PS,
ZEITSCHRIFT
FÜR
)EUTSCHES ALTERTUM
DEUTSCHE LITTERATUR
HERAUSGEGEBEN
EDWARD SCHROEDER und GUSTAV ROETHE
SECHSUNDFÜNFZIGSTER BAND
DER NEUEN FOLGE VIERUNDVIERZIGSTER BAND
BERLIN
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG
1919
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INHALT.
Stile
G. V. Kraus. Der rührende reim im mittelhochdeutschen .... 1
R. Meissner, Irinyes weg 77
W. Krause, Ulfila Matth. 9, 16 98
P. Wagner, Rheinisches osterspiel in einer handschrift des 17 Jahr-
hunderts löO
M. H. Jellinek, Die Praet'atio zum Heliand und die Versus de poeta 1 09
J. Schwletering, Gemeit . 125
A. Wallner, Zum text des Moriz von Craon 132
E. S., Eine anfschneiderei des Trithemius 135
G. Ehrismann, Die Grundlagen des ritterlichen tugendsystems . . . 137
E. S., Das buch Phaset? 216
A. Bömer, Das vagantenlied von Phyllis und Flora, nach einer
niederschrift des ausgehnden 12 Jahrhunderts .... 217
E. Schröder, Burgonden 240
E. Schröder, Zur kritik von Hartmanns Büchlein 247
H. Lietzmann, Die vorläge der gotischen Bibel 249
F. Falk, Zum Vaticanuf mit den altsächsischen Genesis-fragmenten . 279
F. Kluge, Zur Sprachlehre des 16 Jahrhunderts 280
Th. Frings, Zur spräche Veldekes 281
E. S., Zum text des Moriz von Craon 288
DER RÜHRENDE REIM IM I\I1TTELH0CH-
DEUTSCHEN.
Rudolf Hildebrand hat in einem seiner aufsätze zur
deutschen metrik, die zu wenig gelesen werden — wol weil
die mischung von aphorismus der gedanken und breite der dar-
stellung uns altfränkisch anmutet — , einen durchaus gesunden und
richtigen gedanken über das wesen des reims geäufsert: 'nicht
der gleiche klang allein macht den rechten reim, sondern gleich-
heit und Ungleichheit zusammen, und zum reim gehört nicht
blols das gleich klingende vom vocal an, sondern ebenso das
verschieden klingende, das dem tonvocal als ansatz vorhergeht,
also könnte man sagen, reim und unreim verflochten bilden den
rechten reim\ je gröfser die Verschiedenheit neben der gleich-
heit, um so voller wirke der reim, weshalb uns die bindung
gleis : greis besser klinge als kreis : greis, und schrein : icein
besser als schrein : rein (Zs. f. d. u. 5, 578).
Im weiteren verlauf kommt H, auch auf den rührenden
reim zu sprechen, bei dem die Ungleichheit aus dem bereich des
klanges in den des gedankens, aus dem cäufseren ins innere ver-
setzt sei. diese erklärung fufst auf der bekannten von WGrimm
in seiner Geschichte des reimes aufgestellten regel, dass der
rührende reim im alldeutschen als erlaubt gegolten habe, wenn
die beiden identischen silben Worten verschiedenen Stammes oder
verschiedener bedeutung angehörten.
Dass diese regel den reimgebrauch vieler mittelhochdeutschen
dichter, darunter gerade der grösten, nicht erklärt, hat Zwier-
zina Zs. 45, 2S6 ff in seiner dem rührenden reim gewidmeten
Studie überzeugend dargelegt, zalreiche typen rührender reime,
die nach Grimm als erlaubt gelten müsten, fehlen gänzlich, ob-
wol sie sich häufig und ungezwungen dargeboten hätten, so
meiden Hartmann und Wolfram (oder einer von ihnen) bindungen
wie sin 'suus' : sin 'esse'; wis 'sapiens' : wis 'modus'; -heit :
-heit; -Schaft : -schaft; Terramer : mer; Gdwän : wän usw.
anderseits fehlen bei zahlreichen dichtem auch viele reimtypen,
obwol sie gar nicht zur gattung der rührenden reime gehörten,
so identische bindungen wie sündcere : vischcere; sidin : hännin;
Z. F. D. A. LVI. X. F. XLIV. 1
2 VON KRAUS
lobelich : minfieclich] -keit : -heit usw. Grimms regel wird also
den tatsachen nicht gerecht, aufserdem verlangt der rührende
reim eine individuellere betrachtungsweise, für die Zw.s Studie
durch eine fülle feiner beobachtungen den weg gewiesen hat,
Zweifel dagegen erregt in einigen fällen die erklärung,
die Zw. für die von ihm beobachteten erscheinungen gegeben
hat. wenn einzelne dichter wie Hartmann oder Wolfram dem
gebrauch des rührenden reims von allem anfang an oder im
verlauf ihrer kunstübung widerstreben, anderseits aber doch
bindungen wie creatiure : tiure oder Dido : dö und föreht : reht
zulassen, so meint Zw., dass diese fremden Wörter nach ihren
(wirklichen oder vermeintlichen) suffixen so abgetrennt worden
seien, dass überhaupt kein rührender reim vorhanden war: creat-
iure; Did-ö; för-eht. und wenn ge-Iich: -lieh bei Hartmann und
Wolfram zugelassen sind, ja letzterer auch ver-los : lös reimt,
so schafft Zw. diese bindungen aus der kategorie der rührenden
reime weg, indem er annimmt, dass den beiden dichtem die
formen mit synkopierter vorsilbe vorgeschwebt hätten, auch an
stellen, wo der vers die vollen formen verlangt, man braucht
diese annähme nicht als 'fast abenteuerlich' (Zw. s. 291) zu
empfinden, aber beim Vortrag der verse trennte man gewis
nicht ab: ävent-iure, Did-ö; und sprach ebensowenig glich und
vlös, wo der vers die volleren formen erheischte, sprach man
aber även-tiure, Di-dö sowie (wenigstens in gewissen versen)
ge-lich und ver-los, dann ist der rührende reim für das ohr des
Zuhörers vorhanden, und es würde solche fälle derselbe tadel
treffen, den Hildebrand (aao. s. 579) gegen die 'erlaubten'
rührenden reime Grimms (bindung gleicher Wörter oder silben
mit verschiedener bedeutung) kehrte: 'die reine Schönheit ist
eben damit beschädigt, dass das ungleiche aus dem bereich des
klanges entfernt ist, dass maus nicht mehr zu hören hat, nur
noch zu denken', man wird also eine erklärung hier wie dort
bevorzugen, die alle solchen verse vom standpunct des klanges
rechtfertigt, — wenigstens für dichter die uns sonst als fein-
hörig bekannt sind.
Ein reim Didö : dö klingt besser als ein reim *dö : dö;
äventiure : tiure besser als *tiiire : tiure, obwol beide arten zu
den rührenden reimen gehören, aber keineswegs, weil die be-
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 3
deutuügen in den bezeugten beispielen verschieden sind, denn
auch ein reim cordis speculator : daz tor klingt besser als *specu-
lator : burcfor. der unterschied liegt vielmehr im accent be-
gründet: in Dtdö : dö, äventiure : tinre, speculator : tor hat
die 6ine der rührenden reimsilben den hauptaccent, die andere
den nebenaccent. bei einer bindung tmre : tiure hätten beide Wörter
den hauptaccent, bei speculator : burcfor beide den nebenaccent.
'gleichheit und Ungleichheit zusammen bilden also auch hier den
richtigen reim: wo die form der reimwörter ganz gleich ist, da
muss ihr accent die vom ohr gesuchte Ungleichheit liefern, wie
sehr dabei die feinhörigkeit und die technik der mittelhoch-
deutschen dichter auch hierin verschieden sind, wird am besten
aus einer betrachtung ihrer kunst im einzelnen hervorgehn,
wobei viel von dem was Grimm und Zwierzina ermittelt haben,
in der neuen beleuchtung seinen alten wert behält.
Hartmanns rührende reime liefern viele beispiele für die
bindung verschiedenaccentuierter Wörter oder silben. 'aus der
von Zw. s. 311 anm. gegebenen liste* kommen in betracht: im
Erec roi Lac: Arlac 1630; erlacken : schariachen] (ge)schaft :
meisterschaft (2); lande : välande 5648; behängen : umbehangen
(subst.); gewant : tsengtvant; genant : Karnant 2882; ergän
Kardigän 2852; lomre : spartvcere 202. 468. 508; enbcere
unhovebcere ; herren : junkherren\ schefte : ritterschefte; heim
mheim; in : Imain 176. 1316; rieh : esterich 8598; gfeßich"^
herlich, lobel, manl, (al)saniel., blmcl., ivcetl., ritterl. 288; 744
1910; 844; 2286. 2318. 2322; 1320; 1852; 2302; ungeUch
grimmecUch 9252; faljgeltche : lobellche, ritterl., friuntl, (un)
müezecl., vollecl., bill., u-cerl., nnrdecl., kliigel., ivunderl. 782
2458; 2898; 2940. 4396; 2960. 7148; 3336; 4858; 5094
7968; 9740; glichen (adj.) : ritterl. 1946; geliehen (verb.)
ungitidecl, vollecl, angestl. 2382. 2814. 3140; gelichez : zwivell
7068; tiure : covertiure 738; wol : bourmvol; dd : Landd 2576;
1 ich ordne hier nach den reimsilben und stelle bei jedem paar die
haupttonige silbe voran, die citate füge ich hier nur bei, wenn das bei-
spiel aus irgendwelchen gründen in Zw.s liste nicht vorkommt, sondern
von ihm an anderer stelle oder gar nicht gebracht wurde.
'^ auch die fälle, wo Haupt gl'ich druckt, führe ich mit an, da man
öfter schwanken kann, ob nicht geltch zu lesen sei.
1*
4 VON KRAUS
: Diclo 7558; verlos : sigelos; gelunge : Jiandehinge 6462. — im
Büchlein (ohne reimspiel): incere (subst.) : unmcere-^ gelingen :
Karlingen 1279; geliche : ivcerl. 909; geliehen (verb.) : müel.
651; du solt : unversolt 975; misSelunge : tvandelunge 1153. —
im Gregorius: behalten : isenhalten (2); genas : Jonas 931:
m^ : Jnrät-^ mcere : Ronuere 1999. 3201; geliche : wunnecl.,
heimel. (subst.), o/fenZ. 203; 2933; 3331. — im aHeinrich:
rat : Mrät; tiure : creatiure 1199; tor : speculator 1357. —
im Iwein: 6«^; : värhaz] gelich : eisl., misl., aller tag el., toünnecl.,
unmügel. 427; 615; 753; 1683; 2659; geliche : gemel. 2217;
geliehen : vlkecl. 375 5; Ion : Ascalön 2274; behüeten : vuhs-
hüeten^.
Dass gelich und seine formen eine besondere Stellung ein-
nahmen, indem viele dichter, die sieh niemals einen reim zweier
-lieh untereinander gestatten, doch die bindung geUch : -lieh
unbedenklich zulassen, hat Zw. (s. 307) gegenüber Grimm richtig
beobachtet, der grund dafür liegt in der Verschiedenheit des
accents: gelich, ungelich hat starken accent, -lieh bestenfalls
schwachen: uhd. 'gleich', 'ungleich' gegenüber '-lieh'.
Eine ebensogute — oder vielmehr bessere, weil feinere —
würkung übt es, wenn der satzaccent die rührend reimenden
Wörter von einander unterscheidet 2. als eine Übergangsgruppe
mag man die fälle betrachten, wo das eine reimwort mit dem
was vorhergeht eine art freier composition eingeht:
von golde drizic marke
die gap man da vü manegem man
der vor nie gewau
eines halben phiindes wert.
si wurden alle s6 gewert
dez wcetlich nimmer mere ergät. Er. 2177.
' et(e)swä : tcä Er. 8522; I\v. 3217 'ist nicht rührend', Zw. s. ;!13
anni. aber es wäre als identischer reim zu billig, wenn nicht auch hier
starker accentunterschied hinzukäme, so reimt [in beiden fällen cteswd
mit einem stärkstbetonten (enweste) icd.
- durch systematische Untersuchung wird sich so die möglichkeit
ergeben, einige von Behaghel Gesch. d. d. spr. ^ § 105—109 in bezug auf
den altdeutschen satzaccent aufgeworfene fragen zu beantworten, in anderen
fällen wird die Untersuchung ergeben, dass viele seiner lehrreichen fest-
stellungen ebenso schon für die ältere zeit gelten.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 5
von derselben art sind folgende fälle: im Erec: misseldnc :
ärier schefte länc; gewert : hizzer eren wert; ivält : üz der
Sorgen geweilt; wäge : i(f des meres tväge 7062; gesdnt : an der
Gnaden sänf. — Greg, ent-wt'rt 'abgewiesen': guotes männes wert.
Ebenso entzieht das präpositionaladverb dem unmittelbar
folgenden verbum viel von seinem accent:
daz in daz ezzen wsere bereit,
mit solcher rede er xiz reit Er. 3092.
als ditz der künec Artiis vernam,
die tavel man übe nam Er. 5018.
weitere fälle: im Erec wunden: in gewunden (partic.) ; gefüere
(adj.) : he'im fuere. — Biiclil. mit zouberltchen dingen : uz
duigen (verbum). — ähnl. Greg, der gewchre: da inne wcere.
Ferner steht das verbum an accentgevvicht hinter dem des
normalen voUverbums zurück in Verbindungen wie tot Ugen,
war nhnen u. ä. daher wird im Erec gebunden:
also dö daz schiene wij)
dirre freise war genam
und dar zuo vernäm
disen grozen untrost 8817; cgi. 3502.
ebenso doch muoz mich wunder nrmen : und loolte ez gerne ver-
ne'men Büchl. 435: ähnlich tot lac, ünversunnen lac : roi Lac
Er. 3390. 65 8S ('sicher ergänzt' Zs. 45, 312 anm.). oder das
stärkerbelastete voranstehnde object entzieht dem verbum einigen
accent :
si bietent sich zuo iuwern vüezen
swenne si iuwer rede vernement
un4 bitent iuch daz ir in n^ment Iio, 2170,
besonders gut, weil ne'ment 'zum mann nehmen' bedeutet, also
prägnant gebraucht ist; prägnante bedeutung aber hat immer
eine Steigerung des accents im gefolge. ähnlich re'ht hän ge-
nömen : i wol vernömen Er. 1754; üntumrt genam : willen
vernäm 3826; erhärmunge genbmen : von dir vernömen 5780;
daz tvort iht verneme : daz si zeheime hdzze neme Büchl. 1635;
vgl. Er. 6472 tve'rt : eren g{e)wert.
Hilfsverb nach inf. hat weniger gewicht als ein vollwort
derselben lautform, daher reimt Hartmann: minnen begünde :
des niht günde ('gönnte') Büchl. 13; gelöuben sölt : versölt ('ver-
6 VON KRAUS
schuldet') 525 ; värn län : ouch malit du mich sin gerne
erldn 1027 1.
Sonst verzeichne ich noch tvänt (paries) und übenvdnt
(superavit): also getvant aH. 1267; Iw. 6601; der gew<^re (siäj.):
daz si sin müoter wcere Greg. 3861; daz er siner arheit . . .
iht äne Ion beltbe : und swer nach stnem Übe si hoere sagen
aH. 212; ein missemüete geselleschaft, diu doch sämet be-
ltbe under sele und under übe Greg. 2657; lieh (subst.): eime
frdze {dem wünsche, eime riter) g{e)lich Greg. 2927; Iw. 1333.
3595; ähnlich ir anilütze unde ir schmniu lieh : der ich nie
niht sach gelich 1669; ich weiz ivol daz Judas niht rimviger
was do er sich vor leide hie ('erhängte') : danne diu zwei h\e
Greg. 2625; von einen gnaden ich iu sage . . . sich begunden
über al die glokken selbe lluten und künden den liuten daz
ir rihtöere schiere künftic ivoire 3757 3.
Worte die nach niender als oder niemen an, tvan oder
nimvan folgen, haben besonders starkes gewicht, so ergibt das
wortspielende paar Er. 2626 auch einen guten klang:
do sach man in so dicke
niendr als in der dicke*.
Ebenso gehören hierher:
ze jenem böumgarten in.
daz weste niemen da an in Er. 9648 ;
(ich hän gewaltes wan den muot
und den frien gedtinc)
du müestest under dinen dänc
nach gelobtem worte leben Büchl. 916*;
da verlüre niemen an wan ich.
zwäre ja bin ich
iedoch min selbes vient niht 1451 ^.
' so Bech nach der hs.; Haupt läsen : gemäsen, falsch, s. Festschr,
f. Heinzel s. 158 f.
* dadurch kommt der gegensatz schön zum ausdruck: 'dass er [im
leben] nicht ohne lohn bleibe, und nach dem tode fürbitten erhalte.'
^ viell. soll aber auch der reim ins ohr dröhnen wie glockengeläute,
s. andere fälle unten s. 10.
* d. i. man sach in niender so dicke als in der dicke.
* auf gegen (deinen willen) liegt der nachdruck; ganz ebenso Greg.
2995, was doch stark zugunsten der hs. A (I) ins gewicht fällt; s. aber
Zs. 37, 174 anm.
•^ 'hier hat wenigstens das eine ich den stärksten satzton, das andre
ist im satz enklitisch' Zwierzina s. 300 anm.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 7
vgl. noch g{e)ivält : schiet nimvan der tvalt Er. 6756.
6828.
In ähnlicher weise sind aus dem Erec noch anzuführen:
vor im läc : roi Luc 4438; der künec umbe den wec lac :
roi Läc 5036; ditz was diu junge rüterschaft : nu körnen dar
mit herschdft fünf alte künege riche 19781; diz ist nu geioesen
Uinc : daz ir deheinetn nie gelänc'^ 7966; und st wurden wol
getcdr : daz im niht tcetUches war 7028; er fuor 4f von der
baren : in fremden gebären^ 6598; stegereife : goltreife 7670 ^;
daz si michel leit : erleit 5318^; daz dy, dins rehtes niht en-
ne'mest : e daz du danne vernemest wie im sin dinc ergangen
si 1144 6; entwesen ('ohne etwas sein') : daz sol wesen 3276 6;
wert 'dignus' : entleert ('nicht gewährt') 4950 ': wider in ('hinein')
: als ez niender wcere umbin 2514 8; ivärnen mite : dazz ez dar
nach vermite 1060; möhte sm : sicelcher der gesellen sin durch
geselleschaft geruochte 2390 9; nu jage selbe swaz du wllt : hie
ist hiinde unde wilt und swaz ze jagen ist nütze 7182; mit un-
valscher wünne : sam si nie leit gewunne 5626 ; aller eren giinnen :
er hat ez wöl begknnen 1290^0; ähnlich 10074; daz er aller
zerfüere : ze sime gefüere 9280; ja ist dirre werlte leben niuwan
der sile verlust : ouch hat mich werltlich gelüst unz her noch
niht beriieret aHeinr. 689.
Einige beispiele zeigen schon im Erec die künftige meister-
schaft des dicht ers:
DU het gewert dirre strit
unz an die nonezit
* {her)schaft ist in diesem zusammenhange natürlich stärker betont
als [ritte r)schaft.
2 absolut gebrauchte verba haben wie prägnante stärkeres accent-
gewicht.
* die bdte ist kein novum, wol aber sein gebären.
* an den begriff reif wurde wol nur mehr beim zweiten wort ge-
dacht, daher hier der zweite teil wol etwas mehr vom nebenaccent hatte
als im ersten wort.
^ wie in nhd. leid erleiden.
^ der unterschied des accents ist sehr schwach.
"^ das erste wert emphatisch gehoben.
* 'als wenn es sich gar nicht um ihn selbst gehandelt hätte'.
ä ich fasse das zweite sin als abhängig von geruochte; wenn es da-
egen possessiv zu gesellen i&t, dann ist der reim schlecht,
i"' auf beginnen liegt keinerlei nachdruck, s, 1262 ff.
S VON KRAUS
den eumertac iilso länc.
do Erecke also gelänc,
die gnade er an im begie
daz er in leben lie 4462 ;
owe wie wol ich ärine
gezini an dinem arme 5892 ' ;
von dem slage wart si frö
und ouch des tages nie me wan do.
wä si die freude möhte n^men?
daz mugt ir g^rne vernemen;
wan siege tuont selten iemen frö 6552 ;
diu frouwe grozen kumber leit
wan daz si ze liebe ir l^it
in ir herzen verkerte 3450 ;
si vorhte daz si wurde gezigen
von im anderer dinge
und seit imz mit gedinge
daz er ir daz gehieze
daz erz äne zorn lieze 3046.
Aus den anderen werken:
entriwen unde tüot si so?
ja, si zwäre also Bilchl. 1171 ;
do stal ich mich mit im dar In
und bare mich da unz daz ich in
und alle sine gebterde ersach Greg. 2383^;
du hast ein tumben gedanc
daz du sunder sinen dänc
gerst ze lebenne einen tac
wider den niemen niht enmac aHelnr. 1243.
Im Iwein bezeichnet besonders einen fortschritt die feine
art, mit der die schwaclie betonung des hilfsverbums vor seinem
particip benutzt wird:
si er weite hie nu einen wirt:
deiswär von dem si niemer wirt
geswachet noch guueret 1587 ;
daz (ors) was die naht so wol bewärt
daz ez nie bi im enwärt
gekunrieret also schöne 6657.
Sonst kommt Hartmanns pointierende vortragskunst nocli
schön in folgenden beispielen zur geltung:
' dieses emphatisch-gehobene ich arme hat auch Gottfried als be-
sonders gelungen empfunden, denn er ahmt es nach s. u.
•^ das zweite Mi ist stärker betont: 'ihn und sein gebaren'.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN \)
ouwe daz diu guote
ia selhem unmuote
ist so rehte wünneclich:
nu wem wäre si gelich
eahete si d e li ^ i n 1 ^ i t ?
zwäre got der hat geleit
sine kunst ... an disen . . . lip 1685 ;
ir herze meinde ez niender so.
in het ein tägelich ht-rzeli'U
vil gar ir vreude hin gelMt 4407 ' ;
BUS Wiirens überwunden
iedoch mit vier wunden
die si ime hüten geslagen 5423"-.
Anderseits finden sich in den früheren werken des dichters
einige kunstlose rührende reime. Er. 904 mag noch absieht im
gleichklang liegen: unser siege gent niJif manllclien, wir vehfen
lästerlichen; ebenso soll der eindruck vielleicht gesteigert werden
Er. 5744 eine klage vil harmecHche : herzer iuwecliche^. aber
keine entschuldigung — aufser ihre geringe zahl! — haben die
übrigen fälle: küneghi : menigin 1698; magedin : stdin 1542;
heimliche (subst.) : wipltche 510G; ivalf (silva) : gewalt (potestas)
3114^; Henegou : Haspengou Greg. 1575^; dar in : under in
30416.
Andere beispiele die widerstreben, sind als fehler der Über-
lieferung (oder der conjectoren) schon von anderer seite erkannt:
dies bestätigt unsere regel, und fügt den früheren gründen der
Verwerfung einen neuen hinzu, im Erec 887 liest man bei
Haupt: si mohten noch enkunden ir bot mit kreften niht ge-
ivegen noch die arme also erwegen als st täten unze dar:
schon Bech hat 888 ir mit kreften me gelegen, und wenn man
^ das beispiel ist besonders hiibscli, weil der satzaccent herzelcit
über den normalen wortaccent herzeleit triumphiert.
2 wortspielend.
^ vgl. das einzige beispiel aus Strickers werken derselben art," das
'nur absichtlich zu stilzwecken verwendet' wurde, Zw. s. 308.
* ev. auch Greg. 99, wenn man nicht gwalt liest oder gar gehalt,
s. Zw. s. 313 anm.
^ bei aufzählungen wird dergleichen noch öfter begegnen s. u.; aber
ich möchte den misklang durch die Schreibung -gouwe nicht noch
ohrenfälliger machen, anf heniiauic, wie die hs. P in der Crone 2960
schreibt, ist gewis nichts zu geben.
•^ so muss doch wol gelesen werden, s, Zwierzina Zs. 37, 165. 166 f.
10 VON KRAUS
bot (oder gebot) mit Haupt ergänzt, dann muss erst recht ge-
legen geschrieben werden, denn gebot legen ist feste Verbindung,
s. Haupt zu Er. 876. 84. — umgekehrt ist Haupt gegen Bech
im rechte, wenn er Er. 7697 an erspehen für an ersehen (: ge-
sehen) schreibt 1; ebenso 8727 mit der besserung bespreit für
zerbreit (: breit), vgl. Zs. 45, 311 anm. und die nachahraung
der stelle bei KvFussesbrunnen (Kochendörffer) 2425 f (nach A).
— auch 8754 ist mit der hs. und mit Bech in : hin zu lesen,
s. Zs. 45, 312 anm. — im Büchl. 815 beruht verlos : müzmr
lös auf blofser conjectur (hs. muoterlös). — rihtet : berihtet
(so K) im Greg. 21 scheint Zwierzina aao. s. 312 anm. mit recht
zweifelhaft; Pauls richet : brichet (so I bzw. IG) verdient- den
Vorzug. — dass gröz : groz 949 unmöglich ist, hat Zwierzina
wiederholt begründet, s. Zs. 37, 412; 45, 312 anm. 364. —
im aHeinr. 1099 folgt Gierach (s. auch Zs. 55, 553) mit recht
der hs. B gegen A, die zuo : dar zuo bietet. — und die beiden
beispiele im Iw. (6225 vielen : enpflelen, 1. wielen-, 6711 in :
in, 1. mit allen hss. hin) hat bereits Zw. s. 312 f. anm. ge-
bührend verurteilt.
Auf ein anderes blatt gehören die fälle, wo der rührende
reim ins ohr fallen soll, wenn Gawein zu seinem freunde
Iwein sagt wir gehellen beide in ein und dann fortfährt daz ir
da min7iet daz minn ich : des ir da sorget, des sorg ich (7432 ff),
so wird die einheitlichkeit ihrer neigungen und sorgen auch da-
durch schön zum ausdruck gebracht, dass sie sich sogar auf den
reim erstreckt. — ebenso gehört zum Virtuosenstück Iw. 7 1 5 1 ff,
wo gelten : engelten und seine formen fünf reimpaare bilden,
dass man es unmöglich überhören kann, damit die abwechslung
im klänge trotzdem nicht fehle, hat der dichter die ganze scala
der vocalqualitäten durchlaufen: von gulte über gelten und giltet
bis zu engolten und galt. — endlich kommt es dem erfassen des
reimspiels im Büchl. eher zu gute, wenn allerlei rührende reime
es noch deutlicher machen. — die besonderen absiebten Hart-
manns an diesen stellen hat ebenfalls schon Zw. erkannt, s. 296.
304. 309 f.
Eine — letzte — gruppe für sich bilden die rührenden
» {er)spehen : sehen Er. 3333; Lied. 217, 12; Büchl. 550. 1493;
Greg. 1153; aHeinr. 1227.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 1 1
reime romanischer endsilben: Er. 1650 Gurel : Tiiurd; 16.') 4
Rabedic : Ganedic; 1656 carous : dolerous; 1688 Oruogoddet :
Äffihla delet; 1914 montanje : Britanje; 1934 Morguel : Jaik-
iaguel'^ 4629 ^'^ masseme : companie; 8202 palas : Pallas.
woher sie stammen, lehrt das letzte beispiel dieser art, das
einzige im Iwein (87), Dodines und Gäwein : Segremors und
Iwein, vgl. Chrestien an entsprechender stelle (54): Ä V uis de
la chanbre defors Fu Dodiniaus et Segremors FA Kens et
messire Gauvains, Et si i fu mes sire Yvains. es lehrt aber
zugleich in seiner Vereinzelung, dass das feine ohr Hartnianns
die barbarisch klingenden rührenden reime Chrestiens und seiner
landsleute, die im besten fall ein spiel des witzes ohne seele
und ohne musik darstellen, ebenso unangenehm empfand, wie
seine technik sich über die armselige billigkeit solcher bindungen
souverän erhob, daher schreitet er von der Zurückhaltung im
Erec (wenig beispiele gegenüber Chrestien, und fast nur eigeii-
namen!) zur enthaltsamkeit im Iwein vor: enthaltsamkeit, denn
der eine reim dient künstlerischer würkung, die die massenhaften
seiner quelle niemals ausüben konnten ^
Überhaupt bewegt sich auch in bezug auf den rührenden
reim die entwicklung von Hartmanns kunst durchaus in auf-
steigender linie. nicht etwa darin, dass er ihn immer sparsamer
anwendet (Zw. s. 310 ff) — das ist eine sache des geschmackes
(Zw. s. 298 f), und auch das umgekehrte könnte die gröfsere
kunst sein — , wohl aber in der auswal solcher reime, er lernt
die übelklingenden deutschen (s. 0) und romanischen fs. lOf;
meiden, und er ersetzt die gutklingenden durch besserklingende.
man sehe nur, wie er im anfang des Erec ausschliefslich nur
durch den wortaccent die reime scheidet (v. 1 — 1000 10 bei-
spiele des typus wd^re : spdrivä're, verlos : s/gelös), dann auf da.-^
feinere mittel des satzaccents verfällt (6 wort- gegen 5 satz-
accente in v. 1000—2000), eine strecke lang aber die älteren
typen wieder stark überwuchern lässt (15 wort- gegen 5 satz-
accente in v. 2000—3000) und erst von v. 3000 ab, d. i. von
der stelle wo auch sonst eine abkehr von der tradition beginnt
(Zs. 45, 371 f. 285), ein besseres gleichgewicht herstellt (2 : 7
' hier 'soll grade ein solcher reim den andern haschi-n', Zw. 8. 288;
s. auch 262.
1 2 VON KRAUS
in V, 3000—4000; 3 : 3 in 4000—5000; 3:7m 5000—6000;
l : 8 in 6000—7000; 8 : 6 in 7000—8000; 2 : 1 in 8000
— 9000; 3 : 4 in 9000 — 10 135). in den übrigen werken bleibt
dann dieses Verhältnis der beiden arten nng-efähr unverändert
(B. 6 wort- : 9 satzaccent; G. 9 : 9; aH. 3 : 4; Iw. 10 : 11).
aber was sich nun bessert, ist die auswal: die fälle, wo die
wortaccente zwischen den beiden Wörtern sich immerhin recht
nahe stehn, weil der zweite teil des compositums erkennbare be-
deutung hat^, reichen nur bis zum Gregorius (verlos : sigelös;
geivant : tsengwant; Herren : junkherren\ erlachen : scharlachen;
ivol : houmwol\ behängen : umbehangen, alles im Erec. —
nuere : timmere] solt : unversolt im Büchl. — ge-, behalten :
isenhalten im Gregor)., der aHeinr. dagegen kennt nur mehr
inoffensive reime: (crea)tiure, (speculä)tor und {hi)rät, wo bei
den längeren Wörtern gewis niemand an tüire 'teuer', tor oder
rät dachte. — ebenso stehts im Iwein, von dessen 10 beispielen
nicht weniger als 7 auf die farblosen -lieh, -liche{n) entfallen,
die als selbständige Wörter nicht mehr vorkamen und daher von
gelich und geliche(n) durch starken accentunterschied getrennt
waren 2. {Asca)lön ist wie {speculä)tor zu beurteilen, dann ver-
bleibt nur noch deste hdz : vürbäz, welch letzteres wort man
wol kaum mehr als compositum empfand ^, und ein letzter fall,
der allerdings einen so plumpen reim enthält, dass er alles bis-
her ermittelte in frage zu stellen droht: ich meine 6535 die
bindung behüeten : vuhshüeten. aber ein blick auf den Zusammen-
hang klärt alles auf. Iwein und das mädchen bilden eine
gruppe, die eitern die andre, wie im lebensalter, so sind beide
paare auch durch ihre neigungen geschieden: die jungen ver-
langen heimlich nach liebe, sie freuen sich ihrer Jugend, preisen
die sommerliche gegenwart und sprechen von glücklicher Zu-
kunft, die alten aber beklagen ihre jähre und denken voraus-
sorgend an den künftigen winter:
der winter wurde lihte kalt:
80 solteus sich behüeten
' in diesem sinne, nicht in dem WGrimms, spielt also die bedeutung
beim rührenden reim hier eine rolle.
^ s. schon Zwierzina s. 291.
3 nach dem DVVb. IV 1, sp. 658 hätte man sogar fürbäss zu be-
tonen, und die betonung auf der ersten silbe wäre nur metri causa bei
dichtem zu finden; das ist gewis falsch.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 13
mit ruhen vuhshüeten
vor dem houbetvroste.
SO spricht das greise paar von der philiströs-altmodischen kopf-
bekleidung- ^ auch in der spräche einer früheren generation —
dass sie das ist, wird sich noch ergeben — und die ganze stelle
reiht sich würdig den anderen an, wo 'altvaterische epische
tradition der Wendung ironische färbung verleiht' -. bei Chrestien
natürlich wieder nichts davon •^,
Auch in der Verwendung des satzaccents zeigt sich das fort-
schreiten von Hartmanns kunst. viele fälle im Erec haben etwas
versteinertes, das beruht darin dass der satzaccent etwas fest
gegebenes ist: bei Verbindungen wie phündes (eren) wert, drier
schejte länc, üz reit, tot (ünversunnen) läc, umhe den loe'c läc, dbe
näm, in gewunden, war genäm, heim fuere, des me'res wäge, der
Gnaden sant ist die abgeschwächte betonung des letzten Wortes
geradezu zwangmäfsig. in andern fällen dagegen trägt sie in-
dividuelleren Charakter: nur ein kunstvoll pointierender Vortrag
wird den accent da schwächen, dort verstärken und dadurch die
ganze stelle erst zu rechter würkung bringen, fortschritte sind
hier deutlich wahrzunehmen, in der regel betonte man jedes-
falls under dinen ddnc. im Büchl, und im Greg, gebraucht Hart-
mann bereits die betonung linder dinen dänc, natürlich jedesmal
an einer stelle wo der Zusammenhang einen contrast zu 'frei-
willig' fordert, aber auch diese betonung dürfte (wegen des
gegensatzes zu dankes, der sich so leicht einstellte) nicht eben
selten vorgekommen sein, daher ist es noch kunstvoller, wenn
der zusammenbang die betonung nnder sinen danc fordert, wie
das im aHeinr. 1243 der fall ist. — auch ist es ein fortschritt,
wenn ein- und dasselbe wörtchen sich im reime widerholt, sodass
also die Verschiedenheit ganz rein auf den satzaccent gestellt ist.
im Erec reimt wol sin 'esse' : sin 'ejus' oder in 'intus' : in 'eum',
* 'mein grofsvater trug eine fuchskappe, die ihm den köpf warm
hielt' DWb. IV 1, sp. 348 s. v. 'fuchskappe', ebenda auch die beschrei-
bung des lächerlich aussehenden garderobestückes, die dazu gehört, will
man die stelle bei Hartmann in ihrer Charakterisierungskunst ganz erfassen.
^Zwierzinas. 262 ff. vgl. auch den 'anfing von realistischer darstellung'
in der rede des meiers, aH. 584—87, Gierach Zs. 55, 336.
3 'Cette fois, c'est une addition originale du poete allemand' gesteht
herr Firmery in seinen ebenso fleifsigen wie kunstfremden Notes critiques
s. 84 melancholisch.
14 VON KRAUS
aber bindungen wie Ich : 'ich und so : also finden sich erst im
Büchlein (1451. 1171). man könnte deshalb geneigt sein,
dieses werk nach dem Erec anzusetzen', zumal ja der satz-
' wie das aus anderem gründe auch Lotz, Das attributive beiwort
bei Hartmann vAue, diss. Giefsen 1910, tut. hoffentlich sind seine Zu-
sammenstellungen und Statistiken gewissenhafter als die kurze kritik, die
er an einem teil des von mir gegen die echtheit des 2 Büchleins ange-
führten materials übt: ich hatte im anschluss an Saran in der Festschr.
f. Heinzel bemerkt, dass fruot von Hartmann nur im 1 Bächl. 349. 859.
1242 gebraucht werde: Lotz sagt 'übrigens findet sich fruot, das CKraus
unter anderem anführt, auch im 1 Büchl. v. 859'. — Zwierzina das. s, 460-
anm. hatte ohne jeden bezug auf die echtheitsfrage des 2 Büchl. bemerkt
'bar heilst im Iw. 'nackt, unbewaffnet' . . . s. Iw, 1027. 7141. 7223, ebenso
Er. 158. 860. 2510. 4154. 4212. 6674; aber im Er. nur, nicht im Iw.,
finden wir auch: aller freuden bar Er. 2988 . . .' Lotz versteht diese
einzelheit, die KZwierzina zur Illustration der. technischen entwicklung
Hartmanns nebenher anführt, als eine einzelheit, 'die CKraus gegen das
1 Büchl. ins feld führt', findet sie 'an sich wenig beweiskräftig' — darin
muss man ihm unter diesen umständen unbedingt recht geben, obendrein
kommt bar im ganzen 2 Büchl, überhaupt nicht vor — und belehrt pseudo-
Kraus mit seinem köstlichen 'übrigens findet sich . . auch . . bar im Er.
V. 6674, Iw. V. 7323 [das ist ein druckfehler gegenüber Zw.s richtiger zahl
7223], Gregor, v. 3528'. die letztere stelle lautet miner baren füese, be-
stätigt also Zw.s feststellung aufs schönste. — endlich hatte ich unter hin-
weis auf Vos constatiert, dass Hartmann snel überhaupt nur sehr selten
gebraucht und nur einmal (Er. 1642) in übertragener bedeutung. Lotz
weist mit seinem 'übrigens' darauf hin, dass snel auch im Gregor, v. 23
vorkomme, aber da heilst es das leben brechen mit einem snellen ende,
und das ist doch wol keine 'übertragene bedeutung' wie etwa sallen eren
snel an der ^inen stelle des Erec. — ansonsten glaubt Lotz meine argu-
mentation, dass in den 826 versen des 2 Büchleins allerhand vorkommt,
was in den rund 26 000 versen Hartmannscher poesie gar nicht oder in
auffälliger Verteilung zu finden ist, damit abzuschwächen dass er allerlei
anführt was in den 1520 versen des aHeinr. fehlt, während es in den
24 480 versen der übrigen werke vorkommt, dieser beweismethode ent-
spricht die durchführung: ich möchte gern wissen, wieviel zusammen-
gesetzte adjectiva Lotz für den aHeinr. erwartet, wenn deren im Iw. nach
seinen eigenen listen auf je 2084 verse durchschnittlich nur ^ines vor-
kommt und nach der tatsächlichen Verteilung zwischen v. 1059 und 5586
überhaupt keins. oder sollen wir es anstaunen, dass die composita auf
-haft (ein fall auf je 1361 verse im Iw.) und die farbadjectiva (ein fall
auf je 1000 verse im Gregor.) oder die mit un- componierten epitheta
(die im Er. auf strecken von 1223, 1149, 1132 versen ausbleiben) in den
1500 versen des aHeinr. fehlen? und fehlen sie denn auch würklich?
wenn Lotz s. 28 aus dem Erec das beispiel mitzählt: dan ir mit einem
DER RUHEENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 1 5
accent überhaupt in den ersten 1000 versen des Erec für den
rührenden reim noch gar nicht nutzbar gemacht ist, wol aber
im Büchlein, s. o. s, 11. — ein weiterer fortschritt wird im
Iwein erreicht, wenn die natürliche unbetontheit der hilfsverba
Wirt, ivart benutzt wird, um sie den rührenden reim bilden zu
lassen (1587. 6657); dadurch wird das abklappen der verszeile
gegen die syntax, die ein fortflielsen verlangt, vermieden, sodass
die fälle sich in die von Zwierzina s. 390 f gezeichnete all-
gemeine fortent Wicklung von Hartmanns kunst organisch ein-
ordnen 1.
Von Hartmann führen die wege der kunst nach allen ricli-
tungen, zu Wolfram sogut wie zu Gottfried.
Wolfram nimmt in der geschichte des rührenden reims
keine besondere stelle ein, wie er ja überhaupt, stets mit dem
Inhalt ringend, für das technische der kunst weniger Interesse
und mufse übrig hat.
Die grofse mehrheit seiner rührenden reime fällt unter den
gesichtspunct des wortaccents^, hierher gehören die bindungen
von {un)gelich : ritterlich, toünnecl., mlnnecl. usw. (15 mal) sowie
von geliche (adj. und verbura) : senllche, grcezlUhe usw. (5 mal),,
denen keine einzige bindung von -Vieh : -lieh gegenübersteht ^.
weitere fälle sind bei deutschen Wörtern: schdft : gese'lleschäft;
manne cart über lant vil unbewart, so weifs ich nicht, warum er die
stelle aus dem aHeinr. 887 nicht anführt: sus gesdsen si beide riuicic
unde utifro ? — solche Statistik ist ebenso nützlich und belehrend wie
wenn einer die Stubenfliegen an einem sommernachmittag zählt und dann
schliefst, dass es draufsen warm ist.
1 die Lieder haben nur 2 rührende reime: 206, 6. 8 und 216, 13. 14
(unecht 213, 5. 7; 24. 26). — im sog. 2 Büchl. fällt neben einigen gleich-
giltigen bindungen (35. 77. 171. 175) der rohe reim diu muoz verderben
da mite : ican da verliuset si mite (771) auf.
^ meine beispiele beruhen wie bei Hartmann und Gottfried auf
eignen Sammlungen, die durch nachträglichen vergleich mit denen
Zwierzinas ev. ergänzt wurden, für die citate aus Wolfram vergleiche
man die liste Zw.s s. 290 ff (mit ben berichtigungen Zwierzinas Beitr. 28,
442 anm. 2).
3 wie schon Zw. s. 292 hervorgehoben hat, der auch bereits richtig
die beiden ieslich : -lieh aus der gruppe der rührenden reime entfernt hat:
Wolfram trennte ie — sltch.
16 VON KRAUS
zdlt {== ze alt) : i'rnyezalt; bnten : arbeiten', dlnc : teid\nc\ ritte :
snurfmc\ verlos : hclfelös, re'htl., sfgel. (3 mal), hirrenlös; noete :
kleindte. — deutsche und fremde Wörter (nebst namen) werden
etwas Läufiger gebunden: ült: hliält P. 313, 11; zehdnt : Mörhant
W. 46, 22 ; erkänt : Ldrkänt W. 49, 1 ; dne : Schöysiäne P. 805, 5;
823, 15; T. 24, 3; dnen (verbum) : Schöysiänen T. 108, 3;
Idt : ohldt P. 470, 5; rät : smärdt, 2)ärdt, ddmirät (letzteres
2 mal); näten : kemendten', reht : föreht (2 mal); e : Cündru
P. 729, 3; 758, 25; 764, 11; : alöe P. 790, 7; W. 69, 11;
: FulturmÜ W. 28, 27; Gihüe 442, 23; tue : Ninnive (?) P.
102, 13; leis : Wdleis P. 281, 11; stveiz : Jösweiz W. 33, 3;
di)i : Gdndin (2 mal) ^; sin (inf. und pron.) : Klngristn P. 503, 1 1,
prism, Ldprisln 821, II, püsm; dlne : Gdndine\ sinen : püsinen
P. 764, 25; W. 17, 25; 360, 7; zU : rünz'U; fier : rlvier (?)
P. 118, 11; dir : saldier] Her : forehüer P. 592, 9; W. 379, 25;
Ion : Babylon (2 mal); enböt : Tribdlibot P. 823, 3; ruc : bdrüc;
künt : schaJitelakhnt P. 43, 19; siis : Jesus W. 357, 23; rünen :
Kingrunen (?) P. 278, 27; gebur : tömbür W. 187, 25; hüt :
Adramahüt W. 175, 7; 447, 27. — wenn der letztere typus
(deutsch : fremd) absolut häufiger ist als der typus deutsch :
deutsch (47 gegen 32 beispiele) — und relativ sogar erstaun-
lich häufig — , so wird diese schon von Zw. hervorgehobene
tatsache wol so zu erklären sein, dass die fremden reimsilben
für Wolfram mit den deutschen gegenwörtern nichts gemein
hatten: sie waren ihm richtige endsilben ohne erkennbare be-
deutung, und daher im accent auch ganz schwach, schwächer
als zweite compositionsglieder der einheimischen Wörter mit
durchsichtiger bedeutung^; ein Markant steht vom deutschen
* P. 50, 1 wol mit schwebender betonung miner rmiomen man
Gandtn; darüber dass das keinen unterscliied maclit, s. weiter unten s. 28f
bei Gottfried. — auch \V. 307, 1 (zur erklärung der stelle s. IStosch Zs.
38, 141 ff) wird Enöch ( : noch) blol's schwebende betonung sein, nicht
fortleben der alten griechischen endbetonung (Lachmann Kl. sehr. I 383).
dafür spricht W. 218, 17, wo Enöch ungezwungener klingt, weshalb
Lachmanu auch und, nicht unde schreibt.
* Zw.s erklärung, dass Wolfram bei den fremden Wörtern anders
abteilte, ist für gewisse fälle besonders schwierig {Morh-ant, obl-ät,
schatelak-unt, Adramah-üt), für andere gewährt sie keine hilfe
(Schöysiäne, Cundrie, alöe, Fulturmie, Gibüc), oder sie nötigt zur
annähme eines rührenden reims, wo die normale Silbentrennung keinen
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 1 7
haut weiter ab als etwa oherhant, smärät und pärät von rät
weiter als hiisrät usf. ähnlich erklärt sich auch die Zurück-
haltung Wolframs geg-enüber den typen deutsch : deutsch, und
die auswahl, die er dabei trifft: gelich : -lieh und seine formen
(20 mal!), aber nie gelich : iingelfch; schaß 'speer' : geselleschaft^
aber nicht etwa zu sperschaft usw.
Vom satzaccent hat Wolfram verhältnismälsig selten ge-
brauch gemacht, und nie in der weise des späteren Hartman»
ein und dasselbe wort gepaart, die fälle sind:
ir Sit der erste man
der ie min redegeselle wärt.
ist min zuht dar an bewärt P. 369, 4;
ebenso 502, 19 gesetzet wärt : sich hat so bewdrt.
da wart manic kus getan
von maneger frouwen wöl getan P. 671, 5
nu füert die tüten werden
von der toufpiecen erden,
da man si schöne nach ir e '
bestate. ich sol iu schaffen e
Sterke mule die si tragen W. 465, 17;
der gast mit sinem wirte reit,
er vant sin ezzen al bereit P. 32, 27;
lihnlich 262, 1 ; W. 186, 13 ;
von wibes gir ein linder schalt
in schiet von der mennescheit P. 520, 1 ^;
ode daz er bürfuoz gienge,
unt des tages zit begieuge P. 447, 17^;
ob ich hie belibe:
an min eines übe
lit nlht wan eines mdnnes trost \V. 210,19;
sin kurtösie er dran verlos,
lät sin : sin frouwe was ouch lös P. 284, 11 *. —
ergibt (in : glcecln, Brandelidelin, nibbln und massenhafte analoge fälle,
s. Schulz Reimregister), in ähnliche Schwierigkeiten gerät man beim
typus deutseh : deutsch, denn wenn ein reim hüffe-lin : sobel-in durch
die annähme gerechtfertigt wird, dass die suffixe reinlich geschieden waren
(Zw. s. 310 anm. 1), dann ist das ganze beer von reimen wie küneQ-in : In,
hOrn-ln, gtild-in, sid-in, zobel-in, icirt-in, Mcer-inne : küneg-inne-, inne
usw. usw. zu den rührenden zu stellen.
* ir e (der beiden) steht also im contrast zu toufpcere.
- -acheit wird im ersten vers wegen der figura etymologica auf die
volle accentstärke gehoben, vielleicht trennte Wolfram mennesch-heit.
3 doch s. Gg enphienge, Beitr. 28, 442 anm. 2.
* indem auch sie ritter gegeneinander hetzte (mittelbar, durch ihr
Z. F. D. .\. LVI, N. F. XLIV. ^
1 8 VON KRAUS
Namen wie Terramer(e), Gäwän, Francriche rührend zu
reimen verschmäht Wolfram, s. Zw. s. 288 f. der grund scheint
mir in dem natürlichen accentgewicht zu liegen, das die zweiten
teile dieser namen besitzen, sodass sie von den deutschen werten
mer{e), ivän, ruhe nicht weit genug abstanden, aus demselben
gründe fehlen die rührenden bindungen bei Heimnch(e) und
Reiniewart fast ganz, um sie für solche Verwendung brauchbar
zu machen, muste auf den ganzen namen ein so schwerer satz-
accent kommen, dass dadurch auch sein zweiter teil über das
normalgewicht des selbständigen deutschen gegenwortes hinaus
gesteigert wurde, diese erklürung wird durch die vorkommenden
ausnahmen bestätigt:
wer da mit ir leze ?
daz tet der aide H e i m r i c h.
da ergienc ein dienest zühte rieh W. 265, 5.
nach demselben princip ist Bennewart (: -wart) W. 429, 5 be-
sonders stark betont, weil der name nach einer pause von mehr
als 120 Versen wider genannt ist; ebenso Heimrzche (: rkJie)
W. 407, 23, als führer der einen von den sechs scharen (397, S;
405, 7), deren kämpfe im folgenden geschildert werden.
Romanische endsilben im rührenden reim zu binden gestattet
sich Wolfram öfter; ähnlich wie Hartmann im Erec paart er.
ohne künstlerische absieht, namen wie Kauet : Dölet (P. 48, 7;
58, 29); Wäleis : Kanvoleis (59, 23; 60, 9; 7 7, 9); Brande-
lidelin : Lähelhi (67, 17; 85, 27); Ärragfm : Utcpandragiut
(74, 5); aber ebenso hat er wie Hartmann das dürftige solcher
reime bald erkannt; denn während sich in buch I. II die 8 an-
geführten fälle zusammendrängen, hat er später nur noch zwei-
mal solche namen zusammengespannt {Fristines : Meiones P.
