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Full text of "Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur"

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PS, 

ZEITSCHRIFT 


FÜR 


)EUTSCHES  ALTERTUM 


DEUTSCHE  LITTERATUR 


HERAUSGEGEBEN 


EDWARD  SCHROEDER  und  GUSTAV  ROETHE 


SECHSUNDFÜNFZIGSTER  BAND 


DER  NEUEN  FOLGE  VIERUNDVIERZIGSTER  BAND 


BERLIN 

WEIDMANNSCHE  BUCHHANDLUNG 
1919 


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INHALT. 


Stile 

G.  V.  Kraus.  Der  rührende  reim  im  mittelhochdeutschen       ....  1 

R.  Meissner,  Irinyes  weg 77 

W.  Krause,  Ulfila  Matth.  9,  16 98 

P.  Wagner,   Rheinisches  osterspiel   in   einer  handschrift  des   17  Jahr- 
hunderts      löO 

M.  H.  Jellinek,    Die  Praet'atio  zum  Heliand  und  die  Versus  de  poeta  1 09 

J.  Schwletering,  Gemeit    .          125 

A.  Wallner,  Zum  text  des  Moriz  von  Craon 132 

E.  S.,  Eine  anfschneiderei  des  Trithemius 135 

G.  Ehrismann,  Die  Grundlagen  des  ritterlichen  tugendsystems  .     .     .  137 

E.  S.,  Das  buch  Phaset? 216 

A.  Bömer,    Das    vagantenlied    von    Phyllis    und    Flora,      nach    einer 

niederschrift  des  ausgehnden  12  Jahrhunderts      ....  217 

E.   Schröder,  Burgonden    240 

E.  Schröder,  Zur  kritik  von  Hartmanns  Büchlein 247 

H.  Lietzmann,  Die  vorläge  der  gotischen  Bibel 249 

F.  Falk,  Zum  Vaticanuf  mit  den  altsächsischen  Genesis-fragmenten  .  279 

F.  Kluge,  Zur  Sprachlehre  des   16  Jahrhunderts 280 

Th.  Frings,  Zur  spräche  Veldekes 281 

E.  S.,  Zum  text  des  Moriz  von  Craon 288 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  I\I1TTELH0CH- 
DEUTSCHEN. 

Rudolf  Hildebrand  hat  in  einem  seiner  aufsätze  zur 
deutschen  metrik,  die  zu  wenig  gelesen  werden  —  wol  weil 
die  mischung  von  aphorismus  der  gedanken  und  breite  der  dar- 
stellung  uns  altfränkisch  anmutet  — ,  einen  durchaus  gesunden  und 
richtigen  gedanken  über  das  wesen  des  reims  geäufsert:  'nicht 
der  gleiche  klang  allein  macht  den  rechten  reim,  sondern  gleich- 
heit  und  Ungleichheit  zusammen,  und  zum  reim  gehört  nicht 
blols  das  gleich  klingende  vom  vocal  an,  sondern  ebenso  das 
verschieden  klingende,  das  dem  tonvocal  als  ansatz  vorhergeht, 
also  könnte  man  sagen,  reim  und  unreim  verflochten  bilden  den 
rechten  reim\  je  gröfser  die  Verschiedenheit  neben  der  gleich- 
heit,  um  so  voller  wirke  der  reim,  weshalb  uns  die  bindung 
gleis  :  greis  besser  klinge  als  kreis  :  greis,  und  schrein  :  icein 
besser  als  schrein  :  rein  (Zs.  f.  d.  u.  5,  578). 

Im  weiteren  verlauf  kommt  H,  auch  auf  den  rührenden 
reim  zu  sprechen,  bei  dem  die  Ungleichheit  aus  dem  bereich  des 
klanges  in  den  des  gedankens,  aus  dem  cäufseren  ins  innere  ver- 
setzt sei.  diese  erklärung  fufst  auf  der  bekannten  von  WGrimm 
in  seiner  Geschichte  des  reimes  aufgestellten  regel,  dass  der 
rührende  reim  im  alldeutschen  als  erlaubt  gegolten  habe,  wenn 
die  beiden  identischen  silben  Worten  verschiedenen  Stammes  oder 
verschiedener  bedeutung  angehörten. 

Dass  diese  regel  den  reimgebrauch  vieler  mittelhochdeutschen 
dichter,  darunter  gerade  der  grösten,  nicht  erklärt,  hat  Zwier- 
zina  Zs.  45,  2S6  ff  in  seiner  dem  rührenden  reim  gewidmeten 
Studie  überzeugend  dargelegt,  zalreiche  typen  rührender  reime, 
die  nach  Grimm  als  erlaubt  gelten  müsten,  fehlen  gänzlich,  ob- 
wol  sie  sich  häufig  und  ungezwungen  dargeboten  hätten,  so 
meiden  Hartmann  und  Wolfram  (oder  einer  von  ihnen)  bindungen 
wie  sin  'suus'  :  sin  'esse';  wis  'sapiens'  :  wis  'modus';  -heit  : 
-heit;  -Schaft  :  -schaft;  Terramer  :  mer;  Gdwän  :  wän  usw. 
anderseits  fehlen  bei  zahlreichen  dichtem  auch  viele  reimtypen, 
obwol  sie  gar  nicht  zur  gattung  der  rührenden  reime  gehörten, 
so  identische  bindungen  wie  sündcere  :  vischcere;  sidin  :  hännin; 
Z.  F.  D.  A.  LVI.    X.  F.  XLIV.  1 


2  VON  KRAUS 

lobelich  :  minfieclich]  -keit  :  -heit  usw.  Grimms  regel  wird  also 
den  tatsachen  nicht  gerecht,  aufserdem  verlangt  der  rührende 
reim  eine  individuellere  betrachtungsweise,  für  die  Zw.s  Studie 
durch  eine  fülle  feiner  beobachtungen  den  weg  gewiesen  hat, 

Zweifel  dagegen  erregt  in  einigen  fällen  die  erklärung, 
die  Zw.  für  die  von  ihm  beobachteten  erscheinungen  gegeben 
hat.  wenn  einzelne  dichter  wie  Hartmann  oder  Wolfram  dem 
gebrauch  des  rührenden  reims  von  allem  anfang  an  oder  im 
verlauf  ihrer  kunstübung  widerstreben,  anderseits  aber  doch 
bindungen  wie  creatiure  :  tiure  oder  Dido  :  dö  und  föreht  :  reht 
zulassen,  so  meint  Zw.,  dass  diese  fremden  Wörter  nach  ihren 
(wirklichen  oder  vermeintlichen)  suffixen  so  abgetrennt  worden 
seien,  dass  überhaupt  kein  rührender  reim  vorhanden  war:  creat- 
iure; Did-ö;  för-eht.  und  wenn  ge-Iich:  -lieh  bei  Hartmann  und 
Wolfram  zugelassen  sind,  ja  letzterer  auch  ver-los  :  lös  reimt, 
so  schafft  Zw.  diese  bindungen  aus  der  kategorie  der  rührenden 
reime  weg,  indem  er  annimmt,  dass  den  beiden  dichtem  die 
formen  mit  synkopierter  vorsilbe  vorgeschwebt  hätten,  auch  an 
stellen,  wo  der  vers  die  vollen  formen  verlangt,  man  braucht 
diese  annähme  nicht  als  'fast  abenteuerlich'  (Zw.  s.  291)  zu 
empfinden,  aber  beim  Vortrag  der  verse  trennte  man  gewis 
nicht  ab:  ävent-iure,  Did-ö;  und  sprach  ebensowenig  glich  und 
vlös,  wo  der  vers  die  volleren  formen  erheischte,  sprach  man 
aber  även-tiure,  Di-dö  sowie  (wenigstens  in  gewissen  versen) 
ge-lich  und  ver-los,  dann  ist  der  rührende  reim  für  das  ohr  des 
Zuhörers  vorhanden,  und  es  würde  solche  fälle  derselbe  tadel 
treffen,  den  Hildebrand  (aao.  s.  579)  gegen  die  'erlaubten' 
rührenden  reime  Grimms  (bindung  gleicher  Wörter  oder  silben 
mit  verschiedener  bedeutung)  kehrte:  'die  reine  Schönheit  ist 
eben  damit  beschädigt,  dass  das  ungleiche  aus  dem  bereich  des 
klanges  entfernt  ist,  dass  maus  nicht  mehr  zu  hören  hat,  nur 
noch  zu  denken',  man  wird  also  eine  erklärung  hier  wie  dort 
bevorzugen,  die  alle  solchen  verse  vom  standpunct  des  klanges 
rechtfertigt,  —  wenigstens  für  dichter  die  uns  sonst  als  fein- 
hörig bekannt  sind. 

Ein  reim  Didö  :  dö  klingt  besser  als  ein  reim  *dö  :  dö; 
äventiure  :  tiure  besser  als  *tiiire  :  tiure,  obwol  beide  arten  zu 
den  rührenden  reimen  gehören,     aber  keineswegs,   weil  die  be- 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN      3 

deutuügen  in  den  bezeugten  beispielen  verschieden  sind,  denn 
auch  ein  reim  cordis  speculator :  daz  tor  klingt  besser  als  *specu- 
lator  :  burcfor.  der  unterschied  liegt  vielmehr  im  accent  be- 
gründet: in  Dtdö  :  dö,  äventiure  :  tinre,  speculator  :  tor  hat 
die  6ine  der  rührenden  reimsilben  den  hauptaccent,  die  andere 
den  nebenaccent.  bei  einer  bindung  tmre  :  tiure  hätten  beide  Wörter 
den  hauptaccent,  bei  speculator  :  burcfor  beide  den  nebenaccent. 
'gleichheit  und  Ungleichheit  zusammen  bilden  also  auch  hier  den 
richtigen  reim:  wo  die  form  der  reimwörter  ganz  gleich  ist,  da 
muss  ihr  accent  die  vom  ohr  gesuchte  Ungleichheit  liefern,  wie 
sehr  dabei  die  feinhörigkeit  und  die  technik  der  mittelhoch- 
deutschen dichter  auch  hierin  verschieden  sind,  wird  am  besten 
aus  einer  betrachtung  ihrer  kunst  im  einzelnen  hervorgehn, 
wobei  viel  von  dem  was  Grimm  und  Zwierzina  ermittelt  haben, 
in  der  neuen  beleuchtung  seinen  alten  wert  behält. 

Hartmanns  rührende  reime  liefern  viele  beispiele  für  die 
bindung    verschiedenaccentuierter   Wörter   oder  silben.     'aus    der 
von  Zw.  s.  311   anm.  gegebenen  liste*  kommen  in  betracht:    im 
Erec  roi  Lac:  Arlac  1630;  erlacken  :  schariachen]  (ge)schaft  : 
meisterschaft  (2);   lande  :  välande  5648;  behängen  :  umbehangen 
(subst.);   gewant  :  tsengtvant;    genant  :  Karnant  2882;    ergän 
Kardigän   2852;    lomre  :   spartvcere   202.    468.    508;    enbcere 
unhovebcere ;    herren  :  junkherren\    schefte  :  ritterschefte;   heim 
mheim;   in  :  Imain   176.    1316;  rieh  :  esterich  8598;  gfeßich"^ 
herlich,  lobel,  manl,   (al)saniel.,    blmcl.,   ivcetl.,  ritterl.  288;  744 
1910;  844;    2286.   2318.    2322;   1320;    1852;  2302;   ungeUch 
grimmecUch  9252;   faljgeltche   :   lobellche,  ritterl.,  friuntl,  (un) 
müezecl.,    vollecl.,    bill.,    u-cerl.,   nnrdecl.,  kliigel.,   ivunderl.   782 
2458;    2898;    2940.    4396;    2960.    7148;    3336;    4858;    5094 
7968;    9740;   glichen    (adj.)    :   ritterl.    1946;    geliehen  (verb.) 
ungitidecl,  vollecl,  angestl.  2382.  2814.  3140;  gelichez  :  zwivell 
7068;  tiure  :  covertiure  738;  wol  :  bourmvol;  dd  :  Landd  2576; 

1  ich  ordne  hier  nach  den  reimsilben  und  stelle  bei  jedem  paar  die 
haupttonige  silbe  voran,  die  citate  füge  ich  hier  nur  bei,  wenn  das  bei- 
spiel  aus  irgendwelchen  gründen  in  Zw.s  liste  nicht  vorkommt,  sondern 
von  ihm  an  anderer  stelle  oder  gar  nicht  gebracht  wurde. 

'^  auch  die  fälle,  wo  Haupt  gl'ich  druckt,  führe  ich  mit  an,  da  man 
öfter  schwanken  kann,  ob  nicht  geltch  zu  lesen  sei. 

1* 


4  VON  KRAUS 

:  Diclo  7558;  verlos  :  sigelos;  gelunge  :  Jiandehinge  6462.  —  im 
Büchlein  (ohne  reimspiel):  incere  (subst.)  :  unmcere-^  gelingen  : 
Karlingen  1279;  geliche  :  ivcerl.  909;  geliehen  (verb.)  :  müel. 
651;  du  solt  :  unversolt  975;  misSelunge  :  tvandelunge  1153.  — 
im  Gregorius:  behalten  :  isenhalten  (2);  genas  :  Jonas  931: 
m^  :  Jnrät-^  mcere  :  Ronuere  1999.  3201;  geliche  :  wunnecl., 
heimel.  (subst.),  o/fenZ.  203;  2933;  3331.  —  im  aHeinrich: 
rat  :  Mrät;  tiure  :  creatiure  1199;  tor  :  speculator  1357.  — 
im  Iwein:  6«^; :  värhaz]  gelich  :  eisl.,  misl.,  aller  tag el.,  toünnecl., 
unmügel.  427;  615;  753;  1683;  2659;  geliche  :  gemel.  2217; 
geliehen  :  vlkecl.  375  5;  Ion  :  Ascalön  2274;  behüeten  :  vuhs- 
hüeten^. 

Dass  gelich  und  seine  formen  eine  besondere  Stellung  ein- 
nahmen, indem  viele  dichter,  die  sieh  niemals  einen  reim  zweier 
-lieh  untereinander  gestatten,  doch  die  bindung  geUch  :  -lieh 
unbedenklich  zulassen,  hat  Zw.  (s.  307)  gegenüber  Grimm  richtig 
beobachtet,  der  grund  dafür  liegt  in  der  Verschiedenheit  des 
accents:  gelich,  ungelich  hat  starken  accent,  -lieh  bestenfalls 
schwachen:  uhd.  'gleich',  'ungleich'  gegenüber  '-lieh'. 

Eine  ebensogute  —  oder  vielmehr  bessere,  weil  feinere  — 
würkung  übt  es,  wenn  der  satzaccent  die  rührend  reimenden 
Wörter  von  einander  unterscheidet  2.  als  eine  Übergangsgruppe 
mag  man  die  fälle  betrachten,  wo  das  eine  reimwort  mit  dem 
was  vorhergeht  eine  art  freier  composition  eingeht: 

von  golde  drizic  marke 

die  gap  man  da  vü  manegem  man 

der  vor  nie  gewau 

eines  halben  phiindes  wert. 

si  wurden  alle  s6  gewert 

dez  wcetlich  nimmer  mere  ergät.     Er.  2177. 

'  et(e)swä  :  tcä  Er.  8522;  I\v.  3217  'ist  nicht  rührend',  Zw.  s.  ;!13 
anni.  aber  es  wäre  als  identischer  reim  zu  billig,  wenn  nicht  auch  hier 
starker  accentunterschied  hinzukäme,  so  reimt  [in  beiden  fällen  cteswd 
mit  einem  stärkstbetonten  (enweste)  icd. 

-  durch  systematische  Untersuchung  wird  sich  so  die  möglichkeit 
ergeben,  einige  von  Behaghel  Gesch.  d.  d.  spr.  ^  §  105—109  in  bezug  auf 
den  altdeutschen  satzaccent  aufgeworfene  fragen  zu  beantworten,  in  anderen 
fällen  wird  die  Untersuchung  ergeben,  dass  viele  seiner  lehrreichen  fest- 
stellungen  ebenso  schon  für  die  ältere  zeit  gelten. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN      5 

von  derselben  art  sind  folgende  fälle:  im  Erec:  misseldnc  : 
ärier  schefte  länc;  gewert  :  hizzer  eren  wert;  ivält  :  üz  der 
Sorgen  geweilt;  wäge  :  i(f  des  meres  tväge  7062;  gesdnt  :  an  der 
Gnaden  sänf.  —  Greg,  ent-wt'rt  'abgewiesen':  guotes  männes  wert. 
Ebenso  entzieht  das  präpositionaladverb  dem  unmittelbar 
folgenden  verbum  viel  von  seinem  accent: 

daz  in  daz  ezzen  wsere  bereit, 
mit  solcher  rede  er  xiz  reit     Er.  3092. 
als  ditz  der  künec  Artiis  vernam, 
die  tavel  man  übe  nam     Er.  5018. 

weitere  fälle:  im  Erec  wunden:  in  gewunden  (partic.) ;  gefüere 
(adj.)  :  he'im  fuere.  —  Biiclil.  mit  zouberltchen  dingen  :  uz 
duigen  (verbum).  —  ähnl.  Greg,  der  gewchre:  da  inne  wcere. 

Ferner  steht  das  verbum  an  accentgevvicht  hinter  dem  des 
normalen  voUverbums  zurück  in  Verbindungen  wie  tot  Ugen, 
war  nhnen  u.  ä.     daher  wird  im  Erec  gebunden: 

also  dö  daz  schiene  wij) 

dirre  freise  war  genam 

und  dar  zuo  vernäm 

disen  grozen  untrost     8817;  cgi.  3502. 

ebenso  doch  muoz  mich  wunder  nrmen  :  und  loolte  ez  gerne  ver- 
ne'men  Büchl.  435:  ähnlich  tot  lac,  ünversunnen  lac  :  roi  Lac 
Er.  3390.  65 8S  ('sicher  ergänzt'  Zs.  45,  312  anm.).  oder  das 
stärkerbelastete  voranstehnde  object  entzieht  dem  verbum  einigen 
accent : 

si  bietent  sich  zuo  iuwern  vüezen 

swenne  si  iuwer  rede  vernement 

un4  bitent  iuch  daz  ir  in  n^ment     Iio,  2170, 

besonders  gut,  weil  ne'ment  'zum  mann  nehmen'  bedeutet,  also 
prägnant  gebraucht  ist;  prägnante  bedeutung  aber  hat  immer 
eine  Steigerung  des  accents  im  gefolge.  ähnlich  re'ht  hän  ge- 
nömen  :  i  wol  vernömen  Er.  1754;  üntumrt  genam  :  willen 
vernäm  3826;  erhärmunge  genbmen  :  von  dir  vernömen  5780; 
daz  tvort  iht  verneme  :  daz  si  zeheime  hdzze  neme  Büchl.  1635; 
vgl.  Er.  6472  tve'rt  :  eren  g{e)wert. 

Hilfsverb  nach  inf.  hat  weniger  gewicht  als  ein  vollwort 
derselben  lautform,  daher  reimt  Hartmann:  minnen  begünde  : 
des  niht  günde  ('gönnte')  Büchl.  13;  gelöuben  sölt :  versölt  ('ver- 


6  VON  KRAUS 

schuldet')  525 ;  värn  län  :  ouch  malit  du  mich  sin  gerne 
erldn   1027  1. 

Sonst  verzeichne  ich  noch  tvänt  (paries)  und  übenvdnt 
(superavit):  also  getvant  aH.  1267;  Iw.  6601;  der  gew<^re  (siäj.): 
daz  si  sin  müoter  wcere  Greg.  3861;  daz  er  siner  arheit  .  .  . 
iht  äne  Ion  beltbe  :  und  swer  nach  stnem  Übe  si  hoere  sagen 
aH.  212;  ein  missemüete  geselleschaft,  diu  doch  sämet  be- 
ltbe under  sele  und  under  übe  Greg.  2657;  lieh  (subst.):  eime 
frdze  {dem  wünsche,  eime  riter)  g{e)lich  Greg.  2927;  Iw.  1333. 
3595;  ähnlich  ir  anilütze  unde  ir  schmniu  lieh  :  der  ich  nie 
niht  sach  gelich  1669;  ich  weiz  ivol  daz  Judas  niht  rimviger 
was  do  er  sich  vor  leide  hie  ('erhängte')  :  danne  diu  zwei  h\e 
Greg.  2625;  von  einen  gnaden  ich  iu  sage  .  .  .  sich  begunden 
über  al  die  glokken  selbe  lluten  und  künden  den  liuten  daz 
ir  rihtöere      schiere  künftic  ivoire  3757  3. 

Worte  die  nach  niender  als  oder  niemen  an,  tvan  oder 
nimvan  folgen,  haben  besonders  starkes  gewicht,  so  ergibt  das 
wortspielende  paar  Er.  2626  auch  einen  guten  klang: 

do  sach  man  in  so  dicke 
niendr  als  in  der  dicke*. 

Ebenso  gehören  hierher: 

ze  jenem  böumgarten  in. 

daz  weste  niemen  da  an  in     Er.  9648  ; 

(ich  hän  gewaltes  wan  den  muot 

und  den  frien  gedtinc) 

du  müestest  under  dinen  dänc 

nach  gelobtem  worte  leben     Büchl.  916*; 

da  verlüre  niemen  an  wan  ich. 

zwäre  ja  bin  ich 

iedoch  min  selbes  vient  niht  1451  ^. 

'  so  Bech  nach  der  hs.;  Haupt  läsen  :  gemäsen,  falsch,  s.  Festschr, 
f.  Heinzel  s.  158  f. 

*  dadurch  kommt  der  gegensatz  schön  zum  ausdruck:  'dass  er  [im 
leben]  nicht  ohne  lohn  bleibe,  und  nach  dem  tode  fürbitten  erhalte.' 

^  viell.  soll  aber  auch  der  reim  ins  ohr  dröhnen  wie  glockengeläute, 
s.  andere  fälle  unten  s.  10. 

*  d.  i.  man  sach  in  niender  so  dicke  als  in  der  dicke. 

*  auf  gegen  (deinen  willen)  liegt  der  nachdruck;  ganz  ebenso  Greg. 
2995,  was  doch  stark  zugunsten  der  hs.  A  (I)  ins  gewicht  fällt;  s.  aber 
Zs.  37,  174  anm. 

•^  'hier  hat  wenigstens  das  eine  ich  den  stärksten  satzton,  das  andre 
ist  im  satz  enklitisch'  Zwierzina  s.  300  anm. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN      7 

vgl.    noch     g{e)ivält   :  schiet    nimvan     der    tvalt      Er.    6756. 
6828. 

In  ähnlicher  weise  sind  aus  dem  Erec  noch  anzuführen: 
vor  im  läc  :  roi  Luc  4438;  der  künec  umbe  den  wec  lac  : 
roi  Läc  5036;  ditz  was  diu  junge  rüterschaft :  nu  körnen  dar 
mit  herschdft  fünf  alte  künege  riche  19781;  diz  ist  nu  geioesen 
Uinc  :  daz  ir  deheinetn  nie  gelänc'^  7966;  und  st  wurden  wol 
getcdr  :  daz  im  niht  tcetUches  war  7028;  er  fuor  4f  von  der 
baren  :  in  fremden  gebären^  6598;  stegereife  :  goltreife  7670 ^; 
daz  si  michel  leit  :  erleit  5318^;  daz  dy,  dins  rehtes  niht  en- 
ne'mest  :  e  daz  du  danne  vernemest  wie  im  sin  dinc  ergangen 
si  1144  6;  entwesen  ('ohne  etwas  sein')  :  daz  sol  wesen  3276  6; 
wert  'dignus'  :  entleert  ('nicht  gewährt')  4950 ':  wider  in  ('hinein') 
:  als  ez  niender  wcere  umbin  2514 8;  ivärnen  mite  :  dazz  ez  dar 
nach  vermite  1060;  möhte  sm  :  sicelcher  der  gesellen  sin  durch 
geselleschaft  geruochte  2390  9;  nu  jage  selbe  swaz  du  wllt  :  hie 
ist  hiinde  unde  wilt  und  swaz  ze  jagen  ist  nütze  7182;  mit  un- 
valscher  wünne  :  sam  si  nie  leit  gewunne  5626 ;  aller  eren  giinnen  : 
er  hat  ez  wöl  begknnen  1290^0;  ähnlich  10074;  daz  er  aller 
zerfüere  :  ze  sime  gefüere  9280;  ja  ist  dirre  werlte  leben  niuwan 
der  sile  verlust  :  ouch  hat  mich  werltlich  gelüst  unz  her  noch 
niht  beriieret  aHeinr.   689. 

Einige  beispiele  zeigen  schon  im  Erec  die  künftige  meister- 
schaft  des  dicht ers: 

DU  het  gewert  dirre  strit 

unz  an  die  nonezit 

*  {her)schaft  ist  in  diesem  zusammenhange  natürlich  stärker  betont 
als  [ritte r)schaft. 

2  absolut  gebrauchte  verba  haben  wie  prägnante  stärkeres  accent- 
gewicht. 

*  die  bdte  ist  kein  novum,  wol  aber  sein  gebären. 

*  an  den  begriff  reif  wurde  wol  nur  mehr  beim  zweiten  wort  ge- 
dacht, daher  hier  der  zweite  teil  wol  etwas  mehr  vom  nebenaccent  hatte 
als  im  ersten  wort. 

^  wie  in  nhd.  leid  erleiden. 

^  der  unterschied  des  accents  ist  sehr  schwach. 

"^  das  erste  wert  emphatisch  gehoben. 

*  'als  wenn  es  sich  gar  nicht  um  ihn  selbst  gehandelt  hätte'. 

ä  ich  fasse  das  zweite  sin  als  abhängig  von  geruochte;  wenn  es  da- 
egen  possessiv  zu  gesellen  i&t,  dann  ist  der  reim  schlecht, 
i"'  auf  beginnen  liegt  keinerlei  nachdruck,  s,  1262  ff. 


S  VON  KRAUS 

den  eumertac  iilso  länc. 

do  Erecke  also  gelänc, 

die  gnade  er  an  im  begie 

daz  er  in  leben  lie     4462  ; 

owe  wie  wol  ich  ärine 

gezini  an  dinem  arme  5892  ' ; 

von  dem  slage  wart  si  frö 

und  ouch  des  tages  nie  me  wan  do. 

wä  si  die  freude  möhte  n^men? 

daz  mugt  ir  g^rne  vernemen; 

wan  siege  tuont  selten  iemen  frö     6552  ; 

diu  frouwe  grozen  kumber  leit 

wan  daz  si  ze  liebe  ir  l^it 

in  ir  herzen  verkerte  3450 ; 

si  vorhte  daz  si  wurde  gezigen 

von  im  anderer  dinge 

und  seit  imz  mit  gedinge 

daz  er  ir  daz  gehieze 

daz  erz  äne  zorn  lieze     3046. 

Aus  den  anderen  werken: 

entriwen  unde  tüot  si  so? 

ja,  si  zwäre  also     Bilchl.  1171  ; 

do  stal  ich  mich  mit  im  dar  In 

und  bare  mich  da  unz  daz  ich  in 

und  alle  sine  gebterde  ersach     Greg.  2383^; 

du  hast  ein  tumben  gedanc 

daz  du  sunder  sinen  dänc 

gerst  ze  lebenne  einen  tac 

wider  den  niemen  niht  enmac  aHelnr.  1243. 

Im  Iwein  bezeichnet  besonders  einen  fortschritt  die  feine 
art,  mit  der  die  schwaclie  betonung  des  hilfsverbums  vor  seinem 
particip  benutzt  wird: 

si  er  weite  hie  nu  einen  wirt: 
deiswär  von  dem  si  niemer  wirt 
geswachet  noch  guueret     1587  ; 
daz  (ors)  was  die  naht  so  wol  bewärt 
daz  ez  nie  bi  im  enwärt 
gekunrieret  also  schöne     6657. 

Sonst  kommt  Hartmanns  pointierende  vortragskunst  nocli 
schön  in  folgenden  beispielen  zur  geltung: 

'  dieses  emphatisch-gehobene  ich  arme  hat  auch  Gottfried  als  be- 
sonders gelungen  empfunden,  denn  er  ahmt  es  nach  s.  u. 

•^  das  zweite  Mi  ist  stärker  betont:  'ihn  und  sein  gebaren'. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN      \) 

ouwe  daz  diu  guote 

ia  selhem  unmuote 

ist  so  rehte  wünneclich: 

nu  wem  wäre  si  gelich 

eahete  si  d  e  li  ^  i  n  1  ^  i  t  ? 

zwäre  got  der  hat  geleit 

sine  kunst  ...  an  disen  .  .  .  lip     1685  ; 

ir  herze  meinde  ez  niender  so. 

in  het  ein  tägelich  ht-rzeli'U 

vil  gar  ir  vreude  hin  gelMt     4407  '  ; 

BUS  Wiirens  überwunden 

iedoch  mit  vier  wunden 

die  si  ime  hüten  geslagen     5423"-. 

Anderseits  finden  sich  in  den  früheren  werken  des  dichters 
einige  kunstlose  rührende  reime.  Er.  904  mag  noch  absieht  im 
gleichklang  liegen:  unser  siege  gent  niJif  manllclien,  wir  vehfen 
lästerlichen;  ebenso  soll  der  eindruck  vielleicht  gesteigert  werden 
Er.  5744  eine  klage  vil  harmecHche  :  herzer iuwecliche^.  aber 
keine  entschuldigung  —  aufser  ihre  geringe  zahl!  —  haben  die 
übrigen  fälle:  küneghi  :  menigin  1698;  magedin  :  stdin  1542; 
heimliche  (subst.)  :  wipltche  510G;  ivalf  (silva)  :  gewalt  (potestas) 
3114^;  Henegou  :  Haspengou  Greg.  1575^;  dar  in  :  under  in 
30416. 

Andere  beispiele  die  widerstreben,  sind  als  fehler  der  Über- 
lieferung (oder  der  conjectoren)  schon  von  anderer  seite  erkannt: 
dies  bestätigt  unsere  regel,  und  fügt  den  früheren  gründen  der 
Verwerfung  einen  neuen  hinzu,  im  Erec  887  liest  man  bei 
Haupt:  si  mohten  noch  enkunden  ir  bot  mit  kreften  niht  ge- 
ivegen  noch  die  arme  also  erwegen  als  st  täten  unze  dar: 
schon  Bech  hat  888  ir  mit  kreften  me  gelegen,  und  wenn   man 

^  das  beispiel  ist  besonders  hiibscli,  weil  der  satzaccent  herzelcit 
über  den  normalen  wortaccent  herzeleit  triumphiert. 

2  wortspielend. 

^  vgl.  das  einzige  beispiel  aus  Strickers  werken  derselben  art,"  das 
'nur  absichtlich  zu  stilzwecken  verwendet'  wurde,  Zw.  s.  308. 

*  ev.  auch  Greg.  99,  wenn  man  nicht  gwalt  liest  oder  gar  gehalt, 
s.   Zw.  s.  313  anm. 

^  bei  aufzählungen  wird  dergleichen  noch  öfter  begegnen  s.  u.;  aber 
ich  möchte  den  misklang  durch  die  Schreibung  -gouwe  nicht  noch 
ohrenfälliger  machen,  anf  heniiauic,  wie  die  hs.  P  in  der  Crone  2960 
schreibt,  ist  gewis  nichts  zu  geben. 

•^  so  muss  doch  wol  gelesen  werden,  s,  Zwierzina  Zs.  37,  165.   166  f. 


10  VON  KRAUS 

bot  (oder  gebot)  mit  Haupt  ergänzt,  dann  muss  erst  recht  ge- 
legen geschrieben  werden,  denn  gebot  legen  ist  feste  Verbindung, 
s.  Haupt  zu  Er.  876.  84.  —  umgekehrt  ist  Haupt  gegen  Bech 
im  rechte,  wenn  er  Er.  7697  an  erspehen  für  an  ersehen  (:  ge- 
sehen) schreibt  1;  ebenso  8727  mit  der  besserung  bespreit  für 
zerbreit  (:  breit),  vgl.  Zs.  45,  311  anm.  und  die  nachahraung 
der  stelle  bei  KvFussesbrunnen  (Kochendörffer)  2425  f  (nach  A). 
—  auch  8754  ist  mit  der  hs.  und  mit  Bech  in  :  hin  zu  lesen, 
s.  Zs.  45,  312  anm.  —  im  Büchl.  815  beruht  verlos  :  müzmr 
lös  auf  blofser  conjectur  (hs.  muoterlös).  —  rihtet  :  berihtet 
(so  K)  im  Greg.  21  scheint  Zwierzina  aao.  s.  312  anm.  mit  recht 
zweifelhaft;  Pauls  richet  :  brichet  (so  I  bzw.  IG)  verdient-  den 
Vorzug.  —  dass  gröz  :  groz  949  unmöglich  ist,  hat  Zwierzina 
wiederholt  begründet,  s.  Zs.  37,  412;  45,  312  anm.  364.  — 
im  aHeinr.  1099  folgt  Gierach  (s.  auch  Zs.  55,  553)  mit  recht 
der  hs.  B  gegen  A,  die  zuo  :  dar  zuo  bietet.  —  und  die  beiden 
beispiele  im  Iw.  (6225  vielen  :  enpflelen,  1.  wielen-,  6711  in  : 
in,  1.  mit  allen  hss.  hin)  hat  bereits  Zw.  s.  312  f.  anm.  ge- 
bührend verurteilt. 

Auf  ein  anderes  blatt  gehören  die  fälle,  wo  der  rührende 
reim  ins  ohr  fallen  soll,  wenn  Gawein  zu  seinem  freunde 
Iwein  sagt  wir  gehellen  beide  in  ein  und  dann  fortfährt  daz  ir 
da  min7iet  daz  minn  ich  :  des  ir  da  sorget,  des  sorg  ich  (7432 ff), 
so  wird  die  einheitlichkeit  ihrer  neigungen  und  sorgen  auch  da- 
durch schön  zum  ausdruck  gebracht,  dass  sie  sich  sogar  auf  den 
reim  erstreckt.  —  ebenso  gehört  zum  Virtuosenstück  Iw.  7 1 5 1  ff, 
wo  gelten  :  engelten  und  seine  formen  fünf  reimpaare  bilden, 
dass  man  es  unmöglich  überhören  kann,  damit  die  abwechslung 
im  klänge  trotzdem  nicht  fehle,  hat  der  dichter  die  ganze  scala 
der  vocalqualitäten  durchlaufen:  von  gulte  über  gelten  und  giltet 
bis  zu  engolten  und  galt.  —  endlich  kommt  es  dem  erfassen  des 
reimspiels  im  Büchl.  eher  zu  gute,  wenn  allerlei  rührende  reime 
es  noch  deutlicher  machen.  —  die  besonderen  absiebten  Hart- 
manns an  diesen  stellen  hat  ebenfalls  schon  Zw.  erkannt,  s.  296. 
304.  309  f. 

Eine   —    letzte   —    gruppe   für   sich   bilden   die   rührenden 

»  {er)spehen  :  sehen  Er.  3333;  Lied.  217,  12;  Büchl.  550.  1493; 
Greg.  1153;  aHeinr.  1227. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    1 1 

reime  romanischer  endsilben:  Er.  1650  Gurel  :  Tiiurd;  16.') 4 
Rabedic  :  Ganedic;  1656  carous  :  dolerous;  1688  Oruogoddet  : 
Äffihla  delet;    1914  montanje  :  Britanje;    1934  Morguel  :  Jaik- 

iaguel'^    4629  ^'^   masseme  :  companie;    8202  palas  :  Pallas.   

woher  sie  stammen,  lehrt  das  letzte  beispiel  dieser  art,  das 
einzige  im  Iwein  (87),  Dodines  und  Gäwein  :  Segremors  und 
Iwein,  vgl.  Chrestien  an  entsprechender  stelle  (54):  Ä  V  uis  de 
la  chanbre  defors  Fu  Dodiniaus  et  Segremors  FA  Kens  et 
messire  Gauvains,  Et  si  i  fu  mes  sire  Yvains.  es  lehrt  aber 
zugleich  in  seiner  Vereinzelung,  dass  das  feine  ohr  Hartnianns 
die  barbarisch  klingenden  rührenden  reime  Chrestiens  und  seiner 
landsleute,  die  im  besten  fall  ein  spiel  des  witzes  ohne  seele 
und  ohne  musik  darstellen,  ebenso  unangenehm  empfand,  wie 
seine  technik  sich  über  die  armselige  billigkeit  solcher  bindungen 
souverän  erhob,  daher  schreitet  er  von  der  Zurückhaltung  im 
Erec  (wenig  beispiele  gegenüber  Chrestien,  und  fast  nur  eigeii- 
namen!)  zur  enthaltsamkeit  im  Iwein  vor:  enthaltsamkeit,  denn 
der  eine  reim  dient  künstlerischer  würkung,  die  die  massenhaften 
seiner  quelle  niemals  ausüben  konnten  ^ 

Überhaupt  bewegt  sich  auch  in  bezug  auf  den  rührenden 
reim  die  entwicklung  von  Hartmanns  kunst  durchaus  in  auf- 
steigender linie.  nicht  etwa  darin,  dass  er  ihn  immer  sparsamer 
anwendet  (Zw.  s.  310  ff)  —  das  ist  eine  sache  des  geschmackes 
(Zw.  s.  298  f),  und  auch  das  umgekehrte  könnte  die  gröfsere 
kunst  sein  — ,  wohl  aber  in  der  auswal  solcher  reime,  er  lernt 
die  übelklingenden  deutschen  (s.  0)  und  romanischen  fs.  lOf; 
meiden,  und  er  ersetzt  die  gutklingenden  durch  besserklingende. 
man  sehe  nur,  wie  er  im  anfang  des  Erec  ausschliefslich  nur 
durch  den  wortaccent  die  reime  scheidet  (v.  1  — 1000  10  bei- 
spiele des  typus  wd^re  :  spdrivä're,  verlos  :  s/gelös),  dann  auf  da.-^ 
feinere  mittel  des  satzaccents  verfällt  (6  wort-  gegen  5  satz- 
accente  in  v.  1000—2000),  eine  strecke  lang  aber  die  älteren 
typen  wieder  stark  überwuchern  lässt  (15  wort-  gegen  5  satz- 
accente  in  v.  2000—3000)  und  erst  von  v.  3000  ab,  d.  i.  von 
der  stelle  wo  auch  sonst  eine  abkehr  von  der  tradition  beginnt 
(Zs.  45,  371  f.    285),   ein  besseres   gleichgewicht  herstellt  (2  :  7 

'  hier  'soll  grade  ein  solcher  reim  den  andern  haschi-n',  Zw.  8.  288; 
s.   auch  262. 


1 2  VON  KRAUS 

in  V,  3000—4000;  3  :  3  in  4000—5000;  3:7m  5000—6000; 
l  :  8  in  6000—7000;  8  :  6  in  7000—8000;  2  :  1  in  8000 
— 9000;  3  :  4  in  9000 — 10  135).  in  den  übrigen  werken  bleibt 
dann  dieses  Verhältnis  der  beiden  arten  nng-efähr  unverändert 
(B.  6  wort-  :  9  satzaccent;  G.  9  :  9;  aH.  3  :  4;  Iw.  10  :  11). 
aber  was  sich  nun  bessert,  ist  die  auswal:  die  fälle,  wo  die 
wortaccente  zwischen  den  beiden  Wörtern  sich  immerhin  recht 
nahe  stehn,  weil  der  zweite  teil  des  compositums  erkennbare  be- 
deutung  hat^,  reichen  nur  bis  zum  Gregorius  (verlos  :  sigelös; 
geivant  :  tsengwant;  Herren  :  junkherren\  erlachen  :  scharlachen; 
ivol  :  houmwol\  behängen  :  umbehangen,  alles  im  Erec.  — 
nuere  :  timmere]  solt  :  unversolt  im  Büchl.  —  ge-,  behalten  : 
isenhalten  im  Gregor).,  der  aHeinr.  dagegen  kennt  nur  mehr 
inoffensive  reime:  (crea)tiure,  (speculä)tor  und  {hi)rät,  wo  bei 
den  längeren  Wörtern  gewis  niemand  an  tüire  'teuer',  tor  oder 
rät  dachte.  —  ebenso  stehts  im  Iwein,  von  dessen  10  beispielen 
nicht  weniger  als  7  auf  die  farblosen  -lieh,  -liche{n)  entfallen, 
die  als  selbständige  Wörter  nicht  mehr  vorkamen  und  daher  von 
gelich  und  geliche(n)  durch  starken  accentunterschied  getrennt 
waren  2.  {Asca)lön  ist  wie  {speculä)tor  zu  beurteilen,  dann  ver- 
bleibt nur  noch  deste  hdz  :  vürbäz,  welch  letzteres  wort  man 
wol  kaum  mehr  als  compositum  empfand  ^,  und  ein  letzter  fall, 
der  allerdings  einen  so  plumpen  reim  enthält,  dass  er  alles  bis- 
her ermittelte  in  frage  zu  stellen  droht:  ich  meine  6535  die 
bindung  behüeten  :  vuhshüeten.  aber  ein  blick  auf  den  Zusammen- 
hang klärt  alles  auf.  Iwein  und  das  mädchen  bilden  eine 
gruppe,  die  eitern  die  andre,  wie  im  lebensalter,  so  sind  beide 
paare  auch  durch  ihre  neigungen  geschieden:  die  jungen  ver- 
langen heimlich  nach  liebe,  sie  freuen  sich  ihrer  Jugend,  preisen 
die  sommerliche  gegenwart  und  sprechen  von  glücklicher  Zu- 
kunft, die  alten  aber  beklagen  ihre  jähre  und  denken  voraus- 
sorgend an  den  künftigen  winter: 

der  winter  wurde  lihte  kalt: 

80  solteus  sich  behüeten 

'  in  diesem  sinne,  nicht  in  dem  WGrimms,  spielt  also  die  bedeutung 
beim  rührenden  reim  hier  eine  rolle. 

^  s.  schon  Zwierzina  s.  291. 

3  nach  dem  DVVb.  IV  1,  sp.  658  hätte  man  sogar  fürbäss  zu  be- 
tonen, und  die  betonung  auf  der  ersten  silbe  wäre  nur  metri  causa  bei 
dichtem  zu  finden;  das  ist  gewis  falsch. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN     13 

mit  ruhen  vuhshüeten 

vor  dem  houbetvroste. 
SO  spricht  das  greise  paar  von  der  philiströs-altmodischen  kopf- 
bekleidung-  ^  auch  in  der  spräche  einer  früheren  generation  — 
dass  sie  das  ist,  wird  sich  noch  ergeben  —  und  die  ganze  stelle 
reiht  sich  würdig  den  anderen  an,  wo  'altvaterische  epische 
tradition  der  Wendung  ironische  färbung  verleiht'  -.  bei  Chrestien 
natürlich  wieder  nichts  davon  •^, 

Auch  in  der  Verwendung  des  satzaccents  zeigt  sich  das  fort- 
schreiten von  Hartmanns  kunst.  viele  fälle  im  Erec  haben  etwas 
versteinertes,  das  beruht  darin  dass  der  satzaccent  etwas  fest 
gegebenes  ist:  bei  Verbindungen  wie  phündes  (eren)  wert,  drier 
schejte  länc,  üz  reit,  tot  (ünversunnen)  läc,  umhe  den  loe'c  läc,  dbe 
näm,  in  gewunden,  war  genäm,  heim  fuere,  des  me'res  wäge,  der 
Gnaden  sant  ist  die  abgeschwächte  betonung  des  letzten  Wortes 
geradezu  zwangmäfsig.  in  andern  fällen  dagegen  trägt  sie  in- 
dividuelleren Charakter:  nur  ein  kunstvoll  pointierender  Vortrag 
wird  den  accent  da  schwächen,  dort  verstärken  und  dadurch  die 
ganze  stelle  erst  zu  rechter  würkung  bringen,  fortschritte  sind 
hier  deutlich  wahrzunehmen,  in  der  regel  betonte  man  jedes- 
falls  under  dinen  ddnc.  im  Büchl,  und  im  Greg,  gebraucht  Hart- 
mann bereits  die  betonung  linder  dinen  dänc,  natürlich  jedesmal 
an  einer  stelle  wo  der  Zusammenhang  einen  contrast  zu  'frei- 
willig' fordert,  aber  auch  diese  betonung  dürfte  (wegen  des 
gegensatzes  zu  dankes,  der  sich  so  leicht  einstellte)  nicht  eben 
selten  vorgekommen  sein,  daher  ist  es  noch  kunstvoller,  wenn 
der  zusammenbang  die  betonung  nnder  sinen  danc  fordert,  wie 
das  im  aHeinr.  1243  der  fall  ist.  —  auch  ist  es  ein  fortschritt, 
wenn  ein-  und  dasselbe  wörtchen  sich  im  reime  widerholt,  sodass 
also  die  Verschiedenheit  ganz  rein  auf  den  satzaccent  gestellt  ist. 
im  Erec  reimt  wol  sin  'esse'  :  sin  'ejus'  oder  in  'intus'  :  in  'eum', 

*  'mein  grofsvater  trug  eine  fuchskappe,  die  ihm  den  köpf  warm 
hielt'  DWb.  IV  1,  sp.  348  s.  v.  'fuchskappe',  ebenda  auch  die  beschrei- 
bung  des  lächerlich  aussehenden  garderobestückes,  die  dazu  gehört,  will 
man  die  stelle  bei  Hartmann  in  ihrer  Charakterisierungskunst  ganz  erfassen. 

^Zwierzinas.  262  ff.  vgl.  auch  den  'anfing  von  realistischer  darstellung' 
in  der  rede  des  meiers,  aH.  584—87,  Gierach  Zs.  55,  336. 

3  'Cette  fois,  c'est  une  addition  originale  du  poete  allemand'  gesteht 
herr  Firmery  in  seinen  ebenso  fleifsigen  wie  kunstfremden  Notes  critiques 
s.  84  melancholisch. 


14  VON  KRAUS 

aber  bindungen  wie  Ich  :  'ich  und  so  :  also  finden  sich  erst  im 
Büchlein  (1451.  1171).  man  könnte  deshalb  geneigt  sein, 
dieses   werk    nach   dem  Erec   anzusetzen',    zumal   ja   der   satz- 

'  wie  das  aus  anderem  gründe  auch  Lotz,  Das  attributive  beiwort 
bei  Hartmann  vAue,  diss.  Giefsen  1910,  tut.  hoffentlich  sind  seine  Zu- 
sammenstellungen und  Statistiken  gewissenhafter  als  die  kurze  kritik,  die 
er  an  einem  teil  des  von  mir  gegen  die  echtheit  des  2  Büchleins  ange- 
führten materials  übt:  ich  hatte  im  anschluss  an  Saran  in  der  Festschr. 
f.  Heinzel  bemerkt,  dass  fruot  von  Hartmann  nur  im  1  Bächl.  349.  859. 
1242  gebraucht  werde:  Lotz  sagt  'übrigens  findet  sich  fruot,  das  CKraus 
unter  anderem  anführt,  auch  im  1  Büchl.  v.  859'.  —  Zwierzina  das.  s,  460- 
anm.  hatte  ohne  jeden  bezug  auf  die  echtheitsfrage  des  2  Büchl.  bemerkt 
'bar  heilst  im  Iw.  'nackt,  unbewaffnet'  .  .  .  s.  Iw,  1027.  7141.  7223,  ebenso 
Er.  158.  860.  2510.  4154.  4212.  6674;  aber  im  Er.  nur,  nicht  im  Iw., 
finden  wir  auch:  aller  freuden  bar  Er.  2988  .  .  .'  Lotz  versteht  diese 
einzelheit,  die  KZwierzina  zur  Illustration  der.  technischen  entwicklung 
Hartmanns  nebenher  anführt,  als  eine  einzelheit,  'die  CKraus  gegen  das 
1  Büchl.  ins  feld  führt',  findet  sie  'an  sich  wenig  beweiskräftig'  —  darin 
muss  man  ihm  unter  diesen  umständen  unbedingt  recht  geben,  obendrein 
kommt  bar  im  ganzen  2  Büchl,  überhaupt  nicht  vor  —  und  belehrt  pseudo- 
Kraus  mit  seinem  köstlichen  'übrigens  findet  sich  .  .  auch  .  .  bar  im  Er. 
V.  6674,  Iw.  V.  7323  [das  ist  ein  druckfehler  gegenüber  Zw.s  richtiger  zahl 
7223],  Gregor,  v.  3528'.  die  letztere  stelle  lautet  miner  baren  füese,  be- 
stätigt also  Zw.s  feststellung  aufs  schönste.  —  endlich  hatte  ich  unter  hin- 
weis  auf  Vos  constatiert,  dass  Hartmann  snel  überhaupt  nur  sehr  selten 
gebraucht  und  nur  einmal  (Er.  1642)  in  übertragener  bedeutung.  Lotz 
weist  mit  seinem  'übrigens'  darauf  hin,  dass  snel  auch  im  Gregor,  v.  23 
vorkomme,  aber  da  heilst  es  das  leben  brechen  mit  einem  snellen  ende, 
und  das  ist  doch  wol  keine  'übertragene  bedeutung'  wie  etwa  sallen  eren 
snel  an  der  ^inen  stelle  des  Erec.  —  ansonsten  glaubt  Lotz  meine  argu- 
mentation,  dass  in  den  826  versen  des  2  Büchleins  allerhand  vorkommt, 
was  in  den  rund  26  000  versen  Hartmannscher  poesie  gar  nicht  oder  in 
auffälliger  Verteilung  zu  finden  ist,  damit  abzuschwächen  dass  er  allerlei 
anführt  was  in  den  1520  versen  des  aHeinr.  fehlt,  während  es  in  den 
24  480  versen  der  übrigen  werke  vorkommt,  dieser  beweismethode  ent- 
spricht die  durchführung:  ich  möchte  gern  wissen,  wieviel  zusammen- 
gesetzte adjectiva  Lotz  für  den  aHeinr.  erwartet,  wenn  deren  im  Iw.  nach 
seinen  eigenen  listen  auf  je  2084  verse  durchschnittlich  nur  ^ines  vor- 
kommt und  nach  der  tatsächlichen  Verteilung  zwischen  v.  1059  und  5586 
überhaupt  keins.  oder  sollen  wir  es  anstaunen,  dass  die  composita  auf 
-haft  (ein  fall  auf  je  1361  verse  im  Iw.)  und  die  farbadjectiva  (ein  fall 
auf  je  1000  verse  im  Gregor.)  oder  die  mit  un-  componierten  epitheta 
(die  im  Er.  auf  strecken  von  1223,  1149,  1132  versen  ausbleiben)  in  den 
1500  versen  des  aHeinr.  fehlen?  und  fehlen  sie  denn  auch  würklich? 
wenn  Lotz  s.  28   aus   dem  Erec   das  beispiel  mitzählt:   dan  ir  mit  einem 


DER  RUHEENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN     1 5 

accent  überhaupt  in  den  ersten  1000  versen  des  Erec  für  den 
rührenden  reim  noch  gar  nicht  nutzbar  gemacht  ist,  wol  aber 
im  Büchlein,  s.  o.  s,  11.  —  ein  weiterer  fortschritt  wird  im 
Iwein  erreicht,  wenn  die  natürliche  unbetontheit  der  hilfsverba 
Wirt,  ivart  benutzt  wird,  um  sie  den  rührenden  reim  bilden  zu 
lassen  (1587.  6657);  dadurch  wird  das  abklappen  der  verszeile 
gegen  die  syntax,  die  ein  fortflielsen  verlangt,  vermieden,  sodass 
die  fälle  sich  in  die  von  Zwierzina  s.  390  f  gezeichnete  all- 
gemeine fortent Wicklung  von  Hartmanns  kunst  organisch  ein- 
ordnen 1. 

Von  Hartmann  führen  die  wege  der  kunst  nach  allen  ricli- 
tungen,  zu  Wolfram  sogut  wie  zu  Gottfried. 

Wolfram  nimmt  in  der  geschichte  des  rührenden  reims 
keine  besondere  stelle  ein,  wie  er  ja  überhaupt,  stets  mit  dem 
Inhalt  ringend,  für  das  technische  der  kunst  weniger  Interesse 
und  mufse  übrig  hat. 

Die  grofse  mehrheit  seiner  rührenden  reime  fällt  unter  den 
gesichtspunct  des  wortaccents^,  hierher  gehören  die  bindungen 
von  {un)gelich  :  ritterlich,  toünnecl.,  mlnnecl.  usw.  (15  mal)  sowie 
von  geliche  (adj.  und  verbura)  :  senllche,  grcezlUhe  usw.  (5  mal),, 
denen  keine  einzige  bindung  von  -Vieh  :  -lieh  gegenübersteht  ^. 
weitere   fälle   sind  bei  deutschen  Wörtern:  schdft  :  gese'lleschäft; 

manne  cart  über  lant  vil  unbewart,  so  weifs  ich  nicht,  warum  er  die 
stelle  aus  dem  aHeinr.  887  nicht  anführt:  sus  gesdsen  si  beide  riuicic 
unde  utifro  ?  —  solche  Statistik  ist  ebenso  nützlich  und  belehrend  wie 
wenn  einer  die  Stubenfliegen  an  einem  sommernachmittag  zählt  und  dann 
schliefst,  dass  es  draufsen  warm  ist. 

1  die  Lieder  haben  nur  2  rührende  reime:  206,  6.  8  und  216,  13.  14 
(unecht  213,  5.  7;  24.  26).  —  im  sog.  2  Büchl.  fällt  neben  einigen  gleich- 
giltigen  bindungen  (35.  77.  171.  175)  der  rohe  reim  diu  muoz  verderben 
da  mite  :  ican  da  verliuset  si  mite  (771)  auf. 

^  meine  beispiele  beruhen  wie  bei  Hartmann  und  Gottfried  auf 
eignen  Sammlungen,  die  durch  nachträglichen  vergleich  mit  denen 
Zwierzinas  ev.  ergänzt  wurden,  für  die  citate  aus  Wolfram  vergleiche 
man  die  liste  Zw.s  s.  290  ff  (mit  ben  berichtigungen  Zwierzinas  Beitr.  28, 
442  anm.  2). 

3  wie  schon  Zw.  s.  292  hervorgehoben  hat,  der  auch  bereits  richtig 
die  beiden  ieslich  : -lieh  aus  der  gruppe  der  rührenden  reime  entfernt  hat: 
Wolfram  trennte  ie — sltch. 


16  VON  KRAUS 

zdlt  {==  ze  alt)  :  i'rnyezalt;  bnten  :  arbeiten',  dlnc  :  teid\nc\  ritte  : 
snurfmc\  verlos  :  hclfelös,  re'htl.,  sfgel.  (3 mal),  hirrenlös;  noete  : 
kleindte.  —  deutsche  und  fremde  Wörter  (nebst  namen)  werden 
etwas  Läufiger  gebunden:  ült:  hliält  P.  313,  11;  zehdnt :  Mörhant 
W.  46,  22 ;  erkänt :  Ldrkänt  W.  49, 1 ;  dne :  Schöysiäne  P.  805,  5; 
823,  15;  T.  24,  3;  dnen  (verbum)  :  Schöysiänen  T.  108,  3; 
Idt  :  ohldt  P.  470,  5;  rät  :  smärdt,  2)ärdt,  ddmirät  (letzteres 
2 mal);  näten  :  kemendten',  reht  :  föreht  (2 mal);  e  :  Cündru 
P.  729,  3;  758,  25;  764,  11;  :  alöe  P.  790,  7;  W.  69,  11; 
:  FulturmÜ  W.  28,  27;  Gihüe  442,  23;  tue  :  Ninnive  (?)  P. 
102,  13;  leis  :  Wdleis  P.  281,  11;  stveiz  :  Jösweiz  W.  33,  3; 
di)i :  Gdndin  (2  mal)  ^;  sin  (inf.  und  pron.)  :  Klngristn  P.  503,  1  1, 
prism,  Ldprisln  821,  II,  püsm;  dlne  :  Gdndine\  sinen  :  püsinen 
P.  764,  25;  W.  17,  25;  360,  7;  zU  :  rünz'U;  fier  :  rlvier  (?) 
P.  118,  11;  dir  :  saldier]  Her  :  forehüer  P.  592,  9;  W.  379,  25; 
Ion  :  Babylon  (2  mal);  enböt  :  Tribdlibot  P.  823,  3;  ruc  :  bdrüc; 
künt  :  schaJitelakhnt  P.  43,  19;  siis  :  Jesus  W.  357,  23;  rünen  : 
Kingrunen  (?)  P.  278,  27;  gebur  :  tömbür  W.  187,  25;  hüt  : 
Adramahüt  W.  175,  7;  447,  27.  —  wenn  der  letztere  typus 
(deutsch  :  fremd)  absolut  häufiger  ist  als  der  typus  deutsch  : 
deutsch  (47  gegen  32  beispiele)  —  und  relativ  sogar  erstaun- 
lich häufig  — ,  so  wird  diese  schon  von  Zw.  hervorgehobene 
tatsache  wol  so  zu  erklären  sein,  dass  die  fremden  reimsilben 
für  Wolfram  mit  den  deutschen  gegenwörtern  nichts  gemein 
hatten:  sie  waren  ihm  richtige  endsilben  ohne  erkennbare  be- 
deutung,  und  daher  im  accent  auch  ganz  schwach,  schwächer 
als  zweite  compositionsglieder  der  einheimischen  Wörter  mit 
durchsichtiger    bedeutung^;    ein   Markant    steht    vom    deutschen 

*  P.  50,  1  wol  mit  schwebender  betonung  miner  rmiomen  man 
Gandtn;  darüber  dass  das  keinen  unterscliied  maclit,  s.  weiter  unten  s.  28f 
bei  Gottfried.  —  auch  \V.  307,  1  (zur  erklärung  der  stelle  s.  IStosch  Zs. 
38,  141  ff)  wird  Enöch  (  :  noch)  blol's  schwebende  betonung  sein,  nicht 
fortleben  der  alten  griechischen  endbetonung  (Lachmann  Kl.  sehr.  I  383). 
dafür  spricht  W.  218,  17,  wo  Enöch  ungezwungener  klingt,  weshalb 
Lachmanu  auch  und,  nicht  unde  schreibt. 

*  Zw.s  erklärung,  dass  Wolfram  bei  den  fremden  Wörtern  anders 
abteilte,  ist  für  gewisse  fälle  besonders  schwierig  {Morh-ant,  obl-ät, 
schatelak-unt,  Adramah-üt),  für  andere  gewährt  sie  keine  hilfe 
(Schöysiäne,  Cundrie,  alöe,  Fulturmie,  Gibüc),  oder  sie  nötigt  zur 
annähme    eines   rührenden   reims,    wo   die   normale  Silbentrennung  keinen 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    1  7 

haut  weiter  ab  als  etwa  oherhant,  smärät  und  pärät  von  rät 
weiter  als  hiisrät  usf.  ähnlich  erklärt  sich  auch  die  Zurück- 
haltung Wolframs  geg-enüber  den  typen  deutsch  :  deutsch,  und 
die  auswahl,  die  er  dabei  trifft:  gelich  :  -lieh  und  seine  formen 
(20 mal!),  aber  nie  gelich  :  iingelfch;  schaß  'speer'  :  geselleschaft^ 
aber  nicht  etwa  zu  sperschaft  usw. 

Vom  satzaccent  hat  Wolfram  verhältnismälsig  selten  ge- 
brauch gemacht,  und  nie  in  der  weise  des  späteren  Hartman» 
ein  und  dasselbe  wort  gepaart,     die  fälle  sind: 

ir  Sit  der  erste  man 

der  ie  min  redegeselle  wärt. 

ist  min  zuht  dar  an  bewärt     P.  369,  4; 

ebenso  502,  19  gesetzet  wärt  :  sich  hat  so  bewdrt. 

da  wart  manic  kus  getan 

von  maneger  frouwen  wöl  getan     P.  671,  5 

nu  füert  die  tüten  werden 

von  der  toufpiecen  erden, 

da  man  si  schöne  nach  ir  e  ' 

bestate.     ich  sol  iu  schaffen    e 

Sterke  mule  die  si  tragen      W.  465,  17; 

der  gast  mit  sinem  wirte  reit, 

er  vant  sin  ezzen  al  bereit     P.  32,  27; 

lihnlich  262,  1 ;      W.  186,  13  ; 

von  wibes   gir  ein  linder  schalt 

in  schiet  von  der  mennescheit     P.   520,  1  ^; 

ode  daz  er  bürfuoz  gienge, 

unt  des  tages  zit  begieuge     P.  447,  17^; 

ob  ich   hie  belibe: 

an  min  eines  übe 

lit  nlht  wan  eines  mdnnes  trost      \V.  210,19; 

sin  kurtösie  er  dran  verlos, 

lät  sin  :  sin  frouwe  was  ouch  lös     P.  284,  11  *.  — 

ergibt  (in  :  glcecln,  Brandelidelin,  nibbln  und  massenhafte  analoge  fälle, 
s.  Schulz  Reimregister),  in  ähnliche  Schwierigkeiten  gerät  man  beim 
typus  deutseh  :  deutsch,  denn  wenn  ein  reim  hüffe-lin  :  sobel-in  durch 
die  annähme  gerechtfertigt  wird,  dass  die  suffixe  reinlich  geschieden  waren 
(Zw.  s.  310  anm.  1),  dann  ist  das  ganze  beer  von  reimen  wie  küneQ-in  :  In, 
hOrn-ln,  gtild-in,  sid-in,  zobel-in,  icirt-in,  Mcer-inne  :  küneg-inne-,  inne 
usw.  usw.  zu  den  rührenden  zu  stellen. 

*  ir  e  (der  beiden)  steht  also  im  contrast  zu  toufpcere. 

-    -acheit  wird   im   ersten  vers  wegen   der  figura  etymologica  auf  die 
volle  accentstärke  gehoben,     vielleicht  trennte  Wolfram  mennesch-heit. 
3  doch  s.  Gg  enphienge,  Beitr.  28,  442  anm.  2. 

*  indem    auch   sie    ritter  gegeneinander   hetzte  (mittelbar,    durch    ihr 

Z.  F.  D.  .\.  LVI,    N.  F.  XLIV.  ^ 


1 8  VON  KRAUS 

Namen  wie  Terramer(e),  Gäwän,  Francriche  rührend  zu 
reimen  verschmäht  Wolfram,  s.  Zw.  s.  288  f.  der  grund  scheint 
mir  in  dem  natürlichen  accentgewicht  zu  liegen,  das  die  zweiten 
teile  dieser  namen  besitzen,  sodass  sie  von  den  deutschen  werten 
mer{e),  ivän,  ruhe  nicht  weit  genug  abstanden,  aus  demselben 
gründe  fehlen  die  rührenden  bindungen  bei  Heimnch(e)  und 
Reiniewart  fast  ganz,  um  sie  für  solche  Verwendung  brauchbar 
zu  machen,  muste  auf  den  ganzen  namen  ein  so  schwerer  satz- 
accent  kommen,  dass  dadurch  auch  sein  zweiter  teil  über  das 
normalgewicht  des  selbständigen  deutschen  gegenwortes  hinaus 
gesteigert  wurde,  diese  erklürung  wird  durch  die  vorkommenden 
ausnahmen  bestätigt: 

wer  da  mit  ir  leze  ? 

daz  tet  der  aide  H  e  i  m  r  i  c  h. 

da  ergienc  ein  dienest  zühte  rieh      W.  265,  5. 

nach  demselben  princip  ist  Bennewart  (:  -wart)  W.  429,  5  be- 
sonders stark  betont,  weil  der  name  nach  einer  pause  von  mehr 
als  120  Versen  wider  genannt  ist;  ebenso  Heimrzche  (:  rkJie) 
W.  407,  23,  als  führer  der  einen  von  den  sechs  scharen  (397,  S; 
405,  7),  deren  kämpfe  im  folgenden  geschildert  werden. 

Romanische  endsilben  im  rührenden  reim  zu  binden  gestattet 
sich  Wolfram  öfter;  ähnlich  wie  Hartmann  im  Erec  paart  er. 
ohne  künstlerische  absieht,  namen  wie  Kauet  :  Dölet  (P.  48,  7; 
58,  29);  Wäleis  :  Kanvoleis  (59,  23;  60,  9;  7  7,  9);  Brande- 
lidelin  :  Lähelhi  (67,  17;  85,  27);  Ärragfm  :  Utcpandragiut 
(74,  5);  aber  ebenso  hat  er  wie  Hartmann  das  dürftige  solcher 
reime  bald  erkannt;  denn  während  sich  in  buch  I.  II  die  8  an- 
geführten fälle  zusammendrängen,  hat  er  später  nur  noch  zwei- 
mal solche  namen  zusammengespannt  {Fristines  :  Meiones  P. 
770,  23;  Utreiz  :  Matreiz  W.  32,  15),  und  beidemal  in  längeren 
namenlisten,  also  ganz  wie  bei  Hartmanus  einzigem  fall  im 
Iwein.  —  name  und  appellativ  (beide  fremd)  werden  gepaart 
kunstlos  in  dem  reim  pouUm  :  Ascalün  P.  82,  9  (also  im  2  buch!) 
und   kunstvoll  P.  727,   17,    wo   die   vorhergehnde   senkungssilbe, 

lachen),  eine  scherzhafte  anspielung  auf  die  von  Parzival  besiegten  und 
ihr  zugesanten  ritter  Kingrun,  Claraide  und  Orilus.  —  anders  die  coni- 
mentatoren  und  Heinzel,  Über  W.s  Parz.  s.  26.  96  sowie  Singer, 
Festschr.  f.  Heinzel  s.  422  [und  WSB  180,  97].  —  schwebende  betonung 
inüss  übrigens  bei  jeder  auffassung  angenommeu  werden. 


DER  EUHRENDE  EEIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    19 

wegen  der  schwebenden  betonang  sicher  mit  absieht,  mitklingt 
(Punturtoys  :  kurtoys),  sowie  809,  29  {ddret  :  Gähimire't),  wo 
der  name,  der  so  unvermutet  genannt  wird,  besonders  nach- 
drückliche betonung  fordert,  sodass  der  fall  in  das  capitel  'satz- 
accent'  gehört  1.  —  gleicher  ausgang  zweier  appellativa  wird 
gereimt  in  pfiünnt  :  samit  P.  552,  9;  794,  13  und  in  iiostiur  : 
äventiur  W.  412,  32.  gerechtfertigt  durch  den  satzaccent  ist 
das  letzte  beispiel  dieser  art: 

daz  (ors)  was  gewäpent  wol  für  strit : 

pfellel  unde  samit 

was  sin  ander  covertiur. 

Sit  erz  erwarp  mit  äventiur, 

durch  waz  solt  erz  nü  riten  niht  ?     P.  540,  9, 

denn  das  ganze  wort  covertiur  ist  im  accent  gegenüber  även- 
tiur gedrückt,  weil  auf  ander  ein  besonderer  nachdruck  gelegt 
werden  muss,  soll  der  hörer  den  Zusammenhang  erfassen. 

Endlich  sind  einige  fälle  zu  buchen,  wo  Wolfram  deutsche 
Suffixe  und  compositionsteile  im  rührenden  reim  paart :  zoheltn  : 
Mffelin  P.  130,  17;  stähelln  :  kämbelin  W.  196,  1;  toJiterlin  : 
vingerlin  P.  368,  11 3.  hieher  noch  zornediche  (aber  Ggg  zornes 
riche!)  :  sicherlidie  P.  120,  19  (s.  dazu  Zw.  s.  308)  und  viel- 
leicht Heimrich  :  unerklärtem  wisertch  W.  383,  19.  —  dagegen 
beruht  umhehaben  :  haben  W.  241,  21  auf  conjectur  Lachmanns 
{umbevän  Kmnoptz),  die  ich  jetzt  nach  den  bemerkungen 
Zw.s  Festschr.  f.  Heinzel  s,  468  nicht  mehr  verteidigen  möchte; 
liez  :  liez  (st.  hiez)  P.  165,  26  ist  blofser  druckfehler  der  vierten 
ausgäbe.  —  dass  die  zahlreichen  reime  von  formfen  der  verba 
vähen  :  enpMhen  nicht  unter  die  rührenden  gezählt  werden 
dürfen  *,  ebensowenig  wie  je  ein  drabe  :  abe,  dran  :  an  und 
fltist  :  gelust  W.  11,  5,  hat  bereits  Zwierzina  s.  290.  294 
erkannt. 

*  dagegen  sind  die  reime  scheue -schlant  :  Lälant  (und  :  lant)  über- 
haupt keine  rührenden. 

2  äcentiure  :  schumpfentiure  W.  435  7  bei  Schulz  ist  falsch;  stiure 
steht  im  ersten  der  beiden  verse. 

3  die  beiden  ersten  fälle  schon  bei  Zwierzina  s.  310  anm.;  der  dritte, 
von  Zw.  übersehene,  spricht  gegen  seine  deutung  der  beiden  andern; 
s.  auch  oben  s.  16  anm.  2. 

*  sie    standen    für   Wolfram    auf    einer    linie   mit    flihtet  :  gepßihtet 

W.  30,  23. 

2* 


20  VON  KRAUS 

Die  höchste  Vollendung  erreicht  der  rührende  reim  bei 
Gottfried,  altes  gut  klingt  in  seinen  händen  mit  neuer  Schön- 
heit und  erhält  so  wie  das  neugeschaffene  das  gepräge  seines 
künstlerischen  geistes. 

Freilich  hat  er  das  althergebrachte  nur  sparsam  verwendet, 
so  spielt  der  wortaccent  gegenüber  dem  satzaccent  bei  ihm  eine 
recht  bescheidene  rolle;  und  er  bevorzugt  dabei  die  minder  auf- 
fälligen reime  zwischen  deutsch  und  fremd  gegenüber  den  rein 
deutschen. 

Zur  kategorie  deutsch  :  fremd  gehören  folgende  beispiele  ^ 
von  frz.  appellativen  :  föttenant  :  genant  4319;  prisänt  :  gesänt; 
papegän  :  gän;  e'sterich  :  rieh  16  717;  quartier  :  tier  3307; 
geprüevleren  :  vieren  4975;  äventlure  :  tmre  8659.  18  937  2; 
hdrüne{n)  :  rüne{n)  4  mal.  —  das  fremde  dement  wird  von  einem 
namen  gebildet  in  den  reimen:  ürgän  :  gän;  Römmren  :  mceren 
2 mal;  Isolde  :  sohle  (verbum)  11  mal  bei  Zw.,  dazu  noch  11399. 

12  635.  16  011;  :  solde  (subst.) ;  Isblt  :  sölt  2 mal;  Mürjodo  :  do 
6  mal. 

Deutsche  Wörter  sind  durch  den  wortaccent  geschieden : 
gedänchaft  :  hdft  17  057;  ünlänc  :  geldnc,  välänt  :  länt;  ste'in- 
wänt  :  überiodnt]  ündertän  :  getan;  üngewcere,  dlwmre  :  wcBre'^\ 
ürtMe  :  tcete^;  trühsceze  :  gesceze^,  9145;  herherge  :  l)erge  2 mal; 
(ßheim{e)  :  heim{e)  6 mal 4;  ungemeine  :  meine ^;  -lieh  (aber  nie 
gelich!)  :  lieh  (subst.)  4 mal;  erhdrmecUche  :  geliche;  röupllche, 
unmüezecl.  :  al  (ie)  geltche  2 mal;  herzöge  :  gezöge. 

So  hübsch  viele  dieser  reime  klingen,  so  zeigt  sich  die 
höchste    kunst   Gottfrieds    doch    in    der   Verwertung   des    satz- 

'  die  zahlen  gebe  ich  hier  nur  bei  ein  paar  nachtragen  zu  der  liste 
bei  Zw.  s.  298  ff  anm. 

^  so  ist  st.  8937  bei  Zw.  s.  300  zu  lesen  und  das  erste  beispiel  das. 
zu  streichen. 

3  an  sich  wäre  das  schwache  auxiliar  vom  nebentonigen  -woere  im 
accent  nicht  genügend  stark  unterschieden,  aber  der  satzaccent  hebt  das 
erstere  beidemal  zu  besonderer  stärke:  Melot  sieht  eine  frau  zu  Tristan 
gehn:  wer  aber  diu  frouioe  loäre,  des  was  er  wigewcbre  14  523.  ebenso 
steht  wer  er  wde-re  13143. 

^  die  simplicia  ta'.te,  scese,  keime  (14  377),  meine  sind  jedesmal  im 
Zusammenhang  besonders  stark  betont,  sodass  die  fälle  in  die  kategorie 
des  satzaccents  hinüberspielen,  was  ihnen  besonderen  reiz  verleiht. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    21 

accents.  bereits  Zwierzina  hat  die  beobachtung  gemacht,  dass 
bei  den  reimen  zwischen  gleichlautenden  pronominalformen  4n 
den  weitaus  meisten  fällen  das  eine  der  reimenden  pronomina 
adversativ  gestellt  den  satzton  trägt^  das  andre  im  satze  tonlos 
bleibt',  s.  300  anm.  es  genügt,  ein  beispiel  aus  seiner  liste  an- 
zuführen :  Morolt  sagt  zu  Tristan  6450  :  ^wir  suln  ez  .  .  . 

in  einem  ringe  scheiden, 

weder  ir  reht  habet  oder  ich'. 

Tristan  sprach  aber  'diz  muoz  ich 

mit  gotes  helfe  erzeigen'. 

in  unnachahmlicher  weise  ist  hier  dem  polternden  auftreten  des 
Irenherzogs  die  höfisch  beherschte  gelassenheit  Tristans,  der 
sein  ich  hinter  Gott  zurückstellt,  entgegengesetzt,  dasselbe 
kunstprincip   herscht  aber  auch  bei  den  andern  wortkategorien : 

ez  enmüese  ir  eines  tot  sin, 

entweder  des  risen  oder  sin     16139; 

daz  si  sins  herzen  unde  sin 

gewis  und  sicher  wände  sin     19405  ; 

daz  er  wol  rede  und  ouch  gebär 

vernemen  künde  und  ouch  vernam, 

sin  vater  der  marschalc  in  do  nam 

und  bevalch  in  einem  wisen  man     2056  ; 

und  soite  des  niht  nemen  war 

wie  lange  er  füere  oder  war     8623; 

mit  einer  michelen  schar 

beidiu  der  burgjer  und  der  boten, 

als  in  von  hove  was  geboten 

und  als  daz  mjere  hie  vor  gibt     8738; 

die  gelieben  dühten  beide 

ein  ander  s  c  h  ce  n  e  r  vil  dan  e  ; 

deist  liebe  reht,  deist  minnen  e     11860; 

daz  ir  mir  und  miner  habe 

schaffet  fride  in  dirre  habe     8861;  ebenso  8891; 

und  marcte  ez  al  gemeine 

ir  wort  und  ouch  ir  meine     14971; 

sin  behabet  offenlichen  e 

wider  in  ir  Unschuld  unde  ir  e     15297; 

dem  bevalch  si  harte  vaste 

mit  gebete  und  mit  vaste     15551  ; 

ze  siner  heinlich  er  gewan 

von  Gäles  einen  spileman 

gef liegen  unde  wisen; 

den  begunde  er  underwtseu 

der  fuoge  unde  der  sinne     16  275; 


22  VON  KRAUS 

si  riten  under  stunden  .  .  . 

birsen  Jn  die  wilde 

nach  vogelen  und  nach  wilde 

und  ouch  zeteslichen  tagen 

nach  dem  röten  wilde  jagen     17  251  '; 

in  was  do  ziio  ein  ander 

vil  anger  und  vil  ander     17S45; 

Die  gröste  Virtuosität  zeigen  wol  die  verse  9877  f,  wo  so- 
gar je  zwei  Wörter  in  gegensätzlicher  betonung  mit  einander 
gebunden  sind: 

ir  Sit  verkeret  alle  wis : 

iu  sint  die  tumben  alle  wis, 

iu  sint  die  wisen  alle  tump     9S77  ^4 

SO  kann  der  dichter  auch  zwei  im  wortaccent  gleichstehnde  teile 
durch  den  satzaccent  scheiden: 

daz  man  sie  her  besende 

zunser  aller  gägenwürte, 

iuwer  ansprach,  fr  antwürte 

daz  man  die  beide  also  verneme     15418;  ähnlich  15471. 

mit  M'elcher  ausdrucksvollen  lebendigkeit  der  dichter  seine  verse 
gesprochen  wünschte,  zeigen  andere  fälle,  wo  die  emphase  dem 
einen  der  Wörter  besonderes  gewicht  verleiht,  so  natürlich  beim 
ausruf  wäfen: 

owe  mir  unde  wäfen ! 

wer  hat  diz  veige  wäfen 

von  Kurnewäle  her  getragen  ?     10  097  ; 

oder  an  stellen,  wo  das  warme  gefühl,  der  bewunderung,  des 
raitleids,  des  zornes,  häufung  der  epitheta  und  zugleich  ge- 
steigerten ausdruck  hervorruft: 

reht  als  daz  schif  an  anker  tuet 

in  ebengelicher  wi'se. 

diu  gefüege  Isot,  diu  wise     8108^; 

und  vant  ouch  dem  barüne 

sitzende  under  armen 

die  fröudeloseu,  ärm^n, 

'  ebenso  17105  ich  hän  ouch  in  der  wilde  dem  coyele  unde 
dem  icilde,  dem  hirse  und  dem  tiere  .  .  .  gecohjet. 

*  wie  sehr  dem  dichter  sein  glänzender  einfall  gefiel,  zeigen  die  — 
allerdings  schwächeren  —  widerholungen  10  455.  13  701.   13  943. 

'  s.  die  warme  bewunderung  Isoldens  vorher,  von  8050  an. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    23 

die  weinenden  Isote     13  293  '  ; 

als  er  ir  vil  liep  wÄre. 

diz  was  diu  älwä-re, 

diu  herzelose  blintheit     17  7-41. 

in  anderem  sinne  dient  die  starke  betonung  auch  dem  poin- 
tierten hervorheben.  so  wenn  Isolde  den  eid  beim  gottes- 
gericht  leistet : 

daz  mines  libes  nie  kein  man 
deheine  künde  nie  gewan 
noch  mir  ze  keinen  ziten 
weder  zarme  noch  ze  siten 
an  iuch  nie  lebende  man  gelac 
wan  der  vür  den  ich  niht  enmac 
gebieten  eit  noch  lougen, 
den  ir  mit  iuwern  ougen 
mir  sähet  an  dem  arme, 
der  wallfere,  der  arme     15  711  -. 

endlich  gehören  zu  dieser  gruppe  noch  zwei  fälle,  wo  der  wort- 
accent  gleich,  der  satzaccent  aber  verschieden  ist.  an  sich 
wären  reime  wie  rederich  :  Heinrich  oder  Irlant  :  heilant  nicht 
zu  loben,  aber  es  kommt  eben  alles  auf  den  Zusammenhang  an. 
wenn  die  boten  Tristan  fragen,  ob  er  wisse  wo  er  sei,  und  er 
verneint,  so  nennen  sie  ihm  den  ort  mit  nachdrücklicher  be- 
tonung jeder  silbe : 

*s6  sage  wir  dir  daz  du  bist 
ze  Develine  in  Irlant.' 
'des  lobe  ich  den  heilant 
daz  ich  doch  under  liuten  bin' 

ist  seine  antwort  (7628).  und  wenn  Gottfried  über  Hartmanu 
und  die  anderen  epiker  bereits  gesprochen  hat  und  nun  zum 
scbluss  fragt:  wen  mac  ich  nu  mer  üz  gelesen'?  ir  ist  und  ist 
(jemwc  geivesen  vil  sinnec  und  vil  rederich,  so  ist  es  wol 
sicher,  dass  der  Vorleser  nun  mit  sorgfältiger  hervorhebung  die 
antwort  brachte: 

von  Veldeken  Heinrieh, 

der  sprach  üz  vollen  sinnen  !     4723. 

1  Vorbild  war  Erec  5892. 

^  dies  verächtliche  der  arme  'der  armselige  tropf  soll  den  pilger 
erst  recht  ungefährlich  erscheinen  lassen,  für  die  volle  würkung  scheint 
mir  eine  pause  nach  walkere  unerlässlich,  daher  setze  ich  komma. 


24  VON  KRAUS 

Aber  die  kunst  des  dichters  erschöpft  sich  nicht  mit  der 
hervorhebung  durch  besonders  starke  betonung.  sie  geht  den 
heimlichkeiten  des  deutschen  satzaccents  auch  bis  in  die  kleinen 
wörtchen  nach  und  benutzt  ihr  geringes  tongewicht  im  gegen - 
mafs  gegen  normales  gewicht,  so  wird  das  enklitische  Per- 
sonalpronomen mit  dem  normalgewichtigen  im  reim  gepaart  in 
fällen  wie 

arm  unde  riebe  hfeten  in 

liep  unde  werden  ünder  in     509 ; 

tröst  unde  zwivel  fiiorten  in 

unendeclichen  under  fn     881; 

ebenso  bäten  In,  hcefen  \n  :  under  in,  mit  in,  zln  3071.  3485. 
8687;  vgl.  auch  7257.  9435  \ 

ähnlich  verhält  sich  das  nachgestellte  possessivura  sin  zum  hilfs- 
verbum:  väter  sin,  geddnke  shi  :  sin  ('esse')  3379.  9099  2.  - — 
auch  das  verbum  unmittelbar  nach  einem  präpositionaladverb  ist 
im  accent  gedrückt 2;  Mn  geleit  :  laster  unde  ir  le'it  7247;  ^ßf 
geleit  :  le'it  16  581;  an  genceme  :  so  ivert  und  so  gencenie  9195; 
hin  geworfen  :  entworfen  17  301;  ähnlich  vor  gehkte  :  hüte 
19  103.  —  eine  scheinbare  ausnähme  bildet  es,  wenn  v.  18  221 
v'iir  geleit  mit  herzeleit  gebunden  ist,  da  letzteres  normalerweise 
ja  auch  blofsen  nebenton  auf  leit  hat.  aber  der  Zusammenhang 
ergibt  sofort  die  erklärung:  Marke,  der  die  liebenden  überrascht 
hat,  kann  nun  nicht  mehr  hoffen  und  zweifeln: 

dö  was  im  erste  vür  geleit 
sin  endeclichez  hdrzeleit  .  .  . 
wän  unde  zwivel  was  dö  dan  .  .  . 
■"         er  wände  niht,  er  weste^. 

wie  Hartmann  benützt  auch  Gottfried  öfter  die  drückung  des 
ivart  nach  dem  particip :  getöufet,  heüätet,  entschumpfieret  wärt  : 
heivärt  2041.  12  573.  18  917.  —  ähnlich  ^sind  die  folgenden 
beispiele  der  drückung  durch  ein  vorangehndes  subst,  zu  beur- 
teilen:    ende   wcere  :  s?w  oeheim,    der  gewcere  8389;    daz   lützel 

•  solche  enklise  des  pron.  wird  ja"  für  Gottfried  durch  reime  er- 
wiesen wie  entnceten  {=  entncete  in)  2871 ;  sahen  (=  sach  in)  10  257 ; 
kästen  (=  kuste  in)  14163;  Seiten  (=  seite  in)  14357. 

*  8.  die  entsprechenden  beispiele  bei  Hartmann,  oben  s.  7.  5. 
3  8.  Iw.  4407. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    25 

fernen  ivcere  getrimve  unde  gewmre  12  3311;  durch  daz  er  ime 
so  M  loas  komen  und  ime  so  nahen  gereit,  nu  vms  er  aber  ze- 
hant  bereit  9134;  sicaz  ich  dir  sage,  daz  vernim  :  daz  glas  mit 
disem  tränke  mm  11455;  nahe  gendiu  leit  :  not  geleit  989; 
auch  mac  daz  nieman  verlern,  diu  liehe  müeze  zwivel  hern 
13  825;  daz  was  zem  anderen  geiüant  ietwederhalben  an  der 
u-nnt  17  021  2;  s%  iemen  bt  iu  an  der  habe  der  gcwalt  von  dem 
lande  habe  8783.  —  oder  die  Schwächung-  erfolgt,  weil  das  reimwort 
nach  dem  folgenden  vers  hin  gebunden  ist:  do  komen  Biwaline 
böten,  Morgan  sin  vient  hade  geboten  ein  starke  samenung  in  sin 
lant  1375;  nü  diz  was  allez  gereit  :  diu  rotte  saz  üf  unde  reit 
des  endes,  da  si  hörten  sagen  9331.  —  oder  es  handelt  sich  um 
leichte  formwörtchen :  er  stuont  nf  unde  ndm  zehant  sinen  sun 
Tristanden  an  die  hdnt  21 S9 ;  Tristan  spranc  enwe'c  zehant :  eine 
zwisele  hiu  er  an  die  hdnt  2933 ;  ebenso  in  al  rihte  {enrihte)  : 
daz  gerihte  15  527.  15  643.  —  öfter  hat  das  eine  wort  den 
stärksten  accent  im  verse,  das  andere  nicht : 

swaz  ir  dewederem  gewtlr 

des  wart  daz  andere  gewar     14337;  vgl.  975  '.  7207; 

da  nam  er  siner  läge  war 

und  wart  da  nihtes  gewär     15  211  ; 

nemt  war  wie  der  hier  under 

an  dem  umbehange  wunder 

mit  spfeher  rede  entwi'rfet; 

wie  er  diu  mezzer  wirf  et 

mit  behendiciichen  rimen     4709  ; 

als  ez  in  beiden  was  gewänt. 

si  gewunnen  harnasch  unde  gewant     4547  '; 

dar  z  u  o  haete  gewänt 

daz  81  Tristande  sin  gewänt 

berihte  unde  bereite     4951. 
in  ähnlicher  weise  linden  aus  dem  Zusammenhang  ihre  erklärung 
die    rührenden    reime    5477.    15969  5;    5961;    8711;    12515  •>; 

1  Vorbild  war  Greg.   1019.  3861. 

-  s.  aHeinr.  1267. 

3  s.  Erec  7028. 

*  auf  beiden  ligt  ein  besonderer  naehdruck,  denn  vorlier  war  von 
dem  unterschied  in  den  bestrebungen  des  alters  (Rual)  und  der  Jugend 
(Tristan)  die  rede. 

5  für  die  Erec  3114  und  besonders  6756  vorbild  war,  s.  auch 
6760.  6828. 

«  s.  aHeinr.  689. 


26  VON  KRAUS 

16  693;  16  697.  am  hübschesten  an  der  stelle,  wo  der  dichter 
sagt,  dass  auch  er  alle  einzelheiten  der  minnegrotte  kennen  ge- 
lernt habe,  17114:  ich  vant  an  der  fossiure  den  Jiaft  und  sack 
die  Valien;  ich  hin  ze  der  kristallen  ouch  imderstunden  vil 
geweten  .  .  .  und  aber  den  est  er  ich  da  In  .  .  .  den  hän  ich 
so  mit  triten  zerhert  .  .   . 

ouch  hän  ich  an  die  liehtenMant 

miner  oiigeu  weide  vil  gewant. 

Vielleicht  den  höhepunct  in  der  an  Wendung  rührender  reime 
stellt  die  kunst  dar,  mit  der  Gottfried  es  verstanden  hat,  in  die 
vierreime  abwechslung  zu  bringen,  gewis:  sie  sollten  ins  ohr 
fallen:  daher  sind  die  vereinzelt  in  die  erzählung  eingestreuten 
meist  von  Wörtern  gleichen  gewichtes  gebildet,  s.  zb.  131  ff. 
233  ff  usw.  K  aber  bei  den  gehäuften  Strophen  des  eingangs 
hätte  das  unweigerlich  den  eindruck  der  monotonie  hervor- 
gerufen,    daher  bevorzugt  der  dichter  hier  den  Wechsel : 

Gedrehte  man  ze  giiote  niht 
von  den  der  werlde  giiot  geschiht, 
SU  wajre  ez  allez  älse  niht 
swaz  guotes  in  der  wt'rlde  geschiht. 

Der  guote  man  swaz  der  in  güot 
und  niwan  der  werlt  ze  güote  tuet, 
swer  daz  iht  anders  wan  in  güot 
vernemen  wil,  der  missetüot. 

Ich  hoore  ez  v  eischen  harte  vil 
daz  man  doch  gerne  hüben  wil : 
da  ist  des  lützelen  ze  vil, 
da  wil  man  des  man  niht  enwil. 

Gunst  unde  nahe  sehender  sin, 
swie  wol  diu  schinen  under  in, 
geherberget  nit  zuo  ziu, 
er  leschet  kunst  unde  sin  -. 

Zum  colorieren  verwendet  Gottfried  auch  reime  von  der  art 
jenes  paares  Iwein  -.  Gäwein  bei  Hartmann,  dass  sie  aus  dem 
französischen  kommen^  hat  uns  oben  der  vergleich  mit  Chrestien 

1  die  ganze  liste  Zs.  50,  220  mit  dem  nachtrag  Zs.  51,  373. 

^  dazwischen  andere  Vierzeiler,  wo  nur  das  erste  und  dritte  oder  das 
zweite  und  vierte  wort  durch  den  accent  geschieden  sind.  —  11875  ist 
natürlich  abgestuft,  da  hier  4  e  den  reim  bilden:  si  danket  schoener  sit 
dan  e,  da  con  «o  tiuret  minnen  e.  diuhte  minne  sit  als  <",  so  zergienge 
schiere  mimien  <■;   vgl.  1627.  11861. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    27 

gezeigt,  dass  auch  Gottfried  sie  als  französisch  und  als  ganz 
verschieden  von  der  art  des  deutschen  empfand,  zeigt  der  um- 
stand, dass  er  sie  gerne  in  versen  anbringt,  die  auch  sonst  aus 
französischen  Wörtern  bestehen: 

ei,  sprach  er,  de  benie 

si  sainte  companie     2683  ; 

deus  sal  roi  et  sa  mehnie  : 

künec  und  sin  massenie     3257; 

de  duin  duze  äventiire 

si  duze  creatüre : 

got  gebe  Suez  äventiuie 

so  süezer  crC-atiure     3267. 

SO  auch  3351.  3751.  5579.  5601.  aber  auch  er  ist,  wie  Hart- 
mann, von  der  anfänglichen  Überschätzung  des  welschen  tandes 
zurückgekommen  *. 

Auf  ganz  originelle  weise  macht  er  auf  einem  höhepunct  der 
erzählung  den  deutschen  wortaccent  an  fremden  lauten  zum  mittel 
künstlerischer  würkung  :  an  der  stelle,  wo  Isolde  ihrer  mutter 
das  geheimnis  von  Tristans  verstecknamen  enthüllt  (10  615). 
'ich  fand'  sagt  sie: 

daz  ez  allez  ein  was  ; 

wan  swederhalp  ich  hin  las, 

sone  was  ie  nime  dar  an 

wan  Tantris  oder  Tristan 

und  ie  an  einem  beide. 

nu  muoter,  nu  scheide 

dise  nameu  Täntris 

in  ein  Tan  und  in  ein  Tris 

und  sprich  daz  Tris  vür  daz  Tan, 

so  gprichest  du  Tristan  ; 

sprich  daz  Tan  vür  daz  Tris, 

so  sprichest  aber  Täutris'. 

•  in  deutschen  versen  reimen  noch:  jägerie;  curie;  barunie  :  mas- 
senie :  Parmenie  :  Symphonie  :  cumpanie ;  ßörle  :  präerie  3023.  3313. 
3673.  4163.  5011.  5127.  5173.  5307.  16631.  17389.  18785.  1S903.  18935; 
feitiure  :  cocert.  :  äcent.  :  nät.  4577.  11637.  —  nach  der  reihe  geordnet 
ergibt  sich:  im  zweiten  tausend  1  fall,  im  dritten  7,  im  vierteu  2,  im 
fünften  6  (letzter  fall  56011),  im  elften,  sechszehnten,  siebzehnten  je  1, 
im  achtzehnten  3.  —  kein  rührender  reim  dieser,  sondern  ein  reimkunst- 
stück  besonderer  art  ist  es,  wenn  Sidöne  mit  schwebender  betonung  auf 
Didöne  gebunden  wird,  17199.  dieser  stelle  vergleicht  sich  10673,  wo 
ist  an  (Senkung— hebung)  auf  Tristan  (haupthebung— nebenhebung)  ge- 
reimt ist. 


2B  VON  KRAUS 

Reime  zweier  gleich  stark  betonter  Wörter  kommen  über- 
haupt nicht  vor;  reime  zweier  minderbetonter  wortteile  sind  bis- 
weilen mit  künstlerischer  absieht  gesetzt,  so  12  315  minnmre  : 
irügeiKBre^  wofür  auf  Zw.  s.  305  zu  verweisen  ist;  so  ferner, 
des  contrastes  wegen  gesetzt,  sin  tot  was  aber  wol  loheUch,  der 
ir  ze  sere  erbarmeclich  1763  ^  für  einige  andere  vermute  ich 
abgestufte  betonung:  wenn  truhsceze  zweimal  mit  laut-,  umbe- 
sa'ze  gereimt  wird  (9707.  13  467),  so  wird  in  hinblick  auf  nhd. 
land-sasse'  neben  *truch-sess'  die  Vermutung  erlaubt  sein,  dass 
schon  für  Gottfried  -steze  beim  letzten  wort  bedeutungslos  und 
daher  minderbetont  gewesen  ist  2,  und  wenn  zwei  weitere  fälle 
gerade  den  namen  Develtn{e)  mit  schiffel%n{c)  paaren,  ist  es  zu 
kühn,  an  die  nhd.  betonung  'Dublin'  zu  erinnern?  —  dann 
bleiben  nur  noch  zwei  stellen:  2271  höfschliche  :  gemeinliche, 
wofür  ich  keine  erklärung  weifs,  und  16  833  merlin  :  walt- 
vogelin.  denkt  man  an  schapeleMn  (676.  4640.  11136)  und 
sieht,  wie  die  meisten  Schreiber  an  den  beiden  ersten  stellen  das 
gewohnte  -{l)lin  eingesetzt  haben,  so  darf  man  mit  Brecht  wol 
merlikin  vermuten,  so  heisst  die  amsel  in  der  lyrik  (Veldeke 
und  Gutenburg),  und  so  schreibt  auch  die  elsässische  (Marold 
s.  XLVIII)  hs.  R  des  Tristan  in  dem  von  Paul  herausgegebenen 
gedieht  'Trist,  als  mönch'  v.  437.  — 

Für  die  Vortragsweise  ergibt  sich,  dass  Gottfried  die  präfixe 
abtrennte:  sonst  wäre  gereinet  :  vereinet  11727  ein  roher  reim; 
die  bindung  enein  :  nein  12  795  erweist  die  Silbentrennung  ew-ein. 
auch  die  grenzen  zweier  Wörter  wurden  beim  Vortrag  beobachtet: 
daz  er  mir  gebe  anticürte  mnb  in  (nicht  um-bin)  :  ich  bin  3893  ^. 
wer  das  reimmaterial  bei  Gottfried  und  andern  feinhörigen 
dichtem  unter  solchen  gesichtspuncten  systematisch  prüft,  wird 
noch  manches  derart  erweisen  können.  —  auch  die  schwebende 
betonung  wurde  im  Vortrag  ebenso  behandelt  wie  heute,  d.  h.  ein 

'  vgl.  dazu  Er.  904  unser  siege  (jent  niht  manlichen,  wir  vehten 
lästerlichen. 

2  man  könnte  den  accent  des  scese  in  lant-sceie,  umbe-swze  als 
'hauptaccent  zweiten  grades'  bezeichnen,  Sievers  Phonetik  •''  §  649. 

^  das  ergibt  sich  auch  aus  dem  Vierzeiler  33  ff,  wo  suo  zin  und 
linder  in  rührende  reime  sein  müssen.  —  dagegen  die  suffixabtrennung 
(härm-in)  würde  für  Gottfr.  dieselben  Schwierigkeiten  schaffen  wie  sie 
oben  8.   16  anm.  2  für  Wolfr.  angedeutet  wurden. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    2!l 

wort  wie  unlanc  wurde  am  Schlüsse  des  verses,  wenn  es  nach 
dem  Schema  in  Senkung  -\-  hebung  zu  stehn  kam,  nicht  mit 
würklicher  Umdrehung  der  natürlichen  betonung  als  unlanc  ge- 
sprochen, sondern  der  rhythmus  wurde  'durch  nivellierung  der 
gruppenbildenden  factoren  sozusagen  aufgelöst',  sodass  'die  in 
frage  stehnden  silben  mit  annähernd  gleicher  stärke'  gesprochen 
wurden,  wie  Sievers  Metr,  stud.  I  69  es  formuliert;  dass  dieser 
Stärkeausgleich  nicht  in  d^r  art  erfolgte,  dass  -lanc  so  stark 
accentuiert  wurde  wie  un-,  lehren  uns  nun  für  die  ältere  zeit 
auch  die  rührenden  reime,  sonst  würden  bindungen  wie  Trist. 407 
nü  daz  Kcmele  alsus  geh'nic,  nu  was  dar  nach  vil  harte  unlanc 
die  einzige,  aber  von  zahlreichen  einzelfällen  gebildete  gruppe 
roher  reime  bei  Gottfried  und  anderen  mhd.  dichtem  bilden. 

Von  den  Zeitgenossen  und  nachahmern  der  grofsen  epiker 
sei  zunächst  Ulrich  von  Zazikhoven  betrachtet,  mein  material 
beruht  auf  der  durchsieht  des  Lanzelet  und  wurde  hinterdrein 
mit  den  Sammlungen  WGrimms  und  Hanninks  (Vorstudien  z.  e. 
neuausgabe  des  Lanzelet  UvZ.,  diss.  Göttingen  1914,  §54)  ver- 
glichen. 

Seine  unmoderne  technik  wird  schon  durch  das  vorwiegen 
des  wortaccents  als  unterscheidungsmittel  charakterisiert,  man 
kann  sagen,  er  ist  inbezug  auf  diesen  auf  dem  standpunct  stehn 
geblieben,  den  Hartmann  in  den  schwächsten  partien  seines  Erec 
eingenommen  hat,  und  das,  obwohl  ihm  auch  spätere  werke  be- 
kannt waren,  dabei  sind  die  meisten  reime  stereotyp,  die 
schlechtesten  sein  eigentum,  einige  originellere  lehngut.  zur 
gruppe  des  wortaccente  sind  zu  stellen:  hehaft  :  erhitß  2785; 
schärt  :  Bitschart  3259;  bdz  :  fürbäz  7791;  {z)ergdn,  für  gdn  : 
Kdrdigän  5677.  7349.  7687.  8757  (so  hat  der  reim  Er.  2852 
gewuchert!);  mcere  :  söummre  8477;  umre  :  alwwre  6089;  gi- 
reht  :  föreht  7033  (s.  Parz.  548,  3;  737,  9);  ir  weit  :  üzerwelt 
8291;  bergen  :  herbergen  3225;  ve'ste  :  müotveste  6803;  heim  : 
oeheim  6695.  8461  (vgl.  Er.  9482);  dinc  :  teidlnc  8159  (vgl. 
Parz.  729,  5);  sint  :  tüshrt  195;  geliche  :  -{c)liche  5  mal  und 
viell.  8451  (doch  s.  P);  riche{n)  :  liwncriche{n)  55.  5739  (be- 
sonders übelklingend  !j;?i7is  :  Genewts  8149.  8261.  S895;  tler  : 
förehtier  731  (s.  Parz.  592,  9;  auch  im  Wh.);  tiure  :  frz.  -flure 
2011.  2933.  4413.  5519.  624  7  (vgl.  Er.  738);   ge-,   überzögen  : 


30  VON  KRAUS 

herzogen  61.  3487.  8379;  kämen  :  /r/llekbmen  3455;  küste  : 
ukuste  1335  1. 

Von  einer  bewusten  Unterscheidung  durch  das  mittel  des 
satzaccents  aber  kann  man  bei  ihm  kaum  reden,  öfter  hat 
man  den  eindruck,  dass  er  die  überkommenen  typen  rein  äufser- 
lich  nachahmt,  ohne  zu  wissen  worauf  es  ankommt,  während 
bei  Hartmann  das  verbum  lac  im  accent  gedrückt  ist,  wenn  es 
auf  roi  Lac  gereimt  ist,  paart  Ulrich  starktoniges  geJdc  mit  Lac 
(5157.  5545;  besser  6691);  ebenso  fand  sich  bei  Hartmann  wol 
misselänc  :  dner  schifte  Ihnc  udgl.,  aber  nie  ze  sagenne  ze  Idnc  : 
dem  lool  geldnc  Lanz.  3523;  üz  reit  :  bere'it  Er.  3092  klingt 
gut,  aber  daz  (ors)  daz  er  da  reit  :  knappen  wol  bereit  Lanz. 
2769  ist  monoton,  und  so  lielsen  sich  noch  zu  so  manchen  schlechten 
reimen  des  Lanz.  die  vortrefflichen  geg'enstücke  bei  Hartmann 
anführen;  so  zu  nämen  :  vernämen  8673;  war  :  geivdr  7609; 
wol  getan  :  uz  getan  3883;  geleit  :  Int  3713;  erhaben  :  haben 
4423.  —  andere  ungenügende  reime  sind:  wAre  :  ivcere  5533; 
gewdtit  :  erwdnt  5859;  werden  :  tverden  4583;  gelich  :  menne- 
gelich  2975.  —  gegenüber  dieser  grofsen  anzahl  darf  man  die 
beiden  besserklingenden  wol  als  zufallsfunde  Ulrichs  betrachten: 
minnest  wcere  :  ich  bewd're  6065  und  daz  beste  loort  :  hct  ge- 
wör{h)t  3415  2.  —  jn  andern  fällen  liegen  allerdings  fehler  der 
Überlieferung  vor,  die  meist  durch  die  la.  der  andern  hs.  als 
solche  erwiesen  werden  3.  aber  die  kunstlosigkeit  Ulrichs  macht 
die  entscheidung  nicht  überall  leicht. 

Seine  unempfindlichkeit  gegenüber  dem  rührenden  reim  un- 
'betonter  silben  hat  schon  Zw.  s.  303  betr.  der  -hcit  :  -heit  (3 mal) 
und  (s.  308  f)  -Viche  :  -liehe  (4  mal)  festgestellt,  sie  waren  dem 
dichter  offenbar  auf  einer  stufe  mit  den  ausgesprochen  romani- 
schen:  montane  :  Britäne  6565  (s.  Er.   19!  4);   Itveret  :  Beforet 

•  Hannink  s.  35  will  laste  (so  P)  lesen,  ich  vermute  in  stner  (st. 
miner  WP)  küste. 

-  denn  ich  kann  mich  nicht  entschliefsen,  den  originellen  ausdruck 
und  den  charakteristischen  reim  mit  Hannink  s.  35  der  vulgären  la.  von 
P  zu  opfern. 

3  W  ist  sicherlich  im  unrecht  gegen  P  4885.  6785.  7337;  umgekehrt 
P  gegen  W  in  allen  15  von  Hannink  s.  36  angeführten  fällen.  —  5689  hat 
Hahn  gebessert,  9901  schlecht  conjiciert.  —  dran  :  an  2097  ist  ebenso- 
wenig wie  bei  Wolfram  als  rührender  reim  zu  betrachten. 


DER  RÜHRENDE  RELAl  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    3 1 

331;  valet  :  Lanzelet  4909;  kumpanie  :  massenie  8579  (s.  Er. 
4629^3);  justinre  :  kovert.  8077;  Artiure  :  ävent.  5361;  vgl: 
Mdrroc  :  wäfenröc  4427. 

Unvergleichlich  besser  verträgt  Wirnt  eine  mustenmg. 
allerdings  bewegt  er  sich  in  den  von  Hartmann  geschaffenen 
geleisen,  aber  er  hat  dessen  reime  mit  dem  gehör,  nicht  nur  mit 
dem  äuge  erfasst,  und  bildet  die  guten  muster  gut  nach. 

In  der  kategorie  des  wortaccents  finden  sich  die  bekannten 
gruppen.    deutsch  :  fremd:    lachen  :  schd riachen  227,  7  (s.  Er.); 
vdnt  :  helfänt  264,  4;  290,  40;  getan  :  Pfetan   129,  12;   145,  1; 
liste  :  evdngellste   243,  1 ;    tiure  :  frz.   -tiure    9  mal.  —  fremd  : 
fremd:  Lac  :  Ärläc  257,  6  (wörtlich  =  Er.  1630).  —  deutsch  : 
deutsch:  Schaft  :  rltterschaft  19,  7;    46,  30;    119,  33    (s.  Er.); 
hdnt :  sdzehlmt  53,  9;   180,  23;  getan  :  ivölgetan  30,  30;  213,  21; 
291,  16;    :  ündertdn  225,  8  (s.  Biichl.);   äne  wende  :  steinwende 
20,  27;    gewert  :  nnwert  171,  17    (s.  Er.);    gelich  :  -lieh  4 mal 
ie-,    ungelich  :  -lieh   43,  22;    165,  19;     tägelich  :  -fleh    45,  23 
97,   10.   35  1;    gelühe  :  -ecllche    7  mal ;    :  -liehe  24,   18:    26,  8 
sin  :  luhsln   115,  26;    gezögen  :  lit'rzbgen  200,  40;   verlos  :  sige- 
vdlschlbs   193,  36;  212,  9;  müote  :   drmnote  67,  16. 

Zur  grnppe  des  satzaccents  gehören  fälle,  wo  durch  contrast 
oder  parallelismus  din  reimwort  gehoben  ist: 

der  wil  nu  ritt  er  werden. 

des  müezen  die  werden 

die  bcesen  engelten     63,30; 

diu  lange  zesamene  ist  geleit : 

er  git  ouch  ie  nach  liebe  leit     94,  30; 

sin  pfert  was  rot  daz  er  reit. 

sin  här  ge mischet  unde  reit     12,  6; 

vil  snelle  im  bereitet  was 

nach  sinem  willen  ein  reinez  bat, 

als  es  diu  küneginne  bat, 

unde  harte  guotiu  kl  ei  der     73,  40; 

ähnlich   07,  19;   144,  2;    155,  3;   222,  14. 

In  andern  fällen  ist  das  eine  reimwort  durch  ein  unmittel- 
bar vorhergehndes  im  accent  gedrückt:  hehdlten  kunne  :  künne 
(subst.)  63,  38;    erledegen  sblt  :  sölt  (subst.)   122,  38;   geschdffen 

»  denn  tägelich  geht  begreiflicherweise  (wie  un-,  iegllch)  stets  mit 
<felich,  nie  mit  -lieh. 


yi  VON  KRAUS 

{besprochen)  ivart  :  bewdrt  209,  11;  239,  20;  herze  sin  :  müosen 
sin  109,  2;  müoter  sin  :  müose  er  sin  170,  23;  vor  geleit :  sivachez 
h'it  25,  10;  her  reit  :  Ist  bereit  104,  10;  üz  zeigen  :  ze  eigen  (?) 

149,  3;  an  luch  geleit  :  lent  er  iuch  dne  le'it  249,  2;  eren  {grozer 
dinge)  wert  :  hat  gewert  26,  24;  186,  12;  ähnlich  noch  18,  31: 
M,  7;  45,  27;  49,  8;  51,  5;  76,  14;  104,  20;  107,  5;  151,  11; 
155,36;  171,22;  191,39;  215,12;  241,35;  253,25;  262,15; 
284,  24. 

Selten  findet  die  enttonung  durch  den  folgenden  satz  statt: 
sin  dienst  in  allen  was  bereit  :  durch  die  vroun  Lartn  er  reit  die 
dventiure  ertverben  232,  37  ;  diu  hat  in  üz  der  taufe  erhaben  :  er 
sprach:  frouwe,  lät  mich  hohen  iuiver  hülde  und  imvern  se'gen 
'M,  25;  des  icas  ir  schmner  llp  tvol  wert:  dö  er  die  fürsten  het 
geteert      ir  Wien  244,  4. 

Individuellere  umstände  verleihen  dem  einen  wort  besonderes 
accentgewicht :  frou  Marin  und  ir  gespiln  :  die  wellent  hie  mit 
dir  spiln  [sc.  'etwas']  da  von  manc  ouge  tvirdet  rot  258,  4; 
liep  als  ir  eigen  llp  :  si  sprach:  herre,  nü  belip  39,  3  (mit 
emphatischer  betonung  des  imperativs);  genomen  tvar  :  für  war 
'als  etwas  wahres'   191,  29. 

Was  Hartmann  im  Iw.  einmal  um  besonderer  künstlerischer 
würkung  willen  aus  der  quelle  übernommen  hat,  der  reim 
iwein  :  Gäwein  findet  sich  bei  Wirnt  mehrmals,  auch  stets  in 
längerer  aufzählung:  244,  26;  250,  9;  257,  8;  287,  22.  —  auch 
sonst  verwendet  er  nach  der  art  des  Erec  solche  fremde  reime: 
Babylon  :  Ascalön    200,   30;    Larie  :  Syrie  :  Florte    107,    17; 

150,  32;  -tiure  :  -tiure  92,  28;  168,  36;  202,  35;  227,  21; 
2S3,  2. 

Archaische  kunstlosigkeit  aber  ist  es,  wenn  dergleichen 
schwachaccentuierte  silben  auch  in  Wörtern  deutscher  herkunft 
miteinander  gepaart  werden.  Wirnt  hat  dgl.  etwas  häufiger  als 
Hartmann  im  Erec:  -schaft  :  -schaft  236,  11;  258,  2; '293,  9; 
dazu  8 mal  -ltch{e)  :  -Uch{e)  (die  belege  bei  Zw.  s.  309);  wöl- 
getän  :  ündertän,  üf  getan  202,  3;  215,  22;  228,  34;  riter 
haben  :  üz  erhiiben  41,  27. 

An  zwei  reimen  ivünden  :  überivünden  82,  8;  196,  35  ist 
Hartmann,  dessen  absiebten  Wirnt  nicht  erkannt  hat,  schuld- 
los— schuldig  (s.  Iw.  5423).  sonst  reimt  betontes  wort  auf  be- 
tontes nur  noch  einmal:  rt'it  :  bereit  39,  37  (im  dreireim). 


DER  RÜHEENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    33 

Eiu  Wechsel  im  verhalten  \Yirnts  ist  nicht  wahrzunehmen: 
Seine  solide  technik  bleibt  sich  durch  das  ganze  gedieht  hin 
ziemlich  gleich,  ebenso  die  zahlen  seiner  rührenden  reime. 

Konrad  Fleck,  der  doch  den  ganzen  Hartmann  kannle, 
steht  mit  seiner  Vorliebe  für  den  rührenden  reim  auf  dem  staud- 
punct  etwa  des  Erec ',  nur  dass  er  bereits  energischer  den  satz- 
accent  heranzieht. 

Der  gruppe  des  wortaccents  gehören  an:  gelich  -.-lieh  4'iO. 
3562.  4034.  6968;  ungel.  :  niinned.  252;  geliche  :  -liehe  231. 
1467.  2001.  3659.  4053;  : -cUche  983.  4253.  6803;  mgelkhe  : 
-liehe  4945;  :  -dicke  1793.  4687;  algeliche  :  -liehe  5535;  wende  : 
misseiüende  (subst.)  4191;  vgl.  907;  tvise  :  ümvise  931;  ver- 
wizen  :  itew'izen  2191 ;  verlos  :  sige-,  tröste-,  ende-,  helfelös 
1633.  5093.  5339.  5983,  7267;  getan  :  ünder-,  missetän  1693. 
6808;  gemüete  :  heimüete  3355;  dinc  :  te'gedlnc  5465;  gezogen,: 
herzogen  6539;  ndm  :  He'lenäm  1609. 

Von  den  gruppen  des  satzaccents  ist  eine  wider  durch 
drückung-  des  einen  reimworts  charakterisiert:  das  präpositional- 
adverb  zieht  den  accent  auf  sich  vor  dem  verbum :  dar  uz 
werde  :  werde  (subst.)  6017;  näeh  reit  :  was  bereit  3261;  üf 
geleit  :  gehe  leit  5555;  geschwächtes  hilfsverbum:  sanfte  wart :  be- 
warf 6139;  entslözzen  wart :  so  betvdrt  7281;  sonstige  fälle  mit 
Verben :  genäde  sagen  :  singen  unde  sagen  3  (falls  die  herstellung 
richtig  ist);  ze  wibe  nchne  :  so  genceme  (adj.)  4527;  liep  si  : 
nmbe  si  (mit  zärtlicher  emphase)  4097;  vgl.  5791;  swer  nmot 
ze  vdrnde  habe  :  der  sige  gein  der  habe  3237;  mit  pronomen: 
die  sorge  sin  :  möhte  sin  3731;  mit  Substantiv:  von  sippe  oder 
in  friundes  wis  :  wan  er  was  listec  unde  wis  3459 ;  in  lebender 
lüde  wise  :  zwene  smide  wise  2027;  si  lägen  bime  icege  :  und 
riten  dfter  ivege  3493  2.  —  aber  auch  ein  wort,  das  nicht  un- 
mittelbar vorhergeht,  kann  die  drückung  bewürken:  dö  si  wur- 
den fünf  jär  alt  :  diu  zicei  diu  ivurden  beidiu  alt  613;  ich  ge- 
wünne   niemer  ere,    kceme  ich  wider  äne  si  :  swie  iinwcenlich  ez 

1  meine  angaben  erfolgen  auf  grund  eigener  Sammlung,  die  durch 
nachträglichen  vergleich  mit  WGrimms  angaben  und  mit  der  liste  bei 
Sommer  zu  Flore  3  vervollständigt  ist. 

*  aSter  wege  ist  wol  schon  ganz  adverbiell  empfunden. 

Z.  F.  D.  A.  LVI.     N.  F.  XLIV.  3 


-    34  '  VON  KRAUS 

mir  st  4551;  vgl  noch  4693.  4853.  4991.  5191   {ddnc  :  üf  den 
gedanc,  doch  s.  F!);  5453.   5533. 

In  andern  fällen  wird  das  eine  wort  gegenüber  dem  normal- 
starken gegenwort  im  accent  besonders  gehoben: 

'ich  niuoz  eine  dort  beliben.' 

'nu  sage  doch  wie  lange?' 

'ich  fürhte  dich  belange'.     1128; 

daz  er  üz  frömden  landen 

mit  sinen  söumen  füere 

niht  wan  durch  ein  gefüere     3395; 

der  muoz  ime  geben  den  zol, 

mime  friunde,  den  ich  meine. 

der  zol  ist  min  gemeine, 

und  git  mir  daz  halbe  teil     3638  ; 

Schatzes  sat  worden  sin. 

wa3re  eht  nii  der  köpf  sin 

den  Floire  noch  hat     5179; 

ir  herren,  sprach  er,  mine  man; 

vernemet  wes  ich  iuch  man     6559  ; 

und  er  danne  da  ze  briute 

Blanscheflür  nteme, 

wan  er  was  in  dö  genteme 

worden  unde  harte  wert     7506 ; 

wie  möhte  ez  in  allen  baz 

und  liep  lieber  sin  erboten? 

ttü  komen  von  geschihte  boten, 

zwene  ritter,  in  gegangen     7648  '. 

Endlich  wird  in  einer  anzahl  von  fällen  ein  reimwort  durch 
Wörter  des  folgenden  verses  gedrückt: 

(var)  ze  Muntöre  unde  wis 

an  allen  zwivel  des  gewis     1031; 

als  er  da  nach  deme  site 

sin  guot  verrihte, 

dö  hiez  im  der  wirt  enrihte 

guot  gemach  bereiten     3398  ; 

so  stfete  löp,  so  michel  wert 

daz  nu  iemer  mere  wert 

unz  an  der  werlde  ende     7873. 

s.  noch  3773.  4451.  5641.  5877.   5921. 

Nebenaccent  mit  nebenaccent  gepaart  ist  bei  Fleck  selten, 
absieht  ligt  wol  vor,  wenn  der  dichter  contrastiert:  Jünö  schätz 
und  ricMuom.   Pallas  witze  und  wistuom  1601;    sonst  reimen  je 

*  vgl.   1217  (imperativ!). 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    35 

Einmal  -schaft.  -schefte,  -hell  und  -heit  unter  sich,  2525.  873. 
3601.  4781  1.  —  dagegen  sind  nicht  hieher  zu  stellen  die  reime 
von  -lieh  :  -dich  3432  und  -Uche  :  -dicke  11h.  1107.  1311. 
1641.  2413.  3211  (conjectur).  3467.  3711.  3865.  3881,  denen 
nur  ein  'fehlerhaftes'  -Uche  :  -Uche  3137  gegenübersteht,  denn 
die  grofse  zahl  der  ersten  art  zeigt  deutlich  die  absieht:  man 
halte  dagegen  die  Zahlenverhältnisse  bei  den  reimen  von  -Uche  : 
geUche,  s.  o.  s.  33.  so  hat  also  auch  Fleck  den  von  WGrimm 
beobachteten,  von  Zw.  s.  309  für  eine  anzahl  dichter  mit  recht 
bestrittenen  unterschied  gemacht. 

In  einigen  fällen  endlich  ligt  die  bindung  zweier  stark- 
accentuierter  Wörter  vor.  absieht  —  um  das  Wortspiel  deutlich 
zu  machen  —  ist  erkennbar,  wenn  Fleck  sagt :  also  näch- 
wendecUche  M  tvas  ez  under  in  geivant  daz  sie  mit  der  einen 
want  wären  gescheiden  5655;  einen  andern  fall,  7207  (auch  in 
F  gleichlautend  überliefert),  wüsste  ich  nur  durch  die  annähme 
zu  rechtfertigen,  dass  Fleck  (ähnlich  wie  er  -dicke  abtrennte) 
weich  :  en-hveick  sprach,  statt  nach  ent-  die  silbengrenze  zu 
ziehen,  auf  blofser  conjectur  beruht  üf  dem  wäge  :  enwäge 
3849;  viell.  gieng,  worauf  die  hss.  weisen,  dem  iväge  ein  genit. 
voran,  der  den  hauptaccent  auf  sich  zog  2.  —  verdächtig  ist 
ferner  gelän  :  verlän  (nur  nach  H;  gegan  B),  denn  tröst  gelän 
passt  nicht  in  den  Zusammenhang,  auch  hat  Fleck  sonst  nur 
einen  reimbeleg  für  die  partic.-form  verlän;  ich  vermute  trost 
getan.  —  bedenken  erregt  auch  6129  wart  gewdr  :  nam  ir 
heider  war.  dass  die  Überlieferung  nicht  klappt,  zeigt  schon 
das  auffällige  präs.  gan  6128,  auffällig  umsomehr  als  es  in 
Sommers  text  {=  B)  von  temporalem  dö  abhängt;  aber  auch 
was  H  bietet,  befriedigt  nicht.  —  so  bleibt  nur  übenvinden  : 
erwinden  {vnder  ic.  H)  5787)3;  denn  3f  ist  blofse  conjectur. 

Recht  gewant  zeigt  sich  der  Stricker  im  Daniel'*,  auf 
dem  wortaccent  beruhen  die  reime:   välant  :  lant   817;    griez- 

»  höcescheit  :  -heit  6935  ist  kein  rührender  reim. 

2  wie  Erec  7063. 

3  nicht  rührend  sind  die  reime  ge-ciel :  en-pßel  7227;  el-lenden  : 
col-enden  3721. 

*  die  belege  nach  eigener  durchsieht,  controUiert  an  Bartschs  Ver- 
zeichnis im  Karl  s.  LIV  f  und  Zwierzina  Zs.  45,  308.  303. 

3* 


-36  VON  KRAUS 

warte  :  gewarte  5163;  Gereit  (uame)  :  m^  243;  jung elin g e  :  ge- 
linge 815;  -lieh  :  gelich  537.  1911;  -liehe  :  geliche  35.  1655. 
5511;  fröudelö'^-  :  verlos  2559;  der  hüchlöse  :  löse  2053;  klei- 
nöte  :  nöte  3671;  dcentiure  :  tiure  733;  stahelhüeten  :  hehüeten 
5157;  hielier  also  wol  auch  unverboten  nach  km  (Roseuhagen 
nie  verboten)  :  boten  7695  i.  —  satzaccent:  der  üz  nach 
äventiure  reit  :  dem  was  ein  niuiver  schilt  bereit  125;  wirt 
(subst.)  :  nienier  kein  künec  wirt  der  also  wol  gevalle  6617; 
vähen  hiez  :  und  im  dar  zuo  gehiez  7671;  stnen  böten  :  der 
hat  uns  fröude  verboten  und  hat  uns  herzeleit  gegeben  4335. 
—  nach  dem  Vorgang-  Hartmanns  werden  die  namen  Iwein  ii. 
Gäwein  gepaart,  2853.  3531.  6961.  —  ein  Wortwitz  wird  durch 
den  rührenden  reim  unterstrichen:  er  entsaz  dehein  ungemach. 
dö  sach  er  da  sitzen  :  den  er  ivol  mohte  eutsitzen  1047;  be- 
absichtigter parallelismus  ligt  auch  vor,  wenn  es,  in  einer  langen 
aufzählung  von  contrasten ,  heilst :  er  wmre  lügener  oder  wär- 
haft  :  er  wccre  Miene  oder  zagehaft  5258;  vgl.  noch  harte 
wunderlich  :  und  iedoch  harte  frumeclich  5331.  —  somit  ver- 
bleibt nur  eine  verunglückte  nachbildung  Hartmanns:  bellbe  :  Übe 
6733,  sodass  man  die  drei  reime  von  -heit  :  -keit  (Zwierzina 
s.  303)  doch  wol  im  sinne  von  WGrirams  regel  beurteilen 
muss. 

Nicht  ganz  so  gut  scheint  mir  der  Kar P.  aber  man  muss 
wol  die  neue  ausgäbe  Wilhelms  abwarten,  um  das  echte  in  zweifel- 
haften fällen  zu  linden,  im,  Amis  (Lambel)  befremden  auch 
einige  stellen  3.  für  die  kleineren  dichtungen,  die,  wie  man  sie 
jetzt   list,    einen   recht   gemischten    eindruck    hinterlassen,    wird 


'  über  Strickers  Vorliebe  für  composita  mit  un-  s.  Rosenhagen  zu 
Dan.  1030;  Zwierzina  Zs.  42,  88. 

^  Bartschs  Verzeichnis  aao.  enthält  für  den  wortaecent  3  beispiele 
für  cetiös  :  -lös,  2 mal  gelich  :  -lieh,  sonst  nur  bei  namen:  {Ruo)lant, 
-lande,  -landes,  -landen  21  mal,  (Pali)yän  3mal;  {Phi)l6nen  und  [Gene)- 
lüne  je  einmal.  —  schlecht  sind  die  reime  1041.  1851.  4351.  5983.  9637 
{werden  kaum  richtig!).  10  791;  die  übrigen  9  beispiele  sind  durch  den 
satzaccent  gerechtfertigt.  —  10  815  ist  falsches  citat,  Falsiron  :  Abirön 
5235  ein  romanischer  reim. 

^  233.  411  (1.  vingerlln'i).  945.  —  735  ist  wider  nachahmung  besserer 
Vorbilder ;  1881  wol  sicär  :  deis-wär.  sonst  Unterscheidung  durch  den 
wortaecent  893.  943.  1651;  satzaccent  1889.  1933.  2193.  2255. 


DER  RUHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    37 

jedesfalls  Zwierzinas  ausgäbe  Sicherheit  bringen,    in  einigen  fällen 
ligt  die  Verderbnis  klar  zu  tage^. 

In  trefflicher  tradition  steht  der  Hartmannschüler  y.ar' 
€io/7Jr  (s.  Schröder  Festschr.  f.  Kelle  338  ff),  der  dichter  der 
guten  Frau,  allerdings  macht  er  fast  ausschliefslich  vom  wort- 
accent  gebrauch  und  zeigt  die  Zurückhaltung  des  späteren 
Hartmann  in  der  Verwendung  des  rührenden  reims.  seine  bei- 
spiele  sind  2 :  ensam  :  löhesäm  11;  getan  :  nndertän  2903; 
heim  :  oeheim  917;  dinc  :  müedlnc  1879;  geVicli,  tegelicli  :  -lieh 
809.  2U25;  geliehen  (verbum)  :  tägellchen  2123;  gezöge  :  her- 
zöge 5S7;  irüt  :   Gerdrnt  (?)  3041;  tüome  :  he'iltuome  2405. 

Mit  satzaccent  nur:  gewaschen  sui  :  ald  ich  gelouhe  (so 
Schröder  Zs.  48,  505)  mich  sin  357. 

Von  verstöfsen  ist  höchstens  der  reim  r literschaft  :  geselle- 
schaft  1469  anzuführen:  er  beruht  aber  auf  blolser  conjectur. 
—  für  me  :  nie  1255  hat  bereits  WGrimm  s.  135  me  :  e  ge- 
bessert. —  2633  ist  für  diu  küncgin  geahte  (:  äne  ahte)  zu 
lesen  diu  küneginne  gahte^.  —  en-trveUe  'zögerte'  :  weite  797 
ist  kein  rührender  reim,  und  getan  :  vertan  979  beruht  auf 
einem  versehen  Eigenbrodts:  der  text  hat  verstand. 

Recht  gewant  zeigt  sich  auch  der  dichter  von  Mai  und 
Beaflorä.  vor  allem  gibt  er  vielleicht  das  sicherste  beispiel 
für  die  Sonderstellung,  die  {un)gelich  gegenüber  den  compositis 
auf  -lieh  einnimmt,    denn  er  bindet  solche  composita  ungewöhn- 

>  Bloch  (Lambel)  183  dar  :  guot  dar  —  1.  guot  har,  vgl.  208  und 
die  fassung  nebst  laa.  bei  vdHagen  GA  32,  178  sowie  har  Dan.  3874 
(Zs.  45,  24).  —  Frauenehre  D  423  cerkorn  :  körn  —  1.  verlorn,  vgl.  431. 
483.  619;  Pfeiffer  Übgsb.  s.  35,  227.  249.  —  GA  61,  93  eeüe  hänt  (:  se 
hant)  —  1.  ceile  vant.  —  Altd.  wäld.  III  175  gnuoc  :  nuoc,  vgl.  nüc 
das.  s.  183. 

2  die  liste  bei  Eigenbrodt  Unters,  über  das  mhd.  gedieht  diu  guote 
ßrouwe,  diss.  Jena  1907,  s.  26  bedarf  mehrfach  der  berichtigung. 

^  l.ünerjinne  nicht  nur  im  reim,  sondern  auch  oft  im  Innern,  s.  zb. 
2431.  2438. 

■*  auch  471  ist  in  E.s  liste  zu  streichen. 

^  Wächter  s.  10  seiner  diss.  gibt  die  betr.  reime  ganz  unvoll- 
ständig. 


38  VON  KRAUS 

lieh  häufig  mit  {un)gelich  —  im  ganzen  3 8 mal!'  — ,  niemals 
aber  untereinander  2,  und  ebensowenig  gellch  :  geUch.  —  sonst 
gehören  zur  kategorie  des  wortaccents:  schüft  :  rUersdiäft  4,  15; 
über  dl  :  enierdl  116,  15;  :  Böhöal  5  mal ;  vArt  :  Jiochvdrt 
209,  3;  bewdrte  :  widerwarte  92,  21;  genas  :  Sdfands  21,  19; 
nicere  :  Romcbre  209,  11 J  sinne  :  Jiidasstnne  173,  25;  tör  : 
Senator  181,  1;  210,  11;  211,  9;  verlos  :  vroudenlos  134,  23; 
gevüere  :  üngevüere  36,  35. 

In  das  gebiet  des  satzaccents  reicht  es  bereits,  wenn  das 
schwachbetonte  zehant  (nicht  blofs  dl  ze  Jidnt)  öfter  mit  dem 
subst.  hdnt  gepaart  erscheint:  95,  29;  166,  29;  234,  13; 
238,  21;  dlzehdnt  55,  33;  212,  33.  —  sonst  gehört  hieher: 
ich  wände  daz  si  iu  wdire  :  getriu  unde  gewdkre  170,  15;  unde 
er  gar  was  bereit  :  dö  nam  er  urloup  unde  reit  130,  19;  als 
der  künec  daz  verndm  :  die  hcehsten  er  zi'w  im  nam  109,  35; 
auch  das  phraseologische  vergezzen  hatte  wol  geminderten  accent: 
dö  si  da  heten  gezzen  :  dö  wart  ouch  niht  vergezzen,  si  Jiiez  be- 
reiten .  .  .  ein  .  .  .  loazzerbat  61,   1. 

Verstöfse  sind  selten:  unbetonte  deutsche  silben  reimen  212,  7 
gehorsam,  :  lobesam  und  viell.  67,  31  bösheit  :  miner  Sicherheit 
(doch  s,  B  meinen  ait)^.  —  betont  :  betont  reimt  175,  11 
bürgen  :  verbürgen,  aber  ich  versteh  die  ganze  stelle  nicht,  und 
die  Überlieferung  gibt  keine  Sicherheit.  —  dagegen  wird  160,  7 
wol  absieht  vorliegen :  und  schrirn  lüte :  ach  owe  :  we  vnd 
immer  mere  we  :  die  einförmigkeit  der  klage  soll  wol  ins  ehr 
fallen.  —  31,  7  geleit  :  leit  scheint  ein  würklieher  fehler,  aber 
auch  hier  ist  die  Überlieferung  nicht  einhellig;  und  236,  5 
gegangen  :  ergangen  ligt  nur  in  B  vor,  an  einer  stelle,  deren 
nächste  Umgebung  Schwierigkeiten  macht 4, 

'  die  belege  sind  für  cielich  2,  25;  5,  23;  49,  31;  50,  25;  55,  1; 
C)9,  25;  72,  31;  86,  35;  87,  7;  96,  3;  97,  3;  107,  29;  114,  25;  116,  33; 
146,  13;  156,  23;  165,  27;  166,  11;  179,  23;  191,  9;  195,  37;  218,  13; 
228,  2;  für  geltche  28,  35;  93,  29;  102,  39;  118,  21;  144,  37;  204,  15; 
206,  21;  210,  5.  17;  240,  5.  —  Einmal  das  verbum  geliehen  156,  9. 

•^  aufser  242,  24  liepUche  :  tugentliche :  in  dem  nur  iu  B  über- 
lieferten und  schon  von  WGrimm  s.  143  mit  recht  für  unecht  erklärten 
schluss. 

'■^  bescheidenheit  :  emsekeit  176,  33  ist  kein  rührender  reim. 

*  8.  Ferdinand  Schultz  Die  Überlieferg  d.  nihd.  dichtg.  Mai  u. 
Beaflor,  diss.  Leipz.  1890,  s.  23. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    39 

Ulrich  von  Türheim  hat  von  Gottfried  das  streben  nach 
rührenden  reimen  übernommen,  Zw.  s.  307  anm.;  nicht  ebenso 
aber  seine  technik.  in  der  fortsetzung-  des  Tristan  gehören 
der  kategorie  des  wortaccents  an^:  üngehäbe  :  habe  'hafen 
584,  17;  ihigemäche  :  mäche  557,  37;  geselleschafi  :  schaff 
510,  39;  Tristane  :  getane  505,  19;  ceheime  :  heime  498,  23; 
yeselleclichen  :  g{e)lichen  (verbum)  540,  37;  Kdedhie  :  dine 
551,  5;  herzogen  :  gezögen  510,  31;  514,  15;  Isolde  :  sölde 
506,  21;  518,  11;  544,  3;  mägeiuom  :  Mon  539,  25;  imgevüege  : 
V liege  584,  7. 

Durch  den  satzaccent  sind  unterschieden  folgende  paare: 
daz  des  niemen  icart  gewar  :  ob  ir  iht  hin  zir  vriunde  tcdr 
505,  23;  des  begunde  Isöte  lachen  :  und  vluochen  doch  der 
lachen  507,  23;  Tristanen  daz  milete  :  ez  wart  sin  gemüete  da 
V071  leidic  553,  37;  hin  nach  dem  wahse  er  reit  :  er  vant  ez 
ligen  als  bereit  als  im  Kassie  gehiez  574,  1;  geint  :  der 
künec  grozen  jämer  leit  585,  25;  einen  rosenstoc,  ein  wtnreben 
hiez  der  künec  bringen  dar  :  er  satte  einz  her,  das  ander 
dar  586,  9;  diu  minne  in  jämerlichen  galt  :  ine  weiz  wes 
Isöt  engalt  588,  25;  figura  etymologica:  ir  nähe  gende  leit 
daz  si  zallen  ztten  leit  507,  15;  auch  im  vierreim:  lebete  ie 
vrou  Minne,  swer  rehie  sich  ver sinne,  der  viiege  wier  ir  ent- 
rinne      tind  minne  die  wären  minne  503,  27, 

Schwierig  ist  die  entscheidung,  ob  einige  fehlerhafte  reime 
dem  dichter  oder  blofs  Massmans  text  (der  ja  in  der  hauptsache 
ausschlielslich  auf  H  beruht)  zur  last  fallen,  sehr  unwahrschein- 
lich ist  mir  die  roheit  des  reims  546,  33  e  daz  du  in  getörstest 
jagen  :  der  kan  den  pris  so  wol  bejagen,  wenn  nicht  etwa 
ein  Wortspiel  beabsichtigt  sein  sollte.  —  auch  verdienen  mileze  : 
geleben  miieze  518,  17  ist  befremdlich,  1.  verdiene,  süeze'i  — 
553,  7  er  hcete  in  schiere  an  jene  stat  bräht  als  sin  wille  was  : 
diu  heinltch  unde  scheine  tvas.  es  kommt  aber  nicht  auf  die 
Schönheit  des  ortes  an,  sondern  darauf  dass  Tristan  sich  dort 
ungesehen  verkleiden  kann  :  1.  diu  heinlich  unde  stille  was 
(:  wille  was)?  —  in  goldes  zweinzic  marc  :  künic  Marc  570,  37 
könnte  das  zalwort  im  accent  noch  überlegen  gewesen  sein  wie 

^  die  beispiele  nach  dem  verzeicBnis  bei  Zw.  s.  306  anm.  2  und  bei 
Busse  UvTiirbeim,  diss.  Beriii.  s.  84,  ergänzt  durcii  eigene  Sammlungen. 


40  VON  KRAUS 

in  ne.  halfpenny  udgl.  ^,  und  das  reimpaar  missetät  :  trinität 
590,  34  wäre  gerechtfertigt,  falls  Ulrich  trmitdf  betonte.  — 
aber  solche  Schlüsse,  die  man  für  Gottfried  mit  absoluter  Sicher- 
heit ziehen  dürfte,  muss  man  sich  beim  Türheimer,  einstweilen 
wenigstens,  wol  versagen  2. 

Noch  schwieriger  ist  es  bei  der  lückenhaftigkeit  und  Un- 
sicherheit des  gedruckten  materials  über  Ulrichs  technik  im 
Willehalm  ein  urteil  zu  gewinnen,  in  das  gebiet  des  wort- 
accents  fallen  reime  wie:  ungemache  :  mäche  Zs.  48,  419; 
Renneivart  :  wart,  s.  Zw.  s.  307  anm,;  Jöhän:  hän  Zs.  26,  173; 
Faufäserät  :  rät  Zs.  38,  61;  Thdkaläze  :  idze  Zs.  34,  35; 
Terramer  :  wilr,  s.  Zw.  aao. ;  privüeie  :  leie  Zs.  fdph.  13,  301; 
krMeriheit  :  Jie'it  ('hat')  Roth  Beitr.  München  1854,  s.  31; 
Ulrich  :  rieh  Lohmeyer  v.  806;  herzogen  :  zögen  Pfeiffer 
Übgsb.  s.  43;  Gamdleröt  :  rot  Germ.  16,  57;  Kyhhrge  :  hurge 
(conj.  prt.)  Zs.  26,  172;  Epheshs  :  süs  Zs.  34,  33.  —  ev.  missetät  : 
trinitdt  Zs.  34,  32. 

Zur  kategorie  des  satzaccents  gehören:  schiere  ergangen 'i; 
nü  riten  ivir  und  gangen  Busse  s.  31;  yehät  :  des  töufes  bat 
Zs.  34,  31;  des  me'res  wäge  :  in  wäge  Lohm.  v.  205;  gereht  : 
der  kristen  reht  Zs.  34,  32;  mere  dan  ein  eilen  :  truoc  groz 
eilen  Lohm.  v.  73;  le'it  :  hin  geleit  Pfeiffer  v.  816;  Wilhalm 
nach  Re'nnewarte  reit  :  vil  bereit  Zs.  fdph.  13,  298;  unz  ich 
mich  baz  berihte  :  herre,  gein  dem  gerihte  Busse  s.  32;  der 
äventiure  wirt  :  daz  im  daz  huoch  wider  wirt  Lohm.  v.  7  74 
(ebenso  Germ.  12,  69^;  weit  ir  nu  hoeren  moere  guot,  so  twinget 
herze  unde  muot  daz  sie  daz  gerne  hoeren  :  ich  wil  doch  schiere 
hfjßren  'aufhören'  Lohm.  v.  745  (ebenso  12,  68j.  —  viell.  auch 
hetalle  :  alle  Lohm.  v.  351. 

Fremde  unbetonte  endsilben  reimen :  Faufäserät  :  admirät 
Zs.  38,  63  u.  64. 

In  anderen  fällen  liegen  öfter  sichtlich  fehler  der  einzelnen 
hs8.  vor:    für  gesconet  (:   gesconet)  Zs.   34,   32    ist  mit  anderen 

*  vgl.  Kluge  Urgermanisch^  §  99. 

^  gehies  :  kies  (1.  liez)  574,  4  ist  druckfehler,  s.  schon  Busse.  — 
umbe-cdhen  :  en-pfähen  540,  15;  an  ge-oangen  :  en-phangen  514,  17 
sind  natürlich  keine  rührenden  reime. 

'  auf  den  gegensatz  von  schiere  und  'lebenslang'  kommt  es  im  Zu- 
sammenhang an. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    41 

fragmenten  gecronet  zu  lesen,    s.  Germ.  16,  56;   Zs.  38,    59.  

für    %vlsen    (:  gewisen)    Lohm.   v.  299    lesen    ompfn    grisen.   

für  hat  (:  hat)  Zs.  26,   172  bieten  andere  hss.  hegät,  s.  die  laa. 

—  St.  riten  (:  rtten)  Zs.  34,  34  fordert  der  grammatische  vier- 
reim, den  Ulrich  sosehr  liebt,  striten..  —  in  andern  fällen  ligt 
eine  besserung  nahe:  heherte  (:  herte)  Zs.  34,  34:  1.  verscherte? 

—  weit  ir  dem  rieh  entwichen  (:  entwichen)  Busse  s.  15  :  1. 
ges wichen.  —  daz  soltii  vil  strete  hän  ( :  gebeten  hän)  Roth  Beitr. 
s.  34  :  1.  län.  —  die  stelle  Zs.  34,  31  endlich,  wo  Ist  :  ist 
reimt,  versteh  ich  überhaupt  nichts 

Unter  diesen  umständen  muss  das  urteil  über  folgende  reime 
einstweilen  zurückhalten:  wi(se)ste  :  wiste,  worauf  viell.  die  hss. 
führen,  Lohm.  v.  5;  gewar  :  hewar  Zs.  26,  175;  gebiten  :  biten 
Zs.  34,  312;  mite  ('damit')  :  vermite  Pfeiffer  s.  44;  mit  gemache  : 
mache  (imper.)  das.  s.  42.  man  müste  die  ganze  Überlieferung 
kennen  um  zu  wissen,  wie  die  an  sich  wol  gesicherten  reime  im 
Satzzusammenhang  würken. 

Das  kurze  Cliesbruchstück    bietet  überhaupt  kein  beispiel. 

Für  Rudolfs  von  Ems  Bari,  und  gGerh.  hat  bereits 
Zwierzina  s.  294.  309  ^  constatiert,  dass  sie  keinen  rührenden 
reim  enthalten,  das  hängt  wol,  ähnlich  wie  bei  Konrad  v.  Würz- 
burg, mit  der  dem  latein,  nicht  dem  französischen,  zugewendeten 
bildung  des  dichters  zusammen,  aber  befremdliche  ausnahmen 
linden  sich:  wie  Zw.  selbst  anführt,  reimt  im  gGerh.  4 mal,  im 
Bari.  1  mal  geliche  :  -Hohe-,  und  im  !ersterem  werk  aufserdem 
5  mal  -liehe  :  -liehe,  diese  ausnahmen  würden  auch  für  meine 
theorie  Schwierigkeit  machen:  wenn  Rudolf  geliche  mit  -liehe 
paart,  warum  hat  er  nicht  auch  sonst  den  rührenden  reim  bei 
verschiedenem  wortaccent  zugelassen?  und  wenn  er  die  -Uche 
zusammenspannt,  warum  nicht  auch  sonst  minderbetonte  silben? 
diese  fragen  —  bei  Zwierzinas  theorie  könnte  man  Avider  andere 
auf  werfen  —  erledigen  sich,  wenn  man  die  betreffenden  reim- 
worte  betrachtet:  in  8  von  den  10  fällen  erscheint  geliche, 
lobeliche,  vrcel,  grcezl.,   als   das  eine  reimwort,  {m)innecliche,  ge- 

1  dagegen  cer-einet :  ge-reinet  Germ.  12,  70  ist  kein  rührender  reim. 

2  das  citat  'Trist.  329,  25'  bei  Zw.  s.  306  anm.  2  ist  wol  in  'Roth 
829,  25'  zu  ändern. 

^  vgl.  noch  seine  ausfiihrungen  Beitr.  28,  445  ff.     . 


42  VON  KEAUS 

waltecl,,  wirdecl,  wütmecl.,  stcetecl.  als  das  andere  K  Rudolf 
trennte  also  minne-diche  usw.,  weshalb  er  bindungen  auf  -Uche 
und  ge-liche  nicht  als  rührend  empfand.  WGrimms  theorie  be- 
steht somit  für  ihn  ebenso  zurecht  wie  für  KvWürzburg.  von 
den  zwei  erübrigenden  fällen  ist  der  eine  (gGerh.  1531)  leicht 
gebessert,  denn  jcemercUche  { :  vestecl.)  ist  eine  form  Junger  hss.,  1. 
also  jmmerliche.  —  für  den  letzten  (gGerh.  2209)  sind  freilich 
zu  viele  besserungsmöglichkeiten,  aber  werdecliche  behalten  würde 
mit  mehr  tact  dasselbe  ausdrücken  wie  das  überlieferte  güetliche 
(:  sicherltche). 

Im  Willehalm  finden  sich  nach  Hentrich  Beitr.  38,  274 
vier  'identische'  reime:  4  aber  sind  für  ein  so  umfangreiches 
werk  zu  wenig  —  oder  zu  viel,  ich  denke,  das  letztere,  zum 
einen,  8825,  wo  die  Donaueschinger  hs.  D,  die  Junk  zugrunde 
gelegt  hat,  anegienge  (:  zergienge)  list,  bemerkt  schon  Junk 
'besser  ane  vienge  W'.  und  wenn  es  auch  misslich  ist,  bei 
einem  so  reichüberlieferten  werk  zu  emendieren,  bevor  man  nicht 
receusiereu  konnte,  so  möcht  ich  doch  meinen,  dass  an  der 
zweiten  stelle,  6637,  für  {mit  herten  siegen  grozen  sltigent  si  an 
ander  hie  :)  da  Jener  den,  der  disen  hie  etwa  zu  lesen  ist  da 
jener  den,  hie  dise  die,  vgl.  1355  daz  dirre  dem,  jenen  die 
(:  sicherten  gevangen  hie),  wo  D  widerum  hie  :  hie  überliefert 2. 
—  auch  dsiss  Avents  mit  ritterschaft  (nicht  mit  ritters  krafV.) 
solle  in  herlicher  kraft  komen,  dürfte  in  hinblick  auf  719 f 
sicher  sein.  —  dann  verbleibt  noch  14907,  wo  schon  Junks  laa. 
zu  den  folgenden  versen  die  unsichere  Überlieferung  in  D  er- 
kennen lassen. 

Anderseits  finden  sich,  trotz  Hentrichs  gegenteiliger  be- 
hauptung  (aoo.  s.  274),  allerlei  rührende  reime  in  Junks  text. 
in  V.  367,  wo  dar  in  (:  under  in)  steht,  wird  wol  drin  zu 
schreiben  sein-*  oder  aber  da  hin*:  auf  jeden  fall  ist  die  Über- 
lieferung  D    zu    bessern.  —  Fierliün  :  Miliün  525.  665  könnte 

'  die  zahlen  bei  Zw.  s.  294  u.  3ö9. 

-  ebenso  D  3088  hie  :  hie  (st.  die);  überhaupt  schafft  D  aus  nach- 
lässigkeit  rührenden  reim,  so  2164.  2454.  4575  (die  la.  Junks  zu  4576  be- 
zieht sich  offenbar  auf  den  vorhergehenden  vers).  9430.   14625. 

^  vgl.  drin  ( .•  in)  9445,  was  dann  ebensowenig  ein  rührender  reim 
ist  wie  gGerh.  8589  dran  :  an,  Zw.  s.  294. 

*  vgl.  zb.  6745.  6803.  7781.  7871.  9021.  9107,  9221.  9287. 


DER  RÜHEENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    43 

als  romanischer  reim,  obendrein  in  einer  aufzählung,  hingehn; 
aber  M.  ist  nur  an  diesen  beiden  stellen  belegt  und  bei  F. 
schwanken  die  hss.  (s.  Junks  register).  —  2469  steht  unschuldic 
ivmre  im  reim  auf  daz  dühte  si  geivcere.  nur  die  Isoliertheit 
des  falls  macht  Verderbnis,  etwa  für  gebcere,  wahrscheinlich  i.  — 
12191  daz  er  der  liehen  iohier  sm  oder  sin  gemazze  muoste 
sin;  aber  auch  10  verse  vorher  steht  der  lieben  tohter  sin  u.  z. 
im  reim  auf  der  süezen  Mnegin.  viell.  ist  also  letzteres  ein- 
zusetzen, zumal  der  gast  mehr  geehrt  wird,  wenn  er  die  königin 
(st.  deren  tochter)  zum  tischnachbar  hat  2.  —  sonst  verbleiben 
nur^:  clagelichen  :  geliehen  (1.  riuwecltchen?)  4517;  herzecliche  : 
geliche  5023;  ein  merkwürdiges  beeren  'aufbahren'  :  clngehceren 
1529;  endlich  BUkkeren  :  keren  sowie  Türheumere  :  mcere  beide 
an  der  literarischen  stelle  f2193.  2257).  der  letztere  reim  mag 
die  neigung  Ulrichs  für  den  rührenden  reim  characterisieren ; 
ob  auch  der  erste  solche  bedeutung  hatte? 

Während  also  im  gGerh.  und  im  Bari,  der  rührende  reim 
gänzlich  fehlt,  im  Willeh.  nur  selten  erscheint,  hat  Rudolf  ihn 
im  Alexander  in  bewuster  nachahmung  Gottfrieds  meisterhaft 
angewendet:  in  den  proöraien  zum  dritten,  vierten  und  fünften 
buch,  es  wird  genügen,  die  überaus  kunstvollen  und  von  feinem 
gehör  zeugenden  verse  mit  einigen  Vortragszeichen  zu  versehen  ^ : 

Lanc  rede  in  tumber  siune  wis 

machet  den  tumben  selten  wis, 

kurz  rede  in  süezer  wise 

die  priset  ie  der  wise. 

mit  kurzen  sinnen  wisen 

länt  sich  die  wisen  wisen. 

die  tumben  dicke  wisent  {'icerden  weise) 

s6^  sie  die  wisen  wisent     8013; 

1  Rudolf  liebt  das  wort,  und  in  GTrist.  11387  heilst  es  daz  disiu 
suone  wcBre  gebcere,  wie  auch  bei  Rudolf  von  einer  suonschaft  die  rede 
ist  (2477);  vgl.  Parz.  713,  26  das  düht  mich  imgebcere. 

2  M  bricht  leider  14  858  ab. 

3  nicht  rührend:  Arjalten  :  alten  7705;  Es-tonje  :  Li-conje  12633; 
rlcheit  :  werdekeit  15483;  enpfle  :  ;/ecie  8533.  —  für  die  trennung  von 
d-  und  t-  in  Rudolfs  spräche  beweist  Adän  :  getan  2113;  für  vocalein- 
satz  nach  elision  wie  bei  Gottfried  umb  in  :  bin   12543. 

*  text  nach  Junk  Beitr.  29,  428  ff. 

*  so  (oder  da)  muss  für  Junks  da  gelesen  werden. 


44  VON  KRAUS 

die  einleitung  zum    1  buch  beginnt: 

Ez  waere  unlöbeba-re 
swer  lop  mit  lobe  b:i>re 
dem  der  alwiere 
an  hovesite  wäre; 
daz  wir  den  lobebilicu 
lop  mit  lobe  bicren, 
da/,  wicre  reht,  ez  solde  sin. 
swem  in  dem  gemüete  sin 
so  liep  und  also  msere 
da  sint  diu  selben  mire 
daz  si  im  wellent  mitren, 
dem  wil  ich  hie  mären 
wie  der  wise  d^gen  w^rt 
so  hohes  prises  wart  gewert 
daz  niemen  künde  werden 
gepriset  vor  dem  werden 
an  ritterlichem  prise, 
den  lop  ich  an  im  prise     12  923; 

endlich  in  der  einleitung  zum  5  buch: 

Xerxes  der  kiinec  riebe 
häte  ouch  diz  künecriche. 
der  mohte  in  al  den  jären  sin 
in  solhen  kreften  niht  gesin 
daz  er  in  so  kurzen  tagen 
möhte  in  solher  kraft  betagen 
swie  sich  der  höchgemüote 
ie  hohes  prises  müote, 
daz  er  so  gäch  und  säzehänt 
s6  manec  laut  mit  siner  hänt 
nie  betwingen  künde 
noch  mit  keinem  sinne  künde  ' 
als  Alexander  der  msere, 
des  Wisent  uns  diu  ma^re     15  639. 

Dagegen  fehlen  solche  reime  in  der  einleitung  zum  6  buch, 
die  dafür  in  anderer  weise  geziert  ist.  denn  an  begunst  ( :  gunst) 
20  580  vermag  ich  nicht  recht  zu  glauben,  da  Rudolf  sonst  mit 
grofser  kunst  immer  neue  reimwörter  für  seine  schwierigen  ge- 
binde  findet,  und  20  605  f  ist  wolmit  M  muote  st.  des  zweiten 
guote  zu  lesen:  vorher  war  gegangen  getuot  :  miiot  :  guoi  und 
nun    schliefst   der   dichter    mit    grammatischem   reim:    getet   ze 

'  dieser  und  der  folgende  vers  sind  verderbt,  s.  schon  Sievers  im 
nachtrag  zu  Juuks  proben  s.  469. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    45 

guote  :  mit  Kbe  und  ouch  mit  muote.  die  letzte  zeile  ist  in 
dieser  form  obendrein  eine  bei  Rudolf  beliebte  Wendung-,  s.  Wh. 
2308.  3291.  S649.  8719.  ist  dies  richtig,  dann  muss  auch 
20  619  mit  M  ivolde  :  solde  geschrieben  werden.  —  dagegen 
folgt  dann  im  Freidankcitat  wieder  ein  Vierzeiler  mit  wol- 
klingenden  rührenden  reimen  (20633): 

Gelücke  en welle  zuo  dem  man, 
so  hilfet  niht  swaz  er  kan; 
doch  dar  umbe  sol  eiu  man 
nach  saeldeu  werben  swä  er  kan*. 

Was  Junk  sonst  an  proben  mitteilt,  enthält  die  reime : 
Meleager  :  ger  s.  3S7  (zweimal);  Bessus  :  sus  s.  407  und  meister- 
lich :  sinne-clich  s.  424.  es  ist  zu  wenig,  um  über  die  Stellung, 
die  Rudolf  in  diesem  werk  gegenüber  dem  rührenden  reim  ein- 
nahm, zu  urteilen. 

Über  die  Verhältnisse  in  der  Weltchronik  war  ich  durch 
hrn.  dr.  Wegner  schon  orientiert  bevor  noch  seine  dissertation  ^ 
erschienen  war.  meine  angaben  im  folgenden  beruhen  auf  der 
von  ihm  angefertigten  liste  der  einschlägigen  reime,  für  die  ich 
ihm  auch  hier  verbindlichst  danke,  und  sind  jetzt  an  der  band 
von  Ehrismanns  ausgäbe,  der  mich  durch  seine  Vermittlung  jener 
liste  dankbar  verpflichtet  hat,  nachverglichen  worden. 

In  die  kategorie  des  wort accents  fallen:  deutsch  :  fremd: 
zieren  :  soUempnizieren^.  —  deutsch  :  deutsch:  wart  :  eivart; 
{he-)icarten  :  eicarten  4 mal;  las  :  Atlas  (?);  getan  :  ahge-,  under- 
tan  2 mal;  geliche  :  vorhtediche;  sin  :  glesin,  resin  2 mal;  ver- 
los :  sigelös^.  —  deutsch:  fremdnamen:  da  :  Ada,  Jüdä 
5 mal;  sä  :  Amäsä;  gar  :  Agar;  getan  :  Nätän  3 mal;  mceren  : 
Römceren;  e  :  Arcliijnoe,  Gelboe,  Jösue,  Manne,  Melchisue,  Noe 
29 mal;  gedieh  :  Adonisedech ;  verzech  :  Adonibezech]  bi  :  Lesb'i: 

*  ebenso  in  der  einleitung  zum  ersten  buch:  in  hat  manec  man 
genant  und  von  im  ücentiure  geseit  mit  lüge  und  ouch  mit  loür- 
heit,  der  doch  niht  rehte  hat  geseit  von  im  die  rehten  wdrheit 
(62  ff):  eine  genaue  innere  nachbildung  der  stelle  Trist.  131  ff,  wie  in  der 
Wehr,  (bei  Doberentz  Zs.  fdph.  13,  182  v.  625-30)  die  Tantris-Tristan- 
stelle  10615  ff  nachgeahmt  ist. 

2  Reimwörterbuch  zur  Wehr.  R.s  von  Ems,  Anklam  1914. 
^  die  citate  in  W.s  Reimwb. 

*  [Leitzmann  Beitr.  42,  506  will  oerkos.] 


'46  VON  KRAUS 

si  :  Chtist;  lit  :  Spoltt;  wUen  :  Leviten  (?)  2 mal;  Ion  :  Ah- 
salön,  Aschalön,  Babilon  4  mal;  löne  :  Äbsolone  2  mal;  gebot  : 
Assihöt  3  mal;  lant  :  Melant;  des  :  Cyclades,  paludes  2 mal; 
im  :  Cänaim,  Chusan  rasathaim,  Ephraim,  Manaim,  Mesraim, 
Monaim,  Tubalcaim  24man;  in:  Gäin^;  doch  :  Sadoch;  alsus  : 
Creausiis,  Ebosus  2 mal. —  name  :  name:  Gog  :  Mägog;  Dan  : 
Jordan,  2 mal;  Ner  :  Abner. 

Demgegenüber  stehen  nur  wenige  fälle,  wo  auch  das 
deutsche  wort  nebenton  hat;  und  stets  ist  dieser  zweite  com- 
positionsteil  von  durchsichtiger  bedeutung,  sodass  er  wol  stärker 
betont  war  als  der  zweite  teil  des  fremden  namens:  lantmarke 
:  Tenemarke^;  dannoch  :  Enoch;  undertän  :  Jectän]  unrät  : 
Märät\  nachgebür  ;  Terre  de  labür*. 

Dagegen  paart  R.  fremde  namen  untereinander  ohne  jede 
scheu  in  rührenden  reimen:  so  Eldap  :  Medap,  Manasses  : 
Moyses,  Bodos  :  Tenedos  usw.,  im  ganzen  nicht  weniger  als 
45  mal  5.  —  selten  aber  sind  romanische  bindungen  solcher  art: 
armonte  :  decamonie  und  aromatieren  :  condimentieren  sind  die 
einzigen  beispiele. 

In  andern  fällen  ist  der  anlaut  der  reimenden  silben  ver- 
schieden: Acri-seus  :  Eurich-teus,  Ama-theus  :  Ar-cheus  usw.  zu 
dieser  gruppe  gehören  14  beispiele  6.  auch  A-chayä  :  Archd- 
diä  2504  (=  Doberentz  v.  1057)  wird  hierher  zu  stellen  sein; 
viell,  auch  A-läniä  :  Däniä  2216  (=  v.  913)  und  Ce-rethi  : 
Phe-letU  28  337. 

'  hieher  wol  auch  suozim:  Abram,  Effr.,  Mesr.,  Monaim  7  mal. 

*  zuozin  :  Cain. 

^  bei  Tenemarke  dachte  Rudolf  wol  ebensowenig  an  den  Zusammen- 
hang mit  marke  wie  wir. 

*  der  einzige  reim  zweier  -liehe  {m.innencliche  :  caterl.  8282)  be- 
stätigt die  regel  s.  42,  zeigt  freilich  in  seiner  Isoliertheit  zugleich,  dass 
Rudolf  seit  den  tagen  des  gGerhard  die  billige  bindung  misachten  ge- 
lernt hatte. 

*  die  belebe  bei  Wegner  unter  den  reimendungen  ap,  es,  or,  os,  us, 
ä  (!),  eck,  el  (!),  em,  6n  (!),  et{e),  6t.  —  nicht  mitgezält  sind  Aonie  : 
Macedonie  2494,  wo  Doberentz  Zs.  fdph.  13,  190  v.  1047  A-6nje  :  Mace- 
dönje  schreibt;  ferner  Gahgunnie  :  Waschunnie  2692,  s.  aao.  s.  195, 
V.  1245  Was-kunje  ;  Gah-gunje;  endlich  Norgaleis  :  Waleis  2708  (= 
8.  195,  V.  1261)  und  26655. 

^  unter  ;  us  (!),  es,  ir,  os. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    47 

Recht  häuäg  für  Rudolfs  sonstige  technik  sind  fälle,  wo 
der  vvortaccent  zweier  deutscher  Wörter  der  gleiche  ist.  manche 
finden  in  der  Verschiedenheit  des  satzaccents  ihre  begründung, 
so  die  fälle  wo,  nach  bekannten  mustern,  sä{zehant)  mit  dem 
subst.  Jiant  gereimt  wird  (5 mal),  auch  sonst  finden  sich  hier 
allerlei  bekannte  paare  wieder,  so  wärt  :  bewdrt;  teert  :  ge- 
wert 5110.  6228;  wls  :  gewis;  löten  :  verboten,  ganz  gut 
klingt  es  auch,  wenn  der  dichter  sagt:  nu  wil  ich  värn  ze  dem 
künege  unde  wil  ervtirn;  oder  wenn  er  das  particip  ö'e/aw,  das 
vor  7  Versen  schon  gebraucht  war,  mit  einem  starkaccentuierten 
ez  ivart  getan  bindet,  oder  auxiliares  ivcere  mit  iccere  'existierte'; 
oder  parenthetisches  danket  mich  mit  über  mich,  deutlich  ist 
auch  die   absieht  an  folgenden  beiden  stellen: 

(laz  man  an  dem  snite 

sneit  in  also  vollem  snite 

als  diu  eher  garben  wieren  gar     7462  ' 

des  strengen  rehtes  slreugez  leben 

wart  in  do  in  der  e  gegeben, 

wan  nieman  niht  wan  slehtez  reht 

mit  schulden  vant:  mit  rehte  reht, 

ouge  umbe  ouge,  zan  umb  zan     12  886. 

Aber  in  andern  fällen  schafft  auch  der  satzaccent  keine 
abwechslung.  bisweilen  ist  künstlerische  absieht  deutlich,  wie 
Rudolf  die  Tantris- Tristan -stelle  nachgeahmt  hat  (s.  o.  s.  45, 
anm.  1),  so  an  anderem  orte  den  berühmten  'unerlaubten'  reim 
im  Iwein  (s.  o.  s.  10  f); 

suoch  ieman  dich,  der  suoch  ouch  mich, 
swer  dich  jaget,  der  jage  ouch  mich     24855; 

und  ähnlich  mit  rhetorischer  absieht: 

din  geschütze  und  dinen  bogen 
geburge  du  ze  strite  nie. 
din  schilt  geweich  ze  fliihte  nie 
noch  wart  nie  .  .  .     26921. 

ebenso  soll  der  reim  ins  ohr  fallen  in  den  (akrostichischen) 
Zeilen  8798  ff,  wo  wärheit  dreimal  auf  geseit,  einmal  auf  sich 
selbst  reimt. 

Bei  anderen  bindungen  scheint  eine  rein  äulserliche  nach- 
ahmung  vorzuliegen,  indem  Rudolf  den  reim  übernahm,  aber 
nicht  die  Verschiedenheit  des  satzaccents,  die  ihn  beim  Vorgänger 

'  [Leitzmann  Beitr.  42,  506  will  vollem  site.] 


-4&  VON  KRAUS 

rechtfertigte,  so  beurteile  ich:  Inrgen  :  verbergen  16  566;  wert: 
gewert  31467;  f- (adv.)  :  e  (subst.)  565.  32  727;  dich  :  dich  26  003; 
wise  (adj.)  :  ivise  (adv.)  32  999;  (/e^MSit  :  vertust  13  332;  auch 
menscheit  :  lunlerscheit  79  (s,  Parz.  520,  1).  —  nach  solcheu 
misverstandenen  Vorbildern  erlaubte  sich  der  dichter  dann  wol 
auch  selbständige  reime  wie  tjehahen  :  enthüben  32  779;  vieren 
'stolzen'  :  vieren  'vier'  23  337  (und  danach  wol  auch  4160  nach 
P  gegen  Z);  wesen  igeivesen  10840;  körn  :  erkorn  18  530; 
erivant  :  geivant  28  455;  üz  komen  :  für  komen  9312.  —  in 
minderbetonter  Stellung:  was  :  ivas  27  547;  abläzes  :  niderläzes 
15  418;  crhermekeit  :  stcetekeit  28)51;  ordenunge  :  sarnenunge 
13  200.  den  einen  oder  andern  wird  eine  kritische  ausgäbe 
vielleicht  beseitigen  i,  im  ganzen  aber  sind  sie  eines  der  vielen 
zeichen  erlahmender  kraft  in  diesem  werke. 

Die  fortsetzung  unterscheidet  sich  von  dem  original  in 
ihrer  technik  in  keiner  weise,  nach  dem  wortaccent  sind  ab- 
gestuft (alle  belege  wider  nach  Wegners  freundlicher  mitteilungj: 
sage  :  wissage  3 mal;  rtcJie  :  überriche;  verlos  :  sigelds;  mit 
namen:  Jeroboam  :  Boboani?;  da  :  Judä,  Gäradä  6 mal;  nä  : 
Piscina;  sine  :  Sarrassine  (falls  nicht  Sarrazme).  —  auch  der 
satzaccent  wird  geschickt  benutzt,  nicht  nur  in  den  vier  paaren 
zehant  :  hant,  sondern  auch  sonst:  G(jtes  berc  :  gebe'rc;  swdnger 
werden  :  niht  enticerden;  e  :  e;  vdr  gereite  :  bereite;  als  wir 
hän  vernomen  (parenthetisch)  :  genömen.  —  wert  :  gewert  ist 
unverstandene  tradition.  —  zwei  andere  'verstöfse'  sind  absieht : 

ez  lac  ein  stat  in  Israhel 

dem  riebe,  diu  hiez  Israhel  35097; 

siniu  ougen  er  dO  stiez 

dem  kinde  an  sin  ougelin; 

\\i  des  kindes  mundelin 

muoste  des  wissageu  munt; 

sin  hende  lägen  an  der  stunt 

üf  des  kindes  hendelin     36252. 

'  wie  auch  schon  Ehrismanns  text  dank  der  heranziehung  anderer 
hss.  den  dichter  öfter  von  fehlem  freispricht,  so  bietet  Z  2188  umbecanc  : 
(inecanc,  bei  Doberentz  v.  885  steht  das  richtige  umbeganc.  auch  hin  : 
hin  3000  wird  durch  Doberentz  text  v.  1547  berichtigt:  1.  Idn  :  in.  — 
andere  stellen  wo  Z  den  rührenden  reim  gegen  anderweitige  Überlieferung 
bringt,  sind  nach  Wegners  liste:  7660.  12096.  12184.  12746.  16524.  19270. 
21380.  23601.  23813.  24099.  25819.  26081.  32067.  —  das  umgekehrte 
Verhältnis  nur  17  266.  29  883. 


DER  RÜHRENDE  EEIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    40 

g-egentiber   den   fremden   namen  ist  der  fortsetzer  unempfindlich, 
s.  die  6  fälle  in  Wegners  Reimwb.  s.   122  ff  unter  -as,  -ä,  -eJK 
Im   Lob    der  rheinischen    Städte   findet   sich    nur:    la- 
tviiä  :  Argenthi.a  2312  und  ijstoriä  :  Moguntiä  2356. 

Konrad  von  Würz  bürg,  der  den  rührenden  reim  über- 
haupt nicht  liebt,  bewegt  sich  in  den  guten,  hergebrachten  bahner. 
in  seinen  erzählenden  werken  finden  sich  folgende  durch  den  wort- 
accent  gerechtfertigte  bindungen  deutscher  •W()rter  und  namen 
untereinander 2;  habe  :  urhabe  Part,  2497;  tagest  :  siech-,  lebe- 
tagen  Engelh.  5365;  Trojkr.  3881;  laut  :  välant  Part.  6903; 
hedäht  :  andäht  Engelh.  5821;  ?were  :  spericcere  Trojkr.  43; 
betcmreii  :  spenvceren  Engelh.  3935;  hein  :  rehein  Part.  2729. 
2847;  din  :  friundtn  9097;  sm  :  zipressln  Trojkr.  J7  545;  zit  : 
hdchgezlt  1647;  wiz  \  itewk  F&rt.  15  185.  15  507;  Trojkr.  5625. 
30  023;  tvize  :  itetotze  KI.  11,  2.  6;  noch  :  dnnnoch  Silv.  3485; 
[ziiht  :  unzuht  4705]  3.  —  dazu  von  namen:  rät  :  Kuonrät 
Welt  lohn  263;  Alex.  1405;  gSchm.  8S9^;  ringen  :  Düringen 
Turn.  473;  trüt  :  EngeUrfit  Engelh.  1753.  —  ein  reimwort  ist 
fremder  herkunft:  lachen  :  scharlachen  Trojkr.  26  367;  ge- 
saut :  inisant  Part.  18  399;  Trojkr.  27  539.  38  561;  las  :  palas 
Part.  2673;  shi  :  kiissm  'kissen'  Schwr.  123.  —  ein  fremder 
name:  uam  :  Esionam  Trojkr.  37131;  des  :  Licomides  Trojkr. 
15265  und  ab  27  151  noch  5mal;  :  Dolamules  25767;  :  Dwmedes 
26  643.  26  889.  39  695.  39  745;  :  CanZes  30  127.  32  659;  :  Palo- 
inldcs  ab  30  671,  im  ganzen  5 mal;  s7n  :  Eufrosin  Pant.  137; 
:  Pulsin  Part.  3811.  4393.  991 5  5;  gedon  :  Lämedon  Trojkr. 
7177;  tor  :  Hector  13287;  ros  :  Scgros,  Tfjros  14047.  27371. 
Ion  :  Ag{g)alön  25  509.  25  589.  36  039;  schonwe  :  Anschomce 
Part.  4005;  alsus  :   Cupesiis  Trojkr.  31819. 

1  ge/iche  :  wrne-cltche  sowie  rloh-l.  :  minnen-el.  stimmen  zu 
Rudolfs  regel. 

2  anordnung  nach  den  reimvocalen. 

^  dass  unzuht  den  ictus  im  vers  auf  der  zweiten  silbe  hat,  würde 
nichts  ausmachen,  s.  o.  s.  29,  aber  es  ist  sicherlich  iluht  zu  lesen, 
Schröder  Gott.  gel.  nachr.   1912,  19. 

*  her  :  Walther  Part.  20167  empfand  der  dichter  sicherlich  nicht 
las  rührenden  reim. 

■>  aber  wol  Ri-tschiere  :  schiere  Engelh.  2417.  4497. 

Z.  F.  D.  A.  LVI.     N.  F.  XLIV.  4 


5^  VON  KRAUS 

Die  beobachtnng-  WGrirams,  dass  Konrad  -liehe  nur  mit 
-ecliche  bindet,  hat  auch  Zwierzina  s.  309  anerkannt',  die 
danach  anzunehmende  Silbentrennung  -dich  wird  erwiesen  durch 
den  refrain  des  liedes  1,  18  f.  3 5  f.  53  f:  sendes  herzen  sinne 
minne-cluhen  tiiot. 

Ebensowenig  waren  die  reime  von  -heit  :  -keit  für  Konrad 
rührend  (Grimm  s.  151;  Zwierzina  s,  304),  während  er  -hcit 
in  sich  nur  dinmal  bindet  und  dabei  die  Stammsilben  mitreimeu 
lässt  {klärheit  :  icäiheit  Trojkr.  21091;  vgl.  dazu  die  analogen 
fälle  auf  -lieh  am  schluss  der  anm.  1  unten),  paart  er  -helf  mit 
-keit  nicht  weniger  als  33 mal-. 

1  die  belege  sind:  eru/est-lich  :  minne-dich  Herzm.  G9;  Idäge-lich  : 
ininne-clich  (Lcuiinujlich  druck)  Engelh.  2327 ;  fjüet-lich  :  minne-clich 
gSchm.  5S9;  lüter-lich  :  lounne-clich  Lied.  1,  49.  52;  lobe-lich  :  wünne-cUch 
Part.  17165;  ri-Uche  :  minne-cUche  Engelh.  1619  (doch  s.  Gereke  zur 
stelle);  lüter-lichen  :  tüsentvalte-clichen  gSchm.  361.  —  ein  fehler  der 
Überlieferung  muss  trotz  PBBeitr.  37,  226  f  Eugelh.  1215  (ane-lich  :  müge- 
lich)  vorliegen:  auch  mit  Haupts  besserung  ist  dem  sinn  nicht  genügend 
aufgeholfen;  ebensowenig  befriedigt  im  Zusammenhang  tounnecUch  (:  un- 
yesihtecl.)  Trojkr.  9925.  —  als  reimwörter  auf  geliche  und  liehe  (subst.) 
erscheinen  allerdings  auch  meist  adjectiva  auf  -eclich,  so  liehe  (subst.)  : 
vllze-eliche  Silv.  249;  yeliche  (adv.)  :inne-cl.,  sneüe-el.,  minne-cl.  Engelh. 
987.  2699;  Part.  7075;  geliehen  (verb.)  :  künne-cl.  (adj.)  Silv.  4209.  hier 
ist  aber  der  verschiedene  wortaccent  mas.«gebend;  das  beweist  —  deut- 
licher noch  als  die  bindung  geliche  (verb.):  sicher- liehe  Kl.  7,  2.  8  — 
der  umstand  dass  Konrad  in  seinem  6  liede,  v.  11.  12.  19  bindet  ieJi 
geliche  :  sieher-liche,  lounne-cliche;  das  erste  und  zweite  reimwort  sind 
also  rührend,  aber  durch  den  accent  geschieden,  das  dritte  ist  überhaupt 
nicht  rührend,  weil  es  mit  kl-,  anlautet.  —  ebensowenig  sind  rührend  die 
fälle  wo  die  Stammsilbe  mitreimt:  dieplich  :  lieplich  (metrisch  =  rösen 
:  lösen,  wünne  :  hünne)  Lied.  20,  16.  18  und  allertägelieh  :  IdägeUch 
Part.  9647. 

2  es  reimen:  gotheit,  gesunth.,  pfafh.,  kldrh.,  loärh.,  tumph.,  w'ish. 
tnageth.,  trügeh.,  sageh.,  hristenh.,  Bescheidenh. ,  sicherh.  auf  manic- 
valtikeit,  girek.,  irrek.,  grimmek.,  wider laertiki.,  süezek.,  scelik.,  Gerehtik., 
ErbarmherseL.,  bitter/,.,  drloalteh.,  edelk.,  sta4ih.,  werdek.,  gesellek. 
Silv.  43.  493.  750.  1228.  1560.  2044.  2817;  Kl.  9,  1.  5;  25,  1.  5;  27,  2.  8; 
gSchm.  1145.  1991;  Part.  7225.  8329.  8465;  Scliwr.  437;  Trojkr.  2153. 
4279.  8435.  10877.  17103.  18187.  18723;  ferner  rielieit,  siech  ,  smäch.  : 
(an)ieirdekeit,  scele/,.,  ü^setsik.  (nicht  -cheit  wie  Grimm  im  Silv.  schreibt) 
Silv.  922;  Engelh.  5613.  5847;  Trojkr.  26939.  28411 ;  menscheit,  jüdisch., 
häbesch.  :  stcetekeit,  fremdek.,  werdek.  Silv.  4373;  gSchni.  1717;  Lied. 
23,    14.    17.    —    das   mit    blac   zusammengesetzte   abstractum  endlich  geht 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    5  t 

Auch  die  unter  den  satzaccent  fallenden  beispiele  bewegen 
sich  in  ausgefahrenen  geleisen  und  haben  in  ihrer  öfteren  wider- 
holung  bei  Konrad  etwas  versteinertes:  fast  für  jeden  einzelfall 
kann  man  die  Vorbilder,  meist  bei  Gottfried,  nachweisen,  so 
gleich  für  paare  wie: 

daz  der  beniimen  w^re 

ein  lebender  got  gewa-re     Silc.  2286  •; 

daz  ein  got  die  namen  dri 

beh'ben  und  ie  wseren. 

8ol  ich  daz  bewieren     das.  29  24  ■^; 

Sit  daz  du  wilt  bewjcren 

daz  bi  ein  ander  wseren 

diu  menscheit     und  der  wäre  got     das.  4111; 

ich  lieze  e  mich  zersniden, 

ob  min  eht  tüsent  w;eren, 

e  ich  dir  bewieren 

so  groze  untriuwe  solte     Engelh.  6059  ; 

(si  bat  .  .  .)  genäde  an  ir  bewseren 

Sit  si  gevällen  wicren 

in  kumber  durch  den  willen  sin     Part.  20  767 ; 

(diu  cleider  .  .  .)  und  allez  sin  gewänt. 

vor  leide  er  sine  höude  want     Silo.   1962; 

daz  ir  disputieren  weit, 

so  werden  zwelve  uz  iu  geweit     das.  2803; 

daz  si  der  künec  Priant 

ruocht  eines  vrides  du  gewern, 

der  under  in  dö  u.öhte  wern 

dri  mänöt  gar  mit  stKtekeit     Trojkr.  37  776  ; 

daz  du  geselleschefte  mich 

so  lüterliche  hast  gewert,    ■ 

wand  ich  enwart  des  nie  so  wert     Engelh.  1401 ; 

natürlich  nicht  mit  den  auf  -ec  auslautenden  bildungen,  sondern  mit  den 
einsilbigen  wie  tump-heit  usw.  (s.  zur  erklärung  Wilmauns  DGr.  II  384,  2). 
daher  reimt  Konrad  unwerdi-keit,  cremde-keit  mit  blüc-heit  Trojkr.  8725. 
27717.  so  haben  die  mittelhochdeutschen  dichter  wol  auch  wie  wir  arc- 
heit,  karc-h.,  kluoc-h.,  kranc-h.  (nhd.  'feig-heit')  gesprochen,  vgl.  under- 
srheit  :  mennesch-heit  bei  Wolfram  und  RvEms. 

»  vgl.  Trist.  8389.  12  331.  —  dagegen  ist  Part.  494,  Silv.  44S9  des 
Sinnes  wegen  gebcere  zu  lesen,  Gereke  PBBeitr.  3S,  494.  506.  526. 

2  dieses  beispiel  ist  rein  äufserlich,  denn  auch  auf  waren  ligt  — 
wegen  des  gegensatzes  zu  beliben  —  ein  stärkerer  nachd ruck;  die  späteren 
sind  ein  fortschritt.  aber  Gottfrieds  wärbeeren  darf  man  angesichts  der 
von  Schröder  erwiesenen  vortrefflichkeit  der  hs.  und  mit  rücksicht  auf  die 
parallelen  nicht  einsetzen. 


52  VON  KRAUS 

So  manec  richer  küiiec  wert, 

daz  etesltcher  iuch  gewert 

justierens  daz  ir  süochent     Trojhr.  26  905  ' ; 

ähnlich  under  ivegen  :  gewegen  Silv.  2188;  iris  'sapiens'  :  in 
Spottes  wis  Part.  15  765  (vgl.  Trist.  10  455  u.  ö.);  in  adv.  :  in 
•eum'  proklit.  17  619  (s.  Gottfried);  gewalt  :  malt  19  366;  Kl. 
1,  1.  7  (wie  auch  schon  bei  Hartmann);  gunde  :  begunde  (recht 
unbefriedigend!)'-^  Schwr.  1081;  hant  :  zehant  Trojkr,  34857. 
39  657  (s.  Trist.  2933);  iva^i  ir  mins  herzen  frömve  sU  :  ach 
got,  waz  hän  ich  iemer  sU  getrüret,  sU  ich  kam  da  her 
21261. 

Eine  anzahl  von  reimen,  die  in  keine  der  beiden  kategorieen 
passen  wollen,  erweist  sich  als  fehlerhaft  überliefert,  so  ist 
Part.  6736  für  soll  ich  ir  werden  lip  besehen  sicherlich  be- 
spehen  zu  schreiben 3.  ■ —  «yj  Part.  8401  kann  nicht  richtig 
sein,  weil  die  nächste  zeile  erzählt,  dass  juncfrouwen  unde 
schceniu  ivlp  herbeikamen:  1.  lip.  —  das.  20  031  ist  das  zweite 
nider  durch  ivider  zu  ersetzen.  —  das.  20  559  muss  für  ze- 
hr ach  (:  brach)  zestach  gelesen  werden:  das  vorangelinde  ouch 
weist  auf  stechen  20  556  zurück.  —  Trojkr.  20  925  ist  ir  (hmif) 
mit  e  durch  vnr  {h(2ii)  zu  ersetzen. 

Hat  Konrad  je  reime  nach  romanischer  art  gebraucht? 
ich  glaube,  nein,  die  fälle  die  man  so  deuten  könnte,  sind 
nämlich  im  Verhältnis  zu  den  zahlreichen  möglichkeiten  so  selten, 
dass  man  an  ein  bewustes  meiden  denken  muss^,  was  ja  auch 
im  einklang  mit  dem  bildungsgang  des  dichters  steht,  der  erst 
über  der  arbeit  am  Partenopier  französisch  lernte,  ich  möchte 
daher  im  Silvester  lautlich  interpretieren:  J6-as  :  Godoli-(j)as 
2749    und    <m  :  Bono-{j)im   2757.    3707  5.  —   im  Trojkr.  reimt 

»  vgl.  Er.  2180.  3778  usw. 

^  es  steckt  wol  {ty)etbunde  dahinter,  s.  zb.  Engelh.  69;  Lied.  23,  44. 

»  s.  zb.  sehen  :  spehen  "Welt  lohn  149;  Ütte  359;  Part.  7275.  21479; 
Trojkr.  1323.  4807.  9209  (!).  17089.  17  905  usw.;  Turn.  595  f. 

^  reime  wie  Süces-trum  :  Thymote-um  Silv.  293;  Felicissi-mum  : 
Dyonisi-um  766;  Hermölc-us  :  Hermip-pus  Part.  1889;  Sy-rte  :  Arme-nie 
Part.  13  359  u.  ä.  sind  natürlich  anders  zu  beurteilen. 

^  Jonas  und  Benjamin  lauten  die  namen  in  der  Kehr.,  der  Leg. 
aurea  und  im  Passional;  aber  die  formen  der  Trierer  hs.  sind  durch  die 
quelle  gedeckt,  s.  Prochnow,  Mhd.  Silvesterlegenden,  diss.  Marburg  19()1, 
s.  22. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    53 

Sin-filiens  :  Qidn-Uliens  30 381,  also  nicht  rührend;  und  ju- 
stiure  :  även-tiiire  36  255.  —  bei  3  weiteren  fällen  kann  es 
kein  zufall  sein,  dass  die  vorhergehnde  senkungssilbe  mitreimt : 
Ämfi-leiis  :  The-seus  30617.  35207;  Ägri-monls  :  Li-froms 
36  977.  somit  verbleibt  nur  Part.  15  471,  wo  Barbe-rie  (:  Si- 
ne) viell.  durch  Ärme-nU  (hs.  warharie)  zu  ersetzen  ist,  vgl. 
13359. 

Für  Konrads  ausspräche  lässt  sich  allerlei  entnehmen,  er 
trennte  die  präfixe  etymologisch  richtig  ab  und  sagte:  ant-werc 
(:  ge-twerc)  Lied.  1,  192.  196;  ent-sagen  (:  ver-zagen)  Part. 
5981;  vol-euden  (:  lenden)  gSchm.  567;  er-oeset  (:  ge-roeset) 
Lied.  10,  8.  9;  anderseits:  en-tweln  'zögern'  (:  wein)  Trojkr. 
12  655;  en- trennet  'zerrissen'  (:  ge- rennet)  Part.  15263.  auch 
en-tr innen  'weglaufen'  wird  so  erwiesen,  denn  en-iran  reimt  auf 
zer-ran  Lied.  23,  51.  58*.  —  en-j) fangen  :  an  gevangen  Trojkr. 
253  (und  wol  öfter)  gilt  ebensowenig  als  rührender  reim  wie  bei 
Wolfram  oder  Rudolf  vEms  2.  Verhärtung  des  b  durch  das  vor- 
hergehende t  (ähnl.  wie  in  enkegen)  vermute  ich  für  enprunnen 
'entbrannt'  :  brimnen  'fontem'  Trojkr.  22122.  —  für  dehein 
(:  kein)  Engelh.  1541  ist  wol  dekein  zu  setzen.  —  Konrad 
sprach  al-rerst  (:  zeni  erst)  und  efe-,  ander -sioar  (:  ivar)  Alex. 
621;  Part.  1937  3.  —  ze  verschmilzt  mit  folgendem  e:  offen- 
liche  ze,    ne'men  ze  (:  e),    beim  Vortrag  wurde    also   in   solchen 

'  die  Suffixe  hat  dagegen  auch  Konrad  nicht  uacli  ihrer  etymologie 
abgetrennt,  sonst  bekäme  man  eine  grofse  anzahl  rührender  reime,  vgl. 
zb.  kerkcere  :  rihUere  SLIt.  391  (Zwierzina  s.  305),  aber  auch  rihttere  : 
martenere  2S9;  inne  '.  küneginne,  mergotinne  Part.  10  773  u.  ö.;  Trojkr. 
14  013.  14  049 ;  wirtinne  '.  küneg.  Trojkr.  1029 ;  cespene  :  massenle 
Part.  18  507  u.  ö.;  karfunkelln,  :  kupheria  8291  u.  ä.  ö, ;  ineisterln  : 
künegtn  Trojkr.  1977  ;  marterunge  :  samenunge  udgl.  Silv.  53.  613. 
1654.  3291 ;  Trojkr.  1419  u.  o.  bis  40  247  (aber  nie  ein  ma/te-runge  : 
tempe-runge  :  bezse-runge);  ßgilre  :  natilre  Trojkr.  5675. 

*  natürlich  auch  nicht  erbarmen  :  armen  Alex.  811.  1245;  Schwr. 
1229  u.  ö. 

^  an  sich  könnte  man  hier  rührenden  reim  wegen  des  verschiedeneu 
wortaccents  annehmen:  aber  dann  wären  das  in  beiden  gedichten  die 
einzigen  fälle  solches  reims,  und  der  Alex,  überdies  das  einzige  gedieht, 
wo  neben  Kuonrät  :  rät  noch  ein  anderer  rührender  reim  vorkommt, 
s.  u.  s.  55,  auch  spricht  das  verhalten  anderer  dichter  für  die  ange- 
nommene Silbentrennung,  s.  o.  s.  4  anm.   1. 


54  VON  KRAUS 

fällen  elidiert,  uicbt  verschleift  (Part.  7007.  10  199)».  —  die 
Scheidung  von  germ.  d-  und  p-  erweisen  bindnngen  wie  tage  : 
verdage  Engelh.  2113;  tan  'wald"  :  dan  Trojkr.  11739;  tonne  : 
danne  16  359;  yeturst  'wagemut'  :  dnnf  16  575.  —  ir  sult 
(nicht  schult)  wird  durch  den  reim  auf  schult  (Otle  113)  ge- 
sichert, und  sj'nküpiertes  dran  nicht  nur  durch  das  metrnni^, 
sondern  auch  durch  den  reim  auf  an  Turn.  6S3. 

Eine  besondere  stelle  nimmt  das  lied  13  ein.  in  dem  neben 
grammatischen  reimen  regelmäfsig  rührende  verwendet  werden 
(Zw.  s.  29S ;  Wode,  Anordnung  u.  Zeitfolge  der  lieder,  diss. 
Marburg  1902,  s.  22  f);  da  sie  ins  ohr  fallen  sollen,  so 
werden  gleichstark  accentuierte  Wörter  verwendet,  da  aber  die 
mehrfache  Setzung  desselben  wertes  kein  kunststück  wäre,  so 
sind  die  bedeutungeu  und  functionen  stets  verschieden :  linde 
(snbst.  und  adj.),  bar  (verb.  und  adj.),  (ivinter)leit  (subst.,  prt. 
von  liden,  prs.  von  legen) -^  dicke  (^oft'  und  'dick');  heil  (adj. 
und  subst.);  icert  ('durat',  'praebet',  'dignus');  schöne  fadv.  und 
imp.);  rät  ('consilium',  'opes');  gewant  (ptc,  subst.,  prt.).  hier 
ist  also  in  der  tat.  um  mit  Hildebrand  zu  sprechen,  "die  Un- 
gleichheit aus  dem  bereiche  des  klanges  in  den  des  gedankens 
versetzt',  und  hier  gilt  also  uneingeschränkt  WGrimms  rege], 
dass  der  rührende  reim  bei  Verschiedenheit  der  bedeutung  "er- 
laubt' (besser:  in  ausnahmsfällen  als  besonderes  kunststück  müh- 
sam errungen)  sei.  Konrad  hat  damit  nachfolge  gefunden  (so 
gleich  in  den  beiden  unechten  liedern  am  Schlüsse  von  Bartsch' 
ausgäbe  des  Part.  s.  401  f,  freilich  nicht  so  witzig  wie  in  dem 
alten  liede^},  s.  Grimms  abhandlung  und  unfen  s.  76  n.  2.  —  dass 
aber  Konrad,  dessen  lyrische  technik  bekanntlich  in  der  ab- 
wechslung  und  fülle  der  reimwörter  den  gipfel  des  virtuosen- 
tnms  darstellt,  sich  in  anderen  liedern  vereinzelte  rührende 
reime  gestattet  habe,  kann  ich  nicht  glauben,  gleich  zwei  solche 
finden  sich  im  14  lied;  aber  guot  24  (:  guot  15)  zeigt  mit  seinen 
nachbarversen  denselben  reimausgang  wie  die  erste  und  fünfte 
zeile  der  Strophe,  während  in  den  beiden  andern  Strophen  an 
entsprechender  stelle   ein  neuer  ausgang  erscheint;   somit  ist  23 

'  anders  als  bei  Gottfried  s.  o.    s.  28    n.  3. 
-  s.  Gereke  PBBeitr.  37,  239;  3S,  510. 

^  denn  leit  ist  zweimal  =  'dolores'  401,  19;  4U2,  "23  und  scheiden 
401,   12  und  14  stehn  sich  doch  recht  nahe  ^beides  infinitive). 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    55 

bis  25  jüngere  ergänzung  einer  lücke.  —  dass  in  der  ersten 
Strophe  desselben  liedes  gesungen  7  (:  sungen  3)  verschrieben 
ist,  leint  der  sinn,  denn  die  Vögel,  die  doch  eben  angefangen 
zu  singen,  können  nicht  schon  gnnoc  gesungen  haben,  und  am 
allerwenigsten  für  den  liebenden  der  im  Schlummer  ligt,  s.  er 
wache  8.  es  wird  wol  gelungen  zu  schreiben  sein.  —  ebenso- 
wenig gibt  streit  in  dem  liede  23,  19  '(:  erstreit  5)  ganz  be- 
friedigenden sinn:  )can  si  neit  rife  durch  die  icerdekeit,  daz 
man  in  vernieit,  unde  maniger  streit  nach  ir  hluomen 
wunneclich  gevar.  denn  der  gegensatz  zu  vermiden  ist  nicht 
striten;  1.  also  schreit  'ging'  {(screit). 

Für  die  relative  Chronologie  der  werke  lässt  sich  aus  dem 
verhalten  zum  rührenden  reim  kaum  etwas  schliefsen,  teils 
wegen  des  geringen  umfangs  mehrerer  gedichte  uzw.  gerade 
der  deren  reihung  von  Schröder  Gott.  gel.  nachr.  1911,  s.  3 
und  40  abweichend  von  Laudan  vorgenommen  wird  (Otte,  Part., 
Schwr.),  teils  wegen  des  verschiedenen  Inhalts,  der  leicht  eine 
andere  kunstübung  verlangen  konnte  (geistlich-lat.  gegen  welt- 
lich-frz.).  man  muss  sich  wol  begnügen,  zusammenfassend  fest- 
zustellen, dass  Konrad  den  rührenden  reim  als  etwas  ganz  be- 
sonderes betrachtete,  denn  er  hat  ihn  in  seiner  lyrik  nur  einmal, 
da  aber  im  Wechsel  mit  grammatischen  reimen  ganz  principiell 
durchgeführt,  und  er  hat  ihn  in  drei  erzählungen  (WLohn,  Alex.', 
gSchm.  2)  blofs  zur  hervorhebung  seines  eigenen  namens  (Kuon- 
rät  :  rät)  angebracht  3;  auch  in  den  beiden  anonym  überlieferten 
gedichten  Pant.  und  Turnei  entfällt  der  einzige  rührende  reim 
auf  einen  namen  {Eufrosm  bzw.  Düringcn}.  umgekehrt  bindet 
der  dichter  seinen  eigenen  namen  mit  hat  im  Otte  759;  Engelh. 
6491;  Parten.  191;  Schwr.  1853,  mit  gnaden  im  Silv.  81,  mit 
tat  im  Trojkr.  265,  d.  i.  also  mit  ausnähme  des  Otte  durchweg 
in  werken  die  andere  rührende  reime  enthalten,  nur  das 
anonyme  Herzmsere  kennt  auch  sonst  keine  rührenden  reime.  — 

»  in  den  plusversen  von  S  (Hencz.  s.  94)  hat  der  hsg.  gesprach  : 
(jesprarh  'hergestellt';  aber  so  übel  dichtet  nicht  einmal  dieser  Schreiber: 
1.  Do  dis  (jesprach  Alexius,  Do  antwurt  im  diu  reine  alsus.  —  für 
samenunge  s.  95  (:  cenie)  1.  menie.  —  dagegen  s.  114  und  s.  93  reimt 
S  allerdings  gegen  Konrads  gebrauch. 

■^  in  der  gSchm.  neben  Kuonräde  :  cjndde. 

^  aber  der  zusatz  WLohn  L  nach  231)  bringt  ungetan  :  kunt  geUm. 


56  VON  KRAUS 

auch  gegenüber  den  allzubillig-eu  bindungen  von  -heit  :  -keil 
zeigt  sich  Konrad  zurückhaltend :  sie  fehlen  in  sämtlichen 
kürzeren  paarweise  gereimten  werken  ' ;  und  ähnliches  gilt  von 
der  paarung  -lieh  :  -dich,  die  allen  kleineren  gedichten  bis  auf 
einen  fall  im  Herzma^re  fehlt ''^. 

Die  Fortsetzung  des  Trojanerkriegs  fab  40  430)  unter- 
scheidet sich  wie  in  der  zahl  so  auch  in  der  qualität  der 
rührenden  reime  von  Konrads  dichtung^. 

Saubere  technik  zeigt  auch  der  vielbelesene  Verfasser  des 
Reinfried  von  Braunschweig,  im  allgemeinen  ist  er  im  ge- 
brauch rührender  reime  recht  zurückhaltend  und  bevorzugt 
etwas    mehr    als    die    Unterscheidung    durch    den    wortaccent  ^ 

'  daher  darf  man  im  Nicol.  die  reime  -heit  :  -heit  557  (Bartscli) 
und  -liehen  :  -clichen  Germ.  29,  38  unter  den  gründen  für  die  uuechtheit 
mit  anführen. 

2  somit  verstärken  sich  die  bedenken  gegen  das  bereits  oben  t;.  50 
anm.l  angezweifelte  beispiel  fehlerhaften  reims  im  Trojkr.  wenn  bei  dem 
gewaltigen  umfang  des  Werkes  ein  fehler  vorkommt,  sollte  man  nicht 
schliefsen  dürfen:  Einmal  ist  keinmal?  —  das  kurze  gedieht  von  der 
halben  Bir,  dessen  unechtheit  Zwierzina  und  Laudan  (Zs.  50,  158  ff)  er- 
wiesen haben,  macht  sich  durch  zweimalige  bindung  -liehe  :  -eliche  ('21b. 
237)  auffällig;  sonst  noch  snürrinc  :  gerinc  263. 

^  wortaccent:  erleit  :  herseleit  46  435;  gerich  :  esterich  48  437; 
gellche  :  heimeltche  49  069.  —  satzaccent:  armen  'brachiis'  :  edelen 
armen  'pauperi'  (s.  Gottfried)  49  385  ;  c  (adv.)  :  e  (subst.)  48  069 ;  leit  : 
hin  (((/)  geleit  41  993.  49  467;  lüisen  :  beicisen  48  883  ;  oernomen  :  an 
genomen  49  559;  hornes  :  ih  erkornes  47  371;  also  :  tüostu  so  44  593. 
—  einige  fehlerhafte  hat  Bartsch  in  den  Anmerkungen  mit  recht  gebessert 
(46  036.  48  912).  aber  andere,  unverdächtige  bleiben:  an  :  an  44  371 
(vgl.  unten  Veldeke) ;  gän  :  began  49  631;  gesehen  :  versehen  43  819; 
bereite  :  gereite  48  991;  dich  :  dich  43  917;  genomen  :  vernomen 
49  433;  kuntschaft  :  botschaft  43  829.  —  ermüdend  würkt  der  misbrauch 
mit  den  reimen  fremder  namen  wie  Cyneus  :  Ydomeneus  40  477  udgl., 
im  ganzen  11  mal  (daneben  Licomedes,  Diomedes  :  des  2 mal).  —  nicht 
rührend  sind  Pollidamas  :  Ampßdamas  46  829  ;  Deidamlen,  Ipothamien 
:  amien  44  197.  44  761;  Idomeneus,  Ilioneus  :  Oileus  3  mal ;  Tereus  : 
Peneleus  2  mal.  von  deutschen  reimen :  bösheit  :  rehtekeit  49  671  ; 
-liehe  :   -cUche  44  769.  46  711. 

''  mit  einem  namen:  (Engel)lant  ISi^;  iRenne)icart  2mß3;  {Chä)nd 
IS  037;  (Di)äne  16  415;  {Fride)riche  17  973;  {Brune)swig  (?)  27  385; 
(Daby)lön  24  701.  —  sonst:  behiift  :  schädehäft  4887;  {are)beiten  247S1; 
{höchge)muote  2336. 


DER  RÜHRENDE  REIXI  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    57 

die  durch  den  satzaccent  '.  verstölse  bei  unbetonten  silben 
sind  ungemein  selten-,  bei  betonten  fallen  sie  wol  der  ein- 
zigen hs.  zur  last  3.  dagegen  werden  romanische  reime  zu- 
gelassen *.  interessant  ist  die  behandlung  der  reime  auf 
-Iich(e,  -en).  denn  liier  scheidet  der  dichter  nicht  nur  ent- 
sprechend WGrimms  beobachtung,  die  ausgangs  -lieh  und  -cUch 
deutlich  ^,  sondern  es  werden  auch  reime  von  -lieh  in  sich  und 
ebenso  solche  von  -dich  in  sich  zugelassen,  jedoch  nur  wenn 
uiitreimende  unbetonte  silben  vorausgehu,  die  verschiedenen  an- 
laut  haben,  es  reimen  also:  wil-lecUche  :  stce-tecl.  23  889;  min- 
neclkhe  :  genen-decl.  5775;  :  snel-leel.  7283;  :  trü-recl.  Abb'S; 
:  züh-tecL,  sih-tecL,  stce-tecl.,  dnrhliuh-tecl.,  ves-tecl.  4S7. 
1925.  4263.  3907.  15  249;  :  riu-ivecl.,  c-tvecl.  3745.  8659; 
:  gence-decliche  :  i-weel.  13  043;  anderseits:  kion-berliche  -.  lie- 
derl.,  jä-merl.  4917.  6001.  das  sind  also,  nach  französischer 
benennung,  leoninische  reime  ^.  von  zwei  fällen,  die  sich  nicht 
fügen,  ist  der  eine  auch  durch  den  sinn  als  fehler  der  hs.  er- 
wiesen ".  die  Sonderstellung  die  vermöge  seines  starken  accents 
gelkh  einnimmt,  zeigt  sich  auch  hier  ganz  deutlich  5. 


'  werden  man  :  idselos  die  Idele  man  lie  fUezen  27  415;  wol  fje- 
Idiic  :  mä;e  Jone  23  603;  erböten  wärt  :  wärt  12  403;  ähnlich  noch 
6547.  10  213.  11499.  11913.  14  067.   17  8S3.  18  371.  25  545. 

-  richeit  :  kristenheit  17  651;  mundelin  :  ceterlui  11569. 

^  (oersunhen :)  lieb  und  fröude  sanken  ir  se  beiden  siten  15339 
(1.  hunken ,  schon  wegen  slten);  bekomen  :  kempfe  körnen  18  S67  ist, 
wenn  kein  fehler,  so  vielleicht  ein  leouinischer  reim,  s.  o. 

*  massenie  :  compante  699;  ermonle  :  simphonie  22  391;  tjostiure 
:  äcentiure,  schumpfentiure  197.  15  679.  15  713;  creatiure  :  nätiure 
8899;  m.agneten  :  planeten?  21  591. 

*  tougen(t)liche,  endeUcke,  sicherlich,  keiserl.,  schamel.,  wunderl.. 
gansL,  friuntl.,  unswtoelL,  rÜterl.,  jämerl.  reimen  auf  ewecUche,  minnecL, 
ft'aecl.,  willecl.,  trürecl.,  drlcaltecl.,  behendecl.  im  ganzen  28  mal.  —  ana- 
log wird  getrennt:  cujen-tUche ,  tour/en-tltrhe  (s.  5233  hs.)  :  sicher-l., 
biiter-l.  4493.  6731;  sin-sliche  :  wunder-l.  19  633. 

^  analog  frz.  ojfensce  :  pensee,  abonder  :  inonder,  Tobl er  Versbau  * 
s.  112. 

^  einecl'ich  (:  minnecl.)  9767  passt  nicht:  1.  innecL;  für  '/riiiwelich 
(:  sicherl.)  25  271  ist  etwa  grimmecl.  zu  lesen. 

"  denn  sonst  wären  fehlerhaft  die  reime  (un)gelich  :  ritterl.,  Jämerl. 
16  807.  25  507;  (un)geliche  :  ritterl..  wendeil. ,  lobel.,  eigenl,  fnel., 
Jämerl.  12  571.  14  191.   19  221.    19  045.    21  4SI.   23  001.   27  431;    tegellche 


58  ^  VON  KRAUS 

Auf  ähnlicher  stufe  der  technik  steht  Ulrich  vdTürlein 
seinem  Willehalm,  er  zeigt  ausgesprochene  Vorliebe  für  diesen  in 
schmuck  des  reims.  wortaccent  >,  besonders  bei  fremden  nameii, 
wie  satzaccent^  sind  reichlich  vertreten,  der  typus  unbetont  : 
unbetont  ist  dagegen  fast  ganz  auf  romanische  Wörter  beschränkt 
und  verrät  dadurch  wider  seine  herkunft^.  der  typus  betont  : 
betont  findet  sich  fast  nur  in  den  dreireimen  am  schluss 
der  abschnitte  und  ist  dadurch  sehr  lehrreich;  denn  die  an 
dieser  stelle  zahlreichen  und  groben  fälle  zeigen,  dass  an  den 
übrigen  stellen  ein  ganz  bewustes  meiden  solcher  bindungen  an- 
genommen werden  muss^. 

geht  wider  mit  geUche,  reimt  daher  auf  ritieri,  bitterl.  5761.  15  969; 
vgl.  noch  geliehen  (verbum)  :  keiserl.  20  613.  daher  sind  auch  die  reime, 
wo  gelUhe'yn)  mit  -cliche{n)  gebunden  wird,  wol  unter  dem  gesichts- 
puuct  des  accents  zu  deuten:  6349.  7995.  13  361  usw.,  im  ganzen 
12  mal. 

'  (I\andu)lac  2  mal ;  [Tange)lant  S7,  3;  {Meli)ga/is  46,  9;  Tynant 
•.genant  244,  13;  (Terra)mcr  2  mal ;  {Franc)rlch  163,  9;  {Nicer)sln 
263,  19;  {Ki)burc  6  mal ;  (rijoier  329,  11;  {t/os)tiur  82,  25;  lemperür  : 
ruor  55,  7.  —  {rLtter)schoj't  66,  19;  gecallen  :  sahercallen  103,  29; 
was  :  blaomenwas  264,  23;  {grunt)ceste  322,  17;  (arjbeit  271,  21; 
gelich{en)  :  Hch{en)  5  mal ;  (her]sogen  311,  3;  {ieiUe)/,omen  345,  21; 
{unge)hört  109,  29;  (fröude)rot  (conjectur  Singers)  296,  3;  (drijstunt 
239,  5. 

■■'  originellere  beispiele  mit  !:  38,  25!  50,  11!  7:<,  1!  131,  19; 
155,  23!  189,  23;  196,  23;  199,  7!  209,  7;  217,  1.  7;  225,  3;  229,  23! 
235,  5.  13.  25-  245,  21;  248,  9!  250,  25;  255,  11;  258,  7;  278,  7! 
293,   15;   295,  11. 

^  palas  :  Langalas  90,  23 ;  Beonet  :  Hüsinet  274,  27  ;  Per.slt  : 
kuratt  132,  23  ;  gefurriert  :  geparriert  215,  31  ;  accurnoys  :  Burgunoys 
299,  15;  Bniün  :  Kareiün  26,  21;  vgl.  Kybalin  :  cröuwelin  Tl'2,  9.  — 
deutsch  nur:  -schaft  :  -Schaft  333,  15;  -rieh  :  rieh  (im  dreireim!) 
212,  29. 

*  in  den  abschnitten  54.  77.  86.  90.  96.  126.  136.  152.  189.  222. 
251.  264.  273.  281.  297.  es  sind  darunter  so  crasse  fälle  wie  reime  in 
sich  von  gecellet,  gc,  wol,  geciel,  bewegen  :  wegen  :  Überwegen,  werden, 
(ge)machet,  nim,  sehen,  ;e  taJ.  —  an  anderer  stelle  dagegen  nur  bei  zwei 
fremden  werten  (rotten  :  rotten  195,  25)  und  zur  hervorhebung  des  Wort- 
spiels (die  .  .  .  in  ungelouben  slossen  :  eil  lange  hat  beslo^zen  276,  19). 
als  kunstlose  reste  verbleiben  also  nur  zwei  stellen :  322,  13  entworht  : 
worht  (nur  in  Ä  überliefert!)  und  165,  17  wert  :  wert,  wo  die  ab- 
weichung  in  hnmopeD  gegenüber  Aag  viell.  auf  sint  ir  helfe  helfe  iuch 
entwert  für  v.  18  führt. 


DER  RUHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    59 

ülricbs  landsmann  und  Zeitgenosse  Heinrich  von  Freiberg 
zeigt  auch  hier  respectables  können,  eine  ganz  stilgerechte  fort- 
setzung  des  Tristan  würde  freilich  mehr  rührender  reime  er- 
fordert haben  als  Heinrich  bringt,  aber  die  er  hat,  sind 
wenigstens  einwandfrei  i,  sodass  man  gelegentlich  rückschlüsse 
auf  seine  ausspräche  machen  kann,  die  zwischen  tranc  und 
dranc  (591),  tan  und  dan  (3415)  sowie  tar  und  (/ar  (3791)  ge- 
schieden haben  muss. 

Dagegen  zeigen  andere  dichter  wie  Heinrich  von  Neu- 
stadt oder  der  Verfasser  des  Wilhelm  von  Österreich 
in  der  Verwendung  des  rührenden  reims  kein  musikalisches  ge- 
fühl.  — 

Nachdem  die  Untersuchung  von  Hartmann  ausgehend  bis  zu 
höfischen  epen  des  14  jh.s  geführt  hat,  mag  nun  ein  blick  auf 
die  Verhältnisse  vor  Hartmann  sowie  auf  einige  Vertreter  des 
volksepos  und  der  lyrik  geworfen  werden. 

Heinrich  von  Veldeke  lässt  den  rührenden  reim  zweier 
unbetonter  silben  öfter  zu.  so  bindet  er  verschiedene  auf  -akap 
endigende  substantiva  nicht  weniger  als  18  mal  mit  einander  in 
der  Eneide,  nur  4  mal  im  Servatius-;  -heit  :  -heit  findet  sich  in 
der  En.  5  mal  {-heit  :  -cheit  2 mal),  im  Serv.  -heit  in  sich  6 mal, 
-keit  in  sich  2 mal,  -heit  :  -keit  7 mal;  -doeni  in  sich  kommt  in 
der  En.  3 mal  vor,  im  Serv.  2 mal;  dazu  je  einmal  in  der  En. 
moedinc  :  dagedinc  12  729;  Frederich  :  Heinrich  13  489;  pellin 
wankusselhi  1289;    und    nur   im   Serv.  -nusse    in    sich   (I,  131. 

'  die  fremden  namen  stehu  wider  im  Vordergrund:  Tinas,  Tristan, 
Peilnetost,  Käedin,  Tantrisel  12  mal  (die  stellen  bei  Bernt  eiul.  s.  158  f). 
—  deutsch  :  überleit  :  leit  und  5  mal  gelich  :  -lieh.  —  satzaccent  nur 
(nach  Gottfrieds  Vorgang)  in  zuhant  :  mit  der  hant.  —  unbetont  :  un- 
betont nur  in  romanischen  namen:  Lifrenls  :  Blanchemants,  Nampotenis 
5  mal ;  Tristan  :  Litan  1  mal.  —  dagegen  -lieh  wol  nur  auf  -dich  1975. 
3023.  4929,  weshalb  G744  gemeinecl.  für  gemeint.  F  zu  lesen  ist.  betont  : 
betont  nur  beim  namen  Mar/.e  ( :  marhe)  2365,  und  einmal  wo  der  reim 
ins  ohr  fallen  soU :  mit  in  'eum'  (so  st.  im  wol  zu  lesen)  gebernde  :  ir 
lebenes  enpernde  6417. 

2  s.  Braune  Zs,  fdph.  4,  2S6  und  für  den  rührenden  reim  bei  Veldeke 
überhaupt  Behaghel  einl.  s.  cxiv,  dessen  angaben  von  mir  nach  eigener 
durchsieht  vervollständigt  sind. 


60  "  VON  KRAUS 

1821);  auch  bez.  -ß/cfc)  zeigt  sich  in  der  En.  ein  fortschritt :  der 
Serv.  enthält  8  solche  bindimgen  in  sich  ^  und  nur  ein  paarmal 
reimen  auch  die  Stammsilben  mit  {vreisel.  :  eisel.  1,  101;  2,  1699. 
1943;  ongerelel.  :  ongemekel.  2,  2329);  in  der  Eneide  dagegen 
tindet  sich  überhaupt  nur  egcsl.  (1.  eislJ)  :  freisl.  3208  2.  sonst 
gehören  noch  hieher  die  reime  Lamhrecht  :  HührecJit  Serv.  2, 
549;  herhergen  :  halsherge  En.  0471;  Marroc  :  wäpenroc  En. 
7  333.  —  eine  gruppe  für  sich  bilden  die  bindungeu  zweier  lat. 
oder  frz.  Wörter  (bzw.  eigennamen):  Valcriän  :  Odaviän  Serv. 
1,1279;  caritäteii,  :  trinitäten  1,1337;  Victor  :  Auetor  1,2129; 
creatüren  :  natüren  1,  3035;  in  der  En.  Turnus  :  Latinus, 
Vemis,  DauHMS,  AvoiMnus  9 mal;  liomuli  :  JuU  13  381;  Troiänen 
:  Dianen  (?)  1793;  samite  :  zimxte,  dwiUc  9301.  12937;  calci- 
dönje  :  sardönje  9483. 

Anderseits  zeigt  sich  Unterscheidung  durch  den  w  o  r  t  - 
accent  in  folgenden  fällen:  Elenam  :  nam  En.  11  093;  heilant  : 
lant  Serv.  1,  2903;  2,  1251;  darewart  :  wart  1,  1955; 
Troiune  :  äne  En.  6433.  11961;  Eomäre  :  märe  13  375;  mit 
hübschem  Wortspiel:  wir  ivären  alwäre  end  tuänden  dat  et  wäre 
allet  war,  dat  he  sprac  1145;  ongewedere  :  weder e  175;  her- 
herge  :  {ge)'bergc{n)  Serv.  1,  1017.  1517 ;  En.  6009.  6905.  7171. 
8381;  -Uke-.geHke  Serv.  2,  303.  860.  1643.  1673;  Mrltke :  Like 
En.    6975;     Yrankrtke  :  rike    Serv.    1,    2385;    Severine  :  Rine 

1,  2179.  2331;  hertogen  :  getogen  1,  515;  antu'orden  :  toorden 
En.  8549;  segelos,  herelos,  ervelös  :  verlos  Serv.  2,  203.  1541; 
En.  4433,  8155;    lieilicMoem{e)  :  doem{c)  Serv.   1,   1435.  2889; 

2,  841.   1021. 

Der  s  atz  accent  gelangt  in  der  En.  einigemal  zur  geltung: 
vele  skiere  si  vernam  herre  moeder  geheit.  si  wart  onmäten 
heit  ende  dar  na  skiere  kalt  10051;  ich  enweit  wie  manich 
maget  mit  her  te  varene  was  gereit,  dat  st  niwet  skiere  enreif, 
dat  was  her  leit  ende  toren  1737;  ähnl.  10  997. 

Den    rührenden    reim    starkbetonter    Wörter    dagegen    hat 


'  alle  im  zweiteu  buch:  12Ü0.  1311.  1619.  1727.  2145.  2453. 
2739.   2935. 

^  die  augabe  dass  reime  auf  -like  sehr  oft  vorkämen  (Behaghel  aac), 
ist  ii-rtümlich.  —  hellelikeri  (:  nietlihe)  3190  beruht  auf  blol'ser  conjectur, 
uud  riddergel.  (:  locel.)  5884  gehört  zu  gelik. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    Rl 

Veldeke  nur  sehr  selten  zugelassen '.  im  Serv.  finde  ich  nur 
leider  'führer'  :  verleider  'Verführer'  1,  809,  wo  eine  art  Wort- 
spiel vorligt,  und  in  sonden  'in  peccatis'  :  soulcu  1,  123,  wo 
die  Unreinheit  des  vocalismus  für  die  differenzierung-  sorgt- 
andere  fälle  sind  leicht  zu  bessern '-.  —  ebenso  scheinen  auch 
in  der  En.  nur  zwei  fälle  vorzukommen:  gesaut  :  an  den  sant 
3869  (so  nur  Mw  :  in  das  lant  GhEH;  aber  s.  Braune  Zs. 
16,  423)  und  sinen  anen  :  erfte  et  hen  ane  13  357.  andere 
beispiele  sind  leicht  zu  emendieren  •'.  —  angesichts  dieser  Zurück- 
haltung fällt  es  besonders  auf,  dass  der  eine  reim  ge{gonnen)  : 
begonnen  in  der  En.  dreimal  (4161.  8543.  10  301),  in  den  Lie- 
dern ähnlich  gunde  'gönnte'  :  gunde  'begann'  einmal  (57,  20.  23) 
Schwierigkeit  macht,  die  Vermutung  ligt  also  nahe,  dass  Veldeke 
noch  onnen,-onde,  ge-onnen  gesprochen  hat,  vgl.  ver-onnen  (inf.). 
im  Serv.  2,   1873. 

Auch  in  einem  der  Lieder  wird  der  rührende  reim 
kunstvoll  verwendet  (58,  35): 

Tristrant  müste  sonder  d:inc 

stiide  sin  der  koniuginne, 

want  cn  poisün  dar  tu  dwanc 

mere  dan  die  kracht  der  mi'nnc. 

des  sal  mir  die  güde  däne 

weten  dat  ich  uiene  gedranc 

alsulc  piment  end  ich  si  miune 

b  ii  t  dan  he,  end  mach  dat  sin  ". 

*  er  unterscheidet  sich  dadurch  überaus  vorteilhaft  von  Herbort, 
wer  die  listen  Brachmanns,  Zum  reimgebrauch  Herborts,  Leipz.  diss. 
Halle  1907,  §  128—141  Überlist,  findet  treffliehe  beispiele  für  all  die  von 
guten  dichtem  gemiedenen  arten  schlechten  rührenden  reims. 

-  godes  rlke  ten  ewen  (:  ctoen)  1,  205;  1.  tewen.  —  in  einen  huse 
dar  onse  here  mit  sinen  Jongeren  geliere     dat  dcontmdle  hielt  1,701: 

1.  ere  'früher',  dieses  comparativadverb  hat  auch  in  der  Überlieferung 
der  lieder  gelitten,  s.  HvVeldeke  u.  die  mhd.  dichtersprache  s,  95  ff.  — 
die  betnlfde  die  tröste  he,  die  gecangen  die  verloste  he  1,  773:  1. 
trdster  :  verloster.  —  wären  :  twären  2,  937:  nicht  te  a\  —  die  mich 
coeren  solden   (1.  wolden,    was   auch   der  sinn   fordert)  :    quellen  solden 

2,  2505.  —  der  reim  Uce  :  blice  2,  2907  erweist  die  syukope  des  be-  für 
den  dichter. 

ä  2961  ist  für  noegen  'nagten'  (:  (jenoegen)  mit  G  gnoegen  zu 
lesen.  —  11393  ican  dit  enmarh  ich  niet  cer/. lagen  (:  I. lagen);  aber 
so  nur  B:  verdagen  M,  virtrwien  EhH;  letzteres  ist  da.s  echte,  s.  11  3S(i 
dat  mach  ich  ocele  erliden. 

'  auch  61,  10.   16  mag  er  beabsichtigt  sein,   wenn  Vogts  herstelluii«.' 


2  VON  KRAUS 

Andere  rührende  reime  fallen  der  Überlieferung  (oder  den 
herausgebern)  zur  last.  67,  30.  32  enginnen  (:  heginnen)  hat 
bereits  Vogt  in  seiner  bearbeitung^  von  MFr.  gebessert;  sein  en- 
binnen  (so  C,  enbinden  B)  erhält  auch  an  Serv.  1,17.  127  eine 
stütze.  —  60;  35  got  mute  ons  van  den  hosen  lösen  (:  vroude- 
losen)  gienge  an  sich  an.  aber  C  hat  hosen  als  reimwort,  so- 
dass vvol  zu  vermuten  ist:  got  mute  ons  lösen  von  den  bösen, 
vgl.  dazu  Serv.  1.  1791.  —  64;  17  beruht  der  reim  muot  :  muot 
auf  übermäfsig  kühner  conjectur  der  ersten  herausgeber.  — 
67.  34  dem  erget  et  wale  te  güde  (:  die  güäe)  :  1.  te  spüde,  ein 
wort,  das  grade  aus  unseres  dichters  gegend  belegt  ist,  Bartsch 
über  Karlm.  324. 

Auch  andere  gedichte  aus  der  zweiten  hälfte  des  12  jh.s 
zeigen  bereits  eine  gut  entwickelte  technik.  so  der  Gleinker 
Entecrist  (Fundgr.  2).  durch  den  wortaccent  geschieden  sind 
die  bindungen  lant  :  välant  109,  42;  daz  :  Judas  107;  31; 
da  :  Betsaydä  109,  14;  gerihte  :  unrehte  120,  39;  werde  :  un- 
werde    118,   41;    geltch{e)  :  -lu:h{e)    116,  3.   21;    122,  20.    28; 

121,  9;  130,  32;  131,  24;  gelich  :  wehsinne  manlkh  123,  24; 
noch  :  Enoch    115;   12;    not  :  iroffenöt    109,   32;    alsus  :  Jesus 

122,  34;  gemiiete  :  demüete  134,  25.  —  die  vorkommenden  reime 
gleicher  stärke  beschränken  sich  auf  genöte  :  7iötin  132,  23  mit 
hauptaccent  sowie  auf  einige  leichteraccentuierte  silben  :  mani- 
giu  :  kreftigiu  122,  10;  gesaminöt  :  hellenöt  134,  3  (wo  jedoch 
das  zweite  not  wol  einen  'hauptaccent  zweiten  grades',  s.  o.  s.  28 
anm.  2  trägt),  dem  contrast  endlich  dient  der  reim  in  den  versen 
durch  sine  niichil  demuot  :  da  tvider  zeiget  der  tivel  den  höch- 
muot  109;  6,  s.  dazu  o.  s.  28  anm.  1  i. 

Recht  gut  zeigt  sich  auch  Hartmanns  Credo,  der  wort- 
accent scheidet  die   reime:  geanden  :  vtande  1473;    getan  :  Le- 

der  Strophe  iu  der  zweiten  ausgäbe  seiner  bearbeitung  (spiel  mit  n'it)  das 
richtige  trifft,  aber  16  muss  wol  lauten  :  ich  enwele  dorch  her  niden, 
denn  Veldeke  setzt  zu  negiertem  verbum  stets  ne ;  auch  erhält  dadur-h 
die  zeile  das  mafs  aller  anderen. 

1  nicht  rührend  sind  menscheit,  jndischeit  :  tobeheit,  cristenheit 
100,  2;  114,  11;  fjrimmel;eit  :  tobeheit  116,  15.  —  eine  (:  einir)  hat 
bereits  Schröder  Zs.  47,  289  in  seine  gebessert. 


D  i;  l     RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    63 

riathän  643;  geleren  :  koukelcBreu  1405;  dinc  :  lebendinc  1355; 
da  mit  :  samit  2418;  geUch  :  -//c7(  87.  279.  583.  1025.  2782. 
2810  (die  3  letzten  fälle  mit  allertag  euch)  \  iegelich  :  semelich 
2822;  misseltche  (verbum)  :  zwirliche  3703;  n-cere  si  d/n  :  guldin 
2854;  verlos  :  erhelös  621;  not  :  verdamnöt  1872;  uns  :  nhirunst 
1864;  alsus  :  Jesus  1105.  3661;  vertust  :  wollust  2494.  —  be- 
merkenswert ist  bereits  die  Verwendung  des  satzaccents:  die 
wisen  begunden  sich  oncli  vermezzen  sie  künden  wol  mezzen  ..  . 
die  manic  tüsent  mite  391;  er  sprach  Hz  gewerde'  :  da  gewart 
iz  alliz  icerde  455;  hole  'höhle'  :  üz  gehble  609;  siu  eine  vor 
allen  anderen  frouwen  :  des  sule  ivir  unsich  frouwen  721; 
stünden  :  üf  irsthnden  1323;  die  tvunden  die  er  an  dem  crüce 
leit  :  daz  wlrt  in  allen  vil  le'it  1581;  die  si  solden  hewdren  : 
der  nämen  si  vil  guote  wäre  2942.  —  künstlerische  eindring- 
lichkeit  rechtfertigt  die  widerholung  in  den  versen :  ^vole  ge- 
denke an  daz  :  in  triuwen  raticli  dir  daz  2850  und  gnade, 
lierre,  gnade  :  herre  Crist  gnade  3112.  —  ein  doppelreim  lig-t 
vor  an  der  stelle:  so  wirt  flelsce  glich  sinem  eigenen  g eiste 
glich  1361.  somit  bleibt  nur  lemer  äne  ende:  ende  (inf.)  3701 
als  vollbetonter  reim.  —  bei  minderbetonten  ist  der  dichter 
nicht  so  zurückhaltend,  so  bindet  er  einmal  -sam  in  sich  (239) 
und  widerholt  -helt{e)  (277.  729  und  noch  6 mal'.  —  ebenso 
behandelt  er  lateinische  reime:  mnledicti  :  addicti  487; 
llllim  :  convaUlum  :  fidelium  :  filium  713  ff;  pietate  :  verltate 
785;  sacrilegluni  :  Privilegium  813;  creatura  :  natura  1497; 
gloriosus.  :  Jhesus  1563;  testamento  :  sacramento  3627.  man 
sieht  hier  deutlich  die  Vorläufer  der  späteren  romanischen  reime 
und  ihrer  deutschen  nachbildungen  i :  eine  Untersuchung  der 
mittellateinischen  poesie  wäre  für  den  deutschen  rührenden  reim 
in  geistlicher  dichtung  jedesfalls  sehr  wichtig.  —  für  die  spräche 
des  Credo  ergibt  sich,  dass  die  synkope  gewisser  praefixe  durch- 
geführt ist.  so  bei  bliben,  das  5  mal  auf  das  subst.  Übe  gereimt 
ist  (177.  1063.  1906.  2018.  3048);  bei  gwlnnet,  gwunne  {:  ver- 
winne,  wunne)  2511.  3006;  gware  (:  beware)  2634;  gwalt 
{:  waltj  3134;  gwant  (subst.) :  ^e?m«f  (hs.  tcant  ptc.)  2072;  für 
(jaz  (:  vergazi  ist  az  zu  schreiben,  2694,  und  für  gelzzet  (:  ver- 

1  wenn  ein  paarmal  auch  abgestufte  reime  vorkommen  [fuerit :  ent 
«87;  generosa  :  rosa  711;  nes-ciunt  [1)  :  faciunt  1107],  so  ist  das 
natürlich  zufall. 


64  VON  KRAUS 

gizzet)  entsprechend  izzet,  903;  vgl.  dazu  1189.  2464  1.  —  die 
Unreinheit  des  reimes  wird  vom  dichter  beachtet  und  gilt  als 
differenzierung  für  reimwörter,  die  sonst  rührenden  reim  ergeben 
würden,  eine  beobachtung  die  sich  auch  bei  anderen  dichtungen 
der  Übergangsperiode  mehrfach  machen  lässt.  daher  werden 
reime  wie  selhnnc,  seihen  :  seiden  149.  2050;  imne  :  rcile  963. 
1001;  lichanuin)  :  hahe{n)  993.  2178;  waMe  :  wilde  2311; 
ivvosten  :  reiste  {(\.  i.  n-oste)  2337;  vagere  :  renere  3030;  werlde 
:  werende  3697  ohne  weiteres  zugelassen.  —  die  gute  technik 
Hartmanns  äulsert  sich  auch  darin,  dass  er,  der  den  reimen 
zweier  -Uch  aus  dem  wege  geht,  kunstvolle  bindungen  sucht: 
sunderlich  :  wunderl.  91.   337;  innicUchc  :  minnicl.   1886. 

Auch  der  obd.  Servatius  zeigte  gute  emplindung  für  den 
rührenden  reim,  allerdings  macht  der  dichter  nur  vom  wort- 
accent  gebrauch,  die  fälle  sind:  In  want  :  geivänt  (subst.)  2227; 
hailant,  -de  :  lant,  lande  817.  2353;  heiligen  :  heiigen  3245; 
inanlich  (subst.  und  adj.) :  geUch  291.2581;  aller  slalite  kunter- 
Uch  :  groizltch  1953;  Heinrich  :  rieh  2897;  bistuome  :  tuome  371; 
gote  :  erziugote,  zeigote  (so  Wilhelm  für  bot  der  hs.)  837;  1533; 
verruhte  :  iteriihte  3273.  —  drei  fehlerhafte  reime  fallen  auf. 
zwei  hat  bereits  Haupt  beanstandet:  wären  :  gewaren  19  ist 
auf  alle  fälle  unmöglich,  denn  gewaren  gibt  nur  einen  sinn,  wenn 
es  =  gerva.ren  ist,  dann  fällt  der  reim  aber  aus  der  sonstigen 
technik  des  dichters  gänzlich  heraus  2  [1.  gevären ,  worauf 
schon  der  gen.  hinweist.     E.  S.] ;  und  umnügelich  ( :  chlcegelich) 

'  un-tninnen  :  ge-runiien  755  (vgl.  obd.  Serv.  1903)  ist  keia 
liilirender  reim. 

-  ich  benutze  die  gelegenheit  darauf  hinzuweisen,  dass  ich  ehern 
'fegen'  keineswegs,  wie  Wilhelm  (zu  3276  st.  zu  3176)  gemeint  hat,  mit 
langem  sonanten  angesetzt  habe,  an  der  stelle  auf  die  er  dabei  zielt  (zu 
(Jeorg  1557,  s.  255),  hatte  ich  angemerkt  'der  Servatius  .  .  .  bindet  hörte 
mit  porte  und  ernerte  mit  herte  (3175  ?)'.  das.  fragezeichen  zu  setzen 
lag  gar  kein  grund  vor,  Avenn  ich  kern  an  dieser  stelle  =  'scopare'  ge- 
fasst  und  ihm  fälschlich  langen  stammvocal  zugeschrieben  hätte,  ich 
wollte  damit  vielmehr  andeuten,  dass  hinter  dem  überlieferten  vielleicht 
ein  satz  mit  l.erte  '[nicht  mehr]  wegging'  stecke,  der  Zusammenhang  legt 
eine  solche  Vermutung  nahe,  denn  es  folgt  darauf:  im  endorften  nierner 
warten  sine  mdgen  vP  Lancparten,  auch  die  quelle  hat  an  der  ent- 
sprechenden stelle  nichts  von  'fegen' :  'beati  Seruatü  ad  monumentum 
peruenit,    sanitatem    ilico    rccepit,    deo   gratias   egit,    patriam  ultra  non 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    65 

2193  ist  bei  einem  dichter,  der  das  adjectivische  -lieh  niemals 
in  sich  bindet ',  wol  aber  dreimal  tcegelich  mit  chla^gel.  nnd  %m- 
verlrmjel.  (169.  743.  1777),  so  unwahrscheinlich,  dass  Haupt 
bereits  unmegelich  für  unmilgel.  vermutet  hat.  —  der  dritte  fall 
wäre  ordemmge  :  samemmge  (369).  aber  sonst  reimt  schi-dunge 
:  hezze-runge  (16S7)  und  bezekhe-mmge  :  man-dunge  519,  nnd 
so  ist  samermnge  schwerlich  richtig  conjiciert^.  — 

repeciit'.  den  inhalt  einiger  der  gesperrten  worte  würde  man  für 
vers  3176  erAvarten.  —  auch  an  dem  ansatz  eines  verbums  brouchen 
(mit  altem  au)  neben  bnlchen  muss  man  trotz  Wilhelm  (Beitr.  35, 
375  n  1  und  Serv.  s.  lxxiv  2  sowie  zu  v.  3185)  festhalten,  der  beide 
verba  auf  bnichen  zurückführt,  da  die  form  mit  ou  nur  in  denk- 
mälern  vorkomme,  die  auch  sonst  il  >  ou  diphthongierten,  und  da  alle 
bis  jetzt  bekannten  belege  für  brouclien  'biegen'  sich  auch  der  be- 
deutuug  nach  aus  brücken  'gebrauchen'  ableiten  liefsen.  denn  diese 
ansieht  würde  zu  den  schwierigsten  annahmen  nötigen,  es  müste  zufall 
sein,  dass  der  erste  schriftsteiler,  der  'anzeiehen  der  bayerischen 
diphthongisierung'  zeigt,  der  Franke  Williram  ist;  zufall  dass  diese 
'frühen  anzeichen'  just  auf  die  zweimal  vorkommende  form  yebroihta  be- 
schränkt bleiben  (denn  sonst  hat  Will,  bekanntlich  niemals  6i  für  ü) ; 
zufall  dass  gebröihta  gerade  da  steht,  wo  der  sinn  'bog,  beugte,  gebogen' 
allein  passt,  dagegen  gebrüchen  beidemale  dort,  wo  nur  die  bedeutung 
'uti'  am  platze  ist  (135,  9 ;  145,  2,  s.  Seemüllers  glossar  s.  89) ;  zufall 
dass  das  auch  bei  allen  andern  stellen  der  mhd.  wbb.  der  fall  ist;  zufall 
dass  der  einzige  reimbeleg  für  die  diphthongierung  des  ü  just  von  diesem 
(lebrouchen  im  gesuchten  reim  auf  louchen  (=  louch  in  'zog  ihn')  ge- 
liefert wird,  statt  von  naheliegenden  bindungen  wie  üf ;  houf,  touf,  slouf 
usw.  (belege  bei  Weinhold  BGramm.  §  100).  übrigens  gibt  es  aufser  den 
beiden  stellen  bei  Williram  auch  sonst  noch  unanfechtbare  alte  belege  für 
dieses  brouchen.  von  Will,  kommt  man  leicht  auf  das  STrudperter  Hohelied, 
dort  findet  sich  tatsächlich  gebrohten  'gebogen'  bei  Haupt  23,  23  (aus 
Will.  18,  3)  mit  o,  das  nie  für  ü  erscheint,  wol  aber  für  ou  wie  in 
to'^'r/^nen  18,  25  (wo  ^  vom  corrector  der  fünften  band  stammt,  s.  Victor 
Müller,  Studien  über  das  STrudp.  Hohelied,  diss.  Marburg  1901,  s.  22). 
aber  auch  aus  dem  Hrabanischen  glossar  war  ein  unbezweifelbarer  beleg 
zu  gewinnen  (Ahd.  gll.  I  241,  11):  Eedactus  kaprauhhit;  und  ebenso 
aus  dem  Reichenauer  glossar  D  (das.  289,  54):  Redacti  Idprauhte.  das 
lemma  stammt  nach  Sievers  aus  Gen.  41,  47  [in  manipulos]  redactae 
[segetes],  zeigt  also  widerum  die  für  brauhhen  characteristische  be- 
deutung 'gebogen,  gewunden'. 

'  denn  gcer-ltche  :  sculi-chliche  841  ist  kaum  ein  rührender  reim, 
s.  o.  s.   35.  42.  50, 

'■'  die  stelle  ist  wol  so  zu  bessern,  dass  man  icaren  375  gegen  VVm 
streicht  und  im  übrigen  bei  den  hss.  bleibt:  daz  zwountsibenzic  zünge 
hüllen  in  dem  bistuome  ze  Tungern  in  dem  tuome  .  .  .  gesamenet 
Z.  F.   Ü.  A.  LVr.     N.  F.  XLIV.  5 


66  VON  KRAUS 

Von  den  denkmäleru  aus  der  ersten  hälfte  des  12  jh.s  die 
ich  untersucht  habe,  zeigen  die  WGenesis,  die  Exodus,  Rother 
und  Roland  noch  keinerlei  kunst.  wol  aber  erweist  sich  der 
Vorauer  Alexander  als  recht  sorgsam,  von  unbetonten  silben 
abgesehen  {-keit  :  -keit  23;  -lieh  :  -lieh  1107;  wandelöte  sich  : 
verdunchelote  sich,  viell.  als  reicher  reim  gedacht;  lat.  -tes  und 
-tor  in  sich  gereimt  1165.  1333)  wird  der  wortaccent  nutzbar 
gemacht  in  den  bindungen:  gesant  :  tüsant  1450.  1465.  1495; 
getan  :  tindertän  97;  erzogen  :  herzogen  1281;  gelouft  :  hrnt- 
louft  389.  —  auch  der  satzaccent  kommt  schon  schüchtern  zur 
geltung:  der  vdter  sin  :  al  Macedonenlant  ums  sin  81;  wan  im 
der  strit  niweht  tvöl  geviel :  do  trat  er  vor  unde  viel,  daz  im 
ein  Schenkel  zehrast  425 ;  al  gerihte  (adv.)  :  ir  gerihte  (subst.) 
1211;  \dö  Alexander  daz  verndm  :  vier  tüsent  S]  er  nam  des 
hers  811.  —  575  enkelten  :  gelten  bezeugt  wol  die  Verhärtung 
des  anlauts  -tg-  }  -k-,  ist  also  kein  rührender  reim.  —  somit 
wäre  nur  ein  verstofs  vorhanden:  daz  er  mit  listen  mit  mit 
mähten  :  s?«  riche  wol  herihten  mohte  (563):  hier  ist  viell.  um- 
zustellen mohte  ivol  herihten,  vgl.  hrähte  :  rihti  785  i.  — 

Nachdem  die  epische  technik  zunächst  des  1 3  Jahrhunderts, 
hierauf  die  des  12  beleuchtet  ist,  möge  zum  Schlüsse  das  ver- 
halten des  Nibelungenlieds,  das  in  vielen  beziehungen  von 
beiden  Jahrhunderten  gelernt  hat,  sowie'des  Biterolf  und  der  Vir- 
ginal  geprüft  wei-den,  die  rührenden  reime  hat  Bartsch  Unter- 
suchungen s.  177  ff  übersichtlich  zusammengestellt 2.  es  wird 
sich  empfehlen,  aus  der  betrachtung  der  in  ABC  sowie  in  AB 
übereinstimmend  überlieferten  bindungen  ein  urteil  über  die 
technik  des  liedes  zu  gewinnen  und  dieses  dann  für  die  kritik 
der  schwieriger  überlieferten  stellen  zu  benutzen. 

Durch  den  wortaccent  geschieden  sind  folgende  reime  in 
ABC:  rieh  :  Alhrich  335,  3;  :  Dietrich  7 mal  und  AB  2250,  1  3; 

(=  ahd.  gisamanida  Giaff  6,  37)  an  dem  selben  tage;  vgl.  dazu  den 
beleg  bei  Lexer  1,  1235  dieser  schiedüng  haben  sie  baide  gehollen. 

'  werlte  :  werden  (inf.)  ist  als  unreiner  reim  kein  rührender. 

-  sonst  vgl.  besonders  Paul  PBBeitr.  3,  443  ff  ;  Braune  das.  25,  42- 
48.  73  ff.  130  n.  2.   159  ff;   Zwierzina  Zs.  44,  93  ff. 

^  diese  reime  wurden  wol  kaum  als  rührend  empfunden,  da  mau 
trennte :  Al-brirh,  Die-trich.  daher  ist  auch  Die-trich  :  Hel-pfr'ich  ABC 
2181,   1  nicht  unter  die  rührenden  reime  zu  stellen. 


DER  EUHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    67 

bewart,  wart  :  Eckeivart  9,  3;  1041,  1;  1223,  1;  :  Hätvart 
1285,  1;  :  Dancwart  1592,  1;  geltch  :  lobelich  2150,  3; 
islich  :  lobiUch  304,  1;  man  :  spilman  1416,  1;  nur  in  AB: 
man  :  spilman  195,  1;  gewant  :  unerwant  445,  3;  gast  :  Z^mcZ- 
gast  139,  3;  grer  :  Liudger  212,  3 ;  fc?  :  J.ra&?  535,  3.  —  der 
satzaccent  differenziert  in  folgenden  beispielen:  wolden  gdn  : 
Hüten  began  ABC  1783,  3;  daz  man  wol  vernani  Pahnunge  diezen, 
den  Sifride  näm  Hagen  der  vil  küene  ABC  2242,  1;  nur 
in  AB:  mit  golde  wol  erhaben  :  si  mohten  .  .  .  guote  kürzwtle 
haben  347,  3;  ir  vröude  er  in  bennm  :  e  man  daz  tveinen  ver- 
nani 956,  3  (vgl.  Braune  aao.  s.  130);  pferit  wöl  getan  ^  :  liep 
was  ez  Rüedigere  getan  1245,  3;  unz  an  Täonowe  stät :  dö  reit 
niht  fürbaz  Günther  wan  ein  lützel  für  die  stdt  1228,  3;  ich 
sihe  gewäfent  Hute  vor  dem  hüse  sten  :  si  toellent  unsich  be- 
sten 1776,  3;  dö  kom  diu  küneginne  über  in  gegän  :  den  starken 
Iringen  klagen  si  began  2003,  1.  —  für  den  reim  gebot  :  en- 
böt  1388,  1  wird  man  wol  die  anlautsverhärtung  en-p6t{ent-bdt 
zur  erklärung  heranziehen  dürfen,  sodass  er  ebensowenig  als 
rührender  reim  empfunden  worden  wäre  wie  enpriinnen  :  brunnen, 
enkelten  :  gelten  s.  o.  s.  66.  53.  —  somit  verbleibt  als  einziger  reim 
zweier  minderbetonter  Wörter  AB  965,  3:  daz  al  die  friunde 
sin  :  müesen  immer  klagende  {müesen  iveinende  B)  sin^. 

