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Organ des „Zentralvereineb für das österreichische Blinden-
— wesen" für die gesamten Sestrebungen der Blinden. —
Schriftleitung
Purkersdorf
bei Wien.
Österreichisches
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Das Blatt erscheint
monatifdi einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
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Bezugspreis
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4 Kronen,
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Einzelnummer
40 Heller.
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4. Jahrgang.
Wien, Februar 1917.
2. Nummer.
INHALT: Kriegsblindenfürsorge in Mähren. Josef Umlauf, Brunn : Was ich beim
Schreibleseunterrichte bei Kriegsblinden beobachten konnte. Blindenschicksale.
Erika Rheinsch : Der Erblindende. Personalnachrichten. Aus den Anstalten.
Aus den Vereinen. Für unsere Kriegsblinden. Verschiedenes. Mitteilung.
(Altes und Neues. Ankündigungen.) v
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Beitrittserklärungen zunn „Zentralverein für das österreichische^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
i] Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K.
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/\ltes und Neues.
Der or-efährliche Tintenstitt.
Tinte und Feder müssen in vielen Fällen, besonders im Felde,
dem bequem unterzubringenden und zu handhabenden Tintenstift
weichen, dessen tintenähnliche Eigenschaften ihm vor der schnell sich
verwischenden Bieistiftschrift einen deutlichen Vorzug geben.
Es dürfte aber sehr wenigen überhaupt nur bekannt sein, daß
der Tintenstift ein ziemlich gefährlicher Geselle werden kann. Arzt-
liche Erfahrung zeigt nämlich, daß niclit selten Augenschädigungen
beim häufigen Gebrauch des Tintenstiftes sich einstellen, die fast
ausnahmslos beim Anspitzen zustande kommen. Winzige Teilchen,
die dabei in den Bindehautsack eindringen und als bloße Fremdkörper
noch kamii eine Störung verursachen würden, genügen schon, um
bestimmte, sehr schädliche Veränderungen in den Geweben des eigent-
lichen Auges und der Lidteile liervorzurufen. Da der Endausgang
selbst bei schweren Formen der Tintenstiftverletzung nicht unmittelbar
in voller Wirkung auftritt, im Gegenteil die eingedrungenen Teilchen
eine Zeitlang ohne nennenswerten Schaden im Bindehautsack ver-
weilen können, wird meist der rechte Moment für die ärztliche Behand-
lung versäumt. Auf diese Notwendigkeit ist aber dringend hinzuweisen.
Prof. H. Olloff, der sich mit solchen Schädigungen des Auges
eingehender befaßt hat, weist in der „Münchener Medizinischen Wochen-
schrift" sogar auf einen Fall hin, der zn fast völliger Erblindung des
betreffenden Auges geführt hat, nachdem der Patient eine sechsmonat-
liche Lazarettbehandlung bei einem ungewöhnlich schmerzhaften
Krankheitsverlauf hatte durchmachen müssen. Ausschlaggebend für
diese unter Umständen verheerende Wirkung sind die basischen
Anilinfarbstoffe, die im Tintenstift enthalten sind. Bei Färbereiarbeitern
oder solchen, die in entsprechenden chemischen Fabriken beschäftigt
sind, sind in der Tat ähnliche Schädigungen des Auges bei unglück-
licher Berührung aufgetreten. Diese Giftigkeit nimmt zu, je stärker
der basische Charakter der Anilinfarbstoffe ist, ja, kann bei berufs-
mäßiger Einwirkung unabhängig von den Augen Ausschläge und
Wucherungen auf der Haut erzeugen. Das Bild der Augenentzündung
kann daher sehr verschieden ausfallen : neben einer stets vorhandenen
Blau-Violett-Färbung in leichten Fällen nur geringe und schnell
abheilende oberflächliche Bindehautentzündungen, die in schweren
Fällen zum Absterben der betreffenden Gewebeteile, besonders der
Hornhaut, sogar zur völligen Vereiterung des Augapfels ausarten
können.
Wie weit diese Entwicklung sich vollzieht, hängt außer von
der Giftigkeit und der Größe der eingedrungenen Teilchen von der
Dauer ihres Verweilens im Auge ab; schnelle Entfernung des Herdes
der schädlichen Wirkung ist daher erste Voraussetzung für einen
günstigen Verlauf. In ganz frischen Fällen soll außerdem das Ein-
träufeln von Tanninlösung Besserung herbeiführen können, da Tannin
mit den basischen Anilinfarben unlösliche Verbindungen einzugeben
imstande ist und diese dadurch für das Auge zum bloßen Fremd-
körper umwandelt.
4. Jahrgang. Wien, Februar 1917. 2. Mummer.
^ »Es ist genug, daß Menschen blind geboren werden, ^
^ Und zu viel, daß sie blind werden können.« ^
^ Fr. Hebbel. «
Kriegsblinden-Fürsorge in Mähren.
Ein Tätigkeitsgebiet der Fürsorge für heimkehrende Krieger, das
vor besonders großen Schwierigkeiten steht, ist die Fürsorge für die
aus dem Felde erblindet zurückkehrenden Krieger. Es mußte deshalb
die »Mährische Landeskommission zur Fürsorge für heimkehrende
Krieger,« der die Aufgabe obliegt, »erkrankten und verwundeten Krie-
gern zur Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft zu verhelfen, ihre soziale
Lage zu verbessern und sie dem Erwerbsleben wieder zuzuführen«,
gerade auch dieser Seite der ihr zufallenden Fürsorgetätigkeit ihre ganz
besondere Aufmerksamkeit zuwenden, zumal es in diesen Fällen der
Kriegsverletzung überaus schwer ist, die Betroffenen einer selbständigen
Arbeitsbetätigung und auskömmlichen Lebenstellung zuzuführen, und
vor allem das Empfinden der Arbeitspflicht in ihnen wieder rege zu
machen.
Die Kriegsblinden-Fürsorge in Mähren — über ihren gegenwärti-
gen Stand wurde in der letzten Sitzung des in der Mährischen Landes-
kommission zur Fürsorge für heimkehrende Krieger gebildeten Sonder-
Ausschußes für Kriegsblinde Bericht erstattet, und das Folgende ist im
Wesentlichen diesem Berichte entnommen — ist derart organisiert, daß
der mährische Landes-Ausschuß für die Schulung der Kriegsblinden
durch seine Fachkräfte Sorge trägt, und zwar, indem er die Durchfüh-
rung dieses Teiles der Fürsorge dem »Kaiser-Franz-Josef-Jubiläums-
Vereine zur Fürsorge für männliche Blinde in Mähren und Schlesien«'
übertrug, und weiters, daß der mährische Landes-Ausschuß für später-
Seite 676. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 2. Nummer.
hin, sobald die Landes-Blinden-Erziehungsanstalt ihrem eigenthchem
Zwecke wird wieder zurückgegeben werden können, auch die Unter-,
bringung und Verpflegung der Kriegsblinden für so lange übernimmt,
als sie zwecks ihrer Schulung in Brunn untergebracht sein müssen und
nicht eigene Heimstättten erhalten oder im Hinblicke auf ihre persön-
lichen Vnrhältnlsse in die Anstaltspflege dauernd übernommen werden.
Alle andere Fürsorge für die Kriegsblinden obliegt der Mährischen
Landeskommission zur Fürsorge für heimkehrende Krieger, der es also
insbesondere zufällt, die Kriegsblinden dem bürgerlichen Erwerbsleben
wieder zuzuführen und ihre Lebensexistenz für später ausreichend
sicherzustellen; gegenwärtig hat aber, solange die Landes-Blinden-Er-
ziehungsanstalt für andere Zwecke in Anspruch genommen ist, die
Landeskommission auch für die Unterbringung und Verpflegung der
Kriegsblinden für die Zeit ihrer Schulung aufzukommen.
Als provisorisches Kriegsblindenheim konnte dank dem weitgehen-
den Entgegenkommen des mährischen Gewerbevereines ein Teil seines
Kaiser -Franz -Josef -Jubiläums-Lehrlingsheimes in der Zieglergasse in
Brunn eingerichtet werden. Dorthin werden alle nach Mähren zuständi-
gen, im Kriege erblindeten Krieger, soweit sie selbst zustimmen und
eine andere Versorgung vorläufig noch nicht möglich ist, gebracht, und
dort werden sie zur Vorbereitung für ihren späteren Beruf je nach
ihren Fähigkeiten geschult : Blinden-Lesen und -Schreiben, Maschin-
schreiben, Bürstenbinden, Korbflechten, Maschinstricken, Klavierstimmen,
und Ähnliches. Arbeiten, die besonders geeignet sind. Blinde anregend
zu beschäftigen, sind landwirtschaftliche, vor allem Garten-Arbeiten,
und es wird auch die Schulung der mährischen Kriegsblinrien nach
dieser Richtung hin zu ergänzen sein. Was bei anderen Kriegsverletzten
als hauptsächlichstes Ziel der Fürsorge für sie gilt, sie möglichst ihrem
früheren Berufe zu erhalten und ihm wieder zuzuführen, ist bei Kriegs-
blinden eine schwierig zu behandelnde Frage, doch wird auch ihr alle
Aufmerksamkeit geschenkt.
Das provisorische Kriegsblindenheim in der Zieglergasse wurde
Anfang Juli 1916 eingerichtet und es wurden dorthin sofort die inzwi-
schen in anderen Blindenheimen Österreichs untergebrachten mährischen
Kriegsblinden, 15 an der Zahl, gebracht. Ihr Befinden war im Anfange, be-
sonders in Beziehung auf ihre seelische Verfassung, ein wenig erfreuliches •
und ließ daran zweifeln, ob es überhaupt möglich sein wird, so tief
bedrückte Menschen wieder einigermaßen einer gewißen Arbeitsfreude
zuzuführen. Doch hat sich ihr ßeflnden bald, nicht zuletzt dank der
liebevollen und verständigen Behandlung seitens aller jener, denen ihre
Wartung und Schulung obliegt, auf das auffallendste gebessert, und es
kann als sichtliches und erfreuliches Zeichen hiefür gelten, daß sich
einige von ihnen sehr eingehend, vernünftig und in guter Zuversicht
mit realen Plänen für die Gestaltung ihrer weiteren Zukunft beschäftigen,
wobei ihnen natürlich jedwede Unterstützung geboten wird.
Die Zahl der in Brunn untergebrachten Kriegsblinden hat sich in-
zwischen auf 22 erhöht. Die Zahl der nach Mähren zuständigen Kriegs-
blinden im gesamten geht derzeit schon über 40.
2. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 677.
In der die Fürsotgetätigkeit der Mährischen Landeskommission
zur F'ürsorge für heimkehrende Krieger besonders beschäftigenden
Frage, in welcher Weise die Versorgung der KriegsbHnden nach Been-
digung ihrer Schulung anzustreben wäre, mußte von der Festlegung
einheitlicher, allgemein einzuhaltender Grundsätze vollständig abgesehen
und die Möglichkeit weitester Individualisierung uneingeschränkt offen
gelassen werden. Nur läßt sich schon jetzt feststellen, daß die persön-
lichen Wünsche und Bestrebungen der Kriegsblinden selbst hauptsäch-
lich nach der Erwerbung einer eigenen Heimstätte gehen. Es scheint,
als wenn ihnen gerade der Gedanke, nach ihrer Rückkehr in die Heimat
eine sozial höhere Stellung, als welche der Besitz von Grund und
Boden gewertet wird, einzunehmen und so ihr großes Opfer für das
Vaterland allen offenkundig hoch eingeschätzt zu wissen, eine frohere
Zuversicht in die Zukunfr vermitteln würde. Wenn nun noch dazu
kommt, daß ja immerhin das Bewußtsein des Besitzes einer eigenen
heimatlichen Scholle besonders geeignet ist, einem Menschen festen
Halt im Leben zu geben, so kann es nicht ausbleiben, daß bei der
Fürsorge für Kriegsblinde die Frage einer eigenen Heimstätte fast immer
in Erwägung kommt.
Die Mährische Landeskommission zur Fürsorge für heimkehrende
Krieger steht in allen die Sorge für das spätere Schicksal der Kriegs-
blinden betreffenden Fragen in regster Verbindung mit dem Vorstande
des »Kriegsblindenfonds« im k. k. Ministerium des Innern und mit
dem Vereine »Kriegsblinden-Heimstätten«, die beide satzungsgemäß
ihren vornehmlichsten Zweck in der Förderung der Bestrebungen zur
Erleichterung der Lebensbedingungen der Kriegsblinden sehen und mit
namhaften Mitteln alle Arbeiten auf diesem Gebiete unterstützen. Es
sind ganz bedeutende Beträge, die dieser Zweig der Kriegsfürsorge,
wenn er über eine bloße Unterstützung hinaus Lebensmöglichkeiten
neu schaffen soll, erfordert, und die Hoffnung, allen Kriegsblinden ihr
neues Leben so einrichten zu können, daß sie dauernd vor Not bewahrt
bleiben, kann sich nur dann erfüllen, wenn die Zuversicht zutrifft, daß
sich, wie bisher, die Freude guter Menschen am Geben in eigenen
glücklichen Stunden auch weiter immer öfter den Hilfsbedürftigsten
der vom Kriege Zerschellten zuwendet. Sonderwidmungen für Kriegs-
blinde dürfen denn auch, da der Gedanke an den bestimmten Zweck,
dem solche Gaben unmittelbar dienen, schon selbst eine besondere
Befriedigung ist, gewiß auch noch weiter in größeren Zuwendungen
erwartet werden.
Wie sich die Fürsorge für die Kriegsblinden rücksichtlich
der Schaffung von Lebensbedingungen für sie im Zusammenwirken
mit allen der Kriegsblinden-F'ürsorge dienenden Organisationen in der
praktischen Durchführung gestaltet, kann ungefähr aus den im nach-
folgenden kurz skizzierten Einzelfällen ersehen werden, die in der letzten
Zeit in Verhandlung standen.
H. M., Korp. des L.-I.-R. 25, geb. 1885, früher Zimmermann,
Besitzer eines kleinen Anwesens mit 0"6 ha Feldern, verheiratet, 2 Kin-
der, wurde im Bürstenbindergewerbe ausgebildet, erhielt eine Unter-
Seite 678. Zeitschrift das für österreichische BHndenwesen. 2. Nummer.
Stützung von 4000 K zur Tilgung eines Teiles der auf dem Anwesen
haftenden Schulden.
M. F., Inft. des L.-I.-R. 25, geb. 1879, früher Maurer, wurde im
Bürstenbinden ausgebildet, erhielt Grundstücke im Werte von 2.200 K
angekauft ; außerdem erliegt noch für ihn ein Unterstützungsbetrag von
rund 800 K.
P. Z., Korp. des I.-R. 8, geb. 1885, Gärtner, wurde im Korbflechten
geschult, erhielt ein Anwesen im Werte von 3.700 K ; er lebt in seiner
Heimat in der Familie seines Bruders, beschäftigt sich mit Gärt-
nerei und Korbflechten und beschafft sich so selbständig seinen Le-
bensunterhalt.
C. J., Inft. des I.-R. 100, geb. 1893, früher Schlosser, erhielt ein
Haus in M für den Kaufpreis von 6000 K und einen Betrag von rund
1400 K zu dessen Instandsetzung. Er wird dort die Bürstenbinderei
betreiben, in der er ausgebildet wird, außerdem will er sich, da seine
Braut, die er demnächst heiraten wird, geschäftskundig ist, in M. ein
Geschäft einrichten ; die Geschäftsführung hofift er der Hauptsache
nach selbst besorgen zu können und wird zu diesem Zwecke auch im
Maschinschreiben ausgebildet werden.
P. F., Inft. des L.-I.-R. 24, geb. 1884, früher Maurer, verheiratet,
5 Kinder, besitzt ein kleines Anwesen in P., das durch den
Ankauf von Feldern im Werte von 3000 K und durch einen Zubau
zu seinem Häuschen mit einem Kostenerfordernisse von 5.000 K ver-
größert werden soll.
T. J., Inft. des J. R. 54, geb. 1887, verheiratet, 3 Kinder, ausge-
bildet im Maschinstricken, erhielt in seiner Heimat in B. ein Anwesen
im Werte von 8.400 K. außerdem Unterstützungen im Betrage von
1.500 K. ^ s
U. Z., Korp. d. F. A. R. 6, geb. 1884, früher Schlosser und Maschin-
führer, verheiratet, 2 Kinder, wurde im Klavierstimmen und Maschin-
schreiben ausgebildet, erhielt ein Anwesen im Werte von 7.750 K in
seiner Heimat in H., wo auch seiner Frau eine Wäscherei eingerichtet
wurde, so zwar, daß die ganze Fürsorge-Aktion einen Betrag von
zusammen rund 10.000 K erforderte.
W. J., Inft. d.-J.-R.-99. geb. 1880, Landwirt, Besitzer einer Wirtschaft
in T., verschuldet, zur Bezahlung der drückendsten Schulden erhielt
er einen Beitrag von rund 2.900 K.
Z. L., Inft. d. J.-R.-3, geb. 1896, früher Maurer, erhielt eine Unter-
stützung von 3.000 K zur Übernahme der väterlichen Verlassenschaft.
Wenn sich so nach einigen im einzelnen dargestellten Fällen der
Kriegsblinden-Fürsorge in Mähren die Art des bisher Erreichten ergibt,
so bilden diese Erfolge und die dabei gemachten Erfahrungen zugleich
den Ausgang für die weitere Arbeit auf diesem Gebiete. Es werden
darnach die nach Mähren zuständigen im Kriege Erblindeten der Regel
nach in Brunn — vorläufig im Lehrlingsheime des mährischen Gewerbe-
vereines — untergebracht, hier geschult, im Lesen und Schreiben unter-
richtet und in einer berufsgewerblichen Betätigung ausgebildet. Gleich-
zeitig setzt die Fürsorge-Aktion ein zur Schaffung der wirtschaftlichen
Voraussetzungen für ihr .späteres Erwerbsleben, wofür natürlich, da die
Art der Fürsorge wesentlich bedingt ist durch die persönlichen Verhält-
2. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 679.
nisse des Kriegsblinden, vorher eingehendste Erhebungen notwendig
sind. Mit dem Austritte aus dem Kriegsbhnden-Heime wird auch der
Bezug der ihnen zustehenden InvaHden-Gebühren der Regelung zugefühit.
Es ist zu erwarten, daß derart die im Lehrlingsheime des mähri-
schen Gewerbevereines untergebrachten Kriegsblinden nach und nach,
je nach Maßgabe des Abschlusses ihrer Schulung, alle dem Erwerbleben
werden zugeführt werden können, und daß auch das Allererstrebens-
werteste zu erreichen sein wird, sie zurückzugewinnen dem Empfinden
der Zuiriedenheit und der Freude, in ausreichender Arbeitskralt und
nicht als Gegenstand des Mitleids im Leben zu stehen und von den
Mitbürgern auch so gewertet zu werden. Natürlich wird auch noch
späterhin die Fürsorge-Tätigkeit für sie aktiv bleiben müssen und vor
allem Rat zu schaffen haben, wenn die selbständige gewerbliche oder
sonstige Betätigung des Kriegsblinden im Leben nicht den erhofften,
für die Befriedigung der Lebensbedürlnisse ausreichenden Ertrag abwirft.
Die Sorge um das Schicksal der Kriegsblinden ist die größte der
Kriegstürsorge-Tätigkeit. Nichtsdestoweniger darf mit vieler Zuversicht
erwartet werden, daß denn doch die viele werktätige Hilfe, die gerade
den im Kriege Erblindeten gebracht wird, ausreichen wird, auch diese
herbste Wunde des Krieges allmählich heilen zu lassen.
Dr. H. M.
Was ich beim Sdireibleseunterrichte bei Kriegsblinden beobach-
ten konnte.
Von Fachlehrer Josef Umlaut, Brunn.
Es ist nicht Zweck dieser Betrachtung anzuführen, wie, das Schreiben
und Lesen der Voll- und Kurzschrift oder nur der Vollschrift den
Kriegsblinden beigebracht wurde, wie viele Stunden diesem Unterrichte
wöchentlich gewidmet wurden und wie lange derselbe überhaupt
dauerte, sondern ich will auf einige psychologisch- physiologische
Momente eingehen, welche einesteils als solche ein allgemeines
Interesse erwecken, anderseits für den Lehrer in methodischer Hinsicht
von Bedeutung sind.
Erwähnt muß werden, daß der Unterricht auf die Individualität
des Kriegsblinden besondere Rücksicht nehmen mußte ; es gibt da
große Unterschiede in Bezug auf Veranlagung und Vorbildung. Auch
die großen Altersunterschiede zwischen 19 bis 45 Jahren sind wesent-
lich in Rechnung zu ziehen und zu bedenken, ob Personen mit 35
bis 45 Jahren überhaupt hiezu heranzuziehen wären und ob nicht
vielmehr deren Versorgung in der Weise die beste wäre, daß dieselbe
sich auf Grund von Erhebungen und Wünschen, die ja oft ganz
gute Anregungen bieten können, aufbauen sollte.
Das Vermitteln bezw. das Auffassen der Buchstabenformen der
Punktschrift ging recht schnell von statten. Es gibt kaum was Einfacheres
als die Buchstaben der Punktschrift ; umso leichter aber auch vergißt
man dieselben.
Am leichtesten zum Erlernen waren die Buchstaben mit 2 Punkten,
als schwieriger galten die Formen mit 3 mehr auseinander liegenden
Seite 680. Zeitschrift für das österreichische Hündenwesen. 2. Nummer.
Punkten z. B. o, m, ie, u, 1, ei u. a.; noch schwieriger sind die Buch-
staben mit 3 enganliegenden Punkten wie : d, f, h und j ;
Die Buchstaben mit 4 Punkten waren die schwierigsten, während
diejenigen mit 5 Punkten leichter erkannt wurden.
Die verschiedenen Gegenformen (f-d; ssch; t-ü; u-ie; m-ei;
i-e; au-äu; u. a.) werden schlecht behalten und die Verwechslungen
wollen lange nicht aufhören.
Wie bekannt befinden sich die ersten 10 Buchstaben des
Alphabetes (a bis j) in der O b er h äl f t e der Zelle; werden dieselben
jedoch in die Unt er häl fte derselben herabgesetzt, so stellen dieselben
die Satzzeichen dar (z. B. a herabgesetzt gibt den Beistrich, b
herabgesetzt gibt den Strichpunkt u. s. w.)
Das Erkennen dieser herabgesetzten Zeichen ist schwierig und
wirkt verwirrend,
Hand in Hand mit dem Erlernen der ersten Selbst- und Mitlaute
kommt die Bildung der einfachsten Silben und Wörter hinzu.
Nun, das war schon zu viel verlangt. Man hört : ,,Herr Lehrer,
ich taste wohl viele Punkte, kann jedoch dieselben nicht als Einzel-
buchstaben erkennen."
Nach und nach und unter Anwendung der verschiedensten
„Hilfen" wurden die Schwierigkeiten behoben und langsames, sehr
langsames Lesen erzielt.
Noch schwieriger gestaltet sich das Lesen der Kurzschrift,
weniger in betreff der damit verbundenen Gedächtnisarbeit als viel-
mehr in bezug auf die Lesbarkeit der durch die Kurzschrift ganz
veränderten Wortbilder.
Unter den Kürzungen sind die Laut- und Nachsilbenkürzungen
und besonders viele Wortkürzungen sehr beliebt. Unangenehm (so
hat man's bezeichnet) sind die Silbenkürzungen.
Einige davon bereiten zwar dem Leser nur geringe Schwierig-
keiten, während andere wie: ach, all, an, ar, or, te, un das Lesen
sehr erschweren. Man verwechselt dieselben teils mit Buchstaben,
teils mit Satzzeichen.
Besonders praktisch sind viele Wortkürzungen. Der Zukunft
bleibt es anheimgestellt diese Gruppe zu erweitern und die Kurzschrift
noch weiter auszubauen, da es noch viele sehr gebräuchliche Wörter
gibt, deren Kürzung wünschenswert wäre.
Besondere Schwierigkeiten sind mit dem Schreiben verbunden.
Aus der Umkehrung der Zeichen beim Schreiben ergeben sich
beim Schreiben der schon als Gegen formen bezeichneten Buch-
staben große Verwechslungen : statt e wird immer i, statt s wird seh
u. s. w. geschrieben.
Der j u n geblinde S c hül er (Zögling) kümmertsich beim Schreiben
sehr wenig um die Buchstabenbilder; derselbe weiß genau die Punkte
der Buchstaben und er schreibt unbekümmert, gleichsam mechanisch
die Punkte hin. Ist er mit seiner Schreibaufgabe fertig, so wird das
Blatt einfach herausgenommen und gelesen. Nicht so der Kriegs-
blinde, Dieser hat die Buchstabenform beim Lesen besser behalten
als die betreffenden Punkte — er klammert sich mehr an die Form.
2. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwes en. Seite 681.
Nun aber ist beim Schreiben die Umkehrung die richtige Form.
Diese Sachlage erzeugt eine große Unsicherheit und es bedarf
einer großen Übung bis man zu einer gewissen Sicherheit gelangt.
Vorstehende Angaben über das Erlernen nur eines einzigen Gegen-
standes lassen es klar erkennen, warum die verschiedenen Versuche,
den Kriegsblinden eine neue Lebensbahn zu eröffnen, auf solche
Schwierigkeiten stoßen. Haben doch schon die alten Weisen gesagt:
,, Erblinden ist die Hälfte des Todes."
Abgesehen von den unendlich vielen Lebensfreuden, die dem
Blinden abgehen und die doch den Lebensinhalt bedeuten, sind hier
die seelischen Folgezustände der Erblindung in Betracht zu ziehen.
Gleichgiltigkeit, Wiederwille, Unlust, Niedergeschlagenlieit, Ungeduld
u. a. sind jene Begleitersclieinungen, die man zu bekämpfen hat.
Dieses Aufrichten, Trösten, Wecken der Lebenslust ist die schwerste
Aufgabe. Hiezu sind die schönsteh Worte, die größte Geduld des
Lehrers oder der Pfleger oft unzureichend. Wie einem Kriegsblinden
trotz seiner Unlust der Lesewille beigebracht wurde; sei kurz erzählt:
Ein Kriegsblinder zeigte wenig Lust, das Lesen und Schreiben
der Punktschrift zu lernen. Sein gutes Gedächtnis versetzte ihn in
die Lage, daß er die Punkte der Buchstaben sehr genau und sicher
kannte ; nur das Erkennen derselben mittelst des Tastsinnes ging
minder gut.
Seine Rede war: ,,Wozu habe ich Weib und Kinder?; will ich
etwas Neues hören, so werden diese es mir schon vorlesen und Briefe
schreiben oder dgl."
Da geschah es, als er für mehrere Tage auf Urlaub in der
Heimat verweilte, daß ihm der Briefträger eine Postkarte überbrachte.
Auf derselben übermittelten ihm seine Kameraden ihre Grüße und
Wünsche in Punktschrift.
Ganz überrascht, versuchte er es, den Inhalt der Karte zu
enträtseln. Stundenlang bemühte er sich; doch es ging nicht.
Er rief seine Frau und diese sollte helfen. Doch auch das versagte.
Endlich am nächsten Tag wurde der Bruder geholt und nun
gelang es. — Dieser schrieb sich nach Angaben des Blinden der
Reihe nach alle Lautzeichen in gewöhnlicher Schrift nieder und
der Inhalt der Karte wurde gefunden.
Hiedurch umgestimmt, bemühte er sich nun, das Lesen der
Punktschrift doch zu erlernen.
Wenn es doch gelungen ist, daß der Kriegsblinde langsam
zum Unterrichte vorbereitet wurde, so treten noch andere Schwierigkeiten
hinzu. Einzelne hievon hängen wohl mit der Verwundung zusammen.
Es ist zu beobachten, daß mancher plötzlich nicht imstande ist, etwas
zu erkennen; auch treten Schmerzen auf, so daß das Lernen zeitweilig
unterbrochen werden muß.
Was nun das Tastvermögen anbelangt, muß dasselbe als dem-
vorgerückten Alter entsprechend bezeichnet werden; es erfordert
aber für die Zwecke des Unterrichtes eine Verfeinerung durch bestän-
dige Übung. Wohl kommen genug Fälle vor, daß das Tastvermögen
aus verschiedenen Gründen sehr gering ist. Unempfindüchkeit eines
der tastenden Zeigefinger (meistens des rechten Zeigefingers) kommt
Seite 682. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen. 2. Nummer.
auch vor. In einem Falle konnte beobachtet werden, daß bei andau-
ernden Tasten ein Kribbeln auftrat, so daß eine Pause eintreten
mußte; in einem zweiten Falle konnte ein Versagen des Tasten»
festgestellt werden. Statt zu tasten, kratzt mancher . den Buchstaben;
ein anderer hält wieder krampfhaft den Finger an dem Buchstaben,
um denselben ja nicht zu verlieren. Manche sitzen beim Unterrichte
so tief vorgebeugt, als ob sie sich mit den nun lichtlosen Augen
helfen wollten.
Um den Schreibleseunterricht zu fördern, sei Folgendes hervor-
gehoben.
1. Beschreibe die Zelle und die darin möglichen 6 Punkte
sehr genau ;
2. das selbständige Zusammenstellen der Buchstaben, später
der Silben und Wörter mittelst Stecknadelköpfchen kann nicht genug
geübt werden ;
3. die ersten Buchstabenformen brauchen nicht besonders groß
sein ;
4. als sehr praktisch hat sich — wie ich hörte — die in Deutsch-
land geübte Methode ergeben, daß man die ersten Leseversuche auf
Blechtafeln vornahm, auf denen der Lesestoff gedruckt war. (In Brunn
benützte ich die für den Bücherdruck angefertigten Blcchplatten.)
5. durch methodisch gut vorbereitete Schreibübungen soll das
Erlernen und die größtmögliche Sicherheit des Schreibens erzielt
werden. —
Zum Schluße sei gesagt: „Der gütige Schöpfer möge
die Bemühungen aller, aller Personen, die den Kriegs-
blinden seelisch und materiell helfen, mit vollstem
Erfolge krönen, —
Blindensdiicksale.
Das ,,Neue Wiener Tagblatt" veröffentlichte einen Artikel
,Blindenschicksale" überschrieben, den es mit folgenden Sätzen einleitet:
„In peinlich genauer, durch keine einzige Korrektur gestörter
Maschinenschrift hat hier ein Blinder Gedanken seiner Schicksals-
genossen niedergelegt. Sie sprechen eine viel deutlichere Sprache
als die so manches — Sehenden, dem das Los der Nichtsehenden
zu Herzen geht. Sic verlangen kein Mitleid, sondern nur Gerechtigkeit.
Nicht sehen können sei nicht ihr wahres Unglück, sondern das Zurück-
gesetzt- und Gehemmtsein in dem Willen zur Arbeit. Aufgeklärte
Zeiten werden auch hier manches bessern."
Das Blatt hat sich ein großes Verdienst damit erworben, auch
einmal einen Blinder einen aufklärendes Wort über das Schiksal seiner
Genossen sagen zu lassen. Hat doch — wie der Schreiber sagt —
nicht nur das große Publikum, sondern haben häufig genug auch den
Blinden nahestehende Personen kein richtiges Urteil darüber, was
eigentlich das wahre und wirkliche Unglück in der Blindheit ist.
Was die Masse der Menschheit als Unglück an der Blindheit erkennt,
ist die Tatsache, daß der Blinde nicht „sehen" kann, daß er die Sonne,
2. Nummer. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen. Seite 683.
das Licht nicht sieht, daß er die Farbenpracht, das Firmament nicht
in sich aufnehmen kann. Man glaubt allgemein, der Verlust des
Augenlichtes an sich, die Tatsache, daß der Blinde das und jenes
nicht mehr sehen könne, sei das große Unglück, während dieses doch
vielmehr in den wirtschaftlichen und sozialen Folgeerscheinungen der
Erblindung zu suchen ist, in der gewaltigen Einschränkung unserer
persönlichen Freiheit, in der schweren Erschütterung unsrer sozialen
und staatsbürgerlichen Stellung und unsrer verminderten Konkurrenz-
fähigkeit im Kampfe ums tägliche Leben. Hier aber ist das wahre
Unglück der Blindheit zu suchen.
Der Blinde kann ganz glücklich sein, wenn — und das ist das
große Wort — wenn es ihm gelingt, kraft seiner Arbeit eine ange-
messene Stellung im Leben und in der menschlichen Gesellschaft
zu erringen. Dies aber ist für ihn furchtbar schwer, denn eben bei
dem Streben nach einem auskömmlichen Broterwerb macht sich der
Mangel des Aogenlichtes auf Schritt und Tritt fühlbar. Hier treten
die hemmenden und drückenden Folgen der Blindheit ein, und erst
wenn sie da nicht überwunden werden können, wird die Blindheit
zum wahren Unglück. Hier aber können sie überwunden werden, und
zwar leicht überwunden werden, doch nur selten aus eigener Kraft
des Blinden, sondern unter Mithilfe der vollsinnigen Menschen, denn
die wahre Lage der Blinden ist die, daß sie arbeiten können, daß
sie gut arbeiten können, daß sie aber minder konkurenzfähig sind,
weil sie eben infolge der Blindheit nur langsamer zu arbeiten ver-
mögen als ihre sehenden Mitbewerber. Betrachten wir nur einmal
einen blinden Klavierstimmer. Dies ist ein Gebiet, auf dem sich der
Blinde bereits durchgesetzt hat. Aber unter wieviel schwierigeren
Bedingungen arbeitet da der Blinde als der Sehende! Er muß auf
allen seinen Wegen eine Begleitperson haben, die natürlich einen
beträchtlichen Teil seines Verdienstes beansprucht. Trotzdem darf
er nicht um einen Heller mehr als der Sehende verlangen, eher
weniger, denn er muß ja konkurenzfähig bleiben. Ähnlich liegen die
Verhältnisse beim blinden Musiklelirer, beim blinden selbständigen
Gewerbetreibenden. Beim blinden Handwerksgehilfen fällt hauptsächlich
der Umstand ins Gewicht, daß er langsamer als der sehende arbeitet.
Eines der größten Übel ist es und zugleich eines der traurigsten
Zeichen der Zeit, daß der Blinde faßt ständig unter dem Arbeits-
mangel leidet. Er kann arbeiten, er will arbeiten, er hat aber keine
Arbeit, weil er nicht vollkommen konkurenzfähig ist. Aber nicht nur
der kleine Gewerbetreibende, sondern auch die großen Fürsorge-
und Beschäftigungsanstalten für Blinde leiden ständig unter Arbeits-
mangel, weil insbesondere die auf rein gewerblicher Basis fußenden
Einrichtungen, wie beispielsweise die Produktivgenossenschaft für
blinde Bürstenbinder und Korbflechter in Wien, mit den großen
Unternehmungen der Sehenden nicht konkurrieren können, da sie
ihren blinden Gehilfen doch weit höhere Löhne zahlen müssen, wenn
diese auch nur ein bescheidenes Auskommen durch ihrer Hände
Arbeit finden sollen. Wäre es da nicht, ganz abgesehen vom humanitären,
schon vom rein volkswirtschaftlichen Standpunkt aus die primitivste
Seite 684. Zeitschrift für das österreichische Rlindenvvesen. 2. Nummer.
Pfliclit des Staates, des Landes und der Kommunen, ihre blinden
liüro^er mit Arbeit zu versehen? Wenn diese autonomen Behörden
nur einen kleinen Teil ihres Bedarfes an Bürsten, Körben, Sesseln,
h^iÜmatten usw. bei den BJindenfürsoro^estellen decken wollten, wie
viele ihrer Bürger würden sie tlamit zu nützlichen Mit<yliedern der
menschlichen Gesellschaft machen, wie viele brachliegende Kräfte
für das Wirtschaftsleben nutzbar machen ! Wäre das nicht Volks-
wirtschaftspolitik und soziale Hilfe im besten Sinne des Wortes?
Der Erblindende.
Von Erika R h e i n s cli .
Kühler wird es, wo ich wohne,
Dämmerip^er nah und fern,
Aus der Himmels-Strahlenkrone
Fehlt schon mancher schöne Stern.
Tiefer fußen Tal und Grüfte,
Zauberhafter rauscht der Hain
Und mit süßerem Gedüfte
Schließt sein volles Laub mich ein.
Magst du, bunte Welt, verblassen !
Aus dem feurigen Gewühl
Kehr' ich schauernd und gelassen
In mein innerstes Gefühl.
(Jugend.)
Personalnachrichten.
— Ertrinkungstod eines Blinden. Am 21. Dezember l9l6 fand durch
einen Unglücksfall der blinde Organist Fianz Hö Hermann in Unterach am Attersce
den Tod in den Wellen dts Sees. Obwohl seit Jugend mit der Gegend vertraut,
verlor er bei starkem Schneefall den Weg und stürzte ins Wasser, aus dem t-r sich
nicht mehr zu retten vermochte. Höllermann, ein tüchtiger Musiker, erfreute sich
bei der einheimischen Bevölkerung wie bei den zahlieichen Sommerfrischlern
großer Beliebtheit.
flus den Anstalten.
— Od i 1 i e n - B 1 i n d e n an s tal t in Graz. Aus dieser von DirektO'' Dr.
Josef Hartinger geleiteten Anstalt kommt die erfreuliche Nachricht, daß trotz
der zunehmenden Schwierigkeiten der Betrieb einen ungestörten Fortgang nimmt.
Gegenwältig sind daselbst außer den sonstigen Pfleglingen 22 Kriegsblinde zur
Ausbildung untergebracht. Die Gesamtzahl der Kriegsblinden,- welche bisher in der
Anstalt ihre Ausbildung genossen, beträft 38.
flus den Vereinen.
- Zehnjähriger Bestand der Pr oduk ti vg en o s s e n s ch a f t fü r
blinde Bürstenbinder und Korbmacher in Wien VIII. Am 10. März
sind es ]0 Jahre, daß diese auf den Prinzipien einer Erwerbs- und Wirtschaftsge-
1. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 685.
nossensChaft ruhende Vereinigung lilinder Handwerker als ein neues Glied in der
Kette der Fürsorgeeinrichtungen vom I. österr. Blindenverein ins Leben
gerufen wurde. Der Wert und die Bedeutung dieser in der gesamten Blindenwelt
ersten und fast einzigen Organisation liegen sowohl in dem Zusammenschlüsse zer-
splitterter oder brachliegender Arbeitskräfte zu gemeinsamer, nutzbringender Arbeit,
als auch in dem ethischen Momente, daß jeder Teilhaber sein bestes Können und
sein lebhaftes Interesse sum Wohle des Ganzen einsetzt. Ohne die Notwendigkeit
an Versorgungsanstalten und Heimen für sogenannte wirtschafilich Schwache ein-
zuschränken, soll die Genossenschaft jenen zugute kommen, welche durch finanzielle
Schwäche oder andere Umstände nicht lu^standc sind, dem gewerblichen Wettbe-
werbe standzuhalten, dabei aber doch genug Willenskraft nnd Fähigkeit aufbringen,
dem Lebenskampf draußen" in der Welt die Stiine zu bieten, erfüllt von dem
Wunsche nach möglichst freier persönlicher Selbstbestimmung. Daß diese hier zur
Geltung gebrachten Giundsätze den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen, beweist
die große Zahl Aufnalimesuchender, deren Berücksichtigung die derzeitigen Ver-
hältnisse noch nicht gestatten, beweist vor allem der Erfolg zehnjähriger mühevoller
Arbeit, der sich in dem gesicherten und festen Bestände und der steten fortschrei-
tenden Entwicklung ausdrückt. Die Genossenschaft zählt 34 Mitglieder mit 86
Geschäftsanteilen zu 50 K, von denen 18 dauernd als Bürsten- und Korbmacher
oder Stuhlflechter Beschäftigung finden. Bedenkt man, daß die Genossenschaft
genötigt ist, alle Kosten für Miete, Beleuchtung, Beheizung etc. aus den Geschäfts-
gewinne zu decken und ihren Reservefonds zu stärken, so ist dies sicher ein
Beweis ihrer Leistungsfähigkeit un 1 ihrer kaufmännischen Führung. Im Jahre 1915
war es sogar möglich, den Arbeitern eine Prämie von 80 K auf ihren Jahresverdiest
zu bezahlen. Eine wichtige Aufgabe erlüilt die Genossenschaft besonders in den
heutigen schweren Zeiten der Materialbeschaffung ; sie überläßt, soweit es ihre
Verhältnisse erlauben, dem 1. österr. Blindenverein für seine gewerblich tätigen
Mitglieder Arbeitsmaterial, Hölzer oder fertige Waren. Der Verein gibt dieselben
zum Kostenpreise und gegen Tragung der Frachtspesen ab. Viele Handwerker
konnten auf diese Weise ihr Geschäft aufrecht erhalten, während ihre anderen
Bezugsquellen versiegt waren ; ganz besonders empfinden die kriegsblinden Mit-
glieder diese Wohltat, welche allerdings für ihr Handwerk ausgebildet, mangels
Materials dasselbe nicht verwerten können. Die Aus^'estaltung dieser Rohstoffabgabe
wird nach Wiederkehr des Friedens ein Hauptziel des Zusammenwirkens zwischen
Genossenschaft und Verein bilden. Vor einigen Jahren hat die Genossenschaft eine
Nachbildung in der Genossenschaft blinder Handwerker zu Heilbronn in Würtemberg
gefunden, welche sich ausgezeichnet bewährt und in jüngster Zeit will man füi die
Kriegsblinden Böhmens eine ähnliche Einrichtung schaffen. Die Genossenschaft ist
ein Kind des L österr. Blindenvereines und derselbe nimmt das Unternehmen wie
jeden einzelnen unter seine Fürsorge und so war es möglich, das Werk und seine
Glieder vor den schweren Sorgen des Krieges zu schützen!
— Humanitärer Verein »Lindenbund.« Aus dem über das Jahr 1916
ausgegebenen Bericht ist zu ersehen, daß der unter dem blinden Obmanne F. Geb-
hardt stehende Verein 1.579 K an Blinde und 330 K an Kriggsblinde als Unter-
stützungen ausgegeben hat. Die Zahl der unterstützenden Mitglieder hat 1373
erreicht. Der Anschluß so vieler edler Menschenfreunde wird der Vereinsleitung
ein Ansporn sein, auf der betretenen Bahn weiterzuschieiten.
Für unsere Kriegsblinden.
Die Kaiserin bei den Kriegsbli nden. Dem mitfühlenden Herzen
unserer jungen Kaiserin danken die Kriegsblinden einen Besuch, der
sicher ein warmes Leuchten der Glückseligkeit in die Nacht ihres
Daseins gebracht hat. Zum Emptange Ihrer Majestät hatten sich im
k. k. Blindeninstitut in Wien II der Protektor der Kriegsblindenfürsorge
Erzherzog Karl Stephan und eine Reihe von Würdenträgern eingefunden.
Regierungsrat A. Meli und seine Gemahlin geleiteten Kaiserin Zita
und die anwesenden Würdenträger in den Festsaal, wo sich auch der
Lehrkörper der Anstalt eingelunden hatte.
Seite 686. Zeitschrift für das östereichische Blindenwesen. 2. Nummer.
Beim Eintritt begrüßte ein allerliebstes blondes Mädchen die
Kaiserin und reichte ihr einen Maiglöckchenstrauß. Die Kaiserin liebkoste
die Kleine und hörte dann voll Teilnahme, daß das Kind die herzige
Olena, das Töchterchen eines bulgarischen Offiziers ist, eines Kriegs-
blinden, der gegenwärtig ebenfalls im Hause eine Heimstätte gefunden
hat. Die Kaiserin nahm hierauf die Vorstellungen entgegen und sprach
nicht nur mit den kriegsblinden Offizieren, sondern auch mit jedem
einzelnen der 60 blinden Soldaten. Liebevoll erkundigte sie sich nach
ihrer Verwundung. Sie ließ sich über die Einzelschicksale, über die
mitgemachten Schlachten und die Lebensverhältnisse berichten. Die
Kaiserin beschenkte einzelne von ihnen mit Blindenuhren, die durch
den Kammerulirmacher Franz Morawetz zur Verfügung gestellt worden
waren, dann begann der Rundgang durch die Anstalt.
Die Kaiserin wünschte dann das Haus und die Blindenfürsorge
genau kennen zu lernen. Sie hielt sich in den meisten der Arbeitszimmern
auf, sprach mit den Leuten und ließ sich die Arbeitsmethoden erklären.
Im Schreibmaschinzimmer mußte vor der Kaiserin diktiert werden und
sie sah den Blinden bei der Arbeit zu. Eineinhalb Stunden währte der
Rundgang, bei dem die Kaiserin zum Schlufj auch noch die Küche
besichtigte und sich von der Wirtschaftsführung des Institutes berich-
ten ließ. Um 1 1 Uhr verließ die Kaiserin die Anstalt, nachdem sie Direktor
Meli ihre volle Zufriedenheit zum Ausdruck gebracht hatte.
— Trauung eines Kriegsblinden. Am 18. Dezember 1916, fand in
der Garnisonskirche zu Brunn die Trauung des Kriegsblinden Josef
Chr o mecka statt, welcher seine Braut zum Altare führte, die er sich in
glücklichen Tag;en, als er noch im Besitze seiner Augen war, fürs Leben gewählt
hatte. Die Mährische Landeskommission und die Verwaltung d^s I>ehrlingsheimes
haben unter Mitwirkung des Kaiser Franz Joseph-Fürsorgevereines für männliche
Blinde für eine würdige Hochzeitsfeier, an der alle Kriegsblinden teilnahmen, Sorge
getragen.
— Eine Stiftung Helen Kellers für deutsche Kriegsblinde.
Am Weihnachtstage traf, wie aus Stuttgart gemeldet wird, bei dem Stuttgarter Ver-
leger Robert Lutz ein Brief der tauben und blinden Helen Keller aus Amerika
ein. Er lautet: »Wrentham, Mass., ll. November 1916. Lieber Herr Lutz! Ich
schreibe Ihnen, um Sie freundlichst zu bitten, Sie möchten alle meine Einkünfte
aus den deutschen Ausgaben meiner Bücher (alle im Verlage Robert Lutz, Stuttgart,
erschienen) zur Unterstützung deutscher im Kriege erblindeter Soldaten
verwenden. Ich möchte, daß dies geschieht, solange der Krieg andauert, und bis
zum Schluß des Jahres, in dem der Friede wiederhergestellt wird. Das ist eine
kleine Gabe für das deutsche Volk, dessen Wertschätzung und rasche Anteilnahme
an Franz Macys (geb. Sullivan, Lehrerin Helen Kellers) und an meiner Arbeit
mich so oft ermutigt und erfreut haben. Ich wollte, ich hätte mehr zu geben! Aber
zu dem, was es ist, gebe ich mein Herz mit dazu. Meine Bewunderung für die
Deutschen ist vermehrt worden durch ihre glänzende organisatorische Fähigkeit,
ihrem wilden Mut und ihre Kraft des Durchhaltens. Ich hin neutral : aber ich
schaue immer noch auf das Land Beethovens, das Land Goethes und Kants, das
Land Karl Marx, als auf ein zweites Vaterland. Aus der Nacht heraus, die mich
umgibt, schwarz, unermeßlich endlos, halte ich meine Hand den tapferen jungen
Männern entgegen, denen eine Granate das Augenlicht für immer ausgelöscht hat.
Ihr heldenhaftes Opfer und ihr erbarmungswürdiges Hilfsbedürfnis bringen sie mir
sehr nahe. Ich kenne jeden Schritt des grausammen dornigen Weges, den sie zu
gehen haben. Aber wieviel härter ist ihr Kampf als der meine ! Sie müssen das
Leben ganz von vorne wieder anfangen in einer Welt, die ihnen völlig fremd ist.
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee; K. BUrklen-
J. Kneis, A. t. Horrath, F. Uhl. — Druck »on Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
Von neuem müssen sie anfangen zu arbeiten, ihi eigenes Leben zu leben, wenn
sie je wieder ein irewisses Mali von Freude und Seelenfrieden erlangren sollen. Ich
kann nicht rasten, bis ich alles getan habe, was ich kann, um sie aufrichten zu
helfen aus Elend und Verzweiflung. Mit freundlichen Grüßen bin ich Ihre treuergebene
Helen Keller.« — Der Briet der taubblinden Helen Keller, ist nicht nur ein
schönes Zeugnis echten Menschentums, sondern für die Deutschen auch ein erfreuli-
ches Zeichen dafür, daß es auch m Amerika noch Leute gibt, die sich ihr
Urteil nicht trüben lassen, die noch an die deutsche Nation umJ die deutsche
Kultur glauben.
— Spende einer hochherzigen Frau. Aus Triist wird berichtet :
Die Witwe nach dem verstorbenen Präsidenten des hiesijjen sädtischen Kranken-
hauses. Frau Aglaja v. Manussi hat dem Präsidium der Statthalterei den ihr für
die Zeit vom 1. Juni 1914 bis 31. Jänner 1917 gebührenden Betrag an Witwenpen-
sion, sowie jenen des »Sterbequartals'?, zusammen Kronen 4459.58 zugunsten des
reines »Kriegsblindenasyle« zukommen lassen.
— Wohltätigkeitsfest. Am 26. Dezember 1916 veranstalteten die in
der KriegsfUrsorge unermüdlich wirkenden Damen Frau Ol en evident Lina Strehl e,
Frau Hauptmann Zikes und Frl. Cäzilie Zimmermann zugunsten erblindeter
und verwundeter Krieger der Klinik des Hofrates Prof. D i m m e i, der Verwundeten
des Filialspitales Nr. 11 und des Reservespitales eine C h r i s t b a u m f e i e r, deren
Reinerträgnis am 13. Jänner 1917 im Saale »Zur goldenen Glocke«, \'I1. Neuhaugasse
5, an Soldaten zur Verteilung gelangte.
— Ausstellung. In der Galerie Arnot, Wien 1. wurde eine Kollektiv"
ausstellung von Studien und Bildern des Kriegsmalers Hauptmann d. R. Hugo v.
Bouvard unter dem Protektorat des Erzherzogs Karl Stephan eröffnet. fJas
Ertrags fließt den Kriegsblindenheimstätten zu.
— -Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende Jänner 1. J.
— Neue Freie Presse: 1,042.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 1,850.000 K.
— Conrad von Hötzcndorf-Stiftung: 365.000 K.
— Reichspost: 23.600 K.
— Linzer Tagespost : 47.228 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 20.320 K.
Verschiedenes.
El inde n e rzich ung in der Schweiz. Den Schweizer Blinden im schul-
pflichtigen Alter dienen fünf Blindenanstalten und zwar die
Bernische Privatblindenanstalt in Könitz mit 47 Schülern, (deutsch)
Kantonale Blinden- und Taubstummenanstalt in Zürich Wol-
lishofen mit 29 Schülern, (deutsch.)
Schule für jugendliche Blinde in Frei bürg mit 24 Schülern,
(franz. deutsch.)
Blindenasyl in Lausanne mit 18 Schülern, (franz.)
Institut für schwachsinnige Blinde in Chailly bei Lausanne mit
42 Schülern, (franz. deutsch.)
Die Blinden- und Taubstummenanstalt von Zürich wurde mit einem Kosten-
aufwändc von 630.000 Fr. in Wollishofen bei Zürich neu erbaut. Der Neubau weist
so musterhafte und alle Bequemlichkeit entsprechende Verhältnisse auf, wie sie in
keiner der bestehenden Blindenanstalten zu finden sind. Auch die Anstalt in Köniz
will durch Neubauten den modernen Anforderungen an' hygienischer und praktischen
Anstaltsbetrieb nachkommen.
(Jahresbericht des Schweiz. Zentralvereines für das Blindenwesen, 1915.)
Mitteilung.
— Zentralvein für das österreische Blindenwesen. Die p. t.
Ausschußmitglieccr werden zu der am Freitag, den 16. Februar um 5 Uhr in der Beschäfti-
gungs- und Versorgungsanstalt in Wien VIII, Josefstädterstraße 80 stattfindenden
Ausschußsitzung höflichst eingeladen. Tagesordnung: Mitteilungen. Kassa-
bericht. Durchführung der Beschlüsse des V. österreichischen Blindenfürsorgetages.
Allfälliges.
Nen!
p;^ Uhren für Blinde! '^Vl
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nimmt blinde Kinder im vorschulpflichtigen Alter aus allen österreichi-
schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
Organ des „Zentralvereine:» für das österreichische Blinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
j-j Seh riftleitu n g
Q Purkersdorf
□ bei Wien.
D Österreichisches
n Postsparkassen-
^ kontoNr.l 32.257
Das Biatt ersdieint
monatlidi einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
n
Bezugspreis
D
D
n
ganzjährig mit
Postzustellung
D
n
D
4 Kronen,
a
D
D
Einzelnummer
40 Heller.
u
D
4. Jahrgang.
Wien, März 1917
3. Nummer.
IMHRLT: K. Bürklen, Purkersdorf: Die Entwicklung der Blindenschrift. Klang-
schrift und Blinden - Prägedruck. Das „Postaphon" von Wurfschmidt.
Hofrat V. Chlumecky: Vortrag über Kriegsblindenfürsorge in Brunn. Othmar
Huber: Rn die Sehenden. Personalnachrichten. flus den Vereinen.
Für unsere Kriegsblinden. Verschiedenes. Zentraibibliothek für Blinde in
(Rltes und Neues. Ankündigungen).
D
a=
-B
D
?J Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
5 Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. [i
□If^ JÖ
;Mtes und Neues.
Thu m m er e 1" Johannes, H a n n e r 1 e, ein Bündenroman. Leipzig, Fr.
Wilh. Grunow, 1916 (257 S.)
Das Buch ist ein Tendenzroman, der panthcistische Ideen ver-
breitet. Es ist arm an Handlungen, welche überdies zeitlich und ört-
lich eng begrenzt sind; der Verfasser verlegt sich hauptsächlich auf
die Schilderung der Natur und die Beschreibung von seelischen Vor-
gängen, und hierin zeigt er Geschick. Die Betrachtungen über die
Natur und die herangezogenen Vergleiche sind anmutig, wenn auch
seine Phantasie mitunter gar zu üppig wird. So spricht er S, 8 von
schweratmenden Dächern, und in der Beschreibung Manerles S. 9
erfahren wir, daß sich ,,dic große Unterlippe in weitem Bogen in die
Länge zog und mit der breit herabhängenden Nase die Form eines
Ankers bildete". Die Charakteristik der blinden Krämerstochter Johanna
Ennepeer aus der böhmisch-sächsischen Grenze entspricht den Eigen-
arten der Blinden und läßt schließen, daß der Verfasser Gelegenheit
hatte, mit Blinden zu verkehren. Die Sprachp fließt leicht dahin, hat
aber manche harte Wortbildungen. Es drängt sich dem Leser das
Gefühl auf, daß deshalb eine Blinde als Hauptperson des Romanes
gewählt wurde, um für das Buch, das im übrigen ziemlich gehaltlos
ist, und in letzter Linie für den Pantheimus als Reklame zu dienen.
Der Verlust für die Literatur wäre nicht groß, wenn der Roman nicht
geschrieben worden wäre. Den Blindenpädagogen aber berührt es
schmerzlich, daß den Lesern als Vertreterin der Blinden ein achtzehn-
jähriges sentimentales Mädchen vorgeführt wird, welches nie einen
Unterricht genossen hat und sich weigert, sich in einer Blindenanstalt
ausbilden zu lassen, das sich aber naseweis mit seinen überspannten
Gedanken aufdrängt. Läßt das Buch schon den nötigen sittlichen
Ernst vermissen, so ist e» wegen seiner Tendenz vom christlichen
Standpunkt aus überhaupt abzulehnen.
Graz, Dr. Josef Hartinger.
Man erlebt mit derartigen Erscheinungen, die sich als ,, Bünden-
roman," „Aus der Blindenwelt" usw. ankündigen, immer dieselbe
Enttäuschung. Mit Erwartung nimmt man sie zur Hand, um sie mit
Bedauern wegzulegen. Ein wirklicher und wahrhaftiger Bündenroman
ist bisher nicht vorhanden und soll erst geschrieben werden. Pflicht
der Blindenpädagogen ist es, Stellung gegen die Literaten zu nehmen,
die sich in derartiger Anmaßung an die Lesewelt wenden.
4. Jahrgang.
Wien, März 1917.
3. Nummer.
fmmfi'^^^^^wm^^^M^'Sim^^^Mm^m^^^^M^^^^^^^^^^^m^m^w^»^»^^
ii'
Aus Finsternis zum Licht steigt eine Stufenleiter
Die dunkel ist am Fuß und an der Spitze heiter.
Im Schatten siehst du nicht, wie hoch die Leiter du
m
* Aufklommest! Doch du klimmst zum Licht auf, klimm nur zu! ^
■®' St
^ F. Rücker t. (Die Weisheit des Brahmanen). ^
Die Entwicklung der Blindenschrift.
Von Direktor K. ßürklen, Purkersdorf.
Die Blindenschrilt hat naturgemäß ihren Ausgang von der Schrift
der Sehenden genommen, denn die ersten Bemühungen,* Blinde mittelst
tastbar gemachter Buchstaben lesen zu lehren, konnten nur hier anknüp-
fen. Vereinzelte Versuche zur Heistellung einer brauchbaren Blinden-
schrift, die schon in älterer Zeit geschahen, erlangten keine allgemeine
Bedeutung. Sie überzeugten lediglich von der Möglichkeit, Blinde auf
diese Art das Lesen zu vermitteln. Erst dem Begründer der ersten
Blindenanstalt V. Haüy gebührt das Verdienst, eine Reliefschrift in
den Blindenunterricht eingeführt zu haben. Wie Haüy zu der von ihm
verwendeten Tastschrift gelangte, erzählt er in seiner Abhandlung über
die „Erziehung der Blinden" (Paris, 1786), welches Buch zugleich in
Schwarz- und Reliefschrift gedruckt, auch von Blinden gelesen wer-
den sollte.
»Wir beobachteten, — sagt er — , daß ein bedrucktes Blatt
beim Verlassen der Presse auf der Rückseite alle Buclistaben erhaben
zeigte, aber verkehrt. Wir ließen Lettern gießen, die so beschaffen
waren, daß ihr Abdruck auf Papier von den Augen wahrgenommen
Seite 692. Zeitschrift für das öiterreichische Blindenwesen. 3. Nummer"
werden kann, und mit Hilfe eines angefeuchteten Papiers gelang es
uns, das erste Exemplar abzuziehen, das bisher mit erhabenen Buch-
staben erschienen war, welche durch das Gefühl unterschieden werden
konnten. Nachdem wir nach und nach Buchstaben von verschiedener
Dicke benützten, je nach der Beschaffenheit des Tastsinnes unserer
Schüler, haben wir geglaubt, uns, wenigstens in der ersten Zeit unseres
Unterrichtes, auf das beschränken zu müssen, was dazu diente, den
Haupteil dieses Werkes (der Abhandlung) zu drucken. Diese Schriftart
scheint uns die Mitte zu halten zwischen denen, welche die des Lichtes
Beraubten fühlen können, jeder nach dem Grade der Feinheit, welchen
die Natur ihm gibt, oder welchen Alter oder Arbeit seinem Gefühle
lassen.«
Der Hauptteil der >Abhandlung« ist also in einer Reliefschrift
gedruckt, welche nach Haüy's Aussage von seinen Blinden gelesen
wurde. Es sind Groß- und Kleinbuchstaben der damals zum Schreiben
üblichen Kursivschrift. (Tafel Nr. 1). Die Formen der Kleinbuch-
staben sind durchwegs einfach und klar, was von den Großbuchstaben
nicht behauptet werden kann. Betrachtet man die Schrift von Haüy
auf Größe* und Form hin, so muß sie wohl als für Blinde lesbar an-
gesehen werden; jedoch ist das Relief ein so geringes, daß man sich
wundern muß, daß sie tatsächlich von den Schülern Haüys gelesen
wurde. Der Vorwurf, daß Haüys Typen einen zu großen Raum ein-
nahmen und daß daher nur wenig Text auf eine Seite ging, ist nicht
stichhältig, da später eingeführte Blindenschriften, ja selbst die Punkt-
schrift bedeutend mehr Raum beanspruchten. (Vergleiche die Größen-
verhältnisse auf der Tafel !) Dagegen ist in der komplizierten Form
namentlich der Großbuchstaben gegenüber anderer Schriften ein ent-
schiedener Nachteil zu erblicken. Wie kam Haüy gerade zu diesen
Formen der Kursiv-Schreibschrift, wo er doch in den Druckformen der
Antiqua seiner Zeit bessere Vorbilder vor sich hatte? Er klärt uns da-
rüber mit folgender Bemerkung auf:
»Wir haben auch die Vorsicht gebraucht, unseren Druckbuchstaben
die Form der geschriebenen zu geben, um den blinden Zögling früh-
zeitig an die Auffassung der Ähnlichkeit zu gewöhnen.*
Haüy ließ nämlich seine Blinden mit einer eisernen Feder, deren
Spitze ungespalten war, auf einem dicken Papier durch Aufdrücken
vertiefte Buchstaben hervorbringen, die sie dann lesen konnten, indem
sie die Finger über die erhöhten Züge der Rückseite hinweggleiten
ließen. Diese Schreibversuche waren also für die Wahl seiner Druck-
buchstaben entscheidend, denn er gewann damit eine einheitliche Druck-
und Schreibschrift. Dieser Grund mag auch für seine Nachfolger
maßgebend geblieben sein, denn obwohl von ihnen bereits Versuche
gemacht wurden, die Antiquaschrift für den Blindendruck zu verwenden,
blieb Haüy's Kursivschrift in Gebrauch und wir finden sein Alphabet
noch in Guillie's »Abhandlung über die Unterweisung der Blinden«
(Paris, 1817) wiedergegeben. Die daran vorgenommenen Verbesserungen
*) Die Tafel enthält alle Schriften in genauer Nachbildung und natür-
licher Größe.
3. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 693.
bezogen sich hauptsächHcli auf ein stärkeres Relief, denn die bis zu
20 mm erhöhte Größe der Buchstaben sowie die eingeführte Schräglage
sind als solche nicht zu betrachten.
Auch J. W. Klein wählte zum Lesen und Schreiben für Blinde
die lateinischen Buchstaben der Kursivschrift, »weil die Blinden diese
Formen am leichtesten durchs Gefühl lesen.« In sein^jm »Lehr-
buch zum Unterricht der Blinden« (Wien 1819) setzt er hinzu:
»Einige Buchstaben müssen in dieser Schrift noch vereinfacht werden,
so wie auch alle unwesentliche, bloß zur Verzierung dienende Züge
und Striche wegbleiben müssen.« Und weiters : »Damit der Blinde nicht
nötig hat, ein neues Alphabet zu lernen, wählt man zum Schreibenlernen
die gewöhnlichen kleinen lateinischen Buchstaben, welche er schon
beim Lesenlernen durchs Gefühl kennen gelernt hat.« Die auf einer
Tafel dem »Lehrbuch« beigegebenen Kursivformen seiner Druckschrift
.sind wohl etwas vereinfacht, jedoch sehr groß und enthalten schräg
gestellte Großbuchstaben neben senkrecht stehenden Kleinbuchstaben.
Übrigens wurde von diesem Druckalphabet kein Gebrauch ge-
macht.
Klein beschreibt aber auch in seinem >Lehrbuche« eine Schrift,
welche dem Blinden den doppelten Vorteil gewährt, daß er sie ohne
Mühe selbst verfertigen und nachher durchs Gefühl lesen kann. Dazu
dient ein Alphabet, wovon jeder einzelne Buchstabe aus einer Anzahl
feiner Spitzen gebildet ist, die in Holz befestigt sind. Klein erfand
zur Herstellung seiner Stachelschrift auch den bekannten Apparat. Als
Buchstabenformen wählte er hiezu »ihrer Einfachheit und Regelmäßigkeit
wegen die sogenannte Lapidarschrift«, die Großbuchstaben der Antiqua.
(Tafel Nr. 3) Für diese Herstellung einer Reliefschrift durch Stachel-
typen eigneten sich nämlich die Kursivschriftformen nicht. Vielmehr
ergaben sich als hiefür am geeignetsten die Großbuchstaben der Anti-
qua mit ihrer einfachen geometrischen Linienführung. Stacheltypen
zur Herstellung von Blindenschrift soll schon Haüy benützt haben. Es
ist dies naheliegend, da er bei der in Paris sich aufhaltenden blinden
Musikerin M. Th. Paradis eine Schrift sah, die auf einer Karte durch
Nadelstiche gebildet war. Zur brauchbaren Verwendung brachte die
Stachelschrift jedoch erst Klein.
Mit der Stachelschrift treten die Buchstabenformen der Antiqua
und zwar die Großbuchstaben im Blindendruck auf. Versuche zur Ein-
führung dieser Formen geschahen schon in alter Zeit. Auch Haüy er-
probte sie für seine Zwecke; ebenso sein Schüler Lesueur. Aber erst
in den ersten Jahrzehnten nach 1800 wird die Kursivschrift langsam
von den Antiquaformen abgelöst und es entstanden Blindendrucke mit
diesen Typen. Damit verschwanden die Kursivschrifttormen und es ergab
sich eine besondere Druckschrift, da weiterhin in Kursiv (Latein) ge-
schrieben wurde.
Bei der technischen Herstellung des Antiquadruckes unterscheiden
wir den Liniendruck und Stachel- bezw. Perldruck. Diese Druckarten
gehen nebeneinander und erlöschen mit der Aufgabe der Antiquafor-
men in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Nur die Stachel-
schrift hat sich durch den Klein'schen Apparat bis in die Gegenwart
Seit«' 694. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 3. Nummer.
gerettet. Die Antiqua auch als Schreibschrift einzuiühren, wurde neben
dem Klein'schen Stacheltypenapparat die Heboldsche Schreibtafel er-
funden, so daß eine Zeitlang die Antiqua zur einheitlichen Druck- und
Schreibschrift für Blinde wurde.
Die Buchstabenformen der Antiqua haben während der Zeit ihrer
Verwendung mancherlei Veränderungen in Gestalt und Größe erfahren.
Die von Dufau herrühren. Typen der Großbuchstaben dieser
Schrift (Tafel Nr. 2) enthalten noch manche Nebensächlichkeiten und
sind von geringer Größe. Dafür erscheinen die Stachel typen Kleins
(Tafel Nr. 3), in einfachster Darstellung, wenn auch übergroß. Die ebenso
klaren Perldruckformen aus Stuttgart, bezw. lUzach, (Tafel Nr. 4)
gehen auf ein entsprechendes Maß zurück. Der Wiener Lin ien d ru ck
(Ta'el Nr. 5.) verwendet bei erheblicher Größe Groß- und Kleinbuch-
staben.
Es hat auch nicht an Versuchen gefehlt, die Formen der Antiqua
zur Erleichterung der Auffassung durch die tastenden Finger soweit
zu vereinfachen, daß man sich damit von der für Sehende lesbaren
Schrift immer mehr entfernte und zu einer spezifischen Blindenschrift
gelangte. So weist die Gall'sche Runenschrift (Tafel Nr. 6) wohl
noch viele Ähnlichkeiten mit den Antiquavorbildern auf Die Moon'sche
Schrift (Tafel Nr. 7) ist jedoch für Sehende nicht mehr lesbar und
stellt bereits eine besondere Blindenschrift dar. Inbezug auf die Tastbar-
keit war diese Schrift allerdings allen vorher aufgetretenen Linien-
schriften überlegen.
Die Lösung des Problems einer vollendeten Blindenschrift gelang
jedoch nicht auf diesem Wege. Sie ergab sich vielmehr aus der Tatsache
deß für das Tastgefühl der Punkt das einfachste Gebilde sei und
daher eine Blindenschrift aus Punkten zusammengestellt werden muß.
Die Erfahrung lehrte, daß gegenüber dem Linienrelief das Punktrelief
leichter zu tasten ist. Das zeigte schon der Stachel- und Perldruck,
Außerdem war durch eine Punktschritt wieder eine Vereinheitlichung
von Lese- und Schreibschrift möglich. In technischer Beziehung sprang
der große Vorteil in die Augen, welche eine Punktschritt dadurch bot,
daß sie sowohl im Druck als beim Schreiben viel leichter herzustellen
war als jede auch noch so vereinfachte Linienschrift.
Gedanke und Auslührung der Idee, aus Punkten eine Blindenschrift
zu schaffen, rühren von L. Barbier her, der sich mit der Telegraphie
beschäftigte, (Gleichzeitige Bemühungen von Engelmann in Linz führten
zu keinem Ergebnisse.) Er stellte nicht nur ein System für eine solche
Schrift auf, sondern schuf auch eine Schreibtafel, mittelst der sich
seine Punktschrift leicht herstellen ließ. Wohl erwies sich sein System,
das im Pariser Institut im Jahre 1821 Eingang fand, besonders wegen
der Höhe der Schrittzeichen (bis zu 6 Punkten in der Höhe,) als zu
umständlich, fand jedoch durch den Zögling des Pariser Institutes
L. Br a i 1 1 e eine geniale Vereinfachung. Als B r a i 1 1 e' s c h e P u n k t s ch r i f t
(Tafel Nr. 8) hat sie dann ihren Siegeslauf durch die Welt angetreten.
Mit ihr war eine ideale Blindenschrift geschaffen, und zwar eine ein-
heitliche Lese- und Schreibschrift, deren Vorteile gegenüber den anderen
Schriften nicht zu verkennen waren. Höchste Einfachheit und Klarheit
der Zeichen waren in ihr mit geringer Ausdehnung und leichtester
Tasibarkeit verbunden. Wer die Zusammenstellung der verschiedenen
3. Nummer. Zeitschrift für das österreirhischr Blindenwcsen. Seite'695.
Schriften auf der Tafel prüft, wird diese Tatsachen schon durcli die
bloße Betrachtung bestätigt finden. Der sich immer mehr vervollkom-
mende Platten-Punktdruck schul eigentlich erst die Blindenliteratur.
Mit ihr . erschlossen sich den Blinden die Quellen der Bücherschätze,
durch sie gelang der mühelose und sichere schriftliche Verkehr der
Blinden untereinander. Der Haupteinwand gegen die Punktschrift, daß
sie nur eine Blindenschrift sei und daher die Blinden von den Sehenden
scheide, konnte ihre Verbereitung nicht hindern. Wohl dauerte es
Jahrzehnte, ehe sie sich zur allgemeinen Annahme durchrang, wohl gab
es noch einen harten Kampf zwischen ihr und der Antiqua-Linienschiift,
aber die Jahre von 1850 bis 1870 entschieden entgültig den Streit
mit der Annahme der Punktschrift, die seither die unbestrittene Herr-
schaft auf dem Gebiete des Blindenunterrichtes und der Blindenbildung
erlangte.
Klangschrift und Blinden-Prägedruck
^von Dr. Max Herz, Wien.
In einer Sitzung der Gesellschaft der Ärzte in Wien berichtete
Dozent Dr. M. Herz über die Fortschritte in der Einführung seiner
Klangschrift.
Die vom Redner erfundene Klangschrift für Blinde ist vielfach
besprochen worden, die Darstellung derselben ist aber ganz verfälscht
worden. Er bespricht daher kurz das Prinzip derselben. Die Klangschrift
ist nach Art der Morseschrift, nur daß nicht bloß kurz und lang,
sondern auch hoch und tief, schnell und langsam hierbei verwendet
werden. Zur Aufnahme dient ein gewöhnliches Grammophon. Der
„Schreibapparat" hat Metallzungen, die durch eine Klaviatur zum Tönen
gebracht werden. Die Töne werden auf Wachsplatten registriert, wobei
sehr langsam geschrieben wird. Von der Wachsplatte wird galvano-
plastisch ein Abzug hergestellt, von diesem Abzug wird die Schrift in
Stahl- oder gewöhnliche Grammophonplatten abgedruckt mittels einer
hydraulischen Presse. Praktische Versuche an einer Gruppe von Damen
haben ergeben, daß die Klangschrift ebenso leicht wie die gewöhnliche
Blindenschrift zu erlernen ist und demnächst wird der Unterricht auf-
genommen werden. (Demonstration des Schreibens, der Aufnahme und
des Abhörens der Klangschrifl.) Redner ist von Blindenlehrern ange-
griffen worden, daß er den Blinden ihr kostbarstes Gut, die Braille-
schrift, entziehe. Er hat daher untersucht, ob die Brailleschrift in der
Praxis für die Blinden wirklich ein solcher Segen sei, denn theoretisch
ist sie es. Er hat untersucht, ob sie auch tatsächlich die Verbreitung
gefunden hat, die sie haben müßte, wenn sie einen größeren Nutzen
stiften sollte. In Wirklichkeit gibt es zu wenig Bücher mit Brailleschrift,
die Bücher sind sehr teuer; ein Band, der den Inhalt eines kleinen
Reclam-Buches entspricht, kostet 3 — 5 Mark; die Bücher sind sehr
umfangreich, die erhabene Schrift wird bald abgeflacht, das Buch ist
unbrauchbar geworden. Redner hat daher nach einem Verfahren gesucht,
welches diesen Übelständen beikommen kann. Er läßt die Brailleschrift
nicht erhaben in ein Papier hineinpressen, sondern vertieft, und zwar
Seite 696. Zeilschrift für das östereicliische IJlindcnwesen. 3. Nummer.
läßt er das Papier dutchlochen. Dieses durchlochte Papier ist eine
Schablone, von der dann auf Papier beliebig viele Abzüge gemacht
werden können, auf welchem dann die Schriftzeichen erhaben sind.
Man muß die Schablone nur mit einer dicken Lösung bestreichen —
Redner hat Dextrin genommen, derzeit versucht er andere Lösungen
— , dann bleiben beim Trocknen die Zeichen erhaben und gut tastbar.
Das Papier kann dabei dünn sein, nicht so ungemein dick, wie bei
der Braille-Schrift, ein Band kommt auf 25 — 30 Pfennige, ist viel kleiner
als ein Band in gewöhnlicher Blindenschrift. Redner hat nun auch
versucht, andere Methoden für die Blinden zu verwerten. Er fand, daß
in einer Wiener Druckerei mit gewöhnlichen Typen gedruckt wird, in
der Druckerschwärze aber mehr Terpentin als gewöhnlich ist. Nach dem
Druck wird ein Pulver, dessen Zusammensetzung Geheimnis der
Druckerei ist, aufgestreut und das Papier über Wasserdampf gehalten,
die Schrift bleibt dann erhaben, tastbar. Redner macht jetzt Versuche,
ob die gewöhnlichen Typen in praktisch noch brauchbarer Größe sich
nach diesem Druckverfahren nicht zur Blindenschrift eignen werden.
Auch Versuche mit Gipspapier stellt er jetzt an. Man druckt aut Gips-
papier und legt das Papier dann in verdünnte Säure. Der Gips wird
weggeätzt, nur wo gedruckt wird, bleibt der Gips stehen. Schließlich
berichtete Dr. Herz über die Bemijhungen zur Schaffung eines Illustra-
tionsverfahrens für Blindenbücher. Lineare Zeichnungen lassen sich
bereits in tastbarer Form vervielfältigen, indem man dieselben auf
Zink klischiert und auf der Buchdruckpresse abzieht.
Fliezu sei festgestellt, daß Dn Herz von Blindenlehrern niemals
angegriffen wurde, sondern daß wir uns lediglich erlaubten, seine
Erfindung vom praktischen Gesichtspunkte auf ihren Wert zu prüfen.
Wenn es Dr. Herz gelingt, an Stelle der Brailleschrift den Blinden
etwas Besseres zu geben und den Prägedruck nach seiner Erklärung
auf ein Zehntel zu verringern, so wird ihm niemand mehr dafür danken
als die Blinden selbst und wir Blindenlehrer. Die über die Versuche
mit einem neuen Prägedruck gemachten Angaben erinnern leider an
sehr alte Bemühungen früherer Erfinder. Wir wollen jedoch auch hierin
ein endgültiges Urteil der praktischen Erprobung überlassen.
Das „Postaphon" von Wurfsdimidt.
In einer anderen Sitzung der Gesellschaft der Ärzte in Wien berichtete
Dr. Philipp Silberstern über Erfindung des Ingenieurs Wurf-
schmidt, der seinen Apparat „Postaphon" benannt hat. Seine
Methode zeichne sich im Gegensatz zur Herzschen Klangschrift
zunächst dadurch aus, daß kein System von Morsetastern und kein
neues Alphabet, das erst erlernt und eingeübt, dann abgeklopft
und dechiffriert werden müßte, erforderlich ist.
Schon ein verhältnismäßig kleiner Apparat genügt, um die
Worte auf einer Schallplatte dauernd zu fixieren. Eine kleine Um-
stellung an dem Apparat reicht hin. um das Gesprochene zu
jeder Zeit in beliebiger Häufigkeit und Schnelligkeit mit beliebigen
Unterbrechungen abzuhören. Als Schallplatte dient eine billige
Zeitschrift für das österreichische
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1 . Ältester Blindendruck in Kurs
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2. Alterer Liniendruck in Antiq
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3. Stacliclschrift in Antiqua vo
4. Pcrldruck in Antiqua. Stuttgart.
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5. Späterer A n t i q u a d r u ck. Wien.
6. Runenschrift von J. Gall. Starl
7. Blindenschrift von W. Moon. l
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8. Punktschrift von L. Braille. Sp
Inwesen. Beilage zu Nr. 3, 191'
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hrift von W. H a üy. Seit 1786.
Lesueur seit 1806. P. Dufeau seit 1840.
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^. Klein. Seit 1809.
1840.
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1840.
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nderte Antiqua. Seit 1833.
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sehe Blindenschrift in Liniendruck. Seit 1847
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he Blindenschrift in Punktdruck. Seit 1821.
3. Nummer. Zeitschrift für das österreichisclie Blindenwesen. Seite 697.
Papierfolie mit wachsartigem Überzug, die tausend Worte aufzuneh-
men vermag. Die Platte kann als Brief versendet werden und die
Wiedergabe des Geschriebenen überall vermitteln, wo ein ähnlicher
Apparat zur Verfügung steht.
Man kann also einen Brief sprechen, einen Brief hören und
da die Schrift einen sehr kleinen Raum einimmt, kann man auf
diese Weise auf geringem Räume sprechende Bücher herstellen. Die
Erfindung hat zunächst für Zwecke einer neuen Blindenschrift die
Anerkennung eines Fachmannes wie Direktor Heller gefunden nnd
befriedigt die Blinden außerordentlicli. Man wird mit diesem Apparat
ohne Hilfe der Augen schreiben und lesen können. Aber auch beim
Mangel einer gebrauchsfähigen Hand wird der Apparat briefliche
Mitteilungen zustande bringen können. Für ärztliche Zwecke können
die Perkutions-- und Auskultationslaute auf der Papierfolie des
Apparats fixiert werden. Eine so entstehende Lautniederschrift kann
als Beilage zur Krankengeschichte aufbewahrt werden und läßt sich
an jedem Ort vorführen. Es kann gesammelt und die Sammlungen
zu Lehrzwecken verwertet werden.
Das Problem des sprechenden Briefes, des sprechenden Buches
ist, schloß der Vortragende seine Miteilungen, schon heute durch
den Wurfschmidtschen Apparat, eine österreichische Erfindung, in
vollkommener Weise gelost worden. Dieser Erfindung gehöre die
Zukunft.
Vortrag über Kriegsblindenfürsorge in Brunn.
Im großen Saale des deutschen Kaiser Franz Josefs-Lehrlings-
heimes zu Brunn, in welchem sich derzeit die Räume der mähr.
Kriegsblinden-Abteilung befinden, hielt der bekannte und bewährte
BHnden-Förderer Dr. Ludwig Cohn aus Breslau am 3. Jänner 1. J.
vor einem zahlreichen und vornehmen Auditorium einen Vortrag über
die Zukunft der Kriegsblinden; längerer Zeit als Vertrauensmann und
Berufsberater des Kriegsblindenfürsorge-Ausschusses der Provinz Preuß.-
Schlesien hervorragend tätig, war Dr. Cohn einer Einladung der
mähr. Landeskommission zur Fürsorge für heimkehrende Krieger gefolgt
Nach einem kurzem Überblicke über die Entwicklung und den
Stand des allgemeinen Blindenwesens in Österreich und Deutschland
wies der Vortragende nach, daß durch den Eintritt der im Felde
erblindeten Kriegsteilnehmer in die Fürsorge für diese eine neue
Situation geschaffen wurde, da es galt, die modernen Bestrebungen
in Absicht auf eine dauernde und befriedigende Versorgung, welche
bisher später Erblindete nur in wenigen, vereinzeinten Fällen zu Teil
werden konnte, einer Hilfsaktien im großen Umfange zu gründe zu
legen. Mit den bisherigen System, erwachsene männliche Blinde im
Bausch und Bogen durch Ausbildung in den üblichen Blindengewerben,
der Bürsten- und Korbmacherei, ihren Broterwerb finden zu lassen,
müsse gebrochen werden; es sei notwendig, die Fähigkeiten jedes
einzelnen Individiums auszunützen, auf denen die künftige Versorgung
Seile 6'J8. Zeitscluift das für österreichische Biindcnwesen. 1'.. Nummer.
autzubauen sei, indem man die einen in ihren alten Beruf zurückführt,
die andern einen neuen erg:reifen läßt. Die bisherigen Erfahrungen
in dieser Beziehung lassen die gehegten Erwartungen durchaus gerecht-
fertigt erscheinen. Redner führt die Erfolge des Geheimrats Prof. Dr.
Sil ex in Berlin an, der schon viele erblindete und augenbeschädigte
Krieger in verschiedenen militärischen Betrieben als gut bezalilte
Arbeiter untergebracht hat, weiters auf die Bestrebungen des Landes-
Versicherungsamtes in Stuttgart deren Berufsberatungsstelle die Anstel-
lung erblindeter Soldaten in Uhren-Instrumenten-Maschinenfabriken
durchgesetzt hat, endlich auf seine eigenen Bemühungen, denen es
gelungen ist, solche Krieger in das Bäcker,- Schreiner- und Schneider-
gewerbe zurückzuführen. Dr. C o h n, der sich in seiner Jugend in
allen Bündengewerben ausbilden ließ, daher in den Handfertigkeiten
sehr geübt ist, geht selbst in Fabriken und gewerbliche Werkstätten,
um selbst die Versuche anzustellen, welche Arbeiten dort von Nicht-
sehenden verrichtet werden können. Auch die geistigen Kräfte der
erblindeten Krieger fanden ihre Verwertung, mancher wurde wieder
als Lehrer, Beamte usw. oder beim Militär als sog. Prüfungs-Offizier
angestellt. Andere wandten sich dem Kaufmannstande in verschiedenen
Stellungen zu, auch Techniker und Chemiker gibt es unter ihnen. Um
aber das Ziel voll und ganz zu erreichen, ist es unbedingt notwen-
dig, daß das Vorurteil in Betreff der Blinden und ihrer Leistungs-
fähigkeit, das noch immer selbst in den Köpfen Gebildeter spuckt,
restlos schwinde, und daß namentlich die industriellen und gewerb-
lichen Kreise, welche den augenbeschädigten Kriegern die Pforten
zu neuen Lebensstellungen öffnen sollen, von der Überzeugung durch-
drungen seien, die Faktoren in Staat und Gesellschaft seien verpflich-
tet, den blind gewordenen Vaterlandsverteitigern durch weites Entgegen-
kommen ein Opfer zu bringen, welches gar nicht so groß sei, 'denn
man weiß jetzt schon, daß der Blinde ein guter, verläßlicher'gewissen-
hafter Arbeiter sei, der oft seinen Platz besser ausfüllt, als ein Sehender.
Auch die Frage der Ansiedlung von Kriegsblinden auf Heimstätten
berührte Dr. Cohn und wies hiebei insbesonders auf die segensreiche
Einrichtung des preußischen Rentengutsgesetzes hin. Unter Anführung
einer seinerzeit an ihn gelangten sinnigen Äußerung der verstorbenen
Königin Elisabeth von Rumänien — Carmen Sylva — dieser großen
Blindenfreundin auf dem Throne, schloß Dr. Cohn seinen sehr interes-
santen, formvollendeten und mit lebhaftem Beifalle aufgenommenen
Vortrag,
Hofrat V, Chlumecky.
An die Sehenden!
Von einem Kriegsblinden.
Auch ich war einst sehend, ein Lichtmensch wie Ihr,
Und golden erstrahlte die 'Sonne auch mir!
Ich lebte im Lichte und liebte das Licht
Und dachte der Lichtlosen Finsternis nicht !
3. Nummer. Zeitschrift für das östeireichiscfie Blindenwesen. Seile 699.
Doch als dann die Kugel zu Boden mich riß,
Da war mir Verzweiflung und Unglück gewiß!
Nun bin ich ein Blinder; um mich her ward Naclu,
Die nie mehr ein Morgen zum Tage mir maclit. —
Ihr nennet mich glücklos, Ihr nennet mich blind.
Und leitet mich stets wie ein hilfloses Kind!
Auch ich sah einst fröhlich des Erdtages Licht,
Auch ich sah die Welt und der Menschen Gesicht!
Ich sah auf der Erde das Keimen und Blijh'n
Und sah in den Fernen die Sterne erglijh'n!
Ich sah meinen Vater, mein Mütterchen traut.
Die liebend und sorgend auf mich einst geschaut! —
Dies sehe ich nimmer; um mich her ist Nacht!
Doch tief in der Seel' ist ein Licht mir erwacht :
Denn nie will ich missen, was einstens ich sah.
Es bleibe mir immerdar deutlich und nah' !
Bedenket, auch ich sah das leuchtende Licht !
Ich bin ja kein Blinder, ich sehe nur nicht !
Graz, am 18. Jänner 1917. Othmar Huber, Leutnant.
Personainachrichten.
— Gemeinderat Th urner — kaiserlicher Rat. Der
Kaiser verlieh dem Gemeinderate Funktionär des Roten Kreuzes in
Innsbruck Herrn Franz T h u r n e r, den Titel eines kaiserlichen Rates.
Gemeinderat Thurner ist leider derzeit leidend; das Befinden des
für seine unermüdlichen Arbeiten im Dienste der Wohlfahrtspflege
neuerdings ausgezeichneten Mannes ist ziemlich befriedigend.
Gemeinderat Thurner ist der Gründer des Tir. Voralb.
Blindenfürsorgevereines und des B 1 i n d e n i n s t i t u t e s in
Innsbruck.
Regierungsrat A. Meli — Oberleutnant. Das Verord-
nungsblatt für die k. k, Landwehr bringt folgende Verlautbarung:
S. Majestät geruhten .weiter allergnädigst zu verleihen, aus Allerhöch-
ster Gnade: Die früher bekleidete Oberleutnantscharge, und zwar im
Verhältnis „außer Dienst" der Landwehr, dem ehemaligen Oberleut-
nant in der Reserve Alexander Meli. Zur Verfügung des zuständigen
Landwehrterritorialkommandos — für Lokaldienste im Mobilisie-
rungsfalle.
— Der Substitut Anton Kaiser an der n. ö. Landes Blindenanstalt in
Purkersdorf wurde bei der Musterung als zum Dienste mit der Waffe geeignet befun-
den und ist am 12. Februar 1. J. nach St. Polten eingerückt.
Seile 70n. Zeitschrift für tias östfiieichische FJlindenwesen. 3. Nummer.
flus den Vereinen.
— Zen tr a I vere i n für das österreichische ß li n d c n wesen. A u s-
scli ußsi tzu n 54 am 16. Ki;I)ruar 1. J. Vorsitzender Direktor H ürk I e n machte
Mitteilungen ül>cr den Mit^liederstand und den Abonnentenstani der Zeitschrift,
welcliei sich neuerlich erhöhte. Der von Kassier Haupllehrer Demal erstattete
Kassaheridit war ein oünsti>,>er. An das k. k Ministerium für Kultus und Unterricht
wurde abermals um Empfehlung der Zeitschrift und Gewährung einer Subvention
herangetreten. Bezüglich der Durchführung der auf den V. Blindenfiirsorgetage gefaßten
Heschl isse wird vor allem an jene gedacht werden,]welche durch das Referat des Hofrates
V Chlumetzky angeregt wurden. Sie sollen, imter Berücksichligung der Zeitum-
umslände, den Behörden zur Annahme unterbreitet werden, Die Referate von Alt-
mann und Gigerl unterliegen der weiteren Behandlung seitens der vom Fürsorge-
tage gewählten Komitees. Obmann Uhl verwies ciurch eine Zuschrift auf die
Betrebungen der Musikerverbände zum Schutze der ausübenden Musiker. , Es wurde
besclilossen, mit diesen Verbänden behufs entsprechender Berücksichtigung der
blinden Musiker in Verbindung zu treten.
— Ortsausschuß des X. Blindenfürsorgetages. Derselbe beendete
am 16. Februar 1. J. unter dem Vorsitze des Obmann-Stellvertreters Direktor
Stoklaska seine Arbeiten. Obmann Regieiungsrat Meli hatte vorher sune Stelle
niedergelegt. Der aus der Verrechnung sich ergebende Übeischuß wurde als Spende
zur Errichtung des Kriegsblindenheimes in Wien XUl bestimmt. Mit der Auf-
lösung des Ortsausschusses übernimmt der »Zentralverein für das öst. Blinden-
wesen-j die gesamten Vorarbeiten für die Veranstaltung des nächsten Tages.
Für unsere Kriegsblinden.
-r- Trauungen von Kriegsblinden. Aus Katzelsdorf in Nieder-
österreich wird uns geschrieben: Herr Leopold VVeghofcr, Stabsfeldwebel,
erblindete am nördlichen Kriegsschauplatze, erträgt aber sein schweres Los
mit männlicher Geduld und Ergebung. Letzthin ließ sich der Erblindete mit seiner
Braut Fräulein Rosalia H a i 1 i n g, der Tochter des Gemeindevorstehers von Eich-
bühl in^ Wiener St. Stefansdome trauen. Der blinde Bräutigam erlernte in der
Invalidenschule in Straß die Gäitnerei und erhielt alsliald in Trumau an der
Aspangbahn ein eigenes Heim mit einem Garten, welches" das neuvermählte l'aar
gleich nach der Hochzeit bezog.
Aus Graz wird berichtet : In der hiesigen Mariahilferkirche fand die
Trauung des Beamten der Österreichischen allgemeinen Unfallversichcrungs-
anstalt Franz Eppich mit Fräulein Arranka Zimmermann statt. Herr
Eppich hatte im Jänner v. J. auf dem Monte San Michele durch
Brandgranaten so schwere Verletzungen erlitten, daß er das Augenlicht verlor.
Fr erhielt die silberne Tapferkeitsmedaille 2. Klasse und vi^urde in der hiesigen
Odi lien-B 1 indenanstalt im Maschinschreiben ausgebildet. Durch Veimittlung
der Landesstelle zur Fürsorge für heimkehrende Krieger fand Eppich bei der
genannten Versicherungsanstalt Beschäftigung und außerdem erhielt er eine Tabak-
trafik auf dem Kaiser josef-Platz. Wohnung und Einrichtung des Geschäftes wurden
vom Blindcnfonds besorgt. Der kirchlichen Feier wohnte der Statthalter Graf Clary
und Aldringen bei. Das Brautpaar erhielt viele Geschenke.
— Spende für Kriegsblinde. Die mährische Landeski mmission zur
l'ürsorge für heimkehrende Krieger hat auf Wunsch des Fabriksbesilzers Theodor
Reiser in Klogsdorf bei Freiberg in Mähren einen von ihm gewidmeten Betrag
von 10.500 Kronen dem Armeeoberkommando zu dem Zweck übermittelt, daß dieses
Kai)ital in Verwaltung ühemommen und aus seinen Zinsen alljährlich arme Kriegs-
blinde, die nach Tirol zuständig und deutscher Volksangehörigkeit sind, unterstützt
werden.
— W o h 1 1 ä t i g k e i t s a k t i o n i m R e i c h e n b e r g e r - B e i s 1. Aus Anlaß
des Regierungsantrittes Kaiser Karls I. hat eine Anzahl von Srammgästen des
R-icheniKirger-Beisl in Wien sichrlie Aufgabe gestellt, zur Linderung der Not der im
Kriege erblindeten Soldaten einen Fonds zu errichten, der durch eine auf diesem
3. Nummer. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen, Seite 701.
Stammtische aufgestellte Büchse seine Grundlage finden soll. Die Anregung hiezu
kommt von einigen Herren, die als erste namhafte Spenden diesem humanitären
Zwecke zuführten.
— Veranstaltungen. Konzert der Konzertsängerin Laura Knapek
unter dem Schutze des Fürsten Johann 11. von und zu Liechtenstein am 4. Fe-
bruar 1. J. im Konzerthaussaale in Wien.
— Konzert des HofopernsäaGfcrs Hans D li h a n zugunsten der »Krie^s-
lilindenheimstätten« am 1. Februar 1. J im Musikvereinssaale in Wien.
m
Vorstellung zugunsten eiblindeter Krieger am 9. Februar 1. J. i
Josefstädtertheater in Wien im Rahmen eines »Bunten Abends«.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende Februar 1. J.
— Neue Freie Presse: 1.057.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 1,91 5.000 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 365.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 55.000 K.
— Reichspost: 23.600 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 20.320 K.
Verschiedenes.
~ Die Leidensgeschichte eines Blinden. Bohumil Swoboda, ein
neunzehnjähriger, nahezu völlig erblindeter Jüngling, wurde vor Weihnachten von
dem Prager Landesgericht wegen Brandlegung zu einer dreijährigen Kerkerstrafe
verurteilt. Wer kann beim Lesen einer solch kurzen Tatsache ahnen, welche Lei-
densgeschichte dieser blinde Jüngling mitgemacht hat! Und wohl hätte kein Mensch
gewußt, welch hartes Los den ohnedies tief unglücklichen Jüngling betroffen hat,
wenn nicht Dr. Soukub in der letzten Sitzung des Prager Stadtverordnetenkolle-
giums die Geschichte dieses »Falles« in einfachen, tiefergreilenden Worten erzählt
hätte. Swoboda war ein uneheliches Kind, um welches sich nur seine Tante, eine
arme Näherin kümmerte. Als Knabe besuchte er die Volksschule in Jitschin und
wird derselbe von den Lehrern als braver und kluger Schüler bezeichnet. Im 12.
Lebensjahre bekam der Junge schlechte Augen und da dieselben im Laufe der
Jahre immer böser wurden, so daß er nur mehr Schatten und Licht unterscheiden
konnte, wurde derselbe auf die Prager Augenklinik gebracht, woselbst man erkannte,
daß es für den armen Jungen keine Rettung mehr gebe. Nun handelte es sich um
die Feststellung der Heimatsgemeinde des Knaben, damit diese sich weiter um
demselben bekümmere. Um diese Feststellung abzuwarten, wurde der blinde Knabe
in den Prager Gemeindearrest gesteckt. Vieizehn Monate wurde der Knabe in
diesem Arrest festgehalten. Man schrieb an die Gemeinde Raschowitz, die als seine
Heimatsgemeinde bezeichnet wurde, doch diese gab eine andere Gemeinde als
Heimatsgemeinde an und diese wieder eine dritte usw., keine Gemeinde wollte sich
mit dem blinden Jüngling belasten. Dann schrieb man an die Bezirkshauptmann-
schaft Böhmisch-Brod, Diese aber gab trotz Urgierungen keine Antuort. Endlich
wurde der Prager Magistrat um Feststellung der Zuständigkeit des Blinden ersucht,
doch blieb auch dieser Schritt erfolglos.
So mußte der arme Blinde vierzehn Monate im Piager Gemeindearrest zu-
bringen, ohne daß er nui- das geringste verschuldet hätte. Sein einziges »Verbrechen«
war, das er überhaupt auf der Welt war !
Inzwischen mußte der Blinde im Arrest Hunger leiden und wurde nebstdem
vom Ungeziefer so geplagt, daß er nicht schlafen konnte. Diesem qualvollen Zu-
stande wollte und mußte er unter allen Umständen entrinnen und da er gehört
hatte, -daß es den Sträflingen in den Strafanstalten ganz gut gehe, so beschloß er,
ein Verbrecher zu werden. Zunächst wollte er einen Mord be^^ehen. Da erinnerte
er sich, daß ihm die im Gemeindearrest untergebrachten Leute nichts zuleide getan
hätten und er beschloß, ein Brandstifter zu werden. Am 20. November 1916 führte
er seinen Plan aus. Er legte acht Strohsäcke aufeinander, begoß dieselben mit
Seite 702. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 3. Nummer.
Petroleum und zündete die aufgehäufte Masse an. Der Brand wurde rechtzeitig er\t-
dcckt und so ein größerer Schaden verhindert.
Der Blinde wurde zu drei Jahren schweren Kerker verurteilt und es hatte
sich hei der betreffenden Strafverhandlung der Leitei des Prager Gemeindearrestes
Kratky namens der königlichen Hauptstadt Frag dem Strafverfahren mit dem
Anspruch auf Ersatz des Schadens von 5 Kronen angeschlossen.
»Ich habe rrreicht, was ich wollte«, — sagte der Blinde seinem Verteidi-
ge,- _ »ich bin aus dem Arrest weggekommen und hier beim Landesgericht be-
komme ich doppelt soviel Brot und schlafe die ganze Nacht. Ich bin zufrieden! Ich
weiß was ich begangen habe, aber es bedrückt mich nicht !
Der Bürgermeister Grosch versprach eine genaue Untersuchung dieser
Angelegenheit zu.
Sollte man glauben, daß sich so etwas »im Jahre des Heiles» 1917 zutra-
gen kann ?
— Unglücksfall eines Blinden. In der Bahnstation Köbanya mußte
ein Personenzug we,en der großen Schneemassen halten. Einer der Passagiere, der
frühere Notar Eugen Kalmar, der schon seit Jahren auf beiden Augen erblindet
ist, stieg, in der Meinung, daß der Zug bereits angekommen sei, aus dem Wagen.
Kaum hatte rr jedoch das andere Geleiseparr erreicht, brauste ein Eilzug heran, der
den Unglücklichen überfuhr. Er blieb aut der Stelle tot.
— Erl)schaft. In Wien starb die Hausbesitzerin Frau Anna Bischof im
84. Lebensjahre. Sie hat nahezu ihr gesamtes Vermögen im Betrage von mehr als
500.000 Kronen wohltätigen Zwecken gewidmet. Dem k. k. Blindenerziehungsinstitut
und dem Verein zur Fürsorge für Blinde in Wien wendete sie je 5000 K zu.
— Das geblendete Tauchboot. Bekanntlich ledient sich das unter
Wasser fahrende Tauchboot einer besonderen Vorrichtung, um die Vorgänge über
dem Wasser beobachten zu können. Es ist dies das Periskop, ein mehrere Meter
langes Rohr, das durch die an der Spitze eingesetzten Linsen und Spiegel ein
Bild von der Oberfläche des Meeres bis in das Unterseeboot wirft. Mit diesem
künstlichen gestielten »Auge« vermag der Führer des Tauchbootes seine Beobach-
tungen über Wasser zu machen, obwohl das Tauchboot unsichtbar im Wasser ruht
oder dahinfährt. Bei der großen Gefahr, welche die Nähe eines Tauchbootes für
den Feind bedeutet ist dieser, vor allem bestrebt, das Tauchboot zu »blenden",
dasselbe seines Auges zu berauben, um seiner dann umso leichter Herr werden zu
können. Es wiederholt sich hier ein Vorgang, wie er häufig genug im Kampfe
zwischen Menschen oder zwischen Tieren stattfindet. Die Mittel zur Blendung des
Tauchbootes sind verschieden. Das Auge (Periskop) kann weggeschaffen werden,
was bei der Kleinheit des Zieles nicht leicht ist. Da das Periskop nur in horizon-
taler, nicht aber in vertikaler Richtung Umschau halten kann, vermag auch ein
Wasserflugzeug dem Unterseeboot unbemerkt zu folgen und ihm, sobald es auf-
taucht, das Auge zu zerstören. Das geblendete Tauchboot ist dadurch hilflos ge-
worden, denn es muß zu seiner Orientierung voll auftauchen, was dem Feinde die
Zerstörung erleichtert, wenn es nicht gelingt, ein neues Auge herauszustrecken.
Gegenüber dem wirklichen Auge genießt nämlich das Periskop den Vorteil, ersetzt
werden zu können. Und so kann auch ein geblendetes Tauchboot wieder sehend
werden.
— Gemütvolle Engländer. In der englischen Zeitschrift ,,The Daily
Mirror" findet sich die Abbildung eines Anatomiesaales mit einem Skelett. Die",
Al)bildung ist überschiieben : „Skelett eines Hunnen für die Anatomieklasse." Die
Unterschrift lautet: „Blinde Soldaten im National Institute for the Blind
Greav, Portland Street, erhalten Unterricht in der Anatomie. Vor zwölf
Monaten war das Skelett ein lebendiger Deutscher. In der Verwendung
von Skeletten gefallener Deutscher zu Studienzwecken noch dazu bei erblindeten
englischen Kriegern — und der Veröffentlichung des „Daily Mirror" kann man
emen Ausdruck des Hochstandes der englischen Kultur erblicken.
Herausgeber: Zeiitralvereiu für das österreichische Blindenwesen in Wien. RedaktionsUomitee: K. Biirltlen,
J. Knei«, A. t. Horvaih, F Uhl. ~- Drucli ron Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
Zentralbibliothek für Blinde in Österreich.
Wien, XVlil., WähringergUrtel 136.
Liste der im Jahre 1916 übertragenen Werke.
Andiässy, Graf Julius, Entwickluncr und Ziele Mitteleuropas. Bartsch,
Der Flieger. Don Giovanni. Bernhard, Sonnenwende. Borgfeld, Eine Opern-
premiere. Cohn, Dr. L., Der Blinde als Berater des Blinden. Cohn, Führende
Denker. Gomperz, Griechische Denker. \. und II. Teil. I. Abschnitt. Dehl-
brück, Das Totenvolk. Desko vi c h-S e el liger, Das U-Boot. Descartes,
Abhandlung über die Methode des reinen Vernunftgebrauchf s. Diltey, Das
Jahrhundert und die geschichtliche Welt. Eh n e r-Es c h e n b a c h Herr Hofrat.
Fünf Novellen. Ertl, Die Leute vom blauen Guguckshaus. Eckermann,
Gespräche mit Goethe. Erinnerungen an Grillparzer. Eucken, Die Träger des
Idealismus. Frapan, Novellen. In Sehnsucht leb' ich. Fulda, Abendsonne.
Ganghof er, Der r. Niederbruch. Gerstäcker, Herr Hobelmann. Goethe,
Die Leiden des jungen Werther. Grein z, Unter dem Doppelaar. Halm, Das
Haus an der Veronikabrücke. Handel-Maze tti, Die arme Magret. Deutsches
Recht und andere Gedichte. H a i n k, Aus meiner Opernzeit. Heine, Italienische
Reise. Hesse, Peter Camenzind. H e y s e, Die Spinnerin. Die gute Tochter.
(Esparanto). Hofmann st ha), „Shakespeare" und wir. Höffling, Ethik.
Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Ibsen, Pe<.'r Gynt.
Josef, Erzherzog, Weidmannserinnerungen. Karl weis, Geschichten. Kant,
Grundlegung zur Metaphistik der Sitten. Kernstock, Die Festenburg. Die Schwert-
lilien Unter der Linde. (Gedichte.) Kraus, Schriften. Liliencron, Kriegsno-
vellen. Miscellen. Lotze, H. Grundzüge der Ästhetik. Mann, Der kleine Herr
Friedemann. Maupassant, Novellen. (Esparanto.) Novellen. Maurus, Ave Caesar.
Meyrink, Der Golem. Mücke, Ayshe. Nansen, Jugend und Liebe. ,, Maria."
Naumann, Mitteleuropa. Nietzsche, Also sprach Zaraliestra. O s t w a 1 d, Belgien.
Pascor. Conrad von Hötzendorf Plato, Das Gastmahl. Apologie und Kriton.
Die Verteidigung des Sokrates Krito. Penk, Von England festgehalten. Pfohl,
Richard Wagoer. Pfordten, Mozart. Raab, Barbara Soluta. Raabe, Meister
Autor. Reuss, Heimstadten für Gartenbau. Reger, Beitrag zur Modulationslehre.
Saar, Gineova. Innocenz. Schalek, An der Isonzoarmee. Kriegsfeuilletons. Sha-
kespeare, Medea. Schlicht, Kaisermanöver. Schmitz, Richard Wagner. Scho-
penhauer, Über Schriftstellerei. Über Lesen und Bildung. Schönherr, Tiroler
Bauernsch wanke. Frau Suitner. Schücking, Die drei Großmächte. Spinoza,
Abhandlung über die Vervollkouimnuug des Verstandes. Schupp, Rechtslehre.
Schnitzler, Komödie der Worte. Telden. Ein alter Österreicher und Mittel-
europa. Treitschke, Freiheit. Unold, Aufgaben und Ziele des Menschenlebens.
Verne, Der Archipel in Flammen. Viebig, Naturgewalten. Wilde, Das Bildnis
des Dorian Grey. Weule, Kulturelemente der Menschheit. Zahn, Einsamkeit.
Zehme, Kurzschrift System. Esperantofibel s. Schlüssel. Aus der weiten Welt:
Bilder aus Tyrol. Nordlandsrcisen. Reise in Deutschland. Aufsätze v. Autoren d.
Wissenschaft.
fln die Besitzer von wertvollen, in Blindenschrift übertragenen Werke,
welche in den Blindenbibliotheken nicht vorhanden sind, stellen wir, falls
die Bücher verliehen werden, das Ersudien um Bekanntgabe der Buchtitel.
Durch die Veröffentlichung sollen die Werke der Allgemeinheit zugänglich
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Organ des „Zentralvereine^ für das österreichische Blinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
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Das Blatt ersdieint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
Bezugspreis
ganzjährig mit
Postzustellung
4 Kronen,
Einzelnummer
40 Heller.
4. Jahrgang.
Wien, ftpril 1917.
4. Nummer.
INHALT: Dr. R. Marschner, Prag: Die Fürsorge für Kriegsblinde in Böhmen.
Kriegsblindenfonds im Ministerium des Innern. Personalnachrichten. Aus
den Anstalten. Aus den Vereinen. Vida Jeray : Der Blinde. Für unsere
Kriegsblinden. Verschiedenes. Bücherschau. (Altes und Neues. Ankündi-
gungen).
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B=
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f'^Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
3 Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. [!
Zeltes und Neues.
Zwei Volksbücher über Blinde.
Der Dichter des Bayerischen Waldes, Hofrat Maximilian Schmidt,
bekannt unter dem Namen „Waldschmidt", berühmter Volksschrift-
steller und Dialektdichter, hat am 25. Februar sein 85. Lebensjahr
vollendet. Aus dem Bayerischen Walde herstammend, ist er seiner
enteren Heimat in seinen ofesamten Werken treu geblieben. Seine
Volkserzählungen aus dem Bayerischen Walde füllen vier Bände,
desgleichen gehören seine Dorfgeschichten, seine Volksstücke und
Gedichte zu den meistgelesenen dichterischen Erzeugnissen.
Unsere Leser seien darauf verwiesen, daß von M. Schmidt
unsere zwei besten Volksbücher über Blinde herrühren und zwar
sind dies:
Der blinde Musiker. Volkserzählung aus dem Böhmerwald.
Die Blinde von Ku n ter we g. Erzählung aus den bayrischen
Bergen. (Leipzig, H. Hassel.)
Im ,, blinden Musiker" wird das Schicksal eines Knaben geschildert,
der durch Blitzschlag erblindet, während es seine Begleiterin, die
Jugendgespielin, beschützt.
Der Knabe kommt zu seiner Ausbildung in ein BJindeninstitut,
während der Ferien spinnt sich jedoch der Verkehr mit der Jugend-
gespielin weiter. Schwere Familienzwiste treten trennend zwischen
die beiden. Erst als der Blinde in einem Konzerte mit Erfolg als
Musiker auftritt, sind die Angehörigen des Mädchens von der ge-
sicherten Zukunft des Blinden überzeugt und geben ihre Zustimmung
zum Lebensbunde für die beiden Liebenden.
Der „Blinde Musiker", ein Gegenstück zu der „Blinden
von Kunterweg", ist als Volksbuch prächtig geschrieben und von
allen sonst Blindenfiguren anhaftenden Unwahrscheinlichkeiten frei.
Man merkt der Ausführungen des Verfassers an, daß er tat-
sächlich einen Blinden studiert und ein Blindeninstitut kennen
gelernt hat, welch letzteres er mit besonderer Liebe schildert. Abgesehen
von dem Genüsse, welches sonst das Buch bietet, vermag es im Volke,
das wenig von Blinden und ihrer Erziehung in Anstalten weiß, in
richtiger Weise aufklärend zu wirken.
Die „Blinde von Kunterweg", wird in ihrer Liebe von einem
sehenden Burschen getäuscht und findet dadurch den Weg zu ihrem
Jugendgespielen zurück. Nach einer glücklichen Operation wird sie
dessen Frau. Eine etwas gewaltsame Täuschung, die bei Blinden
wohl schwer möglich ist, führt zu einer Reihe von reizvollen Situationen,
die selbst den Ungläubigen fesseln. Auch diese volkstümliche Erzäh-
lung erhebt sich weit über ähnliche Erzeugnisse und wird immer
wieder mit Genuß gelesen werden.
i
4. Jahrgang. Wien, April 1917. 4. Nunnmer.
^ ■ ^
^ »Meinen blinden Kameraden herzlichen Gruß ! f
^ Ich bin oft im Gedanken bei euch!« ^
^ Generalfeldmarschall von Hindeuburg ^
^ an erblindete Krieger. ^
^ Ig
Die Fürsorge für Kriegsblinde in Böhmen.
Von Dr. Robert Mar sehn er, Prag.
Im Rahmen der gesamten Fürsorge für die Kriegsbeschädigten
nimmt jene für die Kriegsblinden eine ganz besondere Stelle ein. Man
begreift darunter jene heimgekehrten Krieger, welche durch eine Kriegs-
beschädigung auf beiden Augen vollständig erblindet sind. Ihnen werden
jene gleichgehalten, welche sozial resp. praktisch blind sind d. h. auf
Grund ihres Sehrestes nicht erwerbsfähig gemacht werden können.
Die unter der Bevölkerung verbreiteten Zahlen über die Kriegsblinden,
die sich stets in mehreren Tausenden bewegten, sind durch die bisherigen Fest-
stellungen erlreulicberweise nicht bestätigt worden. Für ganz Österreich wur-
den vollständig erblindete Kriegsbeschädigte um die Mitte des Jahres 1916
in der Zahl von 300 testgestellt, doch ist diese Statistik niclit vollstän-
dig. In Böhmen wurde die Zahl der Kriegsblinden im Wege der
k. k. Bezirkshauptmannschaften ermittelt; ihre Zahl betrug mit Ende
Dezember 1916 79.
Bald nach Ausbruch des Krieges hatte der damalige Statthalter
Fürst Thun- H oh en stein der Fürsorge für die Kriegsblinden das
regste Interesse zugewendet, indem sich auf Grund der von ihm er-
folgten Ernennung zu Beginn des Jahres 1915 das Landeskomitee für
Kriegsblindenfürsorge in Prag bildete, welches sich mit I.Februar 1915
konstituierte und seine Tätigkeit begann.
In Böhmen war der zivilen Blindenerziehung seit langem die ein-
gehendste Aufmerksamkeit zugewendet worden und es bestand vor
allem seit langen Jahren das Klar'sche Blindeninstitut, welches weit
Dr. R. Marschner : Die Fürsorge für Blinde in Böhmen. Prag, 1917, Selbst-
verlag der staatl. Landeszentrale zur Fürsorge für heimkehrende Krieger.
Seite 708. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 4. Nummer.
Über die Grenzen Böhmens hinaus bekannt geworden ist. Es bedeutete
daher eigentlich nur eine Erweiterung des Wirkungskreises dieser Wohl-
fahrtseinrichtung, daß sich, unmittelbar an ihre Einrichtungen anknüpfend,
dieses Landeskomitee bildete, das sich die Aufgabe setzte, kriegsblinde,
nach Böhmen zuständige oder doch dem 8. oder 9. Militärkommando
in Böhmen angehörige Soldaten zwecks Ausbildung in einem Hand-
werke unterzubringen, wobei als Zeitdauer je nach der Fähigkeit 1 bis
3 Jahre in Aussicht genommen wurden.
Die Zahl der vom Landeskomitee mit Ende des Jahres 1915 in
der Klar'schen Anstalt untergebrachten Kriegsblinden betrug 24. Die
Anzahl erhöhte sich bis Ende des Jahres 1916 aut 67.
Als weitere Anstalt, in der solche Kriegsblinde untergebracht
werden sollten, käme die Deyl'sche Blindenanstalt in Betracht, welche
sich für den Fall, wenn in der Klar'schen Blindenanstalt wegen Platz-
mangel keine Kriegsblinden mehr aufgenommen werden könnten, nach
Beschaffung der notwendigen Räumlichkeiten zur Aufnahme und Aus-
bildung weiterer Kriegsblinder bereit erklärte. Das Landeskomitee
beschloß überdies, nach Maßgabe der Unterbringungsmöglichkeit und
der vorhandenen Mittel auch Kriegsblinde aus anderen Kronländern
Österreichs aufzunehmen, soweit sie daselbst keine Unterbringung und
Unterstützung finden.
Die damit angebahnte Fürsorge schließt sich unmittelbar an die
Person des einzelnen erblindeten Kriegsbeschädigten an, sowie dies bei
den besonderen Fürsorgeeinrichtungen zum Beispiel der deutschböhmi-
schen Fürsorgestelle für Kriegskrüppel und Kriegsverletzte in Reichenberg,
der Invalidenschule und bei den ersten Einrichtungen der durch das
Ministerium für öffentliche Arbeiten errrichteten Dienststellen der Fall
war, bezw. der Fall ist. Durch die Notwendigkeit einer besonderen
Betreuung dieser Kriegsblinden gewinnt dieser Zweig der Fürsorge ein
eigenartiges Interesse, regt zu besonderem Nachdenken und zur Ver-
wertung der bisher gesammelten Erfahrungen an. Hiezu kommt, daß
auch noch nach der eventuellen Schulung die dauernde Versorgung
des einzelnen Kriegsblinden unentwegt im Auge behalten werden muß
und zur Schaffung weiterer Fürsorgeeinrichfungen (Gewährung von
Darlehen, Unterstützungen, Gründung von Kriegsblindenheimstätten)
führt.
Während die Hauptaufgabe der Staatlichen Landeszentrale zur
Fürsorge für heimkehrende Krieger darin besteht, in Verbindung mit
den in Böhmen geschafifenen besonderen Vereinigungen das einheitliche
Zusammenwirken aller Kräfte zum Behufe der Zurückführung der Kriegs-
invaliden in das Erwerbsleben zu sichern, ist dadurch, daß sich das
erwähnte Landeskomitee im Juni 1916 an die Staatliche Landeszentrale
anschloß, letztere in die Lage versetzt worden, sich an der Fürsorge
nicht nur leitend, sondern unmittelbar zu beteiligen.
Die Bereitwilligkeit des Landeskomitees zu einvernehmlichen Wir-
ken wurde mit dem entgegengenommen, daß in keiner Weise der
Wirkungskreis^ des Landeskomitees für Kriegsblindenfürsorge mit Rück-
sicht auf die Eigenart dieses Fürsorgezweiges und der hiefür besonders
gesammelten Erfahrungen eingeschränkt werden wird und daß auch die
4. Nummer. Zeitschrift für das östeneiciiisclie Blindenwesen. Seite 709.
widmungsgemäß für die Kriegsblinden gespendeten Beiträge weiterhin
nur für diese ihre Verwendung zu finden haben werden. Die der Staat-
lichen Landeszentrale überwiesenen Kriegsblinden sollen darnach der
Fürsorge des Komitees zugeführt werden und ersterer nur die Evidenz
über dieselben verbleiben.
Innerhalb der Landeszentrale wurde ein „Ausschuß für Kriegs-
blindenfürsorge" in folgender Zusammensetzung gebildet :
Obmann: Seine bischöfl. Gnaden Monsignore Dr. W. Frind.
Obmannstellvertreter: Seine Gnaden Abt. M. Zavoral. Mitglieder:
Oberinspektor K. Dederra, Universitätsprofessor Dr. }. Deyl, Uni-
versitätsprofessor Dr. A. El sehnig, k. u. k, Oberslabsarzt Dr. A. Mar kl,
k. u. k. Major i. R. A. Müller, Direktorstellvertreter Dr. K. Peter ka,
Direktor K. Rauter, Stadtrat H. Schick, Direktor W. Schwippe 1,
Direktor E. Wagner und Prof. Dr. R. Marschner.
Die Ausbildung, Versorgung und Selbständigmachung der
heimgekehrten Kriegsblinden wurde also in" Prag bereits zu Beginn des
Jahres 1915 erkannt und angebahnt. Abgesehen davon, daß die Klar'sche
Blindenanstalt als die älteste und größte derartige Einrichtung, welche
auf eine 84 jährige segensreiche Tätigkeit zurückblicken kann, auch
schon selbst auf eine Anfrage des Prager Militärkommandos mit dem
k. u. k. Kriegsministeriüm wegen Unterbringung, Verpflegung und
Ausbildung von im Kriege erblindeten Soldaten in Verbindung getreten
war, hatte das am L Februar 1915 konstituierte Landeskomitee für
Kriegsblindenfürsorge die Unterbringung einer größeren Anzahl von
erblindeten Kriegern in der Klar'schen Blindenanstalt von vornherein
in Aussicht genommen, die entsprechenden Adaptierungsarbeiten ver-
anlaßt und es konnte daher die damit begonnene Schulung und Ver-
sorgung der Kriegsblinden auch durch die Staatliche Landeszentrale
nach Angliederung des früheren Landeskomittees in der Klar'schen
Blindenanstalt fortgesetzt werden. In dieser Anstalt wurde vor allem das
Augenmerk auf die beiden Blindenhandwerke der Bürstenbinderei undKorb-
flechterei, aber auch auf Handfertigkeiten, wie das Maschinenstricken, die
Matten-, Decken- und Sesselflechterei, Anfertigung von Netzen, Bändern,
Traggurten und Eierversandkisten gerichtet, um mit Hilfe dieser den
Kriegsblinden eine eigene Existenz gründen zu können. Die Unter-
weisung in den einzelnen Handwerken, bezw. Handfertigkeiten erfolgt
in hiezu bestehenden Werkstätten unter Leitung von ständigen Werk-
meistern. Überdies erhalten die Kriegsblinden fachlichen Unterricht im
Lesen und Schreiben der Klein'schen Stachel- sowie der Braille'schen
Blindenschrift und jene, welche die Eignung und Fähigkeiten besitzen,
auch im Maschinenschreiben, Klavier-, Violin-, Orgel- und Zitherspiel
sowie Pianostimmen durch die Anstahslehrkräfte. Die Wahl des Hand-
werkes bezw. der Handfertigkeit wird jedem Einzelnen selbst über-
lassen. In erster Linie ist die physische Verfassung und Eignung, sein
früherer Beruf maßgebend und ist auf die Absatzverhältnisse für die
Erzeugnisse in jener Gegend Rücksicht zu nehmen, welche der Kriegs-
blinde nach beendeter Nachschulung als seinen ständigen Aufenthaltsort
wählt. Er wird hiebei durch die Erfahrungen der Klar'schen Anstalt
und durch fachmännische Ratschläge unterstützt.
Sfitf 710. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 4. Nummer.
Die Ausbildung i^eht jedoch nicht einseitig vor sich ; jedem Kriegs-
blinden wird die (Gelegenheit geboten, nach der Erlernung eines Hand-
werkes auch nocii die einzelnen Handfertigkeiten sich anzueignen,
welche er als Nebenerwerb ausüben kann. Die Lernzeit des einzelnen
hängt von seiner größeren oder geringeren Befähigung ab ; im allgemeinen
ist sie auf 1 — 2 Jahre berechnet.
Nach der Auslehre erhält der Kriegsblinde ein Zeugnis, in dem
die Erlernung des betreffenden Gewerbes (Bürstenbinderei oder Korb-
flechterei) oder der betreffenden Handfertigkeit (Matten- und Sessel-
flechten, Maschinenstricken usw.) seitens der Klar'schen Blindenanstalt
bescheinigt wird. Ein Gewerbeschein selb.st ist zur Ausübung der
genannten Gewerbe nach der kais. Verordnung vom 7. Dezember 1915,
RGBl. Nr. 364 (§ 4) tür erblindete Kriegsbeschädigte nicht notwendig.
Die in der k. k. Augenklinik des Univ. Prof. Dr. Deyl unter-
gebrachten Kriegsblinden, insbesondere die Offiziere, werden von einer
Lehrkraft der Devrschen Blindenanstalt im Schreiben, Lesen und
Rechnen in der Blindenschrift, sowie in der Benützung der Picht'schen
Schreibmaschinen (Flachschrift und Punktschrift) mit gutem Erfolge
unentgeltlich unterrichtet und ihnen die nötigen Lehrbehelfe unentgeltlich
beigestellt. Ebenso genießen die Kriegsblinden iin k. k. Feldspital Nr. 11
am Hradschin von einem hiezu bestimmten Blindenlehrer teilweisen
Blindenunterricht. Über Ansuchen wurde dem Zweigverein für böhmischen
Blindendruck eine jährliche Zuwendung von 1000 K zur Herausgabe
einer periodischen Blindenzeitschrift und der Klar'schen Anstalt der
gleiche Betrag zur Anschaffung von Büchern für deutsche Blinde
erwirkt.
Pls liegt im Wesen der Sache, daß eine nicht geringe Zahl von
Blinden zur Teilnahme am Blindenunterricht infolge Kränklichkeit und
Verstümmelung oder Verlustes der Arme ungeeignet und unfähig ist ;
andererseits sind jene Fälle nicht gering, wo jeder Lern- und Arbeits-
wille dem Blinden abhanden gekommen ist und selbst indirekter Zwang
schädlich wäre. Diese Blinden nun, die keinen Blindenunterricht genießen,
sind zum größten Teile in dem Garnisonsfilialspital Nr. 11 am Hrad-
schin, dann auf den beiden Augenkliniken der Prager Universität
untergebracht ; an anderer Seile wurde bereits hervorgehoben, daß
diese Blinden dazu angehalten werden, zum Mindesten das Lesen und
Schreiben zu lernen. Hieher zu zählen wären auch noch jene Blinden,
die in den ersten Kriegsmonaten bereits superarbitriert und in ihre
Heimat abgegangen sind.
Das r.andeskomitee hat sich als Hauptaufgabe die Ausbildung und
Versorgung der Kriegsblinden gestellt und war bestrebt, die letztere so
vielseitig als möglich zu gestalten. Die bisherige Erfahrung bei Blinden
hat gezeigt, daß trotz des Mangels der Sehkraft der einzelne Blinde
doch in der Lage i.st, die verschiedenartigsten Arbeiten zu versehen
und es muß mit dem Vorurteile, die Blinden als nichtleistungsfähig
anzusehen, gebrochen werden.
Von diesem Gesichtspunkte aus war das Landeskomitee bemüht,
der Blindenarbeit Zutritt in die verschiedensten Gewerbe zu verschaffen,
um ihnen eine tunlichst mögliche Existenz zu schaffen. Das Landeskomitee
wandte sich daher an die k. k. Statthalterei in Prag, die Gewerbe-
4. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwes en. Seite 711.
inspektotate zu beauftragen, in den verschiedenen Betrieben Umschau
zu haken nach einer gefahrlosen Arbeitsmöghchkeit für Bhnde, die
den KriegsbUnden, sowie gelegentlich auch den Zivilblinden dauernde
Versorgung und dauernden Verdienst schaffen könnten. Daraulhin
vi^urden die sämtlichen Gewerbeinspektorate in Böhmen angewiesen,
über die Möglichkeit der Veru^endung von Kriegsblinden in gewerb-
lichen und industriellen Betrieben Erhebungen durchzuführen und deren
Resultat dem Landeskomitee bekanntzugeben.
Aus dem von den k. k. Gewerbeinspektoraten gesammelten
Materiale ist Nachstehendes anzuführen :
Nach dem Berichte des Gewerbeinspektorates in Pardubitz wird
die Bürstenbinderei in dem dortigen Gewerbeinspektionsbezirke in
einem größeren Betriebe und in mehreren kleineren Werkstätten und
zwar durch Heimarbeiter, betrieben. Die Bürstenfabrik F. Filip in
Gabel machte sich erbötig, erblindete Krieger in ihr Unternehmen
aufzunehmen und ihnen in einem Kurse die nötige Ausbildung in der
Bürstenbinderei beizubringen. Sie erklärte sich bereit, die Blinden nach
der Ausbildung in ein fixes Arbeits- und Lohnverhältnis zu übernehmen.
In bezug auf die Unterbringung von Kriegsblinden in Seifen--
fabriken bestand nach der Äußerung des k. k. Gewerbeinspektorates
Tetschen für den dortigen Bezirk die prinzipielle Geneigtheit, Kriegs-
blinde in den Seifenfabriken zu beschäftigen und es könnten nach
Anschauung dieses Gewerbeinspektorates Blinde noch beschäftigt werden :
in Metallknopffabriken bei Handpressen,
in Steinnußknopffabriken beim Polieren,
in den Schokoladen- und Kanditenfabriken,
in der Goldschlägerei,
Kunstblumen- und Blätterindustrie und
in der Kartonnagenerzeugung.
Es wurde daher die Verbindung der einen oder der anderen
Industrieart mit der bestehenden Blindenlehranstalt angeregt.
Hatte man gehofft, daß infolge der verringerten Gefahr und der
vorwiegend manuellen Arbeit eine Unterbringung von Kiiegsblinden
in den Tabakfabriken möglich sein wird, so erwiesen sich die betreffenden
Versuche als vergeblich ; nur die k. k. Tabakfabrik in Tachau
erklärte nach, dem Berichte des k. k. Gewerbeinspektorates in Pilsen,
sie könnte äußerstenfalls Kriegsblinde beim Füllen von Zigaretten-
kartons und Zigarrenkisten beschäftigen. Die Tabakfabriken in St. Joachims-
thal und Landskron lehnten von vornherein die Beschäftigung Blinder ab.
Die Erhebungen der übrigen Gewerbeinspektorate verliefen über-
haupt ergebnislos. So schrieb das k. k. Gewerbeinspektorat in Budweis,
daß die Mühewaltung des Amtes nahezu vollkommen von einem
negativen Resultate begleitet sei, weil die betreffenden Gewerbeinhaber
mit ganz geringen Ausnahmen jede Arbeitsmöglichkeit für Blinde in
ihren Betrieben als ausgeschlossen bezeichnen.
Endlich berichtete das k. k. Gewerbeinspektorat Prag. Abgesehen
von den Angeboten zweier Firmen, die eine beschränkte Anzahl Kriegs-
blinder einzustellen sich bereit erklärten, sind die Verhältnisse im
Aufsichtsbezirke Prag derartige, daß die Industriezweige, bei denen
Blinde verwendet werden können, nur spärlich vertreten sind, daß
Seite 712. Zeitsclirifl fiii das österreichische Hlindenwesen. 4. Nummer.
weiters Bedenken wegen der privat- und öffentlich-rechtlichen Haftung
bei Unfällen ausgesprochen wurden und der Blinde mit seiner beschränk-
ten Arbeitsfähigkeit einen kaum auskömmlichen Lohn erzielen werde.
Sowie die Frage der Arbeitsversorgung überhaupt, hatte auch
die Angelegenheit der Ausbildung Kriegsblinder zu Masseuren früher
schon den Gegenstand längerer Verhandlungen und Beratungen im
Landeskomitee für Kriegsblindenfürsorge in Böhmen gebildet.
Nachdem einerseits vom ärztlichen Standpunkte aus wichtige
Bedenken gegen die Verwendung Blinder und speziell der Kriegsblinden
als Spätererblindeten geltend gemacht, andererseits auch nicht unberech-
tigte Befürchtungen wegen mangelnder Arbeitsgelegenheit ausgesprochen
wurden, nahm das Landeskomitee von der Frage der Blinden-Massage
weiterhin Abstand. Trotz der gegen die Blinden-Massage angeführten
Gründe und trotzdem sich auch neuerlich die Gutachten zweier erster
Fachmänner auf dem Gebiete des Blindenwesens gegen die Blinden-
Massage ablehnend verhielten, hat gleichwohl der Ausschuß für Kriegs-
blindenfürsorge jene Überweisung von Kriegsblinden zur Ausbildung
veranlaßt.
Die beiden Gutachten der einvernommenen ärztlichen Sachver-
ständigen wurden vollständig unabhängig von einander erstattet und
stimmten trotzdem im Wesen überein.
Sie widerraten. Kriegsblinde in der Massage auszubilden und in
ihnen in dieser Richtung Verdiensthoffnungen zu erwecken. Es ist
hiebet nicht ausgeschlossen, daß dem einem oder dem anderen Kriegs-
blinden, der eventuell schon vor der Erblindung als Masseur tätig
war, auch weiterhin die Ausübung der Massage gestattet werden könnte.
Das Landeskomitee erreichte zwar durch einen Bericht an das
k. u. k. Kriegsministerium eine günstigere Auffassung dieser Sache, doch
wurde vorläufig nicht an die Ausbildung von weiteren Kriegsblinden zu
Masseuren geschritten.
Was die Verleihung von Tabakverschleißgeschäfte an Kriegs-
blinde betrißt, ist der Ausschuß für Kriegsblinde der Ansicht, daß die
Tabakverschleiß im allgemeinen nur in seltenen Fällen einem Kriegs-
beschädigten die vollständige Existenzmöglichkeit bieten können. Bessere
Tabaktrafiken sollten daher nur für ganz Invalide und für solche
Kriegsblinde in Aussicht genommen werden, welche tatsächlich irgend
eine Arbeitsleistung ganz zu vollführen außerstande sind, abgesehen
davon, daß je nach der Beurteilung der persöhlichen oder örtlichen
Verhältnisse auch noch eine gewisse Routine in bezug auf kaufmännische
Leitung und Bedienung des Publikums vorhanden sein muß. Ihrem
Wesen nach bilden die Bestrebungen, den Kriegsbeschädigten und
daher auch den Kriegsblinden solche Tabakverschleißgeschäfte zu ver-
mitteln, keinen Zweig der Arbeitsvermittlung, sondern sie beinhalten
eine Förderung der wirtschaftlichen Existenzen im Wege von Unter-
stützungen. Die Verleihung von Tabaktrafiken solle ohne vorherige
Schulung nicht erfolgen, denn bei Erlangung der Trafik entstehen für
die Schulung Schwierigkeiten, wenn dieselbe nicht gar unmöglich
gemacht wird. Mit einer ohne solche Schulung angebahnten Verleihung
einer Trafik wird dem höheren Zwecke der Kriegsbeschädigtenfürsorge
nicht entsprochen, da das Moment der Betätigung ausgeschaltet wird,
4. Nummer. Zeitschrift für das Osten eichisclu; Hliiidenwesen. Seite 713.
abgesehen davon, daß die Trafik regelmäßig keine volle Existenz,
sondern nur eine Nebenexistenz — ein Nebeneinkommen — bedeutet!
Es muß daher als oberster Zweck der Kriegsbeschädigtenfürsorge
zunächst und unbedingt die Schulung angestrebt werden und erst
dann möge an die Erwerbung einer Tabaktrafik gedacht werden.
Bisher erfolgten in Böhmen in zehn Fällen Verleihungen von
Tabakverschleißen an Kriegsblinde.
Mit dem unter dem Schutze S. k. u. k. Hoheit Admiral Erzherzog
Karl Stephan stehenden Verein „Kriegsblindenheimstätten" (Präsident,
Kommerzialrat H. Grimm) wurden seitens der Landeszentrale
Vereinbarungen erreicht, nach denen sich der genannte Verein bereit
erklärt, 30 kriegsblinden Soldaten, welche in Böhmen arbeits- und
heimatszuständig sind, Kriegsblindenheimstätten in Böhmen entweder
anzukaufen oder für dieselben zu errichten. Diese kriegsblinden Solda-
ten werden dem Verein vom Ausschusse für Kriegsblindenfürsorge
in Böhmen namhaft gemacht.
In jedem einzelnen Falle wird der Verein sich mit dem Aus-
schusse ins Einvernehmen setzen und dessen Vorschläge berück-
sichtigen.
Für die Erwerbung von Kriegsblindenheimstätten liegen 5 Ansuchen
vor. Darüber hinaus wurden in 5 Fällen Beihilfe bei Erwerbung land-
wirtschaftlichen Besitzes oder eines Geschäftes gewährt.
Aus den „Kriegsblindenfonds im k. k. Ministerium des Innern
in Wien", in dessen Kuratorium der Präsident des Ausschusses Weih-
bischof Dr. W. Fr in d und Oberinspektor K. Deddera berufen wurden,
konnten für 10 Kriegsblinde Unterstützungen in der Höhe von 1000
bis 6000 K erwirkt werden.
Die im Vorstehenden geschilderte bescheidene Arbeit konnte
nur geleistet werden, weil dem Landeskomitee für Kriegsblindenfürsorge
und später dem Ausschusse für Kriegsblindenfürsorge der Staatlichen
Ländeszentrale von der gesamten breiten Öffentlichkeit in einer Weise
die Anteilnahme an dem Lose der Kriegsblinden, und zwar werktätig
durch Widmung großer und zahlreicher Spenden bezeigt wurde, daß
erst hiedurch alle Möglichkeiten einer Förderung der Kriegsblinden
sich in die Tat umsetzen ließen.
Es ist daher eine besondere Pflicht, allen Wohltätern, welche die
Zwecke des Landeskomitees und des Ausschusses durch Spenden
und sonstige Zuwendungen unterstützt haben, den innigsten und auf-
richtigsten Dank auszusprechen. Vor allem der hohen k. k. Statthalterei,
welche durch die in ganz Böhmen eingeleitete Sammlung die an-
sehnliche Summe von 172.000 K der Fürsorge für Kriegsblinde
zuführte.
Auch ist des werktätigen Eingreifens der gesamten Prager Presse,
welche sich mit allen ihr zu Gebote stehenden Kräften einsetzte, zu
gedenken, indem sie die monatlichen Spendenausweise veröffentlichte
und selbst Sammlungen einleitete ; an der Spitze steht das „Präger
Tagblatt", welches abgesehen von den Sammlungen im Jahre 1915,
Seite 714. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. " 4. iNummer.
im Bericlitsjahre 1916 ein Ergebnis von 76.625 K aufweist und dem
daher eine besondere Hervorhebung gebührt. Sodann die „Deutsche
Zeitung Bohemia", „Närodni Listy" und „Närodni Politika", welche
Spenden in ihren Administrationen entgegennehmen und insgesamt
einen Betrag von 10.027 K dem Landeskomitee bzw. dem Ausschusse
zuführten. Auch wurden durch einige besondere Veranstaltungen zu
Gunsten der Kriegsblinden Einnahmen erzielt. All diesen sei herzlich
gedankt, allerdings mit der Bitte, auch weiterhin die gute Sache zu
unterstützen, denn das Los der Kriegsblinden ist bedauernswert und
ihre Zahl doch nur im Wachsen begriffen.
Die Arbeiten steigen von Tag zu Tag, die Anforderungen sind
im steten Zunehmen und nur mit Unterstützung all dieser Wohltäter
und Spender können wir im Interesse der Blinden beruhigt der
Zukunft derselben entgegensehen.
Kriegsblindenfonds im Ministerium des Innern.
Am 23. März 1. J. wurde im Ministerium des Innern in Wien
die Jahressitzung des Kuratoriums des »Kriegsblindenfonds für die
österreichischen Staatsangehörigen der gesamten bewaffneten Macht«
unter dem Vorsitze des Ministers des Innern abgehalten. Der Vor-
sitzende erstattete an der Hand des für das Jahr 1916 statutengemäß
verfaßten Rechnungsausweises einen Bericht über die Tätigkeit der
Fondsverwaltung. Aus demselben ist hervorzuheben: Eingang von
Widmungen im Jahre 1916 573.573 Kronen, Stand des Fonds am
31. Dezember 1916, 1,178.930 Kronen, Gesamtbetrag der bisherigen
Anspcndungen für Kriegsblinde 309. 689 K.
Der Vorsitzende hob angesichts dieses befriedigenden finanziellen
Ergebnisses die erfolgreichen Bemühungen des Herausgebers der
»Neuen Freien Presse« um die Spendensammlung hervor und aner-
kannte dankbarst die Verdienste des geschäftsfUhrenden Ausschusses
und insbesondere auch der Landeskommission um die erfolgreiche
Durchführung der schwierigen Aufgaben.
Daran schlössen sich bedeutsame Referate über Berufswahl und
Ausbildung der Kriegsblinden (Oberinspektor Dederra, Direktor
Dr. Hartinger, Hoirat Ritter von Chlumecky, Regierungsrat
Meli); über Rechtshilfe und Pflegschaft für Kriegsblinde (Finanzpro-
kurator Dr. Ritter von Mayr-Linegg, Dr. Ernst Benedikt);
Bildung einer Einkaufsstelle für Arbeitsmaterial (Freiherr v. Ferste 1),
Bemerkenswert war weiter die Anregung des Hofrates Professor
Dimmer, betreffend das neue Vervielfältigungsverfahren der Blinden-
schrift von Dr. Herz,
Der Vorsitzende gab zum Schlüsse der Erwartung Ausdruck,
daß es auch weiterhin unter dem Schutze des Protektors Erzherzog
Karl Stephan und mit Unterstützung des Kuratoriums und der
breiten Öffentlichkeit gelingen werde, das tief ergreitende Geschick
der erblindeten Krieger zu mildern und diesen für das dem Vater-
lande dargebrachte Opfer wirksam zu danken.
4. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 715.
Personalnachrichten.
— Auszeichnung;. Dem Direktor der Kärntner Landes-
Hlindenanstalt Rupert Mayer wurde für seine Verdienste um die
lieimische KriegsbÜndenfürsorge das Kriegskreuz III. Klasse für Zivil-
verdienste verliehen, zu welcher allerhöchsten Auszeichnung ihm
Seine k. u. k. Hoheit, Admiral Erzherzog Karl Stephan, ein ehren-
des Glückwunschtelegramm übersandte. Neuerdigs erhielt Direktor
Mayer das Ehrenzeichen II. Klasse vom Roten Kreuz.
— Direktor Gustav Funke f. Allzu früh schied Professor
G. Eunke durch sein am 18. März 1. J. erfolgtes Ableben von dem
Posten als Direktor der k. k. Lehr- und Versuchsanstalt für Korb-
flechterei in Wien. In unseren Kreisen sichert ihm sein selbstloses
Eintreten für die Blindenarbeit und seine Förderung blinder Korb-
flechter ein ehrendes Gedenken. Ihm ist es zu danken, daß eine
Anzalil Blinder die Meisterkurse in der Lehr- und Versuchsanstalt
besuchen durfte, die nun als Werkmeister in diesem Fache tätig
sein können. Vorurteilslos und mit warmen Herzen stellte er in dem
Widerstreite zwischen sehenden und blinden Korbflechtern auf Seite
der letzteren. Das von ihm verfaßte „Lehrbuch der Korbflechterei"
wurde auch in Blindendruck herausgegeben.
flus den Anstalten.
— N. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf. In der 5. Klasse
dieser Anstalt wurde nach Besprechung der Entbehiunjen der Kriegszeit die Auf-
gabe gestellt, die nächstliegendsten Wünsche für die Friedenszeit in Versen dar-
zulegen. Wie die nachstehenden Beispiele zeigen sind diese kindlichen Wünsche
etwas weitgehend.
F r i e d e n s w ü n s c h e.
Wird es endlich Frieden geben
Und der Weltkrieg ist vorbei,
Möcht' ich einmal köstlich leben
Und da wünsch' ich mancherlei.
Schnitzel ist ein feines Essen;
Auch ein Braten war nicht schlecht,
Doch da hätt' ich bald vergessen,
Daß Salat ich dazu möcht .
Entenfleisch und Gänsebraten
Schmeckten wolil am besten mir.
Davon würd' ich Durst bekommen
Für ein Gläschen bayrisch Bier.
Zwetschkenknödel. Reis und Kuchen
Wären auch sehr angenehm,
Könnt' ich sie nur schon versuchen.
Wenn ich sie nur schon bekam!
Und zuletzt noch eine Torte
Und auch etwas roten Wein,
Jedoch von der besten Sorte
Und ein teurer muß es sein.
Dieses wünsch' ich mir vom Herzen,
Weil wir viel entl ehren jetzt,
Doch als ersten meiner Wünsche
Hab' den Frieden ich gesetzt.
Rosina Bauer.
Seite 716. Zcitschrilt für das östcreichische Blindenwesen. 4. Nummer.
Nach dem Krieg im Land Tirol
Ein kl(r;incs Häuschen gefiel mir wohl.
Es soll daran ein Garten liegen,
Hinter dem Haus ein Stall mit zwei Ziegen.
Im Garten sollen Äpfel- und Birnbäume sein;
P'.ine kleine Laube würd mich auch recht freun.
Knödel, Nudel wollt' ich manchen Tag,
Strudel wäre auch nach meinem Geschmack.
Zuckersachen werden dann billiger sein,
Kaffee soll mich zur Jause erfreu'n.
Darnach seh'n ich mich so sehr,
Wünsch' d'rum dieses und noch mehr!
Ernestine Mayer.
— Anstalt zur A u s b i 1 d u n g von S p ä t e r e r b 1 i n d e t e n in Wien XIX,
Am l8. März 1. J. fand ein Besuch des Vorstandes des Zwei g vere i nes
>^ Leopoldstadt« des Roten Kreuzes statt, der sich um die in der Anstalt
untergebrachten Kriegsblinden besondere Verdienste ei werben hat. Die Gäste —
mehr als 50 an der Zahl — wurden von den Ausschußmitgliedern des »Vereines
zur Ausbildung von Spätercrblindc-tcn«, mit kaiserlichen Rat Direktor S. Heller,
dem Leiter der Anstalt, an der Spitze, herzlichst begrüßt und waren von den Leistun-
gen der Blinden hochbefriedigt, was sie auch in einem anerkennenden Schreiben
zum Ausdrucke brachten,
— Tirol. -Vorarlberg. Blinde n-Lehi- und Erziehungsanstalt in
Innsbruck. Unsere kleine Anstalt ist auch in diesem Schuljahre wieder von
Zöglingen gut besucht und der Betrieb nimmt unter der Leitung des für das Wohl
der Blinden rastlos tätigen hochw, Herrn Direktors, Stadtpfarrer Johann Vi na t z e r,
trotz der schweren Zeit, einen ungestörten Fortgang. Infolge umsichtiger, größerer
Ankäufe von Rohmaterial im Vorjahre sind unsere angehenden Handwerker für die
Bürsten- und Besenbinderei gut versorgt. Die Leitung der Hauswirtschaft und die
Pflege der Zöglinge hat seit Beginn des heurigen Schuljahres die neue, tüchtige
Oberin Ehrw. Schwester Hieronyma übernommen.
flus den Vereinen.
— Blinden - Unter Stützungsverein »Die Purkersdorfer« in
Wien V. Der unter dem rührigen Obmanne F. Uhl stehende Verein veimittelte
im Jahre 1916 in 114 Fällen unentgeltlich Dienst und Arbeit und veitcilte 6275 K
als Unterstützungen an Blinde und Kriegsblinde. Das vom Verein erhaltene »Musi-
kalien-Leihinstitut« wurde in 5793 Fällen in Anspruch genommen. Der Veiein, der
sich sowohl um die ehemaligen Zöglinge der n. ö. Landes-Blindenanstalt in Pur-
kersdorf als auch um die Blinden im allgemeinen verdient macht, zählte mit Ende
1916 17 Gründer, 4^^ Stifter, 16 Ehrenmitglieder, 188 unterstützende Mitglieder und
iLö blinde Mitglieder. Eine neue Aufgabe erwächst dem Vereine durch die Kriegs-
blinden, indem er die Errichtung eine Musikfortbildungs- und Klavierstimmschule
anstrebt, in der begabte im Krieg erblindete Soldaten und jene Blinden, die nach
dem überschrittenen schulpflichtigen Alter keine Aufnahme in einer Blinden-Erzie-
hungsanstalt fuiden konnten, von' tüchtigen Lehrkräften Unterricht erhalten.
— Der Humanitäre Blindenverein »Lindenbund« in Wien XX,
hielt kürzlich seine XIX. Generalversammlung ab. Der Berrcht des Kassiers weist
eine Einnahme von 6996 K auf, der gegenüber von 3756 K, davon an Unter-
stützungen 1.909 K verausgabt wurden. Das Vereinsvermögen beträgt 12 437 K.
In die Vereinsleitung wurden gewählt: Wilhelm Kreutzer, Obmann; Franz
I^n gri seh, Stellvertreter ; Franz Kote k, Schriftführer; Anton Czech, Kassier;
Paula Czech, Rechnungsführerin; Hugo Dippel, Martin Kr i s t und Johann Zein-
li nger, Beisitzer : Anna Karr er und Minna Kris t, Rechnungsprüferinnen. Zu Ehren-
mitglieder des Vereines wurden ernannt: Regierungsrat A. Meli und Vereins-
arzt Dr. L. W i e n e r.
i
4. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 717.
Der Blinde.
Du sprachst, o Gott: Es werde!
Es ward das große Liclit ;
Ich aber seh' es nicht
Und taste auf der Erde.
Sind's Dornen, die verwunden,
Sind's Rosen, die hier steh'n ?
Ich muß vorübergeh 'n
Und zähle dunkle Stunden.
Ein Lied klingt aus der Weite :
Wer singt so weich und warm ?
Mein Herz ist still und arm,
Wer tritt an meine Seite?
Wer will die meine fassen ?
Ich suche eine Hand,
Ein Herz, das treu verwandt,
Ich nimmermehr will lassen !
Vida Jeray.
Für unsere Kriegsblinden.
— Vier Millionen für die österreichischen Kriegs-
blinden. Drei Millionen flössen bisher durch Spenden bei dem Tag-
blatt »Neue Freie Presse« ein. An der Spitze steht die Sammlung
des Kommerzialrates H. Grimm mit über zwei Millionen für die
»Kriegsblindeiiheimstätten«, während die Sammlung für »Erblindete
Angehörige des Heeres« eine Million überschritten hat. Rechnet man
hiezu die »Conrad von Hötzendorfstiftung« und die Sammlungen ver-
schiedener Blätter in Wien und in der Provinz, so dürfte die vierte
Million voll sein. Wenn uns etwas über das Schicksal unserer erblin-
deten Helden beruhigen kann, so ist es dieses zu edelster Opfer-
willigkeit erblühte Mitgefühl weiter Bevölkerungskreise, hervorgerufen
und wachgehalten von tatkräftigen Männern, denen die Ehre gebührt,
eine Kulturarbeit ersten Ranges gefördert zu haben.
— Auszeichnung eines Kriegsblinden. Am 1. Mäiz 1. J. wurde in
der Odilien-BIindenanstalt in Graz der KriegsbHnde Titular-Gefreite Heir Peter
Pailer mit der silbernen Tapfeikeitsmedaille^I. Klasse feierlich dekoriert. An der
erhebenden Feier, bei welcher der Sängerbund der Anstalt zwei Lieder vortrug, be-
teiligten sich sämtliche Kriegsblinde und eine Veitretung von Offizieren, darunter
Leutnant Robert Hren, der am 7. Juni 1916 die Kompagnie des Pailer bei der
blutigen Erstürmung des Monte Meleta in Norditalien kommandierte. Bei dieser
Erstürmung zeichnete sich Pailer in hervorragender Weise aus, zog sich abei eine
schwere Verwundung und gänzliche Erblindung zu. Der Dekorierte war vor seiner
Einberufung Lehrer in Heilbrunn und erhält in der Odilien-BIindenanstalt Unterricht
in Blindenschrift, Maschinschreiben und Musik.
— Trauungen von Kriegsblinden. In Wien vei heiratete sich der
22 jährige KriegsbHnde Franz Winker mit der 20jähiigen Barbara Graf.
Winker hat auf dem russischen Kriegsschauplatze einen Kopfschuß erlitten, welche
seine Erblindung auf beiden Augen zur Folge hatte. Für sein tapferes Verhalten
Seite 718. Zeitschrift für das österreichische BHndenweseti. 4. Nummer.
\varWini<er zum Feld\vel>ei befördert worden. Während seiner Krankheit wid-
mete ilim seine Braut die zärtüchste Fürsorge und sie entschloß sich mit dem
jii^rendlichen, vom Schicksal so schwer betroffenen Helden zum Traualtar zu schrei-
ten. Dem Kricgblinden wurde eine kleine Trafik im 4. Bezirk, Schaumburgerstraße Nr 4,
verliehen.
Dienstag, den l3. März 1. J., fand in der Garnisonskirche in Brunn die Trauung
dreier erblindet aus dem Kriege zurückgekehrter Soldaten statt. Dem Trauungsakte,
dem u. a. Oberst Langer, Oberstabsarzt Professor Dr. Schmeichler, Hofrat
Ritter von Chlumecky, Direktor Wokurek beiwohnten, folgte eine von der
I.andeskommission zur Fürsorge für heimkehrende Krieger und vom »Kaiser-Franz-
Joscf-Jubiläums-Vereine zur Fürsorge für männliche Blinde in Mähren und Schlesien«
veranstaltete Hochzeitsfeier' im Lehrlingsheime des Mährischen Gewerbevereines,
bei der außer den Angehörigen der Neuvermählten die anderen dort unterge-
brachten Kriegsblinden Gäste waren, und zu der sich auch die der Füisorge für
die Kriegsblinden nahestehenden Persönlichkeiten eingcfunclen hatten. Hofrat Ritter
von Chlumecky hielt in beiden Landessprachen an die Hochzeitsgäste eine
sinnige, rührend-herzliche Ansprache. Ein Tag schönster Freude für das Kriegs-
blindenheim, für die blinden Soldaten dort, erhebend ihr Gemüt in dem lebhaften
Empfinden, wie- viel liebevolle .Sorge um sie ist und daß auch sie teilhaben an
dem Glücke des Lebens.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand E|nde März 1. J.
— Neue Freie Presse: 1,074.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 2,154.000 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 365.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 55.000 K.
— Reichspost: 23.600 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 22.000 K.
Verschiedenes.
— Helen Keller heiratet. Wie man aus New-York meldet, hat sich
Miß Helen Keller, die bekannte blinde und taubstumme Schriftstellerin, mit ihrem
langjährigen Sekretär verlobt. Die Hochzeit soll bald stattfinden.
— Ein neuer Ersatz für verlorene Augen. Bisher war das übliche
Material zum Ersatz eines verlorenen Auges bekanntlich das Glas, und die Erzeu-
gung von Glasaugen ist auch tatsächlich bereits eine ziemlich vollendete Kunst ge-
worden. Nun hat man eine ganz neue Methode gefunden, um ein verlorenes Auge
zu ersetzen. Von der Absicht ausgehend, ein künstliches Auge herzustellen, das sich
den Veränderungen der Augenhöhle mehr anpaßt, hat man zu Gummi gegriffen.
Und zwar verwendet man zur Herstellung des vorderen Augapfelteiles Hartgummi,
der, mit einer Emailschichte versf hen,7einen sehr 'natürlichen Eindruck machen
soll, und zur Herstellung der hinteren Augapfelhälfte weichen Kautschuk, der wie
cm Ballon hohl und mit Luft gefüllt ist. Die »Hohiaugen«^ sollen ihrem Zweck in
jf<^^'' ^^'"sicht entsprechen. Sie sind weich und elastisch, folgen den Bewe;-uigen
der Augenhöhle und haben den Vorzug, unzerbrechlich zu sein,
— französische K r i e'gsbli n d e als Funker. In Frankreich v^.irden
neben der Errichtung der üblichen Blindenheime und sonstiger gebräuchlicher Ar-
stalten mehrfach Lehrmethoden angewandt, um die für die Blinden geeignetsten
Berufe festzu.stellen. Am bemerkenswertesten ist hier die Verwendung der Kriegs-
blinden im Telephon- und T( legiaphendienst, ganz besonders in der drahtlosen
lelegraphie. Während bei der Telegraphie mit Draht der vermittelte Text auf
lapiei streifen aufgezeichnet und einfach abgelesen wird, geht bei der >"rahtlosen
lelegraphie die Vermittlung lediglich auf dem Wege der Akustik vor sich. Die
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Biirklen,
J. Kn<-is, A.T.Hor»ath, F. Uhl. — Druck Ton Adolf^Eiiglisch.'Purkersdorf bei Wien.
Zeichen sind nicht sichtbar, sondern werden beim Klappern des »Empfängers«
abgehört. Da größere Entfernungen schwächer klingende Zeichen und darum eine
um so empfindlichere Gehörfähigkeit bedingen, wie sie sich ja bei allen Blinden
stets ausbildet, eignen sich die Kriegsblinden vorzüglich zur Verwendung im
staatlichen Dienst der drahtlosen Telegraphie. Vermöge der besonderen Schärfe
ihrer Gehörnerven ist sogar zu erwarten, daß sie in diesem nützlichen und wichti-
gen Berufe ihren sehenden Kameraden nicht nur an Leistungsfähigkeit gleichkommen,
sondern sie sogar übertreffen können.
— Wettbewerb. Ein blinder Mann bittet mich, ihn über die Straße zu
führen. Wir sind noch nicht drei Häuser weit gegangen, so bietet er mir Wichs-
bürsten und Kammputzer an. Ich solle ihm doch etwas zu »lösen« (verdienen) geben.
Er ist ein Jude aus Ostgalizien, steht ganz allein da und ist seit vierzehn Jahren
blind. Auf der Straße bittet er um Führung und macht so Geschäfte. Es geht ihm
schlecht, das Leben ist ihm zur Last. Und mit der Schlauheit seines Volkes sagt
er bedrückt: »Jetzt wird es noch viel ärger werden. Auf einmal diese Konkurrenz!
Die Zivilblinden tun keinem mehr leid!« Er hat ganz recht. Das Blindenelend
trägt nichts mehr — die Konkurrenz ist zu groß.
(Arbeiterzeitung),
— Lord Grey vor der Erblindung. Lord Grey ist auf seinem
Landsitz in Fallodon sehr schwer erkrankt. Schon seit Jahren wurde er von einem
peinlichen Augenleiden gequält, das ihn schließlich an der Arbeit verhinderte. Jetzt
ist er von vollständiger Erblindung bedroht, die auch durch eine Operation kaum
noch wird behoben werden können. Lord Grey hat das 60, Lebensjahr noch
nicht erreicht.
Bücherschau.
— Paul H. Perls: Kriegsblindenbeschäftigung in der Werk-
statt. (Sonderdruck aus »Werkstattstechnik« 1917, Heft 2, J. Springer, Berlin.) Eine
dankenswerte Erscheinung, die uns zum eistenmale von der praktischer Möglichkeit,
Blinde im Fabriksbetriebe zu beschäftigen, unterrichtet. Es sind die Siemens-
Schuckertwerke in Siemensstadt bei Berlin, wo diese Verwendungsmöglichkeiten
von Blinden und Kriegsblinden bei der Massenherstellung von elektrischen Installa-
tionsmaterialien erprobt wurden. Die Erfolge sprechen genug für sich, denn es stellte
sich heraus, daß blinde Arbeiter sich nicht nur bald eingewöhnen, sondern einen
Stundenverdienst von 55 Pf. zu erzielen vermögen. Die von den Kriegsblinden ge-
leisteten Arbeiten werden in Ausführung und Arbeitszeit genau beschrieben, so daß
sie auch einen Hinweis auf die Verwendung in anderen Betrieben bieten. Einrichten
der Maschinen sowie Zu- und Wegschaffen der Materialien werden von Sehenden
besorgt. Ebenso ist eine besondere Sicherung der Maschinen notwendig. Kranken-
kasse- und Invalidenversicherung fallen zu Lasten des Arbeitsgebers. Die Stimmung
der blinden Arbeiter ist im allgemeinen gut, da sie mit Gesunden zusammenarbeiten
und auf diese Weise genügend Abwechslung haben. Für die Lösung der Arbeits-
frage Blinder im Fabriksbetriebe wird sehr richtig die persönliche Anteilnahme
des Arbeitsgebers betont und es gereicht den Siemens-Schuckertwerken zur hohen
Ehre, in einer so edlen Sache mit überzeugendem Beispiele vorangegangen
EU lein.
Zur Beachtung !
fln die Besitzer von wertvollen, in Blindenschrift übertragenen Werke,
weldie in den Blindenbibliotheken nicht vorhanden sind, stellen wir, falls
die Bücher verliehen werden, das Ersuchen um Bekanntgabe der Buchtitel.
Durch die Veröffentlichung sollen die Werke der flllgemeinheit zugänglich
gemacht werden.
von Oskar Picht,
Bromberg.
A für Punktschrift M 85.80 B für gewöhnliche Schrift M 80.
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Wien, XVII., Hernaiser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorscliulpflichtiiTen Alter aus allen österreichi-
schen Kronländera auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung?.
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Wien XVIII, Währinger Gürtel 136
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Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
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G 4 Kronen, D
n Einzelnummer LI
n 40 Heller. ^1
4. Jahrgang.
Wien, Mai 1917.
5. Nummer.
HiHHLT: Ignaz Krieger, Wien: Die internationale Hilfssprache Esperanto und
die Blinden. Dr. Josef Hartinger, Graz: Die Berufswahl der Kriegsblinden
aus dem Mannschaftsstande mit besonderer Berücksichtigung der alten
Blindengewerbe. Personainachrichten. Aus den Anstalten. Rus den Ver-
einen. Für unsere Kriegsblinden. (RItes und Neues. Ankündigungen).
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B=
-B
3~Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
g Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. ^
Ulm wP
B=
/Jtes und Neues.
Der Hund als Blindenführer.
Die Idee, den Hund als Blindenführer zu benützen, ist schon alt.
Es sind anch einzelne Fälle bekannt, in welchen sie praktisch zur
Anwendung gekommen ist, doch handelte es sich hier nur um ver-
einzelt dastehende F'älle.
In der heutigen Zeit, wo der furchtbare Krieg den Blinden
wieder neue Schicksalsgenossen zugeführt hat, ist man der Frage,
ob sich der Hund als Blindenführer eignet, wieder nähergetreten. Die
Gesellschaft zur Ausbildung von Sanitätshunden in Deutschland hat
sogar schon in mehreren Städten begonnen, die braven Tiere zum
Führen der Blinden zu erziehen. So auch bei uns in Bremen, und
hier hat sich durch die praktische Handhabung der Dressur Herr
Polizeileutnant Meißner ein besonderes Verdienst erworben. Um die
Ausbildung einiger Hunde gleich gründlich und für die Zukunft zu
betreiben, hat er bremische Blinde dazu herangezogen.
Bekanntlich eignet sich der deutsche Schäferhund wegen seiner
Intelligenz und Treue am besten zum Sanitätshund. So auch als
Führer eines Blinden. Durch ein leichtes Ledergeschirr, das am Rücken
des Hundes einen Handgriff hat, den der Blinde erfaßt, ist es letz-
terem möglich, jeder Bewegung des Hundes zu folgen. So, „bei Fuß"
neben dem zu Führenden hertrottend, weicht er jedem sich in den
Weg stehenden Hindernis getreulich aus. Bei Straßenübergängen
verlangsamt der vierbeinige Führer einige Schritte vor dem Saumstein
seinen Gang, am Saumstein setzt er sich. Auf das Kopimando des
Blinden „führ weiter" überschreitet er, wenn keine Gefahr vorhanden,
langsam die Fahrstraße. Ist der Verkehr zu stark, folgt er dem Kom-
mando noch nicht. Ist aber die Straße überschritten, so wiederholt
sich das Manöver von vorhin: Der Hund setzt sich kurz vor dem
Saumstein, um dessen Vorhandensein zu melden.
Ebenso interessant wie erstaunlich ist es, daß der Hund auf
bestimmte, ihm vorgesprochene Befehle und Wünsche s,eines ihm zur
Hut anvertrauten Blinden hört. Zum Beispiel auf der Promenade:
„Führ zur Bank!" und bei der nächsten Bank wird Halt gemacht.
Oder : ,,Zur Treppe !" und vor der gedachten Treppe setzt sich das
kluge Tier nieder. Hat der Blinde einige Male mit seinem Führer
bestimmte, und seien es auch weite Wege, gemacht, so braucht er
ihn nur an ein bestimmtes Stichwort zu gewöhnen und, sobald er es
erfaßt hat, führt er ihn selbständig und sicher ans Ziel. Verliert der
Blinde irgendwelche Gegenstände, so kann er sicher sein, daß ihm
sein führender Freund alles unversehrt wieder' zuführt. — Ich selbst
gehöre zu denjenigen Blinden, die man zur Ausbildung der Hunde
herangezogen hat und kann, zusammenfassend, nur sagen, daß ein
später Erblindeter in einem guten Hunde nicht nur einen wackern
F"ührer, sondern auch einen treuen Freund und Gesellschafter finden
wird. Dies wird aber besonders der Fall sein, wenn ihm das Tier
ganz zu eigen gehört. Es wird sich dann noch als bedeutend leistungs-
fähiger erweisen, da es auf die Individualität, auf die Eigenarte und
Gewohnheiten seines Herrn eingehen kann. Möchten diese Zeilen für
manchen älteren oder neueren Schicksalsgenossen ein Fingerzeig sein.
Theodor Oelrichs, Bremen.
4. Jahrgang.
Wien, Mai 1917.
5. rSunnmer.
im^'s^^^^^^^^^-^'^MMm^^mw^^^m^mm'^^^mm^^^^^^^m^^^^^m^^mm
^ *Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch; wer uns ».
^ mitleidig macht, macht uns besser und tugendhafter. « ^
g G. E. Lessing. g
Die internationale Hilfssprache Esperanto
und die Blinden.
Von Ignaz Krieger.
Ausschußmit>^lied des I. öst. Blindenvereines in Wien.
Grat Leo Tolstio sagt: »Die Opfer, welche jeder gebildete
Mensch bringt, indem er wenige Zeit dem Studium des Esperanto
widmet, sind so klein und die Erfolge, welche damit erreicht werden,
so groß, daß es kein Gebildeter unterlassen sollte, den Versuch zu
machan«. Jeder, der sich" ernstlich mit dem Studium des Esperanto
befaßt hat, so angelegentlich wie er es etwa mit dem Erlernen irgend
einer anderen Fremdsprache tat, weiß sehr wohl, wie recht der russi-
sche Geisteshe.roe hat und daß man nach 4 bis 5 Monaten schon viel
tüchtiger im Esperanto ist, als dies in anderen Fremdsprachen nach
4 bis 5 Jahren denkbar sein kann. Überdies erfordert das Studium des
Esperanto unvergleichlich weniger Lernenergie und Gedächtnisarbeit.
Man benötigt dazu hauptsächlich ein gutes Sprachgefühl und die genaue
Kenntnis der Grammatik der INkittersprache. Mit diesen Voraussetzungen
kann man das Esperanto sogar schon nach 6—8 Wochen sehr gut
beherrschen. Somit könnte jeder Mensch, selbst der einfache Arbeiter,
neben seiner teuren, trauten Muttersprache auch das Esperanto ohne beson-
dere Opfer erlernen, um schon nach wenigen Monaten internationale
Beziehungen unterhalten zu können z. B. der Gelehrte aui seinen
Kongressen, der Kaufmann aut seinen Geschäftsreisen usw. Durchaus
Am 15. April 1. J. starb in Warschau der Erfinder des »Esperanto« Dr. Lud-
'-' wig Zamenhof. »Esperanto« bedeutet eigentlich *Der Hoffende« und war das
^' Pseudonym des Erfinders, der seine Sprache im Jahre 1887 unter dem Decknamen
^i. Dr. Esperanto veröffentlichte.
Seite 724. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 5. Nummer.
nicht zum Wenigsten könnte der Arbeiter aller Kategorien bei seiner
Arbeitssuche im Ausland mittelst des Esperanto über die Sprach-
schvvierigkeiten sich hinweghelfen.
In der Tat haben ja auch eine große Anzahl bedeutender Autori-
täten aui dem Gebiete des Schulwesens im Kampf um die Hebung der
Schulbildung für die unteren Volksschichten die Einheitsschule gefordert,
wobei vor allem die obligatorische Einführung des Esperanto mit
Nachdruck betont wird. Es wären die zwangsweisen Lehrfächer aus
anderen F"remdsprachen aus der Einheitsschule dem Spezialstudium und
der Liebhaberei in den höheren Schulen zu überlassen. Von der Kennt-
nis und guten Handhabung des Esperanto ausgehend, würden die
Fremdsprachen um vieles leichter und zweckmäßiger erlernt werden
können. Das Esperanto ist ja so vortrefflich dazu geeignet den Schüler
zu zwingen, daß er nachdenke über das innere Wesen der Menschen
überhaupt und daß der Schüler sich gewöhne, immer ganz klar und
sicher zu erfassen, was er auszudrücken hat. Es hält zu absolut logi-
schen Denken und sinngemäßen Gedankenausdruck an. Die
Forderung nach Einführung der »Einheitsschule« mit obliga-
torischer Pflege des Esperanto hat vor Kurzem sogar einen mächtigen
politischen Widerhall gefunden in der Rede des Dr. Steche, der im
Namen seiner Gesinnungsgenossen im sächsischen Landtag in dieser
Richtung einen Antrag einbrachte und die Sympathie sogar der Unter-
richtsbehörden fand. Sowie die Dinge heute liegen, muß sich jeder, der
eine fremde Sprache braucht, viele Jahre gehörig abmühen, um dann
am Ende doch nur Dilettant darin zu bleiben. Will jemand gar zwei
oder mehrere Fremdsprachen können, dann wird diese Aufgabe seine
ganze Geisteskraft in Anspruch nehmen und ihm nicht viel Zeit übrig
lassen, seine Bildung vielseitig zu gestalten. Wieviel Energietüchtigkeit,
Zeit und Geld wird so vergeudet, während sich alles anders, viel, viel
besser umsetzen könnte in neuschaffende Kraft, erfinderische Tätigkeit,
auf dem Gebiete der Kunst, Wissenschaft und des Handels. Wie sehr
befruchtend und erleichternd würde eine durchaus neutrale, internatio-
nale Hilissprache wirken können auf das geistige und wirtschaftliche
Znsammenleben der Völker!
Allerdings hört es sich gerade jetzt, in der düsteren Zeit der haß-
erfülltesten Völkerentzweiung fast wie eine L'onie an, von einer inter-
nationalen Hilfssprache zu reden. Jedoch wie entsetzlich auch immer
der Krieg entarten mag, es kann ja nicht anders kommen, als daß die
niedergetretene Menschlichkeit sich tief beschämt wieder aufrafft und
einen geläuterterten, desto gefestigteren »Internationalismus« im Wirt-
schafts- und Geistesleben begründet, welcher laut und unwiderleglich
nach einer Hilfssprache rufen wird. Aus der wissenschaftlichen Kriegs-
literatur von heute ließen sich eine sehr Anzahl von Belegen aufzählen,
wie Gelehrte auf allen Wissenswegen, Kaufleute, Politiker u. s. w. hier-
über denken, und wie man fast allgemein nur dem Esperanto das
Wort redet, neben dem »Volapük« und dem »Ido« als den drei
konkurierenden Versuchen einer internationalen Hilfssprache. Neben
dieser Beweisfülle aus Büchern, wäre auch eine Unmenge an praktischen
Tatsachen zu zitieren, welchen Nutzen das Esperanto selbst im Kriege
stiftet, wie lebensfähig und existenzberechtigt es bleibt. Wohl beklagt
5. Nummer. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen. Seite 725
es manche schwere Einbuße ; dennoch ist das Wirken der zahlreichen
Esperantovereine nirgends ernstUch zerstört, sondern nur beeinträch-
tigt, erschwert. Leider erlaubt es die Raumfrage nicht, auf alles das
näher einzugehen ; es mögen nur wenige Tatsachen gestreift werden.
In Österreich zählt man mehr als 250 Esperanto- Organisationen in allen
Volksschichten und politischen Richtungen. Es gibt hier 5 Esperanto-
Zeitungen. Der Lehrerverein »Esperanto« in Wien, Hammerlingplatz 8,
veranstaltet Kurse über Esperanto für Lehrpersonen. Am letzten nahmen
24, am vorletzten 21 Lehrpersonen teil. 9 Lehrkräfte unterzogen sich
der Reifeprüfung für die Unterrichtserteilung in Esperanto vor einer
Prüfungskommission, welche sich aus Wiener Lehrern und aus Ver-
tretern des internationalen Sprachenkomitees zusammensetzt. Herr Schul-
inspektor Prof. Dr. Kammel empfahl in der Schulleiterkonferenz für
den XIV. und XV. Bezirk dringend den Schulleitern, sie mögen die
Aufmerksamkeit der Lehrerschaft auf das Esperanto lenken. Mehrere
Wiener Lehrkräfte erteilen sehr erfolgreich Esperanto -Unterricht an
Abiturienten der Volks-, Bürger- und Mittelschulen unter den Augen
der hohen Unterrichtsbehörden. Letzthin hat das k. k. Unterrichts-
ministerium mittels Erlaß die Abhaltung von Lesungen über Esperanto
an der technischen Hochschule in Wien verfügt und zum Lektor in
diesem neuesten Lehrfache Herrn Direktor Schamanek bestellt. In
Deutschland erscheint unter den Augen der hohen Reichsregierung die
halbmonatliche Esperanto-Zeitung »Internaria Bultem«, welche so wie
der »Deutsche Esperantodienst« bestrebt ist, die Lügen und Verleum-
dungen der feindlichen Presse im neutralen Ausland zu entkräften.
Allenthalben werden in Deutschland Stimmen laut, die verlangen, man
möge durch Einführung des Esperanto die Vorherrschaftstellung des
Englischen als Welthandelssprache zu brechen versuchen. In Frankreich,
wo Esperanto, noch bedeutend mehr floriert, fordern starke politische
Strömungen, es sei mittels des Esperanto das. verhaßte Deutsch zu ver-
drängen usw. Der spanische König, selbst ein eifriger Esperantist,
sieht sehr gerne die Pflege des Esperanto in seiner Armee. Auf dem
Plsperantoweltkongreß im Kambridge, ferner in Dresden und in Barce-
lona übernahm der englische König resp. der König von Sachsen und
Spanien das Ehrenpräsidium. Auf dem Kongreß zu Dresden wurde
Goethes »Iphigenie auf Tauris«-, von Dr. Zamenho f in Esperanto über-
setzt, von bedeutenden Schauspielern Deutschlands aufgeführt. Königin
Elisabeth von Rumänien (Carmen Sylva), selbst eine begeisterte
Esperantistin, empfing im Jahr 1907 in ihrem Sommerpalast in Sinaia
die blinden Esperantisten Rumäniens und Bulgariens. Sie war eine der
ersten, welche in ihrer neugegründeten Blindenstadt »Vatra luminoasa«
das Esperanto als obligatorisch einführen ließ.
Aber selbst wenn diese vielen untrüglichen Anzeichen, daß das
Problem einer internationalen Hilfssprache unbedingt seiner Verwirk-
lichung entgegengeht, nicht bestünden, so wäre trotz allem für die
Blinden der gesamten Kulturwelt eine unwiderleglich nützliche und
zweifelsohne ganz durchtülirbare Forderung nach Einbürgerung des
Esperanto als internationale Hilfssprache unter ihnen gegeben. Schon
heute steht jeder Gemütsempfängliche und einigermaßen geistig reg-
same Blinde mit warmer, voller Sympathie dieser Idee gegenüber und
Seite 726. Zeitschritt für das östcreichische Blindenwesen, 5. Nummer.
bedauert es, daß er als Erwachsener nicht Gelegenheit hat, es nach-
träglich zu erlernen. Die Sorgen und Beschwerden des Alltages und
viele andere Ungunst der Umstände lähmen ihm die Energie und
Spannkraft zum Lernen oder rauben ihm die nötige Zeit und Ruhe
hiefiir. Jeder nur halbwegs denkende und fühlende Blinde sagt sich,
daß die Blinden aller Welt durch das gleiche harte Unglück mit seinen
überall gleichen Seelenleiden und Alltagsbeschwerden schon von
Natur aus eine innige, feste Gemeinschaft bilden. Wie immmer auch
der Krieg auf moralischem Gebiet verwüstend wirken mag, die Blinden
kann er doch einander nicht entfremden. Wahrlich uns fehlt nur noch
das äußere Bindemittel. Die ersten bescheidenen Ansätze zur Verwirk-
lichung dieser Idee bestehen bereits; die in Esperanto erscheinende
Braillezeitung »Esperanta ligilo« vereinigt nämlich schon heute ganz
augenfällig mehr als 1000 Blinde aus 27 Kulturländern der Welt, da-
runter aus Mexiko, Peru, Ostsibirien, Aegypten usw. Im »Esperanta
ligilo« (Bindeglied) fand ein internationaler Austausch über Erfahrungen
und Beobachtungen aller Art statt, man erteilte sich gegenseitig Rat-
schläge und Auskünfte über neue Blindenbehelfe und Lehrmittel und
einsciilägige Erfindungen. Esperanto war im Begriff, den Blinden eine
Wanderbibliothek zu gründen, besonders für wissenschaftlichhe Werke
und Fach-Zeitschriften in Brailledruck würde Esperanto eine ungeheure
Steigerung der Rentabilität bedeuten. Esperanto begann auch, der
»Internationalen Vereinigung blinder Musiker« sowie der >Internationalen
Vereinigung akademischer Blinder« wertvolle Dienste zu leisten. Ferner
vermittelt es die internationale Pflege des Schachspiels.
Diesem jungen grandiosen Blindenwohltäter standen die berufenen
Blindenerzieher allerorts l:)isher nur allzu zuwartend oder skeptisch,
wenn nicht gar ganz teilnahmslos gegenüber. Man überließ und über-
läßt die Verbreitung des Esperanto unter den Blinden mehr oder
weniger sich selbst und den schvi'achen Werbekräften der wenigen
Blinden, welche trotz des Tages Mühen und Sorgen, dennoch soviel
Zeit und Idealismus erübrigen, für dieses Problem zu wirken. Gewiß
haben die Blindenanstalten in Paderborn durch Herausgabe der »Es-
peranto Grammatik« und das k. k. Blindenerziehungs-Institut in Wien
durch Drucklegung des »Esperanto-deutschen Wörterbuches« sich ein
großes dauerndes Verdienst erworben. Noch fehlt uns deutschen Blinden
aber das wichtigere Deutsch-Esperanto Wörteibuch und ein Lehrbuch
für Fortgeschrittene. Der internationalen Esperanto-Blindenwelt gebricht
es fast vollständig an Lesestoff. Wann werden die Blindenerzieher auch
in dieser Hinsicht eine wirksame Iniziative ergreifen und nicht alles
unserer Selbsthilfe überlasssen ? Als solche Selbsthilfe stellen sich die
Bemühungen der deutschländischen blinden Esperantisten dar,
welche im Blindenverlag A. Wen dt, Berlin eine Esperantoliteratur her-
zustellen trachten. Bei Schafifung von Lesestoff könnte man gewiß in
normalen Zeiten auf materielle Förderung von Seite der sehenden
Esperantisten rechnen. Wir wenigen Blinden aber können die Esperan-
toidee nur ungemein langsam vorwärts bringen, denn der erwachsene
Blinde ist ja, wie schon gesagt nur sehr schwer und selten zum nach-
träglichen Studium des Esperanto zu bewegen. Auf die Blindcnjugend,
als dem geeignetsten Werbematerial, haben wir außenstehende Kollegen
r
5. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenvvesen. Seite 727.
keinen Einfluß. So geht es denn so schrecklich langsam vorwärts, so
bleibt es denn beharrlich bei dem Anschein, als ob das Esperanto
eigentlich nur eine Utopie, ein Schreibtischideal wäre. Wie aber, wenn
die Blindenjugend schon in der Schule das Esperanto als obligat lernen
würde ; in einem lernlustigen, empfänglichen Alter, noch unberührt vom
Realismus des Erwerbslebens, noch unbeirrt vom Widerstreit spraciien-
politischer, chauvinistischer Hetzereien. Die Unterrichtsbehörden wären
wohl sicher hietür zu gewinnen. Einer Mehrbelastung des jugendlichen
Intelektes wäre durch manches Kompromiß bezüglich des Lehrstoffes
zu begegnen. Für die Blinden gäbe es vielleiclit eine neue kleine
Erwerbsgelegenheit, für einige Nichtsehende ein anregendes Arbeitsfeld
in Blindenanstalten. In anderen Blindenschulen zu Paris, St. Mande,
Dijon, Woluwe, (Belgien), Prag, Kopenhagen, Tomteboda, Stockholm,
Boston, Bukarest, Sofia, usw. ist man bereits daran gegangen, das
Esperanto obligatorisch zu lehren. Was dort möglich ist und als schön
und nützlich erkannt wurde, muß also doch auch endlich bei uns zu
Lande platzgreifen können. Sagte doch z. B. Dr. Prof. Henry Dor
gelegentlich des internationalen Kongresses zur Besserung des Loses
der Blinden 1911 : »Der intelligente Blinde, der ja nicht unsere Zer-
streuungen und Beschäftigungen kennt, würde die Grammatik des
Esperanto schon nach einer Stunde beherrschen und nach drei, vier
Monaten das Esperanto sehr tüchtig brauchen können ; es würde ihm
eine Quelle reichster Genüsse und weittragendster Vorteile werden. Ich
bitte Sie also dringend, meine Herren, für die Einführung des Esperanto
in den Blindenschulen zu stimmen !« Desgleichen hat auch die »Inter-
nationale Gesellschaft zur Unterstützung der Blinden«, auf ihren Kon-
gressen in Neapel und Kairo, einstimmig den Wunsch ausgedrückt,
daß das Esperanto eingeführt werde.
So mögen sich denn auch bei uns wirksame Faktoren des Blin-
denwesens finden, welche unser teures Esperanto durch großzügige,
w^erktätige Förderung seiner grandiosen Bestimmung für die Blinden
entgegentragen. Es ist sicher, daß die Geschichte der Blindenkultur
die Namen derjenigen Männer mit Dankbarkeit und Ehre verzeichnen
wird, welche sich des Esperanto annehmen.
Möchte doch mit Wiederkehr normaler Verhältnisse auch lür das
Esperanto ein gründlicher, segensreicher W^andel der Dinge anbrechen
und zur »internationalen, gemeinsamen Blindenschrift« Braille's sich
endlich auch die »internationale, gemeinsame Blindensprache« Dr. Za-
menhofs gesellen!
Die Berufswahl der Kriegsblinden aus dem Mannschaftsstande
mit besonderer Berücksichtigung der alten Blindengewerbe.
Von Direktor Dr. Josef Hartinger, Graz.
Es handelt sich hier um die erblindeten Krieger aus den körper-
lich arbeitenden Ständen, bei welchen die Verhältnisse betreffs ihrer
Berufswahl ungleich günstiger liegen als bei den gebildeten Kriegs-
blinden. Ist schon die Zahl der Intelligenzberufe für die im Felde
Erblindeten verhältnismäßig groß, so besteht für die arbeitende Klasse
Seite 7L'8. Zc-itsrhiift tiir das österreichische Blindenwesen. 5. Nummer.
eine noch weit gröi3ere Reichhaltigkeit der Beriifsmöglichkeiten, in
welchen vollwertige und einträgliche Leistungen zu erwarten sind. Die
Zahl dieser Berufe ist für die Kriegsblinden weitaus größer als für
die Zivilblinden, und die Verhältnisse in denselben sind bei weitem
günstiger, schon deshalb, weil die Kriegsblinden aus der Zeit vor
ihrer Erblindung die nötige Weltkenntnis besitzen, weil die Fürsorge
sie mit dem nötigen Betriebskapital ausrüstet, und weil das Wohl-
wollen der Öffentlichkeit sich ihnen in höherem Grade zuwendet als
den übrigen Blinden. Durch die angestrengten Bemühungen hoch-
verdienter Freunde der Kriegsblinden ist diesen jetzt eine ganze Reihe
von Berufen und Beschäftigungen zugänglich geworden, an welche
die Blinden vor dem Kriege nicht im Traume gedacht hätten. Diese
große Zahl und Mannigfaltigkeit der neuen Blindenberufe ist hoch
erfreulich, weil dadurch der Neigung und Begabung ein größerer
Spielraum gelassen ist, und weil besonders in großen Städten die
alten Blindengewerbe bei der großen Zahl der Blinden und der gegen-
seitigen Konkurrenz längst nicht mehr ausreichend waren. Man kann
ruhig behaupten: Die Mannigfaltigkeit der Berufe ist derart, daß jedem
blinden Soldaten ein Beruf zugänglich ist, der seinen Neigungen,
Fähigkeiten, Bedürfnissen und Verhältnissen l^illiger Weise entspricht
und der geeignet ist, eine gute Verdienstmöglichkeit und eine wahre
Berufsfreudigkeit zu gewähren, wenn anders der Mann guten Willen
und einige Fähigkeiten besitzt und seine Ansprüche und Erwartungen
nicht unvernünftig hoch spannt. Eine erschöpfende Aufzählung der
Berufe und Beschäftigungen, welche für die blinde Manschaft zugäng-
lich sind, läßt sich wohl nicht geben.
Folgende Grundsätze, die sich besonders auf die Kriegsblinden
aus dem Mannschaftsstande beziehen, sind gegenwärtig von den
Fachmännern wohl allgemein anerkannt :
1. Sollte jemand sich durchaus weigern, sich ausbilden zu lassen
und irgend einen Beruf zu ergreifen, so liegt ein gew^isser Druck zwar
im wohlgemeinten Interesse des Mannes, ein Zwang aber ist zu meiden.
Ist schon zu befürchten, daß manche von jenen, welche sich freiwillig
zur Erlernung eines Berufes melden, später das Erlernte nicht ausüben
Avcrden, so wäre dies bei einer erzwungenen Ausbildung, selbst wenn
sich der Blinde dem Zwange fügen sollte, wohl gewiß zu erwarten.
Doch sollte ein großes Hindernis der Berufsfreudigkeit beseitigt werden,
die sogenannte Rentenpsychose, die Furcht, daß durch die Ausübung
eines Berufes die Invalidenrente verkürzt werde. Diese Furcht besteht
tatsächlich vielfach und ist nur schwer zu beseitigen. Wenn auch
versichert wird, daß die Invalidenpension bei vollständig Blinden
durch die Ausübung eines Berufes nicht verkürzt werde, so besteht
doch das Gesetz v. 27. XII. 1895 in Kraft, welches die Invaliden-
pension nur jenen zuspricht, die militäruntauglich und vollkommen
erwerbsunfähig sind. Nach der vorläufigen Verfügung des K. M.
Erlasses v. 22. I. 1915 besteht allerdings "der Anspruch auf Invaliden-
pension auch dann, wenn neben der militärischen Dienstuntauglichkeit
die bUrgerhche Erwerbsfähigkeit gegen früher um wenigstens 20 "/o
geschmälert erscheint. Doch das genügt den Kriegsblinden nicht, sie
erwarten die vollständige Sicherstellung, daß bei gänzlicher und dauern-
5. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindcnwesen. Seite 729.
der Erblindung die Invalidenhauspension dauernd gewährt werde,
selbst wenn der Blinde einen Beruf ausübt und es dabei zu tüchtigen
Leistungen bringt. Solange eine solche formelle Zusicherung nicht
vorliegt — und meines Wissens ist bis jetzt keine vorhanden —
solange ist es unmöglich, diese Scheu der Kriegsblinden gänzlich und
allgemein zu überwinden. Sie sind nur zu sehr geneigt, etwaigen
Einflüsterungen dieser Art Gehör zu schenken. Doch halte ich es
immerhin für günstig, daß in der Odilien-Blindenanstalt von den
40 Kriegsblinden außer 2 verstümmelten, die zum Lernen gänzlich
unfähig sind, nur einer sich grundsätzlich, und 5 andere, darunter
4 Istrianer, sich nach anfänglichen Versuchen weigerten, einen Beruf
zu ergreifen.
2. Die Wahl des Berufes steht den Blinden frei. Es soll ihnen
kein Beruf aufgedrängt werden, zu dem sie keine F"reude haben.
3. Dessen ungeachtet muß eine Berufsberatung voraus gehen;
man geht ihnen bei der Wahl des Berufes an die Hand, wobei auf
Begabung und Neigung, auf die persönlichen Verhältnisse, die Zeit,
welche sie ihrer Ausbildung widmen wollen, die Verhältnisse in der
Heimat, die Absatzmöglichkeit u. a. Rücksicht genommen wird.
4. Als Ziel der Ausbildung gilt, die Kriegsblinden nicht dereinst
in Asylen das Erlernte ausüben zu lassen, sondern sie wirtschaftlich
selbständig zu machen, womöglich in ihrer Heimat, wo sie entweder
bei ihren Angehörigen bleiben oder sich ein eigenes Heim erwerben,
womöglich sich auch in der damit verbundenen kleinen Landwirtschaft
betätigen und eine Familie gründen.
5. Es ist soviel als möglich an den alten Beruf anzuknüpfen, der
entweder ganz oder teilweise wieder aufgenommen wird, oder ein
angrenzender Beruf zu empfehlen. Wo es die Verhältnisse erlauben,
so in den Städten und Industriebezirken, käme die Unterbringung in
Fabriksbetrieben in Betracht. Schließlich kommt das Umlernen auf
einen ganz neuen Beruf in Erwägung, auf ein Handwerk; hier kommen
nun die alten Blindengewerbe in Frage, vor allem das Bürstenbinden
und das Korbflechten. Der Tabakverschleiß und die Landwirtschaft
werden hiebei nicht als eigentliche Lebensberufe aufgefaßt, sondern
als Beschäftigungen, mit welchen ein Beruf verbunden wird, der sich
als Heimarbeit eignet.
Wie stellen sich nun die Kriegsblinden nach den bisher gemachten
Erfahrungen zu diesen Grundsätzen, vor allem zum letzten? In der
Odilien-Blindenanstalt entschloß sich kein einziger Handwerker, zu
seinem alten Berufe zurückzukehren, selbst wenn dieser nach dem
Urteile der Fachmänner auch für Blinde geeignet ist und tatsächlich
von manchen Blinden geübt wird. Ein gewesener Schuster, dem wir
Gelegenheit bieten wollten, zu seinem Berufe zurückzukehren, sagte
lachend, er sei viel eher imstande, Schuhe zu zerreißen als zu machen.
Ein Fabriksarbeiter in einem Eisenwerk weigerte sich, die Wieder-
aufnahme in seine Fabrik anzustreben, obschon er noch einen ziemlich
guten Sehrest besitzt. Als wir unseren Blinden sagten, daß es möglich
sei, in Fabriken unterzukommen, besonders in Munitionsfabriken, und
daß die Verdienstmöglichkeit eine verhältnismäßig gute sei, da machte
die Sache Aufgehen. Doch nur 2 überlegten ernstlich, einer meldete
Seite- 730. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 5. Nummer.
sich auch tatsächlich für die Munitionsfabrik, zog aber nachträglich
sein Ansuchen zurück. Sie wollten nicht in die Fremde, nicht fort
von ihrer Heimat, sich nicht trennen von ihrem Lieblingsgedanken,
einmal ein eigenes Anwesen ihr Eigen zu nennen. Die gewesenen
Landwirte und landwirtschaftlichen Arbeiter haben zwar ihre Freude
und ihr Interesse an der Landwirtschaft bewahrt, sie wollen auch zu
Hause sich weiter hierin nach Gelegenheit betätigen, doch fassen sie
dies nicht als einen eigentlichen Beruf für sie auf, ein einziger
ausgenommen.
Alle Kriegsblinden aus den arbeitenden Ständen, die sich überhaupt
zu einem Berufe entschlossen, wählten trotz der Berufsberatung und
der vollsten. Freiheit in der Wahl die alten Blindengewerbe, und zwar
das Bürstenbinden und das Korbflechten. Dabei war die Wahl keine
überstürzte, sondern wir ließen ihnen hinreichend Zeit zur Überlegung
Wie erklärt sich diese Erscheinung, während mitunter, besonders in
Deutschland, Stimmen laut wurden, es seien diese alten Blindengewerbe
den Kriegsblinden wenig zu empfehlen ! Gewiß spielt dabei auch der
Nachahmungstrieb eine Rolle, weil diese Berufe auch von sovlelen
anderen Blinden mit schönem Erfolge geübt werden, vielleicht auch
weil selbst ein blinder Hofrat sich unter die Korbflechter setzt und
das Handwerk lernt. Doch warum ahmen sie nicht auch die Matten-
und Sesselflechter nach? Warum entscheiden sie sich nicht auch für
das Maschinstricken? Auch aus den Berichten anderer Blindenanstalten
sehe ich, daß sich die Kriegsblinden mit Vorliebe den beiden genannten
Gewerben zuwenden, wenn auch nicht in dem Grade wie in unserer
Anstalt.
Diese beiden Gewerbe eignen sich eben in besonderem Grade
für die Heimarbeit und werden daher besonders von solchen Blinden
aus kleineren Städten und vom flachen Lande gewählt, welche wieder
in die Heimat zurückstreben und dort ein eigenes Heim besitzen
oder besitzen wollen. Und das trifft bei uns so vielfach zu. Diese
Berufe können sie wie kaum ein anderes selbständig und unabhängig
von der Hilfe der Sehenden ausüben, ohne besonders kostspielige
Einrichtungen, ohne geräumiges Arbeitslokal.
Die Erlernung ist nicht allzu schwierig ; bestimmte Arten von
Körben und Bürsten sind schnell erlernt. Nicht selten bringt der
Neuling schon am ersten Tage seiner Lehrzeit eine Bürste fertig, was
ihm zur Freude und anderen Neulingen zur Aufmunterung gereicht.
Das Handwerk Ist in kurzer Zeit soweit erlernt, daß es wenigstens
bescheidenen Ansprüchen genügen und ländliche Bedürfnisse befriedigen
kann. Sollte ein Blinder schon nach kurzer Ausbildungszeit nach Hause
streben, so kann man ihn ruhig ziehen lassen. Ein Gewerbeschein ist
zur Ausübung der genannten Gewerbe nach der kais. Verordnung
V. 7. XII. 1915, Reichsgesetzblatt Nr. 364, § 4, für Kriegsbeschädigte
nicht notwendig. Der gute Ruf der Blindengewerbe wird durch eine
kurze Ausbildungszeit der Kriegsblinden nicht leiden. Es kann ihnen
später immer noch Gelegenheit geboten werden, durch Kurse ihre
Kenntnisse zu erweitern. Die Erlernung dieser Handwerke rückt also
den Blinden das Ziel ihrer Sehnsucht, nach Hause zurückzukehren,
nicht in allzu weiter Ferne. Und doch bieten diese Handwerke den
5. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Biindenwcsen. Seite 731.
Begabten und Strebsamen Gelegenheit, Hervorragendes zu leisten an
Kunstfertigkeit, besonders in der Korbflechterei.
Die Blinden wissen es zu schätzen, daß ein Handwerk mit seiner
Vielseitigkeit sich vorteilhaft unterscheiden muß von der Fabriksbrbeit,
die sich auf das Gemüt eines Blinden besonders schwer legen müßte.
Diese Gewerbe sind und bleiben rentabel, ausgenommen in
großen Städten. Die Odilien-Blindenanstalt hat schon vor dem Kriege
nie alle Nachfragen befriedigen können, und kann es jetzt noch weniger.
Auch unsere blinden Korbflechter und Bürstenbinder außerhalb der
Anstalt finden stets guten Absatz. Die Anstalt wird den Kriegsblinden
bei Ausübung ihres Handwerkes an die Hand gehen mit Rat und
Tat, Besorgung von Materialien, Vertrieb der Waren.
Die Konkurrenz der Kriegsblinden mit den Zivilblinden auf
diesem Gebiete ist wohl kaum nennenswert. Die Zivilblindcn nähren
keine Eifersucht gegen die Kriegsblinden, da sie von der Kriegsblinden-
fürsorge ebenfalls einen großen Vorteil ziehen, dessen TragAveite jetzt
noch gar nicht übersehen werden kann. Wenn auch die Zahl der
Kriegsblinden absolut genommen eine traurige Höhe erreicht hat, so
ist sie doch weitaus nicht so hoch, als die erregte Phantasie des Volkes
sich ausmalt, und ist relativ sogar gering gegen die Zahl von 20.000
Zivilblinden Österreichs. Die Zahl der Kriegsblinden Österreichs beträgt
gegenwärtig ungefähr 400. Wenn auch davon hochgegriffen etwa 200
sich den genannten Gewerben zuwenden, so ist diese Konkurrenz
wohl gering gegen jene, welche von sehenden Bürstenbindern und
Korbflechtern, von den Großbetrieben dieser Art, von den Handwerkern
in den Strafhäusern, Flüchtlingslagern, Alters- und Invalidenhäusern
den blinden Bürstenbindern und Korbflechtern zugefügt wird. Hier
sollte der Hebel eingesetzt werden. Gönnen wir es den Kriegsblinden,
wenn sie sich aus eigenem Antriebe zu diesen Gewerben drängen.
Schon auf den fünften Blindenfürsorgetage in Wien i. J. 1914 wurde
der Antrag angenommen : ,,Die Tagung wolle eine Petition im Sinne
der Einschränkung und allmählichen Auflassung der sogenannten
Blindcngewerbc in den Strafhäusern bei der Behörde einbringen."
Diese Konkurrenz durch die Sehenden hat sich gegenwärtig nur noeh
bedeutend verschärft. Könnten sie nicht diese altehrwürdigen Blinden-
gewerbe den Blinden überlassen? Könnten die Gcwerbetörderungsinsti-
tute nicht den Zudrang zu diesen Gewerben hintanhalten?
Gegenwärtig stellt sich diesen beiden Gewerben eine weit größere
Gefahr entgegen als die Konkurrenz: Es ist dies der große Mangel
an Rohmaterial, besonders für das Bürstenbinden, sodaß wir gegen-
wärtig schon einige Bürstenbinder vom Unterrichte ausschalten mußten,
und daß Gefahr besteht, den Unterricht im Bürstenbinden gänzlich
einstellen zu müssen." Dieser Mangel ist verursacht durch den erhöhten
Bedarf der Heeresverwaltung, der Invalidenschulen mit ihren vielen
Korbflecht- und Bürstenmacherkursen, bei den Weidenkulturen durch
den Mangel an Arbeitskräften, bei den Bürstenmaterialien durch den
Ausfall der überseeischen Produkte, endlich durch den geringeren
Bestand an Pferden und Schweinen. Diese Not an Materialien ist der
letzte Beweggrund meines Referates. Alle unsere Bemühungen in
dieser Hinsicht waren vergebens. Das Pferdesammelkommando in Graz,
Seite 732. Zeitschrift für das österreirhische Blindenwescn. 5. Nummer.
(las uns triilier Pferdehaare abg^ab, hat diese lum an das Kriegsniinisteriuiii
abziilielcrn. Ich lialte es für aussichtsvoll, wenn das geehrte Kuratorium an
(las k. u, k. Kriegsministcriiim herantreten würde niitdem Ersuclien, die
Pferdesammelkommanden, ärarischen Gestüte u. a. mögen verhalten
werden, ihren Vorrat an Pferdehaaren den Blindenanstalten zum
Unterrichte für die Kriegsblinden zur Verfügung zu stellen. Die
Anstalten könnten dafür die Bestellungen für den Heeresbedarf aus-
führen. Bezüglich der Korbweiden könnte die staatliche Lehrwerk-
stätte für Korbflechterei abhelfen.
Ich beehre mich zinn Schlüsse, dem geehrten Kuratorium des
Kriegsblindenfonds folgende Anträge zu unterbreiten :
1. Das Kuratorium wolle geneigtest an mai3geljender Stelle die
formelle Erklärung aniegen, daß die gänzlich und dauernd erblindeten
Soldaten die Invalidenhauspension dauernd beziehen, auch wenn sie
einen einträglichen Beruf ausüben.
2. Das Kuratorium wolle über Mittel und Wege beraten, wie
die Konkurrenz gegen die beiden obgenannten Blindengewerbe einge-
schränkt werden könne.
3. Das Kuratorium wolle helfend eingreifen, dafS der Bezug der
erforderlichen Rohmaterialien für den Unterricht der Kriegsblinden
in den genannten Gewerben sicher crestellt werde.
Personalnachrichten.
— Auszeichnung. Dem Direktor des Tirol- Vorarlb. Blinden-
institutes in Innsbruck, Stadtpfarrer Johann Vi n atze r, wurde für seine
ersprießliche Tätigkeit auf dem Gebiete der Kriegsfürsorge das Ehren-
zeichen IL Klasse vom Roten Kreuze mit der Kriegsdekoration
verliehen. Das aufopfernde Wirken und die edle Hingabe dieses ver-
dienstvollen Mannes in charitativer Hinsicht wurde an Höchster Stelle
schon zum zweitenmale gewürdigt.
— Jubiläum. Am 26. März 1. J. vollendete der Fachlehrer i. R.
an der Linzer ßlindenlehranstalt Herr Ferdinand Groß in voller Rüstig-
keit sein 70. Lebensjahr. Aus diesem Anlasse veranstaltete der Direk-
torder beiden Linzer Blindenin.stitute eine zeitgemäße Glückwunschfeier.
Vorstand und Zöglinge überraschten den trefflichen Blindenlehrer und
treund seiner Schicksalsgenossen mit herzlichen Glückwünschen für
die spätere Lebendauer. In «gewählten Worten dankte der Jubilar für
die herzliche Feier. p
Aus den Anstalten.
N.
^-''" ^^s-BIind enansla It in P u i k er sd o r f. lnspektion«
Am 21. März !. J. bc.-uchte der Herr Landesschulinsnektur K Piffl die Anstalt
und wohnte dem Unten ichte bei.
- Pri vat-Blindenlehranstalt in Linz. Am 30. März 1. J. unterzog
'lei Herr Landesschulinspektor Dr. Kran/. Kimm er die II. Klasse der Anstalt einer
nielustundiacn Inspektion, nachdem bereits am 20. März die Re!i<nonsinspektion.
durch den Herrn Domkapitular Prä'at Ms^r. Dr. Lohningcr vorfrenommcn
wurde. -^ ^^
5. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Bliiidenwesen Seite 733.
Heuer versorgte das hiterniertenlager Katzenau bei Linz aus den großen
Donauauen durch Internierte aus dem Süden — auch Reichsitaüener — die Anstalt
mit nötigen Korbweiden. Mit den aus den Abfällen der Weiden hergestellten socc-
nannten Weidenborsten machen wir in der Bürstenbinderei ganz gute Krfahrun^en.
So ist die Rohstoffrage ziemlich gelöst
Anfangs Mai wird wahrscheinlich das alljährlich recht gut besuchte Blinden-
konzert in der Blindenbeschäfti^ungsanstalt abgehalten werden, das aus den be-
kannten Zeitumständen bisher verschoben werden mußte. P.
~- Blindeversorgungshaus ,,Francisco-Josephinum" in Prag.
Der 24. Jahresbericht über die von der „Böhmischen Sparkasse" gegründete und
erhaltene Anstalt eiwähnt das Jahr 1916 als schweres sorgenvolles Jahr. Das Ab-
leben des Ian!jjährigen Obmannes, kais. Rat Ignaz Homolka, riß eine kaum aus-
zufüllende Lücke in die Reihe des Direktoriums. Nicht nur die Pfleglinge, die
liebend an ihm hingen, sondern auch das Direktoiium betrauert in dem Dahin-
gegangenen schmerzlich den treuen Freund, dessen Wirksamkeit unvergessen und
vorbildlich bleiben soll. An seiner Stelle wurde Hofiat Johann Rotky zum Obmann
und kais. Rat Johann -S t ü d 1 zum Obmannstellvertreter gewählt.
Auch im Jahre 1916 wurde die Richtung festgehalten, die Pfleglingszahl tun-
lichst herabzumindern. Infolgedessen haben Neuaufnahmen nicht stattgefunden und
und es ergibt sich bei 9 Ablebensfällen mit Jahresschluß ein Stand von 87 Perso-
nen. Darunter sind 48 Deutsche und 39 Tschechen, bezw. 82 Katholiken, 4 Israe-
liten und 1 Protestant. Der Pfleglingsstand, dessen Gesundheitszustand Dank der
ärztlichen und verwaltungsseitigen Umsicht und Fürsorge das ganze Jahr hindurch
befriedigend war, hat sich sonach gegenüber dem Vorjahre um 9 Personen verrin-
gert. Trotzdem schloß die Rechnung mit einem erheblichen Mehraufwand ab.
flus den Vereinen.
— Fürsorgeverein für die Taubstummblinden in Osterreich
IV. Jahresbericht). Der obgenannte Verein versendet soeben seinen 4. Jahresbericht,
welchem man manch erfreuliches entnehmen kann. Die Einleitung des Berichtes
sind tiefempfundene Worte des Gedenkens anläßlich des Ablebens Sr. Majestät des
Kaisers Franz Josef I und hoffnungsfreudige Huldigung für Sr. Majestät Kai-
ser Kail I.
Die Zusammensetzung der Vereinsleitung ist gewissermaßen der Spiegel für
die vielseitigen Sympathien, deren sich der Veiein und seine Unternehmung »das
Taubstummblindenheim«, Wien XIII., Linzerstraße 478 erfreut. So finden wir nebst
Vertretern vom Unterrichtsministerium, der Landes-, Bezirksschulbehörde, Spezial-
Pädagogen für Taubstummen- und Blindenunterricht ganz besonders vertreten Spe-
zialisten für Augen, Ohren und für Dermatologie. Volks- und Bürgerschule, Mittel-
und Hochschule und Vertretung der Mädchenerziehung fehlen nicht.
Mit dem finanziellen Ergebnis kann der Verein recht zufrieden sein. Trotz
Kriegsnot konnten in diesem Jahre Spenden in der Höhe von 24000 K und eine
Erbschaft in der Höhe von beinahe 24000 K gut gebucht werden. Zu dem bisher
gewährten regelmäßigen Unte rstützungen der hohen k. k. Ministerien für Kultus
und Unterricht und für öffentliche Arbeiten trat im abgelaufenen Jahre auch eine
Subvention des hohen n. ö. Landesausschusses.
Die Anstalt beherbergt derzeit 11 Zöglinge, darunter 1 Externisten. Der
Unterricht hat bei kleinen Störungen durch Personalwechsel seinen regelmäßigen
Fortgang genommen und sehr hübsche Erfolge erzielt. Für BlindenKhrer und Blinde
seli)st sei noch die erfreuliche Tatsache verzeichnet, daß 2 ehemalige Zöglinge der
Purkersdorfer Blindenanstalt, Alexander Heinz el und Elise Siegl als Lehrer für
Korbflechterei einen, wenn auch derzeit noch kleinen, Verdienst im Taubstumm-
blindenheim finden .Kneis.
Für unsere Kriegsblinden.
— Generalversammlung des Vereines ,, Kriegsblin-
denheimstätten ". Die Generalversammlung des Vereines „Kriegs-
blindenheimstätten", die am 18. April 1. J. in Wien stattgefunden hat,
Seite 734. Zeitschrift das für Österreichische Blindenwesen. 5. Nummer.
entrollte ein fesselndes eindrucksvolles Bild des überaus segensteichen
Wirkens dieser Institution. Erzherzog-Protektor Karl Stephan hielt
zu Beginn der Versammlung eine Ansprache an die Erschienenen, die
das Wesen der Kriegsblindenheimstätten beleuchtete.
Was zunächst die Zahl der Blinden betrifft, führte der hohe Pro-
tektor aus, so befinden sich die meisten Blinden in Galizien. Dieses
Land hat 102 Kriegsblinde, Böhmen 86, Niederösterreich 51, Mähren
42, Tirol und Vorarlberg 20, Steiermark und Krain 18, Schlesien 16,
Kärnten und Küstenland 14, Dalmatien und die Bukowina 45. Natur-
gemäß sind die jüngeren Leute, die am meisten in der Front sind,
auch am meisten hergenommen worden. Nach dem Berufe klassifiziert,
sind 213 Kriegsblinde in Industrie, Handel und Gewerbe beschäftigt,
146 in Land- und F'orstwirtschaft, 67 in freien Beruten.
Die Erfahrungen, die wir mit den Kriegsheimstätten gemacht haben,
waren bis jetzt glücklicherweise sehr befriedigend. Ich habe selbst in
verschiedenen Provinzen die bereits untergebrachten Kriegsblinden be-
sucht. Sie sind alle verheiratet und haben alle ein kleines Haus oder
ein kleines Anwesen ; sie sind relativ wirklich zufrieden und glücklich
und dem Verein unendlich dankbar. Das Systein, nicht Häuser zu
bauen, sondern schon bestehende Ubikationen anzukaufen, hat sich
glänzend bew^ährt. Anfangs waren die Verfügungen unseres Vereines
bezüglich der Häuser und derea Zueignung an die Blinden einer
gewissen Kritik sowohl seitens des Publikums wie auch seitens der
Blinden unterworfen. Wir sind für jede Kritik sehr dankbar. Denn
Kritiken sind überhaupt immer vorteilhaft, weil man dann gezwungen
ist, nachzudenken und die Fehler, die einem die Kritik vorwirft, auch
beheben zu können. Da sind wir zu dem Schlüsse gekommen, daß die
Kritiken hauptsächlicli juridischer Natur waren. Sie wurden von unserm
Rechtsanwalt genau geprüft. Es hat sich hier um die hypothekarische
Belastung der Häuser gehandelt. Das ist nicht geschehen, um dem
Verein pekuniäre Vorteile erwachsen zu machen, sondern um die
Blinden zu schützen. Denn es wäre sehr leicht möglich gewesen, daß
die Verwandten des Blinden, nachdem er eine Heimstätte bekommen
hat, ihn gezwungen hätten, die Heimstätte zu verkaufen oder unnützt
mit Hypotheken zu belasten. Das ist dadurch vollkommen behoben
und die Blinden haben sich mit dieser Sache vollkommen vertraut
gemacht. Ich habe einen Blinden in seiner Heimstätte besucht und da
wurde mir von seinen Verwandten gesagt, ob es nicht besser gewesen
wäre, dem Manne statt des Häuschens das Kapital in die Hand zu
geben. Ich glaube, das war der beste Beweis, wie richtig unsere Ver-
fügung war, dies nicht zu tun.
Der Herr Erzherzog sprach sodann im Namen seiner kriegsblin-
den Kameraden den Mitgliedern des Vereines und der breiten Öffent-
lichkeit für die wahrhaft erhebende Betätigung an dem Werke den
tiefgefühl festen Dank aus.
i
Herausgeber: Zentralyerein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Biirklen,
J. Knris, A.T. rforvalh, F. Uhl. - Druck ron Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
Aus dem Tä t i g ke i t s b e r i c ht des Präsidenten Koniiiierzial-
rat H. Grimm <^eln Iiervor, daß das vom Vereine übernommene
Anfangsvermögen mit Ende des Vereinsjahres 1916 die Höhe von
rund 1,650.000 K erreicht und im gegenwärtigen Zeitpunkte schon
weit überschritten hat. Der Verein verzeichnete mit Ende 1916 inso-e-
samt 343 Stifter, 654. Gründer und 652 ordenthche Mitglieder. Gegen-
wärtig ist natürHcli die Zahl eine wesentlich höhere. Im abgelaufenen
, . Vereinsjahre wurden insgesamt für 15 Kriegsblinde Heimstätten erworben,
"/' deren Anschaffungspreis sich zwischen 2500 bis 12.000 K bewegt und
"" für die insgesamt ein Betrag von fast 100.000 K ausgegeben wurde.
^ Im laufenden Jahre wurde schon eine weitaus größere Reihe von
• Heimstätten bewilligt und zum Teile auch schon angeschafft, und die
i hiefür erforderliche Summe erreicht schon jetzt last den Betrag von
: 400.000 K.
Zum Schlüsse der Generalversammlung wurden die bisherigen
Vorstandsmitglieder des Vereines wiedergewählt.
— L a n d e s k o m m i s s i o n z u r F ü r s o r g e f ü r h e i m k e h r e n d e
^Krieger i n Ob e r-Öst e rr eich. Am 29. März 1917, fand im Sitzungs-
■ saale der k. k. Statthalterei unter dem Vorsitze des neuen Statthalters
Graf Meran die Vollversammlung der Landeskommission zur Fürsorge
iür heimkehrende Krieger in Ober-Osterrsich statt. Der administrative
Referent Hofrat Graf Rudolf Attems brachte einen Auszug des
umfangreichen, höchst lehrreichen Berichtes über das Jahr 1916 zum
' Vortrage, woraus zu entnehmen ist, daß für die Abteilung „Kriegsblinde"
ein Betrag von 74.000 K der Kommission zur Verfügung steht. Näheres
über die Tätigkeit der Abteilung folgt gelegentlich später noch. P.
— Auszeichnung eines Kriegsblinden. Auf der Augenklinik des
Herrn Prof. Ur. Stefan ß e r n h e i m e r fand vor einigen Tagen eine besonders
schöne Feier statt. Der kriegsblinde Korporal Otto Herzfeld, der bereits zwei-
mal mit der kleinen Silbernen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet war, wurde mit
der großen Silbernen Tapferkeitsmedaille dekoriert. Unter den anwesenden hohen
Gästen befand sich auch Se. Exzellenz k. u. k. Feldmarschalleutnant Nikolaus
Fekete de Beta fa Iva, der den Blinden mit einem Geldgeschenk ertreute. In
dem festlich geschmückten Saale, vor dem Bilde des Kaisers, hielt Prof. Bern-
;, heim er eine ergreifende Ansprache an die Versammelten und gab dann allen
; Verwundeten seiner Klinik eine kleine Tatel.
— Ein kriegsblinder Offizier alsAkademielehrer. Wie S. k. u. k-
Hoheit Erzherzog Karl Stephan in der Generalversammlung des Vereines
»Kriegblindenheimstätten« mitteilte, hat sich der kriegsblinde Artilleriehauptmann
Baron J e d ina -Pal omb i n I, ein hervorragend intellektueller Mann, dem Studium
der Geschichte gewidmet. Das Kriegsministerium hat es möglich gemacht, daß
dieser Offizier im nächsten Semester an der Wiener-Neustädter Militärakademie als
Lehrer der Geschichte für die Zöglinge angestellt und so auch als leuchtendes,
didaktisches Beispiel für die jungen Leute dienen wird.
— Veranstaltungen. Konzert der »Wiener Philharmoniker« zugunsten
des Vereines »Kriegsblindenheimstätten«, am 4. April. Dirigent Artur Nikisch.
ßalladenabend des Hofopernsängers Hans Duhan im Musikvereinssaale
am 17. April zugunsten der »Kriegsblindenheimstätten«.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende April 1. J.
— Neue Freie Presse: 1,088.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten"): 2,279.000 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 365.000 K.
— Reichspost: 23.600 K.
— Linzer Sammelstellen : 55.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 22.800 K.
von Oskar Picht,
Bromherg.
A für Punktschrift M 85.80 B für gewöhnliche Schrift M 80.—
= /isyl für blinde Rinder =
Wien, XVII., Hemalser Hauptstraße 93
nimmt l)linde Kinder im vorschulpflichti<fen Alter aus allen österreichi-
schen Kroniändern auf. Nähere Auskünfte durch die Leituncr.
Die „Zentpolbibliotheh \w Blinde in OstBPPBicIi",
Wien XVIII, Währinger Gürtel 136
verleiht ihre Hiichcr kostenlos an alle Blinden.
Blinden-Unterstützungsverein
„DIE PURKERSDORFER"
Wien V., Nikolsdorfergasse 42.
Zwfck des Vereines; UiitersiiUzuui; blinder Mit-
glieder. Arheitsvprmittlung tiir Tdiiide. Erhalliiiiy
per Mu>il.a!ieii-I,eilib;bli(>tliel<. Telephon 10.071.
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Wien VIII., Florianigasse Nr. 41.
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Verkaiit^sielle: Wien VII., Nc:ubaui:>ussci 75.
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des Biinden-Unlerstützungsvereines
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— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
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Das Biatt ersdieint
monatlidi einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
r-, Bezugspreis □
Q ganzjährig mit q
□ Postzustellung □
D 4 Kronen, D
□ Einzelnummer CD
D 40 Heller. ^
4. Jahrgang.
Wien, Juni 1917.
6. Nummer.
INHALT: Der blinde Soldat in der Lyrik des Weltkrieges. Die Kriegsblinden-
fürsorge in Niederösterreich 1916. Die Kriegsblindenfürsorge in Tirol. Fragen
bei der Lehrbefähigungsprüfung für den Blindenunterricht. Personalnach-
richten. Aus den Anstalten. Für unsere Kriegsblinden. Bücherschau-.
(Altes und Neues. Ankündigungen).
D
H=
-0
D
3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
g Josef Städterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. [v
OL -n
Altes und Neues.
Die gute Mutter der Blinden von Karin Michaelis.*
Jeder von diesen Kriegsblinden hat dasselbe durchgemacht.
Zuerst die wilde Empörung des Gemüts gegen Gott und Menschen^ *
dann den grauen, schrecklichen Nebel der Stumpfheit und langsam,
langsam den mühseligen Weg vorwärts, aufwärts, dem neuen Leben ,:
der'^Resignation entgegen. Gestern noch ein strebender, wollender,
handelnder Mensch, heute ein Ärmster, der sich selbst aufgegeben;
hat, ohne Mut zu leben, ohne Kratt zu sterben. Der Verlust des einen
Sinnes scheint alle die übrigen gelähmt zu haben, stumpf, mehr
Tier als Mensch, steigt er hinab in den tiefen Brunen der Verzweiflung.
Aber mit unsagbarer MüV^e und grenzenloser Geduld muß die Rettungs-
arbeit vorgenommen werden. Ist er aus dem Brunnen herausgekommen,
muß er wieder lernen zu sprechen und zu hören, den Duft der Rosen
und die Güte der Menschen zu fassen, muß er lernen, den Willen
zu haben, selbst Mensch unter Menschen zu sein.
Welche Gedanken können nicht in einer einzigen schlaflosen
Nacht gedacht werden, wenn man daliegt und starrt und hinausstarrt
in die horizontlose Öde der Finsternis? Obwohl man doch weiß, daß
nach der Nacht ein Tag mit Licht und Mut anbricht. ...
Müssen sich da nicht Gedanken, schwer wie Berge, über den
Lidern der armen erloschenen Augen auftürmen, hinter deren Läden
selbst der grellste Blitz nicht einen noch so schwachen Schimmer
hervorrufen kann.
Wer kennt nicht Breughels Bild von den Blinden, auf dem
einer von dem, andern geleitet, in den Abgrund geht? Niemals ist
Avohl menschliche Hilflosigkeit brutaler, wahrer, niederbeugender
traurig geschildert worden. Für den, der einmal vor diesem Bilde
gestanden hat, werden das ganze Leben hindurch die Blinden in
endloser Reihe in den Bach hineinwandern, und man spürt eine
krankhafte Sehnsucht, doch ihren Ruf zu hören, wenn der Fall voll-
bracht ist und die Wasser sich über ihrem armen, von dem
Weh und der Qual der Blindheit verunstalteten Antlitz
schließen.
Aber die Kriegsblinden Ungarns gehen nicht in den Bach. Der
eine Blinde leitet nicht den anderen in den Tod. Eine gute Mutter,
eine schwesterliche Freundin, eine herzens- und willenskundige, liebe-
volle Ratgeberin hat ihre Hand ergriffen und leitet sie, bis sie wieder
festen Grund unter ihren Füßen fühlen.
Auf diese Männer, die erst Pflanzen waren, die mit Wurzeln aus-
gerissen und in den Wegestaub geschleudert wurden, die dem Sonnen-
brand und dem Zertreten unter den plumpen Füßen der Wanderer
ausgesetzt waren, schüttet sie den ganzen Reichtum aus der rinnenden
Quelle ihrer Güte. Und siehe, die Pflanzen richten sich auf. Die trok-
kenen Wurzeln saugen wieder Saft ein. Neue Keime sprossen empor.
*) Am dem Buche das „Opfer" von Karin Michaelis.
4. Jahrgang. Wien, Juni 1917. 6. Munnmer.
i '^
g DenKriegsblinden. |
^ Ihr habt dem Vaterlande das Licht Eurer Augen geopfert. ^
^ Die Euch bewundernde dankbare Bevölkerung ist bestrebt, Euch ^
I durch's Leben zu helfen! Erzherzog Karl Stephan. S
Der blinde Soldat in der Lyrik des
Weltkrieges.
Die Tragik der Blindheit hat zu allen Zeiten auf die Eindrucks-
fähigkeit der Dichter tief gewirkt und es gibt kaum einen großen
Dichter, der ihr nicht erschütternde Worte geliehen hätte. In der Vor-
stellung des Sehenden ist das Los des in Dunkelheit und Hilflosigkeit
dahinwandelnden Blinden ein kaum zu überbietendes Unglück. Der
Weltkrieg, der einer großen Zahl von Sehenden das Augenlicht raubte,
vertiefte noch diese Anschauung.
Es ist auch ein zu krasser Gegensatz, der sich da auftut zwischen
dem in voller Manneskraft gegen seine Feinde ringenden Soldaten und
dem wie vom Blitze plötzlich geblendeten hilflosen Krieger. »Heute rot,
morgen tot« ist Soldatenspruch. An der Leiche des Gefallenen träufelt
der Allesbezwinger und Besänftiger Tod Balsam in das blutende Herz
der Trauernden. Der Held hat ausgerungen und nun ist ihm Friede
geworden. Ganz anders wirkt der Anblick des blinden Soldaten. Auch
auf ihn hat der Tod die Hand gelegt, ohne ihn ganz hinwegzunehmen.
Seine Kraft scheint in den letzten Fasern gebrochen, zum Kind gewor-
den, aui die Mithilfe anderer Menschen angewiesen, ausgeschlossen aus
der Arbeitsgemeinschaft der Menschheit, abhängig von Mitleid und
Erbarmen, erwartet ihn ein langsames unerbittliches Sterben, jähre-, jahr-
zehntelang.
So sieht der Kriegsblinde gewöhnlich sein Schicksal vor sich, so
sehen es auch unsere Dichter. Und die Zahl der Dichter, die in der
Seite 740. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 6. Nummer.
Lyrik des Weltkrieges das Wort für unsere erblindeten Helden ergriffen
haben, ist groß. Es befinden sich auch die besten und größten unter
ihnen, welche diesem erschütternden Heldenopfer der Erblindung ihren
Sängermund leihen.
Wenn man mit jenen Stücken beginnt, die das Schicksal der
Kriegsblinden der Allgemeinheit zu Herzen führen und zur Hilfstätig-
keit für dieselben aufrufen wollen, so ist vor allem Gerhart Haupt-
manns > Prolog« zu nennen, dessen edle Worte tief zum Herzen
sprechen. Nicht danken wollen sie: * Entweihend wäre Mitleid, wäre
Dank!« Beruhigen wollen sie über die Zukunft unserer blinden Helden,
die klaglos das Licht ihr^r Augen preisgaben, >damit Germaniens
blaues Auge weithinstrahle durch die Welt, mit Adlerblick voraus der
stets bereiten Schwinge eile.« Der Schluß des Gedichtes :
>Wenn die Fanfare klingt, von den Türmen die Glocken Frieden
rauschen übers Land und durch das Schnauben königlicher Rosse die
erste Sichel aufblitzt, die ein Krieger sich wieder eingetauscht hat für
sein Schwert — dann sorge jeder, der noch Augen hat, daß er ihr
Licht in jene Kammern trage, die sich dem Sonnenstrahle nicht mehr
auttun !«
ist zum Ausdrucke unserer heißesten Wünsche geworden, welche
dieser Krieg gebar.
Den Österreichern, die das Los, das wechselvolle, heimkehren
ließ zur väterlichen Scholle, die das gelobte Land, auf dem sie stehn,
betreten durften, doch nicht wie ders eh n,« ruft Ottokar Kernstock
tröstend zu :
;»Drum bangt nicht, Ost'reichs blinde Schwertgenossen,
Weil euch der Quell des Sehens ausgeflossen!
Die Liebe wird nicht rasten und nicht ruh'n,
Die Liebe wird an euch ein Wunder tun!«
Ein zweiter österreichischer Dichter, Mirko J e 1 u s i c h, mahnt in
dem Gedichte „Blinde Soldaten" alle Sehenden :
»Ihr, die ihr froh des Lichts euch freuet,
Ihr, denen hell die Sonne glänzt,
Ihr, denen Lenz und Sommer streuet
Der Farben Fülle unbegrenzt,
Ihr, die gewohnt, die Welt zu finden
Im klaren Blick, ihr, die da seht —
Habt ihr bedacht vor diesen Blinden,
Wie tief in ihrer Schuld ihr steht?«
Der Wiener Josef Zlatnik spendet »Den Kriegsblinden« den Trost:
»Doch wir, des Himmels wundervollster Gabe
Uns dankbar freuend, wollen euer denken,
An unsrer Liebe treuem Wanderstabe
Mögt ihr gesichert eure Schritte lenken!«
Besonders tief greift das Schicksal der blinden Soldaten in die
Herzen unserer Dichterinnen. Lucy A b e 1 s ruft im „Blinden Helden aus:
6. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenweien. Seite 741.
»Von all den grausen Bildern, die mich quälen,
Ist euer Bild das g^rausigste von allen :
Ihr Armen mit den leeren Augenhöhlen!«
Margarete Bruch sucht »Für unsere blinden Soldaten« Wege,
sehr zarte, stille, Wege zu den Blinden.
»Bezwingt der Stimmen Überschwang und Helle.
Wir überschreiten eine heilige Schwelle.
O grüßt die Augen, diese toten, leeren,
Grüßt sie mit Ernst und königlichen Ehren.
Und eurer Gruß soll stillen Glocken gleichen.
Die nächtens schwingen über Weihnachtsreichen.«
Ähnlichen Gefühlen geben Ausdruck die Gedichte: »Der Kriegs-
blinde« von Violet Blacker, »Das Auge« von Valeska Cusig, »Für
die erblindeten Krieger« von Auguste Poestion, »Ein Werk iür die
Kriegsblinden« von Marie Prade und »Bei erblindeten Kriegern« von
Gertrud Frei in von le Fort.
Eine zweite Gruppe von Gedichten über Kriegsblinde gibt sich
schildernd. »Der Blinde« von Paul Schroer, dem vor Ypern ein
furchtbar tückisches Geschoß den letzten Sonnenstrahl in ewiges Dunkel
bannte, findet in seinem Weibe Licht, Himmel, Kraft und Trost.
Der Sieg, den er sah, verbürgt ihm kommendes Glück :
»Drum sprecht mir nicht von Mitleid von den Blinden,
Und daß der Tod wohl besser sei, als so zu leben !
Wir alle stehen in des Höchsten Hand
Er hat mir Licht in dunkle Nacht gesandt:
Ich seh' das Glück! — — — «
In Emil Hadina's Gedicht: »Der Dreizehnte« kehrt in ein
Dörflein in Österreich der dreizehnte von den Eingerückten, »der wie
sein Vater ein Pechfink war« erblindet zurück. K. Dankwart Zwerger
schildert in seiner ergreifenden Ballade »Die Binde« den Fiebertraum
des Erblindeten :
»Kam'raden, tut mir die Binde fort !
Das war ein heiß' Turnier !«
Kam'raden sagten ein warmes Wort,
Die Binde ließen sie mir.
Wir stoben, wir schnoben. Mann wider Mann,
Wir haben ganze Arbeit getan !
Sieg ! Sieg ! . . . . Ein Sausen, ein Schrei —
Und war vorbei ....
So brach die Nacht, die Nacht herein —
Wann wird denn wieder Sonne sein?
»Im Lazarett« von Rudolf Presber tastet der bhnde Held nach
dem rot-weißen Band auf seiner Brust und ruft getröstet aus :
»Gott Lob, das Letzte, was ich sah, — war Sieg!«
Ähnliches drückt Martha Grosse in »Das erste Wort« aus:
»Die Welt versank. Doch eine neue hebt
Sich aus den krausen Zeichen und den Zahlen
.Seite 742. Zeitschrift für das österreichische Biindenwesen. 6. Nummer.
Der neuen Schrift. Die steifen Finger malen
Das erste Wort, von ihrer Hand belebt.
Das erste Wort. Und einer sitzt und sinnt,
Summt vor sich hin ein Singen leisen Schalles,
Schreibt's mühsam nieder: »Deutschland über alles« —
Und d'rüber toter Augen Weinen rinnt.«
Humorvoller ergibt sich der Blinde in sein Geschick in »Die zwei
Getreuen« von K. Bürklen. »Wie geht es, liebster Kamerad ohne
Beine?« fragt er seinen Spitalsgenossen und erhält zur Antwort: »Wie
du siehst!«
F. Lan ghe in rieh's Gedicht »Geblendet« ist eine furchtbare
Anklage gegen einen grausamen und heuchlerischen Feind. Fritzi von
Rupprecht möchte »Das letzte Bild«, das unsere erblindeten Krieger
empfingen, mit weicher Hand aus deren Seele wischen.
»Die Erde und der Himmel blutig rot,
Und Haß und Grau'n und Wut und Blut und Tod —
Und alles jäh von tiefer Nacht umfangen.«
Zur Anklage wird das Gedicht »Der BHnde« von Helene Scheu-
Riesz, dessen Schluß lautet:
»Ich kann nur schluchzen, daß es gellt :
O war' doch der Haß, der Haß aus der Welt !«
Von Resignation erfüllt ist das Poem »Blind geschossen« von
Helene Brehm.
»Nun hockt er stöhnend in der kleinen Stube,
Deckt auf die leeren Augen seine Hände
Und fragt verzweifelt: »Mutter, was soll werden.?«
Ihr Auge sieht er nicht. »Sei still, mein Bube!«
Sie tut, als ob ihr Herz voll Hoffen stände.