770, 23; Utreiz : Matreiz W. 32, 15), und beidemal in längeren
namenlisten, also ganz wie bei Hartmanus einzigem fall im
Iwein. — name und appellativ (beide fremd) werden gepaart
kunstlos in dem reim pouUm : Ascalün P. 82, 9 (also im 2 buch!)
und kunstvoll P. 727, 17, wo die vorhergehnde senkungssilbe,
lachen), eine scherzhafte anspielung auf die von Parzival besiegten und
ihr zugesanten ritter Kingrun, Claraide und Orilus. — anders die coni-
mentatoren und Heinzel, Über W.s Parz. s. 26. 96 sowie Singer,
Festschr. f. Heinzel s. 422 [und WSB 180, 97]. — schwebende betonung
inüss übrigens bei jeder auffassung angenommeu werden.
DER EUHRENDE EEIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 19
wegen der schwebenden betonang sicher mit absieht, mitklingt
(Punturtoys : kurtoys), sowie 809, 29 {ddret : Gähimire't), wo
der name, der so unvermutet genannt wird, besonders nach-
drückliche betonung fordert, sodass der fall in das capitel 'satz-
accent' gehört 1. — gleicher ausgang zweier appellativa wird
gereimt in pfiünnt : samit P. 552, 9; 794, 13 und in iiostiur :
äventiur W. 412, 32. gerechtfertigt durch den satzaccent ist
das letzte beispiel dieser art:
daz (ors) was gewäpent wol für strit :
pfellel unde samit
was sin ander covertiur.
Sit erz erwarp mit äventiur,
durch waz solt erz nü riten niht ? P. 540, 9,
denn das ganze wort covertiur ist im accent gegenüber även-
tiur gedrückt, weil auf ander ein besonderer nachdruck gelegt
werden muss, soll der hörer den Zusammenhang erfassen.
Endlich sind einige fälle zu buchen, wo Wolfram deutsche
Suffixe und compositionsteile im rührenden reim paart : zoheltn :
Mffelin P. 130, 17; stähelln : kämbelin W. 196, 1; toJiterlin :
vingerlin P. 368, 11 3. hieher noch zornediche (aber Ggg zornes
riche!) : sicherlidie P. 120, 19 (s. dazu Zw. s. 308) und viel-
leicht Heimrich : unerklärtem wisertch W. 383, 19. — dagegen
beruht umhehaben : haben W. 241, 21 auf conjectur Lachmanns
{umbevän Kmnoptz), die ich jetzt nach den bemerkungen
Zw.s Festschr. f. Heinzel s, 468 nicht mehr verteidigen möchte;
liez : liez (st. hiez) P. 165, 26 ist blofser druckfehler der vierten
ausgäbe. — dass die zahlreichen reime von formfen der verba
vähen : enpMhen nicht unter die rührenden gezählt werden
dürfen *, ebensowenig wie je ein drabe : abe, dran : an und
fltist : gelust W. 11, 5, hat bereits Zwierzina s. 290. 294
erkannt.
* dagegen sind die reime scheue -schlant : Lälant (und : lant) über-
haupt keine rührenden.
2 äcentiure : schumpfentiure W. 435 7 bei Schulz ist falsch; stiure
steht im ersten der beiden verse.
3 die beiden ersten fälle schon bei Zwierzina s. 310 anm.; der dritte,
von Zw. übersehene, spricht gegen seine deutung der beiden andern;
s. auch oben s. 16 anm. 2.
* sie standen für Wolfram auf einer linie mit flihtet : gepßihtet
W. 30, 23.
2*
20 VON KRAUS
Die höchste Vollendung erreicht der rührende reim bei
Gottfried, altes gut klingt in seinen händen mit neuer Schön-
heit und erhält so wie das neugeschaffene das gepräge seines
künstlerischen geistes.
Freilich hat er das althergebrachte nur sparsam verwendet,
so spielt der wortaccent gegenüber dem satzaccent bei ihm eine
recht bescheidene rolle; und er bevorzugt dabei die minder auf-
fälligen reime zwischen deutsch und fremd gegenüber den rein
deutschen.
Zur kategorie deutsch : fremd gehören folgende beispiele ^
von frz. appellativen : föttenant : genant 4319; prisänt : gesänt;
papegän : gän; e'sterich : rieh 16 717; quartier : tier 3307;
geprüevleren : vieren 4975; äventlure : tmre 8659. 18 937 2;
hdrüne{n) : rüne{n) 4 mal. — das fremde dement wird von einem
namen gebildet in den reimen: ürgän : gän; Römmren : mceren
2 mal; Isolde : sohle (verbum) 11 mal bei Zw., dazu noch 11399.
12 635. 16 011; : solde (subst.) ; Isblt : sölt 2 mal; Mürjodo : do
6 mal.
Deutsche Wörter sind durch den wortaccent geschieden :
gedänchaft : hdft 17 057; ünlänc : geldnc, välänt : länt; ste'in-
wänt : überiodnt] ündertän : getan; üngewcere, dlwmre : wcBre'^\
ürtMe : tcete^; trühsceze : gesceze^, 9145; herherge : l)erge 2 mal;
(ßheim{e) : heim{e) 6 mal 4; ungemeine : meine ^; -lieh (aber nie
gelich!) : lieh (subst.) 4 mal; erhdrmecUche : geliche; röupllche,
unmüezecl. : al (ie) geltche 2 mal; herzöge : gezöge.
So hübsch viele dieser reime klingen, so zeigt sich die
höchste kunst Gottfrieds doch in der Verwertung des satz-
' die zahlen gebe ich hier nur bei ein paar nachtragen zu der liste
bei Zw. s. 298 ff anm.
^ so ist st. 8937 bei Zw. s. 300 zu lesen und das erste beispiel das.
zu streichen.
3 an sich wäre das schwache auxiliar vom nebentonigen -woere im
accent nicht genügend stark unterschieden, aber der satzaccent hebt das
erstere beidemal zu besonderer stärke: Melot sieht eine frau zu Tristan
gehn: wer aber diu frouioe loäre, des was er wigewcbre 14 523. ebenso
steht wer er wde-re 13143.
^ die simplicia ta'.te, scese, keime (14 377), meine sind jedesmal im
Zusammenhang besonders stark betont, sodass die fälle in die kategorie
des satzaccents hinüberspielen, was ihnen besonderen reiz verleiht.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 21
accents. bereits Zwierzina hat die beobachtung gemacht, dass
bei den reimen zwischen gleichlautenden pronominalformen 4n
den weitaus meisten fällen das eine der reimenden pronomina
adversativ gestellt den satzton trägt^ das andre im satze tonlos
bleibt', s. 300 anm. es genügt, ein beispiel aus seiner liste an-
zuführen : Morolt sagt zu Tristan 6450 : ^wir suln ez . . .
in einem ringe scheiden,
weder ir reht habet oder ich'.
Tristan sprach aber 'diz muoz ich
mit gotes helfe erzeigen'.
in unnachahmlicher weise ist hier dem polternden auftreten des
Irenherzogs die höfisch beherschte gelassenheit Tristans, der
sein ich hinter Gott zurückstellt, entgegengesetzt, dasselbe
kunstprincip herscht aber auch bei den andern wortkategorien :
ez enmüese ir eines tot sin,
entweder des risen oder sin 16139;
daz si sins herzen unde sin
gewis und sicher wände sin 19405 ;
daz er wol rede und ouch gebär
vernemen künde und ouch vernam,
sin vater der marschalc in do nam
und bevalch in einem wisen man 2056 ;
und soite des niht nemen war
wie lange er füere oder war 8623;
mit einer michelen schar
beidiu der burgjer und der boten,
als in von hove was geboten
und als daz mjere hie vor gibt 8738;
die gelieben dühten beide
ein ander s c h ce n e r vil dan e ;
deist liebe reht, deist minnen e 11860;
daz ir mir und miner habe
schaffet fride in dirre habe 8861; ebenso 8891;
und marcte ez al gemeine
ir wort und ouch ir meine 14971;
sin behabet offenlichen e
wider in ir Unschuld unde ir e 15297;
dem bevalch si harte vaste
mit gebete und mit vaste 15551 ;
ze siner heinlich er gewan
von Gäles einen spileman
gef liegen unde wisen;
den begunde er underwtseu
der fuoge unde der sinne 16 275;
22 VON KRAUS
si riten under stunden . . .
birsen Jn die wilde
nach vogelen und nach wilde
und ouch zeteslichen tagen
nach dem röten wilde jagen 17 251 ';
in was do ziio ein ander
vil anger und vil ander 17S45;
Die gröste Virtuosität zeigen wol die verse 9877 f, wo so-
gar je zwei Wörter in gegensätzlicher betonung mit einander
gebunden sind:
ir Sit verkeret alle wis :
iu sint die tumben alle wis,
iu sint die wisen alle tump 9S77 ^4
SO kann der dichter auch zwei im wortaccent gleichstehnde teile
durch den satzaccent scheiden:
daz man sie her besende
zunser aller gägenwürte,
iuwer ansprach, fr antwürte
daz man die beide also verneme 15418; ähnlich 15471.
mit M'elcher ausdrucksvollen lebendigkeit der dichter seine verse
gesprochen wünschte, zeigen andere fälle, wo die emphase dem
einen der Wörter besonderes gewicht verleiht, so natürlich beim
ausruf wäfen:
owe mir unde wäfen !
wer hat diz veige wäfen
von Kurnewäle her getragen ? 10 097 ;
oder an stellen, wo das warme gefühl, der bewunderung, des
raitleids, des zornes, häufung der epitheta und zugleich ge-
steigerten ausdruck hervorruft:
reht als daz schif an anker tuet
in ebengelicher wi'se.
diu gefüege Isot, diu wise 8108^;
und vant ouch dem barüne
sitzende under armen
die fröudeloseu, ärm^n,
' ebenso 17105 ich hän ouch in der wilde dem coyele unde
dem icilde, dem hirse und dem tiere . . . gecohjet.
* wie sehr dem dichter sein glänzender einfall gefiel, zeigen die —
allerdings schwächeren — widerholungen 10 455. 13 701. 13 943.
' s. die warme bewunderung Isoldens vorher, von 8050 an.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 23
die weinenden Isote 13 293 ' ;
als er ir vil liep wÄre.
diz was diu älwä-re,
diu herzelose blintheit 17 7-41.
in anderem sinne dient die starke betonung auch dem poin-
tierten hervorheben. so wenn Isolde den eid beim gottes-
gericht leistet :
daz mines libes nie kein man
deheine künde nie gewan
noch mir ze keinen ziten
weder zarme noch ze siten
an iuch nie lebende man gelac
wan der vür den ich niht enmac
gebieten eit noch lougen,
den ir mit iuwern ougen
mir sähet an dem arme,
der wallfere, der arme 15 711 -.
endlich gehören zu dieser gruppe noch zwei fälle, wo der wort-
accent gleich, der satzaccent aber verschieden ist. an sich
wären reime wie rederich : Heinrich oder Irlant : heilant nicht
zu loben, aber es kommt eben alles auf den Zusammenhang an.
wenn die boten Tristan fragen, ob er wisse wo er sei, und er
verneint, so nennen sie ihm den ort mit nachdrücklicher be-
tonung jeder silbe :
*s6 sage wir dir daz du bist
ze Develine in Irlant.'
'des lobe ich den heilant
daz ich doch under liuten bin'
ist seine antwort (7628). und wenn Gottfried über Hartmanu
und die anderen epiker bereits gesprochen hat und nun zum
scbluss fragt: wen mac ich nu mer üz gelesen'? ir ist und ist
(jemwc geivesen vil sinnec und vil rederich, so ist es wol
sicher, dass der Vorleser nun mit sorgfältiger hervorhebung die
antwort brachte:
von Veldeken Heinrieh,
der sprach üz vollen sinnen ! 4723.
1 Vorbild war Erec 5892.
^ dies verächtliche der arme 'der armselige tropf soll den pilger
erst recht ungefährlich erscheinen lassen, für die volle würkung scheint
mir eine pause nach walkere unerlässlich, daher setze ich komma.
24 VON KRAUS
Aber die kunst des dichters erschöpft sich nicht mit der
hervorhebung durch besonders starke betonung. sie geht den
heimlichkeiten des deutschen satzaccents auch bis in die kleinen
wörtchen nach und benutzt ihr geringes tongewicht im gegen -
mafs gegen normales gewicht, so wird das enklitische Per-
sonalpronomen mit dem normalgewichtigen im reim gepaart in
fällen wie
arm unde riebe hfeten in
liep unde werden ünder in 509 ;
tröst unde zwivel fiiorten in
unendeclichen under fn 881;
ebenso bäten In, hcefen \n : under in, mit in, zln 3071. 3485.
8687; vgl. auch 7257. 9435 \
ähnlich verhält sich das nachgestellte possessivura sin zum hilfs-
verbum: väter sin, geddnke shi : sin ('esse') 3379. 9099 2. - —
auch das verbum unmittelbar nach einem präpositionaladverb ist
im accent gedrückt 2; Mn geleit : laster unde ir le'it 7247; ^ßf
geleit : le'it 16 581; an genceme : so ivert und so gencenie 9195;
hin geworfen : entworfen 17 301; ähnlich vor gehkte : hüte
19 103. — eine scheinbare ausnähme bildet es, wenn v. 18 221
v'iir geleit mit herzeleit gebunden ist, da letzteres normalerweise
ja auch blofsen nebenton auf leit hat. aber der Zusammenhang
ergibt sofort die erklärung: Marke, der die liebenden überrascht
hat, kann nun nicht mehr hoffen und zweifeln:
dö was im erste vür geleit
sin endeclichez hdrzeleit . . .
wän unde zwivel was dö dan . . .
■" er wände niht, er weste^.
wie Hartmann benützt auch Gottfried öfter die drückung des
ivart nach dem particip : getöufet, heüätet, entschumpfieret wärt :
heivärt 2041. 12 573. 18 917. — ähnlich ^sind die folgenden
beispiele der drückung durch ein vorangehndes subst, zu beur-
teilen: ende wcere : s?w oeheim, der gewcere 8389; daz lützel
• solche enklise des pron. wird ja" für Gottfried durch reime er-
wiesen wie entnceten {= entncete in) 2871 ; sahen (= sach in) 10 257 ;
kästen (= kuste in) 14163; Seiten (= seite in) 14357.
* 8. die entsprechenden beispiele bei Hartmann, oben s. 7. 5.
3 8. Iw. 4407.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 25
fernen ivcere getrimve unde gewmre 12 3311; durch daz er ime
so M loas komen und ime so nahen gereit, nu vms er aber ze-
hant bereit 9134; sicaz ich dir sage, daz vernim : daz glas mit
disem tränke mm 11455; nahe gendiu leit : not geleit 989;
auch mac daz nieman verlern, diu liehe müeze zwivel hern
13 825; daz was zem anderen geiüant ietwederhalben an der
u-nnt 17 021 2; s% iemen bt iu an der habe der gcwalt von dem
lande habe 8783. — oder die Schwächung- erfolgt, weil das reimwort
nach dem folgenden vers hin gebunden ist: do komen Biwaline
böten, Morgan sin vient hade geboten ein starke samenung in sin
lant 1375; nü diz was allez gereit : diu rotte saz üf unde reit
des endes, da si hörten sagen 9331. — oder es handelt sich um
leichte formwörtchen : er stuont nf unde ndm zehant sinen sun
Tristanden an die hdnt 21 S9 ; Tristan spranc enwe'c zehant : eine
zwisele hiu er an die hdnt 2933 ; ebenso in al rihte {enrihte) :
daz gerihte 15 527. 15 643. — öfter hat das eine wort den
stärksten accent im verse, das andere nicht :
swaz ir dewederem gewtlr
des wart daz andere gewar 14337; vgl. 975 '. 7207;
da nam er siner läge war
und wart da nihtes gewär 15 211 ;
nemt war wie der hier under
an dem umbehange wunder
mit spfeher rede entwi'rfet;
wie er diu mezzer wirf et
mit behendiciichen rimen 4709 ;
als ez in beiden was gewänt.
si gewunnen harnasch unde gewant 4547 ';
dar z u o haete gewänt
daz 81 Tristande sin gewänt
berihte unde bereite 4951.
in ähnlicher weise linden aus dem Zusammenhang ihre erklärung
die rührenden reime 5477. 15969 5; 5961; 8711; 12515 •>;
1 Vorbild war Greg. 1019. 3861.
- s. aHeinr. 1267.
3 s. Erec 7028.
* auf beiden ligt ein besonderer naehdruck, denn vorlier war von
dem unterschied in den bestrebungen des alters (Rual) und der Jugend
(Tristan) die rede.
5 für die Erec 3114 und besonders 6756 vorbild war, s. auch
6760. 6828.
« s. aHeinr. 689.
26 VON KRAUS
16 693; 16 697. am hübschesten an der stelle, wo der dichter
sagt, dass auch er alle einzelheiten der minnegrotte kennen ge-
lernt habe, 17114: ich vant an der fossiure den Jiaft und sack
die Valien; ich hin ze der kristallen ouch imderstunden vil
geweten . . . und aber den est er ich da In . . . den hän ich
so mit triten zerhert . . .
ouch hän ich an die liehtenMant
miner oiigeu weide vil gewant.
Vielleicht den höhepunct in der an Wendung rührender reime
stellt die kunst dar, mit der Gottfried es verstanden hat, in die
vierreime abwechslung zu bringen, gewis: sie sollten ins ohr
fallen: daher sind die vereinzelt in die erzählung eingestreuten
meist von Wörtern gleichen gewichtes gebildet, s. zb. 131 ff.
233 ff usw. K aber bei den gehäuften Strophen des eingangs
hätte das unweigerlich den eindruck der monotonie hervor-
gerufen, daher bevorzugt der dichter hier den Wechsel :
Gedrehte man ze giiote niht
von den der werlde giiot geschiht,
SU wajre ez allez älse niht
swaz guotes in der wt'rlde geschiht.
Der guote man swaz der in güot
und niwan der werlt ze güote tuet,
swer daz iht anders wan in güot
vernemen wil, der missetüot.
Ich hoore ez v eischen harte vil
daz man doch gerne hüben wil :
da ist des lützelen ze vil,
da wil man des man niht enwil.
Gunst unde nahe sehender sin,
swie wol diu schinen under in,
geherberget nit zuo ziu,
er leschet kunst unde sin -.
Zum colorieren verwendet Gottfried auch reime von der art
jenes paares Iwein -. Gäwein bei Hartmann, dass sie aus dem
französischen kommen^ hat uns oben der vergleich mit Chrestien
1 die ganze liste Zs. 50, 220 mit dem nachtrag Zs. 51, 373.
^ dazwischen andere Vierzeiler, wo nur das erste und dritte oder das
zweite und vierte wort durch den accent geschieden sind. — 11875 ist
natürlich abgestuft, da hier 4 e den reim bilden: si danket schoener sit
dan e, da con «o tiuret minnen e. diuhte minne sit als <", so zergienge
schiere mimien <■; vgl. 1627. 11861.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 27
gezeigt, dass auch Gottfried sie als französisch und als ganz
verschieden von der art des deutschen empfand, zeigt der um-
stand, dass er sie gerne in versen anbringt, die auch sonst aus
französischen Wörtern bestehen:
ei, sprach er, de benie
si sainte companie 2683 ;
deus sal roi et sa mehnie :
künec und sin massenie 3257;
de duin duze äventiire
si duze creatüre :
got gebe Suez äventiuie
so süezer crC-atiure 3267.
SO auch 3351. 3751. 5579. 5601. aber auch er ist, wie Hart-
mann, von der anfänglichen Überschätzung des welschen tandes
zurückgekommen *.
Auf ganz originelle weise macht er auf einem höhepunct der
erzählung den deutschen wortaccent an fremden lauten zum mittel
künstlerischer würkung : an der stelle, wo Isolde ihrer mutter
das geheimnis von Tristans verstecknamen enthüllt (10 615).
'ich fand' sagt sie:
daz ez allez ein was ;
wan swederhalp ich hin las,
sone was ie nime dar an
wan Tantris oder Tristan
und ie an einem beide.
nu muoter, nu scheide
dise nameu Täntris
in ein Tan und in ein Tris
und sprich daz Tris vür daz Tan,
so gprichest du Tristan ;
sprich daz Tan vür daz Tris,
so sprichest aber Täutris'.
• in deutschen versen reimen noch: jägerie; curie; barunie : mas-
senie : Parmenie : Symphonie : cumpanie ; ßörle : präerie 3023. 3313.
3673. 4163. 5011. 5127. 5173. 5307. 16631. 17389. 18785. 1S903. 18935;
feitiure : cocert. : äcent. : nät. 4577. 11637. — nach der reihe geordnet
ergibt sich: im zweiten tausend 1 fall, im dritten 7, im vierteu 2, im
fünften 6 (letzter fall 56011), im elften, sechszehnten, siebzehnten je 1,
im achtzehnten 3. — kein rührender reim dieser, sondern ein reimkunst-
stück besonderer art ist es, wenn Sidöne mit schwebender betonung auf
Didöne gebunden wird, 17199. dieser stelle vergleicht sich 10673, wo
ist an (Senkung— hebung) auf Tristan (haupthebung— nebenhebung) ge-
reimt ist.
2B VON KRAUS
Reime zweier gleich stark betonter Wörter kommen über-
haupt nicht vor; reime zweier minderbetonter wortteile sind bis-
weilen mit künstlerischer absieht gesetzt, so 12 315 minnmre :
irügeiKBre^ wofür auf Zw. s. 305 zu verweisen ist; so ferner,
des contrastes wegen gesetzt, sin tot was aber wol loheUch, der
ir ze sere erbarmeclich 1763 ^ für einige andere vermute ich
abgestufte betonung: wenn truhsceze zweimal mit laut-, umbe-
sa'ze gereimt wird (9707. 13 467), so wird in hinblick auf nhd.
land-sasse' neben *truch-sess' die Vermutung erlaubt sein, dass
schon für Gottfried -steze beim letzten wort bedeutungslos und
daher minderbetont gewesen ist 2, und wenn zwei weitere fälle
gerade den namen Develtn{e) mit schiffel%n{c) paaren, ist es zu
kühn, an die nhd. betonung 'Dublin' zu erinnern? — dann
bleiben nur noch zwei stellen: 2271 höfschliche : gemeinliche,
wofür ich keine erklärung weifs, und 16 833 merlin : walt-
vogelin. denkt man an schapeleMn (676. 4640. 11136) und
sieht, wie die meisten Schreiber an den beiden ersten stellen das
gewohnte -{l)lin eingesetzt haben, so darf man mit Brecht wol
merlikin vermuten, so heisst die amsel in der lyrik (Veldeke
und Gutenburg), und so schreibt auch die elsässische (Marold
s. XLVIII) hs. R des Tristan in dem von Paul herausgegebenen
gedieht 'Trist, als mönch' v. 437. —
Für die Vortragsweise ergibt sich, dass Gottfried die präfixe
abtrennte: sonst wäre gereinet : vereinet 11727 ein roher reim;
die bindung enein : nein 12 795 erweist die Silbentrennung ew-ein.
auch die grenzen zweier Wörter wurden beim Vortrag beobachtet:
daz er mir gebe anticürte mnb in (nicht um-bin) : ich bin 3893 ^.
wer das reimmaterial bei Gottfried und andern feinhörigen
dichtem unter solchen gesichtspuncten systematisch prüft, wird
noch manches derart erweisen können. — auch die schwebende
betonung wurde im Vortrag ebenso behandelt wie heute, d. h. ein
' vgl. dazu Er. 904 unser siege (jent niht manlichen, wir vehten
lästerlichen.
2 man könnte den accent des scese in lant-sceie, umbe-swze als
'hauptaccent zweiten grades' bezeichnen, Sievers Phonetik •'' § 649.
^ das ergibt sich auch aus dem Vierzeiler 33 ff, wo suo zin und
linder in rührende reime sein müssen. — dagegen die suffixabtrennung
(härm-in) würde für Gottfr. dieselben Schwierigkeiten schaffen wie sie
oben 8. 16 anm. 2 für Wolfr. angedeutet wurden.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 2!l
wort wie unlanc wurde am Schlüsse des verses, wenn es nach
dem Schema in Senkung -\- hebung zu stehn kam, nicht mit
würklicher Umdrehung der natürlichen betonung als unlanc ge-
sprochen, sondern der rhythmus wurde 'durch nivellierung der
gruppenbildenden factoren sozusagen aufgelöst', sodass 'die in
frage stehnden silben mit annähernd gleicher stärke' gesprochen
wurden, wie Sievers Metr, stud. I 69 es formuliert; dass dieser
Stärkeausgleich nicht in d^r art erfolgte, dass -lanc so stark
accentuiert wurde wie un-, lehren uns nun für die ältere zeit
auch die rührenden reime, sonst würden bindungen wie Trist. 407
nü daz Kcmele alsus geh'nic, nu was dar nach vil harte unlanc
die einzige, aber von zahlreichen einzelfällen gebildete gruppe
roher reime bei Gottfried und anderen mhd. dichtem bilden.
Von den Zeitgenossen und nachahmern der grofsen epiker
sei zunächst Ulrich von Zazikhoven betrachtet, mein material
beruht auf der durchsieht des Lanzelet und wurde hinterdrein
mit den Sammlungen WGrimms und Hanninks (Vorstudien z. e.
neuausgabe des Lanzelet UvZ., diss. Göttingen 1914, §54) ver-
glichen.
Seine unmoderne technik wird schon durch das vorwiegen
des wortaccents als unterscheidungsmittel charakterisiert, man
kann sagen, er ist inbezug auf diesen auf dem standpunct stehn
geblieben, den Hartmann in den schwächsten partien seines Erec
eingenommen hat, und das, obwohl ihm auch spätere werke be-
kannt waren, dabei sind die meisten reime stereotyp, die
schlechtesten sein eigentum, einige originellere lehngut. zur
gruppe des wortaccente sind zu stellen: hehaft : erhitß 2785;
schärt : Bitschart 3259; bdz : fürbäz 7791; {z)ergdn, für gdn :
Kdrdigän 5677. 7349. 7687. 8757 (so hat der reim Er. 2852
gewuchert!); mcere : söummre 8477; umre : alwwre 6089; gi-
reht : föreht 7033 (s. Parz. 548, 3; 737, 9); ir weit : üzerwelt
8291; bergen : herbergen 3225; ve'ste : müotveste 6803; heim :
oeheim 6695. 8461 (vgl. Er. 9482); dinc : teidlnc 8159 (vgl.
Parz. 729, 5); sint : tüshrt 195; geliche : -{c)liche 5 mal und
viell. 8451 (doch s. P); riche{n) : liwncriche{n) 55. 5739 (be-
sonders übelklingend !j;?i7is : Genewts 8149. 8261. S895; tler :
förehtier 731 (s. Parz. 592, 9; auch im Wh.); tiure : frz. -flure
2011. 2933. 4413. 5519. 624 7 (vgl. Er. 738); ge-, überzögen :
30 VON KRAUS
herzogen 61. 3487. 8379; kämen : /r/llekbmen 3455; küste :
ukuste 1335 1.
Von einer bewusten Unterscheidung durch das mittel des
satzaccents aber kann man bei ihm kaum reden, öfter hat
man den eindruck, dass er die überkommenen typen rein äufser-
lich nachahmt, ohne zu wissen worauf es ankommt, während
bei Hartmann das verbum lac im accent gedrückt ist, wenn es
auf roi Lac gereimt ist, paart Ulrich starktoniges geJdc mit Lac
(5157. 5545; besser 6691); ebenso fand sich bei Hartmann wol
misselänc : dner schifte Ihnc udgl., aber nie ze sagenne ze Idnc :
dem lool geldnc Lanz. 3523; üz reit : bere'it Er. 3092 klingt
gut, aber daz (ors) daz er da reit : knappen wol bereit Lanz.
2769 ist monoton, und so lielsen sich noch zu so manchen schlechten
reimen des Lanz. die vortrefflichen geg'enstücke bei Hartmann
anführen; so zu nämen : vernämen 8673; war : geivdr 7609;
wol getan : uz getan 3883; geleit : Int 3713; erhaben : haben
4423. — andere ungenügende reime sind: wAre : ivcere 5533;
gewdtit : erwdnt 5859; werden : tverden 4583; gelich : menne-
gelich 2975. — gegenüber dieser grofsen anzahl darf man die
beiden besserklingenden wol als zufallsfunde Ulrichs betrachten:
minnest wcere : ich bewd're 6065 und daz beste loort : hct ge-
wör{h)t 3415 2. — jn andern fällen liegen allerdings fehler der
Überlieferung vor, die meist durch die la. der andern hs. als
solche erwiesen werden 3. aber die kunstlosigkeit Ulrichs macht
die entscheidung nicht überall leicht.
Seine unempfindlichkeit gegenüber dem rührenden reim un-
'betonter silben hat schon Zw. s. 303 betr. der -hcit : -heit (3 mal)
und (s. 308 f) -Viche : -liehe (4 mal) festgestellt, sie waren dem
dichter offenbar auf einer stufe mit den ausgesprochen romani-
schen: montane : Britäne 6565 (s. Er. 19! 4); Itveret : Beforet
• Hannink s. 35 will laste (so P) lesen, ich vermute in stner (st.
miner WP) küste.
- denn ich kann mich nicht entschliefsen, den originellen ausdruck
und den charakteristischen reim mit Hannink s. 35 der vulgären la. von
P zu opfern.
3 W ist sicherlich im unrecht gegen P 4885. 6785. 7337; umgekehrt
P gegen W in allen 15 von Hannink s. 36 angeführten fällen. — 5689 hat
Hahn gebessert, 9901 schlecht conjiciert. — dran : an 2097 ist ebenso-
wenig wie bei Wolfram als rührender reim zu betrachten.
DER RÜHRENDE RELAl IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 3 1
331; valet : Lanzelet 4909; kumpanie : massenie 8579 (s. Er.
4629^3); justinre : kovert. 8077; Artiure : ävent. 5361; vgl:
Mdrroc : wäfenröc 4427.
Unvergleichlich besser verträgt Wirnt eine mustenmg.
allerdings bewegt er sich in den von Hartmann geschaffenen
geleisen, aber er hat dessen reime mit dem gehör, nicht nur mit
dem äuge erfasst, und bildet die guten muster gut nach.
In der kategorie des wortaccents finden sich die bekannten
gruppen. deutsch : fremd: lachen : schd riachen 227, 7 (s. Er.);
vdnt : helfänt 264, 4; 290, 40; getan : Pfetan 129, 12; 145, 1;
liste : evdngellste 243, 1 ; tiure : frz. -tiure 9 mal. — fremd :
fremd: Lac : Ärläc 257, 6 (wörtlich = Er. 1630). — deutsch :
deutsch: Schaft : rltterschaft 19, 7; 46, 30; 119, 33 (s. Er.);
hdnt : sdzehlmt 53, 9; 180, 23; getan : ivölgetan 30, 30; 213, 21;
291, 16; : ündertdn 225, 8 (s. Biichl.); äne wende : steinwende
20, 27; gewert : nnwert 171, 17 (s. Er.); gelich : -lieh 4 mal
ie-, ungelich : -lieh 43, 22; 165, 19; tägelich : -fleh 45, 23
97, 10. 35 1; gelühe : -ecllche 7 mal ; : -liehe 24, 18: 26, 8
sin : luhsln 115, 26; gezögen : lit'rzbgen 200, 40; verlos : sige-
vdlschlbs 193, 36; 212, 9; müote : drmnote 67, 16.
Zur grnppe des satzaccents gehören fälle, wo durch contrast
oder parallelismus din reimwort gehoben ist:
der wil nu ritt er werden.
des müezen die werden
die bcesen engelten 63,30;
diu lange zesamene ist geleit :
er git ouch ie nach liebe leit 94, 30;
sin pfert was rot daz er reit.
sin här ge mischet unde reit 12, 6;
vil snelle im bereitet was
nach sinem willen ein reinez bat,
als es diu küneginne bat,
unde harte guotiu kl ei der 73, 40;
ähnlich 07, 19; 144, 2; 155, 3; 222, 14.
In andern fällen ist das eine reimwort durch ein unmittel-
bar vorhergehndes im accent gedrückt: hehdlten kunne : künne
(subst.) 63, 38; erledegen sblt : sölt (subst.) 122, 38; geschdffen
» denn tägelich geht begreiflicherweise (wie un-, iegllch) stets mit
<felich, nie mit -lieh.
yi VON KRAUS
{besprochen) ivart : bewdrt 209, 11; 239, 20; herze sin : müosen
sin 109, 2; müoter sin : müose er sin 170, 23; vor geleit : sivachez
h'it 25, 10; her reit : Ist bereit 104, 10; üz zeigen : ze eigen (?)
149, 3; an luch geleit : lent er iuch dne le'it 249, 2; eren {grozer
dinge) wert : hat gewert 26, 24; 186, 12; ähnlich noch 18, 31:
M, 7; 45, 27; 49, 8; 51, 5; 76, 14; 104, 20; 107, 5; 151, 11;
155,36; 171,22; 191,39; 215,12; 241,35; 253,25; 262,15;
284, 24.
Selten findet die enttonung durch den folgenden satz statt:
sin dienst in allen was bereit : durch die vroun Lartn er reit die
dventiure ertverben 232, 37 ; diu hat in üz der taufe erhaben : er
sprach: frouwe, lät mich hohen iuiver hülde und imvern se'gen
'M, 25; des icas ir schmner llp tvol wert: dö er die fürsten het
geteert ir Wien 244, 4.
Individuellere umstände verleihen dem einen wort besonderes
accentgewicht : frou Marin und ir gespiln : die wellent hie mit
dir spiln [sc. 'etwas'] da von manc ouge tvirdet rot 258, 4;
liep als ir eigen llp : si sprach: herre, nü belip 39, 3 (mit
emphatischer betonung des imperativs); genomen tvar : für war
'als etwas wahres' 191, 29.
Was Hartmann im Iw. einmal um besonderer künstlerischer
würkung willen aus der quelle übernommen hat, der reim
iwein : Gäwein findet sich bei Wirnt mehrmals, auch stets in
längerer aufzählung: 244, 26; 250, 9; 257, 8; 287, 22. — auch
sonst verwendet er nach der art des Erec solche fremde reime:
Babylon : Ascalön 200, 30; Larie : Syrie : Florte 107, 17;
150, 32; -tiure : -tiure 92, 28; 168, 36; 202, 35; 227, 21;
2S3, 2.
Archaische kunstlosigkeit aber ist es, wenn dergleichen
schwachaccentuierte silben auch in Wörtern deutscher herkunft
miteinander gepaart werden. Wirnt hat dgl. etwas häufiger als
Hartmann im Erec: -schaft : -schaft 236, 11; 258, 2; '293, 9;
dazu 8 mal -ltch{e) : -Uch{e) (die belege bei Zw. s. 309); wöl-
getän : ündertän, üf getan 202, 3; 215, 22; 228, 34; riter
haben : üz erhiiben 41, 27.
An zwei reimen ivünden : überivünden 82, 8; 196, 35 ist
Hartmann, dessen absiebten Wirnt nicht erkannt hat, schuld-
los— schuldig (s. Iw. 5423). sonst reimt betontes wort auf be-
tontes nur noch einmal: rt'it : bereit 39, 37 (im dreireim).
DER RÜHEENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 33
Eiu Wechsel im verhalten \Yirnts ist nicht wahrzunehmen:
Seine solide technik bleibt sich durch das ganze gedieht hin
ziemlich gleich, ebenso die zahlen seiner rührenden reime.
Konrad Fleck, der doch den ganzen Hartmann kannle,
steht mit seiner Vorliebe für den rührenden reim auf dem staud-
punct etwa des Erec ', nur dass er bereits energischer den satz-
accent heranzieht.
Der gruppe des wortaccents gehören an: gelich -.-lieh 4'iO.
3562. 4034. 6968; ungel. : niinned. 252; geliche : -liehe 231.
1467. 2001. 3659. 4053; : -cUche 983. 4253. 6803; mgelkhe :
-liehe 4945; : -dicke 1793. 4687; algeliche : -liehe 5535; wende :
misseiüende (subst.) 4191; vgl. 907; tvise : ümvise 931; ver-
wizen : itew'izen 2191 ; verlos : sige-, tröste-, ende-, helfelös
1633. 5093. 5339. 5983, 7267; getan : ünder-, missetän 1693.
6808; gemüete : heimüete 3355; dinc : te'gedlnc 5465; gezogen,:
herzogen 6539; ndm : He'lenäm 1609.
Von den gruppen des satzaccents ist eine wider durch
drückung- des einen reimworts charakterisiert: das präpositional-
adverb zieht den accent auf sich vor dem verbum : dar uz
werde : werde (subst.) 6017; näeh reit : was bereit 3261; üf
geleit : gehe leit 5555; geschwächtes hilfsverbum: sanfte wart : be-
warf 6139; entslözzen wart : so betvdrt 7281; sonstige fälle mit
Verben : genäde sagen : singen unde sagen 3 (falls die herstellung
richtig ist); ze wibe nchne : so genceme (adj.) 4527; liep si :
nmbe si (mit zärtlicher emphase) 4097; vgl. 5791; swer nmot
ze vdrnde habe : der sige gein der habe 3237; mit pronomen:
die sorge sin : möhte sin 3731; mit Substantiv: von sippe oder
in friundes wis : wan er was listec unde wis 3459 ; in lebender
lüde wise : zwene smide wise 2027; si lägen bime icege : und
riten dfter ivege 3493 2. — aber auch ein wort, das nicht un-
mittelbar vorhergeht, kann die drückung bewürken: dö si wur-
den fünf jär alt : diu zicei diu ivurden beidiu alt 613; ich ge-
wünne niemer ere, kceme ich wider äne si : swie iinwcenlich ez
1 meine angaben erfolgen auf grund eigener Sammlung, die durch
nachträglichen vergleich mit WGrimms angaben und mit der liste bei
Sommer zu Flore 3 vervollständigt ist.
* aSter wege ist wol schon ganz adverbiell empfunden.
Z. F. D. A. LVI. N. F. XLIV. 3
- 34 ' VON KRAUS
mir st 4551; vgl noch 4693. 4853. 4991. 5191 {ddnc : üf den
gedanc, doch s. F!); 5453. 5533.
In andern fällen wird das eine wort gegenüber dem normal-
starken gegenwort im accent besonders gehoben:
'ich niuoz eine dort beliben.'
'nu sage doch wie lange?'
'ich fürhte dich belange'. 1128;
daz er üz frömden landen
mit sinen söumen füere
niht wan durch ein gefüere 3395;
der muoz ime geben den zol,
mime friunde, den ich meine.
der zol ist min gemeine,
und git mir daz halbe teil 3638 ;
Schatzes sat worden sin.
wa3re eht nii der köpf sin
den Floire noch hat 5179;
ir herren, sprach er, mine man;
vernemet wes ich iuch man 6559 ;
und er danne da ze briute
Blanscheflür nteme,
wan er was in dö genteme
worden unde harte wert 7506 ;
wie möhte ez in allen baz
und liep lieber sin erboten?
ttü komen von geschihte boten,
zwene ritter, in gegangen 7648 '.
Endlich wird in einer anzahl von fällen ein reimwort durch
Wörter des folgenden verses gedrückt:
(var) ze Muntöre unde wis
an allen zwivel des gewis 1031;
als er da nach deme site
sin guot verrihte,
dö hiez im der wirt enrihte
guot gemach bereiten 3398 ;
so stfete löp, so michel wert
daz nu iemer mere wert
unz an der werlde ende 7873.
s. noch 3773. 4451. 5641. 5877. 5921.
Nebenaccent mit nebenaccent gepaart ist bei Fleck selten,
absieht ligt wol vor, wenn der dichter contrastiert: Jünö schätz
und ricMuom. Pallas witze und wistuom 1601; sonst reimen je
* vgl. 1217 (imperativ!).
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 35
Einmal -schaft. -schefte, -hell und -heit unter sich, 2525. 873.
3601. 4781 1. — dagegen sind nicht hieher zu stellen die reime
von -lieh : -dich 3432 und -Uche : -dicke 11h. 1107. 1311.
1641. 2413. 3211 (conjectur). 3467. 3711. 3865. 3881, denen
nur ein 'fehlerhaftes' -Uche : -Uche 3137 gegenübersteht, denn
die grofse zahl der ersten art zeigt deutlich die absieht: man
halte dagegen die Zahlenverhältnisse bei den reimen von -Uche :
geUche, s. o. s. 33. so hat also auch Fleck den von WGrimm
beobachteten, von Zw. s. 309 für eine anzahl dichter mit recht
bestrittenen unterschied gemacht.
In einigen fällen endlich ligt die bindung zweier stark-
accentuierter Wörter vor. absieht — um das Wortspiel deutlich
zu machen — ist erkennbar, wenn Fleck sagt : also näch-
wendecUche M tvas ez under in geivant daz sie mit der einen
want wären gescheiden 5655; einen andern fall, 7207 (auch in
F gleichlautend überliefert), wüsste ich nur durch die annähme
zu rechtfertigen, dass Fleck (ähnlich wie er -dicke abtrennte)
weich : en-hveick sprach, statt nach ent- die silbengrenze zu
ziehen, auf blofser conjectur beruht üf dem wäge : enwäge
3849; viell. gieng, worauf die hss. weisen, dem iväge ein genit.
voran, der den hauptaccent auf sich zog 2. — verdächtig ist
ferner gelän : verlän (nur nach H; gegan B), denn tröst gelän
passt nicht in den Zusammenhang, auch hat Fleck sonst nur
einen reimbeleg für die partic.-form verlän; ich vermute trost
getan. — bedenken erregt auch 6129 wart gewdr : nam ir
heider war. dass die Überlieferung nicht klappt, zeigt schon
das auffällige präs. gan 6128, auffällig umsomehr als es in
Sommers text {= B) von temporalem dö abhängt; aber auch
was H bietet, befriedigt nicht. — so bleibt nur übenvinden :
erwinden {vnder ic. H) 5787)3; denn 3f ist blofse conjectur.
Recht gewant zeigt sich der Stricker im Daniel'*, auf
dem wortaccent beruhen die reime: välant : lant 817; griez-
» höcescheit : -heit 6935 ist kein rührender reim.
2 wie Erec 7063.
3 nicht rührend sind die reime ge-ciel : en-pßel 7227; el-lenden :
col-enden 3721.
* die belege nach eigener durchsieht, controUiert an Bartschs Ver-
zeichnis im Karl s. LIV f und Zwierzina Zs. 45, 308. 303.
3*
-36 VON KRAUS
warte : gewarte 5163; Gereit (uame) : m^ 243; jung elin g e : ge-
linge 815; -lieh : gelich 537. 1911; -liehe : geliche 35. 1655.
5511; fröudelö'^- : verlos 2559; der hüchlöse : löse 2053; klei-
nöte : nöte 3671; dcentiure : tiure 733; stahelhüeten : hehüeten
5157; hielier also wol auch unverboten nach km (Roseuhagen
nie verboten) : boten 7695 i. — satzaccent: der üz nach
äventiure reit : dem was ein niuiver schilt bereit 125; wirt
(subst.) : nienier kein künec wirt der also wol gevalle 6617;
vähen hiez : und im dar zuo gehiez 7671; stnen böten : der
hat uns fröude verboten und hat uns herzeleit gegeben 4335.
— nach dem Vorgang- Hartmanns werden die namen Iwein ii.
Gäwein gepaart, 2853. 3531. 6961. — ein Wortwitz wird durch
den rührenden reim unterstrichen: er entsaz dehein ungemach.
dö sach er da sitzen : den er ivol mohte eutsitzen 1047; be-
absichtigter parallelismus ligt auch vor, wenn es, in einer langen
aufzählung von contrasten , heilst : er wmre lügener oder wär-
haft : er wccre Miene oder zagehaft 5258; vgl. noch harte
wunderlich : und iedoch harte frumeclich 5331. — somit ver-
bleibt nur eine verunglückte nachbildung Hartmanns: bellbe : Übe
6733, sodass man die drei reime von -heit : -keit (Zwierzina
s. 303) doch wol im sinne von WGrirams regel beurteilen
muss.
Nicht ganz so gut scheint mir der Kar P. aber man muss
wol die neue ausgäbe Wilhelms abwarten, um das echte in zweifel-
haften fällen zu linden, im, Amis (Lambel) befremden auch
einige stellen 3. für die kleineren dichtungen, die, wie man sie
jetzt list, einen recht gemischten eindruck hinterlassen, wird
' über Strickers Vorliebe für composita mit un- s. Rosenhagen zu
Dan. 1030; Zwierzina Zs. 42, 88.
^ Bartschs Verzeichnis aao. enthält für den wortaecent 3 beispiele
für cetiös : -lös, 2 mal gelich : -lieh, sonst nur bei namen: {Ruo)lant,
-lande, -landes, -landen 21 mal, (Pali)yän 3mal; {Phi)l6nen und [Gene)-
lüne je einmal. — schlecht sind die reime 1041. 1851. 4351. 5983. 9637
{werden kaum richtig!). 10 791; die übrigen 9 beispiele sind durch den
satzaccent gerechtfertigt. — 10 815 ist falsches citat, Falsiron : Abirön
5235 ein romanischer reim.
^ 233. 411 (1. vingerlln'i). 945. — 735 ist wider nachahmung besserer
Vorbilder ; 1881 wol sicär : deis-wär. sonst Unterscheidung durch den
wortaecent 893. 943. 1651; satzaccent 1889. 1933. 2193. 2255.
DER RUHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 37
jedesfalls Zwierzinas ausgäbe Sicherheit bringen, in einigen fällen
ligt die Verderbnis klar zu tage^.
In trefflicher tradition steht der Hartmannschüler y.ar'
€io/7Jr (s. Schröder Festschr. f. Kelle 338 ff), der dichter der
guten Frau, allerdings macht er fast ausschliefslich vom wort-
accent gebrauch und zeigt die Zurückhaltung des späteren
Hartmann in der Verwendung des rührenden reims. seine bei-
spiele sind 2 : ensam : löhesäm 11; getan : nndertän 2903;
heim : oeheim 917; dinc : müedlnc 1879; geVicli, tegelicli : -lieh
809. 2U25; geliehen (verbum) : tägellchen 2123; gezöge : her-
zöge 5S7; irüt : Gerdrnt (?) 3041; tüome : he'iltuome 2405.
Mit satzaccent nur: gewaschen sui : ald ich gelouhe (so
Schröder Zs. 48, 505) mich sin 357.
Von verstöfsen ist höchstens der reim r literschaft : geselle-
schaft 1469 anzuführen: er beruht aber auf blolser conjectur.
— für me : nie 1255 hat bereits WGrimm s. 135 me : e ge-
bessert. — 2633 ist für diu küncgin geahte (: äne ahte) zu
lesen diu küneginne gahte^. — en-trveUe 'zögerte' : weite 797
ist kein rührender reim, und getan : vertan 979 beruht auf
einem versehen Eigenbrodts: der text hat verstand.
Recht gewant zeigt sich auch der dichter von Mai und
Beaflorä. vor allem gibt er vielleicht das sicherste beispiel
für die Sonderstellung, die {un)gelich gegenüber den compositis
auf -lieh einnimmt, denn er bindet solche composita ungewöhn-
> Bloch (Lambel) 183 dar : guot dar — 1. guot har, vgl. 208 und
die fassung nebst laa. bei vdHagen GA 32, 178 sowie har Dan. 3874
(Zs. 45, 24). — Frauenehre D 423 cerkorn : körn — 1. verlorn, vgl. 431.
483. 619; Pfeiffer Übgsb. s. 35, 227. 249. — GA 61, 93 eeüe hänt (: se
hant) — 1. ceile vant. — Altd. wäld. III 175 gnuoc : nuoc, vgl. nüc
das. s. 183.
2 die liste bei Eigenbrodt Unters, über das mhd. gedieht diu guote
ßrouwe, diss. Jena 1907, s. 26 bedarf mehrfach der berichtigung.
^ l.ünerjinne nicht nur im reim, sondern auch oft im Innern, s. zb.
2431. 2438.
■* auch 471 ist in E.s liste zu streichen.
^ Wächter s. 10 seiner diss. gibt die betr. reime ganz unvoll-
ständig.
38 VON KRAUS
lieh häufig mit {un)gelich — im ganzen 3 8 mal!' — , niemals
aber untereinander 2, und ebensowenig gellch : geUch. — sonst
gehören zur kategorie des wortaccents: schüft : rUersdiäft 4, 15;
über dl : enierdl 116, 15; : Böhöal 5 mal ; vArt : Jiochvdrt
209, 3; bewdrte : widerwarte 92, 21; genas : Sdfands 21, 19;
nicere : Romcbre 209, 11 J sinne : Jiidasstnne 173, 25; tör :
Senator 181, 1; 210, 11; 211, 9; verlos : vroudenlos 134, 23;
gevüere : üngevüere 36, 35.
In das gebiet des satzaccents reicht es bereits, wenn das
schwachbetonte zehant (nicht blofs dl ze Jidnt) öfter mit dem
subst. hdnt gepaart erscheint: 95, 29; 166, 29; 234, 13;
238, 21; dlzehdnt 55, 33; 212, 33. — sonst gehört hieher:
ich wände daz si iu wdire : getriu unde gewdkre 170, 15; unde
er gar was bereit : dö nam er urloup unde reit 130, 19; als
der künec daz verndm : die hcehsten er zi'w im nam 109, 35;
auch das phraseologische vergezzen hatte wol geminderten accent:
dö si da heten gezzen : dö wart ouch niht vergezzen, si Jiiez be-
reiten . . . ein . . . loazzerbat 61, 1.