Dieses  misverhältnis  zwischen  'erlaubt'  und  'unerlaubt'  wird 
noch  deutlicher,  wenn  man  die  fälle  betrachtet,  wo  einzelne  hss. 
gegenüber  der  vulgata  einen  rührenden  reim  geschaffen  haben: 
da  sind  die  'unerlaubten',  oft  der  schlimmsten  art,  sofort  in  der 
mehrzahl  3, 

*  war  wol  wie  bei  vielen  dichtem  bereits  als  compositum  emp- 
funden. 

2  dazu  noch  sm  :  wider  sin  1191,  3  nach  Zwierzinas  conjectur 
Zs.  44,  28  f. 

^  so  in  C  gegen  AB  :  michel  fjuot  :  danket  guot  310,  2  ; 
sccene  meit  :  küene  unt  gemeit  377,  3  (vgl.  A  1168,  1);  habt  gehört  : 
Nibelunge  hart  475 ',  l  ;  truoc  :  vertruoc  587,  3  ;  vernomen  hän  :  ge- 
näde  hän  1136,  3;  den  willen  sin  :  den  friunden  sin  1349,  3;  cer- 
nomen  :  genomen  1583,  3;  nur  gewant  :  üngewänt  1520,  1  (vgl.  AB 
445,  3  gegen  C!)  und  bendn  :  trcesten  sich  ber/än  429,  3  sind  'erlaubte' 
reime.  —  beispiele  aus  andern  hss.  bei  Paul  PBBeitr.  3,  402  :  rieh  :  rieh 
D  616,  2;  lant  :  lant  b  383,  6;  breit  :  breit  b  840,  4;  Up  :  Up  d  199,  4. 
diese  beispiele  würden  sich  je^iesfaUs  sehr  vermehren  lassen. 


68  VON  KRAUS 

Damit  ist  man  nun  in  den  stand  gesetzt,  über  die  fälle 
wo  mit  der  Überlieferung  zugleich  das  urteil  bisher  schwankte, 
sicher  zu  entscheiden. 

A  1168,  1  ist  mit  seinem  reim  meit  :  gemeit  gegenüber 
wip  :  lip  BDbThCa  jedesfalls  im  unrecht,  wie  schon  Braune 
s.  130  n.  2  richtig  hervorhebt i;  man  kann  dazu  500,  4  ver- 
gleichen, wo  A  (jemeit  ( :  meit)  durch  übergeschriebenes  bereit 
selbst  gebessert  hat.  —  unwahrscheinlich  ist  auch  der  reim  von 
betontem  gestn  (inf.):  betontem  (nieman  wan)  dm  unde  sin 
ADb  759,  1  gegenüber  BdlhC,  s.  Braune  s.  48.  —  kein 
tadel  trifft  A  21,  1  wol  hewurt  :  wie  schcene  der  ivart  (diese 
Strophe  nnr  in  A  erhalten,  v.  3.  4  auch  in  I,  womit  über  ihre 
echtheit  natürlich  kein  urteil  abgegeben  werden  soll,  vgl.  Braune 
8.  179);  ohne  anstofs  sind  auch  die  reime  getan  :  ein  ritter  wöl 
getan  327,  1  BDdCa  gegenüber  A  wol  verstau,  Ih  lohesam, 
vgl.  Braune  s.  130  n.  2;  ferner  din  :  magedin  BDIbhC  376,  5 
in  einer  in  A  fehlenden  Strophe;  endlich  ir  sult  mich  wizzen 
Idn  :  7vä  ir  .  .  .  den  künec  habet  vertan  DbBCa  509,  1 
gegenüber  getan  Aldh,  Braune  s.  74  und   130  n.  2. 

Interessanter  ist  die  entscheidung  an  den  noch  verbleiben- 
den drei  stellen.  1066  heifst  es,  nachdem  die  unermesslichkeit 
des  Schatzes  geschildert  war: 

Unde  wser  sin  tüsent  stunt     noch  alse  vil  gewesen 
( unde  solde  Sifrit  gesunt  (gesunder  ab)  sin  genesen     Aab 

(und    solt  der  herre  Sifrit  gesunder  (gesunt  Ih)  sin  gewesen     BCDlOdh 

bi  im  wsere  Kriemlult  hendeblöz   bestän. 

dass  genesen  Aab  unmöglich  ist,  hat  Braune  s.  73  ff  übi^r- 
zeugend  dargetan,  aber  den  bösen  raisklang  gewesen  :  gewesen 
der  übrigen  hss.  kann  mau  nach  der  sonstigen  guten  technik 
des  liedes  nun  mit  derselben  Sicherheit  für  unmöglich  erklären, 
auch  befriedigt  der  sinn  nicht  ganz,  man  erwartet :  Svenn  der 
schätz  auch  tausendmal  gröfser  gewesen  wäre,  und  wenn  ihn 
Siegfried,  am  leben  bleibend,  hätte  entbehren  müssen, 
Kriemhild,  wäre  auch  mit  leeren  bänden  bei  ihm  geblieben,  so 
meine  ich,  ist  zu  schreiben: 

Unde  wser  sin  tüsent  stunt  noch  alse  vil  gewesen, 

unde  solde  Sifrit  gesunder  sin  entwesen, 

bi  im  vvsere  Kriemhilt  hendeblöz  bestän. 

'  es  ist  obendrein  im  ganzen  liede  die  einzige  stelle,  wo  gemeit  zum 
weiblichen  appellativ  gesetzt  ist,  Zwierzina  Zs.  44,  83! 


DER  RÜHRENDE  REIM  m  MITTELHOCHDEUTSCHEN    69 

die  Verwirrung  entstand,  indem  sin  v.  2  b  als  Infinitiv  st.  als 
genit.  (auf  hört  bezüglich)  gefasst  wurde,  begünstigt  wurde  das 
misverständnis  dadurch,  dass  enfwesen  ein  seltener  ausdruck  ist: 
an  der  einzigen  stelle,  wo  es  im  liede  noch  vorkommt,  haben  Ih 
sowie  nach  ausweis  des  erhaltenen  gegenreims  auch  K  enhern 
eingesetzt  (in  C  fehlt  die  ganze  Strophe)  i.  —  die  besserung 
empfiehlt  sich  auch  in  syntaktischer  hinsieht.  Braune  hat  be- 
kanntlich in  seinen  lehrreichen  ausführungen  über  die  art  wie 
der  'stellvertretende'  Inf.  perf.  in  alter  zeit  ausgedrückt  wurde, 
nachgewiesen,  dass  unser  lied  noch  überwiegend  an  dem  älteren 
typus  festhält,  ein  gedanke  wie  'er  hätte  es  unterlassen  sollen' 
wird  nicht  weniger  als  45  mal  (s.  38)  mit  einfachem  er  solde  ez 
län  wiedergegeben,  während  für  die  jüngere  construction  er 
solde  ez  haben  län  nur  8  fälle  verzeichnet  sind  (s.  35),  darunter 
das  obige  beispiel.  dieses  rückt  nun  durch  die  besserung  ent- 
icesen  in  die  normale  kategorie  ein 2. 

Die  zweite  besserungsbedürftige  stelle  ist  1014,  3  (Braune 
s.  48,  der  für  BdCa  eintritt):  Siegmund  lädt  Kriemhild,  die 
eben  den  gatten  verloren  hat,  ein,  sich  aus  der  feindseligen  Um- 
gebung ihrer  verwandten  zu  ihm  zu  ziehen: 

(ich  wil  iu  wffige  sin  DhBIhC 
(ich  tuon  iu  triwen  scliin  A 

durch  mines  suns  (d.  iwers  maniies  .\)  liebe: 

des  sult  ir  äne  zwivel  sin  Bd 

des  sult  ir  gar  äu  angest  sin  Ca 

daz  wizzet  üf  die  triuwe  min  Ih 

und  durch  des  edelen  (lieben  b)  kindes  din  Db 

ufi  des  edelen  kindes  sin  A. 

dass  A  die  zeile  3  ^  geändert  habe,  um  dem  reim  sin  :  sin  aus- 
zuweichen, ist  Braune  kaum  zuzugeben,  s.  u.  aber  sicher  ist 
die  zeile  4^  in  BdCa  nicht  mehr  als  ein  nichts,  und  man  versteht 
nicht,  wieso  ADb  von  da  aus  auf  ihren  iuhaltreichen  vers  ge- 
kommen   wären.      dm   Db  [ist    freilich    unmöglich    (neben    dem 

1  als  rührender  reim  ist  entwesen  :  loesen  zu  beurteilen  wie  der 
gleiche  reim  im  Er.  3276  oder  in  Ulrichs  Wh.  235,  25  oder  wie  entleert :  wert 
Erec  4950;  Gregor.  697;   Reinfr.  25  545;   e nt wert :  qe teert  Walth.  20,  28. 

-  von  den  übrigen  7  beispielen  ist  2232,  4  wol  nur  versehentlich 
aufgenommen,  da  blofs  ADIh  die  jüngere  Umschreibung  bieten.  —  auch 
401,  4,  wo  die  in  *B  überlieferte  jüngere  construction  das  echte  sein  soll, 
scheint  mir  A  besser,     somit  wurden  nur  5  beispiele  bestehen  bleiben. 


70  VON  KRAUS 

sonstigen  ihrzen)  und  sin  Ä,  inhaltlich  an  sich  wenig  befriedigend, 
schafft  zu  S^  in  der  fassung  DbBIhC  einen  unwahrschein- 
lichen rührenden  reim,  den  man  durch  den  einzigen  seines 
gleichen  (s.  o.  s.  67)  nicht  gerne  wird  stützen  wollen,  wenn 
also  nicht  dm  und  nicht  sin,  dann  vielleicht  min.  und  das  gibt 
der  stelle  ihre  alte  Schönheit  wieder: 

ich  wil  iu  wage  sin 

durch  iwers  manues  liebe 

und  des  edelen  kindes  min. 

Siegmund  gebraucht  also  keine  billige  beteurung  (BdCalli), 
er  sagt  auch  nicht  unzart  'ich  werde  euch  um  eures  mannes 
und  eures  kindes  willen  beistehn'  (ADb);  sondern  er  hebt  das 
gemeinsame  leid  hervor  das  sie  beide  verbindet:  'ich  will  euch 
beistehen  um  dessentwillen  der  euch  gatte  und  mir  ein  edler 
söhn  gewesen  ist.'  die  ausdrucksweise  ^  ist  dieselbe  wie  50 
Strophen  vorher,  wo  Siegmund  ausruft:  wer  hat  mich  mines 
kindes  und  iuch  des  iwren  man  .  .  .  alsus  mortUche  äne  getan  .^ 
das  naheliegende  misverständnis  aber,  das  man  und  kint  auf 
zwei  verschiedene  personen  bezog,  weckte  in  A  die  meinung,  dass 
unter  kint  der  söhn  Siegfrieds  zu  verstehn  sei  (vgl.  1027,  1; 
1032,  3),  und  so  wurde  kindes  mm  zu  kindes  sin.  die  urhs. 
der  andern  Überlieferung  aber  suchte,  aus  demselben  misver- 
ständnis heraus  wie  in  A,  in  anderer  weise  heilung  der  stelle: 
sie  schrieb  kindes  dm^,  und  da  hiezu  iwers  mannes  der  vor- 
hergehnden  halbzeile  übel  passte,  so  setzte  sie  das  gleichbe- 
deutende mines  sunes  an  die  stelle,  das  sich  obendrein  dadurch 
zu  empfehlen  schien,  dass  Siegmund  von  Siegfried  natürlicher  als 
von  seinem  söhn  denn  von  ihrem  gatten  sprach,  die  engere 
B-gruppe  endlich  nahm  an  dem  dln  neben  ir,  iuweren  der  vor- 
hergehnden  zeile  anstofs  und  ersetzte  den  letzten  halbvers  durch 
eine  leere  beteurungsformel.  wie  immer  man  sich  aber  das 
Verhältnis  von  B  zur  gruppe  Dg  zurechtlegen  mag  (es  gibt 
noch  andere  erklärungsmöglichkeiten,  und  die  richtige  lösung  ist 
ohne  umfassende  Untersuchung  nicht  zu  erringen),    auf  alle  fälle 

'  vgl.  auch  723,  If,  Schmedes  Untersuchungen  über  den  stil  usw., 
diss.     Kiel   1893,  §  12;  Singer  Festsehr.  f.  Kelle  s.  309. 

'^  man  beachte  auch  das  neuerliche  (und)  durch  {des  edelen  kindes 
din)  Db:  damit  ist  die  Verteilung  auf  zwei  verschiedene  personen  erst 
ganz  vollzogen. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    71 

scheint  mir  sicher,  dass  A  hier  ganz  allein  das  echte  bewahrt 
hat  mit  der  la.  iwers  mannes  sowie  mit  dem  fehlen  des  zweiten 
dvrch,  und  dass  es  sich  von  der  ursprünglichen  la.  nur  mit 
einer  ganz  geringfügigen  abweichung  (shi  st.  min)  entfernt', 
dieses  ergebnis  streitet  allerdings  gegen  Braunes  so  umfassend 
begründete  annähme  einer  gruppe  ADb ;  aber  es  begegnet 
sich  mit  zweifeln  die  Zwierzina  Zs.  45,  395  geäufsert  hat.  ich 
habe  den  eindruck,  dass  Lachmann  mit  seinem  grundsatz,  an 
stellen  wo  A  im  Stiche  lässt,  sich  nicht  bei  der  oft  gefälligen 
la.  BC  zu  beruhigen,  sondern  nach  einer  emendalion  zu  greifen, 
dem  ideal  —  mag  es  auch  unerreichbar  bleiben  —  näher  ge- 
kommen ist  als  Braune,  der  die  schärfe  seines  blickes  und  seiner 
gelehrten  waffen  an  vielen  stellen  mit  vollem  erfolge  gegen  A 
gerichtet,  der  B-gruppe  aber  ein  allzumilder  richter  gewesen 
ist.  B  wird  die  philologen,  die  die  Sehnsucht  nach  dem  trans- 
cendentalen  kennen,  nie  ganz  befriedigen. 

Auch  der  dritte  und  letzte  fall  'unerlaubt'  rührenden  reims 
darf,  scheint  mir,  der  so  sorgfältig  befundenen  urfassung  unseres 
liedes  nicht  aufgebürdet  werden,  die  fassung  BdIK  überliefert 
1433,  1  folgendes  (Braune  s.  42): 

Urloup  genoiEinen  heleu  die  boten  du  von  dan 

von  wiben  und  von  mannen-,  via?lich  sie  dö  dan-* 

fuGren"*  unz  in  Swäben. 

der  rohe  reim  ist  ja  nicht  das  einzige  was  hier  stört,  es 
kommt  hinzu  die  klägliche  wortwiderholung  {urlonp  nemen)  von 
dan  und  dan  (varn).  auffallend  ist  aber  vor  allem,  dass  die 
formel  die  tcqy  und  man  paart,  hier  in  einem  ersten  halbvers 
erscheint:    in    den   9    übrigen   fällen  steht  sie  durchaus  in  einer 

'  auch  in  v.  3^  bietet  A  den  der  Situation  angemessenen  ausdruck : 
die  beiden  verwanten  sind  durch  Siegfried,  den  sehn  und  gatten,  mit  den 
banden  der  treue  verknüpft;  daher  sagt  Siegmund:  ich  tuo/i  iu  tn'icen 
fichtn.  das  sagt  mehr  als  ich  icil  iu  iccege  i'ln,  denn  'hold,  geneigt'  wird 
in  unserm  lied  von  allen  möglichen  beziehungen  gebraucht,  bisweilen 
auch  ironisch,  triice  dagegen  geht  immer  in  die  tiefe,  ganz  wie  bei 
Wolfram. 

■^  coii  mannen  u.  von  w.  A. 

2  crcelich  als  ich  nu  gesagen  kan  A,  als  ich  [euch  D)  gesogen 
kan  Db. 

*  si  fuoren  ADb. 


72  VON  KRAUS 

zweiten  halbzeile,  und  man  bildet  das  reimwort^.  genau  ebenso 
verhält  es  sich  mit  der  formel  mäge  unde  man:  sie  kommt 
1 7  mal  in  AB  vor,  stets  aber  nur  mit  man  als  reimwort,  wie  schon 
Bartsch  Wb.  s.  202  anmerkt 2.  da  ist  es  denn  doch  sehr  auf- 
fallend, wenn  an  der  einzigen  stelle  wo  die  erstere  formel  in 
einem  a-verse  auftaucht,  in  dem  vorhergehenden  b-verse  ein 
unmöglicher  reim  auf  -an  erscheint,  ich  meine  also,  dass  Lach- 
mann mit  recht  die  Verderbnis  in  dieser  richtung  gesucht  und 
im  wesentlichen  3  glücklich  geheilt  hat,  indem  er  eraendierte : 

Urloup  genomen  beten]  von  wiben  und  von  man 

die  boten  vru?liche,  ^  als  ich  iu  sagen  kau, 

fuoren  unz  in  Swäben. 

als  ich  iu  sagen  kan  ist  keine  flickphrase  mehr,  sobald  man 
es  nicht  auf  den  ganzen  satz,  sondern  nur  auf  vrcßliche  bezieht, 
die  boten  verabschiedeten  sich  *iu  gehobener  Stimmung,  das  kann 
ich  euch  sagen':  sie  hatten  ihren  auftrag  erfüllt,  überreiche 
geschenke  empfangen,  und  es  ging  nun  der  heimat  zu.  — 

Auch  im  Biterolf  zeigt  sich  gute  tradition,  bez.  der  uameu 
freilich  nicht  die  von  Zwierzina  beobachtete  des  12  jh.s*.  appel- 
lativa  sind  durch  den  wo rtacceut  geschieden  in  folgenden  fällen  : 
(ritter)schaft  2465 ;  getan :  ivolgetdn  1 0  S67 ;  mcere :  sturmcere  10  001; 
woire  :  spariomre  13  17S;  leeren  :  buckeheren  6531;  {un)gellch  : 
-lieh' bOO.  2023.  2555;  gezoge  :  herzöge  12  230.  —  auch  der 
satzaccent  kommt  zur  geltung,  freilich  in  etwas  typischer  weise: 
daz    er  .  .  dan       von    den    guoten    recken    reit   :   si    wurden 

'  eine  für  die  Umarbeitung  bezeichnende  ausnähme  bildet  C  1315,  4. 
—  die  belege  1912,  4  I  und  3774,  2  bei  Bartsch  Wb.  s.  392  sind  als  ver- 
sehen ganz  zu  streichen:  durchsieht  der  reime  hat  mich  überzeugt,  dass 
die  zahlen  nicht  etwa  blols  verdruckt  sind. 

2  C  fügt  mehrere  fälle  hinzu,  darunter  charakteristischer  weise  wieder 
Einmal  mäge  unt  manne  tot,  2026,  6. 

ä  in  einzelheiten,  namentlich  bez.  des  angenommenen  and  xoivov, 
kann  man  natürlich  anderer  meinung  sein. 

^  so  reimt  rührend:  {I mb)r ecke(n)  8 mal;  (Gelf)rät(en)  2 mal;  {Wolf  )- 
rät  10283;  {Hä)ißart  1241;  {Diet)r%c]}{e)  Smal,  {Diet)rtchen  12880;  (Helphe)- 
/ir.hein)  2 mal;  Dietleip  :  beleip  5 mal;  {Wich)her{e)  Smal;  {Gunt)here 
11965;  {l)rinc  Smal;  Poytän  :  undertän  2 mal;  [Mei)län  2m&\;  {Liude)- 
gaste  5049;  Berhtolt  :  holt  6251;  {Ger)n6t  10601.  inwieweit  die  Silben- 
trennung normalen  reim  geschaffen  hat,  ist  hier  nicht  auszumachen. 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    73 

dienstes  im  bereit  1117;  ebenso  3907.  10  295.  11  517;  ivelt  ir 
icol  zerUouwen  einen  man  kiesen  iender,  daz  hin  ich:  her 
Dietrich  sprach  'ja  han  ich  .  .  .  so  vil  der  biulen  12  451;  ich 
trollte  .  .  .  daz  beicdren  dazs  alle  fiirsten  wceren  11  571;  ein 
hure  diu  Treisenmüre  htez:  in  beiden  si  dö  daz  gehiez,  daz  si 
.  .  .  sehen  wolde  .  .  .  Dietlinde  13  370:  vgl.  noch  P'älleliint  im 
reim  auf  emphatisches  väldnt  9197. 

Einige  minderbetonte  silben  haben  sich  der  aufmerksamkeit 
des  dichters  entzogen  :  kindelm  :  töhterlin  4203  (vgl.  den  ähn- 
lichen reim  bei  Wolfram  o.  s.  19);  -liehe  in  sich  4982.  7437. 
7923.  11  323  ^  —  zwei  schwerere  fälle  gehören  nicht  dem  dichter: 
komen  :  ivcere  er  noch  niht  danne  komen  1607,  wo  Grimms  bekomen 
für  das  erste  komen  dem  zu  kurz  überlieferten  vers  nur  mühsam 
aufhilft;  im  zweiten  vers  muss  offenbar  geschrieben  werden: 
IV.  er  n.  n.  dan  genomen,  vgl.  1592f  der  hete  hinder  sich  ge- 
nuinen Etzeln;  7321  schreibt  Jänicke  ligen  :  geligen,  aber  die 
hs.  hat  gesigen,  und  die  Verderbnis  steckt  tiefer.  —  gehandelt 
hän  :  als  ich  von  rehte  sohle  hän  getan  44S9.  Jänicke  schreibt 
getan  st.  von  rehte.  demnach  glaube  ich  auch  nicht  an  die  beiden 
andern  fälle  wo  hdn  :  hän  überliefert  ist:  80S6  daz  irz  ze 
guote  tvellet  hdn  (1.  weit  verstau)  und  12  738  swaz  ich  noch  her 
gestriten  hän  (1,  viell.  noch  strite  hän  getan?). 

Die  Verhältnisse  in  der  Virginal  lassen  erkennen,  ein  wie 
gutes  hilfsmittel  die  kritik,  wenn  die  umstände  günstig  liegen, 
an  den  rührenden  reimen  hat.  Virginal  A,  d.  i.  die  partie  von 
Str.  1 — 239,  die  nur  gelegentliche  eingriffe  erfahren  hat,  zeigt 
den  rührenden  reim  nur  in  drei  Strophen,  von  denen  jede  auch 
aus  andern  gründen  als  überarbeitet  oder  überhaupt  interpoliert 
erwiesen  ist,  s.  ESchmidt  §  77  und  Zs.  50  2.  dass  dabei  die 
Silbentrennung  Dle-trtch  ( :  rieh)  für  diesen  dichter  sichersteht, 
hat  Schmidt  ebda  gezeigt.  —  in  der  letzten,  von  dem  stümper- 
haften bearbeiter  herrührenden  partie  E  (str.  616 — 650.  655 — 710. 
768—1097)    finden   sich   nicht  weniger   als    52  rührende  reime, 

'  Helferich  :  Dietrich  (?)  10  381.  11569.  11755;  liet^art  :  Gerbart 
(1.  -Lcarfi)  9340;  Lütringen  :  Iringen  (?)  3433. 

-  Str.  13,  11  s.  Zs.  50,  18.  43.  45  n  5.  98  n  2.  —  str.  49,  8  s.  21. 
98  n  2.  —  Str.  82,  4  s.  24.  98  n  2. 


74  VON  KRAUS 

meist  allergröbster  art  *.  —  von  der  arbeit  des  dichters  B  sind 
in  der  hauptsaclie  intact  überliefert  die  str.  240 — 399  (s.  83  f, 
70  ff)  und  496 — 531  (s,  74  f):  in  dieser  ganzen  stroplienmasse 
bietet  der  text  nur  4  solche  reime,  die  als  secundär  erwiesen 
sind  2.  es  ist  daher  klar  (s.  aao.  s.  75  n  3),  dass  in  den  partieen 
von  B,  die  stärkere  eingrilTe  durch  E  erfahren  haben,  die  rühren- 
den reime  auf  das  conto  von  E  gesetzt  werden  müssen  '•^.  — 

Die  betreffenden  reime  der  übrigen  im  DHeldenbuch  ver- 
einigten dichtungeu  sind  in  den  vorreden  (oder  schon  bei 
WGrimm)  meist  verzeichnet;  aber  es  hätte,  wie  das  beispiel  der 
Nib.  und  der  Virg.  zeigt,  gar  keinen  zweck,  darauf  einzugehn, 
ohne  an  jedem  einzelnen  denkmal  gesamtkritik  zu  üben;  und 
diese  bliebe  wieder  mehrfach  in  der  luft,  wenn  nicht  die  von 
den  herausgebern  allzuverächtlich  beiseite  geschobenen  jüngeren 
Überlieferungen  herangezogen  werden. 

Einige  lyriker  von  reicherer  production,  HvAue,  HvVeldeke 
und  KvWürzburg,  sind  dem  rührenden  reim  gegenüber  spröder 
in  ihren  liedern  als  in  den  epen  (s.  o.  s.  15  anm.  1 ;  6 1 ;  54  f).  das  mag 
mit  den  gesteigerten  formalen  ansprüchen  zusammenhängen,  die 
man  an  diese  erzeugnisse  der  kleinkunst  stellte;  denn  es  war 
schwieriger  für  den  gleichen  ausgang  eine  oft  recht  grofse  an- 
zahl  von  Wörtern  verschiedenen  anlauts  zu  beschaffen,  als  solche 
mitunterlaufen  zu  lassen,  die  lautlich  identisch  waren,  auch  er- 
schwerte es  die  Vertonung,  nach  einer  mündlich  geäufserten  Ver- 
mutung vEttmayers,  die  accentabstufung  des  recitierenden  Vor- 
trags zur  geltung  zu  bringen,  wie  immer  sich  das  verhalten 
mag,  jedesfalls  wird  der  rührende  reim  von  einer  anzahl  be- 
deutender lyriker  sichtlich  gemieden,  zu  diesen  gehört  auch 
Fri  edrich  vHausen,    bei   dem   nur  2    sehr  unsichere  beispiele 

'  nach  dem  Verzeichnis  bei  Schmidt  §  77. 

-  289,  3,  s.  81  n  2.  —  393,  7  zu  emendieren,  b.  73.  —  522,  4  und 
523,  7,  s.  75  n  3. 

^  wie  Zs.  50  meist  schon  geschehen  ist:  438,  7  (s.  8G) ;  452,  8;  455, 
11  (s.  87  n  3);  478,  11;  482,  11;  485,  1;  489,  4  (s.  88);  539,  7  (s.  92); 
aus  [der  partie  560—614  sind  als  'unecht'  bezeichnet  560,  11;  564,  11; 
565,  4;  599,  8;  610,  3  (s.  91);  als  'echt'  mit  spuren  der  Überarbeitung 
545,  7;  566,  1  (s.  91  f ) ;  als  fraglich  614,  7  (s.  92);  in  stark  überarbeitete 
Partien  fallen  712,  7;  728,  7;  747,  11  (s.  78).  —  endlich  bleibt  653,  7 
(s.  92  wider  zu  zaghaft  als  fraglich  bezeichnet). 


DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MITTELHOCHDEUTSCHEN    7  5 

vorkommen  1;  ebenso  Reimar  d.  A.,  bei  dessen  hoher  technischer 
kunst  solche  reime  besonders  befremden  würden,  aber  tatsäch- 
lich hat  auch  nur  ein  einziger  in  Minnesangs  Frühling  aufnähme 
gefunden  (200,  3:4),  von  dem  bereits  ESchmidt  s.  75  consta- 
tiert  hat,  dass  er  Reimar  (und  Rugge)  fremd  ist.  alle  andern 
verraten  sich  als  secundär,  wenn  man  den  Zusammenhang  näher 
betrachtet  2.  —  die  vier  rührenden  reime  Walthers  kommen, 
wie  schon  Wilmanns  einl.  s.  62  anmerkt,  alle  in  Sprüchen  vor; 
sie  sind  durch  verschiedene  accentuierung  durchaus  gerecht- 
fertigt, dagegen  wäre  der  einzige  fall  in  einem  liede  (55,  35) 
zugleich  der  einzige  'unerlaubte'  3.  bei  andern  lyrikern  lässt 
sich  über  ihre  oder  der  hss.  rührende  reime  nicht  urteilen,  ohne 
gesamtkritik  ihrer  lieder  und  deren  Überlieferung,  dies  würde 
den  rahmen  dieser  Untersuchung  überschreiten. 

Zusammenfassend  lässt  sich  sagen,  dass  sehr  verschiedene 
arten  des  rührenden  reims  unterschieden  werden  müssen,  und 
dass  nicht  jeder  dichter  alle  arten  zulässt  oder  in  gleicher 
häufigkeit  anwendet,     ästhetisch   durchaus   befriedigend   sind  die 

'  nach  Lehfeld  Beitr.  2,  355  anm.  in  den  liedern  45,  22  :  25  und 
48,  34  :  49,  1.  aber  an  der  zweiten  stelle  beruht  der  reim  nur  auf  B, 
während  C  anders  (wenn  auch  sicherlich  falsch)  überliefert,  und  an  der 
ersteren  stelle,  die  nur  auf  C  beruht,  macht  der  sinn  in  der  Umgebung 
soviele  änderungen  nötig  und  ist  das  ergebnis  sowenig  befriedigend  (nU  .  .  . 
vollebringenl  und  se  rehte  neben  rehte),  dass  die  Verderbnis  tiefer  liegen 
muss:  es  stand  ursprünglich  wahrscheinlich  ein  unreiner  reim,  nicht  ein 
rührender.  —  wenn  Lehfeld  einen  dritten  reim  dieser  art  durch  conjectur 
schafft  (aao.),  so  ist  das  natürlich  abzulehnen. 

2  zusammengestellt  von  Paul  PBBeitr.  2,  540.  157,  34  ist  zil  A  gegen 
wil  BCE  sicher  echt,  zu  ergibt  den  gegensatz  zu  niemer  mere  tac  der 
vhg.  zeile;  auch  der  folgende  vers  passt  zu  zä,  nicht  aber  zu  iemer  BCE, 
das  überdies  neben  niemer  blass  und  dürftig  würkt.  —  165,  29  ist  gleich- 
falls A  (ist)  gegenüber  BCE  (bist)  im  rechte,  vom  namen  'wort'  spricht 
der  dichter  in  der  3  person,  vom  wip  in  direkter  anrede,  und  zu  namen 
allein  passt  nennen.  C  verrät  die  tendenz  alles  in  die  2  person  zu  uni- 
formieren auch  schon  in  der  1  zeile  (din  28).  —  179,  26  fordert  der  Zu- 
sammenhang, dass  Reimar  lebt  'wie  bisher'  (pßac  E),  nicht  'wie  er  kann' 
(mac  bp).  —  100,  35.  38  hat  minnen  wil,  das  den  rührenden  reim  erst 
schafft,  als  schlechte,  sinnwidrige  conjectur  gar  keine  berechtigung:  minne 
eil  CC^  muss  bleiben. 

3  [s.  jetzt  Jellinek  Beit.-.  43,  19f.  22.]  —  unerlaubt  wäre  auch  18,  5 
sol  (nur  A.  anders  C,    lool  Lachmann"). 


76   VON  KRAUS,  DER  RÜHRENDE  REIM  IM  MHD. 

fälle  wo  der  wort-  oder  gar  der  s atz -accent  einen  klanglichen 
unterschied  schafft,  mehr  archaisch  und  wol  noch  auf  latei- 
nischer tradition  beruhend  sind  die  bindungen  zweier  gleicher 
unbetonter  Wörter  oder  silben.  sie  finden  am  romanischen  ge- 
brauch eine  stütze  und  erweitern  durch  romanische  Vorbilder 
ihren  bereich,  indem  sie  sich  auch  auf  zwei  starkbetonte  Wörter 
erstrecken,  in  welchem  falle  bei  guten  dichtem  ^  die  Unter- 
scheidung in  das  gebiet  der  bedeutung  verlegt  wird:  je  frap- 
panter der  bedeutungsunterschied  gegenüber  der  lautlichen  gleich- 
heit  ausfällt,  umso  witziger  die  erfindung^.  endlich  giebt  es 
—  bei  guten  dichtem  ganz  vereinzelt  — ,  fälle,  wo  der  rührende 
reim  sich  möglichst  bemerkbar  machen  soll,  um  eine  an  der  be- 
treffenden stelle  erwünschte  besondere  würkung  zu  erzielen,  dies 
sind  die  wahren  'unerlaubten'  reime  und  zugleich,  wie  bisweilen 
das  unerlaubte  in  der  kunst,  die  genialsten. 

So  ergiebt  auch  die  betrachtuug  des  rührenden  reims  was 
man  ebensogut  an  der  behandlung  des  auftacts,  des  versendes, 
der  tactfüllung  oder  des  liiatus,  an  der  Wortwahl  wie  überhaupt 
an  der  ganzen  diction  zeigen  kann  und  zum  grofsen  teil  bereits 
gezeigt  hat:  dass  die  bedeutenden  altdeutschen  dichter  in  all 
diesen  dingen  eine  deutsche  kunst,  die  dem  Charakter  ihrer  spräche 
angepasst  ist,  geschaffen  und  zur  denkbar  höchsten  Vollkommen- 
heit emporgeführt  haben,  wer  das  verkennt  und  in  ihnen  nichts 
weiter  sieht  als  mehr  oder  minder  gute  Übersetzer,  dessen  urteil  ist 
nicht  nur  ungerecht,  sondern  es  ist  auch  —  Avas  in  ästhetischen 
fragen  noch  viel  schlimmer  ist  —  baar  jeder  künstlerischen 
einsieht. 

'  das  beer  der  schlechten,  denen  es  genügt  wenn  die  Vorsilben 
anders  lauten,  verdient  in  einer  auf  die  künstlerische  technik  gerichteten 
Untersuchung  keinen  platz. 

^  das  führt  später  (ein  anfaug  ist  das  eine  lied  Konrads  vWürzburg, 
s.  o.  s.  54)  zur  abfassung  ganzer  gedichte  in  solchen  rührenden  reimen, 
8.  zb.  das  bekannte  'Equivocum'  des  Sucheuwirt  (wo  XLIV  36  übrigens 
du  solt  dich  ee  (jlauben  'entäufsern'  De::  tsioeivel  zu  lesen  ist),  der 
name  wäre  ganz  gut  für  solche  gedankenreime  zu  verwenden.  —  sonst 
zeigt  sich  dieser  dichter  recht  feiuhörig  ira  gebrauch  des  rührenden  reims. 

Wien  d.   l'.J.  februar  1916. 

Carl  von  Kraus. 


IRINGES  WEG. 

Der  bericht  des  Widukind  über  den  Untergang  des  thüringi- 
schen reichs,  das  ende  des  Irminfrid  und  die  rachetat  des  Iring 
schliefst  mit  den  worten:  mir  ari  tarnen  non  possimius  in  tanium 
famam  praevaluisse,  ut  hingis  nomine,  quem  ita  vocitant,  lacteus 
caell  circulus  usque  in  presenn  sit  notatua  (rer.  gest.  Sax.  1,  13). 
Widuiiind  kannte  also  einen  deutschen  namen  der  Milchstrafse 
Iringsweg  oder  -strai'se.  da  er  zu  gelehrten  deutungen  neigt  — 
ich  verweise  nur  auf  die  berühmte  stelle  1,  12  — ,  muss  es  dahin- 
gestellt bleiben,  ob  er  zuerst  diesen  namen  auf  den  thüringischen 
beiden  bezogen  hat,  oder  ob  er  darin  einer  im  volke  lebenden 
meinung  folgt,  und  selbst  wenn  das  letztere  der  fall  wäre,  bliebe 
die  frage  zu  erwägen,  ob  diese  beziehung  auf  echter  sage  beruht 
oder  nur  durch  die  gleichheil  des  namens  entstanden  ist,  sodass 
also  der  thüringische  Iring  und  der  Iring  der  milchstrafse  ur- 
sprünglich zwei  verschiedene  personen  gewesen  wären.  Widukind 
kannte  den  namen  jedenfalls  aus  seiner  sächsischen  heimat;  hätte 
er  irgendeine  sagenmäfsige  erklärung  für  die  doch  gewis  auf- 
fallende benennung  nach  dem  thüringischen  beiden  gekannt, 
würde  er  sie  wol  mindestens  angedeutet  haben,  der  oben  ange- 
führte satz  aber  khngt  so,  als  habe  er  nichts  darüber  gewust,  als 
sei  nur  um  des  ruhmes  seiner  taten  willen  Irings  name  mit  dem 
sternbilde  verbunden  worden,  dass  der  name  bei  den  Sachsen  in 
gebrauch  war,  beweist  die  angelsächsische  glosse :  via  seda, 
iringaes  uueg  (Epinalglossen),  iringes  uiieg  (Corpusglossen)  Sweet 
The  oldest  english  texts  104,  1050;  105,  2118.  [Die  glosse  ist 
ursprünglich  eine  interlinearglosse  zu  Isidorus  De  natura  reium^. 
das  glossar  von  Erfurt  hat  iuuuringes  uueg  corrigiert  aus 
iuuaringes    uu.    (Sweet    aao,    1.04,    1050;    Goetz    Corpus    gloss. 

1  GDittmann  macht  mich  brieflich  darauf  aufmerksam,  dass  cia 
secta  aus  Verg.  Georg.  1,  238  stammt.  cUe  stelle  wird  bei  Isidor  im 
10  cap.  zitiert,  in  unsern  ausgaben  freilich  nicht  bis  zu  den  worten  via 
secta.  der  glossator  muss  eine  hs.  vor  sich  gehabt  haben,  in  der  der 
vers  ganz  angeführt  war.  cia  secta  bezeichnet  übrigens  in  der  Vergil- 
stelle  den  Tierkreis,  nicht  die  Miichstrasse. 


78  MEISSNER  ' 

lat.  5,  3 98,  40).  über  diese  form  liat  Kögel  gehandelt  (Beitr. 
16,  504)  und  auf  den  angels.  namen  Tiiring  hingewiesen,  für 
die  folgenden  betrachtungen  ist  diese  abweichende  gestalt  des 
namens  ohne  belang,  jedenfalls  ist  die  bezeichnung  der  Milch- 
strafse  als  Iringesweg  bei  den  Angelsachsen  aus  ältester  zeit 
bezeugt  und  offenbar  aus  ihrer  heimat  mitgebracht,  von  der 
thüringischen  sage  von  Irminfrid  und  Iring  findet  sich  bei  den 
Angelsachsen  sonst  keine  spur  (Binz  PBBeitr.  20,  202).  Wids.  30 
wird   Wod  als  herscher  der  Thüringer  genannt. 

In  die  Chronik  des  Ekkeliard  von  Aura  ist  der  bericht  des 
Widukind  übernommen,  aber  der  name  'Iringsstralse'  eingeschoben: 
famam  in  tantum  jjraevaluisse,  ut  lacteus  caeli  circulus  Iringes 
nomine  Iringes  straza  usque  in  presens  sit  notatus.  MG. SS.  VI  17S 
(dat  inen  dene  Witten  wech,  de  over  dene  himel  geit,  het  de  Iringe- 
strate wante  an  disen  hudeliken  dach.  Der  Sachsen  herkunft, 
Deutsche  Chroniken  II  263).  noch  Aventinus  kennt  den  alten 
deutschen  namen  der  Milchstrafse,  er  knüpft  ihn  an  einen  phan- 
tastischen könig  seiner  bayerischen  Vorgeschichte,  einen  könig 
Euring,  den  söhn  des  königs  Bren  IV:  künig  Ewing,  künig  Thesseis 
brueder,  ist  gesessen  oberhalb  Taurburg  (ietzo  kriechischen 
WeissenburgJ  in  der  Stadt  Schirmburg  (ietzo  Sinching)  und  zue 
Teutschburg  umh  die  Thonau,  da  die  Dra  dreinfelt.  ist  ein 
künstler  und  des  gestirns  kündig  gewesen.  Von  im  nennen  die 
alten  Teutschen  Euringsstrass  den  weissen  kraisz,  so  man  zue 
nacht  am  himmel  siecht  und  die  Römer  und  Kriechen  in  iren 
sprachen  von  der  milich.  Bayer,  chronik  I  407  Lex  er;  via 
lactea,  olim  Euringstrasze,  ita  dicta  ab  Euringo,  rege  in 
Sinchingen,  qui  astrologus  excellens  fuit.  Stieler  2196.  Euring 
hat  schon  JGrimm  (DMyth.  4  I  297)  mit  luring  zusammen- 
gestellt, doch  könnte  Euring  auch  durch  rundung  aus  Eiring 
(vgl.  den  namen  Eyering)  entstanden  sein,  der  name  Iring  ist 
auf  hochdeutschem  gebiet  weitverbreitet,  s.  Förstemann  Personen- 
namen 2  9ß7-  Socin  Mittelhochd.  namenbuch  572;  Schmeller-Fr. 
Bayer,  wörterb.  I  129. 

JGrimm  sah  in  Iring  eine  mythische  gestalt,  die  als  solche 
mit  der  Milchstrafse  verbunden  war  und  vermenschlicht  in  die 
thüringische  heldensage  einging  (Myth.  ^  I  296 ff);  auch  Müllen- 
hoff  vertritt  diese  ansieht  (Zeitschr.  f.  d.  alt.  30,  248).  dieser 
mythische  Iring  ist  aber  lediglich  aus  dem  namen  der  Milchstrafse 


IRINGES  WEG  79 

erschlossen,  sonst  findet  sich  keine  spur  von  ihm.  was  uns 
anderseits  von  dem  beiden  Iring  bekannt  ist,  gibt  keine  er- 
klärung  für  die  benennung  der  Milchstrafse.  JacGrimm  hob  her- 
vor, dass  Iring,  nachdem  er  seinen  herrn  am  Frankenkönige  ge- 
rächt hat,  sich  mit  dem  schwert  durch  die  mannen  des  königs 
^einen  weg  bahnt'  (viam  ferro  faciens)  und  entrinnt,  auch 
AHeusler  (in  Hoops  Reallexicon  II  599)  hält  diese  anknüpfung  für 
möglich,  mir  erscheint  es  sehr  künstlich,  die  eigentliche  Vor- 
stellung einer  strafse  am  himmel  aus  dieser  lateinisch  stilisierten 
Wendung  herzuleiten,  in  der  via  in  abgeleitetem  sinne  gebraucht 
ist.  schon  WGrimm  (DHeldensage  3  444)  lehnte  diese  auffassung 
mit  vollem  recht  ab.  merkwürdig  ist,  dass  in  der  Magdeburger 
Schöppenchronik  Irings  Schwert  als  name  der  Milchstrafse  er- 
scheint, die  erklärung  des  namens  wird  ganz  wie  bei  Grimm 
gegeben:  dar  af  clat  Iring  einen  weg  makede  mid  dem  swerde, 
dat  he  enwech  quam,  daraf  hext  de  witte  strinie  in  dem  hemmele, 
den  men  des  nacktes  suef,  Iringes  sivert  den  namen  geven  se  do 
den  cirkel  to  dude,  aver  in  dem  latin  lieit  he  lacteus  circulus. 
D.  Städtechron.  VII  17.  'Irings  schwert'  kann  gegenüber  den  alten 
Zeugnissen  nicht  als  echter  name  gelten. 

Wir  dürfen  sagen:  es  fehlt  uns  jede  Verknüpfung  zwischen 
dem  thüringischen  Iring  und  dem  namen  der  Milchstrafse,  und 
anderseits  haben  wir  keine  Zeugnisse,  auf  die  sich  eine  mytho- 
logische erklärung  des  namens  stützen  könnte. 

Längst  hat  man  bemerkt,  dass  namen  der  Milchstrafse  sich 
als  stralsennamen  auf  der  erde  widerfinden,  hier  ist  zb.  der 
schon  von  JGrimm  aus  Chaucer  angeführte  name  Watlingstreet 
(angelsächs.  Wcetling a-strcet  Angeh.  chronik  zu  1013)  zu  erwähnen, 
der  name  einer  der  grofsen,  das  alte  England  durchziehenden 
strafsen : 

now,  quod  he  tho,  cast  up  thyn  ye; 

See  yonder,  lo,  the  Galaxije, 

which  men  clepeth  the  Müky   Wey, 

for  hit  is  whyt:  and  somme,  parfey, 

callen  hit  Watlinge  Strete. 

H0U8  of  fame  935  (II  427). 

Skeat  gibt  in  der  anmerkung  zur  stelle  noch  einige  andere 
l)elege. 


so  MEISSNER  ' 

Dient  hier  eine  bestimmte  stiafse  zur  benennung  der  Milch 
slrafse,  so  werden  sonst  auch  gattunj^snamen  dazu  verwendet  wie 
Heerweg,  Hcerstrasze  (Grimm  DMylhJ  III  106).  wh'  sehen  oft  an 
dein  liimel  ainen  praiteu  halben  kra'iz  weiz  und  klär  reht  sam 
am  klaren  sträz.  der  kr  alz  haizt  von  den  laien  die  hersträz 
Konrad  vMegenberg  Bucli  der  natur  78. 

Charakteristisch  ist  dass  die  naraen  von  den  grofsen,  aus- 
gedehnte gebiete  durchzieiienden  stralsen  hergenommen  werden, 
die  für  den  an  die  nächste  Umgebung  gebundenenen  sich  in  weiteste 
ferne  zu  erstrecken  scheinen,  man  sah  am  himmel  das  was  man 
von  der  erde  her  kannte,  bezeichnete  den  sternenstreifen  als 
strafse  schlechthin,  lediglich  nach  der  ähnlichkeit  der  äufseren 
erscheinung.  diese  einfachen  namen,  die  zunächst  nur  die  Milcli- 
strai'se  ihrem  aussehen  nach  in  den  vorhandenen  vorstellungskreis 
einordnen,  sind  an  sich  verständlich  und  bedürfen  keiner  weiteren 
erklärungen.  damit  ist  nicht  abgewiesen,  dass  nun  die  dichtende 
phantasie  die  namen  mit  ihrem  gewebe  umspinnt. 

Hehveg  bezeichnet  die  via  publica  auf  der  erde  (häufig  als 
localname.  über  hellivege  in  Westfalen  vgl.  Nd.  korr.bl.  1907,  82. 
hei-,  helle-,  hilcwech  Schiller -Lübben  Mittelnd.  wb.  II  236"; 
Woeste  Westf.  wb.  102%  Volksüberlieferungen  in  der  grafschaft 
Mark  41)  und  die  Milchstralse  am  himmel  (JGrimm  Rechtsalt.  4  II 
82 ;  Myth.*  III 238).  auch  hier  ist  unbedingt  der  irdische  llellweg  als 
das  prius  anzusehen,  zwar  gibt  es  neben  dem  Hellweg  am  himmel 
auch  einen  Hellwagen  —  das  sternbild  des  grofsen  Bären  (Grimm 
Myth.  1  II  069,  nachtr.  238).  hier  liegt  die  beziehung  auf  den 
führer  des  wütenden  heeres  (den  Heijäger)  nahe,  der  ja  oft  als 
im  wagen  fahrend  vorgestellt  wird,  und  doch  ist  es  selbstverständ- 
lich, dass  das  wütende  beer  ursprünglich  auf  der  erde  oder  in  der 
unmittelbar  darüber  hegenden  luftregion  seinen  umzug  hält  und 
dass  die  Versetzung  an  den  himmel,  die  auffassung  der  Milchstralse 
als  eines  weges  auf  dem  das  wütende  beer  dahinfährt,  jünger  und 
mythologisch  von  geringer  bedeutung  ist.  die  Milchstrafse  heilst 
Hellweg,  Heerweg,  Heerstrafse  (DWb.  IV  2,  761;  galaxia,  die 
herstrasze  in  celo  Diefenbach  Gloss.  lat.-germ.  255')  eben  nur 
weil  sie  als  eine  strafse  aufgefasst  wird. 

Wenn  helwec  mit  altn.  helvegr  gleichgestellt  wird,  ist  es  un- 
verständlich, wie  das  wort  die  nüchterne  bedeutung  von  landstrafse 
hat    annehmen    können.     JGrimm   meinte,    es  bezeichne  Ursprung- 


IRINGES  WEG  81 

lieh  den  weg,  auf  dem  die  leichen  gefahren  werden  (Myth.  ^  II  669). 
das  ist  mehr  eine  Verlegenheitsdeutung  und  erklärt  vor  allem  nicht, 
dass  grade  die  grofse,  weite  strecken  durchziehende  strafse  helweg 
heifst  (Schiller-Lübben  Mittelniederd.  wb.  II  236').  gewis  hat  man 
Hei-  in  Helweg  mit  Hölle,  dem  Helljäger  und  dem  Hellwagen 
in  Verbindung  gebracht,  aber  ursprünglich  mufs  hei-  in  helweg 
etwas  ganz  anderes  bedeuten.  AKuhn  Sagen,  gebrauche  und 
märchen  aus  Westfalen  II  85  stellt  eine  ganze  reihe  von  namen 
der  Milchstrafse  zusammen;  neben  Helweg  und  Heerstrasze,  her- 
pat  führt  er  unter  andern  folgende  an:  Strafse  nach  Aachen, 
Frankfurter  Strafse,  Kölsche  straote,  Kierenherger  patweg.  die 
mythologische  befangenheit  jener  zeit  zeigt  sich  recht  deutlich  bei 
der  erklärung  des  Nürnberger  pfades:  der  Nürnberg  ist  der  ein- 
gang  zur  unterweit  (Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachforschung  2,  239). 
wir  haben  hier  sowol  grofse  handelsstrafsen  wie  die  nach  Frank- 
furt, Nürnberg,  wol  auch  die  nach  Köln,  als  auch  eine  pilger- 
strafse,  die  nach  Aachen,  ebenso  nüchterne  Namen  sind  the  London 
road  (Rotzler  in  Vollmöllers  Roman,  forschungen  23,  825)  und 
la  strada  tra  Napoli  e  Roma  (ebda  817). 

Besonders  verbreitet  ist  im  Mittelalter  der  Name  St.  Jacohs- 
strafse  für  die  Milchstrafse,  und  zwar  entsprechend  der  berühmtheit 
des  heiligtums  (Santiago)  ist  es  ein  internationaler  name,  ebenso 
wie  Bomstrafse,  Romweg  (J Grimm  DMylh.  ^  III  106;  Romstrose, 
sunt  Jacobsstrass ,  galaxia,  via  St.  Jacobi.  Diefenbach  Gloss. 
lat.-germ.  255  *'.  la  Galaxia,  cioe  quello  bianco  cerchio,  che  il 
vulgo  chiama  la  via  dt  santo  lacopo.  Dante  II  convivio  II  15). 
die  Vorstellung  der  weite  länder  durchziehenden,  in  Stationen  fest- 
gelegten pilgerstrafse  wird  auf  den  himmel  übertragen,  über  die 
Verbreitung  des  namens  Jakobsweg  verweise  ich  auf  die  schon 
citierte  gründüche  und  lehrreiche  Abhandlung  von  HRotzler  über 
die  benennungen  der  Milchstrafse  im  französischen  in  Vollmöllers 
Roman. forschungen  23(1915),  794ffi,  nur  kann  ich  seiner  erklärung 
der  herkunft  des  namens  nicht  zustimmen,  er  will  den  namen  auf 
die  in  der  Turpinschen  chronik  geschilderte  vision  Karls  des  Grofsen 
zurückführen,  während  meiner  ansieht  nach  die  vision  schon  auf 
einer  geistlichen  umdeutung  des  namens  beruht,  einen  englischen 
hierher  gehörenden  namen  der  Milchstrafse   entnehme  ich  der  an- 

•  vgl.  auch  seine  belege  für  Rom.<traff<e  81;'.. 
Z.  F.  D.  A.  LVI.     N.  F.  XLIV.  0 


82  MEISSNER 

merkung  Skeats  zu  der  oben  angefüluten  Chaucerstelle :  the 
Walsingham  watj  'oivlng  to  this  heing  a  route  niuch  frequented 
by  pilgrims'.  über  die  Pilgerreisen  zu  der  h.  Maria  von  Wal- 
singham s.  Percys  bemerkung  zur  ballade:  Gentle  herdsman  teil 
to  me.  ebenso  ist  wol  in  Frankreich  der  name  chemin  de  Char- 
roux  aufzufassen,  als  weg  zu  den  reliquien  der  abtei  von  Char- 
roux,  nicht  als  teilstrecke  des  Jacobsweges  (Rotzler  aao.  813). 
auch  für  die  Türken  ist  die  Milchstrafse  ein  pilgerweg,  der  weg 
der  Mekkapilger  (J.  Grimm,  Myth.  ^  1,  296  anm.  1).  wenn  die 
h.  Jungfrau  als  liimehträze  angeredet  wird,  so  ist  die  Milchstrafse 
ausgedeutet  als  der  weg  zu  Gott: 

du  rlchiu  Uljenouive, 

du  himelsträze,  du  scdden  tac 

Minnes.  2,  360''  Hagen. 

vgl.  WGrimms  einleitung  zur  Goldnen  schmiede  des  KvWürz- 
burg  XLV  13.  weitverbreitet  ist  die  Vorstellung  der  Milchstrafse 
als  des  weges  von  der  erde  der  sterblichen  zu  der  weit  der  un- 
sterblichen, als  des  weges  der  seelen  (Gundel  De  stellarum  appel- 
latione  et  religione  Romana,  Giefsen  1907,  s.  153).  dieser  ge- 
danke  wird  auch  von  der  christlichen  phantasie  ergriffen  und  viel- 
fach umgebildet,  bei  der  benennung  der  Milchstrafse  nach  pilger- 
straf sen  darf  er  aber,  wie  ich  glaube,  zur  erklärung  des  namens 
nicht  verwendet  werden:  erst  nachdem  der  name  feststeht, 
knüpfen  sich  daran  die  religiösen  ausdeutungen.  Rotzlers  abhand- 
lung  bietet  charakteristische  beispiele. 

Wenn  in  Frankreich  der  name  la  chaussee  romaine  für  die 
Milchstrafse  bezeugt  ist  (Rotzler  aao.  825),  so  ist  natürlich  die 
von  den  Römern  gebaute  grofse  heerstrafse  gemeint,  die  be- 
wahrung  dieser  erinnerungen  im  volkstümlichen  gebrauch  ist  be- 
achtenswert, anderseits  wollte  man  so  gewaltige  bauten  den 
menschen  nicht  zutrauen,  nannte  daher  die  reste  alter  Römer- 
strafsen  chaussee  du  diahle  (Rotzler  aao.  817.  826).  ich  meine, 
dass  deshalb  auch  die  Milchstrafse  le  chemin  du  diahle  heifsL 
die  von  Rotzler  angeführten  himmels-  und  wettererecheinungen, 
bei  denen  der  teufel  den  namen  hergibt,  sind  doch  anderer  art. 
der  teufel  hat  die  Römerstraf  sen,  erbaut  und  so  gilt  er  auch 
als  der  erbauer  der  grofsen  himmelsstrafse  (vgl.  die  sage  bei 
Kotzler  817). 


IRINGES  WEG  83 

Erscheinen  menschen  als  erbauer  der  grofsen  strafsen,  so  sind 
es  übermächtige  oder  solche  die  durch  zauber  oder  list  böse  geister 
in  ihren  dienst  zwingen,  die  erinnerung  an  Brunhilde,  die  ge- 
Avaltige  austrasische  königin,  hat  das  volk  bewahrt,  indem  es  ihr 
den  bau  oder  auch  die  widerherstellung  der  alten  Römerstrafsen 
zuschrieb,  dass  ihr  der  teufel  dabei  geholfen  und  sie  ihn  über- 
listet hat,  ist  natürlich,  chaiisst'e  de  Brnnehaut  für  Römerstrafse 
und  Milchstrafse  ist  besonders  in  Belgien  und  Nordfrankreich  be- 
zeugt, doch  auch  in  mittleren  und  südliehen  gegenden  Frankreichs 
(Rotzler  826);  als  name  der  Milchstrafse  erscheint  im  nieder- 
ländischen ver  Broenelden  strafe  Verdam,  Mittelnld.  woordenbock 

VII  2278,  vgl.  JGrimm  DMyth.  ^  III  In 6;  I  236.  JGrimm 
citiert  in  seinem  aufsatze  'Irmenstrafse  und  Irmensäule'  (Kl.  Schriften 

VIII  497)  nach  Bergier  Hist.  des  grands  cheminsde  Tempire  romain 
«ine  stelle  aus  den  'Zeitbüchern  der  abtei  von  SBertin',  in  der 
eine  bestimmte  strafse  mit  dem  namen  der  königin  verbunden 
wird:  hie  finis  Brunechildis,  qiie  licet  insolens  esset  et  peri- 
culosa,  ecclesias  tarnen  Iwnorahat,  ecclesiam  S.  Vincencii  Laudu- 
nensis  fiindavit,  multa  etiam  opera  miranda  construxit,  inter  que 
stratam  puhlicam  de  Cameraco  ad  Atrehatum,  liinc  ad  Morinum 
et  usque  ad  mare  Witsantum  fecit,  qtie  calceria  Brunechildis 
nominatur  usque  in  hodiernum  diem.  die  stelle  stammt  aus  Jo- 
hannis  Longi  Chron.  SBertini  (MG.  SS.  XXV  759)  gehört  also  dem 
1 4  jh.  an.  es  ist  begreiflich,  dass  das  wilde  beer,  wenn  es  über  die 
Milchstrafse  zieht,  von  Brunhilde  angeführt  wird;  denn  in  Pharaild. 
ver  Hilde  (JGrimm  DMyth.  ^  I  236)  erkennen  wir  unschwer  den 
namen  der  königin  (vgl.  nid.  Vroneldenstraet).  Brunehaid  hat 
man  auch  als  mannsnamen  gedeutet,  und  sieht  dann  in  ihm, 
einem  Brunehaldus,  den  erbauer  der  straisen  (JGrimm  Kl.  Schriften 
VIII  498). 

Wir  haben  eine  grofse  anzahl  von  benennungen  der  Milchstrafse 
kennen  gelernt,  die  ursprünglich  bezeichnungen  irdischer  strafsen 
sind  und  einfach  auf  den  himmel  übertragen  wurden,  zunächst 
ohne  jede  weitere  ausdeutung.  eine  grofse  strafse,  die  in  das  un- 
bekannte, ferne  führt,  sah  man  am  nächtlichen  himmel,  nur  das 
wollte  man  mit  dem  namen  ausdrücken,  kehren  wir  nun  zum 
Iringsweg  zurück,  die  Vermutung  liegt  nahe,  dass  auch  dieser 
name  ursprünglich  eine  irdische  strafse  und  zwar  eine  strafse  des 
alten   Sachsenlandes   bezeichnete,   nach   der   dann   das   himmlische 

6* 


S4  MEISSNER 

gegenbild  benannt  wurde,  wir  haben  ein  zeugnis  dafür,  das 
allerdings  durch  eine  besondere  Ungunst  der  Überlieferung  selir 
verdunkelt  ist.  seine  beweiskraft  ist  dadurch  zweifelhaft  ge- 
worden. 

Der  thüringische  held  Iring  wird  von  der  sage  an  den  lief 
Etzels  versetzt  und  den  liurgunden  im  kämpf  gegenübergestellt, 
er  fällt  von  der  band  Hagens.  das  Nibelungenlied  kennt  auch 
den  letzten  thüringerkönig  Irminfrid  unter  den  gegnern  der  Bur- 
gunden  {Irnvrit  von  iJür'mgen  1968,  2;  der  lantcräve  2009,  4). 
der  dichter  des  Nibelungenliedes  weils  aber  nichts  mehr  von  dem 
Verhältnis  Irings  zu  Irminfrid,  Iring  ist  der  mann  Hawarts,  des 
Dänen,  ein  markgraf  {dö  rief  von  Teuemarke  der  marcräve  Irinc 
1965,  1).  Irnvrit  wird  von  Volker  getötet,  in  der  Thidreks- 
saga  fehlt  Irminfrid,  über  die  herkunft  des  Iring  {Inuigr)  erzälilt 
sie  nichts. 

Auf  die  verwickelte  frage,  aus  welchen  bestandteilen  die  er- 
zählung  vom  Untergang  der  Burgunden  in  der  Saga  zusammen- 
gesetzt ist,  wie  die  einzelnen  stücke  der  sich  widersprechenden 
berichte  umgebogen  und  verändert  sind,  brauche  ich  hier  nur 
soweit  einzugehen,  als  unser  thema  erfordert  (vgl,  AHeusler  Die 
heldenroUen  im  Burgundenuntergang.  Sitzungsberichte  der  Berliner 
akademie  1914,  s.  11 14  ff),  gewis  ist  dass  in  die  erzählung  eine 
Soester  localüberlieferung  hineingearbeitet  wurde,  in  Soest  hatte 
Etzel  die  gaste  empfangen,  dort  zeigte  man  den  ummauerten 
garten  (Xiflimga  garär)  in  dem  der  kämpf  ausbrach,  den  türm 
in  dem  der  gefangene  Günther  sein  ende  fand,  die  stelle  wo 
Hagen  überwältigt  wurde,  und  eine  andere  wo  Iring  fiel  (hvar 
Hggnl  feil  eda  Irungr  var  veginn).  cap.  394  (327,  16  ff 
Bertelsen),  im  cap.  387  (320,  13  Bertelsen)  wird  erzählt,  wie 
Iring  von  Hagens  speer  durchbohrt  wird,  so  dass  die  spitze  ihm 
am  rücken  herausdringt:  ok  pn  Icetr  Irungr  sigaz  viä  steinveginn, 
ok  pesse  steinvegr  heitir  Irungs  vegr  enn  l  dag,  ok  spjötlt  Hggna 
nemr  stadar  i  steinveginum.  so  steht  in  der  alten  Stockholmer 
pergamenths.,  die  beiden  Arnamagnseanischen  papierhss.  haben  stein- 
regginn,  steinveggr,  Irungs  veggr,  steinvegginum.  sehr  bald  schon 
hat  man  mit  rücksicht  auf  die  stelle  des  VVidukind  angenommen, 
die  lesart  der  papierhandschriften  beruhe  auf  einem  misverständnis: 
Iring  sei  nicht  an  einer  \\and,  sondern  auf  eine  gepflasterte  strafse 
{ftteinvegr)  niedergesunken,  und  eine  strafse  in  Soest  habe  darnach 


lEINGES  WEG  85 

Itingsweg  geheifsen  (WGriimii  DHeldensage  »  469).  auf  die 
frage,  ob  in  Soest  eine  strafse  oder  eine  wand  nach  Iring  genannt 
war,  werde  ich  noch  zurückkommen,  zunäciist  aber  ist  fest- 
zustellen, dass  auch  in  der  membrane  eine  mauer  gemeint  ist, 
denn  auch  311,  23  und  312,  2,  wo  zweifellos  von  einer  stein- 
wand die  rede  ist,  hat  die  membrane  steinvegr  (AHeusler  aao. 
s.  1117  anm.  3).  ebenso  wie  im  altnord,  vegr  und  veggr  stehen 
übrigens  auch  im  niederd.  iceg  (wand)  und  zveg  (via)  einander 
lautlich  nahe,  vgl.  Walthers  aufsatz  im  Niederd.  Jahrbuch  26, 
116  ff,  van  Helten  PBBeitr.  30,  241,  anm.  2. 

Die  Saga  erzählt  den  kämpf  Irin gs  mit  Hagen  in  folgender 
weise:  Hagen  ist  im  strafsenkampf  so  weit  unter  die  feinde  vor- 
gedrungen, dass  er  von  den  seinen  getrennt  wird,  er  bricht  ein 
liaus  (hgll)  auf  ok  gengr  inn  oJc  snyz  aptr  at  durunum  ok  nemr 
pn  staäar  ok  Jivilir  sik  (319,  1  Bertelsen),  dort  wird  Hagen 
von  Iring  angegriffen  und  zwar  zweimal,  beim  ersten  kämpf 
versetzt  Iring  dem  Hagen  eine  schwere  wunde  und  läuft  sogleich 
aus  der  halle  zu  Kriemhilt  zurück,  aufgereizt  von  ihr  wagt  er 
einen  zweiten  kämpf,  bei  dem  er  fällt,  hier  steht  dann  die  stelle 
über  Irungsvegr. 

Es  unterligt  keinem  zweifei,  das>.  bei  der  Schilderung  des  kampfes 
zwischen  Iring  und  Hagen  die  sagengestaltung  eines  oberdeutschen 
gedichtes  benutzt  worden  ist,  das  als  Vorstufe  für  den  zweiten  teil 
des  Nibelungenliedes  angesehen  werden  darf,  das  beweist  schon  die 
äufsert  ungeschickt  eingeleitete  Verlegung  des  kampfes  in  die  halle, 
die  für  die  oberdeutschen  bestandteile  der  sage  ebenso  charakte- 
ristisch ist  wie  der  baumgarten  für  die  niederdeutschen,  auch  im 
Nibelungenlied  kämpft  Iring  zweimal  mit  Hagen,  verwundet  ihn 
beim  ersten  kämpfe  und  empfängt  im  zweiten  die  todeswunde  von 
Hagens  speer.  im  Nibelungenliede  stehen  neben  Hagen  auch  die 
andern  burgundischen  beiden,  Iring  kämpft  beim  ersten  angriff 
nacheinander  mit  Hagen,  Volker,  Günther,  Gernot,  Giselher  und 
wider  mit  Hagen,  den  er  verwundet,  in  der  Saga  tritt  Hagen 
allein  Iring  gegenüber.  Hagen  verfolgt  im  liede  Iring  beim  ersten 
kämpf  die  treppe  hinunter  (1989,  4.  1990)  und  läuft  ihm  beim 
zweiten  bis  zum  ende  der  stiege  entgegen  (1998,  2j.  erst  mit 
dem  Schwert  verwundet  (fehlt  in  der  Saga),  dann  tödlich  von 
Hagens  ger  am  köpf  getroffen,  weicht  Iring  zurück  zu  den  seinen 
und  stirbt  zu  Kriemhilds  fülsen.    im  Nibelungenliede  wirft  Hagen 


S6  MEISSNER 

den  ger,  der  in  Irings  köpf  stecken  bleibt  (2001).  die  Saga  kennt 
den  Speer  als  wurfwaffe  in  kampfschilderungen  überhaupt  nicht, 
abgesehen  von  einer  stelle,  wo  Isung  den  speer  nach  der  in 
drachengestalt  über  den  kämpfern  fliegenden  Ostacia  schleudert 
(272,  17).  ferner  ist  beachtenswert,  dass  nur  an  unserer  stelle 
der  Speer  von  einem  fulskärapfer  gebraucht  wird,  sonst  in  der 
Saga  ausschliefslich  im  reiterkampf  (Schaefer  Waffenstudien  zur 
Thidreksaga,  Berlin   1912,  s.  59). 

Boer  hat  angenommen  (Untersuchungen  über  den  Ursprung 
u.  die  entw.  der  Nibelungensage  I  157),  Iring  sei  nach  nieder- 
deutscher sage  niclit  in  der  halle,  sondern  in  dem  von  einer  Stein- 
mauer umgebenen  kampfgarten  gefallen,  dessen,  steinveggr  sei  also 
die  Iringswand.  dieselbe  auffassung  vertritt  Polak  (Zeitschr.  f. 
d.  a.  54,  454). 

Wir  kommen  damit  zur  entscheidenden  frage:  ist  der  tod 
Irings  mit  der  bestimmten  Ortsangabe  nach  einer  vom  'älteren 
oberdeutschen  epos'  unabhängigen  quelle  erzählt  worden,  gab  es 
eine  besondere  niederdeutsche  Überlieferung  des  Burgundeuunter- 
ganges,  die  Irings  kämpf  mit  Hagen  und  Irings  tod  enthielt? 
Droege  (Zeitschr.  f.  d,  alt.  51,  216)  glaubt  an  eine  mythische  Ur- 
form des  kampfes  zwischen  Iring  und  Hagen,  dieser  kämpf  sei 
ohne  beziehung  auf  den  Burgundenuntergang  im  baumgarten  zu 
Soest  localisiert  gewesen,  die  Umwandlung  dieses  'kampfgartens' 
in  den  'Nibelungengarten',  die  Versetzung  des  königs  Attila  nach 
Soest  sei  auf  spätere  gelehrte  phantasie  zurückzuführen,  man 
sieht  leicht,  dass  hier  die  Grimm -Müllenhoffsche  mythologische 
deutung  des  Iring  als  lichtgottes  zu  gründe  ligt.  nach  den  oben 
gegebenen  ausführungen  über  die  naraen  der  Milchstrafse  kann 
ich  dieser  ansieht  nicht  zustimmen.  Iring  ist  nur  als  thüringischer 
held  in  die  Nibelungensage  gedrungen  und  erst  in  dieser  mit 
Hagen  zusammengestofsen.  dass  verschiedene  bearbeiter  der  sage 
diesen  beiden  unabhängig  voneinander  eingeführt  haben  sollten, 
ist  unwahrscheinlich.  Wilraanns  weist  Iring  eine  sehr  bedeutende 
rolle  zu  (Untergang  der  Nibelunge,  Berlin  1903).  er  sieht  in 
ihm  den  später  durch  Dietrich  verdrängten  überwinder  des  Hagen 
(s.  9).  auch  für  ihn  ist  Iring  noch  eine  alte  gottheit,  und  als 
solche,  nicht  als  thüringischer  held  ist  er  in  die  sage  eingetreten 
(s.  15).  die  stelle  der  Saga,  auf  die  Wilmanns  hauptsächlich  seine 
ansieht  gründet,   Iring  sei  der  überwinder  Hagens,   muss,    wie  ich 


IRINGES  WEG  87 

glaube,  anders  erklärt  werden  (s.  unten),  besonders  hat  sich  dann 
Boer  mit  gewohntem  Scharfsinn  bemüht,  nachzuweisen,  dass  Iring 
der  niederdeutschen,  in  Soest  localisierten  fassung  der  sage  vom 
Burgundcnuntergang  angehört  (Untersuchungen  I  141  ff).  Boer 
sieht  vor  allem  einen  ursprünglichen  zug  in  der  rolle,  die  Iring 
in  der  Saga,  aber  nicht  im  Nibelungenliede,  bei  der  eröffnung  des 
kampfes  spielt,  Iring  lässt  sich  in  der  Saga  durch  Kriemhilds 
bitten  bewegen  (cap.  378;  307,  10  ff),  die  20  knechte  der  Nibe- 
lungen, die  vor  dem  garten  die  Schilde  und  Speere  bewachen,  zu 
überfallen  und  dann  den  eingang  zum  garten  zu  besetzen.  Boer 
nimmt  an,  dass  das  erschlagen  der  knechte  nicht  ursprünglich  zur 
rolle  des  Iring  gehört,  er  hat  nur  den  ausgang  zu  hüten,  'um 
zur  band  zu  sein,  sobald  die  feindseligkeiten  eröffnet  sein  werden, 
und  die  flucht  der  Nibelungen  zu  verhindern'  (aao.  I  152).  in 
dieser  fassung  der  sage  geht  nach  Boer  der  plan  Kriemhilds  da- 
hin, Etzel  selbst  dadurch  zur  eröffnung  des  kampfes  zu  zwingen, 
dass  sie  ihren  söhn  opfert,  bei  dieser  Voraussetzung  wird  aber 
doch  die  gewinnung  des  Iring  ein  nebensächlicher  zug.  Iring  ist 
dann  eben  nicht  mehr  derjenige  der  zuerst  die  waffe  gegen  die 
gaste  erhebt,  er  soll  nur  'bereit  stehen',  wenn  andere  im  garten 
drinnen  den  kämpf  zum  ausbruch  kommen  lassen,  die  worte  die 
Kriemhild  in  der  Saga  zu  ihm  spricht,  stimmen  dazu  übrigens 
ganz  und  gar  nicht;  sie  können  nur  an  jemanden  gerichtet 
sein,  der  den  kämpf  gegen  die  Nibelungen,  seien  es  nun  herren 
oder  knechte,  wirklich  selbst  eröffnen,  den  frieden  brechen 
soll.  Heusler  aao.  1128  hat  angenommen,  dass  vom  saga- 
mann das  motiv  des  mit  gold  gefüllten  Schildes  hierher  aus  der 
andern  seene  übertragen  sei,  wo  Kriemhild  Iring  zum  kämpf  gegen 
Hagen  auffordert.  Heusler  sieht  daher  in  dieser  ersten  aufreizung 
des  Iring  durch  Kriemhild  einen  zug,  der  erst  bei  der  compilation 
der  Saga  versehentlich  in  die  erzählung  gekommen  sei,  und 
nimmt  an,  dass  Iring  an  stelle  Bloedels  getreten  ist. 

Ich  halte  es  nicht  mehr  für  möglich,  die  erzählung  der 
Saga  über  den  ausbruch  des  kampfes  und  den  nächsten  ver- 
lauf so  zu  zerlegen,  dass  man  völlige  Sicherheit  über  die  her- 
kunft  der  bestandteile  gewinnen  könnte,  doch  glaube  ich  nicht, 
dass  Irings  torwacht  zu  den  zügen  gehört,  die  man  mit  einiger 
Sicherheit  als  alte  niederdeutsche  über  lieferung  ansehen  kann, 
die    Opferung  des   sohnes   hat   nur  dann   einen    sinn,   wenn  Etzel 


88  MEISSNER 

und  die  seinen  im  garten  oder  saal  den  kämpf  aufnelimen 
können,  dli.  sie  müssen  ebenso  bewaffnet  sein  wie  die  Nibe- 
lungen, dieser  sagenzug  setzt  die  altgermanisclie  sitte  voraus, 
dass  die  niänner  bei  mahl  und  gelage  das  schwert  bei  sicfi 
tragen,  vor  der  furchtbaren  tapferkeit  der  Nibelungen  ziehen 
sich  die  Hunnen  aus  dem  garten  zurück,  dieser  hat  nur  einen 
ausgang.  iu  der  folgenden  seene  versuchen  die  Hunnen  durch 
Schusswaffen,  gegen  die  die  Nibelungen  ungeschützt  sind,  die  im 
garten  eingeschlossenen  zu  bekämpfen;  das  geht  aus  den  worten 
Hagens  klar  hervor  (311,  13  ff  Niflunyar  manu,  falla  pött  heldr 
pole  pelr  spjöt  ok  skot  Häna  en  sverö  peira),  wenn  auch  der 
sagamann  durch  zusammengestoppelte  sätze  über  versuchte  angriffe 
die  Situation  verdunkelt.  Boer  (s.  153  unten)  meint,  die  geschosse 
würden  durch  den  eingang  geworfen,  das  ist  doch  eine  ganz  un- 
natürliche ansieht,  dieser  eingang  muss  jetzt  geschlossen  sein; 
wäre  er  geöffnet,  bestünde  ja  die  möglichkeit,  die  liQggvapn  an- 
zuwenden, die  Hagen  ersehnt;  die  rinderhäute  können  doch  nicht 
als  unüberwindliches  hindernis  gelten,  wenn  Etzel  ypr  einum 
kastala  (310,  8)  steht  und  von  dort  die  seinen  zum  kämpf  auf- 
fordert, so  ist  anzunehmen,  dass  die  Hunnen  von  den  gebäuden, 
türmen,  dächern  aus,  die  den  garten  umgeben,  die  Nibelungen 
beschiefsen.  das  tor  mufs  verschlossen  sein,  sonst  ist  nicht  be- 
greiflich, warum  die  Nibelungen  auf  der  entgegengesetzten  seite 
die  mauer  durchbrechen,  ich  gebe  zu,  dass  der  sagamann  diese 
Situation  nicht  deutlich  genug  schildert,  sie  sogar  durch  einzelne 
Züge  verdunkelt,  besonders  dadurch,  dass  er  Günther  mit  einem 
teil  der  Nibelungen  das  tor  gegen  Iring  verteidigen  lässt  (313,  24). 
Boll  man  sich  dabei  das  tor  offen  denken,  so  ist  das  allerdings  ein 
vollkommener  Widerspruch  zu  Hagens  worten.  man  begreift  über- 
haupt nicht,  warum  Günther  im  garten  zurückbleibt,  als  die 
Nibelungen  die  mauer  durchbrochen  haben. 

Jedenfalls  ist,  wie  man  sich  auch  die  scene  am  tor  denken 
mag  im  verlauf  der  handlung  bis  zum  durchbruch  und  strafsen- 
kampf  eigentlich  kein  platz  für  einen  beiden  wie  Iring,  für  eine 
betätiguug  wie  wir  sie  nach  der  scene  mit  Kriemhilt  erwarten. 
Hagen  sagt  auch:  en  hgfdingjar  Hüna  konia  pö  hvergi  ncer. 
ok  herio'mz  vc'r  ndlega  vid  priela  poeira\  zu  diesen  kann  aber 
der  sagamann  Iring  nicht  rechnen  (311,  12).  also,  die  eigentlichen 
kämpfe,  die  einzelkämpfe  der  beiden,  haben  noch  nicht  begonnen. 


IRINGES  WEG  89 

ich  werde  im  folgenden  zu  zeigen  versuchen,  dass  der  kämpf 
Irings  mit  Hagen  in  allen  zügen  oberdeutsch  ist.  was  sonst  noch 
die  Saga  von  ihm  erzählt,  ist,  wie  wir  gesehen  haben,  so  aufser- 
ordentlich  geringfügig,  dass  es  nicht  ausreicht  die  annähme  einer 
niederdeutschen  Überlieferung  über  Iring  zu  begründen,  natür- 
licher ist  die  Vermutung,  dass  in  Soest,  wo  der  name  Iring,  wie 
auch  ich  glaube,  (s.  unten),  unabhängig  von  der  Nibelungensage 
bekannt  war,  die  rolle,  die  Iring  in  der  oberdeutschen  fassung  der 
sage  zugewiesen  war,  erweitert  wurde,  dh.  Iring  ist  bei  eröffnung 
des  kampfes  an  stelle  eines  andern  getreten  (vgl.  jetzt  Polak 
Zs.  55,  49S  correcturnote). 

Schon  oben  ist  erwähnt,  wie  ungeschickt  der  sagamann  bei 
der  Hagen- Iring -episode  die  Verlegung  der  scene  begründet  (cap. 
387).  Hagen  ist  abgeschnitten  und  ermattet:  er  bricht  eine  halle 
auf  und  geht  hinein,  wenn  er  vom  kämpf  ermüdet  ist  und  neue 
kraft  sammeln  will,  wird  er  sich  —  so  erwartet  man  —  in  der 
halle  eine  zeit  lang  vor  den  feinden  verbergen,  in  der  Saga  steht 
aber:  ok  hrytr  upp  hgllena  ok  gengr  inn  ok  smjz  aptr  at 
durunum  ok  nemr  pd  staäar  ok  hvilir  sik  (319,  1).  der 
richtige  platz  um  sich  auszuruhen  i.  die  Hunnen  greifen  auch 
sofort  an  (319,  5),  Hagen  verteidigt  sich  am  eingang  (319,  6). 
Kriemhild  lässt  feuer  in  das  dach  der  halle  werfen,  wir  sehen, 
der  sagamann  hat  den  brennenden  saal  und  die  am  eingang 
kämpfenden  beiden  der  oberdeutschen  dichtung  im  sinn,  zu  dieser 
Vorstellung  muss  er  vom  stralsenkampf  der  niederdeutschen  fas- 
sung einen  Übergang  finden,  dazu  dient  das  motiv  dass  Hagen 
abgeschnitten  und  ermattet  vor  den  feinden  in  ein  haus  flüchtet; 
der  grobe  Widerspruch  der  so  entsteht  kümmert  den  erzähler 
nicht,  beim  ersten  angriff  überrascht  Iring  den  gegner  in  der  mit 
rauch  erfüllten  halle,  in  die  Hagen  zurückgewichen  ist,  versetzt 
ihm  eine  schwere  wunde 2  und  läuft  gleich  wider  davon:  pd  hleypr 
kann  pegar  dt  ör  hgllenne  (319,  22).  man  fragt  sich:  warum 
benutzt  Iring  seinen  erfolg  nicht,  warum  kämpft  er  nicht  weiter? 
Wilmanns  hat  das  abbrechen  des  kampfes  als  seltsam  empfunden 

^  snys  aptr  heilst  einfach:  er  kehrt  wider  um,  wendet  sich  wider 
der  tiir  zu,  nicht:  er  dreht  sich  mit  dem  rücken  nach  der  tür.  Paul,  Die 
Thidrekssaga  u.  das  Nibelungenlied  334. 

2  in  der  Saga  typisch  übertrieben,  vgl.  Friese  Thidrekssaga  und 
Dietrichepos  60. 


90  MEISSNER 

und  vermutet,  dass  in  der  ursprünglichen  fassung  Hagen  nun 
kampfunfähig  gemacht  und  der  räche  der  Kriemhild  preisgegeben 
war  (Untergang  der  Nibelunge  s.  10).  Boer  nimmt  an,  dass  die 
Nibelungen  beim  ausbruch  aus  dem  garten  auf  Iring  stofsen, 
in  der  Saga  sei  Bloedel  an  seine  stelle  getreten  (312,  10  ff),  Iring 
steht  noch  am  eiugang,  den  er  von  anfang  an  bewacht  hat,  und 
fällt  an  der  Steinmauer  die  den  garten  umgibt,  die  erwähnung 
der  Steinmauer  ist  versehentlich  in  den  aus  anderer  quelle  stam- 
menden hallenkampf  zwischen  Hagen  und  Iring  eingeschoben 
(Untersuchungen  I  157.  158).  für  eine  so  gewaltsame  Um- 
gestaltung der  Saga  ligt  m.  e.  keine  notwendigkeit  vor.  eine  er- 
klärung  die  sich  im  wesentlichen  an  den  überlieferten  text  hält,^ 
hat  jedenfalls  an  sich  mehr  anspruch  auf  Wahrscheinlichkeit,  ich 
möchte  noch  auf  eine  Schwierigkeit  hinweisen  die  in  Boers  dar- 
Stellung  nicht  berücksichtigt  ist.  die  Saga  unterscheidet  genau 
zwischen  dem  tor  im  osten  und  der  bresche  im  westen  des  gar- 
tens  (312,  3;  313,  25;  27;  328,  3).  die  Nibelungen  gelangen 
durch  die  bresche  in  eine  auf  beiden  selten  mit  häusern  besetzte 
strafse;  im  vordringen,  nicht  an  der  bresche,  stofsen  sie  dann  auf 
Bloedel.  Boer  muss  also  den  Iring  auf  die  entgegengesetzte  seile 
eilen  lassen,  wovon  die  Saga,  die  hier  klar  und  einfach  erzählt, 
nichts  sagt,  jedenfalls  entspricht  es  nicht  der  darstellung  der  Saga^ 
wenn  Boer  bemerkt:  'dann  stofsen  sie  auf  Irung,  der  noch  bei  dem 
ein  gang  steht"  (von  mir  gesperrt);  'Irung  fiel  .  .  .  dort  wo  er 
seine  grolstat  vollbracht  hatte,  bei  der  mauer  bei  der  er  von  an- 
fang des  kämpf  es  an  die  wache  gehalten  hatte'  (159).  Irings 
einzige  grolstat  ist  die  Verwundung  Hagens,  der  kämpf  mit  Hagen 
stammt  aber,  so  wie  er  in  der  Saga  erzählt  wird,  aus  oberdeutscher 
quelle,  das  bedenken  Wilmanns,  dass  Iring  nach  der  Verwundung 
Hagens  davonläuft,  lässt  sich  vvol  beseitigen,  mir  scheint  hier  ein 
zug  des  oberdeutschen  epos  durchzuschimmern,  der  dort  ganz  sinn- 
gemäfs,  in  der  Umgestaltung  der  erzählung  aber  auffallend  ge- 
worden ist.  im  Nibelungenliede  bricht  Iring  unter  den  schwert- 
hieben Giselhers  zusammen,  so  dass  er  von  den  Burgunden  für 
tot  gehalten  wird  (1983): 

Er  schoz  vor  sinen  handen  nider  in  das  hluot 

daz  si  alle  n-änden  daz  der  hell  giiot 

ze  str/fe  niemer  mere  geslüege  keinen  stac. 

Irinc  doch  (Tue  irunden  hie  vor   Gtselhere  lac. 


IRINGES  WEG  91 

Iring  ist  aber  unverwundet  und  nur  betäubt,  er  kommt  wider  zu 
sich  und  merkt,  dass  er  sich  mitten  unter  den  feinden  befindet 
{er  horte  heidenthalhen  die  inende  stän).  nur  Schnelligkeit  kann 
ihn  retten,  so  springt  er  auf  und  stürzt  aus  dem  saal,  greift 
Hagen,  der  den  eingang  hütet,  überraschend  an,  verwundet  ihn 
dabei  und  rettet  sich,  von  Hagen  die  treppe  hinunter  verfolgt, 
zu  den  Hunnen  {stner  snelheite  er  mähte  sagen  danc).  hier  ist 
es  wol  begründet,  dass  Iring,  noch  halb  betäubt  von  seiner  Ohn- 
macht, sich  zunächst  durchschlägt  und  durch  die  flucht  rettet, 
etwas  ähnliches  muss  der  sagamann  in  seiner  vorläge  gefunden 
haben,  den  einen  zug,  dass  Iring  schnell  aus  dem  hause  springt,  hat 
er  beibehalten,  aber  die  motivierung  ist  verloren  gegangen,  eine  stütze 
für  Wilmanns  ansieht,  dass  nach  Hagens  Verwundung  sein  wider- 
stand ursprünglich  zu  ende  ist,  scheint  sich  nun  freilich  in  der  Über- 
schrift fall  h.  zu  bieten,  die  in  der  membrane  über  cap.  410  steht 
(317,  10).  Boer  zieht  aus  dieser  Überschrift,  die  er  als  fall  Hggna 
auflöst,  weitgehende  folgerungen  (Untersuchungen  I  193).  in  dem 
capitel  wird  der  tod  des  herzogs  Bloedel  und  des  Iring  erzählt. 
Bertelsen  ergänzt  (allerdings  zweifelnd):  fall  hertoga  Blöälinns, 
nimmt  also  an,  dass  lediglich  das  versehen  eines  abschreibers  vor- 
ligt.  die  möglichkeit  eines  solchen  Versehens  ist  gewis  grade 
bei  einer  Überschrift  vor  allem  zu  erwägen,  sodass  es  mir  bedenk- 
lich erscheint,  dies  fall  h.  zur  entscheidung  von  Überlieferungs- 
fragen zu  verwenden,  stammt  aber  das  fall  h.  aus  einer  ganz 
anders  gestalteten  erzählung,  so  ist  den  Vermutungen  überhaupt 
freies  feld  gelassen:  dann  ist  vor  allem  durchaus  nicht  ohne  wei- 
teres anzunehmen,  dass  auch  in  dieser  vermuteten  fassung  Iring 
der  überwinder  Hagens  war.  in  Soest  zeigte  man  die  stelle  hvnr . 
Hggni  feil  (327,  19).  dies  scheint  mir  darauf  hinzudeuten,  dass 
in  der  Soester  Überlieferung  Hagen  nicht  nachträglich  an  seinen 
wunden  starb,  wie  er  aber  sein  ende  fand  und  durch  wen,  ist 
damit  nicht  gesagt,  und  ebensowenig  ist  aus  der  Überschrift 
fall  h.  zu  gewinnen,  wenn  sie  überhaupt,  was  doch  sehr  zweifel- 
haft ist,  einen  überlieferungswert  hat. 

Lässt  sich  der  zug  dass  Iring  nach  der  Verwundung  Hagens 
davonläuft  aus  der  —  ungeschickt  benutzten  —  oberdeutschen 
Überlieferung  erklären,  so  fällt  jede  nötigung  fort,  aus  diesem 
gründe  nach  einer  niederdeutschen  fassung  dieser  episode  zu 
suchen. 


92  MEISSNER 

Beim  zweiten  angriff  des  Iring  ist  Hagen  nach  der  Saga  auf 
der  hat:  ok  nn  varaz  Hggnl  vtd  olc  smjr  igegn  honum  (320,  9)  und 
durchbohrt  ihn,  ehe  er  überhaupt  seine  waffen  gebrauchen  kann, 
dass  auch  hier  der  sagamann  einer  oberdeutschen  dichtung  folgt, 
die  dem  Nibelungenliede  zu  gründe  ligt.  ergibt  sich  aus  der  für 
die  Saga  ganz  ungewöhnlichen  Verwendung  des  Speers,  was  schon 
oben  erwähnt  wurde,  nur  schleudert  Hagen  nicht  den  speer  wie 
im  Nl.,  sondern  gebraucht  ihn  als  stofswaffe.  dieselbe  Veränderung 
findet  sich  bei  der  ermordung  Siegfrieds  (cap.  347.  266,  12. 
Nl.  922,  2).  wenn  auch  beim  zweiten'  angriff  wie  beim  ersten 
gesagt  wird:  lüegpr  i  hgllena,  so  darf  man  sich  doch  denken, 
dass  der  zusamraenstofs  am  eingang  stattfindet,  da  Hagen  dem 
anstürmenden  schnell  entgegentritt  (ok  snyr  Igegn  honum;  auch 
dieser  zug  findet  sich  im  Nl.  (1998)  .  .  .  sin  mohte  niht  erblten 
Hagne  der  (legen,  er  lief  im  hin  enkegne  .  .  .  die  stiegen 
an  ein  ende,  die  ausdrucksweise  der  Saga  ist  hier  überhaupt 
lässig,  zuerst  wird  gesagt,  dass  die  Hunnen  die  halle  angreifen, 
par  sem  Hggni  er  inni,  unmittelbar  nach  diesen  worten  aber, 
dass  Hagen  den  eingang  verteidigt  (ok  hann  verr  dyrrenar). 
Iring  läuft  in  die  halle  hinein  und  verwundet  Hagen,  wenn 
aber  Kriemhild  sieht,  dass  Hagen  blutet  (319,  23),  so  müssen 
wir  uns  wider  denken,  dass  er  an  der  tür  steht,  wir  tun  also 
dem  sagamann  keine  gewalt  an,  wenn  wir  annehmen,  dass  Iring 
am  eingang  getötet  wird  und  auf  dem  wege  vor  der  tür  zu- 
sammenbricht, in  der  ganzen  Schilderung  ist  kein  zug,  der  uns 
nötigte,  eine  besondere  Überlieferung  neben  dem  oberdeutschen 
epos  anzunehmen,  dessen  einwirkung  in  entscheidenden  zügen  un- 
verkennbar ist. 

Iringsvegr,  -veggr  ist  daher  nicht  wie  der  schlangenturm, 
der  baumgarten  und  Hagens  tor  anzusehen,  diese  drei  weisen 
deutlich  auf  eine  von  der  oberdeutschen  dichtung  abweichende 
gestalt  der  sage  hin.  das  zusammentreffen  von  Iringsvegr  und 
dem  uralten  namen  der  Milchstrafse  ist  nun  so  auffallend,  dass 
man  sich  dem  gedanken  nicht  entziehen  kann,  dass  in  der  nordi- 
schen Überlieferung  ein  misverständnis  vorligt,  dass  die  Iringswand 
an  stelle  des  Iringswegs  getreten  ist,  nur  erscheint,  wie  oben  be- 
merkt, die  Umwandlung  in  dem  ältesten  uns  erreichbaren  texte 
schon  vollzogen,  wie  das  zugegangen  ist,  darüber  lassen  sich 
nur  lose  Vermutungen  aufstellen,     zunächst  ist  zu  bemerken,  dass 


IRINGES  WEG  93 

man  sich  nicht  recht  denken  kann,  wie  der  durchbohrte  Iring 
•sich  gegen  die  mauer  sinken  lässt'  [Icetr  sigaz  viä  steinveginn) 
und  dabei  die  aus  seinem  rücken  ragende  spitze  des  Speers  sich 
in  die  mauer  eingräbt  {ok  spjötit  Bggna  nemr  staäar  i  stein- 
veginum).  lata  slgaz  nimmt  im  nordisclien  schlechtliin  den  sinn 
von  fallen,  zur  erde  sinken  an,  Inia  kann  lediglich  zur  Um- 
schreibung dienen,  ganz  verblassen  (Fritzner  Ordbog  III  233'). 
wenn  der  getroffene  nun  also  unter  der  wucht  des  stofses  hinten- 
über stürzt,  kann  man  sich  wol  vorstellen,  dass  die  Speerspitze 
sich  in  den  boden  einbohrt.  wir  würden  damit  zu  der  an- 
nähme kommen,  dass  ursprünglich  an  der  stelle  von  einem  vegr 
(wegi,  nicht  einem  veggr  (wand)  die  rede  war.  allerdings  kann 
man  nach  dem  oben  gesagten  nicht  einfach  stelnregr  lesen  und 
es  als  gepflasterte  strafse  auffassen,  es  ist  in  der  Schilderung  des 
Soester  kampfes  oft  genug  von  strafsen  die  rede;  nie  wird  stehi- 
ve.gr  gebraucht,  das  übrigens  weder  bei  Fritzner  noch  bei  Vig- 
fusson  belegt  ist ',  sondern  immer  straf i  (312.  7;  17;  313,  8  usw.i. 
aber  es  wäre  wol  möglich,  dass  in  einer  älteren  fassung  viä 
veglnn  oder  besser  viä  veginmn  gestanden  hätte,  wenn  der  er- 
zähler  auf  die  erwähnung  eines  'Iring weges"-  in  Soest  hinaus 
wollte,  wird  es  begreiflich,  dass  er  an  dieser  stelle  statt  des  sonst 
gebrauchten  ftrceti  das  ungewöhnliche  vegr  wählte,  ebenso  be- 
greifhch  ist  es,  dass  ein  anderer  veggr.  und  zur  Verdeutlichung 
steinveggr  einsetzte. 

Dass  die  localisierung  des  Burgundenuntergangs  in  Soest  auf 
deu  aussagen  von  leuten  beruht  die  in  Soest  aufgewachsen  waren, 
hebt  der  sagamann  geflissenthch  hervor  (cap.  394;  327,  16).  wir 
haben  keinen  grund,  an  der  Wahrheit  dieser  angäbe  zn  zweifeln. 
es  gab  also  einen  Iringsweg  in  Soest,  wenn  aber  der  thüringische 
held   und  sein   kämpf  gegen   Hagen   erst   durch   die  oberdeutsche 

'  dagegen  ist  'steinweg'  auf  niedercleutscheni  gebiet  schon  durch 
den  Heliand  bezeugt  5462  : 

an  them  stenuuege  thar  thiu  strcäa  uuas 

felison  gifüogid. 
vgl.  Schiller-Lübbeu    Mittelniederd.  wb.  IV  389»^;    Lexer   Mittelhd.    hand- 
wb.  II  1170. 

-  auf  einen  niederd.  Iringsweg,  nicht  -sträte  weist  die  angels. 
glosse  hin. 


<i4  MEISSNER 

Gestaltung  der  sage  vom  Burgundenuntergaug  in  Soest  bekannt 
wurde,  so  muss  der  Iiingsweg  erst  nacbträglich  auf  den  Thüringer 
bezogen  sein,  hier  kann  ich  mich  nun  auf  die  bemerkungen 
Droeges  (Zeitschr.  f,  d.  alt.  51,217)  beziehen,  die  ja  bei  ihm,  der 
im  kämpf  zwischen  Hagen  und  Iring  einen  mythus  sieht,  in  ganz 
anderem  zusammenhange  stehn,  aber  vortrefflich  zu  der  auf- 
fassung  stimmen,  von  der  meine  Untersuchung  ausgegangen  ist. 
Droege  weist  darauf  hin,  dass  von  westen  her  der  alte  Hell  weg 
auf  die  Stadt  zuläuft,  sich  in  der  richtung  von  westen  nach  osten 
durch  die  Stadt  zieht  und  im  volksmund  auch  heute  noch  Hell- 
weg heilst,  wenn  auch  die  amtliche  benennung  eine  andere  ist. 
Dass  auch  Hellweg  die  Milchstrafse  bezeichnet,  haben  wir  gesehen, 
ebenso  dass  dieser  name  zunächst  ein  irdischer  ist.  zur  Irings- 
strafse  fehlte  bisher  die  irdische  localisierung,  es  scheint  mir  so 
sicher  als  das  bei  der  Ungunst  der  Überlieferung  möglich  ist, 
dass  wir  in  dem  Soester  Iringsweg  eben  nichts  anderes  zu  sehen 
haben  als  den  Hell  weg,  der  vom  westen  her  in  die  Stadt  hinein- 
führte, dafür  dass  auch  das  im  innern  der  stadt  liegende  stück 
an  dem  namen  der  grolsen  heerstrafse  teilnahm,  bieten  sich  überall 
Zeugnisse;  Watlingstreet  ist  als  name  einer  strafse  in  der  city 
von  London  erhalten. 

Iringsweg,  Iringsstrafse  ist  also  in  sächsischen  landen  gleich- 
lautend mit  hellweg,  heerstrafse  gewesen,  der  name  wird  an  ver- 
schiedenen strafsenzügen  gehaftet  haben,  wie  es  ja  auch  verschie- 
dene chaussees  de  Brunehaut  gibt,  wer  der  Iring  gewesen  ist, 
dessen  name  so  bewahrt  wurde,  können  wir  freilich  nicht  fest- 
stellen, vermutlich  war  er  schon  früh  vergessen,  ebenso  wie  der 
Eirik  der  Eirlksgata.  dann  erscheint  es  auch  nicht  weiter  wunder- 
bar, dass  bei  Widukind  und  in  der  Soester  tradition  derselbe  name 
dasselbe  misverständnis,  dieselbe  umdeutung  veranlasst. 

Eirlksgata  und  Valdemars  vej  sind  ebenso  gebildet  wie 
Iringsweg,  Iringsstrafse.  Valdemars  vej  ^  bezeichnet  sowol  die 
Milchstrafse  wie  bestimmte  wege,  auf  denen  Valdemar  als  wilder 
Jäger  einherzieht  (JGrimm  DMyth.  ^  II  787).  auch  in  Deutschland 
erscheint  das  wütende  beer  bisweilen  an  bestimmte  strafseu  ge- 
bunden,   darin  ist  ein  uralter  zug  erhalten,    in  die  immer  düsterer 

*  vgl.  Vejle  amts  aarb0ger  1912,  15S;  1913,  120,  mir  jetzt  nicht 
zugänglich. 


IPJNGES  WEG  95 

und  unheimlicher  werdenden  Vorstellungen  des  wütenden  heeres, 
der  wilden  jagd  sind  mildere  und  ruhigere  aufgegangen,  von  Um- 
zügen, die  zwar  heilige  scheu  erweckten,  von  denen  man  aber  vor 
allem  segen  erwartete,  besonders  ist  es  die  zeit  der  zwölf  nachte, 
in  der  die  geisterzüge  durch  das  land  fahren,  auf  den  grolsen, 
die  menschenwohnungen  verbindenden  strafsenzügeu,  den  hellwegen 
und  heerstrafsen.  in  christlicher  zeit  werden  diese  Vorstellungen 
dämonisiert  und  vermischen  sich  vielfach  mit  gebilden  anderer 
herkunft.  dem  wesen  der  wilden  jagd,  des  wütenden  heeres,  ent- 
spricht es  nicht,  sich  an  die  grofsen  strafsen  zu  halten,  anders  ist 
es  bei  den  geisterzügen,  denen  man  eine  einwirkung  auf  die  wol- 
fahrt  der  menschen  zuschrieb. 

Auch  der  umritt  des  neugewählten  germanischen  königs 
(JGrimm  Rechtsaltert.  ^  I  329)  ist  in  diesem  zusammeuhange  zu 
erwähnen,  als  blofses  symbol  der  besitznahme  darf  er  wol  kaum 
gedeutet  werden,  manche  im  späteren  brauch  noch  erkennbare 
Züge  weisen  darauf  hin,  dass  die  Germanen  der  person  des  königs 
ursprünglich  eine  magische  kraft  zuschrieben,  ein  besonderes  mana, 
wie  man  jetzt  zu  sagen  pflegt  (Fr.  Kern  Gottesgnadentum  und 
widerstandsrecht,  Leipzig  1914,  s.  20).  der  könig  besitzt  heil- 
Tcraft,  die  nachwirkung  dieses  glaubens  ist  in  Frankreich  und 
England  sehr  deutlich;  sie  erhält  sich,  weil  der  glaube  durch  die 
Salbung  des  königs  mit  heiligem  öle  neu  begründet  wird,  könig 
Waldemar  I  von  Dänemark  spendet  durch  berührung  den  kin- 
dern  gedeihen,  ebenso  aber  auch  der  saat:  Germanicae  matres 
parvulos  suos  in  ejus  adventum  offerendos  curahant,  ratae, 
eos  regio  contadu,  perinde  ac  coeledi  aliquo  heneficio,  felidora 

naturae    incrementa    sumpturos nee    minus    superstitiosi 

agrestes,  qui  jadendorum  seminum,  grana,  quo  melius  ado- 
lescerent,  dexterae  eins  disjidenda  praebehanf.  Saxo  779.  im 
besitze  dieser  segenspendenden  kraft  ist  der  könig  verantwortlich 
für  das  gedeihen  der  feldfrüchte  und  wird  vom  volke  zur  rechen- 
schaft  gezogen  oder  abgesetzt,  wenn  er  die  erwartungen  nicht 
erfüllt;  Heimskr.  Yngl.  s.  cap.  15  für  die  schwedischen,  Ammian. 
Marc.  28,  5,  14  für  die  burgundischen  könige.  die  magische  kraft 
haftet  auch  noch  an  der  leiche  des  königs,  daher  machen  nach 
dem  tode  Halfdans  des  Schwarzen  alle  landschaften  anspruch  auf 
die  königsleiche,  ok  pötti  pat  vera  drvcent,  peir  er  mfdi 
(Heimskr.  Saga  Halfd.  Sv.   cap.  9).     ob    die   nachricht   bei    Saxo 


96  MEISSNER 

(p.  25G),  dass  die  balsamierte  leiche  des  königs  Frode  drei  jähre 
lang  regnli  rehiculo  gefahren  wird,  in  diesem  zusammenhange 
verwertet  werden  darf,  ist  zweifelhaft.  Saxo  erzählt,  dass  man 
den  tod  des  königs  habe  verheimlichen  wollen,  ebenso  machen 
es  die  Schweden  beim  tode  des  Frey  (Heimskr.  Yngl.  s.  cap.  10). 
die  rituelle  bedeutung  des  köuigtums  ist  in  charakteristischen 
Zügen  bei  den  Merowingern  bezeugt,  der  glaube,  dass  die  ma- 
gische kraft  durch  den  voll  wuchs  des  haares  und  hartes  bedingt 
ist,  findet  sicii  auch  sonst  vielfach,  wie  ein  götterbild  wird  der 
Merowinger  auf  einem  mit  rindern  bespannten  wagen  gefahren: 
quocumque  enndum  erat,  carpento  ihat,  fjiiod  buhus  junctis  et  hu- 
hulco  rustico  more  agente  iraliebatur\  Einhard,  vita  Caroli 
Magni  cap.  1.  was  bei  den  Germanen  sich  eben  noch  in  spuren 
erkennen  lässt,  ist  bei  manchen  primitiven  Völkern  in  voller  ent- 
wicklung  vorhanden,  besonders  zu  beachten  ist,  dass  die  magische 
bedeutung  des  königtums  stark  ausgeprägt  sein  kann  bei  geringer 
politischer  macht.  AOlrik  hat  in  einem  lehrreiclien  aufsatz  die 
nord.  formel  sitja  d  liaugi  aus  diesen  uralten  Vorstellungen  ab- 
geleitet (Danske  Studier  1909,  s.  1  ff),  dass  beim  umritt  des 
königs  die  rechtliche  bedeutung  allmählich  die  alleinherschende 
wird,  ist  ganz  natürlicli:  so  sehr  deutlich  in  Schweden,  wo  alles 
gewicht  auf  die  entgegennähme  des  treueides  in  den  einzelnen 
landesteilen  und  die  beschwörung  der  landesrechte  durch  den 
könig  gelegt  wird,  aber  der  rituelle  sinn  dieses  umritts  kann  des- 
halb nicht  in  abrede  gestellt  werden,  für  die  Eiriks  gata  beweist  das 
meiner  ansieht  nach  schon  die  eine  bestimmung,  dass  der  ritt  re'tt- 
scelis  vorgenommen  werden  muste  (JGrimm  Rechtsaltert.  ■*  I  331): 
sali  lian  eriks  gatu  sina  riäa  rietsöles  um  land  sin  Södermannalag. 
Add.  1,  §  7  (Schlyter,  4,  188;  vgl.  10,  17;  12,  23).  gata  kann 
ursprünglich  nichts  anderes  als  die  concrete  stralse  bezeichnen, 
von  dieser  bedeutung  muss  die  erklärung  ausgehn,  wenn  auch 
später  das  gewicht  mehr  auf  die  handlung  des  umritts  gelegt  wird 
und  -gata  diesem  sinne  folgt,  wie  das  slna  in  der  oben  ange- 
führten stelle  zeigt,  der  umritt  erfolgte  auf  einem  vorgeschriebenen 
strafsenzuge,  das  war  ursprünglich  die  Eiriksgata.  die  natürliche 
auffassung  wird  immer  im  ersten  bestandteil  einen  personennaraen 
sehen  1.     der   umstand,    dass  wir  von   diesem  Eirik   nichts  wissen, 

1   EWadßtein    erklärt    en/.sfjata    als    iJ)icre/:sQata  =   'edgängsresa', 


IRINGES  WEG  97 

berechtigt  uns  durchaus  nicht,  eine  entstellung  anzunehmen,  der 
name  stammt  aus  einer  zeit,  für  die  unsere  historischen  Zeugnisse 
versagen,  jedenfalls  ist  die  Eiriksgata  ursprünglich  in  einem  be- 
schränkteren gebiet  verlaufen  und  hat  sich  nicht  von  vornherein 
auf  den  umritt  bezogen,  wie  er  in  den  schwedischen  gesetzen  ge- 
schildert wird. 

Der  umzug  des  neugewählten  königs  ist  in  seiner  rituellen 
bedeutung  dem  umzug  einer  gottheit  oder  ihies  Zeichens  zu  ver- 
gleichen, nach  der  Schilderung  der  grofsen  saga  von  Olaf 
Tryggvason  (cap.  173)  wird  das  bild  des  Frey  während  des 
winters  durch  das  schwedische  land  gefahren,  begleitet  von  seiner 
priesterin,  überall  festlich  empfangen,  durch  den  umzug  wird  das 
fruchttragende  land  gesegnet,  die  priesterin  erlaubt  dem  Nor- 
weger Gunnar  sie  dabei  zu  begleiten:  pi^kir  mer  ruä,  at  pü 
ser  her  i  vetr  ok  farir  ä  veizlur  med  okkr  Frey,  pd  er 
kann  skal  gera  mgnnum  drböt.  das  bild  des  gottes,  das 
auf  dem  wagen  gefahren  wird,  ist  lebendig,  weil  ein  teufel  drin- 
steckt,  wie  der  sagaschreiber  meint,  der  gott  ist  Gunnar  feind- 
lich gesinnt;  sie  geraten  in  streit,  der  Norweger  ringt  mit  ihm, 
es  gelingt  ihm  den  gott  zu  boden  zu  werfen,  weil  er  gelobt,  nach 
seiner  rückkehr  nach  Norwegen  zum  Christentum  überzutreten; 
der  teufel  entflieht,  es  bleibt  nur  ein  leerer  tri'stokkr  zurück,  der 
Norweger  übernimmt  nun  für  den  weiteren  umzug  die  rolle  des 
gottes,  und  die  Schweden  sind  wol  mit  ihm  zufrieden,  besonders 
als  sich  zeigt,  dass  die  priesterin  schwanger  ist;  darin  sehen  sie 
ein  zeichen  seiner  macht  und  eine  gute  Vorbedeutung  für  das 
jähr:  pikkjast  menn  finna,  at  kona  Freys  er  med  barni,  pat 
verär  mgnnum  alldgcett,  ok  pötti  Svitim  nü  allvcent  um 
penna  guä  sinn,  var  ok  veärdtta  hliä  ok  allir  lutir  svd 
drvcenir,  at  engl  maär  mundi  slikt.  wenn  die  Schilderung 
auch  christhch  entstellt  ist,  enthält  sie  doch  züge  höchsten  alter- 
tums,  wozu  vor  allem  die  verdunkelte  erinnerung  an  den  isoög 
yduoQ  zu  rechnen  ist.  wir  sehen,  der  gott  fährt  auch  eine  art 
von  Eiriksgata  durch  das  land,  von  veizla  zu  veizla,  wobei  man 
sich   an    die  worte   des  Tacitus   bei   der  Schilderung   der  Nerthus 

Historisk  tidskrift  19  (1899),  124;  Hj.  Lindroth  als  ejinkisnata  =  'ed- 
bekräftelsesfärd'  aao.  32  (1912),  129.  nicht  zugänglich  ist  mir  jetzt 
Histor.  tidskrift  34,  38. 

Z.  F.  D.  A.  LVI.     N.  F.  XLIV.  ■* 


98  MEISSNER,  IRINGES  WEG 

erinnert:  laetl  tunc  dies,  feda  loca  quaecumque  adventu  hospitio- 
que  dignatur. 

Die  das  land  durcliziehenden  liauptstralsen  dienen  in  alter 
zeit  niclit  blofs  den  menschen,  sondern  auch  den  göttern  zum 
verkehr,  sie  erhalten  dadurch  eine  gewisse  weihe,  die  vielleicht 
in  rechtsbestininiungen  nachwirkt:  halten  des  gerichts  auf  der 
strafse  (JGrimni  Rechtsaltert.  ^  H  427j,  friede  der  via  regia 
(Sachsenspiegel  II  66,  1). 

Von  der  tatsache  ausgehend  dass  viele  volkstümliche  namen 
der  Milchstrafse  zunächst  namen  irdischer  stralsen  sind  und  erst 
von  diesen  aus  auf  den  himmel  übertragen  wurden,  dürfen  wir 
vermuten,  dass  auch  die  Iringsstrafse  zunächst  auf  der  erde  zu 
suchen  ist.  nach  dem  zeugnis  der  Thidrekssaga  ist  es  möglich, 
dass  dieser  zweifellos  aus  sehr  alter  zeit  stammende  name  in  Soest 
localisiert  war,  wie  das  für  Hei  weg  an  vielen  orten  und  auch  in 
Soest  bezeugt  ist.  wenn  diese  Vermutungen  richtig  sind,  dann 
muss  der  name  mit  uralten  Vorstellungen,  sinnvollen  heiligen  ge- 
brauchen in  beziehung  gesetzt  werden,  mit  den  segenspendenden 
Umzügen,  auf  die  ich  hingewiesen  habe,  ich  glaube  nicht,  dass 
man  hier  weiter  kommen  kann  als  dass  mau  eine  unbekannte, 
die  Iringsstrafse,  durch  die  andere,  die  Eiriksgata,  erklärt. 

Bonn  a.  Rh.  R.  Meissner. 


ULFILA  MATTH.  9,   16. 

Ovöeig  de  STCißccXlsL  €/cLß?.i]fia  Qccxovg  dyväcpov  i/cl 
Ifiarlq)  TraXaicp.  appmi  ni  livashun  lagjip  du  jjlata  fanan 
parihis  ana  snagan  fairnjana. 

Die  stelle  ist  so  sicher  verderbt.  Streitbergs  Vorschlag  im 
wb.  s.  V.  'plat',  du  plata  mit  'zum  flicken  =  als  flicken'  zu 
übersetzen,  findet  keine  stütze  im  gotischen  Sprachgebrauch. 
Kauffmann  Zs.  f.  d.  phil.  30,  167  meint,  der  Übersetzer  habe 
vielleicht  e7rißh]fxu  falsch  aufgefasst,  indem  er  £7cl  ßh'nxu 
gelesen  habe,  auch  diese  möglichkeit  erscheint  mir  ausgeschlossen: 
ülfila  hat  doch  griechisch  gekonnt!  wenn  er  aber  evtl  ßkrjua 
gelesen  hätte,  so  ergäbe  der  griech.  text  keinen  sinn  mehr,  zu- 
dem heilst  ßXfiixa  nicht  ^flicken'. 


KRAUSE,  ULFILA  MATTH.  9,  16  99 

Die  schuld  liegt  m.  e.  nicht  am  Übersetzer,  sondern  am  ab- 
schreiber.  was  erwarten  wir  denn  als  got.  text,  zunäelist  für  das 
object?  doch  wol  plat  fanins  ßarihis.  so  steht  an  den  parallel- 
stellen Mc.  2,  21  plat  fanins  ninjis  und  L.  5,  36  pk^  snagins 
niujis,  als  object  dort  zu  lagjid  hier  zu  siujip.  wie  wird  weiter 
das  prädicat  heifsen?  im  griech.  steht  Enißdllet.  das  hat  der 
Übersetzer  recht  genau  widergeben  wollen,  nicht  durch  lagjip 
allein,  sondern  durch  lagjip  du  =  'legt  hinzu',  zu  diesem  ge- 
brauch des  du  vgl.  L.  8,  44:  Ttgoosld-oüGu  öniod-ev  f.iparo  .  .  . 
atgaggandei  du  aftaro  attaitok  .  .  .  und  Mc.  10,  13:  oi  öe 
fxa&T]rc(i  srrsrißcov  roTc  TtQoacfSQOvoiv  ip  pai  siponjos  is 
sokun  paim  bairandam  du. 

Ursprünglich  hiefs  unsere  stelle  also:  ni  hvashun  lagjip  du 
plat  fanins  parilüs  ana  snagan  fairnjana.  der  abschreiber 
hielt  aber  du  für  eine  präposition,  wie  es  ja  meistens  der  fall  ist, 
und  schrieb  also  du  plata.  nun  empfand  er  das  fehlen  eines  ob- 
jectes  und  schrieb  dementsprechend  fanan,  von  dem  parihis 
allenfalls  als  neutraler,  substantivischer  genitiv:  'ein  stück  von 
ungewalktem'  abhängen  konnte,  die  doppelte  änderung  die  so 
auf  das  conto  des  Schreibers  käme,  erscheint  vielleicht  zunächst 
bedenklich,  aber  man  versetze  sich  in  die  läge:  man  schreibt 
doch  nicht  ab,  indem  man  buchstaben  für  buchstaben  nachmalt, 
sondern  indem  man  wortbilder  auffasst,  abgesehen  natürlich  von 
dem  fall  wo  es  sich  um  würkliche  nachmalung  fremdartiger  schrift- 
züge  handelt,  so  sind  unserem  schreiber  jene  beiden  Verände- 
rungen nicht  zum  bewustsein  gekommen,  dass  er  anderseits  nicht 
die  construction  des  ganzen  satzes  beim  abschreiben  übersah,  ist 
auch  durchaus  verständlich,  ihm  genügte  es  dass  die  einzelnen 
glieder  grammatisch  richtig  waren. 

Man  könnte  noch  einwenden,  dass  in  der  Lucasparallele  (5,  36) 
dem  ertLßäX'ksi  ein  einfaches  lagjip  entspricht,  kein  lagjip  du. 
nun  folgt  aber  an  jener  stelle  wie  im  griechischen  so  im  got.  text 
dem  ejcißällEi  lagjip  unmittelbar  eine  präposition  eni '  ana. 
da  wäre  ein  eingeschobenes  du  störend  gewesen,  in  der  Marcus- 
parallele (2,  21)  steht  ein  anderes  v^erb:  eitiocnix^f  siujip;  aber 
auch  hier  folgt  unmittelbar  die  präposition  sttI  '  ana. 

Göttingen.  Woifgaugr  Krause. 


RHEINISCHES  OSTERSPIEL 
IN  EINER  HS  DES  17  JAHRHUNDERTS. 

Unter  den  archivalieii  des  Wiesbadener  Staatsarchivs,  die 
den  ort  Sulzhach  hei  Bad  Soden  betreffen,  befindet  sich  ein 
papierheft  in  (/uartformat  ^,  das  von  dem  pfarrer  der  katho- 
lischen pfarrei  Weifskirchen  bei  Selirjenstadt'^,  Christian  Ephip- 
piarius,  herstammt,  es  sollte,  wie  es  scheint,  anfänglich  als 
kirchenbuch  von  Weifskirchen  dienen,  wie  verschiedene  einträfje 
darin  betveisen,  so  wenn  es  auf  einem  blatte  heifst:  Ein  buch, 
darinnen  alle  Namen  der  Kinder  verzeichnet  seindt,  welche  vom 
Christiano  Ephippiario  zur  zeit  unschuldigen  pfarrherren  zu 
Weifskirchen  .  .  .  getauft  seindt.  der  besitzer  änderte  indessen 
seine  beslimmuny,  als  er  I62ö  unter  merkivürdigen  umständen 
für  einige  zeit  pfarrer  von  Sulzbach  icurde  3. 

Der  ort,  ein  reichsdorf,  hatte  sich  im  13  Jahrhundert 
unter  den  schütz  der  reichsstadt  Frankfurt  a.  M.  begeben,  und, 
diese  übte  hier  rechte  aus,  die  sich  im  17  jh.  zur  landeshoheit 
gesteigert  hatten,  doch  gab  es  darin  auch  ein  abgesondertes 
herschaftsgebiet,  einen  reichshof,  der  1035  von  kaiser  Konrad  II 
der  abtei  Limburg  in  der  Pfalz  geschenkt  worden  war  und  sich 
seitdem  als  vogtei  Sulzbach  grundherrlich  und  landeshoheitlich 
selbständig  entwickelt  hatte,  der  abtei  war  auch  die  kirche  in 
Sulzhach  incorporiert,  und  sie  besafs  infolgedessen  das  recht  der 
ernennung  des  pfarrers.  als  sie  dann  1571  aufgehoben  wurde, 
giengen  ihre  besitzungen  und  rechte,  damit  auch  die  vogtei  Sulz- 
hach mit  dem  patronatsrechte,  an  den  kurfürsten  von  der  Pfalz 
über,  die  reformation  war  schon  zu  zeiten  der  abtei  unter  dem 
einfluss  von  Frankfurt  eingeführt  icorden;  der  Übergang  der 
vogtei  an  Kurpfalz  hatte  jetzt  nur  die  folge,  dass  der  kurfürst 
von  seinem  p)farrpräseyitationsrecht  zu  gunsten  reformierter  geist- 
lichen gebrauch  machte  und  ihre  ernennung  gegenüber  dem  luthe- 
rischen Frankfurt  auch  durchzusetzen  imstande  war.  nun  wurde 
hekanntlich  Friedrich  V  von  der  Pfalz,  der  böhmische  ivinter- 
könig,    1621    vom   kaiser   geächtet    und    seiner   länder   verlustig 

^  XVI  Reichsdürfer  Soden  und  Suhbach,  Gener.  X'^  2. 

^  Weif s /drehen  so.  Frankfurt  a.  M. ,  jet:st  zum  Grofsher^ogttim 
Hessen  gehöricj,  nicht  das  Weifslärchen  nw.  Frankfurt  bei  Hom- 
burg D.  d.  H.,  da  Ephippiarius  bestimmt  in  ersterem  später 
pfarrer  war. 

^  die  folgenden  mitteilungen  beruhen  auf  den  acten  des  FranI,- 
jurter  rates  betr.  die  kirche  in  Sulsbach,  jetzt  im  st.  ccrchiv  Wiesbaden 
XYI  Reichsdörfer  Soden  und  Suhbach,  Gener.  A'"'  4. 


WAGNER,  RHEINISCHES  OSTERSPIEL  DES  17  JH.S     101 

erklärt,  auch  die  vogtei  Sulzhach  ivurde  eingezogen  und  der 
kaiserlichen  regierung  der  Unterpfalz  in  Kreuznach  unterstellt, 
die  hier  alle  bisher  vom  kiirfursten  ausgeübten  rechte  tvahr- 
zunehmen  hatte,  man  versteht  dass  diese  behörde  nicht  ab- 
geneigt loar,  gegebenen  falls  auch  ihr  präsentatiomrecht  auszuüben 
und  auf  diesem  nicht  ungewöhnlichen  ivege  die  gemeinde  Sulzbach 
zur  katholischen  kirche  zurückzuführen,  die  gelegenheit  hierzu 
fand  sich,  als  im  jähre  1625  der  damalige  reformierte  pfarrer 
Johannes  Metzger  seines  amts  entlassen  tvurde.  zwar  ernannte 
der  rat  von  Frankfurt  als  landesherr  sogleich  einen  neuen,  dies- 
mal lutherischen  pfarrer,  Heinrich  Wächter,  allein  die  kaiser- 
liche regierung  in  Kreuznach  erkannte  ihn  nicht  an,  sondern 
machte,  gestützt  auf  ihr  patronatsrecht,  eben  jenen  pfarrer  der 
katholischen  pfarrei  Weifskirchen,  Christian  Ephippiarius,  zum 
p)farrer  in  Sulzbach,  von  wem  der  gedanke  hierzu  ausgegangen 
ivar,  ob  von  der  regierung  oder  dem  Mainzer  vicariat  als  der 
dabei  interessierten  geistlichen  oberbehörde,  oder  ob  Christian 
Ephippiarius  selbst  sein  äuge  auf  die  nicht  schlecht  dotierte 
Sulzbacher  pfarre  geworfen  hatte,  lässt  sich  mit  Sicherheit  nicht 
angeben,  dieser  hat  später  den  verdacht,  darnach  gestrebt  zu 
haben,  iveit  von  sich  gewiesen  und  die  sache  so  dargestellt,  als 
ob  er  von  der  weltlichen  obrigkeit  dazu  gezwungen  worden  sei. 
dagegen  spricht  aber,  dass  er  schon  im  jähre  1621,  also  lange 
bevor  er  die  pfarre  wirklich  erhielt,  in  Sulzbach  erschien,  das 
Pfarrhaus  besah  und  allerhand  kundschaft  einzog,  gewis  ein 
etwas  verräterisches  Zeugnis  für  seine  absichten.  loie  es  sich  in- 
dessen auch  verhalten  haben  mag,  er  erhielt  1626  die  pfarrei 
trotz  aller  proteste  des  Frankfurter  rats  und  rechtfertigte  das 
in  ihn  gesetzte'  vertrauen,  indem  er  tatsächlich  den  katholischen 
gottesdienst  einführte,  ohne  dass  die  gemeinde  oder  der  rat  von 
Frankfurt  dagegen  etwas  auszurichten  vermochte,  daneben  nahm 
er  als  ein  betriebsamer  mann  auch  alle  seine  vorteile  in  den 
dingen  dieser  weit  tvahr.  mehrere  Jahre  behielt  er  das  pfarr- 
amt  ungestört;  erst,  als  im  jähre  1631  die  Schweden  in  diesen 
gegenden  erschienen,  tcurde  die  läge  für  ihn  bedenklich,  aber  er 
versuchte  sich  doch  zu  halten,  und  nicht  ohne  interesse  auch  für 
seinen  Charakter  ist  das  benehmen  das  er  dabei  beobachtete. 

Aus  anlass  eines  Streites  mit  einigen  seiner  pfarrkinder 
schrieb  er  an  den  schultheifsen  von  Sulzbach,  den  Vertreter  der 
interessen  des  rates  von  Frankfurt,  und  bat,  ihm  behilflich  zu 
sein,  dass  er  die  pfarrei  behielt.  'Was  ist  es  nuhmehr,  dass  ich 
biß  dato  die  pfarr  versehen  habe?'  heifst  es  in  dem  briefe, 
'habe  ich  doch  nit  auders  gesungen,  gelehrt,  gepredigt,  als  einem 
recht  evangelischen  pfarrherren  zustehet  und  wird  uienian  mein 
lehr  tadelen  können',  und  weiter  empfiehlt  er  sich  mit  den 
Worten:  'ich  begeren  nit  anders  zu  lehren  und  die  heilige  sacra- 
menten    zu    administriren,    dan    wie    einem    recht   evangelischen 


1 02  WAGNER 

pfarrherren  geburt  und  zustehet',  ein  recld  zuverlässiger  Cha- 
rakter scheint  Christianns  EphippiariKS  darnach  nicht  eben  ge- 
wesen zu  sein,  seine  beniühungen  halfen  ihm  denn  auch  nicht 
viel;  er  muste  Sulzhach  verlassen,  kehrte  in  seinen  früheren 
würkungskreis  zurück  und  lebte  noch  im  Jahre  1654  als  pfarrer 
von  Heusenstamm  und   Weifskirchen  im  Rodgau. 

Bei  seiner  Übersiedelung  nach  Sulzbach  hatte  er  auch  das 
in  Weifskirchen  1624  angelegte  kirchenhuch  mitgenommen;  aber 
er  verwandte  es  nicht  mehr  zu  kirchlichen  zwecken,  wie  er  es 
auch  schon  in  Weifskirchen  nicht  ausschlief slich  hierzu  benutzt 
hatte,  er  gebrauchte  es  fortan  als  Wirtschaftsbuch,  indem  er 
darin  allerhand  für  ihn  wertvolle  notizen  über  seine  einnahmen 
und  ausgaben  mntrug,  über  gefalle,  zehnten,  zinse,  pachteinnahmen 
die  ihm  als  Sulzbacher  pfarrherrn  zustanden,  auch  sonstige  mit 
geld  und  geldeswert  zusammenhängende  angaben,  ivie  über  die 
dingung  einer  dienstmagd,  über  das  kostgeld  des  Schulmeisters 
und  bezeichnenderiveise  auch  über  abmachungen  mit  seinem  eidam 
Johannes  in  Soden,  auf  den  fall  dass  dieser  stürbe,  was  als- 
dann 'mein  medtgen  nach  seinem,  Johannes,  tode'  erhalten  sollte. 
die  angaben  erstrecken  sich  über  die  jähre  1626  bis  1631,  enden 
also  genau  mit  dem  zeitpunct  in  dem  er  Sulzbach  den  rücken 
kehrte,  er  mag  das  buch  bei  seinem  abzug  im  pfarrhause  haben 
liegen  lassen,  von  wo  es  an  den  rat  von  Frankfurt  abgegeben 
ivorden  sein  dürfte,  von  dort  scheint  es  mit  anderen  Sulzbarh 
betreffenden  archivalien  in  das  nassauische  landesarchiv  in  Id- 
stein gelangt  zu  sein,  als  dieser  ort  1803  deyn  fürsten  von 
Nassau-  Usingen  zugesprochen  wurde. 

Auf  den  letzten  blättern  des  buches  hat  Christian  Ephip- 
piarius,  von  dem  sich  auch  sonst  einige  Schriftstücke  erhalten 
haben,  eigenhändig  das  hier  folgende  schlecht  gereimte  osterspiel 
niedergeschrieben,  wie  er  dazu  kam  es  in  sein  Wirtschaftsbuch 
einzutragen,  und  zu  welchem  ziveck  er  es  abschrieb,  lässt  sich 
nicht  feststellen,  ebensowenig,  ivoher  der  text  stammt  den  er  ab- 
schrieb, denn  dass  er  ihn  selbst  verfasst  hat,  ist  nicht  anzu- 
nehmen, dem  widerstreitet  schon  die  spräche,  die  spuren  älterer 
Wortbildung  verrät,  engere  verwantschaft  mit  den  osterspielen, 
des  15  Jahrhunderts,  so  weit  sie  mir  bekannt  geworden  sind,  ist 
indessen  nicht  vorhanden,  da  diese  seit  dem  12  Jahrhundert  be- 
kannte, im  15  Jahrhundert  zu  hoher  blute  gelangte  litteratur- 
gattung  im  \  6  Jahrhundert  mehr  und  mehr  schwand,  dürfte  unser 
um  ungefähr  1625  niedergeschriebenes  stück  immerhin  einige 
beachtung  verdienen,  es  enthält  die  scene  mit  Pilatus  und  den 
kriegsknechten  als  tvächtern  am  grabe  Christi,  ferner  mit  dem 
spezereien  verkaufenden  arzt,  den  klagenden  Marien  und  dem 
enget  am  leeren  grabe,  nicht  ohne  interesse  scheint  mir  der 
umstand  dass  die  3  kriegsknechte  namen  führen,  darunter  einer 
den  namen  Mansfeld.    vergegenwärtige  man  sich,  dass  um  1625 


RHEINISCHES  OSTERSPIEL  DES   17  JH.S  103 

uol  der  bekannteste  und  in  mancher  hinsieht  gefürchtetste  fuhrer 
auf  protestantischer  seite  graf  Ernst  von  Mansfeld  war,  so  ligt 
die  Vermutung  nahe,  dass  man  dem  römischen  kriegsknecht 
am  grabe  Christi  seinen  natnen  nicht  ohne  beziehung  auf  ihn 
beilegte. 

Bei  dem  folgenden  abdruck  ist  der  text  der  handschrift 
insoweit  geändert,  als  willkürlichkeiten  in  der  Schreibung  mancher 
uöcale  beseitigt,  die  zahlreichen  doppelconsonanten  vereinfacht  und 
die  völlig  willkürlich  gesetzten  grofsen  buchstaben  im  anlaiit 
durchgängig  klein  geschrieben  sind. 

Wiesbaden.  P,  Wagner. 


Hie  kompt  Pilatus  auf  den  plan  und  tut  an 
3  unterscheidlichen  orteren  seine  reverenz  zum 
volk,  darnach  setzet  er  sich  auf  seinen  stul, 
und  stehen  die  3  Soldaten,  die  das  grab  sollen 
bewahren,  bei  ihm;  spricht  sie  also  an: 

Pilatus. 
Unsere  hoche  priester  haben  sich  bedacht, 
wie  daz  der  bedrieger  in  seinem  leben  hat  gesacht: 
es  wurde  sich  begeben, 

daz  er  nach  dreien  tagen  wurde  vom  tod  erstehen  zum  leben. 
Dahin  dann  gute  ordenung  5 

von  mir  gerichtet  werden  soll  zur  stund. 
So  sagt  mir  nu  ihr  kriegersknaben: 
was  soll  dann  ein  jeder  vor  bezalung(^)  haben? 

Hans  Jungblut. 
Das  müssen  sein,  sag  ich  vorwahr, 

zwölf  cronen,  und  die  mit  gewicht  gantz  schwär.  10 

Darumb  verlassen  wir  kind  und  weih 
und  wagen  zugelich  leben  und  leib. 

Pilatus. 
Ist  die  belohnnng  nicht  etwas  zu  grob? 

Mansfelder. 
Nein  vorwahr,  nicht  einen  trob. 

Wir  kriegsleut  müssen  wagen  leib  und  leben,  15 

darumb  muss  man  uns  solche  besuldung  geben, 

Pilatus. 
Wo  mag  mein  knecht  Samech  sein? 

Samech. 
Was  beleibt  und  gefeilt  dem  herren  mein? 

a)  bezulung  h^. 


104  WAGNER 

Pilatus. 
Gehe  hin,  hol  mir  den  beutel  mit  dem  geli; 
sehe  dich  wol  vor,  daz  dir  nichts  daraus  entfällt.  20 

Saraech. 
Damit  ich  solches  recht  ausricht, 
so  sagt  mir,  wo  das  geld  innen  ligt. 

Pilatus. 
Das  geld,  das  wirstu  finden 
hinder  dem  herd  wol  in  der  spinden. 

(Pausere.) 
Verstehe  mich  recht,  du  trawer  knecht:  25 

wol  in  dem  schrein,  da  wird  es  sein. 

Samech. 
Hab's  recht  und  wol  verstanden, 
will's  brengen  zu  eueren  banden, 
will  auch  laufen  in  aller  eil 

in  einem  lauf  eine  halbe  meil,  30 

damit  ich  beim  herren  habe  gute  gunst, 
sonst  ist  alle  mein  tun  umbsonst. 

(Hie    lauft    Sa'mech    hin,    das    geld    zu    holen, 

kompt  wider  und  spricht:) 
Hie  ist  der  beutel  mit  dem  geld; 
zehlet,  ob  etwas  darannen  feit, 

damit  ich  nicht  werde  gehalden  vor  ein  unfromen;  35 

habe  niemand  geld  aus  taschen  oder  beutel  genomen. 

Pilatus. 
Vor  ein  fromen  tun  ich  dich  schetzen, 
so  ich  dran  liegen  kan  dich  nicht  letzen. 
Zehle  du  mir  heraus  zwölf  cronen, 

damit  muss  ich  diese  belohnen  40 

und  also  zur  wacht  schicken, 
schnei  dich,  ehe  ich  dich  mit  dem  zepter  auf  den  köpf  knippen. 

Pilatus. 

Halt  da,  ihr  kriegsleut  unverzagt, 

das  ist  das  geld,  darvon  gesacht; 

gehet  hin,  braucht  fleisz  mit  allen  sinnen,  45 

so  könnt  ihr  hernach  mehr  geld  gewinnen. 

(Hie  kommen  die  Soldaten  zum  grab,  und  dej- 
oberste  fengt  an  und  spricht  zu  den  anderen 
Soldaten :) 

Hans  Jungblut. 
Nu  hört  zu,  ihr  kriegsleut  wolgemut: 
wie  lechtlich  bekommen  wir  das  geld  und  gut! 
Ich  hätt  mein  lebtag  nit  gedacht, 
daz  ein  man  sollt  so  forchtsam  haben  gemacht  50 


RHEINISCHES  OSTERSPIEL  DES   17  JH.S  105 

unsere  herren  und  hohe  obrigk[e]it, 

die  uns  dan  herzu  haben  bereitt, 

das  wir  das  grab  sollen  heuten  und  bewahren 

daran  kein  fleisz  noch  arbeit  sparen. 

Solches  wollen  wir  tun  wie  recht,  55 

den  seid  verdienen  wie  from  landsknecht. 

Mansfeld, 
Hort,  eins  ist  mir  wunder  in  meinem  g-eraut, 
daz  wir  das  fett,  und  die  bawren  behalten  die  brew, 
da  sie  so  schwäre  arbeit  müssen  tun, 
wir  aber  stets  faulen  und  mussig  gan.  60 

Hans  Wolgemut. 
Nu  lasst  uns  allhie  nach  der  erden  geben 
und  tun  nach  art  aller  kriegsleut  leben, 
damit  wir  die  langh[e]it  der  zeit  vertreiben. 
Kein  geld  solle  diese  nacht  in  meiner  taschen  bleiben, 
oder  ich  solle  haben  eueren  sold  und  lohn.  65 

Ich  spil  ein  wurst  umb  ein  wichtige  cron. 
Ist  keiner,  der  mir  die  schanz  darf  halten  — 
tuts,  oder  ich  will  euch  allen  die  köpf  zerspalten. 

Hans  Jungblut. 
Du  sollt  mich  mit  keinen  trutzigen  Worten  ansprechen, 
oder  ich  will  dich  mit  meiner  hebarten  erstechen ;          '  70 

das  glaub  mir  frei  und  vorwahr: 
ich  acht  dich  geringer  als  ein  lichtes  har. 
Darumb  setzt  euch  fein  zeuchtig  nider, 
oder  ich  schmeisz  mitt  grosser  gewalt  dar  wider. 

(Hie  setzen  sich  die  Soldaten  nider  auf  die  erd 
und  spilen,  stehen  dar[na]ch  auf  und  laufen 
darvon  sprechend:) 

Mansfeld. ') 

Na  lauf  wer  laufen  kann;  75 

ich  will  nicht  warten  auf  diesen  man, 
die  beut  will  ich  ligen  lassen 
alhier  mitten  auf  der  Strassen. 

Hans  Wolgemut. 

Ach  ja,  ich  hab  mich  verschlafen, 

muss   auch  meinen  gesellen  nachlaufen.  80 

(Hie  brenget  des  artzes  knecht  ein  tisch  auf 
den  plan,  decket  denselben  und  zigt  an  die 
Zukunft  seines  misters  und  spricht:) 

a)  Haas  Jungblut  aasgestrichen,   dafür  nachträglich  Mansfeld  ein- 
yesetst. 


106  WAGNER 

Hieher,  ihr  herren,  alzumal 

und  höret,  was  ich  euch  anzigen  soll: 

es  wird  kommen  auf  diesen  plan 

ein  mister  von  allen  kunsten  wolgetan. 

Sehet,  jetzunder  tritt  er  herfur,  85 

der  kunstriche  mister,  alzu  tur. 

Wichet  aliesampt  behend, 

damit  er  komme  zu  diesem  end 

und  an  tag  geb  seine  sach, 

der  er  kein  scheu  tragt  ohne  clag.  90 

Mister. 
Ihr  herren,  seid  gegrusset  allesamen, 
wie  ihr  dann  hieher  zusamen  seid  komen. 
'Der  wilde  baur'  bin  ich  genant, 
in  fremden  landen  vil  bekant. 

Von  Ambsterdam  bin  ich  geboren ;  95 

die  artzenei  hab  ich  auserkoren, 
derselben  fleissig  nachgedacht, 
allezit,  beide  tag  und  nacht, 
bis  solang  ich  kunstlich  erfahren  han, 

wie  ich  soll  helfen  jederraan.  100 

Welchen  angehet  des  hungers  not 
dem  kann  ich  helfen  mit  fleisch  und  brot, 
damit  ihm  vergehet  das  grimmen  im  b[a]uch. 
Hort,  was  da  vorhanden  ist  vor  ein  gauch. 
Hi[e]her,  du  grober  flegel,  zu  mir!  105 

umb  geld  kann  und  will  ich  helfen  dir. 

Baur. 
Ach  jo,  jo,  jo,  mir  armen  man; 
hab  mein  lebtag  keinem  menschen  leid  getan, 
bin  gelichwol  armselig  zugericht, 

wie  jederman  an  mir  wol  sieht.  110 

Hett  ich  getan,  was  mich  mein  Greta  lehrt, 
so  were  ich  jetzund  nicht  so  hoch  beschwert. 
Aber  ich  sehen  dort  ein  mister  stan, 
zu  dem  muss  ich  in  aller  eilen  gan. 

Mister,  ich  pitten  euch  durch  gotts,  115 

ihr  wollet  mir  helfen  ohne  allen  spotts; 
ich  bin  vorwahr  ein  armer  man,. 
k[e]in  geld  oder  gut  auf  erden  nit  han, 
wills  aber  mit  meinem  andechtigem  gebet 
umb  euch  verschulden  umb  den  lieben  gott  120 

»Artz. 
Ija,  du  grosser  grober  baur, 
wie  sichstu  jetzund  so  mechtig  säur! 


RHEINISCHES  OSTERSPIEL  DES  17  JH.S  107 

Solle  ich  dich  umbsonst  g-esund  machen, 

des  wirstu,  gr[o]ber  baur,  wahrlich  nit  lachen. 

Halt  still,  ich  will  dir  das  messer  auszucken,  125 

es  sei  ganz  oder  mit  stucken. 

(Hie    kommen    die    3    Marien    zum    artz    und 

kaufen  ihm  die  spitzerei  ab.) 

Maria  Magdalena. 
Ach,  Schwester  Maria  Salome, 
wie  ist  mir  an  meinem  hertzen  so  weh! 
Ich  kann  nit  schlafen,  hab  kein  ruh, 

wir  gehen  dan  zum  graben  zu  130 

und  salben  den  lichnam  unsers  herren, 
welcher  war  unser  höchster  trost  und  ehren. 

Maria  Salome. 
Ja,  Schwester  Maria  Magdalen, 
wa  bekommen  wur  die  spitzerei, 

damit  wir  nach  den  sitten  der  Juden  135 

den  leib  des  herren  ehrlich  salben? 

Maria  Jacobi. 
Ich  sehen  dort  auf  dem  mark[t]  so  schon 
ein  mister  mit  allerhand  spitzereien  stan. 
Wir  wollen  ihn  zuchtig  besprechen  zur  stund, 
ob  er  uns  darzu  helfen  kont.  140 

Artz. 
Ihr  weiber,  gebt  mir  herauf  bescheid: 
ich  spuren  an  euch  gross  hertzenleid. 
Was  habt  ihr  vor  ein  mangel?  zeigt  an, 
will  besehen,  ob  ich  euch  helfen  kann. 

Spitzerei  könnt  ihr  nit  kaufen  basz,  145 

als  ihr  hier  sehet  in  diesem  glasz; 
die  geb  ich  umb  ein  billig  geld, 
w^enne  sie  euch  nur  all [e] in  gefeilt. 

Maria  Magdalena. 
Die  spitzerei  tut  uns  gar  wol  gefallen; 

wollen  sie  euch  auch  hertzlich  gern  bezalen.  150 

All[e]in  helfet  uns  bald  davon 
dann  wir  uns  nicht  lang  zu  sumeu  han. 

Artzt. 
Habt  da  die  allerbester  buchs  mit  salben, 
gebraucht  dieselbe  nach  eurem  gefallen. 
Maria  Salome. 
Mister,  wir  danken  euch  von  hertzen,  ^55 

dann  euer  geschwindigkeit  lindert  unseren  schmertzen. 


108    WAGNER,  RHEINISCHES  OSTERSPIEL  DES  17  JH.S 

Maria  Magdalena. 
Unser  rawen  ist  nianig-falt, 
das  vernembt,  arm,  rieh,  jung  und  alt: 
wir  haben  verloren  unseren  herren  Jesum  Christ, 
den  die  Juden  mit  falscher  list  160 

an  dem  creutz  haben  getot. 

Maria  Salome. 
Wer  welzelt")  uns  von  des  grabes  tur 
den  grossen  stein,  der  lät  darvor; 
er  ist  schwer  und  darzu  grosz, 
goder*";  hülfen  wer  uns  not  165 

Maria  Jacobi. 
Ach,  ein  grosses  schrecken  kompt  mich  an! 
Waz  sehen  ich  dort  am  grabe  stan? 
Waz  ist  das  vor  ein  gestalt, 
die  man  da  sieht  in  weisser  gewand? 

Engel. 
Quem  quaeritis  in  sepulchro,  o  christicoli?  170 

Idem. 
Nu  hört,  Maria,  waz  ich  euch  frage: 
wen  sucht  ihr  alhier  in  diesem  grabe? 

lesum  Nazarenum  crueifixura,  o  coelieoli. 

Idem. 
Wir  suchen  unseren  herrn  lesum  Christ, 
der  an  dem  creutz  gestorben  ist.  175 

Engel. 
Non  est  hie;  surrexit,  sicut  praedixerat;  ite,  annunciate, 
quia  surrexit  de  sepulchro. 

Idem. 
Er  ist  nit  hie,  er  ist  auferstanden 
und  ist  in  Galileam  ingegangen. 

Das  saget  Petro  unde  mehren:  180 

er  ist  verreissen  von  diesen  stetten. 

Die  Engel  zuglich. 
Venite    et    videte    locum,    ubi    positus    erat    dominus, 
AUelujae,  allelujae. 

Idem. 
Ivorapt  und  sehet  das  grab, 

da  euer  herr  und  h[e]iland  innen  lach.  185 

sehet  in  diese  tucher  haben  sie  ihn  gebunden 
mit  seinen  heiligen  fünf  wunden. 

a)  wentzeldt  hs. 

b)  verbessert  aus  groszer. 


DIE  PRAEFATIO  ZUM  HELIAND  UND  DIE 
VERSUS  DE  POETA. 

I. 

Die  Praefatio  zeif;t  allerlei  anklänge  an  andere  vorreden  und 
Widmungen ;  vielleicht  hat  der  Verfasser  geradezu  durch  die  lesung 
solcher  litteratur  seine  latinität  zu  stärken  versucht,  freilich  ist 
nicht  immer  sicher,  ob  wirklich  gerade  diese  oder  jene  schrift  be- 
nutzt ist;  die  stellen  bei  denen  mü-  zufall  ausgeschlossen  scheint, 
habe  ich  mit  einem  stern  bezeichnet. 

In  betracht  kommen : 

Cassiodorius,  1.  In  Psalterium  praefatio.  2.  De  institutione 
divmarum  literarum,  praefatio.    Migne,  Cursus  Patrologiae,  Latini  7(i. 

Hieron ymus,  Quaestiones  hebraicae  in  libro  Geneseos  e 
recognitione  Pauli  de  Lagarde. 

Hrabanus  Maurus.     Migne  107.   109. 

Sedulius  1.  Epistola  ad  Macedonium.  2.  Epistola  ad  Mace- 
donium  altera,  rec.  I.Huemer,  Corpus  script.  eccl.  Lat.  vol.  X, 
Vindobonae  1885. 

Die  Praefatio  citiere  ich  nach  den  seilen-  und  Zeilenzahlen 
der  Heliandausgabe  von  Sievers. 

3,  3.  4.  quod  ad  sacrosanciam  religionem  aeternamqiie 
animarum  salubritatem  attinet.  Cass.  2}  1110  f.  quod  ad  salidem 
animarum  constat  esse  concessim. 

3,  6.  popuhim  sibi  a  Deo  subiectum.  Hrabanus,  Ep.  ded. 
ad  Judith  Augustam  109,  539  nos  quantulacunqiie  pars  plebis  a 
Deo  vobis  commissae. 

3,  9.  10.  talibus  delectanientis  pascitnr.  *  Sedulius  1)  10, 
7.  S  dum  nominis  sui  dignitate  pascitur. 

4,  1  eiusdem  diuinae  ledionis.  4,  5.  6  sacra  diuinorum 
praeceptorum  lectio.     Sedulius  1)  9,  2  sacrae  lectionis. 

4,  2 — 4.  Praecepit  namque  cuidarn  uiro  de  gente  Saxonum 
.  .  .  ut  uetus  ac  nouum  Testamentum  in  Germanicam  linguam 
poeüce  transferre  studeret.  *  Sedulius  2)  171,  2—5  Praecepisti  .  . 
pasclialis  carminis  textum  .  .  in  rhetoricum  me  transferre  ser- 
monem. 

4^  4 — 6.  quatenus  .  .  .  eüam  illiteratis  sacra  diuinorum 
praeceptorum  lectio  p  and  er  etur.  *Cass.  2)  1106f  ad  hoc  divina 
charitate  probor  esse  compulsus,  ut  introductorios  vobis  libros 
istos  .  .  conficerem,  per  quos  .  .  et  Scripturarum  divmarum  series 
et  saecularium  literarum  compendiosa  notitia  Domini  munere 
panderetur.     lUOB  ut  textus  praedictae  Genesis  lucidius  legenti- 


1  1 0  JELLINEK 

hus  panderetur.  1113  ut  texhis  memorati  Octateuchi  quodam 
nohis  compendio  panderetur. 

4,  6.  7.  Qui  iussis  Imperialibus  lihenter  ohteniperans. 
"'' Sedulius  2)   171,  8  sanctis  tarnen  iussionibus  non  resultans. 

4,  8  — lü,  ad  tarn  difficile  tanc/ue  arduum  se  statim  con- 
fulit  opus:  potius  tarnen  confidens  de  adlutorio  ohtemperantiae, 
t/uam  de  suae  ingenio  parvitatis.  *Hrabanus,  In  Matth.  Praei'atio 
107,  728  D  eorum  precibus  coacta  est  parvitas  nostra  praesens 
opus  adgredi,  non  tarn  propriis  viribus  aut  ingenio  confidens 
quam  divino  adiutorio  et  fraternae  caritati  i.  Comm.  in  libros 
Regum  109,  10  B  non  enim  de  mea  sed  de  divina  confideham 
potentia. 

4,  15.  iuxta  idioma  ilUus  linguae.  Hieronymus  4,  19; 
37,  25f;  5Q,  dO  iuxta  idioma- linguae  hehrnicae  (hehraeaej.  idioma 
öfters,  zb.  idioma  linguae  illius  est  27,  4.  5;  idioma  linguae 
hehraicae  33,  16,  vgl.  auch  31,  28;    62,  3. 

4,  21.  22.  ut  Sacrae  legis  praecepta  ad  cantilenam  propriae 
linguae  congrua  modulatione  coaptaret.  *Sedulius  1)  5,  2 — 4. 
raro  .  .  diuinae  munera  potestatis  stilo  quisquam  huius  modu- 
lationis  aptauit.  11,  l.  2  ad  haec  ego  congrua  .  .  ita  responsione 
perfungar. 

4,  23 — 25.  qui  huius  carminis  notitiam,  studiumque  eius 
compositoris  atque  desiderii  anhelationem  habuerit.  *  Sedulius  1) 
3,  7.  8  aegros  anhelitus  illa  mihi  saepe  ratio  commouebat.  11,7.  8 
quosdam  .  .  .  desiderio  sanctae  conuersationis  implesti.  Dem 
Verfasser  der  Praefatio  schwirrten  die  Wörter  anhelitus  und  desi- 
derio durch  den  köpf;  sein  desiderii  anhelationem  ist  ein  höchst 
missglückter  ausdruck. 

4,  25.  26.  Tanta  namque  copia  uerborum,  tantaque  excel- 
lentia  sensuum  resplendet.  *  Cass.  1 )  0  A  in  qua  tanta  erat 
copia  congesta  dictorum.  10  A  tanta  enim  illic  est  pulchritudo 
sensuum. 

4,  27 — 30.  Sic  nimirum  omnis  diuina  agit  scriptura.  ut 
quanto  quis  eani  ardentius  appetat,  tanto  niagis  cor  inquirentis 
quadam  dulcedinis  suauitate  demulceat.  *Cass.  2)  1109A  Tale 
est  enim  huius  rei  suauissimum  donum,  ut  quanto  plus  accipitiir, 
tanto  amplius  expetatur.  Sed  quamvis  omnis  Scriptura  divina 
su2)erna  luce  resplendeat  .... 

4,  30 — 32.  Vt  uero  studiosi  lectoris  intentio  facilius  quae- 
que  ut  gesta  sunt  possit  inuenire,  singulis  sententiis,  iuxta  quod 
ratio  huius  operis  postularat,  capitula  annotata  sunt.  *Cass.  2) 
1 1 1 2  C  Sed  ut  textus  memorati  Octateuchi  quodam,  nobis  com- 
pendio   panderetur ,    in   principiis    librorum    de    universa    serie 

*  man  beachte  dass  die  Umschreibung  parcitas  eigentlich  nur  passt, 
wenn  jemand  von  sich  selbst  spricht  wie  hier  Hrabanus.  in  der  Praefatio 
ist  dagegen  von  dem  geist  der  Wenigkeit  eines  andern  die  rede. 


PRAEFATIO  UND  VERSUS  Hl 

lectionis  titulos  eis  credidimus  imprlmendos,  a  maioribus  vostris 
ordine  currente  descriptos:  ut  lector  iiHUter  admonitns,  salu- 
briter  reddatur  attentus,  et  facile  unamqitamque  rem  dum 
quaerit,  inveniat,  quam  sibi  cognoscit  hreviter  indicafam. 

Interessant  scheint  mir  an  diesen  parallelen,  dass  unser  autor 
seine  stilmuster,  wenn  wir  von  der  fraglichen  benutzung  des 
Hieronymus  absehen,  eben  in  vorreden  und  Widmungen  gesucht 
hat.  das  ist  für  den  charakter  des  Schriftstücks,  dessen  titel 
Traefatio'  ja  an  sich  wenig  urkundliche  gewähr  hat,  nicht  ohne 
bedeutung. 

II. 

Die  Praefatio  ist  rhythmische  prosa.  nach  Wilhelm  Meyer 
Gesammelte  abhandlungen  zur  mittellateinischen  rhythmik  II  23G 
gilt  da  die  regel,  dass  zwischen  den  accentsilben  der  beiden  letzten 
Wörter  2  oder  4,  seltener  3  schwachbetonte  silben  stehu.  die 
theorie  des  12  und  13  jhs.  hat  eine  auswahl  aus  den  mögUchen 
reihen  von  betonten  und  nicht  betonten  silben  getroffen  und  in 
einem  punct  das  eigentliche  wesen  des  sogenannten  cursus  zerstört. 

I.  Zwei  unbetonte  silben  vor  der  letzten  tonsilbe.  im  12  jii. 
ist  die  erste  senkungssilbe  immer  die  letzte  silbe  eines  wortes. 
die  zweite  senkungssilbe  kann  zum  letzten  wort  gehören  oder 
durch  ein  einsilbiges  wort  gebildet  Averden.  je  nachdem  der 
letzten  tonsilbe  eine  oder  zwei  silben  folgen,  ergeben  sich  zwei 
formen. 

1.  r<j  (^  I  oo  oo  f^         Cursus  planus 

2.  ro  fvj  I  cxj  oo   ^^  oo  Cursus  tardus  (ecclesiasticits) 
Formen   in   denen   die  beiden  Senkungssilben   zum   vorletzten 

Worte  gehören,  erkennt  die  theorie  des  12  jhs.  nicht  an.  auch 
früher  sind  sie  nicht  beliebt,  kommen  aber  vor,  also 

3.  OO      ^^      OO  OO      C^i 

4.  CXJ       ^-^      OO       j       OO      ^-^      OO 

II.  Vier  unbetonte  silben  vor  der  letzten  tonsilbe.  die  ersten 
beiden  gehören  dem  vorletzten  mehrsilbigen  wort  an.  der  Ctirsus 
velox  der  späteren  theorie:   oo   w   r^^  |  c^  c^   c^  r^- 

Der  sinn  des  cursus  ist  nur  gewahrt,  wenn  entweder  die 
beiden  letzten  senkungssilben  zum  letzten  wort  gehören  oder  die 
erste .  oder  beide  durch  einsilbler  dargestellt  werden,  aber  die 
theorie  des  12  jhs.  liefs  es  auch  zu,  dass  diese  silben  ein  zwei- 
silbiges wort  bilden. 


112  JELLINEK 

III.  Drei  unbetonte  silben  vor  der  letzten  betonten,  von  der 
späteren  theorie  nicht  anerkannt. 

IV.  Vielsilbige  (mehr  als  viersilbige)  Schlusswörter  werden 
von  den  meisten  gemieden,  auch  später  von  der  theorie  nicht  an- 
erkannt, nach  Wilhelm  Meyer  wächst  im  8  und  9  jh.  die  zahl 
solcher  Schlüsse. 

In  der  Praefatio  haben  wir   1 5  satzschlüsse  ^.    9  entsprechen 
den  anf orderungen  der  blütezeit  des  cursus: 
I.  1.  Cursus  planus.     ;>  fälle: 

comprimendo  compescat       3.8 
uetdndo  extlnguat  3.11 

uincat  decöre  4.26 

2.  Cursus  tardus.     3  fälle: 

notinnem  acccperit  4.1 

anhelatiönem  hahiierit         4.25 
suauitäte  demülceat  4.80 

II.  Cursus  velox.     3  fälle: 

h'ctio  panderetur  4.6 

ingenio  parvitdtis  4.10 

pössumus  appelldre  4.19 

Dann   drei   fälle   die  nur   der  späteren    theorie  nicht   gemäfs 
sind  (ich  nenne  sie  zur  abkürzung  abnorme  fällej. 
I  3  dulcedinem  prcestet  4.17 

III.  modulatiöne  coaptdrei  i.22 

IV.  commenddtur  beneiiolentia   3.1.3  ^ 

Ferner  ein  irregulärer  fall,  wo  zwar  die  zahl  der  Senkungen 
gewahrt  ist,  aber  ihre  Verteilung  von  der  regel  abweicht. 
(III)   eloque'ntia  j^ßfd'txit  4.14 

Falsch  sind  zwei  Schlüsse: 

intellectu  lucet  4.27 

capitula  annotata  sunt       4.32 

'  die  Zeilenzahl  in  den  citaten  bezieht  sich  auf  das  schlusswort 
der  clausel. 

^  der  Verfasser  hat  die  schliefsung  der  clausel  durch  ein  vielsilbiges 
wort  gewis  nicht  als  minder  gut  enapfunden,  sonst  hätte  er  eine  einfachere 
Wortstellung  angewandt  als  die  von  ihm  gewählte;  statt  sua  non  medio- 
criter  commendatur  beneuolentia  etwa  beneiiolentia  sua  non  mediocriter 
commendatur  oder  sua  non  rnedioiriter  beneuolentia  commendatur 
(Cursus  velox). 


PRAEFATIO  UND  VERSUS  113 

Auch    in   den  Schlüssen  der  kola  ist  rhythmischer  ton  fall  an- 
gestrebt,    hier  ist  freiUch  dem  persönlichen  ermessen  ein  gewisser 
Spielraum  gelassen,    so  kann  man  zweifeln,  ob  in  dem  satz  3,  5—7 
ut  populum  sibi  a  Deo  subiectum  sapienter  instruendo  ad  potiora 
atque    excellentiora    semper    accendat    die    gröfsere    pause    nach 
subiectum  oder  nach  instruendo  zu  legen  ist.     und    die   verwirrte 
construction   von    3,15   macht    eine   sichere   entscheidung   zwischen 
notitiam  haberent  und   Imperij  tempore  unmöglich. 
Folgende  fälle  scheinen  mir  einigermafsen  sicher. 
Strenge  Schlüsse. 
ordinäre  contendat  3.3  summdtim  dece'rpens  4.12 

seniper  accendat  3.7  sensu  depingens  4.i,B 

auge'ndo  multiplicet  3.10  linguae  compösuit  4.15 

pötest  a/fectus  3.12  esset  igndrus  4.21 

aüctum  est  mlper  3.16  esse  admönitum  4.21 

transfVrre  studeret  4.4  dgit  scriptüra  4,28 

libe'nter  obtemperans  4.7  öperis  postulärat  4.32 

14   fälle   (planus:    9,    tardus    4,    velox    1).      dazu   eventuell: 
Dco  subiectum  3.6  (planus). 

Abnorme  Schlüsse. 
e'sse  comprobätur  3.5  adiutörio  obtemperdyitiae  4.9 

soUcite  trdctans  3.5  initium  cdpiens  4.10 

vdtes  habebdtur  4.3  ardentius  dppetat  4.29 

cöntulit  opus  4.8  pössit  iniienire  4.31. 

8  fälle   (zweisenkungsschluss :    4,  dreisenkungsschluss  3,   viel- 
silbler  1).     dazu  eventuell   sapienter  instruendo   3.6   und   imperij 

tempore  3.15. 

Irreguläre  Schlüsse. 
admönitum  est  prius  4.8  se'nsuum  resph'ndet  4.26 

vitteas  distinxit  4.18 

3  fälle.     Dazu  vielleicht  notitiam  haberent  3.15. 
Falsche  Schlüsse. 
salubritdtem  dttinet  3.4  gente  Sdxonum  4.2 

tiersdtur  dnimtis  3.9  esse  umbigit  4.23 

delectamentis  pdscitur  3.10 

5  fälle,  alle  von  der  form   rL   r^   |   ^^  --^   <^,   was  wol  kein 
Zufall  ist.  ^ 

»  man   beachte   die    Wortstellung    suus   ingiter   beneuolus    uersatur 
animus  3,  9.     stünde   uersatur  am  schluss,   so  wäre  die  Wortfolge  natür- 
Z.  F.  D.  A.  LVI.     N.  F.  XLIV.  8 


114  JELLINEK 

Auch    am   schluss   der    kommata   sind    die    absolut    falschen 

ausgänge  in  der  minderzahl.     die  entscheidung   über  den  ort  der 

kleinsten  pausen  ist  freilich  noch  unsicherer  als  die  ansetzung  der 

kolaschlüsse.     ich  wage  einen  versuch. 

Strenge  Schlüsse. 

lyraecldro  ingnvio  3.2  illius  poctnatis  4.17 

magno  opvsculo  3.13  legis  praece'pta  4.21 

diuinörum  librörum  3.14  Theudisca  poänaia  4.26 

i'O  facüius  4.7  lectöris  intmtio  4.30 

möre  poetico  4.14. 

9   fälle    (planus:    2,    tardus:    7),      dazu   Deo   suhiectum   3.6, 

wenn  es  nicht  als  schluss  eines  kolons  gelten  soll. 

Abnorme  Schlüsse. 

Beipüblicae  ■utilitdtes  3.1  cömmodum  duxit  4.12 

sacrosdnctam  religidnem  3.4         nöiii  Testamenti  4.13 

dtque  inchodntia  3.16  audienfibus  ac  intelleg entibus  4.16 

diuinae  lectiönis  4.1  pröpriae  linguae  4.22 

nöuum  Testamentuni  4.3  e'ius  compositöris  4.24 

sölum  literdtis  4.5  quidem  pronunciatiöne  4.27 

e'tiam  illiterdtis  4.5 

13  fälle  (zweisenkungsschluss:  2,  dreisenkungsschluss :  4,  viel- 

silbler:   7).     dazu   sapienter   instruendo    3.6   und    imperij  tempore 

3.15,  wenn  es  nicht  Schlüsse  von  kola  sind. 

Irreguläre  Schlüsse. 

piissimus  Äugüstus  3.2  mdgis  cor  inquirentis  4.29 

cdrminis  notitiam  4.24  singulis  sententiis  4.31 

cöpia  uerbörum  4.25 

5   fälle,     dazu   notitiam  haberent  3.15,   wenn  es  nicht  kolon- 

schluss  ist. 

Falsche  Schlüsse. 

ergo  stüdiis  3.8  löquens  lingua  4.1 

infirmioribüsque  rebus  3.12  eündem  vdtem  4.20 

ditiöni  sübditus  3.17 

5  fälle,    darunter   2   ro  c^  |    ro   --^   oo 

III. 

Die  beobachtungen  die  ich  vorgetragen  habe  sind  vielleicht  von 
einiger  bedeutung  für  die  frage  der  Interpolationen,    der  Verteidiger 

lieber,  und  es  hätte  sich   zum  mindesten  eine  irreguläre  cadenz  gewinnen 
lassen,  bei  der  Stellung  animus  suus  uersatur  sogar  eine  strenge. 


PEAEFATIO  UND  VERSUS  1 1 5 

der  einheit  der  Praefatio  ist  freilich  in  einer  wunderlichen  läge: 
gerade  die  Uneinigkeit  der  gegner  erschwert  ihm  den  kämpf,  denn 
es  kann  ihm  immer  eingewendet  werden,  dass  dieses  oder  jenes 
argument  nur  gegen  diese  oder  jene  interpolationstheorie  spreche, 
nicht  gegen  die  interpolationstheorie  überhaupt,  ich  werde  mich 
auf  die  erörterung  der  interpolatlonen  in  der  Praefatio  A  be- 
schränken, die  Sievers  annahm,  und  diese  Interpolationen  von  der 
Praefatio  B  getrennt  halten. 

In  bezug  auf  diese  letztere  muss  ich  aber  gleich  folgendes 
betonen,  auch  wenn  man,  was  ich  nicht  tu,  annimmt,  dass 
zwischen  A  und  B  ein  widersprach  besteht,  ist  man  doch  nur  be- 
rechtigt, diejenigen  sätze  als  B  auszuscheiden,  die  von  dem  gött- 
lichen auftrag  erzählen  oder  mit  ihnen  in  natürlichem  Zusammen- 
hang stehn.  dies  trifft  aber  nicht  zu  auf  den  letzten  satz  Vt 
uero  Studiosi  lectoris  4,  30 — 32.  Scherer  hat  ihn  Zs.  f.  ö,  gyran. 
1868,  849  der  alten  Praefatio  zugesprochen,  vorher  hatte  schon 
Zarncke  zugegeben,  dass  er  sich  gut  an  4.19  anschliefsen  würde, 
von  seinen  gegengründen  kann  nur  das  stilistisclie  bedenken  in 
betracht  kommen,  dass  dann  zwei  sätze  hintereinander  durch  vero 
verknüpft  würden,  denn  der  zweite  einwand  beruht  auf  einer 
unrichtigen  deutung  von  capitida  annotata  sunt,  das  heilst  nicht, 
dass  an  die  stelle  der  einteilung  in  fitten  die  gewöhnliche  capitel- 
einteilung  gesetzt  wurde;  im  9  jh.  gab  es  keine  allgemein  an- 
erkannte capiteleinteilung.  capitida  bedeutet  nicht  'capitel',  sondern 
'inhaltsangaben'  i. 

Ist  es  nun  nicht  merkwürdig,  dass  sowol  A  wie  B  lateinische 
vorreden  benutzen  und  dabei  ein  stilistisches  vorbild,  den  Sedulius, 
gemein  haben  —  vgl.  oben  die  bemerkungen  zu  3,  9.  10;  4,  2 — 4, 
4,  6.  7  (A)  und  4,  21.  22;  4,  23—25  (B)?  und  wenn  der  letzte 
satz  A  angehört,  so  haben  A  und  B  auch  den  Cassiodorius  ge- 
raein: 4,  30—32  (A)  —  4,  25.  26;  4,  27—30  (B)  —  4,  4—6 
(Interpolation). 

Und  ganz  merkwürdig  sieht  es  mit  der  Interpolation  4,  9—10. 

'  so  richtig  Sievers  s.  XXXIII.  *ist  an  jedem  sententz  .  .  die  summa 
verzeichnet'  heilst  es  in  der  alten  deutschen  Übersetzung,  Miinchener 
museum  1,  364.  wegen  der  bedeutung  von  capitula  vgl.  Du  Cange- 
Hentschel  II  140,  sp.  2,  z.  3  v.  u. ;  Samuel  Berger  Histoire  de  la  Vulgate, 
s.  307;  Otto  Schmid  Über  verschiedene  einteilungen  der  heiligen  schrift 
(Graz  1892),  s.  25  ff. 


116  JELLINEK 

der  satz  potius  —  parvitatis  zeigt  die  unzweifelhaftesten  an- 
klänge an  die  von  mir  angeführte  stelle  des  Hrabanus  Maurus. 
in  diese  sind  aber  eingebettet  die  worte  praesens  opus  adgredi-^ 
anderseits  schliefst  sich  die  Interpolation  an  den  echten  satz  ad 
tarn  difficlle  tanqiie  arduum  se  statm  contulit  opus,  sollte  das 
ein   Zufall  sein? 

Und  endlich :  nach  Sievers  s.  XXIX  stimmen  die  worte  von 
B  4,  22  congrua  modulatione  coaptaret  zu  Bedas  in  modulationein 
tarminis  transferre.  nach  meinem  nachweis  haben  sie  aber  ihr 
Vorbild  bei  Sedulius. 

Ich  gebe  mich  übrigens  durchaus  nicht  der  hoffnuug  hin, 
die  anhänger  der  interpolationstheorie  zu  überzeugen,  sie  können 
einwenden,  dass  Sedulius  und  Cassiodorius  vielgelesene  Schriftsteller 
waren  und  dass  dem  interpolator  bei  dem  satz  ad  tarn  difficile 
se  statim  contulit  opus  die  worte  Hrabans,  bei  Bedas  modulationem 
die  Wendung  stilo  liuius  modulationis  aptauit  des  Sedulius  ein- 
fallen konnte,  und  dann  hätte  er  eben  im  Sedulius  weiter  ge- 
lesen, bis  er  auf  congrua  responsimie  stiefs,  und  daraus  sein 
epithetou  zu  modulatione  entnommen. 

Auch  die  rhythmischen  Verhältnisse  der  Praefatio  können 
verschieden  gedeutet  werden,  ich  habe  vor  etwa  14  jähren  den 
cursus  in  der  Praefatio  entdeckt,  und  die  tatsache  dass  er  sich 
in  der  ganzen  Praefatio  findet,  hat  meine  Überzeugung  von 
ihrer  einheitlichkeit  bestärkt,  zur  selben  zeit  machte  CvKraus 
dieselbe  entdeckung.  zog  aber  gerade  den  entgegengesetzten  schluss, 
da  die  unzweifelhaft  falschen  Schlüsse  in  B  stehn.  ich  setze  hier 
meine  auffassung  auseinander. 

Betrachtet  man  die  Praefatio  als  einheit,  so  haben  wir 
9  sti-enge,  3  abnorme,  1  irregulären  und  2  falsche  Schlüsse,  nimmt 
man  die  interpolationstheorie  in  der  fassung  von  Sievers  an,  so 
erhöht  sich  die  zahl  der  periodenschlüsse  um  2  {transferre 
stude'ret  4,  4  und  contulit  opus  4,  8)  auf  1 7.  von  diesen  fallen 
A  8,  B  6,  den  Interpolationen  3  zu.  A  hat  dann  5  strenge,  1  ab- 
normen, 2  irreguläre,  B  3  strenge,  1  abnormen,  2  falsche;  die 
interpolationen  2  strenge  Schlüsse  und  1  abnormen.  B  und  die 
Interpolationen  zusammen  5  strenge,  2  abnorme,  2  falsche. 

Für  den  Verfechter  der  einheit  hat  der  Verfasser  unter  15 
Schlüssen  2  verfehlt,  der  Vertreter  der  interpolationstheorie  (in  der 
gestalt  die  ihr  Sievers  gab)  hat  anzunehmen,  dass  der  interpolator 


PRAEFATIO  UND  VERSUS  U7 

von  9  Schlüssen  2  falsch  formte,  ist  die  zweite  annähme  umso- 
viel wahrscheinlicher  als  die  erste?  sinkt  die  Wahrscheinlichkeit 
des  fehlens  mit  dem  steigen  der  gesamtzahl  der  Schlüsse?  dann 
will  ich  Otfrieds  vorrede  Ad  Liutbertum  ins  feld  führen,  deren 
rhythmus  zuerst  Ehrismann  erkannt  hat  i.  von  ihren  37  Schlüssen 
sind  24  streng,  11  abnorm,  1  irrregulär,  1  falsch  [codctus  incldi 
z.  104  der  ausgäbe  von  Kelle),  und  die  zahlen  Verhältnisse  der 
Praefatio  verschieben  sich  noch,  wenn  man  den  satz  4,  3o — 32  zu 
A  zieht,  dann  steht  in  A  unter  9,  in  B  +  Interpolationen  unter 
8  Schlüssen  1  falscher,  d.  h.  zwischen  A  und  B  +  interpolationea 
ist  dann  gar  kein  unterschied  -. 

Nehmen  wir  jetzt  die  Schlüsse  der  kola.  die  Praefatio  als 
einheit  beti-achtet  hat  32  Schlüsse,  darunter  5  falsche,  die  andern 
27  teilen  sich  je  nach  der  auffassung  in  14  +  10  +  3  oder 
15  +  9  +  3  oder  144-9  +  4  oder  15  +  8+4,  wobei  die  erste 
zahl  die  strengen  Schlüsse,  die  zweite  die  abnormen,  die  dritte 
die  irregulären  angibt. 

Durch  die  interpolationstheorie  scheiden  transferre  duderet 
4,  4  und  contuUt  opus  4,  8  als  nunmehrige  periodenschlüsse  aus, 
notitiam  haherent  3,  15  wird  sicherer  kolonschluss  von  A.  wir 
finden  dann  strenge  Schlüsse  in  A  8  oder  9,  in  B  4  in  den 
Interpolationen  1;  abnorme  in  A  5  oder  4,  in  B  2,  in  den 
Interpolationen  1  oder  2  3;  irreguläre  in  A  2,  in  B  1,  in  den 
Interpolationen  1 ;  falsche  in  A  4,  in  B  l,  in  den  interpolationen  0. 
A  hat  also  unter  19  Schlüssen  4.  B  +  interpolationen  unter  11 
oder  12  Schlüssen  l  falschen.  A  steht  hier  also  ungünstiger  da. 
die  zahlen  verschieben  sich  ganz  unwesentlich,  wenn  man  den 
letzten  satz  zu  A  zieht;  A  gewinnt,  B  verliert  dadurch  je  einen 
strengen  und  einen  abnormen  schluss. 

Endlich  die  kommata.  die  Praefatio  als  einheit  hat  34  Schlüsse, 
darunter  5  falsche,  aufserdem  9  +  14  +  6  oder  10  +  13  +  6 
oder  9  +  15  +  5  oder  10  +  14  +  5.  nach  der  interpolations- 
theorie  scheidet   notitiam  haherent  3,  15  als  sicherer  kolonschluss 

'  Zeitschrift  für  deutsche  Wortforschung  1,  139  *. 

^  oder  um  noch  eine  für  die  anhänger  von  B  günstigere  kombinatioa 
zu  erwägen:  lässt  man  die  annähme  von  interpolationen  in  A  fallen,  zieht 
aber  den  schlusssatz  zu  A,  so  hat  A  unter  10,  B  unter  5  Schlüssen  je 
einen  falschen. 

3  je  nachdem  man  irnperij  tempore  3,   15  auffafst. 


118  JELLINEK 

aus.  es  entfallen  strenge  Schlüsse  auf  A  5  oder  6,  anf  B  3, 
auf  die  interpolationen  1;  abnorme  auf  A  7  oder  6,  auf  B  3, 
auf  dte  interpolationen  4  oder  5^;  irreguläre  auf  A  1,  auf 
B  4,  auf  die  interpolationen  0;  falsche  auf  A  3,  auf  B  1, 
auf  die  interpolationen  1.  zieht  man  den  letzten  satz  zu  A, 
so  gewinnt  A  1  strengen  und  1  irregulären  schluss.  A  hat  dem- 
nach unter  16,  bez.  18  ^Schlüssen  3,  B  +  interpolationen  urter 
17  oder  18,  bez.  15  oder  IG  Schlüssen  2  falsche,  ein  wesent- 
licher unterschied  besteht  somit  zwischen  den  echten  und  unechten 

teilen  nicht. 

IV. 
DIE  VERSUS. 

AWagner  hat  Zeitschrift  25,  173  ff.  die  spräche  und 
metrik  der  Versus  geprüft  und  festgestellt,  dass  die  von  ihm 
beobachteten  eigentümhchkeiten  sich  auch  in  lateinischen,  in 
Deutschland  entstandenen  gedichten  des  1 0  und  1 1  jh.s  wider- 
finden, für  die  entstehungszeit  der  Versus  folgt  jedoch  daraus 
gar  nichts,  solange  nicht  gezeigt  ist,  dass  eben  jene  erscheinungen 
in  einem  gedichte  des  9  oder  des  12  jh.s  unmöglich  wären-, 
dankenswert  ist  dagegen  der  nachweis  von  anklängen  an  Virgil, 
namentlich  an  die  Georgica. 

Dann  hat  Schönbach  (Drei  proömien  unserem  freunde  Wilhelm 
Gurlitt  überreicht  zum  7  märz  1904,  s.  11  ff)  eine  menge  stellen 
aus  lateinischen  Schriftstellern  zusammengetragen,  um  zu  zeigen, 
dass  von  der  form  der  Versus  fast  nichts  eigentum  ihres  Verfassers 
sei,  er  kam  zu  dem  schluss,  dass  der  autor  sich  ganz  im  bann 
der  lateinischen  schulautoren  des  mittelalters  befand. 

'  je  nach  der  auffassung  von  imperij  tempore  3,  15. 

-  Dass  eine  kurze  silbe  vor  der  cäsur  in  hebung  steht,  wie  das  a 
von  agricola  v.  28,  kommt  sogar  schon  bei  den  alten  römischen  dichtem 
vor;  vgl.  L.  Müller  De  re  metrica  2  aufl.  s.  396  ff.  kurzes  o  im  ablativ 
des  gerundiums  wie  v.  18  menando  erscheint  sporadisch  schon  bei  Seneca 
und  Juvenal,  vgl.  L.  Müller  s.  417.  öfter  bei  christlichen  dichtem,  vgl. 
die  indices  zu  den  Poetae  christiani  minores  im  Wiener  Corpus  scriptorum 
ecclesiasticorum  Latinorum  XVI,  I.  s.  181.  325  (s.  v.  geruudium)  497; 
Huemer  im  index  seiner  Juvencusausgabe  (Corpus  XXIV)  s.  159  und  seiner 
ausgäbe  des  Sedulius  (Corpus  X)  s.  395.  sogar  fuerat  statt  erat  kommt 
schon  bei  Juvencus  vor,  Huemer  s.  174.  —  nimium  v.  8  steht  durchaus 
nicht  fehlerhaft  für  admodum  \  in  formein  wie  o  nirnium  felix  ist  das 
wort  sehr  gebräuchlich,  vgl.  zb.  Georg.  1,  458  o  fortunatos  nimium  und 
die  unten  citierte  Stellensammlung  von  Hosius  Rh.  Mus.  47,  464. 


PRAEFATIO  UND  VERSUS  119 

Schönbach  verwahrt  sich  dagegen,  dass  man  ihm  die  meinung 
zuschreibe,  der  autor  sei  sich  immer  bewust  gewesen,  dass  er 
seine  worte  aus  der  schullectüre  schöpfte,  das  beigebrachte  material 
sei  verschieden  zu  bewerten;  es  reiche  von  klarer  rerainiscenz  bis 
zu  dem  ;vorrat  poetischer  spräche  überhaupt,  der  die  geistige 
atmosphäre  des  Verfassers  kennzeichne. 

Trotz  dieser  Verwahrung  muss  ich  bekennen,  dass  mir  der 
sinn  der  citierungen  Schönbachs  nicht  immer  klar  geworden  ist. 
wenn  ich  auch  von  den  nicht  ganz  vereinzelten  irrtümem  absehe  i, 
so  kann  doch  das  material  in  der  zufäUigkeit  seiner  auswahl  2  un- 

'  V.  2  rarmine  priuatam  promere  uitam  heifst  'in  einem  gedieht 
das  Privatleben  erzählen',  für  diese  bedeutung  von  promere  beispiele 
anzuführen  ist  überflüssig ;  gerade  an  der  von  Seh.  angeführten  stelle 
Horaz  Od.  I  34,  14  heifst  promere  etwas  anderes.  —  4.  bei  Horaz  Ep. 
I  IT,  48  steht  cictum  date,  nicht  cictum  quaerere.  —  5.  die  angeblich 
aus  Juvenal  11,  153  stammende  stelle  gehört  dem  Plinius.  bei  Forcellini 
geht  die  quellenangabe  dem  citat  voraus,  aber  auch  die  wirklich  von 
Forcellini  gemeinte  stelle  steht  der  unsrigen  fern,  viel  ähnlicher  Juvenal 
14,  179  citite  contenti  casulis  et  collibus  istis.  —  6.  die  conjeetur  {poste-<- 
que)  acclines  ist  höchst  unglücklich;  der  autor  meinte  mit  postes  acclwes 
schiefe  türpfosten.  —  dass  obterere  sonst  dat.  und  acc.  fordere,  ist  eine 
unrichtige  folgerung  aus  einer  stelle  bei  Forcellini.  vor  allem  war  aber 
hier  zu  sagen,  dass  obtrivit  für  iricit  steht,  terere  in  der  bedeutung  'be- 
treten' ist  ganz  gewöhnlich;  für  die  Verbindung  mit  Urnen  gibt  Forcellini 
einen  beleg  aus  Martial,  ich  kenne  sie  auch  aus  Catull  68,  71,  bei  Georges 
finde  ich  deterere  limina  aus  Ammianus  belegt.  —  10.  gestare  hier  und 
bei  Ovid  Met.  7,  32  haben  nicht  dieselbe  bedeutung:  hier  pacem  animi 
gestare,  bei  Ovid  ferrum  et  scopulos  in  corde  gestare;  an  unserer  stelle 
würde  im  guten  latein  am  ehesten  gerere  passen. —  13.  incidiosus  =  in- 
citus  (1.  incidus),  odium  creans  ist  nicht  nur  bei  Cicero  belegt;  Georges 
citiert  stellen  aus  Properz,  Ovid,  Lucan  u.  a.  —  21.  Georg.  1,  375  hat 
weiter  keine  beziehung  zu  unserm  vers,  als  dass  376  das  adj.  patulis 
(naribus)  erscheint.  —  23.  die  citate  Georg.  3,  374  und  Valer.  Flaccus 
1,  269  sind  falsch,  für  das  zweite  ist  wol  Aen.  11,  588  {labere, 
Nympha,  polo)  einzusetzen;  für  das  erste  vielleicht  G.  1,  36(> 
(caelo  labi). 

2  6.  sonipes  =  pferd  und  7.  armenta  =  rinder  ist  doch  wahr- 
haftig nicht  auf  die  angeführten  stellen  beschränkt,  ebensowenig  8.  census 
in  der  bedeutung  vermögen,  viel  näher  steht  Sedulius  Carmen  paschale 
III  119  perdiderat  proprium  pariter  cum  sanguine  censum.  — 
8.  zu  dem  ausruf  0  felix  nimium  liefsen  sich  weit  mehr  parallelen  an- 
führen; s.  Vollmer  zu  Statins  Silvae  II  7,  24  und  die  von  ihm  dort 
citierte  Sammlung  von  Hosius  Rh,  mus,  47,  464;  jetzt  auch  Norden 
Agnostos  Theos  s.  100  n.  l.  —  10.  paic  animi  kommt  nicht  nur  in  kircli- 


120  JELLINEK 

möglich  beweisen,  was  bewiesen  werden  soll,  da  der  autor  keine 
neuerfundene  spräche,  sondern  eben  lateiniscli  schrieb,  ist  es  selbstver- 
ständlich, dass  man  in  den  bekannten  Wörterbüchern  belege  für  so 
ziemlich  alle  von  ihm  gebrauchten  ausdrücke  finden  kann,  einen 
bloi'sen  cento  aus  antiken  autoren  stellen  aber  die  Versus  nicht 
dar.  das  ist  ja  schon  mit  ihrer  mittelalterlichen  latinität  unver- 
einbar, womit  ich  keineswegs  sagen  will,  dass  der  Verfasser  der 
Versus  ein  formales  talent  war.  ganz  im  gegenteil.  es  ist  viel- 
leicht überhaupt  nicht  der  mühe  wert,  seiner  sogenannten  dichte- 
rischen Werkstatt  einen  besuch  zu  machen,  ist  man  aber  schon 
80  neugierig,  so  kann  man  meiner  ansieht  nach  nichts  tun  als 
feststellen,  welche  Vorbilder  er  sicher  benutzt  und  was  er  aus  ihnen 
gemacht  hat.     das  will  ich  im  folgenden  versuchen. 

1.  Unzweifelhaft  ist  der  starke  einfluss  Virgils,  namentlich 
der  Georgica.  das  ist  durch  Wagner  und  Schönbach  festgestellt, 
aber  ihre  nachweise  lassen  sich  vermehren,     die  versus  8 — 13 

0  foelix  nimium  proprio  qui  uiuere  censu 
praeualuit,  fomitemque  ardentera  extinguere  dirae 
inuidiae,  pacemque  animi  gestare  quietam. 
gloria  non  illum,  non  alta  palatia  regum, 
diuitiae  mundi,  non  dira  cupido  mouebat. 
inuidio^us  erat  nulli,  nee  inuidus  uUi 

geben  die  Stimmung  wider  die  Virgil  an  der  berühmten  stelle 
Georg.  2,  458  ff  ausspricht: 

0  fortunatos  nimium,  sua  si  bona  norint, 

agricolas, 
der  syntaktischen   structur  nach   und  im   einzelnen  sind  sie  auch 
beeinflusst  durch  Georg.  2,  490: 

felix,  qui  potuit  rerum  cognoscere  causas 
atque  metus  omnis  et  inexorabile  fatum 

lieber  litteratur  vor,  sondern  auch  bei  Ovid  Met.  11,  624.  —  11.  palatia 
reciis,  meint  Seh.,  finde  sich  in  der  Vulgata,  nicht  in  der  classischen 
litteratur.  in  der  Vulgata  steht  immer  der  singular  palatium  und  der 
re,v  ist  immer  ein  bestimmter  könig.  palatia  in  der  bedeutung  palast 
wird  schon  von  Üvid  gebraucht,  auch  mit  einem  genitiv  verbunden;  wo- 
her an  unserer  stelle  regum  stammt,  wird  sich  später  zeigen,  alta  pa- 
latia, wie  an  unserer  stelle,  bei  Ovid  Tristia  I  1,  69;  IV  2,  3,  dort  vom 
palast  des  Augustus.  —  12.  für  dira  cupido  gibt  es  noch  andere  Virgilsche 
belege  als  Georg.  1,  37.  —  16.  für  die  bedeutung  von  per  quadrum 
mundum  ist  instruktiver  als  die  angeführte  Prudentiusstelle  Sedulius  V  190 
quattuor  inde  piagas  quadrati  colligat  orbis. 


PRAEFATIO  UND  VERSUS  121 

subiecit  pedibus  strepitumque  Acherontis  avari, 

illum  non  populi  fasces,  non  purpura  regum 
flexit  et  infidos  agitans  discordia  fratres 

non  res  Romanae  perituraque  regna;  neque  ille 
aut  doluit  miseians  inopem  aut  invidit  habenti. 

vgl.  auch  noch  5U4  .  .  penetrant  anlas  et  limina  regum. 

Die  au  dei-  zuerst  citierten  stelle  (v.  470)  von  Virgil  unter 
den  freuden  des  landmanns  erwähnten  mugitusque  houm  mollesque 
sub  arhore  somni  erinnern  an  die  scene  im  wald,  wohin  der  Ver- 
fasser der  Versus  die  vision  versetzt  hat.  über  die  andern  quellen 
dieser  Stilisierung  s.  unter  2.  und  4.  und  Virgils  qulbus  ipsa  .  . 
fundit  hunio  facilem  vlctum  iustissima  telliis  (v.  459  f)  steht  v.  4 
uictum  guaerebat  in  agro  jedesfalls  näher  als  die  von  Schönbach 
angezogene  Horazstelle. 

Als  unser  autor  v,  7  tantum  armentbi  sua  cura  studebat 
niederschrieb,  klang  ihm  im  ohr  Georg.  3,  2S6  hoc  satis  ar- 
mentis:  superat  pars  altera  curae.  —  v.  29  tunc  cantita  nimio 
Vates  perfusus  amore  hat  im  bau  eine  gewisse  ähnlichkeit  mit 
Georg.  2,  476  quarum  sacra  fero  ingenti  percussus  amore  \  vgl. 
auch  Aen.  3,  298  miroque  incensum  pectus  amore. 

Für  die  art  wie  der  autor  mit  dem  Virgilschen  gut  ge- 
schaltet hat,  ist  charakteristisch  v.  20  larga  pascebat  in  herba. 
Schönbach  merkt  mit  recht  das  fehlen  des  objects  an.  was  die 
von  ihm  beigebrachten  parallelstellen  sollen,  ist  mir  nicht  klar. 
pascere  an  sich  ist  ein  ganz  gewöhnliches  wort,  weitergehnde 
ähnlichkeit  zeigen  die  verglichenen  stellen  nicht,  an  zweien  von 
ihnen  hat  pascere  ein  object  und  Ecl.  1,  7  7  (jion  me  pascente, 
capellae  .  .  salices  carpetls)  ist  es  leicht  zu  ergänzen,  das  object 
ist  auch  zu  ergänzen  an  den  von  Schönbach  nicht  genannten 
stellen  Georg.  3,  143.  335,  Aen.  3,  G50i;  aber  hier  ist  die 
weglassung  des  objects  doch  wol  ein  fehler  unseres  autors;  die 
stelle,  die  ihm  vorschwebte,  war  Georg,  l,  112  luxuriem  segetum 
tenera  depascit  in  herba,  wo  übrigens  auch  der  von  in  abhängige 
ausdruck  einen  andern  sinn  hat  als  in  den  Versus. 

Ferner:    zu   v.  21   patulo  siib   tegmine   führt  Schönbach   mit 

1  sie  waren  jetzt  mit  hilfe  des  Wörterbuchs  von  Merguet  (1909  ff) 
leicht  zu  finden. 


1 22  JELLINEK 

recht  an  Ecl.  1,  1  patulae  recuhans  suh  tegmine  f'agi,  vgl.  auch 
Virgils  selbstcitat  Georg.  4,  566.  auch  hier  hat  der  aulor  eine 
syntaktische  bestimmung  weggelassen  die  nicht  fehlen  darf. 

Und  woran  hat  der  Verfasser  bei  tUra  atpido  v.  12  gedaclitV 
an  liebe?  an  liabgierV  an  ehrsuchtV  wahrscheinlich  an  nichts  be- 
stimmtes, ihm  klangen  eben  Virgilsche  verse  im  ohr.  von  diesen 
hat  der  von  Schönbach  citierte  Georg.  1,  37  eine  genitivische  be- 
stimmung {n'g)i(indi)  bei  dira  cupido,  ebenso  Aen.  6,  721  [lucis), 
eine  bestimmung  anderer  art  steht  Aen.  6,  373  nnde  haec,  o 
Palinure,  tibi  tarn  dira  cupido  und  Aen.  9,  185  {dine  hunc 
ardorem  mentibus  add.unt)  an  sua  cuique  deus  fit  dira  cupido 
weifs  man  doch  auch,  was  gemeint  ist. 

Wunderlich  ist  auch  laetosqne  lahores  v.  1 ;  vgl.  Schönbachs 
parallelen. 

2.  Um  die  Verbesserung  von  testa  5  in  tecta  zu  stützen, 
führt  Schönbach  aus  Paulinus  von  Nola  an  ciilmea  tecta  culmina. 
über  das  wort  cuhneus  spricht  er  weiter  nicht,  für  dieses  wort 
hat  der  Thesaurus  aus  der  gesamten  latinität  nur  zwei  belege: 
die  stelle  des  Paulinus  und  eine  aus  Orosius.  bei  Orosius  (6, 
10,  5)  steht  culmea  culmina,  bei  Paulinus  18,  386  f  culmea  tecti 
(nicht  tecta)  culmina,  in  den  Versus  ist  zu  lesen  culmea  tecta; 
daraus  folgt  dass  das  wort  in  den  Versus  auf  Paulinus  zurück- 
gehen muss.  man  könnte  höchstens  zweifeln,  ob  die  entlehnung 
unmittelbar  geschah  oder  durch  Vermittlung  einer  unbekannten 
Schrift,  nun  erzählt  das  18  gedieht  des  Paulinus,  wie  einem 
armen  bauern  zwei  ochsen,  seine  einzige  habe,  gestohlen  und 
durch  das  wunderbare  eingreifen  des  h.  Felix,  zu  dem  er  flehte, 
zurückgegeben  wurden,  an  dieses  gedieht  erinnerte  sich  unser 
autor,  weil  da  eben  auch  ein  bauer  vorkam,  er  entnahm  ihm 
den  zug  dass  der  bauer  arm  war  und  dass  sein  vieh  nur  aus 
rindern  bestand  ^. 

3.  Das  unsinnige  laetus  et  attonitus  v.  20  ist,  wie  Heinzel 
erkannt  hat,  eine  törichte  nachahmung  von  Martial  V  3,  3 ;  vgl. 
Zs.  f.  d.  phil.  38,  417. 

'  anklänge  in  einzelneu  ausdrücken  sind  aufser  culmea  tecta  ganz 
unsicher,  am  ehesten  noch  Paul,  Nol.  18,  385  {quia  numinis  acta 
ereptos  potiore  manu  praedonibus  Ulis)  egerat  occultis  Felix  moderatua 
habenis  und  v,  18  egerat  . . .  paucos  menando  iuuencos  mit  dem  falschen 
plusquaniperfectum.     aber  ich  lege  darauf  keinen  wert. 


PEAEFATIO  UND  VERSUS  123 

4.  Der  verf.  der  Versus  hat  den  pseudovirgilischen  Culex 
benützt,  dieses  gedieht  erzählt,  wie  ein  hirt  des  morgens  seine 
Ziegen  in  den  wald  treibt,  mittagsruhe  hält  und  durch  den  stich 
einer  mücke  zur  rechten  zeit  aufgeweckt  wird,  um  den  angriff 
einer  schlänge  abzuwehren,  die  mücke  hat  ihre  liebestat  mit  dem 
leben  bezahlen  müssen,  sie  erscheint  nachts  ihrem  mörder  im 
träum,  beklagt  ihr  los  und  erzählt  ihm  allerlei  aus  der  unterweit. 
der  hirt  setzt  seiner  retterin  ein  denkmal. 

Auf  dieses  gedieht  wurde  unser  verseschmied  geführt,  weil  es 
auch  einen  träum  erzählt  und  weil  es  v.  5Sff  im  anschluss  an 
die  Georgica  das  los  der  landleute  (hier  der  hirten)  preist,  die 
Excerpta  Parisina,  die  mit  v.  58  beginnen,  tragen  den  titel  De 
beatitudine  pauperis  uite  Virgilius  in  culice.  natürlich  konnte 
er  den  zweimaligen  schlaf  des  hirten  nicht  brauchen;  er  lässt  ihn 
nur  einmal  schlafen  und  dabei  träumen. 

So  erklärt  es  sich  nun,  dass  der  göttliche  auftrag  dem  beiden 
im  walde  zuteil  wird,  während  er  sein  mittagsschläfchen  hält,  und 
weiter  erhalten  wir  den  Schlüssel  dafür  dass  der  mann  überhaupt 
als  hirt  auftritt,  die  sache  ist  ja  höchst  merkwürdig,  der  agri- 
cola  setzt  seine  ganze  hoffnung  auf  den  kleinen  acker  (v.  15); 
mau  sollte  da  meinen,  dass  es  auch  aufserhalb  der  pflugzeit  für 
mensch  und  vieh  zu  hause  allerlei  zu  schaffen  gibt  und  also  der 
agricola  etwas  gescheiteres  tun  könnte  als  seine  ochsen  in  den 
wald  spazieren  zu  führen. 

Schon  Schönbach  s.  10  ist  die  doppelstellung  des  beiden  auf- 
gefallen, aber  ganz  unbefriedigend  ist  seine  erklärung  i,  dass  an 
der  hirtenroUe  Beda  schuld  sei,  der  Ciodmon  in  den  stahula  iiunen- 
torum  träumen  lässt.  bei  iumenta  denkt  man  nicht  eben  an  weide- 
vieh,  die  sfabula  sind  keine  saltiis,  und  Cadmon  träumt  in  der 
naeht,  nicht  zu  mittag,  dagegen  hat  Schönbach  darin  recht,  dass 
der  held  des  idylls  halber  auch  em  bauer  sein  muste,  vielleicht 
sagen  wir  besser,  weil  die  Georgica  eben  vornehmlich  von  bauern 
sprechen,  dass  die  ziegen  des  Culex  durch  ochsen  ersetzt  wurden, 
erklärt  sich  durch  den  einfluss  des  Paulinus  von  Nola. 

Auch  in  einer  einzelheit  verrät  sich  die  benutzung  des  Culex. 

1  Schönbach  beruft  sich  auf  Wagner  Zs.  25,  177.  dieser  spricht 
jedoch  nicht  von  der  hirtenrolle,  sondern  sagt  ;nur,  dass  die  stabula 
iumentorum  den  anlass  gaben,  den  beiden  zum  ideal  eines  landmanns 
umzubilden,     und  darin  mag  Wagner  recht  haben. 


124  JELLTNEK 

durch  diesen  hat  sich  der  Verfasser  veranlasst  gesehen,  dem  bericht 
vom  austrieb  des  vielis  eine  kleine  beschreibung  des  Sonnenaufgangs 
voranzuschicken  (v.  Iß  — 19): 

cum  sol  per  quadrum  coepisset  spargere  mundum 

luce  sua  radios,  atris  cedentibus  umbris, 

egerat  exiguo  paucos  menando  iuuencos 

depellens  tecto  uasti  per  pascua  saltus. 
Culex  42—47 

igneus  aetherias  iam  Sol  penetrabat  in  arces 
candidaque  aurato  quatiebat  luraina  curru, 
crinibus  et  roseis  tenebras  Aurora  fugarat: 
propulit  et  stabulis  ad  pabula  laeta  capellas 
pastor  et  excelsi  montis  iuga  summa  petivit, 
lurida  qua  patulos  velabant  gramina  coUes. 
Vielleicht  ist  unser  autor  auch  durch  patulos  im  letzten  vers 
an  das  Vergilische  patulae  sub  tegmine  fagi  erinnert  worden,  das 
er  V.  21  verwendet'. 

Die  entstehung  der  Versus  haben  wir  uns  wol  so  vorzustellen, 
der  Verfasser  hatte  die  aufgäbe  —  ob  sie  ihm  ein  anderer  oder 
er  sie  sich  selbst  stellte,  können  wir  nicht  wissen  —  die  be- 
rufung  eines  laien  zum  geistlichen  dichter  darzustellen,  und  nun 
machte  er  es  wie  ein  unglücklicher  gymnasiast,  der  einen  deutschen 
aufsatz  schreiben  soll,  der  ihm  nicht  ligt.  er  verfertigte  eine 
schöne  einleitung,  die  mit  ihrer  breite  den  wirklichen  gegenständ 
ganz  erdrückte;  ja  er  war  so  ungeschickt,  dass  er  den  Inhalt  dieser 
einleitung  geradezu  als  das  eigentliche  thema  hinstellte,  ein  passus 
in  Bedas  erzählung  mag  ihn  auf  den  gedanken  gebracht  haben, 
den  späteren  dichter  zu  einem  landmann  zu  machen,  und  nun 
suchte  er  in  seiner  erinnerung  zusammen,  was  ihm  etwa  römische 
dichter,  die  von  landleuten  erzählten,  an  einzelzügen  geben  könnten, 
es  kümmerte  ihn  wenig,  dass  die  Vielheit  seiner  quellen  das  ^ild 
widerspruchsvoll  gestaltete,  soviel  latein  glaubte  er  zu  können, 
um  sich  nicht  sklavisch  an  den  Wortlaut  der  Vorbilder  zu  klammern, 
aber  er  überschätzte  sich,    er  brachte  in  seine  reminiscenzen  mit- 

•  Auf  sonstige  anklänge  im  Wortlaut  lege  ich  gar  keinen  wert,  zu 
V.  22  conuictus  somno  tradidis^set  membra  quieto  könnte  man  ver- 
gleichen Cul.  213  tu  lentus  refoves  iucunda  membra  quiete,  aber  die- 
selben zwei  Wörter  am  versschluss  erscheinen  Aen.  V  836:  placida  laxabant 
membra  quiete.  bei  Studium,  v.  1  und  securus  v.  14  wäre  ein  hinweis 
auf  Cul.  98  bez.  97  von  demselben  fraglichen  wert  wie  Schönbachs  heran- 
ziehung  der  Ovidischen  stellen. 


PRAEFATIO  UND  VERSUS  125 

unter  Sprachfehler  herein;  die  unzeitige  erinnerung  an  einen  vers 
des  Martial  rief  geradezu  einen  unsinn  hervor,  aufser  den  Georgica, 
dem  gedieht  des  Paullnus  von  Nola  und  dem  Culex  hatte  er  na- 
türlich noch  allerlei  gelesen;  aber  in  jedem  einzelnen  fall  zu 
zeigen,  welche  lateinische  stelle  ihm  gerade  vorschwebte,  ist  viel- 
leicht unmöglich,  jedesfalls  schwieriger  als  wertvoll,  und  somit 
mag  der  anonymus  in  seinem  grabe  schlummern :  sit  tibi 
terra  levis. 

Wien,  juni   1917.  M.  H.  Jelliiiek. 


GEMEIT. 

Gegen  die  etymologische  verwantschaft  von  got.  gamaips 
und  wgerm.  *gamaid  sind  trotz  völlig  entsprechender  lautgestalt 
widerholt  bedenken  erhoben  uzw.  lediglich  ihrer  scheinbar  un- 
vereinbaren bedeutungen  wegen  (s.  Wiedemann  BBeitr.  28,  41; 
Wood  Mod.  langu,  notes  21,  39).  anderseits  ließ  man  sich  in  dem 
bestreben  diese  bedeutungsunterschiede  zu  vermitteln  zu  seltsamen 
abstractionen  verleiten  (s.  Diefenbach  Got.  wb.  II  !)  und  vor  allem 
vanHelten  Fünfzig  bemerkungen  zum  Grimmschen  Wb.  s.  14f). 
auf  der  sicheren  grundlage  einer  sammlung  von  historischen  be- 
legen steht  nur  der  erklärungsversuch  Rud. Hildebrands  im  DWb. 
IV  1  sp.  3272 ff,  der  darum  auch  allein  den  weg  zu  tieferer  er- 
kenntnis  anzubahnen  vermag. 

In  der  selbstverständlichen  Voraussetzung,  dass  es  sich  bei 
got.  gamaips  um  die  entsprechung  des  wgerm.  *gamai(l  handle, 
versucht  das  DWb.  aao.  sp.  3274  die  verschiedenen  bedeutungen 
des  adjectivs  durch  ihre  erklärung  aus  ganz  bestimmten  concreten 
Verhältnissen  zueinander  in  organische  beziehung  zu  bringen,  der 
weg,  die  'sache'  zu  ergründen,  als  deren  attribute  die  wechselnden 
bedeutungen  von  germ.  *gamaiäaz  ihre  erklärung  finden,  ist  be- 
sehritten, die  'sache'  selbst  jedoch  nicht  concret  und  specialisiert 
genug,  um  daraus  jede  einzelne  bedeutungsnüance  in  ihrer  vollen 
eigenart  notwendig  glaubhaft  zu  machen. 

Dem  ahd.  gimeit  (Mons.  fragm.  ed.  Hench  XVII  4;  XX  10; 
Otfr.  III  19,  10),  as.  gemed  (Heliand  346S)  und  ags.  getnäd 
(Wright-Wülker  I  479,  8)  ist  die  bedeutung  'stultus,  fatuus'  ge- 
meinsam, die  as.  bedeutung,  soweit  litterarisch  überliefert,  ist 
damit  erschöpft,  ags.  getnäd  ist  aufserdem  (Wright-Wülker  I  53,10) 
noch  in  der  gesteigerten  bedeutung  'vecors'  belegt;  nur  vom  ahd. 
aus  lässt  sich  eine  reichere  bedeutungsentwicklung  feststellen,  die 
durch  ahd.  gimeit  glossierten  'jactans'  (Ahd.  gll.  II  658-,  36)  und 
'contumax'  (II  250,  G2),  zu  'stultus,  fatuus,  baridus'  (I  55,  S) 
und  'obtunsus'  (IV  IC,  53)  auf  grund  allgemeiner  erwägungen  in 
causale   beziehung  zu  bringen,   gibt  uns  bei  der  fragmentarischen 


126  ÖCHWIETERING 

Überlieferung  freilich  keinerlei  anhält  für  die  grundbedeutung  von 
ijhneit.  weiter  führen  die  composita.  (jinieitf/ang  'otium'  (II  170,  16; 
767,  10)  und  !ji)uei{<jen<jil  'otiosus'  (II  170,  14),  als  Gemeiden- 
(jänger,  Gcnieiteiif/äjiger  (Stieler  624.  1262)  noch  im  17  jh. 
lebendig  und  durch  die  SGaller  glosse  der  Benedictinerregel : 
l.aiiicitkeiigo.  louhikcngo  'girovagum' *  (GH.  II  49,  28)  näher 
cliarakterisiert:  Bened.  reg.  ed.  Wölfflin  I  20  ff  quartum  rero 
gcniis  est  monachorum  quod  nominatur  ggrovagum,  qui  tota  vita 
b'ua  per  diversas  provincias  ternis  mit  quaternis  diehiis  per 
diüersorum  cellas  hospitaHtiir  scinper  vagi  et  numquam  stabiles 
et  propriis  voJiodatihus  et  giilae  inlecebris  servientes.  mönche 
die  planlos  von  kloster  zu  kloster  wandern  oder  auch  von  laien 
gastfreundschaft  erbetteln,  ihren  wirten  erlogene  reiseberichte  auf- 
tischen, amulelte  feilbieten  und  skrupellos  falsche  heiligengebeine 
verschachern:  Augustin  De  operibus  monachorum  (Migne  40,  575) 
monacliorum  .  .  circumeuntes  provincias,  nmquani  missos,  nus- 
quam  fixos,  nusquam  staiites^  nusquam  sedentes.  alii  memhra 
martgrum,  si  tarnen  martgnini,  venditant ;  alii  finürrias  et  2)hy- 
lacteria  siia  magnificant;  alii  parentes  vel  consanguincos  suos  in 
■illa  rel  in  illa  regione  sc  aiidisse  vivere  et  ad  cos  pergcre  mentinntnr, 
s.  Herzog  Realencykl.  VII  271  ff,  vor  allem  die  aus  Gallien  stam- 
mende 'regula  magistri'  des  7  jh.s  (Migne  8S,  951  ff)  und  Desi- 
derius  (Migne  87,  258).  von  der  schleicherischen  art,  mit  der 
diese  'religiosi  vagabundi'  ihre  gläubigen  hinters  licht  führen, 
scheint  auch  das  sunihliarro  'gyrovagum',  siiuihJionte  'uagi'  der 
SGaller  interlinearversion  (Piper  Nachträge  s.  35 f)  zu  sprechen. 
—  wie  dies  hybride  'gyrovagus'  der  Benedictinerregel  auch  auf 
vagierende  cleriker  übertragen  wird,  zeigt  die  Pastoral- 
anweisung des  erzbischofs  Arno  vom  jähre  798  (MG.  bist.  Leg. 
sect.  III  2,  200),  s.  auch  DuCange  IV   147. 

Diesen  begriff  des  unsteten  umherwanderns,  des  überall  und 
nirgends,  den  kanieitkengo  als  Übertragung  von  'gyrovagus'  be- 
sitzt, dürfen  wir  jedoch  nicht  als  occasionell  für  das  compositum 
allein  in  anspruch  nehmen,  sondern  müssen  ihn  aus  der  adverbialen 
Wendung  «'[h]  gemeitun'^  'passim  vageque'  (Gll.  II  148,  50),  sonst 
(II  88,  66;  89,  47;  96,  63)  durch  sumhante,  suuihando  glossiert, 
auch  für  das  simplex  gimeita  (sw,  f.)  und  das  adjectiv  ginieit  er- 
schliel'sen. 

'  in  den  ags.  prosabearbeitungen  der  Benedictinerregel  (s.  Bibl.  d. 
ags.  prosa  II  9,  21  u.  135,  20)  durch  widscn'pul  widergegeben. 

-  in  qimeitun,  unqimeitun  in  der  bedeutung  'frustra,  nequiquam, 
incassuni,  gratis,  otiose':  Gll.  I  279,  42;  282,  8;  301,  31;  775,  16; 
II  580,  4;  606,  65;  62ii,  tiO;  627,  57;  630,  II;  Tatiau  102,  2;  109,  1; 
häufig  bei  Notker:  s.  Graff  II  702;  'impune'  (nicht:  'non  impune'  Gll.  II 
77,  12);  ohne  präpos.  in  der  Wendung  gemeitea  fiten  oder  gen  (s.  DWb. 
aao.):  HvHesler  Apokai.  5141;  5181;  so  auch  durch  Stieler  1262  und 
noch  jetzt  mundartlich  durch  MMoltke  Deutscher  sprachwart  1,  3l2 
belegt. 


GEMEIT  127 

Wenn  wir  nun  diesem  aus  der  sphäre  der  gemnten  mönche 
und  cleriker  erschlossenen  Vagus'  die  übrigen  bedeutungen  von 
ahd.  giinelt:  'stultus,  fatuus,  bardus,  obtunsus,  contumax,  jactans' 
anreihen  unter  hinzufügung  des  mhd.,  latent  schon  in  ahd.  'jactans' 
enthaltenen  'heiter,  stolz,  ausgelassen'  und  der  aus  den  ahd.  ab- 
leitungen  camaithait  'insolentia'  (GH.  I  186,  16),  in  gimeüim 
'otiose'  (Tatian  109,  1),  Vaae'  (Notker  II  s.  142,  17  f;  143,  28), 
gimeitheit  'superstitio  (stulta)'  (GH.  II  224,  8;  333,  34;  404,  13; 
456,  66),  kameitWi.  'superstitiosus'  (II  329,  49)  ohne  weiteres 
sich  ergebenden  'insolens,  otiosus,  vanus,  superstitiosus',  so  wird 
sich  die  'sache',  der  diese  eigenschaften  nicht  nur  beigelegt  werden 
können,  sondern  für  die  sie  wesentlich  sind,  zwanglos  ein- 
stellen: das  überallhin  verbreitete  geschlecht  der  mittelalterlichen 
spielleute:  der  narren  und  der  'mimi  stupidi',  der  fahrenden 
Sänger  und  vagierenden  cleriker.  denn  von  dem  frohen  und  aus- 
gelassenen treiben  dieser  fahrenden,  ihren  törichten  clownspäfseii 
und  abergläubischen  gaukeleien,  ihren  brotlosen  künsten  und 
prahlerischen  fabelgeschichten,  ihrer  zudringlichen  frechheit  und 
müfsigem  vagabundieren",  von  alledem  haftet  etwas  an  unserem 
Worte. 

So  wird  dem  ags.  glossator,  der  das  substantivierte  fafims 
der  bergpredigt  (Mtth.  5,  22)  durch  gemäd  (Wright-VVülker  I 
479,  8)  widergab,  der  prägnante,  schon  vom  'festum  fatuorunr 
lier  lebendige  begriff  des  antiken  f'atnns  'narr,  lustigmacher'  vor- 
geschwebt haben,  zumal  auch  das  hier  zugrunde  liegende  ucooög, 
das  zu  jener  zeit  abgeschriebene  lateinisch-griechische  glossare  mit 
Vorliebe  durch  'fatuus'  übersetzen  (s.  Goetz  Corp.  glossar  lat.  VI 
439:  vor  allem  II  374,  51),  eben  diese  bedeutung  besitzt  (s.  Reich 
Mimus  I  23),  die  im  12  jh.  Geoffroy  du  Vigeois  in  seiner  Chronik 
erläutert:  Labbe,  Bibl.  nov.  man.  II  (1657)  s.  315  pei-  dnodecim 
t'atuos,  quos  ioculatores  vocamiis  (s.  DuCange  IV  422).  dagegen 
erscheint  die  begriffssphäre  des  ae.  ge)ii(ßd{e)d,  soweit  es  die  erb- 
schaft  des  nun  entbehrlich  gewordenen  gemäd  angetreten  hat,  von 
vornherein  so  verengt,  dass  die  zufällige  Situation  eines  späten 
belegs  von  ne.  mad  (NED.  VI  2,  13):  Richardson  Pamela  4,  HS: 
several  Harlequins,  and  other  ludicroiis  Fornts,  tliat  juinp'd  and 
ran  ahout  like  mad  —  natürlich  keinerlei  Schlüsse  gestattet  und 
auch  die  composita  music-niad  und  poetrg-niad  nur  durch  die 
richtung  dieser  secundärentwicklung  beweiskraft  besitzen.  —  das 
einzige  sonst  noch  im  neuen  testament  vorkommende  fatmis 
(Mtth.  25,  2.  3.  8)  wird  in  den  Monseer  fragm.  XX  10  eben- 
falls durch  ghimeit  widergegeben,  hier  sind  es  die  fünf  fatiiae 
virgines,  die  die  bildende  kunst  freilich  erst  in  späterer  zeit  als 
tj^p  der  verworfenen  der  mulier  yulclira  et  fataa  der  Proverbia 
(11,  22)  angeglichen  hat 

Die  bedeutungen  von  ahd.  gimeit  entwerfen  vom  spielmann 
ein    einseitig  verzerrtes   und   negatives  bild,   wie  es  der  geistliche 


128  SCHWIETERING 

giossator  zu  zeichnen  pflegt,  sobald  es  sich  um  weltliche  poesie 
und  ihre  ehrlosen  träger  handelt,  er,  der  'superstitio^  super- 
stitiosus'  —  in  der  Praefatio  des  Heliand  von  der  zu  unter- 
drückenden volkstümlichen  dichtung  gebraucht  ^  —  durch  gl- 
meitheit,  gimeitlih  widergibt,  hat  auch  neben  irrida  'lieresis'^ 
(Gll.  I  172,  10)  ccmuiltida  'secta'  J  172,  12)  gestellt,  von  der 
hisolentia  der  hisiilones  turpcs  spricht  das  concilium  Turonense 
des  Jahres  813  (MG.  bist.,  Leg.  sect.  III  2,  287)3.  iurpis 
und  luxiiriosHs  erscheinen  ja  in  den  concilien  als  typische  bei- 
worte  der  mit  tanzen  verbundenen  aufführungen  der  histrionen 
und  mimen  (s.  Kelle  Literaturgesch.  I  G9),  deren  schmarotzerleben 
der  erzbischof  Leidrad  (MG.  bist,  Ep.  IV  541)  durch  luxuriari 
umschreibt,  sodass  wir  trotz  der  abgeschwächten  bedeutung  von 
Notkers  (I  2S6,  8)  gemeiteson  'luxuriare'  —  sonst  nur  noch  als 
'increscere'  (Gll.  I  404,  ?>{)  belegt  —  auch  (jimclilson  aus  der 
Sphäre  des  sclrno  'parasitus'  (Gll.  IV  222,  10)  ableiten  dürfen, 
und  wie  diese  vanissuvi  iocularcs  (Agobert,  Migne  104,  249)  als 
otiosi  "ginieitgenyiV  schlechthin  gelten,  kann  keiner  vernehmlicher 
als  der  minderbruder  Berthold  predigen  (Schönbach  aao.  s.  59  f): 
iton  otiemur  ut  Ibistrioncs,  quia  kdes  sunt  ut  hurdones  apum,  qui, 
quod  apes  hone  lahorant,  consumunt;  et  sicnt  apes  ociosas  a  se 
expellunt,  üa  isü  dehent  ejici  .  .  iste  autem  jocrdator  vnlt  et  non 
vult :  vvH  vtanducare  et  non  vult  Jahorare — .  der  tadelnde  sinn, 
der  daher  den  bedeutungen  von  ahd.  ginicit  durchweg  innewohnt 
(s.  Schwab,  wb.  III  344),  haftet  aucii  noch  an  ne.  vtad  (NED. 
VI  2,  13):  'The  word  has  always  had  some  tinge  of  contempt 
or  disgust,  and  would  now  be  quite  inappropriate  in  medical  use, 
or  in  referring  sympathetically  to  an  insane  person  as  the  sub- 
ject  of  an  affliction.'  ja  selbst  das  mhd.  modewort  hat  trotz  ganz 
verallgemeinerter  bedeutung  noch  etwas  vom  ursprünglichen  erU- 
geruch,  der  es  den  salons  der  höfischen  gesellschaft  wenigstens 
eine  Zeitlang  nach  möglichkeit  fernhält  (s.  Steinmeyer  Epitheta  der 
mhd.   poesie  s.  14  u.  20;  Zwierzina  Zs.  44,  83ffi. 

Unmittelbar  auf  die  bedeutungswurzel  weist  im  mhd.  nur  die 
isolierte,  bisher  nicht  verstandene  wendung  des  genieiten  singen 
[bitten),  die  uns  für  Schwaben  aus  dem  14  jh.  bezeugt  ist: 
Memminger  stadtrecht  (Freyberg  Sammlung  histor.  Schriften  und 
Urkunden  V  312)  .  .  darzno  ist  versetzt,  das  die  schwier  nmwie 
sohlt  dez  gemaiten  singen  ze  den  wichennäcJäen  — ;  THafner 
Geschichte  der  Stadt  Ravensburg  s.   141:   .  .  hahen  .  .  geordnet.  . 

^  von  der  superstitio  der  mimen  spricht  widerholt  Salvian  von 
Marseille  De  gubernatione  Dei  VI  11  (MG.  hist.  Auct.  antiquiss.  I 
s.   77,   19  ff). 

^  vergl.  Berthold  von  Eegensburg  (Schönbach  Studien  z.  Gesch.  d. 
ad.  predigt  II  s.  57):  idem  dico  de  hiis,  qui  inveniunt  nooas  choreas, 
nocas  amatorias  cantilenas,  novas  haereses  et  hujusmodi. 

^  vergl,  die  bele^^e  bei  Reich  Mimus  I  793  ff. 


GEMEIT  129 

dass  .  .  niemand,  er  sei.  jung  oder  alt,  den  andern  hie  zu  Ravens- 
hury  in  der  Stadt  noch  davor  in  den  Vorstädten,  es  sei  zu  Weih- 
nachten noch  sonst  zu  einer  anderen  zeit  in  dem  Jahr,  nicht  an- 
singen soll  iceder  mit  dem  Gesang,  das  man  nempt  des  ge- 
rn aitten  noch  mit  dem  Buhenorden  oder  anderem  Gesang  — ; 
Heinrich  Seuse  ed.  Bihlmeyer  s.  26,  3 :  Als  ze  Swaben  in  sinem 
laude  an  etlichen  steten  gewonücli  ist  an  dem  ingendem  jare,  so 
gand  die  jungling  dez  nahtes  tis  in  unwisheit  und  bitent  dez 
gemeiten,  daz  ist,  si'i  singend  lieder  und  sprechent  schömi 
gediht  und  bringent  es  zu,  wie  sü  nmgent  mit  hoflicher  wise, 
daz  in  ire  liep  schapel  geben.  Daz  viel  sinem  jungen  minne- 
richen  herzen  also  rast  in,  so  er  es  horte,  daz  er  och  der  selben 
naht  für  sin  ewiges  liep  gie  und  bat  och  dez  gemeiten.  Er 
yie  vor  tag  für  daz  bilde  .  .  und  knüwete  nider  und  hüb  an  ze 
singen  in  stillem  süssen  gedüne  siner  sele  ein  sequenci  der 
müter  vor  an,  daz  si  im  erlopti  ein  schapel  ze  erwerbene  von 
ir  kinde  — . 

Da  des  gemeiten  offensichtlich  eine  ganz  bestimmte  liedart 
umschreibt,  die  das  Ravensburger  stadtrecht  der  Bubenorden  ge- 
nannten weise  (vgl.  Carm,  Bur.  s.  252:  Ule  ragorum  ordine') 
und  andern  liedern  gegenüberstellt,  so  darf  im  Memminger  stadtrecht 
des  gemeiten  nicht  als  ein  zum  verbum  singen  i  gesetzter  ad- 
verbialer genitiv  mit  der  allgemeinen  mhd.  bedeutung  'hilariter' 
gedeutet  werden,  es  kann  sich  daher  nur  um  eine  elliptische 
ausdrucksweise  handeln,  in  der  das  dem  begriff  nach  schon  in 
singen  enthaltene,  hier  den  genitiv  regierende  Substantiv  sanc  zu  i 
ergänzen  ist,  worauf  auch  das  Kavensburger  stadtrecht  —  mit 
dem  gesang,  das  man  nempt  [daz  gesang]  des  gemeiten  —  mit 
nachdruck  hinweist,  die  ellipse  war  hier  umso  unanstöfsiger,  als 
singen  in  isolierten  fällen  —  eins  singe ns.  ihres  lieds  singen  (s.  DGr. 
IV  (1S9S)  s.  799)  —  tatsächlich  mit  dem  genitiv  verbunden 
Averden  konnte,  wie  sonst  häufig  in  liedbenennungen  und  -Über- 
schriften würde  auch  unser  genitiv  als  logisches  subject  einen 
hinweis  auf  den  Sänger  enthalten,  der  Ja  gerade  beim  kranzsingen 
als  solcher  gewertet  sein  will,  und  zwar  ursprünglich  auch  beim 
volkstümlichen  brauch,  denn  dadurch  liefsen  sich  doch  die  meister- 
sänger erst  bewegen,  das  kranzsingen  in  ihre  ceremonien  aufzu- 
nehmen, s.  Uhland  aao.  s.  206.  wäre  ein  bestimmtes,  nach  form 
oder  inhalt  festgesetztes  lied  gemeint,  so  würde  der  genu^Ur  als 
beiname  eines  ganz  bestimmten  Sängers  mit  der  für  mhd.  (jeninf 
üblichen  bedeutung  angesehen  werden  können,     dem  widerspricht 

'  Uhland  Abhandl.  über  d.  deutschen  Volkslieder  (Schriften  z.  Gesch. 
d.  dichtung  u.  sage  III  206)  und  das  DWb.  kennen  nur  den  belee  bei 
Suso  und  führen  daher  lediglich  die  wendung  des  gemeiten  (Uhland:  (/<•- 
Ceminten)  bitten  an,  die  Uhland  ohne  zu  erklären  auflöst:  'um  etwas 
fröhliches  bitten",  auch  das  Schwab,  ivb.,  dem  die  drei  belege  entnommeiu 
sind,  stellt  bitten  an  erste  stelle. 

Z.  F.  D.  A.  LVI.     N.  F.  XIJV.  ^ 


130  SCHWIETERING 

jedoch  nicht  nur  der  allgemeine  Charakter  dieser  zu  ueujahr  — 
und  weilmachten  —  gesungenen  liebeslieder  und  die  groise  mannig- 
faltigkeit  ihrer  Überlieferung,  sondern  auch  die  volkstümliche  Ver- 
breitung des  kranzsingens  und  schliefslich  die  schon  damals  nicht 
mehr  verstandene  elliptische  ausdrucksweise,  die  in  der  wendung 
den  gemeiten  hüten  metaphorisch  auf  den  kranzlohn  umgedeutet 
wurde,  alles  weist  auf  ein  hohes  alter  von  wort  und  sache,  auf 
eine  zeit  in  der  die  ursprünglichen  bedeutungen  von  genn-it  noch 
so  lebendig  waren,  dass  das  substantivierte  adjectiv  ohne  weiteres 
als  Umschreibung  des  fahrenden  verstanden  wurde,  da  noch  der 
spielmann  der  hauptträger  aller  weltlichen  gesangsmäfsigen  dich- 
tung,  auch  des  liebesliedes  war,  da  des  gemeiten  [sanc]  singen. 
zumal  im  Zusammenhang  mit  dem  narrentreiben  der  zwölfnächte 
nichts  anderes  als  frohe  weltliche  vagantenlieder  singen  hiel's.  dass 
nach  dem  Memminger  stadtrecht  g;erade  die  schnolwre  diesen 
brauch  übten,  mag  man  atavistisch  deuten,  bei  Suso  sind  es  die 
Jünglinge  überhaupt. 

Zu  den  fahrenden  führt  uns  schliefslich  auch  got.  gamaips 
'verkrüppelt',  und  zwar  zu  den  aus  der  antike  herübergekommenen 
narren  und  lustigmachern  der  höfe  und  markte,  wie  sehi*  die 
komik  dieser  joculatoren  auf  körperlichen  entstellungen  und  ge- 
brechen beruhte,  wie  würklich  durch  ganiaips  die  hauptseite  ihres 
Wesens  umschrieben  wird,  zeigt  uns  des  Byzantiners  Priskus  clas- 
sischer  bericht  von  dem  durch  gotische  sitte  beherschten  Hunnen - 
hof:  Priscus  Hist.  Goth.  (Corpus  Script,  bist.  Byzant.  I  s.  225,  1) 
Z€Qyco)v,  ^xv&Tjg  ovro)  xalov/xsvog,  MavQOVoiog  xö  yevog, 
(5td  (5«  yMV.ocpv'iav  acbf^iarog  xcci  xö  yeXwxa  iv.  Z'fjg  TQavkötrj- 
Tog  rfig  (fMvfjg  xßt  öipscag  Ttagexsiv  '  /?p«xt^g  yccQ  rig  ^v, 
y.vQTÖg,  öiäotQOfpog  rolg  Ttoai,  rrjv  giva  xoig  (ivy.rfiQOi 
7tc(Qa(faLvu)v  diä  aiuönjrog  vjceQßokrjv  — ;  s.  206,  5  .  .  tot« 
de  did  röv  rrjg  EVtoxiag  xaigöv  vtageXS^iov  rw  xs  si'dei  y.ccl 
xotg  eodrifiaöi  x.al  xfj  (pcüvfj  x«/.  xoig  ovyy.€xvf^ievtog  nag  avxoü 
7rQO(p€QOfi€voig  QTqfxaOi   — . 

Wie  die  fahrenden  auch  weiterhin  aus  dieser  unversiegbaren 
quelle  volkstümhcher  komik  schöpften,  erhellt  u.  a.  aus  dem  sach- 
lich geordneten  glossar,  das  (GH.  III  425,  47  ff)  leodslekko  'co- 
raicus'  und  kituerg,  dwmrc  'nanüs  vel  pomilio'  auf  einander  folgen 
ässt^.     im   fastnachtspiel   sehen  wir  sie  als  Molkenpauch,    Polster- 

'  dagegen  sind  (Gll.  III  357,  25  ff)  cruppel  'coutractus',  couhlare 
'ariolus  magus',  spilman  'mimus'  und  (III  681,  40  ff)  ainoukir  'luscus  vel 
inonoculus',  ainhentir  'mancus',  spiliman  'mimus  vel  scurra'  unter  dem 
gesichtspunct  der  rechtlosigkeit  zusammengestellt,  denn  ebenso  wie  die 
spielleute  ihres  unehrlichen  gewerbes  wegen  hatten  auch  die  zu  ver- 
stümmelungsstrafen  verurteilten  ihr  recht  verwirkt,  vergl.  Berthold  v.  Reg. 
(Schönbach  aao.  s.  60):  sed  bonis  auferre  et  dare  malif^  non  pertinet  ad 
relum,  ut  faciunt  quidam  joculatoribus  pro  laude,  qui  caret  naso, 
pede  vel  manu  pro  scelere  suo,  honorem  non  habet,  ais  ergo  ah  illo 
honorem  emere,  qui  nullum  habet  — . 


GEMEIT  131 

braoch,  GeiMuIs,  Gensschnabel,  Schweinsohr  usw.  agieren,  und 
unter  ihrem  einfluss  rauss  selbst  der  greise  Petrus  in  der  wettlauf- 
scene  des  auferstehungsspiels  hinken  (s.  Weinhold  Über  das  ko- 
mische im  ad.  Schauspiel  s.  3  f).  so  bildet  die  bedeutung  von  got. 
gamaips  für  die  Charakterisierung  der  vagierenden  mimen  eine 
wichtige  ergänzung,  da  die  westgermanischen  entsprechungen  des 
Wortes,  corapliciertere  Verhältnisse  widerspiegelnd,  von  der  komik 
leiblicher  misgestalt  absehen  und  statt  dessen  das  geistig- 
unnormale dieser  'comici'  in  den  Vordergrund  stellen,  got.  gamaips, 
an  dessen  bedeutung  die  meisten  bisher  aufgestellten  etymologieen 
scheiterten,  wird  somit  für  unsere  hypothese  recht  eigentlich  zur 
festigenden  grundlage. 

Dass  wir  es  im  got.  nicht  etwa  mit  der  ursprünglichen, 
sondern  mit  einer  eingeengten  bedeutung  zu  tun  haben,  lassen  die 
bedeutungen  der  nächsten  wortsippe  ohne  weiteres  erkennen,  dem 
participialcompositum  gamaips  ligt  die  germ.  wurzel  tirip  zugrunde,  zu 
der  aufser  dem  zu  *meipan  gebildeten  verbalfaetitiv  niaidjati  auch 
die  participialbildung  missa  (<  *unt-faz)  und  weiterhin  lat.  tnü- 
tare,  mütuus,  gr.  sicil.  uoiroc  gehören,  die  Urbedeutung  von 
missa-,  missi-  (in  got.  inissaldks,  ahd.  missaUh,  mhd.  m  isseil ch^ 
ahd.  missi,  missihelli,  missivaro ,  missinamig\  mhd.  missehcere, 
wisse inüete)  'verechieden"  erweist  sich  auch  als  grundbedeutung- 
von  *mlpaii  'sich  unterscheiden,  verschieden  sein,  abweichen  von' 
(in  örtlicher  beziehung:  'abweichen  sich  fernhalten,  verborgen  sein) 
und  got,  liiaidjan  'verschieden  machen,  verändern",  die  in  der 
bedeutung  'abweichen,  verändern'  enthaltene  negierung,  im  präfix 
miss-  bis  zur  bedeutung  un-  gesteigert,  über>viegt  in  anord.  nieiäa 
'verwunden,  beschädigen",  frühmhd.  meiden  (Adelung  III  152) 
'castrieren'  und  got.  gamaips  'verkrüppelt',  zu  denen  die  bedeutung 
von  got.  niaidjan  'entstellend  verändern"  hinüberleitet,  so  dürfen 
wir  für  german,  *gamaiäaz,  dessen  bedeutung  der  von  *gamai- 
äiäaz  ebenso  geglichen  haben  wird  wie  die  von  ae.  gemäd  und 
gemced(e)dj  die  bedeutung  'entstellend  verändert,  vom  normalen  in 
körperlicher  oder  geistiger  beziehung  abweichend,  verwandelt'  er- 
schliefsen,  die  vielleicht  den  anlass  gegeben  hat,  dies  wort  aufser 
für  natürliche  krüppel  auch  für  den  durch  seine  wandlungskunst 
misgestalteten  mimen  zu  verwenden,  und  da  zu  den  requisiten 
dieses  mimen  aufser  karrikierender  gliederverrenkung  auch  ent- 
stellend aufgetragene  schminke  (s.  Reich  Mimus  I  797  und  für 
das  13  jh.  Schönbaeh  aao.  s.  60)  und  farbenschreiende  narren- 
kleider  gehören,  so  scheint  von  maidjan  'mutare"  zu  ahd.  Lamei- 
foH  'tingere'  (GH.  II  225,  42;  meitta  'tinctor'  II  248,  28)  ein  im 
einzelnen  bestimmter  und  darum  glaubhafterer  weg  als  bisher 
(s.  Heyne  Hausaltertümer  III  244)  gefunden. 

Der  versuch  die  bedeutungen  von  got.  maipms.  anord.  pl. 
meldntar,  ae.  rnääm,  as.  medom.  mhd.  medeme  'geschenk,  kostbarkeit. 
kleinod,  abgäbe'  zu  mhd.  meidevi,  meiden,  nhd.  meidev  'wallach,  pferd 

9* 


i:^2  SCHWIETERING,  GEMEIT 

in  unmittelbare  beziehnng  zu  bringen,  dadurch  dass  man  das  pferd 
als  vorzugsweises  gesclienk  des  altertums  bezeichnet  (DGr.  III 
[1S90|  s,  323)  oder  die  bedeutung  'pferd'  für  eingeschränkt  er- 
klärt (Feist  Etym.  Wb.  s.  187)  scheitert  einfach  an  der  durch 
nihd.  meidenen,  frühnhd.  mriilen,  osorb.  injeta6  'castrieren'  und 
apr.  nomaißis  'verschnittenes  schwein'  erwiesenen  grundbedeutung 
von  ineidein:  'wallach,  eunuch'  (s.  vor  allem  Schraeller-Frommann 
I  1569).  dagegen  lassen  sich  die  v^erschiedenen  bedeutungen  von 
*inaipmaz  vielleicht  aus  den  beiden  vorhandenen  bedeutungs- 
wurzeln  ableiten :  rahd.  meideni  Svallach'  aus  der  wurzel  'ent- 
stellen, verstümmeln'  und  die  bedeutungen  der  übrigen  germa- 
nischen entsprechungen  aus  der  wurzel  Verändern,  wechseln, 
tauschen'. 

Hamburg.  Schwieteriujr. 


ZUM  TEXT  DES  MORIZ  VON  CKAON, 

Eine  quellenstudie  über  die  fabel  des  MvCr.,  die  ich  vor 
Jahren  anstellte  —  ich  hoffe  sie  bald  vorzulegen  — ,  ergab 
nebenher  eine  kleine  textkritisclie  nachlese,  einzelnes  davon  ist 
inzwischen  durch  die  neue  aufläge  des  gedichtes  überholt  worden; 
das  übrige  teil  ich  hier  mit. 

87    daz  ist  ein  site  unmäzen  alt  .  . 

er  niuwet  aller  tegelich, 

(er  breite  ie)  und  breitet  sich 

witen  after  lande, 
der  in  der  hs.  ausgefallene  halbvers  war  vermutlich  und  meref, 
da  breiten  unde  meren  formelhaft  ist:  Iw.  2904;  MSH  i  5^; 
Garel  1264;  Konrads  Troj.  7389.  14613;  Ritterpreis  420  f. 
das  äuge  des  Schreibers  irrte  vom  ersten  and  auf  das  zweite 
{unde)  ab. 

513 ff.  les  ich: 

[ditz  ist  ein  ungeloube  .  . 
515  und  vil  unwiser  rät 

daz  ich  gelücke  missetät 

zihe  daz  ich  noch  vor  mir  hän.| 

hsete  heil  baz  ze  mir  getan, 

so  hsete  ez  halbes  mich  vermiten 
520  daz  ich  sus  gar  hän  erliten. 

si  bedenket  sich  vil  lihte  baz. 

owe,  möhte  ich  wizzen  daz, 

naera  sam  e  danne  ir  war. 
V.  523  lautet  in  der  hs. :    na^tn  ee  danne  ir  war,   vielleicht  weil 
der    Schreiber    sam    wegen    der    ähnlichkeit   des   wortbild^s   mit 


WALLNER,  ZUM  TEXT  DES  MORIZ  VON  CRAON     133 

««m  übersprang.     Ir   und  si  (521)  bezieh   ich.   wie   angedeutet 
wurde,   auf  gehicke   und   1ml  ^:    'hätte  frau  Saide  es  besser  mit 
mir  gemeint,  so  hätte  das,  was  ich  ganz  zu  erleiden  hatte,  mich 
nur    halb    betroffen,     vielleicht    besinnt    sie   sich   eines  bessern, 
ach,  wüst  ich  das,  dann  baute  ich  auf  sie  wie  früher.' 
773  sin  gezelt  was  harte  guot. 
an  die  winden  uf  den  huot 
wären  sine  wäpen  gesniten. 

auf  den  zeltwäuden  und  auf  dem  Überzug  waren  die  wappeu 
angebracht,  also  aufsen  und  innen-  daher  gehört  nach  winden 
ein  komma. 

790  da  stuont  ein  köpf  vol  wines, 
lüter  sam  wser  ez  wazzer, 
und  swebete  dar  inne  ein  mazzer, 
daz  iegelicher  selber  tranc 
swen  der  durst  dar  zuo  twanc. 

■mazzer  (hs.  viasser)  <  mdser  ist  eine  sprachgeschichtliche  Un- 
möglichkeit, und  weder  köpf  noch  kumpf  (an  das  jetzt  Schröder 
Germ.-rom.  monatsschr.  5,  622  denkt)  kann  eine  kufe  bezeichnen, 
ich  denke ;  der  Schreiber  war  im  begriffe,  versehentlich  sam 
wazzer  zu  schreiben,  als  er  bei  niederschrift  des  w  den  Irrtum 
gewahrte  und  sich  daraus  half  wie  er  konnte:  luter  sam  wmr 
es  e.  w.  nnd  swebete  usw.     ich  lese: 

da  stuont  ein  köpf  vol  wines, 
lüter  sam  ein  wazzer 
swebete  er  dar  inne  nazzer  .  . 

ein  wein  also,  der  eigentlich  wasser  ist,  nämlich  aus  dem 
brunnen,  über  dem  das  zeit  steht  (vgl.  766  f.).  das  ist  freilich 
kein  gewöhnlicher  brunnen  (darüber  wird  in  anderem  Zusammen- 
hang gesprochen  werden),  aber  auch  nicht  die  fontaine  de,  vin, 
wie  Graston  Paris  verstand. 