Die Heldin tröstet : »Still es wird schon werden!«
Eine Anzahl von Gedichten versucht die Empfindungen der blinden
Soldaten wiederzugeben. Zu den schönsten dieser Art gehört »Der
Erblindete« von Erika R h e i n s c h. Wunderbar fein ist hier die Stimmung
der einbrechenden Dunkelheit wiedergegeben. Ebenso die Ergebung
in den letzten Zeilen :
»Magst du bunte Welt verblassen !
Aus dem feurigen Gewühl
Kehr' ich schauernd und gelassen
In mein innerstes Gefühl.«
Emil Hadina (»Der Blinde«) stellt den blinden Soldaten in die
Farben- und Blütenpracht des Frühlings,
>>Jetzt steht die Welt in Rosen,
So schön, wie je zuvor.
Die Sommerwinde kosen
Und weh'n die süßen, losen
Glutlieder an mein Ohr.
Will in den Garten gehen,
6. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 743.
Wo mir ein Röslein blüht.
Zu seinem Dufte werde
Ich tasten mit dem Stab,
Ihm künd' ich mein' Beschwerde
Und küß die dunkle Erde,
Für die ich alles gab ....
Ebenso »Der Blinde« von Hermann Schieder:
»Jetzt hat sich das Fenster weit aufgemacht. Frühlingsduft
Strömt in die Stube herein.
O Erdschollenduft !
Nun müssen Wölkchen im Blau wie zerpflückte Baumwolle sein.
Unter den Wölkchen bau'n heimlich sich Hügel und Land,
Dehnt sich ein Wiesenrain, zieht sich um Ackerland ;
Heimat, du bist's! Oh, du beglückst mich verstohlen
Im herben Duft frischer Ackerfurchen beim Atemholen.«
Hieher gehören auch die >Ballade» von Vida Jeray und »Der
erblindete Soldat« von Burgfried sowie das höchst stimmungsvolle
Gebet »Mein Weg« von St. Krotte nthaler.
Schließlich gab auch mancher unserem erblindeten Helden selbst
»ein Gott, zu sagen was er leide.« Ihr grausiges Erleben läßt sie zu
Dichtern werden. So A. von Hatzfeld mit dem Stücke:
Der Erblindete.
Er geht im Garten. Seine Augen sehen
Hinauf, wo hoch am Himmel eine Sonne geht. -
Wird nicht das Sonnenlicht die Augen ihm erlöschen?
Doch ruhig wandelt er und steht
Jetzt neben einem Strauch, daraus schon brechen
Die ersten Knospen eines neuen Auferstehn's.
Weshalb nur zittert über diese Blüten
Die Hand.? Lauscht er der Weise Kommen und Vergehn's?
Weshalb erfaßt sein Auge nicht der Blätter Leben
Und ist noch immer nach dem Sonnenlicht gerichtet?
Sei still. Er spricht. Hat er mit stillen Worten
Den Kampf in seiner jungen Brust geschlichtet?
Othmar Hub er wehrt sich noch mit folgenden Zeilen gegen die
Zuzäblung zu den Blinden :
»Bedenket, auch ich sah das leuchtende Licht.
Ich bin ja kein Blinder, ich sehe nur nicht !«
Und Jedina Palombini mahnt seine Schicksalsgenossen in
Augenblicken der Verzweiflung :
»Denkt dran, Kameraden, was einst wir gelobt —
Die Pflicht auf dem Schlachtfeld ist nun getan.
Für uns längt der Kampf um das Leben nun an !«
Aus einer weiteren Reihe von Gedichten von Kriegsblinden sei
noch eines seines urwüchsigen Volkstones wegen herausgegriffen und
zwar: »Der blinde Landsturmmann«, in der Gefangenschaft selbst
zusammengestellt, im Wiener Dialekt gesungen nach der Melodie
»Verlassen, Verlassen« von Koschat.
Seite 744. Zeitschrift für das österreichische Biindenwesen. 6. Nummer,
»Mein Name ist Georg Bigge,
Gebor'n da in Wean,
Mei' Frau und die Kinder,
Die hab'n mi' so gern.
Sie hab'n g'want weil i' fürt muß
In Feldzug geh'n,
Gott waß ob wir nochmals
Uns g'sund wiedersehn,«
Mit Landsturm Nr. 1 geht es gegen Rußland.
»Es war g'rad Weihnachtsabend,
Wir liegen im Grab'n,
Da plötzlich die Russen
Wie verruckt g'schossen hab'n.
A Kugl in mein Rucken
A andre in mein Kopf
Und so bin ich leider
A armer blinder Tropf.«
Recht drastisch werden die weiteren Erlebnisse bis zur Heim-
kehr nach Wien geschildert und echt »wienerisch« geschlossen:
»Was kann ma' denn machen.
Was hin is' — is' hin,
Soll i wana, soll ich lachen —
Mi' g'freut's, i' bin in Wien.
Daß i' blind bin, i' wan net,
Das hab' i' ma g'schwurn.
Für mein Kaiser, für mein Kaiser
Hätt' i's Leb'n gern verlur'n!«
Die Kriegsblindenfürsorge in Niederösterreic±i 1916.
Aus dem amtlichen Berichte der n. ö. Landeskommission zur Fürsorge für heim-
kehrende Krieger bei der k. k. n. ö. Statthalterei in Wien.
Das k. k. Blinden-Erziehungs-Institut in Wien diente auch im
Jahre 1916 als k. u. k. Kriegsblindenzentrale für Österreich. Im Berichts-
jahre fanden in dieser mustergültigen, unter Leitung des als hervorragender
Fachmann auf dem Gebiete des Blindenwesens rühmlichst bekannten
Regierungsrates Alexander Meli stehenden Anstalt 123 Kriegsblinde
aus allen Gauen unserer Monarchie liebevollste Aufnahme. Von dort
wurde eine größere Anzahl früher oder später nach Maßgabe ihrer
Landeszugehörigkeit in die Blindenanstalten nach Agram, Budapest,
Brunn, Graz, Klagenfurt, Innsbruck, Lemberg und Salzburg abgegeben,
bezw. in ihre Heimat entlassen, eine Anzahl mußte wieder in Spitälern
untergebracht werden. Eine große Zahl, darunter die Niederösterreicher,
verblieb im Verbände des Blinden-Erziehungs-Institutes, ein kleiner Teil
fand im Kaiser Franz Josef-Blindenarbeiterheim in Wien-Baumgarten
und in dem israelitischen Blindeninstitut auf der Hohen Warte
Aufnahme.
Eine wertvolle Ausgestaltung erfuhr das k. k. Blinden-Erziehungs-
Institut durch Erwerbung des Landsitzes »Marienheim c in Straß im
6. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blitidenwesen. Seite 745.
Straßertale bei Krems, Niederösterreich, wo die der Landwirtschaft
angehörenden kriegsbUnden Soldaten theoretische und praktische Unter-
weisung in landwirtschaftlichen Arbeiten erhalten. Diese Expositur des
Blinden-Erziehungs-Institutes steht unter Leitung eines Anstaltslehrers,
der auch den Untericht der Kriegsblinden im Lesen und Schreiben der
Blindenschrift und im Maschinschreiben erteilt. Die ersten 3 Kriegs-
blinden konnten am 8. Februar 1916 im Straßer Heime aufgenommen
werden; seither ist ihre Zahl auf 18 gestiegen. Durch diese Einrichtung
wird der bestens bewährte Grundsatz, die Kriegsbeschädigten womöglich
ihrem früheren Berufe zurückzugeben, auch auf die Kriegsblinden und
zwar mit günstigem Erfolge angewendet.
Die in den Wiener Sanitätsanstalten untergebrachten Kriegsblinden
erfreuten sich ohne Unterschied ihrer Landeszugehörigkeit auch im
Jahre 1916 der allgemeinen Teilnahme. So zeichneten Ihre kaiserlichen
Hoheiten der Herr Erzherzog Admiral Karl Stephan und dessen
Gemahlin Frau Erzherzogin Maria Theresia, Frau Erzherzogin Maria
Valerie und Herr Erzherzog Franz Salvator das k. k. Blinden-
Erziehungsinstitut durch ihren hohen Besuch aus, zogen die Kriegsblinden
in der leutseHgsten Weise ins Gespräch und bedachten Regierungsrat
Meli und seinen Lehrkörper mit Worten der Anerkennung und des Lobes
über die zum Wohle der Blinden getroffenen Maßnahmen. Besonders
oft besuchte Seine kaiserliche Hoheit Herr Erzherzog Karl Stephan
die Anstalt, erkundigte sich eingehendst nach dem Lebenslauf und
den Wünschen jedes einzelnen Kriegsblinden und war stets mit Wort
und Tat bereit, für ihre Zukunft zu sorgen. So mancher von ihnen hat
Ursache, dieses edlen, warmfühlenden Gönners der blinden Krieger
zeitlebens dankbaren Herzens zu gedenken. Unter anderem gab Seine
kaiserliche Hoheit seiner Zufriedenheit über die Leistungen der Expo-
situr Straß, die er am 29. März und 26. Oktober 1916 besuchte, dadurch
sichtbaren Ausdruck, daß er das in der Nähe des »Marienheimes«
gelegene und gerade verkäufliche »Reuterhaus« in Straß samt Grund-
stücken ankaufte und dem Institute zum Geschenk machte, damit, wie
sich der Herr Erzherzog selbst äußerte, noch mehr Kriegsblinden die
Wohltat des landwirtschaftlichen Unterrichtes zu teil werde.
Auch sonst fanden sich viele Wohltäter, welche insbesonders die
im Blinden-Erziehungs-Institut untergebrachten Kriegsblinden in der
freigibigsten Weise mit oft recht ansehnlichen Geschenken bedachten.
Zu Weihnachten wurden die Blinden wie im Vorjahre wieder reichlich
beschenkt.
Die Anzahl der in die Obsorge der n. ö. Landeskommission
gehörenden Kriegsblinden ist im Jahre 1916 von 22 auf 41 gestiegen.
Von den 19 Kriegsblinden sind 10 ledig und 9 verheiratet, von diesen
6 Familienväter. Im bürgerlichen Leben übten sie folgende Berufe aus:
1 Fabriksbetriebsleiter, 1 Landwirt mit eigener Wirtschaft, 1 Schuh-
machermeister, 1 Zimmermalermeister, 1 Straßenbahnschaffner, 1 Eisen-
bahnbediensteter, 1 Bäckergehilfe, 1 Elektromechanikergehilfe, 1 Gärt-
nergehilfe, 1 Jäger, 1 Metalldrehergehilfe, 1 Maschinenschlossergehilfe,
1 Orgelbauergehilfe, T Schriftsetzer, 1 Schuhmachergehilfe,! Partieführer
bei einer Brückenbauunternehmung, 2 landwirtschaftliche Arbeiter und
1 ungelernter gewerblicher Hilfsarbeiter.
Seite 746. Zeitschritt für das Östeieichische Blindenwesen. 6. Nummer.
Diese Blinden befinden sich mit geringen Ausnahmen noch in
geschlossener Anstaltspflege im k. k. ßlinden-Erziehungs-Institut und
Kaiser P>anz Josef Blindenarbeiterheim in Wien-Baumgarten, woselbst
sie in der üblichen Blindenausbildung begriffen sind. Je nach ihren
Neigungen erlernen sie Maschinschreiben, Maschinstricken, Klavier-
stimmen, Korbflechten und Bürstenbinden, die intelligenteren unter
ihnen aiich mehrere dieser Beschäftigungen gleichzeitig. Fast alle werden
im Lesen und Schreiben der Blindenschrift, die meisten in Musik
(Violine, Zither und Mandoline) unterrichtet ; mehrere standen bezw.
stehen noch in landwirtschaftlicher Ausbildung in Straß.
Von den 41 in der Obsorge der n. ö. Landeskommission stehenden
Kriegsblinden sind geboren im Jahre :
1897 1, 1896 3, 1895 3, 1894 1, 1893 2, 1892 3, 1891 3, 1890 3;
1889 2, 1888 1, 1887 3, 1886 1, 1885 1, 1884 1, 1883 2, 1882 1, 1881 2,
1880 1, 1879 1, 1877 2, 1874 1, 1873 2, 1868 1.
Einer großen Anzahl von Kriegsblinden konnte nachträglich die
Verleihung militärischer Auszeichnungen (bronzene, kleine und große
silberne Tapferkeitsmedaille erwirkt werden.
Das unter Leitung des k. k. Hofrates Grafen St ein ach stehende
Komitee zur Fürsorge für Kriegsblinde bei der k. k. n. ö. Statthalterei,
das — wie bereits im Vorjahre berichtet wurde -— von der n. ö.
Landeskommission mit den Agenden der ihr obliegenden Kriegsblinden-
türsorgetätigkeit betraut ist, wurde bereits im Jahre 1914 bei dem
k. u. k. Kriegsministerium vorstellig, die Kriegsblinden nicht schon
nach der ersten Heilung, sondern erst nach ihrer vollständigen Aus-
bildung aus dem Heeresverbande zu entlassen. Diesem Ersuchen wurde
stattgegeben und sind bisher nur wenige Kriegsblinde, die ihre Super-
arbitrierung selbst verlangten, superarbitriert worden. Dadurch war es
dsn in Betracht kommenden militärischen Stellen möglich, 25 Kriegs-
blinde in höhere Chargen vorrücken zu lassen, wodurch ihre Versorgungs-
gebühren eine entsprechende, in vielen Fällen recht bedeutende Erhöhung
erfahren werden.
Wenn sich von den niederösterreichischen Kriegsblinden der
größere Teil naturgemäß noch in Ausbildung und geschlossener Anstalts-
pflege befindet, so konnte doch ein Teil bereits versorgt werden. So
wurden bisher 5 Kriegsblinden Tabaktrafiken in Wien, einem Blinden
die Bewilligung zur Führung eines Kinos in Ober-Grafendorf verliehen,
4 Kriegsblinde erhielten Kriegerheimstätten und zwar in Guntramsdorf,
Markersdorf a. d. Pielach, Trumau und Mitterau bei Prinzersdorf Einem
wurden die auf seinem landwirtschaftlichen Besitze befindlichen Schulden
bezahlt und sein Haus instandgesetzt. Einer erhielt eine Strickmaschine
und betreibt das Maschinstrickergewerbe. Einer (Schriftsetzer) wird
wieder in dem Betriebe, in dem er früher in Verwendung stand, be-
schäftigt und erhält zu seiner Rangierung einen größeren Geldbetrag.
Die für die Einrichtung der Trafiken, die Erwerbung der Heimstätten
und die übrigen angeführten Zwecke verausgabte Summe von 63.864 K
wurde durch Beihilfe des k. k. Kriegsblindenfonds, des Kriegsblinden-
heimstättenvereines, des Kriegsfürsorgeamtes, des Kriegsblindenfürsorge-
komitees und mehrerer Wohltäter aufgebracht. Einige dieser Blinden
6. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 747.
erhielten auch Schreibmaschinen, alle verfügen über größere Barbeträge,
die sie während ihres Aufenthaltes im Blinden-Erziehungs-Institute aus
Stiftungen, Institutsmitteln oder von Wohltätern erhielten. Mehrere
Blinde befinden sich im Kaiser Franz Josef-Blindenarbeiterheim als
Bürstenbinder und gedenken auch künftighin in diesem Heime zu ver-
bleiben. Einer ist als Lokoinvalide im k. u k. Invalidenhause in Wien
untergebracht. Einer arbeitet als Munitionsarbeiter im k. u. k. Arsenale.
Eine größere Anzahl Kriegsblinder hat sich um Tabaktrafiken beworben,
doch steht die Erledigung ihrer Gesuche dermalen noch aus ; ein
anderer Teil wieder wünscht die Erwerbung von Kriegerheimstätten.
Jedenfalls wird es auch im Jahre 1917 wieder gelingen, eine ent-
sprechende Anzahl Kriegsblinder zu versorgen.
Die Kriegsblindenfürsorge in Tirol.
Hierüber schreibt Oberlandesgerichtsrat i. R. Julius Red: Ver-
möge der besonderen Vorschriften wird der Fall jedes Kriegsblinden
individuell behandelt. In Tirol wuchsen bis Ostern 1917 24 Fälle der
Landeskommission zur Fürsorge für heimkehrende Krieger, die als
Bindeglied mit dem Kriegsblindenfonds für die österreichischen Staats-
angehörigen der gesamten bewaffneten Macht beim k. k. Ministerium
des Innern in Wien dient, zu. Von diesen 24 Kriegsblinden stammen
vier aus Deutsch- und neun aus Italienisch-Tirol. Die hohe Zahl der
Italienisch-Tiroler ist daraus zu erklären, daß diese bei Minierarbeiten
u, dgl. vorzugsweise Verwendung finden und daß die Erblindung in
den gegebenen Fällen bei dieser Beschäftigung erfolgte. Die meisten
Tiroler Kriegsblinden wurden zunächst im Salzburger Landesblinden-
heime untergebracht, wo sie das Korbflechten und Biirstenbinden
erlernen. Für die Errichtung einer eigenen VVerkstätte beschafft der
Kriegsblindenfonds die Mittel und sorgt auch für die Beistelluug des
Weideumaterials. Der Verein für Kriegsblindenheimstätten in Wien
bewilligte für jeden Kriegsblinden, welcher die Errichtung einer
Heimstätte anstrebt, die hiezu erforderliche Summe. In einigen Fällen
wurden bereits die Schritte zum Ankaufe eines Besitzes eingeleitet,
darunter im Bezirke Kufstein mit Hilfe des »Tiroler Hcldendankes,«
welcher überhaupt die ersten Kriegerheimstätten in Österreich erbaut
hat ; in anderen Fällen muß die Durchführung deshalb aufgeschoben
werden, weil die Heimstättenbewerber nach der -Heimat trachten,
letztere aber als engeres Kriegsgebiet erst nach beendetem Kriege
für diese Zwecke zugänglich erscheint. Einer der Kriegsblinden wird
im k. k. Blindenerzichungsinstitut in Wien als Blindenlehrer ausgebildet.
Allen Kriegsblinden ist, dank der zielbewußten Führung der staatlichen
Fürsorge, welche alle Kräfte der privaten Wohltätigkeit zu gemein-
samen Werken sammelt, die Möglichkeit geboten, mit Vermeidung
des bleibenden Aufenthaltes hinter den Mauern eines Blindenheimes,
im Familienkreise und auf eigenem Grund und Boden in solchen
Verhältnissen zu leben, die ihnen Selbständigkeit und damit die
Wiedererlangung des seelischen Gleichgewichtes gewähren.
Seile 748. Zeitschrift für das österreichische Biindenwesen. 6. Nummer.
Fragen bei der Lehrbefähigungsprüf ung für den Blindenunterridit.
Linz, 30. April und 14. Mai 1917. Vorsitzender: K. k. Landes-
schiilinspektor Dr. Fr. Rimmer, Prüfung^skonimissär : Direktor Anton
M. Plening^er, Beisitzender: Direktor J. Haben i cht.
Schrittlich: 1 . t)ie Entwicklung des österreichischen Biindenwesen
unter Kaiser Franz Josef I. 2. Die Zukunft unserer Kriegsblinden.
Mündlich : Probeschrift der gebräuchlichen Blindenschriften mit Lese-
übung. Hervorragende Blinde aus dem Altcrtume. Lebensgeschichte
»Hellen Keller.« »Folgen der Blindheit in körperlicher Beziehung,«
»Der Tastsinn, anatomisch behandelt,« »Akkomodation des Auges«
mit Darstellungen. > Augenverletzungen und Erblindungen im Kriege,«
»Grundzüge des Lehrplanes in der Blindenschule,« Tätige Vorführung:
»Übungen am Barren auf ungleiche Holmen« durchgeführt mit den
Knaben der IL und III. Klasse im Freien. Der Kandidat Herr Josef
B a u m g a r t n e r, prov. Blindenlehrer an der PrivatBlinden-Lehranstalt
in Linz, erhielt einstimmig die Befähigung zum Blindenlehramt. P.
Personalnachridhten.
— Auszeichnung nach dem Heldentod. Dem Fachlehrer
an der n. ö. Landes-Taubstummenanstalt in Wien, früher Lehrer an
der n. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf, August Karl, der
als Leutnant i. d. R. des Landwehrinfanterieregiments Nr. 1 einge-
rückt war und den Heldentod gefunden liat, wurde in Anerkennung
tapferen und erfolgreichen Verhaltens vor dem Feinde der Orden
der Eisernen Krone III. Klasse mit der Kriegsdekoration
verliehen.
— Todesfall. Am 24. April 1917, '/,, 4 Uhr abends entschlief nach kurzer
Krankheit und Empfang der Krankenölun-.; der Werkmeister der Privat- Blinden-
Lehranstalt in Linz Herr Josef F o rs ti n g e r, nachdem er noch am weißen Sonntag
zuvor mit unseren lieben Rrstkommunikanten wie allmonatlich die hl. Kommunion
empfangen hatte. Herr Forst ingcr war den vielen Besuchern dieser gastlichen
Fachanstalt als tüchtiger Werkmeister in der Bürstenbinderei, Sessel- und Matten-
tlechterei allbekannt, diente er doch unter 6 Direktoren mehr als 44 Jahre. Geboren
zu Linz, am 2. November 1844 als Sohn des Mathias Forstingcr, Gastwirt »zum
goldenen Lamm«, erblindete er durch Scharlach in seinem 7. Lebensjahre, kam
L Oktober 1854 in die Anstalt und wirkte daselbst in mustergiltiger Weise bis
einige Stunden vor seinem Tode. Schon 1904 erhielt er die Medaille für 40jährige
treue Dienstzeit und im Mai desselben Jahres nach eingehender Inspektion das
silbeine Verdienstkieuz Seinen Leidensgenossen war er ein mustergiltiger Lehr-
meister, der Festigkeit mit Milde richtig verband. Besonders war auch sein
Gedächtnis ausgebildet, das sich bei der Verrechnung und in manch anderer Weise
hervorragend bewährte. Möge Herrn Forstinger, der so viel auch als musterhafter
Meßner in unserer trauten Kapelle dem Herrn" gedient hatte, bald das ewige Licht
als Lohn erstrahlen !
— Auszeichnung. Dem Bibliothekar des k. k. Blinden-Erziehungs-Insti-
tutes in Wien Karl Satzenhofer wurde vom »Roten Kreuze« die silberne
Ehrenmedaille mit der Kriegsdekoration verliehen.
Aus den Hnstalten.
— N. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf. Kriegsfür-
s o r g e k o n z e r t in Purkersdorf. Zugunsten der Ortsgruppe »Rotes Kreuz« ver-
anstaltete am 5. Mai 1. J. ein Kreis opferwilliger Damen im Festsaale der Anstalt
em Wohltätigkeitskonzert, das von dem k. k. Hofmusiker und Musiklehrer
der Anstalt K. Jeraj in hingebungsvoller Weise geleitet wurde. Die Leistungen
des Damenchores waren außerordentlich, was umso bemerkenswerter ist, als durch-
6. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 749.
wegs sehr schwere Werke zur Aufführung gelangten, wie z. B. der »Chor der
Spinnerinnen« aus dem »Fliegenden Holländer«, »Des Kindes Gebet« von Reger.
Sehr fein herausgebracht wurde das »Singcrlein« von R. Fuchs, das wiederholt
werden mußte. Für die Fähigkeiten des Chores bot aber die »Ballade« von
K. Jeraj (Worte von Frau V. Jeraj), die das Schicksal eines Kriegsblinden behan-
delt, den richtigen Mal^stab. Das Tonstück, das hiei' zur Uraufführung gelangte, ist
voll dramatisch tiefgeschöpfter Akzente und weist nachdrücklichst auf das eigentliche
Gebiet des Tonsetzers, auf das Musikdrama hin.
Von den Mitwiikenden ist vor allem die Geigerin Fräulein Ella Stiller
hervorzuheben, deren reife Kunst den Saal begeisterte. Namentlich die restlose
Auswertung des Poesiegehaltes in Schumanns »Abendlied« offenbarte den hohen
Rang der Künstlerin. Wie immer erntete das selbstlose Stieglerquartett der
Hofoper für seine einzigartigen Darbietungen reichen Beifall. Nicht vergessen seien
F'rau Dr. Weiß und Fräulein Cibale, die als Solistinnen beim Spinnerinnenchor
das ihre zum vollen ausgeglichenen Gelingen beitrugen. Zu wünschen wäre, daß
sich der Damenchor auch weiterhin zu gemeinnützigen Zwecken in künstlerischer
Arbeit zusammen fände.
— Blindenbeschäftigungsanstalt in Linz. Konzert. Die am
Sonntag, den 6. Mai 1917 stattgehabte Musikaufführung der Blindenbeschäftigungs-
anstalt in Linz gestaltete sich zu einer glänzenden Feier. Schon der zahlreiche
Besuch im hübschen Vortragssaale bewies das rege Interesse, das alle Kreise der
Bevölkerung dem humanitären Wirken der beiden Blindenanstalten entgegenbringen.
Aus der Reihe der Besucher seien besonders erwähnt : Se Exzellenz der Herr
Statthalter Graf Rudolf v. Meran, die Herren Hofräte Graf Rudolf A ttem s,
Bihler und Breuer, Landesschulinspektor Dr. Rimmer, die hochwürdigen
Herren Domdechant und Stadtpfarrer Kolda, Prälat Msgr. Dr. Lohninger,
Kononikus Dr. Rettenbacher, Stadtpfarrer Ludwig von Eferding, ferner die
Mitglieder des Stadtschulrates Linz die Herren Sehen feld er und Schwager;
weiters die Herren Graf Kuenburg, Dr. Maurhard, Oberlandesrat Kerbler,
Frommherz, Regierungsrat Commenda, Finanzrat Seh edl usw. nebst vielen
Frauen und Fräuleins aus Schul- und Musikkreisen. Die Qualität der Darbietungen
befriedigte vollauf die Erwartungen der Besucher. In L. Neuhoffs Phantasie-
Sonate bewies Herr J. Leng au er seine Meisterschaft auf der Orgel. Das groß-
artige, an Schönheiten reiche Werk hätte keine bessere Interpretation finden können.
In J. Labors, selbst blinder Tondichter, Orgel-Phantasie verband sich des ge-
nannten Spielers Meisterschaft mit der ebenbürtigen Kunst des Herrn G. Brie dl,
um den Zuhörern ein an technischen Schwierigkeiten wie musikalischen Schönheiten
gleich reiches Werk in vollendeter Weise vorzuführen. Mit E. Sauers »Echo aus
Wien« stellten sich die beiden Herren dem begeistert lauschenden Publikum als
erstklassige Pianisten vor. Die enormen Schwierigkeiten des Werkes wurden so
spielend bewältigt, daß die Schönheiten des musikalischen Gehaltes dieses Werkes
nicht nur nicht litten, sondern erst recht zur Geltung kamen. Die Reinheit des
Spieles, die Exaktheit des Zusammenspieles erregten die bewundernde Anerkennung
der Zuhörerschaft. Eine Reihe von gemischten Chören, darunter M. Reg er s
schwieriges »Abendiied«, Tinels zartes »Angelus« und herrlicher »Sonnengesang«
(aus dem Oratorium »Franziskus«), der tiefsinnige Engelchor aus dem Oratorium
»Elisabeth« von Liszt, »Die Birken und die Erlen« in schöner Durchführung von
M. Bruch, sowie der mächtig ergreifende Männerchor »Landerkennung« von Grieg
gaben uns Gelegenheit, das vortreffliche Stinimateriale, das sich die Anstalt heran-
gebildet hat, und die vor keinen Schwierigkeiten zurückschreckende Schulung
kennen und vollauf würdigen zu lernen. Herr G. Briedl schloß mit dem »Fest-
präludium« über Hendels »Seht, er kömmt mit Preis gekrönt^; und der Choral-
Intonation »Asperges me« für Orgel von F. Neuhofer — einem grandiosen
Werke voll unübertrefflicher Schönheiten — das Programm. Seine Meisterschaft,
mit der er die Orgel beherrscht, ist geradezu staunenswert. Die Herren Fachlehrer
Georg Wolfgruber und Emanuel S c h e i b, welche die gewiß große Mühe des
Einstudierens aller der vorgeführten Musikstücke über hatten, sind zu dem schönen
Erfolge des Konzertes, welches mit dem Absingen der Volkshymne seinen Abschluß
fand, herzlichst zu beglückwünschen. Herr Direktor Konsistorialrat Anton P len In-
ge r kann stolz sein, an der Spitze eines solchen Institutes zu stehen, das seit
einigen Jahren bereits solch herrliche Vorführungen bietet, dessen enorm charitati-
ves Wirken in dieser harten Zeit mehr als je dankenswert ist.
Seite 750. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 6. Nummer.
Sowohl bei der Hauptprobe am 2. Mai wie auch bei der 2. Aufführung am
10 Mal war der Saal jedesmal mit den Hospitanten der theologischen Lehranstalt,
der beiden Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten und anderen Schulen voll
liesetz. Am 16. Mai 1. J. wurden die Verwundeten einzelner Linzer Spitäler zur
Aufführung geladen.
Für unsere Kriegsblinden.
Beschwer de von Kriegsblinden. Während es im ersten
Kriegsjahre hieß, daß kein Kriegsblinder vor Beendigung
des Krieges superarbitriert werden würde, erließen die
Militärbehörden vor einiger Zeit den Auftrag an die Landeskom-
missionen zur Fürsorge für heimkehrende Krieger zur sofortigen
Superarbitier u n g der in den Anstalten ausgeschulten blinden
Soldaten.
Die Veranlassung zu diesem Auftrage soll die Beschwerde des
k. k. Blinden-Erziehungsinstitutes in Wien gegeben haben, daß
Kriegsblinde in dieser Anstalt verbleiben und sich nicht der Super-
arbitrierung unterziehen lassen wollen, obwohl manche unter ihnen
bereits eine Tabaktrafik oder ein Haus der Grimm 'sehen Aktion er-
halten haben. Darauf hin erfloß die Entscheidung, daß Kriegsblinde,
deren Schulung beendet ist, zu superarbitrieren und aus der Anstalt
zu entlassen seien. Eine Hinausschiebung ist nur dann gerechtfertigt,
wenn eine im Interesse des Betreffenden eingeleitete Wohlfahrts-
aktion noch nicht zum Abschlüsse gelangt ist (Tabaktrafik, Kriegs-
blindenheimstätte u.dgl.) Die Heeresverwaltung trägt jedoch
in jedem Falle n u r d i e K o s t e n der e 1 n j ä h r i g e n S c h u 1 u n g.
Blinde, die sich nicht entsprechend unterrichten lassen wollen und
hiedurch einen nachteiligen Einfluß auf die anderen Kriegsblinden
ausüben, sind der zuständigen Nachbehandlungskommission vor-
zustellen.
Ist ein solcher Erlaß wirklich vorhanden und wie vertragen
sich seine Bestimmungen mit den Versprechungen, die man uns
seinerzeit gemacht hat?
Mehrere Kriegsblinde.
Der Erlaß ist tatsächlich erflossen und im Inhalte richtig wieder-
gegeben. Wir können die Zuschrift nur der Öffentlichkeit übergeben,
um die zuständigen Stellen zu einer näheren Erklärung zu ver-
anlassen.
Die Schriftleitung.
— Trauung ei.nes Kriegsblinden. Am 3. Mai 1. J. fand Inder Pfarr-
kirche zu Guntramsdorf bei Wien die Trauung des kriegsblinden k. u. k. Offiziers-
stellvertreters i. P. Geoj-g Bö gl mit Fräulein Marie Frisch statt. Als Trauzeugen
fungierten Regierungsrat A. Meli und der Bürgermeister von Guntramsdorf
J. Rosecker. Die Trauung vollzog in feierlicher Weise Pfarrer Czerny. Durch
die Munifizenz des Vereines »Kriegsblindenheimstätten« wurde dem Kriegsblinden
ein nettes Häuschen samt Garten angekauft und erfreut sich derselbe auch des
besonderen Entgegenkommens sämtlicher Behörden von Guntramsdorf.
— Vortrag eines Kriegsblinden für Kriegsblinde. Einen ungemein
esselnden Vortrag hielt der Wiener Lehrer Louis Schmidinger im mittleren
Konzerthaussaale zu Gunsten der Kiiegsblinden. Herr Schmidinger ist Feld-
webel-Kadettaspu^nt. Er ist zu Beginn des Krieges in russische Kriegsgefan-
Herausgeber: Zentralyerein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionsicomitee: K. BUrklen^
J. Kneis, A.T. HorTath, F. Uhl. — Druck Ton Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
genschaft geraten, hat zweiundzwanzig Monate meist im Lager von Nikolsk-Ussu-
risiiyj geschmachtet und ist wärend der Kriegsgefangenschaft erblindet. Als Aus-
tauschinvalider ist Lehre: Schmidinger im Juli v.J. in die Heimat zurückgekehrt.
Er hielt in den letzten Monaten bei einzelnen Ersatzkörpern der verschiedenen
Regimenter Vorträge über seine furchtbaren Erlebnisse in Rußland. Dem Vortrag
wird allgemein mit großem Interesse entgegengesehen.
— Wehrschild feier an der Meidlinger Realschule. An der
Staatsrealschule in Meidling fand anläßlich des Geburtsfestes der Kaiserin eine
Wehrschildfeier statt. Der Schild, ein Werk Professor Ulrichs, wurde nach einer
Ansprache des Direktors Dr. Ellin ger, einer Aufforderung zur regen Teilnahme
am Liebeswerk durch den Religionsprofessor Jungbauer, dem Vortrag der
eigenen Dichtung eines Schülers und Absingung der Volkshymne und »Donau-
wacht« mit Begleitung des Schülerorchesters der Öffentlichkeit übergeben. Der
■erste Tag brachte schon die stattliche Summe von 600 K, die wie alle folgenden
Erträgnisse den Kriegsblinden zufließen.
— Tabaktrafik für einen Kriegsblinden in Temesvar. Der in
Blindenkreisen sehr bekannte Herr Artur Weisz in Temesvar richtete dem Zugs-
führer des 61. Inf. Reg., der an der italienischen Front gänzlich erblindete und
einen Fuß verlor, eine Tabaktrafik mit Stempel-, Marken- Rauchrequisiten und
Schreibrequsiten -Verschleiß ein. Der Besitzer des Hauses, Herr Ludwig Weisz
überließ ein Geschäftslokal gänzlich gratis. Schon in dieser kurzen Zeit, brachte
Herr Arthur Weisz dieses Geschäft zu solchem Schwünge, daß Jakob Ernst
heute schon einer sorgenfreien Zukunft entgegensehen kann. Und Jakob Ernst
hat sich überraschend rasch eingearbeitet und führt sein Geschäft mit unermüdlichem
Eifer, Lust, Umsicht und großer Geschicklichkeit.
— Veranstaltungen:
- Ausstellung des Photoklub in seinen Klubräumliclikeiten W^ien I.
Seilergasse zugunsten der Kriegsblinden.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende Mai 1. J.
— Neue Freie Presse: 1,100.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 2,360.000 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 380.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 55.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 23.000 K.
Bücherschau.
— Arnold Berger: Erziehung zur Gemeinnützigkeit. (A. Haase,
Prag, 1913.) Dieses vortreffliche Buch zeigt die Wege zur sozialen Erziehung unserer
Jugend. Der Verfasser hält es für möglich, daß die Menschen in ihrer großen Masse
mit tätiger Nächstenliebe, mit dem Gefühle für die Verantwortung erfüllt werden
können, die sie auf sich laden, wenn sie sich der Darbenden und Unglücklichen
nicht annehmen. Dazu hält er eigene Unterweisungen für Gesinnungsbildung, durch
die die Jugend aller Schularten planmäßig zu praktischer Humanität, zu großzügigen
sozialen Reformen angeregt wird, für unerläßlich. Wie dies geschehen könne, dafür
gibt der Verfasser zum erstenmal einen zusammenfassenden höchst wertvollen Hinweis.
Und stehen die Abschnitte bezüglich der Wohltätigkeit, der Hilfe für alle Unglück-
lichen, zu denen vor allem die vier- und dreisinnigen Menschen zählen, am nächsten.
Wenn hier die Blindenfürsorge nur flüchtig und allgemein berührt ist, so dürfte
eine Neuauflage dieses Versäumnis wohl gut machen. Das von flammender Menschen-
liebe durchwehte Buch sollte in jedes Erziehers Hand sein. Mehr aber noch sollte
sich jeder Erzieher bemühen, die darin niedergelegten Grundsätze einer sozialen
Jugendbildung zur Tat werden zu lassen.
von Oskar Pichte
Bromberg.
A für Punktschrift M 85.80 B für gewöhnliche Schrift M 80.—
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Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
PI Bezugspreis □
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n 4 Kronen, D
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n 40 Heller. ^
4. Jahrgang.
Wien, Juli 1917.
7. Nummer.
NHHLT: Siegfried flitmann. Wien: ita res video. Die Kriegsblindenfürsorge in
Oberösterreich, Krain, Dalmatien und Bukowina 1915, 1916. Eine neue Erfin-
dung im Blindenwesen. Personalnachrichten. Rus den Anstalten. Aus
den Vereinen. Baron Jedina-Palombini: Wir Kriegsblinden. Für unsere
Kriegsblinden. Verschiedenes. Briefkasten. (Altes und Neues. Ankündigungen).
:B=
=B
D
D
^"Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien Vlll,
g Josef Städterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. d
Dlm. -min
Altes und Neues.
Die ewigen Wege.*
Ich kann das Wort nicht hören, mit dem so mancher an sozialen
Aufgaben und sozialer Pflichterfüllung sich vorüberstiehlt — das
Wort: »Was kann ich da tun?« O doch, es kann jeder von uns
etwas tun; es kann ein jeder von uns hineinhorchen in das große
traurige Lied, das das Leben singt und dessen Kehrreim immer
lautet, daß es so viel Leid gibt auf der Welt und so wenig Allgemein-
sinn für Hilfe. Es kann jeder von uns hineinsehen auf den ungeheuren
Zug der Mühseligen und Beladenen, der tagtäglich an uns vorüberzieht,
und heimlich zu seiner eigenen Seele sprechen : »Hier muß ich helfen!«
»Wenn dann jene Schar Waisenkinder an mir vorübergegangen
ist, so begegnen mir die Lehrer und Lehrerinnen, die zur nahegelegenen
Taubstummenanstalt gehen. Nun muß man ja nicht lange sinnen, um
eine wehmutsvolle Gedankenverbindung zuwege zu bringen, die in
dem Begriffe liegt: taub, stumm, blind, geistig verkümmert,
geistig umnachtet. Wie viele soziale Arbeit im edelsten Sinne
des Wortes leisten die Männer und Frauen, die mit warmen Herzen
und, ich möchte sagen, mit Christusgeist in den Anstalten für die
Ärmsten unter den Armen heilen, helfen, lehren, Existenzmöglich-
keiten, für das spätere Leben schaffen helfen, soweit sich solche
schaffen lassen. Wie viele Hilfskräfte haben sie nötig, zum mindesten
Hilfskräfte finanzieler Art, — und warum, steht ihr nicht in den Reihen
derer, die hier helfen wollen?«
»Du sollst dich also daran erinnern, daß du eigentlich mithaft-
bar bist für deiner Brüder leibliche und geistige Not. Gott wird dich
einmal zur Rechenschaft dafür ziehen, warum du seine Güter geizig
für dich behieltest und warum du nicht Sorge trägst, daß sie in den
tausend Kanälen privater und öffentlicher Wohltätigkeit und sozialer
Hilfe auch deinen Mitmenschen zugute kamen. Gott wird dich zur
Rechenschaft dafür ziehen, warum du die Seele deines Bruders und
deiner Schwester in geistigem Siechtum verkommen ließest, und er
wird die Seele deines Bruders und deiner Schwester fordern aus
deiner Hand.«
»Nicht jeder kann helfen in jeder Not. Aber die Not, die dir
begegnet, gerade dir und keinem anderen, die ist dir ganz gewiß
von Gott gesandt. Und vielleicht hilft niemand, wenn du nicht hilfst,
wenn du nicht rettest, wenn du nicht leiblich oder geistig eine Tat
der Barmherzigkeit vollbringst. Vollbringst du sie, dann wird sie sicher
einmal das Gegengewicht sein gegen die Last der verhängnisvollen
Schale an der Wage des ewigen Gerichtes für deine arme Seele.
Vollbringst du sie aber nicht, — wer weiß es? — dann hast du viel-
leicht gerade das nicht getan, was den Ausschlag im Urteile Gottes
über dich hätte geben können.«
*Dr. J, Klug: Die ewigen Wege. (F. Schöningh, Paderborn.)
4. Jahrgang. Wien, Juli 1917. 7. Mummer.
^ »Erinnere dich der Verlassenen ^
^ und eine W^elt geht dir auf!« ^
jOi JIM
^ M. V. Ebner.Eschenbach. ^
Ita res Video.
(Aus meiner Mappe).
Von Siegfried Altmann, Wien.
Prolog: »Es ist ja, bei einem fortschreitenden Tun
und Handeln, nicht die Frage, was einzeln lobens-
oder tadelnswert, bedeutend oder unbedeutend
sei? sondern was im Ganzen für eine Richtung
genommen worden und was daraus zuletzt für das
Individuum selbst, für seine nächsten Zeitgenossen,
irgend für ein Resultat sich ergeben und was
daher für die Zukunf zu hoffen sei.« (Goethe.)
Blindenfürsorge: Ein überdefiniertes Wort, in welches man so
vielerlei Sinn hineingeschoben bat, daß es schier anfängt gar keinen
besonderen Sinn mehr zu haben.
*
Die Vorzüge der Blindenfürsorge sind nur die Inkognitos der
Mängel der Blindenversorgung.
*
Von zwei Seiten muß die BHnden fürsorgefrage in Angriff genom-
men werden: Die Blindenfürsorgeverhältnisse selbst müssen Gegen-
stand der Reform sein, und der Blinde, der unter ihnen leidet, muß
Widerstands- und anpassungsfähiger gemacht werden.
*
Die Blindenfürsorge soll der Blindenerziehung stets einen Schritt
voraus sein.
Seite 756.
Zeitschrift für das östereichische Blindenwesen.
7. Nummer.
Man soll in Blindentürsorgefragen nie kleinlich genug sein.
Diejenige Blindenfürsorge ist die beste, die sich überflüssig
macht.
Frederic Harrison erklärte jeden Tag für verloren, an dem man:
nicht über das Los der Armen und seine Verbesserung nachgedacht hatJ
Wohltaten:
Wohltaten, still und rein gegeben,
Sind Tote, die im Grabe leben.
Sind Blumen die im Sturm besteh'n,
Sind Sternlein, die nicht untergeh'n.
(Claudius im Wandbecker-Boten).
j'Kriegsblindenfürsorgetee im Ho-
tel Bristol . . . konzertiert die
beliebte Salonkapclle . . . wie
allwöchentlich . . . amüsant . . .
die artistische Leitung liegt in
den Händen . . .«
In der Blindenfürsorge wird die Wohltat Plage.
»Undankbarkeit ist eine Erfindung falscher Wohltäter« — ist ein
Ausspruch, den — wenn ich nicht irre — - Multatuli getan, was indes
der Wahrheit desselben keinen Abbruch tut.
Intermezzo: > Diene dem Ganzen, indem du für die sorgst,,
welche in irgend einem Sinn dir anvertraut sind,
und hilf dir selbst, so daß du der Sorge der
andern nicht bedarfst, sondern selbst Sorgen über-
nehmen kannst.« (Jodl. Vom Lebensweg. II./49).
*
Der Blindenlehrer sei nicht nur Landmann, sondern auch Bergmann.
*
Vorsorgen — und ohne Ehrgeiz voller Ehre — sei die Eigenschaft,
Vordenken — und ohne Dünkel wissend — sei das "Merkmal, Vor-
kämpfen — und aus Schwerstem helfend, als ob es nichts wäre —
sei die Tugend des Blindenlehrers.
Johann Wilhelm. Klein: das alte Testament des Blindenwesens.
*
Ludwig August Fr an kl: Führender nicht aus Amt, Würde und
Zeichen, sondern als bester Kamerad der Blinden ; — eine schöne,
seltene und glückliche Vermählung von Arzt, Dichter und Mensch.
losef Labor: Ein Ephesischer Goldschmied mit der fröhlichen
Morgenröte der Jugend in infinitum . . .
Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 767.
Univ. med. Dr. Philipp Silberstern: Ein Adeliger ohne >von«.
Josef Herz: Unbeirrte Schlichtheit (die wortlos ist, aber voll ein-
facher Tat) von der Art Jan van Eycks, der auf sein Werk schrieb:
»Als ikh kan« . . .
*
Wer in einem physikalischen Institut arbeiten will, muß doch
offenbar früher Physik lernen, und wer unterrichten will, muß früher
Pädagogik studieren, — das ist klar. Nur Blindenfürsorge kann man
ohne Erfüllung der notwendigsten Vorbedingung betreiben . . .
*
. . . ? ?
*
. , . Pseudofürsorger.
*
. . . und geistige Farbenblindheit gibt es auch: Freund Urian ist
nicht fähig, in der Blindenfürsorge schwarz von weiß zu unterscheiden.
*
Augenblickliche Devise in der Blindenpädagogik: Soviele Köpfe,
soviele Sinne.
*
Der Mangel des rechten Zusammenwirkens aller vorhandenen
Kräfte im Interesse des Zweckes und Zieles konnte es erreichen, daß
die Blindenlehrer sich heute ins Schlepptau nehmen ließen, statt als
Führer die Richtung zu weisen, in der es vorwärts kommen soll.
*
Diese organisative Unerzogenheit zeitigte auch, daß selbst ernste
Fachmäimer die auserlesensten Ideen der Pseudofürsorger zu genießen
und — zu verdauen wissen.
*
Ich bescheide mich, bloß angeregt zu haben, wo bessere Männer
vollenden mögen: -.Günstige Erfolge zeitigt die Beschäftigung von
Kriegsblinden bei der Massenherstellung von elektrischen Installations-
materialien, wie sie in den Siemens-Schuckertvverken in Berlin durch-
geführt wird. Direktor Perls berichtet darüber auf Grund der Erfah-
rungen mit 20 Blinden in >Werkstatttechnik€, H. 2. 1917: Die Arbeiten
sind teils solche von Hand, teils solche an kleineren und größeren
Maschinen; Wechsel in der Arbeit hat sich als vorteilhaft erwiesen.
Guter Wille seitens des Verletzten und persönliches Interesse des
Arbeitsgebers sind Voraussetzung des Erfolges. Eine Schwierigkeit ist
die Abhängigkeit der Blinden von ihren Führern. In den meisten Fällen
finden sie aber Frauen, die sie heiraten, so daß sie von fremder Hilfe
unabhängig werden. Der Verdienst der Leute ist nach kurzer Übung
bei Akkordlohn etwa 55 Pf. die Stunde; zusammen mit der Ihnen
zustehenden staatlichen Unterstützung (ca. 114 M. monatlich) verdienen
sie also genügend, um mit ihrer Familie ohne Sorge leben zu können.«
Seite 758.
Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen.
7. Nummer.
Zeichen der Zeit.
Aufruf !
. . . Kriegsblinden ,
Erkenntnis beseelt,
um eine dauernde
für die so schwer
handelt . . .
. . von der
daß es sich
Fürsorge
Getroffenen
Der Vereinsvorstand:
Kommerzialrat X,
Kommerzialrat Y,
Kaufmann Z.
(Matth. XVI/3).
Aufruf!
. . Postaphon von Wurfschmidt .
. . . Finanzierung dieser Er-
findung . . . Realisierung . .
Geldmittel ...
Der Arbeitsausschuß:
X, Blindenschuldirektor.
Y, Blindenlehrer.
Z, Blindenlehrer.
Die Sätze, die ich im Folgenden anführe, habe ich mir aus dem
Autsatze »Ein Wort über Blindenbücher< von Museumsdirektor Pro-
fessor Dr. Schramm-Leip zig herausgezogen, weil sie mir wertvolle
Wahrheiten zu sein scheinen: »Im Gutenberg-Keller des Buchhändler-
hauses zu Leipzig , . .waltet heute Marie Lomn i t z-Kl amroth, die
Leiterin der Deutschen Zentralbücherei für Blinde, ihres Amtes. Gute,
einwandfreie Bücher, darauf kommt es an, will man den Blinden wirklich
den Segen des Lesens von Literatur der verschiedensten Art zuteil
werden lassen. Was wird auf diesem Gebiet nicht alles gesündigt !
Gewiß, die da auf diesem Gebiet in uneigennützigster Weise vielfach
schaffen, sind vom besten Willen beseelt, das Resultat ist aber meist,
wenn auch nicht ganz, so doch fast unbrauchbar. Und das liegt weder
im Interesse des Verfassers noch des Verlegers, der sein Einverständ-
nis und seine Erlaubnis zum Herstellen seiner Werke in Blindenschrift
gegeben hat. Der Blinde muß auch von den in Braille-Schrift herge-
stellten Werken den Eindruck haben, daß der Verleger alles getan hat,
um ein einwandfreies Buch dem Publikum zu bieten, daß es dem Ver-
fasser in jeder Beziehung mit seinem Buch Ernst gewesen ist. Inhaltlich
bis aufs kleinste genau und unmißverständlich muß das Buch auch in
Blindenschrift vorliegen, ja, selbst die Ästhetik des Buches darf nicht
außer Acht gelassen werden. Wenn manche Verleger, manche Verfasser
wüßten, wie ihre Bücher in Blindenschrift voller Unstimmigkeiten, ja
Widersinnigkeiten wiedergegeben sind, sie würden ihre Erlaubnis nie
und nimmer geben.
Zur Herstellung eines Buches in Blindenschrift gehört wahrlich
mehr als die Kenntnis des Blinden-Alphabets und guter Wille. Eine
Unsumme von Momenten will beachtet sein, soll ein wirklich einwand-
freies Buch entstehen. Marie Lomnitz-Klamroth hat in jahrelanger
Praxis gefunden, was not tut, und ein festumrissenes System geschaf-
fen, das heute in einer schmucken Broschüre unter dem Titel »Anleitung
fiir handschriftliche Übertragungen in Punktschrift« vorliegt. Was
die Praxis ihr an Erfahrungssätzen an die Hand gegeben hat, hat
sie hier zusammengefaßt. Blinden-Literatur, die nicht auf dieser
7. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Bhndenwesen. Seite 759.
Grundlage hergestellt ist, sollte heute überhaupt nicht melir ausge-
geben werden. . . . Was nützen all die Neugründungen von Blinden-
büchcreien, von Druckereien und Abschreibergruppen, wenn den
betreffenden Personen jegliches Verständnis und jegliche Kenntnis
der elementarsten Grundsätze des Blindenbuches abgehen ! Auch
hier tut Fachkenntnis bitter not. Fort mit aller Wohltätigkeitsduselei
auch auf diesem Gebiet ! Man schaffe auch hier Kulturwerte ! Verfasser
wie Verleger sorge in Zukunft mit dafür, daß nur noch Brauchbares
herausgegeben wird!«,. . .
*
Blindenfürsorge : das Wort ist nicht übel. Wollte nur die
Sorge nachkommen.
*
Es gehört zu den vornehmsten Aufgaben des Blindenlehrers,
die Zöglinge zur Freude zu erziehen, d. h. sie fähig zu machen, die
Kunst zu üben, sich zu freuen. Die Freude ist für das geistige
Wohlbefinden aller Menschen unsagbar nützlich. Und in der Blinden-
schule heißt die starke Schwungkraft für die Tat des ersten Wurfes
und die Tat der letzten Hand : Freude.
Die Gründung der Blindenfürsorge auf die Blindenerziehung
ist nur eine verkehrte Konstruktion.
Epilog: »Mir ist alles lieb und wert, was treu und
stark aus dem Herzen kommt, mag's übrigens
aussehen wie ein Igel oder wie ein Amor.«
(Goethe, Briefe.)
Die Kriegsblindenfürsorge in Oberösterrerdi, Krain, Dalmatien
und Bukowina 1915, 1916.
O ber Österreich : Mit dem grundlegenden Erlasse des k. k.
Ministeriums des Innern vom 29. Oktober 1915, ZI. 22.981/M. I.,
wurden die Landeskommissionen als Bindeglieder zwischen dem
Kuratorium des beim genannten Ministerium errichteten Kriegsblinden-
fonds und den einzelnen Kriegsblinden ausersehen und hat die
oberösterreichische Landeskommission auf Grund der Direktiven des
k. k. Ministeriums des Innern und im Einvernehmen mit dem Kuratorium
des Kriegsblindenfonds die im Jahre 1915 begonnene Organisation
der Kriegsblinden-Fürsorgetätigkcit in Oberösterreich im Berichtsjahre
1916 weiter fortgesetzt und ausgestaltet.
Den so überaus notwendigen persönlichen Verkehr mit den
Kriegsblinden des Landes hat das Mitglied des Schul- und Arbeits-
ausschusses der oberösterreichischen Landeskommission, Hochwürden
Herr Konsistorialrat Anton Pleninger, Direktor der Privatblinden-
anstalt in Linz, übernommen, wodurch die oberösterreichische Landes-
kommission in die Lage versetzt wird, jedem einzelnen KriegsbUnden
Seite 760. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 7. Nummer. ^
mit Rat und Tat beistehen und für die künftige Gestaltung seines
Lebensweges Vorsorge treffen zu können.
Bis zum Schlüsse des Berichtsjahres 1916 sind der oberöster-
reichischen Landeskommission 11 Kriegsblinde gemeldet worden,
wovon 1 Mann, als nach Steiermark zuständig, in die Obsorge der
steiermärkischen Landeskommission abgegeben wurde.
Mit 2 von den angemeldeten Kriegsblinden war eine Fühlung-
nahme nicht erforderlich, da dieselben infolge anderweitiger Versor-
gungsmöglichkeit die Obsorge der oberösterreichischen Landes-
kommission überhaupt nicht angestrebt haben.
Von den übrigen 8 aus Oberösterreich stammenden Kriegsblinden
haben 5 über Veranlassung der oberösterreichischen Landeskommission
die Ausbildung in der Bürstenbinderei des k. k. Blinden-Erziehungs-
institutes in Wien, II., erhalten, wovon 3 in Oberösterreich als
Bürstenbinder verbleiben AvoUen, während 1 sich bereits in Wien als
selbständiger Meister niedergelassen hat und 1 in Niederösterreich
zu verbleiben gedenkt ; die beiden letzteren, sowie ein in Oberösterreich
ansässiger Kriegsblinder haben die Obsorge der oberösterreichischen
Landeskommission hinsichtlich ihrer weiteren Versorgung bisher noch
nicht angestrebt.
Mit der am 1. Mai 1916 erfolgten Eröffnung des Landes-Blinden-
heims in Salzburg haben nach den bestehenden Vorschriften die aus
Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Voralberg stammenden Kriegs-
blinden in dieser Anstalt die Ausbildung durchzumachen und hat
die oberösterreichische Landeskommission dermalen 3 Kriegsblinde
daselbst zur Ausbildung als Bürstenbinder untergebracht.
Unterstützungen seitens der Landeskommission genießen von
den erwähnten 8 Kriegsblinden 4 Mann, und zwar die erwähnten 3
außerhalb einer Anstalt ansässigen in Form von monatlichen Beiträgen,
während ein im Blindenheim in Salzburg bis zu seiner weiteren Ver-
sorgung untergebrachter Kriegsblinder vorläufig eine Schreibmaschine
erhalten hat. Weiters wurden noch Beträge für Krankenkosten und
Werkstätteneinrichtung geleistet.
Krain: Die Landeskommission hat sich mit den bei ihr für
Zwecke der Kriegsblindenfürsorge einlaufenden Spenden dem Kriegs-
blindenfonds für die österreichischen Staatsangehörigen der gesamten
bewaffneten Macht in Wien angeschlossen, welchem die im Berichts-
jahe eingelangten Gelder im Gesamtbetrage von 5868 K 74 h nach
Ablauf jedes Kalendervierteljahres eingesendet wurden. Die Tätigkeit
der Landeskommission hatte sich daher in diesem Fürsorgezweige
auf die fortlaufende Evidenzhaltung aller im Lande befindlichen, aus
der Spitalspflege bereits entlassenen Kriegsblinden, auf die gelegent-
liche Gewährung dringender kleinerer Unterstützungsbeträge aus den
hiefür gewidmeten Spenden, Vermittlung von Arbeitsgelegenheiten,
dann auf die Berichterstattung über Unterstützungen und auf die
fallweise Beantragung sonstiger Fürsorgemaßnahmen für einzelne
Kriegsblinde an den Vorstand des Kriegsblindenfonds in Wien zu
beschränken.
Auf Grund der abgegebenen Gutachten wurde über Antrag der
Landeskommission zur Auszahlung von einmaligen Unterstützungen
7. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seile 761.
sowie als Ersatz der Kosten der Reise zur fachärztlichen Untersuchung
an die als bedürftig erkannten Kriegsblinden im Berichtsjahre ein
Betrag von 5000 K vom Wiener Kriegsblindenfonds zur Verfügung
gestellt.
Außerdem erhielt der auf beiden Augen erblindete Johann
Urbanc in Drnovo. Bezirk Gurkfeld, für die Herstellung der Wohn-
und Wirtschaftsgebäude eine Unterstützung im Betrage von 2000 K.
Im übrigen wurden, wie schon erwähnt, besondere, ein sofor-
tiges Eingreifen bedingende Fälle, dem Vorstande des Wiener Fonds
berichtlich zur Kenntnis gebracht.
Im Berichtsjahre wurden im Lande 59 Kriegsblinde, darunter
nur 3 auf beiden Augen Erblindete, gezählt, von welchen 43 sich
zur oberwähnten fachärztlichen Untersuchung einfanden. Die Unter-
bringung in einem Blindeninstitute wurde in einem Falle zwar versucht,
scheiterte jedoch an dem passiven Widerstände des Blinden und
seiner Familie.
Dalmatien: Was die Fijrsorge für die Kriegsblinden betrifft,
so sind der Landeskommission bis Ende der Berichtsperiode Ausweise
über drei derartige Fälle zugekommen. Ein Kriegsblinder wurde in der
Odilien-Blinden-Änstalt in Graz, ein zweiter in der Abteilung für
kriegsblinde Soldaten der Blindenanstalt des St. Veit-Vereines in
Zagreb, im Bürstenbinden unterrichtet. Beide sind nach der Superar-
bitrierung in die Heimat entlassen. Die Kommission bemüht sich
gegenwärtig, denselben eine BUrstenbinderei einzurrichten und ihnen
mit Hilfe des Kriegsblindenfonds ein bescheidenes Anliegen zu
verschaffen. Der Dritte, bei dem noch Reste eines Sehvermögens
vorhanden sind, wurde von der genannten Blindenanstalt in Agram
einer geeigneten Nachbehandlung zugeführt.
Bukowina: Für die Unterbringung von erblindeten, eventuell
auch taubstumm gewordenen Invaliden wurde das Blinden- nnd
Taubstummeninstitut in Czernowitz in Aussicht genommen, welches
Raum für 40 — 50 Personen bietend, dem bezüglichen Bedarfe eine
angemessene Subventionierung vorausgesetzt, voll und ganz entsprechen
■würde. An Kriegsblinden wurden fünf Invalide in Evidenz genommen,
von denen vier vorläufig im k. k. Blindenerziehungsinstitut in Wien IL,
untergebracht sind, während beim fünften (Karl Häkel) neben der
gänzlichen Erblindung eine anscheinend unheilbare Geisteskrankheit
konstatiert wurde.
Eine neue Erfindung im Blindenwesen.
So nennt Hofrat Professor Dr. F. Dimmer ein Vervielfältigungs-
verfahren, das Dr. M. Herz, der Erfinder der sogenanten »Klang-
schrift«, für den Punktdruck entdeckt hat und gibt folgendes darüber
bekannt.
»Während bisher bei dem Brailleschriftdruck die Buckel aus
dem Papier durch Zinkplatten herausgepreßt wurden, erzielt Herz
die Erhabenheiten auf dem Papier durch Auftragen einer fremden
Seite 762. Zeitschrift für das österreichische Blindenvvtsen. 7. Nummer.
Masse aul das Papier mittels einer darauf gelegten Schablone. Hie-
durch wird es ermöglicht, jedes dünne und billige Papier, selbst
Makulatur, zu verwenden, und zugleich bleibt die Schablone für die
Anfertigung beliebig neuer Exemplare des Buches erhalten. Die
Schablone wird aus dünnem, geöltem oder irgendwie wasserdicht
gemacht^;! Papier oder aus Zelluloid derart hergestellt, daß
man sie entsprechend den Zeichen der Brailleschrift durchlocht.
Hiezu hat der Erfinder einen sehr einfachen Apparat konstruiert, der
aus zwei init einem Gelenk scharnierartig verbundenen länglichen
Stahlplatten besteht, welche die Brailleschriftzeiehen als Löcher, die
in beiden Platten korrespondieren, enthalten. Das zur Ausführung
der Schablone bestimmte Blatt wird zwischen die Platten gelegt und
die r^öcher werden in dem Blatte durch Einführen eines Griffels in
die Löcher der Stahlplatten erzeugt. Die fertige Schablone wirci dann
auf das zu bedruckende Blatt gelegt und mit einer dicklichen, an
der Luft erhärtenden Masse bestrichen, welche aus Dextrin, Kleister,
Gummiarabikum oder Mischungen dieser Substanzen oder auch aus
Druckerschwärze besteht. Die Masse dringt durch die Löcher der
Schablone ein und verklebt an diesen Stellen mit dem darunter lie-
genden Papier. Nach Abziehen der Schablone hat man ein Papier
vorsieh, welches die Brailleschen Schriftzeichen als tastbare Buckel zeigt.
Durch diese sehr einfache und billige Methode gelingt es, den
Druckereibetrieb für Blindenschriftbücher zu dezentralisieren
und zu einer Hausindustrie zu gestalten. Die ganze Ausrüstung
einer solchen Druchcrei kostet nicht mehr als zirka 150 Kronen.
Es hat iinmcr P'rauen gegeben, welche sich höchst verdienstlich
damit beschäftigt haben, Bücher für Blinde in Brailleschrift abzu-
schreiben. Durch die Erfindung des Dr. Herz wird es ihnen inöglich,
Abzüge zu machen, also gleichsam eine Druckerei für Blindenschrift-
bücher zu etablieren. Außerdem verbleiben die für jedes Buch
angefertigten Schablonen für spätere Abdrucke und stellen einen
dauernden und wertvollen Besitz der Blinden dar, der entsprechend
der Nachfrage, die nach den einzelnen Werken unter den Blinden
herrscht, später zu neuen Auflagen der Bücher benützt werden kann.
Die Leistungsfähigkeit einer solchen häuslichen Blindenschriftdruckerei
ist groß. Je nach Geschicklichkeit und Fleiß lassen sich in einem
Tage etwa 500 Blatt und mehr herstellen.
Der unter dem hohen Protektorat des Erzherzogs Karl Stephan
und unter Leitung des Präsidenten des Technischen Versuchsamte»
Exzellenz Wilhelm Exner stehende Verein »D ie Te chnik für die
Kriegsinvaliden« hat sich in werktätigster Weise der Herz'schen
Erfindung angenommen. Es werden seitens des Vereines in seinen
Werkstätten Bücher für Blinde auf die hier geschilderte Weise her-
gestellt. Der Verein unterstützt ferner die häusliche Arbeit, das heißt
die Einrichtung von Hausdruckereien durch Unterricht in dem Ver-
fahren, durch Hersfellung und Vertrieb der sehr einfachen Apparate
zum Schablonieren. Eine sehr wichtige Gründung ist ein Blinden-
stan zendr u ck archi V, das in den Räumen des genannten Vereines
aufgestellt wird. Es sollen dort alle durch die Arbeit in den Vereins-
lokalitäten und in den Heimwerkstätten gewonnenen Schablonen für
7. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 763.
spätere Benützung aufbewahrt werden. So wird ein Zentrum geschaffen,
an das sich die Blinden selbst, sei es direkt, sei es durch die
Blindenanstalten und Blindenvereine, behufs Erlangung weiterer
Abzüge bestimmter Werke werden wenden können.«
Wir stehen also abermals vor einer Erfindung des Herrn
Dr. Herz, und sehen, wie sich, sicher in der wohlmeinendsten Weise,
Hofrat Dr. Dimmer wie der Verein »Die Technik für die Krieg-
invaliden« dafür einsetzen und sie ins Leben zu rufen suchen.
Das geschah seinerzeit bei der »Klangsschrift« desselben Erfinders
ebenso, obwohl wir heute sagen müssen, daß diese Erfindung
entgültig abgetan ist. Unser sachliches Urteil sagte dieses Ereignis
voraus. Nun müssen wir uns notgedrungen auch mit der neuen Er-
findung befassen und geben vor allem unserer Verwunderung Aus-
druck, daß mit einer Sache, die noch gar nicht spruchreif ist, wieder
in dieser Art vor die Öffentlichkeit getreten wird. So freudig wir
jedes Interesse für die Blindensäche und jede neue Erfindung im
Blindenwesen begrüßen, müssen wir doch auch jetzt wieder fragen:
»Welches Urteil haben die Blinden und die Fachleute des Blinden-
wesens über den neuen Blindendruck? Ist der neue Schriftdruck von
Blinden gelesen worden und welche Erfahrungen wurden damit
gemacht und seit welcher Zeit?« Welche Bedingungen berechtigen
den Verein »Die Technik für die Kriegsinvaliden« zu derartig hoch-
fliegenden Plänen in dieser Sache?«
Wir leben in einer Zeit, welche die Arbeitsgebiete vielfach
verschiebt. Aber wohin soll es kommen, wenn sich Arzte und Tech-
niker mit Blindendruck und Kommerzialräte mit Kriegsblindenheim-
stätten beschäftigen, während sich Blinde und Blindenpädagogen mit
Beschaffung von Geldmitteln für eine technische Erfindung, wie das
»Postaphon« befassen müssen? Und das alles ohne gegenseitige
Fühlungnahme, ohne gedeihliches Zusammenwirken!
Unser Urteil über das neue Druckverfahren der Punktschritt
wollen wir von einer sachlichen Prüfung abhängig machen, obwohl
wir jetzt schon sagen müssen, daß die Erfahrungen mit früher ganz
ähnlicli hergestellten Reliefschriften für Blinde an der Verwendbarkeit
stark zweifeln lassen. Verwahren möchten wir uns aber gegen den
Versuch, unsere für Übertragung von Blindendruck mühsam gewonne-
nen Frauen ihrer erprobten Aufgabe abwendig zu machen, bevor die
neue Erfindung auf halbwegs sicherem Boden gegründet ist, denn
wir wollen nicht Schaden davontragen, wo der Sache nicht genützt
werden kann. Darüber helfen uns auch die hochflegendsten Ankün-
digungen und Versprechungen nicht hinweg.
Personalnachrichten.
— Am 12. Juni d. J.. fanden in Klosterneuburg an der kirchenmusikalischen
Abteilung der k. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst die Reife-PrüfunL^en
statt. Unter den 8 Kandidaten befand sich auch Karl Bar tos der von 1908—1915
Z()gling der n. ö. Landesblindenanstalt in Purkersdorf war.
Am 25. September 19l5 wurde Bar tos auf Grund einer Aufnahmsprüfung
in den II. Jahrgang der kirchenmusikaHschen Abteilung der Akademie aufgenommen.
Seite 764. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 7. Nummer.
Nach zwei Jahren eifrigen Studiums hat nunmehr der strebsame junge Mann die
Reifeprüfung als R eg erusc h or i und Gesangslehrer mit gutem, die Prüfung
als Organist mit ausgezeichnetem Erfolge abgelegt. Wir beglückwünschen
Karl Bar tos zu diesem schönen Ergebnis seines beharrlichen Fleißes und freuen
uns mit ihm, daß es ihm gelang, sein vorläufig gestecktes Ziel zu erreichen. Der
Fall hat aber noch eine über das persönliche Moment hinausgreifende prinzipielle
Bedeutung : zum erstenmal hat es sich ereignet, daß der Zögling einer Blinden-
anstalt in einer staatlichen Musikhochschule Aufnahme fand, sie absolvieren
konnte und von ihr ein staatsgültiges Zeugnis erhielt.
Wir müssen der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß dieser Fall nicht verein-
zelt bleibe. Für die Ausbildung blinder oder schwachsichtiger Musiker eröffnen sich
alsdann neue, weite Perspektiven.
Möge es Herrn Karl Bar tos recht bald vergönnt sein, ein seinen
Kenntnissen und Fähigkeiten angemessenes Arbeitsfeld zu finden, um sich eine
Lebensstellung zu schaffen, die ihn gegen die kleinlichsten Alltagssorgen ausrei-
chend sichert.
Aus den Anstalten.
— Asyl f;ir blinde Kinder in Wien XVII. Der vom Vereine für
»Kinder- und Jugendfreunde« in der Generalversammlung am 4. d. M. erstattete
Bericht zeigte, wie inmitten der Vernichtung des Krieges im »Asyl für blinde
Kinder« Werke der Tröstung, Heilung und Wieder-autrichtung an den ärmsten aller
Kinder geübt werden. Seit den 36 Jahren seines Bestandes wurden daselbst Hun-
derte von diesen Kindern des Elends vereinigt, um ihnen die sorgsamste Pflege,
die liebevollste Erziehung zuteil werden zu lassen. Während der Kriegszeit gewann
diese segensvolle Einrichtung noch erhöhte Bedeutung, denn heute beherbergt das
Asyl auch eine Anzahl von kriegsbetroffenen blinden Waisenkindern. Nach einer
von Dechant W. Binder gegebenen Anregung sollen in der Zukunft auch taub-
stumme und schwachsinnige Kindern in den Wirkungskreis des von Frau Jenny
Pupovac in mustergiltiger Weise geleiteten Asyles gezogen werden.
An Stelle des verstorbenen kais. Rates S. Gerber wählte die Generalver-
sammlung Direktor K. Bürklen zum Obmanne und Architekt J. Fröhlich zum
Stellvertreter. Eine Dankcssrh'ild wurde an die seit der Gründung dem Vereine
angehöligen verdienstvollen Mitglieder kais. Rat Direktor S. Heller und Buch-
drnckereibesitzer R. Spies durch Ernennung zu Ehrenmitgliedern abgetragen.
— Die Odilien-Blindenanstalt für Steiermark im Jahre 1916.
Der vom Odilienvereins-Ausschusse ausgegebene Bericht verzeichnet in dem von
Direktor Dr. J. Hartinger geleiteten Anstalten nachstehende Zahl von Pfleg-
lini.en.
Erziehungsanstalt: 37 Knaben, 33 Mädchen = 70 Zöglinge
Männerheim: 26 Pfleglinge
Mädchenheim: 27 Pfleglinge.
Die Zahl der der Anstalt zur Ausbildung überwiesenen Kriegsblinden erhöhte
sich von 14 auf 40. Der Unterrichtsbetrieb büLUe von den üblichen Stundenzahl
nichts ein, obwohl die Anstalt ihre Räume mit den Kriegsblinden teilte, nachdem
das Katholische Lehrerkonvik', das eineinhalb Jahre in (1er Anstalt untergebracht
war. aus derselben schied. Die Zuteilung der Kriegsblinden machte manche Neu-
einrichtungen, namentlich Erweiterung der Werkstätten und Schlafsäle, not-
wendig.
Des verstorbenen Adjunkten Peter Le hofer wird in warmen Worten gedacht;
ebenso der Hingang einiger Zöglinge und erwachsener Zöglinge beklagt. Als
festl.ches Ereignis verzeichnet der Bericht das 25jährige Dienstjubiläum des Werk-
meisters Josef B a u m g a r t n e r.
flus den Vereinen.
— I. Ost. Blindenverein in Wien VIII. Der unter dem Obmanne
.\. V. Horvath stehende Verein zählte nach dem Bericht über das Veieinsjahr
l'Jlb 10 Ehrenmitglieder, 135 Gründer, 214 Stifter, 4646 unterstützende Mitglieder,
436 blinde Mitglieder (darunter 41 Kriegsblinde) und zahlreiche Wohltäter und
7. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 765.
Spender. Die freundliche Aufnahme, welche die mit dem Kalender ausgesandten
Werbekarten beim Publikum fand, brachte nicht nur zahlreichen Musikern und
Klavierstimmern lohnenden Verdienst, erhöhte den Absatz der Erzeugnisse der
blinden Handwerker, sondern ermöglichte auch die gesteigerte Hilfeleistung an die
durch den Krieg ganz besonders hart betroffenen Blinden. Außerdem war
es aber auch möglich, dem seit Jahren angestrebten Ziele der Erwerbung eines
Vereinshauses zur Unterbringung der Werkstätten und übrigen Einrichtung näher
zu kommen.
16.776 K wurden 1916 in Geld und Arbeitsmaterial an notleidende Blinde
verausgabt und in 316 Fällen Arbeit an Klavierstimmer, Musiker, Sesselflechter etc.
vermittelt. Die Genossenschaft blinder Handweiker konnte trotz enormer Preise
und Knappheit sämtlicher Rohmaterialien ihren Betrieb aufrecht erhalten und ihren
Arbeitern dank der Förderung des Vereines den schweren Lebenskampf einiger-
maßen erleichtern. Die für 24 Leser gewährte Postportobe^Unstigung wurde im
abgelaufenen Jahre fast erschöpft, ein erfreulicher Beweis der Steigerung des Lese-
bedürfnis.ses bei Blinden in der Provinz; ebenso fand auch das in 370 Exemplaren
3 mal im Jahre erschienene Vereinsorgan lebhaftes Interesse. Die Krankenkasse für
Wien, welcher . derzeit 55 Mitglieder angehören, zahlte 493 K in 12 Fällen
Krankengeld. Die Bitte der Vereinsleitung an die Wohltäter um Spenden zur
Weihnachtsbetcilung war von einem auficrordentlich schönen Erfolge begleitet, so
daß gegen 300 Blinde zu Weihnachten beschenkt werden konnten.
Besonderer Dank gebührt auch dem geehrten Direktorium der Versorgungs-
und Beschäftigungsanstalt für erwachsene Blinde in Wien, welche durch mehrere
Monate hindurch je 100.— K zur Unlei Stützung Blinder beistellte und 3 Blinden
einen unentgeltlichen Mittagstisch gewährt.
Wir Kriegsblinden.
Für Kaiser und Reich gaben viele ihr Leben
Wir haben die- Augen als Opfer gegeben —
Das letzte, das wir alle gesehen,
Das war eine Mauer, die sahen wir stehen —
Es ist eine Mauer braver Soldaten,
Deutsche und Polen, Magyaren, Kroaten
Und ob nun der Russen verwegene Scharen,
Rumänen oder Welsche es waren,
Wir fochten gerne, keiner ward weich,
Den Kaiser galt's ja und Österreich —
Dann hat jeden von uns seine Kugel getroffen
Erst war es ein langes Sehnen und Hoffen,
Bis wir's bewußt geworden sind,
Wir sind's nicht nur, wir bleiben blind.
Da wollte uns fast das Herz zerreißen,
Die Zähne mußte man zusammenbeißen
Um nicht hinaus in die Welt zu schreien.
Daß lieber wir tot als erblindet seien.
Doch wie dann die Körper langsam gesunden.
So hat auch die Seele sich wieder gefunden —
Vor allem hat sie uns eines gebracht —
Der Stern der Liebe durchleuchtet die Nacht.
Er weist uns einen verschlungenen Pfad,
Den Lieb' uns gesucht und gefunden hat.
Es ist der schmale Pfad zum Glück,
Seite 766. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen. 7. Nummer.
Gar mancher irrt ab und bleibt zurück.
Es ist ein harter, beschwerlicher Weg,
Über manch grausen Abgrund führt er hinweg
Herauf dringt das Heulen der Verzweiflung —
Die uns ihr wehrloses Opfer schon wähnen.
Doch schließlich endet auch diese Qual,
Es öffnet sich uns ein liebliches Tal —
Millionen sehen wir glücklich leben:
Auch dalür hast du deine Augen gegeben !
Wir sehen manch friedlichen, häuslichen Herd,
Ist vieler Glück nicht zwei Augen wert ?
Wir erkennen des Vaterlandes herrliche Macht,
Auch du hast dazu einen Baustein gebracht —
Stolz sehen wir Habsburgs Banner wehen:
Soll dieses sinken und du sollst sehen?
Und wir erkennen tief drinnen im Herzen:
Umsonst nicht waren alle Schmerzen,
Umsonst nicht haben wir gestritten,
Umsonst nicht Furchtbares gelitten,
Umsonst ist nur der Feinde Wut,
Sie bricht sich an treuer Krieger Mut —
Wir taten ehrlich unsere Pflicht,
Gott, Kaiser und Volk vergessen es nicht;
Wenn wieder einmal euch Verzweiflung umtobt,
Denkt dran, Kameraden, was einst ihr gelobt —
Die Pflicht auf dem Schlachtfeld ist nun getan,
Für uns fängt der Kampf um das Leben nun an;
Keiner von uns darf unterliegen.
Wir müssen, wir können, wir werden siegen !
Gewiß: Wir verloren das Augenlicht,
Stolz, Ehre und Mut verloren wir nicht ;
Wir weichen keinen Fußbreit zurück.
Wir erobern es wieder: Das verlorene Glück!
Baron Jedina-Palombini.
Für unsere Kriegsblinden.
— Hochzeitsf-st von vier Kriegsblinden. Pfingstsonntag fand in
der Pfarrkiiche in Kaisermühlen und in der Magaretener Pfarrkirche die Trauung
der vier Kriegsblinden Franco Kwitek, Wilhelm Sittler, Karl Müllner, und
Karl Wanzenböck mit ihren Bräuten statt. Erschienen waren Abordnungen der
Roten Kreuzes, das durch ansehnliche Geldbeiträge die Gründung des eigenen
Herdes der blinden Ehemänner ermöglichte. In Vertretung Erzherzog Karl Stephans
Herr Oberst Gloß, der alle Gebühren bestritt, die Kommandanten des Rekonvales-
zentenheims in Kaisermühlen, eine Deputation der Kriegskameraden, die Mitgliedes
des Hilfskomitees, geführt von dem durch seine humanitäre Wirksamkeit im 2. Bezirke
bekannten Industriellen Herrn Peter Falger, der sich mit seiner Gattin um die
vier neuvermählten Paare überaus verdient gemacht hat. Um 3 Uhr nachmittags
versammelte sich die ganze Hochzeitsgesellschaft in Drehers Etablissament, 3. Bezirk,
Hauptstraße. Der bekannte Wirt Herr Lembacher, mit seinem Mitarbeiter Herrn
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische BHndenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Bürklec,
J. Kneis, A. r. Horrath, F. Uhl, — Druck Ton Adolf Englisch, Purkeridorf bei Wien.
Franz Schneider, hatte im festlich dekorierten, mit dem KaiserVjildnis geschmückten
Festsaale eine Tafel von 60 Gedecken und ein reiches Menü beigestellt. Auch
Hochzeitsgeschenke gab es, aus Spenden der Stammgäste bei Dreher, von Widls
»Grünen Jäger,« Praterstraße, vom »Eisvogel« im Prater, vom Ehepaare Falger
und Herrn Lembacher bestritten. Ein Quartett aus den Musikern Polesny,
Massari k, Kovarik und Goldstett hatte uneigennützig die Tafelmusik beigestellt.
Die mit einem überaus schwungvollen Kaisertoast abschließende Festrede hielt
Professor Ed.' Nasche r. Herr Falger leerte sein Glas auf das Wohl der vier
Brautpaare und händigte ihnen je 50 K ein. Noch dankte Herr Falger dem Herrn
Lembacher, seiner eigenen stets hilfsbereiten Gattin, dem Roten Kreuz, wie
allen edlen Spendern. Mit der jubelnd akklamierten Volkshymne endete das Fest.
Besuch des Erzherzogs Karl Stephan bei Kriegsblinden.
Der Protektor der Kriegsfürsorge, Admiral Erzherzog Karl Stephan, der
sich bekanntlich in ganz hervorragendem Maße und in jeder Weise für die, Kriegs-
blinden tatkräftig einsetzt, erschien beim Praterkommissariat und machte dem um
die Kriegsblindenfürsorge verdienten • Polizeibezirksleiter Regierungsrat Otto Ritter
v. Roth einen Besuch. Der Erzherzog besuchte dann in Begleitung des Regierungs-
rates Ritter v. Roth die drei im Piater befindlichen Tabaktrafiken, die Kriegs-
blinden verliehen worden sind, nämlich die des Alois Pohl im Schützengraben,
erster Teil, die des Anton Blaschka im Schützengraben, zweiter Teil, und die
des Georg B ig ge in der Kriegsausstellung. Er sprach die in den Trafiken beschäf-
tigten Angehöligen der Kriegsblinden an un i erkundigte sich nach dem Geschäfts-
gänge. Er ließ sich auch über die Verhältnisse berichten und freute sich, zu hören,
daß die Trafiken ganz nette Erträgnisse ergeben und so für die Opfer des Krieges
gesorgt sei. Mit seinem ganz unerwarteten Besuche hat der Erzherzog den Leuten
große Freude bereitet.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende Juni 1. J.
— Neue Freie Presse: 1,120.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 2, 460.000 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 380.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 55.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 23.900 K.
Verschiedenes.
— Theatervorstellung für Blinde. In einer großen englischen
Blindenanstalt veranstaltete kürzlich die bekannte englische Theatertruppe von
Rene Kelly eine Vorstellung. Die Zuhörerschaft bestand durchwegs aus Blinden,
mit alleiniger Ausnahme einiger Ordner und Wärter, Die Mitwirkenden auf der
Bühne trugen weder Masken noch Kostüme, auch gab es weder Dekorationen
noch einen Vorhang. Ebenso fehlte jeglicher Beleuchtungsaufwand. Die Rampen-
und Soffittenlichter brannten nicht, auf der Bühne herrschte ein mattes Halbdun-
kel, in dem kaum die Konturen der Agierenden zu erkennen waren. Von Requisiten
gab es nur eine Glocke, die wiederholt in dem Stücke gezogen wird, und eine
Porzellantasse, die der Held zu zerbrechen hat. Die Blinden hatten, wie es heißt,
viel Vergnügen an dieser für Vollsichtige völlig unzureichenden Aufführung und
spendeten am Schlüsse der Vorstellung großen Beifall.
Briefkasten.
— An mehrere Kriegsblinde. Wir können in ihrer Angelegenheit
leider nichts m«hr tun. Auf die Veröffentlichung ihrer Beschwerde ist bisher keine
Antwort erfolgt. Man hat also der Öffentlichkeit darüber nichts zu sagen. Auch
eine Antwort und noch dazu eine vielsagende !
von Oskar Picht.
Bromberg.
A für Punktschrift M 85.80 B für gewöhnliche Schrift M 80.—
= fisyX für blinde 3(inder =
Wien, XVII., HernalseK Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpflichtigen Alter aus allen österreichi-
schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
Die „Zentpolbibliotheh fiii^ Blinde in Osteppeicli",
Wien XVIII, Währlnger Gürtel 136
verleiht ihie Bücher kostenlos an alle Blinden.
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„DIE PURKERSDORFER"
■Wien V., Nikolsdorfergasse 42.
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Das Biatt ersdieint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
Bezugspreis
ganzjährig mit
Postzustellung
4 Kronen,
Einzelnummer
40 Heller.
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4. Jahrgang.
Wien, August 1917.
8. Nummer.
IMHHLT: Der Blinde des Orients im Spiegel des morgenländischen Schrifttums
Die Kriegsblindenfürsorge in Schlesien. Krtegsblindenfonds im k. k. Mini"
sterium des Innern. Die Sprechmaschine „Postaphon" und die Blinden-
Heinrich Kipper: Der Blinde. Personainachrichten. Aus den Anstalten. Aus
den Vereinen. Für unsere Kriegsblinden. Verschiedenes. (Altes und Neues.
Ankündigungen).
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3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien Vlli,
3 Josef Städterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K, [7
Ulm riilD
flites und Neues.
»Aus Wunde n und Wonnen« v o n H e i n r i c h K i p p e r.*
Keinen besseren Namen hätte der auch im Reiche schon
bekannte und o^eschätzte deutsch-österreichische Verfasser seinem
eben erschienenen Buche geben können, dessen Erlös für den Verein
»Kriegsblindenheimstätten« bestimmt ist. Nicht Weltschmerz, keine
bloß seelischen Wunden, auch körperliche sind es, die ihn niederge-
worfen haben. — Oberleutnant Heinrich Kipper, im bürgerlichen
Leben Professor an der k. k. Lehrerinenbildungsanstalt zu Czerno-
witz, hat für sein heimatliches Buchenland, die Bukowina, gekämpft
von Beginn des Krieges im Anfange August 1914 an und dann auch,
für dieses geblutet, als es das erste Mal vor der russischen Übermacht
geräumt werden mußte, und es galt, ihr den Übergang über das
Gebirge nach Siebenbürgen zu wehren. Den ganzen Neujahrstag 1915
hat an den steilen Karpathenhängen die kleine Schar Kippers
gekämpft, der, weil er keine Offiziere beim Bataillon mejir hatte,
»nicht nur Bataillons , sondern auch vierfacher Kompagnie- und sech-
zehnfacher Zugskominandant« sein mußte. Bis zehn Uhr nachts
wenigstens muß er den Gebirgssattel halten. Ein paar Minuten vorher
ereilt ihn daß Schicksal : Eine russische Schrapnellkugel durch-
schlägt ihm das Bein unter dem Knie; mit steter Lebensgefahr, unter
den größten Schmerzen wird er zurückgeschleppt, auf schmalen, ver-
eisten und abschüssigen Wegen über Jakubeni und die Mogura hinüber
gefahren nach Bistritz im Siebenbürger Sachsenland und nach Wien
überfülirt, wo ihm das Bein abgenommen wird. — Krüppel auf
Lebenszeit! der vorher so Lebenskräftige! — der Verzweiflung entrei-
ßen ihn mit den ergreifenden Lazaretteindrücken, und das [viel schwierigere
Los der Erblindeten — der treue Beistand der Gattin^ind seine Dichtkunst.
Die vom Verfasser in seinem Buche »Aus Wunden und Wonnen«
uns vorgeführten Verwundetentypen, Weib und Kind an seinem
Schmerzenslager, seine Leidensgedichtchen, sein tränenbetauter gött-
licher Humor, die Trostbriefe begnadeter Freunde, die Mundartproben
usw. usw. bieten soviel Erhebendes und Großes, daß Kippers Buch
als ein köstliches Dokument dieser Kriegskulturepoche noch in späten
Jahren geschätzt werden wird..
Was alle Phantasie unserer Dichter in den Schatten stellt und
hinter sich zurückläßt, daß ist die von Kipper erlebte und in ergreifender,
oft in erschütternder Weise und in schlichten Worten dargestellte
Wirklichkeit. Was in den Herzen unserer Helden vorgeht, was ein
Schwergetroffener leidet und empfindet: es erzählt davon das Buch
Kippers.
An mehreren Stellen seines Buches gedenkt Kipper mit herz-
licher Teilnahme seiner kriegsblinden Kameraden, denen er den
Ertrag des Buches widmet. Möge recht starker Absatz den Dichter
und Geber erfreuen und einen namhaften Beitrag dem edlen- Zwecke
zuführen.
Das Gedicht: »Der Blinde« geben wir aus Kippers Buch an
anderer Stelle wieder.
*) H. Kipper: »Aus Wundt-n und Wcnnen.« Tagebuchblätter eines Verwun-
deten aus dem Wiener Lazarett. — München, Müller und Fröhlich, Verlagsbuch-
handlung, geb. 250.
4. Jahrgang.
Wien, August 1917.
8. Nunnmer.
^ »Ich verlange von Gott das Recht auf einen Bissen Brot, ^
-^ meine Herren!« Anmt blinder Bettier in Ägypten. ^
Der Blinde des Orients im Spiegel des
morgenländischen Schrifttums.
Die orientalischen Länder sind überreich an Blinden. Gesundheits-
schädliche Einflüsse des Klimas, Unsauberkeit und das Fehlen ärztlicher
Hilfe, wie der im Glauben der Orientbewohner liegende Fatalismus
sind die Ursachen und Wurzeln des unverschuldeten Übels. Strafweise
Blendungen, wie sie bis in das vorige Jahrhundert namentlich an Kriegs-
gefangenen sehr häufig waren, kommen jetzt wohl nicht mehr vor;
freiwillige Blendungen nur vereinzelt bei religiösen Fanatikern.
Wenn die Zahl der Blinden im Orient auch nicht an die vielfach ver-
breiteten phantastischen Übertreibungen heranreicht, so ist sie immer
noch erschreckend hoch genug und es gibt kein Gebiet der Erde, in
welchem die Blindheit dieselbe Verbreitung erlangt hätte, wie im
Orient.*
In der Überzahl sind die orientalischen Blinden auf die Mild-
tätigkeit ihrer Glaubensbrüder angewiesen, denen der Koran das
Almosengeben zur religiösen Pflicht macht. »Ich vei lange von Gott das
Recht auf einen Bissen Brot, meine Herren!« ruft der blinde Bettler
die Vorübergehenden an. Almosen heischen ist für ihn weder verboten,
noch entehrt es ihn. »Gott vermehre dein Gut!« ist sein Dank an die
Schenkenden. Die meisten von ihnen sagen Sprüche aus dem Koran
her, denn in dieser Betätigung finden sie einen religiösen Beruf.
Begabte BUnde werden darin besonders unterwiesen, um später als
Koranlehrer für sehende Kinder, als Vorbeter und Ausrufer in den
Moscheen und bei Leichenbegängnissen tätig zu sein, wofür sie meistens
gut belohnt werden. Mitunter findet man auch singende und musizie-
*) Über Verbreitung und Ursachen der »Blindheit im Orient« hat Dr. M. Mcyer-
hof eine kurze, aber zusammenfassende Darstellung in der »Deutschen Optischen
Wochenschrift« (Jahrg. 1915/16, Nr. 20, Berlin) gegeben.
Seite 772. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 8. Nummer.
rende Blinde. In den Harems der Vornehmen werden Blinde beiderlei
Geschlechtes von den barmherzigen Frauen mit durchgefüttert und bei
Festlichkeiten verwendet, die kein Männerauge sehen darf. BHnde
Mädchen dienen daselbst zur Unterhaltung und oft nicht besonders
zarten Belustigung.
Damit ist im allgemeinen das Los der Blinden im Orient gekenn-
zeichnet. Wie religiöse Motive ihm sein Dasein erleichtern, ist aus der
allgemeinen Hilfsbereitschaft zu ersehen, mit der man ihm entgegen-
kommt. Vielfach ist man geneigt, ihm wenigstens geistig eine höhere
Stellung einzuräumen, denn hervorragenden Blinden legt man nicht
den Beinamen »der Blinde«, sondern »der Sehende« bei.
Moderne Bestrebungen zur Besserung des Loses der Blinden sind
im Orient kaum in den ersten Anfängen vorhanden. Die Zustände
haben sich während vieler Jahrhunderte kaum geändert und so ergibt
sich im Spiegel des morgenländischen Schrifttums auch ein heute noch
zutreffendes Bild über die Verhältnisse der Blinden.
Neben dem Koran sind im Orient die Erzählungen aus >Tausend
und eine Nacht« das Buch der Bücher. Zahllose farbenprächtige, bald
phantastisch-groteske, bald wieder lebenswahre, zartempfundene und
entzückende oder derb-humoristische Bilder ziehen darin an den Augen
des Lesers vorüber. In der Menge der Personen aus allen Gesellichafts-
schichten hat auch der Blinde seinen Platz und wir können mancherlei
von ihm hören. Wir folgen in unserer Wiedergabe aber nebenbei auch
dem größten Nachdichter der orientalischen Literatur, unserem vers-
gewandten deutschen Fr. Rückert, der mit seiner »Weisheit des
Brahmanen« und den »Makamen des Hariri« morgenländisches Dichten
und Denken ausschöpfte und widerspiegelte.
Beginnen wir mit jenem Blinden, der im Orient die hervorstechendste
Rolle spielt, mit dem blinden Bettler.
Rückert führt ihn uns folgendermaßen vor:
Den Weg am Berg empor beschließt ein Gittertor,
Nur schwankend angelehnt; ein Bettler sitzt davor.
Er bettelt nicht, gelehnt auf seinen Bettlerstab,
Der Betschnur Kügelchen betet er schweigend ab.
Er schaut nicht, sondern horcht, denn sein Gesicht ist blind.
Ob sich ein Fußtritt naht, dann hebt er sich geschwind.
Dem Wandrer öffnet er die beigelehnte Pforte ;
Der Wandrer geht hindurch und jener bleibt am Orte.
Doch gibst du ihm ein klein Almosen, sagt er drauf :
So tue Gott dir einst das Paradiestor auf!
Doch wenn du nichts ihm gibst, so sagt er nicht ein Wort
Und ohne Segen gehst du von dem Bettler fort.
Die Spruchweisheit des Orientes mahnt daher schon die Jugend
mit eindringlichen Worten und macht ihr Mildtätigkeit zur Pflicht.
Wenn du den Blinden siehst, den armen Mann, den kranken
Nach dürft'ger Gab' umher an seinem Stabe wanken;
8. Nummer. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen. Seite 773.
Bedachtest du dabei, womit du das, o Kind,
Verdienst, daß du nicht auch bist arm und krank und bUnd?
Nicht dein Verdiest ist das, erkenne Gottes Gaben
Und klage nicht, daß du bist anders auch beladen.
Wie könntest du vor Scham ganz sorglos aufrecht stehn,
Und sähest so in Staub gebückt den Bruder gehn!
Freilich begegnet der blinde Bettler nicht in allen Menschen den
Gebenden, Zartfühlenden und Hifsbereiten. Olt wird er lästig und als
Landplage empfunden.
Der von blinden Bettlern gemachte Ausruf: »Vier Blinde für einen
Kreuzer« zeigt von keiner großen Einschätzung. Von gleicher Anschau-
ung war der türkische Eulenspiegel des 14. Jahrhunderts Naßr-ed-
din bei folgendem Schwank:
»Als Naßr-ed-din einmal am Ufer eines Flußes saß, kamen
fünf bis zehn Blinde und schlössen mit ihm das Übereinkommen, er sollte
sie für je einen Asper (Geldstück) an das jenseitige Ufer bringen. Während sie
nun der Meister einzeln hinüber brachte, fiel einer von ihnen unver-
sehens ins Wasser. Als die andern Blinden hierüber ein Geschrei
erhoben, sagte der Meister: »Was erhebt ihr ein Geschrei.? Gebt
einen Asper weniger!«
Mitunter widerfahren dem blinden Bettler recht traurige Erlebnisse.
Davon zeigt eine der Geschichten aus »Tausend und eine Nacht«, die
der Scheich Es-Samit, der das Handwerk eines Barbiers treibt, dem
Chalifen El Muntasir erzählt. Sie lautet:
Geschichte des dritten Bruders des Barbiers.
Was nun meinen dritten Bruder anlangt, den Blinden, so führte
ihn das Schicksal und die Bestimmung einmal zu einem großen Hause,
an dessen Tür er pochte, um den Herrn des Hauses zu sprechen und
etwas von ihm zu erbetteln. Auf sein Pochen fragte der Hausherr:
»Wer ist an der Tür?« Da ihm mein Bruder keine Antwort erteilte,
lief er mit lauter Stimme: »Wer ist da.?« Mein Bruder gab auch dies-
mal keine Antwort und hörte nun seine Fußtritte, bis er an die Tür
kam, sie öffnete und fragte: »Was wünschest du?« »Etwas um Gottes,
des Erhabenen, willen,« antwortete mein Bruder. Darauf fragte er:
»Bist du ein Blinder?« Mein Bruder antwortete: »Ja.« »Dann gib mir
deine Hand,« sagte der Hausherr. Als mein Bruder ihm nun die Hand
gereicht hatte, führte er ihn ins Haus und stieg mit ihm die Treppen
hinauf, bis er die oberste Plattform erreicht hatte, während mein Bruder
glaubte, er wolle ihm etwas zu essen geben oder schenken. Oben
angelangt, fragte er dann meinen Bruder: »Was wünschest du, Blinder?«
Mein Bruder antwortete: »Etwas um Gottes, des Erhabenen, willen.«
Darauf antwortete er ihm: »Gott wird öffnen!«*) Nun sagte mein Bruder
zu ihm:- »Ach, warum hast du mir das nicht unten gesagt?« Der Haus-
besitzer antwortete ihm darauf: ^Elendester der Elenden, warum hast
du mich nicht um etwas um Gottes willen gebeten, als ich auf dein
Pochen zum erstenmal fragte: Wer ist an der Tür?« Mein Bruder ent-
gegnete nun: »Und jetzt, was willst du mit mir tun?« Er antwortete:
*) d. h. Du erhälst nichts von mir.
Seile 774. Zeitschrift für das österreichische Blindcnwesen. 8. Nummer.
»Ich habe nichts dir zu geben.« »So führe mich zur Treppe,« sagte
mein Bruder. Er versetzte: »Der Weg ist vor dir.« Darauf erhob sich
mein Bruder und ging zu den Treppen. Schon war er so weit hinunter-
gestiegen, daß nur noch zwanzig Stufen zwischen ihm und der Tür
lagen, da ghtt er mit dem Fuß aus und zerschkig sich, die ganze
Treppe hinunterstürzend, den Kopf
Wie er hinaustrat und nicht wußte, wohin er sich wenden sollte,
stießen einige seiner blinden Gefährten zu ihm und fragten ihn, wie es
ihm den Tag über ergangen sei. Da erzählte er ihnen sein Mißgeschick
und sagte : »Meine Brüder, ich möchte etwas von dem Gelde, das wir
zu Hause aufbewahrt haben, nehmen und für mich verwenden.« Der
Hausbesitzer war aber meinem Bruder nachgefolgt, um näheres von
ihm zu erfahren, und vernahm meines Bruders Worte, ohne daß mein
Bruder merkte, daß ihm jemand nachging; er merkte es auch nicht,
daß er mit ihm in seine Wohnung eintrat, in welcher er seine Gefähr-
ten erwartete.
Als nun dieselbf^n ankamen, sagte er zu ihnen : »Verriegelt die
Tür und durchsucht das Haus, ob nicht etwa ein Fremder uns gefolgt
ist.« Als der Mann diese Worte meines Bruders vernahm, stand er
auf und hängte sich an ein Seil, welches von der Decke niederhing,
so daß sie, ohne beim Durchsuchen des ganzen Hauses jemand gefun-
den zu haben wiederkehrten und sich an der Seite meines Bruders
niedersetzten. Dann holten sie ihr Geld hervor, zählten es und fanden
etwas mehr als zehntausend Dirhem. Nachdem ein jeder von dem Über-
schuß einen Teil für seine Bedürfnisse genommen hatte, vergruben sie
die zehntausend Dirhem wieder in einem Winkel des Hauses, beschaff-
ten sich etwas zum Essen und setzten sich zur Mahlzeit nieder. Plötz-
lich hörte mein Bruder eine fremde Stimme neben sich und fragte
seine Freunde: »Ist etwa ein Fremder unter uns?« Dann streckte er
seine Hand aus und, wie er nun die Hand des Hausbesitzers zu fassen
bekam, schiie er seinen Gefährten zu: »Hier ist ein Fremder!« und sie
fielen mit Schlägen über ihn her und prügelten ihn so lange, bis es
ihnen über wurde; dann schrieen sie: *Ihr Gläubigen, ein Dieb ist zu
uns eingedrungen, der uns unser Geld nehmen will.«
Als nun eine große Menschenmenge zu ihnen eindrang, stellte
sich der fremde Mann ebenfalls blind, dainit ihn keiner in Verdacht
haben könnte, und schrie: »Ihr Gläubigen, ich rufe Gott und den
Sultan an, ich rufe Gott und den Wali an, ich rufe Gott und denEmir
an, ich habe dem Emir einen wichtigen Rat zu erteilen;« und ehe
sie sich's versahen, waren auch schon die Leute vom Wali da, um-
ringten sie und führten alle mitsamt meinem Bruder vor den Wali.
Auf die Frage des Walis, was es gäbe, sagte der fremde Mann:
»Höre mein Wort, o Wali! wie es sich in Wahrheit mit uns verhält,
wirst du nur durch Schläge herausbekommen. Wenn du es willst, so
fange mit mir an und schlage mich zuerst vor meinen Gefährten.«
Der Wali befahl infolgedessen ; »Werfet diesen Menschen zu Boden
und peischt ihn aus.« Sie taten es und, als ihn die Hiebe schmerzten,
öffnete er das eine seiner Augen und nach weiteren Hieben das andere.
Da sagte der Wali zu ihm: »Was hat diese Verstellung zu bedeuten,
8. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 775.
du Schurke?« Er antwortete: »Begnadige mich, so will ich es dir
ansagen.« Darauf begnadigte ihn der Wali und er sagte nun aus:
»Wir vier stellen uns blind, um auf diese Weise in die Häuser ein-
zudringen und die Frauen zu sehen zu bekommen, sie mit List zu verführen
und Geld von ihnen zu erhalten; auf diese. Weise haben wir bereits viel
Geld — zehntausend Dirhem — zusammengebracht. Als ich nun
von meinen Gefährten zweitausendfünfhundert Dirhem als meinen
Anteil verlangte, fielen sie mit Schlägen über mich her und nahmen
mir mein Geld. Deshalb bitte ich Gott und dich um Schutz; du ver-
dienst meinen Anteil eher als meine Gefährten. Wenn du die Wahrheit
meiner Worte erfahren willst, so schlage nur jeden von ihnen mehr
als mich, dann werden sie schon ihre Augen öffnen.«
Hierauf erteilte der Wali Befehl, sie zu züchtigen, und der erste,
der geprügelt wurde, war mein Bruder, den sie nicht eher losließen,
bis er halb tot war. Dann sagte der Wali zu ihnen: »Ihr Schurken,
verleugnet ihr Gottes Wohltat urid stellet euch blind ?« Mein Bruder
rief: »Gott! Gott! Gott! unter uns ist keiner der sieht!« Sie aber
warfen ihn von neuem nieder und peitschten ihn zum zweitenmal bis
er ohnmächtig wurde, und der Wali sagte: »Lasset ihn jetzt in Ruhe,
bis er wieder zu sich kommt und seine dritte Tracht erhält.« Darauf
ließ er jedem seiner Genossen mehr als dreihundert Hiebe versetzen,
während der Sehende ihnen zurief: »Öffnet eure Augen oder
es setzt neue schlimmere Hiebe.« Dann sagte er zum Wali: »Schicke
jemand mit mir, daß er dir das Geld bringt, denn diese hier öffnen
aus F'urcht vor der Schande vor den Leuten doch nicht ihre
Augen.«
So schickte denn der Wali jemand mit ihm. Als ihm dieser das
Geld gebracht hatte, nahm er es und gab dem Manne davon zwei-
tausendfünfhundert Dirhem als seinen Anteil gegen den Willen der
andern; meinen Brnder aber und seine beiden Gefährten verbannte
er aus der Stadt. Da ging ich, o Fürst der Gläubigen, ihm nach und
fragte ihn, was mit ihm vorgefallen wäre; als er mir seine Geschichte
erzählt hatte, führte ich ihn heimlich in die Stadt zurück und setzte
ihm für Speise und Trank ein Bestimmtes auf Lebenszeit fest.
(Fortsetzung folgt).
Die Kriegsblindenfürsorge in Schlesien.
Der Stand der Kriegsblinden, welcher Ende 1915 vier Mann
zählte, hat sich im Geschäftsjahre 1916 durch Zuwachs von 8 Blinden
auf 12 erhöht und ist nach dem Ableben des Pomp Alois infolge
Lungentuberkulose auf 11 Mann gesunken. Von diesen sind 5 Kriegs-
blinde nach genossener Ausbildung im k. k. Kriegsblinden-Erziehungs-
institute Wien bereits in ihre Heimat entlassen, während sich 4 noch
in weiterer Ausbildung in Wien, 1 in der Klarsehen Blindenanstalt
in Prag und 1 als Geisteskranker in der Landesirrenanstalt Kremsier
befinden.
Wie schon an früherer Stelle erwähnt wurde, hat sich die
Direktion des k. k. Blindeninstitutes in derart hervorragender Weise
Seite 776. Zeitschrift für das österreichische Blindenuesen. 8. Nummer.
der schlesischen Kiieo^sblinden angenommen, daß dieselben auf die
an sie erg-angenen Anfragen, ob sie nicht lieber an dem von der
mährischen Landeskommission eingerichteten und der schlesischen
Landeskommission angetragenen Kriegsblindenheime sich ausbilden
wollen, einmütig um die Belassung in Wien baten.
Ab L Februar 1917 hat jedoch der mährische Latidesausschuß
sich bereit erklärt, auch schlesische Kriegsblinde zur Ausbildung zu
übernehmen, und es werden allfällig neu zuwachsende Kriegsblinde
dann nach Mähren überstellt werden.
Bei der Ausbildung der Kriegsblinden war in erster Linie ihre
Neigung und ihr Bildungsgrad zu einem Blindenberufe ausschlaggebend.
Es wurden 4 in der Biirstenbinderei, 4 in der Korbflechterei, 1 in
der Strickerei ausgebildet; bei 2 ist die Ausbildung noch in Schwebe,
da sie krank sind.
Große Schwierigkeiten bot die Beschaffung von Rohmaterial
für die Bürstenbinderei, da die Vorräte meistens überseeischen
Ursprunges und größtenteils aufgebraucht sind. Infolgedessen haben
die Preise eine ungewöhnliche Höhe erreicht und konnte für 400 bis
500 Kronen nur eine ganz bescheidene Auswahl der nötigsten Bedarfs-
mittel für je 1 Kriegsblinden beschafft werden.
Hiebei hat ebenfalls das k. k. Blinden-Erziehungsinstitut die
schlesische Landeskommission auf das werktätigste mit Rat und Tat
unterstützt. Die schlesische Landeskommission hat sich gleich zu
Beginn ihrer Tätigkeit für den Anschluß an den Kriegsblinde ifonds
im k. k. Ministerium des Innern ausgesprochen und die mit der
ausdrücklichen Widmung für Kriegsblinde in Schlesien gesammelten
Spenden an diesen Fonds überwiesen. Aus diesem Grunde erfolgt
die Fürsorgetätigkeit für die schlesischen Kriegsblinden stets im
engsten Einvernehmen mit dem Kriegsblindenfonds in Wien.
Sobald die schlesische Landeskommission zur Kenntnis eines
Krlegsblindenfalles gelangt, werden sogleich die eingehendsten Erhe-
bungen über die Familien-, Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des
Kriegsblinden eingeleitet und das Ergebnis dem Kriegsblindenfonds
mit einem begründeten Antrag in Vorlage gebracht.
In den meisten Fällen geht der Wunsch der Kriegsblinden
dahin, ihre weitere Zukunft soweit als möglich zu sichern und sich
drückender Schulden zu entledigen. Weiter machte sich das Verlangen
nach Erwerb einer eigenen Heimstätte bei jenen Kriegsblinden geltend,
die bisher über eine solche nicht verfügten. Waren sie aber im Besitz
einer solchen, so strebten sie verschiedene Bauherstellungen oder
Ergänzungen oder den Erwerb eines Stück Feldes an.
Die schlesische Landeskommission hat in allen Fällen, in welchen
die erforderlichen Mittel vom Kriegsblindenfonds auf die gestellten
Anträge bewilligt wurden, die zweckentsprechende Verteilung dieser
Mittel besorgt und die hiemlt verbundenen vermögensrechtlichen
Durchführungen bereitwilligst übernommen, obwohl dieselben in der
gegenwärtigen Kriegszeit und bei den schlechten Verkehrsverhält-
nissen oft mit den größten Schwierigkeiten verbunden waren.
Nach einer kurz gedrängten Darstellung der einzelnen Lebens-
verhältnisse der 12 Kriegsblinden schließt der Bericht:
8. Nummer. Zeitschrift für das österreicliische ßlindenwesen. Seite 777.
Hiemitercheint aber die Fürsoio^e für die schlesischen Kriegsblinden,
selbst wenn sie bereits in ihre Heimat entlassen sind, noch nicht
abgeschlossen, vielmehr wird ihnen dieselbe auch noch weiter zuteil
w'erden, sei es, um ihnen die Wege für ihr weiteres Fortkommen zu
ebnen, sei es, um sie auch weiterhin zu unterstützen. Zu wünschen
wäre nur, daß sich die Zahl dieser bedauernswertesten Opfer des
gegenwärtigen Krieges nicht erhöhen möchte.
Leider ist in der letzten, bis 30. September 1916 bearbeiteten
Statistik bereits eine neuerliche Steig-erung: um 5 Blinde angekündet,
sodaß Schlesien nunmehr 17 Kriegsblinde zählen wird.
Gegen unser benachbartes Kronland Mähren mit 43 Kriegsblinden
ist dieser Stand ein verhältnismäßig hoher und gewiß sehr beklagenswert.
Kriegsblindenfonds im k. k. Ministerium des Innern.
Aus der am 24. März 1. J. unter dem Vorsitze des Ministers
des Innern Freiherrn von Handel abgehaltenen Kuratoriumssitzung
tragen wie nach :
Von dem am Erscheinen verhinderten Hofrate d. R. Ritter
V. Chlumecky wurde ein Referat vorgelegt, in welchem darauf
hingewiesen wird, daß bei intelligenten Blinden, die ungeeignet tür
körperliche Betätigung sind oder ein Handwerk nicht betreiben wollen,
der Drang nach höherer Bildung besonders in letzter Zeit lebendig
geworden ist. Angeregt durch die große Zahl von aus gebildeten
Kreisen stammenden Kriegsblinden, welche ihre durch den Krieg
unterbrochenen akademischen Studien fortsetzen oder auf Grund
ihrer Vorbildung solche beginnen wollen, sei im Deutschen Reiche
im vorigen Jahre der »Verein der blinden Akademiker in
Deutschland« gegründet worden. Der Verein, hat zum Zwecke, den
Blinden das für sie bisher so schwierige akademische i]',.. d'.jm in
jeder möglichen Weise zu erleichtern, hauptsächlich dadurch, daß
alle für solche Studien notwendigen wissenschaftlichen Werke in
Punktschrift übertragen und den Studierenden leicht zugänglich
gemacht werden. Der Referent regte an, das Kuratorium möge sich
diesem Vereine anschließen und Stipendien für das Hochschulstudium
an besonders befähigte Kriegsblinde gewähren.
Vorsitzender bemerkte, daß es vor allem notwendig sei, festzu-
stellen, wie viel Kriegsblinde für ein Hochschulstudium in Betracht
kämen. Der Vorstand werde an die Landeskommissionen, denen das
Referat vollinhaltlich mitgeteilt werden soll, das Ersuchen richten,
Vorerhebungen zu pflegen und bezügliche Anträge zu stellen.
Dr. Benedikt trat in seinem Referate »Pfleger und Berater
für Kriegsblinde« dafür ein, Mittel und Wege zu schaffen, das Schicksal
der aus den ßlindeninstituten Entlassenen auch weiterhin verfolgen
zu können, etwa diirch Bestellung von vertrauenswürdigen Personen
als Patrone, Berater, Vormünder.
In der Aussprache wies Kommerzialrat Grimm auf die in Mün-
chen bereits bestehende Einrichtung hin, nach welcher das Kriegs-
ministerium für jeden Kriegsblinden einen Vormund bestellt.
Seite 778. Zeitschrift für das österreichische Hlin<lenwesen. 8. Nummer.
Der Vertreter der mährischen Landeskomniission, Direktor
Wokurek, schlug vor, mit der Verfolgung des weiteren Lebensschick-
sales der Kriegsblinden die Sozialversicherungsinstitute zu betrauen,
welche durch die Einrichtung der Beauftragten sowie durch die nötige
Kenntnis der Ortsverhältnisse leicht in der Lage seien, diese Aufgabe
zu erfüllen.
Freiherr v. Haupt sprach sich gegen die Bestellung eines
Vormundes aus. Die bestehenden Blindenvereine könnten auch für
die Kriegsblinden die geeigneten Stützen bilden.
Vorsitzender schlug vor, auch dieses Referat den Landeskommis-
sionen mit dem Ersuchen um Erstattung bezüglicher Anträge bekannt
zu geben.
Schließlich befaßte sich das Kuratorium mit einer Anregung
des Hofrates Professor Dr, Dimmer, der die Aufmerksamkeit des
Kuratoriums auf eine Erfindung des Dr. Herz lenkte, die eine einfache
und billige Vervielfältigung der Blindenschrift ermögliche. Das Verfahren
beruht darauf, daß die Blindenschrift in eine Schablone gestanzt
und diese durch Bestreichen mit einer Klebemasse dazu verwendet
wird, Abzüge in beliebiger Anzahl herzustellen. Der Preis eines
Apparates betrage nur 150 K, Mit der Vervielfältigung der Blindeii-
werke könnten mit Rücksicht auf die leichte, einfache Herstellung
Frauen betraut werden. Redner bezeichnete die Erfindung als eine
sehr beachtenswerte und beantragte, das Kuratorium möge wegen
Verwertung der Erfindung für die Kriegsblinden die notwendigen
Verhandlungen pflegen.
Vorsitzender meinte, daß es zweckentsprechend wäre, vorerst
Proben derartig hergestellter Blindenschriften den einzelnen Blinden-
anstalten zur Beurteilung und Meinungsäußerung zu überlassen.
Die Sprechmasdiine „Postaphon" und die Blinden.
Zur Verwertung der Wurfschmidt'schen Erfindung, der
Postaphon-Sprechmaschine, für Blinde fand über Einladung von
Blindenvertretern und Blindenfreunden am 11. Juni 1. J. in den Klub-
räumen des Ingenieur- und Architektenvereines in Wien die Gründung
eines Komitees statt, das sich zur Aufgabe stellt, vorerst die
erforderlichen Geldmittel zur Herstellung einer größeren Zahl von
Apparaten zu beschaffen und die Blinden damit auszustatten, worauf
dann an die Ausnützung der Vorteile des Postaphons für die Blinden,
namentlich an die Herausgabe einer sprechenden Zeitschrift und die
Erweiterung der Blindenbibliotheken geschritten werden soll.
In der vom Obmann A. v. Horvath geleiteten Versammlung
berichtete^DirektorK. Bü'rklen über die Bedeutung und die Verwendungs-
möglichkeiten des Postaphons für die Blinden. Eine Reihe von Blinden
(Braun, Herz, Holzer, Satzenhofer u. a.) gaben einmütig ein
günstiges Urteil über die neue Erfindung ab, von der sie sich einen
bedeutungsvollen Fortschritt für Blindenbildung und Blindenerwerb
versprechen.
8. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwe; en. Seile 779.
Das unter dem Ehrenpräsidium Sr. Exzellenz des Markgrafen
Alexander Pallavicini stehende Komitee, dem eine Reihe hervoi-
ragender Persönlichkeiten beigetreten ist, hat seine Arbeiten aufgenom-
men und wird alles daran setzen, das gesteckte Ziel zu erreichen.
Auch der Verein »Technik für Kriegsinvalide« (Präsident; Geheimrat
W. Exner) bezieht das Postaphon jn sein Arbeitsgebiet ein und hat
als Fachmänner die Herren Bürklen und Horvath gewählt.
Wir legen der nächsten Nummer unserer Zeitschrift eine Abhand-
lung über das Postaphon bei, deren Inhalt sicher allseits großem
Interesse begegnen wird.
Der Blinde.
Von Heinrich Kipper.
Du munteres Vöglein
Auf duftschwerer Lind',
Du hüpfendes Bächlein,
Du säuselnder Wind!
Ihr wiegt euch und scherzet
Besinget mit Macht
In goldenen Tönen
Die lenzige Pracht.
O eilt auch zum Hüttlein,
Dort wohnet mein Lieb —
Und blitzt ihm in's Auge,
Ob's treu mir verblieb !
Und forschet beim Rocken,
Ob's Muttchen nocli spinnt,
Wie trüb auch das Auge,
Die Träne noch rinnt!
Und bringet mir Kunde !
Dann weicht meine Nacht ;
Ich schau mit dem Herzen
Die lenzige Pracht.
Personalnachrichten.
— Ka i s. Rat D irekt or S. He Her. Ehrung. Am 10. Juni 1. J.
überbrachte eine Abordnung des »Vereines der Kinder und Jugend-
freunde«, bestehend aus dem Obmanne K. Bürklen, Stellvertreter
J. Fröhlich und der Leiterin des »Asyles für blinde Kinder« Frau
J. Pupovac, dem kais. Rate Direktor S. Heller das Diplom seiner
Ernennung zum Eh r e n m i t g 1 i e d e des Vereines, Seit der Gründung
geliörte Direktor Heller dem Vereine an und um Gründung und
Ausgestaltimg des »Asyles« erwarb er sich unvergängliche Verdienste.
Seite 780. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 8. Nummer.
Es war daher eine alte Dankesscliuld, die mit die.ser Ehrung abge-
tragen wurde. Die Abordnung drückte den Wunsch aus, Dhektor
Heller möge noch viele Jahre seiner ungeschwächten Arbeitskraft
dem Vereine wie dem Asyle widmen.
— Todesfall. Am 12. Juli 1. J. verschied nach langem Leiden
in Aussig a. E, die Gemahlin des dortigen Direktors der deutschen
Blindenschule Frau Katharina Rauter, durch deren Hinscheiden
nicht nur ihr Gatte sondern auch ihr unmündiger Sohn, sowie auch
die Blindenschule, in welcher sich Frau Katharina Rauter in her-
vorragender Weise betätigte, einen unersetzlichen Verlust erleiden,
denn die Verblichene zeichnete sich durch eine besondere Herzens-
und Gemütstiefe aus und die blinden Kinder verlieren in ihr eine
Mutter.
flus den Anstalten.
— V e r s o r g u n g s - und B e s c h ä 1 1 i g ii n g s a ii s t a 1 1 für erwachsene
BlindeinWienVIII.
In der von Direl<tor O. H. St o k 1 as k a geleiteten Anstalt befanden sich im
Jahre 1916 45 männliche und 54 weiV)liche Blinde. Die Zahl der in der Anstalt
untergebrachten Pflegelinge des »Roten Kreuzes« betrug 58, darunter
ein Kriegsblinder. Trotz der großen Verwaltungskosten wendete das Direktorium
während der Kriegszeit den Blinden des I. Ost. Blindenvereines durch 27 Monate
je 100 K zu, womit es seine Hochherzigkeit gegenüber den auswärtsstehenden
Blinden in schönster Weise bewies.
Der Vereinspräsident P. Michael Hersan wurde mit dem Ehrenzeichen
II. Klasse vom Roten Kreuze mit der Kriegsdekoration ausgezeichnet in Anerken-
nung der mit unserer Pflcgestätte für Verwundete in Verbindung stehenden Tätigkeit.
Das Direktionsmitglied Herr Vizebürgermeister Josef Rain erhielt die Eiserne
Krone 111. Kla.sse. Der Vizepräsident des Vereines Herr Dr. Rudolf P ro c k s ch
erreichte das 25. Jahr seiner Zugehörigkeit zur Direktion; diesen Anlaß benützte
Pi äsident P. Hersan in der Sitzung am 26. April, um die Verdienste des Genann-
ten urrt den Verein hervorzuheben und ihm für seine uneigennützige Mühewaltung
durch so viele Jahre den besten IJank auszusprechen. Feinen schweren Verlust erlitt das
Direktionsmitglied Herr Josef Bachmayr durch das Hinscheiden seiner hochbe-
tagten Mutter, der kais. Ratswitwe und Hausbesitzerin Frau Karoline Bachmayr,
Sie war auch Mitglied des Vereines und sicherte sich ein dankbares Andenken,
indem sie (neben anderen Vermächtnissen) für die Anstalt eine »Leopold und
Karoline Ba ch m a y r -.S t i f t u ng ^ mit einem Betrage von 5000 K errichtete.
— Anstalt zur Ausbildung von S p ä t e r e r b 1 i n d e t e n in
Wien XIX.
Im Mittelpunkte der Wirksamkeit, welche di^- .Anstalt im Jahre 1916 entfaltete,
stand die Fürsorge für die K r i e g^sb 1 i n d e n.
Die Anstalt zur Ausbildung von spater Eiblindetenz ä'h 1 1 e
i m V e r e i n s j a h r e 19 16 zwei im I*^ i- i e d e n e r b 1 i n rl e 1 e .S o 1 d a t e n und
fünfzehn Kriegsblinde, über die wir im vorjährigen Bericht Mitteilungen
gemacht haben. Die Ausbildung der Kriegsblinden wurde nach dem bewähittn System
in gründlichster Weise fortgesetzt.
Die Schwierigkeiten, welche ans der NuhrungsmittelbeschaiLmg und aus den
veränderten sozialen Verhältnissen erwachsen, machten es unmöglich, alle Kriegs-
blinden — da die Anstalt kein Internat ist — wie bisher in wohlgeeigneten Familien
unterzubringen. Um sie vor jeglicher .Sorge und Entbehrung zu bewahren, aber auch
um auf ihre Lebensführung wohltätigen Einlluß zu nehmen und so ihre, zukünftige
geordnete Lebensgestaltung vorzubereiten, wurden zehn Krie\;sblin(le in einem
für sie geschaffenen Heim vereinigt und mit aller Sorgfalt umgeben.
Der Einrichtung und Führung des Kriegsblindenheims hat sich mit beispiel-
8. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Bündenwesen. Seite 7R1.
f^rebender Opferfreudigkeit Frau Olga Wetzler, dem Zuge ihres edlen Herzens
folgend, gewidmet.
Seit der Begründung der An.-talt im Jahre 1898 haben in derselben 237 Zivil-
1)1 in de — 192 Männer, 45 Frauen und Mädchen — ihre Ausbildung nach den
aticli für die Kriegsblinden geltenden Grundsätzen und Absichten, namentlich unter
Anstrebung der Wiederanknüpfung an die vor der Erblindung betätigte Berufsarbeit
erhalten Der über die Wiiksamkeit der Anstalt im Jahre 1916 ausgegebene Bericht
zeigt vor der unermüdlichen Tätigkeit ihres Leiteis, kais. Rates Direktor S. Heller
und dem regen Wohltätigkeitssinne einer großen Anzahl von Persönlichkeiten.
— N. ö. Landes-Blindenanstalt inPnrkersdorf. Das Schuljaln-
wurde mit einer am 30. Juni 1. J. abgehaltenen Schlußfeier beendet. Tiotz aller
Beschwernisse der Zeit ist es glücklich vorübergegangen, denn obwohl sich der
Zöglingsstand auf die in der 44 jährigen Geschichte der Anstalt nur einmal dage-
wesene Zahl von 118 erhöhte, konnte der Betrieb in vollem Umfange aufrecht er-
halten werden. Welche Bedeutung dieses zähe Festhalten an der ungestörten Aus-
bildung und Versorgung der blinden Kinder des Landes Niederösterreich hat, wird
erst die Zukunft zeigen, wo die zerstörenden Erscheinungen des Weltkrieges auch
auf dem Gebiete der Blindenbildung deutlich hervortreten werden. Der Unterricht
wurde wie bisher in fünf aufsteigenden Schulklassen und zwei Fortbildungsklassen
erteilt. Im Berufsbildungsplane der schulentlassenen Zöglinge bewährte sich neben
Musik und den typ'sciien Biindenhandwerken besonders die Gärtnerei für schwach-
sichtige Zöglinge und die Feinflechterei bei den Mädchen. Dem Materialmangel in
der Bürstenbinderci konnte dui ch eine Ei findung des Anstaltsdirektors K. B ü r k 1 e n,
Weidenfasern zur Erzeugung von Bürsten herzustellen, glücklich abgeholfen werden.
In der Kriegsfürsorge betätigte sich die Anstalt durch Abhaltung von Wohltätigkeits-
konzerten und Sammlungen. Auch die fachliche Betätigung des Lehrkörpers in der
Blindenfürsorge war eine hervorragende, denn die Ans'alt besitzt heute nicht nur
die Führung im »Zentralvereinc für das österreichische Blindenwesen«, der alle
Blindenbildungs- und Fürsorgeanstalten Österreichs umschließt, sondern ist auch
die geistige Geburtsstätte der »Zeitschrift für das Osten eichische Blindenwesen«,
einem monatlich erscheinenden Fachorgane. Das Wohlwollen und die einsichtsvolle
Förderung dcsn. ö. Landesausschusses und die warme Anteilnahme des Referenten
L. A. K unschak sichern der Anstalt auch in der Zukunft eine glückliche Weiter-
entwicklung.
— Tir.-Vorarlb. Blindeninstitut in Innsbruck. Über Veran-
lassung des Direktors des Institutes Stadtptarrers Johann V i n a t z e r wurde der
Bildhauer Hinterholzer mit der Aufgabe betraut, eine Reliefplastik des verstorbe-
nen Präsidenten obgenannten Institutes, des Landeshauptmannes Frhn. Dr. Theodor
V. K a t h r e i n, zu schaffen, um die Verdienste des dahingeschiedenen Präsidenten,
der sich so liebevoll der armen AnstaltszögUnge annahm, zu würdigen zum blei-
l:)enden Gedächtnis des unvergeßlichen Wohltäters. Hinterholzer, der den
.Auftrag kostenlos übernahm, hat nun das Plastik-Porträt in einem Schaufenster der
Kunsthandlung Unterberger (Burggraben) ausgestellt. Das Werk ist jedoch
noch nicht ganz fertig, da der Künstler, der gegenwärtig des Kaisers Rock trägt,
jäh ins Feld abberufen wurde. Trotzdem zeigt das Porträt schon heute die wohlge-
troffenen Züge; der klare, energische Blick, die edle, von den Silberhaaren umrahmte
Stirn, der breite charakteristische Mund und die kräftige Nase sind Signaturen, die
uns den Dargestellten erkennen lassen. Der Gedenkstein wird erst nach der Rück-
kunft des Künstlers vollendet und an einem hervorragenden Platze des Institutes
seine Aufstellung finden. Der gute Präsident und Landeshauptmann hat sich zwar
im Herzen der armen Blindenzöglinge selbst den schönsten Gedenkstein gesetzt.
Nun wird noch ein dringender Wunsch der Zöglinge des Blindeninstitutes. erfüllt.
Den Gedenkstein betastend, werden sie in dem dargestellten Porträt erkennen, daß
sie zur stetigen Erinnerung ein Plastik-Bild des von ihnen so geschätzten Wohl-
täters dauernd in ihrer Mitte haben.
Hus den Vereinen.
~ Blinden-Unter st ützungs verein »DiePurkcrsdorfer« in
Wien V. Der unter der bewährten Leitung des Obmannes F. U h 1 stehende
Seite 782. Zeitschritt für das östereichische Blindenwesen. 8. Nummer.
Verein war auch im Jahre 1916 bemüht, nicht nur das Los seiner bedürftigen Mit-
glieder zu Hndern sondern auch durch cas Musikalien-Leihinstitut die bhnden Musiker
Österreichs nach Kräften zu fördern. Aul.ser den Barunterstützungen an bHnde
MitgHeder vermittelte der Verein in 114 Fällen unentgeltlich Dienst und
Arbeit. Das Musikalien-Leih-Institut wurde in 5793 Fällen unentgeltlich in Ansprach
genommen. Im abgelaufenen Vereinsjahre wurden 9 Ausschuß-Sitzungen und eine
Generalversammlung abgehalten. Der Verein zählte mit 31. Dezember 1916 17 Grün-
der, 43 Stifter, 16 Fhrenmitgliedei-, 188 unterstützende Mitglieder und 115 blinde
Mitglieder. Das Musikalien-Leih-Institut in Brailles Notenschritt zählt gegenwärtig
1975 Musikalien und 100 musiktheoretische Bücher.
Für unsere Kriegsblinden.
— Erzherzog Karl Stephan für clieKriegserbliiideten.
Erzherzog Karl Stephan unternahm in Begleitung des Kammer-
vorstehers Grafen Parsival Pacht a- Ray ho fe n, des Gouverneurs der
Bodenkreditanstalt Karl Ritter v. Leth, des Direktors dieses Instituts
Professor Dr. Richard Reisch und des Präsidenten des Vereines
»Kriegsblindenheimstätten« Kommerzialrat Heinrich Grimm eine
Exkursion nach Le op ol d a II, wo die Bodenkreditanstalt einen großen
Komplex in sehr schöner Lage besitzt. Der Erzherzog besichtigte
dort die für Kriegserblindete zur Verfügung gestellten Baugründe,
auf denen die Bodenkreditanstalt drei Heimstätten errichten und
dem Verein »Kriegsblindenheimstätten« kostenlos ins Eigentum über-
geben wird. Die restlichen Heimstätten auf diesen Gründen erbaut
der genannte Verein aus eigenen Mitteln selbst.
Von hier begab sich der Erzheizog in Begleitung seines
Kammervorstehers und des Kommerzialrates Heinrich Grimm nach
Straßhof, um die großen Terraine, gemeinsames Eigentum der
Kreditanstalt für Handel und Gewerbe und der Baufirma Redlich
und Berger, zu besichtigen. Oberbaurat Red li ch, durch Unwohlsein
am Erscheinen verhindert, hatte Ingenieur Steiner zum Empfang
des Erzherzogs entsandt. Die besichtigten der von Oberbaurat
Redlich für den Verein »Kriegsblindenheimstätten« gewidmeten
Plätze fanden den besonderen Beifall des Erzherzogs. Dem Verein
wurden auf diesen Gründen vollständig gebührenfrei drei komplette
Heimstätten mit einem Garten und einem kleinen Stück Feld gewid-
met, und zwar je eine von Oberbaurat Redlich, der Kreditanstalt
und der Terraingesellschaft m. b. H. Außerdem erbaut Oberbaurat
Redlich dem Verein dort drei weitere Heimstätten zum Selbst-
kostenpreis. Der Verein wird auf den in dieser Gegend gewidmeten
Gründen aus eigenen Mitteln je nach Bedarf weitere Heimstätten
errichten.
Beim Abschluß der Exkursion äußerte sich Erzherzog Karl
Stephan dem Kommerzialrat Heinrich Grimm gegenüber in
anerkennender Weise über die neuen Widmungen zugunsten der
kriegserblindeten Krieger.
— Eröffnung eines Krieg s^b 1 i n d e n h e i m s. In würdiger Weise
wurde am 15. Juli 1. J. das neue Kaiser K a r 1-K r i e gsbl i n d e n h e im in Wien XIII
eröffnet. Im sonnigen Korbtiechtersaale hielt der Präsident des Vereines Hofrat
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Bürklen,
J. Knois, A. T, Horrath, F. Uhl. — Druck Ton Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
Edler v. Herdlicka eine herzliche Ansprache, in welcher er jener Faktoren ge-
dachte, welche durch Subventionen und Geschenke den Bau des Kriegsbiinden-
heimes ermöglichten, sodann jenen Funktionären des Vereines dankte, welche sich
um das Zustandekommen des Neubaues verdient gemacht hal)en. Er wandte sich
sodann an die Kriegsblinden selbst, hieß sie herzlichst willkommen und sprach die
Hoffnung aus, daß sie sich in dem neuen Heime wohlfühlen werden, daß sie sich
Kenntnisse und Fertigkeiten in einem Blindengewerbe zur Sicherung ihrer Zukunft
erwerben wollen. Regierungsrat Meli gab sodann einen kurzen Überblick
über die Entwicklung des von ihm vor 23 Jahren gegründeten Vereines,
gedachte hiebei der ihm zur Seite gestandenen Persönlichkeiten und
betonte, daß es besonders der Sachkenntnis und Energie des Architekten Karl
Limbach zu danken ist, daß die Errichtung des Heimes in verhältnis-
mäßig kurzer Zeit möglich wurde. Da das Heim den Namen des Kaisers führen
darf, so wird es unter dem Schutze dieses Namens zum Wohle der Kriegsblinden
weiterentwickeln. Die Versammlung stimmte begeistert in ein Hoch auf den Kaiser
ein. Der Kriegsblinde Mitte rmayer erklärte namens seiner Kameraden, daß auch
diese sich verpflichtet fühlen, ihren Dank für die freundliche Aufnahme in das
Heim auszusprechen. Der erblindete Krieger gedachte des fürsorglichen Waltens
des Protektors der Kriegsblinden, Erzherzog Karl Stephan, er dankte besonders
dem Leiter der Kriegsblindenzentrale, Regierungsrat AI eil, für seine hilfreiche
Betätigung. Generalmajor von Rochel begrüßte den Vereinspräsidenten
namens des Kriegsministeriums und sprach dessen Dank für die Errichtung des
Heimes aus mit dem Versprechen, dieser Institution fortgesetzt das Wohlwollen
dieser hohen Stelle zu erhalten. Vor der kirchlichen Weihe ergriff Kooperator
Schuckert in Baumgarten das Wort, um den Kriegsblinden den moralischen
Wert der Beschäftigung und lohnenden Arbeit vor Augen zu halten. Hierauf besich-
tigten die Anwesenden sämtliche Räumlichkeitez, die hübsch ausgestatteten Wohn-
zimmer der Kriegsblinden, in welchen je zwei untergebracht sind, die Werkstätten
und Verwaltungsräume.
— Die erste Tiroler Blindenheimstätte. Der Verein Tiroler
Heldendank in Kufstein hat im Einvernehmen mit der Landeskommission für
heimkehrende Kri.-ger in Innsbruck, das in Bichlwang bei .Kirchbichl in schöner
Lage befindliche einstöckige Haus von Gut fei der käuflich erworben. In dieses
Heim wird der Kriegsblinde Josef Demut h, früherer Bergarbeiter einziehen,
welcher im Septernber 1916 an der Südfront durch eine -iprengschußverletzung das
Augenlicht verloren hat. Gegenwärtig befindet sich der Kriegsblinde in einer Anstalt,
um das Korbfiechten zu erlernen.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende Juli 1 . J.
— Neue Freie Presse: 1,129.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 2,510.000 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 380.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 55.000 K.
— Artur Weisz, (Temesvar) 25.200 K.
Verschiedenes.
— Eine hypnotische Behandlung der Blindheit. Von einer
erstaunlichen, wenn auch nur vorübergehenden Blindenheilung wissen die Annales
des Sciences Psychiques zu berichten. Ein durch Explosion erblindeter englischer
Chauffeur kam, nachdem er sechs Monate im Lazarett und acht weitere Monate in
einer Blindenanstalt Londons zugebracht hatte, in die Behandlung eines Hypnoti-
seurs. Die Geschoßexplosion hatte die Augäpfel zurückgepreßt und dadurch zur
Zusammenziehung der Sehnerven geführt. Im Lazarett hatte man ohne Erfolg alle
Mittel zur Behebung der Geschoßwirkung angewendet, aber nur die hypnotische
Suggestion konnte für eine Sekunde das normale Sehvermögen des Patienten
wiederherstellen.
von Oskar Picht.
Bromberg.
A für Punktschrift M 85.80 B für gewöhnliche Schrift M 80.—
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schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
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Wien XVIII, Währinger Gürtel 136
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D 4 Kronen, D
n Einzelnummer CD
n 40 Heller. ^1
4. Jahrgang.
Wien, September 1917.
9. Nummer.
INHHLT: O. Wanecek, Purkersdorf: Über den Gebrauch der Farbennamen bei
den Blinden. Der Blinde des Orients im Spiegel des morgenländischen
Schrifttums. Personalnachrichten. Für unsere Kriegsblinden. Verschiedenes.
Bücherschau, (flites und Neues. Ankündigungen).
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B=
=B
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3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIll,
g Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. ji
Ulm mla
MItes und Neues.
E in blinder Minnesänger.
Unter den deutschen Minnesängern des 13. Jahrhunderts findet sich
der Mar n er, von dessen Erblindung uns die Chronik berichtet.
Marner war ein fahrender Sänger aus Schwaben, wahrscheinhch
bürgerlichen Standes, lebte um die Mitte des 13. Jahrhunderts. Sein
eigentlicher Name ist unbekannt, denn »Marner« ist ein Deckname
und bedeutet Meerführer. In seinen Diclitungen lehnte er sich an
Walther von der Vogelweide an, ist aber schon sehr von der alten
edeln Gesangweise abgekommen. Den gewöhnlichen Bildungsgang
seiner dichtenden Zeitgenossen durchmachend, war er in der Jugend
Sänger der konventionellen Liebe und des Marienkultus. Bei ihm ist
das Einwirken des volksmäßigen Elementes auf die ritterliche Poesie
nicht zu verkennen. Mit satirischer Schärfe wendet er sich gegen das
leere Treiben der Zeit, gegen das öde Turnierwesen, die habgierigen
Wahlfürsten, selbst gegen den Papst. Enttäuscht und verdüstert, wird
er schließlich ein klagender Betrachter der Welt. Sein Talent ist
bedeutend. Er liebt sprichwörtliche Ausdrucksweise und entlehnte
Bilder und Beispiele gern aus der ihn umgebenden Natur.
Zur Verdüsterung seines Gemütes mag wohl seine Erblindung
beigetragen hab^n, denn er wurde als alter blinder Mann ermordet.
Das ist aus einem Naclinif von einem anderen Minnesänger, Meister
R u m e 1 a n d, zu ersehen, in dem es heißt :
»Gott hat auch dem Marner
Das Leben lang gefristet.
Der manches Mannes Warner;
Nun hat ihn überlistet
Der mörderische Tod —
Wie ist mir's leid, o Gott!
Schändlichrer Totschlag ward noch nie begangen
An einem kranken blinden alten Manne,
Den selber nach dem Tod schon mocht verlangen.«
So beklagt Rumeland tief den begangenen Mord, trotzdem
er früher in mehreren bitteren Spottgedichten den Marner verhöhnt
hatte, der ihn nicht recht anerkennen zu wollen schien.
Mit diesem blinden Minnesänger begann übrigens die Zeit der
Polemiken, in der sich die verschiedenen Sänger auf das heftigste
befehdeten. Mit des Marners Auftreten ist so die geschichtliche
Tatsache eingeleitet, die der bekannten Sage vom Sängerstreit auf
der Wartburg zugrunde liegt.
Die Heidelberger Handschrift zeigt in einem Bilde den Marner,
wie er aus einer dargereichten Schale trinkt. An seinen aufgeschlagenen
Augen ist noch nichts von der späteren Blindheit zu merken.
4. Jahrgang.
Wien, September 1917.
9. Nummer.
■^ »Der Blindgeborene denke sich das Licht, die Farben, ^vie ^
* er will; erscheinet ihm der neue Tag, ist's ihm ein neuer Sinn.« ^
if J. \V. V. Goethe in „Torquato Tasso." ^
Über den Gebrauch der Farbennamen bei
den Blinden.
Von Lehrer O. Wanecek, Purkersdorf.
Überall im Leben, im Verkehr mit den Mitmenschen, in der Lektüre
begegnen dem Blinden die Namen der Farben. Er nimmt sie in seinen
Sprachschatz auf und gebraucht sie auch. Schon am Kind kann man
das beobachten, wenn es in die Schule eintritt. Wohl oder übel muß
auch der Unterricht zum Gebrauche der Farbnamen Stellung nehmen ;
für den Blindenlehrer, der ja immer tiefer eindringen will in die Seele
seiner Schützlinge, hat hier eine Untersuchung noch ein ganz anderes
Interesse. Wenn sich der Blinde durch falsche Zusammenschlüsse von
Färb- und Gegenstandsnamen in seiner nicht immer feinfühligen
sehenden Mitwelt lächerlich macht, ist dies für den Unterricht einerseits
Anlaß, beim Gebrauch dieser »leeren Worte« sehr vorsichtig zu sein,
anderseits wird er aber nie Mittel finden, diese ganz von seinen Zög-
lingen ternzuhalten, wie er auch nicht die Macht haben kann, die
Verwendung dieser Namen unmöglich zu machen. Eine Fülle kann
hier nur Verwirrung anrichten, da dem Blinden keine inneren Gedächt-
nishilfen für die Assoziation des Gegenstandes mit seiner Farbe zu
Gebote stehen. Wenn überhaupt von einem Gebrauche der Farbnamen
die Rede sein kann, dann darf dies nur in beschränktem Maße
geschehen.
Gewissen Dingnamen haften im sprachlichen Gebrauche Farb-
namen an, die mit ihnen zu einer schier untrennbaren, typischen Einheit
verbunden sind. Fast ausschließlich ist es die »grüne« Wiese, die »weiße«
Leinwand, das »rote« Blut u. s. w., wovon gesprochen wird. Diese
Seite 788. Zeitschrift tiii das österreichische Bhndenvvesen. '9. Nummer.
Wortassoziationen werden wohl auch im Sprachscliatze des BUnden
einen breiteren Raum einnehmen. Neben diesen typisclien Assoziationen
stehen aber gewiß andere, /.ufällige, die nicht durcli den allgemeinen
Gebrauch, sondern durch eine einzelnstehende Tatsache dem Gedächt-
nis einverleibt wurden. Bei ihnen fällt der typische Charakter der Farbe
weg, der Gegenstand kann mr)glicherweise die genannte Farbe /cij^rn.
Hielier müßte z. B. gerechnet werden die Verbindung von >'>blaui und
* Buchumschlag. «
Auf diese typische, bezw. mögliche Assoziation von Farhn und
Gegenstand läßt sich eine Untersuchung gründen, davon Ergebnisse,
in Zahlen ausgedrückt, mancherlei interessante Schlüsse gestatten.
Eine eingehende, auf eine möglichst bieite Umfrage gestützte
Untersuchung wird aber ihre Folgerungen nicht allein auf das Zahl-
verhältnis der vorgenannten Fälle gründen, sondern auch neben den
schuldig gebliebenen und falschen Antworten die Zahl und die Gleichi-
bezw. Verschiedenartigkeit der zur Antwort gebrachten Gegenstände
in Betracht ziehen müssen. Auch das Alter der Versuchspersonen konnte
nicht unbeachtet bleiben. Unter den an unserer Anstalt zur Verfügung
stehenden Blinden ergaben sich nach den bitelligenzstufen drei Gruppen,
nämlich:
die I. Gruppe Zöglinge im Alter von 7 — 10 Jahren,
die IL Gruppe Zöglinge im Alter von 10 — 16 Jahren,
die III. Gruppe Zöglinge im Alter von 16 — 20 Jahren.
Die erste Gruppe umfaßte in die Schule eintretende, die zweite
solche Kinder, die im vollsten Unterrichtsbetriebe stehen, und die letzte
Zöglinge der Lehrlingsstufe. }ede Gruppe zählte 20 Personen.
Die Untersuchung entwickelte sich folgendermaßen :
Zuerst sollten auf die Fragen: »Was ist rot, blau
u. s. w. .?« Gegenstände genannt werden. Das Ergebnis war
folgendes: ^■
charakteristische, mögliche^ unmögliche,
■Assoziationen. '^'^'"«^ Antworten.
blau 31 16
grün 50 7
rot 32 17
weiß 28 24
schwarz 34 18
gelb 20 19
Im ganzen 195 101 4 6Ö"
Auf die drei Gruppen verteilen sich diese Antworten :
charakteristische, mögliche, unmögliche,
Assoziationen. '^'^'"^ Antworten.
I. Gruppe 65 32 4 20
II. Gruppe 84 22 0 15
III. Gruppe 46 47 0 26
Diese Zusammenstellung zeigt, daß die typischen
Assoziationen bedeutend überwiegen. Verschwindend
2
11
0
3
0
11
0
8
0
8
2
19
9. Nummer. Zt-itschrift (ür das östei reichische Bhndenweten. Seite 789
gering sind die falschen Zusammenschlüsse. Eigenartiger-
weise treten die typischen Verbindungen nicht, wie man
erwarten könnte, bei den Erwachsenen, sondern bei den
Schülern am häufigsten auf. Sogar die in die Anstalt Eintretenden
übeltreffen hierin die Großen. Dies erklärt sich aus dem Bestreben der
Alteren, etwas besonderes sagen zu wollen. Sie scheuen sich, solch
alltägliche Verbindungen wie »blauer Himmel, weiße Leinwand« zu
gebrauchen. Das Leben hat sie gelehrt, daß die Farben verschieden-
artig wecliselnd an Gegenständen haften können, und folgerichtig zeigt
sich bei ihnen die höchste Zahl der möglichen Assoziationen in den
Antworten. Allerdings weisen sie auch die höchste Zahl der schuldig
gebliebenen Antworten auf, was sich auf die Scheu zurückbeziehen läßt,
etwas Unrichtiges zu sagen und sich lächerlich zu machen, wofür die
Empfindung bei den Erwachsenen schon zu entwickelt ist. Daß die
Schulkinder die typischen Verbindungen am meisten für den Gebrauch
innehaben, findet seine Eiklärung darin, daß sie gegen die Elementar-
schüler durch das Leben, die Lektüre und vielleicht auch durch den
Unterricht vorgeschritten sind, ihnen aber die bildende Erkenntnis von
der wandelbaren Gestaltung der Umwelt noch nicht so deutlich geworden
ist, als den Großen. Die Elementarschüler bringen eine gewiß ausrei-
chende Kenntnis in den Farbenbezeichnungen in die Schule mit;
namentlich die verschwindend wenigen falschen Antworten mögen
hervorgehoben sein.
Das Werden der einzelnen nicht typischen Assoziationen von
Farbnamen nnd Dingbegriff mögen einzelne Fälle aufweisen. Solche
Zusammenschlüsse weisen olt eine außerordentliche Feinheit des Gedächt-
nisses auf, was auch in den späteren Umfragen immer wieder hervor-
tritt. Oft und oft läßt sich erkennen, daß sie das Ergebnis einer ein-
maligen gelegentlichen Erwähnung sind. Wie oft und in welchem
Zusammenhange mag ein Mädchen aus der ersten Gruppe von einer »grünen
Insel« gehört haben? Wie oft mag anderen gesagt worden sein, daß
die Marmelade, der Schnuller der kleinen Geschwister rot seien? Ebenso
mag die gelegentliche Erwähnung d^r freilich jetzt schon der Vergan-
genheit angehörigen roten Hose der Dragoner den Befragten bestimmt
haben, bei »rot« den ganzen Mann zu nennen.
Weniger häufig, als zu erwarten wäre, traten Antworten zutage,
die den zu beantwortenden Farbbegrifit in einer Zusammensetzung ent-
halten wie »Schwarzdruck, Wäschblau.« In diesen Wörtern liegt offenbar
für den Blinden eine Abschwächung des Farbbegriffes, der gar nicht
mehr als solcher gefühlt wird.
Oft ist man der Meinung, die Farbbegriffe durch Qualitäten anderer
Sinne umsetzen, ihren Gefühlston mit gewissen ideellen oder moralischen.
Begriffen ausdeuten zu können. Dafür dürfte im Blinden kein ursprüng-
liches Bedürfnis liegen, wenn auch drei Antworten (bei »weiß« »Engel«
und »Unschuld,« bei »schwarz« »Trauer«) darauf hinzudeuten scheinen.
»Unschuld« und »Trauer« tiaten bei einem Kaben der zweiten Gruppe
auf und stehen offenbar im Zusammenhange mit dem Religions-
unterrichte.
Seite 790. Zeitschrift das für österreichische Bhndenwcsen. 9. Nummer.
Für die inbetracht gezogenen 6 Farbnamen brachten die 60 Ver-
suchspersonen 33 Dingnainen für charakteristische Zusammenschlüsse
zustande und zwar in folgender Zahl :
blau 4 (Himmel 22, Luft 4, Veilchen 4, See 1);
grün 5 (Wiese 21, Gras 12, Blatt 8, Baum 7, Klee 1);
rot 5 (Blut 15, Feuer 7, Rose 7, Glut 2, Ziegel 1);
weiß 5 (Schnee 23, Mehl 2, Kreide 1, Lilie 1, Gänseblümchen 1);
gelb 6 (Butterblume 7, Eidotter 6, Chinese 2, Löwenzahn 2, Gold 2,
Orange 1) ;
schwarz 8 (Kohle 17, Ofen 5, Rauchfangkehrer 3, Trauerlahne 3, Ruß 2,
Trauerband 2, Rabe 1, Schuhwichse 1).
Die I. Gruppe wies 28 Gegenstände, die II. Gruppe 24 Gegen-
stände, die III. Gruppe 20 Gegenstände auf.
Daraus ' erkennt man, daß mit zunehmendem Alter die
typischen Assoziationen einförmiger werden; die besonders
charakteristischen, die fortwährend gebrauchten prägen sich beson-
ders ein, andere weniger häufig auftretende, die im Kindesgedächtnis
lebhafter erhalten bleiben, verblassen später.
Bei den nicht typischen, aber möglichen Assoziationen wurden
30 Gegenstände genannt und zwar in der I. Gruppe 18, II. Gruppe 16,
III. Gruppe 28.
Daß hier die höchste Zahl bei den Großen auftritt, bestätigt die
oben erwähnte Tatsache, daß die Personen der III. Gruppe die typischen
Verbindungen meiden und lieber etwas nicht so eingewurzeltes, Beson-
deres sagen. Allerdings sind es fast durchwegs alltägliche Dinge, deren
Farbe eine durchaus unwesentliche Rolle spielt. Diese Gegenstände
wurden in folgenden Zahlen genannt: Kleid 17, Blumen 10, Schürze 6,
Mauer, Papier, Wolken je 4, Vorhang, Tuch, Licht, Band, Erde, Ilerbst-
l.uib je 2, .Stoff, Augen, Polsterzug, Weiden, Tor, Sacktuch, Haarmasche,
Bleistift, Ei, Bild, Handtuch, Rock, Hut, Hände (bei schwarz-schmutzig),
Sonne, Seide, Schuhe, Mantel je 1.
Bei den charakteristischen Antworten steht bei jeder Farbe ein
Dingnamen, der besonders häufig auftritt (Blut, Schnee, Himmel etc).
Wenn wir diese Antworten ausschalten, indem wir diese Gegenstands-
namen mit dem Frage begriff zusammensetzen (himmelblau,
schneeweiß), so sinkt die Zahl der typischen Assoziationen,
anderseits aber treten einzelne neue, für den neuen Begriff typische
Verbindungen auf.
charakt., mögliche, unmögl.
Assoziationen.
himmelblau wies
auf 7 11 3
grasgrün 16 5 2
blutrot 28 8 0
kohlschwarz 17 4 1
schneeweiß 18 11 1
dottergelb 10 8 1
keine.
gl
eichnamig,
An
tworten.
37
2
36
1
16
8
25
13
20
10
37
4
9. Nuinnit;!. Zeitschi ifl für das östti reichisclic Hlindenweseii. Seile 791.
Auf die einzelnen Gruppen verteilten sich die Antworten folgen-
dermaßen :
charakt., mögliche, unmögliche, keine gleichnamige,
Assoziationen. Antworten.
I. Gruppe 22 14 3 68 13
II. Gruppe 40 11 3 59 7
III. Gruppe 34 22 2 44 18
96 47 8 171 38
Wie bei den Fragen der ersten Art treten^auch hier
die meisten charakteristischen Antworten in der zweiten
Gruppe auf. Die Kleinsten nennen hier die wenigsten Gegenstände
und iDleiben auch die meisten Antworten schuldig. Überhaupt zeigt die
letzte Rubrik die höchste Zahl bei allen drei Altersstufen. Das weist
daraufhin, daß oftmals mit dem in de rFrageauft retenden
Gegen Standsnamen das ganze Wissen um die Farbe
erschöpft ist. Trotz vorhergegangener Ermahnung wurden die im
Fragewort liegenden Dingnamen öfter zur Antwort gegeben, was auf
die Innigkeit der Verschmelzung von Farbnamen und Gegenstands-
begriff hinweist, die so groß ist, daß die Tautologie nicht zum Bewußt-
sein kommt.
Wenn auch die absolute Zahl der charakteristischen Antworten
im Vergleich zur ersten Umfrage bedeutend gesunken ist, so werden
zu diesen Antworten doch 43 Gegenstände herangezogen, (gegen 33
iener). Diese sind nun :
Himmelblau 3 (v^eilchen 3, Vergißmeinnicht 3, Maialtar 1);
Dottergelb 5 (Löwenzahn 4, Dotterblume 4, kleine Hühner 1, Pom-
meranze 1, Hahnenfuß 1);
Grasgrün 7 (Frosch 4, Wiese 3, Jägergewand 3, Laub 3, Heuschrecke 2,
Baum 1, Klee 1) ; .
Schneeweiß 8 (Leinwand 6, Lilie 4, Schneegans 1, Kommuniontisch 1,
Kreide 1, Schimmel 1, Eis 1, Bettuch 1);
Blutrot 10 (Kirsche 13, Rose 5, Feuer 4, Lippe 2, Morgenrot 1, wenn
man ins siedende Wasser steigt 1, bei der Wiener Fahne 1,
Zunge 1);
Kohlschwarz 12 (Trauerfahne 3, Rabe 3, Ofen 2, Asche, Köhler,
Nacht, Rappe, Wichse, Ruß, Schokolade, Angebranntes, Tollkirsche 1).
Die einzelnen Altersstuten verwendeten dazu: I. Gruppe 17 Gegen-
stände, 11. Gruppe 28 Gegenstände, III. Gruppe 22 Gegenstände.
Es zeigt sich, daß die Zöglinge inbezug auf Farbenbezie-
hungen viel mehr wissen, als man nach der ersten Umfrage
annehmen durfte. Ganz andere, früher nicht erwähnte Gegenstände
kominen zum Vorschein; Frosch, Jägergewand, Heuschrecke, Morgenrot,
Zunge, Köhler, Nacht, Schokolade, Tollkirsche, Schneegans, Schimmel,
u. s. w. Dem Religionsunterricht entstammen die Wortverbindungen
vom blauen Maialtar und weißen Kommuniontisch, einem unangenehmen
schmerzlichen, aber darum unvergeßlichen Erlebnisse die Antwort:
Wenn man ins heiße Wasser steigt. Die 19 Gegenstände, die hier zu
möglichen Assoziationen gebraucht wurden, sind wieder alltägliche, die
kein weiteres Interesse erregen. Es sind :
Seite 792. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 9. Nummer.
Blumen 11, Kleid 8, Stoff 6, Tuch 2, Haare 2, Fahne, Masche,
Haarmasche, Bank, Papier, Beeren, Schürze, Wurst, Frucht, Wolken,
Henne, Hände, Schaum, Band je 1. Diese verteilen sich auf die
einzelnen Gruppen: I. Gruppe 15 Gegenstände. IL Gruppe 9 Gegen-
stände, III. Gruppe 13 Gegenstände.
Unter den falschen Antworten ist zu erwähnen, daß bei »himmel-
blau« dreimal »Schlüsselblume« genannt wurde, was seine Ursache
im zweiten Namen dieser Blume (Himmelschlüssel) hat. So stellt uns
diese Antwort das Ergebnis eines logischen Schlusses dar. In dci"
Mehrzahl der Fälle dürften die falschen Antworten auf solchen beruhen.
Hiezuwären zu vergleichen »Dragoner« bei der ersten Umfrage, »Eisen«
bei der folgenden. Auf gelegentliche scherzhafte Anwendung mögen
die »grünen Augen« zurückgehen. Unauffindbar, wahrscheinlich auf
bloßes Raten begründet, ist die Entstehung der Verbindung »schwarze
Rose.«
War schon die Beantwortung der letzten Umfragen mit großen
Schwierigkeiten verbunden, so stiegen diese noch besonders bei der
folgenden. Nun sollte darauf geantwortet werden, was »rötlich,
weißlich u, s. w. ist. Naturgemäß fühlten viele den Charakter
dieser Farbbegriffe nicht und setzten sie der Grundbedeutung gleich,
»rötlich« wie »rot« u. s, w. Es traten also eine Anzahl von Gegen-
ständen in den Antworten auf, die wohl der Grundfarbe typisch zuge-
hörten, aber diesen besonderen Begriffen nicht entsprachen. Sie wurden
besonders verzeichnet.
Es wurden orenannt bei
chara
kt.
f. d
Grundf.
mögl.
unmögl.
charakt.
<"•
'
keine
unverst.
Assoziationen.
An
tworten.
bläulich
2
8
8
—
42
—
grünlich
5
7
5
—
40
—
rötlich
5
9
6
1
37
1
schwärzlich
7
7
11
—
35
—
weißlich
1
6
7
—
4^
1
gelblich
6
7
8
2
37
—
26 44 45 3 237 2
Auf die einzelnen Gruppen entfielen:
charakt. f- d. Grunf. mögl. uninögl. , .
charakt. keine unverst.
Assoziationen. Antworten.
I. Gruppe 4 20 9 2 82 1
II. Gruppe 10 8 19 1 82 —
III. Gruppe 12 16 17 — 73 1
Am wenigsten klar i s t d e r U n t e r s c h i e d zwischen der
Grundfarbe und dem besonderen Färb begriff den Ele-
mentarschülern. Auffallend ist, daß die imSchulbetrieb
stehenden Kinder das feinste Gefühl dafür zu haben
scheinen. Diese Tatsache in Verbindung mit den Höchstzahlen der
9. Nummer. Zeilscliiift tür das Osten eichischc Bliiidenwesen. Seite 793.
charakt, Assoziationen in den beiden ersten Umfragen läßt den
Schluß berechtigt erscheinen, daß d i e S ch u 1 k i n d er unter den
Blinden am richtigsten mit den Farbnamen operieren.
Dies erklärt sich vielleicht neben den Einflüssen der Lektüre und
des Unterriclits aus der Neugierde, die gerade Kinder in dieser Alters-
stufe immer wieder fragen läßt, was für eine Farbe dieser und jener
Gegenstand habe. Das lebhafte Gedächtnis dieser Altersstufe bewahrt
dieses Wissen. Das spätere Alter hat diese Neugierde überwunden,
schupft nicht mehr ein totes Wissen, einer stillen Resignation
folgend.
Für die charakteristischen Antworten wurden 23 Gegenstände
gebraucht und zwar bei:
weißlich 1 (unangestrichenes Holz);
bläulich 2 (Ei des Kanarienvogels, Luft 1);
grünlich 4 (Neue Gewänder der Soldaten, Wasser 2, niclit ganz reines
Wasser, Heuschrecke 1);
rötlich 4 (Wangen, Abendhimmel 2, Morgenhimmel, der Himmel, als
es am Nordbahnhof brannte 1);
gelblich 5 (Hautfarbe 2, Gesicht des Kranken, Stroli, Rohseide,
Wachs 1);
schwärzlich 7 (Wenn das Haus sclimutzig ist, wenn man sclimutzig
ist, wenn man sich nicht wäscht, der Schmied, Schokolade, Asr.he,
Gewitterhimmel).
Auf die einzelnen Gruppen entfielen:. I. Gruppe 4, II. Gruppe
10, III. Gruppe 13 Gegenstände.
Die meisten dieser Antworten sind von einer außerordentlich
treffenden Charakteristik. Die oben erwähnte Feinheit des Gedächt-
nisses tritt auch hier ganz besonders hervor. Eine Tatsache, die schon
um Jahre zurückliegt (Himmel beim Brand am Nordbahnhof), die
einen äußerst lebhaften Eindruck gemacht hat, wird sofort mit dem
damals genannten Farbnamen ins Gedächtnis gerückt. Aber auch
weniger lebhafte Eindrücke werden bewahrt, so z. B. »bläulich ist das
Ei des Kanarienvogels.« Dazu sei erwähnt, daß daheim bei dem Ant-
wortenden (II. Gruppe) nie ein solches Tier gehalten wurde, die
Assoziation also nur auf gelegentliches, vereinzeltes Hören zurück-
gehen kann.
Bei den möglichen Assoziationen traten 26 Gegenstände auf:
Blume 5, Schürze 5, Haare 4, Kleid 3, Stoff 3, Kugel 2, Tier 2,
Schmetterling 2, Rose 2, Blätter 2, Tuch 2, Mauer 2, Tinte 2, Wolle 2,
Fahne 2, Masche 1, Katze 1, Seifei, Bank 1 , Geigenkasten 1, Bucli-
umschlag 1, Edelstein 1, Bleistift 1, Gläser 1, Licht 1, Wäsche 1).
Diese verteilen sich auf die einzelnen Altersstufen : I. Gruppe
8, II. Gruppe 9, III, Gruppe 17 Gegenstände.
Unter den falschen Antworten ist besonders auf eine hinzu-
weisen. Bei rötlich nannte einer von den Erwachsenen Eisen. Offenbar
schloß er dies aus der Rotfärbung der Ziegel durch dieses Metall.
Es zeigt sich also auch hier eine logische Folgerung.
Zusammenfassend kann also festgehalten werden,
daß der Blinde im Gebrauch der F a r b n a m e n typische
Seite 794. Zeitschrift für das österreichische Bhndenwesen. 9. Nummer.
Assoziationen ani meisten gebraucht und Fehler nur
in äußerst g e r i n g e r A n z a h 1 macht. Nachstehend darüber
eine Übersicht:
Von 1440 Fragen wurden
665 charakteristisch beantwortet, das sind 46.17 "/q.
200 mögHcherweise beantwortet, das sind 19.44 "/(,.
501 gar nicht beantwortet, das sind 34.79 °/o.
15 falsch beantwortet das sind 1.04 ^/q.
Dem Blinden gegenüber ist also eine Scheu im
Gebrauche von Färb n amen nicht geboten. Damit sei
aber nicht gesagt, daß man sich nicht doch Zurück-
haltung wird auferlegen müssen. Der Unterricht, das Leben,
die Lektüre assozieren nicht, wie es in den vorstehenden Umfragen
geschehen ist, zum abstrakten Farbbegriff die Gegenstände sondern
umgekehrt. Daß aber die Farbnamen am Gegenstande leichter gemerkt
werden, ist einleuchtend und wird durch die Ergebnisse der letzten Umfrage
bestätigt. Es sollten zu typischen Gegenständen die Farben
genannt werden. Es zeigten sich bei
charakteristische mögliche, , .
Assoziationen ^eme Antwort
der L Gruppe 96 9 16
der II. Gruppe 101 6 12
der III. Gruppe 107 8 5
Bei dieser Umfrage sollten zu folgenden Gegenständen die typi-
schen Farbnamen genannt werden: Himmel, Wiese, Leinwand, Kolile,
Blut und Eidotter. Dabei wurde eine falsche Farbe überhaupt nicht
genannt. Bei der geringen Zahl der möglichen Assoziationen erwies
sich die vorliegendeUmfrage als wenig ergebnisreich für weitere Schlüsse,
Der Übersicht halber sei noch angeführt, daß in den ersten drei
Umfragen die
I. Gruppe 49 |
IL Gruppe 62 > Gegenstände zu charakteristischen Assoziationen,
III. Gruppe 55 J
I. Gruppe 41 I
II. Gruppe 34 > Gegenstände zu möglichen Assoziationen
III. Gruppe 58 I
verwendete.
Das Gesamtergebnis bestätigt also die im einzehien erschlossenen
Folgerungen.
Der Umstand, daß ganz eigenartige, selten gehörte Verbindungen
von Farbnamen und Gegenstandsbegriffen auftreten, ferner daß die
Farbnamen der alltäglichsten Dinge in typischen und möglichen
Assoziationen richtig gebraucht werden, zeigen uns, daß d e r B 1 i n d e
ein scharfes Ohr für die Tatsachen seiner Umwelt
hat, die er ihrem eigentlichen Inhalte nach nicht
erfassen kann. Die Farbnamen sind ihm Münzen, deren Wert
er nicht erkennt, die aber deshalb doch nicht den Wert verlieren,
der ihnen zukommt.
9. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Biindenwesen. Seite 795.
Der Blinde des Orients im Spiegel des
morgenländischen Schrifttums.
(Fortsetzung.)
Das Gebahren des blinden Bettlers in den Moscheen finden
wir in den »Verwandlungen des Abu Seid von Serug« (6. Makame)
gescliildert, wo Hareth Ben Hemmam berichtet, wie er bei einem
reiigiösten Feste auch einen blinden Bettler trifft.
Als nun am vollsten der Drang war, — und am schmälsten
der Gang war, — erschien ein Alter, mit Lumpen an den Gliedern, —
und mit eingedrückten Augenlidern, — dem das Licht der Augen
ersetzte — eine Führerin, eine alte, gesetzte, — die die Zucht der
Versammlung nicht verletzte, — da der Blick an ihrem Anblick sich
nicht letzte, — sondern sich davor entsetzte. — Als es ihm nun mit
ihrer Hilfe geglückt, — daß er sich zu einem Platze hindurchgedrückt;
— grüßt er rechts und links mit stillem Zagen — und stand wie
einer, dem die Lebensgeister versagen. — Es war, ohne daß er
kreischte, — zu verstehn, was er schweigend heischte. — Aber um
den schrecklichen Fluch zu vermeiden, — den nach des Propheten
Spruch sollen leiden — alle, die in den Moscheen betteln, — bettelt
er nicht mit dem Munde' sondern mit Zetteln, — die er aus einem
Kober langte, — der ihm an Riemen um den Nacken schwankte; —
Blätter, die, von ferne gesehn, schon Beifall erwarben, — weil sie
glänzten, beschrieben mit bunten Farben. — Der Alten er die einhän-
digte — und sie des Botengeschäfts verständigte; — die darauf
durch die Reihen schlotterte — und, die Zettel verteilend, stotterte,
— daß die Empfänger, die huldigen, — möchten die Mängel entschul-
digen -- der Schrift, die ein Blinder geschrieben, — dem aus der
Zeit seines Sehens die Übung geblieben. — Er wünschet Glück mit
einem Lied — jedem Gläubigen, der den Tag des F'estes sieht. —
So verteilte sie die stummen Zungen, groß' und kleine, — nach wohl
geprüftem Augenscheine, — je nachdem sie Geblust auf einem Antlitz
schaute, -- oder Gebkraft einer Hand zutraute. — Und ich schien
ihr wohl von den Kunden der beste, — denn mir ward von den
Zetteln der größte. — Darauf fand ich geschrieben:
Wohl dem, der unterm Fittiche des Glückes weilt,
Und in dem Schoß der Heimatruh' darf rasten!
Wohl dem auch, der auf raschem Tier durch Länder eilt.
Mit Füll' im Sack, um, wo er will, zu gasten.
Doch wehe dem, dem Gott die Armut zugeteilt;
Zu Haus und in der Fremde trägt er Lasten.
Der Neumond hat, wie ein Spang' aus Gold gefeilt,
Geblickt aus Abendwolken-Purpurquasten;
Sein Anblick hat die Sehnsucht aller Welt geheilt;
Was hilft es dem, der noch am Fest muß fasten?
Die lichte Scheib' ist mir zu schauen nicht erteilt ;
O daß ich dürft' ein Scheibchen Brot betasten!
Ist hier nicht einer, reich an Herden, welchem geilt
Der wohlgenährte Hengst auf fetten Masten,
Seite 796. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 9. Nummer.
Und sieht hier einen, der den Bauch hat eingeseilt,
Den Hunger zu ersticken, den verhaßten?
Ist hier nicht einer, reich an Waren, dem gezeilt
Die Kleiderstoffe liegen in den Kasten,
Und sieht hier einen,' der zum F"est hat angekeilt
Am Leib die Lumpen, die zu fallen hasten?
Der gebe zeitig, eh' er dort mit denen heult,
Die hier, weil ihre Brüder darbten, praßten.
Hareth Ben Hemm am erzählt; Die Verse, die mir so die
Hölle heizten, — verfehlten niclit, daß sie meine Neugier reizten, —
indes ein kleiner Schauder meine Hand durchbebte, — daß sie, die
von Natur nicht zusammenklebte, — noch freigebiger auseinander-
strebte. — Icli fragte mich selbst: wer ist der Mann, vom Glück
verkürzt, — ■ der so bündig den Knoten schürzt — und so derb den
Ausdruck würzt? — und ich hoffte, den Aufschluß zu erhalten —
von der Alten, — wenn ich ihre Verschwiegenheit — bekämpfte mit
Goldes Gediegenheit; — ich rechnete auf die weibliche Gebrechlichkeit
— und die weltliche Bestechlichkeit. — Da lief sie wieder — Reili'
auf und nieder, — um die Blätter zurück zu empfangen — samt
dem, was etwa daran blieb hangen — von den reichen Händen,
durch die sie gegangen. — Doch ihre Miene war mißliebig, — weil
die Ernte war unergiebig; — sie nahm den Rückzug in Verstörung
— und vergaß in der Gottesbethörung — das Blatt, das ihr am
besten sollte tragen, — das in meine Hand war verschlagen. — Sie
kehrte zum Alten voll Bekümmerung, — ihm klagend der Hoffnung
Zertrümmerung, — der Zeiten und Menschen Verschlimmerung. - -
Doch er sprach: Wir sind in Gott! — und kommen her von Gott!
— und kehren zurück zu Gott ! —
Drauf sprach er: Gieb dein Herz zur Ruhe, — zähle die Blätter
und thue — sie zurück in die Truhe. — Sie sprach: Ich habe sie
schon gezählt, — doch das größte fehlt. — Da rief er: Weh dir.
Unsaubere! — so verhudelst du, was ich zaubere? — Schöpfest
kein Wasser und zerbrichst den Henkel? — Fängst nicht den Vogel
und verlierst die Sprenkel? — • Der Köder ist hin und fort der Lachs;
— das ist zum Mißwachs der Zuwachs. — Gleicli, eh' icli dir fluclie,
— geh und noch einmal suche! Da kehrte sie zurück und lief —
her und hin und quer und schief, — suchend in nicht kleiner Not
das verlorene Kleinod. — Und als sie auf ihrer Spähe — nun kam
in meine Nähe, — legt' ich aufs weiße Blatt ein falbes — Goldstück
und ein Groschenstück, ein halbes, — und sprach: Willst du auf
dieses Ganze hoffen, — so sei ganz oflen ! — Doch willst du halb
bekennen, halb lügen, — so laß dir an diesem halben genügen ! —
Sie verschlang den goldenen Vollmond — mit Blicken, des Glanzes
ungewohnt, — und sprach: Wozu die Umschweife? — Zieh! mein
Geheimnis ist eine lockere Schleife. — Ich sprach: Nimm mir vom
Auge die Binde! — Wer ist der alte Blinde? — Und ist dies Gedicht
Faden von seiner Spule, — oder Gewirk von fremden Webestuhle?
— Sie sprach: Der Scheich ist von Serug, — und diese Kunst ist
sein Acker und Pflug, — der aber jetzt geht schlecht genug; —
Gott verleihe diesem spröden Boden — einen lockernden Frühlings-
9. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 797.
odem ! — Dann stürzte sie auf den Gulden wie ein Geier — und
schwano- sicli davon wie ein Reiher. — Doch ich spracli zu mir mit
trüben Blick': O VVeltgeschick ! — .So hat diese Glanzsonne des
Gedichts — beraubt müssen werden des Aug^enlichts ! ■ — Und ich
brannte vor Vcrlano^cn, beim Süßmundig-en — mich über seinen
Unfall zu erkundigen. — Doch mir war zu ihm der Zugang — gesperrt
durch der Betenden Zudrang, — und ich bedachte, daß es nicht mag
vorm Gesetz bestehn, — über die Nacken der Leute zu gehn. —
So bcliauptet' ich denn meinen Platz und schwieg, — während der
I'^estrcdner die Kanzel bestieg. — Als nun der Gottesdienst geschlossen
war, — und die ]5eterflut auseinander geflossen war, — säumt' ich
nicht, nach /\bu Sciel zu rennen; — und mit meines Namens Nennen
— gab ich mich ihm zu erkennen. — Ich legt' ihm aus Liebe mein
Kleid an, — und er nahm es ohne Leid an. — Dann lud ich ihn
auf mein Brot und Salz, — und zusagte er ebenfalls. — Dann machte
ich ihm meinen Arm zum Stabe ^ und führt' ihn davon, wie einen
Schatz, im Trabe, — und die Alte ging drein als Zugabe. — Als
ich so ihn gebracht in mein Quartier mit der Eilepost — und dort
ihm vorgesetzt eine Eilekost, — sprach, er: O Hareth ! — sind wir
vor Zeugen bewahret.-' — Ich sprach: Niemand ist hier als die alte
Frau. — Er sprach : Vor ihr ist mein Geheimes zur Schau. — Dann
that er auf seine beiden Sterne — und blitzte mit ihrem leuchtenden
Kerne, — daß die Äpfel wie zwei feurige Kugeln rollten, — als ob
sie die Zwilling' am Himmel beschämen wollten. — Erst wünscht'
ich im Glück zu den gesunden Sinnen, — dann zeigt' ich mich ihm
erstaunt über sein Beginnen — und fragt' ihn, warum er so entstellt
und verstellt — umzieh' in der Welt? — Doch er stellte sich stumm
— - und verschlang das Frühstück mit hum und muni, — bis daß er
sein Geschäft vollendet; — da hub er an, zu mir gewendet:
Da blind ist die Mutter der Menschen, die Welt,
Zudrückend ihr Auge vorm Guten geschwind.
So drückt' ich vorm Bösen das meinige zu,
Damit seiner Mutter auch gliche das Kind.
Doch hab' ich geschlossenen Auges gesehn,
Daß andere blind mit geöffneten sind.
Die einen verblendet der Haß und der Neid,
Und dich macht die Liebe zum Seltsamen blind.«
(Fortsetzung tolgt.)
Personalnachrichten.
— Auszeichnung. Anläßlich des Geburtstages Sr. Majestät
unseres Kaisers wurde dem Direktor des Tirol. -Vorarlb. Blindenin-
stitutes Stadtpfarrer Johann Bap. Vi n atzer das goldene Verdienst-
kreuz mit der Krone verliehen. Direktor Vi n atze r erhielt nun schon
die dritte Auszeichnung seit Kriegsbeginn.
Für unsere Kriegsblinden.
— Sc. kaiserliche und königliche Hoheit der Herr Admiral Erzherzog Karl
Stephan geruhte am 14. d M., die Klar 'sehe Blindenanstalt in Prag mit
höchstseinem Besuche zu beehren. Derselbe wurde von dem Üömanne kaiserl. Rat
Seite 798. Zeitschrift für das östereichische Blindenwesen. 9. Nummer.
Stüdl, Direktor Wagner und dessen Gemahlin, sowie dem fvommandanten des
Aufsichtsdetachements Leutnant Fuchs ehrerbietigst begrüßt, worauf sich der liohe
Gast in die Anstalt.~-kapelle begab, in welcher ihm vom Prior P. Ran da das Aspergill
gereicht wurde. Nach Verrichtung eines kurzen Gebetes ließ sich Se. kais. Hoheit
die während der Ferien zurückgebliebenen Kriegsblinden vorführen und nahm ihre
persönlichen Bitten, deren Unterstützung er huldvollst zusicherte, entgegen. Nach-
dem einer der Kriegsblinden namens seiner Kameraden Sr. kaisl. Hoheit den innig-
sten Dank für alle ihnen zugewendete Huld und Förderung abgestattet hatte, wurden
die Anstaltsräume eingehend besichtigt, bei welcher Gelegenheit Se. kais. Hoheit
wiederholt höchstseiner besonderen Befriedigung über die Zweckmäßigkeit der ver-
schiedenen Einrichtungen, besonders im neuen Anstaltsgebäude, zum Ausdruck zu
bringen geruhte. Bei Besprechung der Zweckbestimmung der Anstalt kam die
-Sprache auch auf die Aussiger i5lindenschule als Zweiganstalt, deren Besuch Se.
kais. Hoheit für einen späteren Zeitpunkt in Aussicht zu stellen geruhte. Nach ein-
stündigem Aufenthalte schied der hohe Gast mit dem Versprechen, höchstseinen
Besuch bei der nächsten Anwesenheit in Prag zu wiederholen.
— Tabaktrafik für einen Kriegsblinden. Der in der Versorgungs-
und Beschäftigungsanstalt für erwachsene Blinde in Wien VIII als Kriegsblinder
(der Verwundeten- Abteilung des Roten Kreuzes) gewesene Karl Engelbrecht
aus Etsdorf am Kamp, Korporal und Besitzer der großen silberne Tapferkeits-Medaille,
hat eine Tabak-Trafik in der Simmeringer Hauptstraße erhalten.
— Große Spende. Exzellenz Generaloberst Eduard v. Böhm-Ermolli
überwies namens der Leitung des k. u. k. Feldkinos im Bereiche der 2. Armee
als Stifterbeitrag 15.000 K zugunsten des unter dem Protektorat des Admirals
Eizherzog Karl Stephan stehenden Vereines »Kriegsblindenheimstätten« (Aktion
Kommerzialrat Heinrich Grimm). Generaloberst v. Böhm-Ermolli, dem diese
ansehnliche Widmung zugunsten der Kriegserblindeten zu danken ist, hat schon
wiederholt sein besonderes Interesse an dem Schicksal dieser ärmsten der Kriegs-
beschädigten bekundet und erst in jüngster Zeit weitere namhafte Spenden für den
Verein »Kriegsblindenheimstätten« in Aussicht gestellt.
— Ver anstal tungen : Der Theaterverein »Wienerwald« veranstaltete im
Baumgartner Kasino am 5. und 12. v. M. unter der bewährten Leitung des Direktors
Schmid- Winter zwei Theatervorstellungen zugunsten des Kaiser-Karl-Kriegs-
blindenheimes in Wien XIII. Am Schlüsse der zweiten Vorstellung dankte Verwalter
Rosenmayer namens des Präsidiums des Vereines zur Fürsorge für Blinde in
herzlichen Worten für die menschenfreundliche Förderung des Kaisei -Karl-Kriegs-
blindenheimes.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende August 1. J.
— Neue Freie Presse: 1,143.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 2,651.700 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 380.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 55.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 26.250 K.
Verschiedenes.
— Milchinjektionen bei Augenerkrankungen. Der Augenarzt Dozent
Dr. L. Müller in Wien hat bei verschiedenen Augenleiden mit Einspritzungen
von gewöhnlicher Kuhmilch in die Muskulatur des Körpers gute Erfolge erzielt.
In einem typischen Falle von Regenbogenhautentzündung schwanden nach der
ersten Milchinjektion die Schmerzen, nach der vierten war der Kranke vollständig
geheilt. Bei einem an einer schweren Blennorhoe Erkrankten zeigte nach einer
einmaligen Milchinjektion der Kranke am nächsten Tage das Bild eines leichten
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. RedaktionsWomitee: K. Biirklen,
J. Kneis, A. ▼. HorTath, F. Uhl. — Druck Ton Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
Augenkatarrhes; drei Tage nachher waren bei einer Untersuchung der Absonderung
keine Krankheitserreger mehr {estzustellen. Es ist zu betonen, daß durch die Milch-
injektionen es von nun ab jedem praktischen Arzte, selbst wenn er nicht fachlich
als Augenarzt ausgebildet ist, ein leichtes sein muß, jeden Fall von akuter Blen-
norhoe zu behandeln und zu heilen, während es bis jetzt die größte Kunst eines
Augenarztes war, eine Blennorhoe bei einem Erwachsenen ohne Defekt der Horn-
haut zur Heilung zu bringen. Eine Bestätigung dieser neuen Heilmethode bleibt
abzuwarten.
Bücherschau.
— Abriß der englischen und französischen Blinden-Kurzschrift.
Ins Deutsche übertragen und mit Anmerkungen versehen von Alexander Reuß.
Im Verlag von Alexander Reuß, Straßburg-Stockfeld im Elsaß, ist vor
kurzem obgenanntes Buch in Punktdruck erschienen. Ein solches Hilfsmittel zur
Erlernung der fremdsprachigen Kurzschrift hat uns bisher gefehlt; sein Erscheinen
entspricht einem wirklich vorhandenen Bedürfnis. Der Blinde, der der hanzösischen
oder der englischen Sprache mächtig ist, wird mit Hilfe dieses Abrisses leicht in
den Stand gesetzt, sich die Schätze der fremdsprachigen Literaturen anzueignen,
insoweit diese in Blindenkurzschrift vorhanden sind. Aber auch der blinde Musiker,
der nur ein wenig das Englische und Französische versteht, wird an diesem Buche
nicht achtlos vorüber gehen. Es ist eine in Blinden-Musikei kreisen bekannte Tat-
sache, daß noch aus der Zeit vor dem Kriege viele französische und noch mehr
englische Punktdrucknoten - Ausgaben in Deutschland und Österreich starke
Verbreitung gefunden haben. Ich erinnere hier an die Auswahl der kleinen Prälu-
dien für Klavier von J. S. Bach, desgleichen an die 3 bändige Ausgabe des »wohl-
temperierten Klaviers« sowie an die 8 kurzen nnd leichten Präludien und Fugen
für Ogel von Bach; ferner an die von Hans v. Bülow 50 ausgewählten Etüden von
Cramer, die Taussig'sche Ausgabe des Gradus ad Parnassum von Giemen ti
und an Mendelssohns Lieder ohne Worte« (Klindworthj. Diese sämtlich
englischen Ausgaben sind heute allerdings durch deutsche bei Vogel in
Hamburg erschienene größtenteils ersetzt, ja überholt, wobei ich kaum zu betonen
brauche, daß mein Urteil auf national-chaurinistischem Grunde keineswegs
erwachsen ist. Künstlerische und wissenschaftliche Angelegenheiten haben mit der
jeweiligen politischen Konstellation nichts zu schaffen. Aber die deutschen Aus-
gaben sind uns in Allem und jedem (Papier, Druck, Gesammtanlage) viel vertrauter
und daher sympathischer als die fremdländischen. Trotzdem wird derjenige, der
einen französischen oder englischen Notendruck besitzt, ihn j e t z t nicht ohne weiters bei-
seite tun, um sich dafür die deutsche Ausgabe anzuschaffen, das verwehrt schon
der Kostenpunkt. Die englischen Ausgaben nun, sind durchwegs mit mehr oder
minder breit angelegten Einleitungen, Anmerkungen, Erklärungen, histor. Bemer-
kungen u. s. w. versehen. Diese umfangreichen Text-Zutaten sind jedoch in englischer
Kurzschrift abgefaßt. Die Britisch and foreign blind- Assoziation setzt bei ihren
Abnehmern die Kenntnis der Kurzschrift als etwas Selbstverständliches voraus. Der
englische Standp'mkt ist hierin von dem deutschen wesentlich verschieden; finden
sich in einer deutschen Ausgabe textliche Erläuterungen, wie beispielsweise in dem
vom königl. Musikdirektor Meyer in Berlin Steglitz herausgegebenen Heften in
neuer Notenschreib-Ordnung, so sind sie in Voll seh ritt gegeben. Wer die
französische und englische Sprache versteht, ilnc Kurzschrift aber nicht kennt, hat
mit den fremdsprachigen Ausgaben einen schweren Stand; er muß, um auf den
Sinn des Worttextes zu kommen, sich aufs Rätselraten verlegen, eine reeht mißliche
und zeitraubende Beschäftigung.
Der Abriß der fi anzösischen und englischen Blindenkuizschrift von Alexander
Reuß hilft diesem Übelstande nun mit einem Schlage ab. Das Buch umfaßt 24
Seiten Großformat. Drei Viertteile davon entfallen auf die englische Kurzschrift der
Rest auf die französische. Der Stoff ist übersichtlich geoidnet, die Erklärungen
kii'z und klar >zum Ausdruck gebracht. Man wird mit Hille dieses Abrisses sehr
bald Bücher in französ. und englischer Kurzschrift fließend lesen können. Freilich,
Hauptsache bei derartigen Studien bleibt immer die Übung.
Auch die Gedächtnisarbeit, die das Studium der fremdsprachigen Kurzschrift
erfordert, ist keine geringe; dies gilt zumal von der französischen Kurzschrift mit
ihren zirka 250 Laut-, Silben- und Wortkürzungen. Als sehr willkommenen Anhang
gibt A. Reuß in dem Abriß das Verzeichnis der In französischen Wörtern gebrauchten
Akzent-Buchstaben, ferner die Punktschrift-Darstellung der römischen Zahlen.
Beides, Akzent-Buchstaben und römische Zahlen, düiften meines Dafürhaltens auch
nicht im Regelbuch der deutschen Kurzschrift fehlen, und sollten bei einer
Neuauflage unbedingt Aufnahme finden. A. K r t s m a r v.
Anfrage. Ein Blinder sucht einen seinen Kenntnissen und Fähig-
keiten enttprechenden Posten. Derselbe war lange Jahre hindurch
Kaufmann, verfügt über Gewandtheit auf den Schreibmaschinen
für Sehende und Blinde und ist in der Musik ausgebildet (Flöte,
Flügelhorn u. Komposition). Sein Wunsch wäre, eine Beschäftigung
zu erhalten, in welcher er sein Können verwerten könnte.
Freundliche Angebote bittet er zu richten an die
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Das Biatt ersdieint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
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Bezugspreis
ganzjährig mit
Postzustellung
4 Kronen,
Einzelnummer
40 Heller.
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D
D
a
D
D
4. Jahrgang.
Wien, Oktober 1917.
10. Nummer.
INHALT: J. Kneis, Purkersdorf: flufsichtsdienst. Der Blinde des Orients im
Spiegel des morgenländischen Schriftums. Über ein Einheitsformat der
Blindendrudte. Der Massepunktdruck von Dr. M. Herz. Personalnachrichten.
Aus den Anstalten. Othmar Huber: Eines Kriegsblinden Gruß an die Heimat.
Für unsere Kriegsblinden. Verschiedenes. Bücherschau. (Altes und Neues.
Ankündigungen).
D
H=
-B
D
3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische t-
Blindenwesen" werden ^erbeten an die Leitung in Wien Vlll,
g Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K,
Ulm f^lD
Altes und Meues.
Erst durch die Selbstbiographie »Ich« erfahren wir, daß der
bekannte Schriftsteller Karl May in seiner Kindheit blind war. An
seinem Lebeneabende enthüllten Mays Gegner die Verfehlungen
seiner Jugendzeit und das »Mayproblem« ersclieint auch heute noch zum
Teil ungelöst. Aus Armut und Verbrechen rang sich dieser Dichter
zum Erfolge durch. Daß er schon als Kind trotz der rauhen Wirk-
lichkeit zum Märchenerzähler und Phantasten wurde, erklärt er selbst
aus der Blindheit seiner Kinderjahre.
May war im Jahre 1842 in einem ärmlichen erzgebirgischen
Weberstädtchen geboren. Daß er kurz nach der Geburt sehr schwer
erkrankte, das Augenlicht verlor und volle 4 Jahre siechte, war nicht
die Folge der Vererbung, sondern der rein örtlichen Verhältnisse,
der Armut, des Unverstandes und der verderblichen Medikasterei,
der er zum Opfer fiel. Seine Mutter, die sich in Dresden zur Hebamme
ausbildete, erzählte den Ärzten von ihrem elenden, erblindeten und
seelisch doch so regsamen Knaben. Diese ließen ihn kommen und
behandelten ihn mit so überraschendem Erfolge, daß der Knabe
sehen lernte und gesundend heimkehren konnte.
Mays Großmutter war eine arme ungebildete Frau, aber trotz-
dem eine Dichterin von Gottes Gnaden und darum eine Märchen-
erzälilerin, welcher der Knabe zu lauschen nicht müde wurde, um
das Gehörte im Kreise der Kinder wiederzuerzählen ußd neue Märchen
zu erfinden. Alles in ihm wurde Phantasie und Seele. Als er sehen
lernte, war sein Seelenleben schon derart entwickelt und festgelegt,
daß selbst die Welt des Lichtes, die sich nun vor seinen Augen
auftat, nicht die Macht besaß, den Schwerpunkt, der in seinem Innern
lag, ZU' sich herauszuziehen. E!r blieb ein Kind für alle Zeit, in dem
die Seele ohne Rücksicht auf die Außenwelt die Oberhand behielt.
Alles Wtrkiiche trat in seiner Kindheit als Seele an ihn heran. Er
sagt darüber:
»Eigentlich war in meiner frühen Knabenzeit jedes lebendige
Wesen nur Seele, nichts als Seele. Ich sah nichts. Es gab für mich
weder Gestalten noch Formen, noch Farben, weder Orte noch Orts-
veränderungen. Ich konnte die Personen und Gegenstände wohl
fühlen, hören und riechen ; aber das genügte nicht, sie mir wahr und
plastisch darzustellen. Ich konnte sie mir nur denken. Wenn jemand
sprach, hörte ich nicht seinen Körper, sondern seine Seele. Nicht
sein Äußeres, sondern sein Inneres trat mir näher. Es gab für mich
nur Seelen, nichts als Seelen. Und so ist es geblieben, auch als ich
sehen gelernt hatte, von Jugend auf bis auf den heutigen Tag. Das
ist der Unterschied zwischen mir und anderen. Das ist der Schlüssel
zu meinen Büchern. Das ist die Erklärung zu allem, was man an mir
lobt und tadelt. Nur wer blind gewesen ist und wieder sehend wurde
und nur wer eine so tief gegründete und so mächtige Innenwelt
besaß, daß sie selbst dann, als er sehend wurde, für lebenslang seine
ganze Außenwelt beherrschte, nur der kann sich in alles hineindenken,
was ich plante, was ich tat und was ich Schrieb, und nur der besitzt
die Fähigkeit, mich zu kritisieren, sonst keiner!
4. Jahrgang. Wien, Oktober 1917. 10. Nummer.
^ »Heil Euch ! Die ihr in beschränktem Kreise M
^ Stille übet eines Gottes Weise!« %
^ Dem Blindenlehrer von einer österr. Blindenfreundin. ^
flufsichtsdienst.
Von Hauptlehrer Johann Kneis, Purkersdorf.
Heute »Dienst« — wie einfach das klingt. Hat nicht jedermann
seinen Dienst? Gewiß! Doch was bedeutet »Dienst« beim BHndenlehrer?
Das Wörtchen bezieht sich ja gar nicht auf seine Tätigkeit als Unter-
richtserteiler und Erzieher in der Schule, sondern »Dienst« ist eine
notwendige Draufgabe. Aufsichtsdienst, Inspektion, Präfektendienst,
Haupt-, Neben-, Vertretungsdienst und noch andere Namen führt in den
verschiedenen Blindenanstalten jene Arbeitsleistung, welche oft ganz
unverdientermaßen als eine Nebenleistung des Blindenlehrers angesehen
und bewertet wird.
Ja, wenn es sich dabei darum handeln würde, die Zöglinge vor
körperlicher Beschädigung zu bewahren oder die blinden Kinder mit
strengem Kommandoton zur Ruhe und Ordnung zu zwingen, dann
könnte man wohl geringschätzig die Achsel zucken, denn da brauchte
man nicht erst einen studierten Menschen, das träfe bald irgend jemand.
Die Sache liegt aber doch ein wenig anders.
Eine pädagogische Begründung der Notwendigkeit einer Aufsicht
halte ich für überflüssig und will hier nicht vom Standpunkt des Kindes,
sondern »ausnahmsweise« einmal vom Lehrer ausgehen. Und wenn
man schließlich herauslesen sollte, daß Schulhygiene nicht nur Schüler-
sondern auch Lehrerhygiene in sich schließt, daß es nicht bloß eine
Schonzeit für den Lehrer geben soll, so darf doch unter keiner Bedin-
gung auf eine Unzufriedenheit geschlossen werden. Seien wir Blinden-
lehrer offen und sagen alles wie wir es uns schon oft im Geheimen
geklagt haben.
Seite 804. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 10. Nummer.
Keinen Blindenlehrer hörte ich während meiner 20 jährigen Dienst-
zeit klagen, daß der Unterricht ihm Beschwerden verursache daß der
eine oder andere Unterrichtszweig ihm Schwierigkeiten bereite, daß die
Unterrichtszeit zu reichlich bemessen wäre u. s. w. Doch der »Dienst«
sei das Unangenehme! Und soll das sein? Leider scheint es vieltach
so. Die Hauptursache ist die Überbürdung des Lehrers. Selbst der
laienhafteste Laie wird zugeben müssen, daß der Blindenunterricht
zumindest nicht leichter ist als der Unterricht an der Volks- oder der
Bürgerschule. Dort hat die Erfahrung ein Maximum von Wochenstunden,
welche als Pflichtstunden den Lehrkräften zugewiesen werden können,
festgelegt. Dasselbe geschieht auch bei uns in gleicher Weise und mit
gleicher Anforderung. Doch kommt nun obendrein der Dienst, welcher
als Zuwage ohne Entlohnung gehalten werden muß — gehalten werden
muß vom jungen und vom alten Lehrer. Daß er gehalten werden muß,
ist nicht zu leugnen, daß er nicht von allen in gleicher Weise versehen
werden kann, daran liegt es.
Der junge Lehrer bringt Kraft mit und Leichtigkeit, der alte Er-
fahrung und Gleichmut. Beides ergänzt sich und tut not.
Doch ist der ältere im Nachteil, denn des jüngeren Kraft gehört
ihm selbst und der Anstalt, des alten Kraft wird auch von seiner
Familie in Anspruch genommen. Ferner hat der Blindenlehrer, ins-
besondere der ältere die moralische Pflicht, außerhalb der Anstalt am
staatsbürgerlichen Leben tätigen Anteil zu nehmen. Sei es nun Blinden-
fürsorge, sei es Armenpflege oder Sorge um Gemeinde-, Landes- oder
Staatswohl, der Blindenlehrer darf nicht abseits stehen, einmal um der
Sache willen, andererseits um nicht einseitig und verzopft zu werden.
Dazu gehört aber Zeit. Daß trotz Zeitmangels der Blindenlehrer nach
i)czahlter Nebenbeschäftigung sucht und dieselbe in weitaus beschrank-
terem Maße als der Lehrer draußen, in der Anstalt aber nur als Mehr-
leistung findet, kann von keinem Einblickhabenden Menschen verübelt
werden, es ist ja nicht Geiz und Gewinnsucht, sondern das Bestreben
nach höherer sozialer Eigenbewertung und auch das Bestreben, die
Sonderstellung auszugleichen.
Wie könnte nun ohne der Erziehung unserer Schüler Abbruch zu
tun, ja im Gegenteil, um die Erziehung zu fördern, eine Änderung
eintreten? Schreiber dieser Zeilen wagt es kaum Vorschläge zu machen,
denn wie alles erfordert auch das wieder Geld und das klingt nicht
wie Friedensmusik sondern wie Kriegsgeschrei. Doch ich wage es —
vielleicht gings so ;
Alljährlich werden an Lehrerbildungsanstalten Kurse über Blinden-
pädagogik abgehalten, alljährlich warten viele Bewerber beinahe Jahr
und drüber lang auf Anstellung an einer Volksschule. Mit dem geringen
Gehalte fristen sie nur mühsam ihr Leben, ja legen oftmals den Grund
zu ihrer Verschuldung. Könnte da nicht beiden Teilen geholfen werden
und obendrein, weil dadurch der Blindensache neue Verteidiger erwach-
sen, daß man solch junge Lehrkräfte anstellt und ihnen dann bessere
Posten in Aussicht stellt, eben der Blindensache gedient werden. Die
Hauptkraft könnten solche Lehrer dem Aufsichtsdienst widmen. Weil
aber die Erfahrung des älteren Lehrers bei der Erziehung nicht vermißt
werden kann, so könnte diesem wenigstens ein Teil des Aufsichts-
10. Nummer. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen. Seite 805.
dienstes in die Pflichtstunden eingerechnet werden. Gewiß wieder
ein Ansporn für die jüngeren Kräfte, die ja auch einmal äUer
werden.
Man wird sicher einwenden, daß es doch nicht pädagogisch wäre,
Krätte nur für ein oder zwei Jahre anzustellen ; der allzuhäufige Wechsel
bringe manchen Nachteil. Dem steht gegenüber, daß bei der geringen
Freizügigkeit des Speziallehrers im andern Fall keine jüngeren Lehrer
mehr an der Anstalt sein werden, wenn nach etlichen Jahren die älter
werdenden Lehrer verlangen, daß auch ihnen einmal das Recht auf
Fhe u. s. w. gegeben werde.
Also für den jüngsten Lehrer der Vorteil, schon frühzeitig eine
sorgenfreie Anfangszeit mit der Möglichkeit einer lückenlosen Fort-
setzung seiner I^ehrtätigkeit, für den älteren Lehrer eine Steigerung
seiner Berufsfreudigkeit und nicht zuletzt, für die Blindensache neue
Freunde, die zwar hinausziehen aus der Anstalt, aber, das ist Erfah-
rungssache und ließe sich mit Beispielen belegen, draußen als treue
Freunde der Blinden weiterwirken und die Stützpunkte werden für
systematischen Ausbau der Blindenfürsorge.
Daß Speziallehrer den Weg zur Volksschule nicht mehr finden
könnten, wird wohl niemand glauben. Im Gegenteil, der gewesene
Speziallehrer wird als gewissenhafter und methodisch geschulter Pädagoge
überall geschätzt und wurde oft schon in jungen Jahren gerne zu den
gewiß nicht leichten Posten an Übungsschulen berufen, von eben welchen
Posten er oft seinen weiteren Aufstieg begann.
Der Blinde des Orients im Spiegel des
morgenländischen Schrifttums.
(Fortsetzung.)
Wie ein reicher Mann durch seine Habgier zum blinden Bettler
wird, finden wir in der Geschichte Baba Abdallas des Blinden
erzählt.
Der Chalif Harun er-Raschid trifft auf einem Rundgang
einen .blinden Scheich, der ihn an der Hand festhaltend ausruft: »O
gütiger Mann, was immer du sein magst, den Gott antrieb, mir ein
Almosen zu geben, weise nicht die Bitte ab, die ich an dich richte ;
gib mir einen Backenstreich, denn ich verdiene dies und noch größere
Strafe.« Der Chalif, überrascht von den Worten des blinden Bettlers,
versucht mit ablenkenden Worten loszukommen, doch der Bettler
fleht weiter, entweder das Almosen zurückzunehmen oder seine Bitte
zu erfüllen, denn er will das Geschenk nicht unter der Bedingung
annehmen, einen Eid gebrochen zu haben. Um nicht aufgehalten zu
zu werden, erteilt der Chalif dem Blinden einen leichten Schlag,
worauf dieser ihn sogleich los ließ und ihm dankte und Segen erflehte.
Um den Grund dieses seltsamen Verhaltens kennen zu lernen, läßt
Harun er-Raschid den Blinden zu sich kommen und dieser
Baba Abdalla geheißen, erzählt ihm seine Geschichte, die wir
mit F"r. Rücke rts schönem Gedichte (mit Rücksicht auf den Raum
gekürzt) wiedergeben.
Seite 806.
Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen.
10. Nummer.
Der Blinde.
Es zieht mit seiner Schar von hohen
Kamelen, achtzig an der Zahl,
Derweil des Mittags Flammen lohen,
Abdalla durch das öde Thal.
Und wo ein Kranz von Dattelpalmen
Umziehet eines Quelles Rand,
Streckt er sein Heer auf weichen
Halmen,
Und sich aufs schwellende Gewand.
Da tritt, die ernsten Mannesschritte
Gelenkt von einem Cederstab,
Ein Derwisch in des Kreises Mitte,
Und grüßt zum Ruhenden herab :
Was zählest du mit müß'gen Blicken
Dein unbelastet lagernd Heer ?
Mich sendet, um dich zu beglücken,
Dein günstiges Geschick hieher.
Steh auf, und zeuch mit deinen Scharen
Auf meiner Spur vertrauenvoll !
Den Schatz will ich dir offenbaren,
Der achtzig Rücken lasten soll.
Gleichwie der Wolf mit freud'gem
Schrecken
Neuhungernd auf vom Lager springt.
Wenn ihm, dem satten, fernes Blöken
Der ungehofften Beut' erklingt ;
So springt der Kaufmann, wie von
Sinnen,
Empor, und fühlt sich plötzlich arm :
Kann ich die Schätze nicht gewinnen,
Was soll mir dieser dürft'ge Schwärm?
Beim Barte, der in Silberflocken
Dir bis zum Gürtel niedersteigt !
Nicht rasten sollst du mir noch stocken.
Bis du die Schätze mir gezeigt.
Der Derwisch an dem Cederstabe
Spricht ernst mit kaum bewegtem Kinn;
Gemach, mein Sohn! gut ist die Habe,
Doch besser ist ein weiser Sinn
Er streckt die zauberhafte Rute
Mit steter Hand zum Wandern vor;
Der Krämer folgt in dumpfem Mute
Mit seiner Tiere stummen Chor.
Sie ziehen hin zu fernen Gründen,
Und eng und enger wird das Thal,
Und hoch und immer höher winden
Sich rings die Berge schroff und kahl.
Der strenge Beter aber schreitet
Zum Felsen, der sich dräuend strafft.
Indem er leicht die Hand verbreitet,
Ihn zu berühren mit dem Schaft.
Kaum hat den Schlag der Fels
empfunden.
Als er erbebt im tiefsten Grund,
Und, von dem Zauber überwunden,
Aufthut er seinen eh'rnen Mund,
Und zeigt in düsterroter Höhle
die goldne Pracht zur Schau gelegt;
Dem Krämer preßt die starre Kehle
Das Ach, das in der Brust sich regt.
Er blinzt das Auge, krampft den Finger;
Was aber hält noch seinen Fuß ?
Es beut dem ungeduld'gen Jünger
Der Greis den ungehofften Gruß:
»Sag an, und steh gebannt so lange.
Wieviel der Tiere nennst du dein?«
Weh mir! ruft jener ahnend bange.
Sind den nicht diese achtzig mein?
»Behalt die vierzig dir zur Linken,
Die vierzig rechten sind mein Lohn;
Und wenn dir diese besser dünken,
So nehm' ich jene, lieber Sohn!«
Es wird von innerlicher Fehde
Abdallas giere Brust zerfleischt.
Da seines Führers kalte Rede
Von ihm das halbe Leben heischt.
Der Derwisch deutet nach den Schätzen,
Und schwingt sein Rohr dem Felsen
nah ;
Der Kaufmann stammelt vor Entsetzen:
Nimm sie nur hin! da sind sie ja.
Nun auf! ruft jener, auf die Hände!
Wir tauchen sie in goldne Flut,
Daß unser Tagewerk sich ende,
Bevor die Sonn' ab ihrem ruht.
Gleichwie der Maulwurf blind mit
Schnaufen
Wühlend im Kot die Furchen zeucht.
So rafft der Krämer Goldeshaufen,
Keucht, kommt und geht, geht kommt
und keucht.
Doch wie die Biene summend leise
Den Seim trägt, daß die Zelle schwillt.
So hat mit seinem Zauberreise
Der Greis die Säcke leicht gefüllt.
Und als die achtzig wohlbeladen
Die Hälse sträubend rückwärts drehn.
Geht noch einmal der Greis zum Gaden,
Und wohl sieht ihn der Krämer gehn.
Und sieht, daß eine Salbenflasche
Er vorholt aus dem tiefsten Schacht,
Und birgt sie in die Faltentasche
Mit sorgsam wählendem Bedacht.
»Der Schatz gewiß ist kein geringer.
Den er davon so Sorgsam trug.«
Der Krämer mit gekrümmtem Finger
Hascht einen Goldblock noch im Flug.
Doch wie er länger noch will tasten.
Treibt ihn hinaus des Alten Wort:
Wir dürfen hier nicht länger rasten;
Nun schleuß dich wieder, dunkler Hort!
10. Nummer.
Zeitschrift für das österreichisclie Blindenwesen.
Seite 807.
Er spricht's, und wie die schwanke
Gerte
Den Fels berührt, dumpt tönt es nach,
Und schwindend schließt sich das
gesperrte
Gewölb in einem lauten Ach.
Und mit ihm ächzt des Kaufmanns
Seele,
Wie er die nackten Wände schaut:
Warum ach bleibt der Grabeshöhle
Dies Mark des Lebens anvertraut!
Doch tiefer ächzet er und strenger,
Als er geteilt die Herde sieht;
Stumm nimmt er seine vierzig Gänger,
Indes mit vierz'gen jener zieht.
Und wo nun in des Thaies Mitte
Der Kreuzweg auseinanderweicht,
Da hat der Greis nach Freundessitte
Die Hand zum Abschied ihm gereicht:
Leb wohl! wir dürfen nun nicht weiter
Zusammen eine Straße zieh.n.
Leb wohl! und Gott sei dein Geleiter!
Er hat dir reiches Glück verliehn.
Der Krämer grollt: Zieh hin mit Segen!
Auch diese vierzig waren mein. —
Noch sind sie weit nicht auf den Wegen,
Da fällt dem Krämer etwas ein.
Umwendend ruft er nach dem Greise:
Hört, lieber Vater, hört ein Wort!
Der Alte hemmt gemach die Reise,
Und schnaufend steht der Krämer dort.
Er spricht: Ich hab' es wohl erwogen,
Und unser Handel ist nicht recht,
Zum Gottesmann seid ihr erzogen,
Und nicht zu der Kamele Knecht.
Es stampfen Euch die wilden Tiere
Mit ihren Hufen in den Sand;
Erlaubt, daß ich Euch zehn entführe,
Auch dreißig ist ein harter Stand.
Nimm hin, mein Sohn, spricht jener
lächelnd.
Du hast mein Alter wohl bedacht.
Und schon hat der vor Freude röchelnd
Die zehn zu seiner Schar gebracht.
Doch wieder ruft er nach dem Greise:
Hört, guter Vater, noch ein Wort!
Der Alte wieder hemmt die Reise,
Und wieder steht der Krämer dort,
Und spricht: Ich habe dies gefunden,
Das Recht des Himmels wird gekränkt;
Ihr sollt ja beten alle Stunden;
Könnt Ihr's, wenn Ihr die dreißig lenkt?
So fleht AbdaUa in seiner Unersättlichkeit weiter, bis ihm der Derwisch
auf das letzte Kamel abläßt.
Der Krämer küßt ihm tief die Hände:
Und muß es nun geschieden sein?
Gott müsse dir für deine Spende
In beiden Welten Heil verleihn!
Nie welken lass' er dir noch bleichen
Des Lebens frisch und grüne Lust!
Du aber gieb zum Abschiedszeichen
Mir noch die Flasch' in deiner Brust!
Ich merkt' es wohl, wie du verborgen
Für dich den Hauptschatz eingethan.
Wirf von dir alle eitlen Sorgen,
Und laß die Flasche mich empfahn! —
Er zog sie aus den Falten säumend,
Gab sie ihm hin, und schwieg, und
sprach:
So quell' aus ihrem Schöße schäumend
Dir der Zufriedenheiten Bach!
»Zufriedenheit? In Bettlersäcken
Mag etwa diese wohnen auch;
Was Beßres, denk' ich, muß hier
stecken
In dieser Flasche dunklem Bauch.
Geschwind, sag an, o Herr und Meister,
Und mach mir länger nicht Verdruß!
Was sind des Saftes Wundergeister?
Und welches ist der Zaubergruß?«
Er sprach: Wie trefflich kannst du
spüren.
Nur daß du's nicht ergründen kannst:
Merk auf, und laß dich nicht verführen,
Sieh zu, wie du den Argen bannst!
Zwiespältig ist die Kraft der Quelle:
Dem rechten Auge eingeflößt,^
Macht sie des Geistes Sehkraft helle,
Daß er der Schöpfung Siegel löst.
Dann thun sich auf des Erdleibs Gründe,
Dich grüßen mit dem Silberblick
Die schlängelnden Metallgewinde,
Der Adern lebendes Verstrick.
Doch wird das Auge naß zur Linken,
So stirbt dahin die ird'sche Pracht.
Die Schätze in die Tiefe sinken.
Und deine Sehkraft in die Nacht.
Der Jünger kniet, und streckt die Hände
Schon zuckend nach dem Greis empor,
Daß er des Sehens Tau im spende.
Ihm öffne selbst des Auges Thor.
Der Meister taucht des Fingers Spitze
Bis an den Nagel in den Saft,
Er murmelt aus des Mundes Ritze,
Und neigt das Haupt gedankenhaft.
Seite 808.
Zeitschrift für das österreichische Biindenwesen.
10. Nummer,
Dann dreimal auf zum Himmel hebt er
Den feuchten Finger hoch und lang,
Und dreimal streichend iiberwebt er
Des rechten Auges Wimperhang.
Und wie zum drittenmal der Finger
Sich hebt, hebt sich des Auges Lid;
Auftaumelnd raffet sich der Jünger
Empor, und jauchzet, was er sieht:
Ich seh' aus goldnem Stoff gewoben
Des Erdenleibes Herrlichkeit,
Die Decken sind hinweggehoben,
Und golden glüht das Eingeweid.
Die Sterne blühn in Felsenstücken,
Die Sonnen wachsen in dem Erz;
Wer läßt sie mich mit Händen pflücken?
Wer läßt mich saugen sie ins Herz?
O Herr und Meister, sieh mich wimmern,
O tauche deinen Finger ein,
Und drück ihn mit den Lebensschimmern
Auch in das linke Aug' herein!
Ernst jener sprach: Wird naß zur Linken
Das Auge, stirbt die ird'sche Pracht;
Die Schätze in die Tiefe sinken,
Und deine Sehkraft in die Nacht.
»O Herr und Meister, hör mich ächzen,
Ins Auge geuß den Flammenguß:
O laß mich Armen nicht verlechzen
In meinem reichen Überfluß.
Was sollich denn das Funkeln schauen
Wenn es die Hand nicht greifen kann?
O komm geschwind mich blind zu tauen
Wenn ich nicht anders Ruh' gewann!«
Er krallt die Hand und rollt die Blicke,
Und zucket nach des Greises Bart.
Der beugt sich weigernd noch zurücke,
Dann neigt er vor sich und willfahrt.
Er tauchet tief des Fingers Runde
Ins Naß bis an des Gliedes Reif,
Und murmelt aus geschloßnem Munde,
Und zieht aufs Auge Streif um Streif.
Da kommt die Nacht hereingesunken.
Und schließt des Thoren Augenlicht;
Er fällt geblendet, todestrunken.
Vernichtet, auf sein Angesicht;
Und liegt, und schweigt; und schweigt
und starret,
Dann ächzt er auf zum Sonnenschein:
So sind die Schätze all verscharret
Und nur die achtzig Lasten mein!
Nun will ich einen Knecht mir wählen.
Der mir mein Gut nach Hause bringt.
Komm, führe mich, und laß mich zählen!
Noch hört mein Ohr, was golden klingt.
Der Derwisch aber zürnend wendet
Sich von dem Armen ab und spricht:
Unsel'ger, zwiefach nun geblendet,
An Geistes- und an Augenlicht!
Bis fremdes Mitleid aufgenommen
Dich hier wird haben, harre du!
Die Schätze, die dir nicht mehr frommen,
Führ' ich zur Gabe Würd'gern zu.
Er spricht's, und setzt in Zug die Herde,
Und jener sitzt gelähmt und stumm,
Und kehrt mit starrender Gebärde
Blind nach den Ziehenden sich um.
Dann ringend mit ohnmächt'gen Krämpfe
Wirft er sich auf sich selber hin,
Und horcht, wie fernhin mit Gestampfe
Die lauten Dromedare ziehn.
über ein Einheitsformat der Blindendrucke.
Der Durchblick einer Blindenbücherei erweckt im Beschauer
unwillkürlich den Gedanken nach einem für alle Zwecke brauchbaren
und entsprechendsten Format der Bücher. Heute finden sich da neben
wahren Folianten Bände in verschiedenster Größe bis zu Heften herab,
welche den Umfang von Schwarzdruckheften nicht überschreiten.
Außer dem Hochformat findet sich das Querformat, letzteres nicht
allein für Zeitschriften uud Musikalien, sondern auch für andere
Druckwerke. Den größten Umfang erreichen Bücher von 29 cm Breite
und -36 cm Höhe (im Einband), dann schwankt das Format abwärts
mit 28 : 35, 28 : 34, 27 : 34, 26 : 35, 25 : 36 cm. Eine Mittelgröße
nehmen die handschriftlich hergestellten Werke ein mit 25 : 29 cm
ein, dann folgen kleinere Formate mit 24 : 27, 23 : 29 bis zu 16 : 25
und schließlich die Querformate angefangen mit 28 cm Breite und
24 cm Höhe bis zu 29 : 23, 28 : 24, 27 : 23, 27 : 17.
Der Beschauer wundert sich über diesen so überaus reichen
Individualismus, der auch in Dicke und Einband der Werke zum
10. Nummer. Zeitschrift für das österreichische IJiindenwesen. Seite 809.
Ausdruck kommt und sucht nach den Ursachen. In K. Satz e nli of er's
Schrift über »Gründung und Verwaltung von Blindenbibliotheken«
findet er folgende Begründung: »Bei einer BUndenbibUotliek kommen
vier Abteilungen in Betracht, welche sich aus rein praktischen Erwä-
gungen, das ist aus dem Format, ergeben. Erstens die geschriebenen
Bücher (Manuskripte), zweitens die gedruckten Bücher, drittens die
Musikalien -und viertens die Zeitschriften. Bei den Manuskripten wird
sehr leicht ein vollkommen gleiches Forinat erreicht werden, wenn
die Bibliotheksverwaltung von allem Anfang an eine einheitliche
Papiergröße an ihre Mitarbeiter ausgibt. Bei den gedruckten Büchern
herrscht ein bestimmtes Format (29 : 35 cm) vor. Bei den Zeitschriften
treten wohl die verschiedensten Formate auf, weshalb sie in dem
für sie bestimmten Raum Bücherregale mit verstellbaren Bücherbrettern
aufzustellen sind. Das gleiche gilt auch von den Musikalien.«
Die Formate haben sich also aus rein praktischen Erwägungen
ergeben. Die Druckwerke hat man möglichst groß gehalten, um den
Raum auszunützen und möglichst viel Inhalt zu geben, die Hand-
schriftwerke richten sich nach der Größe der bei ihrer Herstellung
benützten Punktschrifttafeln, die Zeitschriften zeigen eine tür den
Postversand praktische Größe, die Musikalien sind Querhefte, die
leicht auf den Schoß gelegt werden können oder auf dem Klavierpult
bequem zu erreichen sind. Das sieht der Beschauer ein. Warum herrscht
nun aber in den angegebenen Gruppen trotzdem keine Einheitlichkeit?
fragt er sich. Wohl nur deshalb, weil sich die Druckereien bisher
hierüber nicht verständigten und eine wirklich praktische Einheitlichkeit
nicht anstrebten !
Und da der Beschauer einmal nachdenklich geworden ist, fragt
er sich weiter? Warum sind Druck- und Handschriftwerke nicht gleich
groß, da sie doch gleichem Zwecke dienen? Weil Druckplatte und
Punktschrifttafel nicht gleich groß sind? Ist das eine einwandfreie
Begründung? Hat man beim Blindenbuch nicht mehr an den Leser
und das Lesen zu denken, als an technisch sich herausgebildete
Besonderheiten des Drückens und Schreibens?
Und der Beschauer entwickelt sich folgenden Gedankengang :
Das Blindenbuch kann der Punktschriftgröße wegen sicher nicht so
klein und handlich sein als ein Schwarzdruckbuch für Sehende. Es
wird immer größer und stärker bleiben. Wie groß darf es aber werden?
Sicher nur so groß, daß es auch für den Blinden noch handlich bleibt,
d. h. die Hantierung mit demselben nicht allzu schwer und mühevoll
ist. Es ist dabei nicht nur das geschlossene sondern auch aufgeschla-
gene Buch inbetracht zu ziehen, das einen doppelten Flächenraum
einnimmt. Betrachtet man auf diese Zweckmäßigkeit hin unsere größten
Formate, so ist sofort festzustellen, daß sie zu groß und meistens
auch zu dick sind. Das Format wäre also nach beiden
Richtungen hin zu vermindern. Damit nähern wir uns einer
Mittelgröße, wie sie die Handschriftwerke zeigen. Der Formatunter-
schied zwischen Druck- und Handschrift werken erscheint
vom Standpunkte des blinden Lesers überhaupt nicht
gerechtfertigt und wäre zu beseitigen. Man käme damit
bereits zu einer Einheitlichkeit wenigstens in den Literaturwerken.
Seite 810. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 10. Nummer.
Nun noch die Zeitschriften und Musikalien! Findet man bei
den früher genannten Büchern vorherrschend das Hochformat, so
sind die Zeitschriften und Musikalien, allerdings auch wieder mit
Ausnahmen, im Querformat gehalten. Bei den Zeitschriften scheint
hiefür der Postversand (Briefform) ausschlaggebend gewesen zu sein,
bei den Musikalien das leichte Auflegen. Ist nun das Querformat
bei diesen Büchern eine unbedingte Notwendigkeit? Bei den Zeit-
schriften sicherlich nicht; sie könnten ebensogut im Hochformat der
Bücher gehalten sein. Bezüglich der Musikalien müßte man jedoch
wohl erst das Urteil der Musiker hören.
Gewiß ist von den Zeitschriften eine für den Postversand entspre-
chende Form und Größe zu verlangen. Unter eine Größe von 25 : 28
herunterzugehen erscheint aus verschiedenen Gründen nicht praktisch.
Vergleicht man diese Größe mit dem gemachten Vorschlage bezüglich
der anderen Bücher, so ist der Unterschied nicht mehr so groß, daß
man nicht an ein Einheitsformat für alle Blindenbücher,
einschließlich der Zeitschriften, denken könnte.
Welche Größe wäre nun für ein derartiges Einheits-
format am zweckmäßigsten? Sollte das Einheitsformat
im Hoch- oder Querformat gehalten sein?
In letzterer Frage wäre unbedingt für das Hochformat zu ent-
scheiden. Wohl bietet das Querformat als Vorteil längere Zeilen,
doch ist es aufgeschlagen nach der Breite zu ausgedehnt und erfordert
beim Lesen ein fortwährendes Verschieben nach links und rechts.
Auch hat der Einband im Querformat durch den kurzen Rücken
weniger Haltbarkeit und Festigkeit. Alle diese Nachteile sind beim
Hochformat nicht vorhanden, so daß für alle Bücher und Zeitschriften,
— die Musikalien vielleicht ausgenommen — dieses Format zu
wählen wäre.
Am entsprechendsten für ein Einheitsformat wäre
eine Blattgröße von 25 cm Breite und 30 cm Höhe anzu-
nehmen, wobei der Textraum nach den freien Seiten zu nach
Möglichkeit auszunützen wäre, so daß nur freie Ränder von 1 i/g cm,
gegen den Buchrücken zu aber ein breiterer Rand von 3 cm frei
bliebe. Das gäbe ein zugleich handliches und für das Lesen praktisches
Format, welches auch für den Postversand, der bei Blindenschriften
eine große Rolle spielt, vollkommen zweckentsprechend wäre ?
»Alles sehr schön«, hört da der in sich versunkene Beschauer
der Blindenbücher eine Fachstimme geisterhaft hinter sich tönen.
»Einheitsformat!« Was werden die Blindendruckereien dazu
sagen? Sollen sie ihre Punziertafeln verkleinern und die Punktschrift-
tafeln vergrößern? Und die Buchblätter, in einer Größe schneiden!
Warum denn auch das Blindenbuch uniformieren? Es ist doch alles
am besten so, wie es eben ist. Und wenn selbst ein Einheitsformat
von Vorteil wäre, wieviel Köpfe wären da unter einen Hut zu bringen
und noch dazu solche von unseren Blindenfachkollegen 1 Da kennen
sie uns schlecht, lieber Freund. Schlagen Sie sich derlei Gedanken
nur wieder aus dem Kopfe und lassen wir alles schön beim Alten.
Auch bezüglich des Formates der Blindenbücher!«
lO. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwes an. Seite 81 1.
Etwas betroffen hat der Beschauer der Blindenbibliothek der
ironischen Fachstimme gelausclit, dann aber doch wieder den Kopf
g-eschüttelt, aus dem das Einheitsformat aber trotz dieses Schütteins
nicht heraus will. Vielleicht denken doch niclit alle so, sagt er sich,
vielleicht läßt sich auch eine freundlichere Stimme dazu vernehmen.
Der Masse-Punktdruck von Dr. M. Herz.
Der heutigen Nummer unserer Zeitschrift liegt ein Probedruck
bei, durch den unsere Leser das von Dr. Max Herz in Wien erfun-
dene Verfahren zur Herstellung von Punktdrucken kennen lernen. Die
Punkte bestehen aus einer festen Masse, die das so leidige Verdrük-
ken der aus dem Papiere gepreßten Punkte nahezu unmöglich macht.
Zum Auftragen (Schablonieren) der Punkte ist eine ausgestanzte Folie
notwendig, durch welche die Masse in Punkten auf das Papier ge-
bracht werden. Das Verfahren würde gegenüber dem gegenwärtigen
Punktdruck mancherlei Vorteile bieten. Dabei soll die Herstellung eine
besonders billige sein.
Zweck des beiliegenden Probedruckes ist es, die Fachkollegen
und Blinden zu einem Urteile über die Lesbarkeit und Zweckmäßig-
keit des neuen Masse-Punktdruckes zu veranlassen. Bemerkungen jeder
Art hierüber sind willkommen und wollen mitgeteilt werden an
Dr. Max Herz in Wien L, Kärntnerring 3.
Personalnachrichten.
— Direktor P. Franz Weber -j*. Ein überaus schmerzlicher
Verlust hat das Blinden-Mädchenheim »Elisabethinum« in Melk a. D.
betroffen. Direktor P. Franz Weber, der seit September 1915 zunächst
als Kurat bei einem Maltheser-Spitalzug, dann als k. u. k. Feldkurat
eingerückt war, ist am 9. September 1. J. im Epidemiespital zu Arad
an Typhus gestorben. Neben seinem Lehramte als Religionsprofessor
am k. k. Obergymnasium des Stiftes Melk arbeitete er auf dem Gebiete
des Vereinswesens, für das er Dank seines liebenswürdigen konzilianten
Wesens und seiner rednerischen Begabung wie wenige geeignet war.
Schon neben dem Gründer des Blinden-Mädchenheimes, dem unver-
geßlichen Regierungsrat P. Ulbrich versah er die Administration
dieses Hauses, um nach Ulbrichs Tod auch die Direktorstelle zu
übernehmen. Seine Wirksamkeit an dieser Stelle, der er sich mit
vollem Heizen widmete, war eine leider allzu kurze. Ein vorzeitiger
Tod, fern von seiner Heimat, hat ihn seinen Angehörigen, Mitbrüdern
und Pfleglingen entrissen. In ihren Herzen wird das Andenken an seine
von Güte und Frohsinn erfüllte Persönlichkeit, an sein selbstloses
Wirken und an seinen opfervollen Tod nie erlöschen.
— Kaiserl. Rat Franz Th urner -f. Im Morg.engrauen des
26. August I. J. verloren der »Blindenfürsorgeverein für Tirol und
Vorarlberg« und die »Blindenanstalt in Innsbruck« ihren Gründer,
ersterer außerdem auch seinen langjährigen eifrigen Sekretär.
Seite 812. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 10. Nummer.
Kaiser]. Rat Franz Thurner, Gemeinderat der Stadt Innsbruck,
wurde nach langem, schweren Leiden, doch unerwartet schnell vom
Tode dahingerafft. Heuer im Frühjahre, erfolgreich an der Speiseröhre
operiert, schien eine kleine Linderung seines tückischen Leidens ein-
getreten zu sein. Ungeachtet seiner Schwäche und seines Schonungs-
bedürfnisses nahm der gute Mann seine Tätigkeit für das Wohl seiner
dürftigen Mitmenschen wieder auf, bis sich plötzlich eine derartige
V^erschlimmerung der unheilbaren Krankheit zeigte, der er unterliegen
mußte.
Was der nimmermüde Wohltäter für die Anstaltszöglinge getan,
wird ihnen un\''ergessen bleiben. Thurner wird überhaupt tortleben
in den Herzen aller dankbaren Tiroler Blinden als derjenige, der sich
liebevoll ihrer hilflosen Lage angenommen und sich nach Kräften
bemüht hat, sie zu einem menschenwürdigen, erträglichen Dasein zu
füliren. Er war es, der seine Landsleute, die Tiroler, zu diesem Werke
wohltätiger Menschenliebe aufgemuntert und ihnen dazu die Wege
geöffnet hat. Nun ruhe er aus in Gottes Frieden, -der edle Menschen-
freund, von seiner rastlosen Arbeit auf dem Gebiete der Näch-
stenliebe.
— Vizehofkapellmeister. Julius Böhrat. Auf seinem Landsitze in
Stockern ist am 7. September 1 J. der zweite Dirigent der k. u k. Hofmusikkapc-lle
und Vizehofkapellmeister Julius Böhm im 67. Lebensjahre gestorben.
Der Verstorbene war 20 Jahre hindurch (1874 — 1894) Musiklehrer an der
n. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf und eine lange Reihe von Zöglingen
dankte ihm ihre musikalische Ausbildung. Seine sonstige ausgebreitete Tätigkeit
zwang ihn, diese Stellung vorzeitig aufzugeben.
— Regierungsrat Direktor A. Meli verlor auf dem südlichen Kriegsschau-
platze seinen jüngsten 22 Jahre alten Sohn. Der betroffenen Familie wendet sich
die allgemeine Teilnahme zu.
— Ehrung. Der L Ost. BHndenverein in Wien VIII hat kais. Rat Direktor
S. Heller in Wien und Direktor K. Bürklen in Purkersdoif in Würdigung ihrer
Verdienste um das österreichische Blinden wesen zu E h r e nm i tgl i eder n ernannt.
Eine Abordnung des Vereines überbrachte den Genannten die hierauf Bezug haben-
den schön ausgestatteten Diplome.
— Auszeichnung. Dem Kommerzialrate H. Grimm wurde in Anerkennung
seiner Verdienste um die Sammlungen für Kriegsblinde (Kriegsblindenheimsiätten)
der Adelsstand verliehen.
— Anerkennung. Der k. k. Bezirksschulrat Wien hat dem an der Schul-
abteilung für blinde Kinder in Wien XVI beschäftijten Hilfslehrer, Herrn Feier
Garns, für sein langjähriges, recht ersprießliches Wiikcn an dieser .Schule die
belobende Anerkennung ausgesprochen.
Rus den Anstalten.
— N. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf. Nach den
zweimonatlichen Ferien wurde die .Anstalt am 1. September 1. J. mit 102 Zöglingen
eröffnet. Außer der durch .Mangel an Lehrkräften bepründ ten Zusaminenziehung
der 1. und 2. Klasse (1. und 2. Schuljahr) wurde der Unten ichtsbetrieb im vollen
Umfange aufgenommen.
Der am Ende des Schuljahres 1916/17 entlassene Zögling Wilhelm Weigert
hat die Aufnahmsprüfung in den I. Jalirgang der Musikakademie (Kirchenmusika-
lische Abteilung in Klosterneuburg) mit gutem Erfolge bestanden.
