine  unerfüllbare  Sehnsucht  nach  irdischen  Freuden  zu  wecken.  Und 
wir  gingen  in  das  Land  der  reinen  Poesie,  deren  Sehnsucht  zugleich 
Erfüllung  i.st.  EichendorfT  lasen  wir  und  die  blaue  Blume  der  Romantik 
blühte  auf.  Und  die  frühen  Erzählungen  von  Rudolf  Hans  Bartsch,  die 
so  voll  von  Musik  sind  und  deren  schwere  reife  Süße  wie  ein  dunkler 
Gelloklang  anmutet.  Und  einmal  da  lasen  wir  sogar  Gedichte  von  Reiner 
Maria  Rilke.  Da  lehnte  ein  Blinder  den  Kopf  zurück  und  schloß  die 
blinden  Augen  und  flüstert  ergriffen  und  wonnevoll:  ,.Köstlich,  köst- 
lich.''  - —  Und  in  Andacht  lauschen  sie  der  Sprache  Goethes  und  heben 
unter  der  dramatischen  Hochspannung  Schillers,  wie  eben  nur  solche 
können,  denen  die  Zwangsarbeit  einer  widerwillig  erduldeten  Schulzeit 
noch  nicht  den  Geschmack  an  den  Klassikern  verdorben  hat. 

Die  Blinden  haben  einen  guten  Maßstab  für  das  Schöne,  denn 
einerseits  hat  sie  die  Überwindung  ihres  Schicksals  ethisch,  die  Ge- 
wohnheit der  inneren  Konzentration  geistig  gereift  —  andererseits  wird 
ihre  Erziehung,  die  ja  zumeist  erst  in  der  Anstalt  beginnt,  vom  einzig 
richtigen  Standpunkt  aus  geleitet:  man  arbeitet  darauf  hin,  dem  Schüler 
den  höchsten  und  reichsten  inneren  Besitz  zu  gewähren.  Keinem  Zweck 
soll  sein  Wissen  dienen,  als  einfach  der  Erhöhung  seines  inneren  Lebens 
und  somit  seiner  Glücksmöglichkeiten.  Luxus  und  Wohlleben  kann  den 
Zöglingen  der  Blindenanstalt  nicht  gel)oten  werden,  aber  dafür  werden 
ihnen  die  kostbaren  Schätze  aus  dem  Reiche  der  Dichtkunst  zugeführt. 
Und  daß  hier  nicht  blinder  Idealismus  „Perlen  vor  die  Säue"  wirft, 
wie  es  in  der  Bibel  derb  und  zutretTend  heißt,  bew^eist  folgende  Be- 
gebenheit, deren  Zeuge  ich  selbst  war:  Einer,  der  im  Krieg  beide  Augen, 
den  linken  Arm  und  die  rechte  Hand  verloren  hat,  lauschte  hingerissen 
dem  Largo  eines  der  ganz  Großen  —  war  es  Bach,  war  es  Händel, 
ich  weiß  es  nicht  mehr  —  das  eine  meisterlich  gespielte  Geige  in  be- 
seligende Breite  ausströmte.  Und  dann  sprach  er  ganz  verklärt  in  seiner 
naiven  Mundart:  Da  möcht  ich  aber  wohl  den  ganzen  Tag  zulesen." 
Und  ich  erkannte,  daß  es  keine  Verzweiflung  gibt,  so  tief  ist,  als  daß 
ein  Strahl  des  Schönen  nicht  in  sie  eindringen  könnte. 

Geht  hinaus  in  das  Heim  der  Blinden,  ihr,  die  ihr  der  Zeit  tliehen 
wollt  und  nicht  wie  die  Menschen  des  Dekameren  in  weltferne  Gärten, 
wo  rauschende  Fontänen  tändelnde  Gespräche  murmeln  begleiten.  Denn 


Seite  1182.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  8.  Nummer 

die  Pest,  die  in  Florenz  wütete,  konnte  wohl  den  Garten  der  Fianetta 
nicht  erreichen  —  aber  die  Unrast  dieser  Zeiten  wird  kein  Asyl  ver- 
schonen. Ihr  aber,  die  mit  wachem  Bewußtsein  und  heißem  Streben 
dem  Gebot  der  neuen  Zeit  gehorchen  wollt,  lernt  dort  außen  ihre  tiefste 
Forderung  verstehen,  die  da  heißt:  Glaube  an  die  Menschheit.  Hoffnung 
auf  sie  und  Liebe  zu  ihr.  Und  helfet  dazu,  daß  immer  mehr  aus  iJimkel 
und  Not  und  Verzweiflung  zur  ruhigen  Heiterkeit  geführt  werden.  — 
Ks  gilt  aufzubauen,  was  diese  Jahre  vernichtet  haben  und  am  besten 
fängt  man  bei  jenen  an,  die  am  schwernsten  getroffen  wurden. 

Hus  den  Rnstalten. 

N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  Vorlesung.  Am 
15.  Juni  1.  J.  veranitaltete  Frl.  Friederike  Ehrmann  für  die  Zöglinge  und  geladenen 
Gäste  eine  Vorlesung.  Ihre  moderne  Vortragsweise,  die  den  ganzen  Stimmungs- 
gehalt des  einzelnen  Wortes  auszuschöpfen  weiß,  steigerte  die  klassischen  Balladen 
Goethes  und  Schillers  zu  dramatischem  Erleben  und  wußte  in  mehr  heiteren  Stücken 
die  Bedeutung  der  Künstlerin  ergänzend  zu  illustrieren.  Von  den  zahlreichen  Ge- 
dichten gefielen  namentlich  >Der  Taucher«,  »Das  verschleierte  Bild  zu  Sais«,  »Das 
Hochzeitslied«,  »Hans  im  Glück«  (Chamisso)  und  »Das  Gänsemädchen«  (Ginzkey). 
Es  ist  zu  hoffen,  daß  Frl.  Ehrmann  im  nächsten  Jahre  eine  Reihe  von  Vortrags- 
abenden für  unsere  Zöglinge  veranstalten  wird,  die  sie  sich  als  eine  Art  Einführung 
in  die  deutsche  Literatur  vorstellt.  Unsere  Zöglinge  werden  ihr  dafür  dankbar  sein. 

O.  W. 

Klavierkonzert.  Einen  Nachmittag  reichen  musikalischen  Genusses 
schenkte  den  Zöglingen  Herr  Rechnungsrat  F.  Smutny,  der  in  selbstloser  Weise 
im  Festsaale  der  Anstalt  am  17.  Juni  1.  J.  ein  Klavierkonzert  mit  auserlesenem 
Programme  gab.  Durchdrungen  von  Poesie  und  Romantik  erklangen  Mendelsohns 
»Variations  serieuses«,  mit  hochentwickelter,  feiner  Unterschiedlichkeit  im  Anschlags- 
vermögen wurden  Saint-Saiens  »Mandolinata«  und  eine  Reihe  schwärmerischer 
Nocturnes,  besonders  Lißt's  »Erstes,  aus  den  Liebesträumen«  sei  genannt,  zum  Vor-' 
trage  gebracht.  Seine  starke  musikalische  Gestaltungsgabe  brachte  H.  Smutny  vor 
allem  in  den  Stücken  Chopins  voll  zum  Ausdrucke.  Den  Höhepunkt  des  Konzertes 
bildeten  wohl  Lißts  »Campanella«  und  der  ungarische  Sturmmarsch,  die  H.  Smutny 
mit  seiner  außerordentlich  entwickelten  Technik  in  meisterhafter,  packender  Weise 
zum  Vortrage  brachte,  so  daß  der  Jubel  der  Zuhörer  kein  Ende  nehmen  wollte  und 
H.  Smutny  sich  zu  einer  Zugabe  entschließen  mußte.  Außer  der  harmonischen  Ver- 
einigung von  »Virtuosität  und  Künstlerschaft«  hatten  wir  auch  Gelegenheit  die 
außerordentliche  Gedächtnisleistung  des  H.  Smutny  zu  bewundern. 

Den  Zöglingen,  besonders  den  auf  der  Oberstufe  der  musikalischen  Ausbil- 
dung stehenden,  gab  das  künstlerisch-virtuose  Spiel  gewiß  eine  kräftige  Anregung 
zu  emsigen  Studium  und  wird  der  genußreiche  Nachmittag  wohl  allen  in  lebhaftester 
Erinnerung  bleiben.  P. 

Die  amerikanische  Kinderhilfsmission  in  der  n.  ö.  Landes- 
Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  Am  25.  v.  M.  erschien  als  Vertreter  des 
amerikanischen  Hilfswerkes  Dr.  H.  Geist  in  der  Anstalt,  wo  nicht  nur  die  blinden 
Zöglinge,  sondern  auch  230  bedürftige  Kinder  des  Ortes  täglich  zu  Mittag  aus- 
yespeist  werden.  Zu  diesem  Empfange  hatten  sich  Landesrat  K.  Volke  rt,  der 
Leiter  des  Jugendamtes  Dr.  Don  in,  die  Gemeindevertretung  von  Purkersdorf  und 
andere  Körperschaften  eingefunden.  Blinde  und  sehende  Kinder  hatten  unter 
Führung  der  Lehrerschaft  im  schönen  Garten  der  Anstalt  Aufstellung  genommen. 
Nach  einem  von  den  blinden  Zöglingen  gesungenen  Begrüßungschor  sprach  Bürger- 
meister Spalt  der  amerikanischen  Mission  den  Dank  der  Gemeindevertretung  aus, 
Direktor  Bürklen  begrüßte  den  Gast  als  Leiter  der  Anstalt.  Ein  sehendes  und  ein 
blindes  Mädchen  dankten  in  schlichter  Weise  mit  poetischen  Worten  und  einem 
Blumenstrauß.  Besonderes  Interesse  eiweckte  bei  Dr.  Geist  der  von  den  Anstalts- 
zöglingen seelenvoll  vorgetragene  Choral  »Näher  mein  Gott  zu  dir!«,  welcher  seiner- 
zeit die  sinkende  »Titanic«  in  das  Flutengrab  begleitete. 

Herausgeber:    ZentraWerein  für  das  österreichische  BliudeDwesen  ia  Wieo.     Redaktionskomitee:  K.  Biirkleo, 
).  Rnaia,  A.    .  HorTstb,  F.  Uhl.  —  Dnick  tod  Adolf  Bogliich,  Purkersdorf  bei  Wien. 


Nach  dem  Empfange  wurden  die  versammelten  Kinder  im  Anstaltsgarten 
abgespeist,  wobei  die  blinden  Kinder  die  Tafelmusik  besorgten.  Es  war  eine  Freude, 
die  reichliche  Mahlzeit  verzehren  zu  sehen,  welche  ihnen  geboten  wurde.  Die  Aus- 
speisung wird  durch  mindestens  acht  Wochen  fortgesetzt  werden  und  es  ist  die 
Hoffnung  vorhanden,  daß  auch  dann  noch  die  bisher  aus  Raummangel  zurück- 
gestellten Kinder  des  Ortes  dei  amerikanischen  Hilfe  teilhaftig  werden.  Es  ist  ein 
edles  Werk,  das  damit  die  Gastgeber  unserer  Kinder  vollbringen  und  das  Gedenken 
daran  wird  sich  tief  in  die  Herzen  aller  Teilnehmer  eingraben. 

—  Blinden-Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  inWie|n 
VIII.  Das  Direktorium  dieser  Anstalt  hat  die  Altersgrenze,  die  bisher  —  wenigstens 
der  Regel  nach  —  für  die  Aufnahme  bestand,  aus  dem  Anstaltsstatut  gestrichen,  so 
daß  die  Möglichkeit  gegeben  ist,  vorwiegend  ältere  Leute  aufzunehmen.  Ferner 
bewilHgte  das  Direktorium,  daß  die  männlichen  und  weiblichen  .Blinden  je  zwei 
Vertrauenspersonen  wählen  dürfen,  die  zu  schweren  Disziplinarsachen  und  dann  zur 
Beratung  jener  Angelegenheiten  zugezogen  werden  sollen,  die  den  Unterhalt  oder 
die  Arbeitsmöglichkeit  der  Pfleglinge  betreffen. 

—  Blindenanstalten  in  Linz.  Am  13.  und  1'7.  Juni  1.  J.  beehrten  als  Ver- 
treter der  amerikanischen  Kinderhilfsaktion  in  Oberösterreich  der  amerikanische, 
Fliegeroberleutnant  Erwin  Larson  in  Begleitung  des  Dozenten  Dr.  phil  und  med. 
Ernst  Mayerhof  er  und  des  Rittmeisters  Rudolf  Do  wer  tili  aus  Wien,  des  Hofrates 
Hermann  Attems,  Jugendamtsleiters  Prof.  Franz  Jäger,  der  Präsidentin  Fanny 
Starhemberg-Larisch  und  Maria  Thun-Hohenstein  aus  Linz  beide  Blinden- 
anstalten mit  ihrem  Besuche.  Nach  Begrüßung  durch  den  Direktor  Anton  M. 
Pleninger,  der  zugleich  der  Referent  des  Hilfswerkes  für'  die  2000  Kinder  der 
Anstalten  Oberösterreichs  ist,  wohnten  die  Gäste  einzelnen  Lehrversuchen  in  Schule, 
Arbeit  und  Musik  bei  und  besichtigten  die  meisten  Räume  der  beiden  Gebäude. 
Zuletzt  fand  eine  große  Musikaufführung  in  der  Beschäftigungsanstalt  statt,  der 
außerdem  noch  viele  andere  Gäste  und  Gönner  der  Blinden  beiwohnten.  Unter 
Worten  der  anerkennenden'  Dankbarkeit  schieden  die  Gäste  von  den  erfreuten 
Blinden.  Seit  5.  Juli  I.  J.  findet  die  Ausspeisung  der  in  den  2  Häusern  über  die 
Ferien  verweilenden  Zöglinge  statt,  die  bis  Mitte  September  dauern  dürfte. 

flus  den  Vereinen. 

—  Fürsorgeverein  für  die  Taubstummblinden  in  Österreich 
in  Wien  XIII.  Fünfter  Jahresbericht  über  die  Jahre  1917  und  1918.  Der 
Bericht  enthält  einen  Nachruf  für  den  verstorben  Schatzmeisterstellvertreter  Direktor 
A.  Druschba.  Das  vom  Vereine  erhaltene  »Taubstummblindenheim«  wurde  von 
Direktor  P.  Schneiderbauer  geleitet.  Für  das  Schuljahr  1917—18  hatte  die 
Übungsschullehrerin  Frl.  Marie  Panzer  auf  eigenes  Ansuchen  die  Stelle  als  Lehrerin 
übernommen,  hat  jedoch  am  Ende  des  Schuljahres  auf  eigenen  Wunsch  den  Posten 
wieder  aufgegeben.  Im  Unterrichtsjahr  1918—19  erteilt  aushilfsweise  durch  drei  Tage 
in  der  Woche  den  größeren  Kindern  der  frühere  Taubstummenlehrer,  Hochw.  Herr 
M.  Praxmaier,  Unterricht.  Eine  geprüfte  Kindergärtnerin,  Frl.  Henriette  K  lasen, 
beaufsichtigt  und  beschäftigt  die  Kinder  außer  der  Schulzeit.  Im  Heime  sind  10 
taubblinde  Pfleglinge  untergebracht.  Der  Vermögensstand  des  Vereines  hat  sich 
erfreulicherweise  gehoben,  doch  sind  demgegenüber  auch  die  Auslagen,  namentlich 
für  die  Verpflegung,  bedeutend  gestiegen. 

-  Blinden-Unterstützungsverein  »Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V 
Die  satzungsgemäße  Generalversammlung  dieses  Vereines  brachte  die  Wieder- 
wahl des  gesamten  bisherigen  Vereinsausschusses  und  die  Zuwahl  zweier  neuer 
Mitglieder.  In  die  »Blindenfürsorgekommission«  und  in  den  »Zentralverein  für  das 
Ost.  Blindenwesen«  wurde  als  Vertreter  des  Vereines  Obmann  F.  Uhl  entsendet. 

—  I.  Österr.  Blindenverein  in  Wien  VIII.  Die  von  diesem  Vereine 
abgehaltene  Generalversammlung  brachte  der  Vereinsleitung  ein  übeiwältigen- 
des  Vertrauensvotum,  in  welchem  die  Absage  an  einseitige  Tagespolitik  und  an  das 
Bestreben  einzelner  Blinder,  die  Zusammenarbeit  mit  den  Sehenden  zu  stören,  ent- 
halten war.  Als  Delegierter  in  die  »Blindenfürsorgekommission«  wurde  neben  einer 
Anzahl  fachlicher  Berater  der  Obmann  A.  Horvath  gewählt. 

Druckfehlerberichtigung. 

—  In  dem  Aufsatze  »Das  Gesicht  des  Blinden<  von  Bürklen  in  Nr.  7  sind 
zu  berichtigen: 

S.  1156,  3.  Zeile  von  oben  »tiefgehendec  statt  »tiefprüfende«.  15.  Zeile  von 
unten  »Anhaltspunkt«  für  »Anhalts-« 


„Stenophon''  (DikKermaschine) 

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Wien   V.,  Nikolsdorfergasse  42, 

Zweck  des  Vereines;  Unterstütziiuj;  Minder  Mit- 
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Q  Purkersdorf 

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n      österreichisches 
n      Postsparkassen- 
konto Nr.l  32.257 


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Das  Blatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


[-,  Bezugspreis  q] 

Q  ganzjährig  mit  q 

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D  50  Heller.  ^ 


6.  Jahrgang. 


Wien,  September  1919. 


9.  Nummer. 


INHHLT:  J.  Bartosch,  Wien:  Vorschläge  für  einen  am  Blinden-Erziehungs-lnstitute 
in  Wien  II  abzuhaltenden  einjährigen  musikalischen  Fortbildungskurs  für 
blinde  Musiker.  Die  Blinden  Deutschösterreichs  nach  Geschlecht,  Alter, 
Bildungsgrad.  Beruf  usw.  Die  Geschäftsordnung  für  die  ständige  Blinden- 
fürsorgekommission im  D.-ö.  Staatsamte  für  soziale  Verwaltung.  Personal- 
nachrichten, flus  den  Anstalten.  Aus  den  Vereinen,  Für  unsere  Kriegs- 
blinden.    Mitteilung.     Altes  und  Neues.     (Ankündigugen.) 


=Hr 


D" ^ _, 

^   Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische   ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIII, 
V]  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  3  K,  Zeitungsbeitrag  3  K.   ^ 


flites  und   Neues. 

übt  das  Nägel  kauen  einen  ungünstigen  Einfluß  auf  die 
Tastfähigkeit  und  Handgeschicklichkeit  aus? 

Von  Lehrern  an  einzelnen  Hochschulen  wurde  häufig  die  Beob- 
achtung gemacht,  daß  Nägelkauer  zu  sogenannten  Präzisionsarbeiten 
nicht  recht  zu  brauchen  sind.  Sie  sprechen  sich  dahin  aus,  daß  das 
Tastg^tühl  für  die  Sicherheit  und  Sauberkeit  beim  Arbeiten  durch  diese 
üble  Angewohnheit  herabgesetzt  erscheint.  Diese  Unsitte  verunstaltet 
die  Fingerspitzen  in  sehr  charakteristischer  Weise ;  sie  werden  dick, 
unförmig,  vor  dem  Nagelrest  bildet  sich  eine  hervorstehende  Leiste. 
Dadurch  aber  leidet  die  Tastempfindlichkeit. 

In  diesem  Hinblick  wird  aus  der  Erziehungsfrage  für  den  Blinden- 
lehrer, noch  eine  solche  unterrichtlicher  Natur.  Für  ihn  ist  es  zweifellos 
wichtig  zu  wissen,  inwieterne  das  Nägelkauen  (Onychophagie)  seine 
Arbeit,  in  der  Schulstube  stört.  Denn  nicht  allein  das  Tastlesen,  sondern 
namentlich  die  Handfertigkeiten  und  unter  ihnen  wieder  vor  allem  das 
Schreiben  und  die  Mädchenhandarbeiten  sind  wesentlich  abhängig  von 
der  Empfindlichkeit  der  Fingerspitzen.  Das  Tastlesen  und  die  manuelle 
Geschicklichkeit,  etwa  beim  Musikspielen,  erscheinen  dadurch  wohl 
weniger  beeinträchtigt,  da  bei  ihnen  die  durchs  Nägelkauen  betroffenen 
Stellen  der  Finger  nicht  in  Betracht  kommen.  Für  sie  ist  die  Frage 
mehr  sekundärer  Art. 

Der  Vergleich  der  Fortgangsnoten  zwischen  den  Nichtnägelkauenden 
und  den  notorisch  diese  Unsitte  Übenden  muß  uns  darüber  am  besten 
Aufschluß  geben,  ob  eine  Beemträchtigung  tatsächlich  zu  verzeichne,ii  ist. 

Es  stellen  sich  die  Durchschnittsnoten  der  beiden  Gruppen  für  die 
Handfertigkeiten  und  das  Schreiben  bei  den  nicht  nägelkauenden  Zög- 
lingen auf  1'577,  bei  den  Nägelkauern  auf  25,  also  um  einen  ganzen 
Grad  schlechter.  Noch  größer  ist  der  Unterschied  bei  den  weiblichen 
Handarbeiten.  Hier  erreichen  die  Normalen  1'428,  die  Nägelkauer  wieder 
2*5  als  Durchschnittsnote.  Auch  beim  Tastlesen  ist  der  Unterschied 
groß;  die  erste  Gruppe  weist  lölS,  die  zweite  27  auf.  Hingegen  ver- 
ringert sich  der  Unterschied  dort,  wo  Leistungen  der  ganzen  Hand  in 
Betracht  gezogen  werden,  wie  in  der  Musik,  wo  das  Verhältnis  2"06  zu 
2-5  ist.  V 

Damit  ist  bewiesen,  daß  das  Nägelkauen  nachteilig  wirkt.  Dabei 
muß  aber  noch  betont  werden,  daß  die  Nägelkauer  keineswegs  aus- 
schließlich geistig  minderwertige  Schüler  sind.  Ja,  der  allgemeine  Noten- 
durchschnitt stellt  sich  zwischen  Normalen  und  Nägelkauern  auf  nur 
2  7-26  zu  2  \ig.  Damit  ist  gesagt,  daß  nicht  etwa  geistige  Minderwertigkeit 
bei  den  Nägelkauern  die  schlechteren  Erfolge  in  den  oben  angezogenen 
Unterrichtsfächern  verursachten. 

Der  Blindenlehrer  wird  also  auch  aus  unterrichtlichen  Gründen 
gegen  diese  Unsitte  ankämpfen  müssen.  Dabei  darf  er  aber  nicht  ver- 
gessen, daß  das  Nägelkauen  nach  Berillons  Untersuchungen  oftmals 
mit  verschiedenen  Erscheinungen  nervöser  Natur  verknüpft  erscheint, 
wie  z.  B.  mit  triebartigen  Neigungen,  nächtlichem  Aufschrecken,  Nacht- 
wandeln, Sprechen  im  Schlafe,  Stottern,  gedrückter  Stimmung,  Bett- 
nässen, moralischen  Verirrungen,  Angstgefühlen  u.  s.  w.  Es  ist  also  oft 
nur    eine    Begleiterscheinung    tief    sitzender  Krankheiten.  | 

O.  Wanecekl 


6.  Jahrgang.  Wien,  September  1919.  9.  Nummer. 


>Eine  Welt  voll  Lustgestalten 


^  Offnet  sich   mir  im   Gesang,  ^ 

iß  Göttliches  muß  sich   entfalten  ^ 

>j  Bei   der  Töne  mächt'gem  Klang.  tj^ 

I  ■      L.  Kraa.  | 


Vorschläge  für  einen  am  Blinden-Erziehungs- 

Institute  in  Wien  II  abzuhaltenden   einjährigen 

musikalischen   Fortbildungskurs  für  blinde 

Musiker. 

Von  Musiklehrer  Josef  Bartosch,  Wien. 

Das  Problem  der  Blindenversorgung  durch  Selb.stbetätigung  ist  ein 
.stete.s  Sorgenkind  der  maßgebenden  Faktoren.  Alle  Blindenlehrerkon- 
gresse und  Fürsorgetage,  alle  Organisationen  der  Blinden  und  Blinden- 
freunde  beschäftigen  sich  eingehend  mit  dieser  Frage  und  in  den  Erzie- 
hungsanstalten für  Blinde  wird  der  beruflichen  Ausbildung  der  Zöglinge 
besondere  Sorgfalt  gewidmet. 

Unter  den  den  Blinden  bisher  erschlossenen  Berufen  wird  nun  der 
eines  Musikers  oder  Klavierstimmers,  bezw.  der  eines  Musikers  und  Klavier- 
stimmers seitens  der  Blinden  selbst  besonders  bevorzugt,  hi  der  Tat 
lehrt  die  Erfahrung,  daß  der  begabte  und  gediegen  ausgebildete  blinde 
Musiker  durch  Ausübung  dieses  Berufes  weit  eher  in  der  Lage  ist,  für 
seinen  Unterhalt  selbständig  zu  sorgen  als  z.  B.  der  blinde  Handwerker. 
Diese  Tatsache  wurde  in  einer  von  mir  im  Jahre  1910  objektiv  und 
tunlichst  genau  erhobenen  und  im  Bericht  des  18.  Blindenlehrerkon- 
gresses 1910  veröfrentlichtcn  Statistik  bewiesen.  .  Durch  diese  Statistik 
wurde  aber  auch  klar  gelegt,  daß  die  seitens  der  Blinden  immer  wieder 


Seite  1188.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  9.  Nummer 

erhobenen  Forderungen,  mehr  begabte  Zöglinge  zu  Musikern  auszubilden, 
tatsächlich  gerechtfertigt  sind  und  so  trat  ich  denn  in  der  Zeitschrift 
„Der  Blindenfreund"  (Jahrgang  1912)  für  eine  zeitgemäße  Reform  des 
Musikunterrichtes  an  Blindenanstalten  ein. 

Ich  vertrete  den  Standpunkt,  daß  der  blinde  Musiker,  wenn  er  im 
Wettbewerb  mit  Sehenden  standhalten  soll,  musikalisch  möglichst  viel- 
seitig gebildet  sein  muß.  Er  wird  beispielsweise  schwerlich  durch  eine 
Entlohnung,  die  er  lediglich  als  Kirchenorganist  bezieht,  sein  Leben  fristen 
können.  Ist  er  aber  außerdem  auch  als  Musiklehrer  (womöglich  Klavier. 
Violine,  Orgel,  Laute  —  schließlich  auch  Zither)  und  als  Salonpianist 
ausgebildet,  wird  er  wohl  eher  festen  Fuß  zu  fassen  vermögen.  Es  soll 
aber  auch  jeder  blinde  Musiker  Fertigkeit  im  Klavierstimmen  besitzen. 
Gelingt  es  ihm  nicht,  sich  eine  Stellung  als  Musiker  zu  erringen,  so  wird 
er  durch  Klavierstinmien  sicherlich  sein  P'ortkommen  linden  und  unter 
Umständen  kann  ja  auch  eine  Bestätigung  in  allen  erworbenen  Kennt- 
nissen zur  Gründung  einer  Lebensstellung  führen. 

Da  aber  nach  den  gegenwärtigen  Lehrplänen  der  Blindenanstalten 
die  mu.sikalische  Ausbildung  der  Zöglinge  keine  solche  sein  kaim,  wie 
sie  der  Berufsmusiker  tatsächlich  braucht  und  namentlich  eine  Vorberei- 
tung für  die  Praxis  des  Musiklehrer.s  Organisten  und  Salonpianisten 
fast  gänzlich  fehlt,  ist  der  blinde  Musiker  gezwungen,  in  seinem  Berufe 
unfertig  die  Anstalt  zu  verlassen  und  muß  sich  vieles,  das  ihm  hätte 
früher  gelehrt  werden  sollen,  nachher  aneignen.  Aus  dem  bisher  Ge- 
sagten ergibt  sich,  daß  die  Notwendigkeit  einer  Ausgestaltung  des  Musik- 
unterrichtes an  Blindenanstalten  tatsächlich  besteht  und  namentlich  die 
praktische    Ausbildung  zum    Musiker.    Organisten  und  Salonpianisten. 

—  die  ja  erst  am  Schluß  der  normalen  Ausbildungszeit  einsetzen  kann. 

—  vorgesehen  werden  sollte. 

Die  idealste  Lösung  dieses  Problems  würde  wohl  die  Errichtung 
einer  höheren  Musikunterrichtsanstalt  für  begabte  Blinde  sein,  deren 
Besuch  allen  zu  Musikern  auszubildenden  Zöglingen  der  deutschöster- 
reichischen Blindenanstalten  tunlichst  unentgeltlich  ermöglicht  werden 
müßte.  Der  vorbereitende  Musikunterricht  während  der  Bildungszeit  in 
der  Erziehungsanstalt  könnte  wohl  die  nötigen  Vorkenntnisse  zur  Auf- 
nahme in  diese  Musikunterrichtsanstalt  vermitteln.  Durch  die  Errichtung 
einer  solchen  Schule,  die  javmindestens  3  Jahrgänge  umfassen  müßte, 
könnte  den  Blinden  vielleicht  auch  ein  neuer  musikalischer  Beruf 
erschlossen  werden,  der  namentlich  stimmbegabten  blinden  Mädchen  zu 
einer  Lebensstellung  verhelfen  könnte.  .  Es  ist  doch  eine  bekannte  Tat- 
sache, daß  der  Blinde  durch  den  Zwang,  alle  Eindrücke  mit  dem  Ohre 
wahrnehmen,  schärfer  hört  als  Sehende.  Ebenso  sicher  steht  fest,  daß 
das  schärfste  Ohr  unter  allen  Musikpädagogen  wohl  der  Stimmbildner 
besitzen  muß.  Man  sollte  meinen,  daß  also  ein  stimmbegabter  und  ent- 
sprechend ausgebildeter  Blinder  bei  Vorhandensein  des  nötigen  Lehr- 
talentes wohl  ein  guter  Gesang.spädagoge  (Stimnibildner)  werden  könnte. 
Dieser  Gedanke  scheint  mir  eines  Versuches  wert  zu  sein. 

Da  jedoch  die  Errichtung  einer  höheren  Musikschule  für  Blinde 
augenblicklich  wohl  schwerlich  durchgeführt  werden  könnte,  würde  sich 
vorläufig  die  Einführung  eines  einjährigen  musikalisch-praktischen  Fort- 
bildungskurses und  die'  Berufung  erster  Fachleute  als  Lehrer  für  die  zu 


9.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Biindenvvesen.  Seite    1189. 

Musikern  ausgebildeten,  am  Ende  ihrer  normalen  In.stitutsbildungszeil 
stehenden  Zöglinge  empfehlen.  Auf  alle  Fälle  müßte  aber  dieser  Kurs 
den  begabten  Musikschülern  aller  deutschösterreichischen  Blindenanstalten, 
ebenso  bereits  im  Leben  stehenden  blinden  Musikern  auf  Grund  einer 
Aufnahmsprüfung  zugänglich  gemacht  werden. 

Über  die  Art  der  Lehrgegenstände  des  Kurses,  Zahl  der  Unter- 
richtsstunden, beiläufigen  Kosten  u.  s.  w.  geben  die  nachfolgenden  Pläne 
Aufschluß. 

Falls  die  Behörden  dem  Gedanken  der  Abhaltung  eines  musikalisch- 
praktischen Fortbildungskurses  für  Blinde  zustimmen  würden,  müßte, 
da  zur  Vorbereitung  nach  allen  Richtungen  hin,  besonders  bezüglich  der 
Personalfrage  doch  einige  Zeit  nötig  wäre,  eine  baldige  Entscheidung 
getroffen  werden. 

Einrichtung  des  Fortbildungskurses. 
L  Zweck. 

Der  musikalisch-praktische  Fortbildungskurs  am  Blinden-Erziehungs- 
Institute  in  Wien  hat  den  Zweck,  junge  blinde  Musiker,  deren  normale 
ßildungszeit  abgelaufen  ist,  oder  auch  bereits  im  Leben  stehende  Blinde 
in  praktischer  Hinsicht  möglichst  vielseitig  und  gründlich  auszubilden, 
damit  sie  leichter  mit  sehenden  Musiklehrern,  Organisten  und  Salon- 
musikern konkurrieren  können  und  sich  eine  möglichst  gesicherte 
Lebensstellung  zu  schaffen  vermögen.  Der  Kurs  ist  auf  zehn  Teilnehmer, 
beschränkt,  die  sich  entweder  als  Interne  oder  auch  als  Exteraisten 
anmelden  können.  \ 

II.  Aufnahmsbedingungen. 

Zur  Aufnahme  ist  nebst  Begabung  eine  gediegene  musikalische 
Vorbildung  und  mit  Erfolg  absolvierte  Schulbildung  erforderlich.  Von 
einer  fremden  Anstalt  kommende  Aufnahmswerber  haben  sich  vor  dem 
Kursleiter  einer  Aufnahmsprüfung  zu  unterziehen,  bei  der  als  normale 
Leistung  Fertigkeit  im  Klavier-,  Orgel-  und  eventuell  Violinspiele,  sowie 
vollständige  Kenntnis  der  allgemeinen  Musiklehre  und  der  Braille'schen 
Notenschrift  verlangt  wird.  Unter  gleichen  Bedingungen  erhalten  Auf- 
nahmswerber der  eigenen  Anstalt  den  Vorzug. 

III.  Unterrichtsfächer.*) 

1.  Spezielle  Methodik  des  Klavier-  und  Violinunterrichtes  bei  der  Unterweisung 
sehender  Schüler  durch  blinde  Lehrer. 

Lehr  ziel:  Kenntnis  des  Tonschriftsystems  der  Sehenden,  Ver- 
ständnis für  die  Unterrichtstechnik  bei  der  Unterweisung  sehender 
Schüler  in  Klavier-  bezw.  Violinspiel,  Literaturkenntnis. 

Unterrichtszeit  für  alle  Teilnehmer  eine  Wochenstunde. 

2.  Katholische  Liturgik,  Choralgesang  und  Choralbegleitung. 

Lehr  ziel:  Kenntnis  der  katholischen  Liturgie,  insoweit  sie  den 
Chorregentendienst  betrifft.  Verständnis  für  das  Wesen  des  gregoriani- 
schen Chorals  und  Kenntnis  der  wichtigsten  Ghoralgesänge  und  ihrer 
Begleitungen.  Einführung  in  die  Literatur  der  katholischen  Kirchenmusik. 

Unterrichtszeit  für  alle  Teilnehmer  eine  Wochenstunde. 


*)  Sollten  sich  Teilnehmer  für  Gesangspädagogik  melden,  müßten  iur  dieses 
Fach  zwei  eigene  Wochenstunden  und  eine  Klavierunterrichtsstunde  in  den  Lehr- 
plan aufgenommen  werden. 


.Seite  1)90.  Zeilschrifl  für  das  österreichische   Bhndenweien.  9.   Nummer. 

3.  Harmonielehre. 

Lehiziel:  Kenntnis  der  Harmonien  und  der  Gesetze  ihrer  An- 
wendiingung.     Fertigkeit    im  Harmonisieren  und  Modulieren. 

Unterrichtszeit  für  alle  Teilnehmer  zwei  Wochenstunden. 

4.  Musikalische  Fortbildung  (Kontrapunkt  Formenlehre). 

Lehrziel:  Kenntnis  der  Gattungen  des  Kontrapunktes  und  der 
Formen  des  polyphonen  Satzes.  Melodiebildungslehre,  Liedform.  Die 
Formen  der  klassischen  Instrumental-  und  Vokalmusik. 

rnterrichtszeit  für  alle  Teilnehmer  zwei  Wochenstunden. 

5.  Geschichte  der  Musik  und  Organik. 

Lehrziel:  Einführung  in  die  Entwicklung  der  Tonkunst  vom 
Zeitalter  der  Griechen  bis  zur  Neuzeit.  Verständnis  für  den  Bau  und 
die  Geschichte  der  Instrumente. 

Unterrichtszeit  für  alle  Teilnehmer  zwei  Wochenstunden. 

6.  Literaturkunde. 

Lehrziel:  Einführung  in  das  Wesen  der  Poetik  und  in  die  Formen 
der  Dichtkunst.  .  Geschichte  der  deutschen  Literatur. 

Unterrichtszeit  für  alle  Teilnehmer  eine  Wochenstunde. 

7.  a  Orgelbaukunde. 

L  e  h  r  z  i  e  1 :  Kenntnis  der  verschiedenen  Orgelbausysteme.  Geschichte 
der  Orgel. 

Unterrichtszeit  für  alle  Teilnehmer  eine  Wochenstunde  während 
eines  Semesters. 

7  b  Hnstandslehre. 

Lehrziel:  Aneignung  guter  Umgangsformen. 

rnterrichtszeit  für  alle  Teilnehmer  eine  Wochenstunde. 

8.  Klavierspiel. 

a )  zum  weiteren  S  t  u  d  i  u  m. 
Lehr  ziel:  Kenntnis  aller  Tonleitern  in  Oktaven-.  Terzen-.  Sexten-, 
Dezimen-     und    Gegenbewegung,    in    Doppelterzen    und    Doppelsexten. 
Akkorde   in   kleiner  und  großer  Zerlegung.     Tadelloser  Vortrag  einstu- 
dierter Werke  schwierigeren  Grades. 

b)  zur  Vorbereitung  für  die  Praxis  des  S  a  1  o  n  p  i  a  n  i  s  t  e  n.    • 
Lehrziel:  Aneignung  einer  möglichst  großen  Auswahl  gediegener 
Tanzkompositionen,  Opernfragmente  und  Salonstücke. 

9.  Orgelspiel. 

a)  zum  weiteren  Studium. 
i> ehrziel:     Einführung    in    die    Werke    der    großen    Meister    der 
klassischen  und  modernen  Zeit.     Die  Kunst  des  freien  Spiels  im  Dienste 
der  Kirchenmusik. 

h  j  z  ur  V  o  r  b  e  r  e  i  t  u  n  g  f  ü  r  d  i  e  P  r  a  x  i  s  des  K  i  r  c  h  e  n  o  r  g  a  n  i  s  t  e  n. 

Lehrziel:    Beherrschung  möglichst  aller  in  der  Wiener  Diözese 

gebräuchlichen      Kirchenlieder,      Anleitung      zu      deren      selbständiger 


9.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Biindenwesen.  Seite  1191. 

Harmonisierung,  Aneignung  des  Chor-  und  Orgelsatzes  kirchenmusikalischer 
Werke  für  den  liturgischen  Gebrauch. 

10.  Violinspiel. 

Lehr  ziel:  Kenntnis  aller  Tonleitern,  Akkordzerlegungen  über  2, 
8,  bezw.  4-  Oktaven,  Tonleitern  in  Üoppelterzen  und  anderer  technischer 
Übungen.  Tadelloser  Vortrag  einstudierter  Werke  (Etüden  und  Konzert- 
stücke) schwierigen  Grades. 

Bemerkungen: 

Die  Unterrichtsstundenzahl  der  unter  8  und  10  genannten  Fächer 
(Klavier,  Violine)  hängt  von  der  Teilnehmerzahl  ab.  Die  Teilnehmer 
müssen  aus  jedem  dieser  Instrumentalfächer  2  Unterrichtsstunden 
wöchentlich  erhalten,  wobei  höchstens  2  Teilnehmer  in  einer  Lehrstunde 
vereinigt  werden  dürfen.  Diese  beiden  sollen  technisch  möglichst  auf 
einer  Stufe  stehen,  damit  in  der  gemeinsamen  Unterrichtsstunde  tun- 
lichst der  gleiche  Stoff  behandelt  werden  könne.  Auf  diese  Art  werden 
stets  beide  Schüler  beschäftigt,  weil  der  eine  abhört  während  der  andere 
spielt.  Wenn  es  die  Verhältnisse  jedoch  gestatten,  sollte  jeder  Teil- 
nehmer seine  eigenen  Instrumentalunterrichtsstunden  zugewiesen  erhalten. 
Beim  Orgelunterrichte  können  3  oder  auch  4  Schüler  in  einer  Unter- 
richtsstunde vereinigt  werden.  Der  Unterricht  wird  tunlichst  auf  Grund 
der  Punktnotenschrift  erteilt.  Allen  Teilnehmern  und  zwar  sowohl  den  inter- 
nen als  auch  den  externen  werden  Übungsstunden  in  genügender  Zahl  zu- 
gewiesen. Außerdem  wäre  es  wünschenswert,  wenn  die  Kursteilnehmer 
Gelegenheit  hätten,  unter  Führung  des  Kursleiters  sehende  Kinder  im 
Violin-,  bezw.  Klavier.spiel  zu  unterrichten.  Für  diesen  Zweck  sollen 
zwei  sehende  Kinder  als  Übungsschüler  gewonnen  werden.  Den  Kurs- 
teilnehmern wird  Gelegenheit  gegeben,  gute  Konzerte  und  kirchen- 
musikalische Aufführungen  zu  besuchen. 