1210  dö  muoz  min  frouwe  lachen 
daz  iuwer  zweier  rat 
allenthalben  eine  gät. 

gemeint  ist,  die  frau  müsse  ihres  mannes  unmut  und  reue  hin- 
wegscherzen, damit  er  sich  beruhige  und  sie  zu  dem  verabredeten 
Stelldichein  gehn  könne,  die  hsl.  lesart  ane  gät  darf  daher  für 
Haupts  conjectur  eine  gät  (mit  der  gezwungenen  erklärung  'dass 
euer  beider  ratschluss  überall  von  dem  des  andern  verschieden 
ist,    niht  gemeine  gäf)   nicht  geopfert  werden,     wortspielend  er- 

1  der  dichter  gebraucht  zwar  die  neutra  ijeläc/.e  und  heil,  denkt, 
aber  bei  beiden  au  'frau  Sielde'  oder  personificiert  sie  wenigstens  aU 
frauen.  vgl.  crou  Srelde  und  ir  kint  das  Heil  Krone  15853.  22  867;  {ir 
Mt  gexelt)  Gelücke  ze  Ingesinde,  dem  Heile  le  liebem  hinde  Warn.  2596. 


134  WALLNER 

widert    der    ritter   auf   die   mitteilung   der   zofe:    'mein   rat  {rät 
'anschlag')   hat   ihm   nie  geschadet   und   mir   nie  geholfen',   d.  h. 
'ich   wüste    mir   immer   nur   übel   zu   raten,   M'ie   auch   dies  ver- 
fehlte Stelldichein  wider  zeigt'  (vgl.  MFr.  157,5;    114,3). 
1499  von  diu  var  er,  si  er  ein  wiser  man, 
abe  wege  als  er  kan. 

mit  der  evidenten  besserung  Haupts  (din]  hs.  dannen)  ist  die 
stelle  noch  nicht  in  Ordnung,  da  offenbare  Verwerfung  vorligt. 
es  ist  zu  lesen: 

von  diu  si  er  ein  wiser  man 

und  var  abe  wege  als  er  kan. 

vgl.   1085  nu  vart  ah  wege,  ez  ist  zit. 

1592  ir  häte  der  (zouber)  benomen 
beide  witze  unde  sin. 

die   ergänzung   schrie  (Mafsmann,   Haupt;    vgl.  gGerh.  568)   ist 
vorzuziehen,   da   die   frau  den  *zauber'  sofort  durchschaut  hatte : 
er  vorhte  im  harter  dan  sin  irip:  si  hekante  den  helt  sä  (1566  f.). 
1777  Nil  läzet  dise  rede  varn. 

tiuschiu  zunge  diu  ist  arn  .  . 

Haupts  herstellung  des  v.  1778  aus  überliefertem  Teuchte  Jung 
oder  Arn  hängt  mit  seiner  frühen  datierung  des  gedichtes  zu- 
sammen, seine  conjectur,  bei  der  er  an  die  klage  des  Mainzer 
Pilatusdichters  dachte,  hat  wider  Scherer  verleitet,  den  Moriz 
vCraon  mit  dem  Mainzer  hoffest  in  beziehung  zu  setzen  und  die 
Pilatusstelle  als  patriotische  polemik  gegen  unsern  dichter  zu 
deuten  (LG.  s.  152).  mit  Schröders  —  reichlich  frühem  —  an- 
satz  des  MvCr.  'um  1215"'  wurde  der  angenommene  ausfall 
gegen  die  spröde  deutsche  spräche  recht  unwahrscheinlich,  nach 
Hartmann,  nach  Wolfram  und  Gottfried  hätte  ein  solches  urteil 
nur  den  spott  über  den  stümper  herausgefordert.  Schröder  gibt 
jetzt  seinen  ansatz  wider  preis;  nicht  zuletzt  deswegen,  weil 
klagen,  wie  sie  der  dichter  'nach  Haupts  einleuchtender  besse- 
rung' V.  1778  ff  über  die  armut  der  deutschen  spräche  vortrage, 
schwer  verständlich  seien  vor  einem  publicum,  das  Gottfried  und 
Wolfram  kenne  (s.  28).  immerhin  verrät  das  gedämpftere  epi- 
theton  'einleuchtend'  für  Haupts   conjectur,   verglichen   mit  dem 

*  eh  man  mit  dem  MvCr.  ein  deutsches  fablel  in  —  oder  ga,r  über 
—  den  anfang  des  13  jhs.  hinaufrückt,  wird  man  seine  spröde,  anscheinend 
altertümliche  technik  lieber  aus  der  ungelenken  kunst  des  wenig  geübten 
und  wenig  belesenen  Verfassers  erklären.  '■'  vgl.  dieselbe  bindung  v.  573 
mm:  rieh  oder  arn.  ruhe  rede  Trist.  5717;  nrhitt  ti'ort  (Lexer  ii  417). 
■*  das  zusammenfalten  der  Wörter  kann  wie  das  spalten  (gespalten  rime 
Kolm.  82,  17  n.  ö. ;  rime  unr/espalten  MSH  in  344^)  nur  auf  die  reime 
bezogen  werden,  und  rime  rillten  ist  ein  formelhafter  ausdruck  (s.  Mhd. 
wb.  n  633  \  703;   Lexer  ii  438). 


ZUM  TEXT  DES  MOPJZ  VON  CRAON      135 

'unanfechtbar"  s.  29,  das  aus  der  1  aufl.  stammt,  dass  auch 
Schröder  schon  leise  bedenken  gegen  die  richtigkeit  dieser  her- 
stellung  abzuwehren  hatte. 

Haupts  geistreicher  einfall  schnitt  in  die  Verderbnis 
schonungslos  hinein;  ich  glaube,  sie  lässt  sich  auch  behutsamer 
heilen,  dem  Schreiber  lag  die  zeile  wol  so  vor:  Tiuchte  fuch 
rieh  oder  am  und  er  verlas  das  fuch  (vgl.  darüber  Schröder 
s.  6  sub  e)  zu  ßch,  und  nun  kreuzten  sich  ihm  die  formein 
rieh  oder  arm  und  junc  oder  alt  zu  einem  Jung  oder  Arn.  die 
stelle  wird  zu  lesen  sein: 

Nu  lazen  dise  rede  varu, 

tiuhte  £i  iu  rieh  oder  arn-. 

Iwer  der  eine  wil  tihten, 

iol  er  die  rime^  rihten, 

fo  muoz  er  wort  spalten 

und  zwei  zesamen  valten. 

daz  teete  ich  gerne,  künde  ich  daz, 

meisterlicher  unde  baz. 

man  vergleiche  analoge  stellen  im  Gesamtabenteuer:  i  1,  420  .  . 
daz  wcer  ein  inichel  arbeit,  und  diuhte  Wite  idoch  ze  lank.  ir 
fraget  mir  der  rede  dank,  ob  si  iu  icol  gevalle;  i  3,  5  diu  rede 
hat  mich  guot  geduht;  diz  mcere  heizt  'der  vrouwen  zuhf.  dass 
der  dichter  am  eingang  oder  schluss  des  märes  seine  geringe 
kunst  entschuldigt,  kommt  oft  genug  vor;  dass  er  die  tiusche 
zunge  anklagt,  meines  wissens  nie. 

Graz  am  dreikönigstag   11)14. 

Allton  Walliier. 


LUCKENBUSSER. 

EINE  AUFSCHNEIDEREI  DES  TRITHEMIUS.  Charles 
de  Bovelles  von  Amiens  (Carolus  Bovillus  Samarobrinus)  hat  in 
seinem  'Liber  de  differentia  vulgarium  linguarum  et  Gallici 
sermonis  varietate'  (Parisiis  1533),  zu  dessen  lectüre  mich  ein 
freundlicher  hinweis  HMorfs  geführt  hat,  auch  ein  paar  ab- 
schnitte über  die  deutsche  spräche  und  ihre  dialecte.  auf  das 
cap.  xivix  'Germauicani  linguam  a  Latina  lingua  prorsus  dis- 
aentaneam  apparere'  folgt  cap.  l  'Temere  lohanuem  Tritemium 
Germanorum  linguam  Latinae  linguae  adaequare  voluisse':  'Non 
temere,  cum  semel  essem  in  Germania,  apud  Inhannem  Tritemium 
quondam  abbatem  Spanemensem,  risi  ego  et  Judibrio  habui,  ir- 
ritam  illius  et  casmm  prorsus,  quam  in  posteruin  coram  me 
respondebat  se  operam  daturum.  Kam  cum  quadam  die  in  fa- 
miliari  coUocutione  oborta  casu  esset  vulgaribus  de  Unguis  sermo- 
cinatio:  tum  rem  supra  vires  poUiceri  Tritemius  non  eruhuit:  qui 


1 36  SCHR()DER,  EINE  AUFSCHNEIDEEEI  DES  TRITHEMIUS 

(jermanicam  lingiiam,  et  conficMs  a  se  characierilms  ejruUurum,  et 
suffidentihus  regulis  instructurum,  necnon  Latinae  fandein  linguae 
darem  se  eff'ecturum  spopondit:  adeo  (aiehat)  vt  dorti  guidem  viri 
in  disciplinarum  et  scientiarum  traditionihus  nihilo  dedignarentur 
illius  commoditafc  et  adminiculo  rti.  Hac  ego  cmdita  ülius 
sponsione,  suhridens  respondi,  Tanfae  voluere  magnitudinis  saxum, 
haud  esse  humaiiarum  manuum.  Vbinnm  enim  inquam  ego,  o 
Tritemi,  apprehensurus  es  ipsam  Germnuirae  linguae  ideam,  quam 
succingas  vallis  ac  loris  regularum,  quihus  asfringi  oporteat, 
prona  in  vitium  suum  imperiti  vulgi  lahia,  ne  ab  amussi  ah 
idea,  et  a  perpendiculo  suae  linguae  vsquam  titubent?  Nam 
sicuti  diximus  de  Gallis,  ita  et  de  Germavis  accidit,  vt  in  Ger- 
mania suus  cuique  populo  placeat  sermo,  suusre  loquevdi  modus 
sit  cuilibet  et  rectus  et  hellus/ 

Schon  im  vorausgehnden  capitel  erläutert  B.  die  mundart- 
lichen Verschiedenheiten  Deutschlands  daran,  dass  er  für  'panis' 
den  Oberdeutschen  brot,  den  Niederdeutschen  broit  ^  zuschreibt, 
für  'carnes'  jenen  fleclis,  diesen  flachs  (!).  und  hier  führt  er  nun  an» 
dass  der  gleiche  grufs  in  Oberdeutschland  Goid  tag,  in  Nieder- 
deutschland Goud  dag  laute;  in  cap.  li  treten  nocli  weitere  bei- 
spiele  hinzu:  'aqua'  a-atre  —  wasser,  'album  vinum'  u-itte  fein, 
—  ivisse  rviii. 

Ganz  richtig  hat  der  Franzose  den  angeblichen  plan  des 
Trithemius,  die  deutsche  spräche  durch  regeln  und  Vorschriften 
so  auszubilden,  dass  sie  der  lateinischen  an  die  seite  treten  könne, 
als  lächerliche  überhebung  charakterisiert:  ^poUicens  rem  quae 
irrito  et  perpero  nlsit,  suum  semper  fefeUlsset  aiithorem'  schliefst 
er  das  cap.  li,  in  dem  er  noch  einmal  auf  Trithemius  zurück- 
kommt, mir  will  die  ganze  geschichte  nur  als  eine  neue  Wind- 
beutelei des  Spanheimers  erscheinen,  aber  freilich  taucht  die 
frage  auf,  ob  er  den  Franzosen  nicht  überhaupt  zum  besten  ge- 
habt habe:  denn  nicht  nur  dass  uns  ein  solcher  plan  des  T. 
anderweit  ganz  unbekannt  ist,  er  ligt  auch  dermafsen  aufser- 
halb  seiner  sonstigen  bemühungen,  dass  wir  an  den  ernst  der 
Sache  unter  keinen  umständen  glauben  mögen. 

'  der  druckfehler  breit,  an  dem  ein  alter  leser  des  Göttinger 
exemplars  anstors  nahm  {das  ist  gelogen  schrieb  er  an  den  rand),  ist  in 
cap.  LI  berichtigt. 

E.  S. 


DIE  GRUNDLAGEN  DES  RITTERLICHEN 
TUGENDSYSTEMS. 

Die  griechische  Sittenlehre  ist  auf  die  erlangung  des  liöchsten 
gutes  angelegt,  das  ist  die  glückseligkeit,  evöaißovla,  'das  gute 
lebenslos' 1.  im  Zusammenhang  mit  seiner  ideenlehre  setzt  Plato- 
das  ziel  des  sittlichen  strebens  in  die  höchste  idee,  das  ist  die 
des  guten;  das  wahre  glück  besteht  demnach  in  der  höchsten 
Vollkommenheit  der  seele,  in  wunderbarer  harmonie  umfasst  seine 
ethik,  geordnet  nach  der  dreizahl,  das  ganze  menschenwesen,  auf- 
steigend von  den  grundbedingungen  des  Seelenlebens  zu  dem  ver- 
halten des  einzelnen  in  seiner  individuellen  sittlichen  lebensgestaltung 
bis  zu  den  aufgaben  der  gesamtheit  im  Staate. 

1 .  Die  Seelenkräfte  teilen  sich  in  die  drei  gebiete  (seelenteile) 
der  Vernunft  {rd  loyLGxLy.öv,  vovc),  des  mutes  (der  Willenskraft, 
xö    ^vfiosideg,    ,'H'itöc)    und   der   begierde    (rd    ejcidvur^TiY.öv, 

2.  Diesen  drei  seelenteilen  entsprechen,  je  nach  dem  herschen- 
den  teil,  drei  charaktertypen:  die  (fiköaocfoi,  die  nach  Weisheit, 
die  (fiXörifWi,  die  nach  ehre  und  macht,  und  die  (ft/.oyortiaioi, 
die  nach  besitz  und  genuss  streben.  —  jedem  der  drei  seelenteile 
kommt  eine  bestimmte  tugend  als  aufgäbe  zu:  die  Vernunft  bat 
die  Weisheit,  oocf  ia,  zu  pflegen,  der  Willenskraft  obliegt  die  tapfer- 
keit,  avÖQeiu,  der  begierde  die  selbstbeherschung,  ototf^Qoovvi]^ 
alle  drei  tugenden  aber  werden  in  das  richtige  Verhältnis  gebracht 
durch  die  rechte  beschaffenheit,  die  gerechtigkeit,  öi/.aioovvi]. 
damit  hat  Plato  die  vier  cardinaltugenden  in  die  ethik  einge- 
führt. — 

3.  Wie  die  seele  so  zerfällt  auch  der  staat  in  drei  teile:  die 
herschenden  sind  die  philosophen,  der  lehrstand;  die  für  das  wul 
des   Staates   sorgenden   sind   die   krieger  und  beamten,   der  \\elir- 

'  Paulsen  System  der  Ethik  -  s.  22. 

-  nach  Windelband  in  seinem  PJaton,  seinem  Lehrbuch  der  geschichte 
der  Philosophie  4.  aufl.  und  seiner  Geschiclite  der  antiken  philosophie, 
3.  aufl.  von  Bonhöffer;  Natorp;  Vofsler  Dante  I  2,  2S0  ff. 

Z.  F.  D.  A.  LVT.    N.  F.  XLIV.  1<> 


138  EHEISMANN 

stand;    diejenigen   endlicli,    welche  die   materiellen   bedürfnisse  be- 
schaffen, bilden  die  menge,  das  volk. 

Aristoteles  hat  in  seiner  Nikomachischen  ethik  das  erste 
umfassende  und  zusammenhängende  System  der  'praktischen  philo 
Sophie'  aufgestellt,  glückscligkeit  ist  ihm  betätigung  der  der 
seele  jeweils  besonders  eigentümlichen  (in  ihr  vorhersehenden) 
tagend,  tu  gen  d  ist  ein  verhalten  (ä^ig,  habitus,  eine  beschaffen- 
heit)  der  seele.  es  sind  aber  nach  den  seelenkräften  zweierlei 
tugenden  zu  unterscheiden:  solche  des  denkens,  die  dianoetischen 
oder  intellectuellen,  welche  die  Vernunft,  vovg,  zum  object  haben, 
die  oofpla  und  die  ihr  verwanten  verstandestugenden ;  und  solche 
welche  die  beherschung  der  affecte  besorgen,  die  ethischen  oder 
sittlichen  tugenden,  zu  denen  unter  anderen  auch  die  übrigen  drei 
cardinaltugenden,  dvÖQEia,  OiorpQOOvvij,  ör/.aioovvi],  gehören, 
(las  wesen  der  tugend  besteht  in  dem  einhalten  des  richtigen 
inafses:  sie  ist  ein  mittel  zwischen  zwei  extremen,  so  zb.  ist  die 
lapferkeit  ein  mittleres  zwischen  tollkühnheit  und  feigheit.  —  indem 
Aristoteles  aufser  den  vier  cardinaltugenden  noch  eine  reihe  anderer 
bespricht,  hat  er  die  einsieht  in  die  moralischen  begriffe  bedeutend 
vertieft  und  verfeinert. 

Die  beiden  gruppen  stehn  in  einem  abgestuften  wert  Ver- 
hältnis, und  demnach  scheiden  sich  auch  die  träger  dieser 
tugenden  hinsichtlich  der  lebensweise  (Nikom.  ethik  buch  X 
cap.  7.  8,  dazu  buch  I  cap.  3).  da  die  höchste  Seelenbetätigung 
(tugend)  das  denken,  die  Vernunft  ist,  vovg,  so  sind  die  dianoetischen 
tugenden  die  vornehmeren,  und  die  höchste  lebensweise  ist  das 
leben  nach  der  Vernunft,  das  theoretische  leben,  das  leben  des 
weisen,  aber  dieses  leben  ist,  wenn  vollkommen,  nur  göttlich.  — 
Das  zweite  leben  ist  das  nach  den  'sonstigen'  tugenden,  das 
praktische  leben,  das  leben  der  edeln  und  tatenfrohen  naturen 
(I  3).  diese  tätigkeiten  sind  menschlicher  art  (menschliche  tugen- 
den). —  Aufser  den  beiden  werten  der  vernunft  und  der  tugenden 
gibt  es  noch  eine  dritte  gattung,  das  sind  die  äufseren  guter  (zb. 
geld,  körperkraft).  sie  sind  zur  glückscligkeit  wünschenswert  in- 
soweit als  der  mensch  unter  menschen  lebt  (also  für  das  praktische 
leben),  von  den  zwei  ersten  gebieten,  denen  dersitthchen  tätig- 
keit,  behandelt  aber  Aristoteles  nur  das  des  praktischen  lebens. 
das  die  tugenden  umfasst  insofern  sie  der  mensch  ausführen  kann; 
auch  auf  die  äufseren  guter  geht  er  niclit  näher  ein. 


RITTERLICHES  TÜGENDSYSTEM        13<» 

Die  von  Plato  begründete,  von  Aristoteles  in  seinem  eigenen 
sinne  ausgestaltete  und  in  ein  systeni  gebrachte  etbiiv  blieb  die 
grundlage  für  alle  spätere  moralphilosophie  des  altertums.  für  die 
geschichtliche  Überlieferung  und  weiterleitung  dieser  lehren  ins 
mittelalter  liinüber  hat  das  meiste  Cicero  mit  seiner  schrift  Do 
officiis  gewürkt.  er  schliefst  sich  in  seinem  system  an  Aristoteles 
an.  wie  dieser  bespricht  er  eine  gröfsere  zahl  von  tugenden, 
gi-uppiert  sie  jedoch  nach  der  platonischen  vierheit,  der  prudentia, 
justitia,  fortitudo,  temperantia.  wie  Aristoteles  scheidet  er  die  drei 
werte:  das  höchste  gut,  summ  um  bonum,  die  theoretische  art 
der  pflichten,  die  sich  auf  den  vollendeten  und  weisen  menschen 
beziehen  (er  unterlässt  indessen,  wie  Aristoteles,  eine  Untersuchung 
darüber);  das  sittlichgute,  hon  es  tum  (die  tugenden),  das  praktische 
pflichtverhalten  des  gewöhnlichen  und  einfach  rechtschaffenen 
mannes;  endlich  das  nützliche,  utile,  die  äulseren  guter. 

Die  christliche  morallehre  hat  Augustinus  begründet',  die 
antike  Weltanschauung  ist  umgewälzt,  der  mensch  richtet  sich  nicht 
mehr  auf  das  diesseits  ein,  sondern  auf  ein  dereinst  kommendes 
dasein,  glückseligkeit  ist  nicht  hienieden  zu  finden,  wir  erhoffen 
sie  als  zukünftig,  das  höchste  gut  ist  der  friede  im  ewigen  leben, 
damit  ist  auch  dem  antiken  tugendbegriff  seine  stelle  angewiesen: 
die  vier  cardinaltugenden  sind  nur  weltliche  werte,  zwar  das  beste 
und  nützlichste  für  den  menschen  auf  erden,  aber  doch  nur  zeugen 
des  menschlichen  elends  (De  civitate  Dei  b.  XIX  cap.  4  u.  11, 
auch  b.   V  cap.  20,  b.  VIII  cap.  3). 

Von  grofsem  einfluss  auf  die  befestigung  einer  christlichen 
niorallehrc  war  des  Boethius  buch  De  consolatione  philosophiae 
in  Gott  findet  das  bedrängte  menschenherz  trost  und  frieden,  Gott 
ist  das  höchste  gut.  das  thema  seines  trostbuches  ist  die  ab- 
wägung  der  glückswerte,  Gott  ist  die  wahre  glückseligkeit,  die 
äufseren  guter  (weltstellung  und  körperliche  Vorzüge)  sind  nur 
falsches  glück. 

Ihre  dogmatische  ausbildung  fand  die  christliche  inoraltheo- 
logie  durch  die  Scholastik.  Augustinus  lehrte,  nach  1.  Kor.  13,  13, 
drei  haupttugenden,  glaube,  hoffnung,  liebe,  als  die  drei  grund- 
bestandteile   der  gottesverehrung.     in  der  auf  ihn  folgenden  theo- 


'  über   die   antike   tugendlehre   in   hinsieht  auf  das  ehristeutuni  vgl. 
bes.  Otto  Zöckler  Die  tugendlehre  des  christeutuuis  s.  1  fi. 

1  (I  * 


140  EHRISMANN 

logie  wurde  eine  Vereinigung  dieser  drei  durch  die  worte  des 
apostels  bestätigten  fugenden  mit  den  vier  dem  Griechentum  ent- 
stammenden cardinaltugenden  vorbereitet,  aber  erst  durch  die 
Sentenzen  des  Petrus  Lorabardus  wurde  das  siebenersystera  als 
gegenständ  des  dognias  festgelegt '.  damit  sind  die  vier  lügenden 
zu  rehgiösen  werten  geworden,  insofern  als  sie  beitrugen  können. 
unser  sittliches  leben  Gott  wolgefüllig  zu  machen-;  aber  die  ab- 
stufung  zwischen  den  beiden  reihen  ist  geblieben,  indem  die  drei 
von  Gott  kommenden  und  auf  Gott  sich  beziehenden  tugenden, 
die  'göttlichen',  unmittelbar  von  Gottes  gnade  eingegeben  sind 
(eingegossene  tugenden),  während  die  vier  'sittlichen"  (moralischen) 
tugenden,  die  unser  sittliches  verhalten  regeln,  durch  Übung  er- 
worben werden  können  (erworbene  tugenden). 

Die  bedeutung  welche  somit  den  vier  cardinaltugenden  in 
dem  kirchlichen  moralsystem  zukommt,  hat  ihren  Ursprung  in  Cicero 
und  hängt  zusammen  mit  dem  widererstarkenden  ansehen,  das  seine 
Schriften  seit  dem    1 1   Jahrhundert  gewannen  ■'. 

Nun  ist  auch  die  trennung  zwischen  moraltheologie  und 
moralphiiosophie  klar  vollzogen,  sie  wird  bestimmt  durch  die 
auffassung  der  drei  wertgebiete,  die  Aristoteles  aufgestellt,  Cicero 
dem  mittelalter  überliefert  und  Augustinus  in  seine  Scheidung  von 
gottesstaat  und  weltstaat  einbegriffen  hat:  die  lehre  vom  höchsten 
gut,  summum    bonum,   von  Gott,    gehört  nur  der  tlieologie  an; 

'  vgl.   Zöckler  s.   148  ff. 

-  dies  war  umso  eher  möglich,  als  die  in  der  bibel  seihst,  nämlich 
in  der  Weisheit  Salomos  8,  7  gepriesenen  tugenden  den  vier  cardinal- 
tugenden sehr  nahe  stehn. 

2  dieses  wideraufleben  Ciceros  und  seine  bedeutung  für  die  mittel- 
alterliche ethili  ist  noch  wenig  beachtet  worden.  Manitius  hat  in  seiner 
Stoff  reichen  Geschichte  der  lateinischen  litteratur  des  mittelalters  eine 
icurze  skizze  über  Cicero  vom  7  bis  zum  10  jahrhunJert  gegeben 
(3.  480 — 482),  Norden  in  seinem  werk  über  die  antike  kunstprosa  Ciceros 
einfluss  auf  die  mittelalterliche  rhetorik  in  einem  überblick  dargelegt 
(s.  659  ff,  s.  bes.  s.  691  f.  708—710);  bei  Zielinski  Cicero  im  wandel  der 
Jahrhunderte  (3  aufl.  s.  130 — 136)  finden  sich  nur  allgemeine  angaben, 
für  die  geschichte  der  katholischen  ethik  ist  aber  dieses  einwirken  Ciceros 
überaus  bedeutungsvoll.  das  gerüste  der  virtutes  morales  in  der 
Summa  Theol.  des  Thomas  von  Aquino  11,  2  qu.  47  ff  geht  auf  Cicero 
zurück,  und  damit  ist  die  lehre  von  der  tugend  auch  noch  des  heutigen 
katholischen  volksunterrichts  von  ihm  beeinflusst.  die  auffassung  der  antiken 
moralphiiosophie  ist  natürlich  dem  christlichen  empfinden  angepasst  worden. 


RITTERLICHES  TüGENDSYSTEM  14 1 

die  lehre  von  den  tugendeu,  das  honestum,  fällt  sowol  unter 
die  tlieologie  als  unter  die  philosopliie;  die  äufseren  jrüter,  das 
utile,  belangen  allein  die  philosophie.  die  nioralis  theo- 
logia  ist  ein  teil  der  glaubenslehre,  des  dogmas.  der  summa 
theologiae  ('Fides',  Alanus,  Migne  210,  Ulf);  die  moralis 
philosophia  ('Mores'.  Alanus)  bildet  die  weltliche  Wissenschaft 
der  ethik,  ethica  ^. 

Das  weltliche  tugendsystem  also,  das  uns  hier  zu  beschäf- 
tigen hat,  beruht  auf  den  vier  cardinaltugenden,  dem  honestum, 
und  den  gutem,  dem  utile  (die  in  'bona  fortunae',  glücksgüter, 
und  'bona  corporis',  körperliche  guter,  zerfallen),  das  gesamte 
sittliche  leben  bewegt  sich  in  den  drei  wertgebieten  des  'summum 
bonum',  'honestum",  'utile',  als  leitspruch  aber  einer  Unter- 
suchung über  die  ritterliche  tugendlehre  kann  wol  am  passendsten 
die  Übertragung  vorangestellt  werden,  die  Waltlier  von  der  Vogel- 
weide den  drei  begriffen  gegeben  hat:  diu  zwei  mit  ere  und 
varnde  g  11  o  f .  duz  dritte  ist  <jot<'S  hiilde  (S,  14.  16),  und  e? 
wird  sich  im  folgenden  häufig  gelegenheit  bieten,  jene  dreiteilun- 
in  der  höfischen  dichtung  naclizu weisen. 

Eine  besonders  ritterlich-höfische  färbung  bekam  diese  ethik 
durch  die  charakteristischen  staudesanschauungen  der  aristokrati- 
schen gesellschaft,  vor  allem  durch  den  speciell  ritterlichen  ehr- 
begriff  und  das  minnewesen. 


'  Populär-praktische  ethik  wurde  im  altertum  als  notwendiges  hilfs- 
mittel  für  den  redner  in  der  rhetorik  getrieben,  so  leitet  Aristoteles 
seine  Rhetorik  mit  einem  solchen  abriss  ein,  Cicero  beschlielst  damit  sein 
rhetorisches  lehrbuch  De  inventione.  letzteres  hat  Alcuin  ausgezogen  in 
seiner  Disputatio  de  rhetorica  et  virtutibus.  im  mittelalterlichen  Schul- 
wesen wurde  auch  ethica  betrieben,  aber  in  dem  trivium  und  quadrivium 
hatte  sie  keine  stelle,  gegenständ  der  ethik  waren  die  vier  cardinal- 
tugenden, zb.  Notker  De  arte  rhetorica,  Piper  1,  624:  Quid  est  ethica? 
moralis  scientia.  quomodo  moralis?  quia  de  moribus  hominum  constat. 
in  quot  species  diuiditur?  in  prudentiam,  iusticiam,  fortitudinem,  tem- 
perantiam  .  .  .  Die  eiuteilung  der  philosophie  überliefert  Isidor  Orig.  II 
24,  S:  philosophiae  species  tripartita  est:  una  naturalis  quae  graece 
Physica  appellatur  (Naturwissenschaft);  altera  moralis  —  Ethica  (de  mori- 
bus), tertia  rationalis  —  Logica  (in  qua  disputatur),  vgl.  Conradus  Hir- 
saugiensis  Dialogus  super  auctores  ed.  Schepss  s.  83  f,  Hugo  von  SVictor 
Eruditio  didascalica  III  1  f,  Migne  176,  765  ff;  auch  in  der  Ikonographie: 
Engelhardt  Herrad  von  Landsperg  tafel  VIII. 


142  EHRISMANN 

Die  wegstation  für  das  eindringen  der  pflichtenlelire  Ciceros 
in  die  deutsche  ritterliche  morallehre  bildet  die  bekannte,  in  vielen 
handschriften  überlieferte,  zum  Schulbuch  gewordene,  im  anfang 
des  16  Jahrhunderts  mehrfach  gedruckte  Moralis  philosophia  de 
honesto  et  utili  (Migne  171,  1007 — 1056,  dazu  der  Libellus  de 
quatuor  virtutibus  vitae  in  distichen  ebda  sp.  1055 — 1004),  die 
früher  dem  Ilildebertus  Cenomanensis  oder  Hildebert  von  Lavardin, 
bischof  von  Le  Maus  und  erzbischof  von  Tours  (li)57 — 1134), 
zugeschrieben  wurde,  vielleicht  aber  von  Wilhelm  von  Conches 
herrührte  sie  beruht  auf  Ciceros  De  officiis,  beigezogen  sind 
andere  römische  autoren,  Seneca,  Horaz,  .luvenal,  Sallust,  Lucan, 
Terenz,  Boethius.  Die  moralis  philosophia  ist  eine  weit  liehe 
Sittenlehre  im  gegensatz  zur  theologia  bezw.  theologia  moralis  und 
enthält  keine  ausgesprochen  christlichen  gedanken. 
Die  Moralis  philosophia  zerfällt  in  fünf  teile: 
Quaestio  I,  de  honesto,  handelt  von  dem  moralisch  guten, 
von  den  tugenden -.  in  der  einleitung  (Migne  100*.))  werden 
honestum  und  virtus  gleichgesetzt:  virtus  igitur  et  honestum  no- 
raina  sunt  diversa,  res  autem  subjecta  prorsus  est  eadem.  folgende 
einzelne  tugenden  werden  aufgezählt:  1.  prudentia:  klugheit 
(sonst  auch  sapientia,  Weisheit)  mit  den  teiltugenden  pro 
videntia:  vorbeurteilung  kommender  dinge;  circumspectio:  vor- 
sieht, von  einem  laster  in  das  entgegengesetzte  zu  verfallen : 
cautio:  tugendähnliche  laster  von  tugenden  zu  unterscheiden: 
docilitas:  klugheit,  unerfahrene  zu  belehren.  —  2.  justitia:  ge- 
rechtigkeit,  mit  severitas:  strenge  in  der  bekärapfung  des  Unrechts  • 
liberalitas:  woltätigkeit,  freigebigkeit ;  retributio:  widererstattung 
des  dankes,  dankbarkeit;  beneficientia:  woltätigkeit;  religio:  gottes- 
dienst,  gottesverehrung,  gottvertrauen  (darunter  veritas:  Wahr- 
haftigkeit, und  fides:  halten  des  gegebenen  wortes,  bei  Cicero 
grundlage  der  justitia,  De  off.  17);  pietas:  eitern  und  verwandte 
ehren;  innocentia:  reinheit  der  seele,  unschuld;  amicitia:  freund- 
schaft;  reverentia:  ehverbietung  gegen  höhere;  concordia:  ein- 
tracht;  misericordia:  mitleid.  —  .'}.  fortitudo:  tapferkeit,  mit 
raagnanimitas:  (hoher)  mut;  fiducia:  Zuversicht;  securitas:  furcht- 

*  Schönbach   Anz.  f.  d.  A.  xvii  344;    Haur^au   Notices  et  extraits    I 
(  Paris  1890)  s.  99. 

^  sie  werden   auch   bona   animi  genannt,   geistige  guter,  nach  Aristo- 
teles Ethik  I  8;  Cicero   De  off.  I  23. 


KITTERLICHES  TUGENDSYSTKM  143 

losigkeit;  magnificentia:  hochherzi-keit;  constantia:  beständigkeit; 
patientia:  geduld.  —  4.  teraperantia:  selbstbeherschung,  mit 
raodestia:  bescheidenheit,  demut,  gute  erziehung;  verecundia:  ehr- 
barkeit  im  äußeren  benehmen,  sittsamkeit;  abstinentia:  enthalt- 
samkeit  im  essen  und  trinken;  honestas:  anstand  im  äußern  auf 
treten,  anständigkeit;  moderantia:  mäfsigkeit  im  essen;  parcitas: 
mäfsigkeit  in  der  erholung;  sobrietas:  nüchternheit,  raafshalten  im 
trinken;  pudicitia:  seliamhaftigkeit. 

Quaestio  II,  de  comparatione  honestorum;  die  vor- 
züglicliste  der  vier  cardinaltugenden  ist  die  teraperantia,  dann 
folgen  fortitudo,  justitia,  prudentia. 

Quaestio  III,  de  utiii,  betrifft  die  äufseren  vorteile,  die 
nützlichen  guter,  das  sind  1.  die  vergänglichen  guter  des  körpers. 
corporis  bona:  pulchritudo :  Schönheit;  nobilitas:  adel;  velocitas: 
Schnelligkeit;  robur:  stärke;  magnitudo:  gröl'se;  valetudo:  gesund- 
heit.  2.  die  glücksgüter,  fortunae  bona:  opulentia:  reichtnm: 
praelatio:  vorzug  vor  andern,  macht  (trieb  dazu  ist  der  ehrgeiz): 
gloria:  ansehen,  ehre,  rühm  (unter  die  glücksgüter  gehört  eigent- 
lich auch  nobilitas,  die  aber  unter  die  körperlichen  guter  gezählt 
ist,  sp.  1043  A)'. 

Quaestio  IV,  de  comparatione  utilium,  vergleichung 
der  werte  der  einzelnen  nützlichen  guter. 

Quaestio  V,  de  pugna  utilitatis  et  honestatis:  alles 
tugendhafte,  moralisch  gute  (honestum),  ist  auch  nützlich  (utile), 
und  es  gibt  nichts  nützliches  aulser  dem  tugendhaften  (moralisch 
guten),  darum  gibt  es  keinen  gegensatz  zwischen  utile  und 
lionestum.  hervorzuheben  ist,  dass  die  Moralis  philosophia  hier 
die  für  das  mittelalterliche  moralsystem  gültige  dreifache 
gliederung  der  sittlichen  werte  anführt:  bonum, 
honestum,  utile,  nach  Cicero  De  off.  II  3  (s.  auch  I  23. 
Cicero  gebraucht  an  dieser  stelle  iustum,  das  rechtschaffene,  statt 
bonum,  iustum  entspricht  dem  yMTÖfjOcoua  der  stoiker,  voll- 
kommene Pflichterfüllung,  vgl.  De  off.  I  3).  darauf  folgt  in  der 
Mor.    phil.    der   satz    —   mit   einiger    ab  weich  ung   von   Cicero   — 

^  die  nobilitas  gehört  ihrem  wesen  nach  zu  den  bona  fortunae, 
und  Thomasin  stellt  sie  auch  zu  den  gütern  'aufserhalb  des  leibes'  (s. 
unten  s.  147).  die  Moralis  phil.  hat  nobilitas,  ehre  und  rahm  der  vorfahren, 
talschlich  unter  die  bona  corporis  gebracht. 


144  EHRISMANN 

was  gut  (bonum)  äst,  das  ist  auch  nützlich  (utile),  was  tugendhaft 
(honestum)  ist,  das  ist  auch  nützh'ch. 

Wichtige  moraUsche  grumlsütze  des  rittertums  finden  sich 
auch  in  dem  Poiicraticus  sive  De  nugis  curialium  et 
vestigiis  philoso'phoru  ni  des  Johannes  Saresberiensis 
(geschrieben  um  11  (Jü),  so  besonders  die  cinteilung  der  weltlichen 
guter,  fast  jeder  strebt  nach  eitler  ehre  (vana  gloria) :  zu  dieser 
gelangen  die  einen  durch  tugend  (oder  durch  ein  scheinbild  der 
tugend),  die  andern  durch  den  vorzug  der  natur,  wider  andere 
durch  den  vorzug  des  glucks,  denn  der  riihm  wird  erlangt  von 
Seiten  der  seele  oder  des  körpers  oder  äufserer  dinge  (ab  animo 
aut  corpore  aut  ab  extrapositis).  es  sind  drei  stufen  der  guter: 
Vorzüge  des  inneren  Verhaltens,  primus  gradus :  auimi  coramendatio 
(animus  =  mnot),  die  daher  kommende  ehre  (laus)  ist  wahr  und 
oft  vollkommen  l^ijar  gaol'  bei  Thomasin,  s.  unten);  secuudus 
gradus:  corporis  valetudo  et  venustas,  dieser  vorzug  (commendatioj 
ist  nur  verisimilis  und  nicht  perfecta;  tertius  gradus:  qui  ex- 
teriorem  continet  laudem,  divitiae,  potentia,  gratia,  das  sind  weder 
wahre  noch  vollkommene  guter,  sie  können  zum  guten  oder  zum 
schlechten  gebraucht  werden  je  nach  der  gesinnung  ihres  besitzers. 
der  vollkommene  ritter^  wird  geschildert  VI  8:  Quis  est  usus 
militiae  ordinatae?  Tueri  ecclesiara,  perfidiam  impugnare,  sacer- 
dotium  venerari,  pauperura  propulsare  injurias,  pacare  provinciam, 
pro  fratribus,  ut  sacramenti  docet  conceptio,  fuudere  sanguinem 
et,  si  opus  est,  animam  ponere  .  .  .  Sed  quo  fine?  An  ut  furori. 
vanitati,  avaritiae  serviant,  an  propriae  voluntati?  Nequaquam. 
sed  ut  faciant  in  eis  Judicium,  in  quo  quisque  non  tarn  suam 
quam  Dei,  angelorum  et  hominum  sequatur  ex  aequitate  et  publica 
utilitate  arbitrium  .  .  .  Xam  et  haec  agentes  milites  snncti  sunt ; 
vgl.  auch  VI  5  honestas  idoneum  militem  reddit.  ferner  Ilonorius 
August.  Spec.  eccl.  Sermo  generalis,  Migne  172,  S65  A.;  Petrus 
Blesensis  epist.  XCIV,  Migne  207,294;  Alanus  de  Insulis  Summa 
de  arte  praedicatoria  cap.  XL,  Migne  210,   185 — 187. 

Die     Moralis     philosophia  -    wurde    um     1170 — 1180    von 

•  Roth  von  Schreckenstciu  Die  ritterwiirde  und  der  ritterstand 
s.  257  —  275;  Petersen  Das  rittertum  in  der  Vorstellung  des  Job.  Kothe, 
QF.  106.  155—164. 

-  auf  dem  boden  der  weltlichen  tugendlehre  ^tehn  auch  die  diei 
hiteinischen  liebesbriefe  der  Tegernseer  hs  .  MFr.  221  —  224.    der  Verfasser 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  14:. 

Werrier  von  Elraendorf,  kaplan  des  propstes  Dietrich  von 
Heiligenstadt  im  Eichsfeld,  ins  deutsche  übertragen  >.  die  wider- 
gabe  ist  nicht  sonderhch  geschickt,  oft  sind  unnötige  Umstellungen 
gemacht,  vieles  ist  ausgelassen,  zwischen  wichtigem  und  unwich- 
tigem ist  nicht  recht  unterschieden,  vor  allem  aber  ist  der  knappe 
und  klare  ton  der  lateinischen  vorläge  nicht  getroffen,  zumal  den 
lateinischen  tugendworten  in  der  Übersetzung  keine  präcis  gefassten 
deutschen  abstracla  entsprechen,  nur  selten  hat  Werner  etwas 
von  dem  Charakter  der  zeit  hinzugetan,  wie  er  etwa  bei  der 
'liberalitas'  die  mildtätigkeit  gegen  die  armen  betont  (V  291 — 439) 
oder  die  kriegslehre  zeitentsprechend  umgestaltet  (V  760  ff ,  vgl. 
Schönbach  s.  65).  ritterliche  und  höfische  anklänge  finden  sich 
bei  ihm  gar  nicht. 

Werner  bescliränkt  die  fünf  quaestioneu  der  Moralis  pliilo- 
sophia  auf  drei  dinge:  Drl  sachin  hören  an  den  rat,  Da  bij 
alle  Uigent  nu  stat  :  Daz  eine  daz  is  ere,  daz  ander  fronte. 
Daz  dritte  ivi  man  do  zu  käme  Daz  man  durch  liehe 
noch  leide  Ere  und  fronte  umnier  nicht  gescheide  83 — 88. 
er  teilt  also  ein  in  1.  ere,  honestum,  2.  fronte,  utile,  3.  daz 
man  ere  und  fronte  nicht  gescheide.  d.  i.  de  pugna  utilitatis  et 
honestaiis-. 

Die  teiltugenden,  abarten,  des  honestum  in  der  Moralis  philo- 
sophia  waren  aber  ebenfalls,  allerdings  y\e\  später  als  die  vier 
cardinaltugenden,  schon  in  die  kirchliche  morallehre  aufgenommen 
und  in  geistlichem  sinne  ausgelegt  worden,  zum  teil  trafen  sie 
mit  bibUschen  reihen  zusammen,  mit  den  sieben  gaben  und  elf 
fruchten  des  heiligen  geistes,  mit  den  sieben  seligpreisungen.  in 
der    tugendtafel    des   Honorius   Augustodunensis    zb.    (Migne   172, 

beruft  sich  auf  die  secularium  doctorum  uon  improbanda  doctrina  •222,  2!l. 
es  handelt  sich  dabei  um  die  regeln  der  hncescheit :  iura  curialitaiis 
und  um  die  ere,  das  honestum :  fons  et  origo  totius  honestatis 
223,  1  f,  fructus  honoris  et  honestatis  224,  30.  dagegen  ist  der  Inhalt 
des  buches  De  Amore  vom  caplan  Andreas  sehr  verschieden  von  der 
Moralis  philosophia. 

1  ed.  Hoffmann  v.  F.  Zs.  4,  2S4  — 317  ;  zu  der  quelle  Werners  und 
der  art  der  Übersetzung  s.  Schönbach  Zs.  34,  55 — 75. 

-  dieses  klare  system  wurde  natürlich  später  nicht  mehr  begriffen: 
Johannes  Rothe  macht  daraus  die  drei  dinge  hoöisch,  nutse  unde  [jud 
oder  nuts,  togunt,  ere  2557-  25C4,  vgl.  Wilmanns  LebeD  Walthers  v.  d. 
Vogelweide    b  470,  2  aufl.  von  Michels  s;.  4f)4. 


146  EHR18MANN 

187 — 190)   sind   die   meisten   einzelteile   des    honestum   enthalten, 
auch  in  Bamberger  Glaube  und  Beichte,  MSD  '.)  1 ,  210  ff. 

THOMASIN  VON  ZIRCLAERE. 

Die  tugendlehre  *  hat  unter  den  mhd,  autoren  am  ein- 
gehendsten Thomasin  von  Zirclaere  entwickelt,  im  5  buch 
seines  Wälschen  Gastes  will  er  zeigen,  wir  die  tiajcnda  vüetjtmt. 
(hiz,  daz  man  ze  himel  komen  sol  5700.  er  spricht  hier  von 
dem  guten  und  von  dem  übel,  das  übel,  das  aus  dem  teufel 
und  den  Untugenden  besteht  (V  5727  —  5742),  wird  nicht  weiter 
berücksichtigt,  da  die  höfische  ethik  es  nur  mit  dem  honestum 
und  utile  zu  tun  hat.  es  handelt  sich  also  um  die  dreiheit: 
1.  ober.stcz  yuot,  daz  ist  nnfifr  herre  got  5709  —  57  18;  2.  daz 
ander  heizet  guot  gar  (oder  gar  guot,  vgl.  5721.  47.  88.  93. 
96.   98),  daz  sint  die  ingende   5719  —  5726^.     gar  guot.  völlig 

'  zu  Thüiuasinti  sittlichen  anschauungen  vgl.  bes.  Schönbach  Die  an- 
fange des  deutschen  minnesanges  s.  35 — 49;  Laura  Torretta  'Wälscher 
Gast'  di  Toinmasino  di  Cerclaria  e  la  poesia  didattica  del  secolo  XIIJ, 
Studi  medievali,  diretti  da  FNovati  e  RRenier  I  24 — 76;  Friedrich  Ranke 
Sprache  und  stil  im  Wälschen  Gast  des  Tb.  v.  C,  Palaestra  LXVIII  134 
—170;  s.  auch  Zs.  49,  406  f  u.  Zs.  f.  d.  Phil.  45,  314  f.  die  Moralis 
philosophia  (Schönbach  s.  40  ff)  hat  Thoniasin  wol  im  einzelnen  benutzt 
und  äufsert  vielfach  ähnliche  gedanken,  aber  ethische  grundanschauungen 
wie  das  oberste  gut,  die  s^tcete  als  allein  bestimmende  tugend,  die  mäze 
als  jiiEaörrjg  finden  sich  in  der  Mor.  phil.  nicht,  und  umgekehrt  hat 
Thomasin  nicht  das  dort  herschende  ciceronianische  honestum. 

"  Die  tugendeu  sind  stufen  einer  treppe,  stiege,  die  zum  obersten 
gut  führen  5781 — ^5846.  das  bild  von  der  stiege  oder  leiter  ist  Boethius 
De  consoJatione  I  1  entnommen :  die  philosphia  trägt  ein  gewand,  das  sie 
selbst  aus  fäden  gewoben  und  in  das  sie  eine  treppe  eingewirkt  hat. 
diese  scala  geht  von  unten  nach  oben  zwischen  den  buchstaben  /7  und  €) 
d.  i.  TiQÜ^ig  und  ^swQia,  sie  eriiebt  sich  also  von  dem  praktischen  leben 
zum  theoretischen  (s.  oben  s.  138).  von  den  tugendeu  ist  hierbei  Boethius 
nicht  die  rede,  aber  im  provenzal.  Boecis  (10  jh.)  sind  die  stufen  der 
sieben  tugendeu  sieben  lästern  (darunter  vier  hauptsünden)  entgegengesetzt, 
die  scala  führt  vom  irdischen  leben  zu  dem  rechten  glauben.  Otfrid  hat 
b.  IV  cap.  29  im  anschluss  an  eine  kurze  notiz  bei  Beda  und  Alcuin  zu 
Joh.  19,  24  (Erdmanns  ausgäbe  in  den  anmerk.  zum  text  und  in  den  er- 
läuterungen  s.  457  f)  eine  ebenfalls  aus  der  stelle  des  Boethius  stammende, 
aber  rein  christliche  allegorie:  Karitas  ist  die  verfertigerin  des  gewandes, 
nicht  die  treppe  wird  mystice  gedeutet,  sondern  die  fäden:  diese  sind  die 
gläubigen    in   guter    und  standhafter  gesinnung,    die  in  einniut  vereinigten 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  147 

gut,  ist  das  xazögO^coucc  der  Stoiker  (s.  oben  s.  1 13),  perfectiim 
officiam  rectam  (De  off.  13).  zu  yar  gaot  steht  im  gegensatz 
;'..  übel  unde  gnot,  das  was  sowol  schaden  als  nützen  kann, 
je  nachdem  es  der  mensch  gebraucht  5743 — 5780.  das  oberste 
sittHche  gut  also  ist^Gott^.  das  zweite  gut  sind  dieJugenden. 
und  zwar  sind  es  religiöse  tugenden ,  die  alttestaraentlichen 
Personen  beigelegt  werden  (s.  dazu  die  anmerkung  Rückerts 
s.  56Sf)i:  Abraham  kam  zum  obersten  gut  bezw.  zum  liimmel 
durch  gehorsam,  Moses  durch  demut,  Job  durch  geduld,  Finees, 
weil  ihm  die  Verletzung  von  Gottes  gebot  leid  war,  Isaac 
durch  keuschheit,  Jakob  durch  einfalt,  Enoch  durch  reinheit, 
Joseph,  da  er  böses  mit  gutem  vergalt  (6041 — 0095).  es  ist 
wol  zu  merken,  dass  es  christüche  tugenden  sind,  die  zu  Gott 
führen,  forderungen  mönchischer  demut  und  enthaltsamkeit,  nicht 
die  ciceronianischen  tugenden  der  Moralis  philosophia.  das  dritte, 
übel  unde  guot  5743 — 5780,  sind  die  sechs  dinge  adel,  inaht, 
gelust,  name.  rlchinom,  herfchaÜ  (sie  sind  auch  schon  vorher  be- 
sprochen,  2677 — 4144)  und  zwar  1.  rlchtuom  (gnot)  2677 — 
3066;  2.  herschaft  3067—3284;  3.  mäht  3285—3516;  A.  name 
3522—3854;  5.  adel  3855—3926;  6.  gelnat  3927—41-14.  es 
sind  also  sechs  glücksgüter.  sie  werden  später  9731  —  9750 
durch  zufügung  der  körperlichen  guter  zu  zehn  dingen  erweitert, 
wobei  jedoch  die  einteilung  etwas  geändert  ist:  es  sind  a)  fünf 
dinge  im  leib:  sterke,  snelle,  gelust,  schcene,  behendekeit;  b)  fünf 
dinge  aufserhalb  des  leibes :  adel,  mäht,  rlchtuom,  name, 
herschaft. 

zlieder  der  kirche,  iu  liebe  verbunden  im  glauben  an  Christus  lebend, 
mit  freude;  das  gewand  (tunicka  14  f)  ist  die  kirche  (über  die  allegorie 
des  gewandes  vgl.  Marie  Gothein  Der  gottheit  lebendiges  kleid,  Archiv  f. 
religioDSwiss.  9,  337—364;  vgl.  auch  Eoethe  Eeinmar  vZweter  s.  218).  an 
dieser  allegorie  vom  gewande  der  philosophie  kann  man  die  entwickelung 
des  ritterlichen  tugendsystems  verfolgen  :  Boecis  wendet  die  antike  auf- 
lassung  des  Boethius  ins  christliche,  indem  er  die  laster  und  tugenden 
einfügt,  Otfrid  hat  dann  auch  noch  an  stelle  der  heidnischen  Philosophia 
die  christliche  Charitas  gesetzt,  wird  nun  die  geistliche  Charitas  in  die 
höfische  Minne,  amor,  übertragen,  dann  ist  die  bedeutung  der  niiune  als 
Schöpferin  der  tugenden  erreicht,  vgl.  dazu  Wechssler  Das  kulturproblem 
des  minnesangs  I,  bes.  cap.  XI  ff;  die  tugenden  als  gegenmittel  gegen 
uster  hat  ähnlich  wie  Boecis  N'Ät  de  Mons,  Wechssler  s.  344. 
»  vgl.   die  Geistlichen   ratschlage,  MSD.  nr  i.x.xxv. 


148  EHRISMANN 

Die  ethisclie  grundfrag-e  in  Thomasins  Sittenlehre  ist  die 
nach  dem  wahren  wert  des  iebens.  die  antwort  ist:  die  glück- 
seligkeit  besteht  im  besitz  des  höchsten  gutes  und  nicht  in  dem 
der  irdischen  glücksgüter.  diesen  teil  seines  lehrbuches  schöpft  er 
unmittelbar  aus  des  Boethius  buch  De  consolatione  j)hilosophiae. 
in  diesem  Zusammenhang  handelt  es  sich  also  um  das  höchste  gut 
und  um  die  weltlichen  guter,  um  das  summum  bonum  und  das 
utile,  die  Uufserlichen  und  körperlichen  Vorzüge  sind  nahezu  die 
gleichen  wie  bei  Boethius  b.  III  (divitiae,  honores,  potentia,  gloria. 
voluptas,  robur,  niagaitudo,  pulchritudo,  velocitas,  salubritas  III,  2), 
der  sich  seinerseits  an  Ciceros  püichtenlehre  anlehnt,  nun  aber  hat 
Thomasin  statt  der  zwei  gebiete  des  Boethius  —  höchstes  gut  und 
irdische  glücksgüter  —  den  üblichen  dreiteiligen  plan,  indem  er 
das  gar  giiot,  die  tugenden,  einfügt,  diese  würden  dem  hone- 
stura  Ciceros  entsprechen  ,  aber  er  hat  eben  nicht  die  ciceroniani- 
schen  vier  grundtugenden  des  honestum  mit  ihren  abarten  auf- 
genommen, sondern  eine  anzahl  geistlicher  tugenden.  diese  aber 
spielen  bei  ihm  sonst  gar  keine  rolle  in  seiner  lehre,  vielmehr  ist 
sein  ganzes  sittengebäude  gegründet  auf  die  sta'. t e ,  das  ist  in 
hölierem  sinn  die  göttliche  weltordnung  (vgl.  17S9 — 2679,  bes- 
2147—2422.  2603 ff.  43 17 ff)  und  auf  die  befolgung  der  gott- 
gesetzten Ordnung  (4323)  durch  die  menschen,  somit  ist  die  .?<«:!  fe  == 
stcBte  an  guoten  dingen,  aller  guote  ervollunge,  die  eifüllung  alles 
guten;  mit  ihr  vollbringt  man  die  tugenden  (4333 — 4347).  sie  ist 
die  grundlage  der  tugenden.  das  entgegengesetzte  laster  ist  die 
unsioite,  aus  der  alle  uusittlichkeit  entspringt  (1837  ff),  un- 
stKTe'vcü  engeren  sinn  ist  =  inconstantia,  Unbeständigkeit,  wandel-"^ 
barkeit  (ebenfalls  1837  ff),  im  gegensatz  hierzu  ist  sta'te  dann  =; 
\  constantia,  unveränderlichkeit,  beharrlichkeit,  festigkeit.  der  stoßte 
j  gesellt  Thomasin  als  Schwester  die  mäze^  bei  (in  diesem  falle  aber 
^besteht  ein  Widerspruch  zum  vorigen,  die  statte  mit  der  mäze 
sind  kinder  einer  fügend  12340,  während  vorher  doch  die  stmte 
die  grundlage  der  tugenden  ist),  deren  gegenteil  die  unmäze  ist, 
aus  der  die  sieben  hauptsünden  hervorgehn  (9S95ff).  Die  mäze 
ist  die  aristotelische  fxsoörrjc,   medietas,    medioeritas,    die  richtige 


'  vgl.  Wilh.  Hermanns  Über  den  begriff  der  uiäfsigung  in  der 
patristisch-scholast.  etbik  von  Clemens  vAlexandrien  bis  Albertus  Magnus, 
Bonner  diss.  1913. 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  ]4<j 

mitte  zwischen  zwei  extremen  (dia  rehte  mäz  diu  hat  ir  zu  en- 
zwischeM  lützel  umle  vil  9937  f).  diese  mitte  ist  immer  eine  tilgend, 
die  extreme  sind  zwei  Untugenden  (zwischen  zwein  Untugenden  ist 
ein  tngent  zaller  fr/s^  9993f),  und  bei  dieser  gelegenheit  werden 
dann  neben  den  Untugenden  auch  einige  tugenden  berührt:  diu- 
muot  9997,  einvatt  10021,  reht  10043,  dultekeit  10057.  die 
mäze  gibt  aber  auch  ere  und  guot  9947,  man  mühte  mit  der 
mäze  lere  die  untugent  ze  tugent  bringen  9986  f  (vgl.  temperantia 
in  der  Moralis  philos.  Migne  171,  1034,  temp.  est  dominium  ratio- 
nis  in  libidinera  usw.),  insofern  ist  also  die  mäze  überhaupt  be- 
wirkerin  der  tugend  und  wiederum  dasselbe  wie  die  st(fte.  nach 
der  stcete  und  mäze  betrachtet  Thomasin  noch  das  reht  als 
bruder  der  beiden  12341  und  die  milte  als  des  rehtes  kint 
13580  (sie  gehört  unter  die  tugenden  der  justitia,  s.  oben 
s.  142   die  raoral.  phil.). 

Thomasins  ethik  ist  also  nicht  einheitlich,  denn  er  nimmt  seine 
tugenden  aus  verschiedenen  quellen:  zwischen  das  höchste  gut 
und  die  irdischen  guter  bei  Boethius  schiebt  er  die  christlichen 
Patriarchentugenden  ein,  und  doch  ist  anderseits  die  sta'.te,  die 
aus  dem  stoicismus,  aus  Horaz,  Seneca,  Boethius  stammt,  die  grund- 
lage  des  tugendsystems,  während  die  ihr  beigegebene  mäze  des 
Aristoteles  tugendprincip  ist;  das  honest  um  Ciceros  mit  den  vier 
kardinaltugenden  fehlt  ganz. 

Stcete  und  mäze  sind  grundwerte  der  stoiker  und  des  Ari- 
stoteles, reht  und  milte  sind  pflichten  des  adels  und  der  herren. 
die  morallehre  Thomasins  besteht  aus  antiken  principien,  die  in 
christliche  Weltanschauung  übertragen  und  den  anforderungen  seiner 
zeit  und  seines  Standes  angepasst  sind,  pliilosophia  moralis  und 
theologia  sind  also  hier  verschmolzen,  es  ist  eine  aristokratisclie 
lebensbetrachtung,  aber  nicht  in  ausgesprochen  ritterlicher  und  über- 
haupt nicht  in  höfischer  auffassung.  von  dieser  weicht  sie  be- 
sonders ab  in  der  geringeren  einschätzung  der  minne  und  in 
völliger  Verurteilung  des  ruhmes.  der  rulim  (name,  namehnft  siu. 
ruom)  gehört  zum  übel  unde  guot  5746  und  ist  lediglich  irdi- 
sches, also  nichtiges  gut,  vgl.  bes.  3520—3854,  u.  a.:  ich  u-it 
sagen  .  .  .  von  dem  manne,  der  namehaft  gerne  ivcere.  daz  ist 
war,  der  dunket  mich  ein  töre  gar,  beispiel:  Artus  3520ff,  ol> 
ein  herre  reht  tnon  wil  und  ist  an  tugent  rolkomen  gar,  er  sul 
niht   ahten  umh  ein  här  daz  man  von  im  sage  vil,   wan  ein  In- 


150  EHRISMANN 

derbe  herre  ivil  f/rrner  durch  got  ivesen  yuol  dnv  durch  ruom 
3662—3668. 

Für  Thomasin  liegt  das  ideal  im  christlicheu  ritter,  der  frei 
ist  von  irdischer  ruhmsucht,  dessen  aufgäbe  es  ist,  für  Christus 
zu  streiten  und  für  Christi  ehre  gegen  die  die  sie  erniedrigt  haben, 
da  sie  sein  land  genommen,  es  ist  der  kreuzzugsritter,  den  er  in 
seiner  kreuzpredigt  (11384 — 11848)  an  seine  ptlichten  und  an 
seine  belohnung  mahnt,  der  ewige  rühm,  der  über  den  tag  des 
gerichts  hinaus  besteht,  daz  ist  tugent  und  vre  11394—11400. 
die  er 6',  die  zu  Gott  führt,  ist  also  der  dienst  im  kämpfe  für 
Christus,  oder  auch:  es  sind  die  christlichen  lügenden  (s.  oben 
s.  140),  nicht  die  lügenden  der  Moralis  philosophia.  das  utile 
aber,  das  irdische  gut,  gehört  überhaupt  nur  in  die  weltliche 
raorallehre,  in  die  philosophia  moralis,  nicht  in  die  christliche, 
in  die  theologia.  die  irdischen  guter  sind  eitel  und  vergänglich 
und  führen  nicht  zur  wahren  glückseligkeit:  das  ist  die  lehre 
der  kirche. 

Die  tugendlehre  Thomasins  urafasst  das  ganze  werk  mit  aus- 
nähme des  ersten  buches,  für  das  er  ein  früheres  ebenfalls  von 
ihm,  aber  in  italienischer  spräche  verfasstes  buocli  von  der  hüf- 
scheit  benutzt  hat  1173 — 1178  (Schönbach  Anfänge  d.  minne- 
sanges  s.  76).  in  einigen  puncten  schliefst  er  sich  hier  besonders 
an  das  capitel  über  die  modestia  in  der  Mor.  phil.  an  (sp.  1033 — 39). 
dieses  I.  buch  enthält  eine  höfische  anstandslehre  für  adliche  kinder 
{diu  edeln  kint  344.  528.  601,  ähnlich  363  f),  für  Jünglinge  und 
Jungfrauen,  adliche  herren  und  damen,  eine  lehre  der  zuht  (zühte 
lere  30,  waz  zuht  si  25).  zuht  ist  einmal  das  erzogenwerden, 
die  lehre  der  wolgezogonheit,  und  dann  das  erzogensein ,  das  er- 
gebnis  des  erziehens,  die  wolgezogenlieit  selbst,  bildung,  feine  sitte. 
sittsarakeit,  liebenswürdigkeit,  die  summe  der  eigenschaften  einer 
höfisch  gebildeten  persönlichkeit,  höfescheit,  cuoyc  (schmn'm  hove- 
zuht  302,  swer  hilf  seh  wil  sin  unde  (jevuoc  153),  prov.  cortezia, 
afrz.  courtoisie.  die  zulit  fällt  nach  den  ritterlichen  begriffen  in 
das  gebiet  der  ttujent,  denn  tuyent  bedeutet  vortreffliches  jeder 
art  (Benecke  Wb.  zum  Iwein),  aber  beim  ethischen  System  ist 
streng  zu  scheiden  zwischen  den  zwei  gebieten  der  tilgen t  nach 
mhd.  Sprachgebrauch,  da  diese  einmal  nur  die  äufserliche  feine 
höfische  sitte  {tugent  in  gesellschaftlichem  sinn,  =  .2«/« /j  bedeutet, 
dann  aber  die  höheren  werte,  die  im  honestum  zusaniraengefasst 


RITTERLICHES  TüGENDSYSTEM  151 

sLod.  die  lügenden,  oder  tugend,  virtus,  im  normalen  ethischen 
sinn, ' 

Zuht,  wolerzogenheit  also,  ist  schon  tugcul  im  höfisch  ge- 
sellschaftlichen sinn,  sie  kann  auch  zur  tugent  in  eigentlich  mora- 
lischem sinn,  virtus,  führen  21—32.  wie  ztiJit  und  tugent  so  sind 
auch  zuhl  und  rrr  unzertrennlich:  zuht  erzieht  zur  ere,  und 
zuht  =  iQmQ  bildung  ist  ere,  vgl.  163 f.  5G9  — 1172.  diese  hö- 
fische Sittenlehre  des  I  buches,  wo  tugent  =  zuht  ist,  entspringt 
mittelalterlichen  gesellschaftsverhältnissen ,  dagegen  der  hauptteil. 
wo  die  tugent  als  virtus  (hone s tum)  gelehrt  wird,  gründet 
sich,  wie  oben  verfolgt  wurde,  auf  die  antike. 

Das  beseelende  dement  im  höfischen  leben  ist  die  nilnne, 
in  weiterem  sinne  der  gesellschaftliche  verkehr  zwischen  den  höfi- 
schen herren  und  damen;  davon  spricht  Thomasin  in  den  letzten 
abschnitten  des  I  buches,  v.  11G3 — 1676.  die  grundlage  aller  höfi- 
schen zulit  ist  die  mäze,  die  selbstbeherschung  {OLorfgoovvr^, 
temperantia),  die  macht  über  das  temperament,  das  zurücktreten- 
lassen des  ichs,  das  raafsvolle  auftreten,  auch  in  der  körperlichen 
lialtung,  das  rücksichtsvolle  benehmen  im  verkehr  mit  andern,  das 
schöne  ebenmafs  (Wechssler  Kulturproblem  s.  44ffj. 

Jfäze  ist  die  acht  höfische  tugend.  der  prüf  stein  der  aristo- 
kratischen bildung.  eine  gesellschaft  die  ihre  lebensweise  auf  die 
rücksicht  gegen  die  nebenmenschen  gründete,  muss  ein  hohes  mafs 
inneren  tactes  besessen  haben,  und  es  erregt  unsere  bewunderung, 
wie  das  rittertum  in  seiner  blütezeit  an  der  Vervollkommnung 
seiner  sitten  (zuht)  und  seiner  Sittlichkeit  (tugent  in  moralischem 

'  Zuht  ist  das  was  Cicero  'deconim'  iienut  (De  oificiis  1  27  ff  uiul 
bes.  35  ff),  das  anständige,  ein  wesentlicher  teil  der  temperantia,  ausführ- 
lich behandelt  als  'modestia'  in  der  Moralis  philosopliia  (sp.  lOjJJ— lüaO), 
die  äufsere  haltung,  das  benehmen,  überhaupt  die  anstandspflichten,  die 
darauf  beruhen,  dass  die  Vernunft  die  triebe  im  zügel  liält,  das  ergebnis 
der  erziehung  und  Selbstzucht,  worin  zugleich  die  bemühung  ligt,  den  bei- 
füU  derer  zu  gewinnen  unter  denen  wir  leben,  als  vernunftgeniäfse,  ver- 
ständige äufsere  und  innere  lebensführung  ist  modestia  =  mhd.  öe- 
ircheidenheä,  wonach  Freidanks  Spruchsammlung  den  namen  trägt,  in- 
sofern sich  die  modestia  im  besonderen  sinne  auf  das  äufsere  sichtragen 
und  benehmen  im  verkehr  mit  der  Umgebung  bezieht  (so  in  der  moral- 
theologie  des  Thomas,  vgl.  LSchütz  Thomas-lexikou  s.  4S9),  nimmt  (his 
wort  bescheidenheit  die  einges.-hriiuktere  bedoutuug  des  uhd.  bescheideii- 
^eius  au. 


1.-S2  EHRISMANN 

sinn)  gearbeitet  hat.  — Tliomasin  selbst  hat  in  seiner  liofzucht  die 
tuäze  nicht  als  sittigende  norm  aufgestellt,  erwähnt  sie  vielmehr 
hier  nur  gelegentlich  (du  itiäzc  ist  niht  icol  behnot  722  —  724). 

WAL'i'HER  VON  DER  VOüELWElDE. 

Ein  bestimmtes  tugendsystem  wie  Thomasin  hat  Walthei- 
von  der  Voge  1  weide  ^  nicht  befolgt,  er  steht  nicht  unter  der 
unmittelbaren  einwirkung  der  antiken  ethik;  auch  nicht  der 
mittelalterlichen  moralis  philosophia,  aufser  dass  er  die  grund- 
'Vmteihmg  gotes  Inil de.  ere,  5r?/o^  aufstellt,  8,  4.  2n,  1(1.  22.  18. 
22,33.  83,27,  vgl.  auch  20,  27f.  37,  21)f,  die  dem  snmmum 
bonum,  honestum,  utile  entspricht. 

J.  (1  (lies  hulde  ist  so  viel  wie  huldcrweisung,  gnade,  gratia, 
eine  göttliche,  ohne  alles  menschliche  zutun  würkende  kraft,  von  der 
alles  gute  kommt,  also  auch  frc  und  gnot.  hu  Ide  ist  --  genaue,  es 
ligt  aber  in  hulde  das  tiefe  ethische  gefiihl  des  treuverhältnisses 
zwischen  (lern  lierrn  und  dem  gefolgsmann,  jenes  innigen  baudes, 
das  die  grundlage  der  Sittlichkeit  ist,  der  iriuice.  die  gnade 
ist  eine  eigenschaft  Gottes  und  eine  handlungsweise  Gottes  gegen 
den  menschen  und  gehört  allein  in  das  gebiet  der  theologia. 

Davon  zu  unterscheiden  ist  die  gottes Verehrung,  religio, 
cultus  Dei.  die  Verehrung  Gottes  besteht  in  Gott  erkennen,  ihn 
lieben,  ihm  dienen,  gotcs  miime,  gotes  gebot  tielinlte)!,  gotr  top  und 
<re  fragen,  die  gottesverehrung  ist  eine  eigenschaft  und  eine 
handlungsweise  des  menschen  gegen  Gott  und  gehört  sowol  in 
die  theologia  als  in  die  philosophia  moralis.  in  dieser  steht  sie 
unter  der  jnstitia  und  ist  ein  teil  der  benignitas,  Moral,  phil. 
sp.  1021,  Werner  vElmendorf  r)57 — ()2()-.  In  der  christlichen 
Sittenlehre  fällt  sie  demgemäfs  unter  die  moralischen  tugenden, 
die  cardinaltugenden,  und  ist  die  vorzüglichste  von  ihnen  allen, 
vgl.  Thomas  v.  Aquino  Summa  theol.  II,  2,  qu.  Sl  art.  6: 
religio  praeferenda  aliis  virtutibus  moralibus.    die  religio  ordnet 

*  über  Walthers  sittliche  lebcnsaiischuuuiij;  s.  Wiliiiaims  Lebeji 
abschn.  III  156—252,  2  auÜ.  abschu.  IV  234— 2«>9;  Burdach  Walther  vdV. 
I  89 — 101;  Roethe  Reinmar  vZweter  s.   176—257. 

-  redeliche  561  ist  abstractes  fem.  zu  redeluh,  belegt  in  Jludolfa 
vEms  Weltchroiük  v.  15  283  var.  (vgl.  auch  Schönbaeh  Zs.  34,  62). 
<lie  eigentliche  bedeutiing  ist  ratio,  vtriiunft,  vernunftgeinäfses,  ordnungs- 
gemäfses  verhalten  :  r-edel'i<-h,  rcdehaft  =  rationalis. 


UITTERLICHES  TÜGEXDSYSTEM  153 

den    menschen    in    seinem    Verhältnis    zn    Gott:     reli^i,.    ordinal 
hominera    ad   Deum.    ebda    art.  1.    andacht   nnd   gebet    sind    die 
Innern,    die    wesentlichen   acte   der  gottesverehrunj^,    die   änfsern 
sind  opfer,  -elübde  u.  a.  '     religiös!  können  gemeinhin  alle  sein 
die  Gott    verehren,   aber  speciell   werden  diejenigen   so   genannt, 
welche  ihr  ganzes  leben  dem  gottesdienst  widmen,  indem  sie  sich 
von  den  geschäften  der  weit  abziehen:  qj^mvis  religiosi  dici  pos- 
sint  communiter  onines  (|ij^i  Deum  colun\,specialiter  (anto- 
nomastice,    quaest.  ISü    art.'l)    tamen   religiosi  dicuntur,    qui 
totam  vilam  suam  divino  cultui  dedicant,   a  raundanis  negotiis  se 
abstrahentes ;    darüber   handelt   ferner    qnaest.  ISG,  1:    Deo  tota- 
litär   adhaerere    (Augustinus),    mit    dem    citat   aus   Gregor    super 
Ezech.  hom.  XX:    sunt   quidam,    qui   nihil    sibimetipsis   reservant. 
sed  sensum,  linguani,  vitani  atque  substantiam,  quam  perceperunt, 
omnipotent!   Deo   immolant.      Honorius   Augustodunensis   Elucida- 
rium  1112    (Migne   172,   1157)    hat   die   gleiche    Zweiteilung,      es 
sind  hier  die  'perfecti  quibus  praecepta  non  sufficiunt.  sed  plus 
quam  praeceptum  est  faciunt,  ut  raartyres,  monachi,  virgines".  und 
die  'justi,  qui  praecepta  Domini  implent  sine  querela.    unter  ihnen 
gibt  es  also  zwei  stufen  der  gereclitigkeit,  die  perfecti,  sie  haben 
das  himmelreich  als  erbe  und  werden  nach  dem  tode  rasch  dahin 
geführt,  und  die  justi,  die  zunächst  an  Übergangsstationen  kommen, 
den   gerechten    dient    ihr   lebenswandel   zur  ehre    (ad  honorem), 
den  vollkommenen  zum  heil  (ad  salutemj.     religio  in  diesem 
engern    sinne   ist   das   klösterliche   leben,   der   ordo   religiosus, 
dessen  mitglieder  die  religiösen,  mönche  und  nonnen,  sind,  die  die 
drei   weltentsagenden   gelübde   der  armut,   der  keuschheit,  des  ge- 
horsams  abgelegt  haben,    der  ordo  religiosus,  das  klosterleben, 
ist   der   status   perfectionis  acquirendae,    der  stand  der  die 
Vollkommenheit  erstrebt  (JBSägmüller  Lehrbuch  d.  kathol.  kirchen- 
rechts,  2.  aufl.  s.  822 f"-)   und   somit  der  stand  der  höchsten  Voll- 
kommenheit in  diesem  leben;  denn  die  perfectio  kann  hienieden 

'  vgl.  Carl  Werner  Der  heil.  Thomas  vonAquino  II  öW^  ff. 
'■'  der  stand  der  'vollkomuienheit'  bestellt  im  einhalten  der  'evange- 
lischen rate',  d.  i.  armut.  keuschheit,  gehorsam,  die  zwei  stünde  der 
perfecti  und  justi  entsprechen  Ciceros  vollkommener  und  mittlerer  ptiieht, 
dem  griechischen  ftazÖQ&ojfia  und  xadfjy.ov,  welche  Unterscheidung  auf 
Aristoteles  zurückgeht  (s.  oben  s.  13S).  der  niönch  ist  der  mittelalterliche 
uachfolger  des  griechischen  weisen,  des  cpiX6ao(fo:.  der  das  leben  im 
/.  F.  ü.  A.  LVI.     X.  F.  XLTV  U 


154  EHRISMANN 

nicht  erlangt,  sondern  nur  erstrebt  werden,  die  perfectio  vitac 
cliristianae  besteht  in  der  Caritas  (Thomas  vAquino  II  2. 
qu.  184  art.  2).  die  menschlich  mögliche  stufe  der  vollkommen 
heit  ist  erreicht,  wenn  alles  ausgeschlossen  ist  was  der  Caritas 
widerstrebt,  also  die  hauptsünden,  und  alles  was  den  geist  hindert 
sich  gänzlich  auf  Gott  zu  richten.|  das  letztere  ist  aber  im  welt- 
leben äufserst  schwer  zu  verwürklichen,  während  der  mönchstand 
auf  jenes  ziel  hin  eingerichtet  ist:  Religionis  Status  principaliter 
est  institutus  ad  perfectionem  adipiscendam  per  quaedam  exercitia, 
quibus  tolluntur  impedimenta  perfectae  caritatis.  sublatis  autem 
impedimentis  perfectae  caritatis  multo  magis  exciduntur  occasiones 
peccati,  per  quot  totaliter  tollitur  Caritas,  Thoraas  qu.  186 
art.  l.  damit  ist  ein  unterschied  gemacht  zwischen  der  frömmig- 
keit  der  mönche  und  der  laien,  des  klosterlebens  und  des  weit- 
lebeus,  und  es  ist  für  das  erstere  die  höhere  Vollkommenheit  be- 
ansprucht, '■^die  specialiter  religiosi  sind  die  welche  durch 
den  ordo  religionis  die  perfectio  in  diesem  leben  erstreben, 
deren  lebeusarbeit  ganz  auf  das  erringen  der  (jofe.s  Im  [de,  des 
hinimelreichs,  gerichtet  ist;  die  co  mm  uniter  religiosi  sind  die- 
jenigen welche  die  religio  der  philosophia  moralis  besitzen,  die 
zum  honestum  (cre)  gehört.!  das  ist  die  mönchische,  asketische 
regelung  des  Verhältnisses  vom  menschen  zu  Gott,  die  gnade, 
gotes  hulde,  kann  aber  auch  laien,  saecularibus,  zuteil  werden, 
wenn  sie  im  weltleben  die  Vollkommenheit  erstreben  (zb.  durch 
bufsei. 

Die  gendde  =  goles  liulde  ist  also  einmal  die  von  Gott  aus- 
gehende bewegende  Ursache  des  willens  zum  guten  in  dem  be- 
treffenden menschen,  und  dann  der  zustand  der  perfectio  des  be- 
treffenden, oder  wenn  man  hulde  in  national-germanisciiem  sinne 
auffasst:  das  innige  treuverhältnis  des  dieners  zum  herrn,  was  dann 
in  christlichem  sinne  wider  der  innigen  Vereinigung  mit  Gott  ent- 
spricht, man  könnte  die  erste  bestiramung,  die  bewegende  kraft, 
speciell  mit  dem  wort  gendde,  die  zweite  bestimmung,  den 
zustand  des  treu  Verhältnisses,  speciell  mit  gotes  hulde  be- 
zeichnen. 


gieiste,  nach  der  Vernunft,  führt,  der  'theoretische'  tätigkeit  ausübt,  gegen- 
über dem  laien,  dem  manne  der  praktischen  tätigkeit,  der  nach  den 
fuKCuden  lebt. 


RITTERLICHES  TÜGENDSYSTEM  155 

II.  Erc  entspricht  dem  hon  es  tum  der  Moralisphilosophia.  in 
dem  begriff  ehre  sind  zwei  verschiedene  bestimmung-en  zu  unter- 
scheiden ^ : 

A.  der  subjective  (innere)  gesiehtspunct,  d.  i.  die  ehre  in  der 
eigenen  Vorstellung,  wobei  wider  die  ehre  lediglich  subjectiv  als 
Charaktereigenschaft  (ehrgefühl,  ehrenhafter  charakter,  ehrenhafte 
gesinnung)  aufgefasst  werden  kann,  oder  mit  objectiver  richtung 
als  Willensrichtung  und  verhaltungsweise,  welche  die  anerkennung 
der  tüchtigen  und  guten  durch  ehrliche  und  tüchtige  leistung  zu 
erringen  strebt  (ehrliebe),  wobei  sich  also  die  ehre  beide  raale 
in  ehrenhaftem  handeln  äufsert. 

B.  der  objective  (äufsere)  gesiehtspunct,  dh.  die  ehre  in  der 
fremden  Vorstellung,  'das  mals  von  wert  oder  die  geltung,  die 
jemand  in  den  äugen  seiner  Umgebung  hat',  die  ihm  also  von  soiten 
anderer  zuteil  wird:  das  geehrtwerden,  ehrung,  anerkennung,  achtung, 
ansehen ,  Wertschätzung,  Verehrung,  geehrt  werden  kann  aber  je- 
mand auch  durch  äußere  zeichen  der  ehre,  dann  ist  ehre  =  ehren- 
stellung,  hohe  Stellung,  Standes-  oder  berufswürde,  auszeichnung; 
diese  hat  nur  insofern  ethischen  wert,  ale  sie  durch  'ehrliche  und 
tüchtige  leistung'  erworben  ist,  denn  an  sieh  betrifft  die  ehren- 
stellung  den  stand  des  menschen,  nicht  eine  eigenschaft. 

A.  Ehre  in  subjectivem  sinn  als  ehrenhafter  charakter  und 
als  ehrenhafte  leistung  ist  mhd.  der  Inbegriff  aller  inneren  Vor- 
züge, das  ciceronianische  honestum,  honestas  in  wörtlicher 
Übersetzung,  also  gleichbedeutend  mit  tiiyent,  innerer  Vollkommen- 
heit, bona  animi  {die  inre  tugent  üz  keren  Sl,  4,  vgl.  35.  33. 
103,  6). 

B.  Ehre  in  objectivem  sinn  als  geehrtwerden,  mhd.  ere  = 
iL-irde,  werdekeif,  loh,  prts,  ruom,  name,  adj.  ivert,  tiure,  gloria; 
und  als  ehrenstelluug  (hoher  stand,  adel),  mhd.  ere  =  wirde, 
u-erdekeit,  adel,  nobüUas,  gehört  in  der  Moralis  philosophia 
zum  utile  (nobilitas  sp.  1043  A,  gloria  sp.  1050—1052),  bei  Tho- 
masin dementsprechend  zum  'übel  unde  giiot . 

Die  verschiedenen  begriffsschattierungen  von  ere  sind  in  der 
mhd.  litteratur  nicht  immer  leicht  zu  scheiden  (dasselbe  trifft  übrigens 
auch  auf  den  gegenwärtigen  begriff  von  ehre  zu),    die  höfische 

1  Paulseu  System  der  cthik,  2  auH.  s.  46i)Ü-;  Wilu.aui.s  Leben 
s    225—227,  2  aufl.  s.  248—250. 

ir 


156  EHRISMANN 

ehre  als  tugend  (hon  es  tum)  erstreckt  sich  über  den  morahsclien 
ehrbegriff  der  Moralis  philosophia  hinaus  auf  die  gute  gesellscliaft- 
Hche  form  (ebenfalls  tugent,  s.  oben  s.  150 f^),  und  rre  ist  dann 
eine  frucht  der  guten  erziehung,  der  zuht,  bez.  soviel  wie  zuhi 
im  sinne  von  wolerzogenheit,  feiner  bildung,  hövi'schclt. 

Immer  aber  ist  zu  bedenken,  dass  sich  auch  die  fre  als  tugend 
mit  den  einzelnen  unten  zu  nennenden  tugenden  wie  triuwe, 
.stcete,  miltc  (aufser  der  religio)  zunächst  nur  auf  das  weltliche 
leben,  nicht  auch  auf  das  Verhältnis  zu  Gott  bezieht;  wie  denn 
die  vier  haupttugenden  des  honestum  und  ihre  teile  in  der  Moralis 
philosophia  nicht  etwa  religiös ,  wie  in  der  religionslehre  als  'sitt- 
liche' tugenden  gewendet  sind '. 

III.  (ruot,  das  utile,  umfasst  die  rein  irdischen,  äufseren 
glücksgüter,  das  was  nützt  oder  frommt,  daher  auch  die  wörtliche 
Übersetzung  Paz  eine  daz  is  ere,  daz  ander  fronte  Werner  vElraen-' 
dorf  85,    fr/mi  ii,nde  gotes  hulde  und  loeltlich  ere  Walth.   83,  33. 

Am  treffendsten  charakterisiert  Wallher  die  drei  guter  in  dem 
ersten  spruch,  der  sein  politisclies  leben  eröffnet,  8,4^.  die  Stö- 
rung der  sittlichen  weltordnung  ist  es  hier,  wie  in  8,  28,  worüber 
er  so  soi'genvoll  nachsinnt,  gotes  hulde,  die  gnade,  steht  höher  jils 
die  irdischen  guter  ere  und  griof,  sie  ist  der  zweier  Überguide  8,  17. 
ere  und  guot  werden  hier  zusammengefasst  gegenüber  gotes  hulde 
als  ^diu  zwei'  8,  14.  17.  wenn  sie  aber  auch  eine  engere  einheit 
bilden,  so  schaden  sie  doch  oft  einander,  das  eben  ist  das  elend 
der  zeit,  dass  die  sittlichen  begriffe  verworren  sind:  die  drei  ethi- 
schen grundwerte  kann  die  menschheit  nicht  mehr  vereinigen,  die 
ehre  kommt  mit  dem  reichtum  in  conflict  und  beide  sind  wider- 
spenstig gegen  Gott;  die  irdische  sinnenweit  ist  zerfallen  mit  dem 
reich  der  gnade,  durch  die  nähere  bestimmung  'weltlich'  ere  20 
ist  ehre  der  gotes  hulde  noch  schärfer  entgegengesetzt;  varnde 
guot  14  (vgl.  60,  35)  bezeichnet  ausdrücklich  den  reichtum  in 
ausscheidung  von  anderen  glücksgütern  (bona  fortunae),  adel,  mäht, 
name,   herschaft   (Thomasin),      der   widerstreit  zwischen   ere   und 

^  in  diesem  artikel  gilt  tugend,  tugenden,  wenn  nichts  besonderes 
bemerkt  ist,  in  dem  jetzt  geläufigen  sinn  für  virtus,  virtutes,  also  nur  für 
das  honestun). 

2  Wilmanns  Leben  s.  225,  2  aufl.  s.  24S;  Hurdach  Walther  s.  ÜO. 
260  ff. 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  157 

guot  ist  gegenständ  der  quaestio  V  in  der  Moralis  pliilosophia: 
'de  pugna  utilitatis  et  honestatis".  liier  wird,  nach  Cicero, 
die  Übereinstimmung  des  utile  mit  dem  honestum  behauptet». 
Walther  aber  also  ist  gegenteiliger  ansieht.  —  die  andere  mög- 
liche Verbindung,  gotes  hui  de  und  cre  gegenüber  dem  unot, 
stellt  Walther  in  den  Sprüchen  20,  16.  22,  IS  und  22,  33  auf: 
hier  ist  das  guot  den  beiden  höher  geordneten  dingen  entgegen- 
gesetzt (in  22,  26  werden  auch  mi  selben  Up ,  wip  itnde  kint, 
die  sonst  in  \Valthers  güterlehre  keine  rolle  spielen,  jenen  beiden 
untergeordnet). 

Das  guot  ist  der  mindere  wert,  der  seinerseits  den  beiden 
höheren  verderblich  werden  kann  :  man  soll  es  so  gebrauchen,  dass 
es  gotes  hulde  (der  sele  23,  6)  und  ere  niclits  schadet  fgegen- 
sätze:  der  weise  —  der  tor  22,  18 ff;  der  arme,  dem  Gott  schooten 
sin,  guote  sinne,  d.  i.  das  vermögen  des  intellects,  gibt,  im  gegen- 
satz  zum  reichen,  der  kein  streben  nach  eren  hat  20,  19  —  25). 
alle  drei  gebiete  sind  zusammengefasst  29,  27:  die  trunksucht 
schadet  an  Übe  au  guot  und  an  den  eren  und  oiidi  an  der  sele 
(der  zu  Gott  bestimmte  unsterbliche  teil),  das  ist  die  körperliche 
und  moralische  Vernichtung,  in  einem  Jugendspruch  S4,  4  weils 
Walther  gotes  hidde,  frotcen  minne  und  die  aufnähme  an  den  hof 
zu  Wien  (ere)  als  drei  sorgen  zu  vereinigen,  also  gottesdienst, 
frauendienst,  herrendienst. 

I.  Ere.  —  Fflichtsysteme  stellt  Walther  in  drei  Sprüchen  auf: 
1.  Die  tugenden  des  mannes  zeichnet  er  35,  27  (sog.  'Mannes- 
lob'): küen  unde  mitte  sind  in  weiterem  sinne  au fgefasst  =  stark 
und  gütig  (das  strenge  gepaart  mit  dem  zarten ,  das  starke  mit 
dem  milden),  vgl.  diemüete  —  vrevelliche  site  Hartm.  Greg.  3798. 
3800;  dazu  stmte,  zuverlässig,  charakterfest,  dieser  inneren  eigen- 
schaften  wegen  soll  man  den  mann  loben  [lugende  35),  nicht 
wegen  der  schmne  27;  sie,  nicht  die  äulsere  erscheinung,  macheu 
die    ere   aus.     deutlich    bestimmt   hier   Walther   das   gebiet  der 

'  in  der  geistlichen  auffassung  ist  alles  unser  sehnen  vereinigt  in 
Gott,  alles  quod  decet,  quod  expedit,  quod  delectat  .  .  . ;  expectatio  nostra 
est  .  .  .  ut  Deus  ait  omnia  in  omnibus,  omue  jucuuduni,  ouiue  utile, 
omne  honestum,  Bernhard  vClairvaux  Sermo  in  vigilia  Dom.  V.  —  mit 
T.  26  fride  unde  rellt  sint  sere  icunt  sind  die  grundla-en  der  staatlichen 
Ordnung  angegeben,  denn  es  ist  die  erste  pflicht  des  fürsteu,  justitiu 
und  pax  aufrecht  zu  erhalten. 


158  EHRISMANN 

ehre:  es  sind  die  tilgenden  (honestum),  nicht  körperliche  eigen- 
schaften  (bona  corporis).  —  2.  Regeln  für  die  Jugend  gibt 
er  37,  24  CJugendspiegel'):  bezwingung  des  eigenwillens ,  d.  i. 
Folgsamkeit;  der  eigen wille,  die  superbia  schadet  hier  dem  leben 
und  dort  der  seele;  die  Vernunft  (rehter  sin  28 j  soll  den  bösen  willen 
austreiben,  liebe  Gott  (religio),  dann  bleibst  du  froh;  wirb  um 
ehre  (lop)  mit  rechter  wolerzogenheit  (=  mit  fuoge  werben  ^^'alther 
111,  37);  verkehre  mit  keinem  schlechten;  glaube  an  die  lehre 
der  priester.  willst  du  dieses  noch  mit  einem  besonderen  schmuck 
zieren,  dann  sprich  den  frauen  wol.  man  sieht  den  abstand  in 
den  sittlichen  anforderungen  an  die  Jugend  gegen  die  viel  stärkeren 
pflichten  des  innerlich  gefestigten  mannes  in  dem  vorhin  behandelten 
Spruch:  in  der  hauptsache  wird  auf  gehorsam  gedrungen,  das  ist 
schon  eine  betätigung  der  selbstbeherschung,  der  mäze.  auf  ehre 
sehen  ist  auch  hier  der  hauptzweck  der  zuht,  nur  eine  oberfläch- 
liche frömmigkeit  wird  gefordert,  die  auf  irdisclies  wolsein  be- 
rechnet ist.  und  schlielslich  der  gipfel  der  höfischen  erziehung 
ist  es,  von  den  frauen  gutes  reden.  Selbstzucht,  besonders  aber 
frauenminne  ist  der  beschränkte  Inhalt  der  lehren  für  den  'jungen 
mann'  (ein  früligedicht  Walthers)  91,  17.  die  'Jugendlehren'  87,  1 
enthalten  nur  die  zu  der  zuht  gehörige,  aus  den  geboten  der 
beichte  stammende  mahnung,  zunge,  äugen,  ohren  zu  hüten  (zunge 
hüten  auch  Mor.  phil.  unter  verecundia  sp.  1039f,  Werner  vElmen- 
dorf  873—8881).  —  3.  Der  'Fürstenspiegel'  endlich,  36,  11, 
gehört  in  die  umfangreiche  mittelalterliche  litteratur  der  regenten- 
erziehung-  und  zählt  auch  die  sonst  dort  geläufigen  tugenden  auf: 
die  tapferkeit,  die  kaiser  Otto  in  der  auff orderung  zum  kreuzzug 
empfohlen  wird,  felilt  (12,  18,  vgl.  11,  33).  —  drei  tugenden  preist 
er  an  dem  landgrafen  Ludwig:  er  ist  miUe ,  strete,  ivol  gezogen 
S5,  20  f. 

'  dieses  thema  stammt  aus  der  geistlichen  didaktik,  vgl.  den  Bern- 
hard vClairvaux  zugeschriebenen  tractat  De  ordine  vitae  et  morum  in- 
stitutione  alias  De  doctrina  puerorum  seu  verecundia  adolescentium 
cap.  IV:  Laudanda  autem  virtus  verecundiae,  quia  quorura  oculos,  aures, 
linguamque  possidet,  non  sinit  tiirpiter  ludere  ac  ridere.  es  sind  die 
Sünden  der  körperteile  in  der  beichte. 

-  über  fürstenspiej^el  vgl.  EBooz  Fürstenspiegel  d.  ma.s,  diss.  Frei- 
burg i.  Br.  191i{  und  die  Grcifswalder  dissertationen  von  Fiebach  und 
Tiralla  sowie  die  dort  angegebene  litteratur,  jetzt  auch  Rurdacb  Z.  kenntnis 
altd.  hss.  s.  440.     in   der  mhd.   litteratur   sind   .solche  lehren   sehr  liäufig. 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  l.v,) 

Im  kämpf  ums  leben  hat  Walther  seine  erkenntnis  von  den  sitt- 
lichen werten  des  lebens  immer  und  immer  wider  erprobt,  ihm  ist  das 
leben  überhaupt  eine  sittliche  aufgäbe',  des  lebens  vorj^änge  sieht 
er  von  dem  ethischen  standpunete  aus  und  er  weifs  es  als  seinen 
beruf,  lehrer  der  idee  des  sittlichen  zu  sein,  davon  zeugen  seine 
Sprüche  und  eine  anzahl  seiner  lieder. 

Im  mittelpunct  von  Walthers  Sittenlehre  steht  die  ehre  in 
ihren  beiden  unzertrennlichen  richtungen,  der  inneren  ehrenhaftig- 
keit  und  der  äufseren  Wertschätzung  (ehrenhaftigkeit  verschafft 
ehrung).  diese  teilung  ist  gemacht  35,  27,  das  eine  mal  mit  in 
die  Hute  sehen  und  mit  den  drei  tugenden  küene,  mute,  .stculc,  das 
ist  die  innere  ehre  —  das  andere  mal  so  ist  er  r/7  (jar  geloht, 
d.  i.  äußere  ehrung.  auch  der  niedere  mann  hat  rre.  der 
dichter  selbst  wil  werben  nmbe  icerdekrit,  dann  ist  er,  wie  nieder 
er  auch  sei,  doch  einer  der  wertgeschätzten  66,  33;  durch  ehren- 
ervveisung  fühlt  er  sich  beglückt  18,  15;  seine  aufgäbe  ist  es,  die 
ehre  der  herren  zu  verkündigen  oder  sie  daran  zu  mahnen  (in 
vielen  Sprüchen);  sein  eigener  beruf,  seine  kunst,  seine  arbeit"-^  ist 
für  ihn  die  quelle  seines  ansehens  31,  33.  32,  7.  64,  31.  66,  21, 
vgl.  28,  1.  102,  29.  die  höfische  erziehung,  zuJit,  hat  zum 
ziel  die  ere  37,  24.  87,  3.  91,  3f;  die  musterstätte  der  hoflehre 
ist  künic  Artnses  hof  24,  33;  deutsche  sitte  und  lebensart  geht 
allen  andern  voran  56,  37.  geehrt  v^' erden  ist  das  streben  des 
mannes  35,  37,  durch  milte  erwirbt  sich  der  fürst  ere,  bez.  ver- 
herrhchung  durch  die  fahrenden  19,  22.  21,  24.  25,  28.  26,  36. 
84,  37  3.  selbst  das  Verhältnis  von  Gott  und  dem  teufel  wird  unter 
den  gegensatz  von  ere  und  iinere  gestellt  3,  21 — 24,  und  das 
heilige  land  ist  das  land  der  ehre   15,  2.  8. 

Trotz  dem  durchgehnden  ethischen  gehalt  in  Walthers  ge- 
dicliten  ist  die  zahl  der  einzelnen  darin  vorkommenden  tugenden 
doch  nicht  grofs.  sie  lassen  sich  einreihen  in  die  zwei  gebiete 
der  Moralis  philosophia. 

I.  Ere,  die  tugenden,  die  unter  das  h  o  n  e  s  t  u  m  ,  den 
gesamtbegriff  der  ere  oder  der  fngenf  in  moralischem  Sinn, 
fallen,    wozu    aber    vom    höfischen    gesichtspunct    aus   auch    die 

'  Burdach  Walther  s.  90. 

-  werben  iimbe  icerdekeit  mit  uncersayeler  urebeit  Üü,  H4,  arbpii 
als  verlorene  liebesmüh;  53    5.  72,  38. 

^  3.  auch  Burdach  Reinniar  s.  24  ff. 


160  EHIUSMANN 

'gesellscliaftliclien'  tuj^euden  gehören,  in  jjjesetzmäfsijrkeit,  orde- 
nuiifje,  bestellt  die  einrichtung  der  weit  ü,  !i.  Ordnung  ist 
das  richtige  verliältnis  der  einzelnen  teile,  das  ist  die  mäze, 
medietas,  sie  ist  die  Schöpferin  alles  dessen  was  ehre  bringt, 
aller  irerdekeit  ein  fiiefferiiiue ,  sie  lehit  das  weder  zu  nieder 
noch  zu  hoch  4ü,  32,  vgl.  auch  83,  14.  S4,  22.  in  dieser  hin- 
sieht bewahrt  sie  den  menschen  vor  der  hoffart,  über  seinen 
stand  hinauszugehn  SO,  3,  und  ist  die  beherscherin  der  leiden - 
Schäften,  temperantia  81,  7  (andere  stellen  bei  Wilmauns  s.  240. 
2  aufl.  s.  293).  —  milte  ist  für  Walther,  den  gehrenden,  die 
wichtigste  herrentugend  ^.  —  die  zeit  und  seine  eigene  erfahrung 
aber  drängen  ihn  immer  und  immer  wider,  zur  triuive'^  zu 
mahnen  und  die  schände  der  ungetriuiceii  blofs  zu  steilen. 
triuire'-^  hat  hier  die  specielle  bedeutung  von  treue,  Zuverlässig- 
keit (nicht  die  allgemeine  von  altruismus,  wolgesinntsein  gegen 
jeden  menschen),  fides,  fidelitas,  öfter  aber  die  von  Wahrhaftigkeit 
(gegensatz  von  lüge,  heuchelei),  frlnire  unde  irärheit  sind  be- 
schimpft, darum  ist  die  rre  verniclitet  21,  23.  die  triuwe  ist  im 
germanischen  Charakter  begründet  als  ethischer  und  socialer  grund- 
wert,  aber  sie  gehört  auch  zu  den  tugenden  des  honestum,  Cicero 
De  off.  1,  7:  fundamentum  est  justitiae  fides,  id  est  dictorum 
conventorumque  constantia  et  veritas,  treue  also  ist  beständigkeit 
(Zuverlässigkeit)  und  w-ahrbaftigkeit.  die  Moralis  philos.  hat  fide& 
und  veritas  unter  der  religio  (sp.  1022j,  vgl.  Werner  vElmen- 
dorf  V.  601  ff;  triuwe,  reht,  gewcere  (fides,  justitia,  veritas)  als 
teile  des  rechts  im  gedieht  vom  Rechte  (Waag  Kl.  deutsche  ged. 
d.  XI  u.  XII  jhs  ,  2  aufl.  s.  70  ff).  —  die  constantia,  stifte,  ist 
das  wichtigste  band  der  minne,  vgl.  30,  27  f.  3ö,  27.  —  die 
friuntschaft,  amicitia,  ist  in  der  Moralis  philosophia  eine 
Unterart    der    justitia^.      Walther    muss    manche    enttäuschung   in 

'   Wilmauus  Leben  s.  231—233,  2  aufl.  s.  254  f. 

■'  Wilmanns  Leben  s.  229 — 231,  2  auf!,  s.  251 — 254;  Burdach  lleimuar 
8.  2(15  f,  Walther  8.  91  ff. 

^  vgl.  Vera  Vollmer  Die  begriffe  der  triuNvt-  und  der  sta;te  in  der 
höfischen  niinuedichtung,  Tübingen  diss.   l'.lll. 

'  die  freundschaftslehrc  siauinit  aus  des  Aristoteles  ethik  LX  9  ff, 
'das  bedürfnis  nach  freunden',  friunt  Ideseit  und  cerliesen,  ist  eine 
sprichwörtliche  lebensregel  und  geht  wol  auf  Ciceros  Laelius  cap.  19 
zurück,     ndid.   beispielc  gibt  Edw.  Sehröder  Die  erstt    Kürcubergerstrophe 


BITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  161 

der  freundscliaft  erfahren  haben,  daher  diese  mahnun^^en  und 
lehren  2S,  4.  3ü,  14.  30,  29.  54,  37.  79,  17.  —  zuhi,  emc 
moralische  und  gesellschaftliche  HugenV,  ist  verbunden  mit  der 
schäme,  einer  unterart  der  temperantia,  5!t,  15.  (i4,  4.  81,  12,  der 
verecumUa,  ehrbarkeit  in  der  äufseren  haltung,  in  worten  und 
gebärden  (Moral,  pliil.  Migne  171,   1039). 

Grundbedingung  der  moralischen  und  der  gesellschaftlichen  ziiht 
ist  die  tiiüzr  {zuht  und  mäze  Gl,  36  fj,  als  höfische  verkehrsform 
das  rücksichtsvolle  benehmen :  der  höfisch  gebildete  hat  sich  immer 
als  ein  glied  der  gesellschaft  zu  fühlen  und  muss  sich  ihr  an- 
passen. —  geselligkeit  verlangt  freude',  lebenslust,  und  festes- 
freude  ist  das  dement  dieser  aristokratischen  cultur,  die  erste 
gesellschaftliche  pflicht  des  höfischen  mannes  ist  die  f'röude,  fröh- 
lich, heiter,  lebenslustig  sein,  niemand  taugt  ohne  fröiule  99,  13, 
fröude  .n  ein  ere  71,  30.  auch  der  leidbeschwerte  muss  ein 
freundliches  gesiebt  zeigen,  er  muss  seinen  kummer  verbergen, 
darf  nicht  truren.  'freut  euch  mit  den  fröhlichen'  ist  auch  ein 
gebot  der  hövescheit,  der  fuoge  47,  36,  und  erfüllen  kann  es 
nur  der  welcher  die  nahe  bar,  die  kraft  seine  Stimmung  zu  be- 
herschen  {niit  zühten  gciueit,  prov.  cortes  e  yal,  Wilmanns  Leben 
s.  192  ff,  235.  239,  2  aufl.  258  f.  263  f.  276  f)2.  zumal  des 
dichters  aufgäbe  ist  es,  fröudj'  um  sich  zu  verbreiten,  denn  er 
soll  durch  seine  üeder  die  ritterlichen  herren  und  damen  erheitern, 
vgl.  bes.  den  nachruf  auf  Keinmar  83,  7  f.  so  entspringt  die 
forderung  der  fröude  aus  den  bedürfnissen  des  würklichen  lebens. 
in  unsern  nihd.  dichtungen  hat  sie  aber  zunächst  einen  historischen 
grund:  die  minuelieder  schliefsen  sich  au  das  alte,  volkstündiche 
tanzlied  bezw:  mailied  an,  und  in  diesem  war  die  aufforderung  zu 

Zs.  32,  137-41,  vgl.  auch  Ehrisinanu  Zs.  f.  d.  phil.  33,  398  f.  in  den 
Moiiatsregela  für  freundeswalil,  die  JGrimm  Zs.  8,  542—544  heraus- 
gegeben hat,  wird  die  freundschaft  als  ehrenfördernd  gepriesen  (s.  543, 
zum  mai  und  august).  was  hier  von  freundschaft  gesagt  wird,  kann  auch 
auf  die  minne  angewendet  werden. 

'   Burdach     Reinmar     s.   9.    32.     102.    103.    IOC;     Wilmanns    Lebpn 

s.  42.  235 240,   2.  aufl.    s.  256 — 262;     Anna    Lüderitz    Die   liebestheorie 

der  Provenyalen  s.  08  ff.;  Wechssler  Kulturproblem  reg.  s.  492,  im  ein- 
zelnen bes.  s.  29  ff.  321,  wo  auch  über  die  entstehung  der  höfischen 
freude  {joi,  adj,  gai)  aus  dem  maitanzlied  gehandelt  ist. 

-  vgl.  besonders  Reinmar.  Strophe  MFr.  164,  30;  Burdach  Keinmar 
s.   112. 


lf.2  EHR  ISMANN 

froher   Inst    ein    traditioneller    bestandteil '    (muster   eines   raaitanz^ 
liedes  ist  M,    1 3). 

Nicht  nntcr  die  lügenden  gehört  im  antiken  wie  ritterlich- 
weltlichen inoralsystera  die  minne,  anior.  sie  ist  eine  leiden- 
schaft,  passio  -,  des  sinnlichen  begehrungsvermögens  und  kann 
gutes  oder  schlimmes  bewirken,  es  kommt  auf  den  menschen  an 
der  sie  besitzt  oder  von  ihr  befangen  ist:  J)er  niinii  natüre  ist 
so  getagt:  f>i  machel  uüser  irhcn  man  und  glt  dem  törn  mh- 
närrischeit  sagt  Thomasin  in  seiner  lehre  von  der  hofzucht, 
WGast  117',) — 1181.  jedenfalls  übt  die  minne  eine  unwidersteh- 
liche macht  auf  den  menschen  aus,  sie  zwingt  ihn;  auch  in  der 
liöfischen  auf  Fassung  gilt  der  Wahlspruch  Ovids  'omnia  vincit  amor'. 
sie  kann  mit  ihrer  macht  vernichten  oder  beglücken,  sie  kann  den 
willen  stärken  oder  schwächen,  zum  guten  oder  zum  schlechten 
lenken;  sie  kann  tugenden  fördern,  zum  höhen  mnof  und  zur 
arbeit  anspornen,  f runde  verleihen;  oder  zu  hauptsünden  verleiten, 
besonders  zur  aeidia,  tristitia,  melancholie,  bis  zur  völligen  willens- 
lähmung,  und  in  l;iun})er,  sn-(i;re,  sorge,  trkren  versetzen  -K 

'  Weclissler  s.  35  u.  ö.,  s.  legister  unter  'joi'.  —  aber  auch  die  theo- 
lo^ia  iiioralis  kennt  die  freude,  als  gaudium  spirituale,  geistliche 
freude,  die  freude  über  das  göttliche  gut;  sie  ist  eine  wirkutig  der 
liebe  zu  Gott,  der  Caritas  Dei ,  vgl.  Thomas  Summa  theo].  II  2,  qu.  28. 
sie  ist  ein  gegensatz  zur  aeidia. 

■■^  Thomas  II  1,  26 — 28,  PRousselot  L'histoirc  du  probleme  dt; 
raniour  au  moyen  äge,  Beitr.  z.  gesch.  d.  philosophie  d.  niittelalters, 
hsg.  von  Baeumker  und  vHertling  bd.  VI  h.  6.  —  für  die  höfische  minne 
und  ihre  beziehungen  zur  Scholastik  vgl.  bes.  KVofsler  Die  philosophischen 
grundlagen   zum  'süfsen  neuen  stil';  "Wechssler  Kulturproblem  bes.  8.219  ff. 

•'  die  minne  als  erziehende  macht:  Wilmauns  Leben  s.  177-182. 
192  ff,  2.  aufl.  s.  2G2 — 266.  275  ff ;  amor  als  quelle  aller  guten  dinge: 
Wechssler  s.  50.  342 ff  u.  reg.  unter  'amor';  Lüderitz  s.  68  ff ;  Ferd.  Michel 
Heinr.  vMorungen  und  die  troubadours,  QF  38,  111  — 116.  für  Walther  s. 
bes.  81,  31;  vgl.  Burdach  Rcinmar  s.  104.  130  f.  143  f,  Walther  s.  %; 
Roethe  Reimar  vZweter  s.  20!) ff.  —  minne  stärkt  den  beiden  in  kampfes- 
nöten:  JGrimni  Mythologie  '  1  ;;71.  —  die  belebende  und  veredelnde  kraft 
der  minne  kommt  in  dtr  nihd.  litteratur  zum  ersten  mal  in  Lanjp- 
rechts  Alexander  3362— .H36i)  (vgl.  2759.  2788  f),  dann  in  der  Kaiser- 
chronik 4607 — 4614  vor.  in  der  kirchlichen  morallehre  wirkt  die 
Caritas  tugendhafte  gesinnungen  (effectus  caritatis),  u.  a.  freude, 
gaudium,  bezw.  sie  ist  verbunden  mit  inneren  tugendhaften  zuständen 
(affectus),  s.  Lehmkuhl  Theologia  moralis  I  314.  minne  führt  zur 
aeidia:    beispiele    s.    bei    Hartmanns    büchlein      unten,     ferner    Iweinn 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  163 

Mit  der  minne  gewinnt  nun  auch  das  minnelied  ethische 
bedeutung.  nicht  unmittelbar  ist  hier  die  moralische  lehre  ge- 
geben wie  in  den  Sprüchen,  aber  würksamer,  denn  sie  kommt  aus 
dem  gefühl  und  geht  zum  gefühl.  gerade  viele  lieder  Walthers 
haben  einen  lehrhaften  gehalt,  sind  gleichsam  beispiele  für  das 
verhalten  in  minneangelegenheiteu  oder  geben  betrachtungen  über 
das  wesen  der  minne.  sie  ist  denn  auch  in  der  würklichkeit  die 
freudebringerin,  I runde  ist  der  immer  wideiholte  frohklang  in 
VValthers  minneliedern,  die  frauen  geben  die  höchste  freude,  das 
höchste  glück,  schon  der  gedanke  an  die  geliebte,  die  hoffnung 
selbst  in  unerwiderter  minne  verleiht  tröst  (hoffende  freude,  ivän- 
l'röude  i). 

Fronde  ist  gehobene  lebensstimmung,  sie  ist  höheres  lebens- 
gefühl  und  kann  damit  auch  das  ethische  bewustsein  unterstützen, 
sie  stärkt  den  willen  in  der  richtung  auf  das  gute,  ist  eine  Stei- 
gerung der  sittlichen  kraft  zu  hohem  streben,  zu  den  pflichten  der 
ere.  diese  ethisch  gewendete  froade  ist  der  hohe  muot.  höher 
muot  (hdchgeumete)  und  das  adj.  hörhgemuot  {hohe  yemuot)  sind 
ritterliche  Standeswörter,  das  adjectiv  ist  schmückendes  beiwort, 
im    volkstümlichen    epos    synonym    mit    stolz,    bei    deyen,    hdt, 

liebeskrankheit;  Veldekes  Eneide  9790  ff;  Ottes  Eraclius  2903  ff ;  Arznei- 
buch des  14  jhs.  in  Hoffmanus  Fuudgr.  I  321;  Lüdeiitz  s.  68  ff;  Burdaeh 
Reinmar  s.  122;  scholastisch  bei  Thomas  II  1  qu.  28  art.  5  (languor,  amor 
est  passio  laesiva)  und  qu.  35  —  39.  —  aber  es  ist  natürlich  nicht  gemeint, 
dass  unbelohnte  minne  zur  wiilensschwächung  führen  muss.  die  zahl- 
losen liebesklagen  der  minnesinger  sind  nur  ein  ausfluss  der  Stimmung 
und  bedeuten  nicht  eine  Wandlung  des  Charakters,  auch  bei  versagter 
ininue  kann  der  liebende  sein  streben  {arbeit)  weiter  einsetzen,  er  kann 
trotzdem  mit  ganzem  sinne  der  minne  eil  schöne  dienen,  Hartm.  Büch- 
lein 793—800.  dafür  ist  Reinmar  ein  beispiel:  ich  hän  lange  cc'ile  un- 
sanfte mich  gesent  und  bin  doch  in  der  selben  areheit  MFr.  171,  6  f , 
oder  172,  17—22.  172,  30-173,  5.  173,  6—12.  174,  24-37.  179,  21-29, 
vgl.  Burdach  Reinmar  s.  104.  wer  auch  ohne  erhörung  nach  hoiier  minne 
strebt,  der  mag  doch  in  hohem  muote  leben  180,  1—9.  vgl.  Wechssler 
s.  233  ff.  —  minne  in  der  bildenden  kunst:  Piper  Mythologie  der  christl. 
kunst  1,  248  ff;  vdLeyen  u.  Spamer  Die  altdeutschen  Wandteppiche  im 
Uegensburger  rathause;  vdLeyen  Deutsche  dichtung  und  bildende  kunst 
im  mittelalter,  Abhandlungen  zur  deutschen  litteraturgesch.  Franz  Muneker 
dargebracht. 

»  Wilmanus  Leben  s.  200  1,  2  aufl.  s.  287  f;  vgl.  Wechssler  s.  183  ff 
('der  liebeswahn')- 


164  EHRISMANN 

recke  u.  a.  *  im  volkstümliclien  epos  ist  hoher  nmot  gesteigertes 
kraftgefülil  uud  ligt  in  der  lieldcneigenschaft  der  tapferkeit;  in  der 
höfischen  anschaiiung  ist  es  die  niinne,  die  den  Itöhvn  iiinof,  den 
starken  sittlichen  willen,  verleiht;  so  ist  die  freudenspenderin  minne 
eine  triebkraft  zur  tuf/ent,  zur  ere,  u.  a.  '.»2,  9.  auch  die  kunst 
kann  höhen  muot  auswürken  100,  7.  der  innerlich  gefestigte  iiat 
das  hohe  streben,  selbst  wenn  ihm  liebe  versagt  ist  41,  30  oder 
wenn  er  in  gedrückter  iebenslage  sich  befindet  43,  2. 

Höher  nmot  ist  vcrwant  mit  der  uf/a/.oiiivytu'des  Aristoteles 
(Nikomach.  Ethik  4,  off),  da  diese,  'die  hochstrebende  gesinnung', 
sich  hohe  ziele  setzt;  und  mit  der  magnanimitas  der  Moralis  philo- 
sophia  (sp.  1020),  die  charakterisiert  wird  durch  ein  citat  aus 
Lucan:  'compouite  mentes  ad  magnum  virtutis  opus  summosque 
labores',  und  aus  Cicero  De  off.  1,  9  (aber  etwas  verändert  im 
sinne  von  hohem  streben):  'haec  virtus  cum  ad  aspera  ineunda 
aliquera  promptum  faciat'  .  .  darauf  'haec  virtus  torporera  sie  ex- 
citat'  (erlahmung  des  mutes). 

II.  Giiot-  im  engeren  sinne  ist  ^  nchfuom.  opes,  opulentia 
und  gehört  in  der  Moralis  philosophia  speciell  zu  den  bona  for- 
tunae.  rtchtmmi  ist  nach  Thomasin  ö 74 3  ff.  59 15  ff  übel  mule 
ilKot,  er  schadet  und  nützt,  je  nachdem  er  einem  bösen  oder 
einem  guten  manne  zugehört,  so  auch  bei  Walther:  die  mäze 
entscheidet,  man  soll  nicht  zu  sehr  nach  gtiote  streben  und  soll 
es  auch  nicht  zu  gering  schätzen,  denn  obgleich  es  äufserer  besitz 
ist,  so  kann  es  doch  nützen  für  das  innere  sittliche  leben  {ez 
f'ruint  dir  an  dem  iiniofe)'^  die  zu  grofse  liebe  zum  f/uoi  bringt 
den  Verlust  von  sflc  und  f'/r,  dagegen  sein  schwinden  ist  der  tod 

'  vgl.  Bartsch  Wörterbuch  zu  d.  JS'ib.  Kot.  s.  155.  156;  Wald. 
Lehuerdt  Die  anvvendung  der  heiwörter  in  den  mhd.  Epen  von  Ortnil 
und  Wolfdietrich  s.  201.  202;  CvKraus  Virginal  und  Dietrichs  ausfahrt 
Zs.  50,  34.  56;  für  die  höfische  diehtung  \'gl.  Haupt  Zs.  1,  108; 
OSchissel  von  Fieschenberg  Das  iidjectiv  als  epithetou  im  lieheslicd  des 
12  jhs.  s,  soff;  Guido  CLßiemer  Die  adjectiva  bei  Wolfr.  vEschenbach 
stilistisch  betrachtet,  Leipz.  diss.  1905,  s.  87  f ;  PllPope  Die  anwenduug 
der  epitheta  im  Tristan  Gottfrieds  vStrafsburg,  Leipz.  diss.  1903,  s.  65; 
Wilh.  Lucas  Das  adjectiv  bei  Ulrich  vLichtenstein ,  Greifswalder  diss. 
1914,  s.  19.  34—37;  für  Walther:  Erich  Gärtner  Die  epitheta  bei  Walther 
von  der  Vogelweide,  Kiel  1911,  reg.  unter  hdckuetnuot,  ItOchgemüete, 
icolijernuot. 

-  Wilmanns  Leben   s.  226  f,   2  aufl.  8.   249  f. 


RITTERLICHES  TÜGENDSYSTEM  165 

der  fröwJe  22,  33,  desgl.  20,  25:  wer  sich  zu  sehr  dem  yuote 
dienstbar  macht,  verliert  gotes  hulde  und  ere.  hier,  in  20,  25. 
22,  18  und  22,  33,  steht  gitot  den  beiden  andern  werten  gotefi 
hulde  und  ere  gegenüber. 

Chiof  und  rn-  im  gegenseitigen  Verhältnis:  ere  soll  vor  dem 
guot  gehn  31,  13;  g"ot  und  ere  (ansehen  und  würde)  sind 
schätze  für  den  fürsten  lii,  36  (ere  speciell  =  fürstenwürde  auch 
36,  1);  wlsheit  unde  jugent,  sclicene  ande  tugent  lassen  sich 
nicht  vererben  {wlsheit  unde  tugent  gehören  zum  bereich  der  ere, 
jugent^  und  schcene  zum  guot)  82,  24;  ganz  gesunken  ist  die 
zeit,  da  der  der  übel  tuot  (also  der  h(£se)  ere  und  guot  hat.  dem 
utile  et  honestum  entspricht  f)-i(m  und  ^-e  23,  20.  84,  37.  — 
auch  in  der  Verteilung  des  guotes  ist  die  richtige  mitte  (mäze)  das 
gesunde  Verhältnis  S1.23:  ze  rldi  äne  muot,  ohne  die  rechte  ge- 
sinnung,  macht  hoffärtig  (superbia),  ze  rieh  \'erdirbt  die  zuhX  (edle 
sitte),  zarm  lässt  den  geist  nicht  aufkommen;  den  einen  macht 
Gott  reich  an  geist  (sin),  dem  andern  gibt  er  das  geld  (guof), 
jener  ist  schätzenswerter  als  dieser,  es  sei  denn  dass  dieser  nach 
eren  strebe  20.  1!>.  Walther  selbst  ist  reich  an  kunst  und  trotz- 
dem arm  28,  2. 

Ebenfalls  unter  das  utile  bezw.  das  ^übel  unde  guot''  Tho- 
masins  fällt  adel,  edles  geschlecht,  nobilitas,  in  der  Moralis  philo- 
sophia  speciell  unter  die  bona  corporis  (sp.  1043).  dass  edles  ge- 
schlecht  im  niittelalter  hochgeschätzt  wurde,  versteht  sich  nach  den 
standesbegriffen  der  zeit  von  selbst,  und  auch  Walther  'legt  darauf 
hohen  wert',  wlsheit,  adel,  alter  machen  das  ansehen  des  mannes 
im  rat  aus  102,  18.  adel  berührt  sich  mit  der  ere,  wo  diese  so 
viel  ist  als  Standeswürde,  fürstenwürde,  nobilitas,  und  ist  als  ange- 
borene (ein  'selhu'ahsen  ere'  wie  die  mägsehaft,  verwantschaft  7Ü, 
22),  nicht  als  erworbene  würde  nur  ein  guot,  utile,  und  gehört 
nicht  zu  den  formen  der  ere,  honestum.  Walther  selbst  spricht 
sich  über  das  Verhältnis  von  adel  und  ere  nicht  unmittelbar  aus, 
jedenfalls  aber  schätzt  er  den  inneren  wert  höher  ein  als  die 
äufsere  würde-,  das  adj.  edele  bedeutet  bei  Walther  meistens 
'von    edlem    geschlecht',    zb.    der    edel    knnie    28,  34;    des    edel» 

1  'die  zeit  der  höchsten  männlichen  reife',  Burdach  Reinniar  s.  4. 

'^  Burdach  Reinmar  s.  136;  Wilmanns  Leben  s.  246  f.  2  auf!,  s.  293; 
Wechssler  s.  52  ff;  "Vogt  Der  bedeutuugswandel  des  wertes  edel  s.  10  ff; 
Neckel  Adel  und  gefolgsehaft,  PBBeitr.  41,  385—436. 


16G  EHRISMANN 

lantgrävev  Sf),  17;  ein  edel'm  schäme  f'rowe  reine  46.  10; 
edel  unde  rlchc  ifromven)  50,  39;  aber  =  edel  denkend:  edeliu 
wvp  48,  35. 

Die  schönlieit ',  schiene,  puleliritudo,  ist  eines  der  körperlichen 
guter  der  Moralis  philosophia,  eines  der  fünf  dinge  ^itnme  übe'  bei 
Thomasin  973  ff.  Waltlier  warnt,  sich  durch  sie  berücken  zu 
lassen,  sie  ist  nur  ein  äufserer  schein  81,  2,  ein  vergängliches 
gut  67,  32.  für  den  mann  ist  Schönheit  kein  lob,  es  klingt  zu 
weichlich  und  oft  geradezu  verächtlich  35,  27.  die  /uogc,  vvoi- 
anständigkeit,  ist  der  schäme  vorzuziehen  116,  17,  bei  frauen  die 
liebe  der  Schönheit  92,19.  gnot  und  schmtH-  sind  äufserlichkeiten 
29,  36. 

Die  forme!  Up  und  guot  betrifft  die  beiden  teile  des  utile, 
dessen  was  nützt,  die  bona  corporis  und  die  bona  fortunae  36,  14. 
45,  4,  91,  19.  das  zu  den  zweien  hinzutretende  'miioV  88,  3 
bedeutet  wol  ritterliehe  gesinnung,  zuht  (87,  2,  s.  Wiimanns  an- 
merkuiig  zur  stelle  und  Freidank  5  7,  6  — 9j  und  bezieht  sich  auf 
das  honestum. 

Die  soMc  {s(Mekeif),  die  irdische  glückseligkeit  -  ist  ein  zu- 
stand frei  von  sorgen  122,  20,  der  fröide  97,  36,  den  der  besitz. 
das  geld,  ermöglicht  20,  31.  43,  1.  aber  frö  Scdde  verteilt  ihre 
gaben  ungleich,  den  dichter  lässt  sie  leer  ausgehen  20,  31.  43,  1. 
55,  35.  im  gründe  mufs  man  sein  glück  Gott  anheimstellen  24. 
18.  105,  10.  122,  20.  der  trunkenbold  wird  gemahnt  mäfsig  zu 
sein,  denn  mäze  bringt  gelüche,  heil  und  scdde  und  ere  29,  31. 
aber  auch  menschen  können  scelde  verleihen  und  haben  die  kraft 
zur  beglückung:  von  einem  reinen  weihe  und  der  rainne  kann 
smlde  und  cre  kommen  93,  16.  in  diesem  falle  ist  der  glück- 
gebende gleichsam  selbst  die  sadde,  der  Inbegriff  der  Vollkommen- 
heit, etwa  wie  der  nninsch-  so  ist  scelde  wol  auch  63,  1.  97,  29 
{sin  unde  scdde,  sin  =  verstand,  Vernunft)  zu  fassen,  scelde  und 
(ire  formelhaft  verbunden  93,  16.  97,  29.  einmal  bedeutet  scelde 
die  ewige  Seligkeit:  in  der  kreuzzugsstrophe  125,  7.  kaum  ver- 
schieden von  scelde  ist  das  viel  seltenere  geiücke  29,  31.  90,  19: 
ungelüdce  92,  5  '-. 

'  Wilmauns  Leben  s.  227  f,  2  aufJ.  s.  250  f. 

'  lat.  Felicitas  ist  die  glückseligkeit,  svöaipiovca ,  Foituua  das 
Schicksal,  das  gut  iiad  schlinini  sein  kann  (Augustinus  De  civ.  Dei 
IV   18),  die   göttin,    die  ihre  gaheii,    die  gliicksgiiter,    bona  fortunae,    nach 


BITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  167 

Ahd.    sulida    ist    das    wort    für    glück,    felicilas,    beatitudo. 
beatitas,  bona  fortuna,  und  bedeutet  sowol  das  weltliche  glück  als 
die   heilsgciben   des   Christentums;   das  adj.  sälhj  ist  glücklich,   ge- 
segnet,    das   begrif fsver wante.   fast  synonyme  ahd.   adj.   heil   hat 
die    bedeutung  von  sanus,   salvus,   heil,   gesund,   wolbehalten,   un- 
versehrt;   entsprechend   ist   das   subst.   heil  n.,    heul  f.  -=  salus. 
sanitas,  gesundhelt,  wolergehen.     hailti,  hau!  ist  das  germanische 
vunschwort,  grufswort.    sali  da  tritt  mit  heil,  heill  in  Verbindung 
als  Wunschformel,  so  in  der  huldigung  Otfrids  an  seinen  obersten 
weltlichen    herrn.    den   könig  Ludwig:    Themo  si  iamer  heili  joh 
saüda    yiineini    ad   Lud.  5,    bona   fortunae    i.  Hei   unde  salida, 
Notkers  Rhetorik,  Piper  I  674;  im  mhd.  begegnet  heil  und  scelde, 
auch   als   wunschformel   häufig,     die   widmung   an   den  erzbischof 
Salomo    von    Konstanz   beginnt    Otfrid   mit    der   huldigungsformel 
Si   salida  ginmafi    Salomones   (juati   ad  Sah   1 ;    er  wünscht  hier 
dem    kirchenfürsten    die   ätifseren    guter   geistlicher   macht,    später 
aber,    31  ff,    erflelit    er    für   ihn    Christus    gnade    und    huld    al.s 
segen   für   äufsere   und   innere   (religiöse)   guter,      wenn   das   welt- 
liche  und   das   christliche  glück   in  beziehung  zu  einander  gesetzt 
werden,    so    bezeichnet    heil    mehr    das    erstere,    sielde  mehr  das 
letztere,   so    ad  Sal.  44.     Sielde.   hat    einen   tieferen    ethischen  ge- 
halt.  —  der  begriff  glücklichsein  ist  verschieden  je  nach  dem  be- 
wustseinsinhalt    des    menschen,      für    die   angehörigen   des   gottes- 
staates.    die    geistliclien ,    umfasst    scelde    die    auf   Gott    zielenden 
innern    eigenschaften    und    die    erfüllung    dieses    strebens    in    der 
ewigen   Seligkeit,     im  ritterlichen  tugeudsystem  dagegen  ist  sczUh 
der  Inbegriff  des  irdischen  glucks,  welches  besteht  aus  den  eigen- 
schaften  des   honestum    und   aus   den   besitztümeru   des   utile,     in 
engerem  sinne  sind  gerade  die  echt  weltlichen  bona  fortunae  und 
corporis  darunter  gemeint,    in  der  dichtung  ist  die  weltliche  saAdr 
zu  einer  hohen  dame  poetisiert,    rrou  Sielde,   in  Übertragung  der 
classischen  göttin  Fortuna  und  i»  gesellschaft  mit  der  vrou  Minnr. 
rrou   Werlt\  möglich  ist,  dass  dabei  verblasste  Vorstellungen  ger- 
manischen götter-  und  dcämonenglaubens  mitgewürkt  haben,     vrou 
Smlde  ist   in    der   ritterpoesie   die   inhaberin   der   weltlichen   guter, 

Willkür  austeilt,  rvxri.  der  unterschied  zwischen  swlde  und  gelüche  ist 
etwa  der,  dass^a/«/e  mehr  d.r  Felicitas,  gelücke  mehr  .!er  Fortuna  ent- 
spricht. 


168  EHRTSMANN 

der  tilgenden  und  der  äulseren  Vorzüge,  und  verleiht  sie  ihren 
günstiingen.  nach  dem  christlichen  glauben  aber  ist  Gott  der  ur- 
lieber alles  guten,  also  auch  der  weltlichen  gaben,  die  haupt- 
stellen hierfür  sind  Augustinus  De  eiv,  Dei  IV  IS  —  24.  ',][].  34. 
V  1 :  'die  fülle  aller  wünschenswerten  dinge  ist  die  glückseligkeit 
(felicit.tsi,  welche  nicht  eine  göttin  ist,  sondern  ein  gnadengeschenk 
(iottes'  1. 

Nachdem  nun  die  einzelnen  bestandteile  der  beiden  werte, 
der  ehre  und  des  gutes  in  höfischer  auffassung,  festgesetzt  sind, 
lassen  sich  die  gebiete  abgrenzen,  unter  fre  gehört  1.  die  sub- 
jective  ehre,  ehrenhafte  gesinnung  und  ehrenhaftes  handeln 
(honeshini)-^  2.  die  objective  ehre,  das  geehrtwerden  von  den 
menschen  wegen  der  ehrenhaften  gesinnung  und  des  ehrenhaften 
handelns  (gloria).  unter  (pwf  gehören  1.  (juot  =  reichtum,  und 
adel  als  bona  fortunae;  2.  .^chx'jie,  Schönheit  als  bonum  corporis. 
abweichend  von  der  antiken,  stoischen  pflichtenlehre  und  von  der 
Moralis  philosophia  wird  das  geehrtwerden,  der  rühm,  gloria,  der 
dort  zu  den  eigenschaften  des  gutes  (utile)  gehört,  unter  die 
tugenden  versetzt,  das  entspricht  der  mittelalterlichen  anschauung 
vom  heldentum. 

III.  Gnics  ]uil(h\  —  die  höchste  sittliche  wertfrage  für  den 
mittelalterlichen  menschen  war  das  Verhältnis  zwischen  Avelt  und 
(lott.  für  den  geistlichen,  zumal  für  den  mönch,  war  sie,  theo- 
retisch wenigstens,  leicht  zu  lösen :  alles  weltliche  ist  böse,  allein 
was  Gottes  ist  ist  gut.  aber  die  laien,  die  in  der  weit  lebten 
und  ihre  pflichten  für  diese  weit  zu  erfüllen  hatten,   konnten  un- 

1  zu  .srr/r/e  s.  bes.  Mhd.  wb.  II  2,  35—37;  JGrimni  ^[ythol.  •*  fl 
719  —  732.  III  250 — 207,  dazu  Wunsch  ebda,  reg.  s.  540  (zu  AVunsch 
s.  auch  Wild.  wb.  III  !S18 — 821);  Wackernagel  Das  glücksrad  und  die 
kugel  de.s  glucks,  Kl.  sehr.  I  241 — 257;  Weinhold  Glücksrad  und  lebens- 
lad,  Abhandlungen  der  Berliner  akademie  d.  wissensch.  1992  s.  Sit';  Schön- 
bach Über  Hartmann  s.  190,  wo  noch  weitere  litteratur  angegeben  ist; 
Kegine  Strümpell  Über  gebrauch  und  bedeutung  von  .<irl(le,  s/pUc  und 
verwantem  bei  mittelhochdeutschen  dichtem,  Leipz.  diss.  1917;  Burdach 
Der  ackermann  aus  Böhmen  s.  249—252.  über  die  wihcp.lde  s.  CRöhr- 
scheidt  Studien  zur  Kaiserchronik,  Gott.  diss.  1907,  s.  14  ff;  häufig  in  der 
bildenden  kunst.  —  zur  auffassung  des  glückes  als  einer  person  konnte 
besonders  Koethius  De  consolatione  Philosophiae  B  II.  cap.  1  u.  2  bei- 
getragen haben,  cap.  2  sagt  Fortuna,  dass  sie  reichtum  und  ehre  ■  und 
alle  jihiiliehen   guter  in   ihrer  macht  habe. 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  16!) 

möglich  das  gebiet,  für  welches  sie  arbeiteten,  für  böse  halten;  gar 
in  einer  zeit,  in  welcher  sie  selbst  von  hohen  ideen  bewegt  wurden, 
in  der  ihnen  die  kunst  aufging,  diese  weit  mit  dem  herrlichen 
kleide  der  poesie  zu  schmücken,  und  in  der  sich  die  Schönheit 
und  hohe  würde  des  weibes  den  erstaunten  sinnen  offenbarte, 
jetzt  erblühte  der  frau  Welt  eine  ungeahnte,  romantisch -seltsame 
Verehrung,  dem  gottesdienst  wurde  ein  weltdienst  zur  seite  ge- 
setzt, neben  die  huld  Gottes  trat  die  des  weibes,  die  lust  dieser 
weit  wurde  gepriesen  statt  der  himmlischen  freude,  anstatt  der 
demut  galt  als  höchstes  ziel  der  höhe  iiuiot  und  die  ere,  das 
religiöse  hauptlaster  also,  die  superbia.  diese  weit  ist  die  feine 
gesellschaft,  sind  die  höfisclien  kreise  mit  ihrem  tugendcodex 
der  erc. 

Ein  kind  dieser  weit'  ist  Walther  in  jenem  teil  seiner  ge- 
dichte,  in  denen  seine  tugendlehre  zum  ausdruck  kommt,  er  er- 
klärt sieh  selbst  für  einen  willigen  diener  der  weit  60,  6.  117,15, 
sogar:  ich  hau  llp  vnde  svle  geivdf/ef  tüsentshnif  dur  dich  67,  12; 
er  dient  um  der  frauen  huld  66,  32;  den  frauen  wol  sprechen  ist 
eine  gäbe,  die  sogar  der  liebe  zu  Gott  und  dem  glauben  an  die 
predigt  der  geistlichen  einen  höheren  glänz  verleiht  37,;S3.  aber 
die  weit  ist  anders  geworden,  und  diese  Wandlung  ist  nicht  im 
sinne  des  alternden  dichters:  Sd  we  dir,  Welt,  wie  iihel  dfi  stest! 
21,  10;  sie  ist  freudlos:  o/tfre  deich  niht  vergezzen  mac  ivie  rehte 
frö  die  Hute  u-dre»  120.  10,  stt  mein  meman  siht  väch  fröiden 
ringen  112,  12,  auch  21,  17.  42,  33.  5S,  21.  90,  33.  97,  34. 
100,  33.  124,  18.  auch  die  eve  ist  verloren:  21,  10.  60,  31. 
85,  29.  90,  29.  33;  ere  und  znht  24,  3.  38,  18  sind  ge- 
schwunden, vnfHoge  ist  eingerissen  24,  8.  90,  35;  mit  den  ge- 
triincen  alten  sifcn  ist  man  aus  der  mode  gekommen  90,  27; 
triiuve,  milte,  znht  und  ere  sind  tot  38,  18.  112,  14;  triun-e 
linde  wärheit  werden  beschimpft  21,  23;  die  uiilte  wird  nicht 
mehr  anerkannt  21.19;  irhhcit,  adel  und  (fZ/cy  sitzen  nicht  mehr 
im  rat  102,  18.  viele  dieser  klagen  über  den  verfall  der  weit 
gehören  nicht  in  die  letzte  lebenszeit  des  dichters,  es  sind  oft  nur 
unwillige  ausbrüche  eines  laudator  teraporis  acti-. 

Allerdings,  die  weit  ist  anders  geworden,    aber  nicht  nur  die 

1  Wilmanns  Leben  s.  22'.;  f,  2  iiufl.  s.  214  f. 
-  Burdach  Walther  s.  94. 
Z.  F.  D.  A.  LVI.    N.  V.  XLIV.  12 


1 70  EHRISMANN 

feinen  höfischen  nianieren,  selbst  nicht  blofs  die  sittlichen  begriffe 
hatten  sich  vermindert,  sondern  das  ganze  Weltbild  hatte  höchst 
ernste  züge  angenommen,  der  gegensatz  zwischen  papsttum  und 
kaisertum  war  aufs  äufserste  verschärft,  ein  kreuzzug  sollte  ihn 
lösen  V  aber  es  war  zu  spät,  und  ist  nicht  Walther  selbst  ein 
anderer  geworden?  das  alter  ist  über  ihn  gekommen,  das  ewige 
ist  ihm  näher  gerückt,  da  ist  ihm  die  weit  nicht  mehr  nur  die 
vveltfreudige  hofgesellschaft,  die  sich  durch  beaelitung  der  äufser- 
lichen  formen  des  gottesdienstes  doch  ganz  gut  mit  den  forde- 
lungen  der  religion  abfinden  konnte:  es  ist  jetzt  der  mundus  im 
antigeistlichen  sinne,  der  weltbegriff,  der  im  gegensatz  zum  gottes- 
begriff  steht  2.  von  dieser,  den  weg  zum  ewigen  {gotes  hulde) 
liemmenden,  sündhaften  weit  sagt  er  sich  in  aller  form  los  100,24. 
()7,  8.  er  predigt  bufse  122,24.  124,40,  die  kreuzzugsstimmung 
hat  allen  hang  zu  dem  Übeln  mundus  ertötet  13,5.  124,  1.  jetzt 
sorgt  er  um  sein  Seelenheil  67,  12.  124,  33  (auch  3S,  14)^  um 
die  wahre  und  stäte  minne  67,  24.  81,  31,  er  schaut  nach  den 
iskEteii  f'rinden  13,  25.  124,  33,  s.  auch  42,  7,  nach  der  ewig 
währenden  scelden  kröne  125,  7. 

Getrennt  von  der  weltlichen  moral  gehen  die  rein  religiösen 
lieder  und  sprüche,  sie  gehören  in  das  gebiet  der  religio  und 
streben  nach  dem  'obersten  gut',  der  gotes  hulde  ^.  aus  ihnen 
spricht  ein  frommes  gemüt,  weltliche  und  geistliche  gedichte  ver- 
eint'geben  das  gesamtbild  einer  tief  sittlichen  Persönlichkeit^,  mit 
dem  alter  haben  die  ernsten  geistlichen  gedankeu  der  weltentsagung 
(die  lostrennung  vom  mundus)  die  überhand  gewonnen.  —  Von 
der  weit  zu  Gott:  diesen  weg  haben  viele  seiner  Zeitgenossen  ein- 
geschlagen, ihn  weisen  eigene  lebenserfahrung  und  der  verlauf 
des  menschendaseins,  der  dahin  geht,  'nach  und  nach  die  freie 
seele  einzuschränken',  das  mochte  der  natürlich  gegebene  gemüts- 
zustand  in  den  späteren  jähren  auch  bei  Walther  gewesen  sein, 
der  treibende  grund  aber  war  sicher  eine  religiöse  gewissens- 
sache,    eine   f orderung   der    kirche:    die  sorge  um   das   ende,     es 

'  Wilmaniis  Lebeu  s.  "iST,  2  auti.  s.  232  i. 

-  WilmaiiDS  Ausg.  anm.  zu  67,   14. 

■'  Wilraauiis  Leben  s.  214—222,  2  auü.  s.  2:VJ  -  24(). 

■*  luau  könnte  die  religiösen  gedichte  der  theologia  niorali.s  zu- 
teilen, die  gedichte  der  ritterlichen  Sittenlehre  dagegen  der  philosophia 
ini.)ralis. 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  171 

näherte   sich   sein   weg  vom  conimuniter  religiosus  dem  specialiter 
religiosus. 

Begreift  nun  Walther  unter  dieser  der  gotteshuld  wider- 
strebenden Sündenwelt  zugleich  aucli  die  ehrenweit  der  höfisch- 
heit?  nein,  denn  er  sagt  selbst,  nachdem  er  jahrzehntelang  ge- 
sungen, dass  er  mit  v,nverzageter  areheit  um  ehre  werben  will, 
wie  er  von  kind  an  getan  66,  21  ff:,  aber  er  hat  doch  die 
bittere  erfahrung  gemacht,  dass  diese  gesellschaft  undankbar  ist 
und  schliefslich  nur  ihr  spiel  mit  ihm  treibt,  geehrt  werden  von 
den  trefflichen  und  damit  die  huld  der  höfischen  leute  haben 
(66,  .•'.2.  67,  3)  ist  des  strebens  wert,  aber  höher  steht  die  wahre 
minne  67,  26.  es  ist  dieselbe  wertabstufung  wie  in  seinem  ersten 
politischen  spruch  8,  4:  gotes  hulde  ist  mehr  denn  weltlich  ere 
und  varnde  guot.  und  doch  ist  die  höfische  weit  nicht  von  der 
übrigen  weit  zu  scheiden.  Walther  selbst  muss  bekennen,  dass 
das  lob  der  irdischen  minne  (der  minnesang)  der  seele  leid  ist 
und  dass  es  schwer  ist,  in  dem  leben  der  höfischen  gesellschaft  — 
denn  die  speciell  nur  ist  gemeint  67,  12  —  sein  heil  zu  bewahren, 
vom  standpunct  des  mittelalterlichen  mönches  und  geistlichen  au.s 
war  er  ein  weltdiener  und  lebte  in  der  weit  der  sünde.  diese 
Wertung  des  lebens  als  der  sünde  vertritt  er  hier  und  in  den 
andern  zuletzt  genannten  gedichten  seines  alters  und  der  kreuz- 
zugsbewegung,  und  er  spricht  sie  aus  in  den  anschauungsformen 
und  im  stil  der  theologie.  aber  er  hat  damit  seine  lebensarbeit, 
seine  kunst,  die  weit  zu  erfreuen,  doch  nicht  als  einen  irrtum 
widerrufen.  der  Widerspruch  bleibt  also  bestehn.  er  hat  den 
Zwiespalt  zwischen  Gott  und  weit,  zwischen  seele  und  leib,  zwi- 
schen gotes  hulde  und  den  weltlichen  gütern,  der  die  mittelalter- 
liche Weltanschauung  beherscht,  speculativ  nicht  vereinigen  können, 
er  hat  die  formel  nicht  dafür  gefunden,  den  conflict  zwischen 
dem  laien  und  den  foiderungen  des  theologen  konnte  er,  als  er 
ilin  —  eben  in  diesen  letzten  gedichten  —  selbst  aufstellte,  nicht 
ausgleichen,  im  leben  selbst  aber  hat  er  eine  'nütze  arbeif  voll- 
bracht, denn  er  war  gottesfürchtig  (religiosus  im  weiteren,  com- 
rauniter,  aber  doch  nicht  im  gewöhnlichen  sinne)  und  hat  'mit 
n-erdekeW  der  werlde  hulde  behalten  (Parz.   !S27,   19  ff)  2. 


'  zu  diesem  liede  vgl.  Bardach  Eeinmar  s.  ü  ff. 
"  vgl    Wustniaun  Walther  vdVogelweide  s.  82— So. 

12* 


172  EHRISMANN 

HARTMANN. 

Unter  allen  mittelhocluleutsclien  (liclitern,  abgesehen  von  den 
reinen  didaktikern,  liat  Hart  mann  von  Aue  die  grundlagen 
seiner  moralischen  anschauungen  am  kräftigsten  herausgearbeitet, 
er  stellt  würkliche  Systeme  auf  und  erweist  auch  damit  seine 
methodische  Schulung,  streng  trennt  er  die  beiden  gebiete,  das 
reich  der  gnade  und  das  reich  der  weit,  zum  gottesdienst  leiten 
seine  beiden  geistlichen  erzählungen,  der  Gregorius  und  der  Arme 
Heinrich,  weltliche  Sittlichkeit  lehren  die  beiden  höfischen  romane 
und  das  Büchlein.  Hartmann  will  moral  lehren ',  nicht  nur  in 
seinen  beiden  religiösen  werken,  sondern  auch  in  den  drei 
weltlichen. 

Hartmanns  Büchlein  (das  sog.  I  Büchlein)  ist  eine  minne- 
lehre"-, das  thema  ist:  wie  kann  man  frauenliebe  erlangen?  die 
antwort  lautet:  durch  arheif.  austrengung.  die  arheif  besteht  in 
der  ausübung  der  tugenden.  damit  ist  die  minnelehre  zur  tugend- 
lehre geworden,  die  weltlichen  tugenden  der  moralis  philosophia 
bezw.  die  moralischen  tugenden  des  Christentums  werden  auf  das 
minuewesen  übertragen. 

Der  grundplan  der  allegorie  ist  folgender:  ein  jüngling  ist 
von  der  minne  bezwungen,  aber  seine  geliebte  erhört  ihn  nicht 
(nimmt  seinen  dienst  nicht  an),  darüber  verfällt  er  in  melancholie, 
verschwiegen  trägt  er  seinen  kummer  und  beklagt  ihn  nur  in 
seinem  Innern,  sein  leib  und  sein  herz  halten  zwiespraciie  1 — 33. 
der  leib  klagt  das  herz  an,  weil  es  ihm  die  minne  eingegeben 
hat  76 — 84  (180),  wodurch  alle  seine  fröude  vernichtet  wurde 
94  f.  146.  334  ff.  392  f.  427  ff.  535.  das  herz  weist  die  vor- 
würfe des  leibes  zurück:  deine  äugen  sind  schuld  daran,  denn 
alles  was  in  der  weit  geschieht,  lerne  ich  nur  durch  den  sehsinn 
kennen  535 — 557;  vielmehr  rate  ich  dir  immer  zum  guten,  und 
auch  nur  in  guter  absieht  habe  ich  dir  zu  diesem  weibe  geraten 
558 — 602.  du  hast  keinen  grund  zu  klagen,  denn  wer  minne 
erwerben  will,  braucht  vernunft  {scJmne  sinne  608)  und  muss 
sich  anstrengen  (arhelt  613).  nun  folgen  weiter  in  der  minne- 
lehre 603 — 641  die  tugenden:  übrigens  geht  es  dir  nicht  schlecht, 
iu  hast  ein  vergnügtes  leben   642  —  718    (bes.  671 — 689).     aber 

'  Piquet  Etüde  sur  Hartmaiiii  d'Aue  s.  213.  317. 
■-'  Piquet  s.  82  ff. 


EITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  173 

du  musst  männlich  zugreifen  7  38,  das  glück  muss  man  erkämpfen 
742—800,  wer  durch  eigene  kraft  das  glück  erwirbt,  der  darf 
den  nmot  hohe  tragen  1S8— 1^0;  sei  kein  Schwächling,  lass  dein 
überflüssiges  klagen,  scliau  aufwärts  und  sei  heiteren  mutes,  Gott 
hat  die  seinen  nie  verlassen  801 — 820.  nicht  du,  sondern  ich 
lebe  in  sorgen,  und  zwar  wegen  deiner  minderwertigkeit  (boshei.t 
858)  und  torheit  [tmfruot  859),  du  hast  keine  tugenden  und  keine 
ehre  862— S6S.  wesentlich  neues  begegnet  im  folgenden  nicht 
mehr,  hervorzuheben  sind  jedoch  noch  einige  stellen:  der  leib 
rauss  dem  herzen  gehorsam  sein  896;  das  herz  hat  gewalt  über 
den  leib  44 — 50.  SO,  aber  es  hat  nur  den  vernünftigen  willen 
{muot  und  frien  gedanc  9l6f)  und  kann  nur  ratgeber  des  leibes 
sein  (das  herz  kann  den  leib  nur  zum  guten  bewegen,  nicht  das 
gute  selbst  ausführen)  920 — 924  [zum  text  vgl.  unten  s.  247]; 
die  zweite  minnelehre,  der  kräuterzauber,  1269 — 1348;  und  die 
letzte  minnelehre:  greif  besonnen  und  nicht  hastig  übereilt  zur 
minne^,  sei  süete  1536 — 1564,  denn  die  beste  lehre  ist,  be- 
ständig in  der  minne  sein   1613 — 1632. 

Hier  hat  Hartmaun,  zum  erstenmal  in  seiner  dichterischen 
laufbahn,  tugendsj^steme  zusammengestellt,  sie  werden  beide  male 
vom  herzen  dem  leibe  als  minnelehre  vorgetragen  (609).  die 
einzelnen  eigenschaften  des  minnedieners  (621)  sind  dieselben  wie 
die  in  den  listen  des  Gregorius  und  des  Armen  üeinrich:  603 
— 640  werden  angeführt  irlawe,  miUe.  inanheit,  zühtcdichen  halt; 
zur  letzteren  pf licht,  der  zuht,  gehört  den  lq>  schone  haben  629  -, 
das  ist  eine  aufgäbe  der  modestia  (Moral,  philos.  1035,  Cicero 
De  offic.  I  35.  36).  vorausgeschickt  werden  allgemeine  ver- 
haltungsmafsregeln,  6n7  — 625:  szcer  ahte  hat  vf  minne,  der  darf 
wol  schmner  sinne  (helle,  klare,  richtig  geordnete  sinne,  Vernunft  3); 
ferner  nur  guotez  tuon  (610 f  und  623 — 625):  das  eben  ist  der 
inhalt  des  honestum,  der  tugent,  der  tugende  zusammen;  nur  auf 
rehtes  mannes  muot  (wiederum  =  tngent.  speciell  'des  mannes") 
bedacht  sein,  das  erfordert  arbeit :  und  dass  man  viel  an  die  ge- 
liebte denke,    da   gehoeret    arbeit   zm   613,   jane   ist  ez   niht  ein 

*  Tgl.  Ulr.  vLiehteasteiiis  Frauenbuch  üOiS,  2  f.  27. 

*  umgekehrt  Meinloh  .MFr.  12,  20  ican  sol  26  liehe  (jähen,  vgl, 
Lüderitz  s.  47. 

3  schmner  ^m  vgl.  12'j2,  ferner  II  büchlein  220;  Walthcr  vd Vogel - 
weide  s.  oben  s.  157. 


174  EHRISMANN 

kindes  spil,  stver  daz  mit  rehte  erwerben  sol  daz  im  von  wthe 
qcschihet  ivol  603 — 605;  minne  machet  niemen  fr'i  ze  ijrazem 
gemache  616  f;  du  muost  mit  herten  dingen  nach  ir  hulden 
ringen  und  sogar:  beide  sele  unde  lip  mnoz  er  wägen  durch  diu 
wlp  635 — 638  ^  mit  diesen  eigenschaften  (es  sind  lauter  virtutes 
des  honestura)  erwirbst  du,  daz  dir  die  fro/ren  iresen  holt  632  f. 
wer  durch  lugenden  dient,  dem  folgt  der  lohn  640. 

Etwas  anders  gemischt  sind  die  tugenden  in  den  pigmenten 
des  kärlingischen  kräuterzaubers  1269 — 132G.  das  ist  nicht  nur 
ein  minnerecept,  sondern  ein  mittel  zur  irdischen  glüclcseligkeit. 
die  allegorie  lautet:  kein  mensch  besitzt  die  gewürze  (das  sind 
die  tugenden),  nur  Gott  hat  sie  in  seiner  gewalt,  der  mensch  er- 
langt sie,  wenn  ihm  das  glück  zuteil  wird  sie  zu  erlangen  1290, 
von  Gott  mit  der  Vernunft  (mit  schamem  sinne  1292),  durch  den 
richtigen  gebrauch  der  Vernunft  bezw.  der  intelligenz,  vgl.  auch 
759.  1231;  aber  Gott  gibt  sie  doch  nur  wem  er  will  1299-. 
das  bild  der  tugenden  als  gewürze  stammt  aus  dem  Hohen  lied, 
dessen  commentare  überhaupt  für  die  christliche  tugendlehre  von 
bedeutung  sind,  die  tugenden  sind  die  auch  sonst  immer  wider- 
kehrenden, hier  geteilt  in  vier  gruppen:  mute,  zuht,  diemuot 
1302 — 1308;  triuioe  unde  stmte  1309 — 1313;  kiuscheit  unde 
schäme  1314  f;  manheit  131 6f;  wer  sie  besitzt,  ist  biderbe  unde 
guot  1225;  das  gefäfs  in  das  sie  aufgenommen  werden  sollen, 
das   herz,   soll  ohne  haz  sein   1319 — i;i23.    1329  f.     eine  weitere 

*  scle  kann  hier  allerdings  nicht  die  vollbedeutung  von  unsterbliche 
seele  haben,  sondern  sele  und  lip  ist  nur  formel  für  'sich  ganz'  hingeben, 
die  formel  ist  also  'erstai'rt'. 

-  Schönbach  s.  80 — S2.  260  f.  390  — MOo.  auch  hier  wider  das  un- 
klare zusammenspielen  von  scplde  (heil)  und  Gott.  —  Wilh.  Weise  Die 
Sentenz  bei  Hartmann  vAue,  Marburger  diss.  liUO  s.  30 — 34.  Weise  ver- 
weist im  excurs  s.  35— 3S  zur  erklärung  von  Veldekes  minnebaum  (Parz. 
291,  1  ff)  auf  den  bäum  der  liebe,  albre  d'amor,  des  Malfre  Ermengaut 
(vgl.  den  bäum  bei  Suchier-Birch -Hirschfeld,  Franz.  LG.  I  93).  dieser 
bäum  der  liebestugenden  ist  eine  nachahmung  eines  arbor  virtutum  (bzw. 
vitiorum),  wie  einer  bei  Migne  176,  1006  ff  unter  den  werken  Hugos 
von  SVictor  abgebildet  ist.  auch  dies  ist  ein  beispiel  der  Übertragung 
geistlicher  Vorstellungen  auf  das  minnewesen.  über  den  tugendbaum  vgl. 
auch  Roethe  Reinmar  s.  218.  zur  allegorie  ausgebildet  ist  der  Stamm- 
baum der  tugenden  bezw.  der  laster  auch  im  Renner,  hier  ist  auch  der 
bäum  der  dichtkunst  in  Gottfrieds  Schwertleite  v.  4736  ff  anzureihen. 


RITTERLICHES  TÜGENDSYSTEM  175 

forderung  ist:  es  sich  beim  gebrauch  des  zaubers  ernst  sein  zu 
lassen  (=  arbeit)  1335.  wer  die  Zauberkunst  hat,  die  kräuter 
(tugenden)  zu  mischen,  dem  wird  es  von  wtbe  immer  rehte  wol 
ergän  1336  f;  er  wird  also  die  ersehnte  minne  gewinnen,  er 
wird  aber,  wie  schon  vorlier  versprochen  worden  ist,  sich  über- 
haupt beliebt  machen  1286  1  (zunächst  durch  die  drei  ersten 
tilgenden  1285 — 1303);  noch  mehr:  er  wird  heil  oder  liebes  (an- 
genehmes) deheinen  teil  1273 f.  1300,  er  wird  die  smlde  erlangen 

'  sich  bei  den  menscben  beliebt  machen  ist  ein  erfolg  der 
tugenden,  es  gelingt  dem,  der  die  eigenschaften  des  honestum  besitzt, 
schon  die  ältesten  'Eatschläge  für  liebende'  geben  die  belehrung :  (eri 
werbe  das  mit  sinne,  das  in  allic  dio  weit  minne  Und  man 
ime  wol  spreche  Docens  Mise.  II  307,  vgl.  Seherer  QF.  12,  90; 
ferner  Gregorius  alle  tar/e  er  friunt  geiean  1245,  die  Hute  tra- 
i/ent  dir  holden  muot  1460,  lauter  steUeu,  die  von  tugenden  handeln, 
•das  wolgefallen  der  weit  zu  besitzen  ist  ein  erfordernis  der  höfischen 
bildung  (er  muose  wol  gecallen  durch  reht  den  Hüten  allen  Moriz 
vCraon  287  f ),  und  die  summe  der  Vorzüge  hat  der,  von  dem  alle  Hute 
wol  sprechent,  vgl.  Walther  119,  29  (Burdach  Reinmar  s.  1171,  Erec 
2402.  10052,  AHeinr.  36,  Ulrichs  vTürheira  Tristan,  Mafsmann  589,  7  f, 
Rudolf  vEms  im  Alexander,  Zingerle  Die  Quellen  zum  Alexander  des 
Rud.  vEms  s.  121.  den  beifall  der  menschen  zu  gewinnen  ist  die  auf- 
gäbe des  decorum,  der  niodestia,  Cicero  De  officiis  I  108.  Cicero 
stellt  als  wichtigste  praktische  lebensregel  auf  'conciliare  animos  hominum 
et  ad  usus  suos  adjungere'  und  gibt  als  einleitung  zu  der  erlangung  des 
utile  die  dazu  nötigen  tugenden  au.  De  off.  II  <o.  aber  dieses  weltgefallen 
ist  nur  ein  satz  des  honestum  der  antiken  tugendlehre,  das  sittlich»- 
lebensideal  der  laien  stellt  doch  ein  höheres  ziel,  es  ist  die  Vereinigung 
von  Gott  und  weit:  Swer  got  und  die  icerlt  kan  behalten,  derst  ein 
scelic  man  Freidank  31,  ISf,  und  Ein  man  sol  lop  und  cre  bejagen 
unt  doch  got  in  herben  tragen  Freidank  93,  22  f,  vgl.  Ehrismann 
Zs.  49,  454—456.  Richard  Ritter  Die  einleitungen  der  altdeutschen  epen, 
Bonner  dissertation  1908  s.  62;  ferner  s.  Annolied  610—613,  MFr.  20,  13f, 
Münchener  Oswald,  ßaesecke  v.  1871,  besonders  aber  Gottfrids  Tristan 
b«00fi— 8030.  das  ist  biblische  Sittlichkeit:  'gnade  bei  Gott  und  den 
menschen':  Luc.  2,  52  (vgl.  2,  14)  gratia  apud  deum  et  homines;  im 
alt.  test.  Sirach  14,  1.  2.  45,  1:  dilectus  Deo  et  horainibus;  Benedict, 
regel  cap.  V:  tunc  acceptabilis  erit  Deo  et  dulcis  hominibus;  vgl.  ferner 
Hernhard  vClairvaux,  sermo  in  vigilia  nat.  dorn.  V:  Neque  enim  homini- 
bus sine  lenitate  non  plus  quam  Deo  sine  lide  placere  possibile  est. 
propterea  siquidem  oportet  nos  providere  bona  non  solum  coram 
Deo,  sed  etiam  coram  hominibus,  ut  non  tantum  regi 
nostro,  sed  et  concivibus  et  commilitonibus  nostris  grati  esse  possimus. 
diesen   zweck   hatte  Hartmanu   bei   der   abfassung   des   aHeinrich    12-15: 


176  ElIRISMANN 

1325.  es  erhebt  sich  aber  am  schhiss  die  lelire  zu  höheren  als 
bldfs  ^veUlichen  aufj;aben :  er  soll  den  zauber  oline  schände  und 
grofse  Sünde  tun  1339 — 1341,  und  er  soll  nicht  nur  der  weit 
gefallen  und  das  weltgUick  erlangen,  sondern  (jal  iin<Ldiu  irerlt 
inlimet  in  1344 — 1341):  damit  hat  er  das  höchste  gewonnen,  was 
dem  weltmanne  erreichbar  ist,  die  Vereinigung  von  weit  und  Gott^ 
diese  also  kann  man  durch  die  weltlichen  tugenden  zu  wege 
bringen,  wenn  man  dabei  die  religio,  die  dem  in  der  weit 
lebenden  vorgeschriebene  frömmigkeit,  bewahrt. 

Das  thema  von  Hartraanns  Büchlein  ist  eine  minnelehre:  ein 
junger  mann,  der  kein  glück  in  der  liebe  hat,  wird  belehrt,  wie 
er  die  niiune  seiner  dame  erwerben  kann,  der  didaktische  stoff 
ist  eingekleidet  in  das  moliv  der  geistlichen  allegorie  vom  streit 
zwischen  leib  und  seele  (vgl.  bes.  die  Visio  Fulberti  bei  Du 
M^ril  Poesies  populaires  lat.  anterieures  ...  s.  2  I  7—230  ■^).  das 
Büchlein  ist  also  eine  Übertragung  geistlicher  Vorstellungen  auf 
das  minnewesen.  statt  um  die  ewige  Seligkeit  handelt  es  sich  um 
die  weltwonne  (minne)  277.  an  die  stelle  der  seele  ist  das  herz 
getreten,  die  veranlassung  dazu  hat  der  psychologische  grundsatz 
gegeben,  dass  das  herz  der  sitz  der  leidenschaften,  besonders  der 
minne  ist  2.  nur  unter  dieser  Voraussetzung  kann  die  mehrzahl 
der  von  Schönbacli  s.  469 — 471  aufgeführten  stellen  über  da.s 
Verhältnis  von  herz  und  leib  richtig  verstanden  werden,  nicht 
herz  und  leib  machen  nach  der  scholastischen  anthropologie  den 
menschen  aus,  sondern  seele  und  leib,  nidit  das  herz  hat  die 
gedanken,  gibt  den  rat  (also  auch  zu  den  tugenden),  befiehlt,  ist 
lierr  des  leibes,  sondern  die  anima  intellectiva,  die  trägerin  von  vei- 
nunft  und  willen  ■•.     herz  (cor)  und  leib  (corpus,  caroj  zusammen 

von  so  gewanten  sacken  da:~  rjote.-<  eren  töhte  und  da  mite  er- 
sieh mühte  (jelieben  den  Hüten  (zur  erkläruiig  der  stelle  s.  Schönbacli 
s.  130.  439),  uud  Giej^orius  3991:  got  und  in  ^e  minnen  (Schönbach 
s.  438). 

'  s.  unten   Parzival. 

-    Piquet  s.   77  ff. 

•'*   im  minnesang:  Burdavh  ßeinniar  s.   114  f.   119. 

*  dass  Hartniann  keinen  anstofs  an  diesen  widersjjrüelieu  j,'LMionmjen 
hat,  beweist,  dass  er  psychologisch  im  sinne  dt^r  scholastischen  philosophie 
ungeschult  war;  vgl.  auch  Heinr.  vKugge  MFr.  101,  31.  im  hötisshen 
minneverhältnis  bandelt  es  sich  überhaupt  nicht  um  die  .<ele,  sondeiii 
um  das  herze;  vgl.  Lilderitz  s.  97  ff. 


RITTERLICHES  TÜGENDSYSTEM  177 

bilden  nur  den  leiblichen  teil  des  niensclieu,  d.  li.  das  herz  ist  ein 
teil  des  leibes.  gegenüber  dem  leib  als  dem  sterblichen  teil  steht 
die  Seele  als  der  unsterbliche  teil  des  menschen,  die  misachtung 
des  leibes  von  seiten  des  herzens,  der  tadel  seiner  trägheit,  seiner 
genussucht  entspricht  der  christlich  -  asketischen  verpönung  des 
fleisches.  sein  minnekummer  ist  hier  aufgefasst  wie  die  haupt- 
sünden  acidia  und  luxuria. 

Auch  in  dieser  weltlichen  minnelehre  lässt  Hartmann  seine 
fromme  gesinnung  zur  geltung  kommen,  sie  findet  ausdruck 
weniger  in  formelhaften  als  inhaltlichen  beziehungen  auf  Gott  '. 
wie  in  der  belehrung  über  das  verhalten  des  leibes  und  des 
herzens  gegenüber  der  seele  in  hinsieht  auf  das  zukünftige  leben 
1034  — 1055;  in  der  hintansetzung  der  liebe  zur  dame  gegen  die 
liebe  zu  Gott  144Sf;  in  der  erklärung  der  tugenden  als  gaben 
Gottes  im  kräutersegen  1287 — 1300;  oder  in  dem  trostwort  ja 
vevliez  f/ot  den  slnen,  nie  SOS. 
1*  Der  bisherige  verlauf  der  Untersuchung  hat  den  engen  zu- 
I  sammenhang  zwischen  der  ritterlichen  und  der  christlichen  moral- 
I  lehre  erwiesen,  alle  factoren  der  w^eltlichen  ethik  hatten  ihre 
Hinalogie  auf  geistlichem  gebiete,  das  System  des  honestum  läuft 
parallel  dem  der  vier  cardinaltugeuden,  die  weltliche  minne,  amor, 
steht  gegenüber  der  göttlichen,  der  charitas-,  der  frauendienst 
dem  gottesdienst,  die  ynäde  der  dame  der  gnäde  Gottes,  die 
weltehre  der  gottesehrung,  die  arbeit  für  die  minne  der  arbeit 
um  das  himmelreich,  die  irdische  sielde  der  ewigen  Seligkeit: 
und  so  bis  in  einzelheiten.  das  rittertum  ist  durch  die  kirche 
erzogen  worden,  die  formulierung  seiner  sittlichen  begriffe  steht 
unter  dem  einfluss  des  moralsystems  der  kirche,  die  minne  ist 
zu  einer  macht  in  der  menschenbildung  erst  geworden  durch 
die  angleichung  an  das  kirchliche  dograa.  die  theologie,  die 
in  ihren  logischen  begriffsbestimmungen  das  weib  für  ein  nie-"^ 
dereres  wesen  erklärte,  hat  gegen  den  phantasievollen  cult  | 
der  frau  in  der  Marienverehrung  nicht  angekämpft,  die  glut  der 
begeisterung  beherschte  die  zeit  der  kreuzzüge  und  ergriff  so 
geistliche  wie  laien.  das  sehnen  nach  der  gemütsoffenbaning  des~l 
überirdischen  schuf  bei  jenen  die  Christusmystik  und  erweckte  bei  ( 


'  Schönbach  s.  7!)- 82. 

-  s.  Wechs.sler.  bes.  s.  813  —  355. 


178  EIIRISMANN 

diesen  die  erapfindong  für  die  tiefe  der  frauenseele.  neben,  j;i 
an  stelle  des  alten  ritterideala  der  tapferkeit  ist  ein  neues  getreten, 
die  niinne. 

Im  Gregor ius  hat  Ilartmann  mehr  als  in  allen  seinen 
anderen  werken  seine  eigene  persönlichkeit  zur  geltung  gebracht  S 
ist  doch  er  selbst  aus  der  klosterschule  in  die  weit  getreten,  mit 
l>egeisterung  preist  er  das  rittertura,  uin  doch  vor  den  gefahren 
des  weltlebens  zu  warnen,  zwei  lange  aufzählungen  gibt  er  von 
rittertugenden.  die  erste  ist  eine  fürstenlehre,  das  moralische  Ver- 
mächtnis des  sterbenden  herzogs  an  seinen  söhn  244 — 258. 
empfohlen  werden  liier  die  tugenden  der  ere  (honestumj,  zuerst 
die  allgemein  gültigen:  trlinre  und  std'fr ,  mute,  vrerele  mit 
{/iiele  (vgl.  Walther  35,  29  kiicne  und  mute),  zuJit-^  dann 
speciell  regentenpflichten:  den  herren  starc,  den  armen  guot, 
die  dlnen  .sott  du  freu,  die  vremcden  zuo  dir  leeren:  /vis  den 
UHSen  gerne  In,  rliiich  den  tninhen  sivd  er  sl  ist  eine  lehre  für 
die  Jugend,  aber  auch  für  die  fürsten  bezüglich  ihrer  ratgeber. 
den  abschluss  bildet  die  höchste  der  moralischen  tugenden,  die 
gottesverehrung,  religio:  vor  allen  dingen  rninne  got,  und  mit  be- 
sonderer hinsieht  auf  das  künftige  amt  des  fürsten  als  richter: 
rihte  wol  dvrch  sin  gehot.  bemerkenswert  ist,  dass  unter  den 
weltlichen    tugenden    auch    die    demut    vertreten    ist    249  2.      die 

'   Piquet  s.  2S.  2Tü. 

-  vgl.  Piquet  s.  317.  —  die  deiuui  ist  eine  speciell  christliche 
lugend  (eiue  frucht  des  heil,  geistes,  Gal.  5,  22)  uud  keine  des  antiken 
tugendsystems,  ja  sie  ist  die  charakteristische  tugend  des  Christen,  dem 
hauptlaster,  der  superl^ia,  wird  die  humilitas  entgegengesetzt,  beide 
kämj)fen  gegen  einander  in  der  Psychomachie  des  Prudentius  (v.  178  ff) 
und  sind  fortan  die  das  sittliche  leben  bestimmenden  gegenpoJe  besonders 
in  der  moral  des  münchtums.  die  demut  ist  dann  wegen  ihrer  hcrschenden 
bedeutung  innerhalb  der  christlichen  ethik  auch  in  das  ritterliche  tugend- 
t-ystem  aufgenommen  worden  als  notwendige  forderung  für  den  christlichen 
ritter  (vgl.  Wechssler  s.  392 — 394  u.  reg.  s.  491).  im  christlichen  tugeud- 
system  ist  die  humilitas  unter  die  modestia  der  Moralis  pliilosophia 
(s.  oben  s.  143)  eingereiht,  so  bei  Thomas  vAquino  Summa  theol.  II  2, 
<iu.  Itil,  den  höheren  der  beiden  sittlichen  werte  stellt  natürlich  die 
christliche  tugend  der  humilitas  dar,  der  in  der  weit  lebende  mensch 
gelangt  eigentlich  blols  zur  modestia,  der  tugend  des  honestum.  als  be- 
griffsbenennung  würde  sich  demnach  für  das  ritterliche  tugendsystem 
speciell    die   bezeichuung   modestia   mhd.    he-icheidentieit    empfehlen,    statt 


RITTERLICHES  TDGENDSYSTEM  179 

gottesliebe  bringt  in  diese  weltliciie  lehre  eine  geistliche  färbung, 
es  werden  auch  nur  die  zwei  edleren  guter,  Gott  und  ehre,  nicht 
auch  das  weltliche  gut,  eingeschärft. 

Die  andere  tugendreihe  charakterisiert  den  sceldenrtchcn  Jüng- 
ling (127  7)  Gregorius,  1235— 12S4.  er  hat  die  äufseren  guter, 
bona  corporis  (aber  nicht  die  bona  fortunae,  adel,  macht,  reich- 
tura,  vgl.  V.  1093—1700):  er  ist  scimne  unde  starc  123S;  und 
innere  guter,  die  tugenden,  1239  —  1259,  die  in  einer  langen  liste 
aufgezählt  sind.  den  grundstock  bilden  die  stereotypen  be- 
dingungen:  getrimce  undc  (juot  1239,  ziiM  unde  fuoge  1242, 
mute  1250;  zu  den  notwendigen  pflichten  gehört  auch  die 
mäze  in  freud  und  leid  1247  (in  der  Moral,  phil.  unter  con- 
stantia  sp,  1053,  Werner  vElmendorf  Sllf).  die  mäze  in  der 
tapferkeit  1252,  wie  schon  bei  Aristoteles  das  mittel  zwischen 
der  Verwegenheit  und  der  feigheit,  audacia  und  tinior,  schreibt 
die  Moralis  philosophia  ebenfalls  vor  (Migne  1027  AB,  Werner 
vElmendorf  733 — 759);  die  geduld,  patieutia,  in  der  Moral,  phil. 
1026  A.  1034  B,  bei  Werner  vElmendorf  843—856  (ist  auch 
eine  frucht  des  heil,  geistes)!;  fürgedanc  als  diu  wisheit  gebot 
1256,  in  der  Moral,  phil.  sp.  1011  C  und  Werner  vElmen- 
dorf 91  ff;  schäme  1258,  verecundia,  Moral,  phil.  sp.  1039  f, 
Werner  vElmendorf  857  ff;  friunt  gewimien  1Ö45,  amicitia,  Moral, 
phil.  sp.  1023  13,  Werner  vElmendorf  675 ff.  während  die  vorher- 
gehnden  tugenden  ihre  entsprechung  in  der  allgemeinen  ritter- 
lichen lehre  und  in  der  Moral,  phil.  haben,  ist  die  mansuetudo 
eine  raönchspflicht.  zorn  (innere  erregung)  durch  Sanftmut  be- 
kämpfen und  beschwichtigen  1 244  ist  eine  frucht  des  heiligen 
geistes  und  eine  lehre  des  Aristoteles  (Etliik  IV  cap,  5),  von 
Thomas  vAquino  in  der  Summa  theol.  II  2,  quaest.  157,  art.  I 
behandelt  und  schon  in  die  Benedictinerregel  aufgenommen  (iram 
nou  perficere,  iracundiae  terapus  non  reservare  cap.  IV);  die 
Moral,  phil.  hat  ähnliches  unter  modestia  sp.  1035  B.  charakte- 
ristisch   endlich    für   den   klosterschüler  Gregorius   ist  es,   dass  er 

humilitas.  tatsächlich  bezeichuet  aber  in  der  kirchlichen  spräche  modestia 
ebenfalls  die  christliche  demut,  welches  wort  ja  gerade  in  der  grundstelle 
Gal.  5,  22  gebraucht  ist. 

»  Wechssler  s.  ;-)94  und  register  s.  496  unter  patientia;  als  wichtige 
forderung  zum  himmelreich  in  Aiigustins  De  civ.  Dei  XIX  cap.  4,  5; 
Thomas  vAquino  Summa  theol.  II  2,  qu.    136. 


1'80  EHRTSMANN 

der  ?rr(',,  disciplina,  Untertan  war  124'.),  den  wisen  folgte,  wie  es 
sich  für  kinder  (knaben)  geziemte  1253  (eine  aufgäbe  der  mo- 
destia,  Moral,  pliil.  sp.  lOGo  CD,  s  oben  s.  112),  und  dass  er  in 
den  artes  sehr  gelelirt  war  1241,  vgl.  1173 — 1197.  auch  dieses 
System  gipfelt  am  sehluss  in  der  kröne  der  moralischen  tugenden, 
in  der  gottesverelirung,  religio:  er  süovMe  yenädc  unde  rät  zallen 
ziten  (in  got  und  behielt  starke  am  gebot  12(iO.  diese  frömmig- 
keit  äufsert  er  auch  in  seinen  das  rittertum  verJierrliclienden 
reden  an  den  abt  1534.  17b2.  1S04  und  bewahrt  sie  in  seinem 
weltleben  ISÜO.  2053.  2070.  2075—2081.  22Gi).  2273.  22S8, 
und  sie  scliützt  ilm  vor  dem  äufsersten  frevel ,  vor  der  Ver- 
zweiflung an  Gott  2  Ol)  5  ff. 

Noch  an  einer  dritten  stelle  gibt  Hartmann  eine  tugendliste, 
863 — 868.  es  sind  nur  allgemeine  Vorzüge,  die  hier  der  jungen 
herzogin  beigelegt  werden,  sie  konnten  gerade  so  gut  von  einer 
männlichen  persönlichkeit  ausgesagt  werden. 

Das  leben  des  Gregorius  ist  ein  musterbeispiel  für  den 
dualismus  zwischen  Gott  und  weit  und  zwar  in  der  schroffsten 
auffassung:  swaz  dem  llbe  samfte  tuot,  dazu  ist  der  sele  dehein 
guot  2659.  zur  erscheinung  gelangt  dieser  Zwiespalt  in  den 
gegensätzliclien  formen  des  rittertums  und  des  klosterlebens,  die 
legende  ist  also  eine  Versinnbildlichung  des  Verhaltens  des  com- 
muniter  religiosus  und  des  specialiter  religiosus,  oder  des  in  der 
ere  lebenden  bezvv.  des  nach  gotes  liulde  strebenden  menschen : 
Stver  sich  von  pfajf'en  bilde  gote  machet  wilde  unde  ritterschaß 
hegät,  der  muoz  mit  maneger  missefät  vericürken  sele  unde  llp 
1517 — 1521.  der  abt  hat  Gregorius  ze  einem  gotes  kinde  envelt 
1526.  1555,  aber  sein  freier  wille  steht  nach  der  weit  1439. 
1512.  1800.  das  ist  das  tragische  geschick  des  beiden,  es  ligt 
in  seinem  blute,  seinen  natürlichen  bedingungen,  der  trieb  zur 
ritterschaft  ist  ihm  von  seinem  geschlechte  her  angeboren,  das 
klosterwesen  ist  ihm  nur  anerzogen. 

Eine  doppelte  schuld  lastet  auf  Gregorius,  die  seiner  eitern 
und  seine  eigene '.  das  vergehen  seiner  eitern  braucht  er  nicht 
sich  als  schuld  zuzurechnen,  aber  er  hat  doch  durch  sie  gotes 
/mZfZe  verloren  1780 — 1784:  das  hätte  ihn  um  so  mehr  bestimmen 
sollen,   in   dem  heiligen    leben  des  klosters  sich  ganz  dem  dienste 

'  vgl.  Schöllbach  8.  91  f. 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  181 

Gottes  hiazugebeii,  während  er  mm  nur  noch  heftitrer  nach  der 
weit  verlangt,  um  seine  eitern  zu  erfahren  1790  — 1  SOS.  die  un- 
natürliche Verbindung  von  mutter  und  söhn  fassen  beide,  über- 
einstimmend mit  den  anschauungen  des  volkes  i,  als  eigene  schuld 
auf,  mlssetät  2G81.  2087.  2703,  und  ihr  gewissen  (das  natur- 
gesetz)  belastet  sie  mit  den  schwersten  vorwürfen  2G05— 2750. 
für  diesen  frevel  nun  weiht  er  sein  ganzes  kommendes  leben  der 
bufse  2751  ff.  und  in  der  tat.  wenn  er  diese  schuld  auch  un- 
bewust  auf  sich  geladen  (durch  ignorantia)  -,  so  ist  er  doch  durch 
eigenes  verschulden  in  die  läge  gekommen,  sie  zu  begehn,  näm- 
lich durch  die  ungeordnete  anweudung  seines  freien  willens, 
der  ihn  in  die  weit  geführt  hat,  statt  ihn  im  kloster  zurück- 
zuhalten 3.  darin  ligt  der  Ursprung  seiner  moralischen  irrung:  es 
ist  die  weltsucht,  der  weltehrgeiz,  und  diese  sünde  ist  in  seinem 
fall  um  so  scliwerer,  da  ihm  der  abt  als  ein  weiser  und  wol- 
meinender  berater  die  gefahren  des  weltlebens  dringend  vorstellte, 
und  da  sogar  der  wille  der  eitern,  der  auf  der  rafel  eingeschrieben 
war,  ihn  zur  büfsung  ihrer  schuld  aufforderte  753 — 702.  aber 
statt  dessen  treibt  ihn  ihr  widernatürliches  vergehen  erst  recht  in 
die  weit,  seine  eigene  schuld  führt  ihn  dann  erst  zu  Gott,  als  er 
dem  iceltlh-hen  nniote  absagt  2747.  so  gelangt  er  von  der  welt- 
lichen hoffahrt  zur  demut  in  Gott,  von  der  sünde  zur  gnade,  vom 
Status  culpae  zum  Status  gratiae.  das  urteil  über  die  ethik  des 
gedichtes  muss  ausgehn  von  den  sittlichen  anschauungen  des 
mönchtums,  nach  welchen  das  klosterleben  (ordo  religionis)  das 
vollkommenste  abbild  des  gottesreiches  auf  erden,  die  weit  das 
reich  des  teufeis  ist.  das  religiöse  thema  ist  ein  problem  des 
willens,  es  ist  die  Unterordnung  der  irdischen  Sinnlichkeit  unter 
das  auf  den  himmel  zielende  gesetz  Gottes,  des  eigen.willens  unter 
den  gotteswillen.  die  vernunft,  die  erkenntnis  des  guten,  soll  den 
willen  lenken,  nicht  das  triebhafte  begehrungsvermögen. 

Alle  jene  v.  1235 — 1202  an  ihm  hervorgehobenen  tugenden 

1  eine  schuld  nach  der  volksmeinung:  Schöul)ach  s.  102. 

-  vgl.  Schönbach  s.   100  ff.  40.5—410;  Ehrismunn  Zs.  40,  447  f. 

3  die  impedimenta  des  weltlebens  s.  oben  s.  154.  dieser  zug  des  ge- 
dichtes ist  eine  parallele  zu  dem  beispiel,  das  Thomas  Summa  theol.  II  2. 
qu.  186,  art.  1  citiert :  consulitur  cuidam  qui  uxoreni  occidcrat,  ui 
potius  monasterium  ingrediatur,  quod  dicitur  esse  melius  et  levius,  .|uani 
quod  poenitentiaui   publicam  a,i;at,  remanendo  in  saeculo. 


1 82  EHRISMANN 

sind  merkmale,  die  die  vrouwe,  SoßUcheit  an  ihn  gelegt  hatte, 
die  soilde  ist  also  Schöpferin  der  tugenden.  Gott  aber  hat  dem 
umnsch,  dem  hervorbriiiger  aller  vortrefflichkeit,  erlaubt,  ihm  die 
äufseren  und  inneren  gaben  im  höchsten  werte  /u  verleihen  12G3. 
hier  also  ist  Gott  der  anreger,  der  u-unsch  der  unmittelbare 
Schöpfer  der  tugend.  der  wünsch  ist  die  schöpferische  kraft 
Gottes,  die,  in  religiöser  auffassung,  die  weit  als  zier,  als  kosmos 
bildet  und  ordnet,  der  Widerspruch,  dass  das  eine  mal  die  scnlde, 
das  andere  mal  Gott  durch  den  iciinscli.  spender  der  tugenden  ist, 
hat  seinen  grund  darin,  dass  weltliche  und  geistliche  auffassung 
zusammengeworfen  sind:  die  snidc.  ist  an  die  stelle  Gottes  ge- 
treten '. 

Die  an  Gregorius  gepriesenen  tugenden  sind  die  weltlichen 
des  honestum,  aufser  der  mansuetudo.  sie  sind  zugleich  auch 
religiöse  tugenden,  die  dem  System  der  cardinaltugenden  ange- 
hören, aber  llartmann  meint  an  dieser  stelle  —  wie  auch  sonst 
immer  in  seinen  tugendsystemen  —  einzig  die  weltlichen  tugenden 
der  cre '-. 

Das  aber  ist  von  bedeutung  für  die  auffassung  des  Charakters 
den    der  dichter  seinem   beiden   verheb:   er   wollte  ihn  von  voni- 

'  sceAde  s.  oben  s.  166 — 16S.  selbstverständlich  kann  man  bei  luhd. 
dichtem  keine  pünktliche  Systemdurchführung,  keine  streng  eingehaltenen 
einzeldefinitionen  erwarten,  das  ist  besonders  auch  bei  den  umfassenderen 
l)egriffen  wie  güete,  ere,  scelde  der  fall,  so  hat  in  unserm  gedieht  v.  1285 
rrouice  S'elicheit  dem  Gregorius  die  glückbringenden  tugenden  verliehen, 
V.  ]69Sff  aber  flieht  sie  ihn  und  er  muss  sie  erst  erjagen,  im  ersten  fall 
ist  scelde  das  Schicksal,  im  zweiten  bedeutet  sie  nur  die  glücksgüter  reich - 
tum,  macht,  ansehen,  rühm. 

-  das  geht  daraus  hervor,  dass  er  sie  von  der  irau  Sxlde  eingeben 
liisst.  das  'ideal  klösterlichen  lebens'  (Schönbach  s.  191.  199)  würde 
ganz  anders  aussehen,  von  sch(sne  und  ftarc,  suht  und  fuoge,  friunf 
fjetoinnen  und  vom  lob  der  leute  würde  dabei  nicht  die  rede  sein,  edles 
geschlecht  würde  unter  den  Vorzügen  eines  mönches  nicht  vermisst  werden, 
die  Übereinstimmung  mit  der  Benedictinerregel  in  einigen  tugenden  ist 
selbstverständlich,  weil  die  ritterliche  ethik  mit  der  geistlichen  manche 
puncte  gemein  hat,  es  fehlen  aber  umgekehrt  in  der  liste  bei  Hartmann 
wichtige  pflichten  der  Benedictinerregel  cap.  IV  ff,  so  gleich  die  grundlagc 
alles  geistlichen  lebens,  die  demut,  humilitas.  —  auch  wo  der  abt  ihn 
Kcelic  Jungelinc  nennt,  dem  es  so  gut  gehe,  als  er  nur  irgend  wünschen 
könne,  meint  er  nur  seine  gegenwärtigen  Verhältnisse  und  spricht  nicht 
von  Gott. 


RITTERLICHES  TÜGENDSYSTEM  is:^ 

herein  nicht  als  von  mönchsidealen  beseelt  darstellen,  sondern  als 
ein  geborenes  weltkind,  bei  dem  dann,  als  die  gelegenheit  sich 
ergab,  die  angeborene  ritterliche  natur  zum  durchbrach  kam, 
gerade  wie  bei  dem  jungen  Parzival.  damit  ist  seine  absage  an' 
das  klosterleben  nicht  ein  plötzlicher  und  unvermittelter  Umschwung 
seiner  gesinnung,  sondern  eine  naturgemäfse  entwicklung  seines 
Charakters,  es  blieb  ihm  der  freie  wille,  die  von  Gott  ange- 
regten, von  der  mMe  in  ihm  bewürkten  tugenden  zu  gebrauchen, 
er  hat  sie  nicht  zum  leben  im  raönchtum,  sondern  zu  dem  in  der 
weit  angewendet,  das  ist  der  moralische  grund  für  seine  Ver- 
schuldung, der  unmittelbare  anlass  aber  ist  die  auffindung  der 
tafel  und  die  entdeckung,  dass  er  ein  funtkint  ist  1323.  139',). 
1411.  diese  ruft  gleich  zwei  welthche  gedanken  in  ihm  hervor: 
die  furcht  vor  der  schände  und  dem  spott  der  leute  und  die 
hoffnung,  ritter  werden  zu  können   1409  ff.   1479  ff. 

Damit  ist  der  ehrgeiz  in  ihm  erwacht  1496.  lebendig  steht 
vor  seiner  seele  das  schöne  ritterleben  1558 — 1624.  er  entwickelt 
das  ziel  seines  ehrgeizes  1675 — 1730:  oh  ich  mit  rehter  arbeit, 
mit  sinne  und  mit  manheit  erwirhe  guot  und  ere,  des  priset  mau 
mich  mere  ...  1715,  also  gut  und  ehre  mit  arbeit  erringen, 
nicht  sich  durch  gemach  verligen   1677.   1683. 

Hier  ist  das  programm  für  die  lebensaufgabe  des  ritters  ent- 
wickelt: es  ist  arbeit,  handeln,  tat.  damit  ist  ein  neuer  factor 
der  ritterlichen  Sittenlehre  zu  besprechen,  es  ist  die  lebens- 
aufgabe, die  sich  das  rittertum  selbst  gestellt  hat,  eine 
äufserung  seines  eigensten  wesens,  nicht  blofs  eine  aus  einem 
antiken  oder  einem  kirchlichen  System  entnommene  tugend  oder 
Pflicht  1. 

'  gefordert  wird  die  tüchtige  arbeit  öfter  schon  im  neuen 
testament.  arbeit  im  dienste  der  nächstenliebe  ist  die  praktische,  vom 
Christentum  geforderte  lebensaufgabe  für  geistliche  und  laien.  dem  be- 
griff und  der  hohen  wertung  der  arbeit  in  der  ritterlichen  Sittenlehre 
entspricht  in  der  christlichen  philosophie  die  bedeutung  des  willens, 
in  dem  nach  Augustin  'der  kern  unseres  wesens  ligt'  (Haruack 
Dogmengesch.  III  1-  2  s.  HO  anm.  2)  und  der  von  Thomas  vAquiiio 
als  ausgangspunct  unseres  sittlichen  handelns  so  stark  betont  wird, 
selbst  die  mystik  erkennt  den  hohen  wert  des  handelns  an,  natür 
lieh  als  geistlichen  tuns,  wie  in  der  Verkündigung  des  wortes  Gottes,  in 
dem  guten,  der  charitas  usw.;  der  vita  contemplativa  steht  dann  die  vitu 
activa  gleichberechtigt  gegenüber,    im  tugendsystem  hat  die  acidia,  trä/teir. 


IS4  EHRISAIANN 

Ohne  arbeit  kein  gerinanisclier  lield  und  kein  echter  mittel- 
alterlicher ritter.  arbeit  im  sinne  des  ritters  ist  heldentum,  darum 
ist  für  ihn  sich  verlUjen  die  grol'se  schände,  arbeit  im  gerechten 
kriegsdienst  erkennt  auch  die  kirclie  als  den  geordneten  beruf 
des  ritters  an,  und  sie  hat  ja  diese  arbeit  in  den  dienst  des 
Christentums  und  der  barmherzigkeit  gestellt:  das  ist  der  typus 
des  christlichen  ritters.  ja,  jeder  mensch  ist  ein  kämpfer',  und  die 
militia  materialia,  militia  extcrior,  ist  nur  ein  bild  für  die 
niilitia  spiritualis,  militia  interior,  der  miles  materialis 
nur  ein  miles  in  actu,  der  miles  spiritualis  aber  ist  der 
ritter  im  geist,  in  spiritu,  der  vorgestellt  wird  nach  Epheser 
(i,  11  — 17  (Alanus  Summa  de  arte  praedicatoria  cap.  XL,  Jligne 
'210,  185 — 187).  die  arbeit  als  eine  notwendige  lebensform  liat 
entsprechungen  auch  in  der  christlichen  ethik  und  in  der  lehre 
vom  honestum,  aber  sie  ist  doch  ganz  selbständig  aus  den  nut- 
wendigen bedingungen  des  rittertums  hervorgegangen. 

Die  praktische  bedeutung  der  arbeit  im  ritterlichen  leben 
hebt  Thomasin  öfter  hervor,  vor  trägheit  wird  die  Jugend  ge- 
warnt (im  anschluss  an  die  modestia  der  Moral,  phil.):  muoze  ist 
jungen  Hüten  'untiigent,  trakeif  ist  niJii  wol  In  jnyenl  147  f.  unter 
den  hauptsünden  wird  die  irdkeif  gegeifselt  v.  7233  —  72i')2,  auch 
13513 — 13552;  v.  7753 — 7S20  wird  eine  ausführliche  belehrung 
über  die  arbeit  im  sinne  des  geistlichen  rittertums  gegeben,  dar- 
unter einige  kernige  aussprüche  sind  wie:  (jeäenket,  ritr,  an 
imrern  orden  :  zuin  s1t  ir  ze  rlter  irorden'^  durch  släfen? 
uri.z  got  ir  enslt.  dd  von  daz  ein  man  f/erne  l'it.  sol  er  dar 
>nnhc  rlter  wesen?  7769 — 7773;   Sirer  iril  rlters  nndiet  phlegen, 

ihr  gegenteil  in  der  fortitudo,  geistlich  mich  zelus  honi  (Benedict.-regel 
cap.  72),  und  in  der  praktischen  nioral  des  Christentums  hat  die 
Pflichterfüllung  selbstverständlich  ihren  angemessenen  platz,  auch  das 
niöuchsleben,  die  askese,  ist  eine  stete  arbeit  des  menschen,  und 
zwar  an  sich  selbst  im  kämpf  mit  der  Sinnlichkeit;  die  guten  werke, 
die  auch  der  laie  zu  verrichten  hat,  sind  pii  lahnre.^.  auch  die  bufse 
ist  arbeit,  mühsal,  die  mau  zum  büfsen  auf  sich  nimmt,  vgl.  2723. 
2752.  3S4S,  auch  Parz.  4i'9,  29;  auch  in  der  kirchensprache  ist  bufse 
ein  Uibor.  —  auch  die  Moral,  phil.  enthält  eine  heleliruug  über  die 
arbeit,  hier  specieU  in  betreff  der  Jugenderziehung  unter  der  modestia, 
sp.  1037:  exercendo  labore  animi  et  corporis  aetas  adolescentiae,  nach 
Cicero  De  off.  I  3.  einfluss  der  magnanimitas  auf  die  arbeit  s.  oben 
s.  Iü4  unter  Walther. 

•  der  mensch  als  "miles':   Burdach  Ackermann  s.  214  ff.   242  f 


RITTERLICHES  TÜGENDSYSTEM  1S5 

dermmz  mere  arbeil  legen  an  sine  vaor  dan  ezzen  wol  usw.  7  7 85  ff; 
der  mac  niht  riters  ambet  phlefjen,  der  nihf  enwil  wan  samfte 
leben  7791  f:  ferner  8671—8724  und  die  krenzpredigt  113  17 
— 11830;  'bete  und  arbeite'  ist  das  tliema  von  1024'Jff.  —  im 
minnewesen  ist  auch  die  Werbung  um  die  geliebte  und  die  minne 
selbst  arbeit ' . 

Vom  ehrgeiz,  heldentaten  zu  verrichten,  ist  Gregors  herz  er- 
füllt, dagegen  spielt  die  minne  bei  ihm  nur  eine  geringe  rolle, 
nur  kurz  bemerkt  der  dichter  ihren  guten  einfluss,  dass  sie  ihn 
noch  mehr  zu  rühm  und  ehre  anspornte  und  freudenreich  maciite. 
um  so  stärker  hebt  er  die  verderbHehe  gewalt  der  minne  hervor, 
denn  sie  betörte  den  jungen  herzog  zu  seinem  frevel  an  der 
Schwester  323.  und  in  ihren  fesseln  siecht  er  elend  zu  tode  841. 
S51.  an  den  beiden  unglückseligen  hat  vron  Minne  ihre  alte 
niederzwingende  art  gezeigt,  nach  freude  leid  zu  bringen  451. 
die  den  menschen  in  sünde  und  schände  verführende  leidenschaft 
ist  das  werk  des  teufeis,  denn  dieser  neidige  feind  hat  sie  den 
jungen  menschen  eingegeben  318ff.  das  in  sündenschuld  verlassene 
weib  wendet  ihre  minne  zu  Golt.  um  seiner  hnlde  willen,  die  sie 
verwürkt  hat,  gibt  sie  alle  freude  auf  und  führt  ein  bufsfertiges 
leben  S71 — 898.  der  Verräter  der  menschheit  aber  plant  auch 
den  zweiten  incest  und  schafft,  dass  sie  gefallen  an  dem  fremden 
ritter  findet,  der  ihr  söhn  ist  1960.  2246.  denn  trotz  ihres 
frommen  lebens  und  trotzdem  sie  in  gote  2228  den  mann  nimmt, 
den  ihr  Gott  gesandt  bat  2241,  hat  sie  doch  nicht  gotes  hnide,  denn 
sie  war  noch  den  gefahren  der  weit  zugänglich  (ist  noch  immer  nur 
communiter  religiosa),  wie  aus  ihren  eigenen  worten  /ran  mir  ist 
diu  Scelde  (das  irdische  glück)  gram  25G2 — 2569  hervorgeht  und 
wie  ja  auch  ihre  lieirat  beweist  (sie  befolgte  noch  nicht  das 
nonnengelübde  der  keuschheit),  darum  hatte  der  teufel  immer  noch 
macht  über  sie.  erst  als  sie  nach  der  zweiten  sünde  durch  ein 
viel  strengeres  büfserleben  (2665— 21.94.  2695—2736.  3S47  — 
3S52.  3866f.  3901—3915.  3042-3948)  der  weit  und  der  Sinn- 
lichkeit    ganz     abgestorben     war     (als     sie     auch     in     der    weit 

1  Lüderitz  s.  54  f.  5o.  iu  (Jvids  Ars  amatoria  sind  die  be- 
mühungen  und  künste,  die  liebesmiihen,  das  niädchen  zu  gewiuuen, 
abores.  'amor  dulcis  labor'  s.  Burdach  Reinniar  s.  lÜ-1.  117.  sehr  hiiuti« 
iiu  minnesang. 

Z.  F.  D.  A.  LVI.     N.   F.  XLIV.  13 


186  EHRISMANN 

specialiter    leligiosa   geworden    war),   konnte   sie    Gottes   huld    ei- 
ringea  39BI. 

In  drei  Zeitabschnitten  verläuft  des  Gregorius  leben  naci* 
seinem  weggang  aus  dem  kloster: 

1.  Das  weltlel>en  in  der  ehre  1837 — 275(1;  hierin  wider 
drei  teile: 

a)  ein  rascher  aufstieg:  das  ringen  um  gut  und  ehre;  Gregor 
als  abenteurer,  dann  als  befreier  einer  bedrängten  frau  (durch  got 
und  durch  ere  wold  er  .  .  .  däz  unschuldige  nnp  loesen  2U70), 
ritterliche  guttaten  1887 — 2240  (darin  die  hauptsächlichsten  stellen 
des  ehrgeizes  1871  —  1876.  1967  f.  1989—1998.  2036—2079. 
2165—2184). 

b)  eine  kurze  herrlichkeit:  der  lohn  des  ehrenstrebens  und  der 
ritterlichen  guttat;  Gregor  als  fürst  2247 — 2604,  dabei  seine 
regententugenden :  er  war  ein  guter  richter;  gerühmt  wegen  seiner 
vüUe]  ein  Schützer  des  landes  gegen  denjenigen  der  es  feindselig 
angriff  (also  gegen  unrehte  höhvart  2196),  indem  er  ihn  der  eren 
und  des  guotes  beraubte;  er  pflog  der  mäze  2257 — 2276. 

c)  der  fall  und  die  reue  2605 — 2750. 

2.  Die  bulse  in  demut  2751 — 3729;  au  stelle  der  ritter- 
lichen arbeit  ist  die  bufse  als  'arbeiV  getreten  2752. 

3.  Die  erhöhung  durch  die  gnade  373U — 3958.  aus 
der  Sünden  gewalt  3675  hat  den  Gregorius  die  gnade  durch  ein 
wunder  erlöst,  das  äufsere  zeichen  dafür  ist  der  widerfund  der 
tafel  3730.  jetzt  ist  er  ein  wahrhaft  scalic  man,  ein  vir  beatus 
in  spirituellem  sinne  (er  hat  die  hienieden  mögliche  perfectio  er- 
langt), da  ihm  die  gnade  zu  teil  geworden,  während  er  vorher 
als  sceldenrtcher  jungelinc  1277.  1457  nur  scelde,  weltliches  gut, 
dabei  die  religio  (communiter  religiosus)  besafs.  das  ergebnis 
endlich,  das  der  dichter  als  sittliches  beispiel  aus  dem  leben  der 
beiden  schuldbehafteten  menschen  zieht,  ist:  wie  si  nach  grözer 
schulde  erwürben  gof.es  hulde  3961.  jetzt  hat  Gregorius  Gottes 
huld  erlangt,  zu  der  er  einst  als  Jüngling  den  richtigen  weg  nicht 
wüste  und  die  er  verscherzte,  weil  er  dem  rat  des  abtes  zuwider 
sich  zum  rittertum  wandte  1779 — 1798.  frömraigkeit,  religio,  war 
ihm  eingewurzelt,  und  die  besafs  er  auch  als  weltkind,  ebenso  wie 
seine  mutter  sich  auch  in  dem  weltleben  Gott  hingab,  jetzt  aber 
ist  ihnen   durch  Gottes   gnade  Gottes  huld   zu   teil   geworden.   d:i 


EITTEßLICHES  TUGENDSYSTEM  187 

sie,  durch  strengste  bulse  zu  absoluter  weltentsaguug  gelangt,  voll- 
kommen geworden  waren. 

In  dieser  scliicksalsgeschichte  fehlt  auch  der  verhängnisvolle 
gegenständ  nicht,  es  ist  die  tafel,  das  rätselhaft  verschleierte 
Zeugnis  der  missetat  der  eitern  719—769.  1041.  sie  dient  zur 
fortbewegung  und  mitentscheidung  der  handlung,  unheilvoll  für 
des  Sohnes  seele,  indem  sie  in  Gregor  den  entschluss  in  die  weit 
zu  gehn  verstärkt  1745^  vernichtend  für  sein  weltglück,  da  sie 
das  geheimnis  seiner  ehe  mit  der  mutter  enthüllt  227  7 — 2604; 
zum  schluss  aber,  nachdem  er  sie  aus  Unachtsamkeit  verloren  3045. 
3080.  3683  ff,  zu  seinem  heile  mitwürkend,  da  Gott  durch  das 
zeichen  ihrer  widerentdeckung  seine  wundertätige  gnade  erwies, 
wodurch  der  arme  büfser  offen  als  gottseliger  mann  bekundet 
wurde  3730 — 3740. 

Gregor  hat  den  willen  (voluntas)  zum  guten,  aber  seine 
einsieht  war  getrübt,  er  wendete  den  willen  auf  die  guter  der 
weit  an.  durch  die  erkenntnis  seiner  schuld  wird  der  richtige 
zustand  der  Vernunft  (ratio)  wider  in  ihm  hergestellt,  der  ver- 
nünftige wille;  und  jetzt  richtet  er  den  willen  auf  das  würklich 
gute,  auf  Gott,  seine  arbeit  hatte  er  vorher  für  die  ritterehre 
eingesetzt,  jetzt  wird  sie  zur  bufse.  die  arbeit  ist  das  leben 
fördernde  princip,  die  triebkraft  zur  perfectio,  sei  es  zur  ritter- 
lichen oder  zur  geistlichen,  jedoch  tritt  hier  der  grofse  gegensatz 
zwischen  weltstaat  und  gottesstaat  ein  i :  für  diesen  genügt  der 
eigenwille  nicht,  sondern  Gott  ist  es,  der,  wie  er  unsere  vernunft 
erleuchtet,  so  auch  unsern  willen  bewegt,  die  gnade  ist  es,  die 
den  willen  zu  dem  wahrhaft  sittlich  guten,  dem  höchsten  gut, 
bewürkt  und  stärkt '-.  schon  die  erkenntnis  der  Sündhaftigkeit  und 
der  wille  zur  bufse  ist  ein  act  der  gnade. 

Aus  der  tiefsten  erniedrigung  hat  die  gnade  Gottes  den  guten 
Sünder  zur  obersten  würde  der  Christenheit  eriiöht.  wider  gibt 
der  dichter  eine  Charakteristik  von  seinem  beiden  3793 — 3830. 
jetzt  hat  der  heihge  geist  ihm  die  lehre  eingegeben,  gezeichnet 
ist   er   als    gerechter    und  doch   gnädiger   herscher,    denn   die  ge- 

*  der  streit  zwischen  den  beiden  reichen,  zwischen  der  weit  und 
Gott,  also  das  augustinische  staatenprincip,  ist  der  religio» -politische 
Untergrund  im  Gregor  und  im  aHeinricb. 

2  Thomas  Summa  Iheol.  I  2,  qu,   109,  art.  2  u.  7. 

13* 


188  EHRISMANN 

rechtigkeit,  justitia,  ist  die  oberste  füratenpflicht  ^  diu  zwei  ge- 
rillte 3807,  die  zwei  verhaltungsweisen  des  Judicium  sind  diemuot, 
was  den  armen  zu  gute  kommt,  und  vrevclUche  site  (plur.), 
gegen  den  hohen  muot  3808;  es  sind  die  gleichen  pflichten 
die  der  alte  herzog  seinen  sehn  lehrte  249  f.  die  bufse  soll 
man  sanft  machen  3813,  gnade  gft  für  daz  reht  3822:  dieses 
ist  die  rechte  mdze  3823,  die  ihn  der  heilige  geist  lehrte  3794  2, 
und  ist  eine  Vorschrift  die  die  Benedictiner-regel  den  übten  gibt, 
cap.  LXV:  semper  superexaltet  misericordiam  iudicio  ...  in  ipsa 
autem  correptione  prudenter  agat  et — ne  quid  nimis.  so  hat  er,  der 
einst  in  der  weit  seine  eigene  ere  mochle,  jetzt  als  papst  mächtig 
die  gotes  ere  gefördert  3828. 

Die  idee   des   armen  Heinrich   ist  ebenfalls  der  widerstreit 

'  Das  bild  des  christlichen  regenten  hat  Augustin  in  seinem  gottes- 
staat  festgestellt,  vgl.  Ernst  Bernheim  Politische  begriffe  des  mittelalters^ 
im  lichte  der  anschauungen  Augustins,  Deutsche  zs.  f.  geschichtswissen- 
schaft  n.  f.  1,  1896/97,  und  die  Greifswalder  dissertationen  vou  Otto  Meine 
Gregors  VII  auffassung  vom  fürstenamte  1907;  Heinr.  Krüger  Was  ver- 
steht Gregor  VII  unter  justitia?  1910;  Rieh.  Hamniler  Gregors  VII  stelhing 
zu  frieden  und  krieg  1912,  bes.  s.  48;  Gerh.  Bagemihl  Otto  II  u.  s.  zeit 
im  lichte  mittelalterl.  geschichtsauffassung  1913;  Johannes  Lange  Das 
Staatensystem  Gregors  VII;  Johannes  Fiebach  Die  augustinischen  an- 
schauungen papst  Innoceuz'  III  usw.  1910;  Gottfried  Herzfeld  Papst 
Gregors  VII  begriff  der  bösen  obrigkeit  1914;  Leonh.  Frederich  Der  ein- 
fluss  der  augustinischen  anschauungen  von  pax  und  iustitia  usw.  1914: 
Hugo  Tiralla  Das  augustinische  Idealbild  der  christlichen  obrigkeit  als 
quelle  der  'Fürsteuspiegel'  usw.  1916  (daselbst  weitere  lit.  s.  Iff);  ferner 
Carl  Hainer  Das  epische  dement  bei  den  geschichtsschreibern  des  frühei-en 
mittelalters,  Giefsen.  diss.   1914,  passini. 

^  vgl.  Schönbach  s.  109  — 111.  —  unsere  stelle  hat  mehrfach  be- 
rührungen  mit  Gregors  VII  auf  Augustin  beruhenden  anschauungen  ül)er 
die  justitia.  die  gerechtigkeit  stammt  von  Gott  selbst  ab  (Krüger  s.  9) : 
vom  heil,  geist  3795;  der  gottgefällige  fürst  ordnet  sich  dem  willen  Gottes 
unter  (Krüger  s.  7):  diemüete  iJ798;  er  muss  mit  strenge  verfahren,  wenn 
es  nötig  ist  (Krüger  ebda.):  rrepellifhe  3b00;  die  sich  dem  recht  wider- 
setzenden sind  milglieder  der  civitas  diaboli  (Krüger  s.  10):  des  tiecels 
kint  3804;  mit  gewalt  soll  der  fürst  die  Untertanen  zur  gerechtigkeit 
zwingen  (Krüger  s.  12):  da  hceret  dünne  f/eioalt  zuo  3806;  misericordia 
soll  der  fürst  üben,  die  armen,  witwen  und  waisen,  die  bedrängt  sind,  soll 
er  schützen;  dieinäete  in  geioalte,  da  yenesent  die  armen  mite  379S. 
der  quelle  Hartnianns,  der  lateinischen  legende,  scheint  hier  das  bild  des 
grofsen  ))ai(stes  vorgeschwebt  zu  haben,  dessen  letzte  Worte  waren:  dilexi 
justitiam,  ergo  luorior  in   exilio. 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  ISO 

zwischen  weit  und  Gott,  in  diesem  couflict  ligt  die  tragik  des 
geschickes  des  helden,  seine  schuld  besteht  darin,  dass  er  glaubt, 
ere  und  guot  ohne  got  haben  zu  können  398.  damit  ist  das  Ver- 
hältnis der  drei  moralischen  guter  festgesetzt,  es  ist  das  gleiche 
wie  bei  Walther:  Gott  ist  gegenüber  den  beiden  andern  der 
höhere  wert,  in  drei  abschnitten  ist  auch  dieses  lebensbild  ge- 
zeichnet. 

1.  Das  wunschleben,  die  beiden  weltlichen  teile  ere  und 
guot  sind  beschrieben  und  untereinander  ziemlieh  genau  abgegrenzt 
in  32 — 74.  zunächst  sind  alle  eigenschaften  der  beiden  gebiete 
zusammengefasst  als  tugende  33  im  weiteren  sinne  von  *  vor- 
treffliches jeder  art'  (vgl.  dazu  besonders  Iwein  3517,  wo  auch 
schcene  und  rieh  unter  tugent  aufgezählt  sind),  v.  38 — 45 
sind  zwei  äufsere  Vorzüge,  zwei  bona  fortunae,  genannt:  gehurt 
(uobilitas,  adel)  und  richhcit  (habe  41)  39,  und  die  inneren  werte 
zusammengefasst  als  tugent  40,  hier  =  virtus.  honestum,  ere. 
dann  kommen  von  50 — 74  diese  inneren  werte,  die  in  40  als 
tugent  begriffen  sind',  die  der  eren  und  des  mnotes  id,  honestatis 
et  animi,  also  tugenden  im  engeren  sinn  von  virtutes.  zuerst 
wird  Heinrichs  trefflichkeit  (tugent)  im  allgemeinen  gepriesen 
50 — 60.  valsch  bezieht  sich  auf  die  ere  (tugend),  törperheit 
(unfuoge)  auf  die  zuht:  er  war  an  ehren  ohne  falsch  (an  tugenden 
ohne  makel)  und  vollkommen  in  der  hövesclieit]  dann  folgen 
ebenfalls  allgemeine  bezeichnungen  des  ehrenhaften  lebens  d.  i. 
des  honestum:  ere,  werltl.  ere,  aller  hunde  reiner  tugent,  zierde 
unter  den  jungen  männern  54 — 60.  darauf  kommen  einzelne 
eigenschaften  der  werltlichen  ere:  froüde.  triuwe,  zuht;  die 
speciellen  ritterpflichten :  Zuflucht  der  bedrängten  und  schütz  der 
verwanten  (vgl.  oben  Policraticus:  pauperum  propulsare  injurias, 
dazu  Moral,  phil ,  Migue  171,  1020  u.  Cicero  De  off.  I  19  pro 
fratribus  fundere  sanguinem),  mute,  durch  die  last  der  elire 
(ehrenstelleu)  erworbene  ere,  rät^.  das  letzte  lob  und  saue  eil 
wol    von    mwven  "^   ist   eine   ars    und   gehört    zur    rhetorik :    damit 

'  nach  au  ist  ein  punct,  nach  40  ein  doppelpunct  zu  setzen. 

2  röA,  consilium,  ist  in  der  Moralis  philosophia  eine  Unterart  der 
prudentia,  sp.  1013;  geistlich  ist  consiiium  eine  gäbe  des  heil,  geistes, 
scholastisch-theologisch  ein  monient  des  willens,  Thomas  vA(iuino  Summa 
theol.  II  2  qu.  52,  1  2  qu.    |4. 

■*  die  frihiukeit  zu  singen  bei  den  troubiidouis  s.  Wechssler  s.  345. 


1 90  EHRISMANN 

ist  ihm  die  feinste  höfische  geselischaftsbildimg  zuerkannt,  das 
ergebnis  aller  dieser  ritterlichen  eigenscliaften  ist  für  Heinrich  der 
rühm  der  weit,  er  selbst  besals  das,  was  die  weit  schätzte:  die 
höfischen  tugenden  und  weltweisheit.  der  Übergang  zur  folgenden 
katastrophe  (74 — 81)  fasst  nochmals  das  'wunschieben  zusammen 
in  die  begriffe  rre  und  yuot  (honestum  et  utilei  und  betont,  dass 
der  vornehme  herr  sich  wol  behagte:  fneliches  luuotes  und  werlt- 
Itcher  wUnnc ,  denn  er  hatte  mehr  ehre  als  jeder  seines  ge- 
schlechtes. 

Unmittelbar  als  nichtiger  besitz  verworfen  werden  einige  der 
höfischen  eigenscliaften  von  dem  raädchen,  wo  sie  den  himmel 
der  weit  gegenüber  hält  717  ff.  zu  den  glücksgütern  ( bonum, 
utile)  gehurt  und  (jaoi  kommen  hier  die  körperlichen  Vorzüge 
sdtoene  und  sterke  und  der  daraus  entstehnde  höhe  mnot,  dann 
werden  die  tugenden  (honestum)  als  tugent  und  Cre  zusammen- 
gefasst. 

Eye  und  gaot  sind  vereinigt  als  weltliche  werte:  in  bezug 
auf  den  ritter  77.  1431,  in  bezug  auf  die  meiersleute  363.  495. 
617.  805.  1439.  als  mindere  werte  gegenüber  Got  werden  sie 
behandelt  398.  403. 

2.  Der  fall  aus  dem  wunschleben,  gleich  der  erste  satz 
82 f  gibt  den  grund  an  für  die  erniedrigung  des  mit  aller  weltlichen 
Vollkommenheit  geschmückten  herrn  Heinrich:  es  ist  der  höhe 
■nniot  (82),  das  hochgefühl,  das  ihm  aus  jenen  fähigkeiten  erwuchs, 
die  moralische  begründung  der  erniedrigung  82 — 162  gibt  das 
Selbstbekenntnis  Heinrichs  383 — 408:  sündhaft  ist  sein  höher  muot 
(404),  weil  er  glaubt  jene  guter  haben  zu  können,  ohne  sich  um 
Gott  zu  kümmern  (äne-.got  399),  während  ihm  doch  das  ganze 
icunschleben  393  von  der  gnade  Gottes  (394.  402)  verliehen 
wurde '.     gedankenlos    schreibt    er  sich    dieses   glück   als   eigenes 

*  V.  ü91  ist  vielleicht  zu  leiten  tcon  ich  enhete  ruht  triaice 
(oder  triuwen)  gar  (besserungen  s.  bei  Gierach  z.  st,  u.  Zs.  55,  H20), 
was  einen  passenden  sinn  ergeben  würde:  Heinrich  hatte  nicht  völlige 
triutoe,  denn  es  fehlte  ihm  die  dankbarkeit  für  die  gnade  Gottes;  in 
seinen  welttugenden  war  er  stcater  triuwe  ein  ndamas^  62,  und  er  er- 
langte auch  später  die  triuwe  gar  mit  dem  erbarmen  über  das  niädcheii 
1225  und  mit  seiner  dankbaren  ergebenbeit  in  Gottes  willen  12:55  ff.  der 
fehler  der  hss.  würde  sich  aus  einer  abgekürzten  und  die  Wörter  nit 
triutoen  eng  zusammenrückenden  Schreibung  der  vorläge  wie  etwa  mit  Pioc, 


rJTTEPvLICHES  TüGENDSYSTEM  191 

verdienst  zu '.  die  sittliche  Ordnung  wird  in  ihm  nach  seiner 
Prüfung  erst  dadurch  wider  hergestellt  (1430—1436),  dass  er 
gmt  und  ere  nunmehr  als  gnadengaben  Gottes  anerkennt  (Schön- 
bach s.  133  f.  154  f.  451  f)  und  sich  mehr  um  Gottes  geböte  be- 
kümmert als  vorher,  damit  hat  er  dann  auch  die  ewige  ehre 
erworben,  der  grund  zum  fall  Heinrichs  ist  also  sein  Mher  rnvot. 
charakteristisch  geradezu  für  Hartmanns  sittliches  bewustsein  und 
wie  sehr  er  an  kirchlichen  anschauungen  haftete,  ist  eben  seine 
Wertung  des  höhen  niuotes:  das  hohe  lebensgefühl  und  die  lebens- 
freude,  womit  dem  ritter  die  energie  verliehen  ist,  seine  ideale 
kräftiger  zu  verwirklichen,  ist  für  Hartmann  schon  so  viel  wie  höch- 
rart^  151  {unrehter  höchmuotErea  1230,  hochnmot  im  Iwein  nicht 
gebraucht,  jedoch  höchvart  im  Erec  und  Iwein),  das  ist  die  haupt- 
sünde  superbia,  die  elatio  der  Benedictiner-regel,  die  er  wol  schon 
auf  der  klosterschule  zu  fliehen  gelehrt  wurde  (elationem  fugere, 
Benedictiner-regel  cap.  IV).  darum,  weil  der  hohe  nmot  für  ihn 
Übermut  und  also  ein  frevel  ist,  legt  er  ihn  auch  selbst  seinen 
weltlichen  beiden  Erec  und  Iwein  nicht  bei.  höher  nmot  begegnet 
bei  Hartmann  nur  im  aHeinrich,  aufser  an  den  angeführten  stellen 
S2.  404  noch  718  in  der  aufzählung  der  zum  himmel  wertlosen 
irdischen  guter  und  im  Gregorius  3808  (in  den  hss.  A  E),  wo  er 
so  viel  wie  Übermut  ist;  nur  in  dem  liede  MFr.  215,  1  und  im 
Büchlein  790  ist  den  muot  höhe  tragen,  die  durch  minneerhörung 
gehobene  Stimmung  gemeint.  Erec  8702  gibt  minne  ruhen  nmot. 
das   adj,  höchgemuot  wendet  Hartmann   nie  an,   jedoch  gebraucht 


oder  mit~t''icn,  erklären,  wie  die  Indersdorfer  hs.  mehrfach  hat  (Gierach 
s.  98  u.  in  den  Varianten  auf  s.  73.  75.  76.  77).  da  hieraus  leicht  mit  vioe 
B«  365  und  mit  eroicc  l'."*  365  (Gierach  s.  90)  gelesen  werden  konnte, 
was  dann  wider  die  änderung  des  ganzen  verses  in  B»  B"  zur  folge  hatte. 

'  vgl.  Augustinus  De  civ.  Dei  XIX  cap.  4:  Tantus  autem  superbiac 
Stupor  est  in  his  hominibus,  hie  se  habere  finem  boni  et  a  se  ipsis  fieri 
"beatos  putantibus.  Willirams  paraphrase,  nach  Haiinos  commentar  zum 
Hohen  liede:  Dero  tugede  allero  anagenge  scal  t<in  assidua  com- 
memoratio  gratiae  caelestis,  uuante  nieman  fidelis  nescal  praesumere 
de  suis  meritis,  sed  tantum  de  spe  gratiae  meae,  quia  sine  me  nihil 
potestis  facere,  Seemüller  s.  31,  5—8;  vgl.  Rom.  3,  24  f.  11,  6.  12,  6  u. 
oft  in  den  briefen  Pauli,  dazu  Joh.  15,  5.  diese  schuld  Ueinrichs  ist  ein 
vergehen  gegen  die  humilitas  oder  modestia. 

2  eine  etymologische  erklärung  des  begriffes '/uV/fPrtr?' gibt  Thomasin 

11849—11860. 


1 92  EIIRISMANN 

eer  im  Iwein  dreimal  wol  ge.nmol,   das  jenem  synonym  ist  (tapfer 
willensstark),   1176.  2901).  57SG. 

3.  Die  erliebun;i'.  der  unmittelbare  zustand  Heinrichs 
nach  dem  fall  ist  ein  körperlicher  und  seelischer  Zusammenbruch 
133 — 162.  er  trägt  sein  leiden  nicht  geduldig  wie  Hieb,  er 
trauert  um  die  verlorene  ehre,  er  verflucht  den  tag  seiner  geburt, 
er  will  nicht  länger  leben  244.  als  ihm  alle  hoffnung  auf  heilung 
geschwunden  ist,  beginnt  langsam  die  erhebung,  es  ist  der  weg 
von  der  weit  zu  Gott,  von  der  Versündigung  zur  entsühnung 
(Schönbach  s.  155),  von  der  hoffart  zur  demut  in  drei  acten  der 
frömmigkeit.  der  erste  act  der  fröramigkeit  ist  ein  äufserliches  tun. 
almosengeben:  er  gibt  sein  gut  den  armen  und  der  kirche  um 
seines  Seelenheils  willen  246 — 25S.  —  der  zweite  act  der  fröni 
migkeit  ist  ein  inneres  tun:  erkenutnis  seiner  schuld  und  des 
grundes,  der  hoffart;  damit  kommt  die  einsieht,  dass  Gottes  gnade 
es  war  die  ihm  sein  glück  gegeben  3S3 — 417.  —  der  dritte  act 
der  frömmigkeit,  das  schwerste  äufserliche  und  das  vollkommenste 
innerliche  tun :  er  leistet  verzieht  auf  seine  heilung  und  damit  auf 
die  weit,  und  beugt  sich  in  demut  vor  Gott  r225  — 1370.  das 
erste  wort  der  sittlichen  widerherstellung  ist  "erbarmte  in'  1225. 
erbarmen,  das  ist  ein  teil  der  triuwe,  charitas,  ist  die  sittliche 
eigenschaft,  die  seine  innere  reinigung,  die  entsühnung,  möglich 
macht,  damit  ist  in  ihm  die  wandelung  zum  neuen  leben,  zu 
dem  ihm  als  laien  erreiclibaren  grad  der  perfectio,  vorgegangen: 
und  gewan  einen  nimven  rnuot  .  .  .  und  verkerte  vil  gedräte  Kin 
altez  gemüete  in  eine  niuwe  giiete  1235 — 1240.  die  niuwe  güete 
in  ihm  ist  die  demütige  ergebung  in  Gottes  willen  1243 — 1255. 
1276.  1352.  triuwe  und  erhcnnde  hat  er  jetzt  erwiesen  1366, 
damit  hat  er  die  prüfimg  bestanden  und  erlösung  seiner  leiden 
gefunden  1360 — 1370'.  fortan  tut  er  alle  seine  dinge  in  Gott 
1432  —  1434.   14S0  — 14S6.    1500.    15U6. 

Auch  der  meier  mit  seiner  familie  hat  guot  und  e/t',  aber 
sie  erkennen  an,  dass  sie  diese  guter  von  ihrem  herrn  haben ; 
und  triuwe,  nächstenliebe  (290.  419,  101 5j,  bezeugen  sie  da- 
durch dass  sie  den  aussätzigen  bei  sich  pflegen. 

•  nachdem  die  gnade  ihn  erhoben,  ist  der  gnddelöse  gast  (1342) 
nicht  mehr  der  arme  Heinru;h  133S,  sondern  der  guote  herre  Ileinnnh 
1372,  vgl.  oben  s.  ISO — ISS  zu  Gregorius. 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  193 

Ganz  zum  reicli  des  obersten  gutes  gehört  das  reine  kind, 
das  den  weitschuldigen  herrn  gesund  macht,  auch  sie  strebt  nach 
ere,  aber  nach  der  himmlischen  806.  1292.  1300,  der  rlchm. 
Mmelkröne  1293.  sie  bewürkt  seine  heilung  durch  inuive,  giiete 
(charitas,  bonitas);  sie  hat  die  kraft  der  gute  von  der  seinsgüter 
dem  heiligen  geist,  denn  der  ist  die  charitas  oder  bonitas  (beide 
sind  fruchte  des  heiligen  geistes,  Gal.  5,  22).  sie  ist  also  das 
mittel,  durch  welches  die  erlösung  vollbracht  wird,  nicht  die  voll- 
bringende kraft  selbst,  denn  diese  kraft  hat  auch  sie  nur  durch 
die  gnade  {der  tcüle  s7  ir  von  yote  komai  S14),  und  auch  sie 
muste  erst  in  der  todesuot  die  treuprobe  bestehn  135t)  ff.  ein 
mit  überirdischer  mission  zur  erlösung  leidender  betrautes  geschöpf 
darf  aber  —  ein  bekanntes  uiutiv  1  —  keine  irdische  neigung 
neben  der  himmlischen  charitas  im  herzen  haben,  in  dem  reli- 
giösen gedieht  Hartmanns  ist  kein  platz  für  sinnliche  rainne-. 

Mit  dem  Gregorius  und  dem  armen  Heinrich  hat  Hartmann 
zwei  verschiedene  rittertypen  gezeichnet  hinsichtlich  des  Verhaltens 
zum  ritterlichen  beruf  und  zur  religion.  beide  Seiten  sind  äufse- 
rungen  ihrer  gesamtpersöniichkeit,  es  kommt  also  darauf  an,  die 
erscheinungsform  festzustellen,  weiclie  der  dichter  seinen  beiden 
beiden  gegeben  hat  bezw.  die  er  in  der  überheferung  vorfand. 

Gregorius  ist  der  abenteuernde  held  eines  höfischen  epos, 
also  eine  romanhafte,  idealistisch  stihsierte  gestalt  der  dichterischen 
pliantasie.  er  ist  der  heroische  held  eines  abenteuerroraans,  dessen 
notwendige  Eigenschaften  sind  eilen  unde  kraft  uhd  ganze  kunst 
ze  ritterschaß   1993. 

Der  arme  Hein  rieh  dagegen  ist  eine  person  dos  würk- 
lichen  lebens,  ein,  allerdings  stark  mit  Vorzügen  ausgeschmücktes, 
mitglied  der  aristokratischen  gesellschaft.  der  held  einer  familien- 
geschichte,  besitzt  er  die  innerhalb  seines  kreises  gewinnenden 
eigenschaften :  er  was  hühesch  und  dar  zuo  tvts  74.  Gregorius 
ist  der  'held',  Heinrich  ist  der  'minuesänger;  jener  der  miles  mili- 
taris,  der  ritterliche  ritter,  dieser  der  miles  curialis.  der  höfische 
ritter.  —  Auch  religiös  gefasst  sind  Gregorius  und  Heinrich  ver- 
schiedene typen:    jener,   der   klosterschüler,   zu   einem   gotes  kindr 

1   Schillers  Jungfruu  vou  Orleans,  Hebbels  Judith. 
"   Burdach  Auz.  xii  199  f;    Ehrismann   Festschrift    für  Kelle,    Prager 
deutsche  Studien  S,  :''IT  —  :i24. 


l'J4  EHHISMANN 

erzogen,  hat  sich  aucli  immer  die  gottesverelirung  (relif^i))  be- 
wahrt; sein  fehler  ist  der  ehrgeiz,  der  jedoch  jene  tugend  nicht 
erstickte.  Heinrich  dagegen,  der  weltmailn,  hat  keine  religio,  das 
ist  eben  sein  mangel.  das  verhalten  beider  wird,  da  sie  in  ver- 
schiedenen Verhältnissen  aufgewachsen  sind,  auch  mit  verschiedenem 
mafs  geraessen :  der  in  den  mönchischen  regeln  erzogene  kloster- 
schüler  trägt  eine  stärkere  sittliche  Verantwortung  als  der  in  der 
weit  lebende  vornehme  herr.  der  fromme  Gregorius  wird  schon 
dafür  bestraft,  dass  er  in  die  weit  geht,  Heinrich,  der  von  jeher 
in  der  weit  lebt,  erst  dafür,  dass  er  überhaupt  das  mindestmnfs 
der  pfHchten  gegen  Gott  nicht  erfüllt,  seine  hoffart  ist  stärker 
als  die  des  Gregorius,  dagegen  ist  seine  zurechnungsfähigkeit  ge- 
ringer, der  gottstrebende  mensch  Gregorius,  der  in  selbstgewählter 
askese  den  weg  zur  perfectio  beschreitet,  wird  aber  auch  höher, 
mit  der  erhabensten  würde  der  Christenheit,  belohnt,  während  der 
in  der  weit  verbleibende  herr  Heinrich  nur  in  seine  weltlichen 
lebensbediugungen   wider  eingesetzt  wird. 

In  seinen  beiden  erzählungen  hat  Hartmann  die  Stellung  des 
ritters  zu  Gott  und  die  frage,  wie  ist  Gottes  huld  zu  erlangen? 
behandelt,  in  seinen  beiden  romanen  entwirft  er  ein  bild  von 
der  aufgäbe  des  ritters  der  weit  gegenüber,  wie  ist  glück  und 
ehre  zu  erwerben,  das  honestum? 

Im  litterarischen  urteil  der  zeit  waren  die  beiden  tendenzen 
des  ergötzens  und  belehrens  nicht  getrennt,  die  beiden  der  romane 
waren  zugleich  sittliche  Vorbilder.  Thomasin  im  Wälschen  Gast 
1041  ff  rät  den  edelknaben :  juncherren  suln  von  Gmceln  hceren, 
Clies,  Erec,  Iwein  und  suln  rihten  sin  jugent  gar  nach  Gäweins 
reiner  tugent.  volgt  Artus  dem  künege  her:  der  treit  iu  vor  vil  guote 
le.r'  ferner  1131  ff  (giiot  äventkire  zuht  mert  1138),  die  aventiure 
dieser  beiden  empfiehlt  er  in  dem  ersten  buche  seines  Wälschen 
Gastes,  der  hofzucht,  als  erziehungsmittel  zur  hüfscheit  für  die 
männliche  Jugend  ^  aber  in  dem  hauptteil,  der  tugendlehre,  wo 
er  nicht  mehr  die  pflichten  des  höfischen,  sondern  die  des  christ- 
lichen ritters  bespricht,  da  verdammt  er  die  ruhmsucht  und  damit 

'  über  Vermischung  epischer  und  didaktischer  demente  in  der  mhd. 
diclitung  s.  Maync  Die  altdeutschen  fragraente  von  kön.  Tirol  und  Fride- 
brant  s.  74 — 77. 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  195 

den  vielgenannten  Artus  3535  ff,  wol  mit  einem  Seitenblick  auf 
die  einleitung  zum  Iwein  i.  hier  gerade  aber  hat  Harlmann  die 
grundsätze  seiner  ritterlichen  moral  aufgestellt,  für  welche  Arius 
gewisse  lere  gibt,  die  pädagogische  absieht  verleiht  seinen  beiden 
romanen  einen  bedeutenden  ethischen  sinn,  die  beiden  werden  zu 
höheren  daseinsformen  erzogen,  es  sind  erziehungs-  oder  bildungs- 
romane.  Thomasin  erklärt  auch  die  abenteuergeschichfen  für  sitten- 
bildend: ich  enschiUe  deheuien  man  der  dventiure  tihten  kan: 
die  dventiure  die  sint  guot,  wan  si  hereitent  kindes  muot.  swer 
niht  viirhaz  kan  remcmen,  der  sol  da  Vi  ouch  bilde  nemen 
1087 — 1092.  der  geistUche,  der  die  schrift  versteht,  soll  die 
Schrift  ansehen,  der  ungelehrte  mann,  der  die  schrift  nicht  ver- 
steht, soll  die  bilder  ansehen;  der  tiefe  sinne  niht  versten  kan, 
der  sol  die  dventiure  lesen  . . .,  wan  er  findet  mich  da  inne  daz  im 
bezzert  sine  sinne  1103  ff.  diese  weltlichen  stoffe  enthalten  nicht 
reine  Wahrheit  (wie  der  Gregorius  und  der  aHeinrich),  sondern  sind 
sehr  mit  lüge  umkleidet  11 18  ff;  sie  sind  aber  doch  ein  erziehungs- 
mittel,  wenn  auch  ein  niedreres,  die  höfische  epik  ist  also  sym- 
bolische dichtung,  wan  si  bezeichenunge  hat  1124.  1130.  1132. 
wenn  also  Hartraann  auch  in  seinen  abenteuerromanen  sittlich 
würken  wollte-,  dann  versteht  man,  dass  er  selbst  nach  dem 
Gregorius  und  dem  aHeinrich  wider  den  weltlichen  Iwein  abfassen 
konnte:  es  ist  kein  wandel  in  der  gesinnung  vom  Erec  zu  den 
beiden  erzählungen  und  dann  zum  Iwein,  als  etwa  vom  weltkiud 

'  Schönbach  Die  aufäuge  des  deutschen  niinnesanges  s.  62  f.  auch 
Heinrich  vdTürlin  Krone  421  fasst  Hartmanns  werke  (gemeint  sind  nur 
seine  höfischen  dichtungen),  aber  ebenso  Reiumars  lieder  als  turjentbüde 
und  werde  lere  auf,  vgl.  Schönbach  über  Ilartmann  s.  4TS — 480.  —  die 
-christliche  kunst  hat  die  hohe  aufgäbe,  das  göttliche  zu  verherlichen  und 
das  gemiit  zum  göttlichen  zu  erheben,  für  den  populären  sinn  genügt  je- 
doch das  erbauen  und  das  belehren,  die  bilder  in  den  kirchen  sollten 
denen  die  nicht  lesen  konnten,  die  schrift  erläutern  (Gregors  ep.  I  10,  VA). 
das  ist  auch  der  zweck  der  armenbibeln,  in  welchen  die  Illustrationen  die 
hauptsache  sind. 

2  er  schätzt  den  erziehungswert  seiner  romanc  doch  höher  ein  als 
Thomasin  der  'äventiure'  zugesteht,  denn  er  hat  sie  nicht  nur  für  janc- 
herreii  und  kinder  bestimmt,  aber  ausdrücklich  erkennt  er  in  der  ein- 
leitung  zum  Iwein  an,  dass  die  abeuteuerdichtung  nur  ein  gegenständ  der 
mufsestunden  sei,  während  er  den  armen  Heinrich  als  eine  sittliche  tat 
erachtet  (aHeiurich  6—28).  scnliefslich  ist  es  der  unterschied  zwischen 
res  humanae  und  res  divinae. 


196  EHKISMANN 

zum  büfser  und  wider  zum  weitmann,  sondern  es  sind  belehrende 
bilder  für  verschiedene  stufen  menschlicher  Sittlichkeit:  Gregorius 
hat  die  höchste  irdische  perfectio,  die  des  märtyrers  erreicht; 
Heinrich  widmet  sich  nach  seiner  läuterung  innerlicher  und  werk- 
tätiger fröramigkeit  bei  erfüllung  seiner  socialen  pflichten;  wen 
aber  seine  Stellung  und  sein  beruf  in  das  hofleben  führt,  der  hat 
sein  muster  am  Iwein. 

Beide  romane  Hartmanns  suchen  dasselbe  problem  zu  lösen: 
den  ausgleich  zwischen  den  zwei  bestimmenden  factoren  der  höfi- 
schen lebensanschauung,  zwischen  der  minne  und  der  ritterehre 
(bezw.  rUerschaff,  ritterliches  leben),  dem  neu  hinzugetretenen 
und  dem  alten  culturideal  des  rittertums.  jeder  der  beiden  werte 
muss  in  richtiger  weise  zu  seiner  entfaltung  kommen  können,  das 
grundgesetz  der  tugenden  und  der  willensstrebungen  muss  geltung 
haben,  das  utjöev  äyccv,  die  raedietas.  die  uidze  ist  also  das 
forragebende  princip. 

Im  Erec  sind  diese  bezüge  einfach,  die  ethischen  motive  sind 
in  sich  nicht  fein  differenziert,  die  minne  ist  hier  die  dämonische 
macht,  die  den  menschen  entnervt.  Erec  verfällt  der  acidia,  sein 
sittlicher  wille  ist  geschwächt,  die  mäze  ist  dadurch  gestört,  dass 
der  eine  der  beiden  werte,  die  minne,  die  überhand  über  den 
andern,  die  mannbaftigkeit  (fortitudo),  die  grundlage  der  'ritter- 
schaft'  bezw^  der  ritterlichen  eluT,  gewinnt,  das  richtige  Verhältnis 
wird  dadurch  widerliergestellt,  dass  die  erkenntnis  seines  unrühm- 
lichen lebens,  die  ihm  durch  Eniteas  unfreiwillige  Offenbarung 
(3029 — 3032)  aufgeht,  wider  die  Willenskraft  in  ihm  stärkt,  durch 
tapfere  arbeit  (arbeit  im  bereich  der  fortitudo)  stellt  er  seine  ehre 
wider  her.  morallheoretisch  würde  dieser  Vorgang  darin  bestehn: 
amor,  die  leidenschaft,  passio,  des  sinnlichen  begehrungsvermögens, 
ruft  die  acidia  hervor,  diese  schädigt  das  honestura,  im  speciellen 
die  fortitudo,  denn  acidia  und  fortitudo  sind  gegensätzc;  der  ver- 
nünftige wille  aber  setzt  die  fortitudo  wider  in  beweguug;  durch 
ausübung  der  fortitudo,  durch  die  arbeit,  labor,  wird  die  acidia 
besiegt  und  das  honestum  zurückgewonnen. 

Hartmann  behandelt  im  Erec  das  gleiche  ethische  problem 
wie  im  Büchlein,  die  didaktische  allegorie  ist  in  eine  lebeusgeschichte 
mit  handlung  und  Charakterzeichnung  verkörpert,  auch  im  Büch- 
lein führt  die  unheilvolle  leidenschaft  der  minne  zur  geistigen 
Stumpfheit,    der   leib   erhebt   sich    aus   dieser   dumpfheit  durch  die 


RirrERLICHES  TUGENDSYSTEM  ]!)7 

Stärkung  der  arbeitsenergie,  welche  das  herz  ihm  ein!,Mbt  (eine 
aufgäbe,  welche  im  Erec  die  bekümmerten  werte  der  Enite 
erfüllen),  die  arheii,  die  hier  in  der  erwerbung  der  lugenden 
überhaupt,  nicht  nur  der  fortitudo  wie  im  Erec  besteht,  führt  zum 
ziel,  zu  der  erreichung  der  minne  der  geliebten. 

Ehrei  ist  der  ethische  grundton  des  gedichtes.  es  beginnt 
mit  der  Verletzung  von  Erec^  ehre  durch  dea  frechen  zwerg,  dieses 
ereignis  ist  die  indirecte  Ursache  zu  seiner  Verbindung  mit  Eniten, 
die  Verletzung  der  ehre  führt  die  katastrophe  herbei  und  ist  das 
treibende  moment  für  die  folgenden  ereignisse,  die  ehrenproben. 
die  den  gröfsten  teil  der  erzählung  ausmachen;  und  ehre  ist  das 
erreichte  endziel,  auf  das  die  handlung  des  Stückes  angelegt  ist, 
denn  nun  hat  der  held  den  höchsten  rühm  erlangt,  so  dass  er 
den  überschwänglichen  ehrennamen  der  wunderiBre  erhielt  10037 
—10053.    10085—10  106.    10121—10124. 