— Deutsche Blindenschule in Aussig. Dank der Fürsorglichkeit
der Mutteranstalt und des steten Entgegenkommens der Stadtvertretung Aussigs in
10. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Hlindenwesen. Seite 813.
Bezug auf Verpflegung konnte der Unterricht auch im Jahre 1916 seinen ungestörten
Fortgang nehmen. Dementsprechend waren auch die Unterrichtserfolgc sehr gute.
Die Schule zählte 34 Schüler in 2 Klassen.
Seine Exzellenz der Herr .Statthalter Graf Max Coudenhove beehrte am
4. Juli 1916 die Anstalt mit seinem Besuche, zu dem sich vom Direktorium die
Herren kais. Rat Stiidl, Direktor Wagner und Frau, Dr. Schmidt, Medizinalrat
Dr. Marian, sowie Komm<;rzialiat Weimann u. v. a. eingefunden hatten; leider
wai die Zeit so kurz bemessen, daß der schönste Teil der Feier unterbleiben
mußte.
Mit dem Belage von 34 Kindern sind nun alle Räume des Hauses bis auf
das letzte Plätzchen ausgenützt. Eine Neuaufnahme von Kindern ist deshalb aus-
geschlossen. Die deutsche Blindenschule ist in ihrer Entwicklung ernstlich gehemmt
Unsere einzige Hoffnung ist auf den Frieden gerichtet, der von der Menschheit wie
eine Erlösung empfunden auch das Gefühl der Dankbarkeit auslösen wird, aus dem
hoffentlich auch uns Hilfe und Rettung zuteil werden wird.
Direktor Karl Rauter.
— Klar'sche Blindenanstalten in Prag. Trotz der erschwerten Ver-
hältnisse konnte das Direktorium die Anstalten (Hauptanstalt, Kindergarten, Deutsche
Blindenschule in Aussig) in vollem Betriebe erhalten und sich außerdem der Kriegs-
blinden in möglichst ausgedehntem Maße annehmen. Im Jahre 1916 waren in den
Anstalten untergebracht:
Kindergarten 15 Zöglinge (9 Knaben und 6 Mädchen). Hievon 7 Zöglinge
im »Heil- und Erziehungsinstitute« am Hradschin.
Deutsche Blindenschule in Aussig: 34 Zöglinge (21 Knaben und
13 Mädchen).
Hauptanstalt: 106 Pfleglinge (51 männliche und 55 weibliche) 38 Kriegs?
blinde.
Mit den ausgetretenen, transferierten und verstorbenen Kriegsblinden beträgt
die Zahl der in der Anstalt autgenommenen blinden Soldaten 55. Zu dem »Aus-
schusse für Kriegsblindenlürso gc in Böhmen« steht die Anstalt in dem Verhältnisse,
daß die KrieLlsbhnden der Anstalt zum Zwecke der Nachschulung von diesem Aus-
schusse zugewiesen werden, welcher alle Auslagen, die mit der Unterstützung der
Kriegsblinden sowie deren F'amilien, mit ihrer Ausrüstung und endlich der Beschaf-
fung von Tahaktrafiken verbunden sind, trägt. Die Eifahrungen, welche mit den
ersten in die Anstalt eingelieferten Kriegsblinden gemacht wurden, waren recht
betrübliche. Durch Energie, Aufklärung, gütigen Zuspruch und entsprechende Ein-
richtungen gelang es dem verdienstvollen Direktor Wagner eine vollständige
Harmonie beizustellen.
Eines Kriegsblinden Gruß an die Heimat!
Tief taucht mein Geist in holden Träumen
In die Vergangenheit zurück ;
Er schwebt in lichtdurchstrahlten Räumen
Und träumt von Jugend und von Glück!
Er träumt; und Traumgestalten neigen
Zu mir sich nieder, schön und licht,
Und aus den dunklen Tiefen steigen
Und treten vor mein Angesicht
Die alte Heimat, Wälder, Wiesen
Und Felder, lichter Firnenschnee
Der himmelhohen Bergesriesen
Und mancher stille Alpensee.
Seite 814. Zeitschritt für das östereichische Blindenwesen. 10. Nummer.
Ich schau auf jene Stätten nieder,
Wo ich gelebt in Seligkeit,
Und meine Augen sehen wieder.
Was längst versank in Dunkelheit.
Ich höre altvertraute Lieder,
Und Jauchzen, hell, in freud'ger Lust,
Und Menschen seh' ich, stark und bieder.
Mit schlichtem Sinn und treuer Brust.
Ich seh' mich selbst auf stillen Wegen
Hinwandeln durch das ganze Land,
Vorbei an reicher Täler Segen
Und hoch an lichter Berge Rand! —
In solcher Träume Lust und Wehen
Hab' ich ein heilig Unterpfand :
Denn, sollt' ich nie Dich wieder sehen.
Ich kenn' Dich doch, mein Kärntnerland !
Othmar Hub er, k. u. k. Oberleutnant i. R.
Für unsere Kriegsblinden.
— Blinde Musiker für Kriegsblinde. In Brück a. d. Leitha wurde
kürzlich von den blinden Musikern, den Herren Franz Kowar, Friedrich Koltko,
Michael Syslo und Vanic in Drehers Bierhalle ein Wohltätigkeitskonzert zu
Gunsten des Fürsorgefonds für die im Kriege erblindeten Soldaten veranstaltet. Ein
interessantes abwechslungsreiches Programm gelangte unter Mitwirkung einiger
Wiener blinder Musiker zur Aufführung. Großen Beifall erzielte die tadellos zu Gehör
gebrachte Aufführung von Beethovens Ouvertüre zu »Egmont«, ferner Vorträge aus
»Prophet«, die schwungvolle Vortragsweise einiger Walzer von Strauß usw. Der
materielle Erfolg des Koazertes war ebenso wie der künstlerische ein guter. Die
Veranstalter konnten dem humanitären Zweck einen ansehnlichen Betrag übermitteln.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende September 1. J.
— Neue Freie Presse: 1,152.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 2,715.000 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 380.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 55.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 26.600 K.
Verschiedenes.
— Die Blindheit des Philosophen Nietzsche. Nietzsche litt
zeitweise an solchen Augenstörungen, daß er nicht sehen konnte und langwierige
Atropinkuren durchmachen mußte. Die Ursache dieser Erkrankung war Hysterie, wie die
ganze Erkrankung Nietzsches als ein Fall von Hysterie mit Übergang in Paranoia
aufzufassen ist. Die Hysterie, die typische Erkrankung des Künstlers, ja die Bedin-
gung seines Schaffens, besteht eigentlich in einer Spaltung des Individuums in zwei
Partial-Ich, von denen das eine objektiv nachweisbare »Einschränkung des ganzen
Gesichtsfeldes«, welche der körperliche Ausdruck für dies »Nichtsehenwollen« oder
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Bürklen,
J. Kneis, A. t. Horrath, F. Uhl. — Druck ron Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
»Nichtwissenwollen« ist. Sehr häufig finden sich bei Hysterischen nervöse Akkomo-
dationsstörungen, welche oft bis zur völligen Blindheit gehen können.
— Ich sehe nicht. Sie sprechen erregt, es sind Kriegsgewinner. Den einen
brachte der Kiieg Millionen, den anderen Titel und Ehren. Sie ereifern sich gegen
einen »vorzeitigen« Frieden. Nur einer sitzt still da und schaut merkwürdig starr
in die Ferne. Sein Schweigen reizt einen Sprecher und er wendet sich an ihn :
»Sehen sie denn nicht, wie der Krieg neue Kräfte in uns geweckt hat, wie er
unser Volk geeinigt hat?« — »Nein, ich sehe nicht, ich bin im Felde erblindet.«
Eisiges Schweigen und sio entfernen sich verlegen. (Arbeiterzeitung.)
Bücherschau.
— Ein neues Buch. Wir gestatten uns die höfl. Mitteilung, daß wir das
hochinteressante Buch »Wir« von Anton Fendrich in Punktdruck erscheinen
lassen.
Entsprechend dem Untertitel »ein Hindenburgbuch« bringt das kleine Werk
eine so herrliche Charakterisierung des Generalfeldmarschalls und des von ihm ins
ganze deutsche Volk ausstrahlenden Geistes, wie es bisher hesser nicht zu finden
ist. Weiter aber sehen »wir« Deutschen uns im Spiegel der Zeit und lernen uns
mit unseren Vorzügen und Schwächen kennen und beurteilen. Das Buch bietet
interessante Einblicke in alles, was zur Kriegführung und Kriegswirtschaft gehört
und macht den Leser mit den interessantesten und wichtigsten Gegenwartsprob-
lemen bekannt. Auch der Blinde und seine Fürsorge findet in diesem Buche eine
verständnisvolle und liebenswürdige Behandlung, wie überhaupt die ganze Schreib-
weise Fendrichs ungemein ansprechend ist.
Um das Buch einem Jeden zugänglich zu machen, haben wir auf alle die
Rücksicht nehmen zu müssen geglaubt, die noch nicht Kurzschrift lesen können
und haben das Buch in Vollschrift erscheinen lassen.
Eine nahmhatte Spende eines Breslauer Gönners macht es uns möglich, das
Buch billiger als zum halben Selbstkostenpreis abgeben zu können. Sein Preis
belauft sich (es ist bei Zwischenpunktdruck 130 Seiten stark) einschlielSlich Ver-
packung und Porto auf Mk. 2.75
Das Buch soll gewissermaßen unsere Weihnachtsgabe sein, und wir gestatten
uns, es als ein schönes Weihnachtsgeschenk anzubieten, das jedem Leser eine
Quelle von Belehrung und Freude sein wird.
Bestellungen richte man an nie Geschäftsführerin der schlesischen Blinden-
bücherei, Frau Grefe Bial, Breslau 18, Eichen-Allee 5.
Die schlesische Blindenbücherei
Dr. Ludwig Cohn.
— Praktische Einführung in die Satz- und Wortanalyse. Hilfs-
büchlein zum Unterrichte in der deutschen Sprachlehre und zum Selbstunterrichte.
Von Franz Stein, Lehrer in Urfahr-Linz. Preis: 1 K 80 h. Druck und Verlag bei
Karl Hub er in Urfahr.
Wie in der allgemeinen Volksschule überhaupt so hat auch in dem Unter-
richte der blinden, schulpflichtigen Jugend das Analysieren eine sehr wichtige Stelle.
Leider wird es infolge gehäufter Lesestoffe besonders bei unseren verschiedenen
Drucksystem und dem bedauerlichen Mangel an Einheitslesebüchern oft zu wenig
beachtet. Da hat uns ein Amtsbruder aus der Volksschule für sehende Kinder ein
treffliches Hilfs- und Wiederholungsbüchlein für das kommende Schuljahr beschert.
Es ist erstaunlich, was der in Methodik sattelfeste Verfasser auf 64 Seiten alles
kurz und übersichtlich zusammen gestellt hat. Der Anhang auf Seite 62 sollte
eigentlich am Beginne des Buches stehen, dann kann der strebsame Beachter auch
der neuesten Strömung auf dem Gebiet der Sprachlehre vollauf befriedigt werden.
Auf einzelne Punkte sei aber dennoch im Interesse der eifrigen Arbeit aufmerksam
gemacht, ohne den Wert des Buches zu schmälern, nnr als Zeichen eines gewissen-
haften Berichters. Auf Seite 6 ist die Art der Biegung gewisser Hauptwörter als
eine fragliche, besser wohl »unbestiu^mte«, auf Seite 18, 22 und 23 je ein Satz
2 mal als Beispiel angeführt. Sonst sind gerade die zahlreichen Beispiele außer-
ordentlich gut gewählt und auch dem Inhalte nach sehr reichhaltig. Mit der Art
der Behandlung der »Hilfszeitwörter der Aussageweise« und der »bezüglichen Für-
wörter« kann man auch anderer Ansicht. Leider sind die Anschauungen noch nicht
geklärt. Besser würden die Abschnitte 34, 35 un i 36 vor 31 behandelt werden. Die
»Arten der Umstände« sind wohl methodisch am Besten behandelt.
Für den Blindenlehrer ist Steins fleißige, erschöpfende Arbeit bestens zu
empfehlen. Anton M. Pleninger.
Bürklen Karl : Das Tastlesen der Blindenpunktschrift.
Nebst Beiträgen zur Blindenpsychologie von P. Gräsern an n-
Haniläurg, L. Cohn-Breslau, W. Steinberg. VII, 93 Seiten
mit 6 Abbildungen im Text und 6 Tafeln,
Leipzig, Barth, 1917 M 5.—
(Beiheft 16 zur »Zeitschrift für angewandte Psychologie« heraus-
gegeben von L. William Stern und Otto Li p mann).
Inhalt: Das Tastiesen der Blindenpunktschrift nach besonderen Versuchen
zu dessen Erforschung von K. Bürklen. Eine Untersuchung über das
Lesen der Blinden von P. Grasemann. — Beiträge zur Biindenpsydho-
logie von L. Cohn. — Der Blinde als Persönlichkeit von W. Steinberg.
= Ein schönes Geschenk für Blinde =
ist das von der schlesischen Blindenbücherei in Breslau soeben in
Punktschrift herausgegebene hochinteressante Buch von
Anton Fendr ich: „Wir."
Näheres sagt die Besprechung des Buches in der vorliegenden
Nummer dieses Blattes.
^= fisyl für blinde Kinder ==
Wien, XVII., Hernalser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpflichtigen Alter aus allen österreichi-
schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
Die „ZentFolbibliotheh für Blinde in Österpeicli",
Wien XVIII, Währinger Gürtel 136
verleiht ihie Bücher kostenlos an alle Blinden.
Blinden-Unterstützungsverein
„DIE PURKERSDORFER''
^A^ien V., Nikolsdorfergasse 42,
Zweck des Vereines: Unterstut2ung blinder Mit-
glieder. Arbeitsvermittlung tür Blinde. Erhaltung
per Musikalien-Leihbibliothek. Telephon 10.071.
Der blinde ModelleuP'
Littau in Mähren,
empfiehlt seine zu Geschenken sich
: vorzüglich eignenden keramischen :
Handarbeiten. Nähere Auskunft brieflich.
Ppoduhtivgenossensctiaft für blinde
Blipstenbindep und Korbfieciiter.
G. m. b. H.
Wien VIII., Florianigasse Np. 41.
Telephon Nr. 23407.
Alle Gattungen Bürstenbinder- u. Korbflechterwaren,
Verkaufsstelle: Wien VII., Neubau^asse 75.
Musilialien - Leiliinstitut
des Blinden-Unterstützungsvereines
»Die PurI<ersdorfer« in Wien V.,
: — : Nikolsdorfergasse Nr. 42. : — :
f^ BlindendrucUnoten werden an fyf^
VkJ Blinde unentgeltlich verliehen I l^J
von Oskar Pieht.
Bromberg.
A für Punictsciirift M 85.80 B für gewöhnliche Schrift M 80.—
Organ des „Zentralvereines für das österreichische Bünden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
G
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Schriftleitung
Purkersdorf
bei Wien.
Österreichisches
Postsparkassen-
konto Nr.132.257
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Das Blatt ersdieint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
r-j Bezugspreis □
Q ganzjährig mit q
□ Postzustellung □
D 4 Kronen, D
n Einzelnummer CD
n 40 Heller. ^
4. Jahrgang.
Wien, November 1917.
11. Nummer.
INHALT: Erneuerung der Blindenfürsorge in Österreich. Der Blinde des Orients
im Spiegel des morgenländischen Schriftums. J. Kneis, Purkersdorf: Kleine
Anregungen. K. k. Ministerium für soziale Fürsorge. Personalnachrichten.
Aus den Anstalten. A. Rappawi: Blinden Kriegern alle Ehren. Für unsere
Kriegsblinden. Verschiedenes. Bücherschau. (Altes und Neues. Ankündi-
gungen).
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^ Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^-
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
i] Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K.
Ulm -mia
S
flites und Neues.
Die Haut des Blinden als Sehorgan,
Der Physiker Professor Dr, L. Zehn der in Berlin kommt zu
dem Ergebnis, daß ein, wenn auch spärlicher, Ersatz der Augen für
die Blinden nicht aussichtslos erscheine. Jeder weiß, so führt Professor
Zehnder aus, daiS man bei Sonnenschein mit dem Brennglas auf
der Haut ein Sonnenbildchen erzeugen kann, das die Haut in kurzer
Zeit zu verbrennen imstande ist. Man fühlt also dabei die Stelle des
Sonnenbildes, Nun denke man sich einen gewöhnlich dem Licht nicht
ausgesetzten Teil des Körpers, etwa die Brust, als Rückwand einer
photographischen Kamera — deren Linse aus Quarz oder einer an-
deren Substanz besteht, die nicht nur für Licht, sondern auch für
Wärmestrahlen sehr durchlässig ist — nach au(3en lichtdicht abge-
schloßen. Richtet man die Versuchsperson mit der Brust und mit der
vor dieser in der Einstellung auf unendlich befindlichen Linse gegen
die Sonne, und stellt man die optische Achse der Linse auf die
Sonne ein, so wird also auf der Bruststelle das Sonnenbild erzeugt
und bald würde sich Schmerzempflndung und Verbrennung einstellen.
Um das zu verhindern, kann die Sonne in Abstand von einigen
Metern durch einen Schirm abgeblendet werden. Nun beginne die
Schulung! Es werden da, wo die optische Achse der Linse den
Schirm trifft, verschiedene Offnungen eingesetzt, durch welche die
Sonne ilire Strahlen hindurchsenden kann; man setzt schmale, grad-
linige Öffnungen ein, senkrechte, wagrechte, schiefe, Kreislinien usw.,
ferner Flächen von bestimmten einfachen Umrissen, und jedesmal
läi3t man das Bild der Öffnung so lange auf der Brust der Versuchs-
person ruhen, bis diese die Vorstellung des Darzustellenden erfaßt hat.
Werden die Öffnungen im Schirm als Buchstaben ausgeführt,
so wird die Versuchsperson durch dieses künstliche Auge bald zu
lesen imstande sein; allerdings kann sie zuerst nur Buchstaben lesen,
die aus dem Schirm ausgeschnitten und von der Sonne hell beleuch-
tet sind.
Professor Zehnders »künstliches Auge« besteht also im wesent-
lichen aus einer photographischen Kamera, in der die Mattscheibe
oder die photographische Trockenplatte durch einen möglichst em-
pfindlichen Teil der Haut ersetzt ist. Als solche empfiehlt er eine
entsprechend große Stelle der Brusthaut.
Wie weit die Anpassungsfähigkeit der Körperoberflächennerven
an die neu zu lösende Aufgabe geht, wissen wir nicht. Es ist aber
denkbar, daß sich durch Übung auch diese Nerven zu einer Feinheit
und Brauchbarkeit entwickeln, von der wir gegenwärtig keine Ahnung
haben.
So unvollkommen dieses künstliche Auge auch immer bleiben
mag, verglichen mit unseren hochentwickelten vollkommenen leben-
den Augen, so kann es doch immerhin für den Blinden, der gar
nichts sieht, als teilvveiser Ersatz ein äußerst wertvolles Organ werden,
mit dem er sich vielleicht sogar draußen im Freien tagsüber ganz
ordentlich zurechtzufinden vermag.
Der Vorschlag Dr, Zehnders geht wohl über eine geistreiche
Annahme nicht hinaus, denn praktische Verwertungsmöglichkeit dürfte
ihm nicht innewohnen.
4. Jahrgang.
Wien, November 1917.
11. Numnner.
^ »Es mag sein, daß Blindheit und Taubheit besonders ^
^ empfänglich für den Sozialismus macht.« Heien Keiier. g
m ^
Erneuerung der Blindenfürsorge in
Österreich.
Erneuerung, Umgestaltung, Verbesserung oder Reform? Welches
Wort sagt am besten, was wir in der Zukunft für unsere Blindensache
erhoffen, wünschen und anstreben sollen? Wir wählen das erste und
meinen damit eine innerliche und äußerliche Um- und Ausgestaltung
der bisher für unsere BHnden in Österreich geschaff'enen Institutionen.
Eine alte Forderung, die wohl immer noch ungehört verhallte und des-
halb umso lauter erhoben werden muß. Und gerade in einer Zeit, die
uns Erneuerung und Umgestaltung bis ins Kleinste und Tiefste hinein
bringt. Wohl spricht noch der eiserne Mund einer historischen Schick-
salszeit, wohl donnern noch an allen Grenzen unseres Reiches die
Kanonen, aber über das Tosen und Toben eines fessellosen Kampfes
hinweg weht uns bereits der erste Hauch des Friedens an, eines Frie-
dens, den die Schwachen vielleicht fürchten, von dem die Starken und
Aufrechten aber die Erfüllung einer besseren und reineren Zeit
erhoffen.
Wie wir in diesem unvergleichlichen Heldenkampf gegen eine
Welt von Haß und Verleumdung ringsum uns innerlich läutern, wie
wir unter Entbehrungen uns bescheiden lernen, wie wir als Mensch zu
Mensch einander in Not und Leid nähertreten, so erneuert sich der
Gedanke der Hilfsbereitschaft in der Allgemeinheit, der einzige und
wahre Sozialismus auf Erden. Nach dem blindwütigen Haß, der Völker
mordend gegen V^ölker treibt, muß die Menschheit wieder zur Mensch-
lichkeit und Nächenliebe zurückkehren oder die Menschheit hat sich
um ihre Daseinsberechtigung gebracht. An diese Rückkehr muß jeder
Seite 820. Zeitschrift das für österreichische BHndenwesen. 11. Nummer.
von uns glauben. Haben wir doch manche Anzeichen dafür. Auf unserem
Gebiete spricht sie sich vor allem in der Anteilnahme tür unsere er-
blindeten Krieger aus. Diese Teilnahme ist allerdings eine einseitige,
sie ist aus dem Jammer dieser Unglücklichen geboren, aber sie ist
geeignet, der Öffentlichkeit das Los aller Blinden näher zu bringen.
Der Wohltätigkeitssinn der Bevölkerung hat sich für die Kriegsblinden
in hervorragender Weise betätigt, das ist außer Frage. Wird man es
verstehen, dieses Interesse auch in der Zukunft, wo die Unterscheidung
von Friedens- und Kriegsblinden bald verschwinden wird, wach zuer-
halten, dann könnte für alle Blinden die Morgenröte einer neuen
besseren Zeit aufgehen.
Die Hilfsbereitschaft der Allgemeinheit für die Blinden wird in
der Zukunft umso weniger erlaiimen, als durch die Versuche mit
Kriegsblinden zum erstenmale die Erkenntnis in alle Schichten der
Bevölkerung gedrungen ist, daß selbst der Blinde noch arbeitsfähig
bleibt, daß es für ihn Erwerbsmöglichkeiten gibt, die ihn zum brauch-
baren und nützlichen Gliede der menschlichen Gesellschaft machen.
Von der weitesten Verbreitung und Vertiefung dieser bereits im
Kriege allgemein gewordenen Erkenntnis wird die Zukunft aller arbei-
tenden und erwerbenden Blinden abhängen. Sie wird sie auch am
besten gegen den rücksichtslosen Wettbewerb der Sehenden, wie er
vor dem Kriege bestand, schützen und bewahren.
Die durch das Auftreten der Kriegsblinden eingeleitete günstige
Wendung kann für die gesamte Blindenfürsorge der nächsten Jahrzente
entscheidend werden. Die Grundlagen in der breiten Öffentlichkeit sind
hiefür geschaffen. Es erübrigt nur noch eines, allerdings das Wichtigste,
die Durchführung dieser Erneuerung.
Betrachtet man die Entwicklung der Blindenfürsorge bis zum heu-
tigen Tage, so kann jenen Stellen, die zu ihrer Förderung vor allem
berufen sind, — dem Staat und seinen Behörden — der Vorwurf der
Lässigkeit und des Versäumnisses nicht erspart werden. Die Blindenfürsorge
war bisher für den Staat weniger als ein Stiefkind, sie bestand für ihn
überhaupt nicht. Unsere obersten Behörden kennen Erziehung, Aus-
bildung und Erwerbsfürsorge unserer Blinden nur insoweit, als es sich
um ihr Aufsichts- und Kontrollrecht handelt und andere Stellen, vor
allem die öffentliche Mildtätigkeit, die Mittel dafür aufbringen.*) Gerade
hier, wo von der Anregung, Mitwirkung und Durchführung das Beste
zu erwarten wäre, verhält man sich vollkommen untätig und schiebt
die Fürsorge anderen Stellen (Land, Gemeinde usw.) zu. Von den Wünschen,
Bestrebungen und den harten Daseinskämpfen unserer Blinden weiß
die Leitung unseres Staates herzlich wenig, trotzdem sie berufen und
verpflichtet wäre, sich hierin nicht in Widerspruch mit der Anschau-
ung der Allgemeinheit zu setzen, deren Hilfsbereitschaft außer
Frage steht.
Selbst in der dem Staate aufs Herz brennenden Frage der »Kriegs-
blindenfürsorge« treibt er das alte einseitige Spiel, nimmt ohne Lei-
*) Als treffendstes Beispiel ist unsere »Staatsanstalt,« das k. k. Blinden-Erzie-
hungsinstitut anzusehen, welches diesen Titel wohl führt, sich aber ohne
Zuwendung des Staates aus eigenen Fondsmitteln erhalten muß.
11. Nummer. Zeitschrift (ür das österreichische Blindenwesen. Seite 821.
stungen Rechte für sich in Anspruch, ohne selbst in diesen eine zielsichere
Hand zu zeigen.
Verteidiger dieser Fahrlässigkeit werden sich mit mangelnder
Organisation, mit der Zersplitterung in den Agenden der verschiedenen
Staatsbehörden inbezug auf die Blindenfürsorge entschuldigen. Diese
Zersplitterung ist ein alter Jammer. Aber hätte man dem Übelstande
nicht längst abhelfen können? Kann man es nicht endlich jetzt tun,
wo sich durch Errichtung eines »Ministeriums lür soziale Fürsorge«
(Siehe Seite 825) die beste Gelegenheit bietet, das Ganze der Blinden-
fürsorge zu erfassen und einer Zentralstelle in diesem Ministerium zu-
zuweisen } Wird auch dieser Moment ungenützt vorübergehen und die
Blindensaehe das alte Aschenbrödel bleiben? Oder wird die Erkenntnis
endlich zur Einsicht führen, daß auch auf diesem Gebiete Neues und
Großes zu schaffen wäre? Wir können nur das Letztere wünschen und
hoffen.
In welcher Richtung diese Erneuerung und der Ausbau der
Blindenfürsorge unter hervortretender Führung des Staates zu erfolgen
hätte, muß einer breiteren Ausführung vorbehalten bleiben. Bliiidheits-
verhütung in den kommenden Jahrzehnten, die besonders unserer
Nachkommenschaft gefährlich sein werden, Fürsorge der Blinden im
vorschulpflichtigen Alter, Erneuerung und Ausgestaltung des Blinden-
unterrichts- und Berufsbildungswesens, Arbeitsschutz, Sozialversiche-
rung, Altersversorgung der Blinden wären Markstein in diesem
Neubau.
Neben diesen Hinweisen auf den äußerlichen Um- und Ausbau
unserer Blindenfürsorge muß auch der Notwendigkeit einer inner-
lichen Erneuerung gedacht werden. Es ist damit das Verhältnis
der bestehenden Institutionen und ihrer Vertreter untereinander sowie
auch ihre Haltung zu den selbständigen Blinden gemeint. Auch hier
liegt vieles im Argen und zum Teil tragen die kleinlichen Eifersüchte-
leien und Eigenbrödeleien der Fachleute und Blindenfreunde die Schuld,
daß die Blindenfürsorge bei den Behörden so wenig Ansehen und
Beachtung findet. Ebenso läßt das Verhältnis zu den erwerbstätigen
Blinden viel zu wünschen übrig, wie auch diese unter sich nicht die
notwendige Einigkeit zeigen. Soll auch das alles so weiter bleiben ?
Wer den Ernst der Stunde versteht, muß sich an die Brust schlagen
und sagen: Nein, das soll, das darf nicht sein! Nur in selbstloser Zu-
sammenarbeit, in der einheitlichen Festsetzung unerläßlicher Forderun-
gen kann einer Erneuerung unser vaterländischen Blindenfürsorge
die Bahn gebrochen, können ihr die Wege zu einer gedeihlichen Weiter-
entwicklung geebnet werden.
Der Blinde des Orients inn Spiegel des
nnorgenländischen Schrifttums.
(Fortsetzung.)
Unter den Geschichten des Königs Wird Chan aus »Tausend
und eine Nacht« handelt eine von einem Blinden und einem Krüppel,
die in ähnlicher Form in anderen Sprachen zu finden ist. Sie lautet:
Seite 822. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 11. Nummer.
Der Blinde und der Krüppel.
Es waren einmal ein Blinder und ein Krüppel, die der Besitzer
eines Gartens in seinen Garten führte, indem er ihnen verbot, etwas
in ihm zu verderben oder beschädigen. Als nun die Früchte reif
wurden, sagte der Krüppel zum Blinden: »Weh dir, ich sehe, daß die
Früchte reif sind, und habe Verlangen nach ihnen ; jedoch kann ich
mich nicht zu ihnen aufrichten und von ihnen essen. Steh du aber
auf, da du gesunde Beine hast, und hol' uns etwas zum Essen.« Der
Blinde erwiderte ihm: »Wehe dir, ich dachte gar nicht an die Früchte,
bis du mir nun von ihnen sprichst; doch kann ich nicht dazu gelangen,
da ich nicht sehen kann; was also ist zu tun?« Während sie aber
noch miteinander sprachen, kam der Aufseher des Gartens, der ein
kluger Mann war, zu ihnen, und der Krüppel sprach zu ihm: »Wehe
dir, Aufseher, wir haben auf einige dieser Früchte Appetit bekommen,
wie du aber siehst, bin ich ein Krüppel und mein Gefährte da ist
blind und kann nichts sehen. Was sollen wir da tun?« Da erwiderte
der Aufseher: »Weh euch, habt ihr vergessen, daß euch der Herr
des Gartens verpflichtete, nichts zu tun, was dem Garten Schaden
zufügen könnte? So beherrzigt das Verbot und tut es nicht.« Sie ent-
gegneten ihm jedoch: »Wir müssen unbedingt unseren Anteil von
diesen Früchten zu essen bekommen ; sag' uns daher wie wir es an-
stellen sollen.« Wie nun der Aufseher sah, daß sie von ihrem Vor-
haben nicht abzubringen waren, sprach er zu ihnen: »Es läßt sich in
der Weise bewerkstelligen, daß sich der Blinde erhebt, dich, den
Krüppel, auf die Schultern nimmt und dich zu dem Baum trägt, dessen
Früchte dir gefallen, damit du dir die Früchte, die du erreichen
kannst, pflückst.« Da erhob sich der Blinde und lud den Krüppel
auf, worauf der Krüppel ihn zu einem Baum leitete, von dem er dann
nach Herzenslust pflückte. In dieser Weise verfuhren sie, bis sie alle
Bäume im Garten ruiniert hatten, als mit einem Male der Herr des
Gartens erschien, und zu ihnen sprach: »Wehe euch, was habt ihr
getan ! Habe ich euch nicht verboten diesen Garten zu beschädigen?«
Sie versetzten : »Du weißt, daß wir nicht imstande sind irgend etwas
zu tun, da einer von uns ein Krüppel ist, unfähig sich aufzurichten,
und der andere nichts vor sich sehen kann. Was ist daher unsere
Schuld?« Da sagte der Herr des Gartens: »Ihr glaubt wohl, ich
wüßte nicht, wie ihr es angestellt habt mir den Garten zu verderben?
Mir scheint es, daß du, o Blinder, aufgestanden bist und den Krüppel
auf deinen Rücken geladen hast, worauf dieser dir den Weg zeigte,
und du ihn zu den Bäumen trugst.« Hierauf nahm er beide züchtigte
sie schwer und verstieß sie aus dem Garten.
Der Blinde nun im Gleichnis ist der Leib, der nicht ohne die
Seele sehen kann, und der Krüppel ist die Seele, die sich ohne den
Leib nicht zu bewegeu vermag; der Garten stellt die Werke dar, für
welche der Mensch seinen Lohn empfängt, und der Aufseher ist der
Verstand, der das Gute heißt und das Böse verbietet. So sind Leib
und Seele Teilhaber an Lohn und Strafe.«
In einer anderen Geschichte dieser Bücher macht sich ein böser
Geist zum blinden Bettler, um einem Pärchen beim Stelldichein auf-
zuspielen. »In regendunkler Nacht sehnt sich Ishak bin Ibrahim
11. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 823.
nach seiner Geliebten, als diese wie durch den bloßen Wunsch ge-
rufen, bei ihm erscheint. Sie wollen sich nun vergnügen und finden
vor der Tür einem blinden Bettler, der ihnen zur Laute singen soll.
Ungesehen glauben sie ihr Spiel treiben zu treiben zu können, werden
aber dadurch erschreckt, daß der Blinde alles, was sie tun, in Versen
wiedergibt, bis er heimlich verschwindet. Eswarlblis, der sich einst-
wie alle Engel vor Adam anbetend niederwerfen sollte; da er es
nicht [tat, wurde er von Gott verstoßen. Sein Scherz mit dem Liebes-
paar löste die Verse aus :
»Ich wundere mich, in Iblis solchen Stolz zu sehen
Bei seines Herzens Ruchlosigkeit,
Zu stolz war er, vor Adam sich niederzuwerfen,
Und doch inacht er für all seine Nachkommen den Kuppler.«
Neben den Blinden spielen die »E i n ä ugigen« in vielen Erzäh-
lungen ihre besondere Rolle. Vielfach begegnet der Einäugige dem
Mißtrauen, das allen »Gezeichneten« entgegengebracht wird, denn
auf ihn ist das Dichterwort gemünzt:
»Nicht für einen Tag nimm den Einäugigen zum Freund,
Sei auf der Hut vor seiner Bosheit und seinem Falsch!
Wenn irgend ein gutes in diesem Einaug wäre.
So hätte Gott ihm sein Auge nicht blind gemacht.«
Unter den Gesetzfragen des Islams lautet eine: »Mag uns ein
Einsichtiger zum Imam taugen ? — Nein, er soll sehen auf beiden
Augen.«
Ein wahrhaft salomonisches Urteil fand ein Einäugiger nach
folgender Geschichte :
»Vor einem Richter trat ein Einäugiger und sprach: »O Scheich,
ich traf heute einen Mann mit blauen Augen, der in unserer Stadt
fremd war; da fing ich einen Streit mit ihm an, und sagte zu ihm,
indem ich ihn festhielt: »Du hast mir mein Auge gestohlen;« und
ließ ihn nicht eher los, als bis sich eine Anzahl für ihn verbürgte,
daß er zu mir zurückkehren und mich für mein Auge entschädigen
würde.« Da versetzte der Scheich: »Wenn er will, bist du der Herein-
gefallene.« Wie ist das möglich?« fragte der Einäugige. Der Scheich
erwiderte : »Er könnte zu dir sagen : »Reiß dein Auge aus, dann will
ich auch mein Auge ausreißen ; wir wollen dann beide Augen wägen,
und mein Auge ebenso schwer wie das deinige ist, so hast du recht.
Auf diese Weise schuldest du ihm das Sühngeld für sein Auge und
du wärest ganz blind, während er wenigstens noch auf seinem andern
Auge sehen könnte.« Da sah der Einäugige, daß der Kaufmann ihn
durch diese Ausrede hereinlegen konnte.« (Schluß folgt).
Kleine Anregungen.
Von Hauptlehrer J. Kneis, Purkersdorf.
Jeder Blindenlehrer und Blindenfreund kennt Augenblicke, wo
in ihm Ideen auftauchen, die er gerne mit anderen erörtern möchte,
wenn sich ihm Gelegenheit bieten würde. Der ihm erreichbare Kreis,
welcher ihm zuzuhören geneigt wäre ist zu klein und facbfremde
Seite 824. Zeitschritt für das östereichische Blindenwe'sen. 11. Nummer.
Kreise stimmen ihm zumeist weniger aus Verständnis als aus Höflich-
keitsgründen zu; die Idee ist wieder einmal wirkungslos verpufft.
Bliebe also der Weg der Verallgemeinerung durch schriftliche Ver-
breitung. Es ist aber nicht jedermannes Sache, eine formvollendete,
stilistisch künstlerische Abhandlung zu bieten.
Mit vorliegenden 2 Beispielen soll gezeigt werden, daß dies
auch gar nicht notwendig ist.
Vielleicht gelingt es auf diese Art, die werten Herrn Kollegen
(selbstverständlich auch Damen) zu bewegen, furchtlos ihren Gedanken
hier Ausdruck zu geben. Auf ' diese Art könnte auch für die Arbeit
unserer Fürsorgetage Material zusammengetragen werden.
Die Scheu, schon Dagewesenes zu wiederholen, soll nicht abhalten,
vielleicht war die Idee damals abgetan worden, weil der Boden
damals zu ungünstig war.
Es sei nunmehr gestattet einige Beispiele zu bieten und an die
werten Leser das Ersuchen zu stellen, durch recht zahlreiche Beispiele
die Reihe fortführen zu helfen.
Die Krankenwärterin.
Wer auf dem Lande gelebt hat, wird gewiß erfahren haben»
daß länger dauernde Krankheiten oft große Verwirruugen in der
Tageseinteilung der gesunden Hausgenossen dadurch hervorrufen,
daß man ja den Kranken tagsüber nicht allein lassen kann und will.
Aber auch Nachtwachen sind notwendig und der von" der Arbeit
Ermüdete kann sich nur schwer aufrecht erhalten. In den Städten
dürfte es nicht besser sein. Wie froh wäre man, für den Kranken
einen geduldigen, verläßlichen Pfleger und Gesellschafter zu finden.
Es gibt ja geschulte Kräfte für diesen Zweck, doch ist die Kranken-
pflege für diese ein Beruf, von dessen Erträgnis die Familie erhalten
werden muß. Zu diesen Krankenpflegern wird nur der Wohlhabende
greifen und auch nur dann, wenn er Überraschungen im Krankheits-
bilde fürchtet, oder wenn der Angehörige des Kranken seiner Pflicht
nachzugehen gezwungen ist. In vielen dieser Fälle handelt es sich
darum, dem Kranken die einfachsten Handgriffe zu leisten, in bestimm-
ten Zeitabschnitten die vorbereitete Medizin zu reichen und dem
Patienten die Langeweile mit all ihrem Gefolge gründlich zu vertreiben.
Dazu braucht man nicht behördlich autorisierte Sanitätsperson sein,
dazu genügt ein gutes Herz, ein fröhliches Gemüt und etwas Zeit,
Eigenschaften, die wir bei unseren Schützlingen, insbesonders bei
den schwachsichtigen Mädchen zumeist finden.
Der Lehrer der Blindenanstalt hat oft Gelegenheit die überaus
große Liebe und Geduld der schwachsichtigen Mädchen gegen ihre
ganz blinden Mitzöglinge zu beobachten.
Ich frage nun: Wäre es nicht möglich diese schönen Eigenschaf-
ten zu benützen, um wieder einer Gruppe unserer Zöglinge neue
Aussichten für die Zukunft zu eröffnen.
Wie ich schon angedeutet, habe ich dabei nicht die schwere Art
der Krankenpflege im Auge, sondern eine Wartung, für die man eine
besonders hohe Geldauslage scheut und die man deshalb nur neben-
bei selbst besorgt oder häufig auch ganz wegläßt.
11. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 825.
Während der Kranke allein sich abquält, um über die Lange-
weile hinwegzukommen, sitzt vielleicht nur einige Häuser weit auch
ein einsames Wesen, treilich nicht müßig, denn es beschäftigt sich mit
einer Handarbeit, solange die Hausbewohner auswärts ihre Arbeit
verrichten und ihr Gedankengang gerät, wenn schon nicht auf un-
rechte, so doch häufig auf unrichtige Wege. Das Stricken, Häkeln,
Netzen u. s. w. erscheinen ihm ein zu geringer Lebenszweck, nur ein
Lückenbüßer. Wie leicht könnte beiden geholfen werden.
Man sollte meinen, es wäre eine selbstverständliche Sache, daß
sich die zwei Leidensgenossen zusammenfänden.
Die Praxis lehrt das nicht. Auf der Seite der Angehörigen des
Patienten denkt man entweder gar nicht daran oder man hatte kein
Vertrauen zu der Blinden, wie man sie allgemein nennt. Die Blinde
aber ist zu scheu, ihre Dienste anzubieten oder fürchtet, daß man
Unmögliches von ihr verlange.
Das nichtvorhandene Vertrauen kann geschaffen, das zu geringe
Selbstbewußtsein kann gehoben werdsn.
In den Lehrplänen der Blindenanstalt findet man Hauswirtschaft
und anderes angeführt. Warum nicht auch Krankenpflege und War-
tung. Es könnten unter Anleitung des Anstaltsarztes theoretische und
praktische Kurse abgehalten werden und der erfolgreiche Besuch
solcher bestätigt werden.
Aufklärende Tätigkeit könnte das Werk vollenden und den
halbblinden Mädchen ein edles Dasein verschaffen. Viele der ehema-
ligen Zöglinge müßten nicht in den Heimen verbleiben und dort über
die Eintönigkeit ihres weiteren Lebens klagen. Wo aber solche Heime
den Mädchen Unterkunft bieten, was zumeist nur in größeren Orten
der Fall ist, dort könnten, wenn es einmal bekannt ist, im Bedarfs-
falle die Insassinnen zur Hilfeleistung (Wartung) angesprochen werden.
K. k. Ministerium für soziale Fürsorge.
Mit Allerhöchstem Handschreiben vom 7, Oktober 1917 wurde
die Errichtung eines Ministeriums für soziale Fürsorge genehmigt und
soll dasselbe nach der verfassungsmäßigen Behandlung im Reichsrate
ins Leben treten. Als erster Punkt des Wirkungskreises des neuen Mini-
steriums wurde die Jugend fü rsorge festgesetzt, darunter:
Angelegenheiten des Kinderschutzes und der Jugendfürsorge, mit
Ausnahme der in den Wirkungskreis der Gerichte lallenden vormund-
schafts- und strafrechtlichen sowie der dem Ministerium für Volks-
gesundheit vorbehaltenen gesundheitlichen Angelegenheiten und zwar
insbesondere :
Mutter-, Säuglings- und Kleinkinderfürsorge in sozialer und recht-
licher Beziehung, Zieh- und Haltekinderwesen, Waisenpflege, Fürsorge-
einrichtungen für die Jugend (Kindergärten, Horte, Tagesheimstätten,
Heime u. dgl.), Berufsberatung der schulentlassenen Jugend, Wohlfahrts-
pflege für die im Gewerbe tätige Jugend (mit Ausnahme der fachlichen
Einrichtungen und Maßnahmen zu ihrer Heranbildung) usw. ;
Seite 826. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 11. Nummer.
Ausübung der staatlichen Aufsicht über die Anstalten und Ein-
riclitungen zum Schutze der verwaisten, verlassenen, mißhandelten, ver-
wahrlosten oder mit Verwahrlosung bedrohten Kinder und Jugendlichen;
fachliche Aus- und Fortbildung des Personales für Kinderschutz- und
Jugendlürsorgeanstalten ; all dies unbeschadet des dem Ministerium für
Kultus und Unterricht in Fragen der Erziehung und des Unterrichtes
zustehenden Wirkungskreises sowie vorbehaltlich der Mitwirkung dieses
Ministeriums in grundsätzlichen und organisatorischen Angelegenheiten.
Organisierung und Förderung der freien Selbsttätigkeit auf dem
Gebiete des Kinderschutzes und der Jugendfürsorge, insbesondere der
in dieser Richtung wirkenden Vereine, Anstalten, Fonds und Stif-
tungen.
Weiters: Fürsorge für Kriegsbeschädigte und Hinter-
bliebene. Angelegenheiten der Kriegsbeschädigtenfürsorge, insbesondere
Nachbehandlung, Schulung, Berufsberatung, Arbeitsvermittlung und
Ansiedlung Kriegsbeschädigter, unbeschadet der dem Ministerium für
Volksgesundheit vorbehaltenen gesundheitlichen sowie der in den
Wirkungskreis des Ministeriums für öffentliche Arbeiten fallenden tech-
nisch-didaktischen Angelegenheiten und der Zuständigkeit des Acker-
bauministeriums hinsichtlich der Wirtschaftsheimstätten für Kriegsbeschä-
digte ;
Organisierung und Förderung der freien Selbsttätigkeit auf dem
Gebiete der Kriegsbeschädigten- und Hinterbliebenenfürsorge. Mitwirkung
bei Durchführung und Ausgestaltung der Gesetze, betreffend die Ver-
sorgung der Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen.
Sozialversicherung. Alle in den Bereich der Sozialversicherungs-
gesetzgebung fallenden Angelegenheiten, Reform und Ausbau der
Sozialversicherung.
Gewerbliches Arbeitsrecht und Arbeiterschutz. Legis-
lative und administrative Angelegenheiten, betreffend die Regelung des
gewerblichen Arbeits- und Dienstverhältnisses sowie den Schutz der
Angestellten und Arbeiter in gewerblichen und gewerbemäßig betriebenen
Unternehmungen. Die Angelegenheiten der Gew^erbeinspektion einschließ-
lich der Unfallverhütung.
Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenfürsorge und Aus-
wandererschutz. Legislative und administrative Angelegenheiten der
Arbeitsvermittlung und der Arbeitslosenfürsorge.
Abgesehen vomBlindenunterrichtswesen würde also der
größte Teil der Fürsorge für Friedens- und Kriegsblinde in
das Arbeitsgebiet dieses neuen Ministeriums fallen. Es ist
außer Frage, daß eine derartige Zentrale für die allgemeine Blinden-
fürsorge Segensreiches schaffen und manche Hoffnungen die bisher
unter einer unheilvollen Zersplitterung begraben wurden, erfüllen könnte.
Personalnachrichten.
— Direkte rRupertZeyringer f. Am 20. September 1. J.
starb der erste Direktor der Odilien-Blindenanstalt in Graz, Rupert
Zeyringer, kaiserl. und fürstbischöfl. geistl. Rat und Ritter des
11. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwescn. Seite 827.
Franz Josef-Ordens, nach längerem Leiden im 81 . Lebensjahre. Direk-
tor Rupert Zeyringer wurde am 8. November 1836 zu Eisenerz
geboren und am 22. Juli 1859 in Graz zum Priester geweiht. Er
wirkte lange als Professor am fürstbischöfl. Knabenseminar in Graz,
und als im Jahre 1880 der Odilienverein zur Fürsorge für die Blinden
Steiermarks durch die Bemühungen des St. Vinzenz- Vereines und vor
allem des blinden Organisten Flerrn Gustav Garzaner ins Leben
trat, wurde Zeyringer als Direktor der zu gründenden Blinden-
anstalt gewonnen. Durch 18 Jahre, von der Eröffnung der Anstalt,
am 10. Mai 1881 bis zum Jahre 1899 hatte er die Leitung derselben
inne und widmete seine ganzen Kräfte dem Wohle der Blinden. Ihm
gebührt ein hervorragendes Verdienst an dem mächtigen Aufschwünge
der Odilien-Blindenanstalt, welche mit 5 Zöglingen eröffnet wurde
und sich bereits nach einigen Jahren als zu klein erwies, sodaß im
Jahre 1885 nach seinen Plänen mit dem Vermächtnisse des Advokaten
Dr. Georg May, des größten Wohltäters der Anstalt, zutn Neubau
geschritten wurde. Zeyringer besuchte die meisten damals beste-
henden Blindenanstalten Österreichs und Deutschlands, um die Pläne
für den Neubau der Odilien-Blindenanstalt herzustellen. Bald wurde
auch die neue Anstalt zu klein, und es wurde im Jahre 1891 die Be-
schäftigungs- und Versorgungsanstalt für erwachsene Blinde in der
Grabenstraße errichtet. Die zahlreichen Blinden Steiermarks, welche
ihm ihre Ausbildung und Existenz verdanken, blieben ihm stets mit
großer Anhänglichkeit zugetan. Doch die großen Anstrengungen des
unermüdlich tätigen Direktors hatten seine Kraft gebrochen; im Jahre
1899 legte er sein Amt als Direktor nieder und zog sich bald darauf
in das neuerbaute Priesterheim in Graz zurück, wo er, obschon nahe-
zu blind und taub, bis zu seinem Lebensende mit regem Anteil die
Vorgänge in der Odilien-Blindenanstalt verfolgte. Er gründete auch
einen Unterstützungsfond für ausgetretene brave Zöglinge und do-
tierte ihn reichlich aus seinen eigenen Mitteln.
Durch einen unglücklichen Sturz zog sich Zeyringer vor
einigen Jahren einen komplizierten Schenkelbruch zu, der nicht mehr
geheilt werden konnte. So wurde der schwergeprüfte Mann, ohnehin
schon fast blind und taub, auch noch lahm und blieb an sein Zimmer
gefesselt. Doch sein Geist blieb bis in die letzten Tage rege und
sein Gemüt ungebrochen. Nun ruht der große Wohltäter der Blinden
Steiermarks auf dem St. Leonhardfriedhofe in unmittelbarer Nähe
der Odilien-Blindenanstalt, die ihrem ersten Direktor ein treues und
dankbares Gedenken bewahren wird. Dr. J. Har tinger.
— Auszeichnung eines blinden Künstlers. Herrn Ludwig Moser,
ein fruchtbarer Komponist und Virtuos auf dem Klavier, wurde von Papst Benedikt XV.
für seine Verdienste, die er sich um das kathohsche Vereinsleben und den Unter-
richt von Verwundeten in der Musik erwogen hat, das Ehrenkreuz Pro ecclesia et
pontefice verliehen. Möge dem blinden Künstler beschieden sein, sich der Aus-
zeichnung lange Jahre zu erfreuen.
Aus den Anstalten.
— Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für erwachsene
Blinde in Wien VIII. Vor kurzem wurden die in den letzten Monaten frei ge-
wordenen Pfleglingsplätze besetzt und zwar wurden drei Männer (darunter wieder
ein Kriegsblinder) und zwei Frauen aufgenommen.
Seite 828. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen. 11. Nummer.
— Kaiser Kar 1 -Kr i egsbl i nd e nh c i m in Wien XIII. In der »Reichs-
post«; tritt geistl. Rat, W. Binder in Baum^^arten für die Pasterisierun^j dei- sowohl
in dem >Arbeiterheim< als im »Kriegsblindenheime« untergebrachten Blinden ein.
Wie die Bl nden — sagt er — aus physiologischen Gründen nach dem Sonnenlicht
verlangen, ebenso notwendig ist für sie das religiöse Licht. Sie selbst bitten um
dieses Glaubenslicht. Deshalb ist ein Kirchlein bei diesen Anstalten eine unliedingte
Notwendigkeit, damit ihnen diese Wohltat in reichlichen Maße erschlossen werden
könnte.
Es können auch die blinden Männer aus diesen beiden Anstalten in Baum-
garten durch die ruhige Baumgartnerstraße ohne Wagenverkehr in mehreren Abtei-
lungen in die große neuerbaute, nahegelene Baumgartner Kirche zur Predigt und
zum Hochamte geführt werden. Die Predigt, das Wort Gottes, würde ihnen heil-
samen, lindernden Stoff zum Nachdenken geben und die kunstvoll durchgeführte
Musik des Kirchenchores würde ihre Herzen erheben und begeistern ; die Blinden
sind ja meistens musikalisch. Gestärkt im Glauben und getröstet im Leid würden
sie in ihr Heim zurückkehren. Es hat sich doch der Heiland so warm der Blinden
angenommen, ihnen das Licht, das Glaubenslicht gespendet, so daß sie ihm in
Treue und Liebe nachfolgten.
Blinden Kriegern alle Ehren
Von k. k. Leutnant A. Rappawi.
Als sie wieder heimwärts kamen,
Gab's ein Jauchzen und Frohlocken.
Doch auch Schmerz und schriller Mißton
Klang durch uns're Siegesglocken.
Mancher kam mit stummen Winken,
An dem Arm die siechen Brüder.
Mancher sah nach schwerem Leiden
Seine Heimat nimmer wieder.
Nicht, daß er gefunden hätte
Tod und Grab in fremden Landen,
Oder, daß er, heimverlangend
Seufzte in des Feindes Banden !
Mancher kommt zur Heimat wieder,
Doch er darf sie niemals schauen.
Weil das Schicksal ihn geschlagen
Mit des Auges Nacht und Grauen.
Ei, wie konnten diese Augen
Einst so lustig blitzen, funkeln !
O wie traurig ist das Leben,
Das er leben muß im Dunkeln !
Viele wollen ihn nicht kennen.
Das bringt Schmerz und stilles Grämen.
Doch die Heimat wird ihn grüßen.
Sich des tapfren Sohns nicht schämen.
Sei willkommen lieber Bruder!
Schüttle ab die Last der Sorgen !
11. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 829.
Sieh, in deiner lieben Heimat
Taget dir ein neuer Morgen.
Opfernd wird sie gerne retten
Alle, die das Licht entbehren.
Habt ihr rettend nicht geopfert!
Blinden Kriegern alle Ehren!
Für unsere Kriegsblinden.
— Konzert. Zugunsten des Vereines »Kriegsblindenheimstätten« fand am
25. November 1. J. im großen Musikvereinssaale eine »Buijte Matinee« statt. In
dem reichhaltigen Programm erschienen: Hofopernsängerin Hermine Kittel,
Fräulein Blanke Glossy vom Hofburgtheater sowie Fräulein Mimi Godlewsky,
ferner die Herren k. u. k. Kammervirtuose Franz Ondricek, nach jahrelanger
Pause, Kammersänger Georg Maikl, Professor Paul de Conne, Heinrich de Carro,
früheres Mitglied des Deutschen Volkstheaters, und Kapellmeister Karl Kittel
(Bayreuth).
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende Oktober 1. J.
— Neue Freie Presse: 1,170.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 2,770.000 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 380.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 70.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 27.200 K.
Verschiedenes.
— Papierspagat als Ersatz für Kernrohr. In der n. ö. Landes-
Blindenanstalt in Purkersdorf wurde versucht, das beim Zeichnen wie auch beim
Feinflechten bisher verwendete Kernrohr durch Papierspagat zu ersetzen, da Kern-
rohr überhaupt nicht mehr erhältlich ist. Die Ergebnisse sind, hauptsächlich bei der
Feinflechterei, durchaus günstige. Für das Zeichnen ist ein 2 mm starker, aus nicht
zu zähem Papiere gedrehter Spagat zu empfehlen, denn in zähe Sorten stechen sich
die Nadeln schwer ein. Die Farbe kann beliebig gewählt werden, doch empfiehlt
sich braun oder gelb vor allem. Ein großer Vorteil des Papiersp>agates liegt darin,
daß er nicht wie das Kernrohr der einzustechenden Nadel ausweicht und nicht wie
jenes beim Einstechen spaltet Für die Feinflechterei kommen Papierspagate von
verschiedener Stärke und Farbe inbetracht. Es lassen sich daraus geknüpfte Taschen,
Körbchen verschiedener Art (mit Staffeln aus Weidenschienen), Vasen, Behälter u.
a. vorzüglich herstellen und haben die daraus erzeugten Waren ein sehr gefälliges
Aussehen. Die Preise des Papierspagates stellen sich verhältnismäßig billig, ebenso
die daraus erzeugten Waren.
— Eine Stiftung der Herzogin Maria Josefa in Bayern für
Augen leid ende. Wie bekanntgegeben wird, hat Herzogin Mar ia J o sefa in
Bayern, Witwe des 1909 verstorbenen, jahrzehntelang als bewährter Augenarzt tätig
gewesenen Herzogs Karl Theodor, mit königlicher Genehmigung eine Stiftung
mit der Benennung »Augenklinik Herzog Karl Theodor« mit dem Sitze in
in München errichtet durch Überlassung des Hauses Nr. 43 der Nymphenburger-
straße in München mit einem erheblichen Geldbetrage zur dauernden Fortführung
der vom Herzog seinerzeit in jenem Hause errichteten Augenklinik, in erster Linie
als Wohltätigkeitsanstalt für unbemittelte Augenkranke bayerischer Staatsangehörig-
keit, zur Gewährung on Freiplätzen oder ambulatorischer Behandlung bemittelter
Kranker gegen Entgelt. Die Herzogin stand bekanntlich selbst ihrem Gemahl lange
Jahre bei Ausübung seiner augenäi ztlichen Tätigkeit helfend zur Seite und ist jetzt
seit Kriegsausbruch als Krankenschwester tätig.
Seite 830. Zeitschrift für das österreichische Bhndenwesen. 11. Nummer.
— Neue Behandlung der Nachtblindheit, Die »Wiener Klinische
Wochenschrift« veröffentlicht die Beobachtungen des Wiener Privatdozenten Dr. Emil
Zak aus dem Gefangenenlazarett in Pensa (Rußland). Dr. Zak konstatierte in den
Frühlingsmonaten 1916 auffallend viele Fälle von Nachtblindheit und von Skorbut.
Er brachte in Erfahrung, daß in Rußland die Nachtblindheit unter den Bauern nach
der strengen österlichen siebenwöchigen Fastenperiode auttritt und als »Hühner-
blindhcit« bekannt ist. Die Bauern heilen sie durch das Auflegen und den Genuß
roher Tierleber. Dr. Zak erkannte sofort, daß diese Erkrankungen mit dem Mangel
frischer Nahrung, besonders des frischen Gemüses und Obstes zusammenhängen
mußte. Er verwendete als Heilmittel den Preßsaft frischer Mohrrüben mit ausge-
zeichnetem Erfolge bei beiden Krankheiten. Die sogenannten gelben Rüben wurden
gereinigt und zerkleinert und dann mit Hilfe eines Tuches ausgepreßt; es resultierte
ein gelblicher, angenehm riechender Saft von gleichem Geschmack wie die Rübe
und etwas süßer als diese. Es wurde der Preßsaft von 200 bis 400 Gramm roher
Rüben einmal im Tage, gewöhnlich des Morgens, verabfolgt. Es sei erwähnt, daß
der Saft der gelben Rübe in Rußland eine große Beliebtheit genießt. Er gilt als
Hausmittel bei anämischen Zuständen. In der Absicht und zu dem Zwecke, wie es
Dr. Zak getan hat, ist er noch nicht in Anwendung gekommen. Es zeigte sich
nun, daß schon nach kurzem Gebrauche dieses Mittels die Kranken besser sahen
und dann sehr rasch wieder das normale Sehvermögen auch bei vermindertem
Lichte auftrat. Später kochte er die Rüben durch fünf Minuten und konnte den
gleichen Heileffekt erzielen.
— Verschnappt. Einen blinden Bettler fragte eine Dame nach dem Lah-
men, der ihn sonst ständig zu begleiten pflegt. »Ich weiß nicht, wo der Kerl steckt«,
sagt der Blinde, »ich habe ihn seit ein paar Tagen selber nicht gesehen!«
Bücherschau.
— G. Roßka: Theoretisch praktische Klavierschule für den
Blindenunterricht mit besonderer Rücksicht auf teilweisen Selbstunterricht erwach-
sener Blinder. Dies ist der Titel eines Werkes, welches zu verfassen, sich der lang-
jährig in Musikunterricht tätige Musiklehrer Gustav Roßka in Wien zur Aufgabe
gestellt hat. Folgende Ziele schwebten ihm dabei vor:
1. Zusammenstellung eines für den blinden Anfänger geeigneten Übungsstoffes.
2. Schaffung einer zweckmäßigen Unterrichtsmethode. Es ist hier nicht der
Ort über die Art des Anfangsunterrichtes, wie er im Allgemeinen an Blinden-An-
stalten erteilt wird, zu polemisieren, aber das soll gesagt sein, daß der Anfangs-
unterricht in vielen F"älien ein besserer und gründlicherer sein sollte. Blinden
Klavierschülern muß der Anfangsunterricht entschieden anders erteilt werden, als
dies bei sehenden Seh ilern geschieht, und es sollten füglich dazu nur solche Lehrer,
die mit den Eigenheiten des Blindenunterrichtes vollkommen vertraut sind, oder
was am besten wäre, tüchtige blinde Musiklehrer verwendet würden. Ein Hauptfehler,
der beim Anfangsunterricht begangen wird, ist der, daß die Anfängerstufe ganz ohne
Notenkenntnis durchgemacht werden muß, weil die Notenschrift erst in einer hö-
heren Klasse als besonderer Gegenstand gelehrt wird. Dies hat zur Folge daß es
blinde Klavierspieler gibt, welche die Notenzeichen sehr gut lesen, auch ihre
Bedeutung erklären können, aber nicht imstande sind, daß Gelesene auf das Klavier
zu übertragen. Ein Instrument spielen und Noten lesen sind zwei Dinge, die zusam-
men gehören, daher gleichzeitig begonnen und nebeneinander fortgeführt werden
müssen. Wer mag dies bestreiten ? Endlich ist auch das Vergessen des Übungs-
stoffes von einer Lektion zur andern ein Übel, das nicht existieren würde, wenn
die Art und Weise des Erlernens eine andere als die bisherige wäre.
All diesen Mängeln will nun der genannte Musiklehrer in seiner Klavierschule
für den Blindenunterricht Abhilfe schaffen, indem er unter Benützung von Unter-
richtswerken der besten Klavierpädagogen einen systematisch geordneten, für den
Blindenunterricht geeigneten d. h. des Auswendiglernens werten und nicht über-
mäßig großen Übungsstoff zusammengestellt hat und diesen Übungsstoff auf eine
Art beibringt, die es ihm ermöglicht, gleich von allem Anfang an die Notenschrift
zu benützen. Hand in Hand mit den Übungen am Klavier gehen die theoretischen
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Bürklen,
J. Kneis, A. r. Horratb, F. Uhl, — Druck Ton Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
Kenntnisse, welche aus der allgemeinen Musik- und der Harmonielehre bestehen
und zwar so, daß der Schüler für jede Lektion neben den Übuny;en und Tonstücken
auch aus diesem Gegenstand sein Pensum durchzuarbeiten hat. Dieser ganze theo-
retisch-praktische Lehrstoff reicht vom ersten Anfang bis zur Mittelstufe, also bis
dorthin, wo der Schüler alle Grundspielarten ausführen kann und sich der Blinden-
unterricht von dem der Sehenden nicht mehr wesentlich unterscheidet. Die Noten-
schrift lernt der Schüler natürlich nicht auf einmal, sondern in kleinen Lektionen,
immer nur so viel, als er für den Augenblick braucht.
Der Vorgang während der Klavierstunde ist nach dieser Schule folgender :
Wenn der Schüler nach einigen Lektionen, in denen er die Grundbegriffe der
Musik und der Notenschrift zu lernen hat, bei der ersten Aufgabe angelangt ist,
wird diese ihm vom Lehrer eingehend bis zum vollkommenen Verstehen erklärt.
Ist das geschehen, so hat der Schüler die Noten des Spielstoffes dreimal zu lesen,
und zwar so, daß er beim ersten Mal bloß liest, beim zweiten Male aber das Gele-
sene gleichzeitig mit der freien Hand spielt und dazu nach der vorgezeichneten
Taktart zählt. Sodann spielt der Lehrer das zu Übende so vor, wie er es in der
nächsten Klavierstunde vom Schüler zu hören wünscht und überläßt ihm schließlich
die Aufgabe zum Alleinlernen. In der nächsten Klavierstunde spielt dann der Schüler
vor, was er gelernt hat, der Lehrer gibt sein Urteil darüber ab, verbessert ihm die
etwa gemachten Fehler, wiederholt mit einigen Fragen die Theorie der erlernten
Aufgabe und behandelt dann die neue Aufgabe, wie die vorhergehende.
Diese Art des Lernens fördert wesentlich den Klassenuntei rieht, indem der
Schüler den größtmöglichen Nutzen aus der Stunde ziehen kann: Alle am Unter-
richt beteiligten Schüler werden gleichzeitig während der ganzen Stunde beschäftigt,
der Unterricht gewinnt Leben und wird tür den Schüler und Lehrer interessant.
Alles was über dieses Werk noch gesagt werden muß, ist im Vorwort nieder-
gelegt. Wer sich hi-für interessiert der wende sich mündlich oder schriftlich an
nachstehende Adresse, wo nähere Auskunft bereitwilligst erteilt wird. Gustav Roßka,
Wien V., Reinprechtsdorterstraße 3, 3. Stock Tür 41.
— Dr. W. Kammel: Das pädagogisch-psychologische Labora-
torium an der n. ö. Landes-Lehrerakademie in Wien. Der Bericht
über das 4. Studienjahr zählt von den derzeit geführten 51 Protokollen jene auf,
die im abgelaufenen Jahre gefördert, bezw. neu angelegt worden sind. Mit Genug-
tiung wird auf die rege Anteilnahme der Lehrerschaft an den Vorlesungen des
Leiters Dr. W. Kammel und besonders auf die spontan übernommenen wissen-
schaftlichen Arbeiten mehrer^T Lehrpersonen verwiesen.
— A. Rappawi: »Soldatenlieder« und » Beiisa r.« Der als k. u. k.
Leutnant gegenwärtig dem Kriegsblindenheim in Wien XIII zugeteilte Verfasser hat
in den »Soldatenliedern« eine Reihe stimmungsvoller Kriegslieder gegeben, während
»Belisar« Gedichte zur Erinnerung an die werktätige Fürsorgearbeit zugunsten der
im Weltkriege erblindeten österreichischen Soldaten enthält. Eine Probe daraus
bringen wir an anderer Stelle Beide Büchlein sind durch den Verfasser in Brunn,
Zeile 59, gegen Einsendung von 1 Krone zu beziehen.
Bürklen Karl : Das Tastlesen der Blindenpunktschrift.
Nebst Beiträgen zur Blindenpsychologie von P. Grasemann-
Hamburg, L. Cohn-Breslau, W. Steinberg. VII, 93 Seiten
mit 6 Abbildungen im Text und 6 Tafeln,
Leipzig, Barth, 1917 M 5.—
(Beiheft 16 zur »Zeitschrift für angewandte Psychologie« heraus-
gegeben von L. William Stern und Otto Li p mann).
Inhalt: Das Tastiesen der Blindenpunktschrift nach besonderen Versuchen
zu dessen Erforschung von K. Bürklen. Eine Untersuchung über das
Lesen der Blinden von P. Grasemann. — Beiträge zur Blindenpsydio-
iogie von L. Cohn. — Der Blinde als Persönlichkeit von W. Steinberg.
JF^£Lj[y ieM^-?^130.g^t;.
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□
Organ des „Zentralvereines für das österreichische Blinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
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D
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Schriftleitung
Purkersdorf
bei Wien.
Österreichisches
Postsparkassen-
konto Nr.132.257
n
D
D
D
n
D
Das Biatt ersdieint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
Bezugsp reis
ganzjährig mit
Postzusteilung
4 Kronen,
Einzelnummer
40 Heller.
D
D
D
D
D
D
4. Jahrgang.
Wien, Dezember 1917,
12. Nummer.
INHRLT: Ein neues Fachwerk. Der Blinde des Orients im Spiegel des morgen -
ländisdien Schriftums. Petition, betreffend die Erriditung einer Zentralstelle
für das Blindenwesen im Ministerium für soziale Fürsorge. J. Kneis, Pur-
kersdorf: Kleine Anregungen. Fragen bei der Lehrbefähigungsprüfung für
den Blindenunterricht. Errichtung einer Militärblindenanstalt in Lemberg.
H. Gutberler: Der Blinde. Esperanto und die Blinden. Personalnachrichten.
Für unsere Kriegsblinden. Briefkasten. Bücherschau. (Ankündigungen).
D
B=
=H
D
^"'Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreidiische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien Vlll,
t] Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. 5
^ -^
Dr^
B=
Altes und Neues.
Esperanto und die Blinden.
Die Vorkämpfer des Esperanto — so auch N. v. Brett mann
in Dresden — weisen immer von neuem auf die Bedeutung dieser
internationalen Hilfssprache für die Blinden hin. So führt dieser Espe-
rantist aus:
Die Herstellung von Blindenbüchern, aus denen die Blinden
Belehrung und Genuß schöpfen, ist kostspielig, schon darum, weil es
sicli immer nur um eine kleine Auflage handeln kann, es sei denn,
daß man den Kreis der blinden Leser möglichst groß zu machen
versucht. Dies kann geschehen, wenn man die Blinden der ganzen
Welt zusammenfaßt und zu der gemeinsamen Blindenschrift noch
die gemeinsame Blindensprache hinzufügt. Hier tritt nun Esperanto
in die Lücke.
Kann man sämtliche Blinde veranlassen, sich die so leicht
erlernbare und überaus den Geist anregende Hilfssprache anzueignen,
die schon in der ganzen Welt bekannt ist und mehr oder weniger
gebraucht wird, und wird man dann die Blindenbücher in dieser
Sprache herstellen, dann hat man mit einem Schlage einen großen
Leserkreis und eine umfangreiche Literatur.
In Österreich ist es der blinde Musiker Ignaz Krieger, der
in unermüdlicher Weise seinen Schicksalsgenossen die Vorteile des
Esperanto vor Augen zu führen sucht. Krieger befaßt sich nicht nur
seit Jahren mit dieser Sprache, sondern ist durch eine im Mai 1. J.
abgelegte Prüfung als Lehrer für Esperanto an allen öffentlichen
Bürger- und Mittelschulen befähigt worden. Es zeigt von seinem
Fleiß und seiner hervorragenden Intelligenz, daß er unter 13 sehen-
den Teilnehmern aus der Wiener Lehrerschaft diese Prüfung mit
Auszeichnung ablegen konnte.
Krieger 's Bestreben ist es, Esperanto unter den Blinden
Österreichs möglichst zur Vorbereitung zu bringen und scheut dies-
bezüglich keine Mühe. Die vielen praktischen und ideellen Erfolge
des Esperanto unter den Blinden, die leichte Erlernbarkeit und Ein-
fachheit, vor allem aber die Fülle von Anregung für Geist und Herz
des Blinden, die Schärfung des Verstandes und Präzisierung im Ge-
dankenausdruck, was alles der Blinde dem Esperanto danken könnte,
haben in allen Blinden die sich schon ernstlich mit Esperanto beschäf-
tigen, die feste Zuversicht begründet, daß das Esperanto in die
Blindenwelt Eingang finden wird und muß. So möge das endlich auch
in Österreichs Blindenschulen zur Tatsache werden, was sich anderswo
schon durchgesetzt hat.
fln unsere Leser!
Mit vorliegender Nummer schließen wir den IV. Jahrgang unserer
Zeitschrift. Der vollständige Jahrgang 1917 legt neuerlich Zeugnis ab von
dem ernsten Bestreben der Schriftleitung, unser Fachblatt immer weiter
auszugestalten und nicht nur das Interesse der Fachkollegen sondern auch
fernerstehende Kreise zu erwecken. Hls deutliches Zeidien dieses Erfolges
ist ein starker Zuwachs in der Hbnehmerzahl unserer Zeitschrift fest-
zustellen. Es geht also vorwärts und aufwärts !
Allen unseren Lesern herzliche Weihnachtsgrüße!
(Die Schriftleitung).
4. Jahrgang. Wien, Dezember 1917. 12. Nummer.
^ »Oft weicht der Blinde einer Grube aus, in die der ^
S Sehende fällt.« Arabisches Sprichwort. ^
Ein neues Fachwerk!
(Zu dem Buche von K. Bürklen: Das Tastlesen u. a.)
Es war mir eine der erfreulichsten Überraschungen, in einer Zeit,
die alle friedliche; tachwissenschaftliche Betätigung unmöglich zu machen
schien, diese Neuerscheinung auf dem Gebiete der Blindenpsychologie
in die Hand zu nehmen. Sind doch über 20 Jahre vergangen, seit
Dr. Th. Hellers Studien zur Blindenpsychologie erschienen sind und
uns nun ein neues Werk dieses Faches dargeboten wird. Grund genug
zur Freude, ehe man noch den Inhalt des Buches näher kennt.
Die Namen der Verfasser (Bürklen — Grasemann — Dr. C o h n,
— Steinberg) überraschen in ihrer Zusammenstellung ebenso auf
das Angenehmste. Erinnern wir uns doch, daß die beiden erstem bereits
an verschiedenen Stellen für die Einführung psychologischer Experi-
mente in den Blindenunterricht eingetreten sind und bereits mit dem
besten Beispiele vorangegangen sind. Nicht weniger wertvoll erscheint
es uns, mit den beiden letzten Namen zwei"Vertreter der Blinden selbst
das Wort nehmen zu sehen.
Das Stoftgebiet, das Bürklen und Grasemann mit dem >Tast-
lesen« sich erwählt haben, ist eines der interessantesten der Blinden-
psychologie, welches nicht nur Fach- sondern auch weitere Kreise zu
fesseln vermag. Professor Dr. Stern, der sich mit der Herausgabe der
Abhandlungen ein großes Verdienst und unseren besonderen Dank
erworben hat, bezeichnet als den Hauptteil des Buches die systemati-
schen experimentell-psychologischen Uutersuchungen von Bürklen über
die Vorgänge und die Ökonomie des Tastlesens der Punktschrift. Die
Arbeit Grasemanns steht der Hauptabhandlung inhaldich nahe und
ist geeignet, diese nach einer bestimmten Seite hin zu ergänzen.
Seite 836. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 12. Nummer.
Einen anderen Charakter haben die beiden aus Vorträgen hervor-
gegangenen Aufsätze von Dr. Cohn und Steinberg. Die Verfasser
sind akademisch gebildete BUnde, die auf Grund ihrer Selbstbeobach-
tung sowie vielseitigen Erfahrungen an Schicksalsgenossen einen
Gesamtüberblick über die Eigenart der Blindenpsyche zu geben
versuchen.
Die umfangreiche Abhandlung von Bürklen erlaßt das Problem
des »Tastlesens« in seiner Gänze. Nach einer kurzen Entwicklungs-
geschichte der Blindenschrift (mit einer wertvollen Tafel) berührt er die
besondere Eignung der Punktschrift für das Tastlesen, beschreibt das
Leseorgan, den Vorgang beim Lesen und gibt eine Charakteristik der
Punktschrift. Seine früheren Untersuchimgen über die Lesbarkeit der
einzelnen Punktschriitzeichen, die ein lang eingelebtes Urteil umstießen,
waren uns bereits aus dem »Blindenfreund« (1913) bekannt. Völlig neu
sind die von ihm angestellten Versuche zur Aufzeichnung der Tast-
bewegungen, lür die er eine besondere Methode mittelst des von ihm
erfundenen »Tastschreibers« aufstellt. Es liegen damit die ersten bild-
lichen Wiedergaben der Tastbewegungen vor, deren Betrachtung wert-
volle Aufschlüsse gibt. Bei entsprechender Ausbildung dieser Methode
können wir ein vollkommen klares und getreues Bild der äußerlichen
Bewegungen der lesenden Finger erhalten.
Ebenso neu ist die vom Verfasser zuerst vorgenommene Auf-
zeichnung der Druckstärke beim Tastlesen, die uns ebenfalls auf einer
Tafel dargeboten wird. Die Leseproben inbezug auf die Leseflüchtigkeit
der Punktschrift umgrenzen diese zum erstenmale näher. Die Verän-
derungen der Tastfähigkeit während des Lesens wurden durch das
Aesthesiometer geprüft. Schließlich bespricht der Verfasser die neueren
Forschungen über die Tastempfindungen und das Augenlesen und gibt
eine übersichtliche Zusammenfassung der Versuchsergebnisse.
Einzelne dieser Ergebnisse, wie z. B. über die Ermüdung beim
Tastlesen, sind so überraschende und befinden sich in einem solchen
Widerspruch zu den Erfahrungen des Fachmannes, daß man sie gerne
durch Nachprüfungen bestätigt sehen möchte. Es klingt wohl sehr be-
scheiden, aber darum umso überzeugender, wenn der Verfasser in
seiner Einbegleitung seine Arbeit durchaus nicht als vollkommen und
abgeschlossen, sondern nur als grundlegend für weitere Forschungen
bezeichnet. Es wäre daher nur erfreulich, wollten andere Fachleute
seinen Anregungen folgen und mithelfen, Klarheit in so manchen
noch dunklen Punkten zu schaffen. Am dringendsten erscheint mir die
bereits angedeutete Gewinnung einer Normalgröße für die Punktschrift,
die den großen Unterschieden in der Schriftgröße unserer Punktdruck-
bücher ein Ende bereiten würde.
In allem bietet die Abhandlung von Bürklen über das Tastlesen
soviel des Neuen und für den Fachmann Wertvollen, daß sich aus ihr
nicht nur für die Punktschrift selbst, sondern auch für das Lesen und
Lesenlernen derselben wichtige Folgerungen ergeben werden.
Auch Grasemann stellt im Anhange zur ersten Abhandlung
eine Untersuchung über das Lesen an und zwar hauptsächlich im Hin-
blick auf das beidhändige und einhändige Lesen. Er stellt die Über-
12. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 837.
legenheit des linken Zeigefingers als Lesefinger über den rechten Zeige-
finger fest, untersucht den Wert des beidhändigen Lesens und zieht
aus den Ergebnissen Folgerungen für die Methodik des Tastlese-
unterrichtes.
Wie schon erwähnt wurde, geben die Abhandlungen von Dr. Cohn
»Beiträge zur Blindenpsychologie« und von Stern berg »Der Blinde
als Persönlichkeit« einen Gesamtüberblick über die Eigenart der Blin-
denpsyche. Sehr richtig bemerkt der Herausgeber hiezu : »Hierbei
gewinnt die Nebeneinanderstellung der b^ iden Sclülderungen dadurch
an Interesse, daß die Verfasser augenscheinlich verschiedene Ideale
vertreten, während der eine die Kluft, die zwischen dem Blinden und
dem Sehenden besteht, möglichst zu verringern strebt, betont der
andere mit vollem Bewußtsein die vorhandenen Verschiedenheiten und
fordert die Entwicklung einer besonderen, dem Erleben des Blinden
angemessene, Persönlichkeitsform. Mir scheint, daß dieser Gegensatz
selbst psychologischer Natur ist ; vermutlich gehören die beiden Ver-
fasser verschiedenen Typen an, die beide in der Blindenwelt zahlreiche
Vertreter haben. Eine solche Typenscheidung könnte gerade in unseren
Zeiten besondere Bedeutung gewinnen, da es sich darum handelt, die
zahlreichen Kriegsblinden in ihrem Seelenleben richtig zu verstehen
und entsprechend zu behandeln.«
Als alter Fachmann kann ich das tatsächliche Vorhandensein
dieser zwei grundsätzlich verschiedenen Blindentypen bestätigen. Ein
tieferes Eindringen in deren Eigenarten würde nicht nur den Kriegs-
blinden zugute kommen, sondern könnte auf die gesamte Blinden-
bildung und Erziehung umgestaltend einwirken.
Ich muß nochmals betonen, mit welcher Freude ich das neuer-
schienene Werk durchging und immer wieder zur Hand nehme.
Erscheint es mir doch wie eine Verheißung, neues, geistiges Leben
auf unserem Gebiete erblühen zu sehen. Die Verfasser können stolz
darauf sein, es mit ihrem bedeutungsvollen Werke eingeleitet zu haben.
Ein alter Fachkollege.
Der Blinde des Orients im Spiegel des
morgenländischen Schrifttums.
(Schluß.)
In der »Geschichte des Lastträgers und der drei
Schwestern« treten drei Bettler auf, die durch ein wunderbares
Zusammentreffen auf dem linken Auge blind sind. Der erste ein
Königssohn, schoß einem Wesir ein Auge aus. Diese Tat rächte sich
nach dem Tode des Königs. Der Wesir ließ den Sohn gefangen
nehmen und wollte ihn köpfen lassen, denn welche Schuld ist größer,
als diese, sagte er, indem er auf sein ausgelaufenes Auge zeigte.
»Ich habe das nicht mit Absicht getan« erwiderte der Gefangene.
Der Wesir aber antwortete: »Hast du es unabsichtlich getan, so tue
ich es jetzt mit Absicht« und rief: »Führet ihn heran zu mir!« Wie
der Gefangene nun vor ihn hingestellt wurde, stieß er seine Finger
Seite 838. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 12. Nummer.
in dessen linkes Auge, daß es von Stund an blind war. Der zweite
Bettler, ebenfalls ein Königssohn, büßte ein Auge im Kampfe mit
dem bösen Ifrit, der als Feuerlohn über ihn kam ein, der dritte
Bettler — auch er ein König und Königssohn, verlor, wie zehn Jüng-
linge vor ihm, ein Auge durcli ein wildes Zauberpferd, weil er sich
nicht vierzig Tage gedulden konnte und in Ungeduld ein strenges
Verbot übertrat.
Die »Weisheit des Brahmanen« gibt folgenden Trost für den
Verlust eines Auges.
»Laß trösten dich, mein Sohn, um eines Aug's Verlust!
Bewahr doppelt rein den Sinn in deiner Brust!
So wird der Himmel voll dir durch ein Auge strahlen,
Und sanft auf Seelengrund das Bild der Welt sich malen !
Das ist dir besser, als wenn unversehrt vom Leibe,
Von Leidenschaft getrübt, du hättest alle beide.«
So sehr in den morgenländischen Schriften Lob und Preis
der edlen Gottesgabe, des Augenlichtes, wiederklingt, so finden sich
doch wieder Stellen, wo es freiwillig hingegeben erscheint für eine
innerliche Einkehr zu sich selbst und zu Gott. So wird berichtet,
daß Thabit el Banani weinte, bis er fast das Augenlicht verlor.
Als man ihm nun einen Arzt brachte, und dieser zu ihm sagte : »Ich
will dich unter der Bedingung heilen, daß du mir gehorchst,« fragte
Thabit: »Was ist's?« Der Arzt antwortete: »Daß du nicht mehr
weinst.« Da sagte Thabit: »Wozu nützen denn meine Augen, wenn
sie nicht mehr weinen sollen?«
Oft genug soll es bei fanatischen Mekkapilgern vorgekommen
sein, daß sie sich die Augen ausstechen, damit sie das irdische Wesen
nicht mehr anschauen müssen. Daß aber der unverschuldet Blinde
ebensowenig wie der Taul)e, ja selbst der Taubblinde, von den
Freuden der Erde gänzlich ausgeschlossen ist, sagt uns die »Weis-
heit des Brahmanen« in folgenden Versen:
Den höchsten Menschensinn, das Augenlicht, zu missen,
Gefangen wohnend in beständ'gen Finsternissen.
Ist doch, Erfahrung spricht, das höchste Unglück nicht,
Weil inneres ersetzt das äußerliche Licht.
Der Blindgewordene sieht in Erinnerungen,
Der Blindgeborene wird doch vom Licht durchdrungen ;
Dolmetschen kannst du ihm den Strahl, der ihn berührt,
Daß er ein geistig Bild der Welt in ihm aufführt.
Im Worte wird ihm kund die Weisheit aller Weisen,
Er kann mit Dichtermund die Wunder Gottes preisen.
Doch diesen andern Sinn zu missen, den im Ohr,
Entbehrend ewigen Weltharmonienchor;
Verlust, der schwerer schien, ersetzen kann auch ihn
Teilnahme doch der anschaubaren Harmonien.
12. Wummer. Zeitschrift für das österreichische Blindcnvvesen. Seite 839.
Des Menschen Auge spricht dir und des Frühlings Trift,
Die Sprache spricht dir selbst in ihrem Bild, der Schrift.
Dem Taubgebornen auch, und darum stumm geboren,
Ist alle Fähigkeit der Bildung nicht verloren.
Zum Handeln kannst du ihn, zum Denken auch erziehn ;
Gewiß zum Dichter nur erziehst du niemals ihn.
Wer aber blind und taub zugleich ist uranfänglich.
Der höhern Menschheit scheint er Menschen unempfänglich.
Gott, der ihn so gemacht, empfänglich wird er machen
Ihn aus der Doppelnacht hier oder dort erwachen.
Wer blind und taub nur ward, kann fort das Feuer schüren
Im Innern, mag man auch nach außen es nicht spüren.
Der Muschel gleich im Schlamm, Licht saugen mit Begier,
Das zu viel schönrer Perl' in ihm wird als in ihr.
So sah ich einen Greis, an Aug' und Ohr verwittert,
Von Lustentzückungen im Frühlingshain durchzittert.
Der Blüten Duftgeruch, der Abendlüfte Wehn
Macht' ihm den Mund voll Preis, das Aug' in Thränen stehn.
Er sog, was er nicht sah, und roch, was er nicht hörte.
Und fühlte Vollgenuß und Andacht ungestörte.
So schön ist Gottes Welt, daß auch ein leises Flüstern
Von ihr der Blindheit kann und Taubheit Nacht entdüstern.
Petition, betreffend die Erriditung einer Zentralstelle für das
Blindenwesen im Ministerium für soziale Fürsorge.
Nachstehende Petition wurde vom »Zentralverein für das öst.
Blindenwesen« dem Herrenhause und dem Abgeordnetenhause
unterbreitet und dem k. k. Minister für soziale Fürsorge überreicht.
Die Rückständigkeit unseres österreichischen Blindenbildungs-
und Fürsorgewesens hat vor allem ihren Grund darin, daß die Staats-
regierung diesem Gebiete der sozialen Fürsorge bisher nicht jenes
Augenmerk zugewendet hat, welches dasselbe seit langer Zeit verdient.
Nicht nur, daß die Regierung die Fürsorge dieser Viersinnigen den
Ländern bezw. Gemeinden überwies und sich selbst zu keinerlei
Leistungen hiefür verpflichtete, fehlte bisher auch jede Initiative von
dieser zur Führung berufenen Stelle aus. Die Regierung besaß andrer-
seits auch nicht die Macht, die Landes- und Gemeindeverwaltungen zur
Erfüllung der denselben übertragenen Blindenfürsorge zu verhalten
und so kommt es, daß die Blindenfürsorge — mit Ausnahme des
Blindenunterrichtswesens in einzelnen Kronländern — heute eben
noch so wie zur Zeit ihrer Begründung vor mehr als hundert Jahren
auf den Wohltätigkeitssinn der Allgemeinheit angewiesen ist und
aus diesen Quellen die Mittel zu einer notdürftigen Erfüllung schöpfen
muß. Wie sehr auch die Opferwilligkeit der breiten Öffentlichkeit be-
Seite 840. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 12. Nummer.
sonders den Blinden gegenüber hervorgehoben und gerühmt werden
muß, sind die von ihr aufgebrachten Mittel doch für eine zureichende
Fürsorge für die große Masse der Blinden, zu denen heute noch die
Kriegsblinden treten, nicht zureichend. Die bestehenden Fürsorge-
institutionen entsprechen dem Bedarf in keiner Weise und sind in
ihrer Organisation infolge einer behinderten Entwicklung zum größten
Teile veraltet. Schließlich hat sich durch die Mitwirkung verschie-
ster Stellen eine unheilvolle Zersplitterung des vaterländischen Blin-
denfürsorgewesens ergeben, die eine gedeihliche Zusammenarbeit
nicht aufkommen läßt. Als Beispiel hiefür kann auf die erst seit dem
Weltkriege sich entwickelnde Kriegsblindenfürsorge verwiesen werden,
welcher bisher eine Summe von über fünf Millionen Kronen zugeflossen
ist, während die auf diesem Gebiete erzielten Leistungen durchwegs
sehr bescheidene sind und mit der Opferwilligkeit der Allgemeinheit
nicht in Vergleich zu bringen sind.
^s wäre daher höchste Zeit, diesen krassen Mängeln unseres
österreichischen Blindenfürsorgewesens von Grund aus abzuhelfen und
dasselbe auf eine' vollständig neue Grundlage zu stellen, indem der Staat
die Führung auf diesem Gebiete übernimmt. Mit der Errichtung des
Ministeriums für soziale Fürsorge zeigt der Staat, daß er den Weg
einer tiefgreifenden Reform auf dem bezogenen Gebiete beschreiten
Avill. Unter Hinweis darauf, d^Q die Blindenhilte ein wichtiger Teil
der allgemeinen Fürsorge ist und das große Unglück der Blindheit
den größten Anspruch auf die Hilfsbereitschaft der Allgemeinheit
besitzt, unterbreitet der »Zentralverein für das österrei-
chische Blindenwesen«, welcher alle Blindenfürsorge-
Institutionen Österreichs umfaßt, gemeinsam mit dem
»I. Österreichischen. Blindenverein« die Anregung zur Er-
wägung, in dem neu zu errichtenden Ministerium für
soziale Fürsorge eine »Zentralstelle für das österreichi-
sche Blindenfürsorgewesen« zu schaffen und damit die
zielsichere Führung auf diesem Gebiete zu übernehmen.
Die dem Ministerium für soziale Fürsorge zugewiesenen Auf-
gaben der Jugendfürsorge, der Fürsorge für die Kriegsbeschädigten,
der Sozialversicherung, des gewerblichen Arbeiterrechtes und Arbeiter-
schutzes, der Arbeitsvermittlung usw. enthalten bereits den größten
Teil der Blindenfürsorge, so daß die Errichtung einer eigenen Ab-
teilung für Blindenfürsorge in diesem Ministerium umsomehr gerecht-
fertigt erscheint und sich eigentlich von selbst ergibt.
Bezüglich (der Wünsche und Forderungen, welche zur Begrün-
dung einer modernen Blindenfürsorge in Österreich während der
letzten Jahrzehnte erhoben wurden und auf deren Erfüllung immer
noch gewartet wird, sei verwiesen auf die Beschlüsse der Blinden-
fürsorgetage in Graz (1906) und Wien (1914), auf die Verhandlungen
der Enquete zur Förderung des Blindenwesens im k. k. Ministpriura
für Kultus und Unterricht (1909), sowie auf die Petition, betreffend
die »Sozialversicherung und die erwerbstätigen Blinden« upd die Ein-
gaben des »Zentralvereines für das österreichische Blindenwesen« an
verschiedene Behörden.
12. Nummer. Zcitscliiift liir das (isteneicliische liliiidcnwt sen. Seite 841.
Aus denselben seien iai Folgenden kurz die wichtigsten hervor-
gehoben :
Maßnahmen zur Verhütung der angeborenen und erworbenen
Blindheit. Fürsorge für die vorschulpflichtigen blinden Kinder
(Asyle, Kindergärten).
Durchführung der den Landesverwaltungen übertragenen
Fürsorge für schulpflichtige blinde Kinder.
Fürsorgegesetz, welches den Anstaltszwang für schulpflich-
tige blinde Kinder feststellt.
Schaffung neuer Erziehungsanstalten für Blinde bezw.
Erweiterung der bestehenden unter Mithilfe des Staates.
Förderung und Erweiterung der beruflichen Ausbildung
der Blinden,
Beseitigung jener Schranken, welche durch die heutige
Gewerbegesetzgebung den arbeitsfähigen, zu Handwerkern aus-
gebildeten Blinden die Gründung einer wirtschaftlichen Existenz
so wesentlich erschweren.
Schutz und Förderung der Blindenarbeit, Arbeitsvermittlung
für erwerbstätige Blinde.
Begünstigungen für Blinde in ihrer Erwerbstätigkeit sowie
zur Förderung ihrer beruflichen und geistigen Weiterbildung.
Förderung der von den Blinden zur Selbsthilfe geschaffenen
Vereinigungen und deren Einrichtungen {Produktivgenossen-
schaften, Werkstätten usw.)
Schaffung von Fürsorgeeinrichtungen, durch welche die
Existenz der arbeitsunfähigen Blinden sichergestellt wird. Aus-
bildung eines modernen Fürsorge-Hilfsdienstes für die in freier
Versorgung stehenden Blinden. Errichtung von Altersheimen
für Blinde,
Beseitigung veralteter Vorschriften, welche die Rechts-
fähigkeit der Blinden beschränken.
Statistische Aufnahme der Blinden,
Diese umfassende Arbeit zur Arbeit für alle Blinden Österreichs,
zu welchen auch die Kriegsblinden zu zählen sind, kann nur durch
die zielbewußte Tätigkeit einer staatlichen Zentralstelle bewältigt
werden. Um die unerläßliche Verbindung dieser amtlichen
Stelle mit den bestehenden Fürsorgeeinrichtungen für
Blinde und mit den Blinden selbst herzustellen,
wäre außerdem die Bestellung eines fachmännischen
Beirates zu empfehlen, der aus Vertretern der Blinden-
bildungs- und Fürsorge Institutionen, au^ Augenärzten
und Vertretern der Blinden zusammenzusetzen wäre.
Nur auf diesem Wege könnte die derzeit an mangelnder Unter-
stützung seitens der Staatsbehörden und an unheilvoller Zersplitterung
leidende Blindenfürsorge Österreichs neu aufgebaut und die Grund-
la-gei^ für eine gedeihliche Entwicklung geschaffen werden.
Seite 842. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 12. Nummer.
Kleine Anregungen.
Von Hauptlehrer J. K n e i s, Purkersdorf.
Der Gärtner.
Schon in früheren Jahren wurden und auch derzeit werden in
einigen Blindenanstalten Versuche gemacht, um zu erproben, ob nicht
schwachsichtige Zöglinge, deren es in solchen Anstalten ja immer gibt,
sich für den Beruf eines Gärtners eignen. Bisher sind nur wenige Er-
fahrungen darüber veröffentlicht, sodaß ein abschließendes Urteil noch
nicht gefällt werden kann.
Mit nachfolgenden Zeilen könnte der Anfang zu Besprechungen
des Gegenstandes gemacht werden und vielleicht, so hoffe ich, den
Halbsichtigen ein neuer, gesunder und einträglicher Lebensweg geschaffen
werden. Sollte etwa manch kritisches Wort einfließen, so wolle man
es nicht persönlich nehmen, weil dadurch der Sache selbst nur gescha-
det werden könnte.
Die bisher unternommenen Veruche hatten gewöhnlich folgenden
Verlauf genommen : Nach Absolvierung der Schulpflicht wurden die
Zöglinge dem Anstaltsgärtner überwiesen. Es war dies der erste große
Fehler. Den Anstaltsgärtnern (wenn man von solchen sprechen will, denn
oft sind es gar keine gelernten Gärtner, sondern Autoditakten) ist bei
ihrer Aufnahme eine ganz andere Aufgabe gestellt worden ; sie haben
den Anstaltsgarten zu pflegen und die Anstalt mit Gemüse zu versor-
gen. Damit hat der Gärtner übrigens genug zu tun und es bleibt ihm
bei bestem Willen und allem guten Können keine Zeit, sich mit einer
Anzahl von Schülern zu beschäftigen. Vollsichtige Schüler könnten
ihm für die verwendete Zeit durch Arbeitsleistung einen teilweisen
Ersatz schaffen, aber bei den schwachsichtigen Schülern muß er zuerst
immer noch ein minus überwinden, um plus autbauen zu können,
d. h. er muß mit dem durch das Gebrechen verursachten Schaden und
und mit dessen Gutmachung rechnen, bevor er mit der ihm neuestens
gestellten Aufgabe beginnen kann. So leidet zumeist entweder das not-
wendige Erträgnis des Anstaltsgartens oder die Erzieheraufgabe. Die
Erträgnisaufgabe ist für die Ausbildung des Schülers oft dadurch ein
Hmdernis, daß diese leicht zur Schablonenhaftigkeit gezwungen ist, also
eine unzulängliche Ausbildung zuläßt. Der Lehrling wird dadurch eine
Maschine, welche Kraut, Kohl etc. in bestimmter Zeit und Menge liefert,
aber sich nicht dazu aufschwingen wird, jemals nach einem eigenen
Plane zu arbeiten.
Damit kommen wir gleich zum zweiten Nachteil, den eine derar-
tige Heranbildung zum Gärtner aufweist.
Der Zögling bleibt zuviel Zögling und ist zu wenig Lehrling. Als
Zögling unterliegt er, wenigstens in den Grundzügen, der Tageseintei-
lung der Anstalt; wo man aber die Zügel lockerer läßt, stört er das
Anstaltsgetriebe. Der Wettergott will sich der von der Lehrerkonferenz
festgelegten Stundeneinteilung nicht unterwerfen und keine 6 Uhrglocke
kann für den Gärtner maßgebend sein. Es bleibt der Ausweg, den
Gärtnerlehrlingen Ausnahmen zu gestatten, was aber wieder eine eigene
Beaufsichtigung verlangt, denn man kann unmöglich von 15jährigen
Jungen voraussetzen, daß sie so ernst sind, um nicht die günstige Ge-
12. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 843.
legenheit der verminderten Aufsicht auszunützen. Meines Erachtens ist
durch die Versuche erwiesen, daß sich die nicht blinden, sondern nur
schwachsichtigen Zöghnge zum Gärtnerberufe eignen und man auch mit
Rücksicht auf seine Gesundheit den Gärtnerberuf anempfehlen kann.
Das Verdienst, dies festgestellt zu haben, danken wir einzelnen opfer-
freudigen Blindenanstalten. Nun soll man den Weg aber weitergehen
und versuchen, wie weit es der Schwachsichtige unter fachgemäßer
Anleitung bringen kann. Doch gilt es hier vorerst, einige Hindernisse
beiseite zu räumen. Wollte man die für den angeführten Beruf geeig-
neten Zöghnge nach vollendeter Schulpflicht einfach einem Berufsgärt-
ner aufSerhalb der Anstalt übergeben, so fürchte ich zweierlei : erstens
wird ein derartiger Gärtner aus Vorurteilsgründen schwer zu bewegen
sein, einen gewesenen Blindenanstaltszögling als Lehrling anzunehmen
und zweitens werden Zöglinge wenig Lust daran finden, die Anstalt, in
welcher sie, wenn sie sich einem in der Anstalt gelehrten Berufe wid-
men, unentgeltlich und sorgenfrei, weiterleben können, zu verlassen.
Darin werden sie sicher auch durch ihre Eltern, welche andernfalls
fürchten, schon jetzt für ihre Kinder Opfer bringen zu müssen, bestärkt.
Vielleicht liegt der Nachteil im Anstaltsstatut, welches wohl Frei-
plätze und Stiftplätze in der Anstalt vorsieht, nicht aber die Verwendung
der darauf entfallenden Beträge für eine zweckmäßigere Ausbildung
außerhalb der Anstalt zuläßt. Dies, häufig nur eine Formsache, heße sich
ja ändern.
Dem Blinden gewährleistet man mit seiner Aufnahme die Möglich-
keit einer Schul- und einer Berufsbildung und die zuständige Behörde
bewilligt die dazu notwendigen Mittel! Leider klebt man nun zusehr
am Wortlaut und scheut eine sinngemäße Auslegung. Der Kostenpunkt
einer Berufsbildung außerhalb der Anstalt dürfte kaum größer sein, als
wenn der Zögling in der Anstalt weiter verbliebe. Der ZögHng könnte
also während seiner externen Lehrzeit von der Anstalt in genügender
Weise unterstützt werde.
Zur Vervollkommnung könnte nach beendigter Lehrzeit (3 Jahre)
ein abschließender Kurs in einer der landwirtschaftlichen Schulen an-
gestrebt werden. Man braucht nur einen Lehrplan einer derartigen
Schule zur Hand nehmen und wird aus der Fülle und Manigfaltigkeit
des Stoffes die Wichtigkeit und Notwendigkeit eines derartigen Kurses
erkennen.
Einem so vorgebildeten Gärtner dürfte es nicht schwer fallen,
einen lohnenden Posten zu finden und mit anderen konkurieren zu
können.
Es bliebe noch zu erörtern, was mit den derzeit bei einem
Anstaltsgärtner in der Lehre stehenden Zöglingen geschehen soll. Auch
diese Zöglinge sollten nach beendeter Lehrzeit zum Besuch von Kur-
sen verhalten werden, natürlich auf Kosten der Blindenanstalt d. h.
des Erhalters.
Zum Schlüsse ein Wort an die Halbsehenden : Noch liegt Dunkel
über Eurer Zukunft ; Ihr kennt noch nicht die Erfolge, weil Ihr keine
voranleuchtenden Beispiele habt, aber wer die Natur liebt, kann kein
schlechter Mensch werden und wer die Natur betraut, dem gibt sie
Seite 844. Zeitschrift für das östereichische Blindenwesen. 12. Nummer.
hundertfach. Der Krieg hat uns gelehrt, wie großen Segen uns Mutter
Erde bieten kann. Jetzt ist es ein hartes Ringen um die Schätze des
Bodens, aber der Lohn bleibt nicht aus. Wenn man schon jetzt von
Lohn sprechen kann, so darf man mit desto größerer Sicherlieit auf
erhöhten Lohn rechnen. Laßt Euch meine jungen Freunde nicht durch
den falschen Schluß trügen, der da herumgeschwätzt wird und lautet,
wer wird sich nach dem Kriege noch mit der Gärtnerei plagen, wenn
man alles ohnehin billig haben kann. Greift freudig zu, wenn man
Euch die Gelegenheit bietet, tüchtige Gärtner zu werden.
Fragen bei der Lehrbefähigungsprüfung für den
Blindenunterricht.
Linz, 19. und 2L November 1917. Vorsitzender: K. k. Landes-
schulinspektor Dr. Franz Rimmer, Prüfungskommissär: Direktor
Anton M. P 1 e n i n g e r. Beisitzender : Direktor Reg, Rat, J. H a b e n i c h t.
Schriftlich: 1. Welche Vorschläge für die Erneuerung beson-
ders der Blindenfürsorge ergeben sich bei der Betrachtung der derzei-
tigen Bildung der Friedens- und Kriegsblinden ? 2. Die Selbsterziehung
in der Blindenanstalt.
Mündlich: 1, Schriften in den gebräuchlichsten Blindenschriften
und Leseübung darin. 2. Unterricht und Fürsorge der Blinden in
Oberösterreich und Salzburg. 3. Folgen der Blindheit in geistiger
Beziehung. 4. Der Muskelsinn der Blinden. 5. Die Naturgeschichte
in der Blindenschule. Hypothesen über das Seilen. Beide Fragen mit
Darstellungen.
Tätige Vorführung: Das Haushuhn. Biologisch an einem
lebenden Huhn mit Schülern der 3 obersten Schuljahre behandelt.
P.
Errichtung einer Militärblindenanstalt in Lemberg.
In Lemberg wird eine eigene Militärblindenanstalt errichtet.
Dieselbe bildet eine Unterabteilung der Kriegsinvalidenschule in
Lemberg. Die Anstalt hat den Zweck, kriegserblindeten galizischen
und bukowinischen Landesangehörigen polnischer und ruthenischer
Nationalität Unterricht zu erteilen und sie in einem Blindengewerbe
auszubilden. Kriegserblindete Israeliten sind nach wie vor im Israe-
litischen Blindeninstitut in Wien, Hohe Warte, Rumänen im k. k.
Blindenerziehungsinstitut in Wien, IL, Witteisbachstraße Nr. 5, unter-
zubringen.
Die Heeresverwaltung trägt die Kosten der Nachbehandlung
nur für die Längstdauer von einem Jahre. Mannschaft, die über ein
Jahr in Sammlung bleibt, ist bei der galizischen Landeskommission
zur Fürsorge für heimkehrende Krieger anzumelden, die für die
Bestreitung der weiteren Auslagen Vorsorge treffen wird.
Zum Leiter der Anstalt wird der zum Blindenlehrer herangebildete
kriegsblinde Leutnant d. R. Johann Silhan bestimmt. Derselbe wird
12. Nummer. Zeitschrilt für das österreichische Blindenwesen. Seite 845
auf Mübilisieruiigsdauer aktiviert und dem Militärkommando in Lem-
berg für obige Verwenduno^ zur Dienstleistung zugewiesen. Seine im
Reservcspital Nr. 2 in Wien als Operationsschwester eingeteilte PVau
Margit Silhan wird der Blindenanstalt zur Betreuung der noch in
ärztlicher Behandlung stehenden Kriegsblinden ausnahmsweise als
Assistentin zugewiesen.
Dem Leutnant d. R. Silhan ist, als Leiter der Anstalt, in
Bezug auf Unterricht und Ausbildung der Kriegsljlinden sowie hin-
sichtlich der Fürsorge für dieselben volle Freiheit einzuräumen. Er
hat auch für Ordnung und Disziplin in der Anstalt zu sorgen. Mit
dem Kuratorium der gaüzischen Blindenanstalt, der galizischen Landes-
kommission zur Fürsorge für heimkehrende Krieger, der Kriegsblinden-
fond's im k. k. Ministerium des Innern und dem Verein »Kriegs-
blindenheimstätten« in Wien hat er im Interesse der Fürsorge für
die Kriegsblinden stete Verbindung zu halten.
Die Erledigung der ökonomisch-administrativen Angelegenheiten
fällt nicht in seinen Wirkungkreis, hierfür hat das Kommando der
Kriegsinvalidenschule vorzusorgen.
Als zweiter Blindenlehrer wird der Landsturmzugsführer Anton
Spicka des k. k. Landsturmbezirkskommandos Nr. 14 in Brunn,
Blindenlehrer von Beruf, zugeteilt.
Das Militärkommando in Lemberg hat vier geprüfte Werkmeister
(zwei Bürstenbinder und zwei Korbflechter) beizustellen. Weisungen
bezüglich ihrer Sprachkenntnisse und ihrer Einführung in den Aus-
bildungsvorgang bei Blinden hat das Militärkommando in Lemberg
im kurzen Wege erhalten.
Weiters hat das Militärkommando einen Mann beizustellen, der
den Blinden Musikunterricht (auf landesüblichen Instrumenten)
erteilen kann.
Weiters wolle es dem Kuratorium der galizischen Blindenanstalt
und insbesondere dessen Präsidenten, Herrn Grafen Stanislaus
Mycielski, für die dem Kriegsblinden durch zwei Jahre gewährte
Unterkunft und Ausbildung sowie auch für die Bereitwilligkeit, an
der Fürsorge künftig werktätig teilnehmen zu wollen, den wärmsten
Dank des Kriegsministeriums aussprechen.
Der Blinde!
Von Heinrich G u t b e r Te t.
Tag für Tag, ein Knäblein dir zu selten
Sah ich dich durch stille Gassen schreiten.
Matt dein Auge, tot des Lichtes Schimmer,
Und die Menschen sehn dich traurig an, und immer
Flüstern sie : „O Gott, wie reich wir sind !
Seht, o seht, der arme Mann ist blind."
Und du hörst es und bleibst unverdrossen
Auf den Stab, den stummen Weggenossen
Seite 846. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 12. Nummer.
Fest dich stützend, gehst du ohne Klage,
Doch um deinen Mund spielt eine Frage
Und ein Lächeln weich wie Frühlingswind —
Sind wir wirklich sehend, bist du blind? —
Du hörst Brunnen in der Tiefe rauschen,
Kannst den Tönen fremder Sphären lauschen.
Du siehst Sterne, die wir niemals sehen.
Du hörst Worte, die wir nicht verstehen.
Du fühlst Wonnen, die uns ferne sind. —
Du bist sehend, du, und wir sind blind.
Deine Seele wurzelt nicht im Staube.
Dich erfüllt ein kindlich-froher Glaube,
Ein unnennbar süßes, sel'ges Ahnen,
Wo wir tasten, siehst du lichte Bahnen.
Dich umfängt ein Friede, leis und lind. —
Du bist sehend, du, und wir sind blind.
Du gehst deinen Weg am sich'ren Stabe.
Und wir hasten wild nach Gold und Habe.
Lächelnd senkst du deinen Blick nach innen.
Und wir jagen mit gepeitschten Sinnen
Jäh dem Abgrund zu im Schicksalswind. —
Du bist sehend, du, und wir sind blind.
Du kehrst heim, wenn sich der Tag gewendet,
Wir sind pfadlos, wenn dein Ziel vollendet.
Und wir flehen: »Blinder, woU' uns führen
Zu der Wahrheit goldnen Himmelstüren,
Wenn im Dunkel wir verlassen sind!« —
Du bist sehend, du, und wir sind blind!
(Vom Fels zum Meer).
Personalnachrichten.
— Der Leiter des Salzburger »Blindenheimes«, Herr Ferdinand
Geig er, hat vor der k. k. Prüfungskommission in Linz die Befähi-
gungsprüfung für das Blin denlehramt mit Auszeichnung
abgelegt.
Für unsere Kriegsblinden.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende November 1. J.
— Neue Freie Presse: 1,800.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 2,800.000 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 380.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 80.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 27.800 K.
Herausgeber: Zeutralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Biirklen,
J. Kneis, A. t. Horrath, F. Uhl, — Druck ron Adolf Engliich, Purkergdorf bei Wien.
Bücherschau.
— Einen höchst praktischen Tas ch en ka 1 ender für Blinde hat der in
allen blindenkreisen seit langem mit Recht sehr beliebte, und mir seit vielen Jah-
ren als besonders leistungsfähig und rührig bekannte Blindendruck-Verlag J. W.
Vogel, Hamburg 33, Hufnerstraße 122, in Braille-Kurzschrift für das Jahr 1918 er-
scheinen lassen, welcher sich als Weihnachtsgeschenk vortrefflich eignet. Ich ließ
mir ein Exemplar zur Ansicht kommen und habe mich überzeugt, daß dadurch
einem von allen Blinden lange schon tief empfundenes Bedürfnis in der denkbar
praktischten Weise entgegenkommen worden ist. Die Anordnung des Kalendariums
ist höchst übersichtlich, paßt sich jener der Schwarzdruckkalender an, gestattet eine
schnelle Orientierung; zudem sind die wichtigsten christlichen und israelitischen
Feiertage angegeben, ebenso die Mondphasen. Da der der Kalender für rcichs-
deutsche Verhältnisse auch einen Hinweis auf des deutschen Kaisers Geburtstag
enthält, habe ich bei Herrn Vogel angeregt, daß in den für Österreich bestimmten
Exemplaren auch ein solcher bezüglich des auf den 17. August fallenden Geburts-
tages unseres Kaisers hinzugefügt wird, was ohne Schwierigkeit leicht ausführbar
ist. Am Schlüsse dieses sehr geschmackvoll ausgestattt^ten Büchleins von äußerst
handlicher Form — es ist ein wirklicher Taschenkalender — l)efindet sich ein Aus-
zug aus dem reichsdeutschen Postportotarif, der wohl im Allgemeinen für wenige
Wert besitzt, aber gleich zu Beginn dieses Anhangs ist der Blindendrucktarif er-
sichtlich gemacht, den auch wir Österreicher uns zu Nutze machen können. Die
Ziffern der einzelnen Portotarif-Ansätze sind für Deutschland und Österreich die
gleichen; man braucht sich nur anstatt der Pfennige Heller zu denken. Der Preis
des Kalenders beträgt bloß 60 Pfennige, also ungefähr eine Krone.
Hofrat von C h 1 u m e c k y.
Briefkasten.
— Blindenfreundin: Eine Umfrage an die Blindenanstalten bezüglich
der Wiederaufnahme des während des Kiieges unterbrochenen Unterrichtes, Zahl
der Kinder, welche keinen Unterricht genießen usw. wird wohl besser nach dem
Kriegsende zu verschieben sein. Soviel uns bekannt ist, haben folgende Anstalten
Isr. Institut in Wien, Landesanstalt in Purker^-dorf, Odilienanstalt in Graz, Privat
Blindeninstitut in Linz, Blindeninstitut in Innsbruck und die Blindenschule in Aus-
sig ihren Unterricht während der Kriegszeit überhaupt nicht unterbrochen und auch
nicht wesentlich beschränkt. Von jenen Anstalten, die den Unterricht und die Neu-
aufnahme von Kindt-rn zu Beginn des Krieges einstellten, .sind einzelne noch nicht
im Betriebe, so Czernowitz, Lemberg, Brunn und Klagenfurt. Das k. k. Blinden-
institut in Wien hat den Unterricht in stark beschränktem Umfange (mit 3 Klassen)
wieder aufgenommen.
— Mehrere Kriegsblinde: Die für Kriegsblinde gesammelten Gelder
sollen an den Kriegsblindenfonds im Ministerium des Innern und das Kriegsfürsorge-
amt abgeführt werden. Der Kriegsblindenfonds weist die Verwendung der Gelder
aus. Ebenso der Verein »Kriegsblindenheimstätten.« Wie das Kriegsfürsorgeamt
die Spenden ihrem Zwecke zuführt, ist uns unbekannt. Die Hötzendorfstiftung für
Kriegsblinde besitzt wohl eigene Satzungen. Ob Beträge hieraus bereits zur Ver-
wendung kamen, ist uns ebenfalls unbekannt.
— An unsere Mitarbeiter: Es wird um Entschuldigung gebeten, daß
aus Raummangel mehrere Beiträge für die ersten Nummern des nächsten Jahrgan-
ges zurückweisen mußten.
Zu unserer Beilage.
Der heutigen Nummer liegt ein Heftchen: Vorlagen für das
Bauen mit Zündholzschachteln von Fr. Demal bei, das wir
unseren geehrten Abnehmern als unentgeltliche VVeihnachtsgabe wid-
men. Es wird gewiß bei jedem wahren Kinderfreunde Anklang finden.
Die 1. Auflage dieses Heftchens mußte der Kriegsverhältnisse wegen
möglichst schwach gehalten werden und ist bereits vergriffen. Ob eine
zweite überhaupt folgt und wo und zu welchem Preise dann das
Vorlagenheft zu beziehen ist, wird in unserer nächsten Nummer be-
kannt gegeben werden.
Bürklen Karl : Das Tastlesen der Blindenpunktschrift.
Nebst Beiträgen zur Blindenpsychologie von P. Grasemann-
Hamburg, L. Cohn-Breslau, W. Steinberg. VII, 93 Seiten
mit 6 Abbildungen im Text und 6 Tafeln,
Leipzig, Barth, 1917 M 5. —
(Beiheft 16 zur »Zeitschrift für angewandte Psychologie« heraus-
gegeben von L. William Stern und Otto Lipmann).
Inhalt: Das Tastlesen der Blindenpunktschrift nac±i besonderen Versuchen
zu dessen Erforschung von K. Bürklen. Eine Untersuchung über das
Lesen der Blinden von P. Grasemann. — Beiträge zur Blindenpsycho-
logie von L. Cohn. — Der Bünde als Persönlichkeit von W. Steinberg.
^syl für blinde Kinder
Wien, XVII., Hernalser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpfhchtigen Aher aus allen österreichi-
schen Kronländern auf. Nähere Ausktinfte durch die Leitung.
Die „Zentpalbibliotheli \w Bünde in Östeppeich",
Wien XVIII, Währinger Gürtel 136
verleiht ihie Bücher kostenlos an alle Blinden.
Blinden-Unterstützungsverein
„DIE PURKERSDORFER"
\Vien V., Nikolsdorfergasse 42.
Zweck des Vereines: Unterstützung blinder Mit-
glieder. Arbeitsvermittlung liir Blinde. Erhaltung
per Musikalien-Leihbibliothek. Telephon 10.071.
Der blinde Modelleur •
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empfiehlt seine zu Geschenken sich
: vorzüglich eignenden keramischen :
Handarbeiten. Nähere Auskunft brieflich.
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Bürstenbinder und Korbflecbter.
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Wien VIII., Florianigasse Np. 41.
Telephon Nr. 23407.
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Verkaufsstelle: Wien VII., Neubau^asse 75.
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des Blinden-Unterstützungsvereines
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: — : Nikolsdorfergasse Nr. 42. : — :
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Blindendrucknoten werden an J^W
Blinde unentgeltlich verliehen ! läJt
von Oskar Picht.
Bromberg.
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□
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Bergedorf bei Hamburg.
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aller Arten.
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Organ des „Zentralvereines für das österreiciiische Blinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
D
n
n
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D
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Schriftleitung
Purkersdorf
bei Wien.
Österreichisches
Postsparkassen-
konto Nr.132.257
D
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D
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D
Das Blatt ersdieint
monatlidi einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
n
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Bezugspreis
ganzjährig mit
Postzustellung
4 Kronen,
Einzelnummer
40 Heller.
D
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D
5. Jahrgang.
Wien, Jänner 1918.
1. Nummer.
INHALT: Der Einband des Blindenbuches. Zurück ins Leben. (Hans Schmalfuß).
Die Versorgung der Später-Erblindeten. Ministerium für Volksgesundheit.
J. Moos: Die Blindenschule. Personalnachrichten, ftus den Anstalten. Rus
den Vereinen. Für unsere Kriegsblinden. Bücherschau, (flites und Neues.
Ankündigungen).
=111
3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenv/esen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
3 Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K.
D
Altes und Neues.
Wie die Simulation von Blindheit festgestellt wird.
Läßt sich Blindheit nachweisen ? — Diese Frage gehört zu den
heikelsten, die den Ärzten für die Abgabe von Gutachten überhaupt
vorgelegt werden, denn es gibt Simulanten, die selbst dieses Gebrechen
vortäuschen und ihre Rolle oft so geschickt durchführen daß der Arzt
den Betrug nur mit viel Scharfsinn und großer Geduld nachweisen
kann. Die Simulation beiderseitiger Blindheit kommt selten vor. Nur
Menschen mit großer Willenskraft werden sie unter Beobachtung eine
Zeitlang vortäuschen können. Um solche Simulanten zu entlarven,
gibt es mehrere Mittel. Das einfachste ist wohl das, daß man dem
angeblich beiderseits Blinden mit einem spitzen Gegenstand auf die
Augen zufährt; fährt er zusammen, ist er entlarvt. Das Gegenteil
jedoch beweist nichts, denn mit großer Willenskraft läßt sich das
Ruhigbleiben bewerkstelligen. Man kann den angeblich Blinden auch
an eine Treppe führen und zum Weitergehen veranlassen, allein
ganz gewitzigte Simulanten werden sich in solchen oder noch unan-
genehmeren Lagen ruhig fallen lassen; so fiel ein angeblich Blinder,
den man ans Wasser geführt hatte, einfach hinein, weil er ganz in
der Nähe einen Rettnngskahn gesehen hatte !
Literarisch verarbeitet findet sich in P. Mille's Novelle:
»Der Blinde« folgender Fall: Ein Anarchist simuliert Blindheit, um
dem Militärdienste zu entgehen. Er tut dies in ungeschickter aber
umso hartnäckigerer Weise. Die gewöhnlichen Mittel zu seiner Über-
führung versagen. Man stellt ihn daher auf einen schmalen Fußpfad,
der in einen abgrundtiefen Wallgraben endet und befiehlt ihm, vor-
wärts zu marschieren. Er verschwand in dem Abgrunde, ohne auch
nur einen Schrei ausgestoßen zu haben. Aber das Netz, das man
unterhalb des Abgrundes aufgespannt • hatte, war fest genug, den
Simulanten autzuhalten. Seine Hartnäckigkeit erreichte es, als »blind«
entlassen zu werden.
Ein geschickter Arzt machte einen angeblich Blinden im Hand-
umdrehen dadurch sehend, daß er ihn zu einer Augenoperation auf
den Tisch legen ließ. Nicht gar so selten kommt Simulation einseitiger
Blindheit vor; die Verfahren zur Entlarvung laufen fast alle darauf hinaus,
daß man dem Simulanten etwaszum Lesen oder Betrachten so vorlegt, daß
er nicht weiß, mit welchem Auge er sieht; entlarvt ist er natürlich,
sobald er mit dem angeblich blinden Auge doch sehen kann. Recht
geistreich sind die ärztlichen Verfahren, bei denen man den Simulanten
durch verschiedenfarbige Gläser sehen läßt. Beispielsweise kann er
durch rotes Glas rote Buchstaben auf weißem Grunde nicht erkennen,
während sie durch grünes Glas schwarz erscheinen, v. Haselberg, der
diese Entlarvungsart ausgebildet hat, hat auf Tafeln Buchstaben und
Ziffern drucken lassen, deren eine Hälfte rot, deren andere schwarz
gedruckt ist. Hall man nun dem Verdächtigen vor das angeblich
blinde Auge ein blaugrünes, vor das rechte ein rotes Glas, so wird
er statt einer zweifarbig gedruckten Acht eine Drei lesen, wenn das
Auge wirklich blind ist, da das rote Glas des anderen Auges die
linke Hälfte auslöscht. Sieht er dagegen mit beiden Augen, so liest
er die ganzen Buchstaben und ist also entlarvt.
5. Jahrgang. Wien, Jänner 1918. 1. Nummer.
I »O trauert nicht, {
^ Daß ich dem Licht erstarb; ^
^ Ihr wißt nur, was ich verloren, ^
^ Ihr wißt nicht, was ich erwarb.« ^
^ A. V. Chamisso. (Der Blinde). ^
Der Einband des Blindenbuches.
Der Einband von Blindendruckwerken soll diese gegen Verlet-
zungen (Verbiegen und Verdrücken der Blätter) möglichst schützen.
Mit Rücksicht auf die Größe und die mit einer gegen Druck empfind-
lichen Reliefschrilt versehenen Blätter werden an den Einband besondere
Anforderungen gestellt. Mit größter Haltbarkeit soll er möglichste
Billigkeit verbinden, um die ohnedies kostspieligen Blindendruckwerke
nicht ins Unerschwingliche zu verteuern.
Die bisher übliche Art, Blindendrucke zu binden, entwickelte sich
in Anlehnung an die für Schwarzschrift geübte Buchbinderei. Dünnere
Hefte werden in der ganz gleichen Art mit Hanfzwirn oder in neuerer
Zeit auch mit Drahtklammern geheftet. Bei dickeren Büchern mußte
man von diesem Verfahren wohl abweichen. Der für die Reliefpunkte
zwischen den einzelnen Blättern notwendige Raum verlangte im Rücken
das Einlegen von Papierstreifen, eine umständliche und wenig prakti-
sche Arbeit. Gegenwärtig macht man diese Streifeneinlagen überflüssig,
indem man den gegen den Rücken stehenden Rand der einzelnen
Lagen in 1 bis 2 cm Breite umbricht und so die nötigen Zwischen-
lagen schafft. Nun spielt sich das Einbinden des Blindendruckes so wie
bei Schwarzdruckbüchern ab. Die Lagen werden in der Heftlade mittelst
Hanfzwirn auf Bänder oder einen Leinenstreifen geheftet wobei
auf eine möglichst gleichmäßige Lage der Blätter zu sehen ist, da das
Blindenbuch seiner ReUefschrift wegen nicht gepreßt und beschnitten
Seite 852.
Zeitschritt für das österreichische Blindenwesen.
1. Nummer.
werden kann. Auch beim Runden und Leimen des Rückens kann
das Buch nicht eingespannt werden, so daß hiebei besondere Vorsicht
notwendig ist, damit nicht der Leim zwischen die Lagen einfließt. Das
Versehen des Buches mit Deckel und Leinwandrücken erfordert eben-
falls besondere Aufmerksamkeit. Nach dem Aufleimen von Rücken und
Ecken, dem Kaschieren des Überzug- und Vorsatzpapieres mit Kleister
müssen die Deckel einzeln zwischen Eisenplatten gepreßt werden, da-
mit sich dieselben nicht verziehen.
Am wenigsten verständlich an dieser Art des Einbindens sind die
letztgenannten Arbeiten. Gewiß verlangt ein entsprechend starkes Blin-
denbuch feste Deckel mit Leinwandrücken und Leinwandecken ; bei
entsprechender Auswahl des Deckels erscheinen jedoch Überzug- und
Vorsatzpapier sowie die daran sich knüpfenden Arbeiten vollkommen
überflüssig. Da die Farbe des Überzugpapieres für den blinden Leser
nicht inbetracht kommt und das Vorsatzpapier viel besser durch einen
Leinwandstreifen zwischen Deckel und dem ersten bezw. letzten Blatte
ersetzt werden kann, liegt hier wohl nur ein übernommener Brauch vor,
der den Blinden nichts zu bieten vermag, den Einband jedoch unnötig
verteuert.
Auch in anderer Hinsicht findet sich beim Einband des Blinden-
buches ein unpraktischer Konservatismus vor. Dasselbe soll nämlich
den bestehenden Anschauungen nach möglichst mit Hanfzwirn und nicht
mit Draht geheftet sein, da diese Klamm srn Verletzungen der Hände
des blinden Lesers mit sich bringen können. Dabei wird übersehen,
daß bei entsprechender Stellung dieser Klammern eine solche Gefahr
gänzlich ausgeschlossen werden kann. In den letzten Jahren erscheinen
auch die Drahtklammern sowohl bei Heften als auch Einbänden von
Blindenbüchern, ohne daß die befürchtete Gefahr eintritt oder auch nur
erwähnt wird.
Es tritt also die Frage nach dem einfachsten, billigsten und dabei
zweckentsprechendsten Emband der Blindendrucke auf Dabei ist
zwischen dem Heften dünnerer und dem Embinden dickerer Werke zu
unterscheiden.
Die einfachste und beste Art des Hefte ns ist die mit-
telst Drahtklammern. Bis zu 10 Bogen und darüber geben Hefte
von verschiedener Stärke, die auch mit einem mehr oder minder starken
Umschlagpapier versehen wer-
den können. Die Stärke der
Drahtklammern hängt wieder
von der Stärke des Heftes ab.
Zum Heften mit Drahtklammern
sind besondere Heftmaschinen
mit Hand- oder Fußbetrieb not-
wendig, deren Anschaffungs-
preis ein verhältnismäßig gerin-
ger ist. Das Heften geschieht
am besten an zwei Stellen, die
der Länge des Rückens ent-
sprechend zu verteilen sind
(Siehe Abb. 1). Mitunter genügt
Abb. 1. Heft, aus einzelnen
Blättern bestehend.
1. Nummer.
Zeitschrift Ulf «las österreichische Blindenwesen.
Seite 853.
auch nur eine Klammer, bei gtößeief Länge des Rückens werden viel-
leiclit drei oder vier Klammern notwendig. Müssen einzelne Blätter
geheftet werden, so gesclüeht dies an den übereinander gelegten Blät-
tern bis zu 1 cm vom Rand entfernt (Abb. 1) Bei derartig zusammen-
gefügten Heften müssen
die Blätter beim Umlegen
niedergedrückt werden, da
das Heft sich nicht von
selbst auflegt. Besteht da-
her das Heft aus inein-
ander gelegten Bogen, so
sind die Klammern unbe-
dingt in der Mitte des
aufgeschlagenen Buches
aufzusetzen. Dabei ist zu
beachten, daß die Enden
der Klammern fest nieder-
gedrückt werden, damit
Abb. 2. Heft, aus Bo^en bestehend. Fingerverletzungen ver-
mieden werden. Solche sind ausgeschlossen, wenn die Enden am Rücken
zu stehen kommen und der Rücken zu größerem Halt und zum Finger-
schutz mit einem schmalen Leinwandstreifen überklebt wird. (Abb. 3).
Eine wesentliche Vereinfachung und Verbilli gütig
des Einbandes stärkerer Bücher liegt gegenüber dem bis-
her üblichem Brauch in nachstehend ausgeführtem Ver-
fahren. Auch hier kommt das Heften mit Drahtkiammern in Ver-
wendung und zwar werden die aus ineinandergelegten Bogen gebildeten
Lagen auf einen steifen Pappendeckelrücken geheftet. Man könnte
hiefür auch Hettbänder oder einen Leinwandrücken nehmen, doch bietet
gerade der Pappendeckelrücken den Vorteil, daß er jedem Druck
widersteht, dem Buche also wenigstens im Rücken festen Halt gibt.
Die einzelnen Lagen können aus 3 — 5 Bogen (6—10 Blättern)
bestehen. Bestehen die Lagen aus ineinander gelegten Bogen, so ist
ein Umbrechen des gegen den
Rücken stehenden Randes nicht
notwendig. Dies erweist sich viel-
mehr erst dann erforderlich, wenn
die Lage aus einzelnen Blättern
besteht. In diesem Falle darf die
Zahl der Blätter für eine einzelne
Lage nicht zu groß sein (4 — 6
Blätter).
Bei dem Aufheften der ein-
zelnen Lagen, bei denen wieder
die Enden der Klammern nicht
im Bug der Hefte sondern nach
rückwärts zu kommen haben, ist
Abb. 3. Heft, mit Deckeln und Rücken
versehen.
der Höhe der Punktschriftzeichen
wegen eine entsprechende Entfernung einzuhalten, die sich nach der
Stätke der Lagen zu richten hat. Jedem Bogen ist 1 Vj mm Raum
in der Breite zu gewähren. Heftet man also Lagen von 4, bezw. 6 Bogen,
Seit« 854.
Zeitschrift für das östereichische Blindenwesen.
1. Nummer.
SO sind die Lagen in 6, bezw. 9 mm Entfernung voneinander zu heften.
(Abb. 4).
Der Rücken, auf den die Lagen in entsprechendem Abstände
aufgeheftet werden, ist mit dem Buchdeckel verbun den, er bildet
den mittleren Teil
desselben. Als Buch-
deckel ist ein mög-
lichst zäher und fe-
ster Pappendeckel zu
wählen, dessen Stär-
ke sich nach der
Dicke des Buches
richtet. Da Über-
zugs- und Vorsatz-
papier wegfallen, ist
die Farbe möglichst
dunkel zu wählen,
denn lichte Deckel
schmutzen zu leicht.
Vor dem Einheften
der Lagen ist der
Abb. 4. Buch, auf Deckel geheftet.
Deckel in entsprechender Größe zu schneiden. Die Abmessungen des
Rückens richten sich nach der Zahl der Lagen; die der anschließenden
Deckel sind mit 1 cm Vorstoß über die Blattgröße anzunehmen. Der
Deckel bildet also ein großes Stück, in dessen Mitte der Rücken ange-
zeichnet wird. (Abb. 4). Damit die Deckel sich rechtwinklig umlegen,
ist der Deckel an den Rückenlinien bis zur halben Stärke ein-
zuritzen.
Nach dieser Vorrichtung des Deckels kann sofort an das Ein-
heften der Lage an einer kräftigen Heftmaschine geschiitten werden,
wobei die Entfernungen der einzelnen Lagen von einander ebenfalls
vorher angezeichnet werden können. Nun erfolgt noch die Ausfertigung
mit Rücken und Ecken. Um zu verhüten, daß die zur Hälfte eingeritzten
Deckel sich mit der Zeit
vom Rücken ablösen, klebt
man innen einen lichteren
Leinwandstreifen zwischen
Deckel und dem ersten
bezw. letzten Blatt. Für
Rücken und Ecken ist eine
stärkere Leinwand zu wäh- .
len, deren Farbe sich der
Deckelfarbe anpaßt, vor allem ^
aber nicht zu licht ist. Ist
die Rückenleinwand 3 cm
nach allen Seiten größer als Abb. 5. Fertig frebundenes Blindenbuch.
der Rücken selbst geschnitten, so wird sie mit Leim bestrichen, der
Rücken aufgestellt, die Leinwand an Rücken und Deckeln festgestrichen
und die oben und unten vorstehenden Teile nach innen eingeschlagen.
Noch leichter können die Leinwandecken befestigt werden, die wegen
1. Nummer. Zeitschiill tiir das österreichische Bliiidcnwcsen. Seite 855.
Beschädigung der Ecken des Deckels unerläßlich erscheinen. Bei diesen
Arbeiten ist darauf zu achten, daß nicht durch herausfließenden Leim
die Deckel beschmutzt werden.
Damit ist der Bucheinband fertig. Ein Pressen der Deckel ist über-
flüssig, da die Gefahr des Verziehens nicht besteht. Auf dem Rücken
des Buches kann Verfasser und Verfasser sowohl in Punkt- als in
Schwarzschrift angebracht werden. Bei der Steifheit des Deckels ist ein
Ablösen dieser Zettel nicht zu befürchten.
Ein derartiger Bucheinband entspricht vollkommen allen Anfor-
derungen. Die Arbeiten dabei sind höchst einfach und auf wenige
Handgriffe beschränkt, so daß bei der nötigen Ausstattung an Werk-
zeugen und Maschinen das Buchbinden, für jeden Fall aber das Heften
von Blindenschriften, durch Blinde selbst vorgenommen werden kann,
was bis jetzt leider nicht durchgesetzt werden konnte.
Zurück ins Leben.
Von einem Kriegsblinden.
An einem trüben Vormittag des Monats März 1915 machte sich
die Kompanie fertig zum Sturme, um ein Grabenstück den Franzosen
wieder zu entreißen. Nichts rührte sich auf der Gegenseite und
sprungweise gewannen wir Boden. Schon waren wir dem feiulichen
Graben näher gekommen, da empfängt uns ein rasendes Kleingewehr-
feuer, das jedes Vorwärtsdringen unmöglich macht. Es wird nach-
mittags und noch ist unser Ziel nicht erreicht. Aber die Zahl der
Angreifer ist so zusammengeschmolzen, daß es an der gleichen Stelle
aushalten heif3t, um sich bei Nacht zurückziehen zu können. Die
Granaten fahren fort, ihre unheimliche Melodie zu summen, da und
dort reißt eine krachend den Leib der Erde auf. Jetzt. — es ist
nachmittags etwa 5 Uhr — platzt vor mir eine, dann noch eine
Handgranate, die mich an Arm und Bein verletzt. Zugleich aber
schwindet alles um mich in tiefe Finsternis, und warm rieselt es mir
über das Gesicht. Die getroffenen Kameraden neben mir röcheln
schwer. Notdürftig suche ich mir den Kopf zu verbinden; aber das
erste Verbandpäckchen entfällt meinen Händen und die tastenden
Finger drücken es tief in den lehmigen Boden, sodaß es nicht mehr
verwendet werden kann. Das zweite Päckchen reicht zu einem mehr-
maligen Herumschlingen um den Kopf über die Augen . . . Die mit
Sehnsucht erwarteten Krankenträger kommen nicht, die Nacht läßt
jedoch etwss Ruhe in dem Kampf eintreten. Sie scheint kein Ende
nehmen zu wollen. Endlich verfalle ich in einen leichten Schlummer
— oder ist es Bewußtlosigkeit? — , aus dem mich das Röcheln der
Kameraden neben mir weckt. Nach seiner Angabc graut jetzt der
Morgen. Wir versuchen zusammen zurückzukriechen, aber es mir un-
möglich, ihn von der Stelle zu bewegen. Die Richtung aus der wir
anstürmten, weiß ich noch ungefähr - — so werde ich also allein ver-
suchen Hilfe zu holen. Von den feindiichen Granaten umschwirrt,
krieche ich, Schritt für Schritt, Meter für Meter für Meter, durch
einen zusammengeschossenen Wald, lasse mich über gestürzte Baum-
Seite 856. Zeitschrift für das österreichische Bhndcnwesen. 1. Nummer.
Stämme gleiten, bleibe immer wieder mit meinem Verband im Ge-
strüpp hängen — weiter nur immer weiter, der helfenden Hand ent-
gegen.
Ich hörte rechts von mir Stimmen, Gott sei Dank, die Rettung!
Frischen Mutes geht es jetzt vorwärts und bald heben mich ein, zwei
Paar hilfsbereite Arme in einem Graben: — »prisonnier« höre ich . . .
Ich war den Franzosen in die Hände geraten.
Trotz all meiner Bitten und Bemühungen mußte ich noch ein-
einhalb Tage im feindlichen Graben im Granatfeuer der Un-
seren aushalten, dann wurde ich in einem Barackenlazarett in Toul
nach Tagen operiert. Und auf alles Fragen und Drängen wurde mir
während meiner Gefangenschaft immer wieder die Auskunft zu teil :
das eine Auge sei vollständig verloren, auf dem anderen aber werde
ich in drei bis vier Monaten wieder sehen. Langsam erholte sich der
Körper, und ich freute mich wie ein Kind auf den Augenblick, der
die entsetzliche Finsternis beenden, mir das Licht der Sonne wieder-
geben sollte. Als ich erfuhr, ich solle ausgetauscht werden, dämmerte
mir etwas Furchtbares: Sollte man dich gar nimmer zum Kriegshand-
werk brauchen können? Solltest du dauernd blind bleiben? — Im
Lazarett in Lyon vergingen noch zwei entsetzliche Monate voller
Zw^eifel, Hangen und Bangen mit dem Verdammtsein zur Untätigkeit
ohne jede Bewegung in frischer Luft: es war zum Wahnsinnigwerden.
Der heißersehnte Austausch kam endlich zustande und am 11. Juli 1915
waren wir wieder unter Landsleuten in Konstanz. Welch ein Gefülil
wieder in der Heimat zu sein! In den nächsten Tagen in Karlsruhe
wurde mir endlich die Gewißheit über mein Geschick die, wenn auch
noch so furchtbar, mir doch willkommener war, als der bisherige
Zustand der Zweifel. Beide Augen waren mir herausgenommen.
— »In drei bis vier Jahren werden Sie so weit sein, daß Ihnen das
Leben wieder lebenswert und schön erscheint«, suchte mich der
Arzt zu trösten. So lange aber sollte es, Gott sei Dank, nicht
dauern.
Nach den ersten Tagen des Zerschmettertseins bereits suchte ich
aus dem mir Gebliebenen mein Leben wieder aufzubauen. Ich erforschte
und erwog alle Möglichkeiten, um der Untätigkeit zu entrinnen und
vorwärts zu kommen. Im Lazarett in Nürnberg begann die Arbeit
zur Wiedererlangung der Selbständigkeit. Zuerst galt es, die Scheu
vor den Menschen zu überwinden und zu lernen, sich wieder frei
unter ihnen zu bewegen, dann versuchte ich, mich in den Bedürfnissen
des täglichen Lebens der Abhängigkeit zu entledigen, zog mich wieder
allein an, wusch und kämmte mich selbst. Um die Verbindung mit
der Geisteswelt nicht zu verlieren, lag mir die Erlernung des Lesens
und des Schreibens der Punktschrift sehr am Herzen und wie glück-
lich fühlte ich mich schon bei den ersten Fortschritten ! Bereits nach
einigen Wochen las ich mit dem Finger, wenn auch noch stockend,
doch mit vielem Vergnügen: »Die Pfingstnacht« von Rosegger. Um
auch in der Musik wieder Zerstreuung zu finden, machte ich mich
nach sechs Wochen Vollschriftstudien an die etwas umständliche
Notenpunktschrift und nach weiteren zwei Monaten an die Kurzschrift.
Das Schreiben auf der Punktschriftmaschine enthob mich bald des
1. Nuniinei. Zeitschrift für das östnreicliisrlic HliiKlttiutsci». -Seite 857 .
langsamen Schreibens mit Tafel und Stilt, Und heute könnte ich
die Punktschrift nicht mehr missen, ersetzt sie mir doch zum großen
Teil die Flachschrift der Sehenden. Mit dem Maschinenschreiben war
ich bereits früher vertraut gewesen, und so ging sofort mein Bestre-
ben dahin, mir sowohl in Bezug auf Sicherheit als auf Schnelligkeit
wieder die alte Gewandtheit auf der Schreibmaschine der Sehenden
zurückzuerobern. Freilich lernte ich jetzt mein Finger besser ausnützen:
statt mit zwei, schreibe ich jetzt mit zehn Fingern. Die Handhabung
der Rechentafel und des Reißbrettes für Blinde, sowie die Benützung
der Reliefkarte überzeugten mich von den Fortschritten des Blinden-
bildungswesens. Nebenbei nahm ich auch die ersten Klavierstunden.
Nach sechsmonatlicher Ausbildung drängte es mich, mein früheres
Wissen und die mir verbliebene Arbeitskraft wieder in einem Beruf
zu verwerten : Glücklicherweise ward es mir vergönnt, wieder meine
frühere Tätigkeit aufzunehmen. Ich hatte bei Ausbruch des Krieges
die Prüfung für den mittleren Verwaltungsdienst bestanden und dank
dem Entgegenkommen meiner Heimatbehörde ging es gleich nach
meiner Heimkehr wieder ans Einarbeiten in das Amt, das ich als
Sehender bekleidet hatte.
Ich nehme jetzt beim Versicherungsamt wieder die Protokolle
auf und entwerfe wie früher die einschlägigen Verfügungen. Wo ich
mit der Schreibmaschine nicht mehr zurechtkommen kann, wie beim
Ausfüllen von Formularen, erfolgt dasselbe nach meiner Angabe
durch eine sehende Hilfe. Diese schlägt inir die Gesetzesbestimmun-
gen und Kommentare nach meinen Anweisungen auf und leistet mir
auch sonst die kleinen Dienste, ohne die ein Nichtsehender beim
besten Willen nun einmal nicht auszukommen vermag, z. B. wenn
ich den Faden beim Maschinenschreiben verliere u. dgl. Besonderes
Gewicht lege ich gleich von Anfang an auf den Umgang mit den
beim Amt vorsprechenden Personen. In der mündlichen Auskunfts-
erteilung und Aufklärung bin ich durch nichts behindert, und so
gewährt mir die Arbeit beim Vollzug der sozialen Gesetzgebung die
gleiche Befriedigung wie als Sehendem. Erfolge meines redlichen
Bemühens bleiben auch nicht aus und verursachen mir jetzt noch
größere Freude als früher. Die Arbeit läßt mich oft meinen Zustand
ganz vergessen und zu meinem Ergötzen merkt auch mancher, der
zu mir ins Bureau kommt, nichts von dem Gebrechen, das eine
dunkle Brille verdeckt. Allerdings machte es mir die Sonderstellung
die der Blinde bisher im täglichen Leben einnahm, zu Anfang nicht
leicht, mich einzugewöhnen. Gar manchmal galt und gilt es noch
heute, das nutzlose Mitleid und unaufhörliche lästige Bedauern abzu-
schütteln, ohne das die Leute nun einmal nicht auszukommen glauben.
Auf der Straße habe ich mich zu bewegen gelernt, ohne mich
des Armes des begleitenden Sehenden zu bedienen. Das Schwimmen,
das ich als Nichtsehender im Hallenschwimmbad versuchte, setze ich
auch im freien Flusse fort. Im geselligen Zusammensein stehe ich
den Sehenden gegenüber nicht mehr zurück, ich spiele meinen Schaf-
kopf wie früher mit in Punktschrift gezeichneten Karten, ich kegle
wieder und es gelingt mir oft, einen einzelnen Kegel herauszustechen,
und ich genieße die Freuden des Gcsellscliaftslebens so gern wie
Seite 858. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 1. Nummer.
ehedem. Ebenso habe ich mir auch den GenuiS an der Natur wieder
erobert : Der Sonnenschein freut mich genau so wie als Sehendcrt
und beim Wandern über Stock und Stein bin ich wieder der alte.
So suche ich, Schritt fijr Schritt, die Hindernisse zu überwinden,
die mir das Schicksal in den Weg geworfen hat. Durch diesen bestän-
digen Kampf mit den Schwierigkeiten wird die Willenskraft in weit
höherem Maße gesteigert, als es bei dem Menschen der Fall ist,
dessen Leben sich immer auf ebener Bahn bewegt: So lange nur
die geringste Aussicht besteht, eines Hindernisses Herr zu werden,
gibt es kein klägliches »Ich kann nicht«, sondern nur ein eisenfestes
»Ich will.« Und das Wollen wird dann schon zum Können verhelfen.
Es genügt mir auch nicht mehr, mich geistig auf der gleichen Stufe
wie als Sehender zu halten, ich habe mir als Blinder ein höheres
Ziel gesteckt. Und so habe ich auf meine Lebensfahne geschrieben :
»Mach die Schranke dir zur Staffel, die zur Höhe führt.« —
Hans Schmaifuß.
Die Versorgung von Spät-Erblindeten.
Es dürfte — trotz der Schwere der jetzigen Zeit — nicht
unberechtigt sein, eine Anregung zu geben, die die Versorgung von
Leuten, die im späteren Alter ganz oder teilweise erblindeten,
bezweckt. Wenn auch ungemein große Anforderungen an Behörden
und an die öffentliche Mildtätigkeit zugunsten der Kriegsblinden
und der übrigen Zahllosen, die — im Gegensatze zu gar Vielen —
als Opfer des Krieges zu betrachten sind, gestellt werden, so soll
doch nicht jener Bedauernswerten vergessen werden, die bei spät
eintretender Erblindung in bestehende Anstalten nicht eintreten können
oder wollen. Die Blindenversorgungsanstalt in Wien, Josefstädter-
straße, ist vorzugsweise für arme Blinde, die eine Blindenerziehung
genossen haben, geschaffen und ununterbrochen ganz besetzt; ein
geplanter Erweiterungsbau wurde durch den Krieg vereitelt und wohl
auch für lange hinausgeschoben. Bei der Aufnahme wird überdies
fast immer an der seit jeher bestehenden Altersgrenze von dreißig
Jahren festgehalten. — Das Blindenhaus im städtischen Versorgungs-
heim in Lainz kommt hier wenig inbetracht, eher das Altersheim
recht verfehlt »Greisenasyl« genannt! in der Gentzgasse in Wien;
doch fühlen sich erfahrungsgemäß Blinde unter vielen Sehenden auf
die Dauer nicht recht wohl. — Die Anstalt zur Ausbildung später
Erblindeter, die seit Jahren sehr erfolgreich wirkt, erfüllt einen schönen
Zweck, indem sie jüngere dieser Unglücklichen in den .Stand setzt,
wieder werktätige Glieder der Gesellschaft zu werden, sei es in ihrem
früheren Berufe oder vermöge einer in der Anstalt erworbenen anderen
Befähigung. — Nach einer Anstalt aber, die bemittelten Blinden im
vorgeschrittenen Alter — vorwiegend gegen Bezahlung — Ver-
pflegung und Beschäftigung bietet, besteht zweifellos ein Bedürfnis;
dies beweisen die vielen, sich mehrenden Anfragen. Es sind meistens
Angehörige der mittleren Gesellschaftsschichten, Beamte, Private, die
oft nach einem arbeitsreichen Leben ihr Aupfenlicht einbüßen und
1. Nummer. Zeitschrift für das österreicliische Blindeinvescn. Seite 859.
nun, meist auf einen mäßig^en Ruhegehalt oder andere Einkünfte
angewiesen, sich nach einer Unterkunft sehnen, wo sie nicht als unbe-
quem empfunden werden und eine Beschäftigung finden, die ihnen
über ihre traurigen Tage hinweghelfen kann.
Es iiaben sich wohl einige »Pensionen« angekündigt, die solche
Wünsche zu erfüllen in der Lage wären ; doch können sie nur eine
kleine Zahl aufnehmen und dürfte wohl auch für die meisten zu teuer
sein, da sie auf Gewinn berechnet sind. — Eine Anstalt, die ihren
Zweck erfüllen sollte, müßte im Anschluß an eine schon bestehende
Einrichtung (Verein oder Blindenanstalt) errichtet werden, wie dies
in jüngster Zeit geschah, wo das Kaiser Karl-Kriegsblindenheim in
eine gewisse Verbindung mit dem Arbeiter-Blindenheim (im 13. Bezirke
in Wien) gebracht wurde. Die Vorteile, die sich aus einer Angliederung
sowohl in geldlicher als auch zweckdienlicher Beziehung — nament-
lich für den Anfang — ergeben würden, sind leicht zu erkennen. —
Möge diese Anregung auf fruchtbaren Boden fallen, um nach dem
Kriege, wenn der gewaltige Umschwung auf allen Gebieten einsetzen
wird, günstig emporzukeimen.
Wien. O. St.
Ministerium für Volksgesundheit.
Nach der Gründung des Ministeriums für soziale Fürsorge wird
die Errichtung eines Ministeriums für Volksgesundheit für Österreich
angekündigt. Aus dem für dieses Ministerium in Aussicht genommenen
Wirkungskreise, der alle Angelegenheiten der Volksgesundheit umfas-
sen soll, ist für uns die »Gesundheitliche Jugendfürsorge«
von Bedeutung und zwar insbesonders : Die gesundheitlichen Angelegen-
heiten der Kleinkinderfürsorge, Mitwirkung in gesundheitlicher Hin-
sicht bei den Fürsorgeeinrichtungen für die Jugend (Kindergärten
Heime u. dgl.), Aufstellung für die Schulgesundheitspflege, Gesund-
heitspflege für die beruflich tätige Jugend, Fürsorge für die
körperHch oder geistig minderwertige Jugend, nament-
lich Anstalten für schwachsinnige, geistig abnormale, blinde, taub-
stumme und kriippelhafte Kinder, vorbehaltlich des dem Ministerium
für Kultus und Unterricht in Fragen der Erziehung und des Unter-
richts zustehenden Wirkungskreis, Bekämpfung der Infektionskrank-
heiten, Berufs- Gewerbe- untl Unfallshygiene, gesundheitliche Fürsorge
für die Kriegsbeschädigten, Statistik des Volksgesundheitswesens.
Bei der Errichtung des Ministeriums für soziale Fürsorge war
man allgemein der Ansicht, daß die angeführten Aufgaben diesem
Ministerium zufallen würden. Nun erscheint das neu zu errichtende
Ministerium für Volksgesundheit hiezu berufen und es findet dadurch
wieder eine Trennung nahe beieinanliegender Agenden statt, was
bereits mehrfachen Widerspruch hervorgerufen hat. Wie unseren
Lesern aus der vorigen Nummer bekannt ist, hat der »Zentralverein
für das österreichische Blindenwesen« mit einer Petition die Schaffung
einer »Zentralstelle für die österreichische Blindenfürsorge« im
Seite 860. Zeitschrift für das österreiciiische Biindenwesen. 1. Nufifimer.
Ministerium für soziale Fürsorge angeregt. Im Falle der Einrichtung
einer solchen Stelle würde derselben durch das Ministerium für
Volksgesundheit natürlich ein Teil ihrer Aufgaben entzogen werden.
Die Blindenschule.
Von Josefine Moos.
Sie waren plaudernd durch den Wald gekommen,
Die kleinen Blinden mit der Lehrerschar,
Man hieß sie froh und liebevoll willkommen
Im schmucken Gasthaus, wie in jedem Jahr.
Sie taten gütlich sich an Speis' und Trank,
Der Garten klang von hellem Janchzen wider
Und vor dem Scheiden sangen sie zum Dank
Mit hellen Stimmen ihre Kinderlieder.
Und frisch und jubelnd klang es in die Runde —
Nie mochten Klänge so zu Herzen gehn.
Wie jene Botschaft von der Blinden Munde:
»Wie ist die Erde doch so schön, so schön!«
Mir floß es von der Wimper feucht und heiß,
Es hat mich länger nicht im Saal gelitten J
Ich stahl mich heimlich aus dem Lauscherkreis —
Nie hat ein Lied mir so ins Herz geschnitten.
Und wie im Traum ließ ich die Blicke schweifen
Bis zu den Abendwolken goldgetränkt
Und ließ die Finger durch die Blüten streifen,
Als würde mir dies alles neu geschenkt.
O Gott, was wußten jene von der Pracht,
Die sich so reich auf Flur und Wald ergossen;
Es drang kein Strahl in ihrer Seele Nacht
Und alle Schönheit war dem Blick verschlossen.
Und doch! Die Kleinen schienen nichts zu missen,
Es lebte jedes seine eigne Welt,
Sie halfen sich einander dienstbeflissen
Und schieden froh, das Herz von Dank geschwellt.
Und wanderten mit Lachen und mit Singen
Das Dorf iiinunter, fröhlich Hand in Hand,
Ich hört' es lange noch herUberklingen
Bis zu dem Wegrain, wo ich lauschend stand.
(Stadt Gottes).
Personalnachrichten.
— Auszeichnung. Dem Viohnlehrer des k. Ic. Bliiiden-Erziehungs-Institutes
in Wien II, Herrn Karl Eich) er, wurde in Anerkennung seiner 32jährigen Tätigkeit
anläßlich seines Übertrittes in den bleibenden Ruhesland das silberne Ver-
dienstkreuz mit der Krone verliehen.
1- Niimniier. ^tiitschiift für d.is (isteneichisrhe Blindenwesen. Seite 861.
Aus den Anstalten.
— N. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf. Weihnachtsfei-
er. Am 21. Dezembtr 1917 vei sammeltens ich die Gönner und Freunde im Kestsaale
der Anstalt zur Weihnachtsfeier, die noch immer keine Friedensfeier sein sollte.
Doch hat das Friedenshoffen, das aus dem fernen Osten aufgeleuchtet ist, auch in
diesen kleinen Raum sein verheißunirsvolles Licht gestrahlt. .Schon die Zusammen-
stelluntj der AufführuniJ sjMenelte dies wieder. Fachlehrer Krtsmary hatte eine
Reihe von Chören voiberiitet, die von den Zö^dingen in musterhafter Weise
gebracht wurden. Besonderes Interesse erweckten die altertümlichen Klänge des
Chores von L. Schröter »Freut Euch, ihr lieben Christen« aus dem Jahre 1587
und des Liedes »Gott in der Höh' sei Lob und Preis!« von Bruder A. Hansen,
einem ehemaligen Anstaltszögling. Viel Beifall fand die Weihnachtsdeklamation» von
O. Wanecek »Weiiinachtsfriede.« Ebenso die bedeutenden Leistungen des An-
staltsorchester und seiner Solisten. Bemerkenswert war die Darbietung des Kon-
zertes für zwei Violinen von J. S. Bach und des Violinkonzertes von Richard
S t r a u ß.
Direktor Bürklen konnte eine große Schar von Festgästen begrüßen,
unter ihnen den warmherzigen Förderer der Anstalt Landesausschuß L. Knnschak,
Pfarrer Doczkal i k, Landessekretär Gemeinderat Dr. Hemala u. s. w. Landes-
ausschuß Kunschak brachte den Friedensgedanken, der allüberall durch die Welt
geht und gerade zur Weihnachtszeit so eindringlich redet, mit innigen Worten zum
Ausdruck. Nicht besser konnte er enden, als daß er des Friedenshortes, unseres
Kaisers Karl gedachte. Mit den weihevollen Klängen der Volkshymne endete
die Feier.
— Kaiser Karl-Kriegsblindenheim in Wien XIII. In dem in der
»Reichspost« vom 21. Oktober 1. J. enthaltenen Artikel »Das Kaiser Karl Kriegs-
blindenheim« ist bemerkt, daß das Kaiser Franz Josef-Blindenarbeiterheim und das
Kaiser Karl Kriegsblindenheim Mangel an physischem und religiösem
sem Lichte zeigen, weil die Wohnräume meistens gegen Norden gerichtet, düster
und kühl seien und ein Kirchlein fehle. Diese Bemerkung ist unrichtig, wie folgen-
der Tatbestand beweist. Das Kaiser Franz Josef-Blindenarbeiteiheim und das Kaiser
Karl-Kriegsblindenheim sind A r be i t er h e i m e, bei deren Einrichtung die Werk-
stätten, in denen sich die Blinden den größten Teil des Tages aufhalten, selbst-
verständlich als das Wichtigste betrachtet werden mußten. Im Kaiser Franz
Josef-Blindenarbeiterheime ist die Werkstätte für die Blinden gartenseitig mit den
Fenstern nach Süden und Westen und nur die Werkstätte für die Sehenden (Zu-
richterei) nach Norden gelegen. Im Kaiser Karl-Kriegsblindenheime hat die Werk-
stätte 13 Fenster nach Osten in den Garten und 6 Fenster nach Westen in den
Garten. Auch die Wohnräume für die Blinden wurden — soweit dies möglich war
— in beiden Anstalten mit den Fenstern nach der Sonn- und Gartenseite angelegt.
Im Kaiser Franz Josef-Blindenarbeiterheime sind für die Blinden 10 Wohnräume
mit den Fenstern nach Osten, Süden und Westen in den Garten und 10 Wohn-
räume nach Norden angelegt. Im Kaiser Karl-Kriegsblindenheime sind bei 6 Wohn-
zimmern für Blinde die Fenster nach Süden in den Garten und nur bei 5 Wohn-
zimmern nach Norden gerichtet. Alle nach Osten, Süden und Westen gelegenen
Räume sind sonnig und mit den Fenstern in den Garten gerichtet. Es können aber
auch die straßenseitig mit den Fenstern nach Norden gelegenen Wohnungen nicht
als düster bezeichnet werden, denn an der Nordseite beider Heime befindet sich
ein Vorgarten und zudem ist die durch ein Villenviei tel führende Baumgartenstraße
sehr breit, so daß sie reichliches Tageslicht und morgens und abends auch Sonne
hat. Auch für Wärme ist in den beiden Anstalten durch Niederdruckdampfheizungen
entsprechend gesorgt. Im Kaiser Karl-Kriegsblindenheime sind sogar die Gänge, die
mit Sitzplätzen und großen Fenstern nach der Süd- und Gartenseite versehen sind,
heizbar. Von einem Mangel an physischem Lichte oder an Wärme kann also bei
keinem der beiden Heime die Rede sein. Auch mit dem religiösen Lichte ist es
nicht schlimm bestellt. In die beiden Anstalten ist zwar kein Kirchlein eingebaut,
aber es ist die Baumgartner Pfarrkirche nur 5 Minuten entfernt, die von den
Heiminsassen gerne besucht wird. Ein in einem Nachbarhause in der Baumgartnerstraße
wohnender Bürgerschulkatechet, zu dem die blinden Arbeiter viel Vertrauen haben,
ist zu religiösem Rate und zum Tröste stets gerne erbötig. Der Leiter der beiden An-
stalten, der sich in katholischen Kreisen eines nicht unbedeutenden Ansehens
erfreut, und der erste Werkmeister, der im katholischen Vereinsleben durch eifrige
Seite 862. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 1. Nummer.
Tätigkeit bekannt ist, sind mit Erfolg bestrebt, auf das religiöse Leben der blinden
Arbeiter günstig einzuwirken. Auf die blinden Arbeiter, die gereifte Männer sind,
in religiöser Hinsicht einen Zwang auszuüben, ist aus mancherlei Gründen nicht
angezeigt. Wie vom Vereine zur Fürsorge für Blinde nach Errichtung des Kaiser
Franz Josef-Blindenarbeiterheimes die angrenzenden Baustellen erworben wurden,
um auf diesen im Bedarfsfalle ein zweites Haus — das Kaiser Karl-Kriegsblinden-
heim — erbauen zu können, so wurde nach F2rrichtung des letzteren unverzüglich
ein weiterer Baugrund im Ausmaße von 2800 Geviertmetern angekauft, um darauf
ein Blinden feierabendhaus erbauen zu können, wenn einmal eine größere
Anzahl der in den beiden Arbeiterheimen beschäftigten Blinden arbeitsunfähig und
eines Ruheplätzchen bedürftig sein wird. In dieses Blindenfeierabendhaus wird auch
eine Kapelle eingebaut werden, welche der Verfasser des eingangs erwähnten Ar-
tikels wünscht. Da es wiederholt vorkam, daß Zivilblinde nach ihrem Austritte aus
dem Kaiser Franz Josef-Blindenarbeiterheime um ihre Wiederaufnahme ins Heim
bat^n und daß Kriegsblinde, die zur Superarbitrierung kamen, den Wunsch äußerten,
nach der Superarbitrierung im Kaiser Karl-Kriegsblindenheime bleiben zu dürfen,
kann wohl angenommen werden, daß der Aufenthalt in den beiden Heimen nicht
unbehaglich ist. Es ist der Wille jener edlen Menschenfreunde und Wohltäter, die
durch Spenden zur Ausgestaltung und Förderung des Kaiser Franz Josef-Blinden-
arbeiterheimes und des Kaiser Karl-Kriegsblindenheimes beitragen, daß den Blinden,
die in den beiden Heimen Aufnahme finden, des Unglücks schwere Last soweit als
möglich erleichtertT werde. Und daß dieser Wille erfüllt werde, dafür sorgt das
Präsidium des Vereines zur Fürsorge für"Blinde in Wien. Karl Rosenmayer.
flus den Vereinen.
— Verein >Kriegsblindenheimstätten« in Wien. Der unter dem
Protektorate des Erzherzogs Karl Stephan stehende und durch Kommerzialrat
H. V. Grimm mit so großem Erfolg geführte Verein erstattet seinen Bericht über
das Vereinsjahr 1916. Der Bericht berührt die Entstehung des Vereines, seine her-
vorragende Sammeltätigkeit und die vielfachen Verstaltungen, die dem Vereine
mit Ende des Jahres 1916 mehr als 1 V2 Millionen K einbrachten. Während des
Jahres 1916 wurden insgesamt 15 Heimstätten für Kriegsblinde erworben, deren
Anschaffungspreis sich innerhalb der Grenzen von 2.500 bis 12.000 K bewegt und
für welche vom Verein unter Einrechnung der beim Erwerb der Heimstätten auf-
gelaufenen Spesen insgesamt ein Betrag von fast lOO.OOO K ausgegeben wurde.
Die Heimstätten verteilen sich auf die Kronländer folgendermaßen : Niederösterreich 5,
Böhmen 3, Mähren, Schlesien je 2, Oberösterreich, Salzburg, Kärnten je 1. Nach
dem Stande vom 1. September 191 7 sind f r 51 Kriegsblinde Heimstätten gekauft,
beziehungsweise Beiträge zu solchen gewährt. (Gesamtbetrag 372.473 K). Eine dem
Vereine geschenkte Heimstätte wurde an einen Kriegsblinden vergeben. In Behand-
lung genommen wurden 38 Gesuche und hiefür ein Betrag von 274.440 K bewilligt.
Dem Kollektivansuchen nachstehender Anstalten wurdo in d r Weise entsprochen,
daß die genannten Beträge zum Ankaufe von Heimstätten bewilligt bezw. reser-
viert wurden:
Kaiser Karl-Kriegsblindenheim in Wien für 16 Kriegsblinde 128.000 K
K. k. Blinden-Erziehungsinstitut in Wien für 12 Kriegsblinde 96.000 K
Tiroler Landeskommission in Innsbruck für 7 Kriegsblinde 66.000 K
Verein zur Ausbildung von Späterblindeten in Wien für 6 Kriegsblinde 48.000 K
Kärtnerische Landesblindenanstalt in Klagenfurt . . für 5 Kriegsblinde 40.000 K
Stevermärkische Landeskommission in Graz .... für 6 Kriegsblinde 36.000 K
Gal. Blinden-Erziehungsanstalt in Lemberg für 3 Kriegsblinde 24.000 K
Wohnungsbeiträge bis zur Versorgung mit Heimstätten im Ausmaße der
monatlichen 5 V2 Vo Zinsen des jeweils reservierten Betrages beziehen im Kaiser Karl-
Kriegsblindenheim in Wien 15 Kriegsblinde, im k. k. Blinden-Erziehungs-Institut in
Wien 12 Kricj^sblinde und im Verein für Spätererblindete in Wien 2 Kriegsblinde.
Herausgebar: Zentralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Bürkleo,
J. Kneis, A. t. HorTath, F. Uhl, — Druck tod Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
Für unsere Kriegsblinden.
— Kiicgsblindenkurs in Straß N. Ö. Der Direktor der n. ö. Landes-
Wcin- und Obstbauschule in Krems, Herr R. Weigl, der die fachliche Ausbildung
in diesem Kurse besorgte, veröffentlicht hierüber folj^ende Angaben. An dem Kurse
nahmen 12 Kriegsblinde teil. In dem Kurse wurden die Kriegsblinden, die bisher
in der Landwirtschaft tätig waren, in den einfachsten Arbeiten des Wein-, Obst
und Gemüsebaues unterwiesen. Auch im zweiten Jahre wurden bei diesem Kurse
sehr befriedigende Erfolge erzielt.
— Große Spende für den Verein »Kiiegsblindenheimstätten.«
Dem Kommerzialrat Heinrich v. Grimm wurde zugunsten des von ihm gegründeten
und geleiteten Vereines »Krie<4sblindenheimstätten« von einer Wiener Familie zur
Erinnerung an deren Eltern der Betrag von einer Viertelmillion Kronen Nominale
siebente österreichische Kriegsanleihe überwiesen. Diese hochherzige Spende, die
sich vorangegangenen Widmungen der gleichen Familie in beträchtlicher Höhe anreiht,
kommt dem Verein »Kriegsblindenheimstätten« in einer Zeit zugute, in der durch
die Ereignisse auf dem südlichen Kriegsschauplatze begreiflicherweise ein neuer-
licher Zuwachs an Kriegsblinden zu verzeichnen ist.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand F". nile Dezember I. J.
— Neue Freie Presse: 1,220.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 3,150.000 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 320.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 80.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 30.000 K.
Bücherschau.
Die Fürsorge-Einrichtungen der niederösterj- eichischen
Landesverwaltung zum .Schutze des Kindes. (Verlag des Landesaus-
schusses des Erzherzogtumes Österreich unter der Enns, Wien, 1917.) Die n. ö.
Landesverwaltung, deren Maßnahmen zur Kinderfürsorge das Land Niederösterreich
auf diesem Gebiete sowohl in ganz Österreich als auch dem gesamten Auslande
gegenüber an erste Stelle gestellt hat, schuf mit dem umfassenden und vornehm
ausgestatteten Werke einen brauchbaren Behelf für jene, die infolge ihres Berufes
oder ihrer freiwilligen Betätigung mit den Fragen des Kinderschutzes in Berührung
kommen. Der Inhalt des Werkes erscheint je nach der Hilfsbedürftigkeit der Kinder
in Gruppen gegliedert, in denen die betreffenden Anstalten und Einrichtungen der
Reihe nach eingehend besprochen werden, so Kapitel über Säuglingspflege, ver-
waiste und verlassene Kinder, sittlich verwahrloste und körperlich und geistige
kranke, blin<ie und taubstumme Kinder.
Der von Direktor K. Bürklen verfaßte Teil über die F"ürsorge für blinde
Kinder in Niederösterreich bringt Allgemeines über die geschichtliche Entwicklung
den gegenwärtigen Stand und die Zukunftsnotwendigkeiten auf diesem Gebiete.
Weiters ist die Gründung, Entwicklung, Einrichtung und Wirksamkeit der n ö.
Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf besprochen. Auch des mit n. ö. Landes-Stift-
plätzen bedachte Mädchen-Blindenheim »Elisabethinum« in Melk a. D. ist Erwäh-
nung getan.
In welch hervorragender Weise die n. ö. Landesverwaltung ihrer Aufgabe
der allgemeinen Kinderfürsorge gerecht wird, zeigt ein Jahresaufwand von 5 Milli-
onen Kronen, in dem die Ausgaben der Gemeindeverwaltung von Wien für diesen
Zweck nicht inbegriffen sind.
Zur Beaditung !
Die »Vor 1 agen für das Bauen mit Zündholzschachteln«
von F. Demal sind wegen der jetzigen Verhältnisse im Buchhandel
nicht erhältlich. Ihr Erscheinen wird seinerzeit angekündigt werden.
Bürklen Karl : Das Tastlesen der Blindenpunktschrift.
Nebst Beiträgen zur Blindenpsychologie von P. Grasemann-
Hainburg, L. Cohn-Breslau, W. Steinberg. VII, 93 Seiten
mit 6 Abbildungen im Text und 6 Tafeln.
Leipzig, Barth, 1917 . . M 5. —
(Beiheft 16 zur »Zeitschrift für angewandte Psychologie« heraus-
gegeben von L, William Stern und Otto Li p mann).
Inhalt: Das Tasllesen der Blindenpunktschrift nach besonderen Versudien
zu dessen Erforschung von K. Bürklen. Eine (Jntersudiung über das
Lesen der Blinden von P. Grasemann. — Beiträge zur Blindenpsycho-
logie von L. Cohn. — Der Blinde als Persönlichkeit von W. Steinberg.
== :fisyl für blinde Kinder ==
Wien, XVII., Hernalser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpflichtigen Alter aus allen österreichi-
schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
Die „Zentralbibliotheh füp Blinde in ÖsteppeiGli".
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Blinden-Unterstützungsverein
,,DiE PURKERSDORFER"
^A^ien V., Nikolsdorfergasse 42.
Zweck des Vereines: Unterstützung blinder Mit-
glieder. Arbeitsvermittlung lür Blinde. Erhaltung
per Musikalien-Leihbibliothek. Telephon 10.071.
Der blinde Modelleui»
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empfiehlt seine zu Geschenken sich
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Handarbeiten. Nähere Auskunft brieflich.
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Verkaufsstelle: Wien VII., INeubau^asse 75.
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G9
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Blinde unentgeltlich verliehen! I^J
von Oskar Picht»
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— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
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□
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Purkersdorf
bei Wien.
Österreichisches
Postsparkassen-
konto Nr.! 32.257
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D
Das Biatt erscheint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
D
D
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D
Bezugspreis
ganzjährig mit
Postzustellung
4 Kronen,
Einzelnummer
40 Heller.
D
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D
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D
5. Jahrgang.
Wien, Februar 1918.
2. Nummer.
INHALT: Direktor S. Heller, Wien: Das Tastlesen der Blindenpunktschrift.
Das Vorlesen in der Blindenschule. Eine österreichisdie Blindenzeitung.
H. Lingg: Gesang der Blinden. Personalnachrichten. Rus den Anstalten.
Rus den Vereinen. Für unsere Kriegsblinden. Verschiedenes. Bücherschau.
(Rltes und Neues. Ankündigungen).
B=
-H
D
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3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien Vlll,
g Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. [^
Om mO
flites und Meues.
Ein blinder Tönemeister aus dem XV. Jahrhundert.
Ein vielgefeierter und in der Kunstgeschichte genannter Töne-
meister Avar der im Jahre 1410 zu Nürnberg geborene • Konrad
P au mann. Frühe gänzlich verwaist, hatte sich der edle Ulrich
Grundherr und später dessen Sohn des ganz hilflosen Kindes
angenommen und seine unverkennbare Begabung in die rechten Wege
geleitet. Schon 1446 wird er trotz des »Mangels an seinem Gesicht«
als Organista von St. Sebald in einer Urkunde genannt. 1450 erhielt
er vom Rate die Erlaubnis, »seine Kunst auch auswärts zu weisen«
und sich weiter zu bilden. So ward ihm an den italienischen Fürsten-
höfen guter Name und hoher Ruhm: der Herzog von Ferrara bewährte
den Ruf eines freigebigen Hauses. Der zufällig anwesende Kaiser
Friedrich III, verlieh ihm ein brokaten Kleid nebst goldener Ehren-
kette, gab ihm ein köstlich Schwert und Ritterschlag. Auf dem Rück-
weg stellte ihn der für den Glanz seines Landes fürsorglich denkende
Herzog Albrecht III. an die Spitze seiner Kapelle, in welcher Eigen-
schalt Paumann am St. Pauli ßekehrtage (25. Jänner) 1473 aus dem
Leben schied. Sein gnädigster Herr stiftete ihm ein bleibend Epitaph
in Marmor, an der alten Liebfrauenkirche. Da ist der »Kunstreichst
aller Instrument und Musika Meister« sitzend abconterfait, auf dem
Knie eine doppelreihige Hausorgel mit 16 Pfeifen, ohne Tasten, aber
mit Druckknöpfen, worauf er mit der Rechten fingert, während die
Linke den windfütternden Blasbalg handhabt. An, der Rückwand
hängt eine breite Laute, über dem Haupt eine seltsame Flöte und
auf dem Knie eine schwere Schoßharfe; zu Füßen lehnt eine kurzhal-
sige Fiedel. Ein rührend Bild seines vielseitigen Schaffens. Eine
Nürnberger Maid hatte ihm tröstlich Herz und Hand geweiht. Zahl-
reiche Scholaren rühmten sich seiner Unterweisung und Lehre. Der
lustige Reimschmied Hans Rosenplüt feierte den Meister in seinem
1447 gefertigten »Spruch von Nürnberg«, folgendermaßen: »Mit contra
tenor vnd mit faberdon | mit primi tonus tenoriert er | auf elamy so
sincopirt er | mit resonanzen in accutis | ein trawrichs herrz | würt
freyes Mutes | wen er auss ottaf discantirt j vnd quint vnd vt zusamen
resamirt j vnd mit proportiones in gravibus | Respons antiffen vnd
introitus | Impin sequencen vnd responsoria | das tregt er als in
seinem memoria | ym was plicetum oder geschaczt | vnd was für
muscam wirt geschaczt | zu kores amtum kan er aussen j rundel
muteten kan er slugmaussen | sein haubt ist ein solchs gradual | zu
gemessen cantum mit solcher zal | das got hat selbs genotirt dor
ein I wo mag ein besser meister sein | dor vmb ich nürnberg preis
und lob I wan sie leit allen steten ob.«
»Würde man einen seiner Kunst wegen krönen, so sollte er
wohl eine goldene Krone tragen.«
5. Jahrgang. Wien, Februar 1918. 2. Nunnmer.
SÄ
»Während rings die Schöpfung lacht, ^
Ist die äuß're Welt uns Nacht; ^
Doch die inn re macht uns klärer ^
Mitgeteiltes Licht der Lehrer: ^
Lehrer! Heil Euch, Preis und Dank! ^
^ (Die blinden Zöglinge an ihre Lehrer). «j
Das Tastlesen der Blindenpunktschrift
von KarlBürklen.
Besprochen von Direktor S. Heller, Wien.
Die wissenschaftliche, insbesondere die psychologische Begründung
der Blindenpädagogik, deren Notwendigkeit allzulange in Frage gestellt
worden ist, hat nun Fortschritte zu verzeichnen, die immer wirkungs-
voller die Auffassung der gestellten Probleme vertiefen, die Bildungs-
gebiete stetig erweitern und die Ziele pädagogischer Tätigkeit planmäßig
erhöhen.
Die sent i ment al e Beurteilung des Wesens der Blindheit, welche
die unabänderliche Unzulänglichkeit des -von ihr Betroffenen, aber auch
seinen Anspruch auf mildtätige Unterstützung begründen sollte, und
eigentlich nichts anderes war, als die Verurteilung des Blinden zu einem
tatenlosen Scheinleben in erniedrigender Abhängigkeit, ist nun über-
wunden. Die Blindheit wird nicht mehr als eine Negation, sondein als
eine abgeänderte Form menschlicher Entwicklung zur Leistungsfähigkeit
bewertet, und die Bedingungen und Elemente zu dieser Entwicklung
werden aus psycho-physikalischen Experimenten und Beobachtungen
abgeleitet.
Unter den Schriften, welche nach dieser Methode treffliches
Material herbeischaffen und es für die wissenschaftliche Ausgestaltung
Seite 868. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen. 2. Nummer,
und für die Praxis der Blindenpädagogik verwerten, nimmt die vorlie-
gende Publikatiion einen ehrenvollen Platz ein. Diesei muß ihr nicht
allein wegen der exakten Untersuchungen, die sie anstellt und lückenlos
verbindet, sondern auch darum eingeräumt werden, weil sie Aulschlüsse
über das Tastlesen verspricht und nicht bloß diese, sondern auch
wertvolle Beiträge zur Lehre des Tastens überhaupt bietet.
Dabei muß hervorgehoben werden, daß der Autor, der modernen
Forschung folgend, graphische Darstellungen durch das Experiment
erzeugt, sie mit Maßzahlen interpretiert und mit freimütiger Erklärung
das Vorhandensein von Lücken zugesteht, die sonst durch Hypothesen
verdeckt werden.
Ein solcher Vorgang wirkt der falschen Analogie zwischen Gesichts-
und Tastsinn erfolgreich entgegen, von welcher Wundt (Seite 7)
sagt, »dafi sie die lange Geschichte der Überwindung von
Vorurteilen herbeiführte«, die aber auch der Blindenpädagogik
in ihren Bestrebungen und Zielen eine falsche Richtung gegeben hat.
Der Gang, welchen der Autor in seinen Untersuchungen und in
der Darlegung der gewonnenen Ergebnisse nimmt, sei in nachfolgenden
Sätzen zusammengefaßt :
Die Punktschrift und deren Anordnung im aufrechten
Sechspunktfelde eignet sich besonders für das Tastlesen,
für welche nicht die Punktzahl, sondern die charak-
teristische Form der Zeichen masgebend ist. — Die
gebräuchlichste Größe der Zeichen ist 7 mm Höhe und
4.5 mm Breite, der tauglichste Abstand zwischen 2 — 3 mm.
— Für das Tastlesen kommen besonders die Zeige- und
Mittelfinger der beiden Hände in Betracht. Der Arm- und
Körperhaltung ist eine besondere Bedeutung beim Tast-
lesen beizulegen. — Die mechanische Tätigkeit hierbei
besteht in verschiedenartigen Bewegungen der Finger
und Hände, zwischen welchen eine Arbeitsteilung statt-
findet. Diese Tastbewegungen sind teils Such- teilsErkenn-
barkeitsbewegungenundnach der Lesefertigkeit differieren
ihre Richtungen von der fortlaufenden Gradlinigkeit
bis zur Verworrenheit. — Mit den Tastbewegungen ist
ein entsprechender Fingerd ruck verbunden, der bei guten
Lesern gradlinig und gleichmäßig ist und bei Schwierig-
keiten sich mit den vermehrten Tastbewegungen erhöht.
— Die Abnahme derTastempfindlichkeit ist wie dieaUge-
meine Ermüdung auch nach stundenlangem Lesen eine
sehr geringe. — DasLesen vonWorten un d Sät zen erfolgt
durch Erfassung von Wortbildern, bei Schwierigkeiten
durch Zerlegung des Wortbildes. —
Den Höhepunkt dieser Grundsatzungen bildet die letzt angeführte,
die von der Erfassung der Wortbilder durch den Tastsinn handelt.
Ihr ist die Anmerkung des Autors (Seite 4) »Der Vorgang beim Tast-
lesen« entgegenzusetzen, daß über die innere Auflassung beim Tast-
lesen bisher keine Klarheit gewonnen werden konnte, eine Anmerkung,
die geradezu auffordert, an dieser Aufklärung mitzuwirken.
2. Nummer. Zeitschrift für das östeneicliische ßlindenwcsen. Seite 869.
Der Annahme, daß der Blinde in gleicher, oder in ähnlicher
Weise wie der Sehende, »Wortliilder« zu erwerben vermag, kann die
Berechtigung wohl nicht zugebilligt werden. Auch diese Annahme
fließt aus der falschen Analogie zwischen Gesichts- und Tastsinn, welche
Wundt als einen Irrtum bezeichnet.
Wenn der Blinde auch die Tastfunktion mit den Fingern beider
Hände zugleich in hochgesteigerter Fertigkeit ausübt, so kann dadurch
in keiner Weise der unwillkürliche Überblick des sehenden Auges
ersetzt werden, welcher das Charakteristische des Lesestoffes rasch
und sicher erfaßt. Werden auch durch das Tastlesen gleiche Resultate
wie durch das Lesen mit den Augen erworben, die Vorgänge bei
der Erwerbung differieren doch wesentlich und weisen deshalb auf
eigenartige methodische Mittel an.
Wird dem blinden Schüler die daktyle Untersuchung eines Gegen-
standes unbeeinflußt überlassen, so vollzieht er dieselbe in der Regel
nur fragmentarisch und beschränkt sich umsomehr darauf, je weiter
seine Intelligenz fortschreitet. Schon frühzeitig sucht er an den Objekten
fast unwillkürlich »Erkennungsmarken« auf, d. h. Merkmale, welche
ihn für eine sprachl i che Darstellung in den Stand setzen, die Gegen-
stände zu erkennen, zu unterscheiden und zu beurteilen. Diese Fertigkeit
wird bei verschiedenen Personen und Gelegenheiten verschieden ausgeübt
und bis zur Virtuosität gesteigert.
Solche Erkennungsmarken bildet der blinde Leser auch
individuell und spontan an Buchstaben, Wörtern, Wortverbindungen
und Sätzen, sowie für ihre Beziehungen unter einander aus. Sie produ-
zieren keineswegs Wortbilder, weil doch diese eine übersichtliche
gruppenweise Anordnung zur Voraussetzung haben, aber si*^ ordnen
wie diese den mechanischen Leseakt den reflektierenden und kombi-
nierenden Maßnahmen unter und bringen ihn so zu einer Geläufigkeit,
die ein Suchen kaum erkennen läßt. Somit ist die Fertigkeit im Tast-
lesen nur im Übergangsstadium des elementaren Unterrichtes, nicht
aber nach demselben ausschließlich oder auch nur vorzugsweise von
der Tastfähigkeit abhängig.
Was der Autor (S. 15) in wenigen Worten vortrefflich über den
Lesevorgang sagt, bleibt aufrecht; es soll hierzu nur angemerkt werden,
daß der blinde Leser zum Anfang eines nicht erkannten Wortes zurück-
kehrt, um die Erkennungsmarke erneuert aufzusuchen.
Nachdrücklich und überzeugend weist der Autor (S. 21) darauf,
hin, daß die Punktzahl durchaus nicht jene ausschlagende Rolle spielt
welche man ihr bisher zugewiesen hat, daß eine Gruppe dem Tastgefühl
größeren Anhalt gibt, als ein oder zwei Punkte, daß nicht die Punktzahl,
sondern die einheitliche Form des Zeichens als charakteristisches
Tastbild zur Auffassung kommt.
Die Übereinstimmung mit dem Autor wird sofort hergestellt,
wenn die Fassung akzeptiert wird, daß die Charakteristik und zugleich
die Lesbarkeit einer Punktgruppe umsomehr zunimmt, je mehr Gelegen-
heit sie zur Bildung von Erkennungsmarken bietet.
Sollen diese die Unterordnung des Leseaktes unter den psychischen
Vorgängen der Reflexion und Kombination herbeiführen, so müssen
Seite 870. Zeitschrift für das österreichische Bhndenwesen. 2. Nummer.
sie selbst möglichst ihrer mechanisierenden Merkmale entkleidet werden.
Dies geschieht am besten, wenn die Brailleschrift als System dem
Schüler zum vollem Verständnis gebracht wird, so daß er es im Bew'USt-
sein der darin ausgeprägten Ideen anzuwenden vermag. Es ist dem
Schüler nachzuweisen, wie die ersten grundlegenden 10 Zeichen durch
die Abstraktion der Grenzpunkte der Antiqua-Buchstaben entstanden
sind und wie für die Bestimmung des restlichen Alphabets das Prinzip
der Ableitung und der Gegensätzlichkeit in Anwendung gebracht wurde.
Besondere Bedeutung kommt dem Kapitel : »Der Vorgang beim
Tastlesen« auch darum zu, weil sein Inhalt als eine Bereicherung
der allgemeinen Blindenpsychologie bezeicimet werden kann. In gebo-
tener Kürze, aber mit aller Bestimmtheit wird auf die dem Blinden
eigentümlichen Tastbewegungen hingewiesen und auf die damit
verbundenen Tastzuckungen, die in ihrer Wesenheit Wundt als
keine ursprünglichen Reflexe, sondern als willkürliche Bewegungen
erscheinen und von denen Czermak vermutet, daß sie für den Blinden
das bedeuten, was dem Sehenden das Einstellen der Sehaxe ist.
Über die Tastbewegungen und die damit verbundenen Zuckungen,
welche wohl als unwillkürlich gewordene Tastbewegungen bewertet
werden können, sind bisher nur Hypothesen aufgestellt worden; sie
verdienen aber die genaueste Beobachtung u. zw. nicht bloß beim
Tastlesen, sondern in allen Fällen, in denen Tastfunktionen zur Erwer-
bung realer Erkenntnisse dienen. Die Ergebnisse werden Autschlüsse
darüber verschaffen, wie innere Vorgänge sich im Tastakte des Blinden
offenbaren. Mit Recht sagt der Autor: (S. 14) »Aus den beobachteten
Tastbewegungen ließ sich erkennen, daß das Tasten kein einfacher
sondern ein kombinierter Vorgang ist, bei dem neben den äußeren
auch innere Tastempfindungen mitspielen.«
Aut diese inneren Vorgänge weisen aber auch die von dem Autor
unternommenen Experimente bezüglich der Druckstärke hin. Wäh-
rend er findet, »daß das Tastlesen bei guten Lesern mit einem ver-
hältnismäßig geringen und gleichmäßigen Fingerdruck vor sich
geht« — demnach bei schlechten Lesern mit den gegenteiligen Er-
scheinungen — kommt er doch zu dem Schlußergebnis, »daß jeder
Leser aus dem charakteristischen Verlaufder Drucklinien
zu erkennen ist, so individuell sind diese Linien gestaltet.«
Damit ist gesagt, daß sich die Gleichmäßigkeit des Tastaktes und
und in ihrem Gegensatz Merkmale der Eigenart unkontrollierbarer
innerer Vorgänge konstatieren lassen und dies bestätigt im weiteren
Sinne die Annahme, daß der Blindenunterricht die Schüler zu den
verschiedensten Leistungen wohl anleiten, nicht aber die freie, der
Individualität des Schülers angemessene Ausführung bestimmen kann.
Der Hinweis des Autors darauf, daß das Tasten nicht bloß beim
Tastlesen, sondern im allgemeinen keine einfache sondern eine kom-
binierte Aktion ist, mußte notwendig dazu führen, die Faktoren
dieser Kombination in Betracht zu ziehen. Als solche erkennt der Autor
(S. 14) die von Th. Heller aufgestellte Unterscheidung von synthe-
tischem und analysi er en dem Tasten unr^ die Lehrsätze an, »daß
das synthetische Tasten (mittelst des Raumsinnes der Haut) nicht ge-
nügt, um dem Blinden adäquate Vorstellungen zu schaffen, sondern
2. Nummer. Zeitschrift lüi das österreichische iJliii(ieiuvi-t en. Seite 871.
daß hierzu das Tasten mit bewegten Tastorganen (analysierendes
Tasten) unentbehrlich ist, daß das unvoUkotninene synthetische Tasten
nichts anderes veimittelt, als ein schematisches Gesamtbild kleiner
Objekte, das erst durch analysierende Tastbewegungen verdeutlicht
werden kann.« — Unverkennbar steht das syntiietische Tasten mit der Ge-
winnung der oben abgehandelten »Erkennungsmarken« in Bezie-
hung, wird das analysierende Tasten dazu verwendet, zunächst
Ungenauigkeiten zu korrigieren, dann Größe, Gestalt, Anordnung der
Details, Stoff und andere Merkmale nach ihrer Wesenheit zu bestimmen.
Geradeso, wie das analysierende Tasten zur genauen detaillierenden Deutung
also zur Vergeistigung nicht entbehrt werden kann, ist das synthetische
zur Schaffung von Grundlagen umso notwendiger, als es Eninnerungs-
bilder an gleiche oder ähnliche Objekte erweckt. Das synthetische Tasten
liefert also die konkrete Grundlage für die psychischen Vorgänge, die
durch das analysierende Tasten herbeigeführt werden und in ihrem
Umfange und ihrem Werte durch Aufgaben Fragen und Anregungen
eines geistbildenden Unterrichtes hochgesteigert werden können. Der
Charakter des analysierenden Tastens hängt von dem Zwecke ab, der
ihm gegeben wird ; er ist fragwürdig, wenn das Tasten der Beschrei-
bung allein, er wird beherrschend, wenn er auch der zielbewußten
Nachbildung (dem Modellieren und der Handfertigkeit) dient. Damit
ist ein methodisches Gesetz für den Blindenunterricht
gegeben.
Das große Verdienst, welches sich der Autor durch die vorliegende
Arbeit erworben hat, würde er noch erhöhen, wollte er seine Unter-
suchungen auf die blinden Kinder, die das Lesen eben erlernen,
ausdehnen. Die dadurch zu erzielenden Ergebnisse würden die er-
wünschte Gelegenheit bieten, Fragen zu erörtern, welche in dieser
Besprechung unbeantwortet bleiben mußten.
Das Vorlesen in der Blindenschule.
Den Zöglingen der Blindenanstalten wird durch die mehr oder
minder reich ausgestatteten Schülerbücherei Uektüre in Punktschrift
geboten. Dem Lesebedürfnis der Zöglinge vermögen aber auch die
best ausgestatteten Schülerbüchereien'nicht zu genügen, denn die darin
enthaltenen Büehsr sind meistens bald durchgelesen; für keinen Fall
reichen sie für eine Bildungszeit von einem Jahrzehnt und darüber.
Es darf auch nicht vergessen werden, daß die Zahl der Jugend-
schriften in Punktdruck eine äußerst geringe ist, denn der größere
Teil der Punktschriftliteratur wurde ja für Erwachsene geschaffen.
Es heißt also diese Lücke durch handschriftliche Übertragungen aus-
zufüllen. Aber auch bei dem größten Eifer des Verwalters einer
Schülerbüchcrei in der Beschaffung von Jugendschriften in Punktdruck
bleibt er sich gegenüber den Wünschen der jungen Leser der Unzu-
länglichkeit seines Bücherschatzes bewußt. Außerdem kostet es ihm
große Mü'he, jeden einzelnen Leser eine entsprechende Stufenfolge
im Lesestoffe einhalten zu lassen, so daß die Lektüre oft genug zur
Planlosigkeit ausartet, besonders wo den ■Wür>sChen der Leser frag-
los nachgekommen wird.
Seite R72. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 2. Nummer.
Die Unzulänglichkeit der SchülerbUcherei hat zur Einführung von
besonderen Vorlesestunden in den Blindenanstalten geführt.
Die Vorteile dieser Vorlesestunden liegen auf der Hand. Es kann
der Lesestoff nicht nur einer größeren Anzahl von Zuhörern darge-
boten werden, sondern das lebendige Wort wirkt in einem fesselnden
Vortrage auch ganz anders als der tote Buchstabe. Von besonderem
Werte ist es schließlich, die Lektüre durch das Vorlesen vollkommen
planmäßig gestalten zu können. Das geschieht dadurch, daß die
Zöglinge nach Bildungsgruppen bis zu 20 zusammengefaßt werden
und der Lesestoff der Stufe entsprechend ausgewählt wird.
Die Vorlestunden liegen wohl außerhalb des Unterrichtsrahmens.
Dennoch darf die Beziehung hiezu nicht außeracht gelassen und eine
möglichst innige Verknüpfung mit dem jeweiligen Unterrichtsstoffen
angestrebt werden. Am ehesten kann dies erreicht werden, wenn ein
Klassenlehrer der betreffenden Bildungsstufe das Vorlesen übernimmt.
Sowohl diese Rücksicht, als auch die Notwendigkeit eines einwand-
freien Vortrages verlangt einen pädagogisch gebildeten Vorleser. Von
der Verwendung einer beliebigen Person, die sich vielleicht freiwillig
für das Vorlesen meldet, ist wenig oder gar nichts zu erwarten.
Natürlich ist das gelegentliche Auftreten eines Vortragsmeisters, der
Formvollendetes darzubieten vermag, damit nicht gemeint.
Die peinlichste Sorgfalt erfordert die Auswahl des Lesestoffes
für diese Stunden. Bei den Zöglingen sind die Vorlesestunden darum
besonders beliebt, weil sie das Vorgetragene nicht nur in aller Be-
quemlichkeit aufnehmen können, sondern die Vorlesestunde als reine
Unterhaltungsstunde auffassen und dem Vorlesenden mit ihren Bitten
gern in dieser Richtung zu lenken suchen. Hiezu soll nun die Vor-
lesestunde niemals herabsinken, wenn sie ihren Zweck erfüllen soll.
Es ist vielmehr Belehrungs- und Unterhaltungsstoff in angemessener
Abwechslung darzubieten. Wie schon gesagt, liegt jedoch in dieser
Zusammenstellung des Lesestoffes die Hauptschwierigkeit und es wäre
mit Freuden zu begrüßen, wollten sich die Anstalten über die
Grundzüge eines Leseplanes, der alle Bildungsstufen zu
umfassen hätte, einigen. Es sollte ein Canon von Lese-
stoffen geschaffen werden, der für jeden Fall gelesen
werden müßte. Die Angabe der Altersstufe und der Lesezeit für
jedes Stück, könnte dem Vorleser eine solche Auswahl ermöglichen,
daß er auch nach seinen eigenen Wünschen Rechnung zu tragen
vermöchte.
Einen besonderen Platz in den Vorlesestunden hat die Zeitung
einzunehmen. Was daraus den Zöglingen mitzuteilen ist, muß natür-
lich dem Vorleser überlassen werden. Dies allein ist Grund genug,
nur eine pädagogisch gebildete Lehrkraft zum Vorleser zu wählen.
Schließlich soll kein Stück gelesen werden, ohne daß die Zög-
linge angeregt werden, sich über das Gehörte auszusprechen. Anderseits
darf die Vorlesestunde dadurch nicht zur Unterrichtsstunde werden.
Aber es erscheint äußerst wertvoll, das Gehörte in ein paar Sätzen
zusammenzufassen, vielleicht eine Nutzanwendung zu ziehen und damit
das Aufgenommene im Gedächtnisse der Zuhörer zu befestigen.
2. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Hlindenweseii. Seite 873.
Die Zahl der wöchentlichen Vorlesestiinden ist in den Anstalten
sehr verschieden. Vor einem Übermaß dieser Stunden muß ebenso
gewarnt werden, wie davor, die Stunden dann abzuhalten, wenn
gerade Zeit hiezu ist. Die Vorlesestunden sind vielmehr fest anzusetzen
und regelmäßig abzuhalten. Das Ausmaß von zwei Wochenstunden
für jede Gruppe erscheint vollauf genügend.
Eine österreidiische Blindenzeitung.
Wir stehen vor der erfreulichen Tatsache, den langgehegten
Wunsch der Blinden Österreichs nacli einer Zeitschrift in Punktdruck,
die unter dem Titel »Österr. Blindenzeitung« vorerst monatlich, später
in kürzeren Zeiträumen erscheinen soll, der Erfüllung nahe zu sehen.
Das Verdienst, die Herausgabe dieser Zeitschrift ermöglicht zu haben,
gebührt dem Verein »Technik für die Kriegsinvaliden« (Aktion
Geheimer Rat Wilhelm Exner) und innerhalb dieser dem Dozenten
Dr. Max Herz in Wien, welcher sein neues Verfahren zur Herstellung
der Punktschrift für Blindenzwecke zur Verfügung stellte. Gedruckt
wird die Zeitschrift in der von obgenannten Verein eingerichteten
Blindenbuch- und Noten-Schablonieranstalt in Wien 14. Ullmannstraße 2.
Die Schriftleitung sowie den Versand hat der »I. österr. Blinden-
verein« Wien, 8. Florianigasse 41 übernommen.
Verantwortlicher Schriftleiter ist der Blindenlehrer Ottokar
Wanecek in Purkersdorf, an den alle die Schriftleitung betreffenden
Zuschriften zu senden sind.
Die ersten drei Nummern der Zeitung werden den Lesern
unentgeltlich zur Verfügung gestellt, worauf Mitteilungen über den
Bezugspreis gemacht werden sollen.
Mit der Herausgabe der »Österr. Blindenzeitung« soll nicht nur
das neuartige Druckverfahren seine Lebensfähigkeit erweisen, sondern
den Blinden Österreichs ein Blatt geboten werden, aus dem sie
Aufklärung, Belehrung und Unterhaltung schöpfen können.
Dies umfassende Wollen kann aber nur möglich werden, wenn
alle, die berufen sind zur geistigen und wirtschaftlichen Befreiung
der Blinden, mit Hand anlegen. Sie alle seien hiemit gebeten, mitzu-
arbeiten am Ausbau der »Österr. Blindenzeitung.«
Gesang der Blinden.
Von Hermann Lingg.
Horch, aus tiefstem Lebensabgrund,
Drin kein Lichtstrahl je hinabtaucht,
Sucht die S:imme frommer Blinden
Aufzutönen
Nach dem Schönen,
Im Gesang ein Licht zu finden.
Seite 874. Zeitschritt für das östereichische Hlindenwesen. 2. Nummer,
Klaglos in der dunklen Wohnung,
Wo kein Bild die kahle Wand schmückt,
Träumen sie hinab die Stunden,
Still genügsam.
Fromm und fügsam
Und in Eintracht gramverbunden.
Lichtlos sitzen sie beim Nachtmahl
Wie die Schatten in der Grabnacht.
Keiner Lampe trautes Leuchten
Kann der Kranken
Nachtgedanken
Mit der Hoffnung Tau befeuchten.
Niemals können sie sich selig
Blick in Blick und liebend ansehn ;
Nur im Hauch, nur im Berühren
Nahen süße
Seelengrüße,
Wenn sie Hand an Hand sich führen.
Steigt vor ihrem Geist die Schöpfung
Als ein Tönemeteor auf,
Schmerzlich ringen sie nach Bildern,
Ihr Entzücken
Auszudrücken,
Ewiges im Wort zu schildern.
Wie ein Sturm der Nacht durchatmet's
Ihre Brust in wilder Andacht,
Drängt ihr Herz, ein Wonnetoben
Auszuweinen
Vor dem Einen,
Den auch Sterne tönend loben.
Personalnachrichten.
— P. Johann Vach al -{-. Im November 1917 starb nach längerem
Leiden in Leitmeritz der Direktor der dortigen Taubstummenanstalt Herr
P. Johann Väch al im 61 . Lebensjalire. Der Verstorbene war ein Idealist
und Priester in edelstem Sinne des Wortes, ein Mann der stets nur für
andere, für sich selbst aber garnicht sorgte, allem Schein abhold,
von geradem, offenem Wesen. Von einfachen Eltern stammend —
seine Mutter war taubstumm — lernte er frühzeitig menschliches
Elend empfinden. Ursprünglich für einen anderen Beruf bestimmt,
beschloß er in gereiften Jahren, nachdem er seiner Militärpflicht als
einfacher Soldat Genüge geleistet hatte, Theologie zu studieren. Als
Priester wandte er sich den Ärmsten der Armen zu : den Blinden und
Taubstummen. Er wirkte lange Jahre an der Klar'schen Blindenanstalt
in Prag und später als Lehrer Uind Katechet an der Taubstummen-
anstalt in Leitmeritz.
2. Nummer. Zeitschrift für das österreichische BUndenwescn. Seite 875.
— Der (lef. Lehrer II. Kl. Friedrich Bodo wurde von der n. ö. Landes-
Taubstummenanstalt in Wien XiX zur aushilfsweisen Dienstleistung der n. ö. Landes-
Blindenanstalt in Purkersdorf zugewiesen.
flus den Anstalten.
— Tirol. Vorarlb' B li n d e n i n s t it u t e in Innsbruck.
Festfeier. Am 21. Jänner überreichte Seine Exzellenz Herr Statt-
halter Dr. Rudolf Graf von Meran dem hochwiirdigen Herrn Johann
Vi n atzer, Stadtpfarrej in Innsbruck-PradI und Direktor des Blinden-
institutes das ihm von Seiner Majestät verliehene goldene Verdienst-
kreuz mit der Krone. Er hob bei diesem Anlasse die Verdienste
des Ausgezeichneten um den Bau der neuen romanischen Pfarrkirche,
um die VerwundetenfiJrsorge, besonders aber die väterliche Sorge
um das Wohl der Blinden in Tirol hervor.
Aus diesem Grunde versammelten sich am 28. Jänner Lehrper-
sonen, ehrw. Schwestern und die Zöglinge der Anstalt, um gemeinsam
ihrem hochverehrten nun schon zum drittenmale ausgezeichneten
Herrn Direktor die aufrichtigsten Glückwünsche darzubringen. Vor
dem festlich geschmückten Bilde Seiner Majestät hielt Herr Lehrer
Troyer eine Ansprache, in welcher er die mühereiche Arbeit des
Gefeierten um das Wohl der Leidenden hervorhob.
In begeisterten Worten kündete ein Festgedicht, die hohe Würde
und Bedeutung dieses Tages. Den Schluß der seltenen Feier verherr-
lichte die Kaiserhymne.
Hochw. Herr Direktor dankte in bewegten Worten und versprach
für den nächsten P'erialtag einen gemeinsamen größeren Ausflug.
— Weihnachtsfeier im Kaiser Karl-Kriegsblindenheim in
Wien XIII. Am 21. Dezember 1917 fand im Kaiser Karl-Kriegsblindenheim zu Wien-
Baumgarten für die dort untergebrachten Kriegsblinden und die Zivilblinden des
Kaiser Franz-Josef-Biindenarbeiterheimes eine gemeinsame Feier statt. Nach einigen
stimmungsvollen Zither- und Violinvorträgen der Kriegsblinden wurde das Weih-
nachtslied gesungen, worauf der Präsident des Vereines zur Fürsorge für Blinde,
Herr Hofrat Edler von Herdliczka, nachdem er die Kriegs- und Zivilblinden mit
liebevollen, vom Herzen kommenden und zu Herzen gehenden Worten begrülit
hatte, den großen Wert, welchen die Arbeit für die Blinden hat, besprach und den
Wunsch ausdrückte, daß alle Lichtlosen, die in den beiden Heimen Aufnahme finden,
in Eintracht zusammenleben, und sich bei der Arbeit zufrieden fühlen mögen.
Schließlich machte er die erfreuliche Mitteilung, daß eine edle Wienerin, die in
den westlichen Bezirken als stille Wohltäterin geschätzte Frau Franziska Tursa,
jedem der 33 Kriegsblinden eine Weihnachtsgabe von 100 Kronen und der Verein
zur Fürsorge für Blinde jedem Zivilblinden eine Weihnachtsspende von 30 Kronen
gewidmet habe. Nach Verteilung dieser Geldbeträge sowie gespendeter Bäckereien
und Zigaretten dankte ein kriegsblinder Korbflechter der hochherzigen Wohltäterin
Frau Tursa für die reichliche Weihnachtsgabe und dem Präsidium des Vereines
zur Fürsorge für Blinde für die den kriegsblinden zugewandte erfolgreiche Fürsorge,
Ein zivilblinder Bürstenmacher sagte im Namen der blinden Arbeiter herzlichen
Dank dem Herrn Hofrate von Herdliczka für die Liebe die er den Blinden stets
entgegenbringt, dankte ferner dem Vereine zur Fürsorge für Blinde für die Errich-
tung des Kaiser Franz-Josef-Blindenarbeiterheimes und des Kaiser Karl-Kriegsblin-
denheimes, gedachte mit Worten der Dankbarkeit jener Menschenfreunde und
Wohltäter, die durch Spenden den Bau der beiden Heime ermöglichten, und sprach
den Wunsch aus, daß sich auch weiterhin gütige Menschen finden mögen, die zur
Förderung und Erweiterung der beiden notwendigen Wohlfahrtsanstalten beizutragen
bereit sind. Nun folgten einige Gitarre- und Violinvorträge, die gut gefielen. Hierauf
ergriff Exzellenz Feldmarschalleutnant Fekete de Belatalva das Wort. Ei
Seite 876. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 2. Nummer.
feierte in eindrucksvoller Rede die Kriegsblinden, die auf dem Schlachtfelde ihr
Augenlicht für Kaiser und Vaterland hingaben, als Helden, hob die wohlwollende
Fürsorge hervor, die ihnen im Kaiser Karl-Kriegsblindenheime zuteil wird, und
pries das uneigennützige und segensreiche Wirken des Herrn Hofrates von Herd-
liczka, der als Präsident des Vereines zur Fürsorge für Blinde unermüdlich tätig
ist, um den Blinden die schwere Last des Unglücks zu erleichtern. Er schloß mit
einem stürmisch aufgenommenen Hoch auf den gütigen Landesvater und helden-
haften Kaiser Karl I. Mit der Absingung der Volkshymne fand die schöne Feier
— ein wahres Familienfest — einen würdigen Abschluß.
— Der Chor der Blinden-Beschäftigungs- und Versorgungs-
anstalt in Linz, der an gewissen Tagen des Jahres regelmäßig in verschiedenen
Kirchen von Linz die Musik zu besorgen hat, wurde kürzlich in ganz besonderer
Weise in Anspruch genommen. In den Tagen von 6. — 9. Dezember v. J. fand in
der Karmeliten-Kirche und vom 3. — 6. Jänner d. J. in der Kirche der Karmeli-
tinnen eine Seligsprechungsfeier statt, bei der folgende Werke zur Aufführung ge-
langten: Kempter Messe in D, op. 9 und in G, op. 15, Faist Messe in Es, op. 8;
Lauretanische Litaneien von Schöpf, Witt und Spieß, Herz Jesu-Litanei von Mitte-
rer ; Te Deum von Rihovsky, op. 4, Asperges von Pernklau; verschiedene Tantum
ergo und Einlagen zu den Messen.
Durch die Zeitverhältnisse veranlaßt fand die Christbaumfeier 1917 beider
Linzer Blindenanstalten zum erstenmal gemeinsam statt. Am Abend des 24. Dezem-
ber versammelten sich die Zöglinge und Ptieglinge im Festsaal der Beschäftigungs-
und Versorgungsanstalt zur schönen Feier mit folgender Vortragsordnung: 1. Lob-
gesang (Altdeutsch). 2. Müller: Der gute Ruprecht. 3. Tippner: Christkindchens
Traum. 4. Reigen (in Verbindung mit »Stille Nacht, heilige Nacht«). 5. Wolf-Reger:
Schlafendes Jesuskind. 6. Rheinberger: Vision. 7. Mendelssohn: Wie lieblich sind
die Boten. (Aus »Paulus«) Hieran schloß sich eine Ansprache des Direktors und die
Verteilung der Christgeschenke. F.
flus den Vereinen.
— Zwanzigjähriger Bestand des »Ersten Österr. Blinden ver-
ver eines« in Wien VIII. Zwanzig Jahre bedeuten nichts, gemessen an der
ewigen Zeit! Und doch bergen sie in sich eine Fülle von unermüdlicher Arbeit,
reichen Schaffens und dauernden Erfolges für uns und die kommenden Geschlechter.
Der sich in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts in allen Geschäfts-
kreisen durchringende mächtige Gedanke, daß nur durch den festen Zusammenschluß
aller Interessenten eine wirksame Förderung ihrer sozialen und wirtschaftlichen
Ziele erreicht werden könne, fand auch bei e ner, wenngleich anfangs geringen Zahl
erfahrener, im Leben stehender Blinder verständnisvolle Aufnahme und führte am
13. Dezember 1897 zuerst zur Gründung des Ersten Blindenunterstützungs-
vereines für N. Ö. Hundeit Jahre Erziehung materieller und geistiger Ausbildung
sind nicht fruchtlos an uns vorübergegangen, sie haben den Beweis unserer bürger-
lichen Brauchbarkeit erbracht, haben in uns den heißen Wunsch erweckt, der sehen-
den Welt zuzurufen: Wir wollen kein Gegenstand sagenhafter Verehrung oder
Bewunderung sein, wie einst die blinden Seher des Altertums, kein Objekt
abgestumpfter Gleichgültigkeit oder demütigenden Mitleids, wie es die W'elt noch
heute mit den Blinden zu halten pflegt, nein, wir wollen uns betätigen, entsprechend
unseren Fähigkeiten, wollen der Gesellschaft nützen, wollen selbst mitarbeiten an
der Fürsorge für unsere schwachen Leidensbrüder zum Wohle aller Blinden! Darin
liegt die große Bedeutung dieser Gründung, als eines Werkes der Selbsthilfe! Und
deshalb soll die Erinnerung an diesen Tag unverlöschbar ins Gedächtnis eines
jeden Blinden Österreichs sich einprägen, als der Beginn einer neuen Epoche! Ferne
aber stehen wir von jeder Selbstüberhebung oder Überschätzung unseres Könnens;
wir sind uns der von der Natur gesetzten Schranken wohl bewußt und erkennen^
daß wir das Erreichte nur mit selbstloser und hingebungsfreudiger Opferwilligkeit
der sehenden Freunde erlangen konnten und weiter ausgestalten können! Bis zum
Eintreten des Vereins in die Blindenfürsorge gab es wohl manche Wohlfahrtsein-
richtungen, welche sich die Obsorge für ihre Schutzbefohlenen in reichem Maße
angelegen sein ließ, aber es gab noch keine Organisation der außerhalb dieser Ein-
richtungen lebenden Blinden. Dieses unserem Verein von allen übrigen Fürsorger'
2. Nummer. Zeitschrift tiir das österreichische Hlindenwesen. Seite 877,
einrichtungen wesentlich unterscheidende Merkmal haben wir bei der am 17. Fe-
Lruar 1913 erfolgten Erweiterung zum Ersten österr. Blindenverein schon
im Titel unzweifelhaft hervorgehoben. War bis dahin die geschlossene Fürsorge,
die Untcrbiingung der Blinden in Versorgungs- und Beschäfligungsanstalten und
später in Heimen, das fast ausschlielSlichc Ziel, so tritt unser Verein mit allem
Nachdrucke für das Prinzip der »freien« Fürsorge, der möglichsten Förderung der
außerhalb der geschlossenen, im Lebenskampf alleinstehenden Blinden ein; es ist
dies sicherlich kein Kampf gegen die erstere, deren Bestand unentbehrlich ist,
sondern eine notwendige Ergänzung derselben, wie sie sich schon aus der über-
wältigend großen Maße der unversorgten Blinden ergibt. Alles, was der Verein in
diesen zwanzig Jahren zielbewußter Arbeit geschafien, die materielle Unterstützung
in Geld und Arbeitsmaterial, die Gründung einer Krankenkasse für Wien (I901j
die Errichtung einer Arbeitsvermittlungs- und Verkaufsstelle von
Blindenerzeugnissen (1903), die Schaffung von auf genossenschaftlicher Grundlage
ruhenden Werkstätten für Handwerker (1907), die Förderung der geistigen Be-
düifnisse durch Vermittlung von Lektüre usw., all das ist ein Beweis unseres
Strebens, dem vorgestecktem Ziele nahe zu kommen. Wo immer sich Gelegenheit
geboten hat, bei den österr. Blinden-Fürsorgetagen und den deutschen Blinden-
lehrer-Kongressen, bei den deutschen Blindentagen, bei der Enquete über das
österr. Blindenwesen, überall hat der Verein die Interessen der selbständigen
Blinden mit Nachdruck, mit Erfolg wahrgenommen. Aus den bescheidensten
Anfängen heraus, und nicht ohne Überwindung mancher Widerstände hat sich
unser Verein zu einem angesehenen, auf sicherer Grundlage ruhenden Werke ent-
wickelt, das sich in ganz Österreich wärmster Teilnahme erfreut. Immer stärker
erwacht das Gefühl der Zugehörigkeit unserer ferne lebenden Brüder zum Ersten
österr. Blindenverein, ihrem natürlichen Schutz und Helfer! Nicht zuletzt sind es
unsere braven Helden, die Kriegsblinden, welche, trotz des merkwürdigen Versu-
ches, sie als eine besondere Klasse von Blinden zu behandeln, nach ihrer Rückkehr
ins Zivilleben innige Fühlung und Anschluß an den Verein suchen und linden.
Und nun den Blick in die Zukunft! Der kommende Friede bringt eine neue
Zeit auch für uns! Manches Vorurteil ist gefallen und die, wenn auch beklagens-
werte neue Erscheinung der Kriegsblinden hat der Gesellschaft die Augen geöffnet,
was uns sonst niemals geglückt wäre. Günstigere Verhältnisse für die gewerbliche
Tätigkeit, Einführung neuer Berufe, Erschließung der Altersversicherung für beruf-
lich tätige Blinde, Erweiterung der Krankenversicherung innerhalb des Vereines,
Ausgestaltung der Rohstoffabgabe, Schaffung gemeinsamer Arbeitsstätten für weib-
liche Blinde usw. Auf realem und geistigem Gebiete sind allgemeine und besondere
Aufgaben, welche in nächster Zeit ihrer Lösung harren. Aus dem Erfolge von
20 Jahren wollen wir frische Kraft zu neuer Arbeit schöpfen in unerschütterlichem
Zusammenschluß. A. v. H.
— Humanitärer Blindenverein »Lindenbund« in Wien XX.
(Obmann W. Kreutzer) Der Bericht über das Jahr 1917 zeigt uns in erfreulichem
Maße, daß die Zahl edler Menschen, die sich dem »Lindenbund« angeschlossen, im
Steigen begriffen ist; nicht weniger als 189 neue Mitglieder sind dem Vereine als
Gönner und Förderer beigetreten. Dank dieser Unterstützungen konnte der »Linden-
bund« auch allen Hilfesuchenden eine Quelle neuer Kraft und Stütze werden. Die
Agenden des Vereines wurden in einer Generalversammlung und neun Sitzungen
des Vorstandes erledigt: 139 Unterstützungswerber wurden mit einem Betrage von
zusammen K 3386 beteilt; das Zinsenerträgnis des Hilfsfonds für im Kriege Er-
blindete wurde an 17 Petenten im Betrage von K 520'— zur Verteilung gebracht.
Neu beigetreten sind vier Erblindete, demzufolge beträgt der Stand der wirklichen
Mitglieder: 14 weibliche und 31 männliche Erblindete.
Das neue Vereinsjahr brachte einen herben Verlust. Zwei langjährige Mitglieder
die Herren Leopold Haller und Leopold Prag er sind der Tuberkulose erlegen;
Ehre ihrem Angedenken! Die Vereinsleitung aus den Herren: Kreutzer Wilhelm,
Obmann, Ingrisch Johann, Stellvertreter, Kotek Franz, Schriftführer, Zzech Anton,
Kassier, Dippel Hugo, Kr ist Martin und Zeinlinger Johann, Ausschüsse.
Für unsere Kriegsblinden.
— Versorgung der Kriegsblinden. Im Entwürfe des neuen Militär-
Versorgungsgesetzes erecheinen die Kriegsblinden besonders berücksichtigt. Nach
Seite 878. Zeitschrift das für österreichische IJUndenwesen. 2. Nummer.
den Bestimmungen dieses Entwurfes bekommen Kriegsblinde nebst der Invaliden-
pension eine Kriegszulage und eine bedeutend höhere Verwundungszulage, so daß
die künftigen Versorgungsgebühren ungefähr doppelt so hoch sein werden, wie die
gegenwärtigen. Der bezügliche Gesetzentwurf dürfte von den Regierungen in näch-
ster Zeit den Volksvertretungen zur Gdnehmigung vorgelegt werden.
— Erzherzog Karl Stephan im Kriegs blindenheim, Wien XIII.
Am 7. d. M. kam Erzherzog Karl Stefan in das Kaiser-Karl-Kriegsblindenheim
in Wien XIII und Kaiser-Franz-Josef-Blindenarbeiterheim um sich über den Fort-
schritt in der gewerblichen Ausbildung der Kriegsblinden zu überzeugen. In der
Korbflechterei wie in der Bürstenbinderei sprach der Herr Erzherzog jeden der
blinden Arbeiter an, erkundigte sich eingehend über deren persönliche Verhält-
nisse und nahm vorgebrachte Bitten teilnahmsvoll und wohlwollend zur Kenntnis.
Nach Besichtigung der Wohnungen, Wiitschaftsräume, Rohstoff- und Warenmagazine
sowie des Verkaufsladens drückte er dem Präsidenten des Vereines zur Fürsorge
für Blinde Herrn Hof rat von Herdliczka die volle Anerkennung für die zweck-
mäßige und erfolgreiche BlindenfUrsoige aus und verabschiedete sich in leut-
seligster Weise.
— Weihnachtsfeier in Brunn. Zu der im Kriegsblindenheime abgehal-
tenen Feier hatte sich ein zahlreiches vornehmes Publikum eingefunden. Die mähr.
Landeskommission hatte für zweckmäßige Geschenke gesorgt, die nach der erhe-
benden Feier unter dem großen elektrisch beleuchteten Christbaume an 31 Kriegs-
blinde zur Verteilung kamen. Aus einer von Oberstabsarzt Prof. Dr. Schmeichler
veranstalteten Sammlung, konnte jedem Kriegsblinden ein Sparkassebuch mit 300 K
zugewendet werden. Auch die auswärtigen, bereits entlassenen Kriegsblinden wurden
ausgiebig beteilt.
— Bekanntmachung. Die Direktion des k. k. Blinden-Erziehungs-Institutes
in Wien II veröffentlicht folgende Bekanntmachung :
In der Landwirtschaftlichen Expositur Strass im Strassertal findet im Ein-
vernehmen mit dem Vorstand des Kriegsblindenfonds im Ministerium des Innern
im Laufe des April 1918 ein Fortbildungskurs über Obst- nnd Gartenbau
für Kriegsblinde statt. Die Verpflegskosten für die Teilnehmer werden vom
Kriegsblindenfonds bezw. vom Kriegsministerium (»Krie^sfürsorgeamt«) getragen
und werden die Reisekosten eventuell ganz oder teilweise ersetzt. Der Unterricht
umfaßt alle Fächer des Obst,- Gartenbaues und der Kleinviehzucht. Die praktischen
Übungen werden auf dem Grundstück der Realität ausgeführt. Für die Unterweisung
sind tüchtige Lehr- und Hilfskräfte gewonnen.
Arbeitsfreudige und für die Angelegenheit interessierte Kriegsblinde wollen
sich wegen IVIitteilung der näheren Umstände bis Ende Februar an die Direktion
des k. k. Blinden-Erziehungs-Institutes, Wien, IL, Witteisbachstraße 5, wenden, von
welcher Stelle das Erforderliche bekanntgegeben wird.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende Jänner 1. J.
— Neue Freie Presse: 1,237.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 3,205.000 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 320.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 80.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 30.000 K.
Verschiedenes.
— Blindenführerhunde. In München ist ein eigenartiges Institut errich-
tet worden, das Hunde dazu ausbildet. Blinden als Führer im Straßengewühl zu
dienen. Kaum war diese Idee angeregt, wobei es sich in erster Linie darum handelte,
jenen Unglücklichen zu helfen, die auf dem Felde ihr Augenlicht eingebüßt haben,
als Prinz und Prinzessin Ludwig Ferdinand ihrer nachdrücklichst und aufs
wärmste annahmen, und so ist es vornehmlich ihnen zu danken, daß nun tatsächlich
Heraasgeber: Zentralverein für das österreichische BlindenweseD in Wien. Redaktionskomitee: K. Bürkleo,
J. Kneis, A. ▼. Horrath, F. Uhl, — Drock Ton Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
in verhältnismäßig rascher Zeit die »Blindenführerhundeschule« eröffnet werden
konnte. Zugleich wurde aus den von der Prinzessin bereitgestellten Mitteln ein
eigener Zwinger erbaut, in dem die Hunde, die für ihren neuen Beruf ausgebildet
werden sollen, untergebracht sind. Bis jetzt sind vier Hunde angeschafft. Auf dem
Polizeihunde-Übungsplatz an der Glüclcstraße, der für die Anfangsdressur dient,
wurden künstliche Straßen und Wege mit Hindernissen angelegt. Die Rotweiler
Hündin »Diva« die Frau Prinzessin Ludwig Ferdinand schon vor längerer Zeit
erwarb und einem Kriegserblindeten zum Geschenke machte, ist in der Dressur
schon weit vorgeschritten und führt den markierten Blinden tadellos an Hindernissen
vorbei und setzt sich, wenn eine Stufe oder ein Randstein kommt. Die Hunde müssen
später den Blinden auch über belebte Straßen und Plätze führen und ihn auf alle
Hindernisse, wie Randsteine, Fuhrwerke, Straßenbahn, Radfahrer, Laternenpfähle
usw. aufmerksam machen und ihn daran vorbeiführen. Natürlich kann man von
dem Hund nicht verlangen, daß er den Blinden an einen nächstbeliebigen Ort, den
dieser sich gerade wünscht, führt, sondern der Weg muß dem Blinden mit dem
Hund öfter gemacht werden, zum Beispiel von der Wohnung zur Arbeitsstätte und
zurück oder ein üblicher Spaziergang und dergleichen.
— Dänemarks erster weiblicher blinder Organist. In Dänemark gibt
es viele männliche blinde Organisten, zum mindesten ein Dutzend, mehreie von
ihnen haben sehr gute Stellen. So ist einer an der Domkirche in Odensee angestellt
und ein anderer an der Erlöserkirche in Esbjerg. — Nun hat Dänemark auch seinen
ersten weiblichen Organisten, da Frl. Laura Nielsen als Organist an der Kirche
in Agedrup angestellt wurde. Frl. Nielsen, die 23 Jahre alt ist, verlor das Augen-
licht im Alter von 20 Jahren. Da sie zu alt war, um in das Blindeninstitut in Kopen-
ha.^en aufgenommen zu werden, erhielt sie ihien ganzen Unterricht bei Herrn
William Hansen, welcher — selbst blind — seit 25 Jahren als Organist an der
St. Knuds-Kirche in Odense angestellt ist. Im letzten Jahre war Frl. Nielsen viel-
fach als Vikar beschäftigt und spielte häufig im Missions- und Versammlungshause
des Kirchensprengels, Es ist ihr bereits gelungen, etliche Schüler zu bekommen,
und sie wird ohne Zweifel dazu gelangen, eine größere Unterrichtstätigkeit enttal-
ten zu können, da sie Gelegenheit hat, jeden Sonntag vor der Kirchengemeinde zu
spielen. Im Monate Mai legte Frl. Nielsen eine Prüfung mit guten Erfolge an dem
Seminar in Scaarup ab. (Budstikke).
— Eine verdiente Blendung. Eine recht nette Szene schildert Daudet
in seinem Roman »Der Nabob«: Der nicht gerade geistreiche, aber seelengute
Abgeordnete Bernard Jansaulet wird vom Journalisten Moessard dessen Erpres-
sungen er endlich satt hat, im Blatte »Massager« unflätigst angegriffen, doch so
geschickt veiblümt, daß er ihn nicht gerichtlich belangen kann.
Aber da trifft er ihn im Bois und — Daudet soll das nun folgende selbst
schildern: »Kaum hatte Moessard einen Fuß auf die Erde gesetzt da warf
Jansaulet sich auf ihn, hob ihn wie ein Kaninchen am Genick empor und sagte,
ohne im mindesten auf seine mit lallender Stimme vorgebr^achten Verwahrungen
2U achten: »EK'nder, ich werde dir Rechenschaft geben Aber vor allem
werde ich dir das tun, was man unsauberen Tieren tut, um ihnen die Unreinlichkeit
abzugewöhnen Und nun begann er ihm mit der zusammengeballten Zeitung
das Gesicht abzureiben, bis er ihn fast erstickt und mit der an den Abfschürfungen
herablaufenden Schminke geblendet hatte
Bücherschau.
— Die Blindenschule. Monatsschrift zur Förderung des Blindenunter-
richts. Herausgegeben von Schulrat Friedrich Zech, Danzig-Langfuhr, 1918. Bezugs-
preis 3.50 M., für das Ausland 4 M. Die neue Zeitschrift soll als Ergänzung zum
»Blindenfreund« hauptsächlich der Blinden-Unterrichtsmethode gewidmet sein, Anre-
gung für die Praxis des Unterrichtes geben und zur Weiterentwicklung des Unter-
richtes beitragen. Mit Recht klagt der Herausgeber über die bisherigen Vernach-
lässigung auf diesem Gebiete, denn eine im großen und ganzen gefestigte Blinden-
Unterrichtslehre ist tatsächlich noch nicht vorhanden. Jeder Blindenlehrer wird ihm
in der Meinung beipflichten, daß für den Ausbau des Unterrichtes gar nicht genug
geschehen kann, denn mit diesen steigt und sinkt das gesamte Blindenwseen. Die
bisherigen Arbeiten von Schulrat F. Zech auf dem Gebiete der Blinden-Unterrichts-
methodik lassen uns wertvolle Beiträge zu diesem Fache des Blindenwesens erwarten.
Möge sein Wunsch, eine große Zahl von Mitarbeitern unter den deutschen
FachlcoUegen zu finden, erfüllt werden und dem neuen Fachblatt voller Erfolg
beschieden sein.
Bürklen Karl : Das Tastlesen der Blindenpunktschrift.
Nebst Beiträgen zur Blindenpsychologie von P. Grasemann-
Hamburg, L. Cohn-Breslau, W. Steinberg. VII, 93 Seiten
mit 6 Abbildungen im Text und 6 Tafeln.
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5. Jahrgang.
Wien, März 1918.
3. Nummer.
INHRLT: Dr. F. v. Gerhardt: Grundlegung der Blindenpsydiologie. Offener
Brief, Lazarettpfarrer H. Schaefer: Krankenstube Nr. 24. Lucie Rohmer-
Heilscher: Die Blinde. Personalnachrichten. Aus den Anstalten. Für
unsere Kriegsblinden. Verschiedenes. Bücherschau. (Altes und Neues. An-
kündigungen).
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Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien Vlll,
g Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. r^
flites und Meues.
Ein Dichter als Erzieher eines blinden Knaben.
Der deutsche Dichter Friedrich Lienhar d erzählt uns in seinen
Erinnerungen (Westermanns Monatshefte 1917), wie er in seinen Ber-
liner Sturm- und Drangjahren Hauslehrer wurde, um zunäclist einmal
dem Leben einen Sinn und eine nicht ganz nutzlose Tätigkeit abzu-
ringen.
»Es bot sich in Großlichterfelde bei Berlin die schöne und
schwere Aufgabe, einen blinden Knaben zu erziehen. Der Vater
des etwa zwölfjährigen Jungen war Professor an der Universität in
Berlin, dessen einziges Kind seit einer Gehirnhautentzündung in frühen
Lebensjahren von so schwerem Scliicksal heimgesucht war.
Die Behandlung dieses an sich liebenswürdigen und gutartigen
Knaben war von besonderer Sclnvierigkeit. Er war außer seiner Blind-
heit mit Epilepsie behaftet. Vor mir hatten rasch hintereinander vier
Hauslehrer umsonst das ihre versucht; man sah mit Bangen meinem
eignen Versuch entgegen, dem so von der Außenwelt abgeschlossenen
und von persönlichen Launen oder Dumpfheiten abhängigen kleinen
Sonderling eine innere Welt beizubringen. Gleich der erste Spaziergang
im Garten der Villa mußte entscheiden: »Ob Max sich an Sie gewöh-
nen wird?« Ich hatte den lieben Jungen am Arm; seine lichtlosen
Augen waren durch eine dunkle Brille und eine Schirmmütze verdeckt;
er war ganz auf sein Gehör und auf sein Tastgefühl angewiesen,
derart, daß er ordentlich die Ohren bewegen konnte. Wir plauderten
miteinander; ich in meiner damals noch stärker ausgeprägten süd-
deutschen Tonart, die dem norddeutschen Knaben neu war. Mich
erfüllte rasch unendliches Mitleid. Was ist all unser aufreibendes
Literaturtreiben neben solch einem Lebensleid! Die Fluten der Liebe
überströmten mein Herz und zeigten mir hier eine erwärmende Aufgabe,
die jenes papierene Wesen zurückdrängen konnte. Max schien diesen
ganz allgemeinen Zug der Hinneigung zu spüren. Denn es war ein
unvergeßlicher Vorgang, wie der Kleine plötzlich hinter dem Schutz
des Hauses — er hörte es am Schall der Tritte — stehenblieb,
meinen Kopf zu sich herabzog und mir in der herzigsten Weise
gestand, daß er mir gut sei. Wir sind während der zwei Hausleh-
rerjahre (1890 — 1892) und später bis an seinen Tod Freunde geblieben.