IV.  Zeugnisse. 

Am  Schlüsse  des  Kurses  erhalten  jene  Teilnehmer,  die  einen  be- 
friedigenden Lehrerfolg  aufzuweisen  vermögen,  ein  seitens  der  Instituts- 
direktion und  der  Kursleitung  ausgestelltes  Frequentationszeugnis. 

V.  Gebühren. 

Bemittelte  Teilnehmer  zahlen  für  Unterricht,  Lehrmittel-  tnid  In- 
strumentalbenützung, Verpflegung  und  W^ohnung  im  Internate  einen 
seitens  der  Institutsdirektion  festzusetzenden  Betrag.  Diese  Gebühr  ist 
stets  mindestens  für  einen  Monat  im  vorhinein  zu  erlegen  und  wird 
unter  keiner  Bedindung  rücker.stattet.  Für  unbemittelte  Teilnehmer  der 
eigenen  Anstalt  ist  der  Kurs  unentgeltlich. 


Bemerkung:  Wir  veröffentlichen  vorstehenden  Entwurf,  der  die  Ausge- 
staltung, der  eine  gediegene  musikalische  Ausbildung  unserer  Blinden  zum  Ziele 
hat,  in  der  Hoffnung,  daii  seine  Verwirklichung  der  beste  Übergang  zu  der  so  not- 
wendige »Studienanstalt«  wäre,  deren  Lehrplan  ja  als  Hauptteil  die  musikalische 
Ausbildung  zu  umfassen  hätte. 


Seite  1192.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenvvesen.  9.  Nummer. 

Die  Blinden   Deutschösterreichs 

nach   Geschlecht,  Riter,  Bildungsgrad,  Beruf  usw. 

(Erhebungen  der   Yolkszähluna  des  Jahres   1910.) 

Die  Ergebnisse  der  Volkszählung  im  Jahre  1910  hinsichtlich  der 
Blinden  ganz  Österreichs  haben  wir  bereits  im  1.  Jahrgange  unserer 
,.Zeitschrift"  (1914)  veröffentlicht.  Es  sei  daraus  die  Gesamtzahl  der 
Blinden  in  den  Ländern  des  heutigen  Deutschösterreich  wiederholt, 
die  durch  den  Ab-  und  Zugang  an  Landgebieten  in  der  Summe  wohl 
keine  große  Änderung  erfahren  dürfte. 

Blinde 


Niederösterreich  1.240 

Oberösterreich  284 
Salzburg                                 .      104 

Steiermark  604 

Kärnten  132 

Tirol  362 

Vorarlberg  47 

Deutschösterreich  2.773  2.386  5.359  70 

Die  folgende  Übersicht  gewährt  Einblick  in  Geschlechtsverhältnis, 
Altersgliederung.  Betätigung.  Umgangssprache  und  Religion  der  Blinden. 

Geschlecht.  Deutschöste-rreich  weist  einen  geringen  Überschuß 
der  männlichen  gegenüber  den  weiblichen  auf.  In  Tirol,  Vorarlberg, 
Steiermark  und  Salzburg  tritt  dieses  Übergewicht  deutlich  hervor.  Die 
Disposition  zur  Erblindung  bei  den  Geschlechtern  ist  verschieden,  be- 
steht beim  männlichen  Geschlechte  mehr  als  beim  weiblichen. 

Alter.  Die  Verteilung  der  Blinden  auf  die  verschiedenen  Alters- 
stufen war  folgende: 


eibl. 

zusammen 

auf  100.000 
Einwohner 

284 

2.524 

71.5 

280 

564 

66 

74 

178 

83 

493 

1.097 

76 

154 

286 

72-5 

266 

628 

66 

35 

82 

56 

männl. 

weibl. 

zusammen 

Bis  zu  5 

Jahren 

71 

72 

143 

6.— 13. 

Jahr 

195 

168 

363 

14.— 19. 

152 

132 

284 

20.— 29. 

V 

272 

178 

450 

30.— 39. 

292 

196 

'488 

40.— 49. 

5! 

341 

242 

583 ' 

50.— 59. 

?• 

373 

326 

699 

60.— 69. 

55 

445 

4-86 

931 

70.— 79. 

5' 

i85 

553 

1.038 

80.-89. 

5' 

227 

318 

545 

über  89. 

2i 

30 

54 

Die  Zahlen  sind  entnommen  der  Abhandlung  von  Dr.  V.  Geh r mann:  Die 
Blinden  und  Taubstummen  in  Österreich  am  Ende  des  Jahres  1910.  (Stat. 
Monatsschrift,  3.  Folge,  1.  Jahrgang  Heft  1  —  4,  Wien  1919,  Staatsdruckerei.) 


Q.   Nummer.  Zeilschrift  für  da.-s  österreichische  lilindenwesen.  Seite  1193. 

In  den  niederen  Altersstufen  überwiegt  die  Zahl  der  männlichen, 
in  den  höheren  die  Zahl  der  weiblichen  Blinden.  Die  weiblichen 
Blinden  weisen  also  eine  größere  Lebensdauer  als  die  männlichen  auf. 
Die  große  Zahl  der  Blinden  in  den  Jahren  von  50  bis  80  ist  auf  die 
Altersblindheit  zurückzuführen,  die  bei  Weibern  viel  häufiger  als  bei 
Männern  auftritt.  Deutschösterreich  beherbergt  verhältnismäßig  einen 
sehr  hohen  Teil  der  blinden  Kinder  bis  zum  6.  Lebensjahre  (33-4  o/^), 
ferner  sehr  viele  Blinde  vom  60.  bis  69.  Lebensjahr  (29-5  %)  und  noch 
ältere  (31-2  »/o)- 

Im  Kindergarten-  und  Schulbildungsalter  (4. — 14.  Lebensjahr) 
standen  476  (255  m.  und  221  w.)  im  Berufsbildungsalter  (15. — 19. 
Lebensjahr)  225  (121  m.  und  104  w.),  im  Alter  der  Berufsmöglichkeit 
(20. — ^54.  Lebensjahr)  1.841  (1.082  m.  und  759  w.),  im  Versorgungsalter 
(über  54  Jahre)  2.947  (1.377  m.  und  1570  w.) 

Die  Zählung  ergab  701  erziehungs  bedürft  ige  Blinde, 
voji  denen  54-9  %  Erziehung  und  Unterricht  auch  wirklich 
genossen.  Im  Alter  der  Berufsmöglichkeit  standen  1.841 
Blinde,  die  zum  größten  Teil  keiner  Fürsorge  teilhaftig 
werden.  Das  traurigste  Kapitel  ist  jedoch  die  Altersver- 
sorgung, da  nur  ein  sehr  geringer  Teil  einer  Anstalts pflege 
teilhaftig  wird. 

Bildungsgrad.  Die  Grundlagen  jeglicher  Bildung,  nämlich  die 
Kenntnis  des  Lesens  und  Schreibens,  sind  bei  den  Blinden  der  einzelnen 
Länder  sehr  verschieden  verbreitet.  Wir  finden  überall  mehr 
Blinde,  denen  die  Kenntnis  des  Schreibens  und  Lesens 
m  a  ri  g  e  1 1  (60'6  "/o)  alssolche,  die  über  diese  Elementarbildung 
verfügen.  (39'4  ^/o)-  Nur  Wien  macht  eine  Ausnahme,  allerdings  nur 
für  das  männliche,  nicht  aber  auch  für  das  weibliche  Geschlecht. 
Blinde,  die  nur  lesen  aber  nicht  schreiben  können,  sind  selten.  Ent- 
weder sie  können  lesen  und  schreiben  oder  sie  sind  Analphabeten. 

Berufstätigkeit.  Nach  der  Berufstätigkeit  wurden  die  Blinden 
in  vier  Klassen  gezählt  und  zwar  A  —  Land-  und  Forstwirtschaft,  B 
—  Industrie  und  Gewerbe,  G  —  Handel  und  Verkehr,  D  —  öffentliche 
Dienste,  freie  Berufe  u.  a.  Hiebei  kann  wohl  kein  greifbarer  Rück- 
schluß auf  die  Berufstätigkeit  der  Blinden  gemacht  werden,  da  die  vielen 
Spätererblindeten  jenen  Beruf  angaben,  den  sie  vor  ihrer  Erblindung 
ausabten. 

Nach  den  Ergebnissen  wären  die  meisten  Blinden  in  der  Gruppe 
D  zu  finden,  dann  würde  mit  ungefähr  derselben  Zahl  die  Gruppen  B 
und  A  folgen.  Die  kleinste  Zahl  der  Blinden  weist  die  Gruppe  G  auf. 
Natürlich  verschieben  sich  die  Zahlen  inbezug  auf  Land  und  Stadt.  So 
weist  Wien  in  A  nur  6  (4  m.  und  2  w.),  in  B  370  (217  m.  und  153  w.) 
in  G  218  (88  m.  und  130  w.),  in  D  sogar  1.058  (476  m.  und  582  w.) 
auf.  Wer  die  tatsächlichen  Verhältnisse  kennt,  findet  diese  Zahlen  weit 
übertrieben.  Die  Erklärung  ergibt  sich  nur  daraus,  daß  die  Blinden  bei 
der  Zählung  nicht  gerne  beruflos  erscheinen  wollten  und  in  den  obigen 
Zahlen  auch  Blinde  ohne  eigenen  Hauptberuf  eingeschlossen  sind. 

Die  Blinden  der  Berufsklasse  A  sind  annähernd  zur  Hälfte  erwerbs- 
tätig, zur  anderen  Hälfte  werden  sie  erhalten.     In  Gruppe  B  überwiegen 


Seite  1194.  Zeitschrift  für  das  österreichibche  BlindenwcLen.  9    Nummer. 

die  Erwerbstätigen  die  Erhaltenen,  ebenso  in  Gruppe  C  und  D.  Von 
den  berufstätigen  Blinden  war  die  Mehrzahl,  nahezu  3/^,  männlich.  Be- 
sonders stark  vertreten  sind  die  Männer  in  Industrie  und  Gewerbe,  am 
schwächsten  in  Gruppe  D.  Die  Blinden  weiblichen  Geschlechtes  waren 
zur  weitaus  größeren  Hälfte  berufslose  Selbständige  (Gruppe  D). 

Gebürtigkeit.  Die  meisten  Blinden  sind  im  Inlande  geboren, 
Die  Zahl  der  im  Auslande  geborenen  Blinden  ist  sehr  gering,  wobei 
das  weibliche  Geschlecht  überwiegt.  Eine  verhältnismäßig  große  An- 
ziehungskraft für  blinde  In-  und  Ausländer  als  Ziel  ihrer  Wanderung 
übt  Wien  aus,  während  ansonsten  die  Wanderbewegung  keine  nennens- 
werte ist.  In  Wien  lebten  1.462  blinde  Inländer  und  190  Ausländer,  in 
ganz  Deutschösterreich  (mit  Wien)  5.286    Inländer    und  292  Ausländer. 

Umgangssprache.  Wien  wies  fast  nur  deutsch.sprechende  Blinde 
auf  und  zwar  1.473  gegenüber  48  tschecho-slowakischen,  4  polnischen 
1  slovenischen,  1  italienischen  und  125  staatsfremden  Blinden  auf.  In 
Deutschösterreich  (mit  Wien)  fanden  sich  4.601  Deutsche,  71  Tschecho- 
Slowaken,  4  Polen^  406  Slowenen.  803  Italiener  und  193  Staatsfremde. 
(Tschecho-slowakische,  slowenische  und  italienische  Blinde  dürfen  in 
der  Gegenwart     Deutschösterreich  wohl    nicht  mehr  zugezählt  werden.) 

Religionsbekenntnis.  Entsprechend  der  Zugehörigkeit  aller 
Einwohner  zu  den  einzelnen  Bekenntnissen  ist  die  überwiegende  Mehr- 
heit der  Blinden  römisch-katholisch  und  zwar  5.254  in  Deutschösterreich, 
davon  in  Wien  1.384.  Evangelisch  sind  in  Deutschösterreich  77,  davon 
in  Wien  32.  Verhältnismäßig  groß  ist  die  Zahl  der  jüdischen  Blinden 
in  Wien  233.  (Sonst  in  Deutschösterreich  nur  noch  6.)  Dies  mag  seine 
Ursache  darin  haben,  daß  sich  einerseits  in  Wien  ein  israelitisches 
Blindeninstitut  befindet,  andererseits  hauptsächlich  Juden  aus  dem  Osten 
nach  Wien  kommen,  um  hier  wegen  Augenleiden  Behandlung  zu  finden. 
Andere  Bekenntnisse  kommen  nur  in  verschwindenden  Zahlen  vor. 

Haushaltungs  zu  gehörigkeit  und  Stellung  im  Haus- 
halte. Die  meisten  Blinden  leben  in  ihrer  Familie;  nur  ein  sehr 
kleiner  Teil  lebt  im  Haushalte  einer  fremden  Familie.  Bei  der  städti- 
schen Bevölkerung  kommt  es  noch  eher  zur  Emanzipation  eines 
Familienmitgliedes,  zum  Anschlüsse  an  eine  fremde  Familie.  Es  gibt 
1.411  blinde  Haushalt^ngsvorstände,  davon  naturgemäß  die  meisten 
männlichen  Geschlechtes,  774  Kinder  und  1.664  sonstige  Familienange- 
hörige, In  Erziehungs-  und  Unterrichtsanstalten  befanden  sich  294,  in 
Spitälern,  Heil-  und  Findelanstalten  119,  in  Armen-,  Siechen-,  und  Ver- 
sorgungshäusern 555,  in  sonstigen  Anstalten  81  Blinde,  zusammen  also 
1.049  Anstaltsinsassen.  Wien,  in  welcher  Stadt  sich  die  meisten  Blinden 
im  13.  Bezirk  (224),  im  2.  Bezirk  (145),  im  8.  Bezirk  (114)  und  im  16. 
Bezirk  (109)  aufhalten,  lebten  461  anwesende  Haushaltungsvorstände, 
139  Ehegattinnen,  217  Kinder,  266  sonstige  Familienangehörige,  6  Pflege- 
kinder, 6  Dienstboten,  7  vom  landwirtschaftlichen  und  gewerblichen 
Gesinde,  167  Aftermieter,  deren  Familienmitglieder  und  Bettgeher,  24 
sonstige,  an  der  Haushaltung  teilnehmende  Personen,  insgesamt  1.293 
blinde  Haushaltungsmitglieder.  In  den  Wiener  Erziehungs-  und  Unter- 
richtsanstalten waren  82  untergebracht,  in  Spitälern,  Heil-  und  Findel- 
anstalten 32,  in  Armen-,  Siechen-  und  Versorgungshäusern  205,  in  son- 
stigen Anstalten  40,  zusammen  359  erziehungs-  und  versorgungsbedürf- 
lige  BHnde. 


9.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1195. 

Die  Geschäftsordnung  für  die  ständige  Blindenfürsorgekommssion 
im  D.-ö.  Staatsamte  für  soziale  Verwaltung. 

§  1- 

(1)  Im  Interesse  einer  grundsätzlich  übereinstimmenden  und  allen 
Bedürfnissen  entsprechenden  Behandlung  der  Blindenfürsorge  sowie  zur 
raschen  Herstellung  des  Einvernehmens  mit  den  beteiligten  Staatsämtern 
und  den  Landesregierungen  wird  im  D.-ö.  Staatsamte  für  soziale  Ver- 
waltung eine  ständige  Blindenfürsorgekommission  unter  Mitwirkung  der 
Vertreter  der  Blinden  gebildet. 

(2)  Der  gutachtlichen  Beratung  dieser  Kommission  sollten  nament- 
lich unterliegen: 

a)  alle  Angelegenheiten,  die  grundsätzliche  Fragen  der  Blinden 
betreffen. 

b)  Angelegenheiten  der  Gesetzgebung  auf  dem  Gebiete  der 
Blindenfürsorge. 

§  2. 
Die  Komndssion  ist  in  folgender  Weise  zusammengesetzt: 
^  1.  Den  Vorsitz    in    der  Kommission    führt    der   Staatssekretär   für 

k-  soziale  Verwaltung  oder  in  seiner  Vertretung  der  Leiter  oder  ein  anderer 
Beamter  der  zuständigen  Sektion  im  D.-ö.  Staatsamte  für  soziale  Ver- 
waltung. 

2.  Das  D.-ö.  Staatsamt  für  soziale  Verwaltung  ist  außer  dem  Vor- 
sitzenden durch  einen  weiteren  Beamten  vertreten. 

3.  Soweit  am  Verhandlungsgegenstande  andere  Staatsämter  beteiligt 
sind,  entsenden  auch  diese  Vertreter. 

4.  Das  Staatsamt  für  soziale  Verwaltung  bestellt  als  ständiges 
Kommissionsmitglied  mit  beschließender  Stimme  einen  Fachmann  für 
das  Blindenschrift-  und  Bibliothekswesen  nebst  einem  Ersatzmanne  aus 
dem  Kreise  der  Blinden.  Im  Falle  eines  notwendigen  Wechsels  einer 
dieser  beiden  Personen  erfolgt  die  Einberufung  des  Nachfolgers  nach 
Anhörung  der  ständigen  Blindenfürsorgekommission. 

5.  Ferner  gehören  der  Kommission  nach  Maßgabe  der  folgenden 
Bestimmungen  Vertreter  an:         / 

a)  der  Blindenbildungsanstalten. 

b)  der  organisierten  Arbeitsstätten  für  Blinde. 

c)  der  Versorgungsanstalten  und  Heime. 

d)  des  Zentralvereines  für  das  D.-ö.  Blindenwesen. 

e)  und  jener  vom  Staatsamte  für  soziale  Verwaltung  zu  be- 
stimmenden Vereine,  in  welchen  Blinde  auf  Grundlage  der 
Selbsthilfe  zusammengeschlossen  sind. 

Im  Zweifel  über  die  Zulassung  schon  bestehender  oder 
neu  zu  gründender  Einrichtungen  und  Organisationen  der  sub 
lit.  a)  bis  e)  bezeichneten  Art  zur  Vertretung  in  der  Kommis- 
sion entscheidet  das  Staatsamt  für  soziale  Verwaltung  nach 
Anhörung  der  ständigen  Blindenfürsorgekommission. 


Seite  1196.  Zeitschrift  für  das  österreichische   Blindenwesen.  9.  Nummer. 

Die  Vertretung  aller  dieser  sub  lit.  a)  bis  e)  genannten 
Stellen  erfolgt  durch  Entsendung  ständiger  Vertreter  und 
Ersatzmänner,  welche  so  lange  als  bevollmächtigt  gelten,  als 
nicht  von  Seite  der  beteiligten  Faktoren  eine  Abberufung 
unter  Namhaftmachung  von  neuen  Vertretern  (Ersatzmännern) 
verfügt  wird. 

Anstalten,  welche  sowohl  der  Versorgung  als  auch  dem 
Unterricht  unter  einheitlicher  Leitung  dienen,  können  in  der 
Kommission  nur  eine  einfache  Vertretung  (Vertreter,  Ersatz- 
mann) erhalten. 

6.  Sonstige  Fachleute  können  mit  beratender  Stimme  beigezogen 
und  insbesondere  auch  von  den  im  Punkt  5  genannten  Fürsorgeein- 
richtungen und  Korporationen  dem  D.-ö.  Staatsamte  für  soziale  Ver- 
waltung behufs  Zuziehung  zu  den  Verhandlungen  fallweise  oder  auch 
listenweise  in  Vorschlag  gebracht  werden. 

§  3. 

(1)  Die  Einladung  zu  einer  Sitzung  soll  sämtlichen  beteiligten 
Stellen  rechtzeitig  zukommen.  Bei  besonders  wichtigen,  insbesondere 
bei  legislativen  Gegenständen  sollen  die  Einladungen  wenigstens  8  Tage 
vor  der  Sitzung  den  Kommissionsmitgliedern  zugehen. 

(2)  Der  P^inladung  sind  die  Anträge  des  Berichterstatters  samt 
allfälljger  Begründung  anzuschließen. 

§  4-. 

In  der  Einladung  zur  Sitzung  ist  anzugeben,  an  welchen  Tagen, 
zu  welchen  Stunden  und  an  welchem  Orte  die  Akten  der  Beratungs- 
gegenstände eingesehen  werden  können. 


(1)  Das  Referat  in  der  Sitzung  führt  der  Vertreter  des  Staatsamtes, 
in  dessen  Wirkungskreis  die  Angelegenheit  fällt. 

(2)  BetritTt  das  Referat  einen  seitens  der  organisierten  Blinden 
gestellten  Antrag,  so  kann  von  einem  ihrer  Vertrauensmänner  ein  Kor- 
referat erstattet  werden. 

§  6.  •  ■ 

(1)  In  der  Sitzung  hat  jedes  Mitglied  eine  Stinnne.    • 

(2)  Die  Kommission  ist  beschlußfähig,  wenn  minde.stens  die  Hälfte 
der  geladenen  Mitglieder  vertreten  ist,  doch  können  auswärtige  Kom- 
missionsmitglieder, welche  aus  triftigen  Gründen  am  persönlichen  Er- 
scheinen verhindert  sind,  mit  ihrer  Vertretung  oder  auch  der  Stimm- 
abgabe fallweise  ein  anderes  Kommissionsmitglied  betrauen. 

(3)  Die  Beschlüsse  der  Kommission  werden  mit  einfacher  Stimmen- 
mehrheit gefaßt.  Kommt  ein  einhelliger  Beschluß  nicht  zustande,  so 
steht  es  jedem  überstimmten  Kommissionsmitglied  frei,  gegen  den  ge- 
faßten Beschluß  mit  der  Wirkung  Einsprache  zu  erheben,  daß  dieser 
Einspruch  in  einem  Beisatze  zum  Beschlüsse  zum  Ausdrucke  gebracht 
werde. 


9.  Nummer.  Zeitschrilt  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1197. 

§  7. 

Wenn  eine  Stelle  ungeachtet  gehöriger  Einladung  ohne  Angabe 
von  Gründen  unvertreten  bleibt  und  nicht  vor  der  Sitzung  schriftlich 
eine  Einwendung  erhoben  hat,  so  gilt  dies  als  Erklärung,  daß  diese 
Stelle  sich  an  den  auf  der  Tagesordnung  stehenden  Angelegenheiten 
nicht  für  beteiligt  erachtet. 


(1)  Die  Vertreter  der  Staatsämter  sind  bevollmächtigt,  in  deren 
Namen  endgültige  Erklärungen  über  die  Verhandlungsgegenstände  ab- 
zugeben. Die  Abstimmung  über  Anträge,  die  nicht  rechtzeitig  (§  3)  vor 
der  Sitzung  bekanntgegeben  worden  sind,  ist  jedoch  auf  Verlangen  des 
Vertreters  eines  beteiligten  Staatsamtes  bis  zur  nächsten  Sitzung  zu 
zu  verschieben.  Das  Gleiche  gilt,  wenn  in  der  Sitzung  selbst  wesent- 
liche Abänderungen  beantragt  oder  neue  Anträge  gestellt  werden,  die 
nicht  in  den  schriftlich  bekanntgegebenen  Anträgen  enthalten  sind. 

(2)  Aus  wichtigen  Gründen  kann  auch  bei  rechtzeitiger  Mitteilung 
der  Anträge  auf  Antrag  eines  Vertreters  die  Absetzung  des  Gegenstandes 
von  der  Tagesordnung  oder  die  Vertagung  der  Abst'mmung  auf  die 
näch.ste  Sitzung  beschlossen  werden. 

§  9. 

(1)  Über  die  Sitzung  ist  ein  Protokoll  zu  führen,  das  sämtliche 
Beschlüsse  im  Wortlaut  und,  wenn  es  zu  einer  förmlichen  Abstimmung 
kommt,  auch  die  Abstimmung  der  einzelnen  Kommissionsmitglieder 
sowie  die  Darstellung  des  wesentlichen  Verhandlung.sverlaufes  zu  ent- 
halten hat. 

(2)  Das  Protokoll  oder  eine  Abschrift  desselben  wird  sämtlichen 
Stellen  zur  Einsicht  offen  gehalten. 

§  10. 

Die  Verwertung  der  Beschlüsse  obliegt  dem  Staatsamte,  in  dessen 
Wirkungskreis  der  Gegenstand  fällt. 

§  11. 

(1)  Der  ständigen  Blindenfürsorgekommission  bleibt  es  vorbehalten, 
zur  Vorbereitung  oder  Verhandlung  der  einer  Beratung  im  engeren 
Kreise  bedürfenden  Verhandlungsgegenstände  ständig  oder  fallweise 
Ausschüsse  einzusetzen,  in  denen  außer  wenigstens  einem  Vertreter  der 
zuständigen  Sektion  des  Staatsamtes  für  soziale  Verwaltung  und  einer 
entsprechenden  Anzahl  von  Blindenvertretern  nur  die  beteiligten  Staats- 
ämter vertreten  sind. 

(2)  Solchen  Ausschüssen  können  Angelegenheiten,  die  den  Wir- 
kungskreis bloß  einiger  Staatsämter  berühren,  zur  Erledigung  überwiesen 
werden,  über  welche  erforderlichenfalls  an  die  ständige  Blindenfürsorge- 
kommission zu  berichten  ist. 

(3)  Im  übrigen  gelten  für  die  Ausschüsse  sinngemäß  die  Bestim- 
mungen dieser  Geschäftsordnung. 

Der  Staatssekretär  für  soziale  Verwaltung: 
Hanusch  m.  p. 


Seite  il98-  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  9.  Nummer. 

Personalnachrichten. 

—  Auszeichnung.  Dem  Lehrer  der  n.  ö.  Landes=Blindenanstalt  Georg 
Posch,  Oberleutnant  i.  d.  Res.  wurde  das  Signum  laudis  mit  den  Schwertern  für 
tapfere  und  erfolgreiche  Dienstleistung  vor  dem  Feinde  verliehen. 

—  Die  Lehrer  K.  Nemec,  F.  Bodo  und  A.  Kaiser  verlassen  mit  Beginn 
des  Schuljahres  1919/20  die  n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf,  der  sie 
während  des  abgelaufenen  Schuljahres  aushilfsweise  zugeteilt  waren. 


Aus  den  Anstalten. 

—  N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  Jahresbericht. 
Der  n.  ö.  Landesverwaltung  gebührt  als  Erhalter  der  Anstalt  das  Verdienst,  den 
Bestand  der  Anstalt  auch  im  abgelaufenen  Schuljahr  1918/19  gesichert  und  nichts 
verabsäumt  zu  haben,  um  deren  Weiterbetrieb  zu  ermöglichen.  Die  Erhaltungs- 
kosten sind  namentlich  in  letzter  Zeit  ins  Ungemessene  gestiegen  und  immer  wieder 
machen  sich  Forderungen,  namentlich  inbezug  auf  Verpflegung  und  Besoldungs- 
verhältnisse der  Bediensteten  geltend.  Bei  dem  Wohlwollen,  welches  die  Landes- 
verwaltung stets  der  Erziehung  und  dem  Unterrichte  der  blinden  Kinder  entgegen- 
brachte, ist  auch  in  der  Zukunft  die  Hoffnung  auf  eine  glückliche  Lösung  aller  noch 
auftauchenden  Fragen  gerechtteitigt. 

Während  des  Schuljahres  1918/19  hatte  die  Anstalt  einen  Höchststand  von 
99  Zöglingen.  Der  Unterricht  nahm  bis  auf  eine  14  tägige  Unterbrechung  durch  die 
Grippe  einen  ungestörten  Verlauf.  Inbezug  auf  die  Ernährung  der  Zöglinge  gestal- 
teten sich  die  Wintermonate  sehr  kritisch.  Eine  wesentliche  Besserung  trat  erst 
IVIitte  Juni  1919  ein,  da  es  zu  diesem  Zeitpunkte  möglich  wurde,  sämtlichen  Zög- 
lingen ein  reichliches  und  gutes  Mittagessen  durch  das  »Amerikanische  Kinde r- 
hilfswerk«  zu  erwirken. 

Außerdem  wurden  in  der  Anstaltsküche  200  Ortskinder  mit  den  Mitteln 
dieser  Mission  ausgespeist.  Während  der  Sommerferien  beherbergte  die  Anstalt  eine 
Ferienkolonie  sehender  Kinder. 

Der  Bericht  enthält  in  der  Einleitung  einen  Artikel  »Die  Anstalt  während  des 
Weltkrieges«,  welcher  die  mustergültige  Leitung  dieses  Blindenfürsorgewerkes 
ersehen  läßt. 

—  Wohltätigkeitsveranstaltung.  Zugunsten  der  Blindenfürsorge  ver- 
anstaltete Schriftsteller  F.  Brigg-Brod trager  am  3.  August  I.  J.  eine  Vorlesung 
eigener  und  fremder  Dichtungen,  bei  welcher  den  musikalischen  Teil  Frl.  Mizzi 
Büllik  (Violine),  Frl.  Helene  Andreß  (Gesang)  und  Opernsänger  A.  Weltner 
(Gesang)  in  liebenswürdigster  Weise  und  mit  großem  Erfolge  besorgten. 

—  Asyl  für  blinde  Kinder  in  Wien  XVII.  Auch  im  Jahre  1918  konnte 
trotz  der  sich  immer  höher  auftürmenden  Schwierigkeiten  das  Asyl  seine  Pforten 
für  die  armen  blinden  Kinder  (23  an  der  Zahl)  offen  halten  und  ihnen  in  den  Stürmen 
der  Zeit  eine  gesicherte  und  ruhevolle  Heimstätte  bieten.  Die  Fortführung  des 
Betriebes  war  aber  nicht  nur  mit  einer  andauernden  und  kaum  mehr  erträglichen 
Steigerung  der  Erhaltungskosten  verbunden,  sondern  stellte  an  die  Leitung  des  Asyls 
wie  an  die  Pflegepersonen  desselben  die  höchsten  Anforderungen. 

Die  schwierige  Lage,  in  welche  sich  der  »Verein  der  Kinder-  und  Jugend- 
freunde« durch  die  Ungunst  der  Zeitverhältnisse  versetzt  sieht,  läßt  die  Bitte  an  alle 
Wohltäter  und  Menschenfreunde  doppelt  berechtigt  erscheinen,  durch  Zuwendung 
von  Spenden  und  Legaten,  die  Fortführung  des  »Asyls  für  blinde  Kinder«  auch 
in  der  Zukunft  zu  sichern. 

Die  Vereinsleitung  betrauerte  im  Berichtsjahre  den  Hingang  des  langjährigen 
Obmannes,  Buchdruckereibesitzers  Rudolf  Spies.  Als  erfreuliches  Ereignis  ist  die 
glückliche  Wiederkehr  unseres  ärztlichen  Vereinskonsulenten  Dr.  Hugo  Gerber 
aus  mehrjähriger  russischer  Kriegsgefangenschaft  zu  vei  zeichnen.  Die  finanzielle 
Gebarung  des  Jahres  1918  schließt  mit  einem  Mehrbedarfe  von  K  17.263  zu  dessen 
Deckung  der  Stammfonds  herangezogen  werden  mußte. 


Herausgeber:     Zeatralvereia   für  das  österreichische  Blindenwesen   in   Wien.     RedaktionsUomitee:   K.   Biirklen, 
J.  Kneis,   A.     .  HorTath,   F.  Uhl.   —  Dnick   Ton    Adolf  Englisch,    Purkersdorf  hei   Wien. 


flus  den  Vereinen. 

—  Hl  in  den  fürsorgeverein  für  Tirol  und  Vorarlberg.  Die  dermaligen 
Verhältnisse  haben  den  Ausschuß  veranlaßt,  die  künftige  Einrichtung  des  Institutes 
in  eingehende  Ei  wägung  zu  ziehen.  Zunächst  scheint  der  Fortbestand  einer 
Institutsschule  mit  drei  aufsteigenden  Klassen  bei  der  nunmehr  verringerten  Zahl 
der  Zöglinge  nicht  mehr  notwendig  und  bei  den  beschränkten  Mitteln  des  Vereines 
wäre~n  die  Auslagen  für*  eine  derartige  Schuleinrichtung  nicht  mehr  gerechtfertigt. 
Vom  Schuljahr  ]  91 9/20  ab  wird  deshalb  eine  zweiklassige  Schule  mit  den  hierfür 
notwendigen  Lehrpersonale  eingerichtet ;  der  Bestand  einer  solchen  Schule  ist  mit 
den  bisherigen  Einkünften  vollkommen  gesichert.  Ebenso  ist  der  Fortbestand  der 
Werkstätte  für  Bürstenbinden  und  Sesselflechten  gesichert,  der  Betrieb  bleibt,  so- 
weit ausreichendes  Rohmaterial  erhältlich  ist,  aufrecht.  Die  Leitung  der  Schule 
wird  nach  §  10  der  Satzungen  als  unentgeltliches  Ehrenamt  besorgt.  Dem  abtreten- 
den Direktor  der  Schule  Vinatzer  hat  die  Vereinsleitung  für  die  in  der  Blinden- 
fürsorge durch  volle  12  Jahre  geleisteten  vorzüglichen  Dienste  den  wärmsten  Dank 
ausgesprochen.  Wenn  sich  die  Notwendigkeit  ergibt  und  entsprechende  Mittel 
zufließen,  wird  der  Verein  über  Ausschußbeschluß  seine  Fürsorge  nach  §  10  der 
Satzungen  auch  auf  blinde  Kinder  im  vorschulpflichtigen  Alter,  auf  Zöglinge,  die  der 
Schulpflicht  entwachsen  sind  und  Kriegsblinde  ausdehnen. 


Für  unsere  Kriegsblinden. 

—  Über  hundert  Kriegsblinde  in  eigenen  Heimstätten.  Bei  de" 
Generalversammlung  des  Vereines  »Kriegsblindenheimstätte«  erklärte  de- 
Präsident  H.  Grimm,  daß  wohl  seit  Errichtung  der  neuen  Republik  nur  meh- 
Deutschösterreicher  in  Versorgung  genommen  würden,  daß  aber  deswegen  doch 
auch  die  schon  eingegangenen  Verpflichtungen  gegenüber  Schützlingen  anderer 
Nationalitäten  eingehalten  werden  müßten.  Im  Jahre  1918  liefen  an  Beiträgen  und 
Spenden  840.000  K  ein,  so  daß  das  Sammelergebnis  am  Ende  des  Berichtsjahres 
die  Höhe  von  4.282,000  K.  erreicht  hat.  Im  dritten  Vereinsjahre  wurden  für 
weitere  46  Kriegsblinde  Heimstätten  in  ihrer  Heimat  käuflich  erworben,  so  daß  bis 
Ende  19l8  insgesamt  109  Kriegsblinde  in  eigenen  Heimstätten  angesiedelt  wurden. 
Den  übrigen  Kriegsblinden,  für  welche  eine  Erwerbung  von  Heimstätten  vorläufig 
aus  verschiedenen  Gründen  nicht  durchführbar  war,  wurden  die  zum  künftigen  Er- 
werbe von  Heimstätten  bestimmten  Geldbeträge  zuerkannt  und  bereitgestellt  und 
ihnen  der  Zinsengenuß  dieser  Kapitalsrücklagen  als  Wohnungsbeitrag  zugebilligt. 
Auf  diese  Art  wurde  insgesamt  bis  Ende  1918  für  419  Kriegsblinde  vorgesorgt.  Die 
Gesamtausgaben  für  den  Erwerb  von  Heimstätten  uud  für  die  Darlehensgewährung 
zur  Erweiterung  oder  Entschuldung  eigener  Anwesen  der  Kriegsblinden  erreichten 
bis  Ende  1918  den  Betrag  von  1,075.000  K.  Für  späteren  Heimstättenerwerb  wurden 
insgesamt  3,538.000  K  bereitgestellt.  Für  beide  Zwecke  wurden  rund  500.000  K 
durch  Beiträge  anderer  Füi sorgestellen  aufgebracht,  davon  459.000  K  durch  die 
Landeskommission  für  Kriegsbeschädigte  in  Prag.  Für  4,100.000  K  hat  der  Verein 
aufzukommen.  Die  Kapitalsrückstellungen  finden  zum  größten  Teil  ihre  Deckung 
in  dem  Besitze  des  Vereines  an  österreichischer  Kriegsanleihe.  Die  Flüssigmachung 
■der  den  Kriegsblinden  zugesicherten  Beträge  hängt  daher  wesentlich  von  dem 
weiteren  Schicksal  der  Kriegsanleihe  ab. 

—  Kriegsblindenstiftung.  Das  »Beiblatt  zum  Verordnungsblatt  für 
das  Heer«  schreibt  folgende  Stiftung  aus:  6  Plätze  der  von  Generalmajor  Kletus 
Pich  1er  angeregten  Stiftung  der  Quartiermeisterabteilung  des  ehemaligen  I.  Armee- 
kommandos (250  K)  für  im  Kriegsdienst  erblindete  Gagisten  und  Mannschafts- 
personen. 

Mitteilung. 

—  Zentralverein  für  das  österreichische  Blinden wesen.  Die  p.  t. 
Ausschußmitglieder  werden  zu  der  am  Freitag,  den  19.  September  I.  J.  in  der  Ver- 
sorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  für  erwachsene  Blinde  in  Wien  VIII,  Josef- 
städterstraße 80  stattfindenden  Ausschußsitzung  höflichst  eingeladen.  Tages- 
ordnung: Mitteilungen.  Kassabericht.  Blindenfürsorgekommission.  Seminar  für  ijeil- 
pädagogik.  Generalversammlung.  Verschiedenes. 


Die  GERDA -SCHREIBMASCHINI 

für  Kriegsbeschädigte  und  Blinde 

gestattet  dem  Sehenden  wie  dem  Blinden,  insbesondere  aber  vor  beidei 
den   Einarmigigen    ihre    kleine  Korrespondenz    leicht    und    schnell    zi 

erledigen.   Dieses  einfachsten  Hilfsmittels  sollte  sich  jeder  bedienen. 
Man  verlange  Prospekt  von  M.  Butze,  Riesa  a.  d.  Elbe.,  Bismarkstraße  15  aJ 

„ASYL  FÜR  BLINDE  KINDER"' 

Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im   vorschulpflichtigen   Alter  aus  allen   österreichi- 
schen Kronländern   auf.  Nähere  Auskünfte   durch  die  Leitung. 

Die  „Zentralbibliotheh  fp  Blinde  in  Östepreicli", 

Wien  XVIII,  Währinger  GUrtel  136, 


verleiht  ihre   Bücher  kostenlos  an  alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

„DIE  PURKERSDORFER" 

\A^ien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  Uiiterslützuiii;  Minder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  tiir  Blinde.  Erhaltung 
der  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


Der  blinde  Modelleur  ■ 


Littau  in  Mähren, 

empH«hlt  seine  zu  Geschenken  sich 
:  vorzüf^lich  eignenden  kerarhischen  : 
Handarbeiten.  Nähere  Auskunft  brieflich. 


ProduhtiugenossBnsctioft  für  Ijünde 
Bürstenbinder  und  Korbflechter. 

G.  in.  b.  H. 

Wien  VIII.,   Floriani^asse  Np.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

Alle  Gattungen  Bürstenbinder-  u.  Korbllecliterwaren, 
Verkaufsstelle:    Wien  VII.,   Neubau^Sasse  75. 


Musilifliien  -  Leiiiinstitut 

des  BUnden-Unlerstützungsveieines 
»Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V., 
:  —  :    Nikolsdorfergasse  Nr.  42.   :  — : 


(S 


ßlindendruckiioteii    werden    an      j^| 
Blinde  unentj^eltlich  verliehen  I      l^J 


II 


von  Oskar  Picht. 