Verstöfse sind selten: unbetonte deutsche silben reimen 212, 7
gehorsam, : lobesam und viell. 67, 31 bösheit : miner Sicherheit
(doch s, B meinen ait)^. — betont : betont reimt 175, 11
bürgen : verbürgen, aber ich versteh die ganze stelle nicht, und
die Überlieferung gibt keine Sicherheit. — dagegen wird 160, 7
wol absieht vorliegen : und schrirn lüte : ach owe : we vnd
immer mere we : die einförmigkeit der klage soll wol ins ehr
fallen. — 31, 7 geleit : leit scheint ein würklieher fehler, aber
auch hier ist die Überlieferung nicht einhellig; und 236, 5
gegangen : ergangen ligt nur in B vor, an einer stelle, deren
nächste Umgebung Schwierigkeiten macht 4,
' die belege sind für cielich 2, 25; 5, 23; 49, 31; 50, 25; 55, 1;
C)9, 25; 72, 31; 86, 35; 87, 7; 96, 3; 97, 3; 107, 29; 114, 25; 116, 33;
146, 13; 156, 23; 165, 27; 166, 11; 179, 23; 191, 9; 195, 37; 218, 13;
228, 2; für geltche 28, 35; 93, 29; 102, 39; 118, 21; 144, 37; 204, 15;
206, 21; 210, 5. 17; 240, 5. — Einmal das verbum geliehen 156, 9.
•^ aufser 242, 24 liepUche : tugentliche : in dem nur iu B über-
lieferten und schon von WGrimm s. 143 mit recht für unecht erklärten
schluss.
'■^ bescheidenheit : emsekeit 176, 33 ist kein rührender reim.
* 8. Ferdinand Schultz Die Überlieferg d. nihd. dichtg. Mai u.
Beaflor, diss. Leipz. 1890, s. 23.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 39
Ulrich von Türheim hat von Gottfried das streben nach
rührenden reimen übernommen, Zw. s. 307 anm.; nicht ebenso
aber seine technik. in der fortsetzung- des Tristan gehören
der kategorie des wortaccents an^: üngehäbe : habe 'hafen
584, 17; ihigemäche : mäche 557, 37; geselleschafi : schaff
510, 39; Tristane : getane 505, 19; ceheime : heime 498, 23;
yeselleclichen : g{e)lichen (verbum) 540, 37; Kdedhie : dine
551, 5; herzogen : gezögen 510, 31; 514, 15; Isolde : sölde
506, 21; 518, 11; 544, 3; mägeiuom : Mon 539, 25; imgevüege :
V liege 584, 7.
Durch den satzaccent sind unterschieden folgende paare:
daz des niemen icart gewar : ob ir iht hin zir vriunde tcdr
505, 23; des begunde Isöte lachen : und vluochen doch der
lachen 507, 23; Tristanen daz milete : ez wart sin gemüete da
V071 leidic 553, 37; hin nach dem wahse er reit : er vant ez
ligen als bereit als im Kassie gehiez 574, 1; geint : der
künec grozen jämer leit 585, 25; einen rosenstoc, ein wtnreben
hiez der künec bringen dar : er satte einz her, das ander
dar 586, 9; diu minne in jämerlichen galt : ine weiz wes
Isöt engalt 588, 25; figura etymologica: ir nähe gende leit
daz si zallen ztten leit 507, 15; auch im vierreim: lebete ie
vrou Minne, swer rehie sich ver sinne, der viiege wier ir ent-
rinne tind minne die wären minne 503, 27,
Schwierig ist die entscheidung, ob einige fehlerhafte reime
dem dichter oder blofs Massmans text (der ja in der hauptsache
ausschlielslich auf H beruht) zur last fallen, sehr unwahrschein-
lich ist mir die roheit des reims 546, 33 e daz du in getörstest
jagen : der kan den pris so wol bejagen, wenn nicht etwa
ein Wortspiel beabsichtigt sein sollte. — auch verdienen mileze :
geleben miieze 518, 17 ist befremdlich, 1. verdiene, süeze'i —
553, 7 er hcete in schiere an jene stat bräht als sin wille was :
diu heinltch unde scheine tvas. es kommt aber nicht auf die
Schönheit des ortes an, sondern darauf dass Tristan sich dort
ungesehen verkleiden kann : 1. diu heinlich unde stille was
(: wille was)? — in goldes zweinzic marc : künic Marc 570, 37
könnte das zalwort im accent noch überlegen gewesen sein wie
^ die beispiele nach dem verzeicBnis bei Zw. s. 306 anm. 2 und bei
Busse UvTiirbeim, diss. Beriii. s. 84, ergänzt durcii eigene Sammlungen.
40 VON KRAUS
in ne. halfpenny udgl. ^, und das reimpaar missetät : trinität
590, 34 wäre gerechtfertigt, falls Ulrich trmitdf betonte. —
aber solche Schlüsse, die man für Gottfried mit absoluter Sicher-
heit ziehen dürfte, muss man sich beim Türheimer, einstweilen
wenigstens, wol versagen 2.
Noch schwieriger ist es bei der lückenhaftigkeit und Un-
sicherheit des gedruckten materials über Ulrichs technik im
Willehalm ein urteil zu gewinnen, in das gebiet des wort-
accents fallen reime wie: ungemache : mäche Zs. 48, 419;
Renneivart : wart, s. Zw. s. 307 anm,; Jöhän: hän Zs. 26, 173;
Faufäserät : rät Zs. 38, 61; Thdkaläze : idze Zs. 34, 35;
Terramer : wilr, s. Zw. aao. ; privüeie : leie Zs. fdph. 13, 301;
krMeriheit : Jie'it ('hat') Roth Beitr. München 1854, s. 31;
Ulrich : rieh Lohmeyer v. 806; herzogen : zögen Pfeiffer
Übgsb. s. 43; Gamdleröt : rot Germ. 16, 57; Kyhhrge : hurge
(conj. prt.) Zs. 26, 172; Epheshs : süs Zs. 34, 33. — ev. missetät :
trinitdt Zs. 34, 32.
Zur kategorie des satzaccents gehören: schiere ergangen 'i;
nü riten ivir und gangen Busse s. 31; yehät : des töufes bat
Zs. 34, 31; des me'res wäge : in wäge Lohm. v. 205; gereht :
der kristen reht Zs. 34, 32; mere dan ein eilen : truoc groz
eilen Lohm. v. 73; le'it : hin geleit Pfeiffer v. 816; Wilhalm
nach Re'nnewarte reit : vil bereit Zs. fdph. 13, 298; unz ich
mich baz berihte : herre, gein dem gerihte Busse s. 32; der
äventiure wirt : daz im daz huoch wider wirt Lohm. v. 7 74
(ebenso Germ. 12, 69^; weit ir nu hoeren moere guot, so twinget
herze unde muot daz sie daz gerne hoeren : ich wil doch schiere
hfjßren 'aufhören' Lohm. v. 745 (ebenso 12, 68j. — viell. auch
hetalle : alle Lohm. v. 351.
Fremde unbetonte endsilben reimen : Faufäserät : admirät
Zs. 38, 63 u. 64.
In anderen fällen liegen öfter sichtlich fehler der einzelnen
hs8. vor: für gesconet (: gesconet) Zs. 34, 32 ist mit anderen
* vgl. Kluge Urgermanisch^ § 99.
^ gehies : kies (1. liez) 574, 4 ist druckfehler, s. schon Busse. —
umbe-cdhen : en-pfähen 540, 15; an ge-oangen : en-phangen 514, 17
sind natürlich keine rührenden reime.
' auf den gegensatz von schiere und 'lebenslang' kommt es im Zu-
sammenhang an.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 41
fragmenten gecronet zu lesen, s. Germ. 16, 56; Zs. 38, 59.
für %vlsen (: gewisen) Lohm. v. 299 lesen ompfn grisen.
für hat (: hat) Zs. 26, 172 bieten andere hss. hegät, s. die laa.
— St. riten (: rtten) Zs. 34, 34 fordert der grammatische vier-
reim, den Ulrich sosehr liebt, striten.. — in andern fällen ligt
eine besserung nahe: heherte (: herte) Zs. 34, 34: 1. verscherte?
— weit ir dem rieh entwichen (: entwichen) Busse s. 15 : 1.
ges wichen. — daz soltii vil strete hän ( : gebeten hän) Roth Beitr.
s. 34 : 1. län. — die stelle Zs. 34, 31 endlich, wo Ist : ist
reimt, versteh ich überhaupt nichts
Unter diesen umständen muss das urteil über folgende reime
einstweilen zurückhalten: wi(se)ste : wiste, worauf viell. die hss.
führen, Lohm. v. 5; gewar : hewar Zs. 26, 175; gebiten : biten
Zs. 34, 312; mite ('damit') : vermite Pfeiffer s. 44; mit gemache :
mache (imper.) das. s. 42. man müste die ganze Überlieferung
kennen um zu wissen, wie die an sich wol gesicherten reime im
Satzzusammenhang würken.
Das kurze Cliesbruchstück bietet überhaupt kein beispiel.
Für Rudolfs von Ems Bari, und gGerh. hat bereits
Zwierzina s. 294. 309 ^ constatiert, dass sie keinen rührenden
reim enthalten, das hängt wol, ähnlich wie bei Konrad v. Würz-
burg, mit der dem latein, nicht dem französischen, zugewendeten
bildung des dichters zusammen, aber befremdliche ausnahmen
linden sich: wie Zw. selbst anführt, reimt im gGerh. 4 mal, im
Bari. 1 mal geliche : -Hohe-, und im !ersterem werk aufserdem
5 mal -liehe : -liehe, diese ausnahmen würden auch für meine
theorie Schwierigkeit machen: wenn Rudolf geliche mit -liehe
paart, warum hat er nicht auch sonst den rührenden reim bei
verschiedenem wortaccent zugelassen? und wenn er die -Uche
zusammenspannt, warum nicht auch sonst minderbetonte silben?
diese fragen — bei Zwierzinas theorie könnte man Avider andere
auf werfen — erledigen sich, wenn man die betreffenden reim-
worte betrachtet: in 8 von den 10 fällen erscheint geliche,
lobeliche, vrcel, grcezl., als das eine reimwort, {m)innecliche, ge-
1 dagegen cer-einet : ge-reinet Germ. 12, 70 ist kein rührender reim.
2 das citat 'Trist. 329, 25' bei Zw. s. 306 anm. 2 ist wol in 'Roth
829, 25' zu ändern.
^ vgl. noch seine ausfiihrungen Beitr. 28, 445 ff. .
42 VON KEAUS
waltecl,, wirdecl, wütmecl., stcetecl. als das andere K Rudolf
trennte also minne-diche usw., weshalb er bindungen auf -Uche
und ge-liche nicht als rührend empfand. WGrimms theorie be-
steht somit für ihn ebenso zurecht wie für KvWürzburg. von
den zwei erübrigenden fällen ist der eine (gGerh. 1531) leicht
gebessert, denn jcemercUche { : vestecl.) ist eine form Junger hss., 1.
also jmmerliche. — für den letzten (gGerh. 2209) sind freilich
zu viele besserungsmöglichkeiten, aber werdecliche behalten würde
mit mehr tact dasselbe ausdrücken wie das überlieferte güetliche
(: sicherltche).
Im Willehalm finden sich nach Hentrich Beitr. 38, 274
vier 'identische' reime: 4 aber sind für ein so umfangreiches
werk zu wenig — oder zu viel, ich denke, das letztere, zum
einen, 8825, wo die Donaueschinger hs. D, die Junk zugrunde
gelegt hat, anegienge (: zergienge) list, bemerkt schon Junk
'besser ane vienge W'. und wenn es auch misslich ist, bei
einem so reichüberlieferten werk zu emendieren, bevor man nicht
receusiereu konnte, so möcht ich doch meinen, dass an der
zweiten stelle, 6637, für {mit herten siegen grozen sltigent si an
ander hie :) da Jener den, der disen hie etwa zu lesen ist da
jener den, hie dise die, vgl. 1355 daz dirre dem, jenen die
(: sicherten gevangen hie), wo D widerum hie : hie überliefert 2.
— auch dsiss Avents mit ritterschaft (nicht mit ritters krafV.)
solle in herlicher kraft komen, dürfte in hinblick auf 719 f
sicher sein. — dann verbleibt noch 14907, wo schon Junks laa.
zu den folgenden versen die unsichere Überlieferung in D er-
kennen lassen.
Anderseits finden sich, trotz Hentrichs gegenteiliger be-
hauptung (aoo. s. 274), allerlei rührende reime in Junks text.
in V. 367, wo dar in (: under in) steht, wird wol drin zu
schreiben sein-* oder aber da hin*: auf jeden fall ist die Über-
lieferung D zu bessern. — Fierliün : Miliün 525. 665 könnte
' die zahlen bei Zw. s. 294 u. 3ö9.
- ebenso D 3088 hie : hie (st. die); überhaupt schafft D aus nach-
lässigkeit rührenden reim, so 2164. 2454. 4575 (die la. Junks zu 4576 be-
zieht sich offenbar auf den vorhergehenden vers). 9430. 14625.
^ vgl. drin ( .• in) 9445, was dann ebensowenig ein rührender reim
ist wie gGerh. 8589 dran : an, Zw. s. 294.
* vgl. zb. 6745. 6803. 7781. 7871. 9021. 9107, 9221. 9287.
DER RÜHEENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 43
als romanischer reim, obendrein in einer aufzählung, hingehn;
aber M. ist nur an diesen beiden stellen belegt und bei F.
schwanken die hss. (s. Junks register). — 2469 steht unschuldic
ivmre im reim auf daz dühte si geivcere. nur die Isoliertheit
des falls macht Verderbnis, etwa für gebcere, wahrscheinlich i. —
12191 daz er der liehen iohier sm oder sin gemazze muoste
sin; aber auch 10 verse vorher steht der lieben tohter sin u. z.
im reim auf der süezen Mnegin. viell. ist also letzteres ein-
zusetzen, zumal der gast mehr geehrt wird, wenn er die königin
(st. deren tochter) zum tischnachbar hat 2. — sonst verbleiben
nur^: clagelichen : geliehen (1. riuwecltchen?) 4517; herzecliche :
geliche 5023; ein merkwürdiges beeren 'aufbahren' : clngehceren
1529; endlich BUkkeren : keren sowie Türheumere : mcere beide
an der literarischen stelle f2193. 2257). der letztere reim mag
die neigung Ulrichs für den rührenden reim characterisieren ;
ob auch der erste solche bedeutung hatte?
Während also im gGerh. und im Bari, der rührende reim
gänzlich fehlt, im Willeh. nur selten erscheint, hat Rudolf ihn
im Alexander in bewuster nachahmung Gottfrieds meisterhaft
angewendet: in den proöraien zum dritten, vierten und fünften
buch, es wird genügen, die überaus kunstvollen und von feinem
gehör zeugenden verse mit einigen Vortragszeichen zu versehen ^ :
Lanc rede in tumber siune wis
machet den tumben selten wis,
kurz rede in süezer wise
die priset ie der wise.
mit kurzen sinnen wisen
länt sich die wisen wisen.
die tumben dicke wisent {'icerden weise)
s6^ sie die wisen wisent 8013;
1 Rudolf liebt das wort, und in GTrist. 11387 heilst es daz disiu
suone wcBre gebcere, wie auch bei Rudolf von einer suonschaft die rede
ist (2477); vgl. Parz. 713, 26 das düht mich imgebcere.
2 M bricht leider 14 858 ab.
3 nicht rührend: Arjalten : alten 7705; Es-tonje : Li-conje 12633;
rlcheit : werdekeit 15483; enpfle : ;/ecie 8533. — für die trennung von
d- und t- in Rudolfs spräche beweist Adän : getan 2113; für vocalein-
satz nach elision wie bei Gottfried umb in : bin 12543.
* text nach Junk Beitr. 29, 428 ff.
* so (oder da) muss für Junks da gelesen werden.
44 VON KRAUS
die einleitung zum 1 buch beginnt:
Ez waere unlöbeba-re
swer lop mit lobe b:i>re
dem der alwiere
an hovesite wäre;
daz wir den lobebilicu
lop mit lobe bicren,
da/, wicre reht, ez solde sin.
swem in dem gemüete sin
so liep und also msere
da sint diu selben mire
daz si im wellent mitren,
dem wil ich hie mären
wie der wise d^gen w^rt
so hohes prises wart gewert
daz niemen künde werden
gepriset vor dem werden
an ritterlichem prise,
den lop ich an im prise 12 923;
endlich in der einleitung zum 5 buch:
Xerxes der kiinec riebe
häte ouch diz künecriche.
der mohte in al den jären sin
in solhen kreften niht gesin
daz er in so kurzen tagen
möhte in solher kraft betagen
swie sich der höchgemüote
ie hohes prises müote,
daz er so gäch und säzehänt
s6 manec laut mit siner hänt
nie betwingen künde
noch mit keinem sinne künde '
als Alexander der msere,
des Wisent uns diu ma^re 15 639.
Dagegen fehlen solche reime in der einleitung zum 6 buch,
die dafür in anderer weise geziert ist. denn an begunst ( : gunst)
20 580 vermag ich nicht recht zu glauben, da Rudolf sonst mit
grofser kunst immer neue reimwörter für seine schwierigen ge-
binde findet, und 20 605 f ist wolmit M muote st. des zweiten
guote zu lesen: vorher war gegangen getuot : miiot : guoi und
nun schliefst der dichter mit grammatischem reim: getet ze
' dieser und der folgende vers sind verderbt, s. schon Sievers im
nachtrag zu Juuks proben s. 469.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 45
guote : mit Kbe und ouch mit muote. die letzte zeile ist in
dieser form obendrein eine bei Rudolf beliebte Wendung-, s. Wh.
2308. 3291. S649. 8719. ist dies richtig, dann muss auch
20 619 mit M ivolde : solde geschrieben werden. — dagegen
folgt dann im Freidankcitat wieder ein Vierzeiler mit wol-
klingenden rührenden reimen (20633):
Gelücke en welle zuo dem man,
so hilfet niht swaz er kan;
doch dar umbe sol eiu man
nach saeldeu werben swä er kan*.
Was Junk sonst an proben mitteilt, enthält die reime :
Meleager : ger s. 3S7 (zweimal); Bessus : sus s. 407 und meister-
lich : sinne-clich s. 424. es ist zu wenig, um über die Stellung,
die Rudolf in diesem werk gegenüber dem rührenden reim ein-
nahm, zu urteilen.
Über die Verhältnisse in der Weltchronik war ich durch
hrn. dr. Wegner schon orientiert bevor noch seine dissertation ^
erschienen war. meine angaben im folgenden beruhen auf der
von ihm angefertigten liste der einschlägigen reime, für die ich
ihm auch hier verbindlichst danke, und sind jetzt an der band
von Ehrismanns ausgäbe, der mich durch seine Vermittlung jener
liste dankbar verpflichtet hat, nachverglichen worden.
In die kategorie des wort accents fallen: deutsch : fremd:
zieren : soUempnizieren^. — deutsch : deutsch: wart : eivart;
{he-)icarten : eicarten 4 mal; las : Atlas (?); getan : ahge-, under-
tan 2 mal; geliche : vorhtediche; sin : glesin, resin 2 mal; ver-
los : sigelös^. — deutsch: fremdnamen: da : Ada, Jüdä
5 mal; sä : Amäsä; gar : Agar; getan : Nätän 3 mal; mceren :
Römceren; e : Arcliijnoe, Gelboe, Jösue, Manne, Melchisue, Noe
29 mal; gedieh : Adonisedech ; verzech : Adonibezech] bi : Lesb'i:
* ebenso in der einleitung zum ersten buch: in hat manec man
genant und von im ücentiure geseit mit lüge und ouch mit loür-
heit, der doch niht rehte hat geseit von im die rehten wdrheit
(62 ff): eine genaue innere nachbildung der stelle Trist. 131 ff, wie in der
Wehr, (bei Doberentz Zs. fdph. 13, 182 v. 625-30) die Tantris-Tristan-
stelle 10615 ff nachgeahmt ist.
2 Reimwörterbuch zur Wehr. R.s von Ems, Anklam 1914.
^ die citate in W.s Reimwb.
* [Leitzmann Beitr. 42, 506 will oerkos.]
'46 VON KRAUS
si : Chtist; lit : Spoltt; wUen : Leviten (?) 2 mal; Ion : Ah-
salön, Aschalön, Babilon 4 mal; löne : Äbsolone 2 mal; gebot :
Assihöt 3 mal; lant : Melant; des : Cyclades, paludes 2 mal;
im : Cänaim, Chusan rasathaim, Ephraim, Manaim, Mesraim,
Monaim, Tubalcaim 24man; in: Gäin^; doch : Sadoch; alsus :
Creausiis, Ebosus 2 mal. — name : name: Gog : Mägog; Dan :
Jordan, 2 mal; Ner : Abner.
Demgegenüber stehen nur wenige fälle, wo auch das
deutsche wort nebenton hat; und stets ist dieser zweite com-
positionsteil von durchsichtiger bedeutung, sodass er wol stärker
betont war als der zweite teil des fremden namens: lantmarke
: Tenemarke^; dannoch : Enoch; undertän : Jectän] unrät :
Märät\ nachgebür ; Terre de labür*.
Dagegen paart R. fremde namen untereinander ohne jede
scheu in rührenden reimen: so Eldap : Medap, Manasses :
Moyses, Bodos : Tenedos usw., im ganzen nicht weniger als
45 mal 5. — selten aber sind romanische bindungen solcher art:
armonte : decamonie und aromatieren : condimentieren sind die
einzigen beispiele.
In andern fällen ist der anlaut der reimenden silben ver-
schieden: Acri-seus : Eurich-teus, Ama-theus : Ar-cheus usw. zu
dieser gruppe gehören 14 beispiele 6. auch A-chayä : Archd-
diä 2504 (= Doberentz v. 1057) wird hierher zu stellen sein;
viell, auch A-läniä : Däniä 2216 (= v. 913) und Ce-rethi :
Phe-letU 28 337.
' hieher wol auch suozim: Abram, Effr., Mesr., Monaim 7 mal.
* zuozin : Cain.
^ bei Tenemarke dachte Rudolf wol ebensowenig an den Zusammen-
hang mit marke wie wir.
* der einzige reim zweier -liehe {m.innencliche : caterl. 8282) be-
stätigt die regel s. 42, zeigt freilich in seiner Isoliertheit zugleich, dass
Rudolf seit den tagen des gGerhard die billige bindung misachten ge-
lernt hatte.
* die belebe bei Wegner unter den reimendungen ap, es, or, os, us,
ä (!), eck, el (!), em, 6n (!), et{e), 6t. — nicht mitgezält sind Aonie :
Macedonie 2494, wo Doberentz Zs. fdph. 13, 190 v. 1047 A-6nje : Mace-
dönje schreibt; ferner Gahgunnie : Waschunnie 2692, s. aao. s. 195,
V. 1245 Was-kunje ; Gah-gunje; endlich Norgaleis : Waleis 2708 (=
8. 195, V. 1261) und 26655.
^ unter ; us (!), es, ir, os.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 47
Recht häuäg für Rudolfs sonstige technik sind fälle, wo
der vvortaccent zweier deutscher Wörter der gleiche ist. manche
finden in der Verschiedenheit des satzaccents ihre begründung,
so die fälle wo, nach bekannten mustern, sä{zehant) mit dem
subst. Jiant gereimt wird (5 mal), auch sonst finden sich hier
allerlei bekannte paare wieder, so wärt : bewdrt; teert : ge-
wert 5110. 6228; wls : gewis; löten : verboten, ganz gut
klingt es auch, wenn der dichter sagt: nu wil ich värn ze dem
künege unde wil ervtirn; oder wenn er das particip ö'e/aw, das
vor 7 Versen schon gebraucht war, mit einem starkaccentuierten
ez ivart getan bindet, oder auxiliares ivcere mit iccere 'existierte';
oder parenthetisches danket mich mit über mich, deutlich ist
auch die absieht an folgenden beiden stellen:
(laz man an dem snite
sneit in also vollem snite
als diu eher garben wieren gar 7462 '
des strengen rehtes slreugez leben
wart in do in der e gegeben,
wan nieman niht wan slehtez reht
mit schulden vant: mit rehte reht,
ouge umbe ouge, zan umb zan 12 886.
Aber in andern fällen schafft auch der satzaccent keine
abwechslung. bisweilen ist künstlerische absieht deutlich, wie
Rudolf die Tantris- Tristan -stelle nachgeahmt hat (s. o. s. 45,
anm. 1), so an anderem orte den berühmten 'unerlaubten' reim
im Iwein (s. o. s. 10 f);
suoch ieman dich, der suoch ouch mich,
swer dich jaget, der jage ouch mich 24855;
und ähnlich mit rhetorischer absieht:
din geschütze und dinen bogen
geburge du ze strite nie.
din schilt geweich ze fliihte nie
noch wart nie . . . 26921.
ebenso soll der reim ins ohr fallen in den (akrostichischen)
Zeilen 8798 ff, wo wärheit dreimal auf geseit, einmal auf sich
selbst reimt.
Bei anderen bindungen scheint eine rein äulserliche nach-
ahmung vorzuliegen, indem Rudolf den reim übernahm, aber
nicht die Verschiedenheit des satzaccents, die ihn beim Vorgänger
' [Leitzmann Beitr. 42, 506 will vollem site.]
-4& VON KRAUS
rechtfertigte, so beurteile ich: Inrgen : verbergen 16 566; wert:
gewert 31467; f- (adv.) : e (subst.) 565. 32 727; dich : dich 26 003;
wise (adj.) : ivise (adv.) 32 999; (/e^MSit : vertust 13 332; auch
menscheit : lunlerscheit 79 (s, Parz. 520, 1). — nach solcheu
misverstandenen Vorbildern erlaubte sich der dichter dann wol
auch selbständige reime wie tjehahen : enthüben 32 779; vieren
'stolzen' : vieren 'vier' 23 337 (und danach wol auch 4160 nach
P gegen Z); wesen igeivesen 10840; körn : erkorn 18 530;
erivant : geivant 28 455; üz komen : für komen 9312. — in
minderbetonter Stellung: was : ivas 27 547; abläzes : niderläzes
15 418; crhermekeit : stcetekeit 28)51; ordenunge : sarnenunge
13 200. den einen oder andern wird eine kritische ausgäbe
vielleicht beseitigen i, im ganzen aber sind sie eines der vielen
zeichen erlahmender kraft in diesem werke.
Die fortsetzung unterscheidet sich von dem original in
ihrer technik in keiner weise, nach dem wortaccent sind ab-
gestuft (alle belege wider nach Wegners freundlicher mitteilungj:
sage : wissage 3 mal; rtcJie : überriche; verlos : sigelds; mit
namen: Jeroboam : Boboani?; da : Judä, Gäradä 6 mal; nä :
Piscina; sine : Sarrassine (falls nicht Sarrazme). — auch der
satzaccent wird geschickt benutzt, nicht nur in den vier paaren
zehant : hant, sondern auch sonst: G(jtes berc : gebe'rc; swdnger
werden : niht enticerden; e : e; vdr gereite : bereite; als wir
hän vernomen (parenthetisch) : genömen. — wert : gewert ist
unverstandene tradition. — zwei andere 'verstöfse' sind absieht :
ez lac ein stat in Israhel
dem riebe, diu hiez Israhel 35097;
siniu ougen er dO stiez
dem kinde an sin ougelin;
\\i des kindes mundelin
muoste des wissageu munt;
sin hende lägen an der stunt
üf des kindes hendelin 36252.
' wie auch schon Ehrismanns text dank der heranziehung anderer
hss. den dichter öfter von fehlem freispricht, so bietet Z 2188 umbecanc :
(inecanc, bei Doberentz v. 885 steht das richtige umbeganc. auch hin :
hin 3000 wird durch Doberentz text v. 1547 berichtigt: 1. Idn : in. —
andere stellen wo Z den rührenden reim gegen anderweitige Überlieferung
bringt, sind nach Wegners liste: 7660. 12096. 12184. 12746. 16524. 19270.
21380. 23601. 23813. 24099. 25819. 26081. 32067. — das umgekehrte
Verhältnis nur 17 266. 29 883.
DER RÜHRENDE EEIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 40
g-egentiber den fremden namen ist der fortsetzer unempfindlich,
s. die 6 fälle in Wegners Reimwb. s. 122 ff unter -as, -ä, -eJK
Im Lob der rheinischen Städte findet sich nur: la-
tviiä : Argenthi.a 2312 und ijstoriä : Moguntiä 2356.
Konrad von Würz bürg, der den rührenden reim über-
haupt nicht liebt, bewegt sich in den guten, hergebrachten bahner.
in seinen erzählenden werken finden sich folgende durch den wort-
accent gerechtfertigte bindungen deutscher •W()rter und namen
untereinander 2; habe : urhabe Part, 2497; tagest : siech-, lebe-
tagen Engelh. 5365; Trojkr. 3881; laut : välant Part. 6903;
hedäht : andäht Engelh. 5821; ?were : spericcere Trojkr. 43;
betcmreii : spenvceren Engelh. 3935; hein : rehein Part. 2729.
2847; din : friundtn 9097; sm : zipressln Trojkr. J7 545; zit :
hdchgezlt 1647; wiz \ itewk F&rt. 15 185. 15 507; Trojkr. 5625.
30 023; tvize : itetotze KI. 11, 2. 6; noch : dnnnoch Silv. 3485;
[ziiht : unzuht 4705] 3. — dazu von namen: rät : Kuonrät
Welt lohn 263; Alex. 1405; gSchm. 8S9^; ringen : Düringen
Turn. 473; trüt : EngeUrfit Engelh. 1753. — ein reimwort ist
fremder herkunft: lachen : scharlachen Trojkr. 26 367; ge-
saut : inisant Part. 18 399; Trojkr. 27 539. 38 561; las : palas
Part. 2673; shi : kiissm 'kissen' Schwr. 123. — ein fremder
name: uam : Esionam Trojkr. 37131; des : Licomides Trojkr.
15265 und ab 27 151 noch 5mal; : Dolamules 25767; : Dwmedes
26 643. 26 889. 39 695. 39 745; : CanZes 30 127. 32 659; : Palo-
inldcs ab 30 671, im ganzen 5 mal; s7n : Eufrosin Pant. 137;
: Pulsin Part. 3811. 4393. 991 5 5; gedon : Lämedon Trojkr.
7177; tor : Hector 13287; ros : Scgros, Tfjros 14047. 27371.
Ion : Ag{g)alön 25 509. 25 589. 36 039; schonwe : Anschomce
Part. 4005; alsus : Cupesiis Trojkr. 31819.
1 ge/iche : wrne-cltche sowie rloh-l. : minnen-el. stimmen zu
Rudolfs regel.
2 anordnung nach den reimvocalen.
^ dass unzuht den ictus im vers auf der zweiten silbe hat, würde
nichts ausmachen, s. o. s. 29, aber es ist sicherlich iluht zu lesen,
Schröder Gott. gel. nachr. 1912, 19.
* her : Walther Part. 20167 empfand der dichter sicherlich nicht
las rührenden reim.
■> aber wol Ri-tschiere : schiere Engelh. 2417. 4497.
Z. F. D. A. LVI. N. F. XLIV. 4
5^ VON KRAUS
Die beobachtnng- WGrirams, dass Konrad -liehe nur mit
-ecliche bindet, hat auch Zwierzina s. 309 anerkannt', die
danach anzunehmende Silbentrennung -dich wird erwiesen durch
den refrain des liedes 1, 18 f. 3 5 f. 53 f: sendes herzen sinne
minne-cluhen tiiot.
Ebensowenig waren die reime von -heit : -keit für Konrad
rührend (Grimm s. 151; Zwierzina s, 304), während er -hcit
in sich nur dinmal bindet und dabei die Stammsilben mitreimeu
lässt {klärheit : icäiheit Trojkr. 21091; vgl. dazu die analogen
fälle auf -lieh am schluss der anm. 1 unten), paart er -helf mit
-keit nicht weniger als 33 mal-.
1 die belege sind: eru/est-lich : minne-dich Herzm. G9; Idäge-lich :
ininne-clich (Lcuiinujlich druck) Engelh. 2327 ; fjüet-lich : minne-clich
gSchm. 5S9; lüter-lich : lounne-clich Lied. 1, 49. 52; lobe-lich : wünne-cUch
Part. 17165; ri-Uche : minne-cUche Engelh. 1619 (doch s. Gereke zur
stelle); lüter-lichen : tüsentvalte-clichen gSchm. 361. — ein fehler der
Überlieferung muss trotz PBBeitr. 37, 226 f Eugelh. 1215 (ane-lich : müge-
lich) vorliegen: auch mit Haupts besserung ist dem sinn nicht genügend
aufgeholfen; ebensowenig befriedigt im Zusammenhang tounnecUch (: un-
yesihtecl.) Trojkr. 9925. — als reimwörter auf geliche und liehe (subst.)
erscheinen allerdings auch meist adjectiva auf -eclich, so liehe (subst.) :
vllze-eliche Silv. 249; yeliche (adv.) :inne-cl., sneüe-el., minne-cl. Engelh.
987. 2699; Part. 7075; geliehen (verb.) : künne-cl. (adj.) Silv. 4209. hier
ist aber der verschiedene wortaccent mas.«gebend; das beweist — deut-
licher noch als die bindung geliche (verb.): sicher- liehe Kl. 7, 2. 8 —
der umstand dass Konrad in seinem 6 liede, v. 11. 12. 19 bindet ieJi
geliche : sieher-liche, lounne-cliche; das erste und zweite reimwort sind
also rührend, aber durch den accent geschieden, das dritte ist überhaupt
nicht rührend, weil es mit kl-, anlautet. — ebensowenig sind rührend die
fälle wo die Stammsilbe mitreimt: dieplich : lieplich (metrisch = rösen
: lösen, wünne : hünne) Lied. 20, 16. 18 und allertägelieh : IdägeUch
Part. 9647.
2 es reimen: gotheit, gesunth., pfafh., kldrh., loärh., tumph., w'ish.
tnageth., trügeh., sageh., hristenh., Bescheidenh. , sicherh. auf manic-
valtikeit, girek., irrek., grimmek., wider laertiki., süezek., scelik., Gerehtik.,
ErbarmherseL., bitter/,., drloalteh., edelk., sta4ih., werdek., gesellek.
Silv. 43. 493. 750. 1228. 1560. 2044. 2817; Kl. 9, 1. 5; 25, 1. 5; 27, 2. 8;
gSchm. 1145. 1991; Part. 7225. 8329. 8465; Scliwr. 437; Trojkr. 2153.
4279. 8435. 10877. 17103. 18187. 18723; ferner rielieit, siech , smäch. :
(an)ieirdekeit, scele/,., ü^setsik. (nicht -cheit wie Grimm im Silv. schreibt)
Silv. 922; Engelh. 5613. 5847; Trojkr. 26939. 28411 ; menscheit, jüdisch.,
häbesch. : stcetekeit, fremdek., werdek. Silv. 4373; gSchni. 1717; Lied.
23, 14. 17. — das mit blac zusammengesetzte abstractum endlich geht
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 5 t
Auch die unter den satzaccent fallenden beispiele bewegen
sich in ausgefahrenen geleisen und haben in ihrer öfteren wider-
holung bei Konrad etwas versteinertes: fast für jeden einzelfall
kann man die Vorbilder, meist bei Gottfried, nachweisen, so
gleich für paare wie:
daz der beniimen w^re
ein lebender got gewa-re Silc. 2286 •;
daz ein got die namen dri
beh'ben und ie wseren.
8ol ich daz bewieren das. 29 24 ■^;
Sit daz du wilt bewjcren
daz bi ein ander wseren
diu menscheit und der wäre got das. 4111;
ich lieze e mich zersniden,
ob min eht tüsent w;eren,
e ich dir bewieren
so groze untriuwe solte Engelh. 6059 ;
(si bat . . .) genäde an ir bewseren
Sit si gevällen wicren
in kumber durch den willen sin Part. 20 767 ;
(diu cleider . . .) und allez sin gewänt.
vor leide er sine höude want Silo. 1962;
daz ir disputieren weit,
so werden zwelve uz iu geweit das. 2803;
daz si der künec Priant
ruocht eines vrides du gewern,
der under in dö u.öhte wern
dri mänöt gar mit stKtekeit Trojkr. 37 776 ;
daz du geselleschefte mich
so lüterliche hast gewert, ■
wand ich enwart des nie so wert Engelh. 1401 ;
natürlich nicht mit den auf -ec auslautenden bildungen, sondern mit den
einsilbigen wie tump-heit usw. (s. zur erklärung Wilmauns DGr. II 384, 2).
daher reimt Konrad unwerdi-keit, cremde-keit mit blüc-heit Trojkr. 8725.
27717. so haben die mittelhochdeutschen dichter wol auch wie wir arc-
heit, karc-h., kluoc-h., kranc-h. (nhd. 'feig-heit') gesprochen, vgl. under-
srheit : mennesch-heit bei Wolfram und RvEms.
» vgl. Trist. 8389. 12 331. — dagegen ist Part. 494, Silv. 44S9 des
Sinnes wegen gebcere zu lesen, Gereke PBBeitr. 3S, 494. 506. 526.
2 dieses beispiel ist rein äufserlich, denn auch auf waren ligt —
wegen des gegensatzes zu beliben — ein stärkerer nachd ruck; die späteren
sind ein fortschritt. aber Gottfrieds wärbeeren darf man angesichts der
von Schröder erwiesenen vortrefflichkeit der hs. und mit rücksicht auf die
parallelen nicht einsetzen.
52 VON KRAUS
So manec richer küiiec wert,
daz etesltcher iuch gewert
justierens daz ir süochent Trojhr. 26 905 ' ;
ähnlich under ivegen : gewegen Silv. 2188; iris 'sapiens' : in
Spottes wis Part. 15 765 (vgl. Trist. 10 455 u. ö.); in adv. : in
•eum' proklit. 17 619 (s. Gottfried); gewalt : malt 19 366; Kl.
1, 1. 7 (wie auch schon bei Hartmann); gunde : begunde (recht
unbefriedigend!)'-^ Schwr. 1081; hant : zehant Trojkr, 34857.
39 657 (s. Trist. 2933); iva^i ir mins herzen frömve sU : ach
got, waz hän ich iemer sU getrüret, sU ich kam da her
21261.
Eine anzahl von reimen, die in keine der beiden kategorieen
passen wollen, erweist sich als fehlerhaft überliefert, so ist
Part. 6736 für soll ich ir werden lip besehen sicherlich be-
spehen zu schreiben 3. ■ — «yj Part. 8401 kann nicht richtig
sein, weil die nächste zeile erzählt, dass juncfrouwen unde
schceniu ivlp herbeikamen: 1. lip. — das. 20 031 ist das zweite
nider durch ivider zu ersetzen. — das. 20 559 muss für ze-
hr ach (: brach) zestach gelesen werden: das vorangelinde ouch
weist auf stechen 20 556 zurück. — Trojkr. 20 925 ist ir (hmif)
mit e durch vnr {h(2ii) zu ersetzen.
Hat Konrad je reime nach romanischer art gebraucht?
ich glaube, nein, die fälle die man so deuten könnte, sind
nämlich im Verhältnis zu den zahlreichen möglichkeiten so selten,
dass man an ein bewustes meiden denken muss^, was ja auch
im einklang mit dem bildungsgang des dichters steht, der erst
über der arbeit am Partenopier französisch lernte, ich möchte
daher im Silvester lautlich interpretieren: J6-as : Godoli-(j)as
2749 und <m : Bono-{j)im 2757. 3707 5. — im Trojkr. reimt
» vgl. Er. 2180. 3778 usw.
^ es steckt wol {ty)etbunde dahinter, s. zb. Engelh. 69; Lied. 23, 44.
» s. zb. sehen : spehen "Welt lohn 149; Ütte 359; Part. 7275. 21479;
Trojkr. 1323. 4807. 9209 (!). 17089. 17 905 usw.; Turn. 595 f.
^ reime wie Süces-trum : Thymote-um Silv. 293; Felicissi-mum :
Dyonisi-um 766; Hermölc-us : Hermip-pus Part. 1889; Sy-rte : Arme-nie
Part. 13 359 u. ä. sind natürlich anders zu beurteilen.
^ Jonas und Benjamin lauten die namen in der Kehr., der Leg.
aurea und im Passional; aber die formen der Trierer hs. sind durch die
quelle gedeckt, s. Prochnow, Mhd. Silvesterlegenden, diss. Marburg 19()1,
s. 22.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 53
Sin-filiens : Qidn-Uliens 30 381, also nicht rührend; und ju-
stiure : även-tiiire 36 255. — bei 3 weiteren fällen kann es
kein zufall sein, dass die vorhergehnde senkungssilbe mitreimt :
Ämfi-leiis : The-seus 30617. 35207; Ägri-monls : Li-froms
36 977. somit verbleibt nur Part. 15 471, wo Barbe-rie (: Si-
ne) viell. durch Ärme-nU (hs. warharie) zu ersetzen ist, vgl.
13359.
Für Konrads ausspräche lässt sich allerlei entnehmen, er
trennte die präfixe etymologisch richtig ab und sagte: ant-werc
(: ge-twerc) Lied. 1, 192. 196; ent-sagen (: ver-zagen) Part.
5981; vol-euden (: lenden) gSchm. 567; er-oeset (: ge-roeset)
Lied. 10, 8. 9; anderseits: en-tweln 'zögern' (: wein) Trojkr.
12 655; en- trennet 'zerrissen' (: ge- rennet) Part. 15263. auch
en-tr innen 'weglaufen' wird so erwiesen, denn en-iran reimt auf
zer-ran Lied. 23, 51. 58*. — en-j) fangen : an gevangen Trojkr.
253 (und wol öfter) gilt ebensowenig als rührender reim wie bei
Wolfram oder Rudolf vEms 2. Verhärtung des b durch das vor-
hergehende t (ähnl. wie in enkegen) vermute ich für enprunnen
'entbrannt' : brimnen 'fontem' Trojkr. 22122. — für dehein
(: kein) Engelh. 1541 ist wol dekein zu setzen. — Konrad
sprach al-rerst (: zeni erst) und efe-, ander -sioar (: ivar) Alex.
621; Part. 1937 3. — ze verschmilzt mit folgendem e: offen-
liche ze, ne'men ze (: e), beim Vortrag wurde also in solchen
' die Suffixe hat dagegen auch Konrad nicht uacli ihrer etymologie
abgetrennt, sonst bekäme man eine grofse anzahl rührender reime, vgl.
zb. kerkcere : rihUere SLIt. 391 (Zwierzina s. 305), aber auch rihttere :
martenere 2S9; inne '. küneginne, mergotinne Part. 10 773 u. ö.; Trojkr.
14 013. 14 049 ; wirtinne '. küneg. Trojkr. 1029 ; cespene : massenle
Part. 18 507 u. ö.; karfunkelln, : kupheria 8291 u. ä. ö, ; ineisterln :
künegtn Trojkr. 1977 ; marterunge : samenunge udgl. Silv. 53. 613.
1654. 3291 ; Trojkr. 1419 u. o. bis 40 247 (aber nie ein ma/te-runge :
tempe-runge : bezse-runge); ßgilre : natilre Trojkr. 5675.
* natürlich auch nicht erbarmen : armen Alex. 811. 1245; Schwr.
1229 u. ö.
^ an sich könnte man hier rührenden reim wegen des verschiedeneu
wortaccents annehmen: aber dann wären das in beiden gedichten die
einzigen fälle solches reims, und der Alex, überdies das einzige gedieht,
wo neben Kuonrät : rät noch ein anderer rührender reim vorkommt,
s. u. s. 55, auch spricht das verhalten anderer dichter für die ange-
nommene Silbentrennung, s. o. s. 4 anm. 1.
54 VON KRAUS
fällen elidiert, uicbt verschleift (Part. 7007. 10 199)». — die
Scheidung von germ. d- und p- erweisen bindnngen wie tage :
verdage Engelh. 2113; tan 'wald" : dan Trojkr. 11739; tonne :
danne 16 359; yeturst 'wagemut' : dnnf 16 575. — ir sult
(nicht schult) wird durch den reim auf schult (Otle 113) ge-
sichert, und sj'nküpiertes dran nicht nur durch das metrnni^,
sondern auch durch den reim auf an Turn. 6S3.
Eine besondere stelle nimmt das lied 13 ein. in dem neben
grammatischen reimen regelmäfsig rührende verwendet werden
(Zw. s. 29S ; Wode, Anordnung u. Zeitfolge der lieder, diss.
Marburg 1902, s. 22 f); da sie ins ohr fallen sollen, so
werden gleichstark accentuierte Wörter verwendet, da aber die
mehrfache Setzung desselben wertes kein kunststück wäre, so
sind die bedeutungeu und functionen stets verschieden : linde
(snbst. und adj.), bar (verb. und adj.), (ivinter)leit (subst., prt.
von liden, prs. von legen) -^ dicke (^oft' und 'dick'); heil (adj.
und subst.); icert ('durat', 'praebet', 'dignus'); schöne fadv. und
imp.); rät ('consilium', 'opes'); gewant (ptc, subst., prt.). hier
ist also in der tat. um mit Hildebrand zu sprechen, "die Un-
gleichheit aus dem bereiche des klanges in den des gedankens
versetzt', und hier gilt also uneingeschränkt WGrimms rege],
dass der rührende reim bei Verschiedenheit der bedeutung "er-
laubt' (besser: in ausnahmsfällen als besonderes kunststück müh-
sam errungen) sei. Konrad hat damit nachfolge gefunden (so
gleich in den beiden unechten liedern am Schlüsse von Bartsch'
ausgäbe des Part. s. 401 f, freilich nicht so witzig wie in dem
alten liede^}, s. Grimms abhandlung und unfen s. 76 n. 2. — dass
aber Konrad, dessen lyrische technik bekanntlich in der ab-
wechslung und fülle der reimwörter den gipfel des virtuosen-
tnms darstellt, sich in anderen liedern vereinzelte rührende
reime gestattet habe, kann ich nicht glauben, gleich zwei solche
finden sich im 14 lied; aber guot 24 (: guot 15) zeigt mit seinen
nachbarversen denselben reimausgang wie die erste und fünfte
zeile der Strophe, während in den beiden andern Strophen an
entsprechender stelle ein neuer ausgang erscheint; somit ist 23
' anders als bei Gottfried s. o. s. 28 n. 3.
- s. Gereke PBBeitr. 37, 239; 3S, 510.
^ denn leit ist zweimal = 'dolores' 401, 19; 4U2, "23 und scheiden
401, 12 und 14 stehn sich doch recht nahe ^beides infinitive).
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 55
bis 25 jüngere ergänzung einer lücke. — dass in der ersten
Strophe desselben liedes gesungen 7 (: sungen 3) verschrieben
ist, leint der sinn, denn die Vögel, die doch eben angefangen
zu singen, können nicht schon gnnoc gesungen haben, und am
allerwenigsten für den liebenden der im Schlummer ligt, s. er
wache 8. es wird wol gelungen zu schreiben sein. — ebenso-
wenig gibt streit in dem liede 23, 19 '(: erstreit 5) ganz be-
friedigenden sinn: )can si neit rife durch die icerdekeit, daz
man in vernieit, unde maniger streit nach ir hluomen
wunneclich gevar. denn der gegensatz zu vermiden ist nicht
striten; 1. also schreit 'ging' {(screit).
Für die relative Chronologie der werke lässt sich aus dem
verhalten zum rührenden reim kaum etwas schliefsen, teils
wegen des geringen umfangs mehrerer gedichte uzw. gerade
der deren reihung von Schröder Gott. gel. nachr. 1911, s. 3
und 40 abweichend von Laudan vorgenommen wird (Otte, Part.,
Schwr.), teils wegen des verschiedenen Inhalts, der leicht eine
andere kunstübung verlangen konnte (geistlich-lat. gegen welt-
lich-frz.). man muss sich wol begnügen, zusammenfassend fest-
zustellen, dass Konrad den rührenden reim als etwas ganz be-
sonderes betrachtete, denn er hat ihn in seiner lyrik nur einmal,
da aber im Wechsel mit grammatischen reimen ganz principiell
durchgeführt, und er hat ihn in drei erzählungen (WLohn, Alex.',
gSchm. 2) blofs zur hervorhebung seines eigenen namens (Kuon-
rät : rät) angebracht 3; auch in den beiden anonym überlieferten
gedichten Pant. und Turnei entfällt der einzige rührende reim
auf einen namen {Eufrosm bzw. Düringcn}. umgekehrt bindet
der dichter seinen eigenen namen mit hat im Otte 759; Engelh.
6491; Parten. 191; Schwr. 1853, mit gnaden im Silv. 81, mit
tat im Trojkr. 265, d. i. also mit ausnähme des Otte durchweg
in werken die andere rührende reime enthalten, nur das
anonyme Herzmsere kennt auch sonst keine rührenden reime. —
» in den plusversen von S (Hencz. s. 94) hat der hsg. gesprach :
(jesprarh 'hergestellt'; aber so übel dichtet nicht einmal dieser Schreiber:
1. Do dis (jesprach Alexius, Do antwurt im diu reine alsus. — für
samenunge s. 95 (: cenie) 1. menie. — dagegen s. 114 und s. 93 reimt
S allerdings gegen Konrads gebrauch.
■^ in der gSchm. neben Kuonräde : cjndde.
^ aber der zusatz WLohn L nach 231) bringt ungetan : kunt geUm.