Ich verfertigte für seine tastenden Finger geographische Karten,
auf denen die Flüsse mit Leim gezogen, die Städte mit Reißbrett-
nägeln bezeichnet waren. Rechnen, Geschichte, Religion, Sprachen
mußten wesentlich durch das Gehör bewältigt werden; er kannte
zwar die Blindenschrift, doch griff ihn das Schreiben leicht an. Und
immer mußte man erzählen und anregen, wobei er auch für Heiterkeit
und scherzhafte Reimereien viel Sinn besaß. Dazwischen freilich, an
manchen Tagen sehr häufig, kamen seine Anfälle, wobei er unter
Krämpfen die erloschenen Augen verdrehte und leise Aveinend zu
Boden fiel, wenn man ihn nicht rasch auffing. Am unangenehmsten
Avar es für mich schüchternen und scheuen Menschen, wenn dergleichen
einmal auf einem Spaziergang vorkam, wo ich dann den Zusammen-
gebrochenen manchmal auf den Arinen nach Hause tragen mußte.
5. Jahrgang. Wien, März 1918. 3. Nummer.
^ Hast du in dir den Strahl gegründet,
®j Der deine dumpfe Nacht erhellt,
am
So glänzt, dem Innern Licht verbündet,
Auch draußen farbenbunt die ^Velt.
Gottfried Kinkel.
m
^
Grundlegung der Blindenpsychologie.
Von Dr. F. von Gerhardt, Marburg a. d. L.
Die Zahl derjenigen Menschen, die mit BHnden in nähere Berüh-
rung kominen, ist im allgemeinen nicht groß, woraus sich die Tatsache
zur Genüge erklären mag, daß man sich nur in den seltensten Fällen
veranlaßt fühlt, über das Leben, Wesen und Streben der Nichtsehenden
einmal tiefer nachzudenken. Unser sozial stark empfindendes Zeitalter
hat zwar auch hier nicht versagt und Blindenanstalten sowie Heime
ins Leben gerufen, die den Nichtsehenden den Daseinskämpfen entrücken
oder diese wenigstens erleichtern sollen, aber man hat sich gleichzeitig
daran gewöhnt, in jenen nur Fürsorgeobjekte zu erblicken, deren sub-
jektiven Regungen kaum eine flüchtige Beachtung geschenkt wird. Das
sagt indessen nicht mehr und nicht weniger als, daß man über der
sozialen die rein menschliche Seite des Blindenproblems fast völlig
vergessen hat, wodurch ein Zustand geschaffen wurde, der nicht nur
allen einschlägigen Maßnahmen den Stempel gewisser Einseitigkeit
aufdrückt, sondern auch in der Mehrzahl der Blinden ein Gefühl des
Nichtbefriedigtseins, des Nichtverstandenwerdens erzeugte, das sie je
nach ihrer individuellen Veranlagung schmerzlich niederdrückt oder
verbittert. Gerade aber, weil dieses Ergebnis mit allen seinen bedauer-
lichen Begleiterscheinungen von Staat und Gesellschaft nicht bewußt
und nicht gewollt herbeigeführt wurde, sollten diese den inneren Drang
verspüren, begangene Fehler nach Krätten wieder gutzumachen und
künftigen Irrungen ähnlicher Ait rechtzeitig vorzubeugen.
Seite 884. Zeitschrift das für österreichische BUndenwesen. 3. Nummer.-
Wie ein Gärtner die Entwicklungsbedingungen und die für eine
Pflanze speziell geeignete Bodenart genau kennen muß, wenn sie gedeihen
und Frucht bringen soll, in dem gleichen Maße müssen wir mit den
Voraussetzungen und Bedürfnissen des Blinden vertraut sein, um ihm
den richtigen Platz im Leben anzuweisen, an dem er das leisten und
alles dessen teilhaftig werden kann, worauf ein Mensch als solcher
Anspruch erheben zu dürfen glaubt. Sozialpolitischer Schematismus
vermag hier keine günstigen Resultate zu erzielen, wie uns die bisherige
Erfahrung lehrt. Die Blinden sind nicht Menschen, die sich darauf
beschränken wollen, zu empfangen, die zufrieden sind, wenn die äußer-
ste Not von ihnen ferngehalten wird, sondern sie möchten auch geben
von dem, was ihnen verblieben ist, sie streben darnach, in den seelischen
und köiperlichen Austauschverkehr der Allgemeinheit aktiv einzugreiten
und als selbständig handelnde Subjekte anerkannt und gewertet zu
werden. In dieser Richtung betätigt sich ihr Denken, Fühlen und Wollen;
von dieser Lebensauffassung aus betrachten sie die Umwelt und ihre
Mitmenschen, die ihnen feindlich oder freundlich gesinnt erscheinen,
je nachdem sie von diesen in ihren Plänen gehemmt oder gefördert
werden. Es ist nicht die Sucht, die durch die Blindheit errichteten
Schranken zu übersteigen, die lästigen Fesseln zu sprengen, sondern
das tief innerliche Sehnen nach dem Menschsein unter anderen Menschen
ihre Leiden und Freuden zu teilen und als Glied der großen Familie
zu fungieren, das Pflichten übernimmt und Rechte genießt, ohne aus
dem Rahmen der anerkannten Ordnung herauszutreten. Der gesunde
Selbsterhaltungs- und Schaffenstrieb ist es, der auch den Blinden beseelt,
und dessen Eindämmung oder Unterdrückung von ihm weit schmerzlicher
empfunden wird, als die Tatsache selbst, daß sein Auge geschlossen
und nicht in der Lage ist, das bunte Bild zu erfassen, das die Außen-
welt dem Vollsinnigen bietet. Ja, es können Stunden und Tage kommen,
in denen der Nichtsehende sein Leiden gewissermaßen vollständig
vergißt, wo er sich nur als Mensch fühlt, als ganzer, gleichberechtigter
und gleichverpflichteter Mensch, und diese Zeitspannen sind für ihn
die schönsten, die gesegnetsten seines Lebens. Ein solches seelisches
Gleichgewicht, oder besser gesagt, ein solch innerer Ausgleich, tritt
jedoch immer nur dann ein, wenn der Blinde sich verstanden weiß
und dazu berufen wird, ein Werk fördern zu helfen, das seinen Leistun-
gen und Fähigkeiten entspricht. Sei es Hand- oder Geistesarbeit, ihm
wird sie Befriedigung verschaffen, wenn sie auf seine Individualität,
sein spezielles Ich, gebührende Rücksicht nimmt. Nur kein Hindämmern,
kein Müßigsein, keine Langeweile ! Jene drei Todfeinde des Nichtsehen-
den können selbst durch die liebevollste Wartung oder beste Verpflegung
nicht entwaffnet werden, denn sie dringen auf sein Gemüt ein, das an
und für sich durch die Blindheit schwer genug belastet ist und sich
außerstande befindet, noch neue drückende BiJrden zu tragen.
Um dies in seiner ganzen Tragweite verstehen und würdigen zu
können, müssen wir uns ständig gegenwärtig halten, wie verhältnis-
mäßig gering die Eindrücke und Anregungen sind, die der Blinde von
der umgebenden Außenwelt her empfängt. Was nicht durch Gehör,
Geruch oder Gefühl zu ihm dringt, existiert für ihn nicht ; alle die
tausend Gesichtswahrnehmungen, die auf Schritt und Tritt oft unwill-
kürlich und unbewußt gemacht werden, kommen für ihn nicht in Frage,
3. Nummer. Zeitschiifl fiir das östcneichischc Hlindenwesen. Seite 885.
SO daß der Denkstoiit, der seinem Gehirn zugeführt wird, schon quanti-
tativ weit hinter dem eines normalen Menschen zurückbleibt. Freilich
wird nun vielfach behauptet, daß man nur das vermissen könne, was
man kennt, was man früher vielleicht einmal besessen hat. In vollem
Umfang trifft dieser Satz bei dem geistig regen Blinden nicht zu, denn,
wenn er — beispielsweise als Blindgeborener — auch keine Vorstellung
davon hat, was Licht und Finsternis, Farben und Perspektiven bedeuten,
so hat er doch von Jugend auf gelernt, daß jene Begriffe existieren
und im Leben der sehenden Mitinenschen eine hervorragende Rolle
spielen. Weiß er doch, daß es gerade diese Begriffe sind, die ihn selbst
in eine Sonderstellung drängen, und daß ihr Fehlen den Inhalt des
Wortes »Blindsein« ausmacht.
Es kommt demnach hier nicht darauf an, das Wort »vermissen«
mit »sich danach sehnen« zu identifizieren, sondern es genügt die
Feststellung des im Blinden vorhandenen Bewußtseins, daß es Dinge
und Erscheinungsformen gibt, die ihm nicht zugänglich sind. Hieraus
resultiert für ihn mit logischer Notwendigkeit die Überzeugung, daß
seine Vorstellungen von der Außenwelt keine vollständigen sind, daß
jedes Bild von da draußen für ihn eine Lücke aufweist, die er aus
eigenem Vermögen nicht ausfüllen kann. Mehr als das fehlende Sehen
an sich schmerzt ihn dieses Bewußtsein, denn es schließt eine gewisse
Inferiorität in sich, zu deren Bekämpfung er einen außerordentlichen
Aufwand von seelischen Kräften aufbieten zu sollen vermeint. Er wird
somit einen großen Teil seiner geistigen Funktionen darauf einstellen,
Eindrücke und Wahrnehmungen zu sammeln, die dann verarbeitet,
kombiniert und miteinander in Zusammenhang gebracht werden müssen.
Dadurch befindet sich seine Denktätigkeit in dauernder Anspannung
und dürstet förmlich nach Ergänzung des gesammelten Materials, die
durch das versagende Auge so überaus erschwert wird. Je mangelhafter
und quantitativ geringer die Anregungen und Eindrücke sind, die er
seinem Gehirn zur Verarbeitung vorlegen kann, desto mehr ist er darauf
angewiesen, seinen Geist spekulativ zu betätigen und auch der eigenen
Fantasie einen Spielraum zu gewähren, der häufig genug das Maß des
Wünschenswerten oder Ersprießlichen überschreitet.
Naturgemäß kann der Blinde nicht dauernd mit diesen rein inner-
lichen Funktionen auskommen, die gar bald zu Ermüdung, Abspannung
und zur — Langeweile führen. Von Zeit zu Zeit muß immer wieder
ein Kontakt mit der Außenwelt hergestellt werden, der eine neue Zufuhr
geistiger Nahrung bringt und das zum Teil unfruchtbare Grübeln oder
gar Hinträumen unterbricht. Ablenkung und Neubelebung seiner Ideen-
und Gedankenwelt ist es, was er — vielleicht mehr als andere — zu
seiner geistigen Gesunderhaltung braucht. Darum begreift sich der freu-
dige Eifer, mit dem jede nutzbringende Beschäftigung aufgenommen
und mit bewundernswerter Energie durchgeführt wird. Die Betätigung
selbst bedeutet für ihn eine Ablenkung, so daß er sich voll und ganz
auf sie konzentriert und als eine seelische Wohltat empfindet. Man
muß einmal einen Blinden bei der Ausübung seines Berufes beobachtet,
man muß die stille Zufriedenheit dabei in seinen Zügen gesehen haben,
wenn man in den tiefernsten Sinn des eben Gesagten restlos einzu-
dringen wünscht.
Seite 886. Zeitschritt für das östereichische Blindenwesen. 3. Nummer.
Je inniger die Verbindung ist, in der ein Blinder mit der Außen-
welt steht, je reichhaltiger somit das Material wird, das er seinem Gehirn
zur Verarbeitung zuführt, um so höher wird seine Lebensfreudigkeit und
sein Selbstvertrauen steigen, die ihn wiederum ihrerseits anspornen, seine
sämtlichen Kräfte einzusetzen, um das höchstmögliche Ziel zu erreichen.
Umgekehrt aber führt der Mangel an Anregung, an geistiger Nahrung
mit der Zeit zu einer gewissen Stumpfheit, die das ganze Dasein des
Blinden wie eine düstere Wetterwolke überschattet und jedes kräftigere
Fühlen und Wollen bereits im Keime erstickt. Traurige Beispiele genug
bietet hierfür die tägliche Erfahrung, namentlich dort, wo es sich um
blindgeborene oder früherblindete Kinder handelt, deren Erziehung und
verständige Anleitung im Elternhaus vernachläßigt wurde. Meist ist sol-
chen bedauernswerten Geschöpfen in der Folge nicht mehr zum helfen.
Diese vorerwähnten Punkte müssen in allererster Linie berücksich-
tigt werden, wenn es sich darum handelt, für einen Blinden wirklich zu
»sorgen« und ihm das Leben erträglich und menschlich zu gestalten.
Gleichzeitig aber weisen sie dem Psychologen den Weg, wo und wie
das Seelenleben jener Stiefkinder des Schicksals zu erschließen ist und
in welchen Bahnen es sich vollzieht. Beschreiten wir den angedeuteten
Pfad, so wird sich ein Rätsel nach dem anderen gleichsam von selbst
lösen, an dem man bisher vielleicht mit einer gewissen Scheu vorüber-
ging. Es kann aber für den Forscher kaum eine fruchtbringendere Be-
tätigung geben, als gerade sich in die Psyche des Blinden zu vertiefen,
wodurch nicht nur die Wissenschaft eine wertvolle Bereicherung erfährt,
sondern auch die Blindensache selbst infolge größeren Verständnisses
und allgemeiner Aufklärung bedeutend gefördert wird. Gerade aber der
Fortschritt des rein Menschlichen ist der oberste Zweck der psycholo-
gischen Wissenschaft, die sich nicht damit begnügt, Probleme zu suchen
und zu lösen, sondern danach strebt, die gewonnenen Endergebnisse der
Allgemeinheit zugänglich und dienstbar zu machen. Auf unserem Gebiet
ist bisher leider fast noch nichts geschehen, was sicherlich nicht ohne
schädigende Wirkung auf das Blindenwesen geblieben ist. Es reicht auch
beiweitem nicht aus, gewisse theoretische und praktische Kenntnisse auf
die Nächstbeteiligten, die Organe der eigentlichen Blindenfürsorge, zu
beschränken, sondern die Gesamtheit muß mit ihnen in mundgerechter
Form vertraut gemacht werden, damit man allenthalben dem Blinden
mit Verständnis begegnet und sich nicht hinter billiges, bequemes Mit-
leid verschanzt, das nichts weiter als »Unterstützungen« zu geben hat.
Mit anderen Worten: Die psychologische Forschung ist vor allem anderen
dazu berufen, den Blinden von den sozialen Isolierschemel herunterzu-
holen und ihn in die Gesamtheit einzugliedern, in die er gehört und in
der allein er sich zum eigenen Vorteil und dem seiner Umgebung voll
zu entfalten vermag.
Ein ernstes Streben in dieser Richtung wird ohne Zweifel zu hoch-
jnteressanten und wichtigen Endergebnissen führen, die eine wertvolle
Ergänzung des bisherigen Wissens vom Seelenleben des Menschen über-
haupt darstellen. Nur sei dringend davor gewarnt, mit vorgefaßten Mei-
nungen an die Materie heranzutreten und sich auf gelegentliche Einzel-
erfahrungen zu stützen, denn das Wort »Blinde« bezeichnet keinen scharf-
umgrenzten generellen Begrifif, sondern schließt eine Summe von Indi-
3. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwcsen. Seite 887.
vidualitäten und somit Verschiedenheiten in sich. Diese einzelnen Kompo-
nenten jener großen Summe können natürHch nicht von vornherein
gesondert betrachtet werden, aber sie dürfen nie aus dem Auge ver-
schwinden, wenn es sicli vorerst auch nur darum handeln wird und
muß, gemeinsame Züge, d. h. durch die Blindheit bedingtes »Typisches«
herauszuschälen und mit der allgemeinen Psychologie in Beziehung zu
setzen. Nur diese typischen Charakteristika sind es auch, die für die
Allgemeinheit eine Bedeutung haben, und deren nähere Kenntnis dem
Blinden mancherlei Erleichterungen verbürgt. Sie bilden den Schlüssel
zu einzelnen individuellen Verschiedenheiten, die teils auf persönlicher
Veranlagung, teils auf dem Grad und der Art der Erblindung basieren.
Namentlich das letztere muß als ein wesentlicher Faktor bei der Beur-
teilung singulärer Beobachtungen angesehen werden, da es für das
Seelenleben eines Menschen durchaus nicht gleichgültig ist, ob er das
Augenlicht bei der Geburt, als Kind oder in gereifterem Alter, ob er
es vollständig oder nur teilweise verloren hat.
Der Blindgeborene ist gleichsam in eine Welt der Nacht hinein-
gesetzt. Sein Begriffsvermögen wird nur selten oder schwer jene Erschei-
nungen erfassen, die wir mit »Licht« oder »Farbe« bezeichnen. Sie
bleiben für ihn Abstrakta, die in seinem Geistesleben eine Resonnanz
nicht finden, höchstens ein negatives Gefühl auslösen, von dem bereits
weiter oben gesprochen wurde. Die Späterblindeten retten sich dagegen
eine ganze Reihe von Vorstellungen in die Blindheit hinüber, die als
Erinnerungen fortleben und trotz des allmählichen Verblassens immer-
hin befruchtend wirken. Sie haben zwar einen Teil der Welt verloren,
diese aber ist ihnen wenigstens nicht fremd geblieben.
Schließlich besteht ein großer Unterschied zwischen denen, die
noch über größere oder kleinere Sehreste verfügen und jenen, die gegen
jede Lichteinwirkung absolut unempfindlich sind. Mit dem Grad des
verbliebenen Sehrestes hängt die Reichhaltigkeit der Wahrnehmungen
und die Regheit des Geisteslebens — natürlich bei normal Veranlagten
— eng zusammen. Schon die einfache Möglichkeit, Hell von Dunkel
zu unterscheiden, bedeutet für den Blinden einen Vorteil, den er nicht
missen möchte, wenn ihm diese Lichtempfindung auch sonst keine
weiteren praktischen Erleichterungen bietet. Er fühlt sich dem Sehenden
dadurch um einen kleinen Schritt näher und empfindet dessen »Über-
legenheit« schon um einen Grad weniger drückend, als seine völlig
lichtlosen Genossen. Gerade hierüber lassen sich in den Blindenanstalten
äußerst interessante Studien machen, bei denen zuerst auffallen dürfte,
daß unter solchen Blinden, die noch etwas sehen können, eine gewisse
Sucht besteht, sich auf diesen Sehrest Etliches zugute zu tun und gele-
gentlich mit ihm zu »renomieren«. (Parmis les aveugles le borgne est
le roi.) Er, der sonst immer selbst von den Sehenden belehrt und
geleitet wurde, sucht etwas darin, diese Mentorrolle wenigstens teilweise
dem Lichtlosen gegenüber auch einmal spielen zu können, wobei er
sich nicht selten Übertreibungen zuschulden kommen läßt, die lediglich
als Argument dafür zu werten sind, wie sehr er sich seiner schwachen
Gesichtswahrnehmungen freut und in welchem Maße er sich danach
sehnt, über den vollen, uneingeschränkten Besitz des Auges zu verfügen.
Seite 888. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen. 3. Nummer.
Ceteris paribus wird ein solcher Blinder in seiner Vorstellungs-
und Ideenwelt dem Lichtlosen aber auch tatsächlich überlegen sein,
denn er kann immerhin eine ganze Reihe von Eindrücken unmittelbar
gewinnen, die jener nur aut dem Umweg über das Gehör (durch Beschrei-
bung) oder über den Tastsinn empfangen kann. Für ihn scheint außer
der »wärmenden« auch eine strahlende Sonne, er sieht das Grün des
Grases, während jener nur die Substanz als solche fühlt.
Diese teils essenziellen, teils graduellen Differenzierungen müssen
wir im Auge behalten, um die gelegentlichen Widersprüche verstehen
zu können, die uns mitunter entgegentreten. Diese sind indessen keines-
wegs grundlegender Natur und vermögen daher auch niemals das
»Typische« zu verwischen oder in den Hintergrund zu drängen. Sie
sind es gerade, die das Studium der Blindenseele so überaus inte-
ressant und fruchtbar gestalten, weil sie bemüht ist, anpassend zu
wirken und die kleinsten vorhandenen Elemente zu einem größeren
Ganzen zusammenzufügen.
Um nun gleich von vornherein einen kleinen Wegweiser an die
Hand zu geben, möchten wir einen Bruchteil des Endergebnisses vorweg-
nehmen und als eine wesentliche Feststellung aus der Blindenpsycholo-
gie registrieren, daß ein wunderbares Ineinandergreifen der einzelnen
Sinnesfunktionen zu beobachten ist, die gewissermaßen danach streben,
die durch das fehlende Augenlicht entstandene Lücke auszufüllen und
an die Stelle der Sehwahrnehmungen Surrogatvorstellungen zu setzen.
Die große Kunst des Blinden besteht nun darin, diese Surrogate nach
Kräften der Wirklichkeit anzupassen, d. h., eine Übereinstimmung
zwischen dem zu erzielen, was er auf Umwegen wahrnimmt und dem,
was er durch Sehende von der tatsächlichen Außenwelt erfährt. Gerade
hierbei hat der Nichtsehende eine außerordentliche Geistesarbeit zu
leisten, deren Erfolg oft von wesentlichem Einfluß auf die Gestaltung
seines ganzen Lebens ist. Muß er sich doch der Welt der Sehenden
assimilieren, soweit es die besonderen Verhältnisse irgend gestatten,
um nicht in ihr als Fremdling zu erscheinen und als ein solcher behan-
delt zu werden. Seine ihm verbliebenen vier Sinne sind doppelt geschäf-
tig, und an seine Nervenkraft werden dadurch unstreitig erhöhte Anfor-
derungen gestellt.
Es wäre gänzlich verfehlt, der Annahme zu huldigen, wie es
leider noch immer vielfach geschieht, daß die Blindheit an sich eine
Schärfung der übrigen Sinne bedingt und sonst nicht vorhandene
Fähigkeiten hervorzaubert. So verschwenderisch geht die Natur an keiner
Stelle mit ihren Gaben um, vielmehr ist das, was uns bei den Blinden
als außerordentlich oder zunächst unbegreiflich erscheint, die Frucht
mühsamer und an Enttäuschungen reicher Arbeit, unermüdlicher Aufmerk-
samkeit nach innen wie nach außen. Daher sollte man jeden Erfolg,
den ein Blinder auf geistigem, künstlerischem oder gewerblichem Gebiet
erzielt, doppelt hoch veranschlagen, denn er hat damit mehr geleistet,
unsagbar viel mehr, als sein sehender Kollege, der ans gleiche Ziel gelangt.
Diese Sonderwertung kann und muß der Blinde für sich in Anspruch
nehmen, denn er selbst weiß am besten, daß er das ganze Sein, die
gesamte Persönlichkeit auf eine Aufgabe konzentrieren muß, wenn er
sie glücklich lösen will.
3. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 889.
Offener Brief
an das Präsidium des Zentralvereines für das österr,
Blindenwesen
zuhanden des Präsidenten Herrn Direktor Karl Bürklen.
Sehr geehrter Herr Direktor!
Die Veranlassung zu diesem Schreiben findet in der Wich-
tigkeit des Gegenstandes die Erklärung und erscheint durch die
folgende Betrachtung begründet.
Die Blindenfürsorge steht im Zeichen einer Wende und
Wandlung; der Krieg reift zu äußerer Wirklichkeit, was längst
innere Notwendigkeit war; neue Fürsorgefragen dämmern; auf-
gezeigte Probleme und Aufgaben harren noch der Lösung; andere,
bereits errungene, unterliegen noch weiteren Entwicklungen,
Den vielverzweigten Bestrebun-gen, die so im Gange sind,
fehlt eine gemeinsame Zentralstelle und den Vertretern der ein-
zelnen Aktionen eine Gelegenheit ( — oder Willigkeit? — ) zur
unmittelbaren Berührung und Verständigung, eine Möglichkeit
(^- oder Willigkeit? — ) gegenseitiger Kenntnisnahme und Ver-
bindung. Ein solcher Mangel an gegenseitiger Fühlung bedeutet
aber offenbaren Nachteil für die theoretische Erkenntnis wie für
die Praxis der Blindenfürsorge — und damit eine Schädigung
ihrer Interessen. Da ergibt sich denn die Autgabe, in alle Unklar-
heiten hineinzuleuchten, den Schein zu zerstören und das praktisch
Richtige hinzustellen als einen Markstein für die Beurteilung, als
eine Richtschnur für das Handeln.
Dieser Einsicht entspringt die Vorlage meines folgenden
Antrages: das Präsidium wolle die Einberufung des
VI. österreichischen Blindenfürsorgetages für Ende
d. J. (nach Wien) in Erwägung ziehen.
Niemals vorher war ein Blindenfürsorgetag notwendiger.
Ein mannigfacher Stoff erwartet seine Bewältiger, denn die
Zeit des Überganges und der Neubildung, die nunmehr beginnt,
wird der Blindenfürsorge wenig günstig sein. Es handelt sich diesmal
nicht um Aufgaben, die reichlich Zeit — oder auch nur Zeit —
haben, in der kommenden Friedensperiode mit behaglicher Breite
behandelt zu werden ; von höchster Aktualität, können sie die
Wirklichkeit von morgen sein und verlangen so, gleich in Angriff
genommen zu werden.
Um jedoch alle diese Ideen und Gedanken festzuhalten,
durchzudenken, zu ordnen und die daraus resultierenden Aufgaben
durchzuführen, muß — wie bei jeder Interessengemeinschaft — eine
Verständigung vorausgehen ( — die stets grundlegend wird für alles
Soziale — ) eine Konvention, die eine innere Verbindung für jetzt
einleitet und eine organische Vereinigung für späterhin erleichtert,
damit die Zeiten kritischer Entscheidung über die Zukunft, die
kommen müssen, uns stark und wenn inöglich — Examen rigoro-
Seite 890. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 3. Nummer.
sum! — uns auch einig finden. Genehmigen Sie, sehr geehrter
Herr Direktor, den Ausdruck meiner besonderen Wertschätzung.
Hochachtungsvoll
Siegfried Altmann,
dzt. k. u. k. Leutnant Rfr. i. d. Res.
Wien, am 17. Februar 1918.
Indem ich dieses Schreiben allen Ausschußmitgliedern des Zentral-
vereines sowie allen in der Blindenfürsorge tätigen Amtsgenossen zur
Kenntnis bringe, bitte ich durch gütige schriftliche Mitteilung an mich,
Stellung hiezu zu nehmen.
Der Präsident des Zentralvereines
für das öst. Blindenwesen;
K. Bürklen.
Krankenstube Nr. 24.
Die Krankenstube Nr. 24 kann ich nicht vergessen. Sie war
mein erstes Ziel, als ich meine Arbeit hier begann.
Gleich an der Tür rechter Hand ist ein Bett, vor dem ich so
manches Mal erschüttert gestanden habe, erschüttert von bohrendem
Mitleid und auch von einer frohen Bewunderung darüber, wie hier
ein schweres Leid glaubensstark getragen wurde.
Es war ein Bahnwärter aus Hessenland, jung, groß und stark.
Um seinen Kopf trug er eine weiße Binde; sie ging quer über die
Augen. Wenn man sie sah, wußte man alles. Sie barg das größte
Leid, das einem widerfahren kann. Eine unglückselige Kugel war in
der linken Schläfengegend eingedrungen, hatte den Sehnerv des linken
Auges zerstört und das rechte Auge herausgerissen.
Zuerst hatten wir die Hoffnung, daß auf dem linken Auge noch
ein schwacher Schein zu retten sei, der bei sorglicher Pflege sich
immer mehr erhellen würde. Aber die Hoffnung ging nicht in Erfül-
lung. Es war für uns alle eine schwere Erkenntnis. Und als wir es
ihm sagen mußten, schnitt es uns selbst ins Herz wie mit spitzen
Messern. Er saß lange still da, als er die bittere Wahrheit vernahm.
Aber keine Klage kam über seine Lippen. Er hatte sich schon in der
Stille darauf gefaßt gemacht. Ach, wenn er wenigstens noch hätte
weinen können! Aber auch der lindernde und tröstende Tränenstrom
war versiegt.
Ich habe viel an seinem Bette gesessen, und darüber sind wir
gute Freunde geworden. Manches Wort ist zwischen uns hin und her
gegangen und hat uns herzlich miteinander verbunden.
Von der Welt, die er nun nicht mehr sehen konnte, habe ich
ihm erzählt und vorgelesen. Und er hat mir in seiner bescheidenen
Art berichtet über seine Kriegserlebnisse, seine Eltern, seine Jugend,
seine Lebensführungen. Ein Stück gesunden deutschen Familienlebens
ist da vor meinen Augen enthüllt worden. Das Beste, was sie hatten,
haben die schlichten Eltern dem Sohne mit auf den Weg gegeben:
ein treues, frommes Herz und jenen Glauben, der die Welt über-
windet.
3. Nummer. Zeitschrift lür das österreichische Blindenwesen. Seite 891.
Hier lag das Geheimnis, daß er ein so großes und bitteres
Lebensleid so stark und ergeben zu tragen vermochte.
Wenn er von den tiefsten und größten Dingen der Menschheit
sprach, von Gott und seinen wunderbaren Führungen, von Christus
und seinem Kreuze, von jenem ewigen Licht des Glaubens, das kein
Geschoß zu löschen vermag, und das umso heller brennt und leuch-
tet, je dunkler es auf dieser Welt ist, dann konnte ich solchem treuen,
schlichten Gottvertrauen gegenüber kaum meine innere Bewegung
meistern. Er machte nicht viel Worte um diese heiligen Dinge, denn
er war schon aus Veranlagung ein stiller, schweigsamer Mensch. Um
so tiefer aber wirkte das Wenige, und über allem stand die leuch-
tende Glaubenstat seiner starken Ergebung in Gottes Willen. Ich
weiß, daß ihm diese Ergebung nicht leicht geworden ist. Was muß
es für einen starken Zwanzigjährigen für ein innerer Kampf sein, sich
damit abzufinden, daß es nun ein ganzes Leben lang finstere Nacht
um ihn sein soll! Er ist Sieger geblieben auch in diesem Kampf. Der
Glaube hat ihm geholfen.
Nach Ausheilung seiner Wunden haben wir von ihm Abschied
nehmen müssen. Er ging in ein Blindenheim, um dort sein Leben
noch einmal wieder von vorne an aufzubauen. Seine gesunde Natur
verlangte nach Betätigung. Er ist so glücklich, daß er mit den Fin-
gern lesen lernen darf und daß er in allerlei Flechtarbeit und Kunst-
fertigkeit einen neuen Lebensberuf findet. Erfinderische Nächstenliebe
hilft ihm. Stein für Stein ein neues Leben zu bauen. Als ich den
ersten selbstgeschriebenen Schreibmaschinenbrief von ihm erhielt,
merkte ich deutlich, daß es um ihn schon heller geworden war. Und
seine größte Freude war die, daß ihm das Evangelium des Johannes,
in dem so viel geschrieben steht von dem inneren Licht der Seele
und der Welt, in Blindenschrift geschenkt worden ist, und daß er es
täglich besser mit seinen Fingern zu lesen versteht.
»Ich kann noch glücklich und zufrieden sein,« sagte er mir ein-
mal als ich ihn besuchte. »Hier im Institut sind Kameraden, die haben
es noch viel schwerer als ich.« Er meinte, daß mancher neben dem
verlorenen Augenlicht auch noch den Verlust dieses oder jenes
Gliedes zu tragen haben. Ich aber dachte bei seinen Worten: Wenn
jene Kameraden nicht den köstlichen Besitz im Herzen haben, den
dieser schlichte Dorfbewohner aus dem Hessenland von seinen Eltern
i.iitbekam und treulich aucli in den schwersten Stunden bewahrt hat,
dann weiß ich nicht, wie sie stark genug sein sollen, so schwere Last
auch nur durch einen einzigen dunklen Tag zu tragen.
Lazarettpfarrer H. Schaefer.
Die Blinde.
Von Lucie K o h m er - H c i Isch c r.
Ich warte still. Die Sonnenstrahlen gleiten
Hin über Sclirank und Fach voll Heimlichkeiten,
Vertrauter Hausrat blinkt noch wie vor Zeiten.
Seite 892. Zeitschrift für das österreichische Bhndenwesen. 3. Nummer.
Geöffnet blieb die Tür. Ein kleiner Garten
Kniet demütig mit Blumen an der Schwelle,
Und eine Birke hängt voll Glanz und Helle ....
Da trittst Du tastend in das Dämmerdunkel,
Von Licht umfangen. Mit den schmalen Händen
Ahnst Du das stumm Geräte an den Wänden.
Wie Zeichen auf vergilbten Pergamenten
Sind Deiner Stirn und Deiner Augen Falten,
Dein blasser Mund, den Einsamkeiten malten.
Du sprichst zu mir. Hart geht ein Klang. Darinnen
Schwingt schrill ein Ton von unnennbarer Trauer,
Der ohne Echo stirbt an kalter Mauer ....
Mir ist so bang, ich weiß nicht, wo Dich finden.
Und fühle meiner armen Worte Sünde:
Ich hab' das Augenlicht und bin die Blinde.
Und aus dem bunten Gaukelspiel der Farben
Taucht jäh Dein starrer Blick und bohrt ins Weite,
Ins Unsichtbare sich und Wehbefreite.
(Bergstadt).
Personalnachrichten.
— Zum Direktor des Blinden-Mädchenheimes »Elisabethinum«
in Melk a. D. wurde der Prior des Stiftes Melk P. Kolumban
Ressavar bestellt.
— Der blinde Violin-Hilfslehrer am k. k. Blinden-Erziehnngs-Inslitute in Wien,
Herr Karl Eichler, selbst ehemaliger Zögling der Anstalt, wurde anläßlich der
Enthebung von dieser Lehrtätigkeit durch die Verleihung des silbernen Verdienst-
kreuzes mit der Krone Allerhöchst ausgezeichnet. Am 25. Jänner 1918 überreichte
ihm der Direktor der Anstalt, Regierungsrat A. Meli, diese Auszeichnung in Gegen-
wart aller Zöglinge und des Anstaltslehrkörpers, indem er die ersprießliche mehr
als dreißigjährige Tätigkeit des Ausgezeichneten hervorhob, welcher unter Belassung
seiner bisherigen Remuneration als Gnadengabe der Dienstleistung in Berücksichti-
gung des erreichten höheren Alters enthoben wurde. Er sprach seine Befriedigung
darüber aus, daß Herr Eichler nunmehr in der Reihe der Allerhöchst ausgezeich-
neten ehemaligen Zöglinge der Anstalt stehe, von denen sich viele durch redliche
Arbeit und ernstes Streben eine sehr geachtete Stellung im Leben errungen halten.
Ein ehemaliger Zögling dankte dem Herrn Lehrer in innigen Worten für seine
Bemühungen, worauf der Gefeierte in Rührung seinerseits die Bitte aussprach,
seinen Dank, der in ein dreimaliges Hoch auf Seine Majestät den Kaiser ausklang,
an die Stufen des Thrones gelangen zu lassen.
Aus den Hnstalten.
— N. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf. Faschingsabend
Zum erstenmale seit Kriegsbeginn wurde der Faschingssonntag wieder mit einer
Theatervortührung und musikalischen Vorträgen gefeiert. Die Zöglinge und eine
Anzahl von Angehörigen erheiterten sich an der Aufführung des harmlos lustigen
Stückes »Das Krautschaffel.« Mit anderen Genüssen mußten sie sich allerdings auf
die kommende Friedenszeit vertröstet werden.
:<. Nummer. Zeitschrift für das r)stt rieicliisrfie Hliiideinvescn. Seilt; 893,
Für unsere Kriegsblinden.
— Bericht der küstenländischen Landeskommission
zur Fürsorge für heimkehrende Krieger über ihre Tätigkeit
im Jahre 1916. Die Landeskommission liatte bisher nicht Gelegenheit,
sicli mit der Kriegsblindenfürsorge zu befassen.
Die Baronin Rittmeyer'sche Stiftung hat beschlossen, ein provi-
sorisches B li n deni n sti t u t zu errichten und in demselben eine
besondere Abteilung den Kriegsl)linden aus dem ganzen Küstenlande
zu reservieren. Die Eröffnung des Institutes ist für den Monat April
1. J. vorgesehen. Sache der Landeskommission wird es sein, die
Kriegsblinden aus dem Küstenlande, die bisher in den Anstalten des
Inlandes gepflegt wurden, ausfindig zu machen und in das Triester
Institut aufnehmen zu lassen.
Der Kriegsbündenfond hatte im ersten Reclinungsjahre 11.989 K
Einnahmen und 29 K Ausgaben.
— Die Kaiserin für die Kriegsblindenheimstätten. Die Kaiserin hat
dem Verein Kriegsbiindenheimstätten in Wien einen ihr zur Verfügung gestellten
Betrag zugewendet.
— Erzherzog Franz Salvator besuchte am 14. Februar l. J. das Kaiser
Karl-Kriegsblindenlieim in Wien XIlI und nahm dessen Einrichtungen mit großer
Befriedigung in Augenschein.
— Ausstellung. Die Malerin Mina Loebell hat das Reinerträgnis der
von ihr in der Zedlitzhalle in Wien I veranstalteten Ausstellung der Kriegsblinden-
fürsorge gewidmet.
— Veranstaltung. In Probstdorf, N. Ö. wurde am 10. Februar 1. J. in
Herrn Pfeifers Saailokalitäten zugunsten der im Kriege erblindeten Soldaten von
der Ortsgruppe Probstdorf des Bundes der Deutschen in Niederösterreich
ein Wohltätigkeitski änzchen abgehalten. Das rührige und umsichtige Komitee hat
durch seine gute Einteilung und das vortreffliche Arrangement das Kränzchen zu
einem wirklich schönen Feste gestaltet, das ein Reinerträgnis von 893 K ergab.
Dieser Betrag wurde einem Institut für erblindete Soldaten überwiesen. Besondere
Verdienste als Leiter des Ganzen hat sich Ortsgruppenobmann Herr Karl Fro-
sch a u e r erworben.
— Ein Kinostück zugunsten der Aktion des Kommerzialrates Grimm.
In der Urania in Wien fand kürzlich die Erstaufführung des von der österr. Film-
gesellschaft F"ilmag hergestellten Filmes »Konrad Hartls Lebensschicksal«
statt, dessen Reinerträgnis der obigen Aktion zufließt. Es stellt das Leben eines
erblindeten Kriegers dar und dürfte geeignet sein, Interesse für diese Vaterlands-
helden in den weitesten Kreisen hervorzurufen. Rühmenswert ist vor allem die
durchaus lebenswahre Darstellung des Blinden durch den Hofburgschauspieler
Walter Huber, dessen Darbietung sich von den andern bisher gezeigten Kino-
blinden vorteilhaft abhob durch den gänzlichen Verzicht auf die Äußerlichkeiten,
die sonst den Blinden besonders, aber immer übertrieben unw'ahr markieren sollen.
Dem Werk und damit seiner Widmung ist ein großer Erfolg nur zu wünschen.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende Februar I. J.
— Neue Freie Presse: 1,245.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 3,270.000 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 320.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 85.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 30.000 K.
Seite 894. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 3. Nummer.
Verschiedenes.
— Annahme eines Blindenkalenders in Brailleschrift durch
die Kaiserin. Über Bitte des Präsidenten des k. k. Vereines »Die Technik für
die Kriegsinvaliden« hat der Protektor des Vereines Erzherzog Karl Stephan
der Kaiserin den Blindenkalender, der nach dem Dozent Dr. Herz'schen Veiviel-
fältigungsverfahren ant^efertigt wurde, überreicht. Die Kaiserin nahm die Widmung
dieses Neudruckes mit warmen Worten der Anerkennung und des Dankes huldvollst
entgegen. Für die beifällige Aufnahme und Beurteilung, die dieser Kalender in den
Kreisen, für die er bestimmt ist, findet, gibt ein Brief des Hofrates v. Chlumetzky
aus Brunn beredtes Zeugnis, den er an den Präsidenten des k. k. Vereines »Die
Technik für die Kriegsinvaliden« richtete. Der selbst blinde und auf dem Gebiete
der Blindenfürsorge tätige Hofrat v. Chlumetzky beglückwünscht den Verein zu
den Erfolgen auf dem Gebiete des Herz'schen Vervielfältigungsverfahrens für
Punkt^'chrift und sagt dann wörtlich: »Diesem zielbewußten Eingreifen des Vereines
in das etwas schwierig arbeitende Räderwerk ist es ja vor allem zu danken, daß
schon so bald ein verheißungsvoller Versuch gemacht werden konnte. Mir ist dieser
Tage der mittelst der neuen Methode herrgestellte Kalender für Blinde zugekommen,
der schon was die Form der Darbietung anlangt, als eine überaus glücklich getrof-
fene Wahl bezeichnet werden muß und in Ansehung der Ausführung und namentlich,
was die glänzende Tastbarkeit der Schrift und ihre tadellose Haltbarkeit anlangt,
alle meine Erwartungen übertrifft. Der erste Schritt ist also in verheißungsvoller
Weise getan, und das läßt in mir die feste Zuversicht entstehen, daß es trotz aller
Schwierigkeiten, welche insbesondere die Not der Zeit dem Werke in den Weg
stellt, das Unternehmen gedeihen und sich zu einer bedeutenden Errungenschaft
für die Blindenwelt nicht nur Österreichs, sondern auch anderer Länder ausgestalten
wird.« Der Verein »Die Technik f r die Kriegsinvaliden«, der das Prothesenproblem
unter Mitarbeit von Arzt, Techniker und Handwerker als erster und fürs Ausland
vorbildlich in fachkundige Behandlung genommen hat, wird, durch den obigen Brief
ermuntert, auch auf dem ihm ursprünglich entfernter gelegenen Gebiete der tech-
nischen Blindenfürsorge seine Bemühungen nach besten Kräften fortsetzen.
— Vortrag eines blinden Esperantisten. Der blinde Musiker
J. Krieger hielt am 1. Februar 1918 im I. Wr. Esperanto-Verein eine Vor-
lesung in Esperanto und zwar las er die Übersetzung der Novelle »Die Gefahr«,
deren Verfasser der Blinde O. Baum ist.
— Das Wachstum des Auges. Kinder haben verhältnismäßig große
Augen. Interessant ist, daß sich das Auge bezüglich seiner Größenverhältnisse bei
der Geburt und seines Wachstums ahnlichlich verhält wie das Gehirn. Das Gewicht
des Gesamtkörpers wächst bis zur Vollentwicklung um las 21 fache. Das Gesamt-
wachstum des Auges beträgt nur das 3"252 fache. Das Gewicht des Gehirns nimmt
um das 3.76 fache zu.
— Beschäftigung der im Kriege erblindeten Soldaten in
England. Alle teilweise oder ganz erblindete Soldaten und Matrosen werden
zunächst in das Londoner allgemeine Krankenhaus in Chelsea gebracht, wo außer
den Pflegerinnen die Mitglieder der Blindenfürsorgeaktion sich bemühen, den blinden
Patienten ihr Los so viel als möglich zu erleichtern und sie zu l schäftigen, sobald
ihr Gesundheitszustand dies zuläßt und sie in möglichst kurzer Zeit selbständig zu
machen. In dem Blindenheim der Hilfsaktion in St. Dunstan sind z. B. die Fußböden
mil Linoleumstreifen bedeckt, die es den Blinden ermöglichen, sich in der kürze-
sten Zeit in dem ganzen großen Hause ohne Führung leicht zurechtzufinden. Im
Hofe und in den Gärten sind zum gleichen Zwecke längst der Fußwege Drähte
gespannt und Bretter bei Stufen und anderen Hindernissen angebracht. In den
Schulzimmern werden die Männer zuerst in der Blindenschrift unterrichtet, die sie
sich erstaunlich schnell aneignen. Jeder Mann hat seine besondere Lehrerin, eine
Arbeit, der sich 150 Damen täglich widmen. Verhältnismäßig bald kann man auch
daran gehen, die intelligenten Blinden im Maschinschreiben zu unterrichten. Viele
von ihnen schreiben außerordentlich genau und flink. In ihren Mußestunden beschäf-
tigen sich viele mit der Anfertigung von Fischnetzen und verdienen dadurch 12 bis
15 Kronen per Woche als Taschengeld. Eine der besten Beschäftigungen für intelli-
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redalctionskomitee: K. Bürkleo,
J. Kneis, A. t. Horrath, F. Uhl, — Druck tod Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
cjentc Blinde ist Massage. Die Männer, welche diesen Beruf ausüben wollen, müssen
mittelst in Blindenschrift geschriebener Bücher einige Kenntnisse in Anatomie, Phy-
siologie und Pathologie erwerben und die gleiche strenge Prüfung ablegen wie
Masseure mit gesunden Augen. Der Erfolg der in St. Dunstan herangebildeten
blinden Masseure ist so günstig gewesen., daß ihr Instruktor von dem Middlesex
Spital in London den Antrag erhielt, mit seinen blinden Massenren die Massage-
abteilung des Spitals zu übernehmen. Eine weitere Berufsmöglichkeit für Blinde
biete, so unglaublich es klingt, die Erlernung der Stenographie. Mittelst einer sinn-
reichen kleinen Maschine und der Anwendung einer aVjgekürzten Blindenschrift sind
viele Blinde in St. Dunstan in kurzer Zeit ausgezeichnete Stenographen geworden,
die 120 Worte in der Minute aufnehmen können, eine Geschwindigkeit, die ja für
die Arbeit eines gewöhnlichen Stenographen vollkommen genügt. Viele Blinde sind
auch in der Anstalt zu sehr tüchtigen Telephonisten ausgebildet worden, und zwar
nicht nur für das Blitz-, sondern auch für das Klappensystem, da sie sehr bald nach
dem Klange genau wußten, welche Klappe herabgefallen ist. In St. Dunstan wird
natürlich auch Korb- und Mattenflechterei gelehrt. Aber auch zu guten Schuhflickern
sind viele blinde .Soldaten ausgebildet worden, die ebensogut Stiefel mit neuen
Absätzen und Sohlen versehen können wie ein Schuster mit sehenden Augen.
Manche Blinde haben es erlernt, nette Bilderrahmen anzufertigen, andere wurden zu
Tischlern oder Zirnmerleuten ausgebildet und eine Anzahl von früheren Insassen
der Anstalt beschäftigt sich in sehr wirksamer Weise mit Geflügelzucht. Mit sehr
zufriedenstellendem Ergebnis werden auch Anstrengungen gemacht, die erblindeten
Soldaten ihrem früheren Berufe zurückzuführen. Ein großes Hindernis hiefür ist
jedoch das Vorurteil der Arbeitgeber, welche zu denken scheinen, daß ein Mann,
der sein Augenlicht verloren, auch damit jeden Funken Verstand eingebüßt hat.
— Der junge Neuseeländer Clutha M ackenzie, der im Weltkrieg durch das
Platzen einer Granate des Lichtes beider Augen beraubt wurde, jetzt in London
als Journalist niedergelassen. Unterstützt durch einen Stab getreuer Mitarbeiter redi-
giert er in vorzüglicher Weise das neue Blatt »The Chronicles of the New Zea-
land«, das infolge seines anziehenden Inhalts und der guten Darstellung schon
Tausende von Lesern zählen soll.
Bücherschau.
— Gerhardt, Dr. F. v. : Materialien zur Blindenpsychologie-
(Langensalza, Wendt & Klauwell, 1917). Der Verfasser der im Jahre 1916 erschie-
nen Schrift »Aus dem Seelenleben der Blinden<, läßt dieser programmatischen Ab-
handlung ein Sammelwerk folgen, das dazu beitragen soll, einer dereinstigen syste-
matischen Darstellung der Blindeiipsychologie die Wege zu weisen und zu ebnen.
Die Mehrzahl dei gebotenen Abhandlungen ist von Blinden (Baum, Hauptvogel,
Hirsch, Reuß, Schmittberg, Schneider) selbst geschrieben und besitzen
durch ihren autobiographischen Charakter einen besonderem Wert für die unmittel-
bare Forschung. Von älteren Autoren finden sich Ansaldi, Georg i, Knell und
Kunz vertreten. Dadurch erscheinen alle wichtigen Kapitel der Blindenpsychologie
berührt und in allen wird Interressantes und Wertvolles geboten. Wir müssen dem
Verfasser für seine seltene Gabe, die eine wissenschaftliche Erforschung des
Seelenlebens der Blinden hoffnungsvoll einleitet, herzlichst Dank sagen. Mit seiner
gütigen Erlaubnis geben wir die Einbegleitung des Buches an der Spitze dieser
Nummer wieder. Wer sie liest, wird sich nach dem Buche selbst verlangen. Wir
werden noch Gelegenheit finden, auf einzelne Kapitel desselben zurück zu kommen.
— Niepel E.: Arbei tsmö gli chkeiten für Blinde, insbesondere
Kriegsblinde, in gewerblichen Betrieben (Berlin 1918. Heymann.
Preis: 1 M 50. Direktor E. Niepel veröffentlicht in dieser Schrift die Ergebnisse
der bisherigen Versuchsarbeiten des Ausschusses zur Untersuchung der Arbeits-
möglichkeiten für Blinde in gewerblichen Betrieben und zwar der Papier-, Glüh-
lampen-, Schokoladen-, Knopf-, Kartonagen-, Stahlfeder-, Porzellan- und Seifen-
fabrikation, in der Tabak-, Werkzeug- und Bekleidungsindustrie. Es wurde durch
praktische Versuche ermittelt, welche .Arbeiten für Blinde ausführbar und lohnend
sind, ohne daß die Beschäftigung aus Mitleid erfolgt. Die Ergebnisse sind so gün-
stige, daß der Ausschuß zu denselben nur zu beglückwünschen ist. Die damit für
die Erweiterung der Blindcnarbeit geleistete Arbeit, von der die Schrift ein aus-
führliches und interessantes Bild gibt, ist so . zielbewußt, wie es nur deutscher
Gründlichkeit möglich ist.
11=
Eine neue
„Titaiiia- I^iiT)litscljLi*if*tinascliiii€3**
zur Aufnahme von Stenogrammen, ist für i6o Mark zu verkaufen.
M. A. Butze, Risa in Sachsen,
Bismarkstraße 15 a.
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des Blinden-Unterstützungsvereines
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monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
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D
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D
D
G
Bezugspreis
ganzjährig mit
Postzusteilung
4 Kronen,
Einzelnummer
40 Heller.
D
D
D
D
n
5. Jahrgang.
Wien, Rpril 1918.
4. Nummer.
INHALT: O. Wanecek, Purkersdorf: Die Blendung in der Geschichte des Rechtes.
Der Hund als Blindenfreund. Blindenpädagogik in der Lehrerbildung. Per-
sonalnachrichten. f\us den Anstalten. Für unsere Kriegsblinden. Versdiie-
denes. Büdierschau. (Altes und Neues. Ankündigungen).
B=
=H
D
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? Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VI!!,
i] Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K,
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Altes und Neues.
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Neuerdings ist von Dr. Thierbach in Berlin-Marienlelde ein Weg
angegeben worden, der unter Verzicht auf das unmittelbare Abtasten
der Punktschritt zu einer wesentlichen Verringerung des Umfanges (?)
der Blindenbücher und damit zu einer Verbilligung und bequemeren
Handhabung derselben führen dürfte. Unter Beibehaltung der für das
Lesen mit der Fingerspitze durchaus bewährten Punktschrift. Thier-
bach geht von dem bekannten Siemens'schen Schnelltelegraphen aus,
bei dem die einzelnen Buchstaben zunächst als feine Löcher in einen
schmalen Streifen von dünnem Papier eingestanzt werden. Diese den
Text des Telegramms in Lochschrift enthaltenden Papierstreifen werden
bei der Aufgabe durch den Telegraphenapparat hindurchgezogen, wobei,
je nachdem ein gelochter oder ungelochter Teil des Papiers an den
Kontakträdchen vorübergeführt wird, elektrische Ströme aus- oder ein-
geschaltet werden, die am Empfangsapparat den Buchstabendrucker in
Bewegung setzen, der das Telegramm in gewöhnlichen Buchstaben
niederschreibt. Mit einer solchen Niederschrift kann nun zwar der Blinde
nichts anfangen, aber wenn man an Stelle des Buchstabendruckers nach
Thierbachs Vorschlag nun sechs kleine, in drei Reihen zu je zwei
übereinander angeordnete Stifte setzt, die durch den elektrischen Strom
je nach dem durch das Vorbeiziehen des Lochstreifens bewirkten
Schließen oder Offnen des Stromkreises gehoben und gesenkt werden,
so kann man dem auf diese sechs Stifte gelegten Finger des Blinden
von jedem Buchstaben der Punktschritt genau den Eindruck vermitteln,
den er auch empfängt, wenn er den ins Papier eingedrückten Buchstaben
unmittelbar abtastet. Ein Blindenbuch würde also nur aus einer wenig
Q) umfangreichen Rolle eines dünnen, gelochten Papierstreifens bestehen,
und der Blinde würde dieses »Buch« viel bequemer (?) lesen können,
als die jetzigen Folianten, die er bewegen und umblättern muß, bei
denen er den jedesmaligen Zeilenantang tastend suchen und über dessen
ganze Seite er fortwährend den Finger hin- und herbewegen muß. Man
kann aber, wie Thierbach ausführt, noch weitergehen, und an Stelle
der auf dem engen Raum einer Fingerspitze zusammengedrängten sechs
Stiftchen sechs Tasten verwenden, für jeden Finger eine und die letzte
für irgend eine Stelle der Handfläche, und wenn der Blinde dann auf
diese Tastatur seine Hand legt, wird er sicherlich noch deutlicher als
mit einer Fingerspitze allein fühlen können, daß beispielsweise die erste,
dritte und fünfte Taste gleichzeitig angehoben werden, um den Buch-
staben L zu kennzeichnen. Man könnte ferner daran denken, überhaupt
auf bewegliche Tasten oder Stifte zu verzichten und eine leichte Reizung
der Fingerspitzen bezw. der Handfläche direkt durch den elektrischen
Strom herbeizuführen, oder als Bewegungsmittel für Tasten oder Stifte,
die aus ihrer Anwendung bei den ebenfalls mit gelochten Papierstreifen
arbeitenden mechanischen Klavieren und anderen Musikwerken bekannte
Druckluft zu verwenden, die eine Vereinfachung (?) des gesamten
Lesemechanismus herbeiführen und diesen unabhängig von einer nicht
überall vorhandenen Elektrizitätsquelle machen würden, da der Blinde,
wie der Klavierspieler am Pianola, sich die erforderliche Druckluft
durch Treten von Bälgen leicht selbst erzeugen könnte.
5. Jahrgang,
Wien, April 1918.
4. Nummer.
^
m
»Einem erst die Augen ausstechen ^
und ihn dann führen : ob das wirklich eine ^
Tugend ist? Friedrich Hebbel. ^
SS
Die Blendung in der Geschichte des Rechtes.
Von Lehrer Ottokar Wanecek, Purkersdorf.
So unheimlich die verschiedenen verstümmelnden Leibesstraten
früherer Zeit sein mögen, grauenhafteres tritt in ihrer Reihe dem moder-
dernen, an humanitären Ideen geläuterten Empfinden wohl kaum ent-
gegen als die Blendung. Von den ältesten Zeiten bis hoch herauf in
die letzten Jahrliunderte läßt sie sich als Strafmittel feststellen. Das
ursprünglichste Rechtsempfinden prägte das Wort : »Aug' um Auge,
Zahn um Zahn.< Die aufdämmernde Kultur kann sich mit diesem ein-
fachen Ausgleich nicht mehr begnügen. Die Vergehen gegen den Besitz
des Nächsten werden häufiger als die gegen seinen Leib. Das Real-
konforme in Tat und Sühne wird unmöglich. Jetzt aber tritt die
Blendung häufig auf.
Im ursprünglichen Rechtsemfinden mag nämlich mehr die Absicht
gesteckt haben, eine Wiederholung des Verbrechens unmöglich zu
machen, als den sittlichen Ausgleich durch die Strafe herbeizuführen.
Weit herauf in der Geschichte reichen die Leibesstrafen, die eine solche
Absicht deutlich aufweisen, wie das Zungenausreißen für Verleumder
und solche, die ihre Eltern geschmäht haben, das Handabhauen für
Diebe und ähnliches. In den meisten Straffällen mag aber das Augen-
ausstechen als die gründlichste Vorkehrung angesehen worden sein,
eine Wiederholung hintanzuhalten. Wie tief diese Anschauung im
Volksbewußtsein wurzelt, beweist ein Sagenrest, dem die Wiederlands-
sage zugrunde liegt. Er wurde 1875 in Sachsen aufgefunden und erzählt,
daß der Schmied Meland im Sachsenvvalde von einem grausamen König,
der sich seine Kunstfertigkeit sichern wollte, geblendet wurde. Dadurcli
Seite 900. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 4. Nummer.
ist ihm allerdings auch die Möglichkeit fernerer kunstvoller Arbeit genom-
men, eine Tatsache, die die naive Volksanschauung vergißt. Ihr genügt
es, damit das beste Mittel gegen eine etwaige Flucht gekennzeichnet
zu haben. (Vergleiche Otto L. Jiriczek, Deutsche Heldensage, S. 24.)
Die Meinung, daß durch den Verlust des Augenlichtes dem Menschen
eine bestimmende, notwendige Voraussetzung für ein ferneres selb-
ständiges Wirken genommen sei, läßt die Blendung zu einem Mittel
der Staatspolitik werden. So erzählt der Afrikareisende Nachtigall, daß
im Lande Wadai der zur Regierung gelangende König seine Brüder
blenden läßt, um sie zu einer Thronbesteigung unfähig zu machen. Auch
die Regenten der Insel Ormus nehmen, indem sie Brüdern und Anver-
wandten das gleiche Schicksal bereiten, diesen allfällige Gelüste nach
der Herrschaft. Die derart Ausgeschalteten erhalten aber eine reichliche
Versorgung bis an ihr Lebensende.
Wenn auch derartige Greueltaten in ihrer selbstverständlichen
Regelmäßigkeit nur bei den wilden Völkern möglich sind, so ist die
Staatspolitik auch höher gesitteter Reiche vor der gleichen Maßnahme
nicht zurückgeschreckt. Diese Rechtssprüche — allerdings sind sie meist
Willkür- und Unrechtsentscheidungen — traf der Herrscher als oberster
Richter. Wo eine wirkliche oder vermeintliche Verschwörung aufgedeckt,
ein zu fürchtender Feind gefangen genommen oder ein unbequemer
Verwandter lästig wurde, war man damit gleich bei der Hand.
Als einer der geschichtlich älteste dieser Fälle ist der des letzten
Judenkönigs Zedekia (Matanja) zu nennen. Diesen hatte 597 v. Ch.
Nabukadnezar eingesetzt. Er empörte sich aber gegen den babylo-
nischen König und verband sich mit Ägypten. 586 wurde Zedekia
auf nächtlicher Flucht bei Jericho ergriffen und nach Hinrichtung seiner
Söhne des Augenlichtes beraubt.
Die fränkische Geschichte der Karolinger erzählt eine ganze Reihe
von Verwandtenblendungen aus staatspolitischen Gründen. Karl der
Große hatte seinen Enkel Bernhard zum König von Italien gemacht.
Da die Reichsteilung Ludwig des Frommen 817 Lothar die' Kaiserkrone
zusprach, fühlte jener sich benachteiligt und empörte sich. Unter dem
Schein, Unterhandlungen eingehen zu wollen, lockte man ihn nach
Chalon an d. Saone, wor er geblendet wurde. Er starb 818. Für diese
Tat mußte Ludwig der Fromme 822 öffentliche Kirchenbuße tun.
Dieser König ließ übrigens auch dem Geliebten seiner Schwester
die Augen ausstechen.
Karl der Einfältige, der französische Karolinger, ließ 873 seinen
Sohn Karlmann blenden, weil dieser sich weigerte, Geistlicher zu werden
und damit seinen Erbanspruch aufzugeben.
Ludwig III. wurde als König von Burgund von Karl dem Dicken
anerkannt und an Kindes statt angenommen. Als er 900 den Longo-
barden gegen die Ungarn zu hilfe kam, schmückte ihn das dankbare
Volk mit der eisernen Krone der Longobardenkönige. 901 erwarb er
auch die römische Kaiserkrone. Berengar von Friaul überfiel ihn in
Verona und blendete ihn. Ludwig kehrte nach Arles zurück, wo er im
Elend starb.
4. Niiinmcr. Zeilscliiifl Mir das österreichische Fiiindenwesen. Seite 901.
In gleicher Weise wollte Hugo, König von Italien gegen Berengar
vorgehen (937), welch Beginnen aber seinen eigenen Sturz herbeiführte.
Der Gegenkönig des schon genannten Karl d. Einfältigen, Hugo
der Große von Burgund ließ 949 seinem eigenen Bruder die Augen
aussteclien.
Auch dem späterem Mittelalter sind Blendungen aus dem gleichem
Motive nicht fremd. Zwei Fälle weist die Geschichte des Königstammes
der Arpaden auf.
Der Nachfolger Stephans des Heiligen, sein Neffe Peter der Vene-
zianer (1038 — 41), war ein gewalttätiger Herrscher. Deswegen und wegen
seiner Vorliebe für Ausländer brach ein Aufstand der nationalen, damals
noch heidnischen Partei aus. Der König wurde vertrieben, besiegte aber
mit Hilfe des deutschen Kaisers Heinrich II. und seines Schwagers
Adalbert von Österreich seine Gegner. Im Jahre 1046 wurde er, weil
er Ungarn als Lehen vom deutschen Kaiser genommen hatte, abermals
gestürzt und geblendet.
König Koloman (1095 — 1116) ließ seinen Bruder Almos und
dessen Sohn des Augenlichtes berauben. Trotzdem kam letzterer als
Bela II. der Blinde im Jahre 1131 zur Herrschaft, die er aber unselb-
ständig führte. Fortwährend lag er mit Borics, einem andern Thronwerber
in Streit.
Auch Robert von der Normandie verlor sein Augenlicht durch
seinen Bruder Heinrich I- von England. (1134)
Ein Blick in die griechisch-byzantinische Geschichte jener Zeit
fördert ebenfalls ähnliche grausenvolle Tatsachen zu Tage.
Isaak Angelos II. wurde von seinem eigenen Bruder vom Throne
gestoßen und verlor durch ihn das Augenlicht (1195). Im Verlaufe des
vierten Kreuzzuges wurde er aber 1203 mit seinem Sohn Alexios auf
den Thron erhoben.
Johann I\^ Laskaris wurde als unmündiges Kind auf den Thron
erhoben, aber noch im selben Jahre (1259) von Paläologus gestürzt und
trotz seiner unschuldvollen Jugend geblendet. In diesem Zustande verlebte
er noch 25 Jahre im Kerker.
Andionicus IV. führte während der Abwesenheit seines Vaters,
der im Abendlande Schutz gegen die Türken suchte, die Regierung,
verschwor sich später, als er sich vom Vater zurückgesetzt glaubte,
1375 mit Sandschi, dem Sohne Murads I. zum Sturze der Väter. Er
wurde aber eingekerkert und geblendet. Von den mit seinem Vater
verbündeten Genuesern befreit, erhielt er durch Vertrag mit den Türken
1381 einige Landstriche zur selbständigen Herrschaft. Er starb 1385.
Ferdinand der Katholische von Spanien vertrieb 1490 den letzten
Maurenkönig aus PLuropa. Dieser empörte sich in Afrika gegen die
Spanier, wurde aber gefangen und geblendet. Mit einem Zettel am
Kleide tastete er sich weiter. Auf jenem stand : »Seht hier den unglück-
lichen Beherrscher Andalusiens.«
Die Despotenangst um die Herrschaft trieb auch Abbas den Großen
von Persien (1557 — 1629) zu einer solchen Maßnahme gegen seine
Söhne und Enkel. Goethe erzählt davon in den Noten und Abhandlungen
Seite 902. Zeitschrift für das österreichische f31inden\vesen. 4. Nummer.
zum westöstlichen Diran (Pietro della Valle), daß man dem Großkönig
jene verdächtig gemacht habe. Einer sei unschuldig getötet, ein andere
halbschuldig geblendet worden. Dieser habe gesagt : »Mich hast du
nicht des Lichtes beraubt, aber das Reich.« (Fortsetzung folgt).
Der Hund als Blindenfreund.
Der Hund ist als der älteste Freund des Menschen unter den
Tieren auch der älteste Blindenfreund. Seine Treue, Anhänglichkeit
und Klugheit machten ihn schon in den frühesten Zeiten dem Blinden
wertvoll. Nicht nur, daß der arme, meistens auf sich selber angewiesene
Blinde an einem Hunde einen treuen und anspruchslosen Gesellschafter
fand, der Hund lernte dem Gesichtslosen auch verschiedene Dienste
leisten, leitete ihn auf seinen Wegen, schützte ihn vor Fehltritten
und Überfällen und erfüllte mancherlei kleine Aufträge, zu denen er
abgerichtet war.
Bis in die neueste Zeit herein, wo der Blinde sich durch Erziehung
und besondere Ausbildung freier und sicherer bewegen lernte, finden
wir daher Hunde im Dienste der Blinden. Das zeigen uns sowohl
alte Abbildungen, auf denen Blinde mit ihren vierbeinigen Führern
zu sehen sind, ein Hund den Hut oder das Almosenschüsselchen
des blinden Bettiers im Maule hält oder dessen Werkelkarren zieht,
als auch mancherlei Geschichten und Dichtungen, in denen die Treue
der Hunde gegen ihre blinden Herrn erwähnt und gepriesen wird.
Eine der rührendsten dieser Erzählungen ist die nachfolgende :
Der blinde Lautner.
Eine der schönsten Städte des herrlichen Böhmerlandes ist die
deutsche Elbestadt Leitmeritz. Sie liegt in einer gesegneten Landschaft,
der man nicht mit Unrecht den Namen »das böhmische Paradies«
gegeben hat, am Fuße rebenbewachsener und obstreicher Höhen.
Ein Wahrzeichen der Stadt ist die Rolandssäule, welche an
einer Ecke des alten Rathauses nach dem Markte zu steht ; sie galt
als das Zeichen des Stapelrechtes der Stadt. Eine andere Säule, die
sogenannte Blindensäule, ist längst zerstört, doch weiß die Sage
folgendes darüber zu erzählen:
Es war am Ende des Heumonats 1393, als König Wenzel IV.
auf der Burg Karlstein Hof hielt. Wie gewöhnlich hatten sich auch
einheimische und fremde Springer, Gaukler und Sänger eingefunden,
um sich vor Fürsten und Grafen, Herren und Rittern schauen und
hören zu lassen. Unter andern stand, wie alles sich im Burghofe
bunt durcheinander trieb, ein alter blinder Sänger, die Laute in der
Hand, begleitet von seinem treuen Hunde. Vergebens wartete er still
und lange, bis man ihn rufen würde, während der Hund sich in eine
Ecke kauerte.
Da kam gegen Abend Herzog Bernhard von Braunschweig des
Weges gezogen; sein Kämmerling Lu dger redete den Blinden über-
mütig an: »Was harrest du hier, du alter Maulwurf? Gehe in die
Gemächer der Burg und mache dort deine Schwanke!« —
4. Niimmtr. i^eilsclirifl Kir das östcneicliisclic I51iiidcii\vt;s<;ii. Seite 903.
»Ich bin kein Possenreisser,« entgegnete der Lautner; »aber
euere Stimme ist mir zu gut bekannt, als daß ich noch zweifeln
könnte, daß ihr besser dahin gehört.«
Hochrot gleich einem Wamse glühte Ludgers Gesicht; er
erhob die Hand, dem Blinden einen Schlag zu versetzen — aber wie
ein Hlitz flog der getreue Hund heran und hinderte nicht nur den
Schlag, sondern zerriß im Abwehren das Gewand des Kämmerlings
derart, daß die Schellen (eine Zierde damaliger Zeit) über den Felsweg
kollerten, f^udger zog das Schwert, allein der Hund setzte ihm so
hart zu, daß er sich genötigt sah, durchs Tor hinweg und seinem
Herrn nachzueilen.
Mittlerweile griff der Lautner voll Rührung in die Saiten und
sang das Lied von der Treue, wie sie, von Menschen verbannt, bei
dem Hundegeschlechte Aufnahme gefunden. Während er so sang,
merkte er durch die Wärme und den Odem, daß jemand ihm sehr
nahe stehe. Und als der letzte Ton der Laute verklungen war, hörte
er von dem Nahestehenden die Worte :
>Gar wohl hat mir dein Liedlein gefallen. He, Hynek, führe
den Lautner in die Küche und labe ihn — doch vergiß seines Hundes
nicht !«
Es war König Wenzel selbst, der also sprach.
Der gebissene Kämmerling hatte bereits seinen Herrn um Genug-
tuung wegen des Lautners angesprochen und diese zugesagt
erhalten. Am Abend kamen die Fürsten mit dem König beim Imbiß
zusammen. Fröhlich kreiste der Becher, alles wetteiferte, um die hohen
Herren zu vergnügen. Aber König Wenzel rief:
»Laßt einmal den bHnden Lautner holen, der mich heut' ergötzt
hat; nicht minder wird er wohl dje edlen Herren hier ergötzen, da
auch sie die Treue der Hunde kennen.«
Beifällig nickten die Fürsten; aber Ludger, der in der Nähe
stand, ergrimmte, als er des Königs Worte hörte und den Lautner
darauf eintreten sah. Und kaum setzte dei Mundschenk dem Blinden
einen vollen Becher zur Labung hin, da klagte Herzog Bernhard
von Braunschweig über Verhöhnung seiner Person in seinem Diener.
Aber König Wenzel entgegnete:
»Es tut mir leid, Vetter, aber euch hat der Lügenmund eures
Dieners genarrt. Habe ich doch selbst unbemerkt von der Warte
zugesehen und weiß gar wohl, wie alles gekommen ist.«
Hiemit war die Sache scheinbar beigelegt. Aber Ludger,
längst von den Hildesheimern erkauft, seinen Herrn zu beseitigen,
schritt in seiner Aufregung zu einer verbrecherischen Tat.
Eben sang der Lautner dem Herzoge Bernhard vor seinem
Gemache den Abschied, als dieser, tief ergriffen, des Vorgefallenen
vergaß und dem Sänger seinen eigenen Becher darbot.
Als nun der Lautner dem Pokal an den Mund setzte, schmiegte
sich der Hund mit einem solchen Ungestüm an ihn, daß der Alte
erbebte und den Becher fallen lies. Und seltsam! Der auf dem Marmor-
boden vergossene Wein brauste und schäumte und höhlte verzehrend
Seite 904. Zeitschrift das für österreicliische Bliiidenwesen. 4. Nummer.
die Steinplatten, und der Hund, der beg^ierig daran geleckt, sank
unter Zuckungen zu seines Herrn Füßen.
Man forschte nun nach, wer den Becher gefüllt. Einer von den
Dienern hatte ihn in Ludgers Händen gesehen, der zu ihm sagte,
er hole für den Herzog den Nachtrunk. Bald war es sonnenklar, daß
Ludger seinen Herrn hatte vergiften wollen. Zur Strafe dafür wurde
er durch Henkershand gerichtet.
Wehmütig klagten die Lieder des blinden Greises um den Verlust
des teuren Hundes, Der Herzog B er n h ard aber verließ den Sänger
nicht. Dieser sollte fortan am Hofe in Braunschweig verpflegt .werden.
Allein schon in Leitmeritz erkrankte der Lautner uud starb nach
wenigen Stunden,
Zwei Jahre später ließ Herzog Bernhard mit Einwilligung
des Königs Wenzel bei der St. Michaelskirche in Leitmeritz ob dem
Grabe des blinden Lautners eine steinerne Säule errichten, auf deren
Untersatze ein Blinder mit seinem Hund ausgehauen war. Man pflegte
sie noch lange die Säulei des Blinden zu nennen; sie fiel aber, als
am 26. März 1511 eine Erderschütterung die Stadt Leipzig schwer
beschädigte,*
So sagenhaft ausgeschmückt diese Erzählung auch ist, gibt sie
uns doch in ihrem sicherlich wahren Kern ein Bild von der rührenden
Treue, mit welcher der blinde Mensch und der Hund aneinander
hängen können.
Auch der selbst erblindete Dichter G. Pfeffel schildert uns
diese Liebe in gleich rührender Weise an einem blinden Invaliden
und seinem Pudel. Der Pudel — welcher selbst als Erzähler seiner
Lebensgeschichte auftritt — kommt in der vierten Woche seines
Lebens zu dem Invaliden, der ihrn verschiedene Kunststücke beibringt,
um durch ihn sein Brot zu verdienen. Sie müssen sich jedoch von
einander trennen und erst das Ende der Erzählung führt die Beiden
wieder zusammen. Der Invalide ist mittlerweile erblindet und der
Pudel wird nun sein Führer. »An einer dünnen Schnur, — wozu hätte
es eines Strickes bedurft — schritt ich langsam vor ihm her und
schützte seinen Fuß vor den Steinen und seinen Körper vor den
Stößen der noch fühUoseren Menschen« Als ein Knabe den Blinden
necken will, beißt ihn der Pudel, Zwei Stadtknechte mit F"linten sollten
ihn dafür strafen, »Ich hätte fliehen können,« erzählt der Pudel,
»allein ich schmiegte mich nur fester an meinen Meister, Dieser,
der aus den Reden der Umstehenden die Gefahr vernahm, die mir
drohte, beugte sich über mich hin und flehte um mein Leben. Allein
umsonst: der Sklave drückte los, und eben die Kugel, die mir durch
den Kopf fuhr, durchbohrte meinem alten Freunde die Brust, »Legt
ihn in mein Grab!« waren seine letzten Worte,«
Die Reihe dieser Schilderungen ließe sich noch fortsetzen, doch
bieten sie immer den gleichen Stoff, wenn auch in verschiedener
Bearbeitung. Nur einer der durch die Literatur unsterblich gemachten
Vierfüßler sei noch erwähnt, denn die Art und Weise seines Benehmens
der blinden Herrin gegenüber ist hier in besonders, anziehender und
*) Ein prächtiges Stück, das in keinem Lesebuch tür Blinde fehlen sollte.
4. Numinei. Zeitschrift fdr t!as östrricichisrht; Hliiidenwesen. Seite 005.
launiger Weise oreschildert. Es handelt sich um den kleinen lioxer
in Ch. Dickens Erzähluno^ »Das Heimchen am Herd,« welcher der
blinden Puppenschneiderin Berta Führer und Gesellschafter ist.
»Boxer machte« — so erzählt uns der Dichter — »gewisse
zarte Unterscheidungen in seinein Verkehr mit Berta, woraus ich die
volle Überzeugung gewinnen mußte, daß sie blind war. Er suchte
nie ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen dadurch, daß er sie anblickte,
wie er es oft anderen Leuten gegenüber tat, sondern stieß sie dann
jedesmal sachte an. Welche Erfahrungen er bei blinden Menschen
oder blinden Hunden gesammelt haben konnte, weiß ich nicht. Er
hatte nie bei einem blinden Herrn gedient, auch waren, so viel mir
bekannt geworden, weder Herr Boxer Vater noch Frau Boxer noch
irgend ein anderes Mitglied seiner achtungswerten Familie, sei es
von väterlicher, sei es von mütterlicher Seite, jemals von Blindheit
heimgesucht worden. Vielleicht hatte er's selbst herausgefunden ;
jedenfalls hielt er sich daran in seinem Verkehr mit Blinden.«
Als Plan und Ziel in die Ausbildung und Fürsorge der Blinden
kamen, versuchte man auch das Abrichten von Hunden zu dem
besonderen Zwecke der Blindenführung. Man wählte hiezu Pudel und
Schäferhunde als die tauglichsten aus und ließ sie an einer Band-
schlinge oder an einem Stabe, welche leicht losgemacht werden
konnten, an der linken Hand des Blinden gehen, während dessen
rechte Hand einen Stock zum Tasten trug. Das Abrichten der Hunde
geschah derart, daß sie anfänglich durch einen Sehenden mehrere-
male denselben Weg geführt wurden und ihn besonders sorgfältig
an solchen Stellen übten, wo er durch Wendungen, durch langsames
Gehen, durch Stillestehen oder auf andere Art den Blinden auf die
Krümmung des Weges, auf ein vorliegendes Hindernis oder sonst
auf etwas aufmerksam machen sollte. Schließlich übernahm der Blinde
den Hund und benützte vorerst Wege, die ihm genau bekannt waren,
um sich an die Bewegungen und Kennzeichen des Hundes zu gewöhnen.
Selbstverständlich übernahm der Blinde auch die Fütterung und Pflege
des Hundes, der ihm zum Führer gegeben wurde.
Die besondere Schulung der Blindenhunde erwies sich als selir
vorteilhaft und mancher Blinde befreundete sich mit diesem stets
bereiten, genügsamen und anhänglichen Führer. Allerdings beschränkte
sich die Führung nur anf bekannte Wege und versagte auf fremden
Gebieten oder im Straßengewühle einer großen Stadt. Daher wurden
die Blindenführerhunde mehr auf dem Lande als in den Städten
heimisch, wo die meisten Blinden wohnen. Auch die Schwierigkeiten
der Haltung eines Hundes in einer Stadtwohnung trugen dazu bei,
die Führung von Blinden durch Hunde auf einzelne Fälle zu beschrän-
ken. Schließlich lernten die Blinden durch entsprechende Gewöhnung
und Übung sich an bekannten Örtlichkeiten freier und selbständiger
bewegen und zogen im Notfalle die Führung durch einen hilfsbereiten
Mitmenschen der unsicheren Leitung durch einen Vierfüßler vor.
Erst das Auftreten der Kriegsblinden hat wieder den Gedanken
an die Brauchbarkeit der Hunde als Blindenführer wachgerufen und
die Leistungen der Kriegsbunde ermunterten zur Aufnahme neuer
Versuche. Und so sind denn bereits in mehreren deutschen Städten
Seite 906. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 4. Nummer.
Hunde als Blindenführer tätig und mancher Blinde hat in ihnen einen
khigen Helfer und selbstlosen Gefährten gefunden.
Sehen wir einmal zu, was ein solcher vierbeiniger Blindenführer
zu leisten vermag.
Der Bll^idenhund trägt außer dem Halsbande ein ledernes Brust-
geschirr, an dem ein straffer, hochstehender Lederbügel angebracht
ist, den der Blinde erfaßt, um sich von dem Hunde leiten zu lassen.
Dieser Lederbügel ist, um jederzeit ohne Schwierigkeiten abgehängt
werden zu können, an zwei Karabinerhaken befestigt. Dies ist wichtig,
wenn z. B. der Hund frei laufen soll, um einen verlorenen Gegenstand
zu bringen oder eine ähnliclie Arbeit auszuführen. Der Blindenhund
hat nämlich nicht nur die Aufgabe, seinen Herrn auf bestimmten
Wegen zu führen, sondern auch verlorene Sachen aufzunehmen und
soll außerdem einen persönlichen Schutz für seinen Herrn bilden.
Der Hund geht links, dicht an seinem Herrn. Naht ein Hinder-
nis, so geht der Hund langsamer als bisher. Vor dem Hindernis
selbst setzt er sich. Durch Tasten mit dem Stock kann sich der
Blinde vergewissern, welcher Art das Hindernis ist, ob er z. B. vom
Saumstein heruntergehen muß oder ob das Hindernis derart ist, daß
er um dasselbe geführt werden soll. Durch die Befehle »Führ' weiterl
oder »Führ' um zu !« gibt er dem Hund Anweisungen, in welcher
Art er weiterzugehen beabsichtigt. Auch auf jede Stufe muß der
Blindenhund regelmäßig durch Sichsetzen aufmerksam machen. Um
kleinere Hindernisse führt er seinen Herrn ohneweiters herum. Naht
sich beim Überschreiten der Fahrstraße ein Straßenbahnwagen, Kraft-
wagen, Radfahrer oder sonstiges Fuhrwerk, so hält der Hund seinen
Herrn solange zurück, bis das betreffende Fahrzeug vorüber ist und
erst dann führt er weiter. Auf diese Art vermögen sich Blinde mit
Hilfe ihres Hundes auch im Straßengewühle mit ziemlicher Sicherheit
zu bewegen.
Schließlich hat es sich gezeigt, daß der Hund verhältnismäßig
leicht abzurichten ist, Rasen und Beete, selbst wenn diese nicht ein-
gefriedet sind, zu umgehen. Für bestimmte Tätigkeiten wurden ein-
zelne, möglichst kurze und scharte Befehlsworte geprägt. Das Wort
»Bank« bedeutet, daß der Hund seinen Herrn zur nächsten erreich-
baren Sitzbank führen soll. Auf das Wort »Arb« hat der Hund als
Ziel des Weges den Arbeitsplatz seines Herrn zu wählen.
Auf diese Art erfüllt der vierbeinige Gefährte des Blinden seine
Führerarbeit und leistet dem Gesichtslosen wertvolle Dienste. Aber
außer dieser praktischen Verwendung erfüllt er auch eine höhere
Aufgabe. Durch seinen ständigen Aufenthalt bei dem Blinden nimmt
er diesem das Gefühl des Alleinseins, bietet ihm mancherlei Zerstreuung
und wird ihm in jeder Beziehung ein guter und treuer Kamerad. Damit
erwirbt er sich die Zuneigung und Liebe seines blinden Herrn und
mit Salomo kann mancher Blinde seinen Hnnd als wahrsten Freund
bezeichnen und preisen. K. B.
4. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Bliiidenwesen. Seite 907.
Blindenpädagogik in der Lehrerbildung.
Nach lantfeii Vorbeieiliiii^en und I^röt tcnin^cn soll nunmehr die
Erweiterung der Lehrelbildung zur Befähigun<^ zum Lehramte an Volks-
und Bürgerschulen zur Beratung im Reichsrate gestellt werden. Außer
einem diesbezüglichen Gesetzentwurfe des Abgeordneten A. M. K e m e 1 1 e r
wurde eine Regierungsvorlage eingebracht; wir entnehmen aus derselben
jene Bestimmungen, welche auf den Blindenunterricht Bezug haben.
Über die allgemeine Unterweisung der Kandidaten an den Lehrer-
bildungsanstalten in diesem Spezialfache sagt der § 10 des Regierungs-
entwurfes :
»An allen Lehrerbildungsanstalten, an denen sich Gelegenheit
dazu bietet, sind die Zöglinge mit der Methode des Unterrichtes für
blinde, taubstumme, mit Sprachfehlern behaftete oder sonst abnormale
Kinder sowie mit der Einriciitung eines Kindergartens, mit Jugend-
fürsorgeeinrichtungen und den Erziehungsanstalten für sittlich verwahrloste
Kinder bekanntzumachen.«
Der Entwurf von Kemetter (§ 4) zählt dagegen unter den
Unterriclitsgegenständen ohne weitere Beschränkung auf: »Methode des
Unterrichtes viersinniger und schwachsinniger Kinder, Sprachheilkunde.«
Was der eine Entwurf also nur unter bestimmten Voraussetzungen
gelten läßt, führt der andere als gleichwertigen Unterrichtsgegenstand
an. Man kann sich keinen größeren Gegensatz denken.
Der Fassung im Regierungsentwurfe muß ein »Entweder - Oder«
gegenübergestellt werden. Entweder ist es notwendig, die Zöglinge
über die Blindenbildung (nicht allein über die Unterrichtsmethode) und
die Blindenfürsorge zu orientieren oder nicht. Wenn ja, dann darf es
keine Einschränkung geben und die »Gelegenheit« hiezu muß auch
dort geschalTen werden, wo sie derzeit nicht vorhanden ist.
Nach Kemetter die Unterrichtsmethode viersinniger Kinder neben
29 Pflichtgegenständen noch als besonderes Unterrichtsfach einzuführen,
ist gänzlich verfehlt.
Vom Interesse sind auch die Bestimmungen über die Heranbildung
von Lehrern für spezielle Unterrichtsgebiete (Sonderprüfungen). Wir
setzen die beiden Entwürfe wieder nebeneinander.
Regierungsentwurf § 13:
»Zur Ausbildung von Lehrern für ländliche Fortbildungsschulen,
dann für andere Unterrichts- und Erziehungsanstalten besonderer Richtung
(Blinden- und Taubstummenschule, Anstalten für schwachsinnige oder
andere abnormale Kinder u. dgl.) sind eigene Kurse einzurichten, zu
deren Besuch die mit dem Lehrbefähigungszeugnisse für allgemeine
Volksschulen versehenen Lehrkräfte zuzulassen sind.
Ausnahmsweise kann von der Beibringung des Lehrbefahigungs-
zeugnisses dann abgesehen werden, wenn eine anderweitige entsprechende
X'orbildung und eine längere tatsächliche Verwendung im praktischen
Dienste an Anstalten der betreffenden Art nachgewiesen wird.
Die Errichtung und Einrichtung solcher Kurse wird im Verordnungs-
wege geregelt.
Seite 908. Zeitschrift für das österreichische Bündenwesen. 4. Nummer.
Für den Fall der Errichtung eigener Anstalten zur Heranbildung
von Lehrern an Schulen für nicht vollsinnige und sonst abnormale
Kinder werden diese Anstalten den Lehrerbildungsanstalten gleichgehalten.«
Entwurf Kerne tt er § 22:
>Die Fortbildung von Lehrern zu Speziallehrern an Unterrichts-
anstalten für nicht vollsinnige Kinder erfolgt in eigenen vom Staate
errichteten, mit dem k. k. Blinden- bezw. Taubstummeninstitut und mit
der neu zu schaffenden k. k. Erziehungsanstalt für schwachsinnige Kinder
in Verbindung stehenden Kursen. Diese Anstalten sind dem Rang und
den Rechtsverhältnissen nach den k. k. Lehrerbildungsanstalten gleich
zustellen.
Die Bildungsdauer in diesen Kursen beträgt zwei Jahre. Für die
Aufnahme ist die Absolvierung einer Lehrerbildungsanstalt erforderlich.
Die erfolgreiche Absolvierung dieser Kurse berechtigt zur defini-
tiven Anstellung als Lehrer an einer Blinden-, bezw. Taubstummen-
oder Schwachsinnigenanstalt.
Lehrer, die diesen Spezialkurs nicht absolviert haben, bedürfen
zur definitiven Anstellung einer Sonderprüfung vor eigenen Kommissionen,
welche erst nach einer mindestens zweijährigen Betätigung im Spezial-
fache abgelegt werden können.«
Während in diesem Punkte der Regierungsentwurf allgemein
gehalten ist, ist der Entwurf von Kemetter schärfer umrissen. Über
die praktische Notwendigkeit und Durchtührungsmöglichkeit scheinen
sich die Verfasser beider Entwürfe nicht klar zu sein. Wir kommen
deshalb in einer ausführlichen Besprechung darauf zurück,
Personalnachrichten.
— Direktor Rupert Mayer j. Am 4. März raffte der. Tod
den noch im kräftigen Mannesalter stehenden Direktor der kärntneri-
schen Landes-Blindenanstalt in Klagenfurt ganz unerwartet rasch dahin;
er ist im 5\. Lebensjahre einem Gehirnschlage erlegen. Direktor
Rupert Mayer, im Jahre 1867 zu Villach geboren, zunächst als Volks-
schullehrer in Krumpendort und Klagenfurt tätig, dann am k. k. Blinden-
erziehungsinstitute in Wien für das Blindenlehramt ausgebildet, war
dazu ausersehen, die ersten Bestrebungen der zu begründenden kärnt-
nerischen Blindenanstalt werktätig zu unterstützen. Mit August 1898
zum provisorischen Anstaltsleiter bestimmt, wurde er am 8. Dezem-
ber 1898 zum Direktor ernannt. Direktor Rupert Mayer arbeitete
gleichzeitig auf dem Gebiete des Vereinswesens und es gebührt ihm
das große Verdienst im Jahre 1907 den Blindenfürsorgeverein, dessen
Geschäftsführer er bis zu seinem Tode war, mitbegründet zu haben.
Durch 20 Jahre mit dem Bündenwesen eng verknüpft, hatte er Gele-
genheit manche wertvolle Anregung zu geben und zur Entwicklung
der Kärtner Blindenfürsorge beizutragen. Leider gelang es ihm nicht,
die Anstalt auch in der schweren, opferreichen Zeit des Krieges in
Betrieb zu erhalten, und hat die eigentliche Blindenschule schon zu
Beginn des Weltenbrandes einen jähen Abbruch erlitten. Ausbildung
und Versorgung der Kriegsblinden standen nun im Vordergrunde
4. Niiminer. 7,citsclirift fih i\:\s österreichische Blindenvvesen. Seite 909.
seiner hilfreichen l^estrehuno^en und wurden ihm für seine Verdienste
um die heimische Kriegsblindenfürsorj);e das Kriegskreuz III. Klasse
und das Khrenzciclien II. Klasse vom Roten Kreuze mit der Kriegs-
dekoration verliehen. Die Kärntner Blinden werden ihrem verstorbenen
Direktor und langjährigen Führer ein dankbares Gedenken bewahren,
und allen, lüe ihn kannten, wird der stets gütige und herzlich gemüt-
liche Mensch, der auch das Cello zur Freude so vieler zu meistern
verstand, in lieber Erinnerung bleiben. Friedrich J öl! y.
— Professor Dr. Stephan Bernhcimer gestorben. Nacli längerem
Leiden ist am 19. März 1. j., der Vorstand der ersten Augenklinik im Allgemeinen
Krankenhause in Wien Professor Dr. Stephan Bern heim er im 57. Lebensjahre
gestorben. Kaum zweieinhalb Jahre war es dem hervorragenden Augenarzt gegönnt,
an der Wiener Universität sein Lehramt auszuüben, als er von einer schweren
Krankheit befallen wurde, der er nun erlegen ist. Seine zalilreichcn Veröffentlichungen
umfassen die wichtigsten Gebiete der Augenlieilkunde und der Grenzgebiete der-
selben. Viele Arbeiten behandeln den operativen und klinischen Teil der Augen-
heilkunde.
— Auszeichnung. Dem blinden Orgel virtuosen und Komponisten Profes-
sor Ludwig Moser wurde in Anerkennung seiner Verdienste um den unentgeltlichen
Unterricht verwundeter Soldaten und für seine Mitwirkung bei verschiedenen Kon-
zerten für letztere das Ehrenzeichen IL Klasse vom Roten Kreuz mit der Kriegs-
dekoration verliehen.
Hus den Anstalten.
— \'ersorgungs- und Beschäftigungsanstalt füi- erwachsene
Blinde in Wien VIII. Die von Direktor O. H. Stoklaska geleitete Anstalt
versorgte im Jahre 1917 46 männliche und 53 weibliche Pfleglinge.
Am 29. Juli 1917 wurde die Erinnerung an die vor fünfzig Jahren durch den
Präsidenten unseres Vereines P. Michael Hers an, gelesene erste heilige Messe
feierlich begangen.
Anstaltsarzt Dr. Theodor Hie bei erhielt das Ritterkreuz des Franz Josef-
Ordens mit der Kriegsdekoration.
Einen wichtigen Gegenstand bildete in verstärktem Malie die Versorgung der
Pfleglinge mit Nahrungsmitteln und Bekleidungsstücken. Daß sich die Verpflegung
immer noch in zureichender Weise d.irchfüliren liel.\ war zu einem guten Teile
der Mitwirkung des Direktionsmitgliedes Herrn Vizebürgermeister Rain sowie
einiger amtlicher Stellen zuzuschreiben, was mit großem Danke hervorgehoben wird.
Die waclisenden Kosten und Schwierigkeiten der Verpflegung nötigten zur Auflas-
sung der Verwnndetenabteilung mit Ende März nachdem sie zwei und ein halbes
Jahr bestanden halte. Im letzten Vierteljahre verpflegte sie noch 25 Mann. Anläß-
lich der Auflassung wurde seitens der Leitung des RotenK reuzes für die opfer-
willige Unterstützung der tiefgefühlte Dank in einem Diplome ausgesprochen.
Der gewerbliche Betrieb mußte eingeschränkt werden, weil wiederholt
Mangel an Kohle eintrat und weil gewisse Rohstoffe teils nicht mehr zu beschatTen,
teils im Preise ungemein gestiegen sind.
Zum Schluße wird mitgeteilt, daß zwei Männer mit gefälschten Karten und
Stampiglien Beträge für einige Vereine — darunter auch für unseren Verein — ein-
gehoben haben. Es wurden sofort Schritte dagegen eingeleitet, die insoferne Erfolg
hatten, als der eine dieser Leute in Untersuchungshaft ist.
Für unsere Kriegsblinden.
— Rohstoffzentrale für kriegsblinde Handwerker. Die
Schwierigkeiten in der Beschafifung der Materialien für die Bürsten-
binderei und Korbflechterei veranlaßte den »Kriegsblindenfonds int
Ministerium des Innern« in Wien einen Betrag von 100.000 K für diesen
Seite 910. Zeitschrift für das östereichische Blindenwesen. 4. Nummer.
Zweck zur Verfügung zu stellen. Eine besondere Einkautsstelle soll
den Geschäftsbetrieb beso'rgen, die Materialien zum Selbstkostenpreise
abgegeben werden. Auch Zivilblinde sollen das Bezugsrecht besitzen,
jedoch sind die Preise für diese um 10 v. H. höher als bei den
Kriegsblinden.
— Veranstaltungen:
— Akademie zugunsten erblindeter Soldaten im Lehrerhausver-
ein, Wien. Das reichhaltige Programm enthielt lebende Bilder, Gesangsvorträge und
Deklamationen.
— Akademie zugunsten der Kriegsblindenheimstätten. Ried-
hof, Wien, am 17. März 1. J.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende März 1. J.
— Neue Freie Fresse: 1,252.000 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 3,470.000 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 320.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 85.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 30.800 K.
Verschiedenes.
— Blindenkalender. hn Nachhange zu der Notiz in Nr. 3 Seite 8 94 der
Zeitschrift, betreflfend die Herz'sche Schablonenschrift, wird mitgeteilt, daß
Ihre Majestät die Kaiserin und Königin die Einverleibung des Allerhöchst Ihr über-
reichten Blindenkalenders in das Museum des Blindenwesens im k. k. Blinden-
Erziehungs-Institute Allergnädigst zu gestatten geruhten, was mit Erlaß des Oberst-
hofmeisteramtes vom 20. Februar 191 8 bekanntgegeben wurde.
— Zwei Blinde von der Straßenbahn überfahren. Am 18. März 1. J.,
ereignete sich der tragische Fall, daß zwei Blinde dem Wiener Straßenveikehr zum
Opfer fielen. Der eine von ihnen der 40 jahrige Josef Harr er erlitt einen Bruch
des Schädels und war sofort tot. Der zweite, der 24jährige Josef Hanausek, kam
mit leichteren Verletzungen davon. Er wurde von der Rettungsgesellschaft in die
Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für Blinde in Wien VIII, deren Pfleglinge
die beiden Verunglückten sind, überführt.
— Das Testament eines Wohltäters. In Wien ist der Kommerzialrat
Julius Edler v. Wickede gestorben. Dei Verblichene war ein bekannter Wohltäter,
welcher alle humanitären Bestrebungen in unserer Stadt gerne unterstützte und
zahlreichen philanthropischen Vereinen angehörte. Seinen Wohltätigkeitssinn hat er
auch in seinem Testamente bewiesen, welches nebst anderen Vermächtnissen auch
den Blindenfürsorgeverein bedenkt.
— Die falsche Pf lege s c h w e ster. In der ersten Hälfte des vorigen
Jahres tauchte in Wien eine hübsche Frauensperson in Pflegerinnentracht auf,
mietete sich bei verschiedenen Leuten ein und entwendete bei der ersten Gelegen-
heit, die sich ihr bot, Schmucksachen, Kleider und Wäsche. Mit besonder Verschla-
genheit wußte sie sich Sachen aus der Wohnung der Frau Johanna Popovics zu
verschaffen. Die falsche PHcgerin wußte das Vertrauen der blinden Dame zu gewin-
nen, führte sie einigemal vom Spaziergang nach Hause und erspähte die Gelegenheit
zu einem Diebstahl. Eines Tages erhielt der Sohn der Blinden einen Brief, er möge
sofort einen Bekannten aufsuchen, worauf die Verbrecherin der alten Frau in der
Anlage den Wohnungsschlüssel entwendete, rasch dahin eilte und einen Jackett-
anzug, sowie einen Rock im Werte von 250 Kronen entwendete. Erst nach lang-
wierigen Erhebungen konnte die falsche Pflegerin — es war die 27jährige Franziska
Wagner — ausgeforscht werden, die bereits sechsmal empfindlich wegen Diebstahls
vorbestraft ist.
Herausgeber: Zeotralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaictionskomitee: K. Bürklen,
J. Rneis, A. t. Horrath, F. Uhl, — Druck Ton Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
— Die Zahl der Ki i cg s h li n d c n in Deutschland. Dii- Zaiil der
Kriegsblinden ist nach amtlichen Ermittlungen im ganzen Deutschen Reiche 1850.
— l'lötzliche Heilung eines Kriegsblinden. Nach einer Blindheit
von 21 Monaten ist der im Blindenheime zu Bromberg zur Ausbildung befindliche
Kriegsblinde Wladislaus Barcz am 8. Februar d. J. plötzlich wieder sehend
geworden. Ks lag der seltene Kall von hysterischer Erblindung vor. Im Mai 1916
h . ttc er im Schützengraben infolge einer in seiner nächstea Nähe sprengenden
•Granate sofort sein Augenlicht vollkommen verloren. Durch Anwendimg von Hyp-
jiose und Elektrizität wurde nun seine Blindheit in dem Bromberger Reservelazarett
Kriegsschule durch den leitenden Nervenarzt Dr. Stern mit einem Schlage behoben.
Allerdings war seine .Sehfähigkeit, obwohl Augen und Nerven in Ordnung waren,
anfänglich doch matt, so daß ihm die Gegenstände wie mit einem Schleier umge-
Taen erschienen, und er. sich seiner Gewohnheit als Blinder nach erst durch Tasten von
ihrer Wirklichkeit überzeugte. Nach einigen Tagen jedoch hatte ir dir frühen-
Klarheit seines Seliens vollständig wiedererlangt.
— Opfer der schlechten Beleuchtung in Paris. Paris war schon
immer die Stadt der Eifersuchtsdramen im Kriege ist sie es mehr denn je, nach-
dem es sich herumgesprochen hat, duli die »Poilus« den Mord an ihrer Frau oder
Geliebten gewöhnlich nur mit einer »Strafversetzung« an die Front, was mit Straf-
losigkeit gleichbedeutend ist, zu büßen hatten. In letzter Zeit aber haben sich die
Fälle gemehrt, in denen sich die Eifersüchtigen in der Person, an der sie sich zu
rächen wünschten, geirrt haben.
Der Herr, der in der Rue Montesquieu mit zwei Revolverschüssen eine ihm
gänzlich unbekannte Dame niederstreckte, entzog sich, als er seines Irrtums gewahr
wurde, selbst mit einer Kugel der irdischen Gerechtigkeit. Von weiblicher Seite
wird ein so kleines Versehen weniger ernst genommen. Ein junger Mann, der in
der Rue Reaumur nichtsahnend in seine Zeitung blickte, empfing plötzlich einen
kräftigen Strahl Vitriol ins Gesicht, der ihm das Augenlicht raubte und ihn bis zur
Unkenntlichkeit verunstaltete. Gleich darauf sah die Dame mit der Vitriolflasche,
daß der Herr ihr ein Fremder war, und etwas verwirrt stammelte sie: »O verzeihen
Sie, mein Herr, ich habe mich bloß geirrt, Sie entschnldigen wohl . . .«
Zu ihrer Rechtfertigung führen die Attentäter gewöhnlich an, daß die Beleuch-
tung in Paris seit den deutschen Fliegerangriffen derart mangelhaft sei, dafS mit
dem Verkennen von Personen gerechnet werden müsse.
— Die Werke Dickens' in Blindenschrift. Um die Übertragungs-
kosten sämtlicher Dickens- Novellen in die Braillesche Blindenschrift zu decken, ver-
anstaltet, wie die »Times« berichtet, die Dickens- Gesellschaft Vorlesungen aus des
Dichters Werken in London und vielen Provinzstädten. Eine Sammlung, die kurz
vor Kriegsausbruch zu dem Zweck der Anlage einer Dickens-Bibliothek eingeleitet
wurde, hatte ein so reiches Ergebnis, daß bald sämtliche Werke Dickens in
Blindenschrift werden erscheinen können.
— 40.000 erblindete Soldaten in Frankreich? Nach einer Meldung
des »Daily Telegraph« hat der Präsident der AUiance Franco-Britannique, General
Sir Alfred Turner, kürzlich einen Aufruf zugunsten einer in Paris gebildeten
Gesellschaft zur Unterstützung französischer Soldaten, die der Krieg des Augen-
lichtes beraubte, veröffentlicht. Aus diesem Autrufe soll die Tatsache hervorgehen,
dafS die Zahl der erblindeten Soldaten in Frankreich bisher nicht weniger als
40.000 beträgt. Der Propagandaeiter hat die wirkliche Zahl der Kriegsblinden in
Frankreich wohl ins Ungeheuerliche erhöht.
— AnzeigeineinemWie ner Blatte. Weiß jemand einen Unglücklichen,
Blinden oder Krüppel, bis 60 Jahre, den ich durch Ehe glücklich machen könnte ?
Unter »Wien erwünscht 18129« an die Verwaltung des Blattes.
Es wäie interessant, die Antworten auf diese Anzeige kennen zu lernen.
Bücherschau.
— Silex, Prof. Dr. P. und Hirsch Betty: Bericht über die dreijährige
Tätigkeit an der Blindenlazarettschule in Berlin. (Berlin 1918, Selbstverlag). Die
Schrift zeigt, wie in dieser Lazarettschule im Laufe von 3 Jahren 250 Kriegsblinde
ausgebildet wurden. Durch die zahlreichen neuen Erfahrungen und Gedanken bei
Beobachtung der Seele der Kriegsblinden erweist sich die Schrift für jeden, der den
besonderen Zweig dieser Fürsorge bearbeitet, als wertvoll und ist bestens zu empfehlen.
Bürklen Karl : Das Tastlesen der Blindenpunktschrift.
Nebst Beiträgen zur Blindenpsycliologie von P. Grasemann-
Hamburg, L. Cohn-Breslau, W. Steinberg. VII, 93 Seiten
mit 6 Abbildungen im Text und 6 Tafeln.
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monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
[-| Bezugspreis Q
Q ganzjährig mit q
□ Postzustellung Q
G 4 Kronen, D
n Einzelnummer U
n 40 Heller. ^
5. Jahrgang.
Wien, Mai 1918.
5. Nummer.
INHALT: Die Heranbildung von Blinden- und Taubstummenlehrern. O. Wanecek,
Purkersdorf: Die Blendung in der Geschichte des Rechtes. F\. Krtsmäry, Pur-
kersdorf: Königlicher Musikdirektor Friedrich Meyer und die Reform der
Braiile'schen Notenschrift. K. R. Schmidt: Fünfundzwanzigster Spiegel. Per-
sonalnachrichten. f\us den Anstalten. Aus den Vereinen. Für unsere Kriegs-
blinden. Verschiedenes. Briefkasten. Büdierschau. (Altes und Neues. Ankündi-
gungen).
D
-H
fJ Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien Vlll,
i] Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K.
flites und Neues.
.. I ) (' V S (• h ] o i (' r des Glück s ."
Der gegenwärtig in scliwercr Stunde die Geschicke Frankreich«
leitende Ministerpräsident G. Giern ence au, welcher sich wegen seiner
rücksichtslosen Politik den Namen ,.Tiger-' erwarb, überraschte die
Pariser dadurch, daß er auf seine alten Tage unter die Komödienschreiber
ging. Im Jahre 1901 ließ er ein Theaterstück „Der' Schleier des
Glücks" auiluhren und man war allgemein gespannt darauf, was dieser
Gewaltjnensch der ÖtTentlichkeit damit zu sagen hatte. Das Trostloseste,
was man sich denken kann!
Das Stück zeigt einen blinden Vizekönig von Ghina, dem ein
europäischer Arzt mit einein Augenwasser die Sehkraft wiedergibt, ohne
daß seine Umgebung es ahnt. Er sieht nun entsetzt und verzweifelt,
daß ein verurteilter Dieb, für den er, da er ihn unschuldig glaubte, die
Begnadigung beim Kaiser erwirkt hat, bei seinem Dankbesuch alles
stiehlt, was ihm unter die Hand gerät, daß die Sammlung seißer Gedichte,
die er seinem Sekretär und Vertrauten zur Veröffentlichung übergeben
hat. von diesem unter seinem eigenen Namen herausgegeben worden
ist. daß sein einziger Sohn im Hof des Yamen unter den Augen seines
beifällig lächelnden Erziehers seinen blinden Vater durch NachäfTung
seines unsicheren Ganges und seines Tastens grausam verhöhnt, daß
sein angebetetes junges Weib ihn mit seinem besten Freunde betrügt.
Er kann diesen fürchterlichen Anblick nicht ertragen. Er überredet sich,
daß er Fiebergesichte gehabt hat, und um ihnen nicht wieder ausgesetzt
zu sein, zer.stört er sein wiedergewonnenes Augenlicht aufs neue. Jetzt
umgibt ihn ewige Nacht, aber der Mandarin begrüßt sie als Erlöserin.
Er ist wieder glücklich, wie er es gewesen, ehe der Europäer ihn sehend
gemacht: seine Blindheit ist ,.der Schleier des Glückes."
Moral: Das Leben ist Laster und Verbrechen erträglich macht
es einzig die Selbsttäuschung.
Diese Weltanschauung entspricht — wie dies ein Beurteiler des
Lebensganges von Giemen ceau ausdrückt — schwerlich der Wirklich-
keit, in der eine objektive Betrachtung Gutes neben Bösem entdeckt.
Aber .sie ist folgerichtig aus Clemenceau's Lebenserfahrung abgeleitet.
Glemenceau ist ein Menschenverächter und er nimmt die
kleinen Interessen, die geringfügigen Freuden und Schmerzen, all das
vergängliche Treiben der SterlDlichen nicht ernst. Das ist vielleicht eine
Tugend für einen Philosophen; es ist sicher keine für einen Regierenden,
der nur dazu bestellt ist, endliche Dinge zu verwalten. Er ist ein Ver-
neiner und den Völkern ist bei der Leitung ihrer Geschäfte nur mit
einem Bejaher gedient.
Clemenceau's philosophischer Monolog — das ist ,. Der Schleier
des Glücks" — ist bitter.
5. Jahrgang.
Wien, Mai 1918.
5. Nummer.
^ Dafür, daß mir Gott, der Herr, ^
1^ Ließ der Augen Schein, ^
W Will dem blinden Bruder ich &
^ Freund und Helfer sein. &
^IS^«^®S^II»l«i8igg^«l!S^^ISS^^§S^^S^S|gf«gf®MI^S^^
Die Heranbildung von Blinden- und
Taubstummenlehrern.
Die Einbringung zweier Gesetzentwürfe über die Neugestaltung der
Lehrerbildung im österreichischen Reichsrate stellt auch obige Frage
wieder auf die Tagesordnung.. Nachdem wir bereits in der vorigen Num-
mer die in den Entwürfen gebrachten Vorschläge zur Heranbildung von
Lehrern an Schulen für nicht vollsinnige Kinder anführten, wollen wir
sie diesmal einer näheren Betrachtung unterziehen.
In den Anfängen des Spezialunterrichtes für Viersinnige gestaltete
sich die Ausbildung von Lehrern für diese Fächer sehr einfach. Nach
tier Gründung der ersten Anstalten (vielfach geschah diese durch Nicht-
pädagogen) fanden sich Männer, die freiwillig oder dazu berufen, an
diesen Anstalten die Unterrichtsmethode kennen lernten, um sie dann
daselbst oder an anderer Stelle selbsttätig auszuüben. Vorschriften dafür
gab es noch keine. Einige hervorragende Fachleute fanden an ihren
Musteranstalten besonderen Zulauf unil bildeten dort ihre ,.Schüler-'
aus, so für den Blindenunterrichl Klein (^Wien) und Zeune (Berlin),
für den Taubstummeimnterricht Heini'cke (Leipzig), Stork (Wien)
und Frost (Prag). Dieses System hielt sich bei der geringen Zahl der
Anstalten für Nichtvollsinnige auch noch lange nach Einführung beson-
derer Vorschriften für die Ausbildung des notwendigen Nachwuchses
und bewährt sich auch heute noch dort, wo eine hervorragende Autori-
tät auf einem dieser Gebiete vorhanden, ist.
Seite 916. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen. 5. Nummer.
Die ersten gesetzlichen Bestimmunoen über die Blinden- und Taub-
stummenlehrerbildnnti; für Österreich wurden unter Kaiser Franz II. in
den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts gegeben. Als Ausbil-
dungsstätten wurden die in damaliger Zeit nahezu allein bestehenden
k. k. Blinden- und Taubstummeninstitute in Wien bestimmt, deselbst
besondere Kurse für Priester, Lehramtskandidaten, Beamte und Lehrer
abgehalten, die mit einer Prüfung endeten. Dieser Zustand dauerte bis
zur Erlassung des Reichsvolksschulgetzes im Jahre 1869, worauf eine
lange Pause eintrat, da die mit diesem Gesetze erhoffte Neuordnung
der Blinden- und Taubstummenlehrerbildung ausblieb. Die Anstalten
mußten selbst für die Heranbildung ihrer Lehrkräfte Sorge tragen und
dieser Zustand besteht eigentlich auch heute noch. Wohl wurden mit
der Einführung einer besonderen Befähigungsbrüfung für den Blinden-
und Taubstummenunterricht wieder 2 '/a monatliche spezielle Lehrkurse
für diese Fächer eingeführt, blieben jedoch nicht mehr auf die früher
genannten Institute beschränkt und bewährten sich in keiner Weise,
denn soweit diese Kurse nicht von bereits iiu Fache tätigen Blinden-
und Taubstmmenlehrern zur bequemen Vorbereitung für die abzulegende
Befähigungsprüfung benützt wurden, fanden sich aus anderen Lehrer-
und Lehrerinnenkreisen nur zeugnissammelnde Leute ein, um sich daran
genug sein zu lassen. Fachleute sind aus diesen Kursen keine hervor-
gegangen und die Kurse schliefen glücklich ein, denn seit 10 bezw. 25
Jahren hört man nichts mehr von ihnen.
Daß ein derartiger Zustand, vielmehr Rückstand, von den Fachleuten
selbst am schwerstei^ empfunden wird, zeigen die diesbezüglichen Erör-
terungen auf den ,,Öst. Taubstummenlehrertagen*' im Jahre 1902 und
1905, während diese Frage von den Blindenlehrern erst auf dem „Blinden-
fürsorgetag" im Jahre 1914 ganz nach dem von den Taubstummenlehrern
gegebenen Anregungen besprochen wurde. Die Forderungen gingen auf
eine zweijährige Ausbildung, die Praxis und Theorie zu umfassen hätte, hinaus.
Die Kosten hiefür sollte der Staat übernehmen, welcher zur Ausbildung
aller Lehrer verpflichtet ist. Der Anregung, die k. k. Blinden-, bezw.
k. k. Taubstummenanstalt als zentrale „Lehrerbildungsanstalten-' für
ganz Österreich zu bestimmen, begegneten namentlich die nicht-
deutschen Fachleute aus der Provinz mit Widerspruch. Eine behördliche
Stellungnahme zu den erhobenen Wünschen hat bisher nicht stattge-
funden. Erst die bereits mitgeteilten Gesetzentwürfe berühren nunmehr
auch diese Sache.
Beide Gesetzentwürfe verlangen eigene Kurse zur Heranbildung
von Lehrern an Schulen für nicht vollsinnige Kinder. Im Regierungs-
entwurfe ist keine nähere Zeitd auer für diese Kurse angegeben, der
Entwurf von K. setzt die Bildungsdauer auf zwei Jahre fest. Als Vorbe-
dingung für die Aufnahme verlangt der erstere das L e h r b e f ä h i g u n g s -
Zeugnis für allge m eineVolksschuIen, enthält jedoch den Zusatz:
„Ausnahmsweise kann von der Beibringung des Lehrbefähigungszeug-
nisses dann abgesehen werden, wenn eine anderweitige entsprechende
Vorbildung und eine längere tatsächliche Verwendung im praktischen
Dien.ste an Anstalten der betreffenden Art nachgewiesen wird." Nach
K. wäre für die Aufnahme in den Kurs nur das Rei f ezeugnis (Absol-
vierung einer Lehrerbildungsanstalt) erforderlich.
5. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blinden wesen. Seite 917.
Die Krriclilium- iiiul Kinrichliinii; der Kur.^c .'^oll nach dem I{('<,'i('riin«,'.s-
oiilwiii-rc im \'(M'()r(liiuii<is\v(\L;(! i^'crc^cll werden, wobei für den Fall der
K r r i c h t u n <^- e i f>' e n e r A n s I a It o n z u r H e r a n b i I d u n g v o n L e h r o r n
für N i (• h l V o 1! .si n n i}4(> die.so Anstalten den Lehrerbi]dunf,'.sanstalten
gleichzuhallen wären. K. verlan<i;t die Kurse in eigenen, vom
Staate erricblelen Anstalten, die mit dem k. k. Rlinden-, bezw.
Taubstummeninsliliil zu verbinden wären und dem l^ang und den
Reclitsvei'bältnisseii nach den k. k. Lehrerbildungsanstallen gleichzustellen
sind. Ob das Kurszeugnis nach dem Kegierungsenlwurfe zur Ausübung
des Lehramtes an Blinden- und Taubstummenanstalten berechtigt, ist
nicht weiter berühr!. Hei K. heißt es: „Die erfolgreiche Absol-
vierung dieser Kui-se berechtigt zur definitiven Anstellung als Lehrer
an einer Hlinden-, bezw. Taubstumnu'naiislalt. Lehrer, die diesen Spezial-
kurs nicht absolviert haben, bedürfen zur detinitiven Anstellung einer
Sonderprüfung vor eigenen Kommissionen, welche 'erst nach einer
mindestens zweijährigen Betätigung im Spezialfache ahgclogt werden
kann.-'
Die Forderung heider Entwürfe geht trotz mancher Verschiedenheiten
auf die Einrichtung von Kursen an b e s t i m mten Anstalten
(die als Lehrerhildungsanstalten zu gelten hätten) hinaus. Wir haben
bereits gehört, daß dieser Wunsch gerade 100 Jahre alt geworden ist,
um als neue Forderung aufzutauchen. Sollte er nach 100 Jahren erhoben
werden, so grüßen wir seine Antragsteller im Geiste und erlauben uns,
ihnen zu sagen, daß der Gedanke dazu aus dem vorigen Jahrhundert
stammt.
Den heutigen Antragstellern aber sei zu dieser Sache etwas mehr
gesagt. Vor allem heißt es die Frage beantworten: ,.Wel che Aus-
sichten sind für die Beschickung der gedachten Kurse
vorhanden"?
Wir haben in Österreich 14 Blindenunterrichtsanstalten mit kaum
30 Klassenlehrern und 14 Leitern, für welche die gesetzliche Befähigung
vorgeschrieben ist, denn alle sonstigen Hilfskräfte kommen für einen
Besuch der gedachten Kurse nicht inbetracht. Läßt man auch alle
Besucher außer Frage, welche lediglich des Zeugnisses wegen um Auf-
nahmen ansuchen, so ist gar nicht abzusehen, wann als Nachwuchs im
Blindenlehrerwesen ein Besuchsminimum von 10 Teilnehmern zusammen-
kommen soll. Im Taubstununenunterrichtswesen stehen die Verhältnisse
wohl etwas günstiger, denn es zählt in 29 Anstalten ungefähr 200 befähigte
Lehrkräfte. Aber selbst hier ist ebenfalls mit keinem so großen Bedarf an
Nachwuchs zu rechnen, daß die Abhaltung eines zweijährigen Kurses
zustande konnnen könnte.
Nun haben wir aber noch mit der Verschieden.sprachigkeit und
den unterschiedlichen Organisationen unserer Anstalten zu rechnen.
Bei der Zentralisierung der Kurse in den Wiener Anstalten müßten auch
die nichtdeutschen Kollegen zum Besuche der daselbst stattfindenden
Kurse veranlaßt wenlen, ilenn an Kurse in verschiedeiuMi Ländern
ist überhaupt nicht zu denken. Wir haben auf dem Blindenfürsorgetag
im Jahre 1914 bereits das Echo auf eine derartige Forderung gehört.
Mit den Kursen stehen und fallen natürlich auch die gedachten Lehrer-
bildungsanstalten.
Seite 918. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 5. Nummer.
Es ist eine alte Geschichte,
doch bleibt sie ewig neu:
Mit Fordern und Nichtsgeben
geht nur der Topf entzwei!
In diesem Verhältnisse stehen auch Staat und Blindenunterrichs-
wesen. Der Staat hat bisher für die Heranbildung der Lehrer nicht-
vollsinniger Kinder nicht das Geringste getan, obwohl die Lehrerbildung
seine Verpflichtung ist. Stellt er diesbezüglich Bedingungen und Vorschrif-
ten, die, so streng sie auch sein mögen, von den Fachleuten im Inter-
esse eines tüchtigen Nachwuchses nur freudigst begrüßt werden, so
erfülle er auch seine damit verbundene Aufgabe bezüglich der Durch-
führung. Vor allem ist aber zu verlangen, daß er sich auch in dieser
Sach^ auf realen Boden stelle und nicht das Haus mit dem Dach zu
bauen anfange. Ehe wir nicht die notwendige Zahl von Anstalten für
nichtvollsinnige Kinder besitzen und diese entsprechend organisiert
sind, ehe nicht die materiellen und ideellen Verhältnisse auf diesem
Gebiete solche sind, daß sie einen Anreiz auf hervorragende Kräfte
der Lehrerschaft ausüben, erscheinen alle Ausbildungs- und Prüfungsvor-
schriften verfrüht und dürften die gute Absicht nur ins Gegenteil verkehren
Der Kernpunkt der Beschaffung tüchtiger Lehrer für Nichtvollsinnige
liegt ganz wo anders, als dort, wo man ihn sucht. Wir möchten daher
den beabsichtigten Forderungen der Regierung nachstehende Wünsche
der Lehrerschaft, welche an Schulen für nicht vollsinnige Kinder tätig
sind, entgegensetzen.
Die Ausbildung in den genannten Spezialfächern,
sowohl praktisch als theoretisch soll so gründlich als nu r
möglich sein. Bevor jemand Lehrer der Viersinnigen sein
kann, muß er erst überhaupt Lehrer sein, muß also die
Lehrtätigkeit bei vollsinnigen Kindern ausgeübt haben.
Die Heranbildung von Blinden- und Taubstummenlehrern
hat nach Bedarf zu geschehen. Die Ausbildung sei eine
möglichst freie und vielseitige. Die Möglichkeit hiezu ist
durch Staatsstipendien zu schaffen, welche eine mehr-
jährige Unterweisung an Anstalten verschiedener Einrich-
tungen und Länder sichert, DasStipendiumverpflichtetzur
Ausübung der Lehramtstätigkeit an Schulen Nichtvoll-
sinniger durch mindestens eine bestimmte Zahl von
Jahren. Die Befähigung für den Blinden- und Taubstum-
menunterricht kann nur vor einer Prüfungskommission
erla ngtw erden, diein den ein schlägigen Fächern möglich st
hohe Forderungen zu stellen hat. Dem befähigten Blinden-
und Taubstummenlehrer ist die Gewähr einer entspre-
chenden Berufs Stellung zu geben und der Staat sichert
ihm ein Gehaltsminimum, welches seiner Vorbereitung
und seiner Lehrtätigkeit entspricht und würdig ist.
So meinen wir, könnten wir vollwertige und hervorragende Kräfte für
unsere Unterrichtsfächer gewinnen. Daß uns solche Kräfte durch die
engbrüstigen und dabei nicht einmal zu verwirklichenden Vorschriften
der beiden bezogenen Gesetzentwürfe nicht gegeben werden könnten
ist seit 100 Jahren wohl klar.
5. Numni<;r. Zeitschrift für das österreichische Blindenvvesen. Seite 919.
Die Blendung in der Gesdiidite des Rechtes.
Von l.i'hrer Ottokar Wanccek, Purkersdorf.
(Fortsetzung.)
Ebenso i.st der berüchtigte Sefi von Persien vor Verwandtenblen-
dung nicht zurückgeschreckt.
Neben den Gegenkcinigen und Verwandten traf diese Strafe vor
allem Verschwörer und in Ungnade getallene GünstUnge.
Von den letzteren ist am bekanntesten der byzantinische Feldherr
Belisar. Aber gerade dessen Blendung soll ungeschichtlich sein.
Heinrich I. von England, der, wie oben erwähnt wurde, auch
seinem Bruder Robert v. d. Normandie das Augenlicht nehmen ließ,
bereitete das gleiche Schicksal dem Barden Lake de Barre.
Das spanische Gesetzbuch vom Jahre 1255 legt diese Strafe bereits
für begnadigte Hochverräter lest. Diese wurden aber schon früher und
auch an anderen Orten derart gestraft, ohne daß ein schriftlich nieder-
gelegtes Recht bestanden hätte. Friedrich Barbarossa ließ sie an Ver-
rätern und Überläufern vollziehen.
Während des großen Bauernaufstandes 1525 ließ Kasimir von
Ansbach 57 Männern die Augen ausstechen, weil sie einst ausgerufen
hatten, sie wollten überhaupt keinen Markgrafen mehr sehen.
Unter den Kriegsgreueln alter Zeit nimmt die Blendung eine bedeut-
same Stelle ein. Der besiegte Feind, namentlich, wenn er durch zähen
Widerstand Erbitterung hervorgerufen hatte, mußte dergestalt des Siegers
Grausamkeit oft fühlen.
Schon während der Christenverfolgungen kam diese Strafe vor.
Das große Mart^T-Buch und Kirchenhistorien aus dem J, 1 572 erzählt
darüber folgendes :
»Auch hat man eine neue Weise erdacht, die Christen von ihrem
tapferen Mut abzuschrecken, und mit langwierigem Elend zu quälen.
Man ließ sie bei Tausenden zusammen auf einen Platz fordern und
einem nach dem andern erstlich das rechte Auge ausstechen, darnach
lähmte man ihnen mit einem glühenden Eisen die linke Kniekehle,
auf daß sie also einäugig und halb lahm wurden. Darnach führte man
sie ins Bergwerk, allda zu graben.-«
Ein Bild vervollständigt die schreckliche Schilderung dieser Martern.
Wilhelm der Eroberer ließ auf seinen Kriegszügen manchen
des Augenlichtes berauben ; eine Massenblendung aufsein Geheiß wurde
1074 bei Cambridge vollzogen an sächsischen und normannischen
Edelleuten.
Auch im Kriege Richards I. v. England gegen Philipp v. Frankreich
wird diese Tatsache von beiden Seiten erwähnt.
Der Hohenstaufe Friedrich II. sah sich durch die Widerspenstig-
keit der süditalischen Normannen zu diesem grausamen Zwangsmittel
veranlaßt.
Basilius II., byzantinischer Kaiser, der 976 zur Regierung kam,
soll 15000 Bulgaren blenden haben lassen. Jeder Hundertste behielt
ein Auge, damit er seinen Unglücksgefährten Führer sein könne. Der
Seite 920. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 5. Nummer.
bulgarische König soll beim Anblick dieses fürchterlichen Zuges gestorben
sein. Massenhafte Augenausstechungen sind geschichtlich verbürgt.
Ein Perserschah des 18. Jahrhunderts hat seinen Bruder blenden
lassen und den Befehl gegeben, die Bewohner einer eroberten Stadt
zu töten oder zu blenden.
Auch die Straßenräuber der Faustrechlzeit wußten sich dieses
Mittels gar wohl zu bedienen ; so heißt es in Wernher des Gärtners
Dorfgeschichte Maier Helmbrecht :
»Einstmals hört' man die Losung so :
Heia Ritter, frisch und froh !
Jetzt aber schreit es Nacht und Tag :
Hussa, Ritter, jage, jag'!
Stich drauf los und schlage nur zu !
Wer sich da wehrt, den blende Du!«
Die mannigfachsten Gründe konnten übrigens despotische Herrscher
bewegen, Übeltäter der Augen zu berauben. Iwan der Schreckliche hat
einem Moskauer Baumeister dieses Schicksal zuteil werden lassen, auf
daß er niemanden eine so schöne Kirche mehr bauen könne, wie er
ihm eine errichtet hatte. Eine ähnliche Geschichte enthält die deutsche
Sage von einem Uhrmacher.
So traf unter dem Papste Paschalis I. (817 — 824) jeden Mönch
diese Strafe, wenn er für den deutschen Kaiser predigte.
Ein Graf Herbert zu Rothenburg hat ungerechten Richtern die
Augen ausstechen, einem aber, der sein Gevatter war, nur eines nehmen
lassen, damit er die andern heimführen konnte.
Nadir von Persien ließ seinem ältesten Soldaten 1743 die Augen
ausstechen.
Floß in allen den angeführten Fällen diese Strafe aus dem einzel-
nen Willen des unumschränkten Herrschers, so spielt nebenher die
Blendung in Fällen der alltäglichen Rechtssprechung, im alltäglichen
Gewohnheitsrechte ihre bedeutungsvolle Rolle.
Die Griechen straften damit vornehmlich Ehebrecher. Zalenkos
gab den Lokrensern ein Gesetz, dem gemäß man solchen beide Augen
ausstechen sollte. (Valerius Max. lib. 6 c. 5) Später wurde der Kirchen-
räuber, dann aber auch der, welcher vorgenommener Weise jemanden
des Augenlichtes beraubte, so gestraft. Doch wurde im letzten Falle
meist nur mit einem Auge gebüßt.
Bei den Römern kann sie nur vereinzelt vorgekommen sein, da
diesem Volke die Leibesverstümmelungen fast unbekannt blieben.
Die Westgothen bestraften die Abtreibung der lebenden Frucht
an Vater oder Mutter durch Verlust beider Augen.
Die Longobarden sühnten damit den einfachen Diebstahl.
Bei den Franken mehrten sich zur Merowinger- und Karolingerzeit,
von Chilperich angefangen, solche Strafen bedeutend. Insbesondere
verfielen ihr diebische Sklaven, Straßenräuber und Verschwörer.
Die vornormannische Zeit Englands strafte Notzucht und Defloration
mit Blendung und Kastration.
Das alte, mündlich überlieferte Recht der Germanen wai- der Gefahr
des Vergessenwerdens oder der Entstellung ausgesetzt, weshalb man
5. Nummer. Zeitsclnifl fdr das öslerreichische Blindenwesen. Seite 921.
in späterer Zeit, nach dem 13. Jahrhundert begann, rechtskundige Männer
um Rat und Urteil in den versciiiedenen Rechtsfällcn anzugeiien. Auf
diese Art entstanden Niederschrilten des herkömmhchen Gewohnheits-
rechtes, die man Weistümer nennt. Die damahgen Rechtskreise waren
klein ; einzehie Döifer, Hofmarken, Gerichte, Ilerrscliaften, Amter,
Marken, Weinbergs-, Schiffer-, Fischer-, Müller- und Flößergenossen-
schaften hatten ihre eigenen Rechtsaufzeichnungen.
Als Überreste des eciiten Dinges bei den Franken spielten die
jährlich ein- bis viermal abzuhaltenden Gerichtstage, rechtweisende und
rechtsprechende Versammlungen auch im späteren Mittelalter noch eine
bedeutende Rolle. Der Name dieser Versammlungen, Ehhalttaiding oder
Banntaiding, ging auf die noch erhaltenen Urkunden über. Taiding heißt
soviel wie Tageding, das an einem bestimmten Tage abzuhaltende Ding.
Ehhafttaiding ist die wörtliche Übersetzung des bei den Franken gebräuch-
lichen Ausdruckes placitum legitimum. Bann wird zweifach erklärt ;
einmal als bestimmter Bezirk (nach Kaltenbaeck) oder nach Osenbrüggen
als unter Strafe gestellte Verpflichtung zum Erscheinen aller zugehörigen
Personen und zum Ausharren bis zum Ende der Tagung. (Näheres siehe
im Jahrbuch des Vereines für Landeskunde in N. Ö. 1914/15).
Grimm hatte als erster diese Rechtsaltertümer gesammelt. Für
das österreichische Gebiet stellen die im Auftrage der k. k. Akademie
der Wissenschaften zusammengestellten Weistümer eine reiche Fund-
grube für den Kulturforscher dar. In beiden Werken finden wir auch
öfter die Strafblendung erwähnt und zwar für Untaten, die uns in keinem
rechten Verhältnis zur dieser entsetzlichen Sühnung zu stehen scheinen.
Vor allem verfallen ihr die Jagdfrevler.
Das Banntaiding von St. Lambrecht aus dem 15. Jahrhundert
bestimmt : »Das rotwild und sweinen wildpret verpeut man auf und
ab des gotshaus grünten zu jagen bei verlierung der äugen.«
Anschließend noch einige ähnliche Vorschriften : »Von wegen
rath- und schwarzwiltpräth, rech, füx und haaßen, fischwait und rebhiener,
der ist verfallen umb die zwai gÜder, das ist die äugen.« (Bann- und
Hohaiding zu Neumarkt in Steiermark, 16. Jahrhundert).
»Ob jemand begriffen wurd, der on willen und erlaubnuß wilpräd
abstul aus allem gejaid, es war welherlai wilpräd das war, der ist
wandlvällig von aim hirsen oder hinden, von aim pern oder rech V
pfund phennig oder die äugen.« (Banntaiding von Reichenau und Prein,
16. Jahrhundert).
Die zur Jagd abgerichteten Falken, das Federspiel, sowie die Nester
des Vogelwildes, der Gestöllbaum oder das Sperbergestell zu schützen,
scheint den adeligen Nimroden besonders am Herzen gelegen zu sein.
Wenigstens finden sich darauf bezügliche Stellen sehr häufig in den
Weistümern. Doch wurden solche Vergehen nicht überall mit Ausstechen
der Augen gebüßt. Die ständig wiederkehrende Formel des Abwerfens
oder Verderbens des Federspieles bedeutet das Abwerfen der Nester.
Hier einige Belege :
»Wer ein vederspill verderbt mit willen, der ist verfallen 1 pfund
pfennig und die äugen, wo man ihn begreift.« (Banntaiding Ratten bei
Vorau in Steiermark, 16. Jahrhundert).
(Schluß folgt).
Seite 922. Zeitschrift für das Österreichische Blindenwesen. 5. Nummer.
Königlidier Musikdirektor Friedrich Meyer und die Reform der
Braiilesdhien Notenschrift.
(Ein Nachruf). Von Musikfachlehrer A. Krtsmäry.
Die ansehnliche Gemeinde der nmsiklehrenden und musii^lernenden
Blinden hat einen schmerzlichen Verlust zu heklagen: Am 4. Fehruar 1918
erlag der kgl. Musikdirektor Friedrich Meyer im 57. Lebensjahre einer
Lungenentzündung. Der Dahingegangene war durch 36 Jahre ordent-
licher Lehrer an der kgl. Blindenanstalt in Berlin-Steglitz. — Er hat
der musikalischen Aus])ildung der Zöglinge ganz besondere Sorgfalt
gewidmet und in der langen Zeit seiner Amtstätigkeit zahlreiche Schüler
herangezogen. Über F. Meyers pädagogische Wirksamkeit steht mir
kein Urteil zu, da ich deren Ergebnisse nicht kenne; aber ich stelle
einen zuverlässigen Zeugen: seinen ehemaligen Schüler und späteren
Mitarbeiter, den Herrn Franz Lange, zur Zeit Organist an der Matthäus-
kirche in Berlin. Dieser sagt von seinetn Lehrer in einem im Märzheft
der ,.Mitteilungen des Vereines der deutschredenden Blinden-' erschie-
nenen Nachruf u. a. folgendes: — nicht wenige seiner Schüler sind es,
die sich jetzt als Organisten und Chorleiter betätigen. Stets von sich
ohne Schonung seiner Gesundheit das Äußerste fordernd, hat er den
Anstaltschor zu einer Leistungsfähigkeit erhoben, die jeden, der ihn
gehört hat, mit Staunen und Bewunderung erfüllen muß.*'
Weit über die Grenzen Berlins hinaus ist Friedrich Meyer durch
seine Tätigkeit auf dem Gebiete der Notenschrift und des Notendruckes
für Blinde bekannt geworden. Schon in der Musikschriftfibel vom Jahre
1889 finden wir unter den Mitarbeitern seinen Namen. An den „Ergän-
zungen" zum Musikschrift-System, Berlin 1898 hat er hervorragenden
Anteil. Bald begann F. Meyer sich auch mit dem Druck und der
Herausgabe von Noten in Braille'scher Musikschrift zu befassen: so hat
er im Laufe der nächsten Jahre unsere Punktschrift-Musik-Literatur
um manches wertvolle Werk aus älterer und neuerer Zeit bereichert.
Diese Notendrucke wurden in der damals allein gebräuchlichen Noten-
schreibordnung dargestellt; sie zeichnen sich durch ihren klaren Druck,
fast gänzliche Fehlerfreiheit — überhaupt durch eine gewissenhafte
Schluß-Redaktion aus. Seine wirkuugsreichste Tätigkeit entfaltete er
aber als Vorsitzender der Musikschrift-Kommission, die vom 12. Blinden-
lehrer-Kongreß zu Hamburg bestellt worden war, um verschiedene
Vorschläge betreffend die Reform der Braille'schen Notenschrift zu
überprüfen und in praktischer Folge dieser Aktion, als Herausgeber
von Notenheften in neuer N o t e n s c h r e i b -Ordnung vom September
1913 ab. —
Es mögen etwas über ein Dutzend Jahre sein, da trat der blinde
Organist Franz Tiebach in Berlin mit einer neuen Notenschreib-
Ordnung ans Licht der Ölfentlichkeit, welche berechtigtes Aufsehen bei
den Interessenten hervorrief. Tiebach hat die Braille'sche Notenschrift
keineswegs verdrängen und durch etwas gänzlich Neues ersetzen wollen:
es handelte sich ihm lediglich um eine Neuordnung der Schreibweise.
Von/ler richtigen Erkenntnis geleitet, daß der nmsikalische, insbesondere
der harmonische Inhalt eines - Musikstückes, zu dessen leichter und
rascher Aufnahme möglichst eng konzentriert zur Darstellung gebracht
5. Nummer. Zeitschrift fdr das österreichische Blindenwesen. Seite 923.
werden müßte, seliliiü; Tiebach voi', die einzelnen Spielorj^mne (rechte
Hand - linke Hand) taklweise unniiltelhar einander lol^'en zu lassen
und sie nin- diwcli eigene llandstiniinzeielien auseinander zu halten.
Mochte di(\<es l'i-inzip einei' starren Kinnktiiiikeit auch zu weit j^reifend
und einseiti.u' sein, der zu Griuide lie,t<en(le Gedanke war jedenfalls j,'ut.
>\uch sei es Tiebach tnivei'.ii;essen inid an diesei- Stelle besondei's
anji'eiuerkt, daß er {\en Spielschlüssel bei Ki.tijui-en mit einantlei- ablfi-
senden S])ielor,tjanen ersonnen, sowie die Taktskala erstnuilif,' konsequent
durch.ueführt hat: beides sind Ncuerun<,'en. die unserer Notenschrift
unverlierbare praktische Werte zuj^efttbrl haben. Nicht unerwähnt bleibe,
daß sich die Taktskala in einer enii;lischen Auswahl-Aus<iabe des ..Wohl-
temperierten Klaviers von J. S. Hach*' bereits vorj^'ebildet fand. —
Kranz Tiebach blieb nicht der einzige Neuerer auf dem Gebiete der
Notenschrift, neben ihm und teilweise gegen ihn trat Ernst Haun
in Dresden auf den Plan. Dieser befürwortete Zweitakt-Gruppen und
betonte lebhaft deren sinngemäße Abgrenzung nicht nach Taktstrichen
sondern nach Phrasen-Enden. Außerdem meldete der Verein Valentin
llaüy in Paris eine stattliche Reihe von Anderungs- und Erweiterungs-
Vorschlägen zur Rrailleschen Notenschrift an, die der Hauptsache nach
darauf hinausliefen, die Wirkungsdauer von Vortrags- und Phrasierungs-
])ezeichnungen deutlicher und sinnfälliger zu gestalten. Diese Eülle von
Änderungen und Neuerungen zu überprüfen, das Beste daraus zu behalten
und dem bestehenden Musikschrift.system einzuordnen, war Aufgabe
i!er vom 12. Blindenlehrer Kongrel3 eingesetzten Musik-Konnnission.
Diese Kommission rekrutierte sieh aus blinden und sehenden Musik-
lehrern, sowie aus namhaften blinden Musikern: sie trug internationales
Gepräge, da neben Deutschland und Österreich auch Dänemark. England
und Frankreich vertreten waren. Zu ihrem Vorsitzenden wurde zuerst
Direktor A. Brands tat er aus Königsberg gewählt, nach dessen baldigem
Verzicht auf diesen Posten trat Friedrich Meyer an seine Stelle. Er
setzte sich mit den einzelnen Kommission.s-Mitgliedern in Verbindung
und holte ihr Gutachten auf schriftlichem W^ege ein. Da ich die Ehre
hatt(\ der Konnnission anzugc^hören. trat Fried. Meyer auch mit mir
in Verkehr. Ich habe meine Meinung über die vorgeschlagenen Neuerungen
in mehreren ausführlichen Zuschriften an ihn geäußert und begründet.
Fnser Verkehr blieb rein sachlich auf den Gegenstand beschränkt, eine
per-sönliche Note hat darin niemals angeklungen, ein Umstand, den ich
heute aufrichtig bedauere, denn ich habe die objektive Amtsführung
und den Arbeitseifer des Vorsitzenden hochgeschätzt und nahm doch
niemals die Gelegenheit wahr, ihn dessen zu versichern.
Die Arbeiten der Kommission zogen sich durch Jahre hin. war
doch das zu bewältigende Material recht umfangreich und die räumliche
Tremnuig der einzelnen Mitglieder und die dadurch bedingte schrift-
liche Führung der .Verhandlungen — einer raschen Abwicklung der
ganzen Angelegenheit nicht eben günstig. In der ersten Hälfte des Jahres
lODMuit die Musiksclirift-Konunission ihre Aufgabe l)een(ligt und ihre Be-
schlüsse konnlendem im.luli h)i;}in Düsseldorf versannnellen 11-. Blinden-
lehrer-Kongreß zur Amudune vorgelegt werden. Die vom Kongreß geneh-
migten Beschlüsse der Kommission bestanden in den vier folgenden
Punkten: 1.) Forderung nach möglichst kurzen Abschnitten für die rechte,
Seite 924. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 5. Nummer.
linke Hand, beziehungsweise Orgelpedal beim Drucke eines Musikstückes.
Die sinngemäße Abgrenzung der Abschnitte ergibt sich dabei ganz
ungezwungen von selbst aus dem motivischen Aufbau des Tonstückes:
2.) Einführung eines Spielschlüssels bei Figuren mit einander ablösenden
Spielorganen. Dies ist wohl die weitest gehende aller Neuerungen, sie
verlangt die Aufstellung von einigen wenigen neuen Zeichen, gewährt
aber auch die denkl)ar größten Vorteile für den Leser. Übrigens kann
der Spielschlüssel auch bei Akkorden, die sich auf beide Hände verteilen
mit Glü€k angewendet werden. 3.) Annahme einiger der Erweiterungs-
und Änderungs- Vorschläge des Vereines Valentin Haüy. Sie betreffen,
wie schon erwähnt, hauptsächlich Vortrags- und Phrasierungs Bezeich-
nungen und dringen, um nur ein Beispiel anzuführen, auf eine strenge
Unterscheidung zwischen Binde- Halte- und Phrasierungs-Bogen, wodurch
einer langjährigen Unklarheit ein Ende bereitet wurde. 4.) Anwendung
einer fortlaufend nummerierten Takt-Skala am linken Rand des Noten-
blattes; sie dient der raschen Orientierung, doch empfiehlt sie sich nur
bei komplizierten Tonwerken größeren Umfangs; bei kürzeren Stücken
nimmt man besser davon Abstand, da der hiebei in Betracht kommende
Raumverlust nicht unerheblich ins Gewicht fällt. —
Um die Brauchbarkeit der in diesen 4 Punkten aufgestellten
Neuerungen zu erproben und ihre Zweckmäßigkeit nachzuweisen, erschie-
nen seit September 1918 einzelne Hefte in zwangloser Folge mit Klavier-
und Orgel-Kompositionen berühmter Tonmeister klassischer, romantischer
und moderner Richtung. Diese Hefte, hergestellt in der Druckerei der
königl. Blindenanstalt zu Berlin-Steglitz und, wie es auf dem Titelblatt
der Hefte heißt: „Zum Studium der Braille'schen Musikschrift nach den
Beschlüssen des 14. Blindenlehrer-Kongresses zu Düsseldorf am Rhein
eingerichteU' und herausgegeben von Friedrich Meyer und Franz Lange,
haben Großformat und sind bloß einseitig bedruckt; sie bringen als
Einleitung stets einige Vorbemerkungen, in denen die im folgenden
Musikstück vorkommenden neuen Zeichen und Regeln kurz und klar
erläutert werden, so daß sich jeder blinde Musiker, der nur überhaupt
die FJraille'sche Notenschrift kennt, ohne besondere Mühe darin zurecht-
finden kann. Die schmucklosen Hefte, die sich in aller Bescheidenheit
als schlichter Versuch gaben. Neues nach Form und Inhalt zu bieten,
gehören in ihrer gesammten Anlage, ihrer vortrefflichen Gliederung in
kurze, sinngemäß begrenzte Abschnitte, in der Reinheit des musikalischen
Textes, der Sorgfalt und Sauberkeit der Ausführung bis ins Kleinste —
zum Besten, was wir überhaupt an Notendrucken besitzen. Musik aus
diesen Vorlagen gedächtnismäßig in sich aufzunehmen, etwa die G-dur
Phantasie für Orgel von J. S. Bach, die zweite Novelette von Roh.
Schumann, die Stimmungsbilder von Heinrich H o f m a n n oder die
Reisebilder von Karg-Elert, schatft im Hinblick auf die bedeutend erleich-
terte Aneignungsmöglicbkeit einen hohen geistigen Genuß; und die
geschickte, sinnreiche Verwertung und Ausnützung der neuen Zeichen
und Regeln gewährt dem Leser reines ästhetisches Vergnügen. Dennoch
haben die Mey er-Lange'schen Notenausgaben vorerst nicht den
Beifall gefunden, den sie erwarten durften und den sie verdient hätten.
Die Ursache hievon ist in psychologischen Momenten zu suchen. Es
ist eine kulturgeschichtlich erhärtete Tatsache, daß das vorwaltende
Grundgesetz im Seelenleben der meisten Menschen das geistige Beharrungs-
5. Nummer. Zeitschrift fdr das österreichische Blindenwesen. Seite 925.
vormögen isl: .si(^ klohoii zäli am Liohtfcwoliiilcn. |Allli('i'<.,'el)i"iiclil('ii. imd
koinmen sie ja in Uewoj^'ung, so laufen sie im gleiciien Geleise die
(M'simalif,' eingeschlagene liahn auf und nieder. — Darum braucht eine
neue Krlindinig, eine neue Entdeckung, eine neue Wahrheit, ein neu-
artiges Kunstwerk — Zeit, viel Zeit, um die Widerstände? des ..ewig
Gestrigen-* zu überwintlen und sich siegre'ch durclizus(!tzen. So war
es von jeher und so wird es immer sein. Was aber für die tnenschlichc
Natur im allgemeinen gilt, das gilt auch für die des Blinden im Beson-
deren, ja noch mehr, der Blinde ist vorwiegend konservativ beanlagt:
er paßt sich schwer und ungern geänderten Verhältnissen an, das
Umlernen und Neuorientieren bereitet ilnn Mißbehagen. Gewiß, es gibt
Ausnahmen, viele, glänzende Ausnahmen, aber diese bestätigen hier,
wie immer und überall, die Kegel. Dies der eine Grund, warum die
Steglitzer-Hefte keinen rechten Anklang fanden. Außerdem haben aber
auch andere ,.menschliche, allzumenschliche'' Motive mitgespielt. Selbst-
verständlich waren die beiden Keformatoren verstiunnt, daß die Musik-
Konnnission ihre teilweise einander widerstreitenden PXindungen nicht
in Bausch und Bogen und mit Haut und Haaren angenommen hatte.
I'nd mancher andere Musiker mochte sich verletzt fühlen, daß er der
Kommission nicht beigezogen worden war; so konnte es denn Herr
X. N., Organist in X, und Herr Y, Pianist in Z absolut nicht verwinden,
ilaß eine neue Notenschreibordnung ohne seine ausdrückliche Zustini-
nunig zustande gekommen war. Es kam im Blindenfreund und in den
Mitteilungen des Vereines der deutschredenden Blinden zu recht uner-
(juicklichen Auseinandersetzungen, Verwahrungen und Protesten. Königl.
Musikdirektor Meyer sah sich sogar zu einer Abwehr veranlaßt: sie
war kühl und durchaus sachlich gehalten und im Übrigen, und das blieb
die Hauptsache, ließ er seine Hefte weiter erscheinen. Schade nur,
(laß die neue Notenschreil)ordnung in den übrigen deutschen Noten-
Druckereien keine Gefolgschaft gefunden hat; dort blieb bisher alles
beim Alten — mit vielleicht alleiniger Ausnahme der gegen früher
wesentlich kürzer gewordenen Abschnitte. Wird man im Deutsch 1 and
des Friedens das Gute und Praktische auch nur als gut und praktisch
gelten lassen, — wenn es aus Paris oder London bezogen werden
kann? —
Das Tngewitter des Weltkrieges hat das Erscheinen der Hefte in
neuer Notenschreib-Ordnung zwar gehemmt und erschwert, aber keines-
wegs unterbrochen. Erst der unerl)ittliche Tod hat der Wirksamkeit
Friedrich Meyers ein jähes, allzufrühes Ziel gesetzt. Nun ist die Hand
erkaltet, die sich so redlich gemüht hat, den blinden Musikern Schönstes
und Bestes darzureichen. Der Geist ist erloschen, der nimmer müde
ward, im Dienste der Blindensache zu sinnen und zu schaffen, aber
(las Andenken des treuen schlichten Mannes lebt und wirkt in seinen
Schülern, lebt und wirkt vor allem in seinem Mitarbeite)' Franz L a nge.
Fnd jeder Blinde, der am Werke ist, sich geistige Erhebung und ästhe-
tisches Hochgefühl aus den einfachen braunen Heften zu holen, der
wird ein stilles, dankbares Gedenken dem kgl. Musikdirektor Friedrich
Meyer weihen, der in seinem Tun und Wirken, wemi auch in verhält-
nismäßig engum/.irklem Bereich, deutsche Arbeitsfreude, deutsche Sach-
kemUnis und Plliehttreue. mit einem Worte — deu t sc he G ed i egen h ei t
— zu so hervorragend hoher untl reiner Leuchtkraft entwickelt hat.
Seite 926. Zeitschrift für das österreichische Blindenwet-en. 5. Nummer.
den ])linden Musiklehrcrn und Kunstjüngern zu Nutz und Frommen, —
sich selbst, seinem Stande nnd seinem Volke zu dauernder Ehre!
Fünfundzwanzigster Spiegel.
Aus »Die Blinde« von K. R. Schmidt.
Und heute weiß ich, daß mein Geist gesundet.
Der Lebensrauscli, der mir ins Herze brach.
ist starker, milder Heiterkeit gewichen,
die reich mein ganzes Wesen überfließt
wie Herbstesklarheit reife Sommerwelt.
Als heut' ich leise mit dem Schicksal sprach,
da wollt' ein Schatten in die Seele fallen:
das harte Wort, das mich zum Wahnsinn riß,
wuchs drohend auf — ich krampfte tief die Nägel
ins Fenstersims und warf Gedankenwucht
dem Feind entgegen, ihn zu töten — doch
es stieg und stand auf meinen Lippen, und
ich sprach das Wort — hinlauschend bang und schwer —
und — sprach erstaunt es vv^ieder: Ich bin blind!
P>mattet kam es von den Wänden wieder
und sank entkräftet mir zu Füßen hin.
Ich kann es hören ohne Grauen. Kann
den dunklen Weg, der weit sich vor mir dehnt,
durchtasten ohne Schmerz, mit stillem Lächeln.
E4ns aber wächst nun riesengroß empor,
die Sehnsucht wächst: Ich möchte heim! ja heim!!
Personalnachrichten.
— Infolge andauernder Erkrankung schied Hofrat Prof. Dr.
Otto Bergmeister von seinem Posten als Augenarzt der n. ö. Landes-
Rlindenanstalt in Purkersdorf. nachdem er diese Stelle mehr als i-0 Jahre
inne hatte. Zu seinem Nachfolger wurde sein Sohn, Privatdozent Dr.
Rudolf B ergmeister, bestellt.
Hus den Hnstalten.
— ßlindenfür so r geheim zu Kiagenturt. Feier. Am 8. April
versammelten sich die Schützlinge des Blindenfürsorge-Vereines in Kärnten, die
Heimzöglinge und die Kriegsblinden, in einem blumen^eschmückten Raumee des
Männer-Blindenheimes, um ihren unermüdlichen Wohltätein, Herrn Obermedizinalrat
Dr. Othmar Purtscher und seiner edlen Gemahlin, anläßlich der Feier ihrer silber-
nen Hochzeit eine Ehrunn zu bereiten. Es war ein Herzenswunsch der Zöglinge,
das hochverehrte Jubelpaar an diesem Tage in ihren Räumen begrüßen und ihre
Glückwünsche persönlich daibringen zu können, uud sie haben auch alle Ursache,
einen Feiertag im Leben ihres rrütii^ren Gönners warmfühlend mitzuerleben, denn
seiner Fürsorge habjn sie lichtvolle Stunden zu verdanken. Die blinden Mädchen
leiteten die interne F( irr mit einem festlichen Chore ein, hierauf richtete der Geschäfts-
führer des Vereines, Fachlehrer Friedrich Jölly, eine warmempfundene Ansprache
an das Jubelpaar, in wclchtr er demselben für das «jütige Erscheinen dankte und
der herzlichsten Beglückwünschung Ausdruck gab. Mit lebhaften Worten würdigte
er die Verdienste Hr. Obermedizinalrat Dr. Purtschers um den Verein für Blinden-
5. Nummer. Zeitschrift (Ur das /isterreichischc Blindenwesen. Seite 927.
füisorgc, deren Ehrenmitglied, Begründer und eifrigster Körderer er ist. Seine edle
Persönlichkeit begnügt sich nicht mit der segensvollen Ausübung seines Berufes als
ganz hervorragender Augenarzt — er hilft auch mit, wo die ärztliche Kunst ver-
sagt, und lindert durch seine Fürsorge die Leiden der armen Lichtberaubten. Im
Namen des Vereins-Ausschußes sprach Herr Direktor Hermann Preschern, im
Namen aller Blinden noch ein Heimzögling filürku iinsche aus, worauf ein Chor die
schöne Feier beschloß.
— Blinden Versorgungshaus »Francisco-Josephinum« in
Prag. Kiner der liebenswürdigsten und tatkräftigen Förderer des Hauses, Herr Hofrat
Johann Rotky, verschied am 26. Februar 1917, nachdem er nur wenige Monate
hindurch die Öbmannstelle des Direktoriums inne hatte und mit besondeier Umsicht
und Energie ausfüllte.
In der Sitzung vom 24. April 1917 wuiden Herr kais. Rat Johann Stüdl zum
Obmann und Herr kais. Rat Karl Kleteschka zum Obmannstellvertreter gewählt.
Am 1. Mai 1917 verschied der ehemalige Anstaltsverwalter Herr JosefSimbürger
in seinen geliebten Tiroler Bergen. Der Dahingcj^angene hatte die Anstalt durch
elf Jahre treu und mit seltener Hingabe geleitet. Den Pfleglingen war er ein fürsorg-
licher Vater. Diese und seine Freunde betrauern ihn tief und werden ihn nie vergessen.
Im Jahre 1917 wurde ebenso wie in den letzten Jahren an der unumgänglich
notwendig gewordenen Maßn hme festgehalten, keine neuen PHt-glinge aufzunehmen.
Es ergibt sich bei 9 Todesfällen ein Stand von 78 Personen gegen 87 Personen
bei Jahresschluß 1916.
Darunter sind 42'Dcutsche, 36 Tschechen, bezw. 72 Katholiken und 4 Israeliten
Zu ganz besonderem Danke fühlt sich das Direktorium Herrn Inspektor
Markup verpflichtet für seine Umsicht und Fürsorge um der Anstalt, insbesondere
für seine Bemühungen bei Beschaffung der nötigsten Lebensmittel und Bedarfsartikel
wie z. B. Kohle. Seiner rastlosen Arbeit ist es zuzuschreiben, daß der Betrieb der
Anstalt trotz der allbekannten großen Verpflegsschwierigkeiten in vollem Umfange
aufrecht erhalten werden konnte.
In dankbarer Anerkennung hat das Direktorium in der Sitzung vom 30. Okto-
ber 1917 beschlossen, Herrn Markup den Titel eines Direktors der Anstalt
zu verleihen.
flus den Vereinen.
— Vollversammlung des Blindenfürsorgevereins für Tirol
und Vor ar 1 be r g. Am 16. März fand unter guter Beteiligung die Vollversammlung
des Blindenfürsorgevereines für Tirol und Vorailberg statt.
Hofrat Dr. Hans Hausotter leitete dieselbe mit einer Begrüßung der Anwe-
senden ein und hob speziell die ehrende Anwesenheit Sr. Exzellenz des Herrn
Statthalters Graf von Meran und seiner hohen Frau Gemahlin und des Herrn
Bürgermeisters Wilhelm Greil mit besonderm Dank hervor, hierauf erwähnte er
mit tief empfundenen Worten den Abgang so mancher arbeitstüchtigen Mitglieder
des nunmehr verwaisten Vereines. Die Krieg.sjahre haben überall herbe Wunden
geschlagen, aber diesen Verein hatte das Schicksal schon ganz besonders schwer
getroffen. Ein hervorragender, einflußreicher Helfer war der Vereinspräsident
Landeshauptmann Dr. Theodor Freiherr von K a t h r e i n, dessen Verlust Dank
seines besonders warmen Interesses für den Blindenfürsorge- Verein schwer zu ersetzen
ist. Ferner der Gründer des Vereines, kais. Rat Franz Thurner, welcher mit
weitschauendem Blick dem jungen Verein die Ziele gesteckt, das Blindenerziehungs-
institut gegründet, die Bahnen gewiesen und seinem lieb.sten Sorgenkind bis zum
letzten Atemzuge rastlos und unermüdet mit ganzer Kraft seine Tätigkeit gewidmet
hat, sowie auch Frau Hofrätin Maria Hausotter, die mit mütterlicher Liehe sich
der blind6n Kinder annahm und mit besonderem Eifer bemüht war, anläßlich der
Weihnachtsbescherung die lauten und stillen Wünsche der armen Geschöpfe zu
erfüllen und so ihnen einen Freudenstrahl ihn ihr lichtloses Leben zu bringen. Sie
alle hat der Tod grausam entrissen und, wird einmal die Geschichte des Vereines
geschrieben, so wird auch zu Tage kommen, welch unvergängliche Verdienste die
edlen Verblichenen sich um den Verein erworben haben. Der Lauf der Zeit hat
auch so manche treue Mitarbeiter entführt, die Protektorin, Exzellenz Gräfin von
Seite 928. Zeitschrift für das Österreichische Blindenwesen. 5. Nummer.
Toggenburg, weilt nunmehr in der Reichshauptstadt und ist daher nicht mehr
in der Lage, das Protektorat fortzuführen, Univ. -Prof. Hofrat Dr. Stefan Bernheimer,
Chefarzt an der Augenklinik der sich der ärztlichen Pflege und Untersuchung der
blinden Kinder besonders annahm, ''olgte einem Ruf nach Wien; leider ist auch er
vor einigen Tagen gestorben. Im Kriegsdienste steht dermalen der Präsident Stell-
vertreter Hofrat Paul Freiherr von Sternbach, Landesauischuß, in russische
Gefangenschaft geriet der Vereinskassier Oskar Hueber ; besonderen Dank verdient
dessen Frau Gemahlin, welche durch ihre Angestellten das ganze Kassengeschäft
in musterhafter Weise fortfuhren läßt. — In einfacher, aber sehr würdiger Weise
wurde am 1. Dezember 1907 vormittags in Gegenwart des Erzherzog Eugen, der
seit jeher das Fortschreiten der Blindensache in Tirol aufmerksam und fördernd
verfolgte, die Eröffnung des zur Erinnerung an das 60jährige Regierungsjubiläum
des Kaisers Franz Josef errichtete Blindenerziehungsinstitut gefeiert. Der unter dem
Protektorat der damaligen Fiau Statthalterin, Albertine Freiin von S p i e gel f el d,
und unter der Präsidentschaft des Landeshauptmannes, Herrenhausmitglied Dr .Theodor
Freiherrn von K a t h r e i n stehende tirolisch und vorarlbergische Blindenfürsorg- Verein
hatte damit einen großen Schritt vorwärts getan. Hervorragende Persönlichkeiten
aus der Gesellschaft, dem Gelehrtenstande, aus den besten bürgerlichen Kreisen
der Bevölkerung schlössen sich mit Interesse der Bewegung an, doch blieb der
Gründer Franz T h u r n e r auf seine Arbeitskraft faßt allein angewiesen.
Das Institut stand unter der Leitung des blinden Lehrers Oskar Troyer
und seiner Frau und zählte sechs Zöglinge. Bis zum Jahre 1910/11 ist auch der
erste Bürstenbinder, Matten- und Sesselflechterkurs entstanden und wurde zum
Unterricht Werkmeister Lohschelder angestellt. Im Jahre 1913 wurde hochw.
Pfarrer J. Vinatzer, der seit Gründung den Religionsunterricht leitet, als Direktor
bestellt. Heute stehen als Lehrer und Lehrerinnen in Verwendung : Direktor : Pfarrer
J. Vinatzer, Religionsunterricht; Leiter Oskar Trojer, Elementarunterjicht und
Musik; Lehrerin Pauline FMladelfi, Elementarunterricht; Kindergärtnerin Maria
M a i r, Fröbelarbeit und Handarbeit ; Werkmeister Heinrich Lohschelder, Bürsten-
binder, Sessel- und Mattenflechten.
Sämtliche Lehrer sind für den Blindenunterricht ordnungsmäßig geprüft, ihre
Bezüge wurden im September verflossenen Jahres den jetzigen Verhältnissen ent-
sprechend neu geregelt. Im Jahre l9l4 wurde der Anstalt das Bürstenmacher- Matten-
qnd Sesselflechter-Gawerbe förmlich verliehen, sc daß die Zöglinge im Institut die
3 Lehrjahre und das gesetzliche Gesellenjahr durchmachen können. Die Hauswirt-
schaft besorgen seit 1912 Barmherzige Schwestern aus dem Mutterhaus in Zams
mit bewährter Reinlichkeit und Ordnung, auch der jetzt sehr schwierigen Ernährungs-
frage erwiesen sich die Schwestern gewachsen. Heute zählt das Institut 15 Zöglinge.
Ausgeschult sind bereits 5 Knaben und 5 Mädchen, wovon Friedrich Longhi zur
Ausbildung als Flötenvirtuos die Wiener Musikakademie besucht, Rusch, Dagen,
Rech eis in ihrer Heimat Bürstenbinderwerkstätten errichtet haben und wird
ihnen nach Möglichkeit das dazugehörige Material gegen Entgeld vom Institut zur
Verfügung gestellt.
Ein Mädchen wird daheim zur Wartung kleiner Kinder verwendet und hat
nebenbei durch Stricken einen kleinen Nebenverdienst, hat auch Büistenbinden
erlernt, doch übt sie es nicht aus, die anderen 4 Mädchen befassen sich mit weib-
lichen Handarbeiten.
Im Jahre 1912 wurde ein Baugrund angekauft, das Hauptverdienst bei diesen
günstigen Ankauf geb ihrt wieder dem Vereinsgründer kaiserlichen Rat Franz T h u rn e r,
auch mehrere Pläne sind entworfen, und war für Herbst 1914 die Grundsteinlegung
in Aussicht genommen, der Krieg vereitelte damals das Vorhaben und ist somit
die notwendige Erbauung eines eigenen Blinden-Institutes leider wieder in die
Ferne gerückt. Die Erziehungsanstalt ist seit Errichtung in dem der Stadtgemeinde
Innsbruck gehörenden sogenannten Egger- oder Leopardischlößl in Pradl für die
heutigen Verhältnisse entsprechend untergebracht. Der Verein erfre t sich der
allgemeinen Sympathie, Beweis dessen sind die verschiedenen großen und kleinen
Spenden unl Zuwendungen wie aus nachfolgendem Rechnungsabschluß ersichtlich ist.
Hierauf erstattete Landes-Rechnungsrat Albert Brunn er den Bericht über
c|en Vermögens- und Kassenstand des Vereines : die Rechnung umfaßt den Zeitraum
vom 1. Jänner 1910 bis 31. Dezember 1917 und ist das Rechnungsergebnis folgendes:
Bargeld 6665 K 85 h, Wertpapiere und Sparbücher 209.040 K 12 h, Schuld an die
5. NiimnKM. Zeitschrift Kir das östt-neichisrlie liliiideiiwc! en. Seite 929.
Zentralbank der deutschen Sparkassen 9696 K, daher reines Vermögen am 31. De-
zcmLer 1917: 2ü6.009 K 97 h. lunen Vcrmü^enszuwachs bildet der im Jahre 1912
in Pradl angekaufte Grund für die Krrichtuni^' eines vollkommen zweckentsprechenden
Institutes, der Kaufpreis betru}^ damals 31.664 K 50 h und ist bar erle^'t worden.
Heute dürfte der Wert des Hau^rundes mit ,50.000 K nicht zu hoch j^egriffen sein,
der Wert des Inventars kann mit 10.000 K angenommen werden, sodaß das Geamt-
vermöaen mit linde 1917 sich rund auf 260.000 Kronen beläuft.
Am 31. Dezember 1909 bezifferte sich das Vermögen an Bargeld und Wert-
papieren auf 72.262 K 95 h, sodaß daher ein Vermögenszuwachs von rund 190.000 K
sich er>.;ibt. Das Vermögen besteht allerdings zum gr<)ßten Teil in Wertpapieren
und Sparbüchern.
Der Ausfall an Bargeld ist wohl auch darauf zuiückzuführen, daß die Mitglieder-
bewegung infolge der Kric-gs-Verhältnisse eine beträchtliche Einbuße eilitt und die
Jahresbeiträge seit mclireren Jahren nicht mehr eingehoben worden sind.
Zur Deckung der laufenden Auslagen im Rechnungs-Zi itraum standen dem
Vereine zur Verfügung: der Barbestand am 31. Dezember 1909 von rund 52.423 K,
an Jahres-Beitragen der Mitgleder rund 1450 K, die Zuwendungen des Tiroler
Landesausschusses von zusammen 9200 K, an Spenden von Wohltätern 21.270 K, der
Betrag pro 19l4 der k. k. Statthalterei von 2000 K, die Erträgnisse aus .Veran-
staltungen von rund 11 500 K, Kostgeld für Plleglinge rund 3512 K, die Zinsen
der Wertpapiere von rund 47.200 K, endlich der lulös aus dem Verkauf der Werkstatt-
Erzeugnisse von rund 44.472 K, somit durchschnittlich eine jährliche Einnahme
von rund 24.129 K. Die Ausgaben des Institutes betrugen in derselben Zeit, soweit
die Ausscheidung des reinen Aufwandes für dasselbe mö::,'lich war, zusammen rund
174.334 K, was einem Durchschnitts-Erfordernis von jährlich 21.792 K entsprechen
würde. Das Durchsc'r.niLtsersparnis von jährlich rund 2340 K ist nur ein scheinbares
und mußte für den Ankauf des Baugrundes aufgewendet werden. Die Schuld von
9696 K ist durch Bareinlagen im Jahre 1918 bereits zurückgezahlt.
Der Verein beteiligte sich auch an der Zeichnung der Kriegsanleihe und
zwar: an der 1. österreichisch n Kriegsanleihe mit lO.OoO K, an der 3. mit 12.000 K,
an der 5. 15.000 K und an der 6. mit 50.000 K.
Der Vorstand dankte dem Berichterstatter im Namen des Vereines für die
große Mühe, welcher er sich durch die Zusammenstellung der umfangreichen Rechnung
unterzogen hat. Es wurden sodann über Antrag des Vorstandes von cer Versamm-
lung drei Rechnungs-Kevisoren znr Überprüfung der Rechnung einstimmig gewählt,
da es sich unmöglich erwies, die zahlreichen Belege noch während der Versamm-
lung durchzusehen, und wiid das Ergebnis der Überprüfung einer neuerlichen Voll-
versammlung zur Genehmigung unterbreitet werden.
Zum Schluß wurde zur Neuwahl des Ausschusses getreten und übernahm in
liebenswürdiger Weise ihre Exzellenz Frau Statthalter Gräfin von Meran, geb.
Prinzessin Auersberg, k. u. k. Palastdame, das Protektorat; Herr Landeshaupt-
mann von Tirol, Josef S ch ra ff 1, und Se. Exzellenz Landeshauptmann von Vorarl-
berg, Adolf Rhomberg, Geheimer Rat und Henenhausmitglied, wurden zu Ehren-
präsidenten ernannt. Der Ausschuß besteht aus: Präsident: Dr. Hans Hausotter,
k. k. Hofrat und Landesschulinspektor. Präsident-Stellvertreter: Dr. Paul Freiherr
von Sternbach k. k. Hofrat, Landesausschußmitglied, k. k. Lst. -Hauptmann;
Philipp Freiherr von WM n k I e r, k. k. Hofiat. Geschäftsführer: Kais. Rat Karl
Molinari, Bankier. Ausschußmitglieder: Baronin Agnes Fenn er von und zu
Fennberg, Oberin des gräfl. Wolkenstcin'schen a'leligen Damenstiftes; Dr. Alois
Hirn, Stadtarzt; Oskar H u e b e r, Kaufmann, k. k. Oberleutnant 1. d. R.; Frl.
Josefine von Sold er, k. k. Übungsschullehrerin; Dr. Alfred Ritter von Wr e t s c h k o,
k. k. Univ. -Professor; Albert Brunn er, Landesrechnungsrat; Dr. Friedrich von
H erren s ch wan dt, Privatdozent, Univ.-Assistenz an der Augenklinik; Ernst
Kiechl, k. k. Professor; Frau Hedwig Plattner; Dr. Karl Pusch, Rechtsanwalt;
Frau kais. Rat Sophie Thurner; Hochw. Pfarrer Johann Vinatzer, Direktor des
Blindeninstitutes; Heinrich G Schließer, Obermagistratsrat.
Mit besonderer Freude wurde noch der Antrag begrüßt und angenommen,
Exzellenz Frau Gräfin To ggenb u r g und den gioßen Wohltäter des Vereines
C. L. Erdmann in Eggenberg bei Graz zu Ehrenmitgliedern des Vereines zu
ernennen.
Seite 930. Zeitschrift für das östereichische Blindenwesen. 5. Nummer.
Für unsere Kriegsblinden.
— Landwirtschaft liehe Schule für Kriegsblinde in Temesvar.
In den allernächsten Wochen wird in Temesvar (Ungarn) die erste ungarländische
landwirtschaftliche Schule für Kriegserblindete eröffnet. Die Großindustriellen Brüder
Prochaska schenkten für diese Zwecke ein in der nächsten Nähe liegendes
Grundstück. Die auf demselben befindlichen Baulichkeiten werden gründlichst adap-
tiert und mit einem Neubau ergänzt. Auf dem circa 6 Joch großen Grundstück wird
Gemüse kultiviert werden.
Die Kurse werden ein Jahr dauern; der theoretische und praktische Unter-
richt wird von Fachleuten geleitet. Nach Absolvierung des Kurses erhalten die
mittellosen Kriegsblinden im Heimatsorte eine eigene Heimstätte, d. h. Feld und
Haus mit komplett eingerichteter Wirtschaft.
Die Herren Oskar und Eduard Prochaska führen nicht nur die unter den
heutigen Verhältnissen ungemein schwierigen Bauarbeiten selbst aus, sondern über-
nahmen auch noch die große Arbeit der Einrichtung und Organisierung der Schule.
Sie sind für die Sache von solcher Liebe erfüllt, bewältigen alles mit rastlosem
Eifer und großem Geschick, so daß die Eröffnung der Schule bevorsteht.
Nicht nur daß die genannten Stifter das schöne Giundstück mit allen Bau-
lichkeiten Zwecken der Kriegsblinden schenkten, haben sie sog r für die Erhaltung
der Schule für Jahre vorgesorgt, indem sie eine Sammlung einleiteten und dieselbe
mit 40.000 Kronen eröffneten.
Die Kriegsblindenfürsorge ist in Temesvar überhaupt sehr beachtenswert,
denn auch anderen Berufen wurden Kriegserblindete zugeführt. Sie weisen
als Trafikaten, Telephonisten, Fabriksarbeiter so schöne Erfolge auf, daß einige
von ihnen heute schon nicht nur ihre Familien erhalten, sondern bereits über Er-
sparnisse verfügen. A. W.
— Kirchenkonzert zugunsten der Kriegsblinden. Der Pur-
kersdorfer Männerchor veranstaltete im Verein mit einem Damenchor am 14. April l.J.
in der Purkersdorfer Pfarrkirche eine Aufführung, deren Reinertrag (400 K) dem
Kriegsblindenfonds zufloß. Die künstlerische Vollendung der Darbietungen ist vor
allem das Verdienst des Dirigenten Heinrich S c h ö n y , der auch mit einigen fein-
empfundenen Kompositionen verdiente Anerkennung fand. So namentlich mit einem
»Gegrüßet seist du Maria,« das J. Stadelmeier mit warmer Eindringlichkeit sang.
Von den ausgeglichenen Leistungen des Chores sei namentlich Schuberts »An die
Nacht,« die »Sturmbeschwörung« von Dürrner und das prachtvoll gebrachte »Wir
treten zum Beten« erwähnt. Unter den Solisten trat namentlich die junge Geigerin
Frl. Mizzi Büllik hervor, die in einem Andante religioso herrliche Tongebung
mit tief musikalischem Empfinden verriet. Zu nennen ist ferner die Leistung des
Streichquartettes, das einen Satz aus einem Schubertquartett stimmungsvoll spielte.
Der Tenor D. Kiesling schöpfte die lyrischen Schönheiten des »Ave Marias« von
Kral voll aus.
— Wohltätigkeitsaufführung. Am 7. April 1. J. wurde im Wiener
Bürgertheater zugunsten der im Felde erblindeten Soldaten eine Aufführung ver-
anstaltet, bei welcher unter Mitwirkung des Wiener Tonkünstierorchesters eine
Erzählung von R. Benda: »Das Alte stürzt . . .« und ein Mahnruf »Pflicht« von
demselben Verfasser, Musik von A. M. Wichtl, mit großem Beifalle vorgeführt
wurden. Veranstalter war der »Deutsche Wehrausschuß.«
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende April l. J.
— Neue Freie Presse: 1,272.168 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 3,566.946 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 320.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 85.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 32.000 K.
Heraasgeber: Zentralverein für das österreichische Blindenweseo in Wien. Redaktionskomitee: K. Bürkleo,
J. Kneis, A. r. Horr.ith, F. Uhl. — Druck Ton Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien,
Verschiedenes.
— Ein blinder deutsch-un^' arischer Dichter. Im Organ der Kar-
pathendeutschen »Von der Heide« wird eines blinden Deutschun{/arn jjedacht, der
seinerzeit eine hervorragende literarische Tätigkeit entwickelte. Es ist Dr. Gottfried
Feidinger. In Tcmesvar geboren, erblindete er am linken Auge schon in der
zweiten Woche. Das rechte Auge blieb so schwach, daß er beim hellsten Tageslicht
kaum lesen konnte. Trotzdem studierte er, legte 1843 die Advokatenprüfung ab,
waif sich dann auf das Studium der Philosophie und Literatur. An der Universität
Halle erlangte er den Doktortitel. Unausgesetzt literarisch tätig, gründete er im
Jahre 1851 die schöngeistige Zeitschrift »Euphrosine«, die sich der Mitarbeiterschaft
Bauern fei ds, Gutzkows, J. N. Vogls u. a. bedeutender Dichter jener Zeit
erfreute. Allerdings mußte der zu ideal .gesinnte Dichter sein Werk bald einstellen.
Nach dem Ausgleich stand er im Preßbureau in Pest in Verwendung.
Unter seinen lyrischen Schöpfungen werden namentlich seine Sonette geprie-
sen. Er ist auch der erste Biograph Petöfis. Außer seiner literarischen Neigung
leistete er beachtenswertes auf dem Gebiete der Musik und zeichnete sich als fein-
sinniger Komponist aus. Leider sind seine Dichtungen bis heute nicht gesammelt.
Doch verdient es der blinde Sänger, der Vergessenheit entrissen zu werden.
Anfangs der neunziger Jahre starb er, nachdem ihm kurze Zeit vorher seine
Gemahlin durch die Cholera entrissen worden war. W.
— Die Blendung der Jagdfalken. Die Falkenzucht im deutschen
Mittelalter, die uns Kaiser Friedrich II. in eingehender Weise geschildert hat, war
sehr schwierig. Um dem scheuen Vogel für einige Zeit das Augenlicht zu rauben,
schloßi man ihm die Augen, indem man an den unleren Augenlidern einen Faden
befestigte und diese damit in die Höhe zog. Dem so geblendeten Tiere legte man
kunstvolle Fessel an die Füße und gewöhnte es an die mit einem Lederhandschuh
geschützte Hand. War die erste Scheu des Tieres überwunden, so wurden ihm all-
mählich die Augen wieder geöffnet.
Bücherschau.
— Schmidt K. R. : Die Blinde (Stuttgart, Greiner und P fe i f fer). Die
Dichtung sucht die Seelenqual einer bei der Geburt ihres Kindes erblindeten Frau
lyrisch auszuschöpfen. Neben krassen Verzweiflungsausbrüchen finden sich'Töne der
Ergebung und des Wiederfindens. Wir geben ein Bild aus dem Seelenspiegel der
Blinden an anderer Stellew ieder.
Briefkasten.
— Zivilblinder. Sie beklagen sich, daß Sie auf dt n Umwege über Deutsch-
land durch den »Blindenfreund« von der Errichtung einer österreichischen »Rohstoff-
einkaufsstelle für Blinde« erfahren mußten. Dazu können wir Ihnen nur sagen, daß
es uns ebenso gegangen ist, denn man scheint unser österreichisches Fachblatt an
den betreffenden Stellen krampfhaft übersehen zu wollen. Trotzdem haben wir
— auch nach dem »Blindenfreund« — eine kurze Notiz darüber gebracht, weil die
Errichtung einer solchen Stelle von Interesse vor allem für unsere österreichischen
Blinden schien. Auf Ihre Anfrage, wo sich eigentlich diese Rohstoffstelle befindet,
da Sie nirgends ihre Adresse finden können, vermögen auch wir Ihnen nichts Be-
stimmtes anzugeben und Sie müssen sich wohl an den »Kriegsblindenfonds im
Ministerium für soziale Fürsorge in Wien« wenden. Ebensowenig können wir Ihnen
sagen, welche Rohstoffe und in welcher Menge dieselben bereits erhältlich sind. Ihr
Zweifel, ob solche wohl vorhanden sind, trotzdem die Rohstoftstelle bereits ein
Statut, einen Ausschuß, eine Geschäftsleitung und Bedienstete besitzt, ist wohl iro-
nisch gemeint. Sie können sich ja darüber durch eine direkte Anfrage Klarheit verschaffen
Ihre Verwunderung, warum Zivilblinde die Rohstoffe »um 10 vom Hundert« teurer-
zahlen sollen als Kriegsblinde, nachdem doch schon von diesen die Selbstkosten-
preise verlangt werden, müssen wir allerdings teilen. Der Engländer sagt; »Geschäft
ist Geschäft.«
Bürklen Karl : Das Tastlesen der Blindenpunktschrift.
Nebst Beiträgen zur Blindenpsychologie von P. Grasemann-
Hamburg, L. Colin-Breslau, W. Stein berg. VII, 93 Seiten
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ii^Ciiti i
1)1
-X^
ZEITSCHRIFT
FÜR DAS ÖSTERREICHISCHE
BLINDENWESEN.
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Organ des „Zentralvereines für das österreichische Blinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
S ch r i f 1 1 e i t u n q
Purkersdorf
bei Wien.
Österreich'sches
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Das Blatt ersdieint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter;
Direktor Karl Bürklen.
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ganzjährig mit
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Postzustellung
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4 Kronen,
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Einzelnummer
40 Heller.
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5. Jahrgang.
Wien, Juli 1918.
7. Nummer.
INHALT: S. Rbeles, Wien: Die kaufmännische Ausbildung der Kriegsblinden.
Die Anwendung der Binet-Simon-Methode zur Intelligenzprüfung bei blinden
Kindern. (Fortsetzung). Dr. Silex, Berlin: Kriegsblinde als flktenhefter. VI.
Osterr. Blindenfürsorgetag (Blindenlehrertag) Wien 1918. Maria Rilke: Pont
du Carrousel. Personalnachrichten. Aus den Anstalten. Aus den Vereinen.
Für unsere Kriegsblinden. Verschiedenes. Mitteilung. (Altes und Neues. An-
kündigungen).
D
D
"^ Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VI!!,
3^ Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. g
D
Altes und Neues.
Das Ende einer deutschen Greueltat. (Wahrheit und Dichtung.)
Wir dürfen annehmen, daß bis Friedensschluß so ziemlich alle
erdichteten deutschen Greueltaten richtiggestellt sein werden. Als Bahn-
brecher wirkt in dieser Richtung der auch bei uns geschätzte Dichter Anatole
France, indem er nachwies, wie manche Flüchtlinge systematisch ange-
halten werden, sich mit immer neuen Erzählungen von deutschen Greuel-
taten in der Gunst der ihnen Barmherzigkeit erweisenden neuen Umgebung
festzusetzen und das Mitleid mit ihnen wachzuhalten. Im Grunde haben
sie nichts erlebt, die Deutschen überhaupt nicht zu Gesicht bekommen,
aber damit läßt sich natürHch das Herz eines französischen Bürgers
nicht erweichen. Erst wenn weidHch auf die unmenschlichen und rohen
»Boches« geschimpft werden kann, öffnen sich die Portemonnaies. Nun
liefert der »L' Oeuvre« (vom 19. Mai 1918) einen neuen Beleg für die
Glaubwürdigkeit, die den eidlich erhärteten deutschen Greueltaten bei-
zumessen ist. Im »Phare de Nantes« hatte sich ein mit vollem Namen
hervortretender französischer Deputierter dafür verbürgt, daß ein deut-
scher Stabsarzt eine Honorierung für geburtsärztliche Hilfe bei einer
französischen Dame mit den Worten abgelehnt hatte :
»Ich habe mich schon selbst bezahlt gemacht. Ihr Sohn, Madame,
wird kein Soldat werden! Ich habe dafür gesorgt, daß er blind zur
Welt kommt.«
Das hatte einen Entrüstungsschrei in der französischen Presse
ausgelöst, die nicht verfehlt hatte, die Schauergeschichte zu Propaganda-
zwecken auszuschlachten. Leiderjnur hat sich nachträglich herausgestellt,
daß dieselbe Geschichte mit ganz den gleichen Worten in dem Roman:
»Französische Herzen, englische Gewissen !« von M. J. Henouard erzählt
ist und der Autor hat nicht in Abrede stellen können, daß er den
Vorfall frei erfunden habe. Die Franzosen aber stehen zum erstenmal
starr, daß einer ihrer Parlamentarier es beschwören konnte, das blinde
Kind, die unglückliche Mutter und das Monstrum von einem Arzt zu
kennen, die nirgends anders als in der Phantasie eines unbekannten
Dichterlings bestanden haben. Sie wissen noch nicht, wie viele Mein-
eide auf deutsche Greueltateu geschworen wurden.
Blinde Ruderknechte.
In dem interessanten Buch des Legationssekretärs Dr. von Heutig
»Meine Diplomatenfahrt ins verschlossene Land« finden wir folgende
Tatsache erwähnt. Der Verfasser, der im Kriegsjahr 1915 die äußerst
Gefahrvolle Reise nach Persien, Afghanistan und China unternahm,
fuhr am Euphrat von den Bergen Armeniens im Boote bis Bagdad. Er
erzählt : »Unsere blinde Schiffsmannschaft — blind wie die meisten
Araber am Euphrat, infolge epidemischer Augenkrankheit — ruderte
mit bewundernswerten Fleiß täglich hundertzehn Kilometer, von 4 Uhr
morgens bis 12 Uhr mittags. Dann trieb gewöhnlich daß Floß, während
der heißen Mittagstunden nur von dem einäugigen Steuermann gesteuert.
Wie leblos fielen die blinden Ruderer auf ihren Bänken zusammen
und versanken in tiefen Schlaf. Des Nachts wurde Mannschaft und
Passagieren eine kurze Nacht- und Dachruhe gewährt.«
5. Jahrgang. Wien, Juli 1918. 7. Nunnmer.
3S »Dies ist die neue Barmherzigkeit: nicht nur Schwache ^
® SS
JS erhalten, nicht nur augenblicklich helfen von Mensch zu Mensch, ^
^ iSi
J» sondern die Schwachen stärken, den blinden Kriegsinvaliden äS
^ ^
S* nicht mit Geschenken notdürftig am Leben erhalten, sondern ^
5S ihn, wie all alle anderen Schwachen auch, durch eine vernünf- ei
» tige 'Wohltat, die sich mit ganzem Gemüt in seine Lage ver- ^
^ senkt hat, wieder zu neuem Leben und Schaffen erwecken.« ä»
^ H Ostwald. g
Die kaufmännische Ausbildung der
Kriegsblinden.
Von Präfekt S. Abel es, Wien.
Es ist ein bei Erwachsenen selbstverständlicher Zug, nach sozialer
Selbständigkeit zu streben. Daher werden nur wenige Kriegsblinde
nach der Entlassung aus der Blindenanstalt ihr Brot als Arbeiter oder
sonstige Angestellte verdienen. Die meisten wollen und sollen vielmehr
ihre eigenen und diesen verwandte Erzeugnisse selbst vertreiben und
mancher wird außerdem ein konzessioniertes Gewerbe zu führen haben.
Das dringende Gebot, einem großen Teil der Krieg.sblinden eine, wenn
auch noch so bescheidene kaufmännische Bildung zu vermitteln, ist
daher bald erkannt worden.
Bei den vielen Kriegsblinden, deren Schulbildung oder deren
Kenntnis der deutschen Sprache vieles zu wünschen übrig läßt, muß
der entsprechende Unterrieht in Form von Rechtschreib- und Stilübungen
schon bei der Unterweisung in Punkt- und Alaschinschreiben einsetzen.
Hierauf folgen Übungen im Briefstil und einfaches, auf praktischen
Beispielen fußendes Rechnen mit und ohne Hilfe der Rechentafel und
mit besonderer Berücksichtigung aller erprobten Kopfrechenvorteile.
Als unser Ziel «mU es aber, dem Blinden durch die Kenntnis einer für
Seite 956 Zeitschrift für das österreichische BlindenweLen. 7. Nummer.
ihn leichten und praktischen Buchführung ein Mittel an die Hand zu
geben, seine laufenden Geschäfte, seine Schuldenverhältnisse, Gewinn
und Verlust, sowie seinen gesamten Vermögensstand überprüfen zu
können. Selbst der ehemalige Buchhalter hat hier ein wenig zu lernen,
da es, wenn wir uns mit der üblichen Punktschrifttafel begnügen wollen,
unmöglich ist, die Buchhaltung der Sehenden ohne besondere Anpassung
zu übernehmen.
Der Buchhaltungsunterricht setzt aber zumindest Vertrautheit mit
der Braille'schen Vollschrift und die Kenntnisse des eben angeführten
vorbereitenden Unterrichts voraus. Selbst wenn, wie es in berück-
sichtigenswerten Fällen geschieht, die von der Militärverwaltung im
Prinzip zugebilligte Ausbildungszeit erheblich überschritten wird, kann
infolgedessen der Buchhaltungsunterricht erst im letzten Viertel der
Gesamtausbildung mit Aussicht auf Erfolg begonnen werden. Auch
innerhalb dieser kurzen Frist darf er nur wenige Lehrstunden der Woche
in Beschlag nehmen, da zumeist gleichzeitig die Erlernung des Hand-
werkes, eines Musikinstrumentes, sowie die Übungen in Kurz-, Flach-
und Maschinschrift fortgesetzt werden.
Jedoch nicht nur Zeitmangel und Furcht vor Überbelastung der
Lernenden, vor allem auch die Rücksicht auf deren meist geringfügige
spezielle Vorbildung macht es notwendig, die übliche einfache Buch-
haltung, soweit dies ihrer Verwertbarkeit keinen Eintrag tut, noch zu
vereinfachen. Da die Bücher nur dem Schreibenden selbst dienen sollen
und eine Buchhaltung, deren Zitfern jederzeit durch Hinzufügung eines
Punktes gefälscht werden können, niemals gesetzlich anerkannt werden
wird, ist dem Lehrer bei diesen Vereinfachungen und Änderungen kein
allzuenger Spielraum gewährt. Vor allem kann er den bekannten schie-
fen Strich, die sogenannte Buchnase, der spätere Eintragungen unmög-
lich machen soll und dessen Ausführung jedenfalls umständlich wäre,
unterlassen. Infolge der geringen Zellenzahl der gewöhnlichen Tafel
muß auch auf die zweite Ziffernkolone und auf eine besondere Rubrik
für den Hinweis auf die entsprechende Eintragung in einem anderen
Buche verzichtet werden. Diesen Hinweis fügen wir, in Klammer gesetzt
dem Buchungstexte hinzu.
Da zu Beginn des Unterrichtskurses, aus dessen Lehrgang ich
hier einiges hervorheben will, noch kein Schüler die Kurzschrift voll-
kommen beherrschte, mußten die auch bei Eintragungen in Vollschrift
unerläßlichen Kürzungen als Vorübung durchgenommen werden. Es ist
dies die Kurzschreibung für Daten, benannte Zahlen, Dezimal und
gemeine Brüche, das Prozentzeichen, das Zeichen ,.bis" (Bindestrich)
in Zahl und Zeiträumen und „zu" als Ersatz des französischen ä. Auch
das schriftliche Addieren mußte geübt werden. Die Schwierigkeit, die
sich daraus ergibt, daß die Rechenoperation nicht auf der Schreibseite
vollzogen werden kann, behoben wir einfach dadurch, daß wir die
Summe auf ein beliebiges Blättchen vermerkten und hernach auf das
wieder eingespannte Blatt eintrugen. Schon jetzt wurde auf die Ein-
haltung der Ziffernkolone geachtet, so daß in der ersten und zweiten
Zelle von links die Einer und Zehner der Heller, in der vierten inklu-
sive siebenten Zelle die Einer bis Tausender der Kronen geschrieben
und die dritte Zelle als Spatium belassen wurde. Hier machte ich auch
7. Niimmci. Zeitschrift Kii das r)sterreichisch(; Blindcnwcsen. Seite 957.
nufnKM'ksaiii. daß die /irrciii hei den Daten und tU'V Wertangabo durch
ilii-(> al»,u('sond('i'l('. ITir iiiinicr lixicrlc SUdhiii;,', hei dcüi cvciilucll aii.i^'c-
lülirlcn SlückprciscM. dm-cli das Wörlclieii zu (ä) j,aMiüg(3iid <,'okomiz('it'li-
MC't soion und wir daher in diesen Fällen kein Ziffernzeichen schreiben
nuiüleii. Auch s|)annton wir zwischen die achte und neunte Zelle von
links, niittcis zweier Klammern, die wir an den oberen und inileren
Hand der HraiMelafel heresii^ten, einen dünnen Draht, um zu verhindern,
ilal.i DuchslaJjen des Textes in den Kaum der Zahlen geschrieben würden.
Bei der kurzen theoretischen Erläuterung des Wesens und Zwecks
der Ikielihallung. der Erklärung ihrer wichtigeren Begriffe und während
(h'r niündlichen Übung des Gel)rauches von ,.Soll und Ilaben-', welche
mm b)lgten, mußte ich des Tauschgeschäftes (Ware gegen Wechsel
otler Münze) kaum Erwähnung tun und Geschäfte der Banken konnte
ich v(")llig außer acht lassen. Die Vertrautheit mit dem Ziele der Kriegs-
l)linden und mit den Möglichkeiten, die ihnen die Zukunft bietet, gewährt
nämlich den Vorteil, nicht wie bei den Handelsschülern, welche einst
in den verschiedenartigsten Betrieben arbeiten sollen, alle erdenklichen
Geschäftsfälle des Gewerbes, des Handels und der Bank durcharbeiten
zu müssen. Dadurch, daß wir fast ausschließlich die Führung einer
kleiner Werkstätte, verbunden mit kleinem Detailgeschäft, vor Augen
liatten und uns allen Geschäftseinrichtung, Waren und Preise mehr
oder weniger bekannt waren, verlor unser Unterricht auch das Abstrakte,
das sich sonst im Reiche der Zahlen so leicht geltend macht.
Wir benötigten selbstverständlich für die Veränderungen unseres
liarstandes ein Kassabuch, für die Geschäfte auf Ziel, welche selbst
im kleinsten Betrieb, zumindest beim Einkauf vorkommen, ein Haupt-
l)uch; dagegen konnten wir auf das Journal verzichten, da wir bezüg-
lich unserer wenigen Tausch- und Zielgeschäfte mit den Eintragungen
im Hauptbuch unser Auslangen linden konnten. In unserm Detailgeschäft
benötigten wir aber ein Buch, in welches jede kleine Einnahme oder
Ausgabe eingetragen wird und das man allabendlich abschließt. Diesem
sogenannten ,.Schmierbuch-' der Geschäftsleute widmeten wir nicht
geringere Sorgfalt als den anderen Büchern.
Um allzuviele Wiederholungen zu vermeiden, nahmen wir die
Eröffnung unseres Betriebes im August an. Es war, dem Berufe der
Mehrzahl der Schüler entsprechend, ein Bürstengeschäft. Einrichtung,
einige fertige Waren und etwas Material wurden als bereits vorhanden
angenommen.
Es bereitete den Kriegsblinden sichtlich Vergnügen, das Inventar
selbst zu verfas.sen: heimlich gehegte Wünsche waren es, die hier zum
Ausdruck kamen. Nur das Barvermögen und den einzigen Passivj)osten.
eine Schuld von K 800 für fertige Ware habe ich genannt. Mittels
einiger Geschäftskataloge vermochte ich ungefähr richtige XVer-te für
vorliandene Ware, Fabrikationsmaterial, Werkzeuge und Mobilien einzu-
setzen. Um das erste Inventar möglichst einfach zu gestalten, führte
ich keine Immobilien, keine Schuldner, nur einen Gläubiger und selbst-
verständlich keine Elfekten, Wechsel u. a. an. Wir wichen in diesem
engen Rahmen kaum wo von der gewohnten Schablone des paginierten
Inventars ab; nur daß wir nicht 2 Zahlenkolonnen führten, sondern
die Summe der Detailkolone unter dieser in der Textrubrik in Klammer
Seite 958. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 7. Nummer.
setzten. Der Abschluß dieses ersten Inventars, die Feststellung des Rein-
vermögens durch Abzug der Passiva von den Aktiven, ist so einfach
und klar, daß er den schwierigeren Abschluß der andern Bücher aufs
beste vorbereitet.
Für unser „Tageskassabuch" wählten wir die Form von Tages-
zetteln und zwar je ein Zettel für Einnahme und Ausgabe, welclie.
nach Datum geordnet, in 2 Mappen aufbewahrt werden sollen. Über
die Kopflinie, welche wir mittels der Punktreihe 2, 5 stachen, schrieben
wir das Tagesdatum, „Einnahme" („Ausgabe"), in der 2. Zelle von
links die Kürzung für Heller, in der 5. links, die für Kronen. Die ein-
fache Aufzählung der verkauften oder gekauften Gegenstände bildet
den Buchungstext und täglich werden Einnahme und Ausgabe bilanziert.
Ein Übertrag wird am nächsten Tag nicht gemacht. Ich riet den Blin-
den, bei praktischer Ausübung täglich eine bestimmte Summe Wechsel-
geldes, welches nicht mitgezählt wird, in die Kasse zu geben.
Hieran schloß sich eine praktsche Übung. Wir gaben für die
Einnahmen eines Tages tatsächlich Geld in eine Schachtel und entnahmen
ihr die Ausgaben. Beim Kassaschluß wurde nun zuerst die vorhandene
Geldsumme gezählt und erst dann subtrahierten wir im Buche die
Ausgaben von den Einnahmen. Der Rest mußte nun, nachdem wir vom
Kassastand das Wechselgeld abgezogen hatten, mit ersterem überein-
stimmen.
Das Hauptkassabuch wurde von uns in^ein Einnahme- und ein
Ausgabebuch geteilt. Mit größter Regelmäßigkeit, nämlich am 10. 20.
und am letzten Tag jedes Monats buchten wir die Summe der Ein-
nahmen und die der Ausgaben des Detailgeschäftes. Sowohl in diesem
Buch wie im Hauptbuch wurden das etwas zopfige „an" oder „für an"
bei den Einnahmeposten und „per" bei den Ausgabeposten weggelassen.
Auch Wörter wie „gekauft", ,. verkauft", „bezahlt" u. ä. waren ent-
behrlich, da aus dem Kopftitel der Buchseite auch für den schwächsten
Schüler klar genug hervorgehen mußte, ob es sich uni einen Soll oder
Habenposten handle.
Das Hauptbuch haben wir foliiert geführt. Es war manchem Kriegs-
blinden nicht leicht, die Eigenart dieses Buches zu erfassen, die uns
der Notwendigkeit enthebt, je ein Buch für Käufer und Verkäufer zu
führen. Als wir dann übten, Rechnungen auszuziehen, zeigte sich aber,
daß sich bei allen bereits das Verständnis für Zweck und Handhabung
des Hauptbuches erschlossen hatte. Auch legten wir einen alphabetischen
Index an.
Ein Inventar, aufgenommen am 1. Jänner, das zeigte, was das
verflossene Geschäftsjahr an Gewinn und Verlust gebracht hatte, schloß
unsern Lehrgang ab. Dieser dürfte dem Blinden die Buchhaltung über-
sichtlich genug gestalten und den Bedürfnissen eines kleinen Geschäfts-
mannes vollauf entsprechen.
Ob ich nun der Meinung bin, daß die Blinden tatsächlich ihre
Bücher selbst führen werden? Einzelne Fälle dürften jedem, der mit
berufstätigen Blinden verkehrt, bekannt sein. Meist werden sie aber
nur einen bestimmten Teil der Buchführung ihres Geschäftes über-
nehmen. Uns kann es schon genügen, den Blinden befähigt zu haben,
stets, wenn auch vielleicht nur stichprobenweise, Kontrolle über alle
Vorgänge zu üben, die auf sein Soll und Haben unmittelbar einwirken.
7. Nummer. Zeitschrift f(ir das österreichische Bliiideiiweien. Seite 950.
Die Anwendung der Binet-Simon-Methode zur Intelligenzprüfung
bei blinden Kindern.
(Fortsetzung).
Anleitung zur A u s f ü li r u n g der Prüfungen.
3 J. a. W 0 r t V e r s t ä n d n i s.
Ausführung: Man fordert das Kind auf: „Zeige mif doi- Hand
deinen Mund — deine Oiiren — deine Nase/' Das Kind muß ausnahms-
los richtig reagieren.
(Verändert nach ßo.)
8 J. b. Satz mit 6 Silben nachsprechen.
Ausführung: Bei Kindern im schulpflichtigen Alter genügt es,
zu sagen: ..Sprich genau nach, was ich dir jetzt vorsprechen werde;-'
hei jüngeren Kindern wecke man das Verständnis, indem man zuerst
einzelne Worte nachsprechen läßt. Man muß langsam und absolut deut-
lich sprechen, in Tischbreite vor dem Kind und ihm zugewendet. Auf
höheren Altersstufen fange man mit etwas kürzeren Sätzen an, als der
in Betracht kommenden Altersstufe entspricht.
Das Kind soll immer wenigstens einen von den zwei Sätzen
mit gleicher Silbenanzahl richtig wiedergeben.
Siehe die Fortsetzungen 5 J. b, 6 J. b, 10 J. b!
Beispiele von Sätzen mit verschiedener Silbenzahl;
6 S. Ich habe einen Hund.
Ich bin ein gutes Kind.
8 S. Ich sitze auf einem Stuhle.
Mein Bruder ist fortgegangen.
10 S. Ich wohne in einem großen Hause.
Ich gehe heute zu meiner Mutter.
12 S. Ich werde morgen meinen Vater besuchen.
Ich habe mir einen neuen Anzug gekauft.
1 i S. Wir haben unsere Schularbeiten noch nicht gemacht.
Wir wollen dann zusammen ein Stück spazieren gehen.
10 S. Ich habe meinem Bruder gesagt, daß er mich besuchen soll.
Wenn wir unsere Arbeit gemacht haben, dürfen wir spielen.
18 S, Meine Mutter hat viele Besorgungen in der Stadt machen müssen.
Als Fritz heute fortgehen wollte, kamen seine Eltern zu ihm.
20 S. Mein Bruder hat mir einen Brief geschrieben, den ich noch nicht
gelesen habe.
Onkel und Tante haben eine Reise gemacht, die viel Geld ge-
kostet hat.
22 S. Wenn ich am Abend schlafen gehe, bete ich vorher immer mein
Abendgebet.
Wenn du artig gewesen bist, werde ich dir eine schöne Geschichte
erzählen.
21-. S. Ich habe meiner ältesten Schwester geschrieben, daß ich sie
nächstes Jahr besuchen werde.
Seite 960. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 7. Nummer.
Wenn es morgen schönes Wetter ist, werde ich mit meiner
Mutter einen Spaziergang machen.
26 S. Gestern Abend traf mein Vater einen alten Belvannten, den er
schon lange nicht gesehen hatte.
Heute Nachmittag werde ich die Briefe absenden, die ich an
meine Freunde geschrieben habe.
(Unverändert nach Bo. Kleine Änderungen an den Sätzen.)
3 J. c. 2 Zahlen nachsprechen.
Ausführung: Man sagt dem Kinde, daß man ihm jetzt ein paar
Zahlen vorsprechen werde, die es ganz genau nachsprechen soll:
eventuell erläutert man es: „Wenn ich sage 7, sollst du auch sagen 7.
Wenn ich sage 3 — 2, so sollst du auch sagen 3 — 2." Man versichere
sich, daß das Kind ganz still sitzt und gut aufpaßt. Das Vorsprechen
soll mit einer Geschwindigkeit von zwei Zahlen pro Sekunde und
ohne Rhytmus geschehen, natürlich so deutlich wie möglich. Bei jeder
irgend erheblichen Störung wird der Versuch ungültig und es muß
eine andere Reihe vorgesprochen werden; ein mehrmaliges Vorsprechen
derselben Reihe ist unzulässig. Es empfiehlt sich, jedesmal zu fragen:
,.Hast du die Zahlen richtig nachgesprochen? War"s richtig?" bezw.
vor dem Versuch die allgemeine Instruktion zu geben.
Siehe Fortsetzungen die 4 J. c. 5 J. c, 7 J. c, 10 J. c!
Wird eine höhere AS geprüft, so beginne man mit zwei Reihen
die um zwei Zahlen kürzer sind als diejenigen, die man auf der betref-
fenden AS erwarten kann.
Die Versuche werden solange fortgesetzt, bis von drei Reihen,
gleicher Länge keine einzige mehr richtig wiederholt wird.
Beispiele von Zahlenreihen:
2 Z. 6 4 5 Z. 5 19 4 2
3 7 6 4 8 5 3
8 1 9 3 7 18
3 Z. 7 1 4 6 Z. 2 5 0 8 4 1
286 573916
539 095827
4 Z. 3681 7 Z, 9640518
2964 7384261
8527 5928037
(Unverändert nach B o.)
3 J. d. Familiennamen angeben.
Ausführung: Man fragt das Kind: „Wie heißt du?" Antworlel
es mit dem Vornamen, so fragt man nach dem Familiennamen: „Wie
noch? „oder „Wie son.st noch?"
(Unverändert nach Bo.)
3 J. e. Rund und eckig unterscheiden.
Ausführung: Man gibt dem Kinde einen Würfel (3 cm Höhe)
aus Holz in die linke, dann eine Kugel (4 cm Durchmesser) aus Holz
in die rechte Hand. Dann fragt man: „Welches Ding ist rund? Zeige
mir das runde Ding! Zeige mir das eckige Ding!"
7. Nummer. Zeitsclnift fiii das ösleneichische Blindenvvescn. Seite 961.
(N(>u VOM niirkicii an Stolle von „iiild (Aurzäiiluiijj;)"
4 J. a. (icgcMi sl ä lul ü benennen.
Ausführung: Man legt dem Kinde drei bekannte Gegenstände
(Seblüssel, Taschenuhr, Zweihellerstiiek) in die Hand und fragt Jedesniai :
..Was ist das?", worauf das Kind sofort ausnahmslos richtig reagieren
MuiM. Kleine Irrtümmer, wie z. H. „Heller" statt ,.Zweiheller,"
werden dabei nicht beachtet; es genügt, wenn das Kind die Gattungs-
namen der Dinge richtig angibt.
(Verändert nach Ho:)
1- .J. b. Länge zweier Stäbchen vergleichen.
.Vusführung: Man gibt dem Kinde zwei Holzstäbchen ((> und
;i cm lang. 4 mm stark) in die linke Hand und fragt: „Welches von
den beiden Stäbchen ist das längere"? Zeig es mir! Welches ist das
kürzere?"' Das Kind soll nach kurzer Zeit richtig reagieren.
(Verändert nach Bo.)
4 J. c. 3 Zahlen nachsprechen.
Ausführung: Siehe 3 J. c!
(Unverändert nach Bo,)
i J. d. 2 Gewichte vergleichen.
Ausführung: Auf den niederen AS nimmt man erst das leich-
teste und zweitschwerste, dann das zweitleichteste und schwerste
Kästchen, stellt sie vor das Kind auf den Tisch, legt dessen Hände
darauf und läßt die Kästchen betasten, während man spricht: ,.Hier
hast du zwei Kästchen. Das eine ist so groß wie das andere; das eine
aber ist schwerer, das andere ist leichter. Hebe mit einer Hand das
erste Kästchen auf. dann (mit derselben Hand) das zweite! Welches
ist schwerer? Gib mir das schwerere Kästchen!"
Man wiederholt den Versuch mehrmals, indem man das schwerere
Kästchen bald rechts, bald links hinstellt, bis jeder Zweifel an der
Richtigkeit des Urteils oder dem Unvermögen des Kindes beseitigt ist.
(Verändert nach Bo.)
4 J. e. Geschlecht angeben,
Ausführung: Man fragt: ,.Bist du ein Bub (Junge) oder ein
Mädel?" Man darf sich nicht mit der Antwort „ja" oder ..nein" begnügen.
(Unverändert nach Bo.)
f) J. a. Begriffe erklären, (Zweckangabe)
Ausführung: Man läßt „Gabel, Stuhl, Puppe, Pferd, Soldat"
erklären, indem man fragt: „Was ist eine Gabel?" (Wäre nicht besser
die Frage: ..Wozu ist (dient) eine Gabel?" usw.) Findet das Kind von
selbst keine Erklärung, so hilft man zu Anfang nach: „Eine Gabel ist
zum — — ?" Auf der AS 5 Jahre sollen die Kinder imstande sein,
entweder spontan oder mit einmaliger Nachhilfe Zweckangaben zu
finden. Auch Beschreibungen und StolTangaben gelten als richtig.
Von den fünf Aufgaben müssen mindestens drei gut sein.
Seite 962. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 7. Nummer.
(Unverändert nach Bo.)
5 J. b. Satz mit 10 Silben nachsprchen.
Ausführung: Siehe 3 J. b!
(Unverändert nach Bo.)
5 J. c. 4 Zahlen nachsprechen.
Ausführung: Siehe 3 J. c!
(Unverändert nach Bo.)
5 J. d. 2 Figuren ins Formen breit einpassen.
Ausführung: Das Formenbrett (20/15 cm), in dem sich links
eine vertiefte Kreisfläche (6 cm Durchmesser) und rechts eine vertiefte
Quadratfläche (auf der Spitze ste-
hend, 6 cm Diagonalhöhe) befinden,
wird vorgelegt und von dem Kind
betastet. Man sagt dabei: „Du findest
auf dem Brett etwas Rundes (Greife
hinein!) und etwas Eckiges, eine
runde Fläche und eine eckige Flä-
che! Hier hast du zwei Brettchen,
die da genau hineinpassen. Lege
sie in die Vertiefungen (Löcher),
wo sie hineingehören!"
Die Zeit hiezu, welche 2 Mi-
nuten nicht überschreiten soll, ist zu messen.
(Neu von Bürklen (nach Goddard).
5 J. e. 4 Knöpfe abzählen.
Ausführung: 4 Knöpfe (3 cm Durchmesser, Rand abgerundet,
sonst glatt) werden dem Kind in die rechte Hand gelegt, indem man
sagt: ,.Hier hast du mehrere Knöpfe. Sage mir, wieviele es sind. Du
mußt jeden zeigen und dann auf den Tisch legen. Also los!*'
Das bloße Hersagen der Zahlen bis 4 genügt nicht; es muß bei
jeder Zahl der zugehörige Knopf gezeigt und • auf den Tisch gelegt
werden und zwar soll dies beim ersten Versuch gelingen.
(Verändert nach B o.)
6 J. a. Figur z u s a m m e n.
Ausführung: Man legt dein Kind ein rechteckiges Brettchen
(7 ^I^Jb cm) in der Breitenlage hin und läßt es ohne Veränderung der
Lage betasten, mit den Worten: „Hier ist ein viereckiges Brettchen.
Betrachte es!" Dann legt man unterhalb des rechteckigen Brettchens
die zwei Dreiecke auf den Tisch, so daß sie, einige cm voneinander
entfernt, sich die rechten Winkel zukehren, legt die Hände des Kindes
Nummer.
Zeilschiifl für das österreichische Hlindenwesen.
Seite 963.
darauf und sagt: „Jetzt sollst du diese
beiden Stücke hier so zusammenlegen, so
nebeneinander oder aneinander legen,
daß sie dann zusammen genau so sind
wie das viereckige Brettchen, Du mußt
die beiden Stücke auf dem Tische ein
bischen hin und herschieben und solange
versuchen, bis es geht!"
Eventuell wiederhole man die Auf-
gabe noch einmal ; wird dann die Lösung
in 1 Minute nicht gefunden, so gilt der
Test als nicht gelöst. Man achte darauf,
daß das Kind seine Arme ,und Hände
bequem auf dem Tisch bewegen kann.
Wenn es während des Versuches ein
Dreieck versehentlich umwendet, so
bringe man es wieder in die richtige
Lage.
(Verändert nach B o.)
6 J. b, Satz mit 16 Silben nachsprechen.
Ausführung: Siehe 3 J. b !
(Unverändert nach Bo.)
6 J. c. Ästhetischer Vergleich.
Ausführung: Man gibt dem Kinde zwei Pfeifchen (tönendes
und schnarrendes) in die Hände nnd sagt: ,,Da hast du zwei Pfeifchen
(Pfeiferl). Blase einmal in das eine und dann in das andere und sage
mir, welches schöner klingt!" Man lasse bis zu dreimal wiederholen,
wenn früher kein Urteil erfolgt.
Man schlägt dann ein hell- nnd ein dumpfklingendes Blech an und
fragt: „Welcher Ton klingt schöner, der erste oder der zweite?" Vor-
her sind die Pfeifchen wegzunehmen und das Kind zu ermahnen.
„Paß jetzt gut auf!"
Man schlägt schließlich auf einem Klaviere den Akkord c-e-g an,
hierauf den Akkord c-cis-d und fragt wieder: „Was klingt schöner?
Das erste, was ich gespielt habe oder das zweite?"
Der Test gilt als gelöst, wenn zwei richtige Antworten erfolgen.
(Neu von Bürklen an Stelle von „Ästhetischer Vergleich an
Bildern von schönen und häßlichen Gesichtern.")
6 J. d. 3 Aufträge ausführen.
Ausführung: Man sagt dem Kinde: „Ich lege hier einen Schlüs-
sel auf den Tisch, (soll so geschehen, daß es das Kind hört, du sollst
den Schlüssel nehmen, dann die Schublade an diesem Tisch aufmachen,
den Schlüssel hineinlegen und die Schublade wieder zumachen. Also:
Schlüssel nehmen, Schublade aufmachen, Schlüssel hineinlegen und
Schublade zumachen. Also vorwärts, Hier ist der Schlüssel!" Man legt
den Schlüssel auf den Tisch.
Seite 964. Zeitschrift das für österreichische BHndenwesen. 7. Nummer.
Die Aufträge müssen ganz selbständig und richtig ausgeführt werden.
(Verändert nach B o:)
6 J. e. Rieht u n g angebe n.
Ausführung: 1 m oberhalb des Kopfes des Kindes ist eine
elektrische Klingel angebracht. Man sagt: ,.Es wird jetzt im Zimmer
irgendwo läuten (klingeln). Zeige dorthin, wo du es klingeln hörst !•'
Nachdem man eine Sekunde lang geläutet hat, sagt man, wenn das
Zeigen noch nicht erfolgt ist: „Zeige mir, wo es läutet!" Nun läutet
man abermals eine Sekunde lang.
Das Zeigen muß nun sofort erfolgen.
(Neu von Bürklen an Stelle von „Bild (Beschreibung).-'
6 J. u. 7 J. a. Fehlendes an Spiel Zeugmodellen angeben"
Ausführung: Man gibt dem Kind eine männliche Puppe (15 cm
groß) in die Hand, an welcher ein Bein fehlt und frngt: „Sage mir,
was fehlt an dieser Puppe?" 10 Sekunden Zeit zur Antwort. Erfolgt
keine richtige Antwort, so gibt man sie selbst und fordert die Zustim-
mung des Kindes.
Dann wird eine weibliche Puppe vorgelegt, der ein Arm fehlt, mit
der Frage: „Und was fehlt an dieser Puppe?"
Weiters: „Hier ist ein kleiner Wagen. Was fehlt, an dem?" (Ein Rad).
Schließlich eine Blechlokomotive ohne Rauchfang.
Die Antworten sollen stets innerhalb von 10 Sekunden erfolgen.
Die drei letzten Male wird nicht mehr nachgeholfen. Von den vier
Antworten müssen mindestens drei richtig sein.
(Neu von Bürklen anstelle von „Lücken in Figuren angeben.")
7. J. b. Rechts und links unterscheiden.
Ausführung: Man sagt: „Hebe die rechte Hand' auf. Zeige das
linke Ohr!" Wenn das Kind automatisch erst das rechte Ohr zeigt, sich
aber sofort verbessert, so gilt dies als richtig. Bei eventuellen weiteren
Fragen (linkes Auge rechtes Ohr) muß absolut richtig reagiert werden.
(Verändert nach Bo.)
7. J. c. 5 Zahlen nachsprechen.
Ausführung: Siehe 3 J. c!
(Unverändert nach Bo.)
7 J. d. Kugel und Stange formen.
Ausführung: Man gibt dem Kinde ein nußgroßes eckiges Stück
Ton oder Wachs und sagt: „Mache, so schnell du kannst, aus diesem
Stück Ton (Wachs) eine schöne Kugel! Arbeitszeit 1 Minute. Man be-
achte, ob das Kind nur knetet oder auf dem Tische rollt.
„Mache nun aus der Kugel eine Stange ungefähr so lang wie ein
Finger! Arbeitszeit 1 Minute.
(Neu von Bürklen an Stelle von „Rhombus abzeichnen".)
7 J. e. 1 h bis 1 K erkennen.
Ausführung: Die Münzen werden in der Reihenfolge Zweiheller-
stüch, Zehnhellerstück, Einkronenstück, Zwanzighellerstück, Einheller-
7. Nummer. Zeitschrift für das Osten eichische HHndenwesen. Seite 965.
stück dem Kind in die Hand gegeben und jedesmal gefragt: „Was ist
das?*' Die Münzen müssen blank und unabgenülzt sein und" mit der
Bildseite nach oben gelegt werden.
Die Antworten müssen prompt erfolgen; vulgäre Ausdrücke sind
gestattet. Ein einmaliger Irrtum sollte gestattet sein. Sagt das Kind
im Anfange nur „Münze*', so fragt man: „Was für eine Münze?*' Wenn
notwendig, nemit man beim Zweihellerstück den Wert.
(Verändert nach B o.)
8 J. a. Vorlesen, einen Hauptpunkt angeben.
Ausführung: Man liest dem Kinde nachstehende Zeitungsnotiz
hiut vor, indem man sagt: „Hör einmal gut zu, ich werde dir etwas
vorlesen!"
..Am ersten Weihnachtstage zeigte der Arbeiter Johann Grub er
seinem zweijährigen Sohne, den er auf dem Arme hielt, den Christbaum,
wobei er in der anderen Hand die Petroleumlampe hielt. Als Grub er
um den Weihnachtsbaum herumging, stolperte er und fiel mit Kind
und Petroleumlampe hin, wobei die Lampe zerbrach. Die herbeieilenden
Nachbarn löschten zwar den sofort entstandenen Brand, Grub er und
das Kind erlitten aber solche Brandwunden, daß sie nach Einlieferung
in das Krankenhaus beide starben."
Nach dem Vorlesen sagt man zu dem Kinde: „Nun erzähle mir,
was du von der Geschichte noch weißt, soviel du davon behalten
hast!" Man muß eventuell etwas drängen und zufügen: „Du brauchst
es nicht etwa wörtlich zu wiederholen; du brauchst bloß zu sagen,
was du gerade noch weißt!" Man darf nicht verbessern und tadeln.
Zur Bewertung der Leistung unterscheidet man am besten folgende
7 Hauptpunkte. 1. Es war ein Mann und ein Kind. 2. Der Mann zeigte
dem Kinde den ChrLstbaum (ging mit ihm um den Ghristbaum). 3. Er
hielt eine Lampe. 4. Er (stolperte und) fiel hin. 5. Es brannte (Sie
haben sich verbrannt.) 6. Die Nachbarn löschten. 7. Mann und Kind
kamen ins Krankenhaus (starben).
Man verlangt auf dieser AS die Angabe von mindestens einem
Hauptpunkte.
(Verändert nach B o.) (Fortsetzung folgt).
Kriegsblinde als Aktenhefter.
Von Geh. Med. Rat Professor Dr. Sil ex, Berlin.
Die Zahl der Kriegsblinden wächst und es kommen jetzt recht
viel hinzu, deren Erltlindung auf schwere allgemeine Nervenerkrankung
zurückzuführen sind. Kürzlich hatten wir in der deutschen Kriegsblinden-
stiftung schon die Nummer 2560. hifolgedessen ist- es unsere Pflicht,
immer weiter nach passenden Arbeitsgelegenheiten Umschau zu halten.
Eines paßt nicht für alle. So ist es erklärlich, daß der eine die Fabrik-
arbeit, der andere die alten Blindenhandwerke, der dritte den Büro-
betrieb, der vierte die Landwirtschaft, der fünfte das Studium usw.
bevorzugt.
Seite 966. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 7. Nummer.
Schwierigkeiten mit der ArbeitsbeschafFung hatten wir öfters bei
den Kameraden aus dem Arbeiter-, Handwerker- und Beamtenstande
und dies dann besonders, wenn ihr Nervensystem sehr gelitten hatte.
Sie vertragen keine anstrengende Arbeit und auch nicht eine solche,
bei der viele Menschen zusammen sitzen und wo größerer Lärm sich
findet. Zum Blindenhandwerk hatten sie keine Kraft und auch keine
Lust, weil sie für diese Betätigung einen längere Zeit dauernden Kurs
durchmachen müssen. In dieser Bedrängnis kamen wir in unserer
Lazarettschule für Blinde auf den Beruf eines Aktenhefters und wand-
ten uns wegen Anstellung an verschiedene Behörden. Es kamen abschlä-
gige und zusagende Bescheide und schließlich nahm sich unserer Bestre-
bungen der Magistrat von Berlin (Herr Stadtrat Preuß) in zuvor-
kommendster Weise an und stellte einen unserer Kriegsblinden als
Aktenhefter ein. Herr Stadtrat Pre-uß schreibt unter anderem: . . .
„Der Kriegsblinde St. hatte bei seinem Eintritt von der Arbeit nur
geringe Kenntnis, ist jedoch nach kurzer Unterweisung in der Lage
gewesen, zur Zufriedenheit die übertragenen Arbeiten auszuführen und
erledigt zur Zeit genau so viel, wie die mit ihm tätigen sehenden
Aktenhefter. . . . Die Arbeit wird ihm, wie den sehenden Aktenheftern,
vorgelegt. Seine Tätigkeit besteht dann darin, die losen Stücke mit
einem Falz zu versehen und dann in die Akten einzuheften oder einzu-
kleben. Diese Arbeit übt er mit großer Geschicklichkeit und Umsicht
aus. Fehler, die vorkamen, waren nicht seine Schuld, sondern ließen
sich auf ein unrichtiges Hineinlegen der Stücke in die Akten durch
die Registraturen zurückführen." . . .
Der Mann ist außerordentlich zufrieden und verdient pro Tag bei
7 stündiger Arbeitszeit 5 Mark. Er fühlt sich sehr wohl, weil die Arbeit
leicht — ist Geräusche fehlen — und weil, was mir gegenüber mehrfach
hervorgehoben wurde, im Verkehr mit Beamten ein guter Ton herrscht.
Da dieser erste Versuch für Arbeitgeber und Arbeiter zur vollen
Zufriedenheit ausgefallen ist, so hoffen wir, daß diese Berufsart in den
weitesten Kreisen der Blinden Nachahmung finden wird. Es kommen
für die Arbeit besonders solche Leute in Frage, die im Zivilberuf Buch-
binder, Schriftsetzer, Lithographen, Bürodiener usw. waren. Gerade für
diese ist es wichtig, eine leichtere Tätigkeit im Büro zu finden, weil
sie weder für schwere Fabrikarbeit noch für höhere kaufmännische
Ausbildung geeignet sind. Da in Friedenszeiten in jedem großen behörd-
lichen Betriebe die Arbeit des Aktenheftens eine laufende ist, so wäre
Hunderten von Kriegsblinden hierdurch ständige, lohnende Beschäftigung
gegeben.
VI. Österr. Blindenfürsorgetag (Blindenlehrertag) Wien 1918.
Der für das Jahr 1917 beschlossene Blindenfürsorgetag (Blinden-
lehrertag) konnte widriger Umstände wegen nicht abgehalten werden.
Die durch den Krieg geschaffenen Verhältnisse in der Blinden-
fürsorge, namentlich aber in der Kriegsblindenfürsorge und die damit
verbundenen Umwälzungen auf diesen Gebieten fordern in so dringender
Weise eine Aussprache und Aufklärung, daß der „Zentralverein für
das österr. Blindenwesen" die Abhaltung eines Blindenfürsorgetages
7. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 967.
noch in diesem Jahre für unbedingt notwendig erachtet. Nach einem
diesliezüglich gefaßten Ik^schlusse soll dieser Tag am 27. und 28. Sep-
tember 1. J. in Wien stattfinden.
Es werden Vorkehrungen getroffen, daß die aus der Provinz Ivom-
iiienden Teilnehmer zu günstigen Bedingungen Quartier und Verpflegung
erhallen und ihnen die 13ahnfahrt gesichert wird. Zu diesem Zwecke
iiuiß jedoch die Anmeldung bis längstens 20. Juli 1. J. geschehen: bei
Anstalten kann die Anmeldung gemeinsam durch die Direktionen, bei
\'ereinen durch die Leitungen erfolgen, weshalb um besondere Ver-
ständigung der p. t. Mitglieder gebeten wird.
Die Tagung soll sich in der Hauptsache mit der allgemeinen
Blindenfürsorge sowie der Kriegsblindenfürsorge und deren gegenseitiger
Stellung befassen. Es wird daher ersucht, nur diesbezügliche Vortra-gs-
stotfe zu wählen. Die Anmeldung der Vorträge wolle ebenfalls längstens
bis 20. Juli 1. J. an K. Bürklen in Purkersdorf bei Wien geschehen.
Es gilt Frage und Tateii der Zukunft für unsereBlin-
il e n s a c h e. Alle Wohlgesinnten sind daher z u r M i t wm r k u n g
an der kommenden Tagung g e b e t e n.
Pont du Carrousel.
Von Rainer Maria Rillte.
Der blinde Mann, der auf der Brücke steht,
Grau wie ein Markstein namenloser Reiche,
Er ist vielleicht das Ding, das immer gleiche.
Um das von fern die Sternenstunde geht
Und der Gestirne heller Mittelpunkt,
Denn alles um ihn irrt und rinnt und prunkt.
Er ist der unbewegliche Gerechte,
In viele wirre Wege hingestellt;
Der dunkle Eingang in die Unterwelt.
Bei einem oberflächlichen Geschlechte.
Personalnachrichten.
— Auszeichnung. Dem Obmann des „I. Ost. Blindenvereines"
in Wien VIII, Herrn August von Horvath wurde mit Allerhöchster
Entschließung in Würdigung seiner Verdienste um das österreichische
Blindenwesen der Titel „Kaiserlicher Rat" verliehen. Es ist der
erste Fall in Österreich, daß ein für seine Schicksalsgenossen tätiger
Blinder eine derartige Anerkennung findet. Sie wird daher von allen
Blinden mit Genugtuung empfunden werden. Diejenigen aber, die dem
der allgemeinen Sympatie sich erfreuenden Ausgezeichneten näherstehen,
entbieten ihm zu dieser Gelegenheit die herzlichsten Glückwünsche.
Rus den Anstalten.
— N. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf. Ausflug. Von
herrlichem Wetter begünstigt, brachte auch der heurige Ausflug am 6. Juni 1918
unseren Zöglingen wieder einige Stunden fröhlicher Ablenkung. Wie in den vergan-
genen Kriegsjahren konnte ihm auch diesmal nur die nahegelegene Hochramalpe
Seite 968. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 7. Nummer.
als Ziel gesteckt werden. Die Not der Zeit gestaltete es nicht anders. Doch ist
dieser Ausflugsort unseren Zöglingen lieb geworden. Bietet er doch genug der
Unterhaltungen. Beim Schaukeln, Eselreiten und Kahnfahren verflog die Zeit nur all-
zurasch. Glücklicherweise konnte auch eine ausgiebige Jause gegeben werden. Der
Zöglingschor erweckte mit dem Vortrag einiger Lieder den lebhaften Beifall der
zahlreich anwesenden Ausflügler. Auch diesmal konnten die Zöglinge ihren väter-
lichen Gönner und Freund, HerrnLandesausschußL.Kun schak begrüi^en. Trotzseiner
arbeitsüberlastften Zeit ließ er es sich nicht nehmen, in Begleitung des Herrn
Landessekretärs Dr. Hemala bei dem Festtage seiner Schützlinge zu erscheinen.
Jeder der Anwesenden nahm wohl ein schönes Erinnern mit an den sonnigen Tag,
als einen Lichtblick in der schwer lastenden Gegenwart.
Opernaufführung. Eine bisher unerreichbar schienene Leistung vollbrachten
am lÖ.Junil.J. die Zöglinge dieser Anstalt indem sie in einer der Blindenfürsorge dienen-
den Wohltätigkeitsvorsttllung die Szenen aus Humperdinks Märchenoper »Hansel und
Grefe 1« mustergültig vorführten. Dabei bewältigten sie nicht nur den gesang-
lichen und den für Blinde doppelt schweren darstellerischen Teil, sondern sie stellten
auch die orchestrale Begleitung bei. Die einzelnen Rollen des Besenbinders und
seiner Frau u. s. w. waren gut besetzt. Besondere, ganz ernst zu nehmende Leistun-
gen waren aber die Hexe und vor allem die beiden Kinder, die mit einer Natür-
lichkeit und Sicherheit spielten und sangen, die allgemeine Überraschung hervorrief.
Die Besucher der beiden Vorstellungen — die n. ö. Landes-Blindenanstalt sah wohl
noch nicht'oft einen solchen Massenbesuch — bezeugten durch stürmischen Beifall, wie
hoch die Leistungen der blinden Kinder zu weiten sind Der Name des Leiters der
Veranstaltung, des Herrn Hofmusikers Karl Jeray, Musil<lehrers der Anstalt, der
sich schon öfter durch Veranstaltung mustergültiger Konzerte zu Blindenfürsorge-
und Kriegshilfszwecken verdient gemacht hat, bürgte wohl für den künstlerischen
Wert der Darbietungen. Daß aber die Erwartungen weit übertroffen wurden, läßt
eine spontane Huldigung vermuten, die von den Besuchern dem selbstlosem Künst-
ler gebracht wurde. Der Blindenfürsorge dürfte ein sehr bedeutender Reineitrag
zufließen.
— Privat-Blindenlehranstalt in Linz. In der Blindenbeschäftigungs-
und Versorgungsanstalt wurde am 16. Juni 1. J. (Wiederholung am 18. Juni) eine
mit großem Beifalle bedachte M u s i k au ff ü h r u n g lebender oberösterreichischerTortdich-
ter: MaxSpri n ger, Aug. Brunetti-Pisano, Emil Sauer, Rudolf^P ernk 1 au, Josef
Fr. Hummel, Josef Reiter, Ernst S o m p e k, Otto R i p p I, Hugo R e i n h o 1 d und
Franz Neuhof er veranstaltet. Nicht nur die Zusammenstellung der Vortragsord-
nung sondern auch die musikalische Durchführung zeigte von dem hohen Stand
der Musikpflege in den Linzer Blindenanstalten, um die Konsistorialrat A. M. P 1 e-
ninger nach jeder Richtung hin in der unermüdlichsten und selbstlosesten Weise
tätig ist.