Was  ist  ere?  im  weiteren  sinne:  das  honestum,  der  Inbegriff 
der  tagenden,  also  der  kern  der  weltlichen  Sittlichkeit  des  ritter- 
tums.  auch  im  Erec  gibt  Hartmann  eine,  ziemlich  ungeordnete, 
tugendliste,  und  zwar  für  Gawein,  2730 — 2751.  seine  ganze  ge- 
sinnung  war  ritterlich,  nur  giiot  (inbegriff  der  ritterliehen  tugendenj 
sah  man  an  ihm.  äufsere  guter:  rieh  und  edel  2732,  starc, 
schoine  2738;  innere  werte:  trimve  (ohne  nlt,  getriuwe  2733  f; 
siniu  lüort  unbetrogen  2737 1,  skete  2736,  milte  2735,  manhafi 
(tapfer)  2 7;-! 8,  zuht  {ivol  gezogen  2736,  mit  schosnen  zühten  fro 
2740),  der  wünsch-  hat  ihn  vollkommen  geschaffen  (Gawein  ist 
das  ideal  der  [weltlichen]  Vollkommenheit),  und,  zusammenfassend: 
üf  ere  leit  er  arbeit  2746.  das  sind  lauter  weltliche  eigen- 
schaften,  es  fehlt  die  mit  dem  religiösen  verbindende  religio.  — 
Erecs  prls  nach  dem  grofsen  turnier  wird  dadurch  gekennzeichnet, 
dass  er  berühmten  tugendmustern  gleichgestellt  wird:  an  vmtuom 
Salomo,  an  schmie  Absalon,  an  sferke  Samson,  an  milte  Alexander 
2816 — 2821.  aber  alle  diese  tugeuden  kommen  in  der  Ökonomie 
des  romans  nur  wenig  in  betracht;  ere,  rUerachaß,  ist  hier  allein 
tapferkeit,  die  in  der  bestehung  von  gefahrvollen  abenteuern  sich 
kund    tut    und    die    die    allgemeine    ehrung,    den    rühm    bei    den 

1  stellen  für  ritterliche  zuclit  im  Erec  k.  Schöi)bach  s.  472;  Piqiiet 
1.  205  ff. 

-  ebenso  Gregor  1265,  aber  dort  ist,  dem  geistlichen  inhalt  ent- 
sprechend, Gott  der  anreger  des  Wunsches,  s.  oben  s.   1S2. 


198  EHRISMANN 

t 
menschen,  als  lohn  einbringt  (u.a.  5291.  8373— S3S9.  8398.  8527 

8538.  9890 — 9S9S),  jedoch  nicht  auf  guot,  d.  i.  reichtum,  macht 

(bona   fortunae),    abzielt,     ein    anderer   sittlicher   zweck,    als   daes 

Erec  seine  verlorene  ehre  wider  einholt,  ligt  diesem  abenteuernden 

herumfahren   nicht   zu   gründe;    auch   den  kämpf  mit  Mabonagrin 

hat  er  nur  unternommen,  weil  es  ihm  ein  erfreuliches  ivunsclispil 

schien  8530,   nicht  um  die  achtzig  klagenden  frauen  von  Joie  de 

la  curt   zu    erlösen  '.     aber  doch  wird  an  ihm  die  barmlierzigkeit 

mehrfach    hervorgehoben,    so    bei   der   befreiung  Sadochs,    wo  das 

bewustsein  der  ritterpflicht,  bedrängten  zu  helfen,  mitspricht  5343. 

53(;S.    537  1     (Chrestien    4316—4321.    4356—4364).      verliehen 

wurde  Erec  die   ehre   mit  ihren    erfolgen  von  der  Scelde,    die  sie 

ihm  schon  in  die  wiege  legte  9899 — 9902. 

Der  contrast  zur  ehre  ist  das  sich  verligen  (2971.  10  123), 
gemach,  die  acidia,  2527  f.  2924—3032.  4096—4102.  4977  f 
(vgl.  auch  Iwein   2791—2798). 

Die  minne  zeigt  ihr  zwiefaches  gesicht,  sie  würkt  zum 
schaden  oder  zum  vorteil:  sie  benimmt  den  verstand,  an  dem 
strick  der  minne  fängt  man  gar  leicht  einen  so  listigen  mann, 
den  niemand  sonst  fassen  kann  3691 — 3708;  wer  sie  aber  recht 
zu  behandeln  verstünde,  dem  würde  sie  seine  arbeit  lohnen 
3709 — 3721.  im  Erec  kommt  ihre  gute  seite  wenig  zur  geltung. 
sie  stärkt  zwar  (ein  häufig  begegnendes  höfisches  motiv)  dem 
kämpfer  den  mut,  wenn  er  au  die  geliebte  denkt  8863 — 8873. 
9169 — 9187.  9230  f,  indes  die  moral  des  gedichtes  ist  ja  gerade  darauf 
angelegt  zu  zeigen,  wie  sie,  zur  alleinherschaft  gelangt,  den  menschen 
zum  sinnengeniiss  und  zur  trägheit  erniedrigt,  aber  ebenso  kann 
die  minne  nach  der  andern  richtung  hin  schädlich  wirken,  indem 
sie  ihren  sclaven  zu  übermäfsiger  kampfeslust  verleitet,  w^ie  den 
Mabonagrin.  und  damit  ist  nun  gelegenheit  gegeben,  Hartmanns 
eigene  Stellung  zu  dem  minnewesen  der  höfischen  gesellschaft 
kennen  zu  lernen,  er  ist  ein  gegner  des  rainnedienstes.  in  keinem 
seiner    epischen   werke-   wird    der  frau   gehuldigt    aufser  da,    wo 

*  die  ganze  abenteuerfahrt  ist  eiue  tapferkeitsprobe  um  die  ehre 
wider  herzustellen,  die  einzelnen  kämpfe  sind  meist  durch  das  verhalten 
der  gegner  veranlasst,  Piquet  s.   159  f. 

'  minnedienst  in  Hartmanns  Liedern  s.  Hurdach  Reinmar  s.  52  ff; 
Saran  HvA.  als  lyriker  s.  Ü9  ff ;  Hugo  Kauffmann  Über  Hartmanns  lyrik 
s.   15  ff;  Lüderitz  s.  40. 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  i«j<> 

eben  das  widersinnige  des  übertriebenen  frauencultus  dargetan 
werden  soll,  nämlich  im  Büchlein,  wo  die  minne  den  leib  un- 
männlich (zage),  und  in  der  Mabonagrinepisode,  wo  sie  den  ritter 
kampftoll  macht,  und  dieses  verhalten  gegen  die  minne  entspricht 
auch  Hartmanns  temperament:  er  mit  seinem  mafsvollen  naturell 
verfiel  nicht  ihrem  bann,  er  selbst  sagt  im  Iwein,  dass  er  nie  von 
der  minne  bemeistert  wurde  ;'.015.  nicht  die  minne  ist  für  Hart- 
mann das  band,  welches  die  seelen  von  mann  und  frau  sym- 
pathisch verknüpft,  sondern  die  gattentreue:  die  treue  bewahrt 
Enite,  die  lieblichste  unter  des  dichters  frauen gestalten,  ihrem 
manne  in  aller  prüfung,  die  er  ihr  in  seiner  härte  auferlegt 
(6781  ff);  und  treue  hält  der  würdigste  seiner  beiden,  Iwein,  dem 
weihe,  das  ihn  verstofsen.  und  wenn  des  mannes  höchste  ehre 
die  tapferkeit  ist,  so  ist  des  weibes  schönster  schmuck  die  güte. 
in  der  treue  und  in  der  demütigen  gute  (327S.  3449.  9703  u.ö.) 
gleicht  Enite,  die  ihr  leben  ihrem  gatten  weiht,  dem  mädchen,  das- 
für  den  kranken  herrn  sein  herzblut  hingibt. 

Mit  der  ehre  notwendig  verbunden  ist  die  arbeit,  bei  Hart- 
inann  das  mittel  zur  herstellung  der  ehre,  ihre  specielle  äufserungs- 
form  in  den  beiden  ritterromanen  ist  die  tapferkeit.  arbeit  ist  also, 
wie  ehre,  ein  das  ganze  gedieht  durchdringender  zug  (im  einzelnen 
u.  a.  4096—4101.  4363.  4977  f.  7251—7759.  9890;  minne- 
arbeit 3713j.  im  gründe  ist  dies  ja  in  jeder  heldendiehtung  ohuo 
weiteres  der  fall,  aber  Hartmann  stellt  in  moralisierender  absieht 
die  arbeit  als  ethisches  princip  auf,  um  ihre  bedeutung  für  das 
sittliche  leben  des  rittertums  zu  zeigen. 

Ein  wesentlicher  zug  in  Hartmanns  gemütslebeu  ist  die 
frömmigkeit.  sie  kommt  auch  in  seinen  weltlichen  dichtungen, 
im  Büchlein,  Erec  und  armen  Heinrich,  stark  genug  zur  geltung 
um  dem  gesamteindruck  eine  besondere  ethische  färbung  zu  ver- 
leihen, denn  die  religiösen  bestandteile '  sind  nicht  nur  unwillkür- 
liche Sprachmittel,  wie  ausrufe,  beteuerungen,  oder  mechanische 
formein,  wenn  auch  diese  weitaus,  die  mehrzahl  bilden,  sondern 
es  sind  dabei  auch  ergebnisse  einer  bestimmten  Weltanschauung: 
die  Versöhnung    des   dualismus   zwischen   mensch  und  Gott  durch 

'  Schönbach  s.  4  —  23.  auch  die  fälle  die  Hartmann  aus  Chrestieii 
entnommen  hat,  sind  beweiskräliig,  Hartmann  hat  aber  geraüe  das  religiöäe 
moment  eigenartiger  ausgeprägt  als  Chrestien;  Piquet  s.  318  ft.   337  — :-{30. 


200  EHKISMANN 

demütige  frömmigkeit.  dieses  verinnerlichte  verliältnis  des  men- 
schen zu  Gott  äufsert  sich  in  mehreren,  aber  verwanten  be- 
ziebungen:  der  ritterliche  stolz  und  eingeiz  wird  gemildert  durch 
die  christliche  demut.  denn  die  erfüllung  des  erwünschten  hängt 
von  Gottes  willen  ab,  zb.  oh  mir  got  der  eren  gan  daz  ich 
gesige  an  disem  ?nan,  so  ivirde  ich  eren  rtche  8560 — 8562,  oh 
got  wil  5527,  oh  gof  ruochet  4341.  (J851  u.  a.  (auch  die  be- 
scheidenheit,  modestia,  im  gegensatz  zur  prahlerei,  vana  gloria, 
2380 — 2390)  K  dass  das  gute  ihm  von  Gott  zu  teil  geworden, 
erkennt  auch  Erec  selbst  an  (modestia) :  er  tete  snm  die  wisen 
tuont,  die  des  gote  genäde  sagent  smaz  st  eren  hejagent  uvd 
ez  von  im  wellent  hdn  10085  — 10  106.  er  war  nie  der  welt- 
gesinnte herr  wie  Heinrich  von  Ouwe,  er  schrieb  nicht  all  sein 
glück  seiner  eigenen  friimehelt  zu  (10094).  darum  auch  das  un- 
bedingte vertrauen  auf  Gott,  fides,  der  glaube,  eine  der  drei  gött- 
lichen, nicht  eine  der  sieben  moralischen  tugenden:  so  lauge  mich 
Gott  in  seiner  hut  hat,  kann  mir  kein  übel  geschehen  8147 — 8153. 
es  ist  dieselbe  gewisheit  einer  über  uns  waltenden  macht  Avie  im 
schicksalsglauben ,  und  neben  dem  trostreichen  bewustsein  eines 
väterlich  gütigen  Gottes  (10  126)  bringt  Hartmann  auch  aus- 
sprudle eines  gestalt-  und  empfindungslosen  fatalismus'^:  nü  mac 
doch  daz  nieman  hewarn  daz  im  geschehen  sol  (Keiin)  4801  f. 

Der  grundsatz  der  religiösen  Überzeugung  Hartmanns  lautet 
in  kirchlicher  auffassung  ausgedrückt:  alles  gute  wird  von  Gottes 
gnade  gewürkt.  bei  ihm  kommt  aber  doch  der  mitbetätigung  des 
menschen  ein  viel  höherer  wert  zu  als  im  kirchlichen  dogma. 
'arbeit'  ligt  ja  in  der  idee  des  gedichtes.  Gott  und  eigene  kraft 
gehen  zusammen:  Gott  und  seine  eigene  tüchtige  arbeit  (früm.e- 
keit-)  retteten  ihn  in  das  land  der  gnade  7070 — 7072.  aber  un- 
vermittelt mit  der  frommen  hingebung  an  Gott  tritt  dann  doch 
wider  auch  eine  ganz  weltliche  macht  schicksalbestirainend  auf, 
die  Smlde  9899 — 9902,  ja  die  scelekeit  und  gotes  ivllle  verfügen 
sogar  neben  einander  über  ein  günstiges  ereignis  6713.  6726^: 
fron    Saide    und    diu   gotes   hövescJieit   3460  f,     und   echt  höfisch 

'    Piquet  s.   817. 

'■^  frümekeit  ist  ein  iieblingswort  Hartuianns  im  Erec  und  im  luein. 
«s  ist  'tüchtigkeit'  iu  weitestem  siuue,  etwa  dasselbe  wie  tugent,  eigentlich 
taugliclikoit. 

•'   Piquet  s,  26. 


RIITERLICHES  TUGENDSVSTEM  201 

muss  Gott  seinen  einfluss  mit  der  minne  teilen  8855-8873:  hei 
wie  dicke  er  noch  genas  dem  er  geimdic  wolde  wesen!  wU 
er, -so  trüwe  ich  wol  genesen,  und  gleich  darauf:  swenn  mich 
der  muot  (Enite)  iwer  ermant,  so  ist  sigescelic  mm  hont:  imv 
itiwer  guote  minne     die  sterkent  mlne  sinne  K 

Das  harmonische  ineinanderAvürken  von  mensch  und  Gott 
ist  die  aufgäbe  des  irdischen  iebens,  der  Zwiespalt  also  zwischen 
Gott  und  weit  besteht  für  den  demütigen,  Gottes  gnade  sich 
ergebenden  ritter  nicht,  der  dualismus  beschwert  nicht  diese  ge- 
müter  wie  die  asketischen  grübler.  ihre  einfache  religiosität  lautet: 
Gott  möge  meiner  ehre  walten  und  meine  seele  bewahren  (vgl. 
9988  fj  2;  möge  ich  hier  soweit  meine  pflicht  (ere  ist  die  pflicht 
und  berufsarbeit  des  ritters)  erfüllen  können,   dass  Gott  mir  nacli 

Gott  und  irdische  minne  stehn  unvermittelt  nebeneinander,  die 
weltliche  liebe,  amor,  und  die  himmlische,  charitas,  können  nur  durch 
allegorie  oder  mystische  Suggestion  mit  einander  eins  werden,  für  Hart- 
mann aber  ist  minne  eine  leidenschaft  des  sinnlichen  begehrungsvermögens, 
und  die  mystische  Übertragung  auf  die  himmlische  liebe  kennt  er  nicht, 
dagegen  kann  die  arbeit  um  ehre,  die  ritterliche  Pflichterfüllung,  getragen 
sein  von  demütiger  frömmigkeit,  wie  dies  bei  Hartmann  der  fall  ist.  auch 
das  irdische  glück  und  Gott  sind  zwei  unvereinbare  kräfte,  denn  ein 
günstige.-!  ereignis  kann  entweder  nur  von  der  höfischen  sjelde  oder  nur 
von  der  gnade  Gottes  ausgehen,  aber  nicht  von  beiden  zugleich,  höchstens 
kann  Gott  in  der  poetischen  Wahnvorstellung  die  frau  Sa;lde  zu  günstigen 
handlungen  bewegen,  die  angeführten  stellen  gehören  in  das  gebiet  des 
höfisch-christlichen  Synkretismus,  vgl.  zu  diesem  Wechssler  register  s.  49S. 
—  ganz  ins  weltliche  gezogen  ist  Gott  in  den  Wendungen  diu  gotes 
höcescheit  (frou  Sa-lde  und  (jote^  höcesrheit  verhinderten,  dass  Enite  ein 
Ungemach  bei  ihrem  pferdedien.'st  zustofse)  3461,  als  ez  der  hücesche  got 
gebot  5517  (s.  beide  male  Haupts  anmerk. :  Gott  ist  als  höcesck  bezeichnet 
weil  er,  wie  es  die  höfisclie  saht  vorschreibt,  dem  bedrängten  wolwollenden 
beistand  leistet). 

^  de/  icerlte  lop.  der  scle  heil  erwerben  im  ersten  kreuzlied  MFr. 
210,  10,  8.  Piquet  s.  11:  oü  on  conquiert  Paradis  et  honour  im  kreuz- 
lied des  Conon  de  Bethune,  vgl.  auch  Mätzner  Altfranz,  lieder  nr  V  15  f, 
und  s.  133  f;  ferner  Reinmar  MFr.  181,  1;  GVVolfram  Zs.  30,  109;  Sioei 
das  lop  bejagen  kan  da  coii  er  hie  ein  biderbe  man  schlnt  und  dient 
doch  gote  lool,  loiszet  daz  er  smlic  werden  sol  Thomasin  in  seinen  kreuz- 
predigtversen  11401  —  11.404,  vgl.  auch  11 377  — 11379  (kreuzfahrt  ist 
arbeit  um  Gott  11491);  der  geionn  Rönueren  mirhel  Ore.  die  iCK^en 
redent  er  behielte  die  sele  Kaiserchron.  073 f,  ähnl.  11  140  u.  vgl.  ll'  — 14; 
ferner  Wigalois  4,  24  ff,  Winsbeke  str.  3,  0  f 

Z.  F.  D.  A.  LVI.     N.  F.  XLIV.  14 


202  EHKISMANN 

diesem  leben  das  ewige  leben  verleihe  10  11!) — 10  129.  und  mit 
dem  frommen  Segenswunsch  schliefst  das  gedieht ' :  'möge  Gott 
uns  hier  als  seine  treuen  diener  haben  (Gottes  huld  ist  der  höchste 
lebenswert)  und  uns  nach  dieser  irdischen  Verbannung  seinen  lohn 
zu  teil  werden  lassen'.  Ilartmann  erkennt  den  sittlichen  wert  der 
menschlichen  arbeit  im  ritterlichen  beruf  an  und  hält  an  der  Ver- 
einbarkeit der  rerum  divinarnm  und  der  rerum  buuianarum,  der 
weltlichen  tüchtigkeit  mit  der  göttlichen  gnade,  fest,  das  ist  sein 
h  u  m  a  n  i  s  m  u  s "-. 

Im  Ivvein  ist  das  kräfteverliältnis  zwischen  den  beiden  be- 
stimmenden werten  umgekehrt  wie  im  Erec:  die  mdze  ist  dadurch 
gestört  dass  durch  bevorzugung  des  männlichen  dementes,  das  ist 
die  tapferkeit,  das  frauenhafte,  die  minne,  zurückgedrängt  wird, 
damit  ist  zugleich  die  richtung  für  die  ethische  behandlung  dos 
Stoffes  gegeben:  die  minne  muss  nach  dem  fall  des  beiden  stark 
betont  werden,  damit  gezeigt  wird,  dass  sie  in  der  tat  wider  in 
ihre  rechte  eintritt,  daneben  behält  die  ritterehre  mit  ihrer  äufse- 
rung  der  tapferkeit  bzw.  arbeit  selbstverständlich  ihre  mitherschende 
Stellung  im  stoffe,  da  sich  die  handlung  ia  ritterlichen  kämpfen 
abspielt. 

Die  Psychologie  des  ethischen  empfindungsvermögens  ist  im 
Iwein  feiner  ausgebildet  als  im  Erec.  die  minne  ist  auch  hier 
die  willenbezwingende  schicksalsmacht,  aber  sie  ist  auch  zu  gleicher 
zeit  das  band  das  die  gatten  verknüpft  und  dem  manne  sittliche 
jjflichten  gegen  die  familie  und  gegen  die  erhaltung  des  besitzes 
auferlegt.  Iwein  verletzt  zugleich  seine  aufgäbe  als  landesfürst, 
als   scbützer   seines  volkes,    da   er   die  minne  zu  seiner  frau  mis- 

'  die  drei  ausblicke  auf  das  ewige  leV)en  hat  Chrestien  nicht, 
riquet  s.  229. 

-  dieser  ritterliche  humanisinus  steht  uicht  im  gegensatz  zu  den 
forderungen  der  kirche,  vielmehr  erkennt  diese  die  laienarbeit  ebenfalls  als 
sittlich  berechtigte  tat,  ja  als  notwendige  pflicht  an  (s.  oben  s.  183  anm.). 
ehre  und  Gottes  huld  sind  also  auch  nach  der  kirche  vereinbar,  die  ehre 
ist  nur  ein  geringerer  grad  der  perfectio  als  die  askese.  gerade  bei  dem 
christlichen  rilter  im  kämpf  ums  heilige  grab  gewinnt  die  ritterliche  ehre 
auch  im  kirchlichen  sinne  eine  höhere  weihe,  darum  in  dem  kreuzzugs- 
gedanken  das  motiv  von  der  Vereinigung  von  weltruhm  und  Seelenheil 
besonders  nahe  ligt;  vgl.  auch  Alanus  Summa  de  arte  praedic.  Ad  milite-s: 
honestae  militia'e  et  temporalia  donativa  debentur  et  aeternae  remunera- 
tionis  stipendia  nou  negantur,   Migne  210,  1S6  C. 


RITTERLICHES  TUGEXDSYSTEM  203 

achtet,  als  er  dann  ihre  minne  veHoren  hat  und  an  die  stelle 
ihres  besitzes  das  sehnen  getreten  ist,  da  erhebt  sich  in  ihm  dio 
minne  zur  treue,  und  die  gattentreue  ist  der  sichere  halt  in  dem 
irrenden  elend  des  verstofsenen.  mit  der  treue  in  der  liebe  macht 
er  seine  schuld  an  der  minne  wider  gut.  damit  hat  dieses  werk 
die  höchste  sittliche  weihe  empfangen,  es  ist  ein  lied  der  gutten- 
treue,  gleichsam  ein  christlicher  Widerspruch  gegen  den  beweg- 
grund,  der  in  der  idee  des  antiken  Stoffes  ligt,  gegen  'die  treu- 
lose witvve'.  aus  dem  grundmotiv  der  unstd^le  (2301)  ist  die 
Verherrlichung  der  trimve  geworden,  aus  dem  abenteurer  der 
christliche  ritter,  die  sportsmäfsigen  kraftproben  wurden  werke  der 
barmherzigkeit.  denn  so  wie  die  minne  zu  der  sittlichen  eigen- 
schaft  der  treue  geläutert  wurde,  so  wurden  die  taten  der  blofs 
ritterlichen  ere  erfüllt  mit  der  ethischen  idee  der-  christlichen 
nächstenliebe.  endlich  auch  ist  die  gottesvorstelluug  reiner,  denn 
der  raenschenwille  und  die  sselde  haben  nicht  so  sehr  mitbestim- 
mende kraft  wie  im  Erec;  der  dualismus  zwischen  weltleben  und 
Seelenheil  wird  nicht  berührt  und  damit  fällt  auch  der  ausblick 
auf  das  jenseits  weg.  in  den  pflichten  des  lebens,  in  gattentreue 
und  menschlicher  barmherzigkeit,  erfüllt  sich  Iweins  aufgäbe,  ohne 
rücksicht  darauf,  wie  sich  bei  dieser  diesseitsarbeit  die  zukunft  der 
sele  gestaltet. 

Dieses  etwa  sind  die  grundlinieu,  welche  den  moralischen 
Inhalt  des  gedichtes  bestimmen,  sie  treten  aus  dem  aufbau  der 
haudlung  an  verschiedenen  stellen  mehr  oder  weniger  deutlich 
heraus. 

Die  wichtige  rolle,  die  der  minne  in  der  bewegung  der 
Charaktere  zugewiesen  wird ,  kommt  schon  äufserlich  dadurch  in  die 
erscheinung,  dass  ihr  drei  längere  reflexionen  gewidmet  sind:  ihre 
macht,  die  Iwein  bezwingt  1537 — 1664;  das  klügelnde  Zwie- 
gespräch zwischen  Hartmann  und  der  Minne  über  den  austausch 
der  herzen  2971 — 3028;  und  die  frostige  allegorie  vom  zusammen- 
wohnen von  Minne  und  Hass  in  einem  gefäfs  7015 — 7074  (hier 
die  freundesliebe;  vgl.  auch  v.  7491  —  7497);  dazu  auch  die  be- 
kannte sensuale  erklärung  der  entstehung  der  minne  durch  die 
äugen  2341 — 2355.  meist  ist  die  Minne  die  betörerin  der  sinne 
1335—1337.  1519—1521.  3405  f,  sie  besiegt  selbst  einen  beiden 
wie  Iwein  1537—1664.  :;249— 32GÜ.  3405.  7783—7804,  sie 
hat   gewalt    über  wen   sie  will   und   bezwingt  alle  könige  leichter 

ir 


204  EHRISMANN 

als  ein  kind  1567 — löVO.  sie  hat  auch  ihre  hand  ira  spiele,  als 
die  eben  witwe  gewordene  Laudine  ihren  erscldagenen  gatten  so 
rasch  vergisst  1623— 1G64.  2054—2057  (fehlen  bei  Chrestien  i). 
vor  allem  aber  ist  es  die  räche  der  beleidigten  Minne,  die  die 
kämpfe  und  seelenleiden  Iweins  veranlasste,  gutes  schafft  sie 
selten:  sie  stählt  den  raut   1419 — 1421. 

Zum  lebenfördernden  princip  wird  sie  erst  als  gattenliebe, 
dann  ist  sie  'treue'  liebe,  überhaupt  die  'trmwe'' :  daz  senen  2962. 
3984,  seneder  gedanc  3083,  senlichiu  triuwe  3089,  seMediu  sivaere 
3982,  -senediu  not  4236,  jämer  nach  dem  wlbe  3213,  der 
knmher  den  er  truoc  8100;  sie  erhält  ihn  stcete,  so  dass  er  kein 
anderes  weib  heben  kann  3  797—3801.  6500—6516.  6574—6582. 
6802 — 6811;  es  ist  diu  mlwende  not  nach  seinem  weibe  mit 
dem  schmerz  über  ihre  verlorene  liulde,  und  der  drang  diese 
wider  zu  gewinnen  3537  f.  3964 f.  4006—4010.  4216  f.  5466 
—5470.  5493.  7903.  8111.  8134  bestimmt  sehliefslich  sein 
Schicksal  und  führt  es  zu  gutem  ende  7781 — 7804.  7886  f. 
7931  f.  die  lebenserfahrung,  die  der  dichter  aus  den  Schicksalen 
des  beiden  zieht,  ist  ein  preis  der  ehe  8139  —  8147  (vgl.  2426 
— 2432),  welcher  tiefere  ethische  sinn  erst  von  Hartraann  in  die 
entsprechenden  verse  Chrestiens  (6788  —  6801)  hineingelegt  wurde, 
nur  zweimal  braucht  Hartmann  das  wort  liehe,  2210.  2929, 
beide  male  wol  um  die  wahre  herzensneigung  gegenüber  der 
minnebesessenheit  auszudrücken;  so  auch  das  adj.  liep  in  liep 
hfin  8095. 

Die  tragische  schuld  Iweins  ligt  darin  dass  er  durch  sein 
übertriebenes  rittertura  den  termin  der  heimkehr  versäumte,  er 
hat  seine  trimce  gebrochen,  sein  ritterliches  ehren  wort  3173. 
3185  f.  3208.  nicht  verloren  aber  hat  er  die  triuwe,  die  stcete 
zu  seinem  weibe,  die  beständigkeit  in  der  liebe  3082 — 3092.  3210 
(die  Vieldeutigkeit  des  begriffs  triuwe  macht  den  sinn  dieser  stellen 

1  damit  dass  Hartmann  die  niinne  als  eine  dämonische  schicksals- 
gewalt  hinstellt,  der  der  mensch  willenlos  folgen  niuss,  entschuldigt  und 
mildert  er  die  treulosigkeit  der  witwe.  die  pointe  der  classischen  er- 
zählung  wird  dadurch  allerdings  noch  mehr  abgestumpft.  Laudiue  ist 
aufserdem  schon  durch  die  pflicht,  ihrem  lande  einen  Schützer  zn  geben, 
tinigermalsen  entlastet;  vgl.  Schönbach  s.  441 — 443,  Piqiiet  s.  139  ff. 
(Luneten  rat,  vgl.  Gregorius  2 185  ff,  wo  die  vasallen  ebenfalls  die  königiu 
zur  heirat  veranlassen,  um  dem  land  einen  Schützer  zu  geben.) 


KIITERLICHES  TüGENDSYSTEM        20f, 

unklar),  und  diese  triuwe  in  der  liebe  ist  es,  die  die  schuld  des 
verletzten  treuwortes  wider  sühnt,  es  ist  die  riince,  widerum  in 
zwei  bedeutungen:  der  kummer  über  das  verlassene  und  ver- 
scherzte glück  3082—3092.  3231,  und  die  reue  über  begangene 
schuld,  dm  versümde  rinwe  3209,  vorgebracht  in  der  form 
eines  Sündenbekenntnisses  vor  seiner  frau  8102—8109  (beicht- 
formel:  bekenntnis,  confessio  8103.  8105 f,  reue,  poenitentia  8103. 
8107,  Sündenvergebung,  remissio  peccatorum,  satisfactio,  haoze, 
8108f).  treu  ist  Iwein  auch  in  der  dankbarkeit  (gegen  Lunete, 
4257 — 4260),  und  symbolisch  ist  ihm  der  löwe  als  begleiter  bei- 
gegeben, ein  bilde  der  rehten  triuwe  4001 — 4005.  so  ist  also 
treue  in  der  liebe  das  sittliche  verhalten  Iweins,  wodurch  er 
innerlich  die  schuld  au  der  minne  sühnt,  aber  tatsächlich  erringt 
er  die  huld  seiner  frau  nicht  durch  die  treue  zurück,  sondern 
durch  seine  tapferen  taten,  die  ihn  geeignet  machen,  den  schütz 
des  landes  zu  übernehmen,  aber  Laudine  nimmt  ihn  auch  nicht 
einmal  aus  diesem  praktischen  gründe  wider  auf,  nicht  die  sitt- 
lichen taten  der  treue  und  tapferkeit  verschaffen  ihm  endgültig 
sein  weib  und  sein  land  zurück,  sondern  dieses  gelingt  in  würk- 
lichkeit  der  intrigue  Lunetens.  durch  intrigue  gewinnt  Iwein  die 
minne  seines  weibes,  er  verliert  sie  durch  Verletzung  der  minne 
und  erlangt  sie  wider  durch  intrigue.  die  dienerin  mit  ihrer  intrigue 
ist  die  bewegerin  der  handlung  wie  im  classischen  französischen 
lustspiel  ^  damit  ist  der  ethische  gesamtcharakter  gestört,  die 
ethische  schuld  ist  nicht  in  würklichkeit  durch  sittliche  läuterung 
gesühnt,  sondern  der  conflict  ist  durch  ein  blofs  novellistisches 
Clement  gelöst. 

Die  ehre 2  besteht  wider  wie  im  Erec  in  der  ritterlichen 
tapferkeit,  die  sich  in  den  abenteuern  offenbart  und  als  arbeit 
die  pfiicht  des  ritters  ausmacht  gegenüber  der  faulen  bequemlich- 
keit  (s.  Beneckes  wb.  unter  ere,  arbeit,  rUerschaft,  manheit. 
äventiure,  gemach,  sich  verligen  u.  ä.),  bes.  2770 — 2912  (Ga- 
weins  rat,  darin  der  bäuerliche  ritter  2807 — 2858),  525  —  549. 
967  f.  39 17  f.  7171 — 7188.     ein  gegenstück  zu  der  ernsten  tätig- 


»   Piquet  s.   136  f. 

-  stellen  für  ritterliche  suht  im  Iwein  s.  Schönbach  s.  472,  Piquet 
s.  205  ff.  Iweius  bcscheideniieit  (luodestia)  v.  1089-1042,  vgl.  Piquet 
8.  317. 


206  EFIRISMANN 

keit  Iweins  ist  die  kiudliciie  abenteuersucht  rles  jungen  herrn  vom 
Jungfrauen  wert,  der  durch  seinen  leichtsinn  sein  land  in  schände 
und  Unglück  brachte  6328 — 6376.  einen  wahrhaft  sittlichen  wert 
erhält  aber  Iweins  arbeit  und  ritterscliaft  dadurch,  dass  seine 
abenteuer  taten  der  barrnherzigkeit  sind,  er  vollbringt  die  pfllcli- 
ten  des  christlichen  ritters,  er  hilft  den  bedrängten  und  zwar  ohne 
lohn  371)7—3801.  4842—4844,  besonders  den  frauen:  er  befreit 
die  von  ihrem  feinde  angegriffene  frau  von  Narison  3703 — 3827. 
er  erlöst  die  gefangene  Lunete  5145  —  54  50,  die  söhne  des  burg- 
herrn  4357 — 5144,  die  dreihundert  arbeiterinnen  6085—6866, 
und  verhilft  der  tochter  des  grafen  vom  Schwarzen  dorn  zu  ihrem 
rechte  5625  ff.  685)5  ff;  besondere  stellen:  4432—4440.  4507— 
4509.  4740  f.  4853 — 1860.  4932  f.  6407-6424.  er  spricht  es 
selbst  als  seine  lebensaufgabe  aus:  swem  mins  dienates  not  ge- 
schult und  sroer  guoter  des  gert,  dem  wirt  ef  niemer  entwert 
6002—6004.  den  traurigen  burgherrn  fragt  er,  da  er  seineu 
und  seiner  leute  kummer  sieht,  was  ihm  geschehen  sei  4432—  4440, 
er  tut  also  die  barmherzigkeitsfrage,  die  Parzival  im  anblick  von 
Anfortas  leiden  unterlassen  hatte,  in  derselben  seene  bringt  der 
dichter  auch  eine  hierher  passende  sentenz  an:  swer  ie  kumber 
erleit,  den  erbarmt  des  mannes  arbeit  michel  harter  dan  den 
man     der  nie  deheine  not  getvan  4389 — 4392. 

Längere  tugendreihen  wie  in  seinen  vorhergehnden  werken 
bringt  Hartmann  im  Iwein  nicht,  oft  jedoch  gibt  er  kurze,  ganz 
allgemein  gehaltene  und  meist  sich  inhaltlich  nahezu  widerholende 
tugendformeln:  für  Iwein  2089—2100.  2412  f.  2426—2428. 
3350—3357.  3515—3528.  3752,  für  Laudine  1925  f.  2423— 
2425.  3127 — 3129.  zweimal  zeichnet  er  ausführlich  ein  weibliches 
tugendideal  durch  trockene  aufzählung  der  guten  eigenschaften : 
6463 — 6470  (Chrestien  hat  dafür  ein  graziöses  amorettenbildchen 
5366  ff)  und  7297 — 7303,  hier  durch  eine  in  zierlichem  stil  ver- 
bundene anzahl  von  attributen. 

Wie  im  Erec  ist  auch  im  Iwein  fnlmcke.it  von  Hartraann 
oft  gebraucht  als  Zusammenfassung  der  tüchtigen  eigenschaften  des 
mannes  (s.  Beneckes  wb.  unter  vri'nnekheit). 

In  dem  letzten  roman  Hartmanns  ist  der  religiöse  geist  ^  noch 
stärker   und    gefestigter    als    in   seinem  ersten,   noch  mehr  ist  das 

'  Schönbach  s.  28—47. 


RITTERLICHES  fUGENDSYSTEM  207 

empfinden  der  menschen  durchzogen,  das  handeln  begleitet  von 
frommen  gedanken.  dem  rat  und  der  hülfe  Gottes  stellt  Iwein 
seia  geschick  anheim  (modestia) :  uf,  gehe  mir  got  guoten  rät 
der  mich  unz  her  geleitel,  hat  4S8<Jf;  und  wil  mir  goi  guwdec 
wesen,  so  trüwe  ich  harte  ivol  genesen.  sm  hat  er  ir  got 
pflegen  6421—6423;  got  .vi  der  sine  gnade  fuo  .  .  gol  d,r  hewar 
mir  nünen  lip  und  min  ere  7420 — 7423;  vgl.  ferner  <J83  — 987 
1086—1690.  2338  f.  5482— 51S7.  5530f.  7415  u.  ö.;  Gott  ist 
beistand  des  rechtes  im  Zweikampf  5014—5016.  5167  ff.  5274 
— 5280.  6774.  7628.  auch  die  meisten  andern  nicht-gegnerischen 
Personen  bezeugen  frömmigkeit  in  worten:  Luiiete  4045—4047. 
5157—5160.  5233.  8062  —  8064  u.  ö. ;  Laudine  1808  —  1815. 
1903—1906.  2324.  5533-  5540;  der  burgherr  4502— 4.-,06.  5140 
—5144,  5836.5848;  die  arbeiterinnen  6342—6345.  6S59— 6866: 
die  botin  5791—5794,  5972.  5987  —  5996.6000;  fatalismus  1396. 
6567  f;  Optimismus  3685  f.  36!)1  — 3693;  höfisch  5351-5361. 

Das  tun  Iweins  ist  frömmer  aufgefasst  als  das  Erees.  seine 
arbeit  geschieht  im  dienste  der  barmlierzigkeit,  das  gelingen  hängt 
von  der  gnade  Gottes  ab,  auch  die  scelde  kommt  von  Gott:  got 
müez  lach  bewarn  unde  gehe  in  scelde  U7id  ere^b'301,  ähnl. 
4854f,  6051—6053.  6412.  6864  (heil  und  ere  1991),  got  gebe 
mir  smlde  unde  sin  5995;  und  das  ganze  gedieht  schliefst  mit  dem 
versa  got  gehe  uns  scelde  und  ere  8166.  der  auffallendste  unter- 
schied aber  zwischen  dem  Iwein  und  dem  Erec  in  dem  bereich 
der  religiösen  gedanken  besteht  darin,  dass  sie  im  Iwein  nur  auf 
das  diesseits  gerichtet  sind,  nur  auf  glück  und  ehre  unter  den 
menschen,  nicht  auf  die  Zukunft,  auf  das  heil  der  seele.  diese 
beschränkung  auf  das  irdische  wird  ausdrücklich  im  proIog  und 
im  epilog  angedeutet,  die  volle  Weltanschauung  des  dichters  also, 
<3as  Verhältnis  zu  dem  dualistischen  princip  seiner  zeit,  kommt 
nicht  zum  ausdruck.  wollte  er  in  einem  gedichte,  das  ein  Spiegel 
des  weltlichen  rittertums  sein  sollte,  absichtlich  nicht  mehr  (wie 
im  Erec)  von  der  zukunft  der  seele  reden?  oder  war  der  grund 
nur  der,  weil  Chrestien,  dem  er  im  Iwein  peinlicher  folgt  als  im 
Erec,  zu  solchen  gedanken  keine  veranlassung  gab  ?  • 


'  im  Erec  gibt  Hartmann  gegen  Clirestien  in  der  gleichen  stelle  am 
schluss  auch  noch  einen  nioi-alischen  ausblick  über  das  leben  de.s  beiden 
nach  seiner  heirakehr   10  11.5  ff,  im  gegeusatz  dazu  aber  unterlässt  er  dies 


208  EH  RI  SM  ANN 

Sd'ldc  und  ire,  die  irdischen  guter,  sind  die  werte,  um  die 
es  sich  im  Iwein  handelt,  und  würkungsvoll  hat  sie  Hartmann  io 
den  ein-  und  den  ausgang  seines  ritterlichen  lebensbildes  gestellt  *. 
die  ethischen  begriffe  in  den  ersten  versen  sind  rehtiu  güete,  das 
ist  die  tugend  (die  moralischen  tugenden),  das  gar  guot  Tho- 
masins  •,  das  honestum,  die  sittlich  gute  gesinnung  im  sinne  von 
tugent;  saMe  und  (irc  machen  die  irdische  glückseligkeit  aus 
(scelde  speciell  umfasst  die  bona  fortunae  mit  crc.  rühm  [gloria],  im 
engeren  sinne),  deren  eins  das  andere  bedingt,  nach  dem  mora- 
lischen System  ausgedrückt  bedeuten  diese  verse :  die  tugend  (die 
moralischen  tugenden,  die  vier  cardinaltugenden  mit  ihren  unter- 
teilen) verschafft  das  weltliche  glück  und  die  weltlichen  glücks- 
güter.  das  vorbild  für  ein  solches  leben  der  ritterlichen  ehre  gibt 
der  könig  Artus,  der  nach  rühm  {lop)  strebte  7,  bei  lebzeiten  die 
kröne  der  ehren  trug  (der  die  moralischen  tugenden  [ere]  besafs 
und  dementsprechend  geehrt  wurde)  und  dessen  rühm  noch  jetzt 
fortlebt.  Ärtüs  der  guote  5  ist  das  anerkannte  symbol  des  ritter- 
lichen ideals,  seine  tafeirunde  der  Inbegriff  höfischer  zuht  und  f're; 
in  der  dichtung  aber,  in  der  er  nur  wenig  handelnd  auftritt,  bringt 
er  keineswegs  die  ritterlichen  tugenden  besonders  zur  geltung^. 
der  grundzug  seines  Charakters  ist  milte.  in  dem  materiellen  sinn 
der  freigebigkeit,  aber  auch  in  dem  tieferen  der  barmherzigkeit, 
denn  an  ihn  und  seine  beiden  wenden  sich  die  schwachen  und 
unterdrückten  (4510—4513.  4547.  4572.  5ö59— 5662).  die 
Übertreibung  der  höfischen  galanterie  fehlt  auch  hier  nicht:  Artus 
schlägt  keine  erfüllbare  bitte  ab  und  gibt  seiner  tre  zu  liebe  so- 
gar sein  weib  her  4537  ff.  —  also  nicht  aus  Artus  verhalten 
kann   der   leser   oder   hörer   die  rehte  giiete,   das  rechte  rittertum, 

im  Iwein  mit  dem  hinweis,  er  wisse  nichts  dayon,  da  er  darüber  von 
seinem  gewährsmann  (d.  i.  Chrestien)  keinen  bescheid  erliielt. 

'  den  gedanken,  dass  Artus'  'ritterliche  tüchtigkeit'  {proesce)  uns 
zur  lehre  dienen  soll,  hat  Hartmana  aus  Chrestien  l — 3  entnommen,  aber 
er  hat  erst  den  sittlichen  grundsatz,  dass  die  tugend  die  quelle  des  glucks 
und  der  ehre  ist,  als  leitmotiv  aufgestellt. 

2  Tgl.  Thomasin  3860 — 3862:  niemen  ist  edel  niican  der  man,  der 
sin  herze  und  sin  gemüete  hat  gekert  an  rehte  güete;  vgl.  auch  Wil- 
manns  Leben  Walthers  s.  420  anm.  451,  2  aufl.  s.  465  anm.  87,  wörter 
ähnlicher  bedeutung  wie  güete  ebda.  s.  424  anm.  482,  2  aufl.  s.  468 
anm.  118,  und  Walther-ausg.  36,  11;  Vogt  Der  bedeutungswiindel  des 
Wortes  edel  s.  14. 

•'  Piquet  s.  327  f. 


KITTERLICHES  TUGENDSYSTEM        20t) 

kennen  lernen,  sondern  aus  den  tagenden  und  fehlem  des  Helden 
des  gediclites,  Iweins. 

Die  innere  entwickluug  in  den  beiden  novelien  und  in 
den  beiden  romanen  Ilartmanns  ist  die  läuterung  des  beiden,  er 
ringt  sich  von  dem  verkehrten  zum  geordneten  zustand  durch, 
es  ist  die  Herstellung  der  sittlichen  Ordnung  im  menschen,  dieser 
weg  geht  durch  die  arbeit,  arbeit  ist  in  den  beiden  erzählungen. 
ihrem  geistlichen  gehalt  entsprechend,  bufse,  im  Gregoritis  selbst- 
auferlegte pein,  im  armen  Heinrich  gottgesandtes  leiden,  bufse 
ist  demütigung,  die  demütigung  führt  zu  Gottes  Huld,  im  Erec 
und  im  Ivvein  ist  arbeit  erprobung  der  ritterlichen  tugeud,  der 
frümekeit,  riterschaß,  ere,  manheit,  und  führt  wider  zu  der  ver- 
lorenen weltlichen  scdde.  aber  von  erfolg  gekrönt  ist  aucli  diese 
arbeit  nur  durch  die  hülfe  Gottes,  von  dem  das  gute  kommt, 
durch  die  gnade. 

Die  grundsätze  der  höfischen  morallehre  standen  fest,  und 
überall  in  den  weltlichen  mhd.  dicHtungen  kehren  die  im  vorbei- 
gehenden aufgeführten  züge  wider,  wenn  auch  der  einzelne  autor 
sie  individuell  verwenden  mochte.  Idealbilder  sind  die  beiden  der 
höfischen  epen  alle,  aber  in  den  werken  der  bedeutenderen  dichter 
hat  jeder  seine  besondere  geistige  physiognomie.  hier  können 
darüber  nur  noch  kurze  andeutungen  gemacht  werden.  Walther 
holt  seine  ethischen  anschauungen  unmittelbar  aus  der  Umgebung 
und  erteilt  ebenso  unmittelbare  reaUstisch-praktische  lehren  für  die 
aristokratische  gesellschaft,  in  der  er  selbst  lebt,  das  ist  das  hof- 
ieben  im  frieden;  insofern  kann  man  Waithers  ritterbild  den 
'höfischen  ritter',  miles  curialis,  nennen.  Hart  mann  stellt  in 
jedem  seiner  vier  erzählenden  gedicHte  einen  besonderen  Cha- 
rakter dar:  Herr  Heinrich  von  Ouwe  ist  ebenfalls  eine  realistisch 
aufgefasste  figur  aus  der  gegenwart,  er  ist  der  zur  gottesfufcht 
bekehrte  ritter.  der,  nach  seiner  läuterung,  guot,  ere  und  gofcs 
hulde  vereinigt.  Gregorius  erreicht  noch  eine  höhere  stufe,  er  ist 
der  zum  heiligen  gewordene  weitmann,  der  die  beiden  weltlichen 
guter  abgestreift  hat  und  nur  noch  in  Gott  lebt;  es  ist  der 
legendentypus.  Erec  und  Iwein  sind  romangestalten,  sie  vertreten 
den  typus  des  poetisierten  abenteuerritters,  ihre  lebensarbeit  ist 
auf  die  irdischen  guter,  auf  guot  und  ere  gerichtet,  sie  sind  aber 
in  Harmonie  mit  Gott,  denn  sie  haben  die  raodestia,  Iwein  auch 
in   hohem    mafse   die   barmherzigkeit    (raisericordia).     beide   unter- 


210  EHRISMANN 

scheiden  sich  wider  von  einander  im  j2;emüt:  Erec  ist  härter,  Iwein 
liat  feineres  sittHclics  empfinden  und  einen  zug  von  Sentimentalität, 
insofern  beide  ihre  haupttätigkeit  im  kämpfe,  in  der  riterschaß, 
vollbringen,  kann  mau  sie  unter  den  typus  des  'ritterlichen  ritters', 
miles  niilitaris,  stellen. 

WOLFRAM. 

Am  tiefsten  von  den  mittelhochdeutschen  dichtem  ist  Wolfram 
in  das  wesen  der  wahren  Sittlichkeit  eingedrungen  '.  er  betrachtet 
das  menschliche  dasein  überhaupt  sab  specie  aeterni.  den  weg 
des  menschen  zu  (!<itt  raaclit  P^arzival,  er  führt  durch  die  bitterste 
seelennot.  tapferkeit  und  treue  (manheit  und  trvmve),  die  ererbten 
tugenden,  dazu  die  deraut,  die  Selbsterkenntnis,  führen  ihn  zur 
gotterkenntnis,  und  er  erringt  die  höchste  geistig- ritterliche  Voll- 
endung auf  erden  in  dem  symbol  des  heiligen  Gral,  auf  anderm 
wege  gelangt  Trevrizent  zu  dem  höchsten  gut,  durch  völlige  welt- 
entsagung.  im  Willehalm  stellt  Wolfram  den  christlichen  ritter  in 
seiner  ausgeprägtesten  form,  dem  kreuzritter,  dar,  Schionatulander 
aber  geht  zu  gründe  an  seinen  nur  weltlichen  idealen  von  minne 
und  ritterehre,  die  menschheit  ist  geteilt  in  kinder  Gottes  und  kinder 
der  weit,  in  das  reich  des  Grals  und  des  Artus,  Gawein  erreicht 
den  Gral  nicht,  da  auch  ihm  der  sinn  nur  für  rittertum  und  minne 
empfänglich  ist.  die  erscheinungen  sind  bei  Wolfram  Symbole 
ewiger  ideen.  auf  solcher  höhe  der  anschauung  steht  er  ver- 
einsamt in  seiner  Umgebung. 

Iwein  strebt  darnach,  die  v^erlorene  minne  seines  weibes 
wider  zu  erhalten,  Parzival  ringt  um  die  gottesliebe,  seine  treue 
hat  die  minne  seines  weibes  nie  verscherzt,  für  jenen,  der  den 
einfachen  glauben  an  die  macht  Gottes  immer  bewahrt,  sind  nur 
i:(v,lde  und  ere  das  zu  erstrebende  ziel;  Parzival  dagegen,  der 
grübelnde  tatenmensch,  verlangt  aus  dem  gotteshass  heraus  zur 
gotteshuld  zu  kommen,  in  der  anschauung  über  die  Vollendung 
des  ritterlichen  lebens  stimmen  beide  überein:  c/t  haben  und  doch 
die  scle  nicht  verlieren,  aber  nur  Parzival  kennt  das  tiefe  sehnen 
nach    dem    einssein   mit   dem  göttlichen,    nur  in  ihm   wird  es  zum 

'  litteratur  s.  Zs.  49,  404  ff. ,  Germ.  -  roman.  monatsschrift  1909, 
«löTff;  speciell  Wolfram  und  Walther:  Burdach  Walther  s.  13 — IT.  97, 
Reinmar  s.  125f.  170,  Der  mythische  und  der  "geschichtliche  Walther, 
D.  Rundschau   29  jahrg.   october  und    november  1902. 


RITTERLICHES  TUGENDSYSTEM  211 

inneren  gotteserlebuis.  Gurnenianz,  der  ritter,  gibt  die  lehren  die 
zur  weltlichen  ere  (honestum),  Trevrizenti,  der  einsiedler,  jene 
die  zu  gotes  huhJe  führen,  die  ritterlichen  lehren  des  Gurnemanz 
sind  berechnet  für  einen  jungen  fürsten,  als  welchen  er  Parzival 
an  seinem  äufsern  erkennt  170,  21  f.  darnach  zerfallen  seine 
Vorschriften  in  drei  teile,  die  aber  nicht  systematisch  abgegrenzt 
sind:  \.  jugendlehren:  sdiam  170,  16—20,  eine  lere,  die  auch 
Thomasin  lS5ff  den  kinden  gibt:  unfKoge  meiden,  d.izu  gehört 
besonders  die  verhängnisvolle  waruung  'du  sollst  nicht  viel  fragen', 
ebenfalls  ein  punct  der  Jugenderziehung,  vgl.  vll  verneinen,  lülzel 
sagen,  hct^ren  daz  enschat  uns  niht:  von  rede  uns  dicke  leif. 
g esdiiht  Thomas'm  582 ff;  dazu  gehört  auch  die  anstandslehre  für 
den  künftigen  ritter.  sich  nach  ablegung  der  waffen  gesiebt  und 
bände  zu  waschen  172,  1 — 16.  2.  fürstenlebren ;  sich  der  not- 
leidenden erbarmen,  inilte  (menschenfreundlich  sein),  gnel.c,  diemüete 
(hier  ==  sich  nicht  über  die  armen  erheben),  hülfreich  gegen  die 
kummerbeschwerten  sein  170,25  —  171,  6,  das  rechte  mafs  halten 
im  geben  171,  7- — 12.  3.  die  lehren  für  den  litter  betreffen  die 
ritterehre:  kühn  sein  und  zugleich  hochherzig  gegen  die  besiegten, 
tapfer  und  frischen  mutes  171,  25 — 30,  tapfer  sein  172,  7f; 
minnelehren  172,  9 — 28,  mit  einem  preis  der  ehe  172,  29  — 173,  6. 
diese  tugenden  sind  nicht  in  ein  System  gepresst,  sind  nicht  lehr- 
haft stilisiert,  sie  werden  ganz  natürlich  vorgetragen,  so  wie  ein 
erfahrener  mann  zu  einem  jungen  menschen  redet,  den  er  zum 
guten  leiten  will,  es  ist  als  ob  wir  den  dichter  selbst  ver- 
nähmen, den  mann  mit  der  grofsen  lebenserfahrung  und  dem 
gütigen  herzen. 

Dem  höfischen  ton  im  Titurel  entspricht  es,  dass  der  Stamm- 
vater, Titurel,  in  dem  rückblick  auf  sein  leben  vornehmlich  höfi- 
scher tugenden  gedenkt  (Tit.  I  2—5);  ausdrücklieh  aber  nennt 
er  dann  die  hauptpflichten  für  den  Gralskönig:  kimche  unde 
reine  7,  1,  reinheit  von  sinnenlust-. 

GOTTFRIED. 
Ganz    auf   das   diesseits   gerichtet  ist   Gottfried,    er    trennt 
überhaupt   die    beiden   reiche  völlig,   und    damit  ist  die  frage  des 

'  Zs.  49,  422  ff. 
■i  vgl.  Zs.  49,  425  f. 


212  EHRISMANN 

daalismus  und  das  schwanken  zwischen  Zwiespalt  und  harraonie 
für  ihn  gegenstandslos,  für  ilm  gilt  nur  die  weltmoral.  sie  wird 
belierscht  von  dem  recht  der  minne,  und  auch  in  diesem  sittlich- 
unsittlichen reiche  gibt  es  ein  ethisches  grundgesetz,  das  ist  die 
Irimve  *,  aber  nicht  die  gattentreue  Iweins  und  Parzivals,  sondern 
die  treue  zwischen  dem  manne  und  dem  weihe,  die  die  minne  durch 
ihren  zaubertrank  aneinandergezwungen.  wenn  die  dämonische 
leidenschaft  den  menschen  beherscht,  dann  hat  er  keinen  willen 
als  den  ihr  gebot  zu  erfüllen,  damit  ist  der  begriff  der  Sittlich- 
keit verschoben,  das  höchste  gut  ist  nicht  mehr  Gottes  huld, 
sondern  die  minne.  die  tugenden  behalten  ihre  kraft,  aber  sie 
haben  nur  soweit  wert,  als  sie  der  minne  dienen,  die  Schlechtig- 
keiten aber  werden  bei  dieser  raoral  ruhig  mit  in  kauf  genommen, 
wenn  sie  im  namen  der  minne  geschehen,  und  während  Parzival 
von  irhiiccn  (jeborn  war,  hat  Tristan  list  uinl  trug  schon  von 
seinen  eitern  geerbt.  Gottfried  will  aber  nicht  'aller  weit',  der 
immerfrohen  weit  zum  vvolgefallen  dichten,  sondern  jenen  die  lieb 
und  leid  zusammen  haben '^,  die  auch  die  sorgen  der  liebe  kennen. 
die  in  sehnsuchtsschraerzen  um  die  liebe  ringen  15  ff  3.  das  sind 
solche  kämpfer  wie  Iwein,  auch  wie  Parzival,  die  in  ihrem  irr- 
leben die  liebe  zum  eigenen  weibe  geleitet,  liebessehnsüchtige  zu- 
gleich und  kraftvolle  Streiter,  es  ist  die  arbeit  um  minne,  wie 
sie  Hartmann  im  Büchlein  mit  nocli  ungeübten  kräften  lehrt ''. 
die  zwei  liebesdoctrinen  gehn  im  minnesang  nebeneinander  her, 
dass  minne  freude  oder  dass  sie  kummer  gibt,  liebeslust  und  -leid  •'. 
oft  aber  wird  auch  ausgesprochen,  dass  beide  Stimmungen  in  der 
minne  vereinigt   sind;    für  diese   letztere    erfahrung  gibt  Gottfried 

'  Uhich  Stökle  Die  theolog.  ausdrücke  und  vveiiduugen  im  Tristan 
Gottfrieds  von  StraLsburg,  Tübinger  diss.   1915,  s.  94  ff. 

2  Vogt  aao.  s.  loff.  31  f.  H5  ('daz  edele  herze');  Burdach  Über  den 
Ursprung  des  humanisnias,  D.  Rundschau  40  jahrg.  (märz  1914)  s.  3T0. 

^  arbeit  in  der  uiiune  gehört  zu  den  remedia  amoris  Ovids,  vgl.  Rem. 
am.  135  ff.  733  ff.  liebe  als  uaturzwaiig:  Wilibald  Schrötter  Ovid  und  die 
troubadours  s.  50 — 56. 

*  Durch  daz  ist  fjuot,  swer  herseklage  und  ^enede  not  ze  herzen 
trage,  das  er  mit  allem  ruoche  dem  Übe  unmuoze  suoche  Trist. 
87  —  90:  das  ist  der  gleiche  rat,  den  in  Hartmanns  Hüchleiu  das  herz 
dem  leibe  gibt. 

»  Burdach  Reinmar  s.  25.  103.  127—142;  Wilmanus  Leben  s.  192— 19S 
2  aufl.  s.  275—280. 


RriTERLICHES  TUGENUSVSTEM  2t 3 

in  seiner  liebe  Tristans  und  Isoldens  ein  beispiel.  damit  dass  die 
rainnesehusuclit  die  obwaltende  Stimmung  bildet,  ist  auch  der 
Charakter  Tristans  bestimmt:  er  ist  der  sentimentale  held. 

Ein  lehrhafter  zug  ist  Gottfried  eigen,  er  fasst,  wie  sein 
gegner  Wolfram,  das  leben  als  einen  ethischen  process  auf.  die 
geschichte  des  jungen  Tristan  ist  ein  erziehungsbild,  und  er  selbst 
wird  wider  zum  lehrer  der  jugendlichen  Isolde,  er  unterrichtet 
sie  in  der  moräliteit  8006—8030'  (dazu  S 136— 8145),  'diu 
kunst  diu  leref  schoene  site\  diese  Wissenschaft  bezieht  sich  so- 
wol  auf  die  weit  als  auf  Gott,  sie  lehrt  uns  got  uiide  der  tverlde 
gevallen,  sie  ist  allen  'edeln  herzen'  zur  erzieherin  gegeben,  denn 
guot  und  ere  (utile  et  honestum)  kann  man  nur  durch  sie  er- 
langen, hier  sind  die  grundsätze  der  moralis  philosophia  {mo- 
räliteit) widerlegt:  sie  lehrt  sclmne  site,  weltliche  Sittlichkeit  (ere) 
und  die  gewinnung  äufserer  guter  (guot),  sie  lehrt  aber  auch 
Gott  und  die  weit  in  einklang  bringen  (insofern  ihr  Inhalt,  die 
tugenden,  auch  ein  mittel  ist,  die  Gott  wolgefällige  Sittlichkeit  zu 
stärken),  man  sieht,  wie  winUchaffen  die  moralis  philosophia  ist. 
die  frau,  die  durch  diese  erziehung  so  vornehme  sitte  erwarb, 
so  schöne  und  reine  gesinnung,  feines  und  edles  benehmen  8028 
— 8030,  sie  betrog  Gott  durch  den  vergifteten  cid  und  stand  bei 
der  weit  in  höchsten  ehren   15  751  ff. 

Einen  vollkommenen  weltlichen  beiden  beschreibt  Gottfried 
durch  aufzählung  seiner  tugenden  in  der  person  Riwalios  243 — 
272.  zuerst  werden  die  guter  des  nützlichen  gehurt  und  schoene 
genannt  247 — 241),  dann  eine  reihe  der  tugenden  der  ehre 
250  ff  2.  eine  ritterlehre  gibt  Marke  seinem  neffen  Tristan  bei 
seiner  schwertleite  5020 — 5038.  die  allegorie  vom  tugendkleid 
begegnet  4561—4580. 

Charakteristisch  für  die  lehre,  die  in  Wirnts  Wigalois 
Gawein  seinem  söhne  gibt,  ist  ein  starker  zug  der  fröramigkeit 
(Pfeiffer  293,  17—294,  10). 

'  Vogt  aao.  s.  31  f;  Specht  Unterrichtsvvesen  s.  2 SS  ff 
■^  hier  ahmt  Gottfried  die  tugendreihe  des  alleiurich  29—74  nach, 
vgl.  Piquet  L'originalitc  de  Gottfried  de  Strasbourg  s,  63.  auch  darin 
stimmen  die  Charaktere  ßiwalins  und  Heinridis  iiberein,  dasd  sie  alle 
tugenden,  aber  dabei  aucU  welthoffart  besitzen  (übermuot  Trist.  260, 
höher  rnuot  aHeiur.  404). 


214  EHRISMANN 

Wol  die  älteste  ritteiieliro  ist  Die  Liebesbotscliaft  (der 
heimliche  böte),  Docens  Mise.  II  306  f  i.  hier  wird  noch  die 
Uottgen  mivne''  empfojilen.  zwei  typen  von  rittern  sind  unter- 
schieden, die  einen,  die  nichts  von  der  miime  verstehn,  sind  die 
welche  stolz  sind  auf  ihre  körperliraft  und  Schönheit,  auf  ihr  gutes 
haar,  die  auf  turnieren  herumreiten  und  nie  zu  hause  sind  (30(1, 
12  —  23).  die  andern  sind  die  wvl  minnenden^  und  an  einem 
solchen  wird  nun  das  bild  eines  feinen  höfischen  mannes  ent- 
worfen (3()(),  24  bis  zum  schluss).  es  sind  die  lehren  für  den 
minnedienst  (306,  29).  demut  (modestia)  wird  zuerst  geboten, 
und  die  zunge  im  zäum  halten,  die  folgenden  Vorschriften  werden 
speciell  den  armen  rittern-  gegeben  (sie  gelten  aber  doch  für 
den  ganzen  stand),  es  sind  allgemeine  ratschlage,  die  darauf 
hinauslaufen,  sich  bei  der  weit  beliebt  zu  machen,  als  quelle 
wird  angegeben  ein  buch  von  Phaset,  das  h^on  guoter  m'mnen 
sagef,  also  wol  ein  lateinischer  Facetus^^  der  von  der  minne 
handelte  oder  einen  abschnitt  über  die  minne  enthielt. 

Später  als  Hartmann,  Gottfried  und  Wolfram,  auch  nach  dem 
Freidank,  fällt  Der  Minne  Für ge dank,  Docens  Mise.  II  172 
— 188,  mit  seinen  zehn  minnegebolen.  wer  sie  hält,  wird  der 
weit  und  Gott  wert  s.  174.  184.  es  sind  die  bekannten  lügenden, 
darunter  aber  auch  die  gediild,  mit  der  man  Gottes  huld  und  der 
frauen  gunst  erringt  s.  177.  -zum  schluss  folgt  eine  lehre  für 
frauen  s.   184—188. 

Die  sittlichen  anschauungen  Walthers,  Hartmanns,  Wolframs 
haben  in  der  folgenden  litteratur  stark  nachgewürkt,  überall  treffen 
wir  auf  ihre  spuren,  oft  verraten  sich  die  nachahmungen  durch 
die  fassung  des  textes. 

Die  bedeutendste  ritterliche  Sittenlehre,  reichhaltig,  von  wahrer 
Sittlichkeit  durchdrungen,  deren  letztes  ziel  die  liebe  Gottes  ist, 
enthält  der  Winsbeke.  speciell  ein  fürstenspiegel  ist  der  König 
Tirol,      nicht    zu    den    ritterlehren    gehören    Frei  dank,    dessen 

>  vgl.  Scherer  QF.  12,  90;  Steiniueyer  Anz.  ii  238—240;  neu  ab- 
gedruckt in  Meyer-Beufeys  Mhd.  Übungsstücken  s.  30 — 32. 

*  vgl.  das  gespräch  des  plebejus  mit  einer  dame  von  höherem  adel 
beim  Capellan  Andreas,  Trojel  s.  53  — 6i(. 

^   Scherer  aao. 


KirTERLICHES  TUGENDSYSTEM        2ir, 

Aveisheit  alles  measchenleben  umfasst,  die  allgemeinen  Sittenlehren 
des  Cato,  Facetus,  Hugos  von  Trimberg  usw. 

Die  epigonen  verstanden  den  richtigen  sinn  der  ethischen 
lehren  der  meister  oft  nicht  mehr,  so  schreibt  der  PI  ei  er  ge- 
dankenlos Wolfram  und  Walther  aus  in  seinem  preis  der  frei- 
gebigkeit  (4arels  (Garel  10  545  —  10(128)  und  kommt  zu  der  morai: 
mit  guote  man  verdienen  sol  icerltlich  er  und  gotes  huldc,  duz 
ist  alles  guotes  iihergulde   10  611 — 10  613. 

Ulrich  von  Liecli tenstein,  der  die  minnespielerei  in  die 
würklichkeit  übertrug,  schliefst  den  roman  seines  lebens  mit  einem 
rückblick  auf  die  ethischen  werte,  denen  die  zeit  nachstrebt,  in 
anlehnung  an  Walthers  Reichssprnch ,  587,  11) — 589,  18  '.  in 
seiner  redseligen  art  setzt  er  sie  auseinander,  aber  die  drei  sitt- 
lichen dinge  erweitert  er  zu  vieren:  Imldc,  diu  vre  hie,  geiaacli,. 
guoi,  die  äufseren  guter  des  utile  teilt  er  also  in  zwei,  in  gemach, 
d.  i.  lust,  Üppigkeit  (luxuria),  und  gnot,  d.  i.  besitz,  wir  lernen 
von  ihm  auch,  auf  welche  weise  ein  echter  ritter  zum  hohen  muof 
gelangt:  fünf  dinge  sind  es,  die  ihm  die  fröude  und  damit  den 
höhen  muot  verschaffen:  die  freude,  guter  lebensunterhalt,  schönt^ 
pferde,  gute  kleidung  und  ritterlicher  aufputz.  das  also  waren 
in  würklichkeit  die  ziele  der  ritterlichen  lebenssteigerung  des  hohni 
muotes  in  der  mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts. 

Der  tüchtigste  ethiker  unter  den  nachfolgern  der  grofsen 
dichter  ist  Rein  mar  von  Zw  et  er.  seine  Iran  Ehre-  ist  die 
personification  des  honestum,  ihre  gespielen  71,  3—6  sind  lauter 
tilgenden,  die  unter  dem  honestum  der  Moralis  philosophia  ver- 
treten sind;  sie  wird  güefe  genannt  71,  8,  =  tugend,  wie  im 
eingang  des  Iwein.  gerade  in  seinen  moralischen  grundsätzen  ist 
er  der  echte  schüler  Walthers,  er  hat  die  abstufiing  der  drei 
guter:  Diu  Ere  minnet  niht  durch  giiot  .  .  .  swer  guot  vür  ere 
minnet  14,  1.  3;  Got  ist  der  eren  höchstez  zil  76,  4;  zer 
werlde  wart  nie  niht  so  guot,  so  daz  wir  minnen  die  gotes 
hulde  nnt  ere  65,  11  f.  aber  er  ist  mehr  scholastisch  gerichtet 
als  Walther.  er  bringt  die  ehre  mit  der  trinität  zusammen 
7  7,  Iff:*,   darnm  kann  er  sagen,    dass  die  ehre  sich  nie  von  der 

»vgl.  Singer  Mittelalter  und  renaissance,  Sprache  und  dichtuu- 
h.  2,  15  f. 

-   Roethe  ßeinmar  vZweter  s.  215  ff. 

^   vgl.  Anegenge,  Hahn  s.   12,  ö.')  — 13,  12. 


21 H      EHKISMANN,  KITTEKLICHES  TUOENDSYSTEM 

huld  Gottes  trennt,  die  elire  der  trinität  ist  das  gleiche  wie  die 
ehre  Gottes,  so  hat  er  das  honestura  vergöttlicht,  die  weltliche 
ehre  ist  spiritualisiert  zur  gottesehre,  so  wie  die  irdische  liebe  zur 
himmlischen  '.  wer  dieser  göttlichen  ehre  teilhaftig  ist,  der  ist 
vor  Gott  und  hier  auf  erden  sieger,  sie,  Gottes  liebling,  vcrleilit 
leib  und  seele  eine  höhere  weihe,  in  der  himmlischen  minne  und 
in  der  göttlichen  ehre  sind  weit  und  Gott  versöhnt,  der  dualismus 
ist  durch  den  mystischen  Spiritualismus,  durch  den  übernatür- 
lichen glauben  überwunden. 

'  es  ist  der  'süfsc  neue  stiF,  vgl.  Vo.ssler  itüo.;  Wechssler  bes. 
s.  21!»  ff;  Vogt  aao.  s.  y.5;  Ehrismann  Zs.  f.  d.  phil.  45,  .HOT  f.  —  Fraoen- 
lol)  hat  die  cre  zum  [)hiIosophisclien  princip  erhoben,  die  liöfisch-ethische 
auffassung  Walthers  ist  bei  ihm  scholastisch-metaphysisch  umgedeutet: 
ein  teil  (leiMlirh  minnet,  d.  i.  Gott,  das  ander  ist  icerlte  wirdiheit, 
d.  i.  weltlich  cre,  da;  dritte  ist  natüren,  d.  i.  guot,  vgl.  Heinr.  Liitcke 
Studien  zur  philosophie  der  meistersänger,  Palaestra  107  s.  48  ff  und 
damit  ist  diese  hetrachtung  des  ritterlichen  tugendsystems  wider  auf  ihren 
ausgangspunct  zurückgekommen,  auf  die  drei  charaktertypen  und  die  drei 
menschenclassen   Piatos   (oben   s.  1.37). 

Greifswald.  Gustav  Ehrisinunii. 


DAS  BUCH  PHASET?  Der  verf.  des  frühmhd.  lehr- 
gedichtes,  welches  Ehrismann  oben  s.  211  kaum  glücklicher  als 
Scherer  'Liebesbotschaft"  nennt,  beruft  sich  für  lehren  von  der 
minne  anscheinend  auf  ein  buch  'Phaset',  und  E.  sieht  darin  wie 
Scherer  'einen  latein.  Facetus,  der  von  der  minne  handelte  oder 
einen  abschnitt  über  die  minne  enthielt',  nun  reicht  aber  der 
älteste  Facetus  kaum  in  die  zeit  unseres  gedichtes  (ca.  1180) 
hinauf,  und  er  entspiicht  dieser  erwartung  inhaltlich  keineswegs, 
und  wenn  ich  auch  an  ausdruck  und  Wortstellung  u-ande  kdh 
phaset  saget  ein  biioch  nicht  anstofs  nelimen  will,  so  ist  mir  doch 
die  Umbildung  von  facetus  >  phaset  höchst  bedenklich,  ich  bin 
daher  sclitm  längst  auf  den  verdacht  gekommen,  dass  in  ^pliasef 
gar  kein  buchtitel  stecke,  sondern  eine  gröbliche  verschreibung. 
die  beiden  Schreiber,  welche  unser  gedieht  copierten  und  dabei 
sehr  oft  entgleisten,  reime  in  den  vers  stellten  usw.,  hielten  sich 
offenbar  zeilengetreu  an  die  vorläge:  in  dieser  stand  genau  unter 
dem  woite  faget  das  wort  pliade,  und  da  ist  der  abschreiber  aus- 
geglitten, und  aus  den  beiden  Wörtern  phade  -f-  faget  hat  sich  ihm 
die  unforra  phaset  gebildet,  neben  die  er  dann  alsbald  das  richtige 
faget  setzte;  wir  hätten  also  phafet  einfach  zu  streichen.     E.  S. 


DAS  VAGANTHNLIED  VON  PHYLLIS  UND 
P1.0RA 

NACH  EINER   NIEDERSCHRIFT   DES   AUSGEHENDEN 
12  JAHRHUNDERTS. 

Das  prävldige  vagantenUed  von  PhylUs  vnd  Flora  hat  be- 
reits sechs  aimjaljen  aufzwoeisen,  von  denen  die  letzte  freilich 
nur  ein  icortgefreuer  ahdruck  der  vorhergehnden  ist.  den  ersten 
text  lieferte  1S()6  Docen  in  Aretins  Beyträgen  z.  gesch.  u.  litt. 
VII  3olff  unter  dem  titel  'Kampfgespräch  zwischen  Phyllis  und 
Flora  über  die  Vorzüge  ihrer  geliebten',  die  nächsten  drei  aus- 
gaben kamen  kurz  hintereinander  in  den  vierziger  jähren  heraus: 
1841  erschien  das  gedieht  in  Wrights  Latin  poems  commonhj 
uttributed  to  Walter  Mapes  2r)8ff,  —  IS43  in  JGrimms  Ge- 
dichten des  mittelalters  auf  könig  Friedrich  1  den.  Staufer  und 
aus  seiner  so  wie  der  nächstfolgenden  zeit  (Abh.  d.  k.  Akad.  d. 
wiss.  z.  Berlin,  aus  d  j.  1843.  phil.  u.  hist.  abh.  218  ff),  — 
1817  in  Schmellers  Ckirmina  Burana  (4.  unveränd.  auji.  1904) 
155  ff.  in  neuerer  zeit  veröffentlichte  schlief  stich  noch  Haureau 
an  zwei  verschiedenen  stellen  die  dichlung :  den  188(3  in  den 
Notices  et  extraits  des  viss.  de  la  Bibl.  nat.  XXXII  I,  259  ff 
gelegentlich  einer  beschreibuiig  von  mini.  1544  des  Nouv.  acquisi- 
tions  (Fonds  lat.)  gebotenen  text  widerholte  er  mitsamt  dieser 
heschreibung  ls93  in  .seinen  Xof.  et  extr.  de  quelques  mss. 
latins  de  la  Bibl.  nat.  VI  27Sff. 

Von  diesen  sechs  ausgaben  fafsen  drei  auf  der  Bcnedict- 
beurer  hs.  in  München  \clm.  4660):  die  von  Docen,  Grimm 
und  Schmeller.  während  Docen  aber  einzig  und  allein  auf  diese 
ifn  3  ver.<  der  62  strophe  abbrechende  vorläge  angen-iesen  umr, 
konnten  Grimm  und  Schmeller  daneben  auch  die  Wrighlsche  aus- 
gäbe zu  rate  ziehen  und  nach  ihr  nicht  nur  die  am  schluss 
fehlenden  Strophen  —  das  vollständige  gedieht  zählt  ihrer  79  — 
hinzufügen,  sondern  auch  zahlreiche  versehen  des  codex  Buranus 
berichtigen.  Wrights  quelle  war  das  Harleian-ms.  nr  97S, 
aus  der  mitte  des  1 3  jh.s  stammend,  ein  paar  Jahrzehnte  jünger 
Z.  F,  D.  A.  LVI.     N.  F.  XLIV.  15 


218  BOMER 

<tls  (las  von  Benedictheiireii ,  ihni  aber  ait  t/üfe  (ileichkoymnevd, 
u-enn  nicht  iiJ>erIc(/en,  von  der  vollständujkeli  völluj  ahgesehen. 
Haurmus  ahxidif  i/ietig  lediglich  dahin,  ciucn  guten,  moglichnt 
eimvandfreieii  text  des  gedicktes  zu  bieten,  wissenschaftlich,  ist 
mit  seiner  ausgäbe  wenig  anzufangen^  da  er  es  unterlassen  hat, 
einen  kritischen  apparat  ticizugeben  und.  die  unterlagen  seiner 
lesajieu  im  einzelnen  nachzuweisen,  er  begnügte  sich  damit,  in 
der  cinleitung  zu  iM'.merken,  dass  er  den  text  zu  verbessern  ver- 
sucht habe,  indem  er  eine  ausnwhl  getroffen  unter  den  Varianten- 
der  ausgaben  von  Doccn .  W'righi  und  Schmeller  —  die  von 
Grimm  ist  ihm  unbekannt  getdieben  —  iind  denen  der  beiden 
Pariser  hss.  >?/•  10208  und  Nouv.  ucquis.  /;rl544.  erstcre 
ist  die  alte  in  Pertz  Archiv  VIII  302  erwähnte  nr  Sorbonne  980 
aus  dem  14  .///.,  ^coptie  de  bonne  date,  mais  malheurmsement  in- 
complete  roinnic  ta  jjremiere  des  e'ditions'.  '  die  zweite  gehört  erst 
dem  15  jh.  an.  nicht  tienutzt  hat  Haure'au  drei  andere  ihm  be- 
kannte hss.,  von  denen  die  eine  trotz  aller  mängel  die  ihr  an- 
haften, ihres  alters  wegen  für  die  textgestaltung  von  nicht  zu 
unterschätzender  bedeufung  ist.  sie  irar  im  11  jh.  in  den  händen 
der  königin  Christine  von,  Schiveden  und  ist  jetzt  im  Ijcsitz  der 
Vaticanischen  bibliothek  in  Born  (cod.  reg.  tat.  nr  344); 
eine  ausführliche  beschreibung  des  wertvollen  sammelbandes  hat 
Haure'au  1880  in  den  Xot.  et  exir.  XXIX  2,  231  ff  nach  mit- 
teilung  von  Elie  Berger,  der  damals  der  Ecole  francaise  de 
Home  angehörte,  gegeben,  der  57  bll.  umfassende  codex  ist  von 
rcrschiedenen  händen  zu.  ende  des  12  und  zu  anfang  des  l^jh.s 
geschrieben  und  enthält  eine  bunte  Sammlung  lateinischer  dich- 
tungen,  mit  dem  Anticlaudianus  des  Alanns  de  [nsulis  beginnend, 
die  'Altercatio  pMllidis  et  flore'  steht  an  20  stelle  und  reiclit 
von  1)1.  34^**  bis  36 '^  die  noch  dem  12  jh.  angehörende  hand, 
ivelche  sie  niedergeschrieben,  setzt  sicher  schon  auf  bl.  29''^  mit 
dem  Iten  der  stücke,  drei  gedichten  aus  der  Aurora  des  Petrus 
de  Riga,  ein.  aufser  dem  unscrigen  hat  sie  im  folgenden  noch 
eine  ganze  anzahl  anderer  Vagantenlieder  aufgezeichnet,  u.  a.  die 
Generalbeichte  des  Archipoeta  (14),  die  Altercatio  Ganymedis 
et  Helenae  (16)  und  die  Apocahjpsis  (17).  von  einer  Verzeichnung 
der  lesarten  der  bereits  gedruckten  stücke  hat  Berger  bei  seiner 
mitteilung  bedauerlicherweise  abgesehen;  er  gibt  nur  gelegoitlich 
einige  textproben,   von  unserem  gedieht  noch  eine  verhältnismäfsig 


PHYLLIS  UND  FLOEA  219 

umfangreiche:  die  strophe»  22—27.  dass  Haure'an  von  dirscr 
einen  stelle  ahgesehen  de»  Vaticanus  für  seine  aiisr/ahe  nicht  aus- 
nutzte, hat  dem  teerte  seines  textes  nicht  nnerhehlichen  ahhrurh 
getan,  von  der  heranziehung  der  zwei  jüngeren  ihm  noch  be- 
kannten hss.  konnte  er  dagegen  ohne  besonderen  schaden  abstand 
nehmen,  sie  gehören  beide  dem  14  jh.  an.  die  eine  ruht  in  der 
Hofbibliothek  zu  Wien  [Theol.  7S1).  schon  der  im  katalog 
[Tabulae  codd.  manu  Script,  praeter  Graecos  et  orientales  in 
Bibl.  Palatiua  Vindobon.  asservat.  I  1S6  4  nr  883)  mitgeteilte 
anfangs-  nnd  schlussvers  lassen  erkennen,  wie  icillkürliche  Ver- 
änderungen das  gedieht  hier  über  sich  hat  ergehen  lassen  müssen 
{ineipit:  Quadam  vice  medii  maij  sub  virore.  —  explicit:  Ad 
amorem  clericum  ducunt  aptiorem).  die  ztveite  der  jüngeren  hss. 
ist  im  besitz  der  Königlichen  bibliothek  zu  Berlin  (Bihl. 
Sant.  2S.  Abschrift  von  Schlee  1804:  Diez  C.  quarto  55.  vgl. 
Pertz'  Archic  VIII  S53).  sie  stammt  aus  dem  Benedictinerkloster 
SJacob  ia  Lüttich.,  demselben  dem  auch  die  von  mir  in  der 
Schlossbibliothek  zu  Herdringen  aufgefundene  vagantenlieder- 
sammlung  (Zs.  49,  161  ff)  angehört  hat.  unsere  'Disputatio 
liuanim  reginarum,  quarum,  nna  diligebat  clericum.  altera  mili- 
tem^  {bl.23il)  schliefst  sich  hier  ebenso  wie  in  der  Vaticanischen 
hs.  an  das  gespräch  zwischen   Ganymedes  und  Helena  an. 

Die  Berliner  bibliothek  besitzt  seit  einigen  jähren  auch 
die  bis  dahin  meines  wissens  noch  nicht  bekannte  aufzeichnung 
des  Phyllis  und  Flora-gedichts,  die  hier  in  ihrem  ganzen  um- 
fang mitgeteilt  werden  soll,  da  wir  eine  fassung  vor  uns  haben, 
die  dem.  urtext  um  lieles  näher  kommt  als  irgend  eine  der 
übrigen  hss.,  indem  sich  bei  ihr  aufs  glücklichste  hohes  alter  — 
sie  reicht  noch  vor  den  Vaticanus  in  das  ausgehnde  12  jh.  zu- 
rück —  mit  geu:issenhaftigkeit  der  Überlieferung  vereinigen,  die 
Königliche  Idbliothek  erwarb  den  jetzt  die  Signatur  Cod.  lat. 
od.  199  tragenden  band  1911  auf  einer  der  Versteigerungen  von 
Phillipps-hss.  sir  Thomas  Phillipps  halte  ihn  nach  einer  bleistift- 
notiz  auf  dem  Spiegel  des  vorderdeckeis  1830  von  Ludwig  Tross 
erstanden,  der  ihn  seinerseits  1812  für  4U  //•.  in  Sfrafsimrg 
{wo  er  damals  die  Universität  besuchte)  gekauft  zu  haben  be- 
hauptet {bl.  1:  L.  Tr.  Argentorat.  IS  12.  40  fr.),  in  den  Mit- 
teilungen aus  der  Kgl.  bibl.  II.  neue  erwerbungen  der  hss.-abt.  1 
(1914)  «.43  wird  diesernotiz  jedoch  wenig  glanhwürdigkcit  Ijei- 

15* 


220  BÖMER 

gemessen,  vielmehr  die  vernmti(U(j  ausgesprochen,  dass  der  codex 
aus  einer  der  säcularisierten  tvestfäUschen  klosterhihitotheken 
stamme,  mit  deren  schätzen  der  mit  der  einziehung  betraute 
Hammer  conrector  Tross  nicht  besonders  gewissenhaft  unigegangen 
zu  sein  scheint,  der  von  Tross  neugebundene  band  besteht  aus 
7  mit  römischen  und  58  mit  arabischen  zahlen  folilerten  perga- 
mentblättern, die  bis  auf  das  bedeutend  kleinere,  offenbar  aus 
einem  andern  mamiscript  stammende  bl.  III  den  rest  einer  um- 
fangreichen sammelhs.  darstellen,  von  der  am  anfang  19  und 
am  schluss  mindestens  1  läge  verloren  gegangen  sind,  die  schrift 
verteilt  sich  auf  ö  verschiedene  hünde  der  zweiten  hälfte  des 
12  jh.s.  die  älteste  unter  Urnen  ist  diejenige  ivelche  das  fremde 
bl.  III  geschrieben  hat:  den  anfang  eines  comnientars  zu 
Boetius  de  consolatione  philosoj)hiae.  von  den  übrigen 
4  gehören  der  ersten  die  bll.  I,  II,  VI  u.  VII  an,  der  zweiten 
bll.  IV  u,.  V,  der  dritten  und  vierten  blh  1 — 58.  die  4  blätter 
der  ersten  hand,  die  in  der  reihen  folge  \,  VI,  VII,  II  die 
XX  läge  des  alten  bandes  gebildet  haben  (bl.  11^'  trägt  diesen 
zählcustoden)  enthalten  bruchstücke  eines  Lucan-commentars, 
die  58  blätter  der  beiden  letzten  hände,  durch  custoden  als  alte 
lagen  XXI — XXVIII  festgelegt,  den  text  des  Boetius  {rest  von 
buch  5,  mindestens  1  läge,  fehlend),  auf  den  beiden  von  der 
zweiten  hand  zweisjjalfig  geschriebenen  bll.  IV  u.  V  steht  unser 
gedieht  und  im  anschluss  an  dasselbe  noch,  unten  in  spalte V"' 
beginnend,  der  hyninus  'Cives  celestis  patrie  regi  regura 
concinite'  (=  Chevalier  Rep.  hymn.  3271:  Marbodus  Redonensis, 
de  duodecim  lapidihus  pretiosis).  soivle  die  erste  zeile  des  hymnus 
'Urbs  beata  lerusalem' (=  CÄei?aiier  20  918).  diese  poetischen 
stücke  sind  bei  der  jetzigen  Zusammensetzung  der  hs.  mitten  in 
den  Lucan-commentar  hineingebunden,  falls  sie  nicht  etica  auch 
wie  bl.  III  aus  einem  andern  bände  stammen,  ivogegen  aber  die 
gleichheit  im  format,  im  pergament  und  im  zeitcharakter  der 
schrift  spricht,  müssen  sie  also  einer  der  verlorenen  19  ersten 
lagen  angehört  haben,  während  bei  dem  hymnus  weder  verse 
noch  Strophen  abgesetzt  sind,  ist  bei  dem  vagantenlied  vers-  und 
strojihengliederung  innegehalten,  und  zwar  ebenso  wie  zb.  bei  den 
gedachten  des  Archipoeta  in  der  Stabloer  hs.  (jetzt  Brüssel  207 i 
=  van  den  Gheyn  Cat.  I  202  nr  368;  vgl.  die  gedichte  des 
Archipoeta  hrsg.  von  Manitius  1913   s.   11)  in   der  weise,    dass 


PHYLLIS  UND  FLORA  221 

die  lelzfe  oder  die  beiden  letzten  reimsilhen  jeder  strophe  heravs- 
geJwhen  und  durch  scJilanfjenlinien  mit  dem  ende  der  4  verse,  zu 
denen  sie  gehören,  verbunden  sind,  die  anfangsbuchstaben  der 
einzelnen  verse,  die  teihceise  in  regelrechten  majmkeln,  teilweise 
aber  auch  nur  in  ettvas  gröfser  gehaltenen  minuskeln  geschrieben 
wurden,  sind  etwas  ausgerückt,  für  die  erste  initiale  des  ge- 
dieh ts  ist  der  platz  ausgespart,  zur  einßgung  durch  den  rubri- 
cator,  der  aber  nur  bei  den  lagen  XXI  und  XXII  in  tätigkeit 
getreten  ist.  bei  bl.  IV  fasst  auf  beiden  seilen  jede  spalte  1 1 
Strophen;  bei  bl.  V  stehn  auf  der  Vorderseite  2  mal  12,  so- 
dass von  den  79  Strophen  für  die  rückseite  noch  11  übrig  blieben, 
welche  die  erste  spalte  nur  so  tceit  füllen  dass  noch  5  zeilen 
von  dem  hymnus  darunter  geschrieben  werden  konnten. 

Wenn  auch  die  niederschrift  im  allgemeinen  als  sorgfältig 
bezeichnet  icerden  kann,  so  sind  gleichwol  allerlei  versehen  unter- 
gelaufen, die  teihveise  vom  Schreiber  selbst  nachträglich  verbessert 
ivurden,  teilweise  aber  auch  stehn  geblieben  sind,  der  kritische 
apparat  gibt  darüber  im  einzelnen  rechenschaft  {vgl.  7.  I.  29,  4. 
34,  3.  43,  4.  45,  4.  57,  3.  4.  59,  2.  64,  2.  3.  4.  65.  3.  70,  4. 
71,  1.  7  2,  1).  für  3  gröfsere  änderungen  ist  der  untere  rand 
von  bl.  y  benutzt,  während  eine  von  diesen  (64,  4  coniectatur 
teneri  thalamus)  eine  ivürkliche  berichtigung  ist,  haben  tcir  in 
den  beiden  andern  überflüssige  conjecturen  zu  erblicken  (47,  1 
sie  decebat;  56,  4  dispense).  da  das  decebat  auch  in  der  ander- 
weitigen Überlieferung  erscheint,  ligt  die  Vermutung  nahe,  dass 
unserem  Schreiber,  falls  er  nicfit  etiva  selbst  der  urheber  gewesen 
sein  sollte,  noch  eine  zweite  vorläge  in  die  hand  gekommen  ist. 
zu  mehreren  versehen  fiat  die  heraushebung  der  reimsilbe  anlass 
gegeben,  indem  das  letzte  tvort  trotzdem  entweder  ganz  ausge- 
schrieben ist  oder  doch  bis  in  die  reimsilhe  hinein  izb.  10,  3 
rependit-dit;  45,  1  un-nus).  an  zicei  stellen  (-15,  4.  48.4)  wurde  der 
fehler  durch  untergesetzte  puncte  verbessert,  als  besondere  eigen- 
tümlichkeit  der  hs.  ist  anzumerken,  dass  dmal  die  silbe  quit 
in  gestalt  des  sigcls  (fd  erscheint,  2  mal  bei  dem  wortc  liquit 
(1,  4.  42,  1),  Amal  bei  inquit  (12,  1.  13,  4.  15,  3.  21,  1).  ver- 
einzelt begegnet  überdies  d  statt  t  noch  51,3  bei  capud.  im 
reim  hat  der  dichter  keinen  unterschied  gemacht  zwischen  c  und 
qu.  dementsprechend  finden  wir  in  unserer  niederschrift  13,  2 
obl-icum,  30,  4  e-cus,  40,  3  anli-ca. 


222  BÖMEE 

Der  abdruck  des  (ledlchts  hält  aich  eng  an  die  vorläge, 
doch  werden  die  abkürznngen  in  ühUcher  weine  aufgelöst  und  die 
interpunelion  durchweg,  die  Orthographie  hei  den  Jmchduhen  \ 
und  j,  u  und  v  modernisiert,  als  Satzzeichen  kennt  die  hs.  seihst 
nur  den  punct,  von  dem  sie  besonders  da  gehrauch  zu  machen 
pflegt,  wo  Worte  und  ivortverbindungen  coordiniert  aneinander- 
f/ereiht  werden;  gelegentlich  auch  ivol  zur  t rennung  der  beiden 
vershälften.     elgennamen  sollen  immer  grofs  geschrieben  werden. 

Im  apparat  werden  die  lesarlen  sämtlicher  ausgaben,  und 
■da  wo  die  herausgeber  von  der  ihrem  text  zu  gründe  gelegten 
hs.  abgewichen  sind,  in  bemerkenswerten  fällen  auch  die  lesarten. 
dieser  hs.  verzeichnet.  unerlässUch  aber  schien  es  mir,  dazu 
auch  noch  den  Vaticanus  zu  collationieren,  und  ich  freue  mich, 
diese  arbeit  noch  kurz  vor  ausbrach  des  krieges  an  ort  und  stelle 
bewerkstelligt  zu  haben. 

Die  vergleichung  hat  ergeben,  dass  die  Vaticanische  hs.  (F), 
obwol  nur  wenig  jünger  als  tinscre  Berliner  {B),  hinsichtlich  der 
gute  des  textes  bei  weitem  nicht  an  diese  heranreicht,  zwar  hat 
V  an  einer  reihe  von  stellen,  an  denen  die  Überlieferung  im 
übrigen  auseinander  geht,  zusammen  mit  B  die  ursprüngliche 
fassang  beu-ahrt,  aber  diese  stellen  treten  doch  an  zahl  tveit  zu- 
rück gegenüber  solchen  bei  denen  in  V  bereits  eine  ändernde 
hand  zu  erkennen  ist.  der  text  von  B  dagegen  erweist  sich  da 
2V0  irir  eine  handhabe  für  die  entschridung  der  prioritätsfrage 
besitzen,  fast  durchweg  als  der  ursprüngliche,  mit  voller  be- 
stiwmtheit  als  ursprünglich  anzusprechen  sind,  ihre  lesarten  natür- 
lich da  wo  wir  die  sondige  Überlieferung  als  aus  dem  text  von 
B  verschrieben,  verlesen  oder  vielleicht  auch  verhört  erkennen, 
das  gilt  zb.  71,1  von  dem  sinnlosen  Soiiipnes  urget  des  Harle- 
ianus  {II)  {für  das  Schmeller  von  Haurcau  aufgenommenes  Oinnes 
urget  conjizierte),  indem  es  sich  als  Verderbnis  erweist  aus  dem 
von  B  zusammen  mit  V  bewahrten  Somno  surgit.  das  trifft 
ferner  auch  zu  33,  1  bei  dem.  unhaltbaren  Movit,  welches  noch 
neustens  Haurcau  nach  der  Benedicthenrer  hs  {Bh)  eingesetzt  hat, 
und  das  auch  bereits  in  V  erscheint,  aber  nichts  anderes  ist  als 
ein  Schreibfehler  für  Novit,  das  B,  diesmal  Z2isammen  mit  H. 
erhalten  hat.     alles  nähere  im  apparat! 

Als   ursprünglich  dürfen  wir  die  lesarten  von  B  aber  auch 
dann     ansehen     wenn     andere    hss.    eine    glattere,     natürlichere, 


PHYLLIS  UND  FLORA  228 

allgemeinverständlichere  fassumj  hieten.  ivenn  zh.  in  B  ein 
seltenes,  wenig  bekanntes  wort  erscheint,  wie  57,  4  das  tenas,  — 
oder  wenn  ein  landläufiges  wort  in  ungeivöhnlicher  hedeutung 
verwendet  worden  ist,  wie  das  faciebat  47,  1  und  53,  1,  —  oder 
wenn  überhaupt  irgend  ein  anlass  zu  einer  Veränderung  vorge- 
legen hat.  mit  andern  loorten  überall  da  wo  etwas  erträglich 
gutes  von  B  etivas  besserem  der  sonstigen  Überlieferung  gegenübry. 
steht,  ich  weise  hier  nur  kurz  auf  einige  besonders  charakte- 
ristische stellen  hin.  B  alleinstehend  4.  4  nainque:  9,  4  pudor; 
30,  4  premit;  31,  4  meus  [ähnlich  40,  3;  vgl.  31,  2);  59,  4 
mavult;  —  B  mit  V  4,  4  das  zweite  huic;  19,  2  sineret;  41,  4 
His  est  et  Luiusmodi;  —  B  mit  JT  3,  1  Eunt;  14,  1  Aristotiles 
(sehr  bemerkenswert);  31,  2  meus;  —  B  mit  Bb  38,  1  constant; 
41,  2  instruxit.  hierher  gehören  auch  die  fälle  in  denen  bei  B 
tactwechsel  oder  hiat  oder  gar  beide  vereint  erscheinen,  während 
sie  bei  anderen  Jässungen  gemieden  sind,  tuctivechsel :  B  allein 
34,  2  Qua  probas;  55,  2  Plus  habet;  —  B  mit  Y  35,  3  et  sitis; 
55,  3  que  spectans.  hiat:  B  allein  4,2  He  annos;  46,2  Tandem 
illum;  —  B  mit  ff  16,  1  Surge  inquit.  factu-echsel  und  hint: 
B  mtt  H  29,  1    Cum  orbem. 

Schon  diese  wenigen  beispiele  lassen  erkennen,  wie  eigenartig 
das  Verhältnis  der  hss.  zueinander  ist.  bald  bietet  B  allein  den 
ursprünglichen  text,  bald  zusammen  mit  dem  fast  gleichalterigen 
Vaticanus  und  bald  auch  mit  dem  jüngeren  Harleianics  oder 
Buramis,  die  vielgestaltigkeit  der  Überlieferung  tritt  aber  erst 
vollends  in  die  erscheiming ,  wenn  wir  auch  diese  hss.  der  reihe 
-nach  miteinander  vergleichen,  hat  die  eine  eben  noch  in  einem 
wichtigen  puncte  mit  einer  zweitai  zusammengestanden,  so  weicht 
sie  gleich  darauf  an  einer  nicht  minder  wichtigen  stelle  von  ihr 
ab,  um  sich  entweder  an  eine  dritte  anzuschliefsen,  mit  der  vor- 
her keinerlei  bemerkoiswerte  übereinstiinmung  festzustellen  war, 
oder  auch  einen  eigenen  weg  zu  gehen,  ich  muss  mich  darauf 
beschränken,  dieses  Verhältnis  noch  für  eine  der  drei  genannten 
hss.  mit  einigen  beisjnelen  zu  belegen,  greifen  tcir  V  heraus! 
ivir  sahen  sie  widerholt  in  beachtenswerter  weise  an  der  seile 
-von  B  stehn,  aber  ebenso  oft  geht  sie  auch  gegen  B,  hier  mit 
Bb,  dort  —  freilich  seltener  —  mit  11,  am  häufigsten  für  aich 
allein.  V  mit  Bb  7,2  secus;  13,1/2  umgestellt,  dabei  13,1 
recolit  militem;    17,1  libidinis;    21,2   nimis   usw.     besonders  zu 


221  3ÖMER 

enrnhnen  51,  1  fehlerhaftes  flora,  (lau  in  V  freilich  nach- 
träglich durch  übergeschriehenes  forma  corrigiert  worden  ist. 
r  mit  H  11,  3  Tstis;  78,  2  ventilant  et.  V  allelndehend  4,  li 
non  sunt  paruin  impares  sed ;  10,3  Miitua  sie  mutuis  mutiio 
rependit;  13,  4  amas  liunc  quem;  15,  3  unde  tibi  gloria  inquit; 
75,  1  Causa  vie  (jueritur;  7  8,  4  et  amorem  clerici  dieunt  meliorem, 
und  zahlreiche  andere  weniger  markante  -stellen,  den  anspricch 
die  urspr angliche  zu  sein  dürfte  unter  diesen  lesarten  kaum  eine 
zu  erheben  haben,  anzumerken  aber  sind  zwei  vereinzelte  stellen,, 
wo  V  tadn-echsel  hat,  u-dhrend  ihn  ß  mit  den  übrigen  rermeidel: 
5,  4  est  modus;  ü,  1   Sed  amor. 

Dass  angesichls  des  vorstehend  kn)z  skizzierten  Verhältnisses 
der  hss.  zu  einander  die  aufstellung  eines  Stammbaums  unmöglich 
ist,  ligt  auf  der  hand.  uns  muss  die  feststellung  genügen,  dasB 
wir  in  der  Berliner  hs.  wie  die  älteste,  so  auch  die  bei  iveitem 
beste,  also  die  dem  archetypns  —  wenn  wir  auch  hier  von  einem, 
solchen  sprechen,  dürfen  —  am  nächsten  stehnde  aufzeichnung 
des  beliebten  gedicktes  besitzen. 

Ihre  kcnntnis  verdanke  ich  meinem  freunde  prof.  dr  Degering 
an  der  Königlichen  bibliothek  in  Berlin,  der  gelegentlich  der 
drucklegung  des  encähnten  Verzeichnisses  der  lUll  erworbenen 
hss.  die  liebenswürdigkeit  hatte,  eine  2)hoiogr apitische  aufnähme 
der  blätter  anfertigen  zu  lassen  und  mir  zur  ausnutzung  zu. 
übermitteln. 


1.  [A]nni  parte  tiorida,  celo  puriore, 
Picto  terre  gremio  vario  colore. 
Dum  fugaret  sidera  luincius  Aurore, 
Liquid  soninus  oculos  Phillidis  et  Flore. 
-    2.  Placuit  virginibus  ire  spaciatum, 
Nam  soporem  reicit  pectus  sauciatuiii; 

Abl,ü.r;ni  TKjen.  1.  Aui<gaben:  Doc.  =^  Docen,  Gr.  =  Giimrrc 
(Doc.  u.  Gr.  nur  angeführt,  wenn  Schmeller  abweicht), 
Haur.  =  Haurdau,  Schrn.  =  Schmeller,  W>.  =  Wright.  — 
2.  Handfichriften:  D  =  Berliner,  Bb  =  Benedictheurer,  H  = 
Harlvian,  \    =  Vaticanisrlie. 

1,  1.   florido    Bb,    ron    Schm.   nach    Wr.    verbessert.     3.    Cum    V, 
Haur.     4.  Li(i"d  fehlerhaft  unsere  hs.  {ebenso  4  2,  1),  liquet  Schm., 


PHYLLIS  UND  FLORA  22f> 

Equis  ergo  passibus  exeunt  iu  pratum, 
Ut  et  locus  faciat  ludiini  esse  gratnin. 

3.  Ennt  ambe  virgines  et  ambe  regine: 
Phillis  coma  libera,  Flora  torto  crine. 

Non  sunt  forme  virginum,  sed  furme  divine. 
Et  respondeiit  facies  luci  matutine. 

4.  Nee  stirpe  nee  facie  nee  ornatu  viles 
He  annos  et  animos  habent  iuveniles; 

Sed  sunt  parura  impares  et  parum  hostiles, 
Huic  namque  clericus,  huic  placet  niiles. 

5.  Non  est  differentia  corporis  aut  oris, 
Omnia  communia  sunt  intus  et  foris; 
Sunt  unius  habitus  et  unius  raoris, 
Sola  differentia  modus  est  amoris. 

6.  Susurrabat  modicum  ventus  tempestivus, 
Locus  erat  viridi  gramine  festivus, 

Et  in  ipso  gramine  defluebat  rivus 
Vivus  at(iue  garrulo  murmure  lascivus. 

7.  Ad  au//mentum  decoris  et  caloris  minus 
Fuit  iuxta  rivulum  spaciosa  pinus, 
Venustata  foliis,  late  pandens  sinus; 

Nee  intrare  poterat  calor  peregrinus. 

8.  Tunc  sedere  virgines;  herba  sedem  dedit. 
Phillis  iuxta  rivulum,  Flora  longe  sedit; 

Et  dum  sedit  utraque  et  in  sese  redit, 
Amor  corda  vulnerat  et  utramque  ledit. 

9.  Amor  est  interius  latens  et  occultns 

obwol  Bb  ricJitig  liquit  hat.  2,  3  gressibus  UV.  3,  1  Eunt  mit 
Wr.  gegen  Erant  V,  Schni.,  Haur.  2.  torto  [cfr.  Orid,  Jrs 
aniatoria  I,  505)  gegen  compto  aller  übr.  4.  respondet  Wr.  facie 
Schm.  4,  2.  Et  st.  He,  den  liiat  vermeidend,  alle  übr.  3.  Non 
sunt  parum  impares  sed  F.  pares  impares  et  pares  hostiles,  ohne 
hiat,  Wr.  4.  Nam  huic  placet  clericus  alle  übr.  huic  placet 
miles  mit  V.  illi  placet  ra.  Wr.,  Haur.,  illi  vero  m.  Schm. 
5,  2.  similia  Wr.,  sunt  communia  et  mit  silbenüberschiisis  Schm. 
3.  st.  unius  beide  mal  ejusdera  Wr.  4.  est  modus  V.  6.  1.  rao- 
dice  Wr.  2.  gramine  viridi  Wr.  4.  lacivus  fehlerhaft  W 
7,  1.  aucmentum  die  hs.,  das  c  durch  zivei  untergesetzte  puncte 
getilgt,  aber  das  g  überzuschreiben  vergessen.  Ut  puellis  noceat 
calor  solis  minus  Wr.  {mit  unnötiger  beseitigiing  ■  des  substan- 
tivierten minus);  von  Schm.  gegen  Bb  {Doc,  Gr.)  übernommen. 
2.  secus  st.  iuxta  V,  Bb  (Doc,  Gr.);  von  Schm.  nach  Wr.  auch 
iuxta  eingesetzt.  3.  folio  V.  8,  1.  Consedere  st.  Tunc  sedere 
alle  übr.  2.  prope  st.  iuxta  gleichfalls  alle  übr.  3.  cum  st. 
dum.  zu  dein  perfect  sedit  passender,  Gr.  sedet  V,  Haur.  ac 
St.  et   V,  Schm.,  Haur.     9,  1.  Sed  amor  st.  Amor  est  F;  La  istner 


22(1  BüMER 

Et  corde  certissimos  elicit  singnitus; 
Pallor  g'enas  inficit,  alternantur  vultus. 
Fa.  in  verecnndia  pudor  est  sepultus. 

10.  Pliillis  in  suspirio  Floram  deprehendit, 
Kt  haue  de  consimili  Flora  reprehendit; 
Altera  sie  alteri  mutuo  rependit, 
Tandem  morbnm  dete,2:it  et  vnlniis  ostendit. 

11.  nie  sormo  nnituus  nuiltiiin  habet  ninre, 
Et  est  qnidem  series  tota  de  aniore; 
Amor  est  in  aniinis,  amor  est  in  ore. 
Tandem  Pliillis  incipit  et  arridet  Flore. 

12.  'Miles',  inqnif,  'inclite,mea  cura,  Paris. 
Ubi  modo  militas  et  nbi  raoraris? 

0  vita  milicie,  vita  singularis, 
Sola  digna  gandiis  Dyonei  laris!' 

13.  Dum  puella  militem  recolit  amicuni. 
Flora  ridens  oculos  iacit  in  oblicum. 

Et  in  risu  loquitur  verbum  inimicum: 
'Amas,'  inqui^,  'poteras  dicere,  meudicum. 

1 4.  Sed  quid  Aristotilcs  agit,  mea  cura. 

(GoUas  IST!)  .V.  ll.M'i  sddtuil  Amor  sit  und  in  r.  2  e  corde  vor. 
2.  certissinio  Hr.  ;>.  genus  fäischlieh  Wr.  iilternatur  1",  alterantur 
Sehm..  Hmir.  4.  Sed  .sf.  Et  alle  ühr.  furor,  n-ol  eingeselzl.  viri 
(las  liehen  dem  sijnoiiijmen  verecundia  weiiü/  glückliche,  aber 
doch   ivahrscheitilich  nrsprünff liehe  pudor  zn  beseitigen,   alle  Uhr. 

10,  2.  sed  lianc  Schin..  istam  11 V.  3.  Mutua  sie  mutuis  mutuo 
rependit  T.  alteram  mutuo  deprehendit  ßh  (Doc.,  Gr.).  Schm.  hat 
-nach  Wr.  rependit  eingesetzt,  ohne  alteram  in  alteri  zu  ändern, 
■tinsere  hs.  hat  rependit  ansgeschrieljen,  ohu-ol  das  -dit  als  reim- 
■silhe  der  strophe  herausgehohcn  dasteht.  4,  vultus  st.  vulnus  Bh 
{Ihr..    Gr.),    quid   sit.    unter  vermeidang   des   tacf wechseis.     IIV. 

11,  1.  Iste  Schm.  2.  quedam  V,  Sehn/.,  von  Schreiher  (Die 
vagaidenstrophe.  diss.  1S94,  s.  (i!)  f )  bevorzugt.  12,  1.  inq'd 
feiilerhaft  die  hs.  (ebenso  13,  4.  lö',  3.  21,  l),  ait  1'.  2.  vel 
ubi  Schm.,  ubi  nunc,  den  tw.  vermeidend,  Wr.  4.  gaudio  )'. 
*Sehm.,    Hanr.      13,   ! /2   timgestellt   V,    Schm.      1.    recolit   militem 

1',  Schm.  4.  amas  liunc  quem  V,  araas  et  quem  Wr.,  von  Schm. 
•übernommen  statt  des  uyihaltharen  amans  inquit  von  Bb  (Doc), 
wofür  Gr.  von  Sehreiher  gnfgeheifsenes  ainens  inquit  liest,  alle 
diese  wenig  glücklichen  änderungen  unserer  lesart,  die  auch  bei 
Haur.  (ohne  komma  hinter  dicere!)  erscheint,  wol  veranlasst 
durch  n ichtverstehen  der  parenthese  dicere  poteras.  (^dti  liebst,'' 
^sprach  sie,  'hättest  du  sagen  können,  einen  armen  schlueker.'') 
14,  1.  Aristotiles  mit  Wr.  gre^e«_  Alcibiades  {V:  alcipiades)  aller 
übrigen.     Alcibiadcs   nnpassend ,    da  kein  Vertreter  des  gelehrten- 


PHYLLIS  UND  FLOEA  227 

Res  creata  digniur  omni  creaturaV 

0  sola  felioia  clericorum  iura, 

Quos  beavit  oninibus  gratiis  natura!" 

15.  Floram  PlüUis  arguit  de  sermone  duro 
Et  sermone  loquitur  Floram  commoturo; 
Nam:  *ecce  virgunculam,'  inquif,  'corde  pure. 
Cuius  pectus  nobile  servit  Epicuro!" 

16.  'Surge,'  inquit.  'misera  de  furore  fedo! 
Solum  esse  clericum  Epicurum  credo ; 
Nichil  elegancie  clerico  concedo, 

Cuius  implet  latera  moles  et  piiiguedo. 

17.  A  castris  Cupidinis  cor  habet  remotum. 
Qui  soninum  desiderat  et  cibum  et  potum. 
0  puella  nobilis,  oninibus  est  notnm, 
Quod  est  longe  niilitis  ab  hoc  voto  votnni. 

18.  Solis  necessariis  miles  est  contentns; 
Somno,  cibo,  potui  non  vivit  intentus; 
Amor  illi  prohibet,  ne  sit  somnolentus; 
Cibus,  potus  militis  amor  et  iuventus. 

19.  Quis  amicos  copulet  nostros  loco  pari? 
Lex.  natura  sineret  illos  copnlari? 


htanäes.  facit  st.  agit  1',  UV.,  Haur.,  facis  Seht».  2.  pulcrior  •>■/. 
dignior  Wr.,  das  jedoch  zu  seiner  lesart  Aristoteles  nicht  passt, 
vielmehr  nur  im  anschhiss  an  Alcibiades  entstanden  sein  kann. 
somit  bei  IVr.  vermengung  z>ceier  verschiedener  fassuvgen,  mäh- 
rend unser  text  durchaus  einheitlich,  allein  gut  und  auch 
ohne  ziveifel  ursprünglich  ist.  Alcibiades  dürfte  conjectur  eines 
Schreibers  sein,  der  an  der  Verwendung  des  namens  des  grofsen 
Aristoteles  für  einen  Liebhaber  anstofs  genommen  hat.  wenn  die 
ersatzivahl  unglücklich  gewesen,  so  ist  daliel  zu  berücksichtigen, 
dass  nur  wenig  fünfsilbige  namen  zur  Verfügung  standen.  3/4, 
das  in  unserer  hs.  genau  12,  3/4  entspricht,  von  allen  übr.  um- 
gestellt;  dabei  quam  st.  Quos  T",  quem  die  übr.  15,  2.  in  sr. 
Et  Sclim.  3.  unde  tibi  gloria  inquit  V.  virguncula  lf>.,  Schm.. 
Maur.,  letzterer  dazu,  den  hlat  vermeidend,  satis  st.  inquit. 
pure  ausgeschrieben  neben  reimsilbe  uro;  vgl.  10,  3.  4.  nobih 
Wr.  16,  1.  Surge,  surge,  den  hlat  vermeidend,  V,  Schm.,  Haur. 
2/3  umgestellt  Haur.  4.  implent  st.  implet  {so  auch  V)  Wr.,  Schm.. 
Haur.  17,  i  libidinis  V.  Hb  (Doc,  Gr.),  Jedoch  Schm..  nach 
Wr.  unser  Cupidinis.  4.  quam  sit  F.  Schm.,  Quod  sit  Haur. 
18,  1.  Rebus  militaribus  Wr.  intentus  1'.  2.  eontentus  1'.  3.  illc 
St.  illi  Wr.  4.  potus  cibus  Wr.  19,  1.  Quos  unpassend  Wr. 
loro  {dem  copulet  angepasst)  st.  unseres  durch  V  und  auch  Schm. 
gestützten  farblosen  loco  Wr.,  Bb  {Doc,  Gr.),  Haur.  2.  Lex 
naturae  st.  des  gleichfalls  durch   V,  Schm.  gestützten  Lex,  natura 


22  S  BOMER 

Meus  novit  ludere,  tuus  epiilaii; 

Aleo  seiiiper  proprium  dare,  tuo  dari.' 

iO.  Haurit  Flora  snn^ainem  vultu  verecundo 

i'^t  apparet  pulcrior  in  risu  secuiido; 

Kt  tandem  eloquio  resei'ar.  facuiido, 

Quod  corde  conceperat  artibus  fecundo. 

21.  'Satis,'  inqui^,  'libere,  Phillis,  es  locuta; 
jMultuni  es  eloquio  velox  et  acuta; 

Sed  non  efticaciter  verum  prosecuta, 
IJt  per  te  prevaleat  lilio  cicuta. 

22.  Dixisti  de  cleiico,  quod  indulget  sibi ; 
Servum  somni  nominas  et  potus  et  cibi. 
Sic  solet  ab  invido  piobitas  describi; 
Ecce,  parum  patere,  respondebo  tibi: 

23.  Tot  et  tanta,  fateor,  sunt  amici  mei. 
Quod  nunquam  incog'itat  aliene  rei; 
('eile  mellis,  olei,  ('ereris,  Liei, 
Auruni,  g'ennne,  pocnla  faniulantur  ei 

24.  Est  tarn  dulcis  copia  vite  clericalis, 
Quod  non  i)0test  aliqua  pin,i;;'i  voce  talis; 
Volat  et  duplicibus  anior  plaudit  alis, 
Amor  indeticiens,  amor  immortalis 

25.  Sentit  tela  Veneris  et  Amoris  ictus, 
Non  est  tarnen  clericus  macei-  et  aft'lictus; 
Quippe  nulla  gaudii  parte  derelictus, 

Cui  respondet  animus  domine  non  tictus. 


dieselben,  tcol  ursprioiyUches  sineret  (=  iciirde  lassen  f)  iinl  V 
gegen  prohibet  der  übrigen,  (bei  lesviig  prohibet  der  satz  aber 
nicht  als  fragesatz  anf'zv fassen,  ivie  \Vr.  getan!)  20,  1.  Hausit 
V,  Schm..  obivol  Bb  [Doc.,  Gr.)  auch  Haurit  hat.  2.  jocundo 
Sehn.,  Haur.  3J4:  in  V  zuerst  vmgesielU.  jedoch  von  der  allen 
hand  durch  vorgesetztes  h  und  a  in  Ordnung  gebracht.  3.  tandem 
in,  den  Iw.  meidend,  Wr.  i-esonat  Schni.  4.  quae  Wr.  21,  1.  Satis 
plus  quam  deceat.  Phyliis.  es  astuta  Schm.  2.  Nimis  st.  Multum 
V,  Sehn.  3.  es  secucuta  (verschrieben  st.  secuta)  st.  prosecuta  V. 
4.  dicis  quod  praevaleat  IFr.,  von  Schm.  gegen  Bb  (Doc,  Gr.) 
ilbernonimen.  22,  2.  proprius  st.  nominas  V.  4.  tolera  st.  pafere 
Wr.  23,  1.  tanta  aus  tanti  verbessert,  die  hs.  2.  quae  Wr., 
Quod  non  unquam  indiget,  den  tiv.  meidend,  Haur.  3,  vasa 
mellis  V  (verschrieben  moliis),  Wr.,  Haur.  tritici,  olei  st.  olei, 
Cereris  Wr.  24,  1  In  tam  dulci  copia  V  (dabei  vita),  Wr..^ 
Sehn.,  Haur.  2.  aliquis  Wr.  voce  pingi  V,  Wr.,  Haur.  3.  valet 
st.  volat,  wie  auclt  Bb  hat,  Gr.  semper  st.  amor  Schm. 
25,  2.  non  tamen  est  [mit  tw.)  V,  Schm.,  Haur.  aut  st.  et  Wr., 
Haar.    3.  copie  st.  gaudii   V,  Sehn.    4.  domino  Wr.     26,  3.  nee 


PHYLLIS  UND  FLORA  229 

26.  Macer  est  et  pallidns  tuns  preelectus, 
Pauper  et  vix  pallio  sine  pelle  tectus; 
Non  sunt  artus  validi  nee  robiistum  pectus, 
Nam,  cum  causa  deficit,  deest  et  effectus. 

27.  Turpis  est  paupeiies  imniinens  anianti. 
Quid  prestare  poterit  miles  postulanti? 
Sed  dat  multum  dericus  et  ex  habundaiiti: 
Tante  sunt  divicie  reddiiusque  tanti." 

28.  Flnre  Pliillis  obicil:  'multuni  es  perita 
In  utiisqne  stiidiis,  in  ntraque  vita; 
Satis  prubabiliter  et  pulcre  nientita, 

Sed  hec  altercario  non  cessabit  ita. 

29.  Cum  orbera  letiticat  liora  lucis  feste, 
Tunc  apparet  dericus  satis  inlioneste, 

In  tonsura  capitis  et  in  atra  veste, 
Portans  testiiiioniura  voluHtatis  »ieste. 

30.  Non  est  ullus  adeo  fatuus  aut  cecus, 
Cni  non  appareat  militare  decus. 

Tuus  est  in  ocio  quasi  bi'Utum  pecus; 
Meura  preniit  galea,  nieum  portat  ecus. 

31.  Meus  armis  dissipat  inimicas  sedes 
Et,  si  forte  prelium  meus  init  pedes, 
Dum  teilet  bucefalam  suus  g-animedes, 
Meus  nie  comiuemorat  inter  ipsas  cedes. 

32.  Redit  fnsis  h(»stibus  et  pug-na  confect.a 


vires  nee  animura  aU  1.  vershälfte  Bh  {iJoc,  Gr.),  wozu  habet 
zu  ergänzen.  Sclun.  hat  den  nominntiv  animus  eingesetzt,  seil. 
est.  Nee  vor  sunt  Hmir.  non  vor  rob.  V.  4.  dum  Sehn. 
deest    siraul    V,    et    deest    Wr.       2J1,  1.    eminens    fälschlich    V. 

3.  multa  .s^  nniltum  alle  übrigen.  28,  2.  utroque  studio  Wr., 
auch  von  Sehn,  gegen  Bb  [Doc,  Gr.)  eingesetzt,  et  st.  des 
ztveiten  in  V,  Hnur.  vel  Wr.  3.  es  st.  et  Sclini.,  Haur.  pulcre 
es  V..  4.  lioc  Wr.  quiescat  st.  cessabit  Bb  {Doc..  Gr.,  quiescet 
V,  Schm..  Haur.,  quiescit  Wr.  29,  1.  Orbem  cum,  tir.  und  hiat 
vermeidend   V,  Schm.,  Haur.     2.  tum    Wr.     3.  nigra  .s^  atra    !'. 

4.  volüptatis  ueste  die  hs..  verschrieben  statt  voluntatis  meste, 
50  Wr.,  Schm.,  Hmr.;  volüptatis  meste  V.  30,  1.  et  st.  aut  Wr.; 
Non  est  adeo  fatuus  aut  omnino  cecus  Schm.  4.  tegit  st.  prerait,  das 
anstofs  erregt  zu  haben  .scheint,  alle  übrigen.  31,  1  •  Miles  rainis 
st.  Meus  armis  Wr.  edes  st.  sedes  Schm.  2.  meus  init  pedes 
durch  Wr.  gestützt,  iunit  solus  pedes  V,  solus  intrat  pedes  Schm., 
inierit  pedes  Haur.  3.  bucephaUiin  Schm,  Haur.,  buciidialum  V., 
quadrupedera  Wr.  sumn  st.  snus  V.  4.  ille  nie  F,  Schm.,  Ipse 
me  Haur.,  me  saepe  Wr.,  alle  {wie  die  meisten  bereits  in  v.  2) 
das  nochmalige  meus  vermeidend,    suas  st.  ipsas  V.     32,  1.  Cedit 


2:k»  bümp:r 

Et  nie  sepe  respicit  galea  reiecta. 
Ex  liis  et  ex  aliis  ratioue  recta 
Est  vita  niilicie  mihi  preelecta.' 

33.  Novit  iram  Phillidis  et  pectus  aiilieliim 
Et  remittit  multiplex  Uli  Flora  telum. 
'Frustra,'  dixit,  'loqueris,  os  ponens  in  celnm. 
Et  per  acuni  niteris  tig-ere  caniehiiii. 

34.  Mel  pro  feile  deseris  et  pro  falso  verum, 
Que  probas  miliciam  reprobando  clerum. 
Facit  amor  niilitem  streuuum  et  feruni? 
Non ;  immo  pauperies  et  defectns  rerum. 

35.  Pulcra  Phillis,  utinam  sapienter  ames 
Nee  Verls  sentenciis  amplius  reclames! 
Tuum  domat  militem  et  sitis  et  fames, 
Quibus  mortis  pefitur  et  inferni  tranies. 

36.  Multum  est  calamitas  militis  atrita; 
Sois  illiiis  dura  est  et  in  arto  sita, 
Cuius  est  in  peudulo  dubioque  vita, 

Ut  habere  valeat  vite  requisita. 

37.  Non  dicas  oprobrium,  si  eognoscas  moreni: 
Vestem  nigram  clerici,  comara  breviorem; 
Habet  ista  clericus  ad  summura  honorem, 

Ut  hiis  se  sig-nilicet  omnibus  niaiorem. 

38.  Universa  clerico  constant  esse  prona,. 
Et  Signum  imperii  portat  in  corona. 
Imperat  militibus  et  largitur  dona; 
Fanuilante  maior  est  imperaiis  persona. 


(von  der  alten  hand  iibergeschr.:  redit)  cesis  T.  4.  nihil  sf.  mihi 
fehlerhaft  Bh  (Doc),  von  Gr.,  Sehn,  nach  Wr.  in  mihi  ver- 
bcssert.  cunctis  .sf.  mihi  F.  33,  1.  Novit  mit  Wr.  {nach  ihm 
auch  von  Seh  in.  yegen  Bh  eingesetzt)  gegen  unhalihares  Movit  der 
Uhr  igen,  hanelura  fehlerhaft  V.  2.  Dum  st.  Et  Banr.  ei  st. 
illi  IFr.  3.  dicit  Hanr.,  inquit  Wr.  4.  trahere  Wr.  34,  1.  de- 
serius  fälschlich  Gr.  2.  quod  probas  Mr.,  approbans,  den  tw. 
meidend,  V,  Schiii.  inprobando  Wr.  3.  strennum  st.  strenuum 
fehlerhaft  die  hs.  aut  st.  et  1',  Wr.,  Schm.  35  und  36  ntn- 
gestellt  Sch)H.  35,  2.  meis  st.  veris  F,  Wr.,  Haur.  3.  totum 
st.  Tuum  F.  sitis  atque  st.  et  sitis  et,  den  tw.  meidend,  Schm., 
Haiir.  4.  infertur  Bh ,  von  Doc.,  Gr.,  Schm.  verbessert. 
36,  1.  Multum,  auch  in  Bh  (Doc,  Gr.),  von  Schm.  zur  Ver- 
meidung des  hiats  in  Multis  verändert.  Militis  calamitas  multum 
est  Wr.  2.  dira  Wr.  3.  pendiculo  fpediclö)  st.  in  pendulo  F. 
hubio  penduloque  Wr.  37,  2.  corporis  st.  clerici  F.  4.  sese  st. 
diis  se  F,  UV.,  Schm.,  Haur.  38,  1.  Vniverso  fälschlich  T. 
constant    mit    Hb    (JJoc.,    Gr.),    constat    V,    Wr.,    Schm.,    Haur. 


PHYLLIS  UND  FLORA  231 

39.  Ociosnni  clericum  scniper  esse  iuras. 
Viles  spernit  operas,  fateor,  et  duras; 
Sed  cum  eins  animus  evolat  ad  curas, 
Cell  vias  dividit  et  rerum  naturas. 

40.  Meus  est  in  purpura,  tuus  in  lorica: 
Tuns  est  in  prelio,  mens  in  lectica. 
Mens  gesta  principnm  relegit  antica, 
Scribit,  querit,  cogitat  totnra  de  amica. 

41.  Quid  Dione  valeat,  qnid  amoiis  dens, 
Primus  novit  clericns  et  instruxit  meus. 
Miles  est  per  clericum  factus  citlierues. 
His  est  et  buiusmodi  sermo  tuus  reus.' 

42.  Liqui/'  Flora  pariter  vocem     et  certamen 
Et  sibi  Cupidinis  eligit  examen. 

Phillis  primum  obstrepit  et  quiescit  tarnen, 
Et  probate  indice  redeunt  per  gramen. 

43.  Totum  in  Cnpidine  certamen  est  situin: 
Suum  dicuut  iudicem  verum  et  peritr.m, 

Quia  vite  noverit  utriusque  ritum,  « 

Et  iam  sese  prepara/^t  ut  eant  anditum. 

44.  Pari  forma  virgines  et  pari  pudore. 
Pari  voto  militant   et  pari  colore; 
Phillis  veste  Candida.  Flora  bicolore. 
Mulus  vector  Phillidis  erat,  eqnus  Flore. 

2.  Nam  st.  Et  Hanr.  39,  2.  opera  fehlerhaft  l\'r.  clericus  st. 
fateor  T'.  3.  dum  IVr.  40,  3.  ubi  gesta  religit  prineipuni  1\ 
ubi  gesta  principura  relegat  TF/-.,  .  .  .  reeolit  Hau/:,  ubi  facta 
principnm  reeolit  Schni.  unsere  hs.,  ähnlich  ivie  in  str.  31.  mit 
'lern  fviderholten  mens  allein^stehend.  41,  1.  Dianae  fälschlich 
Wr.  et  st.  quid  Wr.,  Schm.,  Haur..  2.  primum  TFr..  primo 
Schm.,  Privus  verdruckt  Hanr.  18S6  [Haar  1893  niil  unserer 
hs.  u.  V:  Primusj.  amicus  st.  instruxit  T',  Wr.  3.  Factus  est 
per  clericum  miles  alle  übrigen,  chithareus  V,  cythareus  Bh  {von- 
Doc,  Gr.,  Schm.  in  Cytliereus  verbessert).  4.  unser  His  est  et 
huiusmodi  durch  V.  {mit  anderer  tinte  auf  rasur)  gestützt,  illis 
et  hiis  modis  est  Wr.,  Est  semper  huiusmodi  Schm.,  His  est  et 
ex  aliis  Haur.  tuus  sermo  alle  übrigen.  42,  1.  Flora  vocem 
pariter  liquit  et  F.  2.  exigit  st.  eh'git  alle  übrigen.  3.  in  V 
lirimum  mit  anderer  tinte  über  multum  geschrieben,  acquiescit 
st.  et  quiescit  alle  übrigen.  43,  1.  est  certamen,  den  tw.  m.eidend. 
Schm.  2.  gratura  .st  verum  V.  3.  qui  et  st.  Quia  Wr.  iuris^ 
st.  vite  Schm.,  Haur.  noverat  st.  noverit  F.  4.  lamiam  st.  Et 
iam  Schm.  praeparat  .  .  .  eat  fälschlich  die  hs.  44,  12.  pudore 
und  colore  vertauscht  Schm  ,  Haur.  2.  in  F  über  voto  mtt 
anderer  tinte  modo  geschr.    4.  erat  fillidis  vector   T^.     45,  1.  erat 


282  BUMEK 

45.  Mulns  quidem  Pliillidis  muliis  fuit  unus, 
Quem  creavit,  aliiit,  douiuit  Neptunus. 
Hunc  post  apri  rabieni,  post  Adonis  funus, 
Misit  pro  solatio  Citeree  munus. 

46.  Pulcre  matri  Pliillidis  et  probe  regine 
'I'andeni  illiim  prebnit  Venus  Yberiue, 

Eo  quod  indulserat  opere  divine. 
Ecce  Phillis  possidet  istuni  leto  tine. 

47.  Faciebat  niniium  virg-inis  persone: 
Pulclier  erat,  habilis  et  stature  bone, 
Qualem  esse  decnit,  quem  a  regioue 
Tam  longinqua  niiserat  Nereus  Dione. 

48.  Qui  de  superpositis  et  de  freno  querunt. 
Quod  totum  arg'enteum  dentes  muli  terunt, 
-^ciant,  quod  hec  omnia  talia  fuerunt, 
Qualia  Neptunium  munus  decuerunt. 

49.  Non  decore  caruit  illa  Phillis  hora, 
Sed  multum  apparuit  dives  et  decora. 
Et  non  minus  habuit  utriusque  Flora, 

•S'^.  fuil  V,  IVr.,  ScJwi.  un-nus  felilerliaft  die  hs.  2.  dorauit 
aluit  V.  3.  quem  st.  Hunc  Wr.  4.  in  solatium  Wr.  citaree 
st.  citeree  fälschlich  die  hs.,  vgl.  72,  1.  munus -uus,  das  erste 
nus  durch  untergesetzte  puncte  getilgt,  die  hs.  46,  2.  illuni 
tandem  .v^.  Tandem  illum,  den  hiat  vermeidend,  alle  übrigen. 
3.  ei  st.  Eo  Wr.  insculpserat  (-sculpserat  auf  rasur  mit  anderer 
tinte]  V.  4.  illum  (wider  auf  rasur)  leto  crine  V.  datuni  st. 
istum  Schm.,  illum  Wr.  dato  st.  leto  Wr.  47,  1.  Faciebat  hat 
unsere  hs.,  damit  ganz  alleinsteh eyid,  wi  text,  während  unten  auf 
dem  rande  mit  einem  entsprecheoiden  zeichen  ( v )  von  der  alten 
hand  sie  decebat  vermerkt  steht,  im  sinne  von  ''sich  passev,  sich 
schicken'  gebraucht  [vgl.  Properz  3,  1.  20  =  non  faciet  capiti 
dura  Corona  nieo),  mit  dem  'mulus'  der  vorhergehenden  Strophe 
als  subject,  dürfte  Faciebat  die  ursprüngliche  lesart  sein.  Decebat 
auch  V,  Bb  (Doc,  dabei  aber  st.  Sic:  Hoc,  wofür  Gr.  u.  Schm. 
Hie  eingesetzt  haben),  Congruebat  Wr.,  Haar.,  beides  wol  con- 
jeciur  von  Schreibern,  denen  die  angegebene  bedeutung  von  Faciebat 
{vgl.  dazu  53,  1)  nicht  geläufig  gewesen  ist  2.  fuit  Wr.  stabilis 
•sf.  habilis  F.  3.  bonura  morem  docuit  Wr.  de  st.  a  Wr. 
regione-ne  die  hs.  4.  Neptunus  st.  Nereus,  45,  2  entsprechend, 
Schm.,  Haur.  48,  1.  Qui  de  superpositis  mit  Wr.  st.  Si  qui  de 
suppositis  der  übrigen,  vel  st.  et  Wr.  frenis  st.  freno  {so  auch 
Wr.,  Gr.)  Schm.  4  fehlt  Wr.  neptuiü  fehlerhaft  V.  decueri- 
-runt,  das  ri  durch  untergesetzte  puncte  getilgt,  die  hs.  V  hat 
als  reimsilbe  die  ganze  strophe  hindurch  -ant.  49,  2.  satis  st. 
multum    V,   Schm.      4.   aeque  st.   equi    fehlerhaft   Wr.     frenis    F, 


PHYLLTS  UND  FLORA  233 

Nam  equi  predivitis  freno  domat  ora. 

50.  Equiis  ille  domitiis  pegaseis  loris 
Multum  pulcritudiiiis  habet  et  valoris, 
Pictus  artiticio  varii  coloris, 

Nam  mixtus  nigredini  candor  est  oloris. 

51.  Forma  fuit  habilis,  etatis  primeve, 
Cui  cervix  ardua,  coma  sparsa  leve. 

Auris  parva,  preminens  pectus,  capu^  breve, 
Et  respexit  paululum  timide,  non  seve. 

52.  Do.rso  pando  iacuit  virgini  sessure 
Spina,  que  non  senserat  aliquid  pressure. 
Pede  cavo,  tybia  recta,  largo  crure, 
Totus  fuit  sonipes  Studium  nature. 

53.  Equo  superposita  faciebat  sella: 
Ebur  enira  medium  clausit  auri  cella, 
Et,  cum  essent  quatuor  seile  capitella, 
Venustavit  singulum  gemn)a  quasi  Stella. 

54.  Multa  de  preteritis  rebus  et  ignotis 
Erant  mirabilibus  ibi  sculpta  notis. 
Nuptie  Mercurii,  superis  admotis, 
Fedus  matrimonii,  plenitudo  dotis. 

55.  NuUus  ibi  locus  est  vacuus  aut  planus: 
Plus  habet  quam  capiat  animus  humanus. 


<Schm.  50,  1.  fuit  .s^  ille  IVr.  Horis  7,  ScJdii.  2.  Satis  st. 
multum  V,  Schm.  valoris  mit  anderer  tinfe  üher  decoris  {so 
auch  Schm.)  geschr.  V.  3.  pectus  fälschlich  Bh,  von  Schm.  nach 
Wr.  verbessert.  4.  nuptus  st.  mixtus  Haur.  color  V,  Schm. 
51,  1.  unser  Forma  durch  V  (correctur  aus  .unhaltbarem  flora, 
wie  auch  Bb  [Doc]  hat)  gestützt;  Formae  quidem  humilis  Haur.; 
pulcre  st.  Forma  Wr.  und  nach  ihm  Gr.,  loco  Schm.  2 — 4  um- 
gestellt in  der  folge  4.  2.  3  alle  übrigen,  dabei  in  2.  Cervix  fuit 
st.  Cui  cervix.  2.  sparsa  coma  Wr.  3.  prominens  Wr.,  Schm. 
capud  die  hs.  4.  munde  st.  timide,  unpassend  und  überdies  den 
■vers  störend,  Wr.  52,  1.  virginis  V,  Bb  (Doc),  von  Gr.,  Schm. 
nach  Wr.  in  virgini  verbessert,  cessurae  Wr.  2.  laesurae  st. 
pressure  Haur.  3.  dedit  st.  pede  Bb  (Doc),  von  Gr.,  Schm. 
nach  Wr.  in  pede  verbessert,  longo  st.  largo  Schm.,  Haur. 
4.  totum  Schm.  53,  1.  radiabat  V,  Schm.,  respondebat  Haur. 
A  quo  supraposita  congruebat  Wr.  icol  alles  icider  wie  4  7,  1 
änderungen  statt  unseres  nicht  verstandenen  faciebat.  2.  claudit 
Wr.,  Haur.  3.  cellae  Wr.  4.  venustabat  V.  cingulum,  wol 
verschrieben,  Wr.,  Haur.  velut  st.  quasi  Schm.,  tanquam  Wr. 
54,  2.  scripta  st.  sculpta  F.  4.  matrimonium  Wr.  55,  1.  vacuus 
locus  est  V.  2.  habet  plus,  den  tw.  meidend,  V,  Schm.,  Haur., 
Z.  F.  D.  A.  LVI.    N.  F.  XLIV.  10 


234  BÖMER 

Solus  illa  sculpserat,  que  spectans  Vulcanus 
Vix  hoc  suas  credidit  potiüsse  manus. 

56.  Pretermisso  clipeo  Mulciber  Achillis 
Laboravit  phaleras  et  indulsit  illis 
Ferraturam  pedibus  et  frenum  maxillis 
Et  habenas  addidit  de  sponse  capillis. 

57.  Sellam  texit  purpura  subiutexta  bisso, 
Quam  Minerva  reliquo  studio  dimisso 
Acha?/t()  texuerat  et  Acre  narcisso 

Et  per  tenas  margine  limbriavii  6cisso.  . 

58.  Volant  equis  pariter  iste  domicelle; 
Vultus  verecuudi  sunt  et  gene  tenelle. 

erat  plus  OV.  '^.  ea  st.  illa  \)  illara  Sehn,  que  spectans  durch 
V  {auf  rasur  mit  anderer  tinte)  gestützt,  hec  spectans  ScJini.: 
ganz  abweichend,  den  iu\  meidend  aurifex  Wr.,  Haur.  4.  hoe 
durch  V  gestützt,  hec  die  üljrigen.  condidisse  st.  potuisse  Wr. 
56,  1.  militis  1^1)  (Doc),  von  Gr.,  Schm.  nach  Wr.  in  Mulciber 
verbessert.  2.  fabricavit  Wr.  indulsit  ans  inciusit  corr.  V, 
induxit  Hanr.  illis-lis  die  hs.  3.  frenum  et  Bh  {Doc,  Gr.). 
4.  unter  de  sponse,  durch  eine  kurze  Schlangenlinie  mit  ihm 
verbunden,  steht  unten  auf  dem  rande  in  unserer  hs.,  von  der 
alten  hand  geschrieben:  dispense.  57  fehlt  in  V.  vielleicht  ist 
die  Str.,  bei  der  die  Überlieferungen  stark  auseinandergehen,  ab- 
sichtlich fortgelassen  wegen  irgend  ivelcher  mängel  der  vorläge, 
zumal  in  v.  4.  1.  tegit  Haur.  subintuta  Bb  (Doc,  Gr.),  Wr., 
Haur.,  subinsuto  Sch)n.  3.  achato  die  hs.,  wol  verlesen  aus 
acliäto  =  achanto,  statt  des  normalen  acantho,  rvie  Schm.  {Haur.) 
aus  dem  achamo  von  Bb  (athamo  Doc,  Gr.)  glücklich  conjiciert; 
de  arante  texerat  Wr.,  ganz  unglücklich  {Schreiber  denkt  an 
aranea  st.  de  arante,  womit  aber  auch  nichts  anzufangen  isti. 
Gr.  schlägt  in  einer  anm.  statt  des  in  den  text  aufgenommenen 
atharao:  e  thymo  vor.  4.  unser  tenas  n-ol  gleichfalls  die  ur- 
sprüngliche und  allein  richtige  lesart.  Du  (kinge  s.  v,:  tena  vel 
tenia  .  .  .  a  teno  dicitur  estque  vittarum  extremitas  dependens 
diversorum  colorum  vel  extrema  pars  vittae  quae  dependet  coronae. 
partes  von  Wr.,  Schm.  und  pennas  von  Haur.  späterer,  un- 
glücklicher ersatz  für  das  den  Schreibern  unbekannte  tenas. 
marginum  Bb  {Doc,  Gr.),  von  Schm.  nach  Wr.  in  margine  ver- 
bessert, firabriaui  cisso  fehlerhaft  die  hs.  statt  firabriavit  scisso, 
ivie  Haur.  richtig  liest;  fimbria  inciso  {unserer  hs.  nahestehend) 
Wr.,  fabricavit  scisso  Schm.  58,  1.  Volant  equis  durch  V  ge- 
stützt, Equitabant  die  üljrigen.  passibus  mit  anderer  tinte  über 
pariter  geschrieben,  infolge  falscher  auffassung  des  equis  als 
aequis  V.  diie  st.  iste  V,  Wr.,  Haur.,  ambe  Schm.  dnelle 
fehlerhaft   V.      2.   genaeque,   den   in-,   mcidind,    Haur.     tetelle  st. 


PHYLLIS  UND  FLORA  235 

Sic  emergunt  lilia,  sie  rose  novelle, 
Sic  discurnint  pariter  due  celo  stelle, 

59.  Ad  Anioris  destinant  ire  paradisuni. 
Diilcis  ira  commovet  utriusque  visum ; 
Flore  Phillis,  Pliillidi  Flora  inovet  risum. 
Phillis  fert  acipitreni,  Flora  mavult  nisum. 

60.  Parvo  tractu  temporis  nemus  est  inventum. 
Ad  ingressum  nemoris  murmnrat  fluentum; 
Ventus  inde  redolet  iiiirram  et  picmentuni, 
Audinntur  timpana  cytareque  centura. 

61.  Quidquid  potest  boininuTn  compreliendi  raente, 
Totum  ibi  virgines  audiunt  repente. 

Vocum  differentie  sunt  illic  inventae, 
Sonat  diatesseroii,  sonat  dyapenle. 

62.  Sonant  et  mirabili  plaudunt  armonia 
Timpanum,  psalterium,  lira,  siniphonia; 
Souant  ibi  phiale  voce  valde  pia, 

Et  buxus  multiplici  cantum  pronüt  via. 


tenelle  fälschlich  V.  3.  erumpunt  Wr.  et  st.  des  zweiten  sie  V 
4.  decurrunt  V,  Wr.,  Schm.  duae  coeli  Wr.,  Sehn.,  caeli  duae 
Haur.  59,  2.  u-sura  st.  visum  fehlerhaft  die  hs.  (das  erste  u 
scheinbar  aus  n  verbessert,  das  i  zuzufügen  vergessen),  risum  V, 
Bb  (Doc),  von  Gr.,  Schm.  nach  Wr.  in  visura  (.so  auch  Haur.) 
corr.  3/4  in  V  mit  anderer  tinte  geschrieben,  jedoch  nicht  auf 
rasur,  also  zunächst  7col  ausgelassen  und  platz  ausgespart, 
unser  v.  3  durch  V  gestutzt.  Phillis  Florae,  Pljillidi  F'lora  movet 
risum  Wr.,  Haur.;  ganz  abweichend  paris  pulcliritudinis  decus 
est  illisum  Sehn.  4.  Fert  Phillis  accipitrem  manu,  Flora  nisum 
alle  übrigen,  den  anlass  zur  änderung  dürfte  das  wol  ursprüng- 
liche mavult  unserer  hs.  gegeben  haben.  60,  2.  nemoris]  das  e 
nochmals  übergeschrieben  über  aus  o  verbessertem  e.  3.  myrrliis 
Wr.  4.  citliare  timpanaque  V.  61,  1.  hominis  Wr.  2.  audiunt 
virgines  V.  4.  diatessaron  richtiger  alle  übrigen.  62,  1/2  bei 
Wr.  umgestellt.  1.  Sonat  und  plaudit  Wr.,  Haur.,  V  {u-o  plaudit 
tnit  anderer  tinte  über  nochmaliges  sonat  geschrieben  ist).  4.  buxiiQ 
st.  buxus  aus  buxum  (so  auch  Bb)  mit  anderer  tinte  verbessert  V. 
cantum  übergeschrieben  über  unverständliches  öra  F.  sonum  st. 
cantum  Haur.  prodit  6-^.  promit  V,  edit  Bb,  Haur.;  unverständ- 
liches movet  vitae  via  ganz  abweichend  Wr.  einen  eigenen  weg 
geht  auch  Bb,  die  in  v.  3  dieser  strophe  abbricht,  nachdem  sie 
unsern  v.  4  als  2  eingesetzt  hat: 

Sonant  voces  avium  modulatione  pia 
et  buxum  multiplici  cantum  edit  via 
et  amoris  stu! 

^6♦ 


236  BOMER 

63.  Sonant  omnes  avium  lingue  voce  plena: 
Vox  auditur  nienile  dulcis  et  amena, 
Coridalus,  graculus  atque  philomena, 

Que  non  cessat  conqueri  de  transacta  pena. 

64.  Instrumento  musico,  vocibus  canoris, 
Tiinc  diversi  specic  contemplata  floris, 
Tunc  odoris  gratia  redunda»^e  foris, 
Coniectatur  teneri  thalamns  Amoris. 

65.  Virgiaes  introeiuit  modico  timore 
Et  eundo  propiiis  crescunt  in  araore. 
Sonant  queque  volucres  propi'io  rumore, 
Accenduntur  aninii  vario  clamore. 

66.  Inmortalis  tieret  ibi  manens  homo. 
Arbor  ibi  quelibet  suo  g-audet  pomo; 
Vie  mirra,  cinamo  flagrant  et  amomo: 
Coniectari  poterat  dominus  de  domo. 

67.  Vident  coros  virginum  et  doniicellarum, 
Singularum  corpora  corpora  stellarum. 


63,  1.  voluerum  Wr.  3.  garrulus  Wr.  turtur  st.  atque  1%  IVr., 
Säur.  4.  cessant  unpassend  V.  64,  2.  tum  V,  Wr..  Haur., 
ebenso  in  v.  3,  tarn  in  v.  2  Schm.  speciera  (fpem)  fälschlich  die 
hs.  statt  specie  (so  alle  übrigen,  V  abgekürzt:  fpe).  conteraplatae 
fälschlich  Haur.  1893  (1886  richtig  contemplata).  3.  redüdare 
st.  redundante  {so  alle  übrigen)  fälschlich  die  hs.,  tvol  verlesen 
aus  redüdäte,  wie  V  abgekürzt  hat.  foris  aus  floris  durch  tinter 
das  1  gesetzten  punct  corr.  die  hs.  zwischen  3  m.  4  von  unserem 
Schreiber  zuerst  versehentlich  der  i:  vers  'der  folgenden  strophe 
eingefügt,  durch  rasur  entfernt.  4.  die  hs.  hat  int  text  folgende 
fehlerhafte  form : 

Cum  iactatur  teneri  calamus  amoris, 

die  der  Schreiber  seihst  unten  auf  dem,  rand  der  seile  (vgl.  47,  1. 
56,  4)  in  Ordnung  gebracht  hat  durch  den  vermerk:  coniectatur 
teneri  thalamus  {so  auch  die  übrigen).  65,  1.  timor-re  fehler- 
haft die  hs.  2.  proprius  fälschlich  Wr.  3.  Sonat .  .  .  voiucris  V, 
Sonant  .  .  .  voluerum  Wr.,  Haur.  propriorum  ore  (pp^olt  ore)  in 
falscher  tvortabteilung  statt  proprio  rumore  die  hs.;  ein  kreuz 
neben  dem  vers  weist  wol  auf  die  absieht  einer  correctur  hin. 
4.  clamore  mit  anderer  tinte  über  calore  geschr.  V.  66,  2.  gaudet 
suo  Haur.  3.  cinamo  corr.  aus  cinomo  durch  unterpunctieren 
des  o  und  überschreiben  von  a  die  hs.  fragrant  V,  Wr., 
Haur.  4.  ex  st.  de  die  übrigen,  dora-mo  fälschlich  die  hs. 
67,  l.  iuvenum  st.  virginum  Wr.,  Haur.  domorcellar  fehler- 
haft V.    2.  singulorum   V,  Wr.;  ganz  abweichend  Splendentesque 


PHYLLIS  UND  FLORA  237 

Capiuntur  subito  corda  puellanim 
In  tanto  miraculo  rerura  novellarum. 

68.  Sistunt  equos  pariter  et  descendnnt,  pene 
Oblite  propositi  sono  cantilene; 

Sed  auditur  iterum  cantus  philomene, 
Et  statim  virginee  recalescunt  gene. 

69.  Circa  silve  medium  locus  est  occultus, 
Ubi  viget  maxime  suo  deo  cultus. 
Fauni,  nimpbe,  satiri,  coraitatus  multus, 
Timpanizant,  concinunl  ante  dei  vultus. 

70.  Portant  viua  manibus  et  Coronas  flornm. 
Bachus  nimphas  instruit  et  choros  faunorura; 
Pedum  servant  ordinem  et  instrumentorum. 
Sed  »S'illenus  titubat  nee  psallit  in  chorum. 

71.  Somno  surgit  senior  asino  proi'ectus 
Et  in  risus  copiam  solvit  dei  pectus. 

virgines  ut  ordo  stellarum  Haai:  68,  2.  oblito  fälscJilich  Wr. 
{corr.  Gr.,  Sehn.).  3.  interim  st.  iterum  V.  ?>.  sonus  sf. 
«antus  von  Wr.  abweichend  Gr.  4.  vene  st.  gene  alle  übrigen. 
69,2,  unsere  lesart  durch  Wr.  (/estützt  {nur  bei  ihn  statt  suo: 
suus),  ibi  viret  raaxiraus  {aus  varius  verbessert?)  suus  deo  cultus 
V:  ganz  abweichend  Hie  semper  ab  omnibus  est  Cupldo  cultus 
Haiir.  70,  1.  thyma  st.  vina  (so  auch  V)  Wr.,  Eaur.  2.  mt- 
passendes  imbuit  st.  instruxit  V.  3.  servant  pedum  ordines  Wr., 
dabei  ordinem  V,  Hanr.  4.  Sillenus  mit  V  eingesetzt  statt  des 
fehlerhaften  Scillenus  der  hs.:  das  übliche  Silenus  Wr.,  Harn: 
et  saht  st.  nee  psallit  Wr.,  nee  phallit  per  chorum  7.  71,  I .  Somno 
surgit  senior  asino  proiectus,  durch  V  gestützt  {das  nur  bei  asino 
statt  des  i  ein  durchstriche nes  d  aufweist),  bei  proiectus  ist 
unserem  Schreiber  ein  versehen  u)iterla^(fen.  wir  lesen  nämlich 
sinnloses  praenectus  oder  auch  pronectus,  da  das  p  sowol  die 
pro-schleife  wie  den  ytrae-strlch  führt,  das  n  ist  über  ein  durch 
■  unterpunctierung  getilgtes  u  geschrieben,  ich  möchte  annehmen, 
dass'  der  Schreiber  zuerst  praeuectus  geschrieben  hat  und  dieses 
in  proiectus  {wie  V  richtig  liest)  hat  verbessern  tvollen,  dass  er 
dabei  aber  den  pvae-strich  zu  tilgen  vergessen  und  statt  des  i 
versehentlich  ein  n  übergeschrieben  hat.  statt  unseres  Somno 
surgit  hat  Wr.  ein  offenbar  auf  verlesen  infolge  falscher  wort- 
abteilung  beruhendes  unsinniges  Sompnes  urget,  statt  proiectus  ein 
unglückliches  pervectus.  letzteres  hat  Gr.  schon  ni  provectus 
corrigiert;  mit  Sompnos,  das  er  für  Sompnes  angesetzt  wissen 
wül,  ist  jedoch  gleichfalls  nichts  anzufangen,  eine  wurkliche 
Verbesserung  bedeutet  Schnellers  von  Haun'au  aufgenommene  les- 
art Omnes  urget  senior  asino  provectus.  für  ursprünglich  und 
auch  am  svnngemäßesten  halte  Ich  jedoch  die  unser  ige.    als  vor- 


238  BÖMER 

Clamat  vina:  remanet  clainor  imperfectus, 
Viani  vocis  inpedit  viniini  et  senectus. 

72.  Intel-  hos  aspicitur  Citheree  natus: 
Vultus  est  sidereiis,  vertex  est  pennatns; 
Arcnra  leva  possidet  et  sagittas  latus: 
Satis  potest  conici  potens  et  elatus. 

73.  Sceptro  piier  nititur  floribus  perplexo; 
Stillat  odor  nectaris  de  capillo  pexo. 
Tres  assistunt  Gratie  dig-ito  connexo 

Et  Anioris  calicem  tenent  genu  flexo. 

74.  Appropinquant  virgines  et  adorant  tute 
Deum  venerabili  cinctum  iuventute, 
Gloriantur  numinis  in  tanta  virtute. 

Quas  deus  considerans  prevenit  salute. 


lagen  des  dicMers  dürften  die  verse  Ovid  Ars  amatorla  I,  543-  548 
(jedient  haben: 

Ebrius  ecce  senex:  pando  Siienus  asellu 
Vix  sedet  et  pressas  continet  arte  iiibas; 
545  Dum  sequitur  Baccbas  Bacchae  fugiuntqiie  petuntque, 
Quadrupedera  ferula  dum  malus  urget  eques, 

In  Caput  aurilo  cecidit  delapsus  asello: 

Clamarunt  Satyri  'surge  age..  surge,  pater!" 

die  fassung  hei  Sehn,  und  Haur.  knüpft  an  v.  545  an  (unter 
Verwertung  des  in  anderem  Zusammenhang  gehrauchten  urget  von 
V.  546),  die  unsrige  an  v.  547/548.  dafür,  dass  die  unsere  — 
hei  der  ührigens  die  auch  in  der  vagantenlitteratur  beliebte 
alliteration  'Somnu  surgit  senior'  wol  zu  beachten  ist  —  die 
echte  ist,  scheint  mir  zu  sprechen  1.  das  verderbte  'sorapnes 
urget'  bei  TFr.,  da  in  ihm  das  'somno  surget'  noch  deutlich  zu 
erkennen  ist,  während  das  'omnes  urget'  nichts  als  eine  gelungene 
conjectur  für  jene  worte  sein  dürfte,  mit  der  auch  das  'provectus' 
in  einklang  gebracht  worden  ist,  2.  der  Zusammenhang  mit  v.  2 
der  Strophe,  denn  die  'risus  copia'  des  Gottes  können  wir  uns 
durch  nichts  so  gut  ausgelöst  denken  als  durch  das  herabpurzeln 
Silens,  des  immer  trunkenen  alten  {zu  senior  vgl.  Ovid  Fast. 
I,  399)  von  seinem  esel.  3.  vina  wider  durch  V  {c.orr.  aus 
uiuo?)  gestützt,  io  Wr.,  Haur.  sonus  st.  clamor  Wr.  TZ.  1.  liaec 
6/.  hos  Wr.,  Haur.  citharee  wider  {wie  45,  4)  fehlerhaft  st. 
citheree  die  hs.;  auch  Wr.  hat  hier  dieses  Cythareae,  das  aber 
von  Gr.  schon  in  Cythereae  verbessert  ist.  4.  ndci  (?)  st.  conici  V. 
73,  4.  amoi.  fälschlich  V.  74,  I.  odorant  st.  adorant  {das  o 
auf   rasur)     V.      3.    gl[ori]antur     Wr.      nimium    .sf.    numinis    T'. 


PHYLLLS  UND  FLOKA  239 

75.  Causam   vie  postulat;  aperitur  causa. 
Hinc  laudatur  utraque  tantum  pondus  ausa. 
Ad  utrainque  loquitur:  'modo  parum  pansa. 
Donec  res  iudicio  reseretur  clausa  I" 

76.  Deus  erat;  virgines  norunt  deum  esse. 
Retractari  singula  non  fuit  necesse. 
Equos  suos  deserunt  et  quiescunt  fesse. 
Amor  suis  imperat.  iudicent  expresse. 

77.  Amor  habet  iudices.  Amor  habet  iura: 
Sunt  Amoris  iudices  usus  et  Katura. 
Ulis  tota  data  est  cnrie  censura, 
Quoniam  preterita  sciunt  et  futura. 

78.  Eunt  et  iusticie  ventilant  vigorem. 
Ventilatum  retrahunt  cuiie  rigorem: 
Secundura  scienciam  et  secundum  moreni 
Ad  amorem  clericum  dicunt  aptiorem. 

79.  Conörmavit  curia  dictionem  iuris 
^            Et  teneri  voluit  etiam  futuris. 

Parum  ergo  precavent  rebus  nocituris. 
<^ne  sequuntur  militem  vel  fatentur  pluris. 

75.  1.  Causa  vie  queritur  l'.  2.  Et  st.  Hinc  alle  übrigen. 
4.    referetur     Wr.     {Gr.     und    Sehn,    aber     besser     reserentur). 

76,  1.  deum  norunt  V.  2.  retractare  T',  Eetractandi  Haur. 
3.  decndüt  (soll  heifsen  descendunt)  st.  deserunt  )nif  störendem 
tw.  V.  77,  3.  Istis  r.  Wr.  7S,  1/2.  vigorera  und  rigorem 
vertauscht  V.  2.  ventilant  et  st.  ventilatum  T",  Wr.  4.  et 
-amorem  clerici  dicunt  meliorem  V.  79,  1.  Comprobavit  alle 
übrigen.  4.  qui  st.  que  Wr.  u-on  Gr.  eorr."}.  et  st.  vel  die 
übrigen. 

Münster  i.  W.  A.  Bömer. 


BUKGOXDEN, 

Behaghel  hat  vor  kurzem  (PBBeitr.  43,  150)  die  frage  auf- 
geworfen, 'ob  sich  schon  jemand  gewundert  habe  über  die  mangelnde 
Übereinstimmung  zwischen  dem  namen  Siegfrieds  und  denen  seiner 
eitern',  ein  sonderbarer  zweifei.  kann  denn  ein  lehrer  des  alt- 
deutschen, der  mit  seinen  schülern  oder  Studenten  den  eingang 
des  Nibelungenliedes  list  und  dabei  selbstverständlich  auf  die 
bildung  der  germanischen  personennamen  zu  sprechen  kommt, 
überhaupt  an  dem  Widerspruch  S'n-rii-Si(/crn/int  (SigelintJ  vor- 
bei? die  frage  kann  doch  nur  die  sein,  wie  diese  Verschieden- 
heit zu  deuten  und  ob  sie  etwa  sagengeschichtlich  zu  verwerten 
sei?  und  da  glaub  ich  für  Scherer  aus  guter  erinnerung  ver- 
sichern zu  können,  dass  er  das  paar  Sirrit-Su/emunt  im  sinne 
seiner  lehre  auffasste,  dass  vielgebrauchte  Wörter  sich  lautlich 
rascher  und  stärker  abschleifen  als  seltene,  wenn  jetzt  Eehaghel 
die  allgemeine  häufigkeit  von  'Siegfried'  i^immer  als  Sifridvs. 
Sivrit)  und  die  Seltenheit,  ja  in  manchen  landschaften  den 
gänzlichen  ausfall  von  'Siegnuind'  betont,  so  läuft  das  tatsäch- 
lich auf  dasselbe  hinaus,  das  Verhältnis  im  Nibl.  entspricht  dem 
bairisch-österreichischen  urkundenbefund,  wo  die  vielgebrauchten 
S'ifrif,  Slhoto  fast  immer  in  der  contrahierten  form  erscheinen, 
die  seltenen  Sigholt,  Sigmar,  Sigloch  den  guttural  bewaliren; 
Sighart  und  Siharf  schwanken  derart,  dass  sich  zum  letztern  sogar 
die  lateinische  form  Sgnts;  entwickeln  konnte  (GGA.  1914  s.  317); 
was  aber  den  namen  Sigemunt  (Sigismiind)  angeht,  so  ist  er  im  Süd- 
osten überhaupt  nicht  bodenständig,  sein  auftauchen  in  Bayern  und 
Österreich  im  laufe  des  1 5  jh.s  hängt  auch  nicht  mit  der  helden- 
sage  zusammen,  sondern  mit  dem  deutschen  kaiser  aus  luxem- 
burgischen hause  und  bald  durch  ihn  bald  direct  mit  der  aus- 
breitung  des  cultus  des  merovingischen  (burgundischen)  heiligen 
herzog  Sigismund,  dessen  legende  zb.  im  münster  von  Freising 
bildlich  dargestellt  ist.  anderseits  ist.  wie  man  schon  aus 
Behaghels  nachweisen  entnehmen  darf,  eine  beeinflussung  vom 
Rheine  hier  ausgeschlossen,  denn  der  dort  nicht  seltene  name 
'Siegmund'  erscheint  zb.  gerade  in  den  Urkunden  von  Worms  und 
Speyer  regelmäfsig  in  der  form  Symund  (SyniontJ,  und  ich  füge 
hinzu,  dass  mit  der  frühen  contraction  auch  die  beliebtheit  des 
namens  Simon  bei  einer  reihe  romanischer,  niederländischer  und 
westdeutscher  herrengeschlechter  zusammenhängt  (gegen  Kalbow 
Die  germ.  personennamen  des  afz.  heldenepos  s.  39). 

Auch  die  modernen  adressbücher  bestätigen  dies  insofern 
als  der  für  Bayern  zu  erwartende  familienname  *Seimund  weder 
in  München,  Wien,  Nürnberg  noch  überhaupt  vorkommt,  der  fn. 
Siemund  sehr  selten  ist  (die  meisten  belege  im  nordosten),  in 
den  Rheinlanden  also,  wo  aufser  Siemund  auch  Siegnmnd  so  gut 
wie   ganz   fehlt,    Siemon(.s)   seinen   hauptsitz   hat.     schon  in   den 


SCHRÖDER,  BURGONDEN  241 

Kölner  sclireinsbüchern  der  zeit  um  12(10  liiidet  sich  neben  61 
Sirrit  kein  Siinunt  oder  Sigemunt,  wol  aber  3'.)  Simon. 

Ubrig-ens  geht  die  Isolierung  des  namens  Sivrli  durch  unsere 
gesarate  nihd.  heldendichtung:  das  Nibelungenlied  hat  aufser 
einer  zweiten  Sigelint  (der  wasserfrau)  noch  den  Sir/estap.  die 
.Kudrun  neben  Slvrit  von  Morlant  den  Sigehcmt,  die  Klage 
und  der  Biterolf  aufser  den  eitern  Siegfrieds  noch  SlgeJu;r  und 
Sigestap,  der  Wolfdietrich  B  die  Sigwinne;  und  noch  in  den 
Rosengärten  A  und  D  kehrt  das  nebeneinander  von  Sirrit  und 
Sigesfap  wider;  nur  allein  der  Rosengarten  F  (V  19.  2'i)  weist 
die  foim  Sigerrit  in  der  Überlieferung  auf,  wo  sie  aber  mindestens 
an  der  zweiten  stelle  (Sigerrit  mit  den  sinen)  verdächtig  ist. 

Mit  mehr  Zuversicht  glaub  ich  die  Vermutung  aussprechen 
zu  dürfen,  dass  man  der  namensform,  unter  der  könige  und  land 
der  Burgunden  im  Nibelungenlied  erscheinen,  nicht  die  auf- 
merksamkeit  geschenkt  hat  die  sie  verdient  —  ich  selbst  bin 
erst  vor  nicht  langer  zeit  zu  der  fragestellung  gelangt  die  ich 
hier  vorlege. 

Der  tatbestand  ist  dieser,  die  handschriften  des  Nibelungen- 
liedes ^  überliefern  mit  einer  einhelligkeit  die  namensform  Biir- 
govfJen.  dass  jeder  zweifei  an  der  vom  dichter  gewollten  und 
einheitlich  durchgeführten  form  ausgeschlossen  ist.  eine  form 
mit"  e:  Bürgende'^  bietet  öfter  B:  531,  4  bringt  sie  Bartsch  im 
text,  442,  3.  562,  4.  740,  3.  829,  1  in  den  lesarten.  die  zu 
erwartende  Schreibung  mit  n  bietet  ziemlich  häufig  nur  d  (die 
handschrift  k.  Maximilians!):  Bi(rginideii  2,  I,  Burgundien  531,  4, 
Bnrgundier  562,  4  usw.,  vereinzelt  findet  sie  sich  auch  in  A 
(77  =  L.  78,  3.  1197  =  L.  1137,  1  Burgnnde.  1577  =  L.  1517,  1 
Burgunden),  in  B  (767,  2.  939,  4.  992,  1),  in  S  (5,  3)  und  andern 
liss.,  was  nicht  wunder  nehmen  kann. 

Ein  reimzeugnis  können  wir  im  Nibelungenlied  nicht  gut 
erwarten:  zu  den  wenigen  Wörtern  des  klingenden  versausgangs 
(typus  Uötm  :  gäoten)  gehört  unseres  nicht,  und  den  cäsurreimen 
steh  ich  zwar  nicht  so  skeptisch  wie  Zarncke  gegenüber,  halte 
aber  992,  1.  2  Burgonden  :  vercluvande  allerdings  für  einen  unbe 
dingten  zufallsreira,  wie  ich  anderseits  die  von  Bartsch  (Unter- 
suchungen s.  55)  aufgestellten  'cäsurassonanzen'  Burgonden  : 
landen.  2,  1.2,  :  schänden  232,  3.4,  .•  lande  1522,  1.2  ver- 
werfe-—  ganz  abgesehen  von  der  unpassenden  bezeiehnung  asso- 
nanz  für  diesen  möglichen  typus  des  archaischen  reinis.  einen 
oberdeutschen  reim  auf  -onde{n)  kann  es  ja  überhaupt  nicht 
geben,    also   käme    nur   -nnden)    überhaupt   in    frage,     ich    habe 

1  ich  eitlere,  schon  um  der  lesiirieii  willen,  nach  der  profsen  ausijjabe 
von  Bartseli. 

-   über  ihren   vermutlicLen   ursprnni.'  s.   unten. 


242  SCHRÖDER 

mir  die  mühe  nicht  verdriefsen  lassen  festzustellen,  dass  in  der 
cäsur  -v)t(l('.  38  mal,  -nnden  86  mal  vorkommt,  d.i.  1,3  o/o  aller 
cäsuren.  dem  entspricht  denn  auch  die  häutiglceit  des  cäsur- 
reims:  (jcsunden  :  vcrclnmnden  239,  1,  2,  verdiKunden  :  fanden 
1858,  3.  4,  geminden  :  wunden  195G,  1.  2  (vgl.  künden  :  wunden 
254,  2,  3).  nun  kommt  Burgo7ide  I  mal  (2215,  31),  Burgonden 
32  mal  (2,  1.  5,  3.  44,  3.  194,  1.  203,  1.  232,  3.  28S,  1. 
442,  3.  562,  4.  740,  3.  767,  2.  992,  1.  1110,  1.  1156.  1. 
1197,  1.  1208.  1.  1495,2.  1522,  1.  1569,  1.  1577,  1.  1686.  3. 
1713,  1.  1718,  1.  1732,  1.  1736,  4.  2010,  1,  2012,4.  2043.  3. 
2092,  1.  2122,  1.  218S,  1.  2371,  1)  in  der  cäsur  vor;  hätte 
der  dichter  Bargwulen  gesprochen,  so  war  hier  eine  besonders 
günstige  gelegeuheit  zum  cäsurreim  geboten  —  aber  der  eine 
fall  992,  1,  2  (obendrein  mit  überschiefsenden  -n)  spriclit  ganz 
gewis  nicht  für  die  absieht  und  kaum  für  die  möglichkeit  der 
reimbildung.  dass  in  der  tat  das  wort  Burgondr.n  aus  dem 
reime  ausgeschlosen  war,  werden  wir  feststellen,  wenn  wir  dich- 
tungen  mit  klingenden  reimen  befragen,  zunächst  sei  noch  con- 
statiert,  dass  auch  der  Verfasser  der  aventüren-überschriften,  der 
nicht  mit  dem  dichter  (oder  'redactor'j  des  Nibelungenliedes  identisch 
ist',  zweifellos  die  form  Burgonden  übernahm,  wie  die  Über- 
lieferung bei  av.  XXVIIf.  XXXII  bezeugt. 

Unter  den  werken  die  in  enger  litterarischer  beziehung  zum 
Nibelungenliede  stehn,  interessiert  uns  am  meisten  die  Klage 
hier  bot  sich  für  ein  reimwort  Burgunden  die  schönste  gelegen- 
heit:  21  mal  begegnet  der  reimtypus  -miden  und  dazu  noch 
14  mal  -unde.  allein  niemals  erscheint  darin  unser  wort,  der 
versausgang  auf  Burgonden  (man  erinnere  sich,  dass  das  wort 
in  der  cäsur  der  Nibelungen  33  mal  erscheint)  wird  deutlich 
gemieden,  um  so  häufiger  ist  Burgonde(n)  lant:  1S8.  288.  342. 
463.  734.  1172.  1414.  1786.  1840.  1S97  usw.  sieht  sich  der 
dichter  absolut  gedrängt,  den  volksnamen  in  den  reim  zu  bringen, 
so  braucht  er  Burgondcere  3300,  oder  er  greift  gar  einmal  zu 
Burgenden  1557  (.•  erwenden),  wo  dann  eine  der  jüngsten  hss.,  b, 
durch  Umstellung  ändert  {Burgunden  :  erwenden  künden). 

Ganz  ähnlich  steht  die  sache  im  Biterolf,  der  uns  ja 
bekanntlich  nur  durch  die  Ambraser  hs.  überliefert  ist:  wenn 
Jänicke  811  schreibt  ze  Burgonje  durch  daz  lant,  so  ist  das 
eine  ungerechtfertigte  concession  an  Hans  Ried,  der  zwischen 
Burgunden,  Burgundi,  Burgonic,  Burgundüandt,  Burgunilandt, 
Burgunielandt  wechselt;  im  allgemeinen  hat  der  herausgeber  gewis 
richtig  Burgonde{n)  lant  eingesetzt,      denn  auch   hier  wird   das 

'  hier  nur  im  vorübergehen  ein  hinweis:  in  dem  sehr  magern  Wort- 
schatz dieser  Überschriften  begegnet  dreimal  das  verbum  briaten  für  'heiraten' 
(av.  X.  XI.  XXII);  er  ist  dem  Nibelungenlied  und  überhaupt  der  bairisch- 
österreichischen  litteratur  fremd  und  scheint  auf  einen  alemannischen 
herausgeber  zu  weisen;  ähnlich  beurteil  ich  üereiten  (av.  XXXVI). 


BURGONDEN  243 

wort  im  versausgang:  gemieden,  der  volksname  erscheint  im  reim 
stets  a.\s  Burgondcere  (4703.  7743  12  321.  13  039i,  so  zahlreich 
die  möglichkeiten  wären,  ihn  auf  -unden  zu  binden! 

Die  fragraente  von  Walther  und  Hilde gund  (Zs.  2,  217. 
12,  281)  sind  zu  wenig  umfangreich,  um  das  verhalten  des 
dichters  festzustellen,  immerhin  lassen  die  beiden  fälle  I  str.  7 
Oiiz  Ortivines  lande  durch  Bm-fjonde  dem  und  II  str.  18  in  der 
Bürgende  lant  mit  leidlicher  Sicherheit  neben  der  o-schreibung 
auch  die  abneigung  erkennen,  das  wort  in  den  reim  zu  bringen; 
niiiglichkeit  zum  klingenden  reim  auf  -unden  war  hier  gegeben. 

Die  form  Bur<ionde{n)  ist  also  für  den  dichter  des 
Nibelungenliedes  und  den  litterarischen  kreis  der  zu  ihm  gehört, 
mit  gewisheit  ermittelt:  und  zwar  handelt  es  sich  nicht  um  eine 
schreibform  oder  gar  blofs  um  eine  graphische  Variante,  sondern 
um  eine  absolut  feste  sprachform,  neben  der  wol  Bim/endev, 
aber  gar  nicht  das  zu  erwartende  Burrjunde{n)  vorkommt,  dass 
man  das  bisher  nicht  mit  voller  klarheit  erkannt  hat,  ligt  offen- 
bar daran,  dass  sich  in  den  hss  des  Nibelungenliedes  auch  bereits 
die  formen  konde.  gonde,  begonde  für  künde,  gunde,  hegundc 
linden  und  so  auch  in  unsere  ausgaben  übergegangen  sind;  in 
der  cäsur  steht  beispielsweise  konde  1477,  4.  1692,  3;  gonde 
1696,  3;  begonde  665,  2.  hier  aber  ligt  ein  ganz  bestimmter, 
nicht  lautlicher  process  vor,  man  beachte,  dass  sich  in.  diesen 
hss.  kein  hont-Jionde,  mont-tnmide,  kein  stände,  woiule,  kein  ge- 
sunden, kein  gehonden,  gewonden  finden,  die  erscheinung  ist  viel- 
mehr auf  jene  drei  hilfsverben  beschränkt  und  steht  hier  unter 
dem  einfluss  von  molde,  lohte;  icolte,  solle;  dorfle,  forste,  es  ist 
also  formale  analogie,  und  aus  ihr  darf  die  möglichkeit  einer 
lautlichen  nebeniorm  Bnrgonden  neben  Bxrgunden  nicht  gefolgert 
werden,  mögen  immerhin  in  anderen  alemaunisclien  und  bairischen 
handschriften  Schreibungen  wie  hont,  geltonden  gelegentli'ih  vor- 
kommen, für  den  laut  gilt  das  germanische  gesetz,  dass  vor  nasal- 
gruppe  nur  u  und  nicht  o  seinen  platz  hat.  die  form  Ihirgonden 
kann  also  nur  aus  der  anderweitigen  geschichte  eben  dieses 
Wortes  erklärt  werden,  nicht  aus  irgendwelchen  erscheinungen 
des  vocalismus  auf  oberdeutschem  gebiete. 

Über  die  ältere  Schreibung  des  Burgundennamens  gibt  jetzt 
Schönfelds  Wb.  der  altgerra.  personen-  und  völkernamen  s.  55 — 58 
erschöpfende  auskunft,  so  dass  man  die  dort  verzeichnete  litteratur 
(zu  der  allenfalls  noch  Wackernagel  Kl.  sehr,  m  340.  380.  hin- 
zuzufügen wäre.)  nicht  heranzuholen  braucht.  es  stellt  sich 
heraus,  dass  das  o  in  der  zweiten  silbe  zwar  schon  in  der  übei-- 
lieferung  des  Plinius  auftaucht,  sonst  aber  selten  und  ganz  auf 
jüngere  hss.  beschränkt  ist.  weiterhin  hab  ich  in  den  Scriptores 
rerum  Merovingicarum.  tom.  I — VI  bei  über  hundert  be- 
legen die  o-form  nur  2  mal  im  text  und  2  mal  in  den  les- 
arten  gefunden:  I  86,  24   schreibt  der  herausgeber   des  Gregor 


244  SCHRÖDER 

V.  Tours  BtDyoridiove.s  (v.  1.  Bnrf/onione.s),  11  353,  10  hat  die 
Vita  Saiicti  Chlodovaldi  (ms.  saec.  XII!)  Burijoiulia;  V  287.  6 
laa.  bcKcj^net  Bunjondiae  in  einer  Jüngern  lis.  der  Passio  Leude- 
garii,  \  587,  7  laa.  in  einer  solclien  der  Vita  Filiberti,  in  diesen 
wenigen  fällen  handelt  es  sich  natürlich  um  französische  hss. 

Auf  deutschem  boden  sucht  man  die  form  Bur/jondia. 
Burgondii,  Biirf/ondiones  msw.  vergeblich:  mag  man  in  den  Monu- 
menta  (leimaniae  historica  und  anderwärts  den  Einhard  oder 
die  Annales  regni  Francorum;  Ekkehard  1.  Widukind  oder  Hrots- 
with;  Thietmar.  Wipo,  Adam,  Lambert,  den  Annalista  Saxo  oder 
Frutolf  von  Michelsberg;  Helmold  oder  Otto  von  Freising;  die 
Annales  Marbacensens,  die  Chronica  Regia  Coloniensis,  dasChronicon 
S.  Petri  Erfordense  nachschlagen,  überall  trifft  man  nur  die 
altberechtigte  und  obendrein  der  deutschen  spräche  allein  ge 
mäfse  form  mit  -und-. 

Die  deutschsprachliche  Überlieferung  des  Wortes  ist  bis  ins 
13  jb.  nicht  eben  reich,  bestätigt  aber,  wie  zu  erwarten,  den  Sach- 
verhalt, für  den  volksnamen  ist  einmal  die  ablautsform  Bnr- 
(jindori  überliefert  (Alid.  gll.  in  Gll,  32  Schlettst.) ',  im  übrigen 
bieten  die  glossen  (Graff  lu  20S)  nur  Burr/imfare  uä.  ins- 
besondere ist  dies  auch  die  form  des  nach  1100  und  wahrschein- 
lich in  Worms  oder  nicht  allzuweit  davon  entstandenen  Sum- 
marium  Heinrici  (Ahd.  gll.  iv.  131,  25 ff),  in  dessen  hss.  daneben  nur 
noch  die  eine  entstellende  ab  weichung  B/iiriitare  begegnet,  die 
Kaiserchronik  bietet  aufser  Purgundla  7341  Burgunden  15  735, 
wo  ich  aber  das  Btirgenden  der  Vorauer  hs.  vielleicht  hätte  be- 
lassen sollen,  und  schliefslich  Bargentriche  15  3S6,  das  die 
Überlieferung  sichert  und  auf  das  ich  gleich  zu  sprechen  komme, 
für  die  Sächsische  Weltchronik  genügt  es  auf  VVeilands  register 
zu  verweisen;  text  und  lesarten  ergeben  für  den  namen  des  landes 
nur  Burgunden,  Burgundia  (und  composita,  auf  die  ich  gleich 
komme),  dazu  jüngere  formen  (Purgani,  Purgonl,  Burgundi)  in 
der  bairischen  fortsetzung;  das  volk  heilst  Burguvdc.re  110,  21. 

112,  0.   129,  22,  wie  in  den  ahd.  glossen. 

Das  land  resp.  der  Staat  wurde  in  der  alten  spräche  durch 
ein  compositum  mit  -Imit  (Dudesch  Bnrgentlavt  Sachs.  Wehr. 
158,  31  ;  Furguntlant  Lohengr.  str.  488.  G59),  .häufiger  mit 
-rtche  bezeichnet:  Burguntrlchi  ist  bereits  für  das  ahd.  gesichert 
durch  Burgundia  regna  Hrotswith  Passio  S.  Gang.  21  und 
Thietmar  prol.  in  libr.  V  v.  5;  für  die  mhd.  zeit  führ  ich 
an:   Burgentriche{n)    Kehr.    15 386,     Burguntrikc    Sachs,    Wehr; 

113,  5,  Burguntriche  Konrad  Eng.  221  und  Burg('vtrich{e)  Roseng. 
D   8,    1.    18,   2.   41,   2.    5(1,   2^.    51,    1.    45  1,   2.    554,  2.    568.   2. 

'  hier  sei  immerhin  das  ags.  fU/i-r/endas  {1  large/idaland)  im  ags. 
Waldere  und  in  Aelfreds  Orosius  erwähnt. 

-  die  festigkeit  der  Verbindung  wird  hier  durch  dreimalige  widerkehr 
der  formal  gein  Bargentriche  erwiesen. 


BURGONDEN  245 

67*(,  3,  Bargmürkh  für  Burf/itiiden  setzt  aiidi  die  jüngste  be- 
arbeitung  der  Kuiserchrouik  iMafsmann  WIKZ)  15735  ein.  und 
ebenso  verfährt  die  hs.  L.  des  Nibelungenliedes  wideiholt  in  der 
cäsur:  1569,  1.  1577,  l,  resp.  deren  absclirift  g  16Sü,  3:  Bitr- 
gontriche.  man  beachte  dass  gerade  in  diesen  festen  compositis 
widerholt  die  form  mit  e  gut  und  ausdrücklich  bezeugt  ist :  Kehr., 
Sachs.  Wehr.,  Eoseng.  D;  es  ist  sehr  wol  möglich,  dass  die 
form  Bürgenden  sich  erst  aus  der  tonschwächung  der  niittelsilbe 
{Bürghuden,  aber  Bnrgeufrlche  resp.  -länt)  entwickelt  hat. 

Jedenfalls  haben  wir  auf  diesem  etwas  umständlichen  wege 
festgestellt,  dass  in  Deutschland  vor  dem  Nibelungenliede  und 
auch  nachher  aufserhalb  des  vom  Nibelungenliede  beherschten 
litterarischen  kreises  eine  form  Burgonden  nirgends  bezeugt  ist. 
lautliche  berechtigung  konnte  sie  in  Deutschland  allenfalls  am 
Niederrhein  und  selbstverständlich  in  den  Niederlanden  haben, 
aber  es  ist  klar,  dass  wenn  sie  von  dort  mündlich,  mit  der 
sagenform  eingeführt  wurde,  ihre  Umsetzung  durch  lautersatz  in 
Burganden  selbstverständlich  gewesen  wäre,  es  ligt  also  unbe- 
dingt eine  litterarische  Verpflanzung  des  namens  vor:  der  eigen- 
wille  eines  autors  hat  diese  für  jedes  oberdeutsche  ohr  fremd- 
artig klingende  form  in  unserem  liede  und  damit  in  einem  ganzen 
litteraturkreis  festwerden  lassen,  und  fremdartig  war  auch  die 
betonung,  denn  neben  vorwiegendem  Burgonden  wird  auch  Bur- 
gonden gebraucht:  in  dem  verstypus  üz  (in,  von)  Burgonden  länt 
264,  3.  567,  3.  b29,  1  usw.,  weiter  zm  (von)  Burgonden  ddn 
67,  1.  1474,  3;  der  Burgonden  viere  2044,  2;  der  k'ünic  von, 
Burgonden,  wo  ich  überall  die  schwere  betonung  ablehne,  mit 
der  liedertheorie  in  irgend  einer  form  verträgt  sich  die  er- 
scheinung  insofern  nicht,  als  eine  Vielheit  von  personen  an  dieser 
sprachlichen  schrulle  unmöglich  beteiligt  gewesen  sein  kann,  es 
steht  fest:  der  name  hatte  in  laut  und  betonung  etwas  exotisches! 

Neben  dem  uiederfränkischen  wäre  nun  ein  anderes  gebiet 
für  die  herkunft  der  namensform  zu  erwägen:  das  romanische, 
gewis  nicht  ohne  Zusammenhang  mit  jenem  niederfränkischen 
Übergang  u>  o  hat  sich  der  gleiche  im  benachbarten  ostfran- 
zösischen gebiete  vollzogen:  so  entstanden  aus  Faramundus  > 
Faramonz,  ms  Burgimdia  >  Bourgogne  (dazu  Bourgognoys;  Bour- 
gonogs,  neben  Bourguignon).  wenn  nun  auch  die  classische  form 
Burgundia,  Burgundlones  noch  weiterhin  von  den  lateinisch 
schreibenden  historikeru  beibehalten  w^urde,  wie  etwa  von  dem 
Burgunder  Rudolfus  Glaber  in  11,  von  dem  Wallonen  Sigebert 
von  Gembloux  im  12  jh.,  so  mehren  sich  doch  jetzt  in  den  hss. 
die  anzeichen  für  ein  eindringen  der  'vulgärform'  mit  o:  vgl. 
etwa  in  MGSS.  xxvi  522,  13  (Annalen  von  SMedardus  in  Soissons) 
Burgondie  oder  die  gleiche  Schreibung  in  den  laa.  306,  1  (Wil- 
helmus  Britto),  444,  18  (Weltchronik  von  Laon). 

So    könnte  die   form   Burgonden    so  wol    auf    die    nordwest- 


240  SCHRÖDER,  HURGONDEN 

deutschen  mundarten  wie  auch  auf  den  Sprachgebrauch  fran- 
zösischer historiker  zurückgeführt  werden,  dass  ich  beides  zur 
erwägung  stelle,  hat  seinen  grund  darin,  dass  ich  tatsächlich 
selbst  nicht  dazu  gelangt  bin  mich  zu  entscheiden,  nur  soviel 
fühl  ich  heraus  und  glaub  ich  wahrscheinlich  gemacht  zu  haben: 
es  ist  auf  jed^n  fall  eine  litteraiische  form,  ob  sie  nun  aus 
einem  andern  dialekt  des  deutschen  sprachgebit-ts  in  die  südost- 
,  deutsche  Nibelungendichtung  verpflanzt  oder  aus  der  gelehrten- 
sprache  der  französischen  geschichtsschreibung  bewust  über- 
nommen wurde. 

^Vichtiger  als  diese  frage  ist  aber  eine  andere,  die  sich 
sofort  anschliefst,  war  es  würklich  nur  die  namensform,  die 
damals,  im  12  oder  gar  erst  im  anfang  des  18  jh.s,  aufnähme 
fand?  handelte  es  sich  nicht  vielmehr  um  namen  und  begiiff 
des  Burgundenvolkes  überhaupt?  man  stelle  sich  einmal  vu-, 
dass  die  sage  und  ihre  ältei-en  litterarischeu  fassungeu  duich 
Jahrhunderte  hindurch  den  lUirgundennanien  in  der  etymologisch 
berechtigten  ^  und  lautlich  allein  möglichen  form  Burgunde{n)^ 
Burguiulcere  (und  daneben  allenfalls  Bürgenden,  Burgendcere)  be- 
wahrt hätten,  wäre  es  dann  wol  möglich  gewesen,  dass  ein 
einzeldichter  mit  der  eigensinnigen  einführung  der  form  Bur- 
gonden  nicht  nur  bei  den  zahlreichen  Schreibern  seines  wei'kt-s 
sich  fast  widerstandslos  durchsetzte,  sondern  auch,  wie  die  Klage 
und  der  Biterolf  zweifellos  bewiesen  haben,  in  der  angrenzenden 
litteratur  gewissenhafte  nachahraer  fand? 

Dass  der  'Nibelungensage'  der  Burgnndenname  zeitweise 
ebenso  verloren  oder  veiklungen  war,  w-ie  der  Dietrichsage 
dauernd  der  nanie  der  Goten,  der  Wolfdietrichsage  der  der 
Franken,  ist  eine  tatsache  die  sovvol  durch  die  Zeugnisse  des 
nordens  (wo  vinr  Borgunda  Akv.  19,  4  isoliert  steht)  wie 
durch  das  lied  vom  hörnen  Siegfried  hinreichend  festgestellt  wird. 
es  hat  unzweifelhaft  eine  historische  auffrischung  des  alten 
sagenstoffes  stattgefunden,  bei  der  auch  nanie  und  begriff  der 
Bnrgunden  neu  belebt  wurden,  diese  einführung  kann  allenfalls 
der  österreichischen  Nibelungendichtung  die  wir  besitzen  voraus- 
liegen: aber  keinesfalls  so  lange,  dass  sich  bereits  mit  ihr  der 
Biirgtnulen-x)s.men  verbreitet  hatte;  das  wahrscheinlichste  ist, 
dass  der  name  des  Volkes  erst  durch  eben  den  mann  wider  ein- 
geführt wurde,  der  dafür  alsbald  die  preciöse  form  Burgonden 
wählte:  denn  nur  so  vermag  ich  mir  den  erfolg  zu  erklären, 
den  er  mit  dieser  laune  erzielt  hat. 

Als  ich  vor  Jahresfrist  zum  ersten  mal  vor  der  form  Bi<r- 
gonden  stutzte,  hatte  ich  unwillkürlich  die  idee.  das  müsse  doch 
wol  mit  der  'Nibelungias'  zusammenhängen,  die  ich  bereits  (nicht 
ohne  kämpfe)  wider  bei  seite  gerückt  hatte,  dass  und  warum 
sich  mein  fündlein  als  stütze  für  Roethe^  these  nicht  brauchen 
lässt.  dürfte  aus  obigen  ausführungen   deutlich  hervorgehn. 

E.  S. 


24T 

ZUR  KRITIK  VON  HARTilANNS  BÜCHLEIN.  Zunächst 
mücht  ich  aus  dem  Wortschatz  Hartnianns  —  uud  mit  vorbehält 
aus  dem  mittelhochdeutschen  Wörterbuch  überhaupt  —  ein  äVfai' 
evgr;ix€vov  ausschalten:  'krützouhef  lci04.  die  stelle  ist  so 
zu  lesen: 
1  Diu  krüt  sind  dir  unerkant: 

also  sint  si  genant, 

milte  zuht  dierauot. 

ez  ist  kein  zouber  so  guot : 
1305.  swelich  saeliger  man 

diu  driu  krüt  tempern  kan 

darnach  als  in  gesetzet  ist, 

daz  ist  der  rehte  zouberlist. 
bei  ez  ist  kein  .  .  .  verfiel  der  sohreiber  unwillkürlich  auf  das 
eben  vorhergegangene  Icrfd  und  corrigierte  sich  dann  aus  der 
vorläge  mit  zouher,  unterliefs  aber,  wie  wir  das  so  oft  beob- 
achten, das  erste  wort  auszustreichen,  und  so  entstand  ein 
scheinbares  compositum  krützouber,  das  er  selbst  schwerlich 
beabsichtigt  hatte,  —  obendrein  ein  schlechter  vers. 

Für  die  verse  831  des  winters  meisterschaft  und  845  von 
des  ivinters  haut,  die  jeder  eine  hebung  zu  wenig  haben ',  hat 
Haupt  einen  besseiungsvorschlag  unterdiückt.  obwol  er  (zu  831) 
für  beide  das  fehlen  eines  beiwortes  feststellte:  er  wollte  also 
weder  entscheiden,  ob  das  adjectiv  bei  winter  oder  bei  )iieisier- 
schaft  resp.  ]iai(t  fehlte,  noch  gefiel  es  ihm,  ein  bequemes,  ge- 
läufiges wort  (wie  etwa  kalt,  herte,  swcere)  zu  empfelileu  oder 
gar  einzusetzen;  Bech  kannte  solche  bedenken  nicht  und  schrieb 
kurzweg  beidemal  des  swoeren  icinters.  nun  kann  es  sich  unmög- 
lich um  den  einfachen  'ausfall'  des  beiwortes  bandeln:  das  zwei- 
malige fehlen  kurz  hinter  einander  schliefst  den  zufall  aus  das 
adjectivum,  das  Hans  Ried  bewust  fortliefs,  war  offenbar  beide- 
mal das  gleiche,  uzw.  ein  solches  das  ihm  nicht  geläutig.  viel- 
leicht gar  fremd  war;  dies  könnte  zutreffen  für  das  uns  so 
bequeme  strenge,  ein  wort,  das  bei  Walther,  im  Nibelungen- 
lied und  in  der  Kudrun  ganz  fehlt  (gewis  auch  noch  bei 
anderen  ostbair.  und  Österreich,  dichtem,  die  ich  nicht  nach- 
prüfen konnte),  dem  wertschätz  Hartmanns  aber  angehört,  vgl. 
aHeinr.  597,  Greg.  3020.  ich  schlage  also  vor  zu  schreiben 
831  des  (strengen^  icinters  meisterschaft,  845  von  des  /strengen} 
winters  hant. 

Noch  an  einer  dritten  stelle  möcht  ich  das  gleiche  beivvort 
ergänzen.  1875  Froice,  ja  hat  dln  strit  sünde  an  mir  be- 
gangen (wo  sich  Bech  mit  der  bei  ihm  sehr  beliebten  ergänzung 
(der)  du  strlt  begnügt),   schlägt  Haupt  dln  (stceter)  str'd  voi-; 

'  auf  die  dreihebig  stumpfen  verse  Hartmanns  wird  man  sich  im 
vorliegenden  falle  wol  nicht  berufen  wollen. 


248    SCHRÖDER,  KRITIK  VON  HARTMANNS  BÜCHLEIN 

dhi  (strenger)  strit  dürfte  sich  mehr  empfehlen,  bes.  ii»  hinblick 
auf  Wig.  7487  f:  ouch  was  diu  frouvx  JaphUe  nilit  stremje 
nn  dem  strtte:  vgl.  auch  Böse  frau  164  f:  st  ivart  mir  nie  so 
strenge,  si  werde  mir  noch  strenger. 

297  ist  das  von  Haupt-Martin  und  Bech  (nach  Wackernagels 
Vorschlag)  durch  erzücket  verdrcängte  erkücket  der  hs.  schon  vom 
Mhd.  wb.  I  893''  in  seinem  rechte  geschützt  worden,  nur  wird 
man  statt  der  bair.-österr.  M-form  bei  dem  Alemannen  Hartmann 
eher  'erkicket  schreiben  müssen.  —  020  Zwierzinas  besserung 
harte  wol  für  vaste  wol  2s.  45,  356  kann  ich  damit  stützen, 
dass  HRied  auch  anderwärts  vielfach  harte  durch  vast  ersetzt: 
so  Nib.  (ed.  Bartsch)  85,  3.  643,  2.  772,  2  (vast  wol\)  1279,  4. 
1479,2.  1708,4,  —  1395  daz  s7  min  (swcerez)  leit  mit  also  ringem 
muote  treit  hat  Haupts  ergänzung  gewis  das  richtige,  von  ringe 
(vgl.  zb.  Greg.  38  ff.  2502  ff.  38 K»,  Iw.  4264)  geforderte  wort 
gefunden,  aber  der  vers  ddz  sl  min  swärez  leit  ist  sicher  noch 
nicht  in  Ordnung  (noch  weniger  freilich  Bechs  ddz  si  daz  min 
leit);  im  hinblick  darauf  dass  Ried  widerholt  für  herzeleit  ein- 
faches laid  einsetzt  (so  Iw.  1980,  Nib.  1796,  4),  hat  es  kein 
bedenken  zu  schreiben  daz  sl  min  (sivoirez  herze^leit^.  —  1471 
Lachmanns  gewaltsame  änderung  daz  ich  'wcetlirh'  werde  wert 
st.  von  leichtem  ist  schon  deshalb  unwahrscheinlich,  weil  Ried 
dem  iv(Btlicli{e)  seiner  vorlagen  sonst  niemals  aus  dem  wege 
geht,  sondern  es  zumeist  mit  icai/delich(en)  widergibt,  s.  Bartsch 
zu  Nib.  22,  4.  Bechs  Umstellung  da  von  ich  lihte  werde 
wert  trifft  hier  gewis  das  richtige.  —  168S  les  ich  statt 
Lachmanns  lücer  ich  (in}  ortende  {ormende  hs.),  dessen  deutung 
durch  Bech  ich  übrigens  nicht  versteh,  lieber  wcer  ich  (von) 
Oriente,  gemeint  ist  wie  209  f:  und  ob  ich  wcere  ein  heiden 
von  der  kristenheit  gescheiden.  —  1882  vil  bdz  gelangen  ist  ein 
für  Hartraann  unmöglicher  vers.  der  Iwein  hat  unter  63  be- 
legen für  baz  nur  ein  vil  bdz  (so  wcer  im  vil  bdz  geschehn 
6512)  und  ein  vil  diu  bdz  4395,  aber  zweimal  verre  baz  (683. 
887  f,  dazu  vil  verre  deste  baz  2622),  im  aHeinr.  begegnet 
€in  verre  baz  854;  aus  dem  Erec  hab  ich  mir  notiert  vil  bdz 
346.  nlht  vil  bdz  6593.  7161;  aus  dem  Gregor  nur  michel 
haz  2361  —  nirgends  ein  vil  bdz.  verre  baz  ist  auch  ander- 
wärts das  geläutige:  Walther  28,  36.  79.  24  (daneben  vil  bdz 
18,  7).  Nib.  685,   1   usw. 

*  ebenso   les   ich    auch  im  sog.  II  Büchlein  v.  141  für  aller  hande 
'.her;e)leit. 

E.  S. 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL. 

Über  die  {griechische  vorläge  der  gotischen  Bibel  hat  in  neuerer 
zeitFr.  Kauf f  mann  in  einer  reihe  von  aufsitzen  '  geliandelt.  dann 
hat  WStreitberg  im  j.  1908  seiner  schönen  ausgäbe  der  gotischen 
Bibel  einen  abdruck  des  vermutlich  von  Wulfila  übersetzten  textes 
nebst  kritischem  apparat  beigegeben,  an  dieser  reconstruetion  hat 
A Jülicher  nicht  unerhebliche  ausstellungen  gemacht-  und  da- 
durch widerum  F^r. Kauffmanns  lebhaften  Widerspruch^  gegen  seine 
kritik  wachgerufen,  das  problem  ist  bedeutsam  genug,  um  nicht 
liegen  gelassen  zu  werden,  und  der  folgende  versuch  soll  an  einem 
bestimmten  beispiel  zeigen,  in  welcher  riclitung  etwa  weiterzuarbeiten 
ist.  dazu  muss  freilich  zunächst  vom  grundsätzlichen  ausgegangen 
werden. 

Die  Sicherheit  der  reconstruetion  jeder  Übersetzungsvorlage  ist 
abhängig  von  unserer  kenntnis  der  textgeschichte  des  Originals, 
und  diese  ist  ihrerseits  gemeinhin  bedingt  durch  unser  wissen  um 
die  Schicksale  der  Übersetzungen,  das  gilt  für  alle  antiken  werke 
mit  weitverzweigter  Überlieferung  und  im  höchsten  mafse  für  die 
Bibel,  aber  dieser  circulus  vitiosus  hat  die  forschung  nicht  ab- 
g'eschreckt,  und  es  gilt  durch  herzhaftes  zupacken  und  methodische 
arbeit  die  fehlergrenzen  auf  ihr  geringstes  mafs  zu  reducieren: 
dass  sie  nie  restlos  zu  beseitigen  sind,  also  stets  ein  quantum 
Unsicherheit  übrig  bleiben  wird,  darf  freilich  nicht  vergessen 
werden. 

Streitberg  hat  v  S  o  d  e  n  s  arbeit  über  die  textforraen  des 
Neuen  Testaments  für  einen  in  methodischer  hinsieht  genügend 
sicheren  grund  angesehen,  um  darauf  seine  reconstruetion  aufzu- 
bauen, für  die  er  ferner  das  material  im  einzelnen  'l'ischendorfs 
Editio  octava  maior  sowie  Sabatiers  Sammlung  entnahm:  und 
dieses  vertrauen  auf  die  leistung  vSodens  ist  bis  zu  einem  ge- 
wissen grade  seinem  eigenen  werke  verhängnisvoll  gewurden,  denn 
unbeschadet  alier  bewunderung,  welche  das  Organisationstalent  und 

i  Zs.  f.  d.  phil.  30,  145  ff   31,  ITT  ff.  32,  314  ff.  35,  433  ff.  37,  352  ff. 

2  Zs.  f.  d.  alt.  52,  365  ff.     vgl.  53,  36"J  ff. 

3  Zs.  f.  d.  phU    43,  IIS  ff. 

Z.  F.  D.  A.  LVI.     N.  F.  XLIV.  17 


250  LIETZMANN 

der  fast  20  jähre  zäh  ausdauernde,  entsagungsvolle  fleifs  de& 
Berliner  gelehrten  verdient,  nuiss  gesagt  werden,  dass  sein  werk 
in  der  hauptsache  ein  fehlschlag  war^.  die  classenabteilung  ist 
verfehlt,  desgleiclien  die  methode  der  herstellung  des  urtextes,  und 
im  einzelnen  sind  die  angaben  von  beträchtlicher  unzuverlässig- 
keit.  als  bleibenden  gewinn  dürfen  wir  vor  allem  eine  genauere 
kennti)is  der  geschichte  des  byzantinischen  textes  buchen,  wir 
müssen  also  auch  für  die  gotische  Bibel  die  grundlage  in  gröfserena 
umfange  erst  selbst  legen,  als  es  nach  vSodens  arbeit  anfänglich 
nötig  scheinen  konnte,  und  als  ausgangspunct  dafür  —  wie  über- 
haupt für  die  neutestamentliche  textkritik  —  empfiehlt  sich  der 
text  der  paulinischen  briefe  um  ihrer  in  jeder  beziehung  ein- 
facheren Überlieferungsverhältnisse  willen,  nur  von  ihnen  soll  im 
folgenden  die  rede  sein. 

Seit  JJGriesbach  teilt  man  die  zeugen  des  neu testajn ent- 
lichen textes  in  drei  classen,  die  sich  auch  geographisch  ein- 
ordnen lassen:  eine  ägyptische,  byzantinische  und  occidentalische. 
die  Überlieferung  dieser  classen  ist  aber  keineswegs  gleichartig^ 
und  darauf  muss  sofort  hingewiesen  werden. 

Die  ägyptische  classe  ist  vertreten  durch  die  grofsen 
uncialbibeln  des  4  und  5  Jahrhunderts:  BAC  und  den  Sinaiticus^ 
den  ich  S  nenne  -.  dazu  treten  die  ägyptischen  Übersetzungen : 
die  bohairische  (==  bo),  zwar  handschriftlich  erst  seit  dem  12  jh. 
erhalten,  aber  mit  vorzüglicliem  alten  text,  und  die  eigenartige,^ 
durch  alte  handschriften  seit  dem  5  jh.  überlieferte  oberägyptische 
in  sahidischem  (=  sa)  dialekt.  vollständige  commentare  zu  den 
paulinischen  briefen  sind  uns  aus  Ägypten  im  original  nicht  er- 
halten, so  dass  wir  auf  bruchstücke  und  gelegentliche  citate  bei 
ägyptischen  vätern  —  insbesondere  Origenes,  Athanasius,  Didymus^ 
Kyrill  —  angewiesen  sind. 

Die  abendländische  classe  wird  durch  die  'Itala'  in  ihren 
mancherlei  Schattierungen  vertreten,  das  reiche  citatenmaterial  der 
lateinischen  väter  hat  Sabatier  in  seinem  bekannten  werk  ge- 
sammelt, welches  natürlich  jetzt  erheblicher  ergänzung  bedarf, 
commentare   zu   den   paulinischen  briefen  haben  um  380  der  sog. 

'  näheres  in  meinen  anzeigen  Zs.  f.  neutest.  wiss.  8,  45  ff.  15,  323  ff; 
s.  auch  RKnopf  GGA  1917,  385  ff. 

2  Streitberg  nennt  ihn  Sin,  Tischendorf  hat  ihn  leider  X  getauft. 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL  25,1 

Ambrosiaster  und  um  400  Pelagius  geliefert:  der  text  der  letzteren 
ligt  z.  Zt.  noch  unediert  in  Karlsruhe,  der  griecliische  text  dieser 
classe  ist  vornehmlich  durch  zwei  handschriften '  erlialten,  D  und  G; 
beide  sind  zweispnichig  —  griechisch- lateinisch  —  und  im  Abend- 
land von  Lateinern  geschrieben,  der  Claromontatius  D  entstammt 
dem  6  jh.,  der  Boernerianus  G  dem  9  Jahrhundert,  neben  diesen 
Codices,  welche  zugleich  die  einzigen  vollständigen  Italahss.  des 
Paulustextes  sind,  existieren  noch  kleinere  fragraente,  die  zumeist 
hier  aufser  betracht  bleiben  können,  darunter  jedoch  eine  lateinisch- 
gotische bilingue,  von  der  noch  die  rede  sein  wird,  durch 
citate  können  wir  diesen  abendländischen  text  bei  den  lateinischen 
Vätern  durch  das  4  und  3  jh.  bis  hinauf  zu  TertuUian  um  200 
sicher  verfolgen. 

Ganz  anders  ligt  die  sache  bei  der  dritten,  der  antiochenisch- 
byzantinischen  classe,  die  für  uns  von  grundlegender  bedeutung 
ist,  weil  ihr  die  gotische  Bibel  angehört:  diesen  typ  nennt  vSoden 
die  Koine  (=  K*).  die  ältesten  hss.  sind  KLP  aus  dem  9  jh., 
denen  sich  dann  die  ganze  fülle  der  jüngeren  Codices  bis  zum 
16  jh.  anschliefst.  in  der  auseinanderlegung  dieses  riesenhaften 
Stoffes  hat  vSoden  hervorragendes  geleistet,  aber  schliefslich  — 
ebenso  wie  sonst  —  den  entscheidenden  fehler  begangen,  die  ge- 
fundenen resultate  in  die  Vergangenheit  zu  prnjicieren,  ohne  die 
würklich  vorhandenen  zeugen  der  früheren  jahihunderte  voll  heran- 
zuziehen, vielmehr  werden  vätercifate  und  Übersetzungen  des  4 
und  5  jh  s  nach  den  mafsstäben  eingeschätzt,  die  aus  den  Codices 
des  byzantinischen  mittelalters  gewonnen  sind,  und  ihre  besonder- 
heiten  als  belanglose  abweichungen  weggeworfen,  das  hat  sich 
echwer  gerächt,  es  gilt  zunächst  einmal  die  tatsache  zu  würdigen, 
dass  wir  keine  handschrift  der  Koine  des  4  oder  5  jh.s  besitzen 
und  dass  unsere  handschriftliche  Überlieferung  erst  500  jähre  nach 
300  einsetzt:  das  will  bei  einem  so  beweglichen  text  wie  dem 
neutestaraentlichen  etwas  ganz  anderes  besagen  als  bei  einem 
normalen  litterarischen  werke,  lehrreich  sind  da  die  katholischen 
briefe:  die  bibeln,  welche  im  4  jh.  in  Syrien  und  Kleinasien  in 
gebrauch  w^aren,  enthielten  deren  nur  drei:  Jakobus,  i  Petrus, 
I  Johannes;  das  steht  durch  die  Peschito  und  die  vätercitate  fest, 
wir  besitzen  keine  einzige  bibelhandschrift,  die  nur  drei  katholische 

*  ihre  abschriften  E  und  F  bleiben  aufser  betracht. 

17* 


252  LIETZMANN 

briefe  enthielte:  überall  zeigt  sich  die  alexandrinisch-palästinensische 
siebenzahl,  mit  andern  worten:  es  ist  uns  keine  reine  Koinehs 
der  katholischen  briefe  erhalten,  das  mahnt  zur  vorsieht  auch  bei 
den  Paulusbriefen,  wer  den  antiochenisch-byzantinischen  text  in 
der  gestalt  des  4  und  5  Jahrhunderts  gewinnen  will,  darf  sich 
nicht  auf  die  jungen  handschriften  allein  verlassen,  sondern  muss. 
alle  älteren  zeugen  in  vollem  umfang  i)eranziv.hen.  nur  dann 
dürfen  wir  hoffen,  den  würklichen  tatbestand  in  seiner  ganzen 
raannigfaltigkeit  —  die  ja  im  vorliegenden  fall  sehr  wesentlich 
ist  —  soweit  zu  erfassen,  als  es  mit  der  trümmerhaften  Über- 
lieferung möglich  ist. 

Am  beispiel  des  Galaterbriefes  mag  das,  wenn  auch  in  be- 
schränktem mafse,  gezeigt  werden,  ich  lege  Nestles  text  zu  gründe, 
einmal,  weil  er  in  aller  bänden  ist,  sodann,  weil  er  im  wesent- 
lichen die  ägyptische  textform  widergibt,  von  der  sich  die  Keine 
gerade  sehr  charakteristisch  abhebt,  damit  sind  folgende  zeugen 
verglichen  ^ : 

KLP:  die  drei  ältesten  Codices  s.  IX  nach  Tischendorfs  aus- 
gäbe. 
Johannes  Chrysostomus  homilien  zu  Gal.  nach  Fields  aus- 
gäbe (Oxford  tS52):  doch  eitlere  ich  wie  üblich  nach  paginae 
Montfaucons,  die  Field  am  rande  gibt;  Giffords  arbeit  in  den 
Dissertationes  Halenses  XVI  l  habe  ich  zu  rate  gezogen, 
dabei  ist  zu  unterscheiden 

Chr      =  das   lemma,    dh.  die  erstmalige  anführung  des  er- 
klärten textes,  die  nicht  unbedingt  sicher  den  text  des 
Predigers     bringt;     gelegentlich     sind    diese    lemmata 
später    nachgetragen,    namentlich    gröfsere    stellen    am 
anfang  der  homilien. 
Clirys  =  der    iiu    Wortlaut     der    predigt    angeführte    bezw. 
widerholte   oder   erläuterte   text,   der   also   sicher   dem 
Johannes  zuzuschreiben  ist.    die  predigten  sind  zwischen 
3S8  und  398  in  Antiochia  gehalten. 
Theodoret  biscliof  von  Kyrrhos.  nordöstlich  von  Antiochia,  schrieb 
um  420   einen    in  vielen    hss.  überlieferten,    aber  noch   nicht 
zuverlässig   herausgegebenen   commentar   zu  den  paulinischen 
briefen.      ich    benutze    die    einstweilen    beste    ausgäbe    von 
Nösselt  t.  III 


*  ich  habe  jede  coUation  nur  einmal  gemacht  und  die  notate  bei  der 
eorrectur  nachgeprüft:  das  genü.te  für  meinen  zweck,  obwol  es  nicht 
ausschliefst,  dass  Varianten  übersehen  sind. 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHKN  RlBEf.  258 

Th        =  lemma  bei  Theodoret. 

Tlieo(lt=  sichere  iesart  des  commentars. 

pescli  =  die  Peaeliito,  die  in  der  syrischen  kirche  seit 
dem  f)  jh.  gebrauchte,  wahrscheinlich  um  420  von 
bischof  Kabbuia  von  Edessa  verfasste  Übersetzung,  sie 
ist  uns  in  hss.  seit  dem  5  jh.  vortrefflich  erhalten  und 
nur  wenig  durch  Varianten  getrübt,  Gwilliara  hat  19Ü1 
eine  kritische  ausgäbe  der  Evangelien  \  eröffentlicht; 
der  Apostolos  steht  noch  aus.  ich  benutze  die  aus- 
gäbe der  amerikanischen  bibelgesellschaft  (New  York 
1878),  deren  text  Gwilliam  in  den  Studia  biblica  et 
ecclesiastica  III  (1891)  551"  als  ein  gutes  beispiel  des 
ostsyrischen  typs  bezeichnet  hat.  Tischendorfs  notate, 
die  auf  der  lateinischen  Übersetzung  Schaafs  beruhen, 
geben  hier  wie  bei  andern  ver.sionen  keine  vofstellung 
von  der  würklichen  textform,  notiert  sind  zunächst 
ohne  reflexion  alle  abweichungen,  wofern  nicht  ein 
handgreiflicher  'Syriasmus'  vorlag. 

pal  =  die  sog.  palästinensische  überset;iung  in  nord- 
palästinensischem dialect,  welche  nach  Kurkitts  aus- 
fühningen  im  Journal  (»f  theological  studies  2,  174  ff 
in  der  Umgebung  von  Antiochia  im  H  jli.  entstanden 
sein  mag.  zum  Galaterbrief  sind  nicht  unerhebliche 
bruchstücke  in  hss.  des  8  jh.s  erhalten,  die  in  den 
Horae  Seraiticae  VIII  =  Codex  Climaci  rescriptus  von 
ASLewis  ediert  sind  (=  pal'):  ergänzungen  dazu 
finden  sich  vor  allem  im  VI  bände  der  Studia  Sinaitica 
(=  pal-):  pal'  umfasst  Gal  l  i—i?,.  3  20 — 4?. 
4  15 — 5  12.     0  24 — 6  12,    pal  2  3  24 — 4;   und  6  14— is. 

go  =  die  gotische  Übersetzung  ist  nnter  diesen  grofsen 
zeugen  der  Koine  der  älteste,  da  gegen  3r)0  ent- 
standen, und  nördlichste:  ihre  heiniat  ist  die  bul- 
garisch-rumänische üonaiigrenze  bei  Plewna.  sie  um- 
fasst in  sich  teilweise  ergänzenden  stücken  aus  zwei 
handschriften  A  und  B  (s.  weiter  unten)  den  Galater- 
brief    zum     gröfsten     teil:     es     fehlen     nur     1  s-10. 

3  6  b— 26. 

In   der  folgenden  Variantenliste  steht  vor  der  klammer  J  die 

^ägyptische)   Iesart   des   Kestleschen   textes:    wo   eine   der   grofsen 

ägyptischen   hss.  SABC   mit  der  Variante  des  Koinezeugen  geht, 

ist  das  bemerkt;  correctoren  (S*^  B*^  etc.)  sind  nicht  berücksichtigt. 

1,    l    dl    dvlf(j(b7iov]   Öl    fivl^QCÖ;iiov  Chrys  cf.   (iöij^^  ü'J4^' 

3    y^dgic]  äydnr^   pal 

;rai(j6c    t'nijjv   y.ul    y.vQiov    P  ChrJ    ;iuiuitQ  y.(ti  y.vqiov 
i)uGjv   BKL  Th   go  posoh   j)al,   um.   itulir   Chrys   GG2'^'' 


2n4  LIETZITANN 

1,  1    vjikQ  Clirys  üli3^   Cü5  *^  go]   yrfpi  SA  KLP  [pesch  pal| 
Tof    uLMvoc    jov    fviarwioc]    toü    ivtaxiöiog    ctlCJvoc 

KLP  Clnys  CG3'='i  G(;r>^    Th  go,    toü  alcjvog  tov- 

lov  pesch 
xai  vor  //aT^öc]  om.  pesch 

5  Töy  ft^wvwr]  om.  Chrys  6(35'^   666'*  go 

6  ort  oj?/wcl  yfcDc  pesch 

'  lueTUTi!/fo!}^f\  +  fr  rrü  vqj   i\uöiv  pal 
A'^ptrTror]  «"/foil  Theodt 

7  ä?J.o]  om.  pesch 

/.itTanrgfifi((i\   nfTCtrQhpui  K  avarof't/'ca  Clirj'S  06S  *  *"^ 
S    äAAd]  ow.  pesch,  die  etwa  y.ai  yag  eäv  widerj^ibi 

y.al   fdv    ii)ueic]    ymv  iyoj   Cbr,    aber   Chrys  671''  para- 

ph rasiert  t)^£tg 
€vayye).ilrjTiii    vfiiv    L    Chr   Th     evayyeXitsrai.    vfilv 

KP  " 
■jcaq^    0   £vayys?.ionfieita     i'uh'\    jcuq'    8    7rc(Q£).nßeTe 

Chr  (nacli  v.  9j  aber  Chrys  670*^   eäv  zig  vfiüg  €v- 

uyyflioi^rcct,  jcuf)     ö  tiuyys/.iocqietya  vuäg 
vßTv'^'\  om.  Th 
i)    7TQoeLQi]y.uiUv\  7rQO£iorf/.u  S  pesch 
Xeyiü]  ).Eyo!Xf-v  Th 
si  T/c]  ö(UiQ  pal 

10  si]  +  yuQ  KLP  Chrys  G?!'»*^  Th  pesch  pal 

11  ycig]  de  SA  KLP  Chr  (var.)  Th  pesch  pal:  om.  Chr 
dÖe)jfoi]  om.  P 

yard  dv!^Qn>/rov]  jcuq'   dvit^Q(h7T0v  pesch  pal 

12  ovöe  V  Chr  Th]  ovie  B  KL 

14  7ieQiaooteQiog\  praem.  v.ai  pesch  pal 

%(x)v    7TO.iqv/.G)v  i-iov    7rctoccö6oeiov]    jf^g  7caTQiy.rjg  (lov 
7ra()cidöoec()g  pesch  pal 

15  ök]  om.  pal 

evöö/.rjoev  pesch]  +  o  ^sög  SA  KLP  Chr  Th  pal 

18  €7ceiTu]  y.al  pesch  ?  aber  vgl.  v.  21 

TQice    irr]    P   Chr    pesch    pal]    eu]    rgia    B    KL    Chrys 

680^  Th 
Kr}(rüv]   netQOv  KLP  Chrys  677^6  67S^  Th 
e7rf'ßei.vu]  V7reueiva  P 

19  iiegov  de]  praem.  yal  pal 

20  loC  ^eoC]  y.vüiov  P 

21  xf^g  vor  l\ih/.iac\  om.  Chr  G79^,  nicht  Chrys  679 '^ 

22  öe]    yuQ  Chr,    'und   nicht   bekannt  waren    mir  von  gesicht 

die  gemeinden'  pesch 
Tüig  ev  XüLOioj]  om.  Chr 

23  fiiövov  de]  +  tovto  pesch,  öe  om.  go 

24  (ööta'^ov  fv  ifiol  KLP  dir  Th  pesch]  iv  i^iol  edöia'Zov 

'go  (DG  Latt) 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL  255 

5,    1    eiittxu]  +'  Ö£  Chr  var. 

Ttdliv  aveßrjv  KLP  Th]    avißr^v  yrdhv  go  (DG  aetli): 

7td/.iv  om.  Chr  pesch 
YMi  vor  Thov]  om.  pesch 

2  y.üi     dvedei^a     toTq     öo/.ovoiv    slvai    xi    /.at'     Idiav 

pesch 

3  d//.ä]  OHi.  pesch 

l    TraQSiod'/.TOvc]  otu.  pesch 

tva     7^/täe    Y.aTadov'/.vjoovan']     om.    Chr    (nicht    Chrvs 

6S2'"i) 

y.aradov/MOovGiv  P?]    x«T«(5oi'/a)(Jwvra«    KL  Th  goV 

6  jTOTfi]  o?H.  pesch  V 

d  ,^£dc?  P  Chr]  &söq  BC  KL  Th  [go] 

irqöoiOTtov    d^sög    dvl/gcörrov    KLP    Th]     7cgöai07Cov 

dvO^QCOTtov  6  ^£Ög  Chr  683*^   ^sdg  ydo  TTgöotOTCOv 

dvd^Qcb/rov    pesch    ^eÖQ   dv^Qcbicov  /rgöotovcov   go 

(DG  La«,  aber  auch   •?'  46j 
ydg]    om.    Chr    6S3  '^.    aber    es    steht    im    volleren    citat 

684^ 
oL  öoxovvTSc]  oSroi  pesch 

7  iöövT£c]  siööreg  CP 

y.cid^d)g    rieToog    Ti]g    :r6QiT0uf^g]    om.  K,    'wie  betraut 
wurde  Kephas  mit  der  beschneidung'  pesch 

8  .   nSTQO)]    TliTQOV    L 

elg  rd  eD-viq\  elg  drtooro/.Tjv  tcüv  eO-vCJv  pesch 

9  ydgn']  +  Tov  Xqlotov  Chr  var.  Chrys   (+  tov  v.vqiov 

und  +  TOV  S^eov  Chr  var.) 
'Idy.toßoQ  y.ai  Kr^cfäg  y.al  hodvrjg  KLP  Chr  Th  pesch] 

nergog    y.cei    'Idy.coßog    y.al    'hodvr^c     Chrys    651)'' 

(685''  var.  Krjfpäg)  go 
y.oivcoviac^  stellt  hinter  dsüdg  pesch 

10  d\  om:  pesch  ? 
jcttfj  om.  go 

11  Kr^fpäg  P]  nixQog  KL  Chr  go 

drt  y.aTsyvcoouevog  f^v\  'denn  sie  wurden  geärgert  durch 
ihn'  pesch 

12  ovvrjGd-uv]  rja&uv  go  ?  pesch  V 
«ai^rdv]  stellt  nach  vriEarsllev  pesch 

13  yMi  Gwvrrey.Q.  a.  z.  oi  /.  'lovöcüoi]  om.  Chr,  aber  Chrys 

689^  kennt  die  worte 
avvvrtey.QL^r]oav]  avvv7r€vdyrj(Jccv  pesch? 
wäre  y.ai  Bagvdßu  avva^rax^fivai  P 
y.ai^-^  vor  loLTtoi  und  vor  Bagvdßag]  om.  go 
avTÖiv    rfj    vno/.QiOEi]     xfj    vrtoy.qlOEi    avTÖiv     P    go 

(DG  'Latt) 
14    TTQÖg  rr^v  dh]i>&iuv\  iv  rf]   dXr^i^sin  pesch 
Kr](fa]  nerQO)  KLP  Chr  go 


25«  LIETZMANN 

2,   14    y.ui    Ol/.    {'oidccr/.öJc   L'vjc    P]    Lfjc   y.ai    oüyt    iovdctiy.iöc 
KL  Chrys  G8S^   GSD^b  (öiiy.)  pescli  g<) 

./tjc  1'  pesch  go]  t/  kl  Chrys  «88^  tiS'J^  Tli 
15    y fiele]  +  7ä(>  go  (arm),  ei  yäQ  i)uerg  pesch 

tf'vaei]  om.  go 

Voi'()«rof]  H-  uvrec  go  pesch  (?) 
Ifi    de  L  go]  0///.  KP  Chr  Th  pesch 

dixccioCicti]    ör/MU')!fr<UTUi   Chr   690^    (nach    dem   fol- 
genden), nicht  GDü'^ 

*o)']  et  Chr 

XqlöxoC    JtjooC]     Ir^ooi    Xqujiov    SC    KLP    Chr   Th 
pesch  go 

\Qiai6v   li^aovv\    'J}]Oovv  Xqiotöv  B  pesch,    Xqioxöy 
Chr 

öixc(iv)D^GJuev\  stellt  hinter  XqloxoD  '\\\  pesch 

tva  bis  oäQi\  om.  Chr 

A'pmrot; '-]  +  'Ir/Ooü  go,  praetit.  'Irjoov  K 

ÖTt^  öiÖTi  C  KLP  Th 

f5   ^Q-j'iov   röfiov    Ol)    diy.unoOi'jOeiai    P    pesch  ?]    ov 
öiyMtioi}i]aercii  ei  eoyiov  vöfiou  KL  Th  go 

17  Xqiotöc]  praem.  'lr](Tovg  pesch 

18  «  v.ccxeXvaa,  TctvTu\  ö  /..  tovto  go 
Tuvta  7iä/,iv\  7c<ikiv  ravtu  pesch 
7CC(QaßÜTrjv]  +  rf^g  ivTo).i]Q  pesch 

ovvioidvio  P]  GvviarrjUt  KL  Chr  Th  [  stellt  vor  ifiav- 
TÖv  pesch 
10    Iva]  +  yäg  Chr  zuerst,  danach  aber  nicht:   er  verbindet 
jedoch  iva  -D^ecö  Lrovy  mit  dem  folgenden. 

20  de*]  ovv  go  'und  nun'  pescli 
iruQCcdövTOc]  öövtog  Chr 

21  üoa\  om.  pesch,  +  /.ul  go 

8,   1    eßdo/Mvev  Chrys  peschj  +  tTj  d?,r]0^£i^  fxrj  neiOeoi}ctt 
C  KLP  Th  go 
ioTUVQiouevog    pesch]     praem.    iv    vfxiv     KLP    Chrys 
694^   605 e  Th  go 
3    evagtäfievoL  bis  eniTeUlaDe]  om.  K 
(1    /.ut/üjc]  +  y.cd  go  (Matlh,  d) 

7  dpa]  /ä(>  P 

utot  eloiv  Chr  Th]  ftffJv  i^iot  K(L)P 

8  de]  7a(>  Chrys  698^'*  pesch?  ]  'weil  nämlich  vorher  wüste 

Gott,    dass  durch    den    glauben    gerecht    werden   die 
beiden,   verkündete  er  vorlier  dem  Abraham,  wie  sagt 
die  heilige  schritt'  peach 
evev'/.oyriO^raovrai    ev    ooi\     ev    (Joi    evXoyi]i}i^00vxuL 
Chrys  tJ9S  «^   (^99^ 

9  arj'l  ev  pesch 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL  257 

3.  10  yi.yQaTr.Tai  yüq  ort  e7tLv.aTäQaT0Q\  eTtiyMzdpaTog  yäo 
dir  699  b  ^  .  " 

6ti\  om.  KL  Th 

7cäg  ög  ovv.  ififiivEi  jcäaiv  roig  yfyga^^ivoig  ev  toi 
ßißlioj  Tov  vö/j,ov  {rov  noif^oai  avTd)\  iiäg  6 
lii]  7coiG}v  7cävTa  rä  yeygafifteva  ev  ito  vöuia 
rövTOi  pesch 

7täoiv\  praem.  iv  AC  KLP  Clir  Th 

vöiiov]  +  TOVTOv  Chr 

11  jraQa  rcL  ^so]  om  Chr.:  jcavil  jcov  Chr  nur  scheinbar 

vgl.  Gifford. 
Sti-\  +  yeygajcrai  pesch 
ÖTt  6  cf.  Chrys  699^]    6  de  Chr  (599  <^,    aber   er   citiert 

Habakuk 

12  üVTä  P  Chr  699 'i]   +  äv^ouycog  KL  Th:  tu  yeyqau- 

fxeva  ev  avxvj  pesch 

13  XQiOTÖg  r^fxäg]  fjuäg  öe  Xgcorög  pesch 

ort  yeyQaTTtai]  yeyQa7ixai  yäg  S  KL?  Chr  Th  pesch 

14  'Irjoov  Xqloto)   pesch]     XotaTiü  'lt]Oov   AC  KLP  Th  : 

Tcj  XoiGTiü  Clir  700*^^? 
j        Idßiüfiev]  J.üßcjOL  Chr 

15  öntog]   ÖTi  pesch 

•Aey.vQioiieviiv\  7tQ0'/.eycvQCJfi£V7]v  Chrys  700*^  701'^  (var.) 
IG    ös]  om.  Chr 

rfTreouaoiv]  +  avrov  Chr  :  +  aov  pesch 

«ZA'    u)g    ecp'    ivög    y.al    tv)    Orregiiari   aov]    d)j.a.  t(.[ 
oiteoßari  gov  ojc  ecp'  ivög  pesch 
17    i^eov  P]  +  eLg  Xqioiöv  KL  Chr  Th  pesch 

TSTQa/.öaia  y.al  rgidy.ovra  e'ii]  P  Chr  pescli]  i'tr] 
TETQay.oöia  y.al  jQidy.ovra  KL  Th 

oty.   dy.vQOL\    'vermag  nicht  aufser  kraft  zu  setzen"  pesch 

stg  t6]  y.al  pesch 
IS    ydg]  ÖS  pesch 

19  xQv  7raQaßd(J£iov]  Tf]g  Tragaßdoecog  pesch 
.rQoaerei/r^]  edöOr]  Chrys  702 ^9 

axQig  rh']  äygig  oi  Chr  Th 
öucTayetg]  add.  6  vöuog  pescli 

20  evög]  elg  pal 

21  SV  vÖ!.i(p  UV  tfv   B    €/.  vöfxov  dv  r]»'   AC    ix  vöuov  t^v 

UV  S]  dv  SA  vduov  ■fjv  KLP  Chr  Tlieodt 

22  Ttt]  om.  K 

'irjGov  Xqiotov]  ev  Xqioto)  'Ii]Oov  L 
2a    V7cd  vöuov  icfQOvooviisO-a   ovyy/.eiö/.ievoi]    V7cd  vöuov 
ovyy.sy.lsioiisüa   (fgougovßsvoi-  pal  :   'war  das   ge- 
.:  setz   uns  behütend,   in  dem  wir  eingeschlossen  waren" 

pesch 


258  LIETZMANN 

3,  23    ovy/./.tiöfisvot-  P]   avyy.fy.Xtiai.ievoi  G  KL  Cliiys  703*^    VW 

d:jioy.ci?.v(fy'h'jVat\  -|-  etg  fjuäg  Chr  pal 
24    i^/tiüv]   i)uTv  pesch  pal 

X()iaiöv\  praem.   '/r](Tovv  pal 
2.")    ovxfTi]  oi'x  pesch  [nicht  pal!| 

f(Tfi£v\  eOTe  Clirys  704",   nicht  10:^"^ 

26  öiä    ri]Q    7naTfLi)Q\    Ölo.    /lioieioQ   rfjg    Chr   7(»4'':   J/d 

7riaT£U)Q  V 
'    h  X()iarq)  'It](Tov]  om.  P :  iv  'IrjGov  Xgcaro)  pesch  paf 

27  yäg]  öe  pal  '  :  om.  pal  2 

28  -/Ml]  7]  Chr  704  b  go  ? 

sie]  tv  go  Chr  var.  (DG  Latt,  Basilius  Ps.  Theodoret) 
XgtrfTO)    !t]GoC\  'Irjcrov  XgcOKo  pesch  pal 
20    ei  df-]  'und  wenn'  pesch 

X(}i<JioC]    rov   Xqigtoü   Chr  704'^:    ev   Xgcarij)    pal  ^ 

(nicht  pal  ') 
a7reQfia\  ojceQixuroQ  B  pal 
y.at'  pal]  y.ül  y.ar'  KLP  Chr  Th  pesch  go 
i7tayy£)dav\  inayys).iaQ  (plural)  go 

4,    l    öh]  om.  pal  -  (nicht  pai  ') 

2  ioiiv    ycci    o(y.ovöfiovQ]     y.ctl    oly.ovö[xovg    eaziv    Chr 

704  d 
TTüTQÖc]  +  cdrov  pesch  pal 

3  ött\  +  }'ä^  pal 
fi^isO^a]  i^usv  ABC  KLP 
ÖeÖov)mli£voi\  om.  Chrys  704^ 

4  ytv6^£vov\    yf.vvufj.erov  (K)  Tli   (var.)   aber  nur  an   der 

ersten  stelle 

5  e^ayoQcior]]  (S.ccyoQtt.oiqTaL  Chr  705^   (var.) 
Iva  ^]  y.cci  pesch  ? 

6  vloi\    +    (heov     go     (DG    Latt,     aber    auch    Ps. Justin 

expos.  5  var.) 
flfidv  P]  vftöiv  KL  Th  pesch  go 
narriQ^  +  t^umv  pesch  pal 

7  ^r  öovkog   dk?.ä   viög'  sl  de  vldg]    ioie  dov?.oi  dlXä 

viel  xal  et  vloi  pesch :  dü.ä  vlög  om.  go 

Ölo.    i)^eov]     öid    Xqioxov  pal:    ^eov    öid    Xqlgtov 

KLP  (Chr  var.)   Th  go :  O^eov  öid  'It]Gov  Xqlgtov 
pesch :    fuv    -^eov ,     GvyyJ.rjQOvöuog     öe    Xqigtov 

Chr  var;   andere  zeugen  von  Chr  lassen  v.  6.  7  aus 
(so  F'ields  text) 

8  aAAdJ  o/H.  pesch 

TÖte  i.i€v\  +  ydg  pesch  ? 
iöov/.evGars]  stellt  hinter  O^eoig  go  (DG  Latt) 
ffVGet  fiTj  P  pesch  go]  ^7}  (fvGSL  K?L  Chrys  705"  Th 
■*J    vvv  öl]  +  iöoi)  go? 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL  259 

,  !)    S^eov]  praciit.  tov  K 
7cG)c\  om.  pesch 

i/tLOTQecpere]  iTreoTgeipaa^e  pesch  go 
e7tLGTQe(pST£  /rä'/.iv]  vcdhv  h[EGTQEil>aai}e  pesch 
näXiv  ävcjd^ev]  nur  ein  wort  pesch  vgl.  v.  19 
öovlEvoai  SB]  dovlevsi%'  AC  KLP  Chr  Th 

{^HbTs]    €^€?.£r£    Th 

10    f^nsQag]  +  ydg  K 
yMi  yxcigovg]  om.  P 

12  yhsffO^s]  praem.  dXh\  go 
viielc]  +  EL^i  pesch 

13  de]  0«?.  go  (DGLatt):  yaQ  pesch 
da^ixdc]  +  iiov  Chrys  706^,  nicht   707^ 
TÖ  TTQÖTEQOv]  oni.  Chrys  70G^    707^ 

14  nELQuOf.iöv    vßüv]     jcEiQctGßöv    fiov   TOV    KLP   Chrys 

706^   707 '^  Th  :   7reioc(Gßdv  tov  C  pesch  go 
eiemvouTt]  öiETTTVGars  Chrys  707^ 
(hg,  Xgiordv  'It]GoCv]  om.  Chrys  707 ''^^ 
XgiGTÖv  'Ir]Oovv]  'Ir^Govv  XgiGTov  pescli 

15  7C0V  P  peschj  zig  KL  Chr  Th  go 
odv  LP]  +  fjv  K  Chr  707  ^'  Th  go 
Toiig  öcfOal/iiovg]  xöv  oifO^uXiiöv  pal 
e^(hy.aT.E\  praem.  äv  KLP  Chr  Th 

16  ÜGte]    'etwa'  pesch   (pal   giebt   ÜGzt  wieder):   'aber  nun 

wie'  go 
d)^rjd^€vcov\    'indem    ich    euch    die    Wahrheit    verkündete' 
pesch 

17  ■0-£?.ovGiv]  ^elovTeg  P 

18  de]  +  eoviv  pesch  go 
Cr^lovoO^ai]  praem.  rö  KLP  Chr  Th 

19  %£yvü\  TV/.via  AC  KLP  Chrys  708^  Th  go 
^BtgLg\  äxgig  AC  KLP  Chrys  708 ^  Th 

XgLGTÖg  iv   v/.iiv]    iv  i\uiv  XgiGTÖg  pesch,    aber  un- 
sicher 

20  de]  om.  Chr :  ydg  pesch 

21  leysre]  +  ydg  Chr 

rdv  vöfiov]  TOV  vö/^iov  Th 

dyovsTs]    dvayivcbGy.ers  pal   (arm)    dveyvcojE    glosse  in 

22  viovg  ioxsv]  EGyßv  vlovg  go 

23  fxev]  om.  B  pesch  pal 

did    rryc    e7iayy£llag]    y.ar'    EicayyE'k'ucv    Chrys    709  "^ 
TlOi':  dl    E7TuyyEUag  SAC  (go?) 

24  ÜTivd  EGTiv  d?J.r]yogov^Evu]  07n.  pesch 

atrai  ydg   Eiaiv    ovo  öuc^rjyMi]    aitcu  ydg  (oder  de) 

etOLV  dlXvyogiuL  Ovo  diaO-rjyöiv  pesch 
Övo\  praem.  al  Chr,  nicht  Chrys  7  10'^ 


2ti0  LIETZMÄNN 

4,  24    fiiv]  Olli,  pesch  pal 

yevvöjaa]   ytvvrjüüaa  pal 

25  %ö  öl  "AyctQ  ^ivä  ö'qoc   pal]    ro  yäg  "AyuQ  Hivä  oqoq 

KLP   Clir   Th    pesch:    tö   2:ivd    ö'gog    go    (xo    ydg 

2:iv(2  ögoQ  SC  sah  Orig  GLalt) 
ÖE  ^]   (»n  go,  der  vielleicht  avaror/ovv  wiedergiebt 
ycLQ    P    Chrys    110'^]     ök    KL    Chr    var.    Th    go  :     om. 

pesch  pal 

26  i^jUcDi'  Chr  pesch  go]  vcärrtov  fj^iöv  A  KLP  Th  pal 

27  «t5fyrpot'i//;rf]  +  }'«(>  {cp)jGi)  Chr 
^]  -f  7«^  pal 

28  vfiüc  .  .  .  eaj^.  palj  ////«Tc  .  ■  .  eofiiv  SAG  KLP  Chrys 

711  b"^  Theodt  pesch  go 

29  ä//']  y.cd  pesch 

30  ey.ßüXe  trjv   7raidioy.r]v  y.a)   röv  viöv  avifjg\     i'xßa?.e 

TÖv  viöv  trjg  rrcuöiG/.rjg  Chrys  711'** 
yhrjQovoßi)nsi  P  Chr]  yXriQovüj.u)ni^  AC  KL  Th 

31  ölö  pesch?]    öiö  ydg   pal:   ägu  KL  Chr:   dga  o^v  Th- 

go :  r]fisig  ös  AG  P 

5,  1  T^  ilsvO^sgia  rjuäg  XgiorÖQ  '^lev&egioGev  P  pal]  ifj 
€k€v!/£gic(  ovv  i)  XgiGTÖc  il)f.iäc  i^XtvÜegioaev  KL, 
ebenso  aber  ohne  ovv  Th :  fj  f'/.svl^fgia  fifiäg 
XgiöTÖQ  rjlsv^egtooev  pesch  go  (dG  Latt) :  rfj  ydg 
ikev^egla  /}  XgicfTÖc  vuäg  eti]y6gc((Jsv  Chr  712*^ 
der  vtiüg  gleich  danach  wiederholt  und  eirjögaasv 
bestätigt 
ati^xsTS  otv  P  pesch  pal  go]  ort'iy.eis  KL  Chr  Tii 
Kvycp  dov'Aelac]  öov'kEiag  Cvycp  go  (DG  Latt)  [pescb 
nicht  bestimmbar] 

3  7cäkLv]   om.  Chr  pal  go 

TtoirjGai]    nlr^gcjoac  Chrys  713  <=   714^  Theodt  (obwohl 
das  lemma  morr^oai  hat)  pesch 

4  Xgioiov  P]  Tov  XgioroC  KL  Chr  Ih 
oiiivsc]  öaoi  ydg  Chrys  697 '^ 

rfjg  xf^QiT^og]  pracm.  y.ul  pesch 

5  ydg\  de  go 

jT.vtv(xarL  iy.  ?f/(Jr£wc]  öid  TtLöjeiog  iv  jirsv/xari  Chr 

6  ia^vet]  eaziv  Chr  var.  pesch 
XgtOKÖ  'lr]aov]   Ir^ooö  Xgiorcö  pal 
iv£gyovf.iev7j]  Te?^eiovu€vr]  pesch 

7  d/aji^sia]  praem.  rfj  KL  Th 
ährjO^tia  ^ifj  7reii}eaiyuL\   om.  Chr 

S    jcaiaixdvi)]  +  v^iibv  pesch  pal  (Latt) 
j       9    ^xz^fi]  +  ydg  L 

Lü/ioT]    (JoAoi  go  (DLatt,   aber  auch  Marcion  und    Const 
apost.  II   17,  4) 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL  261 

5,   lii    iyö)]  +  d«  C  P  pal 

y.uQUo\      so     auch     Chrys    715  <^     obwohl     das     lemma 

XoiCiTo)  hat 
y.QLiiu]  +  v^iCjv  pal 

11  ert  i]  ow.  go  (DG  Latt) 
zi  iii\  eig  tL  pesch 

,  ciQu]  fasst  als  fragepartikel  pesch 

12  d(.ce/.ov]  4-  de  pesch 

13  j'ßßj  ö'e  Chr  pesch 

ddfAf/^of]  stellt  vor  eyr'  ihvO^egia  Chr 

;U))     TTjV     €/.£v^e(jutv]     (.nq     eir.     fj     e'/.evO^eoia     vuQv 

pesch  ? 
T^    GUQv.i]     Tic    octQv.ög   go    (D  Latt)  |  +  jvoutie    go 

(+  öcors  Latt) 
dAÄd]  o»2..  Chr 
dyd/ftjc]  +  TOJJ  7TV6VUCCTOQ  go  (DG  Latt) 

14  ro/iocj  Xöyoc  KL  |  +  fv  üuFv  go  (DG  Latt) 
7r€7r?.i]gtoTai]   vr/.i^govTai  KLP  Chrys  7i9^  Th  pesch  go 
OiccvTÖv  K  Th]  iaviöv  LP  Chr 

16  i7Ci^vfj,iciv]  € /r i ^v fx i ug  Th  {va.r.)  vielleicht  bestätigt  durch 

Theodt  jiüi/TjiinTiov 

17  7cvevfxci\    +  €7nltv(.ieL   pesch,   wo  die  ganze  stelle  freier 

übersetzt  ist 
TüVTU  yäg]  'und  diese  beiden'  pesch 
ydQ'^]     ÖS    AC    KLP    Chr    Th :     o^v    go    (Clem.   Alex.) 

vgl.  pesch 
d'/J.rjkoig    dpi  iy.eiTai    arm    go]     dvTr/.etTca    d?.'A'^Xoig 

S  KP   Chr   var.    Th  :    dvriY.sivzat.   dlliqloig  L  Chr 

var. 