56 VON KRAUS
auch gegenüber den allzubillig-eu bindungen von -heit : -keil
zeigt sich Konrad zurückhaltend : sie fehlen in sämtlichen
kürzeren paarweise gereimten werken ' ; und ähnliches gilt von
der paarung -lieh : -dich, die allen kleineren gedichten bis auf
einen fall im Herzma^re fehlt ''^.
Die Fortsetzung des Trojanerkriegs fab 40 430) unter-
scheidet sich wie in der zahl so auch in der qualität der
rührenden reime von Konrads dichtung^.
Saubere technik zeigt auch der vielbelesene Verfasser des
Reinfried von Braunschweig, im allgemeinen ist er im ge-
brauch rührender reime recht zurückhaltend und bevorzugt
etwas mehr als die Unterscheidung durch den wortaccent ^
' daher darf man im Nicol. die reime -heit : -heit 557 (Bartscli)
und -liehen : -clichen Germ. 29, 38 unter den gründen für die uuechtheit
mit anführen.
2 somit verstärken sich die bedenken gegen das bereits oben t;. 50
anm.l angezweifelte beispiel fehlerhaften reims im Trojkr. wenn bei dem
gewaltigen umfang des Werkes ein fehler vorkommt, sollte man nicht
schliefsen dürfen: Einmal ist keinmal? — das kurze gedieht von der
halben Bir, dessen unechtheit Zwierzina und Laudan (Zs. 50, 158 ff) er-
wiesen haben, macht sich durch zweimalige bindung -liehe : -eliche ('21b.
237) auffällig; sonst noch snürrinc : gerinc 263.
^ wortaccent: erleit : herseleit 46 435; gerich : esterich 48 437;
gellche : heimeltche 49 069. — satzaccent: armen 'brachiis' : edelen
armen 'pauperi' (s. Gottfried) 49 385 ; c (adv.) : e (subst.) 48 069 ; leit :
hin (((/) geleit 41 993. 49 467; lüisen : beicisen 48 883 ; oernomen : an
genomen 49 559; hornes : ih erkornes 47 371; also : tüostu so 44 593.
— einige fehlerhafte hat Bartsch in den Anmerkungen mit recht gebessert
(46 036. 48 912). aber andere, unverdächtige bleiben: an : an 44 371
(vgl. unten Veldeke) ; gän : began 49 631; gesehen : versehen 43 819;
bereite : gereite 48 991; dich : dich 43 917; genomen : vernomen
49 433; kuntschaft : botschaft 43 829. — ermüdend würkt der misbrauch
mit den reimen fremder namen wie Cyneus : Ydomeneus 40 477 udgl.,
im ganzen 11 mal (daneben Licomedes, Diomedes : des 2 mal). — nicht
rührend sind Pollidamas : Ampßdamas 46 829 ; Deidamlen, Ipothamien
: amien 44 197. 44 761; Idomeneus, Ilioneus : Oileus 3 mal ; Tereus :
Peneleus 2 mal. von deutschen reimen : bösheit : rehtekeit 49 671 ;
-liehe : -cUche 44 769. 46 711.
'' mit einem namen: (Engel)lant ISi^; iRenne)icart 2mß3; {Chä)nd
IS 037; (Di)äne 16 415; {Fride)riche 17 973; {Brune)swig (?) 27 385;
(Daby)lön 24 701. — sonst: behiift : schädehäft 4887; {are)beiten 247S1;
{höchge)muote 2336.
DER RÜHRENDE REIXI IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 57
die durch den satzaccent '. verstölse bei unbetonten silben
sind ungemein selten-, bei betonten fallen sie wol der ein-
zigen hs. zur last 3. dagegen werden romanische reime zu-
gelassen *. interessant ist die behandlung der reime auf
-Iich(e, -en). denn liier scheidet der dichter nicht nur ent-
sprechend WGrimms beobachtung, die ausgangs -lieh und -cUch
deutlich ^, sondern es werden auch reime von -lieh in sich und
ebenso solche von -dich in sich zugelassen, jedoch nur wenn
uiitreimende unbetonte silben vorausgehu, die verschiedenen an-
laut haben, es reimen also: wil-lecUche : stce-tecl. 23 889; min-
neclkhe : genen-decl. 5775; : snel-leel. 7283; : trü-recl. Abb'S;
: züh-tecL, sih-tecL, stce-tecl., dnrhliuh-tecl., ves-tecl. 4S7.
1925. 4263. 3907. 15 249; : riu-ivecl., c-tvecl. 3745. 8659;
: gence-decliche : i-weel. 13 043; anderseits: kion-berliche -. lie-
derl., jä-merl. 4917. 6001. das sind also, nach französischer
benennung, leoninische reime ^. von zwei fällen, die sich nicht
fügen, ist der eine auch durch den sinn als fehler der hs. er-
wiesen ". die Sonderstellung die vermöge seines starken accents
gelkh einnimmt, zeigt sich auch hier ganz deutlich 5.
' werden man : idselos die Idele man lie fUezen 27 415; wol fje-
Idiic : mä;e Jone 23 603; erböten wärt : wärt 12 403; ähnlich noch
6547. 10 213. 11499. 11913. 14 067. 17 8S3. 18 371. 25 545.
- richeit : kristenheit 17 651; mundelin : ceterlui 11569.
^ (oersunhen :) lieb und fröude sanken ir se beiden siten 15339
(1. hunken , schon wegen slten); bekomen : kempfe körnen 18 S67 ist,
wenn kein fehler, so vielleicht ein leouinischer reim, s. o.
* massenie : compante 699; ermonle : simphonie 22 391; tjostiure
: äcentiure, schumpfentiure 197. 15 679. 15 713; creatiure : nätiure
8899; m.agneten : planeten? 21 591.
* tougen(t)liche, endeUcke, sicherlich, keiserl., schamel., wunderl..
gansL, friuntl., unswtoelL, rÜterl., jämerl. reimen auf ewecUche, minnecL,
ft'aecl., willecl., trürecl., drlcaltecl., behendecl. im ganzen 28 mal. — ana-
log wird getrennt: cujen-tUche , tour/en-tltrhe (s. 5233 hs.) : sicher-l.,
biiter-l. 4493. 6731; sin-sliche : wunder-l. 19 633.
^ analog frz. ojfensce : pensee, abonder : inonder, Tobl er Versbau *
s. 112.
^ einecl'ich (: minnecl.) 9767 passt nicht: 1. innecL; für '/riiiwelich
(: sicherl.) 25 271 ist etwa grimmecl. zu lesen.
" denn sonst wären fehlerhaft die reime (un)gelich : ritterl., Jämerl.
16 807. 25 507; (un)geliche : ritterl.. wendeil. , lobel., eigenl, fnel.,
Jämerl. 12 571. 14 191. 19 221. 19 045. 21 4SI. 23 001. 27 431; tegellche
58 ^ VON KRAUS
Auf ähnlicher stufe der technik steht Ulrich vdTürlein
seinem Willehalm, er zeigt ausgesprochene Vorliebe für diesen in
schmuck des reims. wortaccent >, besonders bei fremden nameii,
wie satzaccent^ sind reichlich vertreten, der typus unbetont :
unbetont ist dagegen fast ganz auf romanische Wörter beschränkt
und verrät dadurch wider seine herkunft^. der typus betont :
betont findet sich fast nur in den dreireimen am schluss
der abschnitte und ist dadurch sehr lehrreich; denn die an
dieser stelle zahlreichen und groben fälle zeigen, dass an den
übrigen stellen ein ganz bewustes meiden solcher bindungen an-
genommen werden muss^.
geht wider mit geUche, reimt daher auf ritieri, bitterl. 5761. 15 969;
vgl. noch geliehen (verbum) : keiserl. 20 613. daher sind auch die reime,
wo gelUhe'yn) mit -cliche{n) gebunden wird, wol unter dem gesichts-
puuct des accents zu deuten: 6349. 7995. 13 361 usw., im ganzen
12 mal.
' (I\andu)lac 2 mal ; [Tange)lant S7, 3; {Meli)ga/is 46, 9; Tynant
•.genant 244, 13; (Terra)mcr 2 mal ; {Franc)rlch 163, 9; {Nicer)sln
263, 19; {Ki)burc 6 mal ; (rijoier 329, 11; {t/os)tiur 82, 25; lemperür :
ruor 55, 7. — {rLtter)schoj't 66, 19; gecallen : sahercallen 103, 29;
was : blaomenwas 264, 23; {grunt)ceste 322, 17; (arjbeit 271, 21;
gelich{en) : Hch{en) 5 mal ; (her]sogen 311, 3; {ieiUe)/,omen 345, 21;
{unge)hört 109, 29; (fröude)rot (conjectur Singers) 296, 3; (drijstunt
239, 5.
■■' originellere beispiele mit !: 38, 25! 50, 11! 7:<, 1! 131, 19;
155, 23! 189, 23; 196, 23; 199, 7! 209, 7; 217, 1. 7; 225, 3; 229, 23!
235, 5. 13. 25- 245, 21; 248, 9! 250, 25; 255, 11; 258, 7; 278, 7!
293, 15; 295, 11.
^ palas : Langalas 90, 23 ; Beonet : Hüsinet 274, 27 ; Per.slt :
kuratt 132, 23 ; gefurriert : geparriert 215, 31 ; accurnoys : Burgunoys
299, 15; Bniün : Kareiün 26, 21; vgl. Kybalin : cröuwelin Tl'2, 9. —
deutsch nur: -schaft : -Schaft 333, 15; -rieh : rieh (im dreireim!)
212, 29.
* in den abschnitten 54. 77. 86. 90. 96. 126. 136. 152. 189. 222.
251. 264. 273. 281. 297. es sind darunter so crasse fälle wie reime in
sich von gecellet, gc, wol, geciel, bewegen : wegen : Überwegen, werden,
(ge)machet, nim, sehen, ;e taJ. — an anderer stelle dagegen nur bei zwei
fremden werten (rotten : rotten 195, 25) und zur hervorhebung des Wort-
spiels (die . . . in ungelouben slossen : eil lange hat beslo^zen 276, 19).
als kunstlose reste verbleiben also nur zwei stellen : 322, 13 entworht :
worht (nur in Ä überliefert!) und 165, 17 wert : wert, wo die ab-
weichung in hnmopeD gegenüber Aag viell. auf sint ir helfe helfe iuch
entwert für v. 18 führt.
DER RUHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 59
ülricbs landsmann und Zeitgenosse Heinrich von Freiberg
zeigt auch hier respectables können, eine ganz stilgerechte fort-
setzung des Tristan würde freilich mehr rührender reime er-
fordert haben als Heinrich bringt, aber die er hat, sind
wenigstens einwandfrei i, sodass man gelegentlich rückschlüsse
auf seine ausspräche machen kann, die zwischen tranc und
dranc (591), tan und dan (3415) sowie tar und (/ar (3791) ge-
schieden haben muss.
Dagegen zeigen andere dichter wie Heinrich von Neu-
stadt oder der Verfasser des Wilhelm von Österreich
in der Verwendung des rührenden reims kein musikalisches ge-
fühl. —
Nachdem die Untersuchung von Hartmann ausgehend bis zu
höfischen epen des 14 jh.s geführt hat, mag nun ein blick auf
die Verhältnisse vor Hartmann sowie auf einige Vertreter des
volksepos und der lyrik geworfen werden.
Heinrich von Veldeke lässt den rührenden reim zweier
unbetonter silben öfter zu. so bindet er verschiedene auf -akap
endigende substantiva nicht weniger als 18 mal mit einander in
der Eneide, nur 4 mal im Servatius-; -heit : -heit findet sich in
der En. 5 mal {-heit : -cheit 2 mal), im Serv. -heit in sich 6 mal,
-keit in sich 2 mal, -heit : -keit 7 mal; -doeni in sich kommt in
der En. 3 mal vor, im Serv. 2 mal; dazu je einmal in der En.
moedinc : dagedinc 12 729; Frederich : Heinrich 13 489; pellin
wankusselhi 1289; und nur im Serv. -nusse in sich (I, 131.
' die fremden namen stehu wider im Vordergrund: Tinas, Tristan,
Peilnetost, Käedin, Tantrisel 12 mal (die stellen bei Bernt eiul. s. 158 f).
— deutsch : überleit : leit und 5 mal gelich : -lieh. — satzaccent nur
(nach Gottfrieds Vorgang) in zuhant : mit der hant. — unbetont : un-
betont nur in romanischen namen: Lifrenls : Blanchemants, Nampotenis
5 mal ; Tristan : Litan 1 mal. — dagegen -lieh wol nur auf -dich 1975.
3023. 4929, weshalb G744 gemeinecl. für gemeint. F zu lesen ist. betont :
betont nur beim namen Mar/.e ( : marhe) 2365, und einmal wo der reim
ins ohr fallen soU : mit in 'eum' (so st. im wol zu lesen) gebernde : ir
lebenes enpernde 6417.
2 s. Braune Zs, fdph. 4, 2S6 und für den rührenden reim bei Veldeke
überhaupt Behaghel einl. s. cxiv, dessen angaben von mir nach eigener
durchsieht vervollständigt sind.
60 " VON KRAUS
1821); auch bez. -ß/cfc) zeigt sich in der En. ein fortschritt : der
Serv. enthält 8 solche bindimgen in sich ^ und nur ein paarmal
reimen auch die Stammsilben mit {vreisel. : eisel. 1, 101; 2, 1699.
1943; ongerelel. : ongemekel. 2, 2329); in der Eneide dagegen
tindet sich überhaupt nur egcsl. (1. eislJ) : freisl. 3208 2. sonst
gehören noch hieher die reime Lamhrecht : HührecJit Serv. 2,
549; herhergen : halsherge En. 0471; Marroc : wäpenroc En.
7 333. — eine gruppe für sich bilden die bindungeu zweier lat.
oder frz. Wörter (bzw. eigennamen): Valcriän : Odaviän Serv.
1,1279; caritäteii, : trinitäten 1,1337; Victor : Auetor 1,2129;
creatüren : natüren 1, 3035; in der En. Turnus : Latinus,
Vemis, DauHMS, AvoiMnus 9 mal; liomuli : JuU 13 381; Troiänen
: Dianen (?) 1793; samite : zimxte, dwiUc 9301. 12937; calci-
dönje : sardönje 9483.
Anderseits zeigt sich Unterscheidung durch den w o r t -
accent in folgenden fällen: Elenam : nam En. 11 093; heilant :
lant Serv. 1, 2903; 2, 1251; darewart : wart 1, 1955;
Troiune : äne En. 6433. 11961; Eomäre : märe 13 375; mit
hübschem Wortspiel: wir ivären alwäre end tuänden dat et wäre
allet war, dat he sprac 1145; ongewedere : weder e 175; her-
herge : {ge)'bergc{n) Serv. 1, 1017. 1517 ; En. 6009. 6905. 7171.
8381; -Uke-.geHke Serv. 2, 303. 860. 1643. 1673; Mrltke : Like
En. 6975; Yrankrtke : rike Serv. 1, 2385; Severine : Rine
1, 2179. 2331; hertogen : getogen 1, 515; antu'orden : toorden
En. 8549; segelos, herelos, ervelös : verlos Serv. 2, 203. 1541;
En. 4433, 8155; lieilicMoem{e) : doem{c) Serv. 1, 1435. 2889;
2, 841. 1021.
Der s atz accent gelangt in der En. einigemal zur geltung:
vele skiere si vernam herre moeder geheit. si wart onmäten
heit ende dar na skiere kalt 10051; ich enweit wie manich
maget mit her te varene was gereit, dat st niwet skiere enreif,
dat was her leit ende toren 1737; ähnl. 10 997.
Den rührenden reim starkbetonter Wörter dagegen hat
' alle im zweiteu buch: 12Ü0. 1311. 1619. 1727. 2145. 2453.
2739. 2935.
^ die augabe dass reime auf -like sehr oft vorkämen (Behaghel aac),
ist ii-rtümlich. — hellelikeri (: nietlihe) 3190 beruht auf blol'ser conjectur,
uud riddergel. (: locel.) 5884 gehört zu gelik.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN Rl
Veldeke nur sehr selten zugelassen '. im Serv. finde ich nur
leider 'führer' : verleider 'Verführer' 1, 809, wo eine art Wort-
spiel vorligt, und in sonden 'in peccatis' : soulcu 1, 123, wo
die Unreinheit des vocalismus für die differenzierung- sorgt-
andere fälle sind leicht zu bessern '-. — ebenso scheinen auch
in der En. nur zwei fälle vorzukommen: gesaut : an den sant
3869 (so nur Mw : in das lant GhEH; aber s. Braune Zs.
16, 423) und sinen anen : erfte et hen ane 13 357. andere
beispiele sind leicht zu emendieren •'. — angesichts dieser Zurück-
haltung fällt es besonders auf, dass der eine reim ge{gonnen) :
begonnen in der En. dreimal (4161. 8543. 10 301), in den Lie-
dern ähnlich gunde 'gönnte' : gunde 'begann' einmal (57, 20. 23)
Schwierigkeit macht, die Vermutung ligt also nahe, dass Veldeke
noch onnen,-onde, ge-onnen gesprochen hat, vgl. ver-onnen (inf.).
im Serv. 2, 1873.
Auch in einem der Lieder wird der rührende reim
kunstvoll verwendet (58, 35):
Tristrant müste sonder d:inc
stiide sin der koniuginne,
want cn poisün dar tu dwanc
mere dan die kracht der mi'nnc.
des sal mir die güde däne
weten dat ich uiene gedranc
alsulc piment end ich si miune
b ii t dan he, end mach dat sin ".
* er unterscheidet sich dadurch überaus vorteilhaft von Herbort,
wer die listen Brachmanns, Zum reimgebrauch Herborts, Leipz. diss.
Halle 1907, § 128—141 Überlist, findet treffliehe beispiele für all die von
guten dichtem gemiedenen arten schlechten rührenden reims.
- godes rlke ten ewen (: ctoen) 1, 205; 1. tewen. — in einen huse
dar onse here mit sinen Jongeren geliere dat dcontmdle hielt 1,701:
1. ere 'früher', dieses comparativadverb hat auch in der Überlieferung
der lieder gelitten, s. HvVeldeke u. die mhd. dichtersprache s, 95 ff. —
die betnlfde die tröste he, die gecangen die verloste he 1, 773: 1.
trdster : verloster. — wären : twären 2, 937: nicht te a\ — die mich
coeren solden (1. wolden, was auch der sinn fordert) : quellen solden
2, 2505. — der reim Uce : blice 2, 2907 erweist die syukope des be- für
den dichter.
ä 2961 ist für noegen 'nagten' (: (jenoegen) mit G gnoegen zu
lesen. — 11393 ican dit enmarh ich niet cer/. lagen (: I. lagen); aber
so nur B: verdagen M, virtrwien EhH; letzteres ist da.s echte, s. 11 3S(i
dat mach ich ocele erliden.
' auch 61, 10. 16 mag er beabsichtigt sein, wenn Vogts herstelluii«.'
2 VON KRAUS
Andere rührende reime fallen der Überlieferung (oder den
herausgebern) zur last. 67, 30. 32 enginnen (: heginnen) hat
bereits Vogt in seiner bearbeitung^ von MFr. gebessert; sein en-
binnen (so C, enbinden B) erhält auch an Serv. 1,17. 127 eine
stütze. — 60; 35 got mute ons van den hosen lösen (: vroude-
losen) gienge an sich an. aber C hat hosen als reimwort, so-
dass vvol zu vermuten ist: got mute ons lösen von den bösen,
vgl. dazu Serv. 1. 1791. — 64; 17 beruht der reim muot : muot
auf übermäfsig kühner conjectur der ersten herausgeber. —
67. 34 dem erget et wale te güde (: die güäe) : 1. te spüde, ein
wort, das grade aus unseres dichters gegend belegt ist, Bartsch
über Karlm. 324.
Auch andere gedichte aus der zweiten hälfte des 12 jh.s
zeigen bereits eine gut entwickelte technik. so der Gleinker
Entecrist (Fundgr. 2). durch den wortaccent geschieden sind
die bindungen lant : välant 109, 42; daz : Judas 107; 31;
da : Betsaydä 109, 14; gerihte : unrehte 120, 39; werde : un-
werde 118, 41; geltch{e) : -lu:h{e) 116, 3. 21; 122, 20. 28;
121, 9; 130, 32; 131, 24; gelich : wehsinne manlkh 123, 24;
noch : Enoch 115; 12; not : iroffenöt 109, 32; alsus : Jesus
122, 34; gemiiete : demüete 134, 25. — die vorkommenden reime
gleicher stärke beschränken sich auf genöte : 7iötin 132, 23 mit
hauptaccent sowie auf einige leichteraccentuierte silben : mani-
giu : kreftigiu 122, 10; gesaminöt : hellenöt 134, 3 (wo jedoch
das zweite not wol einen 'hauptaccent zweiten grades', s. o. s. 28
anm. 2 trägt), dem contrast endlich dient der reim in den versen
durch sine niichil demuot : da tvider zeiget der tivel den höch-
muot 109; 6, s. dazu o. s. 28 anm. 1 i.
Recht gut zeigt sich auch Hartmanns Credo, der wort-
accent scheidet die reime: geanden : vtande 1473; getan : Le-
der Strophe iu der zweiten ausgäbe seiner bearbeitung (spiel mit n'it) das
richtige trifft, aber 16 muss wol lauten : ich enwele dorch her niden,
denn Veldeke setzt zu negiertem verbum stets ne ; auch erhält dadur-h
die zeile das mafs aller anderen.
1 nicht rührend sind menscheit, jndischeit : tobeheit, cristenheit
100, 2; 114, 11; fjrimmel;eit : tobeheit 116, 15. — eine (: einir) hat
bereits Schröder Zs. 47, 289 in seine gebessert.
D i; l RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 63
riathän 643; geleren : koukelcBreu 1405; dinc : lebendinc 1355;
da mit : samit 2418; geUch : -//c7( 87. 279. 583. 1025. 2782.
2810 (die 3 letzten fälle mit allertag euch) \ iegelich : semelich
2822; misseltche (verbum) : zwirliche 3703; n-cere si d/n : guldin
2854; verlos : erhelös 621; not : verdamnöt 1872; uns : nhirunst
1864; alsus : Jesus 1105. 3661; vertust : wollust 2494. — be-
merkenswert ist bereits die Verwendung des satzaccents: die
wisen begunden sich oncli vermezzen sie künden wol mezzen .. .
die manic tüsent mite 391; er sprach Hz gewerde' : da gewart
iz alliz icerde 455; hole 'höhle' : üz gehble 609; siu eine vor
allen anderen frouwen : des sule ivir unsich frouwen 721;
stünden : üf irsthnden 1323; die tvunden die er an dem crüce
leit : daz wlrt in allen vil le'it 1581; die si solden hewdren :
der nämen si vil guote wäre 2942. — künstlerische eindring-
lichkeit rechtfertigt die widerholung in den versen : ^vole ge-
denke an daz : in triuwen raticli dir daz 2850 und gnade,
lierre, gnade : herre Crist gnade 3112. — ein doppelreim lig-t
vor an der stelle: so wirt flelsce glich sinem eigenen g eiste
glich 1361. somit bleibt nur lemer äne ende: ende (inf.) 3701
als vollbetonter reim. — bei minderbetonten ist der dichter
nicht so zurückhaltend, so bindet er einmal -sam in sich (239)
und widerholt -helt{e) (277. 729 und noch 6 mal'. — ebenso
behandelt er lateinische reime: mnledicti : addicti 487;
llllim : convaUlum : fidelium : filium 713 ff; pietate : verltate
785; sacrilegluni : Privilegium 813; creatura : natura 1497;
gloriosus. : Jhesus 1563; testamento : sacramento 3627. man
sieht hier deutlich die Vorläufer der späteren romanischen reime
und ihrer deutschen nachbildungen i : eine Untersuchung der
mittellateinischen poesie wäre für den deutschen rührenden reim
in geistlicher dichtung jedesfalls sehr wichtig. — für die spräche
des Credo ergibt sich, dass die synkope gewisser praefixe durch-
geführt ist. so bei bliben, das 5 mal auf das subst. Übe gereimt
ist (177. 1063. 1906. 2018. 3048); bei gwlnnet, gwunne {: ver-
winne, wunne) 2511. 3006; gware (: beware) 2634; gwalt
{: waltj 3134; gwant (subst.) : ^e?m«f (hs. tcant ptc.) 2072; für
(jaz (: vergazi ist az zu schreiben, 2694, und für gelzzet (: ver-
1 wenn ein paarmal auch abgestufte reime vorkommen [fuerit : ent
«87; generosa : rosa 711; nes-ciunt [1) : faciunt 1107], so ist das
natürlich zufall.
64 VON KRAUS
gizzet) entsprechend izzet, 903; vgl. dazu 1189. 2464 1. — die
Unreinheit des reimes wird vom dichter beachtet und gilt als
differenzierung für reimwörter, die sonst rührenden reim ergeben
würden, eine beobachtung die sich auch bei anderen dichtungen
der Übergangsperiode mehrfach machen lässt. daher werden
reime wie selhnnc, seihen : seiden 149. 2050; imne : rcile 963.
1001; lichanuin) : hahe{n) 993. 2178; waMe : wilde 2311;
ivvosten : reiste {(\. i. n-oste) 2337; vagere : renere 3030; werlde
: werende 3697 ohne weiteres zugelassen. — die gute technik
Hartmanns äulsert sich auch darin, dass er, der den reimen
zweier -Uch aus dem wege geht, kunstvolle bindungen sucht:
sunderlich : wunderl. 91. 337; innicUchc : minnicl. 1886.
Auch der obd. Servatius zeigte gute emplindung für den
rührenden reim, allerdings macht der dichter nur vom wort-
accent gebrauch, die fälle sind: In want : geivänt (subst.) 2227;
hailant, -de : lant, lande 817. 2353; heiligen : heiigen 3245;
inanlich (subst. und adj.) : geUch 291.2581; aller slalite kunter-
Uch : groizltch 1953; Heinrich : rieh 2897; bistuome : tuome 371;
gote : erziugote, zeigote (so Wilhelm für bot der hs.) 837; 1533;
verruhte : iteriihte 3273. — drei fehlerhafte reime fallen auf.
zwei hat bereits Haupt beanstandet: wären : gewaren 19 ist
auf alle fälle unmöglich, denn gewaren gibt nur einen sinn, wenn
es = gerva.ren ist, dann fällt der reim aber aus der sonstigen
technik des dichters gänzlich heraus 2 [1. gevären , worauf
schon der gen. hinweist. E. S.] ; und umnügelich ( : chlcegelich)
' un-tninnen : ge-runiien 755 (vgl. obd. Serv. 1903) ist keia
liilirender reim.
- ich benutze die gelegenheit darauf hinzuweisen, dass ich ehern
'fegen' keineswegs, wie Wilhelm (zu 3276 st. zu 3176) gemeint hat, mit
langem sonanten angesetzt habe, an der stelle auf die er dabei zielt (zu
(Jeorg 1557, s. 255), hatte ich angemerkt 'der Servatius . . . bindet hörte
mit porte und ernerte mit herte (3175 ?)'. das. fragezeichen zu setzen
lag gar kein grund vor, Avenn ich kern an dieser stelle = 'scopare' ge-
fasst und ihm fälschlich langen stammvocal zugeschrieben hätte, ich
wollte damit vielmehr andeuten, dass hinter dem überlieferten vielleicht
ein satz mit l.erte '[nicht mehr] wegging' stecke, der Zusammenhang legt
eine solche Vermutung nahe, denn es folgt darauf: im endorften nierner
warten sine mdgen vP Lancparten, auch die quelle hat an der ent-
sprechenden stelle nichts von 'fegen' : 'beati Seruatü ad monumentum
peruenit, sanitatem ilico rccepit, deo gratias egit, patriam ultra non
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 65
2193 ist bei einem dichter, der das adjectivische -lieh niemals
in sich bindet ', wol aber dreimal tcegelich mit chla^gel. nnd %m-
verlrmjel. (169. 743. 1777), so unwahrscheinlich, dass Haupt
bereits unmegelich für unmilgel. vermutet hat. — der dritte fall
wäre ordemmge : samemmge (369). aber sonst reimt schi-dunge
: hezze-runge (16S7) und bezekhe-mmge : man-dunge 519, nnd
so ist samermnge schwerlich richtig conjiciert^. —
repeciit'. den inhalt einiger der gesperrten worte würde man für
vers 3176 erAvarten. — auch an dem ansatz eines verbums brouchen
(mit altem au) neben bnlchen muss man trotz Wilhelm (Beitr. 35,
375 n 1 und Serv. s. lxxiv 2 sowie zu v. 3185) festhalten, der beide
verba auf bnichen zurückführt, da die form mit ou nur in denk-
mälern vorkomme, die auch sonst il > ou diphthongierten, und da alle
bis jetzt bekannten belege für brouclien 'biegen' sich auch der be-
deutuug nach aus brücken 'gebrauchen' ableiten liefsen. denn diese
ansieht würde zu den schwierigsten annahmen nötigen, es müste zufall
sein, dass der erste schriftsteiler, der 'anzeiehen der bayerischen
diphthongisierung' zeigt, der Franke Williram ist; zufall dass diese
'frühen anzeichen' just auf die zweimal vorkommende form yebroihta be-
schränkt bleiben (denn sonst hat Will, bekanntlich niemals 6i für ü) ;
zufall dass gebröihta gerade da steht, wo der sinn 'bog, beugte, gebogen'
allein passt, dagegen gebrüchen beidemale dort, wo nur die bedeutung
'uti' am platze ist (135, 9 ; 145, 2, s. Seemüllers glossar s. 89) ; zufall
dass das auch bei allen andern stellen der mhd. wbb. der fall ist; zufall
dass der einzige reimbeleg für die diphthongierung des ü just von diesem
(lebrouchen im gesuchten reim auf louchen (= louch in 'zog ihn') ge-
liefert wird, statt von naheliegenden bindungen wie üf ; houf, touf, slouf
usw. (belege bei Weinhold BGramm. § 100). übrigens gibt es aufser den
beiden stellen bei Williram auch sonst noch unanfechtbare alte belege für
dieses brouchen. von Will, kommt man leicht auf das STrudperter Hohelied,
dort findet sich tatsächlich gebrohten 'gebogen' bei Haupt 23, 23 (aus
Will. 18, 3) mit o, das nie für ü erscheint, wol aber für ou wie in
to'^'r/^nen 18, 25 (wo ^ vom corrector der fünften band stammt, s. Victor
Müller, Studien über das STrudp. Hohelied, diss. Marburg 1901, s. 22).
aber auch aus dem Hrabanischen glossar war ein unbezweifelbarer beleg
zu gewinnen (Ahd. gll. I 241, 11): Eedactus kaprauhhit; und ebenso
aus dem Reichenauer glossar D (das. 289, 54): Redacti Idprauhte. das
lemma stammt nach Sievers aus Gen. 41, 47 [in manipulos] redactae
[segetes], zeigt also widerum die für brauhhen characteristische be-
deutung 'gebogen, gewunden'.
' denn gcer-ltche : sculi-chliche 841 ist kaum ein rührender reim,
s. o. s. 35. 42. 50,
'■' die stelle ist wol so zu bessern, dass man icaren 375 gegen VVm
streicht und im übrigen bei den hss. bleibt: daz zwountsibenzic zünge
hüllen in dem bistuome ze Tungern in dem tuome . . . gesamenet
Z. F. Ü. A. LVr. N. F. XLIV. 5
66 VON KRAUS
Von den denkmäleru aus der ersten hälfte des 12 jh.s die
ich untersucht habe, zeigen die WGenesis, die Exodus, Rother
und Roland noch keinerlei kunst. wol aber erweist sich der
Vorauer Alexander als recht sorgsam, von unbetonten silben
abgesehen {-keit : -keit 23; -lieh : -lieh 1107; wandelöte sich :
verdunchelote sich, viell. als reicher reim gedacht; lat. -tes und
-tor in sich gereimt 1165. 1333) wird der wortaccent nutzbar
gemacht in den bindungen: gesant : tüsant 1450. 1465. 1495;
getan : tindertän 97; erzogen : herzogen 1281; gelouft : hrnt-
louft 389. — auch der satzaccent kommt schon schüchtern zur
geltung: der vdter sin : al Macedonenlant ums sin 81; wan im
der strit niweht tvöl geviel : do trat er vor unde viel, daz im
ein Schenkel zehrast 425 ; al gerihte (adv.) : ir gerihte (subst.)
1211; \dö Alexander daz verndm : vier tüsent S] er nam des
hers 811. — 575 enkelten : gelten bezeugt wol die Verhärtung
des anlauts -tg- } -k-, ist also kein rührender reim. — somit
wäre nur ein verstofs vorhanden: daz er mit listen mit mit
mähten : s?« riche wol herihten mohte (563): hier ist viell. um-
zustellen mohte ivol herihten, vgl. hrähte : rihti 785 i. —
Nachdem die epische technik zunächst des 1 3 Jahrhunderts,
hierauf die des 12 beleuchtet ist, möge zum Schlüsse das ver-
halten des Nibelungenlieds, das in vielen beziehungen von
beiden Jahrhunderten gelernt hat, sowie'des Biterolf und der Vir-
ginal geprüft wei-den, die rührenden reime hat Bartsch Unter-
suchungen s. 177 ff übersichtlich zusammengestellt 2. es wird
sich empfehlen, aus der betrachtung der in ABC sowie in AB
übereinstimmend überlieferten bindungen ein urteil über die
technik des liedes zu gewinnen und dieses dann für die kritik
der schwieriger überlieferten stellen zu benutzen.
Durch den wortaccent geschieden sind folgende reime in
ABC: rieh : Alhrich 335, 3; : Dietrich 7 mal und AB 2250, 1 3;
(= ahd. gisamanida Giaff 6, 37) an dem selben tage; vgl. dazu den
beleg bei Lexer 1, 1235 dieser schiedüng haben sie baide gehollen.
' werlte : werden (inf.) ist als unreiner reim kein rührender.
- sonst vgl. besonders Paul PBBeitr. 3, 443 ff ; Braune das. 25, 42-
48. 73 ff. 130 n. 2. 159 ff; Zwierzina Zs. 44, 93 ff.
^ diese reime wurden wol kaum als rührend empfunden, da mau
trennte : Al-brirh, Die-trich. daher ist auch Die-trich : Hel-pfr'ich ABC
2181, 1 nicht unter die rührenden reime zu stellen.
DER EUHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 67
bewart, wart : Eckeivart 9, 3; 1041, 1; 1223, 1; : Hätvart
1285, 1; : Dancwart 1592, 1; geltch : lobelich 2150, 3;
islich : lobiUch 304, 1; man : spilman 1416, 1; nur in AB:
man : spilman 195, 1; gewant : unerwant 445, 3; gast : Z^mcZ-
gast 139, 3; grer : Liudger 212, 3 ; fc? : J.ra&? 535, 3. — der
satzaccent differenziert in folgenden beispielen: wolden gdn :
Hüten began ABC 1783, 3; daz man wol vernani Pahnunge diezen,
den Sifride näm Hagen der vil küene ABC 2242, 1; nur
in AB: mit golde wol erhaben : si mohten . . . guote kürzwtle
haben 347, 3; ir vröude er in bennm : e man daz tveinen ver-
nani 956, 3 (vgl. Braune aao. s. 130); pferit wöl getan ^ : liep
was ez Rüedigere getan 1245, 3; unz an Täonowe stät : dö reit
niht fürbaz Günther wan ein lützel für die stdt 1228, 3; ich
sihe gewäfent Hute vor dem hüse sten : si toellent unsich be-
sten 1776, 3; dö kom diu küneginne über in gegän : den starken
Iringen klagen si began 2003, 1. — für den reim gebot : en-
böt 1388, 1 wird man wol die anlautsverhärtung en-p6t{ent-bdt
zur erklärung heranziehen dürfen, sodass er ebensowenig als
rührender reim empfunden worden wäre wie enpriinnen : brunnen,
enkelten : gelten s. o. s. 66. 53. — somit verbleibt als einziger reim
zweier minderbetonter Wörter AB 965, 3: daz al die friunde
sin : müesen immer klagende {müesen iveinende B) sin^.
Dieses misverhältnis zwischen 'erlaubt' und 'unerlaubt' wird
noch deutlicher, wenn man die fälle betrachtet, wo einzelne hss.
gegenüber der vulgata einen rührenden reim geschaffen haben:
da sind die 'unerlaubten', oft der schlimmsten art, sofort in der
mehrzahl 3,
* war wol wie bei vielen dichtem bereits als compositum emp-
funden.
2 dazu noch sm : wider sin 1191, 3 nach Zwierzinas conjectur
Zs. 44, 28 f.
^ so in C gegen AB : michel fjuot : danket guot 310, 2 ;
sccene meit : küene unt gemeit 377, 3 (vgl. A 1168, 1); habt gehört :
Nibelunge hart 475 ', l ; truoc : vertruoc 587, 3 ; vernomen hän : ge-
näde hän 1136, 3; den willen sin : den friunden sin 1349, 3; cer-
nomen : genomen 1583, 3; nur gewant : üngewänt 1520, 1 (vgl. AB
445, 3 gegen C!) und bendn : trcesten sich ber/än 429, 3 sind 'erlaubte'
reime. — beispiele aus andern hss. bei Paul PBBeitr. 3, 402 : rieh : rieh
D 616, 2; lant : lant b 383, 6; breit : breit b 840, 4; Up : Up d 199, 4.
diese beispiele würden sich je^iesfaUs sehr vermehren lassen.
68 VON KRAUS
Damit ist man nun in den stand gesetzt, über die fälle
wo mit der Überlieferung zugleich das urteil bisher schwankte,
sicher zu entscheiden.
A 1168, 1 ist mit seinem reim meit : gemeit gegenüber
wip : lip BDbThCa jedesfalls im unrecht, wie schon Braune
s. 130 n. 2 richtig hervorhebt i; man kann dazu 500, 4 ver-
gleichen, wo A (jemeit ( : meit) durch übergeschriebenes bereit
selbst gebessert hat. — unwahrscheinlich ist auch der reim von
betontem gestn (inf.): betontem (nieman wan) dm unde sin
ADb 759, 1 gegenüber BdlhC, s. Braune s. 48. — kein
tadel trifft A 21, 1 wol hewurt : wie schcene der ivart (diese
Strophe nnr in A erhalten, v. 3. 4 auch in I, womit über ihre
echtheit natürlich kein urteil abgegeben werden soll, vgl. Braune
8. 179); ohne anstofs sind auch die reime getan : ein ritter wöl
getan 327, 1 BDdCa gegenüber A wol verstau, Ih lohesam,
vgl. Braune s. 130 n. 2; ferner din : magedin BDIbhC 376, 5
in einer in A fehlenden Strophe; endlich ir sult mich wizzen
Idn : 7vä ir . . . den künec habet vertan DbBCa 509, 1
gegenüber getan Aldh, Braune s. 74 und 130 n. 2.
Interessanter ist die entscheidung an den noch verbleiben-
den drei stellen. 1066 heifst es, nachdem die unermesslichkeit
des Schatzes geschildert war:
Unde wser sin tüsent stunt noch alse vil gewesen
( unde solde Sifrit gesunt (gesunder ab) sin genesen Aab
(und solt der herre Sifrit gesunder (gesunt Ih) sin gewesen BCDlOdh
bi im wsere Kriemlult hendeblöz bestän.
dass genesen Aab unmöglich ist, hat Braune s. 73 ff übi^r-
zeugend dargetan, aber den bösen raisklang gewesen : gewesen
der übrigen hss. kann mau nach der sonstigen guten technik
des liedes nun mit derselben Sicherheit für unmöglich erklären,
auch befriedigt der sinn nicht ganz, man erwartet : Svenn der
schätz auch tausendmal gröfser gewesen wäre, und wenn ihn
Siegfried, am leben bleibend, hätte entbehren müssen,
Kriemhild, wäre auch mit leeren bänden bei ihm geblieben, so
meine ich, ist zu schreiben:
Unde wser sin tüsent stunt noch alse vil gewesen,
unde solde Sifrit gesunder sin entwesen,
bi im vvsere Kriemhilt hendeblöz bestän.
' es ist obendrein im ganzen liede die einzige stelle, wo gemeit zum
weiblichen appellativ gesetzt ist, Zwierzina Zs. 44, 83!
DER RÜHRENDE REIM m MITTELHOCHDEUTSCHEN 69
die Verwirrung entstand, indem sin v. 2 b als Infinitiv st. als
genit. (auf hört bezüglich) gefasst wurde, begünstigt wurde das
misverständnis dadurch, dass enfwesen ein seltener ausdruck ist:
an der einzigen stelle, wo es im liede noch vorkommt, haben Ih
sowie nach ausweis des erhaltenen gegenreims auch K enhern
eingesetzt (in C fehlt die ganze Strophe) i. — die besserung
empfiehlt sich auch in syntaktischer hinsieht. Braune hat be-
kanntlich in seinen lehrreichen ausführungen über die art wie
der 'stellvertretende' Inf. perf. in alter zeit ausgedrückt wurde,
nachgewiesen, dass unser lied noch überwiegend an dem älteren
typus festhält, ein gedanke wie 'er hätte es unterlassen sollen'
wird nicht weniger als 45 mal (s. 38) mit einfachem er solde ez
län wiedergegeben, während für die jüngere construction er
solde ez haben län nur 8 fälle verzeichnet sind (s. 35), darunter
das obige beispiel. dieses rückt nun durch die besserung ent-
icesen in die normale kategorie ein 2.
Die zweite besserungsbedürftige stelle ist 1014, 3 (Braune
s. 48, der für BdCa eintritt): Siegmund lädt Kriemhild, die
eben den gatten verloren hat, ein, sich aus der feindseligen Um-
gebung ihrer verwandten zu ihm zu ziehen:
(ich wil iu wffige sin DhBIhC
(ich tuon iu triwen scliin A
durch mines suns (d. iwers maniies .\) liebe:
des sult ir äne zwivel sin Bd
des sult ir gar äu angest sin Ca
daz wizzet üf die triuwe min Ih
und durch des edelen (lieben b) kindes din Db
ufi des edelen kindes sin A.
dass A die zeile 3 ^ geändert habe, um dem reim sin : sin aus-
zuweichen, ist Braune kaum zuzugeben, s. u. aber sicher ist
die zeile 4^ in BdCa nicht mehr als ein nichts, und man versteht
nicht, wieso ADb von da aus auf ihren iuhaltreichen vers ge-
kommen wären. dm Db [ist freilich unmöglich (neben dem
1 als rührender reim ist entwesen : loesen zu beurteilen wie der
gleiche reim im Er. 3276 oder in Ulrichs Wh. 235, 25 oder wie entleert : wert
Erec 4950; Gregor. 697; Reinfr. 25 545; e nt wert : qe teert Walth. 20, 28.
- von den übrigen 7 beispielen ist 2232, 4 wol nur versehentlich
aufgenommen, da blofs ADIh die jüngere Umschreibung bieten. — auch
401, 4, wo die in *B überlieferte jüngere construction das echte sein soll,
scheint mir A besser, somit wurden nur 5 beispiele bestehen bleiben.
70 VON KRAUS
sonstigen ihrzen) und sin Ä, inhaltlich an sich wenig befriedigend,
schafft zu S^ in der fassung DbBIhC einen unwahrschein-
lichen rührenden reim, den man durch den einzigen seines
gleichen (s. o. s. 67) nicht gerne wird stützen wollen, wenn
also nicht dm und nicht sin, dann vielleicht min. und das gibt
der stelle ihre alte Schönheit wieder:
ich wil iu wage sin
durch iwers manues liebe
und des edelen kindes min.
Siegmund gebraucht also keine billige beteurung (BdCalli),
er sagt auch nicht unzart 'ich werde euch um eures mannes
und eures kindes willen beistehn' (ADb); sondern er hebt das
gemeinsame leid hervor das sie beide verbindet: 'ich will euch
beistehen um dessentwillen der euch gatte und mir ein edler
söhn gewesen ist.' die ausdrucksweise ^ ist dieselbe wie 50
Strophen vorher, wo Siegmund ausruft: wer hat mich mines
kindes und iuch des iwren man . . . alsus mortUche äne getan .^
das naheliegende misverständnis aber, das man und kint auf
zwei verschiedene personen bezog, weckte in A die meinung, dass
unter kint der söhn Siegfrieds zu verstehn sei (vgl. 1027, 1;
1032, 3), und so wurde kindes mm zu kindes sin. die urhs.
der andern Überlieferung aber suchte, aus demselben misver-
ständnis heraus wie in A, in anderer weise heilung der stelle:
sie schrieb kindes dm^, und da hiezu iwers mannes der vor-
hergehnden halbzeile übel passte, so setzte sie das gleichbe-
deutende mines sunes an die stelle, das sich obendrein dadurch
zu empfehlen schien, dass Siegmund von Siegfried natürlicher als
von seinem söhn denn von ihrem gatten sprach, die engere
B-gruppe endlich nahm an dem dln neben ir, iuweren der vor-
hergehnden zeile anstofs und ersetzte den letzten halbvers durch
eine leere beteurungsformel. wie immer man sich aber das
Verhältnis von B zur gruppe Dg zurechtlegen mag (es gibt
noch andere erklärungsmöglichkeiten, und die richtige lösung ist
ohne umfassende Untersuchung nicht zu erringen), auf alle fälle
' vgl. auch 723, If, Schmedes Untersuchungen über den stil usw.,
diss. Kiel 1893, § 12; Singer Festsehr. f. Kelle s. 309.
'^ man beachte auch das neuerliche (und) durch {des edelen kindes
din) Db: damit ist die Verteilung auf zwei verschiedene personen erst
ganz vollzogen.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 71
scheint mir sicher, dass A hier ganz allein das echte bewahrt
hat mit der la. iwers mannes sowie mit dem fehlen des zweiten
dvrch, und dass es sich von der ursprünglichen la. nur mit
einer ganz geringfügigen abweichung (shi st. min) entfernt',
dieses ergebnis streitet allerdings gegen Braunes so umfassend
begründete annähme einer gruppe ADb ; aber es begegnet
sich mit zweifeln die Zwierzina Zs. 45, 395 geäufsert hat. ich
habe den eindruck, dass Lachmann mit seinem grundsatz, an
stellen wo A im Stiche lässt, sich nicht bei der oft gefälligen
la. BC zu beruhigen, sondern nach einer emendalion zu greifen,
dem ideal — mag es auch unerreichbar bleiben — näher ge-
kommen ist als Braune, der die schärfe seines blickes und seiner
gelehrten waffen an vielen stellen mit vollem erfolge gegen A
gerichtet, der B-gruppe aber ein allzumilder richter gewesen
ist. B wird die philologen, die die Sehnsucht nach dem trans-
cendentalen kennen, nie ganz befriedigen.
Auch der dritte und letzte fall 'unerlaubt' rührenden reims
darf, scheint mir, der so sorgfältig befundenen urfassung unseres
liedes nicht aufgebürdet werden, die fassung BdIK überliefert
1433, 1 folgendes (Braune s. 42):
Urloup genoiEinen heleu die boten du von dan
von wiben und von mannen-, via?lich sie dö dan-*
fuGren"* unz in Swäben.
der rohe reim ist ja nicht das einzige was hier stört, es
kommt hinzu die klägliche wortwiderholung {urlonp nemen) von
dan und dan (varn). auffallend ist aber vor allem, dass die
formel die tcqy und man paart, hier in einem ersten halbvers
erscheint: in den 9 übrigen fällen steht sie durchaus in einer
' auch in v. 3^ bietet A den der Situation angemessenen ausdruck :
die beiden verwanten sind durch Siegfried, den sehn und gatten, mit den
banden der treue verknüpft; daher sagt Siegmund: ich tuo/i iu tn'icen
fichtn. das sagt mehr als ich icil iu iccege i'ln, denn 'hold, geneigt' wird
in unserm lied von allen möglichen beziehungen gebraucht, bisweilen
auch ironisch, triice dagegen geht immer in die tiefe, ganz wie bei
Wolfram.
■^ coii mannen u. von w. A.
2 crcelich als ich nu gesagen kan A, als ich [euch D) gesogen
kan Db.
* si fuoren ADb.
72 VON KRAUS
zweiten halbzeile, und man bildet das reimwort^. genau ebenso
verhält es sich mit der formel mäge unde man: sie kommt
1 7 mal in AB vor, stets aber nur mit man als reimwort, wie schon
Bartsch Wb. s. 202 anmerkt 2. da ist es denn doch sehr auf-
fallend, wenn an der einzigen stelle wo die erstere formel in
einem a-verse auftaucht, in dem vorhergehenden b-verse ein
unmöglicher reim auf -an erscheint, ich meine also, dass Lach-
mann mit recht die Verderbnis in dieser richtung gesucht und
im wesentlichen 3 glücklich geheilt hat, indem er eraendierte :
Urloup genomen beten] von wiben und von man
die boten vru?liche, ^ als ich iu sagen kau,
fuoren unz in Swäben.
als ich iu sagen kan ist keine flickphrase mehr, sobald man
es nicht auf den ganzen satz, sondern nur auf vrcßliche bezieht,
die boten verabschiedeten sich *iu gehobener Stimmung, das kann
ich euch sagen': sie hatten ihren auftrag erfüllt, überreiche
geschenke empfangen, und es ging nun der heimat zu. —
Auch im Biterolf zeigt sich gute tradition, bez. der uameu
freilich nicht die von Zwierzina beobachtete des 12 jh.s*. appel-
lativa sind durch den wo rtacceut geschieden in folgenden fällen :
(ritter)schaft 2465 ; getan : ivolgetdn 1 0 S67 ; mcere : sturmcere 10 001;
woire : spariomre 13 17S; leeren : buckeheren 6531; {un)gellch :
-lieh' bOO. 2023. 2555; gezoge : herzöge 12 230. — auch der
satzaccent kommt zur geltung, freilich in etwas typischer weise:
daz er . . dan von den guoten recken reit : si wurden
' eine für die Umarbeitung bezeichnende ausnähme bildet C 1315, 4.