Bromherg. 


W.  Kraus,  Berlin  N  54 

(Gegründet  1878.) 

Borsten-,  Rohmaterialien-  und  Wericzeug-Fabriic 
===^===    Bürstenhölzerfabrik.    === 


n 


□ 


Faserstoff-Zurichterei  Bergedorf 

Bergedorf  bei  f^amburg. 

Mustergültio^e   Bearbeitung'   von    F"  i  b  e  r  und  Piassava 
aller  Arten. 


a 


D 


Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesannten  Bestrebungen  der  Blinden.   — 


D 
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S  ch  r  i  f  1 1  e  i  t  u  n  g 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Nr.132.257 


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Das  Blatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


Bezugspreis 
ganzjährig  mit 
Postzustellung 

6  Kronen, 
Einzelnummer 

50  Heller. 


6.  Jahrgang. 


Wien,  Oktober  1919. 


10.  Nummer. 


INHRLT:  Der  Blinde  in  der  Kinodarstellung.  Provozierte  flufmerksamkeitsmimik 
bei  Blinden.  Das  „Seminar  für  Heilpädagogik"  an  der  n.  ö.  Landes-Lehrer- 
akademie.  Das  Blindenerholungsheim  in  Binz.  Der  blinde  Sänger.  Per- 
sonalnachichten.  Aus  den  Anstalten.  Aus  den  Vereinen,  Verschiedenes. 
Büdierschau.     RItes  und  Neues.     (Ankündigungen.) 


3   Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIII, 
g  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  3  K,  Zeitungsbeitrag  3  K.   g' 

dIw — w 


D 


ftites  ^und   Neues. 

N   :  'uhuivl 

Wolfgang  Schmelzl:  Ein   schöne  kurze,  vnd  Christliche  Comedj, 
von  dem  plintgeboren  Sonn. 

Von  Taubstuminenlehrer  Fritz   Bodo,  Wien.  * 

Wolf  Schmelzl,  der  vielfach  der  Wiener  Hans  Sachs  genannt 
wird,  war  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  im  Schottenkloster  zu  Wien 
als  Schulmeister  angestellt.  Die  Schüler  des  Stiftes  pflegten  dazumal 
an  bestimmten  Tagen  des  Jahres  Dramen  aufzuführen.  Für  diese  Auf^ 
führungen  lieferte  Schmelzl  Dramen,  und.  zwar  brachte  er  als  Neuerung 
biblische  Dramen  in  deutscher  Sprache.  Unter  diesen  Schuldramen 
findet  sich  auch,  1543  verfaßt,  »eine  schöne  kurze,  vnd  Christliche 
Comedj,  von  dem  plintgeboren  Sonn.  Joan.  9.  allen  Christen  nutzlich 
zu  lesen.*)« 

Hier  in  Kürze   der  Inhalt  mit  Textproben. 

Der  Blinde,  der  das  »Getrappel«  der  vorübergehenden  Leute  hört, 
erhält  auf  seine  Frage  vom  Führer  die  Antwort,  Christus  ziehe  rnit 
seinen  Jüngern  vorüber.  Der  Blinde  ruft  Jesus  an.  Der  Heiland  beant- 
wortet die  Frage  der  Jünger:  »Alsdann  spirzelt  er  auf  die  erdt,  macht 
ein  Kot,  damit  bestreicht  er  die  Augen  des  plinten  :  Ge  zum  Silve 
vnd  wasche  dich.     Wirst  sehen  vnd  bekennen  mich". 

Während  der  Blinde  zum  Teiche  geht,  warnt  ihn  der  Führer  »do 
is  der  teich,  schau  fall  nit  drein,  Der  dir  sol  hayln  die  Augen  dein«. 
Nun  bringt  ein  Monolog  die  Freude  des  Geheilten  zum  Ausdrucke  : 

Hilff  mir  mein  Got  ich   musz  verzagen 
Vnnd  sterbe  vor  grossen   freude  jetzt 
Weil,  mir  die  Sunn  in  daugen  plitzt 
Pie  ich  vor  hab  nie  gsehn  so  pur 
Den  hymel  vnd  ander  creatur 
Die  Stern  am  hymel  vnd  Element 
Die  gebn  der  Welt  an  manchem  endt 
Drob  ich  mich  wundern    musz  zu  todt 
Mein  Herr  wie  bist  so  ein  gwaltiger  Gott 
Das  zeugn  all  Hier  laub  vnd  grasz 
Dein  gschöpff  vnd  anders  alles  das 
Das  in   der  weit  sein  wonung  hat 
Ich  sag  dir  Dank  mein  Herr  vnd  ^ott 
Das  ichs  vor  meinem  endt. sol  sehen 
Dein  lob  ich  ewig  wil  vergehen. 

Von  den  darauffolgenden  dramatischen  Szenen  der  Bibel  hat 
Schmelzl  nur  die  Pharisäerszenen  verwendet  und  der  Schluß  hält  sich 
getreu  an  den  Bibeltext. 

*)  Exemplare  in  der  Wiener  Hofbibliothek  und  der  Bibliothek  des  Schotten- 
stiftes. 


6.  Jahrgang, 


Wien,  Oktober  1919. 


10.  Nunnmer. 


^  »Er   sieht   mich  nicht,    so   brauche      % 


^      auch  ich    ihn    nicht   zu    sehen,«    spricht 
Ä^      der  Eigennutz  gegenüber  dem    Blinden. 

^  (E.  M.  Bud.) 


^"^^^^^^^^^M^m'^m^^^^mw^^M&^^^^^^^^w^^^ 


Der  Blinde  in  der  Kinodarstellung. 

Welche  hochfliegenden  und  idealen  Erwartungen  wurden  nicht  an 
die  Einführung  der  Lichtspiele  für  die  allgemeine  Volksbildung  bei  Groß 
und  Klein  geknüpft!  Die  Zauberwelt,  dieser  modernsten  aller  Erfindungen, 
sollte  dem  Unterrichte  und  der  Erziehung  der  Massen  dienstbar,  das 
Kino  zu  einer  Bildungsstätte  der  Massen  gemacht  werden.'' Überschwäng- 
lich  sahen  Theater,  Literatur  und  Musik  sich  von  Film  und  Sprechmaschine 
übertrumpft  und  wenigstens  ein  Teil  des  Schulunterrichts  schien  durch  diese 
Ersatzmittel  entbehrlich  geworden.  In  den  dunklen  Räumen  der  Licht- 
spieltheater schien  sollte  das  Volk  Unterhaltung  und  Belehrung,  Genuß  und 
Bildung  finden,  alles  in  der  bequemsten  Weise  und  für  wenige  Heller! 

Wie  ist  doch  auch  dies  anders  gekommen!  In  welchem  Kino 
finden  wir  heute  Erhebung  oder  Belehrung?  Wo  finden  wir  auch  nur 
(nnen  halbwegs  annehmbaren  Ersatz  für  die  großen  Werke  unserer 
darstellenden  Kunst,  wo  die  angekündigte  Bildung  und  Hebung  der 
breiten  Volksmassen,  die  mit  wahrem  Heißhunger  den  Kinopforten  zu- 
streben? Wer  sich  von  dem  Bildungszweck  unserer  Lichtspieltheater 
überzeugen  will,  der  lese  einmal  deren  Ankündigungen.  Fast  ausnahms- 
los begegnen  wir  Sensationsdramen,  die  auf  die  niedrigsten  Instinkte 
der  Zuschauer  berechnet  sind  und  deren  Vorführung  diesen  „Bildungs- 
stätten" die  Bezeichnung  „Verbrecherschule"  eingetragen  haben.  Unter- 
nehmerspekulation und  Volksgeist  befinden  sich  dabei  in  einer  innigen 
Wechselbeziehung.     Wenigstens  behaupten  die  Kinobesitzer,  sie  bekämen 


Seite  1204.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  10.  Nummer. 

für  l)elehrende  Vorführungen  kein  Publikum  und  darum  seien  sie 
l^emüssigt,  Sensationsdramen,  Rüiirstücke  oder  derbe  Possenreißerei  vor- 
zuführen. 

Und  so  ist  das  ..Kino"  heute  bereits  zu  einer  öffentlichen 
Angelegenheit  geworden  und  die  Staatsstelle  beginnen  sich  mit  ihr  zu 
beschäftigen.  Eine  „Deutschösterreichische  Filmhauptstelle"  soll  vor- 
nehmlich Films  zn  erzeugen,  die  zu  wissenschaftlichen  und  ünterrichts- 
zwecken,  zur  Förderung  der  Volksbildung  und  Volkswohlfahrt,  zur  Pro- 
paganda jeder  Art.  insbesondere  zur  Hekanntmacliung  gemeinnütziger 
Unternehmungen,  zur  Hebung  des  Fremdenverkehres,  des  heimischen 
Gewerbes,  der  Landwirtschaf-t,  Technik  und  Industrie  u.  dgl.  benötigt 
werden.  VVeiters  soll  die  Erzeugung  solcher  Unterhaltungshlms  betrieben 
werden,  die.  künstlerisch  liocbwertig.  den  Stand  unserer  Volkskultur  zu 
heben  imstande  sind. 

Wir  möchten  diese  Gelegenheit  nicht  vorübergehen  lassen,  ohne 
die  große  Bedcnitung  festzustellen,  welche  ein  derartiges  Unternehmen 
auch  für  unsere  JJIindenfrage  haben  kann. 

Bisher  haben  wir  im  Kino  den  Blinden  nur  im  Mittelpunkte  rühr- 
seliger Filmschauspiele  [uigetroffen.  Schon  die  Titel  „Erloschene 
Augen".  ..Die  die  Somie  nicht  kennen*',  „Dunkle  Liebe*',  „Der  Hund 
des  Blinden"  sagen  uns  eigentlich  alles.  Trotzdem  sei  der  Inhalt  der 
am  bekanntest  gewordenen  Stückes  dieser  Art  kurz  angeführt.  Zu- 
gleich sei  erwähnt,  daß  in  diesen  Schauspielen  natürlich  selbst  keine 
Blinden  auftreten,  sondern  die  blinden  Helden  und  Heldinnen  von 
Sehenden  gelilmt  wurden,  was  uns  Gelegenheit  gibt,  auch  über  diese 
Darstellungen  einiges  zu  sagen. 

Erloschenes  Licht.  (^Leidensgeschichte  einer  Blinden  in 
2  Akten.  Die  vollendetste  Kunst  der  Darstellung.)  Die  Frau  eines 
erfolglosen  Komponisten  sitzt  Tag  und  Nacht  über  dem  Stickrahmen,  um 
Brot  für  beide  zu  schaffen.  Als  ihr  Mann  endlich  einem  großen  Erfolg 
nahekommt,  ist  sie  —  erblindet.  Geblendet  von  seinen  Erfolgen  stürzt 
der  junge  Mann  in  den  Strudel  eines  vergnügten  Lebens  und  beginnt 
ein  Verhältnis  mit  einer  Opernsängerin.  Auf  einer  Automobilfahrt 
explodiert  der  Benzinbehälter  und  die  Flamme  schlägt  dem  jungen  Mann 
ins  Gesicht.  Xun  ist  er  selbst  in  Gefahr,  das  Augenlicht  zu  verlieren, 
gesundet  aber  wieder,  von  seiner  blinden  Frau  auf  das  Zärtlichste 
gepflegt.  Um  Verzeihung  für  seinen  Fehltritt  bittend,  gelobt  er,  fortap 
nur  noch  für  sie  leben  zu  wollen. 

Henny  Porten,  eine  bekannte  Kinogröße,  spielt  die  F>lindo  mit 
wenig  Geschick.  Mutet  es  schon  merkwürdig  an,  daß  sie  während  ihrer 
Krankheit  stets  mit  der  Binde  über  den  Augen  dasitzt,  so  ist  sie  als 
Blinde  mit  den  unvermeidlich  fortwährend  herumfuchtelnden  Spazier- 
stock und  den  ruckweisen  Bewegungen  ganz  unnatürlich.  Als  sie  der 
(3per  ihres  Mannes  lauscht,  weiß  sie  ihrem  sonst  so  sprechendem 
Minenspiele  wenig  Ausdruck  zu  geben.  Daß  die  Wiedererlangung  des 
Gesichtes  bei  ihrem  Manne  wie  so  manches  andere  kinohaft  rasch  vor 
sich  geht,  muß  als  selbstverständlich  hingenommen  werden. 

Erloschene  Augen.  (Tragödie  eines  blinden  Kindes  in  2  Akten.) 
Frau    Heilberg    lebt    mit    ihren    beiden   Kindern    Maria  und  Johanna 


10.  Nummer.  Zeilschrill  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1205. 

(blind)  ein  ärmliches  aber  glückliciios  Leben.  Maria  isl  bereits  heim- 
lich verlobt,  serät  aber  durch  unglückliche  Umstände  in  Verl)iiidunjj; 
mit  dem  Grafen  Wartenlierg,  der  sich  in  sie  verliebt.  Maria  verliert 
dadurch  ihre  frühere  Harmlosigkeit,  führt  ein  Doppelleben  und  schleicht 
nachts  aus  dem  Hause,  um  sich  mit  dem  Grafen  in  vornehmen  Ver- 
gnügungslokalen zu  treffen.  Johanna,  das  blinde  Kind,  ausgestattet  mit 
einem  wunderbaren  Ahnungsvermögen,  errät  alles  und  nimmt  rührenden 
Anteil  an  den  Vorgängen,  die  bald  ziu'  Katastrophe  führen.  Maria 
wird  verhaftet,  der  Graf  schwer  verwunde!,  die  Mutter  stirbt.  Die 
blinde  .Johanna  irrt  nachts  obdachlos  in  den  Straßen  umher,  wird  von 
einer  Nonne  gefunden  und  in  ein  Kloster  gebracht.  Fünfzehn  Jahr 
später  ist  sie  Novize  daselbst,  als  Graf  W^artenberg,  der  ein  einsames 
und  ver]>ittertes  Leben  führt,  im  Kloster  von  Johanna  das  Lied  singen 
hört,  das  ihm  einst  seine  Schwester  vorgespielt  hatte.  Er  dringt  in  das 
Kloster  ein  und  trifft  mit  Johanna  zusanmien.  Betroffen  über  die  ver- 
blüffende Älmlichkeit  der  Blinden  mit  ihrer  Schwester,  verliebt  er  sich 
in  sie,  befreit  Johanna  aus  dem  Kloster,  um  mit  ihr  einer  glücklichen 
Zukunft  entgegen  zu  gehen. 

Die  Darstellung  des  blinden  Kindes  ist  gemacht.  Natürlicber 
gegeben  erscheint  die  blinde  Novize,  wozu  namentlich  die  gemessene 
Zurückhaltung  der  angehenden  Nonne  beiträgt. 

Die  letzten  Tage  von  Pompeji.  Der  Film  zeigt  die  Hand- 
lungen des  Bulwer'schen  Romanes,  in  dessen  Mittelpunkt  das  rührende 
Schicksal  der  blinden  Sklavin  Nydia  steht.  Die  Leser  sind  mit  dem- 
selben wohl  vertraut. 

In  dem  Stücke,  das  prächtige  Ausschnitte  aus  dem  römischen  Leben 
zeigt,  wird  die  blinde  Sklavin  Nydia  von  Frau  Negri-Pouget  dargestellt. 
Eine  mädchenhafte  ii^rscheinung,  spielt  sie  die  Blinde  mit  weit  größerer 
Natürlichkeit  als  andere  Darstellerinnen  von  Blinden  in  Kinostücken. 
Die  seelischen  Erregungen  s[)iegeln  sich  auf  dem  Gesichte  mit  den 
erloschenen  Augen  deullicii  wieder,  obwohl  dabei  manche  Übertrei- 
bungen unterlaufen.  Bewegunge*! '  wie  Haltung  sind  wohl  an  Blinden 
beobachtet,  denn  sie  entsprechen  im  grof^en  Ganzen  deujenigen  i)linder 
Mädchen.  Die  übertriebene  Hast  der  Blinden  in  den  letzten  Szenen 
ist  auf  Konto  einer  allzugroßen  Lebhaftigkeit  tU'v  llüehtenden  Bewohner 
von  Pompeji  zu  setzen.  Die  edle  Auffassung  der  Blinden  von  S^ite 
des  Dichters  ist  von  Negi'i-Poug(^t  in  allen  Szenen  eingehalten. 

Die  die  Soniie  nicht  beschien.  (Dramatisebes  Lebensbild  in 
o  Akten.)  Heinrich,  schon  als  Kind  Waise  geworden,  wurde  mit  seiner 
gleichaltrigen  Kusine  l^ina  bei  Tante  Martha  aufgezogen.  Eines  Tages 
brach,  als  sie  allein  waren,  im  Hause  Feuer  aus,  bei  dem  Heinrich 
erblindet,  als  er  seine  (refährlin  rettet.  Zwölf  Jahre  waren  vergangen. 
Aus  Heinrich  war  inzwischen  ein  vortrefflicher  Virtuose  geworden  und 
er  lebte  in  stiller  Zurückgezogenheit  glücklich  mit  seiner  Kusine  Pina. 
In  demselben  Orte  wohnte  ein  reicher  Ghitsbesitzer  nanuMis  Graf  von 
Vigny.  der  von  dem  Talente  des  Virtuosen  hörte  und  ihn  mit  seiner 
Kusine  in  sein  Schloß  lud.  Unter  den  geladenen  Gästen  des  Grafen 
l)efand  sieh  auch  ein  gewisser  Maiilio.  ein  leichtsinniger,  verdor- 
l)enei'  junger     Lebemaim.     den     die    J>chönheil     Pinas     fesselte.       Die 


Seite  1206.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  10.  Nummer. 

arme  Pina  glaubte  den  Liebesbeteuerungen  Manlios  und  gab  sich  ihm 
blindlings  hin.  Manlio  wurde  dieser  Liebe  jedoch  bald  überdrüssig,  und 
reiste  eines  schönen  Tages  nach  Amerika  ab,  so  daß  das  arme  Mäd- 
chen in  Schmerz  und  Schande  allein  zurückblieb.  Kurze  Zeit  darauf 
sieht  man  Pina  als  gefeierte  Künstlerin  in  ihrer  Tätigkeit  auf  der  Bühne, 
mit  einem  Leben  von  Vergnügen  und  Luxus  -umgeben.  Manlio,  der 
inzwischen  wieder  aus  Amerika  zurückgekehrt  ist,  erfaßt  wieder  eine 
tiefe  Zuneigung  zu  der  schönen -Künstlerin.  Jetzt  war  Pina  dort  ange- 
langt, um  an  ihm  Rache  zu  üben.  Nachdem  Pina  ihren  Vetter  Hein- 
rich verlassen  hatte,  nahm  sich  seiner  eine  mitleidige  Nachbarin  an. 
auf  deren  ?]mpfehlung  hin  er  mit  seinem  Geigen.spiel  allabendlich  in 
einem  der  elegantesten  Weinrestaurant  der  Hauptstadt  sein  tägliches 
Brod  mühsajn  verdiente.  Pina,  welche  stets  von  ihren  Verehrern  und 
Manlio  begleitet  war,  gab  sich  einem  wüsten  und  tollen  Leben  hin. 
Der  Zufall  wollte  e.«!,  daß  die  ganze  Gesellschaft  eines  Abends  in  einem 
eleganten  Kabarett  einkehrte  und  den  Champagner  in  Strömen  fließen 
ließ.  Plötzlicli  verstummte  die  Begleitmusik.  Der  Virtuose,  der  kein 
anderer  als  Heinrich  war,  hatte  unter  den  anwesenden  Gästen  die 
Stimme  Pinas  erkannt,  warf  die  Violine  von  sich  und  stürzte  sich  zu  ihr. 
Das  alte  Leben  begann  wieder  in  der  Behausung  Heinrichs;  dieser  ent- 
brannte in  heiliger  Liebe  zu  seiner  früheren  Jugendgenossin  und  war 
bereit,  alles  zu  vergessen  und  sie  zu  seiner  Frau  zu  machen.  Peinige 
Tage  darauf  wurde  Pina,  durch  die  Nachricht  tief  erschüttert,  daß 
Manlio  wegen  der  aussichtslosen  Liebe  zu  ihr,  sich  durch  eine  Kugel 
getötet  hatte.  Gedemütigt,  tief  gekränkt  und  gepeinigt  durch  die  Ge- 
wissensbisse, der  Grund  des  Ruines  zweier  Männer  gewesen  zu  sein, 
die  sie  liebten,  hatte  Pina  nicht  mehr  den  Mut,  vor  Heinrich  die  Komödie 
einer  Wiederversöhnung  zu  spielen  und  suchte  im  Tode  Vergessenheit 
ihrer  Fehler  und  ihres  Schmerzes. 

Das  einzig  Natürliche  ain  dargestelltem  Blinden  ist  c}ie  Art  des  auf- 
merksamen Zuhörers.  Alle  andern  Charakterisierungsversuche  erscheinen 
mißglückt.  Die  Sucht,  die  Beschränkung  des  Blinden  recht  sinnfällig 
zu  machen,  verführt  die  Regie  zu  unsinnigen  Machenschaften.  So  muß 
der  Blinde  mit  auswärts  gespreizten  Beinen  and  auch  daheim  im  Zim- 
mer mit  dem  Stöcke  gehen.  Eine  Mrtuosität  hatte  sich  der  Darsteller 
im  Kopfdrehen  angewöhnt,  die  ganz  natürlich  diese  typische  Blinden- 
bewegung  veranschaulichte.  Aber  auch  dies  war  nicht  am  Platze,  da 
es  sfch  hier  um  einen  durch  einen  äußeren  Zufall  später  Erblindeten 
handelte  und  obige  Gewohnheit  wohl  nur  bei  Geburtsblinden  oder 
solchen  auftritt,  die  infolge  Gehirnveränderungen  ihr  Augenlicht  ver- 
lieren. 

Provozierte  Aufmerksamkeitsmimik  bei  Blinden. 

Von  Blindenlehrer  Wanecek,  Purkersdorf. 

Der  Auffassung  Darwins,  daß  der  Vererbung  ein  wesentlicher  Anteil 
hei  der  Möglichkeit  der  Gesichtsmimik  zukommt,  steht  die  Ansicht 
Krukenbergs  gegenüber,  der  in  seinem  Buche  ,J)er  Gesichtsausdruck 
des  Menschen-'  sagt:  ,.Wenn  das  ganze  Minenspiel  ursprünglich  durch 
Sinnenreize  hervorgerufen  wird,  so    müssen  beim  Fehlen  eines  Sinnes- 


10.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1207. 

organes,  .sofern  ey  an  der  Entstehung  de-s  Minenspiel.s  Ix^teiligt  i.st,  aui- 
fallende  Ausfallserscheinungen  entstehen."  Darnach  ließe  sich  dieses 
Problem  sehr  leicht  am  Blinden  ergründen,  denn  der  Blindgeborene 
müßte,  wenn  Darwin  recht  hat,  gewisse  Formen  des  Minenspiels 
beherrschen,  von  denen  Krukenberg  annimmt,  daß  es  durch  spezifische 
Rei'/e  des  Sinnesorganes  zustande  kommt.  Es  müßte  nach  Darwin  das 
durch  einen  unangenehm  empfundenen  Lichteinfall  hervorgerufene 
Augenblinzeln.  z.  B.  auch  bei  Blinden  auftreten  können,  wenn  es  durch 
einen  ideellen  Reiz,  etwa  durch  eine  Aufforderung  ])rovoziert  wird. 

Wenn  die  (Jesichtsmimik  tatsächlich  im  wesentlichsten  von  den 
Sinnesorganen  abhängt,  wie  Krukenberg  .annimmt,  so  ist  die  Beweg- 
lichkeit namentlich  des  Stirnfrontalmuskels,  des  Augenbrauenrnnzlers 
und  des  xVugenringmuskels  von  der  Lichtempfindlichkeit  des  Auges 
abhängig.  Dr.  Sante  de  Santls  hat  nun  die  Verhältnisse  bei  P]linden 
aufzuklären  versucht  (Die  Mimik  des  Denkens)  und  wirklich  einen  Aus- 
fall der  Beweglichkeit  jener  drei  Muskel  festgestellt,  doch  sind  seine 
Versuchspersonen  allzu  gering  an  Zahl,  als  daß  sie  zu  allgemein  gül- 
tigen Folgerungen  berechtigen  würden.  Ehe  jedoch  dies  für  die  allgemeine 
psychophysische  Wissenschaft  so  wichtige  Teilgebiet  auch  bei  unseren 
Blinden  verfolgt  werden  kann,  müssen  diese  Verhältnisse  vollkommen 
einwandfrei  klar  sein. 

Somit  will  die  nachfolgende  Untersuchung  nur  eine  Vorarbeit  sein 
für  das  Studium  tler  Ausdrucksbewegungen,  deren  Wichtigkeit  für  die 
moderne  Psychologie  immer  deutlicher  zutage  tritt. 

Die  Methode  Sante  de  Sanctis,  die  Aufmerksamkeitsmimik  durcli 
mündliche  Aufforderung  und  bei  deren  Wirkungslosigkeit  durch  ein 
Betasten  eines  lebenden  Gesichtes  mit  der  Aufforderung,  es  nachzu- 
machen, zu  provozieren,  wurde  bei  70  Blinden  der  n.  ö.  Landes-Blin- 
denanstalt  angewendet,  die  im  Alter  von  7  bis  19  Jahre  standen.  Dar- 
nach wurden  sie  vorerst  aufgefordert,  die  Stirnfalten  zu  ziehen,  die 
AugenlM-auen  zu  runzeln  und  die  Augen  fest  zusammenzudrücken.  Es 
gelang  auf  diese  mündliche  Aufforderung  beim  Stirnfaltenziehen  83  Zög- 
lingen, (davon  mit  Lichtschein  23,  Späterblindeten  3),  also  von 
28  Geburt.sblinden  nur  7,  von  37  mit  Lichtschein  aber  23,  von  5  Spät- 
erblindeten 3.  Das  xVugenbrauenrunzeln  gelang  besonders  schwer,  nur 
16  Zöglinge  brachten  es  zusammen,  davon  9  mit  Lichtschein;  keinem 
der  ö  Späterblindeten,  von  28  Geburtsblinden  wieder  nur  7  (nicht  die 
gleichen  M-ie  früher),  von  37  mit  Lichtempfindung  9.  Aber  auch  von 
den  7  Geburtsblinden  brachten  es  nur  2  wirklich  sehr  gut  zusammen. 
Leichter  geht  das  Augenzusammendrücken.  Es  kam  zustande  bei  42 
Zöglingen,  davon  30  mit  Lichtschein  und  2  Späterblindeten,  also  nur 
10  von  28  Geburtsblinden. 

Es  gelangen  also  bei  nur  mündlicher  Aufforderung  bei  den 

Geburt.'^blinden 28-8  IVo  ] 

Sehfähigen bö-Sby^   '  der  Fälle. 

Späterblindeten 33-330/o  J 

Dies  spricht  wohl  überzeugend  für  Krukenbergs  Ansicht. 


Seilp   1208.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  .10  Nuramet; 

Ms  muß  erwähnt  werden,  daß  auf  die  mündliche  AutForderung 
sehr  oft,  namentlich  bei  den  größeren  Mädchen  die  spontane  Antwort 
(^rfolgte:  ..Das  kann  ich  nicht"  oder  „Das  habe  ich  nie  gemacht." 

Bei  jedem  Zögling,  der  auf  die  mündliche  Anforderung,  nicht 
reagieren  konnte,  wurde  ein  Al}tasten  von  der  Stirn  des  Lehrers  vor- 
genommen und  zwar  so,  daß  die  Hand  die  Bewegung  des  Muskels 
abfühlen  konnte.  Es  wurde  z.  B.  erst  nach  Auflegen  der  Hand  die 
Stirne  in  Falten  gezogen.  Dadurch  wurd.e  aber  das  Ergebnis  kein 
wesentlicli  anderes.  Das  Stirnfaltenziehen  kam  jetzt  zustande  bei  39 
Zöglingen  und  zAvar  hatten  27  davon  einen  Lichtschein.  Es  trat  also 
bei  noch  4  Sehfälligen  nnd  2  Geburtsblinden  auf.  Das  Augenbrauen- 
runzeln gelang  nur  bei  21.  '  Die  5  neuen  waren  4  mit  Lichtschein  und 
1  (leburtsblinder.  Das  Augeiu'ingmuskelzusammenziehen  wies  keinen 
Zuwachs  auf. 

Darnach   ändern   sich    die   obigen    Ferzentzahlen   folgenderniaßf n  • 

Geburtsblinde        32.l4»/o. 

Sehfähige .  63-06o/,. 

(4el)iirtsblinde .    .      33-38«/o- 

Inuner  bleiben  also  jene,  die  Lichtreizen  zugänglich  sind,  den 
Gel)urtsblinden  in  bezug  auf  die  Mimik  die.ser  Muskelpartien  fast  ums 
Doj»pelte  überlegen. 

Hervorgehoben  sei  alior.  daß  von  der  größeren  Mehrheit  der  Fälle, 
die  als  gelungen  bezeichnet  wurden,  wo  meist  nur  ein  Andeuten,  keines- 
wegs ein  willfähriges  Beherrschen  dieser  Ausdrucksbewegungen  '  ver- 
zeichnet werden  konnte.  Hochinteressant  war  es,  die  Anstrengimg 
namentlich  des  Stirnfrontalmuskels  zu  beobachten,  der  trotz  aller  Mühe 
nicht  gefaltet  werden  konnte,  oder  die  Unterstützung  des  verlangten 
mimischen  Ausdruckes  durch  andere,  besser  beherrschte  mimische 
Bewegungen  namentlich  der  unteren  Gesichtsmuskel  zu  verfolgen.  So 
trat  beim  Abmühen  nach  dem  Stirnfalten  öfter  ein  Spielen,  ein  rhyt- 
misches  Augendrehen,  ein  Zwinkern  der  Lider  oder  Lipi)enbewegungen 
auf.  Sehr  oft  konnten  schon  erzengte  Stirnfalten  nicht  dauernd  erhalten 
werden,  sie  waren  unruhig,  schwankend.  Das  Runzeln  der  Augenln-auen 
war  manchmal  verbunden  mit  einem  Augenschließen  oder  einem  merk- 
würdigen Hochziehen  der  Wangen.  In  einem  Falle  kam  auf  jede 
Aulfordermig  auch  nach  mehrfachen  Betasten  ein  retlexartiges,  kurzes 
Aufreißen  der  Augenlider  zustande.  Ein  andermal  wurde  zum  Gelingen 
ein  krampfarliges  Zuspitzen  des  Mundes  wie  beim  Pfeifen  notwendig, 
Der  Augenringmiiskel  wird  mit  zusammengezogen.  Merkwürdig  oft 
beschränkte  sich  das  Zusammenpressen  der  Aug(^n  auf  ein  einfaches 
Schließen  der  Lider,  das  auch  wiederholte  Ermahinmgen  nur  wenig 
zu  verstärken  vermochten.  Auch  die  zusammengepreßte  Augenpartien 
koimte  nicht  ruhig  gehalten  werden,  es  war  zwinkernd  imd  unruhig.  Öfter 
wurde  in  gelungenen  wie  in  nicht  gelungenen  Fällen  der  Mund  zusam- 
mengei)reßt.  zuckende  Mundbewegungen  traten  auf.  bei  andern  wieder 
langsajn  rhytmisierende.  Einmal  wurde  bei  schwachem  Gelingen  der 
Mund  trompetenartig  geöffnet.  Daraus  ist  deutlich  zu  ersehen,  wie  die 
Mitbewegimg  nahe  liegender  Muskelpartien  das  Vorgenommene  aber 
nicht  ZustandeKebrachte   gleichsam    über   den   toten  Punkt    heben    soll. 


10.  Nummer.  Zeitschrift  tiir  das  österreichische  lUindcnwesen.  Seite  1209. 

Eine  überraschende  'l'atsaehe  kommt  zu.staiide,  wenji  man  die 
gelungenen  Fälle  und  jene,  bei  denen  sich  alle  Anstrengungen  nutzlos 
erweisen,  auf  Knaben  und  Mädchen  verteilt.  Es  sind  dies,  die  Källe 
in  Perzenten  ausgedrückt  bei: 

Knaben  (    ^'""ögliche  \  j^.-.j,^  .    .    .    .  H0-8Hy„ 
l     gelungene    )  ....  bdlv»/«- 

,...  1  ,        /    unmögliche  \  u— ii    •    •    •    •  60-7 1%. 
Madchen  <  ,    "  >  balle  * 


gelungene    /  ....  H9-29o/, 


Dies  besagt  nichts  anderes,  als  daß  das  Gesicht  der  Mädchen  in 
fast  doppeltem  Ausmaß  starrer  ist  als  das  der  Knaben,  was  wieder 
Krukenbergs  Hinweis  bestätigt,  daß  die  Gesichtsmimik  bei  den  Ge- 
schlechtern  wesentlich  verschieden  geartet  ist. 

Das  „Seminar  für  Heilpädagogik" 
an  der  n.  ö.  Landes-Lehrerakademie. 

Der  lange  gehegte  Wunsch  nach  einer  Fortbildungsstätte  für  Hlin- 
(ienlehrer  und  einer  Forschungsstätte  für  das  Blind^nwesen  zu  besitzen, 
uähert  sich  seiner  Erfüllung.  Bei  der  Ausgestaltung  der  n.  ö.  Landes- 
Lehrerakademie  hat  der  Direktor  Dr.  W.  Kammel  die  Möglichkeit  zur 
Errichtung  eines  „Seminars  für  Heilpäd  agogik"'  geschallen,  das 
neben  den  ünterrichtsgebieten  für  Schwachbegabte,  und  taubstumme 
auch  jenes  für  blinde  Kinder  umfassen  soll.  Mitte  Oktober  wird  der 
Betrieb  dieses  Seminars  in  den  Räumen  der  Lehrerakademie  in  Wien 
111.  Boerhavegasse  lö  bereits  aufgenommen.  Der  vorläufig  festgesetzte 
Vorleseplan  für  das   1.  Semester  ist  folgender: 

Montag. 

H — 4  rhr:  Hovorka  Dr.  Z. :  Anatomie  und  Psychologie  des  Menschen 
mit  Hervorhebung  wichtiger  bei  abnormen  Kindern  vorkom- 
menden Abweichungen. 

4 — f)  [Thr:  Gigerl  E.,  Anstaltsleiter:  Einführung  in  das  Blinden- 
wesen;  geschichtliche  Entwicklung  und  gegen- 
wärtiger Stand  der  Blind  enb  il  düng  und  Blinden- 
fürsorge. 

Seh  inner  J.,  Direktor:  Erziehung  und  rnterriclit  schwach- 
begabter  Kiiider. 

5_ß  Llhi»:  Hiff]  F.^  Direktor:  Didaktik  und  Methodik  des  Taubstum- 
menunterrichtes. 

(i— 7   Uhr:  K  a  m  m  e  1  Dr.  W.,  Akademiedirektor:  Über  Begabungsprobleme. 

Dienstag, 
ö — 7  Uhr:  Karamel  Dx.  W..  Einführung  in  die  ex])erimentelle  l'ädagogik. 
7—8  Uhr:  Battista  L.,  Professor;  Über  Kinderpsychologie. 

D  onners  ta  g. 
8—4  Uhr:  Hovorka  Dr.  Z.:  Wie  Montag. 

4— (>  [Thr:  Bürklen  K..  Direktor;,  Psychologie  des  Bünden  und 
des  b  1  i n  d  e  n  K  i  n d es. 


Seite  1210.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  10.  Nummer. 

5 — 7  Uhr:  Freunthaller  A.,  Fachlehrer:    Phonetik    und    Artilulation. 

F  r  e  i  t  a  g. 
5 — 6  Uhr:  Battista  L..  Professor:  Über  Kinderpsychologie. 
6 — 7  Uhr:  „  „  „  Psychologie  der  Berufsberatung. 

Die  Einschreibungen  für  diese  Vorlesungen,  welche  nach  freier 
Wahl  vorgenommen  werden  können,  linden  in  der  ersten  Hälfte  Oktober 
statt.  Der  EröfTnungsvorlesung  soll  ein  feierlicher  Clharakter  gegeben 
werden.  Die  Blindenlehrerschaft  und  auch  die  Blinden  selbst  werden 
den  Wert  dieser  Errungenschaft  richtig  zu  werten  wissen  und  nament- 
lich erstere  durch  regen  Besuch  der  Vorlesungen  die  Notwendigkeit  des 
Heilseminares  beweisen.  Möge  die  Entwicklung  dieser  Institution  eine 
glückliche  und  dauernde  sein. 

Das  Blindenerholungsheim  in  Binz. 

Der  reichsdeutsche  Blindenverband  hat  nach  jahrelangem  Bemühen 
zwei  Erholungsheime  geschaffen,  welche  das  Staunen  und  den  Dank 
aller  erregen  müssen,  die  einige  Wochen  in  ihren  Mauern  weilen 
komiten.  Von  der  idyllisch  gelegenen  Erholungsstätte  in  Werningerode 
am  Harz  Iterichten  mir  ziemlich  verwöhnte  aber  verläßliche  Personen 
das  Günstigste.  Das  Heim  in  Binz  auf  der  Insel  Rügen  habe  ich  aus 
eigener  Anschauung  kennen  gelernt  imd^  stinmie  aus  vollster  Überzeu- 
gung in  das  Lob  ein,  das  ihm  von  den  zahlreichen  Gästen  gezollt  wird. 

Der  Blindenverband  steht  auf  dem  nicht  hoch  genug  anzurechnen- 
den Standpunkt,  diese  Wohlfahrtseinrichtung  nach  Möglichkeit  allen 
Blinden  zugute  kommen  zu  lassen,  und  so  erhielt  ich  zu  meiner  nicht 
geringen  freudigen  Verwunderung  nicht  bloß  die  l)ejahende  Antwort 
auf  meine  Anfrage,  sondern  man  sandte  mir  auch  die  von  der  Heichs- 
grenze  für  die  Blinden  geltenden  Legitimalionen  für  Fahrtermäßigung 
auf  den  Deutschen  Eisenbahnen  zu,  die  mir  und  einer  Begleitperson 
Yon  Passau  bis  Putbus  auf  Rügen  halben  Preis  für  Schnellzug  3.  Klasse 
bedeutete.  Bei  unserer  Eisenbahnverwaltung  geht  es  leider  ohne  Mittel- 
losigkeitszeugnis und  verschiedenen  Bittgängen  nicht  ab.  Meine  Ankunft 
hatte  ich  dem  Leiter  des  Heimes,  Herrn  E.  Krohn.  genau  angegeben 
und  so  wurde  ich  und  meine  Frau  pünktlich  von  einem  Diener  am 
Bahnhof  in  Binz  erwartet,  der  unser  Gepäck  besorgte  und  uns  in  das 
Heim  geleitete.  Es  war  nach  10  Uhr  nachts,  als  wir  mit  unbestimmten 
Erwartungen  durcli  den  Ort  Binz  und  dann  noch  etwa  10  Minuten  lang 
weiter  auf  einer  wie  mit  tiefem  vSchnee  Itedeckten  sandigen  Strand- 
.^traße  einherschritten.  Ein  ganz  alleinstehendes  großes  Gebäude  war 
das  Ziel  —  Kurhaus  Prora.  Nach  einem  kleinen  Imbiß  wurden  wir 
auf  unser  Zimmer  gewiesen.  Dieses  präsentierte  sich  ganz  vortrefflich, 
nicht  imr  was  seine  Einrichtung  anlangt,  sehr  schöne  Möbel  und  elek- 
trische Beleuchtung,  sondern  eine  anschließende  Veranda,  die  bei 
schlechtem  Wetter  wie  ein  geräumiges  zweites  Zimmer  abzuschließen  ist. 

Als  wir  dann  noch  am  nächsten  Morgen  den  sehr  geräumigen 
Speisesaal  und  den  weitläufigen  Gesellschaftssaal  bestaunen  konnten, 
wiederholte  sich  die  schon  anfangs  aufsteigende  Frage:  wie  in  der 
schweren  Kriegszeit  eine  weit  über  die  dringenden  Bedürfnisse  komfor- 
taWe  Einrichtung  eines  solchen  Erholungsheimes    möglich    wurde?   Die 


I 


10.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1211. 