18  V7Cd    v6LiOv\     V7Td    VÖLIOV    Th     (cf.    VTTO    TW    vöiico    Ttoli- 

TSvöusvoL  Theodt) 

19  7T0Q%'Sia]  praem.  fior/eia   KL  Chrys  721 '^^   (Chr  fioix- 

steht  nach  7co(ji'.}  Th  go 

20  eiöco'/.o'/MTQela,  (fc((juay.€ia]  cfccguayeiu,  eiöioXo'kaTQsia 

Chr 
ey^S^Qai\  €/J/ga  pesch 

£üic  pesch]  i'giic  C  KLP  Chrvs  721*^*^  Th  go 
Ltkog  P  pesch  go]   ':>^/.Pt  SC  KL  Chrys  721^6  Th 
^vfxoi]   IHuög  pesch 
€Qii)^eLai\  eQLiftiu  pesch 
dixoaiuGLui\  +  il.iii/vginfioL  go 

21  cp^övoi']    (f^övog    pesch  |  +  cfövoi  A.G  KLP   Chr  Th 

go :   -t-    cfövog  pesch 
'  fie&at]  fie^7]  pesch 

y^öfiot]  om.  K  :  xcjftog  pesch 
rd  ö,uo/a]  praem.  7cdvia  pesch 


262  IJETZMANN 

5,  21    d  /rgo/Jyio]  ä  y.ai  vvv  ?Jyo)  pesch  r 

jigofniov]  2)raem.  xal  AC  KLP  Chr  Th  go  ('schon') 

22  iaiiv]  om.  Chr 

23  eyy.Qcirsia]    +  ayviiu  go  (DG  Latt,    aber  auch  Basilius 

u.  Palladius) 
ovy.  EOTi  röuog]  vöuog  ov  y.eiiuL  pesch 

24  Xqiotov   'Iroov    P]    Xqiotov    KL  Chr  Th    pesch    go : 

y.vQiov   Itjoov  XQimov  pal 
adQy.u]    +   ctvTwv    pesch    go    (G  Latt,    aber    auch    arm 

[aeth  bo  sa] ) 
Gvv\   +  vrdoiv  pesch 
S7tiiyvf.iiüic\  +  ccöifjc;  pesch  pal 

25  si  LöJusv]  LäJusv  O'öv  Chr  pesch 
nvsvixuTL  1]  praem.  iv  L 

7rrevtiuri  yal]  y.al  ^rvsviiecTi   Chr  pesch 
OTQor/jöusv]  moor/ßvnsv  KL 

26  /ij)|  'und  nicht'  pesch 
7rQoyM),ovi^itvoi\  ■3T()ooy.c(loviuvoi  LP 
«/1/jAo/c]  praem.  y.ul  pesch  pal  |  dXXriXovq  P 

6,   1    y.al  ^]  om.  pesch  go 

yrgohjLKf^fj]  jiQoyaTa/.rjrfO^f]  K 
ävO^Qi07[oc]  TiQ  et  vavjv  P  pesch  pal 
ev  rivL  7rccQa7CTd)uari]  om.   Clir 
TÖv  TOtovrov]  avTÖv  pesch 

oy.oiiwv  GeavTÖv  firj   y.ai  crd   TteioaoOf.c]    oy.o7rovvt€g 
eavTOvg  f-trj  yal  vfielg  7t£iQaoO^)]T€  pesch 

2  rä  ßägr]]  rö  ßägog  pesch 
ßaaiäLers]  ßaGiäoars  P 

y.ai  ovTioc\  ovicog  yäo  oder  iTTsi  ovtwq  pesch 
dva7rh]oibaf.is    Th    (var.)    pesch    pal|     dva7t).r^ocbauxe 
SAC  KLP  Chrys  723*^  Th  (var.) 

3  öoy.EL  Tic]  Tig  öoyel  Chr 

(TQSva/rajd     iavxöv    Chr]     eavtöv     rpQivaTtara     KLP 
Th  pesch  go 

4  Sy.üOTog  om.  pesch  (dafür  rtg?) 
(MÖvov]  om.  pesch  go 

ii£QOv\  iiaiQOv  aviov  pal 

G    TÖV  löyov]  rd  )^öyio  K 

TW  yarr^/^oüvTi]  om.  K  |  +  aCzöv  pesch  pal 
dyaltoig]  +  aözov  go^ 

7  xa/]  owi.  pesch  pal 

8  eavToC]  om.  pescli 

^egioti]  praem.  y.al   go  beide  male  ]   Oegitsi  pesch  pal 

das  erste  mal,  nur  pal  das  zweite  mal 
aagycdg]  +  avTov  dir  Th  pal 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL  263 

6,  9    ivy.ay.ÖJti6r]  r/.y.cr/.cjuiv  C  KLP  Chrys  726  ^«^  725'^  Th 
iteglaouev]  VsqLglousv  SC  LP 
[iri  iyJ.vÖLievoi]  'und  es  wird  uns  nicht  lästig  sein'  pesch 

10  eycüfiev]  eyoiuv  AG  KLP  Chr  Th 
€QyctZüüeirci\  egyalöueäa  A  LP:  fQyaacöue^a  K 
öe]  om.  Chr  pesch  go 

11  valv]    hinter  eyocul'cc  go^,    hinter  yocaiuaoiv  go^  (DG 

Latt),  aber  wohl  innergotische  Variante 

12  uii\    stellt  vor  zw   otuvqü  KL  Chr  Th   (nicht  pesch  go) 
diiby.MVTciL  Chr  Th]  öicjy.ovTca  AC  KLP 

13  7t€QtTeuvöf.i€i'0t  KP  Chr  Th]  jiSQuaturiuevoi  B  L 
uvjoi\  om.  pesch  go 

y.üvy^oiovTaL]  yMvyfiOovTcu.  P 

14  iixoi\  praem.  döehpoi  pal  2 

y.ctvyäGi)^ai\  yMuyjjOaalf^ai  A  K  |  +  «y  ovöevl  go 

y.dyöj]   +  iOTctVQOJucu  pesch 

yöojxqt]  praem.  7w  KL  Chrj-s  728'*^  Th 

15  oirs  ydg  n€girof.irj  Chr  pesch  pal  go]   iv  ydg  Kgiorq 

IrjOov  OVTE  nsQLTOi-irj  SAG  KLP  Th 
Tf]  om.  Th  var, 
iojiv  pesch  pal  go]  ioyvei  KLP  Chrys  728«   729  ^^  ^h 

16  GToryi]aovoiv]  oroiyovoiv  AC  Chr  pesch  pal 

17  y.önovg  f.ioi  fx'qöeic]  firjöeig  fxot  yörrovg  pesch?   paP? 
ydg]  om.  pal  2 

xov  Irjoav  go  ^]  tov  y.vgiov  'Ir^Gov  KL:  tov 
XoiGTOv  P  arm  :  tov  y.vgiov  r^ficov  'Ir^aov  Xgioiov 
8  Chr  Th  pesch  go  ^ 

18  i^ucöv]  om.  S  P 
Xgiazov]  om.  P 

Unterschrift:  T£T€/.€(TTca  fj  yrodc  FaXäTaQ  iniaroXij  fj  iygdcfi] 
dnö  "^PdjurjQ  pesch  .  irgög  ra/.drag  TereXeorai  go-^^: 
+  ngög  rtchdxug  iygdifi]  dyrö  'Pcbur^g  go -A- 

Die  liste  zeigt  zunächst,  welche  fülle  von  Varianten  in  dieser 
älteren  Koine  möglich  sind,  von  denen  weder  Tischendorfs  noch 
vSodens  ausgäbe  eine  Vorstellung  geben,  das  bild  würde  sieb 
noch  erheblich  bunter  gestalten,  wenn  die  gelegentlichen  citate  der 
syrischen,  kappadokischen,  frühbyzantinischen  väter.  eingetragen 
wären,  vor  allem  aber  das  reiche  material  verwertet  wäre,  das  in 
den  handschriften  der  armenischen  {^=  arm)  Übersetzung  ver- 
borgen ligt:  hier  und  wol  auch  in  der  georgischen  Bibel  sind 
noch  weitere  quellen  der  Koine  des  4  und  5  jh.s  zu  erschliefsen. 


.204  LIETZMANN 

Tiscliendorfs  mehr  wie  (lürftip;e  notate,  die  über  Tre^elles  auf 
die  armenisclie  ausgäbe  Zolirabs  von  178!»  zurückgelm ',  lassen 
wenigstens  etwas  davun  ahnen. 

Und  diese  fülle  der  Varianten  muss  demjenigen  zur  Ver- 
fügung stelin,  der  über  die  vorläge  des  Wulfila  handeln  will: 
weder  der  correcte  urtext  des  Lukian  —  wenn  es  je  einen  solchen 
gegeben  hat,  was  ich  nicht  weifs  —  noch  ein  irgendwie  er- 
schlossener normalt^'p  reichen  da  aus.  die  Koine  hat  gar  wild 
gewuchert,  und  neben  tausend  verschollenen  ist  der  gotische  text 
einer  der  wenigen  erhaltenen  dieser  so  wandlungsfälligen  zeugen, 
angesichts  dieser  tatsache  ist  als  erste  methodische  regel  aufzu- 
stellen, dass  jede  lesart  des  Goten  als  seiner  griechischen  vorläge 
angehörig  anzusehen  ist,  welche  uns  sonst  noch  in  einem  zeugen 
der  alten  Koine  begegnet,  einerlei  ob  dieser  eine  handschrift,  ein 
Schriftsteller  oder  eine  Übersetzung  ist.  gewis  können  dabei'  zu- 
fallsirr tum  er  unterlaufen,  das  ist  hier  wie  sonst  unvermeidlich; 
aber  auf  diesem  wege  kommt  man  der  walnheit  näher  als  auf 
jedem  andern,  nach  diesem  kanon  sind  demnach  an  Streitbergs 
griechischem  text  folgende  änderungen  vorzunehmen:  1  4.  i.  2  6 
(die  Voranstellung  von  if^ög  diu-ch  pesch  gedeckt).  <j.  15  (yccg). 
3  27.  4  'j  {e;[fOiQetliaTeL  n  {utiouauöv  ohne  ^lov).  20.  31.  5  1 
(/;  iL  etc.).  3  {7rcüuv  om.).  17  {ct/.h]}.oiQ  avzi'/.siiai).  6  4 
{uövov  om.).  19  (de  om.).  u  {aviol  om.)  sind  die  in  unserer  liste 
als  go  bezeichneten  lesarten  in  den  text  zu  setzen,  dagegen 
würde  2  15  (+  övTec).  20  iodv).  4  is  H"  f(TTiv)  als  unsicher  und 
vielleicht  nur  durch  das  gleiche  bedürfnis  der  Übersetzer  in  go 
und  pesch  übereinstimmend  zu  bezeichnen  sein:  4  10  würde  ich 
wäre  mit  zeichen  der  Unsicherheit  im  text  belassen,  es  gehören 
ferner  in  den  text  nach  dem  genannten  kanon  die  stellen,  an 
denen  go  zwar  nicht  mit  unseren  hanptzeugen,  wol  aber  mit 
anderen  zufällig  erhaltenen  citaten  aus  dem  gebiet  der  Koine 
zusammentrifft,  obwol  die  lesart  ihre  heimat  auf  abendländischem 
textgebiet  hat :  das  sind  3  28  {^t>).  4  r,  (+  ^€0v).  5  9  {öo/.ol). 
23  (+  äyveia).  24  (+  «ütöv  arm !). 

Mit  diesen  stellen  ist  aber  bereits  die  frage  berührt,  welche 
die  reconstruction  der  vorläge  des  Wulfila  zu  einer  so  ganz  be- 
sonders complicierten  aufgäbe  gestaltet :  die  nach  dem  einfluss  der 

■••  •      '  Bo  ENestle  Einführung  iu  d.  Neue  Testnnicnt  ^  156. 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  EIBEE  265 

Lateiniscliea  Übersetzung  und  nach  einer  etwaigen  neubearbeitung 
des  alten  Wulfilanisclien  textes  durch  spätere  —  man  hat  die 
aus  Hieronymus  epist.  106  bekannten  Sunja  und  Fril)ila  ge- 
nannt. 

Haben  wir  auf  grund  äufserer  Zeugnisse  und  umstände  an- 
lass,  eine  neubearbeitung  des  ursprünglifhen  gotischen  texfes  an- 
zunehmen? Kauffmann  hat  in  ausführlicher  untersucliung  Z.  f.  d. 
phil.  32,  30.')  ff  auf  die  vorrede  des  Codex  Brixianus  f  hingewiesen, 
die  nun  auch  bei  Streitberg  s.  XLIIf  bequem  abgedruckt  ist.  es 
kann  danach  niclit  zweifelhaft  sein,  dass  wir  in  f  die  copie  der 
lateinischen  columne  eines  evangelienbuches  erhalten  haben,  welches 
in  paralleler  anordnung  mindestens  den  gutischen  und  den  latei- 
nischen, wahrscheinlich  aber  auch  den  griechischen  text  enthielt, 
denn  die  vorrede  beruhigt  den  leser  über  die  differenzen  des 
griechisciien,  gotischen  und  lateinischen,  die  ihm  in  interiora  lihri 
—  vielleicht  in  interiore  (ora)  lihri  w^e  Schöne  will  —  jedenfalls 
'drinnen  im  buche'  aufstofsen  werden :  es  gebe  da  zwar  sprach- 
liche Verschiedenheiten,  aber  der  sinn  sei  der  gleiche,  deshalb 
dürfe  keiner  schwanken,  was  denn  eigentlich  die  biblische  aiitorität 
offenbare  nach  dem  rechten  sinn  der  spräche,  das  sei  nach  der 
wortgrammatik  sorgfällig  festgestellt,  wie  im  folgenden  zu  lesen 
sei.  und  diese  erkenntnis  zu  verbreiten  sei  der  zweck  dieser  Ver- 
öffentlichung ^  mit  rücksicht  auf  andere  leute  —  das  ist  natürlich 
Hieronymus  —  'die  mit  falsciien  behauptungen  nach  eigener  Will- 
kür lügen  ins  gesetz  und  in  die  evangelien  durch  eine  eigene 
üliersetzung  hineingetragen  liaben.  dies  liabeu  wir  deshalb  ver- 
mieden und  vielmehr  das-  geboten,  was  seit  alters  gelesen  und  im 
griechischen  stehend  erfunden  wird,  und  w^ovon  sich  nach  der 
bedeutung  der  sprachen  der  nach  weis  liefern  lässt,  dass  es  mit- 
einander übereinstimmend  aufgezeichnet  ist  und  auf  ein  und  den- 

'  probanter  ist  mir  doch  noch  unklar;  das  wort  scheint  mir  sicher, 
aber  fohlt  etwas  davor? 

2  zu  lesen  ist:  haen  posita  sunt,  quae  antiquitus  le'/i  et  (statt 
antiquitas  leni-^)  in  dirtis  Graerorurn  contineri  inceniantur  et  {per) 
ipsas  etymolofjias  linguarum  concenienter  (so  Kauffmann  statt  coii- 
venientes)  sibi  cons(-ribt.a  (statt  consc.ribtas)  ad  unum  t<en.<um  con- 
^Mrrere  demonstrantiir.  das  et  hinter  le(ß  wird  vielleicht  nicht  erforder- 
lich sein;  unser  autor  liebt  das  asyndeton;  deßiijnata  esae  conscripta  und 
soiius  üocis  stehn  ebenso  neben  einander.  . 

Z.  F.  D,  A.  LVI.     N.  F.  XLIV.  18 


2r.(;  Lii^yr/MANN 

selben  sinn  liinausHliift'.  naclidem  er  so  die  erwartun^  dos  lesers 
gespannt  liat,  kommt  er  zur  näheren  bezeicliiiung  dos  mittels, 
durch  welches  dem  benutzer  des  buches  die  erwünschte  gewislieit 
verschafft  wird:  er  hat  tmlthres —  lateinisch  Iicifst  das  (ulnotnüo 
—  dem  text  beigefügt  und  will  nun  angeben,  was  diese  zu  be- 
deuten haben,  ein  nuUhrc  mit  übergeschriebenem  (jr-  enthält  die 
lesart.  des  Griechen,  steht  la  darüber,  so  ist  das  lateinische 
widergegeben  •. 

Daraus  ergibt  sich,  dass  in  dem  buche  der  gotische  text  die 
hauptsache  war:  der  herausgeber  will  zeigen,  dass  er  würklich  die 
gütfliche  Offenbarung  enthält  und  in  nichts  hinter  den  griechischen 
und  lateinischen,  bei  Hyzantinern  und  Italienern  übiiciien  Bibeln 
zurücksteht  —  gar  nicht  zu  reden  von  der  schlechthin  abzu- 
lehnenden Vulgata.  er  setzt  deshalb  die  diei  texte  in  columnen 
nebeneinander  —  den  Goten  natürlich  in  die  mitte  —  und  notiert 
in  gütischer  spräche  die  Varianten  der  seitencolumnen  am  rande 
des  gotischen  textes.  so  wird  der  germanische  leser.  der  von  be- 
unruhigenden abweichungen  seiner  Bibel  von  den  ihm  als  ori- 
ginaler erscheinenden  texten  gehört  hat,  in  die  läge  versetzt,  sieh 
selbst  von  der  harmlosigkeit  der  unterschiede  und  damit  von  der 
einheitlichkeit  des  sinnes  zu  überzeugen. 

Aber  nun  zu  unserer  liauptfrage.  ist  die  hier  bezeugte  arbeit 
am  gotischen  text  eine  neurecension?  ganz  im  gegenteil :  der 
Verfasser  will  gerade  den  alten  text  gegen  neuerungen  verteidigen! 
um  seine  Zuverlässigkeit  nachzuweisen,  versieht  er  ihn  mit  jenen 
randnoten,  die  ja  doch  nur  zeigen  sollen,  dass  ihre  Icsungen  nicht 
besser  sind,  als  was  im  text  steht,  und  jedenfalls  in  der  haupt- 
sache auf  denselben  sinn  hinauslaufen,  aber  vielleicht  ist  seine 
arbeit  unabsichtlich  von  so  umgestaltender  würkung  gewesen,  dass 
der  schliefsliche  erfolg  eben  doch  eine  durchgreifende  Veränderung 
des  Wulfilatextes  war?  etwa  so,  dass  die  abschreiber  der  gotischen 
columne  die  randnoten  für  Verbesserungen  hielten  und  in  den  text 
aufnahmen,  wozu  man  als  nicht  allzu  fernliegende  analogie  die 
freilich  beabsichtigte  Umarbeitung  des  Septuagintatextes  durch 
Eusebius  und  Pamphilus   auf  grund  der  von  hause  aus  auch  rein 

'  ubi  Uttera  .fjr.  super  uulthre  incenitur,  sciat  qui  ler/it,  quod  in 
ipso  uulthre  secundum  quod  Gruecus  continet  scribtum  ei^t :  tibi  cero 
Uttera  .  la .  super  uulthre  incenitur,  secundum  latina  linQua  in  uulthre 
ostensum  est. 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL  267 

referierenden  Hexapla  des  Origenes  anführen  könnte.  Streitberg 
schreibt  s.  lxiv:  'die  in  der  Praefatio  des  Brixianiis  angekündigten 
uulthres  i.  e.  adnotationes  finden  sich  tatsächlich  in  unsern  gut. 
hss.:  in  CA  und  zahlreicher  in  A  sind  randglossen  überliefert, 
aufserdem  lässt  sich  in  einer  reihe  von  fällen  schlagend  nach- 
weisen, dass  ursprüngliche  randglossen  in  den  text  einge- 
drungen sind  und  entweder' die  alte  lesart  \^erd rängt  oder  sich 
neben  sie  gestellt  haben,  ein  teil  dieser  randglossen  verrät  deut- 
lich die  einwürkung  des  altlateinischen  bibeltextes\  die  bei  dieser 
annähme  nötige  Voraussetzung,  dass  der  text  von  A  im  gegensatz 
zu  den  randglossen  dann  eben  der  alte  wulfilanische  sein  müsse, 
wird  freilich  von  Streitberg  nicht  geteilt,  wie  zahlreiche  anmer- 
kuBgen  beweisen :  doch  mag  das  fürerst  auf  sich  beruhen,  was 
lehren  die  randglossen  ^  in  A?  es  sind  deren,  wenn  ich  recht 
zähle,  53:  davon  können  als  notierung  von  variierenden  lesartea 
angesprochen  werden  höchstens  sieben. 

I  Cor,  13,  3  ei  gahrannjaidau  A  ==  lvü  y.av^-)'](7cofiai 
(Keine,  DGLatt):  gl.  ei  hopau  =  iva  y.avyjjOtofxca  SAB,  aber 
auch  Ephr.  Syrus  II  112.  II  Cor.  1 ,  8  afswagg^viäai  weseima 
A  =  fEa/roQTj^fjVai  rißäg :  gl.  skamaidedehna  (B  im  text 
skamaidedeima  uns)  ohne  beleg:  denn  das  taederet  nos  der  Latt, 
auf  welches  Streitberg  verweist,  heilst  auch  nicht  'wir  schämten 
uns'.  II  Cor.  3,  14  afdauhnodedim  AB  =  £7rcoQcb!AT]{nar) : 
gl.  afblindnodedun  =  i7rrjQ(bÜr]{oav),  was  hier  nicht  belegt  ist, 
aber  Streitberg  verweist  mit  recht  auf  die  entsprechende  Variante 
Rom.  11,  7  (Latt).  Eph.  1,  19  in  uns  AB  =  6iq  rjiäg:  gl.  in 
izwis  =  £LQ  vfiäc  P  DGLatt.  Eph.  2,  3  n-iljans  AB  =  rd 
^sh'jiara  :  gl.  lustuns  =  voluptates  Latt,  aber  iis  lustum  gibt 
Phm.  14  auch  ymtu  iv.ovniov  wider,  wo  dann  als  gl.  gahaurjaha 
steht.  Gal.  4,  21  niu  hauseip  AB  =  ovy.  dv.oveie:  gl.  niu 
Ms[svggwup]  =  non   legistis  Latt  ovy.   ävccyivcbayeTS   pal  (arm). 

Das  ist  alles,  die  übrigen  46  glossen  tragen  einen  andern 
Charakter.  Eph.  1,  14  ist  zu  gafreideinais  =  7rfQi7ioir^Giiog  am 
rande  zugefügt  ganistais  =  ütoxi-Quic,  d.  h.  die  stelle  ist  nach 
I  Thess.  5,  9  erklärt;  wenn  nicht  etwa  eine  Variante  vorligt,  zu 
Eph.  2,  3  HHstai  barna  hatize  (Jiatis  B)  AB  ^=  (fvoei  rey.va  ögyr^g 

'  in  B  begegnet  uur  eine  randglosse  zu  i  Cor.  15,  57  si'jis  AB] 
gl.  sihic. 

18* 


2()8  LIETZMANX 

ist  Hill  runde  die  crliiiiterung  beijjescli rieben  ussateinai  urriKjhai 
==  'vüu  Ursprung  verworfene .  I  Cor.  9,  9  ist  als  parallelstelle 
I  Tim.  5,  I  S  an  den  rand  gesell  rieben,  Epli.  4,  8  steht  am  rande 
des  cilates  aus  Psalm  <i7  lüSi,  19:  p.salmo. 

Die  überwiegende^  masse  der  gl»K«seii  bringt  synonynia  zu 
den  im  text  stelinden  gtitisclien  worlen.  in  einzelnen  fällen  kann 
man  s'agen,  dass  die  glosse  sich  dein  gric«  bischen  genauer  an- 
schliel'st:  so  etwji  Gal.  2,5  yastandai  Ali:  gl.  pairhicimi  = 
diaiifii'i;.  Gal  4,  l;<  .sinkcln  A:  gl.  iinniaht  =  äaißevuav. 
Gal.  4,  19  (/((bdirhlitiifJft/i  AH:  gl.  ilu  hindjai  gafrisahtnai  = 
f.iOQifvj'h~.  II  Tim  3,  10  (jalaista  is  AH:  gl.  (jalais(J,]ides  = 
TtctQriV.o/.ovÜiv.uc:.  aber  II  Tim.  4,  G  dlsnnssals  AB:  gl.  ga- 
malteinais  =  dva/.vnfoc  ist  die  giöfsere  wörtliclikeit  auf  selten 
des  textes,  und  auf  beide  partcien  verteilt  sicji  diese  eigen- 
scliaft  Eph.  l,  9  hi  wiljin.  sael  f'avrafjaleikaida  luima  AB: 
gl.  ana  leikainai  poei  .garaidida  in  imma  =  :cnä  ttjv 
evöov.utv  '[uviov],  iv  7i(joiÖeio  fv  uvjqj:  die  glosse  ist  im 
ganzen  genauer,  aber  das  nyoeUfie  bildet  f'a7(rng{ileikaida 
besser  nach;  übrigens  geben  beide  teile  den  abendländischen  text 
ohne  avioC.  in  Gal.  4,  3  uf  stabliu  A  :  gl.  iif  tn(j(jlam  ist  der 
text  wörtliche  Übersetzung  von  mor/i-ut,  während  die  glosse  den 
sinn  trifft.  I  Cor.  9,  21  wird  gafjei{/(aidcdj)au  A  =  ■/.f()öroco 
sinngemäfs  durch  gawandided/au  Vhiss  ich  bekehre'  erläutert. 
Eph.  6,  11  diahiihms  AB:  gl.  unhuJpins  und  I  Tim.  5,  18 
mizdons  A:  gl.  launis  wird  ein  dem  Griechischen  näher  stehendes 
wort  beseitigt,  vielleicht  ersetzt  der  glossator  ein  ihm  befremd- 
liches gotisches  wort  durch  ein  geläufiges  in  fällen  wie  I  Cor.  15,33 
riurjand  A :  gl.  fraicardjand  =  (f  tieiuovniv.  II  Cor.  12,  7 
hnupo  A  hinito  H  :  gl  qairu  ==  <r/('>'/.oilK  I  Tim.  5,  2;}  qlpaus 
AB:  gl.  SKqnls  =  (Tiöuayfir,  vielleicht  auch  I  Tim.  3,  11  ga- 
faurjos  A:  gl.  andapahtos  ^=  i  i^i/  u/Jovc,  wogegen  II  Tim.  3,  2 
sik  frijondans  Ah  :  gl.  seinaigairnai  =  tfl/Mvioi  die  glosse  das 
seltenere  wort  zu  haben  scheint. 

Schon  diese  letzte  classe  von  randbemerkungen  geht  augen- 
scheinlich über  das  programm  hinaus,  welches  in  der  vorrede  des 
Brixianus  für  die  indpres  angekündigt  ist.  Varianten  des  Griechen 
oder  des  Lateiners  —  dies  vielleicht  an  höchstens  3  stellen  — 
buchen  würklich  nur  die  erstgenannten  sieben  glossen.  zur  not 
kann    man    von    der    danach    behandelten    reihe    auch    noch    be- 


DIE  yORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL  269 

haupten.  sie  entspiiiclie  jener  ankündigiing,  insofern  der  griechisclie 
Wortlaut  genauer  widergegeben  werde,  obwol  der  umstand,  dass 
II  Tim.  4,  6  und  Gal.  4,  3  die  gröfsere  wörtlichkeit  auf  selten 
der  textlesart  ist,  leclit  bedenklich  machen  muss.  die  buchstabeti 
.  gr  .  und  .  la  .  raüste  der  absclireiber  weggelassen  haben,  aber 
gotische  Worte  zu  erläutern  hat  der  Verfasser  der  vorrede  nirgends 
in  aussieht  gestellt,  wie  denn  eine  solche  arbeit  seinem  theologischen 
ziele  der  beruhigung  von  Zweiflern  nicht  im  geringsten  dienlich 
sein  kann,  nun  aber  folgt  die  masse  der  übrigbleibenden  —  27  — 
glossen,  in  denen  einfach  ein  gotisches  wort  durch  ein  anderes 
ersetzt  wird,  ohne  dass  ein  zureichender  grund  zu  tage  ligt.  einige 
beispiele  mögen  genügen:  Rom.  9,  13  fijaida  A:  gl.  andivaih  = 
efxiörjGcc.  I  Cor.  9,  22  ei  Jvauva  A:  gl.  el  waila  =  Ivu  rräv- 
Tiog.  I  Cor.  10,  30  andnima  A  :  gl  bnikja  -=  uireyco.  I  Cor. 
1 4,  2 1  patei  in  A  :  gl.  ei  in  =  ön  ev  (!).  II  Cor.  2,  1 5  fra- 
qistnandam  AB:  gl.  fralusnandam  =  cntoXXvfxevoig.  II  Cor. 
12^  15    lapaleiko   A:   gl.  (=  B)   gahaurjaha  =  rjöioia.      Eph. 

2,  10  godaim  AB:  pinpeif/aini  =  dyai/oig.  Eph.  4,  14  icaira 
fullamma  A :  gl.  gumin  fullamma  =  chöga  rileiov.  Gal.  2,  6 
andsiiip  {-aip  B)  AB:  gl.  nimip  =  ?Mfißdv£i.  Gal.  2,8 
waurshveig  gataivida  AB  :  gl.  waurhta  =  evijQyr^aev.     II  Tim. 

3,  9  sicikunp  AB:  gl.  gatarhip  =  ey.öt]}.og.  II  Tim.  3,  13 
liutai  AB:  gl.  lubjaleisai  =  yöi]i€g.  Tit.  1,  16  nskusanai  A  : 
gl.  urigakusanai  =  döö/.iuoi.  Phm.  1 1  meinos  bnists  A :  gl. 
meinos  hairpra  =  xä  euä  G;r).nyyvu.  Phm.  14  us  lustum  A: 
gl.  gahmirjalia  =  VMra  r/.ovaiov.  weiter  noch  I  Cor.  9,  19. 
13,  5.  II  Cor.  2,  11  (4,  2).  5,  12.  6,  16;  Eph.  3,  10;  Gal.  2,  6; 
I  Tim.   1,  5.    1,  9.    1,  18.  6,  6  !?j. 

Diese  stellen  geben  den  ausschlag  und  entscheiden  auch  für 
die  bewertung  der  voraus  behandelten,  die  randglossen  in  A 
haben  mit  den  zvulpres  des  Brixianus  schlechterdings  nichts  zu 
tun.  sie  lassen  sich  überhaupt  nur  unter  einem  andern  gesichts- 
punct  begreifen  und  auf  einen  alle  umfassenden  generalnenner 
bringen :  nämlich  wenn  wir  sie  als  cullation  einer  zweiten  gotischen 
handschrift  verstehn,  welche  zumeist  innergotisehe  übersetzungs- 
bezw.  abschreibervarianten  und  daneben  auch  einige  durch  einfhiss 
griechischer  lesarten  verursachte  textabweichungen  darbot,  diese 
erklärung  umfasst  die  ganze  menge  der  glossen  und  trägt  damit 
die  Wahrscheinlichkeit  in  sich,    nur  die  noten  zu  Eph.  1,  14.  2,  3. 


270  IJETZMANN 

4,  8  und  I  Cor.  'J,  9  bleiben  als  würkliche  erläuternde  rand- 
beraerkung'en  bestelm,  und  man  darf  sich  fragen,  ob  sie  vom 
Schreiber  des  codex  A  stammen  oder  etwa  bereits  am  rande  der 
collationierten  handscliiift  standen  und  von  daher  übernommen 
sind,  wenn  wir  also  II  Cor.  1,  8  und  12,  15  die  lesart  der 
glosse  im  text  von  B  finden,  so  ist  nicht  eine  nindnote  von  A 
bezw.  .seiner  vorläge  in  den  text  von  B  gedrungen,  sondern  um- 
gekehrt :  B  bietet  an  diesen  stellen  denselben  text,  den  die  am 
rande  von  A  collationierte  handschrift  las. 

Scheiden  somit  sowol  die  vorrede  des  Brixianus  wie  die  rand- 
glossen  in  A  als  zeugen  für  eine  neurecension  der  gotischen  bibel 
aus,  so  bleibt  uns  die  aufgäbe,  die  handschriftliche  Überlieferung 
selbst  nach  einschlägigen  belegen  zu  befragen,  die  paulinischen 
briefe  berulieii  glücklicherweise  nicht  auf  einem  einzigen  codex, 
wie  die  e\angelien,  sondern  sie  sind  uns  durch  zwei  liandschriften 
des  f)  jii.s,  A  und  15,  erhalten,  die  auch  auf  weite  strecken  die 
gleichen  stücke  bieten,  so  dass  sich  ein  bild  von  einklang  und 
abweichung  innerhalb  der  gotischen  tradition  gewinnen  lässt. 

Streitberg  hat  die  texte  in  parallelcolumnen  bequem  neben- 
einander gesetzt,  die  collation  beider  zeugen  lehrt  nun  zuerst 
einige  eigenheiten  von  B  kennen:  er  unterlässt  gern  die  assimi- 
lation  des  endenden  -h  zb.  I  Cor.  1 6,  8  wissuh  pan  B  gegen 
irissiip  pan  A  u.  ö.,  schreibt  oft  i  statt  ij  (II  Cor.  2,  4  u.  ö.) 
und  andere  orthographica  mehr,  die  hier  aufser  betracht  bleiben 
können ;  auch  verschreibt  er  sich  etwas  öfter  als  A.  ferner  hat 
B  eine  Vorliebe  für  den  optativ  I  Cor.  1 5,  58  wairpaip  B 
gegen  ivairpip  A  =  yivBöl^H  (imperativ i:  ähnlich  I  Cor.  16,  I. 
II  Cor.    13,  1.  Eph.   4,  27.  Gal.   2,  6(!)  5.  17.  I  Tim.  G,  3. 

Uns  kümmert  hier  in  erster  linie  die  frage  nach  der  be- 
schaffenheit  der  eigentlichen  textvarianten  zwischen  A  und  B,  und 
da  ist  vorab  zu  bemerken,  dass  im  vergleich  zu  dem  umfang  der 
erhaltenen  parallelstücke  ihre  zahl  erstaunlich  gering  ist,  aber 
doch  grofs  genug,  um  uns  zu  lehren,  dass  A  und  B  zwei  durch- 
aus selbständige  zeugen  der  Überlieferung  sind.  Varianten,  die  wir 
auch  snnst  innerhalb  der  Koine  feststtillcn  können,  finden  sich 
an  folgenden  stellen:  II  Cor.  3,  D  aiKlJxihti  B  =  ?y  öiuy.oviu 
KLT  Chr  Tli :  (indhnhtja  =  rfj  öur/.ovicx  pesch  (mit  äg.  und 
lat.  text).  TI  Cor.  1,  14  'Irjnoü  A  mit  KL  Th  :  'Ir^nov  Xqi(Jtoü 
J3  mit  V  Chr  ))esch.  II  Cor.  4,  4  fügt  B  nngasaih'anui  =  rov 
äoQc'iTov  zu  mit  LP  arm.  II  Cor.  8,  10  stellt  B  um  ov  iiövov 
TÖ  ^f).£tv  üü.ä  v.ui  10  TroifiOai  wie  pesch  (eine  änderung  die 
übrigens  nahe  ligt).  II  Cor.  13,  13  y.voiov  A  mit  KLP:  y.vqLov 
YnoJv  B  mit  Chr  Th  pescli.     Gal.  0,  17  'h^noC  \:  y.vuiov  fjiüv 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL  271 

'Ir^aov  Xoi.(TTov  R  s.  oben  die  liste.  Phil.  3.  8  Xomroü  'fr/JoiJ  A 
wie  L  fund  ägypt.  text):  '//;ff  )<7  Xuiarov  B  mit  KP  Clir  pescli.  Col. 
4,  12  'lT]rsov  Xoi'Trov  A  mit  P  arm:  Xut'Tfov  [i](Tov  B  mit  L 
(und  äg.  text  sowie  andern  rainuskeln);  Xoinrov  allein  haben  K 
Chr  Tli  pesch  (Latt).  I  Tim.  5,  4  fügt  ß  y.aldv  ymI  zn  mit 
arm  und  minuskeln.  I  Tim.  4,  7  de'^  ora.  B  mit  P  (D  vghss.): 
^und'  pescli  II  Tim.  4,  10  Krispus  B  pesch:  Xreskus  A  kommt 
dem  üblichen   Koijav.ric  nahe. 

Einfluss  des  abendländischen  textes,  der  uns  hier  be- 
sonders interessiert,  ist  vornehmlich  in  Varianten  von  A  gegenüber 
B  zu  spüren.  II  Cor.  2,  12  in  aiwaggeljon  B  =  itg  tö  fvuy- 
yeXiov.  in  aiwaggeljom  A  =  diu  tö  tvayye/uov  (D)  G  Latt, 
aber  auch  Chr.  scheint  die  lesart  zu  kennen.  II  Cor.  ö,  12 
hairtin  B  =  y.ciQÖia  KLP  Chr  Th  :  in  liairtin  A  =  rr  y.aoriia 
OLatt  (äg.),  doch  lässt  B  auch  II  Thess.  1,4.  3,  8  in  beim  dativ 
(^  ^p)  aus.  II  Cor.  5,  2(i  huljam  Vi  =  ösöusO-a  :  hidjandans 
A  =  ösniievni  DGLatt,  aber  auch  eine  hs.  des  Chr.  II  Cor. 
8,  23  umlpus  B  =  dnia  :  nuilpaiis  A  =  öö'trc  Latt,  aber  Phil, 
ti.  19  braucht  A  ivu/paus  unzweifelhaft  als  nominativ,  wo  auch  B 
wiilpus  hat:  s.  Braune  Got.  gramm.  §  105  a.  2.  II  Cor.  9.  2 
Jvo2)a  B  =  y.avyß)Ui(i:  Ivopam  A  =  zavyüus^a  Latt  V  nach 
Streitbei-g  z,  st.  Eph.  3,  12  ist  der  einschub  von  freijhals  in  A 
möglicherweise  durch  Latt  verursacht.  Eph.  3,  21  list  A  ev 
Xoi(yTc[)  'IriGov  y.ai  rfj  r/.yJ.r^ni'c!  mit  DGLatt.  I  Tim.  2,  6 
gibt  A  01^  TÖ  ßccQTVQiov  wider  =  DGLatt  (und  minuskeln). 
dagegen  könnte  II  Cor.  4,  1  bei  wairpaima  us-gnuljans  in  B 
(statt  icuirpam  Ai  einfluss  von  non  (leficiamus  einiger  Latt  vor- 
liegen :  doch  macht  die  Vorliebe  von  B  für  den  optativ  unsicher. 
I  Tim.  6,  5  list  A  den  Koinetext  cupiaraoo  d/cö  töjv  tol- 
ovrojv:  B  lässt  die  worte  mit  GLatt  und  dem  äg.  text  aus.  — 
unsicher  ist  das  urteil  wider  bei  I  Cor.  15,  54,  wo  in  B  die  worte 
panup-pan  bis  undiicanein  =  örav  öh  —  äl/avuaiav  fehlen. 
G  hat  die  gleiche  lücke,  die  durcli  homoioteleuton  erklärlich  ist: 
der  ausfall  kann  in  B  aucli  dem  gleichen  zufall  verdankt  werden, 
zumal  im  gotischen  auch  das  anfangswort  panuh  hinter  der  lücke 
widerkehrt:  I  Cor.  16,20  ist  ein  analoger  ausfall  in  B  ent- 
standen. II  Cor.  2,  16  kommt  A  us  daupau  dem  fV.  intvc'cioy 
des  äg.  textes  gleich:  daupaus  B  =  ^'/avcirov  Koine  Latt.  die 
Wucherung  des  textes  zeigen  gut  zwei  andere  stellen.  II  Cor. 
12,20  hat  der  übliche  text  (fviucbneic  cr/MTaaTaniui:  A  schiebt 
davor  7ruovf.'^ia  ein,  V>  dagegen  lässt  (pvauhneiQ  aus;  dass 
beides  auf  griechische  Varianten  zurückgeht,  wird  dadurch  wahr-i 
scheinlich,  dass  G  Chr  d/MiuaTaniui  auslassen.  Phil.  3,  Ki  list 
A  ei  samo  hugjaima  jah  samo  frapjaima  samon  gaggan  gnrai- 
deinai,  während  B  die  worte  mmon  gaggan  garaideinai  auslässt.- 
der  urfext  der  stelle  lautet  Tcp  avii[i  aioiyüv  (==a),  das  wurde, 
glossiert   durch   zufügung  von  yMVÖvi.  (=  a)   oder  anderswo  er- 


272  LJETZMANN 

läutert  bozw.  ersetzt  durch  das  synonyme  lö  uviö  (fQovfiv 
(=  b).  li  hat  die  lesart  b  in  doppelter,  durch  'und'  verbundener 
fjotischer  übersetzunj»- :  A  hat  zu  dieser  b  dublette  noch  die  Über- 
setzung von  a'  zugefügt,  bringt  also  b  +  a.  der  ägyptische 
text  list  a.  die  Lateiner  b  ^-  a,  die  Koine  a'  -\-  b.  die  \ulgata 
bringt  auch  b  +  a  wie  go^.  aber  durch  et  verbunden,  wäiirend 
gC^  wol  dav(»n  unabliängig-  ist  und  construiert  hat,  'dass  wir  au 
dasselbe  denken,  näiniici»  nach  derselben  regel  zu  gehn'. 

An  einer  reihe  von  stellen  ist  es  fraglicli,  ob  die  Variante 
bereits  in  der  vorläge  stand  oder  erst  inneihalb  der  gotischen 
Überlieferung  entstanden  ist,  da  sie  durch  keinen  oder  keinen  aus- 
reichenden beleg  gedeckt  wird,  dahin  gehören  I  Cor.  1  6,  2  lagjai 
A  =  itO^/to):  aber  13  tanjal  =^  vroieiiw.  I  C<»r.  IG,  5  avk  =  yao 
oni.  B.  II  Cor.  l,  8  skauundedcima  nns  B  (gl  A).  II  Cor.  1,  17 
ei  +  iii  B.  was  den  guten  sinn  ergibt  *dass  nicht  bei  niir  das 
ja  ein  ja  und  das  nein  ein  nein  sei':  ei  +  m)  in  einer  vorläge 
wäre  durchaus  möglich.  II  Cor.  1,  10  merjada  A:  waihiiiierjada 
B  =  fvayyf/.KJx'Uic.  II  Cor.  2,  10  y.r/rn)iauui.  =  frugiba  B; 
fragaf  A  braucht  keineswegs  von  dontiri  i  att  verursacht  zu  sein; 
beide  lesarten  können  das  perf.  des  Griechen  widergeben;  Streit- 
berg meint,  B  sei  durch  das  vorhergeluule  fraglbip  veranlasst. 
II  Cor.  2,  13  itu  A  =  uvioic  inima  B  =  at'/o;  (d.h.  Titus). 
II  Cor.  2,  1 4  stellt  B  pairh  uns  hinter  in  allaim  stadhu.  II  Cor. 
3,  3  suikunj)  B  =  ifu^fQÖv.  II  Cor.  5,  3  bei  e'i  yt  y.ai  fehlt 
iah  =  y.cc}  in  A:  Latt  lassen  es  auch  aus,  aber  13,  4  begegnet 
dieselbe  Omission  des  jah  in  B  (=  Latt),  ebenso  I  Tim.  1,  2o.  II  Tim. 

3,  7.  3,  9,  während  es  I  Tim.  G,  9  in  A  fohlt.  II  Cor.  G,  8  ist 
iah  in  A  zugesetzt.  II  Cor.  5,  16  honnmi,  -\-  ina  B.  II  Cor. 
6.  3  -f  pannu  B  vielleicht  =  ccqu,  vielleicht  frei  zugesetzt  wie 
Mc.  1-i,  G.  II  Cor.  7,  3  mipgasiciltan  A  =  ovvunoifuvflv  i 
gaswUtan  B.  II  Cor.  9,  2  +  izei  \\  =  uvtcöv  vgl.  Gal.  6,  G 
+  uviov  A.  II  Cor.  12,  9  kann  der  plural  siukcim  B  (statt 
siukein  A)  durch  ein  dn'Jcvsi'aic:  der  vorläge,  aber  auch  spontan 
entstanden  sein  :  jedenfalls  hat  das  gleich  folgende  siukcim  = 
äni)Evtiuic  ihn  veranlasst.  II  Cor.  13,  7  ligt  in  A  und  B  eine 
schwere  conftision  vor :  iwgakumnai  ist  auch  in  die  er.^te, 
pugkjaima  auch  in  die  zweite  satzparallele  gedrungen  und  B  Iiat 
zu  bessern  versucht;  schon  die  vorläge  kann  den  fehler  gehabt 
haben.  Eph.  2,5  sijup  A  =  irne:  sijion  B  =  foiüv,  aber 
derselbe  Personenwechsel  ohne  beleg  begegnet  noch  Eph.  4,  25. 
I  Tim.  1,  8  Eph.  G,  IS  fv  -.tdaij  ora.  A.  Phil.  3,  15  loa  =  n 
cm.  B.  I  Thess.  5,  27  nllaim  =  rräoiv  om.  B,  aber  auch  die 
minuskel  17.  I  Tim.  3,  3  fügt  hinter  sutis  =  cuieiyf^  liinzu 
A  (jairrus  =  ijinoc,  B  airkns  ==  önioc,  während  sonst  an 
dieser  stelle  keine  Wucherungen  verzeichnet  sind.  II  Tim.  4,  S 
fügt  B   hinter  papru  =    '/.oljiöv   ein   pan  =  ovv   zu.      II  Tim. 

4,  KJ  lässt  B   I'Ltoq  eiQ  JuLauriuv  aus. 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL  273 

Rein  in nergo tisch  ist  dagegen  die  ganze  übrige  menge 
der  Varianten.  II  Cor.  7.  10  gatidgidai  B:  gatulgida  A.  II  Cor. 
12,21  aglaitja  A:  aglaiie'm\o]  B.  I  Tim.  1,4  timreinai  A: 
Hmreina  B.  I  Tim.  4,  8  gaguäei  A  :  gagiulein  B.  I  Tim.  6,  3 
aljoJeiko  B :  aljaleikos  A.  II  Tim.  3,  2  vnarknai  B  :  iinark- 
nans  A.  II  Tim.  3,  11  u-rakjos  A:  icrakos  B.  Tit.  1,  9 
triggivs  A:  triggivis  B  und  anderes  der  art.  vgl.  I  Cor.  IG,  1. 
II  Cor.  3,  3.  Eph.  3,  16  I  '1  liess.  5,  23.  fortlassen  des  Per- 
sonalpronomens in  B  II  Cor.  13,  4.  13,  5  und  in  A  Eph.  1,  4. 
Phil.  3,  12;  das  fortlassen  des  artikels  in  A  II  Cor.  7,  S.  7,  lo. 
Co).  4,  5,  in  B  Eph.  1,  10.  Col.  4,  12.  Phil.  3,  ü;  Wechsel  in 
Partikeln  II  Cor.  3,  9  in  widpau  A  :  us  tndpau  B  =  ev  öcjhj. 
II  Cor.  7,  8  unte  A:  auk  B.  II  Cor.  13,  5  nihai  A:  ihaiB 
und  6  die  Umstellung  von  patel  und  ei.  in  B.  Eph.  1,  3  ona  A  : 
in  B.  Eph.  3,  1 9  in  A  :  du  B.  Eph.  4,  28  ip  A  :  ak  B.  der 
Zusatz  von  S7va  I  Cor.  15,  49  und  von  ju  Eph.  2,  19  in  B.  die 
Umstellung  ist  auk  B  gegen  ai(k  Ist  A  I  Cor.  15,  53  und  I  Tim. 
1,  9  nlst  lüitop  A  gegen  tcitop  rast  B  =  vöuog  ov  iy.euai).  Gal. 
6,  1 1  gamelida  izivis  A  :  izicis  gamelida  B. 

Synonyme  Übersetzungsvarianten  begegnen,  soweit  sie 
nicht  im  vorangehenden  angeführt  sind,  II  Cor  8,  22  filu  A: 
filaus  mais  B.  II  Cor.  9,  2  usu-ngida  A :  gawagida  B  = 
ligeO-iaev.  II  Cor.  12,  15  lapaleiko  A:  gahcmrjaha  B  (gl.  A) 
iföiOTa.  II  Cor.  13,  5  fraisip  A:  fragip  B  =  ^reiodlexE. 
Eph.  1,  5  in  ina  A  :  in  imma  B  =  eic  uvröv  wie  Rom.  11,  36. 
Gal. 2,  2,  vgl.  auch  Streitberg  z. st.  Eph.  1,22  alla  A:  allB  =  7rdvTC(. 
Eph.  2,  2  fairhaus  A:  aiwis  B  =  v.önj.iov  ist  fraglieh.  Eph.  2,  3 
hatize  A:  hatis  B  =  ögyr^g.  Eph.  2,  6  mipurraisidai  und  mip- 
gasatidai  B  statt  -da  A.  Eph.  3,  1 0  filufaiho  A  :  managfalpo  B  = 
TroXvjroi/.tJ.og.  I  Tim.  1,  8  witoda  A  :  ivitodeigo  B  =^  rouiiaog. 
II  Tim.  2,  20  (gafahanai)  hahanda  A:  tiultada  B  =  e'UoyorjiiUfoi. 
II  Tim.  4,  2  instand  A:  stand  B  =  EnioDr^n  wie  4,  3  gadmgand  A: 
dragand  B  =  f^rioojQevnovüiv. 

Keine  Varianten,  sondern  einfache  versehen  werden  vor- 
liegen in  II  Cor.  2,  17  SKß  om.  B  ',  II  Cor.  3,  5  lücke  in  A. 
II  Cor.  8,  1  aikklesjon  B  (statt  -m  A).  II  Cor.  8,  18  aiwag- 
gelJ07}[s\  A.  II  Cor.  13,  11  lücke  in  B.  Eph.  3,  IG  in  om.  A. 
Col.  1,  11  lücke  in  B.  I  Tim.  2,  4  [ga]icili  B.  I  Tim  5,  4 
sik  om.  B.  I  Tim.  5,  5  ist  om.  A.  —  eine  glosse  im  text  von 
A  findet  sich  Eph.  3,  20  giban,    während  B  den  reinen  text  hat. 

Überblickt  man  dies  bild,  so  ist  das  ergebnis  klar,  möglich 
dass  ich  etwas  übersehen  habe,  sicher  dass  man  einzelne  stellen 
anders  zu  bewerten  hat,  als  hier  geschehen  ist:  aber  das  gesamt- 

'■  B  ist  nicht  nach  it.  geändert,  wie  Streitberg  meint:  in  it.  fehlt  das 
zweite  m?,  wie  Str.  im  griech.  apparat  riciitig  angibt. 


274  LIKTZ.MANN 

resiiltat  wird  sich  iiiclit  ändern.  A  und  R  sind  zwei  selhständij;e 
zweige  einer  im  g-anzcn  unj^ewölinlicli  geschlossenen  Überlieferung, 
sie  ist  nicht  pedantisch  und  stumpfsinnig  conserviert,  sondern  von 
denkenden  nuinnern  fortgepflanzt  und  daher  gelegentlich  iin  sprach- 
lichen aiisdruclv  verändert,  durch  kleine  versehen  entstellt,  auch 
durch  einwirkung  anderer  morgen-  und  abendländischer  vorlagen 
hie  und  da  beeinflusst  worden,  aber  weder  steht  A  zu  15  noch 
B  zu  A  im  Verhältnis  einer  neuredaction  zum  älteren  text,  und 
dasselbe  gilt,  wenn  man  die  lesarten  der  am  rande  von  A  col- 
lationierten  handschrift  heranzieht,  auch  für  diese,  alles  bleibt  weit 
innerhalb  der  grenzen  normaler  Überlieferungsformen. 

Der  bilingue  Codex  Carolinus  gar,  dessen  bruchstückc  Streit- 
berg 8.  239  —  249  gibt,  erweist  sich  in  seinem  gotischen  teil,  so- 
weit ein  vergleich  möglich  ist  (Rom.  12,17 — 13,  5i,  als  zwillings- 
bruder  von  A :  da  das  erhaltene  fragnient  genau  an  ein  seiten- 
ende  in  A  anschließt,  so  luuss  auch  die  seilen-  und  zeilenlänge  der 
gemeinsamen  vorläge  in  A  und  Car  irgendwie  übernommen  sein'. 

Es  kann  also  nach  dem  bisher  dargelegten  von  äiifseren 
Zeugnissen  für  eine  Umarbeitung  der  gotischen  Bibel  nicht  ge- 
sprochen werden,  und  tatsächlich  sind  auch  die  entsclieidenden 
gründe  für  eine  solche  annähme  nicht  auf  diesem  gebiet  zu 
suchen:  vielmehr  hat  man  die  Überlieferungsverhältnisse  nur  als 
weitere  bestätigung  für  eine  these  herangezogen,  die  ohnehin  aus 
inneren  gründen  festzustehu  schien,  die  beschaffenheit  des  ge- 
samten uns  vorliegenden  textes  war  es,  welche  die  heute  fast  all- 
gemein angenommene  hypothese  von  einer  mehr  (»der  minder 
systematischen,  aber  jedenfalls  ziemlich  stark  eingreifenden  Über- 
arbeitung herausforderte:  und  zwar  soll  der  alte,  auf  der  Koine 
beruhende  text  des  Wnlfila  auf  grund  der  lateinischen  Bil»el  um- 
gestaltet sein:  das  beweisen  eben  die  zahlreichen  stellen,  an  denen 
der  uns  vorliegende  text  abendländische  lesarten  darbietet.  Kauff- 
mann  hat  das  Zs.  f.  d.  phil.  35,  433  f  eingehend  ausgeführt,  und 
Streitberg  hat  ihm  zugestimmt  (s.  xxxiv)  und  in  zahlreichen  einzel- 
anmerkungen  seiner  ausgäbe  oder  durch  nichtberücksichtigung  der 
^lateinischen'  lesarten  bei  der  reconstruction  die  consequenzen  dieser 
Voraussetzung   gezogen,      wie  sollte   es   auch    anders   zu   erklären 

'  die  zeilengetreuen  abdrucke  von  A  und  Car  durch  Uppström  sind 
mir   in    Jena   niflit  zugänglich,   so  dass  ieli  nicht   wi  itcr  nachprüfen  kann. 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL  275 

sein,  dass  ein  auf  der  Koine  beruhender  text  einen  so  starken 
einsclilag  iateinischer'  lesarten  aufweist? 

Sehen  wir  einmal  unsere  liste  der  Varianten  zum  Galaterbrief 
an,  so  ist  zu  bemerken,  dass  eine  anzahl  lesarten,  die  Streitberg 
als  'lateinische'  angesehen  und  ausgeschieden  hat,  auch  bei  andern 
zeugen  der  Koine  begegnen:  2,  (i  (^£Öc  dv^odjnov  n.).  2,9 
(Ilergog  y.al  'kr/..).  3,  28  (fV).  4,  6  (viol  +  ^eov).  4,  26  om. 
nävTwv).  5,  1  {/■  iL),  f),  17  {d'Ü.rjloig  dvTi/.siTat).  5,  23 
{-\-  äyvsia).  b,  24  (-{-  icvicjy).  diese  dürfen  wir  also,  obschon  es 
von  haus  aus  abendländische  lesarten  sein  mögen,  mit  gutem  recht 
als  eine  mindestens  nicht  unerhörte  erscheinung  in  einem  alten 
Koinetext  ansehn  und  getrost  der  griechischen  vorläge  des  Goten 
zuschreiben,  das  macht  uns  mut,  für  die  übrigen  stellen  1,  24 
(«v  iuoi  iöö'^a'Cov).    4,  S  («^foTc  edovkivaan).    4,  L3   {de  om,). 

4,  25    (to   yaQ  ^ivü  etc.).   5,  1    dov/.siag   Lvyo)).    5,  9    {öoJ.oi). 

5,  11  {äri^  om.).  5,  13  (rr^g  ouQV.dg  ■jroiiLre  und  +  xov 
jjvevuarog).  5,  14  (+  bv  vuiv).  6,  11  {yQdf.ifxaoiv  ißiv  go^) 
die  frage  aufzuwerfen,  ob  es  da  nicht  ebenso  gewesen  sein  kann, 
oder  etwas  anders  formuliert:  ist  für  das  gebiet,  in  dem  VVulfila 
würkte,  das  Vorhandensein  einer  stark  mit  abendländischen  les- 
arten durchsetzten  Koinespielart  möglich  oder  gar  wahrscheinlich? 
für  das  gebiet  der  bulgarisch-rumänischen  grenze,  an  der  byzan- 
tinische und  römische  cultureinflüsse  sich  bis  zum  heutigen  tage 
mischen?  die  frage  so,  dh.  in  ihrer  vollen  historischen  bedingt- 
heit  formulieren,  heifst  sie  bejahen,  nichts  ist  natürlicher,  als  dass 
der  Koinetext  an  seiner  nordwestlichen  grenze  früh  eine  Verbin- 
dung mit  seinem  abendländischen  nachbar  eingieng  und  aus  den 
griechischen  handschriften  der  Abendländer  —  die  für  uns  bis 
auf  die  späteren  bilinguen  D  und  G  verloren  sind  —  entlehnungen 
in  gröfserem  umfang  aufnahm,  auch  wenn  wir  keine  Zeug- 
nisse dafür  hätten,  würden  wir  einen  solchen  misehtext  postulieren 
€ürfen:  so  aber  wird  uns  das  werk  des  VVulfila  ein  unsc-hälzbarer 
zeuge  für  die  geschichte  der  nördlichen  Koine  im  frühen  vierten 
Jahrhundert. 

Die  Zuversicht  mit  der  dies  urteil  ausgesprochen  ist,  wird 
noch  erhöht  durch  die  tatsache,  dass  wir  im  Süden  des  Orients 
den  analogen  Vorfall  bertbachten  können,  die  engen  beziehungen 
zwischen  Ägypten  und  Rom,  die  sich  seit  200  immer  deutlicher 
erkennen    lassen,    haben    früh   die    bekanntschaft   alexandrinischer 


-276  LIKTZMANN 

theologcn  mit  abendländiselieni  Bibeltext  vermittelt:  nicht  selten 
befrefxiien  uns  deraitific  Icsarten  bei  Origenes,  aucli  in  die  uneial- 
bibeln,  btsonders  H,  sind  sie  mehrfach  eingedrungen,  und  als 
volle  parallele  zur  Gotenbibel  linden  wir  die  alte  sahidische  Über- 
setzung, die  in  Obcrägypten  gebraucht  wurde,  in  so  reichem 
nial'se  von  abendländisclion  icsarten  durchsetzt,  dass  sie  trotz  ihrem 
unbe;i\veifelten  'ägyptischen'  textdiaraktcr  doch  vielfach  als  neben- 
zeuge für  abendländische  Icsungen  auftreten  kann:  Blass  hat  in 
seinen  ausgaben  der  Lukasschrifteu  lehrreichen  gebrauch  von  ihr 
gemacht. 

Aber  zeigt  nicht  die  gotische  Übersetzung  deutlich  ein- 
würkungon  der  lateinischen  —  niciit  einer  abendländischen 
griechischen  —  Bibel  ?  ist  nicht  durcii  eine  gtanze  fülle  feiner 
beubachtungen  festgestellt,  dass  der  uns  vorliegende  text  in  der 
widcrgabc  der  construclion,  der  auffassung  des  griechischen  in 
lexikalischer  und  syntaktischer  hinsieht  vom  lateinischen  abhängig 
ist'?  zweifellos,  und  wen  die  bemerkungen  Kauffmanns  und  Streit- 
bergs nicht  überzeugt  haben  sollten,  der  interpretiere  für  sich  die 
seilen  23it— 249  der  Streitbergschen  ausgäbe,  wo  der  gotische 
text  bequem  zwischen  dem  Griechen  und  Lateiner  steht,  und  ver- 
folge im  einzelnen,  wie  der  Übersetzer  zwar  stets  den  Grieclien 
widergibt,  aber  immer  und  immer  wider  dabei  den  Lateiner  zu 
rate  zieht,  sogar  ihm  die  vocabel  rapjon  nsgihip  =  raUovcm 
reddet  für  /.öyov  cc:todd)08i  Rom.  14,  12  anpasst.  aber  warum 
sollen  denn  nur  nachgeborene  interpolatoren  so  verfahren  seinV 
warum  nicht  Wulfila  selbst,  der  irihus  Unguis  j^lures  tractatus  rl 
mtdias  httcrpretationes  .  .  .  j^ost  se  drreliquit':f  es  erscheint  mir 
selbstverständlich,  dass  dieser  im  grenzgebiet  aufgewachsene  mann, 
der  aufser  seiner  muttersprache  auch  griechisch  und  latein  be- 
herschte,  die  lateinische  Bibel  bei  seiner  arbeit  ständig  zu  rate 
zog,  möglicherweise  in  der  in  zweisprachigen  gegenden  beliebten 
form  der  bilingue.  diese  Vermutung  wird  noch  gestützt  durcli  die 
auffällige  tatsache,  dass  die  gotische  Bibel  den  Hebräerbrief  nicht 
enthält  und  —  wenigstens  soweit  nach  A  geurtoilt  werden  kann 
—  nicht  entiialten  hat  (Streitberg  s.  xx\i).  dass  griechisch  ge- 
bildete gotische  theologen  wie  der  Verfasser  der  Skeireins  ihn 
kennen,  ist  natürlich  eine  sache  für  sich,  diese  auslassung  ist  für 
das  gebiet  der  Koine  sowol  im  4  wie  im  h  jli.  befremdlich, 
wenn    Epiphanius   G'J.  'M    und    Theodoret    praef.   in    Ilebr.    davon 


DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL 


27  7 


reden,  dass  'die  Arianer  den  Hebräerbrief  verwerfen',  so  wird  das 
■durch  unsere  kenntnis  des  morgenläiidisclien  Arianismus  und 
Seraiarianisraus  nicht  bestätigt:  es  dürfte  vielleicht  nur  reflex  der 
tatsache  sein,  dass  die  'arianisclien'  Goten  den  Hebräerbrief  nicht  in 
ihrer  Bibel  haben,  dagegen  kommt  er  ira  Abendland  erst  gegen 
ende  des  4  jh  s  in  aufnähme:  sein  fehlen  iu  der  Gntenbibel  ist 
also  etwas  typisch  abendländisclies  und  erklärt  sich  besonders  gut, 
wenn  dem  Wulfila  eine  bilingue  vorlag,  deren  lateinischem  text 
Hebr.  von  hause  ans  fehlte:  mit  rücksiclit  darauf  hat  mau  ihn 
dann  auch  in  der  griechischen  columne  weggelassen,  abend- 
ländische Überarbeiter  um  400  würden  Hebr.  nicht  beseitigt, 
sondern  eingefügt  h;iben:  somit  ist  sein  fehlen  der  stärkste  aller 
uns  begegnenden  'latinismen":  und  gerade  der  ist  nur  zur  zeit 
des  Wulfila  möglich,  schliefslich  spricht  für  unsere  annähme 
nicht  zum  wenigsten  die  andere  grofse  Schöpfung  des  VVulfila, 
die  mit  seiner  Übersetzung  in  ursächlichem  Zusammenhang  steht* 
das  gotische  aiphabet:  es  ist  ebeuso  wie  die  gotische  Bibel  im 
wesen  griechisch,  mit  gotischen  eigeuheiteu  und  —  mit  lateinischem 
einschlag.     beide  tragen  dasselbe  antlitz. 

Was  ergibt  sich  aus  dieser  erkenntnis  für  die  reconstruction 
der  griechischen  vorläge  des  Wulfila V  ich  denke  die  forderungy 
dass  der  gotische  text  so  treu  wie  möglich  nachzubilden  ist, 
da  wir  angesichts  unserer  kümmerlichen  kenntnis  der  alten  Koine 
die  möglichkeit,  dass  eine  zur  zeit  noch  unbezeugte  Variante  doch 
dem  original  angehört,  stets  in  rechnung  stellen  müssen,  aber 
der  grad  der  Sicherheit  bezw,  Unsicherheit  ist  kenntlich  zu  machen, 
etwa  durch  cursivdruck  oder  f  im  text  sowie  genauere  angaben 
ira  kritischen  apparat.  dieser  selbst  kann  dafür  entlastet  werden, 
indem  alle  stellen,  an  denen  etwa  aus  Tischendorf  bereits  die 
nötige  Koinebezeugung  für  den  gotischen  text  ersichtlich  ist,  ohne 
coiimentar  bleiben  und  zeugen  nur  da  angeführt  werden,  wo  die 
Unterstützung  nicht  aus  Tischendorf  ersichtlich  oder  dürftig  ist: 
dass  für  die  reconstruction  neben  Chrj^sostomus  und  Theodoret 
vor  allem  die  Peschito,  aber  auch  die  palästinensische  Übersetzung 
systematisch  heranzuziehen  ist,  glaube  ich  erwiesen  zu  haben, 
dass  man  lesarten  des  abendländischen  textes  einzustellen  hat, 
folgt  aus  dem  bisher  dargelegten :  wo  D  G  den  griechischen  Wort- 
laut nicht  bieten,  ist  er  'ermutungsweise  durch  rückübei-setzung 
herzustellen  und  durch  cursivdruck  als  fraglich  kenntlich  zu  machen. 


27S    LIETZMANN,  DIE  VORLAGE  DER  GOTISCHEN  BIBEL 

gegen  die  niifnalinic  von  lesarten.  die  go  mit  dem  ägyptischen 
text  gemein  li;vt,  bestelin  erst  recht  keine  bedenken:  je  älter  die 
Koine,  desto  loicliter  sind  einwüikungen  der  alexandrinisclien  Bibel 
begreifhch,  die  ja  aucli  ilirerscils  deutlich  die  spuren  der  wechsel- 
wüikiMig  trägt,  als  beispiel  wie  ich  mir  die  linke  seite  einer 
neuen  auriage  der  Streitbergschen  Bibel  denke,  gebe  ich  Gal.  4, 
6 — IS:  die  familien  bezeichne  ich,  um  verweclislungen  auszu- 
schalten, mit  fracturbuchstaben:  Jp  =  äg3'ptischer  text  (des 
IlesychV),  St  =  Koine,  !lLs  =  westlicher  text  der  lateinischen 
zeugen. 

IV  ()  C/Tt  o£  £'7Te  ulol  i)cO'j,  izy.~ir:zzOxy  6  r)sr?  tö  TrvEova 
ToC  uioo  aoTO'j  sie  tv.c  xapf^iy;  oaiov,  /co^^ov  •  äßää  o  —y.zro. 
1  cuTTö  o'j/.iTt  si  ooO>.oc,  [äXXa  ulöc]  •  v.  ()k  uld:,  x.al  x.'Xroovo- 
i7.o;  i)£0'j  <)<,'/.  XpKjToC.  8  y.^Cky.  totö  yiv  oOx.  sir^i'-ö;  5)$ov 
Totg  (pv-'cit  {7.y  00  t  flcotc  £fVj>j).£'JcaTö  •  y  v'Tv  (ie  iöov  yvovTs; 
■Oec'v,  |7.aA>.ov  fis  YvcorjOsvTs;  Üttc  flsoG,  ttw;  erreorQtil'aoite 
-rraXtv  £-1  Ta  aaDsv?  x.7.',  r-^y/y.  CTO'./sia,  oi;  r:y\vi  c/vojOsv 
f^O'j>c'j£'.v  Dsls"  ;  10  r^y-spy;  -zpaTr^pa-jOs  x.'/l  v/T^va;  y.al 
xatpou?  y.al  svty.u-oi.'!;  ;  11  o:ßoGy.ai  u[7,'/;  ij.7  7:<o:  slx.v;  y.sx.oTTia/.a 
£i;  üy.äc.  12  cJ//.f<  yivörnOE  o,;  syo',  cti  x.ayo!)  ac  uy.£i;,  ä- 
<^£Xooi,  f^foy.yi  tp.alv.  o'jfilv  y.£  r^iysiny.TZ.  13  o'i'^aTE  ['^i]  Öti 
fii'  acTtlivstav  t?;  ny.o/lc,  vyr.y\'zkinyfj:rv  uaTv  to  ttoc'teoov, 
14  /.'yl  Tcv  7r£'.pa'7[j.cv  tcv  äv  tv  ny.z/J.  u.ryj  oux.  scciuOcv/ca-i 
oüfV  £C£-T'JcraT£,  0».'  de,  ayyslov  {)£ou  £f^£;ac')£  {y.£,  c  ;  XoirjTov 
I'/]'7ouv,  1 5  Ti?  oüv  YjV  6  [7-a/.a  trru.o;  uy.tiTv ;  [^.apTupcu  yap  Oaiv 
CTi  £1  o'jvzTcv  TO'j;  cOi)a^ao'JC  uy.ojv  £Cooü^y.vTS?  av  £f^t<jx,y.T£ 
f/.oi.  10  Ü'tt:  >■  s/Hpc;  uij-tZv  yiyova.  aX*/ji)£U(ov  ufy.Tv ;  17  ':^-/j- 
XoGtiv  uv.ä;  oü  x-aXwc,  äXXa  £x,x,>.£i'7at  u[7.ä;  fliXoucjiv,  Iva  au- 
Tou;   ^r^Xo'jTS.      18   y.7.y.lv   <)s,  t  -^   ';^-/jXoui79ai  sv  /.aXuJ  — avTOT£. 


6  3:oC  go  DG  2}  Ps  Justin  expos.  5  (var.)]  om.  rell.  7  aXXa  u'cs 
om.  go  (Schreibfehler)  8  soouXsLTaTe  lach  ö-joi?  go  DG  2B]  nach  9-£C/V 
rell.  I  oüaet  [xr]  go  P  pesch  J^]  (jlt,  ovas'.  .ft'  9  Jooü  ör/c^.  j  go  er.ejTiE'^acO-s 
go  peschl  sr.'.aTp^sEis  rell.  12  &AXä  rjc/rf.  go  13  Sk  om.  goDGSi^:  väp 
pesch  14  r$.c.a'T[j.ov  go  C  pesch|  -f"  H-^'-"  iv         Iß    wote]    'aber  nun  wie' 

go  'etwa'  pesch        18    o£  -\-  iiv.v  go  pesch  wol  als  iibersetzungsbilfe. 

Jena.  Hans  Lietzniann. 


279. 

zun  VATICANUS  MIT  DEN  ALTSÄCHSISCHEN  GENESIS- 
FE.AGMENTEN  K  Um  der  heiniat  der  im  palatincodex  der  Vati- 
cana  1447  erhaltenen  as.  Genesisfragmente  näher  zu  kommen, 
war  es  notwendig,  in  der  handschrift  selbst  nach  einer  spur  zu 
suchen,  sie  fand  sich  im  kalender  und  führte  nach  SAlban  und 
Silartin  (dorn)  in  Mainz,  wie  und  woher  kam  der  codex  nach 
SAlban,  da  er  doch  reichliche  Magdeburger  eintiäge  aufweist? 
Jostes  stellte  die  fi-age,  wie  ist  der  Magdeburger  kalender  in  den 
Mainzer  hineingekommen?  da  derselbe  im  mittelalter  nicht  aus 
Mainz  herausgekommen  ist,  so  ist  es  kaum  anders  denkbar,  als 
dass  ein  Magdeburger  [als  münch  oder  als  Student]  die  feste  seiner 
heimat  in  den  Mainzer  kalender  eintrug  (Zs.  40,  129).  später  ist 
auch  Wrede  auf  die  frage  eingegangen  (Zs.  43,  333). 

Ein  eingehendeies  Studium  der  Mainzer  geschichte  gerade 
im  10  Jahrhundert  liefs  mich  zwischen  SAlban  und  Magdeburg 
vielfache  beziehungen  tinden;  ich  begnüge  mich  damit  die  ein- 
schlägigen geschichtlichen  daten  hier  zusammenzustellen. 

il37  mai  23.  kg  Otto  I  ("tSö — 73)  dotiert  eine  Schenkung 
au  den  priester  Hartbert :  actum  civitate  Jlog.  ad  S.  Alhanum. 
(Diplomata  Ottou.  I  nr  8.) 

937  mai  29.  kg  Otto  I,  zu  N.- Ingelheim  weilend,  schenkt 
an  SAlban  sein  hofgut  zu  Grofs -Winternheim  (bei  N.-Ingelh.): 
ex  fisco  nostro  Ingelheim  .  .  .  ecclesie  S.  Alb.  foris  mumm 
Maguntiae  .  .  .    (Dipl.  Otton.  I  nr  9  ;    Stumpf  Acta  imp.  s.  5.) 

940  juni,  mehrmals  in  Mainz  —  actum  Magontic  —  iw 
Maguntia  —  2Log.  ad.  s.  Alhanum.  (Dipl.  Otton.  I  nr  31.  32; 
Mittelrhein,  urkb.  I  239.) 

942  juni  2.  Ottol  urkundet:  inMaguntla.  (Dipl. Otton. Inr 47.) 

953  august  11  u.  20.  Otto  I  urkundet:  publice  in  civitate 
Magontia.     (ib.  nrr  166.   168) 

953  Liutgard,  tochter  Ottos  I,  wird  in  SAlban  beigesetzt^ 
ihre  silberne  spindel  daselbst  aufgehängt:  [Luidgarda,  filia 
Ottonis  I\  in  ecclesia  Christi  martiris  [S.  Alb]  in  Mogoncia 
flebiliter  est  sepulta,  cuius  fvsum  argenteitm  in  eins  memoria 
ibidem  est  snspensum.  (Thietmari  Chron.  1. 11  c.  24,  ed.  Kurze  s.  43.) 

954  Wilhelm.  soLn  Ottos  I,  wird  erzb.  v.  Mainz,  beigesetzt 
in  SAlban;  epitaphverse.    (Jaffd  Moguntina  s.  719.) 

957  Ludolf,  söhn  Ottos,  herzog  von  Schwaben,  wird  bei- 
gesetzt im  Chore  des  klosters  SAlban ;  epitaphverse.  (Marconi 
Sc.  ehr.  ad  ann.;  Jaffe  s,  7i9.) 

955  apr.  4.  Otto  I  schenkt  auf  bitten  Idas,  der  witwe 
Ludolfs,  zu  dessen  Seelenheil  sein  gut  zu  Neisen  im  Lahngau 
an  SAlban:  praedium   in  villa  Nasina  ...  ad  aecclesiam  SAlb. 

»  Die  nachstehnden  notizen  hat  mir  pfarrer  Falk  kurz  vor  seinem 
tode  (1909)  zur  Verfügung  gestellt,  nachdem  es  nicht  möglich  gewesen  ist^ 
sie  in  anderm  Zusammenhang  zu  verwerten,  bring  ich  sie  so  wie  sie  Falk 
niederschrieb  zum  abdruck.  '^-  "• 


280  FALK,  VATICANÜS  MIT  D.  ALTSÄCHS.  GENESISFßAGM. 

t/ue   eat  Joris  muros  Moijoncie   constructa.     Acttiin  Morjuncia   ri- 
■vitaie.    iCüd.  dipl.  Nass.  ed.  Sauer  nr  91;  Joaniiis  II  735.) 

963  juli  'il.  Otto  II  bekundet  die  schon  vom  vater  be- 
absiilitijj'te  Schenkung  des  hofes  HergentVld  bei  Bingen:  ad  eccl. 
S.  Alb.  III  (/iie  foris  muruiii  civitatis  Moyontinc  condructa  esse 
videtnr.     (Dipl.  Otton.  II  nr  9;   Stumpl'  s.    ','>0\.) 

'     975  jnni.    Willigis,  seit  jaliien  um  kaiserl.  hofp,  wird  erzb. 
von   Mainz  auf  Ottos  cinfluss  liin. 

993  sept.  kg  Otto  III  schenkt  an  SAlban  auf  Willigis 
Verwendung  G  königshufen  wald  zwischen  Kebersheim  u.  Wicsel- 
bach  im  Nahegau:  \l  regales  mansos  ...  ad  xl  porcos  saginan- 
dos  etc.     (Dipl.  Otton.  III  nr   I05;  Stumpf  s.  33.) 

996  Jan.  21.  Otto  III  schenkt  an  SStephan  in  Mainz  ein 
gut  im  Rangau;  SStephan  ist  eine  Stiftung  von  Willigis.  (Dipl. 
Otton.  lU  nr  IS;».  249.) 

996  oct.  21,  Otto  III  genehmigt  einen  gütertausch  SAlbanS 
mit  seinem  getreuen  Eberhard.     (Stumpf  s.  361.) 

Im  gefolge  des  kgl.  hofes  befanden  sich  cleriker,  welche 
der  kalendarien  usw.  bedurften,  der  kgl.  hof  weilte  abwechselnd 
in  SAll)an  und  in  der  sächsischen  heimat. 

Klein-Winternheim.  Franz  Falk  j. 


ZUR  SPRACHLEHRE  DES  1 6.  JAHRHUNDERTS.  Nach 
einem  hinweis  Morfs  hat  ESchröder  oben  s.  135  die  schrift  De 
differentia  vulgarium  linguarum  des  Bovillus  1533  und  eine 
daiiii  enthaltene  sprachliche  erörterung  zwischen  dem  Franzosen 
Bovillus  und  dem  deutschen  gelehi-ten  Trithemius  als  lücken- 
büfser  behandelt,  beiden  gelehrten  ist  unbekannt  geblieben,  dass 
ich  die  gleiche  schrift  und  stelle  in  meinem  buche  'Von  Luther 
bis  Lessing'  sprachgeschichtlich  eingereiht  und  bewertet  habe; 
vgl.   1.  aufl.  s.  51  =  5.  aufl.  s.  69. 

Ich  benutze  diese  gelegenheit,  auf  eine  deutsche  Sprachlehre 
des  H)  jli.s  hinzuweisen,  die  der  gelehrsamkeit  Jellineks  (Ge- 
schichte der  nhd.  grammatik.  Heidelberg  1913)  und  wol  auch 
andern  entgangen  ist  das  büclilein  "Lorenz  Fries,  der  ge- 
schichtschreiber  Ostfi-ankens'  von  Heffner  und  Reufs  erwähnt  s.  30 
eine  verloren  gegangene  schi'ift  des  Fries  'Von  der  Art,  Eigen- 
schaft und  dem  Gebrauche  der  hochdeutschen  Sprache'  mit  den 
Worten:  'dieser  schrift  erwähnt  Fries  an  zwei  stellen  (Ludewig, 
Sammlung  der  geschichtschreiber  des  bistum  Würzburg.  Frank- 
furt a.  M.  1713)  s.  425:  was  nun  pagus  haisse,  hah  ich  in 
ainein  andern  buch,  so  ich  von  art,  aigens'haft  und  gebrauche 
der  hohen  deutschen  zungen  schreibe,  antzaignng  gcthan.  —  s.  449: 
loas  atier  pagus  pag  gewest  sei,  davon  such  in  meinem  buch  dcw 
ich  von  rechter  art  und  aigenschaf't  der  hohen  deutschen  zungen 
gemacht  hah\  F.  Kluge. 


ZUR  SPRACHE  VELDKKES. 

1 .    0 n neu   o  d  e  r   g o n n en? 

CvKraiis  hat  auf  gruud  seiner  beobachtungeii  zum  rührenden 
reim  oben  s.  61  die  Vermutung  ausgesprochen,  dass  Veldeke 
noch  präüxloses  onnen,  onde,  geonncn  'gönnen'  gesprochen  habe; 
er  verweist  zur  stütze  auf  Serv.  ii  1S73  veroinieii  (iiif.).  ich 
war  inzwischen  von  ganz  anderer  seite  zu  derselben  meinung 
gekommen,  bei  den  vorarbeiten  zu  einer  neuausgabe  des  Karl 
und  Elegast  (KE)  habe  ich  die  ganze  ältere  überliefei'ung,  die 
von  der  Rheinprovinz  über  Limburg,  Brabant  nach  Antwerpen 
und  Delft  läuft  und  sich  über  das  14  und  15  jh.  erstreckt, 
sprachlich  untersucht,  uzvv.  vor  allem  mit  dem  blick  auf  die 
geographie  der  laute  und  formen,  dabei  zeigte  sich  für  'gönnen' 
folgendes  resultat:  das  Haager  fragment  H,  2  hälfte  des  14  jh.s, 
von  dem  mir  College  Kloeke  in  Amsterdam  eine  abschrift  besoi'gt 
hat,  überliefert  rcronnen  inf.  590  {:  fihewoimex),  onste  634  (nach 
Kuipers  Zählung);  der  Delfter  druck  A  (1478 — 1488',  ebenfalls 
nach  einer  abschrift  Kloekes,  vergönnen,  gonsfe  und  gönne  conj. 
1413,  also  y-  wie  in  dem  rheinischen  Karlmeinet  [vergunnen  K 
382,  30,  gunde  383,  13,  gimne  394,  4S);  aber  83,  wo  die  frei- 
schaltende Überlieferung  K  nach  mhd.  gepflogenheit  gunde  :  be- 
gunde  reimt  (374,  61),  hat  A  onste  :  hegousie  aus  älterer  Über- 
lieferung bewahrt,  uzw.  im  einklang  m.it  seinem  sonstigen  re- 
spect  vor  den  reimstelleu.  da  nun  H  ohne  zweifei  nach  Lim- 
burg, zumindest  an  die  limburgisch-brabantische  grenze  gehört 
(an  die  40  mal  ich  'ego'  neben  oec  572  'auch'  und  ic,  ick,  falls 
das  pron  in  enklise  steht  oder  ihm  selbst  ein  adv.  incliniert 
ist:  hehhk  513.  536;  dadlc  628,  ■wlllic  630,  jayc  649,  weet 
icker  525,  soude  icker  52S,  hadde  icker  586),  und  da  die  heiniat 
des  Originals  nach  dem  ergebnis  meiner  Untersuchungen  das  an- 
stof sende  Brabant  ist.  so  wäre  zu  schliefsen:  die  prätixlose  form 
ist  limburgisch-bi'abantisch,  die  g-iorm  rheinisch  und  holländisch. 
mit  recht  hat  deshalb  Kuiper  in  seiner  kritischen  ausgäbe  die 
V-losen  formen  bis  auf  1413,  das  ebenfalls  zu  ändern  wäre, 
durchgeführt,  die  brab.  fragmente  MN  überliefein  die  form 
leider  nicht,  aber  interessant  ist  das  verhalten  von  b,  das  sind 
die  drucke  BCDE,  alle  Antwerpener  he-rkunft.  sie  überliefern 
übereinstimmend  /-  in  83.  590.  634,  g-  in  1413,  was  ich  für 
B  meiner  eignen  abschrift,  für  CDE  Kuipers  apparat  entnehme. 
für  die  nach  westen  gelegenen  gebiete  dürfen  wir  demnach  j- 
aus  gi-  (Franck  Mnl.  gr.  §  108)  als  cliarakteristische  form  er- 
warten, dazu  stimmt  auch  die  beobachtung  Mullers  im  Reinaert- 
commentar  (Mu.),  Utrecht  1917,  s.  73,  der  für  die  fläm.  hs.  A  (an- 
fang  des  15  jh.s)  durchgehends  j-formen  notiert,  die  die  neue  hs.  F 
(+  1340)  consequent  in  prätixlose  formen  umsetzt,  dass  diese 
Z.  F.  D.  A.  LVI.    X.  F.  XLIV.  19 


2S2  FRINGS 

lis.  narli  Hnllaiul  j,'eliürt.  wird  von  Mu.  s.  !.'>  selbst  bezweifelt 
und  ist  in  der  tat  nicht  sicher  zu  erweisen,  da  pie  textkritisch 
en^  bei  Martins  frag-nient  E  steht  [M\\.  s.  Ki.  35),  so  könnte 
man  auch  an  geographische  verwantschatt  denken;  gewis  ist 
jedenfalls,  dass  auch  E  das  Häm.  /-  zu  <j;unsten  der  präfixlosen 
form  pieisgibt:  QF.  (»r»,  s.  27  v.  314()  lii  ans  om  E  g:e}?en 
jaus  A;  E  aber  ist  brab.  (so  QF.  s.  12.  13:  ostbrab.  Mu.  s.  4!) 
gep^en  LWillems  Tijdschr.  3(»,  224  —  237,  dei-  für  die  geg'ond 
von  Venlo  li^iünde  zu  haben  g-laubt),  dass  für  das  holl.  //-  als 
charakteristicuni  igelten  kann,  beweist  aucii  K  (hs.  von  Reiuaertlli, 
die  man  nach  Holland  setzt  und  die  in  die  zeit  des  A-druckes 
vom  KE  gehört  (+  1475;  Mu.  s.  11).  4!)):  sie  hat  statt  des  ./- 
von  Rein.  I  durchgängig  7-;  vgl.  Martin  Rein.  II  lü  gönnen  inf. 
(:  hegoiiiicii).  lO'.l!)  i/mi ,  2582  gönne  gegen  ,/-  in  Rein.  I  10. 
1074.  25(;o  ;  weitere  belege  für  Rein.  II  in  Verdams  Mnl.  wb. 
(V.)  u  2l)(i5  unter  gonste  'gunst';  dieselbe  beobachtung  mit  zum 
teil  anderen  beispielen  bei  Muller  Tijdschr.  7,  43'.  jonm-n  als 
charakteristicuni  der  west-,  onuen  als  charakteristicuni  der  ost- 
hälfte  der  südl.  Niederlande  lässt  sich  auch  aus  den  dialect- 
proben  bei  Franck  Mnl.  gr.  -  s.  207  ff  ablesen,  aus  des  West- 
Hamen  Maerlant  Spiegel  histuriael  liab  ich  mir  jonstf  (prät.) 
373  (nach  Francks  Zählung),  aus  dem  Häm. -Seeland.  Walewein 
jonncH  (52  (.•  hefonncin  notiert,  wobei  betont  sei,  dass  in  beiden 
fällen  auch  die  hss.  fläm.  sind  (mitte  des  14  jh.S);  ira  Leven  van 
SLutgart  des  Willem  van  Afflighem,  der  zuletzt  leiter  der 
Benedictinerabtei  STruiden  in  \Vestlimburg  war,  heilst  es  aber 
onstich  'günstig'  G.  130,  onncn  inf.  20  (.•  begonnen),  als  formen 
der  limb.  Seimoenen.  deren  lis.  dem  14  jh.  angehört  und  die 
man  in  die  gegend  von  Maastricht  oder  Tongeien  setzt  (Kern 
§  226  s.  170),  gelten  inf.  onnen,  veronnen\  präs.  ind.  1.  3.  sg. 
an,  1.  3.  pl.  onnen,  veronncn\  opt.  1.  3.  sg.  onne  .Kern  §  217 
s.  liiO).  das  umfangreiche  belegmaterial  von  V,  das  unter  0- 
und  go-  steht  (unter  go-  auch  .70-;  die  fälle  des  alten  gc-o  lass 
ich  beiseite  ,  ist  nur  mit  vorsieht  zu  benutzen;  denn  das  bei- 
spiel  des  KE  zeigt  zur  genüge,  wie  gründlich  die  spätere  Über- 
lieferung die  formen  des  oiiginals  umgesetzt  hat;  und  dazu  sind 
wir  in  vielen  fällen  nur  mangelhaft  über  die  dialectzugehüiig- 
keit  der  originale  unteriichtet.  aber  dennoch  glaub  ich  es  im 
grofsen  für  meine  gruppierung  verwerten  zu  k'"'niien.  bei  onnen 
inf.  und  omte  subst.  V.  v  S37  ff.  'J4G  ff  halten  sich  die  sicher 
zu  localisieienden  denkmäler  des  Ostens  und  westens  die  wage; 
bemerkenswert  ist  aber  ntet  onsten  Serv.  i  217(5  (ich  eitlere 
nach  l'iper>  V.  nach  Bormans,  der  mir  nicht  zugänglich  ist). 
an  dem  artikel  onstich  V.  v  950  ist  das  Lev.  v.  SLutg.  stark 
beteiligt,  und  onsfichril.  wird  fast  ausschliel'slich  mit  brab.  be- 
legen bestritten,  aus  dem  osten  stammen  auch  die  belege  zu 
onstelijc,    -Uke    adj..    adv.   V.   v   *>4^,    darunter    met    onstellker 


ZUR  SPRACHE  VELDEKES  283 

trouwen  Serv.  ii  770  und  das  tmstelech  'favorabilis',  imsieleke 
'favorabiliter'  des  Beruer  glossars  (1:^/14  jh  ,  limb..  nähe  der 
limb.  Sermoenen;  vgl.  Buitenrust  Hettema  s.  IV.  XXIX).  bei 
den  von  V.  unter  onnen  angeführten  sonderglossaren.  die  unter 
an  1.  sg.  präs.  präiixlose  belege  bringen  (ilelibeus.  Lorreinen) 
wäre  noch  van  den  Bergh  zu  Heiniics  Roman  van  Heinric  en 
Margriete  van  Limborch  nachzutragen,  bd  ii*274.  in  den  artikeln 
g{j)onnen,  g{j  omte,  (i[j)omikh,  g(j)oiisticheit,  g{j)onsteiijc, 
-like  (V.  II  2062.  2065.  2ti66.  2067)  treten  die  in  den  o- 
artikeln  begegnenden  östlichen  denkmäler  stark  zurück,  eine 
genauere  Scheidung  des  ./-  und  <j-,  das  auch  dem  süden  nicht 
ganz  abzusprechen  ist,  scheint  unmöglich,  immerhin  wiid  man 
auf  grund  der  belege  sagen  können,  dass  g-  (d.i.  die  gutturale, 
mehr  oder  minder  stl.  Spirans  neben  der  sth.  palatalen  spirans 
./-)  vor  allem  dem  brabantischen  eigentümlich  ist,  und  zwar  den 
von  Limburg  entfernteren  centralen  teilen  das  starke  schrift- 
sprachliche streben  der  Mittelniederländer  hat  neben  der  um- 
setzenden tätigkeit  der  Schreiber  die  dialektischen  formen  ge- 
mischt und  dann  auf  dem  ganzen  gebiete,  vor  allem  aber  in  der 
mitte,  in  Brabant,  zu  einer  concurrenz  von  g-.  ,/-  und  prätix- 
loser  form  geführt,  und  die  muste  gerade  in  Brabant  um  'so 
stärker  sein,  als  hier  auch  in  der  mda.  die  drei  tj'pen  auf  enger 
fläche  nebeneinander  standen,  genauere  kritik  der  hss.  wird 
volle  klarheit  bringen;  dass  aber  mein  resultat  in  den  grund- 
zügen  richtig  bleibt,  das  verbürgen  mir  die  heutigen  mdaa.: 
De  Bo  Westvlaamsch  idioticon  (Brügge  1873)  s.  47  3  belegt 
jimnen  (Jeiincn),  jiwde,  gejiind,  junstr  und  bringt  zudem  belege 
aus  Pater  Poirters  (ende  des  17  jh.s)  und  dem  vor  kuizem  ver- 
storbenen Karel  de  Gheldere ;  dazu  stimmen  meine  eigenen 
westfl.  aufzeichnungen  aus  Yperen,  Westroosebeke,  Thielt, 
Iseghem,  Moorseele,  Clercken,  B)-ugge:  janu.  Jonen,  Jmn,  mit 
geschlossenem  oder  halb  offenem  0.  auch  Ostflandern  hat  j:  Ne- 
vele  bei  Gent  Jona  und  jcum,  Aalst  jnicn,  und  selbst  Brüssel  im 
westl.  Brabant:  Jone,  für  das  gebiet  von  Antwerpen  und  Mechelen 
ist  jonnen  bei  Cornelissen  und  Vervliet  Antwerpener  idioticon 
(Gent  1899)  belegt,  also  in  Übereinstimmung  mit  den  Antwerpeuer 
b-drucken  des  KE,  deren  ältester  von  1496  stammt,  aber  gleich 
östlich  von  Brüssel  belegt  Goemans,  Leuvensche  Bijdragen  2,  37. 
40.  41  gunst  für  Leuven,  und  gleich  östlich  von  Antwerpen  habe 
ich  mir  für  Herenthals  ggne  notiert,  demnach  läuft  die  ./-/r/- 
grenze  heute  von  norden  nach  süden  durch  das  herz  von  Brabant; 
sie  wird  durch  die  ./-orte  Antwerpen,  Mechelen,  Brüssel  gegen 
die  g-OYi&  Herenthals  und  Leuven  bestimmt,  leider  hab  ich  das 
wort  für  die  östlichen  dialekte  der  südl.  Niederlande  nicht  ver- 
folgt, da  mein  Interesse  auf  die  quantität  und  qualität  des  vocals 
gieng.  aber  das  //-gebiet  kann  nicht  sehr  grofs  sein;  man  muss 
es  sich  als  einen  schmalen,  central-  und  ostbrab.  nordsüdstreifen 

19* 


284  FKIXGS 

vorstellen;  denn  Tongeren,  .">()  km  iistl.  von  l.euven  und  20  km 
westl.  von  ^laastiicht  hat  one  nacli  Gniolaers,  Lenv.  Hijdr.  s,  14S, 
somit  in  übeieinstimmiuip-  mit  der  älteien  linib.  übcrliefernng-. 
vor  allem  den  Strinoenen.  wie  fi;-roIs  das  prätixlosi;  .y-ebiet  hentc. 
ist,  kann  ich  niclit  sagen;  es  wird  nach  osten  durch  das  mfrk. 
./-gebiet  abgelöst  {joiii-  in  Aachen),  dessen  ./-  von  ./-  und  »i- 
konimen  könnte,  aber  nach  ausweis  der  nii'rk.  üboilieferung  auf 
'/-  zurückgt'ht. 

Damit  ist  die  pi-ätixlose  form  für  Veldeke  nach  allen  selten 
sicher  gestellt  stutzifr  machen  könnte  Serv.  t/an  {:  man),  yumk 
{  :  h<i)ide<  1  I'.ITU:  ii  ^}\[\.  I81-J.  2ir)7.  252G,  die  vKraus  gleich 
den  vorhin  herangezogenen  o-formen  nicht  anführt  (die  beispifle 
nach  Piper;  zwei  weitere  belege  bei  V.  und  Leviticus  Laut- 
uml  flexionslehre  der  SServatiuslegende,  Ilaarlem  IS?)!),  {j  142, 
kann  ich  nicht  auffinden),  aber  hier  hat  die  junge  hs.  junge 
formen  ans  dem  benachbarten  mfrk.  übernommen,  die  einfache 
verbtvlbildung  ist  von  dem  mfrk.  (j-  bei'eits  stark  ergriffen  (oimr 
3.  sg.  präs.  conj.  nach  Leviticus  nur  i  I2()(i),  das  verbale  com- 
positum rcriiinieii  und  die  norainalljildungen  {>itet  oksIch,  onsterih) 
haben  jedoch  die  alten  bodenständigen  Verhältnisse  bewahrt,  das 
eindringen  des  mfrk.  ;/-  steht  im  Zusammenhang  mit  der  allge- 
meinen revolution,  die  das  südl.  ndfr.  auf  dem  weiten  bogen  von 
Tongeren  über  Crefeld-Ürdingen  bis  in  die  gegend  von  Elber- 
feld  durch  den  westlichen  und  nördlichen  vormarsrh  mfrk.  formen 
erfahren  hat. 


2.    te  spoede  oder   Ic  (joedc? 

Für  MFr.  67,  34  den  erget  et  wale  te  giide  (;  die  güde) 
schlägt  vKraus  oben  s.  62  te  spüde  vor  unter  berufung  auf  den 
Karlmeinet,  er  hätte  auch  noch  auf  das  mnl.  verweisen  können 
V.  VII  1769.  klarer  und  beispielreicher  als  jedes  der  deutschen 
Wörterbücher  entwickelt  V.  die  bedentungsgeschichte,  die  sich  von 
dem  grundwert  'fortgang,  fortschritt'  (voortgang,  goede  voort- 
gang,  goed  gevolg,  gclukkige  uitkomst,  success,  welslagen)  zu 
den  abgeleiteten  begriffen  'glück'  (voorspoed,  geluk,  auch  heil) 
und  'beschleunigung,  eile'  (bespoediging,  het  spoed  maken  met 
iets,  het  voortnmken,  spoed,  auch  haast)  entwickelt,  von  hause 
aus  ist  dem  grundwert  'fortgang'  nicht  einmal  die  nuance  'gut, 
glücklicli,  erfolgreich'  eigen ;  er  bezeichnet  das  'vorwärts,  die 
Vorwärtsbewegung"  schlechthin,  und  das  hat  dann  veranlassung 
gegeben,  zur  bezeichnung  des  "glücklichen  vorwärts,  des  glucks' 
auf  hd.  und  ndd.  boden  franispiiot  und  royspül,  vorespoet,  zur 
bezeichnung  des  gegenteiligen  Verlaufs  das  ndd.  ndl.  n-edderspöt. 
iceders])oet ,  tegempoet  zu  schaffen,  also  den  grundwert  durch 
prägnante  partikeln  zu  differenzieren;  das  simjdex  hielt  sich  nnl. 
nur  in  der  bedeutung  'eile'. 


ZUR  SPRACHE  VELDEKES  285 

Wie  stellen  sich  hierzu  die  beispiele  aus  Kailni.,  auf  die 
vKraus  sich  beruft?  die  bei  Bartsch  Über  Karlm.  s.  324  an- 
geführteu  reimfälle  sind  alle  unter  dem  Stichwort  'eile'  summiert, 
aber  diese  bedeutung-  trifft  nur  für  einen  teil  der  fälle  zu,  die 
zudem  an  die  formal  mit  spöde,  mit  (/öder  t<iM  gebunden  sind. 
es  handelt  sich'  um  i  4,  23.  17,  11.  190,  l'.i  (alle  mit  spMe  : 
i/öde  dat.  von  got  subst.  oder  flect.  adj.,  in  der  prägnanten  be- 
deutung- von  adv.  'schnell'),  m  34 S,  25.  353,  22.  3G3,  16  (alle 
mit  göter  sjwt  :  cjöt  adj.  und  zu  mindest  in  3G3,  16  [vgl.  363, 
14  das  parallel'.vort  hacstl ich]  und  darnach  auch  wol  in  den 
anderen  fällen  mit  der  prägnanten  bedeutung  von  adv.  'mög- 
lichst schnell'),  iv  391,  28  (mit  </dder  spot  'schnell',  vom  be- 
arbeiter  für  die  entsprechende  mnl.  formel  metio-  sjxxit  [V.  vu 
1772]  eingesetzt,  die  sich  390,  21  aus  dem  original  [Kui.  KE 
1102.  IISI]  in  der  form  mit  der  spot  gehalten  hat;  metter  i^poei 
hat  mnl.  den  wert  von  metter  haast).  au  nur  drei  stellen  tritt 
die  bedeutung  'gelingen,  erfolg'  hervor  und  zwar  in  i  lOG,  2S 
got  geve  uch  goeden  spoet,  in  v^  416,  29  syne  siege  en  hedden 
geynen  spoett,  und  auch  in  i  66,  13  dat  ich  neit  en  achten  up 
de  spoet  'dass  ich  mir  um  das  gelingen,  den  glücklichen  aus- 
gang,  keine  gedanken  mache*,  im  übrigen  zeigt  das  wort  im 
mfrk.  gegenüber  dem  mnl.  zwei  weitere  nuancen:  einmal  'vor- 
teil, zweck'  und  dann  weiter  'anlass,  absieht'  in  der  formel  uin 
de{n)  spot  i  10,  59.  12,  31.  17,  37  'um  des  erfolges  oder  Vorteils 
willen,  zu  dem  zwecke,  aus  dem  anlass'  (daher  auch  9,  38  durch 
einche  boese  spoet  'in  irgend  einer  niedrigen  absieht')  und  dann, 
abgesehen  von  9,  38,  auf  einen  folgenden  nebensatz  hinweisend, 
der  den  zweck,  den  anlass  oder  die  absieht  näher  bestimmt,  zb. 

12,  31    hei  dedc  id  allet  umb  den  spoet  dal  hei  Karlle 

ironlde  liclpen  si/Dre  eren;  ein  andermal  'art  und  weise'  und 
dann  in  abhängigkeit  von  mit  das  adv.  eines  zwischenstehenden 
adj.  umschreibend:  i  mit  lever  sput  11,  26  'in  freundlicher  weise', 
und  ebenso  mit  hescheijdener  spoet  72,  53,  mit  hardc  koestelichem 
spoet  110,  28,  mit  stoeltzelichem  spode  200,  44,  ii  sy  namen 
Morantz  goet  ind  in.  dar  va  mit  boeser  spoet  besachten 
boeszlich  223,  65,  in  ind  dede  us  syne  wapen  guet  ind  cleyde 
!>ich  mit  hranrker  spoet  'und  tat  geringere  kleidung,  keine 
lüstung,  an'  348,  38.  diese  geschwächte  bedeutung  lässt  sich 
zwanglos   aus   der  adv.  formel  ^nit  spnl  'schnell"  ableiten,   wenn 

*  Die  fehler  iu  Bartschs  citaten  verbessere  ich  mit  hülfe  meines 
reiinwörterbuchs;  nur  den  beleg  mit  ^pode  aus  V  kanu  ich  nicht  auf- 
treiben, da  mein  rwb.  nicht  soweit  reicht,  falsch  ist  sonder  spoet  18,  2 
(:  f/uet)  verstanden,  das  'fürwahr'  bedeutet;  die  hs.  liat  spät,  und  wir 
werden  einen  reim  spot  :  (jut  annehmen  müssen,  es  sei  allerdings  nicht 
verschwiegen  dass  das  Ber'ner  glossar  eiii  spuet  'ridiculum'  enthält,  das  V. 
vr  1773  in  spot  ändern  will,  und  501,  (Ui  spoet  'spott'  geschrieben  ist 
iua  reim  zu  f/ot;  zudem  ist  weiter  unten  für  Prüm  Sprit  in  der  bedeutung 
•'spafs'  belegt. 


280  FRINGS 

man  zb.  einen  satz  wie  (//ei)  herhcrfjcdc  mich  iiiit  lerer  spul 
11,  20  zunächst  mit  hülfe  der  iiberganp:sbedeutnng-  'mit  freund- 
licher j^eschäftisrkeit'  interpretiert,  steht  statt  des  prägnanten 
ein  sinnschvvaches  adj.  oder  gar  ein  pron.  adj.,  so  überniniiiif 
die  formel  die  function  eines  modalen  adv. :  i  mit  alsus  daner 
spuet  13,34  =  'so';  iii  de  niii  snlcher  spoit  alsus  hieven 
doit  35!),  36,  wo  der  adV.  begriff  'auf  diese  weise,  so"  doppelt 
ausgedrückt  ist;  mit  t/eijiier  spoet  i  85,  44,  ni  325,  44  zur  Ver- 
stärkung einer  negation  {dat  hey  den  mit  (jeyner  spoet  neit 
durch  slaen  en  kitnde:  dat  sy  mit  yeynre  spoet  enyeync 
fjave  en  nemen).  so  kann  denn  auch  die  prägnante  formel 
mit  quder  spuet  in  in  309,  5S  zum  inhaltlosen  flickstück  herab- 
sinken: //;;  der  hiirch,  here,  ....  '/'•  ir  mit  (judor  spurt  hyr 
rar  ach  seit  slaeii. 

Von  diesen  20  Karlm.-beispielen  könnten  somit  nur  die  drei 
für  MFr.  07,  34  herangezogen  werden,  die  ich  oben  durch  'ge- 
lingen, erfolg'  umschrieben  habe,  aber  sie  wären  um  so  kräf- 
tiger für  vKraus  ins  feld  zu  führen,  als  in  meiner  heimat,  im 
linksrheinischen  ndfik.-mfrk.  Übergangsgebiet,  das  wert  in  dieser 
bedeutung  bis  heute  lebt,  im  material  des  Eheinischeu  Wörter- 
buchs lind  ich  auf  einem  von  Franck  geschriebenen  Zettel  sjjot 
'fortgang'  als  gegensatz  von  'eile'  (ausgezogen  ans  den  mir  un- 
zugängliclien  heften  von  JSpee  Volkstümliches  vom  Niederrhein 
[gegend  von  Kaldenkirchen],  Köln  1875,  i  25),  und  w.is  das 
bedeuten  soll,  lehrt  ein  Sprichwort  der  Ortschaften  Kempen, 
Breyell:  je  mir  host,  je  u-enijer  spid  'je  mehr  hast,  ungestüm, 
um  SO  geringeren  erfolg'  (ans  dem  von  lierrn  prof.  Müller  aus- 
gearbeiteten fragebogen  x).  der  beleg  ist  umso  interessanter, 
als  .sj;ö/'  in  directem  gegensatz  zu  /ia<(st  steht,  mit  dem  es  im 
mnl.  und  vor  allem  im  nnl.  zusammengeht,  aus  den  Veldeke 
benachbarten  westlichen,  flämischen  mdaa.  stehn  mir  keine  be- 
lege zur  Verfügung;  sie  scheinen,  wie  ich  aus  Leuv.  Bijdr.  1,  2y(> 
schliefse,  wo  sjmd  für  Aalst  in  Ostflandern  durch  nnl.  spoed  über- 
setzt ist,  nur  noch  diese  bedeutungsstufe  zu  kennen. 

Auch  in  den  mdaa.  der  mittleren  und  südlichen  Rhein- 
provinz ist  die  im  nnl.  verallgemeinerte  bedeutung  'eile'  unter- 
gegangen, dafür  hat  sich  aus  dem  grundwert  'fortgang'  die 
bedeutung  'bewegungsmöglichkeit,  bewegungsraum,  weitung,  be- 
wegungsfreiheit,  freiheit'  entwickelt,  der  zapfen  und  das  rad 
müssen  S2)ut  haben,  und  zwar  das  rad  zwischen  spindel  und  nahe 
(Zwalbach  kreis  Merzig,  Bitburg  Eifel),  ebenso  die  schultern 
und  die  arme  an  den  ansatzstellen  im  kleide  (Bitburg,  Piüm), 
schliefslich  auch  die  Schulkinder  und  die  erwachsenen  (Zwalbach, 
gegend  von  Bernkastei),  in  Prüm  begegnet  das  wort  auch  in 
der  bedeutung  'spafs'.  auszuscheiden  aus  der  geschieh te  des 
Wortes  im  rheinischen  hätten  die  belege  aus  dem  Kölner  Lanslot, 
der  ca.  1510  bei  Heinrich  von  Neuss  gedruckt  wurde,  und  zwar 


ZUR  SPRACHE  VELDELE8  287 

spoü  348  in  der  bedeutung  'Jagdglück'  und  loiiffhi  mit  der  spoet 
690;  denn  er  ist,  wie  schon  diese  letzte,  anch  oben  aus  dem 
rliein.  KE  belegte  formel  beweist,  eine  wortgetreue  umschritt 
eines  ndl.  Originals;  vgl.  Norrenberg  Kölnisches  littoiaturleben 
im  ersten  viertel  des   16  jhs  (Viersen   IS73)  s.  :54. 

Für  spoet  in  Verbindung  mit  te  könnte  vKraus  auf  V.  vii 
1772,  2  verweisen:  nlemen  en  ivcd,  hoe  tn.  dnt  Icet  es  dicke 
tsjmede,  obgleich  mir  die  stelle,  die  dem  Belgisch  Museum  i  ent- 
nommen ist,  und  die  ich  nicht  nachprüfen  kann,  verdächtig 
scheint  (vielleicht  de  spoe(?[e]?);  ferner  auf  1771  mener/  arbeit 
(3.  sg.  präs.)  /(•  crancken  spude  'met  weinig  success'  (Limb. 
Serm.,  vgl.  Kern  s.  680  a),  M  levet  te  deinen  spoede  (Hade- 
wijch),  die  beide  aus  Veldekes  näherer  oder  entfernterer  heimat 
stammen;  vgl.  auch  17  70  ien  Ijesten  spoede  (Hadevvijch).  und 
dennoch  ist  der  Vorschlag  von  vKraus  zumindest  zweifelhaft, 
denn  es  kommt  auf  die  ganze  formel  an,  also  auf  eine  ent- 
scheidung  zwischen  te  spfide  ergdn  und  te  gade  ergdn.  te  spoede 
ohne  prägnantes  beiwort  in  Verbindung  mit  einem  tätigkeits- 
begriff,  dessen  resultat  es  ausdrückt,  ist  nirgends  nachzuweisen; 
wol  aber  ist  te  goede  in  dieser  function  massenhaft  belegt;  ich 
verweise  auf  die  zahlreichen  beispiele  bei  V.  ii  2044  und  im 
besonderen  für  te  goede  vergaeyi  auf  V.  viii  1735.  vor  einer 
änderung  der  stelle  w^arnt  auch  MFr.  63,  21  te  gtide  meinen 
und  64,  2  te  gfide  end  te  lieve  ditii,  wovon  das  letztere  bei  V. 
II  2044,  2045  wider  genaue  entsprechungen  hat. 

Ist  Veldeke  übrigens  ergdn,  also  die  Vorsilbe  er-  zuzu- 
erkennen? er-  fehlt  bekanntlich  dem  echten  mnl.;  es  kommt 
nur  in  östlichen  grenztexten  vor  (V.  n  678),  Franck-van 
Wijk  s.  157  a,  te  Winkel  Grdr.  I  -  s.  878)  und  ist  im  übrigen 
durch  ver-  vertreten,  er-  und  ver-  für  got.  «s-  gehn  in  den 
Limb,  Serm.  durcheinander;  vgl.  Kern  s.  658  ff.  in  einzelnen 
fällen  reicht  ver-  für  er-  auch  noch  tief  in  die  Rheinprovinz 
hinein,  dass  ver-  die  function  von  got.  us-  übernahm,  hängt 
in  diesen  nördlichen  gegenden  in  erster  linie  mit  dem  unter- 
gang  des  ingwäonischen  (anglo-fries.,  asächs.)  a-  zusammen,  im 
rheinischen  und  im  limburgischen  ist  er-  gewis  vielfach  jüngeren 
daturas,  so  wie  auch  die  nnl.  Schriftsprache  zahlreiche  er- fälle 
aus  dem  hd.  neu  eingeführt  hat,  eine  Untersuchung  der  frage 
täte  not;  für  Veldeke  wüste  ich  mich  im  augenblick  nicht  zu 
entscheiden,  [FVogt  macht  mich  darauf  aufmerksam,  dass  MFr, 
()4,  31  BC  in  der  tat  vergan  überliefern,  anderseits  5!),  l'J  das 
raetrum  erbl/ken  verlangt.  Veldeke  hat  demnach  ver-  und  er- 
gekannt,  die  aber  nicht  willkürlich,  sondern  von  wort  zu  wort 
wechseln,  für  die  neue  aufläge  von  MFr.  hatte  Vogt  vergan 
schon  in  aussieht  genommen,  bevor  er  von  meiner  notiz  erfuhr.] 


28S  FKINGS,  ZUR  SPEACHE  VELDEKES 

Anhangsweise  sei  zur  einfüg-nnir  von  )ic  in  MFr,  (iJ,  IC» 
darauf  hingewiesen,  dass  g-erade  im  rheinischen  diese  neg'ations- 
partikel  sich  am  längsten,  si^urenhaft  sogar  bis  heute,  ei-halten 
hat  (vgl.  jetzt  Beliaghel  Wiss.  beiiiefte  der  Zs.  d.  allg.  d.  Sprach- 
vereins V  i-eihe,  lieft,  3S — 40,  s.  247  und  GLouis  Nicht  und 
nichts,  diss.  ]\[arburg  1917.  s.  8).  in  fliimischen  mdaa.  ist  sie 
noch  ganz  lebendig,  vor  allem  im  westen  und  in  Fianzösisch- 
Flandern:  aber  sie  geht  vtn  osten  nach  westen  stark  zurück, 
und  so  kann  man  bei  Stijn  Streuvels  auf  jeder  seite  construc- 
tioneu  mit  und  ohne  ca  beobachten,  ohne  dass  eine  regel  zu 
erkennen  wäre. 

Bonn.  Theodor  l"rlii"s. 


ZUM  TEXT  DES  MOTJIZ  VON  CKAON.  Zu  den  vor- 
schlagen Wallners  oben  s.  132  ff  Stellung  zu  nehmen,  verschieb 
ich  bis  mir  eine  neue  aufläge  der  Rittermären  dazu  gelegenheit 
gibt,  hier  füg  icii  nur  ein  paar  bemerkungen  ein,  für  die  mir 
eben  der  räum  zur  Verfügung  steht,  v.  113  1.  Ritterschaft. — 
v.  1090  ff  uf  des  hifJites  phert  er  setz  und  fuor  als  in  ''der 
kneht'  hiez.  nu  vcrnemet  wie  in  der  Icnelit  liez  in  einen  honm- 
garten.  das  mittlere  Imclit  ( —  kneht  hiez  :  —  kneht  liezl)  ist 
sicher  falsch;  man  kann  schwanken,  ob  der  hole  zu  setzen  sei 
(Vgl.    ei7i    böte    1082)    oder    diu    f)'Ouwe,    was    ich    vorziehen 

möchte,  vgl.  1084.  SS  mm  fronwe  — daz  enböt  sie  uch 

hl  mir.  —  V.  1145  ff  Die  veder  wären  guot  genuoc.  daz  Her 
daz  die  beige  triioc  daz  ist  alfurt  genant  usw.  veder  kann 
auch  der  flaurapelz  von  der  bauchseite  kleiner  pelztiere  sein 
(liermlne  vedere),  dass  es  sich  aber  bei  diesem  'tier'  aus  Maroeco 
um  den  vogel  straufs  handelt,  war  mir  längst  klar,  nur  suchte 
ich  es  in  afz.  auirur  resp.  mit  'umgekehrter  Schreibung'  altrue, 
während  mir  jetzt  ELittmann  die  müglichkeit  eröffnet,  dass  es 
doch  ein  arabisches  wort  sei:  'obrad,  pl.  burd  heifst  eigentlich 
'gefleckt',  dann  wird  es  von  gefleckten  tieren  gebiaucht,  vom 
panther  (leopard)  sowol  wie  vom  stranfs.  beim  sti-anfs  erscheint 
das  wort  allerdings  meist  mit  metathese:  arbad,  pl.  rubd.''  — 
v.  1230  diu  'froKwe'  giiefUcheu  sprach  —  die  nachfolgenden 
Worte  gehören  aber  der  zofe,  die  natürlich  niemals  f'rrnarc  heifst, 
sondern  abwechselnd  juncfromve  (1095.  1100.  1195.  1242.  1385. 
13901,  magedin  (1259.  1289),  maget  (1363.  1404.  1465.  1509), 
und  das  letzte  wort  ist  hier  einzusetzen.  —  v.  1279  vu  ist  aus 
dem  eingang  der  nächsten  zeile  eingedrungen,  der  vers  ist  wol 
zu  lesen  müht  er  sin  släfen  haben  gespart!  E.  S. 


ANZEIGER 


FÜR 


DEUTSCHES  ALTERTUM 


UND 


DEUTSCHE  LITTERATUR 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


EDWARD  SCHROEDER  und  GUSTAV  ROETHE 


ACHTUNDDREISSIGSTEK  BAND 


BERLIN 

WEIDMANNSCHE  BUCHHANDLUNG 
1919 


INHALT. 


Aelfiic.  s.  Fehr 

Barlaam,  Laubacher,  s.  Perdisch 

Beer,  Tre  Studie  o  videch  slovesneho  deje  v  golslina.  cast  |)rvne:  (l<'- 

jiny  otazky,  von  Hartmann 1 

Bibliothekskataloge.  Mittelalterliche,  s.  Gottlieb  u.  Lehmann 

Björkman,    Morte  Arthure,  von  Schröder 104 

Bolze,  Schillers  philosophische begründung  der  ästhetik,  von  Zinkernagel  178 

Bonifatius,  s.  Tangl 

SBrant.  Flugblätter,  s.  Heitz  u.  Schult/. 

Bremer,  Deutsche  lautlehre.  von  Jellinek ...  135 

Brüggemann,  Utopie  und  Robinsonade.  von  Kiemann 157 

Buchwald,  M.  Luthers  lieder  und  fabeln,  von  Schröder 172 

Bugge  u.  Olsen,  Norges  indskrifter  med  de  seldre  runer  I-III  1,  von  Bing  133 
Caminade,  Les  chants  des  Grecs  et  le  philhellenisme  de  WMüller.  von 

Walzel 85 

CoUinson,  Die  mnd.  Katharinenlegende  der  Brüsseler  hs.,  von  Schröder  109 

Deckelmann,  Die  litteratur  d.  19  jh.s  im  dtschen  Unterricht,  von  Kiemann  93 

Dove,  Studien  zur  Vorgeschichte  des  deutschen  volksnamens.  von  Michels  1 30 

Eckart,  Der  wehrstand  im  volksmund,  von  Schröder 181 

Fehr,  Die  Hirtenbriefe  Aelfrics,  von  Schröder 103 

Frings,  Studien  zur  dialektgeogiaphie  des  NiedeiTheins,  von  Teuchert  14 
Gebauer,    Geschichte   des   französischen  kultureinflusses   auf  Deutsch- 
land, von  Brecht 113 

Gereke,  KvWürzburgs  Engelhard .170 

Goethes  briefwechsel  mit  HMeyer,  s.  Hecker 

Gottlieb,  Mittelalterliche  bibliothekskataloge  Österreichs  I.  von  vSlein- 

meyer >-' 

Griilparzers  ahnen,  von  Knefsch ISO 

Gudemann,  P.  Cornelii  Taciti  de  Germania,  von  Schröder      ...  96 

Günter,  Die  römischen  krönungseide  der  deutschen  kaiser,  von  Schröder  98 
Hartlieb,  s.  Ulm 

Hecker,  Goethes  briefwechsel  mit  HMeyer  1,  von  Sein  öder    .          .     .  114 

Heinrichs,  Der  Heiland  und  Heimo  von  Halberstadt,  von  Schröder     .  100 

Heitz  u.  Schultz,  Flugblätter  des  Seb.  BranI,  von  Schröder     .     .     .     .  110 
Hermsen,   Die   Wiedertäufer   zu  Münster   in   der   deutschen    litteridiir, 

von  Schneider ^'^ 

Hessel,  Altdeutsche  frauennamen,  von  Schröder- 98 

Hirschfeld,  Kleine  Schriften,  von  Henning '-" 

Höpfner,   Untersuchungen   zu  dem    Innsbiucker,    Berliner  und   Wiener 

Osterspiel,   von  Rueff  t '* 


IV  INHALT 

Seile 

Jiriczfk,    Macplicrsons  Kraf^mciits  uf  iiiicient  poetry,    von   Scliröder      .  112 

-  ,  Seifriedsbiirg  und  Seyfriedsage,  von  Schröder Hii» 

Juellie,  Der  minnesiinfier  Hiltl)()lt  von  Schwangau,  von  Keim     .     .  142 

Kalbow,  Die  fjerman.  |)ersoiu'nnainen  d.  ailfranz.  hcUicnepos,  von  (lieracli  '■Hi 
Katharinenleijende,  s.  CoUinson 

Kempeneers,    HvVeldeke  eii  de   broii  van   zijn  Servalius.   von  Scliröder  107 

Klewitz,  Die  natur  in  üüntlicrs  lyrik.  von   Kaninierer 174 

Kock,  Die  Skeireins,  von  Jellinek 27 

Koehler,  Lat.-ahd.  glossar  zur  Tatianübersetzung,   von  Schröder  1()»> 

Korrodi,  C.  F.  Meyer-studien.    von  F.  (ieiger 87 

Krönunjiseide,  s.  Günter 

f.chinann,    MitlelalttMlicIie   bibliotliekskalaloge   Deutschlands    und    der 

Schweiz   1.  von  vSteinnieyer 121 

Lenz,  s.  S(^lunitz-Kalleiil)ei'<i 

Luther,  s.  Buciiwald 

Macpherson.  s-Jiriezek 

Maync,  Geschichte  der  deutschen  Goethe-biographie,  von  Brecht          .  17(5 

Meinoires    de    la    Societe    neophilologique    de    Helsingfors  VI,     von 

Schröder 168 

Merker,  Kefonnation  und  litteratur,  von  Petsch 173 

Mertz,  Die  deutsclien  briichsliicke  von  Athis  und  Frophilias,  von  Schröder  1 70 

Mitteilungen  aus  der  Königlichen  bibliotiiek  I— IV,  von  Schröder  .     .  16ti 
Mitteilungen,    Neuphilologische    (Helsingfors),    16  — 19  Jahrgang,    von 

Schröder 1»)9 

Morte  Arthure,  s.  Björkman 

WMüller,  Verzeichnis  hessischer  weistümer,  von  Schröder     .     .     .     .  100 

Olsen,  s.  Bugge 

Olson,    Studier  över  prononienet  den  i  nysvenskan,  von  vUnwerth  j  101 

Paul,  Veranlassung  und  quellen  von  .).  El.  Schlegels  'Canuf,  von  Petsch  17 

Peebles,  The  legend  of  Longinus,  von  Blöle .147 

Perdisch,  Der  Laubacher  ßarlaam,  von  Baesecke 51 

Piper,  Burgenkunde ',  von  Schröder 99 

Pollak,  Proben  schwedischer  spräche  und  mundart  I.  von  vUnwerth  f  102 

Prem  u.  Schissel  von  Fleschcnberg,  Tirolische  analekten,  von  Schröder  112 

Ranke,  Der  erlöser  in  der  wiege,  von  Panzer 137 

Roethe,  Luthers  bedeutung  für  die  deutsche  litteratur,  von  Petsch  173 

Sadee,  Rom  und  Deutschland  vor  1900  jähren,  von  Schröder      ...  95 
Schissel  v.  Fieschenberg,  s.  Prem 
Schmitz-Kallenberg,  J.  M.R.Lenz  Briete  über  die  moralität  des  Werther, 

von  Petsch    .     .' 1 7(J 

.Schneider,  Die  gedichte  und  die  sage  von  Wolfdietrich,   von  Baesecke  42 

Schoof,  Die  Schwälnier  mundart,  von  Teuchert 2& 

Schoepperle,  Tristan  and  Isolt,  von   Kelemina 55 

Schultz,  s.  Heitz 

Seehaussen,  Mich.  Wyssenherres  gedieht  und   die  sage  von  Heinrich 

d.  Löwen,  von  Schneider 150 

Skeireins,  s.  Kock 


INHALT  V 

Seite 

Sprengel,  Die  neuere  deutsche  dichtung  in  der  schule,  von  Riemann  90 

TStimmer,  Comedie,  s.  Witkowski 

Tacitus,  s.  Gudemann 

Tangl,  Die  briefe  des  heil.  Bonifatius  und  Lullus,  von  Schröder    .     .  97 

Trösch,  Die  helvet.  revolution  im  lichte  der  deutsch-schweiz.  dichtung, 

%'on  E.  Geiger  t 161 

Ulm,  Joh.  Hartliebs  Buch  aller  verbotenen  kunst,  von  Hirsch    .     .     .  154 

Walther,  Luthers  deutsche  Bibel,  von  Schröder 172 

Walz,  Germanisms  in  english  speech:  God's  acie,  von  Schröder  101 

Weller,  Württembergische  geschichte,  von  Schröder 100 

Witkop,  Die  neuere  deutsche  lyrik,   von  Walzel 75 

Witkowski,    TStimmers    Comedie    von    zwei    jungen    eheleuten,    von 

Schröder 111 

Wolter,    Das  SGaller  spiel  vom  leben  Jesu,   von  Rueff  f 66 

KvWürzburg,  s.  Gereke 
Wyssenherre,  s.  Seehaussen 

Zur  altentötung,  von  E.  Mayer 181 

Eine  Brünner  copie   der  hs.  Gerhards  v.  Maastricht  und  des  Wiener 

Otfrid,  von  Wallner 116 

Ein  brief  JGrimms  an  dr  Bach  in  Fulda,   von  Schröder    ....  182 

Idbansa,  von  Schröder 117 

'Maria  zart',  von  Wrede 182 

Zu  HvMorungen  128,  6,  von  vKraus 117 

Personalnotizen 118.  184 

Ehrentafel  H.  ül 120.  184 

Register 185 


ANZEIGER 

FÜR 

DEUTSCHES   ALTERTUM   UND   DEUTSCHE  LITTERATUR 

XXXVIir,   1.  2.    augast  1918 

Aiitoain  Beer,  Tri  Studie  o  videch  slovesneho  deje  v  gotstiniT'. 
cast  prvni:  dojinj-  ntazky.  Prag,  P>.  Rivndc,  1915.  Kirl. 
böhm.  Ges.  d.  \v.  "phil.  abt.  VIII.  187  ss  S**  (Drei  essays  über  die 
aspecte  der  verbalhandiung  im  gotischen,  erster  teil:  Fragen 
der  actionsait.) 

Während  WStreitbergs  aufsatz  über  perfective  und  imper- 
fective  verben  im  gotischen  (PBBeitr.  15,  70 — 17  7)  aufserhalb 
Böhmens  nahezu  allgemeine  Zustimmung  gefunden  hat  und  der 
Widerspruch  dagegen ,  obwol  einige  einschränkungen  gemacht 
wurden,  allmählich  verstummt  ist,  haben  Prager  gelehrte  und  auf 
ihre  foi'schungen  gestützt  auch  Richard  Heinzel  in  seiner  be- 
urteilung  von  Streitbergs  arbeit  den  ergebnissen  von  anfang  an 
starke  zweifei  entgegengestellt.  BDelbrück  hat  sich  dadurch  be- 
stimmen lassen ,  in  seiner  Syntax  II  11 9  ff.  Streitbergs  ergebnisse 
ganz  abzulehnen  und  namentlich  durch  einführung  einer  geänderten 
terminologie  die  tatsachen  in  anderer  weise  zu  gruppieren;  aber 
weder  Moureks  grofse  Syntaxis  gotskych  predlozek  noch  Delbrücks 
ausführungen  haben  die  Überzeugung  von  der  richtigkeit  der 
gruudlage  der  ansichten  Streitbergs  wesentlich  erschüttern  können, 
immerhin  kann  die  frage  nicht  als  gänzlich  gelöst  gelten;  ein 
neuer  versuch,  die  noch  bestehnden  zweifei  zu  beseitigen  und 
die  lücken  unserer  kenntnisse  zu  füllen,  hat  daher  von  vornherein 
anspruch  auf  beachtung  und  erregt  unser  Interesse,  sehen  wir 
was  das  erste  heft  der  umfangreichen  Untersuchung  Beers  über 
den  schwierigen  gegenständ  bietet. 

Der  erste  teil  der  arbeit  verspricht  die  fragen  die  sich  an 
das  wesen  der  actionsart  anknüpfen  zu  behandeln,  eine  sehr 
eingehnde  geschichtliche  darstellung  bespricht  das  auftauchen  und 
die  ent Wicklung  des  problems;  der  verf.  ist  offenbar  bemüht  ge- 
wesen, auch  die  abgelegensten  winkel  der  litteratur  abzusuchen; 
er  bespricht  zunächst  alle  die  aufsätze,  dissertationen  und  mono- 
graphieen,  die  die  erscheinung  auf  dem  gebiete  der  idg.  sprachen 
im  allgemeinen  und  auf  dem  der  deutschen  im  besonderen  be- 
handeln, vollständig  ist  seine  Übersicht  noch  immer  nicht;  Brug- 
mann  im  Grundriss  2  II,  3  s.  715  erwähnt  noch  einiges  was 
Beer  entgangen  zu  sein  scheint;  aul'serdem  ist  die  Vollständigkeit 
wol  auch  der  geringste  vorzug  einer  solchen  Übersicht,  ich  habe 
mich  bemüht,  für  das  thoma  aorist  und  imperfectum  eine  ähn- 
liche Zusammenstellung  in  KZs.  4S,  1  ff.  zu  machen,  und  weils 
dalier  die  Schwierigkeit  zu  schätzen,  die  hauptsächlich  darin  ligt, 
A.  F.   D.  A.     XXXVIII.  1 


2  HARTM.VNN    ÜBER    BEEK 

das  weiterwirken  der  auftauchenden  neuen  gedanken  und  gesichts- 
puncte  zu  verfolgen,  aber  schon  der  umstand  dass  B.  auf 
1S7  Seiten  nur  erst  einen  teil  der  Untersuchungen  nach  ihrem 
■wert  und  ihren  ergebuissen  für  den  gegenständ  durchmustert, 
während  er  die  fragen  der  griechischen  actionsarten  für  den 
zweitt'u  aufsatz  aufspart  (vgl.  s.  1S7),  zeigt,  wie  umfangreich  die 
einsclilägige  litteratur  schon  geworden  ist  und  welche  arbeitslast 
sie  dem  vf.  aufgebürdet  hat.  zugleich  ergibt  sich  hierbei  ein 
bedenklicher  fehler  der  Stoffanordnung  für  die  gesamtarbeit,  denn 
dem  aufsatz  von  Streitberg  sind  die  selten  61 — 98  gewidmet; 
sie  enthalten  schon  eine  sehr  eingehnde,  z.  t.  mit  bemerkungen 
metliodisclier  und  grundsätzlicher  art  durchsetzte  beurteilung  einer 
grofsen  zahl  einzelner  stellen,  ohne  dass  doch  zuvor  volle  klarheit 
über  das  wesen  der  actionsart  herbeigeführt  würde;  ja,  nach  der 
urt  und  weise  wie  die  Untersuchung  an  den  einzelnen  besprochenen 
arbeiten  geführt  wird,  bleibt  zu  befürchten,  da-ss  auch  die  folgen- 
den Untersuchungen  diese  klarheit  nicht  weiter  fördern  werden, 
als  hauptgrundsatz  des  Verfahrens,  nach  dem  B.  sich  das  urteil 
über  die  einzelnen  erscheinungen  bildet,  tritt  in  der  beurteilung 
der  ausführungen  Streitbergs  nur  immer  wider  der  tadel  hervor, 
dass  Streitberg  nicht  das  ganze  material  vor  dem  leser  ausbreite, 
sondern  mit  ausgewählten,  seiner  ansieht  günstigen  stellen  arbeite, 
widerstrebendes  in  unglaubhafter  weise  zu  entkräften  suche:  das 
gesarat  material  aber  biete  so  viel  entgegenstehnde  belege,  dass 
in  Wirklichkeit  von  Streitbergs  'lehre'  nichts  übrig  bleibe,  nimmt 
man  weiter  hinzu,  was  der  vf.  über  Moureks  'Präpositionen'   sagt 

—  er  wirft  dieser  Untersuchung  inconsequenz  vor,  weil  Mourek 
nur  für  gd-  die  perfectivierende  Wirkung  unbedingt  anerkenne, 
während  doch  nicht  einmal  (j(i-  überall  diese  Wirkung  zeige  — 
und  was  er  in  der  vorrede  als  gegenständ  der  noch  ausstehenden 
zwei  Untersuchungen  verspricht  —  ausführungen  über  die  Wirkung 
von  /a«r-,  fra-,  faur-,  dis-,  du-  und  ga-  in  der  verbalcomposition 

—  so  kann  man  vermuten,  dass  er  in  diesen  furtsetzungen  be- 
strebt sein  wird,  die  mangelnde  folgerichtigkeit  der  ausführungen 
Moureks  durch  völlige  durchführung  seiner  eigenen  ansieht  zu 
ersetzen,  die  s.  97  f  dahin  ausgesprochen  wird:  Streitbergs  grund- 
satz  'jedes  beliebige  verbum  kann  durch  den  Satzzusammenhang 
iterative  bedeutung  erhalten'  (Got.  elementarbuch  3—4  s.  193)  sei 
dahin  zu  erweitern,  dass  jedes  verbum,  sei  es  zusammengesetzt 
oder  einfach,  nach  dem  Satzzusammenhang  durativ,  perf^ctiv 
und  iterativ  sein  könne,  wäre  diese  ansieht  richtig,  ergäbe 
sich  ihre  richtigkeit  aus  B.s  beispielen  und  entwickelungen,  so  wäre 
alles  was  Jacob  Grimm,  Schleicher,  Miklosich  über  perfectiva  und 
imperfectiva  im  gotischen  gesagt  haben  und  was  Streitberg  auf 
grund  ihrer  hinweise  breiter  ausgeführt  hat,  völlig  in  den  wind 
geredet;  so  weit  sind  auch  Mourek  und  Heinzel  in  ihrer  bekärapfung 
der   ansieht   Streitbergs    nicht   gegangen,      es   ist  zu    verwundern, 


FRAGEN    ßKR    ACTIONSART  3 

dass  B.  als  Slawe  nicht  den  actionsunterschied  fühlt,  der  sich  in 
den  gotischen  verbalformen  unzweifelhaft  ausspricht  und  deshalb 
auch  von  slawischen  forschem  wie  Miklosich  und  Mourek  aner- 
kannt ist.  aber  es  ist  anderseits  auch  wol  zu  erklären,  dass  er 
an  diesem  actionsunterschied  zweifelt;  denn  Streitberg  beruft  sich 
iu  seiner  darstellung  der  Verhältnisse  auf  die  ähnlichkeit  mit  dem 
slawischen,  und  dass  diese  ähnlichkeit  nur  in  beschränktem  mafse 
zutrifft,  ist  allgemein  zugestanden,  wer  daher  die  slawischen  Ver- 
hältnisse rein  im  gotischen  wiederfinden  will,  oder  wer  dort  ein 
ebenso  klares,  wenn  auch  anders  geartetes  bild  der  actionsarten 
sucht,  wie  es  die  slawischen  sprachen  bieten,  der  hat  solange 
leichtes  spiel  die  actionsunterschiede  überhaupt  zu  leugnen,  als 
das  System  des  germanischen  verbums  nach  dieser  richtung  noch 
nicht  völlig  verstanden  ist.  dies  unbedingte  leugnen  aber  ver- 
sperrt tatsächlich  nur  der  fortschreitenden  erkenntnis  den  weg 
und  bereitet  ihr,  besonders  bei  so  starker  Übertreibung,  wie  sie 
in  B.s  arbeit  hervortritt,  erheblichere  Schwierigkeiten  als  der  glaube, 
dass  mit  Grimms,  Schleichers,  Miklosichs  ansieht  das  wesentliche 
richtig  erkannt  sei,  dass  aber  die  einzelheiten  noch  viele  und  z.  t. 
schwierige  ungelöste  fragen  bergen. 

Bevor  ich  dazu  übergeh  in  kürze  anzudeuten,  auf  welchem 
wege  die  Untersuchungen  fortzuschreiten  haben,  wenn  sie  über 
ein  fruchtloses  behaupten  und  leugnen  der  hauptsache  hinaus- 
führen sollen,  will  ich  an  einigen  beispielen  zeigen,  wie  der  vf. 
bei  der  beurteilung  von  Streitbergs  aufstellungen  verfährt,  ich 
lasse  dabei  gewisse  entgleisungen  im  ton  unbeachtet,  da  sie  ja, 
zumal  in  der  in  wissenschaftlichen  kreisen  wenig  bekannten 
böhmischen  spräche,  schwerlich  jemand  verletzen  werden.  Beer 
folgt  Streitberg  in  der  gegenüberstellung  von  verbalpaaren,  von 
denen  eines  perfectiv,  das  andere  imperfectiv  sein  soll,  so  stellt 
er  8.  80 — ^97  die  beispiele  für  hausida  gahausida,  sitan  gasitan, 
hahan  gahaban  und  viele  andre  gegenüber  und  belegt  seine  auf- 
fassung  vielfach  noch  durch  heranziehung  der  altkirchenslawischen 
und  der  böhmischen  Übersetzung  der  stellen,  das  schlussverfahren 
das  er  dabei  anwendet,  wird  besonders  an  der  gruppe  -iiaban 
gahaban  deutlich. 

'Über  Mt.  9,  25  habaida  handu  izos  —  exQcizrjOev  tfjg 
yjiQÖg  —  j(^tu  ja  za  rakq  sagt  Streitberg:  'dass  diese  auf- 
fassung  glücklicher  sei  als  die  des  Originals,  wird  man  kaum  be- 
haupten dürfen,  da  sie  der  Situation  nicht  entspricht;  ein  grund 
zu  einer  solchen  änderung  ist  auch  nicht  ersichtlich'  (s.  90).  in 
Verlegenheit  war  Wulfila  nicht,  denn  er  hatte  undgreipan  zur  Ver- 
fügung (Mc.  9,  27;  1,  31;  12,  12;  14,  46),  fairgreipan  (Mc.  4,51  i; 
Lk.  8,  54),  gahaban  (xMc.  3,  21;  6,  17)  und  greipan  und  haban 
können    perfective    bedeucung    haben:    Mc.    9,.    10    pata    waurd 

«  lies  5,  41. 


4  ;11ART.MAN.N     ÜBKU    HKIOK 

habaidcduu  du  ais  misao  —  töv  Xöyov  iy-gÖTr^Oüv  7iQd<:  eavrovg 

—  udrazas^  slovo  vi  sehe,  Mc.  14,  49  jah  ni  griinip  mik  — 
oiz  (Y.QaTrjOUTe  iie   —   ne  j'^ste  mene,  Mc.   14,  44  grciplp  pnna. 

—  xQaTi]oar€  avrdv  —  iniHe  i.'  also  eine  stelle  mit  der 
Streitberg  eingestandenerniarsen  nichts  anzufangen  weifs,  wird  in 
der  weise  gegen  ihn  gewendet,  dass  zunächst  an  anderen  beispielen 
die  niüglichkeit  der  Verwendung  eines  zusammengesetzten  verbunis 
gezeigt  wird  —  Mc.  5,  41  heifst  es  jalt,  fairyraip  In  liaiubiu 
pntd  harn  /.cd  y.Qceri](JaQ  if.g  yjigöc  rov  jcaidiov  — ;  dann 
aber  werden  stellen  angeführt  an  denen  das  unzusammengesetzte 
kahüii  oder  greiimn  dem  griechisclien  aorist  gegenüberstellt.  B. 
nennt  die  bedeutung  dieser  formen  Mc.  i),  lo  und  14,  49  aus- 
drücklich "perfeetiv":  dann  wäre  also  bei  dieser  auffassung  auch 
Mc.  9,25  iu  Ordnung,  und  für  greipan  wenigstens  entsprechen 
in  der  tat  alle  belege  griechischen  aoristen  (Mc.  14,  44.  48.  49. 
51);  aber  seine  absieht  ist  nicht,  etwa  die  perfective  bedeutung 
von  hahan.  zu  erweisen,  sondern  die  Unfähigkeit  des  gotischen  zur 
Unterscheidung  der  actionsarten  zu  belegen,  das  ergibt  sich  deut- 
lich daraus  dass  er  im  anschluss  daran  Mc.  10,  23  bespricht,  wo 
pai  jailio  gehabdndans  oi  lä  XQVfiara  tyovxtQ  übersetzt,  während 
im  verse  vorher  steht  ivas  auk  Jiahands  f'ailtu  manag  r'jv  yÜQ 
sy^iov  xii'^uara   jrok/.ü. 

In  derselben  weise  verwendet  B.  die  stelle  L.  7,  38—46. 
hier  findet  sich  38  eiifxuooev  biswurb,  v.ax^ifiki.i  kukida,  ij'/.fi- 
(f6v  gasalhoda,  44  ei^ixu^tv  hiswarh,  45  (filr^fia  töioy.ug 
kukidcH^  46  rjlsnJiaQ  salhodes,  fjXeiiliev  gasalhoda,  also  einerseits 
perfective  formen  dem  griechischen  imperfectum,  anderseits  nicht 
zusammengesetzte  formen  dem  aorist  gegenüber.  es  ist  natür- 
lich, dass  die  stelle  Streitberg  manche  Schwierigkeit  bereitet,  und 
er  ist  nicht  immer  glücklich  in  der  erklärung.  Beer  aber  schliefst 
(s.  94):  wenn  Wulfila  die  einfachen  und  zusammengesetzten  formen 
hier  mischt,  so  lasse  sich  das  mit  stilistischen  absiebten  erklären, 
keineswegs  aber  mit  unterschieden  der  actionsart. 

Auf  eine  besondere  veranlassung  zur  wähl  des  corapositums, 
das  sich,  wie  häufig  und  von  sehr  verschiedenen  forschem  behauptet 
srorden  ist,  oft  nur  unmerklich  in  der  bedeutung  vom  simplex  unter- 
scheide, weist  Beer  an  verschiedenen  stellen  hin:  der  gebrauch  eines 
compositums  führe  auch  bei  benachbarten  verben  zur  anwendung 
der  Zusammensetzung,  und  ebenso  stehen  die  einfachen  verben  in 
gruppen.  das  folgert  er  zb.  aus  L.  16,  6  f.  nim  pus  bokos  Jah 
gafiitands  sprauto  gamelei  .  .  .    und  nhn  pus  hokos  jah  melei  .  .  •. 

'  ich  will  nicht  unterlsiBsen,  auch  an  dieser  stelle  auf  die  abweichende 
erklärung  hinzuweisen,  die  ich  für  diese  und  ähnliche  stellen  schon  mehr- 
mals, u.  a.  in  den  Verhandl.  des  Marburger  philologentages  und  Sokrates 
2,  630 f  gegeben  habe;  bei  Plato  folgt  sehr  häufig  auf  einleitendes  axeyai 
ein  oxönet;  das  präsens  erklärt  sich  aus  der  wider  hol  ung.  vgl.  auch 
meinen  auf.satz  KZ.  49. 


FRAGEN    DEH    ACTIOXSAET  5 

ebenso  stehe  J.  IG,  22  saihra  öipo^ca  wegen  des  benachbarten 
hahalp,  fagirtop,  vimif).  besonders  bei  der  bespreehung  der  com- 
posita  von  gaggan  und  *Ieipan  s.  143  ff  findet  er,  dass  sich  diese 
erklärung  für  die  abweichungen  der  gotischen  Übersetzung  vom 
griechischen  text  aufdränge. 

Es  ist  nun  ohne  weiteres  zuzugeben,  dass  die  Zusammen- 
stellung und  gruppierung  der  für  Streitbergs  ansieht  uugünstigen 
fälle  äufserst  würksam  ist  und  auch  bei  den  eifrigsten  Verfechtern 
dieser  ansieht  starke  zweifei  an  ihrer  richtigkeit  hervorrufen  muss. 
aber  es  kann  anderseits  auch  nicht  bezweifelt  werden,  dass  die 
blafse  ablehnung  dieser  ansieht,  obenein  in  der  schroffen  formu- 
iierung,  in  die  sie  B.  kleidet  (s.  oben  s.  2),  den  tatsachen 
nicht  gerecht  wird  und  die  mit  bänden  zu  greifende  abwechselung 
einfacher  und  zusammengesetzter  verba  nicht  erklärt.  diese 
Unklarheit  erklärt  sich  m.  e.  vor  allem  daraus,  dass  man  trotz 
mancherlei  theoretischen  speculationen  über  tempus-  und  actions- 
bedeatung  und  trotz  tiefsinnigen  erörterungen  über  das  was  eine 
form  bedeuten  könne  und  müsse,  sich  bisher  über  die  vergleich- 
barkeit der  verglichenen  formenkategorieen  noch  keineswegs  ge- 
nügend klar  geworden  ist.  hat  in  der  classischen  philologie  uud 
besonders  im  griechischen  das  Verständnis  der  tempus-  und  tempus- 
stammbedeutungen  lange  zeit  darunter  gelitten,  dass  man  vom 
lateinischen  verbalsystem  als  dem  normalen  ausgieng,  ohne  sich  zu 
fragen,  wie  dies  aus  dem  ganz  anders  gearteten  idg.  hervor- 
gegangen sei,  so  kranken  die  Untersuchungen  über  gotische  oder 
deutsche  perfectiva  und  imperfectiva  gemeinhin  daran,  dass  mau 
entweder  das  slawische  actionsartensystem  oder  das  griechische 
tempussystem  als  mafsstab  verwendet,  ohne  vorher  zu  untersuchen, 
was  denn  diese  verschiedenen  s\^steme  einerseits  leisten  und 
leisten  sollen,  und  wie  weit  denn  anderseits  eine  vergleichung  mit 
dem  germanischen  formen vorrat  überhaupt  möglich  ist.  einen 
ansatz  zu  dieser  erkenntnis  kann  man  vielleicht  bei  Beer  darin 
finden,  dass  er  s.  74  f  ausführlich  auf  Mahlows  warnung  hin- 
weist, deutsche  resultalive  nicht  mit  perfectiven  zu  verwechseln 
und  die  Verschiedenheit  der  verbalbedeutungen  bei  der  beurteilung 
der  tempusbedeutung  nicht  unbeachtet  zu  lassen,  so  richtig 
diese  beobachtung  ist  —  sie  wird  für  uns  am  besten  erkennbar 
in  der  notwendigkeit  bei  sehr  vielen  griechischen  verben  präsens- 
stamm und  aoriststamm  durch  verschiedene  ausdrücke  zu  über- 
setzen — ,  so  wenig  erschöpft  sie  doch  die  ganze  Schwierigkeit, 
von  der  sie  nur  ein  dem  laien  gewöhnlich  kaum  erkennbares 
Symptom  hervorhebt,  übrigens  ist  auch  von  andrer  seite  unab- 
hängig von  Mahlow  öfter  auf  die  gleiche  erscheinung  hingewiesen 
worden.  Meillet  und  seine  schüler.  zb.  Barbelenet  De  l'aspect 
verbal  en  latin  ancien,  Paris  1913,  s.  1  ff.  betonen  immer  wider, 
dass  die  fragen  der  actionsarten  für  jede  spräche  gesondert  zu 
behandebi  seien,  Barbelenet  geht  sogar  so  weit,  dass  er  den  aus- 


t»  HABTMANN    ÜBEH    BKEK 

drücken  "perfectiv"  und  iniperfectiv"  für  das  altlateinisclie  eine 
ganz  besondere  bedeutung  beilegt,  von  der  notwendigkeit,  jede 
spräche  in  diesem  sinne  für  sich  zu  betrachten  und  sie  nicht 
einem  unpassenden  mafsstabe  zu  unterwerfen,  kann  man  sich 
rein  äufserlich  leicht  überzeugen,  wenn  man  folgende  gegenüber- 
stellung  vornimmt,  die  tatsächlich  vorhandenen  tempora  im  idg., 
griechischen,  altindischen,  slawischen,  germanischeu,  denen  ich 
noch  das  lateinische  hinzufüge,  weil  dessen  tempussystem  vielfach 
bisher  als  raafsstab  genommen  worden  ist,  gruppieren  sich  so: 

idg.  griech.  altind.  altbaktr.      slaw.  germ.        lat. 


pras. 

pras. 

präs. 

präs. 

imperf. 

imperf. 

— 

imperf. 

aorist 

aorist 

— 

1       , 

perf. 

— 

perf. 

,  perf. 

plusquamperf. 

— 

— 

plusquamperf. 

fut. 

— 

— 

fut.  I 
fut.  II 

Bei  dieser  ganz  äufserlichen  gegenüberstellung  ist  aber  schon 
nicht  berücksichtigt,  dass  das  perfectum  des  griechischen  eine  ganz 
andere  bedeutung  hat  als  das  des  altindischen,  des  germanischen 
und  lateinischen,  dass  das  imperfect  des  slawischen,  dass  imperfect, 
plusquamperfect,  futurum  und  futurum  exactum  des  lateinischen 
neubildungen  sind,  die  mit  den  ursprünglichen  tempora  des  idg. 
kaum  noch  einen  entfernten  Zusammenhang  bewahren,  dass  ferner 
perfectparticipien  im  slawischen  erhalten  sind,  und  dass  wenigstens 
nach  weitverbreiteter  ansieht  im  germanischen  präteritum  auch 
spuren  des  idg.  aorists  fortleben,  aber  auch  wenn  man  diese 
ergänzungen  der  tabelle  mit  in  rechnung  stellt,  so  ergibt  sich 
unmittelbar,  dass  die  bedeutungssphären  der  einzelnen  tempora  in 
den  verschiedenen  sprachen  sich  vielfach  durchkreuzen  und  in- 
einander übergreifen  müssen,  zumal  ja  das  slawische  den  idg.  fünf 
tempora  nur  drei,  das  germanische  sogar  nur  zwei  gegenüberstellt, 
das  slawische  hat  nun  neben  den  tempusbildungen  die  verbal- 
aspecte  entwickelt,  es  unterscheidet  perfectiva,  imperfectiva,  ein- 
malige, iterativa  und  inchoativa  und  besitzt  infolge  dieser  aus- 
bildung  der  verbalstämme  einen  aulserordentlichen  reichtuni  der 
formenentwickelung,  obwol  es  eine  Unterscheidung  von  relativer 
und  absoluter  tempuserscheinung  nicht  ausgebildet  hat.  im  ger- 
manischen ist  aber  von  einer  ähnlichen  Unterscheidung  der  verbal- 
stämme bisher  nichts  mit  Sicherheit  nachgewiesen  worden,  nur 
die  eigenschaft  der  slawischen  verbalcoraposition,  kraft  derer  aus 
den  einfachen  imperfectiven  verben  durch  den  vortritt  von  Prä- 
positionen und  präfixen  perfectiva  werden,  glaubte  man  beobachten 
zu  können  und  sah  darin  allgemein  auch  ein  formales  mittel 
zur  Unterscheidung  der  actionsarten    im  altgermanischen,     aber  es 


FBAGEN    DER    ACTI0N8ART  7 

ligt  ja  auf  der  band,  dass  ein  rein  formales  mittel  zur  bezeich- 
nung  des  verbalaspects  in  den  germanischen  sprachen  nicht  vor- 
ligt,  wenigstens  nicht  in  solcher  weise  entwickelt  ist,  dass  man 
sagen  könnte,  alle  damit  ausgezeichneten  formen  seien  perfectiv, 
alle  es  entbehrenden  imperfectiv.  man  hat  daraus,  sehr  verkehrter 
weise,  eine  principienfrage  gemacht,  obw^ol  wir  doch  gerade  aus 
der  geschichte  der  sprachen  erkennen,  dass  jedes  formale  mittel 
die  function  zu  deren  ausdruck  es  dient,  erst  irgendwo,  irgend- 
wann und  irgendwie  erhalten  und  ausgebildet  hat,  dass  es  zu 
irgend  einer  zeit  aufkommt,  wächst,  sich  ausbreitet,  dann  aber 
wider  verblasst  und  verfällt,  so  ist  zb.  bei  der  entwickelung 
des  sigmatischen  aorists  im  griechischen  sehr  deutlich,  wie  das 
a  und  das  a,  die  ihn  vornehmlich  kennzeichnen,  sich  weit  über 
das  ihnen  ursprünglich  zustehnde  gebiet  hinweg  ausdehnen,  in 
das  perfectum,  den  starken  aorist,  ja  selbst  in  das  imperfectum 
übergreifen  und  so  schliefslich  die  bedeutung  zu  deren  ausdruck 
sie  geschaffen  waren,  allmähhch  verlieren,  sobald  man  für  das 
germanische,  wie  Streitberg  und  viele  andere  tun,  perfective  sim- 
plicia  annimmt,  ist  der  grundsatz  den  Meillet  am  schärfsten  in 
den  Etudes  sur  l'etymologie  du  vieux  slave  I  s.  5  formuliert: 
'aucune  categorie  semantique  n'a  ete  admise  qui  ne  r^pondit  ä 
un  moyen  d'expression  distinet  de  la  langue  meme",  schon  ver- 
lassen oder  durchbrochen,  qipart,  nimav,  gihan  sind  formell  von 
andern  einfachen  verben  wie  etwa  iian,  dihoi,  hairun  nicht  ge- 
schieden; wenn  sie  schon  aufserhalb  der  Zusammensetzung  perfectiv 
sind,  so  ist  damit  anerkannt,  dass  die  Zusammensetzung  nur  eins 
der  mittel  ist,  deren  sich  die  spräche  zum  ausdruck  der  perfectiven 
actionsart  bediente;  und  da  ferner  ganz  gleichartige  einfache 
formen  in  doppelter  Verwendung  vorkommen,  so  wäre  es  sicher 
nicht  überraschend,  wenn  auch  bei  zusammengesetzten  formen  die 
entsprechende  doppelbedeutung  begegnete,  wie  sie  ja  übrigens 
auch  im  slawischen  tatsächlich  begegnet. 

Finden  wir  nun  einerseits  im  slawischen  ein  sehr  empfind- 
liches actionsartensystem  entwickelt,  aber  die  temporalen  Unter- 
scheidungen des  idg.  allmählich  verblassend,  im  lateinischen  ander- 
seits eine  reich  gegliederte  Unterscheidung  der  tempora,  dagegen 
nur  noch  spuren  der  einst  vorhandenen  actionsunterschiede,  so 
stellt  uns  die  extreme  Verschiedenheit  dieser  beiden  formensysteme 
vor  die  frage,  wie  die  Stellung  des  älteren  germanischen  in  der 
mitte  zwischen  beiden  zu  beurteilen  ist,  ob  die  äufserste  dürftig- 
keit  formeller  entwickelung  die  hier  eingetreten  ist,  auf  ein 
ursprüngliches  tempussystem  oder  ein  actionsartensystem  zurück- 
zuführen ist,  oder  ob  etwa  von  beiden  nur  das  absolut  unent- 
behrliche gerettet  worden  ist.  die  frage  wird  noch  verwickelter, 
wenn  man  dabei  die  Vermutungen  von  OSchrader  und  SFeist  in 
rechnung  zieht,  denen  zufolge  das  germanische  als  eine  indogor- 
manisierte  spräche  eines  ursprünglich  nichtindogermanischen  volkes 


8  HAUT.MANN     ÜRKR    BEB« 

angesehen  werden  müste.  jedenfalls  handelt  es  sieh  dann  aber 
um  den  nachweis  der  spuren,  die  von  dem  älteren  zustande  nocli 
zeugen,  sowie  um  die  Verfolgung  des  weges,  auf  dem  die  Ver- 
luste eingetreten  sind  und  die  Verwirrung  in  der  Verwendung  der 
formen  entstanden  ist.  dass  dabei  in  historischer  zeit  der  unter- 
schied der  aclion  in  allen  germanischen  sprachen  allmählich  weiter 
verschwindet  und  neue  tempusuntersclieidungeu,  meist  unter  deutr 
liebem  einfluss  des  lateinischen  aufkommen,  bedarf  hier  keines 
nachweises;  ich  erwähne  die  entwickelung  nur,  weil  sie  bis  zu 
einem  gewissen  grade  einen  schluss  auf  die  Vorgänge  der  vor- 
geschichtlichen zeit  nahelegt. 

Zeigt  schon  diese  nur  an  den  formenscliatz  anknüpfende 
Überlegung,  dass  man  sich  hüten  muss,  von  der  gotischen  Über- 
setzung unmögliches  bei  der  widergabe  der  griechischen  formen 
zu  verlangen,  so  beanspruchen  noch  zwei  weitere  beobachtuugen 
ernste  berücksichtigung  bei  der  bearteilung  der  einzelnen  gotischen 
formen;  erstens  enthält  die  widerga!)e  der  formen  des  griechischen 
passivs,  die  Wulfila  gröstenteils  umsehreiben  muste,  durch  die 
mannigfaltigkeit  der  dabei  hervortretenden  gotischen  formen  doch 
einen  hinweis  darauf,  dass  der  Gote  für  die  Unterscheidung  der 
actionsarten  ein  deutliches  gefühl  besafs;  zweitens  aber  zeigt  das 
recht  weitgehnde  schwanken  der  handschriftlichen  griechischen 
Überlieferung  zwischen  imperfect  und  aorist,  zwischen  präsens 
historieura  und  aorist,  zwischen  perfectum  und  aorist.  dass  nicht 
nur  versciiiedene  auffassungen  desselben  Vorgangs  möglich  waren, 
sondern  dass  auch  das  griechische  selbst  in  der  entwickelung  seines 
tempiissysteras  mit  den  ursprünglichen  actionsarten  zum  teil  iu 
kämpf  geraten  ist,  so  dass  die  blofse  griechische  tempasform 
keineswegs  immer  untrü'^jlich  erkennen  lässt,  ob  die  form  in  per- 
fectivem  oder  imperfectivem  sinne  aufzufassen  sei. 

Die  gotischen  passivuraschreibungen  mit  dem  part.  perf.  pass. 
und  ist,  was,  umrp  behandelt  Streitberg  PBBeitr.  15,  U)2ff. ; 
B.  berührt  sie  in  anlehuung  an  seine  besprechnng  der  disser- 
tation  von  ABOberg  Über  die  hochdeutsche  passivumschreibung, 
Lund  1907  (vgl.  WWilmanns  Anz.  xxxii  I02j,  s.  174  anm.  15S. 
aber  die  bloi'se  Zusammenstellung  von  formen  die  Streitbergs 
deutung  widerstreben  bleibt  auch  hier  unfruchtbar,  weil  dabei  auf 
die  möglichkeit,  die  stelle  im  Zusammenhang  zu  verstehu,  nicht 
genügend  rücksicht  genommen  wird,  schon  wenn  Oberg  s.  (3  zu- 
sammenstellt, dass  das  participium  mit  ist  aorist,  perfect  und 
präsens,  mit  was  dagegen  imperfect,  plusquaraperfect,  perfect, 
aorist,  und  mit  warp  aorist,  imperfect,  perfect  umschreibe,  so  er- 
gibt sich  der  bedeutungsunterschied,  und  es  handelt  sich  zunächst 
nur  darum,  festzustellen,  welche  auffälligeren  beispiele  für  >cas  bei 
der  widergabe  des  aorists  und  perfectums,  für  »rarp  bei  der  Über- 
setzung des  imperfectums  vorhanden  sind,  und  hierbei  erkennt 
luaa,  dass  alle  diese  fälle  nahe  mit  der  an  zweiter  stelle  genannten 


FRAGEN'    DER    ACTIOXSART  '9 

crscheiaun<5    zusararaenlhängen,    der   unsicherlieit    oder  mehr- 
deutigkeit  der  griechischen  tempora. 

Mit  dieser  beschäftigt  sich  mein  anfangs  erwähnter  aufsat« 
in  KZ.  48,  1  ff.,  49,  1  ff.,  von  dessen  ergebuissen  ich  an  dieser 
stelle  nur  erwähnen  will,  dass  das  iraperfectum  in  der  erzählung 
an  zahlreichen  stellen  dem  slawischen  perfectirura  entspricht  und 
dass  diese  ei-scheinung  m.  e.  mit  der  Verbindung  perfectiver 
und  imperfectiver  actionsact  im  griechischen  präseus 
(vgl.  Mahlow  KZ,  26,  573)  zusammenhängt,  eigentüch  hätte 
diese  erscheinung  auch  B.  auffallen  müssen,  zumal  er  bei  seinen 
beispielen  oft  genug  die  böhmische  Übersetzung  verwendet,  die 
altslowenische  Übersetzung  gibt  das  perfectiv  gebrauchte  iraper- 
fectum nahezu  ausnahmslos  durch  das  imperfect,  tut  also,  ähnlich 
wie  die  Vulgata,  der  spräche  geradezu  gewalt  an;  aber  das 
böhmische  weicht  in  nicht  seltenen  fällen  ab  und  verfährt  also 
dem  griechischen  text  gegenüber  selbständiger,  die  handschriften 
■des  NT.  selbst  geben  die  beste  bestätigung  für  diese  erscheinung; 
es  ist  geradezu  erstaunlich,  wie  oft  einem  aorist  der  einen  hand- 
scbrift  ein  imperfect  der  andern  gegenübersteht,  um  einen  begriff 
von  dem  umfang  der  erscheinung  zu  geben,  verzeichne  ich  aus 
den  ersten  fünf  capiteln  des  Marcusevangeliunis  die  von  Soden 
angeführten  Varianten  dieser  art:  1,  18  ty/.o/.ovO-r^ßav  :  i]y.o}.ov- 
^ovv,  21  l^i^uOY.Ev  :  k^i^aiev,  27  e'&aa^v^d^Tqoav  :  iO-aviia^ov, 
35  TCQOGi^vyßvo  :  ngooevS^ero,  39  rj?.itev  :  ^v:  2,  7  d(piivai  : 
dipsLvai,  14  ^7.o?.ovÜ^r]G6v  :  ijy.olovd^ei,  15  )]xolov^')^ovv  :  ir/.o- 
y.ov9-r]Ouv;  3,  4  eaub/ccov  :  iaKbrcrjaav,  6  iöiöovv  :  f7roh;oav, 
S  f]ld-ov  :  i'jXoÄovd-ovv,  d'/.ovovrsg  :  dxovaavreg,  10  f. '/£(»«- 
■/isuoav  :  sL^cQd/tEvev ,  äiptovTai  :  urtTiovrai,  eTtiTtlnreiv  : 
€7CinEGelv,  12  STreviua  :  en:STiurjOev,  22  y.avaßdvrsg  :  yxitu- 
ßalvovveg'^  4,  8  i'iqcütcov  :  r.ochTr^auv,  12  dzot'wfJi  :  dy.ovatoai, 
awicöoi  :  (jvvcöaL,  15  dy.ovocoaiv  :  dy.oviooiv ,  37  i/teßa'/j.fv  : 
Erteßalev]  5,4  'i'ayyev:  layvaev,  9  s/ojocbva :  ertr^gdiTvotv,  1 2  7iuqi- 
y.dXeaav  :  jiaQexd^.ovv,  18  TCccQeyMXet  :  r'jQ^azo  /iuou/.cclelv, 
20  id-avfia'^ov  :  i^avfiaoav,  24  f.y.olovO^f-i  :  i]y.o?.ovi^7;a€v, 
d7ti])J)-€v  :  VTtfjyev,  30  7rtQießlenBT0  :  ■ufoießleil'ajo.^  an 
nahezu  allen  stellen  geben  beide  formen  einen  guten  sinn,  das 
gleiche  bild  ergibt  sich  bei  der  vergleichung  der  parallelstellen 
aas  den  Synoptikern,  was  das  eine  evangelium  im  aorist  be- 
richtet, erzählt  das  andere  im  imperfect  und  umgekehrt,  es  be- 
steht demnach  eine  ziemlich  weitgelinde  freiheit  in 
der  Verwendung  der  actionsarten  zum  ausdruck  desselben 
Vorgangs,  eine  andere  wichtige  eigentümliclikeit  des  griechischen 
tempusgebrauchs  liegt  in  der  berührung  der  bedeutungssphären 
von  aorist  und  perfectum.  die  erscheinung  ist  namentlich  von 
J  Wackernagel  in  seinen  Studien  zum  griechischen  perfectum,  Göt- 
tiugen  1904,  behandelt,  bedarf  aber  noch  viel  umfassenderer  Unter- 
suchung   und    darstellung.      das    resultativperfectuni,    dessen    auf- 


;tO  HARTMANN     rrtKU    BEER 

kommen  und  ausbreitung  Wackernagel  verfolgt,  wird  von  vielen 
verben  überhaupt  nicht  gebildet  und  kann  auch  bei  solchen 
die  ein  perfectum  entwickelt  haben,  durch  den  aorist 
ersetzt  werden,  die  erscheinung  ist  im  NT.  ganz  gewöhnlich, 
auch  hier  schwankt  der  text  der  handschriften  sehr  häufig  i;  das- 
resultativperfect  aber  und  der  stellvertretende  aorist  haben 
keinen  anspruch  auf  die  widergabe  durch  eine  perfective  verbal- 
form im  gotischen;  so  erklärt  sich  zb.  havhta  L.  14,  IS  neben 
ushauhta,  ebenda  19  für  r'jyÖQaoa,  20  Uugaida  i'yr^fia.  alle 
diese  umstände  wollen  bei  der  erwägung  der  einzelnen  gotischen 
form  berücksichtigt  werden  und  müssen  die  beurteilung  des  ge- 
samtbildes,  das  das  gotische  einerseits  dem  griechischen,  ander- 
seits dem  slawisclien  gegenüber  bietet,  mitbestimmen,  wird  aber 
die  vollständige  Untersuchung  des  gotischen  sprachmaterials,  die- 
natürlich  jeder  derartigen  forschung  zu  gründe  liegen  muss  und 
die  auch,  wie  zahlreiche  statistische  angaben  zeigen,  bei  Streitberg 
tatsächlich  zu  gründe  ligt,  nach  diesen  veränderten  gesichtspuncten 
erneut  vorgenommen,  wird  also  die  actionsbedeutung  des  griechischen 
neben  der  form  in  rechnung  gezogen,  wird  der  Spielraum  be- 
rücksichtigt, den  der  auszudrückende  gedanke  unabhängig  von 
der  gewählten  form  behält,  wird  die  notlage  des  gotischen  Über- 
setzers beachtet,  der  mit  einem  wesentlich  kleineren  formenvorrat 
das  ausdrücken  muste  was  seine  vorläge  ihm  bot,  so  muss  sich 
nicht  nur  das  bild  beträchtlich  verschieben  das  Streitberg  von 
dem  zustande  des  gotischen  verbums  entworfen  hat,  sondern  es- 
wird  sich  auch  ein  anderes  gesamtergebnis  herausstellen  als  das 
zu  dem  Beer,  wie  oben  gezeigt,  gekommen  ist,  und  das  auf  die 
völlige  leugnung  eines  einfhisses  der  präposition  auf  die  actions- 
art  hinausläuft. 

üass  das  gotische  ein  consequent  durchgeführtes  actionsarten- 
system  nicht  mehr  besitzt,  wie  es  die  slawisclien  sprachen  im 
wesentlichen  aufweisen,  kann  keinem  zweifei  unterliegen,  da  es 
verben  in  beträchtlicher  anzahl  gibt,  die  perfective  und  imper- 
feetive  actionsart  vereinigen,  wie  diese  erscheinung  zu  erklären 
ist,  und  wo  sie  ihren  ausgangspunct  genommen  hat,  ist  hier  nicht 
zu  untersuchen;  ich  verweise  dafür  auf  meinen  aufi^atz  in  KZ.  49. 
um  jedoch  die  besprechung  auch  an  irgend  einer  stelle  durch 
tatsächliches  zu  fördern,  will  ich  zum  schluss  noch  auf  zwei 
schwierigere  verba  eingehen,  auf  gulaul'jan,  das  teils  in  imper- 
fectivem  sinne  'vertrauen  haben",  teils  in  ingressiver  bedeutung 
'vertrauen  fassen"  gebraucht  wird,  und  auf  lngjini  gahtgjan,  das 
die  perfectiviereude  Wirkung  des  gu-  voll  bestätigt. 

Für  die  mischung  der  actionsarten  bei  galaulijan  sind  be- 
weisend neben  überwiegenden  imperfectiven  formen  der  vorläge 
galaubeifi  jtioifvörjc  J.   11,  40,  R.    10,  9,  galaubeip  7i tOTfvOft 

'  so  th.  Mc.  3,  2G  yadailij)  irorp  /uefieQtojai  und  i^eglodr]. 


FÄAGEN    DER    ACTIONSAHT  1  l 

L.  16,  11,  7tiar€V07]T€  L.  8,  24,  galauhjand  TtioxevGovaiv 
R.  10,  14,  galauhjan  moievobj  J.  9,  36,  galauhjai  niox^vGj} 
Mc.  11,  23,  J.  17,  21,  galaubjaima  yciOTevoco^iev  Mc.  15,  32, 
J.  6,  30,  gaJaubjaiJ)  niortvoere  J.  5,  47,  niarevorjTe  J.  11,  15; 
14,  24,  7CiOTevoaT£  J.  10,  38,  galauhjaina  J.  11,  42,  galaubida 
enloTEvoev  J.  12,  38,  R.  10,  16,  galauhiJedum  iznoTevoofi^v 
R.  13,  11,  G.  2,  16,  galaiibidedup  InLOTEvaare  1  K,  15,  2;  11, 
ni  galaubidedun  iiniGtr^oavUc.  16,  11,  galaubidedun  eTriaxEvaav 
J.  7,  31;  8,  30;  9,  18;  10,  42;  11,  45;  12,  42;  17,  8; 
R.  1(>,  14,  galnubidedi  eviiöxevOfv  J.  7,  48  (Sk.  51,  22;  52,  4), 
galaubjari  rnaxevGai  Mc.  9,  23,  galaubjatiddu.s  7ciox€voavieg 
L.  8,  12,  E.  1,  13,  galaubjaiidam  jciarevoccoiv  2  Th.  1,  10, 
galmibjaudei  rtiorevoaGa  L.  1,  45,  galaubips  warp  €7Tiaxfv(/rj 
1.  T.  3,  16,  2  Th.  1,  10.  dazu  kommen  noch  vereinzelte  fälle, 
wo  im  griechischen  text  präsentische  formen  oder  das  imperfectum 
die  bedeutung  'glauben  fassen'  aufweisen,  die  slawische  Über- 
setzung braucht  dann  nicht  das  durative  verovati,  sondern  um- 
schreibt den  sinn  mit  verq  j^ti  {imati)  'den  glauben  annehmen, 
vertrauen  fassen',  so  zb.  7noxeveig  J.  1 1,  26,  7iiGxevovoiv  L.  8,  13, 
TTioxEvexe  Mc.  13,  21,  TriOTevrjXS  J.  10,  38,  €7riOTfVfj£  J.  5,  4H. 
TiLOxevExe  J.  10,  37;  14,  11;  anderseits  hat  der  aorist  hii- 
Gxevaa  auch  die  bedeutung  'ich  bin  gläubig  gewesen'  und  nähert 
sich  also  dem  perfectum  yiejcioxev/M  'ich  bin  gläubig  geworden' 
M.  8,  13,  G.  3,  6,  Mc.  11,  31,  L.  20,  5;  an  der  stelle  L.  1,  20 
ist  diese  auffassung  möglich;  R.  11,  30.  31  steht  im  griechischen 
text  i]7i£id^rioaxe,  i]7r£i&r]0av  mit  der  entsprechenden  bedeutung. 
es  versteht  sich,  dass  die  griechische  vorläge  an  zahlreichen  stellen 
Unsicherheit  zeigt  und  dass  der  sinn  der  auffassung  im  einzelnen 
fall  oft  weiten  Spielraum  gewährt,  ich  will  noch  ausdrücklich 
betonen,  dass  die  bedeutungsverschiedenheit  von  'glauben'  und 
'glauben  schenken'  nicht  genau  mit  der  von  nioxeveiv  und 
7riox£voai  zusammenfällt,  denn  7iLOxtvto  hat,  besonders  im  in- 
dicativ  und  bei  iterativem  sinn,  beide  bedeutungen,  und  der  aorist 
kann  ebenso  in  ingressivem  wie  in  abschliefsendem  sinne  gebraucht 
werden,  wie  die  zeit  aber  die  bedeutungen  verschiebt,  lehrt  ein 
vergleich  der  Übersetzung  von  Joh.  10,  37.  38  im  kirchenslawischen, 
russischen  und  böhmischen  text.  dort  folgen  (xii  TTiaxfveie,  ifav) 
/uTj  TUGTfVTjxe,  7rioxfvoaT£  dicht  aufeinander;  die  altslawische 
Übersetzung  hat  sinngemäß  ne  emlefe  veri/,  aste  .  .  vcry  ne  emlefe, 
veruute  (ostr.  verq  imete).  die  neurussisclie  gibt  die  beiden  ersten 
stellen  durch  verit',  die  dritte  durch  yorerit',  die  böhmische  alle 
drei  ohne  unterschied  durch  veriti.  galaubjan  ist  von  gaJaubs 
abgeleitet  wie  gahaftjcm  von  * gahifts,  gamainjan  von  gamains-^ 
warum  nicht  wie  bei  gdgahaffjan,  gagamawjan  eine  Verdoppelung 
des  ga-  zur  bezeichnung  der  abgeschlossenen  handlung  eingetreten 
ist,  wie  wir  sie  im  nhd.  geglaubt  noch  jetzt  haben,  entzieht  sich 
unserem  wissen. 


12  HARTMANN     {'BF.K     HKKR 

Gellen  wir  nun  zu  litf/jnn.  g'ild'/jini,  usUtgjnn  über,  üufser- 
lioh  betrachtet  liaben  wir  bei  Inf/Jnn  24  belege,  von  diesen  stebn 
".»  priisentisehen  oder  imperfectischen  formen  des  griechisclien  gegen- 
über: Mc.  <J,  Ki;  .).  lu,  II;  L.  5,  'Mi;  1  T.  f).  22;  1  K.  IG,  2; 
2  K.  3.  13:  Mo.  (i.  r^li;  10,  16;  15,  Ht ;  einmal  entspricht  das 
prrfectuni  .1.  11,  34,  zweimal  das  futurum  .1.  13,  37.  38,  12  mal 
aoristformen,  der  erste  eindruck  ist  also  der  annähme  eines  im- 
perfectiven  verbums  sehr  ungünstig,  bei  g(ün(j)(ni  sind  28  belege 
vorhanden ;  rechnet  man  die  sechs  für  das  part.  perf.  pass.  ab, 
die  besonders  zu  behandeln  sind,  so  bleiben  22,  denen  IS  mal 
aoristformen.  4  mal  präsensformen  gegenüberstehn,  und  da  das 
griechische  präsens  auch  perfective  bedeutung  haben  kann,  und  an 
drei  dieser  stellen  tatsächlich  hat  ^  so  ist  die  perfective  bedeutung 
von  gnlngjori  nicht  zweifelhaft,  ebenso  ist  es  bei  tislagjo)»;  unter 
sieben  belegen  entsprechen  fünf  griechischen  aoristen,  zwei  L.  15,  5; 
;),  62  präsentischeu  formen;  L.  15,  G  passt  das  futurum,  da  es 
sich  um  einen  angenommenen  fall  handelt,  ausgezeichnet  und 
L.  9,  62  ist  das  participium  iisl(i(/jinnls  ebenso  angemessen  wie 
es  htgjionh  wäre.  es  fragt  sich  also,  wie  das  überwiegen 
aoristischer  (und  futurischer j  entsprechudgen  bei  l'igi'm  zu  er- 
klären ist. 

Zunächst  erklärt  sich  higidcdup  leüiy/xcii  J,  11,  34  durch 
das  was  soeben  über  das  resultativperfectum  gesagt  wurde,  stell- 
vertretende aoriste  für  dies  bei  r/i^?;at  bekanntlich  seltene  und 
späte  perfectum  sind  L.  19,  21.  22  täiy/xcc.  tdr/.u  lagides, 
lagi(la\  sie  erklären  sich  im  griechischen  auch  aus  dem  zutritt 
der  negation,  im  gotischen  erklärt  die  negation  widerum  die 
wähl  des  imperfeclivunis.  in  gleicher  weise  ist  auch  lagjattds 
^eixtvoQ  2  Kor.  5,  1  •.)  aufzufassen.  —  für  die  imperative  lagei 
lagjljj  ßd'/.e  DiaOe  J.  18,  11,  L.  9,  44  ist  zu  bemerken,  dass 
das  gotische  beim  befehl  die  scharfe  Unterscheidung  der  actionen, 
die  im  griechischen  und  slawischen  gemacht  wird,  nicht  mehr 
kennt;  auch  im  lateinischen  ist  der  präsensimperativ  verallgemeinert 
und  auf  den  sofort  auszuführenden  einzelbefehl  übertragen  worden, 
hieran  schliefseu  sich  aber  unmittelbar  die  aufforderungen  ci  JagjaLs 
cvu  euiUTc  Mc.  5,  23  und  ei  layidedi  Iva  €7Ci0^ij  Mc.  7,  32 
als  Umschreibungen  der  befehlsform.  —  anders  geartet  sind  die 
futura  i)riOL0  lagja  J.  13,  37  und  lagjis  0^i]afic:  .).  13,  38,  mit 
denen  J,    15,   13   lagjip  ^i   zu  verbinden  ist.    in  allen  drei  fällen 


'  .J.  15,  6  steht  ßdkkovaiv  (v.  I.  e/j.ßa?.ovaiv)  neben  ißXrj&t]  e|cü  xai 
i$r]Qdvdr],  'lern  gnomischen  aorist,  der  in  allgemeinen  Sentenzen  zur  be- 
zeichnung  der  vollendeten  handlang  gebraucht  wird.  Wultila  hat  natür- 
lich das  perfective  präsens  in  allen  (fünf)  fällen;  ganz  ähnlich  ist  der 
gebrauch  von  ßdXlezaL  L.  3,  9;  R.  9,  33  übersetzt  zidtjui  das  hebräische 
perfectum  /«V.sar/  (3.  p. !),  die  Septuaginta  Jes.  28,  16  hat  sfißdlXa)  v.  L. 
SjLißaÄM;  endlich  Mc.  9,  42  ist  Tieoixeirai  sinngeniäfs  geändert. 


FRAGEN    DEK    ACTIONSART  I  3 

handelt  es  sich  um  die  wendung  ^eivai  rr^v  4ivyj}v  'das  leben 
einsetzen';  es  ist  aber  ohne  weiteres  klar,  dass  hier  perfectivischer 
ausdruck  ebensogut  denkbar  ist  als  imperfectivischer  und  dass  der 
Sprachgebrauch  entscheidet.  —  Mc.  lö,  36  pragjauds  pan  ains 
jcih  gaf'ulljands  siram  akeltis  galagjands  ma  raus  dragkida  ina 
ÖQKfidjv  ÖS  sig  vxd  ye/iiiGag  Uyröyyov  ö'iovg  jrEQLÜeiQ  y.C(?M(,to) 
hrÖTiZev  ctVTÖv  und  M.  27,  48  jah  sum  pragida  ains  us  im 
jah  nam  sivamru  fulljands  aketis,  jaJi  lagjands  ana  raus  draggkida 
ina  YMc  £v^€cüg  öga/nwv  elg  eS.  avröiv  vml  laßojv  orcöyyov 
nlrjGag  öSovg  -/.cd  7i£Qi^Btg  ymXuiioj  inÖTtCev  avtdv  sind  im 
griechischen  und  gotischen  Wortlaut  sehr  ähnlich,  aber  doch  nicht 
genau  übereinstimmend;  sie  zeigen  deutlich  den  Spielraum  den 
die  actionsarten  lassen,  bei  gafuUjands  und  galagjands;  geht 
die  handlung  des  füllens  und  auflegens  dem  tränken  voran,  bei 
fulljands  und  lagjands  bezeichnen  die  participien  die  art  und 
weise  in  der  das  dragkjan  erfolgte,  denn  das  imperfectum  i^iü- 
TiCev  ist  Ingressiv,  lui  en  donna  ä  hoire,  nicht  dahat  ei  bibere 
oder  daval  jemu  pif  und  napdjel  ho,  wie  die  russische  und 
böhmische  Übersetzung  geben;  mit  dem  ingressiven  imperfect  aber 
kann  das  aoristparticipium  ebensowol  in  der  bedeutung  der  gleich- 
zeitigkeit  verbunden  werden,  wie  es  mit  dem  aorist  häufig  ver- 
bunden wird^  —  der  infinitiv  lagjan  übersetzt  den  aorist  ßa/.eiv 
M.  10,34  Xih  ahjaip  pafei  qemjau  lagjan  gawairpi  ana  airpa 
und  M.  27,  6  ni  skuld  ist  lagjan  paus  (skattansj  in  kaurbanaim. 
beidemal  lässt  sich  die  handlung,  da  sie  nicht  vollendet  wird,  als 
imperfectiv  auffassen.  —  so  bleibt  nur  die  stelle  Mc.  7,  33  übrig, 
die  etwas  stärkeren  anstofs  erregen  könnte,  hier  geht  die  auf- 
forderung  ei  lagidedi  imnia  handu  (vgl.  oben)  unmittelbar  voran; 
aber  nicht  daraus,  glaube  ich,  ist  die  imperfective  form  herzuleiten, 
sondern  aus  der  widerholung  der  handlung,  denn  Christus  legt 
dem  taubstummen  die  finger,  offenbar  einzeln,  in  die  obren,  und 
daraus  erklärt  sich  die  form,  die  also  iterative  bedeutung  be- 
kommt, die  weiteren  einzelhandlungen  attaitok,  gaswogida,  qap 
sind  perfectiv;  Mc.  S,  23  atlagjands  ana  handuns,  25  galagida 
handuns,  wo  ebenfalls  einzelhandlungen  bezeichnet  werden,  zeigen 
das  compositum,  damit  glaube  ich  ein  beispiel  gegeben  zu  haben, 
wie  ich  mir  im  gegensatz  zu  ABeer  eine  Interpretation  der  gotischen 
verbalformen  denke. 

Der  druck  ist  zwar  im  allgemeinen  correct,  aber  an  einzelnen 
stellen  häufen  sich  die  fehler;  angemerkt  habe  ich  mir  s.  8S 
Y.arayyehTS,  y.ccTayye/.ovoiv^Y.azayyelofxsv,  a-eis  gateihan,  95  sal- 
bons,  124  7raQa'§r]loviLiev,  128  liaubada  (1.  hauliaba)  im  text 
und    in  der    anmerkung,    y.ajayyelBiv,     131     vidimi    (1.    vidisi), 

'  ich  erwähne  nur  das  homerische  xal  fiiv  qxovr'ioag  enea  nTsgoevTa 
JiQOOTjVÖa,  das  schon  den  umfang  der  wenig  beachteten  erscheinung  ver- 
deutlicht. 


I  4  HARTMANS    ÜBKR    HEER,    KRAGEN    DKR    ACTl()Ns.AHT 

13S  gibans,  snlhovs,  dodfrat,  142  tjrcipan .  14()  h'arhonüy 
14S  naöatu  (\.  nac^tu),  anm.  \bH  jraQaay.evaOTcei,  nuQUOYEvao- 
fifroi,  anm.   174  (8.   179)  Kor.   11,  20  (1.  2.  Kor.   11,  20). 

Berlin-Scliöneberg,  october   1917.  Felix  Ilartmann 


Studien  zur  dialektgeograpliie  des  Mederrheins  zwischen 
Düsseldorf  und  Aachen  von  Theodor  Frluifs.  mit  einer  karte 
[Deutsclie  dialektjjeof^raphie  hrg.  von  F.  Wrede.  lieft  Vj.  Mar- 
l)urj?,  Ehvert,    1913.    IX  u.  243  ss    8".  —  8  m. 

Nachg-erade  hat  sich  die  rheinische  mundartenforschung^  zu 
einer  Specialwissenschaft  entwickelt,  sodass  es  selbst  für  den 
fachmann  schwer  wird,  den  dort  in  frage  stebnden  problemen 
nachzukommen,  immer  deutlicher  zeigt  es  sich,  dass  die  lösung 
aller  Schwierigkeiten  auf  phonetischem  gebiete  ligt.  letzten  endes 
scheint  alles  auf  den  accent  hinauszulaufen,  diese  entwicklung 
drängt  sich  aus  dem  gründe  dem  an  der  forschung  selbst  nicht 
teilnehmeudeu  beobachter  vor  die  äugen,  weil  von  den  vier  heften, 
die  in  der  Wredeschen  Sammlung,  deren  ausgangspunct  bekannter- 
mafsen  die  local-  oder  territorialgeschichte  ist,  bisher  erschienen 
sind  und  die  wol  zufällig  das  Eheinland  behandeln,  drei  sich 
eingehend  mit  dem  'rheinischen  accent'  beschäftigen.  seit 
Nörrenbergs  aufsatz  PBBeitr.  9.  402  ff  ist  die  frage  in  fluss  ge- 
blieben, und  alle  nachfolger  haben  sich  mehr  oder  weniger  ein- 
gehend mit  dieser  eigenartigen  erscheinung  befafst.  aber  ob- 
gleich bereits  Ramisch  und  Leihener  im  1  uud  2  heft  der  gleichen 
Sammlung  die  frage  merklich  gefördert  haben,  hat  sich  doch  bis- 
her niemand  so  entschlossen  an  die  lösung  der  aufgäbe  heran- 
gemacht wie  der  vf.  des  vorliegenden  buches.  ob  es  ihm  aller- 
dings gelungen  ist,  die  schwierige  materie  in  Ordnung  zu  bringen, 
bleibe  vorläufig  dahingestellt,  immerhin  gehört  ein  gut  teil  mut 
dazu,  die  dinge  einmal  von  der  andern  seite  anzusehen,  und  als 
folge  anzusprechen  was  bisher  als  Ursache  gegolten  hat.  aulser- 
dem  erfordert  die  buntheit  der  lauterscheinungen,  mit  denen  in 
der  niederrheinischen  landschaft  der  mundartenforscher  operieren 
muss,  einen  klaren  blick  und  starke  gestaltungskraft;  ferner 
muss  das  gehör  in  einer  weise  empfänglich  sein,  wie  es  wol 
kaum  in  einer  andern  gegend  Deutschlands  erforderlich  sein 
wird.  es  ist  nur  verwunderlich,  dass  man  noch  immer  der 
experimentellen  hilfsmittel  entraten  zu  können  glaubt,  wenn 
die,  dazu  noch  zeitlich  zurückliegenden  Untersuchungen  von  F. 
an  blofsen  zwei  Wörtern  (s.  225:  ^tif  steif  und  M:f  steife, 
stärke)  die  phonetische  grundlage  für  seine  neue  hypothese  ab- 
geben müssen,  welche  aussiebten  eröffnen  sich  dann  erst  in  aus- 
giebigeren phonetischen  Studien? 

Wir  können  bei  dem  Fringsschen  buche  von  dem  übrigen 
inhalt    absehen;    es    genüge    die    Versicherung,    dass    es    gram- 


TEUCHEKT    ÜBER    FRINGS,    DIALEKTGBOGR.    D.    NIEDERRHEINS         15 

niatische  kenntnis,  phonetische  Schulung:  und  einen  starken  Üeifs 
verrät,  wie  sein  Vorgänger  geht  F.  auf  den  nachweis  ans,  dass 
<iie  heutigen  mundartengrenzen  nur  auf  die  territorialen  Ver- 
hältnisse des  gebietes  zurückzuführen  sind,  eine  feststellung  die 
nachgerade  keinem  widersprach  mehr  begegnet,  über  diesen 
abschnitt  soll  hier  ebensowenig  etwas  gesagt  werden  wie  über 
die  vorhergehenden,  erwähnt  sei  nur  noch,  dass  dem  dialekt- 
geographischen teil  eine  kurze  lautlehre  von  Dülken  stadt  und 
land  voraufgeht. 

Beachtung  verdient  jedoch  die  tatsache,  dass  sowol  Rarais ch 
iheft  1  der  'Dialektgeographie')  wie  jetzt  F.  die  für  die  mund- 
artenforschung  bisher  geltenden  beiden  hauptlinien,  die  Ür dinge r 
und  die  Benrather,  für  das  linksrheinische  gebiet  verwerfen, 
da  sie  die  dialektunterschiede  des  gebietes  nicht  so  vorteilhaft 
kennzeichnen  wie  eine  andere  für  jeden  der  untersuchten  bezirke, 
ihre  normallinien  verlaufen  beide  etwas  nördlich  von  den  alten 
Sprachgrenzen.  Eamischs  normallinie  tritt  an  stelle  der 
Ürdinger,  Frings  normallinie  empfiehlt  sich  mehr  als  die 
Benrather.  diese  neu  bekannt  gegebene  linie  verläuft  nach 
Frings  karte  so,  dass  noch  Neufs,  München-Gladbach,  Rheydt, 
Odenkirchen,  Erkelenz,  Heinsberg  südlich  von  ihr  bleiben,  wäh- 
rend Krefeld,  Viersen,  Dülken  zu  ihr  nördlich  liegen,  diese 
normallinie  bildet  die  grenze  für  die  meisten  mundartlichen 
unterschiede  des  gebietes;  F.  nennt  sie  auch  die  z ega /zäyd -Imie, 
weil  diese  in  der  hauptsache  mit  ihr  übereinstimmt,  wie  vf.  im 
§  300  zusammenfasst,  ist  seine  normallinie  historisch  auch  besser 
begründet  als  die  Benrather.  doch  ich  weise  hier  nur  kurz  auf 
dieses  ergebnis  hin. 

Unsere  aufmerksamkeit  fesselt  der  abschnitt  über  den  accent 
(§  312 — 332,  s.  214  bis  zu  ende),  es  handelt  sich  um  den 
'rheinischen  accent'.  diese  bezeichnung  darf  in  weiteren 
kreisen  angenommen  werden,  da  bisher  anderswo  dieselbe  er- 
scheinung  noch  nicht  nachgewiesen  ist;  denn  die  limburgischeu 
mundarten  und  Luxemburg,  wo  er  auch  auftritt,  gehören  sprach- 
lich zum  mittelfränkischen  gebiet,  seit  Maurmann-Wrede  (Zs.  39, 
267  fufsuote  6)  ist  für  diesen  eigentümlichen  accent  die.  be- 
zeichnung 'circumflectierte  betonung'  gebräuchlich,  F.  verwendet 
dafür  nach  Wredes  Vorschlag  jetzt  die  benennung  'schärfung', 
was  soviel  wie  kürzung  bedeuten  soll,  kürzung  des  Stammes  mit 
seiner  endung,  kürzung  nicht  nur  des  stammvocals,  sondern  auch 
der  folgenden  consonanten 

Die  kürzung  ist,  wie  schon  oben  angeführt,  an  der  experi- 
mentellen darstelluug  der  beiden  formen  stif  und  sii:f  deutlich 
erkennbar,  ein  abklatsch  der  aufzeichnungen  des  kymographions 
auf  s.  243  gibt  für  i:  das  erste  mal  i^/ioo,  das  zweite  mal 
^•^/loo  secunden  als  Zeitdauer  an  und  für  das  /'  2^/100  und  ^t"  ,ou 
secunden.      dagegen   verlangte    in   dem    unflectierten    adjectivum 


16  TIOUCHKUT    ÜBKR    FRINGS 

Hilf  der  vocal  l  nicht  weniger  als  ''''/loo  oder  ^^^/loo  seeunden 
und  das  /'  •"•  loo  oder  "o  loo  seeunden.  das  i:  ist  also  rund  ^  :j 
und  das  /  in  si'i : f  rund  1/2  kürzer  als  die  beiden  laute  in  dem 
unflectierten  und -somit  nicht  der  schärfung  unterworfenen  wort. 

Diese  kürzung  ist  bereits  im  jähre  1843  von  Hardt  (Vo- 
calismus  der  Sauermundart)  beobachtet  worden,  und  REngel- 
manu  hat  sie  in  seinem  wertvollen  aufsatz  'Ein  mittelfränkisches 
accentgesetz'  (PBBeitr.  36,  3S2ff)  als  kennzeichen  seiner  luxem- 
burgischen heimatmundart  hingestellt,  indem  er  für  sie  auf  die 
Hardtsche  bezeichnung  'correption',  dh.  abkürzung,  zusammen- 
ziehung, zurückgriff.  Engelmann  wie  Fiings  sind  unabhängig 
voneinander  zu  der  erkenntnis  von  der  bedeutung  der  kürzung 
gelaugt. 

Um  die  kürzende  Wirkung  dieses  accentes  vor  äugen  zu 
führen,  gebe  ich  einige  Fälle  aus  JosMüllers  Mundart  von 
Aegidienbei-g  im  AVesterwald  (Untersuchungen  zur  lautlehre  der 
mda.  von  Ae,,  diss.  Bonn  1900,  s.  30).  es  heilst  dort  jräm 
heiser,  aber  na'm.du  name,  an  an,  aber  ha'u.  hahn,  däl  tal, 
aber  da'l.  dem  tale,  m^l  mehl,  aber  )h{1.  dem  mehle.  richtiger 
kann  man  von  dem  accente  sagen,  dass  er  die  dehnung  ver- 
hindert, dasselbe  gilt, von  dem  zweigipfligen  accent  der  nieder- 
ländisch-limburgisclien  mundarten,  der  nach  Kern  (Zum  Ver- 
hältnis zwischen  betonung  und  laut  in  niederländisch-liuiburgischen 
mundarten,  Idg.  forsch.  26,  258  ff)  kürzung  bewürkt  und  dehnung 
verhindert. 

Wichtig  ist  die  Schlussfolgerung  die  F.  aus  der  tatsache 
der  kürzung  durch  den  'rheinischen'  accent  zieht,  während  seine 
Vorgänger  diese  eigentümliche  betonung  sich  so  entstanden  vor- 
stellen, dass  der  nebenton  mit  dem  abfall  des  endungs-e  oder 
der  Schwächung  der  endung  auf  die  Stammsilbe  tritt  und  dieser 
den  doppelgipfel  mitteilt,  sieht  F.  die  apokope  als  eine  folge  des 
accentes  an.  und  dieser  ist  seinerseits  erst  aus  der  kürzung 
hervorgegangen,  diese  aber  hat  ihren  grund  in  der  dem  Rhein- 
länder eigentümlichen  satzrhythmik.  er  findet  nämlich  eine 
scharfe  sprechtacteiuteilung  in  seinen  mundarten.  der  sprech- 
tact  überschreitet  nie  das  mafs  von  vier  silben.  eine  einsilbige 
nichtgeschärfte  form  wie  Ulf  nimmt  nun,  wenn  sie  die  betonte 
stelle  des  sprechtactes  bildet,  die  dem  sprechtact  zukommende 
zeit  nicht  so  sehr  in  anspruch  wie  eine  tlectierende  nichtge- 
schärfte form  desselben  wortes,  also  wie  ein  ursprünglich  voraus- 
zusetzendes silvd.  um  aber  das  zur  Verfügung  stehnde  zeitmafs 
nicht  zu  überschreiten,  sieht  sich  die  muudart  genötigt,  eine 
kürzung  des  zweisilbigen  wortes  vorzunehmen,  diese  geschieht 
durch  den  jetzt  auftretenden  accent:  so  entsteht  zunächst  i;ii:v» 
und  im  verfolg  der  durch  das  experiraent  erwiesenen  kürzungs- 
tendenz  Ui:t,  dh.  erst  der  accent  bewürkt  Schwund  oder  Schwä- 
chung der  endung. 


DIAXiEKTÖEOGRAPHIE    DES    JfIBBBKRHEINS  '    17 

Das  nebeneinander  einsilbiger  und  zweisilbiger  formen  des- 
selben Wortes  ist  demnach  die  letzte  Ursache  für  die  kürzung, 
tritt  die  schärf ung  aber  auch  in  zweisilbigen  Wörtern  auf,  neben 
denen  sich  keine  einsilbige  form  nachweisen  lässt,  so  ligt  nach 
F.  systemzwang  vor.  stimmhafter  stammauslaut  begünstigt  das 
auftreten  des  accentes,  ohne  für  ihn  geradezu  notwendig  zu  sein, 
denn  Ramisch  weist  schärfung  auch  vor  stimmloser  consonanz 
(bi:t9  beifsen,  zü:p9  saufen  j  nach,  dass  die  schärf  ung  stimm- 
haften auslaut  bevorzugt,  mag  nach  F.  darin  liegen,  dass  dei- 
im  'rheinischen'  accent  erscheinende  gleichlaut,  der  zunächst  ein 
blolser  glottisverschluss  ist,  'am  liebsten  zu  einem  stimmhaften 
laut  hinabgleitet'. 

Die  auffassung  die  F.  hier  vertritt,  bietet  eine  erklärung 
für  den  bisher  als  'spontan'  bezeichneten  eintritt  der  schärfung 
in  den  Wörtern  mit  wgerm.  ä,  e,  ö,  ai  (>  ahd.  e),  azi  (>  ahd.  ö), 
eo,  wo  sie  ohne  rücksicht  auf  folgende  stimmhafte  oder  stimm- 
lose consonanz  ausnahmslos  erscheint,  während  für  die  Wörter 
mit  %  ü,  ai  (>  ahd.  ei),  au  (ahd.  >  ou)  die  nachfolgende  stimm- 
hafte consonanz  erforderlich  ist. 

Dass  die  schärfung  eine  folgeerscheinung  der  energischen 
Satzrhythmik  und  scharfen  sprechtacteinteilung  des  Rheinländers 
ist,  findet  F.  durch  den  umstand  bestätigt,  dass  gewisse  er- 
scheinungen  wie  die  diphthongierung,  auf  die  wir  später  eingehn 
werden,  nur  dann  auftreten,  wenn  das  wort  an  betonter  stelle 
steht,  in  Dülken  Stadt  spricht  man  ve'i.l  fiel,  he'i.l  hielt, 
jo'u.t  gilt,  hlo'u.t  blut,  blo'u.m  blume  gegenüber  einem  e:  und  ö: 
auf  dem  lande,  aber  nur  "wenn  die  betreffenden  Wörter  an  be- 
tonter, affectisch  gesprochener  stelle  stehn'  (s.  238).  unabhängig 
von  F.  hatte  bereits  früher  Bülbring  in  seiner  abhandlung 
'Über  kehlkopfverschluss  im  wortinnern  in  deutschen  mundarten' 
in  der  festschrift  für  WilhVietor  (Neuere  sprachen  1910  er- 
gänzungsband  s.  263  ff)  festgestellt,  dass  ein  unterschied  zwischen 
betonter  oder  unbetonter  satzstellung  besteht,  er  hatte  in  den 
hier  in  betracht  kommenden  Wörtern,  die  er  in  der  mundart  von 
Niederempt  bei  Bedburg  nachgeprüft  hatte,  beobachtet,  dass  sie 
am  satzende  und  im  affect  gesprochen  neben  der  Verkürzung 
um  ein  viertel  hinter  dem  plötzlich  abgebrochenen  vocal  mit 
einem  gehauchten  absatz  endigten,  dieser  hauch  war  aber 
schwächer,  wenn  der  affect  geringer  war  oder  fehlte;  im  satz- 
innern fehlte  er  völlig  iblif  mr  dox  /'«»«'  ^"^M  neben  Ä?  het  zix 
en  dqm  nas3  wer  dr  düt  [nicht  düht]  pliolt). 

Als  dritten  beweis  für  die  rolle  die  der  satzton  spielt, 
möchte  ich  auf  einige  fälle  bei  Engelmann  hinweisen,  neben 
vTCr  wahr  (schärfung  mit  glottisverschluss)  steht  vuriyt  Wahrheit 
(schwach  geschnittener  accent  ohne  schärfung)  und  ähnlich  sonst, 
es  scheint  zwar,  als  ob  der  wortton  für  das  unterbleiben  der 
schärfung  verantwortlich  sei,  aber  offenbar  füllt  das  längere 
A.  F.  D.  A.     XXX Vm.  2 


18  TBÜOHERT    ÜBMK    FRINGS 

wort  mit  der  schweren  endung;  die  betonte  stelle  des  sprach- 
tactes  in  einem  mafse.  dass  die  kürzung  des  Stammes  nicht  mehr 
möglich  ist. 

Es  ist  ein  seltsames  zusammentreffen,  dass  noch  ein  forscher, 
anscheinend  ohne  kenntnis  des  Fringsschen  buches  —  wenigstens 
erwähnt  er  es  nicht,  obwol  es  wol  vor  der  niederschrift  des  in 
betracht  kommenden  aufsatzes  erschienen  ist  und  sein  vf.  gewis 
während  der  abfassung  oder  drucklegung  des  buches  mit  F.  per- 
sönlich zusammengetroffen  ist  — ,  zu  dem  problem  des  rheinischen 
accentes  Stellung  nimmt  und  sich  im  Fringsschen  sinne  aus- 
spricht, ich  meine  die  kurze,  aber  gehaltvolle  abhandlung  von 
Andreas  Scheiner,  dem  durch  arbeiten  über  seine  heimatmund- 
arten  bekannten  siebenbürgischen  gelehrten,  in  seinem  aufsatz, 
den  er  in  hinblick  auf  Engelmann  gleichfalls  'Ein  mittelfrän- 
kisches accentgesetz'  betitelt  (Korrespondenzblatt  des  vereins  für 
siebenbürgische  landeskunde  37  [1914],  1 — 22),  greift  er  wie  F. 
auf  den  ersten  beobachter  des  rheinischen  accentes,  Hardt,  zurück 
und  folgert  aus  erscheinungen  der  Viandener  mundart  Engel- 
manns in  Verbindung  mit  persönlichen  beobachtungen  an  den 
noch  lebenden  erforschern  des  rheinischen  accentes  (Maurmann, 
JosMüller  [Frings],  Nörrenberg,  Ramisch),  dass  'die  für  die  wort- 
formung  überhaupt  so  entscheidende  accentuierte  pausenstellung 
auch  für  die  apokope  mafsgebend  gewesen  ist'  (s.  20).  grade 
wie  bei  Engelmann  der  äufserste  fall  seines  starkgeschnittenen 
accentes,  nämlich  die  schärfung  mit  glottisverschluss,  nur  bei 
heute  einsilbigen  (dh.  früher  zweisilbigen)  Wörtern  und  zwar 
am  deutlichsten  ausgeprägt  am  satzende  auftritt,  so  ist  diese 
betonte  Stellung  auch  die  Ursache  für  die  apokope  gewesen. 
denn  mit  recht  lässt  sich  die  frage  auf  werfen,  wenn  die  syn- 
und  apokope  die  Ursache  für  den  accent  gewesen  sei,  wodurch 
denn  diese  erscheinungen  hervorgerufen  seien  (s.  19,  fufsnote 
unten).  Seh.  findet  den  gemeinsamen  grundirrtum  der  rheini- 
schen forscher  darin,  dass  sie  'den  rheinischen  accent  nicht  ent- 
schlossen genug  als  eine  ursprünglich  selbständige  und  unab- 
hängige gröfse  des  sprachlebens  gefasst  haben'  (s.  1 5  f).  was 
Seh.  über  diesen  gemeinsamen  grundirrtum  sagt,  würkt  über- 
zeugend, die  rheinischen  forscher  haben  die  beschreibende  und 
erklärende  methode  vermischt,  indem  sie  den  gegenwärtigen  laut- 
bestand der  mundart  ohne  kritik  mit  früheren  sprachstufen  ver- 
bunden haben,  so  wenn  Engelmann  sagt,  'die  Viandener  laute  .... 
die  aus  wgerm.  d,  e,  ö,  ai  =  ahd.  e,  au  =  ahd.  ö,  eu  =  ahd. 
io  entstanden  sind,  werden  in  heute  einsilbigen  Wörtern 
durch  glottisverschluss,  in  heute  mehrsilbigen  durch 
stark  geschnittenen  accent  unter  allen  umständen  cor- 
rigiert'.  der  von  mir  gesperrte  zusatz  bezieht  sich  auf  auf  evue 
geschichtliche  Vorstufe  und  enthält  womöglich  bereits  etwas  zur 
ausdeutung  des   lautvorganges   brauchbares,    während  der  übrige 


DIALEKTGEOGBAPHIE    DKS    NIBDEKRHEINS  19 

teil  des  satzes  eine  blofs  beschreibende  grammatische  regel  ist. 
ich  kann  Seh.  bestätigen,  dass  auch  ich,  als  mir  vor  jähren  der 
Engelmannsche  aufsatz  vor  äugen  kam,  an  dieser  fassung  seines 
lautgesetzes  anstofs  genommen  habe,  eine  ähnliche  vermengung- 
hat  man  bei  der  darstellung  der  sogenannten  'bedingten'  circum- 
flexion  vorgenommen. 

Entschieden  erklärt  Seh.,  dass  der  accent  'nicht  zum  ein- 
zelnen wort,  noch  weniger  zur  einzelnen  silbe,  sondern  vielmehr 
zum  ganzen  satz  (oder  sprechtact)'  gehört  (s.  16),  und  ferner, 
dass  'der  sogenannte  rheinische  accent  nichts  anderes  ist  als  die 
conventionellste  melodie,  auf  die  in  rheinischen  landen  die  ge- 
wöhnlichen lautgeberdentexte  gesprochen  zu  werden  pflegen' 
(s.  17).  wenn,  so  fährt  Seh.  fort,  sich  aus  dem  Vernerschen 
gesetz  auf  einen  germanischen  wortaccent  schliefsen  lässt,  neben 
dem  wol  noch  ein  satzaccent  gegolten  haben  könne,  so  sei  die 
annähme  berechtigt,  'dass  die  .  .  .  rheinischen  accenttypen  nichts 
anderes  sind  als  ein  ausdruck  des  .  .  .  sieges  des  den  rheinischen 
wie  anderen  deutschen  mundarten  ursprünglich  fremden  musika- 
lischen satzaccentes  über  den  vorauszusetzenden  älteren  germa- 
nischen wortaccent'  (s.  18).  die  anderen  deutschen  mundarten, 
auf  die  Seh.  hinweist,  sind  einzelne  vlämische  und  sieben- 
bürgische. 

Wieweit  wir  Seh.  in  der  annähme  eines  gerade  musikali- 
schen satzaccentes  folgen  sollen,  ist  recht  fraglich,  sowol  Engel- 
mann wie  Frings  und  andere  forscher  sehen  in  dem  musikalischen 
dement  des  accentes  nichts  wesentliches.  F.  leitet  sogar  aus- 
drücklich alle  dynamischen  wie  musikalischen  erscheinungen  am 
accent  erst  aus  der  kürzung  ab,  ebenso  wie  die  Schwächung  und 
den  Schwund  der  neben-  und  endsilben.  aber  das  eine  bleibt 
beachtenswert  und  ist  nach  meiner  meinung  das  gesicherte  er- 
gebnis  der  Fringsschen  wie  Scheinerschen  beobachtungen  und 
erwägungen:  der  rheinische  accent  ist  das  ursprüng- 
liche und  die  mit  ihm  im  Zusammenhang  auftretenden 
lauterscheinungen  die  folge  daraus. 

Seh.  wie  F.  kommen  im  verlauf  ihrer  erörterungen  auf  die 
bekannte  diphthongierungstheorie  Wredes  (Zs.  39,  257  ff)  zu 
sprechen,  beide  sehen  von  ihrem  standpuncte  die  syn-  und 
apokope  der  ableitungs-  und  flexions-''  als  die  folge  des  accentes 
an  und  leiten  erst  aus  dem  accent  die  diphthongierung  ab,  wie 
schon  Franck  (Tijdschrift  v.  ned.  taal-  en  letterk.  29,  24)  getan 
hatte,  aber  Seh.  kennt  nur  den  einen  rheinischen  accent,  der 
sowol  die  kürzung  wie  die  vocaldehnung  und  somit  diphthon- 
gierung bewirken  könne  (vgl.  s.  2 1  mitte),  anlass  zu  diese)- 
annähme  Sch.s  hat  eine  beobachtung  an  der  Viandener  mundarr 
gegeben,  in  welcher  der  'zweigipflige  silbenaccent',  der  äufserste 
fall  des  schwachgeschnittenen,  besonders  in  energisch  articulierten 
Wörtern  am  ende  des  satzes  steht,  während  er  im  zusammenhantr 


20  TBüCHEET    ÜBBfi    FKINGS 

der  rede  mehr  oder  weniger  verschwindet  (Engelmann  aao.  s.  385). 
diesen  circnmflectierenden  ton  hatte  bereits  JosMüller  bemerkt 
(s.  3  seiner  arbeit),  aber  nachdrücklich  vor  seiner  Verwechslung 
mit  dem  eigentlichen  circumflectierten  ton,  dem  rheinischen  accent. 
gewarnt,  nach  ihm  findet  er  sich  in  nachlässiger  ausspräche 
häutig,  besonders  bei  auslautenden  langvocalen,  zb.  v/f  oder  nei: 
nein,  jo  ja,  rceyi  wicht  (mädchen).  'es  ligt  hier  gleichsam  eine 
zerteilung  der  länge  in  zwei  längen,  mit  zwei  exspiratiousstölsen 
hervorgebracht,  vor'  (Müller  s.  3). 

Diesen  zweiten  accent  vereinigt  Seh.  mit  dem  ersten,  und 
das  ist  ein  böser  fehler  und  müste  zu  rückschritten  führen,  wenn 
nicht  mit  entschiedenheit  auf  die  scharfe  trennung  der  beiden 
grundverschiedenen  accentprincipien  hingewiesen  würde,  die  wir 
Frings  verdanken,  kurz  benennt  F.  beide  nach  ihrer  augen- 
fälligsten erscheinung  die  circumflexions-  und  die  schärfungs- 
tendenz. 

Neben  der  schärfung  besteht  also  noch  ein  c  i  r  c  u  m  - 
flectierender  ton,  der  nicht  mit  dem  gleichbenannten  der 
früheren  forscher  verwechselt  werden  darf.  ihm  sind  die 
diphthonge  des  niederrheinischen  gebietes  zwischen  Aachen  und 
Düsseldorf  zu  verdanken,  dieser  circumflex  entsteht  gleichfalls 
unter  dem  affect;  denn  dieser  braucht  nicht  nur  zur  kürzung  zu 
führen,  sondern  kann  auch  vergröfserung  der  dauer  und  damit 
bei  ursprünglich  einfachen  längen  circumflexion  und  diphthon- 
gierung  bewirken,  somit  sieht  F.  die  Ursache  auch  des  zweiten 
accents  ebenso  wie  Scheiner  in  affectvoller  articulation.  aber 
Seh.  möchte  die  schranken  zwischen  den  mittleren  typen  des 
stark  und  schwach  geschnittenen  accentes  bei  Engelmann  auf- 
heben, um  beide  tonarten  vereinigen  zu  können,  während  F.  auf 
ihre  strenge  Scheidung  bedacht  ist.  warum  bei  gewissen  vocalen 
die  schärfung,  bei  andern  die  circumflectierung  erscheint,  dafür 
weifs  F.  noch  keine  abschliefsende  erklärung  vorzubringen;  glaub- 
haft scheint  ihm  die  annähme  zweier  verschiedenen  affectisclien 
articulationsarten.  zu  beachten  ist  auch,  dass  die  a  e  ö  stellen- 
weise in  seinem  gebiet  der  zweiten  tendenz  folgen  und  söp  schaf, 
href  bref  brief,  jödn  gehn,  stödn  stehn  entwickeln  und  dass  ^  ü 
iu  nicht  notwendig  der  circumflectierungstendenz  verfallen  muss, 
sondern  auch  schärfung  aufweisen  kann  (vgl.  neben  wi:zd 
weisen  Ramischs  }n:t3  beifsen,  zi2:p9  saufen). 

Ich  finde,  dass  über  diesen  circumflectierungsprocess,  der 
teils  zur  dehnung,  teils  zur  diphthongierung  führt,  noch  nicht 
das  letzte  wort  gesprochen  ist.  möglich,  dass,  wie  F.  s.  235 
vermutet,  der  dehnungsprocess  in  seinem  gebiet  verhältnis- 
mäfsig  jung  ist  und  so  alte  und  neue  betonungsneigungen  sich 
kreuzen. 

Wie  erklärt  nun  aber  F.  die  diphthongierung  der  alten  i 
ü    iu?      er    gibt   eine    r,ei»,  p.honetische    deutung.      im    auslaut 


DIALEKTGEOGRAPHIE    DES    NIBDEERHBIN3  ^1 

nimmt  er  von  vornherein  diphthongischen  Charakter  au;  im  In- 
laut erklärt  sich  der  diphthong  rein  lautlich  derart,  dass  die  * 
ü  iu  in  dem  folgenden  consonanten  exspiratorisch  und  musikalisch 
eine  natürliche  fortsetzung  finden  (vgl.  s.  240).  einen  beweis 
für  diese  behauptung  sieht  er  in  der  hiatusdiphthongierung.  aus- 
lautendes t  n  iu  entwickelt  sich  nämlich  verschieden  von  den 
fällen  wo  früher  ein  -e  gefolgt  ist,  im  zweiten  falle  muss 
schärfung  vorliegen,  diese  kann  zwar  auch  dlphthonge  heraus- 
bilden, aber  diese  diphthonge  zeigen  in  ihrem  einsatz  einen 
andern  Charakter  als  die  aus  der  circumflexionstendenz  hervor- 
gegangenen, da  nämlich  die  schärfung  zugleich  mit  vocalsenkung 
verbunden  ist  (vgl.  die  tatsache  dass  nach  §  127  die  schärf ung 
in  einigen  districten  die  hebung  des  a>  g  verhindert  und  das 
nebeneinander  von  hql  ball  mit  gehobenem  gedehntem  vocal  und 
ba'1.9  mit  einem  ball  spielen  [niedriger  vocal  in  geschärftem 
stamm]  in  Dülken  Stadt,  ferner  die  Weiterentwicklung  eines  aus 
/  u  entstandenen  geschlossenen  f  o  in  Dülken  land  zum  offenen 
f  ^  in  fällen  wie  st^'m.  stimme,  tQ'i^.  zunge),  so  sind  die 
diphthonge  in  den  zweisilbigen  Wörtern,  die  der  schärfung  ihr 
entstehn  verdanken,  regelrecht  mit  gesenktem  ersten  bestandteil 
versehen  (vgl.  z^i' i.  seihe,  vr^'i.9  freien,  hQ'u.d  bauen),  während 
die  einsilbigen  den  gesenkten  eingang  nicht  aufweisen  (vgl.  vrei 
frei,  hlei  blei,  hou  bau,  rou  rauh),  dieses  ei  gu  aus  Dülken  er- 
scheint nach  s.  128  in  einem  andern  gebiet  noch  in  der  früheren 
stufe  ij  iiif,  und  diese  führt  notwendig  auf  eine  erste  stufe  *n 
*im  zurück,  diese  stufen  1.  *//  *uu,  2.  |/  t^u,  3.  ei  gu  sind 
aber  offensichtlich  eine  reihe,  die  ihren  Ursprung  in  der  zwei- 
gipfligen natur  des  auslautenden  langen  vocals  hat.  also  geht 
diese  circumflexion  auch  auf  den  wurzelaccent  zurück,  dieser 
wurzelaccent  variiert  zunächst  den  vocaleinsatz ;  er  macht  ein 
e  >  ?3,  ein  i  aber  zu  einem  diphthong  mit  beginnendem  e-laut. 
darum  muste  die  diphthongierung  von  t  ü  in  der  nhd.  Schrift- 
sprache ein  ai  und  au  und  nicht  ein  ie  uo  ergeben,  wie  Wil- 
manns  (Deutsche  gramni.  1 2,  276)  gegen  Wrede  eingewendet  hatte. 
Dass  in  der  tat  die  rein  lautliche  auffassung  des  diphthon- 
gieruiigsprocesses  ausreicht,  um  die  entstehung  der  nhd.  diphthonge 
iii  und  au  zu  erklären,  möcht  ich  durch  den  gleichen  Vorgang 
in  meiner  neumärkischen  heimat  belegen,  die  in  meiner  disser- 
tation  'Laut-  und  flexionslehre  der  neumärkischen  muudart'  (Zs. 
f.  dtsche  mdaa.  1907,  106)  angegebene  grenze  zwischen  dem 
gebiet  mit  erhaltenem  i  ü  und  den  daraus  entwickelten  diphthon- 
gen  verläuft  allmählich  von  dorf  zu  dorf  über  ein  überganga- 
gebiet,  in  dem  die  Vorstufen  der  diphthongierung  erkennbar  sind, 
unter  affect  spricht  man  in  meinem  heimatdorf,  das  sonst  reines 
eingipfliges  i  ü  bewahrt,  cmen  doppelaccent  {sunn  oder  .^in-in); 
in  einem  andern  ist  der  erste  bestandteil  gesenkt  {svi-in,  h^-uä), 
in  noch  anderen  schon  Sve-in,  hg-us  mit  Senkung  zum  geschlossenen 


22  TBDCHERT    ÜBER    FRINGS 

<  nnd  0,  bis  schliefslich  ^i,  qu;  «li  äo  und  als  letztes  ergebnis 
die  reinen  diphthonge  ai  und  au  in  den  westlichsten  dürfern  er- 
scheinen, der  weg  geht  vom  ?  //  zu  ai  an,  und  nicht  etwa  zu 
ie  uo ;  die  Senkung  erfolgt  bei  ?  ü  vorn,  bei  e  o  dagegen  hebt 
sich  der  vordere  bestandteil  {<h'l  teil  wird  zu  <il)l^  hom  bäum 
zu  himn).  dieser  lautvorgang  ist  also  mit  der  circumflectierung 
notwendig  verbunden. 

Die  frage,  wie  aus  schärfung  diphthonge  entwickelt  werden 
können,  begreift  sich  leicht,  wenn  man  sich  an  den  glottis- 
verschluss  Engelmanns  und  Bülbrings  hauchlaut  erinnert,  diese 
beiden  lauterscheinungen  bilden  sich  nämlich  leicht  zu  richtigen 
gleitlauten  und  kurzvocalen  weiter  und  schaffen  so  mit  dem  ge- 
kürzten Stammvokal  einen  diphthong.  aus  ^  ;  (<  wgerm.  d) 
kann  q'9.,  aus  q:  (=  ahd.  ei)  ein  q'd.  und  aus  o  :  (ahd.  on) 
ein  H'd.  werden. 

Ich  glaube,  dass  die  scharfsinnige  Scheidung  der  beiden 
diphthonggruppen  eine  wertvolle  errungenschaft  ist,  für  die  wir 
F.  gebührend  danken  müssen. 

Beispiele  aus  den  liraburcischen  und  moselfränkisch-luxem- 
burgischen mundarten  zeigen  gleichfalls  eine  scharfe  Scheidung 
zwischen  zwei  verschiedenen  diphthonggruppen.  in  Vianden  steht 
dem  geschärften  dativ  laCf  leib  (mit  glottisverschluss)  der  no- 
minativ  leif  gegenüber,  in  Kenn  bei  Trier  dem  ei  in  tseit  zeit, 
keim  keim  ein  {i  in  frqi :  au  freien,  sfi :  u;ni  Scheiben. 

In  seiner  dissertation  'Versuch  einer  lautlehre  der  mundart 
von  Saarhölzbach"  Greifswald  1912  legt  HThies  wert  auf  die 
Sonderentwicklung  der  einsilbigen  infinitive  gnii  gehn,  .sJrln, 
■Hein  schlagen,  drein  tragen  (daneben  veraltet  gQ'^ti,  sdQdv,  Slg.ni, 
drg9n),  zcin  sehen,  dein  tun  (<  *ti(e»),  grein  kriegen,  s.  74 
deutet  er  den  wider  erwarten  in  diesen  kurzformen  erscheinenden 
circumflectierten  accent,  bei  ihm  'geschliffener'  genannt,  als  eine 
art  'contractionsaccent',  der  sich  nach  der  coutraction  in  *triin 
und  *shh)  herausgebildet  habe,  aber  seine  ableitung  der  formen 
gdn  und  -stdn  aus  got.  gagga»  und  xtawlan  befriedigt  nicht,  und 
für  dein  <  *diieu  bleibt  keine  zweisilbige  urform  zur  Verfügung, 
warum  überhaupt  mit  einem  mal  ein  'contractionsaccent'  mit  ge- 
schliffenem ton,  wo  doch  die  contractionen  sonst  regelmäfsig  die 
schärf ung  zeigen?  vgl.  grU'j.n  kragen,  glö'<Kti  klagen.  Frings 
führt  die  gleichen  abweichungen  aus  seinem  gebiet  an:  jfhin 
gehn,  stortn  stehn  (Dülken)  und  zeii  zhn  sehen,  ddn  d/un  tun. 
diese  Wörter  zeigen  keine  schärfung,  unterliegen  also  einer  andern 
tendenz.  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  wir  hier  an  einer 
stelle  stehn,  wo  der  früher  'spontan'  benannte  eintritt  der 
schärf  ung  sich  als  unabhängig  von  dem  vocal  zeigt  und  somit 
die  articulationsart  als  das  frühere  erwiesen  wird,  in  Verbindung 
mit  fällen  wie  s^p  schaf.  href  bref  brief  in  gewisseji  bezirken 
gewinnt  diese  annähme  an  Wahrscheinlichkeit. 


»lAliEKTGEOGRAPBlE    DES    NIBDEKBHEINS  23 

Thies  folgert  aus  manchen  erscheinung-en  seiner  mundart, 
dass  der  circumflex  älter  als  die  schärfung  sei.  ich  bezweifle' 
dass  sein  material  zu  dieser  annähme  ausreicht,  und  geh  auf 
seine  ausführungen  zu  draest  draet  trägst  trägt,  slae.si  slaet 
schlägst  schlägt  mit  circumflex  gegenüber  ze:st  ze:t  sagst  sagt 
nicht  ein.  jedoch  sprechen  allerdings  andere  erwägungen  fiii- 
das  höhere  alter  des  circumflexes,  also  der  dehnungs-  und 
diphthongierungstendenz,  in  dem  moselfränkischen  gebiet,  da 
das  genannte  betonungsprincip  im  mosel-  wie  im  niederfränkischen 
nicht  nur  diphthonge,  sondern  auch  längen  aus  kürzen  hervor- 
ruft (vgl.  smäkd  schmecken,  spredkd  sprechen,  rM  ritze,  köald 
kohlen  [aber  kQ'd.l  kohle],  vfiaydl  vogel  [aber  stii'd.f  stube]; 
für  diese  unechten  diphthonge  ed,  w  usw.  treten  anderswo  [s.  97, 
§  212]  die  Vorstufen  dazu,  die  circumflectierten  längen  ä.  q,  i, 
q,  5,  ü,  Ü  auf),  so  können  fälle,  in  denen  deutlich  die  dehnung 
vor  der  schärfung  auftritt,  für  das  höhere  alter  des  dehnungs- 
accentes  in  ansprach  genommen  werden,  in  den  ripuarischen 
formen  hos  hase,  nas  nase  aus  Aegidienberg  (JosMüller  aao. 
s.  29,  fuXsnote)  lässt  sich  erkennen,  dass  die  dehnung  vor  der 
apokope,  also  wol  auch  vor  deren  Ursache,  der  schärfung,  ein- 
getreten ist;  wäre  die  dehnung  nach  der  apokope  erfolgt,  so 
müste  es  Jms.  um  wie  Jläs  glas  lauten. 

Aber  man  muss  sich  hüten,  für  das  ganze  Rheinland  zu 
verallgemeinern,  darum  braucht  für  das  niederrheinische  ge- 
biet nicht  zu  gelten  was  im  ripuarischen  und  moselfränkischen 
gesetz  ist. 

Es  empfiehlt  sich  in  diesem  zusammenhange  auf  die  frage 
.der  mittelripuarischen  dehnung  hinzuweisen.'  die  tatsache  dass 
die  heutigen  ripuarischen  mundarten  in  offener  silbe  die  dehnung 
der  vocale  hoher  zungenstellung  l  u  ü  unterlassen,  wählend  die 
Schriftzeugnisse  des  mittelalters  eine  dehnung  höchst  wahrschein- 
lich machen,  gewinnt  von  hier  aus  ein  neues  ansehen,  wenn 
würklich  die  ripuarische  und  überhaupt  die  ganze  mittelfränkische 
mundart,  wie  die  Schreibung  des  13 — 15  jh.s  mit  nachgesetztem 
vocal  (saigen  sagen,  waiJ  wol,  leider  leeder  leder,  oeven  oyven 
oben,  hoellen  hoelen  hoilen  hoyllen  holen,  reil  feile  viel,  oevel 
übel  u.a.)  überaus  glaubhaft  erscheinen  lassen  (vgl.  hierzu  zu- 
letzt WilhMülIer,  Untersuchungen  zum  vocalismus  der  stadt- 
und  landkölnischen  mundart,  diss.  Bonn  1912),  alle  vocale  in 
offener  silbe  gedehnt  hat,  so  müssen  die  heutigen  mundarten 
eine  kürzung  haben  eintreten  lassen,  und  diese  ist  dann  offen- 
bar mit  der  schärf ung  Frings,  dem  'rheinischen  accent'.  zu 
identificieren. 

Die  nachträgliche  schärfung  stimmt  gut  mit  der  Senkung 
der  e  0  ö  >  q  Q  ^,  l  u  ü  >  e  g  ö.  nur  fragt  es  sich,  warum 
die  Stadt  Köln  diese  Senkung  der  vocale  höchster  zungenstellung 
in    manchen   fällen    nicht   mitmacht,     woher   also   die    i  i(  ii  des 


"24      TEUCHEKT  ÜBKK  t^JUNGS,  RIALBKTGEOGRAl'HIE  O.  NIEDKRRHKINS 

Stadtkölnischen  in  stil  stiel,  hpnjl  himmel,  fri'd.d.  frieden,  ini{'l. 
niühle,  zi{'m.dr  sommer,  drij^'v.d  drüben  geg-enüber  e  q  ö  der 
allg-emeinen  neuripuarischen  mundarten?  und  noch  auffallende)- 
ist  der  umstand,  dass  die  vocale  mittlerer  Zungenstellung  in  der 
Stadt  sogar  geschlossen  gesprochen  werden  (vgl.  hyd.i^  leer. 
e'z.sl  esel,  ho'd.im  boden,  j^tnrd.9  getreten),  mit  WilhMüller 
bin  ich  der  ansieht,  dass  hier  eine  autochthone  entwicklung  dei- 
stadtniundart  vorligt.  vermag  aber  die  hebung  der  stammvocale 
mit  dem  doch  vorhandenen  schärfenden  ton  nicht  in  ein- 
klang  zu  bringen,  es  lohnt  sich  wol  auch,  den  fall  des  höheren 
vocals  aus  Dülken  Stadt  in  ste'm.  stimme,  m^d»  mitte,  to'tj. 
zunge,  södj  schütten  gegenüber  dem  auf  dem  lande  geltenden 
e  Q  (>  anzuführen,  die  annähme  einer  beeinflussung  durch  die 
Schriftsprache  reicht  für  alle  diese  fälle  nicht  aus. 

Und  schliefslich  kann,  so  geraten  es  ist,  accentverhältnisse 
nicht  zu  verallgemeinern,  in  diesem  zusammenhange  die  tatsache, 
dass  mancherorts  an  stelle  eines  gedehnten  stamm  vocals  in  offener 
Silbe  ein  geschlossener  kurzer  auftritt,  nicht  wol  übergangen 
werden. 

Im  Westerwald  gibt  es  nach  Hommer  Studien  zur  dialekt- 
geographie  des  Westerwaldes  (diss.  Marburg  1910)  ein  kol  kohle, 
lewsn  leben,  gewan  geben,  jdSdgbn  gestohlen,  tsardl  zettel,  ja  sogar 
hurani  boden.  die  hessisch  -  thüringische  mundart  des  kreises 
Eschwege  hat  nach  ORasch  Dialektgeographie  des  kreises  E. 
(diss.  Marburg  1912)  neben  öwn  ofen  ein  kglti  kohlen  und  potn 
boden,  neben  ketj  kein  kette  ein  ketd  ketn.  das  waldeckische 
schliefslich  weist  für  i  u  ü  in  geschlossener  silbe  ein  geschlos- 
senes /  u  ii  auf  (vgl.  >viz9  wiese,  stik  stich,  zi{y)  schwein,  mt(.d9 
schlämm,  i^iv^l  übel  bei  Bauer-Collitz  Waldeckisches  wb.  s.  45*f). 

Ich  behaupte  nicht,  dass  gleiche  Verhältnisse  schuld  an 
dieser  gleichartigen  lautgestaltung  sind,  gebe  aber  zu  erwägen, 
dass  überall  nachträgliche  kürzung  eines  gedehnten  vocals  vor- 
zuliegen scheint,  wenn  selbst  die  aufserhalb  des  Rheiulandes 
vorkommenden  hebungen  an  stelle  einer  zu  erwartenden  dehnung 
nicht  mit  den  stadtkölnischen  erschein ungen  vereinigt  werden 
dürften,  so  bliebe  doch  innerhalb  des  ripuarischen  die  dem  gesetz 
der  schärfung  widersprechende  hebung  in  der  spräche  der  Stadt 
Köln  und  die  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  im  gesamten  mittel- 
fränkischen der  schärfung  vorhergehende  dehnung  der  er- 
wftguug  wert. 

Wie  wir  erfahre»,  ist  F.  mit  der  abfassung  einer  rhein- 
ländischeu  grammatik  beschäftigt,  die  als  Vorarbeit  für  das 
Rheinische  Wörterbuch  gedacht  ist.  wir  dürfen  wol  hoffen,  aus 
ihr  aufklärung  über  manche  der  hier  berührten  fragen  zu  er- 
halten. , 

Berlin-Steglitz.  H.  Teuchert. 


TKUCHEKT    ÜBßR    rtOHOOF,    ME    SCnWÄl/MER    MUNDART  25 

Die  Schwälmer  raundart.  ein  beitrag-  zur  hessischen  mundarten- 
torschung  von  >V.  Schoof.  [sa.  aus  der  Zeitschrift  für  deutsche 
mundarten,  jahrg.  1913,  heft  1  ff.]  Halle  a.  d.  S.,  Waisenhaus 
1914.  94  SS.    8  0.  —   2,40  m. 

Die  ileifsige  arbeit  bietet  einen  reichen  stoff  in  der  üblichen 
grammatischen  darstelluug-.  einleitende  bemerkungeu  zeig-en,  daß 
sich  der  vf.  um  die  geschichte  seines  gebietes  gekümmert  hat 
and  aus  den  Urkunden  nutzen  für  die  Sprachgeschichte  zu  ziehen 
versteht,  eine  stattliche  reihe  von  vorarbeiten  sind  von  ihm  in 
verschiedenen  Zeitschriften  erschienen,  an  die  arbeit  von  LSchaefer, 
Die  Schlierbacher  mundart,  Halle  1907,  ist  seine  darstellung  in 
der  anläge  angelehnt. 

Wie  noch  stets  zeigt  sich  wider,  dass  der  verkehr  der 
dialektbildende  factor  ist.  ein  beweis  dass  die  grenze  des 
Hessen-  und  Oberlahngaues  bis  in  die  Jetztzeit  nachwürkt,  lässt 
sich  nicht  erbringen. 

Zu  loben  an  Sch.s  arbeit  sind  die  einleitenden  paragraphea 
der  flexionslehre,  sie  regen  von  neuem  den  wünsch  an,  dass 
unsere  mundartenforscher  die  syntax  nicht  weiter  stiefmütterlich 
behandeln  möchten,  es  überrascht  zu  sehen,  in  welch  bedeuten- 
dem umfang  und  welch  reicher  und  verschiedener  Verwendung 
sich  der  genitiv  in  der  Schwälmer  mundart  erhalten  hat.  diesen 
abschnitt  empfehl  ich  den  grammatikern  der  Schriftsprache  zum 
eingehnden  Studium. 

Der  erste  teil  der  arbeit  befriedigt  bedauerlicherweise  weniger, 
nicht  als  ob  ich  der  grammatischen  Schulung  des  vf.s  die  an- 
erkennung  versagte,  aber  die  starre  methode  der  anläge  ver- 
hindert die  herausarbeitung  der  würkenden  psycho-  und  physio- 
logischen gesetze,  die  die  mundart  zu  dem  gemacht  haben  was 
sie  heute  ist.  es  zeigt  sich  hier  wider  einmal,  wie  ein  schema 
leblos  werden  kann,  das  erste  erfordernis  wäre  die  suche  nach 
den  bildenden  factoren  gewesen,  und  danach  hätte  die  gruppierung 
auf  das  alte  schema  (I.  vocale,  a)  kurze,  b)  lange,  c)  di- 
phthonge  usf.)  erfolgen  können,  dann  wäre  ohne  zweifei  trotz  dem 
Schema  aus  der  arbeit  eine  lautgeschichte  der  mundart  geworden, 
so  aber  ist  sie  eine  beschreibung,  der  es  nicht  gelingt,  den 
früheren  sprachstand  mit  dem  heutigen  zu  verknüpfen. 

An  stelle  weiterer  worte  beispiele !  es  ist  nicht  richtig,  dass 
')  zu  u  wird  in  num9  sie  nahmen,  usd  sie  afsen,  drun  sie  traten 
(§  76),  mhd.  hobel  >  hetvdl,  mhd.  topf  >  deh^  (§  51),  aber  sehr 
richtig  bemerkt  wird  in  der  fufsnote  zu  demselben  paragraphen, 
dass  'zweifellos  dehd  auf  düppen  beruht';  nicht  notwendig  braucht 
gdwosd  dui'ch  hochd.  einfluss  veranlafst  zu  sein  (4j  40;;  i  wird 
nicht  zu  a  in  raw  ringen  (§44)  oder  w>  e  in  tn<t  unten,  emr 
unter  (§  67).  wie  sollte  es  auch  mit  rechten  dingen  zugehn, 
dass  aus  dem  schlichten,  einfachen  ä  sich  die  vielen  ö,  ä,  an,  e, 
y-,   a,    ä,    0  'und   n   heraus    entwickelten?    doch    genug!    widrige 


2fi  TEUCHERT    ÜBKH    SCHÜOF 

Verhältnisse  haben  den  druck  der  bereits  190S  abgeschlossenen 
arbeit  verzögert;  daher  rührt  wol  der  mangel  der  letzten  feile, 
daher  erklärt  sich  wol  die  doppelte  behandlung  desselben  laut- 
lichen Vorganges,  so  decken  sich  die  §  111 — 112  mit  176 — 177 
und  120  mit  173.  auch  versehen  wie  'wgerm.  no,  au'  (§  171.  173) 
ua.  fallen  wol  dem  gleichen  umstände  zur  last. 

Doch  ich  will  versuchen,  von  dem  standpunct  eines  nicht- 
kenners  der  mundart  einiges  zur  erklärung  der  Sprachgeschichte 
der  Schwälmer  mundart  beizutragen,  wie  es  die  betrachtung  des 
beigebrachten  Stoffes  ergibt. 

Der  §  23  behandelt  den  Übergang  von  a  <  ä  oder  «». 
dieser  erfolgt  1.  durch  dehnung  in  offener  silbe;  2.  durch  ein- 
fluss  von  consonanten  (r  und  r- Verbindungen;  im  einsibigen  wort 
vor  /,  6,  hs.  t,  cht),  ?>.  durch  contraction  (stahal  >  ^däl),  4.  durch 
ausgleichung  innerhalb  desselben  paradigmas  (.sdax  stach),  die 
Partikeln  <h(S  das  und  bas  (was)  was  machen  diese  entwickelung 
nur  unter  starkem  ton  mit.  so  etwa  hätte  der  §  23  aus- 
sehen sollen. 

Das  gesetz  der  dehnung  hätte  eine  gesonderte  behandlung 
erfahren  sollen,  es  gibt  zur  zeit  kaum  eine  brennendere  frage 
für  die  Untersuchung  der  mitteldeutschen  mundarten  als  diese. 
auch  über  den  wortaccent  und  seine  rolle  in  diesem  puncte 
hätte  man  gern  in  diesem  zusammenhange  aufschluss  gehabt. 