— die belege 1912, 4 I und 3774, 2 bei Bartsch Wb. s. 392 sind als ver-
sehen ganz zu streichen: durchsieht der reime hat mich überzeugt, dass
die zahlen nicht etwa blols verdruckt sind.
2 C fügt mehrere fälle hinzu, darunter charakteristischer weise wieder
Einmal mäge unt manne tot, 2026, 6.
ä in einzelheiten, namentlich bez. des angenommenen and xoivov,
kann man natürlich anderer meinung sein.
^ so reimt rührend: {I mb)r ecke(n) 8 mal; (Gelf)rät(en) 2 mal; {Wolf )-
rät 10283; {Hä)ißart 1241; {Diet)r%c]}{e) Smal, {Diet)rtchen 12880; (Helphe)-
/ir.hein) 2 mal; Dietleip : beleip 5 mal; {Wich)her{e) Smal; {Gunt)here
11965; {l)rinc Smal; Poytän : undertän 2 mal; [Mei)län 2m&\; {Liude)-
gaste 5049; Berhtolt : holt 6251; {Ger)n6t 10601. inwieweit die Silben-
trennung normalen reim geschaffen hat, ist hier nicht auszumachen.
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 73
dienstes im bereit 1117; ebenso 3907. 10 295. 11 517; ivelt ir
icol zerUouwen einen man kiesen iender, daz hin ich: her
Dietrich sprach 'ja han ich . . . so vil der biulen 12 451; ich
trollte . . . daz beicdren dazs alle fiirsten wceren 11 571; ein
hure diu Treisenmüre htez: in beiden si dö daz gehiez, daz si
. . . sehen wolde . . . Dietlinde 13 370: vgl. noch P'älleliint im
reim auf emphatisches väldnt 9197.
Einige minderbetonte silben haben sich der aufmerksamkeit
des dichters entzogen : kindelm : töhterlin 4203 (vgl. den ähn-
lichen reim bei Wolfram o. s. 19); -liehe in sich 4982. 7437.
7923. 11 323 ^ — zwei schwerere fälle gehören nicht dem dichter:
komen : ivcere er noch niht danne komen 1607, wo Grimms bekomen
für das erste komen dem zu kurz überlieferten vers nur mühsam
aufhilft; im zweiten vers muss offenbar geschrieben werden:
IV. er n. n. dan genomen, vgl. 1592f der hete hinder sich ge-
nuinen Etzeln; 7321 schreibt Jänicke ligen : geligen, aber die
hs. hat gesigen, und die Verderbnis steckt tiefer. — gehandelt
hän : als ich von rehte sohle hän getan 44S9. Jänicke schreibt
getan st. von rehte. demnach glaube ich auch nicht an die beiden
andern fälle wo hdn : hän überliefert ist: 80S6 daz irz ze
guote tvellet hdn (1. weit verstau) und 12 738 swaz ich noch her
gestriten hän (1, viell. noch strite hän getan?).
Die Verhältnisse in der Virginal lassen erkennen, ein wie
gutes hilfsmittel die kritik, wenn die umstände günstig liegen,
an den rührenden reimen hat. Virginal A, d. i. die partie von
Str. 1 — 239, die nur gelegentliche eingriffe erfahren hat, zeigt
den rührenden reim nur in drei Strophen, von denen jede auch
aus andern gründen als überarbeitet oder überhaupt interpoliert
erwiesen ist, s. ESchmidt § 77 und Zs. 50 2. dass dabei die
Silbentrennung Dle-trtch ( : rieh) für diesen dichter sichersteht,
hat Schmidt ebda gezeigt. — in der letzten, von dem stümper-
haften bearbeiter herrührenden partie E (str. 616 — 650. 655 — 710.
768—1097) finden sich nicht weniger als 52 rührende reime,
' Helferich : Dietrich (?) 10 381. 11569. 11755; liet^art : Gerbart
(1. -Lcarfi) 9340; Lütringen : Iringen (?) 3433.
- Str. 13, 11 s. Zs. 50, 18. 43. 45 n 5. 98 n 2. — str. 49, 8 s. 21.
98 n 2. — Str. 82, 4 s. 24. 98 n 2.
74 VON KRAUS
meist allergröbster art *. — von der arbeit des dichters B sind
in der hauptsaclie intact überliefert die str. 240 — 399 (s. 83 f,
70 ff) und 496 — 531 (s, 74 f): in dieser ganzen stroplienmasse
bietet der text nur 4 solche reime, die als secundär erwiesen
sind 2. es ist daher klar (s. aao. s. 75 n 3), dass in den partieen
von B, die stärkere eingrilTe durch E erfahren haben, die rühren-
den reime auf das conto von E gesetzt werden müssen '•^. —
Die betreffenden reime der übrigen im DHeldenbuch ver-
einigten dichtungeu sind in den vorreden (oder schon bei
WGrimm) meist verzeichnet; aber es hätte, wie das beispiel der
Nib. und der Virg. zeigt, gar keinen zweck, darauf einzugehn,
ohne an jedem einzelnen denkmal gesamtkritik zu üben; und
diese bliebe wieder mehrfach in der luft, wenn nicht die von
den herausgebern allzuverächtlich beiseite geschobenen jüngeren
Überlieferungen herangezogen werden.
Einige lyriker von reicherer production, HvAue, HvVeldeke
und KvWürzburg, sind dem rührenden reim gegenüber spröder
in ihren liedern als in den epen (s. o. s. 15 anm. 1 ; 6 1 ; 54 f). das mag
mit den gesteigerten formalen ansprüchen zusammenhängen, die
man an diese erzeugnisse der kleinkunst stellte; denn es war
schwieriger für den gleichen ausgang eine oft recht grofse an-
zahl von Wörtern verschiedenen anlauts zu beschaffen, als solche
mitunterlaufen zu lassen, die lautlich identisch waren, auch er-
schwerte es die Vertonung, nach einer mündlich geäufserten Ver-
mutung vEttmayers, die accentabstufung des recitierenden Vor-
trags zur geltung zu bringen, wie immer sich das verhalten
mag, jedesfalls wird der rührende reim von einer anzahl be-
deutender lyriker sichtlich gemieden, zu diesen gehört auch
Fri edrich vHausen, bei dem nur 2 sehr unsichere beispiele
' nach dem Verzeichnis bei Schmidt § 77.
- 289, 3, s. 81 n 2. — 393, 7 zu emendieren, b. 73. — 522, 4 und
523, 7, s. 75 n 3.
^ wie Zs. 50 meist schon geschehen ist: 438, 7 (s. 8G) ; 452, 8; 455,
11 (s. 87 n 3); 478, 11; 482, 11; 485, 1; 489, 4 (s. 88); 539, 7 (s. 92);
aus [der partie 560—614 sind als 'unecht' bezeichnet 560, 11; 564, 11;
565, 4; 599, 8; 610, 3 (s. 91); als 'echt' mit spuren der Überarbeitung
545, 7; 566, 1 (s. 91 f ) ; als fraglich 614, 7 (s. 92); in stark überarbeitete
Partien fallen 712, 7; 728, 7; 747, 11 (s. 78). — endlich bleibt 653, 7
(s. 92 wider zu zaghaft als fraglich bezeichnet).
DER RÜHRENDE REIM IM MITTELHOCHDEUTSCHEN 7 5
vorkommen 1; ebenso Reimar d. A., bei dessen hoher technischer
kunst solche reime besonders befremden würden, aber tatsäch-
lich hat auch nur ein einziger in Minnesangs Frühling aufnähme
gefunden (200, 3:4), von dem bereits ESchmidt s. 75 consta-
tiert hat, dass er Reimar (und Rugge) fremd ist. alle andern
verraten sich als secundär, wenn man den Zusammenhang näher
betrachtet 2. — die vier rührenden reime Walthers kommen,
wie schon Wilmanns einl. s. 62 anmerkt, alle in Sprüchen vor;
sie sind durch verschiedene accentuierung durchaus gerecht-
fertigt, dagegen wäre der einzige fall in einem liede (55, 35)
zugleich der einzige 'unerlaubte' 3. bei andern lyrikern lässt
sich über ihre oder der hss. rührende reime nicht urteilen, ohne
gesamtkritik ihrer lieder und deren Überlieferung, dies würde
den rahmen dieser Untersuchung überschreiten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sehr verschiedene
arten des rührenden reims unterschieden werden müssen, und
dass nicht jeder dichter alle arten zulässt oder in gleicher
häufigkeit anwendet, ästhetisch durchaus befriedigend sind die
' nach Lehfeld Beitr. 2, 355 anm. in den liedern 45, 22 : 25 und
48, 34 : 49, 1. aber an der zweiten stelle beruht der reim nur auf B,
während C anders (wenn auch sicherlich falsch) überliefert, und an der
ersteren stelle, die nur auf C beruht, macht der sinn in der Umgebung
soviele änderungen nötig und ist das ergebnis sowenig befriedigend (nU . . .
vollebringenl und se rehte neben rehte), dass die Verderbnis tiefer liegen
muss: es stand ursprünglich wahrscheinlich ein unreiner reim, nicht ein
rührender. — wenn Lehfeld einen dritten reim dieser art durch conjectur
schafft (aao.), so ist das natürlich abzulehnen.
2 zusammengestellt von Paul PBBeitr. 2, 540. 157, 34 ist zil A gegen
wil BCE sicher echt, zu ergibt den gegensatz zu niemer mere tac der
vhg. zeile; auch der folgende vers passt zu zä, nicht aber zu iemer BCE,
das überdies neben niemer blass und dürftig würkt. — 165, 29 ist gleich-
falls A (ist) gegenüber BCE (bist) im rechte, vom namen 'wort' spricht
der dichter in der 3 person, vom wip in direkter anrede, und zu namen
allein passt nennen. C verrät die tendenz alles in die 2 person zu uni-
formieren auch schon in der 1 zeile (din 28). — 179, 26 fordert der Zu-
sammenhang, dass Reimar lebt 'wie bisher' (pßac E), nicht 'wie er kann'
(mac bp). — 100, 35. 38 hat minnen wil, das den rührenden reim erst
schafft, als schlechte, sinnwidrige conjectur gar keine berechtigung: minne
eil CC^ muss bleiben.
3 [s. jetzt Jellinek Beit.-. 43, 19f. 22.] — unerlaubt wäre auch 18, 5
sol (nur A. anders C, lool Lachmann").
76 VON KRAUS, DER RÜHRENDE REIM IM MHD.
fälle wo der wort- oder gar der s atz -accent einen klanglichen
unterschied schafft, mehr archaisch und wol noch auf latei-
nischer tradition beruhend sind die bindungen zweier gleicher
unbetonter Wörter oder silben. sie finden am romanischen ge-
brauch eine stütze und erweitern durch romanische Vorbilder
ihren bereich, indem sie sich auch auf zwei starkbetonte Wörter
erstrecken, in welchem falle bei guten dichtem ^ die Unter-
scheidung in das gebiet der bedeutung verlegt wird: je frap-
panter der bedeutungsunterschied gegenüber der lautlichen gleich-
heit ausfällt, umso witziger die erfindung^. endlich giebt es
— bei guten dichtem ganz vereinzelt — , fälle, wo der rührende
reim sich möglichst bemerkbar machen soll, um eine an der be-
treffenden stelle erwünschte besondere würkung zu erzielen, dies
sind die wahren 'unerlaubten' reime und zugleich, wie bisweilen
das unerlaubte in der kunst, die genialsten.
So ergiebt auch die betrachtuug des rührenden reims was
man ebensogut an der behandlung des auftacts, des versendes,
der tactfüllung oder des liiatus, an der Wortwahl wie überhaupt
an der ganzen diction zeigen kann und zum grofsen teil bereits
gezeigt hat: dass die bedeutenden altdeutschen dichter in all
diesen dingen eine deutsche kunst, die dem Charakter ihrer spräche
angepasst ist, geschaffen und zur denkbar höchsten Vollkommen-
heit emporgeführt haben, wer das verkennt und in ihnen nichts
weiter sieht als mehr oder minder gute Übersetzer, dessen urteil ist
nicht nur ungerecht, sondern es ist auch — Avas in ästhetischen
fragen noch viel schlimmer ist — baar jeder künstlerischen
einsieht.
' das beer der schlechten, denen es genügt wenn die Vorsilben
anders lauten, verdient in einer auf die künstlerische technik gerichteten
Untersuchung keinen platz.
^ das führt später (ein anfaug ist das eine lied Konrads vWürzburg,
s. o. s. 54) zur abfassung ganzer gedichte in solchen rührenden reimen,
8. zb. das bekannte 'Equivocum' des Sucheuwirt (wo XLIV 36 übrigens
du solt dich ee (jlauben 'entäufsern' De:: tsioeivel zu lesen ist), der
name wäre ganz gut für solche gedankenreime zu verwenden. — sonst
zeigt sich dieser dichter recht feiuhörig ira gebrauch des rührenden reims.
Wien d. l'.J. februar 1916.
Carl von Kraus.
IRINGES WEG.
Der bericht des Widukind über den Untergang des thüringi-
schen reichs, das ende des Irminfrid und die rachetat des Iring
schliefst mit den worten: mir ari tarnen non possimius in tanium
famam praevaluisse, ut hingis nomine, quem ita vocitant, lacteus
caell circulus usque in presenn sit notatua (rer. gest. Sax. 1, 13).
Widuiiind kannte also einen deutschen namen der Milchstrafse
Iringsweg oder -strai'se. da er zu gelehrten deutungen neigt —
ich verweise nur auf die berühmte stelle 1, 12 — , muss es dahin-
gestellt bleiben, ob er zuerst diesen namen auf den thüringischen
beiden bezogen hat, oder ob er darin einer im volke lebenden
meinung folgt, und selbst wenn das letztere der fall wäre, bliebe
die frage zu erwägen, ob diese beziehung auf echter sage beruht
oder nur durch die gleichheil des namens entstanden ist, sodass
also der thüringische Iring und der Iring der milchstrafse ur-
sprünglich zwei verschiedene personen gewesen wären. Widukind
kannte den namen jedenfalls aus seiner sächsischen heimat; hätte
er irgendeine sagenmäfsige erklärung für die doch gewis auf-
fallende benennung nach dem thüringischen beiden gekannt,
würde er sie wol mindestens angedeutet haben, der oben ange-
führte satz aber khngt so, als habe er nichts darüber gewust, als
sei nur um des ruhmes seiner taten willen Irings name mit dem
sternbilde verbunden worden, dass der name bei den Sachsen in
gebrauch war, beweist die angelsächsische glosse : via seda,
iringaes uueg (Epinalglossen), iringes uiieg (Corpusglossen) Sweet
The oldest english texts 104, 1050; 105, 2118. [Die glosse ist
ursprünglich eine interlinearglosse zu Isidorus De natura reium^.
das glossar von Erfurt hat iuuuringes uueg corrigiert aus
iuuaringes uu. (Sweet aao, 1.04, 1050; Goetz Corpus gloss.
1 GDittmann macht mich brieflich darauf aufmerksam, dass cia
secta aus Verg. Georg. 1, 238 stammt. cUe stelle wird bei Isidor im
10 cap. zitiert, in unsern ausgaben freilich nicht bis zu den worten via
secta. der glossator muss eine hs. vor sich gehabt haben, in der der
vers ganz angeführt war. cia secta bezeichnet übrigens in der Vergil-
stelle den Tierkreis, nicht die Miichstrasse.
78 MEISSNER '
lat. 5, 3 98, 40). über diese form liat Kögel gehandelt (Beitr.
16, 504) und auf den angels. namen Tiiring hingewiesen, für
die folgenden betrachtungen ist diese abweichende gestalt des
namens ohne belang, jedenfalls ist die bezeichnung der Milch-
strafse als Iringesweg bei den Angelsachsen aus ältester zeit
bezeugt und offenbar aus ihrer heimat mitgebracht, von der
thüringischen sage von Irminfrid und Iring findet sich bei den
Angelsachsen sonst keine spur (Binz PBBeitr. 20, 202). Wids. 30
wird Wod als herscher der Thüringer genannt.
In die Chronik des Ekkeliard von Aura ist der bericht des
Widukind übernommen, aber der name 'Iringsstralse' eingeschoben:
famam in tantum jjraevaluisse, ut lacteus caeli circulus Iringes
nomine Iringes straza usque in presens sit notatus. MG. SS. VI 17S
(dat inen dene Witten wech, de over dene himel geit, het de Iringe-
strate wante an disen hudeliken dach. Der Sachsen herkunft,
Deutsche Chroniken II 263). noch Aventinus kennt den alten
deutschen namen der Milchstrafse, er knüpft ihn an einen phan-
tastischen könig seiner bayerischen Vorgeschichte, einen könig
Euring, den söhn des königs Bren IV: künig Ewing, künig Thesseis
brueder, ist gesessen oberhalb Taurburg (ietzo kriechischen
WeissenburgJ in der Stadt Schirmburg (ietzo Sinching) und zue
Teutschburg umh die Thonau, da die Dra dreinfelt. ist ein
künstler und des gestirns kündig gewesen. Von im nennen die
alten Teutschen Euringsstrass den weissen kraisz, so man zue
nacht am himmel siecht und die Römer und Kriechen in iren
sprachen von der milich. Bayer, chronik I 407 Lex er; via
lactea, olim Euringstrasze, ita dicta ab Euringo, rege in
Sinchingen, qui astrologus excellens fuit. Stieler 2196. Euring
hat schon JGrimm (DMyth. 4 I 297) mit luring zusammen-
gestellt, doch könnte Euring auch durch rundung aus Eiring
(vgl. den namen Eyering) entstanden sein, der name Iring ist
auf hochdeutschem gebiet weitverbreitet, s. Förstemann Personen-
namen 2 9ß7- Socin Mittelhochd. namenbuch 572; Schmeller-Fr.
Bayer, wörterb. I 129.
JGrimm sah in Iring eine mythische gestalt, die als solche
mit der Milchstrafse verbunden war und vermenschlicht in die
thüringische heldensage einging (Myth. ^ I 296 ff); auch Müllen-
hoff vertritt diese ansieht (Zeitschr. f. d. alt. 30, 248). dieser
mythische Iring ist aber lediglich aus dem namen der Milchstrafse
IRINGES WEG 79
erschlossen, sonst findet sich keine spur von ihm. was uns
anderseits von dem beiden Iring bekannt ist, gibt keine er-
klärung für die benennung der Milchstrafse. JacGrimm hob her-
vor, dass Iring, nachdem er seinen herrn am Frankenkönige ge-
rächt hat, sich mit dem schwert durch die mannen des königs
^einen weg bahnt' (viam ferro faciens) und entrinnt, auch
AHeusler (in Hoops Reallexicon II 599) hält diese anknüpfung für
möglich, mir erscheint es sehr künstlich, die eigentliche Vor-
stellung einer strafse am himmel aus dieser lateinisch stilisierten
Wendung herzuleiten, in der via in abgeleitetem sinne gebraucht
ist. schon WGrimm (DHeldensage 3 444) lehnte diese auffassung
mit vollem recht ab. merkwürdig ist, dass in der Magdeburger
Schöppenchronik Irings Schwert als name der Milchstrafse er-
scheint, die erklärung des namens wird ganz wie bei Grimm
gegeben: dar af clat Iring einen weg makede mid dem swerde,
dat he enwech quam, daraf hext de witte strinie in dem hemmele,
den men des nacktes suef, Iringes sivert den namen geven se do
den cirkel to dude, aver in dem latin lieit he lacteus circulus.
D. Städtechron. VII 17. 'Irings schwert' kann gegenüber den alten
Zeugnissen nicht als echter name gelten.
Wir dürfen sagen: es fehlt uns jede Verknüpfung zwischen
dem thüringischen Iring und dem namen der Milchstrafse, und
anderseits haben wir keine Zeugnisse, auf die sich eine mytho-
logische erklärung des namens stützen könnte.
Längst hat man bemerkt, dass namen der Milchstrafse sich
als stralsennamen auf der erde widerfinden, hier ist zb. der
schon von JGrimm aus Chaucer angeführte name Watlingstreet
(angelsächs. Wcetling a-strcet Angeh. chronik zu 1013) zu erwähnen,
der name einer der grofsen, das alte England durchziehenden
strafsen :
now, quod he tho, cast up thyn ye;
See yonder, lo, the Galaxije,
which men clepeth the Müky Wey,
for hit is whyt: and somme, parfey,
callen hit Watlinge Strete.
H0U8 of fame 935 (II 427).
Skeat gibt in der anmerkung zur stelle noch einige andere
l)elege.
so MEISSNER '
Dient hier eine bestimmte stiafse zur benennung der Milch
slrafse, so werden sonst auch gattunj^snamen dazu verwendet wie
Heerweg, Hcerstrasze (Grimm DMylhJ III 106). wh' sehen oft an
dein liimel ainen praiteu halben kra'iz weiz und klär reht sam
am klaren sträz. der kr alz haizt von den laien die hersträz
Konrad vMegenberg Bucli der natur 78.
Charakteristisch ist dass die naraen von den grofsen, aus-
gedehnte gebiete durchzieiienden stralsen hergenommen werden,
die für den an die nächste Umgebung gebundenenen sich in weiteste
ferne zu erstrecken scheinen, man sah am himmel das was man
von der erde her kannte, bezeichnete den sternenstreifen als
strafse schlechthin, lediglich nach der ähnlichkeit der äufseren
erscheinung. diese einfachen namen, die zunächst nur die Milcli-
strai'se ihrem aussehen nach in den vorhandenen vorstellungskreis
einordnen, sind an sich verständlich und bedürfen keiner weiteren
erklärungen. damit ist nicht abgewiesen, dass nun die dichtende
phantasie die namen mit ihrem gewebe umspinnt.
Hehveg bezeichnet die via publica auf der erde (häufig als
localname. über hellivege in Westfalen vgl. Nd. korr.bl. 1907, 82.
hei-, helle-, hilcwech Schiller -Lübben Mittelnd. wb. II 236";
Woeste Westf. wb. 102% Volksüberlieferungen in der grafschaft
Mark 41) und die Milchstralse am himmel (JGrimm Rechtsalt. 4 II
82 ; Myth.* III 238). auch hier ist unbedingt der irdische llellweg als
das prius anzusehen, zwar gibt es neben dem Hellweg am himmel
auch einen Hellwagen — das sternbild des grofsen Bären (Grimm
Myth. 1 II 069, nachtr. 238). hier liegt die beziehung auf den
führer des wütenden heeres (den Heijäger) nahe, der ja oft als
im wagen fahrend vorgestellt wird, und doch ist es selbstverständ-
lich, dass das wütende beer ursprünglich auf der erde oder in der
unmittelbar darüber hegenden luftregion seinen umzug hält und
dass die Versetzung an den himmel, die auffassung der Milchstralse
als eines weges auf dem das wütende beer dahinfährt, jünger und
mythologisch von geringer bedeutung ist. die Milchstrafse heilst
Hellweg, Heerweg, Heerstrafse (DWb. IV 2, 761; galaxia, die
herstrasze in celo Diefenbach Gloss. lat.-germ. 255') eben nur
weil sie als eine strafse aufgefasst wird.
Wenn helwec mit altn. helvegr gleichgestellt wird, ist es un-
verständlich, wie das wort die nüchterne bedeutung von landstrafse
hat annehmen können. JGrimm meinte, es bezeichne Ursprung-
IRINGES WEG 81
lieh den weg, auf dem die leichen gefahren werden (Myth. ^ II 669).
das ist mehr eine Verlegenheitsdeutung und erklärt vor allem nicht,
dass grade die grofse, weite strecken durchziehende strafse helweg
heifst (Schiller-Lübben Mittelniederd. wb. II 236'). gewis hat man
Hei- in Helweg mit Hölle, dem Helljäger und dem Hellwagen
in Verbindung gebracht, aber ursprünglich mufs hei- in helweg
etwas ganz anderes bedeuten. AKuhn Sagen, gebrauche und
märchen aus Westfalen II 85 stellt eine ganze reihe von namen
der Milchstrafse zusammen; neben Helweg und Heerstrasze, her-
pat führt er unter andern folgende an: Strafse nach Aachen,
Frankfurter Strafse, Kölsche straote, Kierenherger patweg. die
mythologische befangenheit jener zeit zeigt sich recht deutlich bei
der erklärung des Nürnberger pfades: der Nürnberg ist der ein-
gang zur unterweit (Zeitschr. f. vergl. Sprachforschung 2, 239).
wir haben hier sowol grofse handelsstrafsen wie die nach Frank-
furt, Nürnberg, wol auch die nach Köln, als auch eine pilger-
strafse, die nach Aachen, ebenso nüchterne Namen sind the London
road (Rotzler in Vollmöllers Roman, forschungen 23, 825) und
la strada tra Napoli e Roma (ebda 817).
Besonders verbreitet ist im Mittelalter der Name St. Jacohs-
strafse für die Milchstrafse, und zwar entsprechend der berühmtheit
des heiligtums (Santiago) ist es ein internationaler name, ebenso
wie Bomstrafse, Romweg (J Grimm DMylh. ^ III 106; Romstrose,
sunt Jacobsstrass , galaxia, via St. Jacobi. Diefenbach Gloss.
lat.-germ. 255 *'. la Galaxia, cioe quello bianco cerchio, che il
vulgo chiama la via dt santo lacopo. Dante II convivio II 15).
die Vorstellung der weite länder durchziehenden, in Stationen fest-
gelegten pilgerstrafse wird auf den himmel übertragen, über die
Verbreitung des namens Jakobsweg verweise ich auf die schon
citierte gründüche und lehrreiche Abhandlung von HRotzler über
die benennungen der Milchstrafse im französischen in Vollmöllers
Roman. forschungen 23(1915), 794ffi, nur kann ich seiner erklärung
der herkunft des namens nicht zustimmen, er will den namen auf
die in der Turpinschen chronik geschilderte vision Karls des Grofsen
zurückführen, während meiner ansieht nach die vision schon auf
einer geistlichen umdeutung des namens beruht, einen englischen
hierher gehörenden namen der Milchstrafse entnehme ich der an-
• vgl. auch seine belege für Rom.<traff<e 81;'..
Z. F. D. A. LVI. N. F. XLIV. 0
82 MEISSNER
merkung Skeats zu der oben angefüluten Chaucerstelle : the
Walsingham watj 'oivlng to this heing a route niuch frequented
by pilgrims'. über die Pilgerreisen zu der h. Maria von Wal-
singham s. Percys bemerkung zur ballade: Gentle herdsman teil
to me. ebenso ist wol in Frankreich der name chemin de Char-
roux aufzufassen, als weg zu den reliquien der abtei von Char-
roux, nicht als teilstrecke des Jacobsweges (Rotzler aao. 813).
auch für die Türken ist die Milchstrafse ein pilgerweg, der weg
der Mekkapilger (J. Grimm, Myth. ^ 1, 296 anm. 1). wenn die
h. Jungfrau als liimehträze angeredet wird, so ist die Milchstrafse
ausgedeutet als der weg zu Gott:
du rlchiu Uljenouive,
du himelsträze, du scdden tac
Minnes. 2, 360'' Hagen.
vgl. WGrimms einleitung zur Goldnen schmiede des KvWürz-
burg XLV 13. weitverbreitet ist die Vorstellung der Milchstrafse
als des weges von der erde der sterblichen zu der weit der un-
sterblichen, als des weges der seelen (Gundel De stellarum appel-
latione et religione Romana, Giefsen 1907, s. 153). dieser ge-
danke wird auch von der christlichen phantasie ergriffen und viel-
fach umgebildet, bei der benennung der Milchstrafse nach pilger-
straf sen darf er aber, wie ich glaube, zur erklärung des namens
nicht verwendet werden: erst nachdem der name feststeht,
knüpfen sich daran die religiösen ausdeutungen. Rotzlers abhand-
lung bietet charakteristische beispiele.
Wenn in Frankreich der name la chaussee romaine für die
Milchstrafse bezeugt ist (Rotzler aao. 825), so ist natürlich die
von den Römern gebaute grofse heerstrafse gemeint, die be-
wahrung dieser erinnerungen im volkstümlichen gebrauch ist be-
achtenswert, anderseits wollte man so gewaltige bauten den
menschen nicht zutrauen, nannte daher die reste alter Römer-
strafsen chaussee du diahle (Rotzler aao. 817. 826). ich meine,
dass deshalb auch die Milchstrafse le chemin du diahle heifsL
die von Rotzler angeführten himmels- und wettererecheinungen,
bei denen der teufel den namen hergibt, sind doch anderer art.
der teufel hat die Römerstraf sen, erbaut und so gilt er auch
als der erbauer der grofsen himmelsstrafse (vgl. die sage bei
Kotzler 817).
IRINGES WEG 83
Erscheinen menschen als erbauer der grofsen strafsen, so sind
es übermächtige oder solche die durch zauber oder list böse geister
in ihren dienst zwingen, die erinnerung an Brunhilde, die ge-
Avaltige austrasische königin, hat das volk bewahrt, indem es ihr
den bau oder auch die widerherstellung der alten Römerstrafsen
zuschrieb, dass ihr der teufel dabei geholfen und sie ihn über-
listet hat, ist natürlich, chaiisst'e de Brnnehaut für Römerstrafse
und Milchstrafse ist besonders in Belgien und Nordfrankreich be-
zeugt, doch auch in mittleren und südliehen gegenden Frankreichs
(Rotzler 826); als name der Milchstrafse erscheint im nieder-
ländischen ver Broenelden strafe Verdam, Mittelnld. woordenbock
VII 2278, vgl. JGrimm DMyth. ^ III In 6; I 236. JGrimm
citiert in seinem aufsatze 'Irmenstrafse und Irmensäule' (Kl. Schriften
VIII 497) nach Bergier Hist. des grands cheminsde Tempire romain
«ine stelle aus den 'Zeitbüchern der abtei von SBertin', in der
eine bestimmte strafse mit dem namen der königin verbunden
wird: hie finis Brunechildis, qiie licet insolens esset et peri-
culosa, ecclesias tarnen Iwnorahat, ecclesiam S. Vincencii Laudu-
nensis fiindavit, multa etiam opera miranda construxit, inter que
stratam puhlicam de Cameraco ad Atrehatum, liinc ad Morinum
et usque ad mare Witsantum fecit, qtie calceria Brunechildis
nominatur usque in hodiernum diem. die stelle stammt aus Jo-
hannis Longi Chron. SBertini (MG. SS. XXV 759) gehört also dem
1 4 jh. an. es ist begreiflich, dass das wilde beer, wenn es über die
Milchstrafse zieht, von Brunhilde angeführt wird; denn in Pharaild.
ver Hilde (JGrimm DMyth. ^ I 236) erkennen wir unschwer den
namen der königin (vgl. nid. Vroneldenstraet). Brunehaid hat
man auch als mannsnamen gedeutet, und sieht dann in ihm,
einem Brunehaldus, den erbauer der straisen (JGrimm Kl. Schriften
VIII 498).
Wir haben eine grofse anzahl von benennungen der Milchstrafse
kennen gelernt, die ursprünglich bezeichnungen irdischer strafsen
sind und einfach auf den himmel übertragen wurden, zunächst
ohne jede weitere ausdeutung. eine grofse strafse, die in das un-
bekannte, ferne führt, sah man am nächtlichen himmel, nur das
wollte man mit dem namen ausdrücken, kehren wir nun zum
Iringsweg zurück, die Vermutung liegt nahe, dass auch dieser
name ursprünglich eine irdische strafse und zwar eine strafse des
alten Sachsenlandes bezeichnete, nach der dann das himmlische
6*
S4 MEISSNER
gegenbild benannt wurde, wir haben ein zeugnis dafür, das
allerdings durch eine besondere Ungunst der Überlieferung selir
verdunkelt ist. seine beweiskraft ist dadurch zweifelhaft ge-
worden.
Der thüringische held Iring wird von der sage an den lief
Etzels versetzt und den liurgunden im kämpf gegenübergestellt,
er fällt von der band Hagens. das Nibelungenlied kennt auch
den letzten thüringerkönig Irminfrid unter den gegnern der Bur-
gunden {Irnvrit von iJür'mgen 1968, 2; der lantcräve 2009, 4).
der dichter des Nibelungenliedes weils aber nichts mehr von dem
Verhältnis Irings zu Irminfrid, Iring ist der mann Hawarts, des
Dänen, ein markgraf {dö rief von Teuemarke der marcräve Irinc
1965, 1). Irnvrit wird von Volker getötet, in der Thidreks-
saga fehlt Irminfrid, über die herkunft des Iring {Inuigr) erzälilt
sie nichts.
Auf die verwickelte frage, aus welchen bestandteilen die er-
zählung vom Untergang der Burgunden in der Saga zusammen-
gesetzt ist, wie die einzelnen stücke der sich widersprechenden
berichte umgebogen und verändert sind, brauche ich hier nur
soweit einzugehen, als unser thema erfordert (vgl, AHeusler Die
heldenroUen im Burgundenuntergang. Sitzungsberichte der Berliner
akademie 1914, s. 11 14 ff), gewis ist dass in die erzählung eine
Soester localüberlieferung hineingearbeitet wurde, in Soest hatte
Etzel die gaste empfangen, dort zeigte man den ummauerten
garten (Xiflimga garär) in dem der kämpf ausbrach, den türm
in dem der gefangene Günther sein ende fand, die stelle wo
Hagen überwältigt wurde, und eine andere wo Iring fiel (hvar
Hggnl feil eda Irungr var veginn). cap. 394 (327, 16 ff
Bertelsen), im cap. 387 (320, 13 Bertelsen) wird erzählt, wie
Iring von Hagens speer durchbohrt wird, so dass die spitze ihm
am rücken herausdringt: ok pn Icetr Irungr sigaz viä steinveginn,
ok pesse steinvegr heitir Irungs vegr enn l dag, ok spjötlt Hggna
nemr stadar i steinveginum. so steht in der alten Stockholmer
pergamenths., die beiden Arnamagnseanischen papierhss. haben stein-
regginn, steinveggr, Irungs veggr, steinvegginum. sehr bald schon
hat man mit rücksicht auf die stelle des VVidukind angenommen,
die lesart der papierhandschriften beruhe auf einem misverständnis:
Iring sei nicht an einer \\and, sondern auf eine gepflasterte strafse
{ftteinvegr) niedergesunken, und eine strafse in Soest habe darnach
lEINGES WEG 85
Itingsweg geheifsen (WGriimii DHeldensage » 469). auf die
frage, ob in Soest eine strafse oder eine wand nach Iring genannt
war, werde ich noch zurückkommen, zunäciist aber ist fest-
zustellen, dass auch in der membrane eine mauer gemeint ist,
denn auch 311, 23 und 312, 2, wo zweifellos von einer stein-
wand die rede ist, hat die membrane steinvegr (AHeusler aao.
s. 1117 anm. 3). ebenso wie im altnord, vegr und veggr stehen
übrigens auch im niederd. iceg (wand) und zveg (via) einander
lautlich nahe, vgl. Walthers aufsatz im Niederd. Jahrbuch 26,
116 ff, van Helten PBBeitr. 30, 241, anm. 2.
Die Saga erzählt den kämpf Irin gs mit Hagen in folgender
weise: Hagen ist im strafsenkampf so weit unter die feinde vor-
gedrungen, dass er von den seinen getrennt wird, er bricht ein
liaus (hgll) auf ok gengr inn oJc snyz aptr at durunum ok nemr
pn staäar ok Jivilir sik (319, 1 Bertelsen), dort wird Hagen
von Iring angegriffen und zwar zweimal, beim ersten kämpf
versetzt Iring dem Hagen eine schwere wunde und läuft sogleich
aus der halle zu Kriemhilt zurück, aufgereizt von ihr wagt er
einen zweiten kämpf, bei dem er fällt, hier steht dann die stelle
über Irungsvegr.
Es unterligt keinem zweifei, das>. bei der Schilderung des kampfes
zwischen Iring und Hagen die sagengestaltung eines oberdeutschen
gedichtes benutzt worden ist, das als Vorstufe für den zweiten teil
des Nibelungenliedes angesehen werden darf, das beweist schon die
äufsert ungeschickt eingeleitete Verlegung des kampfes in die halle,
die für die oberdeutschen bestandteile der sage ebenso charakte-
ristisch ist wie der baumgarten für die niederdeutschen, auch im
Nibelungenlied kämpft Iring zweimal mit Hagen, verwundet ihn
beim ersten kämpfe und empfängt im zweiten die todeswunde von
Hagens speer. im Nibelungenliede stehen neben Hagen auch die
andern burgundischen beiden, Iring kämpft beim ersten angriff
nacheinander mit Hagen, Volker, Günther, Gernot, Giselher und
wider mit Hagen, den er verwundet, in der Saga tritt Hagen
allein Iring gegenüber. Hagen verfolgt im liede Iring beim ersten
kämpf die treppe hinunter (1989, 4. 1990) und läuft ihm beim
zweiten bis zum ende der stiege entgegen (1998, 2j. erst mit
dem Schwert verwundet (fehlt in der Saga), dann tödlich von
Hagens ger am köpf getroffen, weicht Iring zurück zu den seinen
und stirbt zu Kriemhilds fülsen. im Nibelungenliede wirft Hagen
S6 MEISSNER
den ger, der in Irings köpf stecken bleibt (2001). die Saga kennt
den Speer als wurfwaffe in kampfschilderungen überhaupt nicht,
abgesehen von einer stelle, wo Isung den speer nach der in
drachengestalt über den kämpfern fliegenden Ostacia schleudert
(272, 17). ferner ist beachtenswert, dass nur an unserer stelle
der Speer von einem fulskärapfer gebraucht wird, sonst in der
Saga ausschliefslich im reiterkampf (Schaefer Waffenstudien zur
Thidreksaga, Berlin 1912, s. 59).
Boer hat angenommen (Untersuchungen über den Ursprung
u. die entw. der Nibelungensage I 157), Iring sei nach nieder-
deutscher sage niclit in der halle, sondern in dem von einer Stein-
mauer umgebenen kampfgarten gefallen, dessen, steinveggr sei also
die Iringswand. dieselbe auffassung vertritt Polak (Zeitschr. f.
d. a. 54, 454).
Wir kommen damit zur entscheidenden frage: ist der tod
Irings mit der bestimmten Ortsangabe nach einer vom 'älteren
oberdeutschen epos' unabhängigen quelle erzählt worden, gab es
eine besondere niederdeutsche Überlieferung des Burgundeuunter-
ganges, die Irings kämpf mit Hagen und Irings tod enthielt?
Droege (Zeitschr. f. d, alt. 51, 216) glaubt an eine mythische Ur-
form des kampfes zwischen Iring und Hagen, dieser kämpf sei
ohne beziehung auf den Burgundenuntergang im baumgarten zu
Soest localisiert gewesen, die Umwandlung dieses 'kampfgartens'
in den 'Nibelungengarten', die Versetzung des königs Attila nach
Soest sei auf spätere gelehrte phantasie zurückzuführen, man
sieht leicht, dass hier die Grimm -Müllenhoffsche mythologische
deutung des Iring als lichtgottes zu gründe ligt. nach den oben
gegebenen ausführungen über die naraen der Milchstrafse kann
ich dieser ansieht nicht zustimmen. Iring ist nur als thüringischer
held in die Nibelungensage gedrungen und erst in dieser mit
Hagen zusammengestofsen. dass verschiedene bearbeiter der sage
diesen beiden unabhängig voneinander eingeführt haben sollten,
ist unwahrscheinlich. Wilraanns weist Iring eine sehr bedeutende
rolle zu (Untergang der Nibelunge, Berlin 1903). er sieht in
ihm den später durch Dietrich verdrängten überwinder des Hagen
(s. 9). auch für ihn ist Iring noch eine alte gottheit, und als
solche, nicht als thüringischer held ist er in die sage eingetreten
(s. 15). die stelle der Saga, auf die Wilmanns hauptsächlich seine
ansieht gründet, Iring sei der überwinder Hagens, muss, wie ich
IRINGES WEG 87
glaube, anders erklärt werden (s. unten), besonders hat sich dann
Boer mit gewohntem Scharfsinn bemüht, nachzuweisen, dass Iring
der niederdeutschen, in Soest localisierten fassung der sage vom
Burgundcnuntergang angehört (Untersuchungen I 141 ff). Boer
sieht vor allem einen ursprünglichen zug in der rolle, die Iring
in der Saga, aber nicht im Nibelungenliede, bei der eröffnung des
kampfes spielt, Iring lässt sich in der Saga durch Kriemhilds
bitten bewegen (cap. 378; 307, 10 ff), die 20 knechte der Nibe-
lungen, die vor dem garten die Schilde und Speere bewachen, zu
überfallen und dann den eingang zum garten zu besetzen. Boer
nimmt an, dass das erschlagen der knechte nicht ursprünglich zur
rolle des Iring gehört, er hat nur den ausgang zu hüten, 'um
zur band zu sein, sobald die feindseligkeiten eröffnet sein werden,
und die flucht der Nibelungen zu verhindern' (aao. I 152). in
dieser fassung der sage geht nach Boer der plan Kriemhilds da-
hin, Etzel selbst dadurch zur eröffnung des kampfes zu zwingen,
dass sie ihren söhn opfert, bei dieser Voraussetzung wird aber
doch die gewinnung des Iring ein nebensächlicher zug. Iring ist
dann eben nicht mehr derjenige der zuerst die waffe gegen die
gaste erhebt, er soll nur 'bereit stehen', wenn andere im garten
drinnen den kämpf zum ausbruch kommen lassen, die worte die
Kriemhild in der Saga zu ihm spricht, stimmen dazu übrigens
ganz und gar nicht; sie können nur an jemanden gerichtet
sein, der den kämpf gegen die Nibelungen, seien es nun herren
oder knechte, wirklich selbst eröffnen, den frieden brechen
soll. Heusler aao. 1128 hat angenommen, dass vom saga-
mann das motiv des mit gold gefüllten Schildes hierher aus der
andern seene übertragen sei, wo Kriemhild Iring zum kämpf gegen
Hagen auffordert. Heusler sieht daher in dieser ersten aufreizung
des Iring durch Kriemhild einen zug, der erst bei der compilation
der Saga versehentlich in die erzählung gekommen sei, und
nimmt an, dass Iring an stelle Bloedels getreten ist.
Ich halte es nicht mehr für möglich, die erzählung der
Saga über den ausbruch des kampfes und den nächsten ver-
lauf so zu zerlegen, dass man völlige Sicherheit über die her-
kunft der bestandteile gewinnen könnte, doch glaube ich nicht,
dass Irings torwacht zu den zügen gehört, die man mit einiger
Sicherheit als alte niederdeutsche über lieferung ansehen kann,
die Opferung des sohnes hat nur dann einen sinn, wenn Etzel
88 MEISSNER
und die seinen im garten oder saal den kämpf aufnelimen
können, dli. sie müssen ebenso bewaffnet sein wie die Nibe-
lungen, dieser sagenzug setzt die altgermanisclie sitte voraus,
dass die niänner bei mahl und gelage das schwert bei sicfi
tragen, vor der furchtbaren tapferkeit der Nibelungen ziehen
sich die Hunnen aus dem garten zurück, dieser hat nur einen
ausgang. iu der folgenden seene versuchen die Hunnen durch
Schusswaffen, gegen die die Nibelungen ungeschützt sind, die im
garten eingeschlossenen zu bekämpfen; das geht aus den worten
Hagens klar hervor (311, 13 ff Niflunyar manu, falla pött heldr
pole pelr spjöt ok skot Häna en sverö peira), wenn auch der
sagamann durch zusammengestoppelte sätze über versuchte angriffe
die Situation verdunkelt. Boer (s. 153 unten) meint, die geschosse
würden durch den eingang geworfen, das ist doch eine ganz un-
natürliche ansieht, dieser eingang muss jetzt geschlossen sein;
wäre er geöffnet, bestünde ja die möglichkeit, die liQggvapn an-
zuwenden, die Hagen ersehnt; die rinderhäute können doch nicht
als unüberwindliches hindernis gelten, wenn Etzel ypr einum
kastala (310, 8) steht und von dort die seinen zum kämpf auf-
fordert, so ist anzunehmen, dass die Hunnen von den gebäuden,
türmen, dächern aus, die den garten umgeben, die Nibelungen
beschiefsen. das tor mufs verschlossen sein, sonst ist nicht be-
greiflich, warum die Nibelungen auf der entgegengesetzten seite
die mauer durchbrechen, ich gebe zu, dass der sagamann diese
Situation nicht deutlich genug schildert, sie sogar durch einzelne
Züge verdunkelt, besonders dadurch, dass er Günther mit einem
teil der Nibelungen das tor gegen Iring verteidigen lässt (313, 24).
Boll man sich dabei das tor offen denken, so ist das allerdings ein
vollkommener Widerspruch zu Hagens worten. man begreift über-
haupt nicht, warum Günther im garten zurückbleibt, als die
Nibelungen die mauer durchbrochen haben.
Jedenfalls ist, wie man sich auch die scene am tor denken
mag im verlauf der handlung bis zum durchbruch und strafsen-
kampf eigentlich kein platz für einen beiden wie Iring, für eine
betätiguug wie wir sie nach der scene mit Kriemhilt erwarten.
Hagen sagt auch: en hgfdingjar Hüna konia pö hvergi ncer.
ok herio'mz vc'r ndlega vid priela poeira\ zu diesen kann aber
der sagamann Iring nicht rechnen (311, 12). also, die eigentlichen
kämpfe, die einzelkämpfe der beiden, haben noch nicht begonnen.
IRINGES WEG 89
ich werde im folgenden zu zeigen versuchen, dass der kämpf
Irings mit Hagen in allen zügen oberdeutsch ist. was sonst noch
die Saga von ihm erzählt, ist, wie wir gesehen haben, so aufser-
ordentlich geringfügig, dass es nicht ausreicht die annähme einer
niederdeutschen Überlieferung über Iring zu begründen, natür-
licher ist die Vermutung, dass in Soest, wo der name Iring, wie
auch ich glaube, (s. unten), unabhängig von der Nibelungensage
bekannt war, die rolle, die Iring in der oberdeutschen fassung der
sage zugewiesen war, erweitert wurde, dh. Iring ist bei eröffnung
des kampfes an stelle eines andern getreten (vgl. jetzt Polak
Zs. 55, 49S correcturnote).
Schon oben ist erwähnt, wie ungeschickt der sagamann bei
der Hagen- Iring -episode die Verlegung der scene begründet (cap.
387). Hagen ist abgeschnitten und ermattet: er bricht eine halle
auf und geht hinein, wenn er vom kämpf ermüdet ist und neue
kraft sammeln will, wird er sich — so erwartet man — in der
halle eine zeit lang vor den feinden verbergen, in der Saga steht
aber: ok hrytr upp hgllena ok gengr inn ok smjz aptr at
durunum ok nemr pd staäar ok hvilir sik (319, 1). der
richtige platz um sich auszuruhen i. die Hunnen greifen auch
sofort an (319, 5), Hagen verteidigt sich am eingang (319, 6).
Kriemhild lässt feuer in das dach der halle werfen, wir sehen,
der sagamann hat den brennenden saal und die am eingang
kämpfenden beiden der oberdeutschen dichtung im sinn, zu dieser
Vorstellung muss er vom stralsenkampf der niederdeutschen fas-
sung einen Übergang finden, dazu dient das motiv dass Hagen
abgeschnitten und ermattet vor den feinden in ein haus flüchtet;
der grobe Widerspruch der so entsteht kümmert den erzähler
nicht, beim ersten angriff überrascht Iring den gegner in der mit
rauch erfüllten halle, in die Hagen zurückgewichen ist, versetzt
ihm eine schwere wunde 2 und läuft gleich wider davon: pd hleypr
kann pegar dt ör hgllenne (319, 22). man fragt sich: warum
benutzt Iring seinen erfolg nicht, warum kämpft er nicht weiter?
Wilmanns hat das abbrechen des kampfes als seltsam empfunden
^ snys aptr heilst einfach: er kehrt wider um, wendet sich wider
der tiir zu, nicht: er dreht sich mit dem rücken nach der tür. Paul, Die
Thidrekssaga u. das Nibelungenlied 334.
2 in der Saga typisch übertrieben, vgl. Friese Thidrekssaga und
Dietrichepos 60.