Aus den Vereinen.
— Zentralverein für das österreichische Blindenwesen. In der
Ausschußsitzung am 14. Juni 1. J. teilte der Vorsitzende K. B ürkl en mit, daß
16 neue Mitglieder ihren Eintritt anmeldeten. Ebenso hat die Zahl der Bezugsnahme
der »Zeitschrift« neuerlich eine Erhöhung erfahren. Es wurden die vom Vereinsaus-
schusse unternommenen Aktionen bezüglich der Errichtung einer »Zentralstelle für
das Blindenfürsorgewesen im Ministerium für soziale Fürsorge«, den Schutz blinder
Musiker durch die neu zu schaffende Musikerkammer, die bisher noch immer nicht
erfolgte Empfehlung und Subvention der »Zeitschrift« durch das Unterrichtsmini-
sterium und schließlich die Angelegenheit des nächsten Blindenfürsorgetages einge-
hend besprochen. In letzterem Punkte wurde der Beschluß gefaßt, den in Salzburg
ausgefallenen Tag am 27. und 28. September 1. J. in Wien zu veranstalten. Siehe
hierüber die Veröffentlichung »Blindenfürsorgetag«.
— Bli nd en - Unt er s tu tzu ngs V er ein >Die Pur ker s dorf er in
Wien V. Der unter dem blinden Obmanne F. Uhl stehende und auf dem Gebiete
der Blindenfürsorge höchst rührige Verein versendet seinen Rechenschaftbericht
über das Jahr 1917. Außer den ßarunterstützungeo an blinde Mitglieder (7362 K)
vermittelte der Verein in 117 Fällen unentgeltlich Dienst und Arbeit. Das Musika-
lien-Leih-Institut wurde in 6842 Fällen unentgeltlich in Anspruch genommen. Im
abgelaufenen Vereinsjahre wurden 9 Ausschuß-Sitzungen und eine Generalvcrsamra-
7. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 969.
lung abgehalten. Der Verein zählte mit 31. Dezember 1917 28 Gründer, 61 Stifter,
18 Ehrenmitglieder, 182 unterstützende Mitglieder und 118 blinde Mitglieder, davon
sind 3 gestorben. Das Musikalien-Lcihinstitut in Braill's Notenschrift zählt gegenwärtig
2147 Musikalien und 100 musiktheoretische Bücher.
— Verein »Kriegsblinden-Heimstätten« in Wien. Bericht über
das Vereinsjahr 1917.
Zuzüglich des Anfangsvermögens aus der Aktion Grimm sowie der
Spendeneingänge im Jahre 1916 im Betrage von zusammen rund 1,650.000 K betrug
das gesamte Sammeleigebnis zu gunsten des Vereinszweckes am Ende des Jahres
1917 rund 3,150.000 K.
Vom Vermögenszuwachs im Jahre 1917 entfallen ungefähr 1,118.000 K auf
Beiträge von Stiftern, derert Zahl im Laufe des zweiten Vereinsjahres von 343 auf
437 gestiegen ist, und deren Gesamtbeiträge Ende 1917 rund 2,300.000 K erreichten.
69.000 K entfielen auf Beiträge von Gründern, deren Zahl sich von 654 auf 769
erhöhte, und deren Gesamtbeiträge Ende 1917 rund 300.000 K betrugen. 13 Mit-
glieder, welche im Jahre 1916 noch im Jahre 1916 als Gründer geführt wurden,
haben im Laufe des Vereinsjahres 1918 ihre Beiträge durch neuerliche Spenden
derart erhöht, daß deren Aufnahme in die Stifterliste durchgeführt werden konnte.
Auf Jahresbeiträge ordentlicher Mitglieder, deren Gesamtzahl sich am Ende des
zweiten Vereinsjahres auf 646 bezifferte, entfielen rund 5300 K. An einmaligen und
wiederholten Spenden, die den Gründerbeitrag nicht erreichten oder aus sonstigen
Gründen nicht als Stifter- oder Gründerbeiträge in Betracht kommen, liefen im
Jahre 1917 insgesamt rund 304.500 K ein. Der Gesamtbetrag derartiger Spenden
erreichte mit Ende des zweiten Vereinsjahres die Höhe von 518.000 K. Aus ver-
schiedenen Veranstaltungen, Konzerten und Ausstellungen sind dem Vereine im
Jahre 1917 rund 20.000 K zugeflossen. Der vom »Verlag für Technik und Industrie«
(Julius Brüll) besorgte Vertrieb des »Kriegsblindenheimstättenbildes«, welches
sich heute der größten Verbreitung erfreut, hat dem Vereine im Jahre 1917
76.800 K. beziehungsweise seit Beginn des Vertriebes insgesamt 95.800 K ab-
geworfen. Namhafte Zuwendungen wurden dem Vereinszwecke aus den Erträgnissen
von Feldkinos gewidmet.
Schon im Jahre 1916 war es in einzelnen Fällen recht schwer, geeignete
Realitäten für die Kriegsblindenheimstätten ausfindig zu machen, da die Kriegs-
blinden selbstverständlich immer den Wunsch äußern, in ihrer Heimat oder im
letzten Aufenthaltsorte vor ihrer Einrückung angesiedelt zu werden, so daß die
.Auswahl der käuflichen Realitäten an und für sich beschränkt wird. Infolge der
exorbitanten Materialpreise ist an den Bau von Heimstätten vorläufig nicht zu denken,
sodaß nur bestehende Objekte erworben werden können. Im Berichtsjahre 1917
wurden insgesamt 49 Kriegsblinde durch Verleihung käuflicher Heimstätten in ihrer
Heimat oder in einer selbstgewählten Ortschaft versorgt.
Im allgemeinen stand die Möglichkeit, Kriegsblinde mit Heimstätten zu ver-
sorgen, im Jahre 1917 hinter den Erwartungen der Vereinsleitung zurück. In allen
diesen Fällen, in denen eine Verleihung einer Heimstätte selbst vorläufig nicht
durchführbar war, wurde den Kriegsblinden für den späteren Ankauf einer Heim-
stätte seitens des Vereines ein bestimmter Betrag (5000 bis 10.000 K) zuerkannt
und bis auf weiteres rückgestellt. Solche Kapitalsrückstellungen mit und ohne Zin-
sengenuß wurden im Laufe des Jahres 1917 insgesamt 236 Kriegserblindeten bewilligt
und die Gesamtsumme der hinterlegten Gelder beträgt über 1,735.000 K, so daß
von dem Rechnungsabschluß ausgewiesenen Vermögenstande am Schluße des zweiten
Vereinsjahres im Ausmaße von rund 2,735.000 K am Beginne des dritten Vereins-
jahres nur mehr rund 1,000.000 K zur freien Verfügung des Vereines standen.
Für unsere Kriegsblinden.
— Kriegshlindenfonds für österreichische Staat.sange-
hörige der gesamten bewaffneten Macht. Infolge der am 1. Jän-
ner 1918 erfolgten Aktivierung des k. k. Ministeriums für soziale Für-
sorge sind die mit dem Vorsitze im Kuratorium des Kriegshlindenfonds
Seite 970. Zeitschritt für das östereichische Blindenwesen. 7. Nummer.
verbundenen Agenden vom Minister des Innern auf den Minister für
soziale Fürsorge übergegangen.
Für den Kriegsblindenfonds bestimmte Zuschriften, Berichte und
Eingaben sind daher nunmehr an diesen Fonds im k. k. Ministerium
für soziale Fürsorge in Wien, I., Hoher Markt Nr. 5, zu richten.
— Zivilpersonen als Begleiter von Kriegsblinden. Das Kiiegs-
ministerium gibt einen Erlaß bekannt, daß Zivilpersonen als Begleiter von Kriegs-
blinden auf den Heeresbahnen nach dem Militärtarif abzufertigen sind.
— Akademie im Saale des kaufmännischen Vereines in Wien, am 24. April
1. J., um deren Zustandekommen Frau Dr. Singer (Lyzeum Fligelmann), Frl.
Julia Weinstabl und Frl. Lotte Steiner bemühten, Es gab Vorträge am Klavier
Gedichte. Tanz und ein Theaterstück, welches von Damen dargestellt wurde. Ein
ansehnlicher Beitrag wurde den Kriegsblinden zugeführt
— Heiterer Abend im Theatersaale des Vereinshauses in Wien XXI,
am 16. April 1. J. an dessen Gelingen sich die Herren Inspektor Julius Uchatzy
und Revident Hugo Riedel verdient gemacht haben. In liebenswürdiger Weise
wirkten das Doppelquartett des Gesangvereins Österreichischer Eisenbahnbeamten
unter Leitung des Chormeisters Karl Führ i c h, der Lautensänger Heinrich Negri -
Olli und der Illusionist Rudolf Gschwend tn er mit. Das Reinerträgnis betrug
159 K 50 h.
— Vortrag. Im Schöße der in Prag für die Kriegsblindentürsorge tätigen
Kreise entstand die Anregung, einen Blinde sprechen zu lassen und so wurde
Dr. Ludwig Cohn aus Breslau zu einen Vortrage gewonnen, der am 22. Mai 1. J.
in der Klar'schen Blindenanstalt in Prag mit warmer Aufnahme stattfand.
— Ein Einakterabend, in dessen Verlauf man zwei ueue Stücke eines
begabten Dramatikers, Alexander E. S e d 1 m a y r, kennen lernte, wurde am 25. Mai
1. J. auf der Wiener Volksbühne zugunsten kriegserblinder Schauspieler statt.
— Am 26. Mai 1. J. fand im Verbandsheim ein von der der Klavierschule
Milly Schafranek in Wien XIV veranstaltetes Schülerkonzert statt, das ein
Reinerträgnis von 300 K erbrachte. Dieser Betrag wurde von der Leiterin der
Schule Fräulein Milly Schafranek zugunsten der im Kaiser Franz Josef-Blinden-
arbeiterheim, XIII. Bezirk, Baumgartenstraße Nr. 75-79, untergebrachten blinden
Soldaten bestimmt.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende Juni 1. J.
— Neue Freie Presse. 1,295.975 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 3,747.137 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 320.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 85.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 33.000 K.
Verschiedenes.
— Neue Lehrmittel für Naturgeschichte. Unser reichsdeutscher
Kollege, Herr Blindenlehrer E. Marold aus Königsberg, hat eine Folge naturge-
schichtlicher Lehrmittel herausgegeben, die jeder Blindenanstalt nur wärmstens zu
empfehlen sind.
Schon auf dem Düsseldorfer Kongresse hatten wir das Vergnügen, seine
schönen, dem Blindenunterrichte eigenes angepaßten Lehrmittel für Natur lehre
bewundern zu können. Als er nun in der »Blindenschule mitteilte, daß er auch für
Naturgeschichte besondere Lehrmittel für Blinde herstelle und abgebe, bestellten
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Biirklen,
J. Kneis, A. t. Horrath, F. Uhl. — Druck Ton Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
wir sofort ungesehen, bloß auf das Geschick und die fachmännische Einsicht M a -
rolds bauend, die ganze Reihe.
Und wir hatten es nicht zu bereuen. Wir haben an den Dingen unsere
herzliohe Freude. Ihre Hauptvorzüge sind:
1. Sie sind wirklich schön, nämlich für Auge und Hand gleich gefällig.
2. Sie sind im richtigen, dem Tastsinn am besten entsprechenden Maßstab
gemacht.
3. Sie enthaten nur das A llerno t wen di gst e, dieses dafür aber umso
deutlicher.
4. Sie bestehen nur aus dauerhaften Stoffen: Holz, Draht, Leinwand,
Zelluloid.
5. Sie erstrecken sich auf lauter E^inge, die bisher im Handel entweder
gar nicht oder wenigstens nicht eigens für Blinde eingerichtet zu haben
waren und füllen daher eine recht empfindliche Lücke in jeder Lehrmittelsamm-
lung aus.
Die Folge besteht aus 24 G e genständen, die ich hier kurz anführe:
Fledermaus, Wasserfrosch, Eidechse, Kreuzotterrachen, Hecht, Flußbarsch, Kohl-
weißling, Maikäfer, Stubenfliege, Kreuzspinne mit Netz, Laubheuschrecke, Wasser-
jungfer, Waldameise, Weinbergschnecke, Krebs, Blutegel, Finne und Bandwurmkopf,
Blüten von Weide, Löwenzahn, ScJmeeglöckchen, Veilchen, Erbse und Roggen,
Blütenstände.
Die schönen Dinge hier genau zu schreiben, führt wohl zu weit. Wer miß-
trauisch und doch zugleich neugierig darauf ist, möge sich einfach ein Probestück
bestellen. Übrigens kostet die ganze, viel Fleiß und Kunstgeschick hei-
schende Sammlung kaum mehr als 10 kg Mehl im Schleichhandel.
(Friedrich Demal, Purkersdorf).
— Asylstiftung für Blinde. Frau Helene Suehs-Rath in Wien hat letzt-
willig eine Asylstiftung für erwachsene Blinde errichtet. Die Verlassenschaft beziffert
sich auf 164.700 K.
— Auszeichnung einer blinden Massie rerin. Die in der Bromberger
Blindenanstalt ausgebildete Massiererin Frl. Lucie Rolle in Posen, erhielt als Aner-
kennung ihrer Tätigkeit die Rote Kreuz-Medaille 3. Klasse und vom Vaterländi-
schen Frauenverein die eiserne Medaille mit Kette als Auszeichnung, ein Be-
weis, daß Blinde diesen Beruf ganz vorzüglich auszuüben vermögen.
— Ein neues Verfahren zur Ermittlung der Leistungsfähig-
keit der Augen im Dunkeln ist im Krieg besonders für Flugzeugführer, Beob-
achter und Flugschützen wichtig geworden. Es kommt vor allem darauf an, daß die
Untersuchung leicht durchführbar ist und auch eine gewisse Sicherheit gegen Simu-
lation bietet. In der »Münchener Medizinischen Wochenschrift« gibt jetzt Geheimer
Sanitätsrat Dr. Gramer ein Verfahren an, das auch von augenärztlich nicht Vor-
gebildeten ausgeführt werden kann. Der zu Untersuchende wird in einen durchaus
lichtfreien Raum gebracht, und zwar, um das Auge an die Dunkelheit zu gewöhnen,
etwa eine halbe bis drei Viertelstunden vor der Untersuchung. Zur Prüfung dient
ein auf einer großen schwarzen Holztafel in stark radioaktiven Leuchtfarben auf
Schwefelzink und radioaktiven Substanzen angebrachter Ring (das ist ein nicht voll-
ständig geschlossener Kreis). Dann wird ein Schnallband um den Kopf des Prüflings
gelegt woran ein etwa sechs Meter langes Band befestigt ist, das in Abständen von
je einem Meter einen großen, in Abständen von je 50 Zentimeter einen kleinen
Druckknopf trägt. Der Untersucher nimmt das Band in die Hand, wechselt die
Stellung des leuchtenden Ringes und läßt den Untersuchten angeben, nach welcher
Richtung die dunkle Lücke entsteht. Die Entfernung, in welcher dies noch erkannt
wird läßt sich im Dunkeln an den Knöpfen abzählen. Die Untersuchungen ergaben,
daß der Unterschied zwischen Nachtblinden und Normalen sehr groß ist. Unbe-
schränkt kriegsbrauchbar sind Leute, die die Lage der Lücke im Ring von über
drei Meter erkennen. Wer dies erst in einer Entfernung von einem Meter und da-
runter kann, ist als nachtblind für den Flugdienst im Feld und in der Heimat un-
brauchbar. Simulationen sind bei dem Verfahren ausgeschlossen, denn der Untersuchte
weiß nicht, in welcher Entfernung der Prüfende steht.
Mitteilung.
— Zentralverein für das öst. Blinden wesen. Die p. t. Ausschuß-
mitglieder werden zu der am Montag, den 29. Juli, 5 Uhr, in der Blinden-Beschäftf-
gungs- und Versorgungsanstalt in ^A^ien VIII stattfindenden Ausschußsitzung
höflichst eingeladen. Tagesordnung: Blindenfürsorgetag 1918.
Für 8 jähriges Mädchen wird zum weiteren Privatunterricht auf
dem Lande in schöner Gebirgsgegend Schlesiens sehender Blinden-
lehrer oder Blindenlehrerin tür bald oder später gesucht.
Bewerbungen mit Zeugnis und Bild an:
Dr. F. G ehr mann in Jamowitz am Riesengebirge.
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schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
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Wien XVIII, Währinger GUrtel 136,
verleiht ihre Bücher kostenlos an alle Blinden.
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„DIE PURKERSDORFER"
W^ien V., Nikolsdorfergasse 42.
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Organ des „Zentralvereines für das österreichische Blinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
Schriftleitunq
Purkersdorf
bei Wien.
Österreich sches
Postsparkassen-
kontoNr.132.257
D
D
D
D
D
D
Das Blatt erscheint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
I , Bezugspreis Q
Q ganzjährig mit ^
Q Postzustellung Q
3 4 Kronen, D
D Einzelnummer D
n 40 Heller. ^
5. Jahrgang.
Wien, Oktober 1918.
10. Nummer.
INHHLT: Der VI. Ost. Blindenfürsorgetag. O. Wanecek, Purkersdorf: Eine Plau-
derstunde über den Krieg bei blinden Erstklassern. Personalnachrichten.
Mus den Anstalten. Rus den Vereinen. Für unsere Kriegsblinden. Ver-
schiedenes. Bücherschau. Mitteilung, (ftites und Neues. Ankündigungen).
D
B=
-a
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? Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
3 Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. g;
□Ir^ ■ f^B
MItes und Neues.
Das empfindliche Gehör des Blinden.
So notwendig e.s ist, sieli bei einer Annäherung an einen Blinden
durch eine entsprechenae Anrede zu erkennen zu geben, so muß dies
bei der Empfindlichkeit des Gehöres bei Blinden doch in entsprechen-
der Weise geschehen. Das macht uns ein Erlebnis klar, welches uns
P. Lang in dem Buche ..Den Kopf hoch!" (Würzburg 1918. H. Stürtz)
erzählt :
,.lch bin einmal vor Jahren auf freier Landstraße von einem heftigen
Gewitter überrascht worden und erlebte es dabei, daß etwa fünfzig
Schritte von mir entfernt der Blitz in eine alte Pappel schlug. Ich
brauche wohl kaum zu versichern, daß mir der ohrenbetäubende Krach
einen mächtigen Schrecken in die Glieder jagte. Nicht weniger erschrack
ich vor einiger Zeit im Stiegenhaus eines Gebäudes, in dem ich zufällig
zu tun hatte. Auf einer Treppenstufe stand ein temperamentvoller Be-
kannter von mir, ohne daß ich seine Gegenwart ahnte. Er hatte durch
ein Fenster in den Hof gebhckt und sich erst umgesehen, als ich diclit
an ihm vorüber ging. Wir waren uns lange nicht mehr begegnet und
in der Überraschung mich hier zu treffen, fiel seine Anrede sehr stimm-
gewaltig aus und der geschlossene Raum verstärkte noch die Wirkung.
Diese aber war gewaltig. Wenn am jüngsten Tag ein Engel des Ge-
richtes seine Posaunenstöße aus allernächster Nähe ins Ohr eines Auf-
erstehenden schmettert. — der arme Sünder kann nicht ärger zusam-
menschrecken als ich bei jenem unvermuteten Freudenausbruch meines
Bekannten. Mir schlotterte im wahren Sinn des Wortes mein Gebein.
Ähnliche Erlebnisse habe ich schon öfter gehabt, wenn auch bezüglich
des Schreckens in verjüngtem Maßstab. Dem Sehenden der einen Blin-
den in eine solche Gemütserschütterung versetzt, wäre es gewiß unan-
genehm, wenn er von der Wirkung seiner unbedachten Handlungsweise
erfahren würde: denn es liegt ihm ein solcher Angritf auf die Nerven
eines Blinden sicherlich fern. Wenn der erlittene Schrecken nicht im
Mienenspiel und in unwillkürlichen Körperbewegungen des Blinden zum
Ausdruck kommt, wird der andere freilich selten etwas davon erfahren.
Es gilt ja nicht für besonders männlich, wenn man leicht erschrickt;
die meisten Blinden' ließen sich deshalb lieber ein dutzendmal aufs
heftigste erschrecken, als daß .sie sich offen zu ihrem ersten Schrecken
bekennen möchten, auch wenn sie sich damit die elf folgenden Schrek-
ken ersparen könnten. Unmännlich zu erscheinen, dünkt ihnen wohl
noch schlimmer. Und doch ist der Schrecken im Grunde durchaus nicht
unmännlich. Ich möchte den Sehenden kennen, auf den es ohne Ein-
druck bliebe, wenn er von vollständiger Dunkelheit umgeben und ohne
die Anwesenheit eines Menschen zu ahnen, plötzlich aus unmittelbarer
Nähe laut angerufen würde.
Hätte jener Bekannte von mir vor seinem überwältigenden Stie-
genhaus-Posaunengruß nur ein wenio- mit dem Fuß über den Boden
gestreift, so wäre mir die Gegenwart eines Menschen verraten gewesen
und das Folgende nicht halb so überraschend gekommen. Darum: „Rede,
damit ich dich sehe, aber schreie mich nicht an. mißhandle mich nicht
mit plötzlichem Lärm, wenn ich auf deine Gegenwart oder deinen Lärm
nicht vorbereitet bin!"
5. Jahrgang.
Wien, Oktober 1918.
10. Nummer.
„Wir dürfen nicht mehr den Luxus betreiben, daß wir nur
die ganz Starken, ganz Gesunden für unsere Wirtschaft verwen-
den und daß wir über die anderen, die weniger brauchbar und
scheinbar weniger leistungsfähig sind, mit einem Achselzucken
hinweggehen und ihnen höchstens eine sie demütigende charita-
tive Fürsorge widmen. Ruch in dem Blinden steckt noch soviel
wirtschaftliche Kraft, daß es törichte Verschwendung wäre, auf
ihre Mitarbeit zu verzichten. Wenn wir von diesem Grundsatze
iffi ausgehen, erkennen wir, daß das Interesse der Blinden mit dem
^ der Gesellschaft zusammenfällt, wissen wir, daß unser Wohltun
g Zinsen bringen wird nicht nur den Blinden, sondern auch der g
®s ganzen Gesellschaft, deren wertvolle Mitglieder sie sein wollen, m
^ sein sollen und sein können." ^
H O. V. Gastei^er, ^
^ Sektionschet im Ministerium für soziale Fürsorge ^
iSai bei der Begrüßung des VI. Ost. Blindenfürsorgetages. S*
^
<&
Der VI. Ost. Blindenfürsorgetag.
Trotz der Ungunst der Zeitverhältnisse hatte sieh am 30. Septem-
ber und 1. Oktober 1. J. im Landtagssitzungssaale in Wien zum VI. Ost.
Blindenfürsorgetage (Blindenlehrertag) eine ganz unerwartet große Teil-
nehmerzahl zusammengefunden. Das mächtige Interesse, welches heute
dem Schicksale der Kriegsblinden und damit auch den Friedensblinden
in der Öffentlichkeit entgegengebracht wird, regte nicht nur die Fach-
kreise sondern auch die Behörden, Blinde und bisher Fernerstehende
zur Mitarbeit an den Fragen an, welche zur Behandlung vorlagen.
Keine Stelle, welche heute in der öst. Blindenfürsorge mitwirkt, blieb
unvertreten.
Seite 1008. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 10. Nummer.
War so dem Tage das Gepräge einer vollständigen
Repräsentanz des vaterl ändischen Blindenwesens gege-
ben, so wirddieseerfreulicheTatsachenochüberragtvon
dem schönen Verlaufe und der einschneidenden Bedeu-
tung der auf der Tagung gefaßten Beschlüsse. Ein neuer
Abschnitt in der Entwicklung unseres Blindenwesens ist
damit eingeleitet. Das sagte uns schon die Erkenntnis,
welche aus den vorangestellten Wort en des Vertr et ers
des Ministeriums für soziale Fürsorge. Sektions chef v.
Gasteiger, spricht. Auch eine Reihe von Vertretern ande-
rer Behörden gab der gleich e n Ans chauungAus druck, daß
die soziale Frage der Blindenfürsorge zu einer öffent-
Angelegenheit gewordenist, über welche nicht mehr wie
früher hinweggegangen werden kann und wird. Wir ge-
wannen auf der Tagung neben den Herzen von ausschlag-
gebenden Männern auch ihre Zusicherung tatkräftigster
Mithilfe und wir es liegt kein Grund vor, an ihrem guten
Willen zur H il fsbereits chaft zu zweifeln. Namentlich die
Vertreter der Staatsbehörden zeigten eine Gesinnung,
welche einen Ausblick auf künftige glücklichere Zeiten
in der Entwicklung unserer Blindensache gewährt.
Ein nicht hoch genug anzuschlagender Erfolg der
Tagung liegt darin, daß endlich die künstlich errichteten
Schranken zwischen der öst. Blinden weit und den öffent-
lichen Stellen, wellche zur Blindenfürsorge berufen sind,
niedergerissen werden konnten. Diesmal sahen sich die
Vertreter der Behörden der Gesamtheit aller in der vater-
ländischen Blindenfürsorge tätigen Faktoren gegenüber,
lernten dieBlinden mit ihren Wünschen und Forderungen
kennen, hörten die Ausführungen der Fachleute und ge-
wannen einen Einblick in d a s Zusammenwirken der Fach-
kräfte und Blindenfr eunde. Es ist ihnen wohl auch zum
Bewußtsein gekommen, daß nur durch die Heranzie-
hung aller dieser Faktoren eine gedeihliche Lösung
der Gegenwarts- un d Zukunfts fragen auf unserem Gebiete
unternommen werden kann.
Wir stellen die gefaßten Beschlüsse und einige wichtige
Anregungen an die Spitze des Berichtes. (Der ausführhche Bericht
wird nach Drucklegung den Teilnehmern des Tages und den zuständigen
Stellen übermittelt werden.)
Die bisher nicht durchgeführten Beschlüsse früherer Tage
sind in Erinnerung zu bringen.
Das Ministerium für soziale Fürsorge wird gebeten, die Erlassung
eines Fürsorgegesetzes anzuregen, in welchem der Anstaltszwaiig
für schulpflichtige blinde Kinder festgelegt erscheint. (Antrag U hl).
Die allgemeine Jugendfürsorge ist auch auf die blinden Kinder
zu erstrecken. (Anregung Fiürklen).
Das Ministerium für Kultus und Unterricht möge gebeten werden,
daß jene Unterrichtsanstalten, welche bisher Kriegsblinden- oder
anderen militärischen Zwecken ganz oder teilweise gewidmet
waren, ihrem eigentlichem Zwecke ohne Verzögern zurückge-
lU. Nummer. Zeitschrift für das Österreichische Blindenwesen. Seite 1009.
fülirt worden. Gleichzeitig möge eine Petition an das Parlament nnd
die Hegierung bezw. das k. k. Landes-Verteidigangsministeriuin dahin
gerichtet werden, es wolle eine Änderung hezw. Ergänzung des Kriegs-
dienstleistungsgesetzes vom 26. XII. 1912 § 1 Absatz III in dem Sinne
vorgenommen werden, daß jene Baulichkeiten, welche der Erziehung
und dem Unterrichte abnormaler Kinder dienen, in die Reihe der von
der Kriegsdieiistleistuiig befreiten Bauliclikeiten einbezogen wer-
den. (Antrag Horvath).
Unterriclit nnd bernfliclie Ausbildung der Scliwaclisichtigen
sollen in die richtigen Wege geleitet werden. (Anregung Bürklen).
Der VI. österreichische Blindenfürsorgetag in Wien gibt seiner
Üherzeugung Ausdruck, daß die Kriegsblinden als keine besondere
Klasse der Blinden zu betrachten, sondern als Spätererblindete den
übrigen Blinden zuzuzählen sind und für dieselben die gleichen
Grundsätze der Ausbildung und Berufs Zuführung zu gelten haben.
(Antrag Horvath).
Die Durchführung einer modernen Kriegsblindenfürsorge
kann nur im Zusammenwirken aller berufenen Faktoren gesche-
hen, wobei auch auf die Heranziehung von Blinden und
ihrer Vereinigungen ein Hauptgewicht gelegt werden soll. (Antrag
Horvath).
Im Ministerium für soziale Fürsorge möge im Sinne der Petition
des „Zentralvereines für das österreichische Blindenwesen," bei mög-
lichster Ausschaltung des bürokratischen Systems eine Zentralstelle für
das gesamte österreichische Blindenwesen unter Heranziehung
eines aus Blindenfachmännern bestehenden Beirates errichtet werden.
(Antrag Horvath).
An das Ministerium für soziale Fürsorge ist das Ersuchen zu stellen
im Einvernehmen mit der k. u. k. Militärverwaltung Richtlinien über
den Begriff des sozial oder praktisch Blinden aufzustellen. (An-
trag Mar sehn er).
Der VI. Ost. Blindenfürsorgetag beschließt die Frage der Eröffnung
neuer Erwerbsmöglichkeiten über den Rahmen der bisherigen
Blindenhandwerke hinaus das regste Augenmerk zuzuwenden und eine
schriftliche und mündliche Enquete hierüber einzuleiten. (Antrag
Marschner).
Dem Ministerium für soziale Fürsorge wolle es gefällig sein, im
Interesse der Blinden des Reiches, mit Unterstützung der kompetenten
Stellen an die Fabriken und Großbetriebe mit dem Ersuchen heranzu-
treten, Versuche sowohl mit Kriegsblinden namentlich aber mit Zivil-
blinden unternehmen zu wollen, zu dem Zwecke, ihnen lohnende
Arbeitsmöglichkeiten zu geben und solche den Blinden für die
Zukunft zu sicliern. (Antrag Haiare vi ci).
Die Möglichkeit neuer Berufsarten ist abgesehen von ganz indivi-
duellen Berufszweigen zuerst an Friedensblinden zu erproben und sind
diese dann zur Ausbildung von Kriegsblinden heranzuziehen. (Anregung
Bürklen).
Seite lülO. Zeitschrift für das österreichisclie Blindenwesen. 10. Nummer.
An das Handelsministerium ist mit dem Ersuciien heranzutreten,
die amtliche Scliulimg von Zivilbliiideii als Teleplionciiischaltor
anzuordnen und ihre seinerzeitige Anstellung zu verfügen. (Antrag
Halarevici).
Mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten, denen studierende Kriegs-
und Zivilblinde in Bezug auf mangelnde Büchereien begegnen, wolle das
Ministerium für soziale Fürsorge die Gewogenheit haben, aus den
Mitteln des Staates eine solche Bibliothek, die aus den mit der Hand
oder durch den Druck in Blindenschrift übertragenen allgemein zugäng-
lichen Studieuwerken bestehen müßte, im Anschluße an das k. k.
Blinden-Erziehungsinstitut oder an einen der bestehenden Blindenfür-
sorge-Vereine ins Leben zu rufen. (Antrag Halarevici).
Es sind die nötigen Schritte bei den Behörden zu unternehmen,
daß in ähnlichem Sinne wie für die Kriegsblinden auch für die anderen
Spätererbliiideteii die Erlangung des Meisterrechtes bei nachge-
wiesener Ausbildungszeit in einer dazu befugten Anstalt und Itei er-
probter Qualitikation ermöglicht werde. (Antrag Herz).
Um dem hindernden Wettbewerb und dem Materialmangel in den
Blindenhandwerkeu abzuhelfen, sind bei den zuständigen Behörden
Schritte zu tuu, ein Verbot der Blindenhandwerke in den Inva-
lidenhäusern zu erwirken. (Anregung Wagner).
Es mögen bei den kompetenten Stellen Schritte behufs seiner-
zeitiger Verwendung der für die Kriegsblindenfürsorge gesam-
melten 31ittel eingeleitet werden, mit der Bitte, diese 3[ittel seiner-
zeit der allgemeinen Blindenfürsorge zuzuführen. (Antrag
Horvath).
Das Ministerium für soziale Fürsorge ist zu ersuchen, im Einver-
nehmen mit der k. u. k. Militärverwaltung der Züchtung und Anler-
nung von Blindenführhunden das regste Augenmerk und materielle
Unterstützung angedeihen zu lassen, um ähnlich wie im deutschen
Reiche in entsprechenden Fällen Kriegs- und Friedensblinde mit Blin-
denführhunden zu beteilen. (Antrag Marschner).
Schalfung einer Institution (aufgebaut auf dem Boden der Selbst-
verwaltung) als Zentralorgan der Blindenfürsorge, das die Richt-
kraft sichert und dem gesamten Fühlen und Wollen der Blinden Aus-
druck und Verkörperung verleiht,
Schaffung einer generellen Produktiv-Assoziation zur Sicher-
stellung der ökonomischen Existenz der Blinden.
Die Durchführung der Reformtätigkeit soll als Aktion der Selbst-.
Geselischafts- und Staatshilfe, die Gestaltung der Blinden-Arbeit wie
die Erfüllung der weittragenden Aufgaben selbst als Aktion der Selbst-
fürsorge getroffen werden. (Anregung Altmann).
Das Ministerium für Volksgesundheit ist um die obligatorische
Einführung des Crede-Verfahrens zur Verhütung der Angenentzüu-
dung der Neugeborenen zu bitten. (Anregung Wagner-R aut er).
Der Verlauf der Tagung war in Kürze folgender:
Der Obmann des vorbereitenden Ausschusses, Direktor K. Bürklen
leitete dieselbe mit der Darlegung der Gründe ein, welche zur Abhal-
10. Niiinmer. Zeitschrift für das Osten eichische Blindenwesen. Seite 1011,
tung in Wien führten und machte den Vorschlag zur Wahl ins Präsi-
dium :
Ehrenpräsident: Hofrat H. Ritter von Ghlumetzky, Brunn.
Präsident: Kons-istorialrat Direktor A. M. Pleninger, Linz.
1. Vizepräsident: Regierungsrat Dr. R. Marschner, Prag.
II. Vizepräsident: Leiter des Blindenheimes F. Geiger, Salzburg.
IIL Vizepräsident: Dr. F. Elias, Triest.
Schriftführer: S. Altmann, Wien, A. Zierfuß und 0. Wanecek.
Purkersdorf.
Es ergab sich hiebei nur die Störung, daß den erkrankten Präsi-
denten Direktor Pleninger Direktor Bürlen vertreten mußte, bis
die Leitung au den L Vizepräsidenten Dr. Marschner übergeben wer-
den konnte.
Als Erster ergriff der Ehrenpräsident Hofrat v. Chlumetzky das
Wort nnd berührte mit markigen Worten die große Bedeutung des
Tages. Die x\nsprache des Präsidenten Konsistorialrat Pleninger gab
nach einem von tiefer Empfindung getragenen Nachruf für weiland
Kaiser Franz Josef einen Überblick über die Errungenschaften auf
dem Gebiete der Blindenfürsorge in der franzisco-josefinischen Zeit.
Huldigungsworte wurden an Ihre Majestäten Kaiser Karl und Kaiserin Zita,
sowie an den nohen Schutzherrn der Kriegsblinden P>zherzog Karl
Stephan gerichtet.
Nun folgten die Begrüßungsausprachen der Vertreter von Behörden
und Körperschaften, von denen sich besonders die des Sektionschefs
im Ministerium für soziale Fürsorge v. Ga Steiger durch Geist und
Herz sowie klare Erkenntnis der Sachlage auszeichnete, worauf in die
Verhandlungen eingegangen werden konnte.
Am ersten Tage behandelte der Nestor der österr. Blindenlehrer-
schaft kais. Rat Direktor S. Heller die Aufgaben der Kriegs-
blindenfürsorge. Seine tiefdurchdachten, das ganze schwierige Prob-
lem erleuchtenden Ausführungen besagten, daß der unvermittelte Über-
gang von der Sehfähigkeit zur Blindheit die seelische Verfassung derart
beeinflußt, daß der Kriegsblinde einerseits glaubt, sozial vernichtet zu
sein, anderseits aber unklare Rechtsansprüche nährt. Den seelischen
Au.sgleich vermag nur die Arbeit zu bringen. Kais. Rat Heller hat die
weiteren Wege mit überzeugender Sicherheit aufgewiesen, was seine
Ausführungen zu den bedeutsamsten unter den Publikationen macht,
die diesen Fragen gewidmet, worden sind.
Direktor Bürklen erstattete über den Stand der Blindenfürsorge
in Österreich einen genauen Bericht und sprach über die Richtlinien,
die eine gesunde Entwicklung nehmen sollte. Er trat vor allem für die
Selbsthilfe der Blinden, für unterrichtliche und berufliche Ausbildung
Schwachsichtiger, Errichtung von Anstalten und Vorschulen ein und
richtete an den Staat den Ruf, die Führung in der Blindenfürsorge
zu übernehmen.
Besondere Beachtung wurde dem Vortrag des Obmannes des öst.
Blindenvereines kais. Rat v. Horvath geschenkt. Er sprach über Ein-
Seite lOl'J. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 10. Nummer.
Wirkungen der Kriegsblindenfürsorge auf die allgemeine
Blindenfürsorge in günstigen wie in ungünstigem Sinne. Nachdrück-
lichst erhob er den Vorwurf, daß man die Friedensblinden und ihre
Organisationen bei der Behandlung der Kriegsblindenfrage unberück-
sichtigt gelassen und sie nicht zur Mitarbeit, die sicher segensreich
gewesen wäre, herangezogen hat. Seine Rede gipfelte in einer Reihe
von Anträgen, die Wandlung in dieser Hinsicht anstreben. Sie wurden
allseitig lebhaft begrüßt.
Am zweiten Tage sprach Blindenlehrer AI tmann über die Reform
der Blindenfürsorge und bewies, daß sie in ihren heutigen Formen
überlebt ist. Nicht nur die ethische Seite sondern die ökonomisch posi-
tive, neugestaltende Seite müsse die Reformbewegung vor allem ins
Auge fassen. Nur einträchtiges Zusammenwirken soll in der Blinden-
fürsorgo platzgreifen, nur ein solches, von der Gesamtheit diktiertes
Streben führt zum Erfolg. Wir brauchen einerseits eine zentrale Stelle,
einen Kristallisationspunkt aller Blindenfragen, anderseits aber Arbeit-
Assoziation, um die ökonomische Existenz der Blinden zu sichern. Die
Errungenschaften der sozialen Gesetzgebung müßten auch für die
Blinden erreicht werden. Altmann hat in geistvoller, temparament-
voller Art ein klares Bild einer möglichen und befriedigenden Reform
gezeichnet.
Blindenlekrer Halarevici (Thema Blindenberufe und Kriegs-
blinde) zeigte, daß die Forderung, die Kriegsblinden in ihre alten Be-
rufe zurückzuführen, namentlich bei den Landwirten möglich ist.
Die landwirtschaftliche Schule in Straß hätte derartige Erfolge gezeigt,
daß derartige Versuche an verschiedenen Stellen mit bestem Gelingen
nachgeahmt wurden. Er gedachte aber auch anderer Berufe, namentlich
auch der geistigen und forderte die Errichtung einer Institution ähnlich
dem Marburger Studienheim.
Lehrer Wanecek brachte eine kleine Auswahl von neuen Lohr-
behelfen, zu denen er erläuternde Bemerkungen machte, und wies auf
die Neuerungen namentlich in bezug auf die neuen Druck- und
Schreibmethoden, auf den Ausbau der Blindenbibliotheken und das
Hochulstudium der Blinden hin.
An den Wechselreden beteiligten sich eine große Anzahl von
Rednern.
In den Schlußreden konnten der Ehrenpräsident v. Chlumetzky
und der Vizepräsident Dr. Mars ebner auf die erfreulichen Ergebnisse
der Tagung hinweisen. Mit einem: „Auf Wiedersehen in Salzburg!," wo
der nächste Tag stattfinden soll, gingen die Teilnehmer auseinander.
Es sei noch erwähnt, daß die Teilnehmer das „Laboratorium
für exp. Pädagogik an der Lehrerakademie" besuchten, wo sie
vom Leiter desselben Inspektor Dr. Kammel begrüßt und ihnen die
Versuche zur Festeilung der Druckstärke beim Tastlesen gezeigt wurde
An festlichen Veranstaltungen, wie sie mit früheren Tagungen
verbunden waren waren, fehlte es am VI. Fürsorgetag zum Bedauern
des Ortsausschusses, der gerne die Gastlichkeit der schönen Wiener
Stadt in besserem Lichte gezeigt hätte.
I
10. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1013.
Eine Plauderstunde über den Krieg bei blinden Erstklassern.
Eine Kriegsplauderstuiide mit 20 blinden Kindern. Wie frucht-
briitgend wäre es, einzugehn auf das Gefühlsmäßige, den Seelenschwan-
kungen nachzuspüren, die das Innere unserer kleinen Blinden erschüttern,
wenn Begeisterung und Weh, Glücksempfmden und jammerndes Herz-
leid auch an ihre kleine Welt heranbranden! Wie dankbar, wenn wir
abwägen könnten zwischen der eigenartigen Gestaltung der Kriegsphy-
chosen im blinden Elementarschüler im Gegensatz zum Sehenden!
Nichts von alle dem. Die folgenden Zeilen wollen anspruchsloser sein.
Nur plaudern!
Was für eine Menge neuer Begriffe hat uns das militärische, das
wirtschaftliche Geschehen um uns nicht gegeben! Militärische Chargen,
Ausrüstungsgegenstände, Kriegsmittel, Namen der Fürsten, Heerführer,
Länder und Völker, leider auch neue Rechtsbegriffe, um nur eine Handvoll
zu nennen von dem, was um uns immerfort genannt wird mit all den
Betonungen, die unser Empfinden nur in den Wortklang zaubern kann.
Was davon im Gedächtnis der blinden Kinder, wie sie in die Schule
eintreten, haftet, das soll im Nachstehenden festgehalten werden. Dabei
soll auf ein scharf durchdachtes System verzichtet, sondern nur kurz
angeführt werden, was sich während der Schulstunde ungezwungen
ergab.
Kriegsemplinden hat sich von je im Ton der militärischen Musik-
mittel am ursprünglichsten geäußert. Wer hätte sich im Frieden Sol-
daten denken können ohne Trommel und Trompete! Und doch haben
sich nur sieben von den unsrigen an den Trommelton, ebensoviele,
aber keineswegs dieselben an den der Trompete erinnert. Da waren
gewiß große Gedächtnislücken. Jene 7 wußten sehr genau anzugeben,
wo sie trommeln und trompeten gehört hatten. „In der Rossauerkaserne,
wie ich mit der Mutter auf der Schmelz war." Einer weiß es von den
Donaumonitoren, die an seinem Heimatort vorübergefahren sind.
Fast ausschließlich die Stadtkinder sind es, die Militärmusik ge-
hört haben. Die im Wiener Asyl für blinde Kinder die Vorschule be-
sucht haben, wußten alle davon. Dort ist öfter „die Musik" vorbeige-
zogen. Einer erzählt vom Fackelzug zu Kaisers Geburtstag; da war sie
auch dabei.
Da wir gerade bei den Kriegstönen waren, wurde gleich gefragt,
wer schon einmal Soldaten marschieren, wer solche reiten gehört habe.
Dabei mag es nicht verwunderlich erscheinen, daß sie sich mehr der
Reiter als des Fußvolkes erinnerten. Ist doch das Erscheinen eines
Reiterzuges immer etwas Auffallendes. Wieder sind es die Landkinder
die diese Gehörvorstellungen nicht in Erinnerung haben. Einer
aber weiß es von deutschen Truppen her; der tut gar stolz. Ein anderer
hat die Reiter gehört, als daheim in ihrem Dorfe eine Anzahl Russen
entsprungen war. Ein Mädchen aber weiß es sehr genau, freilich hat
ein andrer Sinn ihr einst davon Kunde gegeben : ,.Als ich noch in der
Schule der Sehenden war ..."
Marschieren und Reiten ist besser bekannt als das schwere Vor-
beirasseln der Kanonen. Nur ihrer fünf erinnern sich daran. Eine dieser
Antworten ist aber zweifellos unrichtig. Von einem Mädchen mit Seh-
Seite 1014. Zeitschrift für das österreichische Hhiideii\vcLc;ii. 10. Nummer
rest und sehr, sehr lebhafter Phantasie. Sie war in der Kriegsausstellung
gewesen. Und da sind sie mit den Kanonen herumgefahren. An einem
Sonntag war's, trotz der vielen Leute sind sie gefahren? Ja. Kein Ein-
wand kann sie davon abbringen. Es ist eine offenkundige Unrichtigkeit.
Und doch — wer mag das Mädel Lügnerin schelten? Für sie sind alle
Kanonen in der Kriegsausstellung gefahren mit sechs Pferden vorn und
sckmucken Artilleristen auf den Protzen.
Fast alle kennen aber das Schießen; keiner aber vom Krieg her.
Einmal war's ein Jäger, ein anderes Mal beim „Umgang." Einer erzählt:
„Bei uns in Ybbs früher, wenn Kirtag war."' Wer mag heute in Ybbs
Kirchweih feiern mit Freudenschießen? Die Totenglocke schwingt und
klingt stärker . . .
Hören ist dem Blinden leichter, als sehen, d. h. in Händen haben
und betasten. Und doch haben die meisten schon ein Gewehr befühlt.
Wieder ist ein Jäger der Vermittler gewesen. Dann auch der Vater, Bruder
oder Onkel, der hat einrücken müssen. Elinen aber hat ein fremder
Zugsführer auf der Gasse seine Waffe angreifen lassen. Wohl in dem
unbewußten Drang eines Naturpädagogen. Ob er ahnt, was für einen
starken Eindruck er in die Erinnerung des blinden Kindes geprägt, was
für eine bleibende, klar umrissene Vorstellung er ihm geschenkt hat?
Eigenartigerweise ist der Säbel weit weniger bekannt. Einmal war
ein Wachmann der Vermittler der Anschauung.
Bisher hatten die Kinder zu sagen gehabt, ob und von wem sie
dies oder jenes gehört, bezw. betastet haben. Nun aber kam ein tie-
feres Schürfen. Sie sollten sich aussprechen, das in Worten so abkon-
terfeien, wie es ihre Seele kannte, was ihnen als einzelnes Wort vor-
gesagt wurde.
Da waren vor allem die Chargen der Soldaten. Was denn ein
Hauptmann, sei wurde gefragt. Es wurde natürlich nicht eine genauere
Umschreibung des Begriffes erwartet. Manche Antwort zeigte richtiges
Verständnis. Der, der immer bei den Soldaten ist, der Anschaffende, der
Anführer. Ein Mädchen nannte ihn. ihrem richtigen Sprachgefühl fol-
gend, einen sehr wichtigen Mann bei den Soldaten. In der Beantwortung
dieser Frage hatte sich das Wissen über die Vorgesetzten erschöpft.
Vom General wußte nur einer etwas zu sagen, nämlich, daß er der
höchste sei.
Lebhafte Beteiligung rief auch das Wort „Landsturmmann-' heivor;
aber zu einer sprachlichen Erklärung waren nur vier befähigt. Eine
schöne Erklärung gab einer: „Der mit den Soldaten hinausgeht und bei
dem Angriff mit dabei ist." Ein anderer meint damit einen, der schon ein-
mal verwundet war und jetzt schon alt ist und nicht mehr in den
Krieg kann. Ein dritter haftet an dem Bestimmungswort und sagt :
„Einer, der für das Land kämpft." Bei dem Einwand, daß dies ja auch
die anderen Soldaten täten, weiß er nicht weiter. Die beiden ersten
Antworten deuten beziehungsreich an, daß den Kindern die Kriegslasten
und -leiden der älteren Volkshelden nicht fremd sind, daß das Wort eine,
wenn auch nicht allgemeine, treffende Vorstellung konkretester Art in
ihnen wachzurufen imstande ist.
Von den modernen Kampfmitteln ist es namentlich das Untersee-
boot mit seiner ans Märchenhafte grenzenden Eigenart, das die Kinder
10. Nummer. Zeilschrifl für das österreichische Biindenwesen. Seile 1015.
hesoiiders beschäftigt. F^in Schiff, das manchmal imterm Wasser fährl
und doch nicht untergeht! Kin Schilf, das taucht! Ein Schilf, das auf
dem Wasser fährt, das untertaucht, wenn ein Feind kommt und das
dicke Glasfenster hat! Ein Schilf, das unterm Wasser fährt und auf ein
anderes ,.solche Ding-' schießt! All diesen Antworten war der Ton
eigen, der das Wunderbare, das Phantastische an dieser Leistung der
Menschentatkraft kennzeichnete. Die Stärke, mit der dieses Wort die
Kleinen zu fesseln vermochte, zeigt die spontan auf die Frage zur Er-
widerung gegebene Gegenfrage: „Bitte, was schießen sie da für Kugeln
liei-aus?"'
Im Bereich der Luft sind sie weit weniger daheim. Ein Zeppelin
ist, was in der Luft so fliegen kann und wo sehr viele Soldaten darinnen
sitzen. Einer versuchte auch eine Beschreibung, die einfach genug aus-
fiel : Er fliegt in der Luft, daran ist ein Korb, in dem sind Bänke
rundherum und da können die Leute sitzen.
Von den Mämiern, deren Namen heute alle Welt durchdringt, ist
nicht allzuviel tatsächliches im Wissen der Kinder. Am bekanntesten
ist natürlich Hindenburg. Die Leute reden sehr viel von ihm. hieß es
meistens. Ja aber was denn ? Daß er schon sehr viele erschossen habe.
Ein anderer sagt gar. daß er schon viele Kompagnien desselben Todes
hat sterben lassen. Den Vogel aber schoß ein Kleiner ab, der behaup-
tete, daß die Mutter gesagt habe, in der Zeitung, wo ja bekanntlich jede
Wahrheit zu finden ist, stehe, daß sie jetzt Hindenburg schon erobert
hätten.
Dem Grundsatze: ..Kein Prophet in seinem Vaterlande" getreu,
wußte keines etwas von unserem Motzend or f. Naheliegend war, daß
eine kleine Meidlingerin ihn mit dem benachbart liegenden Hetzendorf
verwechselte. Und ein anderes Mädchen sagte, es sei dies ein Land, wo
jetzt gekämpft werde.
Tief aufgeregt hat einst die wiederholte Umschließung und der zwei-
malige Fall der Festung Przemysl die Leute. Die Annahme, daß dieser
Ort zu den bekanntesten Kriegsplätzen gehöre, fand ihre Bestätigung in
der großen Anzahl von Antworten. Freilich wußte nur ein einziger
den rechten Sachverhalt. Sonst wurde abwechselnd von einem unserer
Verluste, beziehungsweise einer unserer Eroberungen gesprochen. Recht
bezeichnend sagte einer: „Bitf ich habe schon viel gehört davon, weiß
aber nicht mehr was.*'
Über unsere Freunde und Feinde siud sie im allgemeinen nicht
schlecht orientiert. Sie wurden nach dem besten Freund gefragt. Dieser
Ehrennamen wurde 5 mal ..dem Ungarn," 4 mal „dem Deutschen." 1 mal
..dem Böhm" zuteil. In der Ludendorff-Art wurden immer die Namen
in der Einzahl gegeben; dies wurzelt also tief in der t^igenart der
Volkssprache. Einer vergriff sich gewaltig, als er „den Deutschen"
unsernf größten Feind nannte. Bei dieser Frage wurden je einmal
angeführt „der Ruß" und „der Franzos." Das sind keine beson-
ders populären Feinde. Anders beim Italiener. In 9 Fällen — Kinder
sprechen die Wahrheit! — war er es, der, dem Volksempfinden gemäß.
zu unserm größten Hasser gestempelt wurde. Dabei tat einer noch ein
übriges und wollte das besonders Verächtliche dieses Feindes kenn-
Seite 1016. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 10. Nummer.
zeichnen, indem er ihn mit einer bezeichnenden Gesichtsgrimasse als
,,Italiansi<i" abtat.
Nicht so kar sind die BegrifTe über unsere fernen Freunde am
Balkan. Fast gleichmäßig wurden sie unter die Freund- und Feindes-
staaten gestellt.
Deutlich prägte sich die außerordentliche Beliebtheit imseres jungen
Monarchen aus. „Der war bei allen Eroberungen dabei :•' „Der hat
Görz erobert."' „Der ist überall vorn mit dabei." hieß es. Das sind
durchwegs die Urteile der Knaben. Ein Mädchen wußte schlichter, inni-
ger zu antworten: „Der ist recht lieb und gut mit 'allen.-' Unser Ybh-
ser brachte Biographisches: „Er ist in Persenbeug geboren.-' Der tiefe,
ehrliche Friedenswille des Monarchen hat im naiven Gemüt des Volkes
sich beredt eingeprägt. Das hört man aus folgender Antwort heraus:
„Bitf im Sommer ist in der Zeitung gestanden, daß er bald abdanken
wird, wenn nicht bald Frieden wird.-'
Die Zeitung, dieser Hort der Wahrheit, wurde öfter als Beleg
herangezogen. So auch bei der Frage über Kaiser Wilhelm. In der
Zeitung ist gestanden, daß er erstochen worden ist." Ob wohl die Kleine
ihre Weisheit aus der ,.Temps" zu Kriegsbeginn geschöpft hat? Eine
andere kündet freudestrahlend, daß sie mit ihm am selben Tage Ge-
burtstag habe, was sich auch als richtig erwies. Sonst ist der Bundes-
monarch nicht so allgemein bekannt bei den Kindern wie Kaiser Karl.
Eine wichtige Aufgabe weist ihm einer zu: ,.Wenn einer recht tapfer
ist, so kommt Kaiser Wilhelm über den Kriegsschauplatz geritten und
gibt ihm die Medaille."
Nun noch eine Frage, die das Hechtsgefühl zur Äußerung bringen
sollte: „Wer hat den Krieg angefangen?" Überraschend war die unbe-
irrbare Bestimmtheit, mit der ein Mariazeller Bauernbub behauptete:
„Der Serb." Der Vater hätte es gesagt. Durchwegs wurde „der Serl)"
als Anstifter bezeichnet. Einer aber wußte sein- genau. Es sei zum
Kriege gekommen, weil die Serben den Thronfolger (^-mordet und dem
Kaiser keine Ruh gegeben hätten.
Am Schlüsse wurden sie gefragt: „Was machst Du, wenn der
Friede kommt?" Da wußten fast alle eine originelle Antwort. Viele
rechnen scheinbar noch mit einer längeren Dauer des Krieges. ,.Dann
werde ich schon Musik können und dann fahr ich mit dem Schiff nach
Venedig.-' Ein anderer meint auch, daß er dann schon Musik können
wird, der will dann mit seinem Bruder zusammenspielen. Ein dritter
erweist seine praktische Natur: „Dann kann man wieder etwas ver-
dienen." Rührend bescheiden ist die Antwort eines ganz Kleinen: „Dann
setz ich mich auf den Vater seinen Schoß und laß mir erzählen.-' Ein
anderer aber will, daß ihm dann seine Mutter eine Ziege und ein
(Trammophon kaufe. HolTentlich treibt er"s mit dem letzteren dann nicht
so arg wie dies Gebrauch der (Jrammophonbesitzer ist.
Zwei aber sagen: ..Wenn Frieden ist. wünsche ich mir. daß ich
sehend werde.-' Wäre die Menschheit sehend, dann müßte längst ein
Friedenssonnentag übei- der Welt strahlen. Hollen wir, daß sein Morgen-
rot bald verheißungsvoll, daß der kleine Blinde am Schöße seines Vaters
sitzen und sich erzählen lassen kann — nicht vom Krieg und seinen
Schlachten sondern von der leuchtenden Zukunft im friedengesegneteii
Vaterland. W.
10. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1017.
Personalnachrichten.
— Hofrat Prof. Dr. 0. Bergmeister. Am 3. Oktober ist der
lierühmte Augenarzt im 75. Lebensjahre gestorben. Hofrat Bergmeister
war 184.5 zu Silz in Ttrol geboren, studierte in Innsbrucic und Wien.
[874- habilitierte er .sich als Privatdozent der Augenheilkunde an der
Wiener Universität auf (irund einer Abhandlung „Beiträge zur Beur-
teilung der Aderhautentzündung und ihres Eintlußes auf das Sehvermö-
gen."' die in v. Grollers Archiv erschien. Schon vorher hatte er sich in
der medizinischen Literatur eingeführt und die Aufmerksamkeit der
Fachkreise auch des weitesten Auslandes auf sich gelenkt. Bald folgte
eine Reihe Veröffentlichungen klinischen Inhaltes sowie vergleichende
Studien über die P^ntwicklungsgeschichte des Auges ; zugleich entwik-
kelte er eine ungemein rege Lehrtätigkeit, die sich auf alle Gebiete der
Augenheilkunde erstreckte und ihn zu einem der gesuchtesten Dozenten
machte. Sein menschenfreundlich.es Wesen und der tiefe Berufsernst,
die ihn erfüllten, hatten ihm vom Anbeginn die Liebe und Verehrung
seiner Hörer erworben.
Hofrat Dr. Bergmeister war mehr als 40 Jahre lang Augenarzt
der n. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf und lieh auch dem A.syl
für bltnde Kinder in Wien XVII seine wertvolle Mithilfe. Hatten wir
vor einem Jahre den großen Arzt und edlen Menschen von seiner Le-
bensarbeit scheiden sehen, so erfüllt uns sein Hingang mit Wehmut
und Trauer. Sein Andenken werden wir in Treue bewahren.
— Auszeichnung. S. M. der Kaiser hat dem Direktor des k. k.
Blinden-Erziehnngs-Institutes in Wien II Regierungsrat A. Meli in An-
(>rkennung seiner Verdienste um die Kriegsblindenfürsorge den Titel
und Charakter eines Hofrates verliehen.
Aus den Anstalten.
— In der Wiener Blinden -Versorgungs- und Beschäftigungs-
anstalt sind — zum größten Teile infolge von Todesfällen — mehreie Plätze
erledigt. Trotz der Schwierigkeit der Verpflegung hat die Direktion, um mehreren,
sehr berücksichtigungswerten armen Blinden zu helfen, zwei männliche und vier weib-
liche Blinde mit Anfang Oktober aufgenommen.
Aus den Vereinen.
— Zentralverein für das österreichische Blindenwesen. Am
1. Oktober d. J. fand im Sitzungssaale des n. ö. Landhauses die Generalversamm-
lung des Zentralvereines für das österreichische Blindenwesen statt. Die Teilnehmer-
zahl, verstärkt durch früher erschienene Mitglieder und Gäste des VI. Ost. Blinden-
fürsorgetages, war diesmal größer als in früheren Jahren.
Nach der Begrüßung durch den Präsidenten, Direktor K. Bürklen und Ver-
handlungsschrift durch den Schriftführer Hauptlehrer J. Kneis erstattete der erstere
den Tätigkeitsbericht, welchem zu entnehmen ist :
Die Mitgliederzahl beträgt einschließlich der 3 Ehrenmitglieder 126. Das
Hauptbestreben galt der Weiterführung und Ausgestaltung des Fachorganes, der
»Zeitschrift für das öst. Blindenwesen.« Den finanziellen Schwierigkeiten, denen die
Zeitschrift ausgesetzt war, suchte das Präsidium durch Werbung um Spenden und
Subventionen Herr zu werden, was auch dank ger Opferbereitschaft vornehmlich
privater Kreise, Industrieunternehmungen u, s. w. gelang.
Seite 1018. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 11. Nummer.
In dem Bestreben, den durch den Krieg in Not geratenen BHnden und
ärmeren Blindenvereinigungen zu helfen, wendete sich das Präsidium an die ver-
mögenden Blindenvereine und Fürsorgeanstalten. Dem Direktorium der Beschäfti-
gungs- und Versorgungsanstalt in Wien VIII und seinem Direktor H. O. Stok-
laska sowie dem I. öst. Blindenvereine gebührt tür die rasche Unterstützung der
wärmste Dank.
Zum Schutze der blinden Musiker, wurde über Anregung des Blindenunter-
stützungsvereines >Die Purkersdorfer« an den Musikerverband, der die Gesetzwer-
dung eines allgemeinen Musikerschutzes anstrebt, eine Eingabe gerichtet und um
Berücksichtigung der blinden Musiker im Gesetzentwurf gebeten. Diese Bitte fand
freundliches Entgegenkommen und wird, wenn die Angelegenheit spruchreif sein
wird, beachtet werden.
Neue Errungenichaften, wie das Dr. Herzsche Druckverfahren und das Posta-
phon wurden begutachtet und nach Kräften gefördert.
Manche Anregungen des letzten Fürsorgetages konnten wegen der Kriegs-
verhältnisse noch nicht zur Durchführung gelangen, wurden aber stets im Auge
behalten und werden bei der ersten sich bietenden Gelegenheit weiter verfolgt
werden.
Neuwahl : Über Antrag des Herrn Fachlehrer J. Umlauf, Brunn, wird die
alte Vereinslnitung vollzählig wiedergewählt.
Die Generalversammlung genehmigt sodann den Antrag des Ausschusses,
Herrn Hoforganisten J. Labor zum Ehrenmitgliede zu ernennen.
Kassier Hauptlehrer De mal berichtet über die Kassagebahrung. Der derzeitige
Kassastand sei günstig und betrage 4949 K. So erfreulich diese Ziffer auch sei,
müsse man aber doch auch auf die Zukunft bedacht sein, weil die Kosten für die
Zeitschrift stetig wachsen. Mit Rücksicht darauf beantragt Kassier Demal die Hin-
autsetzung des Mitgliedsbeitrages (inklusive Zeitschrift) von 4 auf 6 K, ebenso der
Abnahmegebühr für Nichtmitglieder von 4 auf 6 Kronen jährlich. Nach längerer
Wechselrede einigt man sich auf Mitgliedsbeitrag 3 K, Zeitungsgebühr für Mitglieder
3 K (zusammen 5 K) und Bezugspreis für Nichtmitglieder 6 Kronen.
Rechnungsprüfer Wanecek beantragt die Entlastung (angenommen).
Anträge: Obmann F. Uhl beantragt: Daß die noch nicht erledigten Beschlüsse
vorangegangener Fürsorgetaoe aufgegriffen und baldiger Behandlung zugeführt
werden.
Direktor Rauter regt an, daß man an das neugegrUndete Ministerium für
Volksgesundheif herantrete und wegen Gesetzwerdung des Impf- und Credeisierungs-
zwanges vorstellig werden sollte.
Mit dem Dank für bisherige und der Bitte um zukünftige Unterstützung
schließt der Präsident die Generalversammlung.
Für unsere Kriegsblinden.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende Septem bjer 1. J.
— Neue Freie Presse. 1,318.375 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 4,221.514 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 320.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 85.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 35.800 K.
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische Blindeowesen in Wien. Redaktionskomitee: K. BUrklen,
J. Kneis, A. t. Horvath, F. Uhl, — Drack tod Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
Verschiedenes.
— Wirkung der Milchinjektionen. Die auffallendste Wirkung ent-
falten die Milchinjektionen bei der Augenblennorhöe. Die erste Mitteilung des Wie-
ner Augenarztes Dozenten Leopold Müller, der einige verzweifelte Fälle durch Milchin-
jektionen heilte, hat großes Aufsehen hervorgerufen, wurde sogar bezweifelt. Aber die
Nachprüfung ergab die Richtigkeit der zauberhaften Wirkung. Nun veröffentlicht
der Budapester Augenarzt Dozent Dr. L. v. Liebermann in der »Wiener Med.
Wochenschrift« seine Erfahrungen, die er im Rochusspital mit den Milchinjektionen
bei Augenblenorrhöe in 150 Fällen erzielt hat und bestätigt die großartige Wirkung
des einfachen Mittels. Er kommt zu folgenden bemerkenswerten Schlüssen. »Die
Unannehmlichkeiten der Milchinjektion wurden von einigen Autoren bedeutend
überschätzt. Sie stehen zum mindesten in gar keinem Verhältnis mit der »Unan-
nehmlichkeit einer eventuellen Erblindung! Die Temperaturen von 39 bis 40*5*' C
werden ausnahmslos gut vertragen. Schüttelfrost ist selten, Kopfschmerzen in er-
träglichen Grenzen. Die nach fünf bis zehn Kubikzentimeter (gewöhnlich gebe ich
sieben bis acht Kubikzentimeter) entstehenden lokalen Anschwellungen sind selten
länger als 24 bis 48 Stunden schmerzhaft. Angesichts solcher Resultate, wie die
hier mitgeteilten, die mit den Beobachtungen fast aller Ophtholmologen überein-
stimmen, halte ich es für unangebracht, wenn Arbeiten lediglich durch theoretische
Einwände die Milchtherapie zu diskreditieren suchen und vor weiterer klinischer
Anwendung und Erprobung derselben warnen. Daß die theoretischen Grundlagen
noch wenig erforscht sind, ändert an den zahlreichen einwandfrei beobachteten kli-
nischen Erfolgen nichts und die theoretische Möglichkeit gewisser Schädigungen
kann nach so vielen klinischen Beobachtungen, die die Unbedenklichkeit der Be-
handlung zeigen, wohl auch als erledigt gelten. Zum mindesten stehen die theore-
tisch nicht auszuschließenden Schädigungsmöglichkeiten prozentuell in gar keinem
Verhältnis zu den sowohl auf diesem, wie auch auf anderen Gebieten erzielten be-
deutenden Heilerfolgen.«
— Erblindung durch Geschoßexplosionen. Die Geschwindigkeit der
Schallwellen beim Abgang ans dem Geschoß hängt demnach von der Menge und
der Art des Explosivstoffes ab. Sie beträgt schon in einer Entfernung von 30 Metern
nur noch 400 Meter, bei einer Anfangsgeschwindigkeit von etwa 2000 bis 3000 Se-
kundenmetern. Auch der Druck nimmt rasch ab und beträgt bei 20 Metern nur
mehr 2 bis 3 Kilogramm, bei 50 bis 60 Metern ist er praktisch gleich Null. Die
Gehirnrinde ist aber überaus empfindlich. Man kann das Gehirn als einen Körper
aus einer verschiebbaren Masse auffassen, die mit einer nicht komprimierbaren
Flüssigkeit in einer starren Kapsel, dem Schädel, eingeschlossen ist und mit der
Außenwelt nur ganz schmale Verbindungen besitzt, je nach dem Standort des
Mannes gerade im Augenblick der Explosion können durch die heftige Erschütterung
die verschiedensten Erscheinungen auftreten, unter anderem auch Blindheit und
Taubheit.
Bücherschau.
— P. Lang: Den Kopfhoch! Ein Ratgeber und Trostbuch für Erblindete
und deren sehende Umwelt. (H, Stürtz, Würzburg 1918). Wieder ein Buch eines
Blinden, in dem uns der erblindete Lehrer Paul Lang in Würzburg Erlebtes, Er-
dachtes und Erfragtes aus seiner Blindheit mitteilt. Und alles gleich wertvoll und
gehaltvoll. Wir erleben in dem Buche den erschütternden aber auch erhebenden
Verlauf des Erblindetenschicksals und ist es dadurch ein Trostbuch, so bietet es
als Ratgeber den Schicksalsgenossen wichtige, praktische Winke für das Verhalten
in seiner Blindheit. In dem Kapitel drückt sich die scharfe Beobachtungsgabe des
Verfassers aus. Aber wir lernen ihn auch als gemütstiefen Menschen und federge-
wandten Schriftsteller kennen. Namentlich die von ihm herrührenden eingestreuten
Gedichte zeugen davon. Das Buch Lang's wird uns jenes von Jüval (Der Blinde
und seine Welt) mehr als ersetzen.
Mitteilung.
— Ortsausschuß für den VI. Ost. Blindenfürsorgetag. Die p. t. Aus-
schußmitglieder werden zu der am Montag, den 21. Oktober 1. J. in der Ver-
sorgungs- und Beschäftigungsanstalt für erwachsene Blinde in Wien VIII, Josef-
städterstraße stattfindenden Ausschußsitzung höflichst eingeladen.
Für 8 jähriges Mädchen wird zum weiteren Privatunterricht auf
dem Lande in schöner Gebirgsgegend Schlesiens sehender Blinden-
lehrer oder Blindenlehrerin tür bald oder später gesucht.
Bewerbungen mit Zeugnis und Bild an:
Dr. F. Gelirma 11 11 in Jamowitz am Riesengebirge.
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Wien, XVII., Hernaiser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpflichtigen Alter aus allen österreichi-
schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
Die „ZentPQibibliotheh filp Bünde in Osteppeicli",
Wien XVIII, Währinger Gürtel 136,
• verleiht ihre Bücher kostenlos, an alle Blinden.
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„DIE PURKERSDORFER"
Wien V., Nikolsdorfergasse 42.
Zweck des Vereines: Unterstützung blinder Mit-
glieder. Arbeitsvermittlung liir Blinde. Erhaltung
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D
n
D
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El
Organ des „Zentralvereines für das österreichische Blinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
Schriftleitung
Purkersdorf
bei 'Wien.
Österreichisches
Postsparkassen-
konto Nr.l 32.257
Das Blatt erscheint
monatHc±i einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
n
Bezugspreis
D
n
ganzjährig mit
n
D
Postzustellung
D
n
4 Kronen,
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D
Einzelnummer
D
u
40 Heller.
U
5. Jahrgang.
Wien, November 1918
11. Nummer.
INHRLT: Die Zeitereignisse und unsere Sactie. F. Demal, Purkersdorf: Der
Dezimalpunkt. Ig. Krieger, Wien: Kindergärten für Blinde. Die Kriegsblinden-
fürsorge in Mähren. Personalnachrichten. f\us den Anstalten. Für unsere
Kriegsblinden. Verschiedenes. (Ankündigungen).
D
B=
=H
D
3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Biindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
3 Josef Städterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. ^
□Im - .^[51
Bücherschau.
— F. V. Gerhardt, Abriß der Blindenkunde, Vom Verein der deutsch-
redenden Blinden wurde eine Zentralstelle für Blindenforschung geschaffen, als deren
Leiter Dr. Ferd. v. Gerhardt zeichnet. Sie will unter anderem eine Reihe von
Schriften herausgeben, die im Dienste der Blindenforschung stehen. Die erste davon
liegt bereits vor. Sie führt den Titel »Abriß der Blindenkunde« und hat Dr. Ferd. v.
Gerhardt zum Verfasser. Sie gibt vorerst einen kurzen geschichtlichen Überblick
über das Blindenwesen, der auf so manche im Volke noch heute lebendige Wahn-
vorstellung von Sein und Können der Lichtlosen hindeutet. Dr. v. Gerhardt ver-
tritt die Ansicht, daß wohl äußere Maßnahmen und EinJichtungen für Blinde zahl-
reich vorhanden wären, doch die innere Geschlossenheit eines Systems fehlt, das
den Blinden stützt und in allen Lebenslagen Halt gibt. Die heutigen Fürsorgeein-
richtungen seien noch vielfach von den Begriffen Mitleid und Wohlwollen zu sehr
beeinflußt. Darunter leide aber das eigentliche Ich des Blinden, der sich nicht ge-
nügend verstanden und unbefriedigt fühlt. Die Tatsache, daß der Blinde im Gegen-
satz zum Sehenden einen Vorstellungsinhalt nicht durch einen Gesamteindruck er-
hält, sondern ihn stückweise, wie es die verbliebenen Sinne bedingen, aufbauen muß,
führt den Verfasser zu einer Reihe von Forderungen für die Behandlung des
blinden Kindes im Elternhaus und in der Schule, Praktische Ratschläge uud An-
sichten äußert er auch über Berufswahl und Blindenehe. Umfangreiche Zusammen-
stellungen von Blinden-Anstalten und -Asylen, sowie von Stiftungen, für Blinde be-
stimmt, beschließen das Büchlein, das als Ratgeber für Fürsorgestellen, Ärzte, Geist-
liche und Erzieher gedacht ist, und auch von jedem Fachmann mit Gewinn gelesen
werden wird. ^^■
— Kodolitschv. NenweinsbergHelen: »Mein Bl i nder .« (Graz 1917,
Leykam). Die Dichterin schildert in gewandten Versen die Rückkehr eines kriegs-
blinden Offiziers zu seiner Frau. Schwer ringt der Erblindete mit seinem Schicksal,
bis ihm auf dem Firmamente seiner Finsternis vier Sterne aufgehen, welche ihm zur
Hoffnung der Zukunft werden: »Mein Gott der Weisheit und mein Vaterland, mein
treues Weib und unser Kind der Liebe.« Ebenso tief wie das Schicksal des Erblin-
deten fühlen wir die seelische Erschütterung der Frau, deren unwandelbare Liebe
den schwankenden Mann wieder zur Bejahung des Lebens führt. Das Gedicht ist das
Bekenntnis eines edlen Frauenherzens.
— Rappawi A. : Beiträge zur Geschichte der Kriegsblinden-
(Brunn, Selbstverlag). Das Heftchen enthält verschiedene Fülle von Kriegserblindungen
aus alten Zeiten wie aus der Gegenwart, wobei Fälle grausamer Blendungen im Welt-
kriege besonders angeführt werden.
— Halarevici G. Die Fürsorge für die Kriegsblinden des Her-
zogtums Bukowina im Rahmen de r B 1 i nd enf ür sorge Ös ter r ei ch s
(Cernowitz, Landeskommissiem für^ heimehrende Krieger). Das mit Bildern reich
ausgestattete Büchlein gibt einen Überblick über das Auftreten der Kriegsblinden,
erwähnt besonders die Tätigkeit des k. k. Blinden-Erziehungs-Institutes inWien II.
für die österreichischen Kriegsblinden und zeigt uns das Leben in der landwirt-
schaftlichen Kriegsblindenschule in Straß (N. Ö). Für die Bukowina schlägt der Ver-
fasser die Schaffung eines Kriegsblindenheimes und einer Reihe anderer mit der
Kriegsblindenfürsorge zusammenhängenden Einrichtungen vor.
Verschiedenes.
— Ungarischer Blindenhund. Am 22. Sept. 1. J. fand in Budapest die
Gründung des »Blindenbundes« für Ungarn in einer Versammlung von bei nahe
300 Teilnehmern statt. Diese erste Vereinigung der Zivil- und Kriegsblinden beab-
sichtigt in allen gemeinsamen Interessen der Blinden weit eigenen Kräften tätig zu
sein.
Es wurden zur Vertretung des j^Blindenbundes« gewählt: Dr. Mändy, Advo-
kat (erbl. Oberleutnant), J. Verar, Grundbuchsführer (erbl. Stabswachmeister),
G. Baikay, ßlindendrucker, Dr. N. Bänö, Ingenieui und Notar, G. Ru snäk,
Korbflechermeister (letzter Zivilblinde), ergänzt durch einen Ausschuß von 30 Mit-
gliedern aus den erfahrensten und intelligentesten Blinden.
5. Jahrgang.
Wien, November 1918.
11. Nummer.
^ Blindheit und Taubheit machen für den ^
^ Sozialismus besonders empfänglich. Helene Heiler ^
Die Zeitereignisse und unsere Sache.
Sowohl der V. als auch der VI. Österr. Blindenfürsorgetag fanden
unmittelbar vor dem Eintritte welthistorischer Ereignisse statt. Bald
nach dem V. Tage standen wir in den Stürmen des Weltkrieges und
wir richteten damals in einem Aufrufe an unsere Fachkreise die Bitte,
unbeirrt von den blutigen Kämpfen auf den Schlachtfeldern, opferfreudig
in dem Gedanken an eine siegreiche Überwindung aller kommenden
Schwierigkeiten, in unserem Fache weiter zu arbeiten, mit doppeltem
Eifer tätig zu sein auf dem Gebiete, in das uns die Bestimmung ge-
stellt hat, in der Fürsorge für unsere Blinden. Dieser Aufruf ist
nicht ungehört verhallt, wenn auch die durch den Krieg hervorgeru-
fenen Hemmungen fühlbar genug waren und der Blindenfürsorge durch
den Krieg zu der alten auch noch neue Aufgaben erwuchsen. Der VI. Tag,
der abermals alle Fachkreise unseres Vaterlandes Österreich zu gemein-
samer Beratung vereinigte, zeigte von dem ernsten Streben, für unsere Sache
neue Grundlagen zu einer glücklichen Weiterentwicklung zu schaffen.
Ehe noch an die Durchführung der Versammlungsbeschlüsse gegangen
werden kann, setzten politische Ereignisse ein, welche tiefgehende Um-
wälzungen in unserem Staatsleben hervorrufen dürften. Welche Ver-
änderungen sie auf dem bisher gemeinsamen Gebiete unserer Blinden-
fürsorge mit sich bringen werden, ist heute wohl noch unklar. Wenn
dieselben durchaus nicht so bedeutende sein dürften, als von mancher
Seite vielleicht angenommen wird, so empfiehlt es sich doch, unseren
Standpunkt in der Sache möglichst früh festzulegen und den Tatsachen
kühl ins Auge zu sehen. Es sind daher einige Worte zu den Zeitereig-
nissen wohl am Platze.
Seite 1024. Zeitschrift für das österreichische BUndenwes^en. 11. Nummer.
Im politischen Treiben der Gegenwart spielen die Nationalitäten-
fragen ganz eine exzesive Rolle. Im Parlamente sagte ein Redner sehr rich-
tig, daß es geradezu eine „Krankheit der Zeit ist, alles in der Welt nur
durch die nationale Brille zu sehen". Wie hat sich unsere Sache zu
den nationalen Leben der östereichischen Völker bisher verhalten und
wie soll dies weiter geschehen, ob diese Völker nur politisch vereinigt
bleiben oder nicht?
Völkerstreit gehört zur Politik und — es muß dies besonders heute
betont werden — Politik hatmitunsererSachenichts zu tun.
Vor dem Elend und der Hilfs bedürftigkeit, wie sie si ch be-
sonders in der Blindheit verkörpern, hat jede Politik Halt
zu machen, denn es wäre erbärmlich, wollten politischer Haß und
Unduldsamkeit sich auch in diese Kreise humanitären und sozialen Wir-
kens eindrängen. Bisher war unsere Gemeinschaft zum Wohle der öster-
reichischen Blinden frei von derlei zersetzenden Bestrebungen. Ein-
trächtig wirkten Männer und Frauen der verschiedensten nationalen,
religiösen und sozialen Bekenntnisse für unsere schöne Aufgabe und
stellten in Gefühl und Vernunft die Sache stets über alle trennenden
Momente. Und so wird es auch in der Zukunft bleiben. Dafür birgt
die Heiligkeit der Sache, welcher wir dienen, und welche nur reine
Menschlichkeit und soziales Mitempfinden als Triebfedern anerkennen kann.
Die Blindenfürsorge ist eine soziale Aufgabe und nur
insoweit politische Gemeinschaften sozial zu wirken vermögen, haben
sie ein Recht, an dieser Aufgabe teilzunehmen. Wenn der Nationalismus
Streben nach möglichster Vervollkommnung eines Volkes auf allen Ge-
bieten bedeutet, so wird er auch fähig sein, der Fürsorge für die Blin-
den zu dienen. Es kann nur freudigst begrüßt werden, wenn jedes
Volk für sich auf dem Gebiete der Ausbildung und Versorgung seiner
Blinden sich die bestmöglichsten Einrichtungen schafft. In diesem edlen
Wettbewerb wird sicher kein Volk das andere hindern. Im Gegenteil !
Der Wettbewerb wird anregend und über politische Grenzen hin anzie-
hend wirken. In diesem Sinne wird die Blindefürsorge eine gemein-
same Angelegenheit aller Völker werden, mehr als bisher !
Nun noch etwas zur Frage der zukünftigen Regierungs- bezw. Ver-
waltungsform in den einzelnen Volksgebieten. Das Streben der Zeit geht
nach Demokratisierung. Wird diese Regierungsform die großen sozialen
Aufgaben der Gegenwart und Zukunft zu bewältigen vermögen, so wird
sie auch für die Bindensache segenbringend sein. Soziale An- und-
Ausgleichung war von jeher das Bestreben der Blindenwelt und ihrer
Freunde. Wahrhaft sozial fühlende Bestrebungen der verschiedensten
Parteien werden daher der Entwicklung des Blindenwesens nur förder-
lich sein. Nochmals muß aber gesagt werden, daß das sonstige politi-
sche Treiben, namentlich in den vielfach entarteten Formen der Gegen-
wart, innerhalb unseres Gebietes keinen Platz finden darf. Für unsere
A u f g a b e m u ß 1 e d i g 1 i c h r e i n e M e n s c h e n 1 i e b e u n d s e 1 b s 1 1 0 s e
Hilfsbereitschaft für unsereBlinden maßgebend bleiben.
Noch zählt zu den Fragen der Zukunft, wie weit sich unser Ar-
beitsgebiet in der „österreichischen" Blindenfürsorge, wie sie bisher be-
stand, erstrecken wird. Es braucht uns auch bei der Beschränkung auf
ein engeres Feld nicht bange zu sein. Kleinmut und Jammer sind durch-
aus nicht am Platze. Wir werden auf allen Gebieten stets das sein,
11. Nummer.
Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen.
Seite )025.
was wir aus uns zu machen verstehen. Auch unsere noch öster-
reichische Blindenfürsorge wird den errungenen Ehren-
[) 1 a t z h e h a u p t e n und sich glücklich Weiterentwickeln,
vielfach zum Vorbilde für Kreise, bei denen heute das
Streben nach L o s 1 ö s u n g besteht. N u r m ü s s e n w i r a u c h u n -
serer Aufgab e j e d erzei t bewußt bleiben und sie mit allen
e rr e i c h b ar e n M it te 1 n ei n t r äc h t i g z u b e w ä 1 1 i g e n V e r s u c h e n.
In diesem Gedanken gibt e s k e i n R ü c k w ä r t s u n d A b w ä r t s ,
sondern nur ein Vorwärts und Aufwärts!
Der Dezimalpunkt.
Ein methodischer Vorschlag von Hauptlehrer Friedrich Demai in Purkersdorf.
Beim schriftlichen Rechnen im Blindenunterricht wird, gleichgiltig
ob man Apparate mit arabischen oder Punktschriftziffern verwendet,
wie bei Sehenden der Dezimalpunkt zwischen Einer und Zehntel gesetzt.
Während er nun in der gewöhnlichen Schrift nur einen kleinen Platz
einnimmt, beansprucht er auf dem Blindenapparate ein vollesFeld.
Ich behaupte nun, — die nachfolgenden Beispiele sollen dies näher aus-
führen — daß diese übliche Stellung des Dezimalpunktes
den blinden Schüler zu Rechenfehlern verführen kann.
Dies ist umso bedauerlicher, da sich der gedeihlichen Durchführung
dieses Gegenstandes ohnehin noch andere Übelstände hemmend in den
Weg legen: die kurz bemessene Unterrichtszeit, da ja das Kopfrechnen
doch die Hauptsache bleibt, die zeitraubende Hantierung mit den einzu-
setzenden Ziffern, die geringe Übersichtlichkeit der nach Länge und Breite
viel Raum einnehmenden größeren Rechnungen.
1. a)
16-89
25-67
38-98
47-65
b)
16-89
25-67
38-98
47-65
129-19*
128919
iMit Dez.-Punkt 12S9-19)
a) 348-67X43
139468
104601
1499281
(14992-81;
b) 348-67X43
1394 68
104 601
1499 281
(14992-81)
175-84
78
224
(I) 348-67X13
104601
3585271
(35852-71)
56 = 3-14 b) 175-84
78
228
2. a) 316-89
-46-97
269-92
b) 316-89
-47-97
269992
(Mit Dez.-Punkt 2699-92)
c) 348-67X43
1395468
104601
14059281
(140592-81
348-67X13
104 601
453 271
(4532-71)
ä6 = 3- 1407 c) 175-84 :
7 8
2 24
440 (Rest 48)
bii
•14
* Aus Gründen der Zeit- und Raumersparnis bleiben im Unterrichte bei allen
Rechnungsarten die bei Sehenden üblichen Trennungslinien weg.
Seite 1026. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 11. Nummer.
ö. a) 2092-2 : 600 = 20-922 : 6
b) 20922 : 600 » 2Ö922 : 6
c) 348654 : 487 = 348654 : 487
Die voranstehenden Beispiele mit ihrer Gegenüberstellung der rich-
tigen und falschen Ausrechnung zeigen uns, wie sich, durch den Dezimal-
punkt veranlaßt. Fehler einschleichen können : die Missetäter sind frei-
lich meist schwächer begabte oder gedankenlose Schüler.
Addieren: Beispiel la ist richtig: b ist dadurch falch gewor-
den, daß der Schüler nach dem Addieren der Zehntel nicht sofort den
Dezimalpunkt setzte, sondern den 9er der Einersumme gleich an die
Zehntel anschloß und nun die Einer irrtümlich nochmals addierte : den
Dezimalpunkt setzte er erst am Schluße.
Subtrahieren: 2a ist richtig, b ist falsch. Der Fehler entstand
genau so wie in Ib. — Daraus folgt: Beim Addieren und Subtrahieren
ist schon vor Ausführung der Rechnung der Dezimalpunkt zu
setzen. Im übrigen sind gerade bei diesen zwei Rechnungsarten bei der
Ausführung auf Blindenapparaten weniger leicht Fehler möglich als bei
der gewöhnlichen Schrift, da bei der letzteren den Schülern das genaue
Darunterschreiben .„Einer unter Einer etc." Schwierigkeiten macht, wäh-
rend auf dem ßlindenapjjarat die gleichstelligen Zittern durch die vor-
handenen Löcher der Setztafel oder eine andere Vorrichtung in kerzen-
gerade Reihen gezwungen werden.
Multiplizieren: Hier kann es dem Schüler freigestellt werden
unter dem Dezimalpunkte des Multiplikanten Ziffern anzusetzen (3a) oder
nicht (3 b.) Ich habe schon Schüler aus anderen Klassen übernommen,
die entweder die eine Art oder die andere übten. Ich bin entschieden
für die zweite, also dafür, daß unter den D e z i m a 1 p u n k t keine
Ziffer kommt, denn: 1. können sonst wieder leicht Fehler entstehen
(3c: die Einer wurden zweimal multipliziert), 2. ist die erste Art auch
nicht immer möglich (3d als Beispiel einer Aufgabe mit Anwendung
eines Rechenvorteiles), während die zweite Art immer durchführbar ist
3e, was für schnelles mechanisches Rechnen von großem Vorteil ist.
Dividieren: Auch bei dieser Rechnungsart kann man beide Ge-
bräuche üben: Man kann unter den Dezimalpunkt des Dividenden Ziffern
der Reste setzen oder nicht. Bei der ersten Art kommt die herabgesetzte
Ziffer nicht genau unter die gleiche obere was sich entschieden nicht
gut ausnimmt (4a) oder gar zu Fehlern führt (4b.) Es ist daher auch hier
am besten, unter den Dezimalpunkt keine Ziffern zu setzen
(4e.). Freilich erscheinen dann die Reste unangenehm zerrissen, wie es
auch beim Multiplizieren mit den Teilprodukten der Fall ist (3b.)
Die Unzukömmlichkeiten beider Methoden (das fehlerhafte Darun-
terschreiben bei der ersten und das Zerreißen der Produkte und Reste
bei der zweiten) lassen sich am besten dadurch vermeiden, daß man
beim Multiplizieren und Dividieren — beim Addieren und Sub-
trahieren ist es nicht angezeigt — den Dezimalpunkt nicht vor, son-
dern auf die Zehntel setzt. Dies ergibt folgende V^orte il e: 1. wer-
den die bei der üblichen Dezimalpunkt-Setzung aufretenden, eben an-
geführten Uebelstände beseitigl. 2. Die Zahlen erscheinen übersichtlicher
11. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Bhndenweien. Seile 1027.
zusanimeiigeschobeii. o. Multiplikationen mit und Divisionen durch Zeh-
ner-, Hunderter- und Tausenderzahlen lassen sich viel einfacher durch-
fühi'en. So muß bei Beispiel 5a der Schüler den Dezimalpunkt und
Kiner und Zehner herausnehmen, die zwei Zittern nach rechts rücken
und dann wieder den Dezimalpunkt einfügen, Arbeiten, die Zeit erfor-
dern und auch leicht zu Fehlern führen. Bei der vorgeschlagenen Dezimal-
punkt-Setzung hingegen (5b) ist blos der Punkt um 2 Stellen nach
links zu setzen. Diese Versetzung des Dezimalpunktes kommt beson-
ders bei Divisionen von Dezimalzahl durch Dezimalzahl vor
(5e), wo es sich darum handelt, den Divisor in eine ganze Zahl zu ver-
wandeln, wodurch für die Schüler das Stellen wer tb e stimmen wesent-
lich erleichtert wird.
Ich will nicht verkennen, daß auch die vorgeschlagene Punktse-
tzung einen Nachteil hat: der über der Zahl stehende Dezimalpunkt be-
nötigt eine eigene Zeile. Aber dagegen gäbe es tech ni s che Mittel, die
wohl erst vom Mechaniker zu lösen sind : Entweder benützt man für
Zehntel etwas erhöhte Typen, von denen jeder Apparat einige Stücke
für jede Zitfernart enthalten müßte, oder man erzeugt statt der Dezi-
malpunkte erhöhte T r e n n u n g s p 1 ä 1 1 c h e n , die kein eigenes Feld
beanspruchen, sondern zwischen Einer und Zehntel einge-
klemmt werden.
Das Voranstehende kurz zusammengefaßt ergibt:
1. Der Umstand, daß bei Rechnungen mit Blindenapparaten der
Dezimalpunkt ein volles Feld einnimmt, führt leicht zu Fehlern vonseite
der Schüler. Es ist daher für alle Rechnungsarten- die Regel zu be-
achten: Unter dem D e z i m a 1 p u n k t kommt nie eine Ziffer.
2. Für das Multiplizieren und besonders das Dividieren empfiehlt
es sich, den Dezimalpunkt nicht vor, sondern auf die Zehntel zu
setzen.
'6. Es ist technisch zu erwägen, ob sich der Punkt nicht durch er-
höhte Zehntel-Typen oder durch Trennnngspl ä ttchen, die
kein eigenes Feld brauchen, ersetzen ließe.
Kindergärten für Blinde.
Von Ignaz Krieger, Wien, Ausschußmitghed des I. Österr. BHndenvereines.
Herr Direktor Karl B ü r k I e n hat am VI. österreichischen Blindenfür-
sorgetag in seinem ausgezeichneten Referat mit Recht die hohen Segnun-
gen der Kindergärten für Blinde betont und darüber bitter geklagt, daß-
diese Einrichtungen des Blindenerziehungswesens bisher eigentlich nicht
über dasVersuchsstadium hinausgewachsen sind. Und doch sind es nun
schon mehr als dreißig Jahre her, seitdem man an die Errichtung des er-
sten Kindergartens geschritten ist, welchem sich nur ein zweiter ähnlicher
Versuch angeschlossen hat. Als Blinder, welcher unter denjenigen blinden
Kindern das unendliche Glück hatte, sein vorschulpflichtiges Alter im
„Asyl für blinde Kinder" zu Wien verbracht haben zu können, gestatte
ich mir höflichst an die Bemerkungen des Herrn Direktor Bür kl en an-
zuknüpfen. Es steht mir natürlich gar nicht das Recht zu, über den erzieh-
lichen Nutzen von Kindergärten überhaupt und von Stätten für blinde
Kinder im vorschulpflichtigen Alter im besonderen, zu urteilen. Ich
Seite 1028. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 11. Nummer.
möchte auch Herrn Direktor B ü r k 1 e n keine direkte, durch meine Theo-
rie oder Praxis mir bestätigte Auffassung entgegenstellen, indem ich
Herrn Direktor Bürklen darin nicht beipflichten kann, daß das Eltern-
haus eine wertvollere Erziehungsstätte für blinde Kinder im vorschul-
pflichtigen Alter darstellt, als es der Kindergarten zu sein vermag. Ich
glaube ganz im Gegenteil, daß für die weitaus größere Anzahl solcher
Fälle die Kindergärten viel viel nützlicher wären, als das Elternhaus.
Ich spreche nicht als Fachmann, sondern nur aus meinem eigenen Er-
leben an mir und an vielen meiner Jugend- und Leidensgefährten her-
aus. In dieser Eigenschaft kann ich wohl sagen, daß ich nach jener ziel-
bewußten, hingebungsvollen Betreuung meiner körperlichen und seeli-
schen Gesundheit, wie ich sie im „Asyle" genoß, es nach meinem
Eintritt in die eigentliche Blindenschule vielfach leichter hatte mit dem
Erlernen des ersten, verschiedenartigen Unterrichtsstoffes, als viele meiner
acht- und neunjährigen Kameraden. Ich glaube schon als Kind beobach-
tet haben zu können, daß ich, im Kindergarten vorgeschult für Reinlich-
keit, Ordnungsliebe, Disziplin überhaupt, an Pflicht- und Verantwortungs-
gefühl gewöhnt, mich viel leichter hineinfand in den unvermeidlichen Vor-
schriftenzwang des Gemeinlebens in der Blindenschule, als andere meiner
Mitschüler. Eine solche Vorschulung des Gemeinsinnes und vieler an-
derer Tugenden eines Internisten kann das Elternhaus wohl kaum dem
blinden Kinde bieten. Ich glaube auch, daß nur sehr wenige Elternhäuser
in der Lage sind, die altersgemäßen und wesenseigenen Vorkehrungen
zu treffen, damit das blinde Kind noch vor der Schule die Anregungen
des Geistes, der Lernfreude, und der Lernbeharrlichkeit finde. Gar nicht
zu sprechen darüber, daß blinde Kinder, besonders im Elternhause auf
dem Lande und in der Kleinstadt, oftmals körperlich und seelisch verküm-
mern müssen oder doch nur eine unsachgemäße Obhut finden. Die weit-
aus meisten Kinder würden wohl das Gefühl des Heimwehs, der Ver-
lassenheit bei ihrem Eintritt in die Blindenschule viel leichter überwinden,
wenn sie schon im Kindergarten ähnliches durchlebt hätten. Solche See-
lenzustände, welche bekanntlich sich bis zur Herabgedrücktheit steigern
können, würden nicht so lähmend auf die Lerntätigkeit der Kinder wir-
ken. Ich kann mich sehr wohl an viele diesbezügliche Tatsachen er-
innern, und weiß von mir selbst, daß ich, der ich ja bereits vorgeschult
war und außerdem meine Eltern nicht weit weg von mir wußte, den-
noch unter dem Heimweh sehr litt.
Es wurde in mehreren Referaten am VI. Österreichischen Blinden-
fürsorgetag die Notwendigkeit neuerdings anerkannt, daß die Körperpfle-
ge der Blinden in erhöhtem Maße betrieben werden muß, als dies bis
nun der Fall war. Auch hier kann man nicht besser verfahren, als wenn
man darnach streben wollte, schon dem vorschulpflichtigen Kinde die
systematische Körperpflege und Gesundheitserstarkung zu bieten. Denn
auch hier kann das Elternhaus entweder gar nichts, oder nur Unzuläng-
liches tun.
Aus alledem komme ich dahin, Herrn Direktor Bürklen nicht
beipflichten zu können, wenn er — und ich glaube mich nicht zu irren
— das Elternhaus dem Kindergarten vorzieht. Das mag seine Berech-
tigung haben für das sehende Kind und höchstens in mancher Beziehung
für blinde Kinder aus besitzenden und dabei wirklich gebildeten Fami-
11. Nummer. Zeitschrift für das österreichische BHndenwcsen. Seite 1029.
lien. Weil ich aber fest überzeugt bin, daß Kindergärten für Blinde
ebenso wichtig, wenn nicht noch viel wichtiger sind als Heime für er-
wachsene, herangebildete Blinde, weil ich glaube, daß es viel sozialer
und ökonomischer wäre, in den Kindergärten bei Zeiten zarteste Seelen
und Körper der Blinden zu retten vor dem Untergang, als nachher die
ausgebildeten Begabungen, Neigungen und Fertigkeiten der Erwachsenen
wieder in Heimen verdorren zu lassen, obgleich man so und soviel
Zeit, Mühe, Geld auf die Heranbildung verwandte; weil ich das glaube,
so hat mir Herr Direktor Bürklen so recht vom Herzen gesprochen,
als er den lauten, eindringlichen Appell an alle öffentlichen und privaten
Faktoren der Hilfeleistung richtete, man möchte doch endlich diesem Stief-
kinde aller Blindenfürsorgeeinrichtungen erhöhte Aufmerksamkeit widmen.
Ich verfange mich sogar so weit zu gehen und den Wunsch zu be-
kennen, es sollten eher die Mittel für Errichtung von Kindergärten ver-
wendet werden, anstatt für Heime der Erwachsenen. Es scheint mir,
daß der erwachsene, ausgebildete Blinde niemals so grausam der Ver-
elendung anheim fallen kann, wie das blinde Kind, das, wenn es auch
keine Blindenschule besuchen kann, nicht einmal das Glück hat, die
wenigen rosigen Jahre des vorschulpflichtigen Alters in der Obhut eines
Kindergartens verleben zu können. Der erwachsene Mensch im allge-
meinen pflegt von der Nachgeneration zu sagen: „Sollen es die Kinder
nur recht gut haben, wer weiß, was ihnen das Leben nachher beschert".
Das gilt aber gewiß vom blinden Kinde nicht minder. Ihm ist vor allem
wenigstens in der Jugend auch schon vor der Schule Licht, Freude,
Kinderbefriedigung so viel als nur möglich aus vollstem Herzen zu wün-
schen, weil ihm nachher das Leben keinesfalls all zu viel Rosen be-
schert. Wenn man darauf ausgeht, der heranwachsenden Generation
möglichst viele freudige, kostbare Jugenderinnerungen zu übermitteln,
jene Schätze des Herzens, von denen wir alle dereinst zehren sollen in
den Bitternissen des Lebens, so gilt das vor allem und vielleicht ganz
besonders vom vorschulpflichtigen blinden Kinde. In der Blindenschule
wird nach bestem Können und Wissen dieses angestrebt, aber man ver-
gißt dabei oft, das sich leider in unserer heutigen Zeit das unbefan-
gene Alter des Kindes bei vielen schon sehr bald verliert. Realismus,
Nüchternheit und Armut der Kinderphantasie stellen sich leider oft schon
früh noch während der Zöglingszeit in der Blindenschule ein. Sie ma-
chen viele blinde Kinder zu bald verarmen an jenen unschuldigen Kin-
derfreuden, unbefangenen Kinderträumen, jenen echten Kinderbefriedi-
gungen, welche der seelische Sparpfennig jedes Menschen sind. Dieser
Sparpfennig wäre gewiß viel reichlicher, wenn möglichst viel blinde
Kinder im vorschulpflichtigen Alter vor der Nüchternheit und dem Rea-
lismus der meisten Elternhäuser bewahrt blieben.
Der Herr Vertreter des Ministerums für soziale Fürsorge hat beim
VI. Österreichischen Blindenfürsorgetag gesagt, es sei ein erstes Gebot
der nunmehrigen Staatsökonomie, auch die bisher außer Acht gelassenen
Schwachen in den Arbeitskreislauf der Menschengesellschaft einzube-
ziehen und zur möglichsten Entfaltung zu führen. Wohlan! So beginne
man schon beim blinden Kinde im vorschulpflichtigen Alter. Dem ge-
genüber ist es aber recht merkwürdig, daß die letzten Jahre sozialer
Fürsorgebestrebungen, welche doch ganz im Zeichen „des KindeR„ ste-
Seite 1030. Zeitschrift für das österreichische BUndenwesen. 11. Nummer.
hen mit der Losung ,.Alle.s für das Kind", daß man in dieser Zeit fast
ganz an blinde Kinder vergißt. Nur für das sehende Kind, auch schon
im vorschulpflichtigen Alter, ist man am Werke. Man schafft Tagesstätten
Ferienkolonieen, verschiedene Kinderheilstätten. Rechts- und Schutz-
stellen, Spiel- Belustigungsplätze usw. Dabei geht man von der Not-
wendigkeit aus, daß das Kind unbedingt gleichaltrige und gleichartige
Kameraden zu seiner Entwicklung braucht. Das blinde Kind aber beläßt
man weiter in seiner traurigen, trübseligen Einsamkeit, dabei in einer
Umgebung, die seinem Gebrechen und seinem damit bedingten Ander.s-
wesen durchaus fremd ist. Nur ganz wenigen ist es vergönnt, mit gleich-
artigen und gleichaltrigen Spiel- und Lernkameraden beisammen sein
zu können.
Herr Direktor ßürklen hat in seinem Vortrag ausgeführt, daß eine
der Ursachen für die all zu langsame Entstehung von Kindergärten darin
zu suchen ist, daß sie nicht populär werden, weil ihnen das Mißtrauen
der Eltern von blinden Kindern gegenüber steht. Ich kann mir sehr wohl
dieses Mißtrauen vorstellen, schon darum, weil es den Eltern in den
weitaus meisten Fällen an den geeigneten Beratern fehlt. Ich denke da-
bei vor allem an die nahestehensten Ratgeber in allen Krankheiten oder
gar bei Sorgen über .schon hereingebrochene oder bald zu erwartende
Erblindungen, also an Ärzte im allgemeinen und Augenärzte im beson-
deren. Ich meine das so: von den Augenärzten muß man wohl schlechter-
dings annehmen, daß sie über die verschiedenen Einrichtungen der
Blindenerziehungs- und Fürsorgebestrebungen vollauf unterrichtet sind,
so daß sie also ratbedürftigen Eltern von noch nicht schulpflichtigen
Blinden den einzig richtigen Weg, nach den Kindergärten weisen können.
Dennoch könnte man. sich auch darin irren und es Augenärzte geben,
welche nichts wissen über den Bestand von Kindergärten. Hauptsächlich
aber ziele ich ab auf die Ärzte in den Landgemeinden und Kleinstäd-
ten, welche, ohne sich spezialisieren zu können, doch auf allen Gebie-
ten der ärztlichen Hilfeleistung und Raterteilung tätig sein müssen. Da
wird es sich ganz gewiß leider nur all zu oft ereignen, daß Ärzte nicht
allzuviel und Genaues wissen von den Errungenschaften und Einrich-
tungen ;^des Blindenerziehungswesens. Sie haben vielleicht irgendwo ir-
gendetwas darüber gehört oder gelesen, aber Ziel, Zweck oder gar Or-
ganisation solcher Einrichtungen kennen doch nur die kleinere Anzahl
unter ihnen. Sogar in der Großstadt, z. B. in Wien, mitten zwischen
drei Blindenerziehungsanstalten kann es der Blinde oft genug erleben,
daß Ärzte, ja mitunter sogar auch Augenärzte wie der ,,Mann vom
Monde" über die Brailleschrift, das Braillenotensystem, über das Biblio-
thekswesen und über viele andere schon längst selbstverständliche Dinge
aus dem ,,Einmaleins" des Blindenbildungswesens staunen. Was kann
man aber dann vom Landarzte erwarten, der mehr oder weniger ein-
sam als „akademischer Robinson" in irgend einem verlorenen Dörfchen
oder Städtchen sitzt? Wie kann er mehr wissen vom Blindenkinder-
gärten, wenn es seine Kollegen in der Großstadt kaum wissen? Aber
gerade den allerunerfahrensten hilflosesten Eltern blinder Kinder sollen sie
raten und beistehen. Sie sollen Mut und Hoffnung in die Seelen der
verzweifelten Eltern träufeln; das ist ihre göttliche Mission. Ähnlich ver-
hält es sich auch mit den Lehrern und Seelsorgern auf dem Lande. Ins-
11, Nummer. Zeitschrift für das österreichische Biindenwesen. Seite 1031.
hosonders der Seelsorger ist doch die Zuflucht aller bedrückten und be-
Irübten Eltern auf dem Lande. Zu seiner Mission gehört es ja vor allem,
Kenntnis zu haben von den Einrichtungen des Blindenwesens.
Alle die hier nur angedeuteten Tatsachen lassen mir den Wunsch
als sehr berechtigt erscheinen, es möchten die maßgebenden Faktoren
des Blindenwesens die geeigneten Mittel und Wege ausfindig -machen
und nacher auch wirklich gebrauchen, um die Ärztewelt in einen viel
engeren und beständigeren Kontakt mit den Kindergärten und Schulen
für Blinde zu bringen. In den großen Städten würde es sich insbeson-
ders um Augen- und Kinderärzte handeln, ferner um die verschiedenen
Kategorien von Amts- Bezirks- Polizei- und Armenärzten u. s. w.
Hauptsächlich aber kämen hiernach die Landärzte in Betracht, sowie Seel-
sorger und Lehrer auf dem Lande. In eine positive, plausible Form,
wie man es machen sollte, kann ich meinen Vorschlag nicht klei-
den ; es fehlt mir leider die nötige Sachkenntnis der Dinge. Vielleicht
wären ärztliche Zeitschriften oder öffentliche Vorträge usw. die geeig-
neten Mittel. Aber ganz deutlich schwebt es mir vor, daß man, wenn
es gelänge, die Ärzte, Seelsorger und Lehrer viel intensiver zur Mit-
arbeit als Berater der Eltern von blinden Kindern und auch erwachsenen
Blinden heranzuziehen, dadurch viel beigetragen würde zur Linderung des
Unglückes. Viele Eltern wüßten dann rechtzeitig etwas von den Kinder-
gärten, würden ihre Kinder denselben übergeben. Die Kenntnis dieser
p]inrichtungen würden sich in der Öffentlichkeit doch mehr verbreiten,
Mittel aller Art würden auch für diese Einrrichtungen gespendet werden.
Die Behörden müßten schließlich darauf aufmerksam werden und ihre
Beihilfe angedeihen lassen.
Solange Ärzte, Lehrer und Seelsorger so naiv, unerfahren, ja öfter
sogar gänzlich fremd den Bemühungen des Blindenwesens gegenüber-
stehen, kann man meines Erachtens nicht erhotfen, daß die Blindenfra-
ge in modernem Geiste das Verständnis des ganzen Volkes finde und
von da aus eine Angelegenheit des Staates, der menschlichen Gesellschaft
werde.
Die Kriegsblinden-Fürsorge in Mähren.*
Die Mährische Landeskonunission zur Fürsorge für heimkehrende
Krieger hat vor allem auch im Jahre 1917 wieder der Schulung der
Kriegsblinden ihr besonderes Augenmerk zugewendet, indem sie hiebei
die maßgebenste Unterstützung seitens des Mährischen Landesausschus-
ses fand, der sowohl für den Unterricht der Kriegsblinden im Lesen
und Schreiben der Blindenschrift als auch für ihre fachliche Schulung
die Lehrkräfte der Mährichen Landes-Blinden-Erziehungsanstalt zur Ver-
fügung stellte und durch diese nicht hoch genug zu bewertende Förder-
ang der Kriegsblinden-Fürsorge einen wesentlichen Anteil an ihrem Er-
folge hat.
Für die Unterbringung der Kriegsblinden war in gleicher Weise
wie im Vorjahre vorgesorgt; sie konnten weiter in einem eigenen Kriegs-
blindenheime untergebracht werden, welches unter ganz besonderem
Entgegenkommen des Mälirischen Gewerbevereines in dessen Kaiser
Franz Josef-Jubiläums-Lehrlingsheime schon im Juli 1916 eingerichtet
* Aus dem Bericht über die Tätigkeit der Mährischen Landeskommission zur Für-
sorge für heimkehrende Krieger im Jahre 1-917 (Brunn 1918).
Seite 1032. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 11. Nummer.
wurde. Hier haben si(^ Wohnuiiff und Verpflegung, und hier ])efinden
?>ich auch die für ihre Ausbildung erforderlichen Schul- und Arl^eits-
räume. Es ist den Kriegsblinden inzwischen zu einem wirklichem Heime
geworden.
Die Schulung der Kriegsblinden bezog sich auch in diesem Jahre
wieder einerseits auf die Erlernung des Lesens und Schreibens der Blin-
denschrift, zum Teile auch auf Musik, andererseits auf die Ausbildimg
in einer gewerblichen Betätigung, und zwar von den Blinden selbst noch
immer am meisten bevorzugt, in der Regel im Bürstenbinden oder Korb-
flechten. Diese gewerbliche AusbikUuig wird auch in Fällen angestrebt.
in welchen die spätere Versorgung des Kriegsblinden der Hauptsache nach
in anderer Weise, z. B. durch Einrichtung eines Geschäftes", Uebernahme
einer Tabaktrafik, Bewirtschaftung eines Anwesens u. dgl. sichergestellt
sein wird.
Versuche, die Kriegsblinden, wenn es sonst nicht aussichtslos ist,
wieder ihrem früheren Berufe zuzuführen, führen praktisch kaum ein-
mal zu einem Erfolge, sie stoßen auch in der Regel sofort auf den Wider-
spruch des Kriegsblinden selbst, dem ja immerhin in der Beurteilung
der Fragen, inwieweit er sich für fähig hält, seinen früheren Beruf wie-
der auszuführen, ein besonders inaßge!)endes Verständnis zugestanden
werden muß.
Auch die Frage, ob es möglich mid zweckmäßig ist, die Kriegs-
blinden in industrielle Betriebe als Arbeiter einzustellen, konnte rück-
sichtlich der mährischen Kriegsblinden praktisch noch nicht zur Ent-
scheidung gebracht werden, obwohl atich diese Frage mit regstem In-
teresse verfolgt wird. Es scheint, als wenn bei der verhältnismäßig doch
nicht großen Zahl der Kriegsblinden die Befürchtung, sie nicht alle in
kleinwirtschaftliche Verhältnisse bringen zu können, als zu weit gehend
angesehen werden darf, daß es vielmehr möglich sein wird, alle Kriegs-
blinden in den Frieden und die Ruhe des Landlebens bringen zu kön-
nen und ihnen ein neues Leben in aller Selbständigkeit, in freigewähl-
ter Arbeit und in vielseitigster Betätigung zu schaffen. Dahin allein
geht auch der Wunsch der Kriegsblinden selbst.
Die Dauer der Schulung der Kriegsblinden hat sich nach den bis-
herigen Erfahrungen als mit l'/» Ins - Jahren als hinreichend erwiesen.
Während der Dauer eines Aufenthaltes der Kriegsblinden im Kriegblin-
denheime wird seitens der Mährischen Landeskomission zur Fürsorge
für heimkehrende Krieger auch schon alles das in die Wege ge-
leitet, was zur vollsten Sicherstellung der Lebensexistenz der Kriegs-
blinden für die Zeit nach ihrer Entlassung aus dem Heime notwendig ist.
In dieser Beziehung steht die Landeskonnnission in regster Verbindimg
mit dem Kriegsblindenfonds im k. k. Ministerium des Innern (inzwischen
übergegangen an das k. k. Ministerium für soziale Fürsorge), mit dem
Kaiser und König Karl-Kriegsfürsorgefonds und mit dem Vereine ,. Kriegs-
blindenheimstätten" in Wien. Es ist so durch die Inanspruchnahme die-
ser Fonds, deren Fürsorgetätigkeit für die Kriegsblinden eine ganz außer-
ordentlich weitgehende ist, und durch Beiträge aus den Mitteln der Mähri-
schen Landeskommission möglich, für die Versorgung der Kriegsblinden
in je einem einzelnen Falle Beträge von im Mittel K 10.000. in einzel-
nen Fällen bis K L5.000 aufzuwenden.
il. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1033.
V'iel Schwierigkeit liietet gegenwärtig die Beschatfung der Werk-
zeuge und des Ari)eitsrohmateriales für die gewerbliche Betätigung der
sehon in die Heimat entlassenen Kriegsblinden.
Die Zahl der mährischen Kriegsblinden betrug Ende 1917. soweit
sie von der Landeskommission in Fürsorge übernommen, das heißt aus
der Heilbehandlung schon entlassen, ö7.
Hievon waren in Kriegsblindenheim in Brunn 28, schon in die Hei-
mat entlassen waren 21, ohne Schulung in der Heimat waren 6, in die
Spitalspflege zurückgestellt 1 und 1 ist in Schulung (Musik) in Wien.
Eine der Hauptfragen bei der Versorgung der Kriegsblinden ist die
Erwerbung einer eigenen Heimstätte für sie. Bis Ende 1917 wurden im
ganzen für 15 mährische Kriegsblinde Anwesen als ihnen in das Eigen-
tum gehörende Heimstätten erworben, außerdem konnte für 12 weitere
Kriegsblinde das für die Erwerbung einer Heimstätte notwendige Kapi-
tal bereits sichergestellt werden.
Für einen der mährischen Kriegsblinden wurde die Erwerbung
einer Heimstätte durch die Klar'sche Blindenanstalt durchgeführt. 8
Kriegsblinde* sind bereits früher Besitzer einer eigenen Landwirtschaft
gewesen, sodaß in Hinsicht auf die Schaffung von Kriegsblindenheim-
stätten von den bl mährischen Kriegsblinden bereits 36 als versorgt
gelten können.
Der Erfolg der Heimstättenaktion ist auf das nachdrücklichste ge-
fördert auch durch die andere Fürsorge für die Kriegsblinden, durch die
Schulung, durch Beschaffung von Werkzeugen und Materialien für ihre
gewerbliche Betätigung, durch Gewährung von Beihilfen für Wohnungs-
und Wirtschaftseinrichtung, für die Errichtung von Kaufläden und Tabak-
trafiken u. dgl., wofür der Kriegsblindenfonds im k. k. Ministerium des
Innern und die Landeskommissionen zur Fürsorge für heimkehrende
Krieger aufkommen, und was die Kriegsblinden auch nach ihrer Ent-
lassung in die Heimat noch weiter in ständiger Verbindung mit diesen
Stellen stehen läßt.
Personalnachrichten.
— Katharina Hügel f Im Blindenheim in Melk a. D. starb am 23. Oktober
1. J. nach kurzem Krankenlager die taublinde Katharina Hügel im 31. Lebensjahre.
Als Kind eines Wiener Hilfsarbeiters besuchte Hügel durch 4 Jahre die öffentliche
Volksschule, erblindete und ertaubte dann und verlor auch den Geruchsinn. Nur auf
einem Auge behielt sie ein geringes Sehvermögen, das sie später gänzlich verlor.
In die n. ö. Landes-BUndenanstalt in Purkersdorf aufgenommen, wurde sie hier von
Hauptlehrer A. Godai mittelst einer von ihm selbst zurecht gelegten Tastsprache
weitergebildet. Durch diese vermocht Hügel in Verkehr mit ihrer Umwelt treten
und zeigte ein großes Bildungsbedürfnis. Der Tonfall ihrer ihrer Sprache litt natür-
lich stark unter ihrer Gehörlosigkeit, aber sie vermochte sich jedermann verständ-
lich zu machen. Nach Ablauf ihrer 7jährigen Bildungszeit verlies sie die Anstalt in
Purkersdorf und fand Aufnahme in das Blinden-Mädchenhcim in Melk a. D., wo sich
ihrer der Direktor Regicrungsrat P. H. U 1 b r i c h in der liebevollsten Weise annahm.
Kathi Hügel war dia erste Taubblinde, welche in Österreich unterrichtet wurde.
flus den Anstalten.
— N ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf. Grippeepi-
demie. Ein böser Gast zog Mitte Oktober in diese Anstalt ein, indem er mit ei-
nem Schlage fast drei Virtel aller AnstaUsbewohner — Zöglinge und Bedienstete
— anf das Krankenlager warf. Es war eine schwere Zeit für Kranke und Gesundge-
bliebene. GlücklicheJweise gesundeten bis auf einen Zögling, bei welchem eine Lun-
genentzündung hinzutrat, welcher er erlag, alle Erkrankten, so daß der auf kurze Zeit
unterbrochene Unterricht wieder aufgenommen werden konnte.
Seite 1034. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen, 11. Nummer.
Die in der Hauswirtschaft tätige barmherzige Schwester Bonita Feilner ent-
schlief nach viermonatlichen Krankenlager. Im Rückblick auf die durchgemachten
schweren Wochen muß mit Anerkennung der Pflegebereitschaft der Anstaltsbedien-
steten wie der ärztlichen Hilfe des Hausarztes Dr. K. M. Zingher gedacht werden.
Besonders Dank gebührt auch dem Religionslehrer und Anstaltsseelsorger Herrn J.
Pinkas, der in hingebungsvollster Weise bei seinen Krankenbesuchen die Leiden-
den zu trösten und zu stärken wußte.
— Klar 'sehe Blindenanstalt in Prag. Jahresbericht 1917. Für
eine Wohltätigkeitsanstalt, welche zu ihrer Bestandsmöglichkeit zum überwiegend
größten Teile auf die Unterstützung von Wohltätern und Gönnern angewiesen ist,
die in nie dagewesenem Maße neben anderen Unternehmungen vom Staate selbst in
Anspruch genommen wird, ist es eine kaum zu bewältigende Aufgabe, in dem Chaos
unserer gegenwärtigen Wirtschaftslage nicht unterzugehen.
Und doch ist es uns dank der Sympathien, welche unseren drei Anstalten
seitens hervorragender Gönner sowie der Bevölkerung entgegengebracht werden,
auch in diesem Jahre gelungen, die finanziellen Versorgungsschwierigkeiten recht und
schlecht zu überwinden.
Der Kindergarten beherbergte 10 Zöglinge (5 m. und 5 w.) die Hauptanstalt
97 Pfleglinge (42 m. und 55 w.) und 74 Kriegsblinde. Außerdem waren in der Haupt-
anstalt 6 schulpflichtige Kinder tschechischer Nationalität untergebracht.
Die Nachschulung der Kriegsblinden ging bei allen jenen, welche nicht noch
krank oder arbeitsunwillig waren dank der ungeheueren Geduld, Mühe und Aufop-
ferung unseren Lehrer, Herrn Macan, Frau Klastersky, Frl. Blindlechner,
welche die Soldaten im Lesen und Schreiben der Blindenschriften unterrichten,
sowie der Meister Herren Bernasek, Mosinger, Paulin Anbrecht, Hoia,
und der Meisterinnen Frl. Bergmann und Markert, denen die techniche Aus-
bildung obliegt, rüstig und gediegen vonstatten, so daß die für einen neuen Lebens-
erwerb tüchtig ausgebildeten und wohl ausgerüsteten Kriegsblinden dem soliden
Erwerbsleben wieder zurückgegeben werden konnten, von denen sich viele eine sehr
schöne und geachtete Stellung zu verschaffen verstanden und unserer Anstalt im
Leben Ehre machen.
Es ist besonders erfreulich, daß es gelungen ist, in den blinden Soldaten das
Bewußtsein, daß die Arbeit ihre beste Freundin und sicherste Stütze für ihr künf-
tiges Leben sei, derart geweckt zu haben, daß selbst Leute, welche arbeitsunwillig
kamen und lange blieben, heute selbst als eifrigste Vertreter dieser Ansicht unter
ihren Kameraden auftreten und diesen zureden, nicht auch so unvernünftig zu sein,
wie sie es waren.
Nur ist dadurch ein sehr störendes Hindernis zu allen anderen Schwierigkei-
ten hinzutreten, daß wir nicht in der Lage sind, genügend geeignetes Arbeitsmaterial
aufzubringen, welches wir sowohl für den Unterricht sowie den Bedaif der selbsstän-
dig gewordenen Kriegs- und Friedensblinden brauchen.
Aufträge gibt es in Hülle und Fülle, welche bei genügendem Arbeitsmaterial
einen zufriednstellenden Gewinn brächten.
Eine besondere Vorliebe haben unsere blinden Soldaten für die Erlernung
des Maschinenstrickens unter Beihilfe ihrer Frauen, Mütter oder Schwestern.
Bei der durch die Kiiegsblinden entstandenen vermehrten Konkurrenz sinnen
wir auf immer neue, für den Eigenbetrieb geeignete Erwerbsmöglichkeiten zu deren
Verminderung.
Nur müssen erst die jeder Neuerung anhaftenden Schwierigkeiten, die der
Handhabung durch Blinde entgegenstehen, überwunden werden, bevor man den neu
zugekommenen Betrieb laufen lassen kann.
Hiezu gehören als Ergebnisse des Jahres 1917 die Erzeugung von Bienenstö-
cken uud Kochkisten aus Stroh, erstere in Verbindung mit Holzbestandteilen sowie
die Herstellung von Tragbändern und Gurten aus Hanf einerseitsts für RücUenkorb-
tragbänder, anderseits als Riemenersatz für Pferde-, Rinder- und P'ußbodenbürsten.
Im Jahre 1917 wurden ausgebildet ausgerüstet etabliert: 6 Maschinenstiicker,
4 Bürstenbinder, 2 Matten- und Sesselfllechter und 1 Korbmacher.
Herausgeber: Zentralvereia für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Biirklen,
J. Kneis, A. t. HorTOth, F. Uhl, — Druck Ton Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
Weitere Versuche in der Individualisierung und Spezialisierung sind bereits
im Gange.
Mit den ausgetretenen Kriegsblinden bleibt die Anstalt, um sie vor Übervor-
teilung zu schützen, wie dies auch bei den Friedensblinden immer der Fall war, in
Bezug auf Beschaffung des Betriebmaterials in unausgesetzter Verbindung.
Der Bericht legt Zeugnis ab von der hervorragenden Leistung des umfassend
und unermüdlich tätigen Direktors E. Wagner.
— Deutche Blindenschule in Aussig. In dieser von Direktor K.
Rauter in vortrefflichster Weise geleiteten Zweiganstalt der Klar 'sehen Blindenan-
stalt blieb die Schülerzahl (34) und Klasseneinteilung unverändert. Neuaufnahmen
waren wegen Platzmangel unmöglich, obwohl bereits 10 Kinder auf die Aufnahme
warten. Der Gesundheitszustand blieb das ganze Jahr hindurch ein ausgezeichneter.
Erfreulicherweise hebt sich das Interesse für die Schule zusehends, was wohl in den
stets zahlreicher werdenden Spenden und Besuchen seinen besten Ausdruck findet.
Für unsere Kriegsblinden.
— K. k. ß li nden-Er z ieh ungs- Inst it ut i n Wien II. Anerkennung.
Das Kriegsministerium erlaubt sich die Gelegenheit, die ihm durch die freundliche
Übersendung des Tätigkeitsberichtes für die Zeit vom 24. September 1914 bis 24.
September 1917 geboten wird, wahrzunehmen und das k. k. Blinden- Erziehungs-
Institut zu den Erfolgen, die es bei jenen erreicht hat, die ihre Zuflucht in dieser
Stätte edelster Menschlichkeit gesucht und gefunden haben, auf das herzlichste zu
beglückwünschen.
Es liegt gewiß viel mehr unablässige Arbeit, ausharrende Geduld bei dem
Werke, in den Blinden das Gefühl ruhiger Zuversicht und das Vertrauen in eine
sorgenlose Zukunft zu erwecken, als es dieser kurzgefaßte Bericht zu schildern vermag.
Das k. k. Blinden-Erziehungs-Institut kann mit berechtigtem Stolze auf seine
vierjährige Tätigkeit zurückblicken, es hat ein Werk geschaff"en, wofür es Dank
und Anerkennung bei all jenen finden wird, die menschlichen Fleiß und patriotische
Arbeit zu würdigen verstehen.
Für den Minister: Lelion, Fmit., m. p.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende September 1. J.
— Neue Freie Presse. 1,325.874 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 4,243.357 K.
— Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 320.000 K.
— Reichspost: 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 85.000 K.
— Artur Weisz (Temesvar) 35.800 K.
Bürklen Karl: Das Tastlesen der Blindenpunktschrift.
Nebst Beiträgen zur Blindenpsychologie von P. Grasemann-
Hamburg, L. Cohn-Breslau, W. Steinberg. VII, 93 Seiten
mit 6 Abbildungen im Text und 6 Tafeln.
Leipzig, Barth, 1917 M 5.—
== ^syl für blinde Kinder ==
Wien, XVII., Hernalser Hauptstraße 93
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schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
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verleiht ihre Bücher kostenlos an alle Blinden.
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Wien V., Nikolsdorfergasse 42.
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Wien VIII., Flopianiga«»e Nr. 41.
Telephon Nr. 23407.
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monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
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G
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Bezugspieis
ganzjährig mit
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4 Kronen,
Einzelnummer
40 Heller.
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D
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5. Jahrgang.
Wien, Dezember 1918.
12. Nummer.
INHALT: Grundzüge für die Neugestaltung der Blindenbildung und der Blinden-
fürsorge in Deutschösterreich. J. Oidendorp: Das künstliche Rüge. S. Heller:
Der Hund und der Blinde. F. Müller: Blinde Gemsen. Kriegsbündenfürsorge
in Ober-Österreich. P. Lang: Mein Garten. flus den Anstalten,, flus den
Vereinen. Für unsere Kriegsblinden. Verschiedenes. Bücherschaü. Zur Be-
achtung, RItes und Neues. (Rnkündigungen).
D
E=
=H
D
3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien Vlli,
g Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. 5
□Im- ^ -^[Q
Altes und Neues.
Zahn Ernst : Nacht. Erzählunp^. (Stuttgart 1918, Deutsche
Verlagsanstalt.
In dem Städtchen Infelden wachsen drei Kinder aus guter Familie
heran und treten früh in Herzensbeziehungen zu einander. Christlieb
V. Tschurner wird Gelehrter, während sein Freund Benedikt J o w a 1 1
sich zum Advokaten ausbildet. Schon früh ist Ersterer der schlanken
blonden Spes Muoth nahe gekommen und heiratet sie, trotzdem sie
Erblindung zu befürchten hat, denn er meint »das wäre wohl ein
Unglück, aber doch kein Hindernis für ein zufriedenes Leben im Hause
eines rechtschaffenen Mannes.« Dieses traurige Ereignis tritt auch bald
nach der Geburt eines Töchterchens ein, aber keine Klage, Verstimmt-
heit oder Niedergedrücktheit kommt deshalb in die glückliche Ehe, denn
der Gatte begegnete seiner blinden Frau mit der zartesten Rücksicht.
Spes wußte zwar nun, was durch ihr Gebrechen jetzt »anders« war, Sie
fühlte, »daß eine Grenze zwischen sie und die andere gezeichnet war,
trotz der hundert Wegen, die die Liebe jener zu ihr suchte. Jene hatten
zu viel Dinge gemein, von denen sie, Spes, ausgeschlossen war.
So lebten jene ein eigenes Leben, an dem sie, Spes, keinen Anteil hatte.
In einsamen Stunden bedachte sie das. Und wußte dann, daß sie ein-
sam war. Sie war aber klug und stark genug, sich mit dieser Erkenntnis,
als eines Unglücks, das ertragen sein mußte abzufinden. Und sie fühlte
sich durch alles, was ihr geblieben war, entschädigt und reich.«
Da tritt mit Spes jüngerer Schwester Esther, die aus der Erzie-
hungsanstalt zurückkehrt und von Benedikt Jowalt heiß umworben
wird, das Verhängnis ins Haus. Christlieb und Esther werden sich
bald inne, daß sie mit ihren Blicken auch in der Gegenwart Spes' mit
einander allein seien. Bald vertieft sich auch diese Vertraulichkeit in viel-
fachen Beisammensein und führt sie zu einer uneingestandenen Liebe.
Die wilde Leidenschaft Jowalts für Esther führt alle zur Erkenntnis
der Lage, auch Spes. Diese spürte bald die Fäden, die zwischen Mann
und Schwester gesponnen waren, als ob es feine, leuchtende Spinne-
fäden wären, die sich ihr um die blassen tastenden Finger
hingen. Gott! O Gott! Welch eine Zeit! Waren etwa die beiden zu
tadeln, die sich da fanden oder gefunden hatten .■* War nicht viel-
mehr sie selbst die unschuldig Schuldige.? Sie nur ein halber Mensch,
sie, deren Mängel nicht auszugleichen waren !«
Das Eingretfen des in seiner Liebe zu Esther haltlos geworde-
nen Jowalt bringt die Entscheidung. Esther verläßt Haus und Heimat
um das Glück ihrer blinden SchAvester zu retten. Christlieb überwindet
seine Liebe erst nach Jahren, kehrt aber innerlich zu seiner Frau
zurück. Es kommt zur Aussprache und Versöhnung zwischen den
Gatten, und das Ziel, welchem die Beiden zustreben ist nicht sowohl
die große Liebe als der große Friede des Lebens. Sie sehen die Zu-
kunft nunmehr in ihrem heranwachsenden Kinde.
Es bietet einen hohen Genuß, unter den vielen minderwertigen
Sachen, welche über Blinde geschrieben wurden, eine Perle entdeckt
zu haben. Das Buch, welches sich schlicht eine »Erzählung« nennt,
ist von Schönheit und sittlichen Größe erfüllt und hat nicht seines-
gleichen in unserer Literatur. Auch die psychologische Erfassung der
Blindheit ist von seltener Feinheit.
S.Jahrgang. Wien, 1918. 1.-12. Nummer.
Inhaltsverzeichnis.
Abhandlungen und größere Beiträge.
Rüge. Das künstliche — Von J. Oldendorp . . . . 1043—1044.
Blendung in der Geschichte des Rechts. Die -- Von Lehrer
O. Wanecek, Purkersdorf . . 899—902, 919—921, 840—945.
Blinde Gemsen. Von F. Müller 1046—1047.
Blindenfürsorgetag. Der VI. österr. — Einladung 966 — 967, Bericht
1007—1012, Verständigung 1000.
Blindenpsychologie. Grundlegung der — Von Dr. F. v. Ger-
hardt, Marburg a. d. L 883—888.
Blinden- und Taubstummlehrern. Die Heranbildung von —
Von Direktor K. Bür kl en, Purkersdorf 915—918.
Blindenzeitung. Eine österreichische — 873.
Braillesdien Notenschrift. — Königlicher Musikdirektor
Friedrich Mayer und die Reform der — Von Musikfach-
lehrer A. Krtsmary, Purkersdorf *. . 922 — 926.
Brief. Offener — Von Fachlehrer S. Alt mann, Wien . 889—890.
Dezimalpunkt. Der — Ein methodischer Vorschlag von Hauptlehrer
F. De mal, Purkersdorf ... 1025—1027.
Einband des Blindenbuches. Der — Mit fünf Abbildungen. Von
Direktor K. Bürklen, Purkersdorf 851—855.
Erblindeten. Den Angehörigen und Freunden derimFelde —
Sonderabdruck aus dem »Evangelischen Hausfreund.« (Beilage zu
Nr. 8) 1038.
Hund alsBlindenfreund. Der — Von Direktor K. Bürklen,
Purkersdorf 902—906.
Hund und der Blinde. Der — Von Direktor S. Heller, Wien.
1045—1046.
Intelligenzprüfung bei blinden Kindern. Die Anwendung
der Binet-Simon-Methode zur ^ Von Direktor K. B ü r k -
len, Purkersdorf ....... 935—939. 959—965, 977—985.
Kindergärten tür Blinde. — Von J. Krieger, Wien*. 1027 — 1031.
Krankenstube Nr. 2 4. — Von Lazarettpfarrer H. Schaefer.
890—891.
Krieg bei blinden Erstklas s e r n. Eine Plauderstunde über
den — Von Lehrer O. Wanecek, Purkersdorf . , 1013 — 1016.
Kriegsblinde als Akten lieft er. Von Geh. Med. Rat Professor Dr.
Sil ex, Berlin 965—966.
Kriegsblinden. Die kaufmännische Ausbildung der — Von
Präfekt S. Abel es, Wien 955_958.
Kriegsblindenfürsorge in Mähren 1031 — 1033, in Niederösterreich
996—998, in Ober-Österreich 1048.
Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf während ihres 45jäh-
rigen Bestandes. DieZöglingsbewegung in der — Von
Direktor K. Bürklen, Purkersdorf 945 — 948.
Leben. Zurück ins — Von einem Kriegsblinden .... 855 — 858.
Lehrerbildung. Blindenpädagogik in der — Von Direktor K.
Bürklen, Purkersdorf 907—908.
Neugestaltung derBlindenbildung und derBlindenfürsorge
in Deutschösterreich. Grundzüge für die. 1039 — 1042
Punktsdirift. Die Größenverhältnisse der — Mit 1 Tabelle
und 5 Abbildungen. Von Direktor K. Bürkien, Purkersdorf,
991-996.
Rosegger und die Blinden, Peter — Von Direktor K. Bürklen,
Purkersdorf 975—976.
Spät-Erblindeten. Die Versorgung von — Von O. St. Wien,
858—859.
„Tastlesen der Blinden-Punktschrift.« Kritische Betrach-
tungen über das — Von Hofrat H. Ritter v. C h 1 u m e t z k y.
Brunn (Beilage zu Nr. 8) 975.
Tastlesen der Blindenpunktschrift. Das — - Von Karl Bürk-
len. Besprochen von Direktor S. Heller, Wien. . . . 867 — 871.
Volksgesundheit. Mini ster i um f ü r — 859—860.
Vorlesen in der Blindenschule. Das — .871 — 873.
Zeitereignisse und unsere Sache. Die — 1023 — -1025.
Personalnachrichten.
Bergmeister Hofrat Dr. O., Niederlegung seiner Stelle als Augenarzt der n. ö«
Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf 926. — Hofrat Dr. O., Tod 1017. — Privatdozent
Dr. R. Augenarzt an der Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf 926. — Bernheimer
Dr. St , Professor, Tod 909. — Bodo F., Taubstummenlehrer, Überweisung an die
n. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf 875. — Eichler K., Musiklehrer, Auszeich-
nung 992. — Fast A., Adjunkt, Bestellung 949. — Horvath A. v., Ernennung zum
kaiserlichen Rat 967. — Hügel K., taubblind. Tod 1033. — Mayer R., Direktor,
Tod 908. — Meli A., Hofrat, Ernennung zum — 1017. — Moser L., Professor,
Auszeichnung 909. — Pleninger A. M., Konsistorialrat, Auszeichnung 949. —
Ressavar P. K., Bestellung zum Direktor des Mädchenheims in Melk 892. —
Rosenmayer K., Verwalter, Auszeichnung 949. — Siegl E., Hilfskraft für Fein-
flechterei, Tod 1001. — Vichal J. P., Tod 874.
Mitteilungen aus den Anstalten und Vereinen.
Asyl für blinde Kinder in Wien XVII. Bericht 986.
Blindenheim zu Klagen fürt. Feier 926.
B lin de n ver sor ßu ng shaus »Franz i sco-Jo se ph i n u m« i n P r a g. Bericht 927.
Deutsche Blindenschule in Aussig. Bericht 1035.
Deyl'sches Bli ndenins titut in Prag. Bericht 1001.
Kaiser Karl-Kriegsblindenheim in Wien XIII. Weihnachtsfeier 875.
Bericht 861.
Klar 'sehe Blindenanstalt in Prag. Bericht 1 034.
N. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf. Austiug 967, Faschingsabend
892, Grippeepidemie 1033, Kriegergedenkfeier 1049, Opernaufführung 968
Schulschlußfeier 986, Weihnachtsfeier 861, Wohltätigkeits-Akademie 1001. ,
Odilien-Blindenanstalt in Graz. Jahresbericht 949.
Privat-Blind enlehranstalt in Linz. Christbaumfeier 876, Glückwunschfeier
986, Musikaufführung 968.
T ir ol.-V o ra r Ib. Blindeninstitut in Innsbruck. Festteicr 875.
Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für Blinde in Linz. Chor
876, Christbaumfeier 876.
Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für erwachsene Blinde,
in Wien VIII. Aufnahme 1017, Bericht 909.
B 1 in d e n t ür sor ge V e r ei n für Tirol und Vorarlberg. Vollversamm-
lung 927.
Blindenheimverein in Melk. Jahresbericht 1916, 1917. 1050.
Blind en-Unte rstützungsve rein »die Pu rker sdorfer« in Wien V. Be-
richt 968.
Humanitärer Blindenverein »L indenbn nd«: Wien XX. Bericht 877.
K. F. J. J ubil. -Verein zur Fürsorge für männl. Blinde in Mähren und
Schlesien. Hauptversammlung 949.
I, Österr. Blindenverein in Wien VIII. Bericht 1002, zwanzigjähriger Be-
stand 876.
Verein »Kriegsblin denheimst ätten« in Wien. Anerkennung 950, Bericht
862, Bericht 969, Spende 863.
Verein zur Ausbidung von Spätererblindeten in Wien. Bericht 987.
Zentralverein für das österr. Bli ndenwesen. Ausschußsitzung 968, Erhöhung
der Mitgliedsbeiträge 1051, Generalversammlung 1017, Hauptversammlung.
Denkschrift 1049—1050.
Für Kriegsblinde.
Husstellungen 893 — Beschäftigung kriegsblinder Soldaten in England 894-
— Böhmen. Kriegsblindenheimstätten in — 987. — Erzherzog Karl Stephan
877. — K. k. Blinden-Erziehungs-Institut Wien II, Anerkennung 1035. -- Kon-
zerte undVeranstaltungen 893, 910, 930, 951, 970. — Kriegsblindenfonds998— lOOO,
Übertrag an das k. k. Ministerium für soziale Fürsorge 969. — Kriegsblindenkurs
in Straß 863, 878. — Küstenländische Landeskommission, Bericht 893. —
Landwirtschaftliche Schule für Kriegsblinde in Temesvar 930. — Rohstoff-
zentrale für kriegsblinde Handwerker 909. — Trauungen von Kriegsblinden
951, 987. — Versorgung der Kriegsblinden 877. — Weihnachtsfeier in Brunn
878. — Zahl der Kriegsblinden in DeutscOland 911, in Frankreich 911. —
Verschiedenes.
Altes und Meues. Bismark und der kriegsblinde Franzose 990. Blinde Ruderknechte
954. Das empfindliche Gehör des Blinden 1006. Das Ende einer deutschen
, Greueltat 954. Der Schleier des Glücks 914. Die Leib Ärtzt oder Medici
pflegen zu Zeiten den Kranken aus Eigennützigkeit aufzuziehen 974.- Ein
blinder Gärtner in der Literatur 934, Ein blinder Tönemeister Hus dem XV.
Jahrhundert 869. Ein Dichter als Ei zieher eines blinden Knaben 882. Elektri-
zität und Blindenschrift 898. Nacht. Erzählung von Ernst Zahn 1038. Wie die
Simulation von Blindheit festgestellt wird 850.
Blendung. Eine verdiente -- 879. — der Jagdfalken 931.
Blindenführerhunde 878. - Blindenkalender. Annahme durch die Kaiserin
894, 910.
Blindenkalender 1919. 1051.
Briefkasten 931. — Dänemarks erster weiblicher blinder Organist 879.
Dichter. Ein blinder deutsch-ungarischer — 93l. — Erblindung durch Geschoß-
explosionen 1019.
Gedichte: Dankgebet eines Bhnden. (O. Huber) 1000. Die Bünde. (L. Rohmer-
Heilscher) 891. Die Blindenschule. (J. Moos) 860. Gesang der Blinden.
(H. Lingg) 878. Fünfundzwanzigster Spiegel. (K. R. Schmidt) 926. Mein
Garten. (P. Lang) 1048—1049. Pont du Carousel. fR. M. Rilkej 967.
Journalist. Ein blinder — 895. — Lehrmittel. Neue für Naturgeschichte — 970.
Leistungsfähigkeit der Rügen im Dunkeln 971. — Leipziger Blindendruckerei.
Aus der — 1051. — Licht und fluge 1002.
Milchinjektionen. Wirkung der — 1019. — Schwachsichtigenklassen in der
Schweiz 1051 — Schwachsichtige. Schulen für 1002.
Stiftungen für Blinde 970, 971 — Studienanstalt für blinde Studierende 1002.
ungarischer Blindenhund, Gründung 1022. — Unglücksfälle Blinder 910. — Ver-
steigerung. Eine seltsame — 1051.
Bücherschau.
flrbeitsmöglichkeiten für Blinde. Niepel E., 895. — Beiträge zur Geschichte der
Kriegsblinden. Von Rappawi A. 1022. — Bericht über die dreijährige
Tätigkeit an der Blindenlazarettschule in Berlin. Von Silex, Prof. Dr. P. 911.
Blindenkunde. Abriß der — F. v Gerhardt 1022. — Die Fürsorge für die
Kriegsblinden des Herzogtumes Bukowina im Rahmen der Kriegsblin-
denfürsoige Österreichs. Von G. Halerevici. 1022. - Den Kopf hoch!
Von Lang P. 1019.
Die Blinde. Von Schmidt K. R. 931. ~ Die Blindenschule. Von Zech F. 879.
Die Fürsorgeeinrichtungen der n. ö. Landesverwaltung zum Schutze des
Kindes. Verlag des Landesausschusses von Niederösterreich 863.
Geschichte der österr. Jugendfürsorge. Von Breulich F. 1003.
Jugenderinnerungen eines blinden Mannes. Von Haun E. 1003.
Materialien zur Blindenpsychologie. Gerhardt Dr. F. v, 895.
Mein Blinder. Von H. Kodolitsch v. Neuweinsberg 1022. — Nacht. Von Ernst
Zahn 1038. — Schutz gegen Geschlechtskrankheiten. Von Dr. Panesch l051.
Mitarbeiter.
flbeles S., Präfekt. Die kaufmännische Ausbildung der Kriegsblinden 955—958.
flltmann S., Fachlehrer. Offener Briet 889-890.
Bürklen K., Direktor. Blindenpädagogik in der Lehrerbildung 907—908. Der VI.
Ost. Blindenfürsorgetag. Bericht. 1007 — 1012. Der Einband des Blindenbuches
851—955. Der Hund als Blindenfreund 902 — 906. Die Anwendung der Binet-
Simon-Methode zur Intelligenzprüfung bei blinden Kindern 935 — 939,959—965,
977—985. Die Größenverhältnisse der Punktschrift 991 — 996. Die Heranbildung
von Blinden- und Taubstummenlehrern 915—918. Die Zöglingsbewegung in der
Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf während ihres 45jährigen Bestandes
945—948. Die Zeitereignisse und unsere Sache. 1023—1025. Peter Rosegger
und die Blinden 975—976. Das Vorlesen in der Blindenschule 871—873.
Chlumetzky H. v., Hofrat. Kritische Betrachtungen über »das Tastlesen der ßlin-
denpunktschrift« von Karl Bürklen und die beigehefteten Aufsätze. Beilage
zu Nummer Nr. 8. 975.
Demal F., Hauptlehrer. Der Dezimalpunkt 1025—1027. Neue Lehrmittel für Natur-
geschichte 970.
Gerhardt F. v., Dr. Grundlegung der Blindenpsüchologie 883—888.
Heller S., Direktor. »Das Tastlesen der Blinde^npunktschrilt von Karl Bürklen.« Be-
sprechung 867—871. Der Hund und der Blinde 1045 — 1046.
Krieger J., Kindergärt.m für Blinde. 1027 — 1031.
Krtsmary fl., Musikfachlehrer Friedrich Mayer und die Reform der BraiH'schen
Notenschrift 922—926.
Müller F. Blinde Gemsen 1046 — 1047.
Oldendorp J. Das künstliche Auge 1043 — 1044.
Schaefer H., Lazarettpfarrer. Krankenstube Nr. 24. 890—891.
Silex, Dr. Geh. Med. -Rat, Prof. Kriegsblinde als Aktenhefter 965—966.
Stoklaska O., Direktor. Die Versorgung von Spät-Erblindeten 858—859.
Wanecek O., Lehrer. Die Blendung in der Geschichte des Rechts 899—902,
919—921, 940—945. Eine Plauderstunde über den Krieg bei blinden Erst-
klassern 1013—1016.
Her.Tnsgrber: Zentralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomifee: K. Bürklen,
J. Kneis, A. t. Hor»ttth, F. Uhl. — Druck »nn Adolf Rnglisch, Purkersdorf hei Wien.
5. Jahrgang.
Wien, Dezember 1918.
12. Nummer.
ßi^m^m^^^^^i&m^^-^^^i^'^^'^^ü^^m^mm^i^^^^^^^i^m^mmi^^^^
^
»Mitleid ist nicht zu entbehren
zur sozialen Entwicklung.« k. Ostwaw.
»sc fjßt
Grundzüge für die Meugestaltung
der Blindenbildung und der Blindenfürsorge
in Deutschösterreich.
Die Errichtung des „deutschösterreichischen Staates" läßt die Be-
gründung einer modernen Blindenfürsorge näher gerückt erscheinen als
in den Zeiten, da die Verbindung mit anderen Nationen eine einheitliche
Neuordnung behinderte. Bei den gegenwärtigen Umwandlungen im Staats-
leben darf die heimische Blindenfürsorge nicht vergessen werden. S i e
muß auf sozialer Grundlage und unter Mitwirkung der
breiten Öffentlichkeit vor sich gehen. Wir treten daher an die
Allgemeinheit sowie an die berufenen Stellen mit der Bitte heran,
dieser dringend notwendigen Neugestaltung ihre volle Aufmerksamkeit
und Werktätigkeit zuzuwenden und die günstige Gelegenheit zu einer
modernen Umwandlung unserer Blindenfürsorge nicht zu versäumen.
Neben jahrzehntealten Forderungen unterbreiten wir die
Bitte nach Neueinrichtungen und Umgestaltungen, wie sie
sich aus u n a b w e i s b a r e n B e d ü r f n i s s e n e r g e b e n u n d den ge-
änderten staatlichen u n d g e s e 1 1 s c h a f 1 1 i c h e n Verhältnissen
entsprechen. Damit werden auch die Grundzüge festgelegt, unter
denen die Reorganisation der Blindenfürsorge in Deutschösterreich voll-
zogen werden könnte.
Bisher litt die heimische Blindenfürsorge unter einer schweren
Vernachlässigung seitens der öffentlichen Stellen und an dem verhäng-
nisvollen Irrtum, daß Blindenbildung und Blindenfürsorge Angelegen-
heiten der Privatwohltätigkeit seien, sowie an der Verkennung der durch
Seite 1040. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 12. Nummer.
das Bildungsbedürfnis, die Bildungsfähigkeit und den Bildungserfolg
längst erwiesenen Pflicht des Staates, Blindenbildung und Blin-
denfürsorge als berechtigte Aufgaben der Volksbildung
und \^ o 1 k s w o h 1 f a h r t zu e r f u 1 1 e n.
Zur Durchführung dieser staatlichen Für sorgeist die
Schaffung besonders beauftragter Stellen drin gen st ge-
boten und zwar einer ,.St a at sstel le für Blindenfürsorge"
und der ihr untergeordneten ..Landesstellen".
Die Aufgabe dieser Stellen wäre die ungesäumte Durchführung
der Fürsorge für sämtliche Blinde (Kriegsblinde eingeschlossen). Sie
hätte sich auf folgende Gebiete zu erstrecken:
Maßnahmen zur Blindheitsverliütung.
Statistische Erhebungen über die Blinden Deutschösterreichs.
Fürsorge für die vorschulptlichtigen blinden Kinder.
Beschulung der scbulptlichtigen blinden Kinder.
Beschulung schwachsichtiger Kinder.
Berufliche Ausbildung der jugendlichen Blinden.
Berufszuführung von Spätererl)lindeten (darunter auch der Kriegs-
blinden).
Unterstützung und Versorgung arbeitsschwacher, kranker und alter
Blinder in freier und geschlossener Fürsorge.
Die ..Staatsstelle" bezw. die „Landesstellen" hätten sich aller be-
stehenden Blindenfürsorgeeinrichtungen ( Anstalten, Heime, Vereine usw.)
unter Wahrung ihrer Selbständigkeit zu bedienen und die sonst not-
wendigen Neueinrichtungen zu schaffen. Neben den vorhandenen und
aus der privaten Wohltätigkeit auch in Zukunft zu gewärtigenden
Mitteln müßten die Länder und Gemeinden l)ezw. der Staat die rest-
lichen Bedürfnisse befriedigen.
Die ,.Staatsst eile" wie die ..Landesstellen" wären als
Staatsbehörden bzw. als L a n d e s b e h ö r d e auf demokrati-
scher Grundlage zu errichten. Die hierzu berufenen Funktionäre
hätten sich zusammenzusetzen aus: Beamten, Vertretern der Erhalter
der in Anspruch genommenen Fürsorgeeinrichtungen, Fachmännern und
Blinden.
Die Zahl der in Obsorge der genannten Stellen fallenden deutsch-
österreichischen Blinden beträgt in runder Summe 6500 und zwar in :
Niederösterreich 2600 Blinde
Oberösterreich und Salzburg .... 800 „
Steiermark 750 ,.
Kärnten 250 „
Tirol und Voralberg 400 ,.
Deutschböhmen 1200 „
Sudetenland 500 „
Als allgemeiner Grundsatz der Blindenfürsorge hat zu gelten:
Für alle Blinden ist das Recht auf Bildung und das
Recht a u f A r b e i t dem Recht auf eine menschenwürdige
Versorgung voranzustellen.
12. Nummer. Zeitschiilt f(ii- das österreichische Blindenwesen. Seite 1041.
A I s d r i u g e n d s 1 0 F o r d e r u ii g e n einer ni o d e r n e n d e u l .'^ c h-
f) .s t e r r e i c h i s c h e n Blindenfürsorge d u r cli die b e .s t e h e n d e n
wie dnreh die neu zu schaffenden Einricli t ungen werden
[) e z e i c im e t :
Fürsorge für l) linde Kinder im vorschulpflichtigen
Alter. Außer den bestehenden Vorschulen für blinde Kinder (Asyl für
brnde Kinder in Wien, Kindergarten der Klar'schen Blindenanstalt in
Prag) wären solche Vorschulen nach Bedürfnis auch in den anderen
Ländern zu schaffen.
Beschulung blinder Kinde r.
Die unterrichtliche xVusbildung muf3 als sicherste Grundlage der
Blindenfürsorge angesehen werden. Blindenanstalten seien daher hinfort
aus öffentlichen Mitteln erhaltene Pflichtschulen, woraus sich die Not-
wendigkeit ergibt, den Anstaltszwang für blinde Kinder gesetzlich fest-
zulegen. Da der Blindenunterricht auch die Aufgabe zu erfüllen hat,
au der Ausgestaltung der Blindenpädagogik mitzuwirken, ist ihm kein
fester, sondern ein Ideallehrplan zugrunde zu legen und die Freiheit
der Methode zu gewährleisten. Zur Erlangung voller Klrwerbsfähigkeit
muß die Bildungszeit nach Notwendigkeit auch über die Schulpflicht
hinaus ausgedehnt werden.
Die Unterrichtsanstalten für blinde Kinder sind bis auf Tirol und
Vorarlberg für die Unterbringung der blinden Landeskinder hinreichend.
Nach Notwendigkeit wären einzelne Anstalten für eine größere Inan-
spruchnahme zu erweitern. Niederösterreich erscheint durch 4 Unterrichts-
anstalten (N. ö. Landes-Blindennnstalt in Purkersdorf. k. k. Blinden-Er-
ziehungsinstitut in Wienll. Israelitisches Blindeninstitut in Wien XIX und
städtische Schulabteilung für blinde Kinder in Wien XVI) über den
Bedarf hinaus bedacht. Die unvollkommen organisierte Schulabteilung
ftir blinde Kinder in Wien XVI wäre bei Nachweis des Bedürfnisses
zu einer Tagesschule für Blinde auszugestalten oder im Gegenfalle auf-
zulassen. Das bisherige k. k. Blinden-Erziehungsinstitut in Wien II, wel-
ches zum größten Teil seine Zöglinge aus den abgetretenen Kronländern
verliert, wäre in eine ,.Blinden-Studienanstalt" zur Erlangung einerhöheren
geistigen und musikalischen Ausbildung (Mittel- und Hochschulstudium)
und in eine Anstalt zur Heranbildung von Blindenlehrern (nach erfolgter
Absolvierung einer Lehrerbildungsanstalt) umzuwandeln.
Beschulung von schwachsichtigen Kindern.
Die unterrichtliche Ausbildung von schwachsichtigen Kindern er-
fordert besondere Maßnahmen, da diese Kinder im Volksschulunterrichte
nicht fortzukommen vermögen and in den Blindenanstalten keine Auf-
nahme finden können. Es sind daher in den großen Städten Sonder-
klassen für schwachsichtige Kinder zu errichten oder Abteilungen für
Schwachsichtige den Blindenanstalten anzugliedern.
Die heruflliche Ausbildung, w^elche an den Blindenunterrichtsanstalten
oder eigenen Anstalten vorgenommen wird, wäre zu erweitern und zu ver-
tiefen. Durch die Umwandlung des bisherigen k. k. Blinden-Erziehungs-
institutes in Wien II in eine „Blinden-Studienanstalt*' könnte das Ver-
langen talentierter Blinder nach höherer geistiger und musikalischer
Ausbildung endlich erfüllt werden. Durch Ausgestaltung der „Anstalt
Seite 1042. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 12. Nummer.
zur Ausbildung Spätererblindetcr in Wien XIX'' würde dem bi.sher stark
vernachlässigten Zwecke der beruflichen Ausbildung der Spätererb bil-
deten (Kriegsblinden) gedient werden.
Förderung der freien Erwerbstätigkeit ausgebildeter
Blinder.
Die für diese Aufgabe bestehenden Einrichtungen sind in allen
Ländern unzureichend. Es wären daher die bestehenden Werkstätten
für blinde Handwerker auszugestalten und neue Arbeitsstätten, nament-
lich auch für weibliche Blinde, in den größeren Städten zu errichten,
die Arbeitsvermittlung zu organisieren und neue Berufszweige für Blinde
auf Grundlage eines ausgestalteten Systems der Handfertigkeit in den
Blindenunterrichtsanstalten zu eröffnen. In den bestehenden „Beschäf-
tigungs- und Versorgungsanstalten für männliche und weibliche Blinde"
wäre das Hauptgewicht auf die Erwerbstätigkeit zu legen, wenn nicht
die Umwandlung in reine Versorgungsanstalten zu erwirken ist, wobei
eine auf das Haus beschränkte Beschäftigung wünschenswert erscheint.
Für alle erwerbstätigen Blinden ist die Kranken-Unfall- und Sozialver-
sicherung durchzuführen.
Unterstützung u n d V e r s o r g u n g a r b e i t s s c h w a c h e r
kranker und alter Blinder in freier und geschlossener
Fürsorge.
Bei der Versorgung der Blinden ist die Ermöglichung einer, wenn
auch nur beschränkten Erwerbsmöglichkeit der bloßen Armenversorgung
stets voranzustellen. Beide Arten der Versorgung haben sich in möglichst
freier Fürsorge zu vollziehen. Neben den bestehenden Unterstützungs-
fonds wären unter Heranziehung der öffentlichen Armenmittel bei den
„Landesstellen-' ,.Hilfskassen-' für Blinde zu errichten, aus denen diese
nach dem Grade ihrer Arbeitsfähigkeit Unterstützungen genießen könnten.
Dagegen sind entsprechende Maßnahmen gegen den Bettel durch Blinde
zu ergreifen.
Für die geschlossene Fürsorge kranker und alter Blinder sind
dringende Vorkehrungen nötig, da für die Unterbringung solcher Blinder
nur eine einzige Anstalt (das von der ..Böhmischen Sparkasse erhaltene
Francisco-Josephinum in Prag") besteht. Die Gemeinde Wien, welcher
für diesen Zweck bereits größere Mittel von der Privatwohltätigkeit zur
Verfügung gestellt wurden, wäre in erster Linie zur Errichtung einer
Versorgungsanstalt zu veranlassen. x\uch in Niederösterreich (außerhalb
Wiens) sowie in den anderen Ländern müßten solche Alters- bezw.
Kranken- und Erholungsheime für Blinde errichtet werden.
Die Durchführung aller dieser Maßnahnien müßte unter
Mitwirkung und Unterstützung der breiten Öffentlichkeit sei-
tens der „Staatsstelle" für Blindenfürsorge geschehen. Es be-
darf in dieser Hinsicht dringend der bisher mangelnden An-
regung und Führung durch berufene Kreise, welche mit ent-
sprechenden Befugnissen ausgestattet sind. Man schreite,
daher ungesäumt an die Schaffung der vorgeschlagenen Kor-
porationen, welche die Neugestaltung des deutsehöster-
reichischen Blindenwesens in die richtigen Bahnen leiten.
i2. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1043.
Das künstlidie Rüge.
Von Justus O 1 d e n d o r p.
Die augenärztJiche Kunst steht auf dein durcli Krtahrung gefestig-
ten Standpunkt, wonach das künstliche Auge als unerläßliches Hilfsmittel
zur Gesunderhaltung der Augenhöhle angesehen werden muß, ja es
darf geradezu als notwendiger Heilfaktor gelten. Demnach empfiehlt
sich auch bei Vollblinden das Tragen von Prothesen aus hygienischen
Gründen und nicht nur, um die abstoßende Wirkung der leeren Augen-
höhlen zu beheben. Welch hohen Wert für das seelische P^mpfmden
des am Sehorgan Geschädigten das bloße Bewußtsein verleiht, daß diese
Verunstaltung nicht von jedermann zu gewahren ist, bedarf keiner be-
sonderen Worte. Das ganze Auftreten eines mit einer Prothese verse-
henen Menschen im Verkehr mit der übrigen Welt vollzieht sich unbe-
fangener und sicherer als ohne diese nicht hoch genug zn schätzende
Kunsthilfe. Doktor Kitt er ich nannte es vor über sechzig Jahren
geradezu fehlerhaft, den Gebrauch dieses Hilfsmittels jahrelang aufzu-
schieben. Das Vorurteil für den Gebrauch künstlicher Augen wird sich
für die nächste Generation bedeutend verringern : die durch Unwissen-
heit hervorgerufene Scheu vor Prothesen und die Furcht vor ärztlichen
Eingriffen erhielten durch die Behandlung unserer Kriegsbeschädigten
eine bedeutsame Berichtigung.
Sichere geschichtliche Überlieferungen über die Herstellung künst-
licher Augen aus älterer Zeit sind nur wenige bekannt. Eine genauere
Beschreibung gab erst Ambroise Pare in einem 1561 gedruckten Werk.
Die Kunst, (ilasaugen für den Ersatz eines verlorenen Sehorgans zu
machen, scheint einst in Venedig ihren Sitz gehabt zu haben; lange Zeit
galt F\aris als die Stätte der entwickelten Technik. Der deutsche Augen-
arzt Ritterich bemühte sich im vorigen Jaln'hundert, um Deutschland,
wie er sagt, „von diesem Tribut an Frankreich zu befreien." Hazard-
Mirault in Paris verlangte um 1850 für ein Auge fünfundzwanzig bis
fünfzig Franken. Ritterich lernte 1851 die Arbeiten des in Lauscha
bei Saalfeld in Thüringen geborenen Ludwig Müller kennen, der schon
1835 durch den Würzburger Professor Adel mann zur Herstellung
künstlicher Augen angeregt worden war. Über die Prothesen urteilte
Ritt er ich 1852: „Seine Ersatzaugen sind denen der besten Pariser
Erzeugnisse gleichzustellen, in mehrer Beziehung sogar vorzuziehen."
Müllers künstliche Augen kosteten zweieinhalb bis drei Taler. Dem
Neffen des Genannten, Friedrich Adolf Müller, der sich seit 1855 be-
tätigte, gelang es gegen Ende der sechziger Jahre, ein neues bildsames
Material anzuwenden, das dem zerstörenden Einfluß der Tränenflüssigkeit
viel besser widerstand und leichter war als das französische Glas. Das
günstige Vorurteil gegenüber französischen Erzeugnissen verlor sich erst,
als durch den Krieg 1870/71 Paris verschlossen blieb, und die Notwen-
digkeit gebot, nach der einheimischen Arbeit zu greifen. Seit jener Zeit
übertlügelte das Können deutscher Künstler die französischen Erzeug-
nisse immer entschiedener. Die echt gallische Eitelkeit zeigte sich über
diese Erfolge sehr verbittert. Als auf der Pariser Weltausstellung des
Jahres 1900 die ^Erzeugnisse des Wiesbadener Hauses Friedrich und
Albert Müller auf dem internationalen Kongreß der Augenärzte unge-
Seite 1044. Zeitschrift für das österreichische BUndenwesen. 12. Nummer.
teilte Anerkennung fanden, hielt es das Ausstellungsgericht für gehoten,
diese Erzeugnisse deutschen Könnens mit einer untergeordneten Bewer-
tung zu bedenken. Als Grund gab man ebenso dünkelhaft wie gehässig
J.Imitation französischer Kunst" an! Inzwischen haben unsere Erzeug-
nisse die französischen überflügelt, die sich nicht einmal auf der Höhe
von 1850 zu halten vermochten. Deutschen Bemühungen ist es auch
zu danken, daß ein neues Material, das Kryolithglas. gefunden und ver-
arbeitet werden konnte, das den Einwirkungen der Alkalien dauernden
Widerstand zu leisten vermag. Aus bleihaltiger Komposition verfertigte
Augen — wie die Pariser — beginnen nach etwa viemionatigem Ge-
brauch auf der ganzen Oberfläche matt zu werden : aus gutem Material
hergestellte erst nach einjähriger Tragzeit. Das deutsche Kryolithglas
— das die Kernmasse der Prothese bildet — wird von der Tränen-
masse überhaupt nie rauhgefressen: nur das Kristallglas, aus dem die
Hornhaut gebildet werden muß, erleidet eine oberfiächliche Zersetzung;
auf dem Kristall der Iris entstehen blinde Stellen, welche die Schleim-
haut eher spürt, als sie äußerlich wahrgenommen werden. Solange das
Auge glatt ist. wirkt es wohltätig auf die Muskulatur und die Schleim-
haut der Augenhöhle: erst dann, wenn die Oberfläche rauh zu werden
beginnt, überträgt sich der Reiz auf die ganze Augenhöhle. Bei fortge-
setzter Dauer tritt chronischer Bindehautkatairh ein, der sich auf das
gesunde Auge überträgt. Aber auch noch weitergehende Schädigungen
können die Folge verdorbener Prothesen sein. Aus diesem Grijnde
empfiehlt es sich, keine geringwertigen P^rzeugnisse zu erwerben.
Statt der schalenförmig gebildeten Prothesen gelang es lc^99.
doppelwandige, völlig geschlossene Kimstaugen herzustellen. Bald darauf
wurde es möglich, diese unter dem Namen „Reformaugen'' eingeführten
Gebilde in beliebigen Formen herzustellen und die Rückwand je nach
den Verhältnissen der Augenhöhle mehr oder minder konvex, konkav,
plan- und konkav-konvex zu gestalten und genau der Beschaffenheit
des Augenhöhlenbodens anzupassen. Dieses Kunslauge erlaubt eine
größere Bewegungsfähigkeit als die bloße Schale: weil es sich ganz
der Form des noch vorhandenen Augapfels anzupassen vermag, macht
es alle Bewegimgen des gesunden Auges tnit.
Ritterichs Worte sind heute so wahr wie vor einem halben
Jahrhundert, da er schrieb: ,.Die Erlangung eines künstlichen Anges ist
für den Armen oft noch von höherer Wichtigkeit als für den Wohl-
habenden. Wenn es bei diesem meist dazu dient, das Aussehen zu ver-
bessern, so ist es bei dem Unbemittelten nicht selten zugleich ein
Schutz gegen Mangel und Elend, Ein Einäugiger wird von niemand gern
in Dienst genommen und ihm nicht leicht ein Geschäft übergeben, zu
dessen Ausführung ein nur irgend gutes Gesicht gehört, obgleich das-
selbe recht wohl mit einem Auge zu verrichten wäre. Trägt er aber
ein künstliches Auge, hat er also anscheinend zwei gesunde Augen, so
findet er weit leichter Unterkommen und Brot."
Für die im Kriege um das Augenlicht gekommenen Kämpfer ge-
schieht alles; sie erhalten selbstverständlich auch Prothesen. Eine hoch-
entwickelte Kunstfertigkeit traf mit den Kriegsereignissen zusammen,
um das Menschenmögliche erreichbar zu machen.
Beilage zu Nr. 12 der Zeitschrift für das österr. Blinden wesen.
Den Angehörigen und Freunden
der im Felde Erblindeten.
Sonderabdruck aus dem „Evangelisdien Hausfreund", Februar 1918
von E. G. B., Wien.
Man liest nun viel von all den großen Instituten, wo
das Sehen mit den Fingerspitzen gelehrt wird, um lesen zu
können, Musik zu treiben und so manche Handfertigkeit — es
werden Blindenheime für erblindete Krieger errichtet, große
Summen kommen ins Rollen, ihr Elend zu lindern.
Dagegen scheint es geringfügig zu sein, was ich vornehmlich
zu geben habe, doch ist es nicht leicht erworben, in fast zwei
zwei Jahrzenten unermüdlich ernsthafter Betreuung eines Erblin«
deten, und von diesem teueren Gut — Erfahrung — möchte ich
mitteilen, mit den Freunden und Angehörigen jener — teilen!
Viele Erblindete werden im häuslichen Verband bleiben
können, dank irgend günstiger Familienverhältnisse, vielen Menschen
wird es nun häufiger als bisher begegnen, mit Blinden da oder
dort umzugehen, die Anregung für Freitische ward öffentlich ge-
geben, damit auch die in Blindenheimen Wohnhaften mit der
Außenwelt in Fühlung bleiben. — „Bringen wir ihnen," sagt Peter
Rosegger im Heimgarten — er schildert die Verzweiflung eines
kriegserblindeten Studenten — , „Ehre und Liebe entgegen, wo und
wie immer wir können!"
Könnte ich irgend ein Bindeglied sein, das Verständnis,
die notwendige Technik für den Verkehr mit Nichtsehenden zu
erleichtern, beiden — den Nehmenden wie auch den Gebenden —
zuliebe. Mein Vater war schon über 60 Jahre alt, als die seit
langem abnehmende Sehkraft, als die Sonne für ihn — erlosch.
Die Allmählichkeit, diese so einzig versöhnende Macht, hatte er
jenen voraus, welche im Feld der furchtbare Verlust wohl zumeist
plötzlich traf. Doch das Geizen um den langsam hinschwindenden
Schein — der Tag und Nacht noch unterscheidet — ist herzzer-
reißend gewesen. Die Tragik, daß es diesen Helden in Jüngeren
Jahren widerfuhr, birgt die versöhnende Gewißheit in sich, sie
noch der Errungenschaften, welche die Blindenlehre verbreitet mit
Energie und Lust teilhaft werden zu sehen. Die Braillesche Schrift
ist schwer, weniger für den Blindgeborenen oder als Kind Erblin-
deten, der Tastgefühl von vorneherein ganz besonders fein ent-
wickelt ist. Wenn ich demnach bei höherem Alter bezüglich solcher
Entlastung völlig resignierte, so glaube ich, man werde gerne ge-
willt sein, den Hilflosgewordenen den harten Übergang zu erleichtern
und ihnen nach Bedürfen vorzulesen — .es bietet unsagbar
viel lebendigste Zerstreuung — , bis sie von der arg mühe
samen Technik zum freudigen Genießen vorgeschritten sind. Freund-
liche Helfershelfer finden sich sicher im eigenen Kreise, und so
manche Vereine stellen gewiß gute Kräfte zur Verfügung. Es wäre
vorzulesen, was besonders interessiert — in der Brailleschrift über-
dies nicht Erhältliches — , so auch manch Fachwissenschaftliches,
wie aus der Zeitung!' Nichts aufdrängen was dem Vorlesenden
vielleicht näherliegt; leset geduldig, etwa den Leitartikel, alle
Telegramme, die den Tapferen vor allem am Herzen liegen dürften.
Wenn dem Blinden geholfen sein soll, muß ihm gedient
werden; nur so wird jegliche Entmündung vermieden, die als
drohendstes Gespenst dem Lichtlosgewordenen vorschweben mag.
Nicht er, sondern Ihr seid abhängig geworden — so sei's! Indes
die Seelenbeziehungen werden sich ungeahnt festigen,
erhöhen durch das Unglück, und da kommt es mit der Zeit zu
einem Austausch der Geschmacksbildung, der Fähigkeiten. Er wird
nicht blos „mit Euren Augen sehen" lernen. . . . Mein Vater liebte
den Vortrag heiterer Musik, durch den ich ihn unterhielt, obwohl
ich für mich die klassische Richtung pflegte. Durch oftmaliges
Zuhören, zuerst aus anderem Zimmer herüber, ist er da völlig
eingedrungen und machte sich, es erhellte aus seiner richtigen
Kritik, selbst schwere Kompositionen ganz zu eigen, was bei
„leichter Musik" im Fluge gelingt und deshalb um so erfreulicher
wirkt, wo es an Zeit und Gelegenheit gebricht. — Musik ist für
Lichtlose die holdeste Licht- und Freudenbringerin. Wenn nur ir-
gend Liebe dafür vorhanden ist, werde sie entwickelt, gepflegt durch
gute Hausmusik, Besuch von Konzerten. So manchem sagt der
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Gesang am meisten zu. Es ist, auf die Lektüre rückkommend, n i c h 1
gleichgülti.y. wie einem Blinden vorgelesen wird. Einförmiges Lesen
schläfert, wo außerdem ringsum nichts anregt, leicht ein. Zu lautes
Lesen betäubt! Man sage sich's nur immer wieder, daß man dem
P>blindeten, im Lesen wie im Erzählen, nicht nur alles zu Gehör,
sondern auch „zu Gesicht" bringen muß durch eine nicht auf-
dringliche Eindringlichkeit, wie man sie der Jugend gegenübnr an-
wendet, um ihre Vorstellungskraft zu festigen, zu steigern.
Die Konversation, der Austausch von Gedanken, ist mög-
liehst dahin zu lenken, daß der Blinde spricht und aus seinen
Erinnerungen schöpft, er wird es als Wohltat empfinden, wenn
jemand ihm da niederschreibend zur Verfügung steht (auch gibt
es für ihn gute Schreibbehelfe, Verwendung des Diktaphons), be-
sonders alles mit dem Wendepunkte seines Lebens Zusammen-
hängende ist jedem Krieger für ihn und die ihn kennen, festzuhalten!
Jedoch die Nacht die ihn umgibt, läßt auch Weitfernliegendes, das
seine Kindheit, seine Jugendzeit erhellt haben mag, beglückend
aufleuchten. Lasset an seinem geistigen Auge all das vorüberziehen.
Neues Erleben tritt in ganz neuer Form an ihn heran, man halte
mit ihm den unvergänglichen, kostbaren Schatz seiner Erinnerungen
heilig wert und gewinne dadurch Haftpunkte, sei es, um Ähnlich-
keiten mit neuhinzutretenden Menschen festzustellen, sei es, um
neue Gegenden, auftauchende Farben und Formen ihm zu ver-
dolmetschen. Über alles hoch ist es zu werten, wie das Gedächt-
nis die edlen Sinne bevorzugt, so daß selbst bei Verlust eines
solchen die unedleren nie zu übertönen brauchen, deren Genuß
mit dem Augenblicke der Erfüllung — in Nichts versinkt. Die
Kunst des Lauschens, Daranknüpfen ist entwicklungsfähig, gar sehr
ausgiebig bleibt noch die Rolle des redenden Teils. Schweigsames
Zusammensein bei Mahlzeiten, bei Spaziergängen ist dem Nicht-
sehenden wohl nur selten Bedürfnis, man achte aber solche Re-
gungen, den eigenen Gedanken „Audienz geben" zu wollen, rück-
sichtsvollst, und man lernt — ich habe erst in jenen Jahren un-
versehens zu zeichnen begonnen — , erhöht bewußtes Schauen,
scharfes Beobachten, wenn immer davon weitergegeben werden
muß. So auch erweckt — in uns selbst — ein Dichter lebhafte
Vorstellungen von fernem nie Erschauten durch sein macht-
volles Beschreiben und Schildern — dem eifere man nach
bestem Können nach!
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Durch das Dunkel ist große Gefahr der Monotonie und Apathie
gegel)en; der darin Weilende ist jedoch zumeist jeder Abwechs-
lung leicht zugänglich, sei es eine Reise, ein Ausflug, Gesellig-
keit oder Besuch von Unterhaltungen. Für die Geselligkeit
es viele Spiele: so Dame, Schach, Mühle (letztere selbst kostruier»
bar), es gibt eigene Drechslereikunst solcher Artikel. Sehr anregend
wirken geistvolle Gesellschaftsspiele. Bei Reisen mag der Bädeker
schon auf der Fahrt gute Dienste tun, zur Ausschmückung fällt
wohl stets so manches auf. Vor Besuch eines Theaters wird
das Textbuch oder das Stück, der Theaterzettel mit Vorteil vor-
gelesen, Klavierauszüge, vor wie nach, vorgespielt werden, bei der
Vorstellung gibt es noch genug bezüglich des Aussehens, der Klei-
dung der Spielenden usw. zuzuflüstern. (Mein Vater verließ sich so
völlig auf mich, daß er auch durchaus ins Kino mitwollte, was
ich^ihm aber — Gefahr einer Panik vorschützend — ausreden
mußte). Gemälde konnten oftmals nahegebracht werden durch
eingehende Beschreibung. Manchen Erblindeten ist die Bildhauerei
ganz zugänglich für ihr Verständnis. Bei Festlichkeiten sei es
aller Bestreben, sich in „seine" Aufnahmsmöglichkeiten hineinzu-
denken! Weihnacht! — das Glöcklein, der Duft der Tanne, der
Wachskerzchen, hellerklingende Weihnachtslieder feierliche Musik,
Jubel beschenkter Kinder, Freude in Geben und Empfangen und
— es wird ihm nichts fehlen. Am Festmorgen festlich mundender-
Kuchen, Blumen, die sich bei ihm einzuschmeicheln wissen . .
Zärtlichkeit — kann da als ,.Tochter" nur ahnen, wie in solcher
Lage das Erwidertwerden am wohlsten tun mag. Etwas Schweres
muß ich einfügen : Laßt euch nicht überwältigen von der erblühen-
den Dankbarkeit, vom Bewußtsein, ganz .unentbehrlich zn sein,
wachset darüber hinaus, auch andere mögen teilhaben an der
steten Obsorge, denn es ist nicht gut, daß die volle Lebensmöglich-
keit eines Menschen nur „auf zwei Augen ruhe!*' . . .
Und zulernen durch den Umgang mit Blinden immerzu!
Beim Suchen einer Behausung gar in der friedlichen Stille am
Lande wird ihm lärmende Nähe, z. B. einer Schmiede oder das
Wohnen beim Backhause — der Unruhe, auch des Nachts, der
ausstrahlenden Wärme und Gerüche halber — unleidlich werden.
Unsere Schutzbefohlenen sind im Eigentlichen weit weniger zu
täuschen als wir, die wir abgelenkt werden durch alles zu Schauende,
alle „Aufmachung''. Sie erkennen bald in ihrem erhöhten Feinsin
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flas Wesen der Menschen aus deren Händen, ihrem Händedruck
— er sei nie flüchtig, wo er so viel gibt — , al)er vor allen ver-
rät ihnen gar viel deren Stimme mit ihren Unter- und Obertönen.
Auch für die Art des Sprechenden erwächst Überempfmdlichkeit :
Jene, die nur sich selbst hören, kein innerliches Zuhorchen für
andere besitzen, daher aus allem falsche Schlüsse ziehen, sei es
in Gleichgültigkeit oder böser Absicht, oder solche, die in Ent-
zückungsrufe ausbrechen, wenn Schönes zu erblicken ist, unver-
mittelt — ^. ohne die toten, suchenden Augensterne, das wehe Zucken
um den Mund zu gewahren, ohne erschaute Pracht sachte und
willig nahezubringen — , alle solche Art durchschaut niemand
angewiderter, als der in seinem Dunkel nach wohltuenden, har-
monischen Eindrücken heiß Lechzende! Bringt ihm ofmals Kinder
nahe, sie sind heller Sonnenschein für sein Gemüt. Ihr aber leset
jene Dichter, die die Welt des Wunderbaren, in der ihr lebt, er-
kannt haben . . . und schlichte Menschen selbst am Lebenswege
sind oft unerwarteten Verständnisses voll — „tröstet euch, es gibt
noch edle Herzen" !
Bekennt es den Blinden dankbar, wie ihr es von ihnen lernt,
unabgelenkt, tiefer zu sehen durch Schließen der Augen, wenn
Schönes erklingt, ihr es ihnen nachtut in Wald und Flur alle
würzige, lieblich durchduftete Luft tiefer einzuatmen, der Vögel
Gesang, Tirillieren und Rufe in all ihren Abarten zu unterscheiden,
alles „Weben" in der Natur anzustaunen. Man tue es ihm nach,
aber auch dann ■ — man schließe die Augen für eine Weile
— , wenn die Kraft erlahmen will, die Geduld — . laßt es um euch
draußen mitten am hellen Tag oder im trauten Gemach bei Lampen-
schein dunkel werden und ihr taucht empor zum Licht der Er-
kenntnis, was er durch den Tod des Auges verlor und was ihr
zu geben habt — lichtbringende Liebe, endlose Hilfsbereitschaft.
Oh, man bedarf ihrer, denn jenes stete Leiden bringt noch be-
sondere Qualen mit sich: Unsicherheit, Ungewißheit, die sich oft-
mals in Mißtrauen umzusetzen drohen. Das wird die Betroffenen
tief kränken! Es ist, betrachtet man's einsichtsvoll — doch aber
bloß der ganz natürliche Versuch, sich zu vergewissern, eine
Kontrolle auszuüben, die der Sehende tausendfach unbeobachtet
nnd unwillkürlich betätigt, besonders bezüglich jedweder Reinlich-
keit und das Aussehen jeder Speise, jedes Trunkes. Nicht mehr,
nicht weniger gilt's, als — sich in die Lage eines anderen
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versetzen zu können! Am leichtesten isfs, im Geldgebahren
vormalige Gepflogenheit aufrecht zu halten diu-ch gemeinsames
Budgetieren und Verrechnen. Man trage dem Selbständigkeitsdrange
Rechnung! Das kleinere Nickelgeld unterscheidet sich vom Kupfer
durch den gerifften Rand, es ist bald erlernt, da und dort selbst
bezahlen zu können. Alles von Wert, das der Blinde bei sich trägt,
sei wohlverwahrt, ein Taschendiebstahl, dem er leicht ausgesetzt
ist. würde ihn sehr deprimieren: besonders auch, da er an seinen
ihm liebvertrauten Gebrauchsgegenständen lebhaft hängt.
Höchstes — ..blindes Vertrauen haben*', nennt es der Sprach-
brauch. Dessen würdig macht — lautere Wahrhaftigkeit! Erlaubt
sei nur jenes Verschweigen, das der Blindheit Vorteil gewährt,
wie bei so manchem traurigen oder häßlichen Anblick. Gönnt ihnen
das Glück ihrer Lage, das alles, auch das eigene Ich. ewig jung
erscheinen läßt und sich gern alles schön ausmalt. Haltet mit
ihm auf seine Kleidung, durch Feinfühligkeit in den Fingerspitzen
ist er gut in der Lage. Stoffe mitauszuwählen, auch anderer Ge-
wandung und Möbelstoffe sich klarer vorzustellen. Seid — er kann
sich nicht besehen — ein freundlich Spiegelein! Es erhöht sein
Lebensgefühl wesentlich, sich auch äußerlich gehegt und gepflegt
zu wissen. Gerne hat er eine Blume im Knopfloch, deren Duft
ihn begleitet, deren Zartheit ihn entzückt.
Der „Unsicherheit"' werde Abhilfe durch pedantische
Ordnung in der Wohnung, in seinen Schränken, durch genaue An-
ordnung heikler Gegenstände, sei es beim Speisen oder am Wasch-
tische, so daß man ..blind'' nach allem greifen kann. Der zugefügte
Schaden ist. wenn er etwas von Haushaltungsgegenständen zer-
bricht, nichtig gegen den jähen Schreck, den es dem hilflos Tasten-
den bereitet. Da ist rasch die Schuld auf eigene Schultern zu
nehmen, aber ernsthaft darauf zu sehen, daß er sich übe, alles
— auf dem richtigen Orte — richtig zu greifen. Auch beim Speisen
wäre konsequent achtzugeben, daß Beilagen oder dergleichen stets
in gleicher Anordnung zu finden seien, Gabel und Brotlöflfel sind
die besten Behelfe, wenn vorher zerkleinert wurde, der „Hinder-
nisse halber (ein kleiner Beiteller sollte nie fehlen). Man mache
klar, wie Appetitlichkeit angenehm geselligan Verkehr eröffnet und
sichert. Selbstredend sage man vor jeder Speise, was nun kommt,
wie es aussieht und ist es auf Wohlgeschmack bei jeglichem
Trunk und Gericht besonders Gewicht zu legen, da auch hierin
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dir erhöhte Km j) find 1 i chkeit mitspielt und die erhöhte Mög-
lichkeit zu er(| nicken. So ist ihm. als Raucher, der Glimmstengel
ein ganz hervorragendes Labsal ; ein selbst zünden des 'l'aschen-
feuerzeug, Aschenbecher (nicht schale) aus Metall sind hier gute
Behelfe. „Spitzen" ratsam, entzündlicher Augenlieder halber und
weil schutzbietend. Einer kleiner Nachmittagsschlaf ist sehr zu
empfehlen, damit erhöhte Frische gewonnen wird, die neue Lebens-
führung strengt an. spannt ab.
Bewegung außer Haus werden nach Möglichkeit gepflogen.
Oberstes Gesetz muß es sein, den Blinden in garnichts ab-
hängig zu machen, wo es anders angeht, und dieses mit seiner
wachsenden Geschicklichkeit noch stetig zu steigern; Trepp auf
und ab hilft viel das Geländer, der Stock in der rechten Hand
(er habe eine kleine Eisenspitze) hilft zu seiner Orientierung, lehrt,
wenn der Führende stehen bleibt, gar bald, ob es bei Straßen-
übergängen Stufe auf oder ab geht, ,,großer Schritt" warnt bei
Pfützen, bei'unebenen Wegen wird man den sich Einhängenden
geschickt unmerklich lenken. Ist er gewillt, ein dunkles Augenglas
zu tragen, so fällt er niemandem auf. Ein kleines Signalpfeifchen
habe er stets bei sich. Neue Schuhe sind mit grober Feile an der
Sohle rauh zu machen, aus Vorsicht. Leeres Markieren von Ob-
sorge — so manchen Orts beliebt — hier würde sich's sofort
rächen! Das Tastenlehren sei sehr umsichtig besorgt, greift der
Tastende z. B. nur nach der Seiten-, nicht auch Rückenlehne eines
Fauteuils, könnte er in die Luft zu sitzen kommen und fallen.
Mein Vater ist nie gefallen, hat sich nie irgendwie verletzt — , das
wirkt noch heute wundervoll tröstend nach. Und wie geschickt
würde er in allem, noch in so hohen Jahren! Sein Wesen blieb
heiter und geistig rege. Niemand wollte an die „völlige Nacht" um
ihn glauben. „Unabhängigkeit" — immer trug er eine, auf
Druck auch die Viertelstunden angebende Taschenuhr bei sich,
unter Antiquitäten finden sich solche, eigenartig und preiswert (es
gibt Blinde, die die Stellung der Zeiger mit zarten Fingerspitzen
suchen). — Auch im Speisezimmer hatten wir ein schön klingendes
Schlagwerk; so konnte er selbst auf genaues Beachten seiner
Tagereinteilung sehen, wußte bei Schlaflosigkeit die Stunde, auch
wenn ihm der grauende Morgen nichts vom nahenden Tag verriet.
Es tut zu dieser Stunde überhaupt wohl, wenn über positive Mo-
mente positive Auskunft wire, so: Stand des Barometers, Thermo-
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meters vor dem Fenster und im Zimmer, etwas „Kalenderweis-
heit", . . . das gibt am Morgen den Versuch eines leidlichen Über-
ganges von der Nacht zur — ewigen Umnachtung der Augen,
für unsere Ärmsten die schwerste Tageszeit, zu der uns das
morgendlich leuchtende Sonnenlicht, so der Vorhang weicht, am
meisten beseligt. Nähere Bemerkungen, wie es heute draußen aus-
sieht, ob die Sonne schön „warm" scheint, was an Briefen einlief,
würden sich daranknüpfen, die Zeitungsübersicht und, läßt diese
es aufkommen — mal ein geträllertes Liedchen ; .viel ist schon
gewonnen, wenn auch „er" des Morgens etwas vor sich hinsingt
oder summt. Der Sonnenschein in seiner, alle Kreatur labenden
Wärme, flute bei den Türen herein, werde im Freien, soweit es
nur irgend Bedürfnis ist, genossen, in erquickender Luft. Aber
auch das frische Wasser belebt durch einen Morgentrunk,
morgendliche Anregung der Haut, verbunden mit Körper-
bewegung, ganz besonders — unsere Sorgenkinder. Bis zum
80. Lebensjahre blieb es meinem Vater Bedürfnis ; er war durch
zweimaligen Aufenthalt bei Pfarrer Kneipp an freie Atmung
der Haut durch luftdurchlässige Wäsche und recht rigorose
Wasserkuren gewöhrt. In diesem bayrischen Lourdes ist man von
so verschiedenartigen schweren Gebrechen umgeben, die, durch
das Mitgefühl mit den Geschicken anderer — den gütigen viel
Ablenkung vom eigenen bitteren Los finden ließen.
Angehörige und Freunde der im Felde Erblindeten! Die
Eueren werden — es ist nicht auszudenken — Schicksalsge-
nossen ohne Zahl haben, bedrücktere, heiterere, besser
oder minder Betreute. Legt ihre „suchenden" Hände ineinander!
Führt sie zusammen, einander zu beraten, zu helfen. Ge-
legenheit hiefür sollte durch Veranstaltungen erwachsen, die Zer-
streuung bieten. Und Eines wird da unendlich erhebend, ergreifend,
verbrüdernd mitwirken, — daß sie alle für die Tragik der krie-
gerischen Verwicklungen, in die uns habgierige Völker gestürzt,
das hehrste Siegesopfer heldenhaft gebracht haben — das Licht
ihrer Augen! Es erhebe auch Euere großen dargebrachten
Liebesopfer zur Tat fürs Vaterland, eueren Seelen aber ward das
menschlich Höchste beschieden. — durch hingebende Liebe das
grause Geschick entwaffnet zu haben. — Tod, wo ist dein Stachel,
Hölle, wo ist dein Sieg?! . . .
Budidruckerei Englisdi, Purkersdorf bei Wien.
12. Nummer. Zeilschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite K)45.
Der Hund und der Blinde.
Von Direktor S. Heller, Hohe Warte in Wien.
Zwischen dem Blinden und dem Hunde bilden sich Beziehungen
aus, welche dem nachdenklichen Beobachter keinen Zweifel daran lassen,
daß das treue, gelehrige Tier nicht blos instinktiv, sondern bewußt er-
kennt, wie hilflos, wie mannigfachen Fälirlichkeiten preisgegeben, der
Mensch ist. der sich ibm anvertraut.
Nicht allein die vorsichtige, zweckmäßige und sichere Führung
besorgt der Hund, er weiß sich den Eigentündichkeiten, seines Schutz-
befohlenen in einer Weise anzupassen, und korrespondierende Zeichen
auszubilden, die es mehr als wahrscheinlich erscheinen lassen, daß der
Hund mit scharfer Beobachtungsgabe erfaßt, was dem Blinden Bedürf-
nis und Annehmlichkeit, aber auch was seine Ängstlichkeit und Un-
schlüssigkeit zu vermehren geeignet ist.
Wer es erfahren hat. daß der Hund unruhig wird, wenn sein Herr
die gewohnte Tagesordnung autfallend abändert, daß das Tier eine ihm
be(h'ohlich erscheinende Handlung, wie das Betreten einer steilen Treppe
verhindern wall und verhindert, wie es winselnd das einsame Kranken-
lager des Blinden umkreist, an die Stubentür eilt, um Vorübergehende
herbeizurufen, an der Zwischenwand kratzt, um Nebenanwohnende auf
den Zustand seines Herrn aufmerksam zu machen, wie der Hund sich
vor Freude nicht zu fassen vermag, wenn er nach der Genesung des
Blinden wieder zu einem Ausgange herbeigerufen wird, der muß daran
glauben, daß Mitgefühl und Mitleiden das Freundschaftsband gewoben
haben, welches den Hund mit dem lichtberaubten Menschen ver-
einigt.
Interessant und psychologisch merkwürdig ist das Verhältnis des
Hundes zu jenen Personen, welche den Umgang des Blinden bilden,
oder mit welchen dieser auch nur einmal in eine besondere Beziehung
getreten ist.
Den Freund eines Blinden, den der Hund mit allen Zeichen der
Zuneigung zu begrüßen gewohnt war, belauerte er angritfsbereit, seit
der Zeit, da die beiden Männer in einen heftigen Wortwechsel geraten
waren. Einem Schulknaben, der einst dem FJlinden dem diesen entfal-
lenen Stock aufgehoben und in die Hand gedrückt hatte, bewillkommte
das treue Tier bei jeder Begegnung mit allen Zeichen der Freude; mit
einem eigentümlichen, sanften Gebell meldete er dem Blinden das Nahen
und die Anwesenheit des braven Knaben. Wenn dieser dem Hunde das
Fell kraute, leckte das beglückte Tier die Hand des Kindes
zärtlich.
Jahrzehnte sind dahingegangen, seitdem ein Vorfall, der mich
noch als Erinnerung tief bewegt, mir die Anregung gab, die Beziehun-
gen zwischen dem Blinden und dem Hunde zum Gegenstand eingehen-
der Nachforschungen zu machen.
Ein zur Ausbildung aufgenonnnener 8 jähriger blinder Knabe war
in die Anstalt nicht eingetreten in des Wortes eigentlicher Bedeu-
tung, sondern auf den Armen des Vaters in unser Haus getragen
worden. Er hatte bis dahin nicht die Füße gebrauchen gelernt; falsche
Mutterliebe hatte ihn, „damit er sich nicht anschlage" zum Stillsitzen
Seite 1046. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen. 12. Nummer.
gewöhnt. — Nach langem und eifrigen Bemühen war es endlich ge-
lungen, dem Kinde die Bewegungsmöglichkeit zu verleihen und nun
wurde es — wie so oft mit Erfolg — altern Zöglingen überlassen, um
den Zurückgebliebenen als Spielkameraden im Gehen einzuüben und
freudiger Selbständigkeit zuzuführen.
Sooft diese blinden Kinder in den Garten gingen, blieben sie vor
der Hundehütte stehen, riefen sie ihrem Freunde „Cäsar"' und brachten
ihm die Bissen, die sie für ihn aufbewahrt hatten. Mehrere Händchen
streckten sich dem treuen Hüter des Hauses entgegen, aber bald konnte
man bemerken, daß Cäsar die ihm zugedachten Liebesgaben zuerst von
dem zurückgebliebenen Kinde nahm.
Eines Tages drang in meine Studierstube, deren Fenster in den
Garten gingen, das Jauchzen der blinden Kinder und bald darauf das
klägliche Geheul des Hundes. Durch das Fenster spähend erblickte ich
mein Sorgenkind, auf Händen und Füßen hilflos am Boden kauernd;
seine Fürsorger hatten es, von dem Zuruf: „Wir haben ein Nest im
Busch gefunden-' ! angezogen, leichtfertig verlassen. Cäsar sprang aufge-
regt um das Kind herum und schickte seine Hilferufe in den Garten
hinaus. Plötzlich wurde er still, stand, wie überlegend eine Weile da.
dann schob er sich behutsam unter das Kind und hob es mit sanfter
Bewegung allmählich empor, bis es fest auf den Füßen stand. Hierauf
umkreiste er den blinden Knaben bedächtig, als wollte er sicii verge-
wissern, daß ihm kein Leid widerfahren sei.
Wer darf vom Hunde sagen: Was weiß ein solch unvernünftiges Tier ?
Blinde Gemsen.
Von Fritz Müller.
Von Tirol hat eine Krankheit übers Wettersteingebirge gegrilTen.
Keiner kennt sie. Kund ist nur die Wirkung: Die Gemsen wer-
den blind.
Nichts ist sonst scheuer auf der Welt als Gemsen. Nicht einmal
der Hunger zwingt sie. Der treibt wohl das andere Wild im strengen
Winter scharenweise in das Tal zur Futterkrippe, die das königliche?
Forstamt vor dem Dorfe aufgestellt. Da stehen sie in Reihen an ge-
füllten Futterraufen und lassen sich von fremder Neugierhand fast
tätscheln. Des lieben Futters wegen. Die Gemsen aber sind für des
Staates Futterkrippen nicht zu haben. Lieber scharren sie da droben
dürre Sommerblätter als freie Nahrung aus dem Hochlandsschnee. Und
wenn selbst das versagt, um den mageren Körper übern Winter in den
neuen Frühling zu retten, kann eine Gemse auch sterben. Freiheit
über alles.
Das weiß der Jäger. Auch der im grünen Forstamtsrock schlägt
mit der Stimme um, wenn er von Gemsen spricht. Halb achtungsvoll,
halb zärtlich. Ein Jäger, der im Krieg war und trotz der zerschmetter-
ten Schulter jetzt wieder leichten Dienst tut, hat mir von den Gemsen
im Wetterstein erzählt. Auch von der Blindheit, die jetzt über sie ge-
kommen ist.
Neulich sei er auf einem alten Gamsenstand gewesen. Gegenüber
war ein Lieblingsplatz der Gemsen, eine große überhängende Felsen--
12. Nummer. Zeitschrift für das r)stei reichische BlindeiiwcJ en. Seite 1047.
platte. Die sei erst vor kurzem mit der einen Hälfte abgehrociien. Durch
eine Lawine oder einen Bergrutsch., Aiif. einrnp»! jsieht er drüben eine
(iemse kommen. Merkwürdig geht sie, denkter,,gar nicht so, w-;e son.^t.
Der Wind kommt von der Gemse her. Also kann, ihr sonderbar zögeru-
der Gang nicht davon kommen, daß , sie ihn gewittert hätte. Fneilich,
drei Sehritte, wenn sie diese noch tut. dann^._miiß sie ihn sehen.
dann heidi. üo ' -i-
Aber drei Schritte, vier, fünf, immer weiter geht sie, hebt jetzt
gar den Kopf, starrt ihm fest ins Gesicht und reißt docli uicht aus. Wie
sonderbar, das hat er nie bei einer Gemse erlebt.
Auf eimnal wird's ihm klar. Geradeso wie diese Gemse tastel
(h'unten im Dorf der Gemeindeblinde. Ja, und auch die Augen hat sie
so stumpf wie er. Die Krankheit ist es, die trot^' Sperre übern; grauen
Grenzkamm kam und dieses arme Tier gepackt hat. '^
Auch den Jäger packt was, das= ihn; s^onst nicht leicht packt: das
Mitleid. P'ür den Gemeindeblinden sorgt das Dorf. Es nährt ihn. tränkt
ihn, kleidet ihn, Kinder führen ihn geduldig durch die Straß(Mi. Wer
aber führt im schwarzgewordenen ihrer Hochwelt diese arme Gemse V
Da ist es ihm. als müßte er sie führen, statt zu schießen. Kaum merk-
l)ar schiebt sich sein(^ Schulter vor. Ist aber schon genug für eine
Gemse. Sie stutzt. Ihr Auge ist nicht mehr stumpf. Kinen entschlosse-
nen Satz macht sie dahin, wo sie von früher her noch den Teil der
Felsenplatte weiß, der jetzt fort ist, und .springt , ms Leere in den Tod.
Krst nach Sekunden hörte man den Aufschlag aus der Tiefe.
„Entsetzlich!*' sag' ich.
Der Forstgehilfe schweigt. ,.Nicht so entsetzhch wie das andere,"'
sagt er endlich und schweigt wieder.
..Meinen Sie den Krieg, aus dem Sie kommen?
„Nein, eine zweite Gemse, die mir im Dorf begegnet ist."
,.Im Dorf? Sic scherzen? Ins Dorf kommt keine Gemse mit füuf
Sinnen.*'
..Die ich meine, hat nur vier gehal)t. Tref ich neulich rauchend
vor die Tür. Steht zitternd eine Gemse da. Mitten im Dorf, Herr, ganz
bhnd. Aus einem Fenster gegenüber schauen Kinder. Haben in (he
Hände geklatscht: ,.0 je, a Gams, a Gams!*' Schießt che Gemse hinüber
nach der andern Seite. Dort macht ein Schwein: Fi ui, ui ui. Schießt
die Gemse nach vorn, wo einer neben einem Mistwagen hergeht und
mit seiner Peitsche knallt. Schießt die Gemse z-urück. wo eine Dame
aus der Winterfrische ihren Zwicker an einem Stecken hochheljt: Eine
Gemse, nein, wie ich das linde:*' Steht die arme Gemse in ihrer Blind-
von vier Seiten angegrunzt. j)lötzlich totenstill. Dann macht sie einen
fürchterlichen Sprimg. Vor nuMuer Hauswand liegt sie. (lanz zerschmet-
tert ist der Kopf.*'
Wieder ist er eine Weile still. Einen Zug noch macht er aus der
Pfeife: „Herr, manchen hab" ich draußen im Krieg zerschmettert
g'sehn. Mag eine Sund" sein, wenn ich's sag', ist . aber doch so: Hab"
bei keinem weinen können. Bei der Gems vor meiner Mauer aber bah'
ich g'heult. weiß net warum, weiß wirklich net warum. Herr . . .*'
(Roseggers Heimgarten).
Seite 1048. Zeitschrift fUr das österreichische Blindenwesen. 12. Nummer.
Kriegsblindenfürsorge in Ober-Österreich.*
Mit Schluß des Berichtsjahres 1916 hatte die oherösterreichische
Landeskommission einen Stand von 11 ihrer Fürsorge angehörenden
Kriegsblinden zu verzeichnen. Leider hat sich diese Zahl im Laufe des
Jahres 1917 um 6 vermehrt, so daß mit Schluß des gegenvi^ärtigen Be-
richtsjahres 17 Kriegsblinde in der Obsorge der oberösterreichischen
Landeskommission stehen. Von diesen 17 Kriegsblinden nahmen bisher
ö die Obsorge der oberösterreichischen Landeskommis.sion noch nicht
in Anspruch, da sie sich einesteils noch in ärztlicher Behandlung be-
finden, zum anderen Teile aber der landwirtschaftlichen Bevölkerung.s-
schichte angehörend in ihrer Heimat ihr Fortkommen finden und sich
noch zu keinem Berufe entschlossen haben, weshalb, abgesehen von
kleineren Unterstützungen, eine Fürsorgetätigkeit derzeit noch nicht ein-
zusetzen brauchte.
•Das fachmännische Mitglied des Schul- und Arbeitsausschusses,
Hoch würden Herr Konsistorialrat A. Pleninger, Direktor der Privat-
Blindenanstalt in Linz, der auch wieder in dankenswerter Weise den
persönlichen Verkehr mit den Kriegsblinden besorgte ist jedoch unab-
lässig bemüht, auch dieser Kategorie von Kriegsblinden die so wün-
schenswerte Erlernung des Lesens und Schreibens der gebräuchlichsten
Blindendrucke und Schriften nahezulegen.
Die Fürsorge für die übrigen Kriegsblinden erstreckte sich im
laufenden Jahre auf die Beschaffung von Kriegsblindenheimstätten und
deren Ausstattung und hat der Verein „Kriegsblindenheimstätten-' in
Wien für sämtliche in Betracht kommende Kriegsblinde den zum An-
kaufe je einer Heimstätte normierten Betrag von 8000 K reserviert.
Die Mittel für Kriegsblindenfürsorge haben sich von 10.670 K
88 h auf 13,429 K erhöht; letzterer Betrag bildet zusammen mit den pri-
vaten Sammlungsergebnissen der Herren Wimmer und Huster in
Linz (35.993 K 16 h). des Vereines für Fraueninteressen (25.Ö80 K 3ö h)
und der katholischen Frauen-Organisation in Linz (10.30Ö K 08 h) in
der Höhe von rund 71.878 K einen der oberösterreichischen Landes-
konnnission für Kriegsblinde zur Verfügung stehenden Gesamtbelrag von
rund 85.307 K.
Mein Garten.
Von Paul Lang.
Flieder pflanzt in meinen Gartoi,
Flieder. Rosen und Jasmin,
Und der Nelken bunte Arten
Laßt auf seinen Beeten blühn !
Stellt in eine lausch'ge Ecke
Eine Ruhebank hinein.
Daß sie mich der Welt verstecke
Im Gerank von wilden Wein.
*) Jahresbericht der Landeskommission zur Fürsorge für heimkehrende Krieger
in Linz für das Jahr 1917.
12. Nummer. Zeilschrifl ftlr das Österreichische Blindenwesen. Seite 1049.
Und dann laßt mich träumen, träumen
Von dem .stillen Blütenmeer,
An den Büschen, an Bäumen,
Auf den Beeten um mich her!
Ist mir auch der Blick gestorben
Für der Farben stolze Pracht,
Leuchtet sie doch unverdorben
Ihren Trost in meine Nacht.
Wenn mit schwärmerischen Kosen
Blumendüfte mich umziehn,
Seh' ich Flieder, seh' ich Rosen,
Seh' ich Nelken nud Jasmin.
Und ich fühle alle Wonnen
Glückberauschter Maienzeit
Und ich lasse still besonnen
Von der Luft mein tiefes Leid.
Darum ptlanzt in meinen Garten .
Blumen, Blumen allerlei,
Daß an Düften, herben', zarten,
Um mich her kein Mangel sei !
Hus den Hnstalten.
— N. ö. Landesblindenanstalt in Purkersdprf. Kriegerg e-
denkfeiet. Am 1, Dezember veranstaltete der leider viel zu wenig bekannte
Komponist Heinrich S c h ö n y im Festsaale der Anstalt zugunsten von Blinden und
Waisen eine Kriegergedenkfeier, bei der ein von ihm komponiertes Requiem auf-
geführt wurde. Das packende Werk, durchaus im modernem Geiste gehalten, zeigte
namentlich im'Benediktus (für 4 Einzelstimmen und Chor) die bedeutende Begabung
seines Schöpfers. Die würdige Aufführung wurde eingeleitet durch ein stimmungs-
volles Andante aus einem Streich-Quartett Schuberts (Ausführende: M. B ü 11 i k,
H. Heger, H. Schöny und A. Zierfuß), durch einige Schubertlieder von
J. Stadelmaie r wirkungsvoll gesungen, unn einige zeitgemäße Worte des Herrn
O. W a n e c e k. Dem prächtig ergreifenden Requiem wäre das Interesse eines
großen Gesangskörpers zu wünschen, der über hervorragende Solisten verfügt, die
— namentlich in dem großen Tenor-Solo (Tuba mirum) — notwendig sind, um den
Wert des Werkes auszuschöpfen.
flus den Vereinen.
— Zentralverein für das österreichische Blindenwesen.
Hauptversammlung. Die politischen und sozialen Umwälzungen der Gegen-
wart drängen zu raschem Handeln auch auf dem Gebiete der Blindenfürsorge. Um
sich keines Versäumnisses in dieser Hinsicht schuldig zu machen, berief die Leitung
am 14. November 1. J. eine Hauptversammlung ein, auf der die an der
Spitze der Nummer abgedruckten „Grundzüge für die Neugestaltung der Blinden-
bildung und der Blindenfürsorge in Deutschösterreich« zur Beratung und Annahme
gelangten.
Diese Denkschrift wird den neuen Staats- und Landesstellen übermittelt
werden, um dieselben zu einem tatkräftigen Eingreifen zu veranlassen. Um aber
auch dem Willen der allgemeinen Vertretung für das heimische Blindenwesen end-
lich die verdiente Beachtung zu schaffen, wurde nachstehende an die genannten
Behörden gerichtete Resolution gefaßt:
Seite 1050. Zeitschrift für das österreicfiische HlindenweLen. 12. Nummer.
Die im ..Zentral verein für das österreichische Blindenwesen-' zu-
sammengeschlossenen Vertreter der deutschösterreichischen Blinden-
fürsorgeeinriehtungen (Anstalten. Heime und Vereine usw.) und der or-
ganisierten Blinden protestieren dagegen, daß die Angelegenheitten der
Blinden wie bisher von einer einzigen Person vertreten und beeinflußt
werden und dies umsomehr. als der bisherige fachmännische Beirat in
den Staatsämtern (früher k. k. Ministerium) für Unterricht, soziale Für-
sorge und Volksgesiindheit Hofrat Alexander Mel 1 das Vertrauen aller
Organisationen von Blinden und Blindenlehrern im Hinblick auf seine
Haltung und Wirksamkeit niemals jiesessen hat und auch gegenwärtig
nicht genießt.
Sie stellen daher in Form einer ßilte die Forderung, zur Wahr-
nehmung und Wahrung der Interessen der deuiscbösterreichischen
Blindenfürsorge eine ..Staatsstelle für Blindenfürsorge'' deren
Zusammensetzung und Wirksamkeit in den beigegelienen ..Grundzügen
für die Neugestaltung der Bhndenfürsorge in Deulschösterreich" näher
erläutert ist, ohne \'erzug ins Leben treten zu lassen, um die allge-
meine Blindensache in Deutschösterreich vor Schädigung zu hewahrnn.
Die Vereinsleitung bringt Vorstehendes zur Kenntnis aller Vereinsmitglieder
und bittet um tatkräftigste Unterstützung der eingeleiteten Aktion, um endlich ver-
alteten und unwürdigen Zustünden auf unserem Gebiete ein Ende zu machen.
— Blinden heim verein in Melk. Vereinsvorstand: Bürgermei-
ster Notar K. Prinz 1. Jahresbericht 1916, 1917. Die Wirksamkeit des
Blindenheimvereines blieb in den genannten Jahren eingeschränkt: »Die Aufbringung
der notwendigsten Nahrungsmittel und sonstiger Bedarfsartikel für die blinden
Zöglinge war Ursache steter Sorge der Administration und Haushaltungsführung,
darauf mußte vor allem die Aufmerksamkeit gerichtet werdan'
Wenn aach hiebei die intetlektuelle Ausbildung uud die zweckentsprechende
Beschäftigung der Blinden, die Pflege religiöser Übungen etc. nicht vernachlässigt
wurde, sa m-ußte- doch so manches unterbleiben, was in ruhigen Zeiten von den
Blinden und für diese veranstaltet wurde, daher diesbezüglich wenig Stoff zur Be-
richterstattung vorliegen kann.«
Irn Jahre 1916 hatte der Verein den Vei;lust einer edlen Gönnerin der Blin-
densaclie von Frau Elise Linde und des Direktors P. F. Weber zu beklagen.
Beiden Verewigten widmet der Bericht warme W'orte des Dankes und der Er-
inneiung^.^ .: --^ c
^ , In den Jahren 1916 und 1917 waren in dem vom Vereine geführten »Mäd-
clieh-'Blinderiheirai' 25 blinde OTädcben untergebracht, von den leider einige mit Tod
abgingen.
Für unsere Kriegsblinden.
— Sammlungen für Kriegsblinde. Stand Ende November 1. j.
— Neue Freie Presse. 1,326.831 K.
— Neue Freie Presse (Kriegsblindenheimstätten): 4,267.808 K.
- Conrad von Hötzendorf-Stiftung: 320.000 K.
— Reichspost:. 25.000 K.
— Linzer Sammelstellen : 85.000 K.
-- Artur Weisz (Temesvar) 37.000 K.
Herniisgtber; ZentraWereia für das Österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskoinitee: IC. Bürlileu,
J. Kneis, A. t. HorTath, F. Uhl, — Drack ron Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
Verschiedenes.
— Blindenkalender 1918. Auch heuer stellt die Blindenbuch- und No-
tenschablonieranstalt in Wien 14, Ulimannstraße 2 einen Kalender in Massivschrift
her, der einen Tfeil der vergrößerten Jännernummer der österr. Blindenzeitung
bilden wird. Es sind jedoch auch Separatabdrücke zum Preise von 1 K durch die
obige Adresse zu beziehen. Der Kalender enthält christliches und israelitisches Ka-
lendarium und Gedenktage des Blindenwesens.
— Aus der Leipziger Blindendruckerei. Diese Stelle versendet
das erste mit dem »Leipziger Schreib-Satz-Druckgerät« (System Haake) hergestellte
Werk »Vom Kampfe in der Natur.' Es handelt sich um ein Druckverfahren ohne
Metallplatten, das eine nicht zu übertreffende Genauigkeit des Zwischenpunktdruckes
und eine außerordentliche Klarheit und Ebenmäßigkeit der Punkte aufvi^eist. Die
Abzüge werden ohne Gutta-Percha — bzw. ohne Gummiplatten hergestellt. Ohne
Zweifel bringt das neue Schreib-Satz-Druckgerät, das auch eine genaue Korrektur
mittels eines Magneten ermöglicht, eine neue Grundlegung des Prägedruckes. W^
— Schwachsichtigenklassen in der Schweiz. A. Die Delegierten-
versammlung des schweizerischen Zentralvereins für das Blindenwesen, die am 14.
Oktober 1917 in Freiburg tagte, beschäftigte sich mit der Frage der Errichtung
von Spezialklassen für Schwachsichtige. Nach Referaten von Blindenlehrer Gamper,
in Stuttgart und Direktor Altherr, in St. Gallen, und anschließender lebhafter
Diskussion erklärte sie sich grundsätzlich überzeugt von der Notwendigkeit der
neuen Institution und überwies die Angelegenheit zum weiteren Studium einer
Spezialkommission. Gestützt auf die Ergebnisse der Beratung dieses Ausschußes
erklärt die Zentralstelle für das schweizerische Blindenwesen es als höchst wün-
schenswert, für die schwachsichtigen Kinder der Großstädte selbständige Spe-
zialklassen zu errichten und für die schwachsichtigen auf dem Lande den be-
stehenden Blindenanstalten als besondere selbständige Institution Spezial-
klassen für Schwachsichtige anzugliedern. In eine Spezialklasse für
Schwachsichtige gehören nach den Ausführungen der Zentrallstelle für das Schweiz.
Blindenwesen alle geistig normalen Kinder vom 6. bis 14. Altersjahr, bei denen die
korrigierte Sehschärfe des besseren Auges 0,2 nicht erreicht. In diesen Spezial-
klassen, die auf die Dauer nicht mehr als 20 Schüler zählen sollten, haben die
Kinder das gleiciie Lehrziel wie die Normalschüler zu erreichen, nur auf etwas an-
derem Wege und mit andern Mitteln. Als Lehrpläne mußten diejenigen der normalen
Volksschulen zugrunde gelegt werden, dagegen wären besondere Lehrmittel zu erstellen.
Für Lehrkräfte an diesen Spezialklassen für Schwachsichtige wären anatomisch-
physiologische und pathologische Kenntnisse bezüglich des Sehorganes und aus-
reichende heilpädagogische Schulung unerläßlich.
— Eine seltsame Versteigerung. In London wurde dieser Tage eine
Versteigerung verschiedener mehr oder minder interessanter Gegenstände zugunsten
der Schaffung eines Heimes für erblindete Soldaten veranstaltet. Bei dem Verkauf
erzielte ein Spazierstock Lloyd-Georges einen Preis von 120, ein anderer Spa-
zierstock Sir Edward Carsons 70, ein Golfstock Balfours 36, eine Tabakspfeife
Bonar Laws 6 und ein von Asquith unterzeichneter Scheck 56 Pfund Sterling.
Büchersdiau.
— Schutz gegen die Geschlechtskrankheiten. Von Dr, med.
P a n e s c h, Selbstverlag, Wien I. Naglergasse 3.
Die volkstümliche Darstellung, die dies auf reicher Erfahrung beruhende Buch
vor anderen auszeichnet, gestattet jedermann, sich auf dem Gebiete der Geschlechts-
krankheiten rasch zurechtzufinden. Das Buch — vorzüglich für die Hand der
Soldaten geschrieben — vermag aufklärend und vorbeugend zu wirken. Besonders
wird auch auf den ursächlichen Zusammenhang hingewiesen, der zwischen Ge-
schlechtskrankheiten und Erblindung besteht. Es ist diesem Buche die weiteste
Verbreitung zu wünschen.
Zur Beachtung.
Die Generalversammlung des »Zentralvereines für öst. Blindenwesen« am
1. Oktober 1918 hat beschlossen, den Mitgliedsbeitrag sowie den Bezugspreis
der „Zeitschrift" auf jährlich 6 K zu erhöhen. Die p. t. Mitglieder erhalten für
den Mitgliedsbeitrag auch die »Zeitschrift« ohne weitere Leistung zugestellt.
Die Erhöhung erscheint mit Rücksicht auf die Druckkosten der Zeitschrift,
welche sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelten, vollauf gerechtfertigt.
Vollständige Jahrgänge der »Zeitschrift« (1914, 1915, 1916, 1917, 1918) sind
noch in beschränkter Zahl vorhanden und werden zum Preise von 8 K per Jahrgang
abgegeben.
Bürklen Karl: Das Tastlesen der Blindenpunktschrift.
Nebst Beiträgen zur Blindenpsychologie von P. G'rasemann-
Hamburg, L. Cohn-Breslau, W. Steinberg. VII, 93 Seiten
mit 6 Abbildungen im Text und 6 Tafeln.
Leipzig, Barth, 1917 M 5.—
^= ^syl für blinde 3C>nder ==
Wien, XVII., Hernaiser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpflichtigen Alter aus allen österreichi-
schen Kronländern auf. Nähere Ausktinfte durch die Leitung.
Die „Zentpalbibliotheh für Blinde in Osteppeicli",
Wien XVIII, Währinger GUrtel 136,
verleiht ihre Bücher kostenlos an alle Blinden.
Blinden-Unterstützungsverein
„DIE PURKERSDORFER"
Wien V., Nikolsdorfergasse 42.
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der Musikalien-Leihbibliothek. Telephon 10.071.
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Purkersdorf
bei Wien.
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D
D
G
D
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Das Blatt erscheint
monatlidi einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
a
D
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Bezugspreis
ganzjährig mit
Postzustellung
6 Kronen,
Einzelnummer
50 Heller.
D
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n
D
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G
6. Jahrgang.
Wien, Jänner 1919.
1. Nummer.
INHALT: K. Bürklen: Die Kritik meines Buches „Das Tastlesen der Blinden-
Punktschrift. fl. Zierfuß: Über das Merken der Vorzeichen. O. Wanecek:
Das Redit des Blinden auf Rrbeit im sozialen Staat, fl. Butze: Erfahrungen
über die Dr. Herz'sdie Massivschrift. Begriff der Blindheit bei Kriegsbeschä-
digten. Personalnachrichten, fl. Rappawi : Gebt den Blinden, was der Blinden
ist! Aus den Anstalten. Für unsere Kriegsblinden. Verschiedenes. Bücher-
schau. Altes und Neues. (Ankündigungen).
D
B=
=a
D
f Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische 1^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
i] Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 2 K, Zeitungsbeitrag 2 K. 5
□Inn r^[g
Altes und Neues.
Die Abweicliung des Blinden von der geraden Weg-
,richtung.
Nach welcher Seite würde der Blinde auf einem großen ebenen
Platze, auf welchem ihn im Gehen nichts behindert von der geraden
Wegrichtung abweichen? Nach rechts oder nach links?
Es wäre ein interessantes Experiment, welches sich diesbezüglich
mit Blinden veranstalten ließe und würde vielleicht ein ganz überraschendes
Ergebnis liefern. Die Anregung hiezu findet sich in dem Buche Karl
Mays >Am Jenseits,< wo dem Blinden Münedschi die Aufgabe
gestellt wird, nach einem bestimmten Punkte hinzugehen. Die Stelle
lautet folgendermaßen:
»Da stand der Münedschi, mit dem Gesichte nicht etwa ganz
genau dahin, wohin er gehen sollte, sondern ein wenig nach rechts
gerichtet. Warum das? Darum: Wer sich in einem wegelosen Wald
verläuft und immer wieder an die Stelle kommt, von w^elcher er aus-
gegangen ist, der weiß wohl kaum, weshalb sein Weg einen Kreis
bildete. Ganz dasselbe kann einem in der Wüste, in der Prärie,
auf jeder pfadlosen Strecke begegnen, wenn die Sonne nicht scheint
■ oder es keine Sterne gibt und man die Zeichen nicht kennt, aus denen
die Himmelsrichtung zu ersehen ist. Die Kreislinie, welche man
läuft, wird stets nach links gerichtet sein und zwar des-
halb, weil bei den meisten Menschen der Schritt des
rechten Fußes oder Beines ein wenig länger als derjenige
des linken ist. Dadurch wird der Körper mehr und mehr nach links
gedreht, während man doch überzeugt ist, in schnurgerader Richtung
zu gehen. Jeder Westmann, jeder Beduine, jeder mit der Wildnis ver-
traute Mensch weiß ganz gut, wie sehr schwer es ist, auch nur eine
halbe Stunde lang einen genau linealen Weg zurückzulegen, wenn die
natürlichen Richtungszeichen fehlen.
Der Münedschi sollte nach dem ersten Feuer der Beni Khalid
gehen. Er war blind, und konnte es also nicht sehen. Folglich stellte
ich ihn nicht front zum Feuer, sondern ein ganz wenig nach rechts ge-
dreht. Die Folge zeigte dann, daß das ganz richtig gewesen war. Er
behielt diese Stellung die kurze Zeit bei, während welcher ich mit
Halef hinter den Felsen ging, um die beiden Fackel anzuzünden, was
sehr leicht und schnell geschah, weil sie oben ausgefasert waren. Sobald
sie brannten, sprangen wir zu dem Münedschi zurück und gaben sie
ihm mit der Weisung in die Hände, nun gerade vorwärts zu gehen
und sie schräg nach oben, damit kein Funke auf ihn ginge, weit von
sich abzuhalten. Er tat das und setzte sich langsamen Schrittes in
Bewegung.
Zunächst hatte es den Anschein, als ob der Blinde viel zu weit
nach lechts gehen werde.
Aber wie ich gesagt hatte, so geschah es. Die Linie, welche er
ging, neigte sich, als ob unser Wunsch ihm Führer sei, nach und nach
dern uns am nächsten liegenden Feuer der Beduinen zu. Ich hatte also
ganz richtig gerechnet. <
6. Jahrgang. Wien, Jänner 1919. 1. Nummer.
» las
* »Wer sucht, der findet. Ja ! nur der nicht, wer erblindet ^
<R An Orten sucht, wo sich nicht das Gesuchte findet.« ^
^ F. Rückert (Die Weisheit des Brahmanen). ^
Die Kritik meines Buches
„Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift".
Von Direktor K. Bürklen, Purkeisdorf.
Als ich das Ergebnis meiner Versuciie über das Tastlesen der
ÖfTenflichkeit ükergab, führte ich in den ersten Sätzen der Abhandlung
ausdrücklich an, daß ich die vorliegende Arbeit durchaus nicht als voll-
kommen und abgeschlossen, sondern nur als grundlegend für weitere
Forschungen betrachte. Die auf den Experimenten fußenden Folgerungen
legte ich in äußerst vorsichtigen Fassungen nieder nnd vermied es mit
Absicht, mich auf das Gebiet von Vermutungen zu begeben, selbst wo
diese vielleicht durch die Erfahrung zu begründen gewesen wären. Ich
glaube mich also in jeder Weise auf Tatsachen beschränkt zu haben
inid dem unsicheren Gebiete der Spekulation ausgewichen zu sein.
Was konnte ich als Kritik meiner Abhandlung und meiner Be-
mühung erwarten ?
Vor allem das Interesse aller Jener, die rnit dem Tastlesen selbst-
tätig oder im Unterrichte zu tun haben. Die Ersteren konnten mit den
Ergebnissen der Selbstbeobachtung antworten, die Letzteren mit ihrer
pädagogischen Erfahrung. Man konnte meine Versuchsergebnisse mit den
gleichen Methoden nachprüfen oder sie nach neuen Methoden ergänzen
bezw. widerlegen. Sachliche Kritik konnte ich mir nicht anders denken
als so.
Nur zum Teil hat sich diese Voraussetzung erfüllt. Mit besonderem
Danke muß ich die Tatsache an die Spitze stellen, daß meine Abhand-
lung bei den Blinden selbst die beste Aufnahme fand und bereits mehr-
Seite 1056.. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 1. Nummer.
fach Übertracjunoen des Buches in Punktschrift vorliegen. Eine große
Anzalil von Zuschriften drückten mir Dank und im Allgemeinen Be-
stätigung meiner Versuchsergebnisse aus. Die meisten Schreiber erklär-
ten, daß sie erst durch meine Schrift zur Selbstbeobachtung angeregt
wurden und ihre oft entgegengesetzten Anschauungen berichtigt haben.
Namentlich galt dies über die Leseleistungen der beiden Hände. Sonst
brachten jedoch die Bemerkungen der einzelnen Tastleser, so
interessant sie waren, keine neuen Fingerzeige. Dazu ist die Selbstbe-
obachtung eben «zu persönlich und es muß immer wieder darauf ver^
wiesen werden, daß nur der exakte Versuch Aufklärung in das Prol)lem
der Sache bringen kann. Immerhin waren mir die Bemerkungen der
blinden Leser höchst wertvoll und ich habe sie mit Dank und Freude
entgegengenommen, auch wo ich ihnen nicht zustimmen konnte.
Am ausführlichsten befaßte sich Hofrat v. Chlumetzky (Brunn)
mit meiner Abhandlung und legte seine Anschauungen in den ,.Kritischen
Betrachtungen" hiezu („Zeitschrift für das österr. Blindenwesen*' 1918.
Beilage zu Nr. 8) nieder. Den großen Wert der Arbeit hervorhebend,
sind seine Ausführungen als ..blinder Leser" zum größten Teile zustim-
mend. Zum Teil steht er jedoch dem Werte mancher Versuche skeptisch
gegenüber, liefert aber viel Material der Selbstbeobachtung.
Unter den Fachkollegen im Blindenunterricht war die Aufnahme
meiner und der beigedruckten Abhandlungen von Grase mann. Dr.
Cohn und Steinberg weit zurückhaltender. Ich setzte durchaus nicht
mehr voraus, denn ich erwartete, wie schon gesagt, nur sachliche Be-
urteilung und die erfordert doch etwas mehr als einen halbstündigen
Federspaziergang.
Als Erster der Fachleute würdigte Direktor Heller (Wien) die
Schrift einer Besprechung (Zeitschrift für das österr. Blindenwesen 1918,
Nr. 2) und bezeichnet sie darin als einen wertvollen Fortschritt auf dem
Wege von der sentimentalen Beurteilung der Blindheit zur Klarstellung
durch psycho-physikalische Experimente und Beobachtungen. Eine wert-
volle Ergänzung liefert bei der Besprechung Direktor Helle-r selbst
durch seine Ansichten über die innere Auffassung beim Tastlesen, bei
welcher „Erkennungsmarken" eine wesentliche Rolle spielen. Auch an
andere Kapitel schließt Direktor Heller aus seiner reichen Erfahrung
und tiefen Erkenntnis hervorgehende Folgerungen an.
Der Mühe einer Nachprüfung des Versuches über die Leseflüchtig-
keit hat unter Anerkenmmg der Wichtigkeit der Sache sich bisher nur
Kollege G. Hart mann (Neukloster) unterzogen (Blindenfreund 1918.
Nr. 5). Er gelangte zu denselben Verhältniszahlen wie Grasemann
und Bürklen. Entgegen Grasemann zieht er aus den Ergebnissen
des Versuches die Folgerung, daß das Lesen nicht besonders hohe An-
forderungen an die Intelligenz stellt, aber ein hohes Maß von Übung
fordert. Er schließt mit der Aufforderung an die Fachkollegen zur Mit-
arbeit: „Die Arbeiten von Bürklen und Grase mann sind sehr an-
regend und verdienen Dank. Es ist nur zu wünschen, daß recht viele
Nachprüfungen gemacht werden. Sie sind zwar etwas zeitraubend, doch
aber lohnt es sich der Mühe, zumal auch für die Kinder derartige
Übungen nicht ganz ohne Nutzen sind."
1. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1057.
In einem Aufsatze „Neuzeitliches auf dem Gebiete des Blinden-
wesens" (Blindenfreund 1918, Nr. 6) bespricht Herr Direktor Lembcke
(^Neukloster) die Aufsätze von Dr. Cohn und Steinberg und zeigt
durch Geo;enüberstellung von einzelnen Stellen „wie wenig Wert die
Selbstbeobachtung Blinder an sich als Quelle und Vorbedingung für eine
norinensuchende Blindenpsychologie hat.*' Trotzdem schließt er seine
Kritik mit dem Satze: „Vom Standpunkt der Blindenpädagogik steht in
beiden Autoren der mit Vorsicht aufzunehmende Illusionist (Dr. Cohn)
dem gediegenen imd ernsteren Forscher (Steinberg) gegenüber, der
Vertrauen erweckt und verdient." Es kann also doch wenigstens die
Arbeit des Letzteren nicht ohne Wert für Blindenpsychologie und
Blindenpädagogik sein.
Alle bisher angeführten Beurteilungen meiner Abhandlungen über
das Tastlesen waren auch bei gegensätzlichen Anschauungen auf den
Ton gestimmt, daß hier zum erstenmale und nicht ganz ohne Geschick
der Beginn zur Erforschung des Tastlesens gemacht wurde.
Allgemein ablehnend sind die Zeilen gehalten, welche Herr
Schulrat A. Brandstaeter (Danzig) in Nr. 9 des Blindenfreundes im
Anhang an die Erwähnung der „Kritischen Betrachtungen über das Tast-
lesen •' von Hofrat Chlumetzky (Brunn) schreibt. Er sagt da: „Wer
aber die Bedeutung des Buches (von Bürklen) nicht so hoch ein-
schätzt (wie Chlumetzky), wer zweifelnd fragt, welchen W^ert die
angestellten Versuche und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen für
die Wissenschaft und für die Praxis des Blindenunterrichtes haben, der
findet in den „Kritischen Betrachtungen" nicht nur Nahrung für seine
Zweifel, sondern trotz aller das Vorgehen der Verfasser lobenden Worte
die klare Aufforderung, den Wert der Versuche und Untersuchungen
zu leugnen. Jedenfalls ist auch nach dem Erscheinen dieses Heftchens
die Frage, ob das Thema der Herren Bürklen und Grasemann ein
lösbares Problem enthält, und ob dessen Bearbeitung für Wissensch9.ft
und Praxis irgend einen Wert und welchen Wert hat, noch nicht ge-
klärt. Es sei daher nicht versäumt, auch bei Erscheinen der „Kritischen
Betrachtungen" die Blindenlehrer einzuladen, sich mit der in Rede
stehenden Sache eingehender zu befassen."