Wie  es  mit  der  dehnung  des  l  steht,  lässt  §  40  nicht  deut- 
lich erkennen,  möglicherweise  gilt  nur  dehnung  in  offener  silbe, 
und  s-bel  spiel  wäre  aus  den  flectierten  casus  zu  erklären,  da 
.Sf/eZ  stiel  auf  eine  zweisilbige  form  zurückgeht,  aber  es  kann 
auch  dehnung  im  einsilbigen  wort  unter  einfluss  des  l  vorliegen, 
wie  denn  smed  Schmied  einen  solchen  Vorgang  vorauszusetzen 
scheint,    dann  wäre  i  nicht  anders  wie  a  behandelt. 

Doch  ich  darf  aus  raummangel  jiur  noch  eine  auswahl 
treffen,  ä  >  ä  vor  -g-,  -r-  (§  69);  in  kämd  sie  kamen  wirkt  ent- 
weder das  7v  des  anlautes  (ahd.  giichmm),  oder  es  liegt  aus- 
gleich  nach  gäivd  sie  gaben  vor.  sdfiln  sie  stahlen  (§  72)  ist 
zur  6.  ablautstufe  übergetreten;  ein  gekürztes  2i  gleicher  her- 
kunft  besitzt  rnunQ  sie  nahmen  (§  76).  nicht  risan,  sondern 
reisen  führt  zu  resd  reisen,  win  wein,  mev  mein  ist  durch 
gutturalisierung  entstanden,  dagegen  nur  ivhük  durch  synkope 
aus  wenag  wenig  (§  91).  nur  'säugen'  kann  seej9  ergeben,  nicht 
sügan  (§  98).  t  wird  nur  in  nebenbetonter  silbe  eingeschoben 
{inidts  jemand),  aber  sivets  Schweifs  ist  würklich  gleich  'schwitz' 
(§  107.  181)^;  einzige  ausnähme  ist  frets  f rösche,  au  wird  rein 
lautlich  zu  a;  der  umlaut  ist  e;  nähert  sich  ja  doch  auch  das  u 
des  SchMälmers  dem  ahd.  laut  ii.  bedauerlich  ist,  dass  der  vf. 
der  hiatdiphthongierung  nicht  nachgegangen  ist.  i  ü  iu  ent- 
wickeln sich  im  hiat  zu  ai  und  au  (ü  und  iu  fallen  zusammen), 
ou  öü  >  ö   ai,  ei  >  ä,  uo>  au,  ea  >  ai,  eo  >  au;  im  wortinnern 


DIK    SCHWAIiMKIl    MUN'DAUI  li 

dagegen   treten    entweder   unentwickeltere   diphthonge  (?  >  f?',  ü 
>  qQü)  oder  (tiir  die  alten  diplitlionge)  nioiiciphtlionge  auf. 

Seh.  kündigt  fortsetzungen  an.  eint-  syntax.  eine  untei- 
suchung  über  die  Wortbildung,  eine  nanienkunde  und  ein  ver- 
gleichendes Wörterbuch  der  nhd.  schriitspraclie  und  de«  Stdiwälniei 
Wortschatzes  sollen  sich  anschlieiseii.  es  erscheint  fraglich,  ob 
es  nicht  nützlicher  wäre,  das  mundartliche  sprachgut,  das  der 
vf.  bei  seinen  langjährigen  foi'schungen  gewis  zusammengebracht 
haben  wird,  dem  hessennassauischen  Wörterbuch  zu  überweisen, 
seine  laut- und  flexionslehre  enthält  wenig  idiomatisches;  ein  vei- 
gleichendes  Wörterbuch  der  Schriftsprache  und  der  mundart  ist 
mehr  ein  Wörterbuch  der  Schriftsprache  als  der  mundart.  die 
unbekannten  Wörter  findet  man  nur,  wenn  man  die  begrifte  die 
das  Volk  besitzt,  zu  entdecken  sucht,  und  auf  diese  unbekannten 
Wörter  kommt  es  doch  am  meisten  an.  stellt  sich  leider  doch 
immer  wider  heraus,  dass  unsere  mundartlichen  Wörterbücher  gar 
so  viele  neue  Sprachstämme  nicht  zu  tage  fördern,  um  so  mehr 
sollen  wir  mundartenforscher  bestrebt  sein,  auch  in  den  dunkelsten 
Winkel  zu  leuchten  und  fast  verklungenes  zum  tönen  zu  bringen, 
dazu  aber  hilft  die  Schriftsprache  nicht. 

z.  Zt.  Dt.  Krone.  II.  Teuchert. 


Die  Skeireins.  text  nebst  Übersetzung  und  anuierkuugon.  von  Eni>t 
\.  Kock.  Lund,  Gleerupska  univ.-bokhandeln.  Leipzig,  Otto 
Harrassowitz  (1913).  35  ss.  S°.  —  1,10  m. 
'Als  ich  neuerdings  über  die  Skeireins  las",  heilst  es  in  der 
Vorbemerkung,  'fand  ich  in  den  ausgaben  so  viel,  womit  ich 
mich  nicht  zu  befreunden  vermochte,  dass  ich  mich  entschioss. 
lieber  mittels  eines  kritischen  textahdruckes  nebst  Übersetzung  und 
anmerkungen  als  in  der  gcstalt  eines  aufsatzes  das  gesammelte 
vorzulegen',  obwol  also  der  Verfasser  seine  arbeit  nicht  als  auf- 
satz  betrachtet  wissen  will,  kann  sie  doch  auch  nicht  als  ausgalie 
bezeichnet  werden,  den  Inhalt  erschöpft  der  Untertitel:  'text  nebst 
Übersetzung  und  anmerkungen'.  stillschweigende  Voraussetzung  ist 
dass  der  leser  über  die  handschriftliche  Überlieferung  und  die 
gelehrte  forschung  orientiert  ist,  insbesondere  dass  er  die  aus- 
gaben kennt,  so  erklärt  sich  u.  a.  die  auf  den  ersten  blick  be- 
fremdliche erscheinung,  dass  von  keiner  in  den  text  aufgenommenen 
conjectur  der  urheber  genannt  wird,  eine  Vermischung  fremden 
und  eigenen  gutes  tritt  übrigens  dadurch  nicht  ein,  denn  keine 
einzige    textbesserung    rührt   von   Kock    her',     auch  nicht  <lir  'i - 

'  man  niiiste  es  nur  als  solche  bezeichnen,  dass  <r  1  17  =  15 
fjahcntjandiii,  das  Uppström  in  der  hs.  zu  lesen  plauMe ,  nunmehr  ul« 
conjectur  in  den  text  setzt,  ich  halte  ühriuens  di.-s.  ecnj.clur  für  unnötii:, 
♦•8  würde  mich   aber  zu   wdi   fiihnn,   meine  grün<Ie  darzulegen. 


28  JEIiUNKK    ÜBER    KOCTv 

setzang  von  pii^e  unfaurwßimne  III  1 6  =^  1 4  ^  durch  weibliche 
formen,  hier  war  Vollmer  vorangegangen,  nur  dass  er,  kühn  in 
der  textkritik.  aber  conservativ  im  grammatischen,  iMzo  unfaura- 
weisono  schrieb,  während  Kock  mit  seinem  pizo  unfaurweisano 
die  schwaclie  genitivform  auf  -ano,  die  bisher  in  den  lesarten 
des  gotischen  kalenders  ein  stilles,  von  neugierigen  blicken  unbe- 
lästigtes  dasein  führte,  auf  den  hochsitz  über  dem  strich  erhebt, 
ohne  jede  bemerkung,  ganz  als  ob  sich  die  sache  von  selbst 
verstünde. 

Dass  der  verf.  der  bequemlichkeit  des  lesers  zuliebe  die 
mühe  eines  textabdrucks  nicht  gescheut  hat,  wird  man  ihm  gewis 
danken,  und  da  seine  schrift  die  ausgaben  nicht  kann  überflüssig 
machen  wollen,  werden  die  druckfehler  Johannes  statt  lohannes 
I  8  =  6  f  und  waurkjandis  statt  waurkjandins  VI  18  ■=  1 5  f 
keinen  schaden  anrichten,  eher  könnte  der  Variantenapparat  be- 
denken erregen,  abgesehen  von  einer  gewissen  inconsequenz  in  der 
mitteilung  offenbarer  Schreibfehler,  vermisst  man  II  30  =  25 
garehsnais  und  III  20  =  17  munandane.  zu  VII  21  =  18 
war  zu  sagen,  dass  die  lesung  gamanwida  ins  unsicher  ist. 

Die  anmerkungen  geben  keinen  vollständigen  commentar. 
vornehmlich  haben  sie  den  zweck,  die  auffassung  des  Verfassers 
zu  begründen,  namentlich  scheint  es  ihm  darauf  anzukommen, 
die  abweichungen  von  Dietrichs  Übersetzung  und  Streitbergs  com- 
mentar zu  rechtfertigen,  so  erkläre  ich  mir  etwa  die  anmerkung 
zu  kunnands  I  13  =  11,  das  Kock  anders  als  Dietrich  mit  'er 
wüste'  übersetzt:  er  setzt  kunnands  =  kunnands  was  und  ver- 
weist auf  analoge  fälle,  an  sich  ist  ja  wol  die  ansieht,  dass  in  der 
Skeireins  participien  die  stelle  von  verbis  finitis  vertreten,  nicht 
ganz  neu;  von  kunnands  an  unserer  stelle  hat  dies  schon  Loebe 
und  zuletzt  noch  Streitberg  angenommen,  oder,  wenn  gelegentlich 
der  Verbesserung  Ivaparamme  für  Jvaparamma  V  26  =  22  das 
Verhältnis  von  has  und  hazuk,  barj'is  und  harjizuh  auseinander- 
gesetzt wird,  worüber  doch  vor  mehr  als  70  Jahren  Loebe  (Bei- 
träge zur  textberichtigung  und  erklärung  der  Skeireins  s.  42) 
alles  nötige  gesagt  hatte,  so  ist  das  nur  dadurch  verständlich,  dass 
Dietrich  in  seinen  text  das  Uppströmsche  Jukaparamma  aufnahm ; 
es  genügte  Kock  offenbar  nicht,  dass  Dietrich  selbst  in  der  an- 
merkung sich  der  Verbesserung  Loebes  anschloss.  auch  die  be- 
merkung, dass  saiwalos  IV  10  =  8  sowol  object  zu  fauramanw- 
jandei  wie'  zu  fralailot  ist,  scheint  nur  polemisch  gemeint  zu 
sein;    denn    auch    diese   bemerkung   kann   man  schon   bei  Loebe 


'  ich  setze  hinter  die  zeileuzahlen  des  Kockscheu  abdrucks  immer 
die  der  Streitbergschen  ausgäbe,  möchte  man  sich  doch  für  die  Skeireins 
über  eine  einheitliche  citiermethode  einigen!  wie  unangenehm  ist  es,  dass 
man  die  Mafsmannschen  Seitenzahlen,  nach  denen  ESchulzes  Got.  glossar 
oitiert,  in  keiner  neueren  ausgäbe  mehr  findet» 


KKKIUKIN«  2i> 

s,  35.  40  finden,  s^veaa  II  29=25  hat  schon  Streitber;,'  sub- 
stantivisch gefasst'  usw. 

Es  scheint  überhaupt,  dasz  Kock  unter  'den  ausf^aben'  die 
ausgaben  Uietriciis  und  ötreitbergs  versteht,  ich  schhefHC  dies  aus 
der  bemerkung  zu  gakaitands  (V  12  =  10):  'ausg.  ifakaifnndin. 
vor  Dietrich  findet  sich  natürlicli  die  unglückliche  conjectur 
Kauffmanns  in  keiner  ausgäbe  und  nach  Dietrich  nicht  in  der 
Wredes. 

So  wie  an  dieser  stelle  stimmt  an  nicht  wenig  andern  Kock 
mit  älteren  herausgebern  und  Übersetzern  überein.  im  ganzen  ist 
zu  sagen,  dass  er  namentlich  die  satzgliederung  sehr  oft  richtiger 
auffasst  als  Dietrich,  im  einzelnen  dies  zu  zeigen  ist  nutürhch 
nicht  möglich,  ohne  einen  grofsen  teil  der  Übersetzung  abzudrucketi. 
niemand  der  sich  mit  der  Skeireins  beschäftigt,  wird  an  Kocks 
arbeit  vorübergehn  dürfen,  ich  bespreche  hier  nur  einige  inter- 
essantere stellen. 

II  8  =  7  wird  iupapro  als  subject  genommen,  ''von  oben' 
aber  besagte  die  heilige  und  himmlische  geburt  als  eine  zweite 
durch  die  taufe  erfahren',  das  ist  sehr  wol  möglich,  vgl.  des 
Ammonius  rö  "^ivoO^tv  zr^v  diä  rov  nveviiarnQ  dvuyfvvTjOiv 
orjfiaivsi  (Dietrich  s.  uv).  doch  lässt  sich  auch  die  auffassung 
des  iupapro  als  object  rechtfertigen;  vgl.  Cyrill  (Migne  7  3,  24  4 Cj: 
ö  fxev  yäg  xvqioc  .  .  .  zip  öid  jcvevfiarog  dvayivvrjOiv  ävioi>€v 

II  31  =  26  f  ergänzt  Kock  pata  gasaihan  glücklich  zu 
pata  gasaihano  wato  'das  sichtbare  Wasser'. 

III  9 — 14  =  8 — 13.  In  pizeÄ — daupein  fasst  Kock  als 
Vordersatz  zu  eipan — gavmgida,  nl  pana-seips — usdauiliaina  als  er- 
klärende parenthese.  ich  stimme  ihm  darin  bei,  dass  die  bisher  an- 
genommene satzgliederung  dem  Zusammenhang  nicht  geroclit  wird. 

VI  16f  =  14  übersetzt  Kock  ähnlich  wie  Dietrich  anpar- 
Imkein  inmaidjan   mit  *in   etwas  anderes   verändert   werden',   er- 

'  allerdings  finden  sich  auch  sonst  noch  allerlei  bemerk unikcen  die 
schon  von  andern  gemacht  worden  sind,  wenn  Kock  zu  ga/>uirnidnu  — » 
rjahauranii  icairpan  (II  1-1  =  12)  auf  L.  17,  25  verweist,  so  kiiiin  inuii 
doch  wol  Streitberg  Got.  eleraentarbuch  s.  209  als  seinen  vorRänger  be- 
zeichnen, die  erklärung  der  Schreibfehler  IV  25.  27  -^  21.  23  stammt 
von  Cromhout,  die  Vermutung,  dass  fjtze  urijniiricei-*fine  (111  IG  -  \\) 
durch  eine  unrichtige  beziehung  des  griechischen  äxovoUov  (dfia()TT)fidTWV\ 
zu  stnnde  gekommen  ist,  habe  ich  zuerst  ausge.>ij)rorben ,  ebenso  dass 
VI24f:=21  icaurpanaim  statt  tcni/r/>artam  grammatisch  correet  wäre: 
vgl.  Streitbergs  commentar.  Kock  citiert  seine  vorgiinijer  nur  wenn  er 
mit  ihnen  nicht  einverstanden  ist.  —  manche  bemerkungen  betreffen  selbst 
verständliches,  niemand  der  MriH.niUiaus  IV  31  —  2(i  in  Murhnillaus 
oder  haitreins  VIII  19  -  17  in  haitrein  iiinlerte.  hat  wol  daran  ge- 
zweifelt, dass  die  Schreibfehler  durch  die  benachbarten  Wörter  SnhnüUaus 
und  fncairlieins  verursacht  sind,  und  wer  ."irr  VII  21  ^  If  »trirh.  hat 
gewis  für  das  überflüssige  \»ort  die  beideu  in  der  niihe  »lehndt-n  .tien 
Hlu  «(ce  verantwortlich  gemacht;    vgl.   übrigens  Uietrich  b.  XVUl  und  29. 


30  JELTilNEK    ÜBER    KOCK 

klärt  aber  anparleikein  für  einen  accusativ.  er  verweist  auf 
2  Kor.  3,  IS  po  samon  frisaht  ingaleikonda.  das  ist  nun  zwar 
eine  wörtliche  Übersetzung  von  rijv  airriv  eiv.övu  fxera/xOQ- 
cpovfX£i)a,  aber  ähnliclies  könnte  auch  an  unserer  stelle  vorliegen, 
wenn  übrigens  Kock  für  die  beiden  accusative  in  der  got.  casus- 
iehre  einen  besonderen  platz  verlangt,  so  ist  dieser  wünsch 
wenigstens  zum  teil  schon  erfüllt:  vgl.  Gabelentz-Loebe  II  2,  "220. 

VII  22  ==  19.  is  in  dem  satz  swe  wilda  andniman  is  hält 
Kock  für  den  nominativ.  diese  auffassung  ist  sehr  erwägenswert, 
obwol  in  keiner  von  den  angeführten  parallelstellen  is  ein  pro- 
nomen,  wie  hier  ainlivarjammeh,  wieder  aufnimmt. 

An  vielen  stellen  kann  ich  Kock  nicht  zustimmen  oder  habe 
doch  bedenken;  ich  beschränke  mich  auch  hier  auf  eine  auswahl. 

I  12  =  II.  mit  welchem  recht  wird  aiiamahtai  (ebenso 
wie  von  Dietrich  in  der  anmerkung)  durch  'Übermacht'  übersetzt? 

1 5  ff  =  1 3  ff .  'denn  wenn  nun  der  teufel  .  .  .  den  menschen 
nicht  gezwungen,  sondern  .  .  .  angereizt  hatte,  das  gebot  zu 
übertreten,  so  wäre  es  auch  gegen  das  angemessene  gewesen', 
diese  auffassung  des  mit  jabai  beginnenden  Satzteils  ist  nicht  neu, 
vgl.  Lundgrens  Übersetzung  (Ty  om  djäfvulen  .  .  .  icke  nödgade, 
utan  .  .  .  eggade  att  öfverträda  budet,  sa  hade  det  varit  emot 
det  tillständiga)  und  Lücke  Absolute  participia  im  gotischen  s.  40. 
sie  ist  aber  falsch,  da  für  den  Skeireinisten  die  Verführung  durch 
den  teufel  nichts  hypothetisches,  sondern  nur  eine  tatsache  sein 
konnte,  an  sich  ist  gegen  die  annähme,  dass  jabai  neben  der 
absoluten  participialconstruction  pleonastisch  stehe,  nichts  zu  sagen, 
aber  die  angeblichen  parallelen  sind  anders  zu  deuten,  niba  saei 
gabairada  =  edv  firj  xlq  yevvrj^fj  (Skeir.  II  =  Joh.  3,  3.  5) 
und  niba  saei  wisip  in  mis  =  edv  ßrj  rig  fxeivj]  ev  ifioi 
(Joh.  15,  6)  sind  keine  contaminationsbildungen,  vielmehr  ist  die 
construction  verändert:  niba  heißt  'außer';  vgl,  Bernhardt  zu 
.Joh.  3,  3.  nebenbei:  welchem  gotischen  wort  entspricht  das 
'nun'  in  dem  satz  'denn  wenn  nun  der  teufel  .  .'  und  was  soll 
es  hier  überhaupt  ausdrücken? 

28  =  24.  pizos  du  guda  garaihteins  'in  der  gerechtigkeit 
vor  gott '.  in  der  anmerkung :  'vgl.  frawroMps  du  imma  L.  16,  1 . 
.lellineks  und  Streitbergs  erkünstelte  deutung  ist  abzulehnen  .  es 
steht  natürlich  Kock  frei,  meine  annähme,  dass  garaihteins  für 
garaihteinais  stehe,  'erkünstelt'  zu  finden;  ich  meinerseits  muss 
erklären,  dass  die  parallele  aus  Lukas  wie  die  faust  aufs  äuge 
passt.  wie  soll  die  Verbindung  der  richtuugspräposition  du  mit 
dem  einen  zustand  ausdrückenden  adjectivabstractum  garaihtei 
dadurch  gerechtfertigt  werden,  dass  frawrohjan,  ein  verbum  des 
Sprechens,  dieses  du  bei  sich  hat  zur  bezeichnung  desjenigen  an 
den  die  äufserung  gerichtet  ist?  mir  ist  Kocks  gedankengang 
vollkommen  unverständlich;  denn  das  kann  ich  unmöglich  glauben, 
dass   für   einen   syntaktiker   die  tatsache  malsgebend  sein  konnte, 


-SKKIKEINS  3  t 

dass    man    im    neuhochdeutschen    auch    mit     ankla;,'»'»      die    prä 
Position  'vor'  verbindet. 

29 f  =  *25  f.  jah  mam  aftra  i/alapon  nnvrihimjah  >r,jiirs(vum 
•die  menschen  wider  einladen  sowol  mit  werten  als  mit  werken', 
für  diese  auffassung  des  ersten  jnli  bringt  Kock  als  parallele  bei 
engl,  that  she  hoth  fouud  mc  and  kirn  statt  tliat  s/ir  foimd  hoth  nie; 
and  him.  stilgemäfser  wäre  es  wol  gewesen,  statt  des  neueng- 
lischen beispiels  ein  altdeutsches  beizubringen,  etwa  dn  mmp-t  ir 
oinden  schöne  beide  gebrochen  bluomea  unde  ynitiK  aber  was 
kann  denn  überliaupt  die  Stellung  von  beidr  oder  von  bofh  für 
die  Stellung  von  jtth  beweisen?  Iwein  3184  ff  heifst  es  '///  was 
ich  an  ensament  meineide  und  triuwelös  beidr,  Wolfram  Wille 
halm  33,  18  Unten  tind  an  orsen  beiden;  sollen  wir  daraus 
schliefsen,  dass  man  gotisch  ivaurdani  jah  icautst/rani  jah  sagen 
konnte?  der  anstofs  den  das  jah  vor  man.s  bietet,  verschwindet, 
wenn  man  gahikon  mit  Loebe  durch  'nachahmen '  übersetzt. 
Cromhout  (s.  12)  freilich  empfand  trotzdem  das  jah  als  störend 
und  wollte  es  tilgen,  aber  'zur  nachahmung  seiner  Weisheit  auch 
die  menschen  auffordern '  ist  eine  leicht  begreifliche  inconcinnität : 
es  schwebte  der  gedanke  vor:  'auch  so  weise  zu  sein',  zur 
stütze  der  Loebeschen  auffassung  von  i/ah'ikon  mag  auch  di«' 
von  Dietrich  s.  lih  citierte  stelle  des  Irenaeus  dienen,  wo  es  heifst. 
daß  die  menschen  imitatores  operum  (Christi)  werden  sollten. 

II  4  =  3.  hotos  übersetzt  Kock  mit  'drohung'.  in  Über- 
einstimmung mit  van  der  Waals  ('bedreiging'i  und  jedenfalls  cor- 
recter  als  Dietrich  ('drohungen  ).  aber  ich  glaube,  dass  hier 
überhaupt  nicht  die  bedeutung  'drohung"  vorligt  —  trotz  E.  «>,  1). 
es  ist  doch  kein  zweifei.  dass  hier  auf  .loh.  7.  4  7  tf  bezug  ge- 
nommen ist  (Bernhardt,  Cromhout),  namentlich  auf  7,  52.  dort 
werden  aber  nicht  eigentlich  drohungen,  sondern  scheltreden  der 
pharisäer  erzählt,  wie  nun  emriuäv  sowol  durch  {ijalrotjau  wie 
durch  andbeitan  übersetzt  wird  (vgl.  z.  b.  die  parallelstellen  L.  4,  35 
und  Mo.  1,  25),  so  konnte  wol  LriTiiiia  nicht  nur  durch  an- 
dabeit  (2  Kor.  2,  6),  sondern  auch  durch  fvota  widergegeben 
werden. 

10  f.  t=  <j.  in  pi^^i  i'i  inippan  frumlst  hamida  fram  laisarja 
'weil  er  damals  den  meister  zum  eraten  mal  hörti'".  das  würde 
ja  einen  trefflichen  sinn  geben,  ich  habe  nur  das  bedenken,  datw 
die  von  Kock  angeführte  parallele  nicht  beweiskräftig  ist.  Job.  7,  M 
ist  doch  der  got.  text  nibai  faurpis  hauseip  fram  iinnui  jah 
nfknnnaip  ha  taujai  die  genaue  widergabe  des  griech.  ^äv  ur, 
d'/.ovOj]  irccQ  ccVToC  .rQÖiiQOY  VAti  ••riii  xi  .fOifi.  es  müste 
also  gezeigt  werden,  dass  im  griechischen  dv.ovfiv  /lagä  rivo^ 
ohne   accusativobject   'jemanden    hören"    bedeut^^n    kann,     an    der 

'  auch  zu  1  2  hätte  ein  anderer  wol  statt  ;iut  ahd.  allf.^'immfn 
lieber  auf  Otfrid    M4.  6;    IV  9.  1^  verwiesoii. 


32  JELLINBK    ÜBEK    KOCK 

citierten  stelle  fehlt  das  object  nicht:  es  wird  durch  den  satz  ri 
icotet  gebildet,  in  der  Skeireinsstelle  ist  es  wol  unbedenklich, 
das  object  aus  ßammuh  10  =  8  zu  ergänzen  (vgl.  Loebe  s.  20  f.). 
umso  unbedenklicher  als  in  der  griechischen  vorläge  dem  f'rop  ein 
transitives  verbuni,  etwa  ovvf^y.ev,  entsprach  und  das  davon  ab- 
hängige TOVTO  ohne  weiteres  auch  auf  r'.y.ov(ye  bezogen  werden 
konnte.  Dietrichs  Übersetzung  ('weil  er  es  eben  zum  erstenmal 
vom  meister  hörte')  verdreht  nach  Kocks  meinung  den  sinn, 
das  ist  aber  doch  nur  dann  der  fall,  wenn  man  sie  so  versteht, 
dass  'es  zum  ersten  mal  vom  meister  hören'  in  gegensatz  ge- 
dacht wird  zu  einem  'es  zum  zweiten  mal  vom  meister  hören", 
der  sinn  ist  aber;  'weil  er  das  was  er  jetzt  vom  lehrer  hörte, 
zum  ersten  mal  hörte'.  ^ 

25  =  21  gaäoh  unstai  übersetzt  Kock  widerum  mit  'der 
natur  gemäfs'.  in  einer  griechischen  Verbindung  (pvosi  ntQeuov 
würde  gewis  jeder  das  (fvost  als  modale  bestimmung  auffassen, 
die  richtige  Übersetzung  ('naturligen  passande")  hat  schon  Lundgren. 

29  f.  =  24  f.  jah  twos  ganamnidn  waiMs,  swesa  hajoptim- 
du  daupeinais  garehsvai  'nannte  er  auch  zwei  Sachen,  dinge,  die. 
der  tauf  Ordnung  nach,  den  beiden  angehörig  waren",  die  prä- 
position  du  ist  bei  Kock  ein  wahrer  Proteus:  im  1.  fragment 
hiefs  ßizos  du  guda  garaihtein  der  gereehtigkeit  vor  gott,  hier 
heifst  du  daupeinais  garehsnai  der  taufordnung  nach!  nein, 
der  mit  du  eingeleitete  ausdruck  gehört  zu  ganamnida:  er  machte 
für  die  einrichtung  der  taufe  zwei  dinge  namhaft,  schon  Lundgren 
hat  die  syntaktische  gliederung  richtig  erkannt;  die  Übersetzung 
des  du  durch  'vid'  ist  aber  wol  unrichtig. 

III  12  =  10.  Kock  erwägt  die  möglichkeit,  das  über- 
lieferte sinteino  vor  daupeinim  zu  belassen,  aber  die  von  ihm 
beigebrachten  beispiele  für  die  attributive  Verwendung  von  ad- 
verbien  sind  beinahe  alle  so  beschaffen,  dass  das  adverbiura  ein- 
geklemmt ist  zwischen  eine  bestimmung  des  substantivums  und 
dieses  selbst,  sei  nun  die  bestimmung  eine  artikelform  {ßaim 
bisunjane  haimom,  'fj  dvco  ööög)  oder  ein  adjectiv  (multac  circa 
civifates,  omnes  Siciliae  semper  praetorcs)  oder  eine  präposition 
(i  sä  fall),  vgl.  übrigens  die  erörterungen  Loebes  s.  27 f.  Loebe 
stellte  sinteino  daupeinirn  zusammen  mit  aftra  anastodeinai,  wie 
er  I  26  =  22  schreiben  wollte,  man  könnte  eben  beide  Ver- 
bindungen als  ableitungen  aus  den  syntaktischen  gruppen  aftra 
anastodjan  und   sinteino   daupjan   begreifen,    vgl.   nhd.    instatid- 

*  der  anstofs  entsteht  dadurch  dass  das  causalitätsverhältnis,  welches 
durch  die  satzeinleitung  in  ßis  ei  ausgedrückt  ist,  sich  nicht  auf  die  be- 
stimmung/ram  laisarja  erstreckt:  Nikodemus  hätte  die  rede  auch  nicht 
verstanden,  wenn  er  sie  Ton  einem  andern  gehört  hätte,  ganz  ähnlich  ist 
es  V  14 f.  =  12  f.  iß  nu  ains  jah  sa  sama  icesi  hi  Sabailliaus  insohtai: 
die  durch  den  opt.  prät.  ausgedrückte  irrealität  trifft  nicht  auf  die  be- 
stimmung bi  Sabailliaus  insahtai  zu. 


SKEmElNS  33 

Setzung,  demgemäfs  schrieb  Mafsmann  in  seinem  Uifilas  nffni 
anastödeindi  und  smteinö-däupeinm,  Uppström  aber  nicht  nur 
aftraanastodeinai,  sondern  auch  ainteinodmtjjeinim.  aber  es  bleibt 
das  bedenken,  dass  zusanimensetzunf^eu  eines  Substantivs  mit  einem 
wort  das  'immer'  bedeutet  erst  spät  zu  belegen  sind,  vgl.  Wil- 
manns  Deutsche  Grammatik  II  54  2. 

15  ff.  =  13  ff.  Der  schwierigen  stelle  unte  ivUoJ)  usw.  suciit 
Kock  dadurch  beizukommen,  dass  er  das  zweite  icitop  als  reca- 
pitulierenden  nominativ  übersetzt:  'denn  das  gcselz  bezüglich 
einer  der  unvorsätzlichen  missetaten  ■ —  das  gesetz  verordnete  die 
asche"  usw.  aber  andere  bedenken  die  der  Wortlaut  des  textes 
erregt  (vgl.  Anz.  xx  154f),  bleiben  unbehoben. 

23  =  20.  'womit  er  ihnen  auch  verlieh,  dass  sie  söhne 
des  himmelreichs  würden',  diese  Übersetzung  ist  wol  durch  R.  S,  14 
und  G.  4,  G  beeinflusst.  dass  aber  der  Skeireinist  an  unserer 
stelle  die  gotteskindschaft  als  unmittelbare  folge  der  begabung 
mit  dem  heiligen  geist  bezeichnen  wollte,  ist  doch  sehr  fraglich, 
wenn  man  den  Wortlaut  der  bemerkung  des  Ammonius  erwägt: 
•/.cd   rrvsCua   äyLOv  7iag£r/£  y.ai  vioUeöiuc  aSUtv. 

IV  12  =  10  f.  'indem  sie  sich  bis  zu  diesem  augenblick 
über  jeden  ausbreitete ".  icli  halte  es  nicht  für  richtig,  aud  Icarjano 
mit  'über  jeden'  zu  übersetzen,  wenn  and  in  localer  bedeutung 
neben  einem  singuIar  steht,  bezeichnet  das  Substantiv  einen  col- 
lectiven  begriff  oder  ein  continuum  von  gleichartigen  teilen 
{manaseps,  Galeilaia,  ludaia,  airpa,  baurgs,  gawi,  Ixiurgstraddßia, 
driuso),  vgl.  auch  and  pata  iy.tivrjQ  L.  19,  4.  Icarjano  bezeich- 
net aber  eine  individualgröfse,  und  die  meinung  ist  natürlich  auch 
nicht,  dass  die  lehre  des  herrn  sich  über  alle  teile  jedes  einzelnen 
verbreitet  iiabe.  um  Kocks  Übersetzung  zu  rechtfertigen,  müste 
man  annehmen,  dass  dem  Skeireinisten  and  Ivnrjano  statt  and 
allans  in  die  feder  gekommen  sei. 

15  ff.  =  13  ff.  'nicht  dass  er  ihn  ohne  grund  als  einen 
überlegenen  verkündigt  hätte,  sondern  er  wies  auch  solche  macht 
seiner  gröfse  nach',  ebenso  wie  hier  übersetzt  Kcu-k  auch  IV 
28  =  24  und  V  5  =  4  insakan  durch  "nachwei.'jen'.  während 
er  VIII  23  =  20  fanr  sunja  insakandin  durch  'für  die  wahr 
heit  eintrat"  und  insahts  an  allen  stellen  durch  'aussage'  wider- 
gibt, da  aber  die  bedeutung  'nachweisen'  weder  IV  2S  noch 
V  5  passt,  weder  durch  die  stellen  wo  itmakan  in  der  bibel 
vorkommt  (T.  4,  6;  G.  2,6).  noch  durch  die  bedeutung  von  jm- 
sahts  gestützt  wird,  werden  wir  sie  auch  an  unserer  stelle  nicht 
anerkennen,  der  durch  ni  .  .  snarc  angekündigte  beweis  wird 
nicht  in  dem  satz  ak — insok  gegeben,  sondern  beginnt  erst  mit 
in  pizci.  'nicht  dass  er  ihn  ohne  grund  für  allen  überlegen 
erklärt  hätte,  sondern  er  verkündigte,  indem  er  ihn  himmlisch  und 
von  oben  gekommen,  sich  dagegen  irdisch  und  aus  der  erde 
heraus  sprechend  nannte,  diese  grofse  macht  seiner  majestät,  weil 
A.  F.  D.  A.     XXXVIII.  3 


34  .JELLINEK    ÜBKK    KOCK 

er  seiner  natur  nach  ein  mensch  war'  usw.    vgl.  die  Übersetzungen 
Bernhardts  und  van  der  Waals  und  Anz.  xxix  290. 

V.  das  fragment  beginnt:  ma  du  attin  sweripos.  Kock  er- 
gänzt [all  andnimands  i.m^ma  und  übersetzt  '[empfangend  für 
si]ch  [alle]',  es  ist  mir  und  auch  wol  andern  nicht  bekannt, 
dass   ein   obliquer   casus  von  is   reflexiv  gebraucht  werden   kann. 

VI  11  ff.  =  10  f.  'denn  jener,  indem  er  mit  menschlichen 
Worten  zeugnis  ablegte,  schien,  trotzdem  er  wahrhaftig  war,  denen 
zweifei  zu  erregen,  welche  die  dinge,  die  (gott)  möglich  sind, 
nicht  kannten',  damit  ist  der  unglückliche  gedanke  Uppströms 
erneuert,  niahta  als  substantiviertes  adjectiv  zu  erklären,  in  der 
bibel  wird  mahts  nur  zur  Umschreibung  von  passivconstructionen 
(zb.  filhan  ni  mahta  sind  XQvßijvai  ov  dvvaTcci,)  verwendet, 
das  oft  vorkommende  övvarög  wird  mit  mahteigs  übersetzt, 
und  dann:  wie  kann  hier  'gott'  ergänzt  werden?  es  nützt  nichts, 
wenn  Kock  auf  hiiihti  II,  15  =  13  verweist;  da  kann  man  zur 
not  die  ergänzung  aus  in  pis  el  mippan  fnimist  hausida  fram 
iaisarja  gewinnen,  endlich,  welch  wunderlicher  ausdruck  'er 
schien  denen  zweifei  zu  erregen'^  —  man  würde  erwarten:  'er 
schien  denen  zweifelhaft  zu  sein"  oder  'er  erregte  bei  denen  zweifei '. 

16  =  1 3  f ,  Jvarjatoh  waurde  at  mannam  innuman  'jedes 
wort,  bei  menschen  vernommen',  at  neben  niman  und  seinen 
compositis  steht  zur  bezeichnung  des  ortes  wo  (nach  nhd.  auf- 
fassung:  von  wo)  etwas  im  eigentlichen  oder  uneigen tUchen  sinn 
genommen  wird;  vgl.  zb.  I  Th.  2,  13  nimandans  at  uns  waurd 
hauseinais  gudis  =  naQaXccßövreg  nag'  i)^wv  Xöyov  dy.ofjg 
Tov  d^eov.  also:  'jedes  wort  das  man  von  menschen  überkommen 
hat'  oder,  wenn  man  inniman  mit  'vernehmen'  übersetzen  will  (vgl. 
ganiman  fiav&dvsiv):  'das  man  von  menschen  vernommen  hat'. 
30  ff  =  25  ff.  ebenso  wie  Dietrich  (und  Streitberg)  nimmt 
Kock  die  worte  unte  —  seJvun  als  Vordersatz  zu  aadagai  usw.,  fasst 
aber  at  ßaim  gaJvairbam  frakunnan  ni  skuld  ist  anders  auf: 
'weil  man,  soweit  die  fügsamen  in  betracht  kommen,  nicht  ver- 
achten darf,  manche  aber  würklich  seine  stimme  gehört,  und 
manche  sein  gesicht  gesehen,  so  sagte  er  denn:  selig'  usw.  den 
weg  zum  Verständnis  der  stelle  hat  Cromhout  s.  58  f.  gewiesen  2; 
von  seinen  interpolationsphantasieen  muss  man  freilich  absehen, 
drei  dinge  werden  den  ungläubigen  abgesprochen:  1.  das  hören 
der  stimme  gottes,  2.  das  sehen  seines  gesiebtes,  3.  der  besitz 
.seines   wortes.     im    gegensatz    dazu   wird   andern    1.    und    2.    zu- 

'  den  dativ  paim  unkwmandam  lässt  doch  wol  Kock  von  ßuhta 
abhängen  —  seine  Übersetzung  ist  zweideutig,  für  die  Verbindung  von 
tweifljan  in  der  bedeutung  'üweifel  erregen'  mit  einem  dativ  wüssle  ich 
keine  parallele,  denn  usagljaii  hat  man  zu  dem  adjectiv  agls  oder  aglus, 
nicht  zu  dem  Substantiv  aglo  zu  stellen. 

2  die  Satzgliederung  ist  übrigens  auch  von  Vollmer  und  Lundgren 
richtig  widergegeben. 


SKEIKEINS  35 

gesprochen,  man  erwartet  gleiches  für  3.  das  ist  auch  tatsäcli- 
iich  der  fall;  der  satz  iinte  af  pawi  gakairbam  frakunnan  nt 
skuld  ist  spricht  es  aus,  er  schliefst  sich  unmittelbar  an  den 
vorhergehnden  satz  jah  waurd  —  gahuihcij)  an.  dabei  ist  mit 
Cromhout  gabairham  als  ungenaue  Übersetzung  einer  form  von 
7tEii>ead^ai,  zu  fassen,  das  ja  sowol  'gehorchen'  wie  'glauben' 
bedeutet;  es  könnte  auch  die  ableitung  7r6i'/rfn')i'  im  griech. 
text  gestanden  haben,  dagegen  ist  Cromhouts  annähme,  dass 
etwas  ausgefallen  sei,  falsch,  ebenso  seine  Übersetzung  von  skuld 
ist  durch  e'Seoii.  subject  von  skuld  i'it  ist  waurd.  'das  wort 
gottes',  heilst  es  im  evangelium,  'wohnt  nicht  in  euch,  weil  ihr 
seinem  boten  nicht  glaubt  .  'denn ',  fügt  der  comraentator  hinzu, 
'bei  den  gläubigen  wird  es  nicht  verschmäht  werden',  auch 
darin  hat  Oromhout  recht,  dass  er  den  satz  audagai  auk  ßan 
qap  als  begründung  von  sumai  pan  is  sinn  sehun  auffasst  und 
auk  mit  yäo  übersetzt,  die  Übersetzung  'so  sagte  er  denn 
würde  nur  passen,  wenn  der  satz  audagai  usw.  dem  .Tohannes- 
evangellum  entstammte,  das  vorhergehnde  also  den  Übergang 
zur  mitteilung  einer  textstelle  vermittelte,  es  ist  nun  freilich  auf- 
fallend, dass  eine  tatsache  der  Vergangenheit  (sehun)  durch  einen 
ausspruch  über  die  zukunft  (gasaiJvand  =  öipovrcu)  begründet 
wird;  aber  diese  Seltsamkeit  bleibt  auf  jeden  fall,  auch  wenn  man 
durch  die  tatsache,  dass  einige  gesehen  haben,  die  Prophezeiung, 
dass  einige  sehen  werden,  begründen  lässt. 

VII  2  ff.  ==  2  ff.  'sondern  auch  Andreas  —  wurde  ebenso 
wie  Philippus  widerlegt,  wo  er  nichts  grofses  erwartete  noch  der 
würde  des  meisters  gedachte,  nach  dem  zu  urteilen,  was  er  äufserte, 
als  er  sagte",  die  Übersetzung  von  gasakan  durch  'widerlegen', 
die  auch  Dietrich  gibt,  ist  an  unserer  stelle  falsch,  wir  sind  noch 
nicht  bei  dem  beweise,  dass  die  kleingläubigkeit  der  jünger  unbe- 
gründet war,  sondern  erst  bei  der  erörterung  von  .loh,  6,  y.  es 
wird  nun  wol  allgemein  zugestanden,  dass  der  got,  text  eine 
ziemlich  genaue  widergabe  ist  von  6  \lvÖQ^aQ  öttoiioq  tq^ 
'DiXbr^rco  iXeyxsTcct  ut]Ösv  (.itya  rpavraoO^sig,  ut]öiv  ^/rnUov 
lov  dtdaßy.älov  fpooviioccQ  di'  lov  e:rr.yuyev.  in  diesem  satz 
sind  aber  die  participien  rpavraaO-siQ  und  ipoovr.dctg  notwendige 
ergänzungen  des  verburas  (Kühner  [t!)04]  §  482)  und  i'/Jyx^iv 
steht  hier  in  der  bedeutung  'überführen'  oder  besser  'dartun, 
dass  jemand  etwas  schlechtes  tut  oder  eine  schlechte  eigenschaft 
hat'.  Philippus  hatte  Joh.  6,  7  seinem  absoluten  Unglauben  aus 
druck  gegeben.  Andreas  bemerkt,  dass  fünf  bntte  und  zwei  fische 
y.ur  Verfügung  stünden;  auf  den  ersten  blick  könnte  es  scheinen, 
dass  er  die  speisung  für  möglich  hielt,  'aber  auch  von  ihm',  sagt 
der  commentator,  'wird  dar;;etan,  dass  er  keines  irrofsen  \:<} 
dankens  fähig  war,  durch  das,  was  er  hinzufügte', 

Wien,  3  januar   it)l4.  M    II.  .f.'lliii.k. 

3» 


36  GIEEACH    ÜBEK    KALBOW 

Die  germanischen  personennamen  des  altfranzösischen 
heldenepos  und  ihre  lautliche  entwicklung.  von  Werner 
Kalbow.    Halle,  Niemeyer,  1913.     179  ss.  S"  —  7  m. 

In  dem  Wortschätze  der  germanischen  sprachen  zeichnen 
sich  die  eigennamen  nicht  nur  durch  das  alter  und  die  fülle  der 
Überlieferung  aus,  sondern  auch  durch  ihre  Verbreitung,  die 
germanischen  stamme  haben  ihre  personennamen  durch  ganz 
Europa  getragen,  und  auch  dort,  wo  ihre  sprachen  wieder  ge- 
schwunden sind,  haben  sie  doch  den  Völkern  in  denen  sie  auf- 
giengen,  ihre  rufnamen  als  erbe  überlassen,  so  finden  wir  den 
germanischen  anteil  am  Wortschatz  der  romanischen  sprachen  in 
den  personennamen  besonders  stark  ausgeprägt,  und  noch  heute 
lebt  da  mancher  name  fort,  der  in  den  stammlanden  längst  er- 
loschen ist,  mancher  kam  später  in  romanisierter  form  zu  uns 
zurück,  aber  auch  das  in  die  fremde  gewanderte  sprachgut 
verdient  die  beachtung  des  germanisten,  und  der  afrz.  namen- 
schatz  nmsomehr,  als  er  eine  wichtige  quelle  für  die  erschliefsung 
der  westfränkischen  namengebung  ist.  das  mag  die  anzeige 
dieses  buches  rechtfertigen,  das  vorwiegend  eine  romanistische 
arbeit  ist. 

Seit  der  eroberung  durch  die  Römer  waren  in  Gallien  die 
lateinischen  namen  herschend  geworden  und  die  keltischen  fast 
völlig  geschwunden,  das  eindringen  der  Germanen  (Westgoten, 
Burgunder,  Franken)  führt  wiederum  einen  völligen  Umschwung 
herbei,  und  zur  zeit  Karls  des  Grofsen  waren  9  zehntel  aller 
namen  germanischer  und  nur  etwa  1  zehntel  antiker  herkunft, 
wovon  noch  ein  teil  der  christlichen  kirche  zu  verdanken  ist. 
die  polyptycha  der  Karolingerzeit,  insbesondere  das  berühmte 
polyptychon  des  abtes  Irmino  von  SGermain-des  Pres  lehren  uns 
das,  und  es  gibt  kaum  eine  Urkunde,  die  uns  besser  den  grofsen 
Umschwung  in  der  namenweit  Galliens  vor  äugen  führen  könnte 
als  das  letztgenannte  güterverzeichnis. 

Wie  es  aber  im  12  und  13  jh.  mit  den  namen  bestellt 
war,  dafür  bilden  eine  der  vorzüglichsten  quellen  die  chansons 
de  geste,  zumal  durch  Langlois  buch:  Tables  des  nonis  propres 
de  toute  nature  conipris  dans  les  Chansons  de  geste  (Paris  1904) 
ihr  namenschatz  bequem  erschlossen  ist. 

Die  geschichte  der  germanischen  personennamen  in  Gallien 
ist  noch  zu  schreiben;  was  seit  Waltemath  und  Mackel  von 
Bonnier,  Cipriani,  Jud,  Kremers  u.  aa.  geleistet  wurde,  sind  mehr 
oder  minder  wertvolle  voi'arbeiten.  auch  Kalbow  liefert  einen 
schätzenswerten  beitrag,  wenn  er  auch  sein  ziel,  'festzustellen, 
welche  Veränderungen  die  germanischen  personennamen  im  ger- 
manischen und  romanischen  erlitten,  ehe  sie  die  gestalt,  in  der 
sie  uns  in  der  afrz.  dichtung  entgegentreten,  erhielten',  nicht  in 
jeder  hinsieht  erreicht,  die  arbeit  leidet  etwas  unter  der  Zwie- 
spältigkeit des  titeis:  der  erste  teil,  'die  germanischen  personen- 


DIE    GKRMANISCHEN    PERSONENNAMEN    DES    AFZ.    KI'OS  :<  7 

namen  des  afrz.  heldenepos',  verspricht  uns  eine  f?eschichte  der 
epennamen,  die  nicht  gegeben  wird;  der  zweite  teil,  'ihre  laut- 
liche entwicklung',  tritt  in  den  Vordergrund,  war  aber  eine 
Lautlehre  der  eigennaraen  beabsichtigt,  dann  fällt  jeder  grund 
weg,  sie  auf  die  beispiele  aus  den  epen  zu  beschränken;  anderes, 
örtlich  und  zeitlich  besser  bestimmbares  material  war  dann 
heranzuziehen  und  hätte  mehr  aufschlüsse  geboten,  so  scheint 
die  bequeme  Zusammenstellung  der  namen  bei  Langlois  vor- 
wiegend der  grund  für  die  wähl  des  nuiterials  gewesen  zu  sein, 
und  namen  wie  Berhtheri  >  Bertier,  Marhod»  >  Marhuef. 
Thioderl  >  Thiers  u.  a.  m.,  die  doch  in  keiner  hinsieht  andere 
entwicklung  zeigen  wie  die  behandelten  namen,  fanden  bei  K. 
keine  aufnähme. 

Der  verf.  teilt  seinen  Stoff  in  fünf  capitel: 

1.  Allgemeine  gesichtspuncte  bei  der  betrachtnng  der  ger- 
manischen eigennamen  in  der  frz.  spräche. 

2.  Besondere  gesichtspuncte  bei  der  betrachtung  der  ger- 
manischen namen  im  afrz.  heldenepos. 

3.  und  4.  Lautlehre  der  germanischen  eigennamen. 
5.  Hybridismen  und  gattungsnamen  als  eigennamen. 
Diese  gliederung  ist  nicht  immer  scharf  genug  eingehalten; 

dieselben  puncte  werden  an  verschiedenen  stellen  eriirtert,  und 
das  erschwert  die  vollständige  Orientierung. 

Die  behandlung  der  eigennamen  lässt  bei  jAIackel  in  laut- 
licher hinsieht  manches  zu  wünschen  übrig,  hier  hat  K.  be- 
deutende fortschritte  zu  verzeichnen,  und  in  den  abschnitten 
über  die  lautlehre  ligt  auch  die  stärke  seiner  arbeit,  er  er- 
kennt die  notwendigkeit,  die  verschiedenen  schichten  der  ger- 
manischen namen  schärfer  zu  scheiden;  sie  sind  ja  zu  verschie- 
denen Zeiten  aufgenommen  worden,  und  dieser  umstand  prägt 
sich  in  ihrer  lautgestalt  aus.  allerdings  wenn  er  glaubt,  diese 
schichten  auf  grund  der  französischen  und  deutschen  lautgesetze 
sondern  zu  können,  begeht  er  den  fehler,  dass  er  die  laut- 
substitution  zu  wenig  berücksichtigt,  der  fremde  laut  ist  nie- 
mals dem  heimischen  ganz  gleich;  steht  er  etwa  in  der  mitte 
zwischen  zwei  lauten,  kann  er  bald  diesem,  bald  jenem  ange- 
glichen werden,  oder  wenn  eine  lautentwicklung  abgeschlossen 
ist,  kann  ein  später  aufgenommenes  wort  doch  durch  laut- 
substitution  die  gleiche  änderung  erfahren:  zb.  auch  nach  der 
tenueserweichung  kann  germ.  *IiaJ)ulf'  als  *l\ud(>l  aufgenommen 
worden  sein,  weil  ja  ein  t  zwischen  vocalen  nicht  vorhanden 
war.  es  ist  ein  kennznichen  für  lehnwürter,  dass  sie  in  ihrer 
lautform  schwanken:  unterschiede  zeitlicher  art  genügen  durch- 
aus nicht  allein  zur  erklärung. 

Von  erbwürtern  darf  man  bei  den  germanischen  Personen- 
namen überhaupt  nicht  reden,  gewis  zeigt-n  viele  namen  die- 
selbe  lautliche    entwicklung   wie    die   einheimischen    lateinischen 


38  GIEKACH    ÜBER    KAIiBOW 

Wörter,  aber  vor  der  eroberung  sind  germaniscbe  namen  doch 
noch  selten  und  sind  auch  kaum  der  spräche  verblieben;  in) 
5  jh.  aber  sind  mit  den  lateinischen  lauten  schon  eine  reihe 
von  Veränderungen  vor  sich  gegangen,  welche  nur  auf  dem 
wege  der  lautsubstitution  neueindringenden  Wörtern  oder  namen 
zuteil  werden  konnten,  die  altfranzösischen  lautgesetze  sind 
jedoch  zu  sehr  verschiedener  zeit  und  zum  teil  ziemlich 
spät  in  erscheinung  getreten,  bestand  nun  ein  germanischer 
name  aus  lauten,  die  sich  gar  nicht  oder  erst  spät  geändert 
haben,  so  wird  er  dieselbe  entwicklung  zeigen  wie  die  echten 
erbwörter,  sonst  aber  in  lehnwörtlicher  form  erscheinen,  da 
aber  die  namen  erst  eindrangen,  als  die  französische  spräche 
die  ersten  stufen  der  entwicklung  schon  durchgemacht  hatte, 
sind  sie  sämtlich  als  lehn  Wörter  zu  betrachten. 

Was  K.  s.  22  über  die  bildung  der  germ.  namen  sagt,  ist 
recht  unzureichend,  u.  a.  widerholt  er  auch  den  jetzt  so  oft 
gehörten  satz:  'auf  eine  Übersetzung  der  namen  muss  .  .  .  ver- 
zichtet werden',  demgegenüber  halte  man  an  dem  grundsatze 
fest:  'deutung  des  als  deutbar  erkannten!'  ursprünglich  muss 
der  name  eine  bedeutung  gehabt  haben;  erst  wenn  mechanische, 
von  der  bedeutung  unabhängige  Veränderungen  mit  den  namen 
vorgenommen  werden,  muss  man  auf  eine  Übersetzung  verzichten. 
es  macht  sich  überhaupt  fühlbar,  dass  K.  auf  germanischem  gebiet 
nur  aus  zweiter  band  arbeitet,  so  wenn  ihm  s.  40  nhd.  Gertrud 
dafür  zu  sprechen  scheint,  dass  hier  germ.  *drüt  und  nicht 
germ,  *prüd  vorlige  und  daher  afrz.  Gertru  'jünger  und  ober- 
deutsch' wäre,  während  doch  aller  Wahrscheinlichkeit  nacli 
Getprüd  im  hochdeutschen  an  trfff  angeglichen  wurde. 

Der  rahmen  dieser  besprechung  verbietet  es,  auf  alle  die 
abschnitte  welche  den  ersten  teil  von  K.s  arbeit  bilden,  des 
näheren  einzugehn,  obwol  sie  fast  sämtlich  zu  weiteren  be- 
raerkungen  anlass  bieten,  man  würde  vor  allem  die  Vollständig- 
keit, die  K.  in  der  lautlehre  anstrebt,  auch  hier  gern  durch- 
geführt sehen,  die  entartung  welcher  die  namen  auf  gallischem 
boden  zum  opfer  gefallen  sind  —  die  gewis  eines  der  inter- 
essantesten capitel  darstellt  — ,  wird  s.  22  f  mit  elf  zeilen  ab- 
getan! und  wenn  auch  die  ungerraanische  bildung  von  weib- 
lichen namen,  die  hybriden  Zusammensetzungen  u.  a.  m.  später 
nachgetragen  w^erden,  es  fehlt  eine  systematische  betrachtung  über 
die  Zerrüttung  des  Systems. 

Ich  kann  von  den  zahlreichen  abschnitten  nur  einige  heraus- 
greifen, der  fugenvocal  ist  auch  bei  den  westfränkischen  namen 
zerrüttet,  aber  so  ganz  willkürlich  wie  K.  es  hinstellt  liegen 
die  dinge  doch  nicht,  a  ist  als  vortonvocal  unverhältnismäfsig 
selten,  aber  es  bleibt  doch  zu  beachten,  dass,  wenn  wir  von  der 
Schwächung  zu  e  und  vom  schwund  absehen,  unter  den  u- 
stammen  o  und  a  weit  überwiegen,  oder  bei  den  i-stämmen  das 


DIE    GEBMANIRCHEN    PERSONRNNAMKN     DES    KV/..    KI'fJH  39 

i  sich  im  Verhältnis  viermal  so  häutig  findet  als  bei  den  a- 
stämmen.  für  den  g-ermanisten  ist  beachtenswert,  dass  aus  den 
französischen  formen  a,  mitunter  —  wenn  umlaut  vorligt  — 
auch  i  als  fugenvocal  erschlossen  werden  kann,  während  die 
übrigen  vocale  einfach  schwinden  rausten. 

Über  0  in  der  fuge  afrz.  naraen  äufsert  sicli  K.  s.  24  sehr 
unklai-;  wir  erfahren  nicht,  warum  'altes  o'  in  afrz.  Dagobert 
geblieben  ist.  dagegen  bezeichnet  er  s.  7ü,  wo  er  als  weiteres 
beispiel  noch  Aigolantz  hinzufügt,  die  namen  als  lehnwürter. 
während  er  für  Bertolai  ss.  24.  76.  84  Ogier  9249  citiert, 
belegt  er  es  s.  106  aus  Gir.  Rouss.  16  und  erklärt  widerum, 
dass  Bertolai  'möglicherweise  nicht  als  gelehrt  angesehen  zu 
werden'  braucht.  auffällig  scheint  mir,  dass  o  nur  vor  / 
{Aigolanz,  Bertolai,  Eniimolai)  oder  nach  g  {Aigolauz,  Dago- 
bert, Rigohert)  zu  finden  ist.  da  neben  Bertolai  auch  Berte lai 
vorkommt,  handelt  es  sich  im  ersten  falle  wol  nur  um  die  be- 
kannte lehnwörtliche  entwicklung  von  el  >  ol,  wie  /ilicaria  zu 
felchiere  und  folchiere,  Ishild  >  Isolt,  hasilica  >  Basoche, 
elephante  >  olifant,  Cadrella  >  Charolles.  Dagobert,  Rigobert 
aber  sind  ins  franz.  mit  o  entlehnt,  ihr  o  ist  nicht  in  afrz.  ent- 
wicklung begründet;  es  sind  gelehrte  formen,  die  volkstümliche 
überliefert  der  Liber  bist.  Franc,  in  Daijhertu.'^. 

Namen  wie  Gatdier.  Bateni  erklärte  Mackel  durch  über- 
nähme aus  dem  obd.  mit  lautverschiebung.  K.  aber  deutet  s.  24 
das  t  für  d  als  Verhärtung  im  auslaut  nach  dem  fall  des  fugen- 
vocals:  Gaiitier  >  niederfrk.  WaWiari.  s.  36  dagegen  sieht  er 
in  fränk.  d  eine  stimmlose  lenis  und  kennt  keine  Wirkung  des 
Silbenauslautes  mehr,  anderseits  hält  er  mit  ^lackel  daran  fest, 
dass  Borchart  (neben  Bongars)  hochdeutsclie  lautverschiebung 
zeigt  (s.  21).  solche  kleinen  Widersprüche  finden  sich  auch 
sonst. 

In  einigen  fällen  ist  K.  geneigt,  erhaltnng  des  germani- 
schen accentes  anzunehmen,  wenn  Winihard  >  Guinart,  Willi- 
helni  >  Guillaume,  Theoderiai^  >  Tierri  wird,  seien  diese 
namen  mit  accent  auf  erster  silbe  übernommen  worden;  denn 
nur  der  ton  könne  i  bezw.  ie  bewirkt  haben,  ich  halte  eine 
solche  bewahrung  der  fränkischen  betonung  im  romanischen 
munde  für  gänzlich  ausgeschlossen:  der  (nicht  phonetisch  ge 
schulte)  Franzose  ist  gar  nicht  im  stände  U'illihihn  zu  sagen, 
er  wird  immer  den  ton  verlegen,  auch  beweist  die  lautliche 
form  der  namen  nicht  die  anfangsbetonung.  die  umlautkraft  des 
i  in  der  fuge  ist  sehr  zweifelhaft,  zunächst  muss  K.  (s.  98) 
gegen  die  gewöhnliche  annähme  —  damit  hantieren,  dass  auch 
hiatus-/  den  umlaut  bewirkt;  das  trifft  aber  auch  nur  zu  für 
namen  auf  -hard,  -heim,  -ivard,  aber  nicht  für  die  auf  -bald,  -bcrt. 
-mar,  -munt.  und  wie  bei  diesen,  finden  wir  i  auch  bei  -winv 
als  zweitem  glied.  .   wir   müssen   vielmehr    feststellen,    dass    uin< 


40  GIERACH    ÜBER    KAIiBOW 

immer  mit  i  im  französischen  erscheint,  gleicligültig-,  ob  das  t 
der  fuge  im  hiat  ist  oder  nicht,  ob  das  wort  an  erster  oder 
zweiter  stelle  steht:  auch  ^vUli-  erscheint  vor  mit  cons.  beginnendem 
grundwort  stets  mit  i.  so  darf  man  darauf  keine  an  sich  höchst 
unwahrscheinliche  hypothese  von  der  erhaltung  des  germ.  ac- 
centes  stützen,  ebensowenig  auch  auf  Tlerry:  das  ie  ist  hier 
schwerlich  aus  e  diphthongiert,  sondern  nichts  als  eine  der  vielen 
formen,  in  welchen  der  germ.  diphthong  eu  dem  französischen 
munde  angepasst  wurde,  in  Tiecelin  möchte  K.  selbst  den  re- 
flex  des  mhd.  (?)  diphthongen  ie  widererkennen  (s.  53).  afrz. 
Tierri  ist  auch  nicht  aus  der  urkundenform  Theoderkus,  son- 
dern wol  aus  der  entsprechenden  westfränkischen  form  ent- 
standen; auch  auf  deutschem  boden  findet  sich  ie  in  Urkunden 
frühzeitig  für  eo  (Niezliub,  Thietrick,  Tiecelin  usw.).  —  dagegen 
würkt  der  germanische  accent  in  anderer  weise  nach:  auch 
wenn  der  zweite  bestandteil  kurz  ist,  erhält  er  gegen  das 
lateinische  betonungsgesetz  den  accent.  ein  keltisches  Vindo- 
hriga  erscheint  als  Veiideuvre,  aber  germ.  Hari-vikus  wird  nicht 
*Harivihus  betont,  sondern  ergibt   Hervieu. 

K.  ist  ferner  der  ansieht,  dass  die  germanischen  namen  in 
latinisiertem  gewande  in  die  romanischen  sprachen  gekommen 
seien  (s.  30,  s.  160  und  sonst),  das  könnte  nur  richtig  sein  für 
einen  namen,  der  aus  der  Römerzeit  stammt,  die  masse  der 
germanischen  namen  kam  aber  erst  mit  der  fränkischen  er- 
oberung,  also  mit  ende  des  5  Jahrhunderts  und  später,  das  latein 
führt  damals  nur  mehr  ein  künstliches  leben,  wie  sollte  es  da 
gekommen  sein,  dass  man  die  germanischen  namen  zunächst  in 
das  lateinische  übertrug  und  dann  erst  in  die  Volkssprache  über- 
nahm? im  gegenteil  alle  die  namensformen  in  den  lateinischen 
Chroniken  des  6  nnd  der  folgenden  Jahrhunderte  sind  rück- 
latinisierungen  aus  der  vulgärsprache.  nur  wo  gelehrte  ent- 
lehnung  vorligt,  ist  die  lat.  urkundenform  der  ausgangspunct 
für  den  afrz.  namen,  sonst  aber  erfolgte  der  Übergang  aus  dem 
germanischen  naturgemäfs  unmittelbar.  K.s  beispiele  sind  für 
die  latinisierung  auch  gar  nicht  stichhaltig,  er  meint,  dass  die 
franz.  formen  auf  -mer,  -froi,  -man,  -re  zeigen,  dass  die  latini- 
sierten formen  -marus,  -fridtis,  -mannus,  -radus  zugrunde  gelegen 
haben  müssen,  zunächst  beweisen  erscheinungen  wie  -mer  über- 
haupt nichts,  denn  der  Übergang  von  a  >  e  ist  nicht  so  sehr 
an  die  freie  silbe,  sondern  an  die  länge  gebunden,  auch  trans 
wird  über  träs  zu  tres,  sal  zu  sei;  was  hätte  da  -mär  anderes 
ergeben  sollen  als  -mer,  -rät  anderes  als  re?  aber  ganz  abge- 
sehen davon:  wenn  wir  einen  namen  einer  fremden  spräche  ent- 
lehnen, zwingen  wir  ihn  gewöhnlich  in  unser  biegungssystem : 
Cäsar,  Cäsars,  die  Cäsaren;  Voltaire,  Voltaires.  also  taten 
natürlicherweise  auch  die  Eomanen:  die  germanischen  namen 
wurden    der    romanischen    declination    angepasst;    solange    die 


DIE    GERMANISCIIKN    J'EßSONKNNAMEN    DKS    AI'/..    KI'OS  4  I 

romanischen  Wörter  im  frz.  ihre  unbetonten  tiexionsvocale  be- 
hielten, so  lange  versah  man  auch  die  germanischen  namen  mir, 
diesen  endungen  (ganz  wie  it.  GuiccarJo).  als  dann  die  un- 
betonten auslautvocale  im  französischen  fielen  (anfang  des  !»  jh.s), 
schwanden  sie  natürlich  auch  in  den  dem  fränkischen  entlehnten' 
namen  und  sind  bei  jüngeren  namen  auch  nie  meiir  angefügt 
worden,  aber  die  betonten  vocale  hatten  inzwischen  dieselben 
entwicklungen  mitgemacht  wie  die  entsprechenden  laute  der 
Wörter  lat.  herkunft. 

Besonderes  gewicht  legt  K.  auf  die  eutwicklung  des  namens 
Hervieux;  er  nimmt  mit  Henning  (Runendenkm.  33  ff)  an,  dass 
den  namen  auf  -vechus,  -vchs  germ.  irif/  (tempelj  zugrunde  ligt. 
aus  germ.  "Hartwig,  glaube  ich,  hätten  die  lateiner  "Harucigus 
gemacht,  wie  sie  auch  kelt.  -briga  unverändert  übernommen 
haben;  aus  *Harhcigus  konnte  nimmermehr  Hen-kux  entstehn. 
wahrscheinlich  ligt  auch  nicht  -^üig  vor,  sondern  -wih  (vgl.  an. 
ve),  das  zu  ivilian  'kämpfen'  gehört  und  später  durch  7ing  er- 
setzt wurde,  die  gelehrten  der  Merowingerzeit  gaben  das  mit 
-richiis,  -vechus  wider;  das  volk,  dessen  spraciie  ch  niclit  kannte, 
sprach  -veus,  wonach  man  auch  -veus  in  die  texte  schrieb,  der 
name  Henvich  kann  des  Umlautes  wegen  erst  nach  der  mitte 
des  8  jh.s  aufgenommen  worden  sein,  der  franzose  des  S  jh.s 
konnte  weder  frk.  iv  noch  frk.  i  noch  frk.  ch  sprechen:  in 
seinem  munde  klang  der  name  mit  angefügter  declinationssilbe 
*Erveus,  daraus  afr.  Hervieux.  im  9  jh.  übernahm  man  viel- 
leicht Her  wich  als  Herveg,  Her  reges,  das  K.  nicht  zu  erklären 
weifs,  Herwig  als  Herris;  aber  es  ist  ebenso  gut  denkbar,  dass 
Hervieu,  Herveg,  Herri  nicht  zeitlich  und  der  bildung  nach  zu 
trennen  sind,  sondern  nur  verschiedene  versuche  darstellen,  das 
nicht  sprechbare  -wih  dem  französisclien  munde  gerecht  zu 
machen,  also  nicht  das  'lateinische  gewand',  sondern  die  durch 
laut-  und  bildungssubstitution  romanisierte  namensform  ist  der 
ausgangspunct  für  das  afrz.,  das  'lateinische  gewand'  ist  nur  der 
mehr  oder  minder  gi-naue  reflex  der  form  der  vulgärsprache. 
übrigens  stimmt  die  latinisierte  form  durchaus  nicht  immer  zur 
altfranzösischen:  so  wenn,  wie  K.  selbst  angibt,  lat.  -garda  neben 
-gardis,  afrz.  aber  -gart  erscheint,  oder  -7cine  zu  -rcuus  und 
-r/«M6' latinisiert  wird,  afrz.  aber  als  -///  auftritt;  die  deminutiv- 
endung  germ.  -lin  erscheint  naturgemäfs  afrz.  als  liu,  latinisiert 
aber  als  -lenus  oder  -linus  (s.  Longnon  i  s.  34H);  udglm. 

Kann  ich  nicht  auf  alle  abschnitte  von  K.s  buch  näiier  ein- 
gehn,  so  möchte  ich  doch  nicht  versäumen,  auf  ♦initre  punct«- 
hinzuweisen,  die  ebenfalls  ••ine  zusammenfassende  behandlung 
verdient  hätten,  es  ist  eine  bekannte  erscheinuni,'.  dass  sufrixe 
auch  gegen  die  lautregeln  oftmals  ilire  gestalt  bewaliron;  iiire 
bedeutung  und  ihre  functi^^n  führen  auf  dem  wege  der  analogi- 
sclien  angleichung  die  einlieitlichk-it  ilirer  form  herbei,    gleiclie.s 


42       GIERACH  ÜB.   KALBOW,   GERM.  PKKSONENNAMEN   D.  AV'A.  EVOS 

lässt  sich  auch  bei  einigen  namenbestandteilen  beobachten,  so 
erscheint  zb.  inine  fast  durchwegs  als  guin-,  bez.  -oin^  während 
die  lautregelrecht  zu  erwartende  form  etwa  nur  in  Audiv'me 
>  Oeu  neben  Audoin  vorligt. 

Nicht  minder  beachtenswert  ist,  dass  die  namen  oft  in  einer 
gewissen  form  festwerden  —  durchaus  nicht  immer  in  der  'regel- 
lechten'.  es  ist  ein  Vorgang,  der  uns  aus  dem  deutschen  nicht 
minder  bekannt  ist,  und  der  im  neufranz.  natürlich  weitere  fort- 
schritte  gemaclit  hat.  schon  afrz.  heifst  es  fast  ausschlief slich 
Tierry,  während  peod-  sonst  neben  tie-  ebenso  häufig  als  ti-  oder 
te-  erscheint,  trotz  gleichem  anlaut  im  germanischen  heifst  es 
zwar  stets  Floovent,  Flobert,  aber  nie  ^Flohier  für  Clohier  und 
J^ohier  usw. 

K.s  hauptaugenmerk  ist  auf  die  lautliche  gestalt  der  namen 
gerichtet,  wenn  er  hier  nicht  immer  abschliefsende  erklärungen 
bieten  kann,  ist  ihm  bei  der  Schwierigkeit  der  sache  kein  Vor- 
wurf daraus  zu  machen,  sehr  wünschenswert  aber  wäre  Voll- 
ständigkeit der  namen  und  ihrer  formen  gewesen,  unter  germ. 
eu  ist  wol  Tedhalt,  Tehaut,  Tihaut,  aber  nicht  Tläehaut  (das 
SS.  60.  61.  62.  83.  135  genannt  wird)  noch  Tidbalt  (s.  82)  an- 
geführt, neben  Tiemj  fehlen  Terri  (ss.  44.  46),  Theriet  (s.  55), 
Tiecelm  (ss.  55.  112.  136),  der  name  Thion  (s.  134)  ist  gar 
nicht  erwähnt,  um  nur  bei  peod-  zu  bleiben,  und  doch  ist  die 
Vollständigkeit  der  belege  die  Vorbedingung  zur  lösung  der  sich 
daran  knüpfenden  fragen. 

Im  übrigen  bewegt  sich  K.s  lautlehre  der  afrz.  epennamen 
germ.  herkunft  in  den  herkömmlichen  bahnen,  das  buch  kann 
gute  dienste  leisten,  um  sich  über  die  herkunft  und  entwicklung 
der  epennamen  auskunft  zu  holen  und  gewährt  die  beste  ein- 
tührung  auf  diesem  gebiete  die  wir  bis  jetzt  besitzen,  trotz 
mancher  mängel,  die  dem  buche  noch  anhaften,  sind  wir  dem 
verf.  für  seine  fleifsige  und  mühevolle  arbeit  zu  danke  ver- 
pflichtet. 

Reichenberg  in  Böhmen.  E.  Gierach. 


Die  gcdichte  und  die  sage  von  Wolfdietrich,  Untersuchungen 
über  ihre  entstehuDgsgeschichte,  von  Herniaun  Schneider.  München, 
Beck  1913.    viii  u.  420  s.  —  12  m. 

Dies  buch  bedeutet  eine  durch  methode,  fleifs,  Scharfsinn,  Un- 
befangenheit und  kenntnis  gleich  imponierende  leistung  philo- 
logischer kritik.  text-  und  sagenbeurteilung,  schon  früh  ver- 
fahren, werden  in  neue  wege  geleitet  und  in  eins  soweit  geführt, 
dass  wir  nun  neben  gotischer  und  burgundisch- fränkischer  eine 
gleichberechtigte  und  gleichbedaclite  merowingische  sage  nicht  nur 
in    'Zeugnissen'    stehen   haben,      zwischen   diese   beiden   teile  aber 


BAESECKB  ÜBER  SCHNEIJ)EK,  GEDICHTE  U.  SACK  V.  WOT-KmErniCH       i. 

schiebt  sich  ein  in  seiner  Systematik  fast  neuartif,'er,  wiewol  liüclist 
einleuclitender:  nach  reconstruction  des  arciietypu.s  der  texte  und 
seines  inlialts  wird  weit  und  breit  in  der  abendiändischen  litt^-ratur, 
namentlich  der  deutschen  und  französisclien,  umschau  nach  ver- 
wanten  motiven  gelialten  und  festgestellt,  was  gleichzeitig  gang 
und  gäbe  war,  also  in  der  ursprünglichen  sage  gefehlt  haben 
kann  oder  muss.  aus  dem  spiel  gelassen  sind  alle  datierungs-  und 
localisierungsfragen ,  die  sich  an  die  texte  knüpfen,  die  würden 
wo!  in  einer  ausgäbe  wenigstens  des  gedichtes  I),  die  vom  verf. 
nach  all  den  vorarbeiten  zu  fordern  ist,  nai-hgebraclit  werden.  Eine 
solche  wäre  dann  auch  die  beste  recension  dos  vorliegenden  buclics, 
indem  sie  zugleicli  zeigte,  wieweit  der  verf.  eine  gewisse  souvc 
ränität  geduldig  in  den  dienst  des  kleinsten  stellen  könnte,  denn 
es  ist  für  den  aufsenstehenden  ein  grofses  stück  arbeit,  sich  durch 
die  vorgetragenen  difficilen  Überlegungen  und  beweise  hindurchzu- 
winden,  und  ich  getraue  mich  nicht,  alle  (zb.  bei  den  postulierten 
verlorenen  fassungen)  aufgestiegenen  bedenken  und  an  den  rand 
gemalten  fragezeichen  hinlänglich  zu  begründen:  ich  habe  nicht 
die  prompte  kenntnis  von  stil  und  inhalt  jedes  Wolfdietrichgedichtes. 
auch  der  hypothetischen,  obendrein  nach  ihren  verschiedenen  con- 
taminationsteilen,  und  habe  mir  auch  keine  tabelle  des  Vorkommens 
der  zaldlosen  einzelmotive  angelegt,  ohnedies  ist  der  verf.  bereit- 
willig genug,  zweifei  zuzugeben,  sogar  zuzuscliieben;  er  plädiert 
nirgends,  er  legt  seine  erwägungen  nüchtern  und  unvoreingenommen 
dar.  so  kann  ich  sagen,  dass  mir  seine  eignen  einscliränkuiigen 
in  den  allermeisten  fällen  ausreichend  scheinen,  dass  ich  seine  re- 
sultate  annehme  und  mich  mit  einzeleinwendungen  begnüge. 

Die  hauptresultate  sind:  in  li  ist  II  zu  III ff,  nicht  zu  I  zu 
stellen  1 ;  A  5U0  ff  =  A2  (die  alte  Scheidung  von  A  wird  bei- 
behalten) hat  mit  Bllff  eine  gemeinsame  vorläge.  D  ist  conta- 
mination  von  Bllff,  C  und  einem  verlornen  gedichte  T,  das 
widerum  mit  *A2B  aus  W  stammt,  wobei  aber  der  contaminatnr 
d  seinen  eignen  charakter  entwickelt,  damit  ist  der  alte  Stamm- 
baum von  Müllenhoff  und  .länickc  zerstört  (wiewol  gegen  Seh. 
12/13  zu  sagen  ist,  dass  ausätze  dazu  schon  Norhanden  waren: 
Lütjens  Der  zwerg  s.  4  4  ffj,  und  zwar  ist  die  neugruppierung  von 
B  II  und  AäOGff  besonders  evident,  während  man  bei  der  Zer- 
legung von  D  naturgeniäfs  eher  zweifei  haben  wird,  die  sagen- 
untersuchung  aber  bringt  die  fruchtbare  gleichung  Wolfdietrieh 
==  Theoderich  =  Floovant. 

Sie   stützt    sich    dabei   auf  die  nordiscli-italienisclie   Floovant- 

'  was  Lehncrdt  Die  aiiwciulung  der  beiwörtt-r  usw.,  Breslau  1910, 
s.  172  für  die  alte  einteiluiiR  anführt,  ist  hinfällig:  üierhom,  (Uencvlt. 
trüt  sollen  nur  in  den  'echten  teilen'  (BI  II)  vorkommen,  in  der  tat 
fehlen  tiser/.om  nnd  triit  au'^h  in  B  II,  ü^enrHt  in  I  wie  »n  III  ff.  reint . 
silese  (Maria)  und  ellcihnft  sollen  in  I  und  II  fehlen,  weniRstcni  süe:> 
fehlt  aber  aiieh  in   111. 


44  BABSECKE    ÜBEE    SCHNEIDER 

Überlieferung,  die  wie  unsre  Wolfdietrichgedichte  einen  Chlodwig- 
sohn als  Konstantinssohn  nach  Konstantinopel  verpflanzt  und  damit 
den  nicht  charakteristischen  gemeinsamen  zügen  (landflucht,  heiden- 
kampf,  liebe  zu  einer  heidin)  gleich  einen  charakteristischen  hin- 
zufügt, (diese  merkwürdige  Verpflanzung  erklärt  Seh.  s.  349 
zweifelnd  aus  einer  Verwechslung:  Constantius  Florus  der  letzte 
heidnische  kaiser,  nach  Wesselofsky  Rom,  6,  162  in  einem  Dit  de 
l'erapereur  Constantin  'Floriiens',  könig  von  Griechenland  genannt; 
Chlodwig  =  Flovis,  der  letzte  heidnische  Frankenkönig,  von  Gregor 
bei  gelegenheit  der  tauferzählung  als  'novus  Constantinus'  be- 
zeichnet, mir  scheint,  als  gäbe  das  italienische  Fioravante  geradezu 
das  mittelglied  zwischen  Floovant  und  Floriieus.) 

Damit  wird  die  bahn  frei  zu  heranziehung  der  gesamten 
Floovantüberlieferung  für  den  Wolfdietrich,  und  es  kann  nun  ein- 
gehend dargelegt  werden,  wie  ihr  hauptstück,  eben  jener  kämpf 
des  landflüchtigen  gegen  einen  heidenköaig  und  die  gewinnung 
seiner  tochter,  durch  die  dienstmannensage  und  noch  mehr  durch 
die  Verbindung  mit  dem  Ortnit  (wenn  Wolfdietrich  Ortnits  witwe 
heiratete,  muste  er  die  heidin  ausschlagen)  zur  episode  des  Falkenis- 
abenteuers  herabgedrückt  wird,  das  ist  die  neue  'austrasische'  Wolf- 
dietrichsage, sie  passt  gut  zu  den  andeutungen  der  Kaiserchronik 
(l3S40ff)  und  stellt  sich  neben  die  Karissage  im  Oswald  und  die 
berichte   von  Chlodwigs   brautfahrt  und  den  treuen  dienstmannen. 

Hier  kann  ich  um  so  eher  anknüpfen,  als  Seh.  die  entstehung 
des  Ortnit  und  der  dienstmannensage  als  nächstes  übrigbleibendes 
Problem  bezeichnet. 

Die  Vorgeschichte  Berchtungs  und  der  königin  darf  meines 
erachtens  nicht,  wie  Seh.  (s.  27  f)  tut,  in  zweifei  gezogen  werden. 
es  heifst  AI 52: 

In  mine  kemenäten  het  in  sin  zuht  gewent. 

Botelunge  minem  bruoder  wart  ich  von  im  entspent. 

Do  erwarp  er  mich  im  selben,    sich,  und  gap  mich  dir  dö. 

das  scheint  mir  zu  concentriert,  zu  eigen,  um  als  augenblicks- 
erfindung  gelten  zu  können,  und  es  gibt  zu  denken,  dass  wir  keine 
gleiche,  nur  eine  sozusagen  gegensätzlich  ähnüche  Werbung  ander- 
weit bezeugt  haben:  Herbort  wirbt  in  Hildes  kemenate  erst  für 
seinen  herren  Dietrich  und  dann  auf  Hildes  ermunterung  für  sich 
selbst:  da  wird  dann  auch  von  ihm  der  Standesunterschied  beiseite 
geschoben  (Ths.  ed.  Bertelsen  H  56:  pott  teigi  sea  ec  konungr 
pa  er  po  oll  min  cett  tigin  borin  oc  mriä  a  ec  gull  oc  silfr  at 
gefa  per),  und  Hilde  wird  ihrem  vater  entspent.  in  unserm  falle 
aber  hätte  Berchtung  vielmehr  gleich  für  sich  geworben  und  dann 
die  braut  freiwillig  abgetreten,  so  dass  Hugdietrich  ihm  bürge  unde 
ere  (153)  verdankte;  Vertreter  der  braut  wäre  der  bruder,  nicht 
wie  sonst  immer  der  vater.  das  sind  lauter  individuelle  züge,  und 
namentlich   würde  jene  abtretung  insbesondre  Berchtungs    triuwe 


DIE    GEDICHTK    UND    DIE    SAGK    VON    WOIiFDlETRICH  45 

kennzeichnen,  sie  würde  .aber  auch  sein  besondres  Verhältnis  zu 
dem  jungen  Wolfdietrich,  vielleicht  sogar  jenen  Vorwurf  unehelicher 
geburt  motivieren,  der  ja,  der  historischen  üljerliefcrung  ent- 
sprechend, bereits  in  der  gemeinsamen  vorläge  vorhanden  war 
(vgl.  auch  B  278.  3  ö).  der  Verräter,  der  diesen  Vorwurf  erhebt, 
ist  Sahen,  der  schon  im  Widsid  1 1  h  als  Seafola  neben  peodrie 
steht,  den  Berchtung  in  unserm  ältesten  und  besten  texte  als  ge- 
sellen von  kindes  jugende  her  bezeichnet  fA221,  vgl.  7.  183. 
230),  der  eben  an  Botelungs  hofe  war  (A  193)  und  der  Bit.  12047 
mit  Berchtung  zusammen  auf  seite  der  östlichen  beiden  steht,  ich 
glaube  nicht,  dass  das  alles  zufall  ist;  und  dass  auch  der  Biterolf 
durchaus  keine  'wahllose  nebeneinanderstellung'  seiner  beiden  bietet, 
ergibt  sich  aus  Hauff  Untersuchungen  zu  Biterolf  nnd  Dietleip 
(Bonner  diss.  1907)  s.  42  ff.  ich  selie  darin  vielmehr  ein  stück 
dienstmannensage.  richtig  ist  allerdings,  dass  bei  der  bedeutungs- 
losigkeit  Botelungs  für  die  heldensage  (soweit  wir  sie  erkennen 
können),  dies  alles  wahrscheinlich  keine  alte  Überlieferung  sein 
würde,  vielmehr  eine  aus  dem  würklichen  sagenberichte  heraus- 
gesponnene Vorgeschichte  wie  in  DFL  und  zumal  im  Wolfd.  B. 
Fragen  wir  B,  so  ist  zuerst  zu  sagen,  dass  BI  nicht  von 
einer  so  'vollkommenen  geschlossenheit'  ist  wie  es  Seh.  darstellt, 
der  aufbau  ist  vielmehr  brüchig  und  verrät  contamination  (Münchener 
Oswald  s.  27  3  f).  da  wäre  es  doch  möglich,  dass  sich  seine  inconse- 
quenzen  von  demselben  bearbeiter  herschrieben,  der  B  II — VI  aus 
U  herstellte  und  der  BI,  als  technisch  höherstehend,  i.  a.  über- 
nommen hätte  wie  es  war  (entsprechend  verfuhr  ja  ö,  der  com- 
pilator  von  D  mit  B  I  und  II  ff  i,  d.  h.  es  gölte  nicht 


U 


^BI  -f-U 


A-i     BII— VI  \ 

f-h  BI),      sondern      A.»     BI— VI. 

*B  I  wäre  dann  unvollendet  liegen  geblieben  und  hätte  von  einem 
andern  Verfasser  eine  zusammengeraffte  fortsetzung  erhalten;  A2, 
das  anfangslose  gedieht,  kann  uns  ja  über  eine  in  U  einleitende 
Vorgeschichte  nichts  aussagen,  und  B  I  lässt  sich  an  wie  die 
Kudrun,  wie  die  absieht,  eine  sage  in  aller  breite  modern  aufzu- 
arbeiten, die  dann  eben  gleicli  eingangs  an  dieser  breite  ge- 
scheitert wäre,  möglich  wäre  auch,  dass  U  eben  das  vollständige 
gedieht  *B  war,  von  dem  sich  in  B  nur  die  erste  aventiure  un- 
verkürzt erhalten  hätte.  dergleichen  Überlegungen  waren  wol 
vorzuführen  und  eventuell  abzutun,  zumal  wir  zur  entstehung  und 
datierung  von  B  I  'von  keiner  seite  atif  eröffnungen  zu  warten 
haben',  ich  halte  es  für  das  wahrscheinlichste,  dass  ji-ne  inconse- 
quenzen  nicht  aus  bearbeitung,  sondern  aus  der  uiikunst  des 
dichters  zu  erklären  sind,  jedenfalls  für  Chlodwig  gibt  B  l  nichts 
her,    auch   A   wenig,     es  gab   eine   brautfalirtsage   von  Gljlodwig 


4  t)  BAESECKE    ÜBEB    SCHNEIDEK 

(siehe  Fredeg-ar  und  Liber  historiae),  mit  der  von  Hugdietrich  hat 
sie  nichts  mehr  zu  tun,  denn  die  ist  nur  Vorgeschichte  zur  Wolf- 
dietrichsage, und  Hugdietrich  ist  Chlodwig  nur^  weil  Chlodwig  der 
vater  Theoderichs  ist.  darum  brauchen  AI  und  BI  auch  nicht 
zusammenzustimmen. 

Für  die  kritik  der  dienstmannensage  wäre  es  wichtig  zu 
wissen,  wieviel  söhne  Berchtuug  eigentlich  hatte,  auch  für  die 
textkritik.  in  diesem  puncte  aber  ist  der  verf.  nicht  überall 
glücklich. 

Wir  kommen  damit  an  den  schwierigsten  teil  der  arbeit:  ein 
doppelt  interpoliertes,  uns  aber  nur  fragmentarisch  erhaltenes  C 
aus  einem  gedichte  D  herauszuerkennen,  das  seinerseits  aus  z.  t. 
erst  zu  erschliefsenden  gedichten  compiliert  und  dabei  natürlich  be- 
arbeitet, auch  nochmals  bearbeitet  ist,  das  scheint  eine  ungeheuer- 
liche aufgäbe,  aber  wir  gewahren  mit  innigem  vergnügen,  wie 
reim-  und  verstechnik,  stil,  Wortwahl,  nachahmung,  erzählungs- 
tempo,  Widersprüche,  vergleich  der  verwanten  fassungen  usw.  in 
allen  denkbaren  combinationen  gepaart  und  gekreuzt,  weiter-  und 
heraushelfen,  wo  frühere  generationen  zwar  nicht  verzweifelt 
hätten,  wol  aber  hätten  verzweifeln  sollen. 

Ich  könnte  nun  in  dem  bruchstücke  CHI  Wolfdietrichs  worte 
ich  hin,  meister  BercJitunc,  gnuoc  lange  stille  gelegen  (45),  die  er 
unmittelbar  nach  seiner  rückkehr  aus  dem  kämpfe  mit  Olfan 
spricht,  wol  als  humoristisch -hyperbolischen  ausdruck  seiner  rast- 
losen Überkraft  verstehn,  wie  wir  dergleichen  auch  sonst  finden, 
und  würde  darauf  keine  Scheidung  von  C  III  gründen,  vielmehr 
scheint  mir  etwas  andres,  von  Seh.  nicht  beachtetes,  eben  die  an- 
gaben über  die  zahl  der  dienstmannen,  ausschlaggebend  zu  sein. 
Wolfdietrich  kommt  (str.  30)  zu  dem  besagten  kämpfe  nicht  mit 
1 1  Berchtungssöhnen,  sondern  mit  1 1  dienstmannen,  eben  den  rittern 
die  Str.  1 1  mit  ihm  ausgeritten  sind,  diese  1 1  passen  nicht  zu 
den  300^  die  er  in  str.  9  erhalten  hat,  und  nicht  zu  den  11  Berch- 
tungssöhnen, die  er  erst  str.  44  erbittet,  die  11  dienstleute  ge- 
hören zu  der  Olfanepisode  und  erweisen  besser  als  ihre  technischen 
eigentümlichkeiten,  dass  sie  unecht  ist  =  C2  im  gegensatz  zum  ur- 
sprünglichen Ci.  (zu  ihr  gehört  auch  die  unrichtige  erklärung 
der  redensart  w?«  berate  got  zen  Kriechen  min  einlif  dienestman 
in  Str.  31.) 

Widerum  innerhalb  dieser  episode  heben  sich  durch  ihre  ge- 
wantheit,  ihre  durchgeführten  cäsurreime,  ihre  konradische  mache 
ganz  zweifellos  die  schlachtschildernden  Strophen  21 — 26  {Nu  27.  1 
bezieht  sich  auf  20.  4)  und  32 — 39  als  eigentum  eines  andern 
interpolators  C3  ab.  (allerdings  der  beweis  aus  den  an-am-ve\men 
s.  90  versagt,  die  zahlen  sind  alle  falsch,  auch  kann  man  nicht 
sagen,  dass  mit  str.  3  Wolfdietrichs  weitspringen  besonders  be- 
tont werde:  es  ist  durch  die  einfache  anapher  man  lerte  den 
übrigen  Unterrichtsgegenständen  gleichgestellt,  nur  das  steinwerfen 


DIK    GEDICHTE    UND     DIH    SAGK    VON     WOLKDlKTliUM  17 

wird  5,3  nachträglich  hervorgehoben,  so  entfällt  auch  die  foige- 
rung  auf  s.  127,  dass  der  Weitsprung  VI  l\:\  aus  C  herrübren 
müsse,  und  olinedies  ist  es  unrichtig,  dass  l>erchtungs  Unterweisung 
im  springen,  von  der  VI  123  die  rede  ist,  die  der  str.  III  3  sein 
müsse:  in  III  3  lehrt  ein  unbestimmtes  'man,  das  eben  darum 
nicht  Berchtung  ist,  und  VI  123  ist  von  einer  besondern  art  des 
springens  mit  einem  schilde  die  rede,  schon  das  ist  mir  zweifel- 
haft, ob  man  aus  der  hervorhebung  von  Wolfdietrichs  wurfkunst 
III  ö  folgern  dürfe,  dass  er  sich  in  C  vor  Sidrat  damit  zeigen 
solle.)  ist  aber  C  doppelt  interpoliert,  so  ist  es  schon  darum  nicht 
richtig  zu  sagen:  wo  D  von  16  söhnen  spricht,  ist  nicht  C  seine 
vorläge.  C-2  und  C?,  konnten  über  diesen  punct  anders  denken 
als  Ci,  und  C2  hat  anders  darüber  gedacht,  sonst  hätte  er  wol 
seine  elf  dienestvaan  mit  den  1 1  Berchtungssöhnen  in  beziehung 
gesetzt,  fest  steht  nur  die  zahl  der  1 1  dienstmannen,  und  es  wird 
durch  CHI  31   erhärtet,  dass  sie  C2   vorher  bekannt  war. 

Aber  diese  elfzahl  wird  von  den  verschiedenen  Verfassern  ver- 
schieden herausgerechnet,  nach  A  344  und  358  besteht  sie  aus 
16  minus  6  söhnen  Berchtungs  und  dem  vater,  und  dasselbe  gilt 
für  D  IV  9h:  als  Wolfdietrich  die  eingekerkerten  mannen  anruft, 
heilst  es: 

Also  der  herzog  Berchtunr  die  stimme  dö  vernam, 

ivie  baldr  er  in  erkante :  do  sprach  der  yr2.se  man. 

also  auch  hier  der  vater  und  10  söhne,  die  zusammen  die  diene-sl- 
man  (IV  10)  oder  friunde  (IV  12)  ausmachen.  Seh.  lässt  hier  einmal 
seine  Unbefangenheit  fahren  und  setzt,  obgleich  er  anderweit  (s.  I5()j 
anerkennt,  dass  ac  stärker  umarbeitet  und  modernisiert  als  cf,  die 
farblose  lesart  von  ac  ein  : 

.SVc  nämen  alle  gliche        des  herren  stimme  war 
der  eine  sicherliche  rief  lüte  wider  dar. 

übrigens  muss  sich  ac  in  der  (nicht  anschliefsenden)  folgenden 
Strophe  dann  doch  zu  Berchtung  als  Sprecher  bequemen,  und 
Str.  106  ist  von   16  weniger  6  söhnen  die  rede. 

Von  Ci  wird  also  dies  stück  nicht  herrühren;  auch  schon 
deshalb  niclit,  weil  es  Belmunts  räche  für  ülfans  niederlage  in  Cj 
erzählt,  der  beweis,  dass  das  Belnuintabenteuer  ("1  angehöre  und 
dass  es  dasjenige  sei,  zu  dem  Wolfdietrich  III  42  auszieht,  muste 
versagen  (s.  160,  165,  vgl.  die  Schwierigkeiten  s.  172,  die  eigent- 
lich drei  Interpolationen  von  C  erfordern),  es  wird  mit  der  Olfan- 
episode  eigentum  von  C2  sein ;  beide  abenteuer  zeigen  die  gleiche 
aiischauung  von  der  zahl  der  Berchtungssöhno.  darin  wäre  also 
Ci  mit  A  verwant.  und  erst  C2  hätte  aus  dem  Sigeuot  entlehnt 
(s.  197  f.).  raislich  bleibt  es  übrigens  für  diese  Scheidungen  in 
jedem  falle,  dass  C;i  aucü  C1.2  alteriert  haben  soll  oder  nuiss. 
und  seinem  vorbilde  nicht  nur  ö,  sondern  auch  spätere  b^'arb.Mtor 
nacheiferten   Cs.  1  50"). 


48  BAESECKE    ÜBER    SCHNEIDER 

Dass  in  den  letzten  kämpfen,  nach  der  versölmung  der  brüder, 
sechs  diener  erschlagen  werden  (D  X  92  und  100  ff),  hat  mit  der  zahJ 
der  Berchtungssöhne  eigentlich  nichts  mehr  zu  tun:  es  könnten 
danach  so  gut  sechzehn  wie  elf  oder  zehn  gewesen  sein,  nur  ist 
allerdings  wahrscheinlich,  dass  dieser  verlust  von  sechsen  dem 
alten,  der  die  sechzehnzahl  voraussetzt,  nachgeahmt  ist.  diese 
stelle  kann  also  (gegen  s.  163)  jedem  verf.,  auch  Ci ,  augehört 
haben. 

So  wären  auch  die  übrigen  angaben  über  die  Berchtungs- 
söhne oder  dienstmannen  und  ihre  zahl  neu  zu  überlegen  (vgl.  zb. 
s.  132  und   142). 

Auch  im  Rother  interpretiert  Seh.  (s.  215)  nicht  genau  genug 
was  darüber  gesagt  wird.  Berker  hat  nach  474ff  nicht  'zunächst  zwölf 
dienstmannen',  sondern  elf  söhne  und  einen:  Ich  hete  eilifsune  herlieh 
und  dann,  deutlich  abgesetzt,  der  zwelfte  hiez  Helfrich  —  an  godcs 
dienstc  -icart  er  irslagen.  und  umgekehrt,  wenn  Berker  5129  sagt: 
der  mtnir  genöze  quämen  sechszene,  so  sind  diese  sechzehn  deutlich 
als  teil  der  genöze  gedacht;  und  kann  der  vater  von  sechzehn 
söhnen  sie  'sechzehn  seiner  genossen'  nennen?  vielmehr  ist  zu 
sagen,  dass  auch  im  Rother  eine  alte  elf-  und  sechzehnzahl  von 
dienstmannen  oder  söhnen  schon  bekannt  war  und  dass  auch  von 
diesen  ein  grosser  teil  verloren  ging  (4S4  ff.),  dabei  ist  es  klar 
(was  auch  aus  dem  nebeneinander  von  Liupolt  und  Berker  folgt), 
dass  hier  die  dienstmannen  (Liupolts)  mit  den  söhnen  (Berkers) 
contaminiert  sind:  v.  128  und  144  sind  es  noch  elf  grafen  unter 
Liupolt,  ohne  beziehung  auf  Berker  und  Helferich;  nach  460  und 
484  waren  7  Berkersöhne  dabei,  und  die  sich  ergebende  Unklar- 
heit wirkt  auch  v.  5129.  Seh.  kommt  (s.  391)  durch  anderweite 
Überlegung  zu  demselben  Schlüsse.  Berker  gehört  nicht  in  den 
Rother.  die  französische  litteratur  muss  die  dienstmannensage  er- 
klären. 

Was  den  Ortnit  betrifft,  wird  die  alte  Hazdingenerfindung 
nicht  ohne  höhn  verworfen,  dann  brauchte  Voretzschens  gewalt- 
same reconstruction  eines  Urhuon,  aus  dem  auch  der  Ortnit  her- 
vorgegangen wäre,  keine  neue  eingehende  Widerlegung:  der  ver- 
gleich der  nordischen  und  deutschen  Überlieferung  und  namenthch 
die  figur  des  llias  ergibt  ohne  weiteres ,  dass  beide  teile  des  ge- 
dichtes  selbständig  und  vor  der  Verbindung  mit  Wolfdietrich  vor- 
handen waren,  der  sich  nun  auch  nicht  mehr  des  Berners  schwer 
unterzubringende  drachenkämpfe  anhängen  zu  lassen  braucht:  erst 
durch  diese  Verbindung,  die  den  tod  Ortnits  zu  rächen  und  die 
italienische  herschaft  zu  motivieren  möglich  macht,  wird  er  zum 
drachenbesieger.  den  älteren  (fränkischen)  Ortnit  glaubte  ich 
(Münch.  Osw.  s.  291  ff)  schon  etwa  1170  ansetzen  zu  müssen,  ein 
gedieht  von  etwa  1200  (s.  4ü0)  scheint  mir  so  unerweislich  wie 
überflüssig:  nichts  zwingt  uns  anzunehmen,  dass  vor  A  ein  Ortnit- 
dichter  von  Wolfdietrich  gewust  habe. 


DIE    GEDICHTE    UND    DIE    SAOK    VUN    WOLFDIETRKII 


»9 


Noch  einiges  einzelne  sei  aufserdem  beraerl<t. 

Das  auftreten  einer  Sigerainne  von  Frankreich  als  gattin  des  jün- 
geren Hugdietrich  in  DFL  2351  ff  beweist  (gegen  s.  202),  dass  in  dem 
Wolfdietrichgedichte  das  dem  verf.  vorlag  beide  namen  enthalten 
waren,  er  benutzt  sie  nach  seiner  art  innerhalb  der  geschlechtü- 
geschichte  für  andre  personen.  die  verse  enthalten  nicht  confuses 
gerede,  sondern  neue  erfindung.  —  unfertig  (wie  übrigens  auch  der 
vergleich  von  DFL  s.  202)  ist  des  Verfassers  ansieht  von  der  lUmip 
episode,  die  in  der  anm.  zu  s.  227  doppelt,  und  dann  noch  25<lf 
weitergebildet  wird,  diese  episode  wird  der  nieerweibererzählung 
im  .Münchner  Osw.  650  ff.  gleichgesetzt,  aber:  Wolfdietrich  lässt 
sich  D  VII  1 1  5  ff  gern  von  dem  ungeheuren  waldweibe  zu  ihren 
genossinnen  bringen,  w^ird  wo!  bewirtet  und  bereitwillig  davcm- 
geführt;  Oswalds  rabe  wird  von  einem  meerweibe  ins  wasser  ge- 
zogen, von  ihr  und  den  ihrigen  (auf  spielmännische  anforderung; 
bewirtet,  der  entführerin  was  vröide  mit  ime  gedälit  iG63;,  der 
rabe  entkommt  durch  list.  tertium  comparationis  einzig  die  be- 
wirtung  bei  wunderweibern : 


Münch.  Osw.  695 
balde  hiez  sie  tragen  her 
semele  undc  guoten  win 
linde  u-az  da  reines  mohte  gestn, 
zamez  iinde  wilthrcete, 
guoter  koste  allez  gercete, 
der  allerbesten  splse  genuoc. 


Wolfd.  D  VII  131.  3 
Röme  diu  alse 
hiez   dar  tragen    den    win. 
darzuo  die  guoten  spise: 
im  wart  dö  tugent  schtn 
zum  und  wilthrcete, 
fleisch  und  manegen  visch 
mit  guotem  loillen  stcete 
bräht  man  üf  den  tisch, 
goltvaz  unde  schalen, 
der  heten  sie  genuoc. 

Wie  wenig  das  bedeutet,  ergeben  Or.  1532  ff  und  Berger  /.u 
der  stelle,  Herzog  Ernst  B  32 16  ff,  Wolfd.  B  55(i,  DFL  745  ff 
usw.  auch  wenn  wir  Dresd.  IIb.  2i)0ff  hinzunehmen,  wird  nichts 
gewonnen,  falls  wir  nicht  die  da  erzählte  Verzauberung  (und 
lösung)  Wolfdietrichs  der  list  des  raben  gleichsetzen  wollen.  da.s.s 
die  A'2  und  D  vorausliegende  fassung  des  Wolfd.,  also  W,  diese 
geschichte  an  den  Oswald  abgegeben  habe,  ist  danach  abzulehnen, 
noch  weiter  ab  führt  die  anmerkung,  die  den  \/ager  uyt  (J riehen' 
einbezieht,  der  wird  von  einem  menschenfresserischen  waldweibe 
geraubt  und  entkommt  mit  list.  im  lied  scheinen  *die  leckerbis.sen 
die  die  riesin  kennt,  freilich  nur  gebratene  menschen  zu  sein':' 
daa  wäre  die  entsprechung  zu  dem  angebot  von  zaniem  undc  wilf- 
hratel  dass  sie  ihre  tochtor  anbietet,  müste  dem  angeführten  vrrs. 
Münch.  Osw.  663  entsprechen,     natürlich  kann  diu  gewonnene  ur 


'  eher  passt  hierzu  die  erzUhluiii;  D  V  GOfi.   «< 
W.'s  niarner  brät  (vgL  s.  325). 

A.  F.   1).  A.      XXXVIII. 


itnnt  ungeMiire 


50  BABSECKE    ÜBEK    SCHNEIBER 

form  der  vier  berichte  dann  nichts  characteristisches  mehr  enthalten, 
die  in  die  anmerkung  eingeschobene  Vermutung,  dass  auch  W.  ur- 
sprünglich mit  einem  meerweibe  zu  tun  hatte  —  'dann  freilich 
könnte  W  das  abenteuer  nicht  in  dieser  form  enthalten  haben'!  — 
scheint  mir  also  nicht  discutabel.  ich  will  damit  nicht  behaupten, 
dass  der  Jager  uyt  Grieken  nicht  anderweit  mit  dem  Wolfd.  zu- 
sammenhänge. 

Mit  dem  Hürnen  Sewfried  (1()0)  hat  der  Woifdietrich 
(D  VII  52)  auch  den  astronomen  gemein,  desgleichen  das  drei- 
tägige hungern  auf  der  spur  des  drachen  (36),  sodass  wir  die 
'Historie  vom  gehörnten  Siegfried"  nicht  in  anspruch  zu  nehmen 
haben,  das  bloise  schwert  beim  beilager  (B  580)  auch  im  Engel- 
hard, zu  A  393  (man  entdeckt  frühmorgens,  dass  die  bürg  be- 
lagert ist,  und  weckt  die  seinen),  stellt  sich  aufser  Haimonskinder 
326,  18  ff  auch  Kudr.  1355  ff.  was  die  Crescentia-  und  Genoveva- 
legende  betrifft  (31  Off),  so  ist  jetzt  Panzer,  Sigfrid  3  7  f,  5;j  f  zu 
vergleichen.  weitere  belege  für  die  vater-tochterheirat  Münch. 
Osw.  s.  267  und  PBBeitr.  11,  448  f. 

S.  313  f.  vergleicht  Schneider  nach  E.  H.  Meyer  Zs.  38.  87  ff 
im  vorübergehn  die  verwantschaft  der  Marpaly  mit  Hippodameia 
und  Harpalj^ke,  deren  sagen  dann  aber  schon  contaminiert  sein 
raüsten.  ich  denke  vielmehr  an  die  Marpessa  ('die  entführte', 
zu  fjtäQitrsLv),  deren  vater  Buenos  wie  Oinomaos  die  freier  seiner 
tochter  zu  einer  Wettfahrt  herauszufordern  und  die  köpfe  der  be- 
siegten auf  den  mauern  seines  palastes  aufzupflanzen  pflegte. 
Idas,  og  xd^TiOTog  e/iix^^oviojv  ysvsT  dvÖQäJv  twj/  töts  (11. 
IX  557  f,  das  übrige  in  den  schollen  zu  dieser  stelle),  besiegt  ihn 
und  entführt  die  tochter  mit  hilfe  von  Poseidonrossen,  verfolgt 
verschwindet  er  in  einem  flusse,  wie  Woifdietrich  in  jenem  zauber- 
see.  vielleicht  gewinnt  die  parallele  an  bedeutung  dadurch  dass  auch 
Wolfdietrich  ursprünglich  die  heidentochter  würklich  errang,  vgl. 
Döhring  Arch.  für  relig.-wiss.  5.  43  ff. 

Der  versteckname  Dietrich  im  ronian  von  Loher  und  Maller 
wird  (s.  368)  einleuchtend  auf  Rothers  bezogen,  Rothers  versteck- 
name (s.  391)  auf  Wolfdietrich:  überall  der  treue  herr,  der  un- 
erkannt zu  den  notliaften  mannen  kommt,  aber  ich  möchte  doch 
daran  erinnern,  dass  derselbe  versteckname  unter  andern  umständen 
im  Friedrich  von  Scliwaben  benutzt  wird;  auch  Berthold  von  Holle 
kennt  und  verwendet  das  motiv  im  Crane. 

Die  correctur  des  buches  ist  nicht  zu  loben  (es  steht  u.  v.  a. 
s.  "231  zweimal  'Möhringer',  s.  318  'Naphtalifeuer"),  zu  brandmarken 
aber  ist  eine  nicht  geringe  menge  von  stilistischen  scheufslich- 
keiten,  um  so  mehr,  als  sie  nicht  in  sprachlicher  schwäche  ihren 
grund  haben  —  das  zeigt  manche  glücklich  kühne  wendung  — . 
sondern  in  etwas  hochfahrender  nachlässigkeit.  s.  9  'drei  bruch- 
stückweise Veröffentlichungen',  s.  18  'Theoderichs  Jugendgeschichte 
als    völlig    deckende    grundlage    derjenigen    Wolfdietrichs    be- 


DIK    GEDKUITK     VN\)     DIK    SAOK    VON     Woll  Dl  KTKJfH  ;  j  1 

zeichnet',  s.  :^S  "proteusgestaltige  meerfrau",  s.  »)2  Uld.sn  \i  V 
von  Alberidi  nichts  erzählt,  ist  i<ein  notwendiger  beweis',  8.  95 
'genaue  anklänge',  s.  2(;3  'das  abhängigkeitsverhältnis  vom  Iwein', 
s.  344  "dass  diese  partieeu  einen  nachträglich  aufge|)frnpften  ein- 
druck  maclien",  s.  SSO  'sage  von  den  zwei  brüdern ,  von  denen 
der  eine  einem  ungeheuer  zum  opfer  fiel,  während  der  andere 
ihn  rächte  und  die  band  seiner  gattin  errang"  usw.  nur  ganz 
reine  gemüter  aber  werden  s.  H)7  ohne  heiterkeit  lesen:  'wie 
der  von  Sidrat  gespendete  ring,  stärkt  er  |der  ring]  also  die 
manneskraft  [d.  h.  körperkraft]  und  schützt  gegen  die  würmer' 
|d.  h.  drachen|.      auch  dieses  muste  gesagt  sein. 

Königsberg  i.  Pr.,   IT.sept.  1913.  Oeorg  Baesecke. 


Der  Laubacher  Barlaam  eine  dichtiin;^  dos  bischofs  Otto  11  von 
Freising  (1184—1220)  lu-sg.  von  Adolf  Perdisch.  [Bibliotliek  des 
Lltterarischen  Vereins  in  Stuttgart  (-CLX.1  Tübingen  \'.)\?, 
XXXII  u.  574  sa.    8  «. 

Auf  seine  fleifsige  dissertation  über  die  Barlaamübersetzung 
<les  bischofs  Otto  hat  Perdisch  nach  zehnjährigem  umgang  mit 
dem  texte  nun  die  erste  gesamtausgabe,  mit  kritischen  an- 
merkungen,  folgen  lassen,  inzwischen  hat  er  erkannt,  dass  der 
angefügte  epilog  diesen  Otto  wortspielerisch  bestimmt: 
16680  er  ist  ein  hischof  also  f'r'i; 
singen  sulen  wir  nu  sä  .  .  . 
und  damit  ist  eine  völlige  Verschiebung  der  perspective  bewirkt: 
es  ist  nicht  mehr  aus  der  spräche  zu  beweisen,  dass  unter  den 
zur  Verfügung  stehnden  bischöfen  namens  Otto  ein  schwäbisch- 
bairischer,  also  Otto  II  aus  dem  ostschwäbischen  geschlechte  der 
grafen  vBerg,  der  verfassei*  sei,  sondern  wir  erhalten  umgekehrt 
—  das  ist  eine  authentische  günstige  kritik  an  Perdischs  vor- 
arbeiten —  ein  fixiertes  gedieht  und  können  einmal  sehen,  wie 
sich  einer  der  viel  in  anspruch  genommenen  litterarischen  misch- 
dialecte  in  Wahrheit,  ausnimmt,  d.  h.  soweit  man  das  echte  er- 
kennt: wir  haben  nur  eine  md.  handschrift  des  ausgehnden 
14  Jahrhunderts  mit  correcturen  z.  t.  nach  der  vorläge.  P.  setzt 
sie  ins  nihd.  um  —  auoli  ich  wüste  nicht,  was  er  besseres  hätte 
tun  können,  wenn  auch  seine  formen  manrhmal  gar  zu  riebt ie:  aus 
sehen  und  das  ganze  natürlich  doch  zu  iioiinal  und  modern  {jemacbt 
wird  —  und  bemüht  sich,  von  Schrödfr  und  der  lateinisclifD 
vorläge  unterstützt,  redlich  und  oft  {,'lückli<li  um  die  herstellun? 
des  an  sich  wenig  aufmunternden  textes.  mir  wenigstens  wurde 
die  lectüre  dieses  langausgesponnenen,  immerfort  widersprach 
reizenden  askesenwesens  fast  selbst  eine  asketische  Übung,  denn 
die  erfrischung  durch  die  eingetlochtencn  etlichen  parabeln  oder 
<lie  griechischen  göttertaten  in  christlichrm  hohlspiei;el  hält  nicht 

4' 


52  BABSECKE    ÜBER    PERDISCH 

lange  vor,  und  es  bleibt  an  freuden  kaum  mehr  als  jene  behag- 
liche emptindung  des  wolerworbenen  schwebens  über  dem  allge- 
meinen sprach-  und  Zeitgefühl,  das  aller  altdeutschen  lectüre 
zugehört  und  so  friedlich  über  sturmentrückte,  verklärte  und 
doch  eigne  Vergangenheiten  dahinträgt;  dazu  freilich  einige  ver- 
lorene klänge  des  spielmännischen  epos  (vil  wunderlichen  dräte 
1981,  Minige  :  Bahilonie  5807  u.  dgl.  oder  gar  muspillifügungen 
wie  altfiant  2782,  aller  sorgen  meist  2754,  vgl.  16  462),  über- 
haupt das  altertümlich-ungeschickte,  dessen  man  unter  dem  un- 
mittelbar erhaltenen  (und  dem  gedruckten)  noch  mehr  ahnt. 

Dass  aufserdem  der  philologe  auf  seine  rechnung  zu  kommen 
suchte,  mögen  folgende  vorschlage  zum  texte  dartun:  36  lis  da 
begund  es  manic  man.  —  401  1.  da  [h]er  an  sinem  buoche  seit. 

—  640.  5815.  14  200.  14  542.  die  (schon  §§  44  f  der  dissertation) 
dem  bairischen  dialect  und  der  Zwierzinaschen  regelung  der  e- 
bindungen  zuliebe  escamotierten  reime  mere  :  waire{n)  und  ynere  : 
erloescere  sind  für  damals  gefahrlos:  bemerkung  zu  6187.  — 
1197.,  warum  von  der  Möre  (oder  Mmre)  lande  aufgeben?  vgl. 
Kudrun.  —  1317.  vgl.  die  bemerkung  zu  10  492.  —  1561  ff  1. 
daz  er  verholen  deste  haz  möhte  smen  willen  vollenhringeyi  allen 
nach  nolens  ad  noticiam  patris  sui  meditata  per  venire,  ^Historia 
duorum  Christi  militum  e  graeco  in  latinum  versa'  in  Joan. 
Damasceni  .  .  .  omnia  .  .  .  opera,  Basileae  1535,  s.  12.  —  1908f 
1.  also  du  von  kinde  tvcerest  min  gesinde  nach  quasi  aliquem  de 
familiaribus  et  coaetaneis  meis  aao.  s.  15.  —  1929.  1.  beslagene. 

—  1959.  1.  daz  er  daz  niht  rceche.  —  2311.  1.  des  wart  er  vol 
verstözen.  —  2405.  1.  sie  jähen  in  grözer  gewalt  (fem.).  —  2411. 
1.  an  die  sunnen  und  die  sterne;  an  <  vn.  —  2581.  der  latei- 
nische text  gibt  für  tvortwlse  (statt  des  überlieferten  mortivtse) 
keinen  anhält.  —  die  änderung  von  2584  f  scheint  mir  willkür- 
lich. —  2752.  1.  alles.  —  2762  anm.  ein  nachnotkerischer  beleg 
für  eines  dhiges  borgen  bei  Wilmanns  GGA  1906,  26.  —  2769. 
1.  sie  sprächen  fremdicliche  nach  coeperunt  variis  Unguis  loqui 
s.  21.  —  2782.  1.  altfiant  wie  Musp.  44.  —  3374.  1.  (Zes  ist  erde 
und  luft  diu  tiurre.  — ■  3498.  1.  län  Lazarum  (haplographie);  vgl. 
3509.  3738.  —  3534.  1.  daz  er  in  baz  bediute. —  4148.  1.  strebet 
statt  sterket  [vgl.  die  anm.].  —  4247  ff  1.  wie  überliefert  ist: 
Swer  zürnet  wider  den  bruoder  sin,  der  hat  verlorn  die  hulde 
min,  tuot  erz  äne  schulde;  so  muoz  er  mine  hulde  darumbe  wol 
gewinnen  mit  rehte  und  ouch  mit  minnen.  nur  der  erste  ge- 
danke  war  gegeben:  omnis  qui  irascitur  fratri  suo  sine  causa, 
reus  erit  iudicio  s.  33.  —  4261.  daz  altäre,  gemäls  dem  latei- 
nischen neutrura,  ist  zu  belassen;  vgl.  Grimms  Wörterbuch.  — 
4320.  1.  wan  der  schätz  ie  gar  vergät.  —  4534.  (em)  ist  über- 
flüssig: vgl.  vil  5625,  6342:  die  hervorhebenden  vil,  gar,  wol 
sind  im  mhd.  stärker  betont  als  im  nhd.,  können  auch  vor  ihrem 
adjectiv  den  ictus  tragen;  vgl.  zb.  WOswald  s.  xl.  —  4650.  L 


LAUBACHER    BARLAAM  53 

des  statt  daz  und  vgl.  den  apparat  zu  3582.  —  471'Jf.  1.  er 
enmac  samt  gedienen  got  mul  dru  rlchtuomen  nach  von  potestLs 
dco  servire  et  mammonae  s.  3fi  und  vgl.  die  reime  4015.  5917. 
15  332,  auch  die  bemerkungen  zu  640  u.  (»IST.  —  4764.  1.  ein 
kör  der  marteroire  nach  mnrtgrum  chorus  s.  37.  —  5168.  1. 
grözes.  —  5266.  ist  miniu  gemeint?  —  5521.  din\  vgl.  Gr.  Gr. 
IV  621.  —  5618.  l  jämerdirher,  vgl.  5621.  —  5815.  vgl.  die 
beraerkung  zu  640.  —  6187  und  dgl.  1.  ddlite  :  bnrhte.  die 
Schreibung  hrähte  beruht  auf  der  für  unsern  text  falschen  Voraus- 
setzung, dass  in  den  reimen  auf  —  ^  die  vocale  der  ersten  silben 
gleich  sein  müsten  (woire  :  Järe  14  568!);  ebendarauf  grofsenteils 
die  in  §§  4  6  ff  der  dissertation  für  den  unilaut  gezogenen  folge- 
rungen:  vgl.  die  bemerkung  zu  47  19 f.  —  6263.  en  ist  in  einer 
hs.  vom  ende  des  14  jh.s  schwerlich  zusatz;  lieber  niht  ^  iht.  — 
6751  u.  8120.  fehlen  des  niht  bei  enwil  wird  archaisch  sein,  die 
fälle  stützen  sich  gegenseitig,  im  ersten  hindert  auch  das  metrum 
den  Zusatz,  entsprechend  lis  v.  8286  emrart  ohne  aiht.  — 
6811.  1.  ziehen  an  wie  6814  ahe  ziehen  nach  dem  lateinischen 
qiiod  nullo  modo  ex  quo  induimus  e.ruere  licet  s.  58;  vgl. 
daz  er  ein  kleine  pelzelhi  anzöch  Willeh.  84,  23.  —  7151.  1.  .so 
sin  dhi  schilt  toid  din  swert:  der  reim  erklärt  sich  aus  swe  >  so: 
Einführung  ins  ahd.  §  73,  2d.  —  7541.  ged'ihen  :  r'tchen  ist  mir 
sehr  unwahrscheinlich,  zu  7542  hat  das  lateinische  nichts  ent- 
sprechendes :  et  in  ipso  abunda  crescens  et  proficiem  et  botuim 
e.rerce  militiam  s.  63.  —  8051.  1.  ungehörsmnen.  —  8120.  vgl. 
die  bemerkung  zu  6751.  —  8286.  desgl.  —  8430.  keine  Zu- 
sätze: magnorum  et  ipse  pro2)ter  me  parvum  ef'ficieris  purticeps 
dci  bonorum  s.  70.  —  8856.  schcrnc  herte  ist  schwerlich  richtig, 
vgl.  praerupta  quaedam  pedibus  et  vianibus  reptando  —  ad 
crepidinem  montis  cuiusdam  peruenit  s.  73.  —  9493.  1.  {sjune 
wol  in  des  gelüste  nach  non  osculatus  est  pater,  ut  solebat,  sed 
indignato  et  quasi  irato  similis  ingresNUs  est.  —  hinter 
9898  ist  kolon  zu  setzen.  —  10  035  f.  shien  sun  den  meinte  dö 
der  vater  mit  der  starken  drb'i  vgl.  havc  patre  minautc  et  cum 
ira  discedente  s.  83.  —  10  492.  1.  xces  shi  rede  wa.s  so  kar<* 
nach  mirabatvr  quidem  in  sufisione  verbi  et  responsiotiibus  eins 
acutissimis  s.  85.  ayiz  ist  für  ircs  eingetreten  wie  du:  für  rf»« 
(3582.  4650).  die  berufung  auf  1317  verfängt  nicht,  dort  ist 
vielmehr  zu  lesen  ivaz  krist  wcre.  gotes  sun  nach  praecepit 
etiam,  ut  nee  modicum  verbum  de  Christo  et  de  ipsius  dogmatibus 
penitus  audiret  s.  7.  —  12  943  f.  1.  dan  f'uorte  sä  den  selben 
man  daz  selbe  volk,  daz  in  nnm  nach  postea  edwreruni  eiun  inde 
qiä  cum  introduxerant  s.  105.  —  13  13S  u.  13  741.  haben  di.- 
starken  vocative  Bahilönischiu  slaht  und  reiniu  srtr  urkundliche 
gewähr?  —  13  191.  1.  gotheite.  —  13703.  das  komma  ist  zu 
streichen.  —  14  200.  vgl.  die  bemerkung  zu  640.  —  14  229  f.  I. 
ßöz   zuo    vil   mange   sträzen.   —    14  234  f.    1.   die  Hute  face.)  entet 


'54  BAESECKE    ÜBER    PERDISCH 

daz  äne  danc  emveder  vorhte  noch  gedranc  (getwanr)  nach  timor 
et  coactio  minime  frahebat  populum  s.  115.  —  14  468  f.  1.  er 
naget  im,  daz  enw(ere  niwan  ein  got  here  (diss.  s.  45  und  oben 
zu  4719  f),  —  14  532  f.  der  reim  verdienten  :  lebeten  ist  zu  be- 
lassen; vgl.  16  272  ein  e  :  sträze  u.  ä.  —  14542.  vgl.  die  be- 
merkung  zu  640.  —  14  871.  und  daz?  vgl.  sed  impedivit  me 
patris  mei  obstinaüo  s.  120.  —  15  003.  im  lateinischen  fehlt 
etwas  entsprechendes,  in  bergen  und  in  albev  ist  mir  höchst 
unwahrscheinlich.  —  15  332  f.  inlten  :  guoten  ist  nach  den  Le- 
merkungen  zu  47  19f.  6187  unanstölsig. —  15  751.  die  klammer 
muss  fallen:  du  ist  relativisch:  vgl.  gloria  tibi  Christe,  rex  vni- 
versorum  et  deus  benignissime,  quia  complacuit  tibi  s.  128.  — 
15885.  dm  (ztt)  behalte  ich  trotz  12010  und  13004  (daz  zif) 
bei:  auch  andre  werte  (geivalt,  Urkunde)  kommen  hier  mehr- 
geschlechtig  vor.  —  16  620.  1.  dar  du  min  ahhte  hwte 
gedältt. 

In  der  einleitung  macht  das  hauptsttick  die  geschichte 
Ottos;  was  die  Überlieferung  seines  werkes  usw.  betrifft,  so 
konnte  trotz  der  eingetretenen  Verschiebungen  i.  a.  auf  die 
dissertatiou  verwiesen  werden,  hervorgehoben  wird  eine  ände- 
rung  in  den  metrischen  anschauungen  durch  vKraus,  die  nun 
auch  die  textgestaltung  beeinflusst  habe,  indessen  fühlt  der 
herauRgeber  selbst,  dass  er  mit  der  gerühmten  declamation  des 
Verses  der  willkür  das  tor  öffnet,  in  Wahrheit  dient  die  be- 
schwerte hebung  {do  stuont  er  nf  unde  sprach)  nicht  so  sehr 
der  declamation  als  der  natürlichen  betonung,  und  der  vers 
bleibt  doch  wol  der  declamation  übergeordnet,  solange  überhaupt 
in  versen  gedichtet  werden  soll:  zehen  tn.sent  pfünf  war  bisher 
unmöglich,  und  auch  ein  gravis  kann  nicht  darüber  hinweg- 
täuschen, dass  eine  neben-  zwischen  zwei  haupthebungen  ihnen 
gegenüber  eine  Senkung  ist.  weder  wird  hier  so  die  un- 
erschwinglich hohe  summe,  noch  anderswo  staunen  usw.  rhyth- 
misch wiedergegeben  —  man  kann  ja  diese  art  der  einfühluiig 
bekanntlich  leicht  verhöhnen,  wenn  aber  ztvel  jär,  drt  ndmen 
mit  iüsent  pfunt  als  nachdrücklich  betonte  Zahlwörter  zusammen- 
gestellt sind,  so  scheint  fast  die  keuntnis  der  Hildebrandschen 
gesetze  des  germanischen  satzaccents  zu  fehlen,  in  der  tat 
beruht  wol  die  metrische  herstellung  des  textes  nicht  auf  syste- 
matischer durcharbeitung :  er  ist  zuweilen,  aber  nicht  immer, 
durch  Zusätze,  abstriche,  zerdehnungen  (und  declamation?)  einem 
normalbau  angeähnlicht,  der  mir  ebenso  anachronistisch  sein 
würde  wie  die  beanstandete  regelung  der  klingenden  reime  (vgl. 
zb.  V.  4534.  2462.  15  095;  13  287  und  13  426,  13  878  und 
13  932  usw.). 

Gute  dienste  hat  mir  die  dem  text  vorangestellte  dispositiou 
geleistet,  dass  dem  Wörterverzeichnis  grofsenteils  die  nlid.  Über- 
setzungen fehlen,   ist  eine  überflüssige  Vornehmheit;    auch  fehlen 


F>AUHA(IIKI<     liAAUI.AAM  55 

vorbehalte  bei  conjecturen  (zb.  altäre,  zlt :  urküwh  ist  v.  'iS^W 
stm.).  der  druck  ist  sorgfältig,  härteic  anstöfse  verzeiclni»-  icli 
aus  V.  :-iOl6  (streiche  der\  r)G()2   (.siV  fehlt),   r2(iyo  imuhtu). 

Mail   muss   dem  herausgeber  wahrlich  dank   wissen  für  eine 
so   langwierige   treue  mühewaltung      sclion  weil  er  die  hundert- 
fach schwerere  arbeit  kritischer  herstellung  einem  einfachen,   iin 
angreifbaren  handschriftenabdruck   vorzog. 

Königsberg,    11    october    HMC.  <;,.<.rt'  Kaeseeke. 

Nachträglich  höre  ich,  dass  der  herausgeber,  der  nach 
manchen  vergeblichen  angriffen  andrer  als  erster  diesen  bösen 
text  zwang,  sein  leben  für  das  Vaterland  gegeben  hat.  sein 
werk  hatte  nicht  nötig,  um  solcher  Verklärung  willen  mildere 
mafsstäbe  des  Urteils  zu  fordern,  ujid  so  brauchte  oben  kein 
wort  geändert  zu  werden,  aber  hättf,-  doch  der  geist  strenge»- 
und  unerbittlicher  arbeit,  der  aus  diesem  buche  spricht,  wurzel 
geschlagen  wenigstens  in  einem  oder  dem  andern  seiner  jugend- 
liehen Schüler,  dass  er  dereinst  wider  aufblühe  und  frucht  trage' 

K.,  28  november  11»  16.  <;.  U 


Tristan  and  Isolt.  a  study  of  the  sourccs  of  the  roniaiice  bv 
Gertrude  Schoepperle  (New  York  Lniversity,  üttendorfer Memorial 
Series  of  Germanic  -Monographs  no  3.1  Frankfurt  a.  M.  Joaepli 
Bacr,  London  David  Niitt,  19i;i    2  bde  XV  u.  590  »s.  s".  —  15  m. 

Mit    dem    erscheinen    des    zweiten    bandes    der    Hedierscheu 
Thomasausgabe  (1905)   ist  der  höliepunct  derjenigen  richtung  der 
Tristanforschung  erreicht,  die  im  gegeusatz  etwa  zur  hedertlieorie 
Heinzeis    die    biographische    h'ebesgeschichte    der    erfindung    eines 
einzigen  dichters  zuschreibt,     nach  B<$dier  habe  ein  um  die  mitte 
des   12  jh.s   lebender    dichter  einen  solchen  biographischen  roman 
verfasst,  und  dieses  'poeme  primitif  --   der  IVtristan  Ciolthers 
sei  die  gemeinsame  und  alleinige  (|uelle  der  bis  auf  den  heutigen 
tag  erhaltenen,   ja   sogar  aller  je  geschriebenen  ■i'ristaruliohtungen 
gewesen,     lidroul,  die  frz.  quelle  Eilharts,  die  Kolie,  'ihomas  und 
der   frz.  prosaroman    (dh.  die    von  Bedier    im    anliang   seiner  aus 
gäbe   abgedruckten   stücke)   seien    voneinander   unabhängige   bear 
beitungen    jenes    alten,    von    Bedier    und    (iulther    sogar    'recon- 
ötruierten'    gedichtes.       das    vorfindliche    material ,    welches   dieser 
dichter    seinem    werke    einzuverleiben    vermochte,    habe   zur   au^J 
füllung     einer     planmäfsig    forttchreiteiiden     diditung     nicht     au?« 
gereicht. 

Ähnliche  ansicLten  liat  die  aus  der  schule  Bedi«  r^  kommende 
Verfasserin  des  vorliegenden  >\erke8  in  aufsätzen  und  referaten  ver 
breitet,  da  sie  noch  mit  dem  abfassen  desselben  beschäftigt  war. 
das    DUO    erschienene   buch  enthält   indes  in  mancher  hinsirlit  ein«' 


56  KELEMFNA  ÜBER  SCHOEPPBRLE 

allerdings  in  den  verehrungsvollsten  worten  gehaltene  abkehr  von 
Bediers  ansichten.  wol  heilst  es  noch  in  der  einleitung  (s.  5), 
das  buch  habe  es  sich  zur  aufgäbe  gestellt,  die  ansieht  Bediers^ 
es  seien  die  vorhandenen  texte  von  einer  früheren  biographischen 
dichtung  abhängig,  zu  stützen,  doch  gleich  darauf  werden  die  fort- 
setzung  Börouls  und  einzelne  partieen  der  frz.  prosa  hie  von  aus- 
j^enommen  und  die  möghchkeit  betont,  es  giengen  die  erwähnten 
fassungen  auf  eine  vom  biographischen  roman  unabhängige,  ja 
sogar  früher  als  dieser  geschriebene  version  zurück,  nach  der 
Verfasserin  vorläufiger  aufstell ung  ist  dieser  roman  —  den  sie  im 
hinblick  auf  Beroul  1789  die  'Estoire'  nennt  —  lediglich  die 
quelle  gewesen  der  Beroul- Eilhardfassung,  des  Thomas  und  der 
Berner  Folie,  weitere,  nicht  minder  belangreiche  abweichungen 
von  B^dier  ergeben  sich  bezüglich  des  mutmafslichen  Inhalts  des 
urgediehtes.  die  von  Bödier  und  Golther  bei  der  herstellung  des 
urgedichtes  —  dieses  litterarischen  homunculus  —  angewandte 
methode  wird  von  der  Verfasserin  verurteilt,  wol  wird  bei  der 
auswahl  der  für  das  urgedicht  in  betracht  kommenden  züge  eine 
gewisse  mathematische  exactheit  vorgetäuscht,  die  man  doch  in 
solchen  Sachen  nicht  haben  kann,  allein  eine  nähere  Untersuchung 
zeigt  bald,  wie  sehr  bei  der  reconstruction  'erwägungen  des  ge- 
schmackes,  des  gefühles  und  der  logik  mitgewirkt  haben',  in 
vielen  fällen  entspricht  die  aus  künstlichen  compromissformeln 
bestehnde  widerherstellung  keiner  einzigen  dichtung  mehr,  es 
kann  eben  sache  des  litterarhistorikers  nicht  sein,  zugrunde  ge- 
gangene dichtungen  aus  unzulänglichen  trümmern  wider  aufzu- 
bauen, den  Ursprung  und  die  entwicklung  der  Tristansage  zu  be- 
leuchten, war  das  ziel  der  Verfasserin;  um  für  die  sage  einen 
litterarischen  hintergrund  zu  gewinnen,  war  es  notwendig,  das 
gesamte  höfische  und  volkstümliche  material,  wie  es  eben  von  den 
unterschiedlichen  Versionen  geboten  wird,  im  Zusammenhang  mit 
analogen  erscheinungen  der  französischen,  skandinavischen  und 
keltischen  litteratur  zu  untersuchen;  es  stellte  sich  hierbei  heraus, 
dass  die  frz.  quelle  Eilhards  das  ihr  von  wo  immer  zugekommene 
material  —  allen  ambitioneu  selbständiger  poetischer  betätigung 
entsagend  und  sogar  unter  hintansetzung  offenkundiger  Wider- 
sprüche — ,  soweit  es  gieng,  unverändert  in  den  rahmen  der  er- 
zählung  aufnahm,  andere  Versionen  —  dies  geht  namentlich  auf 
Thomas  —  waren  gegenüber  dem  zu  behandelnden  stoffe  nicht 
von  derselben  pietät  beseelt,  sicherlich,  das  hat  man  ja  bislang 
auch  so  geglaubt,  dass  Eilhard  und  Beroul  altertümlicher  seien  als 
Thomas;  nur  ist  diese  altertüralichkeit  noch  kein  beweis,  es  sei 
Thomas  von  jenen  beiden  dichtungen  inhaltlich  zwar  völlig  ab 
hängig,  nur  habe  er  sich  ab  und  zu  abweichungen  und  Umände- 
rungen nach  eigenem  gutdünken  und  geschmack,  jedoch  ohne 
anderweitigen  quellenmäfsigen  anhält  vorzunehmen  erlaubt,  zu 
solchen  anschauungen  wird  man  sich  kaum  bekehren  können,  so- 


TRISTAN    ANT)    ISOLT  57 

lange  die  Verfasserin  die  existenz  einer  \m  der  -Estoire"  uiiab 
händigen,  sogar  älteren  litterarisclien  tradition  annimmt  und  sich 
in  Thomas  züge  finden,  die  speciell  durcii  die  prosa  beglaubigt 
werden,  wie  hat  man  sich  überhaupt  das  Verhältnis  der  beiden 
traditionen  zueinander  vorzustellen?  wäre  es  nicht  geratener  ge- 
wesen, statt  durch  allerhand  erzwungene  erkläriingskünste  Thomas 
gewaltsam  einer  fraglichen  'Estoire'  unterzuordnen,  die  elemente 
der  unterschiedlichen  traditionen  in  den  vorhandenen  texten  fest- 
zustellen und  dann  erst  zu  scheraatischen  Stammbäumen  zu 
schreiten  ? 

BezügUch  der  Inhaltsangabe  der  Eilhardscheu  dichtung 
(s.  11  ff)  ist  zu  bemerken,  dass  Seh.  wol  erst  verhältnisraäfsig 
spät  auf  die  eigentümlichen  Schwierigkeiten  aufmerksam  ge- 
worden ist,  die  in  der  Überlieferung  dieses  werkes  liegen,  und 
weiterhin  auf  die  arbeiten  Kniescheks  und  Gierachs,  sodass  deren 
resultate  auf  die  Untersuchung  keinen  durchschlagenden  einfluss 
ß-ewonnen  haben,  und  sich  die  Verfasserin  gezwungen  sah,  diesen 
Schwierigkeiten  in  einem  etwas  sonderbar  anmutenden  'anhang' 
gerecht  zu  werden. 

In  der  hierauf  folgenden  kritik  des  Bödierscheu  urgedichtes. 
kommt  Seh.  am  schluss  eines  jeden  abschnitte?  regelmäi'sig  zur 
Überzeugung,  es  spiegle  der  Eilhardsche  bericht  (iic  Verhältnisse 
der 'Estoire'  wider;  die  allenfalls  abweichenden  berichte  der  übrigen 
Versionen  seien  Umarbeitungen  und  die  reconstruction  Bediers  an 
solchen  stellen,  in  denen  sie  sich  von  Eilhard  entfernt,  sei  dann 
verfehlt. 

Der  glaube  an  die  unbedingte  vortrefflichkeit  der  Eilhanischen 
Version,  der  sich  der  Verfasserin  mehr  und  mehr  verdichtet,  führt 
sie  schliefslich  halb  unbewust  zur  völligen  gleichsetzung  der  frz 
quelle  E.s  mit  der  'Estoire'  (s.  111)!  ein  fortschritt  gegen  B(''dier 
und  Goltlier  ist  aber  an  diesem  puncte  immerhin  zu  constatieren : 
die  Verfasserin  betrachtet  die  'E^stoire*  weder  als  das  urbild  aller 
dichterischen  Vollkommenheit  noch  als  eine  absolute  neusclnipfung 
Cthis  poem  represents  in  our  opiiiion  a  late  development  of  the 
tradition',  s.  75  anm.  2);  hierin  begegnet  sich  Seh,  mit  einer  von 
W Förster,  Cliges-'  s.  i.xv.  vorgetragenen  ansieht,  als  typisch  für 
der  Verfasserin  bestreben,  die  'Estoire"  als  alleinige  quolb'  den 
Thomas  zu  erweisen,  werde  folgendes  beispiel  angeführt.  (hw 
erlöschen  der  würkung  des  trankes.  die  reue  der  liebenden  und 
deren  aussöhnung  mit  Marke  durch  \  ermittlung  <  »grins  seien  von 
Thomas  zwar  in  seiner  (luelle  ani^etroffen,  aber  von  ihm  •.;etil;rt 
worden,    weil   solche  züge  seinen  höfischen   idealen   widorsprachen. 

Dieser  ansieht  ist  aber  folgendes  entgegenzuh:dten.  es  wt 
nicht  richtig,  wenn  die  Verfasserin  behauptet  (_ss.  12  u.  HI),  die 
würkung  des  trankes  werde  hei  Eilhard  in  lebenslänglicher 
dauer  dargestellt;  die  textkritischen  arbeiten  KnicflchekiJ  und 
Oierachs  (s.  171)  hätten  sie  belehn-n   k'innen.  d:Hs  dit»  vor«»'  E»lb. 


58  KKLKMINA     ÜBEK    SCUOEPPERLE 

2286 — ST.  durch  welche  die  würkung  des  trankes  auf  lebensdauer 
erstreckt  wird,  unecht  sind,  Eilhard  und  seiner  frz.  quelle  nicht  zu- 
kommen, wenn  man  von  der  bei  Eilhard  berichteten  teniperierung  der 
würkung  nach  wochen  und  tagen  absieht  —  dieser  üblen  zierat 
seiner  frz.  quelle  — ,  so  entsprechen  sich  Eilhard  und  Beroul  in 
der  festsetzung  einer  vier-  oder  dreijährigen  frist  auf  das  genaueste, 
diese  zeitliche  beschränkung  der  wUrknng  macht  sich  —  und  das 
übersieht  die  Verfasserin  gleichfalls  —  in  der  partie  'das  waldleben' 
deutlich  bemerkbar.  nur  Eilhard  und  Beroul  stellen  das  leben 
im  walde  als  ein  hartes  leben  dar,  nicht  auch  Thomas  und  die 
frz.  prosa  (Löseth  §§  52.  344.  355);  die  letztgenannten  berichte 
kennen  dementsprechend  auch  keine  zeitliche  beschränkung  der 
würkung.  es  ist  eben  den  berichten  Eilhards  und  B^rouls  darum 
zu  tun,  dem  leser  auf  das  sinnfälligste  zu  zeigen,  wie  das  un- 
glückliche liebespaar  unter  dem  einfluss  des  trankes  das  mit  un- 
erhörten entbehrungen  verbundene  waldleben  bis  zum  zeitpuncte 
des  erlöschens  der  würkung  freudig  erträgt,  nach  diesem  zeitpunct 
aber  seine  läge  als  schier  unerträglich  empfindet  und  unverzüglich 
eine  aussöhnung  mit  Marke  anbahnen  lässt.  man  sieht  hier  auch, 
dass  die  von  Eilhard  berichtete  abnähme  der  würkung  innerhalb 
der  vier  jähre  eine  ungeschickte  ja  unvorsichtige  neuerung  seiner 
(juelle  ist.  überdies  wird  jene  contrastwürkung  in  den  beiden 
berichten  noch  durch  den  doppelten  besuch  bei  Ogrin  verstärkt; 
wie  nämlich  die  ermahnungen  des  einsiedlers  das  einemal  bei  den 
verbuhlten  seelen  würkungslos  verhallen  —  nämlich  vor  dem  ein- 
tritt des  kritischen  momentes  — ,  und  hinwiderum  wie  sich  nach  dem 
erlöschen  der  würkung  beim  liebeshelden  bufsfertige  gesinnung 
einstellt. 

Eine  erklärung  dieser  Verhältnisse  hat  ref.  in  seinen  Unter- 
suchungen zur  Tristansage  (1910)  zu  geben  versucht  (ss.  29.  64). 
der  umstand  dass  eine  von  der  Verfasserin  getadelte  scene  bei 
Thomas,  wodurch  die  endgültige  trennung  der  liebenden  erzielt 
wird,  nämlich  die  'entdeckuug  im  garten'  durch  den  frz.  prosa- 
roman  sichergestellt  wird  (l^ös.  §§  284 — S6),  erheischt  ebenso  die 
aufmerksamkeit  der  kritik,  wie  das  fehlen  der  vorhin  erwähnten 
züge  nicht  nur  bei  Thomas ,  sondern  eben  auch  in  der  prosa. 
denn  schliefslich  kann  man  dasselbe  was  die  Verfasserin  von  dieser 
behauptet  fs.  82):  'it  preserves  a  version  independent  of  the 
Estoire',  mit  ebenso  gutem  rechte  von  Thomas  sagen,  wenn  man 
dann  ferner  die  in  dieser  partie  beobachteten  Übereinstimmungen 
der  beiden  berichte  im  zusammenhange  mit  den  sonstigen  —  nur 
diesen  beiden  texten  zukommenden  —  zügen  betrachtet,  wird 
man  von  selbst  zur  annähme  eines  für  Thomas  und  gewisse  par- 
tieen  der  prosa  gemeinschaftlichen  Ursprunges  hingeieitet. 

Einer  der  auffallendsten  parallelen  züge  dieser  art  ist  das  er- 
scheinen des  Palamedes  hier,  des  irischen  harfners  dort,  allerdings 
erweisen   sich  die  berichte  der  frz.  prosa  durch  das  fehlen  der  iu 


TRISTAN    AND    ISOl.T  .■)9 

den  poetischen  texten  bericliteten  epiaoden  'entdecken  im  wal.ie' 
und  'das  trennende  sehwert'  als  älter  als  die  poetis('lien  fassunfjcn. 
speciell  von  der  letzteren  scene  constatierte  die  verfa«8<!rin  j^anz 
richtig,  dass  sie  in  den  berichten  von  Eilhard  und  P.i'-roul  nur 
Verwirrung  stifte  (ss.  77.  262)  und  —  weil  ja  der  könig  durdi 
sie  von  der  Unschuld  der  liebenden  nicht  überzeugt  wird  —  auch 
compositionell  wertlos  sei;  allein  auf  den  ticfgelmden  unterschied 
in  der  behandlung  der  schuldfrage  in  der  Kiihanlversi(»n  einer-  und 
der  Thoraasversion  anderseits  geht  die  autorin  nirgends  ein;  und 
doch  hätte  eine  solche  Untersuchung  zunächst  di»;  Zugehörigkeit  dt-r 
erwähnten  episode  zu  einer  versionengruppe  er\\ics<'n,  in  welcli'-r 
das  liebespaar  aus  keiner  Situation  als  comproniittiert  hervorgeht, 
und  fernerhin  die  Unmöglichkeit,  die  Thoniasversion  einer  proble- 
matischen 'Estoire'  unterzuordnen,  überhaupt  gezeigt. 

Analog  dem  vorigen  behauptet  die  Verfasserin  von  der  luant- 
werbung  Tristans  mit  dem  haar  als  erkennungszeichen,  es  sei  diese 
episode  von  Thomas  als  unpassend  weggelassen  worden,  allein 
ein  blick  auf  die  frz.  prosa  belehrt  uns  wideruui ,  «-s  habe  zwar 
Thomas  einen  der  "Estoire"  entsprechenden  bericht  gekannt  —  da 
er  ja  gegen  ihn  polemisiert  — .  es  aber  vorgezogen,  seinem  ge- 
währsmann,  der  sich  auch  in  diesem  puncte  mit  der  prosa  be- 
gegnete, zu  folgen,  selbst  die  Verfasserin  kann  nicht  umhin,  auf 
die  Schwierigkeiten,  die  sich  durch  die  einführung  des  märchen- 
haften berichtes  von  den  schwalben  für  die  'Estoire"  ergeben  haben, 
hinzuweisen. 

Jetzt  die  'ergebnisse"  dieses  abschnittesi  1)  das  gediclit  Eil- 
hards  ist  eine  treue  widerholung  seiner  frz.  quelle.  —  dies  hat 
schon  Lichtenstein  und  seither  noch  mancher  forscher  behauptet, 
nur  ist  eben  diese  quelle  verioren  gegangen.  2i  zu  beginn  der 
Untersuchung  (s.  8)  hat  die  Verfasserin,  ihre  ergebnisse  vorweg- 
nehmend, von  der  'Estoire'  als  der  quelle  einiger  fassungen  ge- 
sprochen: 'this  poem  is  the  source  of  several  versions  —  the 
Beroul-Eilhardversion,  Thomas  and  the  Folie  Tristan!"  durch 
die  s.  111  gegebene  Stilisierung  der  ergebnisse  ki)mmt  aber  in 
dieses  Schema  einige  Unklarheit:  'the  French  original  (Eilhardsi 
was  the  same  (!j  as  that  of  which  HeronI  represents  a  part".  dies 
nun  liat  die  Untersuchung  an  keiner  stelle  gezeigt,  und  es  ist  nach 
den  gründlicheren  Untersuchungen,  die  von  anderen  geführt  worden 
sind,  eine  solche  annähme  für  immer  ericdigt  (Liclitenstein  cx.xff,. 
der  Widerspruch  der  zwischen  den  citierten  stellen  unseres  buchps 
obwaltet,  vermag  sicheriich  zur  kräftigung  des  glaubens  an  eine 
'Estoire'  nicht  beizutragen;  erscheint  doch  im  ersten  falle  die 
'Estoire"  als  «luelle  Eilhards.  H.'rouls  i.  Thomas,  und  wird  im 
zweiten  falle  Ueroul  i  zur  »|uelle  der  erwähnten  werke  er 
hoben!  das  vom  ref.  in  seinen  •Untersuchungen  aufgestellte 
Schema,  wonacli  die  frz.  quelle  Eilhards  ((^),  Hdrou!  i  und  hs. 
103     (mit    den    drei    episoden  i    erweiternde    bearbeitungen    einer 


flO  KELEMINA    ÜBER    SCHOEPPERLE 

älteren  —  Ri  nahestehnden  vorläge  (V)  —  seien,  hat  die  Ver- 
fasserin in  ihren  später  zu  erwähnenden  recensionen  meiner  Unter- 
suchungen als  'hypothetisch'  abgetan,  es  will  aber  scheinen,  die 
Forschung  werde  künftighin  leichter  mit  hypothetischen  quellen 
und  vorlagen  als  mit  ungereimten  estoiren  auskommen. 

Dass  die  auf  die  feinsten  litterarischen  Verästelungen  und 
abhängigkeiten  nirgends  eingehnde  Studie  keineswegs  zu  einem 
solchen  resultate  berechtigt,  wird  gerne  jedermann  zugeben,  der  je 
in  die  arbeitsmethoden  Heinzeis,  Lichtensteins,  Kölbings,  ja  auch 
Bediers  einen  einblick  gewonnen  hat.  die  frage  nach  der  quelle  des 
Thomas  und  manche  andere  selten  der  Tristanforschung  bleiben 
auch  nach  diesem  buche  'matters  of  doubt'  (s.  71). 

Die  von  der  Verfasserin  weiterhin  versuchte  sonderung  des 
höfischen  raaterials  —  des  jüngsten  —  von  dem  volkstümlichen 
und  keltischen,  wie  es  die  berichte  bieten,  behält  ihre  Wichtigkeit 
auch,  wenn  man  den  damit  verknüpften  datierungsversuchen  für 
die  'Estoire'  nicht  zustimmt,  die  existenz  einer  Estoire  in  dem  von 
der  autorin  verlangten  sinne  fraglich  findet,  der  erste  teil  der 
dichtung  enthält  eine  Verdammung  des  ehebruches,  der  zweite  eine 
Verherrlichung  der  unrechtmäfsigen  liebe;  die  grundauffassung  im 
zweiten  teil  ist  höfisch  und  unmoralisch,  dieser  letzte  satz  gilt 
genau  genommen  nur  für  das  in  einem  späten  Stadium  dem  rahmen 
des  zweiten  teiles  einverleibte  novellistische  detail  der  Tristanlais 
u.  ä. ;  dieses  material,  das  für  den  gang  der  erzählung  keineswegs 
so  unentbehrlich  ist  wie  es  die  Verfasserin  behauptet,  zeigt  allerdings 
eine  bemerkenswerte  überscliwenglichkeit  in  der  höfischen  auffassung 
des  liebesdienstes;  diese  einzelheiten  mögen  in  einem  verhältnis- 
mälsig  späten  datum  einer  älteren  von  moralischem  geist  beseelte» 
dichtung  eingefügt  worden  sein.  was  speciell  das  Verhältnis 
Kaherdins  mit  Gargeolain  betrifft,  so  wird  ihm  die  Verfasserin 
nicht  ganz  gerecht,  die  liebschaft  wird  im  höfischen  geschmacke 
dargestellt,  aber  bis  auf  die  stelle  Eilhards  7878  ohne  vordring- 
liche frivolität.  der  gang  der  erzählung  drängte  den  dichter  auf 
diese  bahn:  das  Verhältnis  Tristans  zu  Isolde  ist  unfreiwillig  und 
führt  aus  sich  selbst  zu  keinem  tragischen  ausgange;  Kaherdins 
Verhältnis  zu  Gargeolain  ist  freiwillig  und  führt  zur  katastrophe; 
von  dieser  wird  Tristan  als  der  mitschuldige  helfershelfer  ergriffen! 
indem  aber  der  dichter  durch  das  tragische  ende  des  zweiten  Ver- 
hältnisses einen  vergeltungsgedanken  schön  umschreibt,  verrät  er 
uns  auch  seine  wahre,  tief  moralische  auffassung  des  minnelebens. 
Bedalis  ist  auch  nicht  der  tragikomische  betrogene  gatte  der  mittel- 
alterlichen novellistik,  sondern  der  furchtbare  rächer  seiner  ehre, 
ein  zweiter  Marke! 

Im  einzelnen  bringt  die  Untersuchung  folgendes:  der  liebes- 
handel  zwischen  Kaherdin  und  Kamille  behandelt  das  thema 
der  in  der  höfischen  lyrik  als  'pastourelle'  bekannten  gattung; 
Kaherdins    Verhältnis    mit   Gargeolain    bietet  die  typischen 


TSISTAN    AND    IS(»I,T  (j  | 

Situationen  einer  'clianson  del  mal  niuiiee";  die  reue  Isolts 
erinnert  an  eine  'clianson  :i  personnages';  von  einer  über- 
schwenglichen auffassun};:  des  minnedienstes  zeugen  die  Be- 
rufungen dorrh  Tristiandes  icilkn  und  dorch  Isolden  willen: 
aber  nicht  alle  von  der  Verfasserin  beigebrachten  belege  sind 
gleich  kennzeichnend  für  einen  stereotypen  gebrauch  dieser  rede- 
wendungen,  so  etwa  nicht  G244.  93:^8.  auch  müste  noch  be- 
tont werden,  dass  jene  Wendungen  dem  Mariendienstc  enfstarnmen 
und  samt  dem  anlegen  des  härenen  hemdes  auf  eine  durchsetzung 
und  verinnerlichung  des  minnedienstes  durch  die  religiösen  Vor- 
stellungen hindeuten,  dass  ferner  bei  Eilliard  die  auffassung  des 
minnedienstes  nicht  gar  zu  vorgeschritten  sein  kann,  zeigt  sich 
darin,  dass,  wie  im  falle  des  Pilois,  die  frau  der  bittende  teil  ist; 
ein  analogen  hierzu  sind  die  einigermafsen  anticjuierten  ritterspiele, 
Eilhard  v.  7739. 

Die  Artusritter  werden  bei  Eilhard  bereits  in  ihren  typischfu 
rollen  und  Charakteren  vorgeführt,  das  von  Tristan  bei  der  ersten 
Zusammenkunft  im  Blankenwalde  abgeschossene  reis  erinnert 
—  dies  wurde  sclion  von  anderen  forschem  ermittelt  —  an  den 
bastun  im  Geifsblattlais;  wahrsclieinlich  sind  etliche  einzelheiten 
bei  jener  Zusammenkunft  von  einem  Tristandichter  einem  solchen 
lais  entnommen,  jedocli  rationalistisch  ausgestattet  worden,  es  möge 
aber  angemerkt  werden,  dass  Tristan  bei  Eilliard  nicht  auszieht, 
um  eine  Zusammenkunft  mit  Isolde  zu  erreichen,  sondern  nur  um 
sein  verhalten  zur  frau  zu  reclitt'ertigen;  auch  ist  der  bericht  der 
frz.  prosa  nicht  in  einem  so  fragmentarischen  zustande  erhalten, 
wie  die  Verfasserin  behauptet,  vgl.  Untersuchungen  s.  44  ff.  — 
Die  Verfasserin  macht  es  wahrscheinlich,  dass  die  'schwimmenden 
hölzer'  bei  den  Zusammenkünften  im  garten  —  eine  Variante  des 
abgeschossenen  oder  quer  über  den  weg  gelegten  zweiges  —  einem 
ehedem  selbständigen  cyklischen  Tristangedicht  entnommen  worden 
seien;  nur  ist  die  autorin  hier  nicht  in  der  läge,  eine  solche  no- 
velle  nachzuweisen;  die  von  Golther  (Tristan  und  Is(dde  s.  230; 
besprochene  italienische  novelle  "die  geschichtc  vom  lauschenden 
könig'  könnte  immerhin  in  diesem  zusammenhange  genannt 
werden.  —  Das  prahlen  Tristans  mit  seiner  entfernten  herrin  bildet 
ein  thema  der  volkstradition,  aber  auch  im  Lanval  der  Marie  de 
France  und  in  dem  anonymen  Graelent  findet  sich  ähnliches,  fest- 
zuhalten für  das  gedieht  Eilliards  ist  jedoch  eines:  Tristan  macht 
sich  erbötig  zu  erweisen,  dass  die  entfernte  herrin  einen  hund  um 
seinetwillen  zärtlicher  halte  als  Isolde  Weif.shand  ihn;  mit  unrecht 
nennt  die  Verfasserin  diesen  bericht  eine  'additional  fcature'  is.  lö«)!, 
das  Problem  mit  der  Schönheit  der  unbekannten  geli»'bten  tritt  bei 
Eilhard  ganz  zurück,  und  grade  für  das  eretere  niotiv  vermag  di.- 
Verfasserin  keine  schlagende  parallele  beizubringen.  die  über- 
schwengliche liebkosung.  die  dem  hund  um  Tristans  willen  zuteil 
wird,    scheint    mir  so    wie  das  gespräch  vom   kühnen   wasser  nicht 


ii2  Kj;rj;MiNA  übeu  schoefperlk 

so  sehr  ein  beweis  für  des  dichters  raffiniert  höfische  auffassung 
des  minneverhältnisses  zu  sein,  als  vielmehr  ein  zeuge  eines  naiven 
und  etwas  rückständigen  geschraackes.  Den  primitiven  heldeu 

der  Volksüberlieferung  reiht  sich  Tristan  durch  sein  schwanken 
zwischen  zwei  frauen  an:  einige  analoge  sagen  prüft  die 
Verfasserin;  die  zweifei  und  seelenconflicte  Tristans  reihen  unseren 
roraan  der  'psychologischen'  gruppe  von  solchen  erzählungen  an ; 
nur  in  diesen  werden  die  widersprechenden  gefühle,  pflichten  und 
neigungen  in  der  brüst  des  beiden  gegenständ  dichterischer  be- 
handlung;  in  der  'objectiven'  gruppe  verweilen  die  dichter  nirgends 
bei  solchen  problemen.  —  Auch  für  die  namensgleichheit  der 
beiden  frauen  hat  die  'Estoire'  Vorbilder  gehabt  (s.  172).  —  Tristans 
Weigerung  die  ehe  zu  erfüllen,  zeugt  —  sagt  die  Ver- 
fasserin —  von  einem  aufserordentlich  hochgespannten  liebesideal, 
und  es  kann  die  erfindung  eines  solchen  zuges  schwerlich  für  einen 
früheren  termiu  angesetzt  werden,  als  für  eine  gesellschaft  für  die 
Cliges  und  der  Karrenritter  geschrieben  worden  sind,  denn  —  so 
wird  dieser  abschnitt  beschlossen  —  keine  von  den  vorhandenen 
redactionen  der  Tristansage  fällt  zeitlich  vor  die  letzten  Jahrzehnte 
des  1 2.  jh.s ;  die  'Estoire'  selbst  scheint  kurze  zeit  vorher  verfasst 
worden  zu  sein. 

Zum  volkskundlichen  raaterial  übergehend  bemerkt  die 
Verfasserin,  dass  es  schwer  fallen  dürfte,  für  jeden  in  den  Tristan- 
versionen angetroffenen  bericht  die  unmittelbare  quelle  aufzudecken; 
aus  der  mehr  conservativen  art  wie  Eilhard  und  Beroul  das  lau- 
fende material  verwenden ,  lasse  sich  ein  bild  ihrer  litterarischen 
methode  gewinnen,  damit  zb.  der  märchenhafte  zug  der  braut- 
werbung  mit  dem  frauenhaar  als  erkennungszeichen  in  der 
dichtung  Eilhards  Verwendung  finden  konnte,  muste  die  heilung 
Tristans  aus  der  ferne  vollzogen  und  durfte  der  held  mit  keinem 
andern  behelf  als  nur  mit  dem  von  den  schwalben  gebrachten 
haar  ausgerüstet  werden;  durch  die  einführung  dieses  märchen- 
liaften  zuges  ergeben  sich  dann  für  die  dichtung  reichlich  Schwierig- 
keiten; zu  allem  überfluss  unterlässt  es  Eilhard  —  ein  beweis 
seiner  sorglosen  erzählungsweise  —  den  kaufmann  Pro  der  ersten 
reise  mit  dem  Tantris  der  zweiten  ausdrücklich  von  den  Iren 
identifizieren  zu  lassen;  ebensowenig  wird  die  heilende  prinzessin 
der  ersten  reise  ausdrücklich  mit  der  prinzessin  des  schwalbenhaares 
gleichgestellt,  das  sind  gewis  arge  Unterlassungen,  aber  nichts 
hindert  den  leser,  sich  solche  scenen  des  widererkennens  dazuzu- 
denken  ;  die  hauptschwierigkeit  ergibt  sich  für  Eilhard  nicht  eigent- 
lich aus  der  einführung  jenes  märchens,  sondern  aus  dem  von  den 
einzelnen  Versionen,  so  namentlich  von  Eilhard  belegten  schwanken 
in  der  Verwendung  der  beiden  frauen,  der  mutter  und  der  tochter; 
auf  die  fragen  dieser  art  geht  jedoch  das  buch  nicht  ein. 

Es  ist  in  diesem  Zusammenhang  auch  nicht  richtig,  wenn  die 
Verfasserin    als    ein    weiteres   beispiel    von    Eilhards   unvermittelter 


TlÜSTAN     AM>     ISUM  t,  J 

«rzälilunjisart  den  umstand  aiifillirt.  dass  ;;«'.le};eiitlicli  d.-s  hcöuch«s 
Tristans  bei  Artus  seine  bezieiiun^en  zu  Isolde  als  bekannt  voraus- 
gesetzt werden.  diese  episode  ist  ja  keine  iitterarisclie  nt'u- 
schöpfung,  sondern  eine  sdileclit  und  recht  (b-m  rabnien  der  .-r 
Zählung  eingefügte  selbständige  n<»velle,  der  Tristan  dieser  partie 
ist  bereits  der  litterarisch  berühmte  liebhaber  Isoldens;  der  etwa 
am  hofe  Hoels  erscheinende  Tristan  noch  nicht:  vgl.  IJntei-s.  s.  :i7. 
—  Durch  brautwerbungen  vermittels  eines  Stellvertreters  werden 
in  der  volksüberlieferung  (ifters  tragödien  der  unrechtmäfsi^jen  liebe 
eingeleitet.  Weiterhin    werden    im    Zusammenhang   mit  ander 

weitiger  volkstümlicher  Überlieferung  besprochen :  der  draclien 
kämpf,  das  motiv  von  der  unterschobenen  braut,  die  gedungenen 
mörder,  die  rolle  Brangaines  und  Camilles  usw 

Vieles  von  dem  besprochenen  ist  zwar  bislang  in  der  Tristan 
forschung  bekannt  gewesen,  gewinnt  aber  erst  jetzt  in  der  zu- 
sammenhängenden darstellung  der  Verfasserin  erhöhte  bedeutung. 
so  wird  Camille.  die  zweite  dienerin  Isolts,  und  ihr  zauberkissen 
für  eine  junge  zutat  erklärt;  die  in  dieser  partie  erzählten  be 
gebenheiten  mögen  ursprünglich  den  inhalt  einer  selbständigen  rio 
velle  gebildet  haben:  mit  der  typischen  rückkebr  Aca  verbannten 
Tristan  und  der  fortsetzung  des  durch  die  Verbannung  gestörten 
liebeslebens.  dieser  novelle  ist  wol  hauptsächlich  auch  daran  die 
schuld  zuzuschreiben,  wenn  das  dem  ersten  dichter  vorschwebend»' 
ideal  (Golther,  Gottfr.  ii.  s.  147),  nach  der  Verheiratung  des  beiden 
dem  liebesieben  Tristans  mit  Isolde  i  ein  ende  zu  machen,  j^-e- 
trübt  wurde.  —  Die  erzählung  von  der  wolfs falle  yehört  wegen 
der  behandlung  der  Artusritter  einem  redactor  der  zweiten  liälft«* 
des  12jh.s  an.  —  Die  erzählung  vom  zweideuti  ;::en  eid  kann 
schwerlich,  wie  die  Verfasserin  annimmt,  von  Eilhards  quelle  weg 
gelassen  worden  sein;  in  dieser  version  wird  ja  die  schuld  de.s 
paares  zweifellos  erwiesen,  niclit  bei  Thomas  (s.  224)  —  Der 
beiname  des  Bedalis  'der  zwerg'  sei  ironisch.  höchstwahr- 
scheinlich ist  aber  der  beiname  einem  stdistisclien  bodürfnis 
eines  Tristandichters  entsprungen:  dem  r lesen  Morolt  i-ntspricht 
ein  (stilistischer)  zwerg  P>edalis  bei  Eilliard,  ein  zwerg  IVistan 
bei  Thoraas.  Morolt  und  Bedalis  (bzw.  <ier  zwerg  Tristan 
greifen  in  der  entscheidendsten  weise  in  die  geschichtc  des  beiden 
ein,  zu  beginn  und  am  ende  iler  erzählung.  vgl.  rntersiichungen 
s.    .-)!. 

Reichhaltig  sind  die  losultate  des  zweiten  bandes.  der  vor 
nehmlicb  der  erforsobung  der  keltischen  zügf  iler  saire  L'cwidmot 
ist.  wenig  keltisches  material  enthält  die  erzählung  von  der  ge 
burt  Tristans  (s.  281);  es  ist  wahrscheinlich,  dxss  die  liebes 
ab en teuer  mit  den  beiden  Isolden  nicht  die  einzigen  waren 
die  von  dem  beiden  erzählt  wurden;  die  frz.  prosa  weifs  noch 
von  einer  liebe  zwischen  Tristan  und  der  frau  de«  Segurades  zn 
berichten.  vjtI.   Tlntersncbun-ren   s.  TS.    —   Die  im   (JoifsblattlrnH 


64  KELEMINA    ÜBER    SCHOBPPERLE 

berichtete  episode  mag  ein  Überbleibsel  einer  specifisch  iriseben 
fertigkeit  oder  Übung  sein,  einer  solchen  wie  sie  in  den  Täin- 
episoden  berichtet  wird  (s.  315). 

Tristan  als  meister  primitiver  ferligkeiten  (s.  315):  bei  Eilhard 
ist  Tristan  der  erste,  der  daz  angelln  i  hegan:  analoges  wird  von 
Waltharius  manufortis  berichtet;  Tristan  als  hornbläser,  vgl. 
Untersuchungen  s.  78.  —  Den  Zweikampf  Tristans  mit  Morolt 
pflegt  man  als  holmgang  zu  bezeichnen,  doch  wie  die  Verfasserin 
erweist,  mit  unrecht  (s.  364). 

Wie  haben  wir  uns  in  den  Tristandichtungen  des  beiden  aus- 
gesprochenes vorhaben,  heilung  aus  den  bänden  seiner  feindin 
zu  erlangen,  zu  vereinbaren  mit  der  erzählung,  dass  der  tod- 
wunde sich  in  ein  ruderloses  boot  bringen  und  von  den 
wellen  aufs  geratewol  hintreiben  lässt?  warum  bricht  er  nicht 
direct  nach  Irland  auf?  —  reisen  wie  diese  auf  ruderlosen 
booten  in  unbekannte  fabelhafte  länder,  in  denen  heilung  aus 
den  bänden  des  feindes  winkt,  werden  berichtet  in  den  irischen 
Imrama;  ein  solches  land  war  das  laud  Morolts:  'a  land  of 
monsters  beyond  the  confines  of  the  earth,  a  land  that  cannot  be 
reached  by  means  of  chart  or  compass'  (s.  390). 

Besonders  wichtig  ist  ferner  die  feststellung  der  Verfasserin, 
die  liebesgeschichte  des  ersten  teils  vom  zaubertrankö  bis  zur 
flucht  in  den  wald  und  zur  freiwilligen  oder  unfreiwilligen 
rückkehr  aus  demselben  finde  zahlreiche  und  recht  genaue  ent- 
sprechungen  in  den  altirischen  Aitheda!  eine  solche  erzählung, 
die  von  Diarmaid  und  Grainne,  analysiert  die  Verfasserin,  und 
überall  fällt  neues  licht  auf  die  Tristansage,  werden  neue  zu- 
sammenhänge sichtbar,  als  einander  entsprechende  züge  werden 
aufgedeckt  und  durchforscht:  der  liebeszauber,  dem  hier  wie  dort 
die  liebenden  ohne  persönliche  Verschuldung  erliegen,  das  wald  leben 
und  —  ein  besonders  interessanter  abschnitt  —  das  trennende 
Schwert,  der  hund  im  walde.  —  Unerwartete  zusammenhänge 
werden  sichtbar  in  den  episoden  'harfe  und  rotte',  das  'kühne  wasser' 
und  die  'holzspäne  auf  dem  wasser';  für  die  freiwillige  rückkehr  vom 
walde  und  die  aussöhnung  mit  Marke  gibt  es  gleichfalls  parallelen 
in  den  einzelnen  Versionen  der  sage  von  Diarmaid  und  Grainne; 
dem  abschluss  der  dichtung  bei  Eilhard  und  in  der  frz.  prosa 
(hs.  103)  entsprechen  analoge  erzählungen  der  keltischen  iitteratur, 
aber  auch  der  abschluss  des  prosaromanes,  so  wie  er  bei  Löseth 
§§  534 — 40  berichtet  wird,  erhält  durch  die  katastrophe  in  der 
'flucht  Deirdres  mit  Naisi'  erhöhte  autorität.  die  keltische  Aithed- 
sage,  aus  welcher  der  frz.  redactor  die  geschichte  von  Tristan  und 
Isolde  machte,  mag  berichtet  haben,  es  sei  das  liebespaar  unter 
Versprechungen  von  Marke  aus  dem  walde  gelockt  und  Tristan  ver- 
räterischerweise von  dem  eifersüchtigen  könig  nach  der  rückkehr 
erschlagen  worden,  '^denn  in  dieser  Tristanversion  kommt  die  räche 
wie  in  den  keltischen  Aithed-berichten  vom  könig'  (s.  442). 


TRISTAN    ANI»    ISOLT  65 

Mit  dem  beweis  dass  die  uureclitmäfsige  liebe  ein  8tündi{<e8, 
vielbearbeitetes  thema  der  altirischen  litteratur  frebiidet  bat,  be 
schliefst  die  Verfasserin  diesen  so  wicbti;,'en  abschnitt  des  biicbea. 
Bediers  annähme,  es  könne  unter  den  Kelten  eine  tragische  be- 
handlung  der  Tristansage  nicht  gegeben  haben,  oder  wenn  schon, 
dann  in  einer  beträchtlich  gröberen  fassiing,  wird  dadurch  er- 
schüttert. 

Man  tut  den  Verdiensten  der  Verfasserin  keinen  abbrucli.  wenn 
man  behauptet,  es  hätte  der  hier  auf  590  ss.  vorgetragene  Inhalt 
kürzer  dargestellt  werden  können,  wenn  zahlreiche  lästige  wider 
holungen,  namentlich  von  inhaltsangaben,  fortgelassen  würden,  so 
reichhaltig  nun  die  einzelnen  beobaclitungen  sein  mögen,  zu  einer 
zusammenfassenden  synthese  und  zu  einem  übersichtlichen  bilde 
des  Werdeganges  der  sage  in  ihrem  vorlitterarischen  und  litte- 
rarischen Stadium  werden  sie  nirgends  zusammengeschlossen;  das 
von  der  Verfasserin  skizzierte  abhängigkeitsverhältnis  der  vor- 
handenen texte  und  die  annähme  einer  für  gewisse  Versionen  ge- 
meinsamen quelle,  der  'Estoire',  kann  sowol  wegen  der  allzu  weit- 
maschigen Untersuchungsmethode  angefochten  werden,  als  auch  weii 
die  Verfasserin  bezüglich  der  frz.  prosa  nirgends  über  das  von  der 
vorhergegangenen  forschung  ermittelte  hinauskommt  und  sich  im 
allgemeinen  begnügt,  in  diesem  berichte  zwei  schichten  der  Über- 
lieferung anzunehmen,  nun  war  es  der  ref.,  der  in  seinen  l'nter- 
suchungen  (s.  71j  zum  ersten  male  mit  allem  nachdruck  auf  die 
vielfachen  im  prosaroman  zusammengetragenen  Versionen  hin- 
gewiesen und  einigen  von  ihnen  sogar  ein  höheres  alter  als  den 
poetischen  fassungen  zuerkannt  hat  —  und  für  diese  und  ähnliche 
ketzereien  von  der  Verfasserin  in  ihren  beiden  recensionen  der 
Untersuchungen  hart  gescholten  wurde  (liomania  40,  114-1  1^». 
Literaturblatt  f.  gerra.  u.  rom.  phil.  32,  3()2).  allein  der  verlauf 
der  eigenen  forschungen  in  sachen  der  Tristansage  hat  die  Ver- 
fasserin den  ansichten  des  ref.  genähert,  man  vergleiche  etwa;  zu 
widerholten  malen  wird  von  der  Verfasserin  die  frz.  prosa  in  ge- 
wissen partieen  als  eine  von  den  poetischen  fassungen  unabhängige 
und  als  ältere  version  bezeichnet  (s.  9  a.  a.),  vgl.  Unters,  (s.  70. 
78);  die  vom  ref.  als  K:^  (provisorisch)  bezeichnete  prosafassung 
bietet  ein  Stadium  der  Tristansage,  in  welchem  der  hehl  nucli  uu 
verheiratet  bleibt  (Unters,  s.  7S  =  Schoeppcrie  s.  440j;  der  ur- 
sprüngliche episodenroman  hat  mit  der  rückkehr  vom  walde  eia 
vorläufiges  ende  gefunden;  dementsprechend  wurde  die  würkung 
des  trankes  auf  vier  jähre  reduciert  (Unters,  a,  G4  ff  =  Schuepp. 
88.  408.  445);  zu  einem  solchen  episodenroman  hat  ein  olassiscb 
gebildeter  dichter  einen  schluss  gefunden,  wie  er  in  O.  T,  hs.  103  vor 
ligt  (Unters,  s.  70  ==  Schoepp  ss.  108.  445);  der  vom  prosaroman 
Löseth  §§  534  ff  berichtete  abschluss  des  werkea  ist  älter  jus  der 
bericht  von  0  T,  R  (hs.  103).  (Unters,  s.  7b  -  Schoepp.  s.  43UI; 
Tristan  war  ein  berühmter  liebesheld  nicht  nur  wegen  seioes  ver- 
A    F.  D.  A.     XXXVIII.  :i 


66  KELEMINA    ÜBEB    SCHÖPFERIN,    TRISTAN    AND    ISOLT 

hältnisses  zu  den  beiden  Isolden,  sondern  wegen  ähnlicher  be- 
ziehungen  zu  anderen  frauen  (Unters,  s.  78  =  Scboepp.  s.  297): 
Caraille  mit  ihrem  zauberkissen  ist  eine  jüngere  zutat  in  den 
dichtungeu  (Unters,  s.  50  =  Schoepp.  s.  211);  die  heilung  aus  der 
ferne  und  das  märchen  von  den  schwalben  gehn  auf  denselben 
bearbeiter  zurück  u.a. 

So  erfreulich  nun  diese  gewis  nicht  unerheblichen  Überein- 
stimmungen auch  sind,  so  hätte  es  sich  nach  jenen  schroff  ab- 
lehnenden recensionen  wol  empfohlen,  diese  'gedanklichen  be- 
rührungen'  im  buche  auch  recht  fleifsig  als  solche  anzuzeigen; 
die  von  der  Verfasserin  gewählte  —  hochmögende  —  dar- 
stellungsform :  'we  believe'  und  'we  have  no  reason  to  believe' 
wird  so  den  tatsächlichen  Verhältnissen  nicht  immer  gerecht,  doch 
um  der  Wahrheit  Zeugnis  zu  geben:  s.  7  1  muss  auch  die  autorität 
des  ref .  herhalten ,  den  Bedierschen  Urtristan  zu  begraben :  Hhe 
table  of  concordances  proves  nothing',  hätte  Suchier  in  seiner  so 
selbstbewusten,  in  der  Tristanforschung  aber  nicht  grade  über- 
wältigende kenntnisse  verratenden  recension  meiner  Untersuchungen 
(Zs.  f.  d.  ph.  44,  22S)  diesen  wandel  der  dinge  vorausgesehen, 
sicherlich  hätte  er  sich  jene  recension  und  die  nun  unvermeidliche 
beschämung  erspart. 

Rudolfswerth  in  Krain.  •   Jacob  Kelemina. 


1.  Das  SGaller  Spiel   vom   Leben   Jesu.     Untersuchungen  u.  text 

von  Emil  Wolter.  [Germanistische  abhandlungen  h.  41]  Breslau, 
M.  u.  H.  Marcus  1912.  XII  u.  240  ss.  8"  —  8.60  m. 

2.  Untersuchungen  zu  dem  Innsbrucker,  Berliner  und  Wiener 

Osterspiel  von  Rudolf  Höpfner.  [Germanistische  abhandlungen 
h.  45].  Breslau,  M.  u.  H.  Marcus  1913.  X  u.  158  ss.  8"  — 
5.60  ni. 

1.  Das  westmitteldeutsche  spiel  aus  dem  SGaller  sammel- 
codex  919,  das  zuerst  IVIone  (Seh.  d.  ma.s  49- — 128)  unter  dem 
namen  'Leben  Jesu"  herausgegeben  hat,  legt  Wolter  in  neuem 
genauem  abdruck  vor.  in  der  beschreibung  der  hs.  fehlen  die 
üblichen  präcisen  angaben  über  formal,  lagen  u.  ä. ;  vor  allem 
vermisst  man  jeden  versuch  einer  paläographischen  datierung. 
Mone  setzte  die  hs.  ins  14  jh..  jetzt  kann  man  sich  dazu  aus 
den  notizen  über  einen  besitzer  des  cod.  einen  späten  terminus 
ad  quem  (ca  1470)  erschliefsen.  —  die  grammatik  gibt  ein 
klares  bild  der  spräche  des  denkmals.  an  zwei  für  die  heimat- 
bestimmuug  wichtigen  stellen  ist  sie  allerdings  nicht  zuverlässig. 
s.  36  wird  gesagt,  dass  die  weitaus  überwiegende  «i-endung 
der  2  p.  pl.  'wol  hauptsächlich  auf  das  conto  des  Schreibers  zu 
setzen'  sei.  dabei  werden  die  reime  kint  :  ir  —  sint  17,  Mini  :  ir 
—  sint  343,  irkant  :  ir  —  begant  638  übergangen,  die  auch  später 
bei  besprechung  der   anomala   unter  den  tisch  fallen  (mit  ausn. 


RÜBFF    ÜBER    WOLTEIt,    SCALLKK    SPIEL    VOM    l-EBBN    JESU  Ö7 

V.  638).  ebenso  dürfte  unter  'pronoinina'  nicht  die  anhabe 
fehlen,  dass  der  text  nie  eine  der  he-iormou,  sondern  durchwef? 
er  aufweist  (her  :  er  WM)). 

Mit  seiner  heimatbestimuiung  auf  grund  der  spräche  ist  der 
verf.  nicht  glücklich,  das  ligt  teilweise  an  recht  elementaren 
mangeln.  W.  ist  sich  über  die  geographischen  und  dialekt- 
geographischen bezeichnungen  in  Westmitteldeutschlaud  nicht  im 
klaren,  dass  die  prov.  Starkenbnrg  (Obt'r-Katzenellenbugen)  ganz 
aulser  betracht  bleibt,  liefse  sich  durch  den  geringt-n  bt;staud 
urkundlichen  materials  erklären,  unter  •Rheinhessen'  verst»^ht  W. 
ein  land  in  dem  Bacharach  (s.  57).  Boppard,  Oberwesel,  Diebach. 
l.orch.  Eberbach  und  allerdings  auch  Mainz  ligt  (s.  58).  dieses 
Ilheinhessen  läuft  gewöhnlich  eingeklammert  im  schlepptau  von 
Süd-Nassau  mit  (s.  51.  60  usw.).  südnassauisch  ist  auch  der 
Kheingau,  mit  ihm  also  kl.  Eberbach  mit  seiner  Oxf.  Ben.-regel 
(s.  52).  und  s.  51  wird  sogar  von  dem  einfluss  des  'im  südl. 
Nassau  angrenzenden  (!)  südfränkisch"  gesprochen,  das  würkliche 
Kheinhessen  scheint  für  W.  —  moselfränkisches  Sprachgebiet  zu 
sein,  man  muss  das  annehmen  wenn  man  s.  45  list:  'für  den 
noch  übrig  bleibenden  südlichen  streifen  moselfränk.  bodens,  .  .  . 
dessen  äufserste  puncte  Boppard  a.  Rh.  im  norden,  Saarlouis  im 
Westen  und  Mainz  im  osten  (!)  sind,  versagen  die  Sprachatla.s- 
linien,  und  wir  sind  deshalb  allein  auf  das  zeugnis  der  Urkunden 
angewiesen,  diese  zeigen  ganz  dasselbe  bild  wie  die  des  übrigen 
Moselfranken,  und  daher  kommt  das  {ranze  linksrheinische  ge- 
biet (!)  für  die  localisierung  niclit  in  frage",  in  würklichkeit  ist 
das  reiche  rheinhessische  urkundenmaterial  bei  Baur,  sind  die 
schätze  von  Worms  (Boos)  und  Oppenheim  (Frauck)  gar- 
nicht  und  die  von  Mainz  nicht  systematisch  benutzt,  und  grade 
dieses  linksrheinische  gebiet  kommt  m.  e.  vor  allen  andern  in 
frage.  —  Noch  über  eine  andere  confusion  muss  man  sich  khir 
sein,  wenn  man  Wolters  bezeichnung  in  die  übliche  spräche 
übersetzen  will:  moselfränkisch  ist  für  ihn  bald  dialektgeographi- 
scher bald  rein  geographischer  begriff;  einmal  deiint  es  sieb, 
geteilt  in  ein  nördliches  moselfr.  und  in  ein  "übriges"  mit  nördl. 
und  südl.  hälfte  über  das  ganze  südl.  md.  linksrheinische  gebiet 
aus,  und  dann  wird  es  wider  unterschieden  von  dem  nördl. 
Nassau,  das  doch  sprachlich  ebenso  moseifränkisch  ist  (s.  15 — 51i. 
dieses  'moselfränkische',  das  auch  nicht  im  entferntesten  als  heimat 
<les  Spiels  in  betracht  kommt  und  unter  kurzem  hinweis  auf 
seine  markante  süd-  und  ostgrenze  gleich  anfangs  ein  für  alle- 
inal  ausgeschaltet  werden  könnte,  lässt  den  verf.  durch  die  ganze 
Untersuchung  niclit  ruhen  und  nimmt  viele  selten  in  anspruch. 
selbst  das  ripuarische  muss  erst  in  aUer  form  unter  autbietunp 
sämtlicher  nur  möglicher  südgrenzen  gegen  das  moselfränkische 
altgetan  werden,  weil  Wilmotte  den  raschen  dilettanteneinfall 
gehabt  hat.   Ci    dort  zu    localisieren.    erst  nach   zehn   selten   ver 


68  RUEFF    ÜBER    WOLTER 

dichtet  sich  die  heimatfrage  zu  dem  satze:  'die  entscheidung^ 
muss  daher  zwischen  Oberhessen,  Süd-Nassau  (Rheinhessen)  und 
Wetterau  fallen',  in  würklichkeit  also  zwischen  Oberhessen, 
Wetterau,  Südnassau,  Rheingau  und  dazu  Rheinhessen  und 
Starkenburg.  Oberhessen  wird  mit  guten  gründen  ausgeschieden 
(jjit  =  mit  nicht  oberhessisch;  dit  wäre  in  Oberhessen  zu  er- 
warten —  ebenso  allerdings  in  der  Wetterau).  'so  steht 
denn  die  frage  zwischen  Süd -Nassau  (Rheinhessen)  und  der 
Wetterau'.  W.  entscheidet  sich,  wenn  auch  nicht  zuversichtlich, 
für  die  Wetterau,  hauptsächlich  von  der  nähe  Frankfurts  mit 
seiner  verwanten  Passion  angezogen,  die  sprachlichen  kriterien 
sind  hinfällig. 

S.  51  bespricht  der  verf.  das  unverschobene  bit  ==  bis 
(v.  620)  und  schliefst  aus  wenigen  belegen,  dass  es  über  ganz 
Hessen  verbreitet  sei.  sehen  wir  uns  die  drei  belege  aus  der 
Wetterau  an !  bei  bg  Hattstein  —  nb.  nassauisch  I  —  und  bei 
Gelnhausen  muss  dem  verf.  ein  versehen  untergelaufen  sein:  in  den 
beiden  citierten  Urkunden  find  ich  kein  bit.  bei  Wertheim,  das 
als  südlichster  punct  des  bit -gehiets  angesprochen  wird,  zeigt 
sich  eine  erschreckende  Unvorsichtigkeit  bei  der  prüfung  der 
Provenienz  der  Urkunde:  formen  wie  irsuich;  bit  beradem  müide 
u.  a.  sagen  genug,  [ein  anderes  beispiel  solcher  Verwertung  des 
materials  zeigt  s.  53:  'unverschobenes  dat  (neben  dit  und  if)  ist 
nur  einmal  in  einer  Hanauer  urk.  v.  1333  (Reim,  ii  416)  be- 
legt', diese  wenigen  Stichproben  müssen  mistrauisch  gegen  den 
ganzen  aufwand  an  urkundlichen  belegen  machen.]  das  bit  =  &is- 
gebiet  beschränkt  sich  nach  meinen  eigenen  feststellungen  •  auf 
Nassau,  Rheingau  und  Rheinhessen  (östl.  grenze  etwa  Giefsen, 
kl.  Schiffenberg,  bg  Reiffenberg,  Wiesbaden,  Mainz,  Rhein  bis 
Worms),  wenn  auch  das  eine  bit  in  G  wenig  beweist,  so 
spricht  doch  zunächst  die  Wahrscheinlichkeit  gegen  die  Wetterau, 
zumal  da  das  denkmal  auch  das  wetteraulsche  dit  nicht  hat.  zwei 
andere  auffallende  und  entscheidende  sprachliche  erscheinungen 
hat  W.  ganz  übergangen,  ausnahmsloses  er  statt  der  in  der 
Wetterau  und  in  Nassau  heimischen  /«-formen  des  pr.  d.  3  p,  m. 
zeugt  für  Rheingau,  Rheinhessen  und  Starkenburg,  noch  wich- 
tiger ist  die  «Sendung  der  2  p.  pl.,  die  der  Schreiber  fast  durch- 
weg setzt,  und  die  auch  dem  dichter  neben  der  gemein-mhd. 
form  geläufig  ist  (s.  o.).  die  «^-formen  finden  sich  nur  ganz 
sporadisch  in  Frankfurter,  Hanauer  und  Geinhäuser  Urkunden 
(Reimer  bd  iii.  iv),  wo  sie  wol  auf  Mainzer  brauch  zurückzu- 
führen sind;  in  Rheinhessen  und  im  Rheingau  sind  sie  boden- 
ständig,     für    Starkenburg    versagt    das    material,      auf    grund 


*  die  einzelbelege  für  die  geographische  Verteilung  dieser  und  der 
folgenden  sprachlichen  erscheinungen  geb  ich  in  meiner  abhandlung  über 
das  Berliner  Osterspiel. 


SGALLEU    SPIEL    V(»M    LKISKN    JESU  O'J 

dieser  kriterien  ist  Rlieinliessen-Rheingau  als  heimat  des 
sogenannten  SGaller  Leben  Jesu  anzuspreclien. 

Als  terminus  a  quo  der  hs.  ergibt  sieb  für  W.  ca  1330 
auf  grund  der  a«-schreibung. 

In  der  litterarbistoriscben  Untersuchung  stellt  W.  fest,  dass 
etwa  die  hälfte  des  textes  der  Vulgata  entstammt,  eine  reibe 
von  motiven  weist  er  bei  bibelcommentatoren  nach;  es  müste 
aber  noch  stärker  betont  werden,  dass  jeder  einzelne  dieser  ziig»- 
Längst  gemeingut  der  theologischen  litteratur  war.  wenn  W.  in 
dem  abschnitt  'Das  kirchenritual  als  quelle  der  darstellung" 
die  pueri  cum  palnm  unmittelbar  mit  dem  ritual  des  palm- 
sonntags  in  Verbindung  bringt,  lohnt  es  sich  vielleicht,  an  den 
volkstümlich -kirchlichen  brauch  des  'palmschiefseus'  zu  erinnern, 
bei  dem  kinder  die  hauptroUe  spielen.  Wiepens  vorzügliche 
arbeit  (Palnisonntagsprozession  und  palmesei,  Düsseldorf  I'J02i 
bringt  auch  beispiele  aus  Kheinhessen.  ich  selbst  habe  mir  aus 
der  handschriftlichen  kirchenordnung  von  SQuintin  in  Mainz 
(15S5.  Severus  Dioecesis  Mog.,  Mainz  stadtbibl.,  s,  72)  eine 
leider  nur  kurze  notiz  gemacht:  und  wan  sie  singen  vestimenla 
2)r oster nehant  in  via,  werff'en  sie  die  chorröck  uffs  crucifix.  — 
anlässlich  der  depositio  crucis  beruft  sich  W.  in  wenig  ein- 
leuchtender beweisführung  auf  ein  Directorinm  missae  der  Mainzer 
erzdiöcese.  was  für  ein  directorium  ist  das,  wo  hat  es  W.  be- 
nutzt? ich  kenne  ein  Directorium  Marianum  (Liebfraut-n,  vgl. 
Würdtwein  De  stationibus,  Mainz  1782),  ferner  einen  Ordinarius 
(Dom,  vgl.  Severus  aao.)  und  den  Ordo  antiquus  von  SQuintin, 
die  alle  dx'ei  in  einzelheiten  der  ceremonien  auseinandergehn. 
übrigens  braucht  man  auch  für  die  scenische  anweisung  (lila) 
timc  mittatur  coliunha  super  caput  Jesu  eine  parallele  nicht  erst 
aus  dem  ceremonial  von  SPaul  in  London  zu  holen,  auch  in 
Mainz  (SQuintin)  wurde  —  wie  eben  ähnlich  überall  —  dei- 
hl.  geist  an  einem  seil  aus  einer  mit  blumen  verdeckten  ütTnung 
der  decke  herabgesenkt,  aus  der  gleichen  iJlYnung  in  der  am 
himmelfahrtstag  das  Christusbild  verschwand  (Severus  s.  Slfi. 

In  den  abschnitten  über  (|uellen  und  einfluss  des  SGaller 
Spiels  leidet  die  Untersuchung  an  den  üblichen  methodischen 
mangeln  der  meisten  ähnlichen  textvergleichungen.  man  hebt  — 
um  es  grob  zu  kennzeichnen  —  alle  parallelen  stellen  herau«. 
gibt  'seinem'  spiel  chronologisch  einen  ungefähren  platz  zwischen 
andern  denkmälern  derart  und  lässt  alle  älteren,  genügend  verwunten 
stücke  'quellen',  die  jüngeren 'abhängig'  sein,  die  ganze  benachbarte 
litteratur  existiert  nur  in  beziehung  auf  das  eine  vorliegende  spiel, 
ein  beispiel  bei  'Wolter  beleuchte  diese  art.  s.  129  stellt  der  verf. 
auf  grund  einiger  stellen  der  scene  von  den  freuden  und  der 
bekehrung  der  Magdalena  'est:  'zweifellos  hat  dem  dichter  von 
G  hier  W  (Wiener  Passion)  vorgelegen',  s.  1  U>  erörtert  er 
den    eintiuss    der   Magdaleuen-scene    in    (.i    auf   das   Frankfurter 


70  BUEFF    ÜBKE    HÖPFNER 

Psp.     alle    entsprechenden    scenen   anderer   spiele,   die   ihrerseits 
mit    W   oder   mit  Frft   verwant   sind,    bleiben    aufser    betracht, 
weil   sie  keine  unmittelbaren    beziehungen   zum   vorliegenden   Gr 
haben,      aber    eben    nur    ein    vergleich    aller    Versionen    dieses 
Magdalenenspiels  in  ihrem  ganzen  verlauf,  nur  der  versuch  einer 
entwicklungsgeschichte     dieses    spiels    kann    den    wert    solcher 
einzelbeziehungen  wie  hier   zwischen  W  >  G  >  Frft.  bt^stimmen. 
man  hat  gesagt,  eine  geschichte  der  deutschen  geistlichen  spiele 
in  ihrem  Zusammenhang  sei  unmöglich,   ehe   nicht  genug  einzel- 
untersuchungen  vorlägen;   ich  möchte    dem    den  richtigeren  satz 
gegenüberstellen:    jede   einzeluntersuchung   ist  wertlos  und  irre- 
führend,  wenn  der  verf.  nicht  den  energischen  versuch  gemacht 
hat,  die  gesamtheit  der  spiele  in  ihrem  Zusammenhang  zu  über- 
sehen,    wie  kann  man  zb.  so  typisch  formelhafte  verspaare  wie 
die  soll  :  (jolt-  und  gut  :  hut-zeilen  (s.  145fj    die  in  kaum   einem 
osterspiel   fehlen ,  für   eine   verwantschaft  von  G  >  Frft   in  an- 
spruch  nehmen?  —  Wenn  G  und  Frft  in  der  würfelscene   beide 
die  Wendung   gebrauchen    tvir  wollen  spielen  uf  disen   steyn    G 
und    rudel  uf  dem  steine  Frft.,    darf   man   vielleicht  daran    er- 
innern,   dass    man   in   Mainz   und   in  Frankfurt  of  dem   heifsen 
stein    (mit   würfeln)    spelte,    d.  h.   in    dem    städtischen    spielhans 
(Chron.  d.  d.  Städte  xviii  226).  ■ —  Auf  eine  tatsache  möcht   ich 
noch  besonders  aufmerksam  machen.    G  zeigt  in  seiner  knappen 
osterscene    aufser    einem    anklang    an    einen    formelhaften    reim 
(1324  f)  keine  berührung  mit  dem  text  des  deutschen  osterspiels-,. 
dagegen  verrät  der  dichter  an  anderer  stelle,   dass  ihm  das  sog. 
Zehnsilberspiel  bekannt  ist:  v.  666f  Jesus:  ir  werdent  alle  dir re 
nach        von  mir  flihende  bit  mach.        wan  ir  haut  gehöret  wol 
sagen:        so  der  hirte  wirt  geslagen,        so  werdent  die  schefelin 
veriaget;    das   entspricht  dem   iani  percusso   ceu  pastore        oves 
errant  miseri,        sie  magistro  discedente        turbantur  discipuli. 
2.  Hopf  ners  teilweise  sehr  glückliche  arbeit  gilt  den  beiden 
wichtigsten  Vertretern  des  reifen  deutschen  osterspiels,  dem  Inns- 
brucker (I)  und  dem  Wiener  (W)  text.    irreführend  ist  es,  wenn 
er  im  titel   zu  den  zweien  das  Berliner  fragment  einer  krämer- 
seene   als   Berliner  osterspiel   stellt,   denn   darunter   muss  man 
zunächst  das  vollständige  Berliner  osterspiel  von  1460  (fol.  1210) 
verstehn.   ■ —    Die  handschrift  von  I   stammt    aus   jenem    Augu- 
stiner chorherrenstift  Neustift  bei  Brixen,  dessen  kirche  die  ge- 
beine   Oswalds   vWolkenstein   birgt,     die  interessante   notiz    am 
schluss  der  hs.   aus  der  wir  diese  ihre  herkunft  erfahren,  bezieht 
sich  eben  auf  den  tod  des   Ohsaldus  Wolkenstainer  prebendari^is 
Novecellensis    am    2  aug.   1445.      den    Schreiber    von    I    (1391) 
localisiert    H.    nach    sprachlichen    kriterien    in    einem     kleinen 
gebiet   dessen   mittelpunct  Schmalkalden  ist.     ich  stimme  diesim 
resultat  umso   freudiger  zu,   als  ich   selbst  auf  grund  allerdings 
nicht    ganz    systematischer    beobachtungen    zu    annähernd    dem 


INKSBRUCKER,    BERIJNEK,    WIENER    08TEJ{SI>IKI,  7  1 

gleichen  resultat  gelangt  war.  zugleich  bedanere  ich  aber  aiicb. 
dass  die  beweisführung  Höpfners  in  seiner  'zusannnent'assunjr' 
fs.  38 ff)  nicht  ganz  so  zwingend  erscheint,  wie  es  hd  ausführ- 
licher darlegung  der  sehr  problematischen  dialektgeograpliisclien 
Verhältnisse  des  hennebergischen  und  energischer  tixierung  ne^'a- 
tiver  grenzen  nach  den  Urkunden  wol  möglich  {rewesen  wiire. 
vielleicht  kann  ich  einiges  dazu  nachholen. 

Die  zuverlässige  alte  grenze  gegen  das  hessische  ist  mehr- 
fach gesichert',  dagegen  niüste  die  besonders  interessante  nord- 
bzw.  nordostgrenze  des  heimatgebietes  von  I  genauer  festgelegt 
sein.  H.  bemerkt  s.  40:  'jedem,  der  sich  mit  der  älteren  thür. 
spräche  beschäftigt  bat,  muss  bei  dieser  localisierung  im  eigent- 
lichen Thüringen,  speciell  in  Nordthüringen,  zunfichst  auffalk-n. 
dass  die  hauptmerkmale  des  älteren  thür.  dialekts  fast  voll- 
kommen fehlen,  ich  meine  vor  allem  die  pronominal  formen  xnif, 
ome.  ort,  oz  usw.;  ici,  iH,  /.'  aber  gerade,  wie  weit  dieses 
sprachliche  eigentliche  Thüringen  im  14  jh.  nach  süden  greift, 
muss  uns  interessieren,  nach  dem  geringen  material  das  mir 
eben  vorligt  (Hennebg.  ob..  Erfurt,  üb.;  s.  Höpfner  litter.),  darf 
man  als  nordostgrenze  des  hennebergischen  gegen  die  von  H. 
angeführten  erscheinungen  den  Rennsteig  annehmen,  im  uord- 
westen  von  Schmalkalden  ist  wie  =  ivir  in  einer  Urkunde  des 
kl.  Breitungen  v.  1338  (Hennebg.  üb.  bd  II  nr  l)  belegt,  es  gibt 
aber  noch  eine  branchbarere  grenze,  auf  die  mich  der  contrast 
zwischen  I  und  dem  thür.  Berl.  frgt  gebracht  hat.  schon  dem 
herausgeber  des  Hennebg.  üb.  bd  III.  Brückner,  der  nach  seiner 
terminologie  sicher  kein  grofser  sprachgelehrter  war,  fällt  der 
unterschied  zwischen  hennebg.  und  thür.  Schreibung  von  nihd. 
Ott  in  den  Urkunden  auf  (Hennebg.  üb.  III  s.  V).  in  I  hält 
sich  au-  (oder  atv  =  ouw)  und  o«-sclireibung  etwa  die  wage 
(H.  s.  9),    im  Berl.  frgt  steht  ou  ioir  =  omr)  neben  oy:   koufeii. 

'  Im  vorübergehn  möcht  ich  uoch  auf  eine  nebenbüehlichere  preni» 
im  Westen  aufmerksam  machen,  besondere  deshalb,  sveil  die  siiraehliche  er- 
scheinung  die  sie  abschlieltit,  heute  noch  dieselbe  Verbreitung  wie  im 
14  jh.  hat.  über  das  präfi.x  der  ^^  er  in  derloubet  502  und  weit  öfter  in 
Maria  Himmelfahrt  von  demselben  Schreiber  sagt  H.  (e.  12):  'es  scheint 
wesentlich  ostmd.  zu  sein',  der  Sp.-atl.  verzeichnet  die  letzten  vereinzelten 
f/er-orte  im  Westen  in  der  gegend  von  tJchlüchtern,  J^teinau,  i?oden  (4  ort«* 
im  oberen  Jossatal)  und  bis  in  die  gegend  von  Tulda.  aus  dem  urkundeu- 
material  der  Wetterau  und  Buchoniens  ergibt  sich  folgendes  bild  der  Ver- 
breitung von  der-  und  dir-:  Steinau  137<)  Keimer  IV  3,  13H(^  R.  IV  19«; 
kl.  Schlüchtern  1331  K.  H  379,  13.  K.  FI  519.  13Ü0  K.  HI  337.  1377 
R.  IV  57,  1381  R.  IV  238,  13.  R.  IV  579.  1394  R.  IV  G83.  139S  R.  IV  791 
Elm  1361  R.  IH  371,  13G6  R.  HI  519;  Herolz  1417  R.  Hl  :;91 
Hütten  (auf  Schwarzenfels)  1364  K.  IH  4(12.  Hütten:  Kbersberg  (s.o.  Fuldaj 
1375  R.  IV  nachtr.  81.  Hütten  (betr.  Schlüchtern)  R.  III  095.  Hütten 
(Steckelberg)  1388  R.  IV  4t)4;  Burg-.Iossa  1343  R.  II  Ulf),  134(1  K.  U 
686;  Mittel-Obersinn-Jossu  137J  R.  IV  27;  .1.  v.  VVichelsbach  (zeug.  Hutt 
Schlucht.  Steinau)  1314  It.  II  655;  Fulda  {z\^.  135:.-72)  R.  III  65Ü. 
1374  R.  III  679,   1378  Banr  V  45.^..   1119  Schunnat  CCII  u.  mil. 


72  ItUEFF    ÜBEK    HÖPFNER 

koufschaz  neben  koyfen,  koyfman,  koyflüte,  loyfen,  toyhen  (adj,) 
(H.  s.  49).  die  hennebg.  Urkunden  (dabei  auch  die  schraalkaldi- 
schen)  haben  in  der  2  hälfte  des  14  jh.s  weitaus  überwiegend  au. 
jenseits  der  nordöstlichen  Rennsteiggrenze  wird  ebenso  überwiegend 
ou,  daneben  oi,  oij  geschrieben,  ich  notiere  nur  o-,  ol-,  oy- 
schreibung.  im  üb.  von  Erfurt  finden  sich  oi,  oy  sehr  häutig, 
zuerst  1278  koipf,  underkoifer  (Erf.  üb.  II  293).  näher  dem 
Eennsteig:  Uelleben-Laucha  (bei  Gotha)  1362  ividerkoyfe,  f'roy- 
win  (Hennebg.  üb.  III  nr  LXIV),  Schwarzburg- grf.  Käfernburg 
(Ilmenau)  1374  vorkoyfe  neben  vorkouft^  koufere  (Hennebg.  üb. 
V  nr  CCXCI).  gegen  nw.  bestätigt  sich  die  grenze  diesseits  des 
doppelklosters  Breitungen  (zwischen  Schmalkalden  und  Salzungen), 
wo  in  zahlreichen  Urkunden  ou  stark  überwiegt;  dazu  Br.  1343 
verkoffe,  gekoft,  frowen  (Hennebg.  üb.  II  nr  C),  Br.  1350  ver- 
koft  u.  ä.,  frowin  (ib.  CXV'),  Stein -Altenstein  1350  vorkofi, 
vorkoefe  (ib.  CXXVI),  kl.  Breitungen  im  verkehr  mit  einem 
Salzunger  burgmann  13.J4  vorkoife,  koifern  neben  vorkouft, 
widerkouf  (ib.  CXCI),  ebenso  (!)  1355  vorkoyfen,  vorkouft, 
kaufen  (ib.  CXCIX),  Br.  1357  koyfen,  kouf  (Hennebg.  üb.  III 
nr  VIII). 

Diese  nordwestgrenze  des  hennebergischen  zwischen  Schmal- 
kalden einerseits  und  Salzungen-Breitungen  anderseits  deckt  sich 
mit  der  grenze  zwischen  hochfränkisch  und  md.,  die  Wrede 
Zs.  37,  298  (und  nach  ihm  Behaghel  Gesch.  d.  d.  spr.)  ange- 
nommen hat  (vgl.  auch  Hertel  Thür.  Sprachschatz  s.  8.  20) : 
'in  der  gegend  der  Fuldaquelle  zweigt  die  diminutivlinie  von 
der  pf-\m\Q  gen  no.  ab :  sie  läuft  Fladungen,  Wasungen.  Schmal- 
kalden zur  rechten  und  Kaltennordheim,  Salzuugen  zur  linken 
lassend,   auf   den   kämm  des  Thüringerwaldes  los  und  folgt  dem 

Rennsteig    nach  so und    diese    hfr.-thür.   dialectgrenze 

stimmt  wenigstens  vom  schnitt  mit  der  Werra  an  mit  der  alten 
ostfr.-thür.  gaugrenze  überein,  westlich  von  der  Werra  sind 
übereinstimmend  nach  der  gau-  und  nach  der  heutigen  diminutiv- 
karte Sal Zungen,  Breitungen  thüringisch  (vgl.  Hertel  aao.) 
und  Fladungen,  Wasungen,  Schmalkalden  fränkisch.'  zwischen 
dieser  wnw.-  und  der  Rennsteiggrenze  ligt  das  heimatland  unserer 
spiel-hs.  wie  ein  breiter  keil,  dessen  spitze  etwa  der  Insel- 
berg ist. 

Eine  charakteristische  erscheinung  in  I  ebenso  wie  in  diesem 
gebiet  ist  die  mischung  von  her  und  er.  zu  ihrer  beurteilung 
hat  H.  die  beobachtungen  Wredes  Zs.  30,  141  f  scheinbar  nicht 
benutzt,  es  handelt  sich  ja  um  dieselbe  gegend,  in  der  Wrede 
den  Tatian  mit  seinem  überwiegenden  her  neben  he  und  er 
localisiert:  'durch  eine  linie,  die  ungefähr  von  Lohr  a.  M.  bis 
Brüokenau  in  der  Rhön  zu  der  p  /  pf-grenze  stimmt,  dann  östl. 
auf  Königshofen,  nordöstl.  auf  Schleusingen  und  die  südausläufer 
des   Thüringer  waldes    zugeht,    wird   heute   laut  Sp.-a.  von  dem 


INNSBHUCKEH,    BERLINER,    WIENEU    OSTEUSI'IEL  ' .'> 

htr.  gebiet  ein  kleiner  nördl.  teil  abgeschnitten,  in  welchem  das 
alte  he  mit  dem  fremdling  er  um  das  dasein  ringt,  während 
südlich  davon  die  form  ar  di*'  alleinherrschaft  führt  .  .  .  .'  so 
hätten  wir  auch  eine  leidlich  sichere  südgrenze  (H.  s.  39),  aber 
eine  solche  ist  überhaupt  unnötig,  denn  eine  reihe  von  erschei- 
nungen  in  I  drängen  nach  dem  norden  des  gegebeneu  gebietes, 
d.h.  nach  dem  winkel  des  keils  in  dem  Schmalkalden  ligt.  als 
solche  erscheinungen  gelten  mir:  1.  die  vielen  mt  neben  ««,  in 
der  Maria  Himmelfahrt  des  gleichen  Schreibers  sogar  ein  paar- 
mal glohen ,  glowhestu.  im  Fronleichnamspiel  rroi/den,  verloi/kente 
(11.  s.  ;»).  2.  e  <  /  in  off.  silbe  nie  in  henneb.  urk.,  häutig  abei- 
in  thüringischen;  heute  gehlehen  niJrdl.  Meiningen  gesprochen 
(H.  s.  39).  3.  diphthongierung  noch  nicht  eingedrungen.  4.  .sc//a/- 
neben  6a7-formen  nur  zweimal  in  den  vielen  Schmalkalder  Ur- 
kunden (zu  Höpfners  nachweis  von  1335  noch  —  wol  von  anderem 
Schreiber  —  1333  Hennebg.  üb.  II  nr.  XIV  u.  XV).  5.  .sfcaupea 
(V.  72S)  neben  stamphestti  (v.  739),  das  man  doch  nicht  so  ohne 
weiteres  als  Schreibfehler  ansehen  darf  (H.  s.  40;.  6.  diminutiv 
sulhigen  v.  619  (von  H.  übersehen  s.  14)  neben  gewühul.  lln- 
suffix.  —  so  spricht  tatsächlich  starke  Wahrscheinlichkeit  für 
Schmalkalden.  H.  weist  für  die  im  ma.  blühende  Stadt  geist- 
liche spiele  im  16  jh.  nach.  1603  wurde  ein  Spiel  von  der 
Zerstörung  Jerusalems  aufgeführt;  der  lose  angefügte  schlussact 
der  Maria  Himmelfahrt  unseres  Schreibers  ist  eben  ein  spiel  von 
der  Zerstörung  Jerusalems. 

Das  Berliner  frgt  (14  jh.)  ist  mit  recht  im  thüringischen 
d.h.  im  eigentlichen  thüringischen  nördl.  der  angegebenen  grenze 
localisiert.  die  ansieht  Zachers,  der  das  frgt  in  einer  hand- 
schriftlichen notiz  auf  dem  Umschlag  der  hs.  als  niederrheinisch 
bezeichnet  hat.  brauchte  kaum  widerlegt  werden. 

Das  osterspiel  aus  der  Wiener  sammel-hs.  von  1  172.  der 
wir  auch  den  schles.  Wiener  Oswald  verdanken,  wird  im  ostcn 
Schlesiens  in  der  nähe  des  Xeissestädtchens  Ottmachau  v.  32(t.  16i 
localisiert.  H.  widerspricht  mit  recht  Baesecke,  der  das  spiel  in 
die  zeit  Bolkos  IL  (1301  —  46)  setzen  will;  von  Höplners  da- 
tierung  'zweite  hälfte  oder  ausgang  des  14  jh.s'  will  mir  die 
•zweite  hälfte'  bei  dem  textlich  mehrfach  geschichteten  und  ver- 
wilderten text  als  zu  früh  erscheinen. 

Weniger  einverstanden  bin  ich  mit  dem  zweiten  teil  der 
arbeit  über  die  litterarischen  beziehungen  zwischen  I.  W  und 
lierl.  frgt.  der  grundlegende  fehler  ligt  in  «1er  aufirabestellung 
selbst,  schon  im  sprachlichen  teile  der  untersuchniigen  war  es 
anvorsichtig,  alle  reime  für  die  spräche  'des  dirhteis'  in  an- 
spruch  zu  nehmen,  als  ob  jedes  der  spiele  ein  Individuum,  niciit 
das  resultat  langer  entwicklung  wäre,  als  ob  nicht  in  jedem  vor 
lUem  alte,  pietätvoll  bewahrte  textelemente  steckten,  die  ganz 
sicher  nicht  gerade  im  hennebergischen  oder  im  schlesischen  zu- 


74  BUBFF    ÜBER    HÖPFNEK,    OSTERSPIBL 

hause  sind.  H.  hätte  mit  seiner  feststellung  der  gegenseitigen 
beziehungen  bei  den  alten  kern-scenen  einsetzen  müssen;  er  hätte 
sich  dann  gezwungen  gesehen,  die  entsprechenden  teile  aller 
anderen  osterspiele  heranzuziehen  und  wäre  so  dem  problem  der 
textgeschichte  des  alten  deutschen  osterspiels  entgegengetrieben 
worden,  nur  von  diesem  problem  aus  darf  man  zur  vergleichung 
einzelner  spiele  kommen,  wie  ich  schon  im  analogen  aber  weniger 
wichtigen  fall  bei  Wolter  angedeutet  habe,  so  aber  vergleicht 
H.  von  der  peripherie  her,  mit  dem  prolog  beginnend,  scene  für 
scene  die  spiele,  die  sich  in  seiner  arbeit  zufällig  zusammen- 
gefunden haben,  es  besteht  für  ihn  kein  unterschied  zwischen 
den  einzelnen  beziehungen  nach  art  und  richtung,  gleichviel  ob 
sie  nun  alte  oder  junge  textschicht  betreffen,  es  wird  voraus- 
gesetzt, dass  die  beziehung  zwischen  I  und  W  eine  einmalige 
sei.  H.  fühlt  selbst  das  unfruchtbare  und  in  der  darstellung 
unerquickliche  dieses  Vergleiches:  'oft  kommt  man  allerdings 
über  eine  anfzählung  nicht  hinaus,  dann  müssen  wir  uns  eben 
begnügen,  einige  lose  verbindungsfäden  herzustellen',  natürlich 
gelangt  er  zu  keinerlei  geschlossenem  resultat  und,  so  sehr  er 
sich  bemüht,  über  Wirths  sinnlose  parallelenjagd  hinauszukommen, 
so  kann  er  eben  doch  nicht  mehr  geben  als  ein  vorsichtig  sor- 
tiertes Vergleichs-material,  das  späteren  das  aufsuchen  der 
einzelnen  parallelen  erspart. 

Wertvoll  ist  der  nachweis  einzelner  komischer  stellen  der 
krämerscene  in  der  nichtdramatischen  litteratur,  so  bei  Fischart, 
Alberus  (s.  138)  und  in  einem  bair.  schwank  (s.  137).  ich 
möchte  zu  s.  138  noch  auf  die  lügenpredigt  'Vom  Packofen', 
Zs.  36,  150  ff,  aufmerksam  machen,  die  auch  sonst  im  Wortlaut 
(zb.  V.  117)  anklänge  an  die  krämerscene  zeigt.  —  wichtig  ist 
auch  die  feststellung  (s.  135),  dass  I  die  österreichische  Variante 
Prolant  (<  Brabant)  hat,  die  wir  aus  Erlau  und  aus  der  Wiener 
Rubinus-rolle  kennen,  (ich  habe  mich  in  Innsbruck  selbst  über- 
zeugt, dass  die  handschrift  Prolant  hat.) 

Wenn  H.  am  schluss  die  textliche  verwantschaft  mit  der 
gemeinschaftl.  'ostmitteldeutschen  heimat'  in  Verbindung  bringt, 
so  darf  er  sich  dabei  ja  nicht  darüber  hinwegtäuschen,  dass  das 
gemeinsame  pf  gegenüber  wmd.  p  u.  dgl.  doch  recht  wenig  mit 
den  gegenseitigen  beziehungen  zu  tun  hat,  und  dass  I  dem 
Wolfenbütteler,  dem  Trierer,  dem  rheinhess.  (Berliner)  osterspiel 
von  1460  und  auch  dem  Egerer  osteract  örtlich  viel  näher  steht 
als  dem  oberschlesischen  spiel. 

Berlin- Wilmersdorf  [1914]. 

Hans  RueiT 

[gefallen  in  Flandern  am  21   april  1918]. 


WALZEL     ÜHEH     \VITK(tl',     l»IK     NKlIKKi;    DKi;  isril  i:     |,M;IK  7  ,"> 

Die  neuere  dentschc  Lyrik  vun  JMiilipp  >Vhk<»p.  Leipzig  und 
Berlin,  R.  G.  Teubncr.  i;»10-13.  2  Bde  :M>r>  vii  n  :S80  8s  8"  — 
10  M. 

Ein  recht  anregendes,  frisch  geschriebenes,  ja  Hottes  buch! 
getrag-en  von  dem  Verständnis  das  ein  dichterisch  tätiger  junger 
gelehrter  dem  geschäft  des  dichters  entgegenbringt,  aber  auch  von 
der  ganzen  eigenwilligkeit  des  Werturteils  die  den  jungen  dich- 
tem eigen  ist.  achtenswert  ist  das  streben,  übei-  einen  engen 
kreis  der  betraclitung  hinauszudringen  zu  gröfseren  zusammen- 
hängen, es  stützt  sich  auf  gute  kenntnis  der  weltanscliauüchen 
Wandlungen.  W.  weifs  feine  bemerkungen  über  dichterische  form 
vorzutragen,  er  möchte  innerhalb  einer  entwicklung  die  ent- 
scheidenden halt-  und  wendepuncte  bestimmen,  gewis  ist  seine 
arbeit  sehr  geeignet,  weitere  kreise  anzuregen  und  an  den  gegen- 
ständ zu  fesseln,  kurz,  es  kann  nur  empfohlen  werden.  Witkops 
gedankengängen  zu  folgen  und  sich  mit  seinen  aufstellungcn 
auseinanderzusetzen. 

So  könnte  ich  mein  urteil  formen  und  mich  mit  diesem  urteil 
begnügen,  wenn  W.  nicht  den  anspruch  erhöbe,  auch  der  Wissen- 
schaft etwas  ganz  neues  zu  sagen,  ja  in  ironischen  Seitenblicken 
dem  wissenschaftlichen  betrieb  der  auf  dem  gleichen  gebiete 
herscht,  heimleuchten  zu  dürfen,  andere  ansprüche,  die  von  W.s 
leistung  erhoben  wurden,  die  auch  befriedignng  fanden,  kommen 
hier  nicht  in  betracht. 

Ich  spreche  nicht  als  unbedingter  anwalt  der  •litterarhisto- 
riker',  die  für  W.  augenscheinlich  eine  gesellschaft  blinder,  ver- 
rannter und  unbelehrbarer  gesellen  sind,  aber  ich  habe  auch 
keine  veranlassung,  einwände  die  ich  gegen  diesen  oder  jenen 
brauch  unserer  Wissenschaft  auf  dem  herzen  habe  und  denen  ich 
schon  mehrfach  ausdruck  lieh,  bei  gelegenheit  von  W.s  arbeit 
besonders  in  den  Vordergrund  zu  schieben. 

W.  betitelt  sein  buch:  'Die  neuere  deutsche  lyrik'.  tatsäch- 
lich umfasst  es  folgende  teile,  eine  kurze  theoretische  Unter- 
suchung steht  voran,  nach  W.s  Zeugnis  eine  ältere  arbeit,  die 
den  wegpunct  zeichnet  von  dem  er  ausgegangen  war.  bis  zu 
Günther  schildert  W.  die  deutsche  lyrik  als  ein  ganzes,  und  zwar 
in  zwei  abschnitten:  'Die  ältere  lyrik'  und  'Die  mystiker".  auf 
die  Unzulänglichkeiten  des  ersten  abschnitts  geh  ich  nicht  ein 
und  auch  nicht  auf  die  bewertungen,  die  der  minnesang,  das 
Volkslied,  'das  wir  doch  ursprünglich  und  vielleicht  in  seinen 
besten  erzeugnissen  als  bauernlied  deuten  müssen'  is.  34),  und 
besonders  das  geistliche  lied  des  mittelalters  finden,  die  welt- 
liche lyrik  des  17  jh.s  zu  begreifen,  nimmt  W.  si(  h  nicht  die 
geringste  mühe,  bleibt  vielmehr  in  den  üblichen  abgünstigen 
urteilen  stecken  und  schreitet  nicht  vor  zum  Verständnis  dieser 
barockkunst,  während  doch  gerade  jetzt  das  barock  und  dessen 
formwille  allmählich  begriffen   wird,     nicht  vom  »«arock.  sond«ru 


76  WALZEL    ÜBEFi    WITKOP 

von  der  mystik  aus  dringt  W.  tiefer  in  die  geistliche  lyrik  der 
zeit  ein  und  hat  besonders  über  Spee  treffliches  zu  sagen. 

Fortan  indes  gibt  W.  die  zusammenfassende  betrachtung 
auf  und  reiht  bis  an  das  ende  seiner  arbeit  persönlichkeit  an 
persönlichkeit,  ich  gebe  das  Verzeichnis  der  persönlichkeiten, 
hebe  auch  noch  hervor,  dass  ab  und  zu  in  die  characteristik 
dieser  menschen  kürzere  bemerkungen  über  ihre  nächsten  nachbarn 
eingefügt  sind;  so  spricht  der  abschnitt  'Mörike'  von  Schwab  und 
von  Chamisso,  der  abschnitt  'Heine'  von  Wilhelm  Müller,  der  ab- 
schnitt 'Meyer'  von  Strachwitz.  im  ersten  band  folgen  aufein- 
ander: Günther,  Brockes,  Haller,  Hagedorn,  die  Anakreontiker, 
Klopstock,  Schubart,  Claudius,  Bürger,  Hölty,  Goethe,  Schiller, 
Hölderlin;  im  zweiten:  Novalis,  Brentano,  Eichendorff,  Uhland, 
Mörike,  Lenau,  Platen,  Heine,  Hebbel,  die  Droste,  Keller,  Meyer, 
Fontane,  Storm,  Liliencron,  Nietzsche. 

Litteraturgeschichte,  wie  W.  sie  fasst,  'darf  nicht  den  ehr- 
geiz  empirischer  "Vollständigkeit"  haben'  (ii  s.  vn).  ich  selbst 
lege  gar  kein  gewicht  auf  solche  empirische  Vollständigkeit  (in 
anführungszeichen).  doch  von  der  jüngsten  deutschen  lyrik  hat 
W.  würklich  recht  wenig  zu  melden,  wenn  er  nur  Liliencron  und 
Nietzsche,  im  nebenwinkel  noch  Greif  nennt,  fast  scheint  es,  als 
ob  W.,  der  Verächter  berufsmätsiger  beschränktheit,  hier  unver- 
sehens den  grundsatz  mancher  litterarhistoriker  aufgenommen 
hätte,  lebende  dichter  seien  von  wissenschaftlicher  betrachtung 
auszuschliefsen.  die  ganze  lange  reihe  der  toten  die  er  aus- 
schaltet soll  nicht  aufgezählt  werden. 

Lenz  oder  Maler  Müller  fehlen  ebenso  wie  Waiblinger  oder 
Scheffel,  die  vielen  die  nur  beihin  und  meist  mit  ein  paar  ver- 
nichtenden Worten  abgetan  werden,  rechne  ich  nicht  vor.  Freilig- 
rath  wird  abgefertigt  mit  der  Wendung,  seine  'giraffen-,  mohren- 
und  blumenrachenballaden'  atmeten  die  phantasie  eines  lyrischen 
'commis  voyageur',  in  seinen  späteren  socialen  balladen  wird  er 
'echter  und  ernster'  (ii  312). 

Scharf  zugespitzte  Werturteile  ähnlicher  art  erscheinen  viel- 
fach bei  W.  nur  kann  ihnen  nicht  nachgesagt  werden,  dass  sie 
besonders  neues  zu  bekunden  wissen,  auf  dem  wege  den  W. 
geht,  sind  längstgefällte  Werturteile  in  solcher  menge  anzutreffen, 
dass  mit  Werturteilen  kaum  förderliches  noch  geleistet  werden 
kann,  auch  ligt  es  W.  nicht  daran,  wesentliche  neue  bewer- 
tungen  vorzunehmen,  rettungen  begegnen  bei  ihm  kaum,  so 
eigenwillig  er  auftritt,  er  bleibt  doch  ziemlich  in  den  alten  gleisen, 
soweit  das  Wertverhältnis  der  dichter  in  frage  kommt,  er  reifst 
gern  einem  dichter  den  ruhmeskranz  vom  haupte,  aber  auch  da 
lassen  sich  Vorläufer  die  gleiches  übten,  rasch  nachweisen,  er 
ist  nicht  der  erste  der  die  bedeutung  einzelner  deutscher  lyriker 
unterschätzt. 

Sein  mafsstab   ist  zunächst   sein  persönliches  künstlerisches 


DIE    NEUERE    DEUTSCHE    LYKIK  77 

gefühl.  und  er  poolit  auf  dieses  o^efühl  in  voller  üherzrugiintr, 
dass  nur  ein  dichter,  nie  ein  gelehrter  da  mitsprechen  dürfe! 
ganz  wie  er  ständig  den  leitsatz  verticht,  es  sei  ein  Unglück,  wenn 
ein  gelehrter  sich  aufs  dichten  lege,  so  gesteht  er  auch  dem  ge- 
lehrten die  fähigkeit  nicht  zu,  einen  dichter  zu  begreifen. 

Am  anfang  des  buches  (s.  10  IT)  erörtert  W.  grundsätzlich 
die  frage  nach  der  subjectivität  und  objectivität  des  dichters.  er 
wendet  sich  gegen  neuere  forscher,  die  meinten,  der  objective 
dichter  gebe  sein  ich  preis,  damit  die  weit  sei,  der  subjective 
löse  die  weit  auf,  um  nur  in  sich  zu  sein,  so  habe  man  Shake- 
speare zu  einem  genie  der  äulseren  beobachtung  gemacht,  dem 
keine  zeit  blieb  sich  selber  zu  suchen,  kein  bedürfnis  in  sich 
ein  selbst  von  imponierender  macht  zu  gestalten,  es  folgt  ohne 
angäbe  des  gewährsmanns  ein  längeres  citat,  das  diese  ansieht 
von  Shakespeares  wesen,  diese  nach  W.s  meinung  falsche  an- 
sieht, weiter  ausführt,  dann  setzt  W.  fort:  'nur  ein  gelehrter, 
dem  seine  Wissenschaft  immer  stoff  und  gegenständ  bleibt,  immer 
ein  allgemeines  körperliches  oder  geistiges  object,  konnte  sich 
von  einem  künstlerischen  genie  diese  seltsame  Vorstellung  machen, 
als  wenn  man  einen  genialen  character  gestalten  könnte,  ohne 
selber  einer  zu  sein!'  grofse  kunst,  alles  wahrhaft  schöpferische 
könne  nicht  durch  äufsere  beobachtung,  vielmehr  nui-  im  ureigenen, 
ursprünglichen  leben  gebildet  werden,  das  individuelle  sei  das 
wesen  der  kunst  im  gegensatz  zur  Wissenschaft,  die  das  allge- 
meine wolle,  'nur  die  art  in  der  uns  der  dichter  seine  indivi- 
dualität  gibt,  ist  verschieden:  der  dramatiker  und  epiker  gibt  sie 
uns  mittelbar,  der  lyriker  unmittelbar,  in  beiden  ist  es  die  über- 
gewalt  des  lebensgefühls,  das  sie  zum  ausdruck,  zur  gestaltung 
drängt,  aber  art  und  bewegung  dieses  lebensgefühls  ist  beim 
epiker  und  dramatiker  centrifagal,  in  gewaltigen  wellen  und 
wirbeln  strömt  es  von  seinem  innersten  in  die  objecte,  beim  lyriker 
ist  die  bewegung  centripetal,  sie  reifst  die  weit  der  objecte  in 
immer  engeren  wirbeln  in  das  eigen  inne  "ste  ich'. 

Der  gelehrte  der  hier  von  W.  berichtigt  wird,  ist  —  wie 
jeder  kenner  auch  aus  meiner  gekürzten  widergabe  ersieht  — 
üilthey.  W.  nennt  ihn  nicht;  und  das  mag  den  eindruck  rück- 
sichtsvoller bescheidenheit  wecken,  dennoch  erblicke  icli  in  W.s 
einwänden  nichts  anderes  als  die  geläutige  ei-scheinung:  ein  an- 
fänger  zerrt  aus  einem  gröfseren  Zusammenhang  ein  paar  sätze 
heraus  und  nutzt  sie  zu  einem  angriff  gegen  die  wolüberlegte 
reife  arbeit  eines  führers  der  wissenscl)aft.  die  stelle  von  der 
ich  rede,  gehört  ja  zu  der  'älteren  arbeit'  W.s.  die  er  an  die 
spitze  seines  buches  zu  stellen  den  mnt  hatte,  warum  verschonte 
er  seine  leser  nicht  lieber  mit  solclien  ersten  Übungen  von  der 
höhe  einer  seminararbeit?  er  hätte  dann  mindestens  vermieden, 
am  anfang  des  ersten  bandes  gegen  den  gleichen  gelehrten 
zwecklos  zu  polemisieren,  der  am  anfang  des  zweiten  bandes  (s.  v) 


/ö  AVALZEL    ÜBER    WITKOP 

als  zeuge  für  den  wert  von  W.s  arbeit  aufgerufen  wird  und 
dem  auch  nach  seinem  hingang  der  zweite  band  gewidmet  worden 
ist.  sollte  das  nur  eine  palinodie  sein,  so  hätte  sie  als  palinodie 
gekennzeichnet  werden  müssen,  mir  könnte  solches  vorgehen  nur 
verleiden,  mich  je  wider  auf  Diltheys  Zustimmung  zu  berufen, 
mir  und  wol  auch  andern,  denn  man  kommt  durch  solche  be- 
rufung  nachgerade  in  eine  seltsame  gesellschaft. 

W.  widmet  seinen  zweiten  band  dem  andenken  Diltheys.  W. 
erklärt  am  anfang  des  zweiten  bandes,  er  wolle  in  Diltheys 
richtung  weiterschreiten,  derselbe  W.  hat  die  unbescheidenheit, 
am  anfang  des  ersten  bandes  Dilthey  zu  belehren,  das  individuelle 
sei  das  wesen  der  kunst  im  gegensatz  zur  Wissenschaft,  die  das 
allgemeine  will !  Dilthey  soll  das  nicht  gewust  haben !  die  worte 
über  Shakespeare,  die  Dilthey,  'nur  ein  gelehrter',  in  seinem  werk 
'Das  Erlebnis  und  die  Dichtung'  (3  aufläge  s.  204)  äufsert  und  die 
von  W.  angeführt  und  bekämpft  werden,  wollen  Shakespeare  von 
-Goethe  trennen,  den  starken  Wesensunterschied  beider  kennzeich- 
nen, mit  keiner  silbe  behauptet  Dilthey,  dass  Shakespeare  ein 
genialer  Charakter  nicht  gewesen  sei,  mit  keinem  wort,  dass 
Shakespeare  nur  beobachtungsfähigkeit  für  sein  schaffen  ins  werk 
gesetzt  habe,  dagegen  deutet  Dilthey  auf  einen  grundsätzlichen 
gegensatz  im  dichterischen  verhalten  zum  mitmenschen :  Goethe  ist 
minder  als  Shakespeare  geneigt,  aus  jedem  menschen,  der  ihm 
entgegentritt,  den  eigensten  ton  herauszuhören,  weil  er  vor  allem 
sein  eigenes  selbst  gestalten  will  und  dieses  selbst  gegen  die 
andern  menschen  behaupten  möchte,  ich  finde  die  Scheidung 
viel  wertvoller  als  W.s  reden  vom  centrifugalen  und  centripe- 
talen,  das  doch  nur  wider  zusammenrührt  was  von  Dilthey 
sauber  geschieden  worden  war.  ferner  bezweifle  ich  lebhaft,  dass 
Dilthey  der  belehrung  bedurfte,  künstlerisches  schaffen  beruhe 
auf  einer  Übergewalt  des  lebensgefühls,  das  zu  ausdruck  und  ge- 
-staltung  dränge,  mindestens  ist  diese  anschauung  mit  Diltheys 
äufserung  über  Shakespeare  wol  zu  verbinden. 

Warum  sagte  W.  nicht:  Diltheys  worte  über  Shakespeare 
könnten  von  kurzsichtigen  falsch  aufgefasst  werden,  als  meine 
Dilthey,  Shakespeare  sei  nur  beobachter  und  nicht  schöpfer  ge- 
wesen? daher  müsse  noch  besonders  hinzugesetzt  werden,  dass 
alle  grolse  kunst  aus  dem  innern  des  künstlers  komme;  doch 
•dieses  Zusatzes  bedürfe  es  nicht  für  den  einsichtigen,  dann  wäre 
W.  nicht  in  die  läge  geraten,  offene  türen  einzurennen  und  gegen 
selbstgeschaffene  windmühlflügel  eine  lanze  zu  brechen. 

In  reiferer  form  erscheinen  W.s  anschauungen  vom  objec- 
tiven  und  vom  subjectiven  dichter  am  eingang  des  abschnitts 
über  Gottfried  Keller  (ii  283  ff).  W.  stellt  im  Verhältnis  von 
weit  und  ich,  von  object  und  subject  drei  möglichkeiten  des 
.lebensgefühls  fest: 

1.  Das  subject  ist  noch  nicht  zu  einem  eigenbe wustsein  er- 


DIK    NF.URRE    »EUTSCHK     I.VIjrK  79 

wacht,  das  ich  existiert  nur  als  teil  der  weit,  seine  erkenntuis 
begreift  es  nur  als  ein  passives  abbilden,  sein  künstlerisches  schaffen 
als  ein  treues  nachbilden  der  würklichkeit. 

2.  Das  subject  reift  in  langsamer,  jahrtausendlauf^er  soiule- 
rung  zum  selbstbewustsein,  das  individuum  fühlt  sich  in  schmerz, 
in  grübeln,  in  Vereinsamung  anders  als  seine  umweit,  als  die 
weit,  es  fühlt  sein  recht,  seine  pflicht,  anders  zu  sein,  es  begreift 
sein  subjectives  recht  und  die  macht  des  subjects.  nicht  das 
subject  wird  durch  die  objecte  geformt,  sondern  es  formt  sicJi 
die  weit,  alles  erkennen  enthüllt  sich  als  ein  erschallen,  noch 
geheimnisvoller  aber  als  dem  erkennen  eignet  den)  künstlerischen 
schaffen  ein  schöpferisches  gestalten  neuen  lebens.  am  grofsartig- 
sten  erlebt  die  Weltgeschichte  diese  selbstbejahung  gleichzeitig  in 
Kant  und  Goethe. 

3.  Nachdem  object  und  subject  in  schroffer  einseitigkeit 
behauptet  sind,  kann  ein  letztes  weltgefühl  beide  umspannen, 
kann  es  subject  und  object  in  ihrem  ewig  notwendigen  gegen- 
satz,  ihrem  ewigen  kämpf,  ihrer  gegenseitigen  Steigerung  bejahen. 

Diesen  drei  grundformen  des  lebens-  und  weltgefühls  ent- 
sprechen die  drei  grundfoimen  der  dichtung:  die  objectivität 
des  epos,  die  subjectivierung  der  lyrik,  der  ewig  notwendige 
Zwiespalt  und  kämpf  zwischen  object  und  subject  im  drama. 
Kleist  erscheint  in  solcher  beleuchtung  als  der  tiagikei-  der 
Deutschen. 

Um  nicht  mit  kanonen  auf  spatzen  zu  schiefsen,  bemerke 
ich:  die  dreiteilung  ist  eine  arabeske.  angebracht  am  eingang 
zum  abschnitt  über  Keller,  verwertet  wird  sie  lediglich,  um  zu 
zeigen,  wie  Keller  von  der  lyrik  zur  epik  sich  zurückbilden,  wi»' 
er  von  subjectiver  dichtung  zu  objectiver  sich  zurückwenden 
muste.  äufserungen  Kellers,  die  von  W.  zum  teil  abgedruckt 
werden  (s.  290  f),  sprechen  diesen  Werdegang  seines  dichtens 
i)hne  mühsame  abstraction  und  Verallgemeinerung  aus.  Keller 
wüste,  dass  er  vom  'geniefsen  und  absondern  nach  Stimmungen 
und  romantischen  liebhabereien'  zur  'hingebenden  liebe  an  alles 
gewordene  und  bestehende'  hatte  weiterschreiten  müssen,  iiin 
vom  lyriker  znm  epiker  zu  werden.  W.  führt  noch  wort«- 
Flauberts  und  Thomas  Manns  an  (s.  2S8  f);  sie  weisen  auf  die 
notweudigkeit  hin,  die  den  epiker  zwingt  den  eigenwilligen 
wünschen  des  lyrikers  und  seinem  sonderemptinden  zu  entsagen, 
genau  besehen,  genügen  die  alten  ausdrücke  'objectiv'  und  'suh- 
jectiv',  um  den  künstlerischen  gegensatz  festzulegen,  es  ist  auch 
oft  gesagt  worden,  dass  ältere  zelten  objectiver  fühlten  al^ 
unsere;  dass  es  mithin  unseren  dichtem  nicht  leicht  werde,  die 
objectivität  des  epos  in  sich  auszuwirken,  daher  sind  die  folgenden 
feinen  worte  W.s  auch  ohne  seine  grofsartige  eingangsarabeske 
und  dreiteilung  zu  verstehn,  ja  im  wesentlichen  auch  gewis  von 
W.  längst  erfasst  gewesen,  elie  er  (lie  eingangsarabeske  zeichnete: 


80  WALZEL    ÜBER    WITKOP 

'der  neuere  epiker  ist  aus  der  unbewusten  einheit  der  weit  hin- 
ausgetreten, er  hat  den  einsamen,  wehen  kämpf  um  sein  subject 
aufgenommen,  er  hat  sein  recht  mit  der  ganzen  leidenschaft  des 
künstlers  empfunden,  er  hat  davon  geträumt,  auf  alles,  alle 
menschen  und  dinge  den  Stempel  seiner  persönlichkeit  zu  drücken, 
sich  die  weit  zu  unterwerfen,  aber  sein  Charakter  ist  sein  Schick- 
sal: seine  natur,  sein  weltgefühl  —  vorherbestimmt  und  unab- 
leitbar wie  jedes  letzte  lebensgefühl  —  besitzt  nicht  die  göttliche 
Selbstsucht,  die  sieghafte  Sicherheit,  die  unwiderstehliche  herscher- 
bestimmung  des  lyrikers,  der  sich  weit  und  menschen  unter- 
ordnen, in  ihm  lebt  von  anfang  an  jene  tiefe  gerechtigkeit,  die 
das  recht  der  anderen  zu  ehrfürchtig  fühlt,  um  das  eigene  rück- 
sichtslos gegen  sie  durchzusetzen,  einsam  dringt  er  an  dieser, 
an  jener  stelle  ins  leben  vor,  um  frühzeitig  wider  zurückzu- 
weichen, wenn  er  die  stelle  von  einem  anderen  behauptet  oder 
beansprucht  findet,  immer  zagender,  immer  entsagender  ringt 
er  darum,  bis  er  eines  tages  sein  tiefstes  wesen,  seine  innerste 
bestimmung  begreift:  er  wird  die  weit  besitzen,  indem  er  ihr 
entsagt,  indem  er  alle  persönlichen  ansprüche  preisgibt,  indem 
er  nicht  eins  sein  will,  kann  er  alles  sein,  so  opfert  er  sein 
ich  für  die  weit,  um  seiner  all-liebe  willen,  seiner  all-gerechtig- 
keit.  und  nun  ist  der  Zwiespalt  ausgelöscht,  die  epische  objec- 
tivität  ist  möglich,  von  sich  weifs  er  nicht  mehr,  von  sich 
spricht  er  nicht  mehr,  nun  ist  sein  innerstes  glück,  dem  atem- 
zuge  aller  weit  zu  lauschen,  den  herzschlag  jeden  dinges  zu 
fühlen,  dessen  recht,  dessen  art  zu  künden  und  darzustellen, 
unergründlich,  unübersehbar  ligt  nun  die  fülle  der  erscheinungen 
vor  ihm  und  wartet  auf  ihn  als  ihren  selbstlosen  anwalt,  ihren 
liebenden  apostel'  (s.  287  f). 