90 MEISSNER
und vermutet, dass in der ursprünglichen fassung Hagen nun
kampfunfähig gemacht und der räche der Kriemhild preisgegeben
war (Untergang der Nibelunge s. 10). Boer nimmt an, dass die
Nibelungen beim ausbruch aus dem garten auf Iring stofsen,
in der Saga sei Bloedel an seine stelle getreten (312, 10 ff), Iring
steht noch am eiugang, den er von anfang an bewacht hat, und
fällt an der Steinmauer die den garten umgibt, die erwähnung
der Steinmauer ist versehentlich in den aus anderer quelle stam-
menden hallenkampf zwischen Hagen und Iring eingeschoben
(Untersuchungen I 157. 158). für eine so gewaltsame Um-
gestaltung der Saga ligt m. e. keine notwendigkeit vor. eine er-
klärung die sich im wesentlichen an den überlieferten text hält,^
hat jedenfalls an sich mehr anspruch auf Wahrscheinlichkeit, ich
möchte noch auf eine Schwierigkeit hinweisen die in Boers dar-
Stellung nicht berücksichtigt ist. die Saga unterscheidet genau
zwischen dem tor im osten und der bresche im westen des gar-
tens (312, 3; 313, 25; 27; 328, 3). die Nibelungen gelangen
durch die bresche in eine auf beiden selten mit häusern besetzte
strafse; im vordringen, nicht an der bresche, stofsen sie dann auf
Bloedel. Boer muss also den Iring auf die entgegengesetzte seile
eilen lassen, wovon die Saga, die hier klar und einfach erzählt,
nichts sagt, jedenfalls entspricht es nicht der darstellung der Saga^
wenn Boer bemerkt: 'dann stofsen sie auf Irung, der noch bei dem
ein gang steht" (von mir gesperrt); 'Irung fiel . . . dort wo er
seine grolstat vollbracht hatte, bei der mauer bei der er von an-
fang des kämpf es an die wache gehalten hatte' (159). Irings
einzige grolstat ist die Verwundung Hagens, der kämpf mit Hagen
stammt aber, so wie er in der Saga erzählt wird, aus oberdeutscher
quelle, das bedenken Wilmanns, dass Iring nach der Verwundung
Hagens davonläuft, lässt sich vvol beseitigen, mir scheint hier ein
zug des oberdeutschen epos durchzuschimmern, der dort ganz sinn-
gemäfs, in der Umgestaltung der erzählung aber auffallend ge-
worden ist. im Nibelungenliede bricht Iring unter den schwert-
hieben Giselhers zusammen, so dass er von den Burgunden für
tot gehalten wird (1983):
Er schoz vor sinen handen nider in das hluot
daz si alle n-änden daz der hell giiot
ze str/fe niemer mere geslüege keinen stac.
Irinc doch (Tue irunden hie vor Gtselhere lac.
IRINGES WEG 91
Iring ist aber unverwundet und nur betäubt, er kommt wider zu
sich und merkt, dass er sich mitten unter den feinden befindet
{er horte heidenthalhen die inende stän). nur Schnelligkeit kann
ihn retten, so springt er auf und stürzt aus dem saal, greift
Hagen, der den eingang hütet, überraschend an, verwundet ihn
dabei und rettet sich, von Hagen die treppe hinunter verfolgt,
zu den Hunnen {stner snelheite er mähte sagen danc). hier ist
es wol begründet, dass Iring, noch halb betäubt von seiner Ohn-
macht, sich zunächst durchschlägt und durch die flucht rettet,
etwas ähnliches muss der sagamann in seiner vorläge gefunden
haben, den einen zug, dass Iring schnell aus dem hause springt, hat
er beibehalten, aber die motivierung ist verloren gegangen, eine stütze
für Wilmanns ansieht, dass nach Hagens Verwundung sein wider-
stand ursprünglich zu ende ist, scheint sich nun freilich in der Über-
schrift fall h. zu bieten, die in der membrane über cap. 410 steht
(317, 10). Boer zieht aus dieser Überschrift, die er als fall Hggna
auflöst, weitgehende folgerungen (Untersuchungen I 193). in dem
capitel wird der tod des herzogs Bloedel und des Iring erzählt.
Bertelsen ergänzt (allerdings zweifelnd): fall hertoga Blöälinns,
nimmt also an, dass lediglich das versehen eines abschreibers vor-
ligt. die möglichkeit eines solchen Versehens ist gewis grade
bei einer Überschrift vor allem zu erwägen, sodass es mir bedenk-
lich erscheint, dies fall h. zur entscheidung von Überlieferungs-
fragen zu verwenden, stammt aber das fall h. aus einer ganz
anders gestalteten erzählung, so ist den Vermutungen überhaupt
freies feld gelassen: dann ist vor allem durchaus nicht ohne wei-
teres anzunehmen, dass auch in dieser vermuteten fassung Iring
der überwinder Hagens war. in Soest zeigte man die stelle hvnr .
Hggni feil (327, 19). dies scheint mir darauf hinzudeuten, dass
in der Soester Überlieferung Hagen nicht nachträglich an seinen
wunden starb, wie er aber sein ende fand und durch wen, ist
damit nicht gesagt, und ebensowenig ist aus der Überschrift
fall h. zu gewinnen, wenn sie überhaupt, was doch sehr zweifel-
haft ist, einen überlieferungswert hat.
Lässt sich der zug dass Iring nach der Verwundung Hagens
davonläuft aus der — ungeschickt benutzten — oberdeutschen
Überlieferung erklären, so fällt jede nötigung fort, aus diesem
gründe nach einer niederdeutschen fassung dieser episode zu
suchen.
92 MEISSNER
Beim zweiten angriff des Iring ist Hagen nach der Saga auf
der hat: ok nn varaz Hggnl vtd olc smjr igegn honum (320, 9) und
durchbohrt ihn, ehe er überhaupt seine waffen gebrauchen kann,
dass auch hier der sagamann einer oberdeutschen dichtung folgt,
die dem Nibelungenliede zu gründe ligt. ergibt sich aus der für
die Saga ganz ungewöhnlichen Verwendung des Speers, was schon
oben erwähnt wurde, nur schleudert Hagen nicht den speer wie
im Nl., sondern gebraucht ihn als stofswaffe. dieselbe Veränderung
findet sich bei der ermordung Siegfrieds (cap. 347. 266, 12.
Nl. 922, 2). wenn auch beim zweiten' angriff wie beim ersten
gesagt wird: lüegpr i hgllena, so darf man sich doch denken,
dass der zusamraenstofs am eingang stattfindet, da Hagen dem
anstürmenden schnell entgegentritt (ok snyr Igegn honum; auch
dieser zug findet sich im Nl. (1998) . . . sin mohte niht erblten
Hagne der (legen, er lief im hin enkegne . . . die stiegen
an ein ende, die ausdrucksweise der Saga ist hier überhaupt
lässig, zuerst wird gesagt, dass die Hunnen die halle angreifen,
par sem Hggni er inni, unmittelbar nach diesen worten aber,
dass Hagen den eingang verteidigt (ok hann verr dyrrenar).
Iring läuft in die halle hinein und verwundet Hagen, wenn
aber Kriemhild sieht, dass Hagen blutet (319, 23), so müssen
wir uns wider denken, dass er an der tür steht, wir tun also
dem sagamann keine gewalt an, wenn wir annehmen, dass Iring
am eingang getötet wird und auf dem wege vor der tür zu-
sammenbricht, in der ganzen Schilderung ist kein zug, der uns
nötigte, eine besondere Überlieferung neben dem oberdeutschen
epos anzunehmen, dessen einwirkung in entscheidenden zügen un-
verkennbar ist.
Iringsvegr, -veggr ist daher nicht wie der schlangenturm,
der baumgarten und Hagens tor anzusehen, diese drei weisen
deutlich auf eine von der oberdeutschen dichtung abweichende
gestalt der sage hin. das zusammentreffen von Iringsvegr und
dem uralten namen der Milchstrafse ist nun so auffallend, dass
man sich dem gedanken nicht entziehen kann, dass in der nordi-
schen Überlieferung ein misverständnis vorligt, dass die Iringswand
an stelle des Iringswegs getreten ist, nur erscheint, wie oben be-
merkt, die Umwandlung in dem ältesten uns erreichbaren texte
schon vollzogen, wie das zugegangen ist, darüber lassen sich
nur lose Vermutungen aufstellen, zunächst ist zu bemerken, dass
IRINGES WEG 93
man sich nicht recht denken kann, wie der durchbohrte Iring
•sich gegen die mauer sinken lässt' [Icetr sigaz viä steinveginn)
und dabei die aus seinem rücken ragende spitze des Speers sich
in die mauer eingräbt {ok spjötit Bggna nemr staäar i stein-
veginum). lata slgaz nimmt im nordisclien schlechtliin den sinn
von fallen, zur erde sinken an, Inia kann lediglich zur Um-
schreibung dienen, ganz verblassen (Fritzner Ordbog III 233').
wenn der getroffene nun also unter der wucht des stofses hinten-
über stürzt, kann man sich wol vorstellen, dass die Speerspitze
sich in den boden einbohrt. wir würden damit zu der an-
nähme kommen, dass ursprünglich an der stelle von einem vegr
(wegi, nicht einem veggr (wand) die rede war. allerdings kann
man nach dem oben gesagten nicht einfach stelnregr lesen und
es als gepflasterte strafse auffassen, es ist in der Schilderung des
Soester kampfes oft genug von strafsen die rede; nie wird stehi-
ve.gr gebraucht, das übrigens weder bei Fritzner noch bei Vig-
fusson belegt ist ', sondern immer straf i (312. 7; 17; 313, 8 usw.i.
aber es wäre wol möglich, dass in einer älteren fassung viä
veglnn oder besser viä veginmn gestanden hätte, wenn der er-
zähler auf die erwähnung eines 'Iring weges"- in Soest hinaus
wollte, wird es begreiflich, dass er an dieser stelle statt des sonst
gebrauchten ftrceti das ungewöhnliche vegr wählte, ebenso be-
greifhch ist es, dass ein anderer veggr. und zur Verdeutlichung
steinveggr einsetzte.
Dass die localisierung des Burgundenuntergangs in Soest auf
deu aussagen von leuten beruht die in Soest aufgewachsen waren,
hebt der sagamann geflissenthch hervor (cap. 394; 327, 16). wir
haben keinen grund, an der Wahrheit dieser angäbe zn zweifeln.
es gab also einen Iringsweg in Soest, wenn aber der thüringische
held und sein kämpf gegen Hagen erst durch die oberdeutsche
' dagegen ist 'steinweg' auf niedercleutscheni gebiet schon durch
den Heliand bezeugt 5462 :
an them stenuuege thar thiu strcäa uuas
felison gifüogid.
vgl. Schiller-Lübbeu Mittelniederd. wb. IV 389»^; Lexer Mittelhd. hand-
wb. II 1170.
- auf einen niederd. Iringsweg, nicht -sträte weist die angels.
glosse hin.
<i4 MEISSNER
Gestaltung der sage vom Burgundenuntergaug in Soest bekannt
wurde, so muss der Iiingsweg erst nacbträglich auf den Thüringer
bezogen sein, hier kann ich mich nun auf die bemerkungen
Droeges (Zeitschr. f, d. alt. 51,217) beziehen, die ja bei ihm, der
im kämpf zwischen Hagen und Iring einen mythus sieht, in ganz
anderem zusammenhange stehn, aber vortrefflich zu der auf-
fassung stimmen, von der meine Untersuchung ausgegangen ist.
Droege weist darauf hin, dass von westen her der alte Hell weg
auf die Stadt zuläuft, sich in der richtung von westen nach osten
durch die Stadt zieht und im volksmund auch heute noch Hell-
weg heilst, wenn auch die amtliche benennung eine andere ist.
Dass auch Hellweg die Milchstrafse bezeichnet, haben wir gesehen,
ebenso dass dieser name zunächst ein irdischer ist. zur Irings-
strafse fehlte bisher die irdische localisierung, es scheint mir so
sicher als das bei der Ungunst der Überlieferung möglich ist,
dass wir in dem Soester Iringsweg eben nichts anderes zu sehen
haben als den Hell weg, der vom westen her in die Stadt hinein-
führte, dafür dass auch das im innern der stadt liegende stück
an dem namen der grolsen heerstrafse teilnahm, bieten sich überall
Zeugnisse; Watlingstreet ist als name einer strafse in der city
von London erhalten.
Iringsweg, Iringsstrafse ist also in sächsischen landen gleich-
lautend mit hellweg, heerstrafse gewesen, der name wird an ver-
schiedenen strafsenzügen gehaftet haben, wie es ja auch verschie-
dene chaussees de Brunehaut gibt, wer der Iring gewesen ist,
dessen name so bewahrt wurde, können wir freilich nicht fest-
stellen, vermutlich war er schon früh vergessen, ebenso wie der
Eirik der Eirlksgata. dann erscheint es auch nicht weiter wunder-
bar, dass bei Widukind und in der Soester tradition derselbe name
dasselbe misverständnis, dieselbe umdeutung veranlasst.
Eirlksgata und Valdemars vej sind ebenso gebildet wie
Iringsweg, Iringsstrafse. Valdemars vej ^ bezeichnet sowol die
Milchstrafse wie bestimmte wege, auf denen Valdemar als wilder
Jäger einherzieht (JGrimm DMyth. ^ II 787). auch in Deutschland
erscheint das wütende beer bisweilen an bestimmte strafseu ge-
bunden, darin ist ein uralter zug erhalten, in die immer düsterer
* vgl. Vejle amts aarb0ger 1912, 15S; 1913, 120, mir jetzt nicht
zugänglich.
IPJNGES WEG 95
und unheimlicher werdenden Vorstellungen des wütenden heeres,
der wilden jagd sind mildere und ruhigere aufgegangen, von Um-
zügen, die zwar heilige scheu erweckten, von denen man aber vor
allem segen erwartete, besonders ist es die zeit der zwölf nachte,
in der die geisterzüge durch das land fahren, auf den grolsen,
die menschenwohnungen verbindenden strafsenzügeu, den hellwegen
und heerstrafsen. in christlicher zeit werden diese Vorstellungen
dämonisiert und vermischen sich vielfach mit gebilden anderer
herkunft. dem wesen der wilden jagd, des wütenden heeres, ent-
spricht es nicht, sich an die grofsen strafsen zu halten, anders ist
es bei den geisterzügen, denen man eine einwirkung auf die wol-
fahrt der menschen zuschrieb.
Auch der umritt des neugewählten germanischen königs
(JGrimm Rechtsaltert. ^ I 329) ist in diesem zusammeuhange zu
erwähnen, als blofses symbol der besitznahme darf er wol kaum
gedeutet werden, manche im späteren brauch noch erkennbare
Züge weisen darauf hin, dass die Germanen der person des königs
ursprünglich eine magische kraft zuschrieben, ein besonderes mana,
wie man jetzt zu sagen pflegt (Fr. Kern Gottesgnadentum und
widerstandsrecht, Leipzig 1914, s. 20). der könig besitzt heil-
Tcraft, die nachwirkung dieses glaubens ist in Frankreich und
England sehr deutlich; sie erhält sich, weil der glaube durch die
Salbung des königs mit heiligem öle neu begründet wird, könig
Waldemar I von Dänemark spendet durch berührung den kin-
dern gedeihen, ebenso aber auch der saat: Germanicae matres
parvulos suos in ejus adventum offerendos curahant, ratae,
eos regio contadu, perinde ac coeledi aliquo heneficio, felidora
naturae incrementa sumpturos nee minus superstitiosi
agrestes, qui jadendorum seminum, grana, quo melius ado-
lescerent, dexterae eins disjidenda praebehanf. Saxo 779. im
besitze dieser segenspendenden kraft ist der könig verantwortlich
für das gedeihen der feldfrüchte und wird vom volke zur rechen-
schaft gezogen oder abgesetzt, wenn er die erwartungen nicht
erfüllt; Heimskr. Yngl. s. cap. 15 für die schwedischen, Ammian.
Marc. 28, 5, 14 für die burgundischen könige. die magische kraft
haftet auch noch an der leiche des königs, daher machen nach
dem tode Halfdans des Schwarzen alle landschaften anspruch auf
die königsleiche, ok pötti pat vera drvcent, peir er mfdi
(Heimskr. Saga Halfd. Sv. cap. 9). ob die nachricht bei Saxo
96 MEISSNER
(p. 25G), dass die balsamierte leiche des königs Frode drei jähre
lang regnli rehiculo gefahren wird, in diesem zusammenhange
verwertet werden darf, ist zweifelhaft. Saxo erzählt, dass man
den tod des königs habe verheimlichen wollen, ebenso machen
es die Schweden beim tode des Frey (Heimskr. Yngl. s. cap. 10).
die rituelle bedeutung des köuigtums ist in charakteristischen
Zügen bei den Merowingern bezeugt, der glaube, dass die ma-
gische kraft durch den voll wuchs des haares und hartes bedingt
ist, findet sicii auch sonst vielfach, wie ein götterbild wird der
Merowinger auf einem mit rindern bespannten wagen gefahren:
quocumque enndum erat, carpento ihat, fjiiod buhus junctis et hu-
hulco rustico more agente iraliebatur\ Einhard, vita Caroli
Magni cap. 1. was bei den Germanen sich eben noch in spuren
erkennen lässt, ist bei manchen primitiven Völkern in voller ent-
wicklung vorhanden, besonders zu beachten ist, dass die magische
bedeutung des königtums stark ausgeprägt sein kann bei geringer
politischer macht. AOlrik hat in einem lehrreiclien aufsatz die
nord. formel sitja d liaugi aus diesen uralten Vorstellungen ab-
geleitet (Danske Studier 1909, s. 1 ff), dass beim umritt des
königs die rechtliche bedeutung allmählich die alleinherschende
wird, ist ganz natürlicli: so sehr deutlich in Schweden, wo alles
gewicht auf die entgegennähme des treueides in den einzelnen
landesteilen und die beschwörung der landesrechte durch den
könig gelegt wird, aber der rituelle sinn dieses umritts kann des-
halb nicht in abrede gestellt werden, für die Eiriks gata beweist das
meiner ansieht nach schon die eine bestimmung, dass der ritt re'tt-
scelis vorgenommen werden muste (JGrimm Rechtsaltert. ■* I 331):
sali lian eriks gatu sina riäa rietsöles um land sin Södermannalag.
Add. 1, § 7 (Schlyter, 4, 188; vgl. 10, 17; 12, 23). gata kann
ursprünglich nichts anderes als die concrete stralse bezeichnen,
von dieser bedeutung muss die erklärung ausgehn, wenn auch
später das gewicht mehr auf die handlung des umritts gelegt wird
und -gata diesem sinne folgt, wie das slna in der oben ange-
führten stelle zeigt, der umritt erfolgte auf einem vorgeschriebenen
strafsenzuge, das war ursprünglich die Eiriksgata. die natürliche
auffassung wird immer im ersten bestandteil einen personennaraen
sehen 1. der umstand, dass wir von diesem Eirik nichts wissen,
1 EWadßtein erklärt en/.sfjata als iJ)icre/:sQata = 'edgängsresa',
IRINGES WEG 97
berechtigt uns durchaus nicht, eine entstellung anzunehmen, der
name stammt aus einer zeit, für die unsere historischen Zeugnisse
versagen, jedenfalls ist die Eiriksgata ursprünglich in einem be-
schränkteren gebiet verlaufen und hat sich nicht von vornherein
auf den umritt bezogen, wie er in den schwedischen gesetzen ge-
schildert wird.
Der umzug des neugewählten königs ist in seiner rituellen
bedeutung dem umzug einer gottheit oder ihies Zeichens zu ver-
gleichen, nach der Schilderung der grofsen saga von Olaf
Tryggvason (cap. 173) wird das bild des Frey während des
winters durch das schwedische land gefahren, begleitet von seiner
priesterin, überall festlich empfangen, durch den umzug wird das
fruchttragende land gesegnet, die priesterin erlaubt dem Nor-
weger Gunnar sie dabei zu begleiten: pi^kir mer ruä, at pü
ser her i vetr ok farir ä veizlur med okkr Frey, pd er
kann skal gera mgnnum drböt. das bild des gottes, das
auf dem wagen gefahren wird, ist lebendig, weil ein teufel drin-
steckt, wie der sagaschreiber meint, der gott ist Gunnar feind-
lich gesinnt; sie geraten in streit, der Norweger ringt mit ihm,
es gelingt ihm den gott zu boden zu werfen, weil er gelobt, nach
seiner rückkehr nach Norwegen zum Christentum überzutreten;
der teufel entflieht, es bleibt nur ein leerer tri'stokkr zurück, der
Norweger übernimmt nun für den weiteren umzug die rolle des
gottes, und die Schweden sind wol mit ihm zufrieden, besonders
als sich zeigt, dass die priesterin schwanger ist; darin sehen sie
ein zeichen seiner macht und eine gute Vorbedeutung für das
jähr: pikkjast menn finna, at kona Freys er med barni, pat
verär mgnnum alldgcett, ok pötti Svitim nü allvcent um
penna guä sinn, var ok veärdtta hliä ok allir lutir svd
drvcenir, at engl maär mundi slikt. wenn die Schilderung
auch christhch entstellt ist, enthält sie doch züge höchsten alter-
tums, wozu vor allem die verdunkelte erinnerung an den isoög
yduoQ zu rechnen ist. wir sehen, der gott fährt auch eine art
von Eiriksgata durch das land, von veizla zu veizla, wobei man
sich an die worte des Tacitus bei der Schilderung der Nerthus
Historisk tidskrift 19 (1899), 124; Hj. Lindroth als ejinkisnata = 'ed-
bekräftelsesfärd' aao. 32 (1912), 129. nicht zugänglich ist mir jetzt
Histor. tidskrift 34, 38.
Z. F. D. A. LVI. N. F. XLIV. ■*
98 MEISSNER, IRINGES WEG
erinnert: laetl tunc dies, feda loca quaecumque adventu hospitio-
que dignatur.
Die das land durcliziehenden liauptstralsen dienen in alter
zeit niclit blofs den menschen, sondern auch den göttern zum
verkehr, sie erhalten dadurch eine gewisse weihe, die vielleicht
in rechtsbestininiungen nachwirkt: halten des gerichts auf der
strafse (JGrimni Rechtsaltert. ^ H 427j, friede der via regia
(Sachsenspiegel II 66, 1).
Von der tatsache ausgehend dass viele volkstümliche namen
der Milchstrafse zunächst namen irdischer stralsen sind und erst
von diesen aus auf den himmel übertragen wurden, dürfen wir
vermuten, dass auch die Iringsstrafse zunächst auf der erde zu
suchen ist. nach dem zeugnis der Thidrekssaga ist es möglich,
dass dieser zweifellos aus sehr alter zeit stammende name in Soest
localisiert war, wie das für Hei weg an vielen orten und auch in
Soest bezeugt ist. wenn diese Vermutungen richtig sind, dann
muss der name mit uralten Vorstellungen, sinnvollen heiligen ge-
brauchen in beziehung gesetzt werden, mit den segenspendenden
Umzügen, auf die ich hingewiesen habe, ich glaube nicht, dass
man hier weiter kommen kann als dass mau eine unbekannte,
die Iringsstrafse, durch die andere, die Eiriksgata, erklärt.
Bonn a. Rh. R. Meissner.
ULFILA MATTH. 9, 16.
Ovöeig de STCißccXlsL €/cLß?.i]fia Qccxovg dyväcpov i/cl
Ifiarlq) TraXaicp. appmi ni livashun lagjip du jjlata fanan
parihis ana snagan fairnjana.
Die stelle ist so sicher verderbt. Streitbergs Vorschlag im
wb. s. V. 'plat', du plata mit 'zum flicken = als flicken' zu
übersetzen, findet keine stütze im gotischen Sprachgebrauch.
Kauffmann Zs. f. d. phil. 30, 167 meint, der Übersetzer habe
vielleicht e7rißh]fxu falsch aufgefasst, indem er £7cl ßh'nxu
gelesen habe, auch diese möglichkeit erscheint mir ausgeschlossen:
ülfila hat doch griechisch gekonnt! wenn er aber evtl ßkrjua
gelesen hätte, so ergäbe der griech. text keinen sinn mehr, zu-
dem heilst ßXfiixa nicht ^flicken'.
KRAUSE, ULFILA MATTH. 9, 16 99
Die schuld liegt m. e. nicht am Übersetzer, sondern am ab-
schreiber. was erwarten wir denn als got. text, zunäelist für das
object? doch wol plat fanins ßarihis. so steht an den parallel-
stellen Mc. 2, 21 plat fanins ninjis und L. 5, 36 pk^ snagins
niujis, als object dort zu lagjid hier zu siujip. wie wird weiter
das prädicat heifsen? im griech. steht Enißdllet. das hat der
Übersetzer recht genau widergeben wollen, nicht durch lagjip
allein, sondern durch lagjip du = 'legt hinzu', zu diesem ge-
brauch des du vgl. L. 8, 44: Ttgoosld-oüGu öniod-ev f.iparo . . .
atgaggandei du aftaro attaitok . . . und Mc. 10, 13: oi öe
fxa&T]rc(i srrsrißcov roTc TtQoacfSQOvoiv ip pai siponjos is
sokun paim bairandam du.
Ursprünglich hiefs unsere stelle also: ni hvashun lagjip du
plat fanins parilüs ana snagan fairnjana. der abschreiber
hielt aber du für eine präposition, wie es ja meistens der fall ist,
und schrieb also du plata. nun empfand er das fehlen eines ob-
jectes und schrieb dementsprechend fanan, von dem parihis
allenfalls als neutraler, substantivischer genitiv: 'ein stück von
ungewalktem' abhängen konnte, die doppelte änderung die so
auf das conto des Schreibers käme, erscheint vielleicht zunächst
bedenklich, aber man versetze sich in die läge: man schreibt
doch nicht ab, indem man buchstaben für buchstaben nachmalt,
sondern indem man wortbilder auffasst, abgesehen natürlich von
dem fall wo es sich um würkliche nachmalung fremdartiger schrift-
züge handelt, so sind unserem schreiber jene beiden Verände-
rungen nicht zum bewustsein gekommen, dass er anderseits nicht
die construction des ganzen satzes beim abschreiben übersah, ist
auch durchaus verständlich, ihm genügte es dass die einzelnen
glieder grammatisch richtig waren.
Man könnte noch einwenden, dass in der Lucasparallele (5, 36)
dem ertLßäX'ksi ein einfaches lagjip entspricht, kein lagjip du.
nun folgt aber an jener stelle wie im griechischen so im got. text
dem ejcißällEi lagjip unmittelbar eine präposition eni ' ana.
da wäre ein eingeschobenes du störend gewesen, in der Marcus-
parallele (2, 21) steht ein anderes v^erb: eitiocnix^f siujip; aber
auch hier folgt unmittelbar die präposition sttI ' ana.
Göttingen. Woifgaugr Krause.
RHEINISCHES OSTERSPIEL
IN EINER HS DES 17 JAHRHUNDERTS.
Unter den archivalieii des Wiesbadener Staatsarchivs, die
den ort Sulzhach hei Bad Soden betreffen, befindet sich ein
papierheft in (/uartformat ^, das von dem pfarrer der katho-
lischen pfarrei Weifskirchen bei Selirjenstadt'^, Christian Ephip-
piarius, herstammt, es sollte, wie es scheint, anfänglich als
kirchenbuch von Weifskirchen dienen, wie verschiedene einträfje
darin betveisen, so wenn es auf einem blatte heifst: Ein buch,
darinnen alle Namen der Kinder verzeichnet seindt, welche vom
Christiano Ephippiario zur zeit unschuldigen pfarrherren zu
Weifskirchen . . . getauft seindt. der besitzer änderte indessen
seine beslimmuny, als er I62ö unter merkivürdigen umständen
für einige zeit pfarrer von Sulzbach icurde 3.
Der ort, ein reichsdorf, hatte sich im 13 Jahrhundert
unter den schütz der reichsstadt Frankfurt a. M. begeben, und,
diese übte hier rechte aus, die sich im 17 jh. zur landeshoheit
gesteigert hatten, doch gab es darin auch ein abgesondertes
herschaftsgebiet, einen reichshof, der 1035 von kaiser Konrad II
der abtei Limburg in der Pfalz geschenkt worden war und sich
seitdem als vogtei Sulzbach grundherrlich und landeshoheitlich
selbständig entwickelt hatte, der abtei war auch die kirche in
Sulzhach incorporiert, und sie besafs infolgedessen das recht der
ernennung des pfarrers. als sie dann 1571 aufgehoben wurde,
giengen ihre besitzungen und rechte, damit auch die vogtei Sulz-
hach mit dem patronatsrechte, an den kurfürsten von der Pfalz
über, die reformation war schon zu zeiten der abtei unter dem
einfluss von Frankfurt eingeführt icorden; der Übergang der
vogtei an Kurpfalz hatte jetzt nur die folge, dass der kurfürst
von seinem p)farrpräseyitationsrecht zu gunsten reformierter geist-
lichen gebrauch machte und ihre ernennung gegenüber dem luthe-
rischen Frankfurt auch durchzusetzen imstande war. nun wurde
hekanntlich Friedrich V von der Pfalz, der böhmische ivinter-
könig, 1621 vom kaiser geächtet und seiner länder verlustig
^ XVI Reichsdürfer Soden und Suhbach, Gener. X'^ 2.
^ Weif s /drehen so. Frankfurt a. M. , jet:st zum Grofsher^ogttim
Hessen gehöricj, nicht das Weifslärchen nw. Frankfurt bei Hom-
burg D. d. H., da Ephippiarius bestimmt in ersterem später
pfarrer war.
^ die folgenden mitteilungen beruhen auf den acten des FranI,-
jurter rates betr. die kirche in Sulsbach, jetzt im st. ccrchiv Wiesbaden
XYI Reichsdörfer Soden und Suhbach, Gener. A'"' 4.
WAGNER, RHEINISCHES OSTERSPIEL DES 17 JH.S 101
erklärt, auch die vogtei Sulzhach ivurde eingezogen und der
kaiserlichen regierung der Unterpfalz in Kreuznach unterstellt,
die hier alle bisher vom kiirfursten ausgeübten rechte tvahr-
zunehmen hatte, man versteht dass diese behörde nicht ab-
geneigt loar, gegebenen falls auch ihr präsentatiomrecht auszuüben
und auf diesem nicht ungewöhnlichen ivege die gemeinde Sulzbach
zur katholischen kirche zurückzuführen, die gelegenheit hierzu
fand sich, als im jähre 1625 der damalige reformierte pfarrer
Johannes Metzger seines amts entlassen tvurde. zwar ernannte
der rat von Frankfurt als landesherr sogleich einen neuen, dies-
mal lutherischen pfarrer, Heinrich Wächter, allein die kaiser-
liche regierung in Kreuznach erkannte ihn nicht an, sondern
machte, gestützt auf ihr patronatsrecht, eben jenen pfarrer der
katholischen pfarrei Weifskirchen, Christian Ephippiarius, zum
p)farrer in Sulzbach, von wem der gedanke hierzu ausgegangen
ivar, ob von der regierung oder dem Mainzer vicariat als der
dabei interessierten geistlichen oberbehörde, oder ob Christian
Ephippiarius selbst sein äuge auf die nicht schlecht dotierte
Sulzbacher pfarre geworfen hatte, lässt sich mit Sicherheit nicht
angeben, dieser hat später den verdacht, darnach gestrebt zu
haben, iveit von sich gewiesen und die sache so dargestellt, als
ob er von der weltlichen obrigkeit dazu gezwungen worden sei.
dagegen spricht aber, dass er schon im jähre 1621, also lange
bevor er die pfarre wirklich erhielt, in Sulzbach erschien, das
Pfarrhaus besah und allerhand kundschaft einzog, gewis ein
etwas verräterisches Zeugnis für seine absichten. loie es sich in-
dessen auch verhalten haben mag, er erhielt 1626 die pfarrei
trotz aller proteste des Frankfurter rats und rechtfertigte das
in ihn gesetzte' vertrauen, indem er tatsächlich den katholischen
gottesdienst einführte, ohne dass die gemeinde oder der rat von
Frankfurt dagegen etwas auszurichten vermochte, daneben nahm
er als ein betriebsamer mann auch alle seine vorteile in den
dingen dieser weit tvahr. mehrere Jahre behielt er das pfarr-
amt ungestört; erst, als im jähre 1631 die Schweden in diesen
gegenden erschienen, tcurde die läge für ihn bedenklich, aber er
versuchte sich doch zu halten, und nicht ohne interesse auch für
seinen Charakter ist das benehmen das er dabei beobachtete.
Aus anlass eines Streites mit einigen seiner pfarrkinder
schrieb er an den schultheifsen von Sulzbach, den Vertreter der
interessen des rates von Frankfurt, und bat, ihm behilflich zu
sein, dass er die pfarrei behielt. 'Was ist es nuhmehr, dass ich
biß dato die pfarr versehen habe?' heifst es in dem briefe,
'habe ich doch nit auders gesungen, gelehrt, gepredigt, als einem
recht evangelischen pfarrherren zustehet und wird uienian mein
lehr tadelen können', und weiter empfiehlt er sich mit den
Worten: 'ich begeren nit anders zu lehren und die heilige sacra-
menten zu administriren, dan wie einem recht evangelischen
1 02 WAGNER
pfarrherren geburt und zustehet', ein recld zuverlässiger Cha-
rakter scheint Christianns EphippiariKS darnach nicht eben ge-
wesen zu sein, seine beniühungen halfen ihm denn auch nicht
viel; er muste Sulzhach verlassen, kehrte in seinen früheren
würkungskreis zurück und lebte noch im Jahre 1654 als pfarrer
von Heusenstamm und Weifskirchen im Rodgau.
Bei seiner Übersiedelung nach Sulzbach hatte er auch das
in Weifskirchen 1624 angelegte kirchenhuch mitgenommen; aber
er verwandte es nicht mehr zu kirchlichen zwecken, wie er es
auch schon in Weifskirchen nicht ausschlief slich hierzu benutzt
hatte, er gebrauchte es fortan als Wirtschaftsbuch, indem er
darin allerhand für ihn wertvolle notizen über seine einnahmen
und ausgaben mntrug, über gefalle, zehnten, zinse, pachteinnahmen
die ihm als Sulzbacher pfarrherrn zustanden, auch sonstige mit
geld und geldeswert zusammenhängende angaben, ivie über die
dingung einer dienstmagd, über das kostgeld des Schulmeisters
und bezeichnenderiveise auch über abmachungen mit seinem eidam
Johannes in Soden, auf den fall dass dieser stürbe, was als-
dann 'mein medtgen nach seinem, Johannes, tode' erhalten sollte.
die angaben erstrecken sich über die jähre 1626 bis 1631, enden
also genau mit dem zeitpunct in dem er Sulzbach den rücken
kehrte, er mag das buch bei seinem abzug im pfarrhause haben
liegen lassen, von wo es an den rat von Frankfurt abgegeben
ivorden sein dürfte, von dort scheint es mit anderen Sulzbarh
betreffenden archivalien in das nassauische landesarchiv in Id-
stein gelangt zu sein, als dieser ort 1803 deyn fürsten von
Nassau- Usingen zugesprochen wurde.
Auf den letzten blättern des buches hat Christian Ephip-
piarius, von dem sich auch sonst einige Schriftstücke erhalten
haben, eigenhändig das hier folgende schlecht gereimte osterspiel
niedergeschrieben, wie er dazu kam es in sein Wirtschaftsbuch
einzutragen, und zu welchem ziveck er es abschrieb, lässt sich
nicht feststellen, ebensowenig, ivoher der text stammt den er ab-
schrieb, denn dass er ihn selbst verfasst hat, ist nicht anzu-
nehmen, dem widerstreitet schon die spräche, die spuren älterer
Wortbildung verrät, engere verwantschaft mit den osterspielen,
des 15 Jahrhunderts, so weit sie mir bekannt geworden sind, ist
indessen nicht vorhanden, da diese seit dem 12 Jahrhundert be-
kannte, im 15 Jahrhundert zu hoher blute gelangte litteratur-
gattung im \ 6 Jahrhundert mehr und mehr schwand, dürfte unser
um ungefähr 1625 niedergeschriebenes stück immerhin einige
beachtung verdienen, es enthält die scene mit Pilatus und den
kriegsknechten als tvächtern am grabe Christi, ferner mit dem
spezereien verkaufenden arzt, den klagenden Marien und dem
enget am leeren grabe, nicht ohne interesse scheint mir der
umstand dass die 3 kriegsknechte namen führen, darunter einer
den namen Mansfeld. vergegenwärtige man sich, dass um 1625
RHEINISCHES OSTERSPIEL DES 17 JH.S 103
uol der bekannteste und in mancher hinsieht gefürchtetste fuhrer
auf protestantischer seite graf Ernst von Mansfeld war, so ligt
die Vermutung nahe, dass man dem römischen kriegsknecht
am grabe Christi seinen natnen nicht ohne beziehung auf ihn
beilegte.
Bei dem folgenden abdruck ist der text der handschrift
insoweit geändert, als willkürlichkeiten in der Schreibung mancher
uöcale beseitigt, die zahlreichen doppelconsonanten vereinfacht und
die völlig willkürlich gesetzten grofsen buchstaben im anlaiit
durchgängig klein geschrieben sind.
Wiesbaden. P, Wagner.
Hie kompt Pilatus auf den plan und tut an
3 unterscheidlichen orteren seine reverenz zum
volk, darnach setzet er sich auf seinen stul,
und stehen die 3 Soldaten, die das grab sollen
bewahren, bei ihm; spricht sie also an:
Pilatus.
Unsere hoche priester haben sich bedacht,
wie daz der bedrieger in seinem leben hat gesacht:
es wurde sich begeben,
daz er nach dreien tagen wurde vom tod erstehen zum leben.
Dahin dann gute ordenung 5
von mir gerichtet werden soll zur stund.
So sagt mir nu ihr kriegersknaben:
was soll dann ein jeder vor bezalung(^) haben?
Hans Jungblut.
Das müssen sein, sag ich vorwahr,
zwölf cronen, und die mit gewicht gantz schwär. 10
Darumb verlassen wir kind und weih
und wagen zugelich leben und leib.
Pilatus.
Ist die belohnnng nicht etwas zu grob?
Mansfelder.
Nein vorwahr, nicht einen trob.
Wir kriegsleut müssen wagen leib und leben, 15
darumb muss man uns solche besuldung geben,
Pilatus.
Wo mag mein knecht Samech sein?
Samech.
Was beleibt und gefeilt dem herren mein?
a) bezulung h^.
104 WAGNER
Pilatus.
Gehe hin, hol mir den beutel mit dem geli;
sehe dich wol vor, daz dir nichts daraus entfällt. 20
Saraech.
Damit ich solches recht ausricht,
so sagt mir, wo das geld innen ligt.
Pilatus.
Das geld, das wirstu finden
hinder dem herd wol in der spinden.
(Pausere.)
Verstehe mich recht, du trawer knecht: 25
wol in dem schrein, da wird es sein.
Samech.
Hab's recht und wol verstanden,
will's brengen zu eueren banden,
will auch laufen in aller eil
in einem lauf eine halbe meil, 30
damit ich beim herren habe gute gunst,
sonst ist alle mein tun umbsonst.
(Hie lauft Sa'mech hin, das geld zu holen,
kompt wider und spricht:)
Hie ist der beutel mit dem geld;
zehlet, ob etwas darannen feit,
damit ich nicht werde gehalden vor ein unfromen; 35
habe niemand geld aus taschen oder beutel genomen.
Pilatus.
Vor ein fromen tun ich dich schetzen,
so ich dran liegen kan dich nicht letzen.
Zehle du mir heraus zwölf cronen,
damit muss ich diese belohnen 40
und also zur wacht schicken,
schnei dich, ehe ich dich mit dem zepter auf den köpf knippen.
Pilatus.
Halt da, ihr kriegsleut unverzagt,
das ist das geld, darvon gesacht;
gehet hin, braucht fleisz mit allen sinnen, 45
so könnt ihr hernach mehr geld gewinnen.
(Hie kommen die Soldaten zum grab, und dej-
oberste fengt an und spricht zu den anderen
Soldaten :)
Hans Jungblut.
Nu hört zu, ihr kriegsleut wolgemut:
wie lechtlich bekommen wir das geld und gut!
Ich hätt mein lebtag nit gedacht,
daz ein man sollt so forchtsam haben gemacht 50
RHEINISCHES OSTERSPIEL DES 17 JH.S 105
unsere herren und hohe obrigk[e]it,
die uns dan herzu haben bereitt,
das wir das grab sollen heuten und bewahren
daran kein fleisz noch arbeit sparen.
Solches wollen wir tun wie recht, 55
den seid verdienen wie from landsknecht.
Mansfeld,
Hort, eins ist mir wunder in meinem g-eraut,
daz wir das fett, und die bawren behalten die brew,
da sie so schwäre arbeit müssen tun,
wir aber stets faulen und mussig gan. 60
Hans Wolgemut.
Nu lasst uns allhie nach der erden geben
und tun nach art aller kriegsleut leben,
damit wir die langh[e]it der zeit vertreiben.
Kein geld solle diese nacht in meiner taschen bleiben,
oder ich solle haben eueren sold und lohn. 65
Ich spil ein wurst umb ein wichtige cron.
Ist keiner, der mir die schanz darf halten —
tuts, oder ich will euch allen die köpf zerspalten.
Hans Jungblut.
Du sollt mich mit keinen trutzigen Worten ansprechen,
oder ich will dich mit meiner hebarten erstechen ; ' 70
das glaub mir frei und vorwahr:
ich acht dich geringer als ein lichtes har.
Darumb setzt euch fein zeuchtig nider,
oder ich schmeisz mitt grosser gewalt dar wider.
(Hie setzen sich die Soldaten nider auf die erd
und spilen, stehen dar[na]ch auf und laufen
darvon sprechend:)
Mansfeld. ')
Na lauf wer laufen kann; 75
ich will nicht warten auf diesen man,
die beut will ich ligen lassen
alhier mitten auf der Strassen.
Hans Wolgemut.
Ach ja, ich hab mich verschlafen,
muss auch meinen gesellen nachlaufen. 80
(Hie brenget des artzes knecht ein tisch auf
den plan, decket denselben und zigt an die
Zukunft seines misters und spricht:)
a) Haas Jungblut aasgestrichen, dafür nachträglich Mansfeld ein-
yesetst.
106 WAGNER
Hieher, ihr herren, alzumal
und höret, was ich euch anzigen soll:
es wird kommen auf diesen plan
ein mister von allen kunsten wolgetan.
Sehet, jetzunder tritt er herfur, 85
der kunstriche mister, alzu tur.
Wichet aliesampt behend,
damit er komme zu diesem end
und an tag geb seine sach,
der er kein scheu tragt ohne clag. 90
Mister.
Ihr herren, seid gegrusset allesamen,
wie ihr dann hieher zusamen seid komen.
'Der wilde baur' bin ich genant,
in fremden landen vil bekant.
Von Ambsterdam bin ich geboren ; 95
die artzenei hab ich auserkoren,
derselben fleissig nachgedacht,
allezit, beide tag und nacht,
bis solang ich kunstlich erfahren han,
wie ich soll helfen jederraan. 100
Welchen angehet des hungers not
dem kann ich helfen mit fleisch und brot,
damit ihm vergehet das grimmen im b[a]uch.
Hort, was da vorhanden ist vor ein gauch.
Hi[e]her, du grober flegel, zu mir! 105
umb geld kann und will ich helfen dir.
Baur.
Ach jo, jo, jo, mir armen man;
hab mein lebtag keinem menschen leid getan,
bin gelichwol armselig zugericht,
wie jederman an mir wol sieht. 110
Hett ich getan, was mich mein Greta lehrt,
so were ich jetzund nicht so hoch beschwert.
Aber ich sehen dort ein mister stan,
zu dem muss ich in aller eilen gan.
Mister, ich pitten euch durch gotts, 115
ihr wollet mir helfen ohne allen spotts;
ich bin vorwahr ein armer man,.
k[e]in geld oder gut auf erden nit han,
wills aber mit meinem andechtigem gebet
umb euch verschulden umb den lieben gott 120
»Artz.
Ija, du grosser grober baur,
wie sichstu jetzund so mechtig säur!
RHEINISCHES OSTERSPIEL DES 17 JH.S 107
Solle ich dich umbsonst g-esund machen,
des wirstu, gr[o]ber baur, wahrlich nit lachen.
Halt still, ich will dir das messer auszucken, 125
es sei ganz oder mit stucken.
(Hie kommen die 3 Marien zum artz und
kaufen ihm die spitzerei ab.)
Maria Magdalena.
Ach, Schwester Maria Salome,
wie ist mir an meinem hertzen so weh!
Ich kann nit schlafen, hab kein ruh,
wir gehen dan zum graben zu 130
und salben den lichnam unsers herren,
welcher war unser höchster trost und ehren.
Maria Salome.
Ja, Schwester Maria Magdalen,
wa bekommen wur die spitzerei,
damit wir nach den sitten der Juden 135
den leib des herren ehrlich salben?
Maria Jacobi.
Ich sehen dort auf dem mark[t] so schon
ein mister mit allerhand spitzereien stan.
Wir wollen ihn zuchtig besprechen zur stund,
ob er uns darzu helfen kont. 140
Artz.
Ihr weiber, gebt mir herauf bescheid:
ich spuren an euch gross hertzenleid.
Was habt ihr vor ein mangel? zeigt an,
will besehen, ob ich euch helfen kann.
Spitzerei könnt ihr nit kaufen basz, 145
als ihr hier sehet in diesem glasz;
die geb ich umb ein billig geld,
w^enne sie euch nur all [e] in gefeilt.
Maria Magdalena.
Die spitzerei tut uns gar wol gefallen;
wollen sie euch auch hertzlich gern bezalen. 150
All[e]in helfet uns bald davon
dann wir uns nicht lang zu sumeu han.
Artzt.
Habt da die allerbester buchs mit salben,
gebraucht dieselbe nach eurem gefallen.
Maria Salome.
Mister, wir danken euch von hertzen, ^55
dann euer geschwindigkeit lindert unseren schmertzen.
108 WAGNER, RHEINISCHES OSTERSPIEL DES 17 JH.S
Maria Magdalena.
Unser rawen ist nianig-falt,
das vernembt, arm, rieh, jung und alt:
wir haben verloren unseren herren Jesum Christ,
den die Juden mit falscher list 160
an dem creutz haben getot.
Maria Salome.
Wer welzelt") uns von des grabes tur
den grossen stein, der lät darvor;
er ist schwer und darzu grosz,
goder*"; hülfen wer uns not 165
Maria Jacobi.
Ach, ein grosses schrecken kompt mich an!
Waz sehen ich dort am grabe stan?
Waz ist das vor ein gestalt,
die man da sieht in weisser gewand?
Engel.
Quem quaeritis in sepulchro, o christicoli? 170
Idem.
Nu hört, Maria, waz ich euch frage:
wen sucht ihr alhier in diesem grabe?
lesum Nazarenum crueifixura, o coelieoli.
Idem.
Wir suchen unseren herrn lesum Christ,
der an dem creutz gestorben ist. 175
Engel.
Non est hie; surrexit, sicut praedixerat; ite, annunciate,
quia surrexit de sepulchro.
Idem.
Er ist nit hie, er ist auferstanden
und ist in Galileam ingegangen.
Das saget Petro unde mehren: 180
er ist verreissen von diesen stetten.
Die Engel zuglich.
Venite et videte locum, ubi positus erat dominus,
AUelujae, allelujae.
Idem.
Ivorapt und sehet das grab,
da euer herr und h[e]iland innen lach. 185
sehet in diese tucher haben sie ihn gebunden
mit seinen heiligen fünf wunden.
a) wentzeldt hs.
b) verbessert aus groszer.
DIE PRAEFATIO ZUM HELIAND UND DIE
VERSUS DE POETA.
I.
Die Praefatio zeif;t allerlei anklänge an andere vorreden und
Widmungen ; vielleicht hat der Verfasser geradezu durch die lesung
solcher litteratur seine latinität zu stärken versucht, freilich ist
nicht immer sicher, ob wirklich gerade diese oder jene schrift be-
nutzt ist; die stellen bei denen mü- zufall ausgeschlossen scheint,
habe ich mit einem stern bezeichnet.
In betracht kommen :
Cassiodorius, 1. In Psalterium praefatio. 2. De institutione
divmarum literarum, praefatio. Migne, Cursus Patrologiae, Latini 7(i.
Hieron ymus, Quaestiones hebraicae in libro Geneseos e
recognitione Pauli de Lagarde.
Hrabanus Maurus. Migne 107. 109.
Sedulius 1. Epistola ad Macedonium. 2. Epistola ad Mace-
donium altera, rec. I.Huemer, Corpus script. eccl. Lat. vol. X,
Vindobonae 1885.
Die Praefatio citiere ich nach den seilen- und Zeilenzahlen
der Heliandausgabe von Sievers.
3, 3. 4. quod ad sacrosanciam religionem aeternamqiie
animarum salubritatem attinet. Cass. 2} 1110 f. quod ad salidem
animarum constat esse concessim.
3, 6. popuhim sibi a Deo subiectum. Hrabanus, Ep. ded.
ad Judith Augustam 109, 539 nos quantulacunqiie pars plebis a
Deo vobis commissae.
3, 9. 10. talibus delectanientis pascitnr. * Sedulius 1) 10,
7. S dum nominis sui dignitate pascitur.
4, 1 eiusdem diuinae ledionis. 4, 5. 6 sacra diuinorum
praeceptorum lectio. Sedulius 1) 9, 2 sacrae lectionis.
4, 2 — 4. Praecepit namque cuidarn uiro de gente Saxonum
. . . ut uetus ac nouum Testamentum in Germanicam linguam
poeüce transferre studeret. * Sedulius 2) 171, 2—5 Praecepisti . .
pasclialis carminis textum . . in rhetoricum me transferre ser-
monem.
4^ 4 — 6. quatenus . . . eüam illiteratis sacra diuinorum
praeceptorum lectio p and er etur. *Cass. 2) 1106f ad hoc divina
charitate probor esse compulsus, ut introductorios vobis libros
istos . . conficerem, per quos . . et Scripturarum divmarum series
et saecularium literarum compendiosa notitia Domini munere
panderetur. lUOB ut textus praedictae Genesis lucidius legenti-
1 1 0 JELLINEK
hus panderetur. 1113 ut texhis memorati Octateuchi quodam
nohis compendio panderetur.
4, 6. 7. Qui iussis Imperialibus lihenter ohteniperans.
"'' Sedulius 2) 171, 8 sanctis tarnen iussionibus non resultans.