Antwort    war    aber    leicht    und  verständlich.    Ein  Spekulant    hatte    das 
große  Hotel  als  Konkurrenzunternehmen   abseits    der  i\brigen  Quartiere 
des  Ortes  bauen  lassen,  mußte  es  aber,  da  seine  Spekulation  fehlschlug, 
äußerst  billig  verkaufen.    Wenn    ich    recht    berichtet    bin,    zahlte    der 
Blindenverband  für  das  Haus  mit  der  gesamten  Einrichtung  270.000  Mk. 
Die  Mittel  hiefür    und    für    die   sehr  zwekmäßige  Haushaltung  beschafft 
der  Ausschuß  nicht  nur  durch  Sammlungen  freiwilliger  Beiträge,  sondern 
auch  durch  einen  alljährlich  erscheinenden  Kalender   in  Schwarzdruck, 
den  sogenannten  Sonnenscheinkalender.    Der   von  jedem  Gast   zu  ent- 
richtende Tagesbedarf  von  4.  bezw.  5  Mark    reicht   ja  nicht  annähernd 
aus.  die  Kosten  des  Haushaltes  zu  decken.    Um  7  Uhr   morgens    ertönt 
das  Glockenzeichen  zum  Aufstehen,    nach    halb  8    kann  man  schon  im 
Speisesaal  sein  Frühstück  einnehmen,  das  aus  unbeschränktem  schwarzen 
Kaffee  und  drei  belegten  Brotschnitten   besteht   und   für  'die   säumigen 
und  Langschläfer    bis    gegen  halb  9  Uhr   bereitgehalten  wird.    Hernach 
kann  jeder  den  Vormittag  in  seiner  Weise  zubringen,   Eine  kleine  Bib- 
liothek steht  zur  Verfügung,    ebenso    einige    Spiele    und    das  Piano    im 
Gesellschaftzimmer.    Das    für    die   meisten   verlockendste    aber   ist   das 
Strandleben,  dem  sich  jeder  vom   zeitlichen  Morgen   bis  in  den  späten 
Abend  hingeben  kann.    Das  Haus    liegt    ganz    dicht    am  Strand    und  so 
kann  jeder  entAveder  in  Begleitung  oder  auch  ganz  allein  nach  Gefallen 
ungefährdet  sich  ergehen,  im  Strandkorb  sitzen,  ein  Sonnenbad  nehmen 
oder  in  das  sehr    langsam    tiefer    werdende  Seewasser  steigen,   um  ein 
erfrischendes  Bad   zu   nehmen,    Das-  Ortsbadepüblikum    stört    nie  diese 
abseits  gelegene  Niederlassung,  ebensowenig  kommen  hier  Wagen  vor- 
bei, so  daß  sich  die  Gehörnerven  des  Städters  trefflich  erholen  können. 
Die    mit    den  Blinden    hier  weilenden  Sehenden    sind   so  erfreulich  auf 
das  notwendige  Maß  von  Hilfeleistung  eingestimmt,  daß  sie  gerade  nur 
dann  da  eingreifen,  wo  man  ihrer  bedarf.    Um  halb  1   Uhr  versammelt 
die  Hausglocke  die  Hungrigen  zum  Mittagstisch,  der  der  schweren  Zeit 
gemäß  einfach  aber  ausgiebig  f)estellt  ist.  Wöchentlich  zweimal  Fleisch 
und    zweimal  Fisch    zu    Supjje    und    reichliches     Gemüse.     An  Tischen 
saßen  wir   zu   je   vieren  und  nach  Mögliclikeit  wurde  dabei  den  Wün- 
schen der  einzelnen  in  Bezug  auf  Gesellschaft  Rechnung  getragen.  Herr 
Krohn  gab  immer  bekannt,   welche    neue  Gäste    angelangt  seien,  was 
bei  der  sich  fast  täglich    ändernden  Namenliste    sehr  willkommen  war. 
Unter  den  mehr  als   100  Gästen  fand  jeder  eine  ihm  zusagende  Gesell- 
schaft oder  konnte,  weim  er  durchaus  wollte,  einsam    für  sich  bleiben. 
Alle  Altersstufen,    alle  Berufe,    alle  Temperamente  sind  vertreten.   Aus 
Rücksicht    auf   Familienverhältnisse    kann    es    auch    vorkommen,    daß 
andernfalls  nicht  unterzubringende  Kinder  mitgenommen  werden,  unser 
jüngster  Hausgenosse  war  ein  Jahr  alt.  dann  tat  ein  kaum  vierjähriger 
Knirbs  als  Begleiter  seiner  blinden  Mutter  wahre  Wunder  an  Besonnen- 
heit.   Schwer   wurde    es    den  Kindern,    die    nach  Tisch  bis  halb  4  Uhr 
währende  Ruhe  der  Erwachsenen    nicht    zu    stören.    Um    diese    Stunde 
war  der  Nachmittagskaffee   und   um    7  Uhr   das  Nachtessen,  das  meist 
aus  Sup))e  und  belegtem  Brot  bestand.   Nach  dem  Pässen  fand  sich  ein 
kleiner  Kreis  zusammen,  der  das  Zeitungsgift  auch  in  der  Erholungszeit 
nicht  missen  mochte,    und    die    feinfühlige,   ausdauernde  Bibliothekarin. 
Frl.  Nosske,    las  allabendlich    ein    anderes    Blatt    uiu'rmüdlicli    durch, 
Musikalische  und  andere  Vorträge  aus  der  Mitte  der  Gäste,   aber  auch 


Seite  1212.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Bhndenwet-en.  10.  Nummer. 

Darbiclun^'on  im  nahegelegenen  Kurhaus  vergnügten  die  Gesellschaft, 
die  gewöhnlich  erst  gegen  1 1  L^hr  an  Schlaf  dachte.  Zu  Spaziergängen, 
besonders  zu  kleinen  Hamstertouren  um  Butter  und  Eier  war  viel 
Gelegenheit.  Das  Dampfschiff  bot  täglich  fünf  ermäßigte  Karten  zur 
Fahrt  nach  Stubenkammer  oder  Gören;  doch  wer  nicht  weit  hinaus- 
wollte, brauchte  nur  hinter  das  Haus  zu  gehen  und  war  schon  im 
Fichtenwald. 

Die  Leitung  und  Kontrolle  des  Heimes  liegt  ganz  in  der  Hand 
von  Blinden.  Sie  verdient  alles  Lob:  besonders  anzuerkennen  ist  die 
ruhige,  heitere  Überlegenheit,  mit  der  Herr  Krohn  alle  Vorkommnisse 
erfaßt  und  die  gleichmäßige  Freundlichkeit,  die  er  jedem  einzelnen 
Gaste  entgegenbringt.  Man  verläßt  denn  auch  das  Erholungsheim  nach 
niehrwöchentliohem  Aufenthalt  nur  ungern  und  mit  dem  Gefühle  auf- 
richtigsten Dankes  gegen  den  reichsdeutschen  Blindenverband. 

Josef  Herz. 

Der  blinde  Sänger. 

Von  Friedrich  Hölderlin. 

Wo  bisl  Du.  Jugendliches!  Das  immer  mich 
Zur  Stunde  weckt  des  Morgens,  wo  bist  Du.  Lichl? 
Das  Herz  ist  wach,  doch  hält  und  hemmt  in 
Heiligem  Zauber*  die  Nacht  jiiich  inmier. 

Sonst  lauscht"  ich  um  die  Dämmerung  gern,  sonst  hai-rr 
Ich  gerne  Dein  am  Hügel,  und  nie  umsonst! 
Nie  täuschten  mich,  Du  Holdes!  Deine    . 
Boten,  die  Lüfte,  denn  immer  kams]  Du, 

Kamst  allbeseligend  den  gewohnten  Pfad 
Herein  in  Deiner  Schöne,  w^o  bist  Du  Licht? 
Das  Herz  ist  wieder  wach,  doch  bannt  und 
Hemmt  unendliche  Nacht  mich  immer. 

Mir  grünten  sonst  die  Lauben,  es  leuchteten 
Die  Blumen,  wie  die  eigenen  Augen,  nur. 
Nicht  feriu^  war  das  Angesiclit  der 
Lieben,  und  leuchtete  mir,  und  droben 

Und  um  die  Wälder  sah.  ich  die  Fittige 
Des  Himmels  fliegen,  da  ich  ein  Jüngling  war: 
Nun  sitz'  ich  still  allein,  von  einer 
Stunde  zur  anderen,  und  Gestalten 

Aus  Lieb  und  Leid  der  helleren  Tage  schäm. 
Zur  eignen  Freude,  nur  mein  Gedanke  sich. 
U'id  ferne  lausch"  ich  hin,  ol)  nicht  ein 
Freundlicher  Retter  mir  komme. 

Dann  hör"  ich  oft  den  Wagen  des  Donnerers 
Am  Mittag,  wenn  der  eherne  nahe  konnnt 
Und  ihm  das  ^Haus  bebt  und  der  Boden 
Unter  ihm  dröhnt,  und  der  T3erg  es  nachhallt. 


10.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1213. 

Den  Ketter  hör'  ich  dann  in  der  iVacht,  i(;h  h()r" 
Ihn  tölond,  den  Refreier,  heh'l)end  ihn. 
Den  Donnerer,  vom  Untergani>-  zum 
Orient  eikMi  und  ihm  nach  tönt  ihr, 

Ihr,  meiner  Seele  Saiten !  es  lebt  mit  ihm 
Mein  Geist,  und  wie  die  Quelle  dem  Strome  l'oli>l. 
Wohin  er  trachtet,  so  geleit'  ich 
Gerne  den  Sicheren  auf  der  Irrhahn. 

Wohin?  wohin?  ich  höre  Dich  da  und  dort 
Du  Herrlicher!  und  rings  um  die  Erde  tönt\s! 
Wo  endest  Du  ?  und  was,  was  ist  es 
Über  den  Wolken?  und  o  wie  wird  mir! 

Tag!  Tag!  Du  üb(>rstürzende  Wolke!  sei 
Willkommen  mir!  es  blühet  mein  Auge  Dir. 
0  Jugendlicht!  o  Glück!  das  alte 
Wieder!  doch  geistiger  rinnst  Du  nieder, 

Du  goldener  Ouell  aus  heiligem  Kelch!  und  Du. 
Du  grüner  Hoden!  friedliche  Wieg'!  und  Du, 
Haus  meiner  Väter!  und  ihr  Lieben, 
Die  mir  begegneten  einst,  o  luihet, 

0  konnnt,  daß  euer,  euer  die  Freude  sei. 
Ihr  alle!  daß  euch  segne  der  Sehende! 
0  nehmt,  daß  ich's  ertrage,  nur  das 
Leben,  das  Göttliche  nur  vom  Herzen! 


Personalnachrichten. 

Ernennung  zu  Professoren.  Ziir  Erreichung  der  vollen  Einheitlichkeit  in 
dem  Lehrkörper  der  n.  ö.  Landes-Lehrerseminaren  wurde  durch  Beschluß  der  n.  ö. 
Landesversammlung  die  Einrichtung  der  Hauptlehrer,  denen  die  Führung  des 
Professoi  titeis  und  die  Genüsse  der  n.  ö.  Landes-Mittelschulprofessoren  zukommen, 
wie  bei  den  gleichartigen  Anstalten  des  Staates  geschaffen.  In  Durchführung  dieses 
Beschlusses  wurden  die  Hauptlehrer  an  der  n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkers- 
dorf    J.  Kneis,  F.  De[mal,  A.  Zierfuß   und  A.  Kftsmary  zu  Professoren  ernannt. 

Fräulein  Regine  Über al  1,  Lehierin  am  Isr.  Blindeninstitut  in  Wien  XIX.,  hat 
sich  mit  Herrn  Ing.  B.  Sonnenschein  vermählt.  Sie  hat  damit  ihrer  Lehrer- 
tätigkeit als  Blindenlehrerin  entsagt. 

flus  den  Anstalten. 

N.  ö.  Landes-HIindenanstalt  in  Purkersdorf.  Das  Schuljahr  1919/20 
wurde  ordnungsgemäß  am  16.  September  1.  J.  mit  86  Zöglingen  in  5  Schulklassen 
und  2  Fortbildungsklassen  eröffnet.  Bis  auf  einen  sich  noch  in  Kriegsgefangenschaft 
befindlichen  Aufseher  ist  der  Lehrkörper,  wie  das  Anstaltspersonal  wieder  auf  dem 
alten  Stande.  Möge  das  erste  Friedensschuljahr  auch  endlich  die  lang  erhoffte  Er- 
leichterung in  der  Lebenshaltung  bringen,  um  einen  ungestörten  Verlauf  zu  nehmen. 

Landes-Blindenanstalt  in  Klagen  fürt.  Daselbst  wurde  unter  dem 
Anstaltsleiter  F.  Jölly  der  Unterricht  mit  20  Zöglingen  am  28.  September  l.J.  wieder 
aufgenommen.  Die  Unterbrechung  des  Unterrichtes  während  der  langen  Kriegazeit 
wird  schwere  Arbeit  mit  sich  bringen,  um  die  Anstalt  wieder  auf  die  alte  Höhe 
zu  bringen. 


Seite  1214.  Zeitschrift  für    das   österreichische  Blindenwesen.  10  Nummer. 

flus  den  Vereinen. 

Zentralverein  für  das  österr.  Blindenwesen.  Ausschnßsitzung  am 
19.  September.  Als  neues  Mitglied  wird  Herr  In  grase  aufgenommen.  Der  »Linden- 
bund« entsendet  Herrn  Friedrich  Gebhart,  der  »Hilfsverein  für  jüdische  Blinde« 
Herrn  Leo  Demm  in  den  Ausschuß  des  Zentralvereines.  Beide  Herren  sind  an- 
wesend und  werden  begrüßt.  Das  Unterstaatssekretariat  für  Unterricht  lehnt  die 
Entsendung  eines  Vertreters  der  Blindenlehrer  in  die  Lehrerkammer  ab.  Mehrere 
Anfragen,  Blinde  betreffend,  werden  eingehend  besprochen  und  beschlossen,  diese 
Angelegenheiten  weiter  zu  verfolgen.  Sodann  wird  die  Verhandlungsschrift  und  der 
Rechenschaftsbericht  dankend  genehmigt.  Herr  Alt  mann,  der  an  der  Sitzung  des 
»Reichsbundes  für  Erziehung«  als  Vertreter  des  Vereines  teilgenommen  hat,  be- 
richtet darüber,  daß  die  Bestrebungen  des  Bundes  mit  unserer  Organisation  keinen 
Zusammenhang  habe.  Zum  Punkt:  »Fürsorgekommission«  wird  beschlossen,  an  das 
Staatsamt  für  soziale  Verwaltung  die  Bitte  zu  richten,  in  der  ersten  Hälfte  des 
Oktober  noch  eine  >  Blindenfürsorgekommissionssitzung«  einberufen  zu  wollen.  Dieser 
Bitte  soll  auch  der  Entwurf  einer  Tagesordnung,  welche  die  dringendsten  Ange- 
legenheiten umfaßt,  beigegeben  werden.  Nach  längerer  Beratung  einigt  man  sich  auf 
folgende  Punkte:  1.  Reformplan,  2.  Subventionsangelegenheiten,  3.  Schaffung 
von  Landesstellen,  4.  Statistik,  5.  Überlassung  von  Objekten,  6.  Blindenbücherei, 
Erholungsheime.  Heilpäd.  Seminar.  Präsident  Bürklen  macht  Mitteilungen  über  die 
Einrichtung  des  ersten  Vortragsjahres.  Akademie-Direktor  Dr.  Kamel  hat  für  dieses 
Jahr  als  Dozenten  Direktor  Bürklen  und  Anstaltsleiter  Gigerl  berufen.  Allfälliges: 
Anregungen  der  Herren  Horvath  und  Uhl,  die  Freikarten  für  die  Straßenbahn 
betreffend.  Die  diesjährige  Generalversammlung  soll  am  25.  Oktober  1.  J.  abgehalten 
werden.  Kneis. 

GENERALVERSAMMLUNG 

des  „Zentralvereines  für  das  österreidiische  Blindenwesen"  am 
Samstag,  den  22.  November  1919,  um  4  Uhr 

in  der  Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  für  erwachsene 
Blinde  in  Wien,  VIII.,  Josefstädterstraße  80. 

TAGESORDNUNG:    Tätigkeitsbericht.     Kassabericht. 
Gründung  einer  „Lehrersektion".  Anträge.  Allfälliges. 

B 1  i  n d  e  n  h  e  i m  v  e r  e i  n  in  Melk.  Den  23.  Jahresbericht  erstattet  Direktor 
P.  Kolumban  Ressavar  über  das  Vereinsjahr  1918.  Die  Schwierigkeiten  im  Mädchen- 
Blindenheim  wurden  immer  größei-,  nur  der  Umsicht  der  ehrwürdigen  Schwestern 
ist  es  zu  danken,  daß  mit  dem  Geringen  noch  halbwegs  das  Auslangen  gefunden 
wurde.  An  Kohlen  fehlte  es  faßt  gänzlich.  Die  Zentralheizung  mußte  daher  außer 
Gebrauch  gesetzt  werden.  Um  aber  doch  im  Arbeits-  und  Speisezimmer  die  not- 
wendigste Wärme  zu  erhalten,  wurden  zwei  Öfen  aufgestellt.  Die  Schlafräme  jedoch 
blieben  die  ganze  Zeit  über  ungeheizt.  Die  Beschäftigung  der  Blinden  bestand 
giößtenteils  in  Handarbeiten  u.  zw.  zunächst  in  Anfertigung  von  Wollwaren  für  das 
Feld.  Hiezu  lieferte  die  Militärverwaltung  die  Rohstoffe.  Im  letzten  Viertel  des  Jahres 
kamen  auch  zahlreiche  Auftiäge  von  Privaten.  Für  geistige  Beschäftigung  wurde 
namentlich  durch  Vorlesungen  gesorgt.  Hierbei  erwarben  sich  Frau  Lony  Paris  und 
Fräulein  Rosa  Wandl  große  Verdienste.  Gesang  und  Musik  wurden  fleißig  gepflegt. 
In  den  Faschingstagen  wurden  zweimal  Musik-  und  kleine  Theaterstücke  zur  Auf- 
führung gebracht.  Jedesmal  war  der  Besuch  ein  sehr  zahlreicher.  Durch  den  Tod 
wurden  zwei  eifrige  Freunde  des  Institutes  hinweggerafft.  Am  9.  April  1918  starb 
nämlich  Herr  Sparkassedirektor  Julius  Haidvogl.  Seit  der  Gründung  des  Insti- 
tutes gehörte  er  dem  Kuratorium  an  und  immer  gerne  bereit,  mit  Rat  und  Tat 
beizustehen.  Ehre  seinem  Andenken!  Auch  in  den  Reihen  der  Zöglinge  hatte  der 
Tod  seine  Ernte  gehalten.  Am  23.  Oktober  starb  die  taubblinde  Katharina  Hügel 
und  am  12.  November  Hermine  Seeböck.  Gegenwärtig  befinden  sich  18  Pfleg- 
linge im  Heim. 

Herausgeber:    ZentralTerein  für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     Redaktionskoraitee:  K.  Bürklen, 
J.  Kneis,  A.     .  HorTath,  F.  Uhl,  —  Druck  tod   Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei  Wien. 


B  Verschiedenes. 

m  '  —  Errichtung  von  Schwer hörigenschulen  in  Deutschöster- 
'eich.  Das  Vollis<fesundheitsamt  hat  auf  Grund  eingeholter  fachmännischer  Urteile 
die  Anregung  gegeben,  für  geistig  normale,  schwerhörige  schulpflichtige  Kinder,  wo 
«s  die  Verhältnisse  gestatten,  eigene  Schwerhörigenabteilungen  zu  errichten.  Der 
Unterstaatssekretäi  für  Unterricht  hat  dieser  Anregung  bereits  Folge  geleistet  und 
in  einem  Erlasse  alle  Landesschulbehörden  autgefordert,  diesen  Vorschlag  unter 
Berücksichtigung  aller  in  Betracht  kommenden  Umstände,  insbesondere  im  Hinblick 
auf  das  Verhältnis  zwischen  Lehrern  und  Ärzten,  einer  eingehengen  Erwägung  zu 
unterziehen  und  dort,  wo  die  Voraussetzungen  dazu  gegeben  erscheinen,  die 
Errichtung  derartiger  Abteilungen,  bezw.  Sonderklassen,  in  denen  schwerhörige 
Kinder  aus  mehrerer  Schulsprengel  vereinigt  werden  können,  in  die  Wege  zu  leiten. 
;Naturgemäß  werden  diese  Abteilungen  in  erster  Linie  in  größeren  Orten  zu  errichten 
und  der  Unterricht  in  solchen  Abteilungen  wird  entsprechend  vorgebildeten  Lehrern 
zu  übertragen  sein,  die  in  ihrem  Wirken  von  besonders  zu  bestellenden  Fachärzten 
zu  unterstützen  wären.  Das  Staatsamt  für  Volksgesundheit  hat  sich  bereit  erklärt. 
die  Errichtung  von  Schwerhörigenabteilungen  in  seinejn  Wirkungskreise  nach 
Kräften  zu  unterstützen.  Demgegenüber  ist  der  Ruf  nach  Errichtung  von  Schwach- 
sichtigenschulen  bisher  angehört  verhallt.  Es  ist  nunmehr  Zeit,  ajrch  diese 
.Aufgabe  energisch  in  Angriff  zu  nehmen. 

—  Ein  Blinder  als  Auswanderungsleiter.  Der  während  des  Krieges 
als  Büroleiter  in  Brasilien  erblindete  Hans  Entner,  welcher  seine  Blindenbildung 
in  Wien  erhielt,  hat  als  gründlicher  Kenner  überseeischer  Verhältnisse  eine  Gesell- 
schaft gegründet,  durch  welche  eine  größere  Anzahl  Intellektueller  in  Brasilien 
induslriell  Stellung  und  Erwerb  finden  kann.  Die  durch  Entner  ins  Leben  gerufene 
Aktion  findet  großen  Zuspruch  und  es  ist  ihr  nur  der  beste  Erfolg  zu  wünschen 
Der  Blinde  dürfte  dadurch  zum  Führer    vieler  Sehender    in    die  neue  Welt  werden 

—  Zusammenschluß  der  deutschen  Kriegsblinden.  Auf  einer  Dele- 
gieitcnversammlung  von  Vertretern  des  Reichsbundes  erblindeter  Krieger,  der 
Landesvereinigung  erblindeter  Eeldzugsteilnehmer  Sachsens  und  des  Vereins  erblin- 
deter Kriegsteilnehmer  Sitz  Hamburg,  die  in  Berlin  stattfand,  wurde  die  Gründung 
einer  Interessengemeinschaft  beschlossen,  der  sofort  die  genannten  Verbände  beir 
traten.  .Auch  der  Anschluß  des  Verbandes  Hannover  ist  zu  erwarten.  Der  Sitz  der 
Interessengemeinschaft  ist  Berlin.  Die  deutschen  Kriegsblinden  gehen  damit  allen 
Kriegsbeschädigten  Organisationen  voran  und  hoffen,  daß  ihr  Beispiel  zu  einer  Ein- 
heitsorganisation aller  Kriegsbeschädigten  führen  wird.  Die  Interessengemeinschaft 
der  Kriegsblinden  wird  nunmehr  alle  sozialen  Wünsche  der  Kriegsblinden  vertreten, 
insbesondere  die  Forderung  der  Fahrtpreisermäßigung,  da  jetzt  die  eines  Führeis 
bedürfenden  Kriegsblinden  gewissermaßen  doppelte  Fahrtpreise  bezahlen  müssen' 
Vorsitzender  der  I.-G.  ist  Bisch  off,  Berlin,  Vertreter  für  Sachsen  Butze,  Riesa, 
für  Hamburg  Bundermann.  Flössel. 

—  Haar  knüpfen  für  Perücken.  Bezüglich  der  Erwerbsmöglichkeit  der 
Blinden  möchte  ich  auf  das  Haarknüpfen  für  Perücken  hinweisen.  Diese  Beschäfti- 
gung eignet  sich  besonders  für,  Mädchen,  ist  sehr  leicht  und  rasch  erlernbar  und 
bringt  guten  Verdienst.  Der  Apparat  hiezu  ist  einfach  und  billig.  Ein  blindes  Mäd- 
chen hat  das  Knüpfen  in  einer  Stunde  erlernt,  knüpft  in  dreiviertel  Stundfen  einen 
Meter  und  erhält  für  das  Meter  K  1.30.  Vielleicht  wäre  es  gut,  auf  diesen  Erwerbs- 
zweig in  unseren  Kreisen  aufmerksam  zu  machen.  Das  Haarknüpfen  erlernte  das 
iMädchen  beim  iPerückenmacher  selbst.  Bei  einigem  Fleiße  verdient  es  sich  täglich 
bis  zu  13  Kronen.  Die  Gelegenheit  zur  Ausübung  dieser  Tätigkeit  dürfte  sich  wohl 
iu  jeder  S'.adt  bieten.  O.  Troyer. 

Bücherschau. 

;  Kraemer  R.   Festschrift  für  Württe  nb.  Blindenvereines.  (Heilbronn 

'  1919{  Selbstverlag).  Die  Festschrift  zeigt  die  seit  10  Jahren  äußerst  segensvoll 
Uiärkeiide  Arbeit  Ides  'Blindönverein6s  und  berührt  dessen  Wohlfahrtseinrichtungen, 
nämentlieh  die  Tätigkeit  der  Blindengenossenschaft.  Die  Ergebnisse  der  Kriegs- 
bliudenfürsorge  w6j-den  von  Mayer,  Erfahrungen  mit  dem  Begleithund  von  Weit- 
bi:etht,  Krieg,  Niederlage  und  Umsturz  in  ihren  Wirkungen  auf  die  Lage  der 
Blinden  und  die  Verstaatlichung  der  Blindenfürsorge  von  Kraemer  in  fach- 
männischer und  interessanter  Weise  besprochen. 


Die  GERDA- SCHREIBMASCHINI 

für  Kriegsbeschädigte  und  Blinde 

gestattet  dem  Sehenden  wie  dem  Blinden,  insbesondere  aber  vor  beidei 
den  Einarmigigen    ihre    kleine  Korrespondenz    leicht    und    schnell    zu 

erledigen.  Dieses  einfachsten  Hilfsmittels  sollte  sich  jeder  bedienen. 
Man  verlange  Prospekt  von  M.  Butze,  Riesa  a.  d.  Elbe.,  Bismarkstraße  15a. 

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Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im  vorschulpflichtigen   Alter  aus  allen   österreiclii- 
schen  Kronländern   auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 

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Wien  XVIII,  Währinger  Gürtel  136. 

verleiht   ihre   Bücher  kostenlos   an   alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

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Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  Untersiützuiiu  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  liir  Blinde.  Erhaltung 
der  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


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Das  Blatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


[-]  Bezugspreis  r-, 

Q  ganzjährig  mit  q 

□  Postzusteilung  Q 

D  6  Kronen,  D 

n  Einzelnummer  lj 

n  50  Heller.  ^ 


6.  Jahrgang. 


Wien,  November  1919. 


11.  Nummer. 


INHALT:  J.  Bartosdi,  Wien:  Kunsterziehung  und  der  Musikunterricht  an  der 
Blindenanstalt.  Der  Blinde  in  der  Kinodarstellung  (Schluß).  Staatliche 
Bündenfürsorgekommission.  O.  Wanecek:  Ein  Blindenstück.  M.  fl.  Butze: 
Die  Gerda-Schreibmaschine  für  Kriegsbeschädigte  und  Blinde,  fl.  Chamisso: 
Die  Blinde.  Aus  den  Anstalten.  Aus  den  Vereinen.  Verschiedenes.  Büdier- 
schau.     Altes  und  Neues.     (Ankündigungen.) 


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3  Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreichische  ^ 

Blindenwesen"    werden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  Vlü, 
g  Josef  Städterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  3  K,  Zeitungsbeitrag  3  K.   5 


flites  und  Neues. 

Blindendarstellungen  der  Inka s. 

Funde  in  den  altperuanischen  Totenstädten  brachten  eine  große 
Anzahl  von  Tongefäßen  zutage,  Krüge  mit  menschHchen  Köpfen  ver- 
ziert, von  denen  viele  absichtlich  dargestellte  Krankheitserscheinungen, 
darunter  auch  solche  Blinder.  So  sieht  man  u.  a.  einen  mit  einer  Mütze 
bekleideten  jungen  Menschen  dargestellt,  bei  welchem  das  rechte  Auge 
fehlt;  die  Lidspalte  ist  angedeutet,  der  Orbinalrand  springt  mächtig 
vor ;  dahinter  die  leere  Augenhöhle.  Im  Gegensatz  dazu  drängt  sich 
aus  der  erweiterten  linken  Lidspalte  gewissermaßen  der  Bulbus  heraus. 
Der  Mund  ist  breit,  die  Unterlippe  hängend,  die  ganze  linke  Seite  starr 
und  gelähmt.  Ein  anderer  Kopt  zeigt  ebenfalls  Lähmung  der  linken 
Gesichtshälfte,  dabei  aber  auch  vollkommenen  Schwund  der  Augen.  Das 
Gesicht  weist  trotz  der  Lähmung  die  Zeichen  lebendiger  Mitteilsam- 
keit auf 

Eine  andere  Darstellung  zeigt  einen  alten  Blinden  mit  erloschenem 
Blick  und  deutlich  sichtbaren  Ohrpflöcken,  mit  über  Kreuz  gelegten 
Beinen  dasitzend  und  die  Flöte  blasend,  schließlich  einen  Blinden  in 
hockender  Stellung  mit  einer  geradezu  verblüffenden  Wiedergabe  des 
Blindheitsausdruckes.  An  diesem  kleinen  wertlosen  Werke  einer  pri- 
mitiven Töplerkunst  ist  das  Problem  des  in  die  Ferne  gerichteten 
inneren  Blickes  und  des  trostlosen  Dahinstarrens  restlos  gelöst. 

Neben  der  Bewunderung  über  die  hohe  künstlerische  Realistik 
dieser  Darstellungen  die  in  die  Tausende  gehen,  interessiert  die  Frage, 
welchen  Zweck  dieselben  hatten.  Sie  bilden  zusammen  ein  ganzes 
Szenarium  des  Daseins  von  der  Geburt  bis  zum  Tode  und  in  dieser 
plastischen  Lebensbeschreibung  eines  Volkes,  das  noch  kerne  Schrift 
besaß,  spielten  auch  die  Nachtseiten  des  Lebens,  Krankheit  und  Tod, 
eine  besondere  Rolle.  Die  Darstellungen  der  Blinden  durften  darunter 
natürlich  nicht  fehlen. 

Die  Tongefäße,  auf  welchen  sich  diese  Darstellungen  vorfinden, 
sind  eine  Art  Bierkrüge,  die,  wie  alle  Gegenstände  des  täglichen  Ge- 
brauches kunstgewerblich  geschmückt  und  verziert  waren.  Von  diesen 
Krügen,  in  denen  das  Maisbier  autbewahrt  und  aus  denen  der  Met  ge- 
trunken wurde,  gab  man  den  in  Tüchern  eingewickelten  Toten  oft 
zahlreiche  mit  in  die  Grabkammern. 

Durch  die  in  den  Totenstädten  gemachten  Funde  gewinnt  man 
nähere  Kenntnisse  vom  Leben  des  Inkavolkes,  das  im  Anfang  des  13. 
Jahrhunderts  auf  dem  südamerikanischen  Hochplateau  lebte  und  nach 
der  Entdeckung  Amerikas  durch  die  goldgierigen  Europäer  zugrunde 
ging.  Die  erhaltenen  realistischen  Kunstwerke  gewähren  uns  Einblick  in 
das  Gemütsleben  eines  ebenso  seltsamen  wie  eigenartigen  Kulturvolkes, 
dem,  wie  die  Blindheitsdarstellungen  zeigen,  auch  dieses  Unglück  nicht 

fremd  war.  ^j^^ach  Holländer  E.:  Plastik  und  Medizin.) 


6.  Jahrgang.  Wien,  November  1919.  11.  Nummer. 


SS  ^ 

^  »Der  V/eg   des  Ohres  ist  der  gang-  § 

m.  barste  und  nächste  zu  unserem  Herzen«.  ^ 

^  Fr.  V.  Schiller.  |g 


Kunsterziehung   und   der  Musikunterricht  an 
der  Blindenanstalt. 

Kritische  Bemerkungen  von  Musiklehrer  Josef  Bar  tos  ch,  Wien. 

Die  Tatsache,  daß  der  Musikunterricht  im  Lehrplari  der  Blinden- 
erziehungsanstalten  bei  weitem  nichf  den  ihm  als  kunsterziehendem  Faktor 
zukommenden  Rang  einnimmt,  hat  in  der  nocli  immer  mangelhaften 
Erkenntnis  seiner  erziehlichen  Bedeutung  für  den  Blinden  ihre  Ursache. 
Diese  mangelhafte  Erkenntnis  führt  zu  verschiedenen  Hemmungen  im 
Unterrichtsbetriebe  selbst,  die  bloßzulegen  Aufgabe  dieser  Arbeit  ist. 

Aus  der  Anschauung,  daß  der  Musikunterricht  an  der  Blindenanstalt 
bei  Begabten  mehr  der  Berufsbildung,  bei  schwächeren  Talenten  der 
Zerstreuung  und  Ablenkung  und  im  allgemeinen  aber  repräsentativen 
Zwecken  zu  dienen  habe,  resultiert  die  mangelnde  Erkenntnis,  daß  dieser 
Unterrichtszweig  bei  Blinden  neben  Poesie  und  Sprache  der  einzige 
kunsterziehende  Bildungsfaktor  ist.  Und  doch  bedeutet  die  Kunsterziehung 
des  Ohres  für  den  Blinden  „Alles".  Wie  wenig  geschieht  da  aber  an 
der  Blindenschule  im  Vergleich  zur  Kunsterziehung  des  Auges  an  der 
Schule  für  Sehende.  Man  gestalte  also  den  Kunstunterricht  des  Ohres 
als  ästhetischen  Bildungsfaktor  aus,  indem  man  ihn  nicht  nur  verbessert, 
sondern  auch  den  Instrumentalunterricht  möglichst  allen  Zöglingen  zu- 
gänglich mache.  Man  treibe  aber  bloß  wirkliche  Kunst  mit  ihnen,  denn 
dadurch  wird  die  Besorgnis,  man  erziehe  durch  die  musikalische  Unter- 
weisung Minderbegabter  Bettler,  hinfällig.  Ein  richtiger  Lehrgang  und 
ein  guter  Lehrer   werden  schließlich    imstande  sein,    den   in    der  Seele 


Seite  1220.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  11.  Nummer. 

fast  eines  jeden  Menschen  schlummernden  Musiksinn  zu  wecken,  zur 
Entfaltung  zu  bringen  und  im  einzelnen  Individuum  das  Verständnis 
wahrer  Kunst  anzubahnen. 

Leider  erfüllen  Gesang-  und  Instrumentalunterricht  gegenwärtig 
ihre  Aufgabe  als  kunsterziehende  Bildungsfaktoren  nicht  so  ganz. 

Durch  das  Fehlen  entsprechender  Gesangbücher  in  Punktschrift 
muß  im  Gesangunterrichte  das  reine  Gedächtnissingen  (Einüben  nach 
dem  Gehör)  mehr  als  notwendig  gepflegt  werden,  wobei  die  Unterrichts- 
methode zu  wenig  auf  die  akustisch  psychologische  Grundlage  (Ton- 
sprache und  deren  lesbare  Darstellung)  gestellt  werden  kann.  Schon 
der  Gesangunterricht  auf  der  Unterstufe  —  und  zwar  von  der  2.  Klasse 
an  —  sollte  das  Singen  nach  Noten  vorbereiten.  Hiebei  ist  psycholo- 
gisch und  methodisch  wie  beim  Schreibleseunterrichte  (Ton  =  Laut, 
Note  =  Buchstabe,  Rhythmus  =  Akzent)  vorzugehen:  Der  Schüler 
lernt  den  gesungenen  Ton  durch  das  Notenzeichen  darstellen  und  wan- 
delt die  Note  singend  wieder  in  den  Ton  um.  (Diktat  und  nachheriges 
Absingen  desselben).  Für  das  Singen  auf  der  Oberstufe  müßten  ent- 
sprechende Gesangbücher  (hauptsächlich  Übungsstoff  und  einige  gute 
Chöre  enthaltend)-  geschaffen  werden.  Damit  soll  nicht  gesagt  sein,  daß 
das  Gedächtnissingen  vollständig  auszuschalten  ist.  Mit  Maß  und  ent- 
sprechend, d.  h.  nicht  als  vollständig  mechanisches  Einüben  angewandt, 
wird  es  dem  verständigen  Lehrer  neben  dem  Notensingen  —  ich  lege 
besonderen  Wert  auf  das  Wort  „Neben"  —  auch  gute  D  enste  leisten. 
Möglichste  Konzentration  mit  dem  Unterricht  in  der  Musiktheorie 
und  dem  Schulunterricht,  namentlich  mit  Sprache,  Turnen  und  Religion, 
werden  den  Gesangsunterricht  zu  einem  wahren  Bildungsfaktor  erheben. 
Gesang-  und  Theorieunterricht  sollen  da  unbedingt  in  der  Hand  eines 
Lehrers  vereinigt  sein,  der  wieder  namentlich  den  sprachhchen  Teil 
des  Gesangunterrichtes  betreffend,  in  innigem  Kontakt  mit  den  literari- 
schen Lehrern  stehen  müßte.  ^ 

Was  den  Instrumentalunterricht  anbelangt,  so  macht  sich  der 
Mangel  einer  Einheitlichkeit  des  Unterrichtsvorganges  der  einzelnen 
Lehrkräfte,  hauptsächlich  hervorgerufen  durch  das  Fehlen  eines  vorge- 
schriebenen progressiv  geordneten  Minimallehrstoffes  der  einzelnen  In- 
strumentalfächer, unangenehm  fühlbar,  während  anderenteils  das  Nicht- 
vorhandensein vieler  notwendiger  Musikalien  in  Punktschrift  den  Unter- 
richt hemmend  beeinflußt.  Hier  ließe  sich  wohl  ohne  besondere  Kosten 
gründliche  Remedur  schaffen. 

Zur  musikalischen  Kunsterziehung  gehört  auch  der  Besuch  von 
Konzerten  und  Opernaufführungen.  W^ohl  wenige  Zöglinge  der  Blinden- 
anstalten (die  künftigen  Fachmusiker  inbegriffen)  haben  genügend  Gelegen- 
heit, ihre  musikalische  Bildung  auch  auf  diese  Art  zu  vertiefen.  Und  doch 
bedeutet  für  den  Blinden  beispielsweise  das  Anhören  eines  ihm  vorher 
entsprechend  erläuterten  Orchesterwerkes  soviel,  wie  für  den  Sehenden 
eine  Kunstbetrachtung  des  Auges.  Man  trete  also,  wo  das  halbwegs 
möglich  ist,  an  die  Direktionen  von  Konzertunternehmungen  und  Opern- 
theatern mit  der  Bitte  um  Freikarten  für  blinde  Zöglinge  heran  oder 
kaufe  des  öfteren  Karten.  Unter  dem  Titel  „Kunsterziehung"  wird  sich 
wohl   eine  Bedeckung   für    diese   nicht  besonders  hohe  Auslage  finden 


11.  Nummer.  ZeitschriJt  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1221. 

lassen.  Besonders  instruktiv  würden  sich  diese  Konzert-  und  Opern- 
besuche gestalten,  wenn  nebst  der  Erläuterung  einzelne  besonders  ge- 
eignete Bruchteile  eines  gehörten  Werkes  im  sogenannten  Zöglings- 
orchester,  das  ja  an  jeder  Blindenanstalt  bestehen  dürfte,  eingeübt 
würden.  Überhaupt  erfährt  die  musikalische  Kunsterziehung  eine 
wesentliche  Förderung  durch  das  Zusammenspiel  der  Zöglinge,  wenn 
dabei  wirkliche  Kunst  (im  anderen  Falle  ist  es  eher  eine  Hemmung) 
betrieben  wird. 