Sehr  hübsch  zeigt  W.  noch,  wie  allmählich  die  subjectivität 
aus  Kellers  lyrik  verschwindet,  und  wenn  auch  manches  urteil 
das  W.  über  einzelne  züge  von  Kellers  dichtung  fällt,  mir  durch- 
aus nicht  zusagt,  kann  ich  nur  erklären,  dass  von  W.  recht 
gut  dargetan  wird,  wie  Keller  allmählich  zu  seinem  eigentlichen 
beruf  sich  durchgerungen  hat. 

War  es  indes  nötig,  solchen  förderlichen  darlegungen  die 
anspruchsvolle  arabeske  voranzustellen  ?  vom  drama  ist  ja  über- 
haupt nicht  weiter  die  rede,  und  so  durfte  es  auch  am  eingang 
wegbleiben,  wenngleich  es  mir  persönlich  nur  willkommen  sein 
kann,  dass  W.  über  die  wurzel  von  Kleists  tragik  ebenso  denkt 
wie  ich ;  er  konnte  nur  durch  solche  auffassung  zu  der  ansieht 
gelangen,  dass  Kleist  —  in  seinem  sinn  —  der  tragiker  der 
Deutschen  sei.  er  hätte  ebensogut  Hebbel  als  zeugen  für  seine 
behauptung  anführen  können,  ob  aber,  was  von  Kleist  und 
Hebbel  und  von  dem  Verhältnis  beider  zu  object  und  subject 
gilt,  gleich  auch  auf  alle  andere  tragik  sich  anwenden  lasse, 
stelle   ich    dahin,     noch  zweifelhafter  ist  mir  die  parallele  aller 


DIE    NEÜERK    RF-ÜTSCHF.    f.VHIK  M 

h'i-ik  einerseits  und  Kants  und  Cioetht-s  andt-rseits.  {^enau  so 
gut  wie  von  einer  selbstbejahunf?  des  subjects  bei  Kant  und 
Goethe  gesprochen  werden  kann,  liefse  sich  bei  beiden  selbst- 
verneinung  des  subjects  feststellen,  ich  finde  all  das  derart  ins 
abstracte  getrieben,  dass  mir  die  erscheinungen  unter  der  band 
entwischen. 

Dilthey  spendete  dem  capitel  über  Keller  —  is  war  als 
Freiburger  antrittsrede  schon  trüber  ausgegeben  worden  —  seinen 
beifall.  so  berichtet  W.  (s  v).  nachahmung  von  grolsen  drei- 
teilungen  Diltheys  glaube  ich  in  der  eingangsarabeske  zu  ver- 
spüren, mir  selbst  ist  jeder  Ordnungsversuch  willkommen,  der 
auf  der  inneren  verwantschaft  erkenntnistheoretischer  und  künst- 
lerischer tätigkeit  ruht  und  vermöge  dieser  verwantschaft  licht 
in  die  weltauffassung  des  künstlers  hineinträgt,  doch  möcbt 
ich  wünschen,  dass  er  tiefer  begründet  und  minder  obenhin  an- 
gestellt werde  als  W.  dies  tut.  vorläutig  hab  ich  nur  den 
eindruck,  W.  kleide  längstbekanntes  und  längstgesagtes  in  ein 
schimmerndes  gewand.  um  ihm  den  anschein  des  neuen  zu  leihen, 
den  Schimmer  aber  borgt  er  —  ein  zeichen  der  zeit  -  von  der 
Philosophie. 

Minder  anspruchsvoll  arbeitet  der  erste  band  durchaus  mit 
dem  gegensatz  von  gefühl  und  reflexion,  spricht  er  von  der 
selbstrefiexion  im  Zeitalter  der  auf klärung  (s.  157).  erblickt  er  in 
Schubart  den  'grösten  und  einseitigen  Vertreter  des  gefülils*  in 
der  lyrik  (s.  175).  widerholt  er  mehrfach,  wie  bei  Goethe  ge- 
fühl und  reflexion  zu  unmittelbarer  einheit  gediehen,  und  be- 
hauptet, dass  Schillers  denken  um  das  problem  von  gefühl  und 
reflexion  von  anfang  an  kieiste.  das  ist  samt  und  sonders  nicht 
neu,  ja  es  ist  in  älteren  darstellungen  der  deutschen  litteratur 
des  1  S  Jahrhunderts  noch  häutiger  zu  finden  als  in  neueren,  die 
gern  minder  allgemein  sich  fassen  und  das  seelisciie  problem  in 
seine  Voraussetzungen  hinein  zu  verfolgen  bemüht  sind,  wenn 
indes  W.  behauptet  (s.  3(i5),  Schiller  sei  sich  zuerst  über  ilie 
culturelle  bedeutung  dieses  gegensatzes  und  seiner  verwanten 
gegensätze  klar  geworden,  also  'darüber  dass  ihre  entwicklung 
die  entwicklung  der  menschheit  in  sich  schlo.ss',  so  irrt  er  sehr, 
die  entwicklungsgeschichtliche  Verwertung  des  gegen.satzes  von 
gefühl  und  reflexion  ist  weit  älter,  ich  brauche  wol  nicht  zu 
sagen,  wo  W.  näheres  über  diese  frage  erfahren  konnte. 

Nicht  neu  ist  innerhalb  der  leitgedanken  des  buclies  die  er- 
wägung,  wieweit  lyrische  begabung  auf  musikalischer  anläge 
ruht,  wieweit  der  rhythmus  lyrischer  dichtung  aus  musikaliscbeu 
erlebnissen  erwächst,  bei  ilülderlin  und  bei  Nietzsche  kommt 
der  Zusammenhang  besonders  zur  spräche,  merkwürdigerweise 
nicht  bei  Schiller.  \V.  arbeilet  noch  immer  mit  der  überwundenen 
Vorstellung,  dass  bei  Schiller  zunächst  der  gedanke  zu  dichtung 
wird.  er  scheint  nicht  zu  ahnen,  dass  das  urerlebnis  der 
A.  F.  I>.  A.    .xxxviii.  •; 


82  WAIiZEL    ÜBJ3F    WITKOP 

'Künstlei'  nicht  gedauklicher,  soudern  musikalischer  art  war. 
ganz  seltsam  verworren  klingt  daher  alles  was  W.  (s.  343  f) 
über  den  augenblick  zu  sagen  hat,  in  dem  Hölderlin  'die  melodie 
seines  wesens'  entdeckte,  da  hätte  W.  unbedingt  auch  auf  die 
melodie  Schillers  stofsen  müssen,  die  ja  zuerst  Hölderlin  völlig 
beherscht.  W.  weifs  nur  zu  berichten,  dass  Hölderlin,  als  er  zu 
seiner  eigenen  melodie  sich  durchrang,  die  'aclitzeiligen  reim- 
strophen  Schillers'  aufgab,  die  'wie  ein  gebirgsbach,  der  die 
lange  hemmende  schleuse  zerbrochen,  überschäumend  voranstürzeu'. 
warum  aber  ist  im  abschnitt  über  Schiller  nicht  von  diesem 
rauschen  und  überschäumen  die  rede?    ist  das  nicht  auch  melodie? 

Noch  eine  reihe  von  leitmotiven  wäre  aufzuzeigen,  am 
besten  glückt  das  motiv  der  naturschilderung  und  des  natur- 
gefühls.  es  setzt  sehr  glücklich  bei  Spee  ein  und  ersteigt  seine 
höhe  in  dem  vorzüglichen  abschnitt  über  die  Droste.  leitmotiv- 
artig tritt  auch  betrachtung  des  sonetts  da  und  dort  hervor: 
bei  Goethe  (i  280  ff)  fragt  W.,  wie  dieser  'ungoethischen  dicht- 
weise' das  innere  erleben  Goethes  entsprechen  konnte,  und  sucht 
die  frage  zu  beantworten,  bei  Platen  fesselt  W.  die  Überwin- 
dung der  Sonettenform  (ii  181).  bei  Hebbel,  meint  W.  (ii  24.^^», 
finde  das  sonett  über  seine  romanische  vorzeit  hinaus  zuerst 
sein  inneres  gesetz.  das  ist  natürlich  falsch;  richtig  ist,  dass 
einem  dialektiker  von  Hebbels  prägung  die  sonettform  be- 
sonders lag. 

An  diesen  leitmotiven  und  ihrem  Schicksal  beobachte  ich 
vor  allem,  dass  der  Wissenschaft  mit  darstellungen  nicht  gedient 
ist,  die  so  völlig  im  persönlichen  stecken  bleiben  wie  W.s  arbeit, 
und  nicht  nur  im  persönlichen,  auch  noch  im  biographischen, 
eine  entwicklung  ist  in  einem  nacheinander  von  Charakteristiken 
nicht  zu  zeichneu.  die  fragen  vollends,  über  die  wir  auskauft 
haben  möchten,  lassen  sich  nicht  einfach  in  Schilderungen  von 
dichtem  nebenbei  abtun,  meines  erachtens  ist  W.s  arbeit  nur  ein 
neuer  beweis,  wie  dringend  wir  zusammenfassende  Untersuchungen 
über  die  probleme  brauchen,  die  er  nur  leitmotivartig  anklingen 
lässt.  die  eingaugsarabeske  des  abschnitts  über  Keller,  der  ver- 
such, lyrik  und  epik  (meinetwegen  auch  drama)  zu  scheiden, 
wäre  minder  unzulänglich  ausgefallen,  wenn  W.  nicht  nur  in 
der  widergabe  einer  'älteren  arbeit'  die  allgemeinen  fragen  er- 
örtert hätte,  sollten  schon  die  persönlichkeiten  in  voller  gröfse 
mann  für  mann  aufziehen,  so  wäre  doch  am  ende  der  arbeit 
Gelegenheit  gewesen,  die  allgemeinen  ergebnisse  zusammenzu- 
fassen, jetzt  bleibt  sogar  eine  frage,  die  von  W.  vielfach  berührt 
wird  und  in  jüngster  zeit  dank  Dilthey  im  Vordergrund  der 
betrachtung  stand,  ungeklärt:  das  wesen  des  künstlerischen  er- 
lebnisses. 

W.  spricht  einmal  (i  277)  von  gedichten  Goethes,  die,  wie 
der  litterarhistoriker  enttäuscht   constatiere,   'ohne  jeden   persön- 


DIK    NKUKKK     l»K(  TSORK    liYRIK  SJ 

liehen  anlass'  entstanden  seien,  ich  möchte  nicht  mit  W.  über 
die  frage  rechten,  ob  von  einem  persönliclieu  anlass  von  'Schäfers 
Klagelied'  oder  von  'Trost  in  Tränen'  kein»-  rede  sein  könne, 
aber  wohin  küme  W.  selbst,  wenn  er  nicht  von  den  persönlichen 
anlassen  reden  könnte?  seine  beiden  bände  wären  ganz  wesent- 
lich dünner  ausgefallen,  wenn  er  mit  mehr  Zurückhaltung 
die  biographischen  Voraussetzungen  vorbrächte.  W.  seihst  wirft 
(i  115)  folgende  fragen  auf:  'was  ist  denn  erlebnisV  ist  es  da« 
einzelne,  aufsergewöhnliche  ereignis  im  leben  des  künstlersV  er 
antwortet:  'gewis  nicht,  denn  wir  wissen,  dass  ein  dichter  zb. 
von  den  emptindungen  eines  mörders  tiefer  und  notwendigei' 
rechenschaft  zu  geben  weifs  als  der  mörder  selber,  es  ist  nicht 
das  einzelne  erlebnis,  sondern  das  ganze  erleben  des  künstlers. 
um  das  es  sich  handelt',  sehr  richtig!  ja  vielleicht  liefse  sich 
der  grofse  abstand  zwischen  dem  äufseren  lebensvorgang  und 
dem  künstlerischen  erlebnis  noch  stärker  betonen,  warum  indes 
verweilt  W.  selbst  so  lange  bei  den  einzelnen  au fserge wohnlichen 
ereignissen  im  leben  der  dichterV  tastet  er  nicht  an  dem  problem. 
das  ganze  erleben  eines  dichters  zu  bestimmen,  nur  beiläufig 
herum,  wenn  er  seine  leser  mit  einer  fülle  lebensgeschichtlicher 
«Einzelheiten  überschüttet?  ist  die  Marienbader  Elegie  würklich 
als  kunstwerk  nur  zu  fassen,  wenn  haarklein  die  unschöne  auf- 
nähme geschildert  wird,  die  Goethes  absieht,  Ulrike  von  Levetzow 
zum  weibe  zu  nehmen,  bei  seiner  familie  fand?  die  stelle  auf 
die  ich  hier  deute  (i  296  fj,  ist  ja  wol  der  schlimmste  fall  dieser 
art  im  ganzen  buch,  allein  sie  nimmt  dem  buch  auch  das  letzte 
recht,  über  litteraturhistoriker  zu  spötteln,  die  am  persönlichen 
anlass  haften  bleiben. 

Wie  allgemein  und  verschwommen  der  begriff  des  künst- 
lerischen erlebnisses  bei  W.  bleibt,  das  wird  auch  bezeugt  durch 
den  satz  (i  320):  'Die  Jugendgedichte  Schillers  sind  trotz  ihrer 
lebensfremde  aus  dem  erlebnis  erwachsen  und  wissen  oft  durcii 
die  kühne  gewalt  der  bilder  —  wie  in  der  'Gröfse  der  Welt', 
in  der  'Schlacht'  —  den  mangel  an  unmittelbarer  wirklichkeil 
zu  ersetzen',  solche  phrasen  mögen  schlechten  Schulbüchern  und 
conversationslexiken  und  deren  ästhetisierendem  gerede  überlassen 
bleiben,  logik  und  wissenschaftlichen  ernst  sucht  man  in  ihnen 
vergebens,  die  stellen  die  ich  zuletzt  anführte,  gehören  durchaus 
dem  ersten  band  an.  im  zweiten  sind  ähnliche  entgleisungen  weit 
seltener,  immerhin  wird  auch  hier  in  dem  abschnitt  über  Heine 
deutlich,  dass  W.  nicht  über  die  mittel  verfügt,  künstlerisches 
erleben  dann  zu  begreifen,  wenn  es  nicht  unmittelbar  aus  einem 
Iters'inlichen  anlass  und  aus  einem  einzelnen  lebensvorgang  stammt 
recht  verneinend  klingt  fast  alles  was  über  Heine  gesajjt  wird 
das  macht:  W.  versagt  —  oei  einigen  feinen  bemerkungen  übe» 
lyrische  form  —  dort  wo  ein  künstlerisches  forniproblem  zu 
fassen  ist.     er  verdenkt  Heine   den   weiten    abstand,    der  Hein«> 


84  WAIi/EL    Ü15EK    WITKOP,    DIE    NEUERE    DEUTSCHE    LYRIK 

Hufseres  leben  von  seiner  dichtung  trennt,  ebenso  wie  er  den 
weiten  abstand,  der  zwischen  einem  echten  altheimischen  Volks- 
lied nnd  Heines  volksliedartiger  dichtung  klafft,  ihm  zum  Vor- 
wurf macht,  diese  abstände  stellt  W.  mit  viel  Verständnis  für 
echte  liebeslyrik  und  echtes  Volkslied  fest.  noch  die  etwas 
dunkeln  worte,  die  W.  (ii  202)  über  die  unio  mystica  des  lieben- 
den und  der  geliebten  sagt  und  über  ihre  bedeutung  für  echte 
liebeslyrik,  nehme  ich  gern  hin.  aber  war  neben  aller  Ver- 
neinung von  der  tatsächlichen  künstlerischen  leistung  des  'Buches 
der  Lieder'  gar  nichts  zu  berichten,  als  dass  es  in  Ironie  endet? 
die  mythologie  der  Nordseebilder  in  strafendem  ton  als  'ver- 
kleinernde salonraythologie'  ablehnen  (ii  205)  heifst  allerdings 
Heine  so  völlig  misverstehn,  dass  nach  einer  solchen  leistung 
kaum  noch  auf  verständnisvolle  worte  über  Heines  art  und  kunst 
zu  rechnen  ist. 

Wie  die  frage  nach  dem  wesen  des  künstlerischen  erlebnisses 
von  W.  nicht  befriedigend  beantwortet  wird,  so  kommt  bei  ihm 
auch  das  menschlich  wertvolle,  menschlich  nachfühlbare  und  er- 
lösende der  künstlerischen  forraung  des  erlebnisses  zu  wenig 
heraus,  und  zu  wenig  scheidet  er  lyriker,  die  in  diesem  sinne 
berufene  erlöser  ihrer  mitmenschen  sind,  von  künstlern,  die  über 
gleiche  gäbe  nicht  oder  mindestens  in  geringerem  umfang  ver- 
fügen, von  Dilthey,  dem  'gelehrten',  hätte  er  da  manches  lernen 
können,  ich  mindestens  danke  ihm  die  bestätigung  meiner  eigenen 
beobachtuugen  und  ich  berief  mich,  als  ich  in  meiner  kleinen 
Schrift  über  "Leben,  Erleben  und  Dichten'  diese  beobachtuugen 
vorlegte,  ausdrücklich  auf  Dilthey.  mein  schriftchen  wurde  von 
W.  natürlich  nicht  benutzt,  ist  er  doch  in  der  auswahl  seiner 
gewährsmänner  ungemein  vorsichtig,  so  vorsichtig,  dass  auch  ihn  der 
Vorwurf  trifft,  den  ich  gegen  arbeiter  auf  dem  gebiet  der  deutschen 
litteraturgeschichte  längst  zu  erheben  gelegenheit  hatte:  während 
auf  jedem  anderen  wissenschaftlichen  gebiet  dem  forscher  zur 
pflicht  gemacht  wird,  die  bestehende  und  geleistete  arbeit  zu  be- 
rücksichtigen, schreibt  man  über  dichter  frisch  drauf  los,  ohne 
sich  um  die  forschung  anderer  zu  bekümmern,  dass  man  es  hie 
und  da  doch  tut,  erkennt  nur  der  geschulte  fachmann,  wenn  er 
unversehens  auf  äufserungen  stöfst,  die  ihm  längst  geläutig  sind, 
auch  W.  liebt  solche  anleihen  bei  älterer  forschung.  aber  natür- 
lich vermeidet  er  sorgfältig,  seine  gewährsmänner  zu  nennen. 

Doch  das  wurde  ihm  von  anderer  seite  schon  vorgehalten, 
ich  brauche  darum  mich  nicht  weiter  über  diese  seite  seiner 
arbeit  zu  äufsern.  aus  gleichem  grund  verzichte  ich  darauf, 
ihm  die  verstöfse  gegen  die  rechtschreibung,  zunächst,  aber  nicht 
blofs  der  namen,  vorzuhalten. 

Dresden,  5  September  1914.  0.  Walzel. 


WALZEL  ÜB.  CAMINADK,  r,E3  CHANTS  DKS  OUKCS  DK   W.   MI  I.I.Ki:        S.') 

Lc3  chants  des  Grecs  et  lo  plii  lliell.'ii  ismo  <le  Williolm 
Müller  par  («uston  ("amiiiiide.  Pari».  Fiiiix  Aic^in.  \'^\^^ 
198  p.    8".  —   5  fr. 

In  der  stunde  in  der  icli  diese  anzeige  abfasse,  berührt 
es  wie  bittere  ironie,  von  dem  bueli  eines  Franzosen  über 
Wilhelm  Müller  berichten  zu  müssen,  und  zwar  noch  über 
Müllers  'Lieder  der  Griechen',  soll  dem  Verfasser  deutscher  dank 
gesagt  werden  dafür  dass  er  deutscher  dichtung-  von  dem  frei- 
heitskampf  der  Griechen  seine  arbeitskraft  gewidmet  hat,  wol 
bewust  dass  in  Müllers  sängen  die  Stimmung  der  deutsclieii 
befreiungskriege  nachklingt?  C.  prüft  seinen  stoff  mit  kühlem 
herzen,  ihn  fesselt  wol  kaum  der  deutsche  dichter  an  sich,  vielmehi- 
nur  die  Spiegelung  eines  politischen  Vorgangs  der  aul'serhalb 
Deutschlands  liegt,  ihm  ist  Müllers  Griechendichtung  *le  raonu- 
nient  le  plus  curieux  du  philhellönisme  allemand,  parce  qu'elle 
traduit  le  mienx,  dans  son  integralite  et  sa  coraplexite,  cet 
enthousiasme  qui  tit  tressaillir  l'Europe  devant  la  Gr^ce  regen6r6e' 
(s.   191). 

C.  wendet  viel  fleifs,  aber  auch  recht  viel  wort»;  an  seine 
Untersuchung,  er  hat  im  einzelnen  neues  zu  sagen,  er  kommt 
über  deutsche  forschung,  auch  über  Arnold,  hinaus,  vielfach  wol 
nur  durch  die  umfangreichere  heranziehung  von  quellen  auf  die 
schon  längst  hingewiesen  worden  ist.  er  geht  aus  von  dem 
menschen  Müller  und  schildert  ihn  als  hnmanisten.  politiker.  dann 
mit  besonderer  betonung  als  thiisten.  die  entstehung  der  Grifchen- 
lieder  berichtet  er,  indem  er  die  Chronologie  prüft  und  die  ver- 
schiedenen ausgaben  nebeneinanderstellt,  eine  tabelle  versinn- 
licht  die  ergebnisse  dieser  bemühung.  das  umfänglichste  capitel 
ergründet  die  geschichtlichen  Voraussetzungen  der  einzelnen 
griechensänge  Müllers,  es  zerfällt  in  fünf  abschnitte,  nach  Pouque- 
ville,  Castellan  uaa.  schildert  C.  die  Griechen  der  zeit  und  die 
Stämme  und  gegenden  die  für  Müller  besonders  wichtig  waren, 
er  weist  schon  hier  auf  verse  Müllers  hin  i druckt  sie  sogar  ge- 
legentlich ab),  die  mit  motiven  griechischer  cultur  oder  örtlich- 
keit arbeiten,  ja  er  meint  (s.  ISf)  in  einer  stelle  von  »'orais 
*M(5moire  sur  Tetat  actuel  de  la  civilisation  cn  (in-oe'  (  1S(>:<).  die 
verdeutscht  in  Ukerts  'Gemälde  von  Griechenland'  (181  li  über- 
gegangen ist,  die  quelle  des  'Kleinen  Hydrioten'  aufdecken  zu 
können,  die  weiteren  vier  abschnitte  erzählen  nach  den  gleichen 
quellen,  und  indem  sie  Müllers  lieder  an  passender  stelle  heran- 
holen, den  anfang  des  krieges,  das  verhalten  der  grofsmächte  zu 
<Jriechenland,  die  jähre  182'2  W,  cndlicli  Byrons  .'ingnlfen  iin.l 
tod  und  den  fall  von  Missolun:rhi.  natürlich  ertreben  sich  da 
zahlreiche  einzelnachweise  von  quellen  Müllers,  .lern  Verfasser 
scheint  es  aber  weniger  um  die  frage  zu  tun  zu  sein,  wie  Müller 
seine  stofflichen  vorlagen  verwertet,  als  um  die  gescliichtliohe 
treue  der  Griechenlieder,    darum  stellt  er  immer  neben  die  ;jlteii 


S()  WALZEL    ÜBER    CÄMINADE 

berichte,  die  Müller  {gekannt  bat  oder  haben  kann,  die  dar- 
stellungen  neuerer  forscher,  vom  künstlerischen  gestalten  komrat 
man  auf  diese  weise  stark  ab.  und  mitunter  gibt  es  seltsame 
entgleisungen.  das  gedieht  auf  Kanaris  'Die  Zweihundert  und 
der  Eine'  veranlasst  (s.  87)  die  frage,  wie  Müller  zu  der  zahl 
zweihundert  gekommen  sei.  mit  grofser  Wahrscheinlichkeit  nimmt 
C.  an,  eine  falsche  Zeitungsnachricht  sei  schuld,  dann  aber  setzt 
C.  fort:  'Pouqueville  nous  permet  de  rectitier  cette  erreui".  und 
er  nennt  nach  Pouqueville  die  wahie,  viel  bescheidenere  zifrVr. 
ich  bezweifle  nicht,  dass  nur  eine  ungeschickte  wendung  vorli;2t. 
tatsächlich  aber  erweckt  sie  den  eindruck,  als  sei  ein  gedieht 
wie  ein  geschichtlicher  bericht  zu  behandeln  und  sachlich  zu 
'berichtigen',  ganz  überflüssig  wird  (s.  88  f)  von  'liypotheseu" 
geredet,  die  das  gedieht  'Bozzari'  fordere,  es  ist  ein  totengesanp' 
auf  Mark  Bozzari,  aber  Bozzari  lebte  damals  noch,  soll  C.s 
wahrscheinliche  Vermutung,  dass  auch  hier  eine  falsche  nach- 
richt  zu  gründe  liege,  gleich  hypothese  heifsenV  Hatrteld  hatte 
in  seiner  ausgäbe  (s.  473)  allerdings  gemeint,  das  gedieht  beziehe 
sich  auf  einen  bruder  Mark  Bozzaris,  und  gleich  noch  ein»- 
weitere  haltlose  Vermutung  angefügt,  ganz  recht,  dass  C.  sich 
an  Hatfield  nicht  anschliefst. 

Recht  brauchbar  auch  vom  standpunct  einer  Würdigung  der 
künstlerischen  arbeit  Müllers  ist  das  capitel  über  die  litterarischen 
quellen  und  Vorbilder,  formeigenheiten  der  neugriechischen  poesie 
und  der  deutschen  befreiungslyrik  werden  in  den  Griechenliederu 
nachgewiesen,  die  Vögel  die  gern  am  eingang  der  lieder  er- 
scheinen, die  neigung  mit  fragen  zu  beginnen :  C.  belegt  all  das 
durch  treffende  beispiele.  allerdings  führt  er  auch  da  nur  weiter 
was  von  Arnold,  ja  von  Goethe  schon  festgestellt  worden  war. 
auch  was  über  den  politischen  vers  und  seine  Verwertung  durch 
Müller  gesagt  wird,  hätte  füglich  mit  Arnolds  forschung  in  aus- . 
drücklichen  Zusammenhang  gebracht  werden  können,  dann  wüste 
der  leser  wenigstens,  wieweit  C.  etwas  neues  zu  sagen  meint, 
statt  dessen  gibt  es  recht  zwecklose  einwände  gegen  Arnold. 
die  widerholung  des  eingangsworts  oder  der  eingangsworte 
{'Boholina!  Boholina':  oder  'Hohe  Fforie!  Hohe  Pforte':)  will  C. 
nicht  mit  Arnold  auf  neugriechische,  sondern  auf  deutsche  be- 
freiungslyrik zurückführen  (s.  129).  war  nicht  vielmehr  fest- 
zustellen, dass  sie  da  wie  dort  und  auch  noch  anderswo,  zb.  in 
spanischer   volkslyrik,    beliebt   ist?^     etwas   dürftig   ausgefallen 

'  wie  wenig  herausltomuit,  wenn  C.  steine  einwände  gegen  Arnold 
richtet,  beweist  die  stelle  (s.  115):  'Arnold  compare  le  'Petit  Mai'note'  au 
'Knabe  Robert'  de  Arndt:  la  resseniblance  eutre  le  jeiine  Klephte  de  Müller 
et  celui  de  la  chanson  nt^o-greque  est  beaucoup  plus  frappante'.  C.  meint 
ein  Med  das  er  nach  Kinds  Übersetzung  von  1861  anführt,  freilich  muss 
er  die  frage  offen  lassen,  ob  Müller  das  original  oder  eine  ältere  Über- 
tragung   auch    nur    gekannt   hat.     Arnold    hingegen    hatte   nicht  den  'Jlai- 


LES    CHANTS    DES    (iRECS    DK    UIDHELM     MÜU.KH  87 

ist  der  abschnitt  über  Mülleig  beziehunpen  zu  ältpiej  deutscher 
Griechendichtung. 

Nach  allem  was  bis  dahin  in  C.s  buch  über  die  lonn  der 
Ciriechensänge  Müllers  gesagt  ist,  hinkt  das  capitd  über  'la 
valeur  litteraire  des  Griechcnlieder  etwas  nach,  glücklicher- 
weise ist  es  nicht  blofs  auf  ein  Werturteil  angelegt,  sondern  ef 
hebt  noch  einige  forme igenheiten  hervoi-,  die  bis  dahin  kein*- 
eingehendere  beachtung  gefunden  hatten,  seltsamerweise  begnügt 
sich  C.  liier,  die  verstechnik  (natürlich  soweit  der  politische  verB 
nicht  in  betracht  fällt)  mit  einem  hinweis  auf  Arnold  zn  er- 
ledigen. 

Die  beiden  schlusscapitel  sprechen  von  Müllers  Übertragung 
der  neugriechischen  Volkslieder  die  von  Fanriel  gesammelt 
worden  waren,  und  von  den  'Keimen  aus  den  Inseln  des  Archi- 
pelagus'.  die  38  'Reime'  werden  stück  für  stück  auf  ihre  Vorbilder 
geprüft,  schon  Hattield  hatte  für  30  dieser  'Reime'  angegeben,  anJ 
welche  nummern  der  von  Müller  übertragenen  Sammlung  Faurieli- 
sie  zurückgehn.  C.  weist  noch  die  Vorbilder  von  viei-  weiteren 
'Reimen'  nach,  so  dass  nur  noch  vier  unbestimmt  bleiben  (Der 
Rausch  vor  dem  Trünke,  Spielzeug  der  Liebe,  Geduld  der  Liebe, 
Das  erste  Liebeszeichen). 

Die  bibliographie  C.s  hat  auch  neben  dem  vortrefflichen 
artikel  des  neuen  Goedeke  (viii.  '282  tY)  über  Griechendichtungei; 
einigen  wert,  weil  sie  sich  zum  teil  andere  ziele  setzt,  mit  dem 
artikel  über  Müller  selbst  will  sie  nicht  wetteifern. 

Die  drnckerei  von  Paul  Brodard  in  Coulommieis  wurde  den 
deutschen  texten  die  in  C.s  arbeit  angeführt  sind,  wol  gerecht, 
kleine  Unstimmigkeiten  finden  sich  wol,  mögen  aber  nicht  dem 
Setzer  zur  last  fallen:  s.  70  z.  S  hatt  für  hat,  s.  7  7  z.  1  dec 
citates  Laszt  für  Lasz,  z.  6  hohen  für  rohen,  s.  9tt  z  2  de?- 
titates  im  schwarzen  Moder  statt  in  srhirarzein  Moder,  s.  142 
z.  3  v.  u.  Griechischer  für  (>riechisches  Feuer,  ebenda  z.  2  v.  u 
Könnte  ich  meine  Feder  tauchen  statt  Könnt  ich  meine  Feder 
doch,     ich  gebe  da  nur  Stichproben. 

nottenknaben',  sondern  den  'Kleinen  Hydrioten'  gemeint,  alt>  t-r  ih  1'28) 
sagte:  'Arndts  knabe  Robert  in  der  fustanella'.  die  iibereiuNtimiuuQv 
bleibt  bestehu,  aucb  wenn  der  'Kleine  Hydriot'  eine  tjucllt-  in  der 
neugriechischen  dichtuug  hat.  Arnold  denkt  wol  nur  an  diese  übereio- 
stimmung.  die  von  künstlerischer  bedeutung  ist,  und  meint  doch  sicher 
nicht,  dass  Müller  au.';  der  dichtung  der  befreiungskriege  etwai  in  dit 
neugriechische   weit  versetze,   was  dieser  weit   frenul   sei. 

Dresden,    14  august   1914.  0.   Wiil/.i 

<■.  V.  Meyer-Studien   von  Eduard  Korrodl.     Leipzig.   ilitesMi   iM. 
VII  u.  15Ö  88.     S".  —  r'  m 

K.  hat  sich  die  aufgäbe  gestellt,  die  zubammenh.'iiige  zwischen 
jersönlichkeit   und  stil  zu  verfolgen,  und  gkichzeifig  will  er  aucl; 


88  GEJGEK    ÜUER    KORRODI 

einmal  CFMeyer.  in  die  litteraturgeschichtliche  entwicklung  der 
vSchweiz  einreihen,  das  eine  geschieht  durch  die  nähere  erörte- 
rung  des  maler-dichterproblems  bei  den  Schweizer  dichtem,  das 
andere  hauptsächlich  durch  die  Untersuchung  darüber,  wie  sich 
dieses  problem  bei  Meyer  individuell  gestaltet  hat.  das  ganze 
wird  uns  in  sieben  meist  innerlich  unter  sich  zusammenhängenden 
abschnitten  dargeboten  (I.  Die  malerdichter  in  der  Schweiz. 
IL  Der  kämpf  um  den  stil.  III.  Die  plastische  erscheinungs- 
form  von  CFMeyers .  stil.  IV.  Die  schweizerische  bildlichkeit  und 
CFMeyers  stilethos.  V.  Adjectiv  und  particip  in  CFMeyers  stil. 
VI.  Die  Veredlung  der  rhetorischen  hilfen.  VII.  Satzarchitektur 
und  dialog), 

Die  Vereinigung  von  maier  und  dichter,  die  in  der  Schweiz 
traditionell  war,  sucht  K.  durch  die  starke  würkung  der  schweize- 
rischen landschaft  auf  die  heimischen  (wie  auch  die  deutschen) 
dichter  zu  erklären;  die  folge  war,  dass  schon  früh  das  äuge 
dadurch  geschärft  wurde,  bei  Meyer  taucht  das  problem  in 
etwas  veränderter  form  wider  auf,  nämlich  als  Sehnsucht  nach 
den  herrlichkeiten  der  plastik.  seine  kunst  strebt  einer  zeit  zu, 
in  der  ein  malerisches  kunstwerk  die  gröste  würkuog  ausübte: 
der  renaissance.  ein  intensives  schaubedürfnis,  das  auch  seine 
gestalten  mit  ihm  teilen,  leitet  ihn.  malerische  neigungen  führen 
ihn  zu  einer  gruppierung  seiner  personen  die  bildwürkung  er- 
reichen soll,  plastische  würkung  dagegen  erzielt  er  mit  feiner 
gebärdenkunst  und -spräche,  rliythmen  der  romanischen  litteratur- 
symmetrieen  finden  wir  in  der  antithetischen  formulierung  seiner 
Stoffe;  auch  in  der  Ij'^rik  liebt  er  die  Zuspitzung  der  gegeusätze. 
überall  treffen  wir  die  intellectuelle  unterströmung,  und  diese 
hat  auch  seinen  ganzen  stil  geformt,  der  ein  resultat  seiner 
künstlerischen  Überlegung  ist.  aber  diesen  stil  muste  er  sich 
mühevoll  erringen,  weniger  im  kämpf  mit  der  mundart  als  mit 
dem  französischen  einfluss,  der  trotzdem  noch  an  einigen  stellen 
bemerkbar  ist.  wie  weit  aber  sein  feines  gefühl  reicht,  zeigt 
das  gewissenhafte  abwägen  der  nuancen  und  das  aristokratische 
wählen  der  werte,  das  wie  ihm  so  auch  seinen  personen  eigen 
ist.  es  ist  begreiflich,  dass  auch  Meyers  bildliche  ausdrucks- 
weise aus  seinem  kunstgefühl  hervorgegangen  ist.  wo  dieses 
ihn  sicher  leiten  kann,  da  beginnt  seine  bilderformende  macht, 
eigentümlich  ist  aber  bei  ihm  die  neigung  zum  abstracten  aus- 
druck,  diewol  aus  der  absieht  hervorgieng,  einen  adäquaten  eindruck 
für  das  geistige  oder  für  seelische  Vorgänge  zu  finden,  aus  seiner 
individuellen  anläge  lässt  sich  ferner  erklären,  dass  auf  ihn  das 
kunstwerk  einen  stärkeren  eindruck  machte  als  die  würklichkeit, 
dass  er  daher  seinen  vergleich  oft  aus  dem  bereiche  der  kunst 
nimmt,  sei  es  von  bildwerken,  sei  es  aus  der  litteratur.  zu 
einem  gleichnis  wächst  sich  sein  vergleich  selten  aus,  er  sucht 
dies  im  gegenteil  durch  stilistische  kunstgriffe  zu  verhindern:  er 


C.    V.   Mi;YEI!-J5TnDIKN  S'l 

fasst  sich  möf^lichst  knapp.  b«i  den  andern  Schweizerdiditern 
ist  die  bilderspracbe  auf  der  mundart  geofründet,  und  sie  sciieuen 
auch  nicht  den  derb  realistischen  vergleich,  ihnen  ^'e^eniiber 
ist  die  bilderweit  Meyers  onf?  begrenzt,  er  darf  die  niai'sstäbe 
für  die  Seelenregungen  seiner  vornehmen  iielden  nieht  der  all- 
tagswelt  entnehmen,  seine  wählerische  renaissancestiniinung,  die 
schon  die  Wortwahl  beeintlusst,  meidet  die  gemeine  weit,  sein 
ganzer  stil  will  feierlichkeit  erwecken,  das  epitheton  ornaus 
ist  ihm  nur  eine  notwendige  ergänzung,  und  er  geht  weniger 
auf  neuprägungen  aus,  als  dass  er  sucht  die  Schönheit  des  ein- 
fachen adjectivs  würken  zu  lassen,  in  seinen  spätem  werken 
wird  er  damit  immer  sparsamer  und  legt  mehr  wert  auf  den 
sinnlichen  eindruck  des  verbs.  anderseits  zeigt  wider  die  Sub- 
stantivierung von  adjectiven  und  verben  sein  streben  nach  ein- 
fachen grofsen  stillinien.  die  damit  verwantc  absieht  der  con- 
centratiou  der  gedanken  lässt  sich  aus  der  anwendung  von 
participialconstructionen  erkennen;  zwar  mag  auch  sein  fran- 
zösisches ohr  die  vorliebe  für  diese  gesteigert  haben,  (bei  den 
auf  s.  121  unten  gegebenen  beispielen  scheint  mir  Meyer  das 
particip  dem  adjectiv  vorgezogen  zu  haben,  weil  in  jenem  noch 
die  verbale  kraft  der  bewegung  durchschimmert.)  ein  ausge- 
prägter rhythmus  Lässt  sich  in  Meyers  spräche  niclit  feststellen, 
die  rhetorischen  formein  hat  er  meist  individuell  dichterisch 
umzugestalten  verstanden,  wo  es  der  affect  der  rede  verlangt, 
da  wird  auch  sein  stil  wortreicher,  und  er  gibt  in  seinen 
Variationen  gleichzeitig  oft  feine  Steigerungen,  seine  gestalten 
haben  die  gäbe  sensibler  naturen,  das  spiel  der  träume  und 
Visionen,  aber  sie  geben  nicht  verworrene,  sondern  klare  bilder 
seine  satzarchitektur  ist  eher  knapp.  schwere  sätze  tinden 
immer  eine  Unterbrechung  durch  leichte,  die  mündliche  rede 
wird  oft  durch  parenthetische  sätze  unterbrochen,  die  eine  be- 
gleitende gebärde  geben;  die  coexistenz  von  wort  und  gebärde 
soll  dadurch  verdeutlicht  werden,  er  sucht  kaum  akustische 
würkung  der  spräche,  da  sein  augenmerk  eben  auf  «He  bilder, 
nicht  auf  die  klänge  gerichtet  ist.  der  dialog  hat  besonders 
bedeutende  augenblicke  zu  tragen.  überhaupt  schimmert  an 
manchen  stellen  der  novellen.  die  ja  oft  zuerst  als  drainen  ;,'edacht 
wurden,  die  dramatische  structur  durch:  capiteleingänge  muten 
wie  Schilderungen  des  Schauplatzes  an.  dieser  wird  auffallender- 
weise für  jedes  capitel  nach  gesetzen  des  contrastes  festgestellt. 
K.  fragt  sich,  warum  Meyer  nicht  zum  drama  gekommen 
sei,  und  tindet  eine  plausible  antwort  hauptsächlich  darin,  das« 
er  im  drama  eben  gebärde  und  antlitz  seiner  personen.  femer 
die  gruppenbilder  der  willkür  an<lerer  liätte  überlassen  müssen, 
während  er  doch  gerade  in  diese  schilderungt-n  soviel  kunst 
legte,  die  erkenntnis  stärkerer  würkungen  fUhrt<>  ilm  immer 
wieder  zur  novelle.     (ähnlich  auch   Langmesser  s.  5(>fJi 


90  GEIGER    ilBER    KORRODI,    0.  F,   MKYER-STUDIEN 

K.  hat  in  seinen  Studien  die  feinen  zusammenhänge  zwischen 
persönlichkeit  und  stil  Meyers  aufgedeckt  und  durch  trefflich 
ausgewählte  beispiele  belegt,  nur  ist  es  schade,  dass  wir  die 
hauptresultate  seiner  arbeit  selten  in  klaren  worten  zu  hören 
bekommen,  sondern  sie  uns  meistens  aus  seinen  bemerkungen 
selbst  zusammenstellen  müssen;  hie  und  da  hätte  vielleicht  auch 
manches  in  einfacheren  worten  deutlicher  gesagt  werden  können. 
K.  hat  es  von  anfang  an  abgelehnt,  seine  arbeit  durch  allzu 
pedantische  anhäufnng  von  beispielen  und  anmerkuugen  unlesbar 
zu  gestalten,  doch  begreife  ich  eine  art  von  inconsequenz  nicht: 
warum  gibt  er  bei  den  einen  belegen  die  herkunft  an,  bei  den 
andern  aber  nicht?  grade  bei  den  letztern  kann  sie  gar  nicht 
immer  aus  dem  inhalt  der  stelle  erschlossen  werden  (s.  zb. 
s.  124). 

Störende  druckfehler  sind  mir  folgende  aufgefallen:  s.  7 
z.  4  v.  u.  ist  'den  geist'  ausgelassen,  s.  42  anm.  fehlt  die  Seiten- 
angabe, s.  57  z.  15  V.  u.  soll  es  heifsen  'Vicedomini'  statt 
'Pizzaguerra',  s.  \)'.i  z.  6  v.  o.  soll  es  heifsen  "Angela'  statt 
'Pescara',  s.  99  anm.  1  fehlt  die  Seitenangabe,  s.  120  z.  6  u.  7  v.o. 
soll  es  heifsen  'Lucrezia'  statt  'Angela'  s.  127  z.  3  v.  o.  'minen' 
statt  'mienen',  s.  146  z.  6  v.  o.  'Pescara'  statt  'Angela',  s.  148 
z.  2  V.  0.  'ungebornes'  statt  'gebornes'. 

Baden  (Schweiz).  Paul  Geiger. 


1.  Die  neuere  deutsche  dichtung  in  der  schule,     vertrag,  ge- 

halten im  Freien  Deutschen  Hochstift  zu  Frankfurt  a/M.  von 
prof.  dr.  J.lx.Spreiitfel.  Frankfurt  a.  M.,  M.Diesterweg  1911.  88  ss. 
8«.  —  1,20  in. 

2.  Dielitteratur  des  neunzehn ten  Jahrhunderts  im  deutscheu 

Unterricht,  eine  einfiihrung  in  die  lectürc  von  dr.  Heinrich 
Deckelitiaiin ,  director  des  gymnasiums  und  realprogymnasiums 
in  Viersen  (Rheinprovinz),  zweite,  wesentlich  erweiterte  aufläge. 
Berlin,  Weidmann  1914.    .\vi  u.  517  ss.    s'\  —  7  ui. 

1.  Sprengeis  büchlein  ist  FrPanzer  zugeeignet,  dessen  fördern- 
des Interesse  für  den  deutschen  Unterricht  auf  den  höheren  lehr- 
anstalten  widerholt  von  fachmännischer  seite  dankbar  anerkannt 
worden  ist,  zumal  in  Veröffentlichungen  aus  dem  kreise  der 
Frankfurter  collegen.  während  ESchönfelder  sich  in  seinem 
Hilfsbuch  für  den  deutschen  Unterricht  um  die  reform  der  spracli- 
lichen  seite  bemühte  und  dem  schüler  gotische,  altdeutsche  und 
mundartliche  sprachproben  in  die  band  geben  wollte,  wendet  Sp. 
seine  aufmerksamkeit  schon  seit  längerer  zeit  gerade  der  neuesten 
dichtung  zu,  die  für  Schönfelder  am  wenigsten  in  betracht  kommt. 
Sp.  lehnt  im  anfang  seines  Vortrages  energisch  'die  mannigfach 
misverstandene  und  fälschlich  idealisierte,  in  mancher  hinsieht 
keineswegs  vorbildliche  cultur  der  antike'  ab  und  verlangt  'eine 
Daturgemäfse.  moderne  geistesbildung  aus  völkischer  wurzel'.     sie 


RJEMANN    ÜK   81'KKNGEL,    DIK  NKD.    )-    UICJITPNC;   IN    I>.    HCHIII.K  '.I  I 

liefert  unsere  spräche  und  als  ihr  wiclitigstes  tfil  —  wozu  dieper 
uraweg?  —  die  nationallitteratar,  die  im  mittelpuncte  der  jug-end- 
und  Volksbildung  steiin  nuiss.  viel  zu  wenip  iHt  bisher  die 
deutsche  dichtung  des  neunzehnten  Jahrhundert«  'seit  dem  ab- 
Bchluss  der  classisch-romantischen  bewegung"  berücksichtigt  wor- 
den, während  doch  gerade  sie  durch  den  ihr  innewohnenden 
würklichkeitssinn  ein  vorzügliches  bildungsniittel  darstellt,  der 
vorsichtigen  abgrenzung  gegen  die  ältere  epoche  folgt  eine  runde 
ablehnung  der  'ästhetischen  verirrung  des  naturalisuius'.  so  be- 
stimmt Sp.  ein  halbes  Jahrhundert.  1840--1S90,  als  die  eigent- 
liche blütezeit  des  realismus,  der  namentlich  die  novelle  und  die 
lyrik  zur  Vollendung  brachte,  der  grofsen  bedeutung  der  jung- 
deutschen bewegung  wird  diese  einteilung  zweifellos  niclit  gerecht. 
Sp.  zieht  aus  ihr  die  consequenzen  für  den  unterrichtsplan 
und  wendet  sich  gegen  die  auffassung.  als  ob  die  bekanntschaft 
mit  dem  "Weimarer  classicismus  genüge,  um  sich  mühelos  bis  zur 
gegenwart  weiterzutinden:  'wo  soll  man  im  achtzehnten  Jahr- 
hundert die  mafsstäbe  für  die  prosakunst  des  neunzehnten  .Jahr- 
hunderts finden?'  der  schule  kann  es  nicht  schwer  werden,  hier 
helfend  einzugreifen;  denn  die  behandhing  dei  neueren  diciitung 
bildet  eines  der  würksamsten  mittel  gegen  alle  'echul Verdrossen- 
heit', dem  entsprechen  auch  mein*  erfahrungen.  \on  dem  stand- 
puncte  der  bisherigen  lehrpläne.  welche  die  gesamte  prosadichtung 
des  neunzehnten  Jahrhunderts  überhaupt  nicht  erwähnen,  gehn 
nur  die  für  die  oberste  classe  der  höheren  mädchenschuleu  und 
die  drei  weiblichen  fortbildungsschulclassen  ab.  mit  recht  fordert 
Sp.  die  Übertragung  dieses  fortschritts  auf  die  knabenschuleu. 
Voraussetzung  ist  nach  seiner  ansieht  eine  Vermehrung  der  Unter- 
richtsstunden, das  ist  ein  sehr  bedenklicher  Vorschlag,  zwar  will 
Sp.  die  stunden  die  er  im  deutschen  unterriclit  braucht,  anderen 
fächern  entziehen,  aber  die  erfahrung  beweist,  dass  difs  auf  die 
dauer  kaum  möglich  ist.  die  zurückgesetzten  fächer  fordern 
nach  einiger  zeit,  wenn  die  resultate  zurückgehn.  ihr  recht  wider, 
und  das  ende  vom  liede  ist  eiue  mehrbelastung  des  schülers.  der 
hier  und  da  bereits  HC  Unterrichtsstunden  zu  tragen  hat.  \\(>niit 
die  maxinialgrenze  erreicht  sein  dürfte,  sodani:  aber  findet  »ich 
auch  die  nötige  zeit,  wenn  ni;in  nur  von  der  unleidlichen  ge- 
wohnheit  abläset,  noch  in  prima  den  grösten  teil  der  stunden  mit 
der  rückgabe  von  aufputzen  und  der  eriirterung  von  interpunctions- 
regeln  totzuschlagen,  wenigstens  scheinen  mir  die  vier  Unter- 
richtsstunden, die  in  der  oberrealschule  dem  deutschen  zufallen, 
vollkommen  ausreichend:  das  gymnasium  braucht  also  nur  eine 
stunde  zuzulegen,  sodann  aber  habt  ich  sein  günstige  erfah- 
rungen mit  einem  iitterarischen  i  irkel'  gemacht,  der  an  unstrei 
anstalt  seit  1!UIS  besteht,  i^m  gehören  sohnler  voi.  obersecundii 
bis  Oberprima  zeitweilig  2!»  an,  die  sicli  all»  vierzehn  tagt- 
versammeln,   um  sich   diei  stunden   hing   mit   neuerer  und  neuest«! 


92  rJEMANN    ÜB  KR    SPRENGEL 

litteratur  zu  beschäftigen,  der  Vorsitzende,  meist  ein  Oberpri- 
maner, wird  alljährlich  gewählt;  ich  bin  nur  mitglied  und  melde 
mich  zum  wort,  wenn  ich  mich  an  der  debatte  beteiligen  will, 
seit  vier  jähren  gibt  der  verein  auch  eine  hektographierte  zeitun^ 
heraus,  die  monatlich  erscheint  und  bisweilen  auf  einen  stattlichen 
umfang  anschwillt,  so  fehlte  zur  Kleistfeier  usw.  auch  die  zuge- 
hörige Kleistnummer  nicht,  die  freudigkeit  die  über  den  be- 
schäftigungen  einer  solchen  Vereinigung  ligt,  kann  meines  er- 
achtens  in  regelmäfsigen  Unterrichtsstunden  überhaupt  nicht  erzielt 
werden. 

Grundlinien  aber  müssen  dort  gezogen  werden;  darin  hat 
Sp.  sicherlich  recht,  er  empfiehlt  für  die  mittelstufe  erzählungen 
Storms,  Schmitthenners,  Ernst  Zahns,  Wilhelm  Specks,  Gottfried 
Kellers,  Mürikes,  Levin  Schückings,  Chamissos  und  Fouques, 
aufserdem  historische  erzählungen  Riehls,  Hauffs,  Kleists,  Raabes 
und  Stifters  —  die  zweite  reihe  gefällt  mir  sehr  viel  besser  als 
die  erste,  in  der  sich  sachen  zweiter  gute  befinden,  auch  scheint 
es  mir  zu  genügen,  wenn  man  zwei  oder  drei  solche  werke  im 
Unterricht  lesen  lässt,  also  zwölf  stunden  darauf  verwendet,  und 
für  die  übrigen  auf  die  oft  viel  zu  wenig  benutzte  schüler- 
bibliothek  verweist,  natürlich  darf  sie  nicht  gerade  vor  den 
grofsen  ferien  gesperrt  werden,  was  schadet  es  schliefslich,  wenn 
der  ersatz  eines  in  der  Sommerfrische  verloren  gegangenen  buches 
auf  Schwierigkeiten  stöfst  ?  jeder  lehrer  sollte  vierzehn  tage  vöi* 
den  ferien  eine  deutsche  stunde  auf  die  erläuterung  des  katalogs 
der  Schülerbibliothek  verwenden,  es  ist  keine  verlorene  stunde,' 
sondern  kann  die  wichtigste  des  jahres  sein. 

Auf  der  Oberstufe  will  Sp.  'hauptwerke  der  neueren  litte- 
ratur an  geeigneten  stellen  einschieben,  am  besten  wol  durch 
Stoffgruppen  und  in  entwicklungslinien'.  so  geht  er  von  der 
•^ilinna  von  Barnhelm'  zu  den  'Journalisten'  und  zum  'Biberpelz', 
den  'Oberhof'  behandelt  er  aber  nicht  im  anschluss  an  die  mittel- 
hochdeutsche dorfpoesie,  sondern  sieht  darin  merkwürdigerweise 
'eine  moderne  fortsetzung  der  alten  epischen  Sagendichtung',  den 
'Ahnen'  weist  er  eine  zu  geringe  Stellung  im  unterrichte  zu.  ich 
ziehe  sie  sehr  häufig  heran,  auch  in  der  geschichte,  und  finde' 
immer  gegenliebe.  die  bedeutendsten  realistischen  lyriker  sind 
nach  Sp.:  Hebbel,  Keller,  Meyer,  Storm,  Liliencron,  Uhland, 
Heine,  Freiligrath.  neben  die  drei  letzten  gehören  meiner  an-- 
sieht  nach  aber  noch  Lenau,  Leuthold,  Herwegh  und  Anastasius 
Grün,  dass  Sp.  nicht  nur  die  dramatiker  Hebbel  und  Ludwig, 
sondern  auch  Ibsen  für  unentbehrlich  hält,  hat  durchaus  meinen 
beifall,  aber  seine  bekanntschaft  wird  nicht  erst  vom  lehrer  ver- 
mittelt, sondern  die  primaner  haben  ihn  stets  schon  gelesen,  wenn 
man  ihn  nennt,  man  kann  vortrage  über  einzelne  draraen  halten 
lassen  und  berichtigend  eingreifen,  damit  kommt  man  nach 
meiner   erfahrung    weiter,    als   mit    der    ausführlichen  'einleitung 


DIE    NEUERE    DEUTSCH K    DICHTUNO    IN    DKlt    SCHTM:  [)'.', 

die  Sp.  empfiehlt,  die  oft  allerdings  von  der  rivalität  dictierte 
aufmerksamkeit  ist  besonders  scharf,  wenn  ein  mitscliüler  auf  dem 
katheder  steht,  die  nachfolgende  kritik  zeigt  aulserdem  oft.  wit- 
viel  gelesen  wird  ohne  dass  wir  es  ahnen,  iibeihaujjt  scheint 
mir,  dass  Sp.  viel  zu  sehr  vom  lehnn-  ausgeht,  und  ihn  vieles 
erst  schaffen  lassen  will  was  schon  beim  schüier  vorhanden  ist. 
gerade  auf  diesem  gebiet  liandelt  es  sich  mehr  um  die  pHege  von 
keimen  als  um  frische  saat.  öp.'g  liebe  zu  "Weh  dem,  der  lügt' 
und  'Zwischen  Himmel  und  Erde'  teil  ich  durchaus,  verstell  aber 
nicht,  warum  er  den  'Tasso' .  zu  hoch  findet,  man  muss  ihn 
natürlich  von  Weimar  aus  interpretieren,  eine  viel  zu  geringe 
l'olle  spielt  'Soll  und  Haben',  man  kann  es  leicht  dahin  bringen, 
dass  sich  jeder  Unterprimaner  schämt,  der  dieses  werk  noch  nicht 
gelesen  hat.  erfreut  bin  ich  darüber,  dass  auch  Sp.  den  gemein- 
samen theaterbesuch  mit  den  schülern  empfiehlt,  es  ist  meist 
ein  Opfer  —  der  preis  bestimmt  den  platz,  man  sitzt  also  nicht 
im  parkett  — ,  aber  es  kommt  viel  dabei  heraus,  am  besten 
scheint  es  mir,  wenn  man  in  die  stücke  geht,  die  man  vorher 
mit  der  classe  gelesen  hat.  die  schüier  sind  dann  unei-schüpflich 
im  fragen,   bemerken  vor  allem  jede  gestrichene  stelle. 

2.  Besteht  Sprengeis  verdienst  darin,  die  besprechung  der  vvicli- 
tigsten  fragen  wider  einmal  angeregt  zu  haben,  so  gibt  Hein- 
rich Deckelmann  alles  wünschenswerte  gleich  selbst  in  einem 
werke,  das  schon  nach  kurzer  zeit  die  zweite  aufläge  erlebt  hat. 
auch  er  schickt  theoretische  erörterungen  voraus,  er  wünscht  eine 
verständige  leitung  der  ptiichtgemäfsen  hauslectüre  durch  vorher- 
gehnde  hinweise  auf  das  was  beim  lesen  zu  beachten  ist.  nutzbar- 
machung  der  nicht-pflichtmäfsigen  lectüre  in  freigesprochenen 
berichten  und  sehr  weitgehude  bewegungsfreiheit  auf  dem  gebiete 
des  aufsatzes.  den  litterarischen  schülervereinen  steht  er  nicht 
freundlich  gegenüber;  höher  schätzt  er  eigentliche  schulveran- 
staltungen,  litterarische  abende,  declamatorien  und  deutsche  son- 
dercurse  ein,  im  lehrverfahren  wünscht  er  die  einhaltung  von 
drei  stufen:  das  kunstwerk  an  sich,  als  persönliche  schöpfang 
des  künstlers,  als  glied  einer  litterarischen  bewegung.  das 
material  für  die  zweite  und  dritte  stufe,  biographische  und 
litterarhistorische  tatsachen,  gibt  er  in  seinem  buche,  dabei  hat 
er  durchweg  die  richtigen  quellen  benutzt;  es  ist  ihm  kaum 
etwas  wichtiges  entgangen,  einen  besonderen  reiz  geben  seinem 
werke  die  immer  wider  eingestreuten  berichte  über  persönliche 
Unterrichtserfahrungen. 

Als  ganzes  bilden  diese -zahlreichen  analysen,  problemerörte- 
rungen,  themensammlungen  eines  der  bücher,  von  deren  dasein  der 
nichtlehrer  gewöhnlich  mit  grofsem  erstaunen  kenntnis  nimmt, 
der  gelehrte  wird  sich  frcutn,  dass  seine  forschung-^ergebnisse  in 
dieser  weise  Verwendung  finden,  der  eigentliciie  hiie  pflegt  zu  fragen, 
ob  denn  nicht  jeder  lehrer  imstande  sei,  dichtungen  zu  analysieren 


9  4  KXEMANN    OBER    DECKELMANN 

und  die  wissenschaftliche  iitteratur  zu  Unterrichtszwecken  auszu- 
beuten, es  sollte  wol  so  sein,  aber  es  ist  leider  nicht  so.  der  ideale 
lehrer,  der  nicht  nur  studiert  hat,  sondern  noch  studiert,  der  fach- 
zeitungen  list  und  die  lebende  Iitteratur  mit  unermüdlicher  teil- 
nähme verfolgt  —  dieser  seltene  mann  wird  Deckelraanns  buch 
allerdings  nur  lesen,  um  sich  daraus  einige  auregungen  zu  holen 
es  wird  eine  ausnähme  sein,  dass  er  sich  nur  damit  auf  eine 
bestimmte  stunde  vorbereitet  ganz  anders  aber  ligt  die  sache 
für  theologen,  historiker,  geographen  usw.,  die  'nebenher'  deutschen 
Unterricht  erteilen,  solche  leute  muss  es  geben,  da  sonst  jede 
schule  neun  germanisten  oder  jeder  germanist  vier  bis  sechs 
deutsche  correcturen  hätte,  die  ihn  übrigens  so  weit  beschäftigen 
würden,  dass  er  sich  auch  nicht  mehr  ordentlich  vorbereiten 
könnte,  für  alle  die  deutschen  Unterricht  erteilen,  aber  nicht 
germanisten  sind,  ist  Deckelmanns  buch  unentbehrlich,  hier 
können  sie  sich  in  einer  stunde  über  romantik,  jungdeutsche  be- 
wegung  oder  naturalismus  so  weit  unterrichten,  dass  sie  mit 
gutem  gewissen  vor  die  classe  treten  können. 

Natürlich  ist  Deckelmanns  buch  kein  für  alle  ewigkeit  gül- 
tiger kanon.  er  selbst  hat  bereits  in  der  zweiten  aufläge  ge- 
ändert, hat  namentlich  den  Jungdeutschen  mehr  räum  gegönnt, 
seine  besondere  Vorliebe  gilt  Hebbel  und  der  heimatkunst.  er 
verehrt  Rosegger  in  einem  mir  unbegreiflichen  grade,  meint  sogar, 
er  habe  als  naturschilderer  'nicht  seinesgleichen  in  der  ganzen 
weltlitteratur'.  er  zieht  Hebbels,  nach  meinen  erfahrungen  für 
primaner  gänzlich  unverständliche,  theoretische  äufserungen  über 
die  tragödie  heran,  das  viele  gute  was  er  darüber  beibringt, 
beweist  mir  nur,  dass  Deckelmann  Hebbel  verstanden  hat,  nicht 
aber,  dass  seine  primaner  es  tun.  ich  würde  hier  einen  ganz 
anderen  weg  einschlagen:  den  über  Ibsen  zu  Hebbel,  den  von 
der  behandlung  des  eheproblems  im  gesellschaftsdrama  zu  der  in 
mythologischer  Verhüllung,  ein  ausdruck  Hebbels  wie  'das  sich- 
selbst-aufhebungs-moment'  ist  uns  leicht  fassbar,  weil  wir  Hegel 
kennen,  dem  schüler  aber  müssen  wir  diesen  erst  vermitteln,  eine 
aufgäbe,  die  ich  schon  einmal  gelöst  zu  haben  glaubte,  bis  mich 
der  versuch  einer  widerholung  nach  längerer  pause  vom  gegen- 
teil  überzeugte,  es  wird  meist  nur  möglich  sein,  einen  Philo- 
sophen würklich  zu  behandeln,  das  erste  recht  darauf  hat  Kant 
um  Schillers  willen  oder  Schelling,  ohne  den  man  beim  'Faust' 
nicht  auskommt,  dagegen  Fichte,  Hegel,  Schopenhauer  —  alles 
sehr  reizvoll,  aber  würklich  'durchgenommen'  hat  man  nur  das 
worüber  auch  ein  weniger  begabter  schüler  fortan  frei  vor  der 
classe  sprechen  kann,  diese  probe  aufs  exempel  fällt  sicher 
negativ  aus,  wenn  man  vier  oder  fünf  philosophen  auf  ober 
prima  behandelt,  schaltet  man  aber  Hegel  und  Schopenhauer 
aus,  dann  ist  damit  der  weg  zu  Hebbels  theorieen  einfach 
gesperrt. 


J)I1<;    LITTEKATUR    DKS     1!>    .IH.,S    IM     DKirrSCil  KN     (INTIi;  Kl.  II  r         95 

Unglücklich  finde  ich  auch  dir  durch  Klee  rtiiis^ebürgerte 
bezeichnnng  'poetischer  realisnnis'.  poetisch  ist  vermutlich  &\W. 
poesie.  der  g-egensatz  zu  "crass"  ist  -inalsvoir.  so  hätte  ich  im 
einzelnen  noch  mancherlei  zu  erinnern,  aber  das  kann  die  treude 
an  der  Gesamtleistung:  die  in  Deckelmaiuis  buche  vorligt,  nicht 
trüben,  hier  sind  in  geradezu  vorbildlicher  weise  die  ergebnisBC 
der  Wissenschaft  in  eine  form  gebracht,  die  es  zunächst  dem 
lehrer,  durch  ihn  dem  schüler  leicht  macht,  den  zugang  zu  den 
gewaltigen  schätzen  der  deutschen  litteratur  des  tieurizehnten 
Jahrhunderts  zu  finden. 

Leipzig  (z.  Z.   im   Felde).  K.»l.    Rii-mann 


LITTERATURNOTIZEN. 

Rom  und  Deutschland  vor  I!)00  jähren,  weshalb  bar 
das  Römische  reich  auf  die  eroberuug  Germaniens  verzichtet? 
festvortrag  am  Winckelmannstag  I !» I  (>  gehalten  von  Knii!  Sud^«' 
[sa.  aus  den  Bonner  Jahrbüchern  bd  124|.  Bonn,  A.  .Alarcus  u 
E.  Weber  1917.  10  ss.  gr.  8".  0,HU  m.  -  Die  frage  welch-' 
diese  festrede  aufwirft  und  in  gehaltreichen  erörterungen  und 
eindrucksvoller  spräche  beantwortet,  ist  keineswegs  müf8it,r 
am  1 6  mai  des  jahres  1 7  n.  Chr.  hat  mit  greisem  gepränge 
Orermanicus  seinen  triumph  über  alle  rechtsrheinisihen  (-icrmanen 
bis  zur  Elbe  gefeiert  und  doch  wusto  er  seli)St  am  besten, 
'dass  die  ganze  feier  ein  blendwerk  war',  und  dni-  kaiserlich»* 
adoptivvater  Tiberius.  als  ein  in  germanischen  dingen  besonders 
erfahrener  general,  sah  ebenso  klar  und  beurtt-ilte  die  aussiebten 
eines  neuen  feldzugs  gewis  weit  skeptischer,  dass  er  von  diesem 
zeitpunct  ab  auf  eroberungspläne  in  (Termanien  verzichtete,  er- 
klärt S.  einmal  aus  der  dynastischen  politik  des  ersten  Claadiers. 
der  jeden  miserfolg  zu  vermeiden  bestrebt  war.  dann  aber  aus 
den  Innern  zuständen  iJoras,  welche  die  Spannkraft  zu  grofsen 
Unternehmungen  lähmten,  zumal  zu  solchen  deren  erfolg  auch  im 
besten  falle  dem  riimischen  reiche  keine  neuen  reicht iiiner  oder 
hilfsquellen  zugeführt  hätte,  eine  Stimmung  eiiiHussreicher  kreise 
die  dem  kaiser  entgegentreten  oder  ihn  gar  mit  fortreifsen 
konnte,  hat  es  in  Rom  nicht  gegeben:  'die  fiut  des  imperialismus 
ist  abgeebbt,  nicht  infolge  einer  persönlichen  Willenshandlung  des 
herschers.  sondern  nach  überpersönliclien  gesetzen.  nacli  langer 
tragischer  historischer  entwicklung  des  ganzen  volksoriranismus 
auch  daraus  zieht  Tiberius  die  folgerungen". 

Das 'üermanen-epigramm'  des  Krinaijoras  von  Lesbos.  welches 
S.  s.  15  anm.  .'»  (vgl.  s.  2  anmi  auf  das  jähr  15  nach  Chr.  bezieht, 
wird  neuerdings  von  Norden,  unter  ablehnung  der  von  Sad«5e 
wie  von   Mommsen    übernommenen   r.tnjectui'   H  »finin    F'-erlkamp^ 


96  LITTERATUENOTIZEN 

'l'r^rov  ("cnavj  ^(fifj  st.  ä/rtivra  ^rir],  auf  die  niederlage  ge- 
deutet, welche  M.  Lollius  im  jähre  16  vor  Chr.  durch  die  über 
den  Ehein  nach  Gallien  eing-edrungenen  Sugambern  erlitt  (BSB 
1!)17   s.   668  ff).       '  E.  S. 

P.  Cornelii  Taciti  de  Germania  erklärt  von 
Alfred  Gudemjiiin.  mit  einer  karte  [Sammlung  griechischer  und 
lateinischer  schriftsteiler  mit  deutschen  anmerkungen  begründet 
von  M,  Haupt  und  H.  Sauppe].  Berlin,  Weidmann  1916.  vu  u. 
272  SS.  8  0.  3  m.- —  An  die  stelle  einer  3  aufläge  der  Schul- 
ausgabe von  Zernial  hat  G.  etwas  eigenes  und  neues  gesetzt: 
nach  Inhalt  und  zweck,  umfang  und  niveau.  dem  text  legt  er 
die  5  aufl.  von  Halm-Andresen  zu  gründe,  von  der  er  an  63 
stellen  abweicht;  hierüber  wie  über  etwa  20  stellen  für  die  er 
besserungsvorschläge  macht,  berichtet  eingehend  der  kritische 
anhang.  ich  habe  nicht  den  eindruck  dass  wir  hier  irgendeinen 
sichern  gewinn  zu  verzeichnen  hätten,  und  werde  darin  bestärkt 
durch  die  eingehnde  und  gehaltvolle  recension  von  Wissowa  GGA 
1916  nr  11,  bes.  s.  666  ff.  von  vielcitierten  stellen  heb  ich  hier 
hervor:  2,  17  nujjer  aiidituni  (EWollf)  st.  mq)er  additwn;  9,  2 
wo  G.  [Herculem  et\  Martern  mit  Ritter  streichen  will;  10,  4 
consulatur  (Rhenanus)  st.  consultetur  (Haase);  22,  2  loci  st.  ioci; 
23,  5  [si  .  .  .  rincentur]  gestrichen;  25,  11  liberti  st.  Zi&eri ; 
36,  6  fractl  ruina  Cheruscorum  et  Fosi  st.  tracti  (tacti  d.  Über- 
lieferung) ;  38,  9  horrentes  capilli  retro  sequuntur  .  .  religantur 
^t.  hör r entern  capillum  r.  s.  .  .  .  religant.  besonders  bei  9,  2 
muss  ich  gegen  die  Streichung  und  die  art  wie  sie  s.  32  n.  4. 
89i:241  begründet  wird,  lebhaft  protestieren:  G.  macht  hier 
nicht  den  notwendigen  unterschied  zwischen  der  interpretatio 
romana  'Thonar  —>-  Hercules'  und  der  interpretatio  barbara 
'Jupiter  — >  Thonar',  der  jedem  klar  und  verständlich  ist  der 
die  germanische  götterlehre  kennt,  es  ist  dies  übrigens  einer 
der  wenigen  fälle,  wo  sich  G.  nicht  enthalten  kann  das  ihm 
fremde  gebiet  der  deutschen  altertümer  zu  betreten ;  im  übrigen 
besteht  die  eigenart  und  der  wert  seines  commentars  gerade 
darin,  dass  er  den  römischen  Schriftsteller  als  solchen  und 
nicht  (wie  die  meisten  erklärer)  als  das  quellenbuch  der  deut- 
schen altertumskunde  interpretiert,  wobei  ihm  aufser  eigenen 
Studien  und  Sammlungen  das  raaterial  des  Thesaurus  linguae  la- 
tinae  zur  Verfügung  steht,  wieweit  man  darüber  hinauskommen 
kann,  indem  man  einmal  den  Tacitus  als  nachahmer  Seuecas  noch 
schärfer  stilistisch  erfasst  und  zum  andern  sein  werk  als  bestand- 
teil  der  reichen  z.  gr.  teil  verlorenen  ethnographischen  litteratur 
der  antike  beurteilt,  das  hat  Wissowa  aao.  s.  675  ff.  656ff  an- 
regend und  vielversprechend  ausgeführt,  ebenda  auch  die  Skepsis, 
mit  der  G.  in  der  einleitung  der  benutzung  mehrfacher  quellen 
gegenübersteht  (er  bestreitet  sogar  dass  T.  aus  Caesar  und  aus 
Plinius  Hist.  nat.  geschöpft  habe),   auf   das  richtige  mafs  einge- 


LITTKKArURNOnZKN  M7 

schränkt,  sehr  hässlich  wirkt  es,  wenn  der  lieransgebei-  die  <i{(en- 
namen  bei  ihrem  ersten  vorkommen  im  text  mit  quantitäts/eichen 
versieht,  wobei  denn  tür  den  germanisten  wortbilder  wie  ('hätli, 
Tenderi  und  gar  Suebi  eine  äugen-  und  seelenqual  sind,  auf 
der  beigegebenen  kaite  erscheinen  die  Ximetes  iG.  Nniietes')  als 
Nemores.  durch  kürzuug  des  ausdrucl<8,  der  oft  umständlich  und 
weitschweitig  ist,  hätte  sich  leicht  der  räum  für  litteraturnacli- 
weise  gewinnen  lassen,  die  man  in  dieser  -  nicht  mehr  Mir 
Schüler  bestimmten!  —  ausgäbe  schmerzlich  vermisst.      K.  S. 

Die  briefe  des  heiligen  Bonifatius  und  LuUus. 
herausgegeben  von  3Iichael  Taiierl.  mit  :<  tafeln  in  lichtdruck 
[=--  Epistolae  selectae  in  usum  scholarum  ex  Monunifntis  Gcr- 
maniae  historicis  separatim  editae.  tomus  I].  Berlin,  Weidmann 
1916.  XL  u.  321  SS.  8  0.  6  m.  —  Der  heilige  fJonifatins  hat 
es  in  dem  abgelaufenen  menschenalter  vor  andern  heiligen  gut 
gehabt:  nachdem  Albert  Hauck  im  i  bände  seiner  Kirchen- 
geschichte  (zuerst  ISS")  meisterhaft  seine  person  und  würksam- 
keit  geschildert  und  seine  historische  bedeutung  fest  umrissen 
hatte,  lieferte  Wilhelm  Levison  eine  mustergiltige  edition  seiner 
alten  lebensbeschreibungen  (Vitae  S.  Bonifatii  1905),  und  nun 
erhalten  wir,  genau  5(i  jähre  nach  der  ersten  kritischen  aus- 
gäbe Jaffes,  durch  Michael  Tangl,  als  krönung  seiner  nach  mehr 
als  einer  richtung  ergebnisreichen  Bonifatius-studieu,  eine  neu- 
bearbeitung  des  briefwechsels,  die  alle  wünsche  befriedigt,  welche 
.Taöe  (1866)  und  Dünimler  'lS92j  übrig  gelassen  oder  die 
forschung  seitdem  neu  geweckt  hatte,  nur  fjeilicii  sah  sich  T. 
gezwungen,  um  der  einheitlichkeit  der  citierung  willen  die  brief- 
folge der  Dümmlerschen  Mouumentenausgabe  beizubehalten,  von 
der  seine  eigene  fixierung,  wie  die  tabelle  auf  s.  xxxvii  f  zeigt, 
vielfach  abweicht,  vorarbeiten  des  herausgebers  findet  man  im 
NArchiv  40,  641  ff.   41,  25  ff. 

Die  Überlieferung  des  briefbestandes  den  wir  kurzweg  als 
die  Bonifatiusbriefe  bezeichnen,  ruht  durchaus  auf  drei  alten  h.ss.. 
die  in  München  (l),  Karlsruhe  (2)  und  Wien  (3i  erhalten  sind; 
auf  1  und  2  geht  die  gesamte  secundär-übeilieferung  zurück,  in 
welcher  als  litterarisch  bedeutsam  die  Bonifazstudien  des  Otlob 
und  deren  Verwertung  in  seiner  biographie  des  heiligen  hervor- 
treten, die  drei  alten  hss.  stammen  sämtlich  aus  Mainz  und 
werden  von  T.  älter  taxiert  als  von  Jaffe,  insbesondere  1,  das 
T.  s.  VI  aus  paläographischen  gründen  'dem  ausgang  des  S  oder 
allerspätestens  dem  anfang  des  9  jh.s"  zuweisen  möchte,  vom 
sprachlichen  standpunct  aus  dürfte  sich  dagegen  kaum  ein  t-in- 
spruch  erheben  lassen;  dagegtn  bemerk  ich.  dass  di«^  stücke 
welche  3  (um  850)  aus  altem  quellenbestand  hiuzuiügte.  vielfach 
die  lautbezeichnung  der  originale  treuer  festgehalten  haben  :  vgl. 
das  hr-  in  Hrahan  245,  26.  HreJiiu  238,  17.  Hrothuiii  276.  32. 
278.  15;    das  hn--  in  Hiali)  235.  8;  a   in  l<<t(j,nthnßh   •21'^,  24. 

A.  F.  I>.  A.     XXXVIIl.  ' 


98  UTTERATTJRNOTIZEN 

^  in  B^genolfus  23S,  9.  als  hauptquellen  hatte  Jaffe  bereits 
zwei  alte  bestände  erkannt,  die  er  als  'collectio  minor'  uud 
'coUectio  maior'  unterschied,  T.  führt  dafür  die  bezeichnungen 
"collectio  pontificia'  und  'collectio  communis'  ein  und  entwickelt 
die  Vorgeschichte  unserer  Überlieferung  (s.  xiii — xxix)  in  einer 
Untersuchung  von  vorbildlicher  klarheit.  sehr  merkwürdig  bleibt 
es,  dass  sich  in  England,  wo  doch  ein  guter  teil  der  adressaten 
lebte,  keinerlei  Sammlung  und  nur  dürftige  spuren  von  eiuzel- 
überlieferung  erhalten  haben  (s.  xxxij ;  was  wir  von  einer  solchen 
zu  erwarten  hätten,  zeigt  das  beispiel  von  nr  73,  wo  sich  nur 
im  Chronicon  Eveshamense  die  vermissten  bischofsnamen  7  und  S 
(Huidta  et  Leo f man e  147,1)  der  Überschrift  erhalten  haben,  mit 
ihnen  zugleich  die  richtige  ags.  namensform  des  bischofs  von 
Büraburg,  die  in  der  deutschen  Überlieferung  99,  5  Uuintanum 
{uumtanuni  1)  griJblich  entstellt,  93,  1  Umfiane  altsächsisch  um- 
geformt ist. 

Für  den  germanisten  besteht  der  hauptwert  dieser  briefe 
des  Bonifatius  und  derer  die  sich  um  ihn  gruppieren  in  der 
reichen  fülle  der  Zeugnisse  für  die  sittlichen  und  religiösen  zu- 
stände besonders  des  Innern  Deutschland:  sie  werden  hier  d^rch 
ein  ausgezeichnetes  wort-  und  Sachregister  bequem  zugänglich, 
dem  ich  nur  gern  ein  paar  dutzend  deutscher  Stichwörter  ein- 
gefügt gesehen  hätte.  E.  S. 

Altdeutsche  frauennamen  von  dr  Karl  Hessel. 
Bonn,  A.  Marcus  &  E.  Weber  1917.  40  ss.  8».  1  ra.  —  Das 
gutgemeinte  schriftchen,  ein  Sonderdruck  aus  der  Zeitschrift  Die 
höheren  mädchenschulen,  geht  von  unklaren  Vorstellungen  über 
die  bildung  der  germanischen  personennaraen  aus  und  lässt  die 
notwendige  kenntnis  der  alten  spräche  durchaus  vermissen,  eine 
probe  von  s.  7  mag  genügen,  um  unsern  lesern  zu  zeigen,  dass 
sie  es  getrost  ungelesen  lassen  dürfen,  die  naraen  auf  -hilef. 
-prüff  und  -gunp  werden  auf  die  schicksalsgöttinnen  oder 
Schlachtjungfrauen  zurückgeführt,  welche  die  nordische  götter- 
lehre  nornen  nannte  (!) :  'die  Deutschen  nannten  sie  Hilde,  Trude, 
Gunde  .  .  .  Hilde  ist  helida,  ist  heldin!  .  .  .  der  name  Trude 
ist  eines  Stammes  mit  traut,  trauen,  treue,  Gunde  ...  ist  viel- 
leicht aus  einer  wurzel  mit  gönnen,  dessen  Urbedeutung  retten 
ist.'     sapienti  sat.  '  E.  S. 

Die  römischen  krönungseide  der  deutschen  kaiser 
von  Heinrich  Günter  [Kleine  texte  für  Vorlesungen  und  Übungen 
herausgegeben  von  Hans  Lietzmann  132].  Bonn,  A.  Marcus  «!t 
E.  Weber  1915.  '>{  ss.  8 o.  1,20  m.  —  Das  ceremoniell  der 
kaiserkrönungen  von  Otto  I  bis  Friedrich  II  ist  in  einer 
auch  für  den  germanisten  lehrreichen  weise  von  ADiemand 
(München  1894)  dargestellt  worden;  die  dafür  in  betracht  kom- 
menden 'ordines'  hat  zuletzt  EEichmann  in  der  Zs.  d.  Savigny- 
.stiftung  33,  canonist.  abt.  II  s.  1 — 43  behandelt;  er  unterscheidet 


LITTKRATURNOTIZEN  9'.) 

drei  Perioden,  von  denen  die  erste  bis  Berengar  (9 1 .')  i  reicht,  die 
zweite  die  zeit  von  Otto  I  bis  Heinrich  V  nmspannt,  die  dritte 
mit  der  neuordnung  des  krönungsritas  für  Otto  IV  (1200)  be- 
g^innend  ohne  wesentliclie  änderung  bis  zur  letztm  krünuMK- 
(Karls  V  1530)  geht,  die  eide  sind  bei  diesen  und  altern  arbeiten 
in  den  hintergrund  getreten;  sie  sind  in  modernen  publicationt-n 
(insbesondere  den  "Constitutiones"  der  Monumenta  Germaniaej  zu- 
meist bequem  zugänglich,  und  Günter  hat  sie  in  der  hauptsache 
für  die  zwecke  historischer  Übungen  zusammengestellt.  sein 
büchlein  reicht  von  754  bis  1530.  er  hat  sich  aber  nicht  aut 
die  zusagen  der  krönungstage  selbst  beschränkt,  sondern  auch 
'die  Voraussetzungen,  begleiterscheinungen,  Übergänge'  mit  heran- 
gezogen, wie  sie  in  sehr  verschiedener  Zuverlässigkeit  bei  den 
historikern  überliefert  sind,  so  taucht  denn  gelegentlich  aucli 
einmal  ein  deutscher  text  auf:  14f)  Braunschweig.  Reimchronik 
6644 ff  (für  Otto  IV)  —  hier  ist  in  z.  31  vordegcdJiinge  [:  wiginge) 
zu  lesen.  E.  S. 

Abriss  der  burgenkunde  von  dr  phil.  h.  c.  Otto  IMpt-r. 
3  verb.  aufl.,  mit  33  abbildungen  [=  Sammlung  Göschen  Ill)|. 
Berlin  u.  Leipzig,  J.  G.  Göschen  1914.  126  ss.  kl.  S^.  gebd, 
1  m.  —  Neben  der  zu  berechtigtem  ansehen  gelangten  grofsen 
Burgenkunde  des  Verfassers  hat  nun  auch  dieser  kleine  abriss 
bereits  die  dritte  aufläge  erlebt  und  so  das  bedürfnis  bestätigt, 
dem  er  als  erstes  derartiges  werkchen  aufs  beste  abhilft,  die 
zahl  der  abbildungen  (jetzt  wider  um  2  vermehrt)  genügt  frei- 
lich nur  bescheidenen  ansprüchen,  im  übrigen  ist  das  werkchen 
bei  seinem  geringen  umfang  überaus  inhaltreich,  in  24  capiteln 
wird  alles  was  mit  dem  alten  burgwesen  in  baulicher  beziehung 
steht,  mit  sicherer  sachkunde  behandelt  und  durch  reichliche  iiin- 
weise  belegt,  eine  schwierige  frage  bleibt  immer  die  nomenclatur: 
P.  selbst  weifs  sehr  wol,  dass  sie  in  alter  zeit  vieldeutig  und 
unbestimmt  ist  und  dass  die  moderne  technologische  anwendung 
mancher  ausdrücke,  wie  auch  herchfrit  —  so  schreibt  er  mit 
HLeo  — ,  keineswegs  immer  dem  alten  brauch  entspricht,  aber 
wenn  er  zb.  s.  47  n.  sich  gegen  die  anwendung  des  wortes 
donjon  ereifert,  das  sich  doch  in  ganz  bestimmtem  sinne  schnn 
recht  gut  eingebürgert  hatte,  so  möcht  ich  die  frage  auf  werfen, 
warum  denn  das  verlies  —  übrigens  mit  falscher  Schreibung 
rerliefs  —  unbedenklich  eingeführt  wird  (s.  42),  obwol  der  aus 
druck  doch  erst  aus  den  ritterromanen  des  ausgehenden  is  jh.s 
Stammt,  und  warum  anderseits  ein  so  gutes  altes  wort  wie 
H-lghus  (es  lebt  noch  heute  in  der  Ziegenhainer  vorstadt  MViVA- 
Jtaus  fort)  ganz  fehlt,  ebenso  wie  das  weitverbreitete  :ingel;  zum 
mindesten  durfte  der  verwünschte  donjon  im  register  nicht  fehlen, 
der  germanist  soll  freilich  das  büchlein  studieren,  zum  nach- 
schlagen ist  es  nicht  bestimmt.  K.  S. 


1 00  1.ITTERATURN0TIZKN 

Württembergische  geschichte  von  dr  Karl  Weller, 
Professor  am  Karlsgymnasium  zu  Stuttgart.  2  neubearb.  aufl. 
[Sammlung  Goeschen  462 1.  Berlin  u.  Leipzig,  G.  J.  Goeschen 
1916.  182  SS.  kl.  8*^.  gebd.  Im.  —  Das  büchlein  ist  ebenso 
knapp  wie  reichhaltig,  insbesondere  sind  die  drei  ersten  capitel, 
welche  die  vordeutsche  zeit,  die  zeit  der  freien  Alemannen  und 
das  alemannische  gebiet  als  teil  des  Frankenreiches  behandeln, 
muster  einer  präcisen  darstellung;  aber  auch  darüber  hinaus  in 
der  schwäbischen  und  weiterhin,  vom  6  capitel  ab,  in  der  eigent- 
lich württembergischen  geschichte  ist  der  Verfasser,  den  wir  vor 
allem  als  ausgezeichneten  kenner  der  südwestdeutschen  siedlungs- 
geschichte  schätzen,  durchweg  ein  zuverlässiger  führer,  der  die 
Stoffwahl  und  den  ausdruck  gleichmäfsig  meistert,  das  fehlen 
jeglicher  kartenbeigabe  fällt  auf;  namentlich  bei  der  darstellung 
der  geschichte  des  limes  s.  11  — 13  vermisst  man  zum  mindesten 
eine  skizze  im  text.  E.  S. 

Verzeichnis  hessischer  weistümer  unter 
Mitwirkung  von  dr  Georg  Fink  bearbeitet  von  Wilhelm  Müller 
[Arbeiten  der  Historischen  kommission  für  das  grofsherzogtum 
Hessen].  Darmstadt,  verlag  d.  Hist.  vei-.  f.  d.  grofsherzogtum 
Hessen  1916.  iv  u.  96  ss.  —  Nach  dem  muster  anderer  land- 
schaften,  insbesondere  der  Rheinlande,  hat  man  der  geplanten 
ausgäbe  von  weistümern  der  grofsherzoglich  hessischen  provinzen 
Starkenburg,  Oberhessen  und  Rheinhessen  zunächst  ein  Ver- 
zeichnis des  gesamten,  nur  erst  zum  kleinsten  teil  gedruckten 
Stoffes  vorausgesandt,  zugleich  als  handwerkszeug  und  als  Werbe- 
schrift, trotz  dem  fruchtbaren  fleifs  der  auf  das  vorliegende  heft 
verwendet  worden  ist,  darf  es  nicht  als  litterarische  leistung 
gewertet  werden :  das  ligt  vor  allem  an  der  Unsicherheit  des  be- 
griffs  'weistum',  der  im  laufe  der  zeit  immer  dehnbarer  geworden 
ist.  es  stand  dem  weistümer-ausschuss  in  Darmstadt  oder  Giefsen 
natürlich  frei,  dafür  eine  neue  definition  zu  wählen,  die  auch 
grenzbeschreibungen,  eidesformeln  usw.  einschloss,  nur  wäre  es 
gut  gewesen,  dass  der  bearbeiter  des  'Verzeichnisses'  darüber 
rechtzeitig  aufgeklärt  und  instruiert  wurde,  es  ist  gewis  nur 
erwünscht,  dass  Urkunden  des  öffentlichen  rechts  in  grofser  zahl 
mit  aufgenommen  worden  sind,  und  anderseits  könnte  es  der  verf. 
leicht  rechtfertigen,  dass  er  auch  bei  weitgespanntem  rahmen  'von 
der  systematischen  Verzeichnung  der  hessischen  stadtrechtsquellen" 
abgesehen  habe,  leider  ist  dies  aber  erst  *im  lauf  der  arbeit' 
geschehen,  die  nunmehr  den  Stempel  der  ungleichmäfsigkeit  trägt: 
während  auf  Worms,  das  mancher  kaum  hier  vermuten  dürfte, 
sechs  volle  selten  des  engsten  druckes  fallen  (87 — 93)  und  hier 
zb.  alle  die  Stellung  des  bischofs  zur  Stadt  betreffenden  Urkunden 
verzeichnet  sind,  tritt  bei  Friedberg  (s.  40)  beschränkung  auf 
die  weistümer  (und  eidesformeln)  ein  und  bleibt  das  schwierige 
Verhältnis  von  Stadt  und  bürg  unberührt.  E.  S. 


LITTKRATÜRHrOTIZKN  1  O  I 

Germanisms  in  enfj^lish  speeoli:  "^od'«  aore',  by  »''»Ihi 
Albreclit  Walz  [sa.  aus  Anniversary  papers  by  <;<)lle;iges  an«! 
pupils  of  George  Lyman  Kittredf^e  p.  217 — 22(i!  Hoston,  (iinn 
&  CO.  1913.  —  God's  ucit'  hebt  sich  aus  dem  enj^lischen  Wort- 
schatz schon  darum  als  fremd  heraus,  weil  acic  hier  sonst  nur 
im  sinn  eines  ackermafses  erscheint,  tatsächlich  ist  es  der  ge- 
hobenen und  besonders  der  poetischen  spräche  «ler  Engländer 
und  Amerikaner  erst  einverleibt  worden  durch  ein  gedieht  von 
Longfellow,  der  es  selbst  als  'ancient  saxoii  phrasf'  einführt, 
als  deutsches  wort  freilich  war  es  in  England  seit  mindestens 
1  f)05.  wie  W.  nachweist,  bekannt  —  als  bestaridteil  der  eng- 
lischen spräche  wird  es  zuerst  1884  registriert,  amüsant  ist 
die  aufreihung  der  anfragen  und  antworten,  die  die  Notes  and 
Queries  von  1851  bis  1880  über  den  eindringling  gebracht 
haben,  in  Deutschland  ist  das  wort  1544  durch  Luther  als 
•von  alters'  überkommen  bezeugt:  belege  aus  dem  15jh.  kann 
das  DWb.  reichlich  bieten,  vgl.  vorläufig  für  l^öhmen  un<l 
Sfähren  Jeliuek  s.  328.  K.  S. 

Kinil  Olsoti,  Studier  över  pronomenet  dfu  i  nys- 
venskan.  Lunds  universitets  arsskrift.  n.  f.  afd.  1.  bd.  9. 
nr  3.  Lund,  C.  W.  K.  Gleerup.  Leipzig,  Otto  Harassowitz. 
viu,  118  s.  8  0.  2  kr.  —  Der  Verfasser  bietet  hier  in  etwas 
erweiterter  und  für  zusammenhängende  lectüre  geeigneterer  form 
im  wesentlichen  dasselbe  was  auch  der  von  ihm  ausgearbeitete 
artikel  den  in  Svenska  Akademiens  Ordbok  enthält,  die  ver- 
scliiednen  gebrauchsweisen  des  jtronomens  werden  mit  reichlichen 
neuschwed.  beispielen  belegt,  denen  sich  dann  hinweise  auf  die 
Verhältnisse  im  aschw.  und  in  den  verwanten  sprachen  an- 
schliefsen.  die  Verwendung  des  behandelten  demonstrativpronomens 
in  deiktischem,  anaphorischem  und  determinativem  sinn»»  ist  dem 
schwed.  mit  den  andern  germ.  sprachen  gemeinsam;  aber  nicht 
alle  einzelnen  dazugehörigen  gebrauchsweisen  sind  alt  ererbt 
oder  selbständig  entwickelt:  wenn  zb.  der  genitiv  d,'ss  im  altern 
neuschw.  vielfach  in  der  bedeutung  "deshalb"  auftritt,  so  wird 
das  mit  recht  als  nachbildung  der  entsprechenden  deutschen  In- 
struction aufgefal'st  (s,  25  f.).  dasselbe  möchte  man  gern  an- 
nehmen, wenn  man  den  w»',  das  sonst  relativsätze  einleitet,  in 
der  bedeutung  'wenn  einer"  antiifft  (s.   5lff.i. 

Aus  dem  rahmen  der  gemein-germ.  verwendnngsweisen 
heraus  tritt  dann  der  gebrauch  von  d,;,  als  persi-nliches  pro- 
nomen  (cap.  2).  sein  sing,  neutr.  und  sein  plor.  sind  schon 
gemeinnord.  für  das  fehlende  'es"  und  'sie'  eingetreten,  erst  im 
neuschw.  aber,  das  in  der  nominaltlexion  den  formalen  unter- 
schied von  masc.  und  fem.  verwischt  hat.  ist  vielleicht  nicht 
ohne  einfloss  des  dänischen,  wo  die  gleiche  entwicklung  sich 
s-hon  früher  vollzogen  hatte,  dcu  als  personalpronomen  zur  be- 
zciohnung  von  sachen   nicht   neutralen    geschlechts    ;iutVekomm.'n, 


102  ■LITTKEATÜKJS'CPriZKN 

während  die  in  der  älteren  spräche  so  verwendeten  hau  hon 
auf  personenbezeichmingen  beschränkt  wurden.  ,  auch  als  'for- 
melles subject  oder  object'  (dei  faller  miy  nagot  in)  und  in 
späterer  Sprachentwicklung:  auch  als  subject  und  object  unper- 
sönlicher verben  tritt  natürlich  das  neutr.  von  den  auf.  seit 
dem  jüngeren  aschw.  erscheinen  auch  den  sowie  den  som  und 
den  dar  als  relativpronomina  (cap.  3).  beispiele  in  denen  das 
pronomen  als  nachg-estelltes  demonstrativum  sich  durch  seine 
form  noch  als  dem  hauptsatz  zugehörig-  erweist,  zeigen,  dass  sich 
hier  in  später  zeit  nochmals  eine  entsprechende  entwicklung- 
vollzogen  hat,  wie  sie  in  anderen  gerni.  sprachen  früher  vor  sich 
gegangen  ist:  dass  nämlich  ein  dem  hauptsatz  angehöriges  de- 
monstrativum allmählich  in  den  ursprünglich  einleitungsloseu 
oder  von  einer  relativpartikel  eröffneten  relativsatz  hinübei- 
gezogen  worden  ist.  dass  auf  die  endgültige  ausbildung  der 
construction  die  deutschen  relativa  nicht  ohne  einfluss  gewesen 
sind,  wird  gewis  mit  recht  angenommen,  einwirkung  ent- 
sprechender deutscher  constructionen  ist  auch  zu  verzeichnen  bei 
dem  'unbestimmten  pronomen'  den,  bei  der  Verwendung  von  den 
als  vorangestelltem  artikel  und  seinem  gebrauch  als  anredeform. 

Marburg  in  Hessen.  Wolf  von  llnwerth. 

Hans  Wolfgang  Pollak,  Proben  schwedischer  spräche 
und  mundart  i.  nr  xxii  der  Berichte  der  phonogramm-archivs- 
kommission  der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
[=  Sitzungsber.  d.  k.  ak.  d.  wiss.,  philos.-hist.  cl.,  170.  band, 
2.  abhandlung.]  Wien,  A.  Holder.  1913.  77  ss.  8  0.  1,60  m. 
—  Die  Schrift  enthält  eine  ganze  reihe  von  texten  in  schwed. 
dialect  oder  schwed.  Schriftsprache  (riks.sprdkj,  von  denen  das 
phonogrammarchiv  der  Wiener  akademie  die  platten  besitzt,  die 
aufzeichnungen  sind  von  schwed.  Sprechern  oder  beobachtern  vor- 
genommen worden,  den  schwieriger  verständlichen  texten  ist 
eine  Übersetzung  in  normale  schwed.  Schriftsprache,  allen  eine 
deutsche  Übertragung  beigefügt,  die  mundartlichen  stücke  — 
auch  Estland  und  Gotland  sind  vertreten  —  kommen  phonetisch 
zu  sehr  eingehnder  darstellung,  soweit  in  ihnen  das  Lundellsche 
landsmälsalphabet  angewendet  ist;  dialectkenner  wie  JALundell, 
ANoreen,  GDanell  sind  bei  den  aufzeichnnngen  tätig  gewesen. 
zu  einem  würklichen  Verständnis  der  schwierigen  lautschrift 
wird  freilich  der  deutsche  benutzer  kaum  durch  die  kurze 
schematische  Zeichenerklärung  auf  s.  4  ff.,  sondern  erst  durch  heran- 
ziehung  der  dazu  citierten  litteratur  gelangen. 

Auch  für  die  Schriftsprache  geben  einzelne  mit  hilfe  des- 
selben alphabetes  hergestellte  texte  genaue  abbilder  der  land- 
schaftlichen sonderformen,  charakteristische  unterschiede  der 
Schriftsprache  des  mittleren  Schwedens  —  speciell  der  stockhul- 
mischen  mit  ihren  eigenen  besonderheiten  — ,  gegenüber  der- 
jenigen der  südlicheren  landschaften  kommen  in  den  von  Hesselman 


LIITEKATUKNOTIZEN  lOi', 

und  Limdell  aufgezeichneten  «tütkeri  iv  und  xm  /um  ausdruck. 
einige  weitere  texte,  in  denen  das  bezeiclinnngssystem  von  Lyttken« 
und  Wulff  angewendet  ist  fxvi,  xx),  veranschaulichen  durch  di.- 
bezeichnung  der  tonstärke  gleichzeitig  (vgl.  s.  7)  die  beiden 
accentuierungssystenie,  nach  denen  das  schwed.  wortmaterial  sich 
scheidet  (vgl.  dazu  Axel  Kock  Die  alt-  und  neUHchwedi8(;hi- 
accentuierung,  Q.-F.  87,  sowie  jetzt  den  lelincichen  Vortrag  Ernst 
A.  Meyers  auf  der  Marburger  philologenversanimlung).  eine  dritte 
gruppe  endlich  verzichtet  auf  genauere  phonetische  darstfliung  und 
hält  sich  an  die  normale  Orthographie,  wobei  für  den  ausländer 
zu  beachten  ist,  dass  die  einzelnen  buchstaben  ihren  üblichen 
schwed.  lautwert  haben. 

Marburg  in  Hessen.  W„lf  von  l  nMerlh. 

Die  Hirtenbriefe  Aelfrics  in  altenglischer  und  hit.i- 
nischer  fassung  herausgeben  und  mit  Übersetzung  und  einleitunti 
versehen  von  Bernhard  Felir  |=  Bibliothek  der  angelsäclisischen 
prosa  begründet  von  Ch.W.M.  Grein,  fortgesetzt  von  K.P.  Wülker, 
herausgegeben  von  Hans  Hecht,  ix  band].  Hamburg,  Henri 
Grand   1914.    cxxvi  u.  2(59  ss.    8".     20  m.  Unsere  kenntnis 

wie  unser  urteil  über  Aelfrics  kirchliche  und  litterarisclie  würk- 
samkeit  beruht  bis  heute  in  der  hauptsache  auf  der  grundlegen- 
den arbeit  von  Dietrich  in  Niedners  Zs.  f.  die  liist.  theologie 
bd.  25.  26  (1855/56),  von  der  miss  Carolina  Louisa  Wliite  unter 
dem  irreführenden  titel  'Aelfric.  a  new  [V]  study  of  his  life  and 
writings'  1898  (in  den  Yale  studies  in  english  II)  lediglicli  einen 
brauchbaren  auszug  mit  bibliographischen  nachtragen  gegeben  hat. 
die  biographischen  und  litterarischen  daten  haben  MFöi-ster  und 
neuerdings  EBrotanek  in  wichtigen  puncten  gekläit,  die  bedeu- 
tendste förderung  aber  bringt  in  text  und  einleitung  das  werk 
von  Fehr,  das  ich  nicht  ansteh  für  eine  der  tüchtigsten  leistungen 
der  angelsächsischen  philologie  zu  erklären,  nicht  unwert,  wenn 
auch  in  einigem  abstand,  neben  Felix  TJebernianns  (ii-setzen  dei- 
Angelsachsen  genannt  zu  werden,  die  kircheniechtliche  eigenart 
wie  die  Überlieferung  von  Aelfrics  Hirtenbriefen  legten  es  dem 
herausgeber  nahe,  sich  Liebermanns  arbeit  zum  muster  zu  neh- 
men, und  dies  vorbild  bekundet  sich  auch  in  der  äufseren  ein- 
richtung  der  edition  wie  in  dei-  beigäbe  einer  Übersetzung,  auf 
die  Fehr  sichtliche  mühe  verwendet  und  durcli  die  er  *u\i  die 
besondere  dankbarkeit  der  kirchcnhistoriker  gesichert  hat 

Es  handelt  sich  im  ganzen  um  seclis  stücke  (8.  1-227): 
drei  lateinische  briefe  (2.  3.  2a),  die  sämtlich  an  bischnf  Wulfstan 
(i)  II  von  Worcester  0003 — 1016),  erzbischof  von  York  i  KKKi 
— 1023)  gerichtet  sind,  und  drei  in  dtr  landessprache.  von 
denen  der  früheste  (!)  (F.  setzt  ihn  s.  xxxviiif  ins  jähr  lOOI) 
den  bischof  Wulfsi;e  iii  von  Sherborne  (992— t(Hi2).  die  beiden 
andern  (II.  III)  wider  den  Wulfstan  zum  adressaten  haben,  der 
brief  2a  wurde   dem    lierausgebei    erst    unter  dem  tlrucke  durch 


1  U4  MTrKItATUKNO  lIZIsN 

RBrotanek  zugänglich  —  er  war  ganz  unbekannt,  die  lateiu. 
briefe  2.  3  lagen  bisher  nur  in  älteren  ung'enügenden  drucken 
vor.  auf  die  aug-elsächsischen  briefe  allein  beschränkte  sich  die 
ausgäbe  von  BThorpe  in  den  Monumenta  ecclesiastica  von  1841: 
Tli  gieng'  zwar  gegenüber  älteren  ausgaben  durchweg  auf  hand- 
scliriften  zurück,  aber  sein  raaterial  war  für  1  nur  dürftig,  II  gab 
er  uach  einer  Jüngern  fassung  (D,  worüber  Fehr  s.  lxv — Lxxvn) 
und  von  III  druckte  er  nur  ein  kleines  bruclistück  ab.  so  stellt  die 
ausgäbe  F.s  schon  stofflich  eine  bereicherung  der  alteuglischen 
litteratur  dai;.  und  diese  wird  auf  grund  eines  reichen  hssmaterials 
in  solidei-  kritischer  bearbeitung  geboten  und  ist  von  ei-gebnis- 
reichen  Studien  über  die  Chronologie  und  die  quellen  begleitet, 
nun  wird  freilich  auch  durch  die  sorgfältige  textbehandlung  der 
litterarisclie  wert  dieser  hirteubriefe  nicht  erhöht,  und  die  fest- 
stellung  der  quellen  ergibt  eine  conipilatorische  arbeit,  die  das 
bild  von  Aelfrics  schriftstellerischer  persönlichkeit  eher  herab- 
drückt; aber  dai-um  ist  die  jahrelange  mühe  welche  F.  auf  die 
herrichtung  und  Würdigung  dieser  texte  verwendet  hat,  nicht 
minder  dankenswert,  seine  gewissenhafte  arbeitsweise  bewährt 
sich  auch  noch  in  den  anhängen,  die  unter  I — V  kleinere  litur- 
gische und  katechetische  stücke,  unter  VI  die  interpunction  der 
ae.  briefe,  unter  VII  eine  concordanz  mit  Thorpes  ausgäbe  (folio 
und  quarto).  unter  VIII  schliefslich  nachtrage  und  Verbesserungen 
zum  text  und  zum  apparat  bringen,  dieser  'apparat'  ist  wie  bei 
Liebermann  ein  sehr  complicierter,  denn  er  hat  es  in  besondern 
rubriken  aufser  mit  den  textvarianten  mit  glossen,  (der  concordanz) 
und  dcTi   quellen  zu  tun.  E.  S. 

Morte  Arthure  mit  einleitung,  aninei-kungen  und  glossar 
herausgegeben  von  Erik  Björkman.  |Alt-  und  mittelenglische 
texte  hrsg.  von  L.  Morsbach  und  F.  Holthausen  9.]  Heidelberg, 
Winter  1915.  XXVIT  u  263  ss.  S".  4  m.  —  Mein  Interesse 
an  der  Morte  d' Arthure  rührt  aus  der  zeit  her,  wo  uns 
ten  Brink  in  seiner  unvergesslich  fesselnden  art  mit  dem  dichter 
Huchown  bekannt  machte  und  verriet,  wie  er  sich  das  Verhältnis 
von  dessen  verlorener  'gret  gest  of  Arthur^'  zu  dem  erhalteneu  werke 
vorstellte,  ich  habe  daher,  wie  ich  in  erinnerung  an  jene  köst- 
liche lernzeit  noch  immer  von  zeit  zu  zeit  einen  mittelenglischen 
text  zur  band  nehme,  die  ausgäbe  Björkmans  mit  Interesse  be- 
grüfst,  möchte  aber  namentlich  deshalb  hier  über  sie  berichten, 
weil  sie  mir  in  mehr  als  einei'  hinsieht  typisch  scheint  für  den 
zustand  der  englischen  philologie  und  ich  darin  eine  bedenkliche 
Stagnation  der  editionstechnik  erblicke,  die  sich  ihrer  pflichten 
gegenübe]-  den  alten  autoren  und  gegenüber  der  litteratur- 
geschichte  noch  immer  nicht  bewust  weiden  will,  was  ich  hier 
tadle  trifft  nicht  Björkman  allein  oder  auch  nur  insbesondere, 
sondern  mehr  oder  weniger  die  meisten  neuern  ausgaben,  und 
da  ich  seit  meiner  Studentenzeit  nicht  aufgehört  habe,  die  wissen- 


MTTKUATl  KNrillZKN  105 

Schaft  meiner  lehrei-  MülleiilioiY  und  Sclier.'i,  t»'ii  I{rink  uml 
Zupitza,  Tobler  und  Gröber  als  eiue  einheitswiKKenHchaft  vom 
iiiittelalter  anzusehen,  ina^  man  sich  diesen  Mibersfritr  immerhin 
erklären,  wenn   man  ihn   niclit  luTtM-litiict   linde.t. 

Die  allitterierende  Morte  d'Arthnre  ist  uns  nni  in  dem  be 
l<annfen  inhnltreichen  Thornton  ms.  dir  l)(iinl)ildioth<k  zu  Linroln 
erhalten  und  aus  ihr  zuerst  IS  17  von  Halliweil.  dann  liir  die 
Early  Knglish  Text  Society  IS«;r>  von  Perry.  1^71.  IS'.tS.  I'.IOI 
von  Brock  herausi>egeben,  aulscrdem  li)()0  auf  s:rund  einer  nfucn 
vergleichung  der  hs.  von  mrs  i5anks;  au  diese  aus;4abe  sdilicfHt 
sicli  die  von  Bjöikman  "in  allem  wesentliclicn'  an;  sie  i«t  also 
die  siebente  widerijabe  desselben  hsl.  textes  —  aber  sie  bleibt 
jj:rundsätzlich  bei  der  i>-enauen  liewahrun^i:  der  zufällij^en  ilber- 
lieferungsform;  B.  «-ibt  also  sämtliche  eij^enheiten  der  irräulichen 
Orthographie,  die  wir  doch  wahrlich  aus  dfu  sechs  voraus- 
gegangenen  textabdrückt-n  zur  «»-enüge  kennen,  hült  alle  ab- 
kürzungen  mit  peinlicher  akribie  durch  cursivc  fest  und  emp- 
findet trotzdem  im  Vorwort  fast  reue,  dass  er  den  text  nicht 
'noch  conservativer'  behandelt  habe,  allerdinjjs  waren  so  wunder- 
liche dinge  unvermeidlich,  wie  wenn  die  totale  Umstellung-  bei 
V.  584  im  text  nicht  kenntlich  sfemacht  wird,  wol  aber  die  hsl. 
Überlieferung  'üoki'.  im  einzelnen  ist  die  textkritik  liurch 
Björkman  und  die  wertvolle  beisteuer  Holthausens  vielfach  ge- 
fördert: hierfüi-  war  bisher  auch  so  gut  wie  nichts  ufesihehen! 
wie  lässig  und  gleichgiitig  sich  die  vier  (Ii  englischen  heraus- 
geber  in  diesen  ding-en  verhalten,  dafür  mögen  wenige  beispieie 
genügen:  der  name  des  römischen  kaisers  l.nrin.s  steht  23.  12*^. 
41!)  usw.  im  stabieim  auf  lordr.  v.  Sf»  überliefert  den  unrein« 
^Ktnperonr  ]  erst  Holthausen  faml  den  fehlei-  heriius  —  und 
schreibt  nun  da  wo  er  emendiert  luiiml  als  <lie  dem  tliihter 
zukommende  foini;  ebenso  hat  erst  er  das  unmöofliche  Mnuhnir: 
'hrijtr'  i:\H.  227.  407  uö.  durch  smir^  roii  rnill :  •hiniiihltis'  '^^\ 
■durch  das  massenhaft  in  ähnlichem  reim  überlieferte  rrn/ci/s 
(s.  wb.  s.  241)  geheilt,  aber  seine  eigene  irnte  und  geradezu 
notwendige  besserung  >t:<istcl  für  irn.iT  147  wagt  B.  nicht  in 
den  text  zu  setzen,  und  die  andacht  gegenüber  dem  Schreiber 
geht  so  weit,  dass  beispielsweise  <islr  "heer".  «las  im  glosgar 
richtig  unter  o  steht  und  s(»  auch  im  Stabreim  ♦517.  I'.M)7.  22r»»). 
23S7.  2S3'.t.  40(11.  4ort^.  4113  (anfserhalb  des  reimes  zb  H»74) 
erscheint,  mehrfach  gegen  den  reim  als  liosh-  belassen  wird; 
2008.  :-t07().  im  v.  4061  reimen  aufeinander  die  drei  tz.  Wörter 
ostrs  :ahnit's:  orn-hill  --aber  das  dritte  behält  seine  Schreibung 
•honrhUri  [nb.  das  wort  fehlt  im  glossarj.  so  dürfen  wir  ann 
denn  nicht  wundern,  da.ss  alle  und  jede  scUwankuu«:  der  ortho- 
•jraphie  heibelialten  worden  ist:  das  ae.  tri-oinl  erscheint  in  fHnf 
verschiedenen  formen :  Ireirthv,  Irniufhr.  hi»rllir.  tmnlhr,  hnuhf, 
das  fz.   iintiitifiiiinlt:  in  ebensovielen:    tiitinlln',n>lf.    inn»rruutr<U . 


lOb  lilTTERATUKNOTIZEN 

avainratdr,  KvaiCDieiranlc,  avatviiucarde  —  bei  nur  sieben- 
inaligem  vorkommen !  gewis  sind  auch  die  meisten  dieser  ortho- 
graphischen Varianten  spvachgeschichtlich  interessant,  aber  dem 
vornehmen  dichter  geschielit  schreiendes  unrecht,  wenn  man  das 
reinliche  kleid  seiner  spräche  nicht  von  dem  rost  und  schmutz 
einer  80  jalire  Jüngern  handschrift  befreit,  diese  dinge  gehören 
in  eine  erschöpfende  behandlung  des  Schreibers  und  mögen  allen- 
falls auiser  in  den  lesarten  auch  im  glossar  verzeichnet  werden, 
das  glossar  Björkmans,  ein  neues  zeugnis  seiner  längst  bekannten 
Sorgfalt  und  sachkunde,  erfüllt  ja  auch  diese  aufgäbe  vortreff- 
lich, die  einleitung  bietet  allerlei  zur  Orientierung,  hat  aber  die 
schwierige  frage  der  quellenbenntzung  nicht  selbständig  fördern 
wollen,  dass  der  Verfasser  selbst  nicht  mit  Huchown  dem 
dichter  der  'Susanna'  identisch  sein  kann,  hat  Björkman  mit 
entscheidenden  sprachlichen  gründen  schon  früher  bewiesen. 

E.  S. 

Der  Heiland  und  Heimo  von  Halbe  rstadt 
von  Richard  Heinrichs.  Cleve,  comm.-verlag  Fr.  Bol's  wwe  l!)lfi. 
41  SS.  8".  1,50  m.  —  Die,  wie  man  zugeben  muss,  noch  heute 
nicht  völlig  aufgeklärte  Stellung  des  Heiland  zur  angelsächsischen 
litteratur  hatte  den  verf.,  wie  es  scheint  einen  katholischen  geist- 
lichen, schon  vor  jähren  auf  den  gedanken  gebracht,  es  könne 
der  aus  England  stammende  und  als  bischof  von  Halberstadt 
(840 — 853)  in  Niedersachsen  heimisch  gewordene  Heimo  der 
dichter  der  altsächsischen  messiade  sein,  dieser  verdacht  ge- 
staltete sich  ihm  zur  wissenschaftlichen  these,  als  er  in  Wredes- 
aufsatz  Zs.  48  Halberstadt  von  anderem  gesichtspunct  aus  in  den 
bereich  der  erwägung  gezogen  sah  und  dort  auch  seinem  freunde 
Heimo  und  dem  kloster  Hersfeld,  wo  dieser  889/40  würkte, 
wider  begegnete,  als  hauptstützen  dienen  ihm  neben  den  oben 
angedeuteten  lebensumständen  Heimos  dessen  nahe  beziehungen 
zu  Raban,  der  hinter  einer  seiner  bekannten  namenspielereien 
versteckt  sogar  den  ihm  befreundeten  Helianddichter  besungen 
haben  soll  (s.  12  ff),  und  demnächst  (s.  16  ff)  ein  paar  parallelen 
zum  Heliand  aus  Schriften  Heimos,  die  als  Zeugnisse  der  gleich- 
zeitigen theologischen  schriftstellerei  immerhin  gelten  mögen,  aber 
weder  'quellen'  darstellen  noch  auf  den  gleichen  Verfasser  hin- 
weisen, ich  halte  die  ganze  these  nicht  nur  für  unbewiesen^ 
sondern  für  unbeweisbar  und  unmöglich,  aber  ich  habe  das  heft 
doch  keineswegs  mit  dem  Widerwillen  bei  seite  gelegt,  mit  dem 
uns  oft  ähnliche  erzeugnisse  von  dilettanten  erfüllen:  der  Ver- 
fasser ist  ein  gebildeter  mann,  er  schreibt  überzeugt  und  beredt 
und  ist  freilich  in  philologischen  dingen  zu  gewalttätigkeiten 
geneigt,  aber  seine  eindringlichkeit  hat  nichts  unangenehm  auf- 
dringliches. E.  S. 

Lateinisch-althochdeutsches  glossar  zur 
T  a  t  i  a  n  ü  b  e  r  s  e  t  z  u  ji  g .   als   ergänzung  zu  Sierers'   althoch- 


LITI  KKATUKNUI IZKN  107 

deutschem    Tatianglossar,    bearlicitet    von    di     Fricdrirli    Köhl.r. 

Paderborn,  Ferd.  Schöningh    \\)l\.    x  u.    ll.'}  ss.     S  ".     f.  m,  

Das    vorzüg-liche    glossar    welches    Sievers    der    '2    aufl.     seiner 
Tatianausgabe  beigefügt  hat,  ist  von  den  gernianisten  mit  immer 
erneutem  dankgefühl  benutzt  worden  und  hat  d^-r  l'orschung  di»; 
wertvollsten  dienste  geleistet,    aber  wer  von  uns  hat  nicht  sciion 
gerade    bei    diesem    denkmal    als    ergänzung    und   controlle   ein 
lateinisch-deutsches   glossar   herbeigesehnt?     dieser   wnnsch  wird 
erfüllt  in  einer  alle  billigen  anforderungen  befriedigf-iideii   weise 
durch  einen  schüler  von  Sievers,  der  sich  bi-rrits  in  seiner  disser- 
tation  Zur  frage  der  entstehungsweise  dt-r  ahd.  Tatianübersetzung 
(Leipzig    1911)    als    einen   säubern    ai  heiter    erwiesen    hat.      zur 
raumsparung  (das  glossar  von  Sievers  umfasst  bei  ganz  ähnlicher 
typographischer  einrichtung  215  ss.!)   sah  sich  der  verf.  freilich 
genötigt,    die  Zeitwörter    auszuscheiden    und    auf   einen   knappen 
index   zu   beschränken,   mit  dem  man  aber  immeriiin  auskommen 
kann,  denn  gerade  die  verba  sind  von  Sievers  am  vollständigsten 
behandelt,     das   hauptglossar   ist   kein   blofser  index  zu  Sievers, 
sondern    geht   durchweg   auf  den    text  selbst  zurück,    über  seine 
wolerwogene  einrichtung  spricbt  sich  der  verf.  s.  vi  ff  eingehend 
aus.    ich  habe  sein  werk  schon  vielfach  benutzt,  und  es  hat  sich 
beim   nachschlagen   immer  wider   bewährt,    auch    die  gegenprobe 
an  Sievers   überall   bestanden;    nur   muss  man  freilich  niclit  mit 
diesem   index   für   sich    arbeiten   wollen,   sondern   ihn   immer  als 
Zugang   zum   text   benutzen,    den    er    uns  vor   allem   durcli  voll- 
ständfgkeit   und   zuverläs>;igkeit   der  belegzahjen  erschliefst,     die 
anstöfse  die  ich  gefunden  habe,  erklären  sich  zumeist  durch  das 
streben  zu  sparen,  das  aber  gelegentlich  irreführt,    ich  führe  ein 
paar  beispiele  von  s.  127a  an:  bei  iixor'  [wo  in  z.  7   'qu.enun" 
st.  'qucj^nun"  verdruckt  ist]   lesen   wir:    ^u.  tua  :  tliin  q.  2,  .'».  S. 
11 '.  —  in  Wirklichkeit  lautet  der  zweite  fall:  '«.  mca  :  min  q.", 
der   dritte:    'u.  eins  :  sin  q.'  —   bei    'raltle'    hätte    es    allenfalls 
genügt,    die   beispiele  von    der   Steigerung   des  verbums  und  des 
adjectivums  getrennt  aufzuführen,  die  fassung  für  'thrato' :  'ilice.s 
r.  :  'ehtig  th.  1U6,  3.    1."),  5.    tli.  mihi!  |1.  -michirj  2 Hl,  .H.'  lässt 
nicht  nur  (was  jeder  sieht)  beim  letzten  beispiel  das  lat.  leninia 
('magnus  v.')   fort,   sondern  verschweigt    auch   beinj  zweiten  fall, 
dass  hier:  'montein  exci:huui  r.  -.  hohan  berg  th.'  vorligt.    so  muss 
namentlich  der  gelegentliche  benutzer  dringend  ermahnt  werden. 
stets  den  text  selbst  nachzuschlagen.  K.  S. 

A.  Keniponeers.  Hendrik  van  Veldeke  en  de  bron 
van  zijn  Servatius  [=^  Studien  en  Tekstuitgaven  '.\\. 
Antwerpen,  'Veritas'  1913.  ix  u.  IBCss.  4".  S  fr.  -  Das  buch 
bringt  zunächst  (s.  1  —  46)  nach  guten  alten  mss.  der  Uollandisten 
einen  neuen  text  der  Vita  SServatii  (übrigens  denselben  der 
auch  in  der  Leidener  hs.  hinter  dem  gedichte  Veldekes  steht» 
und    erweist   diesen    im  s'egensatz  zu   FWillKlni  als  die  von  der 


lOS  LITTERATUÜNOTIZKN 

quelle  des  hochdeutschen  gedichtes  (VVillielms  G[esta])  abweichende 
vorläge  Veldekes  (s.  49 — 64).  dass  der  dichter  des  Servatius 
und  der  Eneide  dieselbe  person  seien,  hält  der  verf.  gegen 
RMMej'er  aufrecht  (s.  65 — 73),  verkennt  aber  dabei  die  Schwierig- 
keiten, die  mir  Me\'^ers  zweifei  wolverständlich  erscheinen  lassen,, 
ganz  abgesehen  von  den  rein  sprachlichen  differenzen,  die  sich 
bis  in  Wortwahl  und  Wortbedeutung  hinein  verfolgen  lassen,  ist 
der  abstand  des  poetischen  Vermögens  derart,  dass  ohne  die 
äufsere  bezeugung  schwerlich  jemand  der  Servatius  und  Eneide 
hintereinander  list,  auf  den  gedanken  verfallen  würde,  beide  dem 
gleichen  autor  zuzuweisen,  ich  finde  vorläufig  nur  die  erklärung, 
dass  Veldekes  künstlerisches  temperanient  zwar  beweglich  genug 
war,  der  muntern  erzählung  des  französischen  romandichters  frei 
zu  folgen,  dass  sein  eigenes  können  aber  nicht  ausreichte,  um 
aus  dem  zähflüssigen  bericht  der  lateinischen  legende  etwas 
unterhaltsames  zu  gestalten,  was  K.  in  seiner  quellenvergleichung 
(s.  106  — 141)  beibringt,  uu)  das  gleiche  verfahren  des  dichters 
gegenüber  der  lateinischen  wie  der  französischen  vorläge  zu  be- 
weisen, macht  wenig  eindruck  und  ist  nirgends  entscheidend,  und 
die  these,  der  Servatius  sei  eben  eine  Jugenddichtung,  fällt  um 
äo  weniger  ins  gewicht,  als  die  abfassungszeit  der  legende  und 
ihr  zeitliches  Verhältnis  zum  roman  noch  nicht  feststeht:  K. 
(s.  91  — 105)  setzt  sie  um  1176  an  und  scheint  11  SO  als  das 
datum  zu  wählen,  um  welches  dem  dichter  das  manuscript  der 
Eneide  entwendet  wurde;  er  rechnet  dabei  von  dem  abschluss 
des  ronians  1189/1190  die  neun  jähre  rückwärts  und  hat  offen- 
bar von  dem  wichtigen  funde  von  Wilmanns  und  den  daran  an- 
geknüpften erörterungen  keine  künde.  —  Über  die  familie  von 
Veldeke  und  ihre  beziehung  zu  den  grafen  von  Loon  und  zur 
abtei  STrond  bringt  der  verf.  allerlei  urkundliches  material  bei 
(s.  74 — 91  gedrucktes,  s.  158 — 162  ungedrucktes):  wir  kommen 
dabei  mit  einem  'Robertus  de  Veldeca'  allenfalls  bis  1195  hinauf, 
für  unsern  Heinrich  selbst  aber  ergibt  sich  nichts  (vgl.  den 
Stammbaum  s.  90).  eine  übertriebene  skepsis  zeigt  der  Verfasser 
gegenüber  des  dichters  beziehungen  zu  Maastricht  (s.  103 — 105. 
143 — 146):  er  geht  hier  aus  von  dem  Irrtum  derjenigen  ge- 
lehrten, welche  sich  das  dorf  Spalbeke  und  'Velkermolen'  in  un- 
mittelbarer nähe  Maastrichts  vorgestellt  haben  (statt  onö.  Hasselt), 
ein  Irrtum  der  auch  mich  verdrossen  hat,  als  ich  im  j.  1909  von 
dort  aus  den  spuren  des  dichters  weiter  nachgehn  wollte,  wenn  K. 
aber  s.  103  f  geneigt  ist.  dem  'coster  Hessel'  die  Zugehörigkeit  zum 
Maastrichter  Servatius-Stift  zu  bestreiten  und  womöglich  sinte 
Servaes  honflsfat  als  einen  pachthof  oder  die  'curtis'  Niel-Sint 
Servaas  auszulegen,  muss  ich  entschieden  protestieren.  —  Noch 
sei  angemerkt,  dass  K.  überflüssigerweise  die  polemik  gegen 
Behaghels  trotz  allem  aufgewendeten  fleifs  und  Scharfsinn  ver- 
unglückte pseudo-raaastrichtsche  Umschrift  der  Eneide  wider  auf- 


I.iriKÜATI'ItNdTIZKN  lÜl» 

nimmt  (s.  iXo;.  dass  er  is.  14  i  anm.)  driiif^end  warnt  vor  der 
benutzung  der  ausgäbe  des  Servatiiis  von  Pipei-  lin  Kürschners 
DNL.  4  i)  und  dass  er  seine  scbrift  scblielst  mit  'Xog  ov«'r 
Wilhelms  theorie'  (s.  Ib3— lüJJj:  einer  Zusammenstellung  haupt- 
sächlich belgischer  urteile  über  W.s  hagiographisc^li«'  leistung. 
es  scheint  dass  diesem  gelehiten  immer  auf  die  tinger  geklopft 
wird,  so  oft  er  sich  in  seiner  geräuschvollen  art  auf  das  gebiet 
der  geschichtsforschung  begibt,  zur  suche  verweis  ich  auf  die 
darlegungen  eines  bestberufenen,  WLevison  in  der  W.-stdeutschtn 
zeitschr.  f.  gesch.  u.  kunst  -U)  (l'Jlij,  r)!(,i — 517:  N.  Archiv 
37,  331.    11,   333  f.  K.  S. 

Die  Katharinenlegende  der  lis.  11.  1  i:;  dtr  Kgl. 
bibliothek  zu  Brüssel  herausgegeben  von  dr  M'iliiani  Kdward 
Coliinson  m.  a.  [=  Germanische  bibliothek  hrsg.  v.  VV.  Streitberg, 
IT.  abteilung:  Untersuchungen  u.  texte  luj.  Heidelberg.  C.Winter 
1915.  XII  u.  178  SS.  8".  4  m.  gebd.  4,80  m.  —  In  der  Zs.  f. 
d.  phil.  36,  375  ff  hat  RPriebsch  aus  der  Brüsseler  papierhs.  11. 
143  vom  j.  1476  eine  nd.  Dorotheenpassiou  herausgegeben  und 
ebenda  s.  3S4  wichtige  feststellungen  für  eine  nd.  Katharinen- 
legende der  gleichen  hs.  gemacht:  sie  zeigt  in  ihrem  zweiten, 
gröfseren  teile  (v.  501  — 1908)  engste  beziehuiigen  zu  einem  md. 
gedieht,  von  dem  fragmente  in  Wolfenbüttel  und  Hannover  (im 
ganzen  265  verse)  aufgetaucht  sind;  der  erste  teil  ibis  v.  500j 
dagegen  ist  eine  mnd.  originaldichtung.  mr  Collinson.  ein  schüler 
von  prof.  Priebsch,  hat  es  unternommen,  diese  thesen  seines  lehrers 
zu  begründen  und  durch  quellenstudien  selbständig  weiterzuführen 
(s.  1 — 50);  im  anschhiss  daran  gibt  ir  eine  recensio  des  ge- 
samten mnd.  textes  (B),  dem  er  in  paralleldruck  den  mittel- 
dentschen  (W)  beifügt,  soweit  dieser  eben  erhalten  ist.  in  früheren 
Stadien  haben  sich  JFranck  und  CvKraus,  Braune  und  Sievers 
für  die  arbeit  C.s  interessiert ;  der  letztgenannte  hat  ein  paar 
gute  conjectureu  besonders  zu  W  beigesteuert,  während  ici» 
glauben  möchte,  dass  Kraus  die  mit  seinem  namen  gekenn- 
zeichneten vorschlage  zur  reimglättung  gegenüber  dem  fertigen 
buche  zurückgezogen  haben  würde;  zuletzt  hat  dann  nach  aus- 
brnch  des  krieges  Rl'etsch  die  correctur  übernommen  und  be- 
sonders für  einen  saubereu  druck  des  textes  gesorgt,  bei  so 
vielfältiger  hilfe  darf  man  voraussetzen,  dass  das  ganze  den  an- 
sprüchen  der  deutschen  Wissenschaft  genügt,  ich  möchte  aber 
ausdrücklich  hinzufügen,  dass  mir  auch  die  eifrene  leistung  C.s 
als  ein  tüchtiges  specimen  eruditiunis  erscheint ;  der  anfänger  und 
ausländer  tritt  hier  und  da  in  ungeschickten  und  überflüssigen 
bemerkungen  der  grammatischen  einleitung  sowie  der  anmerkungen 
zu  tage. 

C.  macht  es  wahrscheinlich,  dass  das  in  B  11  überarbeitete 
md.  gedieht  aus  [Nord-|  Thüringen  stammte,  in  den  uns  erhaltenen 
fragmenten  des  Originals  weist  er  spuren  eiufs  nd.  schreiben-  auf. 


1  1  0  LITTE  RATURNOTIZKN 

die  sich  leicht  vermehren  lassen.  B  I  erklärt  C.  als  ostfälisches, 
genauer  braunschweigisehes  werk,  das  er,  wol  etwas  zu  früh, 
noch  ins  14  jh.  setzen  möchte,  die  frage,  ob  der  Verfasser  von 
B  I  und  der  ttberarbeiter  von  B  II  identisch  seien,  hat  er  nicht 
gelöst,  ja  nicht  einmal  aufgeworfen;  den  Schreiber  der  hand- 
schrift  B  setzt  er  ebenfalls  ins  gebiet  von  Braunschweig. 

Unter  dem  text  von  B  I  gibt  C.  eine  nahestehude  rtnl. 
Version  der  legende  aus  einer  Londoner  prosahs.,  unter  dem  von 
B  II  auszugsweise  die  lateinische  vulgata  nach  Knust. 

Der  text  selbst  bietet  nach  der  art  seiner  entstehung  und 
Überlieferung  viele  anstöfse:  ich  bezweifle  dass  sie  dem  heraus- 
geber  alle  zum  bewustsein  gekommen  sind,  wie  ich  denn  übh. 
gegenüber  der  Vorliebe  ausländischer  doctoranden  für  die  meist 
sprachlich  unreinen  mnd.  texte  ein  starkes  Unbehagen  emptinde. 
wie  so  oft  in  späten  hss,  sind  auch  hier  e  und  o  oft  schwer 
zu  unterscheiden  (s.  2):  so  muss  v.  270  /cor de  st.  werde,  v.  833 
vornemen  st.  vornomen,  v.  1836  nemen  st.  nomeu  gelesen  werden, 
dass  V.  677  bedochte  {:  wrochte)  =  nihd.  bedorffe  (und  nicht 
=  mhd.  bedühte,  wie  1148:  vorsochte)  ist,  hat  der  hrsg.  kaum 
erkannt,  da  er  den  reim  sonst  s.  46  erwähnt  hätte,  (un- 
rene)  besehen  v.  1119  beurteilt  er  richtig  als  ein  st.  part.pt. 
zu  'beseiken'  und  er  teilt  eine  conjectur  von  Priebsch  mit,  der 
für  die  vorläge  (vergezzev)  :  besezzen  vorschlägt;  beide  haben 
übersehen,  dass  besehen  zunächst  nur  eine  entgleisung  aus  be- 
sheten  (:  vorgheten)  ist  —  nam  corvi  et  milvi  non  mingunt  sed 
merdunt!  wie  hier  bleibt  es  in  vielen  fällen  unsicher,  ob  der 
bearbeiter  oder  der  Schreiber  von  B  an  der  entstellung  schuldig 
ist,  so  auch  v.  1786  sad  de  heyser  eyn  recht  myt  sorgen  —  lis 
enrichtel  dem  Schreiber  allein  zuzuschreiben  sind  die  aus- 
lassungen,  deren  zahl  entschieden  gröfser  ist  als  sie  C.  an- 
merkt: so  fehlt  in  B  I  nach  v.  306  ein  reimpaar,  in  dem  der 
einsiedler  eingeführt  wurde,  in  B  11  vor  v.  1286  der  reim- 
vers    zu   .  .  .   i'ast  :   etwa    de    mynsche    is    up    erden    en    gast, 

E.  S. 

Flugblätter  des  Sebastian  Brant  herausgegeben  von 
Paul  Ileitz  mit  einem  nachwort  von  professor  dr  F.  Schultz  mit 
25  abbildungen  [Jahresgabe  d.  Gesellschaft  f.  elsäss.  literatur  in]. 
Strafsburg,  J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel)  1915.  12  ss.  -f 
25  doppelbl.  +  xiv  ss.  fol.  20  m.  —  GKönnecke  hat  mit  nach- 
druck  darauf  hingewiesen,  dass  man  die  Stellung  des  HSachs  in 
der  geistigen  bewegung  des  16  jh.s  bei  weitem  am  besten  er- 
fassen könne  auf  grund  der  illustrierten  einblattdrucke,  von  denen 
einen  besonders  reichen  schätz  die  Gothaer  bibliothek  verwahrt: 
das  viel  zu  wenig  bekannte  werk  'Hans  Sachs  im  gewande  seiner 
zeit'  (Gotha  1821  querfol.)  ermöglichte  schon  früh  die  bekannt- 
schaft  mit  diesen  bedeutsamen  zeugen  der  Zeitgeschichte,  und  zum 
IlSachs-jubiläum   hat  dann  Könnecke  in  seiner  Festschrift  ■  (Mar- 


lilTTKnATUUNOTIy'.nN  1  1  | 

bürg  1893)  reichlicli  neue  proben  g-eboten.  nun  lelirt  uns  die 
prächtige  dritte  jahrespabe  der  rüliriuren  Ciesellscbaft  f.  e|.säs8is(-li« 
litteratur  ein  menschenalter  rückwärts  ( 1  4^)2— 1  r)(i-}j  den  Sebastian 
Brant  in  einer  ähnlichen  rolle  kennen,  und  t's  trifft  sicli  gut. 
dass  wir  fast  gleichzeitig  duicli  die  von  Konrad  H übler  redigi.-rte 
bibliographie  der  'Einblattdrucke  des  1  ;'>  Jahrhunderts,  hrsg.  von 
d.  kommission  für  den  Gesamtkatalog  der  wieg<Midrucke'  (Halle 
1914)  in  stand  gesetzt  werden,  diese  rolle  im  rahmen  gleich- 
artiger erzeugnisse  des  jungen  buchdrucks  abzuschätzen,  unab- 
hängig davon,  wenngleich  von  Häbler  und  andern  vielfach  unter- 
stützt, hatte  der  vielbewährte  Sammeleifer  von  Paul  Ifeitz  22  der- 
artige blätter  zusammengestellt,  wozu  dann  noch  3  weitere  mit 
'bildnissen'  Brants  (im  rahmen  gnUserer  darstellungi  treten,  und 
FSchultz  hat  ein  geleitwort  hinzugefügt,  dessen  wir  gerade  diesen 
zunächst  wunderlich  genug  anmutenden  documenten  des  aus- 
gehnden  mittelalters  gegenüber  dringend  bedürfen.  1  1  stücke 
sind  bei  resp.  für  Brants  Basler  Verleger  Joh.  Bergmann  von  Olpe 
gedruckt,  von  den  übrigen  sind  einige  nachdrucke  (wie  3.  4), 
die  aber  mit  gutem  gründe  hier  gleichfalls  widerholt  werden, 
die  meisten  nunimern  waren  den  specialisten  wol  bekannt  (vgl. 
Eiublattdrucke  nrr  456 — 469,  1476),  aber  sie  blieben  sämtlicli 
schwer  zugänglich,  ja  die  mehrzahl  ist  nur  als  unica  erhalten., 
die  lateinischen  verse  (distichen)  hat  B.  teilweise  in  seine  Varia 
Carmina  (1498)  aufgenommen;  litterarisch  tiefer  stehn  die  meisten 
deutschen  reimereien.  das  Interesse  ist  ausgesprochen  ein  cultur- 
geschichtliches  und  bedingt  durch  die  Vereinigung  von  wort  und 
bild:  die  stärkste  gruppe  dieser  Hugblätter  ist  der  darstellung 
und  ausdeutnng  seltsamer  naturvorgänge  und  niisgeburfen  ge- 
widmet, zwei  kleinere  gruppen  behandeln  zeitgeschichtliclie  Vor- 
gänge von  politischem  Interesse  und  geistliche  stotTe,  und  den 
erstem  wider  reiht  sich  das  satirische  zeitgedicht  vom  •puchsliatz' 
(1497)  an,  das  litterarisch  und  in  gewissem  mafse  auch  bildlicii 
dem  Narrenschiff  am  nächsten  kommt,  auch  dies  stück  ist  'an 
den  aller  durchlauchtigsten  herrn  .Alaxirailianum.  römischen  könig" 
gerichtet,  dessen  mit  hoffnungsfroher  Verehrung  liegrüfste  gestalt 
durchaus  im  mittelpunct  von  SBrants  tagesscliriftstellerei  steht, 
wieweit  der  poet  auf  die  Illustration  seiner  flugblätter  eintluss 
hatte  und  ob  zwischen  einzelnen  Zeichnern  und  der  bildlichen 
ausschmückung  des  Narrenschiffes  beziehungen  obwalten,  wird 
nicht  leicht  zu  bestimmen  sein.  E.  S. 

C  0  m  e  d  i  e  von  zweien  jungen  p]  h  e  1  e  n  t  e  n 
gestellt  durch  T  o  b  i  a  m  Stimmer  von  S  t  h  n  f  t  - 
hausen.  Maler  anno  15So  den  22  Dezember,  nunmehr  v.m 
neuem  auf  die  bahn  gebracht  durch  (Jeorsr  Ultkonskl.  Leipzig. 
H.  Haessel    l'.Mf).     r>4   ss.     kl.  4».     1,20  m.  im    j     1S91   hat 

uns  der  Hubersche  verlag  in  Frauenfeld   eine  schmucke  ansirabe 
dieses    derben    schwanks    mit    d^n     IS   federzeicbnungfn    ans    der 


I  12  MTTKHATUKNdTIZKN 

<(riginalhs.  des  «lichters  und  maiers  beschert :  JBaechtold  hatte 
den  text  revidiert  und  JOeri  eine  einleitung  geschrieben.  Wit- 
koM'ski  hat  das  stück,  welches  dem  geschichtschreiber  der  deutsch- 
i^chweizerischen  litteratur  als  die  beste  komödie  des  Jahrhunderts 
erschien,  für  die  moderne  bühne  bearbeitet  (die  Uraufführung  hat 
im  alten  theater  zu  Leipzig  am  27  november  1915  stattgefunden) 
und  diese  Umformung  abermals  mit  den  bildlichen  beigaben 
Stimmers  schmücken  lassen,  im  ganzen  entspricht  seine  text- 
gestaltung  gewis  ihrem  zweck,  im  einzelnen  lässt  sich  gegen  die 
interpretation  wie  insbesondere  gegen  die  beibehaltung  alter  aus- 
drücke allerlei  einwenden,  ich  greife  nur  ein  beispiel  heraus: 
s.  9  der  bittere  Schweifs;  der  neuhochdeutsche  ausdruck  ver- 
langt hier  unbedingt  'sauer',  ebenso  wie  wir  den  hittern  aphel- 
tranc  Konrads  von  Würzburg  mit  'saurem  Apfelwein'  und  «eine 
bitteren  sirrrf  mit  'scharfe  Schwerter'  widergeben  müssen. 

E.  S. 

Tirolische  Analekten  von  S.  M.  Prem  und  0.  Schissel 
V.  Fleschenberg-  [Teutonia.  Aibeiten  z.  germanischen  philologie 
herausgegeben  von  Wilhelm  Uhl.  15  heft|.  Leipzig,  H.  Haessel 
in  comm.  1915.  115  ss.  8^'.  ?>  m.  —  S.  1 — 49  führt  uns  Prem 
in  ermüdender  breite  das  leben  und  die  kunstreisen  des  tirolischen 
automatenkünstlers  (!)  ChrJTschuggmall  (1785 — 1845)  und  seiner 
erben  vo^.  —  s.  51 — 84  werden  von  Schissel  vFleschenberg  zwei 
localgröfsen  der  tirolischen  dichtung,  Franz  Carl  Zoller  und  Joh. 
Nep.  Alexius  Mayr,  mit  einer  Wichtigkeit  behandelt,  die  sich  nur 
aus  der  unglückseligen  Verbreiterung  des  IV  bandes  von  Goedekes 
Grundriss  (!)  erklären,  aber  keineswegs  rechtfertigen  Lässt.  — ■ 
vollständig  mitgeteilt  wird  dann  aus  der  'Österreichischen  Garten- 
laube' 18G7  'ein  unbekannter  druck  Gilmscher  gedichte'  (s.  85 
bis  90),  obwol  der  herausgeber  Prem  selbst  zugesteht,  dass  seine 
einzigen  Varianten  druckversehen  seien!  —  es  schliefsen  sich  an 
*zwei  bauerngesänge  aus  Wildschönau' (s.  91  — 110),  und  den  be- 
schluss  bildet  der  bericht  eines  k.  k.  Oberstleutnants  über  die 
aprilereignisse  1809  (s.  111  — 115j.  darüber  was  denn  alle  diese 
tirolischen  miscellen  mit  der  germanischen  philologie  zu  tun 
haben,  hätte  uns  der  herausgeber  der  Teutonia  aufklären  müssen, 
dem  sie  gewidmet  sind,  es  gibt  nicht  wenige  Jahrgänge  von 
Zeitschriften  deutscher  geschichtsvereine,  die  mit  mehr  recht  diese 
flagge  aufstecken  könnten.  E.  S. 

James  Macphersons  Fragments  ot  Ancient 
Poetry  (1760)  in  diplomatischem  neudruck  mit  den  lesarten 
der  Umarbeitungen  herausgegeben  von  Otto  L.  Jiriczek  [Anglistische 
torschungen  hrsg.  von  Johannes  Hoops  heft  47].  Heidelberg,  Carl 
Winter  1915.  xiii  u.  64  ss.  8  0.  2,50  m.  —  Macphersons  'Ossian' 
gehört  zu  den  wichtigsten  quellenschriften  der  deutschen  littera- 
tur, und  die  1760  in  zwei  ausgaben  erschienenen  'Fragments' 
haben    die   reihe   der   ossianischen   Veröffentlichungen   eingeleitet. 


T,nTKI{ATORN«)TI/EN  1  1  3 

die  würkung-  in  Deutschland  setzt  freilich  n7»i:{/64)  erst  ein 
(Koberstein  I^  423  f.  Goedeke  IV2  105  t),  nachdem  17G2  und 
1763  in  London  die  bände  erschienen  sind,  welche  die  namen 
Tin^al'  und  'Teniora  an  der  spitze  tragen;  in  ihnen  sind  die 
fragmente  zur  gröfsern  haltte  verarbeitet,  zur  kleinern  fort- 
gelassen: 0  (von  15)  blieben  von  der  Verarbeitung  und  damit 
■weiterhin  auch  von  den  gesamtausgaben  ausgeschlossen.  T.  bietet 
nun  diese  erstlinge  Ossian-Macphersons  in  einem  neudruck,  der 
typographisch  und  zeile  für  zeile  dem  original  entspricht  — 
leider  nicht  auch  seite  für  seite,  wie  es  dem  geniefsenden 
litteraturfreund  gewis  am  liebsten  gewesen  wäre,  denn  unten 
musten  die  lesarten  platz  tinden,  die  hier  mit  gutem  gründe 
auch  die  interpunction  sorgfältig  berücksichtigen,  die  Göttinger 
bibliothek  hätte  dem  herausgeber  manche  mühen  ersparen  und 
ihm  die  kenntnis  wichtiger  drucke  bequem  vermitteln  können, 
ihr  bestand  an  Ossian-ausgaben  setzt  ein  mit  den  beiden  drucken 
der  Fragments  von  1760  (J.s  A  und  B);  in  A  bestätigt  eine 
zeitgenössische  eintragung  den  Umlauf  handschriftlicher  copieen 
vor  und  neben  dem  ersten  druck,  denn  zu  53,  ISf  ist  bemerkt: 
Mst  Copy:  as  the  IVind  on  thc  Grafs  of  thc  hills.  wir  haben 
hier  weiter  'Fingal'  1762  (F)  sec.  ed.  und  "Temora'  1763;  so- 
dann eine  Zusammenfassung  dieser  beiden  in  der  zweibändigen 
ausgäbe  "The  works  of  Ossian  .  .  .  The  third  (!)  editiou.  London 
1765';  das  ziemlich  gleichgiltige  ergebnis  einer  collation  hat 
J.  (dem  drucke  zwischen  1763  und  1773  unbekannt  geblieben 
waren)  inzwischen  in  Herrigs  archiv  136,  151  tf  veröttentlicht: 
es  bestätigt  sich,  dass  die  zweite  Umarbeitung  erst  in  den  'Poems' 
von  1773  (P)  stattgefunden  hat.  K.  S. 

Geschichte  des  französischen  k  u  It  u  reinflusses 
auf  Deutschland  von  der  reformation  bis  zum  dreifsigjährigeu 
kriege,  von  dr.  Curt  Gebauer  in  Breslau.  Strafsburg,  J.  H.  Kd.  Heitz 
(Heitz(!t Mündel)  1911.  10  +  261  ss.  S«.  5m.  —  Eine  Heifsige  und  um- 
sichtige arbeit,  der  der  germanist  nicht  wird  entraten  können,  wenn 
er  auch  bedauern  wird,  dass  gerade  die  beiden  abschnitte  über  die 
litteratur  (Prosa  und  Versdichtung,  s.  225 — 255)  etwas  mager 
ausgefallen  sind  und  ihm  kaum  etwas  neues  bieten,  verdienst- 
lich an  dem  buche  ist  aber  die  Zusammenfassung  all  jener 
überaus  mannigfaltigen  zeiterscheinungen,  deren  summe  den  so 
wichtigen  einlluss  französischer  cultur  auf  die  deutsche  während 
eines  Zeitraumes  von  so  gedrängter  entwicklung  auf  fast  allen 
lebensgebieten  ausmacht.  die  darstellung  zeichnet  sich  durch 
geschickte,  widerholungen  mit  glück  vermeidende  gruppierung 
des  vielgestaltigen  Stoffes  aus  (i.  buch:  Die  trrundlagen.  ins- 
besondere Politik  und  verkehr,  ii.  buch:  Höfe  und  gesellschaft. 
III.  buch:  Moralische  und  intellectuelle  culturj  und  ist  angeu'-hni 
lesbar,  im  wohltuenden  unterschied  von  so  vielen  arbeiten  ähn- 
licher art.  in  der  mitte  steht  mit  recht  die  hnfrultiir.  deren 
A.  F.  1).  A.     XXXVIII. 


114  LITTER  ATURNOTIZEN 

aulserordentliche  Wichtigkeit  für  diese  zeit  und  in  diesem  Zu- 
sammenhang scharf  betont  wird;  namentlich  der  pfälzische  und 
noch  mehr  der  hessische  hof  werden  in  ihrer  bedeutung  für  die 
neue  französische  bildung  eingehend  gewürdigt,  die  eminent 
wichtige  culturpersönlichkeit  landgraf  Morizens  des  Gelehrten 
tritt  sehr  gut  heraus,  nächstdem  die  bedeutung  der  refugies 
und  des  calvinismus  überhaupt,  trotzdem  läfst  sich  nicht  ver- 
kennen, dass  die  auffassung  noch  etwas  stoffliches  behält  - — 
immer  die  gefahr  derartiger  themata:  dies  tritt  besonders  in 
dem  III.  buche  zutage:  Moralische  und  intellectuelle  cultur.  hier, 
in  diesem  wichtigsten  weil  geistigsten  teile  der  darstellung  er- 
wartet man  denn  doch  ganz  anders  in  die  tiefe  geführt  zu 
werden  —  hier,  wo  es  sich  nun  um  das  facit  aller  detailmühen 
handelt,  der  'schluss'  (s.  253 — 255)  ist  durchaus  unbefriedigend, 
wie  es  so  oft  begegnet:  der  mit  gründlichem  fleifs  herbeigeschaffte, 
auch  durch  geschickte  anordnung  besonnen  beherschte  stoff  ist 
doch  nicht  genugsam  in  geist  und  bild  verwandelt,  dass  dies 
bei  einem  so  disparaten  thema  besonders  schwer  war,  soll  nicht 
geleugnet  werden,  immerhin  ist  Süpfle  in  seiner  stofflich  noch  weit 
umfassenderen  Parallelarbeit,  der  Geschichte  des  deutschen  cultur- 
einflusses  auf  Frankreich,  dieser  teil  der  aufgäbe  besser  gelungen. 

Im  einzelnen  findet  man  dankenswertes  neues  besonders  im 
II.  buche  'Höfe  und  gesellschaft'.  das,  durchaus  der  kern  der 
arbeit,  eine  wertvolle  monographie  für  sich  darstellt,  die  vor- 
handene litteratur  ist  reichlich  herangezogen,  wenn  auch  viel- 
leicht nicht  erschöpft  (hier  setzt  schlielslich  jede  darstellung 
grenzen);  die  'primären  quellen'  würde  ich  in  noch  'erheblicherem 
umfange  benutzt"  haben,  sie  auch  durch  die  darstellung  noch 
mehr  haben  durchscheinen  lassen;  zu  gunsten  der  zeitfarbe  so- 
wol  wie  des  gröfseren  eindrucks  der  unmittelbarkeit  und  Solidität 
der  vorgetragenen  erkenntnis.  der  forderung  stärkerer  ver- 
geistigung des  Stoffes  würde  dies  nicht  widersprochen  haben  — 
vergleiche  Jakob  Burckhardt,  dessen  tact  an  diesem  puncte  viel- 
leicht am  bewundernswürdigsten  erscheint. 

Posen.  Walther  Brecht. 

Goethes  Briefweclisel  mit  Heinrich  Meyer 
herausgegeben  von  Max  Hecker.  I  band:  Juli  1788  bis  juni  1797 
[=  Schriften  der  Goethe-gesellschaft  im  auftrage  des  vorstände» 
herausgegeben  von  Wolf  gang  von  Oettingen.  32  band].  Weimar^ 
Verlag  der  Goethe-gesellschaft  1917.  xxn  u.  458  ss.  8  o.  — 
Mit  diesem  bände  beginnt  die  Goethe-gesellschaft  eine  Veröffent- 
lichung, die  umfangreicher  als  irgendeine  ihrer  früheren  gaben 
zu  werden  verspricht,  die  briefe  Goethes  an  HMeyer  liegen  in  der 
IV  abteilung  der  Weimarer  ausgäbe  (von  bd  9  ab)  vollständig- 
vor,  von  Meyers  briefen  aber  kannten  wir  bisher  nur  die  aus 
der  zeit  des  ersten  römischen  aufenthalts,  nach  Goethes  abreise: 
in   dem   s.  z.  mit  freudigem    und  berechtigtem  danke  begrüfsten 


r-irri:i!ATUKN<)'nzi;\  1 1") 

5  bde  der  Schriften  der  Goethe-gesellscliaft  fZiir  naclitceschichte 
der  italienischen  reise,  18'.M))  sind  sie  von  OHarnack  leider  in 
einer  weise  abgedruckt  worden,  die  ich  jjenau  so  hart  beurteile 
wie  Hecker  s.  XVIII,  wenn  er  sie  einen  "pseudophilolo^ischen 
rohdruck'  nennt,  denn  man  tut  würklich  Meyer  unrecht  und 
bereitet  den  lesern  quäl  und  pein,  wenn  man  die  allem  anschein 
nach  in  den  jugendbriefen  besonders  regellose  Orthographie  bei- 
behält und  auf  die  einführung  einer  das  Verständnis  fördernden 
interpuuction  verzichtet;  von  all  den  gründen  die  man  etwa  bei 
■den  Stürmern  und  drängern  für  ein  derartiges  lässig-conservatives 
verfahren  anführen  kann,  trifft  hier  keiner  zu.  ich  bringe  die 
ausgäbe  Heckers  hier  gerade  deshalb  zur  anzeige,  um  mich 
freudig  zu  der  von  ihm  durchgeführten  praxis  zu  bekeunt-n:  er 
hat  unter  selbstverständlicher  wahrung  landschaftlicher  Idiotismen 
und  archaismen  die  rechtschreibung  nach  dem  brauche  der  zeit, 
d.  h.  nach  Adelung,  geregelt  und  die  Satzzeichen  so  gesetzt  wie 
sie  der  sinn  verlangt,  denn  diesen  anforderungen  hat  sich  unser 
briefschreiber  später  stets  gefügt,  sobald  er  etwas  drucken  liefs: 
er  würde  entsetzt  gewesen  sein,  wenn  er  seine  briefe  in  Harnacks 
Abdruck  erlebt  hätte.  —  Da  der  herausgeber  unter  dem  druck 
zum  heeresdienst  eingezogen  wurde,  hat  er  auf  die  beigäbe  der 
anmerkungen,  die  hier  besonders  erwünscht  und  vielfach  not- 
wendig sind,  aber  gewis  auch  nicht  aus  dem  ärmel  geschüttelt 
Averden  können,  vorläufig  verzichten  müssen,  und  wir  werden 
damit  bis  zum  abschluss  des  ganzen  vertröstet,  wir  erhalten 
zunächst  die  vollständige  correspondenz  bis  zum  abschluss  von 
Meyers  zweiter  italienischer  reise,  die  er  zur  Vorbereitung  des 
mit  Goethe  gemeinsam  geplanten  grofsen  Unternehmens  ausführte: 
einer  auf  breiter  geschichtlicher  und  landeskundlicher  basis  auf- 
gebauten darstellung  der  cultur  und  kunstgeschichte  Italiens, 
es  ist  freilich  schwer  sich  vorzustellen,  dass  das  Interesse  an  der 
fortsetzung  des  brief wechseis  sich  auf  der  höhe  dieses  ersten 
bandes  halten  könnte,  die  achtung  für  Meyers  pei-sönlichkeit 
imd  lebenswerk  hat  sich,  seitdem  Herman  Grimm  an  die  stelle 
des  von  den  romantikern  übernommenen  spottes  ein  vnn  herab- 
lassung  nicht  freies  wolwollen  setzte,  beständig  gehoben,  wozu 
am  meisten  die  von  Paul  Weizsäcker  mit  hingebendem  tleifs»- 
hergerichtete  ausgäbe  seiner  'Kleineu  Schriften  zur  kunst'  1 1S8<)) 
beigetragen  hat.  Heckers  einführung  gibt  von  der  eigenart  des 
tüchtigen  Schweizers  wie  von  seiner  hingebung  an  den  grofsen 
Weimarer  freund  ein  bild  voll  sympathischer  wärme,  das  duruh 
die  als  zugäbe  eingeschaltete  selbstschilderung  Meyers  's.  XXlf 
vortrefflich  bestätigt  und  ergänzt  wird.  H  S. 


116  KIJilNE   MIITEILUXGEN 

KLEINE   MITTEILUNGEN. 

EINE  BRÜNNER  COPIE  DER  HS.  GERHARDS  VON 
MAESTRICHT  UND  DES  WIENER  OTFRID.  In  der 
Cerroni- Sammlung  des  Brünner  landesarchivs  (ii  serie,  bd.  11) 
befindet  sich  unter  dem  titel  Anecdotorium  T.  I  ein  band,  den 
der  archivar  und  sammler  J.  P.  Cerroni  (1753 — 1826;  s.  über 
ihn  Wurzbach)  aus  der  bücherei  des  Franciscus  Gregorius 
S.  R.  I.  comes  de  Giannini  erworben  hat,  wie  ein  exlibris  und 
ein  vermerk  auf  dem  vorsetzblatt  ausweist  (Emi  ex  BibUo- 
theca  Comitis  gianini  Canonici  olonmcensis.  Cerroni).  der 
band  ist  von  einer  band  des  ausgehnden  1  7  jhs.  geschrieben  und 
enthält  als  nrr  3 — 6  copieen  mittelalterlicher  lateinischer  hss. 
meist  aus  norddeutschen  klöstern,  als  nrr  17 — 23  (s.  181 — 242) 
die  abschrift  eines  Mfptm.  ex  Bihliotheca  Dni  de  Mastrichf 
Syndici  Bremenfis  Reipuhlicae  Seculi  XIII  auf  XIV  in  mem- 
hrana:  Varia  fragmenta  Poetarum.  gernianorum  continens 
(:  Lingua  germanica : ). 

Es  sind  7  fragmente:  I  Daz  Wifis  erin  miffeftc  (=  Ritter- 
preis, DHS  nr  115;  Bartsch  Beitr.  176,  vgl.  dazu  Bech  Zs.  f. 
d.  ph.  19,  381);  II  Sihilla  hnit  gej prochen  (=  HMS  in  468  h)- 
III  Historia  Theoderici  Veronexfis  et  Hildehrandi  (=  Virginal^ 
Str.  111 — 140,5);  IV  Alle  fcole  is  gar  egn  wint  (=  Reinmar 
von  Zweter  nr  31),  23  Sprüche;  V  Ich  quam  da  luiLvreuden 
faifsen  Ritter  nunc  funder  phi  und  VI  Ich  nril  prifin  fprach 
die  eyrfte  Minen  herzen  leuen  man  (=  HMS  iii  441  f  [Graff 
Diutiska  i  314  ff.  E.  S.]);  VII  Oh  allen  wunden  (!)  mirkit 
wol  ein  tcunder  grois  (=  Hoppe,  Pfaff  str.  11),  31   spräche. 

Der  kundige  ersieht  schon  aus  diesen  angaben,  dass  hier 
eine  copie  der  pergaraenths.  Gerhards  von  Maestricht  vorligt» 
die  sich  jetzt  im  besitze  der  Leipziger  ratsbibliothek  (CCCCXXI, 
rep.  II  fol)  befindet:  vgl.  DHB  v,  s.  VII:  hs.  L;  Roethe  Reinmar 
von  Zweter  s.  145:  hs.  n.;  HMS  iv  905;  Haupt  Zs.  3,  356. 
wie  diese  abschrift  mit  dem  text  der  niederrheinischen  vorläge 
wirtschaftete,  mögen  zwei  proben  zeigen,  die  erste  bringt  den 
anfang  der  Historia  Theoderici  (Virginal  str.  111): 
DES  antwert  eyme  der  iunge  do  TJnde  fchauice  dife  ehinture 

Des  ebinturin  ich  jelden  uro  Wan  fi  gelimp  nog  vurgge  in 

Werdin  vnde  deme  hitzen  hayt 

Dinit    man    hi   honen    urawen  Unde  is  fo  ungehure 

mide  Dat  man  fi  billiche  miden  fol 

Dat  i/'t  eyn  Wunderikher  fide         Dinit     he     fchonen     vrauwen 
Hayt  yman  gude  witze  mide 

Der    uolge    mir    dat    is    min  So  i/'t  eme  mit  crankin  vrou- 

rayd  den  wol. 

Das  zweite  pröbchen  ist  str.  17  des  VII  fragments  (=  Walther 
48,   38): 


KLKINK    M.lTTKILi;N(it:N  117 

WIF  was  i.e.  der  hoifte  uame 

Inde  prifit  has  dan  vrauwe  alfich  it  erkenne 

Welich  wif  /'ich  ir  wifhait  (!)  /'chaine 

Die  hone  (!)  mlnen  fanc  inde  winke  (!)  denne 

linder  vrauwen  ßnt  unwyf  under  wiuin  fin  /'i  dure 

Wiues  name  unde  iriuef  lyf  dot  i.s  i-il  yehure 

Wie  it  umhe  allen  vare 

Wip  nimpt  des  hoeften  lotm  wäre 

Vrauwen   lof  dal  honit 

Wif  it  (?)  eyn  name  der  fi  alle  cronit. 
Auf    s.  243—257    steht    als    nr   24:    M/tm    Ex    Caesarea 
Vindobonenfi  bibl.  fragmentü  Evangelioru  Otfridi  re/'tifutü.    Caput 
XXIII  Lib.  V  paulo  ante  finem. 

Zi  themo  thionofte 

fie  finth  thar  al  gidro/'te  .  .  . 

Caput  XXIY.     ORATIO. 

Giuuerdo  iinf  geban  druhtin  .  .  . 

Caput  XXV.    CONCLUSIO  VOLVMTNIS  TOT  WS. 

SELBEN  krlftes  ftiuru 

joh  finera  ginadu  .  .  . 
OTFRIDUS      WIZANBVRGEKSIS     MONACHVS     HAUT- 
MV  ATE    ET     WERINBEHTO     S.    CALL!    MOX ASTE  IUI 
MONACHIS. 

Oba  ich  thero  buacho  guati 
Hiar  ia  uuiltt  mifsikcrti  .  .  . 
Evuangelion  in  uuar 
thie  zeigont  unf  fo  fama  thar 
Gibietent  unf  {=  v.  142). 
Quae  sequuntur  funt  in  impre/fo  Basileae  MDLXXl.    es  folgen 
die   anfange   der   Widmungen   an   Salomo,    Ijudwig   und  Liutbert, 
der   anfang  und   der  schluss   des   ganzen    uerks    ioder  genauer: 
des  geleitsbriefs   an   die   SGaller  niünclie).     von   dieser   abschrift 
des  Wiener  Otfried  hatte  Piper  nach  ausweis  st-iner  sorgfältigen 
litteraturtafel  keine  kenntnis. 

Graz,  den  5.  jänner   1914.  Anton  Wallner. 

ZU  MORUNGEN  128,  6.  Seemüller  macht  mich  frennd- 
lichst  aufmerksam,  dass  der  vers  nach  meiner  Änderung  (Zu  den 
liedern  Heinrichs  von  Morungeu,  Abhandlungen  d.  kgl.  gi'sellsch.  d. 
wiss.  zu  Göttingen  u.  f.  XVI  nr  1)  um  einen  tact  zu  wonig 
enthalte,  der  vollständige  vers,  der  bei  der  reinschrift  des 
manuscripts  um  diesen  tact  verkürzt  wurde,   sollte   nach  meiner 

absieht   lauten:    s'"*  strichet  si  :>ii>  mir   'ilm   .siiHitn  di»i<h  nur  bii:'. 

Wien  d.   7.   12.    1916.  (  url  \on  Kraus. 

TDBANSA.  Bei  Schönfeld  und  Helm,  wo  man  si.'  sucht,  t.hlf 
die  dea  Idbansa  Gabia  (CIl.  xiii  7S67).  der.-n  votivslein  zu  Hons- 
dorf-Pier  zwischen  Düren  und  .lülich  aufgefunden  worden  ist.  vgl. 
Hang  bei  Pauly-Wissowa  ix  s79  und  .IBKeune  im  supplenienH>d 


118  KLEINK    MITTEILUNGEN 

III  1195,  sowie  zuletzt  Lehner  Die  antiken  Steindenkmäler  des 
Bonner  provinzialmuseums  (1918)  s.  240.  Kenne  hat  gewis  recht, 
wenn  er  den  nanien  Jetzt  als  germanisch  anspricht:  id-  wird  das 
präfix  (entspr.  lat.  're-')  wie  in  got.  ichreit  usw.  sein,  über  *hansa 
'horreum,  stabulum'  (vgl.  ags.  hos,  got.  hansts  usw.)  handelt 
JGrimm  im  DWB  i  1119,  der  es  zu  bindan  stellt,  ich  will  den 
namen  nicht  deuten,  sondern  nur  auf  die  möglichkeit  hinweisen, 
dass  es  sich  um  eine  stallgöttin  (oder  scheuneugöttin)  handelt, 
wie  sie  etwa  die  Kelten  in  ihrer  Epona  besafsen.  K.  S. 


PERSON ALNOTIZEN 

Der  17  febr.  1917  raubte  uns  in  Axel  Olrik  (Kopenhagen) 
einen  der  bahnbrechenden  erforscher  germanischer  Volksdichtung 
und  Sagengeschichte. 

Am  9  märz  1917  starb  zu  Göttingen  72  jährig  Wilhelm 
Meyer  aus  Speyer,  der  vielseitigste  und  fruchtbarste  unter  allen 
Vertretern  der  mittellateinischen  philologie,  dem  unsere  Wissen- 
schaft die  reichste  förderung  und  mannigfache  anregung  verdankt. 

Mitte  märz  1917  starb  zu  Ludwigsburg  der  rector  a.  d.  und 
Wielandkenner  dr  Paul  Weizsäcker. 

Am  30  märz  1917  entschlief  zu  Weimar  prof.  dr  Carl  Schüdde- 
Kopp,  auf  dem  gebiet  unserer  classischeu  und  romantischen  litte- 
ratur  als  verlässlicher  editor  und  eifriger  bibliophile  vielfach 
betätigt. 

Am  1 S  april  1917  verschied  zu  Freiburg  i.  Br.  professor 
Fridrich  Pfaef,  als  herausgeber  der  Alemannia  und  auch  sonst 
wolverdient  um  die  oberrheinische  Volkskunde. 

Am  9  juni  1917  starb  zu  Düsseldorf  der  würkliche  geh.  ober- 
regierungsrat  dr  ADOi.f  Matphias,  um  die  enge  beziehung  des 
deutschen  Schulunterrichts  -  zur  Wissenschaft  mit  warmem  eifer 
verdient. 

Am  13  oct.  1917  verschied  zu  Greifswald  Ernst  Zupitza 
im  44  lebenswahre:  die  hohen  erwartungen  zu  erfüllen  mit  denen 
ihn  die  vergleichende  Sprachwissenschaft  und  die  germanische 
Philologie  bei  seinem  ersten  hervortreten  begrüfsten,  hat  ihn  jahre- 
langes schweres  leiden  gehindert. 

Im  Jan.  1918  starb  zu  Kiel  der  classische  philologe  Alfred 
Schöne,  der,  der  deutschen  litteratur  selbst  durch  eine  reizvolle 
novelle  angehörig.  Lessing  und  Goethe  als  erklärer  und  heraus- 
geber seine  fruchtbare  teilnähme  zugewandt  hatte;  ferner  am 
16  Jan.  zu  Berlin  der  Oberlehrer  prof.  Daniel  Jagoby,  ein  fein- 
sinniger keuner  des  18  Jahrhunderts  und  des  humanistendramas. 

Am  16  febr.  1918  starb  zu  Göttingen  dr  Max  Päpke,  der 
herausgeber  des  Marienlebens  vom  Schweizer  Wernher,  an  plötz- 


PEKSONALNdllZKN  119 

licher   krankheit,    nachdem    ihn    eine   schwere   Verwundung    d^m 
heeresdienste  entzogen  hatte. 

67 jahrig  starb  am  20  tebr.  I'JIS  zu  Berlin  .M.\x  Kokdiukic, 
in  früheren  jaliren  ein  geschätzter  mitarbeit.-r  der  Zeitschritt 
und  des  Anzeigers;  00 jährig  ebenda  am  l.i  märz  l'.MS  Kkinjiou, 
Steig,  der  als  helfer  und  erbe  iiernian  Grimms  sich  besonders 
um  den  nachlass  Achims  und  der  brüder  Grimm  bemüht  hat. 

In  den  Salzburger  alpen  ist  am  24  juli  I'JIS  Ai.exam.kk 
VON  Weilen-  tödlich  abgestürzt,  der  verdiente  geschichtsciireiber 
der  Wiener  theater. 

Die  deutsche  rechtsgeschichte  verlor  wider  zwei  liöchstver- 
diente  greise  gelehrte:  am  'A  janiiar  1917  starb  zu  Heidelberg 
Richard  ScHKÖDKK,  mit  dem  der  letzte  persönliche  mitarbeiter  Jacob 
Grimms  geschieden  ist,  am  IR  mai  1917  zu  Leipzig  Kidoli- Sohm; 
ferner  starb  am  ä  april  1918  prof.  dr  Kaui.  Lehmann  in  Göttingen. 

Die  englische  philologie  beklagt  schmerzlich  den  verlust  des 
ausgezeichneten  graramatikers  Kari>  D.  Bülüking,  gestorben  zu 
Bonn  53 jährig  am  23  märz  1917;  weiterhin  den  litteratur- 
historiker  Emil  Köppki.,  gestorben  zu  Straßburg  am  3  juni  1917, 
und  Felix  Lindnee,  gestorben  zu  Rostock  am   31   juli   r.»17. 

Carl  von  Kraus  folgte  zum  herbst  1917  einem  ruf  als 
nachfolger  des  von  seiner  lehrtätigkeit  in  :\lünchen  zurück- 
tretenden Hermann  Paul;  den  Wiener  lehrstuhl  hat  Josef  See- 
AiüLLER  von  neuem  eingenommen. 

Als  nachfolger  Rud.  Ungers  wurde  prof.  Fuasz  Zinkeknagel 
von  Tübingen  auf  das  Baseler  Ordinariat  berufen. 

An  der  Universität  Bonn  wurde  der  privatdocent  dr  Theodok 
Frings  zum  ao.  professor  mit  dem  specialauftiag  für  nieder- 
deutsche und  niederländische  spräche  und  litteratur  ernannt;  zu 
extraordinarien  der  deutschen  spräche  und  litteratur  befördert 
wurden  ferner  der  privatdocent  dr  Arthur  Hüunkk  in  Berlin,  der 
privatdocent  dr  Paul  Merker  in  Leipzig  und,  mit  Sonderauftrag 
für  nordische  philologie,  der  privatdocent  dr  ^V^>L^•  vhn  rNWEirm 
in  Greifswald. 

Auf  den  lehrstuhl  der  englischen  philologie  in  Straßburg 
wurde  prof.  Beunhaio)  Feur  von  Dresden  berufen,  der  hier  durch 
prof.  Rudolf  Bkotanek  von  Prag  ersetzt  wird;  den  ^Mt-ichen 
lehrstuhl  in  Bonn  nahm  prof.  Wir,nKi..M  Diuemus  vom  Hamburger 
colonialinstitut  ein,  der  in  dem  Münchener  privatdoceiiten  dr  Emil 
Wolfe  einen  nachfolger  erhielt,  einem  ruf  als  ao.  professor  der 
englischen  philologie  an  die  Universität  Rostock  folgte  der  privat- 
docent prof.  dr  Rudolf  Imklmann  von  Bonn,  an  der  Universität 
Graz  wurde  der  ao.  professor  dr  Alukki-  Eichijcu  zum  Ordinarius 
der  englischen  philologie  befördert. 

An  der  Universität  Breslau  wurde  professor  dr  Hkimucm 
Winkleu  zum  ord.  honorarprofessor  der  allgemeinen  und  ver- 
gleichenden Sprachwissenschaft  ernannt. 


120  PKRSONALNOTIZEN 

Einem  ruf  als  ao.  professor  der  verg-leichenden  idg.  Sprach- 
wissenschaft an  die  Universität  Frankfurt  a.  M.  leistete  der  privat- 
docent  dr  Hermann  Lommel  von  Göttingen  folge,  einem  gleichen 
rufe  nach  Greifswald  dr  Adolf  Debrunner  von  Basel. 

An  der  Universität  München  hat  sich  dr  Christian  Janentzky, 
an  der  Universität  Münster  dr  Leopold  Magon  für  neuere  deutsche 
litteraturgeschichte  habilitiert. 

Prof.  dr  Rudolf  Schlösser  von  Jena  wurde  zum  director 
des  Goethe-  und  Schillerarchivs  in  Weimar  ernannt. 


EHRENTAFEL   IL 

Diese  zweite  reihe  von  germanisten,  die  ihre  treue  gegen 
das  Vaterland  mit  dem  tode  besiegelt  haben,  bringt  neben  einem 
neuen,  dem  herausgeber  besonders  schmerzlichen  verlust  vor  allem 
eine  nachlese,  ich  bitte  die  fachgenossen  nochmals,  mich  bei  der 
Vervollständigung  der  ehrenvollen  liste  zu  unterstützen. 

Es  sind  als  im  kämpfe  gefallen  oder  an  ihren  wunden  ge- 
storben weiter  gemeldet:  dr  Wilhelm  Berbig  (Murner)  -f  im  märz 
1915  in  Flandern;  dr  Bruno  Busse  (heldensage  und  Volkskunde) 
-]-  15  Juli  191  6  im  westen;  dr  Walther  Dolch  (handschriftenkunde) 
7  9  december  1914  in  Polen;  dr  Richard  Findeis  (entstehung  der 
idg.  farbennamen,  geschichte  d.  deutschen  lyrik)  7  als  Österreich. 
Oberleutnant  28  September  1914  in  Bosnien;  dr  Josef  Gaismaler 
(Bärenhäutersage);  dr  Friedr.  Göhrke  (Johann  von  Würzburg) 
'{'  7  nov.  1917;  dr  Jon.  Hahn  (Julius  von  Voss);  dr  Kurt  Herold 
(Münchener  Tristan)  f  3  november  1914  bei  Langeraarck;  dr 
Kurt  Hever  (Seuse)  f  1914;  dr  Wilhelm  Hoffa  (antike  de- 
mente bei  Gottfried)  f  vor  Verdun  29  august  1917;  dr  Rudolf 
HöPFNER  (osterspiele)  f  12  april  1916;  dr  Wilhelm  Hohnbaum 
(Wolfenbütteler  Sündenfall)  f  26  november  1914  in  Nordfrank- 
reich ;  dr  Hans  König  (Gengenbach)  f  2 1  october  1915  bei  Düna- 
burg;  dr  Bernhard  LuNDius  (Carmina  Burana)  f  1916;  dr  Hans 
RuEFF  (dessen  schöne  arbeiten  über  das  deutsche  osterspiel  druck- 
fertig in  meinen  bänden  sind)  f  als  batterieführer  bei  Armentieres 
2 1  april  1918;  dr  Wilhelm  Weise  (sentenz  bei  Hartmann  vAue) 
"l"  1915;   dr  Sieger.  Wernicke  (prosadialoge  des  Hans  Sachs). 

Am  9  juli  1916  f  als  k.  u.  k.  Oberleutnant  d.  r.  im  garni- 
sonsspital  Graz  dr  Anton  Kalla  (Haager  liederhandschrift) 


ANZEIGER 


FÜR 


DEUTSCHES   ALTERTUM  UND   DEUTSCHE  LITTERATUH 

XXXVIII,  :i  4.    miiiz   l'.ll'.i 


Mittelalterliche  biblidthekskataloge  Östcrrciclis  herausgi- 
gehan  von  der  kaiscrl.  akadoniio  der  wisseiiscliaften  in  Wien. 
I.  band  Niederösterreich  bearbeitet  von  dr.  Theodor  (liottlieb. 
"Wien,  Adolf  Hoizhausen,  1915.     xvi  u.  615  ss.  f?r.  S".     Ki  ra. 

Mittelalterliche  bibliothekskatalofre  Den t schiands  und  der 
Schweiz  lierausgej^eben  von  der  könijrl.  bayerischen  akademic 
der  Wissenschaften  in  München.  I.  band  Die  uistiimer  Konstanz 
und  Chur  bearbeitet  von  Paul  Lehinuun.  mit  einer  karte 
München,  C.  H.  Kecksche  verlagsbuchhandlunfj,  1!»1S.  xvn  u. 
599  SS.  gr.  8".     3t)  m. 

Beide  bände  führen  auch  den  f,'-emeinsanien  titei:  Mittelalterliche 
bibliothekskatalogc  herausgegeben  von  der  königl.  preufji-^chen 
akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin,  der  königl.  gesellsehaft 
der  Wissenschaften  in  (Jöttingen,  der  köni^il.  sächsischen  gesell- 
schaft  der  Wissenschaften  in  Leipzig,  der  königl.  bayerischen 
akademie  der  Wissenschaften  in  München  und  der  kaiserl. 
akademie  der  Wissenschaften  in  Wien.  Osterreich  I.  band  bzw. 
Deutschland  und  die  Schweiz  I.  band. 

Im  laufe  der  letzten  Jahrhunderte  waren  zahlreiche  Ver- 
zeichnisse mittelalterlicher  bibliotheken  von  historikern  und  philo- 
logen  veröffentlicht  worden,  an  eine  Sammlung  dieses  weitver- 
streuten raaterials  wagte  sich  1885  GBecker.  indessen  mangelt»- 
seinen  Catalogi  bibrliothecarum  antiqni  sowol  Vollständigkeit  als 
verlässlichkeit.  die  kritik  muste  rügen,  das«  er  sich  mit  ober- 
flächlicher durchmusterung  der  litteratur  und,  statt  auf  die  hss. 
selbst  zurückzugehn,  mit  abdrücken  dei-  bisherigen  ausgaben 
begnügt  hatte,  nach  welchen  grundsätzen  alte  kataloge  sollten 
ediert  werden,  tat  sj-stematisch  erst  TliGottliebs  durch  die  Wiener 
akademie  subventioniertes  werk  l'ber  mittelalterlichf  biblio- 
theken 1890  dar.  dieselbe  kürperschaft  beschloss  dann  anfangs 
1897  auf  WvHartels  antrag  eine  herausgäbe  sämtlicher  innerlialb 
des  ehemaligen  Deutschen  reichs.  einschliefslich  der  Schwt-iz  und 
der  Niederlande,  vor  dem  jähr  1.5(10  entstandenen  bücherver- 
zeichnisse,  nach  und  nach  stellte  sich  jedoch  heraus,  dass  bei 
solcher  ausdehnung  der  räumlichen  grenzen  die  vorarbeiten  sicli 
endlos  hinziehen  und  den  abschlnss  des  Unternehmens  in  unab- 
sehbare Zukunft  hinausschieben  würdt-n.  Wien  schränkte  daln-r 
1906  seinen  plan  auf  die  kataloge  der  bibli.ttheken  des  h.utigen 
Österreich  ein,  trat  aber,  durchdrungen  von  der  übrrzeugung. 
dass  der  älteren  westlichen  cultur  ein  hö|i»'rii-  w.rf  'N  d.r 
A.  F.  D.  A.     XXXVIII. 


122  STEINMEYER    ÜBER    GOTTLIEB    UND    LEHMANN 

jüngeren  östlichen  inne  wohne,  gleichzeitig  an  den  kartellverband 
der  deutschen  akaderaien  mit  der  bitte  heran,  seinerseits  eine 
Sammlung  der  mittelalterlichen  bibliothekskataloge  Deutschlands 
und  der  Schweiz  in  die  band  zu  nehmen,  der  Göttinger  kartell- 
tag vom  october  1906  gieng  auf  diesen  Vorschlag  ein  und  be- 
traute keinen  geringeren  als  LTraube  mit  der  leitung  des  reichs- 
deutschen  corpus.  sie  verblieb  auch  nach  dessen  vorzeitigem 
tode  bei  der  Münchner  akademie,  die  sich  nunmehr  mit  Wien 
in  die  vorarbeiten  teilte,  während  Berlin,  Göttingen  und  Leipzig 
finanzielle  beihilfe  gewährten,  weitere  beratungen,  insbesondere 
1908  zu  Berlin,  1909  zu  Wien,  1911  zu  Göttingen,  erzielten 
volles  einvernehmen  in  allen  eiuzelfragen  der  ausführung.  als 
erste  frucht  der  geraeinsamen  tätigkeit  liegen  jetzt  die  beiden 
oben  näher  bezeichneten  bände  vor. 

Für  die  deutsche  litteratur  speciell  springt  allerdings  herz- 
lich wenig  heraus,  das  rührt  einerseits  daher,  dass  die  spräche 
der  Wissenschaft  und  der  kirche  während  des  ganzen  mittel  alters 
lateinisch  war,  andererseits  daher,  dass  vielfach  die  titel  so  vage 
lauten,  dass  wenig  mit  ihnen  anzufangen  ist:  unter  dem  li.her 
wlgaris  qui  dicitur  das  angcnge  (Lehmann  4,  30)  lässt  sich  an 
sehr  verschiedenes  denken,  angaben  wie  Benedicite  ivlgaris  per 
modum  carminis  oder  Formidarhim  vulgare  (Lehmann  126,  3ü. 
392,  13)  entbehren  der  wünschenswerten  präcision.  was  uns 
an  der  Karlsruher  hs.  Aug.  CXI  besonders  interessiert,  nämlich 
das  umfängliche  glossar  Ra.,  verschweigt  der  Reichenauer  katalog 
saec.  IX  (Lehmann  265,  12f)  gänzlich,  aber  diese  scheinbar 
trockenen  bücherlisten  besitzen  einen  culturgeschichtlich  unschätz- 
baren wert:  aus  ihnen  geht  hervor,  wie  viel  von  dem  erbe  der 
antike  sich  im  mittelalter  erhielt,  in  welchem  umfang  neue  werke 
hinzukamen  und  welche  landschaftliche  Verbreitung  sie  fanden, 
wie  lange  sie  lebendig  wirksam  blieben,  bis  sie,  zumeist  unter  dem 
wachsenden  einfluss  des  Universitätsunterrichts,  von  moderneren 
compendien  abgelöst  wurden,  manches  licht  fällt  auch  auf  die 
gegenseitigen  beziehungen  der  klöster  und  auf  die  beteiligung 
der  verschiedenen  orden  an  der  litterarischen  production.  flut 
und  ebbe  der  geistigen  Strömungen  im  wandel  der  Jahrhunderte 
spiegeln  sich  hier  recht  getreu  wider,  den  vereinigten  akademien 
gebührt  darum  warmer  dank  für  ihre  publication.  beide  be- 
arbeiter  haben  es  sich  angelegen  seiu  lassen,  das  material  so 
vollständig  und  so  genau  wie  möglich  vorzuführen,  von  den 
76  nummern  des  österreichischen  bandes  waren  16  bisher  unbe- 
kannt, von  den  96  des  deutschen  deren  25  während  die  Münchner 
abteilung  sich  nach  abschluss  des  ganzen  werkes  einen  tafelband 
vorbehielt,  bezeugen  die  zwei  dem  Wiener  band  beigegebenen 
facsimilia  die  grofsen  Schwierigkeiten,  mit  denen  öfters  die  lesung 
zu  kämpfen  hatte,  die  geschichte  der  bibliotheken,  deren  kata- 
loge  sich   erhalten   haben,    und   das  Schicksal   ihrer  handschrift- 


MITTELALTERLICHE    BIBLIOTHEKSKATALOOE  123 

liehen  bestände  ündet  in  einldtendeii  capit-ln  sorf^same  b.-hand- 
lung:  ich  weise  namentlich  auf  die  lehrreichen  erörterun^en  über 
SGallen  und  Reichenau  hin,  deren  alte  Verzeichnisse  wir  nun 
in  zuverlässiger  gestalt  besitzen,  ich  weifs  daher  nur  kleinie- 
keiten  zu  berichtigen. 

Über  das  veihältnis,  in  dem  die  Klosterneuburger  bücherlisten 
saec.  XIII  nr  12  und  13  unter  einander  stehn,  ist  unbedingte 
Sicherheit  nicht  erreicht.  Gottlieb  meint,  nr  12  sei  deshalb 
älter,  weil  sie  nachtrage  jüngerer  band  enliialte,  die  von  erster 
band  in  nr  13  geschrieben  seien,  aber  auch  das  gegenteil  tritt 
nicht  selten  ein:  97,  30  Amhros'ms  de  hono  mortis,  item  <h  Ysaac 
et  anima,  in  uno  volumine  =  94,  1—3.  98,  G  ff  Item  feronimus 
super  Esaiam  in  duobus  volmninihus  .  .  .  Jdem  super  Lreminm. 
Idem  in  epistolas  Pauli  ad  GalatJias,  ad  Ephesios,  ad  Titum, 
ad  Philemonem.  Hehraicq  qu^stiones  =  9-1,  12 — 15.  9S,  14 
Idem  {Büdbert7ts)  super  Mattheum  und  98,  17  Item  s-uper  'dm- 
decim  jJrophetas  in  duohus  voluminihus  =  94,  20.  22.  99.  1 2  f 
Honorim  super  psalterium  in  tribus  voluminihus.  Claves  phisir^. 
Cognitio  vitq  =  94,  35  f.  99,  16  Hylarius  de  sancta  trinitate. 
Item  de  synodis  =  94,  1.  übei-all  handelt  es  sich  in  nr  13 
um  eintrage  zweiter  band,  welche  von  erster  in  nr  12  her- 
rühren, der  anfangsabsclmitt  der  nr  13  (97,  3 — l())ist  wesent- 
lich aus  nr  1 1  geschöpft  (nur  fehlt  der  dritte  band  der  Bibel), 
hat  aber  bei  97,  13  Fastoralis  cura  mit  nr  12  den  zusatz  in 
quo  etiam  elucidarium.  jedes  der  beiden  stücke  12  und  13  bringt 
eigentümliches,  dem  andern  fehlendes,  in  dem  citat  93,  J3 
Item  epistola  Cipriani — ijertinentia  ligt  wol  ein  di-uckfehler  statt 
passionalia  vor. 

Auch  über  die  Melker  Verzeichnisse  saec  XV  nr  22  und  23, 
deren  zweites  dem  jähr  14S3  angehört,  besteht  volle  klarheit 
nicht,  die  fragmentarische  nr  22  machen  zwei  von  den  innen- 
deckeln  des  Melker  codex  134  abgelöste  papierdoppelbll.  ans. 
Gottlieb  lässt  unentschieden,  welcher  platz  ihnen  innerlialb  der 
läge  zukam,  aus  nr  23  ergibt  sich  jedoci),  dass  sie  die  beiden 
innersten  doppelbll.  einer  läge  bildeten:  denn  22  bl.  2"  reicht  in 
23  bis  188,  5  und  22  bl.  3'  beginnt  mit  Notabilin  alia  plnrima, 
die  188.  6 — 12  in  23  entsprechen.  22  wie  23  bieten  denselben, 
nach  einzelnen  archae  geordneten  katalog;  erst  naclitrftjjlich 
sind  ja  die  roten  signatnrbuchstaben  und  die  schwarzen  signaturnrn 
der  nr  23  beigefügt,  allerdings  weist  nr  22  veisthiedene  kürzungen 
auf,  so  fehlt  nach   149,  7,    was  s.   180  f  unter  C  r)3  — 65  steht; 

151,  1—4  lauten  anders  als  183,    1-7   (C  8-1)  und   151.  35— 

152,  1  anders  als  184  f  (C  92);  für  den  rest  der  archa  III  ^ 
190,  23—192,  6  (C  117— II 6)  blieb  in  nr  22  der  räum  leer; 
endlich  lässt  sich  der  anfang  148,  10— 11 9,  -1  in  nr  23  nicht 
nachweisen,  sonst  deckt  sich  nr  22  s.  149,  5 — 156,21  mit 
nr    23    s.    180.    29    (C  62) -199,   17   (D  32).     Gottlieb  gedenkt 


124  STKINMEYER    ÜBER    GOTTLIEB    UND    LEHMANN 

s.  161  beiläufig  eines  zweiten,  aber  wesentlich  gekürzten  Melker 
exemplars  des  katalogs  von  1483:  vielleicht  hätte  dessen  genauer 
vergleich  über  das  zwischen  nr  22  und  23  bestehende  Verhältnis 
helleres  licht  verbreitet,  denn  manchmal  ist  nr  22  vollständiger 
als  nr  2:^:  so  151,  12.  13  gegenüber  183,  21  f;  151,  16—18 
fehlen  hinter  183,  23  oder  32,  ebenso  152,  17.  19  hinter  186, 
28  und  37;  152,  21—29  stimmen  nicht  zu  187,  4  ff  =  C  97 
und  152,  30  ist  um  den  zusatz  speclaliter  capitulum  de  obediencia 
reicher  als  187,  27.  fehler  enthält  jede  der  beiden  nrn:  richtig 
steht  149,  40  Compendium  historiarmn  et  iuriuni  für  181,  38 
vi7"ium,  falsch  ehendiSi  institutoris  statt  institucionis,  richtig  150,  5f 
Tradatus  Bahani  contra  eos,  qui  rejmgnant  statuta  sancti  Bene- 
dicti  de  receptione  jmeroruni  (vgl.  222,  15  und  Migne  107,  419), 
unsinnig  182,  2  Tradatus  Rahani  contra  eos  qui  repugnant. 
Statuta  sancti  Benedicti  de  recepcione  puerorum.  dagegen  ver- 
dient den  Vorzug  182,  9  Ego  stim  vitis  vera  vor  150,  9  Ego 
suni  rir,  183,  15  Tradatus  de  ymitacione  Christi  vor  151,  7 
Tradatus  de  mutatione  Christi,  189,  13  de  ingratitudine  (vgl. 
217,  29)  vor  153,  36  de  magnitudine.  Gottliebs  noten  bedienen 
sich  zur  kennzeichnung  von  Schreibfehlern  leichterer  und  schwerer 
natur  häufig  im  sinne  von  'sie'  einer,  so  weit  ich  sehe,  nirgends 
erklärten  sigle  A.  daher  blieben  mir  s.  219  anm.  d  und  e  'in 
A  folgt  hier  contra  quondam  truncato'  und  ^de  tradatu  in  A 
hinter  Magnif.%  wo  doch  unter  A  nur  eine  sonst  nicht  genannte 
hs.  verstanden  werden  kann,  unklar,  übrigens  wäre  jenes  A 
zb.  auch  bei  168,  37  ad  Dalgasiam  am  platze  gewesen.  315,  8 
ist  der  rückverweis  D  26  in  D  46,  317,  7  C  10  in  E  10 
zu  bessern. 

Zum  k atalog  der  Neithartschen  familienbibliothek  im  Ulmer 
münster  nr  67  bemerkt  Lehmann  306,  20 f:  'die  fett  gedruckten 
zahlen  rechts  bezeichnen  vielleicht  die  verschiedenen  bücherpulte 
oder  geben  den  taxwert  (in  gülden)  an',  wenn  es  aber  386,  35 
heifst  'die  zahlen  .  .  .  können  wie  bei  kat.  67  wert  oder  preis 
angeben",  so  scheint  er  inzwischen  mit  recht  anderer  ansieht 
geworden  zu  sein,  unter  den  zahlen  fehlen  nämlich  1.  2.  11. 
13.  17.  19.  21.  23.  25.  27.  29.  31.  33.  35.  37.  39.  41.  43. 
45—49  überhaupt,  26.  28.  38.  44  treten  nur  einmal,  3.  4.  32. 
42  nur  zweimal  auf,  während  8  dreifsig  mal,  14  dreiunddreifsig 
mal,  10  achtunddreifsig  mal,  12  sogar  siebenundvierzig  mal  vor- 
kommt, schliefst  schon  dieser  befund  jede  möglichkeit  aus,  an 
pulte  zu  denken,  so  zeigt  nr  68  mit  voller  deutlichkeit,  dass 
es  sich  überall  um  Schätzungspreise  handelte;  zugleich  ergibt 
sich,  dass  349,  10  die  Ziffer  5  verschrieben  oder  verdruckt  ist 
für  50.  —  ich  halte  nicht  für  unbedingt  sicher,  dass  nr  25 
eine  liste  der  von  Mathias  Bürer  nach  Rietz  und  ümhausen 
verschickten  bücher  darstellt,  denn  wenn  der  mann  von  Rietz 
aus  seine  Romfahrt  antrat  (135,   14),   so   besteht  gröfsere  wahr- 


MIITEI.ALTERLICHE    BIBLIOTHKKSKATALoni:  125 

scheinlichkeit  dafür,  dass  hinter  der  übersdirift  ipmuilo  iri  ad 
curiam  Romanam  das  fins  lihros  misi  in  Rivcz  nicht  'verschickte*, 
sondern  'zurückliels'  bedeutet.  —  ein  weiteres,  ehemals  den 
SGaller  dominikanerinneu  gehöriges  ms.  ('s.  14  7j  befindet  sich 
jetzt  in  Erlangen,  s.  Die  jüngeren  hss.  der  Erlanger  Universitäts- 
bibliothek (1913)  107  f.  —  ich  weise  noch  auf  die  wiederholt 
in  einigen  abschnitten  der  nr  31  begegnenden  interessanten 
formatangaben  regelhleter,  bogenhleter,  texf Meter  hin:  ersterer  aus- 
druck  geht  zweifellos  auf  folianten  (DWb.  VIII  492),  hngcnbleter 
auf  quartanten;  dann  können  texthlefer  wnl  nur  octavbUcher 
bezeichnen. 

Die  künftigen  bände  der  Sammlung  werden  sich  der  ein- 
richtung  der  beiden  jetzt  vorliegenden  in  allen  wesentlichen 
puncten  anschliefsen  müssen,  es  wäre  daher  zwecklos,  bedenken 
geltend  zu  machen,  welchen  sich  nicht  mehr  rechnung  tragen 
lässt.  trotzdem  muss  ich  betonen,  dass  man  Traubes  Vorschlag 
entsprechend  statt  des  Jahres  1500  besser  1450  zum  endtermin 
hätte  wählen  sollen,  sowol  weil  mit  der  eroberung  Constantinopels 
und  mit  der  ertindung  der  buchdrnckerkunst  das  mittelalter 
meines  erachtens  sein  ende  nimmt,  als  auch  hauptsächlich  darum, 
weil  alsdann  der  umfang  des  ganzen  werkes  sich  in  mäfsigen 
grenzen  bewegt  haben  würde,  denn  gerade  die  jüngeren  kataloge 
sind  besonders  ausführlich:  in  Lehmanns  bände  beanspruchen  die 
der  zweiten  hälfte  des  15  jhs.  angehörigen  Ulnier  volle  90  selten, 
und  dies  um  seiner  geringeren  Wichtigkeit  für  die  forschung 
willen  früher  wenig  beachtete  jüngere  material  erfährt  unaus- 
gesetzt Zuwachs  und  wirft  alle  vorausberechnung  über  den  häufen, 
noch  1911  glaubte  man  mit  zwei  bänden  der  österreichischen 
abteilung  auszukommen,  deren  erster  Nieder-  nnd  Oberüsterreich 
nebst  den  Alpenländern,  deren  zweiter  die  länder  der  böhmischen 
kröne  begreifen  sollte :  jetzt  werden  vier  kaum  hinreichen.  Leh- 
manns anteil  wurde  damals  auf  mindestens  fünf  bände  geschätzt : 
ich  bezweifle,  dass  zehn  genügen  dürften,  deshalb  steht  zu  be- 
fürchten, dass  das  reichsdeutsche  corpus  gleich  so  manchem 
akademischen  unternehmen  unserer  tage  sich  endlos  hinziehen 
und  die  jetzige  generation  seinen  abschluss  schworlich  erleben 
wird,  immerhin  scheint  für  die  Zukunft,  ohne  dass  den  leitenden 
grundsätzen  abbruch  geschieht,  eine  nicht  unwesentliche  reduction 
des  umfangs  der  ausgäbe  durchführbar. 

Man  war  1911  übereingekommen,  dass  jeder  abteilung  erst 
nach  ihrer  Vollendung  ein  eigener  indexband  zu  folg.n  hätte, 
demgemäfs  verzichtet  Gottlieb  vorläufig  auf  all»'  rogister,  Lehmann 
hingegen  bringt  einen  'Schriften  und  scliriftsteller'  betitriten 
index,  der  nahezu  100  Seiten  kleinsten  zweispaltigen  satzes  ein- 
nimmt, mit  gröstem  fleifs  und  äufserster  Sorgfalt  hergestellt 
bietet  er  nur  zu  minimalen  einwänden  anlass.  wenn  zb.^  }fiUs 
de   Turri    556*   verdeutscht    als    li'üfer    mm    Tum   572*   wider- 


126  STEINMEYEB    ÜBER    GOTTLIEB    UND    LEHMANK 

kehrt,  so  sollte  der  Chorea  mortuonim  516^  ein  Totentanz  581^: 
zur  Seite  treten,  denn  wem  wird  es  beifallen,  unter  Chorea 
nachzuschlagen?  Von  der  ewigen  wisshait  ain  büchly  591**  meint 
zweifellos  Susos  bekannte  schrift:  aber  der  artikel  Henricus  Suso 
535''  nennt  sie  nicht.  dem  ansatz  Sommerteil  577^  mangelt 
das  citat  206,  22,  das  für  Winterteil  592'  verwertet  ist;  hier 
wäre  zugleich  auf  Ustivale  A88^  und  Hiemale  536"  hinzuweisen 
gewesen,  wie  nicht  minder  bei  De  resurrectione  572"  und  Pilatus 
567"  auf  Das  buch  von  der  iirstende  und  von  Pilatus  591  **. 
hinter  Translacio  harharica  psalterii  561 "  steht  verdruckt  114,  16 
statt  116,  14.  die  worte  'Vgl.  auch  Necrologia'  581^  gehören 
nach  'Totenlisten'  der  nächsten  zeile.  die  gruppe  Versus  beruft 
sich  582''  zum  vergleich  auf  Scurrae:  dies  lemma  wird  574** 
vermisst.  störend  wirkt  und  hal  zu  manchen  inconsequenzen 
geführt,  dass,  namentlich  in  älterer  zeit,  träger  von  familien- 
namen  nicht  unter  diesen  namen,  sondern  unter  ihren  vornamen 
alphabetisiert  sind,  weil  indessen  die  familiennamen  vielfach  be- 
kannter sind  als  die  vornamen,  sah  sich  Lehmann  zu  reichlicheü 
verweisen  genötigt,  zb.  Hemerli  vgl.  Felix  H.  534^,  Herz  vgl. 
Narcissus  H.  536",  Kider  vgl.  Johannes  X.  560'',  Spetzhardus  vgl. 
Hugo  S,  578*;  sie  fehlen  jedoch  bei  Faber,  Mann,  Nausea,  Stein- 
höwel,  Suso,  Textor  und  hätten,  wäre  dem  gegenteiligen  ordnungs- 
princip  der  vorziig  gegeben,  überhaupt  gespart  werden  können. 
Rulman  Mersivin  tindet  sich  zweimal  aufgeführt,  unter  Jf  555 ''  und 
unter  R  573":  aber  nur  an  erste  rem  ort  wird  seines  Meisterbuchs 
gedacht,  auf  das  der  titel  Ain  buch,  das  der  laig  den  maister 
lertt  549^  hindeutet,  während  Gallus  Öhem  530"  unter  Gallusj 
Jacobus  Wim2)felingiHS  542''  unter  Jacobus  gebucht  steht,  ohne 
dass  daneben  Öheiu  und  Wimpfelingius  auftreten,  sind  Virich 
Boner  dem  B,  Hermann  von  Sachsenheim  573"  und  Phil.  Seiler 
574''  dem  *S'  eingereiht,  bei  Udalricus,  Hermannus  und  Philippus 
dagegen  nicht  erwähnt. 

Ich  erkenne,  wie  gesagt,  die  schwere  mühe  bereitwillig  an, 
welche  dieser  index  gekostet  hat.  aber  seinen  hauptsächlichen 
Inhalt  wird  das  generalregister  am  schluss  des  reichsdeutschen 
teils  zu  wiederlioleu  haben,  und  zwar  in  verbesserter  gestalt, 
weil  erst  der  überblick  über  das  gesamte  material  manche  cor- 
rectur  erbringen,  anonyme  werke  benannten  autoren  vindicieren, 
pseudepigrapha  richtig  stellen  kann,  der  herausgeber  rauss  sich 
also  derselben  aufgäbe  noch  ein  zweites  mal  unterziehen,  dass 
er  schon  jetzt  einen  partiellen  index  vorlegte,  hat  weiter  zur 
üblen  folge  gehabt,  dass  der  druck  starke  Verzögerung  erlitt 
und  dass  der  preis  des  bandes,  verglichen  mit  dem  des  Wiener, 
eine  für  den  absatz  verhängnisvolle  Verteuerung  erfuhr,  endlich 
fragt  sich,  ob  der  nutzen  im  rechten  Verhältnis  zu  der  auf- 
gewandten arbeit  steht,  ich  glaube  das  nicht,  indices  wollen;" 
zur  raschen  ermittelung  beiläutiger  und  versteckter  notizen  ver-^ 


MITTEI.ALTKKLICIli;     Hl  KI.Io TU  i;ksK  .\T.\l,(j(;i-;  127 

helfen;  nicht  zur  lortlaufcnden  loctüre,  sondern  /.um  nachschlagen 
sind  sie  bestimmt,  wer  einen  index  herstellt,  soll  nicht  nieclianisch 
wesentliches  und  gleichmütiges  mit  haut  und  haaren  alpliabctisieren, 
sondern  sich  vorsichtig  auf  angaben  beschränken,  aus  denen  der 
benutzer  tatsächliche  belehrung  zu  schöpfen  vermag,  ein  reich- 
liches drittel  aller  ausätze  des  Lehmannschen  registers  wird 
niemand  nachschlagen:  wen  können  die  kahlen  titel  Autipho- 
narlum,  Benedldionale,  BrerUuiam,  Caleiularlum,  Cerimoniae, 
Collectiones ,  Collectae,  Compend'mm,  iJecllnatione.s ,  IHrtiones, 
Horae,  Martyrologium,  Materia,  Matntinale,  Xotahllia,  Officinle, 
Fasdonarms,  Versus  usw.  irgendwie  reizen?  und  wer  wird  ver- 
langen tragen  nach  stich  werten  wie  Erprewiones  lilulornm  et  no- 
mimim  et  libromm  et  dodonim  et  philosojjJiontm  528'',  De  floratihiis 
diversis  529',  Textus  geste  530'',  Hosjnlluni  inmidi  540',  /(«Wf/ 
541**,  Latitudines  foniiarum  549'*  oder  nach  buchUberschriften 
und  buchinitien  wie  Der  Ijöss  grund  533',  Des  leid  550'',  Litcta 
aninte  551^'?  dazu  tritt  erschwerend  der  umstand,  dass  die 
gleichwertigen  lateinischen  und  deutschen  begriffe  vielfach  nicht 
zusaramengefasst  oder  durch  verweise  gegenseitig  in  beziehung  ge- 
setzt sind,  vgl.  Der  annutt  hack  494"  und  Serino  de paitpirtute  565*, 
(Jantica  514"  und  Gesangbiccher  530'',  Carniina  514''  und  Ge- 
dichte 530",  Doctrina  526"  und  J)ie  vier  unfang  vrangelischer 
lehr  550'',  Gebete  530"  und  Preees  568'',  ])es  haiUigcn  gaistes 
hiichlg  530°  und  S2nriti(s  sandiis  57S".  zuweilen  wurden  auch  die 
Stichworte  nicht  ganz  glücklich  gewählt:  Virtute.s  eorii  vel  cutis 
serpentini  steht  521''  unter  corii,  gehört  aber  unter  serpens, 
Processus  et  forma  eligendi  episcopum  vel  ahlxitein  wäre  besser  bei 
episcojws  und  abbas  als  bei  eligendi  527'  verzeichnet,  ebenso 
De  penis  principalibns  in  fern  i  richtiger  bei  inferntis  als  bei 
poena  567".  Usus  fendontni  591''  hätte  den  sonstigen  belegen 
für  feiidum  52S''  angereiht  werden  müssen,  ganz  überflüssig  ist 
De  investigando  vgl.  Fures  543''  und  Freserratira  568'':  anter 
Festilencia  565''  war  das  nötige  schon  gesagt,  sollte  durclrtius 
dem  band  ein  register  folgen,  so  konnte  man  sich  mit  einem 
knappen  autorenverzeichnis  unter  einbegriff  der  jetzt  fehlenden 
donatorennamen  begnügen,  innerhalb  solcher  bescheidenen  grenzen 
halten  sich  hoffentlich  auch  dereinst  die  geplanten  generalregister: 
denn  nach  dem  muster  des  vorliegenden  partiah'udex  angelegt 
würden  sie  geradezu  monströs  ausfallen,  nur  auf  grund  eigener 
lectüre,  nicht  mit  hilfe  von  registern  lassen  sich  biieherkatalo?!- 
wie  matrikeln  allseitig  ausschöpfen. 

20.   VI.    18.  K.  V.  sttiiime\rr. 

Kleine    Schriften    von    Otto    Ilirschreld.     Berlin.    Weidmann    l'.MS. 
1011  SS.     'M)  m. 
Ein  stattlicher  band   'kleiner  Schriften',    der    auch    dem   ferner 
stehnden    einen    einblick    in    die   reiche   lebensarbeit  des  verfaHBcr« 


128  HKNNING    ÜBKR    HIKSCHB^ELD 

gewährt,  Germanien  wird  nur  gestreift,  aber  die  nachbarländer, 
die  für  die  deutsche  alterturaskunde  immer  mit  zu  beobachten 
sind,  sind  reichlich  vertreten,  vor  allem  Gallien  durch  eine  reihe 
von  monographieen,  die  im  wesentlichen  den  allgemeinen  historischeu 
und  culturgeschichtlichen  ertrag  von  Hirschfelds  grofser  inschriften- 
publication  darstellen,  dabei  kommt  es  dem  verf.  nicht  blofs  auf 
das  speciell  römische  an,  er  sucht  auch  die  fäden  welche  dieses 
mit  dem  einheimisch-nationalen  verbinden,  soweit  es  möglich  ist 
blofs  zu  legen,  hierher  gehören  die  'Beiträge  zur  geschichte  der 
narbonensischen  provinz"  (1889),  besonders  die  'Gallischen  Studien' 
(1883),  welche  die  Schicksale  und  einrichtungen  der  alten  Phokäer- 
colonie  Massilia  von  ihrer  gründung  bis  zur  christlichen  zeit  er- 
zählen und  als  gegenbild  dazu  diejenigen  der  benachbarten  kelti- 
schen gemeinde  der  Vocontier,  die  so  manches  von  ihrer  alten 
nationalen  Verfassung  bewahrte,  weniger  ausgiebig  fliefsen  die 
quellen  über  'die  Häduer  und  Arverner  unter  römischer  herschaft' 
(1897),  reichlicher  über  'Lyon  in  der  Römerzeit'  (1878),  das  von 
Caesar  noch  ungenannte,  aber  dann  als  handelsstadt  und  ver- 
waltungscentrum  für  das  ganze  römische  Gallien  (und  Germanien) 
rasch  emporblühende  Lugudunum,  dessen  frühes  Christentum  noch 
eine  besondere  behandlung  findet,  die  interesfante  abhandlung 
'Aquitanien  in  der  Eömerzeit'  (1896)  greift  in  die  ältere  besiedelungs- 
und  Völkergeschichte  hinüber  und  stellt  neue  fragen,  sehr  be- 
merkenswert sind  schon  die  sacralen  Verhältnisse,  im  gegensatz 
zu  Gallien  scheint  es  hier  kaum  priester  gegeben  zu  haben,  obwol 
eine  unzahl  kleiner  culte,  unter  denen  der  baumcultus  sich  be- 
sonders hervortut,  und  kleine  gemeinden  von  'consacrani'  be- 
standen, an  welche  die  modernen  Ortsnamen  mehrfach  anknüpfen, 
der  höchste  gott  (Jupiter  optimus  maximus)  war  wol  der  wetter- 
gott  ('auctor  bonarum  tempestatium).  die  namen  der  in  den 
Pyrenäen  verehrten  gottheiten  sind  in  Spanien  alle  nicht  belegt, 
was  Hirschfeld  veranlasste,  als  ältere  bewohner  Aquitaniens  auf 
andere  als  die  Iberer  zu  schliefsen.  er  denkt  an  die  Ligurer 
und  hat  dafür  die  Zustimmung  Sieghns  gefunden,  in  der  tat 
entsprechen  manche  gruppen  aquitanischer  namen  nicht  der  iberi- 
schen, sondern  der  ligurischen  bildungsweise,  dann  kam  die  Ver- 
mischung mit  den  Iberern  und  später  mit  den  Kelten,  zu  den 
letzteren  gehörten  die  (Bituriges)  Vivisci,  die  von  H.  mit  der  be- 
absichtigten auswanderung  der  Helvetier  zu  den  Santoni  com- 
biniert  wird,  vgl.  'Vivisco'  (Vevey)  am  Genfer  see.  auch  eine 
kleine  Bojengruppe  ist  bei  Bordeaux  nachweisbar,  ein  gröfserer 
stamm  waren  die  Volcae  Tectosages,  aber  es  bleibt  zu  beachten, 
dass  schon  Hannibal  die  letzteren  an  den  Pyrenäen  antraf. 

Mit  der  gallischen  Vorgeschichte  beschäftigt  sich  auch  der 
aufsatz  'Timagenes  und  die  gallische  wandersage'  (1894).  Müllen- 
hoff  hatte  angenommen,  dass  der  bericht  des  Livius  über  die 
Wanderung  der   Gallier  nach   Italien     auf    mailändischer    tradition 


KLEINK    .SCIIRIITKN  t2'J 

beruhe,  die  ihm  der  Grieche  Timaf,'enes  vermittelt  habe.  H.  lUast 
den  mailcändischen  Ursprung  bestehn,  findet  aber  die  anzeicheii 
für  eine  griechische  quelle  zu  unsicher  und  führt  den  bericht  auf 
das  geographische  werk  des  aus  der  Mailänder  gegend  stammenden 
Cornelius  Nepos  zurück,  die  berührung  mit  dem  text  des  .lu.stinu.s, 
der  durch  die  vermittelung  des  I'ompejus  Trogus  dieselbe  quelle 
benutzte,  wird  in  gleichem  sinne  erklärt. 

Zu  den  Germanen  führt  'Der  name  Germani  bei  Tacitus  und 
sein  aufkommen  bei  den  Römern'  (IS98j.  die  bekannte  stelle 
Germ.  2  ut  omnes  i)rimum  a  victore  ob  metinn  wird  in  iil  <mvir.s 
a  victo,  re[or],.  ob  metum  gebessert,  was  mir  schon  stilistisch 
nicht  eingehn  will,  dass  die  Römer  und  Tacitus,  wenn  sie  über 
die  bedeutung  des  namens  nachdacliten,  ihn  an  das  ihnen  ge- 
läufige 'germanus'  anlehnten »,  ist  anzunehmen,  wie  denn  auch 
Strabo  mit  seinem  yvi]oioi  römisch  etymologisiert,  dass  der 
name  den  Germanen  von  den  Kömern  gegeben  sei,  nimmt 
auch  H.  nicht  an.  im  übrigen  vertritt  er  hinsichtlich  der 
ältesten  belege  eine  von  Müllenhoff  abweichende  auffassung. 
Müll,  meinte,  dass  der  name  schon  vor  Caesar  als  belegt  gelten 
dürfe.  H.  kommt  zu  der  ansieht,  dass  M.s  Zeugnisse  nicht  be- 
weiskräftig seien,  und  dass  Caesar  in  der  tat  als  erster  den 
namen  bezeuge.  Sallust,  der  alte  quellen  benutzte,  habe  beim 
Sklavenkrieg  den  namen  aus  Caesar  eingesetzt  und  der  epito- 
mator  des  Livius  wider  aus  Sallust  geschöpft.  wie  dem  auch 
sei:  einige  decennien  sind  jedenfalls  schon  vor  Caesar  nötig,  um 
die  ausdehnung  des  Germanennamens  zu  erklären,  dass  sie  auf 
nicht  besonders  orts-  und  volkskundige  zurückgeht,  ist  gleichfalLs 
deutlich,  was  wider  zu  dem  Sklavenhandel,  der  hier  vielleicht  in  den 
bänden   südgallischer  Griechen  oder  'Syrer'  war,   aufs  beste  passt. 

Von  sonstigen  artikeln,  die  auch  den  germanisten  interessieren, 
seien  nur  noch  erwähnt:  'Die  Organisation  der  drei  Gallien  durch 
Augustus'(1908),  'Die  römischen  meilensteine'  (l!)07),  'Dacia'(lS7  l). 
über  Tacitus  handeln  noch  mehrere  ältere  aufsätze. 

'  seine  erklärung  des  namens  aus  keltischem  i/ennanos  —  lat. 
yermanus  hat  Much  im  Reallexikon  ii  1S3  aufgegeben  und  durch  »lie 
sprachlich  und  sachlich  gleich  bedenkliche  Germanus  =  deutsch  (in- 
ermanos  'conuniversalis'  ersetzt,  übrigens  gehören  die  Gernien-  in  diu 
Personennamen  fast  alle  dem  gebiet  von  SGerniain,  also  den  homincs 
SGermani  an.  dass  dieser  Schutzpatron  hier  in  der  tut  in  die  nameiigebunkr 
aufgenommen  ist,  beweist  wol  der  umstand,  dass  die  kinder  di-s  (iermenulf 
Germanus  und  Germana  heifsen;  das  forterben  desselben  compositionsgliede» 
in  den  namen  von  eitern  und  kindern  ist  gerade  im  Polypiychon  Irminoni» 
besonders  häufig. 

Stralsburg   l'.Ü  l  «•  »^'""'»Jf 

(Auf  die  inzwischen  angewa<hscne  lileratur  über  diu  Germanennamt-n 
kann  hier   nicht   mehr  eingegangen   werden. 

Heidelberg   UM  9.  '^    " 


130  MICHELS    ÜBEK    DOVE 

Studien  zur  Vorgeschichte  des  deutschen  volksnamens  von 
Alfred  Dovc.  vorgelegt  von  Fr.  Meinecke.  Heidelberg,  Winter 
1916.  1=  SBer.  d.  Heidelberger  akaderaie  d.  Wissenschaften, 
philos.-hist.  kl.   Jahrgang  1916.    8.  abh.]    99  ss.    8*».    b,2ü  m. 

Alfred  Doves  schöne  festrede  'Der  widereintritt  des  natio- 
nalen princips  in  die  Weltgeschichte'  vom  Jahre  1890  (wider- 
abgedrnckt  in  den  Ausgewählten  schriftchen  vornehmlich  histo- 
rischen Inhalts,  Leipzig  1898,  s.  1  ff),  erhielt  1893  und  1895 
wertvolle  und  oft  citierte  ergänzungen  in  den  'Bemerkungen  zur 
geschichte  des  deutschen  volksnamens'  und  dem  aufsatz  'Das 
älteste  zenguis  für  den  namen  Deutsch'  (ebenda  s.  300  u.  324). 
die  vorliegenden,  leider  unvollendeten  'studien'  enthüllen  nun  den 
ganzen  wissenschaftlichen  unterbau,  sie  zeigen  eine  so  gründ- 
liche philologische  Schulung  des  historikers,  dass  man  Meinecke 
recht  geben  muss:  die  gelehrtenpersönlichkeit  des  geistreichen 
Verfassers  erhält  erst  durch  diese  Veröffentlichung  ihr  volles  licht. 

Dove  geht  streng  systematisch  zu  werke,  er  schiebt  im 
ersten  abschnitt  JGrimms  verschwimmende  ausdeutung  von 
deutsch  als  'volkstümlich'  =  'germanisch',  im  gegensatze  zu 
römisch,  verengert  zu  'deutsch'  im  heutigen  sinne,  beiseite  und. 
lehnt  auch  die  verschiedenen  ansichten  seiner  nachfolger  ab,  die 
er  als  die  'nationale'  hypothese  (a)  'antiparticularistisch',  b)  'anti- 
romanisch'), die  'vulgäre'  (antilateinische)  und  die  compromiss-; 
theorie  bezeichnet,  um  dann  im  zweiten  abschnitt  in  Wulfilas 
Übersetzung  vonOalater  2,  14  ed^vixcög  =  J)iudisko  den  sicheren 
ausgangspunct  zu  gewinnen,  in  einer  überaus  geistvollen  Wür- 
digung der  Völkerwanderung  zeigt  er,  wie  der  begriff  des  'volks' 
auf  abstammung  gegründet  werden  konnte  und  dass  i'O^vog,  gens^ 
dafür  die  bezeichnenden  ausdrücke  der  Schriftsteller  sind.  (Sal- 
vian  konnte  schon  eine  Charakteristik  der  wichtigsten  völker- 
persönlichkeiten  versuchen,  wie  im  19  jh.  GFreytag.)  aus  dem 
gegensatz  der  gentes  gegen  das  römische  imperium  entsteht  die 
gleichsetzung  von  gentes  mit  ßdgßaQoi. 

Daran  schliefst  sich  im  dritten  abschnitt  eine  sehr  be- 
achtenswerte Synonymik,  in  der  das  Verhältnis  von  i'^vog  zu 
laög  Iscbg,  yevog,  (pvXov,  von  gens  zu  natio  usw.  erörtert  wird' 
und  aus  der  nur  angemerkt  sei,  dass  natio  zunächst  enger  ist 
als  gens  und  daher  die  von  Mommsen  misverstandene  stelle, 
Jordanis  Get.  133  omnem  ubique  linguae  kuius  natlonem  Über- 
setztwerden muss  'alles  was  irgendwo  von  geburt  der  gotischen; 
zunge  angehört',  nach  ihr  ergreift  wider  der  historiker  Dove 
das  wort,  um  zu  zeigen  wie  die  gens  der  völkerwanderungszeit; 
sich  im  rex  gleichsam  verkörpert  (s.  45  a;  1  wird  über  Tac. 
Germ.  1  nuper  cognitis  giiibusdam  gentibus  ac  regihus  ge- 
handelt). : 

Einen  besonderen  excurs  verlangte  viertens  der  gebrauch 
des   plurale   tantum    gentes,   ed^vrj   für  hebr.  go'jm,  ursprünglich 


VOEGESCHICHIK    J)i:s     DKIi'i  scllKN     \(  iI.KSN  N  M  I.NS  1  :( 1 

die  bezeiclmung-  der  nichtjüdischen,  dann  der  luclitchiistliclien 
aufsenwelt.  resultat:  der  kirchliche  sprachf^ebraucii  hat  zu- 
nächst nichts  mit  der  bezeichnung  der  nalioncii  zu  tun;  doch 
mischt  sich  allmählich  die  nationale  bedeiUiiiit,^  ein.  auch  jxi- 
ganus  verliert  allmählich  einen  teil  seiner  vcrächf liehen  schärfe; 
(mit  den  ausführnngen  auf  s.  (>0  ff,  vf?l.  jetzt  WSchulze  H8B. 
1905  II.  s.  749.)  es  wird  fünftens  gezeij^t,  dass  die  {?ot.  Über- 
setzung von  eO-voQ,  yens  als  Völkerschaft  l)iHda  ist  mit  seinen 
ableitungen  piudans,  piudanon,  pmdinaf>si(.s,  piudanfiardi,  während 
■jclf^O^og,  öylog,  ?.aöc  durch  manafjei,  hiiihmn,  iuinjo  wider- 
gegeben wird,  begreiflicherweise  übersetzt  Wultila  auch  /^'/»'^y 
im  sinne  von  'beiden"  und  das  gleichbedeutende  li'/.h^vfc  durcli 
den  pluralis  piados;  aber  Dove  legt  entscheidendes  gewicht  darauf, 
dass  OL  i^viY.oi  zweimal,  nämlich  l^fat.  5,  K»  und  8,  7  durch 
pai  piudo  widergegeben  ist,  um  zu  schliefsen,  dass  es  zu  Wultila» 
zeit  das  adjectiv  phidisks  überhaupt  noch  nicht  gegeben  habe  und 
dass  das  adverb  pindisko  ==  e^vr/Aoc:,  mit  dessen  besprcchung 
er  zum  ausgangspunct  seiner  Untersuchung  zurückkehrt,  nur  eine 
Augenblicksschöpfung  gewesen  sei  (s.  t)7,  vgl.  Ausgew.  schriftchen 
s.  319;  ähnlich  HFischer  PBBeitr.  18,  204  und  WSchulze  aao. 
s.  74S).  diesen  schluss  halte  ich  nun  doch  für  übereilt,  sicherlich 
ist  der  gebrauch  des  Avortes  an  der  einzigen  belegstelle  im 
Galaterbrief  neu  und  eine  kühnheit  des  Übersetzers,  der  den 
knappen  gegensatz  ethviv.öiQ  --  'lovöaiy.aQ  nicht  treffender  widei^ 
geben  konnte  als  durch  piudisko — ludaiivisko.  aber  dass  es  sich 
um  ein  neugebildetes  wort  handle,  halte  ich  angesichts  der  be- 
liebtheit  einerseits  von  piiuhi  usw.,  die  bei  den  Goten  bis  in  die 
zeit  des  pwdareiks  und  [iindaiuets  fortdauerte,  anderseits  des  ele- 
mentes  -{i)ska-  für  wenig  wahrscheinlich,  eiutr  lebendigen  und 
bildungsfähigen  spräche  gegenüber  ist  der  gruudsatz  'Quod  nou 
est  in  actis,  non  est  in  mundo'  besonders  gefährlich,  wir  be- 
sitzen ja  aus  dem  gotischen  Wortschatz  nur  einen  winzigen  aus- 
schnitt; ein  pindisks  aber  konnte  natürlich  nur  bedeuten:  zur 
fjuula,  dh.  in  erster  linie  der  Gxlpinda  (nicht  aber:  zu  den  piudos) 
gehörig,  und  dafür  hatte  die  bibelübersetzung  keine  Verwendung, 
zur  vorsieht  mahnt  hier  das  englische,  wo  firodisc  in  der  für  «las 
gotische  vorauszusetzenden  beileutung  würklich  erscheint,  wenn 
auch  spät  und  selten  belegt,  nämlich:  1.  in  Layamons  Hrnt.  Cott 
Cal.  A  IX  V.  583S  (gegen  12o:)':  thu  theodisn-  meu  'die  zum 
Volke  gehörigen,  einheimischen  männer'  zur  bezeiclmung  der 
R-6mer '-^  thc  Bomanisce  Cott.  Oth.  C  XIII ;  2.  das  substantivierte' 
neutrum  in  Aelfreds  Boethius  4(i.  12  (vor  S9U):  <>n  muHiij  then- 
d'usc  'in  mancher  v<dksspraclie'  (vgl.  Lays  X  2());  ü.  djis  latini- 
sierte adverb  theodisrc  in  ein»Mn  schreiben  Alcliuins  ed.  Dümmler 
MG.  Epist.  Karol.  aevi  II,  p.  10  (786):  hnn  hüi.n  (,mnu  Iheo- 
fUsce  'sowol  lateinisch  als  in  der  Volkssprache'  angelsächsiseh, 
was  bekanntlich  Dove  in  seiiieui  aufsafz  über  das  ällestt*  zeugnis 


132     MICHELS  ÜBEß  DOVE,  VORGESCHICHTE  D.  DEUTSCHJIN  VOLKSNAMENS 

für  den  namen  Deutsch  (Ausj^ew.  sehr.  s.  324)  zu  erklären  und 
gleichsam  zu  entschuldigen  versuchte,  seitdem  aber  hat  es 
Schlutter  Zs.  f.  d.  wtforsch.  14,  142  in  derselben  bedeutung  auch 
'im  ae.  charter  Aethelwulfs  vom  jähre  845'  nachgevi^iesen :  sil- 
vatn  quem  (!)  nos  theodoice  (1.  thcodisce)  s  n  a  d  noviinnnms  '. 
auch  HFischer  schiefst  deshalb  wol  über  das  ziel  hinaus,  wenn 
er  PBBeitr.  14,  203  ff  aus  der  wichtigen  tatsache,  dass  Otfrid 
zwar  das  lat.  sozusagen  amtlich  abgestempelte  tlieodiscvs,  nicht 
aber  das  deutsche  diutisc  verwertet,  nicht  nur  folgert,  um  870 
könne  das  wort  als  deutsches  wort  noch  nicht  'geläufig'  gewesen 
sein,  sondern  sogar  die  möglichkeit  erwägt,  dass  es  künstlich 
gebildet  worden  sei  2. 

In  der  hauptsache  aber  behält  Dove  immerhin  recht',  und 
wir  folgen  ihm  gern  auch  im  letzten  abschnitt,  wenn  er  zeigt, 
wie  infolge  der  veränderten  Verhältnisse  nach  dem  schluss  der 
Wanderungszeit  einerseits  auch  die  R(3mer  oder  Romanen  zu  den 
(jentes  gerechnet  werden,  anderseits  durch  die  entstehung  von 
staatlichen  gebilden  mit  gemischter  bevölkerung,  besonders  bei 
Alemannen  und  Franken  ge7is,  eO^vog,  deot  eine  erweiterte,  vor- 
wiegend politische  bedeutung  erhält,  mit  der  besprechung  der 
angelsächsischen  Verhältnisse,  wo  die  bevölkerung  eines  jeden 
der  sieben  königreiche  eine  gens  ist,  aber  auch  Anglorinn  {sive 
Saxonum)  gens  die  gesamtheit  der  eroberer  bezeichnet,  sodass 
'die  idee  der  werdenden  englischen  nation'  ihren  schatten  voraus- 
wirft, brechen  die  'studien'  ab.  durch  die  früheren  Veröffent- 
lichungen sind  sie  leicht  zu  ergänzen. 

'  ich  kann  das  citat  leider  nicht  nachprüfen. 

^  Dove  spricht  s.  70  auch  haißns  —  so  ist  anzusetzen  —  dem 
Wulfila  ab  und  nimmt  mit  Bernhardt  an,  dass  der  beleg  Marc.  7  26 
'EXXrjviz  haißno  erst  durch  zweite  hand  in  den  text  gekommen  sei.  das 
ist  durch  Zahn  N^ue  kirchl.  zschr.  10,  IS  ff  und  WSchulze  aao.  s.  748 
widerlegt.  Schulze  hat  das  verdienst,  die  formalen  und  begrifflichen 
Schwierigkeiten  in  der  erklärung  des  wortes  aufgedeckt  zu  haben,  aber 
seine  eignen  constructionen  vermag  auch  ich  nicht  zu  glauben.  Kluge 
EtWb.''  199  wird  der  wahrheit  näher  kommen,  eine  die  spräche  ver- 
gewaltigende erfindung,  die  zudem  kein  Gote  hätte  verstehn  können,  ist 
Wulfila  auch  hier  keinesfalls  zuzutrauen,  wol  aber  eine  umbiegung  des 
Sprachgebrauchs,  haißno  und  erst  recht  das  zugrunde  liegende  masculinum 
waren  gewis  gute  alte  gotische  Wörter;  nur  bedeuteten  sie  noch  nicht 
'heid«',  'heidin'.  sie  mögen  eine  verächtliche  nebenbedeutung  gehabt 
haben,  wie  unser  'die  wilden',  die  sie  mit  (dem  späteren?)  paganus  ver- 
band, aber  nicht  überall  zur  Verwendung  für  "EX^rjv,  'EXXriviQ  geeignet 
erscheinen  liefs.  [vgl.  jetzt  ESchröder  GGA  1917,  376ff  u.  Braune  PBBeitr. 
43,  428ff.  haipiicisks  und  ludaiwisks  klingen  vielleicht  nur  zufällig  zu- 
eammen.  ich  bin  geneigt  beide  für  zaghaft  gewagte  bildungen  der  basen 
haißi-,  ludai-  zu  halten,  wobei  sich  w  als  übergangslaut  'spontan'  ein- 
stellte. —  correcturnote,] 

^  vgl.  jedoch  auch  dazu  nun  Braune  aao.  s.  436  ff. 

Jena.  Victor  Michels. 


BÜUG     ÜHKl;     BUGGE  OLSKN,     NOKQES    INUSKIUKI  KK  \Mi 

Norfcesindakrifterindtil  reforiiiaticinen.  u(l;,nvnc  fordet  Noreke 
historiakc  kildcskriftfond.  forste  afdt-l inj,':  Ni.rfjcs  iiidskriftcr 
med  do  a^^ldre  runor.  udi^ivnc  vcd  Sophiis  Hii<r^'e.  iiidk-driinp 
Runeskriftcns  oprindolse  o^  a-Idsto  hisKirie:  X,  J'JJ  ss.  bd  I 
VIII,  45S  SS.  —  bd.  2,  hbd.  1  vcd  Sopliiis  l{ii»jrir»'  med  bistand 
af  Jlugnus  Olsen:  s.  4.M»-.V.I5.  -  bbd.  2  ved  Ma^rmis  Ols.-n: 
B.  .1%— 747.  —  bd.  •^  ved  Soplius  Hiisrifc  i,<i  Ma^Miiis  <Hs.'ii. 
h.  1:  7(>  SS.  (^hristiania,  A    \V.  JJr.tgijer.s  l)o;,'tr}kkori,  Ib'.il      l'JIT 

Die  im  jähre  1891  von  Soplius  Bugge  begonnene  und  narli 
dessen  am  8  juli  1907  eingetretenem  tode  von  seinem  mitarbeitor 
Magnus  Olsen  fortgeführte  herausgäbe  der  in  älteren  runen  ab 
gefassten  inschriften  Norwegens  nähert  sich  jetzt  ihrem  abschiusse. 
es  steht  blofs  noch  das  bereits  unter  der  presse  befindliche  letzte 
heft  des  letzten  bandes  aus,  welches  einige  allgemeine  bemerkungen 
sowie  berichtigungen  und  zusätze  nebst  registern  bringen  soll,  in 
welchem  aber  den  deutschen  lesern  eine  geographische  karte  über 
die  locahsierten  funde  auch  recht  willkommen  wäre. 

In  der  langen  zeit  über  die  sich  die  drucklegung  hingezogen, 
sind  nicht  nur  manche  inschriften  erst  entdeckt  worden,  die  in 
nachtragen  auf  verschiedene  hefte  verteilt  sind,  sondern  von  1S91 
bis  1907  hat  Bugges  beweglicher  geist  in  vielen  puncten  — 
manchmal  leider  zum  schlechteren  —  umgelernt  und  sogar  den 
anlageplan  des  ganzen  verändert,  da  hierzu  die  Veröffentlichung 
von  hinterlassenen  nicht  allein  ausarbeitungen,  sondern  auch  ent- 
würfen und  notizen,  ferner  die  durchaus  selbständige  Olsensche 
fortsetzung,  welche  Bugges  rücksciiritte  stellenweis  nicht  gutheifst, 
stellenweis  sogar  ignoriert,  und  von  arcliäologischer  seite  eine 
besondere  revision  der  inschriftendatierung  kommen,  ist  es  eben 
60  begreiflich  wie  bedauerlich,  dass  das  werk  vielfach  an  Unüber- 
sichtlichkeit, Unstimmigkeit  und  abgebrochenheit  leidet. 

Es  zerfällt  in  einen  190')  — 19i;5  erschienenen  einleitungs- 
band,  der  dem  Ursprung  und  der  ältesten  geschichtc  der  runen- 
schrift  gewidmet  ist,  und  drei  numerierte  bände,  von  diesen  enf 
halten  die  ersten  beiden,  mit  gemeinsamer  seitenzähUing  versehen, 
das  eigentliche  corpus  der  inschriften  nebst  mehreren  excursen, 
weiterhin  mitteilungen  über  steine  die  wider  vei'schwunden  sind, 
ohne  dass  ihre  möglicherweise  in  älteren  runen  abgefassten  in- 
scliriften  abgezeichnet  oder  gelesen  wurden,  nachrichtcn  über  aolclie 
inschriften.  die  nicht  als  hergeh(irig  anzuerkennen  und  ausg(\schlns.st'n 
geblieben  sind,  und  eine  menge  sogenannter  beriohtii,Mingen  und 
Zusätze.  der  dritte  band  bietet,  soweit  er  bis  jetzt  vorliegt, 
'Arkeologiske  tidsbestemmelser  av  a'ldre  norske  runcintiskrifter* 
von  Haakon  Schetelig  aus  dem  jähre  1914.  von  den  in  bd.  1 
und  2  als  nrr  1 — 54  behandelten  runischen  gegenständen  erörtert 
Schetelig  hier,  meist  sehr  ausführlicli  und  mit  reicher  bildlicher 
veranschaulicliung.  21  und  in  bd.  2,  8.  71'.»— 721  einen,  dessen 
Inschrift  erst  191.")  entdeckt  worden  ist;  die  übrigen,  darunter  so 
interessante   steine  wie  die  von  Tune,    von  Opedal.   von   l>y,   tiiud 


134  BUKG    ÜBER    BUfUxE  OLSEN 

archäologisch  nicht  datierbar,  von  den  datierbaren  stücken  ist 
am  ältesten  die  Speerspitze  von  Idvre  Stabu.  Biigge  setzte  sie, 
noch  Indledning  s.  206,  ins  4  Jahrhundert  n.  Chr.,  aber  Schetelig 
zufolge  rührt  das  grab  in  dem  sie  gefunden  ist,  aus  dem  Schlüsse 
des  2  Jahrhunderts  n.  Chr.  her.  die  Speerspitze  trägt  eine  sicher 
runische  inschrift.  mag  diese  bedeuten  was  sie,  und  graviert 
sein  wo  sie  will,  so  widerspricht  ihr  Scheteligscher  terminus  ante 
quem  schroff  Bngges  schon  1898  vorgetragenem  und  im  ein- 
leitungsbande  festgehaltenem  resultate,  dass  die  runenschrift  bei 
den  Goten  am  Schwarzen  meere  kurz  nach  ihrem  267  ausgeführten 
zuge  nach  Galatien  und  Kappadokien,  also  etwa  um  das  jähr  270, 
überhaupt  erst  aufgekommen  sei. 

Nach  B.  sind  die  ursprünglichen  24  runen  bald  unveränderte, 
bald  mehr  oder  weniger  veränderte  teils  lateinische,  teils  griechische 
buchstaben.  die  runennamen  sind  nach  ihm  von  hause  aus  in 
gotischem  dialekte  festgelegt,  aber  die  meisten  von  ihnen  mit 
gröfserer  oder  geringerer  Sicherheit  zu  betrachten  als  umdeutungen 
bald  aus  als  buchstabennamen  erhaltenen,  bald  aus  vorauszu- 
setzenden teils  armeni-schen,  teils  georgischen  namen  der  griechischen 
buchstaben  durch  einen  Goten,  dem  diese  namen  von  einem  kriegs- 
gefangenen  sowol  galatisch  wie  armenisch  sprechenden  kappa- 
dükischen  Armenier  - —  das  scheint  B.s  letzte  zurechtlegung  ge- 
wesen zu  sein  —  mitgeteilt  waren,  einem  oder  eben  diesem 
Armenier  sollen  die  runen  auch  ihre  mit  fnpark  beginnende  feste 
reihenfolge  und  mit  Wahrscheinlichkeit  die  teilung  in  3  gruppen 
von  je  8  runen  verdanken,  die  letzten  beiden  puncte  auszuführen 
ist  jedoch  B.  nicht  mehr  vergönnt  und  Olsen  unmöglich  gewesen, 
die  runen,  ihre  feste  reihenfolge,  ihre  drei  gruppen  und  ihre  namen 
sind  von  den  Goten  einerseits  zu  den  Nordgermanen,  andererseits 
zu  den  Westgermanen  —  weder  durch  die  Nordgermanen  zu  den 
Westgermanen  noch  durch  die  Westgermanen  zu  den  Nordger- 
manen —  gelangt,  die  hauptrolle  bei  der  Übertragung  in  den 
skandinavischen  norden,  ja  bei  der  dortigen  fortpflanzung  der 
runenschrift  durch  viele  Jahrhunderte  hindurch  sollen  gewisse  vor- 
nehme erulische  familien  gespielt  haben,  wie  verlockend  manches 
argument  B.s  auch  klingt,  so  kann  doch  kaum  die  hälfte  von  alle- 
dem als  einigermafsen  gesichert  gelten. 

Auch  die  interpretation  der  Inschriften  in  bd.  1  und  2  lässt 
selbstverständlich  für  viele  und  schwere  bedenken  räum,  ja  wenn 
man  O.v.P'riesens  lesung  und  Übersetzung  des  Tuner  Steines  im 
Reallexikon  der  germ.  altertumskunde  bd.  iv  s.  14  a  mit  denen 
B.s  vergleicht,  oder  wenn  man  B.s  verzweifelte  besprechungen 
des  Steines  B  von  Torviken  liest  und  dabei  noch  bedenkt,  dass 
B.  dessen  inschrift  um  725  datiert,  Schetelig  dagegen  die  grab- 
karamer  in  die  der  stein  verbaut  worden,  für  keinesfalls  jünger 
als  600  erklärt,  so  möchte  man  meinen,  dass  hier  probleme  vor- 
liegen,  die  noch   lange  nicht   zur  ruhe  kommen  werden,     am  er- 


NOKGES    INDSKRIFTER    MED    DE    ALDKK    lUJNER  135 

freuliebsten  wirkt  an  diesen  beiden  bänden  Olsens  selbstündij^er 
beitrag,  besonders  die  deutunp:  der  von  ihm  schon  früher  be- 
handelten inschriften  von  Nordhuglen,  Gjei-svik,  Fhtksand  und 
Str0m.  obwol  auch  hier  manches  noch  fragwürdig?  bleibt  und 
einiges  sogar  zum  widersprucli  lierausfordert ',  liat  Olsen  dxs  Ver- 
ständnis der  magischen  inscliriften  erheblich  gefördert  und  uns 
einen  tiefen  einblick  in  den  heidnischen  runenzauber  eröffnet. 

'  einen  geradezu  komischen  enulruck  macht  es,  wenn  Olsen  s.  (125, 
fufsn.  3  das  aus  der  inschrift  des  Kragehnler  lanzenscliaftes  ausccsonderte 
vermeintliche  wort  muha  mit  dem  deutscheu  verbuni  mofieln  in  etymo- 
logischen Zusammenhang  bringt  und  dies  verbum  obendrein  nicht  aU  deutKcli, 
sondern  als  ostfriesisch  anführt. 