4, 8 — lü, ad tarn difficile tanc/ue arduum se statim con-
fulit opus: potius tarnen confidens de adlutorio ohtemperantiae,
t/uam de suae ingenio parvitatis. *Hrabanus, In Matth. Praei'atio
107, 728 D eorum precibus coacta est parvitas nostra praesens
opus adgredi, non tarn propriis viribus aut ingenio confidens
quam divino adiutorio et fraternae caritati i. Comm. in libros
Regum 109, 10 B non enim de mea sed de divina confideham
potentia.
4, 15. iuxta idioma ilUus linguae. Hieronymus 4, 19;
37, 25f; 5Q, dO iuxta idioma- linguae hehrnicae (hehraeaej. idioma
öfters, zb. idioma linguae illius est 27, 4. 5; idioma linguae
hehraicae 33, 16, vgl. auch 31, 28; 62, 3.
4, 21. 22. ut Sacrae legis praecepta ad cantilenam propriae
linguae congrua modulatione coaptaret. *Sedulius 1) 5, 2 — 4.
raro . . diuinae munera potestatis stilo quisquam huius modu-
lationis aptauit. 11, l. 2 ad haec ego congrua . . ita responsione
perfungar.
4, 23 — 25. qui huius carminis notitiam, studiumque eius
compositoris atque desiderii anhelationem habuerit. * Sedulius 1)
3, 7. 8 aegros anhelitus illa mihi saepe ratio commouebat. 11,7. 8
quosdam . . . desiderio sanctae conuersationis implesti. Dem
Verfasser der Praefatio schwirrten die Wörter anhelitus und desi-
derio durch den köpf; sein desiderii anhelationem ist ein höchst
missglückter ausdruck.
4, 25. 26. Tanta namque copia uerborum, tantaque excel-
lentia sensuum resplendet. * Cass. 1 ) 0 A in qua tanta erat
copia congesta dictorum. 10 A tanta enim illic est pulchritudo
sensuum.
4, 27 — 30. Sic nimirum omnis diuina agit scriptura. ut
quanto quis eani ardentius appetat, tanto niagis cor inquirentis
quadam dulcedinis suauitate demulceat. *Cass. 2) 1109A Tale
est enim huius rei suauissimum donum, ut quanto plus accipitiir,
tanto amplius expetatur. Sed quamvis omnis Scriptura divina
su2)erna luce resplendeat ....
4, 30 — 32. Vt uero studiosi lectoris intentio facilius quae-
que ut gesta sunt possit inuenire, singulis sententiis, iuxta quod
ratio huius operis postularat, capitula annotata sunt. *Cass. 2)
1 1 1 2 C Sed ut textus memorati Octateuchi quodam, nobis com-
pendio panderetur , in principiis librorum de universa serie
* man beachte dass die Umschreibung parcitas eigentlich nur passt,
wenn jemand von sich selbst spricht wie hier Hrabanus. in der Praefatio
ist dagegen von dem geist der Wenigkeit eines andern die rede.
PRAEFATIO UND VERSUS Hl
lectionis titulos eis credidimus imprlmendos, a maioribus vostris
ordine currente descriptos: ut lector iiHUter admonitns, salu-
briter reddatur attentus, et facile unamqitamque rem dum
quaerit, inveniat, quam sibi cognoscit hreviter indicafam.
Interessant scheint mir an diesen parallelen, dass unser autor
seine stilmuster, wenn wir von der fraglichen benutzung des
Hieronymus absehen, eben in vorreden und Widmungen gesucht
hat. das ist für den charakter des Schriftstücks, dessen titel
Traefatio' ja an sich wenig urkundliche gewähr hat, nicht ohne
bedeutung.
II.
Die Praefatio ist rhythmische prosa. nach Wilhelm Meyer
Gesammelte abhandlungen zur mittellateinischen rhythmik II 23G
gilt da die regel, dass zwischen den accentsilben der beiden letzten
Wörter 2 oder 4, seltener 3 schwachbetonte silben stehu. die
theorie des 12 und 13 jhs. hat eine auswahl aus den mögUchen
reihen von betonten und nicht betonten silben getroffen und in
einem punct das eigentliche wesen des sogenannten cursus zerstört.
I. Zwei unbetonte silben vor der letzten tonsilbe. im 12 jii.
ist die erste senkungssilbe immer die letzte silbe eines wortes.
die zweite senkungssilbe kann zum letzten wort gehören oder
durch ein einsilbiges wort gebildet Averden. je nachdem der
letzten tonsilbe eine oder zwei silben folgen, ergeben sich zwei
formen.
1. r<j (^ I oo oo f^ Cursus planus
2. ro fvj I cxj oo ^^ oo Cursus tardus (ecclesiasticits)
Formen in denen die beiden Senkungssilben zum vorletzten
Worte gehören, erkennt die theorie des 12 jhs. nicht an. auch
früher sind sie nicht beliebt, kommen aber vor, also
3. OO ^^ OO OO C^i
4. CXJ ^-^ OO j OO ^-^ OO
II. Vier unbetonte silben vor der letzten tonsilbe. die ersten
beiden gehören dem vorletzten mehrsilbigen wort an. der Ctirsus
velox der späteren theorie: oo w r^^ | c^ c^ c^ r^-
Der sinn des cursus ist nur gewahrt, wenn entweder die
beiden letzten senkungssilben zum letzten wort gehören oder die
erste . oder beide durch einsilbler dargestellt werden, aber die
theorie des 12 jhs. liefs es auch zu, dass diese silben ein zwei-
silbiges wort bilden.
112 JELLINEK
III. Drei unbetonte silben vor der letzten betonten, von der
späteren theorie nicht anerkannt.
IV. Vielsilbige (mehr als viersilbige) Schlusswörter werden
von den meisten gemieden, auch später von der theorie nicht an-
erkannt, nach Wilhelm Meyer wächst im 8 und 9 jh. die zahl
solcher Schlüsse.
In der Praefatio haben wir 1 5 satzschlüsse ^. 9 entsprechen
den anf orderungen der blütezeit des cursus:
I. 1. Cursus planus. ;> fälle:
comprimendo compescat 3.8
uetdndo extlnguat 3.11
uincat decöre 4.26
2. Cursus tardus. 3 fälle:
notinnem acccperit 4.1
anhelatiönem hahiierit 4.25
suauitäte demülceat 4.80
II. Cursus velox. 3 fälle:
h'ctio panderetur 4.6
ingenio parvitdtis 4.10
pössumus appelldre 4.19
Dann drei fälle die nur der späteren theorie nicht gemäfs
sind (ich nenne sie zur abkürzung abnorme fällej.
I 3 dulcedinem prcestet 4.17
III. modulatiöne coaptdrei i.22
IV. commenddtur beneiiolentia 3.1.3 ^
Ferner ein irregulärer fall, wo zwar die zahl der Senkungen
gewahrt ist, aber ihre Verteilung von der regel abweicht.
(III) eloque'ntia j^ßfd'txit 4.14
Falsch sind zwei Schlüsse:
intellectu lucet 4.27
capitula annotata sunt 4.32
' die Zeilenzahl in den citaten bezieht sich auf das schlusswort
der clausel.
^ der Verfasser hat die schliefsung der clausel durch ein vielsilbiges
wort gewis nicht als minder gut enapfunden, sonst hätte er eine einfachere
Wortstellung angewandt als die von ihm gewählte; statt sua non medio-
criter commendatur beneuolentia etwa beneiiolentia sua non mediocriter
commendatur oder sua non rnedioiriter beneuolentia commendatur
(Cursus velox).
PRAEFATIO UND VERSUS 113
Auch in den Schlüssen der kola ist rhythmischer ton fall an-
gestrebt, hier ist freiUch dem persönlichen ermessen ein gewisser
Spielraum gelassen, so kann man zweifeln, ob in dem satz 3, 5—7
ut populum sibi a Deo subiectum sapienter instruendo ad potiora
atque excellentiora semper accendat die gröfsere pause nach
subiectum oder nach instruendo zu legen ist. und die verwirrte
construction von 3,15 macht eine sichere entscheidung zwischen
notitiam haberent und Imperij tempore unmöglich.
Folgende fälle scheinen mir einigermafsen sicher.
Strenge Schlüsse.
ordinäre contendat 3.3 summdtim dece'rpens 4.12
seniper accendat 3.7 sensu depingens 4.i,B
auge'ndo multiplicet 3.10 linguae compösuit 4.15
pötest a/fectus 3.12 esset igndrus 4.21
aüctum est mlper 3.16 esse admönitum 4.21
transfVrre studeret 4.4 dgit scriptüra 4,28
libe'nter obtemperans 4.7 öperis postulärat 4.32
14 fälle (planus: 9, tardus 4, velox 1). dazu eventuell:
Dco subiectum 3.6 (planus).
Abnorme Schlüsse.
e'sse comprobätur 3.5 adiutörio obtemperdyitiae 4.9
soUcite trdctans 3.5 initium cdpiens 4.10
vdtes habebdtur 4.3 ardentius dppetat 4.29
cöntulit opus 4.8 pössit iniienire 4.31.
8 fälle (zweisenkungsschluss : 4, dreisenkungsschluss 3, viel-
silbler 1). dazu eventuell sapienter instruendo 3.6 und imperij
tempore 3.15.
Irreguläre Schlüsse.
admönitum est prius 4.8 se'nsuum resph'ndet 4.26
vitteas distinxit 4.18
3 fälle. Dazu vielleicht notitiam haberent 3.15.
Falsche Schlüsse.
salubritdtem dttinet 3.4 gente Sdxonum 4.2
tiersdtur dnimtis 3.9 esse umbigit 4.23
delectamentis pdscitur 3.10
5 fälle, alle von der form rL r^ | ^^ --^ <^, was wol kein
Zufall ist. ^
» man beachte die Wortstellung suus ingiter beneuolus uersatur
animus 3, 9. stünde uersatur am schluss, so wäre die Wortfolge natür-
Z. F. D. A. LVI. N. F. XLIV. 8
114 JELLINEK
Auch am schluss der kommata sind die absolut falschen
ausgänge in der minderzahl. die entscheidung über den ort der
kleinsten pausen ist freilich noch unsicherer als die ansetzung der
kolaschlüsse. ich wage einen versuch.
Strenge Schlüsse.
lyraecldro ingnvio 3.2 illius poctnatis 4.17
magno opvsculo 3.13 legis praece'pta 4.21
diuinörum librörum 3.14 Theudisca poänaia 4.26
i'O facüius 4.7 lectöris intmtio 4.30
möre poetico 4.14.
9 fälle (planus: 2, tardus: 7), dazu Deo suhiectum 3.6,
wenn es nicht als schluss eines kolons gelten soll.
Abnorme Schlüsse.
Beipüblicae ■utilitdtes 3.1 cömmodum duxit 4.12
sacrosdnctam religidnem 3.4 nöiii Testamenti 4.13
dtque inchodntia 3.16 audienfibus ac intelleg entibus 4.16
diuinae lectiönis 4.1 pröpriae linguae 4.22
nöuum Testamentuni 4.3 e'ius compositöris 4.24
sölum literdtis 4.5 quidem pronunciatiöne 4.27
e'tiam illiterdtis 4.5
13 fälle (zweisenkungsschluss: 2, dreisenkungsschluss : 4, viel-
silbler: 7). dazu sapienter instruendo 3.6 und imperij tempore
3.15, wenn es nicht Schlüsse von kola sind.
Irreguläre Schlüsse.
piissimus Äugüstus 3.2 mdgis cor inquirentis 4.29
cdrminis notitiam 4.24 singulis sententiis 4.31
cöpia uerbörum 4.25
5 fälle, dazu notitiam haberent 3.15, wenn es nicht kolon-
schluss ist.
Falsche Schlüsse.
ergo stüdiis 3.8 löquens lingua 4.1
infirmioribüsque rebus 3.12 eündem vdtem 4.20
ditiöni sübditus 3.17
5 fälle, darunter 2 ro c^ | ro --^ oo
III.
Die beobachtungen die ich vorgetragen habe sind vielleicht von
einiger bedeutung für die frage der Interpolationen, der Verteidiger
lieber, und es hätte sich zum mindesten eine irreguläre cadenz gewinnen
lassen, bei der Stellung animus suus uersatur sogar eine strenge.
PEAEFATIO UND VERSUS 1 1 5
der einheit der Praefatio ist freilich in einer wunderlichen läge:
gerade die Uneinigkeit der gegner erschwert ihm den kämpf, denn
es kann ihm immer eingewendet werden, dass dieses oder jenes
argument nur gegen diese oder jene interpolationstheorie spreche,
nicht gegen die interpolationstheorie überhaupt, ich werde mich
auf die erörterung der interpolatlonen in der Praefatio A be-
schränken, die Sievers annahm, und diese Interpolationen von der
Praefatio B getrennt halten.
In bezug auf diese letztere muss ich aber gleich folgendes
betonen, auch wenn man, was ich nicht tu, annimmt, dass
zwischen A und B ein widersprach besteht, ist man doch nur be-
rechtigt, diejenigen sätze als B auszuscheiden, die von dem gött-
lichen auftrag erzählen oder mit ihnen in natürlichem Zusammen-
hang stehn. dies trifft aber nicht zu auf den letzten satz Vt
uero Studiosi lectoris 4, 30 — 32. Scherer hat ihn Zs. f. ö, gyran.
1868, 849 der alten Praefatio zugesprochen, vorher hatte schon
Zarncke zugegeben, dass er sich gut an 4.19 anschliefsen würde,
von seinen gegengründen kann nur das stilistisclie bedenken in
betracht kommen, dass dann zwei sätze hintereinander durch vero
verknüpft würden, denn der zweite einwand beruht auf einer
unrichtigen deutung von capitida annotata sunt, das heilst nicht,
dass an die stelle der einteilung in fitten die gewöhnliche capitel-
einteilung gesetzt wurde; im 9 jh. gab es keine allgemein an-
erkannte capiteleinteilung. capitida bedeutet nicht 'capitel', sondern
'inhaltsangaben' i.
Ist es nun nicht merkwürdig, dass sowol A wie B lateinische
vorreden benutzen und dabei ein stilistisches vorbild, den Sedulius,
gemein haben — vgl. oben die bemerkungen zu 3, 9. 10; 4, 2 — 4,
4, 6. 7 (A) und 4, 21. 22; 4, 23—25 (B)? und wenn der letzte
satz A angehört, so haben A und B auch den Cassiodorius ge-
raein: 4, 30—32 (A) — 4, 25. 26; 4, 27—30 (B) — 4, 4—6
(Interpolation).
Und ganz merkwürdig sieht es mit der Interpolation 4, 9—10.
' so richtig Sievers s. XXXIII. *ist an jedem sententz . . die summa
verzeichnet' heilst es in der alten deutschen Übersetzung, Miinchener
museum 1, 364. wegen der bedeutung von capitula vgl. Du Cange-
Hentschel II 140, sp. 2, z. 3 v. u. ; Samuel Berger Histoire de la Vulgate,
s. 307; Otto Schmid Über verschiedene einteilungen der heiligen schrift
(Graz 1892), s. 25 ff.
116 JELLINEK
der satz potius — parvitatis zeigt die unzweifelhaftesten an-
klänge an die von mir angeführte stelle des Hrabanus Maurus.
in diese sind aber eingebettet die worte praesens opus adgredi-^
anderseits schliefst sich die Interpolation an den echten satz ad
tarn difficlle tanqiie arduum se statm contulit opus, sollte das
ein Zufall sein?
Und endlich : nach Sievers s. XXIX stimmen die worte von
B 4, 22 congrua modulatione coaptaret zu Bedas in modulationein
tarminis transferre. nach meinem nachweis haben sie aber ihr
Vorbild bei Sedulius.
Ich gebe mich übrigens durchaus nicht der hoffnuug hin,
die anhänger der interpolationstheorie zu überzeugen, sie können
einwenden, dass Sedulius und Cassiodorius vielgelesene Schriftsteller
waren und dass dem interpolator bei dem satz ad tarn difficile
se statim contulit opus die worte Hrabans, bei Bedas modulationem
die Wendung stilo liuius modulationis aptauit des Sedulius ein-
fallen konnte, und dann hätte er eben im Sedulius weiter ge-
lesen, bis er auf congrua responsimie stiefs, und daraus sein
epithetou zu modulatione entnommen.
Auch die rhythmischen Verhältnisse der Praefatio können
verschieden gedeutet werden, ich habe vor etwa 14 jähren den
cursus in der Praefatio entdeckt, und die tatsache dass er sich
in der ganzen Praefatio findet, hat meine Überzeugung von
ihrer einheitlichkeit bestärkt, zur selben zeit machte CvKraus
dieselbe entdeckung. zog aber gerade den entgegengesetzten schluss,
da die unzweifelhaft falschen Schlüsse in B stehn. ich setze hier
meine auffassung auseinander.
Betrachtet man die Praefatio als einheit, so haben wir
9 sti-enge, 3 abnorme, 1 irregulären und 2 falsche Schlüsse, nimmt
man die interpolationstheorie in der fassung von Sievers an, so
erhöht sich die zahl der periodenschlüsse um 2 {transferre
stude'ret 4, 4 und contulit opus 4, 8) auf 1 7. von diesen fallen
A 8, B 6, den Interpolationen 3 zu. A hat dann 5 strenge, 1 ab-
normen, 2 irreguläre, B 3 strenge, 1 abnormen, 2 falsche; die
interpolationen 2 strenge Schlüsse und 1 abnormen. B und die
Interpolationen zusammen 5 strenge, 2 abnorme, 2 falsche.
Für den Verfechter der einheit hat der Verfasser unter 15
Schlüssen 2 verfehlt, der Vertreter der interpolationstheorie (in der
gestalt die ihr Sievers gab) hat anzunehmen, dass der interpolator
PRAEFATIO UND VERSUS U7
von 9 Schlüssen 2 falsch formte, ist die zweite annähme umso-
viel wahrscheinlicher als die erste? sinkt die Wahrscheinlichkeit
des fehlens mit dem steigen der gesamtzahl der Schlüsse? dann
will ich Otfrieds vorrede Ad Liutbertum ins feld führen, deren
rhythmus zuerst Ehrismann erkannt hat i. von ihren 37 Schlüssen
sind 24 streng, 11 abnorm, 1 irrregulär, 1 falsch [codctus incldi
z. 104 der ausgäbe von Kelle), und die zahlen Verhältnisse der
Praefatio verschieben sich noch, wenn man den satz 4, 3o — 32 zu
A zieht, dann steht in A unter 9, in B + Interpolationen unter
8 Schlüssen 1 falscher, d. h. zwischen A und B + interpolationea
ist dann gar kein unterschied -.
Nehmen wir jetzt die Schlüsse der kola. die Praefatio als
einheit beti-achtet hat 32 Schlüsse, darunter 5 falsche, die andern
27 teilen sich je nach der auffassung in 14 + 10 + 3 oder
15 + 9 + 3 oder 144-9 + 4 oder 15 + 8+4, wobei die erste
zahl die strengen Schlüsse, die zweite die abnormen, die dritte
die irregulären angibt.
Durch die interpolationstheorie scheiden transferre duderet
4, 4 und contuUt opus 4, 8 als nunmehrige periodenschlüsse aus,
notitiam haherent 3, 15 wird sicherer kolonschluss von A. wir
finden dann strenge Schlüsse in A 8 oder 9, in B 4 in den
Interpolationen 1; abnorme in A 5 oder 4, in B 2, in den
Interpolationen 1 oder 2 3; irreguläre in A 2, in B 1, in den
Interpolationen 1 ; falsche in A 4, in B l, in den interpolationen 0.
A hat also unter 19 Schlüssen 4. B + interpolationen unter 11
oder 12 Schlüssen l falschen. A steht hier also ungünstiger da.
die zahlen verschieben sich ganz unwesentlich, wenn man den
letzten satz zu A zieht; A gewinnt, B verliert dadurch je einen
strengen und einen abnormen schluss.
Endlich die kommata. die Praefatio als einheit hat 34 Schlüsse,
darunter 5 falsche, aufserdem 9 + 14 + 6 oder 10 + 13 + 6
oder 9 + 15 + 5 oder 10 + 14 + 5. nach der interpolations-
theorie scheidet notitiam haherent 3, 15 als sicherer kolonschluss
' Zeitschrift für deutsche Wortforschung 1, 139 *.
^ oder um noch eine für die anhänger von B günstigere kombinatioa
zu erwägen: lässt man die annähme von interpolationen in A fallen, zieht
aber den schlusssatz zu A, so hat A unter 10, B unter 5 Schlüssen je
einen falschen.
3 je nachdem man irnperij tempore 3, 15 auffafst.
118 JELLINEK
aus. es entfallen strenge Schlüsse auf A 5 oder 6, anf B 3,
auf die interpolationen 1; abnorme auf A 7 oder 6, auf B 3,
auf dte interpolationen 4 oder 5^; irreguläre auf A 1, auf
B 4, auf die interpolationen 0; falsche auf A 3, auf B 1,
auf die interpolationen 1. zieht man den letzten satz zu A,
so gewinnt A 1 strengen und 1 irregulären schluss. A hat dem-
nach unter 16, bez. 18 ^Schlüssen 3, B + interpolationen urter
17 oder 18, bez. 15 oder IG Schlüssen 2 falsche, ein wesent-
licher unterschied besteht somit zwischen den echten und unechten
teilen nicht.
IV.
DIE VERSUS.
AWagner hat Zeitschrift 25, 173 ff. die spräche und
metrik der Versus geprüft und festgestellt, dass die von ihm
beobachteten eigentümhchkeiten sich auch in lateinischen, in
Deutschland entstandenen gedichten des 1 0 und 1 1 jh.s wider-
finden, für die entstehungszeit der Versus folgt jedoch daraus
gar nichts, solange nicht gezeigt ist, dass eben jene erscheinungen
in einem gedichte des 9 oder des 12 jh.s unmöglich wären-,
dankenswert ist dagegen der nachweis von anklängen an Virgil,
namentlich an die Georgica.
Dann hat Schönbach (Drei proömien unserem freunde Wilhelm
Gurlitt überreicht zum 7 märz 1904, s. 11 ff) eine menge stellen
aus lateinischen Schriftstellern zusammengetragen, um zu zeigen,
dass von der form der Versus fast nichts eigentum ihres Verfassers
sei, er kam zu dem schluss, dass der autor sich ganz im bann
der lateinischen schulautoren des mittelalters befand.
' je nach der auffassung von imperij tempore 3, 15.
- Dass eine kurze silbe vor der cäsur in hebung steht, wie das a
von agricola v. 28, kommt sogar schon bei den alten römischen dichtem
vor; vgl. L. Müller De re metrica 2 aufl. s. 396 ff. kurzes o im ablativ
des gerundiums wie v. 18 menando erscheint sporadisch schon bei Seneca
und Juvenal, vgl. L. Müller s. 417. öfter bei christlichen dichtem, vgl.
die indices zu den Poetae christiani minores im Wiener Corpus scriptorum
ecclesiasticorum Latinorum XVI, I. s. 181. 325 (s. v. geruudium) 497;
Huemer im index seiner Juvencusausgabe (Corpus XXIV) s. 159 und seiner
ausgäbe des Sedulius (Corpus X) s. 395. sogar fuerat statt erat kommt
schon bei Juvencus vor, Huemer s. 174. — nimium v. 8 steht durchaus
nicht fehlerhaft für admodum \ in formein wie o nirnium felix ist das
wort sehr gebräuchlich, vgl. zb. Georg. 1, 458 o fortunatos nimium und
die unten citierte Stellensammlung von Hosius Rh. Mus. 47, 464.
PRAEFATIO UND VERSUS 119
Schönbach verwahrt sich dagegen, dass man ihm die meinung
zuschreibe, der autor sei sich immer bewust gewesen, dass er
seine worte aus der schullectüre schöpfte, das beigebrachte material
sei verschieden zu bewerten; es reiche von klarer rerainiscenz bis
zu dem ;vorrat poetischer spräche überhaupt, der die geistige
atmosphäre des Verfassers kennzeichne.
Trotz dieser Verwahrung muss ich bekennen, dass mir der
sinn der citierungen Schönbachs nicht immer klar geworden ist.
wenn ich auch von den nicht ganz vereinzelten irrtümem absehe i,
so kann doch das material in der zufäUigkeit seiner auswahl 2 un-
' V. 2 rarmine priuatam promere uitam heifst 'in einem gedieht
das Privatleben erzählen', für diese bedeutung von promere beispiele
anzuführen ist überflüssig ; gerade an der von Seh. angeführten stelle
Horaz Od. I 34, 14 heifst promere etwas anderes. — 4. bei Horaz Ep.
I IT, 48 steht cictum date, nicht cictum quaerere. — 5. die angeblich
aus Juvenal 11, 153 stammende stelle gehört dem Plinius. bei Forcellini
geht die quellenangabe dem citat voraus, aber auch die wirklich von
Forcellini gemeinte stelle steht der unsrigen fern, viel ähnlicher Juvenal
14, 179 citite contenti casulis et collibus istis. — 6. die conjeetur {poste-<-
que) acclines ist höchst unglücklich; der autor meinte mit postes acclwes
schiefe türpfosten. — dass obterere sonst dat. und acc. fordere, ist eine
unrichtige folgerung aus einer stelle bei Forcellini. vor allem war aber
hier zu sagen, dass obtrivit für iricit steht, terere in der bedeutung 'be-
treten' ist ganz gewöhnlich; für die Verbindung mit Urnen gibt Forcellini
einen beleg aus Martial, ich kenne sie auch aus Catull 68, 71, bei Georges
finde ich deterere limina aus Ammianus belegt. — 10. gestare hier und
bei Ovid Met. 7, 32 haben nicht dieselbe bedeutung: hier pacem animi
gestare, bei Ovid ferrum et scopulos in corde gestare; an unserer stelle
würde im guten latein am ehesten gerere passen. — 13. incidiosus = in-
citus (1. incidus), odium creans ist nicht nur bei Cicero belegt; Georges
citiert stellen aus Properz, Ovid, Lucan u. a. — 21. Georg. 1, 375 hat
weiter keine beziehung zu unserm vers, als dass 376 das adj. patulis
(naribus) erscheint. — 23. die citate Georg. 3, 374 und Valer. Flaccus
1, 269 sind falsch, für das zweite ist wol Aen. 11, 588 {labere,
Nympha, polo) einzusetzen; für das erste vielleicht G. 1, 36(>
(caelo labi).
2 6. sonipes = pferd und 7. armenta = rinder ist doch wahr-
haftig nicht auf die angeführten stellen beschränkt, ebensowenig 8. census
in der bedeutung vermögen, viel näher steht Sedulius Carmen paschale
III 119 perdiderat proprium pariter cum sanguine censum. —
8. zu dem ausruf 0 felix nimium liefsen sich weit mehr parallelen an-
führen; s. Vollmer zu Statins Silvae II 7, 24 und die von ihm dort
citierte Sammlung von Hosius Rh, mus, 47, 464; jetzt auch Norden
Agnostos Theos s. 100 n. l. — 10. paic animi kommt nicht nur in kircli-
120 JELLINEK
möglich beweisen, was bewiesen werden soll, da der autor keine
neuerfundene spräche, sondern eben lateiniscli schrieb, ist es selbstver-
ständlich, dass man in den bekannten Wörterbüchern belege für so
ziemlich alle von ihm gebrauchten ausdrücke finden kann, einen
bloi'sen cento aus antiken autoren stellen aber die Versus nicht
dar. das ist ja schon mit ihrer mittelalterlichen latinität unver-
einbar, womit ich keineswegs sagen will, dass der Verfasser der
Versus ein formales talent war. ganz im gegenteil. es ist viel-
leicht überhaupt nicht der mühe wert, seiner sogenannten dichte-
rischen Werkstatt einen besuch zu machen, ist man aber schon
80 neugierig, so kann man meiner ansieht nach nichts tun als
feststellen, welche Vorbilder er sicher benutzt und was er aus ihnen
gemacht hat. das will ich im folgenden versuchen.
1. Unzweifelhaft ist der starke einfluss Virgils, namentlich
der Georgica. das ist durch Wagner und Schönbach festgestellt,
aber ihre nachweise lassen sich vermehren, die versus 8 — 13
0 foelix nimium proprio qui uiuere censu
praeualuit, fomitemque ardentera extinguere dirae
inuidiae, pacemque animi gestare quietam.
gloria non illum, non alta palatia regum,
diuitiae mundi, non dira cupido mouebat.
inuidio^us erat nulli, nee inuidus uUi
geben die Stimmung wider die Virgil an der berühmten stelle
Georg. 2, 458 ff ausspricht:
0 fortunatos nimium, sua si bona norint,
agricolas,
der syntaktischen structur nach und im einzelnen sind sie auch
beeinflusst durch Georg. 2, 490:
felix, qui potuit rerum cognoscere causas
atque metus omnis et inexorabile fatum
lieber litteratur vor, sondern auch bei Ovid Met. 11, 624. — 11. palatia
reciis, meint Seh., finde sich in der Vulgata, nicht in der classischen
litteratur. in der Vulgata steht immer der singular palatium und der
re,v ist immer ein bestimmter könig. palatia in der bedeutung palast
wird schon von Üvid gebraucht, auch mit einem genitiv verbunden; wo-
her an unserer stelle regum stammt, wird sich später zeigen, alta pa-
latia, wie an unserer stelle, bei Ovid Tristia I 1, 69; IV 2, 3, dort vom
palast des Augustus. — 12. für dira cupido gibt es noch andere Virgilsche
belege als Georg. 1, 37. — 16. für die bedeutung von per quadrum
mundum ist instruktiver als die angeführte Prudentiusstelle Sedulius V 190
quattuor inde piagas quadrati colligat orbis.
PRAEFATIO UND VERSUS 121
subiecit pedibus strepitumque Acherontis avari,
illum non populi fasces, non purpura regum
flexit et infidos agitans discordia fratres
non res Romanae perituraque regna; neque ille
aut doluit miseians inopem aut invidit habenti.
vgl. auch noch 5U4 . . penetrant anlas et limina regum.
Die au dei- zuerst citierten stelle (v. 470) von Virgil unter
den freuden des landmanns erwähnten mugitusque houm mollesque
sub arhore somni erinnern an die scene im wald, wohin der Ver-
fasser der Versus die vision versetzt hat. über die andern quellen
dieser Stilisierung s. unter 2. und 4. und Virgils qulbus ipsa . .
fundit hunio facilem vlctum iustissima telliis (v. 459 f) steht v. 4
uictum guaerebat in agro jedesfalls näher als die von Schönbach
angezogene Horazstelle.
Als unser autor v, 7 tantum armentbi sua cura studebat
niederschrieb, klang ihm im ohr Georg. 3, 2S6 hoc satis ar-
mentis: superat pars altera curae. — v. 29 tunc cantita nimio
Vates perfusus amore hat im bau eine gewisse ähnlichkeit mit
Georg. 2, 476 quarum sacra fero ingenti percussus amore \ vgl.
auch Aen. 3, 298 miroque incensum pectus amore.
Für die art wie der autor mit dem Virgilschen gut ge-
schaltet hat, ist charakteristisch v. 20 larga pascebat in herba.
Schönbach merkt mit recht das fehlen des objects an. was die
von ihm beigebrachten parallelstellen sollen, ist mir nicht klar.
pascere an sich ist ein ganz gewöhnliches wort, weitergehnde
ähnlichkeit zeigen die verglichenen stellen nicht, an zweien von
ihnen hat pascere ein object und Ecl. 1, 7 7 (jion me pascente,
capellae . . salices carpetls) ist es leicht zu ergänzen, das object
ist auch zu ergänzen an den von Schönbach nicht genannten
stellen Georg. 3, 143. 335, Aen. 3, G50i; aber hier ist die
weglassung des objects doch wol ein fehler unseres autors; die
stelle, die ihm vorschwebte, war Georg, l, 112 luxuriem segetum
tenera depascit in herba, wo übrigens auch der von in abhängige
ausdruck einen andern sinn hat als in den Versus.
Ferner: zu v. 21 patulo siib tegmine führt Schönbach mit
1 sie waren jetzt mit hilfe des Wörterbuchs von Merguet (1909 ff)
leicht zu finden.
1 22 JELLINEK
recht an Ecl. 1, 1 patulae recuhans suh tegmine f'agi, vgl. auch
Virgils selbstcitat Georg. 4, 566. auch hier hat der aulor eine
syntaktische bestimmung weggelassen die nicht fehlen darf.
Und woran hat der Verfasser bei tUra atpido v. 12 gedaclitV
an liebe? an liabgierV an ehrsuchtV wahrscheinlich an nichts be-
stimmtes, ihm klangen eben Virgilsche verse im ohr. von diesen
hat der von Schönbach citierte Georg. 1, 37 eine genitivische be-
stimmung {n'g)i(indi) bei dira cupido, ebenso Aen. 6, 721 [lucis),
eine bestimmung anderer art steht Aen. 6, 373 nnde haec, o
Palinure, tibi tarn dira cupido und Aen. 9, 185 {dine hunc
ardorem mentibus add.unt) an sua cuique deus fit dira cupido
weifs man doch auch, was gemeint ist.
Wunderlich ist auch laetosqne lahores v. 1 ; vgl. Schönbachs
parallelen.
2. Um die Verbesserung von testa 5 in tecta zu stützen,
führt Schönbach aus Paulinus von Nola an ciilmea tecta culmina.
über das wort cuhneus spricht er weiter nicht, für dieses wort
hat der Thesaurus aus der gesamten latinität nur zwei belege:
die stelle des Paulinus und eine aus Orosius. bei Orosius (6,
10, 5) steht culmea culmina, bei Paulinus 18, 386 f culmea tecti
(nicht tecta) culmina, in den Versus ist zu lesen culmea tecta;
daraus folgt dass das wort in den Versus auf Paulinus zurück-
gehen muss. man könnte höchstens zweifeln, ob die entlehnung
unmittelbar geschah oder durch Vermittlung einer unbekannten
Schrift, nun erzählt das 18 gedieht des Paulinus, wie einem
armen bauern zwei ochsen, seine einzige habe, gestohlen und
durch das wunderbare eingreifen des h. Felix, zu dem er flehte,
zurückgegeben wurden, an dieses gedieht erinnerte sich unser
autor, weil da eben auch ein bauer vorkam, er entnahm ihm
den zug dass der bauer arm war und dass sein vieh nur aus
rindern bestand ^.
3. Das unsinnige laetus et attonitus v. 20 ist, wie Heinzel
erkannt hat, eine törichte nachahmung von Martial V 3, 3 ; vgl.
Zs. f. d. phil. 38, 417.
' anklänge in einzelneu ausdrücken sind aufser culmea tecta ganz
unsicher, am ehesten noch Paul, Nol. 18, 385 {quia numinis acta
ereptos potiore manu praedonibus Ulis) egerat occultis Felix moderatua
habenis und v, 18 egerat . . . paucos menando iuuencos mit dem falschen
plusquaniperfectum. aber ich lege darauf keinen wert.
PEAEFATIO UND VERSUS 123
4. Der verf. der Versus hat den pseudovirgilischen Culex
benützt, dieses gedieht erzählt, wie ein hirt des morgens seine
Ziegen in den wald treibt, mittagsruhe hält und durch den stich
einer mücke zur rechten zeit aufgeweckt wird, um den angriff
einer schlänge abzuwehren, die mücke hat ihre liebestat mit dem
leben bezahlen müssen, sie erscheint nachts ihrem mörder im
träum, beklagt ihr los und erzählt ihm allerlei aus der unterweit.
der hirt setzt seiner retterin ein denkmal.
Auf dieses gedieht wurde unser verseschmied geführt, weil es
auch einen träum erzählt und weil es v. 5Sff im anschluss an
die Georgica das los der landleute (hier der hirten) preist, die
Excerpta Parisina, die mit v. 58 beginnen, tragen den titel De
beatitudine pauperis uite Virgilius in culice. natürlich konnte
er den zweimaligen schlaf des hirten nicht brauchen; er lässt ihn
nur einmal schlafen und dabei träumen.
So erklärt es sich nun, dass der göttliche auftrag dem beiden
im walde zuteil wird, während er sein mittagsschläfchen hält, und
weiter erhalten wir den Schlüssel dafür dass der mann überhaupt
als hirt auftritt, die sache ist ja höchst merkwürdig, der agri-
cola setzt seine ganze hoffnung auf den kleinen acker (v. 15);
mau sollte da meinen, dass es auch aufserhalb der pflugzeit für
mensch und vieh zu hause allerlei zu schaffen gibt und also der
agricola etwas gescheiteres tun könnte als seine ochsen in den
wald spazieren zu führen.
Schon Schönbach s. 10 ist die doppelstellung des beiden auf-
gefallen, aber ganz unbefriedigend ist seine erklärung i, dass an
der hirtenroUe Beda schuld sei, der Ciodmon in den stahula iiunen-
torum träumen lässt. bei iumenta denkt man nicht eben an weide-
vieh, die sfabula sind keine saltiis, und Cadmon träumt in der
naeht, nicht zu mittag, dagegen hat Schönbach darin recht, dass
der held des idylls halber auch em bauer sein muste, vielleicht
sagen wir besser, weil die Georgica eben vornehmlich von bauern
sprechen, dass die ziegen des Culex durch ochsen ersetzt wurden,
erklärt sich durch den einfluss des Paulinus von Nola.
Auch in einer einzelheit verrät sich die benutzung des Culex.
1 Schönbach beruft sich auf Wagner Zs. 25, 177. dieser spricht
jedoch nicht von der hirtenrolle, sondern sagt ;nur, dass die stabula
iumentorum den anlass gaben, den beiden zum ideal eines landmanns
umzubilden, und darin mag Wagner recht haben.
124 JELLTNEK
durch diesen hat sich der Verfasser veranlasst gesehen, dem bericht
vom austrieb des vielis eine kleine beschreibung des Sonnenaufgangs
voranzuschicken (v. Iß — 19):
cum sol per quadrum coepisset spargere mundum
luce sua radios, atris cedentibus umbris,
egerat exiguo paucos menando iuuencos
depellens tecto uasti per pascua saltus.
Culex 42—47
igneus aetherias iam Sol penetrabat in arces
candidaque aurato quatiebat luraina curru,
crinibus et roseis tenebras Aurora fugarat:
propulit et stabulis ad pabula laeta capellas
pastor et excelsi montis iuga summa petivit,
lurida qua patulos velabant gramina coUes.
Vielleicht ist unser autor auch durch patulos im letzten vers
an das Vergilische patulae sub tegmine fagi erinnert worden, das
er V. 21 verwendet'.
Die entstehung der Versus haben wir uns wol so vorzustellen,
der Verfasser hatte die aufgäbe — ob sie ihm ein anderer oder
er sie sich selbst stellte, können wir nicht wissen — die be-
rufung eines laien zum geistlichen dichter darzustellen, und nun
machte er es wie ein unglücklicher gymnasiast, der einen deutschen
aufsatz schreiben soll, der ihm nicht ligt. er verfertigte eine
schöne einleitung, die mit ihrer breite den wirklichen gegenständ
ganz erdrückte; ja er war so ungeschickt, dass er den Inhalt dieser
einleitung geradezu als das eigentliche thema hinstellte, ein passus
in Bedas erzählung mag ihn auf den gedanken gebracht haben,
den späteren dichter zu einem landmann zu machen, und nun
suchte er in seiner erinnerung zusammen, was ihm etwa römische
dichter, die von landleuten erzählten, an einzelzügen geben könnten,
es kümmerte ihn wenig, dass die Vielheit seiner quellen das ^ild
widerspruchsvoll gestaltete, soviel latein glaubte er zu können,
um sich nicht sklavisch an den Wortlaut der Vorbilder zu klammern,
aber er überschätzte sich, er brachte in seine reminiscenzen mit-
• Auf sonstige anklänge im Wortlaut lege ich gar keinen wert, zu
V. 22 conuictus somno tradidis^set membra quieto könnte man ver-
gleichen Cul. 213 tu lentus refoves iucunda membra quiete, aber die-
selben zwei Wörter am versschluss erscheinen Aen. V 836: placida laxabant
membra quiete. bei Studium, v. 1 und securus v. 14 wäre ein hinweis
auf Cul. 98 bez. 97 von demselben fraglichen wert wie Schönbachs heran-
ziehung der Ovidischen stellen.
PRAEFATIO UND VERSUS 125
unter Sprachfehler herein; die unzeitige erinnerung an einen vers
des Martial rief geradezu einen unsinn hervor, aufser den Georgica,
dem gedieht des Paullnus von Nola und dem Culex hatte er na-
türlich noch allerlei gelesen; aber in jedem einzelnen fall zu
zeigen, welche lateinische stelle ihm gerade vorschwebte, ist viel-
leicht unmöglich, jedesfalls schwieriger als wertvoll, und somit
mag der anonymus in seinem grabe schlummern : sit tibi
terra levis.
Wien, juni 1917. M. H. Jelliiiek.
GEMEIT.
Gegen die etymologische verwantschaft von got. gamaips
und wgerm. *gamaid sind trotz völlig entsprechender lautgestalt
widerholt bedenken erhoben uzw. lediglich ihrer scheinbar un-
vereinbaren bedeutungen wegen (s. Wiedemann BBeitr. 28, 41;
Wood Mod. langu, notes 21, 39). anderseits ließ man sich in dem
bestreben diese bedeutungsunterschiede zu vermitteln zu seltsamen
abstractionen verleiten (s. Diefenbach Got. wb. II !) und vor allem
vanHelten Fünfzig bemerkungen zum Grimmschen Wb. s. 14f).
auf der sicheren grundlage einer sammlung von historischen be-
legen steht nur der erklärungsversuch Rud. Hildebrands im DWb.
IV 1 sp. 3272 ff, der darum auch allein den weg zu tieferer er-
kenntnis anzubahnen vermag.
In der selbstverständlichen Voraussetzung, dass es sich bei
got. gamaips um die entsprechung des wgerm. *gamai(l handle,
versucht das DWb. aao. sp. 3274 die verschiedenen bedeutungen
des adjectivs durch ihre erklärung aus ganz bestimmten concreten
Verhältnissen zueinander in organische beziehung zu bringen, der
weg, die 'sache' zu ergründen, als deren attribute die wechselnden
bedeutungen von germ. *gamaiäaz ihre erklärung finden, ist be-
sehritten, die 'sache' selbst jedoch nicht concret und specialisiert
genug, um daraus jede einzelne bedeutungsnüance in ihrer vollen
eigenart notwendig glaubhaft zu machen.
Dem ahd. gimeit (Mons. fragm. ed. Hench XVII 4; XX 10;
Otfr. III 19, 10), as. gemed (Heliand 346S) und ags. getnäd
(Wright-Wülker I 479, 8) ist die bedeutung 'stultus, fatuus' ge-
meinsam, die as. bedeutung, soweit litterarisch überliefert, ist
damit erschöpft, ags. getnäd ist aufserdem (Wright-Wülker I 53,10)
noch in der gesteigerten bedeutung 'vecors' belegt; nur vom ahd.
aus lässt sich eine reichere bedeutungsentwicklung feststellen, die
durch ahd. gimeit glossierten 'jactans' (Ahd. gll. II 658-, 36) und
'contumax' (II 250, G2), zu 'stultus, fatuus, baridus' (I 55, S)
und 'obtunsus' (IV IC, 53) auf grund allgemeiner erwägungen in
causale beziehung zu bringen, gibt uns bei der fragmentarischen
126 ÖCHWIETERING
Überlieferung freilich keinerlei anhält für die grundbedeutung von
ijhneit. weiter führen die composita. (jinieitf/ang 'otium' (II 170, 16;
767, 10) und !ji)uei{<jen<jil 'otiosus' (II 170, 14), als Gemeiden-
(jänger, Gcnieiteiif/äjiger (Stieler 624. 1262) noch im 17 jh.
lebendig und durch die SGaller glosse der Benedictinerregel :
l.aiiicitkeiigo. louhikcngo 'girovagum' * (GH. II 49, 28) näher
cliarakterisiert: Bened. reg. ed. Wölfflin I 20 ff quartum rero
gcniis est monachorum quod nominatur ggrovagum, qui tota vita
b'ua per diversas provincias ternis mit quaternis diehiis per
diüersorum cellas hospitaHtiir scinper vagi et numquam stabiles
et propriis voJiodatihus et giilae inlecebris servientes. mönche
die planlos von kloster zu kloster wandern oder auch von laien
gastfreundschaft erbetteln, ihren wirten erlogene reiseberichte auf-
tischen, amulelte feilbieten und skrupellos falsche heiligengebeine
verschachern: Augustin De operibus monachorum (Migne 40, 575)
monacliorum . . circumeuntes provincias, nmquani missos, nus-
quam fixos, nusquam staiites^ nusquam sedentes. alii memhra
martgrum, si tarnen martgnini, venditant ; alii finürrias et 2)hy-
lacteria siia magnificant; alii parentes vel consanguincos suos in
■illa rel in illa regione sc aiidisse vivere et ad cos pergcre mentinntnr,
s. Herzog Realencykl. VII 271 ff, vor allem die aus Gallien stam-
mende 'regula magistri' des 7 jh.s (Migne 8S, 951 ff) und Desi-
derius (Migne 87, 258). von der schleicherischen art, mit der
diese 'religiosi vagabundi' ihre gläubigen hinters licht führen,
scheint auch das sunihliarro 'gyrovagum', siiuihJionte 'uagi' der
SGaller interlinearversion (Piper Nachträge s. 35 f) zu sprechen.
— wie dies hybride 'gyrovagus' der Benedictinerregel auch auf
vagierende cleriker übertragen wird, zeigt die Pastoral-
anweisung des erzbischofs Arno vom jähre 798 (MG. bist. Leg.
sect. III 2, 200), s. auch DuCange IV 147.
Diesen begriff des unsteten umherwanderns, des überall und
nirgends, den kanieitkengo als Übertragung von 'gyrovagus' be-
sitzt, dürfen wir jedoch nicht als occasionell für das compositum
allein in anspruch nehmen, sondern müssen ihn aus der adverbialen
Wendung «'[h] gemeitun'^ 'passim vageque' (Gll. II 148, 50), sonst
(II 88, 66; 89, 47; 96, 63) durch sumhante, suuihando glossiert,
auch für das simplex gimeita (sw, f.) und das adjectiv ginieit er-
schliel'sen.
' in den ags. prosabearbeitungen der Benedictinerregel (s. Bibl. d.
ags. prosa II 9, 21 u. 135, 20) durch widscn'pul widergegeben.
- in qimeitun, unqimeitun in der bedeutung 'frustra, nequiquam,
incassuni, gratis, otiose': Gll. I 279, 42; 282, 8; 301, 31; 775, 16;
II 580, 4; 606, 65; 62ii, tiO; 627, 57; 630, II; Tatiau 102, 2; 109, 1;
häufig bei Notker: s. Graff II 702; 'impune' (nicht: 'non impune' Gll. II
77, 12); ohne präpos. in der Wendung gemeitea fiten oder gen (s. DWb.
aao.): HvHesler Apokai. 5141; 5181; so auch durch Stieler 1262 und
noch jetzt mundartlich durch MMoltke Deutscher sprachwart 1, 3l2
belegt.
GEMEIT 127
Wenn wir nun diesem aus der sphäre der gemnten mönche
und cleriker erschlossenen Vagus' die übrigen bedeutungen von
ahd. giinelt: 'stultus, fatuus, bardus, obtunsus, contumax, jactans'
anreihen unter hinzufügung des mhd., latent schon in ahd. 'jactans'
enthaltenen 'heiter, stolz, ausgelassen' und der aus den ahd. ab-
leitungen camaithait 'insolentia' (GH. I 186, 16), in gimeüim
'otiose' (Tatian 109, 1), Vaae' (Notker II s. 142, 17 f; 143, 28),
gimeitheit 'superstitio (stulta)' (GH. II 224, 8; 333, 34; 404, 13;
456, 66), kameitWi. 'superstitiosus' (II 329, 49) ohne weiteres
sich ergebenden 'insolens, otiosus, vanus, superstitiosus', so wird
sich die 'sache', der diese eigenschaften nicht nur beigelegt werden
können, sondern für die sie wesentlich sind, zwanglos ein-
stellen: das überallhin verbreitete geschlecht der mittelalterlichen
spielleute: der narren und der 'mimi stupidi', der fahrenden
Sänger und vagierenden cleriker. denn von dem frohen und aus-
gelassenen treiben dieser fahrenden, ihren törichten clownspäfseii
und abergläubischen gaukeleien, ihren brotlosen künsten und
prahlerischen fabelgeschichten, ihrer zudringlichen frechheit und
müfsigem vagabundieren", von alledem haftet etwas an unserem
Worte.