Darauf muß ich wohl antworten. I.st Herr Schulrat Brandstaeter
geneigt, den Wert meiner Untersuchungen in Abrede zu stellen, so trifft
er damit den Wert der experimentellen Versuche in Wissenschaft und
Pädagogik überhaupt. Dann bin ich wohl nicht berufen, seine Anschau-
ung ändern zu wollen. Nach meiner Überzeugung besteht dieser Wert,
sonst hätte ich mich ja nicht an diese Arbeit gemacht. Vor zu weit
gehenden Folgerungen über den Wert des Experimentes habe ich mich
selbst zu bewahren gewußt. Aber ich sehe, um nur einen Punkt heraus-
zugreifen, z. B. bei der Frage, wie viele Zeichen und Worte in einer
bestimmten Zeit mit den Fingern gelesen werden, keine andere Möglich-
keit der Feststellung als einzig und allein den Versuch.
Für mich steht also der allerdings begrenzte Wert von experi-
mentellen Untersuchungen für Wissenschaft und Praxis der Erziehung
und des Unterrichtes fest. Ob er groß oder gering ist, ist allerdings eine
Frage, die erst entschieden werden muß. Niemand wird sich mehr
darüber freuen als ich, wenn die Blindenlehrer dem Rufe des Herrn
Seite 1058. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 1. Nummer.
Schulrates Brandstaeter folgen und sich mit der Sache eingehender
befassen. Aber dann bitte ich, mit derselben Sacblichkeit und Vorur-
teilslosigkeit, welche ich an meine Arbeit \vandt(\
hl ähnlicher Weise wie Herr Schulrat Hran dst aeter erklärt
Herr Schulrat F. Zech (Danzig) in der ,.Blindenschule" 1918, Nr. 11
und 12, daß abgewartet werden müsse. ,.ob bei solchen Untersuchungen
für die l]lindeii]iädagogik viel herauskommen wird'' und stellt in einem
folgenden Artikel ablehnende Urteile über das Pl\i)erinient in der Sclinlc
und den ex])erimenli(Menden F^ehrer zusammen. Nach si iner Meinuiiü
hat der Blindenlehrer, um seine wissenschaftliche Befähigung iiacli/ii-
weisen, gar nicht nötig, aus dei- Scluilslid»e eine W'erksliitte der experi-
mentellen Psychologie zu machen.
Ich kann auf diese Zeilen nur dasselbe erwidern, was ich bereits
gegenüber Herrn Schulrat Brand st aeter angefühlt habe. Mir fällt es
auch nicld im geringsten ein, ans der Schulstube eine Werkstätte der
experimentellen Psychologie zu nuichen. Meine Ansicht geht nur dahin,
dati der f^lindenlehrer nicht an einer so bedeutungsvollen Sache, wie
es das pädagogische Experiment trolz aller gegenteiligen Ansichten ist.
den ablehnenden Urteilen von Herrn Sehulrat Zech könnte man eben-
soviele günstige gegenüberstellen — kurz vorübergehen, sondern sich
unter Oberleitung eines Forschers nach Kräften an ihrer Lösung beteiligen
soll. Ob dabei viel herauskommt ist eine Frage für sich. Meiner Meinung
nach kommt bei jeder Arbeit doch ..etwas" heraus und selbst ein ne-
gatives Ergel)nis hat den Wert der Erkenntnis.
Herr Schulrat Zech befaßte sich aber doch eingehender mit ein-
zelnen von mir gemachten Versuchen, besonders mit der vo)i mir fest-
gestellten geringen Abnahme der Tastemj)fmdlichkeit beim Tastlesen
und wendet sich dagegen, daß durch solche und ähnliche Experimente
langjährige Beobachtungen und Erfahrungen der Blinden})ädagogen imn
mit einem Male als falsch und unwissenschaftlich hingestellt werden".
Die wahrscheinliche Fehlerquelle vermutet er in der angewandten \'ct-
suchsmethode. Mag er darin vielleicht recht haben, so l)egründet dies
wieder nicht eine allgemeine Abweisung des Versuches überhaupt, son-
dern verlangt die Vornahme neuer Versuche zur endgültigen Klarstellung
der Sache und ich glaube in meiner Abhandlung mit Nachdruck auf
die Notwendigkeit weiterer Versuche und neuer Versuchsmethoden ver-
wiesen zu haben. Mit einem bloßen Hinweis auf „Beobachtung und
Erfahrung" ist trotz aller Beachtung der Empirik kein brauchbares
Resultat zu erlangen, wober'nur daran erinnert wird, daß sich seiner-
zeit ..Beobachtung und Erfahrung" gegen die Einführung der Punktschrift
überhaupt aussprachen. Wer könnte heute noch an diesem Standpunkte
der seinerzeitigen Blindenpädagogen festhalten?
Ebenso zweifelnd steht Herr Schulrat Zech einigen anderen Er-
gebnissen meiner Untersuchungen gegenüber, insonderheit der Reihen-
folge der Lesbarkeit der Tastzeichen. Auch diesbezüglich fragt er wieder:
,.Haben diese Untersuchungen praktische Bedeutung für den Unterricht?
Sollte es einen Blindenlehrer geben, der unter Berufung auf Bürklens
Untersuchungen seine Schüler auch nur zwei oder drei Stunden zum
ununterbrochenen Lesen zwingen wollte? Und sollte ein Fibelschreiber
den Mut haben, nach Bürklens Tasttabelle eine Fibel für Blinde zu
bearbeiten?"
1. Nummer. Zeitschrift tflr das österreichische Blindenwesen. Seite 1059.
Zur or.ston Fraso: Die Tastbarkeit der Punkt.«;chriftzeichen erseheint
Hill- als Metliodiker für den ersten Leseunterricht von der größten
Wichtigkeit und ist in diesem Unterrichte unbedingt zu beachten. Eine
Methodik, welche dies nicht tut, ist nach meiner Anschauung eben keine
Methodik. Mit der gleichen Verwunderung wie diese Erklärung des Herrn
Schulrat Zech nahm ich seinerzeit davon Kenntnis, wie sich Herr
Schulrat Brandstaeter gegen den von den Blindenlehrern De mal
nnd Wanecek aufgstellten Sohreiblehrgang der Punktschrift wendete
und eine solche Aufstellung als überflüssig erklärte.
Zur zweiten Frage: Wann und wo habe ich als Folgerung meiner
Versuche das Verlangen gestellt, daß der Lehrer seine Schüler auch
nur zwei oder drei Stunden zum ununterbrochenen Lesen zwingen soll ?
Nirgends und niemals! Daß ein so langes Lesen möglich ist, geht daraus
hervor, daß wir oft Mühe haben, unsere Zöglinge in der freien Zeit von
einem mehrere Stunden langem Lesen abzuhalten.
Zur dritten Frage : Sie hätte ein so ausgezeichneter und erfahrener
Methodiker wie Herr Schulrat Zech überhaupt nicht stellen sollen.
Die Fibelschreiber für Sehende haben bisher den Mut aufgeltracht. die
Schwierigkeiten der Lesebuchstalien ])ei ihrer Arbeit zu beachten. Soll
dasselbe nicht auch für eine Blindenübel gelten? Mir erscheint es viel
fragwürdiger, wie die bisherigen Fibelschreiber für Blinde den Mut
aufbringen konnten, ohne jede Beachtung der Leseschwierigkeiten der
Piuiktschriftzeichen, mit geringen Abänderungen einfach irgend eine
Volksschulübel für blinde AtiCischützen „zurechtzumachen". Nennt sich
das ,.Methodik'' ? Ich hotTe, es wird sich trotz der Warnung des Herrn
Schuirates Zech ein zukünftiger Fibelbearbeiter finden, welcher bei
seiner Arbeit den Mut aufbringt, das nach meiner Anschauung höchst
wichtige Moment der Leseschwierigkeit der Braillezeichen im ersten
Lesebuch der Blinden nach seiner Bedeutung zu würdigen.
So ungern ich mich in den vorstehenden Zeilen gegen die An-
sichten zweier Fachleute stelle, welche auf eine lange und fruchtreiche
Arbeit auf dem Gebiete des Blindenunterrichtes zurücksehen, kann ich
ilire kritischen Äußerungen aus sachlichen Gründen nicht unerwidert
lassen. Im Übrigen bin ich für jede Kritik dankbar, die der Mitarbeit
an der Sache selbst entlließt.
über das Merken der Vorzeidien.
Von Hauptlehrer Adalbert Zier fuß, Purkersdorf.
Jeder Musiklehrer — nicht nur an Blindenanstalten — wird schon
öfters, vielleicht häulig die Erfahrung gemacht halben, daß Schüler, die
sonst zur vollen Zufriedenheit ihres Lehrers arbeiten, sowohl pr.aktisch
auf dem betrelTenden Instrument als. auch theoretisch in Musik- und
Harmonielehre, fast vollständig versagen, wenn sie rasch die Vor-
zeichen einer Tonart angeben sollen. Nach einigem Zuwarfen trifft's
ja wohl jeder halbwegs vorgeschrittene Schüler, indem er sich's mit
Hilfe des Quintenzirkels (bei Molltonarten mit der drei Halbtöne höher-
liegenden Parallel- (Dur-)tonart) auszählt. Damit sollte man sich aber,
meines Erachtens, doch nicht zufrieden geben bei Leuten, die, wie
unsere Musikschüler, die Musik als Lebensberuf erwählt haben und,
wie innner wieder betont wird, nicht Musikanten sondern Musiker sein
sollen und wollen.
Seile 1060. Zeitschrift für das österreichische Blindenweten. 1. Nummer.
Jeder Musiker — auch der blinde — sollte denn doch imstande
sein, die Vorzeichen einer Tonart mit dersel])en Raschheit und Sicher-
heit anzugeben, wie etwa der Sehende die Farben benennt. Daß dies
möglich ist, haben mir Versuche mit theoretisch äußerst schwachen,
aber sonst ganz braven Klavierschülern gezeigt.
Ich bediente mich dabei eines Vorgehens, das zu meiner Über-
raschung und Verwunderung vielen, darunter sogar ganz namhaf-
ten Berufsmusikern vollständig unbekannt ist. Woher es stammt, kann
ich nicht angeben. Ich hab's von meinem Bruder und glaube nicht
fehl zu gehen, wenn ich sage, daß er unserem gemeinsamen hochver-
ehrten Lehrer, dem leider allzufrüh verstorbenen Wr. Neustädter Pro-
fessor E. W. Chladek, diese Kenntnis verdankt.
Im Folgenden will ich nun die Sache den Musikunterricht trei-
benden Kollegen mitteilen in der Erwartung, daß sie in Zukunft viel-
leicht der eine oder der andere benützt und dadurch sich und seinen
Musikschülern manche Mühe und manchen Arger erspart. Um etwaigen
Einwürfen zuvorzukommen, bemerke ich ausdrücklich, daß das Folgende
nicht etwa an Stelle des Kapitels von den Tonarten und ihren Vor-
zeichen in der Musiklehre treten soll; keineswegs. Es ist nur gedacht
als gewissermaßen mechanisches Hilfsmittel für das Merken der Vor-
zeichen.
Und nun zur Sache!
Drei Regeln sind es, deren häufigere Übung und Anwendung ein
sicheres Merken der Vorzeichen nahezu verbürgen.
1. Wird eine Tonart um einen halben Ton erhöht (oder ernied-
rigt), so vermehren (vermindern) sich die Vorzeichen um 7.
2. Die Vorzeichen enharmonisch verwechselter Tonarten ergänzen
einander auf 12.
3. Eine Molltonart hat stets um drei Erhöhungen weniger (um
drei Erniedrigungen mehr) als die gleichnamige Durtonart.
Um dem Schüler die erste Regel recht anschaulich und deutlich
zu machen, zeichnete ich ihm (es war ein Schüler mit bedeutenden
Sehresten) die Tonarten in der Weise der ,.Zahlenreihe" auf ein Blatt
Papier. ^^^ ^^^ as es b f c g d a e h fis
I 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 \ 1
654321 0 1234 5 6
Bei den Tonarten mit wenigen Vorzeichen kann der Schüler wohl
leicht ausrechnen, bezw. auszählen: G = 0, eis = 7 ;; g = 1 ;, gis = 8 ;.
Reicht beim Auszählen die Reihe nicht aus, z. B. wenn wir A-dur oder
E-dur um einen halben Ton erhöhen sollen, so kann man fis gleich ges
setzen und von links weiterzählen, wobei man natürlich auf die einen
halben Ton höher gelegenen (aber enharmonisch verwechselten) Tonarten
Be-dur und F-dur kommt. Bequemer ist es aber, hier gleich Regel 2
zu benützen, wobei man direkt die Vorzeichen der um einen halben
Ton höheren Tonart erhält. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen.
- A-dur hat 3 j; die um einen halben Ton höhere Tonart B«-dur muß
um 7: mehr, also 10:; haben: nach Regel 2 auf 12 ergänzt, ergibt
sich 2, natürlich jetzt nicht ; sondern ^; Be-dur hat also 2 ? vorgezeich-
net. — D-dur hat 2^; bei der um einen Halbton höheren Tonart Es-dur
1. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1061
kommen 7; dazu, gibt 9:; auf 12 ergänzt, gibt 3, natürlich wieder
niclit mehr ; sondern -.: P^s-dur hat also 3? vorgezeichnet, e-moil hat
1 ;: die um einen Halbton höhere Tonart f-nioll hat um 7 j mehr, gibt
S ;; ergänzt auf 12, ergeben sich für f-moli 4 9.
Dies läßt sich je nach Zeit und Stufe des Schülers beliebig fort-
setzen. Cis-dur hat 7, Cisis-dur 14, Ci.s,isis-dur 21 ; u. s. w. ; Ces-dur hat
7. Geses-dur 14, Ceseses-dur 21 y u. s. w. Bei jedem Halbton Erhöhung
(bezw. P>niedrigung) vermehren sich die : (bezw. 7) um 7.
Wollen wir also Es-dur von C aus benennen, so heißt es Cisisis-dur;
dies muß nach Regel 1 3X7 = 21; haben; enharmonisch ergänzt auf
die nächste Zwölferzahl (24) gibt 3; Es-dur hat also 3 ■>. — Was für
Vorzeichen nuiß ein in C-dur geschriebener Tonsatz haben, damit er
in G-dur erklingt? a) G-dur ist um 7 Halbtöne höher als G-dur, hat
also 7 X 7 = 49 ; ; die vorhergehende Zwölferzahl 48 weggelassen, ergibt
1 ;, was ja auch wirklich G-dur entspricht : b) G-dur ist um 5 Halbtöne
tiefer als G-dur, muß also 5X7 = 35 •> haben: anf die nächste Zwölfer-
zahl 36 ergänzt, ergibt wieder 1 ;, also dasselbe wie unter a).
Es ist wohl selbstverständlich, daß solche Beispiele keinerlei prak-
tische Bedeutung haben: sie sollen nur zeigen, daß obige Regeln, richtig
angewendet, innuer. auch bei den unmöglichslen Tonarten, ein richtiges
Ergebnis liefern.
Die 3. Regel dürfte so ziendich verständlich sein. Doch will ich
der Sicherheit halber einige Bemerkungen dazu machen. H-dur = 5 ;.
h-moll = 2 ;; Gis-dur = 7 ;, cis-moll = 4 j; Be-dur = 2 7, be-moll = 5 r- ;
lils-dur = 3 ^7, es-moll = 9 ;; solche Fälle sind ohneweiters klar. Was
ist's aber mit G- and D-dur? Da hilft uns am besten wieder folgende
Zeichnung, die sowohl in Schwarz- als auch in Punktdruck ausgeführt
werden kann.
6 ö + 3 2 1 0 12 3 4 5 6
I— I— I— l-H— I— I— I— I— I— I— I— I
Die Zittern reclits bedeuten wie früher ;, die Zitfern links bedeu-
ten '. Man braucht von einer Dur-Tonart, deren Zahl der Vorzeichen ihr
die Stelle in obiger Reihe anweist, nur innner um 3 Punkte nach links
zu gehen*, so gibt die gefundene Zilfer die Zahl der Vorzeichen der gleich-
namigen Moll-Tonart an, wobei, wie schon bemerkt, die Zitfern rechts ?,
die links von 0 ':> bedeuten. Kommt man bei diesem Auszählen über die
Reilie hinaus, so nimmt man wieder nach der 2. Regel die enharmonische
Verwechslung vor. Z. 15. Des-dur hat 5 ^, des-moU folglich 8 ^ was aber
praktisch nicht ül)lich ist. Wir ergänzen wieder auf 12, ergibt 4, natür-
lich nicht \ sondern ;; cis-moll hat wirklich 4 ;. Dasselbe Ergebnis
hätten wir erhalten, wenn wir gleich von G ausgegangen wären : G = 0,
Gis-dur 7 ;. cis-moll i ;.
Ich bin am Ende meiner Ausführungen. Die Anwendung und öftere
Übung obiger 3 Regeln wird nicht nur unseren Musikschülern das
xMerken, bezw. Selbstlhiden der Vorzeichen wesentlich erleichtern sondern
auch, wie ich zuversichtlich hoffe, manchem Musikunterricht erteilenden
Kollegen einige Freude bereiten.
*) Ein Hinweis auf die Rechauiigen mit Wärme- und ICältegraden wird hier
angebracht sein.
Seite 1062. Zeitschrift das für österreichische BUndenwesen. 1. Nummer.
Das Redit des Blinden auf Arbeit im sozialen Staat.
Von Blindenlehrer Ottokar Wanecek, Purkersdorf.
Die tiefpflügenden, bis an die Wurzel greifenden Umgestaltungen
der Jetztzeit machen auch die Blinden zu einem ..Politikum" in dem
Sinne, daß der sozial sanierte Staat auch zu ihnen in ein neues Ver-
hältnis treten muß. Namentlich der blinde Arbeiter wird Gegenstand
ernster Erwägungen werden müssen, da ja die Sozialisierung eines
Staatswesens zu einem großen Teil mit der Lösung der Arbeiterfrage
zusammenfällt.
Der Arbeitspolitiker des Staates älteren Stils mußte vor der Tat-
sache des drückenden Lohnkampfes und der Arbeitslosenhättfiing be-
strebt sein, jede fernzuhaltende Konkurrenz auszuschalten. Daher tlie
Stellung der genossenschaftlichen Lrwerbsverbände wie der Sozial-
demokratie gegen den blinden Arbeiter, dem noch dazu das Mitleid mit
seinem Gebrechen ein gewaltiges Plus in seinem Kampfe um's tägliche
Brot sein konnte. Folgerichtig verlangte die Sozialdemokratie vom
Staate, daß er diese unschuldigen Opfer der Gesellschaft erhalte, dem
Ringenden im Leben aber diese, wenn auch kleine Fessel abnebme.
Soviel dazu von Seite der blinden Arbeiter eingewendet werden komife.
dem sehenden Arbeiter konnte diese Fordertmg berechtigt erscheinen.
Wie die sozialdemokratische Staatspolitik, der veränderten Sach-
lage folgend, begann, leitenden Anteil an den Kegieritngen zu nehmen,
so wäre es auch denkbar, daß sie in der Frage der Blindenarbeit.
ebenfalls der veränderten Sachlage folgend, andere Grundlegungen an-
nimmt. Da ja der soziale Staat die beste Bürgschaft sein muß dafür,
daß das Arbeitslosenelend und der würgende Konkurrenzkampf wegfällt.
kann der sehende Arbeiter im Blinden keine Henmiung seiner Leljens-
forderungen sehen.
Die Sache hat aber noch eine zweite Seite, die etblsche Autfas-
siing von der Pflicht gegen den Blinden. Denn im weitesten Sinne sind
ja alle oder wenigstens die meisten Blinden Fluchfrüchte sozialer
Übelstände. Der Gedanke, daß die Gesellschaft, die Blinde werden ließ,
auch für sie zu sorgen hat. erscheint so ganz einleuchtend. Und doch
hinkt er. Denn er vergißt des Blinden selbst, der. Mensch wie alle, seine
Sehnsucht nach Arbeit imd Tätigkeit trägt. Würde er in den Stand
des (lenießens gesetzt, dann würde der soziale Staat an ihm ein Un-
recht begehen. Denn alle sozialen Forderungen, jegliche Sicherstellung
der materiellen Existenz des Staatsbürgers sind ja in letzter Hinsicht
nur Vorbedingungen. Das letzte Ziel alles Sozialismus ist. die Menschen
zu einem inneren Glück zu führen. Das aber flndet auch der Blinde
nur im Bewußtsein eigener, der Allgemeinheit dienender Leistungen im
Bewußtsein des selbstgestalteten Lebens. Darum i.st und bleibt dem
Blinden die Arbeit notwendig. Und daraus folgt, daß ihm der soziale
Staat das Recht auf Arbeit einräumen muß.
Die ganze Frage hat darin eine Komplikation gefunden, daß die
an sich billige Forderung, die Opfer der Staatspolitik vom Staate voll
und ganz versorgen zu lassen, heute mit der ungeheuren Zahl der
Kriegsinvaliden schon nach der materiellen Seite hin kaum durchzu-
führen sein wird. Es wäre ja auch eine beispiellose Verschwendung
l. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1063.
an Arbeitskraft, diese uiizäliligea Teilkräfte brach liegen zu lassen.
Werden aber die Kriegsinvaliden herangezogen, dann dürfen ancii die
Blinden in ihrem Arbeitsrecht nicht verkürzt werden.
Es wäre denkbar, daß sich der soziale Staat der blinden Arbeiter
insofern annimmt, daß er .sie ähnlich wie die Kriegsinvaliden teilweise
unterstützt, den Rest ihres Lebensunterhaltes aber aus ihrer Kraft
schöpfen läßt. Damit fiele für den blinden Arbeiter die Notwendigkeil
oder der Vorwand weg, in seinem P>werbsleben sein Gebrechen als
betonendes Element hervortreten zulassen, damit aber müßten die He-
denken der sehenden Arbeiter gegen ihre blinden Werkbrüder wegfallen.
So erwächst der staatlichen Arbeiterfürsorge im sozialen Gemein-
wesen eine wichtige, beide Teile, sehende wie blinde Arbeiter, befrie-
gende Lösung der Blindenarbeiterfrage. Und der blinde Handwerker
mag getrost in die Zukunft blicken: Der soziale Staat wird ihm geben
können, was er braucht: Arbeit und Fürsorge.
Erfahrungen über die Dr. Herz'sche Massivschrift.
Wenn in den heutigen schweren Zeitverhällnissen die Technik
und Industrie eine vorteilliafte Neuerung zur Welt bringen und ihr Er-
linder ist von ihrer Lebensfähigkeit und Brauchbarkeit überzeugt, so
ist damit lange noch nicht praktisch nachgewiesen, daß des Erfinders
sinnreiches Werk auch hält, was es der überraschten Menschheit ver-
spricht: praktisch, billig und zeitsparend zu sein.
Der jetzige hohe Aufwand an Kriegsrohstotlen, der die Bereitschaft
und KamptTähigkeit unserer tapferen Heere gewährleisten muß, entzieht
jedem erfinderischen Geist in geradezu empfindsamer Weise din-ch die
stetig steigenden Kriegslieferungen dasjenige Material, was ihm zum
Ausl)au und zur. Vervollkommnung seines idealen Gedanken als not-
wendig erscheint und macht ihn nur dadurch zu einem mißmutigen und
verzweiflungsvollen I^eschimpfer der häßlichen Kriegsverhältnisse. Seine
großen Hottnungen bleiben für diese Zeit unerfüllt und er nniß sein
geistiges Werk in den Schalen, in denen es geboren wurde, für eine
zukünftige l)essere Zeit schlummern lassen. Mit solchen Schwierigkeiten
mußte auch der Erfinder der Massivschrift, Herr Dr. M. Herzj Privat-
dozent für Herzkrankheiten an der Universität zu Wien, rechnen, als
er seine gute Idee der Ött'entlichkeit bekaimtgab und bald darauf den
Blinden Österreich-Ungarns in Giestalt und Form einer ,.Österreichischen
Blindenzeitung" praktisch zeigte. Das war in den ersten Monaten dieses
Jahres. Seit dieser Zeit sind vom k. u. k. Verein „Die Technik für die
Kriegsinvaliden*', Wien, der das neuartige Verfahren zum V^ervielfältigen
der Punktschrift und damit die Massivschrift auszubauen und zu ver-
bessern übernonmien hat, schon recht gute Erfolge mit diesem V^erfahren
gemacht worden. Aber auch hierl)ei hat das technische N^ersuchsamt des
genannten österr. \'ereines mit den großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten
bei regelmäßiger Beschaffung des Kaolins (weiße Tonmasse, woraus die
harten und glatten Punkte schal)loniert werden), zu kämpfen und war
eines Tages genötigt, zu einem Behelfsmittel zu greifen, weil das Kaolin
von der österreichischen Heeresverwaltung beschlagnahmt worden war.
Seite 1064. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 1. Nummer.
Mit diesem Hilfsmittel iimßten erst Erfahrungen gemacht Averden. wes-
halb entschuldbar ist. daß die Mai- und Juninummer der ..Österreichi-
schen Blindenzeitung" mit ihren massiven Punkten nicht einwandfrei
ausgefallen waren. In diesen Nummern lösten sich beim Lesen der
Schrift die Punkte und man mußte nach wenigen Zeilen erst stets die
vordere Fingerfläche von den anhaftenden Punkten reinigen, was sich
leider durch diese Nummern, vornehmlich aber der Mainummer, wieder-
holte. Schon durch den Versand, anscheinend aber auch schon durch
das Längsbrechen der Zeitungen für den Postversand, hatten sich zahl-
reiche Punkte gelöst, deren Felilen das Lesen recht erschwerte. Mitunter
waren auch die Punkte gewiß durch die schablonenmäßige Herstellung
sehr niedrig, so daß man große Schwierigkeiten hatte die zu flachen
Schriftzeichen zu entzilTern. Es ist aber auch vorgekoinmen, daß die
Punkte wieder zu hoch und zu spi'tz waren und übertrieben stark er-
schienen und sich zum Lesen ebenfalls nicht eigneten. Dagegen sind
die Punkte in der Juli- und Augustnummer recht gut ausgefallen und
mit Vergnügen und Freude überfliegt man die Zeilen.
Der Gedanke, die massiven F^nikte auf ein weniger starkes Papier
aufzuschablonieren, nuißte bald fallen gelassen werden, weil die prak-
tische Erfahrung ergab, daß einmal beim Lesen auf dünnem Papier die
Punkte der Gegenseite mitzufühlen waren und zum andern, um diesen
Übelstand abzuhelfen, das einzelne Blatt auf eine weiche Unterlage
gelegt werden mußte. Dadurch ist man gezwungen gewesen, von der
dünnen auf eine stärkere Papiersorte überzugehen und verwendet jetzt
ein Papier, das das Lesen der massiven Punkte ohne Störung und ohne
eine weiche Unterlage gestattet.
Hin und wieder kam manchmal noch ein ungleichmäßiger Punkt-
druck vor, auch wurde eine Zeitlang gegen die Regeln der Kurzschrift
verstoßen, doch wird die Schriftleitung der ,.Ö.sterreichischen Blinden-
zeitung-' und ,.Die Blindenschrift- und Blindennotenvervielfältigungsan-
stalt", der das Scluiblonieren dieser Zeitung übertragen wurde, ernstlich
bestrebt sein, alle die vorgenannten noch vorhandenen Mängel in Schrift
und Ausführung der Zeitung unter Berücksichtigung der jetzigen
schwierigen Verhältnisse baldigst abzustellen.
Wir wollen darum alle, für die die neue Schrift geschaffen worden
ist, nicht ermüden. Erfahrungen zu sannneln. wie sich die Massivschrift
in der Praxis bewährt und ob sie unseren Hoffnungen auf eine Tages-
zeitung in Blindenschrift gerecht zu werden vermag.
Ich kann einen ständigen Bezug der ,.Österreichischen Blinden-
zeitung-' nur wärmstens empfehlen, denn ihr Inhalt ist wissenswert,
unterhaltend und belehrend und gibt in jeder Nummer in Vollschrift
einen klaren Überblick der letzten Kriegsereignisse. Die Zeitung wird
von dem I. österr. Blindenverein in Wien. Florianigasse, herausgegeben.
Ihr jährlicher postfreier Bezug beträgt nur 6 Kronen, welche geringe
Ausgabe jeder lesende Blinde trotz der jetzigen verteuerten Zeit ver-
schmerzen kann. Dafür wird ihm aber auch etwas Neues und Inhalt-
reiches geboten.
Max Albert Butze.
1. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite J065.
Begriff der Blindheit bei Kriegsbesdiädigten.
Universitätsprofessor Dr. J. Deyl in Prag erklärt sich" in seinem
Aufsatz über den Begrilf der Blindheit in der Fachschrift „Deyluv
Obzor" 1918 Nr. 6, mit dem in dem vorjährigen Berichte erwähnten
Grenze der Herabsetzung der Sehschärfe bei Kriegsblinden für die Be-
urteilung des Vorhandenseins der sozialen Blindheit nicht einverstanden
und faßt seine Ausführungen wie folgt zusammen :
1. Das bisherige Maß für die Prüfung der praktischen oder sozialen
Blindheit, d. h. die Zählung der Finger auf die Entfernung von 1 m an
gegen einen dunklen Hintergrund ist, insbesondere, wenn dieselben be-
leuchtet sind und bewegt werden, wobei der Untersuchte mit dem
Rücken gegen das Fenster gekehrt ist (nicht geblendet ist) zu niedrig
und bei Soldaten, die sozusagen das Teuerste, das sie besaßen, ihrer
Bürgerpflicht zum Opfer gebracht haben — ungerecht.
2. Diese Grenze 'ist mindestens auf die Zählung der Finger auf
2 1/2 bis 3 m zu erhöhen, wobei :
a) das Gesichtsfeld nicht bedeutender eingeengt sein darf (es darf
z. B. nicht auf 10 bis lö « eingeengt sein:
b) es darf auch, wenn die Finger auf 2 1/., bis 8 m gesehen
werden, keine Vernarbung, keine Verkürzung, keine Verletzung der Augen-
lider, der Bindehaut, der Tränenorgane bestehen, keine Narben und wieder-
holten Entzündungen der Hornhaut und keine beweglichen Fremdkörper
am Glaskörper, Nachtblindheit, weil diese Mängel eine Nichtblinden-
arbeit fast unmöglich machen.
3. Sind diese Komplikationen bei Herabsetzung der Sehschärfe
auf 2 Y2 l^'-^ '^ in bleibend, so ist der Betrotfene für sozialblind zu
halten.
4. Diese Grundsätze sind auch auf die Frauen auszudehnen, falls
sie zu Kriegsdienstleistungen zugezogen oder einberufen worden sind.
Professor Dr. S i 1 e X in Berlin beantwortet die Frage; ,,In welcher
Lage muß sich ein Kriegsbeschädigter befinden, damit ihm gerechter
Weise die Mitgliedschaft der Kriegsblindenstiftung zuteil wird?" durch
Aufstellung folgender Gruppen:
1. Verletzte, die keinen Lichtschein mehr wahrnehmen, das sind
die Stockblinden;
2. Verletzte, die nur hell und dunkel und Handbegungen unter-
scheiden ;
3. Verletzte, die Sehschärfe — '/30 (Fingerzählen 2 m) und weni-
ger haben, gleichgiltig ob das Gesichtsfeld frei oder beschränkt ist:
4. Verletzte mit Sehschärfe von ^/^o herauf bis Y20 l^t'i geschä-
digtem Gesichtsfeld.
Diese vier Gruppen gelten für uns, die wir das Praktische im
Auge haben, als unzweifelhaft blind.
5. Verletzte mit Sehschärfe von Vso herauf bis 1/20 ''<'' freiem
Gesichtsfeld stellen Grenzfälle dar. bei denen wir uns nach Nebenum-
ständen umsehen, z. B. ob das Resultat mittels eines Starglases oder
mit freiem Auge erreicht wird, ob Nachtblindheit besteht usw. Bei Ab-
wesenheit solcher Komplikationen sind wir geneigt, sie den Gruppen
1 — 4 zuzuordnen.
Seite 1066. Zeitschrift für das österreicliische Blindenwesen. 1. Nummer.
0. Wer exakte Sehschärfe von V^o iinfl etwas mehr hat hei in-
taklein Gesichtsfekle ist m. E. nicht mehr aLs- Ijünd zu ])ezeiclinen. Wir
möchten vorschlagen, ihn in den Listen als „schwergeschädigt*' zu führen,
und empfehlen, daß ihm vorderhand (Üeselhen Benefizien wie den
Blinden gewährt werden, denn auch für die hat nach den .Statuten die
Kriegshlindenstiftung Geld zur Verfügung. Die Darhietung der Mittel
in gleicher Höhe wie hei den Blinden stellt eine gewisse Ungerechtig-
keit dar, die später ausgeglichen werden muß. weil es jedem einleuch-
ten dürfte, daß z. B. ein Stockblhider in hezug auf Führung, Wartung
Verdienst usw. im allgemeinen schlechter dasteht, als die Geschädigten
der Gruppe ,.6.''
Personalnachrichten.
— Fachlehrer Ferdinand Groß f. Die beiden Linzer Bhnden-
anstalten haben kurz vor Jahresschluß noch einen herben Verlust er-
litten. Am 20. Dezember 1918 verschied nach kaum dreitägigem Herz-
leiden doch wohlvorbereitet durch den Empfang der hl. Sterl)esakra-
mente um 9 Uhr aljcnds im Krankenhause der barmherzigen Brüder
in Linz Herr Ferdinand Groß, pensionierter Fachlehrer an der Prival-
Blindenlehranstalt daselbst.
Da der nunmehr Heimgegangene in den Kreisen der blinden wie
sehenden Fachleute überhaupt, so aber den vielen Besuchern aus 'Nah
und Ferne der Linzer Schwesteranstalten besonders beliebt und bekannt
war, mögen diese Zeilen Allen unseren lieben Herrn Groß nochmals
in dankbare pietätsvolle Eriiuierung zurückrufen, (^eboren am 26. März
1847 als Sohn des noch jetzt bestens bekannten Lhnnachers und Gold-
und Sinierwarenhändlers Ferdinand Groß in Wien, VII., Burggasse er-
blindete er leider bald durch Fraisen. Mit 8 Jahren kam der geistig
geweckte und körperlich gesunde Knabe in das k. k. Blindenerziehungs-
institut in Wien. Vom 1. Mai 1855 l)is 80. Septemljer 1864 war er
unter der treftlichen Leitung des bekannten Ty])hlo])ädagogen Matthias
Pablasek einer der strebsamsten und besten Schüler dieser Anstalt.
x\uf Anregung seines' wohlwollenden Direkiors, def die pädagogischen
Talente seines Musterschülers richtig erkannte, widmete er sich dem
Lehrfache für Blindenunterricht und liesuchte vom 1. Oktober 1864 bis
Ende September 1867 dasselbst den Blindenlehrer-Bildungskurs, den et
mit gleich sehr guten Erfolg wie seine frühere liildungszeit vollendete.
Sein" Austrittszeugnis vom 6. August 1867 weist lauter Noten erster
Stufe in den zahlreichen literarischen, musikalischen (Gesang, Harmonie-
lehre. Violine, Klavier und Orgel) und technischen Gegenständen (Si)in-
nen und Korbtlechten) auf.
Sofort erhielt er ein Lehrerslipendium und wirkte als junger
Elementarlehrer an seiner Bildungsanstalt fast 6 Jahre lang.
~ Am 1. Mai 1873 berief hochw. Herr Direktor Josef Leeb den
eifrigen Stipendisten als Nachfolger des verstorbenen besonders wegen
seines Rechentalentes bekannten Fachlehrers Daniel Heider an die
Blindenanstalt in Linz.
Nur ungern sah Pablasek seinen treuen, musterhaften Mitarl)eiter
scheiden, freute sich aber in echt selbstloser Weise mit Recht darüber,
daß Groß als einer der wenigen Blinden dazumal einen Posten als
selbständiger Blindenlehrer antreten durfte und konnte.
1. Nummer.
Zeitschrift für das österreichischt- Blindenwesen.
Seite 1067.
Jesus' heilt den Blinden.
Dab Bild, welches den Altar der Versorgungs- und Beschäftigungsenstalt für
erwachsene Blinde in F.inz a. D. schmückt, stellt sich uns nicht nur als vornehmes
Kunstwerk guter alter Schule dar, sondern erscheint uns besonders beachtenswert
durch die Gestalt des Blinden, in dem wir den am Linzer Blindeninstitut wirken-
den und nunmehr verewigten Blindenlehrer ¥. Groß erkennen. (Siehe den Nachruf
bei den Personalnachrichlen).
An dem lieben alten Freunde ist nun Gottes Wort doppelt wahr geworden!
»Über den Sternen da schwindet die Täuschung,
Da siehst du alles enträtselt, enthüllt;
Was du erwartet, des Himmels Verheißung,
Dort wird es herrlich und ewig erfüllt. <
Seite 1068. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 1. Nummer.
Im Verwendung.szeu.unisse gab er dem Scheidenden folgende ehrende
Worte mit: Herr Ferdinand Groß hat. unterstützt von einem hei seiner
Erblindung ihm gel)lie])enen nicht unbedeutenden Lichtschein, im
Schul- und Musikunterricht mit ausgezeichnetem Erfolg bisher an dem
k. k. Rlindenerziehungsinslitute in Wien gewirkt, sodaß ihm als F'ädagogen
und Lehrer für Blinde das empfehlendste Zeugnis gegeben werden kann.
Gleiches kann auch von seiner Sittlichkeit und Religiosität, seiner Streb-
samkeit und seinem Pflichteifer, sowie von seiner liebe- und taktvollen
Behandlung der blinden Kinder gesagt werden."
In dieser Stellung in Linz wirkte nun Groß an der Seite der
4 Direktoren L e e b, H e 1 1 e t s g r u b e r, Ludwig und P I e n i n g e r durch
volle 40 Jahre in eifrigster Weise. Im Jahre 1875 vermählte er sich
mit der Lehrerin Frl. Klementine Gärtner, die bis zu ihrem Tode am
7. Jänner 1899 als treue Gattin nnd Mutter Freud und Leid mit ihm in
edler Weise teilte. Von seinen 8 .Kindern überlebten ihn sein Sohn
Rechtsanwalt Dr. Ferdinand Groß in Perg, Ober-Österr. und Henriette
Bayr, Zollrevidentensgattin in Sombach, Bayern, die in liebevollster
Art an dem geschätzten Vater hingen. In gleicher Form war auch das
innige Verhältnis mit seinen noch lebenden 2 Schwestern Fanny Marlott
und Fräulein Helene Groß in Wien.
Seine Lehrtätigkeit im allgemeinen wie besonders auch in der
musikalischen Ausbildung der Blinden, sein werktätiger liebevoller Dienst-
eifer und treue Mitarbeit mit seinen Vorgesetzten und Kollegen wurden
auch vielfach nach Verdienst und Gebühr anerkannt. Anläßlich der
25jährigen Lehrtätigkeit an der Linzer Fachanstalt drückte ihm das
bischöfliche Ordinariat in Linz „für das ebenso eifrige als ersprießliche
Wirken als Lehrer, der stets treu auf Seite seines Direktors stand und
überall die Interessen der Anstalt wahrgenommen und warm vertreten
hat, den Dank und die volle Anerkennung aus*'.
Aus ebendiesem Anlasse verlieh Seine k u. k. apostolische Majestät
Kaiser Franz Josef I. dem Jubilare mit Allerhöchster Entschließung vom
19. April 1898 das silberne Verdienstkreuz mit der Krone, das ihm
unter allgemeiner freudiger Anteilnahme seiner sehenden und blinden
Freunde in feierlicher Weise überreicht wurde.
Bei seinem Übertritt in den wohlverdienten Ruhestand mit Schul-
schluß 1913 drückte der k. k. Landesschulrat von Österreich ober der
Enns dem Scheidenden ,.für seine fast 46jährige, sehr ersprießliche
Tätigkeit auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichtes blinder
Schulkinder die vollste Anerkennung und den Dank aus".
In den Kreisen der Fachmänner war Herr Groß durch seine
reichen Kenntnisse und seinen liebenswürdigen, stets heiteren Umgang
allseits gerne gesehen. Stets war er auf seine Fortbildung bedacht, las
selbst sehr viel, wie seine Bücherei zeigte, die er in dankbarer Weise
seinem lieben Linzer Institute vermachte, und ließ sich viel und gerne
vorlesen. Mit größter Freude verfolgte er den gewaltigen Aufschwung,
den die Blindensache besonders seit 1878 in jeder Beziehung machte
und freute sich herzlichst für seine Schicksalsgenossen der vielen er-
rungenen Erfolge. Für die Erziehung gab er durch sein erbauliches
religiöses Lel)en ein nicht genug zu schätzendes Beispiel für Sehende
und Blinde, wodurch er auch seinem meist lebhaften Lehrton den rieh-
1. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1069.
ti.^en [^nlortiTund verlieh. Pectu.s est. qiiod dis.serlum fedit! (Aus dem
(lenüU kuDimt der rechio Ton!) Was er lehrte, hit er selbst als echter
Schüler Vater Kleins!
Die alloemeine Teilnahme bei seinem Hinscheiden von so vielen
Seiten zeigte von der großen Wertschätzung für den edlen Toten.
Möge in Erfüllung gehen, was das l)ischöfliche Ordinariat \A\r/. Ihm
hei seinem Cl)ertritte in den wohlverdienten Ruhestand unter (h-iii
12. A])ril 1913 so herzlich schrieb: „Gott möge IhiuMi hi(^r schon, be-
sonders aber im .Ifenseits alle Ihre im schweren aber schönen iJciure
vollln'achlen Arbeiten, die überstandenen Mühen und Sorgen, die ge-
habten Erfolge reichlich lohnen!"' Anton M. IMeninger.
Gebt den Blinden, was der Blinden ist!
Von A. Kappawi, Brunn.
Geimg des Janmierns und der bittren Klage!
Er])arnit Euch jener, die vorm Tore stehen
Und zil:ternd in ihr Heim um Einlaß flehen!
Bejahet rasch, der Blinden Lebensfrage!
War's nicht genug, daß sie durch tausend Tage
Des, harten Krieges mußten einsam gehen?
Wer soll den müden Geist zn Gott' erhöhen,
Weim Ihr verstummt, Erzieher, ratlos, zage?
Gebietend mahnt des Blindenelends Stunde:
Wer helfen will, der eine sich zum Bunde,
Um selbstlos der Bedrängten Glück zu gründen.
Vom Worte laßt zur Tat uns mutig schreiten
Und neue Wege neuen Heils bereiten !
Wer andern hilft, wird selbst einst Hilfe finden.
Für unsere Kriegsblinden.
In^ Wien, wo die politischen Ereignisse der Gegenwart am un-
mittelbarsten und kräftigsten auf alle Kreise einwirken, hat sich auch
(Mue Bewegung unter den Kriegsblinden geltend gemacht, welche den
Kriegsblinden nicht mehr nur als passives und bevormundetes Objekt
der Fürsorge"gelten lassen will, sondern die eigene aktive Teilnahme
an der Fürsorge erstrebt. In einer Versammlung von Kriegsblinden
wurde das Verlangen gestellt, in allen Fürsorgeeinrichtungen für Kriegs-
blinde auch durch Kriegsblinde vertreten zu sein und durch diese Ver-
treter auf die Leitung dieser Einrichtungen entsprechenden Einfluß zu
nehmen. Namentlich wurde diese Forderung bezüglich des Kuratoriums
des „Kriegsblindenfonds im Staatsamt für soziale Fürsorge*' und des
„Kriegsblindenheimes in Wien XIII" gestellt. An den betroffenen Stellen
wußte man wohl oder übel dieser Forderung nachgeben und damit ist
etwas Selbstverständliches zur Tatsache geworden. Es ist dadurch der
Bann eines Systems" gebrochen, das sich zu einer gedeihlichen Lösung
der Kriegsblindenfrage von vornherein als unfähig erwies und es kaiui
gehofft werden, daß die aktive Mitarbeit der Kriegsblinden an ihrer
Fürsorge die Wege zu einer befriedigenden Gestaltung der Kriegs-
blindenfürsorge eröffnet.
Seite 1070. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 1. Nummer.
Hus den Hnstalten.
— N. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf. Weihnachts-
feier. Trotz der schwierigen V'erlvchrsverhältnisse konnte diese Anstalt am 23. De-
zember eine große Anzahl von Festgästen begrüßen, die in ihren Erwartungen nicht
getäuscht wurden. Wie immer fanden die Leistungen der blinden Kinder wohlver-
dienten Beifall. Eingeleitet wurde die Feier durch den altertümlichen Chor »O, Hei-
land reiß die Himmel auf.« Nicht minder gefielen die Solostücke auf der Orgel und
auf dem Klavier (Chopin, Präludium), vom Zögling J. Lhotan mit groLsem Ver-
ständnis vorgetragen. Drei Solostimmen und eine Violine vei einigten sich mit Har-
monium und Klavier in dem wunderbar klangschönen »Ave Maria« von Gounod.
Im Mittelpunkt der Darbietung stand ein langes Melodram »Der Christljaum« von
Proch, in das einzelne Chöre verflochten wurden. Das treffliche Orchester bot in
der Begleiuing einiger Chöre, sowie in einem Straußwalzer und in der >Mühle im
Schwarzwald« von Filenberg treffliche Leistungen. Um die Einstudierungen
machten sich die Anstaltslehrer Büllik, Krtsmary und Jeray verdient. In den
Ansprachen Direktor Bürklens und des Landesrates Kunschak spiegelte sich
die Überzeugung, daß der kommende Friede auch mancher willig ertragener Ent-
behrung innerhalb der Anstalt ein Ende machen und bessere Veriiältnisse schaffen
werde. W.
— Privat -Blindenlehranstalt Linz. Christbaumfeier. Trotz,
der Ungunst der Zeiten konnte doch auch in diesem Jahre eine recht stilvolle
Weihnachtsfeier mit Gabenspende an fast 100 Teilnehmern im Vortragssaale der
Biindenbeschäftigungsanstalt am 24. Dezember 1. J. ^/o5 Uhr abends veranstaltet
werden. Unter den 9 Vortragsnummern ragten besonders Kehldorters herziges
Weihnachtslied für die Kleinen, Rheinbergers Vision für die Orgel, gespielt vom
Zöglinge J. Lengauer, das Gedicht »Weihnachtsgedanken,« verfaßt und gesprochen
vom Zöglinge J. Briedl und der vierstimmige Chor mit Soli »Der gute Hirt« vom
blinden Klavierlehrer R. Pernklau hervor.
Mit einer zeitgemäßen Ansprache schloß Direktor PI eninger die hehre Feier.
Verschiedenes.
— Aus Georg Droste's Leben, in einer kleinen Kate hinterm Weser-
deich als Sohn eines Schneidermeisters (1866) geboien, kam Droste mit 14 Jahren
als Laufjunge zu einem Buchhändlei. Als sein Brotherr eines Tages durch Zufall
dahinter kam, daß der Junge in seiner Freizeit auf eigene Faust Englisch lernte,
brachte er ihn als Lehrling in ein Wollgeschäft. Und damit war Droste an den Anfang
einer Bahn gestellt, auf der er — vielleicht — zum Bremer Großkaufmann halte auf-
steigen können. Da befiel den Zwanzigjährigen eine Sehnervenentzündung. »Mein Ogen-
licht war weg un ick seet gänzlich in'n düstern. Wat nu r Kranken- und Invalidenkasse
geef dat nich, dat bäten, wat ick mi öberspart hair, weer dör de Ogenkrankheit
upbruckt, mien Ollern weern jo aime Lue und weern ock old un stumperig. So
seet ick dar her, vullkamen öberleidig, un dat Leben harr keenen Sinn mehr . . .
Aber mien gesunnen Körper un vor allen Dingen de Wille ton Leben kreeg de
Oberhand.« Für seinen letzten Taler kaufte er sich schwedische Streichhölzer und
fing damit an zu handeln. Zu den Streichhölzern kamen Seife und Zigarren, und
endlich hatte Droste dabei soviel erübrigt, daß er auf die Blindenanstalt in Han-
nover gehen konnte, wo er Korbmachen, Musik und Blindenschrift lernte. »Und as
ick nah'ii ganz Jahr wedder nach Bremen kam, harr ich fast vergäten, datt mi een
Sinn, de Hauptsinn, fehlde. De Arbeit weer miene Trösterin worrn, siene Föhlers
weern mi wussen, um geheeme Kräfte, de froher in mi slapen harrn, de ick garnich
kennt harr, de weern upwackt un hulpen mi, ut eegen Kraft ok in'n Düstein den
Weg dort Leben to finnen un to gähn.«
Er fing ein Korbmachergeschäft an, flocht Kohlenkörbe für die Bremer
Schiftahrtsgesellscbaften — »wird ober teintusend Stück« — verheiratete sich und
bekam fünf Kinder. Denen pflegte er in der Schlummerstunde »Geschichten tu
verteilen. Meist ut mien egen Kinnerparadies achtem Diek. Dar meend de ollste
Deern mal', ick scholl ehr dat doch »diktieren,« denn woll se dat upschrieben un
wir woH'n dat drucken laten un'n Barg Geld darmit verdeenen. Erst lachte ick ähr
ut, denn leet ick mi de Sacke dörrn Kopp gähn un endlich leet ick de Deern
schrieben. Up Flikens un in ole Schrietböker is u'p de Art mien eerstet bescheiden
lüttjet Bok »■ Achtern Diek« in de Welt sett't worrn.« Auf eigene Rechnung Dro-
stes gedruckt, war die erste Auflage in sechs Wochen vergriffen. Ein zweiter,
dritter und vierter Band kleinerer Geschichten folgten dem ersten. Dann erschien
Herausgeber: ZeDtralverein für dai östeireicbische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Bürklen,
J. Rnei«, A. ▼. Horvatb, F. Uhl. — Drock Ton Adolf Engliich, Purkersdorf bei Wien.
1913 der erste >Ottjen AUdag un sien Kaperstreiche« Roman, dem zwei Jahre später
ein zweiter (Ottjen AUdag un sien Lehrtied«) mit demselben Helden folgte und
jetzt ein dritter folgen soll.
Als Blinder schreibt Georg D roste seine Bücher. Aber freilich, ehe er blind
wurde, hat er zwanzig Jahre als Sehender unter den Menschen und in der Natur
aelebt. Die ersten schönsten zwanzig Jahre des Lebens. Ihre Eindrücke vergißt man
nicht. Vergißt vollends der Blinde nicht, dem durch die Augen keine neuen Ein-
drücke mehr zugehen. Gar so wunderbar wie manche Kritiker Drostes es finden
wollen, daß der Blinde unsere Welt sieht und schildert, ist es also nicht. Überhaupt
kommt es ja bei schriftstellerischen Werken nicht auf die Schwierigkeiten an, unter
denen sie entstanden sind, sondern auf die Werke selbst. Und die halten bei
Droste auch scharfem Urteil stand, wofern man nicht einen zu hohen Maßstab
anlegt. Die Vorkämpfer für niederdeutsches Schrifttum sind, aus ehrlichem Eiler
für ihre gute Sache heraus, leicht geneigt, ihre Schriftsteller zu hoch einzuschätzen.
Auch in Bezug auf Droste macht sich dies Bestreben bemerklich. Zu Unrecht.
Wenn man Droste als großen Dichter vorführt, werden prüfende Leser enttäuscht
werden. Stellt man ihn aber als volkstümlichen, humorvollen Schriftsteller vor, so
wird jeder sich der neuen Bekanntschaft freuen. Er hat Menschen und Tiere, er
hat auch die leblose Natur gut beobachtet und weiß seine Beobachtungen gut vor-
zutragen. Er weiß zu charakterisieren und versteht Stellung zu nehmen. Er ist kein
Witzemacher und kein Anekdotenerzähler, sondern er hat ein fröhliches Herz und
kann allem im Leben, ohne es auf die leichte Achsel zu nehmen, die heitere Seite
abgewinnen. Er schlägt seine Leser nicht nieder, sondern er erhebt sie. Erhebt lie
doppelt, wenn sie hinter seinen herzhaften Geschichten das stille Gesicht des blin-
den Korbmachers sehen. Mit einem Wort: er ist ein echter und rechter Volka-
schriftsteller, der seinen Platz in den Ouickborn-Büchern verdient.
— Augenschädigungen durch Tabak. In letzter Zeit häufen sich, wie
Dr. Erlangen schreibt, die Fälle von Sehstörungen bei Rauchern. Meistens han-
delt es sich um Männer vorgerückten Alters, die von dem Leiden befallen werden.
Gerade jetzt kommen alle Bedingungen zusammen, die die Entstehung der Sehstörung
begünstigen: Einschränkung in der Ernährung, seelische Aufregungen und auch zu-
letzt Abnahme der Qualität der Tabakfabrikate. Die Sehstörung setzt ganz allmäh-
lich ein. Zuerst sieht man leichte Nebel vor den Augen, die man vergeblich wegzu-
wischen versucht. Die Sehschärfe sinkt immer weiter, auf ein Zehntel der normalen
und darunter. Werfen wir mit dem Augenspiegel einen Blick in das Auge, so ent-
decken wir sonderbarerweise keine Veränderung an der Hornhaut, der Linse, dem
Glaskörper, auch die Netzhaut und die Aderhaut sowie der Sehnerv an seinem
Eintritt in das Auge sind von normaler Beschaffenheit. Genaue Untersuchungen er-
gaben dann, daß der Sehnervenstamm erkrankt, und zwar leiden gerade die emfind-
lichsten Fasern, die Stelle des schärfsten Sehens versorgen. Der Raucher ist sich
in den seltensten Fällen dieser Erscheinung bewußt. Der Arzt muß dem Raucher so-
fort das Rauchen verbieten und eine Sehwitzkur verordnen. Dadurch ist manchmal
Heilung zu erzielen. Ist aber das Leiden schon soweit fortgeschritten, dann kann
auch der Sehnerv zum Teil entarten und schwinden.
— Ein schönes Testament. Die in St. Polten verstorbene Private
Amalie Wiesner hat zum Universalerben ihres allerdings recht bescheidenen
Vermögens die blinden Soldaten eingesetzt.
Bücherschau.
— MarschnerDr. R. : DieFür sorge fürKriegsblinde in Böhmen.
(Prag, 1918, Staatl. Landeszentrale^ zur Fürsorge für heimkehrende Krieger.) Der
Bericht befaßt sich mit dem Begriff" und der Zahl der Kriegsblinden von dem im
Jahre 1917 in Böhmen 144 gezählt wurden und zeigt die Tätigkeit des Ausschusses
für Kriegsblindenfürsorge inbezug auf Unterbringung, Schulung und Versorgung der
gefühlslosen Invaliden. Wenngleich der Ausschuß einer Erweiterung der Erwerbs-
möglichkeiten für die Kriegsblinden unausgesetzt sein Augenmerk zugewendet und
in dieser Richtung, besonders im Jahre 1918 neue Bahnen einschlägt, so konnte
während des Jahres 1917 doch nur als Ziel der Versorgung entweder die Erlangung
einer Tabaktrafik oder eines Tabakhauptverlages, die Erwerbung einer Kriegsblin-
denheimstätte, die Entschuldung oder die Sicherung bereits vorhandenen Besitzes,
die Einrichtung eines Geschäftes oder die Erlangung eines Kinematographen in
Betracht gezogen werden. Die Fondsverwaltung wies eine enorme Erweiterung der
Geschäftsagenden aus. Während die Gesamtausgaben 1915 nur 20.443 K betrugen,
stiegen dieselben 1917 auf 254.655 K, zu deren Deckung zum größten Teil das
Vermögen aus dem Vorjahre herangezogen werden mußte. Gegenwärtig beträgt
der Vermögensstand noch 478.664 K.
Bürklen Karl: Das Tastlesen der Blindenpunktsdirift.
Nebst Beiträgen zur Blindenpsychologie von P. Grasemann-
Hamburg, L. Cohn-Breslau, W. Steinberg, VII, 93 Seiten
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Das Blatt erscheint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
Bezugspreis
ganzjährig mit
Postzustellung
6 Kronen,
Einzelnummer
50 Heller.
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6. Jahrgang.
Wien, Februar 1919.
2. Nummer.
INHRLT: O. Wanecek: Der Blinde in der Sage, im Märchen und in der Legende.
Die Eingliederung der Blinden in die Rrbeitsgebiete der Sehenden. R.M.Rilke:
Die Blinde. Aus den Anstalten. Aus den Vereinen. Für unsere Kriegsblin-
den. Verschiedenes. Bücherschau. Altes und Neues. (Ankündigungen).
D
H=
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3 Beitrittserklärungen zunn „Zentralverein für das österreichische
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
g Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 3 K, Zeitungsbeitrag 3 K. 5
Dkl wP
Altes und Neues.
Leseflüchte aus Tliomson: Das Gehirn und der Mensch.
— Die graue Masse der Gehirnoberfläche, mit dem technischen
Ausdruck Hirnrinde genannt, ist der letzte Sitz aller mit Gefühl und
Gedanken verbundenen Vorgänge.
— Das Bewußtsein des Gesichts oder Gehörs ist nicht im Auge,
bezw. im Ohr, sondern in besonderen Stellen auf der Gehirnoberfläche.
— Krankheitsprozesse ermöglichen es, den Gehirnmechanismus der
Sprache mit aller Genauigkeit wohlüberlegter Experimente zu analy-
sieren. Nur auf diese Weise erfahren wir, daß die Sprache von zwei-
facher Art ist. Die erste besteht aus Worten, welche zu uns kommen.
Das sind Worte, welche durch das Ohr kommen und dann an eine
besondere Stelle in der sogenannten ersten Schlätenwindung in der
Hörzone der Hirnrinde gelien, wo sie als Worte aufgenommen werden,
und Worte, welche durch das Auge beim Lesen zu uns kommen
und die an eine ganz andere Stelle gehen als die Ohrworte, nämlich
in der sogenannten Winkelwindung in der Hirnrindensehsphäre, welche
sie als Worte aufnimmt. Wir müssen uns daran erinnern, daß keine
Ähnlichkeit irgendwelcher Art zwischen dem Klang des Wortes
»Mensch« z. B. und dem geschriebenen Wort »Mensch« besteht, denn
Ton und Aussehen sind zwei völlig getrennte Dinge; also haben
gehörte und gesehene Worte beide ihre besonderen Gehirnregister.
Neuerdings hat sich zweifellos ein drittes mit dem Tast-
sinn verbundenes Wortregister ergeben, wodurch die
Blinden befähigt werden, zu lesen, abersei ne besondere
Stelle ist noch nicht bestimmt.
— Was die Ausbildung und Leitung von Gedanke und Gefühl
angeht, gewinnt das menschliche Wesen im Unterschied Von den
Tieren, mehr durch den zuleitenden Kanal des Ohres als durch den
des Auges.
— Es ist das Ohr, nicht das Auge, welches das Herz bewegt. Wir
sehen gleichgültig einen Fisch in seinen Todeszuckungen, aber wir
können Schmerzensschreie nicht ungerührt hören.
— Wenn wir unsere Ausrüstung zu geistiger Ausbildung einem
Boot vergleichen, das uns über das Meer des Lebens bringen soll,
könnten die großen zuleitenden Mechanismen des Auges und des
Ohres mit dem Rumpf und dem Gerippe verglichen werden. Kann
die Persönlichkeit nun den vollkommenen Schiffbruch beider über-
leben und weiterfahren, wenn sie nichts hat als den Kiel, sich daran
zu klammern? Die Antwort würde mit Sicherheit nein sein, wenn
die Persönlichkeit nicht nur in ihrer Entwicklung, sondern auch nach
ihrem Ursprung von den zuleitenden Mechanismus abhinge. Wenn
dagegen der Zuleiter nur insofern mit der Persönlichkeit zu tun hat,
als er sie unterrichtet, wird den Verlust des Zuleiters keine andere
Wirkung auf die Persönlichkeit haben, als die, sie in Unwissenheit
zu lassen. Die Persönlichkeit würde dann einfach einem zu Einzelhaft
Verurteilten gleichen. Und wenn das so wäre und irgendwelche
Botschaft könnte sie nur auf irgendeinem, wenn auch noch so unge-
wöhnlichen und indirekten Wege, erreichen, so würde die Per-
sönlichkeit so vollständig und indiduell wie immer
gefunden werden.
6. Jahrgang.
Wien, Februar 1919.
2. Nummer.
»Unserm innern Auge strahlet
Zwar nicht täuschend Farbenspiel,
Aber Phantasie uns malet
Ungeseh'nes Schönes viel,«
'm, ]■ W. Klein (Die Blinden).
Der Blinde in der Sage, im Märchen und
in der Legende.
Von Blindenlehrer Ottokar Wanecek, Purkersdorf.
Die dichterische Beachtung, die die BHndheit findet, äußert sich
nicht nur in der mehr oder minder glücklichen Schilderung des alltäg-
lichen Lebens der Lichtlosen. Häufig ist es das wirklich oder vermeint-
lich verwickelte Seelenleben solcher Menschen, was den Dichter zum
Schaffen anreizt. Nicht zuletzt wird der Blinde rein gefühlsmäßig zu
einem Träger tiefsinniger Ideen und Symbole gemacht. Faust erbhndet
im Besitz der höchsten Weisheit, während in Claudels ,, Verkündigung"
die seelisch geläuterte Heldin ebenso auftritt.
Dies alles ist aber nur der Ausdruck des in der Volksseele tief
wurzelnden Empiiudens, das mit der äußeren Abgeschlossenheit, wie
sie die toten Augen bringen, ein Erwachen des inneren Auges, ein den
andern verschlossen bleibendes geistiges Erkennen gegeben glaubt. Darum
ähnliche INIotive wie die oben angedeuteten dort, wo das Volk als
Dichter auftritt, in den Sagen, Märchen und Legenden; darum die
vielen Gestalten in den frühesten Erzählungen aller Völker von blinden
Dichtern, Sängern und Sehern. Daß dazu die Erfahrung beigetragen,
die uns ja oft im Leben Altersblinde entgegengeführt im Besitze einer
Abgeklärtheit und Weisheit, wie das Alter es oft, nicht nur dem Blinden,
gibt, ist nicht abzuweisen.
Seite 1076. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 2. Nummer.
Das uns geläufigste Urbild dieser Richtung ist Homer. Doch
kennt die griechische Sagenwelt noch einige andere i)]inde Sänger und
Seher. So D e m o d o k o s, der Barde am Hofe A 1 c i n o u s, dem die
Musen das rnglück seiner Blindheit durcli di(^ Gabe des Gesanges ver-
galten. ^Odvsseus wurde durcli seinen Gesang zu Tränen rührt.
Von Interesse ist die Beschreibung in der Odyssee Seite 44 — 83, nacli
der er in der Mitte des Saales sa(i angelehnt an eine Säule. An diese
hatte ein Herohl die Leyer des Sängers gelienkt. Xe])en ihm. grilTnah.
stand der Korb mit seinem Ksseii. ein Tisch imd ein Becher.
Die Geschichle der Erblinihmg (h^s Tiresias, des Solmes der.
Nymphe Ghariklo und des Kveres wird verschie<len erzählt. Nach
Hesiod. Apollodorus 1. c, Hyp. fab. 75 und Ant. Liberal c. 16 traf er
einmal zwei sich begattende Schlangen. I*]r schlug zwi.schen sie mit
seinem Stabe und sah sich in ein Weib verwandelt. Als er später
wieder auf die Schlangen traf und wieder dazwischen schlug, wurde
er wieder zum Manne. Als nun Juno imd ,luj)iter einmal miteinander
stritten, wer bei der ehelichen Umarmung mehr Vergnügen empfände,
ob der Mann oder das Weib, wurde Tiresias zum Schiedsrichter
bestimmt, da er ja beides gewesen war und es so am besten entschei-
den konnte, Er sprach dem Manne 9 Tieile, dem Weibe aber nur einen
1 Teil der Empfindungen zu. Juno, unwillig über diese Feststellung,
beraubte, ihn der Augen. Jupiter aber schenkte ihm zum Ersatz die
Gabe der Weissagung. Nach anderem Autoren soll Tiresias Geheim-
nisse der Götter den Menschen entdeckt hal)en. Nach Pherecyd ap.
Apollodorus I. c machte, und das ist die bekannteste Fassung der Sage,
Pallas ihn blind, weil er sie einst bei seiner Mutter, ihrer Freundin,
nackt gesehen hatte. Ghariklo Hebte die Göttin an, doch konnte ihm
diese das Gesicht nicht mehr zurückgeben. Sie schärfte aber sein
Gehör, so daß er die Stimmen der Vögel verstehen konnte und gab ihm
die Fähigkeit in die Zukunft zu blicken. Ein ])lauer Stab diente ihm
statt der Augen. Athene hatte ihm denselben verliehen. Man rühmte
unter anderem namentlich seine Kenntnis der Sterne. Von seinem Tode
gehen verschiedene Sagen. Nach einigen starb er. als er auf der Flucht
aus dem zerstörten Hieben aus dem Brunnen Tilyphosa trank. (Diod.
Sicc. IV. 69) Nach andern win-de er gefangen nach Delphi geschickt.
p]r erreichte ein hohes Alter. Er soll o, 6, 7, ja sogar 9 Generationen
überlebt haben. Proserpina bewilligte auch seinem Schatten die Gabe
der Weissagung. In der l^nterwelt hat er dem Odysseus seine Irrfahrten
vorhergesagt. Nach Pind. Nem. I. 92 verkündigte er auch dem Amphy-
tryo die Taten des Herkules.
Die keltische Sage erzähl! von Ossi an. dem Sohne eines Königs
Fingal von Alba in Hochschottland. Der Barde lebte im 3. Jahrhundert
und soll in seinem Alter erblindet sein.
Auch die Göttermythen des germanischen Nordens enthalten den
Zug, daß Weisheit mit der Blindheit verbunden sei. Die Edda erzählt,
das Odhin. der weiseste der Äsen, seine Weisheit erst erhielt, als er,
um aus dem Quell Miniirs zu Irinken, eines seiner Augen gab.
Die indischen Vorvätergeschichten erzählen von dem König Q udra ka,
dem eigentlichen Begründer des indischen Dramas. Entgegen früheren
Annahmen setzt man die Blüte der mitttelalterlichen Literatur Indien»,
2. Nummer. Zcitschrilt für das österreichische Bliudcnwcscn, Seite 1077.
w\c sie (liii'ch Kalidasa verk<Jr})('rt <>r,sclieiiü um öOO n. Cili. an. Daher
müßte Ciidraka im vorliergehendoii Jahrhundert .i^eU'ht hnhen. Üher
seine lUindheit bericidet das Vorspiel zu seinem Draiiui Vasaiitasene,
das unter allen indischen Dramen vielleicht am ehesten dem modern
gescliulten Geiste entsprechen dürfte. Dort sagt der Schauspieldirektor;
„Cludraka war es, der gepriesene, der hochweise, der tretHichste der
Brahmanen. Durch C'Jvas Gnade erhielt er die Sehkraft der Augen
wieder."
Die Vorstellung, daß die verlorene Sehkraft wiedergegeben werden
köimte, kehrt in Sagen, Märchen und Legenden immer wieder. Die
indische Sage von Sawitoi erzählt: „Es war einst in Calva ein ptlichl-
treuer Landesherr, edlem Kriegergesehlecht entsprossen. D y um atsena
war sein iVame. Später aber ward er blind. Und da er nun also beraubt
seines Augenlichtes und sein Sohn annoch ein kleiner Knabe war, so
ward dem weisen Fürsten l)ei diesem Leibesgebrechen geraubt das
Reich von einem nachbarlichen alten Feinde. Da zog er hinaus zum
Walde mitsamt der Gattin, der Mutter des jungen Söhnleins. Und er
gelangte zu der großen Waldeinöde und lag da ob mit frommen Sinne
dem Werke der Duße. Sein Sohn, in der Stadt geboren, aufgewachsen
im Hüßerhain, ist Satyawant ( Wahrnumtl). Diesen Wahrnmnd erwählt
nun Sawitoi zu ihrem (latten, obwohl er einer Weissagung nach nur
ein Lebensjahr mehr vor sich hat. l^ei der Vermählung sah nun Sawitoi
sitzen ..Djumalsena, den hochwürdigen Mann unter einem Calval)aum
auf einer Matte von Gucagras, den des Augenlichtes beraubten Fürsten."'
An dem Tag, der der letzte Satyawants werden soll, weilt Sawitoi mit
dem heißgeliebten Gatten im Walde. Als nun Yama, der Todesgott, er-
scheint, vermag das unglückliche Weib diesen zu rühren. Allerdings
gelingt es ihm vorerst nicht, den Gatten loszubitten. Wohl aber ver-
langt sie das Augenlicht des Schwiegervaters, indem sie fleht:
„Mein Scbwäher zog ztun Hüßerhain,
Da Reich und Herrschaft er verloren.
Blind in des Waldes Siedelein
hat er sich Einsamkeit erkoren.
i^egnade ihn zu hellem S(>lin.
(iieb' Herr, das Augenlicht ihm wieder,
Dem starken Fürsten, hör mich llehn!
Dem lioheitsstrahlenden Gehieter."
Yama erhört sie:
„Schon ist's gewährt, wie du"s gesprochen.
iJas Augendunkel ist gebrochen."
Endlich ringt sie dem Todesgotte auch das Leben des Gatten ab.
Dichterisch hervorragend schön ist die Stelle, da der aus dem Todes-
schlaf erwach(;nde Wahrnumd (\(^^ blinden Vaters gedenkt:
..Früher schon sprachen bei nächtlicher Weile vom Lager sich
erhehend in schwerer tiefer Betrübnis die lieben beiden Meinigen:
..Verlassen von dir, werden wir nicht eine Stunde mehr h/ben,
o llei'zenssolin! Solange du aber, Sohn, uns erhalten bleibst, so lange
iiat's mit uns(^rem Leben keine Gefahr. Du bist das Auge der beiden
Seite 1078. Zeitschrift für das österreichische BHndenwescn. 2. Nummer.
alten blinden Leute. Auf dir ruht unser Stammbaum und die Ahnen-
spende, die Kunde von uns nach dem Tode und unseres Geschlechtes
Fortdauer.
Jetzt aber. ach. zu dieser Stunde fraget mein Vater, der hell-
sehende Blinde verworrenen Sinnes jeglichen der Einsiedler nach mir.
Nein, nicht mich selbst beweine ich so, wie ich den Vater beweine,
o Gute, wie auch die Mutter, die dem Gatten folget auf Schritt und
Tritt, die arme, hinfällige Frau. Ja. meinetwegen werden sie beide
Schmerzensqualen erdulden.
,,So lang die beiden leben, leb ich nur für sie und spreche: „Sie
muß ich erhalten und ihnen Liebes muß ich erweisen, den blinden
Meinigen." Das ist meine Denkungsart."
Die Sohnestreue Wahrmunds erinnert an die des jungen Tobias,
der seinen blinden Vater das Augenlicht wiederbringt.
Die Fähigkeit. Blindheit zu heilen, spricht eine weitverbreitete
Sage den Kindern, die nach des Vaters Tode geboren wurden, zu. Sie
haben die Kraft, die Blindhäutclien, so auf kranken Augen wachsen,
drei Freitage nacheinander abblasen zu kömien. Einen ähnlichen Zug
erzählt die Ghronik Rikenmanns von den Grafen von A It-Rappers-
wil: ..und so reiner leuth warend's, wenn man jhnen ein Kind bracht,
besorgt, daß es stumm oder blind werden wolle, und sy es küsten, so
ward es grecht und gsund." Auch den Grafen von Habsburg
sagte man nach, sie könnten stannnelnde Kinder durch einen Kuß
heilen.
Die polnische Sage erzälilt von dem Sohne Zemomysls Mieczko
Als dem Herzog der Knabe geboren wurde, sollte der (leburtstag ein
Tag tiefer Trauer werden, denn das Kind war blind. 1'rotzdem wurde
es sorgfältig erzogen. Als es 7 Jahre alt war. ordnete der Herzog zu
seiner Haarbeschneidung ein großes Fest an. bei dem es den Namen
Mieczko erhielt. Während im Schlosse der größte Juliel herrschte
und jeder sich ausgelassener Freuile hingab, zog sich der Herzog zurück
und war traurig, da er des l^nglückes seines Kindes gedachte. Da er-
scholl plötzlich die Kunde, der l)linde Knabe sei sehend geworden. Die
Nachricht bestärkte sich, (he Mutter selbst führte den sehenden Knaben
in den Saal. Unermef^ich war die Freude der Anwesenden, die Mutter
wiu"de von tiefer Kühruiig, der Vater vom heiligem Ernst ergrilfen: die
alten Räte deuteten das Wunder dahiii. daß l»isher im Polenlande die
Nacht und Blindheit geherrscht habe und Mieczko von der Vorsehung
bestimmt sei, es zu erleuchten und zu herrlichem Glänze empor zu
führen. Mieczko heiratete die Tochter Boleslaws des Grausamen von
Böhmen Dubrawka, die I)ereits Christin war. Ihr gelang es. Mieczko zur
Aunahme der Lehre Christi zu bewegen. So erfüllte sich die Weissa-
gung, die. sich an das Wurder geknüpft hatte. (Siehe ..Unser deutsches
Land und Volk." Vlll. Band. Schlesien und }N)leu von Dr. K. Bur-
mann.)
Aus Schlesien ist auch folgende Legende zu berichten: Im Dorfe
Albendorf, südöstlich von Wünsche! bürg, steht eine ))rächtige Kirche,
die zu der kleinen Ansiedlung in keinem richtigen Verhältnis steht.
Einst soll an ihrer Stelle eine Linde gestanden haben, unter der ein
'2. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Hlindenwesen. Seite 1079.
1 Minder oft .sein Gebet vernchtete. Nachclcfn er eine.s Tages sich fülil-
har an den Raum gestoßen hatte, betete er nochmals, fühlte plötzlich
eine Erschütterung und sah mit otfenen Augen da.s Bild der Mutter-
gottes. Dankbar für die wunderbare Heilung errichtete er unter der
Linde einen steinernen Altar, der die Inschrift 1218 trug. Im Jahre
1()23 wurde dort eine Kirche erbaut, an deren Stelle 1720 die jetzige
trat, zu der in numchen Jahren gegen 80.000 Pilger wandern, um Heilung
von allerlei körperlichen Gebrechen zu erflehen.
In Notkers des Stammlers Geschichten von Karl dem Großen
ist eine schöne Legende zu lesen: ,.So verleumdeten ihrer (die Römer)
einige, blind vor Neid, den Papst Leo heiliger Gedächtnis eines Ver-
gehens, darauf der Tod stand, und versuchten, ihn zu blenden. Aber
Gott ließ es nicht zu und schreckte sie so zurück, daß sie ihm nicht
die Augen ausreißen konnten, sondern sie ihm imr mit Schermessern
mitten durchschnitten. — Danach bat der Papst den unbesiegten Karl
nach Rom zu kommen. — Die Unschuld des seligen Papstes Leo aber
bewies Gott, der Gesundheit gibt und wiedergibt, dadurch, daß er ihm
anstatt der grausam weh durchschnittenen Augen klarere gab, als sie
zuvor gewesen waren. Nur zierte zum Zeichen seiner Rechtschaffenheit
eine schöne Narbe seine Taubenaugen mit weißen Glänze wie ein
Faden."
Im Grimmschen Märchen von Rai)unzel wird der Königssohn
durch einen Sturz vom Turm in (mii Dorngelnisch blind. Wie er dann
Kapimzel wiederfindet, fallen ihre Tränen auf seine Augen und machen
ihn wieder sehend.
Die österr. Volksmärchen von Kuthmayer enthalten die G e s c h i c b I e
vom Vogel Phönix. Hin König ist blind. Alle erdenklichen Mitteln
haben ihm das Augenlicht nicht wiedergeben können. Da wird ihm
geweissagt, daß er nur dm'ch den Gesang des Vogels Phönix sehend
werden könne. Da schickt der Runde seine 3 Söhne aus, einen nach
dem andern. Die beiden älteren kommen nicht zurück. Von schönen
Fräulein werden sie in einen Palast gelockt, wo sie des Auftrages ver-
gessen. Aber auch der jüngste Sohn vermag den Auftrag nicht ohne
weiteres zu lösen. Er verschafft der Seele eines Ermordeten Ruhe, indem
er dessen Leib begräbt. Ein Wolf wird sein fernerer Berater. Aber den
Vogel Phönix ninnut er nicht mit, denn er kann nicht glauben, daß das
Wundertier so armselig aussehen könne. Nach mannigfachen Prüfungen
l)efreit er eine Prinzessin und erringt nocbeinmal den Vogel Phönix.
Noch ist er aber nicht am Ziele. Seine Rrüder, die er vom Galgen
befreit hatte, bringen ihn um. Den Vogel aber bringen sie dem blinden
Vater. Das Tier will aber nicht singen, dem König kehrt das Augen-
licht nicht zurück. Der Wolf aber, in dem die Seele des vom jüngsten
Sohn bestatteten Ermordeten steckt, erweckt aber jenen wieder zum
Leben. Rei seiner Heimkehr singt der Vogel Phönix imd im nämlichen
Augenblick sieht der Vater wieder.
Öfter kehrt der Gedanke in der griechischen Sage wieder. Mela-
nippe, eine Tochter des Aeolus fesselte durch ihre Schönheit den
Xe]ttun, der bei ihr Erhörung fand. Als ihr Vater die Folgen dieser
Liebe ])emerkte, blendete er das Mädchen und sperrte es in enn festes
Schloß, ihre Kinder aber ließ er den wilden Tieren vorwerten. Diese
Seile 1080. Zeitschrift für das östeneicliische Hiin<fenweL^n. 2. Nummer.
schonten ihrer und eine Kuh säugte sie. I^rwachsen befreiten sie iiu'e
Mutter, die von Neptun wieder das Augenlicht erhielt. (Hyg. fah. 186).
Im vorliegenden Falle haben wir es mit einer Strafblendung zu
tun, wie sie in Sagen und verwandten Erzählungen häufig für Vergehen
gegen die Keuschheit und Götterfrevel erscheinen lassen. So finden wir
bei Apollod. I. 4. 3: Arion hatte die Tochter Oenopions Meroyn ge-
schwängert. Ihr Vater war darüber so aufgebracht, daß er dem Orion
die Augen ausstechen und ihn aus Chios verjagen ließ. Doch erhielt
dieser mit Hülfe der Götter die Sehkraft wieder.
Die Tragiker und nach ihnen Apollod. III. 13. 8. erzählen, daß
Phoenix, ein Sohn des Amyntor und der Kleubule. auf Bitten sein(n'
Mutter sich der Beischläferin seines \'aters. Klytia näherte. Amyntor
kam dahinter und ließ Phoenix die Augen aiissteciien. Von seiner
Blindheit wurde Phoenix später bei Polens durch Chiron befreit.
Blind wurde auch ein Frevler an der Opferwilligkeit einer reinen
Frau. Godiwa, die schöne, junge (remahlin des Grafen Beofric von
Ghester (gest. 1057). Gründerin eines Klosters zu (bventry, soll nach
einer im 13. Jahrhundert auftretenden Sage diese Stadt von einer hohen
Geldstrafe, die der Graf ihr auferlegt hatte, dadurch befreit haben, daß
sie, die von ihrem Gemahl gestellte Bedingung erfüllend, nackt durch
die Straßen ritt. Allen Männern soll verboten worden sein, sich auf
der Straße oder an den Fenstern blicken zu lassen. Nur einer soll seine
Begierde nach diesem Anblick nicht haben unterdrücken können. Blen-
dung war sein Lohn. (Vergl. das Gedieht Tennysons und Maeterlincks
„Monna Vanna.'')
Unter der Strafblendung für Götterfrevel sei der Sage von Plii-
neus dem Sohn Agenors von Phönizien, erwähnt. Fr besaß die Gabe
der Weissagung. Da er den Menschen Zukünftiges voraussagte, wurde
er von den erzürnten Göttern des Augenlichtes beraubt. (Apolod. I. 9.
91.) Nach andern Autoren geschah ihm dies von Boreas und den Ar-
gonauten, weil er seine eigenen Kinder auf Verleumdung ihrer Stief-
mutter hatte blenden lassen oder weil er den Kindern des Phrixus den
Weg aus Kolchis nach Griechenland gezeigt hatte. (Hesiod). Die Stief-
mutter soll nach einer weiteren Fassung die Kinderblendungen selbst
vorgenommen haben. (Sophokles, Antip. 985). Das Gesicht erhielten die
Kinder von den Boreaden oder von Aeskulap wieder. (Fortsetzung folj^t).
Die Eingliederung der Bünden in die Arbeitsgebiete
der Sehenden.
Die Welt mit ihren gesamten Fiiu'ichtungen ist die Welt der
Sehenden, von ihnen geschaffen und beherrscht. Die Aufteilung der
Arbeit baut sich auf der Erde in der gleichen Richtung auf. ist gegliedert
nach den körperlichen und geistigen Fähigkeiten seiner vollsinnigen he-
wohner. Jede dieser Berufsarten umfaßt ein festumschriebeues Ausmaß
von Tätigkeiten, bei welchen der Gesichtssinn eine notwendige Voraus-
setzung ist.
Die Berufstätigkeit grenzt sich nach der besonderen Eignung Ein-
zelner ab und so entstanden die verschiedenen Berufsarten der Arbeiten-,
Handwerker. Bauei-n. Beamten usw.
1. Nummer. Zeitschrift für das österreicliisclie Blin(Jeinvcsfn. Seile 1081.
Wir linden aiicli keine l^erufsarbeit. bei welcher tia.s Auge nicht
wenigstens eine leitende und kontrollierende Arbeit zu verrichten hätte.
Als sich nun mit dem Beginne der Blindenbildung die Notwendig-
keil ergab, Gesichtslosen irgend ein Arbeitsfeld zu erschließen, war es
unendlich schwer, für dieselben halbwegs ent.sprechende Berufsarten zu
linden. Von einigen vereinzelten Fällen geleitet, bei denen Blinde sich
beseits in diesem oder jenen lierufe versucht hatten, suchte man lange
nach brauch])aren Beschäftigungen und fand sie endlich in einigen solchen,
wo die Mitarbeit der Augen nicht unumgänglich notwendig erschien,
in den sogenannten J^lindenhandwcrken (Bürstenbinderei, Korbflechterei,
Seilerei), im Klavierstimmen in der Ausübung der Musik und in den geistige
Berufen als Sprachlehier. Schriftsteller und Pädagogen. Damit schien
bis in die neueste Zeit die Möglichkeit der Berufstätigkeiten FJlinder
erschöpft und selbst in diesen hat der Blinde gegenüber den Sehenden
einen äußerst schweren Stand, denn bei aller Tatkraft, dem festesten
Willen und dem größten Fleiße bleibt er durch "die Ausschaltung des
Gesichtssinnes in der Leistungsfähigkeit immer minderwertig.
Krst den unablässigen Bemühungen der Gegenwart ist es gelungen,
den bisherigen engen Berufskreis der Blinden zu durchbrechen. Die
mit Blinden angestellten Ver.^uche haben erw^iesen, daß sie auch den
bisherigen Blindenarbeiten fernstehende Fabriksarbeit zu leisten ver-
mögen, die Beschatfung technischer Hilfsmittel gibt die Möglichkeit, sie
in lUiros zu Ijeschäftigen und auch die geistigen Berufstätigkeiten in
Schule und Amt haben sich für si(^ als zugänglich erwiesen. Trotzdem
begegnet es den größten Schwierigkeiten, diese Möglich-
keiten praktisch zu gestalten. Worin liegt eigentlich die
Ursache dieser hemmenden Erscheinung?
Betrachten wir sie an dem Beispiele eines blinden Fabriksarbeiters.
In jedem Fabriksl)etriebe ist die Arbeit jedes Einzelnen bis ins Kleinste
geregelt. Sie besteht aus einer Suimne von Handgriffen, von denen ein
Teil vollkommen mechaniscli, also fast ohne Mithilfe des Auges ge-
leistet werden kann, während ein anderer Teil die Kontrolle des Ge-
sichtes erfordert. Wird nun ein Blinder kurzweg an die Stelle eines
sehenden Arbeiters gesetzt unti von ihm die Übernahme aller vom
Sehenden geleisteten Arbeit verlangt, so muß er versagen, denn er wird
nur jenen Teil von dessen Arbeit erfüllen können, die einen Ausschluß
des Auges gestattet. Die Berliner Versuche mit Blinden in der Fabriks-
arl)eil*) haben dies deutlich gezeigt. Der Blinde vermag in solchen
Betrieben Teilarbeit zu leisten und sich in dieser auch
lohnend zu betäligen. einfach an die Stelle eines sehen-
den Arbeite r s zu t r e t e n v e r m a g er nicht. Es müssen ihm
daher verschiedene llandgrilTe. bei denen die Mitwirkung des Auges
unerläßlich i.st. von Sehenden abgenommen werden. Dadurcli ist eine
neue Arheitsverteilung notwendig, die natürlich in einem bis ins Kleinste
geregelten Betriebe mit den größten Schwierigkeiten verlmnden ist.
Einem oder wenigen l)linden Arbeitern zuliebe, will man sich den Betrieb
nicht stören lassen und eine neue Arbeitsverteilung vornehmen.
Dafür i.st der F'abriksbesitzer selten zu haben, die große Masse der
sehenden Arbeiter fühlt sich durch den Blinden zum mindesten irritiert
*) Niepel: Arbeitsmöcflichkeiten für Blinde (Berlin 1918).
Seile 1082. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 2. Nummer.
und auch der lieste Wille dem Gesichtslo.seii gegenüber wird erstickt
von der Nodwendigkeit hastenden Stundenverdienstes. Die Folge davon
ist, daß sich einzelne blinde Arbeiter in den großen Körper der sehen-
den Arbeiter nicht einzuleben vermögen.
Die gleichen Umstände bestehen für den l^linden Lehrer und Be-
amten. Als Klassenlehrer kann der Blinde nicht einmal in einer Blinden-
anstalt verwendet werden, denn die Klassenarbeit umfaßt so viele Unter-
richtsgegenstände, daß der Blinde dieser Gesamtleistung nicht gewachsen
ist. Einzelne Unterrichtsgegenstände können dagegen von ihm ebenso,
wenn nicht besser als durch eine sehende Lehrkraft erteilt werden.
Man denke nur an den Sprachunterricht (mit Ausschluß des Anschau-
ungsunterrichtes), an Lesen und Schreiben der Punktschrift, Rechnen
und Gesang. Darin ist seine Leistung vollkommen gleichwertig. Um den
blinden Lehrer nun aber die Verwendung auch in den Unterklassen zu
ermöglichen, müßte daselbst das Klassensystem fallen und das Facii-
system eingeführt werden. Dagegen sprechen jedoch nicht nur j)ädago-
gische Gründe, sondern auch die Mehrzahl sehender Lehrkräfte und die
Zerreißung des Stundenplanes. Wir sehen auch hier wieder die großen
Schwierigkeiten, einem Blinden zuliebe einen ganzen Organismus, der
auf die Arl)eit Sehender gestellt ist, umzuwandeln und neu einzurichten.
Als Beamter findet sich der Blinde in der gleichen Lage. Tritt er
in irgend eine Stelle, so wird von ihm die festumgrenzte Arbeit ver-
langt, welche sein sehender Vorgänger leistete. Kann er derselben nicht
in ihrer Gänze nachkommen — und dies ist ihm ohne die Beihilfe
Sehender nicht möglich — so betrachtet man ihn eben als unfähig im
allgemeinen und verzweifelt an seiner Verwendungsfähigkeit.
Wir sehen also überall, wo die Blinden nach einer Erweiterung
ihrer Berufstätigkeiten suchen, die gleiche Erscheinung. Ihre Einglie-
derung in das Arbeitsgebiet der Sehenden bereitet deshalb
so große Schwierigkeiten, weil der Blinde nur bestimmte
Teilarbeiten leisten k a n n. w e 1 c h e in d e n A r b e i t s b e t r i e b e n
Sehender eine neue Arbeitsverteilung verlangen.
Wird diese für den Blinden notwendige Arbeitsneueinteilung in
den Betrieben Sehender in der Zukunft erreicht werden können"? Ein-
zelfälle ausgenommen, ist daran wohl zu zweifeln. Eine dauernde Ein-
gliederung Blinder könnte nur dort erreicht werden, wo sich ein größerer
Stock blinder Arbeiter in einem Betriebe Sehender zusammenfinden
würde. Diese Bedingung wird kaum wo anders als nur in großen Städ-
ten vorhanden sein. Hier müßte also der Versuch in erster Linie in
Angriff genommen werden. Da taucht nun aber die Frage auf: Sind an
einem Platze genügend blinde Arbeitskräfte für irgend ein Arl)eitsgebiet
vorhanden, empfiehlt es sich da nicht besser für diese Blinden eigene
Betriebe einzurichten und deren Einrichtung der Leistungsfähigkeit
Blinder entsprechend zu organisieren V Sicherlich! Wir kommen damit
zu den Bestrebungen behufs Errichtung von Bli n den ar-
beit sstätten verschiedenster Kategorie (Bürstenbi n der-
und Korbflechter Werkstätten, Maschinstrickereien für
blinde Mädchen, Bürostuben für blinde Beamte u. s. w.)
In solchen Betrieben wären die Blinden vorherrschend und die
uimmgänglich notwendigen sehenden Hilfskräfte hätten sich ihnen anzu-
1. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1083.
pttsscn. während dies Verhältni.s in den Betrieben der Seilenden ein
umgekehrte.s, daher für den Blinden ungünstiges ist.
Ehe wir also eine g e d u 1 d e t e u n d a 1 s H i ii d e r n i s e m -
p fluiden e Mitarbeit Sehender in den Betrieben Sehender
anstreben, haben wir erst die Frage der selbstständigen
B 1 i n d e n b e t r i e b e zu entscheiden u n d i n d i e W i r k 1 i c h k e i t
umzusetzen. Verfolgen wir a 1 s o v o r a 1 1 e m d i e E n t w i c k 1 u n g
der h i e z u bereits bestehenden Ansätze in d e n B 1 i n d e n-
werkstätten, erweitern wir dieselben nach den verschie-
densten Richtungen u n d in a c h e n wir diese Betriebe 1 e i -
stungs- und ausbaufähig.
Damit wäre der großen Masse der Blinden gegenwärlig am besten
gedient.
Allerdings bleibt daneben noch die Sorge um die Erwerbsmög-
lichkeit einzelner Blinder bestehen, bei denen ein Großbetrieb nicht in
Frage kommt. Es gilt dies hauptsächlich für die Intelligenzberufe. Wo
ein Blinder in diesen Berufen gemeinsam mit Sehenden tätig sein soll
muß wohl auf die Hilfsbereitschaft und das Entgegenkommen der maß-
gebenden Faktoren, denen die Diensteseinteilung obliegt, wie der sehen-
den Mitarbeiter aufgebaut werden, so bitter dieser Anruf für einen
arbeitstüchtigen Blinden auch sein mag. Auf eine andere Art ist wenig-
stens vorläufig an eine Eingliederung einzelner Blinder in das Arbeits-
gebiet der Sehenden nicht zu denken.
Die Blinde.
Von Rainer Maria Rilke.
Der Fremde: Du bist nicht bang, davon zu sprechen?
Die Blinde: Nein.
Es ist so lerne. Das war eine andre.
Die damals sah, die laut und schauend lebte.
die starb.
Der Fremde: Fnd hatte einen schweren Tod?
Die Blinde: Sterben ist Grausamkeit an Ahnungslosen.
Stark muß man sein, sogar wenn Fremdes stirbt.
Der Fremde: Sie war dir fremd?
Die Blinde: — Oder sie ist's geworden.
Der Tod entfremdet selbst dem Kind die Mutter. —
Doch war es schrecklich in den ersten Tagen.
Am ganzen Leibe war ich wund. Die Welt,
die in den Dingen blüht und reift,
war mit den Wurzeln aus mir ausgerissen,
mit meinem Herzen (schien mir), und ich lag
wie aufgewühlte Erde offen da und trank
den kalten Kegcii meiner Tränen.
der au^'den toten Augen iniaiifhörlich
und leise strömte, wie aus leeren Himmeln.
wenn (lott gestorben ist, die Wolken fallen.
Seite 1084. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 1. Nummer.
• Und mein Gehör war groß und allem oH'en.
Ich hörte Dinge, die nicht hörbar sind:
die Zeit, die über meine Haare floß,
die Stille, die in zarten Gläsern klang,
und fühlte: nah bei meinen Händen ging
der Atem einer großen weißen Rose.
Und immer wieder dacht ich: Nacht und Nacht
und glaubte einen hellen Streif zu sehn,
der wachsen würde wie ein Tag:
und glaubte auf den Morgen zuzugehn.
der längst in meinen Händen lag.
Die Mutter weckt ich, wenn der Schlaf mir se-liwer
hinunterfiel vom dunklen Gesicht,
der Mutter rief ich: ,.Du komm her!
Mach Licht!"
Und horchte. Lange, lange blieb es still.
und meine Kissen fühlte ich versteinen, —
dann war's, als seh ich etwas scheinen:
das war der Mutter wehes Weinen,
an das ich iiicht mehr denken will.
Mach Licht! Mach Licht! Ich schrie es oft im Traiun.
Der Kaum ist eingefallen. Ninun den llaum
mir vom Gesicht und von der Brust.
Du mußt ihn heben, hochheben,
mußt ihn wieder den Sternen geben:
ich kann nicht leben so. mit dem Himmel auf mir.
Aber Sprech ich zu dir Mutter?
Oder zu wem denn? Wer ist denn dahinter?
Wer ist denn hinter dem Vorhang? — Winter?
Mutter: Sturm? Mutter: Nacht? Sag!
Oder: Tag! .... Tag!
Ohne mich! Wie kann es denn ohne mich Tag sein?
Fehl ich denn nirgends?
Fragt denn niemand nach mir?
Sind wir d(Min ganz vergessen?
Wir? . . . Aber du bist ja dort;
du hast ja noch alles, nicht?
Um dein Gesicht sind noch alle Dinge bemüht,
ihm wohlzutun.
Wenn deine Augen ruhn
und wenn sie noch so müd waren,
sie können wieder steigen.
Meine schweigen.
Meine Blumen werden die P'arbe verlieren.
Meine Spiegel werden zufrieren.
In meinen Büchern werden die Zeilen verwaschen.
Meine Vögel werden in den Gassen
herumtlattern und sich fremden Fenslern verwunden.
Nichts ist mehr jnit mir verbunden.
Ich bin von allen verlassen. —
1. Nummer. Zeitschrift für das Österreichische Blindenwesen. Seite 1085.
Der Fremde: Und ich bin über das Meer ^pkoniinen.
Die DUnde: WieV Auf die Insel? . . . Heroekoiinnen V
Der Freuule: Ich bin noch im Kahne.
Ich habe ihn leise angeleot. —
an dich. Kr ist bewegt:
Seine Fahne weht htndein.
Die Ulindc: Ich l)in eine Insel und allein.
Ich bin reich. —
Zuerst, als die alten Wege noch waren
in meinen Nerven ausgefahren
von vielem Gebrauch:
da litt icli auch.
Alles ging mir aus dem Herzen fort,
ich wußte erst nicht wohin;
aber dann fand ich sie alle dort,
alle Gefühle, das, was ich bin,
stand versammelt und drängte und schrie
an den vermauerten Augen, die sich nicht rührten.
Alle meine verführten Gefühle . . .
Ich weiß nicht, ob sie „Jahre so standen,
aber ich weiß von den Wochen,
da sie alle zurückkamen gebrochen
und niemanden erkannten.
Dann wuchs der Weg zu den Augen zu.
Ich weiß ihn nicht mehr.
Jetzt geht alles in mir umher,
sicher und sorglos; wie Genesende
gehn die Gefühle, genießend das Gehn,
durch meines Leibes dunkles Haus.
Einige sind Lesende
über Erinnerungen;
aber die jungen
sehn alle hinaus.
Denn wo sie hintreten an meinen Rand,
ist mein Gewand von Glas.
Meine Stirne sieht, meine Hand las
Gedichte in anderen Händen.
Ich muß nichts mehr entbehren jetzt,
die Farben sind übersetzt
in Geräusch und Geruch.
Und sie klingen unendlich schön
als Töne.
Was soll mir ein Buch"?
In den Bäumen blättert der Wind;
und ich weiß, was dorten für Worte smd
und wiederhole sie manchmal leis.
Und der Tod, der Augen wie Blumen bricht,
findet mein Auge nicht . . .
Der Fremde (leise): Ich weiß.
Seite 1086. Zeitschrift für das österreichisclie Blindenwesen. 1. Nummer.
Aus den Anstalten.
— N. ö. L a n d e s - B I i n d e n a n s t a 1 1 in P u r Ic e r s d o r f. Ehrung. Mit
Ende des vergangenen Schuljahres beschloß der Direktor dieser Anstalt, Herr Karl
Hürklen, das 30- Jahr seiner Tätigkeit als Lehrer. Eine öffentliche Ehrung für
diesen verdienstvollen Fachmann und Organisator der Blindenfürsorge hat die staat-
liche Umwälzung unmöglich gemacht. Nichtsdestoweniger wollte der Lehrkörper
doch seiner Verehrung Ausdruck geben. Den Anlaß hiezu bot der Namenstag Direktor
Bürklens am 28. Jänner 1. J. Lehrer, Zöglinge und sämtliche Bedienstete ver-
einigten sich. Hauptlehrer Kneis hielt eine Ansprache, in dei- er ausführte, in wel-
cher Weise der Gefeierte das Ansehen der Anstalt gehoben hat und was sein
Name in den weitesten Kreisen der Faehleute und Blinden bedeutet. Als äußeres
Zeichen der Anerkennung seiner Verdienste wurde in dem Dienstraum der Lehr-
personen, das von ihnen gespendete Bild ihres Führer gehängt. Was ein Zögling
sagte, wird seinen Widerhall an vielen Stellen iinden, daß nähmlich Direktor Bürk-
len noch lange mit dem Wert seiner Persönlichkeit und der lauteren Tatkraft seines
Wollens wirken könne zum Besten aller Blinden. W.
— Landes-Blindenheim in Salzburg. Bericht über die Jahre 1916
und 1917. In dieses Heim wurden aufgenommen: 31 Kriegsblinde, 7 interne und
4 externe Zivilblinde, entlassen 13 Kriegsblinde und 3 externe Zivilblinde. Der Stand
Ende 1917 war 17 Kriegsblinde, 6 interne und 1 externer Zivilblinder. Während die
Zivilblinden sämtlich aus dem Lande Salzburg waren, besaßen die Kriegsblinden
folgende Heimatszuständigkeit: Salzburg 5, Oberösterreich 8, Tirol 15, Böhmen 1,
Galizien 2. Als ehemaliger Beruf werden aufgezählt: Landwirtschaftliche Arbeiter 13,
gewerbliche Arbeiter 9, Hilfsarbeiter 7, Bankpraktikant 1, Hörer der Rechte 1.
Ausgebildet wurden Kriegs- und Zivilblinde im Lesen und Schreiben der Punkt-
schrift 36 (27 in Vollschrift, 9 auch in Kurzschrift), im Maschinschreiben 10, im
Klavierspiel 7, im Violinspiel 1, in Zitherspiel 4, im Klavierstimmen 2, im Bürsten-
binden 17, im Korbflechten 14, im Sesselflechten 4. Die Ausbildungszeit im Punkt-
schriftlesen und -schreiben dauerte durchschnittlich 4 bis 6 Monate, im Maschin-
schreiben 5 Monate, im Klavierstimmen 10 Monate, im Bürstenbinden 12 bis 14 Mo-
nate, im Korbflechten 18 bis 24 Monate, im Sesselfiechten 1 bis 2 Monate. Die Für-
sorgetätigkeit des Heimes erstreckte sich auf die Ausstattung mit Kleidern, Wäsche,
Wohnungs- und Werkstätteneinrichtungen sowie Lieferung von Arbeitsmaterial zum
Selbstkostenpreise. 5 Kriegsblinde erhielten Heimstätten, während den anderen der
Betrag von 8000 K für den späteren Ankauf reserviert wurde.
Als Direktor des Heimes fungiert Regierungsrat Dr. K. Gampp, als Leiter
F. Geiger. In der Unterweisung waren tätig F. Gärtner als Werkmeister für
Korb- und Sesselflechterei. M. Schwarzenberger (blind) als Werkmeister für
Bürstenbinderei, Mizzi Cumpl (blind) als Musiklehrerin.
— Mähr. -schles. Landes-Blindenanstalt in Brunn. Der bisherige
Lehrer dieser Anstalt Herr Anton Spicka wurde ab 1. Februar zum provisorischen
Leiter der Anstalt ernannt.
flus den Vereinen.
— Humanitärer Blindenverein >Lindenbund« in Wien XX
Über die Tätigkeit des Vereines muß in kurzen Zügen berichtet werden, daß die
Geschäfte in einer Generalversammlung und 10 Sitzungen erledigt wurden. Neubei-
getreten sind dem Vereine 36 Erblindete, durch Tod abgegangen sind 5, demzufolge
zählt der Mitgliederstand 20 weibliche und 54 männliche Erblindete; die Zah! unserer
Gönner ist auf 1381 gestiegen. An Unterstützungen wurde in 181 Fällen ein Betrag
von K 5560.— verausgabt; das Zinsenerträgnis des Hilfsfonds für erblindete Krieger
wurde mit einem kleinen Vereinszuschuß im Gesamtbetrag von K 510. — an 13 Pe-
tenten verteilt.
Für unsere Kriegsblinden.
— Rohstoffeinkaufsstelle für kriegsblinde Handwerker in
Wien. Mit der Leitung derselben wurde Herr Anton Strobl, Rechnungsrat im
Deutschösterreichischen Staatsamte für soziale Fürsorge, betraut. Alle für die Ein-
kaufsstelle bestimmten Zuschriften und Geldsendungen sind daher an dessen Woh-
nungsadresse, Wien, XIII., Guldengasse 6, zu richten.
Herausgeber: ZeDtralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Biirklen,
J. Kneis, A. t. HorTsth, F. Uhl. — Drnck tod Adolf Englisch,' Purkersdorf bei Wien.
Verschiedenes.
— Die Blinden bei den Wahlen. Das Veihältniswahlrecht, das bei
sämtlichen Wahlen für Nationalversammluncj, Landesveisammiung und Gemeinde-
vfertretangen in Deutschösteneich zur Anwendung kommt, bringt ein etwas um-
ständliches Wahlverfahren mit sich. Es ist dabei für den Blinden Folgendes zu beachten:
Jeder Blinde, der am 1. Jänner 1919 zwanzig Jahre alt war, ist berechtigt,
seine Stimme abzugeben.
Jeder Blinde, der am I.Jänner 1919 das neunundzwanzigste Lebensjahr über-
schritten hat, kann als Abgeordneter oder Gemeindevertreter gewählt werden.
Vom Walilrechte und von der Wahlarbeit sind nur ausgeschlossen; entmün-
digte, wegen Verbrechen abgestrafte, unter Polizeiaufsicht stehende und in einer
Zwangsarbuitsanstalt befindliche Personen.
Der Genuß einer Ärmenunterstützung schließt vom Wahlrechte nicht aus.
Die Abstimmung geschieht mittelst geschriebener oder gedruckter Stimm-
zetteln. Der Blinde bediene sich vorgedruckter nicht geschriebener Stimmzettel.
Diese sind bei der Partei zu haben, welcher der Blinde angehört und liegen auch
in der Wahlzelle auf. Auf einem solchen Stimmzettel ist durch einem Haken (mit
Bleistift; die Partei zu bezeichnen, deren Kandidaten man wühlen will. Bezeichnet man
mehrere Parteien oder Personen verschiedener Parteien, so ist der Stimmzettel un-
gültig. Die Unterschrift des Wählers ist nicht notwendig, ja sogar unstatthaft.
Die Wahl vollzieht sich im amtlichen Wahllokal. Blinde und Bresthafte können
sich von einer Begleitperson führen und diese für sich abstimmen lassen.
Der Wähler (der Blinde gemeinsam mit seinen Führer), tritt vor die Wahl-
behörde, nennt seinen Namen, bezeichnet seine Wohnung, legt eine Urkunde oder
eine sonstige amtliche Bescheinigung vor, aus der seine Staatszugehörigkeit und
Personenstand ersichtlich ist (Taufschein, Heimatschein oder sonst ein Dokument)
und erhält darauf das undurchsichtige Wahlkuvert und auf Verlangen einen Stimmzettel.
Der Wähler (der Blinde mit dem Begleiter) hat sich hierauf in die Wahlzelle
zu begeben, den gezeichneten (eingehakten) Stimmzettel in das Kuvert zu legen und
tritt dann aus der Zelle und übergibt das Kuvert geschlossen dem Wahlleiter.
Damit hat der Blinde seine Wahlpflicht erfüllt. Als Führer wähle der Blinde
nur eine ihm bekannte und vertrauenswürdige Person, auf die er sich verlassen kann.
Bücherschau.
— ßielschowsky, Dr. A.: Beiträge zum Blindenbildungswesen.
(Berlin, 1918, J. Springer). Der Direktor der Blinden-Studienanstalt in Marburg
a. d. I.. liefert uns darin einen Bericht über Entwicklung und Tätigkeit der Hoch-
schulbüchererei. Studienanstalt und Beratungsstelle für blinde Akademiker und der
damit geleisteten hervorragenden Arbeit auf dem Gebiete geistiger Betätigung Blinder.
Die ersten fünf zur Maturitätsprüfung vorbereiteten Kriegsblinden haben die Prüfung
bestanden. Als wertvolle Aufsätze des Heftes sind zu nennen: »Angebliche und tat-
sächliche Verbesserungen in technischen Fragen des Blindenbildungswesens«
(Strehl) »Die Berufsfragen des blinden Akademikers« (P i n ker n e i 1), »Die recht-
liche Stellung der Blinden nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch« (Grah).
Mitteilung.
— Zentralverein für das österreichische Blindenwesen in
Wien. Die p. t, Ausschußmitglieder werden zu der am Donnerstag, deu 13. Fe-
bruar 1919, 4 Uhr, in der Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für erwachsene
Blinde in Wien VIII, Josefstädterstraße 80 stattfindenden A usschußsitzung höf-
lichst eingeladen. Tagesordnung: Bericht über die Schaffung einer Blindenfürsorge-
kommission im Staatsamt für soziale Fürsorge.
fln die Mitglieder des „Zentralvereines" und die Abnehmer unserer
„Zeitschrift". Es wird nochmals zur gefälligen Kenntnisnahme gebracht, daß
sich ab 1. Jänner I. J. der Mitgliedsbeitrag (einschließlich des Bezuges der
„Zeltschrift") sowie der Bezugspreis der „Zeitschrift" auf 6 K erhöht hat.
(Beschluß der Generalversammlung vom 1. Oktober 1918). Wir bitten daher die
Obgenannten, die Einzahlung dieses Betrages rechtzeitig vornehmen zu wollen.
österreichische Slixdenzeitung
Erscheint monatlich einmal. : : : Bezugspreis jährlich 6 K.
Verlag: 1. Österr. Blfndenverein, Wien VlII, Florianiegasse 41.
Die »Österreichische Blindenzeitung«, hergestellt nach dem vom Dozenten Dr. Max
Herz erfundenen Massedruck der Blinden-Punktschrift, will auf humanitärer Grund-
lage fußend, den Blinden geistig fördernden und unterhaltenden Inhalt bieten.
fllle Blindenfreunde werden um Unterstützung dieser Bestrebungen gebeten.
= ^syl für blinde Kinder ==
Wien, XVII., Hernalser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorscliulpfiichtigen Alter aus allen österreichi-
schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leituni^.
Die „Zentpoibibliotheh füi* Blinde in Österreicli",
Wien XVIII, Währinger Gürtel 136.
verleiht ihre Bücher kostenlos an alle Blinden.
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"Wien V., Nikolsdorfergasse 42.
Zweck des Vereines: Uiiterstützuiii; blinder Mit-
glieder. Arbeitsvermiitluni; liir Rliiide. Erhaltung
der Musikalien-LeihUibliotliek. Telephon 10.071.
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des Blinden-Unterstützungsvereines
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: — : Nikolsdorfergasse Nr. 42. : — :
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— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
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Schriftleitung
Purkersdorf
bei Wien.
Österreichisches
Postsparkassen-
konto Nr.132.257
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Das Blatt erscheint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
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Bezugspreis
ganzjährig mit
Postzustellung
6 Kronen,
Einzelnummer
50 Heller.
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a
6. Jahrgang.
Wien, März 1919.
3. Nummer.
IMHHLT: fl. Krtsmary, Purkersdorf: Offener Brief an die Musiklehrer der Blinden-
anstalten und an alle blinden Musiker der deutschösterreichischen Republik.
O. Wanecek, Purkersdorf: Der Blinde in der Sage, im Märchen und in der
Legende (Fortsetzung). R. v. Chlumetzky, Brunn: Blindenwesen und Blinden-
fürsorge in Holland. Verschiedenes. Altes und Neues. (Ankündigungen).
D
3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
i] Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 3 K, Zeitungsbeitrag 3 K. g
3m wH
flites und Meues.
Die mimischen Erscheinungen beim horchenden
Blinden. Als auftallendste Ausdruckbewegungen beim Blinden er^
scheinen wohl die, welche sich in seiner Körper- und Kopfhaltung
sowie in seinem Gesichte beim aufmerksamen Zuhören oder Horchen
ausprägen. Er wendet dabei dem Schallgeräusch eines seiner Ohren
zu, der Mund öffnet sich, die Nasenflügel erscheinen gespannt, die
Atmung ist unterbrochen oder wenigstens herabgesetzt. Alle seine
noch intakten Sinnespforten sind gleichmäßig für die Aufnahme der
Reize in ihrer jeweiligen Art der Bereitschaft geöffnet.
Sind diese mimischen Ausdrucksbewegungen etwas besonderes,
nur ihm eigenes.?* Durchaus nicht, denn wir finden sie gleicherweise beim
Sehenden, wenn sie beim Blinden durch das Fehlen des Gesichts auch
stärker in Erscheinung treten. Über die Ursachen derselben finden
wir in dem Buche > Grundformen der Mimik des Antlitzes« von Dr.
H. Heller (Wien 1902,) folgendes:
»Für das Horchen ist im allgemeinen das Einstellen des Schall-
trichters durch die ganze Kopf- und Körperhaltung und das sorgsame
Vermeiden von gleichzeitigen, etwa am eigenen Körper auftretenden
Geräuschen, das Anhalten in einer Bewegung, das Innehalten in der
Rede und Aussetzen mit eben betriebenen Hantierungen charakteristisch.
Aber wer aufmerksam horcht — sagt Piderit — , wer auf ein un-
deutliches Geräusch lauscht, öffnet auch meistens den Mund, um die
Schalleindrücke nicht allein durch das Ohr, sondern auch durch den
Mund aufzunehmen und auf sich einwirken zu lassen. Dabei läßt man
die Unterkinnlade schlaff heruntersinken, so daß in der Profillinie des
Gesichtes die Unterlippe merklich gegen die Oberlippe zurücktritt.
Für die ursächliche Erklärung dieses Mundöffnens beim Horchen
scheinen mehrere physiologische Tatsachen wertvoll. Erstens gewährt
die geöffnete Mundhöhlung einer Reihe von Schallwellen, die nicht
vom Schalltrichter des äußeren Ohres aufgefangen wurden, insoferne
dennoch Zugang, als sich die Schädelknochen des Rachengewölbes
mehr oder weniger schalleitend erweisen. Zweitens schaltet die Er-
schlaffung der Kiefermuskel eine Reihe störender Nervenimpulse aus
und dieses Abspannen der starken Kiefermuskulatur vermeidet auch
verschiedene, mit der Abspannung immerhin einhergehende Geräusche
und Erschütterungen der Muskeln und des Gebisses. Endlich verhindert
die Erschlaffung die mit jeder Muskelkontraktion für die Umgebung
verbundene Blutstauung, die im nachbarlichen Gehörorgane ebenfalls
erfahrungsgemäß die Empfindungsfähigkeit herabsetzt. Drittens setzt
man im Augenblicke des Horchens meist mit der Atmung aus. Hiedurch
vermeidet man sowohl die oft störenden Atmungsgeräusche, als auch
häufig ein Knistern oder Rascheln der Wäsche und des Kleides. Da
aber die Nasenatmung besonders durch die Resonanz der geschlossenen
Mundhöhle des Menschen störend wirkt, so erfolgt gewöhnlich zu Be-
ginn des Horchens meist noch schnell ein ausgiebiges, einer etwa später
auftretenden Atemnot vorbeugendes Einatmen durch den Mund. Be-
merkenswert ist weiters, daß man mit dem Ausatmen wartet. Es scheint
nun, daß auch hier wieder u. a. dem infolge der Exspiration gesteigerten
Blutdrucke des Kopfes in unbewußter Weise ausgewichen wird.
6. Jahrgang. Wien, März 1919. 3. Numnner.
^
Blind im Käfigwall ^
Fühlt die Nachtigall i
ü Den Akkord des Lichts; ^
H Und ihr wird's zum Schall, ^
^ Und den Kerker bricht's, ^
S Fr. Rücken. g
Offener Brief an die Musiklehrer
der Blindenanstalten und an alle blinden Musiker der
deutsch-österreichischen Republik.
Hochgeschätzte Kollegen, liebwerte Schicksalsgenossen! Die Zeit
in der wir uns befinden, ist eine Zeit des Übergangs, eine Zeit lebhaf-
tester Bewegung und Gährung. Wichtige Fragen wollen beantwortet sein,
schwierige Probleme müssen gelöst werden. Der Entwicklungsprozeß
hat ein beschleunigtes Tempo angenommen und auf allen Gebieten
geistiger und materieller Tätigkeit drängen und treiben frei gewordene
Kräfte auf neuen Bahnen, neuen Zielen zu. Durch alle Zweige streicht
ein frischer Frühlingshauch und die jungansetzenden Triebe und Knos-
pen verheißen reichen Segen an Blüte und Frucht.
Auch das Blindenwesen soll, wie die Leser der „Zeitschrift" wissen,
vollständig neu organisiert werden. Üb und wieweit hiebei auch die
Musik berücksichtigt werden soll, konnte ich noch nicht erkunden;
Anzeichen hievon habe ich bis jetzt nicht bemerken können und fast
möchte ich besorgen, es würde im Bereiche des Musikunterrichtes
alles beim Alten bleiben. Das sollte nun nicht geschehen. „Aber" höre
ich den Laien, der diese Zeilen liest, einwenden, „ist denn der Musik-
unterricht an den Blindenanstalten überhaupt reformbedürftig? Nimmt
er in deren Lehrplan nicht ohnedies einen breiten Raum ein? Finden
Seite 1092. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 3. Nummer.
denn nicht viele Blinde gerade durch die Musik ihren Lebensunterhalt
und eine geachtete Stellung?" Gewiß, alles richtig; aber ebenso richtig
ist es, daß der Musikunterricht an Blindenanstalten in manchem Belange
verbesserungsbedürftig und verbesserungsfähig ist. Ich will mich hier
nicht zuviel in Einzelheiten verlieren, sondern deren nähere Ausführung
einem späteren Zeitpunkte vorbehalten; aber eines muß doch gesagt
werden, es fehlt uns die Einheitlichkeit des rnterrichtsvorgangs und
der Unterrichtsgrundsätze. Ich weiß sehr genau, daß diese Einheitlichkeit
nicht leicht zu erzielen ist, denn die Arbeitsbedingungen und die Arbeits-
möglichkeiten sind an den verschiedenen Anstalten nicht die gleichen;
immerhin lassen sich einheitliche Gesichtspunkte ausfindig machen und
feststellen. — Es gibt aber einen ganzen Komplex von Fragen, der bis
jetzt noch keine übereinstimmende Antwort gefunden hat, Fragen, die
also noch immer offen zur Diskussion stehen, Fragen, die nicht nach
richtigor Erkenntnis und aus innerer Notwendigkeit sondern fallweise,
nach äußerlichen Momenten und zufälligen Umständen, bald so, bald
anders hier bejaend, dort verneinend entschieden werden. Einige dieser
Fragen seien zum Exempel angegeben: Ruht der elementare Instrumental-
unterricht auf einer genügend breiten, tragsicheren Basis ? Soll der An-
fangsunterricht analog wie beim Sehenden so früh wie möglich auf die
Notenschrift eingestellt werden, so daß die Erlernung der Braille'schen
Musikschrift mit den Anfangsgründen auf dem Instrument im logischen
Zusammenhang und im sinngemäßen Parallelismus stände oder soll die
Notenschrift erst auf einer späteren Stufe klassenweise gelehrt werden?
Soll für den Beginn des Musikunterrichts eine Altersgrenze nach unten
und oben festgelegt werden? Soll der Schüler vom Anfang bis zum
Ende seiner Bildungszeit unter der Führung eines Lehrers bleiben,
oder ist es vorteilhafter, daß er den Lehrer und mit ihm die Methode
zu wiederholtenmalen wechsle? Sollen nur die ganz starken Begabun-
gen zum instrumentalen Musikunterricht herangezogen werden, die mitt-
leren Talente unberücksichtigt bleiben und so der Segnungen musika-
lischer Schulung und Bildung überhaupt verlustig gehen?
Welches ist das Mindestausmaß der wöchentlichen Unterrichts-
stunden und der täglichen Übungszeit auf der Unter-, Mittel- und
Ober-Stufe, bei starken, bei mäßigen Begabungen? Machen sich im
Anstaltsbetrieb nicht zuweilen Einflüsse und Bestrebungen geltend, welche
von Musiklehrern und Schülern als Störungen eines gedeihlichen Musik-
unterrichts empfunden werden müssen und welche auf die freie und
volle Entfaltung der musikalischen Anlagen hemmend oder doch retar-
dierend einzuwirken geeignet sind? Ich könnte die Reihe der Fragen
mühelos verdoppeln und verdreifachen, will mich aber für diesmal da-
mit bescheiden. Jeder von uns hat diese und ähnliche Dinge bald nach
seinem Amtsantritt richtig erkannt und schmerzlich empfunden und
gewiß hat sich auch jeder mit all seinen Kräften bemüht, Wandel zu
schaffen, im allgemeinen zumeist vergebens. Der einzelne Musiklehrer
mag die vorhandenen Mängel noch so deutlich erkennen, dagegen viel
auszurichten wird er kaum imstande sein, weil er nicht den Einfluß
und die Machtmittel besitzt, einschneidende Reformideen durchzusetzen.
Was aber dem Einzelnen zu leisten nicht möglich ist, das kann die
Gesamtheit der Blindenlehrer zustandebringen und — hier bin ich beim
3. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwcscn. Seite 1093.
Kernpunkt meiner Ausführungen: Hochgeschätzte Kollegen, liebe Schick-
salsgenossen, linden wir uns zusammen zu einer aufklärenden Aus-
sprache, sie kann der Sache, der wir dienen, nur zum Heil gereichen.
Tauschen wir unsere Erfahrungen aus, erwägen wir Meinung und Gegen-
meinung, äußern wir unsere Wünsche laut und vernehmlich, formen
wir würdig aber deutlich unsere Forderungen und suchen wir vor
allem Mittel und Wege, den Musikunterricht an Blindenanstalten so
gedeihlich und so erfolgverheißend als nur irgend möglich um- und
auszugestalten. Ehe wir aber zu einer Zusammenkunft schreiten, muß
ich wissen, wie Ihr Euch zu dieser Frage stellt. Daher bitte ich Euch
um schriftliche Äußerung zu meinem weiter unten entwickelten Pro-
gramm. Zuschriften erbitte ich unter meiner Privatadresse „Hadersdorf-
Weidlingau, Hauptstraße 140" bis spätestens 1. Mai 1. J., da ich in der
Juni-Nummer dieser ,.Zeitschrift" über das mir zugegangene Material
sowie über den Stand der ganzen Angelegenheit kurz zu berichten ge-*
denke. Bis dorthin wird es auch schon möglich sein, bestimmen zu
können, ob, wann und wo unsere Zusammenkunft stattfinden kann.
Mein Programm ist folgendes :
1. Stellungnahme zur Frage der Reformbedürftigkeit des Musik-
unterrichtes an Blindenanstalten.
(Zustimmung, Ablehnung, Anregungen, Winke, Ratschläge, Richt-
linien).
2. Zeit und Ort der Zusammenkunft.
Als Zeitpunkt für unsere Zusammenkunft schlage ich einen Tag
im Laufe der Woche nach Schluß des heurigen Schuljahres
vor. Als Ort habe ich den Saal in der Versorgungs- und Be-
schäftigungsanstalt in Wien, Josefstadt ins Auge gefaßt, wenn
er für diesen Zweck zu haben ist. Sollte ein früherer Termin
— allenfalls der Pfingstdienstag, 10. Juni — oder ein anderer
Raum zur Abhaltung der Versammlung erwünschter sein, so
bitte ich, mir das bekannt zu geben.
3. Teilnehmer.
An unserer Versammlung mögen teilnehmen:
a) alle Musiklehrer und Musiklehrerinnen, welche an einer Blin-
denanstalt des deutschösterreichischen Staates wirken und
ein staatsgiltiges Musikzeugnis besitzen oder eine Musikhoch-
schule absolviert haben ;
b) alle blinden Musiklehrer und -Lehrerinnen, welche, wenn-
gleich an keiner Blindenanstalt wirkend, ein staatsgiltiges
Musikzeugnis besitzen oder eine Musikhochschule absolviert
haben ;
c) alle blinden Musiker, die aus irgend welchen Gründen kein
staatsgiltiges Musikzeugnis erwerben konnten, die auch keine
Musikhochschule besucht. haben, die sich aber für diese An-
gelegenheit interessieren und die uns durch ihre Erfahrungen
sowohl als gewesene Zöglinge einer Blindenanstalt, wie auch
durch praktische-musikalische Betätigung gute Ratschläge
erteilen können;
Seite 1094. Zeitschrift für das österreichische Blindcnwesen. 3. Nummer.
d) Vertreter der Presse, Mitglieder von musikalischen Körper-
schaften, von Blindenvereinen, sowie Blindenlehrer und Blin-
deufreunde sind als Gäste willkommen.
4. Tagesordnung der Zusammenkunft:
Begrüßung durch den Einberufer.
Wahl eines Ausschusses zur Leitung der Versammlung.
Festlegung der Grundlinien, in denen sich die geplante Re-
form bewegen soll.
Anregungen, Vorschläge, Anträge und Beschlüsse.
Wahl eines Arbeitsausschusses.
Schlußwort.
5. Aufgabe des Arbeitsausschusses:
Da die Versammlung nur vorbereitenden Charakter haben kann,
wählt sie aus ihrer Mitte einen Arbeitsausschuß. Dieser hat die
Aufgabe auf Grund der während der Tagung gefaßten Beschlüsse
eine Denkschrift auszuarbeiten, in welcher die Wünsche und
Forderungnn der Musiklehrer klar formuliert sind. Diese Denk-
schrift wird zu einem späteren Termin einer neuerlich einzu-
berufenden Versammlung vorgelegt, allenfalls mit Zusätzen oder
Abänderungen versehen, um im fertigen Zustande den in Be-
tracht kommenden Staats- und Landesbehörden, sowie den
Leitern der Blindenanstalten Deutschösterreichs überreicht zu
werden. Die Staatsbehörde (Staatsamt für Unterricht) wird
deputativ gebeten, die Denkschrift gewissenhaft zu überprüfen
alsdann für ihre Durchführung Sorge zu tragen und durch ein
Musik-Inspektorat für Blindenanstalten die Bestimmungen der
Denkschrift überwachen zu lassen.
6. Wahlberechtigung :
Das aktive Wahlrecht kann von allen Teilnehmern der Ver-
sammlung ausgeübt werden. Das passive Wahlrecht ist jedoch
nur den Gruppen a) und b) unter Punkt 3 zuzugestehen. Diese
Einschränkung ist notwendig; sie ist keineswegs aus Fach- und
Prüfungsdünkel erflossen, von dieser Schwäche weiß ich mich
frei; allein die staatlich autorisierten Musiklehrer müssen die
Führung der ganzen Angelegenheit in Händen behalten. Geht
sie doch die Sache zunächst an. weil es sich ja um ihre eige-
nen und die Interessen ihrer Schüler handelt. Auch können nur
mit staatlicher Lehrbefähigung ausgerüstete Organe den Behör-
den gegenüber mit dem nötigen Nachdruck auftreten. Wer da
weiß, was in Österreich Prüfungen und Zeugnisse von jeher
gegolten haben und noch gelten, wird mir ohne weiters recht geben.
7. Anschluß an die Musikerkammer:
Die Musiklehrer der Blindenanstalten Deutschösterreichs müssen
trachten in der zu errichtenden Musikerkammer Sitz und Stinmie
zu erhalten.
Dies — mein Programm.
3. Nummer. Zeitschrilt tür da« österreichische Blindenweien. Seite 3 096.
Ich will nun warten, welchen W.ederhall es bei Euch, hochge-
schätzte Kollegen, liebwerte Schicksalsgenossen, finden wird. Nach meiner
Überzeugung muß die Reform des Musikunterrichts an Blindenanstalten
früher oder später kommen. Wenn wir sie jetzt nicht machen, werden
sie die andern, die nach uns kommen machen müssen; aber gerade
jetzt sind Zeit und Gelegenheit Reformbestrebungen günstiger als je
zuvor. Wir stehen vor einer Entscheidimgsstunde. In unserem Willen
zur Tat ruht ein Stück glücklicher Zukunft jener Hunderten von Blinden,
welche sich dem Musikstudium widmen und denen dereinst die Musik
das tägliche Brot schaffen und den sicheren Boden einer geordneten
Existenz bieten soll; ihre Zahl kann unter günstigen Unterrichtsbedin-
gungen erheblich gesteigert, ihre Leistungsfähigkeit erhöht werden. Aber
auch jener vielen anderen Blinden wollen wir nicht vergessen, die die
Musik zwar nicht zum Lebensberuf erwählen können, denen sie aber
Trost im Leid, Licht in der Dunkelheit, Erhebung über den nüchternen
Alltag, Befreiung von aller Erdenschwere — mit einem Wort — irdi-
sche Glückseligkeit, oft die einzige, deren sie teilhaftig werden, be-
deutet.
Hochgeschätzte Kollegen, liebwerte Schicksalsgenossen! Es ist eine
schöne und eine gute Sache, deren Dienste wir uns weihen: die Sache
der Kunst, die Sache der Blindenbildung. Wer wollte da nicht kommen,
wo es gilt, mitzuraten, mitzuhelfen, mitaufzubauen! Und darum,
frisch ans Werk zu Wort und Tat!
Mit kollegialem Gruße
Anton K r t s m a r y,
ichlehrer an der n. ö. ]
Blindenanstalt in Purkersdorf.
Weidlingau, im Februar 1919.
Musikfachlehrer an der n. ö. Landes-
Der Blinde in der Sage, im Märdien und in der Legende.
Von Blindenlehrer Ottokar W a n e c e k, Purkersdorf.
(Fortsetzung).
Der griechische Sänger Thamryas hielt sich würdig genug, die
Musen im Gesang zu überwinden. Blindheit ist sein Lohn.
Anchises zeugte mit Venus, die sich in den schönen Jüngling
yerliebt hatte, am Flusse Simois unter der Gestalt einer Hirtin den
Aeneas. Er sollte aber nicht sagen, daß Aeneas der Venus Sohn sei.
Anchises hält das Schweigen nicht und Jupiter schleudert auf Bitten
der Venus seinen Blitz auf ihn. Sie lenkt diesen aber, im letzten Augen-
blick ihrer Liebe zu ihm gedenkend, von seinem Leben ab, so daß er
bloß ein Auge verliert.
Als Strafe für unersättlichen Geiz erscheint die Blindheit in der
orientalischen Sage von Abdallah, die Rückert und Ghamisso behandelt
haben. (Siehe Bürklen: „Der Blinde im Spiegel morgenländischen
Schrifttums," Zeitschrift für das österr. Blindenwesen 1917, Nr. 8, 9, 10,
11, 12).
Der bösen Stiefmutter im Märchen vom Aschenbrödel picken
die Tauben die Augen aus.
Seite 1096. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 3. Nummer.
Für die Schändung der Leiche der Penthesiieia, der er ein Auge
mit dem Speer ausstieß, wird Thersites, der schmähsüchtige, häßHche
Grieche von Achilleus mit der Faust erschlagen.
Bemerkenswert ist auch, daß in der Sage Verbrecher an sich
selbst Gericht üben, indem sie sich blenden. Erinnert sei hier an G o 1 o
im Märchen von Genofeva, der bei der Einsicht seiner Niedertracht zu
dieser furchtbaren Selbststrafe schreitet. (Vergl. Hebbels „Genofeva").
Zu bekannt ist ferner die Geschichte des 0 e d i p u s, als daß sie hier
des weiteren erörtert zu werden brauchte. (Hyg. fab. 67, Diod. Sicc.
IV. 66). Erwähnt sei nur, daß der Blindheit in den ursprünglichen Fas-
sungen der Sage nicht erwähnt wird. F>st die Tragiker verflochten sie
mit dem beliebten Gegenstand.
Aber es wurden auch andere Motive der Selbstblendung gefunden
als das Bewußtsein, eine schwere Schuld sühnen zu müssen. Von dem
berühmten Philosophen Demo kri tos wird erzählt, daß er, um sich
ganz den Betrachtungen widmen zu können, sich nicht nur in die
Wohnungen der Toten zurückgezogen, sondern sich auch die Augen
ausgerissen habe. Allerdings achtete man dabei des Widerspruches
nicht, der sich ergeben mußte, wenn üemokrit auch dann noch ganz
den Beobachtungen der Natur sein Leben weihen sollte. Blind in der
Einsamkeit soll er zufrieden die Torheiten der Menschen belacht haben.
(Aul. Gellius. N. Att. X. 17.)
Es ist wohl kaum ein Irrtum, wenn wir in der Fabel von Demo-
krit die griechisch heitere Fassung des tiefen Gedankens der Läuterung
und des Entgehens sündiger Gelegenheiten, wie sie das Zusammenleben
der Menschen bringt, durch die Blindheit sehen. Derselbe Gedanke ist's,
der Christus sagen läßt: „Wenn Dich ein Auge ärgert, so reiße es aus",
derselbe Gedanke, über den wir in der chinesischen Bearbeitung von
Acvagoshas Buddha Carita (Buddhas Leben) lesen:
„Weit besser wär's, ihr bohrtet
Euch glühende Nägel in die beiden Augen
als das Ihr Lustgedanken in Euch hegtet
und einem Weibe nachsäht mit Verlangen
von schlechter Art."
Die Blindheit erscheint hier als wirksames Hilfsmittel zu einem
asketischen Leben. Ähnliche Vorstellungen lassen Ottilie die Blindheit
begehrenswerter erscheinen als das Licht. Hierüber Rückerts Gedicht:
Ottilie.
Von Friedrich R ü c k e r t.
Im Elsaß wohnt' ein Gräfe, von Hohenburg genannt.
Durch Macht und großen Reichtum im ganzen Land bekannt:
Er hatte, was er mochte, Schlösser, Wälder, Knappen und Roß,
Auch eine schöne Hausfrau hatt' er auf seinem Schloß.
Er hätte selbst nichts wünschen mögen zu seinem Glück,
Es fehlte zu dem allen ihm nur ein einzig Stück,
Daß er kein Kind nicht hatte, des war sein Kummer groß,
Wem sollt' er hinterlassen seinen Reichtum und sein Schloß?
3. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1097.
Und als um Ehesegen er nun zehn lange Jahr"
Dem Himmel angelegen, wollt er verzweifeln gar;
Da war ihm noch gehören im elften Jahr ein Kind;
Die Lust war halh verloren, denn von Gehurt war's hlind.
Es wuchs lind wurde größer, so konnf es leider nicht
Des Vaters Hurgen und Schlösser sehn mit dem Augenlicht.
Es ward nach des Vaters Willen genannt Ottilie;
Da erwuchs es fromm im stillen, wie eine Lilie.
Wie eine blühende Lilie, die jeden, der sie schaut,
Erfreut und ihm gemahne! wie eine Gottesbraut,
Die mit ihren blinden Augen des Himmels reinstes Licht
Doch wollt in sich kann saugen, daß ihr kein Glück gebricht.
Da hatte doch der Vater nur diesen Wunsch allein.
Daß sehend möchte werden sein blindes Mägdelein;
Wenn sie das Licht des Tages mit Augen sollte sehn,
Er dachte, daß er zufrieden dann wollte zu Grabe gehn.
Da war zuletzt von Wünschen des Kindes Herz geschwellt,
Daß sie mit ihren Augen sehn dürfte diese Welt,
Von der all ihre Lieben bei Tag und auch bei Nacht
So wundervoll beschrieben alle die sichtbare Pracht.
Und als das Kind Ottilie ward vierzehn Jahre alt.
Und kam zur vollen Blüte jungfräulicher Gestalt:
Ward ihr der Wunsch erfüllet, das Wunderwerk geschah.
Daß sie vor sich enthüllet das Licht des Tages sah.
Sie sähe mit den Augen nun diese schöne Welt,
Die man der Blinden hatte so reizend vorgestellt;
Sie sah auch ihren Vater, seinen Reichtum und sein Schloß;
Seine Freude darüber war über die Maßen groß.
Doch ihre eigne Freude war an dem allem klein:
Sie kehrte ihre Blicke erst recht in sich hinein,
Oder kehrte sie aufwärts zu des Himmels Zelt,
Sie ließ nicht einen haften an aller dieser schönen Welt.
Der Vater aber machte nun seine Pläne gleich;
All auf und nieder dachte er hin durchs ganze Reich,
Wen er sollt' als Eidam führen in sein Haus:
Den allerreichsten und edelsten sucht' er dazu sich aus.
Und als sie eines Abends von ihrem Gebete kam,
Sprach er zu ihr: Erlesen ist dir ein Bräutigam.
Du sollst ihn zu empfangen, dich rüsten und schicken fein;
Denn morgen mit dem frühesten soll deine Hochzeit sein.
Wie sehr erschrak die Jungfrau, da sie das Wort vernahm!
Sie sprach bestürzt: Ich habe schon einen Bräutigam,
Und will, bei meinem Heile! stets haben diesen nur.
Da tat der zürnende Vater einen unerhörten Schwur.
Seite 1098. Zeitschrift für das österreichische Blindcnwesen. 3. Nummer.
Anblickt' er seine Tochter mit Augen voller Zorn :
Da stach so recht die sanfte durch Herz ein scharfer Dorn.
Sie wünschte, daß sie doch lieber geblieben wäre blind,
Als daß so seinen Vater sollte zürnen sehn ein Kind.
Sie floh in ihre Kammer vor ihres Vaters Zorn,
Und weinte aus den Augen von Tränen einen Born,
Sie sprach: 0 weh des Wunsches, daß ihn mir Gott verlieh;
Solang' ich blind gewesen, hab* ich geweinet nie.
Die Sterne Gottes schauten mild in der Jungfrau Jammer,
Es war als ob sie riefen: Komm aus der dunklen Kammer!
Sie schritt im tiefen Schweigen der Nacht aus dem Gemach,
Sie wußte nicht wohin sie ging, sie ging nur den Sternen nach.
Und als der helle Morgen auf Hohenburg nun kam,
Die Braut war fern geborgen vorm neuen Bräutigam.
Er kam auf hohem Rosse geritten im Morgenlicht,
Da war im ganzen Schlosse die Jungfrau zu finden nicht.
Dem Vater und dem Bräutigam ward's allen beiden jach:
Sie ritten mit klirrenden Sporen der entwichenen Jungfrau nach.
Hinzu nach der Stadt Offenburg im Preisgau den Weg sie nahmen;
Sie fanden sie da nirgends, wo sie vorüber kamen.
Und als der Tag sich neigte, wollten sie umzusehn.
Noch einen Berg aufreiten, und dann zur Herberg" gehn.
Da sahen sie auf dem Berge, hoch oben im Sonnenlicht,
Stehn die Jungfrau Ottilie mit verklärtem Angesicht.
Sie hielten eine Weile und wagten nicht zu nahn;
Dann sprengten sie die Steile des Berges rasch hinan.
Die Jungfrau Ottilie sah ihr Herreiten nicht;
Ob ihr die Augen blendete das Abendsonnenlicht?
Oder ob es thaten die Tränen, die ihr flössen?
Sie merkt" es nicht, bis sie nahten mit ihren lauten Rossen.
Da erkannte sie plötzlich, wie nah die Gefahr ihr sei,
Und tat empor zum Himmel einen hilferufenden Schrei.
Der Himmel kam zu Hilfe seiner erwählten Braut;
Vom Vater und vom Bräutigam ward das Wunder geschaut.
Sie schreckten auf ihren Rossen rückwärts um einen Schritt,
Als sich auftat der Boden und sie sanft hinunterglitt.
Die Erde, da sie also half in ein schützend Grab
Die Jungfrau da geborgen, sich wieder zusammengab,
Daß auf derselbigen Stelle blieb keine weitere Spur
Als eine klare Quelle floß aus einer Spalte nur.
Die Quelle fließt noch heute, und ist im Lande bekannt;
Es ist auch der Ottilienberg derselbige Ort genannt.
Es soll für schwache Augen Stärkung die Quell' erteilen;
Man sagt, sie solle taugen, die Blindheit gar zu heilen.
Es stammt die Quell' aus Tränen solch einer Jungfrau ja,
Die selber blind gewesen und dann das Tagslicht sah.
Zu ihrem eignen Glücke hat sie es nicht gesehn;
Wir wünschen, daß es andern möge zum Glück geschehn.
(Fortsetzung folgt.)
3. Nummer. Zeitschritt für das österreichische Biindcnwesen. Seite 1099.
Blindenwesen und Blindenfürsorge in Holland.
Herr Dr. Ludwig Colin in Breslau, welcher, bekanntlich selbst
blind, seit einer Reihe von Jahren eine rührige und sehr erfolgreiche
Tätigkeit auf dem Gebiete des Blindenwesens in Deutschland entfaltet
und im Laufe des Weltkrieges auf die Gestaltung der Kriegsblindenfür-
sorge höchst ersprießlich nach modernen Grundsätzen Einfluß genommen
hat, ist auch bemüht, die Blindenwohlfahrtseinrichtungen fremder Länder
kennen zu lernen. Nachdem er schon wiederholt die bestandene Öster-
reich-ungarische Monarchie besucht und in mehreren Städten daselbst
sehr interessante Vorträge gehalten hatte, unternahm er in den Weih-
nachtsferien des Jahres 1917 eine Studienreise durch Holland, um auch
dort Erfahrungen zu sammeln. Die Ergebnisse dieser Reise hat er in
einem Berichte an den Kriegsverletzteiifürsorge-Ausschuß der Provinz
Schlesien, mit welchem er als Berufsberater für Kriegsblinde in Ver-
bindung steht, zusammengefaßt, von welchem er mir eine Abschrift in
Braille zugehen zu lassen so liebenswüadig war. Da dieser Bericht
Vieles enthält, was auch für uns interessant und anregend ist, gebe ich
ihn im Folgenden mit Zustimmung des Verfassers auszugsweise wieder.
Über die berutliche Ausbildung der Blinden:
„Während meines Aufenthaltes in Holland habe ich alle Anstalten
und Einrichtungen hesuchl, welche der Ausbildung oder Beschäftigung
Blinder dienen. Der Blindenunterricht bewegt sich in Holland in eben-
demselben Rahmen, wie bei uns in Deutschland. Dem Anschauungs-
unterrichte wird in der Schule ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet.
Die beiden Landes-Blindenaiistalten in Amsterdam (evangelisch) und
Grave (katholisch) bilden ihre Arbeitszöglinge nur in den üblichen
Blindenberufen aus und von beiden Instituten wurde mir übereinstim-
mend mitgeteilt, daß keiner der alten Blindenberufe imstande sei, den
Blinden zu ernähren, wenn derselbe, ohne irgend einer Arbeitsorganisa-
tion anzugehören, auf den Ertrag seiner Arbeit allein angewiesen sein
soll. Die Blindenanstalten selbst aber seien, da sie sich in der Haupt-
sache mit der schulmäßigeii Ausbildung ihrer Zöglinge zu befassen
haben, weder die geeigneten Arbeitsgeber noch die geeigneten Arbeits-
vermittler. Daher lebt in Holland der überwiegend größere Teil der er-
wachsenen Blinden weniger vom Arbeitsertrag als vielmehr von Bar-
unterstützungen.
In Amsterdaui, wo mir Herr Dr. Beizer, der Direktor der Anstalt,
in liebenswürdigster Weise Auskunft gab, fand ich einen blinden Portier,
der alle Arbeiten, die seine Stellung fordert, gut und gewissenhaft leistet.
Der Herr Direktor sagte mir, daß sich der Mann ganz ausgezeichnet
bewähre und er nur raten kann, daß sich jede Blindenanstalt einen
intelligenten Blinden für einen solchen Posten ausbilde. Ich habe gestaunt,
mit welcher Sicherheit und Gewandtheit dieser Mann "umhergeht und
alles tut, was von ihm gefordert wird. In der Druckerei der Anstalt
habe ich ein Druckverfahren gesehen, das meines Erachtens praktischer
und billiger ist, als das bei uns übliche. Der Satz wird hier wie in der
Druckerei für Sehende durch Matrizen hergestellt, (Metallklötzchen mit
aufgeprägten Punktbuchstaben), in einen Rahmen gespannt und dann in
die Presse getan. Der — l)linde — Drucker bedient sich des üblichen
Setzkastens und es war zum Staunen, mit welcher Gewandtheit und
Seite 1100. Zeitschrift für das östcT reichische HMndenwes,en. 3. Nummei.
Sicherheit er nach dem Abdrucken des Satzes jeden einzehien Buch-
staben in das für ihn bestimmte Kästchen zurückwarf."
Nach einer Betrachtung über die Nutzanwendung, welche hieraus
unter gewissen Voraussetzungen hinsichtlich der Verwendung von Blinden
in Schwarzdruckereien möglicherweise gezogen werden könnten, sowie
nach der Mitteilung, daß in der Amsterdamer Blindenanstalt neben einer
Punkt-Zeitschrift auch eine solche in lateinischer Reliefschrift, deren
Grösse etwa ein Drittel derjenigen der Braillezeichen beträgt, gesetzt
wird, fährt Dr. Cohn fort:
„Als einzige neue Arbeit zeigte mir die Amsterdamer Anstalt die
Anfertigung von Schuhen, auf welche ich weiter unten zurückkommen
werde. In der katholischen Blindenanstalt Grave wird neben den üblichen
Blindengewerben noch die Zigarrenmacherei betrieben und zwar werden
hier Zigarren von ein- und derselben Sorte kleineren Formats und nicht
besonders guter Qualität hergestellt. Ich habe Gelegenheit genommen,
mit einem Zigarrenfabrikanten eingehend über Zigarrenmacherei als
Blindenberuf zu sprechen, wobei ich besonderes Gewicht auf die Ver-
arbeitung des Deckblattes legte; hierbei kommt es bekanntlich darauf
an, daß das Deckblatt ohne Fehler ist, was der Blinde kaum wahrnehmen
kann. Mir sagte nun jener Fabrikant, daß der Blinde als einwandfreier
Arbeiter nur dann zu beschäftigen ist, wenn es sich, wie eben in Grave,
um die Erzeugung ein- und derselben Sorte handelt, und wenn ihm,
was in großen Betrieben der Fall ist, die Deckblätter von der Deckblatt-
Maschine beschnitten übergeben werden. Diese Deckblätter sind dann
fehlerfrei und der Blinde kann sie ohne weiteres verarbeiten. Aber auch
in der Zigarrenindustrie kann der Blinde nur dann etwas verdienen,
wenn er von einem größeren Unternehmen dauernd voll beschäftigt wird.
Ich fuhr auch nach Rotterdam, um mit dem Vorsitzenden der
niederländischen Blindenvereinigung, Herrn Tewechel, zu sprechen.
T., der im 30. Lebensjahr erblindet ist, war vorher in Holland und im
überseeischen Ausland als Großkaufmann tätig und ist als Blinder von
einer großen Plantagengesellschaft als Direktor angestellt worden; er
leitet seinen großen Betrieb ganz selbständig, doch hat er noch einen
zweiten Direktor zur Seite. Herr Tewechel ist Leiter des niederlän-
dischen Blindenvereins und wir haben ganz eingehend über die Erwerbs-
tätigkeit der niederländischen Blinden gesprochen. Er bestätigte mir das,
was mir Direktor Beizer schon gesagt hatte nnd erzählte, daß er
daran arbeite, eine durchgreifende Besserung dadurch herbeizuführen,
daß er die Blindenarbeit zentralisieren und durch eine laufende Staats-
hilfe subventionieren lassen wolle. Von dieser Maßregel verspreche er
sich sehr viel. Eine Einrichtung, wie er sie für Rotterdam, Amsterdam
und andere Städte des Königreiches plane, besteht schon in Utrecht.
Ich fuhr daher dorthin, um mir dies näher anzusehen. Dort besteht ein
Verein, welcher sich die Aufgabe gestellt hat. Blinde unentgeltlich zu
beschäftigen; er hat ein Haus gekauft und in demselben die verschie-
denen Werkstätten für Blindengewerbe eingerichtet. Der Verein besorgt
die Beschaffung des Materials und der Arbeitsaufträge, letztere durch
besondere Angestellte. Außerdem läßt er auch auf Vorrat arbeiten und
bringt die Ware durch selbständigen Verkauf zum Absatz. Die Blinden
von Utrecht und Umgegend kommen morgens 9 Uhr dorthin und arbeiten
?,. Nummer. Zeitschrift für das ^Jsterreichisrhe Rlindenwesen. Seite 1101.
bis halb ö Uhr nachmittag.s, mil einer halb.stündigen Kafleepause um
12 Uhr. Es werden Wochenlöhne gezahlt, und die Blinden haben sich
nicht darum zu kümmern, ob ihre Arbeitsprodukte verkauft werden
oder nicht. Die Einrichtung ist noch zu jung. ;als daß sie von einer
langen Erfahrung sprechen könnte, aber sie läßt ihre Blinden so viel
verdienen, daß die meisten ohne eine Barunterstützung ihr Aaskommen
finden. Für solche Institute wünscht Herr Tewechel eine laufende
StaatsunterstüJzung, um den blinden Arbeiter so zu entlohnen, damit er
von dem P^trage seiner Arbeit leben kann. Das Institut in Utrecht lol)t
ganz besonders die frohe arbeitsfreudige Stinnuung seiner Arbeiter und
ist mit ihrem Fleiß und dem pünktlichen Erscheinen der Blinden sehr
zufrieden. (Das ist nun allerdings eine Fürsorgemethode ältesten Stils,
die auf dem üblichen rein humanitären Prinzipe bernht: da haben wir
doch modernere Einrichtungen.)
Von Herrn Tewechel wurde ich auf das Invalidenhaus in
Bronweeg bei Arnheim aufmerksam gemacht, in welchem die In-
validen der holländisch-indischen Armee untergebracht und beschäftigt
werden: hier ist auch eine eigene Abteilung für Blinde. Ein Herr Stöcker,
der lange Zeit in Indien gewesen ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht,
für das Wohl der in Bronweeg befindlichen Blinden zu sorgen. Ich be-
gab mich mit Herrn Stöcker nach B. und fand dort fünf Blinde, von
denen einige seit einem Jahre, einige seit zwei Jahren unter Stock er s
Leitung gewerblich tätig sind. Herr Stock er ist bemüht, immer neue
Arbeitsgebiete zu finden und so die Tätigkeit des Blinden mannigfaltig
zu fördern. Neben der großen Stroh- und Bastflechterei betreibt
Herr Stöcker die feine Kunstflechterei mit geradezu vollendetem
Resultate. Ich habe einen Untersatz für Teekannen aus Palmenbast mit-
gebracht, bei dem nicht nur die Bastfarbe, sondern auch die Fasern-
knüpfarbeit sauber und schön ausgeführt ist. Sodann läßt Herr Stöcker
seine Leute die sogenannte Macramearbeit (Knüpfarbeit mit Perlgarn)
machen, und es ist wirklich ganz wunderbar, mit welcher Exaktheit die
Leute die anscheinend sehr schwierigen Muster beherrschen. In diese
Macramesachen werden häufig größere und kleinere Perlen eingearbeitet.
Überdies läßt Herr Stock er auch die üblichen Holzperlenarbeiten
(Serviettenbänder, Untersätze, Körbchen u. s. w.) anfertigen. Diese Arbei-
ten gehören sämtlich in das Gebiet des Kunstgewerbes und werden in
Bronweeg in einer so schönen Ausführung hergestellt, daß sie gerne
gekauft und als Luxusgegenstände gut bezahlt werden.
Das Wichtigste aber, was in Bronweeg geleistet wird, ist die Her-
stellung von Schuhen, wovon ich schon oben sprach. Hier handelt es
sich tatsächlich um einen Beruf für Blinde, welcher überall, besonders
in der Gegenwart mit dem besten Erfolg eingeführt werden kann. Herr
St. war so liebenswürdig, mir durch einen seiner Arbeiter die Her-
stellung der Schuhe genau erklären und mich auch an einem Schuh
arbeiten zu lassen. Es handelt sich um eine Arbeit mit Tuchstreifen,
welche aus den Resten von Militärtuchen oder aus alten Uniformen
gewonnen werden können. Diese Tuchstreifen werden in einer ganz be-
sonderen, aber sehr einfach und leicht zu erlernenden Weise über
Schuhleisten gespannt und dann in entsprechender Form behandelt. Ein
solcher Schuh, der noch durch Futter oder eine eingearbeitete Sohle
Seite 1102. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 3. Nummer.
verschönt werden kann, ist sehr haltbar und warm und ich bin über-
zeugt, daß, wenn wir hier diese Arbeit einführen würden, wir eine
reichliche und sehr gut gelohnte Beschäftigung für unsere Kriegsblinden
haben könnten. Diese Tätigkeit empfielt sich um so mehr, als es hierzu
keiner besonderen Werkstätten bedarf, indem der Arbeiter nichts als
seine Leisten, Stoffreste, ein paar Nägel, Nadel und Zwirn braucht."
Dr. Cohn erteilt dann einige Ratschläge, in welcher Weise für
die Weiterverbreitung nnd Erlernung dieses Erwerbszweiges in Deutsch-
land gesorgt werden könnte, warnt davor, sie bloß als Sport oder zur
Cnterhaltung zu betreiben, wünscht vielmehr, daß sie zu einem regel-
rechten Blindenberufe ausgestaltet werden sollte und macht noch auf
eine sehr praktische Nähnadel für Blinde aufmerksam, die er bei dieser
Gelegenheit keimen gelernt hat und die es den Blinden ermöglicht, ohne
sehende Hilfe schnell und sicher einzufädeln. Was die Herstellungskosten
der Schuhe anlangt, so sind sie angesichts der Billigkeit der Tuchabfälle,
welche man vielleicht aus den Bekleidungsanstalten auch umsonst er-
halten könnte, sehr niedrig. Direktor Dr. Beizer in Amsterdam ver-
anschlagt sie für das Paar auf etwa 15 — ^20 Pfennige, wogegen der
Verkaufspreis in Holland das Sechsfache beträgt. „Um wie viel mehr",
sagt Dr. Cohn, ..heutzutage bei uns, wo wir mit der Lieferung warmer,
haltbarer Schuhe für jedes Haus der Bevölkerung wirklich etwas wert-
volles bieten könnten."
„Auf die Ausbildung blinder Maschienenschreiber wird in Holland
nicht gerade viel Gewicht gelegt, es ist aber von einem Lehrer der
Amsterdamer Anstalt eine sehr zweckmäßige Erfindung zur Ausbildung
gemacht worden, nämlich durch die Zeichnung einer Hand, die für
jeden Finger beider Hände diejenigen Buchstaben vermerkt, welche in
den verschiedenen Tastenreihen geschrieben werden sollen. Auf diese
Weise kann der Blinde, auch wenn er die Maschine nicht zur Verfügung
hat, das Schreiben mit Fingersatz sehr gut üben.
Musik wird in den holländischen Blindenanstalten sehr gnt gepflegt
und es gibt außerordentlich tüchtige blinde Organisten im Lande. Augen-
blicklich beschäftigt man sich mit der Frage, in welcher Weise und
mit welchem Erfolge blinde Musiker in Orchestern unterzubringen wären.
Sehr interessant ist mir gewesen, daß ich in Holland eine aus-
gesprochene Abneigung fand, den Blinden in der Landwirtschaft zu
beschäftigen oder anzusiedeln. Ich hatte geglaubt, in diesem Agrarlande,
in welchem Garten- und Gemüsebau einen so breiten Raum einnimmt,
könnte auch für die Blinden die Möglichkeit bestehen, daß sich Blinde
in der Landwirtschaft betätigen. Herr Tewechel. mit dem ich auch
über diese Angelegenheit eingehend sprach, kennt zwar blinde Land-
wirte, die auf eigener Scholle sitzen, die aber selbst meinen, Landwirt-
schaft käme für einen Blinden nur zur Unterhaltung in Betracht, wäh-
rend er zu einer ersprießlichen Tätigkeit außerhalb des Hauses in Feld
und Gartenland garnicht oder nur ganz nebenbei zu verwenden wäre.
Auch Herr Direktor Beizer sagte mir, daß diese Versuche, die selbst
mit jüngeren Leuten auf diesem Gebiete angestellt wurden, immer fehl
geschlagen wären."
Brunn, im Jänner 1919. Hofrat von Chlumecky.
Herausgeber: ZeutraWerein für das östeireicbische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee : K. Bürklen,
J. Kneis, A. t. Horyath, F. Uhl, — Drnck tod Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
Verschiedenes.
Eine Stiftung für kriegsblinde Offiziere. Rittmeister Prospcr
Piettc V. Rivage und seine Gattin Alice haben dem Landesvereine vom Roten
Kreuz für Niederösterreich ein Kapital von 50.000 Kronen Kriegsanleihe mit der
Widmung für bedürftige kriegsblinde Offiziere deutschösterreichiBcher Nationalität
übergeben. Die jeweils fälligen Zinsen dieses Widmungskapitals werden am 1. Februar
und am i. August jeden Jahres zur Auszahlung gebracht. Bewerber für die am
1. Februar fällig gewesenen Unterstützungen wollen ihre Gesuche bis 15. März 1. J.
»n das Präsidium des Landesvereines vom Roten Kreuz für Niederösterreich,
1. Bezirk, Milchgasse 1, einsenden.
— Neue Systeme der Punktschrift. Die Hochschulbücherei für
blinde Akademiker in Marburg a. d. L. läßt es sich angelegen sein, Punkt-
schriftsysteme für fremdsprachige und solche wissenschaftiche Texte auszuarbeiten,
für die bisher überhaupt keine oder doch wegen ihrer Mangelhaftigkeit nicht ein-
heitlich angewandte Schriftsysteme vorliegen und hat auch bereits das hebräische,
griechische und latei n i seh e Punktschriftsystem fertiggestellt. Die Arbeiten
der Kommission zur Ausarbeitung einer Punktschrift für mathematische, physi-
kalische und chemische Texte nähern sich dem Abschluß. Das Resultat wird
allen Interessenten auf Wunsch zur praktischen Erprobung in Punktschrift zugestellt.
Etwaige Vorschläge für Abänderungen werden von der Marburger Geschäftsstelle
entgegengenommen und der Kommission zur Begutachtung vorgelegt werden, bevor
das neue System eingeführt wird, mit dessen Hilfe einige Lehrbücher, For mel-
sammlungen sowie eine handliche dreistellige Logarithmentafel in Punktdruck ver-
legt werden sollen. Die Geschwindschriftsysteme von Zehme und Zak-
rewski (Berlin), sind zum privaten Gebrauch der Blinden in Punktdruck heraus-
gegeben und gleichfalls von hier zu beziehen. Die zur Ausarbeitung einer Debatten-
kurzschrift gewählte Komission wird von allen, die das eine oder andere System
erprobt haben, nach Jahresfrist Gutachten einholen, um eine möglichst breite Unter-
lage für ihre Enscheidung zu gewinnen. Die Arbeiten der Kommission zur Aus-
arbeitung einer Lautschrift sind noch nicht fertig.
— Vom türkischen Eulenspiegel des 14. Jahrhunderts Nasred i n (bereits er-
wähnt in Nr. 8, 1917) wird folgender Schwank erzählt, der in ähnlicher Weise von
Hans Sachs (Eulenspiegel und die Blinden. Siehe Nr. 6, 1916) verwertet wurde.
Er betitelt sich:
Das Almosen. Eines Tages trat der lustige Nasredin aus der Moschee
und fand vor der Tür drei Blinde, die ihn einer nach dem andern um ein Almosen
baten. N. griff in die Tasche, merkte indes, daß er kein Geld bei sich habe. Da er
jedoch auf seine Weise eine Wohltat verrichten wollte, sagte er : »Da habt ihr
einen Piaster, teilt ihn unter euch.«
Die Blinden, in der Meinung, daß er das Geldstück irgend einem von ihnen
in die Hand gedrückt, dankten dem Spender voller Freuden und flehten den Segen
Allahs auf ihn herab.
»Nun wollen wir teilen«, nahm einer von ihnen das Wort. »Wer hat, lasse
wechseln« sagte der andere. Jeder von ihnen aber versicherte; »Ich habe nichts; du
mußt es haben.« »Nein, du!« Von Mißtrauen erfüllt, das sich allsogleich zur Wut
steigerte, gerieten sie einander schließlich in die Haare und es entstand unter ihnen
eine mörderische Prügelei.
Nasredin sah, abseits stehend, dem Treiben eine Weile belustigt zu, dann
näherte er sich ihnen und sagte: »Aber warum haut ihr den so toll aufeinander?«
Da riefen sie alle zur gleichen Zeit: »Der ihn hat, und will den Piaster nicht teilen!»
»Oh weh, ich sehe er ist auf die Erde gefallen. Da will ich ihn zur Strafe
für eure Rauflust doch lieber wieder einstecken«, sagte der lustige Bruder und ging
lachend davon.
— Der erblindete Maler. Der französische Maler De gas war, nach
einem an Entbehrungen reichen Leben, in seinem Alter noch Zeuge davon, wie
seine Bilder fabelhaft hoch bezahlt wurden und es Mode wurde, für jeden Empor-
kömmlig, der sich als Kunstkenner fühlen wollte, einen »Degas« sein eigen zu
nennen. Degas war schon erblindet, als er sich eines Tages bewegen ließ, eines
seiner Jugendwerke^ das für ungeheueres Geld in den Besitz eines Millionärs von
gestern übergegangen war, wenn nicht zu besehen, so doch zu befühlen. Er strich
mit den Fingerspitzen über das Bild hin, wunderte sich, mit wie dünnem Aufstrich
er das Bild einst gemalt habe und sprach zu dem glücklichen Besitzer die Worte:
»So wenig Farbe nur? Man hat Sie um ihr Geld betrogen, mein lieber Herr!«
österreichische Slindenzeitung
1^1 Erscheint monatlich einmal. : : : Bezugspreis jährlieh 6 k. [^i
|r^| Verlag: I. Österr. Blindenverein, Wien VIII, Florianiegasse 41. |r^|
Die »Österreichische Blindenzeitung«, hergestellt nach dem vom Dozenten Dr. Max
Herz erfundenen Masst-druck der Blinden-Punktschriit, will auf humanitärer Grund-
lage fußend, den Blinden geistig fördernden und unterhaltenden Inhalt bieten.
Alle Blindenfreunde werden um Unterstützung dieser Bestrebungen gebeten.
= ^syl für blinde l{inAer =
Wien, XVII., Hernalser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpflichtigen Alter aus allen österreichi-
schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
Die „Zentralbibliotlieli fiip Blinde in Osterpeich",
Wien XVIII, Währinger GUrtel 136,
verleiht ihre Bücher kostenlos an alle Blinden.
Blinden-Unterstützungsverein
„DIE PURKERSDORFER"
Wien V., Nikolsdorfergasse 42.
Zweck des Vereines: Unterstülzung blinder Mit-
glieder. Arbeitsvermittlung lür Blinde. Erhaltung
der Musikalien-Leihbibliothek. Telephon 10.07I.
Der blinde Modelleur-
Littau in Mähren,
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: vorzüglich eignenden keramischen :
Handarbeiten. Nähere Auskunft brieflich.
FpoduhtiugBnossBnschaft für blinde
BüPStenblndBP und Korbfieciitep.
G. in.b, H.
Wien Vlli., Florianigasse Nr. 41.
Telephon Nr. 23407.
Alle Gattungen Bürstenbinder- u. Korbflechterwaren.
T«rkautsstelle: Wien VII., Neubau^asse 75.
Muslhfllien - Leihlnstitut
des Blinden-Unterstützungsvereines
»Die Purkersdorfer« in Wien V.,
: — : Nikolsdorfergasse Nr. 42. : — :
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Blindendrucknoten werden an x^i
Blinde unentgeltlich verliehen I T^I
Bll
von Oskar Pieht.
Bromberg.
W. Kraus, Berlin N 54
(Gegründet 1878.)
Borsten-, Rohmaterialien- und Werkzeug-Fabrik
===== Bürstenhölzerfabrik. =====
D
Faserstoff-Zurichterei Bergedorf
Bergedorf bei Hamburg.
Mustergültige Bearbeitung von Fiber und Piassava
aller Arten.
Organ des „Zentralvereines für das österreichische Blinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
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S ch I i f t i e i t u n g
Purkersdorf
bei Wien.
Österreichisches
Postsparkassen-
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Das Blatt erscheint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
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ganzjährig mit
Postzusteilung
6 Kronen,
Einzelnummer
50 Heller.
D
D
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D
6. Jahrgang.
Wien, Rpril 1919.
4. Nummer.
INHALT: Das Grammophon im Musikunterrichte der Blinden. O. Wanecek,
Purkersdorf: Der Blinde in der Sage, im Märchen und in der Legende.
Sendschreiben des „B'indenfreundes" über die Neugestaltung des deutsch-
österreichischen Blindenwesens. Heilpädagogik in dei Lehrerakademie in Wien.
Heilpädagogische Vereinigung in Hamburg. Aus den Anstalten. Rus den
Vereinen. Für unsere Kriegsblinden. Mitteilung. Briefkasten. RItes und Neues.
(Rnkündigungen).
=a
D
B=
D
3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien Vlil,
ij Josef Städterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 3 K, Zeitungsbeitrag 3 K. ^
□Iw — wE
Altes und Neues.
Der blinde Berto. Der Träger dieses Namens ist ein Pferd,
das oremeinsam mit einigen sehenden Vertretern dieser Tiergattung
eine gewisse Berümtheit erlangte. Der Pferdebesitzer K. Krall in
Elberfeld machte vor Jahren die Öffentlichkeit mit einer Anzahl rech-
nender und denkender Pferde bekannt und glaubte damit die Denk-
fähigkeit der Tiere nachgewiesen zu haben. Seine Pferde vermochten
mit schriftlich vorgehaltenen oder vorgesprochenen Zahlen zu rechnen,
indem sie mittels Hufschlägen das Resultat angaben und zwar be-
tätigten sie sicli in allerlei Rechnungsarten, sogar im Wurzelziehen
unter der Leitung ihres Lehrlierrn mit großer Sicherheit. Sie ver-
standen es sogar, auf Fragen in Sätzen zu antworten, indem sie nach
einem Klopfsystem Worte bekanntgaben, in denen merkwürdigerweise
die Selbstlaute meistens ausblieben z. B. ig dnkn = ich denken, als
was lebd hd sl = alles was lebt, hat Seele.
Hatte die Rechenfähigkeit der Pferde schon verblüfft, so muSte
ihre Fähigkeit Reime zu finden, Spitznamen zu geben, ja sogar ihre
eigene Denkfähigkeit zu behaupten, doch Zweifel inbezug auf die
richtige Ausdeutung dieser Tatsachen erwecken. Die Angelegenheit
fing an, die Wissenschaft zu beschäftigen, aber dieu rechnenden und
denkenden Pferde vermochten den wissenschaftlichen Untersuchungen
nicht Stand zu halten. Es stellte sich nämlich heraus, daß eine eigent-
liche Rechen- und Denkleistung den Elberfelder Pferden nicht zukommt,
sondern daß bei ihren Klopfaussagen eine bewußte oder unbewußte
Zeichengebung des menschlichen Fragestellers vorliegt. Zum Teil sind
dies optische Zeichen (Kopf-, Hand- oder Augenbewegungen) zum
Teil unwillkürliche akustische Zeichen, durch welche der Fragesteller
den Tieren die richtigen Antworten unbewußt suggeriert. Eine ent-
sprechende Antwort ist von den Tieren auch nur zu erhalten, wenn
der Prüfende Frage und Antwort selbst kennt. Kennt der Herr diese
nicht, so erfolgt eine Fehlantwort oder überhaupt keine. Staunenswert
bleibt immerhin die Auffassungsfähigkeit der Tiere für eine ganz un-
auffällige Zeichengebung, die manchmal garnicht in der Absicht des
Fragestellers liegt.
Das blinde Pferd Berto tat sich in den genannten Künsten ganz
besonders hervor, denn es versagte selbst bei strengen Prüfungen
niemals ganz und übertraf damit seine sehenden Kollegen bei weitem.
Optische Zeichen konnten bei ihm nicht in Betracht kommen, es mußte
seine Antworten aus akustischen und taktilen Zeichen (Zügelbewegun-
gen) entnommen haben. Hat mit der wissenschaftlichen Nachprüfung
die Theorie der Denkfähigkeit der Tiere auch Schiffbruch gelitten,
so könnten doch weitere Versuche in mancher Hinsicht wertvolle
Streiflichter über die Tierpsychologie Averfen und der blinde Berto
wäre hiefür ein ganz besonders interessantes Versuchsobjekt.
Briefkasten. ^
— Eine Reihe von Mitteilungen konnten in der vorliegenden Nummer nicht
mehr untergebracht werden. Wir bitten daher unsere p. t. Mitarbeiter um Geduld.
6. Jahrgang. Wien, April 1919. 4. Nummer.
i ^
^ »Die Musik ist blind, die Bildhauerkunst taub, die ^
^ Malerei stumm.« (Fr. Hebbel). ^
I ^
Das Grammophon im Musikunterrichte
der Blinden.
Das Grammophon ist heute noch ein mehr gefürchtetes als ge-
suchtes Musikinstrument. Als Prachtgrammophon spreizt es sich protzig
in Prunkgemächern, führt ein zweifelhaftes Halbweltdasein in rauchigen
Wirtschaften und wird in Familienkreisen nur selten mit Geschmack
gehandhabt. Und dennoch hat es einen großen volkserzieherischen Beruf,
der nur langsam erkannt und ausgenützt wird.
In Schulen hat es schon seinen Mund geöffnet, wenigstens zu
Sprechübungen im fremdsprachigen Unterricht. In unseren Blinden-
anstalten finden wir es als beliebtes Unterhaltungsmittel und geschickt
ausgewählte Musikvorträge von tadellosen Platten finden an unseren
blinden Zöglingen entzückte Zuhörer. Daß derartige Vorführungen auch
auf den musikalischen Sinn der Blinden fördernd einzuwirken vermögen,
wird ohne Rückhalt auch von jenen zugegeben, die am Grammophon
im allgemeinen keinen Gefallen zu finden vermögen. Den Wert oder
Unwert des Grammophons für den Musikunterricht der Blinden darzu-
zustellen wurde bisher von keiner Seite unternommen. Es dürfte daher
von Nutzen sein, einmal etwas über die Möglichkeiten der Verwendung
dieses Universalinstrumentes für den Musikunterricht — natürlich auch
für Blinde und wir denken sogar für diese in erster Linie — zu hören.
Wir folgen zu diesem Zwecke dem in den „Stimmen der Zeit" (Mai
1916) veröffentlicht Aufsatze ,.Der Bildungswert des Grammophons"
von Stanislaus von Dunin-Borko wski indem wir jenen Teil, wieder-
geben, der sich auf Musikdarbietungen dieses Instrumentes bezieht.
Seite 1108. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 4. Nummer.
Für musikalische Darbietungen — heißt es da — eignet sich die
Sprechmaschine am besten. Das Leben und die WirkHchkeit kann sie
natürhch bei weitem nicht ersetzen. Aber auch darin liegt ein lehr-
reiches Moment. Der Lehrer wird auf die veränderte Klangfarbe der
Geige hinweisen; er wird mit Interesse beobachten lassen, wie bei eini-
gen Tönen ein Mittelding zwischen Flöte und Klarinette herausklingt,
während tiefere Lagen den Violinton weit richtiger wiedergeben. Ge-
tragene Stücke, wie Schuberts „Ave Maria", Schumanns „Träumerei",
RofTs Cawatine, alte Menuetten und Gavotten, selbst noch Kompositionen
von Drdla und Sarasate, ermöglichen, von Künstlern wie Vecsey,
Kubelik und Burmester gespielt, einen wirklichen Genuß : reine Virtuo-
senstücke, mögen sie auch von solchen ersten Größen vorgetragen sein,
sind ziemlich unleidlich anzuhören. Ungewöhnliche Schwierigkeiten
stellen sich bei Gellovorträgen ein. Man muß lange und geduldig suchen,
bis verhältnismäßig so lichtvolle Aufnahmen, wie „Caro mio Ben*', das
,.Ave Maria" und Schuberts „Ständchen" von Helking gespielt (Anker-
platten) auftauchen. Am wenigsten befriedigt das Klavier. Gewiß kann
man auch hier die wunderbare Technik d' Alberts und Paderewskis
bewundern und pädagogisch verwerten, aber die Kraft des Spieles, die
Schönheit des Anschlages und die Klangfarbe der tiefen Lagen kommen
nicht zu voller Geltung, Flöte und Kornett klingen gut, Schaustück-
chen mit Glockenspiel, Xylophon, Kunstpfeifern gelingen recht schön.
Am bekanntesten sind die Orchesterdarbietungen, Militärkapellen
rauschen ganz lustig und musikalisch vorüber, während die Streich-
orchesterplatten mit Auswahl zu genießen sind. Einfachere Zusammen-
stellungen klingen ziemlich rein, voll und in einigermaßen gesonderten
Klangfarben der einzelnen Instrumente aus dem Trichter, verwickelte
Tonmassen aber verwirren sich, stoßen die fübrenden Instrumente mit
herzlosem Ungestüm in einen vereinsamten Vordergrund und verur-
teilen die Begleitung zu einem demütigen,, allgemein unmusikalischen
Gebrumm. Es gibt Ausnahmen, auch viele Ausnahmen bei der riesigen
Auswahl, so zumal die Aufnahmen des Berliner Philharmonisehen Orchester
(Odeon) und die des Neuen Symphonie-Orchesters und des Neuen Ton-
künstler-Orchesters (Grammophon), aber auf diesem Gebiete muß der
Käufer alles prüfen und mehrmals anhören, bevor er zugreift. Man hat
jetzt neue Methoden der Aufnahme, die eine weit gerechtere Verteilung
der einzelnen Orchesterstimmen ermöglichen; die Ausführung scheint
aber durch den Krieg aufgehalten worden zu sein.
Der oben erwähnte Mißstand beleidigt bei Symijhonien, die eine
ganz deutliche Scheidung der einzelnen Instrmnentengruppen fordern,
bis zur unerträglichen Qual. Man hat abzuhelfen gewußt, indem man
das Orchester stark verminderte. Es gibt Platten für die ganze fünfte
und sechste Symphonie Beethovens, Mozarts Es-Dur- und G-Moll-Sym-
phonie, Vater Haydns Kindersymphonie und die mit dem Paukenschlag.
Sie klingen ganz nett, man kann an ihnen die Eigenart dieser mu.sika-
lischen Gattung gut erklären, vermag sich aber des Eindruckes einer
Miniaturmusik nicht ganz zu erwekren.
Quartette und Trios dagegen bieten sich fast tadellos. Alle Odeon-
Aufnahmen und Klingler-Streichquartetts sind gelungen. Leider versuchte
4. Nummer. Zeitschrift für das österreiciiische Blindenwesen. S«ite 1109.
man es bisher nur mit einigen Variationen, Menuetten und Scherzo«
aus Werken Beethovens, Mozarts, Haydns und Schuberts. Eine unver-
kürzte Wiedergabe der berühmtesten Streichquartette wäre äberau.s
lohnend und lehrreich. Recht schön hören sich auch das Renard-Trio
und die Berliner-Trio-Vereinigung (Dessau, Mayer-Mahr, Heinrich Grünfeld)
auf den Grammophonplatten an. Bedauerlichervi^eise sind es auch hier
nur wenige Sätze, die zur Aufnahme kamen.
Die größten Gesangskünstler hielten es nicht unter ihrer Würde?
ihre Stimme in der Sprechmaschine zu verewigen, und bezeugen selbst
zu wiederholten Malen, daß sie mit der Wiedergabe sehr zufrieden sind.
Wenn irgendwo, so muß auf diesem Gebiet, will man pädagogisch
wirken, jede falsche Sparsamkeit überwunden werden und nur die besten
Instrumente und vollkommensten Platten zur Wahl kommen. Die Fir-
men stellen ungerechte Forderungen an den Käufer, wenn sie von ihm
verlangen, daß er eine Platte von vornherein fest erwirbt oder gleich
zugreift nach dem einmaligen Anhören im Geschäft. Eine rühmliche
Ausnahme macht die Odeongesellschaft. welche unverkäufliche Muster-
platten herstellt und sie jedem Kunden auf Verlangen ins Haus ohne
Verpflichtung schickt. Die Geschäfte entschuldigen sich wohl und gewiß
mit Recht mit dem hochnäsigen Geizkoller steinreicher Musikprotzen,
die sich Dutzende von teuren Platten zu musikalischen Intermezzos
lukullischer Abendgesellschaften mit gnädiger Handbewegung leihen
lassen, um sie nach getaner Arl)eit und eingestrichenem Lob in Be-
gleitung eines höchst ungnädigen Bedientenbescheids zurückzuschicken.
Der Kaufmann muß denn doch seine Kunden kennen. Auch täten un-
sere. Grammophongesellschaften hierzulande gut daran, das Beispiel eini-
ger ausländischer Firmen nachzuahmen und einen ^Einheitspreis einzu-
führen, um so tien Liebhabern künstlerischer Platten die Möglichkeit
guter Vorführungen zu erleichtern. Das wäre auch der einzige Weg, das
Grammophon in größerem Maßstab pädagogisch zu verwerten. Die Preise
der Kunstaufnahmen in der Grammophongesellschaft sind unverhältnis-
mäßig hoch.
Welclien Lerngewinii kann die Sprechmas'chine für die Musik-
geschichte blieten! Denken wir nur an die Entwicklung der Arie. Die
italienische Schule, die unserem Mozart die ersten Vorbilder reichte, die
Durchdringung von Drama und Musik bei Gluck, die ungemein einheit-
liche und originelle Entwicklung der französischen Oper, die langsame
Beeinflußung der italienischen Arie durch deutsche und französische
Vorbilder, die verschlungenen Wege, die von Marschner, Weber und
Meyerbeer zu Richard Wagner führen, die wunderbare Geburt der Arie
aus der Fülle des Orchesters in einigen Kompositionen von Richard
Strauß, das schafft schon mehrere lehrreiche Musikstunden. Fni aber die
Linie vollkommen zeichnen zu können, müßten die Aufnahmen weit plan-
mäßiger geschehen. So fehlt die alte italienische Oper ganz. Nur wenige
alte Lieder stehen in den Katalogen, Außer dem unschön gesungenen,
berühmten ,.('.aro mio Ben" von Giordano sind nur zwei gut vorgetra-
gene Lieiler Pergolesis zur Verfügung. Von den Arie antiche etwa von
von Leuto, Falconieri, Gesti, Stradella, Bassani, Scarlatti ist keine ver-
treten. Nach einer Arie aus Havdns Opern sucht man vergebens. Auch
Bachs, Handels, Haydns. Mendelsohns Oratorien sind ganz stiefmütterhch
Seite 1110. Zeitschrift für das österreichische Blindenwei-en. 4. Nummer.
behandelt. Glucks Neuschöpfiing läßt sich an den spärlichen Beispielen
nicht deutlich nachweisen. Der zum Verständnis Wagners unentbehr-
liche Marschner taucht ein- oder zweinial ganz schüchtern auf. Solche
pädagogische Wünsche ließen sich noch sehr vervielfältigen. Auch
hier hat uns die Ausländerei mitgespielt. Aus Bizets „Carmen" hat
man an 300 Aufnahmen, aus dem „Barbier von Bagdad-' von Peter
Cornelius und Webers „Euryanthe" je 6; Gluck gehören 12 Nummern
Donizetti an 100.
Eine ganze deutsche Oper ist für die Sprechmaschine noch nie auf-
genommen worden. An zusammenhängenden Scenen muß man sich mit
„Lohengrins" drittem Akt begnügen. Dagegen ist Gounods „Margarete"
als Ganzes zu haben. Außerdem nur noch der oberflächliche Einakter
Mascagnis „Cavalleria rusticana" und Leoncavallos musikalisch sehr un-
gleichmäßiger „Bajazzo".
Trotzdem lassen sich schon jetzt mit dem vorhandenen Material
lehrreiche Vorführungen abspielen. Das Charakteristische in der Musik
der verschiedenen Völker tritt vollkommen deutlich hervor, wenn man
sorgfältig gewählte Reihen von Arien aus den berühmtesten Weltopern
hintereinander zu Gehör bringt. Diese Eigenarten prägen sich besser ein,
sobald man das Volkslied mit dem Kunstlied und dem dramatischen
Gesang in Vergleich bringt.
Auch die Verwandschaft von Sprache, Akzent, Wortbild und Musik
läßt sich greifbar und lehrreich nachweisen. Französische Arien in
der eigenen Sprache und gleich darauf deutsch gesungen, urdeutsche
Weisen wie Lieder aus den „Meistersingern", in beiden Sprachen vor-
getragen, ergeben die schlagendsten Unterschiede. Doch gibt es hier auch
ein neutrales Gebiet; man versuche es nur mit Lohengrins Gralserzäh-
lung deutsch und französisch.
Die italienische Oper ist so reich vertreten, daß die Auswahl
keine Schwierigkeiten bietet. Zudem haben auf diesem Felde die be-
rühmtesten Sänger ihre Stimme geliehen. Am lohnendsten wird es
sein, die Entwicklung Verdis auf breiter Linie darzulegen. Die franzö-
sichen und deutschen Elemente bei diesem allmählichen Emporsteigen
lassen sich deutlich nachweisen. Lehrreich ist es auch, die grellen
Wirkungen Mascagnis und Leoncavallos mit der auserlesenen Musik
Puccinis zu vergleichen. Hier wie in der deutschen Oper wird sich
Gelegenheit bieten, Wert und Unwert, Ernst und Liederlichkeit des
Textes ins richtige Licht zu stellen. Die Musik vermag einen nichts-
sagenden oder sogar einen häßlichen Text zu verklären und in einem
Meer von Schönheit ertränken, wie bei Mozart, sie kann aber auch
seine Entartung unterstreichen, wie leider nur zu häufig bei Richard
Strauß.
In der italienischen und französischen Musik ist es leichter, den
Zusammenhang von Volks- und Kunstmusik, Musik und Volkscharakter
nachzuweisen, als in der deutschen. Es ist deshalb von Vorteil, dort
den Anfang zu machen. Die Vorführungen fremder Musik sollen aber
zur gründlichsten Einführung in die deutsche Kunst hinüberleiten. Diese
erfaßt das Wesen und die Abgründe der Musik, ihren absoluten
4. Nummer, Zcitschrill fiii das österreichische Blindenwesen. S«ite 1111.
Charakter am tiefsten, sprengt die nationalen Grenzen weil (iiiergisciier
als die romanische Kunst. Aber deutsches Wesen, Fühlen und Denken
arbeitet und glüht in deutscher Musik, und das nachzuweisen, ist im
höchsten (rrad erzieherisch.
Zwei- und Üreigesänge, Vier- und Öechsgesänge bieten der Auf-
nahme weit größere Schwierigkeiten als der Eingesang. Mächtige Sam-
melszenen mit. Chor sind am heikelsten. Nur zu leicht verschwimmt der
Chor im Nebel oder hallt ersterbend aus schier unendlichen Entfernun-
gen weit hinter einer alles beherrschenden Einzelstimme, wie z. B. im
„Pater noster" des Chores der Westminsterabtei. Daß hian aber l)ei
richtiger Verteilung und Mäßigung der Stimmen hübsehe Erfolge erzielen
kann, beweist unter anderem die schöne Kinderszene aus Kienzls „F^van-
gelimann" „Selig sind, die Verfolgung leiden-', Terzett und Chor aus dem
„Freischütz", „0 diese Sonne*', das „Salem aleikunr' aus dem zweiten
Akt des „Barbier von Bagdad" von Cornelius und in hervorragender
Weise einige Platten mit \^erdis „Miserere" aus dem „Troubadour".
Auch die Vorführmigen des Kölner Domchores und des Chores von
St. Stephan in Wien sind recht gut. Der schrecklichste der Schrecken
ist aber ein Attentat auf „Sicut reversus" von Palästrina. Einiges
geht vorläuhg noch über die Leistungsfähigkeit der Sprechmaschine hin-
aus. Sie sollte uns nicht die Wolfsschluchtszene ans dem „Freischütz"
und den Zusammenhang aus dem zweiten Akt von „Tannhäuser" ..Er-
barme dich mein" verleiden. Die berühmten Massengesänge aus „Car-
men" eignen sich nicht sonderlich für das Granmiophon, und es beweist
geringes Verständnis für die Eigenart der Sprechmaschine, wenn man
diese Stücke nur deshalb so häufig aufnimmt, weil sie auf der Bühne
beliebt sind.
Auch auf diesem Gebiet stehen übrigens Verbesserungen in Aussicht,
und sie werden gewiß mit Sorgfalt durchgeführt, weim die kaufende Welt
sich entschließt, statt Lärm Kunst zu verlangen.
Der Blinde in der Sage, im Märdien und in der Legende.
Von Blindenlehrer Ottokar Wanecek, Purkersdorf.
(Fortsetzung und Schluß).
Andere Sagen lassen die Blendung als Kriegslist erscheinen. So
blendet Odysseus den einäugigen Cyclopen Polyphem, indem er
ihm einen glühenden Pfahl in's Auge treibt. (Hom. Odys. L 189, 297 :
Serv. ad. Virg. Aen. III. 636).
Idomeneus vermag Alcathous, den Sohn des Ansyetus,
beim Sturm auf Troia zu erlegen, weil Neptun diesen blendet. (Homer,
Hesiod).
Die Philister suchen S i m s o n unschädlich zu machen, indem sie
ihm die Augen ausstachen. Darüber erzählt das Buch der Richter 16,
21.: „Da ergriffen ihn die Philister und stachen ihm die Augen aus
und führten ihn mit Ketten gefesselt nach Gaza, schlössen ihn m das
Gefängnis und ließen ihn Mühlen drehn."
Im kleinen Rosengarten wird erzählt, welche Mühe Dietrich von
Bern bei der Überwindung des Zwergkönigs Laurin hatte, da dieser
Seite 1112. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 4. Nummer.
Nacht vor seine Blicke zaubert. Krst ein Zauberring vermag die Dunkel-
heit zu bannen.
Nicht immer begnügt sich die Sage mit der rein äußerlichen
Wiedergabe des Gesichtes als des Zeichens der ausgleichenden Ge-
rechtigkeit. Die uralte, höchst bedeutsame Sage von Thassilo von
Bayern stellt einen inneren Sieg des Geblendeten über den Rich-
ter dar.
Der Herzog Thassil 0 v. Bayern empörte sich gegen Kaiser
Karl den Großen, nachdem er eine Zeit lang in Freundschaft mit ihm
gelebt hatte. Eine schöne Frau trag die Schuld. Dem erzürnten Kaiser
geläng es. den Emj)örer gefangen zu nehmen. Fr ließ ihn l)lenden. zum
Mönch scheren* und der aller Güter Beraubte flüchtete sich in die Abtei
Kremsmünster, die er schon vor Jahren dem Andenken seines Sohnes,
der dort auf der Jagd dem Zahn eines Ebers zum Opfer gefallen war,
errichtet hatte. Nach vielen Jahren übernachtete Karl in dieser Abtei
und begab sich des Nachts allein in die Kirche. Da sah er. wie ein
Engel einen alten bhnden Mann zum Altar führte. Der Kaiser wollte
seinen Augen nicht trauen und bat den Abt des Klosters, die nächste
Nacht mit ihm zu wachen. Dieselbe Erscheinung wiederholte sich und
der Abt berichtete seinem Herrn, daß dieser Alte der einstige Herzog
Thassilo von Bayern sei. In der Erkenntnis, daß man auch seinen
Feind nicht zu streng strafen dürfe und daß tler Himmel barmherziger
gewesen war als er. fiel der Kaiser dem armen Alten zu Füßen und
beide versöhnten sich am P^nde ihres Lebens.
Alcander, ein vornehmer Jüngling in Sparta, der mit Lykurgs
Neuerungen nicht einverstanden war. schlug dem Gesetzgeber während
eines Straßentumultes ein Auge aus. Das Volk lieferte ihn dem Ver-
wundeten aus, der den Übeltäter aber gütlich und freundlich behandelte
und dadurch von seiner edlen Gesinnung Zeugnis gab.
In dieser Reihe ist auch die Sage vom blinden Lautner zu nennen,
die in der Arbeit Direktor Bürklens über die Blindenführerhunde
erzählt wird. (Zeitschrift für das österr. Blindenwesen, 1918, 4).
Von Interesse sind auch die Ansichten der Sage über das Ver-
halten beim Blindwerden. Dem Sehenden erscheint, wie auch Schiller
im Teil ausspricht, oft die Blindlieit .schrecklicher als der Tod. Kein
Wunder also, daß die Sage selbst Sesostris. den großen Ägypter-
könig ob seiner Erblindung so verzweifeln läßt, daß er sein Leben
zerbricht.
Demgegenüber steht aber das Ertragen dieses Schicksalsschlages
als (4ottesdienst, wie es. ganz aus dem Geiste der Mystik geboren, die
Legende der Adelheid von Schar emb ek e (!rzählt. Diese .selige Zister-
zienserin aus Brabant, gestorben 1250, wurde, wie ein gleichzeitiger
Berichterstatter erzählt, vom Aussatz befallen. Sie verlor das rechte
Auge. Diesen Verlust opferte sie für den kürzlich erwählten deutschen
König Wilhelm von Holland auf. damit Gott ihn erleuchte. Nicht
lange darnach -erblindete sie auch auf dem linken Auge. Ergebungsvoll
nahm sie diese neue Prüfung hin als Leidensopfer für den Franzosen-
könig Ludwig IX.. der eben damals seinen Kreuzzug unternommen
hatte. (Vergleiche Dr. Wilhelm Oehl, die deutsehe Mvstik. Grat 1908).
4. Nummer. Zeitschrift für das Osten eichische Blindenwesen. Seite lllL^.
Eigenartig ist, daß Blinde, die unschuldig, weil unwissend, ein
Unheil angerichtet haben, in der Sage nicht losgesprochen werden. So
wird FI ö d u r, der auf Anstiften L o k i s auf B a 1 d e r den todbringenden
Pfeil geschleudert hat. von Wali, Odhins jüngstem Sohn, gerichtet.
Nicht zuletzt erkennen verwandte Erzählungen, daß die Blindheit
zu falschen Beschuldiginigen gegen den Blinden ausgenützt wird. Diese
Erkenntnis spiegelt eine Fabel aus dem indischen Hitopadesa, einer
Sammlung von Erzählungen und Sprüchen, die der Dichter Narajana,
der im Zeitraum vom 2. Jahrhundert vor bis zum ix Jahrhundert nach
Christi gelebt haben kann, verfaßt hat. Es ist die Fabel vom blinden
Geier, der durch Schicksalstücke seine Augen verloren hat und auf
einem großen Feigenbaum an der Ganga wohnte. Von den mitleidigen
Vögeln wird er gefüttert mit den Überresten ihrer Mahlzeiten. —
Blindenlos. Einem Kater erweist er sich mißtrauisch, doch wird er von
dessen frommen Keden getäuscht und von ihm betrogen. — Wieder
Blindenlos. Und der Blinde wird anstatt des tückischen Katers getötet,
welch letzterer den anderen Vögeln des Feigenbaumes, den Wohltätern
des Geiers, die Jungen gefressen hat.
Hier sei auch vermerkt, daß die Mahabharata, das große indische
Heldengedicht, den Kampf zwischen den 5 Pandusöhnen und den 100
Söhnen des blinden Dhri taraschtra erzählt. Der nähere Inhalt ist
mir leider nicht zugänglich gewesen.
Auch mit Einäuigigen beschäftigt sich die Sage mehrfach. Erinnert
sei an die Cyclopen. ferner an das sagenhafte scythische Volk der Ari-
maspen. Hagen von Tronje, der finstere Recke, erscheint, einäugig, wie
der gewaltige Göttervater Odhin. Die griechische Sage erzählt von Cae-
culus, den Erbauer Pränestes, der seinen Namen von caecus = blind
bat wegen der ungewöhnlichen Kleinheit seiner Augäpfel.
Manch tiefen, lebenswahren Zug aus dem Schicksal des Blinden
finden wir so in den Dichtungen der Völker verwoben. Sie beweisen
uns, wie klar die Intuition der Volksseele die Verhältnisse zu erfassen
vermag. Nicht zuletzt spricht das warme Herz der Menschheit mit und
macht den Blinden zum Symbol der Armut und der Leiden. Vielleicht
ist das folgende Gedicht, das meine Ausfühnmgen abschließen soll, aus
einem ähnlichen im Volksmäßigen wurzelnden Gefühl zu erklären.
Seinen Verfasser konnte ich nicht ermitteln.
Der bHnde Knabe.
Mit der Harte, mit dem Stabe
Reiste jüngst ein blinder Knabe
Durch das Land der Gastlichkeit:
Und besang in frohem Mute
An den Orten, wo er ruhte,
Gottes Huld und Herrlichkeit.
Und die fromme Milda sab
Seine Blindheit und vernahm
Seines Liedes Klang, der nah
Zu ihr von dem Wege kam.
Seite 1114. Zeitschrift für das österreichische Blindenwe«en. 4. Nummer,
Und sie rief den kleinen Sänger,
Öffnend ihm des Hauses Tor,
Spreciiend: „Komm und singe länger
Mir und meinen Schwestern vor!"
Und der kleine Sänger nickte
Freundlich ihr und trat hinein,
Und die gute Magd erquickte
Liebreich ihn mit Brot und Wein.
Da mit einem Male schlägt
Et die Augen groß empor,
Und ein goldner Schimmer legt
Sich um seines Hauptes Flor,
Und anstatt der Silberlahne
Seiner Harfe, wallet ihm
In der Hand die Siegesfahne.
Das Panier des Seraphim.
Höher schwebend im Erscheinen,
Redet lächelnd er sie an:
..Was Du tatest diesem Kleinen,
Sieh" das hast Du mir getan!*'
Dr uckfehle rberichtigung,
In der Februarnummer finden sich in dem Aufsatze: »Der Blinde in der Sage
im Märchen und in der Legende« zwei Druckfehler bei Eigennamen. S«ite 1077 ist
statt Sawitoi Sawitri, Seite 1080 statt Meroyn Merope zu lesen.
Sendsdireiben des „Bündenfreundes" über die Neugestaltung
des deutsdiösterreichisdien Blindenwesens.
In Nr. 2 des ,.Blindenfreundes"' (1919) hat sich ein ungenannt ge-
bliebener reichsdeutscher Fachmann über die von un.s in Nr. 12 unserer
„Zeitschrift" (1918) veröffentlichten „Grundzüge zur Neugestaltung
unseres Blindenwesens" ausgesprochen, im allgemeinen nicht in zustim-
mendem Sinne, denn als Mensch und Reichsdeutscher beantwortet er
die Frage, ob man auch in Deutschland auf eine Neugestaltung der
Blindenpflege auf sozialer Grundlage durch den Staat dringen soll, mit
einem klaren „Nein".
Betrachten wir die Gründe dieser Ablehnimg. Der Sendschreiber
sagt über die Grundzüge: „Bei der Forderung nach der sozialen Grund-
lage für die Neugestaltung des Blindenwesens ist also von dem Gedan-
ken ausgegangen, ,daß die Volksgemeinschaft der alleinige Träger aller
Pflichten und Lasten dieser Einrichtungen für die Blinden sein soll, und
daß die Staatsbehörden als Beauftragte dieser im demokratischen Sinne
geleiteten Volksgemeinschaft, die Organe einzusetzen hat, die zur Durch-
führung dieser staatlichen Maßnahmen erforderlich sind. Diese Organe
sollen auf demokratischer Grundlage eingerichtet werden und die Auf-
gabe haben, die ungesäumte Durchführung der Fürsorge für sämtliche
Blinde — Kriegsblinde mit eingeschlossen — zu bewirken." Der Schreiber
findet nach den Verhältnissen in Deutschland, daß die bisher am Blinden-
4. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1115.
werke beteiligten Faktoren „Staat, Land und Privatwohltätigkeit" durch-
aus Gleichwertiges leisteten, so daß man nicht wünschen oder fordern
müßte, die gesamte Blindenpflege möge künftig nur in einer Kand, in
der des Staates ruhen. Im Gegenteil, ich glaube im Namen aller deut-
schen Blindenlehrer, die eine derartige Teilung der Blindenfürsorge-
arbeit aus Erfahrung kennen, es aussprechen zu dürfen, daß die Er-
gänzung der behördlichen Blindenpflege durch die freie Liebestätigkeit
privater Vereine und Gesellschalten sich als ein Vorzug erweist, den
wir um keinen Preis aufgeben möchten."
Die Auffassung des Schreibers geht also dahin, als verlangten wir
in Österreich von unserer Staatsleitung unter Ausschaltung aller anderer
Faktoren, selbst der Privatwohltätigkeit, eine diktatorische und aus-
schließliche Übernahme des Blindenwerkes. Diese Auffassung hätte bei
aufmerksamem Lesen der „Grundzüge" nicht aufkommen können, denn
in denselben wird nicht nur vom Staat, sondern auch von Ländern und
Gemeinden, also allen Stellen gesprochen, in denen sich die Allgemein-
heit verkörpert und die Fortwirkung der Privatwohltätigkeit wird besonders
erwähnt. Wenn unsere Stellung zum Staate nochmals erläutert werden
soll, so ist sie folgende: Bisher waren — in Deutschland allerdings
weniger als bei uns — Blindenbildung und Blindenfürsorge fast nur
Angelegenheiten der Privatwohltätigkeit, während sie eine soziale Auf-
gabe der berufenen Stellen hätten sein sollen. Aus dieser Anschauung
sind alle aufgestellten Forderungen hervorgegangen, um dem gegen-
wärtigen, die Blinden beschämenden und unwürdigen Zustand ein Ende
zu machen. Von der Staatsleitung verlangen wir als berufenste Stellung
die oberste Führung und die Erfüllung aller restlichen Bedürfnisse, die
von Land und Gemeinde nicht erfüllt werden können. Der privaten
Mildtätigkeit ist dadurch keinerlei Schranke gesetzt. Wenn in Deutsch-
land diese Wünsche nicht so scharf hervortreten, so liegt dies wohl
daran, daß sich die dortige Staatsregierung ihrer Pflicht schon früher
bewußt geworden ist. Daß aber auch dort noch die Notwendigkeit nach
staatlichen Einrichtungen besteht, ersehen wir aus der an anderer Stelle
berührten Beratung der ,.Heilpädagogischen Vereinigung in Hamburg."
Der Sendschreiber findet aber auch, daß die Fassung der Aufgabe
in den „Grundzügen" die Ausübung eines Zwanges einschließt, „des
Zwanges für die Blinden — für sämtliche Blinden — sich dieser
Fürsorge zu unterwerfen." Er verteidigt die Blinden mit besonderer
Wärme gegen diesen Zwang und will ihre Freiheit und Menschenwürde
durch gesetzliche Maßnahmen nicht angetastet sehen. Er geht darin —
irgendwelcher Befürchtungen wegen — wohl zu weit. Nun, jede Ge-
sellschaftsordnung und jede gesetzliche Maßnahme bedeutet einen Zwang,
den aber kein Staatsbürger, welcher der Segnungen dieser Ordnung teil-
haftig werden will, ablehnen darf. Die „Freiheit des Blinden, sein Leben
nach seinem oder seiner Eltern Willen zu gestalten" müßte selbst bei
einer ausschließlich staatlichen Blindenfürsorge, von der übrigens keine
Rede ist, ebenso unangetastet bleiben wie bei jedem sehenden Mitbürger.
Ob die „Macht des Gedankens-' hinreicht, gesetzliche Maßnahmen zur
Blindenbildung und Fürsorge üljerflüssig zu machen, möchten wir be-
zweifeln, wenn diese Macht auch viel zur Erfüllung der gestellten Auf-
gal)en beizutragen vermag.
Seite 1116. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 4. Nummer.
Fast seheint es, als tiätte der Sendschreiber aus unseren „Grund-
zügen" Dinge herausgelesen, die ihm 7a\ derartigen Befürchtungen Anlaß
geben. Wir können ihn diesbezüglich beruhigen, denn wir sind uns bei
Abfassung der „Grundzüge" sicher bewußt gewesen, von welchen Vor-
aussetzungen wir ausgehen und welche Folgen die Durchführung unserer
Forderungen haben muß. Uns ist der Blinde ein Teil des Vol-
kes, dem die Allgemeinheit Bildungs- und Lebensmöglich-
keit schaffen muß, nicht nur nach den Geboten der Näch-
stenliebe und Mildtätigkeit, sondern auch kraft seiner
Menschenrechte. Diese Forderung kann nur durch die Allgemein-
heit restlos erfüllt werden und dazu haben wir sie in unserem Öster-
reich aufgerufen.
Heilpädagogik in der Letireraltademie in Wien.
Mit der Ernennung des bisherigen Leiters des pädogogisch-psycho-
logischen Laboratoriums an der n. ö. Landes-Lehrerakademie in Wien
Dr. Willibald Kammel /um Direktor der Lehrerakademie verwirklichen
sich weitgehende Pläne dieses hervorragenden Schulmannes. Bereits zu
Beginn des kommenden Schuljahres wird das genannte Laboratorium
zu einem Institut für J u g e n d k u n d e ausgestaltet und werden fol-
gende Seminarien in demselben errichtet: 1. Seminar für das gesamte
Gebiet der Heimatkunde, 2. Seminar für Kunstpädagogik, H. Seminar
für Arbeitsschulbewegung, i. Seminar für Hei 1 pädagogi k. Dieses
Seminar soll sich nicht nur mit der Heranbildung von Hilfsschullehrern
bei Schwachbegabten und schwachsinnigen Kindern beschäftigen, sondern
es knüpft sich daran auch die Hotfnung, die Er/Zieh ungs- und l^nterrichts-
kunde der Vier- und Dreisimiigen (blinder, taübsliunmer und taubstunmi-
blinder Kinder) in entsi)rechender Weise berücksichtigt zu sehen. Damit
könnte ein Mittelpunkt für die Aus- und Weiterbildung von Lehrern
dieser Kinder geschaffen und die l)isher so stark vernachlässigte
wissenschaftliche Behandlung dieses Gebietes in fruchtbare Bahnen ge-
leitet werden.
Eine diesbezügliche Aiu-egung des „Zentralvereines für das österr.
BUndenwesen" an die Direktion der n. ö. Landes-Lehrenakademie wurde
von derselben herzlichst l)egrüßt und versichert, dem Blindenwesen die
ihr gebührende Pflege zuteil werden zu lassen. Zu diesem Zwecke er-
scheint es notwendig, V einen Arbeit.splan für unser Teilgebiet der Heil-
pädagogik auszuarbeiten und eine Anzahl von Dozenten namhaft zu
machen, die für die Vorträge an der Akademie in Betracht kämen.
Wir richten daher an alle Fachkollegen die Auffor-
derung, sich für diese Aufgabe vorzubereiten und die
Übernahme von Vorträgen an der n. ö. Landes-Lehrer-
akademie dem ,.Zentral verei n" schon in nächster Zeit
a n z u in e 1 d e n.
Mit Vorbehalt einer entsprechenden Änderung bezw. Ergänzung
empfehlen wir die Wahl folgender Vorträge: 1. Die Entwicklung der
Blindenbildung und Blindenfürsorge (allgemein). 2. Die Entwicklung der
deutschen und österreichischen Blindenbildung und Blindenfürsorge.
3. Die Psychologie des jugendlichen und erwachsenen Blinden, i. Das
I
4. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1117.
Anschauuiigs- und Arbeitsprinzi}) im Blindenunterricht. 5. Die Entwick-
lung der Blindensciirift und das System der Punktschrift. 6. Das Tast-
lesen der Punktschrift. 7. Lehr- und Lernmittel im Blindenunterricht.
5. Die musikalische Ausbildung des Blinden. 9. Beziehungen zwischen
dem LJnterrichte Voll- und Viersinniger. 10. Das schwachsichtige Kind
in seiner Stellung zum Unterrichte der Sehenden und Blinden. 11. Unter-
richt und Erziehung taubblinder Kinder. 12. Die Bedeutung der experi-
mentellen Pädagogik für Blindenunterricht und Blindenerziehung.
Es ist nicht zu zweifeln, daß die Pläne des unermüdlichen Aka-
demiedirektors Dr. Kammel einen vollen Erfolg zeitigen werden. An
uns Blindenpädagogen wird es liegen, auf diesem Neuboden das Beste
zur Förderung der eigenen Sache zu leisten.
Erfreulich ist es, von ähnlichen Bestrebungen aus Hamburg zu
hören. Herr H. Peyer. Inspektor der Blindenanstalt dortselbs! über-
mittelt uns hierüber nachstehenden Bericht.
Heilpädagogisdie Vereinigung in Hamburg.
Die Lehrkräfte der Blindenanstalt, der Taubstummenanstalt, der
Schwerhörigenschule, der Sonderklassen für Sprachkranke und der
Alsterdorfer Anstalten für Schwachsinnige haben sich zu einer Arbeits-
gemeinschaft zusammengeschlossen, um die Interessen ihrer Schulen
und Schüler besser vertreten zu können. Ferner will die Vereinigung
die Aufmerksamkeit der Lehrer, Ärzte und Eltern in erhöhtem Maße
für die Sonderschulen gewinnen und allen Interessenten mit fachmän-
nischem Rate zur Seite stehen. Da die Verfügungen des Arbeiter- und
Soldatenrates trotz der Beratung durch den Lehrerrat sich nicht kurzer-
hand ohne grossen Schaden auf die Sonderschulen anwenden lassen,
erstrebt sie fachmännische Vertretung im Lehrerrat.
Die Leitung der Vereinigung liegt in den Händen eines Aus-
schusses, dem von jedem Kollegium ein Vertreter angehört. In den
ersten Versammlungen standen zur Beratung: Die Notwendigkeit der
Einrichtung von staatlichen Kindergärten und Vorschulklassen für die
Abnormen, ihre Einbeziehung und die der Fortbildungsschule in das
Schulzwangsgesetz, die Notwendigkeit von Sonderklassen für Schwach-
sichtige, die Heilpädagogik in der Lehrerbildung.
Die Ergebnisse der Verhandlungen werden der Oberschulbehörde
unterbreitet, die dieser Arbeitsgemeinschaft lebhaftes Interesse ent-
gegenbringt.
Aus den Hnstalten.
- P ri va t- Bl i n'd en I ehr an «tal t Linz. Der bisherige Fachlehrer an
dieser Anstalt Herr Josef Baumgartner wurde vom ob.-öst. Landesausschuße
über Vorschlag des bischöflichen Ordinariates in Linz mit Dekret vom 10. Februar
1919 zum definitiven Fachlehrer an dieser Anstalt ernannt.
Als Hospitantin der Elementarklasse wurde Fräulein Sidonie Schütz
(blind) durch den Herrn Landesschulinspektor Dr. Franz Rimmer zugelassen, die
den Lehrgang der Fröbelstiftung des Fröbelschen Erziehungsvereines in Dresden
von 1909 — 1910 besuchte und die Abschlußprüfung da»elb«t machte.
Seite 1118. Zeitschrift für das österreidiische Blindenwesen. 4. Nummer.
Mit Erlaß vom 4. März 1919 Z. 1647 hat die Landesregieiung für Slovenien
der Direktion der Priat-Blindenlehranstalt in Linz den Dank mit der Bitte ausge-
sproclien, für die slovenischen Blinden noch fortiiin Sorge tragen zu wollen.
Die Anstaltsdirektion hat bereits vor Jahren und zuletzt 1918 der erwähnten
Regierung eingehende Vorschläge über die Errichtung einer Blindenanstalt
in Laibach erstattete, die dann einer Beratung unterzogen werden.
Hus den Vereinen.
— Verein zur Versorgung und Beschäftigung erwachsener
Blinder in Wien VIII. Der Verein versendet seinen Rechenschaftsbericht für das
Jahr 1918, aus dem wir Folgendes entnehmen. Bei der am 9. April d. J. stattgefun-
denen Hauptversammlung wurde Präsident P. M. H e r s a n wiedergewählt und er-
reichte damit das vierzigste Jahr seiner Zugehörigkeit zur Direktion, wofür ihm unter
allseitiger Zustimmung der herzlichste Dank mit den aufrichtigsten Wünschen für
sein weiteres Wohlergehen ausgedrückt wurde.
Die so lange Beendigung des Krieges hatte die erhofften Erleichterungen in
der Versorgung mit den notwendigsten Dingen nicht im Gefolge und so blieben
in der vom Vereine erhaltenen Anstalt große Schwierigkeiten in dieser Hinsicht
auch weiter bestehen; immerhin blieb diese aber von dem gewaltigen Umschwünge,
der sich auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens vollzogen hatte, unberührt. In
der Anstalt waren am Schlüsse des Jahres 1918 35 männliche und 50 weibliche
Blinde untergebracht. Leider war eine größere Zahl von Todesfällen unter den
Pfleglingen zu verzeichnen. Die Ursache war in der Mehrzahl der Fälle Alters-
schwäche. Direktor O. H. Stoklaska waridte seine ganze Kraft dem Bestreben
zu, für eine entsprechende Verpflegung der blinden Hausinsassen zu sorgen und
wurde darin von den Herren Vizebürgermeister Rain, Stadtrat, Dechant und Markt-
amtsdirektor Bauer werktätig unterstützt. Die Gemeinde Wien und der n. ö. Lan-
desrat erhöhten die Verpflegsbeiträge für die von ihnen gestifteten Pfleglingsplätze
von 680 K auf 1280 K. Die Beschäftigung der Zöglinge konnte nur in beschränktem
Maße aufrecht erhalten werden.
— Humanitärer Blindenverein »Lindenbund« in Wien. Dem in
letzter Nummer veröffentlichten Bericht des Vereines ist noch nachzutragen, daß in
der letzten Generalversammlung folgender Vorstand gewählt wurde: Franz Gelben-
cgger, Obmann; Otto Reiter, Stellvertreter; Franz Kotek, Schriftführer; Paula
Czech, Rechnungsführerin; Anton Czech, Kassier; Franz Bern hart, Anton
Hönigsberger, Martin K r i s t und Franz R u m b o 1 d, Ausschüsse.
— Humanitärer Geselligkeitsklub »Die Freunde der Blinden«
i n. W i e n V. Genannter Klub hat im Jahre 1914 mit Beginn des Weltkrieges wegen
Masseneinrückung'seiner Mitglieder seine Tätigkeit eingestellt. Nun haben mehr als
20 Mitglieder die dem Klub noch verblieben sind, beschlossen, die Wiederinangriff-
nahme der Tätigkeit zur Durchführung zu bringen. Dei Verein hielt am Donnerstag
den 20. Februar 1. J. in der Vereinskanzlei des Blindenunterstützungsvereines »Die
Purkersdorfer« in Wien, V., Nikolsdorfergasse 42 seine achte ordentliche General-
versammlung ab, bei der 28 Mitglieder anwesend waren. Auf der Tagesordnung
stand: Die Neuwahl der Klubleitung, Bericht über die fernere Tätigkeit und die
Ziele des Klubs, Anträge der Mitglieder, die Neuwahl wurde per Zuruf durchgeführt.
Es wurden gewählt: Zum Obmann W. Birnbaum, zum Obmannstellvertreter
F. Uhl, zum 1. Kassier E. T sc hau n er, zum 2. Kassier L. B ran d stette r, zum
1. Schriftführer K. Reiter, zum 2. Schriftführer F. Bartosch jun., zu Rechnungs-
prüfern F. Hermann, und A. Schwär zi nger, als Ausschußmitglieder Frau
A. Jänner, Frau H. J a i t n e r, Frl. M. Bartosch und Frl. J. Bartosch, Lehrerin
Für unsere Kriegsblinden-
Die Arbeit eines kriegblinden Offiziers. Von Hauptmann Rudolf
Ritter von J e d i n a ist im Verlage der Manzschen Buchhandlung in Wien ein kurzer
Grundriß des Völkerrechtes in seinen Beziehungen zum Landkrieg erschie-
Haraosgabsr: Zantralraraia für das ötUiraichiich* Blindanwaien in Wien. Redaktionskomitee: K. BUrklao,
J. Kneis, A. r. Harvath, F. UbI, — Druck tob Adolf BngliKh, Purkeitdorf bei Wies.
nen. Der Verfasser bezeichnet es als sein Streben, das Kriegsrecht zu schildern,
wie es sich einem Truppenoffizier darstellt, Anhaltspunkte für die richtige Beurtei-
lung der Kriegsereignisse zu geben und das Verständnis der Friedensverhandlungen
zu erleichtern. Dieser Aufgabe ist er auch gerecht geworden. Das Büchlein wird
vielen willkommen sein, weil es eine knappe und dabei klare Fassung aller Völker-
rechtsgrundsätze und eine übersichtliche Anordnung des Stoffes bringt. Es ist eine
Dissertationsarbeit und um so verdienstlicher, als Hauptmann v. J e d i n a bei einem
Kampfe an der Isonzofront das Augenlicht völlig verloren hat und ihm das Quellen-
material erst in Blindenschrift zugänglich gemacht werden mußte.
— Kriegsblindenheim in Wien XIII. Zu den Befürchtungen der da-
selbst untergebrachten Kriegsblinden, wegen Kompetenzschwierigkeiten ihre Ver-
pflegung zu verlieren, teilt das Staatsamt für soziale Verwaltung mit, daß die zur
Fortführung des gesicherten Betriebes des Kriegsblindenheims erfoiderlichen Mittel
dem Staatsamt iür soziale Verwaltung bis einschließlich 31. März 1. J. zur Verfügung
gestellt wurden. Auch über diesen Zeitpunkt hinaus wird das Staatsamt dafür Vor-
sorge treffen, daß bis zur Klärung der Frage, weichem Ressort die Kosten der Er-
haltung des Kriegsblindenheims obliegen, keine Unterbrechung des geordneten Be-
triebes in dieser Wohlfahrtseinrichtung eintritt.
Eine Wiener Zeitung nimmt diese Vorgänge zum Anlasse, folgendes Gedicht,
das wir lediglich als Zeitdokument wiedergeben, zu veröffentlichen.
Die Kriegsblinden.
Sie sind in ew'ge Nacht gesunken. — Der Frühlingssonne goldne Funken —
Erstrahlen ihnen nimmermehr, — Der Tag ist ihnen schwarz und leer. — Sie sehen
nicht der Wiese Maienpi acht, — Des Waldes grüne Zaubernacht, — Die Berge hoch
und lichtumflossen. — Das Heimatdorf, in Blüten eingeschlossen. — Im Friede.n fiel
es keinem ein, — Ein Mörder und Soldat zu sein. — Der Kaiser aber frug nicht
lange — Und stellte sie dem blut'gen Zwange — Der Mann kennt seinen Kaiser
nicht — Und opfert ihm sein Augenlicht. — Er weiß nicht, was der Kaiser will, —
Erblindet für ihn sanft und still. — Er wird als braves Landeskind — Dressiert und
für den Ksiser blind. — Der Kaiser saß in seinem Schloß. — Den Landsturmmann
traf ein Geschoß. — Der Kaiser wurde fortgetrieben, — Die Blinden sind im Land
geblieben. — Wer wird jetzt für die armen Blinden — Noch Mitleid oder Nahiung
gnden.? — Der Sehende hat nichts zu essen, — Da ist der Blinde bald vergessen.
— Wer sehen kann, sagt sich geschwind: — Ich bin viel lieber tot als blind.« —
Doch kommt die Probe, dann erheben — Die Blinden auch ihr Recht zu leben. —
Die Kreatur durchgellt ein Schrei: — >Nur leben, leben! Wie es sei« — Der Blinde
leblt an seinem Stabe, — Tot ist man lang genug im Grabe. — Laßt nur die Liebe
ihn umfächeln, — Dann lernt sogar der Blinde lächeln! — Seid ihm behilflich, treu
und gut, — So findet auch der Blinde Mut, — Sein armes Dasein auszuleben —
Und nach dem inne:n Licht zu streben. — Verlangt nicht alles von dem Staat! —
Er weiß sich selbst noch keinen Rat. — Von Amt zu Amt stößt er die Blinden. —
Will sich nicht durch Verpflichtung binden. — Er hat nach allen Ungewitern —
Noch sehr viel Sehende zu füttern, — Die tief besorgt um ihre Pfründen — Nichts
opfern können unsern Blinden. — Drum soll der Einzelne der Armen — Ermun-
ternd, hilfreich sich erbarmen. — Führt zum Beruf sie und zum Werke, — Daß
Arbeit ihre Seelen stärke! — Laßt sie nicht darben, murren, betteln, — Tief grol-
lend ihre Kraft verzetteln! — Vergeßt die schuldlos Blinden nicht! — Seid dankbar
eurem eig'nen Licht! — Dem Blinden Zuversicht gewähren, — Ist Sonnendienst,
heißt selbst euch ehren. r. g.
— Veranstaltung. Oberstleutnant Josef Patzak hat im Baumgartner
Kasino ein Tanzkränzchen veranstaltet und das gesamte bedeutende Reinerträgnis
dem Blindenarbeiterheime und Kriegsblindenheime in Wien-Baumgatren zugeführt.
Mitteilung.
— Zentralverein für das österreichische Blinden wesen. Die
p. t, Ausschußmitglieder werden zu der am Freitag, den 26. April, 4 Uhr, in der
Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt in Wien VIII., Josefstädterstraße 80, statt-
findenden Ausschußsitzung höflichst eingeladen. Tagesordnung: Blindenfürsorge-
kommission im Staatsamte für soziale Verwaltung. Seminar für Heilpädagogik an der
n. ö. Landes-Lehrerakademie. Laufende Angelegenheiten.
Österreichische B^inilenzeitung
j^i Erscheint mouatlirli einmal. : : : Bezugspreis jährlich 6 K. [^i
|e2£I| Verlag: I. Österr. Blindenverein, Wien VIII, Florianiegasse 41. \^^\
Die ^-Österreichische Blindenzeitung«, hergestellt nach dem vom Dozenten Dr. Max
Herz erfundenen Massedruck der Blinden-Punktschiift, will auf humanitärer Grund--
lage fußend, den Blinden geistig fördernden und unterhaltenden Inhalt bieten.
fllle Blindenfreunde werden um Unterstützung dieser Bestrebungen gebeten.
= i^syl für blinde Rinder ==
Wien, XVII., Hernalser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpflichtigen Aker aus allen österreichi-
schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
Die „ZentraibibliotiiBli für Blinde in Osterreicli".
Wien XVIII, Währinger GUrtel 136,
verleiht ihre Bücher kostenlos an alle Blinden.
Blinden-Unterstützungsverein
„DIE PURKERSDORFER"
Wien V., Nikolsdorfergasse 42.
Zweck des Vereines: Unterstützung; blinder Mit-
glieder. Arbeitsvermittlung tiir Blinde. Erhaltung
der Musikalien-Leihbibliothek. Telephon 10.071.
Der blinde Modelleur
LIttau in Mähren,
empfiehlt seine zu Geschenken sich
: vorzüglich eignenden keramischen :
Handarbeiten. Nähere Auskunft brieflich.
FpoduhtiugBnossBnschaft für blinde
Bürstenbinder und Korbflechter.
(■;. m. b. 11.
Wien VIII., Florianigasse Nr. 41.
Telephon Nr. 23407.
Alle Gattungen Bürstenbinder- u. Korbdechterwaren.
Verkautsstelle: Wien VII., Neubau^asse 75.
Musiifalien - Leihinstitut
des Blinden-Untcrstützungs Vereines
»Die Purkersdorfer« in Wien V.,
: — : Nikolsdorfergasse Nr. 42. : — :
fn Blindendrucknoten werden an x^fi
\jk3 Blinde unentgeltlich verliehen! IäJ
i
von Oskar Picht.
Bromberg.
W. Kraus, Berlin N 54.
(Gegründet 1878.)
Borsten-, Rohmaterialien- und Werkzeug-Fabrik
====== Bürstenhölzerfabrik. ====^
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Bergedorf bei Hai^fibi-TQ-
Mustergültige Bearbeitung von Fiber und Piassava
aller Arten.
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Organ des „Zentralvereines für das österreichische Blinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
S ch r i f 1 1 e i t u n g
Purkersdorf
bei Wien.
Österreichisches
Postsparkassen-
kontoMr.132.257
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Das Blatt erscheint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
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Beziiyspreis □
ganzjährig mit q
Postzustellung n
6 Kronen, D
Einzelnummer LJ
50 Heller. ^
6. Jahrgang.
Wien, Mai 1919.
5. Nummer.
INHALT: Fr. Demal : Vom Holzarbeits-Unterricht. Dr. J. Haas: Ein deutsches
Punktschrift-RIphabet. Personalnachrichten. Aus den Anstalten. Aus den
Vereinen. Karl Henckell : Blindenklage. Für unsere Kriegsblinden. Ver-
schiedenes. Bücherschau. Bemerkung. Altes und Neues. (Ankündigungen.)
ff ^%
3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien Vlil,
g Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 3 K, Zeitungsbeitrag 3 K. g
U^ ■ -^B
flites und Neues.
Die Blinden in Japan und China. Eine ganz eigentümliche
Entwicklung nahm das Blindenwesen im Lande der aufgehenden Sonne,
in Japan, wie dies übereinstimmend in verschiedenen Berichten ge-
schildert wird. Seit dem Jahre 885, bis zu welcher Zeit sie ein elendes
Dasein fristeten, bildeten die Blinden dort eine eigene hochstehende
Kaste, weil dem Mikado ein blinder Prinz geboren wurde. Mit dreißig
Jahren wurde derselbe zum Gouverneur von drei Provinzen ernannt,
zu deren Regierung er sich mit blinden Beamten umgab; auch nach
seinem Tode wurden zahlreiche Amter von Blinden verwaltet, bis
1 180 der Bürgerkrieg dem ein Ende machte. Seitdem verfiel ihr An-
sehen, doch blieben sie im Besitze wichtiger Privilegien, unter denen
das einträglichste war, daß bei der Geburt, bei der Heirat und an-
deren Familienfesten sie ein Geschenk beanspruchen durften. Um
Ungleichheiten zu vermeiden, mußte ein Blinder nach 3 Tagen weiter-
ziehen. Die Blinden hatten ferner ein Vorrecht auf die Ausübung der
Musik, der Massage, und der Nadelpunktur, die darin besteht, daß
an kranken Körperstellen zahlreiche feine Nadelstiche in die Haut
zur Ableitung angebracht werden. Der Japaner liebt nach dem Bade,
nach körperlichen Anstrengungen und zur Behandlung die Massage
sehr, mit welcher deshalb zahlreiche Menschen Beschäftigung finden.
Die regelrechte Ausübung dieser Handgriffe verlangt anatomische
Kenntnisse, in denen die Blinden geprüft werden. Wer sich in Musik
auszeichnete, konnte noch höhere Grade erreichen, über deren Erteilung
besonders berühmte Blinde zu bestimmen hatten. Die geprüften Blin-
den durften auch heiraten, aber nur sehende Frauen, eine Erlaubnis,
die für die meisten Fälle unbedenklich ist, da Blindheit sich nur
relativ selten vererbt.
Viele Spätererblindete suchten als Erzähler, als Dichter oder
Wahrsager ihr Brot. So war in Japan das Los der Blinden auch
damals noch wesentlich besser, als in Europa. Allein das Vorrecht
auf die genannten Berufe wurde verloren, und seitdem sich jeder
Japaner mit ihnen beschäftigen darf, sind die Blinden bald zurück-
gedrängt worden. So ist ein x'\ufschwung erst wieder erfolgt, als mit
dem Eindringen der europäischen Kultur, besonders auf Anregung
der Missionäre, sich dann in Japan eine ähnliche Blindenfürsorge und
ein Blindenunterricht einzurichten begann, wie Europa und die Ver-
einigten Staaten von Nordamerika sie besitzen.
In China haben schon seit alter Zeit Schulen bestanden, in wel-
chen Blinde zu Scharen ausgebildet wurden. Ein Teil von ihnen fand
auf diese Weise Beschäftigung, die Mehrzahl lebte im Elend. Seit
1880 hat der Schotte Muray eine besondere Blindenmission gebildet,
welche hauptsächlich den männlichen Blinden dient. Eine deutsche
Gesellschaft mit dem Sitze in Hildesheim hat sich besonders der bis
dahin der Prostitution verfallenen blinden Mädchen angenommen.
Th. Axenfeld.
6. Jahrgang. Wien, Mai 1919. 5. Nummer.
^ Das große Resultat des Unterrichtes ist ein Verstand ^
^ US
^ mit richtigem Vermögen zum Unterscheiden, mit freier ^
« ■ ^
^ Kraft zum Tun: der große Schulmeister ist die Praxis. ^
* (Thomas Carlye.) ^
Vom Holzarbeits-Unterricht.
Von Hauptlehier Fr. Demal in Purkeisdorf.
Der Wert des Handfertigkeits-Unterrichtes für Blinde wird wohl
von keinem Fachmanne mehr angezweifelt. Die Erhöhung der Hand-
geschicklichkeit, die Erweckung und Erhaltung des Tätigkeitstriebes,
Gewöhnung an Ordnung und Genauigkeit, Stärkung von Selbstvertrauen
und Selbständigkeit und vieles andere sind die Früchte dieses bei den
Kindern überdies sehr beliebten Unterrichtes. Dasselbe gilt natürlich
auch von dem einen Zweig des Handfertigkeits-Unterrichtes, von dem
wir in diesen Zeilen sprechen wollen, vom Unterrichte in Holzarbeiten,
der aber gegen die anderen Handfertigkeitsfächer überdies noch darum
im Vorteil ist, weil er mehr als die übrigen den praktischen Bedürfnissen
des späteren Lebens im allgemeinen dient und auch jene Handgriffe
vorübt, die für die nachmalige Erlernung eines Handwerkes von großem
Nutzen sind. So wird, um nur einiges anzuführen, dem späteren Bürsten-
binder die Übung im Schraubeneindrehen vonstatten kommen, dem
Korbflechter die Fertigkeit im Schneiden und Hobeln von Leisten und
Brettern, um daraus das Gerippe für Gartenmöbel u. dgl. zusammen-
zustellen, dem Klavierstimmer die genannten und noch andere Fertig-
keiten, wie z. B. Schnitzen und Leimen, um kleine Reparaturen vor-
nehmen zu können.
Der Zweck dieser Zeilen ist aber nicht die Begründung der Be-
lechtigung eines Holzarbeits-Unterrichtes; die ja unbestritten ist, sondern
Seite 1124. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 5. Nummer.
es sollen hier praktische, in viel jähriger Unter ri chtsert ei-
lung erworbene Erfahrungen mitgeteilt werden. Dadurch möge
dem jungen Lehrer das Tappen auf unbekanntem Gebiete und manche
bittere Enttäuschung möglichst erspart bleiben und der ältere Fachge-
nosse angeregt werden, sich ebenfalls über die seinerseits gemachten
Beobachtungen zu äußern.
Von der Aufstellung eines L(>hr ganges will ich, wenigstens für
diesmal, absehen, da solche, recht gut brauchbare ohnehin bestehen
(„Lehrgang für den Lnlerricht in llolzarbeiten in den Blindenanstalten-'
von .]. Dietrich inid (i. Köhler. Dresden, ,.Der llandfertigkeitsnnter-
richt in der Rlindenschnle", Vortrag von N. Görner auf dem VIL
Blindc^nlehrer-Kongreüi; außerdem richtet sich die Stoffverteilung all-
zusehr nach den jeweiligen l>(Hlürfnissen verschiedener Anstalten, z. B.
nach der Anzahl der für diesen Unterricht herangezogenen Altersstufen
und der zur Verfügung stehenden Stundenzahl.
Doch sind meines Erachtens folgende G r und s ;i t z e zu l)eächten.
soll der Unterricht Ersprießliches leisten:
1. An dem Unterricht nehmen mindestens die vier
ältesten Jahrgänge der d i (^ Schule besuchenden Zöglinge
teil.
2. Für jede Stufe beträgt die wöchentliche Unter-
richtszeit mindestens zwei, zusammenhängend zu ertei-
lende St un den.
8. Die Schülerzahl darf für jede Lehrkraft höchstens
sechs betragen.
4. Die methodi sehe A nordnung des Unterrichtsstoffes
richtet sich nach den Werkzeugen, d. h. nach der Schwierig-
keit ihrer Handhabung.
5. Es werden nur die einfachsten Handgriffe dafür
aber gründlich gelehrt; auf Vollständigkeit, etwa Unter-
weisung in schwierigen Tischlerarbeiten, muß verzichtet
werde n.
Zur Begrün d u n g der vorstehenden Punkte :
\. Der Holzarbeitsunterricht setzt erst mit den ältesten Jahrgängen
ein, da er körperlich anstrengender ist und auch mehr Geschicklichkeit
verlangt als die anderen Handfertigkeiten, diese ihn also vorbereiten
helfen sollen. Er soll aber in mindestens vier Jahrgängen betrieben
werden, weil nur bei ausgiebiger und mehrjähriger Übungszeit die Ge-
v/ähr besteht, daß die Zöglinge durch ihn in ihrer Handgeschicklichkeit
tatsächlich gefördert werden.