Zusammenfassend  sei  nochmals  betont,  daß  der  gesamte  Musik- 
unterricht an  der  Blindenanstalt  in  erster  Linie  ein  Bildungsgegenstand 
sein  soll.  Der  Instrumentalunterricht  bilde  für  alle  starken,  mittel- 
mäßigen und  schwachen  Talente  ein  obligatorisches  Unterrichtsfach, 
während  der  sogenannte  Unbegabte  durch  den  allgemeinen  Gesang- 
unterricht doch  auch  ein  Mindestmaß  musikalischer  Kunsterziehung  er- 
hält. Daß  der  besonders  Begabte  beruflich  ausgebildet  wird,  das 
schwächere  Talent  Ablenkung  und  Zerstreuung  und  endlich  an  der 
Anstalt  durch  das  Musizieren  auch  das  repräsentative  Moment  seine 
Bechnung  findet,  ist  nur  ein  V^orteil  für  das  Ganze.  Die  Auswahl  des 
Lehrstoffes  für  die  drei  verschiedenen  Begabungsstufen  sei  Sache  des 
streng  individualisierenden  Lehrers.  Nachdem  der  vorzuschreibende 
Stoff  nur  ein  Minimal lehrstoff  sein  soll,  erscheinen  der  Individua- 
lisierung, namentlich  den  starken  Talenten  gegenüber,  keine  Grenzen 
gezogen. 

Eine  wichtige  Frage  für  den  Musikunterrichtsbetrieb  ist  auch  die 
Auswahl  der  Lehrkräfte,  die  entschieden  nach  psychologischen  Erfah- 
rungen erfolgen  muß.  Die  größten  Künstler  sind  in  der  Begel  nicht 
die  besten  Lehrer,  weil  sie  selten  mit  Maß  aus  der  Fülle  ihres  geistigen 
Besitzes  zu  geben  wissen  und  vielfach  für  den  ja  mi  idestens  5  Jahre 
währenden  Elementarunterricht  '  die  nötige  Geduld  nicht  aufzubringen 
vermögen.  Auch  der  Musiklehrer  muß  vor  allem  Psychologe  sein,  da- 
mit er  die  Aufnahmsfähigkeit  des  Schülers  erkennt  und  den  Stoff  ent- 
sprechend begrenzt.  Nur  höchste  Intelligenz  und  Lehrbegabung  darf 
Anspruch  auf  den  Titel  Lehrer  erheben. 

Zum  Schluße  sei  es  auch  noch  gestattet,  die  Frage  der  Beauf- 
sichtigung des  Musikunterrichtes  zu  berühren.  Der  bisher  in  erster 
Linie  hiezu  berufene  Direktor  der  Blindenanstalt  muß  vor  allem  ein 
tüchtiger  Pädagoge,  aber  auch  ein  umsichtiger  Verwaltungsbeamter 
sein.  Kann  man  von  ihm  verlangen,  daß  er  auch  ein  gewiegter  Musiker 
sei  ?  Kann  man  dies  von  den  übrigen  Schulaufsichtsorganen  verlangen  ? 
Da  es  zweifellos  jedem  Fachmann  widerstreben  muß,  sich  durch  einen 
Laien  in  seiner  engeren  Berufsbetätigung  inspizieren  zu  lassen,  macht 
sich  an  der  Blindenanslalt,  wie  an  allen  Schulen  mit  Musikunterrichts- 
betrieb, entschieden  der  Mangel  einer  Fachinspektion  fühlbar. 

Wenn  man  einstens  daran  gehen  sollte,  den  Musikunterricht  an 
den  Blindenanstalten  zeitgemäß  auszugestalten,  so  würde  eine  solche 
Reform  keineswegs  einen  besonders  bedeutenden  Mehraufwand  an  mate- 
riellen Opfern  erfordert!.  Bedenkt  man  aber,  daß  durch  eine  Verall- 
gemeinerung der  musikalischen  Erziehung  nicht  nur  der  Blindensache 
gedient  sondern  auch  die  Kunst  als  Blüte  und  Erzieherin  des  Volkes 
wesentliche  Förderung  erführe,  könnte  dieser  Mehraufwand  segensreiche 
Früchte  tragen. 


Seite   1222.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  11.  Nummer. 

Der  Blinde  in  der  Kinodarstellung. 

(Schluß.) 

Rmour  tenebreux.  (Der  Roman  eines  Erblindeten,  Liebe  und 
Dankbarkeit  eines  Zigeunermädchens.)  Sonia,  ein  Zigeunermädchen,  wird 
vom  Führer  der  Bande  äußerst  schlecht  behandelt.  Als  die  Zigeuner 
einst  in  der  Nähe  eines  herrschaftlichen  Schlosses  lagern,  zeichnet  der 
dort  wohnende  Graf  Sonia  mit  einer  freundlichen  Anrede  aus.  Das 
Mädchen,  das  nie  herzliche  Worte  vernommen  hat,  ist  dem  Herrn  tief 
dankbar.  Nach  einer  neuerlichen,  schweren  Mißhandlung  durch  den 
Zigeunerhauptmann  entflieht  sie  zu  dem  Grafen,  der  sie  dem  Verfolger 
abkauft.  Olga,  seine  Geliebte,  erkennt  aber,  daß  das  Mädchen  ihn  liebt. 
Auf  ihre  Anregung  kommt  Sonia  in  ein  Erziehungsinstitut.  Als  diese 
von  dort  entflieht,  verstößt  sie  der  Graf.  Sonia  findet  kümmerliche 
Unterkunft  bei  einem  Lumpensammler.  Der  Graf,  ein  Chemiker,  erblindet 
durch  eine  Explosion  gelegentlich  eines  Versuches.  Die  Ärzte  sind 
ratlos.  Olga  ist  in  der  ersten 'Zeit  eine  aufopfernde  Krankenpflegerin. 
Bald  aber  übermannt  sie  die  Sehnsucht  nach  ihrem  früheren,  glänzen- 
den, gesellschaftlichen  Leben.  Sie  verläßt  den  hilflosen  Blinden  um 
eines  andern  willen,  dem  sie  nach  Italien  folgt.  Durch  die  Zeitung 
sucht  der  Graf  eine  andere  Pflegerin.  Das  Papierstück  mit  der  An- 
nonce fällt  Sonia  bei  ihrer  Sortierarbeit  zufällig  in  die  Hände.  Ohne 
Zögern  nimmt  sie  die  Stelle  an.  Der  Graf  erkennt  ihre  tiefe  Liebe, 
verdrängt  Olgas  Bild  aus  seiner  Seele  und  wendet  sich  ganz  dem  ehe- 
maligen Zigeunermädchen  zu.  Einer  Zeitungsnotiz  zufolge  will  ein 
berühmter,  amerikanischer  Augenarzt  eine  Augenoperation  an  dem 
Kranken  versuchen.  Daraufhin  wagt  es  Olga,  die  sich  inzwischen  mit 
ihrem  neuen  Geliebten  zerworfen  hat,  zurückzukehren.  Olga  und  Sonia 
treffen  zusammen.  Der  Blinde  hört  den'sich  entspinnenden  Wortwechsel 
und  eilt  herzu.  Olga  weist  er  zur  Türe  hinaus.  Die  Operation  glückt. 
Der  Graf  und  Sonia  sind  in  ,.Licht  und  Liebe"  vereint. 

Die  Darstellung  des  Blinden  verliert  durch  zu  krasses  Hervor- 
kehren der  Eigenheiten  des  Blind^nganges,  des  suchenden  Tastens  nach 
Händen  und  Gegenständen  an  Lebensechtheit.  Namentlich  in  der  Szene, 
da  der  Graf  zu  den  beiden  streitenden  Frauen  will,  tritt  dies  deutlich 
hervor.  Der  stelzende  Gang  mit  seitwärts  gespreizten  Beinen  rührt  ans 
Komische.  Dagegen  ist  das  Reagieren  auf  Anreden,  das  Hinneigen  des 
Ohres  .gegen  den  Sprechenden  viel  natürlicher.  Von  einer  gewissen 
Tragik  ist  die  Szene,  da  der  Blinde,  hilflos  in  seiner  Eifersucht,  den 
Diener  schauen  läßt,  wer  Olga  abholt,  wo  der  stolze,  unnahbare  Herr 
sein  ganzes  Innere  vor  diesem  offenbart. 

Konrad  Hartls  Lebensschicksal  (Schauspiel  in  4  Akten, 
verfaßt  von  K.  Tema).  Der  Uhrmacher  Hartl  ist  mit  einem  Mädchen 
aus  gutem  Hause  (Stefanie)  verlobt.  Inzwischen  ist  der  Weltkrieg  aus- 
gebrochen. Der  junge  Mann  muß  zum  Militär  einrücken  und  kehrt  erst 
als  Kriegsblinder  wieder  heim.  Seine  Braut  will  dem  Unglücklichen 
ihr  Leben  weihen,  da  tritt  aber  ihr  Vater  dazwischen  und  löst  die 
Verlobung.  Konrad  will  sich  das  Leben  nehmen,  wird  aber  aus  den 
Wellen  gerettet.  Stefanie  läßt  sich  nun  nicht  mehr  halten  und  ihr 
gelingt  es,  den    Unglücklichen   wieder   aufzurichten.     Konrad  erhält  die 


11.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1223. 

Aufforderung,  in  die  Kriegsblindenschule  zu  kommen,  dort  erlernt  er  ein 
neues  Handwerk  und  erhält  von  dem  Verein  „Kriegsblindenheimstätten" 
Wien  ein  Haus  zum  Geschenk.  Jetzt  kann  er  auch  seine  Stefanie  hei- 
raten und  die  Versöhnung  mit  dem  Schwiegervater  erreichen. 

In  diesem  wenig  bekannt  gewordenen  Pogragandafilm  für  den 
genannten  Verein  wird  der  Blinde  ohne  Übertreibung,  also  möglichst 
natürlich  gegeben.  Der  Besuch  der  Kriegsblindenschule  bietet  manches 
Interessante.  Die  Arbeit  des  Blinden^als  Buchbinder  ist  jedoch  ver- 
unglückt.    Die  Stotfbehandlung  des  Ganzen  ist  eine  höchst  naive. 

Entsagungen  (Modernes  Charakterschauspiel  in  4  Abteilungen). 
Der  große  Chirurg  Dr.  Wegscheid  erblindet,  nachdem  er  noch  vorher 
der  wunderschönen  jungen  Artistin  Lisa  durch  eine  Operation  das 
Leben  gerettet  hat.  Aus  Dankbarkeit  widmet  sich  diese  der  Pflege  des 
Blinden  und  wird  seine  Braut.  Aber  kaum  einen  Tag  Braut,  verliebt 
sie  sich  auf  den  ersten  Blick  in  den  heimgekehrten  Neffen  Dr.  Weg- 
scheids.  Diese'  Liebe  bleibt  dem  Blinden  natürlich  nicht  verborgen.  Er 
geht  in  den  Tod  und    hinterläßt  sein  Vermögen  den  Liebenden. 

.  Das  Stück  erscheint  dadurch  wertvoller  als  andere,  da  in  dem- 
selben Ausschnitte  aus  dem  Leben  und  Treiben  eines  Blindeninstitutes, 
die  Blindenschrift  und  Blindenarbeit  verpflochten  erscheinen.  Leider 
können  wir  aus  Augenschein  über  die  Darstellung  der  blinden  Haupt- 
person nicht  berichten. 

Die  Tochter  des  Blinden  (Spannendes  Drama).  In  lustiger 
Gesellschaft  tanzt  ein  schönes  Mädchen  zu  den  Klängen,  die  ein  blinder 
Geiger  seinem  Instrument  entlockt.  Es  ist  seine  Tochter.  Ein  Kenner 
hat  sich  gefunden,  ein  junger  Elegant,  der  die  Tochter  dem  Vater  ent- 
führt. Vergebens  sucht  der  Blinde  sein  Kind,  führerlos  bricht  der 
Greis  nieder.  Seine  Tochter  ist  der  Stern  der  vornehmen  Welt  gewor- 
den, aber  sie  fühlt  Reue  und  stürzt  sich  ihrem  Vater,  den  sie  bei 
einem  ländlichen  Feste  wiedersieht,  zu  Füßen.  Der  Blinde  fühlt  die 
kostbaren  Ringe,  die  goldenen  Ketten  an  ihren  Armen  und  er  weist  sie 
von  sich.  Da  siegt  der  gute  Genius  in  dem  Mädchen:  sie  macht  sich 
von  der  Gesellschaft  los  und  kehrt  im  ärmlichen  Gewand  zu  ihrem 
blinden  Vater  zurück,  der  sie  beglückt  wieder  aufnimmt. 

Die  Rolle  des  Blinden  ist  in  diesem  Stücke  in  Ausdruck  und 
Bewegungen  ganz  gut  gegeben.  Die  Raschheit  der  Bewegungen  und 
manche  Kleinigkeiten  verraten  jedoch,  daß  sie  von  einem  Sehenden 
gespielt  wird. 

Das  Geheimnis  des  Blinden  (Großes  Sensationsdrama  in 
8  Akten  nach  ungarischen  Motiven  von  J.  Gergeli).  Ein  alter  blinder 
Mann  wurde  Zeuge  eines  Vorfalles,  aus  dem  sich  die  abenteuerlichsten 
Entwicklungen  ergeben.  Die  Handlung  findet  durch  die  Aufklärung 
seitens  des  Blinden  wieder  ihre  Lösung.  Im  Übrigen  spielt  der  Blinde 
in  der  Sache  keine  Rolle. 

König  Oedipus  (Großes  Drama  in  4  Akten).  Der  Inhalt  dieses 
Stückes  kann  als  bekannt  vorausgesetzt  werden.  Am  Ende  des  Dramas 
will  Oedypus  seine  Schuld  sühnen:  Er  verzichtet  auf  das  Licht  des 
Himmels  und  sticht  sich  vor  dem  entseelten  Körper  Jokastes  die 
Augen  aus. 


Seite  1224.  Zeitschrift  tüi    das   österreichische  Blindeiiwei,c;n.  11.  Nummer.' 

Die  Blendung  geschieht  in  recht  ungeschickter  Weise.  Ebenso 
sind  die  Bewegungen  des  Geblendeten  ungeschickt. 

Von  einem  Film  „Der  Hund  des  Blinden"  ist  dem  Schreiber 
dieser  Zeilen  bisher  nur  der  Titel  bekannt  geworden^'  das  Kinostück 
„Der  blinde  japanische  Masseur-'  sah  er  verspätet  angekündigt 
und  vermochte  auch  nicht,  dessen  Inhalt  zu  erfahren. 

\'on  den  Blinden  Deutschlands  wurde  seinerzeit  gegen  eine  heitere 
Kinoszene,  in  welcher  ein  blinaer  Klavierstimmer  ein  Instrument 
recht  barbarisch  behandelt,  Stellung  genommen.  Gewiß,  kann  eine 
solche  Szene  eine  Schädigung  der  blinden  Stimmer  mit  sich  bringen, 
obwohl  die  vernünftigen  Zuschauer  sich  wohl  der  humoristischen 
Übertreibungen  bewußt  werden  müssen. 

Was  wir  in  den  berührten  Stücken  von  Blinden  sehen,  bezieht 
sich  lediglich  auf  Rührseligkeit  oder  Sensationsmache.  Nur  in  zweien 
finden  wir  die  eigentliche  ßlindensache  kurz  und  nebensächlich  berührt. 
Nirgends  tritt  ein  wirklich  Blinder  auf. .  Die  Figuren  der  Blinden  werden 
von  Sehenden  dargestellt  und  dies  in  keineswegs  getreuer  Wiedergabe. 
Das  Wesen  der  Filmdarsteller  liegt  in  der  Bewegung.  Das  äußere, 
einförmige  Gehaben  des  Blinden  ist  daher  der  Kinodarstellung  zuwider- 
laufend. Der  ...Filmdarsteller  fußt  auf  der  beredten  Gebärde,  einem  Aus- 
drucksmittel, das  dem  Blinden  ganz  oder  fast  ganz  fehlt.  Darum  nuiß 
dem  Fachmann  ein  vorbedachtes  Kinoschaustück  mit  einem  Blinden 
ungenügend  erscheinen.  Man  könnte  sich  mit  dieser  Mangelhaftigkeit 
aber  immerhin  noch  zufrieden  geben,  würden  die  Filme  nur  noch  der 
Blindensache  im  allgemeinen  gerecht  werden.  Aber  kaum  bei  einem 
oder  dem  anderen  trifft  dies  auch  nur  halbwegs  zu.  Und  in  welch 
großartiger  Weise  könnte  das  Kino  der  Blindenfürsorge  dienen!  Davon 
sind  wir  aber  noch  sehr  weit  entfernt.  Als  Ansätze  hierzu  lassen  sich 
höchstens  nachstehend  angeführte  Stücke  erwähnen: 

Ein  Propagandafilm  für  Kriegsblindenführerhunde  „Dem  Licht 
entgegen"  wurde  in  Deutschland  gespielt.  Derselbe  bietet  eine  An- 
einanderreihung von  Bildern  aus  dem  Felde  neben  solchen  von  der 
Heimatfront.  Haupthelden  sind  nicht  nur  zwei  tapfere  Krieger,  sondern 
auch  Senta,  der  preisgekrönte  Sanitätshund. 

Der  „Ausschuß  zur  Untersuchung  der  Arbeitsmöglichkeiten  für 
Blinde-'  in  Berlin  verfügt  über  einen  Film:  „Kriegsblinde  in  der 
Werkstatt",  der  die  verschiedensten  Arbeitsmöglichkeiten  für  Blinde 
im  Kleinbauwerk  vorführt,  wobei  besonders  ein  Kriegsblinder  mit 
gelähmtem  linken  »Arm,  der  zwei  halbautomatische  Maschinen  bedient, 
und  ein  einarmiger  Kriegsblinder  an  der  Bohrmaschine  lebhaftes  Inter- 
esse erwecken. 

Das  sind  bescheidene  Anfänge,  Bilder  aus  dem  Leben  und  der 
Arbeit  Blinder  darzubieten.  Sonstige  Stoffe  wären  in  reichster  Aus- 
wahl vorhanden  und  ein  Filmdichter  könnte  sich  auch  ohne  sentimen- 
tale Übertreibungen  manch  anregenden  Stoff  aus  der  Welt  der  Blinden 
holen.  Vor  allem  aber  könnte  das  Kino  die  beste  Propandastätte  für 
die  Blindenfürsorge  werden,  indem  es  den  breiten  Massen  des  Volkes 
die   Notwendigkeit   der    Blindenbildung   und    Blindenarbeit   nahe  bringt. 


11.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen.  Seite  1225. 

Die  Schaffung  einer  Reihe  guter  Propagandafilms  dieser  Art  mit  zeit- 
^\'eiser  Vorführungsverpflichtung  in  jedem  Kino  würde  die  besten  Früchte 
zeitigen.  Könnte  dazu  unsere  neugeschaffene  „Deutschösterreichische 
Kihnhauptstelle"  die  Hand  bieten? 

Staatlidie  BHndenfürsorgekommission. 

Unter  der  Leitung  des  Ministerialrates  Dr.  Hock  wurde  in  der 
Sitzung  am  5.  November  1.  J.  eine  Reihe  wichtiger  Fragen  zum  Teile 
erledigt,  zum  Teile  vorberaten.  Der  eingebrachte  Reformplan  für 
das  Blindenbildungswesen  wurde  verlesen  und  einem  Komitee, 
bestehend  aus  drei  Vertretern  der  Staatsämter  sowie  den  Herren  Heller, 
Gigerl,  Kneis,  Bürklen,  Horvath,  Höbart  und  Satzenhofer, 
zur  eingehenden  Beratung  zugewiesen.  An  Subventionsmitteln  für  all- 
gemeine Fürsorgezwecke  der  Blinden  und  Taubstummen  sind  250.000  K 
vorhanden.  Die  Kommission  machte  dem  Staatsamte  betreffs  Sub- 
ventionszuwendungen folgende  Vorschläge,  denen  das  Staatsamt 
nach  Möglichkeit  und  unter  Vorbehalt  eines  endgültigen  Beschlusses 
entsprechen  wird :  Isr.  Blindeninstitut  in  Wien  XIX  als  einmalige  Hilfe 
einen  noch  festzusetzenden  Betrag  (angesprochen  wurden  20 — 25.000  K); 
Odilienblindenanstalt  in  Graz  20.000  K,  Leihbibliothek  des  Blinden- 
erziehungsinstitutes  in  Wien  II  10.000  K;  Asyl  für  blinde  Kinder  in 
Wien  XVII  10.000  K,  Anstalt  zur  Ausbildung  von  Spätererblindeten  in 
Wien  XIX  10.000  K,  M.  Przbr.  Mädchenheim  in  Wien  XIII  10.000  K; 
1.  Ost.  Blindenverein  10.000  K  und  8000  K  für  die  in  Punktdruck  er- 
scheinenden Vereinsmitteilungen,  Zeitschrift  für  das  öst.  Blindenwesen 
5000  K,  Zeitschrift  ,..J.  W.  Klein"  5400  K,  Verein  „Lindenbund"  in 
Wien  XX  1500  K,  Zentralbibliothek  1000  K,  Musikalienleihanstalt  des 
Vereines  „Die  Purkersdorfer*'  1000  K.  Die  Errichtung  von  Landes- 
Blindenfür Sorgekommissionen  soll  bei  den  einzelnen  Landes- 
regierungen betrieben  werden.  Bezüglich  der  Blinden  Statistik  wurde 
der  Wunsch  ausgesprochen,  sowohl  bei  der  prov.  Volkszählung  im  heuri- 
gen Jahre  als  auch  bei  der  Volkszählung  im  Jahre  1920  die  Blinden 
zu  zählen  und  auf  Grund  dieser  Ergebnisse  genauere  Erhebungen  über 
die  Blinden  anzustellen.  Eine  Überlassung  von  Gebäuden  für 
Blindenfürsorgezwecke  ist  angeblich  unerreichbar  und  es  dürften 
auch  weitere  Bemühungen  zu  keinem  Ergebnisse  führen.  Aus  demselben 
Grunde  erscheint  auch  die  Schaffung  einer  staatl.  Blindenbücherei 
gegenwärtig  nicht  durchführbar,  obwohl  einer  Viereinigung  der  beste- 
henden Bibliotheken  nichts  mehr  im  Wege  stünde.  Dagegen  wird  sich 
die  Anregung  zur  Schaffung  eines  Erholungsheimes  für  Blinde 
wahrscheinlich  in  Prolling  (Besitz  des  Blinden-Erziehungs-Institutes  in 
Wien  II)  verwirklichen  lassen.  Mit  der  Durchführung  dieser  Angelegen- 
heit wurde  ein  kleines  Komitee  betraut. 

Ein  Blindenstück. 

Lebenswille.  Ein  Stück  in  3  Akten  von  Siegfried  Ab  1er. 

Uraufführung  im  Wr.  Komödienhaus  am  6.  XI.   1919. 

Ein  Stück,  das  kennen  zu  lernen  ich  jedem  reifen  Blinden  an- 
empfehlen müßte.  Aber  mehr  als  das  —  ein  wahres,  durchempfundenes 


Seite  1226.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwcsen.  11.  Nummer. 

Stück  Leben,  ein  Bild  seiner  inneren  und  äußeren  Tragik.  Ein  Kriegs- 
blindensciiicksal  und  doch  viel  mehr  als  das!  Lebensfragen  werden  ge- 
streift, die  uns  alle  berühren. 

Karl  Berger  verliert  das  Augenlicht  im  Kriege.  Er  verbirgt  sich 
unter  einem  falschen  Namen,  da  er  als  Erblindeter  ein  ganz  neues 
inneres  Leben  hat.  Er  will  nicht  mit  seiner  Frau,  die  er  während  des 
Krieges  nahm,  zusammenkommen,  denn  sie  kennt  und  liebt  ihn  als 
Sehenden.  Es  ist  nicht  kleinliches  Verzweifeln,  es  ist  ein  starker  und 
doch  im  innersten  ungesunder  Impuls:  er  meint  einsam  bleiben  zu 
müssen,  da  er  nur  in  der  Beziehungslosigkeit,  in  dem  Nichtvergleichen 
müssen,  ein  neues  Glück  für  sich  erhofft.  Seiner  Frau  aber  gilt  er 
tot.  Sie  hat  in  diesem  Glauben  den  Freund,  dem  der  'Gatte  sie  einst 
zum  Schutze  anvertraut  hat,  liebgewonnen.  Ein  interessantes  psychi- 
sches Problem  rollt  der  zweite  Akt  auf:  die  Frau,  die  ihre  erste  Liebe 
zurücktreten  fühlt  und  als  liebebedürftiges  Wesen  nun  sich  dem  zweiten 
mehr  körperlich  zugeneigt  fühlt.  Unschuldig  kommt  sie  zum  Ehebruch. 
Erschütternd  wirkt  der  Augenblick,  da  sie  es  aus  dem  Munde  des 
zweiten  erfährt,  daß  ihr  Gatte  noch  lebt,  daß  er  aber  blind  ist.  Jener 
hat  ihn  auf  dem  Bilde  einer  illustrierten  Zeitschrift  erkannt,  hat  ihn 
aufgesucht.  Der  Blinde  hat  erkannt,  wie  es  zwischen  den  beiden  steht, 
und  er  gibt  seine  Frau  frei.  Der  Zweite  will  nun  all  die^ittere  Ver- 
neinung der  Möglichkeit  der  Wiederaufnahme  des  ehelich  Gemeinsamen, 
wie  sie  der  Blinde  ausgesprochen  hat,  sich  selbst  zu  Gefallen,  der  Frau 
begreiflich  machen.  Elementar  aber  bricht  sich  aus  ihr  nur  die  Frage 
los:  „Wo  —  wo  ist  er."  Und  sie  sucht  ihn  auf.  Und  der  Blinde,  der 
sie  der  Notwendigkeit  einer  Scheidung  hat  überzeugen  wollen,  vergißt 
seine  Vorsätze,  seine  Liebe  ist  wieder  wach  und  er  unterliegt  mit 
seinen  schroffen  Anschauungen  vor  der  reinen,  unendlichen,  gütigen 
Liebe  seitier  Frau.  Und  die  Worte  die  er  dem  „Freunde"  sagt,  sind 
eine  prächtige  Lebensbejahung.  „Du  brauchst  nicht,"  sagt  er  ungefähr, 
„zu  meinen,  daß  du  weniger  häufig  kommen  sollst.  Millionen  sterben- 
der Geister  ringen  um  das  Glück  dieser  Welt.  Und  ich  will  den  Kampf 
aufnehmen  auch  hier." 

Es  ist  ein  Stück,  das  jeder  reife  Blinde  kennen  lernen  soll,  aber 
es  ist  ungleich  mehr.  Ein  Theaterstück  im  besten  Sinne  des  Wortes,  ein 
Stück  wertvoller  Literatur.  Schade,  daß  die  Operettenbühne  es  so 
wenig  ernst  mit  dem  Einstudieren  nahm.  Die  Darstellung  der  Blinden 
war  frei  von  aller  Theatermache,  wohl  das  Verdienst  des  Dichters. 
Das  Stück  wird    seinen  Weg   machen,    dafür   bürgt  sein  innerer  Wert. 

O.  Wanecek. 

Die    Gerda-Sdireibmaschine   für   Kriegsbeschädigte    und    Blinde. 

Der  Blindenlehrer  Herr  Georg  Em  ig,  der  insbesondere  sich  die 
Einschulung  und  Ausbildung  der  Kriegsblinden  angelegen  sein  ließ,  hat 
kürzlich  auf  Grund  seiner  langjährigen  Erfahrungen  eine  Schreib- 
maschine geschaffen,  die  berufen  i.st,  dem  vorhandenen  Bedürfnis  der 
Kriegs-  und  Friedensblinden,  insbesondere  aber  auch  der  einarmigen 
Kriegsbeschädigten,  nach  einer  einfachen  und  leichtzuhandhabenden 
Schreibmaschine  für  die  persönliche  und  kleinere  Korrespondenz  abzu- 
helfen.    Der  Erfinder    hat   seine  Schreibmaschine    mit  all  den  Einrieb- 


11.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1227. 

tungen  versehen,  die  zur  absoluten  Schreibsicherheit  unbedingt  not- 
wendig sind  und  eine  erhöhte  Leistungsfähigkeit  durchweg  gewährleisten, 
sich  aber  im  Rahmen  einer  kleineren  Schreibmaschine  unterbringen 
ließen.  Daß  der  Erfinder  darauf  Rücksicht  nahm,  die  Gerda-Schreib- 
maschine außer  für  Blinde  auch  für  Einarmige  gebrauchsfähig  zu  machen, 
welchen  Doppelzweck  die  Gerda-Schreibmaschine  auch  vollkommen 
erfüllt,  erhöht  ihren  Wert.  Aus  der  Konstruktion  der  Schreibmaschine 
muß  besonders  hervorgehoben  werden,  daß  alle  Typen  auf  einem 
Typenrad  vereinigt  sind  und  daß  kein  Farbband  vorhanden  ist.  Die 
B'ärbung  der  Typen  bewirkt  ein  Farbröllchen,  das  gerade  für  Blinde 
sehr  vorteilhaft  ist,  weil  es  keiner  besonderen  Aufsicht  bedarf.  Die 
Schönheit-  der  Schrift  wird  durch  diese  beiden  Eigenschaften  der  Gerda- 
Schreibmaschine  nicht  beeinträchtigt. 

Die  Gerda-Schreibmaschine  ruht  auf  einer  Holzplatte,  wird  von 
einem  eleganten  Schutzdeckel  geschützt  und  wiegt  4  kg.  Die  Art  und 
Weise  des  Schreibens  bei  der  Gerda-Schreibmaschine  hält  sich  eng  an 
einen  automatischen  Apparat,  mit  welchem  man  sich  sein  eigenes 
Namensschild  oder  auch  andere  beliebige  Wörter  auf  einem  Aluminium- 
streifen selbst  drucken  kann.  Diesen  Apparat  hier  zu  nennen,  halte 
ich  zur  Verständlichkeit  der  Gerda-Schreibmaschine,  ohne  sie  ge- 
sehen oder  befühlt  zu  haben,  für  notwendig.  Bei  diesen  Apparaten 
findet  man  die  Buchstaben  des  Alphabetes,  die  Satzzeichen  und  die 
Zahlen  in  ZilTerblattform  geordnet  vor.  Ein  beweglicher  Zeiger,  ähnlich 
wie  bei  der  Uhr,  dient  zum  Aufsuchen  der  gewünschten  Buchstaben 
und  durch  einen  besonderen  Hebel  werden  die  Zeichen  gedruckt. 

Das  ächreibverfahren  bei  der  Gerda-Schreibmaschine  ist  also  ähn- 
lich, nur  ist  die  Anordnung  usw.  auf  den  Bogen  eines  auf  der  Spitze 
stehenden,  beweglichen  Kreisausschnittes  beschränkt.  Auf  diesem  Bogen 
sind  die  Buchstaben,  die  Satzzeichen  und  die  Zahlen  in  Sehwarzdruck 
auf  einer  Papierskala  angebracht. 

Ein  feststehender  Zeiger  vor  diesem  Kreisbogen  dient  zum  Fest- 
halten der  aufgesuchten  Buchstaben  usw.  Der  ganze  Kreisausschnitt, 
der  in  schräger  Lage  gehalten  ist,  wird  zum  Aufsuchen  der  Buchstaben 
usw.  seitlich  bewegt,  bis  der  gewünschte  Buchstabe  usw.  unter  den 
Zeiger  zu  stehen  kommt.  Zum  Schreiben  dieses  Buchstabens  usw.  wird 
dann  die  ganze  Schreibplatte,  das  ist  der  metallene  Kreisausschnitt  mit 
Unterlage,  mit  einem  leichten  Schwung  nach  unten  gedrückt.  Dabei 
ruht  die  Hand  auf  dem  Drehpunkt  der  Schreibplatte  und  Daumen  und 
Mittelfinger  haben  die  Führungsbacken  der  beweglichen  Platte  erfaßt. 
Mit  dem  Druck  der  Schreibplatte  nach  unten  wird  das  Typenrad  mit 
dem  gewünschten  Tiuchstaben  usw.  auf  die  am  hinteren  Ende  der  Holz- 
unterlage befestigte  Walze,  die  das  Schreibpapier  hält,  aufgeschlagen. 
In  dieser  Weise  reihen  sich  die  Buchstaben  auf  dem  Papier  in  klarer 
schöner  Schwärzung  aneinander.  Für  Blinde  sind  die  Buchstaben 
zweireihig  auf  der  feststehenden  Schreibplatte  in  Metallpunkten  ange- 
bracht. Das  Aufsuchen  der  einzelnen  Buchstaben  durch  Blinde  kann 
rasch  und  sicher  geschehen,  sobald  man  sich  •  den  Ort  der  einzelnen 
Buchstaben  eingeprägt  hat.  Die  großen  Buchstaben  und  die  Satzzeichen 
und  Zahlen  werden  durch  Umschaltung  geschrieben,  wozu  für  zwei- 
händige Schreiber  seitlich  der  Schreibplatte  Umschaltknöpfe  angebracht 


Seite  1228.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwe&en.  11.  Nummer 

sind,  während  sich  diese  für  den  Einarmigen  vor  ihr  befinden,  so  daß 
die  Umschaltung  vor  dem  Niederdrücken  der  Schreibplatte  von  dem 
Daumen  und  von  dem  Handballen  bedient  werden  kann.  Dieses  höchst 
einfache  Schreibverfahren  räumt  der  Gerda-Schreibmaschine  unter  den 
einfachsten  Schreibmaschinen  die  erste  Stelle  ein.  Somit  kann  ich  den 
sehenden  Kriegsbeschädigten,  insbesondere  den  Einarmigen,  wie  den 
Kriegs-  und  Friedensblinden  die  Gerda-Schreibmaschine  nur  wärmstens 
empfehlen,  weil  mit  ihr  hinreichend  jede  kleinere  Korrespondenz  vor- 
teilhaft erledigt  werden  kann.  Der  Preis  der  Gerda-Schreibmaschine 
für  sehende  und  blinde  Zweihänder  von  195  M  und  für  die  Einarmigen 
von  210  M  ist  angemessen  und  den  heutigen  Preisverhältnissen  an- 
gepaßt. Max  Albert  Butze. 

Die  Blinde. 

Von  Adelbert  von  Chamisso. 

1. 

Es  hat  die  Zeit  gegeben. 
Wo  hinaus  mein  Auge  mich  trug, 
Zu  folgen  im  tiefem  Lichtmeer 
Der  flüchtigen  Wolken  Zug; 

Zu  streifen  über  die  Eb'ne 

Nach  jenem  verschwindenden  Saum, 

Mich  unbegrenzt  zu  verlieren 

Im  lichten,  unendlichem  Raum. 

Die  Zeit  ist  abgeflossen. 

Leb  wohl,  du  heiterer  Schein! 

Es  schließt  die  Nacht  der  Blindheit 

In  engere  Schranken  mich  ein. 

0  trauert  nicht,  ihr  Schwestern, 
Daß  ich  dem  Licht  erstarb; 
Ihr  wißt  nur,  was  ich  verloren, 
Ihr  wißt  nicht,  was  ich  erwarb. 

Ich  bin  aus  irren  Fernen. 
In  mich  zurücke  gekehrt. 
Die  Welt  in  des  Busens  Tiefe 
Ist  wohl  die  verlorene  wert. 

Was  außen  tönet,  das  steiget 
Herein  in  mein  Heiligtum; 
Und  was  die  Brust  mir  beweget, 
Das  ist  mein  Eigentum. 

2. 

Wie  hat  mir  einer  Stimme  Klang  geklungen 
Im  tiefsten  Innern 

Und  zaubermächtig  alsbald  verschlungen 
All  mein  Erinnern! 


11.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seite  1229. 

Wie  einer,  den  der  Sonne  Schild  geblendet, 
Umschwebt  von  Farben, 

Ihr  Bild  nur  sieht,  wohin  das  Aug'  er  wendet. 
Und  Flammengarben: 

So  hört'  ich  diese  Stimme  übertönen 

Die  lieben  alle. 

Und  nun  vernehm'  ich  heimlich  nur  ihr  Dröhnen 

Im  Wiederhalle. 

Mein  Herz  ist  taub  geworden!  wehe,  wehe! 
Mein  Hort  versunken! 
Ich  habe  mich  verloren,  und  ich  gehe 
Wie  schlafestrunken. 


3. 

Jammernd  sinn'  ich  und  sinn'  immer  das  Eine  nur: 
Wonneselig  die  Hand,  welche  beseelet,  sanft 
Gleitend  über  mein  Antlitz, 
Dürft'  ihm  Form  und  Gestalt  verleihn! 

Armes,  armes  Gehör,  welches  von  ferne  nur 

Du  zu  schlürfen  den  Ton  einig  vermagst,  ins  Herz 

Ihn  nachhallend  zu  leiten. 

Ob  nachhallend,  doch  wesenlos! 


Stolz,  mein  Stolz,  wohin  gekommen! 
Bin  ein  armes,  armes  Kind, 
Deren  Augen,  ausgeglommen, 
Nur  zu  weinen  tauglich  sind. 

Lesen  kann  ich  in  dem  seinen 
Nicht  das  heimlich  tiefe  Wort; 
Meine  schweigen,  aber  weinen, 
Weinen,  weinen  fort  und  fort. 

Ja,  wir  sind  getrennt!  In  Scherzen 
Und  in  Freuden  wandelßt  du, 
Über  mich  und  meine  Schmerzen 
Schlägt  die  Nacht  die  Flügel  zu. 


Hus  den  Hnstalten. 

Landes  -  Blindenanstalt  in  Klagen  fürt.  Eröffnungsfeier. 
Anläßlich  der  Wiedereröffnung  fand  am  4.  Oktober  1.  J.  im  Turnsaale  der  Anstalt 
eine  Feier  statt,  bei  welcher  auiier  musikalischen  und  deklamatorischen  Vorführungen 
auch  ein  von  Frau  Senta  Jölly  verfaßtes  Festspiel  durch  blinde  Zöglinge  auf- 
geführt wurde  und  allseitig  Anklang  fand. 


Seite  1230.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenvveseh.  11.  Nummer. 

flus  den  Vereinen. 

Verein  für  Blindenfürsorge  in  Kärnten.  Das  vom  Vereine  erhaltene 
Heim  stand  auch  im  vierten  Kriegsjahre  mehr  denn  je  im  Zeichen  der  Kriegsblinden- 
Fürsorge  und  mußte  sich  zum  Kriegsblindenheim  erweitern,  indem  der  Verein  für 
Blindentürsorge  im  Einvernehmen  mit  dem  Landesausschusse  daselbst  eine  Kriegs- 
blinden-Schulungsstätte  unterhält.  Insgesamt  waren  in  derselben  26  Kriegsblinde 
untergebracht.  Mit  Zustimmung  des  Kärntner  Landesausschusses  fanden  auch  drei 
männliche  und  drei  weibliche  Zöglinge  der  Landes-Blindenanstalt  in  den  Arbeits- 
abteilungen der  Bürstenbinderei,  bezw.  Strickerei,  zur  Ausbildung  Aufnahme. 

GENERALVERSAMMLUNG 

des  „Zentralvereines  für  das  österreichisdie  Blinden wesen"  am 

Samstag,  den  22.  November  1919,  um  4  ühr 

in  der  Versorgungs-  und  Besdiäftigungsanstalt  für  erwachsene 

Blinde  in  Wien,  VIII.,  Josefstädterstraße  80. 

TAGESORDNUNG :      Tätigkeitsbericht     Kassabericht. 
Gründung  einer  „Lehrersektion".  Anträge.  Allfälliges. 

Verschiedenes. 