Bergedorf   1.  10.  18.  Pr.  iJurtr 


Deutsche  lautlehrc  von  dr  Otto  Bremer,  professor  an  der  Uni- 
versität Halle.  Leipzig,  Quelle  &  Mever  1918.  viii  u.  100  ss. 
8".  —  2  m.  (geb.  3.50  m. 

Bremer  hat  auf  engem  räum  einen  grofsen  stoff  zusammen- 
gedrängt, die  paragraplien  sind  in  drei  absclniitte  gegliedert: 
ausspräche,  herkunft,  rechtschreibung:  dh.  'lautlelii-e'  ist  sowol 
im  phonetisch-beschreibenden  wie  im  historisclien  sinne  zu  nehmen, 
und  hinzu  tritt  noch  die  lelire  von  der  Schreibung,  die  liisto- 
risclien  abschnitte  führen  die  laute  der  heutigen  spräche  bis  ins 
idg.  zurück,  und  die  lautbeschreibung  beiücksichtigt  in  aus- 
gedehntem mafse  auch  die  mundarteu.  diese  Vereinigung  von 
reichtnm  des  Inhalts  und  knappheit  der  darstellung  ist  eine 
kunst  die  nicht  jeder  trifft,  ich  schätze  sie  an  B.  und  mache 
es  ihm  nicht  zum  voiwurf,  dass  er  hin  und  wider  sein  ziel  nicht 
erreicht  hat.  denn  in  einer  neuen  aufläge  künmn  gewisse  Un- 
klarheiten des  ausdrucks  leicht  getilgt  werden,  ich  fülire  fol- 
gendes an:  s.  4  wird  gelehrt,  dass  im  niittelalter  mitunter  lauge 
vocale  vor  consonantengruppen  gekürzt  werden;  bei  eiuem  neben- 
einander von  länge  und  küize  im  selben  wortstamm  sei  gewöhn- 
lieh  die  länge  verallgemeinert  worden,  als  erstes  beispiel  wird 
gegeben  'Hühner  nach  dem  voibilde  von  Huhn,  ich  weifs  wol 
was  B.  da  meint,  bezweifle  aber,  dass  alle  leser  es  erraten 
werden,  misglückt  sind  Wendungen  wie  (s.  r>8)  'der  ganz  vtT- 
schiedenen  herkunft  der  mediae  ist  nur  das  gemeinsam,  dass  sie 
bereits  im  mittelalter  mit  den  buchstaben  b.  d  und  (/  geschriebfu 
werden';  (s.  H2)  'in  einigen  fällen  ist  unser  d  aus  älterem  /  ent- 
standen, nämlich  a)  in  der  Verbindung  iid ,  in  der  es  teils  der 
unter  2.  genannten  herkunft  ist,  zb.  in  MumK  teils  im  mhd.  aus 
ahd.nt  entstanden  ist,  zb.  in  IViiuhe)...  b)  in  den  Verbindungen 
rd  und  Id  in  einigen  Wörtern,  in  denen  das  d  gleichfalls  teils  der 
unter  2.  genannten  herkunft  ist,  zb.  in  werden  und  Gold,  teils  ur- 


136  JEt,LINBK    ÜBER    BREMEK 

sprüngliches  t  endgültig  erst  im  18  Jahrhundert  durch  d  verdrängt 
hat:  Herde  .  .  /;  (s.  88)  'in  Süddeutschland  wie  in  den  Nieder- 
landen gilt  in  bestimmten  fällen  die  scharfe,  in  anderen  die 
sanfte  ausspräche  (nämlich  des  /'),  die  erstere  da,  wo  im  ndld. 
p  und  /■  die  letztere,  wo  im  ndld.  v  geschrieben  wird\  was 
meint  B.  mit  der  bemerkung  (s.  69),  dass  k  vor  r  unverschoben 
bleibe?  an  die  anlautsverbindung  Ar  kann  er  nach  andern  stellen 
zu  schliefsen  nicht  wol  denken. 

Eine  neue  aufläge  wird  vielleicht  auch  eine  gewisse  nn- 
gleichmäfsigkeit  in  der  auswahl  des  Stoffes  beseitigen  können. 
B.  berücksichtigt  nicht  nur  die  hd.  normalaussprache,  sondern 
auch  verschiedene  Spielarten  der  Umgangssprache,  hier  scheint 
mir  ZU  viel  oder  zu  wenig  geboten  zu  sein,  wenn  s.  2  über 
eine  an  der  nordseeküste  und  bis  Vorpommern  vorhandene,  heute 
im  rückgang  begriffene  ausspräche  der  Verbindung  kurzer  vocal, 
r,  consonant  berichtet  wird,  so  hätten  andere  tatsachen  das 
gleiche  recht  auf  berücksichtigung  gehabt,  es  ist  begreiflich, 
dass  B.  die  ihm  vertrauten  phoneme  in  den  Vordergrund  treten 
lässt;  mitunter  bezeichnet  er  aber  eine  ihm  geläufige  ausspräche 
als  die  normale,  die  es  nicht  ist,  weder  mit  dem  mafsstab  der 
bühnensprache  noch  mit  dem  der  gebildeten  Umgangssprache  im 
Süden  gemessen. 

Nach  der  definition  s.  1  sind  "enge'  und  "weite  vocale' 
relative  begriffe,  wie  kann  da  s.  2  gesagt  werden,  dass  a  stets 
weit  sei?  — ^  s.  2  wird  gelehrt,  dass  'nach  der  bei  uns  als 
mustergültig  geltenden  norddeutschen  ausspräche'  die  langen 
vocale  aufser  a  stets  eng  seien,  auch  e;  s.  19f  heifst  es  da- 
gegen, dass  es  auch  ein  mit  dem  buchstaben  ä  geschriebenes 
langes  weites  e  gehe,  das  zwar  der  norddeutschen  Umgangs- 
sprache auch  der  ersten  gesellschaftskreise  fehle,  aber  gleichwol 
für  die  gehobene  spräche  im  Vortrag  und  gesang  als  normal- 
deutsch gelte,  hier  ligt  ein  Widerspruch  vor.  der  der  aus- 
gleichung  bedarf. 

Über  die  Chronologie  des  germanischen  lautwandels  und  die 
entstehung  der  nhd.  lautform  lehrt  Bremer  vielfach  neues,  ori- 
ginelles, ich  würde  sehr  gern  dazu  Stellung  nehmen,  rauss  dies 
aber  aus  zwei  gründen  unterlassen,  erstens  war  es  Bremer 
natürlich  unmöglich,  im  rahmen  seiner  schrift  den  beweis  für 
seine  behauptuugen  vorzulegen,  zweitens  bin  ich  nicht  in  jedem 
einzelnen  fall  sicher,  einer  wolerwogenen  theorie  gegenüber- 
zustehn;  denn  nicht  ganz  vereinzelt  finden  sich  sätze,  die  nur 
so  zustande  gekommen  sein  können,  dass  B.  dinge  die  er  ganz 
gewis  sehr  gut  kennt,  sich  augenblicklich  nicht  vergegenwärtigt 
hat.  so  sagt  er  s.  11,  noch  Luther  habe  das  dehnungs-Ä  (wozu, 
nebenbei,  B.  auch  die  h  in  gehen  und  ziehen  rechnet)  nicht  ge- 
kannt. —  nach  s.  19  hätte  unsere  Schriftsprache  die  einsilbigkeit 
und   flexionslosigkeit   des   englischen   erreicht,   wenn   die   e- losen 


DEUTSCHK    LAUTLKIIRK  137 

Süddeutscheu  sprachformen  durchgedrungen  waren.  —  darüber 
dass  das  ö  in  er  gösse  nicht  aus  einem  langen  ahd.  und  mhd. 
ö  gekürzt  worden  ist  (s.  24),  dürften  wir  ddch  einig  sein.  — 
nach  s.  33  wechselte  seit  ende  der  vülkerwanderung.szeit  au  mit 
umgelautetem  äu.  unter  den  beispielen  auch  Frau  :  Fräulein, 
Haus  :  Häuser,  Maus  :  Mäuse,  Sau  :  säuisch,  das  kann  nur 
ein  lapsus  memoriae  vel  calanii  sein,  denn  wenige  Zeilen  vorher 
bilden  Maus,  Sau  heispiele  für  den  lautwandel  ü  zu  <iu,  und 
s.  35  wird  Fränlein  auf  mhd.  cw,  das  aus  uw  umgelautet  sei, 
zurückgeführt  und  Häuser  ist  da  ein  beispiel  für  äu  =  mhd. 
iu  Umlaut  von  «.  —  B.  glaubt  auch  gewis  nicht  im  ernst  dass 
das  eu  von  Freund  und  heute  fortsetzung  eines  ahd.  und  mhd. 
Zwielauts  iu  sei,  der  zu  beginn  unserer  Zeitrechnung  aus  idg.  r« 
entstanden  ist  (s.  35).  —  nach  s.  43  soll  der  nicht  silbebildende 
i-laut,  soweit  wir  ihn  g  schreiben  (Könige,  ew'ge)  die  t- aus- 
spräche wol  schon  seit  ahd.  zeit  gehabt  haben,  und  auf  der- 
selben Seite  wird  die  (/-Schreibung  in  Bräutigam,  Könige,  <  ir'ge 
so  erklärt,  dass  man  im  mittelalter  der  ausspräche  des  latein 
folgend  g  vor  e  und  i  setzte.  15.  hat  offenbar  nicht  daran  gt-- 
dacht,  dass  König  im  ahd.  kuning  lautet,  dass  Könige  aucli  auf 
kuninga  und  kuningo  zurückgeht  und  in  Bräutigam  das  g  nie- 
mals vor  e  oder  i  stand.  —  nach  s.  lOd  soll  ch  im  ahd.  wie 
kch  zu  sprechen  sein,  die  buchstabenverbindung  habe,  hh  ver- 
drängend, den  nhd.  lautwert  erst  ei halten,  nachdem  in  der 
Schweiz  kch  zu  ch  geworden  sei.  B.  liat  sich  liier  nicht  an  die 
Zusammenstellungen  von  Braune  Ahd.  gramm.  §  145  anm.  1  er- 
innert, denn  ich  kann  nicht  annehmen,  dass  er  etwa  Otfiid  nicht 
in  die  ahd.  periode  setzt. 

Unter  diesen  umständen  vermag  ich  es  auch  nicht  zu  be- 
urteilen, wenn  sich  Bremer  nicht  ganz  selten  in  seinen  angaben 
über  heutige  mundarten  in  Widerspruch  setzt  mit  den  Verfassern 
von  specialarbeiten,  ich  weifs  nicht,  ob  er  ihnen  nicht  glaubt 
oder  ob  er  sie  nicht  berücksichtigt  hat. 

Wien,  24  September   1018.  31.  li.  .hlliiick. 


Der  Erlöser  in  der  wiege,  oin  l)eitrag  zur  deutschen  v<ilks»agen- 
forschung  von  Friedrich  Ranke.  Münclicn,  Beck  l'.MI.  78  ss. 
8".  —  2  ra. 

Es  gibt  kaum  eine  giüisere  Sammlung  deutscher  vcdkssagen. 
in  der  nicht  aus  einem  oder  nielireren  orten  von  vensucliicr  er- 
lösung  jener  'weifsen  frau'  erzählt  würde,  die  allenthaibfn  in 
verfallenen  schlossern  unseres  laiidos  sich  zeigt,  in  vielen  difser 
sagen  bejammert  die  verwünschte  das  mi.slingen  der  eri.isuiig 
mit  der  lauten  klage,  es  müste  nun  erst  wider  ein  bäum  auf- 
wachsen und  aus  seinen  brettern  eine  wiege  geschnitten  werden: 

A.  F.  D.  A.     XXXVIII.  Hl 


138  PANZEß    ÜBER    EA.VKE 

erst  das  kind,  das  in  der  wiege  schaukle,  könne  sie  erlösen, 
dies  motiv  vom  'Erlöser  in  der  wiege'  macht  R.  zum  gegen- 
ständ seiner  Studie,  schon  Jacob  Grimm  war  eine  beziehung 
zur  Adams-  und  kreuzesholzlegende  aufgefallen,  K Weinhold 
hatte  bestimmter  behauptet,  der  sagenzug  leite  aus  der 
legende  sich  her,  R.  sucht  den  beweis  dafür  zu  erbringen,  die 
abhandlung  ist  sehr  gründlich  und  scharfsinnig  und  von  nicht 
geringem  methodologischem  Interesse  als  einer  der  sehr  wenigen 
versuche,  unserer  volkssage  zunächst  mit  litterarischer  forschung 
beizukommen,  statt  wie  das  gewöhnlich  zu  gehu  pflegt,  sogleich 
eine  mythische  deutung  ins  blaue  hinein  zu  versuchen,  ihre  auf- 
stellungen  freilich  kann  ich  weder  im  ganzen  noch  in  der  mehr- 
zahl  der  einzelheiten  für  richtig  halten  und  darf  mir  erlauben 
ein  wort  darüber  zu  sagen. 

Die  Kreuzesholzlegende  in  ihrer  geläufigsten  fassung  besagt: 
Seth,  vom  sterbenden  Adam  ins  paradies  geschickt  ihm  das  öl 
der  barmherzigkeit  zu  holen,  erhält  durch  den  engel  drei  Samen- 
körner vom  paradiesesbaum.  die  legt  er  dem  toten  Adam  unter 
die  zunge,  und  es  entkeimen  daraus  drei  ruten,  die  zu  einem 
bäume  zusammenwachsen,  aus  seinem  holze  wird  schliel'slich 
nach  mancherlei  Schicksalen  das  kreuz  gezimmert,  an  dem  der 
Herr  für  die  sündige  raenschheit  stirbt. 

In  dieser  form  steht  die  legende  von  unserer  volkssage 
nach  sinn  und  Inhalt  weit  genug  ab.  nur  einige  äufsere  einzel- 
heiten treffen  da  und  dort  zusammen.  R.  bemerkt  sehr  richtig, 
dass  solche  vereinzelte  Übereinstimmungen  leicht  auf  blofser 
motivübertragung  beruhen  könnten;  solle  die  ableitung  des  sagen- 
schlusses  aus  der  legende  für  erwiesen  gelten,  so  müsten  die 
mittelglieder  aufgezeigt  werden,  die  beide  verbinden,  ihrem 
nachweise  widmet  er  den  hauptteil  der  Untersuchung;  sein  ge- 
dankengang  ist,  ein  wenig  umgeordnet,  in  kürze  dieser: 

Die  Kreuzesholzlegende  hat  im  mittelalter  eingang  gefunden 
in  den  bekannten  Descensus  ad  inferos  des  Evangelium  Nicodemi. 
Heinrich  vHesler  lässt  nämlich  in  seiner  bearbeitung  des  evan- 
geliums  den  Adam  in  der  vorhölle  seinen  söhn  Seth  statt  vom 
öle  der  barmherzigkeit  wie  im  lateinischen  texte  und  seinen 
sonstigen  bearbeitungen,  die  geschieh te  vom  kreuzesholze  er- 
zählen, vermutlich  wird  diese  naheliegende  Verbindung  der 
legende  mit  dem  Descensus  schon  vor  Hesler,  schon  zu  anfang 
des  13  jh.s  vorhanden  gewesen  sein,  aus  einer  solchen  misch- 
erzählung  muss  noch  in  der  ersten  hälfte  dieses  jh.s  eine  geschichte 
geflossen  sein  folgenden  inhalts:  es  hörte  jemand  eine  seele  im 
fegefeuer  jauchzen,  als  grund  ihrer  freude  gab  sie  an,  dass 
eben  der  bäum  entkeimt  sei,  aus  dem  s.z.  das  kreuz  gezimmert 
werden  solle,  daran  ihr  erlöser  unschuldig  sterben  würde,  diese 
erzählung  ist  wol  nirgends  überliefert,  aber  ihr  einstiges  Vor- 
handensein   ist    mit   uotwendigkeit   zu  erschliefsen  aus  einer  er- 


DER    EKLÖ.SEl!    IN     I)i;j{     WIKGK  139 

Zählung  im  Bienenbiiche  des  Thoraas  von  Chautimprc  (um  12G0), 
-  es  hörte  jemand  eine  seele  im  feg-efeuer  jauchzen,  weil  eben 
der  knabe  geboren  sei,  der  einst  als  priester  sie  durch  seine 
primizmesse  erlösen  werde  — ,  verglichen  mit  alpenländischen 
volkssagen  unserer  zeit,  nach  denen  jemand  eine  arme  seele 
jauchzen  hört,  weil  eben  der  bäum  entsprossen  sei,  dessen  holz 
geben  werde:  eine  wiege  für  den  priester,  der  durch  seine 
primizmesse,  oder  einen  sarg  für  das  kind,  das  durch  seinen  tod 
sie  erlösen  würde.  Thomas  und  die  neueren  volkssagen  lassen 
erkennen,  dass  jene  nicht  mehr  erhaltene  grundlorm  der  arme- 
seelengeschichte  frühzeitig  durch  vergessen  und  umwandeln  ein- 
zelnei-  züge  umgestaltet  wuide;  der  vert.  unterscheidet  wesent- 
lich 3  formen  solcher  verschiedenen  ausprägungen.  ans  der 
armeseelengeschichte  gieng  dann  das  bauni-wiegenmotiv  in  die 
sagen  von  der  erlösung  der  weifsen  frau  über,  uzw.  widerholt 
und  au  verschiedenen  orten,  da  man  einwirkung  zweier  ver- 
schiedener ausprägungen  der  armeseelengeschichte  in  der  sage 
beobachten  kann. 

Dieser  gedankengang  unterligt  nun  augenscheinlich  schweren 
bedenken,  unter  all  den  zahlreiclien  bearbeitungen  des  evan- 
gelium  Nicodemi  in  den  Volkssprachen  des  abendlandes,  die 
Wülckers  bekannte  Zusammenstellung  übeiblicken  lässt,  begegnet 
die  einführung  der  Kreuzesholzlegende  ausschliefslich  bei  Hesler. 
dann  erst  wider  in  späten  dramatischen  bearbeitungen ;  die 
Vermischung  erscheint  also  innerhalb  einer  sehr  reichen  Über- 
lieferung vereinzelt  und  nicht  vor  dem  ende  des  13  jli.s.  weiter 
bietet  Thomas  vChantimprö  für  die  vom  verf.  hergestellte  ai-rae- 
seelengeschichte  den  weitaus  ältesten  beleg,  und  doch  soll  bei 
ihm  das  hauptmotiv  der  formulierung,  das  aufwachsen  des  krenz- 
baumes,  vollständig  vergessen  und  an  seine  stelle  die  gebui't  des 
priesters  getreten  sein,  dessen  primizmesse  die  seele  erlösen  wird, 
und  dasselbe  wäre  in  der  schwerlich  aus  Thomas  geflossenen  er- 
zählung  der  hs.  von  SFlorian  aus  dem  14  jh,  sowie  in  Paulis 
Schimpf  und  Ernst  geschehen,  während  die  volkssagen  unserer 
zeit  das  motiv  treulich  bewahrt  hätten,  nun  sind  gewis  solche 
Wunderlichkeiten  in  der  Zeitfolge  nicht  ungewöhnlich,  es  gilt  nur 
sie  mit  einleuchtenden  gründen  walirscheinlioli  zu  machen,  sind 
hier  solche  gründe  vorhanden?  was  vor  allem  zwingt  uns  denn 
anzunehmen,  dass  jene  armeseelengeschichte,  die  Thomas,  die  hs. 
von  SFlorian  und  Pauli  erzählen,  jemals  überhaupt  anders  ge- 
lautet habe  als  sie  lautet,  was  anzunehmen,  dass  in  ihr  jemals 
das  baummotiv  eine  rolle  gespielt  habe?  aus  ihr  selbst  heraus 
lässt  sich  das  jedenfalls  in  keiner  weise  einleuchtend  machen 
und  die  parallele  der  licitigen  volkssagen  kann  nicht  zu  K.s 
schluss  zwingen,  dafüi-  ist  die  Thomasgeschichte  in  zu  tadel- 
loser Ordnung,  denn  eine  nähere,  innigere,  in  den  lehren  der 
kirche    begründetere  gedankenverknüpfung  als  die,   dass  die  er- 

10» 


140  PANZER    ÜBER    RANKE 

lösung  einer  armen  seele  aus  dem  fegefeiier  durch  eine  messe 
bewirkt  wird,  wird  sich  schwerlich  aufzeigen  lassen,  dagegen 
liefse  sich  ohne  weiteres  und  ohne  Schwierigkeit  verstehn,  dass 
in  die  alpenländischen  volkserzählungen  von  der  jubilierenden 
seele  aus  den  im  gleichen  volksmunde  umlaufenden  erlösungs- 
sagen  das  auch  seiner  inneren  form  nach  ganz  und  gar  un- 
legendarische,  ganz  und  gar  deutschvolkstümliche  baum-wiegen- 
motiv  nachträglich  eingedrungen  und  der  Thoraaslegende  auf- 
gepfropft wäre,  entscheidend  aber  ist  endlich  dies,  dass  eine 
geschichte  wie  die  von  R.  hergestellte  m.  e.  undenkbar  ist.  eine 
arme  seele  sollte  darüber  jauchzen,  dass  der  same  zum  kreuzes- 
holz  gelegt  ist,  an  dem  ihr  erlöser  sterben  wird?  dieser  erlöser 
könnte  natürlich  nicht  ein  beliebiger,  sondern  niemand  anders 
sein  als  Christus,  zu  dessen  kreuze  ist  aber  nach  eben  der 
legende  die  hier  benutzt  sein  soll,  der  same  ja  von  des  ersten 
menschen  söhn  schon  gelegt  worden  längst  ehe  es  arme  seelen 
gab,  und  ebenso  ist  die  annähme,  dass  eine  arme  seele  durch 
Christi  opfertod  erlöst  würde,  eine  nach  den  lehren  der  kirche 
wie  nach  dem  Volksglauben  gleich  unmögliche  Vorstellung,  so 
untadelig  also  die  überlieferte  erzählung  des  Thomas  ist,  so  un- 
denkbar ist  die  von  R.  angenommene  grundform,  aus  der  sie 
entstellt  sein  soll. 

Damit  fallen  denn  die  von  R.  angenommenen  Zwischen- 
glieder zwischen  der  legende  und  den  sagen  von  der  weifsen 
frau  weg,  und  wir  stehn  wider  wo  wir  waren:  hier  die  volks- 
sage,  dort  die  legende,  jede  mit  völlig  anderem  sinn  und  anderer 
richtung,  aber  verwantschaft  in  einzelheiten.  wie  hat  man  sich 
dies  Verhältnis  zu  deuten? 

Dass  die  wendung  der  sage  vom  erlöser  in  der  wiege  ein- 
fach aus  der  legende  entlehnt  sein  sollte,  ist  nicht  glaubhaft; 
dazu  ist  der  sinn  des  motivs  in  der  sage  von  dem  der  legende 
zu  verschieden,  der  sinn  des  sagenmotivs  ist  der  jamraer  der 
verwünschten:  so  lange  noch  muss  ich  warten!  in  den  einzelnen 
sagenfassungen  wird  dieser  gedanke,  diese  Stimmung  verschieden 
ausgedrückt,  einige  fassen  sie  ganz  nüchtern  in  zahlen:  nun 
muss  ich  wider  25,  wider  lUO  jähre  warten,  bis  jemand  mich 
erlösen  wird,  andere  fassungen  wählen  eine  sinnlich  dichterische 
Umschreibung:  so  lange  bis  der  bäum  erwachsen,  die  wiege  ge- 
schnitten, das  knäblein  darin  geschaukelt  sein  wird;  das  Zwischen- 
glied bieten  Wendungen  wie  etwa  bei  Schambach-Müller  Nieder- 
sächsische sagen  s,  93,  105,  132:  nun  wird  erst  in  100  jähren 
wider  einer  geboren,  der  mich  erlösen  kann.  R.  hat  nun  in 
beachtenswerten  ausführungen  s.  18  ff  allerdings  dargetan,  dass 
die  angaben  der  volkssage  vom  erlöser  in  der  wiege  nicht  eben 
logisch  sind,  denn  es  wird  weder  klar,  woher  die  verwünschte 
diese  bedingungen  erfahren  hat,  noch  ob  auch  jeuer  erlöser,  der 
eben    versagt    hat,     etwa    schon    unter    gleichen    bedingungen 


dp;k   kkloski!   in   der  wikgk  141 

geboren  war.  aber  es  fragt  sich  wol  grundsätzlich,  ob  die  von 
unserem  verf.  auch  s.  73  erhobene  forderuiig:  'für  die  erste 
fassung  einer  sage  wird  stets  logische  einheitlichkeit  zu  postu- 
lieren sein'  mit  dem  wesen  der  sage  als  dichtung  denn  über- 
haupt verträglich  sei.  aus  der  erfahrung  ist  dieser  satz  jeden- 
falls nicht  geschöpft,  und  man  wird  gewis  fragen  dürfen,  warum 
denn  die  urform  einer  sage  notwendig  logischer  gewesen  sein 
müsse  als  alle  die  zahllosen  unlogischen  formen,  die  nach  aus- 
weis  der  Sammlungen  in  kojif  und  mund  so  vieler  Volksgenossen 
leben  und  befriedigt  weiter  gereicht  werden?  wird  nicht  dei- 
sagenforscher,  statt  auf  jener  'logischen  einheitlichkeif  des  ge- 
samten auf  bans  zu  bestehn,  vielmehr  nur  fragen  dürfen,  ob 
das  motiv  an  seiner  stelle  den  erkennbar  gewünschten  zweck 
erfülle,  und  nur  wenn  dies  nicht  der  fall  ist,  mit  Wahrschein- 
lichkeit auf  Störungen  raten  dürfen?  der  sinn  und  zweck  unserer 
eigentümlichen  wendung  vom  bäum  und  der  wiege  ist  nun  deutlich 
auf  nichts  anderes  gerichtet,  als  —  dem  ausgesprochen  tragischen 
grundzuge  unserer  gesamten  sagenweit  durchaus  angemessen  — 
das  tragische  des  mislingens  der  versuchten  erlösung  umso  leb- 
hafter und  empfindlicher  erscheinen  zu  lassen,  indem  nun  der 
nächste  versuch  einer  erlösung  auf  undenklich  lange  zeit  hinaus- 
geschoben wird:  ein  sinn  und  zweck,  Ben  das  baum-wiegenmotiv 
offenbar  trefflich  erfüllt,  wie  sehr  die  aufmerksamkeit,  wie  sehr 
alle  gedanken  der  lebendigen  sagenträger  beim  durchdenken  und 
-empfinden  des  zuges  ausschliefslich  nach  dieser  seite  des  "wie 
lange  noch!"  gerichtet  Avaren,  das  beweisen  die  mancherlei  zu- 
taten und  kleinen  Umgestaltungen,  die  das  motiv  in  den  ein- 
zelnen fassungen  gefunden  hat.  sie  zielen  durchweg  darauf  hin, 
die  bedingungen  unter  denen  die  erlösung  aufs  neue  versucht 
werden  kann,  noch  schwerer  erscheinen  zu  lassen:  der  knabe 
muss  weifsp  oder  rote  haare,  einen  bestimmten  namen  haben, 
muss  ein  Sonntagskind,  söhn  einer  witwe  aus  zweiter  ehe,  einer 
von  drei  gleichzeitig  geborenen  knaben  sein,  er  soll  die  tat  am 
tage  seiner  confirmation,  mit  20  jähren  vollbringen,  oder  die 
eichel  daraus  der  bäum  erwächst,  muss  von  einem  hirsch  in 
den  boden  getreten  werden,  muss  von  einem  bt^stimmten  bäume 
fallen,  der  bäum  muss  an  bestimmter  schwieriger  stelle  wachsen, 
an  bestimmten  tagen  gehauen  werden  usw. 

Wie  alle  diese  kleinen  zutaten  unbezweiftlt  geschäftiger 
einbildungskraft  des  Volkes  aus  dem  bedürfnis  erwuchsen,  den 
überlieferten  grundgedanken  sinnlich  schmerzlicher  zu  machen. 
so  glaube  ich  zuversichtlich,  dass  auch  der  oinfall  selbst,  den 
blassen  gedanken  des  'solange  bis'  durch  das  baum-wieg.Mim<itiv 
sinnlich,  durch  gegenständ  und  handlung  auszudrücken,  irgend 
einem  erzähler  einmal  aus  freier  einbildun^rskraft  und  jenen 
dichterischen  bedürfnissen  und  fähigkeiten  erwuchs,  die  unsere 
sagenweit  überhaupt  geschaffen  hat.     wenn  es.  um  tMii   vorlreff- 


142  l'AKZER    ÜBI;K    HANKE,    DER    ERLÖSER    IN    DER    WIEGE 

liches  wort  Theodor  Storms  zu  gebrauchen,  das  wesen  des 
dichterischen  bildes  ist,  'einen  gedanken  in  scene  zu  setzen',  so 
ist  unsere  vvendung  allerdings  im  reinsten  sinne  poetisch,  sie 
ist  aber  schlieJslich  um  nichts  dichterischer,  sinnlicher,  lebendiger, 
als  so  viele  andere  züge  von  entzückender  Sinnlichkeit,  die 
unsere  rechtsquellen  auch  sonst  für  die  bezeichnung  räumlicher 
und  zeitlicher  mafse  aufzubringen  vermögen  (s.  etwa  JGrimm 
Kl.  sehr.  VI  170  ff),  um  nichts  erstaunlicher  als  die  wendung,  die 
der  bekannte  märchenkreis  von  der  gestörten  mahrtenehe  wählt, 
wenn  er,  zeit  und  mühen  des  langen  wegs  emptindbar  zu  machen, 
das  verlorene  elbische  lieb  nicht  eher  will  finden  lassen,  bis  der 
suchende  ein  paar  eiserne  stiefel  durchgetreten,  einen  eisernen 
wanderstab  abgelaufen  habe. 

Kann  ich  also  eine  ableitung  des  motivs  vom  Erlöser  in  der 
wiege  aus  der  Kreuzholzlegende  nicht  für  richtig  halten,  so  bin 
ich  doch  keineswegs  der  meinung,  dass  die  beiden  Überlieferungs- 
reihen  sich  überhaupt  nicht  berührt  hätten,  vielmehr  sind  ohne 
zweifei  aus  der  ja  weithin  bekannten  legende  einzelne  züge  ge- 
legentlich in  die  erlösungssage  aufgenommen ;  die  wenn  auch 
nur  äufserliche  gemeinsamkeit  des  baummotivs  rückte  die  beiden 
Überlieferungen  einander  nah.  so  stammt  zb.  die  gelegentliche 
dreiwipfeligkeit  des  baumes  oder  das  zusammenwachsen  dreier 
bäume  zu  einem  in  der  sage  klärlich  aus  der  legende,  da  nur 
dort  der  zug  in  der  richtung  des  gesamtmotivs  auf  das  (drei- 
armige)  kreuz  gelegen  ist. 

In  die  volkssage  von  der  jubilierenden  armen  seele  hin- 
gegen ist  das  baummotiv  nach  meiner  Überzeugung  erst  aus  der 
volkssage  von  der  weifsen  frau  hineingekommen,  die  ältere 
form  dieses  Stoffes  zeigt  das  predigtmärlein  bei  Thomas  und 
seinen  nachf olgern;  es  übernahm  das  baummotiv  aus  der  weifs- 
frauensage,  weil  deren  schluss,  in  innerlicher  gemeinsamkeit  mit 
ihr,  ebenfalls  auf  den  gedanklichen  grund  des  'solange  bis'  ge- 
baut war.  umgekehrt  muss  denn  auch  in  der  weifsfrauensage 
der  in  der  wiege  erwachsene  knabe  die  verwünschte  gelegentlich 
als  priester  durch  eine  messe  erlösen. 

Frankfurt  a.  M.  Friedrich  Panzer. 


Der  uiinuesäuger  üiltbolt  von  Schvvangau  von  Erich  Juethe. 
[Germanistische  abhandlungen,  begründet  von  K.  Weinhoki. 
hrsg.  V.  F.  Vogt.  44.  heft.]  Breslau,  Marcus  19 IH.  viii  u.  100  ss. 
h-".  —  ;j  m. 

Der  Urkunden  in  denen  ein  Hiltbolt  von  Schwangau  er- 
wähnt wird,  gibt  es  im  ganzen  8,  von  1179—1256;  und  so  ist 
auch  die  lebenszeit  des  dichters  teils  ausschliefslich  ins  12,  teils 
in    die    wende    des    12    und    13    Jahrhunderts    verlegt    worden. 


KKIM    ÜBER    JUETHE,    UlI/IIü  )T,T    VON    SCIIWANO  AU  143 

Jnethe  interpretiert  die  Urkunden  von  1221,  122S  und  12öei, 
in  denen  HvSch.  einmal  als  zeuge  bei  einem  graten  von  Tirol 
und  dann  bei  einem  gi-afen  von  Hirschberg  auftritt,  auf  grund 
der  von  Schulte  (Zs.  3<),  192  ff)  geschilderten  vt-rhältnissf  der 
ministerialen  zu  ihien  lehnsherren  mit  grofsei-  \valirscheinlichk«nt 
als  auf  denselben  mann  bezüglich.  1250  aber  ist  nach  dem 
Charakter  der  lieder  zu  spät  (s.  6),  1179  zu  früh  (s.  3).  es 
bestehn  demnach  über  den  dichter  HvSchw.  keine  urkundlichen 
Zeugnisse,  aus  seinen  gedichten  kann  lediglicii  entnommen  wer- 
den, dass  er  einen  kreuzzug  mitgemacht  hat.  die  gedichte  selbst 
sind  uns  in  der  hs.  C  in  49,  in  der  hs.  H  in  14  str(»phen  über- 
liefert, die  lücke  in  B  war,  so  weist  J.  überzeugend  nach, 
durch  die  Strophen  in  C  mit  ausnähme  von  10,  17  und  18  aus- 
gefüllt, diese  3  Strophen,  von  denen  A  2  (10,  IS)  überliefert, 
gehören  dem  markgrafen  vHohenburg.  Strophe  ){  und  4,  von  den 
früheren  bearbeitern  mit  Strophe  1  und  2  zu  (Muera  lied  ge- 
rechnet, trennt  J.  als  selbständiges  lied  ab.  in  I>  fehlen  aufser 
diesen  Strophen  in  der  durch  ausreifsen  von  :;  I)lättern  ent- 
standenen lücke  noch  der  Strophenanhang  C  17 — 49.  J.  nimmt 
sie,  wie  vor  ihm  alle  bearbeiter,  als  Hiltboltsches  eigentum  in 
anspruch  (s.  14),  weils  aber  aufser  einigen  ähnlichen  ausdrücken 
und  allgemeinen  metrischen  Übereinstimmungen  keine  sclilagenden 
beweise  anzuführen,  ich  wage  aus  folgenden  gründen  nicht  zu- 
zustimmen: ■ 

XXn  1  myiierJlche  fagc:  H.  hat  in  keinem  seiner  gedichte 
diesen  stereotypen,  nie  weiter  ausgeführten  natnreingang  zur 
contrastierung  seines  gefühls.  XXI  kann  mit  XXII  nicht  ver- 
glichen werden;  denn  dort  beruht  das  ganze  gedieht  nach  altem 
kunstbrauch  auf  dem  ausgeführten  gegensatz  des  wechseis  der 
Jahreszeiten  zu  der  beständigkeit  der  liebesnot  des  dichters.  — 
XXII  2  niht  daz  nnn:  H.  braucht  ziemlicli  häutig  antithesen; 
aber  sie  sind  bei  ihm  stets  rhetorisch  gehäuft  (s.  33)  und 
haben  infol'gedessen  nicht  einmal  die  schneidende  schärfe 
unseres  falles.  —  XXII  ist  das  einzige  rein  trochäische  lied. 
das  kurze  lied  XXI,  das  offenbar  trochäiscli  gehört  ist  (s.  "iSi, 
hat  trotzdem  in  v.  2  einen  auftakt.  XXII,  fast  dreimal  so  lang, 
ist  rein.  —  XXII  4  darin,  nach  Zwierzina  Zs.  45.  71tT  kommt 
m  hauptsächlich  bei  frk.  und  alem.  dichtem  vor,  nicht  aber  bei 
rein  bayrischen,  wie  H.  einer  ist.  bei  ISmaligem  reim  auf  -*- 
steht  das  bequeme  wort  nur  in  unserm  lied. 

Bei  der  darstellung  des  Charakters  von  H.s  liedern  und 
seines  künstlertums  zieht  der  verf.  die  von  Burdacli  AHB  33 
vorgezeichneten  züge  einer  retlectierendeii,  nicht  gerade  tiefen, 
aber  doch  liebenswürdigen  kunst  nach  und  sichert  vor  allem  dem 
anmutigen,  frohen  tanzlicd  (IV)  und  dem  frischen  lied  XII  H.s 
autorschaft,  die  Bartsch  ihnen  streitig  zu  machen  suchte  (s.  1 0  ff), 
den  weitaus    grösten    teil    seiner   gedanken    hat    H.    mit   den    h»- 


144  KEIM    ÜBER    JUETHE 

fischen  sängeru  seiner  zeit  gemein,  ich  sehe  seine  lieder  also 
lediglich  als  eine  kunstübung  an,  auf  grund  deren  ein  versuch, 
eine  reihenfolge  der  lieder  festzustellen  (s.  29),  höchst  proble- 
matisch bleiben  muss.  als  sicher  kann  nur  gelten,  dass  III  vor, 
V  nach  dem  kreuzzug,  X  nach  Walthers  Tr  sult  spt-echen  wille- 
komen',  5G,  14  ff,  entstanden  ist.  für  jede  weitere  chronologische 
bestimmung  dürfen  nur  formale  beobachtungen  herangezogen 
werden,  cap.  IV  behandelt  H  s  Verhältnis  zur  zeitgenössischen 
litteratnr.  es  lässt  sich  erkennen,  dass  H.  vor  allem  von  Hausen 
und  Reinmar  abhängig,  daneben  auch  von  Morungen  und  Walther 
direct  beeinflusst  ist. 

Besondere  beachtung  verdient  H.s  nietrik.  des  dichters 
lieder  zerfallen  in  solche  mit  troj.-jambischem  rhythraus  und  in 
solche,  die  auf  dem  rom.  zehnsilbler  beruhen.  eine  Unter- 
suchung der  lieder  der  ersten  gruppe  ergibt,  dass  H.  sich  in 
nichts  von  den  in  der  mhd.  höfischen  lyrik  beobachteten  regeln 
entfernt  (s.  56  ff).  —  zu  Vi  a /?  ist  hinzuzufügen  1X9;  zu 
Vi  ca:  X2;  XIII  7. 

In  der  beurteilung  der  lieder  mit  daktytischem  rhythmus 
folgt  J.  der  von  Weifsenfeis  und  Wilmanns  vorgezeichneten 
entwicklung,  die  in  der  rom.  melodie  den  Ursprung  des  deutschen 
zehnsilblers  und  seines  rhythmus  suchen,  es  muss  dabei  all- 
gemein das  Verhältnis  der  betonungsfehler  in  den  dakt.  zu  den 
tr.  janib.  liedern  auffallen,  es  beträgt  bei  H.  27,5  o/o  :  6,2  <>/o 
=  4,4  :  1 !  ^  zur  vergleichimg  hab  ich  herangezogen  Morungen, 
Fenis  und  Eugge,  die  beiden  letzten  vor,  der  erste  gleichzeitig, 
mit  H.  bei  Morungen  beträgt  das  Verhältnis  17,1  o/o  :  1,3  ^jo 
=  13,2  :  1,  bei  Fenis  16,3  o/o  :  4,7  ü/^  =  3,5  :  1 ,  bei  Rugge 
5,6  o/q  :  0,8  ö/o  =  7  : 1 !  man  hat  den  unterschied  in  den  accent- 
fehlern,  die  in  den  dakt.  gegenüber  den  tr.-jamb.  versen  vor- 
kommen, allein  auf  die  Schwierigkeiten  geschoben,  die  den  dich- 
tem der  neue  rhythmus  bereitete,  daran  ist  sicher  ein  teil 
wahres;  man  darf  aber  nicht  übersehen,  dass  es  sich  z.  t.  um 
tüchtige  dichter  handelt,  die  für  wort-  und  satzaccent  ein  feines 
gefühl  haben.  Rugges  accentfehler  in  seinen  tr.-jamb.  liedern 
sind  alle  derselben  art,  Wörter  wie  nuschtUdlc  und  umtcete,  die 
kaum  ohne  leichten  verstofs  gegen  den  accent  in  tr.-jamb.  versen 
verwant  werden  können,  vor  allem  erstaunlich  ist  das  Verhältnis 
bei  dem  sonst  so  feinfühligen  Morungen.  eine  erklärung  ligt 
dafür  allein  darin,  dass  ein  schroffer  contrast  von  hebung  und 
Senkungen  nicht  bestand,  dass  der  Vortrag  vielmehr  von  der 
hebung  über  nebenton  zur  Senkung  glitt  (Wilmanns  Beiträge 
4  heft,  25  f).  SO  beurteilt,  erscheinen  die  beiden  versgruppen 
folgendermafsen:  Morungen  1,1  o/o  :  1,3  o/q;  Fenis  4,4  o/^ :  4,7  O/o; 

'  es   sind    nur   die   einwandfrei   dakt.  verse,    120  an  der  zahl,   unter- 
sucht. 


DER    MINNESÄMGER    IIII/IHOLT    VON    .SCH\V.\N(iAU  145 

Rngge  0  "  (j  :  0,8  "/„ ;  »Ih.,  wenn  man  die  verhültnisinär.sig-  «geringe 
zahl  der  dakt.  verse  berücksichtigt,  die  zahl  der  accentverlet/jmgeü 
im  dakt.  und  im  tr.-jamb.  vers  entsprechen  sich.  II.  beliält  bei 
absteigender  betonung  10,  dh.  8,3  ^'o  accentfehler.  schon  in  den 
tr.-jamb.  liedern  betrug  die  zahl  der  harten  betonungen  mehr 
als  bei  den  andern;  daher  kann  es  nicht  wunder  nehmen,  dass 
€r  bei  d«-m  schwereren  metrura  ganz  besondere  Schwierigkeiten 
findet. 

8.  03  zählt  J.  die  fälle  auf,  in  denen  die  absteigende  be- 
tonung nicht  besteht,  in  der  ersten  Sammlung  handelt  es  sich 
ausschliefslich   um   silbeugruppen   vom  typus   ^    •  gebraucht 

als  —  >  (hinzuzufügen  ist  V  i  versufjeu  ivir),  also  um  haujit- 
tonsilben,  deren  länge  nicht  grammatisch,  sondern  nur  im  ein- 
zelnen fall  musikalisch  besteht,  daher  denn  auch  vom  dichter 
manchesorts  die  länge  überhört  und  die  absteigende  betonung 
erschwert  wird,  ohne  zweifei  stehen  ihr  versfüfse  entpregen, 
deren  3.  silbe  der  2.  gegenüber  durch  wort-  oder  satzaccent  den 
stärksten  ton  trägt  (s.  ()3).  —  es  fehlen  in  dem  Verzeichnis: 
l2  so  gröz  iinstcete;  III  36  ddz  ez  diu;  VI  12  genäiJen  mtleze; 
XI  8  frdu-e,  der;  XIV  3  leider  swige'nde;  XIV  9  //•  ff  ein  mir; 
XV  9  beiden  min;  XXIII  10  scheide,  swlez;  XXIII  12  wrrde 
min.  die  geringe  formale  begabnng  II. s  eifährt  durch  diese 
fälle  eine  weitere  Illustration. 

Neben  den  normalen  zelmsilblern  stehn  verse,  die  eine 
Senkungssilbe  weniger  haben,  in  denen  demnach  auf  einer  silbe 
eine  ligatur  von  zwei  tönen  steht.  —  die  betonungsverhältnisse 
in  der  ersten  vershälfte  sind  naturgemäfs  nicht  so  ausgeprägt 
wie  in  der  zweiten,  daher  erklärt  es  sich,  dass  im  ersten 
versikel  häufiger  verstöfse  gegen  deu  wort-  und  satzaccent  vor- 
kommen als  im  zweiten,  in  dem  der  dakt.  charakter  durchweg 
schärfer  hervortritt  (s.  70ffi.  neben  den  versen  mit  nur  dakty- 
lischem Charakter  stehn  eine  ganze  anzahl,  die  sich  zugleicli 
im  daktylischen  und  im  trochäischen  rliythmus  lesen  lassen, 
hier  könnte  nur  die  melodie  Sicherheit  geben  (s.  74).  unter  den 
versen  die  weder  dakt.  noch  tr.-jamb.  rhythmus  erkennen  lassen 
(s.  75),  ist  III  21  zu  streichen:  dd  h'i  sult  ir,  hirre.  ijedinkeu 
viin  ist  ein  V)-silbiger  dakt.  vers  mit  klg.  zäsur  und  einem 
trochäus.     lied  VI  gehört  zur  gruppe  XI  und  \'III. 

VI  13  hat  nur  gezwungen  dakt.  rhythmus,  der  tr.  jamb.  er- 
gibt sich  aber  ganz  natürlich. 

VI  14  ist  zu  lesen  hihil  statt  hahiul;  im  obd.  ist  der  ge- 
brauch der  vollen  form  an  die  bedeutung  iialtt-n'  geknüpft 
(vgl.   I  1.5).     der  vers  kann  nur  tr.-jamb.  gelesen   werden. 

VI  i.ö  hat  dakt.  gelesen  zwei  grobe  verstöfse  gegen  den 
satzaccent  und  cäsurfeiiler;  er  liest  sich  zwanglos  tr.-jamb. 
(s.  74.  h). 


HCl  KKIM     ÜJJEK    .lUKTllK,    HILTIJUI.T    VuN     SCHWANGAü 

\'l  ui  kann  nicht  dakt.  gelesen  werden  (s.  75,  ij.  der  ganze 
abgesang-  ist  demnach  tr.-jamb.  zu  lesen. 

\'I  5  lese  ich  sivenne  ichz  niht  tuo.  es  lässt  sich  so  auch 
der  I.  abgesang  zwanglos  tr.-jamb.  lesen;  der  auftakt  ist  un- 
regelmäfsig,  wie  öfter  bei  H.  (s.  58,  1). 

Bei  der  besprechung  der  reime  (s.  77)  muste  neben  leit  : 
treit  (XX  9)  auch  leit  :  geselt  (V  18)  als  bayr.  angeführt  werden, 
über  die  behandlung  des  //-umlauts  im  conj.  prät.  wäre  zu  sagen, 
dass  bei  H.  vor  nasalcons.  der  ?(-umlaut  fehlt;  verbünde  :  be- 
funde  :  übericunde  XXIII  9  ff  [reimwort  stunde  (liora)];  ebenso 
IV  27,  XIII  6.  auch  gnnde  (XXIII  ii)  ist  ohne  umlaut,  ebenso 
künde  iX  i),  das  als  conj.  aufgefasst  werden  muss,  da  der  Inhalt 
des  relativsatzes  durch  den  nachsatz  X  4  als  nicht  existierend 
dargestellt  wird,  zu  den  i-reimen  ist  zu  bemerken,  dass  H. 
-liehe  im  adverb,  -lieh  im  adjectiv  reimt  (IX  15  :  20;  X  18  :  20); 
in  flectierten  formen  setzt  J.  mit  recht  -l. 

Die  textherstellung  lässt  es  häutig  an  consequeuz  fehlen. 

XV  9  hat  C  f'röide,  B  vröde,  der  text  fröude;  VII  8  u.  ö. 
haben  C  und  der  text  fröide,  XXII 4  mit  C  vröude\  ebenso 
beim  verbum   (VIII  lo  gegen  XX  19  u.  ö.) ;    stets   aber  fromven. 

VIII  9  hat  der  text  sicenn  ich,  VI  5  swenne  ich ;  letzteres 
hat,  da  der  verf.  elidiertes  e  schreibt,  allein  geltung;  daher  auch. 
IX  9  ticte.  —  IX  12  dö  ieh  gegen  V  10  döch^  das  nach  s.  5S,  h 
allein  berechtiguug-  im  text  hat.  —  XX  8  minern  gegen  XXII 17 
mime,  IV  6  eime ;  es  gilt  die  synkopierte  form.  I  16  hat  dureh 
(==  BC),  XIX  3  dur  (B  durch)  ==  III  33;  zu  schreiben  ist  durch. 
II  5  lis  gein  statt  gen,  da  sonst  in  Senkung  stets  gein  ge- 
schrieben ist.  in  der  hebung  ist  gegen  zu  schreiben,  wenn  das 
wort  unverschleift  (XI  8),  gein,  wenn  es  verschleift  auftritt 
(XXIII  4);  daher  gein  (XII  12;  XIII  2). 

Synkope  fordert  das  metrum  in  getane  (III  26)  —  die  con- 
jectur  von  Bartsch  (vgl.  annierk.)  ist  unnötig  —  gelonben 
(XVII  l);  getan  (VI  14);  ungenäde  (VIII  4);  griäde  (XIV  2,  vgl. 
gnade  im  text  XI  24);  gesach  (XI  13) '.  XVII  s  lis  wellen  statt 
ivelen ;  XXIII  12 :  die  emendation  von  seht  ist  mir  zu  gewagt, 
es  ist  nicht  besehcehe,  sondern  die  im  obd.  freilich  nicht  so  all- 
gemein w'ie  im  nid.  durchgedrungene  konti-aliierte  form  be^svhce 
zu  lesen. 


'  Walther  lässt  in  seinen  minnelicdern  nur  finäde  zw;  -/.w e\ma,\  gselle 
(Wilnianns  Walther  s.  39;. 

Düsseldorf,  ostern   1916.  H.  W.  Keim. 


BLÖTK    i  JJKK    IKKKI.KS,     IHK    KKOKXU    «il"    LUXniNL'S  I  1 7 

Tlio  Ifgcucl  of  I,((ii<;  imi;.  in  (>(•^•lt'^sillsti(•;il  t  nidi  t  inii  and  in 
enprlisli  literatiiro,  and  its  i-onnecruMi  witli  tlii-Grail, 
bj'  Kose  JolTrios  IVoblcs.  P.ryn  Mawr  c()ll('f,'e  ni(»nii«fraphs. 
.Mono.srraph  scrics  vol.  ix.  Haltiniore,  .1.  M.  Fnrst  eonipanv.  IDll. 
VI  u.  221  SS.     s".  —   1   dollar. 

Zweck  dieser  stndie  ist,  aufs  nene  den  urspruus'  und  die 
entwicklung  der  Longinlegende  in  der  {geistlichen  und  volkstüm- 
lichen litteratur  zu  untersuchen  und  ihr  vorkoninien  und  ihre 
Verwendung  in  der  mittelalterlichen  englischen  litteratur  zu  ver- 
zeichnen, wie  Carl  Cröner  teilweise  sdion  auf  dem  s-'-biet*-  dt-r 
französischen  litteratur  getan  hat  die  verf.  hat  sich  aber  nicht 
beschränkt  auf  die  litterarische  Überlieferung,  wichtiir'^r  an  sich 
ist  sogar,  was  sie  aus  dem  gebiete  der  kunst,  der  liturgie  und 
der  heilkunde  heranzieht,  allem  anschein  nach  wurde  durch  bild- 
liche darstellnngen  und  durch  die  liturgie  die  entwicklung  der 
legende  beherscht  und  vielleicht  ihre  litterarische  form  bestimmt, 
am  schlufs  bietet  die  verf.  zwei  excurse,  von  denen  der  »Mne  die 
vor  längeren  jähren  aufgeworfene  hypothese  von  der  bcein- 
flussung  der  sage  von  Baldrs  tod  durch  die  Longinübprlieferung 
wider  aufnimmt,  der  andere  sich  mit  der  frage  befasst,  ob  die 
blutende  lanze  der  Gralromane  auf  die  waffe  des  Longin  zuiiirk- 
geht.  — 

Die  typische  fassung  der  Longinlegende  im  späteifu  ii:it;i'l- 
alter  ist  sehr  einfach,  der  blinde  krieger  Longin  durchbohit 
mit  seinem  speer  die  seite  des  gekreuzigten  Christus  und  be- 
kommt sein  gesiebt  wider  zurück,  als  das  blut  seine  äugen  be- 
rührt, er  glaubt  darauf  an  den  herrn.  verkündet  das  evangelium 
und  stirbt  als  märtyrer.  der  IT)  märz  ist  in  der  abendländischen 
kirche  sein  feiertag. 

Ans  der  darstellung  der  verf.  wird  zunächst  klar,  dass  die 
entwicklung  des  Loiigin  eng  Zusammenhang:!  mit  der  legeinlari- 
sierung  des  centnrio,  iler  nach  dem  Markus-  und  Mattliäus- 
evangeiium  angesichts  der  wunderbaren  erschcinungiii  litim  tode 
Christi  zu  der  erkenntnis  kam,  dass  der  gekreuzigte  wiirklich 
der  gottessohn  war.  im  4  jh.  heifsen  in  dem  Nicodemuscvan- 
gelium  sowol  der  centnrio  als  der  krieger  der  in  die  seite 
Christi  stach,  Longinus,  aber  das  wesen  der  beiden  ist  ver- 
schieden und  den  evangelien  entspiechend.  die  verf.  möchte 
den  namen  Petronius,  der  in  dem  apokryphen  ev.  SPetri  aus 
dem  2  jh.  dem  centnrio  gegeben  wird,  welcher  im  auftrag  des 
Pilatus  mit  den  seinen  das  grab  bewacht,  auch  für  den  centurio 
der  kreuzigung  in  anspruch  nehmen;  nach  «lern  mitgeteilten 
bruchstück  ist  die  Identifizierung  der  beiden  centurionen  freilich 
zu  beanstanden,  zur  zeit  des  ("hrysostomus  (7  4U7)  aber  halte  man 
den  centnrio  schon  zu  einem  verkündiger  des  evanjreliams  ge- 
macht, der  den  märtyrertod  starb,  eine  interessante  legende  au» 
etwas   späterer   zeit    ibrief   von    Herodes    an    Pilatus    '.  jh.V) 


14S  BLÖTE    ÜBER    PEEBLES 

möglicherweise  eine  palästinische  localsage  —  hatte  sich  in 
eigener  weise  um  den  krieger  gebildet:  Longinus  wurde  durch 
einen  engel  an  einen  wüsten  ort  jenseits  des  Jordans  geführt 
und  vor  eine  höhle,  das  gesicht  zu  boden  gewandt,  hingelegt, 
jeden  abend  kam  ein  löwe  aus  der  höhle  und  verzehrte  bis  zum 
nächsten  morgen  den  körper  des  kriegers.  am  tage  wuchs  der 
körper  wider  an.  so  sollte  seine  strafe  dauern  bis  zur  wider- 
kehr des  herrn.  diese  fassung  ist  nicht  ins  abendland  gedrungen, 
hat  auch  sonst  keine  weitere  Verbreitung  gefunden.  —  seit  dem 
4  jh.  aber  wird  bei  den  kirchenvätern  die  tat  des  centurio  wie 
die  des  kriegers  mit  dei^i  speer  symbolisch  gedeutet,  und  mit 
recht  sieht  die  verf.  darin  eines  der  momente,  durch  welches  sich 
eine  änderung  in  der  autfassung  von  dem  wesen  des  kriegers 
entwickeln  konnte,  so  dass  er  aus  einem  rohen  krieger,  der  sich 
an  der  gottheit  Christi  vergriffen  hatte,  zu  einem  auserwählten 
wurde,  an  dem  der  gekreuzigte  bei  seinem  tode  eine  ganz  be- 
sondere gnade  erwies,  im  10  jh.  ist  der  prozess  vollzogen:  der 
krieger  ist  ein  verkündiger  des  evangeliums  und  ein  märtyrer 
geworden,  auch  er  stirbt  wie  der  centurio  der  legende  in  Cappa- 
docien.  man  lässt  ihn  blindheit  heilen,  obgleich  merkwürdiger- 
weise in  der  litteratur  selbst  noch  keine  nachricht  vorkommt, 
dass  er  einst  blind  war  und  durch  Christi  blut  geheilt  wurde, 
im  12  jh.  nennt  ihn  Petrus  Comestor  'beinahe  blind'  und  in  der 
Legenda  aurea  (13  jh.)  wird  mit  zweifei  von  der  blindheit  des 
Longin  gesprochen,  allerdings  durchsticht  hier  der  centurio  die 
Seite;  von  dem  anderen  krieger  —  dem  eigentlichen  Longin  — 
ist  also  nicht  die  rede,  und  trotz  alledem  gilt  bündheit  des 
Longin  schon  in  der  abendländischen  kunst  des  8  und  9  jh.s! 
allerdings  unter  orientalischem  einflusse,  im  orient  kam  die  blind- 
heit schon  ein  paar  Jahrhunderte  früher  zur  bildlichen  dar- 
stellung. 

Die  18  nummern  (s.  80 — 141),  in  welchen  die  verf.  den  Longin 
aus  der  englischen  litteratur  vom  10 — 16  jh.  vorführt,  zeigen, 
wie  die  legende  litterarisch  in  England  fast  um  keinen  zug  be- 
reichert Avird.  interessanter  sind  die  mitteilungen  der  verf.  von 
Zauberformeln  in  welchen  Longin  angeiufen  wurde,  besonders 
bei  blutungen  (s.   72 — 79j. 

In  diesem  ersten  teil  der  Studie,  bis  s.  141,  tritt  die  Stoff- 
sammlung in  den  Vordergrund,  aber  dadurch  stellt  sich  heraus, 
wie  arm  an  zügen  diese  legende  ist,  wie  laugsam  sich  einzelne 
Umgestaltungen  und  zudichtungen  vollzogen,  und  wie  die  legende 
später  so  recht  volkstümlich  wurde,  weil  auf  keiner  bildlichen 
darstellung  der  kreuzigung  der  krieger  Longin  fehlte,  dieser 
erste  teil  zeugt  von  Sorgfalt  und  Zuverlässigkeit.  — 

Der  excurs,  den  die  verf.  über  die  von  SBugge  in  die  dis- 
cussion  gebrachte  beeinflussung  der  eddischen  Version  der  sage 
von  Baldrs  tod  durch  die  Longinlegende  gibt,  ist  mit  ein  beitrag, 


THE  LKGEND  OF  LONGINUS  149 

diiss  der  eigentümliche  tod  Baldrs  in  dieser  Version  nicht  aus 
Zügen  der  Longiniegende  hervorgegangen  sein  kann,  die  verf.  weist 
auf  das  verhältnismäfsig  späte  vorkommen  der  blindheit  des 
Longin  im  abendländischen  Europa  hin  (zuerst  nachweisbar  in 
einer  abbildnng  einer  SGaller  hs.  des  9  jh.s,  im  Orient  schon 
im  5/6  Jh.);  sie  führt  chronologische  bedenken  an,  indem  die 
erzählung  des  Longin  in  England,  soweit  bekannt  ist,  zner.-t  bei 
Älfric  gegen  ende  des  10  jh.s  vorkommt  und  bei  diesem  kein 
bezog  auf  die  blindheit  des  Longin  genommen  wird,  wie  übrigens 
die  blindheit  in  der  Legenda  aurea  (13  jh.)  noch  als  zweifelhaft 
gilt;  sie  weist  auf  die  geringe  beweiskraft  in  den  übrigens 
nicht-christlichen  bildern,  wie  sie  das  Gosforthkreuz  in  Cumber- 
land  bietet  (das  übrigens  wie  ähnliche  kreuze  frühestens  dem 
11  jh.  angehört^,;  machtauf  eine  anzahl  folkloristischer  parallelen 
in  der  weltlitteratur  aufmerksam  und  sieht  mit  Kauffmann  und 
Frazer  in  der  tat  des  Hodr  nicht  den  kernpunct  der  BalJrsage. 
die  behandlung  des  themas  ist  bei  aller  kürze  (s.  142 — 165) 
durch  material  und  discussion  beachtenswert.  — 

In  dem  excurs  über  die  lanze  des  Longin  und  die  Gralsage 
(s.  166 — 221)  verliert  die  verf.  widerholt  den  boden  unter  den 
füfsen.  sie  strebt  d.inach  Gral  und  verwantes  als  von  christ- 
lichem Ursprung  zu  deuten,  sie  bringt  dabei  allerdings  interessante 
parallelen  und  Zusammenstellungen,  aber  die  deutung  aus  früh- 
christlichen gebrauchen,  wo  eine  entsprechende  frühchristliche 
Überlieferung  fehlt,  kann  nur  zu  vagen  möglichkeitsresultaten 
führen,  aufserdem  arbeitet  sie  mit  zu  wenig  gralmaterial,  lässt 
wichtiges  unberücksichtigt  und  greift  zu  gezwungenen  deutungen. 
obgleich  sie  am  schluss  die  eutstehnng  des  Grals  um  einige  Jahr- 
hunderte vor  Chrdtien  legen  will,  geht  sie  doch  für  ihre  be- 
trachtung  von  Chretien  aus.  weil  dieser  m.it  Woltram  die  ältesten 
Versionen  bewahrt.  Wolfram  glaubt  sie  aufser  betracl.t  lassen 
zu  dürfen'. 

Verf.  richtet  sich  besonders  gegen  Browns  artikel  über  die 
blutende  lanze  in  den  Publications  of  the  modern  language  as- 
sociation  of  America  25,  1  ff.  (1010),  der  als  letzter  den  Gral  und 
dessen  attribute  als  kelti&ch  zu  erweisen  sucht  und  so  auch  für 
die  grallanze  keine  andere  dentung  möglich  erachtet  als  ans  dem 
keltischen  sagenschatz.  es  wird  der  verf.  nicht  schwer  zu  zeigen, 
dass  die  von  Brown  angeführten  lanzen  ganz  anders  geartet  sind 

'  die  weise  wie  §ie  Wolfram  citiert  und  was  sie  von  ihm  anführt, 
machen  den  eindruck.  als  hätte  sie  eine  ausgäbe  des  Parzival  nie  recht 
eingesehen,  so  citiert  sie  s.  183  den  Parz.:  '1.  21.  r-  S07  and  agaiu 
1.  30  f.,  p.  489'  für  S07,  21  und  489.  30  f  merkwürdiR  und  rätselhaft 
heifst  es  auf  s.  216:  'XVI,  1.  20,  p.  374':  sieht  man  nach,  so  bemerkt 
man,  dass  dies  heifsen  soll:  XVI  750,  29,  in  Lachmanns  ausgäbe  s  374!  — 
Wolfram  kenne  keine  blutende  lanze  —  aber  Parz.  231.  IS  ff.  hätte  die 
verf.  doch  eines  anderen  belehren  können 


150  BLÜTE    ÜUEK     IMTKBLKS,    THK    LKGEND    OF    l.UNGINUS 

als  die  grallanze,  dass  keine  dieser  laiizeii  blutet  in  dem  sinn  der 
gralsage,  die  verf.  spricht  darauf  als  ihre  Überzeugung-  aus,  dass 
Cliretien  oder  irgend  ein  Vorgänger  beim  anblick  besonders  der 
bildlichen  darstellungen  der  kreuzigung  seine  grallanze  der 
christlichen  Überlieferung  entnahm,  aber  damit  das  christliche 
der  grallanze  nicht  als  etwas  secundäres  angesehen  werde,  be- 
müht sie  sich  darzutun,  dass  die  hauptgegenstände  und  Vorgänge 
der  gralsage  gleichfalls  christlichen  Ursprungs  sind,  für  die 
gi'alprocession  und  sonstiges  hatten  andere  ihr  schon  vorgearbeitet, 
mit  dem  fischenden  und  kranken  künig  wie  mit  dem  gralfinder 
wird  die  verf.  aber  in  der  üblichen  weise  nicht  fertig,  sie  betrachtet 
mit  Nitze  und  Weston  den  gralfinder  als  eine  persönlichkeit, 
die  in  ein  geheimes  wissen  eingeführt  wird,  nicht  freilich  in 
das  occulte  wissen  eines  naturdienstes,  sondern  in  ceremonien, 
die  einen  teil  früherer  christlicher  gebrauche  bildeten,  man  fühlt, 
wie  wenig  haltbares  die  verf.  zu  bieten  vermag. 

Der  wert  des  buches  ligt  jedoch  nicht  in  dem  excurs 
über  die  gralsage,  was  die  verf.  uns  über  die  Longinlegende  an 
sich  gibt,  ist  ein  beitrag  wofür  wir  ihr  dankbar  sind. 

Tilburg  (Holland).  .).  r.  ]).  Blölo. 

Michel  W^'ssenhenes  gedieht  'von  doui  cdeln  hern  von 
Brnneczwigk,  als  er  über  mer  fuie'  und  die  sage  von 
Heinricii  dem  Löwen,  von  Walther  Seehaussen.  [Gcrraa- 
nistischo  abhaiidhiiiiron  hr?g.  von  F.  Vosft  lieft  43.]  Breslau, 
Marens  11(1.'!.    8".    VIII  u.  173  ss.  —  6.40  m. 

Ein  Widerabdruck  des  bisher  ja  nur  in  Malsmanns  fehler- 
hafter widergabe  zugänglichen  gedichtes  von  Michel  Wissenherre 
(welche  namensform  wir  auf  grund  der  hs.  als  die  authentische 
anzusehen  haben)  kann  nur  willkommen  geheifsen  werden,  zu- 
mal wenn  zur  sprachlichen  und  metrischen  Charakterisierung  des 
denkmals  soviel  fleifs  und  Sorgfalt  aufgewandt  wird  wie  durch  S. 
geschehen  ist.  der  dialect  des  Schreibers  wie  des  dichters  er- 
fahren eingehude  behandlung,  an  ganz  specifisch  landschaftlichen 
kriterien  fehlt  es,  aber  im  allgemeinen  ist  die  Zuweisung  zum 
südlichen  rheinfränkisch  hinreichend  gestützt,  als  kriterium  für 
die  entstehungszeit  dient  hauptsächlich  die  klingende  messuog 
aller  zweisilbigen  reime,  von  einem  durchschimmern  eines  auch 
nur  teilweise  erhaltenen  mhd.  Originals  kann  also  nicht  die  rede 
sein,  es  steht  ähnlich  wie  im  Seyfridslied.  die  umgiefsung  einer 
älteren  vermutlich  poetischen  vorläge  ist  ganz  vom  standpunct 
der  damals  herschenden  metrischen  gepflogenheiten,  nicht  von 
denen  der  vorläge  aus  vorgenommen. 

Auf  die  vor  allem  durch  ihre  bequeme  Übersichtlichkeit 
dankenswerte  nebeneinanderstellung  der  sämtlichen  uns  erhaltenen 
fassungen  der  abenteuerlichen  geschichte  des  Braunschweigers 
folgt  der  teil  der  arbeit,  in  dem  allein  eine  neue,  selbständig  zu 


'-rHNEIÜEK    ÜBKU    .SEEll  AllSSKN,     MKIIKI.    WVS>:|;Nm;iMti:  1')! 

lösende  aufgäbe  erwuchs:  S.  will  die  saj^e  in  ihre  t-inzelnen  he- 
standteile  zerlegen    und    ihrer    entwieklungsfreHchittlite    nachgehii. 

Von  einer  'sage'  kann  in  dem  voiliegenden  fall  nur  insofoi n 
die  rede  sein,  als  einer  geschiditlichen  person  unhistorische 
abenteuer  angedichtet  sind,  es  handelt  sich  dabei  um  eine  rein 
litterarische  schüpfung,  man  hat  für  den  neuen  sagenhelden  keine 
neuen  abenteuer  erfunden  oder  irrtümlicher  weise  mit  ihm  ver- 
knüpft, sondern  raau  hat  eine  reihe  von  feststehnden,  in  spiel- 
männischen  kreisen  verbreiteten  und  beliebten  geschichten  auf 
ihn  übertragen.  S.  sclieidet  natürlich  ganz  richtig:  1.  die 
orientalischen  abenteuer.  2.  die  lüwenerzählung.  :i.  die  heimkehr- 
sage, die  Verknüpfung  dieser  einzelnen  motive  aber  hätte  ein- 
gehender verfolgt,  zeitlich  genauer  eingereiht  werden  sollen,  als 
es  bei  S.  der  fall  ist.  ich  veisnche  im  folgenden  z.  t.  auf  die 
resultate  meines  buches  über  die  Wolfdietriche  gestützt,  eine  be- 
antwortung  der  frage,  was  wir  mit  Sicherheit  über  die  ent- 
stehungsgeschichte  der  sog.  Braunschweigsage  auszusagen  in  der 
läge  sind. 

Wir  wissen,  dass  in  der  zweiten  hälfte  des  12  jh.s  die 
einzelnen  erzühlungselemente,  die  in  der  r>.-sage  vereinigt  er- 
scheinen, einzeln  im  umlauf  waren,  die  orientalischen  geschichten 
als  abenteuer  des  herzogs  Ernst,  die  löwengeschichte  erfreute 
sich  seit  dem  Chevalier  au  lion  der  grösten  popularität,  sie 
wurde  mancher  abenteuerserie  als  willkommener  neuer  bestand- 
teil  angehängt,  auch,  was  für  unsere  frage  von  bedeutung  ist. 
gerade  von  Palästinareisenden  erzählt  (so  im  afrz.  Gilles  de  Chin. 
s.  mein  buch  über  Wolfdietrich  s.  2(14,i.  Chrestiens  lüwe  ist  ohne 
zweifei  der  ursprüngliclic  Stammvater,  wenn  audi  nicht  in  jedem 
fall  das  directe  vorbild  dieser  hilfreichen  tiere.  zur  heimkehr- 
sage  ist  festzustellen,  dass  die  geschichte  von  der  überraschenden 
rückkunft  eines  hintergangenen  gatten  oder  bräutigams,  der  durch 
sein  plötzliches  erscheinen  eine  hochzeit  stört,  ursprünglich  auth 
unabhängig  von  der  pilgerschaft  nach  dem  heilig«  n  land  »Tzählt 
worden  ist.  wie  der  s.  21} 2  lierbeigezogene  bericht  aus  Saxo  zur 
genüge  dartut.  specitisch  orientalisch  scheint  der  zug  V(»m  wider- 
erkennungsring :  doch  auch  ihn  dürfen  wir  nicht  als  bestandteil 
einer  notwendig  in  den  Orient  führenden  erzälilung  ansehen, 
da  er  in  heimkehrsagen  ganz  anderer  art  ebenfalls  auftritt,  ich 
verweise  auf  die  sehr  ähnliclif  geschichte  in  dem  anglonorman- 
nischen  gedieht  von  Hörn  und  llimenliild  is.  2S!lf  meines  hnches) 
das  zwar  nicht  älter  ist  als  1  liälftc  tlfs  13  jli.s,  aber  einer  in 
diesen  zügeii  jedenfalls  nur  unerli»>blirli  abwri.htMiden  t»np:lisclien 
vorläge  gefolgt  ist.  das  riniriimtiv  ist  dann  auch,  freilich  gc- 
trennt  von  dem  sonst  typisclien  zug  der  versenk  uns  dieses  wider- 
erkennungszeichens  in  einen  becher,  an  der  von  S.  auf  s.  71  t 
erwähnten  stelle  des  Kother  verwertet. 

Das    wären    also    die   für   unsere   erzählun^'^    ;rnindlpirenden 


152  SCHNEIDEK    ÜBER    SEKH AUSSEN 

demente  in  ihrer  ursprüng-lichen  form,  worin  bestehn  nun  die 
eigentümlichen  züge,  die  diese  älteren  erzählungstypen  in  der 
B.-sage  aufweisen?  bei  den  aus  der  Ernstsage  genommenen 
motiven  ist  ganz  allgemein  nur  das  eine  hervoizuheben,  dass 
diese  abenteuer,  die  sonst  mit  der  person  des  schwäbischen  her- 
zogs  aus  dem  1 1  jh.  verknüpft  erscheinen,  hier  also  auf  einen 
anderen  beiden  tibertragen  sind,  die  beiden  anderen  bestandteile 
haben  aber  eine  ganz  besondere  ausgestaltung  erfahren,  der 
löwenerzählung  eignet  in  dieser  fassung,  dass  das  treue  tier 
seinem  herrn  nicht  nur  in  das  fremde  land  nachfolgt,  sondern 
dass  es  bis  zum  tode  bei  ihm  ausharrt  und  schliefslich  nach  dem 
abscheiden   des  beiden   aus  kummer  auf  dessen  grab  verscheidet 

—  ein  zug  von  dorn  alle  anderen  directen  und  indirecten  Yvain- 
nachahmungen  nichts  wissen.  die  ringerzählung  schliefslich 
zeichnet  sich  hier  aus  durch  einen  den  älteren  fassungen  fremden 
neuen  anfang:  der  widererkennungs-  entspricht  eine  abschieds- 
scene,  in  der  auf  die  spätere  rolle  des  ringes  bereits  hingewiesen 
ist,  meist  in  der  weise,  dass  der  ring  zwischen  den  beiden  von 
einander  scheidenden  geteilt  wird  und  die  widervereinigung  der 
getrennten  hälften  des  reifs  symbolisch  wird  für  die  der  ge- 
trennten gatten. 

Es  fragt  sich  nun  weiter,  wenn  wir  zur  datierung  der  in- 
dividuellen ausbildung  unserer  B.-sage  gelangen  wollen,  welches 
unsere  frühesten  Zeugnisse  für  eben  diese  ausbildung  der  be- 
treffenden motive  sind,  einen  anhaltspunct  zur  datierung  der 
specialisierten  und  fortgesetzten  löwengeschichte  habe  ich  s.  230 
gegeben;  es  dürfte  nach  den  dortigen  ausführungen  wol  fest- 
stehn,  dass  die  türe  von  Yalthjöfstadt  auf  Island  weder  eine  dar- 
stellung  der  Iwein-  noch  der  Wolfdietrichsage  gibt,  sondern  be- 
standteile enthält^  die  die  hier  abgebildeten  abenteuer  dem  typus 
der  B.-sage  anzugliedern  zwingen,  um  1220,  so  werden  wir 
rund  sagen,  hat  die  geschichte  in  dieser  erweiterten  form  —  der 
löwe  verendet  auf  dem  grabe  seines  herrn  —  bereits  bestanden. 

—  für  die  datierung  der  erweiterten,  dh.  durch  die  abschieds- 
scene  eingeleiteten  heinikehrerzählung  dient  uns  die  von  S.  heran- 
gezogene, aber  in  ihrer  tragweite  sehr  überschätzte  (von  einem 
ersten  auftreten  des  ringmotivs  in  ihr  kann  ja  keine  rede  sein!) 
geschichte  von  Cäsarius  vHeisterbach  (s.  74).  auch  dieser  er- 
weiterte erzählungstypus  bestand  nach  diesem  beleg  bereits  in 
den  1220er  jähren.  —  freilich  zeigen  uns  die  beiden  bisher 
herangezogenen  Zeugnisse  die  motive  noch  in  völliger  Verein- 
zelung, die  eine  geschichte  handelt  sogar  von  einem  landfahren- 
den ritter,  die  andere  ausgesprochenermafsen  von  einem  wall- 
fahrenden pilger.  aber  es  fehlt  auch  nicht  an  einem  zeugnis, 
das  uns  für  annähernd  dieselbe  zeit  die  bereits  erfolgte  Ver- 
einigung der  beiden  erzählungen  verbürgt,  wie  ich  s.  231 
meines  buches  gezeigt  zu  haben  glaube,  hat  bereits  die  vorläge 


MiciiEi.  \vyssi;niikkue  153 

der  beiden  uns  erhaltenen  Wolfdietrichf^edichte  A>  und  B  aus 
einer  stofflichen  quelle  geschupft,  die  heid<'  elemente  der  li.-SAge 
enthielt,  denn  Wolfdietrich  erscheint  in  bef^leitun}:;:  eines  löwen, 
den  er  zu  diesem  zweck  erst  aus  der  umschlingnnj?  eines  serpaut 
hat  befreien  müssen,  in  (unmotivierter)  pilgerhafter  vermumiiiung 
auf  dem  hochzeitsfest  der  Lampartenkönigin,  der  er  sich  als  der 
allein  rechtmäfsige  freier  zu  erkennen  gibt,  indem  er  einen  ring 
in  ihren  becher  gleiten  lässt. 

]\lehr  aber,  als  dass  um  1230  die  beiden  der  Ernstsage 
gegenüber  ganz  neuen  elemente  schon  in  ihrer  jetzigen  charakte- 
ristischen ausgestaltung  nebeneinander  bestanden  haben,  können 
wir  mit  Sicherheit  nicht  aussagen,  es  ist  das  alles  was  wir  von 
der  Vorgeschichte  der  B.-sage  wissen,  fraglich  muss  also  nach 
wie  vor  zweierlei  bleiben:  erstens  von  wem  wurde  die  combinierte 
geschichte  zunächst  erzählt?  die  einfügung  des  löwenabenteuers 
weist,  dies  sei  widei-holt,  keineswegs  mit  notwendigkeit  auf 
Heinrich  den  Löwen  als  ursprünglichen  beiden  hin,  wie  (;illes 
de  Chin  beweist,  aber  es  fehlt  an  anhaltspuncten,  um  diese 
frage  genügend  zu  beantworten,  man  könnte  sich  lediglich 
daran  halten,  dass  die  inschiift  auf  der  türe  von  V^althjöfstadt 
besagt,  dass  hier  ein  mächtiger  kuuioi;/  begraben  liege,  wer 
weifs  aber,  wie  weit  der  isländische  künstler  diesen  begriff  ge- 
fasst  haben,  wie  genau  oder  ungenau  ihn  seine  dichterische  vor- 
läge über  die  qualität  des  beiden  unterrichtet  haben  mag. 

Zweitens,  so  bleibt  noch  zu  fragen,  ohne  dass  eine  be- 
friedigende antwort  gegeben  werden  könnte:  existierte  dieser 
erzählungstypus  allein,  dh.  hat  es  eine  heimkehr-  oder  orient- 
sage gegeben,  die  nur  die  l)eiden  für  die  zeit  um  1230  fest- 
gestellten bestandteile  enthielt,  und  wurde  sie  erst  später  mit 
der  Ernstsage  und  ihren  längst  feststehnden  abenteuern  ver- 
quickt, auf  diese  weise  also  erst  zu  einem  richtigen  abenteurer- 
roman  ausgesponnen?  oder  bestand  die  B.-sage  zu  der  zeit, 
in  der  wir  nur  das  nebeneinander  zweier  grundmotivp  nach- 
weisen können,  schon  im  vollen  jetzigen  umfang?  und  soliliofs- 
lich,  wenn  das  um  1230  schon  der  fall  war,  ist  damals  beirits 
Heinrich  der  Löwe  der  held  der  geschiclite  gewesen?  oder  folgte 
erst  späterhin  eine  Übertragung  auf  ilin,  die  ja  auf  doppt-lte 
weise,  durch  seine  Palästinareise  und  durch  sein  löwenabenteuer. 
von  denen  beiden  man  sich  noch  erzählte,  erklärlich  erschiene? 
darin  stimme  ich  S.  vollkommen  bei,  dass  sowie  in  den  quellen 
die  bezeichnung  'herzog  von  Braunschweig'  für  den  lielden  ein- 
tritt, kein  anderer  gemeint  sein  kann  als  der  Löwe,  im  übrigen 
aber,  das  glaube  ich  gezeigt  zu  haben,  liegen  uns  die  phasen 
der  entvvickhingsgeschichte  dieser  sage  doch  keineswegs  so  klar 
vor  äugen,  wie  dies  nach  der  hier  uiciit  hinreichend  eindiinL'-'n- 
den  Untersuchung  von  S.  den  anschein  gewinnen  kann. 

Berlin,   den   20.  juli    101  I.  Hrniiniiii  ScIuk  idcr. 

A.  F.  D.  A.     XXXVIII.  11 


154  HIRSCH    ÜBER    ULM 

Johann  Haitliebs  Buch  aller  verbotenen  kunst.  untersucht 
und  herausgegeben  von  Dora  Ulm.  Halle  a.  8.,  Niemeyer  1914. 
■lxviii  u.  76  SS.    8'\  —  4  m. 

Der  vielgeschäftige  Übersetzer  Johann  Hartlieb  ist  schon 
früh  von  der  forschung  beachtet  worden,  wenn  auch  sein  leben 
und  seine  gesamte  litterarische  tätigkeit  noch  der  zusammen- 
fassenden darstellung  harrt,  man  weils  doch  aus  einzelnen  hin- 
weisen und  Untersuchungen,  dass  Hartlieb  die  nachgehnde  teil- 
nähme, die  man  ihm  widmet,  verdient,  von  seinen  arbeiten 
haben  einige  eine  ganz  besondere  bedeutung.  seine  Übersetzung 
des  lateinischen  Alexanderromans  ist  zum  Volksbuch  geworden 
und  hat  200  jähre  lang  einen  grolsen  leserkreis  erfreut,  seine 
Schrift  von  den  warmen  bädern,  die  Übersetzung  eines  werkes 
von  Felix  Hemmerlin,  ist  die  erste  gröfsere  deutsche  quelle  für 
die  geschichte  des  badelebens  und  hat,  vou  Hans  Folz  zu  einem 
reimgedicht  umgearbeitet,  rasch  eingang  bei  den  massen  des 
Volks  gefunden,  das  'Buch  aller  verbotenen  kunst'  (Bavk.)  aber, 
das  Dora  Ulm  mit  Üeils  untersucht  und  sorgfältig  herausgegeben 
hat,  ist  eine  bedeutsame  fundgrube  vor  allem  für  die  erforscher 
der  Volkskunde,  die  sprachlichen  ergebnisse  der  betrachtung 
sind  gering:  sie  bestätigen  den  eindruck  der  ungelenken,  trocknen 
darstellung,  den  man  auch  aus  Hartliebs  sonstigen  arbeiten  ge- 
winnt, bei  der  Untersuchung  der  quellen  war  sich  die  heraus- 
geberin der  Schwierigkeiten  bewust,  die  dem  wissenschaftlichen 
erforschen  der  zauberlitteratur  im  wege  stehen,  so  ist  die  vor- 
sichtige art  mit  der  Dora  Ulm  die  von  Hartlieb  benutzten 
bücher  und  geheiraworte  der  schwarzen  kunst  erklärt,  kein 
mangel,  sondern  ein  Vorzug  ihrer  arbeit:  sie  hat  es  verschmäht, 
die  riesige  dilettantenlitteratur  über  das  zauberwesen  zu  be- 
nutzen, und  sich  mit  erfolg  bemüht,  für  Hartliebs  angaben  aus 
wissenschaftlichen  werken  und  mittelalterlichen  Schriften  die 
rechte  erläuterung  zu  finden,  allzu  gewissenhaft  ist  sie  beim 
quellensuchen  für  zwei  von  Hartlieb  genannte  persönlichkeiten 
gewesen,  für  'Mancius,  den  zaubrer',  der  als  erfinder  der  Chi- 
romantie genannt  wird,  und  für  den  rätselhaften  Tyson',  der 
als  der  erste  'in  der  kunst  phisonomia'  auftaucht,  es  ist  be- 
greiflich, dass  es  der  verf.  nicht  möglich  war,  über  diese  beiden 
männer  etwas  zu  finden,  sie  verdanken  nur  der  kindlichen 
etymologie  Hartliebs  ihr  dasein:  den  Mancius  hat  er  sich  aus 
dem  wort  'Chiro-mancia'  abgeleitet,  den  Pyson  ebenso  phan- 
tasievoll aus  Phiso-nomia.  solches  schaffen  von  gestalten  aus 
misverstandenen  Wörtern  habe  ich  in  der  Untersuchung  von  Hart- 
liebs Alexanderbuch  mehrfach  belegt. 

Zweierlei  scheint  mir  bei  den  quellenbemerkungen  von  Dora 
Ulm  versäumt,  einmal  die  erörterung  der  frage,  ob  Hartlieb 
vielleicht,  trotzdem  ein  selbständiges  zusammensuchen  beim  Bavk. 
erkennbar  ist,  doch  eine  den  Unglauben  ähnlich  zusammenfassende 


lull.    iiAi;  I  r,ii:r.  155 

vorläge  benutzt  hat.  allerdings  hätte  ein  einj^then  auf  diese  fraf^^e 
ein  schwieriges  Studium  von  lateinischen  und  deutsoiien  hand- 
schriften  des  14  und  15  jahrluinderts  erfordert,  die  sich  über 
heidnische  brauche,  Zauberei  und  Unglauben  äufsern.  mancherlei 
anregungen  scheint  mir  Hartlieb  aus  den  schritten  Felix  Hem- 
merlins empfangen  zu  haben,  der  ilim  sicher  persönlich  bekannt 
und  vielleicht  mit  ihm  zusammen  in  Rom  gewesen  ist.  das 
andere,  was  den  Vorbemerkungen  der  verf.  zu  ihrer  ausgäbe 
wert  und  färbe  gegeben  hätte :  ein  vergleichendes  betrachten 
der  Überreste  germanischer  mythologie,  wie  sie  in  Haitliebs  buch 
so  zahlreich  hervortreten. 

Über  die  bedeutung  von  Hartliebs  buch  hat  die  heraus- 
geberin ein  eigenartiges  urteil  gefällt,  das  besorgte  wolwollen, 
mit  dem  akademische  erstlingsarbeiten  oft  den  behandelten  autor 
dem  leser  vorstellen,  hat  sie  verleitet,  Hartliebs  buch  eines  der 
ersten  in  deutsciier  spräche  zu  nennen,  'in  dem  der  verderbliche, 
unheilstiftende  aberglauben  dieser  Jahrhunderte  mit  grofsem  eifer 
und  ebenso  grofser  auüführlichkeit  bekämpft  wird',  das  i.st  nicht 
richtig,  gewis,  Hartlieb  wendet  sich  angstvoll  gegen  die  schwarze 
kunst,  die  den  menschen  an  den  teufel  kettet  und  seine  seele  in 
ewige  pein  führt,  er  ist  betrübt,  dass  ringsum  sündliafter  Un- 
glaube herscht,  dass  böse  bücher,  heidnische  brauche,  verborgene 
Worte  und  zeichen  den  Christenmenschen  vergiften,  aber  ist 
dieses  heftige  eifern  gegen  die  vielfachen  stücke  der  zauberer 
und  hexen,  die  Hartlieb  mit  erstaunlicher  wissbegierde  beobachtet 
hat,  ist  das  predigen  und  beten  gegen  die  künste  des  tausend- 
listigen satanas  ein  kämpf  gegen  den  verderblichen  aberglauben 
zu  nennen?  man  kann  das  gegenteil  sagen:  Hartliebs  schrift 
brandmarkt  manche  harmlosen  Überreste  des  altgermanischen 
glaubens  als  schnöde  ketzerei  und  teufelswerk,  sie  ruft  alle 
fürsten  zum  strengen  einschreiten  gegen  die  zauberer  auf.  man 
lese  in  der  neuen  ausgäbe  die  mahnungen  auf  s.  2(1.  32.  !M.  14 
und  besonders  die  eindringliche  stelle  s.  4!»:  O  fürst,  dir  lat 
sind  ffar  vil  in  tealsi-hcii  Janndoi:  hüb  dein  fürstlich  i/i'Hud 
an  die  zu  straffen,  dein  ijenad  fand  (jnr  vil  die  dir  hnlffm 
vnd  hem/estilnden.  so  eröffnet  Hartliebs  werk  die  reihe  der 
bücher,  die,  vom  glauben  an  die  verderbenden  bündnisse  des 
teufeis  mit  den  menschen  beherscht,  die  weit  des  aberglaubens 
anklagend  darstellen  und  so  die  zeit  der  hexenverfolgung  ein- 
leiten: Hartliebs  schrift  hat  etwas  von  der  Stimmung  des  hexen- 
hammers.  wie  erregt  warnt  er  den  fürsten  vor  den  schlimmen 
Zauberbüchern,  deren  anfang  süfs  ist,  deren  ende  aber  ewige 
Verdammnis,  wie  lebhaft  sieht  er  den  teufel,  den  einbläser  alles 
Unheils,  vor  sich,  er  kennt  die  Zauberworte,  mit  denen  die  mei>rer 
arbeiten,  aber  er  verschweigt  viele  davon  aus  angst  vor  unheil 
und  ärgernis:  es  graut  ihn,  alles  zu  sagen,  was  er  selbst  schon 
von  böser  zaubere!  erlebt  hat.     was   er   berichtet,    ist  schon  er- 

11  • 


156  HIRSCH    ÜBER    ULM,    JOII.    HAETUEB 

schrecklich  genug,  gläubig  und  nicht  ohne  stolz,  weil  er  selbst 
dabei  war,  erzählt  er  von  der  hexe,  die  im  sechsten  jähr  des 
papstes  Martin  in  Rom  verbrannt  wurde.  Dora  Ulm  weils  nicht, 
ob  Hartlieb  damals  würklich  in  Rom  gewesen  sein  kann,  weil 
er  da  noch  sehr  jung  gewesen  sein  muss.  ich  glaube,  das  ist 
kein  grund,  um  den  aufenthalt  in  der  ewigen  Stadt  anzuzweifeln: 
Hartlieb  war  damals  etwa  20  jähre  alt  und  kann  in  Italien 
seinen  Studien  obgelegen  haben,  das  verbrechen  jener  hexe  gibt 
er  als  eine  feste  tatsache  wider:  die  frau  hatte  als  katze  ein 
kind  gebissen  und  war  von  dem  Verfolger  mit  einem  messer  am 
köpf  getroffen  worden,  am  folgenden  morgen  wurde  die  hexe 
durch  die  wunde  am  köpf  erkannt,  sie  ward  gefangen  und  ver- 
brannt, zu  dieser  geschichte  ist  vielleicht  ein  kleiner  litterar- 
historischer  excurs  von  Interesse:  die  schaurige  erzählung  hat 
lange  die  gemüter  beschäftigt  und  ist,  getreu  in  allen  einzel- 
heiten,  bis  in  unsere  zeit  berichtet  worden,  sie  steht  bei  Hart- 
liebs Zeitgenossen  und  landsmann,  dem  presbyter  Andreas,  dann 
in  Felix  Hemmerlins  schrift  'De  nobilitate',  sie  erscheint  dann, 
als  anekdote  mit  anderer  Ortsangabe,  bei  erzählern  des  IG  Jahr- 
hunderts, sie  findet  sich,  aus  mündlichem  bericht  übernommen, 
etwas  verändert  in  Clemens  Brentanos  novelle:  'Die  mehreren 
Wehmüller',  sie  wird  im  'Sonnenwirt'  von  Hermann  Kurz  über- 
raschend getreu  durch  einen  müllerknecht  mitgeteilt,  sie  lebt 
im  geburtsort  meiner  mutter,  Grofsenlinden  in  Oberhessen,  noch 
heute,  als  würkliches  Vorkommnis  berichtet,  fort. 

Mit  derselben  gläubigkeit  mit  der  Hartlieb  die  katzen- 
geschichte  widergibt,  verkündet  er  auch  sein  erlebnis  mit  der 
hexe,  die  als  wettermacherin  zu  Heidelberg  verbrannt  wurde, 
man  liefs  ihn,  als  einen  kenner  aller  natürlichen  künste,  das 
arme  weib  im  kerker  besuchen,  damit  sie  ihm  ihre  zauberfertig- 
keit  beibringe  und  so  ihr  leben  rette,  aber  sie  hiefs  ihn  Gott 
verleugnen,  sich  mit  leib  und  seele  dem  teufel  ergeben  und  die 
geister  beschwören;  das  tat  der  gutgläubige  doctor  nicht,  und 
so  muste  er  auf  die  kunst  des  wettermachens  verzichten,  und 
die  hexe  muste  im  feuer  sterben,  wir  wundern  uns,  wenn  wir 
das  lesen,  nicht  allein  weil  Johann  Hartlieb  auch  hier  das  leb- 
hafte Interesse  an  der  Zauberei  zeigt,  das  uns  im  Bavk.  be- 
ständig entgegentritt  und  das  dieser  schrift  den  wert  einer 
eigenartigen  Charakteristik  ihres  Verfassers  gibt,  vor  allem  ist 
für  uns  befremdlich,  dass  Hartlieb  selbst  etwas  lernen  will,  was 
doch  in  seinen  äugen  sünde  und  ketzerei  ist.  aber  ein  blick  in 
den  'richterlichen  klagspiegel'  zeigt  uns,  dass  der  wissbegierige 
doctor  juristisch  zu  seinem  verlangen  berechtigt  war.  es  heifst 
in  der  (Hansens  Quellen  zur  geschichte  des  hexenwahns  ent- 
nommenen) stelle :  Welch  aber  das  weter  beschweren  wnb  des  lo'dlcn 
das  das  weter  der  fnicht,  die  auf  dem  velde  ist,  nit  schaden 
tu  mit  stain  und  kisel,  das  man  hagel  nennt,  die  sint  nit  peen 
sunder  Ions  tvirdig.  Siegmuud  Hirsch. 


EIEMANN    ÜIUOK    BRÜGGKMANN,    l.TOI'IK     VSl)    JCOIUN.SONAOK        157 

Utopie  und  Robinsonade.  untersucliiinfjon  zu  Schnabels  Insel 
Fclsenbuif,'  (IT^l  — IT-i;})  von  Fritz  Ilrü-^'trenianM  [  l'orscliun{,'on 
zur  neueren  litteraturgcscliiciite  Ins;,',  v.  F.  Muncker  nr.  4fj]. 
Weimar,  Duncker  1914.    xiv  u.  200  83.     8".  —  b  ni. 

HUUrich  hatte  1902  in  seiner  einleitung  zur 'Insel  Felsenburg' 
betont,  dass  sie  robinsonade  und  Utopie  sei.  er  stellte  ihre  abliängig- 
keit  von  fünf  robinsonaden  fest,  vom  'Joris  Pines',  dem  'Philipp 
Quarll',  dem  'Sächsischen  Robinson',  dem  'Schwedischen  Robinson' 
und  den  'Begebenheiten  des  Herrn  von  Lydio'.  unter  den  utopieeii 
des  17.  jh.s  hob  Ullrich  als  die  wichtigsten  die  auf  christlichem 
boden  stehenden  Andreaes,  Seckendorfs  und  Dippels  heraus,  weil 
in  Schnabels  roman  das  lutherische  bekenntnis  für  alle  Insel- 
bewohner pflicht  ist.  nun  erklärt  Brüggemann,  ihm  hätten  sich 
bei  der  analyse  von  Schnabels  werk,  'wesentliche  neue  aufgaben 
für  die  ermittlung  der  abhängigkeit'  ergeben,  damit  ist  aber 
nichts  anderes  gemeint  als  die  einstellung  in  die  geschichte  der 
Utopie,  ich  lese  bei  Ullrich  (s.  XXlXj:  'schon  dass  er  (Schnabel) 
sich  zum  entwurf  eines  solchen  utopischen  Staatswesens  gedrungen 
fühlt,  setzt  nicht  nur  ihn,  sondern  auch  seine  heimat  in  einen 
gegeusatz  zuDefoe  und  England',  trotzdem  erklärt  Br,  (s.  .'>}, 
die  'Insel  Felsenburg'  müsse,  'nicht  mehr  nur  wie  bisher  aus- 
schliefslich  im  rahmen  der  robinsonaden,  sondern  auch  im 
rahmen  der  utopieen  betrachtet  werden.'  Ullrich  hat  sie  doch  vor 
zwölf  jähren  in  aller  öffentlichkeit  aus  dem  einen  rahmen  heraus- 
genommen und  in  den  andern  gesteckt!  am  sonderbarsten  berührt 
es  mich,  dass  B.  später  (s.  13)  sogar  Ullrichs  äufserungen  heran- 
zieht und  gegen  sie  polemisiert,  ohne  deshalb  die  frühere  stelle 
zu  tilgen  oder  zu  ändern,  aber  solche  Widersprüche  sind  bei 
ihm  nichts  seltenes. 

Er  bestimmt  als  hauptmotive  der  'Insel  Felsenburg',  dass 
hier  das  eiland  kein  exil,  sondern  ein  asyl  ist,  dass  sich  die  be- 
wohner  freiwillig  gegen  die  europäische  culturwelt  abschliefseu, 
dass  sie  endlich  diesen  abschluss  nur  aus  geschlechtlichen 
Ursachen  durchbrechen,  ganz  richtig  ist  das  im  dritten  puncte 
nicht,  da  auch  die  notwendigkeit  einen  geistlichen  zu  besitzen, 
zur  durchbrechung  des  Systems  zwingt,  die  hauptmotive  sind 
unvollkommen  vorgebildet  im  'Französischen  Robinson'  (1723) 
und  in  der  freilich  nicht  durchgeführten  anläge  der  deutschen 
bearbeitung  des  'Joris  Pines'  (1 72(i),  ebenso  aber  schon  in  Cirimmels- 
hausens  'Simplicissimus',  dessen  robinsonepisode  wahrscheinlich 
durch  die  lG(iS  erschienene  'Isle  of  Pines',  die  urfassung  des 
'Joris  Pines'  angeregt  ist,  diese  abhängigkeit  Schnabels  von 
Grimmeishausen  hat  Br.  in  der  tat  recht  wahrscheinlich  gemacht, 
auch  lassen  sich  seinen  ausfüliiungen  nuch  stützen  unterschii'beu. 
Albertus  Julius  erlebt  als  knabe  die  leiden  des  dreifsigjalirigen 
krieges,  worin  ein  schwacher  nachklang  der  abenteuer  des  Sim- 
plicius  gefunden  werden  kann,     ferner  werden  durch  (b-n  tranm 


158  RIEMANN    ÜBER    BRÜGGEMANX 

des  einsiedlers  Simplicius  von  Juliis  und  Avarus  im  1(569  er- 
schienenen sechsten  bucli  überaus  künstlich,  die  ereignisse  der 
eng-lischen  revolution,  Cromwell  und  Karl  TL  in  Grimmeis- 
hausens roman  hereingezogen,  dieselben  ereignisse  aber  lässt 
mit  ähnlich  künstlicher  begründung  auch  Schnabel  erzählen, 
indem  er  zwei  Engländer,  Amias  und  Robert  Hülter,  an  der 
insel  Schiffbruch  leiden  und  von  ihren  erlebnissen  berichten  lässt. 
ergänzungen  gibt  dann  noch  David  Rawkins  lebensgeschichte. 
es  ist  demnach  nicht  einmal  unmöglich,  dass  der  name  des  ganzen 
Felsenburgischen  geschlechts,  Julius,  von  Grimmeishausens 
Julus  stammt,  der  durch  das  bei!  endet,  wie  auch  Schnabels 
Stephanus  Julius,  der  Urahnherr,  gleichfalls  aus  politischen  gründen, 
'decoliiert'  wird,  es  wundert  mich,  dass  Br.  diese  ähnlichkeiten 
nicht  aufgefallen  sind,  obwol  er  auf  die  abhängigkeit  von  Grimmeis- 
hausen so  grofses  gewicht  legt. 

Man  sollte  nun  ei'warten,  dass  seine  ausbeute  auf  dem  ge- 
biete der  Utopie  besonders  grols  sei,  aber  das  ist  kaum  der  fall, 
er  tindet  seine  drei  hauptmotive  in  Vairasses  'Geschichte  der 
Sevaramben'  (deutsch  16Si))  wider,  während  Foignys  'Südland' 
(1704)  das  geschlechtliche  problem  etwas  anders  wendet,  in 
beiden  utopieen  wird  eine  ähnliche  kleiderordnung  wie  in  der 
'Insel  Felsenburg'  durchgeführt,  die  patriarchalische  herschaft 
des  Altvaters  Albertus  Julius  scheint  Schnabel  aus  Schütz  'Land 
der  Zufriedenheit'  (1723)  übernommen  zu  haben,  dort  sind  auch, 
wie  auf  der  insel  Felsenburg,  die  perücken  verboten,  es  scheint 
mir,  dass  gerade  hier  zur  ergäuzung  noch  Ullrichs  ausführungen 
herangezogen  werden  müssen,  im  übrigen  ist  zuzugeben,  dass 
Br.  U.s  forschungen  in  einigen  puncten  glücklich  fortgesetzt, 
nicht  aber,  dass  er  ihnen  gegenüber  eine  ganz  neue  bahn  ein- 
geschlagen hat. 

Er  hat  dieses  bewustsein,  weil  er  auf  grund  unzureichenden 
materials  die  seelische  structur  ganzer  Zeitalter  [zu  enträtseln 
versucht,  dabei  greift  er  meistens  fehl,  nicht  der  pietismus 
und  die  empfindsamkeit  allein  haben  das  sociale  empfinden  der 
neuzeit  vorbereitet;  der  aufklärung  kommt  mindestens  die  hälfte 
des  Verdienstes  zu.  Brüggemann  aber  scheidet  in  einer  art  und 
weise  die  ganz  unmittelbar  von  Lamprechts  schematisierungen 
abhängig  ist,  die  alte  und  die  neue  epoche  voneinander:  'kabale 
und  humanität  bilden  den  grofsen  gegensatz,  in  dem  die  voll- 
endeten Zeitalter  einander  gegenübertreten',  die  kabale  ist  die 
kleinbürgerliche  form  des  geistes  der  renaissance;  die  humanität 
erscheint  bereits  'stammelnd'  in  Schnabels  Utopie,  noch  recht 
stammelnd,  in  der  tat!  Lemelie  erhält  die  grabinschrift:  'Und 
also  starb  der  Höllen-Brand  als  ein  Vieh,  welcher  gelebt  als 
ein  Vieh,  und  wurde  allhier  eingescharrt  als  ein  Vieh',  hat  es 
würklich  einen  zweck,  auf  werke  mit  so  robuster  psychologie 
die  verfeinerten  begriffe  einer  anderen  zeit  und  höher  gearteter 


ITTOl'IK    rXD    llOniNSCiNADi-;  ]■)<,) 

naturen  anzuwenden?  mit  vorschneller  verallgenieinerunj?  betont 
B.,  dass  Lemelie  als  adlicher  der  neuen  bürf,'erliclien  cultur 
gegenübergestellt  wird,  adlich  ist  aber  aucli  der  tugendhafte 
van  Leuven,  ebenso  del-  edle  Valaro,  und  der  bieder»'  Rawkin 
beginnt  seine  lebensgeschichte  sogar  mit  den  werten:  'Ich  stamme 
aus  einem  der  vornehmsten  Lord- Geschlechter  in  Engelland  her  . 
wenn  B.  den  gefühlscharakter  der  'Insel  Felsenburg'  deuten  und 
culturhistorisch  werten  wollte,  dann  muste  er  sich  von  vornherein 
darüber  klar  sein,  dass  Schnabel,  ähnlich  wie  der  Verfasser  des 
Faustbuches  von  1587,  nur  mittelmäfsig  begabt  und  gebildet 
war.  zum  vergleiche  waren  vor  allem  Brockes,  Günther, 
Bodmer  und  Haller  heranzuziehen,  aber  sie  werden  gar  nicht 
genannt,  weil  sie  mit  dem  stoffkreise  des  romans  nichts  zu  tun 
haben,  wenn  man  sich  auf  diesen  beschränkt,  dann  soll  man 
auch  nur  von  ihm  reden,  aber  nicht  versuchen,  aus  motivgeschicht- 
lichen forschungen  gewissermalsen  als  nebenproducte  cultur- 
historische  resultate  zu  gewinnen,  hätte  B.  an  die  gröfseren 
Zeitgenossen  Schnabels  gedacht,  dann  wäre  er  vorsichtiger  ge- 
wesen und  hätte  nicht  äulserungen  getan  wie  die  folgende  (s.  .'}1): 
'es  war  lange  in  der  deutschen  litteratur  keine  so  ergreifende 
scene  mehr  geschrieben  worden  wie  die  trauer  Concordias  un) 
ihren  toten  gemahl'.  nach  der  älteren  und  besseren  methode 
suchte  man  zunächst  zum  gefühlsleben  des  einzelnen  dichter» 
vorzudringen  und  fragte  sich  dann,  wieweit  es  als  typisch  für 
die  ganze  zeit  behandelt  werden  könne,  aber  man  fängt  all- 
gemach an,  jeden  deutschen  Schriftsteller  als  den  berufenen 
Sprecher  seiner  zeit  zu  betrachten,  weil  Goethe  das  gewesen  ist. 
wie  haben  wir  uns  den  hofbarbier  Schnabel  vorzustellen?  er  ist 
ein  in  kleinstädtischen  Verhältnissen  und  geldsorgen  verkümmerter 
'projektenmacher',  ein  Vielleser  und  Vielschreiber,  der  sich  mit 
Phantastereien  über  seine  elende  läge  hinwegtröstet  und  erstaun- 
lich naiv  wird,  wenn  er  von  Ungeheuern  reichtümern  oder  auch 
nur  von  festlichen  malzeiten  spricht,  seinen  oft  betonten  Zart- 
heiten steht  eine  ganze  reihe  von  derben  und  lüsternen  scenen 
gegenüber,  besonders  üppig  wuchert  die  erotik,  wenn  es  sich 
um  angehörige  der  romanischen  nationen  handelt,  darin  steckt 
litterarischer  einfluss.  Fürst  ist  der  abhänuis-keit  Schnabtds  von 
spanischen  novellisten  bereits  nachgegangen,  aber  B.  lehnt  .seine 
nachweise  mit  der  schönen  begründung  ab,  die  motive  seien 
derart,  dass  sie  jeder  selbst  hätte  erfinden  können!  ebenso  sind 
ihm  die  von  Kippenberg  nachgewiesenen  ähnlichkeiten  mit  früheren 
robinsonaden  nicht  weiter  wertvoll,  weil  sie  mit  seinen  drei 
hauptraotiven  nichts  zu  tun  haben,  er  meint,  man  müsse  zu- 
nächst das  wesen  des  romans  ergriinden.  'um  alsdann  auch  bei 
der  Untersuchung  des  abhängigkeitsverhältnisses  das  wesentliche 
vom  zufälligen  zu  scheiden',  genau  das  gegentfil  ist  ri.htig. 
von   unten   muss  der  berg  bestiegen  werden,     zunächst   war  da." 


160  RIEMANN    ÜBER    BRÜGGEMANN 

nur  angelesene  auszuschalten,  und  was  dann  als  eigentum  Schnabels 
übrig-blieb,  konnte  als  ausdruck  der  seelischen  disposition  eines 
ganzen  Zeitalters  —  noch  lange  nicht  gelten,  weil  dazu  der 
dichter  nicht  der  mann  ist.  B.s  reduction  des  romans  auf  drei 
hauptbegriffe  hat  ihn  nicht  gehindert,  einige  einzelresultate  zu 
finden,  aber  das  ist  auch  alles,  keineswegs  hat  sie  ihm  dazu 
verholfen.  er  hätte  gewis  mehr  entdeckt,  wenn  er  auf  seine 
Verallgemeinerungen  verzichtet  hätte. 

Ich  gebe  noch  ein  beispiel,  um  zu  zeigen,  wie  hier  die 
speculation  auf  die  dürre  beide  führt,  die  vielen  nachstellungen, 
denen  Schnabels  frauen  ausgesetzt  sind,  leitet  B.  aus  dem 
gegensat70  zwischen  kabale  (bosheit)  und  humanität  (fügend)  ab. 
das  trifft  für  Lessings  'Emilia  Galotti'  zu,  aber  nicht  für  die 
'Insel  Felsenburg'.  Schnabel  kommt  zu  diesen  Situationen  auf 
einem  ganz  anderen  wege:  er  liebt  das  pikante,  deshalb  er- 
findet er  diese  unwahrscheinlichen  geschichten,  in  denen  über 
die  mafsen  keusche  frauen  von  'verhurten  Schand-Buben'  verfolgt 
werden,  das  gegenstück  gibt  die  dem  ersten  bände  als  anhang 
beigefügte  geschichte  Valaros,  in  der  die  frau  das  schändliche 
geschöpf  ist,  der  gatte  der  tugendheld.  als  Valaro  mit  seinen 
gefährten  auf  der  insel  allein  ist,  müssen  sogar  affenweibchen 
der  'verdammten  wollust  bestialischer  menschen'  dienen,  dass  diese 
partien  mit  Schnabels  berüchtigtstem  wei'ke,  dem  roman  'Der 
im  Irr-Garten  der  Liebe  herumtaumelnde  Cavalier'  (1738)  eng 
verwant  sind,  hat  Ullrich  hervorgehoben,  aber  diese  pikanterie 
erstreckt  sich  auch  auf  das  so  oft  bewunderte  liebesidyll  zwischen 
Concordia  und  Albertus,  dass  die  liebenden  allein  auf  der  insel 
sind  und  einander  doch  nicht  angehören  dürfen,  das  ist  im  gründe 
eine  Wielandsche  Situation,  eine  raffinierte  Verlängerung  der  prä- 
liminarien.  kein  wunder  daher,  dass  Wieland  im  achten  gesange 
des  'Oberen'  eine  reihe  von  motiven  der  'Insel  Felsenburg'  ver- 
wertete, die  er  offenbar  sehr  genau  gekannt  hat.  wenn  B.  seinen 
beiden  zum  humanitätspropheten  umdichtet  und  unter  die  Vor- 
läufer Herders  einreiht,  so  gehört  er  nach  meinem  gefühl  eher 
unter  die  Wielands,  verdient  aber  auch  unter  ihnen  nur  einen 
bescheidenen  platz. 

Man  wird  nicht  erwarten,  dass  ich  in  dieser  weise  fortfahre 
und  das  ganze  buch  seite  für  seite  oder  satz  für  satz  durch- 
corrigiere.  ich  habe  diese  proben  nur  herausgenommen,  um  an- 
zudeuten, dass  ich  es  für  einen  methodischen  fehler  halte,  wenn 
wir  uns  der  verallgemeinernden  dai'stellung  in  der  weise  be- 
dienen, wie  es  die  schüler  Lamprechts  zu  tun  pflegen,  das  resultat 
kann  nur  eine  fragwürdige  philosophie  der  litteraturge- 
schichte  sein.  Lamprecht  hat  selbst  oft  aus  zweiter  band  ge- 
arbeitet und  hat  die  fragen  die  ihn  beschäftigten,  nicht  an  der 
band  der  werke  selbst,  sondern  der  litterarhistorischen  dar- 
stellungen  zu  lösen  gesucht,  daraus  ergaben  sich  seine  bisweilen 


UTOl'lK    UND    R0I51NS0NADE  161 

groiszügigen,  bisweilen  durchaus  verschwommenen  scliilderungen. 
seine  art,  die  begriffe  hin  und  her  zu  schieben,  ist  oft  einfach 
die  Hegels,  grade  solche  partieen  änfsern  auf  jüngere  litterar- 
historiker  einen  unheilvollen  einflufs.  sie  können  nicht  rasch 
genug  bei  grolsen  gesichtspuncten  und  allgemeinen  ausdrücken 
anlangen,  schreiben  lieber  die  geschichte  eines  Zeitalters  als  die 
eines  mannes  und  fühlen  sich  immer  erst  wohl,  wenn  sie  ins 
blaue  hineinsegeln,  sie  haben  sehr  grolsen  respect  vor  geschichts- 
philosophischen  begriffen,  aber  sehr  geringen  vor  einzeltat- 
sachen.  weil  ihnen  die  geduld  fehlt,  aus  einer  grofsen  menge  von 
beobachtungen  greifbare  resultate  zu  folgern,  knüpfen  sie  au 
eine  einzige  die  weitgehendsten  folgerungen.  B.s  erstes  werk, 
'Die  Ironie  als  entwicklnngsgeschichtliches  moment'  (1909),  hat 
grade  aus  den  kreisen  der  schüler  Lamprechts  begeisterte  Zu- 
stimmung gefunden,  es  wird  dem  neuen  buche  vielleicht  ähn- 
lich gehn;  daher  rauss  gegen  seine  methode  vom  standpuncte  der 
fachwissenschaft  zunächst  einmal  entschieden   protestiert  werden. 

Leipzig.  Kob.  Riemaun. 


Die  helvetische  rcvolution  im  lichte  der  deutsch-schweize- 
rischen dicbtung.  von  dr  Ernst  Trösch.  [Untersucliuiigcu 
zur  neueren  sprach-  und  litteraturffcschichtc,  hrsg.  von  Walzcl. 
neue  folge.  X.  heft.]  Loipzi?,  llaessel  Hill,  x  luid  22N  ss.  S. 
4,60  m. 

Dem  verf.  hat  in  diesem  buche  oft  sein  draul'gänger-tem- 
perament  eine  wissenschaftlich  objcctive  Würdigung  von  personen 
und  Sachen  unmöglich  gemacht,  er  stellt  seine  eigene  politische 
Überzeugung  viel  zu  viel  zur  schau :  die  interessiert  uns  doch 
nicht,  in  der  helvetik  sieht  er  fast  ein  ideal,  alles  andere  ist 
nichts,  zornig  schimpft  er  als  eingeschraubter  parteimann  da- 
gegen, statt  zu  widerlegen  gerät  er  so  leicht  ins  phrasonliafte 
und  in  unnötige  abschweifungen  vom  litteraihistorischen  ins 
politische,  ich  frage  mich,  ob  es  gut  sei,  in  einer  arbeit  über 
die  politische  dichtung  auch  die  poIitik  und  die  regierungen  zu 
beurteilen,  jedenfalls  dürfte  es  nicht  so  geschehen  wie  bei  Tr., 
4er  alles  um  so  mehr  schwärzt,  je  weniger  es  i»olitisch  radical 
ist,  so  das  ancien  regime,  die  katholiken,  die  aristokraten  (s.  128£). 
so  war  seine  Stellungnahme  gegen  Johann  Caspar  Lavater  und 
Heinrich  Zschokke,  die  er  zuerst  betrachtet,  zum  vornherein 
gegeben:  Lavater  ist  gegen  die  helvetik  gewesen,  folglich  macht 
ihn  Tr.  zu  einem  halbnarren.  Zschokke  war  für  die  helvetik: 
Tr.  hebt  ihn,  nacli  meinen:  emplinden.  zu  sehr  in  den  himmol. 
ausgehend  von  dem  gegensatz  zwischen  dem  urteil  des 
litterarischen  ausländes  und  den  tatsächlichen  Verhältnissen  der 
Scliweiz  kommt  Tr.  zu  dem  schluss,  dass  die  litteratur  des 
ansgehnden  18  Jahrhunderts    der   censur  wegen    nicht  die  volks- 


t(»2  GEIGER    ÜBE«    TKÖSCH 

stiniimuig-  widergab.  so  auch  Lavaters  'Scliweizerlieder'.  es  ge- 
lingt dem  verf.  weder  ein  einheitliches  bild  der  ganzen  Persön- 
lichkeit Lavaters  zu  entwerfen,  noch  sich  von  dem  tiefen  be- 
dauern zu  befreien,  dass  Lavater  die  dinge  nicht  so  schaute 
wie  hundert  jähre  später  Trösch.  richtig  bemerkt  er,  dass  La- 
vater im  anftrag  der  helvetischen  gesellschaft  die  glückliche 
republik  besingen  wollte,  dabei  aber  die  würklichkeit  mit  dem 
bilde  verwechselte,  darin  nur  eine  verhimmelung  schweizerischer 
Verhältnisse  (s.  21)  sehen  zu  wollen,  ist  übertrieben  und  wider- 
spricht dem  was  Tr.  selbst  s.  17  f  richtig  als  beweggrund 
Lavaters  angegeben  hatte,  bei  der  dort  angeführten  stelle  in 
einem  briefe  Lavaters.  darum  schimpft  Lavater  nicht,  sondern 
rühmt,  ich  widerhole:  Tr.  misst  Lavater  viel  zu  sehr  an  sich, 
statt  an  den  Zeitgenossen. 

Bisweilen  sind  Tr.s  Zerrbilder  wol  nichts  anderes  als  tem- 
peramentvolle entgleisungen,  wie  s.  41.  eine  temperamentvolle 
darstellung  ist  ja  im  allgemeinen  ein  unschätzbarer  vorzug,  und 
bei  diesem  buche  sehe  ich  in  ihr  einen  hauptwert:  Tr.  langweilt 
den  leser  nie;  aber  die  elementare  Vorschrift,  dass  der  gedanke 
nicht  unter  der  darstellungsart  leiden  dürfe,  lässt  Tr.  oft  aufser 
acht,  das  ist  doppelt  bedauerlich;  denn  manches  was  er  über 
Lavater  schreibt  ist  gut,  wie,  mit  ausnähme  von  einzelheiten, 
s,  32  ff;  freilich  ist  gerade  bei  diesen  besten  stellen  eine  ab- 
hängigkeit  von  Ulrich  Hegner,  Hedwig  Blenler-Waser  uaa.  deut- 
lich spürbar.  —  wälirend  ich  seinen  Lavater  ablehnen  muss, 
dünkt  mich  Tr.,  wie  schon  erwähnt,  Zschokke  mehr  Verständnis 
entgegengebracht  zu  haben,  auffallenderweise  ist  hjer  Tr.  mit 
seinem  persönlichen  urteile  vorsichtiger  gewesen,  er  gibt  hier 
viel  mehr  objectiven  bericht.  leider;  denn  es  besteht  zurzeit  eine 
Zschokke-frage.  jedenfalls  sind  nach  meiner  ansieht  ideale  (s.  59) 
und  Charakter  (s.  69)  Zschokkes  bei  Tr.s  beurteilung  gut  weg- 
gekommen; ich  gehöre  dabei  durchaus  nicht  zu  den  Verächtern 
Zschokkes. 

Im  folgenden  capitel  behandelt  Tr.  die  dichtung  über  frei- 
heit  und  gleich heit  und  bringt  zahlreiche  proben  der  ver- 
schiedenen gattungen :  manche  stellten  sich  zur  aufgäbe,  ein 
Jahrhunderte  lang  von  seinen  regenten  am  gängelbande  geführtes, 
für  politische  fragen  völlig  blindes  volk  aufzuklären,  das  ge- 
schah durch  zahllose  prosaflugscbriften  in  gesprächsform,  durch 
politische  gedichte,  durch  reden ;  die  töne  waren  oft  gleich  jenen 
freiheitshymnen  eines  Lavater.  durchaus  treffend  scheinen  mir 
die  beobachtungen  Tr.s  über  die  Übereinstimmung  der  phraseo- 
logie  bei  den  freiheitsdichtern  vor  und  nach  1848  zu  sein  (s.  82ff). 
er  befindet  sich  damit  freilich  im  Widerspruch  mit  dem  früher 
über  Lavater  gesagten,  aber  er  wird  jetzt  Lavater  gerecht  (s.  83): 
'wenn  die  vorrevolutionären  versemacher  die  freiheit  besangen, 
so    dachten   sie   in    erster  linie  daran,   dass  in  einem  fürstentum 


DTE    nErA'ETlSCMK    REVOLUTION    IN    DER    DlfUTUNG  1»)3 

oder  einem  künif>ieicli  die  Untertanen  vielt'aoli  für  die  inilli(jnen 
die  am  liofe  versclileudeit  wurden,  uutkomnion  niusten,  während 
die  schweizerischen  ropubliken  veihältnisniärsig-  billifre  und  spar- 
same regierung-en  hatten,  als  eldorado  der  lieiheit  und  des 
glucks  galt  vielfach  das  land,  das  gar  keine  directen  abgaben 
zu  entrichten  hatte',  die  gegner  des  neuen  rühmten  das  'vfir- 
malige  glück  Helvetiens'.  wenn  Tr.  Knhn  und  Häfiigei'  erwähnt, 
hätte  er  den  frühein  und  gar  nicht  sr)  bedeutungslosen  Ineichen 
nicht  übersehen  sollen,  der  grund  warum  lläfliger  während 
einiger  zeit  mit  seinen  gedichten  aussetzte  (s.  7()).  ist  einfaelj 
der,  dass  die  regierung  ihm  abgewinkt  hatte  (vgl.  ^lEsteiniann 
Geschichte  der  alten  pfarrei  Hochdorf,  ISOlj.  ebenfalls  sehr 
richtig  ist  Tr.s  hinweis  auf  die  Unselbständigkeit  der  revoiutions- 
lyrik  (s.  117).  sie  ist  fast  immer  niittelmüfsige  gelegenheits- 
dichtung.  Johann  Martin  Usteris  'Freut  euch  des  Lebens', 
Schubarts  'Kaplied',  'Ca  ira'  und  die  Marseillaise.  ^Matthia.s 
Claudius  Eheiuweiulied,  einzelne  Schweizerlieder  Lavaters  u.  a. 
schwebten  als  muster  vor.  so  hat  die  schwere  zeit  der  Invasion 
keine  dichterischen  meisterwerke  gezeitigt. 

Dass  Tr.  zu  beginn  des  folgenden  sechsten  capitels  i'Jin 
kämpf  der  parteien')  die  politische  poesie  richtig  einschätzt, 
glaub  ich  nicht,  während  er  zuerst,  wol  mit  mehr  recht,  ver- 
mutet, vor  1798  sei  die  poesie  nicht  der  ausdruck  der  volks- 
meinung  gewesen,  nimmt  er  für  die  helvetik  das  gegenteil  an 
(s.  118).  ich  denke,  es  zeigt  sich  auch  da  in  der  politischen 
poesie  doch  immer  nur  die  meinung  einzelner,  eine  tendenz. 
nicht  die  des  volkes.  sich  mit  Tr.  auseinander  setzen  wegen 
seiner  meinung,  politische  dichtung,  zumal  die  einer  revolutions- 
zeit,  sei  nicht  in  erster  linie  nach  ästhetischen  grundsätzen 
zu  würdigen,  einem  unbedeutenden  dichter  gelinge  es  nicht 
immer,  aus  dem  reifsenden  ströme  eine  band  voll  klarer,  edler 
poesie  zu  schöpfen,  ist  nicht  möglich;  denn  auf  grund  ober- 
flächlicher phiasen  ('der  born.  aus  dem  sie  |die  politische  poesie] 
quillt,  ist  nicht  der  goldlautere  quell  der  echten,  rein  künstle- 
rischen lyrik.  es  ist  vielmehr  der  wilde  bergstrom  der  part.-i- 
leidenschaft'  s.  118)  ist  nicht  gut  streiten,  wie  weit  fasst  Tr. 
die  begriffe  der  dichtung,  lyrik.  poesie?  politisch  erregte  zeiten 
haben  denn  doch  schon  oft  echte  poesie  (besonders  von  sonst 
unbedeutenden  dichtem)  hervorgebracht,  not  lehrt  beten  —  und 
dichten,  also  die  tatsache  des  geringen  künstlerischen  wertes 
der  politischen  poesie  zur  zeit  der  helvetik  ist  mit  dem  poli- 
tischen Charakter  dieser  poesie  nicht  erklärt.  —  Tr.  gibt  im 
übrigen  eine  gute  übersicl-t  über  die  Zänkereien  in  versen  von 
hüben  und  drüben,  die  culturhistorisch  (mehr  als  litterarhistorisrh) 
sehr  interessant  ist.  der  geist  dieser  'dichter'  zeigt  -ich  in  den 
parodicen  und  umdichtungen;  die  Marseillaise,  sogar  das  Vater- 
unser und  der  glauben  müssen  herhalten  ('Wilhelm  Teil,  der  du 


164  GEIGER    ÜBER    TRÖSCH 

bist  der  Richter  [Stifter]  unserer  Freiheit,  dein  Name  werde 
g-eheiliget  in  der  Schweiz.  Dein  Wille  geschehe  auch  jetzt  bei 
uns  wie  zur  Zeit,  da  du  über  deine  Tyrannen  gesiegt  hast.  Gib 
uns  heute  deinen  Mut  und  deine  Tapferkeit  und  verzeih  uns 
unsere  vergangene  Erschrockenheit  .  .  .').  die  Verteidiger  des 
alten  sind  nicht  besser;  kaum  schlimmer,  wie  Tr.  mit  seiner 
schwäche  für  die  helvetik  (s.  12Sf)  bei  seinen  bemerkuugen  über 
den  allerdings  hirnwütigen  JJSchweizer,  pfarrer  in  Embrach, 
andeutet,  mit  recht  hebt  Tr.  ihm  gegenüber  als  gutes  beispiel 
den  Berner  collegen  GJKuhn  hervor,  mit  seinem  treiSlichen  'Bueb, 
mer  wey  uf  d's  Bergii  trybe'  u.  andern  mundartlichen  gedichten. 
der  verf.  hätte  noch  beifügen  können,  dass  in  diesem  ganzen 
'dichtersaal'  Kuhn  der  einzige  ist,  bei  dem  würkliche  poesie  auch 
in  den  politischen  gedichten  zu  linden  ist.  auch  Joh.  Martin 
Usteri  hält  den  vergleich  mit  Kuhn  nicht  aus.  dass  der  helve- 
tische director  Peter  Ochs  von  den  auhängern  des  alten  wegen 
seines  namens  beständig  verlästert  wurde,  ist  bezeichnend,  in 
anbetracht  von  Usteris  gehässigkeit  ist  Tr.s  annähme,  in  Usteris 
'Vikari'  sei  mit  dem  revolutionären  'schärer'  (barbier)  Chappi 
der  helvetische  zürcherische  regierungsstatthalter  Joh.  Caspar 
Pfenninger  gemeint,  sehr  ansprechend;  Pfenninger  war  vor  und 
nachdem  er  den  verantwortungsvollen  posten  innehatte,  chirurg 
und  bader.  und  Chäppi-Caspar  lässt  sich  hören,  auch  der  hin- 
weis  Tr.s  auf  die  rolle  des  revolutionären  barbiers  und  der  da- 
maligen schweizerischen  litteratur  ist  wertvoll,  nur  ist  gerade 
bei  diesem  capitel  wider  zu  bedauern,  dass  Tr.  so  wenig  ver- 
sucht, zusammenhänge  mit  der  nicht  schweizerdeutschen  litteratur 
aufzudecken. 

Tr.  stellt  fest,  dass  in  dieser  gesamten  dichtung  der  hass 
der  Parteien  den  gemeinsamen  hass  gegen  die  Franzosen  nicht 
aufkommen  liefs.  nur  beim  föhnbrande  in  Altdorf  1799  ver- 
einigten Zschokke  und  Usteri  mit  rührenden  versen  ihre  stimmen, 
und  noch  in  einem  puncte  trafen  die  gedankeu  der  gegner  zu- 
sammen: in  der  Sehnsucht  nach  dem  frieden.  — 

Tr.  geht  dann  zur  mediations-  und  restaurationszeit  über 
und  betrachtet,  wie  einige  hauptvertreter,  also  etwa  Ulrich 
Hegner,  David  Hess,  JCAppenzeller,  JMUsteri  und  Salomon 
Tobler  die  helvetik  in  ihren  erzählungen  darstellen,  der  verf. 
zeigt  das  bestreben  Hegners  in  'Salys  Eevolutionstagen'  über 
den  Parteien  zu  stehn,  wie  das  nämliche  dem  aristokratischen 
David  Hess  in  der  vom  'Saly'  stark  beeiuflussten  Versöhnungs- 
novelle 'Der  Alte  auf  dem  Berg'  weniger  gelingt,  noch  mehr 
eine  reactionäre  tendenz  vertritt  Appenzellers  'Berghaus',  am 
schärfsten  und  unversöhnlichsten  aber  ist  'De  Vikari'  von 
JMUsteri.  die  lyrik  der  freiheitssänger  wie  des  dichters  des 
Rütliliedes  Joh.  Georg  Krauer,  schweigt  während  der  restaura- 
tionszeit.   und  in  den  dreifsigerjahren  vergessen  die  dichter  die 


DIE    HELVETISCHE    MEVdLUTION    IN     DK«    DfClITUNf;  165 

helvetik;  einzige  ausnähme  sind  die  'Enkel  Winkdiiods'  von 
Salonion  Tobler,  der  ein  ideales  bild  von  den  aufständigen 
Niedvvaldnern  entwirft.  — 

Im  achten  und  letzten  abschnitt,  betitelt  'Historische 
dichtungen',  gelangt  Fr.  zu  den  neuen  und  neuesten  dichte- 
rischen darstellungen  von  helvetikmotiven.  an  stelle  politischer 
tendenz  tritt  das  Interesse  für  den  poetischen  stoff,  grofse  Le- 
gebenheiten,  fesselnde  Charaktere;  eine  neuentdeckte  fundgrube. 
dreien  ist  es  nach  Tr.  gelungen,  echtes  gold  zu  giaben:  Jakob 
Frey,  Gottfried  Keller  und  Meinrad  Lienert.  er  hätte  vielleicht 
auch  Jeremias  Gotthelf  ('Elsi  die  seltsame  Magd')  und  Jakob 
Bosshart  ('Barettlitochter'),  die  er  später  rühmt,  daneben  stellen 
können.  —  nach  der  von  Küster  in  seinem  buche  über  Gottfried 
Keller  (s.  1 1 G)  gemachten  Unterscheidung  von  vier  arten  novellen 
teilt  nun  Tr.  den  stoff  auf  grund  von  vier  technischen  typen; 
ohne  viel  damit  zu  gewinnen,  eine  aufdeckung  der  beziehungen, 
ein  genaueres  Studium  der  entvvickliing  der  motive  wäre  frucht- 
barer gewesen  und  hätte  diesem  capitel  den  skizzenhaften  Cha- 
rakter nehmen  können,  dennoch  gehört  dieser  teil  zu  den  besten 
des  buches.  Tr.  bekundet  hier  ein  sicheres,  nicht  voreingenom- 
menes urteil  und  spricht  es  deutlich  aus.  nach  meinem  emp- 
finden besteht  freilich  zwischen  leuten  wie  Zahn  einerseits  und 
Gottfr.  Keller  oder  Gotthelf  anderseits  noch  ein  gröfserer  unter- 
schied als  Tr.  ihn  sieht,  nach  besprechung  von  künstlerisch 
wertlosen  dichtungen,  wie  des  dramas  des  Solothurncr  land- 
amraanns  Wilhelm  Vigier  'Der  Fall  der  alten  Eidgenossenschaft', 
hebt  er  Jakob  Frey  in  den  Vordergrund,  den  er  den  poetischen 
ehrenretter  der  helvetik  nennt;  um  einen  mehr  oder  weniger 
erfundenen  beiden  stellt  dieser  eine  häutig  ebenfalls  frei  er- 
fundene handhing,  die  fabel  soll  historisches  Interesse  erwecken, 
so  in  der  'Waisen  von  Holligen',  im  'Koten  SchilTer  von  Luzern' 
u.  a.  überall  der  hass  gegen  die  Franzosen,  die  aiistokraten- 
hetze  der  französischen  emissäre;  daneben  eine  glückselig- 
unglückselige  liebe,  ähnlich  auch  im  'Breitenhaus',  mehr  ironi- 
sierend veihält  sich  Gottfr.  Keller  der  helvetik  gegenüber  in 
seiner  novelle  'Verschiedene  Freiheitskämpfer',  frei  gehn  Alfred 
Hartmann  ('Junker  und  Bürger')  und  Heinrich  Zschokke  ('Rose 
von  Jericho')  mit  dem  Stoff  um.  und  dann  auf  die  neuesten 
übergehend  weist  Tr.  hin  auf  Und.  vTavel  C.lä,  gäll.  so  geits!'). 
Jakob  Bossshart  ('Barettlitochter'  und  'Bergdorf).  Ernst  Zahn, 
dessen  'Albin  Indergand'  (sch(»n  Walzel  wies  auf  die  bedenklichen 
anachronismen  darin  hin)  mit  dem  auffallende  parallelen  ent- 
haltenden ein  jähr  altern  'Bergdorf  Bossharts  verglichen  wird; 
und  besonders  Meinrad  Lienerts  'Schellenkönig'.  — 

Summa  snmuiarum  ist  zu  sagen,  dass  Tr.,  sowie  er  loslegt 
nnd  viel  persönliche  nieinungen  bringt,  zb.  im  Lavater-cnpitel, 
leicht  übers  ziel  schiefst,     dann  wird  er  unwissenschaftlich,  ver- 


166  GEIGKR    ÜBER    TRÖSCII,    DIE    HELVETISCHE    REVOIAITIOX 

zerrend,  willkürlich.  umgekehrt  kann  er  unwissenschaftlich 
werden,  wenn  ihm  die  g-eduld  ausgeht,  liebevoll  und  gründlich 
dem  einzelnen  nachzugehn.  beide  hauptfehler  Tr.s  zeigen  sich 
auch  im  stil  (beispiele  etwa  s.  11  'Am  nnhaltbaisten'  bis  'zu 
sprengen',  s.   119  'Wilder  tobte'  bis  'zusammenbricht'). — 

Trotzdem  ich  mehr  Vertiefung  gewünscht  hätte,  kann  ich 
das  buch  als  einen  brauchbaren  führer  auf  dem  gebiete  des  be- 
handelten Stoffes  empfehlen,  wer  die,  hier  (wie  jeder  übrigens 
selbst  gleich  merkt)  besonders  angebrachte,  nötige  vorsieht 
gegenüber  dem  urteil  des  Verfassers  anwendet,  Mird  ein  wert- 
volles material  zusammengestellt  finden  (mit  quellenangaben  und 
Personenverzeichnis  am  schluss),  das  verständnisvoll  geordnet  und 
verarbeitet  ist  und  in  iuteressanter  weise  vorgetragen  wird,  die 
Schrift  Tr.s  ist  aber  auch  für  jeden,  der  die  neuere  und  neueste 
Schweizerlitteratur  gründlich  kennen  lernen  will,  ein  nötiges 
hilfsmittel. 

Burgdorf  (Schweiz).  Eusjen  iieiger  \. 


LITTERATURNOTIZEN. 

Mitteilungen  aus  der  Königlichen  Bibliothek  herausgegeben 
von  der  generalveiwaltuug  I— IV.  Berlin,  Weidraannsche  buch- 
handlung  1912  —  1918.    gr.  8°. 

I.  Briefe  Friedrichs  des  Grofsen  an  Thieriot  herausgegeben  von  Emil 

Jacobs.    1912.    44  S3.    3  m.— 

II.  u.  III.  Neue  ervvcrbungen  der  handschriftenabteilung:  I  Lateinische 

und  deutsehe  haudschriften  erworben  1911.    1914.    121  ss.    8  m. 
—  II   Die   Schenkung  Sir  Max  Waechters    1912.     1917.    164  ss. 
10  m.— 
IV.   Kurzes  Verzeichnis  der  romanischen  haudschriften.     19ls.    141  ss. 
10  m.  — 

Diese  vornehm  ausgestattete  reihe  von  Veröffentlichungen 
aus  und  über  alten  besitz  und  neuen  erwerb  der  Königlichen 
bibliothek  hat  im  Jubiläumsjahre  des  grofsen  Friedrich  einge- 
setzt mit  den  briefen  und  billetts  des  kronprinzen  und  des 
jugendlichen  königs  an  einen  litterarischen  correspondenten,  von 
dessen  eigenen  briefen  einige  die  sich  auf  solche  Friedrichs  be- 
ziehen eingeschaltet  sind.  Emil  Jacobs  gibt  in  seiner  ein- 
leitung  und  den  knappen  anmerkungen  alles  was  wir  zur  Orien- 
tierung brauchen  in  mustergiltiger  form,  aus  dem  Inhalt  nenn 
ich  hier  nur  einen  eigenartigen  beitrag  zu  dem  capitel  'Shake- 
speare in  Deutschland':  unterm  10  vi  1745  ('au  camp  entre 
Friedland  et  Braunau')  verlangt  der  könig  'la  Comedie  du  Sr. 
Gresset  et  les  Tragedies  de  Shackespear'.  —  In  heft  II  hat 
Jacobs,  den  leider  inzwischen  Freiburg  der  Berliner  hand- 
schriftenabteilung entzogen  hat,  28  lateinische  manuscripte  mit 
der    reichen    und    sichern    gelehrsamkeit   seines    Vorgängers   und 


I.l  JIKÜAIIiüNOlIZKN  1()7 

Vorbildes  Val.  Rose  beschrieben;  die  meisten  eil)  »ntstaninitMi 
der  Sammlung  Phillipps,  so  auch  der  älteste  dieser  Codices,  Theoi. 
lat.  fol.  72ti  saec  ix  (aus  SMaximiu  in  Trier:  'Grimlaici  rej^ula 
solitariorum"  mit  den  versen  des  Sniaragdus  auf  die  Henedictiner- 
regel).  anderweit  erworben  wurden  nur  4,  darunter  die  scljijne 
hs.  des  Albertus  Aquensis  Lat.  fol.  67  7  aus  SV^eit  in  Miinchen- 
Gladbach.  bei  Theol.  lat.  qu.  375  errej^t  mir  die  herkuiift  aus 
'kloster'  Herborn  zweifei.  —  näher  f,^ehn  uns  die  deutschen  hand- 
schriften  au,  denen  Herrn.  Dej^ering-  seinen  tlcifs  und  seine 
Sachkunde  zugewendet  hat.  zwar  hat  die  meisten  dieser  gleich- 
falls aus  Cheltenham  stammenden  Codices  schon  Priebsch  be- 
schrieben, und  der  eine  und  andere  ist  inzwischen  auch  schon 
anderweit  benutzt  worden,  aber  doch  bietet  uns  D.s  Spürsinn 
für  die  textüberheferung  und  litteraturgeschichte  des  ausgehnden 
mittelalters  allerlei  neues:  ich  verweise  besonders  auf  s.  H4  ff 
(Joh.  vNeumarkt),  s.  (i7  ff  (der  Osnabrücker  HDissen,  der  in 
Köln  seine  unkülnische  spräche  entschuldigt»,  s.  7:iff  (Joh.  Siederj. 
s.  8Sff  (Joh.  Rothe!),  s.  92  ff  uMich.  Beheim).  auch  cultur- 
geschichtlich  fällt  einiges  ab,  wie  s.  100  die  reclame  eines 
reisenden  arztes.  —  Auch  die  in  III  von  üegering  beschriebene 
Schenkung  enthält  ausschliefslich  manuscripte  der  bibliotiiek 
Phillipps  und  vorwiegend  solche  aus  Deutschland,  die  meisten  in 
deutscher  spräche,  die  schöne  litteratur  des  mittelalters  ist  hier 
vertreten:  durch  handschriften  von  Strickers  Karl  d.  (ir.  (Germ, 
qu.  1475),  Rudolfs  vEms  Wilhelm  ((.xerm.  qu.  14S5)  und  dem 
Wigalois  (Germ.  oct.  4S3);  weiter  nenn  ich  dichtungen  die  wir 
probeweise  bereits  durch  Priebsch  kennen  gelernt  haben :  die 
Passauer  gereimte  Stephanslegende  von  Havich  dem  Kölner 
(in  Germ.  fol.  1278),  'Johann  der  findiing  aus  dem  vergiere' 
(Germ.  qu.  1476),  das  sog.  Liederbuch  der  herzogin  Amalia  von 
Cleve.  das  D.  vielmehr  einer  Katharina  von  Hatzfeld  zuweist 
(Germ.  qu.  14 SO);  in  Germ.  qu.  147!)  steht  eine  scene  aus  einem 
niederrhein  passionsspiel  (s.  7S),  in  dem  mittelfränk.  miscellan- 
codex  Germ.  oct.  477  ein  lascives  gedieht  in  Hotten  Strophen 
(s.  137  f),  in  der  Österreich,  sammelhs.  Germ.  qu.  14b4  neben 
allerlei  didaktischem  (Gate,  Freidank,  Renner)  ein  gereimter 
wundsegen  (s.  96  fj.  aus  den  prosahss.  heb  ich  Ingolds  Gol- 
denes Spiel  (Germ.  oct.  4S2)  und  vor  allem  die  Übersetzungen 
des  pfarrers  Johann  Gottfried  von  Oppenheim  für  srinen  schüler 
Johann  von  Dalberg  '^Germ.  qu.  14  77)  hervor  und  verweise  nocli 
auf  Lat.  oct.  221  (riieinfränk.  Franciscanerklosten,  (term  fol. 
1276  (Nürnberg),  Germ.  qu.  14SI  (Osnabrürk'.  (Jerm.  qu.  148»i 
(fränkische  karthause),  Germ.  oct.  47S  (rheinfränk.,  z.  tl.  aus  dem 
niederländ.  umgeschrieben),  alle  andern  Codices  überragt  an 
alter  bei  weitem  Lat.  676  saec.  ix  aus  Keichenau  resp.  Mur- 
bach (s.  IS— 26):  das  darin  enthaltene  glossar  gibt  0.  s.  24--26 
in    neuem    abdruck.   —  lieft  IV  bringt  nicht  be8chreil>ungen  und 


168  LITTERATURNOTIZEN 

auszüge  wie  I  w.  II,  sondern  nur  ein  knapp  gehaltenes,  durch 
indices  zugänglich  gemachtes  Inventar,  den  wertvollsten  bestand 
der  romanischen  abteilung  bilden  heute  die  1882  erworbenen 
handschriften  aus  Hamilton  Paiace,  von  denen  584  in  Berlin 
verblieben  sind:  verteilt  auf  die  Königliche  bibliothek  und  das 
Kupferstichkabinett,  dazu  treten  die  älteren  bestände,  die  für 
Italien  und  Spanien  überraschend  reich  sind,  und  neuste  er- 
werbungen,  namentlich  französisciie  hss.  aus  der  Sammlung 
Phillipps.  dem  jungen  gelehrten  der  dies  Inventar  aufstellte, 
cand.  phil.  Siegfried  Lemm  war  es  1914  noch  vei-gönnt,  über 
zwei  besonders  wertvolle  hss.  selbst  zu  berichten  (Arch.  f.  d.  stud. 
d.  n,  spr.  132):  über  den  neugefundenen  'Debat'  des  Alain  Chartier 
Hara  144  (Kupf.-Kab.  78,  C  7)  und  über  die  Liederhandschrift 
des  cardinal  Eohan  Ham  G74  (Kupf.-Kab.  78,  B  17);  nachdem 
er  am  30  april  1915  in  Flandern  den  heldentod  gestorben  ist, 
hat  sein  freund  dr  phil.  Martin  Lop  el  mann  die  revision 
und   die   correctur   geleistet  und   die   indices  hergerichtet. 

E.  S. 
M6moires  de  la  Societe  neophilologique  de  Helsing- 
fors  VL  Helsingfors  1917.  353  ss.  8  0.  7  marcs.  —  Dieser 
band  enthält  drei  abhandlungen  die  uns  näher  angehn.  Arthur 
Langfors  'Les  chansons  attribudes  aux  seigneurs  de  Craon,  edition 
critique'  (p.  41 — 87),  der  die  zweite  aufläge  meiner  'Ritter- 
mären' nicht  kennt,  weicht  von  der  dort  vertretenen  auffassung 
nur  darin  ab,  dass  er  das  lied  ^Flne  amours  claimme  en  moi 
pnr  Jiirefage'  dem  Pierre  de  Craon  zuschreibt  statt  einem  der 
beiden  Amaury.  ^A  Ventrant  del  doiiz  termine'  belässt  L. 
Maurice  ii,  freilich  mit  einem  leisen  sprachlichen  bedenken;  die 
drei  übrigen  lieder  die  auch  mit  dem  namen  eines  Craon  vor- 
kommen, weist  er  andern  dichtem  zu.  von  allen  fünfen  gibt  er 
kritische  texte  auf  grund  des  vollständigen  hsl.  materials  — 
Hugo  Suolahti  'Randbemerkungen  zu  mittelhochdeutschen 
texten'  (p.  109 — 125)  verwendet  hauptsächlich  seine  fremdwörter- 
studien  zu  correcturen  und  erlänterungen  von  10  stellen  ver- 
schiedener dichter:  ich  hebe  hervor  Trist.  10  909  gefrunzet  'ge- 
fältelt' St.  gef ranzet ;  Roseng.  F  II  2,  1  gemnosieret  st.  ge- 
viaschieret;  Schlacht  bei  Göllheim  81  vadie  =  vogetie;  Goeli 
4,  31  wird  portenscliei  als  franz.  porie-joie  gefassr,  was  mir 
mehr  einleuchtet  als  Singers  neuerliche  deutung  aus  dem 
schweizerdeutschen.  —  Ivar  Hortung,  'Zur  altsächsischen 
noniinalbildung:  1-formantien'  (p.  127 — 171)  hat  sich  ein  wenig 
dankbares  gebiet  ausgewählt:  arbeiten  wie  dieser  muss  nach- 
drücklich entgegengehalten  werden,  dass  das  sog.  altsächsisch 
doch  nur  in  einer  splitterhaften  Überlieferung  vorligt  und  dass 
darum  die  wichtigste  quelle  zur  eischliefsung  des  älteren  spracli- 
bestandes  und  Wortschatzes  nicht  übergangen  werden  darf:  das 
mittelniederdeutsche!   —   den    band    schliefst    eine    bibliographie 


iMnriUlAfVUMil  I  /  KM  16  'i 

fär  die  Jahre  19l)y — 1915,  dt«  abeiiiiuls  /-eij^i.  weldicn  frucht- 
baren eifer  die  Hnnländischen  {gelehrten  aut  den  jjebieten  d»T 
Tomanische«  und  grermanischen  jjhihdopfie  entwickeln.        K.  S. 

Neaphilolüglsche  niitteiluni^en.    IG.  17.  18.  1 1)  jalirsan{r. 
Helsingfors,  Aktiebolaget  handelstryckeriet  1911,1'.»!  .">,  l!)  1 7,  1 9 1 S , 
238,  212,  18S,  92  ss.  8".  —  Diese  Zeitschrift,  die  durch  den  kriej? 
<;ine  Unterbrechung-  (mit  der  lücke  des  Jahrgangs  191  tij  erlitten 
hat,  enthält  allerlei  was  unsere  Studien  berührt  und  zu  fördern 
geeignet  ist.  naturgemäfs  weniger  auf  dem  gebiete  der  litreratur- 
geschichte  (wo  allenfalls  der  essai   von  HSchück    über  die  neue 
theorie  vom  Ursprung  der  chansons  de  geste  17,  1  —  3o  zu  nennen 
wäre),    als   auf  dem  der  grammatik  und  wottkundc     i(;h  nenne 
die    grundsätzlich     wichtigen     erörtciuiiueii     von     Seiälä    über 
•entlehnang  und  urverwantschaft   (Kl,  l(»5i,    die  durchweg  inter 
essanten   artikel   zur  wortgeschichte  von  Mikkola  (Ki.  4.   172. 
174),  Karsten  (H).  U;o),  Suolahti  (IT.,  1.111;  17,  I  17:  Innhmf; 
19,  10:    ir'tndhiüi(l)   und   HOjansuu   'Beiträge   zu   den    tinnisch- 
:gennaii.beziehungen'(l6,lG,'>;  17,157;  18,1S;  19,49).  lautgeschicht- 
iliche   Probleme   behandelt  HPipping  'Über  den  schwund  des  h 
in  den   altnord.  sprachen'  (lt>,  124)   und   Br.  Sür«3s  'Beitr.  zur 
kenntnis  d.  suftixes  -nnfj,  -iiui  in   den  germ.  sprachen'  (IS,  24v 
in   dem   lot-ztgenannteu   aufsatz    wird   u.  a.   der   dissimilatorische 
aosfall    des    n    in    kanifi    und    honofi    bestritten,    die    nasallosen 
formen    sollen   uralte   nebenformen    si-inl     und    iifrnnig,   Hcnniij, 
Wernigerode  nebst  hundert  andern  eigenuamenV     dabei  operiert 
der  verf.  wider  mit  dem  einwand,    es  handle  sich  gar  nicht  um 
M.  neben  n,   sondern  um  13  neben  n  —  als  ob  dissiniilation  nur 
<Ue   gleichen   und   nicht  auch  nahverwante  laute  treffe!     im  an- 
.schluss  an  seine  dissertation  handelt  E()hmann  weni-  ti.rdernd 
über  die  franz.  nomina  proprio  in  den  deutschen  denkmäh-rn  des 
12  und   \?,  jh.s  (19,  9i.  V..  S. 

Seif  rieds  b  urg  und  Seyfriedsage  (!).  eine 
sagenstudie  in  archiv  und  gelände  von  Otio  L.  Jiriezek.  «a.  au.>» 
Archiv  d.  bist.  ver.  f.  Cnterfranken  bd  mx.  Würzbuig,  univ- 
drnckerei  H.  Stürtz  a.  g.  1917.  7«  ss.  S".  Das  bescheidene 
radiment  einer  Siegfriedsage,  der  Säufritz  von  der  fränkischen 
,8aale,  wird  hier  mit  der  gewissenhaftigkeit  untersucht,  die  wir 
von  Jiriczek  gewohnt  sind,  er  bespricht  zunächst  die  Über- 
lieferung der  localsage.  die  am  frühesten  von  HDaador  isii.'.  und 
dann  (wenn  wir  von  ♦•iuer  knappen  notiz  aus  d.  j,  is39  ab 
sehen)  nur  noch  einmal  selbständig  und  zuverlässi-  vuu  Frran/.er 
1848  aufgezeichnet  worden  ist  denn  dass  LMechstein  (1812) 
von  Baader  unabhängig  sei,  muss  ich  auf  das  entschieden.ste  be 
streiten:  noch  mehr  fast  als  der  einfach  übernommene  »atx 
unterhalb  .scinoi  Geburtsortes  auf  (lentsellnii  lU  rg  eivr  liurq 
awfhauen  liefs  (man  beacht<'  besonders  das  licfs\)  beweisen 
<iie  abhängigkeit  die  Varianten,  die  überall  die  retouche  v»»r- 
A,  F.  n.  k.    \XXVII1  1- 


Ö  7  (•  ;Lrr^ERATUI?^'OTIZK^• 

löteB.  dass  die  sagenform,  wie.  sie  zum  Seyfriedslied  stimmt, 
avkch  von  diesem  abliängig*  ist,  wird  dann  überzeugend  dargelegt, 
und  zwar  liandelt  es  sich  dabei  wol  schon  um  die  gedruckte 
dichtung.  auf  eine  etwas  breit  geratene  geschichte  des  dorfes 
Seifriedsburg  folgt  die  Zusammenstellung  alles  dessen  was  J. 
über  die  frühhistorische  'bürg'  westlich  davon  ermitteln  konnte, 
ÄUf  der  freilich  nie  sachkundige  grabungen  stattgefunden  haben, 
das  Schlusskapitel  findet  den  ausgangspunct  der  localsage  in  dem 
zusammentreffen  des  siedelungsnamens  'Seifriedsburg'  und  eines 
•flnrnamens  'Lindwurm'  in  unmittelbarer  nähe,  für  den  mundart- 
lichen lautwandel  zn^ Llngivunii  bieten  zahlreiche  hessische  Orts- 
namen parallelen,  s.  Arnold  Ansiedelungen  und  Wanderungen  S;  31V» 
und  im  register  s.  675^^^.  E.  S. 

Die  deutschen  bruchstücke  von  Athis  uiid  Prophiila» 
in  ihrem  Verhältnis  zum  altfranzösischen  romah.  Strafsburger 
doctor-dissertation  von  Richard  Mertz.  1914.  88  ss.  80.  - — Die 
bequeme  Vereinigung  der  sämtlichen  bruchstücke  des  deutschen 
Athis  in  dem  Mittelhochdeutschen  Übungsbuch  von  Kraus  (1912) 
und  das  gleichzeitige  hervortreten  von  Hilkas  ausgäbe  des  fran- 
jLÖsischen  romans  (bd  I',  1912)  legte  *  eine  quellenvergleichung 
nahe,  bei  der  der  verf.  durch  Hilka  gefördert  worden  ist.  leider 
•bringt  M.  für  diese  einfache  aufgäbe  nicht  die  nötige  philo- 
logische ausrüstung  mit:  wer  uns  gleich  auf  s.  S  (noch  70  jähre 
nach  Wilhelm  Grimm)  verkündigt,  das  gedieht  (!)  zeige  'eine 
mischung  von  hochdeutsch  und  niederdeutsch',  und  dann  mit  un- 
freiwilliger komik  fortfährt:  'Gervinus,  dessen  philologischen  [!] 
Btandpunct  wir  hier  anerkennend  gelten  lassen  dürfen',  der  be- 
reitet uns  allerdings  darauf  vor,  dass  es  um  sein  Verständnis  der 
mhd.  spräche  und  dichtung  nicht  gut  bestellt  sein  mag.  man 
begreift  nicht,  warum  der  verf.,  der  nach  vielfachen  anzeichen 
der  sprachlichen  Überlieferung  ziemlich  hilflos  gegenübersteht, 
•sich  so  viel  mühe  um  die  einsieht  der  Originalfragmente  gegeben 
•hat  (s.  10  oben  u.  anm.  2),  wobei  er  abermals  übersah,  dass  sich 
A*  in  den  bänden  von  GKönnecke  befindet,  s.  dessen  Bilderatlas 
2  aufl.  s.  55.  —  das  ergebnis  seiner  vergleichung  des  Inhalts 
fasst  M.  s.  6 1  ff  zusammen ;  an  der  spitze  steht  der  satz  'Der 
deutsche  dichter  rauss  die  vorliegende  (!)  französische  version 
gekannt  haben',  nachher  aber  folgen  erwägungen  hinüber  und 
:herüber,  die  s.  64  zu  dem  Schlussresultat  führen:  'Wenn  wir 
nach  alledem  den  französischen  roman  als  die  quelle  des  deut- 
schen gedichtes  ansehen  sollen  (!),  so  kann  doch  dieser  roman 
nicht  in  der  uns  bekannten  form  unserem  dichter  als  vorläge 
gedient  haben,  sondern  muss  bereits  eine  Umänderung  und  stellen- 
weise eine  abänderung  erfahren  haben'  usw.  bei  dieser  Unsicher- 
heit ist  natürlich  das  ergebnis  des  Schlussabschnitts,  in  welchem 
die  beiden  werke  'nach  der  darstellung'  verglichen  werden,  noch 
weniger   befriedigend,     kurz   die  arbeit    muss   noch  einmal  ge- 


ivrrrBRA'r-üKNOTizKN  171 

macht  werden:  sie  hat  sich  wenig^stenb  für  die  schwachen  krätl« 
dieses  anfänf^ers  als  zu  schwer  erwiesen.  K.  H. 

■  Ehf?elhard  von  Konrad  von  Würzbarjr,  hemus^egebeD 
von  Paul  Oeioke  i Altdnutsche  textbibliothek.  heraus','e(;ebei:  von 
H;  Paul  nr.   t7  .    Halle,  Nienieyer   l!)r2.  xi  u.  220  ss.  S».  :j  mj 

—  Dass  neben  der  von  Joseph  erneuerten  llauptschen  ausjrab»' 
des  Engelhard  eine  zweite  bedürfnis  sei,  niochtt-  man  juifi^pMicbtH 
der  fülle  andcrweilij?er  aufgaben  der  edition  iuimerbin  bezweifeln 

—  aber  jedenfalls  war  Gereke  dafür  wol  gerüstet  und  hat  er 
jetzt  den  beweis  erbracht,  dass  sich  sein  werk  auch  nt;beii  der 
vielgepriesenen  und  schon  uhi  ihrer  grundlegenden  ;ininerknngen 
willen  unentbehrlichen  ausgäbe  Haupts  sehen  lassen  kann,  wenn 
er  den  Verdiensten  seiner  Vorgänger  und  zuletzt  noch  meinen 
und  HLaudans  arbeiten  volle  gerechtigkeit  widerfahren  lässt,  ><> 
hat  er  sich  doch  anderseits  die  freiheit  der  entseheidung  überall 
gewahrt  und  nicht  weniges  zur  kritik  des  gerade  mich  dunh 
seine  Überlieferung  für  den  philologen  so  anziehenden  gedihtes 
selbständig  beigesteuert:  wir  haben  es  würklich  mit  einer  neuen 
recensio  zn  tun.  was  man  bekanntlich  nicht  von  allen  bände« 
der  Altdeutschen  textbibliothek  sagen  kann,  es  ist  hier  nicht 
der  räum,  um  in  eine  erörterung  aller  fälle  einzutreten  wo  ich 
vom  herausgeber  abweiche;  ich  will  nur  an  einem  beispiel  zeigen; 
dass  noch  immer  im  text  junge  resp.  erneuerte  Wörter  sttcken.  di« 
auf  das  conto  des  Frankfurter  setzers  von  1573  kommen,  die  verse 
2051 — 54  mit  der  reimfolge  stetere  :  inire.  binde  :  uiitiU  ent« 
Staramen  einer  reminiscenz  an  Hartmanns  (Tregorins,  die  Haupt 
noch  nicht  bekannt  sein  konnte: 

Eng.  2053  f.  IJreg.  38  ft. 

daz  mlnci-  sorgen  bürät  uuä  daz  diu  ffiO-f  sumr 

von   in  'gelthterf  würde  der  süntlirhen  bürde 

ein  teil  gering  et  iciirde. 
geringet  les  ich  Greg.  40  mit  G  und  Pauls  erster  ausgäbe,  während 
eich  Paul  später  mit  Zwierzina  für  uni/er  IK  ents<hieden  bat; 
vgl.  noch  3809f  man  sol  dem  sünditrc  ringen  .s/wr  swa>re,  ferner 
3839f  daz  al  der  snnden  bürde  von  int  entladen  uurdr,  2503f 
(swm-e,)  ivan  duz  ein  kurz  gedinge  ir  muot  tcie  ringe.  d«M 
man  auch  im  Eng.  2054  geringet  einsetzen  muss.  wird  dadurch 
gesichert,  dass  die  Engelhard  -  stelle  nun  ihrerseiu  bei  einem 
nachahmer  Konrads,  dem  Verfasser  von  'Aristotele.'^  und  Phylli«' 
103  f  widerkehrt:  hier  hat  vdllagens  Text  nach  der  Regensbur^er 
hs.  wie  im  der  sorgen  bürd(  ein  teil  germgert  uttrde,  was  maa 
unbedenklich  in  geringet  ändern  mag;  allerdings  haben  di«» 
gleichfalls  jugendlichen  iiss.  von  Strafsburg  und  Karlsruhe  gc 
lihtert  resp!  geleicht,  aber  das  ist  eben  dieselbe  Verjüngung,  di« 
wir  bei  Konrad  im  späten  druck  vorfanden,  ich  trage  kein  bf' 
denken,  p]ngelhard  2054  im  hinblick  auf  den  gleichniäfRigen  Wort- 
laut des  Vorbildes  und  de^  nachahmerH  zn  »chreiben: 


172  LiriEKAlOBNÜTI/  KN 

eilt  teil  geringet  würde. 
wem  dieser  ausgleich  der  drei  stellen  widerstrebt,  mud»  schoa 
annehmen,  das«  sich  bei  dem  dichter  von  'Aristoteles  und  Phyllis' 
reminiscenzen  an  eine  Konradstelle   {der  sorgen  bürde)   und  an 
eine  Hartmannstelle  (ein  teil)  gekreuzt  und  verschmolzen  hätten. 

E.  S. 

D.  Martin  Luthers  Lieder  und  Fabeln  mit  einleitung 
und  erläuternngen  herausgegeben  von  Georg  Uuchwald.  Leipzig, 
Phil.  Reclam  o.  j.  [Universalbibliothek  nr  5913.]  107  ss.  kl.  8. 
0,40  m.  —  Eine  populäre  ausgäbe  mit  modernisierter  recht- 
schreibung,  die  Klippgens  kritischen  text  der  Lieder  zu  gründe 
legt,  zu  nr  37,  dem  von  0 Albrecht  in  der  Nürnberger  kirchen- 
ordnung  von  1537  aufgefundenen  gebetsspruch  in  reimpaaren 
^All  ehr  und  loh  soll  Gottes  sein'  ist  zu  bemerken,  dass  es  sich 
hier  nicht  um  ein  lied  handelt,  angefügt  ist  was  sich  sonst 
von  kleinern  versdichtungen  Luthers  erhalten  hat,  dazu  auch 
'allerlei  kurze  Sprüche'  aus  den  Tischreden,  die  B.  selbst  nicht 
dem  reformator  zuschreiben  will,  den  schluss  bilden  die  Fabeln 
nach  Thiele.  K.  S. 

Luthers  Deutsche  Bibel,  festschrift  zur  Jahrhundert- 
feier der  reformation  im  auftrage  des  Deutschen  evangelischen 
kirchenausschusses  verfasst  von  prof.  d.  Wilhelm  Walther  geh. 
konsistorialrat.  mit  4  bildertafeln.  Berlin,  Mittler  &  Sohn  1917. 
VI  u.  218  SS.  8".  3,50  m.  —  Dieses  gut  ausgestattete,  in 
papier  und  satz  von  keiner  kriegsnot  berührte  buch  'will  dem 
breiten  kreise  der  gebildeten  dienen*,  dass  der  Verfasser  des 
grofsen,  leider  wenig  benutzten  und  allerdings  auch  nicht  leicht 
zu  geniefsenden  werkes  über  die  deutsche  bibelübersetzung  des 
mittelalters  (Braunschweig  1889  ff)  berufen  war,  über  die  Vor- 
geschichte, Zeitgeschichte  und  nachgeschichte  der  Lutherbibel  zu 
schreiben  und  ihren  wert  und  ihre  eigenart  zu  würdigen,  wird 
niemand  bestreiten,  und  wenn  sich  W.  mehr  zeit  genommen  hätte, 
so  wäre  wol  auch  etwas  zustande  gekommen,  woraus  germanisten 
und  theologen  gleichraäfsig  lernen  konnten,  so  aber  hat  man 
vielfach  den  eindruck  einer  überhasteten  arbeit,  die  im  stofflichen 
detail  wie  im  ausdruck  manches  zu  wünschen  übrig  lässt.  um 
ein  beispiel  zu  geben,  wird  in  anm.  85  meine  umfangreiche  be- 
sprechung  des  buches  von  Lindmeyr  über  den  Wortschatz  der 
katholischen  bibelübersetzungen  (GGA.  1900,  274  ff)  auf  die 
Jenaer  dissertation  von  Keferstein  (1888!)  bezogen  —  und  selbst- 
verständlich hat  die  recension  dem  verf.  da  keinen  nutzen  ge- 
bracht, wo  er  sie  unbedingt  verwerten  rauste:  bei  der  be- 
sprechung  von  Emser  (Cochläus) ,  Dietenberger,  Eck.  am  meisten 
neues  bietet  W.  in  dem  cap.  4:  'Rivalen  der  Bibel  Luthers  im 
reformationszeitalter',  aber  das  findet  man  ausführlicher  und  mit 
den  hier  besonders  erwünschten  proben  in  seiner  gleichzeitig  er- 
schienenen   Sonderschrift    Die    ersten    konkurrenten    des    Bibel- 


ül^ersetzers  Luther,  Leipzig  1917.  das  schwierigste  capiteJ 
in  jeder  derartigen  Würdigung  Lnthers,  sein  Verhältnis  zur 
gedruckten  deutschen  Bibel,  wird  s.  r»6  f  ganz  oberflächlich  und 
unbefriedigend  abgetan:  in  dem  alten  buche  von  Hopf  (Nürn- 
berg 1847}  und  auch  in  dem  programra  von  WKrafTt  (Bonn  1NS3) 
tindet  man  darüber  selir  viel  besseres  (jetzt  auch  bei  Roethc 
s.  30  ff,  s.  u.].  gewis  glaub  ich  so  wenig  wie  W.  daran,  dass  I>nther 
bei  der  Übersetzung  des  NT.s  eine  gedruckte  deutsche  Bibel  zur 
Seite  hatte,  wol  aber  war  ihm  deren  Wortlaut  besonders  für  die 
evangelien-  und  epistel-texte  der  perikopen  vertraut  und  gegen- 
wärtig, und  was  die  späteren  revisionen  angeht,  bedarf  die  frage 
einer  heranziehung  der  mittelalterlichen  Bibel  oder  :inch  nur  des 
plenariums  unbedingt  oiner  specialuntersuchnng.  K.  S. 

1.  D.  Martin  Lutliers  bedeutung  füi-  die  deutsdn: 
literatur.  ein  Vortrag  zum  reformationsjubiläuui  von  H.  Koetln-. 
Berlin,  Weidmann  1918.  48  ss.  1  m.  —  2.  Reformation  und 
literatur.  ein  Vortrag  von  P.  .Merker.  Weimar,  IL  Bohlau 
1918.  46  SS.  1,50  m.  und  30  o/o  Zuschlag.  —  In  Roethes 
Lutherbüchlein  vereint  sich  warme  begeisterung  für  die  deutsch- 
volkstümliche persönlichkeit  seines  beiden  mit  scharfer  kritik  an 
liebgewordenen  Überlieferungen  und  urteilen.  Luthers  grenzen 
treten  überall  als  kelirseite  seiner  grüfse  hervor:  er  war  kein 
prophet  des  nationalen  gedankens,  kein  'künstlor'  und  kein  ge- 
lehrter Sprachmeister;  er  war  auch  in  seinen  bemühungen  um 
die  Verdeutschung  des  gottesdienstes  nicht  ohne  Vorgänger,  und 
sein  kirchenlied ')  ist  ohne  die  hymnik  und  die  melodik  des 
ma.s  so  Avenig  denkbar,  wie  seine  bibelübersetzung  die  verständige 
benutzung  der  älteren  versuche  verleugnet;  zu  allen  diesen  fragen 
gibt  R.  wertvolle,  neue  tingerzeige  (Luthers  verskunst  s.  1 1  f., 
mangelnde  stilistische  durchfeilung  auch  der  reformatoiisclien 
hauptschriften  s.  22  f.,  bedeutung  der  Wartburgeinsamkeit  für 
die  kuustform  der  bibel  s.  29  f.,  die  dann  freilich  nachher  unt»T 
ganz  andern  Verhältnissen  festgehalten  und  fortentwickelt  wurde!), 
auch  die  beliebte  wendung:  Lnther  der  vater  der  uhd.  Schrift- 
sprache nimmt  R.  abermals  unter  die  Inpe  und  entwirft  in  grofsen 
Zügen  ein  bild  der  entwioklung  unserer  gemfinspiaili-'  is.  38  f.), 
ohne  die  ungeheuere,  litterarische  bedeutung  d<'r  spräche  l.utliers 
zu  verkennen  (s.  43  fh. 

Roethes  kritische  beleuchtunf;  der  'künstlerischt-n'  bedentun? 
L.8  dehnt  Merk  er  (2)  auf  das  ganze  hl.  jh.  aus.  sein.-r  meinun;r, 
die  refonuationszeit  sei  überhaupt  kein  litterarisches  Zeitalter 
gewesen    und    zwai-    deshnl'.   nicht,    weil   sie  wol  kirchlich.   :iber 

'  Ühcr  J.uilicr  als  meloiJii-nsi-ln.pfer  (s.  KD  (UfsoiultTN  uii  hiiil'lick 
anf  das  k.imp£lied  „Eine  üe.^t«-  bürg")  v^l-  jitit  die  au«j;fxci«-hiicti-  arbeit 
von  Ph.  Wolfrum  (Luther  und  «lie  inusik.  Luthi-r  iiuil  Bach,  ein  vor 
trag  zur  4.  zentenarfeier  litr  reforiiirttioii  H'-iiNlhiTp,  K.  Pffi(f«T.  11)17— If* 
.19  s.      1    ni.),   bpsonilers  !<.   7  f.  ' 


1  7  4  LITTEU  A.TUUN'01TZEK 

nicht  religiös  brs  in  die  tiefen  bewegt  war,  dürfte  sich  einigte« 
abdingen  lassen;  seine  etwas  einseitig-e  Zeichnung  L.s  als  taten-, 
fast  als  reinen  tatsachenmenschen  schränkt  er  ja  selber  an  verv 
schiedenen  stellen  durch  starke  betonung  des  phantasiemäfsigen 
in  seinem  schalten  ein.  gute  beobachtungen  bringt  M.  zu  L/s 
kirchenliedern  fs.  2S  ff)  und  zu  seinen  schriftstellerischen  be- 
ziehungen  zur  inystik  (41).  eine  gewisse  einschränkung  seiner 
breiten  und  lehrhaften  darstellung  hätte  es  vielleicht  ermöglicht^ 
auf  das  Verhältnis  der  beiden  psalmenübersetzungen  von  152J 
und  1524  und  auf  die  vorlutherische  bibel  näher  einzugehen- 
dam  t  wäre  sicher  jenen  weiteren  kreisen  gedient  gewesen,  deren 
bedürfnissen  M.  im  übrigen  glücklich  entgegengekommen  ist.^ 

z.  z.   Heidelberg.  11.  Petscli. 

Die  Wiedertäufer  zu  Münster  in  der  deutschen 
pichtung.  von  Hu^o  Honnsen.  [Breslauer  Beiträge  zur  Lite- 
raturgeschichte, neuere  folge  33.  heft.]  Stuttgart.  Metzler  1913i. 
vin  u.  164  SS.  SO.  4,80  m.  —  Eine  monographie  wie  die  vör^ 
liegende  kann  wenig  nutzen  bringen,  da  sie  sich  der  natur  dei* 
zu  behandelnden  werke  nach  auf  einförmige  Inhaltsangaben  und 
kurze  kritische  bemerkungen  beschränkt,  es  sind  gar  zu  kleine 
leute  um  die  es  sich  hier  handelt,  Hamerling  erscheint  unter 
ihnen  noch  als  ein  wahrer  riese  an  Schöpferkraft,  und  gerade, 
seine  Stellung  zu  der  geschichte  und  zu  seinen  quellen  ist  schon 
vor  H.  behandelt  worden,  daneben  können  nur  etwa  noch 
Vulpius,  Spindler  und  Adolf  Stern  Interesse  erregen,  GHaupt- 
mann  erscheint  zum  schluss  als  der  prophet,  von  dem  wir  die 
dichterische  widerauferstehung  dieses  stoil'es  zu  gewärtigen  haben 
werden,  poetische  Wertstücke  hat  das  1 G  Jahrhundert,  in  dem 
die  bewegung  schon  mannigfache  behandlung  gefunden  hat,  ja 
schlief slich  auch  nicht  geliefert,  aber  deren  etwas  genauere 
durchforschung  und  berücksichtigung  hätte  sich  vielleicht  eher 
gelohnt  und  jedenfalls  sehr  unbekannte  gebiete  erschlossen. 

H   Sehneider 

Die  natur  in  Günthers  lyrik.  ein  beitrag  zur  litteratur- 
geschichte  des  1 8.  Jahrhunderts  und  zur  Würdigung  des  dichter», 
von  Johaane.s  Klewitz  Jena,  Kich.  Müller  1911.  87  ss.  8^.  -v 
Die  arbeit  bringt  als  ergebnis:  das  Verhältnis  Günthers  zur  natur 
erhebt  sich  nirgends  über  das  seiner  zeit,  die  landschaft  hat 
in  seiner  dichtung  eine  untergeordnete  rolle,  nur  der  nacht- 
himmel  ist  ihm  zu  einem  persönlich  ästhetischen  wert  geworden 
(34,  83).  reichlich  ist  der  gebrauch  von  'naturparallelen',  meist 
in  der  form  überlieferter  metaphern.  —  wieso  aus  diesen  fest- 
stellungen  folgen  soll,  dass  der  dichter  die  natur  in  ein  lebendiges 
Verhältnis  zum  Innern  erlebnis  gesetzt  habe,  ist  nicht  einzusehen. 
Günthers  dichterische  Vorzüge  offenbaren  sich  nicht  gerade  in 
seinem  Verhältnis  zur  natur,  wenigstens  wenn  man  unter  natur 
die   summe   der   naturgegenstände    und    -erscheinungen   versteht. 


laTTKr.vrucNon/.KN  \yV$ 

wie  es  der  vt.  «hne  irgendwelche  bef?rifHicheii  lehtlegniig^eu  zu 
jBreben,  voraussetzt.  —  der  verf.  liat  sehr  unreclit,  wenn  er  glaul>t- 
in  seiner  arbeit  systematisch  verfahren  zu  sein  (43).  die  beliebt»H 
anordnung:  orj,^ani3che  —  anorg^anische  natur  verrückt  den  schwer- 
poDCt  von  dem  dichter  aul:  die  sache  und  ist  wirklich  nicht  !?p- 
■eignet,  die  frage  nach  der  dichterischen  g:estaltauj,'  von  narnr 
und  landschaft  auch  nur  oberflächlich  zu  beantworten.  welcl< 
ungleichartige  elemente  tinden  sich  unter  dem  abschnitt  "Wasser" 
vereinigt:  regen,  tau,  tränen,  sclinee,  reif,  eis.  fluss.  meerl  critii. 
und  diese  Zerlegung  wird  zweimal  ganz  parallel  durchgeführt: 
üir  die  'frühperiode  Günthers  bis  zu  seinem  eintritt  in  Leipzig'* 
ii.  teil)  und  für  seine  'weitere  künstlerische  entwicklung'  (ii.  teih.' 
das  ergebnis  der  arbeit  rechtfertigt  diesen  scharfen  chronologischen 
querschnitt  nicht;  denn  was  als  untei-scheidend  angeführt  wird,- 
ist  in  keinem  falle  ein  würklich  bezeichnendes  entwicklungs- 
merkraal.  der  eingeschlagene  weg  hat  den  vf.  zn  ganz  unerträg- 
lichen widerholungen  geführt,  s.  50:  'wenden  wri*  uns  jetzt  zu< 
df^r  tierweit,  und  zwar  zunächst  wider  ihren  geflügelten  Vertretern, 
Sil  tinden  wir  die  meisten  alten  bekannten  ans  der  periode  wider, 
zum  gröfsten  teil  in  unveränderter  Verwendung'  —  ein  satz,  der 
bezeichnend  ist  für  die  dürftigkeit  der  methode  wie  des  stile-s.- 
(ähnliche  sätze  bei  der  rose  46,  beim  wasser  72,  beim  winde  Sl,. 
beim  mond  54).  Studentenjargon  gehört  nicht  in  wis.senschaftliche 
arbeiten:  'in  freundlichen  landschaften  ist  sein  [des  westwindesj' 
auftreten  überhaupt  offiziell'  (80).  —  gewis  ist  das  ergebnis 
der  arbeit  in  seiner  allgcuieinheit  zutreffend,  doch  fehlt  ihm. 
wie  der  ganzen  behandhuig  schärfe  und  abschliefsende  fnrra- 
«jebung. 
'      Brauuschweig.  Friedrich  Kumui^rer.    • 

Die  Veranlassung  und  die  (|U eilen  von  .lohann 
Elias  Schlegels  'Canut'  von  (Justav  Puul  ((iiefsener  Dis.-^er- 
tation).  Darmstadt,  C.  F.  Wintersche  I5uchdruokerei  UM 5." 
54  8S.  8".  Der  verf.  sucht  zunächst  umständlich  nachzuweisen. 
<las8  Schlegel  durch  eine  arbeit  Hans  Grams  (ITl.'ii  über  Knuti 
reise  nach  Rom  auf  seinen  stofi  geführt  wurde,  dieser  erweis- 
ist  m.  e.  nicht  gelungen,  den  gröfseren  teil  der  arbeit  füllt« 
eine  sehr  breite,  ziemlich  änfserliche  untersu'-hung  «b-r  geschicht- 
lichen quellen  des  drauias,  aus  der  sich  ergibt,  das-s  Schlegel 
Aufser  den  von  ihm  in  seinem  Vorhericht*  genannten  srhrift««n 
(vor  allem  Saxo,  dann  Knytiingasaga,  IluitfeUl.  Torffäns,  .sowi»* 
Knuts  Hofrecht)  noch  andere  quellen  benutzt  hat.  lie^dnders  en«r- 
lische  geschichtswerke  des  mittelalters,  wie  Matthaeus  v(m  West 
minster  und  Wilhelm  von  Malmesbury.  i,-elungen  ist  auch  d^r 
nachweis,  das  Schlegel  seine  quellen  ziemlich  frei  benutzte  und 
besonders  einzelne  tatsachen  aus  anderm  zusammenhange  aaf 
seine  eigenen  figuren  übertruir.  wn  er  damit  stärkere  gemät» 
Bewegungen   zu   erwecken   hoffen   durfte.  K.  Pfljich. 


176  j.rrrK«  ATU  R^itwTiXKs 

Briefe  über  die  iiioralität  der  leiden  des  jttngrji) 
Wertliers..  von  Jakob  Mich,  Keink.  Lenz,  eine  verlorejL 
geglaubte  schritt  der  stnriu-  nnd  drangperiode,  aufgefunden  und 
herausgegeben  von  L.  Schmitz-Kallviiberg:.  Münster  i.  W.,  Franz 
Coppenrath  1918.  50  g.  8».  1.20  ni.  —  Von  Lenzens  briefen 
über  den  Wertlier  wüsten  wir  bisher  wenig  nit^lir,  als  was- 
FHJacobi  in  einem  brief  an  Goethe  vom  23  (nach  Dünzer  2r>) 
mai  1775  bemerkt;  er  macht  einwände  gegen  das  kleine,  von 
Goethe  (an  Job.  Fahlnier,  aufang  niärz  1775)  belobte  werk  und 
rät  von  der  drucklegung  ab.  die  litteraturgeschichte  aber  be- 
grüist,  tiotz  Lenzens  'stammelns  und  schnappens'  und  trotz 
seines  'sausenden  tones',  den  kleinen  nendruck  mit  dank:  wäre 
es  auch  nur  um  der  ergiebigen,  wenn  auch  schiefen  parallele 
willen,  die  der  9  brief  zwischen  St.  Preux  und  Werther  zieht. 
Lenz  hat  seine  'brief e'  am  1  märz  17 7ü  in  der  Stralsburger 
litterarischen  gesellschaft  vorgelesen;  die  handschrift  (oder  eine 
eigenhändige  abschrift)  kam  aus  Jacobis  nachlass  an  Hamanns 
freund  Franz  Kaspar  Bucholtz,  aus  dessen  nachlass  sie  Schm.-K^ 
nun  herausgegeben  hat,  die  knappe  einleitung  verrät  uns  nichts 
über  den  heutigen  aufbewahrungsort  und  über  die  nähere  be- 
schaffenheit  der  hs,,  die  zeichengetreu  wiedergegeben  wird,  die 
anmerkungen  geben  zu  viel  und  zu  wenig,  wer  nach  diesen 
briefen  greift,  braucht  doch  keine  belehrung  darüber,  wer  der 
biblische  Sinison  war;  dagegen  wäre  s.  41  Wieland  als  Verfasser 
der  'comischen  erzähhingen'  zu  nennen  und  anderes  zu  erklären- 
gewesen. 

2.  z.  Heidelberg,  18.  8.  18.  U,  Petsch. 

Geschichte  der  deutschen  Goethe-biographie.  ein 
kritischer  abrifs  von  Jlarr.v  Maync.  zweiter  abdruck.  1914. 
Leipzig,  H.  Haessel.  74  ss.  8*^.  1,20  in.  —  Wer  gelegenheit  hat, 
von  Studenten  und  laien  wider  und  wider  nach  'der"  Goethe- 
biographie oder  nach  der  'besten"  Goethebiographie  gefiagt  zu 
werden,  weifs,  wie  grofs  das  bedürfnis  aber  auch  die  urteils- 
unsicherheit  des  grolsen  publicums  auf  diesem  felde  ist.  dem. 
gebildeten  frager  dieser  art  kommt  das  hübsche  büchlein  von; 
Maync  entgegen,  aber  es  ist  natürlich,  dass  der  Verfasser, 
darüber  hinaus,  die  blofse  antwort  eines  'kritischen  abrisses'  zu 
einer  für  den  germanisten  wertvollen  'Geschichte  dei-  deutschen 
Goethe-biographie'  erweitert  und  gesteigert  hat. 

Besonders  zu  begrüi'sen  ist  dabei,  dass  gerade  die  erste, 
im  ganzen  so  wenig  erfreuliche  periode  der  Goethe-biographie 
bis  zu  Viehoff  und  Rosenkranz  (beide  1847)  und  weiter  zu 
Goedeke  und  Herman  Grimm  (1874  und  1874/75,.  Grimms 
buch  im  druck  1876)  eine  so  eingehnde  darstellnng  gefunden 
hat.  die  außerordentlichen  Schwierigkeiten,  denen  das  vei-ständnis^ 
Goethes  in  den  so  wenig  zu  tendenzfreier  Würdigung  geeigneten 
Zeiten  der  revolution    und   reaction   begegnen  muste.    traten  mir 


f.lTT>.KATUKN(r)l/KN  |  7  7 

beim  lesen  j^reitbar  entj,'egen,  nt-ben  der  politiBcben  die  philo- 
sophiBche  Schwierigkeit  (zb.  noch  bei  Koseokranz),  die  noch  von 
der  damals  zu  ende  gehnden  periode  dentseher  j?ei8tes»^ntwi(k- 
\nng  her  unnütii?  den  weg  zn  (Joeth»;  Hpcirte.  den  ersten  an- 
iang  vorurteilsfreier  betrachtung  muss  man  dodi  in  den  oft 
freilich  allzu  farblosen  sammelbücliern  sehr  verschiedei)geartet«'r 
heransgeber  sehen,  von  denen  die  hüherstehnden,  wie  Varn- 
hagen,  gewis  von  der  einsieht  geleitet  waren,  für  eine  eigent- 
liche biographie  sei  es  noch  zu  früh. 

Den  umschwnng  lässt  Maync  mit  Rosenkranz,  \ieliolT  und 
^-  trotz  allem  —  Lewes  sich  vorbereiten,  mit  Hernian  (irimin 
eintreten,  der  mit  recht  sehr  ansgedchnten  üharaktfristik  de.'^ 
(Tfimraschen  buehes  kann  ich  mich  in  lob  und  tadel  nnr  an- 
schliefsen.  d«'r  selbstverständlichen  abweisung  Haumgartnt-rs  folgt 
als  kritische  hauptpartie  des  bnches,  sorgfältig  und  fein  ausgefühit. 
die  vergleichende  Charakteristik  der  (loethebiographieen  h'MMeyers, 
Bielschowskys  und  Heinemanns,  mit  lecht  auch  innerlich  ange- 
schlossen an  die  kritik  Hermann  Grimms,  dessen  werk  die 
nachfolgenden  erst  ermöglicht  hat.  ich  würde  der  im  ganzen 
nnd  einzelnen,  besonders  bei  Meyer,  sehr  tretfenden  Charakteristik 
generaliter  eins  anfügen :  jene  'prästabilierte  harmonie'  der  ereig- 
nisse  in  Goethes  leben,  die  Maync  in  Meyers  darstellung  als 
fehler  seiner  Vorzüge  rügt,  ist  bei  allen  dreien  zu  stark  heraus- 
gebracht —  besonders  bei  Heinemann,  die  innere  not  (ioetheischen 
lebens,  die  schwere  und  in  mehr  als  einer  hinsieht  tragische 
selbstbrfreiung  dieses  angeblichen  gütterlieblimrs.  die  tief  vi-r- 
schattet«»  partien  dieses  strahlenden  lebenskunstwerks,  das  gerade 
daher  »eine  warme,  weil  warm  menschliche  beispiels-  und 
vorbildskraft  zieht  —  die  übliche  antithese  gegen  Schiller  über- 
treibt und  fälscht  — :  von  alledem  gewinnt  man  aus  :illen  dtei 
biographieeu  keinen  zureichenden  begrilY. 

Gebührend  gelobt  wird  von  M.Witkowskis  'haus-  und  Volks- 
buch', zu  recht  abgelehnt,  übrigens  mit  anerkennenswert«  r 
objectivität,  Eduani  Engel,  der  bewertung  (ieigers  mit  seiner 
absichtlich  bescheidenen,  wie  der  Chamberlains  in  seiner  ab- 
sichtlich unbescheidnen  haltung  ist  im  wesentlichen  zuzustimmen, 
etwas  mehr  eingehen  und  eine  viel  stärkere  würdii^ung  hätte 
ich  gewünscht  bei  dem  starken  buche  Simmeis,  obwol  es  ja  keine 
eigentliche  biogniphie  ist  und  obwol  sich  M.  an  anderer  stelle 
(Nene  Jahrbücher  11)13^  auslührliclier  darüber  geäniseri  li.ni. 
ich  bin  überzeugt,  dass  bei  Simmel  die  bisher  tief.ste  auftassnng 
und  deutung  der  geistigen  persiinliehkeit  Goethes  vorligt,  von 
der  die  dichterische  sieh  aurli  in  Sinimels  gesamtaiiilasBung,  trotz 
dem  Vorwort,  nicht  so  scharf  trennt,  wie  M.  zu  versiebn  .scheint 
wichtig  scheint  es  mir.  naciidriuklicli  festzu.siellen.  in  welcbeiu 
mafse  die  jahrzehntelange,  still  revolutionierende  aibeit  der 
fioethephilologie  die  mit   bänden    zn  greifen     -     unerlüMliche 


1  78  LTTTEUA-TÜKNOTIZKN 

voi'aussetjsung' gerade  eines  solcheu  buehes  •  wie  ,  des 'SinwnBlsohew 
war,  desseu  auffassung-  des  'urphänoraiens  Goetbeä'  ;ohhe:  äan- 
gerejoigte  Goethebild^ider  pliilologie  garuicht  denkbar  wäre  ■-^• 
selbst  da,  wo  Simmel  sich  gelegentlich  einmal  gegen  eine  übliche' 
germanistische  einzelauffassung  wendet,  die  mode  werdende,  leicht 
verhängnisvolle  überschärfung  des  Unterschiedes  philosophischer 
und.  philologischer  betrachtungsweise  im  litterarhistorischfen  bezirii' 
fände  hier  eine  sehr  beherzigenswerte  correctur.  .    ' 

Dass  Diltheys  behandlung  (wol  nicht:  auffassung)  Goethes! 
über  die  Simmelsche  hinausgeht,  insofern  sie  auch  den  dichter 
stärker  einbegreift,  ist  zuzugeben ;  hier  ist  aber  in  der  tat  an 
S.s  begrenzendes  vorwort  zu  erinnern.  ,;;,;,•  i 

M.  schliei'st  mit  dem  Idealbild  einer  Goethebiographie,  wie 
sie  sein  müsse:  alle  einzelnen  Vorzüge  der  bisherigen  in  sich: 
vereinigend,  und  doch  'ein  kuustwerk  persönlichster  art  und- 
aus  einem  gusse.  sie  ist  keine  aufgäbe,  die  man  sich  stellen 
kann,  sondern  zu  der  man  geboren  sein  muss'.  in  Wahrheit,  ein 
ziel  dem  nachgestrebt  werden  muss,  trotzdem  und  weil  es<  ein 
idealziel  ist.  —  vor  der  band  aber  heg  ich  den  lebhaften  wünsch, 
dass,  aus  Ms  vorliegendem  kritischen  ahriss  einer  geschichte  der: 
deutschen  Goeihebiographie  jenes  gegenstück  zu  Albert  Ludwigs: 
werk  'Schiller  und  die  deutsche  nachweit'  werden  möge,  daS'  M. 
selbst  als  notwendig  wünscht  (s.'  \2).  '    ■' 

Poseu.  Walther  Brecht,    i    •. 

Schillers  philosophische  ,  begründung  der  ästhetik' 
der  tragödie.  von  Wilhelm  Bolze.  Leipzig,  Xeuienverlag  1913; 
128  SS.  8^.  ;>  m.  —  So  vielfach  auch  bereits  Schillers  theo- 
retisches denken  die  forschung  beschäftigt  hat,  so  ist  doch  der^ 
vorliegende  monographische  versuch,  der  philosophischen  begrün- 
dung  seiuer  dramaturgischen  Ideen  nachzugehn,  m.  w.  der  erste.: 
in  richtiger  Würdigung  dieses  umstands  sieht  daher  der  Verfasser 
sein  ziel  auch  vor  allem  darin,  die  entwicklung  der  Schillerschen 
anschauung  vom  wesen  des  tragischen  uns  in  möglichster  prägnanz 
vor  äugen  zu  stellen,  ausgehend  von  des  dichters  bemühungen,' 
in  den  sog.  'Kallias'-briefen  ein  objectives  princip  des  schönen: 
aufzustellen,  zeigt  er  uns,  wie  Schillers  auffassung  vom  tragischen- 
sich  an  dem  begriff  des  erhabenen  allmählich  heranbildet,  ver-^ 
folgt  der  dichter  in  seiner  vorkantischen  periode  zunächst  da» 
moment  der  tragischen  'rührung',  des  'mitleids",  dh.  die  würkung 
des  tragischen,  so  wendet  er  sich  späterhin  immer  bestimmter 
dem  gegenständ  des  tragischen,  dem  'pathetiscli-erhabenen'  selber 
zu.  immer  klarer  arbeitet  sich  in  ihm  die  auffassung  heraus, 
dass  dies  'pathetisch -erhabene'  'in  zwiefacher  weise  in  erschei- 
nung  tritt,  indem  es  ein  sinnliches  leiden  und  die  Selbständigkeit 
eines  übersinnlichen  Vermögens  gegenüber  diesem  leiden  offene 
hart'  (s.  103).  .    . 

AUein    trotz    dieser   beschränkung   auf  die   interpretiereadiö 


Ln na;  .vtuk>-ottzm^\  fc>,9 

widergabe  des  Schillerschen  .s;;edankenj,'anges  veraäuiut  der  ver» 
l'asser  doch  keineswegs,  gele;<entlicii  nicht  mir  die  j'thwächen 
der  vorgetrairenen  aiischauun?  aufzudecken,  ho  vor  alltMu  ihr»» 
moralistische  befangenheit.  sondern  auch  auf  diejenit,^^ n  punct''- 
hinzuweisen,  an  denen  sich  Schillers  «lenken  mit  dem  anderer 
theoretiker  berührt,  seien  es  nun  ältere  oder  allerniodernstf. 
gleichwol    ist    die    aufg-ewiesene    entwicklungslinie  und    da» 

wäre  vielleicht  das  einzig-  wesentliche,  was  zu  beanstanden  wäre 
—  nicht  eigentlich  mit  dem  ange  des  historikers  gesehen,  zwar 
ist  natürlich  der  Zusammenhang  mit  Kant  eingehend  dargelegt, 
der  'kantischen  grundlage  von  Schillers  ästhetik  des  erhabenen 
und  tragischen'  ist  sogar  ein  eigenes  capitel  gewidmet,  aber 
schon  dass  dieses  capitel  als  erstes  der  eigentlichen  betrachtung 
vorangestellt  wird,  ist  bezeichnend  genug,  denn  verglast  der 
Verfasser  auch  keineswegs  zu  betonen,  dass  die  richtung  in 
Schillers  denken  schon  vor  der  berühruug  mit  Kant  festgelegt, 
war,  dass  auch  manches  aus  dieser  ersten  zeit  sich  dauernd 
gegen  den  Kantschen  einfluss  siegreich  durciigesetzt  hat,  so  be- 
deutet dies  alles  für  ihn  letzten  endes  doch  nur  eine  art  per- 
sönlichen einschlags.  dass  Schiller  dagegen  in  der  hauptsache 
nur  das  weiterführt,  was  ander»",  namentlich  Lessing,  vor  ihm 
angebahnt  haben,  dafür  hat  er  anscheinend  kein  äuge,  ja  er 
wundert  sich  geradezu  darüber,  dass  —  wie  er  zur  'ergänzung'- 
eingehend  darlegt  —  'die  von  moralischen  gesichtspuncten  be- 
einflusste  mitleidstheorie"  bereits  in  Lessings  briefwechsel  miti 
Nicolai  und  Moses  Mendelssohn  eine  rolle  spielt,  und  doch  ist 
im  gründe  nichts  natürlicher  als  das.  freilich  vermögen  wir. 
diesen  Zusammenhang  erst  dann  in  seinei'  ganzen  bedeutung  zu, 
würdigen,,  wenn  wir  uns  die  erkenntnis  Kants,  dass  es  kein  ob- 
jectives  princip  des  schönen  geben  kann,  einmal  in  allen  seinen 
eonsequenzen  klar  vergegenwärtigt  haben,  denn  v(»n  diesem 
augenblick  an  wird  nicht  nur  die  form  der  tragödie,  sondern 
jede  kunstform  eine  im  eigentlichsten  sinne  historische  bedeutuny: 
für  uns  gewinnen.  Schillers  lösung  des  tragischen  problem*. 
wird  uns  als  die  krünung  der  rationalistischen  knnsttheorie  des. 
18  Jahrhunderts  erscheinen,  aber  ihre  richtige  beleiulitung  wird 
sie  doch  erst  durch  den  gedanken  erhalfen,  da.-s  alles  ratio- 
nalistische denken  letzten  endes  ein  systcm  darstellt,  das  wo! 
allgemeingiltigkeit  beansprucht,  .sie  aber  keineswegs  besitzt. 

Doch  -diese   ganze  betrachtungsweise  ligt  d«'m  Verfasser  - 
es  handelt  sich  um  eine  doctoi-dissertation  --  naturgemäfs  nociv 
fern,    wäre  sie  ihm  vertr.uUer.  dann  hätte  er  sich  auch  schwer- 
lich  davon  abhalten  lassen,    der   würkun-   von  Schiller'^    theori»* 
auf   des   dichters   eigene    praxis    nachzuspüren,    statt    nur   ganz, 
flüchtig   auf   das  eine  oder  andere  drama  als  beleg  hinzuweisen 
■finden  wir  uns  aber  damit  ab,  dass  dieser  weitere  horizont  hu-qe 
nirgends    sichtbiir    wiid.    dann    wei-d-n    uir    einrfiiim.n    mü3-»«»n. 


1  so  LITTKRA  rUüNO  nZBX 

da8B  der  Verfasser  aus  eine,  wenn  auch  etwas  8cl»uerfäiiige,  Sf^ 
doch  überaus  gediegene  befaandlnng  seines  schwierigen  themas 
geboten  hat.  er  hat  eine  basis  geschaffen,  auf  der  jiRh  mit 
Sicherheit  weiterbanen  lässt. 

Tübingen.  Frau/,  Ziiikernsi^el. 

Ofrillparzers  ahnen,  tine  iestgabe  zu  August  Sauere 
fiO.  geburtstage,  lierausgegeben  vom  Literarischen  verein 
in  Wien.  Wien  l!)lo.  verlag  des  Literarischen  Vereins  in 
Wien.  4  o.  5fi  ss.  —  Franz  Grillparzer  »stammt  uns  einer 
oberösterreichischen  bauerntamilie.  die  etymologie  des  namen^^ 
ist  nocli  nicht  völlig  klargestellt,  der  zweite  teil  des  wortei? 
wird  aus  dem  slawischen  hergeleitet,  'und  zwar  aus  der  prä- 
position  po  =-  an  und  dem  Substantiv  rcka  =  fluss'.  als  orts- 
bezeichnung  kommt  'Grillparz'  in  Oberösterreich  viermal  voi, 
auch  in  Niederösterreicli  gab  es  orte  wie  Grrillporz,  Grillenporz; 
der  familienname  erscheint  bereits  in  einer  Urkunde  vvn  !44() 
in  dem  Städtchen  Spitz,  eine  der  frühesten  erwähnnngen  eines 
ortes  Grilleporz  in  der  schönen  Urkunde  des  Stiftes  Krems- 
münster von  11 G2  wird  dem  leser  durch  eine  ausgezeichnete 
widergabe  der  Urkunde  in  lichtdruck  vorgeführt,  die  vorfahren 
des  dicliters  tauchen  zuerst  in  der  herschaft  Bergheim  (an  dei- 
Donau)  in  Oberösterreich  auf,  gar  nicht  weit  vom  schlösse  Berg- 
heim liegen  2  Grillparzer  höfe  (am  Rottenbeig  und  zu  Nieder- 
oberndorf),  von  denen  einer  der  familie  den  namen  gegeben 
haben  mag.  Georg  Grillparzer  (1614 — 1694)  ist  als  Stammvater 
des  geschlechtes  anzusehen,  sein  urenkel  .Tosef  zog  als  binder- 
geselle nach  Wien,  wo  er  1755  als  bestand wirt  im  Lerchenfelde 
erscheint,  dessen  söhn,  der  vatei-  des  dichters,  erwarb  die 
juristische  doctorwürde  und  wurde  hof-  und  gerichtsadvocat  in 
Wien,  die  mutter  war  Anna  Franciska,  tochter  des  decans  der 
Wiener  Juristenfakultät  d)-.  Christoph  Sonnleithner,  dessen  vatei" 
Johann  Michael  als  beamter  im  Temeser  banat  schon  im  alter 
von  36  Jahren  dem  sumpfklima  der  TJieilsniederungen  +irlegen 
war.  der  urgrolsvater  .Josef  S.  (1659 — 17HI)  war  besltzer  einer 
schiffmühle  in  einem  jetzt  längst  zugeschütteten  Donauarme  iß 
Wien,  in  der  ahnentafel,  die  nur  bis  zu  den  grofseltern  voll- 
ständig ist,  von  den  S  ahnen  nur  noch  5,  von  den  i6  ahnen 
nnr  8  (oder  eigentlich  nur  6)  und  in  der  6.  reihe  schliefslich 
nur  noch  den  ältesten  träger  des  familiennamens  Grillparzer 
bringt,  stehn  die  namen  Grillparzer,  Änzinger,  Hofmann  (aus 
Freudenstein),  Reitermayr,  Blum,  Sonnleithner  (aus  Wien),  Schenz 
(aus  Wien),  Doppler  (ans  Wien),  Schindelböck  (aus  Freising  in 
Bayern),  Diewald.  irgendwie  hervorragende  Persönlichkeiten,  auf 
die  man  an  dem  enkel  hervorstechende  eigentümlichkelt'^n  zu- 
rückführen könnte,  kommen  auf  der  —  allerdings  auch  gar  zu 
unvollständigen  —  tafel  niclit  vor.  in  der  einleitung  ist  vom" 
bearbeiter   dr  Budolf  Paver  von  Thurn   auch   kaum  ein  v^ersueh 


i,n  ii;i;Aiij):Nori/.icN  .181 

pacb  der  richtuuj;  iiiii  gemacht,  es  i.st  v\ul  anzunehmen,  dAM 
])e\  weiterer  torschunj;  noch  mehi-  nachricliten  zu  tafje  kouimeo 
könneB,  das  leider  etwas  unübersichtliche  buch,  dem  auch  ein 
register  fehlt,  ist  mit  liebe  zusammengestellt  und  sehr  gut  aus- 
gestattet, die  eingeschalteten  bilder  und  vorzüglichen  lichtdruck- 
tafeln  (porträts,  Urkunden,  ansicliten)  sin»!  eine  (laiikt'iis\v(;rt*^ 
zugäbe. 

Von   der   familie  Grillparzer  lebt   nocli   ein    ib58  geborener 
grofsneffe  des  dichters  Franz  Grillparzer  in  Wien.      c.  KnetK«li. 

Der  welirstand  im  volksmund.  eine  sammlunj;  von 
sprichwortern,  Volksliedern,  kinderreimen  und  inschriften  an 
dentschen  wallen  und  geschützen  herausgegeben  von  Undolf 
Eckart.  München,  Militärische  Verlagsanstalt  l'.HT.  121  ss 
S".  '-i  m,  -  Aus  einem  knappen  dutzcnd  bequem  zugänglicher 
werke  hat  der  verf.,  von  dem  man  freilich  nichts  besseres  gewohnt 
ist,  ohne  kritik  und  geschraack  eine  roh  geordnete  auslese  ge- 
troffen, der  die  Verlagsbuchhandlung  eine  unverdient  gute  aus- 
ütattang  zuteil  werden  liefs:  Schwabacher  typen,  abbilduugen 
nach  holzschnitten  .Tost  Ammanns  und  das  beate  papicr.  schade, 
würklich  schade  in  dieser  zeit  der  papicrn<>tl  K.  S. 


KLEI  N  E    M  I  T  T  E  I  L  U  X  G  E  N. 

ZUR  ALTENTÖTUNG.  JGrimm  KA.M  s.  66!i— tiTt  hat 
die  nachrichten  gesammelt,  wonach  alte  oder  gebrechliche  lente 
in  dei  germanischen  frühzeit  sich  entweder  selbst  den  tod 
gaben  oder  in  fällen  öffentlicher  not  und  ganz  allgemein, 
wenn  das  alter  oder  die  gebrechlichkeit  herankommt,  getötet 
wurden,  auf  das  erstere  gehn  die  von  Grimm  1  s.  <>70 
zusammengestellten  notizen  aus  Island,  deren  l)e\veiskraft 
freilich  von  KMaurer  Vorlesungen  IV  s.  51  sf  erschüttert  wor- 
den ist:  auf  das  letztere  die  oft  (zuletzt  von  Schreuei  in 
Zs.  f.  vergl.  rechtswiss.  :H  s.  10  anm.  '.))  besprochen«-  stelle 
bei  Prokop  vjrsg  tiTn'  jfoXf.tuov  VI  II  i?  '1 — §  4  nach 
diesen  bisher  bekannten  belegen  sind  es  vor  allem  die  Skandi- 
naven  und  gotischen  stamme,  bei  denen  der  brauch  erwähnt 
wird  —  dazu  kommt  nun  abei-  noch  eine  weitere,  bisher  nach 
meinem  wissen  unbenutzte  angäbe,  die  denselben  ganz  all- 
gemein für  die  Goten  bezeugt,  sie  steht  in  einer  licmili«'  fi< 
cfjv  jtivir^/.oaT)]v  (Migne  Patr.  gr.  52  col.  S(i:n).  die  zwar  an- 
scheinend nicht  von  Johannes  Chrysostomus  herrührt,  aber  im 
anfang  des  r>  Jahrhunderts  entstanden  sein  muss;  denn  sie  ist  g'« 
schrieben  unter  einem  kaiser.  der  söhn  und  vater  eines  Theodosius 
war,  also  unter  Arkadius;  dass  der  kaiser  als  vater  geschildtrt, 
aber  doch  von   ihm  gesagt  wird  h    fi(')0(;i   i)).iy.ict,  jimohitui- 


^■■82  KLX.rKE    MITTEILl'NGEN 

•v-iyv  dk  aoffiav  evdsr/.vv^evog,  ist  kein  wideisprncb.  der  allenfälla 
<so  die  bei  Migne  aao.  col.  803 f  genannten)  die  Worte  Qeoöoolov 
'i'tög  xai  ü  rrarriQ  QeofioGiov  und  damit  den  anhält  für  die  ent- 
stehungszeit  als  glosse  zu  beseitigen  nötigte;  denn  gemeint' ist 
nnr,  dass  jener  kaiser  in  einem  dafür  überfrüben  (aw(>oc)  leVens- 
alter  'graue'  weisbeit  besitzt,  was  auch  von  einem  eiiiundzwanzig-- 
jährigen  gesagt  werden  kann,  in  dieser  predigt  aus  dem  än- 
iang  des  5  Jahrhunderts,  also  einer  zeit,  wo  man  im  osten  die 
Goten  besonders  gut  kannte,  beif st  es:  ;(Qd  rovrov  rfegüai. 
Hr]T£Qag  iydfiovv  OTjuegov  vrag^svlav  daxovai,.  IIqö  rovrov 
r.öt^oi  TtaxiQüc  dnlY.T£ivuv'  Oi'jjicQOv  to  alua  amdiv aIiusq 
avaeßeiag  ixxvsiv  o/rovödCovat  (aao.  col.  SOS),  uunraebr  kann 
kaum  mehr  ein  Zweifel  darüber  sein,  dass  die  nachricht  des  Prokop 
von  der  alten-  und  krankentötung-  bei  den  Herulern  richtig  ist 
und  die  einricbtung'  bei  allen  gotischen  Völkern  bestand. 

Würzburg.  p:nist  Maj^r.s- 

••■■  •  'Maria  zart'.  Von  den  fünf  fassungeti  die  Wachet hagel 
mrchenl  II  SO'Mi  ahdrucfct  [vgl.  dazu  Nd.  j ahrh.  U;^T ft 
15,  8  ff],  entstammen  die  ältesten  einer  Werniqeröder  lisi  von 
ca.  148S  (nr  1035)  und  einer  Miinchener  von.  ca.  1505  (nr  1036). 
etwa  gleichzeitig  mit  dieser  ist  eine  (unvollständige)  aufzeichumg 
der  ersten  Strophe,  die  mir  Küch,  der  director  unseres  Staats- 
archivs, freundlichst  mitteilte,  auf  einer  nicht  vollzogenen  Ur- 
kunde (Marburg,  aht.  Deutschorden  1493  at/^r.  24),  :<^i!?  zum 
Umschlag  für  das  küchenreg ister  des  ordens  vom  jafire,\  öOii 
benutzt  nnirde  und  die  aufschrift  trägt  Jacob  Brum.  reatschriber^ 
steht  vol  von  dessen  h and:  ,     .■•■.;•:;.• 

Maria  zcart       vann  etler  artt    |  i    ;;.,•■ 

Eynn  roeß  ane  alle  doerne   j 

Du  baist  vß  macht       erwidderbracbt  ; 

daß  vor  lange  was  verlorenn   j  '  '   ■ 

durch  Adams  vall  dir  hait   j    die  waell 

sannt  Gabryell    \    versprochenn 

Hilfi;  das  nit  werd    j    gerochenu 
.;  myn  sund  vnd  schult   ]    Erwirb  mir  huldt 

,::■['  want  keyn    |    trost  ist.      wae  du  nit  bist         ••■.     ":iv-  ■ 

Barmhertzigkeit  Erwerbenn.  '■  >  fi  - 

Marburg  i.  H.  Ferd.  Wrede,./ 

EIN  BRIEF  J.  GRIMMS  AN  DR  BACH  IN  FULDA.    =! 

Der  nachstehnde  brief,  dessen  abschrift  mir  dr  Max  Morris 
übermittelt  hat,  befindet  sich  im  besitz  von  professor  Georif  Sdhuls 
in  Berlin- Grunewald,  der  adressat  hatte  sich  zu  auszügtn  'für 
das  Deutsche    Wörterbuch,  erboten.  •'■•     '-'  - 


Ki/BiNK  Mrrrt;iLuN<ii:N  1 83 

Über  dr  Bach,  verdanke  ich.herrn  prof.  dr  Haas  i/t  h\dda 
die  folgenden  biographischen  angaben:  Nicolaus  Bach  wurde  am 
■li' 'ßiilgü^st  18Ö2  zu  Montabaur  im  Wcsierwald  geboreii,  er  stu- 
diefte  in  Bonn  und  Berlin,  wo  'Wv Humboldt  sein  hoher  gönner 
war;  18^8  wurde  er  Oberlehrer  in  Breslau  und  habilitierte  sich 
gleichzeitig  an  der  dortigen  philosophischen  facultät;  1835  be- 
i-ief  ihn  die  kitrfürsit.' hessische  regicrung  als  director  an  das 
ggmnasium  in  Fulda,  wo  er  schon  1841  gestorben  ist.  ir  hat  sich 
äl.^  Philologe  hauptsächlich  diirch  arbeiten  über  die  griechischen 
iijriker  und  elegiker  bekannt  giemacht. 

Nach  der  srhlusswendunf/  unseres  briefes  muss  man  woJ 
■annehmen,  dass  Bach  sich  auch  mit  der  alteren  deutschen  lil- 
ieratur  und  spräche  ernsthaft  beschäftigt  hatte;  bekannt  ist  da.- 
von  nichts,  auch  aus  den  Fischärt-aus.ivgen,  die  ihm  der  brief 
^iahelegt,  scheint  nichts  geworden  zu  sein:  wenigstens  wird  Bach 
in  der  vorrede  zum  ersten  bände  des  DWB.s  nicht  erwähnt.    E.  S. 

Hochgeehrter  Herr  Director, 

Wahrscheinlich  sind  Sie  von  der  ferienreise  Zurück- 
gekehrt, und  ich  darf  nun  Ihre  bereitwillige  erklärung  dank- 
bar annehmen  und  Ihnen  das  nähere  niittheilen.  Gerhard, 
Fleming  und  Angelus  Silesius  sind  bereits  vergeben;  möchten 
Sie  sich  nicht  an  etwas  schwerem  üben?  an  einem  der  bücher 
von  Fischart  (aulser  der  Geschichtsklitterung,  die  schon  be- 
••■  sorgt  wird),  etwa  dem  Bienenkorb,  einem  ganz  ketzerischeh 
"werke,  das  aber  doch  wol  in  Fulda  zu  finden  ist  oder  ich 
Ihnen  von  hier  senden  könnte?  Freilich  fordert  dieser  uutov 
besondere  rücksichten,  die  ich  Ihnen  aber  auch  eher  als  anderli 
mithelfern  zutraue.  Er  ist  an  spräche  sehr  gewaltig,  wird 
dadurch  aber  auch  zu  wortertindungen  und  unerhörten  Zu- 
sammensetzungen gereizt,  auf  die  es  uns  beim  w.  b.  minder 
ankömmt.  Die  excerpte  werden  auf  t^inzelnt;  sedezblättchen 
nach  beifolgendem  muster  geschrieben,  wir  hulten  es  so,  dass 
wir  im  zweifei  ein  wort  lieber  aufnehmen,  als  abweisen;  was 
demnächst  bei  der  redaction  leichter  sein  wird,  es  zu  bei- 
seitigen,  als  nachzuholen.  Übrigens  wird  nicht  allein  da*< 
lexicalisch,  auch  das  grammatisch  merkwürdige  ausgehobeü. 
Doch  alle  solche  anweisnng  kann  ich  mir  bei  Ihnen  ersparen. 
Mit  unserer  alten  und  neuen  spräche  vt^rtjaut.  .«sehen  Sie 
leicht  woran  es  gelegen  ist. 

Mit  aufrichtiger  hochachtung  und  ergeb^nheii 
dei   Ihrige 

Cassel  29  Aug.  1S3'.).  .'acob  ürimm 

Herrn  Gymnasialdirector  Dr  Bach 
fr.  Fulda. 


184  PKOtSONALNOTiri'IN 

P  E  K  S  0  N  A  L  NOTIZEN 

Am  10  Januar  1918  starb  in  Lübeck  dr  Arthur  Koia«, 
Avolverdient  um  die  erforschang  des  volks-  und  i^^esellschafts- 
liedes  vom  10  bis   18  Jahrhundert. 

Am  25  august  191 S  verschied  in  Berlin  der  dr  med.  et 
phil.  h.  c.  Max  Mokris,  dessen  eifervoller  hingäbe  wir  u.  a. 
die  neubearbeitung  des  Jungen  Goethe  verdanken. 

Die  englische  philologie  erlitt  einen  neuen  verlust  durch 
den  tod  von  Wilhelm  Vietor,  der  am  '22  September  1918  im 
•jS  lebensjahre  zu  Marburg  starb. 

Im  75  lebensjahre  verschied  am  30  october  zu  Leipzig 
Ernst  Wi>,-disch  —  vor  50  jähren  hat  er  durch  seine  von 
Zarncke  augeregte  jugendschrift  über  die  quellen  des  Heliand  der 
wissenschaftlichen  discussion  über  die  aitsächsische  bibeldichtung 
ihre  richtung  gegeben. 

Ende  december  starb  in  Wien  der  gymnasialdirector  prof. 
dr  Gustav  Waniek  im  69  lebensjahre,  der  sich  nameutlich  durch 
seine  nach  inhalt  und  form  wolgelungnen  büclier  über  Pyra 
und  Gottsched  unsern  dank  verdient  hat. 

Am  23  Januar  1919  verschied  zu  Greifswald  ^.2 jährig  prof. 
dr  Wolf  von  Unwerth,  während  er  hoffnungsfroli  in  der  ein- 
rieb tu  ng  des  neuen  Nordischen  Instituts  begriffen  war. 

An  die  Universität  Leipzig,  wo  prof.  Kaül  von  Bah  der  in 
den  ruhestand  tritt,  wurde  prof.  dr  Johann  Andreas  Jolle.«* 
von  Gent  als  ao.  professor  für  flämische  und  nordniederländische 
spräche  und  litteratur  berufen.  —  Ebenda  habilitierte  sich  für 
•  englische  philologie  dr  Herueiit  Schäii-ler, 

EHRENTAFEL    IIL 

•  Für  das  Vaterland  gefallen  sind  von  deutschen  germanisten 
weiterhin:  dr  Albert  Hanenbkrg,  assistent  am  Rheinischen 
Wörterbuch  (Niederrheinische  dialectgeographie),  f  1915  im 
Osten;  gymnasialprofessor  Rudolf  Heym  aus  Hildburghau.sen 
(Spiel  von  Marien  hiramelfahrt),  f  21  noveraber  1914  als  haupt- 
mann  d.  1.  bei  Czenstochau;  dr  Ernst  Kaupert  (Mundart  der 
herschaft  Schmalkalden),  -J-  1914  im  westen;  dr  Hans  Wix, 
assistent  am  Sprachatlas  (W^estfälische  dialectgeographie),  f  1914 
im  westen;  dr  Gustav  Wollermann  (Deutsche  gerätenamen) 
f  20  october   1918  an  seiner  vierten  Verwundung. 

Aus  dem  bericht  des  Akademischen  Vereins  der  germanisten 
in  Wien  seien  ferner  verzeichnet:  di-  Ernst  Hladny,  dr  Ewald 
Hofer,  dr  Anton  Kinzel.  .: 

Der  in  der  ersten  ehrentafel  (nacli  der  Zs.  f.  d.  phil.)  ge- 
nannte dr  Bernhard  Lundius  hat  sich  erfreulicherweise  zum 
jleben  zurückgemeldet. 


REGISTKR. 

Die  zahlen  vor  denen  ein  A  sfelif,  beziehen  sich  avif  die  soitLMi  des  Anzeiger», 
die  übrigen  auf  die  Zeitschrift. 


Acceut,  rheinischer  A  14 ff 
actionsarten,  got.  A  Iff;  verhältuis 
■/..  tempusbildung  A  fl  ff ;  griech. 
A8ff. 
Aelfrics  hirtenbriefe  A  108 
Aitheda,  altirisch  A  G4 
Alanus  141 ;  Summa  de  arte  praed. 

144.  184.  2(»2 
Alcuiu,  Disputatio  de  rhetorica  et 

virtutibus  141 
Alexander,  Vorauer.    rühr,  reim  66 
altentötung  A  ISl 
Andreas  capellanus  145.  214 
anthrupologie,  scholastische  ITlif 
apokope  im  rheinischen  A  16  ff 
Aqnitanien  in  d.  Römerzeit  A  12S 
Aristoteles,  ethik   l.'lSf.  148 f.   153. 

160.  164.  ITii 
armenbibeln  195 
'Athis  u.  Prophilias'  A  170 
au\ou  fränk.-thüring.  grenze  A  71  f 
HvAue,  z.  kritik  d.  Büchleins  247 f; 
rühr,  reim  3 — 15;   gebrauch  von 
har.fruot,  snel  14  aum.;  tugend- 
lehre   172—210    214;    aHeinrich 
ISS— 194.    195.    199.    20!>.    213; 
V.  391  :  190  anm.;    Büchlein  163. 
172  -  178.  196.  199.  212;  Erec  175. 
194—202.  203.  20tU.  209f;    Gre- 
gorius  157.  175f.  17S— 188.  192f. 
195— 19S.   204.   209:    Iwein  192. 
194  —  196.  199.202—209.  212.215: 
lieder  198.  201 
Augustinus,  morallchre  139  f.  183; 
De  civitate  Dei    139.    166.    168. 
179.  187  f.  191 

NBach,  brief  an  ihn   von  .Uirimni 

A  I82f 
Balderjage  u.  Longinus  A  1  l'f 
Bamberger  glaube  u.  beiclitf  llti 
barbier  als  revolutionär  .\  161 
Barlaani,  Laubacher  .\  51  tf 
bäum  der  liel)e.   der  tugt'uden   174 
Bedalis  A  63 
Benedictinerrogel     175.    179.    l'^2. 

184.  ISS 
A.  F.  ]>.  A.     .\.\.\N  III. 


Benrather  linie  A  15 

Berchtung  in  d.  Wolfdietrich.sage 

A44f;    zahl  s.  .söhne  A  46 f 
Berker  im  k Rother  A  48 
Bernhard  vClairvaux  157f    175 
bibliothekskataloge  des  nia  .s  .\  121  ff 
bit,  Verbreitung  .V  6*> 
'Biterolf,  rühr,  reim  72 f 
Boecis,  i)rov.  14t. f  anm  2 
Boethius,    De  consolatioue  philoso- 

phiae  139.   146-149.  168 
Bonifatius,  briefe  A  97f 
CBovillus  (Ch.  de  Bovelles)  135.  280 
SBrant,  flugblätter  A  110 
Cl.  Brentano,  Wehmüller  A  156 
hrnurhen  "biegen'  65  anm. 
Brünhildenstrafse  nä.  83 
lUichlein,  sog.  II  173 
burgenkunde  A  99 
Buffiotulen   im  Nibl.  241  f,    Klage 

242,  Biterolf  242,  Waltlier  u.  Hil- 

degund    24;<:    woher   die    form'' 

243  ff 
liur;/u/idiones—  lJur;ioncliones  243  f 
fiarguntlnnt,  Bunjuntriche  24  I  f 

'Cato',  mhd.  215 

t'hrestien  vTroyes  198  f.  204.  200  fi 
chiistlichir  rittVr  141.  15t».  1S4.  210 
Cicero,  morallehre  139f.  141  ff  147  tl. 

151.   153.  157.   16t).  1«4.   173.  175. 

184.  189;  im  ma.  14ti 
circnnirtexidii  im  rlninischen  A  19f; 

Verhältnis  ■/..  .schürfiing  A  23 

daktyli.scber  rliythmus   .\  Nif 
dehnung.  mittclripuar.  .\.  2:tf;  in  <\. 

m<la.  der  Sciiwalm  .\  W 
ilt-n,  tU-t,  ntu.schwed.    \  101  f 
'fer-,  md.  prätix  .V  7  1 
'dcut.-^ch',  herkunft  A  13t>ff 
diilitunir,  object  n.  subject   in  ihr 

A  77  ff 
dienstmannensage  A  4> 
Dietrich  nU  verstocknanie  A  50 
\Vi>iltli.y  A  T7f 

13 


18() 


REGISTER 


diphtliong-ieruug-,  rlieiuische  A  19ff ; 

in  d.  Neumark  A  21  f;    im  hiat 

A  26 
du,  got.,  bedeutung  A  32 

eiiiblattdrucke  d.  15jh.s  A  llOf 

Eirik.-ißatn  94  ff 

WvElmeiidorf  144  f.  152.  156.  158. 

160.  IT!) 
RvEms,  rühr,  reim  41—49 
'Eutechrist'  (Linzer),  rühr,  reim  62 
ChrEphippiarius  Kioff 
er l her,  grenze  A  72 f 
erlöser  in  der  wiege  A  137  ff 
WvEsf.henbach ,  ethik  210f.  211  — 
213f;    Parzival   171.    174.    18,3  f. 
210-212,    Titurel  210f,    Wille- 
halm 210;    rühr,  reim  15 — 19 

'Facetus-  2 14  f.  216 
KFleck,  rühr,  reim  33—35 
Floovant  u.  Wolfdietrich  A43f 
formate  mittelalterl.  bücher  A  125 
Frauenlob  216 
HvFreiberg-,  rühr,  reim  59 
Freidank  151.  166.  175.  214 
OvFreising,     Lautacher    Barlaam 

A  51  f 
freundschaftslehre  160f 
JFrey  als  dichter  d.  helvetik  A  165 
Friedrich  d.  Gr.,  briefe  A  166 
LFries  280 
frilmekeit  200 
fürstenlehre  158.  188.  215 
fürstenspiegel   158.  188.  215 

ga-,  got,  perfectivierend  A  2  ff 

galag/an,  got.,  actionsart  A  12f 

galaubjan,  got.,  actionsarten  A  lOf 

SGaller  spiel  v.  Leben  Jesu  A  66f 

gamaißs  s.  gemeit 

gelücke,  ungelücke  166 

gemeit  125 ff,  in  gimeitun  126  f,  des 

gemeiteii   singen    128 ff;     etymo- 

logie    131  f 
'Genesis",  as.,  Mainzer  herkunft  d. 

hs.  279f 
genitiv  in  der  mundart  A  25 
gens  u.  natio  A  130 
Germanen,  name  A  129;  und  Römer 

A95f 
Gertrud,  nhd.  A  88 
qods  acre  A  101 
Goeii  A  16S 
Göllheim,  lied  auf  die  Schlacht  v.  8 1 : 

A  168 
Goethebiographieen  A  176 ff 
Goten  töteten  ihre  alten  A  181f 


gotisch,  perfective  und  imperfect. 

actionsart  A  1  ff 
gotische  bibel,  s.  Ulfila 
gotte--<af/i-er  A  101 
WvGrafenberg  201.  214  ;  rühr,  reim 

31—33 
Gral  und  Longinus   A  149 f;    gral- 

lanze  A  150 
griechische   tempus-    und  actions- 

unterschiede  A  7ff 
Grillparzers  ahnen  A  180f 
.JGrimm,  brief  an  NBach  A  182  f 
Grimmeishausen ,      Simplicissimus 

von  Schnabel  benutzt  A  157  f 
Guillaume,  Guinart  A  39 
.JChrGünther,  s.  naturgefühl  A  172  f 
'Gute  frau',  rühr,  reim  37 


Häf liger  A  103 

Haimo  v.  Halberstadt  191.  A  106 

haißnö  got.  A  132 

handschrifteii  in  Berlin  219.  A  73. 
I66ff;  in  Brunn  A  ll6f;  in  Inns- 
bruck A  70  f;  iu  Kiosterneuburg 
A  123;  in  Marburg  A  182;  in 
Melk  A  123;  in  Rom  218;  in  Ulm 
A  124f;  iu  Wiesbaden  100 

JHartlieb,  Buch  aller  verbot,  kunst 
A  154ff 

Hartmanns 'Credo',  rühr,  reim  62  ff 

FvHausen,  rühr,  reim  74  f 

heil,  heili  167 

H Heine  A  83 f 

Heinrich  d.  Löwe,  sage  A  150  ff 

'Heliand',  'Praefatio':  anklänge  an 
and.  vorreden  1 09  ff,  rhythm.  prosa 
111  ff,  interpolationen  114ff ;  'Ver- 
sus': entlehnungeu  u.  anklänge 
an  die  'Georgica',  'Culex'  u.  Pau- 
lin us  vNola.  —  H.  u.  Haimo  vHal- 
berstadt  A  106 

hellweg  uä.  SO  ff 

helvetik  A  161  ff 

Herradv.  Landsberg  141 

Hercieux  ==  Herwig  A  4 1 

HvHesler,  Evang.  Nicodemi  A  138ff 

hexe  als  katze  A  156 

Hildebert  v.  Le  Maus  142 

OHirschfeld,  kl  eine  Schriften  A  127  ff 

höchgemuot,  höchgemüete  163f 

Honorius  Augustodunensis,  Specu- 
lum  ecclesiae  144.  145  f;  Eluci- 
darium  153 

'Hürnen  Sewfried'  A  50.  190 

Hugo  V.  SVictor,  Eruditio  didasca- 
lica  141;  Arbor  virtutum  174 

humanismus,  ritterlicher  202 

hiöta  'scheltrede',  got.  A  31 


KJiGlSTKj; 


IST 


Idbansa  Alibi 

imperativ  iirii.s.,  ^^ol  ,  s.  actionsart 

A  12 
-iii(],  -n-iitj  )  -ig,  -IUI  A  169 
inniman  got.  A  S4 
insai,an  got.  A  i>3 
Iring  in  d.  Thidrekssaga   und  im 

Nibl.  84  ff 
Iringes  weg  77 — 9S 
Isidor,  Origines  141 
iupaprö  got.  A  29 

•.Tager  uyt  Grieken'  A49f 
Johannes  v    Salisburv  144.   IS9 
jugendlehreu  l.ib 

kaiserkröniiug,    ihr  ceremuuiell  A 

98  f 
Kants  einlluss  auf  Schillers  ästhetik 

A  179  f 
Katharineulegende,  iimd.  A  109  f 
GKelier  A  79 

HvKleist  als  drauiatiker  A  79 f 
Klosterneuburgerbücher]istenA123 
Konrad  vHirsau  141 
kräraerscene  im  osterspiel  A  74 
kräuterzauber  174.  247 
kreuzesholzlegende    bei    HvHesler 

A  13Sff 
kreuzlied    2i)l:    kreuzpredigt    150. 

185.  201 ;  kreuzritter  210;  kreuz- 

züge  15*>.  lÜS.  170.  201 
Krinagoras  von  Lesbos  A  95  f 
krönungseide  A  99 
kürzung  im  rheinischen  A  15  £ 

lafi/an,  gut.,  actionsart  A  12f 
r.avater  und  die  helvet.  revolution 

A  1(51  ff 
Lenz,  briete  üb.  d.  Werther  A  170 
-Liebesbotschaft'  214.  2 Hl 
liebesbriefe  der  Tegernseer  hs.  144  f 
Uv Liechtenstein  215 
Livius,  gallische  wandersage  .\  1 28  f 
Longinuslegende  A  147  ff 
löwe,  treuer  A  151 
[iUcanus  164 
M Luther  A  17211 

.TMacphersou  A  112  f 

mäddum  ags.   131  f 

•Mai  u.  Beätlur',  rühr,  reim  37  f 

Mainz,    beziehungen    der    Ottcnen 

279  f 
innißms  gut.   131  f 
'Marin   -firt'    1S2 
Marpaly  und  Marpcssa  .V  5o 
GvMaestrieht  A  llUf 
Melk,  büchtrkatalogp  A  123 f 


meiilpii  mild.    131  f 
<  ;FMeyer.  kunstgefübl  u.  stil  .\  '^'^  if 
lIMeyer,  briete  au  (iopthe  \  114  f 
iiiilclistrarse,     mittelalterl.    namen 

79  ff 
•.Minne  Fürgedanc'  214 
minnelehre  170  ff 
minnewesen  1t;i  ff 
mittelvocal  in  d.  compositionsfnge 

A  3^  f 
'Mnralis  i)hilosophia'  141  —  152.  155. 

I.i!)  — 101.    104.    172f.    179.    1S4. 

1S9.  213.  215 
moralphilosophie  des  ma.s  137  ff 
miiraltheologie  140  ff 
•MorizvC'raon'  175:    z.  text    132  ff. 

HvMorungen  128,  0:A  117 

wiiha  an.  A  135 

WMüUer.  Griechenlieder  A  '55  ff; 
'Der  kleine  Hydriot'  A  85;  'Die 
Zweihundert  u.  der  Eine'  A  80; 
•Bozzari'  A  80;  'Keime  aus  den 
Inseln  des  Archipelagus'  A  87 

mundarten:  rheinische  A  14—24; 
von  der  Schwalm  A  25  ff 

Xeidhartsche  familienbibliothek  A 

124  f 
HvNenstadt,  rühr,  reim  A  124f 
nihn  neben  absol.  part.  A  30 
Nibelunirenlied,  rühr  reim  00—72; 

z   kritik:  1014,3:  09  f,  1(»00:68, 

llOSrOv.    1433,1  :71f;    fiurgon- 

den  241 f 
niht  felilt  neben  en  A  53 
Notker.  De  arte  rhetorica  141 

o  in  der  compositionsfniic  A  39 

EvOber<r,  Tri-^tan  u.  P.rdiers  Estoire 
A  57 ff.  00 ff:  dauer  d.  liebeszau- 
bers  A  57  f;  fraut-nliaar  .V  02 

object  u.  subject  beim  dicht-T  A77  ff 

Ortnit  A  48 

Ossian   A  112f 

o-sterspit^l,  Innsbrucker  A  70 ff;  Her-; 
liner  fragm.  A  73:  Wi.ner  A7;U 
rheinisches  d.  17  jh.s  KtO-IOS 

Oswald,  Münchener  175;  v.  OaO  ff. 
095  :  A  19 

()tfrid  140f.  107:  l-.rünner  copie 
der  hs.  V:   A  117 

(Ittonen.  Ixziehnngen -/.n  Mainz  2i9t 

Ovid   102.  183 

<)vre  Stabu,  .Speerspitze  .\  l.U 

Palmsonntag  .\  •''9 
passivHiMschnibuimeii  uii  got.  .\  *«l 

13* 


188 


EEGISTKR 


perfectiva  u  imperfectiva  im  sfot. 
A  Iff 

Personennamen,  germ,  d.  altfrz. 
epos  A  36ff 

Petrns  Lombardus,  tugendsystem 
14Ü 

Phaset  ein  Imochf   214.  216 

'Pliyllis  u.  Flora',  hss.  u.  au.sg'aben 
21Tft;  ^gereinigter  text  der  Ber- 
liner lis.  224-2M9 

Plato,  ideenlehre  137  ff 

Pleier  215 

portenKchei  A  IßS 

Praefatio  s.  Heiland 

Prudentius,  Psychomachie  178 

'Ratschläge  für  liebende'  175 

'vom  Rechte'  160 

redeiphe  stf.   152 

reim,  rührender  im  nihd.  1 — 76;  bei 
gieichheit  d.  form  Verschiedenheit 
d.  (wort-  oder  sat7,-)accents  3.  75  f; 
HvAne  3,  WvEschenbach  15. 
GvStrafsburg  20.  UvZatzikhoven 
21»,  WvGrafenberg  31  ,  KFleck 
o3,  Stricker  35,  Gnte  Frau  37. 
Mai  u.  Beaflor  37,  UvTürheim  39, 
RvEms  4 1 ,  K vWürzburg  49  (fort- 
setzg  d.  Trojkr.  56),  Reinfried  v. 
Braunschvveig  50,  UvdTürlin  5S, 
HvFreiberg  59,  Gleinker  Ente- 
crist  62,  Hartraanns  Credo  62, 
obd.  Servati  US  64.  Vorauer  Alexan- 
der 66,  Nibelungenlied  66,  Bi- 
terolf  72,  Virginal  73,  lyriker  74 

'Reinfried  v.  Braunschweig',  rühr, 
reim  56  f 

Reinmar  d.  a.  163.  195.  201;  rühr, 
reim  75 

Rheinhessen,  spräche  A  66  f 

rheinischer  accent  A  14  ff 

Robinsonade  u.  Utopie  A  157  ff 

Eosengarten  F  II  2,  1  :  A  168 

JRothe  144f 

'kRother  A  48 

rührender  reim  s.  reim 

runenschrift,  alter  u.  verbreitg  A  134 

satzaccent  u.  satzrhythmik  im  rhei- 
nischen A  lt)ff.  19  f 
schärfang  d.  accents  A  15ff 
Schillers    ästhetik    d.    tragödie    A 
178 ff,  u.  Kant  A  179;  'Die  Künst- 
ler' A  81f   - 
JESchlegel,  Canut  A  175f 
Schnabel,  Insel  Felsenburg  A  157  ff 
schule  u.  neuere  litteratur  .V  90  ff 
HvSchwangau  A  H2ff 
Seifried.sbure-  A  169 


'Servatius'  (obd.),  rühr,  reim  6lf: 
z.  kritik:  v.20.  369ff.  2193:64  f: 
brouchen  'biegen'  65  anm. 

MvSevelingeu  173 

'Sevvfried,  hürnen'  A  50.  170 

Sigeminne  A  49 

Sipemunt  u.  Sicrit  240  f 

Mnteinö-  A  32f 

'Skeireins',  z.  kritik  u.  erklärnng 
A27ff 

slavische  verbalaspecte  A  6 ;  verbal- 
composition  z.  ausdruck  der  per- 
fectiva A  6f 

Soest  als  Schauplatz  desBnrgunden- 
untergaugs  87  ff 

spiele,  geistliche  A69ff 

TStimmer,  Comedie  A  Ulf 

GvStrafsburg  174  f.  211— 213;  rühr. 
reim  20-29;  eingangsstrophen  26 ; 
Tristans  verstecknamen  (10615  ff) 
27;   Trist.  10909:  A  168 

straisennameu  nach  myth.  erbauern 
83  f 

Stricker,  rühr,  reim  35—37 

Sulzbach,  osterspiel  100 

Tacitus,  Germania  A  97  f ;  c.  2 :  A 129 
Tatiau,  lat.-ahd.  giossar  A  106f 
tIieodi.-<c  ags    A  131 
Thidrekssaga,  s.  Iring,  Soest 
Thierry  altfranz    A  39  f 
J>iudi.'<h6  got.  A  130  f 
fnudö,  pai  got.  A  131 
Thomas  v.  Aquino,  Summa  theolo- 

giae    140.  151  —  154.   162  f.   178  f. 

183.  187.  189 
Thomas  v.  Chantimpre  A  139f 
Thüringen,  sprachl  grenzen  gegeii 

Hessen  u.  Heuneberg  A71f 
'kTirol'  215 

HvTriniberg,  Renner  174.  215 
Tristan dichtung  A  55f;   ruderloses 

boot  A  64;    beziehungeu  /u  den 

altir.  Aitheda  A  64 
JTrithcraius  135    280 
tugendkleid,  allegorie  146  f.  213 
tugendsj'stem,  ritterliches  137 — 21fi 
UvTürheim,  Tristan  175;  rühr,  reim 

39-41 
UvdTürlin  195;  rühr,  reim  58 

Ulfila,  die  vorläge  s.  bibelüber- 
setznng  249  —  278;  die  vorrede  d. 
codex  ßrixianus  bezeugt  keine 
neurecension!  265  ff :  ebensowenig 
die  roulthres  267 ff;  Verhältnis 
von  A  u.  B  270 ff;  einwürknnc; 
d.  lat.  bibel  auf  U.  276  f;  forde- 
rungen  für  die  reconstructiou  d. 


189 


griech.  vurlage  277  f;  Matth.H,  lö: 
98f,  9,  25:  A3;  Marc.  7,33:  A  13; 
Luc.  7,  3Sff  :A4 
Utopie  und  Robinsonade  A  157  ff 

Valdemars  oej  94  f 

'vater  unser'  auf  Teil  parodiert 
A  163  f 

HvVeldeke,  familie  u.  beziehungen 
A  löbf;  quelle  des  Servatius  A 
107  f;  rühr,  reim  59—62;  sprach- 
liches :  onnen,  nicht  gonne/i  2S1  ff, 
te  spoede':"2iiü,  Vorsilben  cer-  u. 
er-  287,  negationsjiartikel  ne  2SS; 
miunebaum  174 

'Versus  de  poeta'  s.  Heliand 

'Virginal',  rühr,  reim  73 f 

Virisro  (Vevej')  A  12S 

WvdVogelvveide .  etliisches  141. 
152  —  171  173.  175.  208f.  214  — 
216;  rühr,  reim  75;  4S,3S:  A116f 

Volksunterricht,  kirchlicher  im  ma. 
140 

wandersage  der  Gallier  A  129 
wehrstand  im  volksmund  A  ISl 
weistümer,  hessische  A  loO 
weiise  frau  erlöst  A  137  ff 


■iriifi,  -teil/  in  persouenuamen  .\  41 

widertäufer  in  d.  dichtunij;-  A  174 

wiege  des  erlüsers  A  137  fi' 

Wielaiid  u.  Insel  Felsenburg  A  Ißii 

Wilhelm  v.  Conches  142 

Williram  191 

Wiusbeke  201.  215 

Wolfdietrich  A  42  fi";  fassung  B  : 
A45;  CHI:  A  46  ff;  DVU  131  : 
A49;  beziehungt'ii  zur  sage  von 
Heinrich  d.  Löwen  A  153;  zum 
'Jager  uyt  Grieken'  A  49  f;  zum 
Münchner  Oswald  A  49;  zum 
Rother  A4S;  zum  hürneu  Sew- 
f rid  A  50 

irolqemuot   164 

Wulfila  s.  rifila 

irulthres  267  f 

.TvWürzburg,   rühr,  reim  51( 

KvWürzburg.  rühr,  reim  49—56; 
Engelhard  2054  :  A  171f 

MWyssenherre  A  150  ff 

ÜvZatziclioven.   rühr,  reim  29—31 
ThvZirclare   144.    146-151.    155  f. 
162.   164  —  166.  201.  204.  20'>.  211 
HZschokke  A  162 
RvZweter  215 


Drii<-L-  vr.n  .!    H    Hirschfelil   lAuguxt  l'rie»)  in  Leipzig. 


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PF  Zeltschrift  für  deutsches 

3003  Altertuin  und  deutsche 

Z5  Literatur 
Bd.  56 


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