2. Wie schon die Erfahrungen des täglichen Lebens beweisen,
braucht man zur Verrichtung jeder Handarbeit meist mehr Zeit als
man veranschlägt — ,.man richtet wenig aus" —, umsomehr blinde
Schüler, die auch in den einfachsten, von sehenden Kindern durch
bloßes Absehen erlernten Handgriffen unterwiesen werden müssen und
die bei der Vollführung vieler Arbeiten zum Ersätze der Augen erst
zeitraubender Vorbereitungen bedürfen. Es sind daher mindestens zwei
wöchentliche Stunden zu erteilen und zwar als Doppelstunde, damit
5. Nummer. Zeitschrift für das österreichische BHndeiiwesen. Seite 1125.
das Arhciton im Kluß hloil)! uml keine uiiiu'Higo Zeil für /\veiiiiiili,!.;-es
\'oi'l)ei'eilen und Einräumen vergeudet wird. — Bei geringer Schüler-
zaid iiönnen auch au.s Ersparungsrücksichten zwei Altersstufen zu einer
Gruppe zusammengefaßt werden, doch ohne Schädigung des folgenden
Grundsatzes.
8. Die Forderung, nicht mehr als sechs Schüler gleichzeitig zu
unterrichten, ist wohl gerechtfertigt, wenn man hedenkt, wie manuell
ungeschickt doch viele Blinde sind, daß wir Schüler hahen, von denen
jeder einzelne allein einen Lehrer henötigte und daß wir auch diese
wirklich fördern wollen.
Auch bei nur sechs Schülern hat der Lehrer gerade bei diesem
Unterricht eine Unsumme von Arbeit zu leisten: Die F'estsetzung der
Arbeit für jeden einzelnen, die Verteilung des Arbeitsmaterials, die prak-
tische Unterweisung eines jeden einzelnen und fortwährende Kontrolle
und Hilfeleistung beim Arbeitsfortgange. Eine größere Schülerzahl könnte
nur dann angenommen werden, wenn man den Unterricht als Massen-
unterricht auffaßt. Leider ist er praktisch nicht durchführbar: Weist
man auch anfangs allen Schülern die gleiche Arbeit zu, so werden
schon nach einigen Stunden die einen voreilen, die andern zurückbleiben
und man hat eben dann, will man keine Art der Schüler schädigen,
mehr oder weniger Einzelunterricht zu betreiben.
4. Beim Handfertigkeitsunterricht Sehender ist der Lehrstolf meist
nach der Beschaffenheit des Materials angeordnet, so daß z. B.
zuerst längere Zeit Arbeiten mit schmalen, dann mit breiten Leisten
u. s. f. ausgeführt werden, wobei zur Herstellung eines Gegenstandes
gleichzeitig mehrere Werkzeuge verwendet werden. Dieser Vorgang ist
für uns nicht zu em])fehlen. Da unsere Ptleglinge von daheim so gut
wie keine Kenntnisse über Werkzeuge mitbringen, auch meist sehr un-
beholfen sind, so bleibt der richtige Vorgang nur der: Es ist die Hand-
habung nur eines Werkzeuges so lange zu üben (an bloßen Übungs-
arbeiten und wirklichen Erzeugnissen), bis alle Schüler damit vertraut
sind, dann tritt ein zweites dazu u. s. f.
5. Bei der Auswahl der Arbeiten wollen wir bedenken, daß
es schon unter Sehenden genug gil)t, die nicht die geringste Eignung
und daher auch keine [.iebe für Handfertigkeiten besitzen; dasselbe gilt
in erhöhtem Maße von den Blinden: Viele sind eben keine „Bastler*'
und werden es auch nie. Bei dieser Art von Schülern muß man das
Lehrziel möglichst tief setzen. Aber auch bei allen übrigen wollen wir
in unseren Forderungen höchst bescheiden sein, wollen wir nicht bittere
Enttäuschungen erleben. Die Schranke des Nichtsehens ist einmal da
und bleibt bestehen. Freilich gelingt es oft (durch allerlei Hilfsmittel
und Kunstgritre) den Blinden dahin zu bringen, daß er fast unmöglich
scheinende Arbeiten vollbringt; aber wird er sie auch dann daheim,
ohne teure Hilfsapparate und ohne fremde Hilfe, ausführen können?
Wir wollen daher bescheiden sein und schon im Vorhinein auf
Kunstwerke unserer Schüler verzichten. Wecken und erhalten wir in
ihnen den Tätigkeitstriel) und das Selbstvertrauen, befähigen wir sie zur
Ausführung der gebräuchlichsten im Haushalte vorkommen-
den Handgriffe und wir haben genug getan. Es ist besser, der junge.
Stile 1126. Zeilschrift für das ösleireichische Blindenwesen. 5. Nuimner.
blinde iMami ist ein tüeiitiger Brennholzschneider, als er macht schlechte
Zinken und Zapfen! „Liebe Frau Kemeter mach' sie lieber Hemeter!"
Einige zweckmäßige Arbeiten mögen angef ü hr t werden :
Bloße Übungsarbeiten an wertlosem Material, x\.usbessern und Herstellen
einfacher Spielsachen, Verfertigung von Lehrmitteln in einfacher Form,
besonders für Naturlehre (z. B. Schrotwage, Wage, verschiedene Stative,
Keil, schiefe Ebene. Haspel, Winde, Mühlräder mit Hammerwerk u. dgl..
Windräder mit Klappergeräusch, Knallbüchsen. Holz-Tonleiter, elektr.
Pendel. P]lektrophor. Isolierschemel. Elektromagnet). Unterweisung in
Handgriffen, wie sie das Leben tagtäglich fordert: Nägel herausziehen
und gerade klopfen, vernagelte und verschraubte Kisten öffnen, Nägel
einschlagen in Holz und Mauer, Vergipsen von Löchern, das Hantieren
mit Draht und Blech. Schneiden von Brennholz, Spalten von kleinem
Unterzündholz. Ausbessern von Haus- und (Tartengeräten (z. B. Leimen
verschiedener Sachen, Verkeilen wackeliger Hammer- und Schaufelstiele.
Erneuerung von Rechenzähnen u. dgl), \^erfertigung einfacher Gegen-
stände für Haus und Garten, z. B. Kleiderrechen, verschiedene Kistchen
und Kästchen, Schemel. Feldsessel, Gartenbänke und -Tische. Setzhölzer,
Blumenstäbe, Rosenstöcke, Schattengitter, Werkzeugstiele, Nistkästchen.
Vogelfutterhäuschen. Hühner- und Hasenställe imd vieles andere.
Nun wollen wir über den Gei> rauch der wichtigsten Werk-
zeuge reden und diese dabei in der Aufeinanderfolge anführen, in der
sie zweckmäßig im Unterrichte auftreten.
L Der Hammer. Er dient zum Einschlagen und Geradeklopfen
von Nägeln, wenn er mit einer Klaue versehen ist, auch zum Nägelziehen.
Beim Nägeleinschlagen ist der Hammer zuerst ganz kurz zu nehmen
und der Nagel vorerst durch ganz leichte Schläge mit der Schmalseite
des Hammers festzudrücken. Hierauf sind kräftige Schläge zu führen,
aber stets streng lotrecht und mit der vollen Hammerfläche. Nach je
2 bis 3 Schlägen ist der Gang des Nagels zu kontrollieren. Trotz der
angegebenen Arbeitsweise bleibt doch das Nägeleinschlagen für Blinde
eine böse Sache: Entweder zerspringt das Holz oder der Nagel bricht
an der Seite durch oder er verbiegt sich: daher beste Vorbeugung:
Stets vorbohren!
Zum Geradeklopfen von Nägeln nnd Draht gehört eine Fnterlage
von hartem Holz oder noch besser von Eisen.
Ein echter Tischlerhammer hat wohl keine Klaue, jedoch jeder
Haushaltungshammer. Man schaffe nur letztere an, da damit das Nagel-
ziehen wegen des langen Hebelarines viel leichter geht als mit der
Zange. Nur hat man (wie auch bei der Zange) unter den Stützpunkt
ein Blech oder Brettchen zu legen, um den Gegenstand nicht durch
Druck zu verletzen.
2. Der Drillbohrer. Der beste Bohrer für Blinde, da er am
sichersten lotrechte Löcher erzeugt. Seine Handhabung ist auch für
Blinde riesig leicht. Die Stelle, an der gebohrt werden soll, wird zuerst
durch einen Spitzbohfer bezeichnet, da sonst der Schüler beim Beginn
des Bohrens leicht mit dem Gerät ausgleitet und dann eine falsche
Stelle anbohrt. Beim Bohren hat man nur auf wirklich lotrechte Haltung
des Bohrers zu achten und keinerlei Druck auszuüben. Das Herausziehen
5. Nummer. Zcitschritl für das österreichische Blindenwesen. Seite 1127.
des Bohrers geschieht nicht etwa durch starjjes Reißen oder heruin-
wackehi (denn dadurch bleiht der Bohreinsatz entweder im Holz stecken
oder er bricht gar ab), sondern man bewegt den Schieber sehr rasch
(ruckweise) nach aufwärts, läßt ihn dann von selbst heruntergleiten und
wiederholt dies einigemale.
3. Die Beiß- oder Nagelzange verwendet man fast nur zum
Herausziehen von Nägeln. Dabei sind folgende Fälle möglich, die im
praktischen Leben oft genug vorkommen:
a) Der Nagel steht noch ein Stück heraus: dann ist er sehr leicht
zu fassen und die Hantierung selbstverständlich.
b) Der Nagel hat sich beim Einschlagen verbogen und wurde ein-
fach umgeschlagen und, um den Fehler möglichst ungeschehen, d. h. nicht
bemerkbar zu machen, mit zahlreichen Hammerschlägen tief ins Fleisch
des Holzes eingebettet — ein nicht genug zu rügendes Vorgehen leicht-
fertiger Arbeiter: Da ist vorerst der verbogene Nagelteil mit einem
kräftigen Nagel oder Spitzbohrer, am besten aber mit einem Schrauben-
zieher (nicht mit dem geschliffenen Stemmeisen!) zu heben und dann
mit der Zange zu ziehen.
c) Die Nägel sind zwar bis zu den Köpfen eingeschlagen, stehen
aber auf der anderen Brettseite mit den Spitzen heraus: Da sind die
Nägel zuerst mit Hammerschlägen auf die Spitzen soweit zurückzu-
treiben, bis die Köpfe gut mit der Zange zu packen sind.
d) Eine gut vernagelte Kiste ist zu öffnen — ein verpfuschtes
Machwerk auseinander zu nehmen: Mit einem starken Schraubenzieher
(hier kann es auch ein Stemmeisen oder Lochbeitel sein) fährt man
an mehreren Stellen zwischen Kiste und Deckel und hebt letzteren so
um einige Millimeter (praktische Physik: Das Stemmeisen wirkt als
Keil !). Hierauf führt man einige kräftige Hammerschläge auf den Deckel,
natürlich nicht auf die Nägel, sondern zwischen diese : Der Deckel
senkt sich, die Nägel gehen infolge des Beharrungsvermögens nicht mit
und stehen nun weit genug heraus, um mit der Zange gefaßt zu werden_
Bei allen vier Fällen darf man aber nicht kerzengerade in die
Höhe ziehen (denn da gelingt das Herausziehen des Nagels bestimmt
nicht, überdies kann sich der Schüler mit der abrutschenden Zange
böse in das über das Arbeitsstück gebeugte Gesicht fahren), sondern
man gebraucht die Zange als Hebel, dessen Stützpunkt eine der Zangen-
wangen ist, unter welche man aber wieder zum Schutze gegen Ver-
letzung des Gegenstandes eine Unterlage zu schieben hat.
4. Der Spitzbohrer (Ahle, Richtnadel) dient als Hilfswerkzeug,
um nach vorausgegangener Messung mit einem tastbar eingeteilten
Meter- oder Gliedermaßstab die Stelle zu bezeichnen, wo genagelt, ge-
stemmt oder gesägt werden soll, kurz, er vertritt die Bleistiftmarke des
Sehenden. Auch genügt das durch ihn erzeugte Loch meist, um darein
kurze Nägel ohne Benützung des Drillbohrers einschlagen zu können.
Er wird bloß mit dem Handballen ins Holz getrieben und durch Drehen
zwischen beiden Handflächen (wie beim quirlen) wieder entfernt.
(Fortsetzuncr folgt.)
Seite 1128. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 5. Nummer.
Ein deutsdies Punktsdirift-RIphabet.
Vo»! Professor Dr. J. Haas, Innsbruck.
Das heute verwendete Braille"sche Punktschriftsystem hat neben
den anerkannt großen Vorzug auch bedeutende Nachteile. Besonders
dem später Erblindeten und vor allem demjenigen, dessen Hände durch
rauhe Arbeit weniger empfindlich geworden sind, macht das Lesen dieser
Schrift bekannthch große Mühe.
Die Hauplschwierigkeit liegt in der Häufung der Punkte auf engem
Raum. Piclativ einfache Zeichen, gebildet aus den Prunkten der zwei
obern Punkt])aare liefern die ersten zehn Buchstaben des Alphabets;
die folgenden zehn werden durch Hinzufügung des Punktes 3 zu jedem
der zehn ersten Zeichen gebildet, die weitern durch Hinzufügung der
Punkte 3 und (J. Dieses System ergibt daher umso punktreichere, also
im allgemeinen schwieriger lesbare Zeichen je später sie im Alphabet
auftreten. Nun bringt unser Alphabet bekanntlich die Buchstaben in
bunter Anordnung. Es ist keine Rede davon, daß etwa die seltener ge-
brauchten Buchstaben eine spätere Stelle in der Reihe einnehmen.
Daraus ergibt sich ein Nachteil des Braille'schen Systems für alle
Sprachen. Es mag sein, daß das dem Alphabet aufgezwungene Braille'sche
System der französischen Schrift angepaßt ist, den Bedürfnissen der
deutschen Sprache gemäß ist es aber sicherlich nicht. Für diese ergeben
sich aus dem System ganz unnötige Erschwernisse, die bei einer andern,
unserer S])rache mehr angemessenen (iru))])ierung der Punkte zu Schrift-
zeichen so vermieden werden können, daß das Lesen auch dem später
Erblindeten bedeutend erleichtert wird.
Für meinen eigenen (Tebraucii — ich bin im 6(i. Lebensjahre
erblindet — habe ich mir ein Alphabet zusammengestellt, welches mir
das Lesen deutscher Texte bedeutend erleichtert. Ich lege im folgenden
diesen A'ersuch eines deutschen Alphabets vor. Vielleicht ist damit dem
einen oder andern meiner altern Schicksalsgenossen wenigstens für
seinen Privatgebrauch ein Dienst geleistet. Gegen eine allgemeine Ein-
führung (üeser Zeichen wird man einwenden, daß sie für den inter-
nationalen Verkehr nicht geeignet sind. Das mag sein, für diesen mag
jeder die Brailleschen Zeichen beibehalten. In der Regel wird aber der
Deutsche mit Deutschen verkehren, so daß die vorgeschlagene An-
passung der Zeichen an unsere Sprache auch für unsern gegenseitigen
Verkehr vorteilhaft sein (hirfte.
Die Grundsätze, die für meinen A'orschlag maßgebend waren, will
ich in einer späteren Mitteilung ausführlicher auseinandersetzen, falls
diese Anregung Anklang findet. Hier möge nur angedeutet werden:
1. Für die häufigsten Buchstaben die einfachsten
Zei eben.
2. ein sofort in d i e A u g e n. d. h. also bei m Blinden in
den Finger s|)ri ngeii der Unterschied von Vokalen und
Konsonanten.
Leicht lesbar sind punktarme, weitp unkt ige und symme-
trische Zeichen. In der deutschen Sprache ist der häutigste Buch-
.«stabe e, er soll also das einfachste Zeichen (Punkt 1) erhalten. Es ist
ein wahres Glück, daß dieser Buchstabe im Alphabet den 5. und nicht
5. Nummei. Zeitschiitt für das österreichische Blindenwcsen. Seite 1129.
etwa den 17. Platz inne hat, denn im letzteren Falle müßten wir ihn
nach Braille mit fünf gehäuften Punkten schreiben. Ganz ähnliches gilt
vom n, r und ß. Andererseits sind bei Braille für im Deutschen seltene
oder überhaupt nicht gebrauchte Buchstaben sehr einfache, gut le.'^bare
Zeichen verwendet, also für uns sozusagen verschleudert, vgl. c und x.
Die Vokale sind in meinem Alphabet ihrer hohen Be-
deutung für das syllabiren de Lesen entsprechend, dadurch
von den Konsonanten unterschieden, daß ihre Zeichen
nur den oberen beiden Punktpaaren entnommen sind.
D e u t s c h e s AI p habe t.
a 14, b 1236, c IBoG, d 130. e 1, f 1234, g 3456, h 126, i 12,
j 1456. k 34, l 123, m 1346, n 1245, o 15, p 136, q 12345, r 346,
s 234, t 13, u 24. v 246. w 2456, x 1345, y 1246. z 16, ä 245,
ö 145. ü 124, ie 125, ch 345, seh 156, ß, ss 2345, st 2346, ck 134,
tz 146. . 2356, , 2, : 23, : 25, '? 26, ! 35, ,...." 256 . . . 256, — 36,
' Apostroph 235, ( ) Klammer 236—356.
Zahlenzeichen: 1 = 1, 2=12. 3=13. 4 = 14. 5=15. 6=16, 7 = 134,
8=135, 9 = 136. 0=123.
•• '• '• •' '• •' •' ■• •' •• -•
.. •• •• •• «. •• .» .« «. «. »« «»
a b c d e f g h i j k 1 ni n o p
•• ■• ■• •• '• ■• '• •• •• •■ •• •• •• •- •• •■
•• •• •■ •' •• •• •■ •• '• •' •• '• '•
• ■ •• •• •■ •• •• •• •• ■• •- '•
q r s t u V w x y z ä ö ü ie ch seh
• •• •• ••
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ß st ck tz . , : : V ! ,, — •'--' ( — )
•■ •' •■ •• •■ •• •• •• •• •
• •
• • • • •• •• •• ••
Zahlzeichen 12 3 4 5 6 7 8 9 0
•■ ■••■•••■•■ '••■•••■ •• •••• •••• •■•' '•
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Schriftprobe: W e n n d e r
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Hat eines Tore n c i n m a 1
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gut ist, so muß ihn ein g e -
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s c h e i t e r Mann a u .s f ü h r e n.
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L e s s i n g .
Seile 1130. Zeitsclirift tür das Osten eicliische BlindenweLcn, 5. Nummeiv
Zu vorstehendem Vorschlage erlauben wir uns folgende Bemerkungen.
Die Forderung, bei der Punktschrift die L e s b a r k e i t d e r Zeichen
mit der Häufigkeit ihres Vorkommens in Übereinstim-
mung zu bringen, tauchte bald nach der Einführung des Braille'schen
Systemes auf, denn es ist unverkennbar, daß in dieser Hinsicht die
Braille'sche Punktschrift einen großen Mangel zeigt, der allerdings im
Französischen nicht so sehr zutage trat, als in anderen Sprachen. Auch
hat es an Vorschlägen zu einer Änderung in dieser Hinsicht nicht ge-
fällt (Guadet, New-Yorker System, St. Marie, Javal). Bürklen hat in
mehreren Arbeiten* darauf hingewiesen, warum eine diesbezügliche
Besserung bisher nicht erreicht werden konnte. Während nämlich die
Häufigkeit unserer deutschen Schriftzeichen nach dem Gießzettel, besser
aber noch nach den Häufigkeitszählungen von Kä ding feststeht, ist die
Lesbarkeitsreihe für die Punktschriftzeichen nicht genügend erforscht.
Die frühere Annahme, daß die Lesbarkeit derselben mit der Zahl der
Punkte parallel gehe, ist nämlich nicht oder nur im beschränkten Maße
richtig. Solange also nicht eine endgültige Reihung der
Punktschrift zeichen bezüglich ihrer Lesbarkeit stattge-
funden hat, wird die Aufstellung eines Systems nach
obigem Grundsatze nicht möglich sein.
Trotzdem erscheint der vorstehende Vorschlag Dr. Haas" in
mehreren Punkten interessant und wertvoll. Einmal dadurch, daß er als
Spätererblindeter ohne Kenntnis unserer Literatur die Mängel des Braille-
systems erkannte. Weiters durch die Bezeichnung von leichter und
schwerer lesbaren Zeichen. Als leicht lesbar findet er p unkt arme,
weit punktige und symmetrische Zeichen. Stellt man die von ihm
aufgestellte Reihung mit jener von Bürklen gefundenen zusammen,
so übergeben sich vielerlei Übereinstimmungen, ohne daß jedoch ein
klares Grundgesetz der Lesbarkeit zu erkennen wäre. Dieses Grund-
gesetz zu finden, muß jedoch Aufgabe der Forschung sein und es sind
daher alle Beiträge willkommen, welche in dieser Hinsicht aufklärend
wirken können.
Ein äußerst beachtenswerter Vorschlag von Dr. Haas liegt auch
darin, Vokale (als kurz) und Konsonanten (als lang) in den
Schrift zeichen deutlich zu unterscheiden. Bis auf das Zeichen
n (••)ist er diesem Grundsatze in seiner Aufstellung auch treu geblie-
ben. (Besondere Zeichen für au, ei, eu und äu fehlen.) Ebenso bestehen
alle Satzzeichen aus kurzen Buchstaben. Für die Ziffern verwendet er
kurze und lange Zeichen, obwohl auch hier durch die Zusammenstellung
mit dem langen Zilfernzeichen kurze Zeichen charakteristischer wirken
würden.
Alles in allem sind die gemachten Vorschläge höchst bemerkens-
wert und sollten uns in der Zukunft nicht aus den Augen entschwinden.
*) Blindenfreund 1913 und 1915, Tastlesen der Blinden-Punktschrift. (l.eipzig,
1917, Barth).
5. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Bliiidenwesen. Seite 1131.
Personalnachrichten.
Dirckloi' K. Waiiner im Ruhestände. Der Kiitwiokluiig dei-
politischen Verhältnisse in Böhmen ist es zuzuschreihen. daß der Direktor
der Klar'schen Blindenanstalt in Prag Emil Wagner, nach zwanzig-
jähriger höchst erfolgreicher Tätigkeit im Blindenwesen am 1. Dezemher
V. J. seine Stelle niederlegte und nunmehr in Klagenfurt seinen Wohn-
sitz aufgeschlagen hat.
Mit dem Scheiden Direktor \Vagners von der Leitung der Klarsehen
Anstalt schließt wohl ein hedeutungsvolles Kapitel dieser deutschen
Gründung, deren Huf weit über die Grenzen unseres alten Vaterlandes
Österreich hinausreicht. Seit Errichtung der Anstalt (1832) waren vier
Mitglieder der edlen Familie Klar an ihrer Spitze gestanden, bis der
Mannesstamm dieses Geschlechtes mit Rudolf Ritter von Klar im
Jahre 1898 erlosch. Hiedurch überging die Anstalt aus einer mehr oder
weniger unverantwortlichen FamiMenverwaltung in eine solche mit ver-
antwortlichem Direktorium, an dessen Spitze Wagner berufen wurde.
Die Bedingungen, imter welchen diese Übernahme erfolgte, waren nicht
die günstigsten, den der Betrieb der Anstalt wies einen ziemlich großen
Abgang auf. Es gehörte von allem Anfang an das Finanzgenie Wagners
dazu, diese Sachlage zu bessern und in der Zukunft die Mittel für seine
weitausgreifenden Pläne zu beschaffen. Sein Verdienst ist es, diese Auf-
gabe in glänzender Weise gelöst zu haben. Aber auch die Neu-
organisation seiner Anstalt in der musikalischen wie gewerblichen Aus-
bildung der Blinden nahm er ungesäumt in Angriff und entwickelte aus
der industriellen Tätigkeit ein ansehnliches kaufmännisches Geschäft.
Nach der Bestiiumung der Klar'schen Anstalt als Beschäftigungsanstalt
erschien die Aufnahme des Unterrichtes blinder Kinder nicht möglich.
Wagner sah sich daher veranlaßt, mit dem Privat-Erziehungs- und Heil-
institut in Prag zum Zwecke der Aufnahme der dem Kindergarten der
Klar'schen Anstalt entwachseiu^n Kinder in Verbindung zu treten. Ein
anderer großer l^lan aber ließ Wagner nicht rasten und nicht ruhen:
Die Schaffung einer Blindenvolksschule für Deutschböhmen. Vorerst war
es jedoch seiner unermüdlichen Tätigkeit zu danken, daß im Jahre 1907
neben der alten Anstalt ein prächtiger Neubau erstand, zu dessen
Grundsteinlegung Kaiser Franz Josef I in Prag erschien. Im Jahre 1913
aber erstand als sein eigenstes Werk und dauerndes Denkmal die
„Deutsche Blindenschule in Aussig a. E.''
Es ist heute noch zu früh, der aufopferungsvollen Tätigkeit Direktor
W^agners für die Blindenfürsorge in Böhmen in voller Weise gerecht
zu werden. Was er allgemein für das Gebiet der Blindheitsverhütung
und die Blindenstatistik leistete, ist ja allbekannt. Es sind auch keine
Abschiedsworte, die wir seinem hervorragenden Werke zollen, denn
noch steht er in voller Rüstigkeit in unserer Mitte und wird es sich in
seiner Tatkraft nicht nehmen lassen, auch weiterhin an unserem vater-
ländischen Blindenwerke mitzuarbeiten. Dazu ein herzliches Glückauf!
— M u s i k 1 e h r e r Karl J e r a j . Abschied. Infolge Übersiedlung
ins Ausland mußte Herr K. .leraj seine Stelle als Musiklehrer an der
n. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf aufgeben. Die Anstalt erleidet
damit einen schweren Verlust. Im Jahre 1912 als Mitglied des Hofopern-
Seite 1132. Zeitschrift für das österreichische Hiindenwesen. 5. Nummer.
Orchesters zum Lehrer für Violin, Kontrabaß und Orchester an die
Anstalt berufen, widmete er sich mit Eifer und Hingebung seiner neuen
Aufgabe. Sein seltenes Lehrgeschick zeitigte bald die schönsten Erfolge.
Diese zeigten sich nicht nur in den Fortschritten seiner Schüler, sondern
auch in mustergültigen Aufführungen, die er bei verschiedenen Anlässen
im Festsaale der hiesigen Anstalt veranstaltete. Seine Verbindungen in
Künstlerkreisen ermöglichten die Gewinnung hervorragender Kräfte für
groß angelegte Konzerte in der Anstalt, die einesteils der Blindenfürsorge,
anderenteils der Kriegsfürsorge gewidmet waren und nahmhafte Rein-
erträgen brachte. So wurde unter seiner Führung die Purkersdorfer
Blindenanstalt zu einem künstlerischen Mittelpunkte des Wientales,
dessen weitere Entwicklung nun durch den Weggang ihres Trägers jäh
unterbrochen ist. Dankbare Erinnerung an den Lehrer und Künstler
K. Jeraj werden noch lange in seinen Schülern wie in den Kunst-
freunden unseres Ortes und seiner Umgebung wachbleiben.
flus den Anstalten.
N. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf. Lehrer G. Posch
erhielt einen Krankenurlaub und wurde an seiner Stelle der Lehrer der Taub-
stummenanstalt in Wr. -Neustadt Karl Nemec der Anstalt aushilfsweise zugewiesen.
Veranstaltung. Die freie Künstlervereinigung »Ver« aus Wien hielt am
27. April 1919 zugunsten der Blindenfürsorge in Purkersdorf eine Veranstaltung ab.
Vor zahlreichem Publikum trugen im Festsaale der Anstalt die Mitglieder der Ver-
einigung Frl. Friederike Ehr mann und die Herren Ottokar Wanecek, Karl J.
Haidvogel, Fritz Karpfen und K. F. Kocmata eigene Dichtungen vor, die
reichen Beifall fanden. Besonders bemerkt wurde der dramatische Vortrag Frl. Ehr-
manns, der ihren Gedichten zu höchster Wirkung verhalf. Außerdem brachte Herr
Fritz Dan kl, am Klavier begleitet von Herrn Franz Büllik, mit seiner weichen
Stimme eine Auslese von Liedern zu Gehör, die ihm reichen Beifall brachten. Für
den wohltätigen Zweck konnte ein namhafter Betrag abgeführt werden. F. B.
flus den Vereinen.
Zentr al ver e i n für das öst. Bl i nde n wesen. Ausschußsitzung am
25. April 1. J. Der Vorsitzende Direktor K. Bürklen macht Mitteilung über den
Mitgliederstand des Vereines, der sich in erfreulicher Weise gehoben hat. Mit be-
sonderer Freude begrüßte der Ausschuß den Beitritt des gesamten Lehrkörpers des
Blinden-Erziehungs-Institutes in Wien II zum Zentralvereine, zu dessen Vertretung
Hauptlehrer E. Gigerl in den Ausschuß entsendet und zugewählt wurde. Frau
Hauptlehrerin Halarevici-Mell erklärte ihren Austritt sowohl aus dem Aus-
schusse als auch aus dem Vereine und begründet ihren Entschluß mit den Vor-
gängen, welche zu der Beurlaubung ihres Vaters geführt haben.
Kasseverwalter Hauptlehrer F. D e m a 1 berichtete über den Kassastand und
die andauernd steigenden Anforderungen durch die Druckkosten der >Zeitschritt«.
Zur Deckung des Fehlbetrages dieser Post wird eine Subvention beim Staatsamte
für soziale Verwaltung angesucht werden.
Die Konstituierung der »Blindenfürsorgekommission beim Staatsamte für
soziale Verwaltung« steht für nächste Zeit bevor. Es werden dann dem Staatsamte
für soziale Verwaltung sofort Anträge bezüglich der Durchführung der Neugestaltung
der Blindenbildung und Blindenversorgung in Niederösterreich, bezüglich der Über-
lassung eines grölieren Objektes zu Zwecken der Blindenfürsorge u. s. w. überreicht
werden. Die Errichtung eines Seminares für Heilpädagogik an der n. ö. Landes-
Lehrerakademie wird mit Freuden begrüßt und beschlossen, an dessen Ausgestaltung
tatkräftig mitzuarbeiten. Der Arbeitsplan wird sofort ausgearbeitet und vorgelegt
werden, sobald Ziel und Zweck des Seminares genau festgestellt sind"
5. Nummer. Zeitschiirt für das österreichische Bhndenwesen. Seile 1133.
Eine lebhafte Wechsehede entwickelte sich über die Anregung eines engeren
Zusammenschlusses der Organisationen der Blinden und wurden die Vertreter der
Vereine Horvath, Uhl und Czech ersucht, diesbezüglich Beratungen zu pflegen.
— Blindenverein »Lindenbund« in Wien. Der Vorstand dieses
Vereines berief am 18. April 1. J. eine »Freie Blindenversammlung^< ein, in welcher
aktuelle Fragen der Blindenfürsorge zur Besprechung gelangten. »Die Zukunft der
Blinden und ihre Organisation« bildete den Gegenstand der Aussprache. Ein ge-
wähltes Aktionskomitee soll die Durchführung notwendiger Reformen mit Nachdruck
verfolgen.
Blindenklage.
Von Karl H e n c k c 1 1.
Wenn ich dich frage, dem das Le])en blüht,
0 sag mir, sage, wie das Mohnfeld glüht!
Das rote Mohnfeld, wie es jauchzt und lacht . . .
Tot ist mein Pfad und ewig meine Nacht.
Wohl manch ein Unglück schlägt den Menschen schwer,
Wer soviel trägt, kennt keinen Jammer mehr.
Die sonnenhellen l^Muren wankt er blind
Und tappt nach Spuren, die verschüttet sind.
Ich träume Sonnen strecke weit die Hand,
Ich möchte greifen durch die dunkle Wand,
Ich möchte fassen durch der Schatten Schicht
In roten Mohn und strahlengohrnes Licht.
Aus alten Zeiten lockt ein Schiumier nach.
Im toten Auge blieb die Sehnsucht wach.
Und wissend von der Herrlichkeit des Lichts,
So ganz enterl)t, geh' ich durch Nacht und Nichts.
Ich weiß von Gott und seinen dunklen Wegen,
Tot ist mein Fluch und tot ist auch mein Segen.
Für unsere Kriegsblinden.
— Stiftungen für Kriegsblinde. Die »Kriegsbeschädigtensektion für
Gagisten des Zentralverbandes deutschösterreichischer Kriegsbeschädigter« in Wien
bringt folgende Stiftungen zur Vergebung: Vom Generalmajor Kletus Pich 1er an-
geregte Stiftung der Ouartiermeisterabteilung des 1. Armeekommandos. Anzahl der
erledigten Plätze: 6. Betrag des Stiftungsgenusses: K 250. — Bezugsdauer: Einmalige
Beteiligung. Hierauf haben Anspruch: Gagisten oder Mannschattspersonen, die im
Kriege gegen Rußland in der Zeit vom 21. Dezember 1914 bis einschließlich 15. Mai
1915 dem Verbände der 1. Armee angehöit haben und während oder infolge der
Kriegsdienste erblindet sind. In deren Ermanglung alle im gegenwärtigen Kriege,
dann alle im Kriege überhaupt erblindeten Gagisten und Mannschaftspersonen. Den
Gesuchen sind beizuschheßen die Nachweise, die die obenstehenden Bedingungen
bekräftigen. — Vom Generalmajor Emil von Hueber und dessen Ehegattin Hen-
riette von Hueber: Anzahl der erledigten Plätze: 1. Betrag: K 504. — . Bezugsdauer:
Lebensdauer. Hierauf haben Anspruch: Erblindete aus Kärnten, Ober- oder Nieder-
österreich, Steiermark, Nordtirol, gebüilige Offiziere und Beamte des ehemaligen
Heeres. Infolge eines Kriegsereignisses Erblindete haben den Vorzug. Besitzer von
Privatvermögen oder Pensionsgenuß von mehr als K 4000. — sind vom Stiftungs-
genuß ausgeschlossen. Den Gesuchen sind beizuschließen der Vermögensnachweis
und der Nachweis der Erblindung.
Seite 1134. Zeitschrift fUr das Österreichische BHndenwesen. 5. Nummer.
Verschiedenes.
Vorschlag eines Dichters. Der im Herbste 1918 in Wien verstorbene
Peter Altenberg, ein Dichter besonderer Eigenart, machte in seinem Buche
»Vita ipsa« nachstehenden originellen Vorschlag.
Musterschutz.
Unterfertigter meldet höflichst einen Musterschutz an für folgenden kunstge-
werblichen Gegenstand (Brosche) :
Es sind vom Stein-Schleiter geschliffene und politierte Donau-Kiesel
in allen Farben und Formen, in beliebigem Metalle gefaßt mit Nadel, als Brosche,
Anhänger, Krawattennadel, Schnalle etc, etc. zu tragen und zugleich als p)a trio-
tische Gabe, 20''/(, des Reingewinnes der Kriegs-ßlinden- Fürsorge, auf-
zulassen. Das Ganze ist eine vollkommen neue Erfindung des Unterfertigten und
dient patriotischen Gefühlen und Zwecken! Name: Donau-Kiesel.
Ergebenst
Peter A 1 1 e n b e r g, Schriftsteller
Wien 1, Grabenhotel.
Bisher ist über die Verwirklichung dieses Vorschlages nichts bekannt gewor-
den. Zu derselben würde neben dem Gedanken eines Dichters auch das praktische
Genie eines — Selbstgewinners gehören.
— Ein Holzhack« r, der sich selbst den Star sticht. Der Berliner
Augenarzt Dr. Eugen Berger hat unlängst einen Fall zu sehen bekommen, wie er
wohl noch nie da war. Es kam zu ihm ein SSjähiiger Landwirt in die Sprechstunde,
dessen Augenuntersuchung nach einem Berichte der »Klinisch-therapeutischen
Wochenschrift« folgendes ergab : Die rechte Linse war in den Glaskörper zurück-
gesunken, die voidere Augenkammer durch Zurücksinken der Iris außergewöhnlich
tief; mit dem Augenspiegel konnte die durch den Star getrübte Linse aufgefunden
werden. Der Landwirt erzählte, vor wenigen Jahren sei er auf dem rechten Auge
völlig blind gewssen; beim Holzhacken sei ihm ein Stück Holz gegen das Auge
geflogen und von da an habe er auch rechts wieder sehen können. Damals wurde
er in der königlichen Augenklinik vorgestellt, und der Unfall, der ihm durch eine
Augenverletzung das Augenlicht wiedergegeben hatte, machte begreifliches Aufsehen;
der Holzhacker hatte sich selbst zufällig den Star gestochen. Nun aber kommt das
Wunderbare: F"ünf Tage darauf kommt der greise Landwirt wieder zu dem Augen-
arzt, und jetzt war er auf dem rechten Auge wieder blind; beim Holzhacken, wobei
er sich häufig bücken mußte, war nach seiner Erzählung das Augenlicht plötzlich
wieder erloschen. Die Untersuchung ergab, daß die trübe Linse in die vordere
Augenkammer gefallen war. Dr. Berger riet dem Wiedererblindeten, sogleich die
Linse entfernen zu lassen. Allein alles Zureden war vergeblich, der Landwirt wollte
den Eingriff nicht gestatten. Drei Monate später suchte er den Arzt wieder auf;
damals war es jedoch zu spät zur Operation, denn mittlerweile war das Auge
zugrunde gegangen.
— Eine Bettlerschule in England. England darf sich rühmen, eine
systematische Bettlerschule und Fabrik zu besitzen. Ihr Sitz ist Hackney, wo ein
pfiffiger, skrupelloser Bettlerfabrikant ein heimliches, dunkles, aber blühendes Ge-
schäft betreibt, für das er eine ausgedehnte Reklame macht. Kunst, Vielseitigkeit,
Kaltblütigkeit und Technik tragen dazu bei, in kurzer Zeit einen bemitleidenswerten
Bettler zu erzeugen. Lahme, Einäugige, Einarmige, mit Ausschlag behaftete usw.
werden »gemacht« und eingeübt. Den Blinden stellt er dressierte Hunde zur Ver-
fügung, die ihren bettelnden Herrn kundig durch die Straßen führen. Bettlerinnen
leiht er kleine Kinder, denn Kinder bilden bei den Stlaßenbettlern immer ein em-
pfehlenswertes »Aushängeschild« ihres Elends. Für seine Mühewaltung verlangt der
Bettlerfabrikant einen bestimmten Prozentsatz der täglichen Beltlereinnahme und
läßt sich auch auf eine einmalige Abzahlung ein.
— Bettle rhumor: Dame (zum blinden Bettler): Was? Gestern waren Sie
taubstumm und heute sind Sie blind?
Bettler; Na, Madamken, wie ist das anders /.u machen? Heutzutage will das
Publikum Abwechslung haben.
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische Bliodenwesen in Wien. Redaktionskomites: K. Bürkleh,
J. Rneis, A. ». HorTath, F. Uhl. — Druck Ton Adolf Englisch, Piirkersdorf bei Wien.
Bücherschau.
— Bericht über den 6. Österr. Bl i ii d c ii fürs orgeta.y-,
Wien 1918. Mit einer durch die Zeitverhältnisse bedingten Ideinen
A'('is})ätung erscheint der gedruckte Bericht über die Verhandlungen des
(). Österr. Blindenfürsorgetages. Es ist damit Gelegenheit geboten, die
wertvollen Ausführungen aller Vorträge in der nötigen Ruhe in sich
aufzunehmen und zu verarbeiten. Während die Vorträge im Berichte
unverkürzt erscheinen, mußten die Wechselreden der bedeutenden Druck-
kosten auf das Wesentlichste beschränkt werden, wodurch der Bericht
an Übersichtlichkeit nur gewinnen konnte. Die Schriftführer haben sich
damit wohl den Dank aller Leser erworben.
Einer Anzahl von Teilnehmern konnte der Bericht
wegen Behinderung des Postverkehres oder nicht mehr
gültiger Adressen nicht übermittelt werden. Die Betref-
fenden werden gebeten, die Eröffnung des Postverkehres
abzuwarten, bezw. ihre richtigen Adressen anzugeben.
Noch vorrätige Berichte köimeii zum Preise von 10 Kronen
beim „Zeutralverein für das österr. Blindenwesen", Versand
Purkersdorf bei Wien (Blindenanstalt), bezogen werden.
— MellA.: Mitteilungen aus dem Gebiete des Blinden wesens.
1. Heft (Wien 1919, Selbstverlag des Blinden-Erziehungs-Institutes). Wie es in der
Einleitung heißt, haben die Sammlungen des Blinden-Erziehungs-Institutes in Wien
einen Umfang erreicht, der es erlaubt, an ihre wissenschaftliche Verwertung auf
breiler Grundlage heranzutreten. Nach verschiedenen Richtungen soll dies in zwang-
loser Folge von Publikationen ausgeführt werden, von denen hiemit die erste der
Öffentlichkeit übergeben wird. Das erste Heft enthält die Abhandlung »Zur Ent-
stehungsgeschichte der Blindenschrift mit besondererRücksicht
auf die Punkt schritt« von Dr. Alfred Meli. Die Abhandlung spüit allen wis-
senschaftlichen Quellen auf diesem Gebiete nach und berührt in ausführlicher Weise
die Verdienste des italienischen Jesuiten Lana und des französischen Offiziers
Barbier um die Entwicklung der Blindenschrift. Die Entwicklung scheint damit
Avohl in allen Zusammenhängen klargelegt und wir empfehlen die Schrift allen Fach-
genossen als gründliche und wertvolle Arbeit.
— Aus der Praxis für die Praxis. Berichte der deutschen Zentral-
bücherei für Blinde zu Leipzig. 1. Bericht. Januar 1919. Museumsdirektor Prof.
Dr. Schramm begründet damit unter Mitwirlcung der verdienstvollen Frau Marie
Lomnitz-Klamroth ein für das deutsche Blindenschriftwesen höchst wertvolles
Werk. Das erste Heft enthält einen Jahresbericht über die Zenlralbücherei für Blinde
und den bibliographischen Apparat dieses Institutes, die Bücherliste der 1918 ein-
gestellten handschriftlich hergestellten Werke und der Musikalien, sowie eine Be-
schreibung des Leipziger Schreib-Satz-Druckgerätes (System Haake). Schließlich
versucht Renate Dumant Material zur Blindenbibliographie beizubringen, das nach
Erscheinungsjahren geordnet ist. Obwohl die Aufstellung noch Lücken enthält, ist
mit dieser verdienstvollen Arbeit die Hoffnung gegeben, endlich einmal zu der schwer
vermißten Bibliographie unseres deutschen Hlindenwesens zu gelangen. Weiteren
Veröffentlichungen auf diesen Gebiete sehen wir mit Interesse und Dank entgegen.
— O. Wanecek: Über besondere Maßnahmen für den Unter-
richt Schwachsichtiger. (Zeitschrift für das deutschösterreichische Volks-
schulwesen. 1919, 1-3 Heft.)
Bemerkung.
VI. Österr. Blindenfürsorgetag. Es sei hiemit nachgetragen, daß am
VT. Österr. Blindenfürsorgetag die Grazer Ödilienanstalt durch den Herrn Direk-
tionsadjunkten Alois Fast vertreten war.
Österreichische 31i**<lsn2eitung
r^ Erscheint moiiatlicli eiumal. : : : Bezugspreis jährlicli 6 K. [^i
f^^l Verlag: I. Österr. Blindenverein, Wien VIII, Florianiegasse 41. I^jj
Die »Österreichische Blindenzeitunji«, hergestellt nach dem vom Dozenten Dr. Max
Herz erfundenen Massedruck der Blinden-Punktschrift, will auf humanitärer Grund-
lage fußend, den Blinden geistig fördernden und unterhaltenden Inhalt bieten.
Alle Blindenfreunde werden um Unterstützung dieser Bestrebungen gebeten.
■ ^syl für blinde 3(inder ==
Wien, XVII., Hernalser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpflichtigen Alter aus allen österreichi-
schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
Die „ZentPolbibliotliBii fOi* Blinde jn Östeppeicii",
Wien XVIII, Währinger GUrtel 136,
verleilit ihre Bücher kostenlos an alle Blinden.
Blinden-Unterstützungsverein
„DIE PURKERSDORFER"
Wien V., Nikolsdorfergasse 42.
Zweck des Vereines; Uiilerstützung blinder Mit-
glieder. Arbeitsvermittlung tür Blinde. Erhaltung
der Musikalien-Leihbibliothek. Telephon 10.071.
Den blinde Modelleur'
Llttau in Mähren,
empfiehlt seine zu Geschenken sich
: vorzüglich eignenden keramischen :
Handarbeiten. Nähere Auskunft brieflich.
PpodutitiugBnossBnsctiQft für blinde
Böpstenbindep und KorbflBchter.
C. i„. 1). JI.
Wien Vlil., Floriani^asse Ni». 41.
Telephon Nr. 23407.
Alle Gattungen Bürstenbinder- u. Korlittechterwaren.
Verkautsstelle. Wien VII., Neubau^asse 75.
MusiiialiBn - Leiiiinstitut
des Blinden-Unterstützungsvereines
»Die Purkersdorfer« in Wien V..
: — : Nikolsdorfergasse Nr. 42. : — :
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Blindendrucknoten werden an fWk
Blinde unentgeltlich verliehen! lAJ
von Oskar Picht.
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(Gegründet 1878.)
Borsten-, Rohmaterialien- und Werkzeug-Fabrik
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Organ des „Zentralvereines für das österreichische BÜnden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
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Schriftleitunq
Purkersdorf
bei <Wien.
Osterreidiisches
Pöstsparkassen-
kontoNr.l3Z257
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Das Blatt erscheint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl BQrklen.
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Bezugspreis
ganzjährig mit
Postzustellung
6 Kronen,
Einzelnummer
50 HeHer.
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6. Jahrgang.
Wien, Juni 1919.
6. Nummer.
INHALT: Blindenfürsorgekommission im Staatsamte für soziale Verwaltung.
Fr. Demal: Vom Holzarbeits-Ünterridit. (Fortsetzung). F\. Krtsmäry: Nach-
wort zu meinem „offenen Briefe" an die Musiklehrer der Blindenanstalten
und an alle blinden Musiker der deutsdiösterreidiischen Republik.
Die Versorgung der Kriegsblinden und flugenbesdiädigten in Deutsdi-
österreich. Rus Mähren. Personalnadiriditen. Rus den Anstalten. Rus
den Vereinen. Für unsere Krie§sbl5nden. Mitteilung. Berichtigung. Altes
und Neues. (Ankündigungen.)
13=
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^ Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Bijndenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
.3 Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 3 K, Zeitungsbeitrag 3 K. {s
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Altes und Neues.
Blindheit als Motiv einer komischen Oper.
In Paris wurde im Jahre 1835 die später auch in Deutschland ge-
gebene Oper >Der Blitz« von F. Halevy (Text von St. Georges und
Pianord) aufgeführt, in welcher dies seltsame für Komik wenig ge-
eignete Motiv erscheint. Die Handlung ist folgende: Auf einer Plantage
in der Nähe von Boston lebt die junge kokette Witwe Madame Darbel
mit ihrer tiefer veranlagten Schwester Henriette. Bei ihnen erscheint
ihr Vetter Georg, ein junger Engländer auf Brautschau. Die Wahl
zwischen der munteren Madame Darbel und der sanften Henriette fällt
ihm schwer, umsomehr, als er sich von beiden geliebt glaubt. Da bringt
man während eines heftigen Gewitters einen Offizier der amerikanischen
Marine, namens Lionel, als Blinden ins Haus. Ein Blitz hat ihm bei
der Jagd den Kahn zertrümmert und ihn selbst geblendet. Mit Not hat
ihn Henriette vom Tode errettet und nimmt sich seiner nun besonders
an, während Mme. Darbel verreist. Als diese nach dreimonatlicher Ab-
wesenheit zurückkehrt, hat sich zwischen Lionel und Henriette bereits
eine tiefe Neigung entwickelt. Bei der Rückkehr Mme. Darbeis ent-
wickelt sich nun folgender Auftritt. Während Henriette zu dem Blinden
spricht, reicht ihm Mme. Darbel die Hand. Er erkennt wohl die Stimme,
aber die Hand ist ihm fremd. Dann spricht Mme. Darbel während er
Henrittens Hand in der seinen hält. Auch jetzt läßt er sich nicht
täuschen, denn sein Herz irrt nicht. Schließlich endet man den Scherz
und Mme. Darbel gibt sich zu erkennen. Lionel erklärt seine Liebe zu
Henriette, während Georg um Mme. Darbel wirbt. Henriette bittet den
Himmel, ihren Geliebten das Augenlicht wiederzugeben. Dies geschieht
tatsächlich. Lionel nimmt die Binde von den Augen, sieht die Schwe-
stern vor sich stehen und umarmt mit dem Rufe »Henriette!« — Mme.
Darbel. Henriette stürzt mit einem Schrei zusammen und entflieht
schließlich als Enttäuschte aus dem Hause, in das sie nur wieder durch
eine List zurückgebracht wird. Man läßt ihr nämlich wissen, Lionel habe
sich mit Mme. Darbel verheiratet. Beim Wiedersehen mit Lionel klärt
dieser jedoch die List auf und die Liebenden sinken sich in die Arme,
während sich Mme. Darbel an den philosophischen Georg hält und mit
diesem zum Altare tritt.
Die Erblindung Lionels gibt Anlaß zu gefühlvollen Romanzen, wie:
»Ach der Sonne Strahlen Alle Erdenfreuden
Sieht mein Auge nicht, Raubt ein Augenblick. —
Ewig sind die Qualen, Ach, kein Trost im Leiden
Bis das Herz mir bricht. Bleibet mir zurück!«
Oder das Gebet, welches Henriette um Wiedergewinnung des
Augenlichtes für ihren Geliebten an den Himmel richtet:
»Großer Gott, hör' mein Flehen,
Täusche Hoffnung mich nicht.
Laß es gnädig geschehen.
Schenk, ihm wieder das Licht!«
Daß das verwendete Motiv der Blindheit in der Wirklichkeit kein
komisches, sondern ein tragisches ist, hat der Komponist E. d'Albert
erkannt, und es als solches in seiner Oper >Die toten Augen« verwertet.
(Siehe »Zehschrift, 1916, Nr. 4 unter »Altes und Neues«.)
6. Jahrgang, Wien, Juni 1919. 6. Nummer.
I ^
3 »Eine moderne Blindenfürsorge ist nicht nur mit f
* neuem Geist zu erfüllen, son<fern es gilt für sie auch ^
* eine neue Form zu finden.« ^
Blindenfürsorgekommission im Staatsamte
für soziale Verwaltung.
Unter Teilnahme der Vertreter fast sämtlicher Fürsorgeeinrichtungen
Deutschösterreichs fand am 5. Juni 1. J. die konstituierende Sitzung
dieser Kommission statt. Als Vorsitzender fungierte Staatssekretär für
soziale Verwaltung F. Hanusch, der in seiner Begrüßung den ernstlichen
Willen der Staatsverwaltung hervorhob, als führender und entschei-
dender Faktor in die Blindenfürsorge einzugreifen. Direktor Bürklen
drückte für diese Erklärung den Dank des „Zentralvereines". Obmann
Uhl den der Blindenorganisationen aus.
Sektionschef Gas teiger regte zu einer Aussprache über die Ein-
richtung der Kommission an, um sie zu einem tauglichen Instrument
der Blindenfürsorge zu gestalten. In der sich daran knüpfenden Wechsel-
tcde wurde übereinstimmend zum Ausdruck gebracht, in der Kommission
eine Zentralstelle für sämtliche Blindenangelegenheiten zu schaffen und
(Mue Trennung der Blindenbildung und der sozialen Fürsorge nicht zu-
zulassen.
Die Kommission setzt sich zusammen aus den Vertretern der in
Betracht kommenden Staatsämter und je einem Vertreter folgender Für-
sorgeeinrichtungen :
E r z'i e h u n g s - und Bild u n g s a n s I a 1 1 e ii :
1. Asyl für blinde Kinder in Wien XAII.
2. Blinden-Erziehunusinstilut in Wien- II.
Seite 1140. Zeitschrift für das österreichische Blindcnwesen. 6. Nummer.
3. Isr. Blindeninstitut in Wien XIX.
4. N. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf.
5. Sehulabteilung für blinde Kinder in Wien XVI.
6. Taubstunimblindenheim in Wien Xlll.
7. Blindenlehranstalt in Linz.
8. Odilien-Blindenanstalt in Graz.
9. Kärntn. Lande.s-Blindenanstalt in Klagenfurt.
10. Blinden-Erziehungsinstitut in Innsbruck.
11. An.stalt zur Au.sbildung von Spätererblindeten in Wien XIX.
Arbeitsstätten:
12. Blinden- Arbeiterheim in Wien XIU.
13. Produktivgenossenschaft für blinde Bürstenbinder und Korbflechter
in Wien VIII.
V e r s o r g u n g s a n s t ä 1 1 e n und Heime:
14-. Versorgung.s- und Beschäftigungsanstalt in Wien VIII.
lö. Przybram'sches Blinden-Mädchenheim in Wien XIII.
16. Blinden-Mädchenheim in Melk.
17. Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt in Linz.
18. Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt in Graz.
19. Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt in Klagenfurt.
20. Landes-Blindenheim in Salzburg.
Vereine:
21. Zentralverein für das öst. Blindenwesen in Wien VIII.
22. I. Öst. Blindenverein in Wien VIII.
23. Blinden-Unterstützungsverein „Die Purkersdorfer" in Wien V.
24. Blindenverein ,.Lindenbund" in Wien XX.
25. Verband der Kriegsblinden Deutschösterreichs in Wien VIII.
Anstalten, die unter gemeinsamer Leitung stehen, können nur
einen Vertreter entsenden.
Die genannten Fürsorgestellen wer den aufgefordert,
ihre Vertreter dem Staatsamte für soziale Verwaltung
sobald als möglich namhaft zu machen.
Die Geschäftsordnung der Kommission kommt in der nächsten
Sitzung zur Beratung.
Schließlich wurde in einer Aussprache über die ,,Grundzüge zur
Neugestaltung der Blindenfürsorge" eingetreten, wobei dieselben im
allgemeinen Zustimmung fanden. Gegenüber dem Vertreter des Staats-
amtes für Finanzen, welcher an die geringe Leistungsfähigkeit des
neuen Staates erinnerte, wurde darauf verwiesen, daß bei einer Ver-
einfachung und rationellen Gestaltung der gegenwärtig äußerst zer-
splitterten Fürsorgeaktionen auch mit den vorhandenen. Mitteln Erfolge
zu erzielen wären.
Sektionschef Gasteiger schloß die Beratung mit Dank an die
Erschienenen und dem Ausdrucke .der Hoffnung, recht bald zu einer
gedeihlichen sachlichen Arbeit zu kommen.
Eine Anzahl von Anträgen für eine solche Behandlung wurde
bereits schriftlich eingebracht.
6. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1141.
Vom Holzarbeits-Ünterricht.
Von Hauptlehrer Fr. Demal in Purkersdorf.
(Fortsetzung.)
ö. Die Fuchsschwanz -Säge dient zum Zersägen von Leisten
und schmalen Brettchen. Sie wird wagrecht geführt und zwar mit oder
ohne Verwendung der Schneidlade. Benützt man eine Schneid-
lade (käuflich oder seihst herzustellen), so bestimmt der Schüler zuerst
mittels Meterstab und Spitzbohrer die Schnittstelle. Nun. wird das
Arbeitsstück in die Schneidlade gelegt, unter die eingelegte Säge ge-
schoben, bis der Spitzbohrer die Säge berührt und nun gesägt, wobei
(las Arbeitsstück stramm an die Lade gepreßt werden muß.
Geübte Schüler mögen auch ohne Schneidlade sägen. Doch
müssen sie dann, um einen schönen, auf der Längsrichtung wirklich
senkrecht stehenden Schnitt zu bekommen, längs eines Winkelhakens
sägen. Dieser wird mit dem kürzeren Schenkel an die Längskante des
Arbeitsstückes angelegt und fest angepreßt, während der längere den
Spitzbohrer berührt. Nimmt man nun letzteren weg, so entsteht genau
an seiner Stelle der Schnitt, der aber auch dann erst wirklich schön
wird, wenn man die Säge stets genau am langen Winkelschenkel ent-
hmg führt und Sie auch nicht nach links oder rechts neigt. Auf die
Erzeugung sauberer Schnittflächen ist stets das größte Gewicht
zu legen. Sie ist eigentlich das Um und Auf der Tischlerei: Ohne
x^änkelrechte Schnitte und Flächen ist das einfachste Kistchen unmöglich !
6. Die Hand säge. Mit ihr zersägt man dicke Leisten (Polster-
hölzer) und breite Bretter^ nach der Quer-, Längs- und Schrägrichtung.
a) Das Quersägen (im rechte Winkel zur Längsfasser). Es ge-
schieht wieder mit oder ohne Schneidlade. Da es meines Wissens keine
so großen Schneidladen im Handel gibt, um darein auch sehr breite
Laden legen zu können, so werden einige dieser Hilfswerkzeuge unter
Anleitung des Lehrers selbst hergestellt und zwar in verschiedener
Breite. Die Schnittschlitze werden mit starkem Bleche ausgeschlagen.
Zum Sägen mit der S c h n e i d 1 a d e verwendet man nur fein-
zähnige Sägen mit breitem Blatte, sogenannte Absatzsägen und legt sie
so ein, daß die Längsseite der Zähne zum Schüler schaut. ^ („Fahre vor-
sichtig tastend an den Zahnspitzen entlang: Nach einer Richtung hin
gleiten die Fingerkuppen ganz gut darüber, nach der anderen bleiben
sie stets an den scharfen Zähnen hängen. Benutze die Säge stets so,
daß du in der Richtung von deinem Körper die er.ste Bewegung aus-
führen kannst").
Damit der Blinde Holzarbeiter auch ohne Schnei dl ade gute,
rechtwinkelige Schnitte ausführen kann, braucht er wieder einen
Winkelhaken und ein Sägelineal. Es ist dies einfach eine mit
mehreren Löchern versehene Leiste, die dem Blinden den Bleistiftstrich
ersetzen muß. Dabei kommen folgende Arbeiten vor: Vom linken Ende
des Brettes ausgehend wird mit dem längs einer Kante aufgelegten
Maßstab die verlangte Länge bestimmt und mit einem Spitzbohrer be-
zeichnet. Von rechts, her wird jetzt der Winkelhaken angeschlagen und
ein zweiter Spitzbohrer gesteckt, der vom ersten eine Breftbreite ent-
fernt ist. Das Sägelineal wird an der linken Seite der Spitzbohrer an-
'JH'legt und mit einigen Nägeln, die durch die vorhandenen Löcher ge-
Seite 1141'. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 6. Nummer.
steckt werden, schwach angeheftet. Man schneidet nun, natürlich nach
Entfernung der Spitzbohrer, an der rechten Seite des Lineals entlang
und hält die Säge entweder wagrecht oder schräg. Das Wagrecht-
sägen ist für den Blinden vorzuziehen. Er erhält dadurch sicherer
schöne Schnittflächen. Freilich ist es auch langwieriger — man ver-
wendet wieder Absatzsägen — als das Schrägsägen. Dieses ist hand-
werksmäßiger und geht rascher, da es mit einer grobzähnigen Säge
mit schmalem Blatte geschieht. Ungeübte kommen aber leicht schief
oder sägen gar ins Lineal, weshalb dieses mit Eisen zu beschlagen ist.
b) Das Längs sägen (gleichlaufend zur Holzfaser). Den Bleistift-
strich vertritt wieder das Sägelineal. Da es sich meist um sehr lange
Schnitte handelt, verwenden wir dazu auch mit Eisen beschlagene
Meterstäbe, an denen entlang gesägt wird. Leisten und schmale Bretter
spannt man hiebei meist lotrecht, lange Bretter wagrecht ein. Im ersten
Falle wird daher die Säge wagrecht, im letzten lotrecht geführt
oder, wie man sagt: Man schneidet nach der Faust.
Beim Schneiden nach der Faust ist die Sägehaltung wenig
anstrengend und man kann hier ruhig ganz große Sägen verwenden,
bei denen selbst beim Durchschneiden sehr breiter Bretter kaum das
lästige Verstellen des Sägesteges nötig sein wird.
Die stets gleichmäßig schiefe Haltung des Sägegestelles (mit schräg
j^estelltem Sägeblatt) beim Wag rechtsägen erfordert viel mehr
Kraft. Daher lasse man hier nur kurze, (50 — 60 cm lange) Sägen be-
nützen. Hiebei hat der Schüler folgendes zu beachten: Hört er, daß die
Zähne am Lineal wetzen, hat er das Sägegestell zu heben; fühlt er,
daß sich der Schnitt, zu weit vom Lineal entfernt, muß er das Gestell
senken. Nach je einigen Zügen betaste er das Ergebnis.
Sowohl l)ei wagrechter als auch lotrechter Sägehaltung verwendet
man nur grobzähnige, schmalblättrige Sägen; denn nur solche lassen
sich, sollten sie auf Abwege geraten sein, leicht wieder auf den rich-
tigen Weg zurückbringen.
c) Schrägschnitte kommen selten vor. Handelt es sich um
einen Schnitt im Winkel von 45", erzeugt man ihn in der Gehrungs-
lade, alle anderen aber längs des Sägelineales, das man mittels Schräg-
maß (Winkelhaken mit beweglichen Schenkeln) in die gewünschte
Richtung bringt.
7. Der Hobel. Seine Handhabung und die Nachprüfung des Ar-
beitsergebnisses ist auch für Blinde nicht schwer. Trotzdem kommen
oft folgende Fehler vor, die natürlich zu rügen und durch praktische
Lnterweisungen abzustellen sind: Der Schüler stellt das Eisen zu weit
vor, um rasch mit der Arbeit fertig zu sein. Er erreicht gerade das
Gegenteil: Der Hobel reißt das Holz ein, verstopft sich, wird leicht
schartig u. s. f. — Der Zögling hobelt nicht parallel, sondern schräg
zu den Fasern und bekommt nie ein schönes Resultat. — Er hobelt
(bei minderwertigen, verwachsenen Brettern) an einer rauhen Stelle
hundertmal vorülDer, die glatten läßt er aus; Dadurch wird das Brett
ungleich dick. — Beim L ängskantenhobeln fährt er nicht gleich-
mäßig über die ganze Kante, sondern berücksichtigt Anfang und Ende
nin meisten: Die Kante wird bucklig. Diesen Fehler vermeidet man
sicher, wenn man zum Hobeln langer Kanten nur die Rauhbank
6. Nummer. iieilschiift für das Österreichische Blindenwesen. Seite 1143
verwenden läßt. — Hält der Schüler beim Kantenhobeln den Hobel nicht
wagrecht, sondern neigt ihn nach links oder rechts, so wird die Kanten-
fläche schräg und das Brett für zusammengesetzte Arbeiten unbrauch-
bar. — Auch das Behobeln der Querkanten (des Hirnholzes) ist
nicht jedermanns Sache: Meist wird mit grob gestelltem Hobel über die
ganze Kantenfläche gehobelt. Erfolg: Die Fläche wird nie glatt und reißt
jämmerlich ein. Mittel dagegen: Der Hobel ist möglichst fein zu stellen
und es ist nur bis zur Mitte und dann von der anderen Seite aus
wieder bis zur Mitte zu hobeln; man führt dabei gerne mehr reibende,
Schlingen bildende Bewegungen (ähnlich wie beim Politieren) aus.
Daß das Hobeleisen nie zu weit vorstehen soll, wurde schon er-,
wähnt. Das Eisenstellen erfolge nur in folgender Weise: Steht das
Eisen zu wenig vor, führt man einen ganz leichten Hammerschlag
auf das obere Eisenende und stellt mit vorsichtig über die Schneide
gleitenden Fingern (oder auch durch einen Hobelversuch) das Ergebnis
fest. Sollte ein Schlag nicht genügen, so folgen weitere. Zuletzt bekommt
auch der Holzkeil noch einen festeren Hieb. Steht das Eisen zu viel
vor, führt man einen kräftigen Schlag gegen das hintere Ende des
Hobelkastens, den dabei die linke Hand recht locker hält: Das Eisen
fährt ein Stück zurück und wird wieder durch einen Schlag auf den
Keil festgemacht.
In dieser Weise lockert man auch das Eisen, um es etwa zum
Schleifen herauszunehmen. Ja, das Schleifen! Kann man auch diese
Arbeit von Blinden verrichten lassen? Es gibt genug sehende Hand-
werker die damit auf Kriegsfuß stehen. Beweis dafür ist, daß viele
Werkzeugfirmen es für nötig halten, ihren Preisverzeichnissen eine An-
leitung über das Schärfen der Werkzeuge anzufügen. Nach meiner Er-
fahrung steht fest, daß auch diese Arbeit von einem geschickten Blinden
befriedigend ausgeführt werden kann, aber wirklich nur von einem
tüchtigen Arbeiter der letzten Jahrgänge. Dabei verwende man eine
Eis'enauflage und Schleiflehre, die es ermöglicht, daß das Eisen stets im
selben Winkel an den gedrehten oder liegenden Schleifstein (Rutscher)
gehalten wird: Zuerst im Winkel von 20° (zur Erzeugung der Fase),
dann (am Abzugstein) im Winkel von 30 — 35» (zur Erzeugung des
Zuschär fungs winkeis). (Schluß folgt.)
Nachwort zu meinem „offenen Briefe" an die Musiklehrer der
Blindenanstalten und an alle blinden Musiker der deutsdi-
österreichischen Republik.
Hochgeschätzte Kollegen, liebwerte Schicksalsgenossen! Um es
ohne alle Umschweife klipp und klar alsogleich herauszusagen: die von
mir angeregte Zusammenkunft der Musiklehrer an den deutschösterrei-
chischen Blindenanstalten, sowie der blinden Musiker, die den Zweck
haben sollte, eine Reform des Musikunterrichts an Blindenanstalten in
ihren Grundlinien zu zeichnen, kann vorläufig nicht stattfinden, min-
destens nicht zum vorgesehenen Termin in der Woche nach dem dies-
Soite 1144. Zeitschrift für das österreichische Blindenwescn. 6. Nummer.
jährigen Schiilschluß. Das für diese Angelegenheit bekundete Interesse
war doch, ein weit geringeres, als ich es bei der Abfassunjg meines
„offenen Briefes" vorausgesetzt und erhofft hatte.
Wohl erhielt ich einige schriftliche Äußerungen zustimmender
Natur und zwar nur solche, aber es sind ihrer doch zu wenige, um
darauf einen weitgreifenden Reformplan gründen zu können.
Die Umgestaltung des Musikunterrichtes, wie sie mir vorschwebt,
muß meiner Überzeugung nach von allen Interessenten in Angriff ge-
nommen und durchgeführt werden; nur als die Frucht gemeinsamer
Beratungen, nur als Ergebnis von Rede und Gegenrede kann sie uns
erstehen und zu gedeihlichem Erfolge führen. Handelt es sich dabei
doch nicht bloß um eine spezielle Unterrichtsfrage, sondern eben-
sosehr um eine allgemeine Erziehungs- und Fürsorgefrage. Nach
dieser dreifachen Bedeutung hin will die Umgestaltung des ' Musik-
unterrichts aufgefaßt und gelöst werden-
Denjenigen, vv'elche dies mit mir richtig erkannt und die meinem
offenen Briefe freudig zugestimmt haben, sage ich hiermit herzlichen
Dank. Sie haben in mir das Bewußtsein gestärkt, mit meinen Ansichten
nicht allein dazustehen, Gesinnungsgenossen zu besitzen, denen mich
das gleiche Streben und Wollen eint. Auf ihre Mithilfe darf ich auch
zählen, wenn die Reform des, Musikunterrichts früher oder später doch
noch in Fluß gerät, denn der einmal vollendete Stein wird kraft seines
Beharrungsvermögens auch noch weiter rollen. Im Augenblicke steht
die Angelegenheit so: Mein „offener Brief ist in den Mai-Mittei-
lungen des I. österr. Blindenvereines zum Abdruck gelangt; dadurch
soll einer größeren Anzahl blinder Musiker Gelegenheit geboten werden,
meine Bestrelnmgen kennen zu lernen und ihnen gegenüber Stellung
zu nehmen. Schriftliche Äußerungen sind bis 1. August 1. J. an meine
Privatadresse erbeten. Ob alsdann, Ende September, eine Zusammen-
kunft doch noch stattfinden kann oder ob die Frage der Reform des
Musikunterrichts an Blindenanstalten einem der Blindenlehrerkongresse
oder Fürsorgetage zur endgiltigen Lösung vorbehalten bleibt, kann ich
heute noch nicht sagen, werde es aber rechtzeitig bekannt geben.
Diejenigen, welche ein erstrebenswertes Ziel richtig erkannt und
fest ins Äuge gefaßt haben, werden den eingeschlagenen Weg mutig und
rüstig wie bisher weiter schreiten, allen Hemmungen und Widerständen,
aktiven wie passiven, — die letzteren sind die gefährlicheren, — zu
Trutz, den ihrer Obhut anvertrauten Kunstjüngern zu Nutz und
Schutz, immer getreu dem lapidaren Leitspruch aller Beherzten und
darum Zukunft-Sicheren: „Arbeiten und nicht verzweifeln!"' —
Mit kollegialem Gruße
Anton Krtsmärv,
Weidlinnau-IIadcrsdoif, Ende Mai 1919.
Musikfachlehrer an der n. ö. Landes-
Biindenanstalt.
6. Nummer. Zeilscluift fiii das östci icichische Blindeiiwcseii. Seite 1145.
Die Versorgung der Kriegsblinden und flugenbeschädigten
in Deutsdiösterreich.
Die deutschösterreichische Nationalversammlung traf mit Gesetz
vom 25. April 1919, St.-G.-Bl. Nr. 245 Bestimmungen über die staatliche
Entschädigung der Kriegsinvaliden, dem wir, als für Kriegsblinde und
Augenbeschädigte wichtig, folgendes entnehmen.
Die Fürsorge der Kriegsbeschädigten bezieht sich auf Heil-
li eh a.ndlung, Körperersatzstücjte, berufliche Ausbildung,
Invalidenrente und Krankengeld, im Falle des Todes auf Hinter-
1) lieben euren ten und Sterbegeld.
Die Heilbehandlung umfaßt die von zuständigen Organen des
ölTentlichen Gesundheitsdienstes, einschließlich der Gemeindeärzte als
notwendig erkannte ärzthche Hilfe, Heilmittel und therapeutische Be-
ll elfe. Zu den Kör per ersatzstücken für Kriegsblinde zählen wohl
auch künstliche Augen.
Der Geschädigte hat Anspruch auf unentgeltliche berufliche
Ausbildung zur Wiedergewinnung oder Erhöhung seiner Erwerbs-
fähigkeit. Diese Ausbildung ist innerhalb der Höchstdauer eines Jahres
bis zur Erreichung ihres Zieles fortzusetzen. In rücksichtswürdigen
Frdlen kann sie bis zur Höchstdauer von drei Jahren ausgedehnt
werden.
Die Invalidenrente ist nach der Minderung der Erwerbsfähig-
keit, nach Ortsklassen, nach der Vorbildung und dem früheren Erwerb
abgestuft. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mehr als 75
von Hundert, welche für alle Kriegsblinden zutrifft, gebührt die Voll-
rente der betreffenden Stufe, darunter gebühren Teilrenten in sechs Ab-
stufungen. Bei der Rentenbemessung werden weiters drei Vorbildungs-
stufen (Hochschulbildung, über die Volksschule hinausreichende Schul-
l)i!dung oder praktische Ausbildung, geringere Vorbildung) und 5
Ortsklassen (entsprechend der Einwohnerzahl) unterschieden. Darnach
werden die Invalidenrenten in der Höhe von 1200 K bis 3360 K jährlich
bemessen. Ist der Geschädigte derart hilflos, daß er ständig der Hilfe
einer anderen Person bedarf, so gebührt ihm ein Rentenzuschuß, der
nach der Ortsklasse von 800 K bis 1600 K zu bemessen ist. Diesen
Zuschuß erhält bei Verehelichung eines Kriegsblinden dessen Frau. An
die Stelle der Invalidenrente tritt, wenn dies für den Geschädigten
günstiger ist, die Bemessung nach dem früheren Jahreseinkommen' Für
diese Fälle ergeben sich 'Jahresrenten von 1320 K bis 4320 K. Im
ersten Jahre der Wirksamkeit des Gesetzes kommen hiezu Teuerungs-
zulagen in der Höhe von 50 vom Hundert des Rentenanspruches.
Während der Dauer der Heilbehandlung oder der beruflichen Aus-
bildung gebührt dem Kriegsbeschädigten, sofern er nicht schon die
Invalidenrente bezieht, ein tägliches Krankengeld.
Nach dem Tode des Kriegsbeschädigten erhalten die Hinterbliebenen
ein Sterbegeld und haben dieselben Ansprach auf einen Teil der
vom Ver.storbenen bezogenen Rente.
Mit der Durchführung des Gesetzes ist das „Staatsamt für
soziale Verwaltung" in Wien betraut. Alle A n s p r u c h s a n m e 1 d u n g e n
Seite 1146. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 6. Nummer.
sind mündlich oder schriftlich bei der nach dem Aufenthalt des An-
spruchsbewerbers zuständigen politischen Bezirksbehörde zu erstatten.
Für jedes Land wird am Sitze der Landesregierung eine Invaliden-
entschädigungskommission errichtet, welche die Durchführung
des Gesetzes leitet und überwacht.
Aus Mähren.
Vereinigung der mährisch-schlesischen Kriegsblinden.
Die Kriegsblinden aus Mähren und Schlesien hielten am 1. März
1919 in ihrem derzeitigen Heim, Brunn, Zieglergasse 19 die gründende
Vollversammlung ihrer Vereinigung ab.
Tagsdarauf am 2. März 1. J. veranstalteten dieselben in ihrem
Heim eine Manifestations Versammlung, bei welcher verschiedene
Vertreter: Abgeordnete, Vertreter der Behörden, der Blindenanstalt u. a.
anwesend waren. Nach Anhörung zweier Vorträge wurde eine Resolution
angenommen, welche die Wünsche und Ziele der Kriegsblinden enthielt,
durch deren Verwirklichung ihre Lage in der Zukunft gesichert wäre.
Oberwähnte Wünsche und Ziele enthält § 2 der Vereihsstatuten.
Den Zweck der Vereinigung bilden:
1. Vereinigung sämtlicher mähr.-schlesi Kriegsblinden ohne Unter-
schied der Nationalität in einer, die Selbsthilfe bezweckenden Organisation.
2. Gewährung von Rechtsschutz allen ihren Mitgliedern in finan-
zieller und geistiger Beziehung im Rahmen der Vereinigungsstatuten,
3. Alle nötigen Schritte zu unternehmen, um die gesetzmäßige
Regelung der Invalidenrenten, sowie deren Erweiterung auf Familien-
mitglieder respektive Pflegepersonen mit Abstufung von Minderbelasteten
und Sehenden zu erwirken.
4. Fürsorge für erkrankte Kriegsblinde und deren Familienmitglieder.
Die Kosten einer jeweiligen ärztlichen Behandlung im Hause, in einem
Sanatorium oder in einem Bade sind aus Staatsmitteln zu bestreiten;
ebenso sind die Kosten der, auf Grand eines ärztlichen Gutachtens an-
zuschaffenden Prothesen vom Staa'.e zu tragen.
5. Mitwirkung bei Errichtung von Sanatorien und Heilanstalten
für Kriegsblinde auf demokratischer Grundlage.
6. Veranstaltung von theoretischen und praktischen Kursen für
Invalide, Ermöglichung des unentgeltlichen Besuches von Fachlehran-
stalten behufs eventueller Aneignung eines neuen, praktischen Berufes.
Erwirkung von Verpflegskostenheiträgen für Teilnehmer an solchen Kursen.
7.. Erwirkung von Erleichterungen bei Gründung eines selbständi-
gen Unternehmens, mit Nachsicht der gesetzlichen Bestimmungen über
den Befähigungsnachweis, falls sich der Bewerber in seinem Berufe
bewähren kann.
8. Stellenvermittlung für Absolventen früher erwähnter Kurse.
9. Erwirkung der Zentralisierung aller bei Regimentern, Städten,
Gemeinden, Korporationen, sowie beim Staate bestehenden Hilfsfonds
und Stiftungen für Kriegsblinde, unter Kontrolle Kriegsblinder, denen im
Verwaltungskörper Sitz und Stimme verliehen wird.
6. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite U47.
10. Erwirkung freier Fahrt auf Staats-, Lokal- und elektrischen
Straßenbahnen für den Blinden und seinen Begleiter.
11. Erwirkung des unentgeltlichen Besuches von Mittel-, Fach-
und höheren Schulen für die Kinder des Erblindeten.
12. Erwirkung der direkten Vertretung der Kriegsblinden in allen
Korporationen, deren Zweck die soziale Fürsorge für Invalide ist, d. i.
im Ministerium und bei allen anderen Institutionen.
13. Unterstützung der zweckmäßigen Errichtung von Heimstätten
für Kriegsblinde, welche sich mit Erfolg der Landwirtschaft widmen
können.
14. Erstrebung der Revision der Tabaktrafiken und Hauptverlage,
in weiterer Folge Rayonierung derselben und Verpachtung an Kriegs-
blinde oder Vereinigungen Kriegsblinder.
15. Kinematographenkonzessionen sind nur solchen Gesellschaften
zu erteilen, bei denen Kriegsblinde mitbeteiligt sind.
16. Mitwirkung bei Gründung von Verkaufsstellen für Erzeugnisse
Kriegsblinder in größeren Städten.
17. Organisation der zeitweiligen Unterbringung von Kindern armer
Kriegsblinder während der Sommerferien bei reicheren Familien am Lande.
18. Die Gründung und Erhaltung von eigenen Unterstützungsfonden,
deren Zweck ist:
a) Unterstützung armer Familien,
b) Unterstützung Erkrankter,
c) Beitragsleistung zu den Begräbniskosten für verstorbene Kriegs-
blinde. Die Höhe des jeweiligen Beitrages bestimmt die Vollversammlung.
19. Der Verein wird zu diesem Zwecke:
a) Im Sinne seines Programmes den gesetzgebenden Körperschaften
Gutachten und Vorschläge unterbreiten, auf geeignete Einrichtungen
hinweisen und den berufenen Stellen eine zweckmäßige und gesunde
soziale Fürsorge für Invalide ans Herz legen.
b) Versammlungen, Beratungen, Vorträge, Konzerte, Theatervor-
stellungen und Unterhaltungen veranstalten; Broschüren, Zeitschriften,
sowie andere Druckschriften zum Zwecke der Propaganda herausgeben.
c) Beratungsstelle in Organisations-, wirtschaftlichen, technischen
und Rechtsfragen sein, soweit dieselben Kriegsblinde betreffen.
20. Sorge betreffend kultureller und sozialer Interessen der Kriegs-
blinden.
Vortragsabend in Brunn. Im Festsaale der Kronprinz Rudolf-Bürger-
schule daselbst fand am 9. März 1. J, ein Vortragsabeud statt, der durch einen von
Blindenfachlehrer Anton Rappawi mit großem Beifall aufgenommenen Vortrag
einf,feleitet wurde. Titel und Inhalt desselben waren: Die Jugendlichen nach
dem Weltkriege. (Wiedererrichtung der Kulturwerte. — Ursachen der Verwahr-
losung nnserer Jugend. — Der Weltkrieg und die Blinden. — Stillstand ist Rück-
schritt. — Betteln als Blindene werb. — Blendung sehender Kinder. — Die blinde
Vera. — Auf der Wranauer-Straße. — Zwei ausgebildete Blinde als Bettler. — Sachsen
hat keine bettelnden l:>linden. — Der Blinde von Schelklingen. — »Einem Tiere
weit ähnlicher als einem Menschen !« — Wohin die elterliche Verzärtelung des
Blinden führt. .— »Ein Stall war seine Stube und seine Welt.« — Verwahrloste
Blinde sind bildungsunlähig. — MaßnahAen zur Verbesserung des Blindenloses. —
Wer anderen hilft, wird selbs einst Hilfe finden.)
Die anderen Teile des Abends wurden bestritten von Frl. A. Drucker,
Honzertsängerin M. Pokorny und Musiklehrerin A. Adamczik. Frl. Drucker
trug »Die Engelsglocke« von K. Seh 1 euß n er (blind) und »Ein Sonntagskind« von
K. Hirsch vor.
Seite 1148. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 6. Nummer.
Personalnachrichten.
— Abschied des Landesrates L. Kunschak von der
n. ö. L a n d e s - B 1 i n d e n a n s t a 1 1 in P u r k e r s d o r f. Nach sechsjähriger
Tätigkeit in der n. ö. Landesvervvaltung und in der Oberleitimg der
Anstalt schied Landesrat L. Kunschak aus dieser Stellung und ver-
abschiedete sich am 17. Mai 1. J. von den Bediensteten und Zöglingen.
Nach einem von den Zöglingen gesungenen Psalm gedachte Direktor
K. Bürklen des besonderen Verdienstes des scheidenden Landesrates,
die Anstalt glücklich über das Chaos des Weltkrieges hinübergerettet
zu haben und dankte ihm für die väterliche Fürsorge, mit welcher er
stets allen Bewohnern des Hauses entgegengekommen war. Ein Zögling
brachte ihm den Dank der blinden Kinder dar, zu denen er während
seiner Amtszeit in ein selten inniges Verhältnis getreten war.
Mit welcher Liebe und welchem Stolz Landesrat L. Kunschak
an der Anstalt hing, ging aus den Worten hervor, welche er an Be-
dienstete und Zöglinge richtete. Rühmend hob er hervor, daß nie ein
Mißton zwischen ihm und den Bewohnern der Anstalt das schöpe Ver-
hältnis getrübt nahe, wie die Erinnerung daran nie in ihm verlöschen
werde und er stets ein Freund und t'örderer der Blinden und ihrer
Bestrebungen bleiben wolle.
— Abschied. Die Umwälzungen bei Errichtung des tschecho-
slovakischen Staates sowie deren weitere Folgen, besonders in einer
geänderten Zusammensetzung des Kuratoriums der Klarsehen Blinden-
anstalt in Prag haben mich veranlaßt, noch während der Amtierung
des alten Kuratoriums, meine Pensionierung .als dessen leitender Direktor
zu erwirken.
Beim Rücktritte von meiner liebgewordenen jahrzehntelangen Be-
tätigung in der Blindenfürsorge rufe ich allen meinen lieben Berufs-
genossen und Freunden ein herzliches Lebewohl, mit der Bitte zu, mir
eine freundliche Erinnerung bewahren zu wollen.
Klagen fürt, im Mai 1919. Direktor Emil Wagner.
— Fachlehrer A. Zier fuß der n. ö. Landes-BIindenanstalt in Purkersdorf
wurde unter Verleihung des Titels » Hau p tl e h r e r « in die IX. Ran^klasse der
n. ö. Landesbeamten befördeit.
— Substitut A. Kaiser wurde zum prov. Lehrer II. Kl. an der n ö. Landes-
Taubstummenanstalt in Wien XIX ernannt, bleibt jedoch vorläufig der n. ö.
Landes-BIindenanstalt in Purkersdorf zur Dienstleistung zugewiesen.
— Direktionsmitglied Johann Hager j. Am 30. Mai 1. J. staib das
Direktionsmitglied und Referent der Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für
erwachsene Blinde in Wien VIII, Herr Johann Hager, der jahrzehntelang als
treuer und selbstloser Freund der Blinden dieser Anstalt seine Dienste widmete.
flus den Anstalten.
— N. ö. Landes-BIindenanstalt in Purkersdorf. Besuch durch
Staatssekretär Hanusch. Am 17. Mai 1. J^ erschien der Staatssekretär für
soziale Verwaltung F. Hanusch in Begleitung des Sektionschefs Hofrat O. Ga-
steiger und des Ministerialrates Dr. M. Leder er in der Anstalt, um deren Ein-
richtung und Bewohner kennen zu lernen. Mit Interesse und Teilnahme überzeugte
er sich von dem Wohlbefinden der Zöglinge und fand Worte der Anerkennung
für ihr Aussehen und ihre Haltung. In gleicher Weise nahm er Kenntnis von den
EinrichturjCTcn der Anstalt und hörte den Bericht des Anstaltsdirektors an. Es war
6. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1149.
unverkennbar, daß die Blinden in Staatssekretär Hanusch einen warmen Freund
Ljefunden haben, von dessen Einsicht und Wohlwollen sie getrost das große Reform-
werk der vaterländischen Blindenfürsorge erwarten können, das sich im Staatsamt
für soziale Verwaltung vollziehen soll.
— Übernahme der Oberleitung durch Landes rat Karl
Volk er t. An Stelle des abtretenden Landesrötes L. Kunschak übernahm
Landesrat K. Volker t das Referat über die Anstalt. Es ist nicht zu zweifeln, daß
Landesrat Volkert den blinden Zöglingen ein warmer Freund und der Anstalt
ein tatkräftiger Förderer sein wird.
— Israelitisches. Blinden Institut in Wien XIX. Ausstellung
von Handfertigkeitsarbeiten. In Anwesenheit des Kuratoriums, des Herrn
Sektionsrates Dr. Leo, Wiesmayer, in Vertretung des Staatsamtes für soziale
Fürsorge, des Herrn Regierungsrates Rudolf Hammel, in Vertretung des Staats-
amtes für öffentliche Arbeiten und eines zahlreichen distinguierten Puklikums wurde
im Israel. Blinden-Institute Hohe Warte am 18. d. M. nach einem Weihelied aus
der »Schöpfung« und dem Vortrage einer Symphonie von Josef Haydn die Aus-
stellung von Handfertigkeitsarbeiten der Zöglinge mit einer Rede des Direktors
Heller eröffnet, in welcher er die Bedeutung des Handfertigkeitsunterrichtes für
Blindenschulen darlegte. Die Exposition stellt ein System dar, welches vom Spiele
des Kindes ausgeht. In geordneter Stufenfolge werden angeboten: Kindergarten-
arbeiten aller Art, Arbeiten aus Holzstäben mit Nagel und Hammer, Papparbeiten,
Zeichnungen und Modellierarbeiten, auch solche nach der Natur und aus dem Ge-
dächtnisse, Schnitzarbeiten in Holz, Steinarbeiten, durch Tischlerarbeiten hergestellte
zu instruktiven Lehrmitteln geeignete Lebensbilder, wie ein Bauernhof, ein Dorf,
ein Hafen, eine Kettenbrücke über ein Flußbett, ein Blockhaus, die verschiedensten
Gebrauchsgegenstände und Werkzeuge aus Holz und Eisen in verkleinertem Maß-
stabe, Eisenarbeiten, wie Leuchter, Kästen, Schatullen, Ofenschirme, Palmständer
mit feinen Zierformen, ein Lehrgang der Uhrmacherei, Wand- und Stehuhren in
verschiedener Ausführung. Die weiblichen Handarbeiten zeigen allerlei Produkte der
Maschin- und Handstrickerei, des freien Nähens und des Häkeins; neben Bürsten-
waren sind in einem von den Zöglingen errichteten Pavillon allerlei Erzeugnisse
der Kunstkorbflechterei ausgestellt; Feine Korbmöbel, Näh- und Blumenkörbe,
Blumenständer, Wandkörbe, Schatullen, Reisekörbe u. a. '
— Odilien-Blindenanstalt in Graz im Jahre 1918. Aus dem
Jahresberichte der von Direktor Dr. J. Har tinger geleiteten Anstalt ist zu ersehen,
daß sich daselbst im Jahre 1918 55 Zöglinge (30 Knaben und 25 Mädchen) im
Unterrichte befanden. Der Unterricht wurde im vollen Umfange wie vor dem
Kriege erteilt. Die Beschäftigungs- und Veisorgungsanslalt beherbergte 19 Blinde
im Männerheim. Bis Ende 1917 waren der Blindenanstalt insgesamt 63 Kriegsblinde
zugeteilt. Seit Beginn 1918 traten 18 Blinde neu ein. Von den im Stande befindlichen
Kriegsblinden wurden 16 superarbitriert, 2 wurden in Spitäler abgegeben, einer kam
in das Blindenheim in Wien und einer in das Militärinvalidenhaus. Am 22. November
übersiedelten die nichtdeutschen Kriegsblinden, 20 an der Zahl, in Begleitung einer
slowenischen Lehrschwester von unserer Anstalt nach Laibach, wo sie in einer
für sie eingerichteten Baracke die Ausbildung vollenden. Unsere Anstalt hat ihnen
einen Korbflechter beigestellt und geht ihnen soviel als möglich an, die Hand.
Gegenwärtig sind bloß die deutschsteirischen Kriegsblinden, 11 an der Zahl, in
unserer Anstalt. Die Schwierigkeit bei Beschaffung der Lebensmittel hat sich seit
dem Vorjahre nicht gebessert, die finanziellen Schwierigkeiten aber waren grölSer
als je. Doch auch die Spenden und Subventionen haben bedeutend zugenommen, ein
Beweis dafür, daß man unsere Anstalt, die auch in schwerster Zeit ihrer Aufgabe
treu geblieben ist, nicht im Stiche lassen will.
Aus den Vereinen.
— B 1 i nd en ver sam m 1 u n g. Der »I. Ost. Blindenverein«, der Blinden-
Unterst.itzungsverein »Die Purkersdorfer« und der Blindenverein »Lindenbund« ver-
anstalteten zur Besprechung von zeitgemäßen Fragen der Blindenfürsorge am 27.
t Mai 1. J. in den Räumen des Deutschen Schulvereines in Wien VIII eine allgemein
Seite 1150. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 6. Nummer.
zugängliche Blindenversammlung. Die gleich anfangs einsetzende Opposition gegen
die Einberufer verlangte die Ausscheidung aller Direktoren und sehenden Lehrer
vom Abstimmungsrechte und wählte unter Protest das Präsidium aus den Bezirks-
vorsteherstellvertreter Brückner und H. B r o c z y n e r. Während nun die Referenten
Obmann Horvath und Obmann Uhl von ihrem Referate zurücktraten, erstattete
Direktor Bürklen einen Bericht über die Tätigkeit des »Zentralvereines«. Nach
dieser einziger sachlichen Erörterung wurde stundenlang über die Wahl eines
Blindenrates gestritten, bis endlich Landesrat Volk er t die Versammlung zu beru-
higen suchte und einen Vorschlag für die W'ahl eines Komitees machte. Nach diesem
wurde der Beschluß gefaßt, in dieses Komitee je drei Vertreter aus den Vereinen
(Zentralverein, I. Ost. Blindenverein, Blindenunterstützungsverein »Die Purkersdorfer«
und Blindenverein »Lindenbund) und drei gewählte Vertreter aus der Versammlung
(A b e 1 e s, P o 1 1 i r e r, Z e h e t n e r) zu entsenden.
Die Art und Weise der in den Tagesblättern erschienenen Berichte über die
Versammlung, veranlaßte die Leitung des »Zentralvereines« zu nachstehender Er-
klärung an die Öffentlichkeit: »Bisher ist das Gebiet des Blindenwesens von allen
politischen Parteien als neutraler Boden respektiert worden. In der angeführten
Blindenversammlung wurde nun von einer kleinen Gruppe von Blinden der Versuch
gemacht, die Sache der Blindenfürsorge in politisches Fahrwasser zu leiten. Zu
diesem Zwecke wurde behauptet, der »Zentralverein« habe bisher nichts geleistet,
man müsse also eine neue Organisation an seine Stelle zu setzen. Demgegenüber
muß, wie dies auch aus dem Referate des Präsidenten K. Bürklen bei der Ver-
sammlung hervorging, festgestellt werden, daß der »Zentralverein« bisher in der
intensivsten Weise für die Sache der Blinden eingetreten ist, daß er im Herbste des
Vorjahres den »VI. Österr. Blindenfürsorgetag« in Wien veranstaltete und es endlich
erreichte, daß sich der Staat durch Errichtung einer »Blindenfürsorgekommission«
im Staatsamt für soziale Verwaltung mit der Blindensache zu beschäftigen anfängt.
Weiters muß festgehalten werden, daß der »Zentralverein« seit Jahren auf die viel-
fachen Mißstände und Versäumnisse hingewiesen hat und deren Abhilfe verlangte.
Er hat also auch in dieser Hinsicht das Interesse der Blinden nach Kräften gewahrt.
Die von den Führern der neuen Bewegung angeregten sachlichen Fragen (Ersetzung
aller sehenden Direktoren an den Blindenanstalten durch gewählte Blinde — ein
sehender Mitdirektor darf angestellt werden, ebenso ein Teil sehender Lehrer, —
Ablehnung der Blindenfürsorge, Auflösung der Blindeninternate und Besuch der
öffentlichen Volksschule durch blinde Kinder) sind teils so unreif teils so veraltet,
daß sich weder ein ernster Fachverein, noch die Behörde damit zu befassen vermag.
Schließlich muß der »Zentralverein« eine einseitige Tagespolitik ablehnen, da er
für sein Wirken weder konfessionelle noch politische Schranken zulassen kann. Für
das Getriebe der Tagespolitik steht das UnglOck der Blindheit zu hoch und das
Elend der Blinden zu tief.«
Im Anschlüsse an diese Erklärung wurde die Bitte gestellt, den Inhalt der
über angebliche Mißstände und Verfehlungen in der Blindenfürsorge gemachten
Einsendungen an die Tagesblätter vor der Veröffentlichung auch nur einigermaßen
auf ihre Stichhältigkeit zu prüfen, da durch derartige Berichte in der letzten Zeit
geradezu Mißbrauch mit der Presse und der Öffentlichkeit getrieben wird, wobei
keineswegs tatsächliche Übelstände und gerechtfertigte Anschuldigungen verheimlicht
werden sollen. Aber die bisherige Art und Weise in der Ausnützung einer unbe-
sohränkten Preßfreiheit, welcher die Angriffsobjekte schutzlos preisgegeben sind,
kann nur eine schwere Schädigung unserer Blindensache, an welcher die meisten
Personen freiwillig und in selbstloser Weise mitarbeiten, verbunden sein.
— Blinden-Unterstützungsverein »Die Purkersdorfer« in
Wien V. Diese Blindenorganisation hat auch im Jahre 1918 erfreuliche Erfolge
aufzuweisen, welche vor allen dem ver-iienstvollen Wirken ihres Obmannes F. Uhl
zuzuschreiben sind.
Außer den Barunterstützungen in der Höhe von 10.550 K an blinde Mitglieder
vermittelte der Verein in 117 Fällen unentgeltlich Dienst und Arbeit. Das Musi-
kalien-Leihinstitut wurde in 5179 Fällen unentgeltlich in Anspruch genommen.
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Bürklen,
J. Kneis, A. t. Horratb, F. Uhl. — Drack too Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
Für unsere Kriegsblinden.
— Verband der Kriegsblinden Deutschösterreichs. Am 12. Mai
1919 hat die konstituierende Sitzung des neu gegründeten Verbandes der Kriegs-
bhnden Deutschösterreichs stattgefunden. Der Sitz des Verbandes befindet sich in
Wien, XIII., Raumgartenstraße 71.
— Besetzung von Tabak Verschleißgeschäften. Das Staatsamt
für Finanzen erließ neue Bestimmungen, betreffend die Besetzung und Kündigung
der Tabakverschleiß'^^eschäfte. Ein unbedingtes Vorzugsrecht bei der Besetzung von
Tabakverschleißgeschäften jeder Art, auch den mit LottokoUekturen verbundenen,
genießen die Kriegsbeschädigten, Kriegswitwen und Kriegswaisen. Für die Auswahl
unter mehreren bevorzugten Bewerbern ist im allgemeinen das Maß der Bedürftigkeit
entscheidend, wobei jedoch nicht nur die Höhe der Militärversorgungsgenüsse und
des sonstigen Einkommens, sondern auch auf die Zahl der in der Versorgung des
Bewerbers stehenden Familienmitglieder Rücksicht zu nehmen ist. Unter mehreren
gleich bedürftigen Kriegsbeschädigten entscheidet der Grad der Erwerbsunfähigkeit
(Invalidität); unter den Erwerbsunfähigen gleichen Grades gebührt den erblindeten
Kriegsbeschädigten der Vorzug.
— Der Verband der Kriegsblinden Deutschösterreichs ver-
anstaltete am 23. Mai 1. J. eine Wohltätigkeitsakademie im Großen Konzert-
haussaal, an der verschiedene Künstler mitwirkten.
— Ein großes Gartenfest für dieKriegsblinden, die Unglück-
lichsten der Unglücklichen, soll im Wiener Vergnügungspark (vormals Kaisergarten
im Prater) unter der Devise »Ein Linkswalzer um den Blaufuchs« veranstaltet
werden. Außer diesem Preistanzen, dessen Hauptprämie ein Blaufuchs im Werte
von 20.000 Kr. ist, bietet das Programm u. a. eine Modenschau, Bar, Kabarett,
einen Heurigen mit Sängern, ein Türkisches Cafe, Hippodrom, Zaubertheater, Luna-
park, fünf Konzertorchester usw.
Welchen Leser taucht da nicht der Gedanke auf, ob denn da wirklich »Mittel«
und »Zweck« einander angemessen sind. Gibt es denn keine edleren Formen der
Wohltätigkeit mehr ?
Selbst die Behörde kam bereits zu dieser Ansicht und verweigerte die Ab-
haltung dieses Festes, erteilte jedoch schließlich die Bewilligung dazu über beson-
deres Ansuchen der Kriegsblinden selbst.
Mitteilung.
— Zentralverein für das öst Blindenwesen. Die p. t. Ausschuß-
mitglieder werden zu der am Mittwoch, den 18. d. M., 4 Uhr, in der Versorgungs-
und Beschäftigungsanstalt für erwachsene Blinde in Wien VIII, Josefstädterstr. 80
stattfindenden Au s seh ußsi tzun g höflichst eingeladen. Tagesordnung: Mitteilungen.
Kassabericht. Blindenfürsorgekommission. Freie Blindenversammlung.
Berichtigung.
Der Verfasser des Artikels »Ein deutsches Punktschriftalphabet« in voriger
Nummer wurde irrtümlicherweise »Haas« bezeichnet, während es richtig »Blaas«
heißen muß.
österreichische Bl^ndenzeitung
ra Ersclieiiit monatlicli einmal. : : : Bezugspreis jährlich 6 K. [^
|B^| Verlag: I. Österr. Blindenverein, Wien VIII, Florianiegasse 41. |1^|
Die »Österreichische Blindenzeitun^«, hergestellt nach dem vom Dozenten Dr. Mnx
Herz erfundenen. Massedruck der Blinden-Punktschrift, will auf humanitärer Grund-
lage fußend, den Blinden geistig fördernden und unterhaltenden Inhalt bieten.
Alle Blindenfreunde werden um Unterstützung dieser Bestrebungen gebeten.
== ^syl für blinde Kinder ==
Wien, XVII., Hernalser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpflichtigen Alter aus allen österreichi-
schen Kroniändern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
Die „ZBntroIbibliothBh fiip Blinde in OstBPPBicIi",
Wien XVIII, Währinger Gürtel 136,
verleiht ihre Bücher kostenlos an alle Blinden.
Blinden-Uniterstützungsverein
„DIE PÜRKERSDORFER"
Wien V., Nikolsdorfergasse 42.
Zweck des Vereines: Unterstützung blinder Mit-
glieder. Arbeitsvermittlung tiir Blinde. Erhaltung
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Handarbeiten. Nähere Auskunftbrieflich.
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Wien VIII., Florianigasse Nr. 41.
Telephon Nr. 23407.
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des Blinden-Unterstützungsvereines
»Die Purkersdorfer« in Wien V.,
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Blinde luienlj^eltlich verliehen! ^AJ
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S
Organ des „Zentralvereines für das österreichische Blinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
Schriftleitunq
Purkersdorf
bei Wien.
Österreichisches
Postsparkassen-
kontoNr.132.257
Das Blatt erscheint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
j I Bezugspreis □
Q ganzjährig mit q
□ Postzusteilung □
G 6 Kronen, Q
Q Einzelnummer G
n 50 Heller. ^
6. Jahrgang.
Wien, Juli 1919.
7. Nummer.
mHHLT: K. Bürklen: Das Gesicht des Blinden, Fr. Demal: Vom Holzarbeits-
ünterricht. (Schluß). S. Heller: Rede zur Eröffnung der Ausstellung von
Handfertigkeitsarbeiten der Zöglinge des Isr. Blindeninstitutes in Wien XIX.
Personalnachrichten. f\us den Vereinen. Verschiedenes. Bücherschau. Zur
Beachtung, RItes und Neues. (Ankündigungen.)
D
B=
=H1
^ B
3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien Vlll,
g Josefstädterstraße 80, Mitgliedsbeitrag 3 K, Zeitungsbeitrag 3 K. [^
flites und Neues.
Darstellung des Blinden in der modernen Malerei.
Expressionistische Malerei ist ihrem innersten Wesen nach immer
Problemmalerei. Das Objekt ist nur Mittel. Nicht sein Festhalten im
Bild ist mehr die Aufgabe der Kunst; es wird zum Anreger. Was es
im Maler hervorzurufen vermag, was an Gefühlsgehalten wachgerufen
wird, was hinter dem Gegenständlichen zu ahnen und zu spüren ist,
wird das Wichtigere für die Darstellung. Darum sind namentlich
Menschendarstellungen, Porträts, von expressionistischen Malern von
außerordentlichem Reiz, da einerseits solche Darstellungen doch an das
Stoffliche gebunden bleiben müssen, anderseits aber das Dahinterliegende,
vom Maler in der Intuition Erfaßte, Hauptzweck der Darstellung bleiben
soll. In diesem Sinne wird selbst die vom Stofflichen so abhängige
Menschendarstellung und Porträtierkunst Problemmalerei. Der Maler
malt das Schicksal und die Seele mit und begnügt sich nicht, dies nur
empirisch in den Äußerungen der Gesichts- und Gebärdenmimik an-
zudeuten.
Von diesem Standpunkt aus muß die Darstellung des Blinden
äußerst verlockend sein für den Expressionisten, denn der Blinde wird
ja und ist ja der Träger tiefer Probleme, ist Schicksal, Schmerz, Hilf-
losigkeit oder ganz Träumerei und Seele.
Von besonderem Interesse sind drei Darstellungen, die Georg Ehr-
lich in der Ausstellung des Künstlervereines »Freie Bewegung« (Wien I.,
Kärntnerstraße 4) zeigt. Zuerst eine Federzeichnung mit den dürftigsten
Strichen, fein und zart: Blindes Mädchen. Zusammengekauert, die Arme
fest um den Leib geschlungen, bildet die Körperhaltung den vollendet-
sten Ausdruck der Hilflosigkeit, des Wartenmüssens und der Angst vor
dem ungekannten Umgebenden. Dabei ist die Physiognomie von hervor-
ragender Natürlichkeit mit den geschlossenen, eingedrückt erscheinenden
Lidern.
Ein großes, in den Senkrechten dreigeteiltes Ölbild betitelt sich
die »Verklärung der Blinden. < Das untere schmale Feld zeigt Köpfe
(Sehende), einen männlichen und einen weiblichen. Das mittlere das
kniende blinde Mädchen und den nach ihr tastenden Mann. Das obere
Schmalfeld Kinderfiguren in heller Freudigkeit. Die beiden Blinden sind
famos getroffen. Das Mädchen streckt in hilflosem Erwarten die Arme
aus. Das Antlitz — es ist dasselbe wie in der Federzeichnung —
spricht ungemein deutlich das weihevolle Erwarten aus. Der Mann
schreitet auf sie zu, ertastet ihren Arm und sucht mit der anderen
Hand ihren Scheitel, als wollte er sie segnen. Diese Tastbewegung
und der vordringende Kopf, der Suchen und Wissen vom Blinden ist,
sind das Beste am Bild. So denkt sich der Maler die Verklärung der
Blinden in dem restlosen Vereinen in der Liebe. Nur der Blinde kann
den Blinden voll erfassen und ganz lieben. Zur Verdeutlichung des
Problemes die jubelnden Kinder fm oberen Schmalfeld.
Die dritte Darstellung, abermals eine Federzeichnung, »Blindes
Liebespaare, ist eine Vorstudie zu dem Ölbild und ist in seinem An-
deuten mit wenigen Strichen vollendet. O, W.
-Zeitschrift für das österreichische
HL^
H
■V'
^. <'^ll^
Beilage zu dem Artikel von Bürklen:
1. Total blind.
2. Total blind.
3. Mit Lichtschein.
4. Total blind.
5. Mit sehr geringem
Sehvermögen.
6. Total blind.
7. Mit Lichtschein. 8. Mit sehr geringem 9. Ein Muge schwachsichtig,
Sehvermögen. das andere total blind.
Blindenwesen", Juli 1919, Nr. 7.
„Das Gesicht des Blinden".
10. Total blind.
n. Total blind.
12. Total blind.
13. Total blind.
14. Total blind.
15. Mit sehr geringem
Sehvermögen.
16. Total blind.
17. Mit sehr geringem
Sehvermögen.
18. Total blind.
6. Jahrgang. Wien, Juli 1919. 7. Numnner.
I I
^ Das Auge ist das Organ, welches für die Nährung unseres ^
Geistes, für die Begründung unserer Weltanschauung und für
ä&
p die Beziehung der Menschen unter sich einen Einfluß übt, über ^
* dessen Umfang sich der in ungeschmälertem Besitz Stehende ^
^ kaum volle Rechenschaft zu geben vermag. Redner haben das ^
m Auge gepriesen. Dichter haben es besungen, aber der volle
% ^Vert desselben ist versenkt in das dumpfe Sehnen derer, die
^ es einst besessen und dann verloren haben. Dr. a. v. Gräie. ^
SS JeS
Das Gesicht des Blinden.
V'^on Direktor K. B ü r k 1 e n, Purkersdorf.
(Mit einer Tafel).
„In jedes Menschen Gesichte
Steht seine Geschichte,
Sein Hassen und Lieben
Deutlich geschrieben." (Mirza schartv).
„Und sein Leiden!" müssen wir den Dichter ergänzen, wenn wir
das Gesicht eines Blinden sehen, denn wohl kaum eine andere patho-
logische Erscheinung wirkt so stark auf die stumme Sprache des Anl-
litzes ein als die h^rblindung. Im Gesichtsausdruck des Menschen spielen
die Augen mit den sie umgebenden Muskelpartien die Hauptrolle. Die
reiche und seltsame Ausdrucksfähigkeit dieser Sinnesorgane, welche bis
heute mehr durch die Dichter als die Physiologen erfaßt wurde, der
lebendige Blick in seinen hundertfachen Gefühlsabstufungen, spiegeln
die Seele des Menschen nach außen wieder, geben uns Kunde von
tausenderlei Geftihlserregungen in seinem Innern. .Je tiefer das Gemüts-
leben, je reicher die Geistesbildung eines Menschen ist, desto mehr drängt
sich der Ausdruck hievon in seinen Augen zusammen. Darum sehen wir
die Maler so intensiv und vielseitig mit der bildlichen, die Dichter mit
der beschreibenden Darstellung des Menschenauges beschäftigt.
Seite 1156. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 7. Nummer.
Es ist ali^o schon von vornherein klar, daß die Blindheit mit einem
gänzlichen oder auch nur teilweisen Ausfall des Sehvermögens, eine
tiefprüfende Veränderung des Gesichtsausdruckes hervorrufen muß und
zwar nicht nur dadurch, daß heim Gesichtslosen die Ausdrucksfähigkeit
des Augenspieles überhaupt wegfällt, sondern auch durch die Mißbildungen
des Sehorganes. welche das Krankhafte besonders hervortreten lassen
und den noch möglichen Ausdruck verwirren und oft ins Gegenteil
verkehren. Wohl tritt auch beim Blinden in der unteren Gesichtshälfte
noch das gleiche Mienenspiel wie beim Sehenden auf, aber auch dies
ist viel weniger ausgeprägt als beim Sehenden, da beim Gesichtslosen
und zwar hauptsächlich heim .lugendhlinden die Möglichkeit der Nach-
ahmung fehlt.
Wollen wir also den Gesichtsausdruck des Blinden näher betrachten,
so müssen wir uns vorerst mit den Veränderungen befassen, welche
sich an seinen Augen und deren Umgebung vollzogen haben und seinem
Gesichte ein dauerndes Gepräge geben.
Bisher hat der Gesichtsausdruck des Blinden eigentlich nur die
Künstler in Malerei und Plastik beschäftigt. Die reiche Zahl der Blinden-
darstellnngen dieser Art aus allen Zeiten vermögen uns aber durchaus
keinen richtigen Aufschluß zu geben, denn der Künstler bildet aus einer
Summe von Beobachtungen stets einen Idealtypus heraus und läßt sich
selten an einer realistischen Darstellung genügen. Wir finden daher
an den Bildwerken von Blinden die Augen meistens in ihrer normalen
Gestalt erhalten, einerseits mit wie im Schlafe gesenkten Lidern ge-
schlossen, andrerseits die Augen geöffnet und ins Leere blickend. In
der Wirklichkeit treten diese Fälle bei weitem seltener auf als man dar-
nach annehmen möchte. Es ist daher notwendig, das Gesicht des lebenden
Blinden zu betrachten, wollen wir seinen Ausdruck kennen lernen, und
wir beschäftigen uns also (ausgenommen Nr. 10, 11 und 12 der Tafel)
mit Bildern, wie sie uns der photographische Apparat nach dem Leben
wiedergibt. Wir wählen bei dieser Betrachtung eine solche Anordnung,
daß wir allmählich von geringen zu immer deutlicher werdenden äußeren
Veränderungen des Gesichtsausdruckes weiterschreiten.
Es gibt Blindheitsfälle, in denen die Augen äußerlich ihre normale
Gestaltung aufweisen. Aber selbst wo die Augen des Blinden äußerlich
unverändert geblieben sind, finden sich in der Blickrichtung Anhalts-
für sein Gebrechen. Abgesehen von dem mitunter auftretenden Augen-
zittern, ist die Blickrichtung bei Blinden von jener der Sehenden ab-
weichend. Im Gespräche hält der Sehende seine Augen gewöhnlich auf
sein Gegenüber gerichtet, der Blinde blickt ins Leere, wendet die Augen
zur Seite oder nach oben. Der Blick ins Leere ist besonders Später-
erblindeten eigen, wie man dies bei der bekannten Büste Homers
beobachten kann, der wohl nur als Spätererblindeter gelten kann.
Dieser Blick ins Leere nach verschiedenen Richtungen hin. vermag
dem Gesichte des Blinden einen Ausdruck zu geben, der zu ganz irrigen
Deutungen Anlaß gelxMi kann. Wer verinöchto z. B. dem hübschen Kinde
in Abb. 1 anzusehen, daß sein ruhig und seek^nvoil blickendes Auge
keinen Lichtstrahl mehr empfängt und wiedergibt? Der Knabe in Abb. 2
wendet die Augäpfel nach oben und erweckt damit den Eindruck der
Andacht, während jener in Abb. 3 mit den seitlich gestellten Augen den
7. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen, Seite 1157.
versteckten Blick des Mißtrauens zeigt, ohne daß die ein(> oder andere
Ausdeutung irgend eine andere Begründung als die einer j)athologischen
Erscheinung hätte. Desgleichen kömite man aus den total erhlindeten
des Mädchens in Ahh. I Schuldhevvußtsein. aus jenen in Ahh. ö heftige
Erregung herauslesen, wohei das Spielen der Augäpfel noch zu weiteren
Mißdeutungen Anlaß geben kann.
Bei Sehnervscluvund hieiht das Außcr-e der Augen unverändert.
Die Starrheit der IMiitillciKiHnung vci-luniden mit einer starken \"eren-
gerinig dprselhen, kann dem Dlick des Blinden unheahsichtigt zu einem
kalten untl stechenden nutchen. Andererseils kann durch eine starke und
bleibende Pnpillenerweiterung das Auge Blinder ganz seelenvoll verschönt
erscheinen. Aber weder Kälte noch Wärme solcher Augen haben eine
tiefere Bedeutung. Wer iiähei- zusieht, wird bald wahrnehmcMi, daß diesen
Augen die natürliche Blickrichtung fehlt, daß sie auf starken Diehteinfall
weder durch eine i*uj)illeni-eaktion noch durch Liderverengung antworten.
Auch die verschiedenen W'ränderungen der Augäpfel bei Blinden
sind in der gleichen Weise zu werten. Der erloschene Blick getrübter
Augen, die mamiigfachen Verunstaltungen der Augäpfel, das teilweise
oder gänzliche Kehlen derselben geben dem l^linden ein Aussehen, das
sein Gebrechen sofort erkennen läl.it. obne daß damit al<er bestimmte
Züge seiner Innerlichkeit zum Ausdrucke kämen. Am besten zeigt uns
dies der mit Buj)htlialmus behaftete blinde Knabe in Abb. (i, dessen
Augen uns in Erstaunen oder Schreck anzustarren scheinen. Besonders
deutlich tritt dies in Erseheinung. wenn nuin sich auf diese weißen
Augäpfel von inigew()linlicher {irr)tie die Iris und Pui)ille in entspre-
chender (Iröße einzeichnet.
Die Augen des jungen Mannes in Abb. 7 machen den Eindruck
mühseligen Schauens. während von jenen des Knaben in Abb. 8 durch
die nahezu geschlosseiuMi Eider wenig zu sehen ist. In Abb. 9 ist ein
r^eisjjiel dafür gegeben, zu welch tiefgehender Veränderung des Gesichts-
ausdruckes die Blindheit führt. Der junge Maim ist auf dem rechten
Auge wohl schwachsichtig, doch hat diese Gesichtshälfte noch inuner
volle Lebendigkeit, w;ihi'end die linke mit dem fehlenden Auge in Leb-
losigkeit erstarrt ist.
Schrumpfung oder gänzliclies Eeblen der Augäpfel bedingen ein
Einfallen der Augenlider in die Augenhöhlen. Beispiele dafür sehen wir
in den Abbildungen 10 — 16 und 18. Häutig tritt diese Veränderung
an den iVugen ein und derselben Person verschieden auf. (Abb. 12, 18,
1(). 18). Je tiefer die leeren Augenhöhlen sind, wozu oft die üble An-
gewohnheit des Augenbohrens beiträgt (rechtes Auge in Abb. 16), desto
mehr verstärkt sich der Eindruck des Totenkopfähnlichen, welcher auf
den Beschauer besonders schreckhaft wirkt.
Bei Sehenden ergibt sich der Zustand geschlossener Augenlider im
Schlafe, aber auch wachend bei der A])wendung von allem Irdischen,
im Zustande tiefen Schmerzes oder der Verzückung. Sind bei Blinden
unter den Augenlidern noch die Augäpfel zu erkennen, so kann leicht
einer dieser Eindrücke erweckt werden, besonders aber jener der Well-
entrücktheit. Der für diese Eindrücke erforderliche Ruhezustand dei-
Augenlider und deren vollkommene Geschlossenheit ist jedoch bei Blinden
selten vorhanden, so daß wir diesem typischen Bilde der Blindheit, wie
Seite 1158. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 7. Nummer.
es Ulis die darstellende Kunst meistens darbietet, in der Wirklichkeil
wenig begegnen. Es sind vielmehr bei solchen Blinden immer noch
mannigfache Bewegungen der Augenlider zu bemerken, an denen auch
die nächstliegenden Muskeln um das Auge teilnehmen. Wir werden
noch hören, welche Ursachen für diese Erscheinungen vorhanden sind.
Bisher beschäftigten wir uns lediglich mit dem durch die krank-
haften Veränderungen der Augen hervorgerufenen Ausdruck bei Blinden
und versäumen nicht, nochmals zu betonen, daß dieser nicht wie bei
Sehenden aus bestimmten Ursachen (imaginäre Sinneserregungen und
psychische Reize) entsteht, sondern rein pathologisch ist. Der dadurch
dem Gesichte des Blinden so deutlich aufgeprägte Stempel des Gebre-
chens beschränkt sich in der Überzahl der Fälle auf die Augäpfel und
die Augenlider, während die um das Auge gelagerten Muskelpartien der
Augenbrauen, des Nasenrückens und der Stirn den gleichen Gesetzen
der Physiognomik und Mimik wie bei Sehenden folgen.
Allerdings ergibt sich auch für diese Gesichtsteile aus der Blind-
heit wenn auch keine Abänderung, so doch eine bedeutende Abschwächung
der Ausdrucksbewegungeu. Krukenberg sagt darüber: ..Wenn unsere
Annahme richtig ist. daß das ganze Mienenspiel ursprünglich durch
Sinnesreize hervorgerufen wird, so müssen l)ei Fehlen eines Sinnes-
organes, sofern es an der Entstehung des Mienenspieles beteiligt ist.
auffällige Ausfallserscheinungen entstehen. Es muß also z. B. bei ange-
borener Blindheil das Mienenspiel, soweit es durch das Sehorgan her-
vorgerufen wird, ausfallen und zwar nicht nur bei spezifischen Reizen
auf das Auge, sondern auch bei ideellen Reizen." Daß der Ausfall des
Gesichtssinnes tatsächlich dauernde Folgen für die Entwicklung des
Mienenspieles hat. wurde bereits von zwei Forschern |(Birch-Hi rsch-
feld und Sante de Sanctis) berührt. Sie fanden, daß bei Blinden
die Mimik des Stirnmuskels, des Augenringmuskels und des Augenbrauen-
runzlers erheblich geringer entwickelt ist. als bei normalen Personen.
Krukenberg bestätigt im wesentlichen diese Behauptung. Xacli ihm
fehlt bei angeborener Blindheit die Mimik am Auge und besonders an
der Stirne vollständig, denn diese Teile sind mimisch tot.
In dieser Allgemeinheit bestätigt sich jedoch die Annahme eines
gänzlichen Fehlens einer mimischen Ausdrucksfähigkeit der oberen
Gesichtshälfte bei Blinden nicht. Krukenberg selbst ist es nicht ent-
gangen, daß auch bei gänzlich Blinden, vornehmlich aber noch bei
solchem mit geringer Eichtemphndung, sich trotzdem mimische Aus-
drucksbewegungeu zeigen. ..Solche Bewegungen sind aber — nach seiner
Ansicht — nicht mehr als gesetzmäßige, eine Stimmung oder einen Sinnes-
eindruck cliarakterisierende [>ewegungen aufzufassen, es sind von ander-
weitigen Reizen abhängige Krampfzustände der Mu.skulatur. die als
Störungen des Mienenspiels zu deuten sind: sie sind vielleicht der letzte
Rest eines der Erblindung voraufgehendeii oder sie begleitenden mit
Schmerzen und Lichtscheu verl)un(lenen Entzündungsprozesses. (Spatische
Bewegungen). Hieher gehört das Liderzukneifen des Knaben in Abb. 8.
das sicher auf Lichtempfindlichkeit zurückzuführen ist. sowie das Auf-
reißen der Augen bei dem jungen Manne in Abb. 8 aus Lichthunger.
In beiden Fällen treten starke Bewegungen des Stirnmuskels und des
7. Nummer. Zeitschrift für das österreichische BUndenwesen. Seite 1159.
Au,t;enhrauenmiizlei's auf. Mildere Formen ähiilichei- Aiiscli'uckshevve-
uiin^eii treten in den Abb. 8, 4, 12, 13, 15 und 17 auf.
ALso auch die von Krukenberg bezeichneten Krampfzu.stände
gestatten keine Rückschlüsse auf Emptindungs- und Alfektzustände, geben
aber dem Gesichte des Blinden einen charakteristischen Leidens- und
Schmerzenszug. Nun sei aber auch darauf verwiesen, daß ähnliche
Ausdrucksbewegungen in der Augen- und Stirnmuskulatur auch durch
Aufmerksamkeit und Konzentration der Denktätigkeit hervorgerufen
werden können und solche hauptsächlich bei Spätererblindeten unab-
hängig von spatischen Bewegungen auftreten können, auch tatsächlich
auftreten. Manches (iesicht älterer Blinder erhält dadurch einen dauern-
den Ausdruck.
Kin getreueres Al)bil(l der (Gemütszustände vermag uns gegenüber
der oberen durch Krankheit entstellten und beeinflußten Gesichtshälfte
der untere Teil des Gesichtes beim Blinden zu geben. Wie wir bereits
hörten, sind die Ausdrucksbewegungen dieser Gesichtshälfte, an denen
Mund. Wangen und Nasenflügel beteiligt sind, bei Blinden im allgemeinen
(he gleichen wie bei Sehenden, jedoch hauptsächlich infolge der Er-
schwerung nachahmender .Mimik abgeschwächt und beschränkt. Wenn
wir die vorliegenden Abbildungen der Reihe nach betrachten, so finden
wir am Munde der Blinden meistens einen ernsten Zug, der sich mit-
unter zum traurig-leidenden, ja auch bitteren und verbissenen steigert.
Andererseits lindet sich vor allem bei weiblfthen Blinden auch der
süßliche /Cug um den Mund vor (Abb. 11,) der sich namentlich im Ver-
kehre mit Sehenden und vor der Kamera des Fhotographen deutlich
ausprägt. Bei angestrengtem Horchen ölfhet sich häufig der Mund der
Blinden, wie wir dies bei dem Blinden in Abb. 18 sehen. Hiezu kann
auch Schwerhörigkeit und behinderte Nasenatnunig beitragen.
Es ist nur eine flüchtige Skizze, die wir mit unserer Betrachtung
über das Gesicht des Blinden darbieten, und wir haben damit das
interessante aber bisher wenig erforschte Gebiet der mimischen Aus-
drucksbewegungen bei den Gesichtslosen kaum berührt. Diese wenigen
Zeilen wollen nur als bescheidene Einführung in die Physiognomik des
blinden Menschen angesehen werden, um das Tor für das Studium seiner
Mimik zu eröffnen. Es muß endlich auch dafür die Zeit kommen, denn
selbst von den Blindenerziehern, welche den Blinden doch am nächsten
stehen, gilt heute noch der Satz des Dichters, mit dem er vom Gesichte
des Sehenden spricht:
„Sein innerstes Wesen.
Es tritt hier ans Licht — ■
Doch nicht jeder kann"s lesen,
Verstehn jeder nicht! (Mirra Schaffy).
Benützte Literatur:
Krukenberg D.H.: Der Gesichtsausdruck des Menschen. (Enke, Stuttgart 1913).
Santa de Sanctis: Die Mimik des Denkens. Übersetzt von J. B r e s 1 e r. (Marhofd,
Halle a. S. 1906).
Heller H. v. : Grundformen der Mimik des Antlitzes. (Schroll, Wien 1902).
Holländer E.: Plastik und Medizin. (Enke, Stuttgart, 1912).
Seile 1160. Zeilscliritt tür das österreichische Hiii)(1ciuvei,eii. 7. Nummer.
Vom Holzarbeits-CJnterricht.
Von Hauptlehrer l'r. Demal in Puri<ersdorf.
(Fortsetzung und Schluß.)
8. Das Taschenmesser, Das Ideal eines jeden echten KnaJ)t'n
ist der Besitz eines Taschenmessers. Hat er nun ein solches, muß er
es auch gebrauchen lernen, trotzdem, eigentlich weil die Hantierung
damit nicht ganz ungefährlich ist. Seine Anwendung i.st so mannigfaltig,
daß wir hier nicht ins Einzelne gehen können. Um Verletzungen zu
vermeiden, ist es wichtig, das Messer bei der Arbeit nie gegen den
Körper zu richten, sondern umgekehrt: Die Linke hält das Arbeitsstück
und die Rechte führt das Werkzeug in der Kichtung vom Körper weg:
oder man stützt das Holz auf (he Hank auf und schneidet abwärts zu.
Noch sicherer ist es, wenn man sitzend schneidet und das Messer fest
auf dem Knie ruhen läßt, während die Linke das Holzstück die Schneide
entlang zielit. Aus Sicherheitsgründen lasse man zuerst mit kleinen
Schnitzme.ssern arbeiten, die nicht einkla])])en und dann erst mit
Taschenmessern, deren S])itzen man noch zur Vorsicht abrunden kaim.
Die wichtigsten Verrichtungen ilamit. die das Leben tagtäglich
fordert und die daher auch im Unterrichte geübt werden sollen, sind:
Das Spalten kurzer, weicher Holzstücke in düime Spänne (,.Spann]-
machen"). das Rundschnitzen und Zuspitzen von Stäben, das Einkerl)en
zum Zwecke der Verzierung oder der Teilung in mehrere Stücke, das
Abschneiden und Schälen von Xaturholz (Weiden a. dgl.).
9. Raspel und Feile. Im Allgemeinen werden diese Werkzeuge
viel zu oft angewendet: Der eilfertige Schüler mißt schlecht, schneidet
vom Laden ein zu langes Stück herunter und will es nun kürzer
raspeln, oder: Kr bohrt ein zu kleines Loch und will es größer raspeln
u. s. w. P]s reißt dann beim Schüler leicht der Gedankengang ein:
„Wenn ich auch ungenau arbeite, die Raspel schafft dann die P'ehler
schon weg." Meist macht sie sie ai)er größer: Sie erzeugt bucklige
Kanten, reißt das Holz ein. zerkratzt es an uiu'ichtiger Stelle u. s. f.
Sie soll daher nie als sell)ständiges Werkzeug auftreten, sondern inmier
nur nach vorausgehender Hantierung mit einem anderen: Einem rund-
gehobelten Stab werden die letzten Kanten genommen, ein mit Absicht
etwas stärker gesägter Zapfen wird ins Loch eingepaßt u. dgl. — Nach
ihrer Anwendung folgt die Feile, die das aufgerauhte Werkstück glättet.
Je größer man beide Werkzeuge wählt, desto schndler und sicherer
(gleichmäßigen geht die Arbeit. Zur Bearbeitung größerer Flächen
dienen sie natürlich nicht. Hiezu gehören Hobel. Ziehklinge und
Glaspai)ier. Letzteres hält man am bequemsten und gebraucht man
am sparsamsten, wenn man es um ein vierkantiges Holstück (Zündholz-
schachtel) wickelt. Man putze nur den Längsfasern entlang, nie quer!
10. Die Bohrwinde mit dem Zent rums bohr er wenden wir
viel häutiger an als sonst bei sehenden Schülern üblich ist. Alle kleinen
Löcher erzeugt fler Drillbohrer, die großen der Zentrumsbohrer. Das
Holz zerspringt weniger leicht, die Löcher werden sicherer winkelrecht
als bei der Benützung des Handbohrers. Man bohrt entweder bei wag-
rechter Haltung der Bohrwinde und übt daliei mit der Brust den Druck
aus (es gibt eigene Brustleiern) oder hält ilas (lerät lotrecht. Hierbei
7. Nummer. Zeitschrift lür das österreichische Blindenwesen. Seite 1161.
ül)t die linke Hand den Druck aus und hält auch das Gerät in der
richtigen Lage. Zur Verstärkung,' des Druckes, besonders aber, um das
Gerät noch mehr zu fixieren, legen die Schüler auch noch gerne den
Kopf auf die Hand oder aber verrichten die Arbeit knieend. — Sie sind
darauf aufmerksam zu irfachen, daß das Loch nie von einer Seite au.s
ganz durchbohrt werden darf, da sonst das Holz ausreißt, sondern man
bohrt solange, bis man die Bohrerspitze auf der anderen Seite fühlt,
dreht nun das Werkstück um und bohrt fertig.
Der Zentrumbohrer muß auch in vielen Fällen das Stemmeisen
ersetzen. So lasse ich meist Zapfen (etwa bei der Herstellung eines
LiegestuhlesVrund verfertigen und daher auch die entsprechenden T.öcher
statt stemmen bohren.
11. Den Handbohrer verwenden wir. da er langsam und un-
sicher arbeitet, nur. weil er auch in dem einfachsten Haushalte anzu-
tretfen ist und nur dann, wenn man mit einem anderen Bohrer nicht
herankann. Um nicht schief zu koiiimen. schlägt man zuerst mit dem
Spitzbohrer ein Loch vor.
12. Der Schraubenzieher wird ebenfalls erst nach einem
Bohrer verwendet, da sonst die Schraube entweder nicht anpackt oder
AU. schwer zu drehen ist. Schraubenzieher mit runden Heften sind denen
mit flachen vorzuziehen.*
13. Das Stemmeisen. Seine Anwendung ist für den Blinden
leicht, wenn es sich etwa um das OlVnen einer Kiste oder das Erzeugen
eines Spaltes zur Aufnahme eines Keiles [z. B. beim Festkeilen eines
\A'erkzeugstieles) handelt, sehr schwer, wenn er damit (wie z. B. bei
der Holzverbindung „Schlitz und Zapfen") groß e, tiefe Löcher her-
stellen soll. Sie fallen meist ganz miserabel aus: Sind an den Rändern
unsauber, zu eng oiler zu weit, schief, an unrichtigem Orte, und kann
man das Loch wegen zu großer Tiefe auf der einen Seite nur bis zur
Hälfte stemmen und muß nun von der anderen Seite aus entgegen-
stemmen, so treffen die Löcher bestimmt nie scharf zusammen!
Seien wir also ])escheiden und lassen wir solche Arbeiten weg,
wir ersparen uns und den Schülern viel Ärger und Enttäuschung. Wollen
wir aber auf das eine oder andere Erzeugnis durchaus nicht
verzichten, so greife man. wie ich schon erwähnte zu einem Ersatz-
mittel: Man stelle kleinere Löcher bis ö cm Durchmesser mit dem
Zentrumbohrer, größere (auch eckige) mit der Loch- oder Schweifsäge
her. Natürlich muß sich hei letzterer zu diesem Zwecke das Blatt au.s-
hängen lassen.
14. Die Seh weif säge gehört, wie schon der Name sagt, vor-
nehmlich zur Erzeugung von Schweifungen. Ihren Gebrauch schränke
ich, sogerne ich sie selber verwende, im Lnterricht möglichst ein, denn
1. gehört sie nicht zu den gebräuchlichsten und notwendigen Werkzeugen
eines Haushaltes und 2. sind, um sie -für Blinde anwendl)ar zu machen,
soviel Vorkehrungen nötig, daß mir ihre Verwendung gezwungen und
unnatürlich erscheint: Die Zeichimng macht der Lehrer, ebenso die
*) Hat man viele Schrauben auf einmal einzudrehen, bedient man sich mit
Vorteil der Bohrwindfc, in die man einen Schraubenzieher ohne Heft (für diesen
Zweck käuflich) einsetzt.
.Seite 1162. Zeitsclnift das für österreichische Blindenwesen. 7. Nummer.
Schablone aus Pappe, Holz oder Blech, die dann an das Werkstück
geheftet wird und nun erst beginnt die Arbeit des Schülers, die meist
sehr verbesserungsbedürftig ausfällt. Da aber ohne Zweifel auch Blinde
an schön geschwungenen Linien Freude haben, so mögen sie immerhin
auch im Gebrauche der Schweifsäge unterwiesen werden, aber wieder
nur die geschickteren der ältere Jahrgänge.
Hiermitwären die wichtigsten Werkzeuge in Kürze abgetan.
Mit ihnen kann und soll das Auslangen gefunden werden. Wie aber nun
der eine Liebhaber von Büchern ist, der andere hingegen sein über-
flüssiges Geld in die Berge trägt oder für Konzert und Theater ver-
wendet, so gibt es auch solche, die Freude am Basteln haben und sich
später gewiß in den Besitz einer möglichst vollständigen Werkzeug-
sammlung setzen werden wollen. Diese mögen daher auch schon im
Unterrichte folgende Werkzeuge gebrauchen lernen, deren Anwendinig
übrigens nicht schwer, sondern nur seltener ist:
Verschiedene Zier ho bei (für Verzierungsleisten), G r a t- ii n d
Grundhobel und Gratsäge (zur Herstellung eines Schemels, Wand-
brettes), Feder- und Nuthobel (bei der Herstellung breiter Flächen);
Zwick-, Spritz- und Flachzangen (für Drahtarbeiter), Meißel
und Blechschere (ebenfalls für Draht- und Blecharbeiten), Küchen-
hacke (zum Pfähle spitzen, Kleinholz spalten. Spalten kurzer Brett-
stücke), die Loch säge (zum Aussägen großer Löcher, auch kaim sie
beim Längssägen von schwächeren Schülern statt der schwerer zu
handhabenden Spannsäge benützt werden.)
Als Hilfs Werkzeuge kommen noch in Betracht: Die Hobel-
bank (als vielseitiger Arbeitstisch), der Bankknecht (zum Aufstützen
langer Laden beim Kantenhobeln), die Schraub- oder L e i in z w i n g e
(mit ihr schraubt man Werkstücke auch an jedem beliebigen, derj^en
Tische an, zum Ersätze einer Hobelbank, natürlich verwendet man sie
auch beim Leimen), der Handfeilkloben (zum Festhalten kleiner,
zu bearbeitender Metallstücke), der Schraubstock (zum Auflegen
und Festhalten größerer Metallstücke, der Leimkocher (man ver-
wende einen solchen mit Wasserbad. damit der Leim stets heiß und
daher tlüssig bleibt). Das Leimen ist für Blinde ziemlich umständlich.
Gar zu leicht tragen sie zuviel oder zu wenig auf oder, besudeln das
Arbeitsstück. Man wende es daher nnr in den dringendsten Fällen an
und halte dann zur größten Sauberkeit an. Bei kleineren Arbeiten ver-
wende man einfach Syndetikon, das der Blinde direkt mit dem Finger
auftragen kann.
Anhangsweise möchte ich noch kurz erwähnen, daß wir unsere
meisten P]rzeugnisse wohl schön putzen, im übrigen aber roh lassen.
Das Anstreichenlassen mit Ölfarben und Lacken führt zu nichts.
Am vorteilhaftesten ist das Färben mit Wasserbei zen, die vom
Lehrer im gewünschten Farbenton bereitet werden. Ihre Vorteile: Sie
lassen die Struktur des Holzes schön durchscheinen und sind auch von
Blinden leicht aufzutragen. Will man dem Gegenstand darauf einen
matten Glanz geben, so lasse man ihn mit Wachs (auch Fußboden-
wichse) ein und verbürste es. — Ist man mit bescheidenen F^rfolgen
zufrieden und steht überflüssige Zeit zur Verfügung so mag auch das
Poli tieren versucht werden. Unmöglich ist es ja nicht; doch halte ich
7. Nummer. Zeilschrifl für das österreichische IJiindenwesen. Seile 1163.
(^s für unsere Zwecke al.^^ nicht nötig mid übe es daher auch nie mit
meinen Schülern.
Ich glaube, nun im Ausmaße des verfügbaren Raumes das Not-
wendigste erwähnt zu haben und hoffe, durch meine Ausführungen
einiges zur zweckmäßigen Erteilung eines gesunden, fröhlichen Hand-
fertigkeits-Unterrichtes beigetragen zu haben. Wenn wir auch, oder
gerade weil wir mit unseren Anforderungen nicht zu weit gehen und
daher manchem Schüler Enttäuschungen ersparen, ist jeder echte Knabe
gerade bei diesem Gegenstande mit ganzer Seele und sein Eifer wird
noch mehr entfacht, wenn man ihm von Zeit zu Zeit (?<egenstände nach
ircier Wahl ausführen läßt, die dann in sein Eigentum übergehen.
Rede zur Eröffnung der Ausstellung von Handfertigkeitsarbeiten
der Zöglinge des Isr. Blindeninstitutes in Wien XIX.
Gehalten am 18. Mai 1919 von Direktor S. Heller.
Hochgeehrte Versannnlung !
L'nter herzlicher Begrüßung sage ich ihnen Dank für die Ehr(^
ihrer Anwesenheit, mit welcher Sie Ihr Interesse für die Hlindenbildung
und insbesondere für jenen Zweig derselben bekunden, der in dieser
Ausstellung zur Anschauung gebracht werden soll.
Mit dieser Ausstellung ist die Demonstration eines Systems beab-
sichtigt, welches für unsere Anstalt von entscheidender Bedeutung ge-
worden ist und von dem mit Berechtigung erhofft werden kann, daß es
zur Verwirklichung des großen Planes beitragen werde, die Blindenbildung
zu einem vollberechtigten Teil der Menschenbildung zu erheben und die
r^linden zur Mitarbeiterschaft an den Aufgaben der Menschheit tauglich
/u machen.
Die vorherrschende Einwirkung mechanischer Nachahnumg im tech-
nischen Unterrichte, sowie die des \'erl)alismus im Intelligenzunterrichte
und mit diesen die ihnen anhaftenden Unzulänglichkeiten, müssen über-
wunden, alle Fertigkeiten und Erkenntnisse müssen vom Schüler selbst-
tätig erarbeitet und in diesem Sinne muß die Blindenschule zur
Arbeitsschule umgewandelt werden.
Darum ist in der Schule der Blinden dem Handfertigkeitsünter-
richte eine dominierende Stellung einzuräumen, nicht allein, weil er die
Geschicklichkeit des Kindes ausbildet und das vornehmste Mittel der
Darstellung bietet, sondern weil er das ganze Innenleben des blinden
Kindes umzugestalten geeignet ist. indem er eine reiche Quelle der
SchalTenskraft eröffnet und eine der wichtigsten Aktionen fortgesetzt,
welche die Natur, die Meisterin jeglichen Unterrichtes und jeglicher Er-
ziehung, im Spiele des Kindes begonnen hat.
In keinem Stadium des Lebens entwickelt der Mensch, von der
l'hantasie beflügelt, mehr Beharrlichkeit in der Erfüllung einer selbst-
gewählten Aufgabe, findet er mit mehr Sicherheit den Weg und die
richtigen Mittel und Vorrichtungen zur Erreichung dieses Zieles als in
jenem Stadium, da er sich als Kind seinem Spiele hingibt. Und dies
geschieht mit so hohen Lustgefühlen, daß sie wesentlich dazu beitragen,
die Kindheit zum Paradiese des Lebens zu gestalten.
Seile 1164. Zeitschrift für das österreichische Hlindenwesen. 7. Nummer.
Es ist eine arge Verkennnng psychischer Werte, wenn man der
Arbeit das Spiel kontrastierend gegenüberstellt und es ist ein schweres
T^nreeht, die hohe Bedeutung der Motive und der motorischen Kräfte
zu mißachten, die im Spiele hervortreten.
Soweit uns die Kindheitsgeschichten großer Denker, Entdecker und
Erfinder erhalten sind, soweit bezeugen sie, daß die Mannestaten dieser
Heroen schon in ihren kindlichen Spielen vorbereitet waren.
Der Handfertigkeitsunterriclit ist es. welcher vom kindlichen Spiele
zur Arbeit, von den Lustgefühlen, welche dieses Spiel hervorruft, zur
Arbeitsfreude überleitet und somit für den Lebenserfolg des Blinden
von großer Wichtigkeit ist.
Jahrzehnte der Nachforschung nach dem Spiele, wie es das Kind
betreibt, haben mich zu dem System geführt, das Ihnen in dieser Aus-
stellung entgegentritt. Die Handfertigkeit ist es auch, welche den vor-
nehmsten Sinn des Blinden, die Tastfähigkeit der Hand, zu dem heran,
bildet, was von ihr vergleichsweise, aber inu- zu oft ohne Berechtigung
behauptet wird, zum Auge des Blinden.
Die Qualität des Tastsinnes, wie (üe Xalur sie darbietet, die Lei-
stungsfähigkeit, welche dieser Sinn erhingt, wenn seine Ausbildung dem
Zufall oder iler Willkür anheimgegeben ist. erweist sich bei psycholo-
gischer Prüfung als minderwertig. Xur wenn die Tastfähigkeit sich in
Gestaltungsfähigkeit umwandelt, wenn der Blinde beim Beta.sten eines
Gegenstandes solche Bewegungen macht, als ob er denselben neu her-
vorbringen wollte und so in das Wesen der Objekte eindringt, nur wenn
diese Bewegungen nicht nachahmend, sondern aus einer innern Not-
wendigkeit heraus geschehen, dann nähern .sich die Resultate des Tastens.
die Gestaltwirkung betreffend, denen des Gesichtes.
So wird die bewegte Hand wie das l)ewegte Auge zum Organ
des Beobachtens. so führt der Taslprozeß ähnlich wie der Gesichtsakt
dazu. Einzelwahrnehmungen zu Kollektivwahrm^huningen zu vereinigen
und hierbei die Begriffe von der Form, der Distanz, des Maßes, der Zahl,
der Aktion und des Zeitverbrauches zu gewinnen.
Dies alles und noch mehr wird von dem Handfertigkeit^junterricht
vollbracht; er tritt so in den Dienst tier BegrilTsbildung und damit in
den des wissenschaftlichen Unterrichte.'^, zuhöchst aber dadurch, daß die
Vorstellungsfähigkeit und Vorstellungsrichtigkeit des blinden Kindes da-
mit bewiesen werden können, daß der Schüler, anstatt viele Worte zu
gebrauchen, das erworbene Seelenbild durch eine Nachbildung über-
zeugend aufweist.
Der Handfertigkeitsunterricht bildet dem Blinden das bewunderungs-
würdige Werkzeug aus. welches ihm in der Hand verliehen worden ist
und macht die verschiedenartigen Instrumente zur Verlängerung und zur
Ausrüstung der Hand, indem sie alle ihre Bewegungen auf diese zweck-
mäßig zu übertragen erlernt.
Eines besonderen Beweises bedarf es sicherlich nicht, daß der
Handfertigkeitsunterriclit die Geschicklichkeit zur Erlernung und zur
Ausübung eines Handwerkes außerordentlich erhöht, daß neue Hand-
werke für den Blinden am besten aus den Erfahrungen im Handfertig-
keitsnnterrichte gewonnen werden können und daß aus seinem Boden
die gesicherte Blindenfürsorge erwächst. Aber nachdrücklich sei darauf
7. Nummer. Zeitschrift für das österreichische; Blindenwesen. Seite 1165.
hingewiesen, daß ITandferligkeitsunterricht einer absonderlichen und ver-
hängnisvollen Irrung entgegenwirkt. Für die Erlernung einer jeden Be-
schäftigung sind bestinuute VoraussetzAuigen unentbehrlich ; die traditio-
nelle gewerbliche Austüldung entbehrt dieser Vorausset /.ungen nur zu
oft um! muß von Kall zu Fall er.st geschatFen werden.
Das ist so widersinnig, als wollte der Bauer, der sein Feld zu
:u-kern beabsichtigt, erst den Pflug verfertigen, dessen er zu seiner
Arbeit schon bedarf.
Der Handfertigkeitsunterricht dagegen schafft eine volle Hüstkanuner
mit trefflichen Mitteln für jegliche Beschäftigung, aus der im Bedarfs-
fälle geholt werden kann, was benötigt wird.
Da die Handfertigkeit nicht allein der Arbeit dient, sondern auch
Arbeit ist, so begründet und festigt sie die Charakterbildung.
Der Handfertigkeitsunterricht bindet die Fantasie, die in ihrem
schrankenlosen Walten das Traumleben in dem Blinden hervorruft, das
ihn schlaff und elend macht, an reale Dinge und Vorgänge und ver-
wandelt sie so zu einer wohltätig wirkenden Kraft, die den Blinden
zum ästhetischen Genuß von Schönheitsformen in der bildenden Kunst
befähigt und seine Erlindungsgabe erweckt, die er im Kunsthandwerk
zu betätigen vermag.
Diese hat vielfach dazu geführt, daß blinde Schüler ohne Anleitung
und Aufforderung lirauchbare rnterrichtsbehelfe ausgeführt haben, und
so ist die Schaffung auch kombinierter Lehrmitt(^l zu einem der Haupt-
ziele des Handfertigkeitsunterrichtes geworden.
Ich kann meine Erklärungen nicht schließen, ohne meinen Mit-
arbeitern Dank für die Förderung zu sagen, die sie mir verschafft
haben. Der innigste Dank aber sei dem großen Meister der Hand-
fertigkeit Wilhelm Kopka. dargebracht, der sich durch seine Wirksam-
keit nicht allein ein Ehrendenkmal in diesem Hause, sondern auch in
der Geschichte der Blindenbildung gesichert hat.
Personalnachrichten.
Hofrat A. Meli. Pensionierung. Der Direktor des Blinden-
Erziehungsinstifutes in Wien II Hofrat A. Meli wurde nach iOjähriger
Dienstleistung über eigenes Ansuchen in den dauernden Ruhestand
versetzt.
Mit der Leitung des Blinden-Erziehungsinstitutes wurde Haupt-
lehrer E. Gigerl betraut.
— Musiklehrer A. Krtsmary an der n. ö. Landes-Blinden-
anstalt in Purkersdorf wurde unter Verleihung des Titels „Haupt-
lehrer" in die neunte Rangklasse der Landesbeamten befördert.
— Am 9. Mai d. J. hat Herr Erich Indrasc seine Staatsprüfung in Kiaviei'
mit gutem Erfolge abgelegt, nachdem er früher schon, u. zw. im Dezember 1917,
die Lehramtsprüfung im Orgelspiel absolviert hat. Er genoß zur Erreichung dieses
schönen Zieles den Privatunterricht bei J. Herz, der angesichts des seltenen Ernstes
und Fleil-^es des jungen Mannes mit besonderer Freude auf das Ergebnis blickt.
Indrase ist tätiger Kirchenorganist.
Seite 1166. Zeitschrift für das österreichische Blindenvvesen. 7. Nummer.
flus den Vereinen.
— Zentralverein für das österr. Blinden wesen; Ausschuß-
sitzung. Nach dem Beuchte des Vorsitzenden, Direktor Bürklen über laufende
Angelegenheiten (Mitgliederzahl, Zeitschriftversand, Beantwortung von Zuschriften
u. a.), und nach den Mitteilungen des Kassiers über den Kassastand wird für die
vom Reichsverband für Erziehung und Unterricht für den 22. Juni über den Gegen-
stand »Pflege und Erziehung noch nicht schulpflichtiger Kinder« einberufene Tagung
Lehrer Alt mann mit der Vertretung des Zentralvereines betraut. Über Anfrage des
Unterstaatssekretariates für Unterricht in der Frage der Lehrerkammern, der Eltern
und Erzieherräte wurde vom Präsidium dorthin berichtet, daß der Zentralverein
160 Mitglieder, darunter 64 Lehrpersonen umfasse und eine entsprechende Ver-
tretung in genannter neuer Organisation wünsche. Als Vertreter für die Blinden-
kommission im Staatsamte für soziale Verwaltung wird einstimmig Direktor Bürklen
gewählt. Einige Anträge seien an diese Kommission schon eingesendet, einige An-
regungen gegeben worden; so: Zusammenlegung der gewerblicher Unterrichts-
und Fortbildungsanstalten, — Überlassung von Objekten, — Schöpfung eines Er-
holungsheimes, — Arbeitslosenunterstützung für Pfleglinge von Blindenheimen u. a.
Recht lebhaft gestaltete sich die Besprechung der Vorgänge bei der letzen
»Allgemeinen Biindenversammlung.« Herr F. Uhl, Obmann des Blinden-Unter-
stützungsvereines »Die Purkersdorfer«, welcher über diesen Gegenstand berichtete,
trat in energischer Weise und mit scharfen Worten den dort erkannten Absichten
entgegen und verurteilte ganz besonders die Drahtzieher dieser, die Blinden herab-
würdigenden Versammlung. Herr Czech, der Vertreter des »Lindenbund«, suchte
seine dort, wie auch schon früher anderen Orts gemachten Äußerungen teils zu
erklären, teils zu entschuldigen, indem er diese Äußerungen auf eine längst ver-
gangene Zeit bezogen haben wollte.
Nach längerer, lebhaftester Aussprache wird über Antrag des Lehrers A 1 1-
mann dem Präsidenten Direktor Bürklen einstimmig das Vertrauen ausgesprochen.
Der Antrag, Herrn Czech das Mißtrauen auszusprechen, wird mit 10 Stimmen »ja«
(2 Stimmzettel waren leer) angenommen. Das Mißtrauen gilt für die ungerechtfertigten
Angriffe auf die Tätigkeit des Zentralvereines und seine Untätigkeit im Ausschuß
desselben Vereines, Herr Czech zog daraus die Konsequenzen und verließ den
Sitzungssaal. Der »Lindenbund« wird ersucht, einen neuen Vertreter in den Ausschuß
zu entsenden.
Eine Zuschrift der sich als Aktionskommitee bezeichnenden, in der Biinden-
versammlung gewählten 3 Blinden (Polierer, Abeles, Zehetner), mit dem Er-
suchen um Namhaftmachung von Vertretern des Zentralvereines wird unbeantwortet
bleiben, da, wie bei der Sitzung der Fürsorgekommission aus den Worten des
Herrn Staatssekretärs hervorging, daß nur Organisationen das Recht haben, Ver-
treter zu entsenden, die Biindenversammlung aber erst eine Organisation schaffen
müßte.
Es wurde von berufenen Vertretern der Blinden noch festgestellt, daß die
Vorgänge der Biindenversammlung den Blinden bereits unangenehm und schädigend
fühlbar geworden seien. Obmann Uhl spricht in einer Zuschrift den Leitern und
Lehrern der Blindenanstalten den Dank und das Vertrauen seines Vereines aus.
Anstaltsleiter Gigerl berichtet sodann über seine Besprechungen mit Aka-
demiedirektor Dr. Kam mal, dem Leiter des »Heilpädagogischen Seminars.« Vor-
läufig bestünde nicht die Ab.sicht, das Unternehmen zur Heranbildung von Fach-
lehrern zu gestalten, sondern im kommenden Jahr ein Übergangsstadium zu schaffen.
Allgemeine Gesichtspunkte für das Programm seien bereits festgelegt, ein genauerer
Arbeitsplan müsse erst entworfen werden. Eine von Hanptlehrer Gigerl in Vor-
schlag gebrachte Stoffsammlung für künftige Vorlesungen ergibt, daß mit der zur
Verfügung stehenden Zeit unmöglich ein Auslangen gefunden werden könnte. Auch
über die Kompetenz der Vortragsgebiete (Arzt und Pädagoge) konnte man nicht
schlüssig werden.
Mit herzlichen Dankesworten für die Arbeitslust und Ausdauer schloß der
Präsident die Sitzung. Hans Kneis, Schriftführer.
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische BliodenweseD in Wien. Redaktionslcomitee: K. Büritlen,
J. Kneis, A. . HofTath, F. Uhl, — Druck »on Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
Verschiedenes.
— Die Musik und die Blinden. Unter diesem Titel hielt der Musik-
lehrer Bartosch vom Blinden-Erziehungsinstitute in Wien in der Urania einen
äußerst gehaltvollen Vortrag. Ausgehend von der Bedeutung der Musik als Haupt-
faktor einer künstlerisch-ästhetischen Erziehung und von der durch die Blindheit
gegebenen Voraussetzungen für die Musik entwickelte der Vortragende in scharfem
Umriß die Methode des Musikunterrichtes, wobei er dessen geschichtliches Werden
kurz berührte. An blinden Zöglingen zeigte er den Vorgang der zielbewußten Gehör-
bildung, des Einstudierens nach Noten und nach dem Gehör. Vollendet in der Aus-
führung waren die musikalischen Darbietungen des Chores und der Klaviervortrag
der Elsa Wunderlich, die auch durch ihr außerordentlich großes, gedächtnismäßig
beherrschtes Repertoir (254 Stücke) Staunen erweckte. Lebhaften Beifall erntete
auch die bekannte blinde Sängerin Frl. Rotter.
— Ein Heim für blinde Mädchen. Eine Gruppe von Menschenfreunden
plant die Errichtung eines Blindenheims für israelitische Mädchen und
hat einen Verein zur Förderung und Durchführung dieser Institution begründet. In
den Blindenanstalten, wo die Zöglinge in der Regel bis zum vollendeten 18. Lebens-
jahre verbleiben, wird angestrebt, die UnglückHchen durch eine sorglose Jugend mit
ihrem traurigen Geschick zu versöhnen und sie mit der Fähigkeit auszurüsten, im
Leben ihr Brot ehrenvoll zu erwerben. Durch Erziehung und Unterricht gelangen
blinde Männer in soziale Stellungen, zum Beispiel als selbständige Unternehmer,
Musiklehrer, Musikschulinhaber, Künstler usw. An die Erlangung einer sozialen
Position bei einem blinden Mädchen ist dagegen kaum zu denken. Auf sich selber
angewiesen, steht die Blinde hilflos da und vermag die in den Anstalten erworbenen
Kenntnisse nicht zu verwerten. Um diesen doppelt Unglücklichen eine Zufluchts-
stätte zu schaffen, wo sie sich ihrer Arbeit widmen und ihre Bedürfnisse ganz oder
teilweise erwerben können, hat sich ein höchst fördenswerter Verein gebildet, in dessen
Aktionskomitee Universitätsprofessor Dr. Ludwig Braun, Frau Anitta Müller,
Rechtsanwalt Dr. Arnold Wassing, Fabrikant Ingenieur Edmund Hirsch, Dr.
med. Hugo Redlich, Fabrikant J. Schumann, M. Beamt, Professor S. Storch,
Armenrat S. Lemberger und Ida Mittler wirken.
— Schwachsichtige Bürstenbinder. In Wien wurden 4000 Lehrlinge
von Schulärzten untersucht. Dabei ergab sich, daß bei den Bürstenbindern die
relativ größte Zahl Schwachsichtiger (42''/o) zu verzeichnen war. Es dokumentiert sich
darin die besondere Eignung dieses Gewerbes für Schwachsichtige auch unter den
Normalsinnigen.
— Helen Keller als Kinodarstellerin. Wie aus New-York gemeldet
wird ist die bekannte taubblinde Schriftstellerin Helen Keller Kinodarstellerin
geworden. Sie tritt in einem Film auf, welcher beweisen soll, wie ein blind, stumm
und taub gewordenes Kind alle Schwierigkeiten überwinden und eine hervorragende
Stellung in Kunst und Wissenschaft einnehmen kann.
Bücherschau.
— Rappawi A.: Diejugendblinden nach dem Weltkriege. (Brunn,
1919, Selbstverlag). Damit liegt der von Fachlehrer Rappawi im Deutschraährischen
Volksbildungsverein in Brunn gehaltene Vortrag gedruckt vor. Er berührt besonders
die Blindenunterrichtsverhältnisse während des Krieges und tritt in warmer Weise
für die Besserung derselben in der Zukunft ein.
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Das Blatt erscheint
monatlich einmal.
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Direktor Karl Bürklen.
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D 6 Kronen, D
n Einzelnummer U
n 50 Heiler. ^
6. Jahrgang.
Wien, Rugust 1919.
8. Nummer.
INHRLT: Dr. Kurt Schwarz: Der Sonderschuizwang für blinde Kinder. Nora Wyden-
bruck : Die Insel der Heiteren. Rus den Anstalten. F\us den Vereinen.
Druckfehlerberichtigung, flites und Neues. (Rnkündigugen.)
w
'Hfl
^ Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
g Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 3 K, Zeitungsbeitrag 3 K. [i
flites und Neues.
über die Hypnose bei Blinden.
Unter Hypnose versteht man die Hervorrulung eines schlafähnlichen
Zustandes, der verschiedene Grade aufweisen kann, in welchem die
Empfänglichkeit der Versuchsperson für die Fremdsuggestion er-
höht ist und ihre Autosuggestion mehr oder weniger verblaßt. Den
hypnotischen Schlaf ruft man hervor, um kräftiger als die% im wachen
Zustande möglich ist, auf das Vorstellungsvermögen und dadurch auf
das gesamte Seelenleben einzuwirken. Die Tatsache solcher Möglichkeit
läßt die Verfechter dieses neuen Erkenntnisgebietes namentlich die
pädagogische Bedeutung der mit der Hypnose verbundenen Fremd-
suggestion betonen. Eine große Reibe moralischer Defekte konnte den
an ihnen Leidenden in der Hypnose verboten werden. Es' werden
genannt Lügenhaftigkeit, Naschhaftigkeit, Stehlsucht, Faulheit, Unauf-
merksamkeit, Furchtsamkeit, Widerwillen gegen gewisse Speisen. Aber
auch das Stottern, Nägelkauen und die Onanie wurden mit ihr erfolg-
reich bekämpft.
Möglicherweise ist der h^^pnotische Schlaf auch ein einfaches Mittel,
in das so interessante und für die Blindenpsychologie so wichtige Ge-
biet der Träume bei Blindgeborenen einzudringen.
Allerdings sind die Mehrzahl der Methoden zur Hervorrufung des
hypnotischen Schlafes für Blinde ungeeignet, da sie alle sich des Auges
bedienen. Es sind die sogenannten Fixationsmethoden, bei denen der
Blick auf irgend einen auffallenden, vor die Augen gebrachten Punkt
konzentriert wird. Doch nennt Professor Bernheim einen Vorgang,
den er mit bestem Erfolg bei Blinden angewendet hat. Er besteht in
der Möglichkeit, den natürlichen Schlaf in einen hypnotischen über-
zuführen. Er beschreibt diese Art wie folgt :
»Nähern Sie sich dem Schläfer mit Vorsicht, prüfen Sie die Tiefe
des Schlafes und vertiefen Sie diesen nötigenfalls durch mesmerische
Striche. Sodann sprechen Sie halblaut zum Schläfer (am besten gegen
die Magengrube), doch sanft und mit Ruhe, damit nicht ein spontanes
Erwachen hervorgerufen werde. Vorher suggerieren sie den Schlaf
etwa so: »Sie schlafen ruhig und tief. Der Schlaf ist fest, Sie können
nicht erwachen, aber Sie hören ganz deutlich meine Stimme.« Erfolgt
nicht gleich ein »Ja«, so wiederholen Sie die Suggestion, vermeiden
indessen, den Namen des Schläfers zu nennen.«
Auch R. Gerling nennt diese Methode in seinen hypnotischen
Unterrichtsbriefen (S. 66) sehr zuverlässig, empfehlenswert und nament-
lich wegen ihrer Anwendbarkeit bei Blinden wichtig.
Nicht nur unterrichtlichen sondern namentlich Heilzwecken soll und
kann die Hypnose dienen. Die wunderbaren Erzählungen von der
Heilung Erblindeter durch sie (in Bromberg wurde ein Kriegsblinder
auf diese Art geheilt) werden so des Märchenhaften entkleidet. Aller-
dings vermag die Hypnose bei organischen Mißbildungen (Sehnerven-
schwund, Hornhautzerstörungen, Fehlen der Augäpfel) nichts auszurichten.
Sie kann einzig und allein auf die Fälle der sogenannten Seelen-
blindheit angewendet werden, bei denen eine psychische Störung vor-
liegt. Hier aber sind ihre Erfolge bedeutend und die Zeit ihrer allgemeinen
Aufnahme unter die Kampfmittel der Ärzte ist wohl nicht mehr fern.
O. Wanecek.
6. Jahrgang.
Wien, August 1919.
8. Nummer.
^
»Erziehung ist das größte Problem und das schvirerste,
was dem Menschen kann aufgegeben werden.«
I. Kant. »Über Pädagogik.«
»««^8^®« J)riSgt«^^®S@»Ctäg§§^|l8 «S»*®«t«l®.©^§'§'§^S^äf«i»^^
Der Sonderschulzwang für blinde Kinder.
Von Dr. Kurt Schwarz, Berlin.
Gegenüber den Lesern dieser Zeitschrift braucht die Forderung,
tlaß den blinden Kindern ein ihrem Gebrechen angepaßter Unterricht
zuteil werden muß, nicht besonders begründet zu werden. Schon seit
vielen Jahrzehnten kämpfen ja alle Blindenfreunde und Sachverständige
unentwegt für das Ziel, daß alle blinden Kinder solchen Unterricht er-
halten. Dies läßt sich aber wohl nur erreichen, wenn einerseits die
ötfentlichen Verbände die nötigen Schuleinrichtungen bereitstellen und
in de'i Fällen, in denen die nächsten Unterhaltspflichtigen die nötigen
Kosten nicht zu tragen vermögen, diese übernehmen und wenn anderer-
seits die Erziehungspflichtigen gezwungen werden, ihre blinden Kinder
einem Sonderunterricht zuzuführen. Deshalb erscholl bei den Verhand-
lungen der Blindenlehrer immer wieder der Ruf nach dem Anstaltszwang
der blinden Kinder, so auch zuletzt auf dem 6. Österreichischen Blinden-
fürsorgetag im Herbst 1918 in Wien.*
Die Forderung des Anstaltszwanges für nichtvoUsinnige Kinder —
gleiches wie für die Blinden gilt ja auch für die Taubstummen — ist
wohl nicht in dem Sinne zu verstehen, daß diese Kinder ohne Rücksicht
darauf ob sie, obwohl sie bei den Eltern oder sonstigen Angehörigen
am Sitze der Anstalt wohnen können, als Interne in die Anstalten ein-
treten müssen und im Weigerungsfalle dazu in einem besonderen Ver-
fahren gezwungen werden können. Ein solches Verlangen ginge m. E.
*) Siehe diese Zeitschrift 5. Jahrgang, Nr. 10 S. 1008 und Nr. 12, S. 1041.
Seite 1172, Zeitschrift das für Österreichische Blindenwesen. 8. Nummer.
ZU weit und wäre sachlich und rechtlich nicht zu rechtfertigen. Auf
Grund der allgemeinen Schulpflicht, wie sie in den meisten Kultur-
staaten hesteht, haben die Kinder im schulpflichtigen Alter nur die ali-
gemeinen Unterrichtsstunden zu besuchen. Für die Gesunden bestehen
in allen Orten Schulen, die sie vom h^lternhaus aus täglich erreichen
können. Die Zahl der nichtvollsinnigen Kinder ist zum Glück nicht so
groß, als daß man auch nur in den größeren Gemeinden für sie eigene
Schuleinrichtungen schaffen könnte. Denn wenn man auch vom Staate
verlangt, daß er. wenn er die allgemeine Schulptlicht verordnet, auch
dafür sorgt, daß auch die anormalen Kinder einen Unterricht erhalten,
aus dem sie wirklich Nutzen ziehen können, so darf man doch schon
aus staatswirtsehaftlichen Gründen nicht so weit gehen zu fordern, daß
für alle nichtvollsinnigen Kinder am Wohnort ihier Altern — und mag
er noch so klein sein — eine Sonderschuleinrichtung bereitgestellt wird.
Es werden daher viele solche Tvinder das Elternhaus verlassen müssen,
um die meist nur in größeren Städiten bestehenden Hunden- oder Taub-
stummenschulen zu besuchen. Für manche unter ihnen wird die
Unterbringung in einer Anstalt notwendig oder doch wünschenswert
sein. Daß aber für manche dieser Kinder der Sonderschulzwang so
praktisch zu einem Anstaltszwang wird, ist noch kein ausreichender
Grund diesen gesetzlich festzulegen und damit auch die Kinder in An-
stalten zu zwingen, die bei ihren Eltern oder sonstigen Verwandten am
Sitze der Schule wohnen können.
Wenn auch gerade bei gebrechlichen Kindern die Anstaltspflege
nicht so allgemein verurteilt wird wie bei gesunden Kindern, ja ihr
sogar von manchen Fachleuten der Vorzug gegeben wird, vor der Unter-
bringung in einer Familie, die den besonderen Bedürfnissen ihrer Ge-
brechen nicht das nötige Verständnis entgegenbringt, so kann doch aus
diesem Umstand noch kein Recht abgeleitet werden, all diese Kinder
der Familie und dem Alltagsleben für die längste Zeit des Jahres zu
entziehen. Gerade im Zusammenleben mit Gesunden im trauten Kreise
einer Familie, die das blinde Kind, Bruder oder Schwester, mit beson-
derer Liebe umgibt, liegt ein reicher Segen auch für diese Kinder. Dies
ist auch die beste Vorbereitung für den späteren Kampf dieser Ge-
brechlichen im Wirtschaftsleben, Viele Beispiele beweisen, daß auch
blinde und besonders taubstumme Kinder recht wohl als Externe die Anstalt
besuchen können. Es muß in diesen Fällen — und dies gilt in besonderem
Maße für die blinden Kinder — durch die Angehörigen für eine ent-
sprechende Begleitung auf dem Schulweg gesorgt werden.
Auch in den deutschen Einzelstaaten, in denen die Sonderbeschulung
nicht vollsinniger Kinder gesetzlich geregelt ist, ist nirgends der Anstalts-
zwang' in dem engen Wort rechtens, daß die Unterbringung solcher
Kinder in Anstaltspflege von den Verwaltungs- oder Schulbehörden ohne
hianspruchnahme des Vormundschaftsgerichtes erzwungen werden
könnte. Dieses kann aber nach § 1666 und § 1838 des deutschen
bürgerlichen Gesetzbuches nur eingreifen, wenn die Erziehungsberechtigten
das Recht der Sorge für die Person des Kindes mißbrauchen oder ver-
nachlässigen imd dadurch dessen geistiges und leibliches Wohl gefährden.
Gegenüber den Eltern ist ein Einschreiten nur bei vorsätzlich oder fahr-
läßig schuldhaftem Verhalten zulassig. Häufig sprechen die in Frage
8. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1173.
kommenden Ge.setze nicht einmal den Sonderschulzwang aus. Aber
meist genügt es. daß die Sonderschulpflicht gesetzlich ausgesprochen
ist und entsprechende Schuleinrichtungen bereitgestellt sind, um die
Eltern auch ohne besondere Zwangsmittel zur Verbringung ihrer
gebrechlichen Kinder in die Sonderschulen zu veranlassen.
Nach § 4 Abs. 5 des sächsischen Gesetzes, betretfend das Volks-
schulwesen vom 26. April 1878 (G.-V.-Bl. S. 350V sind nichtvoUsinnige
Kinder in Sachsen in den hiezu bestimmten öffentlichen oder privaten
Anstalten unterzubringen, sofern nicht durch die hierzu Verpflichteten
anderweit für ihre Erziehung hinreichend gesorgt ist. Und § 9 Abs. 2
der zu diesem Gesetz ergangenen Ausführungsverordnung vom 25. August
1874 (G.-V.-Bl. S. 155) in der Fassung des Gesetzes vom 6. Juli 1899
(G.-V.-Bl. S. 203) bestimmt, daß nur das Vormundschaftsgericht die von
der Bezirksschulinsj)ektion angeordnete Unterbringung in eine Erziehungs-
anstalt durchsetzen kann, falls ihr die Erziehungsberechtigten wider-
sprechen, und dieses ist wieder an die Voraussetzungen der §^ 1666
und 1838 V.-G.-Bl. gebunden.
Ganz ähnlich ist die Rechtslage in Baden. Dort sind die Eltern
ebenfalls verpflichtet ihre Kinder, die wegen mangelhaftem Hör- und
^ Sehvermögen nicht mit Erfolg am Unterricht in der Volkschule teil-
nehmen können und daher zu diesem nicht anzuhalten sind, eine dem
Volksschulunterricht nach Ziel und Umfang entsprechenden Ausbildung
zuteil werden zu lassen. (§ 3 des Gesetzes über den Elementarunterricht
vom 13. Mai 1892 in der Fassung des Gesetzes vom 10. Juli 1910
(G.-V.-Bl. S. 385) und § 1 des Gesetzes „Die Erziehung und den Unter-
richt nichtvollsinniger Kinder betreffend*' vom 11. August 1902 G.-V.-Bl.
S. 242). Auch hier kann nach § 6 des genannten Gesetzes vom
1 1. August 1902 die Sonderbeschulung der nichtvollsinnigen Kinder oder
, ihre Unterbringung in einer Anstalt nur durch das Vormundschaftsgericht
f erzwungen werden. Die Oberschulbehörde ist freilich verpflichtet, unter
i Umständen einen entsprechenden Antrag an das Gericht zu stellen.
1 Sie hat auch ein selbständiges Beschwerderecht gegen die ablehnende
Entscheidung des Vormundschaftsgerichts (§ 38 der Vollzugsverordnung
zum vorgenannnten Gesetz vom 9. Juni 1904 G.-V.-Bl. S. 98).
In Sachsen-Weimar-Eisenach soll zwar nach § 2 des Gesetzes
betreffend die Aufnahme taul)stummer und blinder Kinder in die ehe-
^ mal ige Großherzogliche Taubstummen- und Blindenanstalt in Weimar
vom 28. Mai 1874 in der Regel jedes taubstumme und jedes blinde
Kind nach tunlichster Vorbereitung in der Volksschule der Anstalt an-
geliören, wenn es nicht für dieselbe ungeeignet ist oder anderweitig
für seine besondere Erziehung und Au.sbildung gesorgt wird. Über die
Eltern, die ein solches nichtvollsinniges Kind ohne ausreichenden Grund
(hn' Anstalt vorbehalten, können auf Antrag der Obersten Schulbehörde
--ogar Geldstrafen verhängt werden. Die zwangsweise Verbringung in
die Anstalt kann aber nur durch das Vormundschaftsgericht auf Antrag
der Obersten Schulbehörde verfügen, die sich hierbei wiederum an die
Vorschriften des § 1666 B.-G.-B. halten muß.
In Lippe-Detmold müssen die blinden Kinder in ent.sprechenden
Anstalten untergebracht werden (§ 107 Abs. 4 des Volksschulgesetzes
vom 11. März 1914, G.-S. S. 139), wovon die Oberschulbehörden aus
Seite 1174. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 8. Nummer,
besonderen Gründen entbinden können. Die taubstummen Kinder hin-
gegen sind nach § 107 Abs. 8 des vorgenannten Gesetzes überhaupt
nur zur Aufnahme in die Taul)stunuuenanstalt des Landes anzumelden
und während der Dauer der Schulpflicht tunlichst in einer Anstalt
unterzubringen. Auch in diesem Gesetz sind keine Zwangsmaßnahmen
vorgesehen, falls die. Eltern dies nicht freiwillig tun*
In Anhalt müssen nach § 1 des Gesetzes, die Ausbildung nicht-
vollsinniger, schwach- und blödsinniger Kinder betreffend, vom 1. April
1884 die nichtvollsinnigen Kinder, sobald sie das schulpflichtige Alter
erreicht haben und wegen unzulänglicher Bildungsfähigkeit in der öffent-
lichen Schule keine Aufnahme finden oder wieder daraus entlassen
worden sind, für die Dauer des schulpflichtigen Alters in den zur Er-
ziehung und Ausbildung solcher Kinder bestimmten Anstalten unter-
gebracht werden, sofern sie nicht entweder gänzlich bildungsunfähig
sind oder von den zu ihrer Erziehung Verpflichteten nicht auf andere
Weise für die erforderliche Ausbildung Sorge getragen wird.
Mit den gleichen Einschränkungen, bestimmt auch Art. 1 des Ge-
setzes von Sachsen-Meiningen betrefifend die Erziehung Blinder und
'faubstummer vom 18. Februar 1887 (Sammlung der landesherrlichen
Verordnungen für Sachsen-Meiningen-Hildburghausen S. 1''38), daß jedes
blinde und taub.stumme Kind in einer zum Unterricht solcher Kinder
bestimmten Anstalt zu unterrichten ist. imd ebenso für Braunschweig
§ 1 des Gesetzes, die Ausbildung nicht vollsinniger, schwach- und blöd-
sinniger Kinder betreffend vom 30. März 1894, daß jedes nichtvollsinnige
Kind, zu denen auch die hochgradig schwerhörigen gezählt werden, in
einer zu ihrer Ausbildung bestimmten Anstalt untergebracht werden
müssen. Von dem Zwang zur Aufnahme in die Anstalt sind die am
Sitz der Anstalt wohnenden Kinder befreit, sie haben jedoch an den be-
treffenden Unterrichtsstunden teilzunehmen.
In Anhalt, Sachsen-Meiningen und Braunschweig kann die Ein-
schulung nichtvollsinniger Kinder auch durch die Verwaltungs- und
Schulbehörden erzwungen werden. In Sachsen-Meinigen können die Erzie-
hungsberechtigten vom Landrat nicht nur durch Geld- und sogar durch Hafl-
strafen angehalten werden, die Kinder dem Untericht zu überweisen,
sondern der Landrat kann die Kinder auch zwangsweise der Unterrichts-
anstalt zuführen lassen. In Braunschweig ist ein eigenes Verfahren
ausgebildet für den Fall, daß sich die Elfern der Unterbringung der
Kinder in eine Anstalt widersetzen. Nach der endgültigen Entscheidung
hat die Kreisdirektion — in der Stadt Braunschweig die Polizeidirektion
— erforderlichenfalls die zwangsweise Einlieferung des Kindes in die
Anstalt zu I)ewirken. In § 7 des Anhaltischen Gesetzes ist die
Ausschaltung des Vormundschaftsgerichtes noch ausdrücklich ausge-
sprochen.
*) In Oldenburg (Art. 1, § L des Gesetzes betreffend die SchulpHichtiglicit
taubstummer Kinder vom 18. jänner 1876 G.-S. Band 24, S. 56) in Sachsen-Koburg-
flotha (Gesetz vom 18. Mai 1877 für Coburg in der Fassung des Art. 18 b des
Volksschulgesetzes in der Textierung vom 21. April 1 05 G.-S.-S. 77 und Gothai-
sches Volksschulgesetz in der Fassung vom 4. Mai 1906 G.-S. Nr. 17), sowie in
den beiden Hansastädten Lübeck (Gesetz vom 19. März 1888) und fJremen (Gesetz
vom 1. Juli 1898) ist nur die Sonderbeschulung der taubstummen Kinder gesetzlich
geregelt.
8. Nummer. Zeitschrilt tCn das österreichische Bliiidenweseii. -Seite 1175.
Diesen Vor.schriften sind die Bestimmungen des preußischen Ge-
setzes betrefiend die Beschulung blinder und taubstummer Kinder vom
7. August 1911 (G.-S. S. 168) nahe verwandt.*
Dieses Gesetz hat nicht nur deshalb besondere Bedeutung, dafi es
für den größten deutschen Einzelstaat gilt und daher den größten Wir-
kungskreis hat, sondern es ist auch eines der neuesten und kann wohl
als das vollkommenste bezeichnet werden.
In § 1 Abs. l wird für blinde und taubstumme Kinder, die ge-
nügend entwickelt und bildungsfähig erscheinen die ausdrücklich als
..Schulpflicht-' bezeichnete Verpflichtung ausgesprochen, den in Anstalten
für solche nichtvollsinnigen Kinder eingerichteten Unterricht zu besuchen.
Zu den taubstummen Kindern werden außer den stummen und ertaubten
auch solche Kinder gezählt, deren Gehörreste so gering sind, daß sie
die Sprache auf natürlichem Wege nicht erlernen können und die er-
lernte Sprache durchs Ohr zu verstehen nicht mehr imstande sind. Zu
den blinden Kindern gehören auch solche, die so schwachsichtig sind,
daß sie den blinden Kindern gleichgeachtet werden müssen. Auf die
besonders bedauernswerten taubstumm-blinden Kinder wurde der Schul-
zwang damals nicht erstreckt, weil die Fürsorge für sie bei Erlaß des
Gesetzes noch zu jung war, als daß die gesammelten Erfahrungen solche
Gesetzesmaßnahmen hätten rechtfertigen können. Es wurde aber eine
spätere Ausdehnung des Gesetzes auf sie in Aussieht genommen. Übri-
gens erklärte der Vertreter des preußischen Kultusministeriums auf dem
14. Blindenlehrerkongreß, daß diese Kinder, soweit sie bildungsfähig
sind, in Preußen durchweg den Blinden- und Taubstummenanstalten
überwiesen sind, und gleiches gilt auch für Bayern.
Über den Eintritt der Schulpflicht und damit über die genügende
Entwicklung, Bildungsfähigkeit und das vorgeschriebene Lebensalter
beschließt in kreisfreien Städten die Schuldeputation, sonst nach An-
hörung der Ortsschulbehörde die Schulaufsichlsbehörde. Gegen diesen
Beschluß können die Eltern und gesetzlichen Vertreter aber auch der
finanziell beteiligte Kommunalverband binnen 14 Tagen Beschwerde
einlegen. Über sie hat in kreisfreien Städten der Stadtausschuß, sonst
der Kreisausschuß nach Anhörung der beteiligten Stellen und Personen
zu entscheiden. Gegen die Beschlüsse des Kreis- oder Stadtausschusses
ist noch weitere Beschwerde zum Bezirksausschuß und weiter an den
Provinzialrat zulässig. Die Frage der Schulpflicht ist grundlegend und
greift tief ein in die Elternrechte, weshalb es auch wohl berechtigt
erscheint, daß ihnen ein so weifgehendes Beschwerderecht einge-
räumt ist.
Erst wenn über die Einschulung eines nichtvollsinnigen Kindes
rechtskräftig ])eschlossen ist, hat der Kommunalverband — und bei
Beschwerde der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten — die
Aufsichtsbehörde darüber zu entscheiden, ob das Kind in einer Blinden-
oder einer Taubstummenanstalt oder an. einem Ort untergebracht werden
oder belassen werden soll, von welchem aus es eine Unterrichts-
veranstaltung der bezeichneten Art besuchen kann. Nach Art. 10 und 18
des Kriegsgesetzes zur Vereinfachung der Verwaltung vom 18. Mai 1918
*) Siehe Dr. Anton Glatt felter »Das Gesetz betreffend die Beschulung
blinder und taubstummer Kinder« vom 7. August 1911, Düsseldorf 1912.
Seile 1176. Zeitschrift für (Jas österreichische Blindei.wesen. 8. Nummer.
G.-S. S. ö8) wurde für die Zeit bis zum Ahlauf von 2 Jahren nach
Beendigung de?^ Kriegszustandes die Entscheidung dem Vertreter des
Kommunalverbandes in erster und dem Oberpräsidenten in zweiter
Instanz übertragen.*
Der Verteter des Kommunalverbandes hat während dieser Zeit
auch an Stelle der Schulaufsichtsbehörde die Überführung eines nicht-
vollsinnigen Kindes in die Anstalt anzuordnen, wenn dies die hierzu
verpflichteten gesetzlichen Vertreter nicht nach dem vorangegangenen
Verfahren von selbst tun. Er hat nach dem genannten Kriegsgesetz
auch an Stelle des Kommunalverbandes über die Ausdehnung der Schul-
pflicht nichtvollsinniger Kinder, die das Lehrziel nicht in der gesetzlich
festgesetzten Zeit erreicht haben, wie auch über die Entlassung und
und Zurttckstellnng eines solchen Kindes zu befinden. Auf Beschwerde
entscheidet nunmehr auch statt der Schulaufsichtsbehörde der Ober-
präsident.
Das preußische Gesetz setzt gleich dem badischen als Beginn der
Schulpflicht für blinde Kinder das vollendete 6. Lebensjahre fest, für
taubstumme Kinder das vollendete 7. Jahr. In Sachsen werden die
blinden Kinder ebenfalls mit 6 Jahren, die taubstunmien aber erst mit
8 Jahren schulpflichtig, in Braunschweig und Sachsen-Weimar aber
beide Gruppen mit 7 Jahren. In Sachsen-Koburg-Gotha und Lübeck,
die gleich Oldenburg und Bremen den Sonderunterricht nur für taul)-
stuiimie Kinder gesetzlich geregelt haben, beginnt die Schulpflicht für
taubstumme Kinder ebenfalls mit 7 Jahren, in Oldenburg mit 8 Jahren.
In letzterem Staat allein dauert sie nur 6 Jahre, während sie sonst
überall, wie jetzt auch meist bei den vollsinnigen Kindern, 8 Jahre
umfaßt.
In allen Staaten sind die nichtvollsinnigen Kmder von dem Besuch
der Blinden- und Taubstummenanstalt befreit, somit ihnen entsprechender
Privatunterricht erteilt wird, der selbstverständlich auch ihrem Gebrechen
angepaßt sein muß. Ob dieser Ersatzunterricht im Einzelfall den be-
rechtigten Anforderungen an einer solchen entspricht, haben meist die
Schulbehörden zu prüfen, in Preußen der Kreisschulinspektor und das
Provinzialschulkollegium, in Sachsen Schulvorstand und Bezirk.sschul-
inspektion, in Baden Kreisschulvisitation und Oberschulbehörde.
Aber von dieser Ermächtigung zum Privatunterricht dürfte doch
nur selten Gebrauch gemacht werden, denn diese Gebrechen kommen
weit häufiger in weniger vermögenden Familien, als in reichen vor, die
die immerhin erheblichen Kosten eines solchen Privatunterrichtes nicht
zu tragen vermögen. Deshalb ist es besonders erfreulich und wichtig,
daß die Gesetze über die Sonderbeschulung fast durchweg auch die
Frage der Kostentragung in den Fällen befriedigend regeln, in denen
die Eltern hierzu nicht fähig sind. Wie ich oben schon angedeutet
habe, halte ich es für selbstverständlich, daß in den Staaten, wo der
allgemeine Volksschulunterricht in einer entsprechenden Anstalt unengelt-
lich ist, es auch der Spezialunterricht in einer entsprechenden Anstalt
ist, ohne Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse der Eltern. Dies
kommt in den Gesetzen von Preußen, Baden, BraunschVveig und Sachsen-
*) Über die Gesetzgebungsverhandinng vergl. Bl i nden freund 39. Jahrgang,
Heft 4, S. 86 ff.
8. Nummer. Zcilschrilt für das östei reicliische IJlindenwesen. Seite 1177.
VVeiniar-Eiseiiach auch deutlich zum Ausdruck. In Preußen werden
die Kosten vom Kommunalverband, in Baden vom Staate getragen.
Dagegen müssen für die ünterhaltkosten mit Recht in erster Linie die
Eltern oder sonstigen Unterhaltspflichtigen aufkommen. Wenn diese
hierzu nicht imstande sind, fallen diese in Preußen gleich denen für
Unterricht und Erziehung dem Kommunalverband zur Last, nur die
Kosten für die Überführung des Kindes in die Anstalt und die Rück-
reise des Entlassenen hat wie auch die für die reglementmäßige erste
Ausstattung und etwa für die Beerdigung der Ortsarmenverband des
Unterstützungswohnsitzes zu tragen.
In Baden ist die Gemeinde, in der das Kind seinen Unterstützungs-
wohnsitz hat, oder der Kreis des Landarmenverbandes, der im Fall
der armenrechtlichen Hilfsbedürftigkeit einzutreten hätte, oder auch der
Staat kostenpflichtig, aber nicht in der Eigenschaft als Armenverband.
Diese Leistungen haben daher auch nicht die Nachteile der Armen-
unterstützung im Gefolge.
Auch in Sachsen-Koburg-Gotha hat die Wohnsitzgemeinde gege-
benenfalls mit Beihilfe des Staates, wenn sie selbst dazu außerstande
ist, aber keinesfalls der Armenverband die notwendigen Mittel aufzu-
bringen, in Oldenburg der Amtsverband, in Bremen ebenfalls die
Wohnsitzgemeinde, wobei den Landgemeinden die Hälfte der Kosten
vom Kreis zu erstatten sind.
in Weimar hat die Schulgemeinde die Kosten für Ausstattung,
Pllegegeld und Zurückführung im Unvermögensfall der zunächst Ver-
pHichtete aufzubringen. Ist sie überlastet, so übernimmt die Staatskasse
die Kosten ganz oder teilweise. In Braunschweig müssen die Orts- und
Landarmenverbände die Kosten für die Unterbringung des Kindes in
der Anstalt sowie für die Einlieferung tragen, wenn die Unterhalts-
pflichtigen hierzu nicht im Stande sind. Trotzdem sind diese Unter-
stützungen nach der Entscheidung des obersten Gerichts des Bundesamts
für das Heimatwesen nicht als Armenunterstützungen zu erachten, weil
in Braunschweig die Erziehung nicht zu den Aufgaben der Armenpflege
gehört. Auch in Anhalt hat der verpflichtete Ortsarmenverband die
Kosten zunächst auszulegen. Wenn er von dem Kind oder seinen An-
gehörigen keinen Ersatz erhalten kann, muß ihm der Landarmenverband
ihn zur Hälfte erstatten.
Besonders auch in den Staaten, in denen die Sonderbeschulung
der nichtvoUsinnigen Kinder nicht eigens gesetzlich geregelt ist, haben
meist die Armenverbände die Kosten für die Unterbringung nichtvoll-
sinniger Kinder in Anstalten zu tragen. Erfreulicherweise obliegt die
Kostenpflicht meist zum großen Teil den leistungsfähigeren Landarmen-
verbänden und nicht den oft recht leistungsschwachen Ortsarmen-
verbänden. So ist in Bayern, wo die gesetzliche Regelung der
Sonderbeschulung vor allem durch den Weltkrieg unmöglich gemacht
wurde, nicht nur für die hilfsbedürftigen Taubstummen und Blinden,
die der Anstaltspflege bedürfen, Aufgabe der Landarmenverbände,
sondern auch die Erziehung und Ausbildung blinder und taubstummer
Kinder soweit sie bildungsfähig sind und der Unterbringung in Anstalten
Seite 1178. Zeilschrift für das österreichische Blindenwesen. 8. Nummer.
bedürfen.* Aber auch dort, wo den Armenverbänden die Ko.sten auf-
gebürdet sind, werden dadurch meist die politischen Rechte des Famihen-
hauptes nicht beeinträchtigt, weil in vielen Einzelstaaten die einem An-
gehörigen wegen körperlichem oder geistigem Gebrechen gewährte
Anstaltspflege, wie auch Unterstützungen zum Zwecke der Erziehung
und Ausbildung zu einem Beruf nicht als Armenunterstützung gelten.
Wenn auch in einzelnen auch größeren Staaten wie Bayern, Würtem-
berg. Hessen u. s. w. die Sonderschulpflicht für nichtvollsinnige Kinder
nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist, so darf daraus noch keines-
wegs der Schluß gezogen werden, als ob dort weniger gut für sie
gesorgt wird. In den Vollzugsbestimmungen oder in sonstigen Erlässen
dieser Staaten sind die Schulbehörden meist angewiesen, dafür Sorge
zu tragen, daß diesen Kindern ein entsprechender Sonderunterricht zu-
teil wird. Wo sich die Erziehungsberechtigten dagegen sträuben, können
sie unter Umständen vom Vormundschaftsgericht mit Hilfe der §§ 1666,
1838 B.-G.-B. oder der Fürsorgeerziehungsgesetze dazu gezwungen
werden. Dieser Weg muß ja, wie wir vorhin gesehen haben, auch in
manchen anderen Staaten mit eigener Gesetzgebung beschritten werden.
Daß er wohl gangbar ist. wenn nur die Kostenfrage befriedigend gere-
gelt ist, beweisen zahlreiche Entscheidungen der verschiedensten Ober-
landesgerichte. Wenn diese bisweilen die Anwendung dieser Vorschriften
ablehnten, so geschah dies fast immer deshalb, weil kein anderer
Kostenträger als die Armenverbände in Frage gekommen wären, diese
aber in vielen Staaten wie z. B. in Preußen, wo die Frage für die
nichtvollsinnigen Kinder durch das Gesetz vom 7. August 1911 nun-
mehr vollbefriedigend gelöst ist, nicht für die Erziehung und Ausbildung
zu sorgen haben.
Wenn die nichtvollsinnigen Kinder keiner besonderen Anstalt zu-
geführt werden können oder brauchen, so unterliegen sie doch meist
wenigstens der allgemeinen Schulpflicht, denn man kann wohl nicht
ohne weiteres sagen, daß sie für den allgemeinen Volksschulunterricht
ganz untauglich sind, etwa wie geisteskranke Kinder. An einzelnen
Unterrichtsstunden können auch die Blinden, an anderen die Taubstummen
wohl mit Erfolg teilnehmen und dann ist für sie auch diese mangel-
hafte Schulbildung immer noch besser als gar keine, wenn auch der
Notbehelf sehr mangelhaft und unbefriedigend ist.
Auch in Österreich sind, soweit ich sehe, nach dem bisherigen Recht
die nichtvollsinnigen, bildungsfähigen Kinder der allgemeinen Schulpflicht
unterworfen und haben, wenn nicht ganz besondere Umstände eine Be-
freiung nach § 23. Abs. 2 des Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869
rechtfertigen, am allgemeinen Volksschulunterricht teilzunehmen. Nach
§ 59 und § 62 des genannten Reichsvolkschulgesetzes in der Fassung
der Novelle vom 2. Mai 1883 hatten die einzelnen Kronländer die für
ihren Bereich notwendigen Schul- und Erziehungsanstalten für nicht-
*) Artikel 58 des Bayerischen Armengesetzes vom 21. August 1914 G.-V.-Bl.
S. 551 vgl. über die einschlägigen Gesetzesbestimmungen der verschiedenen Einzel-
staaten »Rechtliche Fürsorge für die von Jugend an körperlich Gebrechlichen« mit
besonderer Berücksichtigung Bayerns von Dr. Kurt Schwarz, München-Leipzig 1915,
S. 109 ff. Dort findet sich auch weiteres Material über die Gesetzgebungsverhandlung
und über die ausländische Gesetzgebung, über die Sonderbeschulung nichtvoll-
sinniger Kinder.
8. Nummer. Zeitschrift für das Österreichische Blindenwesen. Seite 1179.
vollsinnige Kinder zu errichten. Man versuchte aher gerade in den
Ländern, wo wegen Mangel an geeigneten Anstalten der Sonderschul-
oder Anstaltszwang nicht eingeführt werden könnte, durch Aushildung
der allgemeinen Lehrer in den besonderen rnterrichtsinethoden für nicht-
vollsinnige Kinder aber auch durch Angliederung von Sonderklassen an
die allgemeine Volkschule diesen Kindern doch einen entsprechenden
Schulunterricht zu verschaffen.
Auch der österreichische Gesetzesentwurf, betreffend die Erziehungs-
und ITnterrichtsanstalten für taubstunmie und l)linde Kinder*, der aber
nicht Gesetz geworden ist, sah neben dem l'nlerricht in Sonderanstalten
auch solchen in Sondervolkschulklassen für inchtvollsinnige Kinder vor.
Diese sollen dann unterrichtet werden, wenn 12 blinde oder 12 taub-
stumme Kinder in einer Schulgemeinde wohnen. Hei einer größeren
Zahl solcher Kinder sollten die Klassen vermehrt und entsprechend auf
die Stadtbezirke verteilt werden. Wenn die Kinder zu wenig wären, als
daß sich die Einrichtung eigener Klassen gelohnt hätte, so war vorgesehen,
daß sie an den Unterrichtsstunden für vollsinnige Kinder teilnehmen sollten,
aus denen auch sie Nutzen ziehen könnten und daneben noch besonderen
Unterricht durch die Volksschullehrer bekommen sollten und zwar wöchent-
lich mindestens 4 Stunden, für die die Lehrer eigens entlohnt werden sollten.
Der Vorschlag solcher Sonderschulklassen hat unbedingt etwas Be-
stechendes an sich, denn er würde es in bedeutend mehr Fällen ermög-
lichen, daß die Kinder im Kreise ihrer Angehörigen bleiben können, was
ihnen nicht nur allein rein menschlich zu wünschen ist, sondern meist auch
für ihr ihr weiteres Lebe]i von nicht gering zu schätzender Bedeutung
ist. In der praktischen Durchführung dürfte sich besonders bei der
Gliederung in aufsteigende Klassen große Schwierigkeiten ergeben. Der
Ausweg der Teilnahme am allgemeinen Unterricht mit einigen besonderen
Stunden vermag aber keinesfalls zu befriedigen.
Wenn ich in Vorstehendem in Anbetracht der beabsichtigten ge-
setzlichen Regelung der Sonderbeschulung nichtvoll.sinniger Kinder in
Österreich einen Überblick über die deutsche Gesetzgebung zu geben
versucht habe, so wollte ich damit keineswegs die Lösung dieser Frage
in meiner Heimat als die einzig richtige bezeichnen und zur Nachahmung
empfehlen. Nationale Eitelkeiten müssen bei diesen Fragen ganz in den
Hintergrund treten. Alle deutschen Blindenfreunde haben nur den einen
Wunsch, daß auch außerhalb Deutschlands möglichst gut für alle Blinden
besonders für die ihnen stanunverwandten Deutsch-Österreichs gesorgt
wird und werden es freudigst begrüßen, wenn das neue deutsch-öster-
reichische Gesetz die Frage noch besser regelt, als es in den deutschen
Staaten bis jetzt geschehen ist und dankbarst von ihm lernen. Sie er-
wartet auch besonders Gutes von diesem Gesetz, da wohl die ständige
Blindenfürsorgekommission im Staatsamt für soziale Verwaltung** in der
sicher die hervorragendsten Sachverständigen — Blindenerzieher und
Blinde selbst, — zum Besten dieser Unglücklichen zusammenwirken, wohl
j)ei dem Entwurf dieses Gesetzes tatkräftigst mitarbeiten wird. Anderer-
seits würde es auch die deutschen Blinden und die Mitarbeiter in der
*) Blindenfreud 9. Jahrg., S. 169 ft, vergl, auch 10. Jahrg. S. :^1.
**) AmtHche Nachrichten des Deutschösterreichisclien Staatsamtes für soziale
Verwaltung Heft 10, S, 376, Heft 11, S. 425.
Seite IISO. Zeitschrift für das österreichische i}Hndenwei,en. 8. Nummer.
Blindenfüi'sofgo freuen, wenn den deutsch-österreichischen Blinden aus
den Krfahrunj?en der deutschen Blindenfürsorge recht reicher Segen
erwachsen möchte. Unsere herzlichsten Wünsche hegleiten jedenfalls alle
Bestrebungen zur gesetzlichen Regelung des Sonderschulunterrichts der
Blinden in Deutsch-Österreich.
Die Insel der Heiteren.
(Aus meinen besuchen in der Kärntnerischen Landes-Blindenanstalt)
von Nora W y d c n b r u c k.
p]s dürfte wohl wenig Menschen geben, die die letzten Jahre be-
wußt miterlebten und nicht eine tiefgreifende psychische Veränderimg
erleiden mußten. In manchen bebt das ungeheuerliche Grauen noch
fort und sie finden sich nur tastend und schüchtern in den Alltag zu-
rück. i\ndere wieder sind seelisch gleichsam zermürbt von Not, Sorgen
und Elend und das Bedürfnis der nächsten Stunde martert unablässig
ihr armes Gehirn. Doch allen ist gleicherweise eines verloren gegangen
— die ruhige Heiterkeit, die sowohl die menschliche Gemeinschaft wie
die Einsamkeit erträglich macht.
Außer den unwissenden Kindern sind nur mehr jene, die das
Geschick schon vorher am härtesten getroffen hat und die, welche in
dieser Zeit den Abgrund menschlichen Wehs berührten, ihrer noch teil-
haftig. Mitten im Kriege war es mir vergönnnt, solche Menschen zu
linden. Das war. als ich zum erstenmal ins Blindenheim ging. Ich
gestehe, daß ich auf diesem Gange eine seelische Feigheit zu über-
winden hatte. Denn ich fürchtete mich vor dem Schmerz, den ohn-
mächtiges Mitleid schafft. Doch statt dessen bemächtigte sich meiner
ein längst vergessenes, sehr beglückendes Gefühl: ich kam mir vor, wie
das einzige Kind unter lauter Erwachsenen, die sich alle mit gerührter
Freude um mich scharten. Die Unrast des Tages und die Bängnis vor
der drückenden Zukunft waren ausgetilgt — ich fühlte irgendwie die
Nähe des einzig Wesentlichen, das mich unsäglich beruhigend umfing,
wie ein tiefer, langanschwellender Orgelton.
Die Alten sahen in der Blindheit was Göttliches; mit diesem Ge-
brechen behaften sie Themis und Erves. Jene, die die Grenzen der
Menschheit verschauenden Geistes überschreiten, die Seher, sind —
eine merkwürdige contradictio in adjectic — meist psychisch blind. Mit
sicherem Instinkt erkannten sie a priori, was wir in spitrfindig phsycho-
logischen Untersuchungen zu ergründen trachten. So war es ihn(Mi
auch klar geworden, daß das geistige Sehen erst durch Überwindung
des trügerischen Scheines der Außenwelt ermöglicht wird: die Blindheit
der Begradeten ist das Symbol, wodurch sie diese Wahrheit aus-
drücken.
All dies ging mir nach jenetn ersten Besuche dort draußen durch
den Sinn und ich beschloß in nähere Berührung mit jenen rätselhaften
Menschen zu treten. Eine Flucht sollte es sein von den Wirrnissen
der Zeit, eine Pilgerfahrt zu Quellen der Ruhe und der verloren ge-
glaubten Heiterkeit. Und so kam ich wieder und versuchte ihnen die
Ruhe, die sie mir schenkten, mit etwas Schönheit und Wohlklang aus
dem Lande der Sehenden zu vergelten. Ich las ihnen aus meinen
liebsten Büchern vor. Den Beginn machte ein Märchen von Anderson,
8. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1181.
jene Geschichte von der Sehneekönigin, das ein tiefes Symbol ist, in
leuchtendes MärchengoUl vcn-hüllt. Da machte ich zwei i^]rfahrungen,
tlie mich erstaunten: erstens, daß der eigentliche Sinn der Geschichte
von allen diesen einfachen Menschen intuitiv aufgegrifVen und verstanden
wurde. Sodann aber, daß auch jene Abseitigen ihr Teil an der NoI
des Tages tragen müssen. Denn als der Dichter weitläufig die Herrlich-
keiten des mit Lebkuchen und Marzipan ausgefütterten Reisewagens
beschreibt, ging ein wollüstiges Stöhnen um ih^n Tisch und eine meinte
seufzend: „Wenn es auch nur Drot wäre, wie gerne würde ich in
diesem Wagen fahren!"
.Ja, jene Menschen, die nur mehr mit so wonnigen Fäden an unser
gemeinsames Leben verknüpft sind, müssen alle leiblichen Genüsse ge-
rade so entbehren wie wir, nur tragen sie es geduldiger, wie die meisten
unter uns.
Nach dieser Erfahrung beschloß ich, die Märchen zu lassen, um
keine unerfüllbare Sehnsucht nach irdischen Freuden zu wecken. Und
wir gingen in das Land der reinen Poesie, deren Sehnsucht zugleich
Erfüllung i.st. EichendorfT lasen wir und die blaue Blume der Romantik
blühte auf. Und die frühen Erzählungen von Rudolf Hans Bartsch, die
so voll von Musik sind und deren schwere reife Süße wie ein dunkler
Gelloklang anmutet. Und einmal da lasen wir sogar Gedichte von Reiner
Maria Rilke. Da lehnte ein Blinder den Kopf zurück und schloß die
blinden Augen und flüstert ergriffen und wonnevoll: ,.Köstlich, köst-
lich.'' - — Und in Andacht lauschen sie der Sprache Goethes und heben
unter der dramatischen Hochspannung Schillers, wie eben nur solche
können, denen die Zwangsarbeit einer widerwillig erduldeten Schulzeit
noch nicht den Geschmack an den Klassikern verdorben hat.
Die Blinden haben einen guten Maßstab für das Schöne, denn
einerseits hat sie die Überwindung ihres Schicksals ethisch, die Ge-
wohnheit der inneren Konzentration geistig gereift — andererseits wird
ihre Erziehung, die ja zumeist erst in der Anstalt beginnt, vom einzig
richtigen Standpunkt aus geleitet: man arbeitet darauf hin, dem Schüler
den höchsten und reichsten inneren Besitz zu gewähren. Keinem Zweck
soll sein Wissen dienen, als einfach der Erhöhung seines inneren Lebens
und somit seiner Glücksmöglichkeiten. Luxus und Wohlleben kann den
Zöglingen der Blindenanstalt nicht gel)oten werden, aber dafür werden
ihnen die kostbaren Schätze aus dem Reiche der Dichtkunst zugeführt.
Und daß hier nicht blinder Idealismus „Perlen vor die Säue" wirft,
wie es in der Bibel derb und zutretTend heißt, bew^eist folgende Be-
gebenheit, deren Zeuge ich selbst war: Einer, der im Krieg beide Augen,
den linken Arm und die rechte Hand verloren hat, lauschte hingerissen
dem Largo eines der ganz Großen — war es Bach, war es Händel,
ich weiß es nicht mehr — das eine meisterlich gespielte Geige in be-
seligende Breite ausströmte. Und dann sprach er ganz verklärt in seiner
naiven Mundart: Da möcht ich aber wohl den ganzen Tag zulesen."
Und ich erkannte, daß es keine Verzweiflung gibt, so tief ist, als daß
ein Strahl des Schönen nicht in sie eindringen könnte.
Geht hinaus in das Heim der Blinden, ihr, die ihr der Zeit tliehen
wollt und nicht wie die Menschen des Dekameren in weltferne Gärten,
wo rauschende Fontänen tändelnde Gespräche murmeln begleiten. Denn
Seite 1182. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 8. Nummer
die Pest, die in Florenz wütete, konnte wohl den Garten der Fianetta
nicht erreichen — aber die Unrast dieser Zeiten wird kein Asyl ver-
schonen. Ihr aber, die mit wachem Bewußtsein und heißem Streben
dem Gebot der neuen Zeit gehorchen wollt, lernt dort außen ihre tiefste
Forderung verstehen, die da heißt: Glaube an die Menschheit. Hoffnung
auf sie und Liebe zu ihr. Und helfet dazu, daß immer mehr aus iJimkel
und Not und Verzweiflung zur ruhigen Heiterkeit geführt werden. —
Ks gilt aufzubauen, was diese Jahre vernichtet haben und am besten
fängt man bei jenen an, die am schwernsten getroffen wurden.
Hus den Rnstalten.
N. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf. Vorlesung. Am
15. Juni 1. J. veranitaltete Frl. Friederike Ehrmann für die Zöglinge und geladenen
Gäste eine Vorlesung. Ihre moderne Vortragsweise, die den ganzen Stimmungs-
gehalt des einzelnen Wortes auszuschöpfen weiß, steigerte die klassischen Balladen
Goethes und Schillers zu dramatischem Erleben und wußte in mehr heiteren Stücken
die Bedeutung der Künstlerin ergänzend zu illustrieren. Von den zahlreichen Ge-
dichten gefielen namentlich >Der Taucher«, »Das verschleierte Bild zu Sais«, »Das
Hochzeitslied«, »Hans im Glück« (Chamisso) und »Das Gänsemädchen« (Ginzkey).
Es ist zu hoffen, daß Frl. Ehrmann im nächsten Jahre eine Reihe von Vortrags-
abenden für unsere Zöglinge veranstalten wird, die sie sich als eine Art Einführung
in die deutsche Literatur vorstellt. Unsere Zöglinge werden ihr dafür dankbar sein.
O. W.
Klavierkonzert. Einen Nachmittag reichen musikalischen Genusses
schenkte den Zöglingen Herr Rechnungsrat F. Smutny, der in selbstloser Weise
im Festsaale der Anstalt am 17. Juni 1. J. ein Klavierkonzert mit auserlesenem
Programme gab. Durchdrungen von Poesie und Romantik erklangen Mendelsohns
»Variations serieuses«, mit hochentwickelter, feiner Unterschiedlichkeit im Anschlags-
vermögen wurden Saint-Saiens »Mandolinata« und eine Reihe schwärmerischer
Nocturnes, besonders Lißt's »Erstes, aus den Liebesträumen« sei genannt, zum Vor-'
trage gebracht. Seine starke musikalische Gestaltungsgabe brachte H. Smutny vor
allem in den Stücken Chopins voll zum Ausdrucke. Den Höhepunkt des Konzertes
bildeten wohl Lißts »Campanella« und der ungarische Sturmmarsch, die H. Smutny
mit seiner außerordentlich entwickelten Technik in meisterhafter, packender Weise
zum Vortrage brachte, so daß der Jubel der Zuhörer kein Ende nehmen wollte und
H. Smutny sich zu einer Zugabe entschließen mußte. Außer der harmonischen Ver-
einigung von »Virtuosität und Künstlerschaft« hatten wir auch Gelegenheit die
außerordentliche Gedächtnisleistung des H. Smutny zu bewundern.
Den Zöglingen, besonders den auf der Oberstufe der musikalischen Ausbil-
dung stehenden, gab das künstlerisch-virtuose Spiel gewiß eine kräftige Anregung
zu emsigen Studium und wird der genußreiche Nachmittag wohl allen in lebhaftester
Erinnerung bleiben. P.
Die amerikanische Kinderhilfsmission in der n. ö. Landes-
Blindenanstalt in Purkersdorf. Am 25. v. M. erschien als Vertreter des
amerikanischen Hilfswerkes Dr. H. Geist in der Anstalt, wo nicht nur die blinden
Zöglinge, sondern auch 230 bedürftige Kinder des Ortes täglich zu Mittag aus-
yespeist werden. Zu diesem Empfange hatten sich Landesrat K. Volke rt, der
Leiter des Jugendamtes Dr. Don in, die Gemeindevertretung von Purkersdorf und
andere Körperschaften eingefunden. Blinde und sehende Kinder hatten unter
Führung der Lehrerschaft im schönen Garten der Anstalt Aufstellung genommen.
Nach einem von den blinden Zöglingen gesungenen Begrüßungschor sprach Bürger-
meister Spalt der amerikanischen Mission den Dank der Gemeindevertretung aus,
Direktor Bürklen begrüßte den Gast als Leiter der Anstalt. Ein sehendes und ein
blindes Mädchen dankten in schlichter Weise mit poetischen Worten und einem
Blumenstrauß. Besonderes Interesse eiweckte bei Dr. Geist der von den Anstalts-
zöglingen seelenvoll vorgetragene Choral »Näher mein Gott zu dir!«, welcher seiner-
zeit die sinkende »Titanic« in das Flutengrab begleitete.
Herausgeber: ZentraWerein für das österreichische BliudeDwesen ia Wieo. Redaktionskomitee: K. Biirkleo,
). Rnaia, A. . HorTstb, F. Uhl. — Dnick tod Adolf Bogliich, Purkersdorf bei Wien.
Nach dem Empfange wurden die versammelten Kinder im Anstaltsgarten
abgespeist, wobei die blinden Kinder die Tafelmusik besorgten. Es war eine Freude,
die reichliche Mahlzeit verzehren zu sehen, welche ihnen geboten wurde. Die Aus-
speisung wird durch mindestens acht Wochen fortgesetzt werden und es ist die
Hoffnung vorhanden, daß auch dann noch die bisher aus Raummangel zurück-
gestellten Kinder des Ortes dei amerikanischen Hilfe teilhaftig werden. Es ist ein
edles Werk, das damit die Gastgeber unserer Kinder vollbringen und das Gedenken
daran wird sich tief in die Herzen aller Teilnehmer eingraben.
— Blinden-Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt inWie|n
VIII. Das Direktorium dieser Anstalt hat die Altersgrenze, die bisher — wenigstens
der Regel nach — für die Aufnahme bestand, aus dem Anstaltsstatut gestrichen, so
daß die Möglichkeit gegeben ist, vorwiegend ältere Leute aufzunehmen. Ferner
bewilHgte das Direktorium, daß die männlichen und weiblichen .Blinden je zwei
Vertrauenspersonen wählen dürfen, die zu schweren Disziplinarsachen und dann zur
Beratung jener Angelegenheiten zugezogen werden sollen, die den Unterhalt oder
die Arbeitsmöglichkeit der Pfleglinge betreffen.
— Blindenanstalten in Linz. Am 13. und 1'7. Juni 1. J. beehrten als Ver-
treter der amerikanischen Kinderhilfsaktion in Oberösterreich der amerikanische,
Fliegeroberleutnant Erwin Larson in Begleitung des Dozenten Dr. phil und med.
Ernst Mayerhof er und des Rittmeisters Rudolf Do wer tili aus Wien, des Hofrates
Hermann Attems, Jugendamtsleiters Prof. Franz Jäger, der Präsidentin Fanny
Starhemberg-Larisch und Maria Thun-Hohenstein aus Linz beide Blinden-
anstalten mit ihrem Besuche. Nach Begrüßung durch den Direktor Anton M.
Pleninger, der zugleich der Referent des Hilfswerkes für' die 2000 Kinder der
Anstalten Oberösterreichs ist, wohnten die Gäste einzelnen Lehrversuchen in Schule,
Arbeit und Musik bei und besichtigten die meisten Räume der beiden Gebäude.
Zuletzt fand eine große Musikaufführung in der Beschäftigungsanstalt statt, der
außerdem noch viele andere Gäste und Gönner der Blinden beiwohnten. Unter
Worten der anerkennenden' Dankbarkeit schieden die Gäste von den erfreuten
Blinden. Seit 5. Juli I. J. findet die Ausspeisung der in den 2 Häusern über die
Ferien verweilenden Zöglinge statt, die bis Mitte September dauern dürfte.
flus den Vereinen.
— Fürsorgeverein für die Taubstummblinden in Österreich
in Wien XIII. Fünfter Jahresbericht über die Jahre 1917 und 1918. Der
Bericht enthält einen Nachruf für den verstorben Schatzmeisterstellvertreter Direktor
A. Druschba. Das vom Vereine erhaltene »Taubstummblindenheim« wurde von
Direktor P. Schneiderbauer geleitet. Für das Schuljahr 1917—18 hatte die
Übungsschullehrerin Frl. Marie Panzer auf eigenes Ansuchen die Stelle als Lehrerin
übernommen, hat jedoch am Ende des Schuljahres auf eigenen Wunsch den Posten
wieder aufgegeben. Im Unterrichtsjahr 1918—19 erteilt aushilfsweise durch drei Tage
in der Woche den größeren Kindern der frühere Taubstummenlehrer, Hochw. Herr
M. Praxmaier, Unterricht. Eine geprüfte Kindergärtnerin, Frl. Henriette K lasen,
beaufsichtigt und beschäftigt die Kinder außer der Schulzeit. Im Heime sind 10
taubblinde Pfleglinge untergebracht. Der Vermögensstand des Vereines hat sich
erfreulicherweise gehoben, doch sind demgegenüber auch die Auslagen, namentlich
für die Verpflegung, bedeutend gestiegen.
- Blinden-Unterstützungsverein »Die Purkersdorfer« in Wien V
Die satzungsgemäße Generalversammlung dieses Vereines brachte die Wieder-
wahl des gesamten bisherigen Vereinsausschusses und die Zuwahl zweier neuer
Mitglieder. In die »Blindenfürsorgekommission« und in den »Zentralverein für das
Ost. Blindenwesen« wurde als Vertreter des Vereines Obmann F. Uhl entsendet.
— I. Österr. Blindenverein in Wien VIII. Die von diesem Vereine
abgehaltene Generalversammlung brachte der Vereinsleitung ein übeiwältigen-
des Vertrauensvotum, in welchem die Absage an einseitige Tagespolitik und an das
Bestreben einzelner Blinder, die Zusammenarbeit mit den Sehenden zu stören, ent-
halten war. Als Delegierter in die »Blindenfürsorgekommission« wurde neben einer
Anzahl fachlicher Berater der Obmann A. Horvath gewählt.
Druckfehlerberichtigung.
— In dem Aufsatze »Das Gesicht des Blinden< von Bürklen in Nr. 7 sind
zu berichtigen:
S. 1156, 3. Zeile von oben »tiefgehendec statt »tiefprüfende«. 15. Zeile von
unten »Anhaltspunkt« für »Anhalts-«
„Stenophon'' (DikKermaschine)
Fabrikat des Röderthaler Elektrizitätswerkes in Sachsen.
D D D n Darf bei keiner Korrespondenz fehlen! D D D □
Es zeigt große Vorzüge gegen Diktaphon und Parlograph. 50 "/^ Zeitersparnis, solide
Konstruktion, für Aufnahme und Wiedergabe je eine auswechselbare Membrane,
Regulierventil für laut und leise, schnell und langsam, vorzügliches Walzenmaterial.
Stenoplion ist billiger als alle Konkurrenzartikel. Man verlange Prospekt u. Preisliste.
Vertretung durch Max fllbert Butze, Riesa i. Sa., Bismarkstraße 15 a.
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Wien, XVII., Hernalser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpfliclitigen Alter aus allen österreichi-
schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch (iie Leitung.
Die „Zentpalbibliotheh \w Blinde in Östepreicii",
Wien XVIII, Währinger Gürtel 136,
verleiht ihre Bücher kostenlos an alle Blinden.
Blinden-Unterstützungsverein
„DIE PURKERSDQRFER"
Wien V., Nikolsdorfergasse 42,
Zweck des Vereines; Unterstütziiuj; Minder Mit-
glieder. Arbeitsvermiulung lür Blinde. Erhaltung
der Musikalien-Leihbibliothek. Telephon 10.071.
Der blinde IVlodelleur
Littau in Mähren,
empfiehlt seine zu Geschenken sich
: vorzüglich eignenden keramischen :
Handarbeiten. Nähere Auskunft brieflich.
FFOduhtiugBnossenscJiaft für blinde
Bürstenbinder und Korbflechter.
G. m. b. H.
Wien VIII., Floriani^asse Nr. 41.
Telephon Nr. 23407.
Alle Gattungen Bürstenbinder- u. KorbHechterwaren,
Verkaufsstelle: Wien VII., INeubau^asse 75.
MusiifQlien - Leiiiinstitut
des Blinden-Unterstützungs Vereines
»Die Purkersdorfer« in Wien V..
: — : Nikolsdorfergasse Nr. 42. : — :
f^i Blindendrucknoten werden an j^n
Ukl Blinde unentgeltlich verliehen! \^J
von Oskar Picht.
Bromherg.
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(Gegründet 1878.) ^
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aller Arten.
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■
Organ des „Zentralvereines für das österreichische Biinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
r-j Schriftleitung
Q Purkersdorf
□ bei Wien.
n österreichisches
n Postsparkassen-
konto Nr.l 32.257
H
D
D
D
D
D
D
Das Blatt erscheint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
[-, Bezugspreis q]
Q ganzjährig mit q
□ Postzusteilung □
D 6 Kronen, D
n Einzelnummer D
D 50 Heller. ^
6. Jahrgang.
Wien, September 1919.
9. Nummer.
INHHLT: J. Bartosch, Wien: Vorschläge für einen am Blinden-Erziehungs-lnstitute
in Wien II abzuhaltenden einjährigen musikalischen Fortbildungskurs für
blinde Musiker. Die Blinden Deutschösterreichs nach Geschlecht, Alter,
Bildungsgrad. Beruf usw. Die Geschäftsordnung für die ständige Blinden-
fürsorgekommission im D.-ö. Staatsamte für soziale Verwaltung. Personal-
nachrichten, flus den Anstalten. Aus den Vereinen, Für unsere Kriegs-
blinden. Mitteilung. Altes und Neues. (Ankündigugen.)
=Hr
D" ^ _,
^ Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
V] Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 3 K, Zeitungsbeitrag 3 K. ^
flites und Neues.
übt das Nägel kauen einen ungünstigen Einfluß auf die
Tastfähigkeit und Handgeschicklichkeit aus?
Von Lehrern an einzelnen Hochschulen wurde häufig die Beob-
achtung gemacht, daß Nägelkauer zu sogenannten Präzisionsarbeiten
nicht recht zu brauchen sind. Sie sprechen sich dahin aus, daß das
Tastg^tühl für die Sicherheit und Sauberkeit beim Arbeiten durch diese
üble Angewohnheit herabgesetzt erscheint. Diese Unsitte verunstaltet
die Fingerspitzen in sehr charakteristischer Weise ; sie werden dick,
unförmig, vor dem Nagelrest bildet sich eine hervorstehende Leiste.
Dadurch aber leidet die Tastempfindlichkeit.
In diesem Hinblick wird aus der Erziehungsfrage für den Blinden-
lehrer, noch eine solche unterrichtlicher Natur. Für ihn ist es zweifellos
wichtig zu wissen, inwieterne das Nägelkauen (Onychophagie) seine
Arbeit, in der Schulstube stört. Denn nicht allein das Tastlesen, sondern
namentlich die Handfertigkeiten und unter ihnen wieder vor allem das
Schreiben und die Mädchenhandarbeiten sind wesentlich abhängig von
der Empfindlichkeit der Fingerspitzen. Das Tastlesen und die manuelle
Geschicklichkeit, etwa beim Musikspielen, erscheinen dadurch wohl
weniger beeinträchtigt, da bei ihnen die durchs Nägelkauen betroffenen
Stellen der Finger nicht in Betracht kommen. Für sie ist die Frage
mehr sekundärer Art.
Der Vergleich der Fortgangsnoten zwischen den Nichtnägelkauenden
und den notorisch diese Unsitte Übenden muß uns darüber am besten
Aufschluß geben, ob eine Beemträchtigung tatsächlich zu verzeichne,ii ist.
Es stellen sich die Durchschnittsnoten der beiden Gruppen für die
Handfertigkeiten und das Schreiben bei den nicht nägelkauenden Zög-
lingen auf 1'577, bei den Nägelkauern auf 25, also um einen ganzen
Grad schlechter. Noch größer ist der Unterschied bei den weiblichen
Handarbeiten. Hier erreichen die Normalen 1'428, die Nägelkauer wieder
2*5 als Durchschnittsnote. Auch beim Tastlesen ist der Unterschied
groß; die erste Gruppe weist lölS, die zweite 27 auf. Hingegen ver-
ringert sich der Unterschied dort, wo Leistungen der ganzen Hand in
Betracht gezogen werden, wie in der Musik, wo das Verhältnis 2"06 zu
2-5 ist. V
Damit ist bewiesen, daß das Nägelkauen nachteilig wirkt. Dabei
muß aber noch betont werden, daß die Nägelkauer keineswegs aus-
schließlich geistig minderwertige Schüler sind. Ja, der allgemeine Noten-
durchschnitt stellt sich zwischen Normalen und Nägelkauern auf nur
2 7-26 zu 2 \ig. Damit ist gesagt, daß nicht etwa geistige Minderwertigkeit
bei den Nägelkauern die schlechteren Erfolge in den oben angezogenen
Unterrichtsfächern verursachten.
Der Blindenlehrer wird also auch aus unterrichtlichen Gründen
gegen diese Unsitte ankämpfen müssen. Dabei darf er aber nicht ver-
gessen, daß das Nägelkauen nach Berillons Untersuchungen oftmals
mit verschiedenen Erscheinungen nervöser Natur verknüpft erscheint,
wie z. B. mit triebartigen Neigungen, nächtlichem Aufschrecken, Nacht-
wandeln, Sprechen im Schlafe, Stottern, gedrückter Stimmung, Bett-
nässen, moralischen Verirrungen, Angstgefühlen u. s. w. Es ist also oft
nur eine Begleiterscheinung tief sitzender Krankheiten. |
O. Wanecekl
6. Jahrgang. Wien, September 1919. 9. Nummer.
>Eine Welt voll Lustgestalten
^ Offnet sich mir im Gesang, ^
iß Göttliches muß sich entfalten ^
>j Bei der Töne mächt'gem Klang. tj^
I ■ L. Kraa. |
Vorschläge für einen am Blinden-Erziehungs-
Institute in Wien II abzuhaltenden einjährigen
musikalischen Fortbildungskurs für blinde
Musiker.
Von Musiklehrer Josef Bartosch, Wien.
Das Problem der Blindenversorgung durch Selb.stbetätigung ist ein
.stete.s Sorgenkind der maßgebenden Faktoren. Alle Blindenlehrerkon-
gresse und Fürsorgetage, alle Organisationen der Blinden und Blinden-
freunde beschäftigen sich eingehend mit dieser Frage und in den Erzie-
hungsanstalten für Blinde wird der beruflichen Ausbildung der Zöglinge
besondere Sorgfalt gewidmet.
Unter den den Blinden bisher erschlossenen Berufen wird nun der
eines Musikers oder Klavierstimmers, bezw. der eines Musikers und Klavier-
stimmers seitens der Blinden selbst besonders bevorzugt, hi der Tat
lehrt die Erfahrung, daß der begabte und gediegen ausgebildete blinde
Musiker durch Ausübung dieses Berufes weit eher in der Lage ist, für
seinen Unterhalt selbständig zu sorgen als z. B. der blinde Handwerker.
Diese Tatsache wurde in einer von mir im Jahre 1910 objektiv und
tunlichst genau erhobenen und im Bericht des 18. Blindenlehrerkon-
gresses 1910 veröfrentlichtcn Statistik bewiesen. . Durch diese Statistik
wurde aber auch klar gelegt, daß die seitens der Blinden immer wieder
Seite 1188. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 9. Nummer
erhobenen Forderungen, mehr begabte Zöglinge zu Musikern auszubilden,
tatsächlich gerechtfertigt sind und so trat ich denn in der Zeitschrift
„Der Blindenfreund" (Jahrgang 1912) für eine zeitgemäße Reform des
Musikunterrichtes an Blindenanstalten ein.
Ich vertrete den Standpunkt, daß der blinde Musiker, wenn er im
Wettbewerb mit Sehenden standhalten soll, musikalisch möglichst viel-
seitig gebildet sein muß. Er wird beispielsweise schwerlich durch eine
Entlohnung, die er lediglich als Kirchenorganist bezieht, sein Leben fristen
können. Ist er aber außerdem auch als Musiklehrer (womöglich Klavier.
Violine, Orgel, Laute — schließlich auch Zither) und als Salonpianist
ausgebildet, wird er wohl eher festen Fuß zu fassen vermögen. Es soll
aber auch jeder blinde Musiker Fertigkeit im Klavierstimmen besitzen.
Gelingt es ihm nicht, sich eine Stellung als Musiker zu erringen, so wird
er durch Klavierstinmien sicherlich sein P'ortkommen linden und unter
Umständen kann ja auch eine Bestätigung in allen erworbenen Kennt-
nissen zur Gründung einer Lebensstellung führen.
Da aber nach den gegenwärtigen Lehrplänen der Blindenanstalten
die mu.sikalische Ausbildung der Zöglinge keine solche sein kaim, wie
sie der Berufsmusiker tatsächlich braucht und namentlich eine Vorberei-
tung für die Praxis des Musiklehrer.s Organisten und Salonpianisten
fast gänzlich fehlt, ist der blinde Musiker gezwungen, in seinem Berufe
unfertig die Anstalt zu verlassen und muß sich vieles, das ihm hätte
früher gelehrt werden sollen, nachher aneignen. Aus dem bisher Ge-
sagten ergibt sich, daß die Notwendigkeit einer Ausgestaltung des Musik-
unterrichtes an Blindenanstalten tatsächlich besteht und namentlich die
praktische Ausbildung zum Musiker. Organisten und Salonpianisten.
— die ja erst am Schluß der normalen Ausbildungszeit einsetzen kann.
— vorgesehen werden sollte.
Die idealste Lösung dieses Problems würde wohl die Errichtung
einer höheren Musikunterrichtsanstalt für begabte Blinde sein, deren
Besuch allen zu Musikern auszubildenden Zöglingen der deutschöster-
reichischen Blindenanstalten tunlichst unentgeltlich ermöglicht werden
müßte. Der vorbereitende Musikunterricht während der Bildungszeit in
der Erziehungsanstalt könnte wohl die nötigen Vorkenntnisse zur Auf-
nahme in diese Musikunterrichtsanstalt vermitteln. Durch die Errichtung
einer solchen Schule, die javmindestens 3 Jahrgänge umfassen müßte,
könnte den Blinden vielleicht auch ein neuer musikalischer Beruf
erschlossen werden, der namentlich stimmbegabten blinden Mädchen zu
einer Lebensstellung verhelfen könnte. . Es ist doch eine bekannte Tat-
sache, daß der Blinde durch den Zwang, alle Eindrücke mit dem Ohre
wahrnehmen, schärfer hört als Sehende. Ebenso sicher steht fest, daß
das schärfste Ohr unter allen Musikpädagogen wohl der Stimmbildner
besitzen muß. Man sollte meinen, daß also ein stimmbegabter und ent-
sprechend ausgebildeter Blinder bei Vorhandensein des nötigen Lehr-
talentes wohl ein guter Gesang.spädagoge (Stimnibildner) werden könnte.
Dieser Gedanke scheint mir eines Versuches wert zu sein.
Da jedoch die Errichtung einer höheren Musikschule für Blinde
augenblicklich wohl schwerlich durchgeführt werden könnte, würde sich
vorläufig die Einführung eines einjährigen musikalisch-praktischen Fort-
bildungskurses und die' Berufung erster Fachleute als Lehrer für die zu
9. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Biindenvvesen. Seite 1189.
Musikern ausgebildeten, am Ende ihrer normalen In.stitutsbildungszeil
stehenden Zöglinge empfehlen. Auf alle Fälle müßte aber dieser Kurs
den begabten Musikschülern aller deutschösterreichischen Blindenanstalten,
ebenso bereits im Leben stehenden blinden Musikern auf Grund einer
Aufnahmsprüfung zugänglich gemacht werden.
Über die Art der Lehrgegenstände des Kurses, Zahl der Unter-
richtsstunden, beiläufigen Kosten u. s. w. geben die nachfolgenden Pläne
Aufschluß.
Falls die Behörden dem Gedanken der Abhaltung eines musikalisch-
praktischen Fortbildungskurses für Blinde zustimmen würden, müßte,
da zur Vorbereitung nach allen Richtungen hin, besonders bezüglich der
Personalfrage doch einige Zeit nötig wäre, eine baldige Entscheidung
getroffen werden.
Einrichtung des Fortbildungskurses.
L Zweck.
Der musikalisch-praktische Fortbildungskurs am Blinden-Erziehungs-
Institute in Wien hat den Zweck, junge blinde Musiker, deren normale
ßildungszeit abgelaufen ist, oder auch bereits im Leben stehende Blinde
in praktischer Hinsicht möglichst vielseitig und gründlich auszubilden,
damit sie leichter mit sehenden Musiklehrern, Organisten und Salon-
musikern konkurrieren können und sich eine möglichst gesicherte
Lebensstellung zu schaffen vermögen. Der Kurs ist auf zehn Teilnehmer,
beschränkt, die sich entweder als Interne oder auch als Exteraisten
anmelden können. \
II. Aufnahmsbedingungen.
Zur Aufnahme ist nebst Begabung eine gediegene musikalische
Vorbildung und mit Erfolg absolvierte Schulbildung erforderlich. Von
einer fremden Anstalt kommende Aufnahmswerber haben sich vor dem
Kursleiter einer Aufnahmsprüfung zu unterziehen, bei der als normale
Leistung Fertigkeit im Klavier-, Orgel- und eventuell Violinspiele, sowie
vollständige Kenntnis der allgemeinen Musiklehre und der Braille'schen
Notenschrift verlangt wird. Unter gleichen Bedingungen erhalten Auf-
nahmswerber der eigenen Anstalt den Vorzug.