Staatspreis  für  die  Abrichtung  ein  es  Blindenf  ühr  er  hundes. 
Am  26.  Oktober  1919  hat  der  Österreichische  Polizei-  und  Schutzhundeverein  auf 
seinem  Dressurplatz  eine  Vorführung  von  verschiedenen  einschlägigen  Abrichtungen 
veranstaltet.  Vom  Staatsamte  für  soz.  Verw.  war  ein  Staatspreis  in  Gestalt 
eines  Ehrengeschenkes  gestiftet  worden,  welches  widmungsgemäß  demjenigen  zuzu- 
erkennen war,  welcher  die  besten  Erziehungsergebnisse  auf  dem  Gebiete  der 
Abrichtung  von  Blindenführerhunden  nachweisen  würde.  Dieser  Preis  wurde  dem 
Herrn  Ludwig  Merey  zuerkannt,  welchem  gleichzeitig  ein  besonderes  Anerken- 
nungsschreiben des  Staatsamtes  zugefertigt  wurde.  In  diesem  Schreiben  wird  die 
Bedeutung  der  Preisleistung  für  die  Pflege  dieses  wichtigen  Dressurzweiges  hervor- 
gehoben und  darauf  hingewiesen,  wie  sehr  eine  Verbreitung  und  Nutzbarmachung 
der  Abrichtungsmethode  einem  dringenden  Bedürfnisse  der  staatlichen  Blinden- 
fürsorge entsprechen  würde. 

Bilderagentur  für  Blindenz wecke.  Wie  Provinzblätter  aus  Nieder- 
österreich melden,  treibt  sich  auf  dem  Lande  ein  Agent  um,  der  angeblich  vom 
Staatsamte  ausgesendet  und  für  Blindenfürsorgezwecke  sammeln  soll,  eigentlich  aber 
weiter  nichts  als  ein  Bilderhausierer  ist,  der  das  Bild  »Republik  Deutschösterreich« 
vertreiben  will.  Dieser  zudringliche  Agent,  welcher  für  diesen  Zweck  erst  100  K 
verlangt,  läßt  auch  handeln,  geht  bis  25  K  herunter  und  ist  zuletzt  mit  einer  Angabe 
von  7  K  zufrieden.  Gesagt  muß  es  werden,  daß  es  unpassend  ist,  auf  diese  Weise 
den  Wohltätigkeitssinn  der  Bevölkerung  auszunützen  oder  auch  zu  vernichten.  Es 
wird  daher  empfohlen,  Spenden  für  Blindenfürsorge  direkt  an  die  Behörde  zu  über- 
weisen und  jenen,  welche  das  Bild  kaufen  wollen,  dieses  separat  zu  tun.  Was  bei 
dieser  Art  von  Sammeln  für  die  Blinden  bleibt,  kann  man  sich  denken. 

Ein  Triumph  der  Augenheilkunde.  Durch  Verpflanzung  eines  Teiles 
von  einem  Hundsauge  auf  ein  Menschenauge  ist  es  gelungen,  Blindheit  zu  heilen, 
und  zwar  bei  einem  Patienten,  der  von  Kindheit  an  vollkommen  blind  war. 
Die  durch  Augenentzündung  hervorgerufene  Blindheit  hat  ihre  Ursache  meist 
in  der  Hornhaut,  die  ihre  Durchsichtigkeit  verloren  hat.  In  solchen  Fällen 
gibt  63  nur  eine  Möglichkeit,  dem  Kranken  das  Augenlicht  wieder  zu  schen- 
ken :  man  muß  die  kranke  Hornhaut  durch  eine  gesunde  ersetzen.  Bei  dieser 
Operation  wurde  folgender  Vorgang  eingehalten.  Die  Bindehaut  wurde  zurück- 
geschlagen, darauf  ein  Teil  der  Hornhaut  aus  dem  Auge  genommen  und  in  Blut- 
serum gesetzt.  Nach  diesem  Vorgang  am  Hundsauge  wird  an  dem  menschlichen 
Patienten    die    gleiche    Operation    durchgeführt;  auch  hier  wi:d  an  der  Vorderseite 


Herausgeber:    Zentralverein  für  das  österreichische  BHndenwesen  in  Wien.     Redaktionskomitee:  K.  Biirklen, 
J.  Kneis,   A.     .  HorTath,   F.  Uhl.   —  Dmck   »on    Adolf  Englisch,   Purkersdorf  bei   Wien. 


des  Auges  eine  der  Größe  der  dem  Hundeauge  entnommenen  Hornhaut  entsprechende 
Schicht  entfernt,  die  Hornhant  des  Hundes  aufgesetzt  und  mit  ganz  feiner  Seide 
befestigt.  Die  zurückgeklappten  Hautteile]!  werden  wieder  vorgeschoben  und  eben- 
falls vernäht.  Die  Verwachsung  dauert  meist  nur  wenige  Tage,  während  deren  das 
Augei  durch  eine  Glasumhüllung  in  der  richtigen  Lage  gehalten  wird.  Um  den 
Heilungsprozeß  zu  fördern,  hat  man  anregende  Serumeinspritzungen  vorgenommen, 
die  sich  als  sehr  günstig  erwiesen. 

Blinde  Raupen.  Schon  Schopenhauer  fiel  es  auf,  daß  die  Natur  in 
ihrer  Einrichtung  die  Fortdauer  der  Gattung  fördere,  für  das  Einzelwesen  aber  wenig 
oder  nichts  tue.  So  werden  von  jedem  Einzelnen  unendlich  viele  Keime  ausgestreut 
(z.  B,  von  Bäumen,  Fischen,  Krebsen,  Ameisen  usw.),  während  dem  Einzelwesen 
selbst  nur  soviel  an  Kräften  und  Organen  gegeben  ist,  daß  es  nur  bei  unaus- 
gesetzter Anstrengung  sein  Leben  fristen  kann,  weshalb  ein  Tier,  wenn  es  verstümmelt 
oder  geschwächt  wird,  in  der  Regel  verhungern  muß.  Und  wo  eine  gelegentliche 
Ersparnis  möglich  war,  dadurch,  daß  ein  Teil  zur  Not  entbehrt  weiden  konnte,  ist 
er,  selbst  außer  der  Ordnung,  zurückbehalten  worden.  Daher  fehlen  z.  ti.  vielen 
Raupen  die  Augen,  Die  armen  Tiere  tappen  im  Finstern  von  Blatt  zu  Blatt,  was 
beim  Mangel  der  Fühlhörner  dadurch  geschieht,  daß  sie  sich  mit  den  Vierteln  ihres 
Leibes  in  der  Luft  hin  und  her  bewegen,  bis  sie  einen  Gegenstand  treffen,  wobei 
sie  oft  ihr  dicht  daneben  anzutreffendes  Futter  verfehlen. 

Seltsamer  Tierschutz.  Der  GeneralkommissäJ  für  Venetien  hat  ein 
Dekret  über  Vogelfang  erlassen,  welche«  den  Fang  von  Vögeln  bis  zur*' Größe  der 
Drossel  mittelst  Schlingen,  Leimruten  und  Netzen  gestattet.  Erblindete  Vögel 
sind  jedoch  vom  Fang  ausgeschlossen.  Die  Durchführung  des  letzteren  Verbotes, 
daß  sich  beim  Massenmord  gesunder  Vögel  höchst  sentimental  anhört,  dürfte  in  der 
Durchführung  wohl  einige  Schwierigkeiten  machen.  Wenigstens  ist  nicht  abzusehen, 
wie  die  Vogelmörder   die   Feststellung   der   Blindheit   bei  ihren  Opfern  vornehmen. 

Kriegsblindenfürsorge  in  Frankreich.  Für  die  Kriegsblinden 
wurden  Werkstätten  und  Unterkunftsgebäude  an  bereits  vor  dem  Krieg  eingerichtete 
Blindeninstitute  in  Paris  und  in  der  Provinz  angegliedert.  Man  vermeidet  es  nach 
Möglichkeit,  die  Blinden  in  eigenen  'Anstalten  unterzubringen,  und  stellt  ihnen  gegen 
geringe  Bezahlung  kleine  Wohnungen  für  sich  und  ihre  Familien  zur  Verfügung. 
Die  Blinden  lernen  schreiben  und  Brailleschrift  lesen  ;  durch  elektrisch  betriebene 
Apparate  ist  dieser  Unterricht  auch  für  erblindete  Armamputierte  ermöglicht  wor- 
den. Außer  den  althergebi  achten  Gewerben  (Bürstenbinderei,  Korbflechterei)  hat 
man  mit  Erfolg  versucht,  die  Blindeu  mit  Hilfe  sinnreich  konstruierter  Werkzeuge 
für  Teilarbeit  in  der  Schusterei  und  Tischlerei  auszubilden. 

—  Der  Blinde.  An  der  Unterführung  steht  ein  Bettler,  der,  wie  ein  Täfel- 
chen auf  seiner  Brust  besagt,  blind  ist.  Ich  trete  hinzu  und  werfe  ihm  eine  kleine 
Münze  in  den  Hut  und,  weil  ich  sie  gerade  in  der  Hand  habe,  auch  einige  Brot- 
marken. Eben  will  ich  ihn  aut  diese  aufmerksam  machen,  doch  da  kommt  er  mir 
auch  schon  zuvor.  »Ich  dank'  schön,  Herr«,  ruft  er  mit  heiserer  Stimme,  »besonders 
für  die  Brotmarken.« 

—  Geschäftsentwertung.  Blinder  Bettler:  »Recht  ung'legen  is  mir  die 
Revolution  schon  'kommen.    Mei'  Spieldosen  spielt  blos  »Heil  dir  im  Siegerkranz!< 


Bücherschau. 

Paris  P.  :  Unfallverhütung  bei  der  Beschäftigung  Kriegs- 
blinder in  gewerblichen  Betrieben.  (Berlin  1919,  Vossische  Buchhand- 
lung.) Nach  Veröffentlichung  des  Artikels  »Arbeitsmöglichkeiten  für 
Kr iegsblinde  ibei  Herstellung  elektrischer  Installationsmateri- 
alien« durch  denselben  Verfasser  zeigte  sich  alsbald  reges  Interesse  seitens  vieler 
Fabrikanten,  welche  ebenfalls  Versuche  mit  Blindenbeschäftigung  machen  wollten. 
In  den  meisten  Fällen  wurden  Bedenken  laut  bezüglich  der  schwierigen  Frage  der 
Unfallverhütung  unter  Hinweis  auf  die  erhöhten  Gefahren  für  Blinde. 

Nach  den  im  Kleinbauwerk  der  Siemens-Schuckertwerke  in  Berlin  gemachten 
Erfahrungen  lassen  sich  an  Maschinen  entsprechende  Sicherungen  anbringen,  um 
Blinde  bei  der  Arbeit  vor  Unfällen  zu  schützen.  Der  Artikel  zeigt  dies  in  anschau- 
licher Weise  in  Wort  und  Bild.  Die  Broschüre  »Kriegsblinden-Beschäftigung  in 
der  Werkstatt«  ist  in  einem  neuen  erweiterten  Sonderabdruck  erschienen. 


Die  GERDA- SCHREIBMASCHINE 

für  Kriegsbeschädigte  und  Blinde 

gestattet  dem  Sehenden  wie  dem  Blinden,  insbesondere  aber  vor  beiden 
den    Einarmigen     ihre    kleine    Korrespondenz    leicht     und    schnell   zu 

erledigen.  Dieses  einfachsten  Hilfsmittels  sollte  sich  jeder  bedienen. 
Man  verlange  Prospekt  von  M.  Butze,  Riesa  a.  d.  Elbe.,  Bismarkstraße  15  a. 

„ASYL  FÜR  BLINDE  KINDER" 

Wien,  XVII.,  Hernaiser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im  vorschulpflichtigen  Alter  aus  allen  österreichi- 
schen Kronländern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitung. 

Die  ..ZentrolbibiiothBh  fiii<  Bünde  in  Österreich". 

Wien  XVIII,  Währlnger  GUrtel  136, 

verleiht  ihre  Bücher  kostenlos  an  alle  Blinden. 


Blinden-Unterstützungsverein 

,,DllE  PURKERSDORFER" 

Wien  V.,  Nikolsdorfergasse  42. 

Zweck  des  Vereines:  Unterstützung  blinder  Mit- 
glieder. Arbeitsvermittlung  tür  Blinde.  Erhaltung 
der  Musikalien-Leihbibliothek.  Telephon  10.071. 


Dep  blinde  Modelleur 


Littau  in  Mähren, 

empfiehlt  seine  zu  Geschenken  .sich 
:  vorzügHch  eignenden  keramischen  : 
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BQpstenbinder  und  Korbfiechter. 

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Wien  VIII.,   Florianigasse  Nr.  41. 

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Verkaufsstelle:    Wien  VII.,  Neubau^asse  75. 


Musiiiaiien  -  Leiiiinstitut 

des  Biinden-Unterstützungsvereines 
>Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V., 
:  — :  Nikolsdorfergasse  Nr.  42.  :  — : 


GS 


Blindendrucknoten    werden    an      f^i 
Blinde  unentgeltlich  verliehen  !      IaJF 


von  Oskar  Picht. 

Bromberg. 


W.  Kraus,  Berlin  N  54 

(Gegründet  1878.) 

Borsten-,  Rohmaterialien-  und  Werkzeug-Fabrik, 
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Bergedorf  bei  J^amburg. 

Mustergültige  Bearbeitung  von   Fiber  und  Piassava 
aller  Arten. 


□ 


□ 


Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


r-i      Schriftleitung 
[-]  Purkersdorf 

□  bei  Wien. 

D      Österreicbiisches 
n      Postsparkassen- 
konto Nr.132.257 


H 


Das  Blatt  erscheint 
monatlidi  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


r-n  Bezugspreis  r-i 

Q  ganzjährig  mit  q 

□  Postzustellung  □ 

D  6  Kronen,  D 

Cl  Einzelnummer  LJ 


D 


50  Heller. 


D 


6.  Jahrgang. 


Wien,  Dezember  1919. 


12.  Nummer. 


IMHflLT:  O.  Wanecek,  Purkersdorf:  Einrichtung  von  Schwachsichtigen-Hilfskassen« 
angeschlossen  an  Schulen  für  Normalsiditige  oder  Blindenunterrichtsanstalten- 
Maxüayek:  Eine  Wiener  Straßenszene,  fl.  Chamisso:  Die  Blinde.  Personal- 
nachrichten. Aus  den  Anstalten.  Rus  den  Vereinen.  Büchersdnau.  Verschie- 
denes.    Altes  und  Neues.     (Ankündigungen.) 


1&= 


^r 


^   Beitrittserklärungen    zum    „Zentralverein    für  das  österreidiisdie  ^ 

Biindenwesen"    v»/erden    erbeten    an    die    Leitung  in    Wien  VIII, 
g  Josefstädterstraße  80.  Mitgliedsbeitrag  3  K,  Zeitungsbeitrag  3  K.   g 


flites  und  Neues. 

Ein  rettender  Einfall. 

An  einem  Frühlingstage  des  Jahres  1853  wurde  ein  junger  Bild- 
hauer, namens  B  en  nhof  er,  der  bereits  beachtenswerte  Proben  eines 
ungewöhnlichen  Talents  abgelegt  und  sich  nach  einigen  Erfolgen  auf 
Ausstellungen  mit  einem  jungen  Mädchen  verlobt  hatte,  bei  einem 
Spaziergange  in  der  Nähe  von  Wien  während  eines  Gewitters  vom 
Blitze  getroffen   und  für  längere  ^Zeit  betäubt. 

Das  Erwachen  für  den  Ärmsten  war  furchtbar.  Er  war  durch 
die  Einwirkungen  des  elektrischen  Stromes  des  Augenlichtes  beraubt 
worden.  Seine  Verwandten  brachten  ihn  in  die  Klinik  des  berühmtesten 
Augenarztes  von  Wien,  des  Professors  Ferdinand  von  Ar  lt.  Doch 
auch  dessen  Kunst  vermochte  ihm  die  gestörte  Sehkraft  nicht  wieder 
zu  geben.  Als  Bennhofer  erfuhr,  daß  er  für  sein  weiteres  Leben  blind 
bleiben  müsse  und  nie  wieder  seine  geliebte  Bildhauerkunst  ausüben 
könne,  brach  er  völlig  zusammen.  Da  er  ein  nur  bescheidenes  Ver- 
mögen hatte,  löste  sich  auch  seine  Verlobung  auf,  obwohl  seine  Braut 
schließlich  nur  dem  Drängen  ihrer  Eltern  nachgab.  Tagelang  saß 
Bennhofer  in  seinem  Krankenzimmer  und  brütete  düster  vor  sich 
hin.  Mehrmals  versuchte  er  sich  das  Leben  zu  nehmen.  Von  Tag  zu 
Tag  steigerte  sich  seine  trübsinnige  Stimmung  und  bereits  machten 
sich  bei  ihm  die  ersten  Anzeichen  einer  beginnenden  Geistesstörung 
bemerkbar,  als  der  Professor  auf  ein  einfaches  Mittel  verfiel,  die 
Gedanken  des  unglücklichen,  jungen  Mannes  etwas  abzulenken  und 
zunächst  wenigstens  ein  gewisses  Interesse  für  andere  Dinge  bei  ihna 
zu  erwecken.  Er  knüpfte  in  eine  Schnur  einen  vielfach  verschlungenen 
Knoten  und  bat  Bennhofer  dann,  den  Knoten  zu  entwirren,  eine 
Tätigkeit,   die  immerhin  eine  gewisse   geistige  Anspannung  erforderte. 

Arlt  hatte  den  richtigen  Weg  eingeschlagen.  Der  Blinde  fand  an 
dem  Entwirren  der  verwickeltsten  Knoten  immer  mehr  Vergnügen,  so 
daß  er  es  schließlich  zu  einer  großen  Fertigkeit  darin  brachte.  Dadurch 
gewannen  seine  Finger  eine  unglaubliche  Feinfühligkeit,  bis  man  Benn- 
hofer nach  einem  halben  Jahre  Knetmasse  anvertraute,  aus  der  er  ver- 
schiedene, vorläufig  noch  einfache,  Gegenstände  zu  formen  begann.  Mit 
dem  jungen  Mann  war  körperlich  und  geistig  eine  große  Aenderung 
zum  13essern  vor  sich  gegangen  und  mit  Stolz  zeigte  er  seinem  Wohl- 
täter stets  die  Proben  seiner  Fingerfertigkeit.  Nach  2  Jahren  modellierte 
er  bereits  die  zierlichsten  Figürchen.  Bald  wurde  ein  Porzellanvvaren- 
fabrikant  auf  die  in  jeder  Hinsicht  künstlerischen  und  eigenartigen 
Werke  Bennhofers  aufmerksam  und  beschäftigte  ihn  dauernd,  so  daß 
er  reichlich  verdiente.  Die  Braut,  die  ihn  nur  halbgezwungen  verlassen 
hatte,  kehrte  zu  ihm  zurück  und  bald  wurde  aus  beiden  ein  seliges 
Paar.  Bennhofer  nahm  eine  größere  Arbeit  in  Angriff.  So  entstand 
im  Verlaufe  von  drei  Monaten  seine  rührende  Gruppe  »Der 
blinde  Gatte«,  die  ihm  1864  in  München  die  goldene  Medaille  einbrachte 
und  dann  vom  Wiener  Nationalmuseum  angekauft  wurde.  Bennhofer 
starb  im  Jahre  1889  an  einer  Lungenentzündung.  Seine  Familie  bewahrt 
noch  heute  wie  eine  Reliquie  die  Schnur  auf,  in  die  der  berühmte 
Augenarzt  einst  jenen  ersten  Knoten  geknüpft  hatte,  durch  den  ein 
völlig  Verzweifelter  sich  in  Wahrheit  zu  sich  selbst  zurückfand. 


6.  Jahrgang. 


Wien,  Dezember   1919. 


12.  Numnner. 


^ 


„Treffe  ich  einen  Menschen,  der  sich  gesunder 
Sinne  zu  erfreuen  hat,  und  der,  ohne  sonstwie 
elend  zu  sein,  unzufrieden  ist,  weil  ihm  nicht 
alles  nach  Wunsch  geht,  dann  möchte  ich  ihm 
zurufen :  so  schau  doch  um  dich  und  merke, 
■welche  Fülle  von  Freude  und  Glück  durch  die 
Augen  unaufhörlich  in  dich  einströmt  und,  so  oft 
du  willst,  auch  durch  die  Ohren!"  k.  jentsci,. 


iii>S'»^^f^^^iji^iJ^^»'S^^.^?S;!Si-?I^^^SSi^'Si^<^^^^^^®^&^&'»^^ 


g» 


Einrichtung  von  Schwachsichtigen-Hilfsklassen, 

angeschlossen  an  Schulen  für  Normalsichtige 

oder  Blindenunterrichtsanstalten. 

Von  Ottokar  Wanecek,  Blindenlehrer,  Purkersdorf. 

Mit  Erlaß  vom  19.  April  1919.  Zahl  2322,  Abt.  13,  hat  der  Unter- 
staatssekretär  für  Unterricht  alle  Landesschulräte  aufgefordert,  die  Er- 
richtung von  Abteilungen  und  Sonderklassen  für  Schwerhörige  unter 
der  Voraussetzung  des  gemeinsamen  Wirkens  zwischen  Lehrern  und 
Ärzte  in  die  Wege  zu  leiten.  Damit  dürfte  wohl  auch  bald  die  Ein- 
richtung von  entsprechenden  Maßnahmen  für  schwachsichtige  Kinder  iji 
Angrilf  genonmien  werden,  Maßnahmen,  die  nicht  minder  dringlich  und 
längst  zur  Verwirklichung  reif  geworden  sind.  Die  idealste  Schulorga- 
nisation, eine  Schule  für  Schwachsichtige,  wird  kaum  je  zur  Wirklich- 
keit werden.  Sie  ist  aber  auch  bei  weitem  nicht  so  notwendig,  wie 
etwa  Blindenschulen  und  ähnliche  Institutionen.  Klassen  und  Sonder- 
abteilungen, die  den  ersten,  einführenden  Unterricht  in  einer  ent- 
sprechenden Art  zu  geben  vermögen,  müssen  den  Schwachsichtigen  so 
weit  bringen  können,  daß  er  als  Schüler  einer  Volksschulklasse  oder 
auch  Blindenkiasse    mit   vollster   Betonung  seinur  Individualität  geführt 


Seite  12S6.  Zeitschrift  das  für  österreichische  Blindenwesen.  12.  Nummer. 

werden  kann.  Solche  Hilfsklassen  und  Sonderabteilungen  können  ohne 
besondere  Schwierigkeiten  nicht  mir  der  unterrichtlichen  Hinsicht, 
sondern  auch  der  verwaltungstechnischen  Seite  nach  an  die  schon 
bestehenden  Schuleinrichtnngen.  spien  es  Volks-  oder  Blindenschulen, 
angeschlossen  werden. 

Die  Verwirklichung  ihrer  Errichtung  ist  aber  an  mehrere  Voraus- 
setzungen gebunden.  Vom  Standpunkte  des  Pädagogen  sind  das  zwei: 
1.  üas  Vorhandensein  entsprechender  Lehr-  und  Lernbehelfe  und  2. 
ein  zweckmäßiger  Lehrplan,  der  einen  organischen  Anschluß  an  die 
Hauptunterrichtsanstalt  —  Volksschule  oder  Blindenunterrichtsanstalt 
—  gewährleistet.  Dieser  letztere  soll  in  nachfolgender  Arbeit  entworfen 
werden.  Es  liegt  ihm  im  allgemeinen  der  Lehrplan  der  n.-ö.  Landes- 
BJindenanstalt  in  Purkersdorf  zugrunde.  Wenn  (üeser  gewählt  wurde, 
so  sollte  damit  nicht  dokumentiert  werden,  daß  die  Behandlung  des 
schwachsichtigen  Kindes  im  Unterricht  jener  des  blinden  angeglichen 
werden  soll.  Dies  wäre  sehr  falsch.  Der  Schwachsichtige  ist  ein 
Sehender  und  muß  als  Sehender  behandelt  werden.  Der  Lehrplan 
einer  Blindenanstalt  wurde  einzig  und  allein  deswegen  zu  gründe 
gelegt,  weil  er  der  Lehrplan  einer  Spezialunterrichtsanstalt  ist  und  als 
solcher  sich  vollkommen  bewährt  hat.  (Vergleiche  hiezu  den  Jahres- 
bericht der  n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf  vom  Jahre  1912.) 

L  e  h  r  p  1  a  n  für  S  c  h  w  a  c  h  s  i  c  h  t  i  g  e  n  -  A  b  t  e  i  1  u  n  g  e  n. 

Zweck:  Die  Sonderabteilung  hat  den  Zweck,  sehschwache  Kinder 
beiderlei  C4eschlechtes  die  ersten  Schuljahre  hindurch  in  den  von  den 
allgemeinen  Schulgesetzen  vorgeschriebenen  Richtlinien  zu  erziehen,  zu 
unterrichten  und  gegebenenfalls  im  Musikunterrichte  die  Grundlage  zu 
geben. 

Einrichtung:  Die  SchwachsiQhtigenabteilung  hat  wenigstens  die 
ersten  3  Schuljahre  zu  umfassen,  an  die  sich  die  folgenden  Schuljahre 
an  einer  Volksschule  oder  an  einer  Blindenanstalt  organisch  anschließen 
müssen  können. 

* 

Ziel:  In  der  Schwachsichtigenabteilung  sind  die  Kinder  ihrer 
individuellen  Eigenart  entsprechend  mit  jenen  Kenntnissen  und  Fertig- 
keiten auszustatten,  daß  sie  in  jeder  Hinsicht  am  Ende  des  3.  Schul- 
jahres befähigt  sind  den  weiteren  Unterricht  als  Sehschwache  im  Rah- 
men der  Volks-  oder  Blindenschule  ohne  Beeinträchtigung  des  Lern- 
erfolges mitzumachen. 

Zur  Begründung  dieser  Forderung  sei  folgendes  gesagt: 
Naturgemäß  müssen  die  ersten  drei  Schuljahre  in  Bezug  auf  die 
Lehrmethode  für  Schwachsichtige  sowohl  vom  Unterricht  Sehender 
als  auch  von  dem  Blinder  abweichen.  Das  bezieht  sich  nicht  nur  auf 
das  Lesen  und  Schreiben,  sondern  auch  auf.  den'  Anschauungs-  bezw. 
Kealienunterricht.  Denn  hier  muß  in  der  Vereinigung  von  Tasten  und 
Sehen  eine  dem  Sehschwachen  entsprechende  besondere  Form  der  Auf- 
'  fassung  zur  Geltung  gebracht  werden.  (Siehe  meinen  Aufsatz  in  der 
Zeitschrift  für  das  österreichische  Volksschulwesen  1919  Xr.  1 — 3, 
Über  besondere  Maßn^^hmen  beim  Unterricht  Sehschwachsichtiger.) 


12.  Nummer.              Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwescn.  Seite  1237. 

ü  n  t  e  1"  r  i  c  h  t  s  g  e  g  e  n  s  t  ä  n  d  0  und  Stunden  a  u  s  in  a  ß : 

Zahl.                     Lehrgegf nstand.                    I.  Klasse.            II.  Klasse.  HI.  Klasse, 

1.  Religionslehre 1                       1  2 

2.  Anschauungsunterricht  ...  6  4  —  - 
H.  Deutsche  [^Unterrichtssprache  .  —  H  I 
4.     Lesen,  Braille .2                     2  1 

Schwarzdruck      ....  5  Hall)sl.        ö  Halbst.  ö  Halbst, 

ö.     Rechnen o                      ö  !■ 

6.  Geometrie ■ —                     —  1 

7.  Geschichte — ■                    —  1 

8.  Erdkunde —                    — •  1 

9.  Naturgeschichte —                    —  1 

10.  Naturlehre —                    —  1. 

11.  Sclweiben,  Braille 1                       2  1 

Schwarschrift  .    .    .    .    .  2  Halbst.        3  Halbst.  H  Halbst. 

Klein —                    — ■  1 

12.  Zeichnen  und  Sehübungen     .  2  Halbst.        2  Halbst.  2  Halbst, 

13.  Turnen 2                      2  2 

11.     Gesang 2         •             2  2 

15.     Formen 2                      2  2 

Dieses  Stundenausmaf:5  ist  in  nachfolgendem  Stundenplane  derart  berück- 
sichtigt, daß  sämtliche  3  Altersstufen  im  Abteijungsunterricht  auch  von 
einer  Lehrkraft  zur  Not  geführt  werden  können: 


Tag 

Kl,       8-9 

9  —  10 

10  —  11 

II-V2I2 

V.2-2 

! 
2  —  3 

Montag 

1. 

Religion 

Anschunterr. 

1 

— 

Schwarz- 
■    druck- 
1     Lesen 

— 

2. 

Religion 

Anschunterr. 

>  Gesang 

1 

Sprachl.  ') 
Erdkde.  1) 

— 

3. 

Religion 

Sprachlehre 

Geometrie 

Dienstag 

1. 

Rechnen 

Anschunterr. 

1 

Sehübung. 

1  Schwarz- 
>   schrift- 
1  Schreiben 

(     Braille- 
(    Lesen 

) 

2. 

Rechnen 

Anschunterr. 

>  ]'"oi  mcn 

Zeichnen 

3.    Rechnen 

Sprachlehre 

Zeichnen 

Mittwoch 

1. 

Rechnen 

Anschunterr. 

1 

>  Turnen 

}  Schwarz- 
^    druck 
Lesen 

1  Schwarz- 
>    schrift- 
1  Schreiben 

1 

1     Braille- 
[' Schreiben 

L 

Rechnen 

Sprachlehre 

3. 

Religion 

Sprachlehre 

Donnerst. 

1. 

Rechnen 

Anschunterr. 

1 

>  Gesang 

) 

— 

\ 

1  Schwarz 

J-    druck- 
1     Lesen 

Braille-Les. 
Braille-Les. 

2. 

Rechnen 

Anschunterr. 

1  Schwaiz- 
|-   schrift- 
)  schreiben 

3. 

Rechnen 

Geschichte 

Naturgesch- 

Freitag 

1. 
2. 

Rechnen 

Anschunterr. 

1 

Schwarz- 
•     druck 
Lesen 

]  Sehübung. 

— 

Rechnen 

Anschunterr. 

>  Formen 

>  Zeichnen 

Braillc-Schr. 

3. 

Rechnen 

Naturlehre 

Zeichnen 

Klein  -Sehr. 

1. 

Rechnen 

Anschunterr. 

1 

1 

1  Schwarz - 
\     druck 
1     Lesen 

Samstag 

2. 
3. 

Rechnen 

Sprachlehre 

J-  Turnen 

Rechnen 

Sprachlehre 

1)  Montag  2.  u»  3.  KI.  bis  12  Uhr. 


Seite  1238.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwescn.  12.  Nummer. 

Da.s  ^tundenaiLsmaß  beträgt  29  Stunden  für  die  L,  oHV.,  für  die  II. 
Die  III.  Klasse  hat  eine  wöchentliche  Stundenzahl  von  34^2  Stunden.  Da 
Religion  (2  Stunden),  Turnen  (in  2  Gruppen  4  Stunden)  und  Singen 
{2  Stunden)  von  eigenen  Lehrkräften  unterrichtet  werden  können,  hat 
der  Klassenlehrer  eine  Wochensumme  von  26^2  Stunden. 

Für  die  einzelnen  Fächer  gestalten  sich  die  Lehrziele,  wenn  sie 
nicht  naturgemäß  mit  den  übrigen  gleich  bleiben  müssen,  folgender- 
maßen: (Siehe  hiezu  Jahresbericht  der  n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in 
Purkersdorf,  1912). 

1.  Religionslehre:  (a.  a.  O.) 
2.  Anschauungsunterricht: 

Ziel:  An.schauliches  Erfassen  von  der  Einrichtung  und  dem  Zwecke 
dör  Dinge  der  Umgebung  auf  Grund  gleichseitiger  Beachtung  der  opti- 
schen und  der  TastaufTassung  unter  richtigem,  gewandtem  Gebrauche 
der  Muttersprache. 

1,  Klasse:  Verbreitende  Anscliauung.s-  und  Sprachübungen.  anknüpfend 

an  kör[)erlich  vorhandene  Gegenstände    der  Umgebung  des  Kindes. 
II.  Klasse:    Anschauungsübungen    mit    besonderer    Rücksicht    auf   die 

Jahreszeiten   innerhalb    der    Anschauungskreise:    Schulzimmer  und 

Anstalt,  Haus  und  Hof.  Der   Mensch.   Der   (!arten,  Feld  und  Wald. 

x\eben  die  körperlich  vorhandenen  Dingen  treten  schematische  Um- 

rißzeichimngen  zur  Veranschaulichung.  (Kunz'sclie  Bilder). 

3.  Deutsche  Unterrichtssprache:  (a.  a.  O.) 
4.  Lesen  : 
Ziel:  Fertigung  im    Lesen  der  Kurrent-  und  Lateinschrift,  in  not- 
wendigen Fällen  auch  der  Braillesche    Punkt-  und  tastbaren  Majuskel- 
schrift.    Volles  Verständnis  des  Gelesenen. 

I.  Klasse  :  Erkennung  der  Buchstaben.  Zeichen  und  Ziffern  der  Kur- 
rentschrift an  der  Hand  von  Schwachsichtigentibeln.  Übungen  an 
Setzkasten  für  Schwachsichtige.  In  notwendigen  Fällen  Einübung 
der  Buchstaben,  Zeichen  und  Ziilern  der  Braille'schen  Punktschrift. 

IL  Klasse:  Lautrichtiges  Lesen  der  Kurrentschrift,  Kenntnis  der  Latein- 
schrift. Wort-  und  Sacherläuterungen.  Wiedergabe  des  Gelesenen 
nach  gestellten  Fragen,  in  notwendigen  Fällen  Fertigkeit  im  Lesen 
der  Braille'schen  Punktschrift. 

IM.  Lesen  des  Schwarzdruckes  mit  gesteigerten  Anforderungen,  in  not- 
wendigen Fällen  lautrichtiges  Lesen  der  Braille'schen  Punktschrift, 
Einüben  der  xAIajuskelschrift. 

5.  Rechnen : 

Wie  im  Jahresbericht  der  n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  1912.  Einzu- 
fügen bei  der  IL  Klasse:  Einüben  der  Zitfernformen  in  Schwarzschrift, 
Anfänge  des  schriftlichen  Rechnens  in  Schwarzschrifl  und  bei  der 
111.  Klasse  schriftliches  Rechnen  in  Schwarzschrift.  Benützung  eines 
Rechenbuches  für  Schwachsichtige. 

6.  Geometrisdie  Formenlehre: 

Wie  im  Jahresbericht  der  n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  1912.  Anzu- 
fügen bei  der  III.  Klasse:  Unter  Benützung  einfacher  schematischer 
Tafelzeichnunüen. 


12.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  Seile  1239. 

7.  Erdkunde : 

Wie  im  Jahresbericht  der  n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  1912.  Anzu- 
fügen bei  der  III.  Klasse:  An  der  Hand  von  Fanstzeichnungen.  die 
gleichzeitig  die  Verhältnisse  tastbar  darstellen.  (Mit  farbigen  Strichen 
zweckmäßig  gestaltete  Landkarten  für  Blinde). 

S.  Geschichte: 

Ein  den  neuen  Verhältnissen  angepaßtes  Lehrziel. 

9.  Naturgeschichte : 

Wie  im  Jahresbericht  der  n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  1912.  Anzu- 
fügen bei  der  III.  Klasse:  Benützung  der  einfachsten  bildlichen  Dar- 
stellungen, rmrißzeichnungen  (Kunz'sche  Bilder),  schematische  Tafel- 
veranschanlichung. 

10.  Naturlehre  wie  Naturgeschichte : 
11.  Schreiben: 

Ziel:  Sicherheit  inid  Kaschheit  im  Schreiben  der  Schwarzscla-ift 
und  in  notwendigen  Fällen  auch  der  Punktschrift  und  der  Klein'schen 
Stachelschrift. 

I.  Klasse :  Kenntnis  der  Buchstabenformen  der  Kurrentschrift.  In  not- 
wendigen Fällen  auch  der  Braille'sche  Punktschrift.  Einübung  der 
Schwarzschriftformen  auf  eigenen  Linienblättern  und  Handtafeln. 
Wandtafelschreiben.  Übungen  an  einen  Braillesetzkasten. 
II.  Klasse:  Einige  Fertigkeit  im  Schreiben  der  Kurrentschriftformen. 
Bekanntschaft  mit  den  Formen  der  Lateinschrift.  FZinübung  auf 
eigenen  Linienblättern  und  Heften  für  Schwachsichtige,  Wandtafel- 
schreiben. In  notwendigen  Fällen  Bekanntschaft  mit  der  Prager- 
tafel. 
111.  Klasse:  Vervollkommnung  im  Schreiben  der  Schwarzschrift  und  in 
notwendigen  Fällen  auch  der  Braille'schen  Punktschrift.  Bekannt- 
schaft mit  dem  Klein'schen  Stacheltypenapparat. 

12.  Sehübungen  und  Zeichnen : 

Ziel:  Übung    des    Auges    zur    Gewinnung   der  Sicherheit  im  Ver- 
folgen   deutlicher    Linien    und    im    Auffassen    von    einfachen  Flächen- 
formen.    Erkennen  deutlicher  Farben,  einfache  Darstellung  von  Flächen- 
und  Körperformen  aus  dem  Gebiete  des  Lebens  und  der  Kunst  in  steter 
Verbindung  mit  dem    Anschauungsunterrichte,  der    geometrischen    For- 
menlehre und  den  Realien. 
I.  Klasse:     Grundlegende     Anschauungsübungen      an      linienmäßigen 
Darstellungen,  Gewinnung  der   Farbhegriffe  mit  Hilfe  transparenter 
Farbpapiere  und  bunter  Gläser. 
11.  Klasse:  Einführung   in    das   Erkennen   einfacher  bildlicher  Darstel- 
lungen.    Erkennen  der  Farben.     Die  ersten  Anfänge  des  Zeichnens. 
III.  Klasse:  Erkennen  bildlicher  Darstellungen.     Einfaches  Zeichnen  mit 
dunkler  Zeichenkohle.     Farbstiften  und  dicken  weichen  Bleistiften. 


12.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  FMindenwesen.  Seite  1240. 

13.  Turnen : 

14.  Gesang: 

15.  Handfertigkeiten: 

Wie  im  Jaliresbericht  der  n.  ö.  Landes-Blindenanstalt  11)1:^.  Anzu- 
füoen  bei  den  Handfertigkeiten:  Mit  steter  Verwertung  der  au.s  dem 
kond)inierten  Tast.selien  ,i>ewonnenen  Unterrichtserfol<,'e. 

Zu  der  Gestaltun.u'  dieses  Lehrplanes  und  der  olien  an.nedeuteten 
Angliederung  einer  Seli\vaclisiehtigena])teilung  an  die  Volksschule  sei 
folgendes  gesagt : 

Der  Schwachsichtige  wird  durchaus  als  Sehender  zu  behandeln 
sein,  da  aber  sein  Auge  der  Schonung  l)raucht,  ist  in  schwierigen  Fällen 
die  Erlerniüig  der  Brailleschrift  nicht  zu  umgehen.  Denn  sjjäterhin. 
wenn  es  sich  nur  um  das  Erfassen  des  Inhaltes  und  nicht  mehr  um  die 
mechanische  Leseübung  handelt,  kann  er  an  der  Hand  von  Draille- 
texten  ebenso  selbsttätig  sein  wie  der  normalsichtige  Schüler.  Seine 
Schwarzdruckbücher  müssen  und  können  daher  an  Lmfang  geringer, 
in  ilirer  Ausgestaltung  ihm  aber  zweckmäßiger  ange[)aßt  sein.  Die 
Erlernung  der  F'unktschrifl  erleichtert  ihm  aber  das  Los  bei  einer  all- 
fälligen \'erschlechterung  des  Sehvermögens.  Der  gleiche  (irundgerhinke 
wird  maßgel)end  sein,  wenn  man  namentlich  im  ersten  Schuljahr  den 
Unterricht  möglichst  auf  das  vereinigte  Tastsehen  gründet. 

Die  Sciireib-  luid  Lesestunden  nach  Art  der  Sehenden  erscheinen 
in  die  Zeit  der  größten  Helligkeit,  um  Mittag  angesetzt  und  haben  eine 
iialbe  Stunde  nicht  zu  überschreiten. 