III. Unterrichtsfächer.*)
1. Spezielle Methodik des Klavier- und Violinunterrichtes bei der Unterweisung
sehender Schüler durch blinde Lehrer.
Lehr ziel: Kenntnis des Tonschriftsystems der Sehenden, Ver-
ständnis für die Unterrichtstechnik bei der Unterweisung sehender
Schüler in Klavier- bezw. Violinspiel, Literaturkenntnis.
Unterrichtszeit für alle Teilnehmer eine Wochenstunde.
2. Katholische Liturgik, Choralgesang und Choralbegleitung.
Lehr ziel: Kenntnis der katholischen Liturgie, insoweit sie den
Chorregentendienst betrifft. Verständnis für das Wesen des gregoriani-
schen Chorals und Kenntnis der wichtigsten Ghoralgesänge und ihrer
Begleitungen. Einführung in die Literatur der katholischen Kirchenmusik.
Unterrichtszeit für alle Teilnehmer eine Wochenstunde.
*) Sollten sich Teilnehmer für Gesangspädagogik melden, müßten iur dieses
Fach zwei eigene Wochenstunden und eine Klavierunterrichtsstunde in den Lehr-
plan aufgenommen werden.
.Seite 1)90. Zeilschrifl für das österreichische Bhndenweien. 9. Nummer.
3. Harmonielehre.
Lehiziel: Kenntnis der Harmonien und der Gesetze ihrer An-
wendiingung. Fertigkeit im Harmonisieren und Modulieren.
Unterrichtszeit für alle Teilnehmer zwei Wochenstunden.
4. Musikalische Fortbildung (Kontrapunkt Formenlehre).
Lehrziel: Kenntnis der Gattungen des Kontrapunktes und der
Formen des polyphonen Satzes. Melodiebildungslehre, Liedform. Die
Formen der klassischen Instrumental- und Vokalmusik.
rnterrichtszeit für alle Teilnehmer zwei Wochenstunden.
5. Geschichte der Musik und Organik.
Lehrziel: Einführung in die Entwicklung der Tonkunst vom
Zeitalter der Griechen bis zur Neuzeit. Verständnis für den Bau und
die Geschichte der Instrumente.
Unterrichtszeit für alle Teilnehmer zwei Wochenstunden.
6. Literaturkunde.
Lehrziel: Einführung in das Wesen der Poetik und in die Formen
der Dichtkunst. . Geschichte der deutschen Literatur.
Unterrichtszeit für alle Teilnehmer eine Wochenstunde.
7. a Orgelbaukunde.
L e h r z i e 1 : Kenntnis der verschiedenen Orgelbausysteme. Geschichte
der Orgel.
Unterrichtszeit für alle Teilnehmer eine Wochenstunde während
eines Semesters.
7 b Hnstandslehre.
Lehrziel: Aneignung guter Umgangsformen.
rnterrichtszeit für alle Teilnehmer eine Wochenstunde.
8. Klavierspiel.
a ) zum weiteren S t u d i u m.
Lehr ziel: Kenntnis aller Tonleitern in Oktaven-. Terzen-. Sexten-,
Dezimen- und Gegenbewegung, in Doppelterzen und Doppelsexten.
Akkorde in kleiner und großer Zerlegung. Tadelloser Vortrag einstu-
dierter Werke schwierigeren Grades.
b) zur Vorbereitung für die Praxis des S a 1 o n p i a n i s t e n. •
Lehrziel: Aneignung einer möglichst großen Auswahl gediegener
Tanzkompositionen, Opernfragmente und Salonstücke.
9. Orgelspiel.
a) zum weiteren Studium.
i> ehrziel: Einführung in die Werke der großen Meister der
klassischen und modernen Zeit. Die Kunst des freien Spiels im Dienste
der Kirchenmusik.
h j z ur V o r b e r e i t u n g f ü r d i e P r a x i s des K i r c h e n o r g a n i s t e n.
Lehrziel: Beherrschung möglichst aller in der Wiener Diözese
gebräuchlichen Kirchenlieder, Anleitung zu deren selbständiger
9. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Biindenwesen. Seite 1191.
Harmonisierung, Aneignung des Chor- und Orgelsatzes kirchenmusikalischer
Werke für den liturgischen Gebrauch.
10. Violinspiel.
Lehr ziel: Kenntnis aller Tonleitern, Akkordzerlegungen über 2,
8, bezw. 4- Oktaven, Tonleitern in Üoppelterzen und anderer technischer
Übungen. Tadelloser Vortrag einstudierter Werke (Etüden und Konzert-
stücke) schwierigen Grades.
Bemerkungen:
Die Unterrichtsstundenzahl der unter 8 und 10 genannten Fächer
(Klavier, Violine) hängt von der Teilnehmerzahl ab. Die Teilnehmer
müssen aus jedem dieser Instrumentalfächer 2 Unterrichtsstunden
wöchentlich erhalten, wobei höchstens 2 Teilnehmer in einer Lehrstunde
vereinigt werden dürfen. Diese beiden sollen technisch möglichst auf
einer Stufe stehen, damit in der gemeinsamen Unterrichtsstunde tun-
lichst der gleiche Stoff behandelt werden könne. Auf diese Art werden
stets beide Schüler beschäftigt, weil der eine abhört während der andere
spielt. Wenn es die Verhältnisse jedoch gestatten, sollte jeder Teil-
nehmer seine eigenen Instrumentalunterrichtsstunden zugewiesen erhalten.
Beim Orgelunterrichte können 3 oder auch 4 Schüler in einer Unter-
richtsstunde vereinigt werden. Der Unterricht wird tunlichst auf Grund
der Punktnotenschrift erteilt. Allen Teilnehmern und zwar sowohl den inter-
nen als auch den externen werden Übungsstunden in genügender Zahl zu-
gewiesen. Außerdem wäre es wünschenswert, wenn die Kursteilnehmer
Gelegenheit hätten, unter Führung des Kursleiters sehende Kinder im
Violin-, bezw. Klavier.spiel zu unterrichten. Für diesen Zweck sollen
zwei sehende Kinder als Übungsschüler gewonnen werden. Den Kurs-
teilnehmern wird Gelegenheit gegeben, gute Konzerte und kirchen-
musikalische Aufführungen zu besuchen.
IV. Zeugnisse.
Am Schlüsse des Kurses erhalten jene Teilnehmer, die einen be-
friedigenden Lehrerfolg aufzuweisen vermögen, ein seitens der Instituts-
direktion und der Kursleitung ausgestelltes Frequentationszeugnis.
V. Gebühren.
Bemittelte Teilnehmer zahlen für Unterricht, Lehrmittel- tnid In-
strumentalbenützung, Verpflegung und W^ohnung im Internate einen
seitens der Institutsdirektion festzusetzenden Betrag. Diese Gebühr ist
stets mindestens für einen Monat im vorhinein zu erlegen und wird
unter keiner Bedindung rücker.stattet. Für unbemittelte Teilnehmer der
eigenen Anstalt ist der Kurs unentgeltlich.
Bemerkung: Wir veröffentlichen vorstehenden Entwurf, der die Ausge-
staltung, der eine gediegene musikalische Ausbildung unserer Blinden zum Ziele
hat, in der Hoffnung, daii seine Verwirklichung der beste Übergang zu der so not-
wendige »Studienanstalt« wäre, deren Lehrplan ja als Hauptteil die musikalische
Ausbildung zu umfassen hätte.
Seite 1192. Zeitschrift das für österreichische Blindenvvesen. 9. Nummer.
Die Blinden Deutschösterreichs
nach Geschlecht, Riter, Bildungsgrad, Beruf usw.
(Erhebungen der Yolkszähluna des Jahres 1910.)
Die Ergebnisse der Volkszählung im Jahre 1910 hinsichtlich der
Blinden ganz Österreichs haben wir bereits im 1. Jahrgange unserer
,.Zeitschrift" (1914) veröffentlicht. Es sei daraus die Gesamtzahl der
Blinden in den Ländern des heutigen Deutschösterreich wiederholt,
die durch den Ab- und Zugang an Landgebieten in der Summe wohl
keine große Änderung erfahren dürfte.
Blinde
Niederösterreich 1.240
Oberösterreich 284
Salzburg . 104
Steiermark 604
Kärnten 132
Tirol 362
Vorarlberg 47
Deutschösterreich 2.773 2.386 5.359 70
Die folgende Übersicht gewährt Einblick in Geschlechtsverhältnis,
Altersgliederung. Betätigung. Umgangssprache und Religion der Blinden.
Geschlecht. Deutschöste-rreich weist einen geringen Überschuß
der männlichen gegenüber den weiblichen auf. In Tirol, Vorarlberg,
Steiermark und Salzburg tritt dieses Übergewicht deutlich hervor. Die
Disposition zur Erblindung bei den Geschlechtern ist verschieden, be-
steht beim männlichen Geschlechte mehr als beim weiblichen.
Alter. Die Verteilung der Blinden auf die verschiedenen Alters-
stufen war folgende:
eibl.
zusammen
auf 100.000
Einwohner
284
2.524
71.5
280
564
66
74
178
83
493
1.097
76
154
286
72-5
266
628
66
35
82
56
männl.
weibl.
zusammen
Bis zu 5
Jahren
71
72
143
6.— 13.
Jahr
195
168
363
14.— 19.
152
132
284
20.— 29.
V
272
178
450
30.— 39.
292
196
'488
40.— 49.
5!
341
242
583 '
50.— 59.
?•
373
326
699
60.— 69.
55
445
4-86
931
70.— 79.
5'
i85
553
1.038
80.-89.
5'
227
318
545
über 89.
2i
30
54
Die Zahlen sind entnommen der Abhandlung von Dr. V. Geh r mann: Die
Blinden und Taubstummen in Österreich am Ende des Jahres 1910. (Stat.
Monatsschrift, 3. Folge, 1. Jahrgang Heft 1 — 4, Wien 1919, Staatsdruckerei.)
Q. Nummer. Zeilschrift für da.-s österreichische lilindenwesen. Seite 1193.
In den niederen Altersstufen überwiegt die Zahl der männlichen,
in den höheren die Zahl der weiblichen Blinden. Die weiblichen
Blinden weisen also eine größere Lebensdauer als die männlichen auf.
Die große Zahl der Blinden in den Jahren von 50 bis 80 ist auf die
Altersblindheit zurückzuführen, die bei Weibern viel häufiger als bei
Männern auftritt. Deutschösterreich beherbergt verhältnismäßig einen
sehr hohen Teil der blinden Kinder bis zum 6. Lebensjahre (33-4 o/^),
ferner sehr viele Blinde vom 60. bis 69. Lebensjahr (29-5 %) und noch
ältere (31-2 »/o)-
Im Kindergarten- und Schulbildungsalter (4. — 14. Lebensjahr)
standen 476 (255 m. und 221 w.) im Berufsbildungsalter (15. — 19.
Lebensjahr) 225 (121 m. und 104 w.), im Alter der Berufsmöglichkeit
(20. — ^54. Lebensjahr) 1.841 (1.082 m. und 759 w.), im Versorgungsalter
(über 54 Jahre) 2.947 (1.377 m. und 1570 w.)
Die Zählung ergab 701 erziehungs bedürft ige Blinde,
voji denen 54-9 % Erziehung und Unterricht auch wirklich
genossen. Im Alter der Berufsmöglichkeit standen 1.841
Blinde, die zum größten Teil keiner Fürsorge teilhaftig
werden. Das traurigste Kapitel ist jedoch die Altersver-
sorgung, da nur ein sehr geringer Teil einer Anstalts pflege
teilhaftig wird.
Bildungsgrad. Die Grundlagen jeglicher Bildung, nämlich die
Kenntnis des Lesens und Schreibens, sind bei den Blinden der einzelnen
Länder sehr verschieden verbreitet. Wir finden überall mehr
Blinde, denen die Kenntnis des Schreibens und Lesens
m a ri g e 1 1 (60'6 "/o) alssolche, die über diese Elementarbildung
verfügen. (39'4 ^/o)- Nur Wien macht eine Ausnahme, allerdings nur
für das männliche, nicht aber auch für das weibliche Geschlecht.
Blinde, die nur lesen aber nicht schreiben können, sind selten. Ent-
weder sie können lesen und schreiben oder sie sind Analphabeten.
Berufstätigkeit. Nach der Berufstätigkeit wurden die Blinden
in vier Klassen gezählt und zwar A — Land- und Forstwirtschaft, B
— Industrie und Gewerbe, G — Handel und Verkehr, D — öffentliche
Dienste, freie Berufe u. a. Hiebei kann wohl kein greifbarer Rück-
schluß auf die Berufstätigkeit der Blinden gemacht werden, da die vielen
Spätererblindeten jenen Beruf angaben, den sie vor ihrer Erblindung
ausabten.
Nach den Ergebnissen wären die meisten Blinden in der Gruppe
D zu finden, dann würde mit ungefähr derselben Zahl die Gruppen B
und A folgen. Die kleinste Zahl der Blinden weist die Gruppe G auf.
Natürlich verschieben sich die Zahlen inbezug auf Land und Stadt. So
weist Wien in A nur 6 (4 m. und 2 w.), in B 370 (217 m. und 153 w.)
in G 218 (88 m. und 130 w.), in D sogar 1.058 (476 m. und 582 w.)
auf. Wer die tatsächlichen Verhältnisse kennt, findet diese Zahlen weit
übertrieben. Die Erklärung ergibt sich nur daraus, daß die Blinden bei
der Zählung nicht gerne beruflos erscheinen wollten und in den obigen
Zahlen auch Blinde ohne eigenen Hauptberuf eingeschlossen sind.
Die Blinden der Berufsklasse A sind annähernd zur Hälfte erwerbs-
tätig, zur anderen Hälfte werden sie erhalten. In Gruppe B überwiegen
Seite 1194. Zeitschrift für das österreichibche BlindenwcLen. 9 Nummer.
die Erwerbstätigen die Erhaltenen, ebenso in Gruppe C und D. Von
den berufstätigen Blinden war die Mehrzahl, nahezu 3/^, männlich. Be-
sonders stark vertreten sind die Männer in Industrie und Gewerbe, am
schwächsten in Gruppe D. Die Blinden weiblichen Geschlechtes waren
zur weitaus größeren Hälfte berufslose Selbständige (Gruppe D).
Gebürtigkeit. Die meisten Blinden sind im Inlande geboren,
Die Zahl der im Auslande geborenen Blinden ist sehr gering, wobei
das weibliche Geschlecht überwiegt. Eine verhältnismäßig große An-
ziehungskraft für blinde In- und Ausländer als Ziel ihrer Wanderung
übt Wien aus, während ansonsten die Wanderbewegung keine nennens-
werte ist. In Wien lebten 1.462 blinde Inländer und 190 Ausländer, in
ganz Deutschösterreich (mit Wien) 5.286 Inländer und 292 Ausländer.
Umgangssprache. Wien wies fast nur deutsch.sprechende Blinde
auf und zwar 1.473 gegenüber 48 tschecho-slowakischen, 4 polnischen
1 slovenischen, 1 italienischen und 125 staatsfremden Blinden auf. In
Deutschösterreich (mit Wien) fanden sich 4.601 Deutsche, 71 Tschecho-
Slowaken, 4 Polen^ 406 Slowenen. 803 Italiener und 193 Staatsfremde.
(Tschecho-slowakische, slowenische und italienische Blinde dürfen in
der Gegenwart Deutschösterreich wohl nicht mehr zugezählt werden.)
Religionsbekenntnis. Entsprechend der Zugehörigkeit aller
Einwohner zu den einzelnen Bekenntnissen ist die überwiegende Mehr-
heit der Blinden römisch-katholisch und zwar 5.254 in Deutschösterreich,
davon in Wien 1.384. Evangelisch sind in Deutschösterreich 77, davon
in Wien 32. Verhältnismäßig groß ist die Zahl der jüdischen Blinden
in Wien 233. (Sonst in Deutschösterreich nur noch 6.) Dies mag seine
Ursache darin haben, daß sich einerseits in Wien ein israelitisches
Blindeninstitut befindet, andererseits hauptsächlich Juden aus dem Osten
nach Wien kommen, um hier wegen Augenleiden Behandlung zu finden.
Andere Bekenntnisse kommen nur in verschwindenden Zahlen vor.
Haushaltungs zu gehörigkeit und Stellung im Haus-
halte. Die meisten Blinden leben in ihrer Familie; nur ein sehr
kleiner Teil lebt im Haushalte einer fremden Familie. Bei der städti-
schen Bevölkerung kommt es noch eher zur Emanzipation eines
Familienmitgliedes, zum Anschlüsse an eine fremde Familie. Es gibt
1.411 blinde Haushalt^ngsvorstände, davon naturgemäß die meisten
männlichen Geschlechtes, 774 Kinder und 1.664 sonstige Familienange-
hörige, In Erziehungs- und Unterrichtsanstalten befanden sich 294, in
Spitälern, Heil- und Findelanstalten 119, in Armen-, Siechen-, und Ver-
sorgungshäusern 555, in sonstigen Anstalten 81 Blinde, zusammen also
1.049 Anstaltsinsassen. Wien, in welcher Stadt sich die meisten Blinden
im 13. Bezirk (224), im 2. Bezirk (145), im 8. Bezirk (114) und im 16.
Bezirk (109) aufhalten, lebten 461 anwesende Haushaltungsvorstände,
139 Ehegattinnen, 217 Kinder, 266 sonstige Familienangehörige, 6 Pflege-
kinder, 6 Dienstboten, 7 vom landwirtschaftlichen und gewerblichen
Gesinde, 167 Aftermieter, deren Familienmitglieder und Bettgeher, 24
sonstige, an der Haushaltung teilnehmende Personen, insgesamt 1.293
blinde Haushaltungsmitglieder. In den Wiener Erziehungs- und Unter-
richtsanstalten waren 82 untergebracht, in Spitälern, Heil- und Findel-
anstalten 32, in Armen-, Siechen- und Versorgungshäusern 205, in son-
stigen Anstalten 40, zusammen 359 erziehungs- und versorgungsbedürf-
lige BHnde.
9. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1195.
Die Geschäftsordnung für die ständige Blindenfürsorgekommssion
im D.-ö. Staatsamte für soziale Verwaltung.
§ 1-
(1) Im Interesse einer grundsätzlich übereinstimmenden und allen
Bedürfnissen entsprechenden Behandlung der Blindenfürsorge sowie zur
raschen Herstellung des Einvernehmens mit den beteiligten Staatsämtern
und den Landesregierungen wird im D.-ö. Staatsamte für soziale Ver-
waltung eine ständige Blindenfürsorgekommission unter Mitwirkung der
Vertreter der Blinden gebildet.
(2) Der gutachtlichen Beratung dieser Kommission sollten nament-
lich unterliegen:
a) alle Angelegenheiten, die grundsätzliche Fragen der Blinden
betreffen.
b) Angelegenheiten der Gesetzgebung auf dem Gebiete der
Blindenfürsorge.
§ 2.
Die Komndssion ist in folgender Weise zusammengesetzt:
^ 1. Den Vorsitz in der Kommission führt der Staatssekretär für
k- soziale Verwaltung oder in seiner Vertretung der Leiter oder ein anderer
Beamter der zuständigen Sektion im D.-ö. Staatsamte für soziale Ver-
waltung.
2. Das D.-ö. Staatsamt für soziale Verwaltung ist außer dem Vor-
sitzenden durch einen weiteren Beamten vertreten.
3. Soweit am Verhandlungsgegenstande andere Staatsämter beteiligt
sind, entsenden auch diese Vertreter.
4. Das Staatsamt für soziale Verwaltung bestellt als ständiges
Kommissionsmitglied mit beschließender Stimme einen Fachmann für
das Blindenschrift- und Bibliothekswesen nebst einem Ersatzmanne aus
dem Kreise der Blinden. Im Falle eines notwendigen Wechsels einer
dieser beiden Personen erfolgt die Einberufung des Nachfolgers nach
Anhörung der ständigen Blindenfürsorgekommission.
5. Ferner gehören der Kommission nach Maßgabe der folgenden
Bestimmungen Vertreter an: /
a) der Blindenbildungsanstalten.
b) der organisierten Arbeitsstätten für Blinde.
c) der Versorgungsanstalten und Heime.
d) des Zentralvereines für das D.-ö. Blindenwesen.
e) und jener vom Staatsamte für soziale Verwaltung zu be-
stimmenden Vereine, in welchen Blinde auf Grundlage der
Selbsthilfe zusammengeschlossen sind.
Im Zweifel über die Zulassung schon bestehender oder
neu zu gründender Einrichtungen und Organisationen der sub
lit. a) bis e) bezeichneten Art zur Vertretung in der Kommis-
sion entscheidet das Staatsamt für soziale Verwaltung nach
Anhörung der ständigen Blindenfürsorgekommission.
Seite 1196. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 9. Nummer.
Die Vertretung aller dieser sub lit. a) bis e) genannten
Stellen erfolgt durch Entsendung ständiger Vertreter und
Ersatzmänner, welche so lange als bevollmächtigt gelten, als
nicht von Seite der beteiligten Faktoren eine Abberufung
unter Namhaftmachung von neuen Vertretern (Ersatzmännern)
verfügt wird.
Anstalten, welche sowohl der Versorgung als auch dem
Unterricht unter einheitlicher Leitung dienen, können in der
Kommission nur eine einfache Vertretung (Vertreter, Ersatz-
mann) erhalten.
6. Sonstige Fachleute können mit beratender Stimme beigezogen
und insbesondere auch von den im Punkt 5 genannten Fürsorgeein-
richtungen und Korporationen dem D.-ö. Staatsamte für soziale Ver-
waltung behufs Zuziehung zu den Verhandlungen fallweise oder auch
listenweise in Vorschlag gebracht werden.
§ 3.
(1) Die Einladung zu einer Sitzung soll sämtlichen beteiligten
Stellen rechtzeitig zukommen. Bei besonders wichtigen, insbesondere
bei legislativen Gegenständen sollen die Einladungen wenigstens 8 Tage
vor der Sitzung den Kommissionsmitgliedern zugehen.
(2) Der P^inladung sind die Anträge des Berichterstatters samt
allfälljger Begründung anzuschließen.
§ 4-.
In der Einladung zur Sitzung ist anzugeben, an welchen Tagen,
zu welchen Stunden und an welchem Orte die Akten der Beratungs-
gegenstände eingesehen werden können.
(1) Das Referat in der Sitzung führt der Vertreter des Staatsamtes,
in dessen Wirkungskreis die Angelegenheit fällt.
(2) BetritTt das Referat einen seitens der organisierten Blinden
gestellten Antrag, so kann von einem ihrer Vertrauensmänner ein Kor-
referat erstattet werden.
§ 6. • ■
(1) In der Sitzung hat jedes Mitglied eine Stinnne. •
(2) Die Kommission ist beschlußfähig, wenn minde.stens die Hälfte
der geladenen Mitglieder vertreten ist, doch können auswärtige Kom-
missionsmitglieder, welche aus triftigen Gründen am persönlichen Er-
scheinen verhindert sind, mit ihrer Vertretung oder auch der Stimm-
abgabe fallweise ein anderes Kommissionsmitglied betrauen.
(3) Die Beschlüsse der Kommission werden mit einfacher Stimmen-
mehrheit gefaßt. Kommt ein einhelliger Beschluß nicht zustande, so
steht es jedem überstimmten Kommissionsmitglied frei, gegen den ge-
faßten Beschluß mit der Wirkung Einsprache zu erheben, daß dieser
Einspruch in einem Beisatze zum Beschlüsse zum Ausdrucke gebracht
werde.
9. Nummer. Zeitschrilt für das österreichische Blindenwesen. Seite 1197.
§ 7.
Wenn eine Stelle ungeachtet gehöriger Einladung ohne Angabe
von Gründen unvertreten bleibt und nicht vor der Sitzung schriftlich
eine Einwendung erhoben hat, so gilt dies als Erklärung, daß diese
Stelle sich an den auf der Tagesordnung stehenden Angelegenheiten
nicht für beteiligt erachtet.
(1) Die Vertreter der Staatsämter sind bevollmächtigt, in deren
Namen endgültige Erklärungen über die Verhandlungsgegenstände ab-
zugeben. Die Abstimmung über Anträge, die nicht rechtzeitig (§ 3) vor
der Sitzung bekanntgegeben worden sind, ist jedoch auf Verlangen des
Vertreters eines beteiligten Staatsamtes bis zur nächsten Sitzung zu
zu verschieben. Das Gleiche gilt, wenn in der Sitzung selbst wesent-
liche Abänderungen beantragt oder neue Anträge gestellt werden, die
nicht in den schriftlich bekanntgegebenen Anträgen enthalten sind.
(2) Aus wichtigen Gründen kann auch bei rechtzeitiger Mitteilung
der Anträge auf Antrag eines Vertreters die Absetzung des Gegenstandes
von der Tagesordnung oder die Vertagung der Abst'mmung auf die
näch.ste Sitzung beschlossen werden.
§ 9.
(1) Über die Sitzung ist ein Protokoll zu führen, das sämtliche
Beschlüsse im Wortlaut und, wenn es zu einer förmlichen Abstimmung
kommt, auch die Abstimmung der einzelnen Kommissionsmitglieder
sowie die Darstellung des wesentlichen Verhandlung.sverlaufes zu ent-
halten hat.
(2) Das Protokoll oder eine Abschrift desselben wird sämtlichen
Stellen zur Einsicht offen gehalten.
§ 10.
Die Verwertung der Beschlüsse obliegt dem Staatsamte, in dessen
Wirkungskreis der Gegenstand fällt.
§ 11.
(1) Der ständigen Blindenfürsorgekommission bleibt es vorbehalten,
zur Vorbereitung oder Verhandlung der einer Beratung im engeren
Kreise bedürfenden Verhandlungsgegenstände ständig oder fallweise
Ausschüsse einzusetzen, in denen außer wenigstens einem Vertreter der
zuständigen Sektion des Staatsamtes für soziale Verwaltung und einer
entsprechenden Anzahl von Blindenvertretern nur die beteiligten Staats-
ämter vertreten sind.
(2) Solchen Ausschüssen können Angelegenheiten, die den Wir-
kungskreis bloß einiger Staatsämter berühren, zur Erledigung überwiesen
werden, über welche erforderlichenfalls an die ständige Blindenfürsorge-
kommission zu berichten ist.
(3) Im übrigen gelten für die Ausschüsse sinngemäß die Bestim-
mungen dieser Geschäftsordnung.
Der Staatssekretär für soziale Verwaltung:
Hanusch m. p.
Seite il98- Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 9. Nummer.
Personalnachrichten.
— Auszeichnung. Dem Lehrer der n. ö. Landes=Blindenanstalt Georg
Posch, Oberleutnant i. d. Res. wurde das Signum laudis mit den Schwertern für
tapfere und erfolgreiche Dienstleistung vor dem Feinde verliehen.
— Die Lehrer K. Nemec, F. Bodo und A. Kaiser verlassen mit Beginn
des Schuljahres 1919/20 die n. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf, der sie
während des abgelaufenen Schuljahres aushilfsweise zugeteilt waren.
Aus den Anstalten.
— N. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf. Jahresbericht.
Der n. ö. Landesverwaltung gebührt als Erhalter der Anstalt das Verdienst, den
Bestand der Anstalt auch im abgelaufenen Schuljahr 1918/19 gesichert und nichts
verabsäumt zu haben, um deren Weiterbetrieb zu ermöglichen. Die Erhaltungs-
kosten sind namentlich in letzter Zeit ins Ungemessene gestiegen und immer wieder
machen sich Forderungen, namentlich inbezug auf Verpflegung und Besoldungs-
verhältnisse der Bediensteten geltend. Bei dem Wohlwollen, welches die Landes-
verwaltung stets der Erziehung und dem Unterrichte der blinden Kinder entgegen-
brachte, ist auch in der Zukunft die Hoffnung auf eine glückliche Lösung aller noch
auftauchenden Fragen gerechtteitigt.
Während des Schuljahres 1918/19 hatte die Anstalt einen Höchststand von
99 Zöglingen. Der Unterricht nahm bis auf eine 14 tägige Unterbrechung durch die
Grippe einen ungestörten Verlauf. Inbezug auf die Ernährung der Zöglinge gestal-
teten sich die Wintermonate sehr kritisch. Eine wesentliche Besserung trat erst
IVIitte Juni 1919 ein, da es zu diesem Zeitpunkte möglich wurde, sämtlichen Zög-
lingen ein reichliches und gutes Mittagessen durch das »Amerikanische Kinde r-
hilfswerk« zu erwirken.
Außerdem wurden in der Anstaltsküche 200 Ortskinder mit den Mitteln
dieser Mission ausgespeist. Während der Sommerferien beherbergte die Anstalt eine
Ferienkolonie sehender Kinder.
Der Bericht enthält in der Einleitung einen Artikel »Die Anstalt während des
Weltkrieges«, welcher die mustergültige Leitung dieses Blindenfürsorgewerkes
ersehen läßt.
— Wohltätigkeitsveranstaltung. Zugunsten der Blindenfürsorge ver-
anstaltete Schriftsteller F. Brigg-Brod trager am 3. August I. J. eine Vorlesung
eigener und fremder Dichtungen, bei welcher den musikalischen Teil Frl. Mizzi
Büllik (Violine), Frl. Helene Andreß (Gesang) und Opernsänger A. Weltner
(Gesang) in liebenswürdigster Weise und mit großem Erfolge besorgten.
— Asyl für blinde Kinder in Wien XVII. Auch im Jahre 1918 konnte
trotz der sich immer höher auftürmenden Schwierigkeiten das Asyl seine Pforten
für die armen blinden Kinder (23 an der Zahl) offen halten und ihnen in den Stürmen
der Zeit eine gesicherte und ruhevolle Heimstätte bieten. Die Fortführung des
Betriebes war aber nicht nur mit einer andauernden und kaum mehr erträglichen
Steigerung der Erhaltungskosten verbunden, sondern stellte an die Leitung des Asyls
wie an die Pflegepersonen desselben die höchsten Anforderungen.
Die schwierige Lage, in welche sich der »Verein der Kinder- und Jugend-
freunde« durch die Ungunst der Zeitverhältnisse versetzt sieht, läßt die Bitte an alle
Wohltäter und Menschenfreunde doppelt berechtigt erscheinen, durch Zuwendung
von Spenden und Legaten, die Fortführung des »Asyls für blinde Kinder« auch
in der Zukunft zu sichern.
Die Vereinsleitung betrauerte im Berichtsjahre den Hingang des langjährigen
Obmannes, Buchdruckereibesitzers Rudolf Spies. Als erfreuliches Ereignis ist die
glückliche Wiederkehr unseres ärztlichen Vereinskonsulenten Dr. Hugo Gerber
aus mehrjähriger russischer Kriegsgefangenschaft zu vei zeichnen. Die finanzielle
Gebarung des Jahres 1918 schließt mit einem Mehrbedarfe von K 17.263 zu dessen
Deckung der Stammfonds herangezogen werden mußte.
Herausgeber: Zeatralvereia für das österreichische Blindenwesen in Wien. RedaktionsUomitee: K. Biirklen,
J. Kneis, A. . HorTath, F. Uhl. — Dnick Ton Adolf Englisch, Purkersdorf hei Wien.
flus den Vereinen.
— Hl in den fürsorgeverein für Tirol und Vorarlberg. Die dermaligen
Verhältnisse haben den Ausschuß veranlaßt, die künftige Einrichtung des Institutes
in eingehende Ei wägung zu ziehen. Zunächst scheint der Fortbestand einer
Institutsschule mit drei aufsteigenden Klassen bei der nunmehr verringerten Zahl
der Zöglinge nicht mehr notwendig und bei den beschränkten Mitteln des Vereines
wäre~n die Auslagen für* eine derartige Schuleinrichtung nicht mehr gerechtfertigt.
Vom Schuljahr ] 91 9/20 ab wird deshalb eine zweiklassige Schule mit den hierfür
notwendigen Lehrpersonale eingerichtet ; der Bestand einer solchen Schule ist mit
den bisherigen Einkünften vollkommen gesichert. Ebenso ist der Fortbestand der
Werkstätte für Bürstenbinden und Sesselflechten gesichert, der Betrieb bleibt, so-
weit ausreichendes Rohmaterial erhältlich ist, aufrecht. Die Leitung der Schule
wird nach § 10 der Satzungen als unentgeltliches Ehrenamt besorgt. Dem abtreten-
den Direktor der Schule Vinatzer hat die Vereinsleitung für die in der Blinden-
fürsorge durch volle 12 Jahre geleisteten vorzüglichen Dienste den wärmsten Dank
ausgesprochen. Wenn sich die Notwendigkeit ergibt und entsprechende Mittel
zufließen, wird der Verein über Ausschußbeschluß seine Fürsorge nach § 10 der
Satzungen auch auf blinde Kinder im vorschulpflichtigen Alter, auf Zöglinge, die der
Schulpflicht entwachsen sind und Kriegsblinde ausdehnen.
Für unsere Kriegsblinden.
— Über hundert Kriegsblinde in eigenen Heimstätten. Bei de"
Generalversammlung des Vereines »Kriegsblindenheimstätte« erklärte de-
Präsident H. Grimm, daß wohl seit Errichtung der neuen Republik nur meh-
Deutschösterreicher in Versorgung genommen würden, daß aber deswegen doch
auch die schon eingegangenen Verpflichtungen gegenüber Schützlingen anderer
Nationalitäten eingehalten werden müßten. Im Jahre 1918 liefen an Beiträgen und
Spenden 840.000 K ein, so daß das Sammelergebnis am Ende des Berichtsjahres
die Höhe von 4.282,000 K. erreicht hat. Im dritten Vereinsjahre wurden für
weitere 46 Kriegsblinde Heimstätten in ihrer Heimat käuflich erworben, so daß bis
Ende 19l8 insgesamt 109 Kriegsblinde in eigenen Heimstätten angesiedelt wurden.
Den übrigen Kriegsblinden, für welche eine Erwerbung von Heimstätten vorläufig
aus verschiedenen Gründen nicht durchführbar war, wurden die zum künftigen Er-
werbe von Heimstätten bestimmten Geldbeträge zuerkannt und bereitgestellt und
ihnen der Zinsengenuß dieser Kapitalsrücklagen als Wohnungsbeitrag zugebilligt.
Auf diese Art wurde insgesamt bis Ende 1918 für 419 Kriegsblinde vorgesorgt. Die
Gesamtausgaben für den Erwerb von Heimstätten uud für die Darlehensgewährung
zur Erweiterung oder Entschuldung eigener Anwesen der Kriegsblinden erreichten
bis Ende 1918 den Betrag von 1,075.000 K. Für späteren Heimstättenerwerb wurden
insgesamt 3,538.000 K bereitgestellt. Für beide Zwecke wurden rund 500.000 K
durch Beiträge anderer Füi sorgestellen aufgebracht, davon 459.000 K durch die
Landeskommission für Kriegsbeschädigte in Prag. Für 4,100.000 K hat der Verein
aufzukommen. Die Kapitalsrückstellungen finden zum größten Teil ihre Deckung
in dem Besitze des Vereines an österreichischer Kriegsanleihe. Die Flüssigmachung
■der den Kriegsblinden zugesicherten Beträge hängt daher wesentlich von dem
weiteren Schicksal der Kriegsanleihe ab.
— Kriegsblindenstiftung. Das »Beiblatt zum Verordnungsblatt für
das Heer« schreibt folgende Stiftung aus: 6 Plätze der von Generalmajor Kletus
Pich 1er angeregten Stiftung der Quartiermeisterabteilung des ehemaligen I. Armee-
kommandos (250 K) für im Kriegsdienst erblindete Gagisten und Mannschafts-
personen.
Mitteilung.
— Zentralverein für das österreichische Blinden wesen. Die p. t.
Ausschußmitglieder werden zu der am Freitag, den 19. September I. J. in der Ver-
sorgungs- und Beschäftigungsanstalt für erwachsene Blinde in Wien VIII, Josef-
städterstraße 80 stattfindenden Ausschußsitzung höflichst eingeladen. Tages-
ordnung: Mitteilungen. Kassabericht. Blindenfürsorgekommission. Seminar für ijeil-
pädagogik. Generalversammlung. Verschiedenes.
Die GERDA -SCHREIBMASCHINI
für Kriegsbeschädigte und Blinde
gestattet dem Sehenden wie dem Blinden, insbesondere aber vor beidei
den Einarmigigen ihre kleine Korrespondenz leicht und schnell zi
erledigen. Dieses einfachsten Hilfsmittels sollte sich jeder bedienen.
Man verlange Prospekt von M. Butze, Riesa a. d. Elbe., Bismarkstraße 15 aJ
„ASYL FÜR BLINDE KINDER"'
Wien, XVII., Hernalser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpflichtigen Alter aus allen österreichi-
schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
Die „Zentralbibliotheh fp Blinde in Östepreicli",
Wien XVIII, Währinger GUrtel 136,
verleiht ihre Bücher kostenlos an alle Blinden.
Blinden-Unterstützungsverein
„DIE PURKERSDORFER"
\A^ien V., Nikolsdorfergasse 42.
Zweck des Vereines: Uiiterslützuiii; Minder Mit-
glieder. Arbeitsvermittlung tiir Blinde. Erhaltung
der Musikalien-Leihbibliothek. Telephon 10.071.
Der blinde Modelleur ■
Littau in Mähren,
empH«hlt seine zu Geschenken sich
: vorzüf^lich eignenden kerarhischen :
Handarbeiten. Nähere Auskunft brieflich.
ProduhtiugenossBnsctioft für Ijünde
Bürstenbinder und Korbflechter.
G. in. b. H.
Wien VIII., Floriani^asse Np. 41.
Telephon Nr. 23407.
Alle Gattungen Bürstenbinder- u. Korbllecliterwaren,
Verkaufsstelle: Wien VII., Neubau^Sasse 75.
Musilifliien - Leiiiinstitut
des BUnden-Unlerstützungsveieines
»Die Purkersdorfer« in Wien V.,
: — : Nikolsdorfergasse Nr. 42. : — :
(S
ßlindendruckiioteii werden an j^|
Blinde unentj^eltlich verliehen I l^J
II
von Oskar Picht.
Bromherg.
W. Kraus, Berlin N 54
(Gegründet 1878.)
Borsten-, Rohmaterialien- und Wericzeug-Fabriic
===^=== Bürstenhölzerfabrik. ===
n
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Faserstoff-Zurichterei Bergedorf
Bergedorf bei f^amburg.
Mustergültio^e Bearbeitung' von F" i b e r und Piassava
aller Arten.
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Organ des „Zentralvereines für das österreichische Blinden-
— wesen" für die gesannten Bestrebungen der Blinden. —
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S ch r i f 1 1 e i t u n g
Purkersdorf
bei Wien.
Österreichisches
Postsparkassen-
konto Nr.132.257
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Das Blatt erscheint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
Bezugspreis
ganzjährig mit
Postzustellung
6 Kronen,
Einzelnummer
50 Heller.
6. Jahrgang.
Wien, Oktober 1919.
10. Nummer.
INHRLT: Der Blinde in der Kinodarstellung. Provozierte flufmerksamkeitsmimik
bei Blinden. Das „Seminar für Heilpädagogik" an der n. ö. Landes-Lehrer-
akademie. Das Blindenerholungsheim in Binz. Der blinde Sänger. Per-
sonalnachichten. Aus den Anstalten. Aus den Vereinen, Verschiedenes.
Büdierschau. RItes und Neues. (Ankündigungen.)
3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
g Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 3 K, Zeitungsbeitrag 3 K. g'
dIw — w
D
ftites ^und Neues.
N : 'uhuivl
Wolfgang Schmelzl: Ein schöne kurze, vnd Christliche Comedj,
von dem plintgeboren Sonn.
Von Taubstuminenlehrer Fritz Bodo, Wien. *
Wolf Schmelzl, der vielfach der Wiener Hans Sachs genannt
wird, war um die Mitte des 16. Jahrhunderts im Schottenkloster zu Wien
als Schulmeister angestellt. Die Schüler des Stiftes pflegten dazumal
an bestimmten Tagen des Jahres Dramen aufzuführen. Für diese Auf^
führungen lieferte Schmelzl Dramen, und. zwar brachte er als Neuerung
biblische Dramen in deutscher Sprache. Unter diesen Schuldramen
findet sich auch, 1543 verfaßt, »eine schöne kurze, vnd Christliche
Comedj, von dem plintgeboren Sonn. Joan. 9. allen Christen nutzlich
zu lesen.*)«
Hier in Kürze der Inhalt mit Textproben.
Der Blinde, der das »Getrappel« der vorübergehenden Leute hört,
erhält auf seine Frage vom Führer die Antwort, Christus ziehe rnit
seinen Jüngern vorüber. Der Blinde ruft Jesus an. Der Heiland beant-
wortet die Frage der Jünger: »Alsdann spirzelt er auf die erdt, macht
ein Kot, damit bestreicht er die Augen des plinten : Ge zum Silve
vnd wasche dich. Wirst sehen vnd bekennen mich".
Während der Blinde zum Teiche geht, warnt ihn der Führer »do
is der teich, schau fall nit drein, Der dir sol hayln die Augen dein«.
Nun bringt ein Monolog die Freude des Geheilten zum Ausdrucke :
Hilff mir mein Got ich musz verzagen
Vnnd sterbe vor grossen freude jetzt
Weil, mir die Sunn in daugen plitzt
Pie ich vor hab nie gsehn so pur
Den hymel vnd ander creatur
Die Stern am hymel vnd Element
Die gebn der Welt an manchem endt
Drob ich mich wundern musz zu todt
Mein Herr wie bist so ein gwaltiger Gott
Das zeugn all Hier laub vnd grasz
Dein gschöpff vnd anders alles das
Das in der weit sein wonung hat
Ich sag dir Dank mein Herr vnd ^ott
Das ichs vor meinem endt. sol sehen
Dein lob ich ewig wil vergehen.
Von den darauffolgenden dramatischen Szenen der Bibel hat
Schmelzl nur die Pharisäerszenen verwendet und der Schluß hält sich
getreu an den Bibeltext.
*) Exemplare in der Wiener Hofbibliothek und der Bibliothek des Schotten-
stiftes.
6. Jahrgang,
Wien, Oktober 1919.
10. Nunnmer.
^ »Er sieht mich nicht, so brauche %
^ auch ich ihn nicht zu sehen,« spricht
Ä^ der Eigennutz gegenüber dem Blinden.
^ (E. M. Bud.)
^"^^^^^^^^^M^m'^m^^^^mw^^M&^^^^^^^^w^^^
Der Blinde in der Kinodarstellung.
Welche hochfliegenden und idealen Erwartungen wurden nicht an
die Einführung der Lichtspiele für die allgemeine Volksbildung bei Groß
und Klein geknüpft! Die Zauberwelt, dieser modernsten aller Erfindungen,
sollte dem Unterrichte und der Erziehung der Massen dienstbar, das
Kino zu einer Bildungsstätte der Massen gemacht werden.'' Überschwäng-
lich sahen Theater, Literatur und Musik sich von Film und Sprechmaschine
übertrumpft und wenigstens ein Teil des Schulunterrichts schien durch diese
Ersatzmittel entbehrlich geworden. In den dunklen Räumen der Licht-
spieltheater schien sollte das Volk Unterhaltung und Belehrung, Genuß und
Bildung finden, alles in der bequemsten Weise und für wenige Heller!
Wie ist doch auch dies anders gekommen! In welchem Kino
finden wir heute Erhebung oder Belehrung? Wo finden wir auch nur
(nnen halbwegs annehmbaren Ersatz für die großen Werke unserer
darstellenden Kunst, wo die angekündigte Bildung und Hebung der
breiten Volksmassen, die mit wahrem Heißhunger den Kinopforten zu-
streben? Wer sich von dem Bildungszweck unserer Lichtspieltheater
überzeugen will, der lese einmal deren Ankündigungen. Fast ausnahms-
los begegnen wir Sensationsdramen, die auf die niedrigsten Instinkte
der Zuschauer berechnet sind und deren Vorführung diesen „Bildungs-
stätten" die Bezeichnung „Verbrecherschule" eingetragen haben. Unter-
nehmerspekulation und Volksgeist befinden sich dabei in einer innigen
Wechselbeziehung. Wenigstens behaupten die Kinobesitzer, sie bekämen
Seite 1204. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 10. Nummer.
für l)elehrende Vorführungen kein Publikum und darum seien sie
l^emüssigt, Sensationsdramen, Rüiirstücke oder derbe Possenreißerei vor-
zuführen.
Und so ist das ..Kino" heute bereits zu einer öffentlichen
Angelegenheit geworden und die Staatsstelle beginnen sich mit ihr zu
beschäftigen. Eine „Deutschösterreichische Filmhauptstelle" soll vor-
nehmlich Films zn erzeugen, die zu wissenschaftlichen und ünterrichts-
zwecken, zur Förderung der Volksbildung und Volkswohlfahrt, zur Pro-
paganda jeder Art. insbesondere zur Hekanntmacliung gemeinnütziger
Unternehmungen, zur Hebung des Fremdenverkehres, des heimischen
Gewerbes, der Landwirtschaf-t, Technik und Industrie u. dgl. benötigt
werden. VVeiters soll die Erzeugung solcher Unterhaltungshlms betrieben
werden, die. künstlerisch liocbwertig. den Stand unserer Volkskultur zu
heben imstande sind.
Wir möchten diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne
die große Bedcnitung festzustellen, welche ein derartiges Unternehmen
auch für unsere JJIindenfrage haben kann.
Bisher haben wir im Kino den Blinden nur im Mittelpunkte rühr-
seliger Filmschauspiele [uigetroffen. Schon die Titel „Erloschene
Augen". ..Die die Somie nicht kennen*', „Dunkle Liebe*', „Der Hund
des Blinden" sagen uns eigentlich alles. Trotzdem sei der Inhalt der
am bekanntest gewordenen Stückes dieser Art kurz angeführt. Zu-
gleich sei erwähnt, daß in diesen Schauspielen natürlich selbst keine
Blinden auftreten, sondern die blinden Helden und Heldinnen von
Sehenden gelilmt wurden, was uns Gelegenheit gibt, auch über diese
Darstellungen einiges zu sagen.
Erloschenes Licht. (^Leidensgeschichte einer Blinden in
2 Akten. Die vollendetste Kunst der Darstellung.) Die Frau eines
erfolglosen Komponisten sitzt Tag und Nacht über dem Stickrahmen, um
Brot für beide zu schaffen. Als ihr Mann endlich einem großen Erfolg
nahekommt, ist sie — erblindet. Geblendet von seinen Erfolgen stürzt
der junge Mann in den Strudel eines vergnügten Lebens und beginnt
ein Verhältnis mit einer Opernsängerin. Auf einer Automobilfahrt
explodiert der Benzinbehälter und die Flamme schlägt dem jungen Mann
ins Gesicht. Xun ist er selbst in Gefahr, das Augenlicht zu verlieren,
gesundet aber wieder, von seiner blinden Frau auf das Zärtlichste
gepflegt. Um Verzeihung für seinen Fehltritt bittend, gelobt er, fortap
nur noch für sie leben zu wollen.
Henny Porten, eine bekannte Kinogröße, spielt die F>lindo mit
wenig Geschick. Mutet es schon merkwürdig an, daß sie während ihrer
Krankheit stets mit der Binde über den Augen dasitzt, so ist sie als
Blinde mit den unvermeidlich fortwährend herumfuchtelnden Spazier-
stock und den ruckweisen Bewegungen ganz unnatürlich. Als sie der
(3per ihres Mannes lauscht, weiß sie ihrem sonst so sprechendem
Minenspiele wenig Ausdruck zu geben. Daß die Wiedererlangung des
Gesichtes bei ihrem Manne wie so manches andere kinohaft rasch vor
sich geht, muß als selbstverständlich hingenommen werden.
Erloschene Augen. (Tragödie eines blinden Kindes in 2 Akten.)
Frau Heilberg lebt mit ihren beiden Kindern Maria und Johanna
10. Nummer. Zeilschrill für das österreichische Blindenwesen. Seite 1205.
(blind) ein ärmliches aber glückliciios Leben. Maria isl bereits heim-
lich verlobt, serät aber durch unglückliche Umstände in Verl)iiidunjj;
mit dem Grafen Wartenlierg, der sich in sie verliebt. Maria verliert
dadurch ihre frühere Harmlosigkeit, führt ein Doppelleben und schleicht
nachts aus dem Hause, um sich mit dem Grafen in vornehmen Ver-
gnügungslokalen zu treffen. Johanna, das blinde Kind, ausgestattet mit
einem wunderbaren Ahnungsvermögen, errät alles und nimmt rührenden
Anteil an den Vorgängen, die bald ziu' Katastrophe führen. Maria
wird verhaftet, der Graf schwer verwunde!, die Mutter stirbt. Die
blinde .Johanna irrt nachts obdachlos in den Straßen umher, wird von
einer Nonne gefunden und in ein Kloster gebracht. Fünfzehn Jahr
später ist sie Novize daselbst, als Graf W^artenberg, der ein einsames
und ver]>ittertes Leben führt, im Kloster von Johanna das Lied singen
hört, das ihm einst seine Schwester vorgespielt hatte. Er dringt in das
Kloster ein und trifft mit Johanna zusanmien. Betroffen über die ver-
blüffende Älmlichkeit der Blinden mit ihrer Schwester, verliebt er sich
in sie, befreit Johanna aus dem Kloster, um mit ihr einer glücklichen
Zukunft entgegen zu gehen.
Die Darstellung des blinden Kindes ist gemacht. Natürlicber
gegeben erscheint die blinde Novize, wozu namentlich die gemessene
Zurückhaltung der angehenden Nonne beiträgt.
Die letzten Tage von Pompeji. Der Film zeigt die Hand-
lungen des Bulwer'schen Romanes, in dessen Mittelpunkt das rührende
Schicksal der blinden Sklavin Nydia steht. Die Leser sind mit dem-
selben wohl vertraut.
In dem Stücke, das prächtige Ausschnitte aus dem römischen Leben
zeigt, wird die blinde Sklavin Nydia von Frau Negri-Pouget dargestellt.
Eine mädchenhafte ii^rscheinung, spielt sie die Blinde mit weit größerer
Natürlichkeit als andere Darstellerinnen von Blinden in Kinostücken.
Die seelischen Erregungen s[)iegeln sich auf dem Gesichte mit den
erloschenen Augen deullicii wieder, obwohl dabei manche Übertrei-
bungen unterlaufen. Bewegunge*! ' wie Haltung sind wohl an Blinden
beobachtet, denn sie entsprechen im grof^en Ganzen deujenigen i)linder
Mädchen. Die übertriebene Hast der Blinden in den letzten Szenen
ist auf Konto einer allzugroßen Lebhaftigkeit tU'v llüehtenden Bewohner
von Pompeji zu setzen. Die edle Auffassung der Blinden von S^ite
des Dichters ist von Negi'i-Poug(^t in allen Szenen eingehalten.
Die die Soniie nicht beschien. (Dramatisebes Lebensbild in
o Akten.) Heinrich, schon als Kind Waise geworden, wurde mit seiner
gleichaltrigen Kusine l^ina bei Tante Martha aufgezogen. Eines Tages
brach, als sie allein waren, im Hause Feuer aus, bei dem Heinrich
erblindet, als er seine (refährlin rettet. Zwölf Jahre waren vergangen.
Aus Heinrich war inzwischen ein vortrefflicher Virtuose geworden und
er lebte in stiller Zurückgezogenheit glücklich mit seiner Kusine Pina.
In demselben Orte wohnte ein reicher Ghitsbesitzer nanuMis Graf von
Vigny. der von dem Talente des Virtuosen hörte und ihn mit seiner
Kusine in sein Schloß lud. Unter den geladenen Gästen des Grafen
l)efand sieh auch ein gewisser Maiilio. ein leichtsinniger, verdor-
l)enei' junger Lebemaim. den die J>chönheil Pinas fesselte. Die
Seite 1206. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 10. Nummer.
arme Pina glaubte den Liebesbeteuerungen Manlios und gab sich ihm
blindlings hin. Manlio wurde dieser Liebe jedoch bald überdrüssig, und
reiste eines schönen Tages nach Amerika ab, so daß das arme Mäd-
chen in Schmerz und Schande allein zurückblieb. Kurze Zeit darauf
sieht man Pina als gefeierte Künstlerin in ihrer Tätigkeit auf der Bühne,
mit einem Leben von Vergnügen und Luxus -umgeben. Manlio, der
inzwischen wieder aus Amerika zurückgekehrt ist, erfaßt wieder eine
tiefe Zuneigung zu der schönen -Künstlerin. Jetzt war Pina dort ange-
langt, um an ihm Rache zu üben. Nachdem Pina ihren Vetter Hein-
rich verlassen hatte, nahm sich seiner eine mitleidige Nachbarin an.
auf deren ?]mpfehlung hin er mit seinem Geigen.spiel allabendlich in
einem der elegantesten Weinrestaurant der Hauptstadt sein tägliches
Brod mühsajn verdiente. Pina, welche stets von ihren Verehrern und
Manlio begleitet war, gab sich einem wüsten und tollen Leben hin.
Der Zufall wollte e.«!, daß die ganze Gesellschaft eines Abends in einem
eleganten Kabarett einkehrte und den Champagner in Strömen fließen
ließ. Plötzlicli verstummte die Begleitmusik. Der Virtuose, der kein
anderer als Heinrich war, hatte unter den anwesenden Gästen die
Stimme Pinas erkannt, warf die Violine von sich und stürzte sich zu ihr.
Das alte Leben begann wieder in der Behausung Heinrichs; dieser ent-
brannte in heiliger Liebe zu seiner früheren Jugendgenossin und war
bereit, alles zu vergessen und sie zu seiner Frau zu machen. Peinige
Tage darauf wurde Pina, durch die Nachricht tief erschüttert, daß
Manlio wegen der aussichtslosen Liebe zu ihr, sich durch eine Kugel
getötet hatte. Gedemütigt, tief gekränkt und gepeinigt durch die Ge-
wissensbisse, der Grund des Ruines zweier Männer gewesen zu sein,
die sie liebten, hatte Pina nicht mehr den Mut, vor Heinrich die Komödie
einer Wiederversöhnung zu spielen und suchte im Tode Vergessenheit
ihrer Fehler und ihres Schmerzes.
Das einzig Natürliche ain dargestelltem Blinden ist c}ie Art des auf-
merksamen Zuhörers. Alle andern Charakterisierungsversuche erscheinen
mißglückt. Die Sucht, die Beschränkung des Blinden recht sinnfällig
zu machen, verführt die Regie zu unsinnigen Machenschaften. So muß
der Blinde mit auswärts gespreizten Beinen and auch daheim im Zim-
mer mit dem Stöcke gehen. Eine Mrtuosität hatte sich der Darsteller
im Kopfdrehen angewöhnt, die ganz natürlich diese typische Blinden-
bewegung veranschaulichte. Aber auch dies war nicht am Platze, da
es sfch hier um einen durch einen äußeren Zufall später Erblindeten
handelte und obige Gewohnheit wohl nur bei Geburtsblinden oder
solchen auftritt, die infolge Gehirnveränderungen ihr Augenlicht ver-
lieren.
Provozierte Aufmerksamkeitsmimik bei Blinden.
Von Blindenlehrer Wanecek, Purkersdorf.
Der Auffassung Darwins, daß der Vererbung ein wesentlicher Anteil
hei der Möglichkeit der Gesichtsmimik zukommt, steht die Ansicht
Krukenbergs gegenüber, der in seinem Buche ,J)er Gesichtsausdruck
des Menschen-' sagt: ,.Wenn das ganze Minenspiel ursprünglich durch
Sinnenreize hervorgerufen wird, so müssen beim Fehlen eines Sinnes-
10. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1207.
organes, .sofern ey an der Entstehung de-s Minenspiel.s Ix^teiligt i.st, aui-
fallende Ausfallserscheinungen entstehen." Darnach ließe sich dieses
Problem sehr leicht am Blinden ergründen, denn der Blindgeborene
müßte, wenn Darwin recht hat, gewisse Formen des Minenspiels
beherrschen, von denen Krukenberg annimmt, daß es durch spezifische
Rei'/e des Sinnesorganes zustande kommt. Es müßte nach Darwin das
durch einen unangenehm empfundenen Lichteinfall hervorgerufene
Augenblinzeln. z. B. auch bei Blinden auftreten können, wenn es durch
einen ideellen Reiz, etwa durch eine Aufforderung ])rovoziert wird.
Wenn die (Jesichtsmimik tatsächlich im wesentlichsten von den
Sinnesorganen abhängt, wie Krukenberg .annimmt, so ist die Beweg-
lichkeit namentlich des Stirnfrontalmuskels, des Augenbrauenrnnzlers
und des xVugenringmuskels von der Lichtempfindlichkeit des Auges
abhängig. Dr. Sante de Santls hat nun die Verhältnisse bei P]linden
aufzuklären versucht (Die Mimik des Denkens) und wirklich einen Aus-
fall der Beweglichkeit jener drei Muskel festgestellt, doch sind seine
Versuchspersonen allzu gering an Zahl, als daß sie zu allgemein gül-
tigen Folgerungen berechtigen würden. Ehe jedoch dies für die allgemeine
psychophysische Wissenschaft so wichtige Teilgebiet auch bei unseren
Blinden verfolgt werden kann, müssen diese Verhältnisse vollkommen
einwandfrei klar sein.
Somit will die nachfolgende Untersuchung nur eine Vorarbeit sein
für das Studium tler Ausdrucksbewegungen, deren Wichtigkeit für die
moderne Psychologie immer deutlicher zutage tritt.
Die Methode Sante de Sanctis, die Aufmerksamkeitsmimik durcli
mündliche Aufforderung und bei deren Wirkungslosigkeit durch ein
Betasten eines lebenden Gesichtes mit der Aufforderung, es nachzu-
machen, zu provozieren, wurde bei 70 Blinden der n. ö. Landes-Blin-
denanstalt angewendet, die im Alter von 7 bis 19 Jahre standen. Dar-
nach wurden sie vorerst aufgefordert, die Stirnfalten zu ziehen, die
AugenlM-auen zu runzeln und die Augen fest zusammenzudrücken. Es
gelang auf diese mündliche Aufforderung beim Stirnfaltenziehen 83 Zög-
lingen, (davon mit Lichtschein 23, Späterblindeten 3), also von
28 Geburt.sblinden nur 7, von 37 mit Lichtschein aber 23, von 5 Spät-
erblindeten 3. Das xVugenbrauenrunzeln gelang besonders schwer, nur
16 Zöglinge brachten es zusammen, davon 9 mit Lichtschein; keinem
der ö Späterblindeten, von 28 Geburtsblinden wieder nur 7 (nicht die
gleichen M-ie früher), von 37 mit Lichtempfindung 9. Aber auch von
den 7 Geburtsblinden brachten es nur 2 wirklich sehr gut zusammen.
Leichter geht das Augenzusammendrücken. Es kam zustande bei 42
Zöglingen, davon 30 mit Lichtschein und 2 Späterblindeten, also nur
10 von 28 Geburtsblinden.
Es gelangen also bei nur mündlicher Aufforderung bei den
Geburt.'^blinden 28-8 IVo ]
Sehfähigen bö-Sby^ ' der Fälle.
Späterblindeten 33-330/o J
Dies spricht wohl überzeugend für Krukenbergs Ansicht.
Seilp 1208. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. .10 Nuramet;
Ms muß erwähnt werden, daß auf die mündliche AutForderung
sehr oft, namentlich bei den größeren Mädchen die spontane Antwort
(^rfolgte: ..Das kann ich nicht" oder „Das habe ich nie gemacht."
Bei jedem Zögling, der auf die mündliche Anforderung, nicht
reagieren konnte, wurde ein Al}tasten von der Stirn des Lehrers vor-
genommen und zwar so, daß die Hand die Bewegung des Muskels
abfühlen konnte. Es wurde z. B. erst nach Auflegen der Hand die
Stirne in Falten gezogen. Dadurch wurd.e aber das Ergebnis kein
wesentlicli anderes. Das Stirnfaltenziehen kam jetzt zustande bei 39
Zöglingen und zAvar hatten 27 davon einen Lichtschein. Es trat also
bei noch 4 Sehfälligen nnd 2 Geburtsblinden auf. Das Augenbrauen-
runzeln gelang nur bei 21. ' Die 5 neuen waren 4 mit Lichtschein und
1 (leburtsblinder. Das Augeiu'ingmuskelzusammenziehen wies keinen
Zuwachs auf.
Darnach ändern sich die obigen Ferzentzahlen folgenderniaßf n •
Geburtsblinde 32.l4»/o.
Sehfähige . 63-06o/,.
(4el)iirtsblinde . . 33-38«/o-
Inuner bleiben also jene, die Lichtreizen zugänglich sind, den
Gel)urtsblinden in bezug auf die Mimik die.ser Muskelpartien fast ums
Doj»pelte überlegen.
Hervorgehoben sei alior. daß von der größeren Mehrheit der Fälle,
die als gelungen bezeichnet wurden, wo meist nur ein Andeuten, keines-
wegs ein willfähriges Beherrschen dieser Ausdrucksbewegungen ' ver-
zeichnet werden konnte. Hochinteressant war es, die Anstrengimg
namentlich des Stirnfrontalmuskels zu beobachten, der trotz aller Mühe
nicht gefaltet werden konnte, oder die Unterstützung des verlangten
mimischen Ausdruckes durch andere, besser beherrschte mimische
Bewegungen namentlich der unteren Gesichtsmuskel zu verfolgen. So
trat beim Abmühen nach dem Stirnfalten öfter ein Spielen, ein rhyt-
misches Augendrehen, ein Zwinkern der Lider oder Lipi)enbewegungen
auf. Sehr oft konnten schon erzengte Stirnfalten nicht dauernd erhalten
werden, sie waren unruhig, schwankend. Das Runzeln der Augenln-auen
war manchmal verbunden mit einem Augenschließen oder einem merk-
würdigen Hochziehen der Wangen. In einem Falle kam auf jede
Aulfordermig auch nach mehrfachen Betasten ein retlexartiges, kurzes
Aufreißen der Augenlider zustande. Ein andermal wurde zum Gelingen
ein krampfarliges Zuspitzen des Mundes wie beim Pfeifen notwendig,
Der Augenringmiiskel wird mit zusammengezogen. Merkwürdig oft
beschränkte sich das Zusammenpressen der Aug(^n auf ein einfaches
Schließen der Lider, das auch wiederholte Ermahinmgen nur wenig
zu verstärken vermochten. Auch die zusammengepreßte Augenpartien
koimte nicht ruhig gehalten werden, es war zwinkernd imd unruhig. Öfter
wurde in gelungenen wie in nicht gelungenen Fällen der Mund zusam-
mengei)reßt. zuckende Mundbewegungen traten auf. bei andern wieder
langsajn rhytmisierende. Einmal wurde bei schwachem Gelingen der
Mund trompetenartig geöffnet. Daraus ist deutlich zu ersehen, wie die
Mitbewegimg nahe liegender Muskelpartien das Vorgenommene aber
nicht ZustandeKebrachte gleichsam über den toten Punkt heben soll.
10. Nummer. Zeitschrift tiir das österreichische lUindcnwesen. Seite 1209.
Eine überraschende 'l'atsaehe kommt zu.staiide, wenji man die
gelungenen Fälle und jene, bei denen sich alle Anstrengungen nutzlos
erweisen, auf Knaben und Mädchen verteilt. Es sind dies, die Källe
in Perzenten ausgedrückt bei:
Knaben ( ^'""ögliche \ j^.-.j,^ . . . . H0-8Hy„
l gelungene ) .... bdlv»/«-
,... 1 , / unmögliche \ u— ii • • • • 60-7 1%.
Madchen < , " > balle *
gelungene / .... H9-29o/,
Dies besagt nichts anderes, als daß das Gesicht der Mädchen in
fast doppeltem Ausmaß starrer ist als das der Knaben, was wieder
Krukenbergs Hinweis bestätigt, daß die Gesichtsmimik bei den Ge-
schlechtern wesentlich verschieden geartet ist.
Das „Seminar für Heilpädagogik"
an der n. ö. Landes-Lehrerakademie.
Der lange gehegte Wunsch nach einer Fortbildungsstätte für Hlin-
(ienlehrer und einer Forschungsstätte für das Blind^nwesen zu besitzen,
uähert sich seiner Erfüllung. Bei der Ausgestaltung der n. ö. Landes-
Lehrerakademie hat der Direktor Dr. W. Kammel die Möglichkeit zur
Errichtung eines „Seminars für Heilpäd agogik"' geschallen, das
neben den ünterrichtsgebieten für Schwachbegabte, und taubstumme
auch jenes für blinde Kinder umfassen soll. Mitte Oktober wird der
Betrieb dieses Seminars in den Räumen der Lehrerakademie in Wien
111. Boerhavegasse lö bereits aufgenommen. Der vorläufig festgesetzte
Vorleseplan für das 1. Semester ist folgender:
Montag.
H — 4 rhr: Hovorka Dr. Z. : Anatomie und Psychologie des Menschen
mit Hervorhebung wichtiger bei abnormen Kindern vorkom-
menden Abweichungen.
4 — f) [Thr: Gigerl E., Anstaltsleiter: Einführung in das Blinden-
wesen; geschichtliche Entwicklung und gegen-
wärtiger Stand der Blind enb il düng und Blinden-
fürsorge.
Seh inner J., Direktor: Erziehung und rnterriclit schwach-
begabter Kiiider.
5_ß Llhi»: Hiff] F.^ Direktor: Didaktik und Methodik des Taubstum-
menunterrichtes.
(i— 7 Uhr: K a m m e 1 Dr. W., Akademiedirektor: Über Begabungsprobleme.
Dienstag,
ö — 7 Uhr: Karamel Dx. W.. Einführung in die ex])erimentelle l'ädagogik.
7—8 Uhr: Battista L., Professor; Über Kinderpsychologie.
D onners ta g.
8—4 Uhr: Hovorka Dr. Z.: Wie Montag.
4— (> [Thr: Bürklen K.. Direktor;, Psychologie des Bünden und
des b 1 i n d e n K i n d es.
Seite 1210. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 10. Nummer.
5 — 7 Uhr: Freunthaller A., Fachlehrer: Phonetik und Artilulation.
F r e i t a g.
5 — 6 Uhr: Battista L.. Professor: Über Kinderpsychologie.
6 — 7 Uhr: „ „ „ Psychologie der Berufsberatung.
Die Einschreibungen für diese Vorlesungen, welche nach freier
Wahl vorgenommen werden können, linden in der ersten Hälfte Oktober
statt. Der EröfTnungsvorlesung soll ein feierlicher Clharakter gegeben
werden. Die Blindenlehrerschaft und auch die Blinden selbst werden
den Wert dieser Errungenschaft richtig zu werten wissen und nament-
lich erstere durch regen Besuch der Vorlesungen die Notwendigkeit des
Heilseminares beweisen. Möge die Entwicklung dieser Institution eine
glückliche und dauernde sein.
Das Blindenerholungsheim in Binz.
Der reichsdeutsche Blindenverband hat nach jahrelangem Bemühen
zwei Erholungsheime geschaffen, welche das Staunen und den Dank
aller erregen müssen, die einige Wochen in ihren Mauern weilen
komiten. Von der idyllisch gelegenen Erholungsstätte in Werningerode
am Harz Iterichten mir ziemlich verwöhnte aber verläßliche Personen
das Günstigste. Das Heim in Binz auf der Insel Rügen habe ich aus
eigener Anschauung kennen gelernt imd^ stinmie aus vollster Überzeu-
gung in das Lob ein, das ihm von den zahlreichen Gästen gezollt wird.
Der Blindenverband steht auf dem nicht hoch genug anzurechnen-
den Standpunkt, diese Wohlfahrtseinrichtung nach Möglichkeit allen
Blinden zugute kommen zu lassen, und so erhielt ich zu meiner nicht
geringen freudigen Verwunderung nicht bloß die l)ejahende Antwort
auf meine Anfrage, sondern man sandte mir auch die von der Heichs-
grenze für die Blinden geltenden Legitimalionen für Fahrtermäßigung
auf den Deutschen Eisenbahnen zu, die mir und einer Begleitperson
Yon Passau bis Putbus auf Rügen halben Preis für Schnellzug 3. Klasse
bedeutete. Bei unserer Eisenbahnverwaltung geht es leider ohne Mittel-
losigkeitszeugnis und verschiedenen Bittgängen nicht ab. Meine Ankunft
hatte ich dem Leiter des Heimes, Herrn E. Krohn. genau angegeben
und so wurde ich und meine Frau pünktlich von einem Diener am
Bahnhof in Binz erwartet, der unser Gepäck besorgte und uns in das
Heim geleitete. Es war nach 10 Uhr nachts, als wir mit unbestimmten
Erwartungen durcli den Ort Binz und dann noch etwa 10 Minuten lang
weiter auf einer wie mit tiefem vSchnee Itedeckten sandigen Strand-
.^traße einherschritten. Ein ganz alleinstehendes großes Gebäude war
das Ziel — Kurhaus Prora. Nach einem kleinen Imbiß wurden wir
auf unser Zimmer gewiesen. Dieses präsentierte sich ganz vortrefflich,
nicht imr was seine Einrichtung anlangt, sehr schöne Möbel und elek-
trische Beleuchtung, sondern eine anschließende Veranda, die bei
schlechtem Wetter wie ein geräumiges zweites Zimmer abzuschließen ist.
Als wir dann noch am nächsten Morgen den sehr geräumigen
Speisesaal und den weitläufigen Gesellschaftssaal bestaunen konnten,
wiederholte sich die schon anfangs aufsteigende Frage: wie in der
schweren Kriegszeit eine weit über die dringenden Bedürfnisse komfor-
taWe Einrichtung eines solchen Erholungsheimes möglich wurde? Die
I
10. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1211.
Antwort war aber leicht und verständlich. Ein Spekulant hatte das
große Hotel als Konkurrenzunternehmen abseits der i\brigen Quartiere
des Ortes bauen lassen, mußte es aber, da seine Spekulation fehlschlug,
äußerst billig verkaufen. Wenn ich recht berichtet bin, zahlte der
Blindenverband für das Haus mit der gesamten Einrichtung 270.000 Mk.
Die Mittel hiefür und für die sehr zwekmäßige Haushaltung beschafft
der Ausschuß nicht nur durch Sammlungen freiwilliger Beiträge, sondern
auch durch einen alljährlich erscheinenden Kalender in Schwarzdruck,
den sogenannten Sonnenscheinkalender. Der von jedem Gast zu ent-
richtende Tagesbedarf von 4. bezw. 5 Mark reicht ja nicht annähernd
aus. die Kosten des Haushaltes zu decken. Um 7 Uhr morgens ertönt
das Glockenzeichen zum Aufstehen, nach halb 8 kann man schon im
Speisesaal sein Frühstück einnehmen, das aus unbeschränktem schwarzen
Kaffee und drei belegten Brotschnitten besteht und für 'die säumigen
und Langschläfer bis gegen halb 9 Uhr bereitgehalten wird. Hernach
kann jeder den Vormittag in seiner Weise zubringen, Eine kleine Bib-
liothek steht zur Verfügung, ebenso einige Spiele und das Piano im
Gesellschaftzimmer. Das für die meisten verlockendste aber ist das
Strandleben, dem sich jeder vom zeitlichen Morgen bis in den späten
Abend hingeben kann. Das Haus liegt ganz dicht am Strand und so
kann jeder entAveder in Begleitung oder auch ganz allein nach Gefallen
ungefährdet sich ergehen, im Strandkorb sitzen, ein Sonnenbad nehmen
oder in das sehr langsam tiefer werdende Seewasser steigen, um ein
erfrischendes Bad zu nehmen, Das- Ortsbadepüblikum stört nie diese
abseits gelegene Niederlassung, ebensowenig kommen hier Wagen vor-
bei, so daß sich die Gehörnerven des Städters trefflich erholen können.
Die mit den Blinden hier weilenden Sehenden sind so erfreulich auf
das notwendige Maß von Hilfeleistung eingestimmt, daß sie gerade nur
dann da eingreifen, wo man ihrer bedarf. Um halb 1 Uhr versammelt
die Hausglocke die Hungrigen zum Mittagstisch, der der schweren Zeit
gemäß einfach aber ausgiebig f)estellt ist. Wöchentlich zweimal Fleisch
und zweimal Fisch zu Supjje und reichliches Gemüse. An Tischen
saßen wir zu je vieren und nach Mögliclikeit wurde dabei den Wün-
schen der einzelnen in Bezug auf Gesellschaft Rechnung getragen. Herr
Krohn gab immer bekannt, welche neue Gäste angelangt seien, was
bei der sich fast täglich ändernden Namenliste sehr willkommen war.
Unter den mehr als 100 Gästen fand jeder eine ihm zusagende Gesell-
schaft oder konnte, weim er durchaus wollte, einsam für sich bleiben.
Alle Altersstufen, alle Berufe, alle Temperamente sind vertreten. Aus
Rücksicht auf Familienverhältnisse kann es auch vorkommen, daß
andernfalls nicht unterzubringende Kinder mitgenommen werden, unser
jüngster Hausgenosse war ein Jahr alt. dann tat ein kaum vierjähriger
Knirbs als Begleiter seiner blinden Mutter wahre Wunder an Besonnen-
heit. Schwer wurde es den Kindern, die nach Tisch bis halb 4 Uhr
währende Ruhe der Erwachsenen nicht zu stören. Um diese Stunde
war der Nachmittagskaffee und um 7 Uhr das Nachtessen, das meist
aus Sup))e und belegtem Brot bestand. Nach dem Pässen fand sich ein
kleiner Kreis zusammen, der das Zeitungsgift auch in der Erholungszeit
nicht missen mochte, und die feinfühlige, ausdauernde Bibliothekarin.
Frl. Nosske, las allabendlich ein anderes Blatt uiu'rmüdlicli durch,
Musikalische und andere Vorträge aus der Mitte der Gäste, aber auch
Seite 1212. Zeitschrift für das österreichische Bhndenwet-en. 10. Nummer.
Darbiclun^'on im nahegelegenen Kurhaus vergnügten die Gesellschaft,
die gewöhnlich erst gegen 1 1 L^hr an Schlaf dachte. Zu Spaziergängen,
besonders zu kleinen Hamstertouren um Butter und Eier war viel
Gelegenheit. Das Dampfschiff bot täglich fünf ermäßigte Karten zur
Fahrt nach Stubenkammer oder Gören; doch wer nicht weit hinaus-
wollte, brauchte nur hinter das Haus zu gehen und war schon im
Fichtenwald.
Die Leitung und Kontrolle des Heimes liegt ganz in der Hand
von Blinden. Sie verdient alles Lob: besonders anzuerkennen ist die
ruhige, heitere Überlegenheit, mit der Herr Krohn alle Vorkommnisse
erfaßt und die gleichmäßige Freundlichkeit, die er jedem einzelnen
Gaste entgegenbringt. Man verläßt denn auch das Erholungsheim nach
niehrwöchentliohem Aufenthalt nur ungern und mit dem Gefühle auf-
richtigsten Dankes gegen den reichsdeutschen Blindenverband.
Josef Herz.
Der blinde Sänger.
Von Friedrich Hölderlin.
Wo bisl Du. Jugendliches! Das immer mich
Zur Stunde weckt des Morgens, wo bist Du. Lichl?
Das Herz ist wach, doch hält und hemmt in
Heiligem Zauber* die Nacht jiiich inmier.
Sonst lauscht" ich um die Dämmerung gern, sonst hai-rr
Ich gerne Dein am Hügel, und nie umsonst!
Nie täuschten mich, Du Holdes! Deine .
Boten, die Lüfte, denn immer kams] Du,
Kamst allbeseligend den gewohnten Pfad
Herein in Deiner Schöne, w^o bist Du Licht?
Das Herz ist wieder wach, doch bannt und
Hemmt unendliche Nacht mich immer.
Mir grünten sonst die Lauben, es leuchteten
Die Blumen, wie die eigenen Augen, nur.
Nicht feriu^ war das Angesiclit der
Lieben, und leuchtete mir, und droben
Und um die Wälder sah. ich die Fittige
Des Himmels fliegen, da ich ein Jüngling war:
Nun sitz' ich still allein, von einer
Stunde zur anderen, und Gestalten
Aus Lieb und Leid der helleren Tage schäm.
Zur eignen Freude, nur mein Gedanke sich.
U'id ferne lausch" ich hin, ol) nicht ein
Freundlicher Retter mir komme.
Dann hör" ich oft den Wagen des Donnerers
Am Mittag, wenn der eherne nahe konnnt
Und ihm das ^Haus bebt und der Boden
Unter ihm dröhnt, und der T3erg es nachhallt.
10. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1213.
Den Ketter hör' ich dann in der iVacht, i(;h h()r"
Ihn tölond, den Refreier, heh'l)end ihn.
Den Donnerer, vom Untergani>- zum
Orient eikMi und ihm nach tönt ihr,
Ihr, meiner Seele Saiten ! es lebt mit ihm
Mein Geist, und wie die Quelle dem Strome l'oli>l.
Wohin er trachtet, so geleit' ich
Gerne den Sicheren auf der Irrhahn.
Wohin? wohin? ich höre Dich da und dort
Du Herrlicher! und rings um die Erde tönt\s!
Wo endest Du ? und was, was ist es
Über den Wolken? und o wie wird mir!
Tag! Tag! Du üb(>rstürzende Wolke! sei
Willkommen mir! es blühet mein Auge Dir.
0 Jugendlicht! o Glück! das alte
Wieder! doch geistiger rinnst Du nieder,
Du goldener Ouell aus heiligem Kelch! und Du.
Du grüner Hoden! friedliche Wieg'! und Du,
Haus meiner Väter! und ihr Lieben,
Die mir begegneten einst, o luihet,
0 konnnt, daß euer, euer die Freude sei.
Ihr alle! daß euch segne der Sehende!
0 nehmt, daß ich's ertrage, nur das
Leben, das Göttliche nur vom Herzen!
Personalnachrichten.
Ernennung zu Professoren. Ziir Erreichung der vollen Einheitlichkeit in
dem Lehrkörper der n. ö. Landes-Lehrerseminaren wurde durch Beschluß der n. ö.
Landesversammlung die Einrichtung der Hauptlehrer, denen die Führung des
Professoi titeis und die Genüsse der n. ö. Landes-Mittelschulprofessoren zukommen,
wie bei den gleichartigen Anstalten des Staates geschaffen. In Durchführung dieses
Beschlusses wurden die Hauptlehrer an der n. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkers-
dorf J. Kneis, F. De[mal, A. Zierfuß und A. Kftsmary zu Professoren ernannt.
Fräulein Regine Über al 1, Lehierin am Isr. Blindeninstitut in Wien XIX., hat
sich mit Herrn Ing. B. Sonnenschein vermählt. Sie hat damit ihrer Lehrer-
tätigkeit als Blindenlehrerin entsagt.
flus den Anstalten.
N. ö. Landes-HIindenanstalt in Purkersdorf. Das Schuljahr 1919/20
wurde ordnungsgemäß am 16. September 1. J. mit 86 Zöglingen in 5 Schulklassen
und 2 Fortbildungsklassen eröffnet. Bis auf einen sich noch in Kriegsgefangenschaft
befindlichen Aufseher ist der Lehrkörper, wie das Anstaltspersonal wieder auf dem
alten Stande. Möge das erste Friedensschuljahr auch endlich die lang erhoffte Er-
leichterung in der Lebenshaltung bringen, um einen ungestörten Verlauf zu nehmen.
Landes-Blindenanstalt in Klagen fürt. Daselbst wurde unter dem
Anstaltsleiter F. Jölly der Unterricht mit 20 Zöglingen am 28. September l.J. wieder
aufgenommen. Die Unterbrechung des Unterrichtes während der langen Kriegazeit
wird schwere Arbeit mit sich bringen, um die Anstalt wieder auf die alte Höhe
zu bringen.
Seite 1214. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 10 Nummer.
flus den Vereinen.
Zentralverein für das österr. Blindenwesen. Ausschnßsitzung am
19. September. Als neues Mitglied wird Herr In grase aufgenommen. Der »Linden-
bund« entsendet Herrn Friedrich Gebhart, der »Hilfsverein für jüdische Blinde«
Herrn Leo Demm in den Ausschuß des Zentralvereines. Beide Herren sind an-
wesend und werden begrüßt. Das Unterstaatssekretariat für Unterricht lehnt die
Entsendung eines Vertreters der Blindenlehrer in die Lehrerkammer ab. Mehrere
Anfragen, Blinde betreffend, werden eingehend besprochen und beschlossen, diese
Angelegenheiten weiter zu verfolgen. Sodann wird die Verhandlungsschrift und der
Rechenschaftsbericht dankend genehmigt. Herr Alt mann, der an der Sitzung des
»Reichsbundes für Erziehung« als Vertreter des Vereines teilgenommen hat, be-
richtet darüber, daß die Bestrebungen des Bundes mit unserer Organisation keinen
Zusammenhang habe. Zum Punkt: »Fürsorgekommission« wird beschlossen, an das
Staatsamt für soziale Verwaltung die Bitte zu richten, in der ersten Hälfte des
Oktober noch eine > Blindenfürsorgekommissionssitzung« einberufen zu wollen. Dieser
Bitte soll auch der Entwurf einer Tagesordnung, welche die dringendsten Ange-
legenheiten umfaßt, beigegeben werden. Nach längerer Beratung einigt man sich auf
folgende Punkte: 1. Reformplan, 2. Subventionsangelegenheiten, 3. Schaffung
von Landesstellen, 4. Statistik, 5. Überlassung von Objekten, 6. Blindenbücherei,
Erholungsheime. Heilpäd. Seminar. Präsident Bürklen macht Mitteilungen über die
Einrichtung des ersten Vortragsjahres. Akademie-Direktor Dr. Kamel hat für dieses
Jahr als Dozenten Direktor Bürklen und Anstaltsleiter Gigerl berufen. Allfälliges:
Anregungen der Herren Horvath und Uhl, die Freikarten für die Straßenbahn
betreffend. Die diesjährige Generalversammlung soll am 25. Oktober 1. J. abgehalten
werden. Kneis.
GENERALVERSAMMLUNG
des „Zentralvereines für das österreidiische Blindenwesen" am
Samstag, den 22. November 1919, um 4 Uhr
in der Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für erwachsene
Blinde in Wien, VIII., Josefstädterstraße 80.
TAGESORDNUNG: Tätigkeitsbericht. Kassabericht.
Gründung einer „Lehrersektion". Anträge. Allfälliges.
B 1 i n d e n h e i m v e r e i n in Melk. Den 23. Jahresbericht erstattet Direktor
P. Kolumban Ressavar über das Vereinsjahr 1918. Die Schwierigkeiten im Mädchen-
Blindenheim wurden immer größei-, nur der Umsicht der ehrwürdigen Schwestern
ist es zu danken, daß mit dem Geringen noch halbwegs das Auslangen gefunden
wurde. An Kohlen fehlte es faßt gänzlich. Die Zentralheizung mußte daher außer
Gebrauch gesetzt werden. Um aber doch im Arbeits- und Speisezimmer die not-
wendigste Wärme zu erhalten, wurden zwei Öfen aufgestellt. Die Schlafräme jedoch
blieben die ganze Zeit über ungeheizt. Die Beschäftigung der Blinden bestand
giößtenteils in Handarbeiten u. zw. zunächst in Anfertigung von Wollwaren für das
Feld. Hiezu lieferte die Militärverwaltung die Rohstoffe. Im letzten Viertel des Jahres
kamen auch zahlreiche Auftiäge von Privaten. Für geistige Beschäftigung wurde
namentlich durch Vorlesungen gesorgt. Hierbei erwarben sich Frau Lony Paris und
Fräulein Rosa Wandl große Verdienste. Gesang und Musik wurden fleißig gepflegt.
In den Faschingstagen wurden zweimal Musik- und kleine Theaterstücke zur Auf-
führung gebracht. Jedesmal war der Besuch ein sehr zahlreicher. Durch den Tod
wurden zwei eifrige Freunde des Institutes hinweggerafft. Am 9. April 1918 starb
nämlich Herr Sparkassedirektor Julius Haidvogl. Seit der Gründung des Insti-
tutes gehörte er dem Kuratorium an und immer gerne bereit, mit Rat und Tat
beizustehen. Ehre seinem Andenken! Auch in den Reihen der Zöglinge hatte der
Tod seine Ernte gehalten. Am 23. Oktober starb die taubblinde Katharina Hügel
und am 12. November Hermine Seeböck. Gegenwärtig befinden sich 18 Pfleg-
linge im Heim.
Herausgeber: ZentralTerein für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskoraitee: K. Bürklen,
J. Kneis, A. . HorTath, F. Uhl, — Druck tod Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
B Verschiedenes.
m ' — Errichtung von Schwer hörigenschulen in Deutschöster-
'eich. Das Vollis<fesundheitsamt hat auf Grund eingeholter fachmännischer Urteile
die Anregung gegeben, für geistig normale, schwerhörige schulpflichtige Kinder, wo
«s die Verhältnisse gestatten, eigene Schwerhörigenabteilungen zu errichten. Der
Unterstaatssekretäi für Unterricht hat dieser Anregung bereits Folge geleistet und
in einem Erlasse alle Landesschulbehörden autgefordert, diesen Vorschlag unter
Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände, insbesondere im Hinblick
auf das Verhältnis zwischen Lehrern und Ärzten, einer eingehengen Erwägung zu
unterziehen und dort, wo die Voraussetzungen dazu gegeben erscheinen, die
Errichtung derartiger Abteilungen, bezw. Sonderklassen, in denen schwerhörige
Kinder aus mehrerer Schulsprengel vereinigt werden können, in die Wege zu leiten.
;Naturgemäß werden diese Abteilungen in erster Linie in größeren Orten zu errichten
und der Unterricht in solchen Abteilungen wird entsprechend vorgebildeten Lehrern
zu übertragen sein, die in ihrem Wirken von besonders zu bestellenden Fachärzten
zu unterstützen wären. Das Staatsamt für Volksgesundheit hat sich bereit erklärt.
die Errichtung von Schwerhörigenabteilungen in seinejn Wirkungskreise nach
Kräften zu unterstützen. Demgegenüber ist der Ruf nach Errichtung von Schwach-
sichtigenschulen bisher angehört verhallt. Es ist nunmehr Zeit, ajrch diese
.Aufgabe energisch in Angriff zu nehmen.
— Ein Blinder als Auswanderungsleiter. Der während des Krieges
als Büroleiter in Brasilien erblindete Hans Entner, welcher seine Blindenbildung
in Wien erhielt, hat als gründlicher Kenner überseeischer Verhältnisse eine Gesell-
schaft gegründet, durch welche eine größere Anzahl Intellektueller in Brasilien
induslriell Stellung und Erwerb finden kann. Die durch Entner ins Leben gerufene
Aktion findet großen Zuspruch und es ist ihr nur der beste Erfolg zu wünschen
Der Blinde dürfte dadurch zum Führer vieler Sehender in die neue Welt werden
— Zusammenschluß der deutschen Kriegsblinden. Auf einer Dele-
gieitcnversammlung von Vertretern des Reichsbundes erblindeter Krieger, der
Landesvereinigung erblindeter Eeldzugsteilnehmer Sachsens und des Vereins erblin-
deter Kriegsteilnehmer Sitz Hamburg, die in Berlin stattfand, wurde die Gründung
einer Interessengemeinschaft beschlossen, der sofort die genannten Verbände beir
traten. .Auch der Anschluß des Verbandes Hannover ist zu erwarten. Der Sitz der
Interessengemeinschaft ist Berlin. Die deutschen Kriegsblinden gehen damit allen
Kriegsbeschädigten Organisationen voran und hoffen, daß ihr Beispiel zu einer Ein-
heitsorganisation aller Kriegsbeschädigten führen wird. Die Interessengemeinschaft
der Kriegsblinden wird nunmehr alle sozialen Wünsche der Kriegsblinden vertreten,
insbesondere die Forderung der Fahrtpreisermäßigung, da jetzt die eines Führeis
bedürfenden Kriegsblinden gewissermaßen doppelte Fahrtpreise bezahlen müssen'
Vorsitzender der I.-G. ist Bisch off, Berlin, Vertreter für Sachsen Butze, Riesa,
für Hamburg Bundermann. Flössel.
— Haar knüpfen für Perücken. Bezüglich der Erwerbsmöglichkeit der
Blinden möchte ich auf das Haarknüpfen für Perücken hinweisen. Diese Beschäfti-
gung eignet sich besonders für, Mädchen, ist sehr leicht und rasch erlernbar und
bringt guten Verdienst. Der Apparat hiezu ist einfach und billig. Ein blindes Mäd-
chen hat das Knüpfen in einer Stunde erlernt, knüpft in dreiviertel Stundfen einen
Meter und erhält für das Meter K 1.30. Vielleicht wäre es gut, auf diesen Erwerbs-
zweig in unseren Kreisen aufmerksam zu machen. Das Haarknüpfen erlernte das
iMädchen beim iPerückenmacher selbst. Bei einigem Fleiße verdient es sich täglich
bis zu 13 Kronen. Die Gelegenheit zur Ausübung dieser Tätigkeit dürfte sich wohl
iu jeder S'.adt bieten. O. Troyer.
Bücherschau.
; Kraemer R. Festschrift für Württe nb. Blindenvereines. (Heilbronn
' 1919{ Selbstverlag). Die Festschrift zeigt die seit 10 Jahren äußerst segensvoll
Uiärkeiide Arbeit Ides 'Blindönverein6s und berührt dessen Wohlfahrtseinrichtungen,
nämentlieh die Tätigkeit der Blindengenossenschaft. Die Ergebnisse der Kriegs-
bliudenfürsorge w6j-den von Mayer, Erfahrungen mit dem Begleithund von Weit-
bi:etht, Krieg, Niederlage und Umsturz in ihren Wirkungen auf die Lage der
Blinden und die Verstaatlichung der Blindenfürsorge von Kraemer in fach-
männischer und interessanter Weise besprochen.
Die GERDA- SCHREIBMASCHINI
für Kriegsbeschädigte und Blinde
gestattet dem Sehenden wie dem Blinden, insbesondere aber vor beidei
den Einarmigigen ihre kleine Korrespondenz leicht und schnell zu
erledigen. Dieses einfachsten Hilfsmittels sollte sich jeder bedienen.
Man verlange Prospekt von M. Butze, Riesa a. d. Elbe., Bismarkstraße 15a.
„ASYL FÜR BLINDE KINDER"
Wien, XVII., Hernalser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpflichtigen Alter aus allen österreiclii-
schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitung.
Die „Zentpaibibliotheh für Blinde in ÖstepreiGli".
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verleiht ihre Bücher kostenlos an alle Blinden.
Blinden-Unterstützungsverein
,,DIE PURKERSDORFER"
Wien V., Nikolsdorfergasse 42.
Zweck des Vereines: Untersiützuiiu blinder Mit-
glieder. Arbeitsvermittlung liir Blinde. Erhaltung
der Musikalien-Leihbibliothek. Telephon 10.071.
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Handarbeiten. Nähere Auskunft brieflich.
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des Blinden-Unterstützungsvereines
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VLI Blinde unentgeltlich verliehen ! I^J
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— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
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Purkersdorf
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Postsparkassen-
konto Nr.132.257
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Das Blatt erscheint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
[-] Bezugspreis r-,
Q ganzjährig mit q
□ Postzusteilung Q
D 6 Kronen, D
n Einzelnummer lj
n 50 Heller. ^
6. Jahrgang.
Wien, November 1919.
11. Nummer.
INHALT: J. Bartosdi, Wien: Kunsterziehung und der Musikunterricht an der
Blindenanstalt. Der Blinde in der Kinodarstellung (Schluß). Staatliche
Bündenfürsorgekommission. O. Wanecek: Ein Blindenstück. M. fl. Butze:
Die Gerda-Schreibmaschine für Kriegsbeschädigte und Blinde, fl. Chamisso:
Die Blinde. Aus den Anstalten. Aus den Vereinen. Verschiedenes. Büdier-
schau. Altes und Neues. (Ankündigungen.)
=B
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1H=
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3 Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreichische ^
Blindenwesen" werden erbeten an die Leitung in Wien Vlü,
g Josef Städterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 3 K, Zeitungsbeitrag 3 K. 5
flites und Neues.
Blindendarstellungen der Inka s.
Funde in den altperuanischen Totenstädten brachten eine große
Anzahl von Tongefäßen zutage, Krüge mit menschHchen Köpfen ver-
ziert, von denen viele absichtlich dargestellte Krankheitserscheinungen,
darunter auch solche Blinder. So sieht man u. a. einen mit einer Mütze
bekleideten jungen Menschen dargestellt, bei welchem das rechte Auge
fehlt; die Lidspalte ist angedeutet, der Orbinalrand springt mächtig
vor ; dahinter die leere Augenhöhle. Im Gegensatz dazu drängt sich
aus der erweiterten linken Lidspalte gewissermaßen der Bulbus heraus.
Der Mund ist breit, die Unterlippe hängend, die ganze linke Seite starr
und gelähmt. Ein anderer Kopt zeigt ebenfalls Lähmung der linken
Gesichtshälfte, dabei aber auch vollkommenen Schwund der Augen. Das
Gesicht weist trotz der Lähmung die Zeichen lebendiger Mitteilsam-
keit auf
Eine andere Darstellung zeigt einen alten Blinden mit erloschenem
Blick und deutlich sichtbaren Ohrpflöcken, mit über Kreuz gelegten
Beinen dasitzend und die Flöte blasend, schließlich einen Blinden in
hockender Stellung mit einer geradezu verblüffenden Wiedergabe des
Blindheitsausdruckes. An diesem kleinen wertlosen Werke einer pri-
mitiven Töplerkunst ist das Problem des in die Ferne gerichteten
inneren Blickes und des trostlosen Dahinstarrens restlos gelöst.
Neben der Bewunderung über die hohe künstlerische Realistik
dieser Darstellungen die in die Tausende gehen, interessiert die Frage,
welchen Zweck dieselben hatten. Sie bilden zusammen ein ganzes
Szenarium des Daseins von der Geburt bis zum Tode und in dieser
plastischen Lebensbeschreibung eines Volkes, das noch kerne Schrift
besaß, spielten auch die Nachtseiten des Lebens, Krankheit und Tod,
eine besondere Rolle. Die Darstellungen der Blinden durften darunter
natürlich nicht fehlen.
Die Tongefäße, auf welchen sich diese Darstellungen vorfinden,
sind eine Art Bierkrüge, die, wie alle Gegenstände des täglichen Ge-
brauches kunstgewerblich geschmückt und verziert waren. Von diesen
Krügen, in denen das Maisbier autbewahrt und aus denen der Met ge-
trunken wurde, gab man den in Tüchern eingewickelten Toten oft
zahlreiche mit in die Grabkammern.
Durch die in den Totenstädten gemachten Funde gewinnt man
nähere Kenntnisse vom Leben des Inkavolkes, das im Anfang des 13.
Jahrhunderts auf dem südamerikanischen Hochplateau lebte und nach
der Entdeckung Amerikas durch die goldgierigen Europäer zugrunde
ging. Die erhaltenen realistischen Kunstwerke gewähren uns Einblick in
das Gemütsleben eines ebenso seltsamen wie eigenartigen Kulturvolkes,
dem, wie die Blindheitsdarstellungen zeigen, auch dieses Unglück nicht
fremd war. ^j^^ach Holländer E.: Plastik und Medizin.)
6. Jahrgang. Wien, November 1919. 11. Nummer.
SS ^
^ »Der V/eg des Ohres ist der gang- §
m. barste und nächste zu unserem Herzen«. ^
^ Fr. V. Schiller. |g
Kunsterziehung und der Musikunterricht an
der Blindenanstalt.
Kritische Bemerkungen von Musiklehrer Josef Bar tos ch, Wien.
Die Tatsache, daß der Musikunterricht im Lehrplari der Blinden-
erziehungsanstalten bei weitem nichf den ihm als kunsterziehendem Faktor
zukommenden Rang einnimmt, hat in der nocli immer mangelhaften
Erkenntnis seiner erziehlichen Bedeutung für den Blinden ihre Ursache.
Diese mangelhafte Erkenntnis führt zu verschiedenen Hemmungen im
Unterrichtsbetriebe selbst, die bloßzulegen Aufgabe dieser Arbeit ist.
Aus der Anschauung, daß der Musikunterricht an der Blindenanstalt
bei Begabten mehr der Berufsbildung, bei schwächeren Talenten der
Zerstreuung und Ablenkung und im allgemeinen aber repräsentativen
Zwecken zu dienen habe, resultiert die mangelnde Erkenntnis, daß dieser
Unterrichtszweig bei Blinden neben Poesie und Sprache der einzige
kunsterziehende Bildungsfaktor ist. Und doch bedeutet die Kunsterziehung
des Ohres für den Blinden „Alles". Wie wenig geschieht da aber an
der Blindenschule im Vergleich zur Kunsterziehung des Auges an der
Schule für Sehende. Man gestalte also den Kunstunterricht des Ohres
als ästhetischen Bildungsfaktor aus, indem man ihn nicht nur verbessert,
sondern auch den Instrumentalunterricht möglichst allen Zöglingen zu-
gänglich mache. Man treibe aber bloß wirkliche Kunst mit ihnen, denn
dadurch wird die Besorgnis, man erziehe durch die musikalische Unter-
weisung Minderbegabter Bettler, hinfällig. Ein richtiger Lehrgang und
ein guter Lehrer werden schließlich imstande sein, den in der Seele
Seite 1220. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 11. Nummer.
fast eines jeden Menschen schlummernden Musiksinn zu wecken, zur
Entfaltung zu bringen und im einzelnen Individuum das Verständnis
wahrer Kunst anzubahnen.
Leider erfüllen Gesang- und Instrumentalunterricht gegenwärtig
ihre Aufgabe als kunsterziehende Bildungsfaktoren nicht so ganz.
Durch das Fehlen entsprechender Gesangbücher in Punktschrift
muß im Gesangunterrichte das reine Gedächtnissingen (Einüben nach
dem Gehör) mehr als notwendig gepflegt werden, wobei die Unterrichts-
methode zu wenig auf die akustisch psychologische Grundlage (Ton-
sprache und deren lesbare Darstellung) gestellt werden kann. Schon
der Gesangunterricht auf der Unterstufe — und zwar von der 2. Klasse
an — sollte das Singen nach Noten vorbereiten. Hiebei ist psycholo-
gisch und methodisch wie beim Schreibleseunterrichte (Ton = Laut,
Note = Buchstabe, Rhythmus = Akzent) vorzugehen: Der Schüler
lernt den gesungenen Ton durch das Notenzeichen darstellen und wan-
delt die Note singend wieder in den Ton um. (Diktat und nachheriges
Absingen desselben). Für das Singen auf der Oberstufe müßten ent-
sprechende Gesangbücher (hauptsächlich Übungsstoff und einige gute
Chöre enthaltend)- geschaffen werden. Damit soll nicht gesagt sein, daß
das Gedächtnissingen vollständig auszuschalten ist. Mit Maß und ent-
sprechend, d. h. nicht als vollständig mechanisches Einüben angewandt,
wird es dem verständigen Lehrer neben dem Notensingen — ich lege
besonderen Wert auf das Wort „Neben" — auch gute D enste leisten.
Möglichste Konzentration mit dem Unterricht in der Musiktheorie
und dem Schulunterricht, namentlich mit Sprache, Turnen und Religion,
werden den Gesangsunterricht zu einem wahren Bildungsfaktor erheben.
Gesang- und Theorieunterricht sollen da unbedingt in der Hand eines
Lehrers vereinigt sein, der wieder namentlich den sprachhchen Teil
des Gesangunterrichtes betreffend, in innigem Kontakt mit den literari-
schen Lehrern stehen müßte. ^
Was den Instrumentalunterricht anbelangt, so macht sich der
Mangel einer Einheitlichkeit des Unterrichtsvorganges der einzelnen
Lehrkräfte, hauptsächlich hervorgerufen durch das Fehlen eines vorge-
schriebenen progressiv geordneten Minimallehrstoffes der einzelnen In-
strumentalfächer, unangenehm fühlbar, während anderenteils das Nicht-
vorhandensein vieler notwendiger Musikalien in Punktschrift den Unter-
richt hemmend beeinflußt. Hier ließe sich wohl ohne besondere Kosten
gründliche Remedur schaffen.
Zur musikalischen Kunsterziehung gehört auch der Besuch von
Konzerten und Opernaufführungen. W^ohl wenige Zöglinge der Blinden-
anstalten (die künftigen Fachmusiker inbegriffen) haben genügend Gelegen-
heit, ihre musikalische Bildung auch auf diese Art zu vertiefen. Und doch
bedeutet für den Blinden beispielsweise das Anhören eines ihm vorher
entsprechend erläuterten Orchesterwerkes soviel, wie für den Sehenden
eine Kunstbetrachtung des Auges. Man trete also, wo das halbwegs
möglich ist, an die Direktionen von Konzertunternehmungen und Opern-
theatern mit der Bitte um Freikarten für blinde Zöglinge heran oder
kaufe des öfteren Karten. Unter dem Titel „Kunsterziehung" wird sich
wohl eine Bedeckung für diese nicht besonders hohe Auslage finden
11. Nummer. ZeitschriJt für das österreichische Blindenwesen. Seite 1221.
lassen. Besonders instruktiv würden sich diese Konzert- und Opern-
besuche gestalten, wenn nebst der Erläuterung einzelne besonders ge-
eignete Bruchteile eines gehörten Werkes im sogenannten Zöglings-
orchester, das ja an jeder Blindenanstalt bestehen dürfte, eingeübt
würden. Überhaupt erfährt die musikalische Kunsterziehung eine
wesentliche Förderung durch das Zusammenspiel der Zöglinge, wenn
dabei wirkliche Kunst (im anderen Falle ist es eher eine Hemmung)
betrieben wird.
Zusammenfassend sei nochmals betont, daß der gesamte Musik-
unterricht an der Blindenanstalt in erster Linie ein Bildungsgegenstand
sein soll. Der Instrumentalunterricht bilde für alle starken, mittel-
mäßigen und schwachen Talente ein obligatorisches Unterrichtsfach,
während der sogenannte Unbegabte durch den allgemeinen Gesang-
unterricht doch auch ein Mindestmaß musikalischer Kunsterziehung er-
hält. Daß der besonders Begabte beruflich ausgebildet wird, das
schwächere Talent Ablenkung und Zerstreuung und endlich an der
Anstalt durch das Musizieren auch das repräsentative Moment seine
Bechnung findet, ist nur ein V^orteil für das Ganze. Die Auswahl des
Lehrstoffes für die drei verschiedenen Begabungsstufen sei Sache des
streng individualisierenden Lehrers. Nachdem der vorzuschreibende
Stoff nur ein Minimal lehrstoff sein soll, erscheinen der Individua-
lisierung, namentlich den starken Talenten gegenüber, keine Grenzen
gezogen.
Eine wichtige Frage für den Musikunterrichtsbetrieb ist auch die
Auswahl der Lehrkräfte, die entschieden nach psychologischen Erfah-
rungen erfolgen muß. Die größten Künstler sind in der Begel nicht
die besten Lehrer, weil sie selten mit Maß aus der Fülle ihres geistigen
Besitzes zu geben wissen und vielfach für den ja mi idestens 5 Jahre
währenden Elementarunterricht ' die nötige Geduld nicht aufzubringen
vermögen. Auch der Musiklehrer muß vor allem Psychologe sein, da-
mit er die Aufnahmsfähigkeit des Schülers erkennt und den Stoff ent-
sprechend begrenzt. Nur höchste Intelligenz und Lehrbegabung darf
Anspruch auf den Titel Lehrer erheben.
Zum Schluße sei es auch noch gestattet, die Frage der Beauf-
sichtigung des Musikunterrichtes zu berühren. Der bisher in erster
Linie hiezu berufene Direktor der Blindenanstalt muß vor allem ein
tüchtiger Pädagoge, aber auch ein umsichtiger Verwaltungsbeamter
sein. Kann man von ihm verlangen, daß er auch ein gewiegter Musiker
sei ? Kann man dies von den übrigen Schulaufsichtsorganen verlangen ?
Da es zweifellos jedem Fachmann widerstreben muß, sich durch einen
Laien in seiner engeren Berufsbetätigung inspizieren zu lassen, macht
sich an der Blindenanslalt, wie an allen Schulen mit Musikunterrichts-
betrieb, entschieden der Mangel einer Fachinspektion fühlbar.
Wenn man einstens daran gehen sollte, den Musikunterricht an
den Blindenanstalten zeitgemäß auszugestalten, so würde eine solche
Reform keineswegs einen besonders bedeutenden Mehraufwand an mate-
riellen Opfern erfordert!. Bedenkt man aber, daß durch eine Verall-
gemeinerung der musikalischen Erziehung nicht nur der Blindensache
gedient sondern auch die Kunst als Blüte und Erzieherin des Volkes
wesentliche Förderung erführe, könnte dieser Mehraufwand segensreiche
Früchte tragen.
Seite 1222. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 11. Nummer.
Der Blinde in der Kinodarstellung.
(Schluß.)
Rmour tenebreux. (Der Roman eines Erblindeten, Liebe und
Dankbarkeit eines Zigeunermädchens.) Sonia, ein Zigeunermädchen, wird
vom Führer der Bande äußerst schlecht behandelt. Als die Zigeuner
einst in der Nähe eines herrschaftlichen Schlosses lagern, zeichnet der
dort wohnende Graf Sonia mit einer freundlichen Anrede aus. Das
Mädchen, das nie herzliche Worte vernommen hat, ist dem Herrn tief
dankbar. Nach einer neuerlichen, schweren Mißhandlung durch den
Zigeunerhauptmann entflieht sie zu dem Grafen, der sie dem Verfolger
abkauft. Olga, seine Geliebte, erkennt aber, daß das Mädchen ihn liebt.
Auf ihre Anregung kommt Sonia in ein Erziehungsinstitut. Als diese
von dort entflieht, verstößt sie der Graf. Sonia findet kümmerliche
Unterkunft bei einem Lumpensammler. Der Graf, ein Chemiker, erblindet
durch eine Explosion gelegentlich eines Versuches. Die Ärzte sind
ratlos. Olga ist in der ersten 'Zeit eine aufopfernde Krankenpflegerin.
Bald aber übermannt sie die Sehnsucht nach ihrem früheren, glänzen-
den, gesellschaftlichen Leben. Sie verläßt den hilflosen Blinden um
eines andern willen, dem sie nach Italien folgt. Durch die Zeitung
sucht der Graf eine andere Pflegerin. Das Papierstück mit der An-
nonce fällt Sonia bei ihrer Sortierarbeit zufällig in die Hände. Ohne
Zögern nimmt sie die Stelle an. Der Graf erkennt ihre tiefe Liebe,
verdrängt Olgas Bild aus seiner Seele und wendet sich ganz dem ehe-
maligen Zigeunermädchen zu. Einer Zeitungsnotiz zufolge will ein
berühmter, amerikanischer Augenarzt eine Augenoperation an dem
Kranken versuchen. Daraufhin wagt es Olga, die sich inzwischen mit
ihrem neuen Geliebten zerworfen hat, zurückzukehren. Olga und Sonia
treffen zusammen. Der Blinde hört den'sich entspinnenden Wortwechsel
und eilt herzu. Olga weist er zur Türe hinaus. Die Operation glückt.
Der Graf und Sonia sind in ,.Licht und Liebe" vereint.
Die Darstellung des Blinden verliert durch zu krasses Hervor-
kehren der Eigenheiten des Blind^nganges, des suchenden Tastens nach
Händen und Gegenständen an Lebensechtheit. Namentlich in der Szene,
da der Graf zu den beiden streitenden Frauen will, tritt dies deutlich
hervor. Der stelzende Gang mit seitwärts gespreizten Beinen rührt ans
Komische. Dagegen ist das Reagieren auf Anreden, das Hinneigen des
Ohres .gegen den Sprechenden viel natürlicher. Von einer gewissen
Tragik ist die Szene, da der Blinde, hilflos in seiner Eifersucht, den
Diener schauen läßt, wer Olga abholt, wo der stolze, unnahbare Herr
sein ganzes Innere vor diesem offenbart.
Konrad Hartls Lebensschicksal (Schauspiel in 4 Akten,
verfaßt von K. Tema). Der Uhrmacher Hartl ist mit einem Mädchen
aus gutem Hause (Stefanie) verlobt. Inzwischen ist der Weltkrieg aus-
gebrochen. Der junge Mann muß zum Militär einrücken und kehrt erst
als Kriegsblinder wieder heim. Seine Braut will dem Unglücklichen
ihr Leben weihen, da tritt aber ihr Vater dazwischen und löst die
Verlobung. Konrad will sich das Leben nehmen, wird aber aus den
Wellen gerettet. Stefanie läßt sich nun nicht mehr halten und ihr
gelingt es, den Unglücklichen wieder aufzurichten. Konrad erhält die
11. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1223.
Aufforderung, in die Kriegsblindenschule zu kommen, dort erlernt er ein
neues Handwerk und erhält von dem Verein „Kriegsblindenheimstätten"
Wien ein Haus zum Geschenk. Jetzt kann er auch seine Stefanie hei-
raten und die Versöhnung mit dem Schwiegervater erreichen.
In diesem wenig bekannt gewordenen Pogragandafilm für den
genannten Verein wird der Blinde ohne Übertreibung, also möglichst
natürlich gegeben. Der Besuch der Kriegsblindenschule bietet manches
Interessante. Die Arbeit des Blinden^als Buchbinder ist jedoch ver-
unglückt. Die Stotfbehandlung des Ganzen ist eine höchst naive.
Entsagungen (Modernes Charakterschauspiel in 4 Abteilungen).
Der große Chirurg Dr. Wegscheid erblindet, nachdem er noch vorher
der wunderschönen jungen Artistin Lisa durch eine Operation das
Leben gerettet hat. Aus Dankbarkeit widmet sich diese der Pflege des
Blinden und wird seine Braut. Aber kaum einen Tag Braut, verliebt
sie sich auf den ersten Blick in den heimgekehrten Neffen Dr. Weg-
scheids. Diese' Liebe bleibt dem Blinden natürlich nicht verborgen. Er
geht in den Tod und hinterläßt sein Vermögen den Liebenden.
. Das Stück erscheint dadurch wertvoller als andere, da in dem-
selben Ausschnitte aus dem Leben und Treiben eines Blindeninstitutes,
die Blindenschrift und Blindenarbeit verpflochten erscheinen. Leider
können wir aus Augenschein über die Darstellung der blinden Haupt-
person nicht berichten.
Die Tochter des Blinden (Spannendes Drama). In lustiger
Gesellschaft tanzt ein schönes Mädchen zu den Klängen, die ein blinder
Geiger seinem Instrument entlockt. Es ist seine Tochter. Ein Kenner
hat sich gefunden, ein junger Elegant, der die Tochter dem Vater ent-
führt. Vergebens sucht der Blinde sein Kind, führerlos bricht der
Greis nieder. Seine Tochter ist der Stern der vornehmen Welt gewor-
den, aber sie fühlt Reue und stürzt sich ihrem Vater, den sie bei
einem ländlichen Feste wiedersieht, zu Füßen. Der Blinde fühlt die
kostbaren Ringe, die goldenen Ketten an ihren Armen und er weist sie
von sich. Da siegt der gute Genius in dem Mädchen: sie macht sich
von der Gesellschaft los und kehrt im ärmlichen Gewand zu ihrem
blinden Vater zurück, der sie beglückt wieder aufnimmt.
Die Rolle des Blinden ist in diesem Stücke in Ausdruck und
Bewegungen ganz gut gegeben. Die Raschheit der Bewegungen und
manche Kleinigkeiten verraten jedoch, daß sie von einem Sehenden
gespielt wird.
Das Geheimnis des Blinden (Großes Sensationsdrama in
8 Akten nach ungarischen Motiven von J. Gergeli). Ein alter blinder
Mann wurde Zeuge eines Vorfalles, aus dem sich die abenteuerlichsten
Entwicklungen ergeben. Die Handlung findet durch die Aufklärung
seitens des Blinden wieder ihre Lösung. Im Übrigen spielt der Blinde
in der Sache keine Rolle.
König Oedipus (Großes Drama in 4 Akten). Der Inhalt dieses
Stückes kann als bekannt vorausgesetzt werden. Am Ende des Dramas
will Oedypus seine Schuld sühnen: Er verzichtet auf das Licht des
Himmels und sticht sich vor dem entseelten Körper Jokastes die
Augen aus.
Seite 1224. Zeitschrift tüi das österreichische Blindeiiwei,c;n. 11. Nummer.'
Die Blendung geschieht in recht ungeschickter Weise. Ebenso
sind die Bewegungen des Geblendeten ungeschickt.
Von einem Film „Der Hund des Blinden" ist dem Schreiber
dieser Zeilen bisher nur der Titel bekannt geworden^' das Kinostück
„Der blinde japanische Masseur-' sah er verspätet angekündigt
und vermochte auch nicht, dessen Inhalt zu erfahren.
\'on den Blinden Deutschlands wurde seinerzeit gegen eine heitere
Kinoszene, in welcher ein blinaer Klavierstimmer ein Instrument
recht barbarisch behandelt, Stellung genommen. Gewiß, kann eine
solche Szene eine Schädigung der blinden Stimmer mit sich bringen,
obwohl die vernünftigen Zuschauer sich wohl der humoristischen
Übertreibungen bewußt werden müssen.
Was wir in den berührten Stücken von Blinden sehen, bezieht
sich lediglich auf Rührseligkeit oder Sensationsmache. Nur in zweien
finden wir die eigentliche ßlindensache kurz und nebensächlich berührt.
Nirgends tritt ein wirklich Blinder auf. . Die Figuren der Blinden werden
von Sehenden dargestellt und dies in keineswegs getreuer Wiedergabe.
Das Wesen der Filmdarsteller liegt in der Bewegung. Das äußere,
einförmige Gehaben des Blinden ist daher der Kinodarstellung zuwider-
laufend. Der ...Filmdarsteller fußt auf der beredten Gebärde, einem Aus-
drucksmittel, das dem Blinden ganz oder fast ganz fehlt. Darum nuiß
dem Fachmann ein vorbedachtes Kinoschaustück mit einem Blinden
ungenügend erscheinen. Man könnte sich mit dieser Mangelhaftigkeit
aber immerhin noch zufrieden geben, würden die Filme nur noch der
Blindensache im allgemeinen gerecht werden. Aber kaum bei einem
oder dem anderen trifft dies auch nur halbwegs zu. Und in welch
großartiger Weise könnte das Kino der Blindenfürsorge dienen! Davon
sind wir aber noch sehr weit entfernt. Als Ansätze hierzu lassen sich
höchstens nachstehend angeführte Stücke erwähnen:
Ein Propagandafilm für Kriegsblindenführerhunde „Dem Licht
entgegen" wurde in Deutschland gespielt. Derselbe bietet eine An-
einanderreihung von Bildern aus dem Felde neben solchen von der
Heimatfront. Haupthelden sind nicht nur zwei tapfere Krieger, sondern
auch Senta, der preisgekrönte Sanitätshund.
Der „Ausschuß zur Untersuchung der Arbeitsmöglichkeiten für
Blinde-' in Berlin verfügt über einen Film: „Kriegsblinde in der
Werkstatt", der die verschiedensten Arbeitsmöglichkeiten für Blinde
im Kleinbauwerk vorführt, wobei besonders ein Kriegsblinder mit
gelähmtem linken »Arm, der zwei halbautomatische Maschinen bedient,
und ein einarmiger Kriegsblinder an der Bohrmaschine lebhaftes Inter-
esse erwecken.
Das sind bescheidene Anfänge, Bilder aus dem Leben und der
Arbeit Blinder darzubieten. Sonstige Stoffe wären in reichster Aus-
wahl vorhanden und ein Filmdichter könnte sich auch ohne sentimen-
tale Übertreibungen manch anregenden Stoff aus der Welt der Blinden
holen. Vor allem aber könnte das Kino die beste Propandastätte für
die Blindenfürsorge werden, indem es den breiten Massen des Volkes
die Notwendigkeit der Blindenbildung und Blindenarbeit nahe bringt.
11. Nummer. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen. Seite 1225.
Die Schaffung einer Reihe guter Propagandafilms dieser Art mit zeit-
^\'eiser Vorführungsverpflichtung in jedem Kino würde die besten Früchte
zeitigen. Könnte dazu unsere neugeschaffene „Deutschösterreichische
Kihnhauptstelle" die Hand bieten?
Staatlidie BHndenfürsorgekommission.
Unter der Leitung des Ministerialrates Dr. Hock wurde in der
Sitzung am 5. November 1. J. eine Reihe wichtiger Fragen zum Teile
erledigt, zum Teile vorberaten. Der eingebrachte Reformplan für
das Blindenbildungswesen wurde verlesen und einem Komitee,
bestehend aus drei Vertretern der Staatsämter sowie den Herren Heller,
Gigerl, Kneis, Bürklen, Horvath, Höbart und Satzenhofer,
zur eingehenden Beratung zugewiesen. An Subventionsmitteln für all-
gemeine Fürsorgezwecke der Blinden und Taubstummen sind 250.000 K
vorhanden. Die Kommission machte dem Staatsamte betreffs Sub-
ventionszuwendungen folgende Vorschläge, denen das Staatsamt
nach Möglichkeit und unter Vorbehalt eines endgültigen Beschlusses
entsprechen wird : Isr. Blindeninstitut in Wien XIX als einmalige Hilfe
einen noch festzusetzenden Betrag (angesprochen wurden 20 — 25.000 K);
Odilienblindenanstalt in Graz 20.000 K, Leihbibliothek des Blinden-
erziehungsinstitutes in Wien II 10.000 K; Asyl für blinde Kinder in
Wien XVII 10.000 K, Anstalt zur Ausbildung von Spätererblindeten in
Wien XIX 10.000 K, M. Przbr. Mädchenheim in Wien XIII 10.000 K;
1. Ost. Blindenverein 10.000 K und 8000 K für die in Punktdruck er-
scheinenden Vereinsmitteilungen, Zeitschrift für das öst. Blindenwesen
5000 K, Zeitschrift ,..J. W. Klein" 5400 K, Verein „Lindenbund" in
Wien XX 1500 K, Zentralbibliothek 1000 K, Musikalienleihanstalt des
Vereines „Die Purkersdorfer*' 1000 K. Die Errichtung von Landes-
Blindenfür Sorgekommissionen soll bei den einzelnen Landes-
regierungen betrieben werden. Bezüglich der Blinden Statistik wurde
der Wunsch ausgesprochen, sowohl bei der prov. Volkszählung im heuri-
gen Jahre als auch bei der Volkszählung im Jahre 1920 die Blinden
zu zählen und auf Grund dieser Ergebnisse genauere Erhebungen über
die Blinden anzustellen. Eine Überlassung von Gebäuden für
Blindenfürsorgezwecke ist angeblich unerreichbar und es dürften
auch weitere Bemühungen zu keinem Ergebnisse führen. Aus demselben
Grunde erscheint auch die Schaffung einer staatl. Blindenbücherei
gegenwärtig nicht durchführbar, obwohl einer Viereinigung der beste-
henden Bibliotheken nichts mehr im Wege stünde. Dagegen wird sich
die Anregung zur Schaffung eines Erholungsheimes für Blinde
wahrscheinlich in Prolling (Besitz des Blinden-Erziehungs-Institutes in
Wien II) verwirklichen lassen. Mit der Durchführung dieser Angelegen-
heit wurde ein kleines Komitee betraut.
Ein Blindenstück.
Lebenswille. Ein Stück in 3 Akten von Siegfried Ab 1er.
Uraufführung im Wr. Komödienhaus am 6. XI. 1919.
Ein Stück, das kennen zu lernen ich jedem reifen Blinden an-
empfehlen müßte. Aber mehr als das — ein wahres, durchempfundenes
Seite 1226. Zeitschrift das für österreichische Blindenwcsen. 11. Nummer.
Stück Leben, ein Bild seiner inneren und äußeren Tragik. Ein Kriegs-
blindensciiicksal und doch viel mehr als das! Lebensfragen werden ge-
streift, die uns alle berühren.
Karl Berger verliert das Augenlicht im Kriege. Er verbirgt sich
unter einem falschen Namen, da er als Erblindeter ein ganz neues
inneres Leben hat. Er will nicht mit seiner Frau, die er während des
Krieges nahm, zusammenkommen, denn sie kennt und liebt ihn als
Sehenden. Es ist nicht kleinliches Verzweifeln, es ist ein starker und
doch im innersten ungesunder Impuls: er meint einsam bleiben zu
müssen, da er nur in der Beziehungslosigkeit, in dem Nichtvergleichen
müssen, ein neues Glück für sich erhofft. Seiner Frau aber gilt er
tot. Sie hat in diesem Glauben den Freund, dem der 'Gatte sie einst
zum Schutze anvertraut hat, liebgewonnen. Ein interessantes psychi-
sches Problem rollt der zweite Akt auf: die Frau, die ihre erste Liebe
zurücktreten fühlt und als liebebedürftiges Wesen nun sich dem zweiten
mehr körperlich zugeneigt fühlt. Unschuldig kommt sie zum Ehebruch.
Erschütternd wirkt der Augenblick, da sie es aus dem Munde des
zweiten erfährt, daß ihr Gatte noch lebt, daß er aber blind ist. Jener
hat ihn auf dem Bilde einer illustrierten Zeitschrift erkannt, hat ihn
aufgesucht. Der Blinde hat erkannt, wie es zwischen den beiden steht,
und er gibt seine Frau frei. Der Zweite will nun all die^ittere Ver-
neinung der Möglichkeit der Wiederaufnahme des ehelich Gemeinsamen,
wie sie der Blinde ausgesprochen hat, sich selbst zu Gefallen, der Frau
begreiflich machen. Elementar aber bricht sich aus ihr nur die Frage
los: „Wo — wo ist er." Und sie sucht ihn auf. Und der Blinde, der
sie der Notwendigkeit einer Scheidung hat überzeugen wollen, vergißt
seine Vorsätze, seine Liebe ist wieder wach und er unterliegt mit
seinen schroffen Anschauungen vor der reinen, unendlichen, gütigen
Liebe seitier Frau. Und die Worte die er dem „Freunde" sagt, sind
eine prächtige Lebensbejahung. „Du brauchst nicht," sagt er ungefähr,
„zu meinen, daß du weniger häufig kommen sollst. Millionen sterben-
der Geister ringen um das Glück dieser Welt. Und ich will den Kampf
aufnehmen auch hier."
Es ist ein Stück, das jeder reife Blinde kennen lernen soll, aber
es ist ungleich mehr. Ein Theaterstück im besten Sinne des Wortes, ein
Stück wertvoller Literatur. Schade, daß die Operettenbühne es so
wenig ernst mit dem Einstudieren nahm. Die Darstellung der Blinden
war frei von aller Theatermache, wohl das Verdienst des Dichters.
Das Stück wird seinen Weg machen, dafür bürgt sein innerer Wert.
O. Wanecek.
Die Gerda-Sdireibmaschine für Kriegsbeschädigte und Blinde.
Der Blindenlehrer Herr Georg Em ig, der insbesondere sich die
Einschulung und Ausbildung der Kriegsblinden angelegen sein ließ, hat
kürzlich auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen eine Schreib-
maschine geschaffen, die berufen i.st, dem vorhandenen Bedürfnis der
Kriegs- und Friedensblinden, insbesondere aber auch der einarmigen
Kriegsbeschädigten, nach einer einfachen und leichtzuhandhabenden
Schreibmaschine für die persönliche und kleinere Korrespondenz abzu-
helfen. Der Erfinder hat seine Schreibmaschine mit all den Einrieb-
11. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1227.
tungen versehen, die zur absoluten Schreibsicherheit unbedingt not-
wendig sind und eine erhöhte Leistungsfähigkeit durchweg gewährleisten,
sich aber im Rahmen einer kleineren Schreibmaschine unterbringen
ließen. Daß der Erfinder darauf Rücksicht nahm, die Gerda-Schreib-
maschine außer für Blinde auch für Einarmige gebrauchsfähig zu machen,
welchen Doppelzweck die Gerda-Schreibmaschine auch vollkommen
erfüllt, erhöht ihren Wert. Aus der Konstruktion der Schreibmaschine
muß besonders hervorgehoben werden, daß alle Typen auf einem
Typenrad vereinigt sind und daß kein Farbband vorhanden ist. Die
B'ärbung der Typen bewirkt ein Farbröllchen, das gerade für Blinde
sehr vorteilhaft ist, weil es keiner besonderen Aufsicht bedarf. Die
Schönheit- der Schrift wird durch diese beiden Eigenschaften der Gerda-
Schreibmaschine nicht beeinträchtigt.
Die Gerda-Schreibmaschine ruht auf einer Holzplatte, wird von
einem eleganten Schutzdeckel geschützt und wiegt 4 kg. Die Art und
Weise des Schreibens bei der Gerda-Schreibmaschine hält sich eng an
einen automatischen Apparat, mit welchem man sich sein eigenes
Namensschild oder auch andere beliebige Wörter auf einem Aluminium-
streifen selbst drucken kann. Diesen Apparat hier zu nennen, halte
ich zur Verständlichkeit der Gerda-Schreibmaschine, ohne sie ge-
sehen oder befühlt zu haben, für notwendig. Bei diesen Apparaten
findet man die Buchstaben des Alphabetes, die Satzzeichen und die
Zahlen in ZilTerblattform geordnet vor. Ein beweglicher Zeiger, ähnlich
wie bei der Uhr, dient zum Aufsuchen der gewünschten Buchstaben
und durch einen besonderen Hebel werden die Zeichen gedruckt.
Das ächreibverfahren bei der Gerda-Schreibmaschine ist also ähn-
lich, nur ist die Anordnung usw. auf den Bogen eines auf der Spitze
stehenden, beweglichen Kreisausschnittes beschränkt. Auf diesem Bogen
sind die Buchstaben, die Satzzeichen und die Zahlen in Sehwarzdruck
auf einer Papierskala angebracht.
Ein feststehender Zeiger vor diesem Kreisbogen dient zum Fest-
halten der aufgesuchten Buchstaben usw. Der ganze Kreisausschnitt,
der in schräger Lage gehalten ist, wird zum Aufsuchen der Buchstaben
usw. seitlich bewegt, bis der gewünschte Buchstabe usw. unter den
Zeiger zu stehen kommt. Zum Schreiben dieses Buchstabens usw. wird
dann die ganze Schreibplatte, das ist der metallene Kreisausschnitt mit
Unterlage, mit einem leichten Schwung nach unten gedrückt. Dabei
ruht die Hand auf dem Drehpunkt der Schreibplatte und Daumen und
Mittelfinger haben die Führungsbacken der beweglichen Platte erfaßt.
Mit dem Druck der Schreibplatte nach unten wird das Typenrad mit
dem gewünschten Tiuchstaben usw. auf die am hinteren Ende der Holz-
unterlage befestigte Walze, die das Schreibpapier hält, aufgeschlagen.
In dieser Weise reihen sich die Buchstaben auf dem Papier in klarer
schöner Schwärzung aneinander. Für Blinde sind die Buchstaben
zweireihig auf der feststehenden Schreibplatte in Metallpunkten ange-
bracht. Das Aufsuchen der einzelnen Buchstaben durch Blinde kann
rasch und sicher geschehen, sobald man sich • den Ort der einzelnen
Buchstaben eingeprägt hat. Die großen Buchstaben und die Satzzeichen
und Zahlen werden durch Umschaltung geschrieben, wozu für zwei-
händige Schreiber seitlich der Schreibplatte Umschaltknöpfe angebracht
Seite 1228. Zeitschrift für das österreichische Blindenwe&en. 11. Nummer
sind, während sich diese für den Einarmigen vor ihr befinden, so daß
die Umschaltung vor dem Niederdrücken der Schreibplatte von dem
Daumen und von dem Handballen bedient werden kann. Dieses höchst
einfache Schreibverfahren räumt der Gerda-Schreibmaschine unter den
einfachsten Schreibmaschinen die erste Stelle ein. Somit kann ich den
sehenden Kriegsbeschädigten, insbesondere den Einarmigen, wie den
Kriegs- und Friedensblinden die Gerda-Schreibmaschine nur wärmstens
empfehlen, weil mit ihr hinreichend jede kleinere Korrespondenz vor-
teilhaft erledigt werden kann. Der Preis der Gerda-Schreibmaschine
für sehende und blinde Zweihänder von 195 M und für die Einarmigen
von 210 M ist angemessen und den heutigen Preisverhältnissen an-
gepaßt. Max Albert Butze.
Die Blinde.
Von Adelbert von Chamisso.
1.
Es hat die Zeit gegeben.
Wo hinaus mein Auge mich trug,
Zu folgen im tiefem Lichtmeer
Der flüchtigen Wolken Zug;
Zu streifen über die Eb'ne
Nach jenem verschwindenden Saum,
Mich unbegrenzt zu verlieren
Im lichten, unendlichem Raum.
Die Zeit ist abgeflossen.
Leb wohl, du heiterer Schein!
Es schließt die Nacht der Blindheit
In engere Schranken mich ein.
0 trauert nicht, ihr Schwestern,
Daß ich dem Licht erstarb;
Ihr wißt nur, was ich verloren,
Ihr wißt nicht, was ich erwarb.
Ich bin aus irren Fernen.
In mich zurücke gekehrt.
Die Welt in des Busens Tiefe
Ist wohl die verlorene wert.
Was außen tönet, das steiget
Herein in mein Heiligtum;
Und was die Brust mir beweget,
Das ist mein Eigentum.
2.
Wie hat mir einer Stimme Klang geklungen
Im tiefsten Innern
Und zaubermächtig alsbald verschlungen
All mein Erinnern!
11. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seite 1229.
Wie einer, den der Sonne Schild geblendet,
Umschwebt von Farben,
Ihr Bild nur sieht, wohin das Aug' er wendet.
Und Flammengarben:
So hört' ich diese Stimme übertönen
Die lieben alle.
Und nun vernehm' ich heimlich nur ihr Dröhnen
Im Wiederhalle.
Mein Herz ist taub geworden! wehe, wehe!
Mein Hort versunken!
Ich habe mich verloren, und ich gehe
Wie schlafestrunken.
3.
Jammernd sinn' ich und sinn' immer das Eine nur:
Wonneselig die Hand, welche beseelet, sanft
Gleitend über mein Antlitz,
Dürft' ihm Form und Gestalt verleihn!
Armes, armes Gehör, welches von ferne nur
Du zu schlürfen den Ton einig vermagst, ins Herz
Ihn nachhallend zu leiten.
Ob nachhallend, doch wesenlos!
Stolz, mein Stolz, wohin gekommen!
Bin ein armes, armes Kind,
Deren Augen, ausgeglommen,
Nur zu weinen tauglich sind.
Lesen kann ich in dem seinen
Nicht das heimlich tiefe Wort;
Meine schweigen, aber weinen,
Weinen, weinen fort und fort.
Ja, wir sind getrennt! In Scherzen
Und in Freuden wandelßt du,
Über mich und meine Schmerzen
Schlägt die Nacht die Flügel zu.
Hus den Hnstalten.
Landes - Blindenanstalt in Klagen fürt. Eröffnungsfeier.
Anläßlich der Wiedereröffnung fand am 4. Oktober 1. J. im Turnsaale der Anstalt
eine Feier statt, bei welcher auiier musikalischen und deklamatorischen Vorführungen
auch ein von Frau Senta Jölly verfaßtes Festspiel durch blinde Zöglinge auf-
geführt wurde und allseitig Anklang fand.
Seite 1230. Zeitschrift für das österreichische Blindenvveseh. 11. Nummer.
flus den Vereinen.
Verein für Blindenfürsorge in Kärnten. Das vom Vereine erhaltene
Heim stand auch im vierten Kriegsjahre mehr denn je im Zeichen der Kriegsblinden-
Fürsorge und mußte sich zum Kriegsblindenheim erweitern, indem der Verein für
Blindentürsorge im Einvernehmen mit dem Landesausschusse daselbst eine Kriegs-
blinden-Schulungsstätte unterhält. Insgesamt waren in derselben 26 Kriegsblinde
untergebracht. Mit Zustimmung des Kärntner Landesausschusses fanden auch drei
männliche und drei weibliche Zöglinge der Landes-Blindenanstalt in den Arbeits-
abteilungen der Bürstenbinderei, bezw. Strickerei, zur Ausbildung Aufnahme.
GENERALVERSAMMLUNG
des „Zentralvereines für das österreichisdie Blinden wesen" am
Samstag, den 22. November 1919, um 4 ühr
in der Versorgungs- und Besdiäftigungsanstalt für erwachsene
Blinde in Wien, VIII., Josefstädterstraße 80.
TAGESORDNUNG : Tätigkeitsbericht Kassabericht.
Gründung einer „Lehrersektion". Anträge. Allfälliges.
Verschiedenes.
Staatspreis für die Abrichtung ein es Blindenf ühr er hundes.
Am 26. Oktober 1919 hat der Österreichische Polizei- und Schutzhundeverein auf
seinem Dressurplatz eine Vorführung von verschiedenen einschlägigen Abrichtungen
veranstaltet. Vom Staatsamte für soz. Verw. war ein Staatspreis in Gestalt
eines Ehrengeschenkes gestiftet worden, welches widmungsgemäß demjenigen zuzu-
erkennen war, welcher die besten Erziehungsergebnisse auf dem Gebiete der
Abrichtung von Blindenführerhunden nachweisen würde. Dieser Preis wurde dem
Herrn Ludwig Merey zuerkannt, welchem gleichzeitig ein besonderes Anerken-
nungsschreiben des Staatsamtes zugefertigt wurde. In diesem Schreiben wird die
Bedeutung der Preisleistung für die Pflege dieses wichtigen Dressurzweiges hervor-
gehoben und darauf hingewiesen, wie sehr eine Verbreitung und Nutzbarmachung
der Abrichtungsmethode einem dringenden Bedürfnisse der staatlichen Blinden-
fürsorge entsprechen würde.
Bilderagentur für Blindenz wecke. Wie Provinzblätter aus Nieder-
österreich melden, treibt sich auf dem Lande ein Agent um, der angeblich vom
Staatsamte ausgesendet und für Blindenfürsorgezwecke sammeln soll, eigentlich aber
weiter nichts als ein Bilderhausierer ist, der das Bild »Republik Deutschösterreich«
vertreiben will. Dieser zudringliche Agent, welcher für diesen Zweck erst 100 K
verlangt, läßt auch handeln, geht bis 25 K herunter und ist zuletzt mit einer Angabe
von 7 K zufrieden. Gesagt muß es werden, daß es unpassend ist, auf diese Weise
den Wohltätigkeitssinn der Bevölkerung auszunützen oder auch zu vernichten. Es
wird daher empfohlen, Spenden für Blindenfürsorge direkt an die Behörde zu über-
weisen und jenen, welche das Bild kaufen wollen, dieses separat zu tun. Was bei
dieser Art von Sammeln für die Blinden bleibt, kann man sich denken.
Ein Triumph der Augenheilkunde. Durch Verpflanzung eines Teiles
von einem Hundsauge auf ein Menschenauge ist es gelungen, Blindheit zu heilen,
und zwar bei einem Patienten, der von Kindheit an vollkommen blind war.
Die durch Augenentzündung hervorgerufene Blindheit hat ihre Ursache meist
in der Hornhaut, die ihre Durchsichtigkeit verloren hat. In solchen Fällen
gibt 63 nur eine Möglichkeit, dem Kranken das Augenlicht wieder zu schen-
ken : man muß die kranke Hornhaut durch eine gesunde ersetzen. Bei dieser
Operation wurde folgender Vorgang eingehalten. Die Bindehaut wurde zurück-
geschlagen, darauf ein Teil der Hornhaut aus dem Auge genommen und in Blut-
serum gesetzt. Nach diesem Vorgang am Hundsauge wird an dem menschlichen
Patienten die gleiche Operation durchgeführt; auch hier wi:d an der Vorderseite
Herausgeber: Zentralverein für das österreichische BHndenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Biirklen,
J. Kneis, A. . HorTath, F. Uhl. — Dmck »on Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
des Auges eine der Größe der dem Hundeauge entnommenen Hornhaut entsprechende
Schicht entfernt, die Hornhant des Hundes aufgesetzt und mit ganz feiner Seide
befestigt. Die zurückgeklappten Hautteile]! werden wieder vorgeschoben und eben-
falls vernäht. Die Verwachsung dauert meist nur wenige Tage, während deren das
Augei durch eine Glasumhüllung in der richtigen Lage gehalten wird. Um den
Heilungsprozeß zu fördern, hat man anregende Serumeinspritzungen vorgenommen,
die sich als sehr günstig erwiesen.
Blinde Raupen. Schon Schopenhauer fiel es auf, daß die Natur in
ihrer Einrichtung die Fortdauer der Gattung fördere, für das Einzelwesen aber wenig
oder nichts tue. So werden von jedem Einzelnen unendlich viele Keime ausgestreut
(z. B, von Bäumen, Fischen, Krebsen, Ameisen usw.), während dem Einzelwesen
selbst nur soviel an Kräften und Organen gegeben ist, daß es nur bei unaus-
gesetzter Anstrengung sein Leben fristen kann, weshalb ein Tier, wenn es verstümmelt
oder geschwächt wird, in der Regel verhungern muß. Und wo eine gelegentliche
Ersparnis möglich war, dadurch, daß ein Teil zur Not entbehrt weiden konnte, ist
er, selbst außer der Ordnung, zurückbehalten worden. Daher fehlen z. ti. vielen
Raupen die Augen, Die armen Tiere tappen im Finstern von Blatt zu Blatt, was
beim Mangel der Fühlhörner dadurch geschieht, daß sie sich mit den Vierteln ihres
Leibes in der Luft hin und her bewegen, bis sie einen Gegenstand treffen, wobei
sie oft ihr dicht daneben anzutreffendes Futter verfehlen.
Seltsamer Tierschutz. Der GeneralkommissäJ für Venetien hat ein
Dekret über Vogelfang erlassen, welche« den Fang von Vögeln bis zur*' Größe der
Drossel mittelst Schlingen, Leimruten und Netzen gestattet. Erblindete Vögel
sind jedoch vom Fang ausgeschlossen. Die Durchführung des letzteren Verbotes,
daß sich beim Massenmord gesunder Vögel höchst sentimental anhört, dürfte in der
Durchführung wohl einige Schwierigkeiten machen. Wenigstens ist nicht abzusehen,
wie die Vogelmörder die Feststellung der Blindheit bei ihren Opfern vornehmen.
Kriegsblindenfürsorge in Frankreich. Für die Kriegsblinden
wurden Werkstätten und Unterkunftsgebäude an bereits vor dem Krieg eingerichtete
Blindeninstitute in Paris und in der Provinz angegliedert. Man vermeidet es nach
Möglichkeit, die Blinden in eigenen 'Anstalten unterzubringen, und stellt ihnen gegen
geringe Bezahlung kleine Wohnungen für sich und ihre Familien zur Verfügung.
Die Blinden lernen schreiben und Brailleschrift lesen ; durch elektrisch betriebene
Apparate ist dieser Unterricht auch für erblindete Armamputierte ermöglicht wor-
den. Außer den althergebi achten Gewerben (Bürstenbinderei, Korbflechterei) hat
man mit Erfolg versucht, die Blindeu mit Hilfe sinnreich konstruierter Werkzeuge
für Teilarbeit in der Schusterei und Tischlerei auszubilden.
— Der Blinde. An der Unterführung steht ein Bettler, der, wie ein Täfel-
chen auf seiner Brust besagt, blind ist. Ich trete hinzu und werfe ihm eine kleine
Münze in den Hut und, weil ich sie gerade in der Hand habe, auch einige Brot-
marken. Eben will ich ihn aut diese aufmerksam machen, doch da kommt er mir
auch schon zuvor. »Ich dank' schön, Herr«, ruft er mit heiserer Stimme, »besonders
für die Brotmarken.«
— Geschäftsentwertung. Blinder Bettler: »Recht ung'legen is mir die
Revolution schon 'kommen. Mei' Spieldosen spielt blos »Heil dir im Siegerkranz!<
Bücherschau.
Paris P. : Unfallverhütung bei der Beschäftigung Kriegs-
blinder in gewerblichen Betrieben. (Berlin 1919, Vossische Buchhand-
lung.) Nach Veröffentlichung des Artikels »Arbeitsmöglichkeiten für
Kr iegsblinde ibei Herstellung elektrischer Installationsmateri-
alien« durch denselben Verfasser zeigte sich alsbald reges Interesse seitens vieler
Fabrikanten, welche ebenfalls Versuche mit Blindenbeschäftigung machen wollten.
In den meisten Fällen wurden Bedenken laut bezüglich der schwierigen Frage der
Unfallverhütung unter Hinweis auf die erhöhten Gefahren für Blinde.
Nach den im Kleinbauwerk der Siemens-Schuckertwerke in Berlin gemachten
Erfahrungen lassen sich an Maschinen entsprechende Sicherungen anbringen, um
Blinde bei der Arbeit vor Unfällen zu schützen. Der Artikel zeigt dies in anschau-
licher Weise in Wort und Bild. Die Broschüre »Kriegsblinden-Beschäftigung in
der Werkstatt« ist in einem neuen erweiterten Sonderabdruck erschienen.
Die GERDA- SCHREIBMASCHINE
für Kriegsbeschädigte und Blinde
gestattet dem Sehenden wie dem Blinden, insbesondere aber vor beiden
den Einarmigen ihre kleine Korrespondenz leicht und schnell zu
erledigen. Dieses einfachsten Hilfsmittels sollte sich jeder bedienen.
Man verlange Prospekt von M. Butze, Riesa a. d. Elbe., Bismarkstraße 15 a.
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□
□
Organ des „Zentralvereines für das österreichische Blinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
r-i Schriftleitung
[-] Purkersdorf
□ bei Wien.
D Österreicbiisches
n Postsparkassen-
konto Nr.132.257
H
Das Blatt erscheint
monatlidi einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
r-n Bezugspreis r-i
Q ganzjährig mit q
□ Postzustellung □
D 6 Kronen, D
Cl Einzelnummer LJ
D
50 Heller.
D
6. Jahrgang.
Wien, Dezember 1919.
12. Nummer.
IMHflLT: O. Wanecek, Purkersdorf: Einrichtung von Schwachsichtigen-Hilfskassen«
angeschlossen an Schulen für Normalsiditige oder Blindenunterrichtsanstalten-
Maxüayek: Eine Wiener Straßenszene, fl. Chamisso: Die Blinde. Personal-
nachrichten. Aus den Anstalten. Rus den Vereinen. Büchersdnau. Verschie-
denes. Altes und Neues. (Ankündigungen.)
1&=
^r
^ Beitrittserklärungen zum „Zentralverein für das österreidiisdie ^
Biindenwesen" v»/erden erbeten an die Leitung in Wien VIII,
g Josefstädterstraße 80. Mitgliedsbeitrag 3 K, Zeitungsbeitrag 3 K. g
flites und Neues.
Ein rettender Einfall.
An einem Frühlingstage des Jahres 1853 wurde ein junger Bild-
hauer, namens B en nhof er, der bereits beachtenswerte Proben eines
ungewöhnlichen Talents abgelegt und sich nach einigen Erfolgen auf
Ausstellungen mit einem jungen Mädchen verlobt hatte, bei einem
Spaziergange in der Nähe von Wien während eines Gewitters vom
Blitze getroffen und für längere ^Zeit betäubt.
Das Erwachen für den Ärmsten war furchtbar. Er war durch
die Einwirkungen des elektrischen Stromes des Augenlichtes beraubt
worden. Seine Verwandten brachten ihn in die Klinik des berühmtesten
Augenarztes von Wien, des Professors Ferdinand von Ar lt. Doch
auch dessen Kunst vermochte ihm die gestörte Sehkraft nicht wieder
zu geben. Als Bennhofer erfuhr, daß er für sein weiteres Leben blind
bleiben müsse und nie wieder seine geliebte Bildhauerkunst ausüben
könne, brach er völlig zusammen. Da er ein nur bescheidenes Ver-
mögen hatte, löste sich auch seine Verlobung auf, obwohl seine Braut
schließlich nur dem Drängen ihrer Eltern nachgab. Tagelang saß
Bennhofer in seinem Krankenzimmer und brütete düster vor sich
hin. Mehrmals versuchte er sich das Leben zu nehmen. Von Tag zu
Tag steigerte sich seine trübsinnige Stimmung und bereits machten
sich bei ihm die ersten Anzeichen einer beginnenden Geistesstörung
bemerkbar, als der Professor auf ein einfaches Mittel verfiel, die
Gedanken des unglücklichen, jungen Mannes etwas abzulenken und
zunächst wenigstens ein gewisses Interesse für andere Dinge bei ihna
zu erwecken. Er knüpfte in eine Schnur einen vielfach verschlungenen
Knoten und bat Bennhofer dann, den Knoten zu entwirren, eine
Tätigkeit, die immerhin eine gewisse geistige Anspannung erforderte.
Arlt hatte den richtigen Weg eingeschlagen. Der Blinde fand an
dem Entwirren der verwickeltsten Knoten immer mehr Vergnügen, so
daß er es schließlich zu einer großen Fertigkeit darin brachte. Dadurch
gewannen seine Finger eine unglaubliche Feinfühligkeit, bis man Benn-
hofer nach einem halben Jahre Knetmasse anvertraute, aus der er ver-
schiedene, vorläufig noch einfache, Gegenstände zu formen begann. Mit
dem jungen Mann war körperlich und geistig eine große Aenderung
zum 13essern vor sich gegangen und mit Stolz zeigte er seinem Wohl-
täter stets die Proben seiner Fingerfertigkeit. Nach 2 Jahren modellierte
er bereits die zierlichsten Figürchen. Bald wurde ein Porzellanvvaren-
fabrikant auf die in jeder Hinsicht künstlerischen und eigenartigen
Werke Bennhofers aufmerksam und beschäftigte ihn dauernd, so daß
er reichlich verdiente. Die Braut, die ihn nur halbgezwungen verlassen
hatte, kehrte zu ihm zurück und bald wurde aus beiden ein seliges
Paar. Bennhofer nahm eine größere Arbeit in Angriff. So entstand
im Verlaufe von drei Monaten seine rührende Gruppe »Der
blinde Gatte«, die ihm 1864 in München die goldene Medaille einbrachte
und dann vom Wiener Nationalmuseum angekauft wurde. Bennhofer
starb im Jahre 1889 an einer Lungenentzündung. Seine Familie bewahrt
noch heute wie eine Reliquie die Schnur auf, in die der berühmte
Augenarzt einst jenen ersten Knoten geknüpft hatte, durch den ein
völlig Verzweifelter sich in Wahrheit zu sich selbst zurückfand.
6. Jahrgang.
Wien, Dezember 1919.
12. Numnner.
^
„Treffe ich einen Menschen, der sich gesunder
Sinne zu erfreuen hat, und der, ohne sonstwie
elend zu sein, unzufrieden ist, weil ihm nicht
alles nach Wunsch geht, dann möchte ich ihm
zurufen : so schau doch um dich und merke,
■welche Fülle von Freude und Glück durch die
Augen unaufhörlich in dich einströmt und, so oft
du willst, auch durch die Ohren!" k. jentsci,.
iii>S'»^^f^^^iji^iJ^^»'S^^.^?S;!Si-?I^^^SSi^'Si^<^^^^^^®^&^&'»^^
g»
Einrichtung von Schwachsichtigen-Hilfsklassen,
angeschlossen an Schulen für Normalsichtige
oder Blindenunterrichtsanstalten.
Von Ottokar Wanecek, Blindenlehrer, Purkersdorf.
Mit Erlaß vom 19. April 1919. Zahl 2322, Abt. 13, hat der Unter-
staatssekretär für Unterricht alle Landesschulräte aufgefordert, die Er-
richtung von Abteilungen und Sonderklassen für Schwerhörige unter
der Voraussetzung des gemeinsamen Wirkens zwischen Lehrern und
Ärzte in die Wege zu leiten. Damit dürfte wohl auch bald die Ein-
richtung von entsprechenden Maßnahmen für schwachsichtige Kinder iji
Angrilf genonmien werden, Maßnahmen, die nicht minder dringlich und
längst zur Verwirklichung reif geworden sind. Die idealste Schulorga-
nisation, eine Schule für Schwachsichtige, wird kaum je zur Wirklich-
keit werden. Sie ist aber auch bei weitem nicht so notwendig, wie
etwa Blindenschulen und ähnliche Institutionen. Klassen und Sonder-
abteilungen, die den ersten, einführenden Unterricht in einer ent-
sprechenden Art zu geben vermögen, müssen den Schwachsichtigen so
weit bringen können, daß er als Schüler einer Volksschulklasse oder
auch Blindenkiasse mit vollster Betonung seinur Individualität geführt
Seite 12S6. Zeitschrift das für österreichische Blindenwesen. 12. Nummer.
werden kann. Solche Hilfsklassen und Sonderabteilungen können ohne
besondere Schwierigkeiten nicht mir der unterrichtlichen Hinsicht,
sondern auch der verwaltungstechnischen Seite nach an die schon
bestehenden Schuleinrichtnngen. spien es Volks- oder Blindenschulen,
angeschlossen werden.
Die Verwirklichung ihrer Errichtung ist aber an mehrere Voraus-
setzungen gebunden. Vom Standpunkte des Pädagogen sind das zwei:
1. üas Vorhandensein entsprechender Lehr- und Lernbehelfe und 2.
ein zweckmäßiger Lehrplan, der einen organischen Anschluß an die
Hauptunterrichtsanstalt — Volksschule oder Blindenunterrichtsanstalt
— gewährleistet. Dieser letztere soll in nachfolgender Arbeit entworfen
werden. Es liegt ihm im allgemeinen der Lehrplan der n.-ö. Landes-
BJindenanstalt in Purkersdorf zugrunde. Wenn (üeser gewählt wurde,
so sollte damit nicht dokumentiert werden, daß die Behandlung des
schwachsichtigen Kindes im Unterricht jener des blinden angeglichen
werden soll. Dies wäre sehr falsch. Der Schwachsichtige ist ein
Sehender und muß als Sehender behandelt werden. Der Lehrplan
einer Blindenanstalt wurde einzig und allein deswegen zu gründe
gelegt, weil er der Lehrplan einer Spezialunterrichtsanstalt ist und als
solcher sich vollkommen bewährt hat. (Vergleiche hiezu den Jahres-
bericht der n. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf vom Jahre 1912.)
L e h r p 1 a n für S c h w a c h s i c h t i g e n - A b t e i 1 u n g e n.
Zweck: Die Sonderabteilung hat den Zweck, sehschwache Kinder
beiderlei C4eschlechtes die ersten Schuljahre hindurch in den von den
allgemeinen Schulgesetzen vorgeschriebenen Richtlinien zu erziehen, zu
unterrichten und gegebenenfalls im Musikunterrichte die Grundlage zu
geben.
Einrichtung: Die SchwachsiQhtigenabteilung hat wenigstens die
ersten 3 Schuljahre zu umfassen, an die sich die folgenden Schuljahre
an einer Volksschule oder an einer Blindenanstalt organisch anschließen
müssen können.
*
Ziel: In der Schwachsichtigenabteilung sind die Kinder ihrer
individuellen Eigenart entsprechend mit jenen Kenntnissen und Fertig-
keiten auszustatten, daß sie in jeder Hinsicht am Ende des 3. Schul-
jahres befähigt sind den weiteren Unterricht als Sehschwache im Rah-
men der Volks- oder Blindenschule ohne Beeinträchtigung des Lern-
erfolges mitzumachen.
Zur Begründung dieser Forderung sei folgendes gesagt:
Naturgemäß müssen die ersten drei Schuljahre in Bezug auf die
Lehrmethode für Schwachsichtige sowohl vom Unterricht Sehender
als auch von dem Blinder abweichen. Das bezieht sich nicht nur auf
das Lesen und Schreiben, sondern auch auf. den' Anschauungs- bezw.
Kealienunterricht. Denn hier muß in der Vereinigung von Tasten und
Sehen eine dem Sehschwachen entsprechende besondere Form der Auf-
' fassung zur Geltung gebracht werden. (Siehe meinen Aufsatz in der
Zeitschrift für das österreichische Volksschulwesen 1919 Xr. 1 — 3,
Über besondere Maßn^^hmen beim Unterricht Sehschwachsichtiger.)
12. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwescn. Seite 1237.
ü n t e 1" r i c h t s g e g e n s t ä n d 0 und Stunden a u s in a ß :
Zahl. Lehrgegf nstand. I. Klasse. II. Klasse. HI. Klasse,
1. Religionslehre 1 1 2
2. Anschauungsunterricht ... 6 4 — -
H. Deutsche [^Unterrichtssprache . — H I
4. Lesen, Braille .2 2 1
Schwarzdruck .... 5 Hall)sl. ö Halbst. ö Halbst,
ö. Rechnen o ö !■
6. Geometrie ■ — — 1
7. Geschichte — ■ — 1
8. Erdkunde — — • 1
9. Naturgeschichte — — 1
10. Naturlehre — — 1.
11. Sclweiben, Braille 1 2 1
Schwarschrift . . . . . 2 Halbst. 3 Halbst. H Halbst.
Klein — — ■ 1
12. Zeichnen und Sehübungen . 2 Halbst. 2 Halbst. 2 Halbst,
13. Turnen 2 2 2
11. Gesang 2 • 2 2
15. Formen 2 2 2
Dieses Stundenausmaf:5 ist in nachfolgendem Stundenplane derart berück-
sichtigt, daß sämtliche 3 Altersstufen im Abteijungsunterricht auch von
einer Lehrkraft zur Not geführt werden können:
Tag
Kl, 8-9
9 — 10
10 — 11
II-V2I2
V.2-2
!
2 — 3
Montag
1.
Religion
Anschunterr.
1
—
Schwarz-
■ druck-
1 Lesen
—
2.
Religion
Anschunterr.
> Gesang
1
Sprachl. ')
Erdkde. 1)
—
3.
Religion
Sprachlehre
Geometrie
Dienstag
1.
Rechnen
Anschunterr.
1
Sehübung.
1 Schwarz-
> schrift-
1 Schreiben
( Braille-
( Lesen
)
2.
Rechnen
Anschunterr.
> ]'"oi mcn
Zeichnen
3. Rechnen
Sprachlehre
Zeichnen
Mittwoch
1.
Rechnen
Anschunterr.
1
> Turnen
} Schwarz-
^ druck
Lesen
1 Schwarz-
> schrift-
1 Schreiben
1
1 Braille-
[' Schreiben
L
Rechnen
Sprachlehre
3.
Religion
Sprachlehre
Donnerst.
1.
Rechnen
Anschunterr.
1
> Gesang
)
—
\
1 Schwarz
J- druck-
1 Lesen
Braille-Les.
Braille-Les.
2.
Rechnen
Anschunterr.
1 Schwaiz-
|- schrift-
) schreiben
3.
Rechnen
Geschichte
Naturgesch-
Freitag
1.
2.
Rechnen
Anschunterr.
1
Schwarz-
• druck
Lesen
] Sehübung.
—
Rechnen
Anschunterr.
> Formen
> Zeichnen
Braillc-Schr.
3.
Rechnen
Naturlehre
Zeichnen
Klein -Sehr.
1.
Rechnen
Anschunterr.
1
1
1 Schwarz -
\ druck
1 Lesen
Samstag
2.
3.
Rechnen
Sprachlehre
J- Turnen
Rechnen
Sprachlehre
1) Montag 2. u» 3. KI. bis 12 Uhr.
Seite 1238. Zeitschrift für das österreichische Blindenwescn. 12. Nummer.
Da.s ^tundenaiLsmaß beträgt 29 Stunden für die L, oHV., für die II.
Die III. Klasse hat eine wöchentliche Stundenzahl von 34^2 Stunden. Da
Religion (2 Stunden), Turnen (in 2 Gruppen 4 Stunden) und Singen
{2 Stunden) von eigenen Lehrkräften unterrichtet werden können, hat
der Klassenlehrer eine Wochensumme von 26^2 Stunden.
Für die einzelnen Fächer gestalten sich die Lehrziele, wenn sie
nicht naturgemäß mit den übrigen gleich bleiben müssen, folgender-
maßen: (Siehe hiezu Jahresbericht der n. ö. Landes-Blindenanstalt in
Purkersdorf, 1912).
1. Religionslehre: (a. a. O.)
2. Anschauungsunterricht:
Ziel: An.schauliches Erfassen von der Einrichtung und dem Zwecke
dör Dinge der Umgebung auf Grund gleichseitiger Beachtung der opti-
schen und der TastaufTassung unter richtigem, gewandtem Gebrauche
der Muttersprache.
1, Klasse: Verbreitende Anscliauung.s- und Sprachübungen. anknüpfend
an kör[)erlich vorhandene Gegenstände der Umgebung des Kindes.
II. Klasse: Anschauungsübungen mit besonderer Rücksicht auf die
Jahreszeiten innerhalb der Anschauungskreise: Schulzimmer und
Anstalt, Haus und Hof. Der Mensch. Der (!arten, Feld und Wald.
x\eben die körperlich vorhandenen Dingen treten schematische Um-
rißzeichimngen zur Veranschaulichung. (Kunz'sclie Bilder).
3. Deutsche Unterrichtssprache: (a. a. O.)
4. Lesen :
Ziel: Fertigung im Lesen der Kurrent- und Lateinschrift, in not-
wendigen Fällen auch der Braillesche Punkt- und tastbaren Majuskel-
schrift. Volles Verständnis des Gelesenen.
I. Klasse : Erkennung der Buchstaben. Zeichen und Ziffern der Kur-
rentschrift an der Hand von Schwachsichtigentibeln. Übungen an
Setzkasten für Schwachsichtige. In notwendigen Fällen Einübung
der Buchstaben, Zeichen und Ziilern der Braille'schen Punktschrift.
IL Klasse: Lautrichtiges Lesen der Kurrentschrift, Kenntnis der Latein-
schrift. Wort- und Sacherläuterungen. Wiedergabe des Gelesenen
nach gestellten Fragen, in notwendigen Fällen Fertigkeit im Lesen
der Braille'schen Punktschrift.
IM. Lesen des Schwarzdruckes mit gesteigerten Anforderungen, in not-
wendigen Fällen lautrichtiges Lesen der Braille'schen Punktschrift,
Einüben der xAIajuskelschrift.
5. Rechnen :
Wie im Jahresbericht der n. ö. Landes-Blindenanstalt 1912. Einzu-
fügen bei der IL Klasse: Einüben der Zitfernformen in Schwarzschrift,
Anfänge des schriftlichen Rechnens in Schwarzschrifl und bei der
111. Klasse schriftliches Rechnen in Schwarzschrift. Benützung eines
Rechenbuches für Schwachsichtige.
6. Geometrisdie Formenlehre:
Wie im Jahresbericht der n. ö. Landes-Blindenanstalt 1912. Anzu-
fügen bei der III. Klasse: Unter Benützung einfacher schematischer
Tafelzeichnunüen.
12. Nummer. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. Seile 1239.
7. Erdkunde :
Wie im Jahresbericht der n. ö. Landes-Blindenanstalt 1912. Anzu-
fügen bei der III. Klasse: An der Hand von Fanstzeichnungen. die
gleichzeitig die Verhältnisse tastbar darstellen. (Mit farbigen Strichen
zweckmäßig gestaltete Landkarten für Blinde).
S. Geschichte:
Ein den neuen Verhältnissen angepaßtes Lehrziel.
9. Naturgeschichte :
Wie im Jahresbericht der n. ö. Landes-Blindenanstalt 1912. Anzu-
fügen bei der III. Klasse: Benützung der einfachsten bildlichen Dar-
stellungen, rmrißzeichnungen (Kunz'sche Bilder), schematische Tafel-
veranschanlichung.
10. Naturlehre wie Naturgeschichte :
11. Schreiben:
Ziel: Sicherheit inid Kaschheit im Schreiben der Schwarzscla-ift
und in notwendigen Fällen auch der Punktschrift und der Klein'schen
Stachelschrift.
I. Klasse : Kenntnis der Buchstabenformen der Kurrentschrift. In not-
wendigen Fällen auch der Braille'sche Punktschrift. Einübung der
Schwarzschriftformen auf eigenen Linienblättern und Handtafeln.
Wandtafelschreiben. Übungen an einen Braillesetzkasten.
II. Klasse: Einige Fertigkeit im Schreiben der Kurrentschriftformen.
Bekanntschaft mit den Formen der Lateinschrift. FZinübung auf
eigenen Linienblättern und Heften für Schwachsichtige, Wandtafel-
schreiben. In notwendigen Fällen Bekanntschaft mit der Prager-
tafel.
111. Klasse: Vervollkommnung im Schreiben der Schwarzschrift und in
notwendigen Fällen auch der Braille'schen Punktschrift. Bekannt-
schaft mit dem Klein'schen Stacheltypenapparat.
12. Sehübungen und Zeichnen :
Ziel: Übung des Auges zur Gewinnung der Sicherheit im Ver-
folgen deutlicher Linien und im Auffassen von einfachen Flächen-
formen. Erkennen deutlicher Farben, einfache Darstellung von Flächen-
und Körperformen aus dem Gebiete des Lebens und der Kunst in steter
Verbindung mit dem Anschauungsunterrichte, der geometrischen For-
menlehre und den Realien.
I. Klasse: Grundlegende Anschauungsübungen an linienmäßigen
Darstellungen, Gewinnung der Farbhegriffe mit Hilfe transparenter
Farbpapiere und bunter Gläser.
11. Klasse: Einführung in das Erkennen einfacher bildlicher Darstel-
lungen. Erkennen der Farben. Die ersten Anfänge des Zeichnens.
III. Klasse: Erkennen bildlicher Darstellungen. Einfaches Zeichnen mit
dunkler Zeichenkohle. Farbstiften und dicken weichen Bleistiften.
12. Nummer. Zeitschrift für das österreichische FMindenwesen. Seite 1240.
13. Turnen :
14. Gesang:
15. Handfertigkeiten:
Wie im Jaliresbericht der n. ö. Landes-Blindenanstalt 11)1:^. Anzu-
füoen bei den Handfertigkeiten: Mit steter Verwertung der au.s dem
kond)inierten Tast.selien ,i>ewonnenen Unterrichtserfol<,'e.
Zu der Gestaltun.u' dieses Lehrplanes und der olien an.nedeuteten
Angliederung einer Seli\vaclisiehtigena])teilung an die Volksschule sei
folgendes gesagt :
Der Schwachsichtige wird durchaus als Sehender zu behandeln
sein, da aber sein Auge der Schonung l)raucht, ist in schwierigen Fällen
die Erlerniüig der Brailleschrift nicht zu umgehen. Denn sjjäterhin.
wenn es sich nur um das Erfassen des Inhaltes und nicht mehr um die
mechanische Leseübung handelt, kann er an der Hand von Draille-
texten ebenso selbsttätig sein wie der normalsichtige Schüler. Seine
Schwarzdruckbücher müssen und können daher an Lmfang geringer,
in ilirer Ausgestaltung ihm aber zweckmäßiger ange[)aßt sein. Die
Erlernung der F'unktschrifl erleichtert ihm aber das Los bei einer all-
fälligen \'erschlechterung des Sehvermögens. Der gleiche (irundgerhinke
wird maßgel)end sein, wenn man namentlich im ersten Schuljahr den
Unterricht möglichst auf das vereinigte Tastsehen gründet.
Die Sciireib- luid Lesestunden nach Art der Sehenden erscheinen
in die Zeit der größten Helligkeit, um Mittag angesetzt und haben eine
iialbe Stunde nicht zu überschreiten.
Alles aiulere erscheint so naturgemäß, (h^ß sich ein näheres Ein-
gehen darauf erübrigt.
Aus dem Lelirjilan allein ist schon ersichtlich, was für eine Un-
sunune an Arhcit zu leisten ist in der flerstellung der nötigen Lehr-
l)elu']fe. Es ist nicht zu zweifeln, daß sie geschaffen werden. Zu
fordern ist nur. daß Staat.s- und (Gemeindeverwaltung mit derselben
SchatTeiisfreude an die l'^inrichfimgen der Schidabteilungen für Schwach-
sichtige schrei! en.
Eine Wiener Straßenszene.
Vor einiger Zeit beohachtete ich eine Wiener Straßenszene, von der
zu erzählen ich mich gedrängt fühle.
Ein blinder Mann. olT'enbar einer von den Vielen, die im Kriege
das Liciit der Augen verloren haben, wiu'de da von einer Hündin, deren
Halsband durch einen (iriffriemen mit der Hand ihres Herrn verbunden
war. erstaunlich sicher, ja unfehlbar des Weges geführt. Das wunder-
bare Tier, das seiner Aufgabe mit einem wahrhaft ergreifenden, tiefernsten,
durch inchts und niemiuid zu störenden Eifer diente — ■ es lief nicht
etwa im üblichen, trägem, charakterlosen Hundetrab, sondern ging in
ehier Art strammen Paßganges — dieses wunderbare Tier und sein
blinder Herr, der nur nachzugehen brauchte, machten auf alle Vor-
überkojnmenden einen solchen Eindruck, daß sie dem ungleichen Paare
mit Blicken der Bewunderung und trostvoller Teilnahme folgten. Es tat
wohl, Mensch und Tier in solchem Bunde zu sehen. Es lag etwas wie
Weihe um die beiden.
12. Nummer. Zeitschrift für das österreicliisclit- IMuhU nwt-st;n. Seile 1241.
Nora, so heißt die Hündin, wie icti seitlier ei-fahren Imbe, i.st nun
soflier Bewunderung durciiaus würdig. Kant hätte seine Freude an ihr
gehabt! „Pflicht, du erhabener, großer Name!" — die wackere Nora
zeigt uns etwas davon. Sie fülu't Herrn Marhoid, tien KriegsliUnden. lieh
wollte gerne etwas Näheres über seine treue, vi(Tfüßige Freundin
erfahren, suchte ihn auf und vernahm köstliche Berichte!. Nora führt
also ihren Herrn durch Straßen und Gassen, über Plätze und durch
Gärten und sie merkt dabei mit peinlichster, nie lässig werdender
Genauigkeit darauf, daß ihrem Schutzbefohlenen nur ja nichts geschehe.
Liegt ein Hindernis am Wege, zum Beispiel ein Schlauch (wie dies zu
geschehen pflegt, wenn ein Gastwirt Wein bezieht), so bleibt Nora knapp
davor stehen und geht nicht früher weiter, als i)is Herr Marhoid, der
.sich inzwischen mit seinen Stock vergewissert hat, um was es sich
handle, den Befehl gibt: „Nora — grad voran!" Erst dann setzt sie
ihren Gang fort, aber nur bis zum nächsten Bordsteine des Trottoirs;
dort bleibt sie abermals wie angewurzelt stehen — wie leicht könnte
doch ihrem Herrn etwas zustoßen! Das muß sie doch verhindern, der
Arme ist ja blind! Sie bleibt also stehen und ist Jiicht früher von der
Stelle zu bringen, als bis Herr Marhoid, nach Abtastung mit seinem
Stocke, wieder sein ,.Nora. grad voran!'' befehlen kann. Halt, dort i.st
aber eine Straßenlaterne und der Herr nimmt den Kurs gerade auf den
Kandelaber. Jetzt wird er sich wehetun! Ganz unmöglich! Schon zwei
Meter vor dem Kandelaber zieht Nora ihren Schützling mit ganzer Kraft
nach rechts oder Hnks, der Häuserwand zu — er mag nun wollen oder
nicht; er muß! Und der Kandelaber ist unschädlich geworden! Noch
eine Gefahr: ein herumstrolchender Hund nähert sich. Mit wütendem
Gebell gibt ihm Nora zu verstehen, daß sie zum Tratschen keine Zeit
habe und daß sie elende Faulenzer verachte. „Trolle Dich, Lumpenkerl!"
sagte sie ihm unzweideutig. „Erfasse das höchste Wort des Lebens, das
da für Tier und Mensch heißt: Dienen!" Eine Versuchung gefährlichster
Art: das eigene „Frauerl" geht auf der anderen Seite der Straße und
lockt: „Nora! Nora!" Was tut nun Nora? Sie liebt das Frauerl auch
— aber das herrliche Tier fühlt sich im Dienst und ist jetzt sozusagen
nur dienstlich zu sprechen. Es wedelt dem „Frauerl" mit entsagungs-
voller, halb trauriger Freundlichkeit zu, als wollte es ihm sagen: „Ich
hab' Dich ja auch lieb — aber siehst Du denn nicht, daß ich jetzt dem
„Herrl" dienen muß! Das „HerrP' sieht doch nichts! Könnte ja stolpern,
das „Herrl". und sich wehetun, wenn ich nicht aufpasse!"
Im großen Park. „Nora, such die Bank!" Nora führt Herrn Marhoid
zur nächsten Bank und bleibt davorstehen. „Nora, in die Trafik!" Nora
führt ihren Herrn in die Trafik. ..Nora, such das Telefon!" Nora bleibt
vor dem nächsten Telephoii-Automaten-Häuschen stehen. Das geschieht
alles mit unfeldbarer, treuester Sicherheit, so daß Herr Marhoid Nora
seine „Augen" nennt. Das Tier ist ihm unentbehrlich geworden, es ist
.<ein bester, zuverlässigster, allezeit dienstwillig ergebener Freund und
Beschützer. Weh dem. der es wagen wollte, den Blinden anzurüliren
oder sich nur an ihm herum zu schaffen zu machen, weh dem. der
auch nur zu laut oder drohend zu ihm spräche! Der hat es sofort mit
Nora zu tun, die ein wahrer F*rachtkerl ist. eine Dobermännin von
stämmigen, untadelhaftem Wuchs, kraftvoll und geschmeidig, mit feinstem
Kopf und funkelnden, klugen, aber urgütigen Augen.
üeite 1242. Zeitschrift für das österreichische BHndcnwesen. 12. Nummer.
Herr Marhold erhielt diese Hündin seinerzeit vom Wiener Hunde-
kurs. Sein Urteil ,ueht dahin, daß der Hund zum Blindenführer glänzend
geeignet ist. Wenn dennoch der Blinde, den der Hund führt, eine so
seltene Erscheinung ist, so liegt die Schuld nicht so sehr am Hunde,
wie Herr Marhold sagt, sondern am Menschen. Der sehende Mensch hat
wenig Vertrauen, aber der Blinde noch weniger. Es gibt nicht viele
Blinde, die das Vertrauen zu einem Hunde aufbringen können, die bis
zu jenem inneren Durchbruche gelangen, der unbedingtes Vertrauen zu
dem vierfüßigen Führer schafft. Und so ist es auch zu erklären, warum
man von der Verwendung des Hundes als Blindenführer nach und nach
abkam. Sehr mit Unrecht, wie unser Beispiel lehrt. Ich gestehe olfen :
als ich das Paar in der Straße sah. diesen hingebenden, liebevollen
Opferdienst des Tieres, da empfand ich die Szene wie eine Offenbarung
jener ewigen Kraft, die nicht von dieser Welt ist und die aller unserer
Klugheit spottet. Aber wer hat noch das Vertrauen zu dieser Kraft?
Wer glaubt? Christus tat dort, wo man nicht an ihn glaubte, keine
W^under. Und einen Blinden, der ihm nicht vertraut, kann der Hund'
nicht führen, er kann ihm nicht Freund und Helfer sein.
Max Hayek.
Die Blinde.
Von Adalbert von C li a m 1 s s o.
ö.
Wie trag' ich's doch, zu leben
Nur mir und meiner Pein?
Dem Liebsten sollt" ich dienen.
Da wollt" ich selig sein!
Ich wollt" ein treuer Page
Um den Gebieter stehn.
Bereit zu jeder Botschaft
Und jeden Gang zu gehn.
Ich kenne jede Windung
Der Straßen, jedes Haus
Und jeden Stein am Wege.
Und weiche jedem aus.
Wie freudig zitternd trüg" ich
Ihm nachts die Fackel vor.
Die freud'ge Lust ihm sjiendend.
Die selber ich verlor!
0. traurig ist's im Dunkeln.
Ich weiß es nur zu sehr!
Licht wollt' ich, Licht verbreiten
Fm seine Schritte her.
Ihn sollte stets erfreuen
Das allerfreu"nde Licht:
Sein Anbhck sollte jeden.
Erfreuen, mich nur nicht.
12. Nummer. Zeitschrift für das österreichische BHndenwesen. Seite 2243.
[Ind sollte da mlcli iretTen
Der Menschen Spott und Hohn,
Ich seh' es nicht, und hört' ich"s.
Auch das ertrüg' ich schon.
6.
Du mein Schmerz und meine Wonne.
Meiner Bhndheit andre Sonne.
Holde Stimme, bist verhallt.
Meine Nacht hüllt sich in Schweigen.
Ach, so schaurig, ach, so eigen.
Alles öd" und leer und kalt!
Leise wecken, mich entfärben,
Seht ihr Schwestern mich und sterb'en,
lind ihr fragt und forscht und klagt; .
Laßt das Forschen, laßt das Fragen,
Laßt das Klagen, seht mich tragen
Selbst mein Schicksal unverzagt.
Plingeschwundeii ist mein Wähnen.
Ohne Tränen, ohne Sehnen
Welk" ich meinem (rrabe zu:
Nichts dem Leben bin ich schuldig,
Stumm, geduldig trag" ich, duld" ich,
Schon im Herzen Todesruh".
Personalnachrichten.
— Der Staatssekretär für Inneres und Unterricht hat den provisorischen Leiter
des Klinden-Erziehungsinstitutes in Wien Emmerich Gigerl für die Dauer einer
dreijährigen Funktionsperiode zum Mitglied der Prüfungskommission für die beson-
dere Prüfung aus der Methodik des Unterrichts blinder Kinder in Wien ernannt.
flus den Anstalten.
Am Blinden-Erziehungsinstitute in Wien, IL, Witteisbacherstraße 5,
gelangt die Di r e ktor ste 1 1 e zur Besetzung. Mit dieser Stelle ist ein Jahresgehalt
von 2800 K, der Anspruch auf fünf Quinquenalzulagen, und zwar eine zu 500 K,
efne zu 600 K, drei zu je 900 K, ferner"auf eine Aktivitätszulage von 805 K sowie auf
den Genuß der für den Direktor im Institute vorgesehenen Wohnung nebst freier
Beheizung urid Beleuchtung verbunden.
Als Bewerber kommen Persönlichkeiten in Betracht, welche die Lehrbefähigung
tür Mittelschulen oder für eine Fachgruppe der Bürgerschule und für den Unter-
richt blinder Kinder besitzen, Bei gleichen Voraussetzungen genießen diejenigen
Bewerber den Vorzug, die eine literarische und praktische Betätigung auf dem
Gebiete des Blindenwesens nachzuweisen in der Lage sind.
Die mit den erforderlichen Personaldokumenten nebst dem Geburts- bezie-
hungsweise Taufschein und Heimatschein belegten und vorschriftsmäßig gestempelten
Gesuche sind an das Staatsamt für soziale Verwaltung zu richten und im vorge-
schriebenen Dienstwege bis längstens 20. Dezember 1919, beim n.-ö. Landesschul-
rate einzubringen. (Z. 2627/1 — III).
— Pri vat-Blindenlehranstalt Linz. Gelegentlich des vom 30. Sep-
tember bis 3. Oktober 1. J. hier abgehaltenen, sehr zahlreich besuchten staatlichen
Propagandakurses für Jugendfürsorge besuchten am 1. und 3. Oktober über 60 Kur-
sisten beide Blindenanstalten und "wohnten in der Lehranstalt auch dem Unterrichte
Seite 2244. Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen. 12. Nummer.
mit großem Interesse bei. Darunter waren unter anderen Dr. Viktor Suchomel,
Sektionsrat im Staatsamt für soziale Verwaltung, Dr. Richard D o n i n, Leiter des
niederösterreichischen Landesjugendamtes, Jugendrichter Dr. Fiala aus Wien usw.
Aus Anlaß der für den 12. November vom Staatsamte für Unterricht ange-
ordneten Schulfeier fand hier eine musikalisch-deklamatorische Aufführung statt,
die mit der Festrede des Direktors 9 Vorttagsnummern enthielt. Am Beginne
spielte der als Gast mit seiner Frau hier weilende bekannte blinde Musikprofessor
Ludwig Moser, ein ehemaliger Schüler der Linzer .Anstalt, eine mächtig wirkende
Reminiszens aus Richard Wagners Opern, hierauf sprach Direktor Pleninger
über Gebet, Arbeit und Heimatliebe, worauf in hübscher Abwechslung Klavier-,
Zither- und Vortragsstücke, diese durchwegs von heimatlichen Mundartsdichtern
von den Zöglingen zur allgemeinen Befriedigung der Anwesenden geboten wurden
- ZurWiedererö f f n ungder Kärntnerischen Landes- Blinden
anstalt. Nach öjähriger Schließung der Blindenanstalt zu Klagenfurt konnten die
blinden Kinder Kärntens endlich wieder in ihrer Heimatstätte aufgenommen werden.
Am 28. September wurde der Schulbeginn mit einem Gottesdienste in der Anstalts-
kapelle erfjffnet, bei welchem die blinden Fürsorge-Zöglinge die Preis-Messe von-
S taeh 1 e sangen.
Am 4. Oktober fand im festlich geschmückten Turnsaale der Anstalt eine
Fröffnungsfeier statt, welche einen sehr stimmungsvollen, nach jeder Richtung be-
friedigenden Veilauf nahm und so lebhafte Teilnahme fand, daß dieselbe am
8. Oktober abermals vor dichtbesetztem Saale, wiederholt werden mufke. Über
die Feier schreibt das »Kärtner Tagblatt* vom 7. Oktober: »Mit einer, was den
äußeren Rahmen anbelangt, allerdings schlichten, aber in der ganzen Durchführung
herzerhebenden Feier wurde am Samstag den 4. Oktober im nettgeschmückten
Turnsaal der Anstalt die Wiedereiöffnung*begangen. Der Saal konnte die herbei-
geeilten Gäste kaum fassen, welche der von reinster Liebe für seine bedauers-
werten Schützlinge beseelte Anstaltsleiter, Herr Friedrich Jöll3^ herzlichst begrüßte.
Es scheint mir kein bloßer Zufall, daß das erste Vortragsstück »die Morgenstimmung«
aus Griegs »Peer-Gy.st-Suite« war. Morgen ist Hoffnung Aufleben und Zuversicht.
In diesem Zeichen beginnt die Anstalt wieder ihre Tätigkeit und dieses Sternes
Licht soll in die Nacht der Blinden seinen freundlichen Schimmer strahlen. Mögen
alle diese Erwartungen sich voll und ganz erfüllen! Ein reizendes Festspiel in
5 Bildern, verfaßt von der Gattin des Anstaltsleiters, Frau Senta Jölly, bot nun
reiche Gelegenheit, nicht nur die Lernarbeit, die Handfertigkeiten und die musi-
kalischen Talente der Blinden in kurzen Bildern anschaulich darzustellen, sondern
auch die Gedanken und Gefühlswelt dieser unser armen Brüder und Schwestern
führte uns die Dichtung in zartestem Verständnis ein. Wie ergreifend wirkte schon
das erste Bild, das so furchtbare und doch wieder tröstliche Lebenswahrheit ent-
hüllt: Ein im Kriege erblindeter Soldat (Herr Gustav Glawischnigi beklagt sein
schweres Los. Da ertönt hinter der Szene Mendelsohns tröstlicher Chor »Hebe
deine Augen auf« und ein blindes Mädchen leitet mit freundlich ermunternden
Worten den zum Schicksalsgefährten Gewordenen in die neue Welt der Blinden,
die ihr eigenes Licht finden in den Segensanstalten, die wahrhaft christliche Liebe
ihnen errichtete. Reizend war das 2. Bild, »Die Schulstube«, das uns Blinde an
der Rechen- und Schreibmaschine zeigte, besonders verblüffend wirkte das rasche
und sichere Lesen dt r Blindenschrift, das der Sehende kaum begreifen kann.
Größere und kleinere Mädchen waren in den Schulbänken gruppiert, im Vordergrund
stand ein allerliebstes, siebenjähriges Mädchen, das mit einem überraschend gut
gesprochenen Festgedichtchen im Namen der Kleinen der Freude Ausdruck verlieh,
daß sie nun wieder in die heimatliche Anstalt heimkehren durften. Den Prolog
zum 3. Bilde »Die Arbeitsstube« sprach das reizende Fräulein Marisabel Henri-
(juez, dann sahen wir einen Knaben beim Bürstenbinden, ein Mädchen beim Häk-
keln, eines beim Flechten und eines bei der Strickmaschine. Den Glanzpunkt
bildete das 4. Bild: »Musik, das Licht in der Finstemis.« Auf eine von einer Blinden
sehr empfindungsvoll zum Vortrag gebrachten Ode an die Musik, folgte Rhein-
bergers »Vision«, von dem blinden Organisten und einstigen Anstaltszögling J. Tra- '
bus in er wirklich meisterhaft zu Gehör gebracht. Auch die Klaviervorträge des
Fräuleins Alice Horak waren prächtige Leistungen, sehr schön klangen die ge-
mischten Chöre »In stiller Nacht« von Brahms und der sehr wirksame »Echochor«
von Orlando di Lasse. Der Zögling, Franz W e rn i g, erfreute mit einem flott kom-
ponierten Festmarsch und ein Zitherterzett »Waldesrauschen« war ebenfalls prächtig.
I
12 Nummei. Zeitscliiift tlii das östei reichische Hiindenwei,en. Seile 1245
Ganz besonders seien die herrlichen Lieder zur Laute hervorgehoben, die der im
Krier; erblindete, Herr Gustav Glawi sehnig, vortrefflich sang. Kärntnerlieder
mit Zitherbegleitung bildeten einön würdigen Schluß dieses Bildes. Die Schluß-
und Dankesworte einer Blinden, die wie alle Deklamationen, auffallend gut und
ausdrucksvoll gesprochen wurden, werden hoffentlich ein lebendiges und wirksames
Echo in den Herzen aller Zuhörer gefunden haben.« Vizepräsident des Blindcn-
fUrsorgevereines, H^ir Obermedizinalrat Dr. Othmar Purtscher, sprach in warmen
Worten den versammelten Wohltätern für ihr Erscheinen und ihre Teilnahme, sowie
dem Ehepaar Jölly für die treffliche Durchführung der Eröffnungsfeier den herz-
ichsten Dank aus. Die Festvorstellung erbrachte ein Reinerträgnis von 1501 K 50 h.
flus den Vereinen.
— Zentral verein für das öst. Blinden wesen. Generalversamm-
lung. Präsident Bürklen hält dem im abgelaufenen Vereinsjahre gestorbenen
Mitgliede Ferdinand Groß einen warmen Nachruf. Nach Verlesung und Genehmi-
gung der letzten Verhandlungsschrift berichtet der Vorsitzende über die Tätigkeit
der Vereinsleitung im abgelaufenen Jahre und über den derzeitigen Mitgliedsstand
des Vereines. Die Mitgliederzahl beträgt 127, Abonnenten der Zeitschrift sind 87;
im Tauschverkehr werden 22 Exemplare abgegeben. Der Kassabericht des Herrn
Prof. De mal zeigt wenig erfreuliche Ziffern. Begründet wird dieser Rückgang mit
den großen Herstellungskosten der Zeitschrift. Der hieraus sich ergebende Antrag,
den Mitgliedsbeitrag pro Jahr von 6 auf 10 K, die Abnehmergebühr im Inlande
auf 12 K und im Auslande auf 20 K zu erhöhen, wird einstimmig angenommen.
Bezüglich Gründung einer »Lehrersektion« wird beschlossen, daß Herr
Direktor Heller die Interessenten, d. i. die Blindenlehrer, zu einer Besprechung
einladen solle.
An den Bericht des Präsidenten, Herrn Direktor H ü r k 1 e n, über den Stand
der Reformplanfrage schließt Herr Anstaltsleiter Gigerl Erklärungen über eine
Aktion des Herrn Landesschulinspektois V. Fadrus, welcher Vertreter des Blinden-,
Taubstummen- und Hilfsschulwesens zusammengerufen habe, um mit diesen die
möglichst einheitliche Schulreform zu besprechen. Dem Wunsche des Herrn Landes-
schulinspektors entsprechend wurden Vertreter des Zentralvereines gewählt. Es
sind dies dieselben Herren, welche auch als Vertreter der Lehrerschaft ein Komitee
der Blindenfürsorgekommission im Staatsamte für soziale Verwaltung bilden und
zwar die Herren B ür kl en, Gigerl, Heller und Kneis. Anträge und Allfälliges:
Herr Alt mann stellt den Antrag, Herrn Direktor Wagner zum Ehrenmitgliede
des Vereines zu ernennen. Dieser Antrag, der Herrn Direktor Wagner von der
hohen Wertung seiner Arbeit überzeugen soll, wird begeistert und einstimmig an-
genommen. Herr Lehrer Wanecek bespricht kurz die Anstellungsbedingungen
der Fachlehrer an Blindenanstalten, worauf Herr Anstaltsleiter Gigerl einen dies-
bezüglichen Entwurf aufweist, welcher in der vorerwähnten Kommission eingebracht
w-erden wird. Zum Zwecke der Beilegung von Differenzen, die sich zwischen dem
Blindenunterstützungsverein »Die Purkersdorfer« einerseits und dem »Lindenbund*
andererseits ergeben haben, wurde ein 3 gliedriges Komitee bestehend aus den
Herren Altmann, Horvath und Temm gewählt.
Die geänderten politischen Verhältnisse lassen eine entsprechende Statuten-
änderung wünschenswert erscheinen. Die Anträge des Vorsitzenden werden
angenommen. (Die vorgenommenen Änderungen werden nach Genehmigung ver-
öffentlicht werden) Präsident Bürklen berichtet noch über Schritte, die er
eingeleitet habe, um durch Darstellungen aus dem Blindenwesen im Film die Blinden-
sache zu fördern.
Der Bitte Herrn Altmanns, es möchten sich Blindenlehrer zur Abhaltung
von Vorträgen in Vereinen melden, wird reichlich entsprochen. Der Präsdent
Bürklen richtet an die Blinden das Ersuchen, sie möchten sich ebenso daran
beteiligen. Herr Anstaltsleiter Gigerl erklärt sich bereit, Lichtbilder zu diesen
Vorträgen beizustellen. Kneis.
Seite 1246. Zeitschrift für das österreichische Blindenwescn. 12. Nummer.
RÜSSCHÜSS-SITZÜNG
des „Zentralvereines für das österreichische Blindenwesen" am Freitag, den
2. Jänner 1920, um 4 Uhr
in der Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für erwachsene Blinde in
Wien, VIII., Josefstädterstraße 80.
Verschiedenes.
— Ein Kriegsblinder am Traualtar. Wie aus Brunn gemeldet wird,
fand in der dortigen Thomaskirche die Trauung eines Mädchens mit einem blinden
Kriegsinvaliden statt, dem beide Arme fehlten. Der junge Bräutigam schaute hoff-
nungsfreudig aus, trotz seiner Gebrechen und trotzdem es ihm nicht vergönnt ist,
seine Umwelt zu sehen. Es war ein seltsamer Anblick, als die Braut die künstliche
Hand des ihr angetrauten Mannes in ihren Arm legte.
— Mißbrauch des Namens der »Kriegsblindenfürsorge«. Derzeit
werden durch Sammelpersonen (Agenten) in Wien Druckschriften (Bücher, Kalender
usw.) dem Publikum zum Verkaufe unter dem Vorgeben angeboten, daß ihr Erlös
der Kriegsblindenfürsorge zugeführt werde. Seitens des '»Verbandes der Kriegs-
blinden Deutschösterreichs«, Landskrongasse 1, wird darauf Wert gelegt, festzu-
stellen, daß alle außerhalb dieses Verbandes stehenden Blindenfürsorge-Aktionen
sich lediglich auf die Zivilblindenfürsorge erstrecken und daß daher der Verkauf
von Gegenständen welcher Art immer für angebliche Zwecke der Kriegsblinden-
fürsorge als eine Irreführung des Publikums anzusehen ist. Es möge daher jeder
einzelne Fall entweder der Polizei oder dem erwähnten Verbände zur Anzeige
gebracht werden.
— Maeterlink: Der Eindringling. Die Blinden. Aufführung am
19. November 1919 im Saal des kaufmännischen Vereines in Wien.
Die beiden in Reklams Universalbibliothek erschienenen Einakter wurden
zum Zwecke einer Maeterlinkfeier hervorgeholt. Die dunkle, beziehungsreiche
Sprache, die seltsamen Handlungen voll düsteren Ahnungen und den unendlichen
Verlassenheitsgefühlen inmitten aller dürften gerade in diesen Stücken besonders
wirken. Hier sind ja die grübelnden, ahnenden, im letzten aber doch unwissenden
Blindey, die Einsamkeitsmenschen, die Menschen ohne Ziele, über die immer die
Furcht schwebt, Träger der Handlung. Die Wirkung blieb gewiß nicht aus.
Namentlich im ersten Stück, da ein blinder Greis den Tod seiner Tochter fühlt.
Weniger Eindruck machte das zweite Stück, vielleicht wegen der tiefen — oder
allzutiefen- — Symbolik. Die Darstellung der Blinden war gut, namentlich der
blinde Großvater im Eindringling. (Herr Götz vom Deutschen Volkstheater).
O. W.
— Ein Blindenther mometer. Der menschenfreundlichen Absicht, den
Blinden, deren Zahl durch den Krieg leider eine so ansehnliche Vermehrung er-
fahren hat, ihr trauriges Los nach Möglichkeit zu erleichtern, dient auch ein von
dem Franzosen Br un et erfundenes Thermometer, das den des Augenlichtes Be-
raubten das Ablesen der Temperatur ermöglichen soll. Der Apparat besteht aus
einer gewöhnlichen, mit einer Skala versehenen Säule, die zum Ausgleich der
Ouecksilbermenge mit einem Gegengewicht ausgerüstet ist. Der ganze Apparat
ruht mit zwei Schneiden auf einem Onyxlager. Das Ende des Thermometers läuft
in eine Spitze aus. Das Thermometer gleicht demnach dem Balken einer Wage.
Wenn das Quecksilber unter dem lunfluß der Temperatur steigt, so verschiebt
sich sein Schwerpunkt nach der Spitze, was bewirkt, daß die Säule sich aus der
Gleichgewichtslage dreht, während sie sich wieder zurücklegt, wenn die Wärme
abnimmt. Um den Blinden eine exakte Benützung des Thermometers zu ermöglichen,
hat der Erfinder in geringer Entfernung von dem durch den äußersten Punkt des
Thermometers beschriebenen Kreisbogen eine Metallzunge befestigt. Ein Druck
auf diese bewegliche und mit Löchern versehene Zunge läßt die Spitze der Säule
in eines dieser Löcher einschnappen. Gegenüber diesem Punkte findet dann der
Blinde den Temperaturgrad in Blindenschrift.
Herausgeber: ZentralTcrciu für das österreichische Blindenwesen in Wien. RedaVtiouskomitee: K. Bürklen^
]. Kneis, A. . HorTath, F. Uhl, — Drnck ron Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
— Grippe mit Seh slö r un ^' f n. Wie aus Süddeutschland gemeldet wird,
tritt dort eine neue eigenartige Erscheinungsform der Grippe auf. Nach Mitteilun-
gen des dortigen Arztes zeichnen sich die von ihm beobachteten Fälle dadurch
aus, daß sie alle mit eigentümlichen Sehstörungen namentlich mit Doppelsehe«
begannen. Im weiteren Verlaufe kam es meist zu mehr oder weniger Gehirn-
störungen. Diese Erscheinungen waren neben mäßigem Fieber die einzigen Krank-
heitssymptome, während die sonst bei Grippe üblichen katarrhalischen Verände-
rungen der Atmungsorgane fehlten. Die Krankheitsfälle wurden sämtlich nach kurzer
Zeit geheilt.
— Anzeigepflicht für Blennorrhoea neonatorum in Sachsen.
Mit Verordnung des sächsischen Ministeriums des Innern vom 3. Juli 1919 wurde
die Verordnung über die Anzeigepflicht bei ansteckenden Krankheiten vom
29. August 1905 auf die eitrige Augenentzündung der Neu'^eborenen (Blennorrhoea
neonatorum) ausgedehnt.
— Pflanzen die Erblindung verursachen. Vor einiger Zeit brachte
man in CJueensland einen jungen Mann in ein Krankenhaus, wo er wegen einer
eigentümlichen Lähmung des Sehnervs behandelt werden sollte. Aber alle äiztliche
Kunst half nichts, der Mann erblindete. Mehrere solcher Fälle ereigneten sich
gleichzeitig im selben Bezirk und man konnte schließlich die Ursache im Genuß
einer Art von Kirsche feststellen, die in der Nähe wuchs. Die Wirkung gewisser
Pflanzengifte trotzt eben bis jetzt jeder wissenschaftlichen Erklärung. Es gibt noch
andere Früchte und Beeren, die einen verhängnisvollen Einfluß auf den Sehnerv
haben. Vor einer Reihe von Jahren schrieb ein bekannter Pferdezüchter in Austra-
lien an eine Zeitung in Sidney und teilte mit, eine Anzahl Pferde sei ihm erblindet,
nachdem sie von einer wilden Melonenart gefressen hatten, die in jener Gegend
reichlich wuchs. Eine der gefährlichsten Pflanzen, die es gibt, ist Asclepias gigan-
tea, die in Abessinien verbreitet ist und auch auf Zeylon vorkommt. Wenn man
sie abschneidet, fließt ein Milchsaft aus Stamm und Blättern, und der kleinste
Tropfen dieses Saftes verursacht vollständige Erblindung, wenn er mit dem Auge
in Berührung kommt. Ein Heilmittel dagegen gibt es nicht. Das Eigentümlichste
ist jedoch, daß Ziegen keinen Schaden an dem Baum nehmen.
Bücherschau.
— Das päd. -psych. Laboratorium an der n. ö. Landes-Lehier-
akademie in Wien. Seit mehr als sechs Jahren besteht in Verbindung mit der
niederösterreichischen Landeslehrerakademie in Wien das pädagogisch-psychologi-
sche Laboratorium, das vom Anfang an unter der Leitung des jetzigen Akaderaie-
direktors Dr. W. Kammel stehend, eine in den weitesten Fachkreisen anerkannte
wissenschaftliche Tätigkeit entfaltet. Der ausgegebene 6. Jahresbericht weist auf
das Ausscheiden des ehemaligen Akademiedirektors Regierungsrat Dr. R. Hor-
nich hin, dessen Verdienste um das Laboratorium noch besonders gewürdigt
werden sollen. Von größter Bedeutung sind die Tätigkeit des Laboratoriums in
Berufsberatungsfragen sowie in jugendkundlichen Angelegenheiten. Neben der Be-
reicherung der Sammlungen und der Bibliothek interessiert besonders das Archiv
des Laboratoriums, das in Form von Protokollen die wissenschaftliche Tätigkeit
des Leiters, seines Assistenten Professor Battistas und zahlreichen sich frei-
willig meldenden Mitarbeitern aus Lehrerkreisen enthält. Aus dem reichen Tätig-
keitsbericht des abgelaufenen Schuljahres seien nur einige Titel von vollendeten
und begonnenen Arbeiten angeführt, die auf allgemeine Beachtung Anspruch er-
heben. Messungen zur Beobachtung der körperlichen Entwicklung des Wiener
Schulkindes; die Ideale des Wiener Schulkindes; Prüfung des heimatkundlichen
Vorstellungskreises des Wiener Schulkindes; Untersuchung der Beziehungen zwi-
schen Schädelumfang und Intelligenzgrad; Psychologische Analyse des Traumes bei
Kindern; die Psychologie des Gerüchtes usw. Im ganzen sind 26 Arbeiten bisher
erschienen, 5 in Vorbereitung, eine umso höher einzuschätzende Leistung wenn
man bedenkt, daß tast die ganze Tätigkeit des Laboratoriums in die Kriegsjahre fällt.
An die Mitglieder des „Zentralvereines"
und die Rbnehmer unserer „Zeitschrift" !
Der Mitgliedsbeitrag für das Jahr 1920 beträgt 10 Kronen, wobei der Bezugs-
preis für unsere „Zeitschrift" inbegriffen ist. Der Bezugspreis der „Zeitsdirift"
beträgt für Nichtmitglieder für das Jahr 1920 für Österreich 12 Kronen, für
das Husland 20 Kronen. Es wird gebeten die Einzahlung der Mitgliedsbeiträge
bezw. des Bezugspreises der „Zeitsdirift" reditzeitig vorzunehmen.
Z. 16013/19—1.
Ausschreibung.
fln der kärntnerischen Landes-Blindenanstalt in Klagenfurt kommt die
Stelle eines DIREKTORS zur Besetzung. Mit dieser Stelle sind die
Bezüge für Bürgerschuldirektoren nach dem Ausmaße des Gesetzes vom
21. Februar 1919, L.-G.-Bl. Nr. 36 verbunden. Der Direktor erhält im
flnstaltsgebäude eine Wohnung.
Bewerber um diese Stelle haben den Nachweis zu erbringen, daß sie
bereits als Lehrer an Blindenanstalten tätig waren und die Fachprüfung
für die Unterrichtung von Blinden mit Erfolg abgelegt haben. Die
Gesuche sind bis längstens 0^ 25. Dezember 1919 "^9 beim kärtne-
rischen Landesrate in St. Veit an der Glan (Kärnten) einzubringen.
Bewerber, welche sich bereits in einem öffentlichen Dienste befinden,
haben ihr Ansuchen im Dienstwege einzubringen.
Kärtnerischer landesrat, derzeit in St. Veit a.d.Glan, am 10. November 11)19.
„ASYL FÜR BLINDE KINDER"
Wien, XVII., Hernalser Hauptstraße 93
nimmt blinde Kinder im vorschulpflichtigen Alter aus allen ös|eneichi-
schen Kronländern auf. Nähere Auskünfte durch die Leitiing.
Die „ZentpalbibliotiiBli für Blinde in ÖsterreiGli".
Wien XVIII, Währinger Gürtel 136,
verleiht ihre Bücher kostenlos an alle Blinden.
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BöPStBnbindBP und Korbflechter.
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Wien VIII., Flopianigasse Np. 41.
Telephon Nr. 23407.
Alle Gattungen Bürstenbinder- u. Korbflechterwaren.
Verkaufsstelle; Wien VII., Neubaußasse 75.
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des Blinden-Unterstützungsveteines
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I^J Blinde unentgeltlich verliehen 1
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Organ des „Zentralvereines für das österreichische Blinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden. —
Schriftleitun g
Purkersdorf
bei Wien.
Österreichisches
Postsparkassen-
konto Nr.132.257
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Das Biatt erscheint
monatlich einmal.
Verantwortlicher Leiter:
Direktor Karl Bürklen.
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Bezugspreis
D
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ganzjährig mit
Postzustellung
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4 Kronen,
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Einzelnummer
40 Heller.
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4. Jahrgang.
Wien, 1917.
1. — 12. Nummer.
Inhaltsverzeichnis.
Abhandlungen und größere Beiträge.
Anregungen. Kleine — Von Hauptlehrer J. Kneis, Purkersdorf.
Die Krankenwärterin 823—825. Der Gärtner 842—844.
Aufsiditsdienst. Von Hauptlehrer J. Kneis, Purkersdorf 801 — 803.
Berufswahl der Kriegsblinden. Die — Von Dr. J. Hartinge r,
Graz ' 727—732.
Blinde des Orients im Spiegel des morgenländischen
Seh rif ttu ms. Von Direktor K. Bürklen, Purkersdorf 771 — 775,
795—797, 805—808, 821—823, 837—839.
Blindensdiicksale 682—684.
Blindenschrift. Entwicklung der — Mit Tafel. Von Direktor
K. Bürklen, Purkersdorf 691—695.
Blinde Soldat in der Lyrik des Weltkrieges. Der — Von
Direktor K. Bürklen, Purkersdorf 739 — 744.
Einheitsformat der Blindendrucke. Über ein — . . 808 — 811.
Erneuerung der Blindenfürsorge in Österreich . 819 — 821.
Esperanto. Die internationale Hilfs spräche — und die
Blinden. Von Musiker J. Krieger, Wien 723 — 727.
Fachwerk. Ein neues — (K. Bürklen: Tastlesen) . . . 835 — 837.
Farbennamen bei den Blinden. Über den Gebrauch der —
Von Lehrer O. Wanecek, Purkersdorf 787—794.
Ita res video. Von Fachlehrer S. Alt mann, Wien , . . 755 — 756.
Klangschrift und Prägedruck von Dr. M, Herz, Wien . . . 695.
Kriegsblindenfürsorge. Vortrag 697.
Kriegsblindenfürsorge — in Böhmen. Von Dr. R. Marschner,
Prag 707—714.
in Mahren. Von Dr. H. M., Brunn 675—679.
in Niederösterreich 744 — 747.
in Ober Österreich, Krain, Dalmatien und Bukowina
759—761.
in Schlesien 775 — 777.
in Tirol 747.
Lehrbefähigungsprüfung für den Blinden Unterricht. Fragen
bei der — • . . . . 748, 844.
Masse-Punktdruck von Dr. M. Herz 695, 761—763, 811. Beilage
eines Probedruckes zu Nr. 10.
Ministerium für soziale Fürsorge 825.
Schreibunterricht auf der Punktschrifttafel. Der erste —
Von Hauptlehrer F. Demal und Lehrer O. Wanecek, Pur-
kersdorf 659—665.
Schreibleseunterridit bei Kriegsblinden. Was ich beim —
beobachten konnte. Von Fachlehrer J. Umlaui. Brunn
679—682.
Spredimasdiine. — Die Bedeutung der — für die Blinde n -
bildungunddenBlindenerwerb . . . . 665—668.
Sprechmasdiine »Postaphon« und die Blinden. Die — Bei-
lage zu Nr. 9 Mit Abbildungen 696—697.
Vorlagen für das Bauen mit Zündholzschachteln. Von
Hauptlehrer F. Demal, Purkersdorf. Beilage zu Nr. 12 . 847.
Zentralstelle für dasBlindenwesen im Ministerium für sozi-
ale Fürsorge, Petition, betreffend die Errichtung —
839—831.
Personalnachrichten.
Bartos K., Musiker, Reifeprüfung 763. — Böhm Julius, Vizehofkapellmeister, Tod
812. — BüUik F., Musiklehrer, Mil. Dienstleistung 670. — Bürklen K., Direktor,
Ehrung 812, Wahl zum Obmann des Asyls für blinde Kinder 7^4. — Forstinger J.,
Werkmeister, Tod 748. — Funke G., Direktor, Tod 715. ~ Garns Peter, Musiker,
Anerkennung 812. — Geiger F., Leiter, Lehrbefähigungsprüfung 846. — Grimm
H. V., Präsident, Adelsstand 812. — Groß F., Fachlehrer i. R., 70. Lebensjahr 732.
— Heller S., Direktor, Ehrung 779, 812. — Höllermann F., Organist, Ertrinkungs-
tod 684. — Kaiser A., Lehrer, Mil. Dienstleistung 699. — Karl A., Eachlehrer,
Auszeichnung 748, Tod 669. — Kathrein Dr. Th. v., Präsident, Ehrung 781. —
Mayer R., Direktor, Auszeichnung 715. — Meli A., Regier ngsrat, Ernennimg zum
Oberleutnant 699, Verlust 8l2. — Moser L., Musiker Auszeichnung 827. — Rauter
K., Direktionsgattin, Tod 780. — Satzenhofer K., Bibliothekar, Auszeichnung 748.
— Thurner F., Obmann, Ernennung zum Kais. Rat 699, Tod 811. — Vinatzer J.,
Direktor, Auszeichnung 732, 797. — Weber P. F., Direktor, Tod 811. — Zeyringer
R., Direktor i. R., Tod 826. —
Mitteilungen aus den Anstalten und Vereinen.
Anstalt zur Ausbildung von Spätererblindeten in Wien XIX. Besuch 716,
Jahresbericht 780.
Asyl für blinde Kinder in Wien XVII. Generalversammlung 764.
Blindenversorgungshaus »Francisco -Joseph in um« in Prag. Be-
richt 733.
Blindenheim in Salzburg. Bericht 670.
Deutsche Blindenschule in Aussig. Bericht 8l2.
K. F. J. Jub. Blindenarbeiterheim in Wien XIII. Gottesdienst 828.
Kaiser Karl-Kriegsblindenheim in Wien XIII. Eröffnung 782, Gottes-
dienst 828.
Klar'sche Blindenanstalt in Prag. Bericht 813, Besuch 797.
N. ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf. Bericht 812, Friedenswunsch
715, Inspektion 732, Kriegsfürsorgekonzert 748, Kriegsweihnacht 670, Scliul-
schlulifeier 781.
Odilien-Blindenanstalt in Graz. Bericht 684, Jahresbericht 764.
Privat-Blindenlehranstalt in Linz. Inspektion 732.
Tir. Vorarlb. Blindeninstitut in Innsbruck. Bericht 716, 781.
Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für Blinde in Linz.
Konzert 749.
Versorgungs- und BeschäftiguQgsanstalt für erwachsene Blinde in
Wien' VIII, Bericht 780.
Zentralbibliothek für Blinde in Österreich. Bücherliste 703.
Blinden-Unterstützungsverein »Die Purkersdorf er* in Wien V. Bericht
716, 781.
Für sorge verein für die Taubstummblinden in Osterreich. Jahres-
bericht 733.
Humanitärer Verein >Lindenbund« in Wien XX. Bericht 685, Generalver-
sammlung 716.
Komitee zur Verwertung der Wurfschmidt'schen Erfindungen »Posta-
phone« für Blinde. Gründunt;sversammlung 778.
I. Österreichischer Blindenverein in Wien VIII. Bericht 764.
Ortsausschuß des V. Blindenfürsorgetages. Sitzung 700.
Produktivgenossenschaft für blinde Bürstenbinde i' und Korbmaciier
in Wien VIII. Zehnjähriger Bestand 684.
Verein zur Fürsorge für Blinde im Herzogtum Salzburg. Bericht 670.
Verein »Kriegsblindenheimstätten« in Wien. Besichtigung 782, General-
versammlung 733.
Zentralverein für das österreichische Blindenwesen Ausschußsitzung 700,
Mitteilung 686.
Für Kriegsblinde.
Ausstellungen 687. — Huszeichnungen von Kriegsblinden 717, 735. ~ Be-
schwerde 750. — Erzherzog Karl Stephan 671, 733, 767, 782, 797. — Kaiserin
Zita bei den Kriegsblinden 685. — Keller H. Stiftung 686. — Konzerte und
Veranstaltungen 671, 700, 701, 735, 751, 798, 814, 829. — Kriegsblindenfonds
im Ministerium des Innern. Jahressitzung 714. Kuratoriumssitzung 777. — Kriegs-
blinder Offizier als flkademielehrer 735. — Landeskommission für Oberöster-
reich. Vollversammlung 735. — Militärblindenanstalt in Lemberg. Errichtung
einer — 844. — Sammlungen 671, 687, 701, 7I7, 718, 735, 751, -767, 783, 798,
814, 829, 846. — Spenden 687, 700, 798. — Tabaktrafik 798. — Tiroler Blinden-
heimstätte 783. — Trauungen von Kriegsblinden 6?<6, 700, 717, 718, 750, 766.
Vortrag eines Kriegsblinden 750. — Weihnachtsfeier in Brunn 671. — Wehr-
schildfeier 751. —
Verschiedenes.
Blindenfürsorgetag (Blindenlehrertag) Wien 1914. Bericht 658.
Briefkasten 767, 847. — Engländer. Gemütvolle — 702. — Erbschaft 702.
Ersatz für verlorene flugen 718. — Esperanto und die Blinden 834.
Französische Kriegsblinde als Funker 718.
Gedichte: An die Sehenden. (O Huber) 699. Blinden Kriegern alle Ehren. (A. Rap-
pawi) 828. Der Erblindende. (E. Rheinsch) 846. Der Blinde. (V. Jeraj) 717.
Der Blinde. (H. Kipper) 779. Der Blinde, (H. Gutberiet) 845. Eines Kriegs-
blinden Gruß an die Heimat. (O. Huber) 8l4. Prolog. (G. Hauptmann) 668.
Wir Kriegsblinden. (Jedina-Palombini) 766.
Grey. Lord, vor der Erblindung 719.
Haut des Blinden als Sehorgan. Die — 818.
Hund als Blindenführer. Der — 722.
Hypnotische Behandlung der Blindheit. Die — 783.
Keller Helen heiratet 718. — Leidensgeschichte eines Blinden 701.
Leser. An unsere — 834. — May K. war eine Zeitlang blind 802.
Milchinjektion bei flugenerkrangungen 798.
Minnesänger. Ein blinder — 786. — Nachtblindheit. Neue Behandlung der — 830.
Nietzsche. Blindheit des Phylosophen 8l5.
Papierspagat als Ersatz für Kernrohr 829.
Schweiz. Blindenerziehung in der — 687.
Stiftung für flugenleidende in München 829.
Tauchboot. Das geblendete — 702. — Theatervorstellung für Blinde 767.
Tintenstift. Der gefährliche — 674. — Unglücksfall eines Blinden 702.
Verschnappt 830. — Wettbewerb 719.
Bücherschau.
Abriß der englischen und französischen Kurzschrift Von Reuß A, 799.
flus Wunden und Wonnen. Von Kipper H. 770.
Das pädagogisch-psychologische Laboratorium in Wien. Von Kammel Dr. W.
658, 831.
Die ewigen Wege. Von Klug J. 754.
Der blinde Musiker, Die Blinde von Kunterweg. Von Schmidt M. 706.
Erziehung zur Gemeinnützigkeit. Von Berger A. 751.
Hannerle, ein Blindenroman. Von Thumerer J. 690.
Kalender für Blinde. 847.
Kriegsblindenbeschäftigung in der Werkstatt. Von Perls P. H. 719.
Klavierschule. Von Roßka G. 830.
Opfer. Von Michaelis Karin 738.
Praktische Einführung in die Satz- une Wortanalyse. Von Stein F. 815.
„Soldatenlieder und „Belisar." Von Rappawi A. 831.
Tastlesen. Von K. Bürklen u. a. 835.
Vorlagen für das Bauen mit Zündholzschachteln. Von Demal F. 847.
Wir, Fendrich A. 815.
Mitarbeiter.
flitmann S. Fachlehrer. Ita res video 755—759.
Bürklen K., Direktor. Der blinde Soldat in der Lyrik des Weltkrieges 739—744.
Der Blinde des Orients im Spiegel des morgenländischen Schrifttums 771 — 775,
795—797, 805—808, 821 — 823, 837—839. Entwicklung der Blindenschrift
691 — 695. Einheitsformat der Blindendrucke 808—811, Tastesen 835—837.
Chlumetzky H. v., Hofrat. Kalender 847. Vortrag von Dr. Cohn 697.
Demal F. Schreibunterricht 659—665, Vorlagen f. d. Bauen mit Zündholzschachteln
847.
Hartinger, Dr. J. Berufswahl der Kriegsblinden 727 — 732.
Kneis J., Hauptlehrer. Aufsichtsdienst 801—803, Bericht 733, Gärtner 842—844.
Krankenwärterin 823—825,
Krieger J. Musiker, Esperanto 723—727.
Krtsmary fl. Fachlehrer. Buchbesprechung 799.
Marschner Dr. R., Kriegsblindenfürsorge in Böhmen 707 — 714.
Pleninger fl. M., Direktor. Bericht 732, 735. Buchbesprechung 815. Lehrbefähigungs-
prüfung, Fragen 748, 844,
Umlauf J., Fachlehrer. Schreibleseunterricht bei Kriegsblinden 679—682.
Wanecek O., Farbennamen 787 — 794. Schreibunterricht 659—665,
Herausgeber; Zentralvereic für das österreichische Blindenwesen in Wien. Redaktionskomitee: K. Bärklan,
]. Kneis, A. t. HorTath, F. Uhl, — Druck ron Adolf Englisch, Purkersdorf bei Wien.
ZEITSCHRIFT
FÜR DAS ÖSTERREICHISCHE
BLINDENWESEN.
Organ des „Zentralvereines für das österreidiische Blinden-
— wesen" für die gesamten Bestrebungen der Blinden, —
Schriftleiter: Direktor K. Bürklen in Purkersdorf bei Wien.
Bezugspreis des monatlich erscheinenden Blattes ganzjährig 12 Kronen, für das ftusland 20 Kronen.
6. Jahrgang. Wien, 1919. 1.— 12. Nummer.
Inhaltsverzeichnis.
Abhandlungen und größere Beiträge.
Rufmerksamkeitsmimik Itci lüiinicn. I'i-o v o/ i cri c
L(^hr(M- Waiu'cck. riii-kci-sdoi-C \:M\
Begriff (if^r IMindlicit Ixsl K im cos !> esc h ;i d i yt cii .... KKif)
Blinde in d er K i ii o .1 a rs t eil ti n .u'. Der 120H. \2'12
Blinde in ilcr Sauc.i.in Mäi-chcii und in d(.'r [.p.ijende.
Der Lrhror Wanccc^-. riii'kei-sdorf . . . iOTf). lOOfj. 1111
Blinden Dcu tscliös I crrc i <• li s nach ({cscli I ccli I . .\llcr.
I>i I du n.y-.s <;r ad. Ücriif usw.. Die llVlii
Blindenerholungsheim in lüiiz. Das — Her/, Wien . . .1210
Blindenfürsorgekommission im Siaatsaintc ITir so/, iaic
Verwaltun.u I IH^)
Blindenwesen \\\'\'^\ li 1 in d e n fü rs ocyc in Ifollainl. HolVai
von ChJnrnecky \mS)
Brief an die M us i k I ehr er ^\v\- R I i n d c n a n s ( a 1 1 e n u n d a ii
alle hlindcn .Mtisiker dci- de irisch -ös I errei cl\i-
sclien 1! e|) II I) I i k. orfenei" — Prnfessoi' Krtsrnärv,
Purkersdorf 109L 1148,
Eingliederung- der Hlindcn in die A rhei I sgehi ete der
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lekrer liartüsch, Wien 1187
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m i s s i ö n in» d.-ö. S t a a I s a rn I e -für sozial (^ V e r w a I -
tuiig. Die s . . . . IH);")
Gesidit des Blinden. Das — (Mit einer 'raiel.) - Direktor
Bürklen. Furkersdorf ilöf)
Grammophon im Musikunterrichte des l^)lindeii. I)as. 1107
Holzarbeitsunterridit. X'oni — Professor Dcmal, l'urkers-
dorf ] l2:-"i. im. 1 KKi
Insel der Heiteren. Die — \. Wydenbruek I 18(i
Kunsterziehung und der Musikunterricht an der Hliu-
denanstalt. Mu.siklehrer Bartosch. Wien 1219
Mähren. Aus H Ki
Punktschrift-Alphabet. Kin deutsches — Professor Dr.
Blaas, Jnn.sbruck 1I2S
Recht des Blinden auf Arbeit im sozialen Staat. Das —
Lehrer W an ecek. Furkersdorf in()2
Rede zur Kröffnung der Ausstellung von Handfertig-
keit s a r b e i t e n der Zöglinge des i 's r. B 1 i n d e n i n s I i -
tutes in Wien XIX. Direktor Heller. Wien 1 l(J3
Sdiwadisiditigen-Hilfsklassen, a n g c schlösse n an Schulen
für X or m a I s i ch I ige oder B I i n den unierri cb t sa n -
stalte n. 1^ i n r i c b t u n g von — Pehrer W a n c c e k . Fur-
kersdorf l-^H;")
„Seminar für H ei I päd agogi k- a n der n.-ö. La nd csl cln-cr-
a k a d e m i e. Das I 2( )9
Sondersdiulzwang f ü r b 1 i n d e K i n d e r. Der — Dr. S c b w a r / .
Berlin 1171
Straßenszene. Line Wiener — M. Hayek. Wien 121()
„ Tastlesen i'd a s ) der B 1 i n den- F n n k t s c h r i f t. •' D i e K r i l i k
meines Buches. — Direktor Bürklen, Furkersdorf . . 1 <>:"):)
Versorgung der Kriegsblind e n u n d A u g e n b (> s c b ä d i g 1 e n
in De uts.chö.st erreich 11»-;")
Vorzeidien. Über das Merken der - Fi-ofessor Zieilnh.
Furkersdorf lOöV)
Personalnachrjchten.
Baumgartner J.. Ernennung 1117. ~ Bodo F, Abgang von Furkersdorf. 1198. —
Demal F., Ernennung 1213. Gigerl E.. Betrauung mit der Leitung 1165,
Ernennung zum Prüfungskomniissär 124S. —- Groß F., Tod 1066. - Hager J.. Tod
1148. — Indrasä E., Ablegung der Musikstaatsprüfung 1165. — Jeraj K., Abgang
von Furkersdorf 1131. — Kaiser A., Ernennung 1148, Abgang von Furkersdorf 1198.
Kneis J., Ernennung 1213. Krtsmäry A., Ernennung 1165, 1213. - Kunschak L..
Abschied 1148. — Meli A., Pensionierung 1165. Nemec K., Zuteilung 1132,
Abgang von Furkersdorf 1198. — Posch G., Urlaub 1132, Auszeichnung 1198.
Schütz S., Zulassung als Hospitantin 11 i7. — Spic^ka A.. Ernennung 1086. —
Überall R., Vermählung 1213. — Volkert K., Übernahme der Überleitung von
Furkersdorf 1149. Wagner E., Pensionierung 1131, Abschied 1198. - Zierfuß A.,
Ernennung 1148, 1213.
Mitteilungen aus den Anstalten und Vereinen.
Asyl für blindß Kinder in Wien. Bericht 1198.
B 1 i n d e n f ü r s o r g e V e r e i n für Tirol und Vorarlberg. Bt-richt 1 1 99.
Blindenheimverein Melk. Bericht 1214.
Grazer Blindenanstalt. Bericht 1149.
Israel. Blinde ninstitat in Wien. Ausstellung 1149.
Klagen furter Blindenanstalt. Eröffnung 1213, Feier 1229, 1244.
> Li nde nbun d * , Bericht 1086, 1118, Freie Blindenversamnilung 111^3.
Li nzer Blindenanstalt. Weihnachtsfeier 1070, Dank 1118, Besuche 1183.1243.
1. östt^rr. Blindenverein. Generalversammlung 1183.
»P urker sdor fer«. Bericht 1151, Generalversammlung 1183;
P ur ker sdor f e r Blindenanstalt. Weihnachtsfeier 1070, Ehrung 1186, Veran-
staltungen 1132, 1198, Besuch 1148, Vorlesung 1182, Klavierkonzert 1182,
Amerikanische Kinderhilfsaktion 1182, Bericht 1198, Schulschluß 1213.
Salzburger Blindenanstalt. Bericht 1186.
Verein > Freunde der Blinden«. Bericht 1118.
Verein für Blindenfürsorge in Kärnten. Bericht 1230.
Verein zur Versorgung und Beschäftigung erwachsener Blinder.
Bericht 1118, Aufhebung der Altersgrenze 1183.
Wiener Blinden-Er Ziehungsinstitut. Ausschreibung der Direktorstelle
1243.
Taubstummen-Blindenverein. Bericht 1183.
>Zentralverein«. Ausschußsitzungen 1187, 1132, 1166. 1214, Generalver-
sammlung 1244.
Für Kriegsblinde.
Arbeiten eines kriegsblinden Offiziers 1118. — Besetzung von Trafiken 1151.
— Gartenfest 1151. Kriegsblinde in Heimstätten ll';9. Kriegsblinden-
Fürsorge in Frankreich 1231. Kriegsblindenheim in Wien (Zeitungsgedicht)
1118. - Mißbrauch des Namens „Kriegsblindenfürsorge" 1246 Mitarbeit
der Kriegsblinden an ihrer Fürsorge 1069.— Rohstoffeinkauf 10S6. — Stiftun-
gen 1103, 1133, 1199. — Veranstaltung für Kriegsblinde 1118. — Verband der
Kriegsblinden. 1151.
Verschiedenes.
Almosen. Das — 1103.
Altes und Neues. Abweichung des Blinden von der geraden Wegrichtung 1154.
Berto. Der blinde — 1106. Blinden in Japan und China. Die — 1122. Blinden-
darstellungen der Inkas 1218. Blindheit als Motiv einer komischen Oper 1138.
Darstellung des Blinden in der modernen Malerei 1154. Einfall. Ein rettender
— 1234, Hypnose bei Blinden. Über die — 1170. Lesefrüchtc aus Thomson:
Das Gehirn und der Mensch 1074. Mimischen Erscheinungen beim horchen-
den Blinden. Die — 1090. Nägelkauen. Übt das — einen ungünstigen Ein-
fluß auf die Tastfähigkeit und Handgeschicklichkeit aus- 1186. Schmelzl
Wolfgang: Ein schöne kurze, vnd Christliche Comedj, von dem plintgeboren
Sonn. 1202.
Anzeigepflicht für Blennorrhoea neon. 1247. — Augenschädigung durch Tabak. 1071.
Bettlerhumor. 1134. Bettlerschule in Englaud. Eine — 1134. Bilderagentur für
Blindenzwecke. 1230. Blinde. Der — 1231. Blinden hei den Wahlen. Die —
1087. Blindenfürsorgekommission. Staatliche — 1225. Blindenthermometer.
Ein — 1246. Blindenversammlung. 1149. Blinder als Auswanderungsleiter.
Ein — 1215. Briefkasten. 1106. Bürstenbinder. Schwachsichtige — 1167.
Drostes Leben. Aus Georg — 1070.
Eindringling. Der — Die Blinden. 1246.
Gerda-Schreibmaschine für Kriegsbeschädigte und Blinde. 1226. Geschäftsent-
wertung. 1231. Grippe mit Sehstörungen. 1247.
Haarknüpfen für Perücken. 1215. Helm für blinde Mädchen. Ein — 1267. Heil-
pädagogik an der Lehrerakademie in Wien. 1116. Heilpädagogische Ver-
einigung inHaraburg. 1117. Holzhacker.der sich selbst denStar sticht. Ein — 1134.
Keller Helen als Kinodarstellerin. 1167. Kriegsblinder am Traualtar. Ein — 1246.
Maler. Der erblindete — 1103. Musik und die Blinden. — 1167.
Pflanzen, die Kiblindun«;,' verursachen. 1247.
Raupen. Blinde 1231 '.
Schwerhörigenschulen in Deutschösterreich. Knichtung von — 1215. Send-
schreiben des »Ulindentrenndes« über die Neu^estaUunfr 'des deutschösteri .
Biindcnwesens. 1114. Staatspreis für die Abrichtung eines lilindcnf'ührer-
hundes. 1230. Systeme der Punktschrift. Neue — 1103.
Testament. Ein schönes — 1071. Tierschutz. Seitsamer — 1231. Triumph der
Augenheilkunde. Ein — 1230.
Vorschlag eines Dichters. 1134. Vortragsabend in Brunn 1147.
Zusammenschluß der deutschen Kriegsblinden. 1215.
Gedichte.
Blinde. Die — A. v. Chamisso 1228, 1242. Blinde. Dir J. M. Kilke loS3.
Blindenklage. K. Henckell 1133.
Gebt den Blinden, was des Blinden ist! A. Raj)])awi lOCi').
Knabe. Der blinde — 1113.
Ottilie. F. Rücke rt 1096.
Bücherschau.
Beiträge zum Blindenbildungswesen. Dr. A. Bielschowsky. 10S7. Bericht über
den VI. österr. Blindenfürsorgetag. 1135.
Festschrift für den VVürttembergischen Blindenverein. 1215. Fürsorge \'nv Kriegs-
blinde in Böhmen. Die — Di. R. Marschner. 1071.
Jugendblinden nach dem Weltkriege. Die — A. Rappawi. 1167.
Lebenswille. .Siegfried Abi er. 1225.
Mitteilungen aus dem Gebiete des Blindenwesens. A. Meli. 1135.
Praxis für die I'raxis. Aus der — (Bericht der deutschen Zentralbücherei). 1135.
Päd.-psych. Laboratorium an der n. ö. Landes-l^ehrerakademie in Wien. Das —
rBericht.) 1135.
Unfallverhütung bei der Beschäftigung Kriegsblinder in gewerl>lichen Betrieben.
P. Perls. 1231.
Mitarbeiter.
Bartosch Josef, Musiklehrer; Vorschläge für einen musikalischen Fortbildungskurs
1187. I\'unsterziehung und der Musikunterricht an Blindenanstalten I2l9.
Blaas Dr. J., Professor: Ein deutsches Punktsrhrift-Alf)habet 1129.
Bürklen K., Direktor: Das Gesicht des Blinden 1155. Die Kritik meines Buches
i>Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift« I055.
Butze M. fl.: Erfahrungen über die Dr. Herz'sche Massivschrift 1063.
Chlumecky H. v., Hofrat: Blindenwesen und Blindenfürsorge in Holland 1099.
Demal F., Professor: Vom Holzarbeitsunterricht 1123, ll4l, 1160.
Hayek M., Wien: Eine Wiener Straßenszene 1240.
Heller S., Direktor: Rede zur Eröffnung der Ausstellung von Handfertigkeits-
arbeiten der Zöglinge des israelitischen Blindeninstituts in Wien XIX. 1163.
Herz J.: Das Blindenerholungsheim in Binz I2II.
Krtsmäry fl., Professor: Offener Brief 109l, 1143.
Rappawi fl., Anstaltsleiter: Gebt den Blinden, was der Blinden ist! 1096.
Schwarz Dr. K.: Der Sonderschulzwang für blinde Kinder 1171.
Wanecek O., Lehrer: Provozierte Aufmersamkeitsmimik bei Blinden 1206.. Rer
Blinde in der Sage, im Märclren und in der Legende 1075. Das Recht des
Blinden auf Arbeit im sozialen Staat 1062. Errichtung von Schwachsichtigen-
Hilfsklassen 1235.
Wydenbruck Nora: Die Insel der Heiteren 1180.
Zierfuß fl., Professor; Über das Merken der Vorzeichen 1059.
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