Alles  aiulere  erscheint  so  naturgemäß,  (h^ß  sich  ein  näheres  Ein- 
gehen darauf  erübrigt. 

Aus  dem  Lelirjilan  allein  ist  schon  ersichtlich,  was  für  eine  Un- 
sunune  an  Arhcit  zu  leisten  ist  in  der  flerstellung  der  nötigen  Lehr- 
l)elu']fe.  Es  ist  nicht  zu  zweifeln,  daß  sie  geschaffen  werden.  Zu 
fordern  ist  nur.  daß  Staat.s-  und  (Gemeindeverwaltung  mit  derselben 
SchatTeiisfreude  an  die  l'^inrichfimgen  der  Schidabteilungen  für  Schwach- 
sichtige schrei!  en. 

Eine  Wiener  Straßenszene. 

Vor  einiger  Zeit  beohachtete  ich  eine  Wiener  Straßenszene,  von  der 
zu  erzählen  ich  mich  gedrängt  fühle. 

Ein  blinder  Mann.  olT'enbar  einer  von  den  Vielen,  die  im  Kriege 
das  Liciit  der  Augen  verloren  haben,  wiu'de  da  von  einer  Hündin,  deren 
Halsband  durch  einen  (iriffriemen  mit  der  Hand  ihres  Herrn  verbunden 
war.  erstaunlich  sicher,  ja  unfehlbar  des  Weges  geführt.  Das  wunder- 
bare Tier,  das  seiner  Aufgabe  mit  einem  wahrhaft  ergreifenden,  tiefernsten, 
durch  inchts  und  niemiuid  zu  störenden  Eifer  diente  — ■  es  lief  nicht 
etwa  im  üblichen,  trägem,  charakterlosen  Hundetrab,  sondern  ging  in 
ehier  Art  strammen  Paßganges  —  dieses  wunderbare  Tier  und  sein 
blinder  Herr,  der  nur  nachzugehen  brauchte,  machten  auf  alle  Vor- 
überkojnmenden  einen  solchen  Eindruck,  daß  sie  dem  ungleichen  Paare 
mit  Blicken  der  Bewunderung  und  trostvoller  Teilnahme  folgten.  Es  tat 
wohl,  Mensch  und  Tier  in  solchem  Bunde  zu  sehen.  Es  lag  etwas  wie 
Weihe  um  die  beiden. 


12.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreicliisclit-  IMuhU  nwt-st;n.  Seile  1241. 

Nora,  so  heißt  die  Hündin,  wie  icti  seitlier  ei-fahren  Imbe,  i.st  nun 
soflier  Bewunderung  durciiaus  würdig.  Kant  hätte  seine  Freude  an  ihr 
gehabt!    „Pflicht,    du    erhabener,    großer  Name!"   —    die  wackere  Nora 
zeigt  uns  etwas  davon.  Sie  fülu't   Herrn  Marhoid,  tien  KriegsliUnden.  lieh 
wollte    gerne    etwas    Näheres    über    seine    treue,    vi(Tfüßige     Freundin 
erfahren,  suchte  ihn  auf  und  vernahm    köstliche  Berichte!.    Nora    führt 
also    ihren    Herrn    durch    Straßen    und    Gassen,  über  Plätze  und  durch 
Gärten    und    sie    merkt    dabei    mit    peinlichster,    nie    lässig  werdender 
Genauigkeit  darauf,  daß  ihrem  Schutzbefohlenen  nur  ja  nichts  geschehe. 
Liegt  ein  Hindernis  am  Wege,  zum  Beispiel  ein  Schlauch  (wie  dies  zu 
geschehen  pflegt,  wenn  ein  Gastwirt  Wein  bezieht),  so  bleibt  Nora  knapp 
davor  stehen  und  geht  nicht  früher  weiter,  als    i)is    Herr   Marhoid,  der 
.sich  inzwischen    mit    seinen    Stock    vergewissert    hat,  um    was    es  sich 
handle,    den    Befehl    gibt:    „Nora  —  grad  voran!"     Erst  dann  setzt  sie 
ihren  Gang  fort,  aber  nur    bis    zum  nächsten    Bordsteine  des  Trottoirs; 
dort  bleibt  sie  abermals  wie  angewurzelt  stehen    —    wie  leicht  könnte 
doch  ihrem  Herrn  etwas  zustoßen!    Das  muß  sie  doch  verhindern,  der 
Arme  ist  ja  blind!  Sie  bleibt  also  stehen  und  ist  Jiicht  früher  von  der 
Stelle  zu  bringen,  als    bis    Herr    Marhoid,    nach  Abtastung    mit    seinem 
Stocke,  wieder  sein  ,.Nora.  grad  voran!''  befehlen  kann.     Halt,  dort  i.st 
aber  eine  Straßenlaterne  und  der  Herr  nimmt  den  Kurs  gerade  auf  den 
Kandelaber.    Jetzt  wird  er  sich  wehetun!  Ganz  unmöglich!    Schon  zwei 
Meter  vor  dem  Kandelaber  zieht  Nora  ihren  Schützling  mit  ganzer  Kraft 
nach  rechts  oder  Hnks,  der  Häuserwand  zu  —  er  mag  nun  wollen  oder 
nicht;  er  muß!     Und  der  Kandelaber  ist  unschädlich  geworden!     Noch 
eine  Gefahr:  ein  herumstrolchender  Hund  nähert    sich.     Mit  wütendem 
Gebell  gibt  ihm  Nora  zu  verstehen,  daß    sie   zum  Tratschen  keine  Zeit 
habe  und  daß  sie  elende  Faulenzer  verachte.  „Trolle  Dich,  Lumpenkerl!" 
sagte  sie  ihm  unzweideutig.  „Erfasse  das  höchste  Wort  des  Lebens,  das 
da  für  Tier  und  Mensch  heißt:  Dienen!"  Eine  Versuchung  gefährlichster 
Art:    das  eigene  „Frauerl"  geht  auf  der    anderen  Seite  der  Straße  und 
lockt:  „Nora!  Nora!"    Was  tut  nun  Nora?    Sie  liebt  das  Frauerl  auch 
—  aber  das  herrliche  Tier  fühlt  sich  im  Dienst  und  ist  jetzt  sozusagen 
nur  dienstlich  zu  sprechen.     Es  wedelt  dem  „Frauerl"  mit  entsagungs- 
voller, halb  trauriger  Freundlichkeit  zu,  als  wollte  es  ihm  sagen:    „Ich 
hab'  Dich  ja  auch  lieb  —  aber  siehst  Du  denn  nicht,  daß  ich  jetzt  dem 
„Herrl"  dienen  muß!  Das  „HerrP'  sieht  doch  nichts!  Könnte  ja  stolpern, 
das  „Herrl".  und  sich  wehetun,  wenn  ich  nicht  aufpasse!" 

Im  großen  Park.  „Nora,  such  die  Bank!"  Nora  führt  Herrn  Marhoid 
zur  nächsten  Bank  und  bleibt  davorstehen.  „Nora,  in  die  Trafik!"  Nora 
führt  ihren  Herrn  in  die  Trafik.  ..Nora,  such  das  Telefon!"  Nora  bleibt 
vor  dem  nächsten  Telephoii-Automaten-Häuschen  stehen.  Das  geschieht 
alles  mit  unfeldbarer,  treuester  Sicherheit,  so  daß  Herr  Marhoid  Nora 
seine  „Augen"  nennt.  Das  Tier  ist  ihm  unentbehrlich  geworden,  es  ist 
.<ein  bester,  zuverlässigster,  allezeit  dienstwillig  ergebener  Freund  und 
Beschützer.  Weh  dem.  der  es  wagen  wollte,  den  Blinden  anzurüliren 
oder  sich  nur  an  ihm  herum  zu  schaffen  zu  machen,  weh  dem.  der 
auch  nur  zu  laut  oder  drohend  zu  ihm  spräche!  Der  hat  es  sofort  mit 
Nora  zu  tun,  die  ein  wahrer  F*rachtkerl  ist.  eine  Dobermännin  von 
stämmigen,  untadelhaftem  Wuchs,  kraftvoll  und  geschmeidig,  mit  feinstem 
Kopf  und  funkelnden,  klugen,  aber  urgütigen  Augen. 


üeite  1242.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndcnwesen.  12.  Nummer. 

Herr  Marhold  erhielt  diese  Hündin  seinerzeit  vom  Wiener  Hunde- 
kurs. Sein  Urteil  ,ueht  dahin,  daß  der  Hund  zum  Blindenführer  glänzend 
geeignet  ist.  Wenn  dennoch  der  Blinde,  den  der  Hund  führt,  eine  so 
seltene  Erscheinung  ist,  so  liegt  die  Schuld  nicht  so  sehr  am  Hunde, 
wie  Herr  Marhold  sagt,  sondern  am  Menschen.  Der  sehende  Mensch  hat 
wenig  Vertrauen,  aber  der  Blinde  noch  weniger.  Es  gibt  nicht  viele 
Blinde,  die  das  Vertrauen  zu  einem  Hunde  aufbringen  können,  die  bis 
zu  jenem  inneren  Durchbruche  gelangen,  der  unbedingtes  Vertrauen  zu 
dem  vierfüßigen  Führer  schafft.  Und  so  ist  es  auch  zu  erklären,  warum 
man  von  der  Verwendung  des  Hundes  als  Blindenführer  nach  und  nach 
abkam.  Sehr  mit  Unrecht,  wie  unser  Beispiel  lehrt.  Ich  gestehe  olfen : 
als  ich  das  Paar  in  der  Straße  sah.  diesen  hingebenden,  liebevollen 
Opferdienst  des  Tieres,  da  empfand  ich  die  Szene  wie  eine  Offenbarung 
jener  ewigen  Kraft,  die  nicht  von  dieser  Welt  ist  und  die  aller  unserer 
Klugheit  spottet.  Aber  wer  hat  noch  das  Vertrauen  zu  dieser  Kraft? 
Wer  glaubt?  Christus  tat  dort,  wo  man  nicht  an  ihn  glaubte,  keine 
W^under.  Und  einen  Blinden,  der  ihm  nicht  vertraut,  kann  der  Hund' 
nicht  führen,  er  kann  ihm  nicht  Freund  und  Helfer  sein. 

Max  Hayek. 

Die  Blinde. 

Von  Adalbert  von  C  li  a  m  1  s  s  o. 

ö. 
Wie  trag'  ich's  doch,  zu  leben 
Nur  mir  und  meiner  Pein? 
Dem  Liebsten  sollt"  ich  dienen. 
Da  wollt"  ich  selig  sein! 

Ich  wollt"  ein  treuer  Page 
Um  den  Gebieter  stehn. 
Bereit  zu  jeder  Botschaft 
Und  jeden  Gang  zu  gehn. 

Ich  kenne  jede  Windung 
Der  Straßen,  jedes  Haus 
Und  jeden  Stein  am  Wege. 
Und  weiche  jedem  aus. 

Wie  freudig  zitternd  trüg"  ich 
Ihm  nachts  die  Fackel  vor. 
Die  freud'ge  Lust  ihm  sjiendend. 
Die  selber  ich  verlor! 

0.  traurig  ist's  im  Dunkeln. 
Ich  weiß  es  nur  zu  sehr! 
Licht  wollt'  ich,  Licht  verbreiten 
Fm  seine  Schritte  her. 

Ihn  sollte  stets  erfreuen 
Das  allerfreu"nde  Licht: 
Sein  Anbhck  sollte  jeden. 
Erfreuen,  mich  nur  nicht. 


12.  Nummer.  Zeitschrift  für  das  österreichische  BHndenwesen.  Seite  2243. 

[Ind  sollte  da  mlcli  iretTen 
Der  Menschen  Spott  und  Hohn, 
Ich  seh'  es  nicht,  und  hört'  ich"s. 
Auch  das  ertrüg'  ich  schon. 

6. 
Du  mein  Schmerz  und  meine  Wonne. 
Meiner  Bhndheit  andre  Sonne. 
Holde  Stimme,  bist  verhallt. 
Meine  Nacht  hüllt  sich  in  Schweigen. 
Ach,  so  schaurig,  ach,  so  eigen. 
Alles  öd"  und  leer  und  kalt! 

Leise  wecken,  mich  entfärben, 
Seht  ihr  Schwestern  mich  und  sterb'en, 
lind  ihr  fragt  und  forscht  und  klagt;    . 
Laßt  das  Forschen,  laßt  das  Fragen, 
Laßt  das  Klagen,  seht  mich  tragen 
Selbst  mein  Schicksal  unverzagt. 

Plingeschwundeii  ist  mein  Wähnen. 
Ohne  Tränen,  ohne  Sehnen 
Welk"  ich  meinem  (rrabe  zu: 
Nichts  dem  Leben  bin  ich  schuldig, 
Stumm,  geduldig  trag"  ich,  duld"  ich, 
Schon  im  Herzen  Todesruh". 

Personalnachrichten. 

—  Der  Staatssekretär  für  Inneres  und  Unterricht  hat  den  provisorischen  Leiter 
des  Klinden-Erziehungsinstitutes  in  Wien  Emmerich  Gigerl  für  die  Dauer  einer 
dreijährigen  Funktionsperiode  zum  Mitglied  der  Prüfungskommission  für  die  beson- 
dere Prüfung  aus  der  Methodik  des  Unterrichts  blinder  Kinder  in  Wien  ernannt. 

flus  den  Anstalten. 

Am    Blinden-Erziehungsinstitute    in    Wien,    IL,    Witteisbacherstraße    5, 

gelangt  die  Di  r  e  ktor  ste  1 1  e  zur  Besetzung.  Mit  dieser  Stelle  ist  ein  Jahresgehalt 
von  2800  K,  der  Anspruch  auf  fünf  Quinquenalzulagen,  und  zwar  eine  zu  500  K, 
efne  zu  600  K,  drei  zu  je  900  K,  ferner"auf  eine  Aktivitätszulage  von  805  K  sowie  auf 
den  Genuß  der  für  den  Direktor  im  Institute  vorgesehenen  Wohnung  nebst  freier 
Beheizung  urid  Beleuchtung  verbunden. 

Als  Bewerber  kommen  Persönlichkeiten  in  Betracht,  welche  die  Lehrbefähigung 
tür  Mittelschulen  oder  für  eine  Fachgruppe  der  Bürgerschule  und  für  den  Unter- 
richt blinder  Kinder  besitzen,  Bei  gleichen  Voraussetzungen  genießen  diejenigen 
Bewerber  den  Vorzug,  die  eine  literarische  und  praktische  Betätigung  auf  dem 
Gebiete  des  Blindenwesens  nachzuweisen  in  der  Lage  sind. 

Die  mit  den  erforderlichen  Personaldokumenten  nebst  dem  Geburts-  bezie- 
hungsweise Taufschein  und  Heimatschein  belegten  und  vorschriftsmäßig  gestempelten 
Gesuche  sind  an  das  Staatsamt  für  soziale  Verwaltung  zu  richten  und  im  vorge- 
schriebenen Dienstwege  bis  längstens  20.  Dezember  1919,  beim  n.-ö.  Landesschul- 
rate  einzubringen.  (Z.  2627/1 — III). 

—  Pri  vat-Blindenlehranstalt  Linz.  Gelegentlich  des  vom  30.  Sep- 
tember bis  3.  Oktober  1.  J.  hier  abgehaltenen,  sehr  zahlreich  besuchten  staatlichen 
Propagandakurses  für  Jugendfürsorge  besuchten  am  1.  und  3.  Oktober  über  60  Kur- 
sisten  beide  Blindenanstalten  und  "wohnten  in  der  Lehranstalt  auch  dem  Unterrichte 


Seite  2244.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwesen.  12.  Nummer. 

mit  großem  Interesse  bei.  Darunter  waren  unter  anderen  Dr.  Viktor  Suchomel, 
Sektionsrat  im  Staatsamt  für  soziale  Verwaltung,  Dr.  Richard  D  o  n  i  n,  Leiter  des 
niederösterreichischen  Landesjugendamtes,  Jugendrichter  Dr.  Fiala  aus  Wien  usw. 

Aus  Anlaß  der  für  den  12.  November  vom  Staatsamte  für  Unterricht  ange- 
ordneten Schulfeier  fand  hier  eine  musikalisch-deklamatorische  Aufführung  statt, 
die  mit  der  Festrede  des  Direktors  9  Vorttagsnummern  enthielt.  Am  Beginne 
spielte  der  als  Gast  mit  seiner  Frau  hier  weilende  bekannte  blinde  Musikprofessor 
Ludwig  Moser,  ein  ehemaliger  Schüler  der  Linzer  .Anstalt,  eine  mächtig  wirkende 
Reminiszens  aus  Richard  Wagners  Opern,  hierauf  sprach  Direktor  Pleninger 
über  Gebet,  Arbeit  und  Heimatliebe,  worauf  in  hübscher  Abwechslung  Klavier-, 
Zither-  und  Vortragsstücke,  diese  durchwegs  von  heimatlichen  Mundartsdichtern 
von  den  Zöglingen  zur  allgemeinen  Befriedigung   der  Anwesenden  geboten  wurden 

-  ZurWiedererö  f  f  n  ungder  Kärntnerischen  Landes- Blinden 
anstalt.  Nach  öjähriger  Schließung  der  Blindenanstalt  zu  Klagenfurt  konnten  die 
blinden  Kinder  Kärntens  endlich  wieder  in  ihrer  Heimatstätte  aufgenommen  werden. 
Am  28.  September  wurde  der  Schulbeginn  mit  einem  Gottesdienste  in  der  Anstalts- 
kapelle erfjffnet,  bei  welchem  die  blinden  Fürsorge-Zöglinge  die  Preis-Messe  von- 
S  taeh  1  e  sangen. 

Am  4.  Oktober  fand  im  festlich  geschmückten  Turnsaale  der  Anstalt  eine 
Fröffnungsfeier  statt,  welche  einen  sehr  stimmungsvollen,  nach  jeder  Richtung  be- 
friedigenden Veilauf  nahm  und  so  lebhafte  Teilnahme  fand,  daß  dieselbe  am 
8.  Oktober  abermals  vor  dichtbesetztem  Saale,  wiederholt  werden  mufke.  Über 
die  Feier  schreibt  das  »Kärtner  Tagblatt*  vom  7.  Oktober:  »Mit  einer,  was  den 
äußeren  Rahmen  anbelangt,  allerdings  schlichten,  aber  in  der  ganzen  Durchführung 
herzerhebenden  Feier  wurde  am  Samstag  den  4.  Oktober  im  nettgeschmückten 
Turnsaal  der  Anstalt  die  Wiedereiöffnung*begangen.  Der  Saal  konnte  die  herbei- 
geeilten Gäste  kaum  fassen,  welche  der  von  reinster  Liebe  für  seine  bedauers- 
werten  Schützlinge  beseelte  Anstaltsleiter,  Herr  Friedrich  Jöll3^  herzlichst  begrüßte. 
Es  scheint  mir  kein  bloßer  Zufall,  daß  das  erste  Vortragsstück  »die  Morgenstimmung« 
aus  Griegs  »Peer-Gy.st-Suite«  war.  Morgen  ist  Hoffnung  Aufleben  und  Zuversicht. 
In  diesem  Zeichen  beginnt  die  Anstalt  wieder  ihre  Tätigkeit  und  dieses  Sternes 
Licht  soll  in  die  Nacht  der  Blinden  seinen  freundlichen  Schimmer  strahlen.  Mögen 
alle  diese  Erwartungen  sich  voll  und  ganz  erfüllen!  Ein  reizendes  Festspiel  in 
5  Bildern,  verfaßt  von  der  Gattin  des  Anstaltsleiters,  Frau  Senta  Jölly,  bot  nun 
reiche  Gelegenheit,  nicht  nur  die  Lernarbeit,  die  Handfertigkeiten  und  die  musi- 
kalischen Talente  der  Blinden  in  kurzen  Bildern  anschaulich  darzustellen,  sondern 
auch  die  Gedanken  und  Gefühlswelt  dieser  unser  armen  Brüder  und  Schwestern 
führte  uns  die  Dichtung  in  zartestem  Verständnis  ein.  Wie  ergreifend  wirkte  schon 
das  erste  Bild,  das  so  furchtbare  und  doch  wieder  tröstliche  Lebenswahrheit  ent- 
hüllt: Ein  im  Kriege  erblindeter  Soldat  (Herr  Gustav  Glawischnigi  beklagt  sein 
schweres  Los.  Da  ertönt  hinter  der  Szene  Mendelsohns  tröstlicher  Chor  »Hebe 
deine  Augen  auf«  und  ein  blindes  Mädchen  leitet  mit  freundlich  ermunternden 
Worten  den  zum  Schicksalsgefährten  Gewordenen  in  die  neue  Welt  der  Blinden, 
die  ihr  eigenes  Licht  finden  in  den  Segensanstalten,  die  wahrhaft  christliche  Liebe 
ihnen  errichtete.  Reizend  war  das  2.  Bild,  »Die  Schulstube«,  das  uns  Blinde  an 
der  Rechen-  und  Schreibmaschine  zeigte,  besonders  verblüffend  wirkte  das  rasche 
und  sichere  Lesen  dt  r  Blindenschrift,  das  der  Sehende  kaum  begreifen  kann. 
Größere  und  kleinere  Mädchen  waren  in  den  Schulbänken  gruppiert,  im  Vordergrund 
stand  ein  allerliebstes,  siebenjähriges  Mädchen,  das  mit  einem  überraschend  gut 
gesprochenen  Festgedichtchen  im  Namen  der  Kleinen  der  Freude  Ausdruck  verlieh, 
daß  sie  nun  wieder  in  die  heimatliche  Anstalt  heimkehren  durften.  Den  Prolog 
zum  3.  Bilde  »Die  Arbeitsstube«  sprach  das  reizende  Fräulein  Marisabel  Henri- 
(juez,  dann  sahen  wir  einen  Knaben  beim  Bürstenbinden,  ein  Mädchen  beim  Häk- 
keln,  eines  beim  Flechten  und  eines  bei  der  Strickmaschine.  Den  Glanzpunkt 
bildete  das  4.  Bild:  »Musik,  das  Licht  in  der  Finstemis.«  Auf  eine  von  einer  Blinden 
sehr  empfindungsvoll  zum  Vortrag  gebrachten  Ode  an  die  Musik,  folgte  Rhein- 
bergers  »Vision«,  von  dem  blinden  Organisten  und  einstigen  Anstaltszögling  J.  Tra-  ' 
bus  in  er  wirklich  meisterhaft  zu  Gehör  gebracht.  Auch  die  Klaviervorträge  des 
Fräuleins  Alice  Horak  waren  prächtige  Leistungen,  sehr  schön  klangen  die  ge- 
mischten Chöre  »In  stiller  Nacht«  von  Brahms  und  der  sehr  wirksame  »Echochor« 
von  Orlando  di  Lasse.  Der  Zögling,  Franz  W  e  rn  i  g,  erfreute  mit  einem  flott  kom- 
ponierten Festmarsch  und  ein  Zitherterzett  »Waldesrauschen«  war  ebenfalls  prächtig. 


I 


12    Nummei.  Zeitscliiift  tlii    das  östei reichische  Hiindenwei,en.  Seile  1245 

Ganz  besonders  seien  die  herrlichen  Lieder  zur  Laute  hervorgehoben,  die  der  im 
Krier;  erblindete,  Herr  Gustav  Glawi  sehnig,  vortrefflich  sang.  Kärntnerlieder 
mit  Zitherbegleitung  bildeten  einön  würdigen  Schluß  dieses  Bildes.  Die  Schluß- 
und  Dankesworte  einer  Blinden,  die  wie  alle  Deklamationen,  auffallend  gut  und 
ausdrucksvoll  gesprochen  wurden,  werden  hoffentlich  ein  lebendiges  und  wirksames 
Echo  in  den  Herzen  aller  Zuhörer  gefunden  haben.«  Vizepräsident  des  Blindcn- 
fUrsorgevereines,  H^ir  Obermedizinalrat  Dr.  Othmar  Purtscher,  sprach  in  warmen 
Worten  den  versammelten  Wohltätern  für  ihr  Erscheinen  und  ihre  Teilnahme,  sowie 
dem  Ehepaar  Jölly  für  die  treffliche  Durchführung  der  Eröffnungsfeier  den  herz- 
ichsten   Dank  aus.   Die  Festvorstellung  erbrachte  ein  Reinerträgnis  von   1501  K  50  h. 


flus  den  Vereinen. 

—  Zentral  verein  für  das  öst.  Blinden  wesen.  Generalversamm- 
lung. Präsident  Bürklen  hält  dem  im  abgelaufenen  Vereinsjahre  gestorbenen 
Mitgliede  Ferdinand  Groß  einen  warmen  Nachruf.  Nach  Verlesung  und  Genehmi- 
gung der  letzten  Verhandlungsschrift  berichtet  der  Vorsitzende  über  die  Tätigkeit 
der  Vereinsleitung  im  abgelaufenen  Jahre  und  über  den  derzeitigen  Mitgliedsstand 
des  Vereines.  Die  Mitgliederzahl  beträgt  127,  Abonnenten  der  Zeitschrift  sind  87; 
im  Tauschverkehr  werden  22  Exemplare  abgegeben.  Der  Kassabericht  des  Herrn 
Prof.  De  mal  zeigt  wenig  erfreuliche  Ziffern.  Begründet  wird  dieser  Rückgang  mit 
den  großen  Herstellungskosten  der  Zeitschrift.  Der  hieraus  sich  ergebende  Antrag, 
den  Mitgliedsbeitrag  pro  Jahr  von  6  auf  10  K,  die  Abnehmergebühr  im  Inlande 
auf  12  K  und  im  Auslande  auf  20  K  zu  erhöhen,  wird  einstimmig  angenommen. 

Bezüglich  Gründung  einer  »Lehrersektion«  wird  beschlossen,  daß  Herr 
Direktor  Heller  die  Interessenten,  d.  i.  die  Blindenlehrer,  zu  einer  Besprechung 
einladen  solle. 

An  den  Bericht  des  Präsidenten,  Herrn  Direktor  H  ü  r  k  1  e  n,  über  den  Stand 
der  Reformplanfrage  schließt  Herr  Anstaltsleiter  Gigerl  Erklärungen  über  eine 
Aktion  des  Herrn  Landesschulinspektois  V.  Fadrus,  welcher  Vertreter  des  Blinden-, 
Taubstummen-  und  Hilfsschulwesens  zusammengerufen  habe,  um  mit  diesen  die 
möglichst  einheitliche  Schulreform  zu  besprechen.  Dem  Wunsche  des  Herrn  Landes- 
schulinspektors  entsprechend  wurden  Vertreter  des  Zentralvereines  gewählt.  Es 
sind  dies  dieselben  Herren,  welche  auch  als  Vertreter  der  Lehrerschaft  ein  Komitee 
der  Blindenfürsorgekommission  im  Staatsamte  für  soziale  Verwaltung  bilden  und 
zwar  die  Herren  B  ür  kl  en,  Gigerl,  Heller  und  Kneis.  Anträge  und  Allfälliges: 
Herr  Alt  mann  stellt  den  Antrag,  Herrn  Direktor  Wagner  zum  Ehrenmitgliede 
des  Vereines  zu  ernennen.  Dieser  Antrag,  der  Herrn  Direktor  Wagner  von  der 
hohen  Wertung  seiner  Arbeit  überzeugen  soll,  wird  begeistert  und  einstimmig  an- 
genommen. Herr  Lehrer  Wanecek  bespricht  kurz  die  Anstellungsbedingungen 
der  Fachlehrer  an  Blindenanstalten,  worauf  Herr  Anstaltsleiter  Gigerl  einen  dies- 
bezüglichen Entwurf  aufweist,  welcher  in  der  vorerwähnten  Kommission  eingebracht 
w-erden  wird.  Zum  Zwecke  der  Beilegung  von  Differenzen,  die  sich  zwischen  dem 
Blindenunterstützungsverein  »Die  Purkersdorfer«  einerseits  und  dem  »Lindenbund* 
andererseits  ergeben  haben,  wurde  ein  3  gliedriges  Komitee  bestehend  aus  den 
Herren  Altmann,  Horvath  und  Temm  gewählt. 

Die  geänderten  politischen  Verhältnisse  lassen  eine  entsprechende  Statuten- 
änderung wünschenswert  erscheinen.  Die  Anträge  des  Vorsitzenden  werden 
angenommen.  (Die  vorgenommenen  Änderungen  werden  nach  Genehmigung  ver- 
öffentlicht werden)  Präsident  Bürklen  berichtet  noch  über  Schritte,  die  er 
eingeleitet  habe,  um  durch  Darstellungen  aus  dem  Blindenwesen  im  Film  die  Blinden- 
sache  zu  fördern. 

Der  Bitte  Herrn  Altmanns,  es  möchten  sich  Blindenlehrer  zur  Abhaltung 
von  Vorträgen  in  Vereinen  melden,  wird  reichlich  entsprochen.  Der  Präsdent 
Bürklen  richtet  an  die  Blinden  das  Ersuchen,  sie  möchten  sich  ebenso  daran 
beteiligen.  Herr  Anstaltsleiter  Gigerl  erklärt  sich  bereit,  Lichtbilder  zu  diesen 
Vorträgen  beizustellen.  Kneis. 


Seite  1246.  Zeitschrift  für  das  österreichische  Blindenwescn.  12.  Nummer. 

RÜSSCHÜSS-SITZÜNG 

des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blindenwesen"  am  Freitag,  den 

2.  Jänner  1920,  um  4  Uhr 

in    der   Versorgungs-   und    Beschäftigungsanstalt   für   erwachsene    Blinde  in 

Wien,  VIII.,  Josefstädterstraße  80. 

Verschiedenes. 

—  Ein  Kriegsblinder  am  Traualtar.  Wie  aus  Brunn  gemeldet  wird, 
fand  in  der  dortigen  Thomaskirche  die  Trauung  eines  Mädchens  mit  einem  blinden 
Kriegsinvaliden  statt,  dem  beide  Arme  fehlten.  Der  junge  Bräutigam  schaute  hoff- 
nungsfreudig aus,  trotz  seiner  Gebrechen  und  trotzdem  es  ihm  nicht  vergönnt  ist, 
seine  Umwelt  zu  sehen.  Es  war  ein  seltsamer  Anblick,  als  die  Braut  die  künstliche 
Hand  des  ihr  angetrauten  Mannes  in  ihren  Arm  legte. 

—  Mißbrauch  des  Namens  der  »Kriegsblindenfürsorge«.  Derzeit 
werden  durch  Sammelpersonen  (Agenten)  in  Wien  Druckschriften  (Bücher,  Kalender 
usw.)  dem  Publikum  zum  Verkaufe  unter  dem  Vorgeben  angeboten,  daß  ihr  Erlös 
der  Kriegsblindenfürsorge  zugeführt  werde.  Seitens  des  '»Verbandes  der  Kriegs- 
blinden Deutschösterreichs«,  Landskrongasse  1,  wird  darauf  Wert  gelegt,  festzu- 
stellen, daß  alle  außerhalb  dieses  Verbandes  stehenden  Blindenfürsorge-Aktionen 
sich  lediglich  auf  die  Zivilblindenfürsorge  erstrecken  und  daß  daher  der  Verkauf 
von  Gegenständen  welcher  Art  immer  für  angebliche  Zwecke  der  Kriegsblinden- 
fürsorge als  eine  Irreführung  des  Publikums  anzusehen  ist.  Es  möge  daher  jeder 
einzelne  Fall  entweder  der  Polizei  oder  dem  erwähnten  Verbände  zur  Anzeige 
gebracht  werden. 

—  Maeterlink:  Der  Eindringling.  Die  Blinden.  Aufführung  am 
19.  November  1919  im  Saal  des  kaufmännischen  Vereines  in  Wien. 

Die  beiden  in  Reklams  Universalbibliothek  erschienenen  Einakter  wurden 
zum  Zwecke  einer  Maeterlinkfeier  hervorgeholt.  Die  dunkle,  beziehungsreiche 
Sprache,  die  seltsamen  Handlungen  voll  düsteren  Ahnungen  und  den  unendlichen 
Verlassenheitsgefühlen  inmitten  aller  dürften  gerade  in  diesen  Stücken  besonders 
wirken.  Hier  sind  ja  die  grübelnden,  ahnenden,  im  letzten  aber  doch  unwissenden 
Blindey,  die  Einsamkeitsmenschen,  die  Menschen  ohne  Ziele,  über  die  immer  die 
Furcht  schwebt,  Träger  der  Handlung.  Die  Wirkung  blieb  gewiß  nicht  aus. 
Namentlich  im  ersten  Stück,  da  ein  blinder  Greis  den  Tod  seiner  Tochter  fühlt. 
Weniger  Eindruck  machte  das  zweite  Stück,  vielleicht  wegen  der  tiefen  —  oder 
allzutiefen-  —  Symbolik.  Die  Darstellung  der  Blinden  war  gut,  namentlich  der 
blinde  Großvater  im  Eindringling.  (Herr  Götz  vom  Deutschen  Volkstheater). 

O.  W. 

—  Ein  Blindenther  mometer.  Der  menschenfreundlichen  Absicht,  den 
Blinden,  deren  Zahl  durch  den  Krieg  leider  eine  so  ansehnliche  Vermehrung  er- 
fahren hat,  ihr  trauriges  Los  nach  Möglichkeit  zu  erleichtern,  dient  auch  ein  von 
dem  Franzosen  Br  un  et  erfundenes  Thermometer,  das  den  des  Augenlichtes  Be- 
raubten das  Ablesen  der  Temperatur  ermöglichen  soll.  Der  Apparat  besteht  aus 
einer  gewöhnlichen,  mit  einer  Skala  versehenen  Säule,  die  zum  Ausgleich  der 
Ouecksilbermenge  mit  einem  Gegengewicht  ausgerüstet  ist.  Der  ganze  Apparat 
ruht  mit  zwei  Schneiden  auf  einem  Onyxlager.  Das  Ende  des  Thermometers  läuft 
in  eine  Spitze  aus.  Das  Thermometer  gleicht  demnach  dem  Balken  einer  Wage. 
Wenn  das  Quecksilber  unter  dem  lunfluß  der  Temperatur  steigt,  so  verschiebt 
sich  sein  Schwerpunkt  nach  der  Spitze,  was  bewirkt,  daß  die  Säule  sich  aus  der 
Gleichgewichtslage  dreht,  während  sie  sich  wieder  zurücklegt,  wenn  die  Wärme 
abnimmt.  Um  den  Blinden  eine  exakte  Benützung  des  Thermometers  zu  ermöglichen, 
hat  der  Erfinder  in  geringer  Entfernung  von  dem  durch  den  äußersten  Punkt  des 
Thermometers  beschriebenen  Kreisbogen  eine  Metallzunge  befestigt.  Ein  Druck 
auf  diese  bewegliche  und  mit  Löchern  versehene  Zunge  läßt  die  Spitze  der  Säule 
in  eines  dieser  Löcher  einschnappen.  Gegenüber  diesem  Punkte  findet  dann  der 
Blinde  den  Temperaturgrad  in  Blindenschrift. 

Herausgeber:    ZentralTcrciu  für  das  österreichische  Blindenwesen   in  Wien.     RedaVtiouskomitee:  K.   Bürklen^ 
].  Kneis,   A.     .  HorTath,  F.  Uhl,  —  Drnck   ron    Adolf  Englisch,    Purkersdorf  bei   Wien. 


—  Grippe  mit  Seh  slö  r  un  ^' f  n.  Wie  aus  Süddeutschland  gemeldet  wird, 
tritt  dort  eine  neue  eigenartige  Erscheinungsform  der  Grippe  auf.  Nach  Mitteilun- 
gen des  dortigen  Arztes  zeichnen  sich  die  von  ihm  beobachteten  Fälle  dadurch 
aus,  daß  sie  alle  mit  eigentümlichen  Sehstörungen  namentlich  mit  Doppelsehe« 
begannen.  Im  weiteren  Verlaufe  kam  es  meist  zu  mehr  oder  weniger  Gehirn- 
störungen. Diese  Erscheinungen  waren  neben  mäßigem  Fieber  die  einzigen  Krank- 
heitssymptome, während  die  sonst  bei  Grippe  üblichen  katarrhalischen  Verände- 
rungen der  Atmungsorgane  fehlten.  Die  Krankheitsfälle  wurden  sämtlich  nach  kurzer 
Zeit  geheilt. 

—  Anzeigepflicht  für  Blennorrhoea  neonatorum  in  Sachsen. 
Mit  Verordnung  des  sächsischen  Ministeriums  des  Innern  vom  3.  Juli  1919  wurde 
die  Verordnung  über  die  Anzeigepflicht  bei  ansteckenden  Krankheiten  vom 
29.  August  1905  auf  die  eitrige  Augenentzündung  der  Neu'^eborenen  (Blennorrhoea 
neonatorum)  ausgedehnt. 

—  Pflanzen  die  Erblindung  verursachen.  Vor  einiger  Zeit  brachte 
man  in  CJueensland  einen  jungen  Mann  in  ein  Krankenhaus,  wo  er  wegen  einer 
eigentümlichen  Lähmung  des  Sehnervs  behandelt  werden  sollte.  Aber  alle  äiztliche 
Kunst  half  nichts,  der  Mann  erblindete.  Mehrere  solcher  Fälle  ereigneten  sich 
gleichzeitig  im  selben  Bezirk  und  man  konnte  schließlich  die  Ursache  im  Genuß 
einer  Art  von  Kirsche  feststellen,  die  in  der  Nähe  wuchs.  Die  Wirkung  gewisser 
Pflanzengifte  trotzt  eben  bis  jetzt  jeder  wissenschaftlichen  Erklärung.  Es  gibt  noch 
andere  Früchte  und  Beeren,  die  einen  verhängnisvollen  Einfluß  auf  den  Sehnerv 
haben.  Vor  einer  Reihe  von  Jahren  schrieb  ein  bekannter  Pferdezüchter  in  Austra- 
lien an  eine  Zeitung  in  Sidney  und  teilte  mit,  eine  Anzahl  Pferde  sei  ihm  erblindet, 
nachdem  sie  von  einer  wilden  Melonenart  gefressen  hatten,  die  in  jener  Gegend 
reichlich  wuchs.  Eine  der  gefährlichsten  Pflanzen,  die  es  gibt,  ist  Asclepias  gigan- 
tea,  die  in  Abessinien  verbreitet  ist  und  auch  auf  Zeylon  vorkommt.  Wenn  man 
sie  abschneidet,  fließt  ein  Milchsaft  aus  Stamm  und  Blättern,  und  der  kleinste 
Tropfen  dieses  Saftes  verursacht  vollständige  Erblindung,  wenn  er  mit  dem  Auge 
in  Berührung  kommt.  Ein  Heilmittel  dagegen  gibt  es  nicht.  Das  Eigentümlichste 
ist  jedoch,  daß  Ziegen  keinen  Schaden  an  dem  Baum  nehmen. 

Bücherschau. 

—  Das  päd. -psych.  Laboratorium  an  der  n.  ö.  Landes-Lehier- 
akademie  in  Wien.  Seit  mehr  als  sechs  Jahren  besteht  in  Verbindung  mit  der 
niederösterreichischen  Landeslehrerakademie  in  Wien  das  pädagogisch-psychologi- 
sche Laboratorium,  das  vom  Anfang  an  unter  der  Leitung  des  jetzigen  Akaderaie- 
direktors  Dr.  W.  Kammel  stehend,  eine  in  den  weitesten  Fachkreisen  anerkannte 
wissenschaftliche  Tätigkeit  entfaltet.  Der  ausgegebene  6.  Jahresbericht  weist  auf 
das  Ausscheiden  des  ehemaligen  Akademiedirektors  Regierungsrat  Dr.  R.  Hor- 
nich  hin,  dessen  Verdienste  um  das  Laboratorium  noch  besonders  gewürdigt 
werden  sollen.  Von  größter  Bedeutung  sind  die  Tätigkeit  des  Laboratoriums  in 
Berufsberatungsfragen  sowie  in  jugendkundlichen  Angelegenheiten.  Neben  der  Be- 
reicherung der  Sammlungen  und  der  Bibliothek  interessiert  besonders  das  Archiv 
des  Laboratoriums,  das  in  Form  von  Protokollen  die  wissenschaftliche  Tätigkeit 
des  Leiters,  seines  Assistenten  Professor  Battistas  und  zahlreichen  sich  frei- 
willig meldenden  Mitarbeitern  aus  Lehrerkreisen  enthält.  Aus  dem  reichen  Tätig- 
keitsbericht des  abgelaufenen  Schuljahres  seien  nur  einige  Titel  von  vollendeten 
und  begonnenen  Arbeiten  angeführt,  die  auf  allgemeine  Beachtung  Anspruch  er- 
heben. Messungen  zur  Beobachtung  der  körperlichen  Entwicklung  des  Wiener 
Schulkindes;  die  Ideale  des  Wiener  Schulkindes;  Prüfung  des  heimatkundlichen 
Vorstellungskreises  des  Wiener  Schulkindes;  Untersuchung  der  Beziehungen  zwi- 
schen Schädelumfang  und  Intelligenzgrad;  Psychologische  Analyse  des  Traumes  bei 
Kindern;  die  Psychologie  des  Gerüchtes  usw.  Im  ganzen  sind  26  Arbeiten  bisher 
erschienen,  5  in  Vorbereitung,  eine  umso  höher  einzuschätzende  Leistung  wenn 
man  bedenkt,  daß  tast  die  ganze  Tätigkeit  des  Laboratoriums  in  die  Kriegsjahre  fällt. 

An  die  Mitglieder  des  „Zentralvereines" 
und  die  Rbnehmer  unserer  „Zeitschrift" ! 
Der  Mitgliedsbeitrag  für  das  Jahr  1920  beträgt  10  Kronen,  wobei  der  Bezugs- 
preis für  unsere  „Zeitschrift"  inbegriffen  ist.  Der  Bezugspreis  der  „Zeitsdirift" 
beträgt  für  Nichtmitglieder  für  das  Jahr  1920  für  Österreich  12  Kronen,  für 
das  Husland  20  Kronen.  Es  wird  gebeten  die  Einzahlung  der  Mitgliedsbeiträge 
bezw.  des  Bezugspreises  der  „Zeitsdirift"  reditzeitig  vorzunehmen. 


Z.  16013/19—1. 


Ausschreibung. 


fln  der  kärntnerischen  Landes-Blindenanstalt  in  Klagenfurt  kommt  die 
Stelle  eines  DIREKTORS  zur  Besetzung.  Mit  dieser  Stelle  sind  die 
Bezüge  für  Bürgerschuldirektoren  nach  dem  Ausmaße  des  Gesetzes  vom 
21.  Februar    1919,    L.-G.-Bl.  Nr.  36   verbunden.     Der    Direktor    erhält    im 

flnstaltsgebäude  eine  Wohnung. 
Bewerber  um  diese  Stelle  haben  den  Nachweis  zu  erbringen,  daß  sie 
bereits  als  Lehrer  an  Blindenanstalten  tätig  waren  und  die  Fachprüfung 
für  die  Unterrichtung  von  Blinden  mit  Erfolg  abgelegt  haben.  Die 
Gesuche  sind  bis  längstens  0^  25.  Dezember  1919  "^9  beim  kärtne- 
rischen  Landesrate  in  St.  Veit  an  der  Glan  (Kärnten)  einzubringen. 
Bewerber,  welche  sich  bereits  in  einem  öffentlichen  Dienste  befinden, 
haben  ihr  Ansuchen  im  Dienstwege  einzubringen. 

Kärtnerischer  landesrat,  derzeit  in  St.  Veit  a.d.Glan,  am  10.  November  11)19. 


„ASYL  FÜR  BLINDE  KINDER" 

Wien,  XVII.,  Hernalser  Hauptstraße  93 

nimmt  blinde  Kinder  im  vorschulpflichtigen   Alter  aus  allen  ös|eneichi- 
schen  Kronländern  auf.  Nähere  Auskünfte  durch  die  Leitiing. 

Die  „ZentpalbibliotiiBli  für  Blinde  in  ÖsterreiGli". 

Wien  XVIII,  Währinger  Gürtel  136, 

verleiht  ihre  Bücher  kostenlos  an   alle  Blinden. 


Fpoduhtivgenossenschaft  für  bündB 
BöPStBnbindBP  und  Korbflechter. 

G.  m.  b.  Jrl. 

Wien  VIII.,   Flopianigasse  Np.  41. 

Telephon  Nr.  23407. 

Alle  Gattungen  Bürstenbinder-  u.  Korbflechterwaren. 
Verkaufsstelle;    Wien  VII.,  Neubaußasse  75. 


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des  Blinden-Unterstützungsveteines 
»Die  Purkersdorfer«  in  Wien  V.. 
:  — :   Nikolsdorfergasse  Nr.  42.  :  — : 


f^i      Blindendrucknoten    werden    an 
I^J      Blinde  unentgeltlich  verliehen  1 


<S 


II 


von  Oskar  Picht. 

Bromberg. 


W.  Kraus,  Berlin  N  54 

(Gegründet  1878.) 

Borsten-,  Rohmaterialien-  und  Werkzeug-Fabrik, 
======    Bürstenhölzerfabrik.    ===== 


Faserstoff-Zurichterei  Bergedorf 

Bergedorf  bei  Hamburg. 

Mustergültige  Bearbeitung  von   Fiber  undPiassava 
aller  Arten. 


■ 


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D 

n 

D 
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Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreichische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden.  — 


Schriftleitun  g 
Purkersdorf 
bei  Wien. 
Österreichisches 
Postsparkassen- 
konto Nr.132.257 


D 
D 
D 
D 
D 
D 


Das  Biatt  erscheint 
monatlich  einmal. 

Verantwortlicher  Leiter: 
Direktor  Karl  Bürklen. 


n 

Bezugspreis 

D 

D 
D 

ganzjährig  mit 
Postzustellung 

D 
D 

G 

4  Kronen, 

D 

n 

D 

Einzelnummer 
40  Heller. 

a 

D 

4.  Jahrgang. 


Wien,  1917. 


1. — 12.  Nummer. 


Inhaltsverzeichnis. 

Abhandlungen   und  größere   Beiträge. 

Anregungen.    Kleine    —    Von   Hauptlehrer  J.   Kneis,  Purkersdorf. 

Die  Krankenwärterin  823—825.  Der  Gärtner  842—844. 
Aufsiditsdienst.   Von  Hauptlehrer  J.   Kneis,  Purkersdorf     801 — 803. 
Berufswahl   der  Kriegsblinden.  Die   —   Von   Dr.  J.  Hartinge r, 

Graz ' 727—732. 

Blinde    des     Orients    im     Spiegel    des     morgenländischen 

Seh  rif  ttu  ms.  Von  Direktor  K.  Bürklen,  Purkersdorf  771 — 775, 

795—797,  805—808,  821—823,  837—839. 

Blindensdiicksale 682—684. 

Blindenschrift.     Entwicklung    der     —    Mit    Tafel.     Von    Direktor 

K.  Bürklen,  Purkersdorf 691—695. 

Blinde    Soldat    in    der    Lyrik    des  Weltkrieges.    Der    —    Von 

Direktor  K.   Bürklen,  Purkersdorf 739 — 744. 

Einheitsformat  der  Blindendrucke.  Über  ein  —  .  .  808 — 811. 
Erneuerung  der  Blindenfürsorge  in  Österreich  .  819 — 821. 
Esperanto.     Die    internationale    Hilfs spräche     —     und     die 

Blinden.  Von  Musiker  J.  Krieger,  Wien 723 — 727. 

Fachwerk.  Ein  neues  —  (K.  Bürklen:  Tastlesen)  .  .  .  835 — 837. 
Farbennamen  bei  den  Blinden.  Über  den  Gebrauch  der  — 

Von  Lehrer  O.  Wanecek,  Purkersdorf 787—794. 


Ita  res  video.   Von   Fachlehrer  S.   Alt  mann,  Wien    ,    .    .  755 — 756. 

Klangschrift  und  Prägedruck  von  Dr.  M,  Herz,  Wien  .    .    .  695. 

Kriegsblindenfürsorge.  Vortrag 697. 

Kriegsblindenfürsorge  —  in  Böhmen.  Von  Dr.  R.  Marschner, 
Prag 707—714. 

in  Mahren.  Von   Dr.   H.   M.,  Brunn 675—679. 

in  Niederösterreich 744 — 747. 

in   Ober  Österreich,  Krain,  Dalmatien  und  Bukowina 

759—761. 

in   Schlesien 775 — 777. 

in  Tirol 747. 

Lehrbefähigungsprüfung  für  den  Blinden  Unterricht.  Fragen 
bei   der  — •    .    .    .    .  748,  844. 

Masse-Punktdruck  von  Dr.  M.  Herz  695,  761—763,  811.  Beilage 
eines  Probedruckes  zu  Nr.   10. 

Ministerium  für  soziale  Fürsorge 825. 

Schreibunterricht  auf  der  Punktschrifttafel.  Der  erste  — 
Von  Hauptlehrer  F.  Demal  und  Lehrer  O.  Wanecek,  Pur- 
kersdorf 659—665. 

Schreibleseunterridit  bei  Kriegsblinden.  Was  ich  beim  — 
beobachten     konnte.      Von    Fachlehrer    J.    Umlaui.    Brunn 

679—682. 

Spredimasdiine.  —  Die  Bedeutung  der  —  für  die  Blinde  n - 
bildungunddenBlindenerwerb  .         .    .    .  665—668. 

Sprechmasdiine  »Postaphon«  und  die  Blinden.  Die  —  Bei- 
lage zu  Nr.   9  Mit  Abbildungen 696—697. 

Vorlagen  für  das  Bauen  mit  Zündholzschachteln.  Von 
Hauptlehrer  F.  Demal,  Purkersdorf.  Beilage  zu  Nr.   12       .  847. 

Zentralstelle  für  dasBlindenwesen  im  Ministerium  für  sozi- 
ale Fürsorge,  Petition,  betreffend  die  Errichtung  — 
839—831. 

Personalnachrichten. 

Bartos  K.,  Musiker,  Reifeprüfung  763.  —  Böhm  Julius,  Vizehofkapellmeister,  Tod 
812.  —  BüUik  F.,  Musiklehrer,  Mil.  Dienstleistung  670.  —  Bürklen  K.,  Direktor, 
Ehrung  812,  Wahl  zum  Obmann  des  Asyls  für  blinde  Kinder  7^4.  —  Forstinger  J., 
Werkmeister,  Tod  748.  —  Funke  G.,  Direktor,  Tod  715.  ~  Garns  Peter,  Musiker, 
Anerkennung  812.  —  Geiger  F.,  Leiter,  Lehrbefähigungsprüfung  846.  —  Grimm 
H.  V.,  Präsident,  Adelsstand  812.  —   Groß  F.,  Fachlehrer  i.  R.,  70.  Lebensjahr  732. 

—  Heller  S.,  Direktor,  Ehrung  779,  812.  —  Höllermann  F.,  Organist,  Ertrinkungs- 
tod 684.  —  Kaiser  A.,  Lehrer,  Mil.  Dienstleistung  699.  —  Karl  A.,  Eachlehrer, 
Auszeichnung  748,  Tod  669.  —  Kathrein  Dr.  Th.  v.,  Präsident,  Ehrung  781.  — 
Mayer  R.,  Direktor,  Auszeichnung  715.  —  Meli  A.,  Regier  ngsrat,  Ernennimg  zum 
Oberleutnant  699,  Verlust  8l2.  —  Moser  L.,  Musiker  Auszeichnung  827.  —  Rauter 
K.,  Direktionsgattin,  Tod  780.    —  Satzenhofer  K.,  Bibliothekar,  Auszeichnung  748. 

—  Thurner  F.,  Obmann,  Ernennung  zum  Kais.  Rat  699,  Tod  811.  —  Vinatzer  J., 
Direktor,  Auszeichnung  732,  797.  —  Weber  P.  F.,  Direktor,  Tod  811.  —  Zeyringer 
R.,  Direktor  i.  R.,  Tod  826.  — 


Mitteilungen  aus  den  Anstalten  und  Vereinen. 

Anstalt  zur  Ausbildung  von  Spätererblindeten  in  Wien  XIX.  Besuch  716, 
Jahresbericht  780. 

Asyl  für  blinde  Kinder  in  Wien  XVII.   Generalversammlung  764. 

Blindenversorgungshaus  »Francisco -Joseph  in  um«  in  Prag.  Be- 
richt 733. 

Blindenheim  in  Salzburg.  Bericht  670. 

Deutsche  Blindenschule  in  Aussig.  Bericht  8l2. 

K.  F.  J.  Jub.  Blindenarbeiterheim  in  Wien  XIII.  Gottesdienst  828. 

Kaiser  Karl-Kriegsblindenheim  in  Wien  XIII.  Eröffnung  782,  Gottes- 
dienst 828. 

Klar'sche  Blindenanstalt  in  Prag.  Bericht  813,  Besuch  797. 

N.  ö.  Landes-Blindenanstalt  in  Purkersdorf.  Bericht  812,  Friedenswunsch 

715,  Inspektion  732,  Kriegsfürsorgekonzert  748,    Kriegsweihnacht  670,    Scliul- 
schlulifeier  781. 

Odilien-Blindenanstalt  in  Graz.  Bericht  684,  Jahresbericht  764. 
Privat-Blindenlehranstalt  in  Linz.  Inspektion  732. 
Tir.  Vorarlb.  Blindeninstitut  in  Innsbruck.  Bericht  716,  781. 
Versorgungs-      und     Beschäftigungsanstalt     für      Blinde      in     Linz. 

Konzert  749. 
Versorgungs-     und    BeschäftiguQgsanstalt     für    erwachsene    Blinde  in 

Wien' VIII,  Bericht  780. 
Zentralbibliothek  für  Blinde  in  Österreich.  Bücherliste  703. 
Blinden-Unterstützungsverein    »Die  Purkersdorf  er*   in  Wien   V.     Bericht 

716,  781. 

Für  sorge  verein  für  die  Taubstummblinden  in  Osterreich.  Jahres- 
bericht 733. 

Humanitärer  Verein  >Lindenbund«  in  Wien  XX.  Bericht  685,  Generalver- 
sammlung 716. 

Komitee  zur  Verwertung  der  Wurfschmidt'schen  Erfindungen  »Posta- 
phone«  für  Blinde.  Gründunt;sversammlung  778. 

I.  Österreichischer  Blindenverein  in  Wien   VIII.  Bericht  764. 

Ortsausschuß  des  V.  Blindenfürsorgetages.  Sitzung  700. 

Produktivgenossenschaft  für  blinde  Bürstenbinde  i'  und  Korbmaciier 
in  Wien  VIII.  Zehnjähriger  Bestand  684. 

Verein  zur  Fürsorge  für  Blinde  im  Herzogtum  Salzburg.   Bericht  670. 

Verein  »Kriegsblindenheimstätten«  in  Wien.  Besichtigung  782,  General- 
versammlung 733. 

Zentralverein  für  das  österreichische  Blindenwesen  Ausschußsitzung  700, 
Mitteilung  686. 


Für  Kriegsblinde. 


Ausstellungen  687.  —  Huszeichnungen  von  Kriegsblinden  717,  735.  ~  Be- 
schwerde 750.  —  Erzherzog  Karl  Stephan  671,  733,  767,  782,  797.  —  Kaiserin 
Zita  bei  den  Kriegsblinden  685.  —  Keller  H.  Stiftung  686.  —  Konzerte  und 
Veranstaltungen  671,  700,  701,  735,  751,  798,  814,  829.  —  Kriegsblindenfonds 
im  Ministerium  des  Innern.  Jahressitzung  714.  Kuratoriumssitzung  777.  —  Kriegs- 
blinder Offizier  als  flkademielehrer  735.  —  Landeskommission  für  Oberöster- 
reich. Vollversammlung  735.  —  Militärblindenanstalt  in  Lemberg.  Errichtung 
einer  —  844.  —  Sammlungen  671,  687,  701,  7I7,  718,  735,  751,  -767,  783,  798, 
814,  829,  846.  —  Spenden  687,  700,  798.  —  Tabaktrafik  798.  —  Tiroler  Blinden- 
heimstätte 783.  —  Trauungen  von  Kriegsblinden  6?<6,  700,  717,  718,  750,  766. 
Vortrag  eines  Kriegsblinden  750.  —  Weihnachtsfeier  in  Brunn  671.  —  Wehr- 
schildfeier  751.  — 

Verschiedenes. 

Blindenfürsorgetag  (Blindenlehrertag)  Wien  1914.  Bericht  658. 
Briefkasten  767,  847.  —  Engländer.  Gemütvolle  —  702.  —  Erbschaft  702. 
Ersatz  für  verlorene  flugen  718.  —  Esperanto  und  die  Blinden  834. 
Französische  Kriegsblinde  als  Funker  718. 


Gedichte:  An  die  Sehenden.  (O  Huber)  699.  Blinden  Kriegern  alle  Ehren.  (A.  Rap- 
pawi)  828.  Der  Erblindende.  (E.  Rheinsch)  846.  Der  Blinde.  (V.  Jeraj)  717. 
Der  Blinde.  (H.  Kipper)  779.  Der  Blinde,  (H.  Gutberiet)  845.  Eines  Kriegs- 
blinden Gruß  an  die  Heimat.  (O.  Huber)  8l4.  Prolog.  (G.  Hauptmann)  668. 
Wir  Kriegsblinden.  (Jedina-Palombini)  766. 

Grey.  Lord,  vor  der  Erblindung  719. 

Haut  des  Blinden  als  Sehorgan.  Die  —  818. 

Hund  als  Blindenführer.  Der  —  722. 

Hypnotische  Behandlung  der  Blindheit.  Die  —  783. 

Keller  Helen  heiratet  718.  —  Leidensgeschichte  eines  Blinden  701. 

Leser.  An  unsere  —  834.  —  May  K.  war  eine  Zeitlang  blind  802. 

Milchinjektion  bei  flugenerkrangungen  798. 

Minnesänger.  Ein  blinder  —  786.  —  Nachtblindheit.  Neue  Behandlung  der  —  830. 

Nietzsche.  Blindheit  des  Phylosophen  8l5. 

Papierspagat  als  Ersatz  für  Kernrohr  829. 

Schweiz.  Blindenerziehung  in  der  —  687. 

Stiftung  für  flugenleidende  in  München  829. 

Tauchboot.  Das  geblendete  —  702.  —  Theatervorstellung  für  Blinde  767. 

Tintenstift.  Der  gefährliche  —  674.  —  Unglücksfall  eines  Blinden  702. 

Verschnappt  830.  —  Wettbewerb  719. 

Bücherschau. 

Abriß  der  englischen  und  französischen  Kurzschrift  Von  Reuß  A,  799. 

flus  Wunden  und  Wonnen.  Von  Kipper  H.  770. 

Das  pädagogisch-psychologische  Laboratorium  in  Wien.     Von  Kammel  Dr.  W. 

658,  831. 
Die  ewigen  Wege.  Von  Klug  J.  754. 

Der  blinde  Musiker,  Die  Blinde  von  Kunterweg.  Von  Schmidt  M.  706. 
Erziehung  zur  Gemeinnützigkeit.  Von  Berger  A.  751. 
Hannerle,  ein  Blindenroman.  Von  Thumerer  J.  690. 
Kalender  für  Blinde.  847. 

Kriegsblindenbeschäftigung  in  der  Werkstatt.  Von  Perls  P.  H.  719. 
Klavierschule.  Von  Roßka  G.  830. 
Opfer.  Von  Michaelis  Karin  738. 

Praktische  Einführung  in  die  Satz-  une  Wortanalyse.  Von  Stein  F.  815. 
„Soldatenlieder  und  „Belisar."  Von  Rappawi  A.  831. 
Tastlesen.  Von  K.  Bürklen  u.  a.  835. 

Vorlagen  für  das  Bauen  mit  Zündholzschachteln.  Von  Demal  F.  847. 
Wir,  Fendrich  A.  815. 


Mitarbeiter. 


flitmann  S.  Fachlehrer.  Ita  res  video  755—759. 

Bürklen  K.,  Direktor.  Der  blinde  Soldat  in  der  Lyrik  des  Weltkrieges  739—744. 
Der  Blinde  des  Orients  im  Spiegel  des  morgenländischen  Schrifttums  771  — 775, 
795—797,  805—808,  821  —  823,  837—839.  Entwicklung  der  Blindenschrift 
691  —  695.     Einheitsformat    der    Blindendrucke    808—811,    Tastesen    835—837. 

Chlumetzky  H.  v.,  Hofrat.  Kalender  847.  Vortrag  von  Dr.  Cohn  697. 

Demal  F.  Schreibunterricht  659—665,  Vorlagen  f.  d.  Bauen  mit  Zündholzschachteln 
847. 

Hartinger,  Dr.  J.  Berufswahl  der  Kriegsblinden  727  —  732. 

Kneis  J.,  Hauptlehrer.  Aufsichtsdienst  801—803,  Bericht  733,  Gärtner  842—844. 
Krankenwärterin  823—825, 

Krieger  J.  Musiker,  Esperanto  723—727. 

Krtsmary  fl.  Fachlehrer.  Buchbesprechung  799. 

Marschner  Dr.  R.,  Kriegsblindenfürsorge  in  Böhmen  707 — 714. 

Pleninger  fl.  M.,  Direktor.  Bericht  732,  735.  Buchbesprechung  815.  Lehrbefähigungs- 
prüfung,  Fragen  748,  844, 

Umlauf  J.,  Fachlehrer.  Schreibleseunterricht  bei  Kriegsblinden  679—682. 

Wanecek  O.,  Farbennamen  787 — 794.  Schreibunterricht  659—665, 

Herausgeber;    Zentralvereic  für  das  österreichische  Blindenwesen  in  Wien.     Redaktionskomitee:  K.  Bärklan, 
].  Kneis,  A.  t.  HorTath,  F.  Uhl,  —  Druck   ron  Adolf  Englisch,  Purkersdorf  bei  Wien. 


ZEITSCHRIFT 

FÜR  DAS  ÖSTERREICHISCHE 

BLINDENWESEN. 

Organ  des  „Zentralvereines  für  das  österreidiische  Blinden- 
—  wesen"   für  die  gesamten  Bestrebungen  der  Blinden,   — 

Schriftleiter:   Direktor  K.  Bürklen  in   Purkersdorf  bei  Wien. 
Bezugspreis  des  monatlich    erscheinenden    Blattes  ganzjährig  12  Kronen,   für   das  ftusland  20  Kronen. 

6.  Jahrgang.  Wien,  1919.  1.— 12.  Nummer. 

Inhaltsverzeichnis. 

Abhandlungen   und  größere  Beiträge. 

Rufmerksamkeitsmimik     Itci     lüiinicn.      I'i-o  v  o/ i  cri  c 

L(^hr(M-  Waiu'cck.   riii-kci-sdoi-C \:M\ 

Begriff  (if^r   IMindlicit   Ixsl    K  im  cos  !>  esc  h  ;i  d  i  yt  cii       ....   KKif) 

Blinde  in   d  er  K  i  ii  o  .1  a  rs  t  eil  ti  n  .u'.     Der 120H.    \2'12 

Blinde    in    ilcr    Sauc.i.in  Mäi-chcii    und   in  d(.'r  [.p.ijende. 

Der  Lrhror  Wanccc^-.  riii'kei-sdorf  .  .  .  iOTf).  lOOfj.  1111 
Blinden    Dcu  tscliös  I  crrc  i  <•  li  s    nach    ({cscli  I  ccli  I .    .\llcr. 

I>i  I  du  n.y-.s  <;r  ad.   Ücriif  usw..     Die llVlii 

Blindenerholungsheim  in  lüiiz.  Das  —  Her/,  Wien  .  .  .1210 
Blindenfürsorgekommission     im    Siaatsaintc    ITir   so/,  iaic 

Verwaltun.u I  IH^) 

Blindenwesen    \\\'\'^\    li  1  in  d  e  n  fü  rs  ocyc  in   Ifollainl.     HolVai 

von   ChJnrnecky \mS) 

Brief  an   die  M  us  i  k  I  ehr  er  ^\v\-  R  I  i  n  d  c  n  a  n  s  (  a  1 1  e  n   u  n  d  a  ii 

alle     hlindcn     .Mtisiker    dci-    de  irisch -ös  I  errei  cl\i- 

sclien     1!  e|)  II  I)  I  i  k.     orfenei"     —    Prnfessoi'    Krtsrnärv, 

Purkersdorf 109L  1148, 

Eingliederung-    der    Hlindcn    in    die    A  rhei  I  sgehi  ete  der 

Sehenden.     Die 1080 

Erfahrungen  über  die  Dr.   II  er /'sehe  Massi  vsc  h  r  i  f  I.  M.  A. 

Biit/e 10(58 

Fortbildungskurs  f  ü  r  h  Ii  n  d  e  M  u  s  i  k  c  r.  A'  o  r  s  c  h  1  ä  \i,  c  i'  ü  r 
einen  am  B  1  ind  cn  -  K/ i  ehu  n  n  s- 1  n  sli  t  u  I  c  in  Wien  II. 
ahzu  halt  c  n  d  cn  ei  ii  j  ä  h  r  i  ^c  n  in  ii  si  k  a  I  i  sc  li  cn  —  Miisik- 
lekrer  liartüsch,  Wien 1187 


Gesdiäftsordnung  für  die  s  t ä  n  d  i  g c  P>  I  i  n  d e n  f  ii  r  s o r k e k o  m- 
m i s s i ö n  in»  d.-ö.  S  t  a  a  I  s a  rn  I  e  -für  sozial  (^  V e r  w  a  I  - 
tuiig.     Die s    .    .    .    .  IH);") 

Gesidit  des  Blinden.     Das    —    (Mit  einer  'raiel.)  -     Direktor 

Bürklen.  Furkersdorf ilöf) 

Grammophon    im  Musikunterrichte  des  l^)lindeii.     I)as.  1107 

Holzarbeitsunterridit.     X'oni    —   Professor     Dcmal,    l'urkers- 

dorf ]  l2:-"i.    im.    1  KKi 

Insel  der  Heiteren.     Die  —  \.  Wydenbruek I  18(i 

Kunsterziehung    und    der   Musikunterricht  an  der  Hliu- 

denanstalt.     Mu.siklehrer  Bartosch.  Wien 1219 

Mähren.     Aus H  Ki 

Punktschrift-Alphabet.     Kin     deutsches     —     Professor     Dr. 

Blaas,  Jnn.sbruck 1I2S 

Recht  des  Blinden  auf  Arbeit  im  sozialen  Staat.  Das  — 

Lehrer  W an  ecek.  Furkersdorf in()2 

Rede  zur  Kröffnung  der  Ausstellung  von  Handfertig- 
keit s  a  r  b  e  i  t  e  n  der  Zöglinge  des  i  's  r.  B 1  i  n  d  e  n  i  n  s  I  i  - 
tutes  in  Wien  XIX.     Direktor  Heller.  Wien 1  l(J3 

Sdiwadisiditigen-Hilfsklassen,  a  n  g c schlösse n  an  Schulen 
für  X  or  m  a  I  s  i  ch  I  ige  oder  B  I  i  n  den  unierri  cb  t  sa  n - 
stalte  n.  1^  i  n  r  i  c  b  t  u  n  g  von  —  Pehrer  W  a  n  c  c  e  k .  Fur- 
kersdorf     l-^H;") 

„Seminar  für  H  ei  I  päd  agogi  k-  a  n  der  n.-ö.  La  nd  csl  cln-cr- 

a  k  a  d  e  m  i  e.     Das I  2(  )9 

Sondersdiulzwang  f  ü  r  b  1  i  n  d  e  K  i  n  d  e  r.  Der  —  Dr.  S  c  b  w  a  r  / . 

Berlin 1171 

Straßenszene.     Line  Wiener  —  M.  Hayek.  Wien 121() 

„  Tastlesen  i'd  a  s )  der  B 1  i  n  den-  F  n  n  k  t  s  c  h  r  i  f  t.  •'    D  i  e  K  r  i  l  i  k 

meines  Buches.  —  Direktor  Bürklen,  Furkersdorf     .    .  1  <>:"):) 

Versorgung  der  Kriegsblind  e  n  u  n  d  A  u  g  e  n  b  (>  s  c  b  ä  d  i  g  1  e  n 

in  De  uts.chö.st  erreich 11»-;") 

Vorzeidien.     Über    das    Merken   der      -  Fi-ofessor  Zieilnh. 

Furkersdorf lOöV) 


Personalnachrjchten. 

Baumgartner  J..  Ernennung  1117.  ~  Bodo  F,  Abgang  von  Furkersdorf.  1198.  — 
Demal    F.,    Ernennung     1213.  Gigerl    E..    Betrauung    mit    der    Leitung     1165, 

Ernennung  zum  Prüfungskomniissär  124S.  —-  Groß  F.,  Tod  1066.  -  Hager  J..  Tod 
1148.  —  Indrasä  E.,  Ablegung  der  Musikstaatsprüfung  1165.  —  Jeraj  K.,  Abgang 
von  Furkersdorf  1131.  —  Kaiser  A.,  Ernennung  1148,  Abgang  von  Furkersdorf  1198. 
Kneis  J.,  Ernennung  1213.  Krtsmäry  A.,  Ernennung  1165,  1213.  -  Kunschak  L.. 
Abschied    1148.    —     Meli  A.,  Pensionierung  1165.  Nemec  K.,    Zuteilung   1132, 

Abgang  von  Furkersdorf  1198.    —     Posch  G.,  Urlaub    1132,  Auszeichnung    1198. 
Schütz  S.,    Zulassung  als  Hospitantin    11  i7.     —     Spic^ka  A..  Ernennung    1086.     — 
Überall  R.,    Vermählung    1213.     —     Volkert  K.,    Übernahme  der   Überleitung  von 
Furkersdorf  1149.        Wagner  E.,  Pensionierung  1131,  Abschied   1198.  -    Zierfuß  A., 

Ernennung  1148,  1213. 


Mitteilungen  aus  den  Anstalten  und  Vereinen. 

Asyl  für  blindß  Kinder  in  Wien.  Bericht  1198. 

B 1  i  n  d  e  n  f  ü  r  s  o  r  g  e  V  e  r  e  i  n    für    Tirol    und  Vorarlberg.    Bt-richt    1 1 99. 

Blindenheimverein    Melk.     Bericht  1214. 

Grazer    Blindenanstalt.     Bericht   1149. 

Israel.  Blinde ninstitat  in  Wien.  Ausstellung  1149. 

Klagen  furter    Blindenanstalt.     Eröffnung  1213,    Feier  1229,  1244. 

>  Li  nde  nbun  d  *  ,     Bericht  1086,  1118,     Freie  Blindenversamnilung  111^3. 

Li  nzer  Blindenanstalt.  Weihnachtsfeier  1070,  Dank  1118,   Besuche  1183.1243. 

1.  östt^rr.  Blindenverein.     Generalversammlung  1183. 

»P  urker  sdor  fer«.     Bericht  1151,     Generalversammlung  1183; 

P  ur  ker  sdor  f  e  r  Blindenanstalt.  Weihnachtsfeier  1070,  Ehrung  1186,  Veran- 
staltungen 1132,  1198,  Besuch  1148,  Vorlesung  1182,  Klavierkonzert  1182, 
Amerikanische  Kinderhilfsaktion  1182,    Bericht  1198,  Schulschluß  1213. 

Salzburger  Blindenanstalt.  Bericht  1186. 

Verein  >  Freunde  der  Blinden«.     Bericht  1118. 

Verein  für  Blindenfürsorge  in  Kärnten.    Bericht  1230. 

Verein  zur  Versorgung  und  Beschäftigung  erwachsener  Blinder. 
Bericht  1118,    Aufhebung  der  Altersgrenze  1183. 

Wiener  Blinden-Er Ziehungsinstitut.  Ausschreibung  der  Direktorstelle 
1243. 

Taubstummen-Blindenverein.     Bericht  1183. 

>Zentralverein«.  Ausschußsitzungen  1187,  1132,  1166.  1214,  Generalver- 
sammlung 1244. 


Für  Kriegsblinde. 


Arbeiten  eines  kriegsblinden  Offiziers  1118.  —  Besetzung  von  Trafiken  1151. 
—  Gartenfest  1151.  Kriegsblinde  in  Heimstätten  ll';9.  Kriegsblinden- 

Fürsorge  in  Frankreich  1231.  Kriegsblindenheim  in  Wien    (Zeitungsgedicht) 

1118.  -      Mißbrauch  des  Namens  „Kriegsblindenfürsorge"  1246  Mitarbeit 

der  Kriegsblinden  an  ihrer  Fürsorge  1069.—  Rohstoffeinkauf  10S6.  —  Stiftun- 
gen 1103,  1133,  1199.  —  Veranstaltung  für  Kriegsblinde  1118.  —   Verband  der 

Kriegsblinden.  1151. 

Verschiedenes. 

Almosen.  Das  —  1103. 

Altes  und  Neues.  Abweichung  des  Blinden  von  der  geraden  Wegrichtung  1154. 
Berto.  Der  blinde  —  1106.  Blinden  in  Japan  und  China.  Die  —  1122.  Blinden- 
darstellungen  der  Inkas  1218.  Blindheit  als  Motiv  einer  komischen  Oper  1138. 
Darstellung  des  Blinden  in  der  modernen  Malerei  1154.  Einfall.  Ein  rettender 
—  1234,  Hypnose  bei  Blinden.  Über  die  —  1170.  Lesefrüchtc  aus  Thomson: 
Das  Gehirn  und  der  Mensch  1074.  Mimischen  Erscheinungen  beim  horchen- 
den Blinden.  Die  —  1090.  Nägelkauen.  Übt  das  —  einen  ungünstigen  Ein- 
fluß auf  die  Tastfähigkeit  und  Handgeschicklichkeit  aus-  1186.  Schmelzl 
Wolfgang:  Ein  schöne  kurze,  vnd  Christliche  Comedj,  von  dem  plintgeboren 
Sonn.  1202. 

Anzeigepflicht  für  Blennorrhoea  neon.  1247.  —  Augenschädigung  durch  Tabak.  1071. 

Bettlerhumor.  1134.  Bettlerschule  in  Englaud.  Eine  —  1134.  Bilderagentur  für 
Blindenzwecke.  1230.  Blinde.  Der  —  1231.  Blinden  hei  den  Wahlen.  Die  — 
1087.  Blindenfürsorgekommission. Staatliche  —  1225.  Blindenthermometer. 
Ein  —  1246.  Blindenversammlung.  1149.  Blinder  als  Auswanderungsleiter. 
Ein  —  1215.     Briefkasten.  1106.     Bürstenbinder.  Schwachsichtige  —  1167. 

Drostes  Leben.  Aus  Georg  —  1070. 

Eindringling.  Der  —  Die  Blinden.  1246. 

Gerda-Schreibmaschine  für  Kriegsbeschädigte  und  Blinde.  1226.  Geschäftsent- 
wertung. 1231.  Grippe  mit  Sehstörungen.  1247. 

Haarknüpfen  für  Perücken.  1215.  Helm  für  blinde  Mädchen.  Ein  —  1267.  Heil- 
pädagogik an  der  Lehrerakademie  in  Wien.  1116.  Heilpädagogische  Ver- 
einigung inHaraburg.  1117.  Holzhacker.der  sich  selbst  denStar  sticht.  Ein  —  1134. 

Keller  Helen    als    Kinodarstellerin.  1167.  Kriegsblinder  am  Traualtar.   Ein  —  1246. 

Maler.  Der  erblindete  —  1103.  Musik  und  die  Blinden.  —  1167. 


Pflanzen,  die  Kiblindun«;,'  verursachen.  1247. 

Raupen.  Blinde         1231 '. 

Schwerhörigenschulen  in  Deutschösterreich.  Knichtung  von  —  1215.  Send- 
schreiben des  »Ulindentrenndes«  über  die  Neu^estaUunfr  'des  deutschösteri . 
Biindcnwesens.  1114.  Staatspreis  für  die  Abrichtung  eines  lilindcnf'ührer- 
hundes.  1230.    Systeme  der  Punktschrift.  Neue  —   1103. 

Testament.  Ein  schönes  —  1071.  Tierschutz.  Seitsamer  —  1231.  Triumph  der 
Augenheilkunde.  Ein   —  1230. 

Vorschlag  eines  Dichters.  1134.     Vortragsabend  in  Brunn   1147. 

Zusammenschluß  der  deutschen  Kriegsblinden.  1215. 


Gedichte. 


Blinde.    Die    —    A.  v.  Chamisso    1228,  1242.       Blinde.    Dir         J.  M.  Kilke  loS3. 

Blindenklage.  K.  Henckell    1133. 
Gebt  den  Blinden,  was  des  Blinden  ist!    A.  Raj)])awi    lOCi'). 
Knabe.  Der  blinde  —  1113. 
Ottilie.  F.  Rücke rt    1096. 


Bücherschau. 

Beiträge  zum  Blindenbildungswesen.  Dr.  A.  Bielschowsky.  10S7.  Bericht  über 
den  VI.  österr.  Blindenfürsorgetag.    1135. 

Festschrift  für  den  VVürttembergischen  Blindenverein.  1215.  Fürsorge  \'nv  Kriegs- 
blinde in  Böhmen.  Die  —  Di.  R.  Marschner.    1071. 

Jugendblinden  nach  dem  Weltkriege.  Die  —  A.  Rappawi.    1167. 

Lebenswille.    .Siegfried  Abi  er.     1225. 

Mitteilungen  aus  dem  Gebiete  des  Blindenwesens.  A.  Meli.    1135. 

Praxis  für  die  I'raxis.  Aus  der    —     (Bericht  der  deutschen  Zentralbücherei).     1135. 

Päd.-psych.  Laboratorium  an  der  n.  ö.  Landes-l^ehrerakademie  in  Wien.  Das  — 
rBericht.)  1135. 

Unfallverhütung  bei  der  Beschäftigung  Kriegsblinder  in  gewerl>lichen  Betrieben. 
P.  Perls.  1231. 

Mitarbeiter. 

Bartosch  Josef,  Musiklehrer;  Vorschläge  für  einen  musikalischen  Fortbildungskurs 
1187.     I\'unsterziehung  und  der  Musikunterricht  an   Blindenanstalten   I2l9. 

Blaas  Dr.  J.,  Professor:    Ein  deutsches  Punktsrhrift-Alf)habet  1129. 

Bürklen  K.,  Direktor:  Das  Gesicht  des  Blinden  1155.  Die  Kritik  meines  Buches 
i>Das  Tastlesen  der  Blinden-Punktschrift«     I055. 

Butze  M.  fl.:  Erfahrungen  über  die  Dr.  Herz'sche  Massivschrift  1063. 

Chlumecky  H.  v.,  Hofrat:  Blindenwesen  und  Blindenfürsorge  in  Holland  1099. 

Demal  F.,  Professor:    Vom  Holzarbeitsunterricht     1123,  ll4l,  1160. 

Hayek  M.,  Wien:  Eine  Wiener  Straßenszene    1240. 

Heller  S.,  Direktor:  Rede  zur  Eröffnung  der  Ausstellung  von  Handfertigkeits- 
arbeiten der  Zöglinge  des  israelitischen  Blindeninstituts  in  Wien  XIX.     1163. 

Herz  J.:     Das  Blindenerholungsheim  in  Binz  I2II. 

Krtsmäry  fl.,  Professor:    Offener  Brief     109l,  1143. 

Rappawi  fl.,  Anstaltsleiter:    Gebt  den  Blinden,  was  der  Blinden  ist!    1096. 

Schwarz  Dr.  K.:     Der  Sonderschulzwang  für  blinde  Kinder     1171. 

Wanecek  O.,  Lehrer:  Provozierte  Aufmersamkeitsmimik  bei  Blinden  1206..  Rer 
Blinde  in  der  Sage,  im  Märclren  und  in  der  Legende  1075.  Das  Recht  des 
Blinden  auf  Arbeit  im  sozialen  Staat  1062.  Errichtung  von  Schwachsichtigen- 
Hilfsklassen     1235. 

Wydenbruck  Nora:     Die  Insel  der  Heiteren    1180. 

Zierfuß  fl.,  Professor;     Über  das  Merken  der  Vorzeichen    1059. 


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