So wird dem ags. glossator, der das substantivierte fafims
der bergpredigt (Mtth. 5, 22) durch gemäd (Wright-VVülker I
479, 8) widergab, der prägnante, schon vom 'festum fatuorunr
lier lebendige begriff des antiken f'atnns 'narr, lustigmacher' vor-
geschwebt haben, zumal auch das hier zugrunde liegende ucooög,
das zu jener zeit abgeschriebene lateinisch-griechische glossare mit
Vorliebe durch 'fatuus' übersetzen (s. Goetz Corp. glossar lat. VI
439: vor allem II 374, 51), eben diese bedeutung besitzt (s. Reich
Mimus I 23), die im 12 jh. Geoffroy du Vigeois in seiner Chronik
erläutert: Labbe, Bibl. nov. man. II (1657) s. 315 pei- dnodecim
t'atuos, quos ioculatores vocamiis (s. DuCange IV 422). dagegen
erscheint die begriffssphäre des ae. ge)ii(ßd{e)d, soweit es die erb-
schaft des nun entbehrlich gewordenen gemäd angetreten hat, von
vornherein so verengt, dass die zufällige Situation eines späten
belegs von ne. mad (NED. VI 2, 13): Richardson Pamela 4, HS:
several Harlequins, and other ludicroiis Fornts, tliat juinp'd and
ran ahout like mad — natürlich keinerlei Schlüsse gestattet und
auch die composita music-niad und poetrg-niad nur durch die
richtung dieser secundärentwicklung beweiskraft besitzen. — das
einzige sonst noch im neuen testament vorkommende fatmis
(Mtth. 25, 2. 3. 8) wird in den Monseer fragm. XX 10 eben-
falls durch ghimeit widergegeben, hier sind es die fünf fatiiae
virgines, die die bildende kunst freilich erst in späterer zeit als
tj^p der verworfenen der mulier yulclira et fataa der Proverbia
(11, 22) angeglichen hat
Die bedeutungen von ahd. gimeit entwerfen vom spielmann
ein einseitig verzerrtes und negatives bild, wie es der geistliche
128 SCHWIETERING
giossator zu zeichnen pflegt, sobald es sich um weltliche poesie
und ihre ehrlosen träger handelt, er, der 'superstitio^ super-
stitiosus' — in der Praefatio des Heliand von der zu unter-
drückenden volkstümlichen dichtung gebraucht ^ — durch gl-
meitheit, gimeitlih widergibt, hat auch neben irrida 'lieresis'^
(Gll. I 172, 10) ccmuiltida 'secta' J 172, 12) gestellt, von der
hisolentia der hisiilones turpcs spricht das concilium Turonense
des Jahres 813 (MG. bist., Leg. sect. III 2, 287)3. iurpis
und luxiiriosHs erscheinen ja in den concilien als typische bei-
worte der mit tanzen verbundenen aufführungen der histrionen
und mimen (s. Kelle Literaturgesch. I G9), deren schmarotzerleben
der erzbischof Leidrad (MG. bist, Ep. IV 541) durch luxuriari
umschreibt, sodass wir trotz der abgeschwächten bedeutung von
Notkers (I 2S6, 8) gemeiteson 'luxuriare' — sonst nur noch als
'increscere' (Gll. I 404, ?>{) belegt — auch (jimclilson aus der
Sphäre des sclrno 'parasitus' (Gll. IV 222, 10) ableiten dürfen,
und wie diese vanissuvi iocularcs (Agobert, Migne 104, 249) als
otiosi "ginieitgenyiV schlechthin gelten, kann keiner vernehmlicher
als der minderbruder Berthold predigen (Schönbach aao. s. 59 f):
iton otiemur ut Ibistrioncs, quia kdes sunt ut hurdones apum, qui,
quod apes hone lahorant, consumunt; et sicnt apes ociosas a se
expellunt, üa isü dehent ejici . . iste autem jocrdator vnlt et non
vult : vvH vtanducare et non vult Jahorare — . der tadelnde sinn,
der daher den bedeutungen von ahd. ginicit durchweg innewohnt
(s. Schwab, wb. III 344), haftet aucii noch an ne. vtad (NED.
VI 2, 13): 'The word has always had some tinge of contempt
or disgust, and would now be quite inappropriate in medical use,
or in referring sympathetically to an insane person as the sub-
ject of an affliction.' ja selbst das mhd. modewort hat trotz ganz
verallgemeinerter bedeutung noch etwas vom ursprünglichen erU-
geruch, der es den salons der höfischen gesellschaft wenigstens
eine Zeitlang nach möglichkeit fernhält (s. Steinmeyer Epitheta der
mhd. poesie s. 14 u. 20; Zwierzina Zs. 44, 83ffi.
Unmittelbar auf die bedeutungswurzel weist im mhd. nur die
isolierte, bisher nicht verstandene wendung des genieiten singen
[bitten), die uns für Schwaben aus dem 14 jh. bezeugt ist:
Memminger stadtrecht (Freyberg Sammlung histor. Schriften und
Urkunden V 312) . . darzno ist versetzt, das die schwier nmwie
sohlt dez gemaiten singen ze den wichennäcJäen — ; THafner
Geschichte der Stadt Ravensburg s. 141: . . hahen . . geordnet. .
^ von der superstitio der mimen spricht widerholt Salvian von
Marseille De gubernatione Dei VI 11 (MG. hist. Auct. antiquiss. I
s. 77, 19 ff).
^ vergl. Berthold von Eegensburg (Schönbach Studien z. Gesch. d.
ad. predigt II s. 57): idem dico de hiis, qui inveniunt nooas choreas,
nocas amatorias cantilenas, novas haereses et hujusmodi.
^ vergl, die bele^^e bei Reich Mimus I 793 ff.
GEMEIT 129
dass . . niemand, er sei. jung oder alt, den andern hie zu Ravens-
hury in der Stadt noch davor in den Vorstädten, es sei zu Weih-
nachten noch sonst zu einer anderen zeit in dem Jahr, nicht an-
singen soll iceder mit dem Gesang, das man nempt des ge-
rn aitten noch mit dem Buhenorden oder anderem Gesang — ;
Heinrich Seuse ed. Bihlmeyer s. 26, 3 : Als ze Swaben in sinem
laude an etlichen steten gewonücli ist an dem ingendem jare, so
gand die jungling dez nahtes tis in unwisheit und bitent dez
gemeiten, daz ist, si'i singend lieder und sprechent schömi
gediht und bringent es zu, wie sü nmgent mit hoflicher wise,
daz in ire liep schapel geben. Daz viel sinem jungen minne-
richen herzen also rast in, so er es horte, daz er och der selben
naht für sin ewiges liep gie und bat och dez gemeiten. Er
yie vor tag für daz bilde . . und knüwete nider und hüb an ze
singen in stillem süssen gedüne siner sele ein sequenci der
müter vor an, daz si im erlopti ein schapel ze erwerbene von
ir kinde — .
Da des gemeiten offensichtlich eine ganz bestimmte liedart
umschreibt, die das Ravensburger stadtrecht der Bubenorden ge-
nannten weise (vgl. Carm, Bur. s. 252: Ule ragorum ordine')
und andern liedern gegenüberstellt, so darf im Memminger stadtrecht
des gemeiten nicht als ein zum verbum singen i gesetzter ad-
verbialer genitiv mit der allgemeinen mhd. bedeutung 'hilariter'
gedeutet werden, es kann sich daher nur um eine elliptische
ausdrucksweise handeln, in der das dem begriff nach schon in
singen enthaltene, hier den genitiv regierende Substantiv sanc zu i
ergänzen ist, worauf auch das Kavensburger stadtrecht — mit
dem gesang, das man nempt [daz gesang] des gemeiten — mit
nachdruck hinweist, die ellipse war hier umso unanstöfsiger, als
singen in isolierten fällen — eins singe ns. ihres lieds singen (s. DGr.
IV (1S9S) s. 799) — tatsächlich mit dem genitiv verbunden
Averden konnte, wie sonst häufig in liedbenennungen und -Über-
schriften würde auch unser genitiv als logisches subject einen
hinweis auf den Sänger enthalten, der Ja gerade beim kranzsingen
als solcher gewertet sein will, und zwar ursprünglich auch beim
volkstümlichen brauch, denn dadurch liefsen sich doch die meister-
sänger erst bewegen, das kranzsingen in ihre ceremonien aufzu-
nehmen, s. Uhland aao. s. 206. wäre ein bestimmtes, nach form
oder inhalt festgesetztes lied gemeint, so würde der genu^Ur als
beiname eines ganz bestimmten Sängers mit der für mhd. (jeninf
üblichen bedeutung angesehen werden können, dem widerspricht
' Uhland Abhandl. über d. deutschen Volkslieder (Schriften z. Gesch.
d. dichtung u. sage III 206) und das DWb. kennen nur den belee bei
Suso und führen daher lediglich die wendung des gemeiten (Uhland: (/<•-
Ceminten) bitten an, die Uhland ohne zu erklären auflöst: 'um etwas
fröhliches bitten", auch das Schwab, ivb., dem die drei belege entnommeiu
sind, stellt bitten an erste stelle.
Z. F. D. A. LVI. N. F. XIJV. ^
130 SCHWIETERING
jedoch nicht nur der allgemeine Charakter dieser zu ueujahr —
und weilmachten — gesungenen liebeslieder und die groise mannig-
faltigkeit ihrer Überlieferung, sondern auch die volkstümliche Ver-
breitung des kranzsingens und schliefslich die schon damals nicht
mehr verstandene elliptische ausdrucksweise, die in der wendung
den gemeiten hüten metaphorisch auf den kranzlohn umgedeutet
wurde, alles weist auf ein hohes alter von wort und sache, auf
eine zeit in der die ursprünglichen bedeutungen von genn-it noch
so lebendig waren, dass das substantivierte adjectiv ohne weiteres
als Umschreibung des fahrenden verstanden wurde, da noch der
spielmann der hauptträger aller weltlichen gesangsmäfsigen dich-
tung, auch des liebesliedes war, da des gemeiten [sanc] singen.
zumal im Zusammenhang mit dem narrentreiben der zwölfnächte
nichts anderes als frohe weltliche vagantenlieder singen hiel's. dass
nach dem Memminger stadtrecht g;erade die schnolwre diesen
brauch übten, mag man atavistisch deuten, bei Suso sind es die
Jünglinge überhaupt.
Zu den fahrenden führt uns schliefslich auch got. gamaips
'verkrüppelt', und zwar zu den aus der antike herübergekommenen
narren und lustigmachern der höfe und markte, wie sehi* die
komik dieser joculatoren auf körperlichen entstellungen und ge-
brechen beruhte, wie würklich durch ganiaips die hauptseite ihres
Wesens umschrieben wird, zeigt uns des Byzantiners Priskus clas-
sischer bericht von dem durch gotische sitte beherschten Hunnen -
hof: Priscus Hist. Goth. (Corpus Script, bist. Byzant. I s. 225, 1)
Z€Qyco)v, ^xv&Tjg ovro) xalov/xsvog, MavQOVoiog xö yevog,
(5td (5« yMV.ocpv'iav acbf^iarog xcci xö yeXwxa iv. Z'fjg TQavkötrj-
Tog rfig (fMvfjg xßt öipscag Ttagexsiv ' /?p«xt^g yccQ rig ^v,
y.vQTÖg, öiäotQOfpog rolg Ttoai, rrjv giva xoig (ivy.rfiQOi
7tc(Qa(faLvu)v diä aiuönjrog vjceQßokrjv — ; s. 206, 5 . . tot«
de did röv rrjg EVtoxiag xaigöv vtageXS^iov rw xs si'dei y.ccl
xotg eodrifiaöi x.al xfj (pcüvfj x«/. xoig ovyy.€xvf^ievtog nag avxoü
7rQO(p€QOfi€voig QTqfxaOi — .
Wie die fahrenden auch weiterhin aus dieser unversiegbaren
quelle volkstümhcher komik schöpften, erhellt u. a. aus dem sach-
lich geordneten glossar, das (GH. III 425, 47 ff) leodslekko 'co-
raicus' und kituerg, dwmrc 'nanüs vel pomilio' auf einander folgen
ässt^. im fastnachtspiel sehen wir sie als Molkenpauch, Polster-
' dagegen sind (Gll. III 357, 25 ff) cruppel 'coutractus', couhlare
'ariolus magus', spilman 'mimus' und (III 681, 40 ff) ainoukir 'luscus vel
inonoculus', ainhentir 'mancus', spiliman 'mimus vel scurra' unter dem
gesichtspunct der rechtlosigkeit zusammengestellt, denn ebenso wie die
spielleute ihres unehrlichen gewerbes wegen hatten auch die zu ver-
stümmelungsstrafen verurteilten ihr recht verwirkt, vergl. Berthold v. Reg.
(Schönbach aao. s. 60): sed bonis auferre et dare malif^ non pertinet ad
relum, ut faciunt quidam joculatoribus pro laude, qui caret naso,
pede vel manu pro scelere suo, honorem non habet, ais ergo ah illo
honorem emere, qui nullum habet — .
GEMEIT 131
braoch, GeiMuIs, Gensschnabel, Schweinsohr usw. agieren, und
unter ihrem einfluss rauss selbst der greise Petrus in der wettlauf-
scene des auferstehungsspiels hinken (s. Weinhold Über das ko-
mische im ad. Schauspiel s. 3 f). so bildet die bedeutung von got.
gamaips für die Charakterisierung der vagierenden mimen eine
wichtige ergänzung, da die westgermanischen entsprechungen des
Wortes, corapliciertere Verhältnisse widerspiegelnd, von der komik
leiblicher misgestalt absehen und statt dessen das geistig-
unnormale dieser 'comici' in den Vordergrund stellen, got. gamaips,
an dessen bedeutung die meisten bisher aufgestellten etymologieen
scheiterten, wird somit für unsere hypothese recht eigentlich zur
festigenden grundlage.
Dass wir es im got. nicht etwa mit der ursprünglichen,
sondern mit einer eingeengten bedeutung zu tun haben, lassen die
bedeutungen der nächsten wortsippe ohne weiteres erkennen, dem
participialcompositum gamaips ligt die germ. wurzel tirip zugrunde, zu
der aufser dem zu *meipan gebildeten verbalfaetitiv niaidjati auch
die participialbildung missa (< *unt-faz) und weiterhin lat. tnü-
tare, mütuus, gr. sicil. uoiroc gehören, die Urbedeutung von
missa-, missi- (in got. inissaldks, ahd. missaUh, mhd. m isseil ch^
ahd. missi, missihelli, missivaro , missinamig\ mhd. missehcere,
wisse inüete) 'verechieden" erweist sich auch als grundbedeutung-
von *mlpaii 'sich unterscheiden, verschieden sein, abweichen von'
(in örtlicher beziehung: 'abweichen sich fernhalten, verborgen sein)
und got, liiaidjan 'verschieden machen, verändern", die in der
bedeutung 'abweichen, verändern' enthaltene negierung, im präfix
miss- bis zur bedeutung un- gesteigert, über>viegt in anord. nieiäa
'verwunden, beschädigen", frühmhd. meiden (Adelung III 152)
'castrieren' und got. gamaips 'verkrüppelt', zu denen die bedeutung
von got. niaidjan 'entstellend verändern" hinüberleitet, so dürfen
wir für german, *gamaiäaz, dessen bedeutung der von *gamai-
äiäaz ebenso geglichen haben wird wie die von ae. gemäd und
gemced(e)dj die bedeutung 'entstellend verändert, vom normalen in
körperlicher oder geistiger beziehung abweichend, verwandelt' er-
schliefsen, die vielleicht den anlass gegeben hat, dies wort aufser
für natürliche krüppel auch für den durch seine wandlungskunst
misgestalteten mimen zu verwenden, und da zu den requisiten
dieses mimen aufser karrikierender gliederverrenkung auch ent-
stellend aufgetragene schminke (s. Reich Mimus I 797 und für
das 13 jh. Schönbaeh aao. s. 60) und farbenschreiende narren-
kleider gehören, so scheint von maidjan 'mutare" zu ahd. Lamei-
foH 'tingere' (GH. II 225, 42; meitta 'tinctor' II 248, 28) ein im
einzelnen bestimmter und darum glaubhafterer weg als bisher
(s. Heyne Hausaltertümer III 244) gefunden.
Der versuch die bedeutungen von got. maipms. anord. pl.
meldntar, ae. rnääm, as. medom. mhd. medeme 'geschenk, kostbarkeit.
kleinod, abgäbe' zu mhd. meidevi, meiden, nhd. meidev 'wallach, pferd
9*
i:^2 SCHWIETERING, GEMEIT
in unmittelbare beziehnng zu bringen, dadurch dass man das pferd
als vorzugsweises gesclienk des altertums bezeichnet (DGr. III
[1S90| s, 323) oder die bedeutung 'pferd' für eingeschränkt er-
klärt (Feist Etym. Wb. s. 187) scheitert einfach an der durch
nihd. meidenen, frühnhd. mriilen, osorb. injeta6 'castrieren' und
apr. nomaißis 'verschnittenes schwein' erwiesenen grundbedeutung
von ineidein: 'wallach, eunuch' (s. vor allem Schraeller-Frommann
I 1569). dagegen lassen sich die v^erschiedenen bedeutungen von
*inaipmaz vielleicht aus den beiden vorhandenen bedeutungs-
wurzeln ableiten : rahd. meideni Svallach' aus der wurzel 'ent-
stellen, verstümmeln' und die bedeutungen der übrigen germa-
nischen entsprechungen aus der wurzel Verändern, wechseln,
tauschen'.
Hamburg. Schwieteriujr.
ZUM TEXT DES MORIZ VON CKAON,
Eine quellenstudie über die fabel des MvCr., die ich vor
Jahren anstellte — ich hoffe sie bald vorzulegen — , ergab
nebenher eine kleine textkritisclie nachlese, einzelnes davon ist
inzwischen durch die neue aufläge des gedichtes überholt worden;
das übrige teil ich hier mit.
87 daz ist ein site unmäzen alt . .
er niuwet aller tegelich,
(er breite ie) und breitet sich
witen after lande,
der in der hs. ausgefallene halbvers war vermutlich und meref,
da breiten unde meren formelhaft ist: Iw. 2904; MSH i 5^;
Garel 1264; Konrads Troj. 7389. 14613; Ritterpreis 420 f.
das äuge des Schreibers irrte vom ersten and auf das zweite
{unde) ab.
513 ff. les ich:
[ditz ist ein ungeloube . .
515 und vil unwiser rät
daz ich gelücke missetät
zihe daz ich noch vor mir hän.|
hsete heil baz ze mir getan,
so hsete ez halbes mich vermiten
520 daz ich sus gar hän erliten.
si bedenket sich vil lihte baz.
owe, möhte ich wizzen daz,
naera sam e danne ir war.
V. 523 lautet in der hs. : na^tn ee danne ir war, vielleicht weil
der Schreiber sam wegen der ähnlichkeit des wortbild^s mit
WALLNER, ZUM TEXT DES MORIZ VON CRAON 133
««m übersprang. Ir und si (521) bezieh ich. wie angedeutet
wurde, auf gehicke und 1ml ^: 'hätte frau Saide es besser mit
mir gemeint, so hätte das, was ich ganz zu erleiden hatte, mich
nur halb betroffen, vielleicht besinnt sie sich eines bessern,
ach, wüst ich das, dann baute ich auf sie wie früher.'
773 sin gezelt was harte guot.
an die winden uf den huot
wären sine wäpen gesniten.
auf den zeltwäuden und auf dem Überzug waren die wappeu
angebracht, also aufsen und innen- daher gehört nach winden
ein komma.
790 da stuont ein köpf vol wines,
lüter sam wser ez wazzer,
und swebete dar inne ein mazzer,
daz iegelicher selber tranc
swen der durst dar zuo twanc.
■mazzer (hs. viasser) < mdser ist eine sprachgeschichtliche Un-
möglichkeit, und weder köpf noch kumpf (an das jetzt Schröder
Germ.-rom. monatsschr. 5, 622 denkt) kann eine kufe bezeichnen,
ich denke ; der Schreiber war im begriffe, versehentlich sam
wazzer zu schreiben, als er bei niederschrift des w den Irrtum
gewahrte und sich daraus half wie er konnte: luter sam wmr
es e. w. nnd swebete usw. ich lese:
da stuont ein köpf vol wines,
lüter sam ein wazzer
swebete er dar inne nazzer . .
ein wein also, der eigentlich wasser ist, nämlich aus dem
brunnen, über dem das zeit steht (vgl. 766 f.). das ist freilich
kein gewöhnlicher brunnen (darüber wird in anderem Zusammen-
hang gesprochen werden), aber auch nicht die fontaine de, vin,
wie Graston Paris verstand.
1210 dö muoz min frouwe lachen
daz iuwer zweier rat
allenthalben eine gät.
gemeint ist, die frau müsse ihres mannes unmut und reue hin-
wegscherzen, damit er sich beruhige und sie zu dem verabredeten
Stelldichein gehn könne, die hsl. lesart ane gät darf daher für
Haupts conjectur eine gät (mit der gezwungenen erklärung 'dass
euer beider ratschluss überall von dem des andern verschieden
ist, niht gemeine gäf) nicht geopfert werden, wortspielend er-
1 der dichter gebraucht zwar die neutra ijeläc/.e und heil, denkt,
aber bei beiden au 'frau Sielde' oder personificiert sie wenigstens aU
frauen. vgl. crou Srelde und ir kint das Heil Krone 15853. 22 867; {ir
Mt gexelt) Gelücke ze Ingesinde, dem Heile le liebem hinde Warn. 2596.
134 WALLNER
widert der ritter auf die mitteilung der zofe: 'mein rat {rät
'anschlag') hat ihm nie geschadet und mir nie geholfen', d. h.
'ich wüste mir immer nur übel zu raten, M'ie auch dies ver-
fehlte Stelldichein wider zeigt' (vgl. MFr. 157,5; 114,3).
1499 von diu var er, si er ein wiser man,
abe wege als er kan.
mit der evidenten besserung Haupts (din] hs. dannen) ist die
stelle noch nicht in Ordnung, da offenbare Verwerfung vorligt.
es ist zu lesen:
von diu si er ein wiser man
und var abe wege als er kan.
vgl. 1085 nu vart ah wege, ez ist zit.
1592 ir häte der (zouber) benomen
beide witze unde sin.
die ergänzung schrie (Mafsmann, Haupt; vgl. gGerh. 568) ist
vorzuziehen, da die frau den *zauber' sofort durchschaut hatte :
er vorhte im harter dan sin irip: si hekante den helt sä (1566 f.).
1777 Nil läzet dise rede varn.
tiuschiu zunge diu ist arn . .
Haupts herstellung des v. 1778 aus überliefertem Teuchte Jung
oder Arn hängt mit seiner frühen datierung des gedichtes zu-
sammen, seine conjectur, bei der er an die klage des Mainzer
Pilatusdichters dachte, hat wider Scherer verleitet, den Moriz
vCraon mit dem Mainzer hoffest in beziehung zu setzen und die
Pilatusstelle als patriotische polemik gegen unsern dichter zu
deuten (LG. s. 152). mit Schröders — reichlich frühem — an-
satz des MvCr. 'um 1215"' wurde der angenommene ausfall
gegen die spröde deutsche spräche recht unwahrscheinlich, nach
Hartmann, nach Wolfram und Gottfried hätte ein solches urteil
nur den spott über den stümper herausgefordert. Schröder gibt
jetzt seinen ansatz wider preis; nicht zuletzt deswegen, weil
klagen, wie sie der dichter 'nach Haupts einleuchtender besse-
rung' V. 1778 ff über die armut der deutschen spräche vortrage,
schwer verständlich seien vor einem publicum, das Gottfried und
Wolfram kenne (s. 28). immerhin verrät das gedämpftere epi-
theton 'einleuchtend' für Haupts conjectur, verglichen mit dem
* eh man mit dem MvCr. ein deutsches fablel in — oder ga,r über
— den anfang des 13 jhs. hinaufrückt, wird man seine spröde, anscheinend
altertümliche technik lieber aus der ungelenken kunst des wenig geübten
und wenig belesenen Verfassers erklären. '■' vgl. dieselbe bindung v. 573
mm: rieh oder arn. ruhe rede Trist. 5717; nrhitt ti'ort (Lexer ii 417).
■* das zusammenfalten der Wörter kann wie das spalten (gespalten rime
Kolm. 82, 17 n. ö. ; rime unr/espalten MSH in 344^) nur auf die reime
bezogen werden, und rime rillten ist ein formelhafter ausdruck (s. Mhd.
wb. n 633 \ 703; Lexer ii 438).
ZUM TEXT DES MOPJZ VON CRAON 135
'unanfechtbar" s. 29, das aus der 1 aufl. stammt, dass auch
Schröder schon leise bedenken gegen die richtigkeit dieser her-
stellung abzuwehren hatte.
Haupts geistreicher einfall schnitt in die Verderbnis
schonungslos hinein; ich glaube, sie lässt sich auch behutsamer
heilen, dem Schreiber lag die zeile wol so vor: Tiuchte fuch
rieh oder am und er verlas das fuch (vgl. darüber Schröder
s. 6 sub e) zu ßch, und nun kreuzten sich ihm die formein
rieh oder arm und junc oder alt zu einem Jung oder Arn. die
stelle wird zu lesen sein:
Nu lazen dise rede varu,
tiuhte £i iu rieh oder arn-.
Iwer der eine wil tihten,
iol er die rime^ rihten,
fo muoz er wort spalten
und zwei zesamen valten.
daz teete ich gerne, künde ich daz,
meisterlicher unde baz.
man vergleiche analoge stellen im Gesamtabenteuer: i 1, 420 . .
daz wcer ein inichel arbeit, und diuhte Wite idoch ze lank. ir
fraget mir der rede dank, ob si iu icol gevalle; i 3, 5 diu rede
hat mich guot geduht; diz mcere heizt 'der vrouwen zuhf. dass
der dichter am eingang oder schluss des märes seine geringe
kunst entschuldigt, kommt oft genug vor; dass er die tiusche
zunge anklagt, meines wissens nie.
Graz am dreikönigstag 11)14.
Allton Walliier.
LUCKENBUSSER.
EINE AUFSCHNEIDEREI DES TRITHEMIUS. Charles
de Bovelles von Amiens (Carolus Bovillus Samarobrinus) hat in
seinem 'Liber de differentia vulgarium linguarum et Gallici
sermonis varietate' (Parisiis 1533), zu dessen lectüre mich ein
freundlicher hinweis HMorfs geführt hat, auch ein paar ab-
schnitte über die deutsche spräche und ihre dialecte. auf das
cap. xivix 'Germauicani linguam a Latina lingua prorsus dis-
aentaneam apparere' folgt cap. l 'Temere lohanuem Tritemium
Germanorum linguam Latinae linguae adaequare voluisse': 'Non
temere, cum semel essem in Germania, apud Inhannem Tritemium
quondam abbatem Spanemensem, risi ego et Judibrio habui, ir-
ritam illius et casmm prorsus, quam in posteruin coram me
respondebat se operam daturum. Kam cum quadam die in fa-
miliari coUocutione oborta casu esset vulgaribus de Unguis sermo-
cinatio: tum rem supra vires poUiceri Tritemius non eruhuit: qui
1 36 SCHR()DER, EINE AUFSCHNEIDEEEI DES TRITHEMIUS
(jermanicam lingiiam, et conficMs a se characierilms ejruUurum, et
suffidentihus regulis instructurum, necnon Latinae fandein linguae
darem se eff'ecturum spopondit: adeo (aiehat) vt dorti guidem viri
in disciplinarum et scientiarum traditionihus nihilo dedignarentur
illius commoditafc et adminiculo rti. Hac ego cmdita ülius
sponsione, suhridens respondi, Tanfae voluere magnitudinis saxum,
haud esse humaiiarum manuum. Vbinnm enim inquam ego, o
Tritemi, apprehensurus es ipsam Germnuirae linguae ideam, quam
succingas vallis ac loris regularum, quihus asfringi oporteat,
prona in vitium suum imperiti vulgi lahia, ne ab amussi ah
idea, et a perpendiculo suae linguae vsquam titubent? Nam
sicuti diximus de Gallis, ita et de Germavis accidit, vt in Ger-
mania suus cuique populo placeat sermo, suusre loquevdi modus
sit cuilibet et rectus et hellus/
Schon im vorausgehnden capitel erläutert B. die mundart-
lichen Verschiedenheiten Deutschlands daran, dass er für 'panis'
den Oberdeutschen brot, den Niederdeutschen broit ^ zuschreibt,
für 'carnes' jenen fleclis, diesen flachs (!). und hier führt er nun an»
dass der gleiche grufs in Oberdeutschland Goid tag, in Nieder-
deutschland Goud dag laute; in cap. li treten nocli weitere bei-
spiele hinzu: 'aqua' a-atre — wasser, 'album vinum' u-itte fein,
— ivisse rviii.
Ganz richtig hat der Franzose den angeblichen plan des
Trithemius, die deutsche spräche durch regeln und Vorschriften
so auszubilden, dass sie der lateinischen an die seite treten könne,
als lächerliche überhebung charakterisiert: ^poUicens rem quae
irrito et perpero nlsit, suum semper fefeUlsset aiithorem' schliefst
er das cap. li, in dem er noch einmal auf Trithemius zurück-
kommt, mir will die ganze geschichte nur als eine neue Wind-
beutelei des Spanheimers erscheinen, aber freilich taucht die
frage auf, ob er den Franzosen nicht überhaupt zum besten ge-
habt habe: denn nicht nur dass uns ein solcher plan des T.
anderweit ganz unbekannt ist, er ligt auch dermafsen aufser-
halb seiner sonstigen bemühungen, dass wir an den ernst der
Sache unter keinen umständen glauben mögen.
' der druckfehler breit, an dem ein alter leser des Göttinger
exemplars anstors nahm {das ist gelogen schrieb er an den rand), ist in
cap. LI berichtigt.
E. S.
DIE GRUNDLAGEN DES RITTERLICHEN
TUGENDSYSTEMS.
Die griechische Sittenlehre ist auf die erlangung des liöchsten
gutes angelegt, das ist die glückseligkeit, evöaißovla, 'das gute
lebenslos' 1. im Zusammenhang mit seiner ideenlehre setzt Plato-
das ziel des sittlichen strebens in die höchste idee, das ist die
des guten; das wahre glück besteht demnach in der höchsten
Vollkommenheit der seele, in wunderbarer harmonie umfasst seine
ethik, geordnet nach der dreizahl, das ganze menschenwesen, auf-
steigend von den grundbedingungen des Seelenlebens zu dem ver-
halten des einzelnen in seiner individuellen sittlichen lebensgestaltung
bis zu den aufgaben der gesamtheit im Staate.
1 . Die Seelenkräfte teilen sich in die drei gebiete (seelenteile)
der Vernunft {rd loyLGxLy.öv, vovc), des mutes (der Willenskraft,
xö ^vfiosideg, ,'H'itöc) und der begierde (rd ejcidvur^TiY.öv,
2. Diesen drei seelenteilen entsprechen, je nach dem herschen-
den teil, drei charaktertypen: die (fiköaocfoi, die nach Weisheit,
die (fiXörifWi, die nach ehre und macht, und die (ft/.oyortiaioi,
die nach besitz und genuss streben. — jedem der drei seelenteile
kommt eine bestimmte tugend als aufgäbe zu: die Vernunft bat
die Weisheit, oocf ia, zu pflegen, der Willenskraft obliegt die tapfer-
keit, avÖQeiu, der begierde die selbstbeherschung, ototf^Qoovvi]^
alle drei tugenden aber werden in das richtige Verhältnis gebracht
durch die rechte beschaffenheit, die gerechtigkeit, öi/.aioovvi].
damit hat Plato die vier cardinaltugenden in die ethik einge-
führt. —
3. Wie die seele so zerfällt auch der staat in drei teile: die
herschenden sind die philosophen, der lehrstand; die für das wul
des Staates sorgenden sind die krieger und beamten, der \\elir-
' Paulsen System der Ethik - s. 22.
- nach Windelband in seinem PJaton, seinem Lehrbuch der geschichte
der Philosophie 4. aufl. und seiner Geschiclite der antiken philosophie,
3. aufl. von Bonhöffer; Natorp; Vofsler Dante I 2, 2S0 ff.
Z. F. D. A. LVT. N. F. XLIV. 1<>
138 EHEISMANN
stand; diejenigen endlicli, welche die materiellen bedürfnisse be-
schaffen, bilden die menge, das volk.
Aristoteles hat in seiner Nikomachischen ethik das erste
umfassende und zusammenhängende System der 'praktischen philo
Sophie' aufgestellt, glückscligkeit ist ihm betätigung der der
seele jeweils besonders eigentümlichen (in ihr vorhersehenden)
tagend, tu gen d ist ein verhalten (ä^ig, habitus, eine beschaffen-
heit) der seele. es sind aber nach den seelenkräften zweierlei
tugenden zu unterscheiden: solche des denkens, die dianoetischen
oder intellectuellen, welche die Vernunft, vovg, zum object haben,
die oofpla und die ihr verwanten verstandestugenden ; und solche
welche die beherschung der affecte besorgen, die ethischen oder
sittlichen tugenden, zu denen unter anderen auch die übrigen drei
cardinaltugenden, dvÖQEia, OiorpQOOvvij, ör/.aioovvi], gehören,
(las wesen der tugend besteht in dem einhalten des richtigen
inafses: sie ist ein mittel zwischen zwei extremen, so zb. ist die
lapferkeit ein mittleres zwischen tollkühnheit und feigheit. — indem
Aristoteles aufser den vier cardinaltugenden noch eine reihe anderer
bespricht, hat er die einsieht in die moralischen begriffe bedeutend
vertieft und verfeinert.
Die beiden gruppen stehn in einem abgestuften wert Ver-
hältnis, und demnach scheiden sich auch die träger dieser
tugenden hinsichtlich der lebensweise (Nikom. ethik buch X
cap. 7. 8, dazu buch I cap. 3). da die höchste Seelenbetätigung
(tugend) das denken, die Vernunft ist, vovg, so sind die dianoetischen
tugenden die vornehmeren, und die höchste lebensweise ist das
leben nach der Vernunft, das theoretische leben, das leben des
weisen, aber dieses leben ist, wenn vollkommen, nur göttlich. —
Das zweite leben ist das nach den 'sonstigen' tugenden, das
praktische leben, das leben der edeln und tatenfrohen naturen
(I 3). diese tätigkeiten sind menschlicher art (menschliche tugen-
den). — Aufser den beiden werten der vernunft und der tugenden
gibt es noch eine dritte gattung, das sind die äufseren guter (zb.
geld, körperkraft). sie sind zur glückscligkeit wünschenswert in-
soweit als der mensch unter menschen lebt (also für das praktische
leben), von den zwei ersten gebieten, denen dersitthchen tätig-
keit, behandelt aber Aristoteles nur das des praktischen lebens.
das die tugenden umfasst insofern sie der mensch ausführen kann;
auch auf die äufseren guter geht er niclit näher ein.
RITTERLICHES TÜGENDSYSTEM 13<»
Die von Plato begründete, von Aristoteles in seinem eigenen
sinne ausgestaltete und in ein systeni gebrachte etbiiv blieb die
grundlage für alle spätere moralphilosophie des altertums. für die
geschichtliche Überlieferung und weiterleitung dieser lehren ins
mittelalter liinüber hat das meiste Cicero mit seiner schrift Do
officiis gewürkt. er schliefst sich in seinem system an Aristoteles
an. wie dieser bespricht er eine gröfsere zahl von tugenden,
gi-uppiert sie jedoch nach der platonischen vierheit, der prudentia,
justitia, fortitudo, temperantia. wie Aristoteles scheidet er die drei
werte: das höchste gut, summ um bonum, die theoretische art
der pflichten, die sich auf den vollendeten und weisen menschen
beziehen (er unterlässt indessen, wie Aristoteles, eine Untersuchung
darüber); das sittlichgute, hon es tum (die tugenden), das praktische
pflichtverhalten des gewöhnlichen und einfach rechtschaffenen
mannes; endlich das nützliche, utile, die äulseren guter.
Die christliche morallehre hat Augustinus begründet', die
antike Weltanschauung ist umgewälzt, der mensch richtet sich nicht
mehr auf das diesseits ein, sondern auf ein dereinst kommendes
dasein, glückseligkeit ist nicht hienieden zu finden, wir erhoffen
sie als zukünftig, das höchste gut ist der friede im ewigen leben,
damit ist auch dem antiken tugendbegriff seine stelle angewiesen:
die vier cardinaltugenden sind nur weltliche werte, zwar das beste
und nützlichste für den menschen auf erden, aber doch nur zeugen
des menschlichen elends (De civitate Dei b. XIX cap. 4 u. 11,
auch b. V cap. 20, b. VIII cap. 3).
Von grofsem einfluss auf die befestigung einer christlichen
niorallehrc war des Boethius buch De consolatione philosophiae
in Gott findet das bedrängte menschenherz trost und frieden, Gott
ist das höchste gut. das thema seines trostbuches ist die ab-
wägung der glückswerte, Gott ist die wahre glückseligkeit, die
äufseren guter (weltstellung und körperliche Vorzüge) sind nur
falsches glück.
Ihre dogmatische ausbildung fand die christliche inoraltheo-
logie durch die Scholastik. Augustinus lehrte, nach 1. Kor. 13, 13,
drei haupttugenden, glaube, hoffnung, liebe, als die drei grund-
bestandteile der gottesverehrung. in der auf ihn folgenden theo-
' über die antike tugendlehre in hinsieht auf das ehristeutuni vgl.
bes. Otto Zöckler Die tugendlehre des christeutuuis s. 1 fi.
1 (I *
140 EHRISMANN
logie wurde eine Vereinigung dieser drei durch die worte des
apostels bestätigten fugenden mit den vier dem Griechentum ent-
stammenden cardinaltugenden vorbereitet, aber erst durch die
Sentenzen des Petrus Lorabardus wurde das siebenersystera als
gegenständ des dognias festgelegt '. damit sind die vier lügenden
zu rehgiösen werten geworden, insofern als sie beitrugen können.
unser sittliches leben Gott wolgefüllig zu machen-; aber die ab-
stufung zwischen den beiden reihen ist geblieben, indem die drei
von Gott kommenden und auf Gott sich beziehenden tugenden,
die 'göttlichen', unmittelbar von Gottes gnade eingegeben sind
(eingegossene tugenden), während die vier 'sittlichen" (moralischen)
tugenden, die unser sittliches verhalten regeln, durch Übung er-
worben werden können (erworbene tugenden).
Die bedeutung welche somit den vier cardinaltugenden in
dem kirchlichen moralsystem zukommt, hat ihren Ursprung in Cicero
und hängt zusammen mit dem widererstarkenden ansehen, das seine
Schriften seit dem 1 1 Jahrhundert gewannen ■'.
Nun ist auch die trennung zwischen moraltheologie und
moralphiiosophie klar vollzogen, sie wird bestimmt durch die
auffassung der drei wertgebiete, die Aristoteles aufgestellt, Cicero
dem mittelalter überliefert und Augustinus in seine Scheidung von
gottesstaat und weltstaat einbegriffen hat: die lehre vom höchsten
gut, summum bonum, von Gott, gehört nur der tlieologie an;
' vgl. Zöckler s. 148 ff.
- dies war umso eher möglich, als die in der bibel seihst, nämlich
in der Weisheit Salomos 8, 7 gepriesenen tugenden den vier cardinal-
tugenden sehr nahe stehn.
2 dieses wideraufleben Ciceros und seine bedeutung für die mittel-
alterliche ethili ist noch wenig beachtet worden. Manitius hat in seiner
Stoff reichen Geschichte der lateinischen litteratur des mittelalters eine
icurze skizze über Cicero vom 7 bis zum 10 jahrhunJert gegeben
(3. 480 — 482), Norden in seinem werk über die antike kunstprosa Ciceros
einfluss auf die mittelalterliche rhetorik in einem überblick dargelegt
(s. 659 ff, s. bes. s. 691 f. 708—710); bei Zielinski Cicero im wandel der
Jahrhunderte (3 aufl. s. 130 — 136) finden sich nur allgemeine angaben,
für die geschichte der katholischen ethik ist aber dieses einwirken Ciceros
überaus bedeutungsvoll. das gerüste der virtutes morales in der
Summa Theol. des Thomas von Aquino 11, 2 qu. 47 ff geht auf Cicero
zurück, und damit ist die lehre von der tugend auch noch des heutigen
katholischen volksunterrichts von ihm beeinflusst. die auffassung der antiken
moralphiiosophie ist natürlich dem christlichen empfinden angepasst worden.
RITTERLICHES TüGENDSYSTEM 14 1
die lehre von den tugendeu, das honestum, fällt sowol unter
die tlieologie als unter die philosopliie; die äufseren jrüter, das
utile, belangen allein die philosophie. die nioralis theo-
logia ist ein teil der glaubenslehre, des dogmas. der summa
theologiae ('Fides', Alanus, Migne 210, Ulf); die moralis
philosophia ('Mores'. Alanus) bildet die weltliche Wissenschaft
der ethik, ethica ^.
Das weltliche tugendsystem also, das uns hier zu beschäf-
tigen hat, beruht auf den vier cardinaltugenden, dem honestum,
und den gutem, dem utile (die in 'bona fortunae', glücksgüter,
und 'bona corporis', körperliche guter, zerfallen), das gesamte
sittliche leben bewegt sich in den drei wertgebieten des 'summum
bonum', 'honestum", 'utile', als leitspruch aber einer Unter-
suchung über die ritterliche tugendlehre kann wol am passendsten
die Übertragung vorangestellt werden, die Waltlier von der Vogel-
weide den drei begriffen gegeben hat: diu zwei mit ere und
varnde g 11 o f . duz dritte ist <jot<'S hiilde (S, 14. 16), und e?
wird sich im folgenden häufig gelegenheit bieten, jene dreiteilun-
in der höfischen dichtung naclizu weisen.
Eine besonders ritterlich-höfische färbung bekam diese ethik
durch die charakteristischen staudesanschauungen der aristokrati-
schen gesellschaft, vor allem durch den speciell ritterlichen ehr-
begriff und das minnewesen.
' Populär-praktische ethik wurde im altertum als notwendiges hilfs-
mittel für den redner in der rhetorik getrieben, so leitet Aristoteles
seine Rhetorik mit einem solchen abriss ein, Cicero beschlielst damit sein
rhetorisches lehrbuch De inventione. letzteres hat Alcuin ausgezogen in
seiner Disputatio de rhetorica et virtutibus. im mittelalterlichen Schul-
wesen wurde auch ethica betrieben, aber in dem trivium und quadrivium
hatte sie keine stelle, gegenständ der ethik waren die vier cardinal-
tugenden, zb. Notker De arte rhetorica, Piper 1, 624: Quid est ethica?
moralis scientia. quomodo moralis? quia de moribus hominum constat.
in quot species diuiditur? in prudentiam, iusticiam, fortitudinem, tem-
perantiam . . . Die eiuteilung der philosophie überliefert Isidor Orig. II
24, S: philosophiae species tripartita est: una naturalis quae graece
Physica appellatur (Naturwissenschaft); altera moralis — Ethica (de mori-
bus), tertia rationalis — Logica (in qua disputatur), vgl. Conradus Hir-
saugiensis Dialogus super auctores ed. Schepss s. 83 f, Hugo von SVictor
Eruditio didascalica III 1 f, Migne 176, 765 ff; auch in der Ikonographie:
Engelhardt Herrad von Landsperg tafel VIII.
142 EHRISMANN
Die wegstation für das eindringen der pflichtenlelire Ciceros
in die deutsche ritterliche morallehre bildet die bekannte, in vielen
handschriften überlieferte, zum Schulbuch gewordene, im anfang
des 16 Jahrhunderts mehrfach gedruckte Moralis philosophia de
honesto et utili (Migne 171, 1007 — 1056, dazu der Libellus de
quatuor virtutibus vitae in distichen ebda sp. 1055 — 1004), die
früher dem Ilildebertus Cenomanensis oder Hildebert von Lavardin,
bischof von Le Maus und erzbischof von Tours (li)57 — 1134),
zugeschrieben wurde, vielleicht aber von Wilhelm von Conches
herrührte sie beruht auf Ciceros De officiis, beigezogen sind
andere römische autoren, Seneca, Horaz, .luvenal, Sallust, Lucan,
Terenz, Boethius. Die moralis philosophia ist eine weit liehe
Sittenlehre im gegensatz zur theologia bezw. theologia moralis und
enthält keine ausgesprochen christlichen gedanken.
Die Moralis philosophia zerfällt in fünf teile:
Quaestio I, de honesto, handelt von dem moralisch guten,
von den tugenden -. in der einleitung (Migne 100*.)) werden
honestum und virtus gleichgesetzt: virtus igitur et honestum no-
raina sunt diversa, res autem subjecta prorsus est eadem. folgende
einzelne tugenden werden aufgezählt: 1. prudentia: klugheit
(sonst auch sapientia, Weisheit) mit den teiltugenden pro
videntia: vorbeurteilung kommender dinge; circumspectio: vor-
sieht, von einem laster in das entgegengesetzte zu verfallen :
cautio: tugendähnliche laster von tugenden zu unterscheiden:
docilitas: klugheit, unerfahrene zu belehren. — 2. justitia: ge-
rechtigkeit, mit severitas: strenge in der bekärapfung des Unrechts •
liberalitas: woltätigkeit, freigebigkeit ; retributio: widererstattung
des dankes, dankbarkeit; beneficientia: woltätigkeit; religio: gottes-
dienst, gottesverehrung, gottvertrauen (darunter veritas: Wahr-
haftigkeit, und fides: halten des gegebenen wortes, bei Cicero
grundlage der justitia, De off. 17); pietas: eitern und verwandte
ehren; innocentia: reinheit der seele, unschuld; amicitia: freund-
schaft; reverentia: ehverbietung gegen höhere; concordia: ein-
tracht; misericordia: mitleid. — .'}. fortitudo: tapferkeit, mit
raagnanimitas: (hoher) mut; fiducia: Zuversicht; securitas: furcht-
* Schönbach Anz. f. d. A. xvii 344; Haur^au Notices et extraits I
( Paris 1890) s. 99.
^ sie werden auch bona animi genannt, geistige guter, nach Aristo-
teles Ethik I 8; Cicero De off. I 23.
KITTERLICHES TUGENDSYSTKM 143
losigkeit; magnificentia: hochherzi-keit; constantia: beständigkeit;
patientia: geduld. — 4. teraperantia: selbstbeherschung, mit
raodestia: bescheidenheit, demut, gute erziehung; verecundia: ehr-
barkeit im äußeren benehmen, sittsamkeit; abstinentia: enthalt-
samkeit im essen und trinken; honestas: anstand im äußern auf
treten, anständigkeit; moderantia: mäfsigkeit im essen; parcitas:
mäfsigkeit in der erholung; sobrietas: nüchternheit, raafshalten im
trinken; pudicitia: seliamhaftigkeit.
Quaestio II, de comparatione honestorum; die vor-
züglicliste der vier cardinaltugenden ist die teraperantia, dann
folgen fortitudo, justitia, prudentia.
Quaestio III, de utiii, betrifft die äufseren vorteile, die
nützlichen guter, das sind 1. die vergänglichen guter des körpers.
corporis bona: pulchritudo : Schönheit; nobilitas: adel; velocitas:
Schnelligkeit; robur: stärke; magnitudo: gröl'se; valetudo: gesund-
heit. 2. die glücksgüter, fortunae bona: opulentia: reichtnm:
praelatio: vorzug vor andern, macht (trieb dazu ist der ehrgeiz):
gloria: ansehen, ehre, rühm (unter die glücksgüter gehört eigent-
lich auch nobilitas, die aber unter die körperlichen guter gezählt
ist, sp. 1043 A)'.
Quaestio IV, de comparatione utilium, vergleichung
der werte der einzelnen nützlichen guter.
Quaestio V, de pugna utilitatis et honestatis: alles
tugendhafte, moralisch gute (honestum), ist auch nützlich (utile),
und es gibt nichts nützliches aulser dem tugendhaften (moralisch
guten), darum gibt es keinen gegensatz zwischen utile und
lionestum. hervorzuheben ist, dass die Moralis philosophia hier
die für das mittelalterliche moralsystem gültige dreifache
gliederung der sittlichen werte anführt: bonum,
honestum, utile, nach Cicero De off. II 3 (s. auch I 23.
Cicero gebraucht an dieser stelle iustum, das rechtschaffene, statt
bonum, iustum entspricht dem yMTÖfjOcoua der stoiker, voll-
kommene Pflichterfüllung, vgl. De off. I 3). darauf folgt in der
Mor. phil. der satz — mit einiger ab weich ung von Cicero —
^ die nobilitas gehört ihrem wesen nach zu den bona fortunae,
und Thomasin stellt sie auch zu den gütern 'aufserhalb des leibes' (s.
unten s. 147). die Moralis phil. hat nobilitas, ehre und rahm der vorfahren,
talschlich unter die bona corporis gebracht.
144 EHRISMANN
was gut (bonum) äst, das ist auch nützlich (utile), was tugendhaft
(honestum) ist, das ist auch nützh'ch.
Wichtige moraUsche grumlsütze des rittertums finden sich
auch in dem Poiicraticus sive De nugis curialium et
vestigiis philoso'phoru ni des Johannes Saresberiensis
(geschrieben um 11 (Jü), so besonders die cinteilung der weltlichen
guter, fast jeder strebt nach eitler ehre (vana gloria) : zu dieser
gelangen die einen durch tugend (oder durch ein scheinbild der
tugend), die andern durch den vorzug der natur, wider andere
durch den vorzug des glucks, denn der riihm wird erlangt von
Seiten der seele oder des körpers oder äufserer dinge (ab animo
aut corpore aut ab extrapositis). es sind drei stufen der guter:
Vorzüge des inneren Verhaltens, primus gradus : auimi coramendatio
(animus = mnot), die daher kommende ehre (laus) ist wahr und
oft vollkommen l^ijar gaol' bei Thomasin, s. unten); secuudus
gradus: corporis valetudo et venustas, dieser vorzug (commendatioj
ist nur verisimilis und nicht perfecta; tertius gradus: qui ex-
teriorem continet laudem, divitiae, potentia, gratia, das sind weder
wahre noch vollkommene guter, sie können zum guten oder zum
schlechten gebraucht werden je nach der gesinnung ihres besitzers.
der vollkommene ritter^ wird geschildert VI 8: Quis est usus
militiae ordinatae? Tueri ecclesiara, perfidiam impugnare, sacer-
dotium venerari, pauperura propulsare injurias, pacare provinciam,
pro fratribus, ut sacramenti docet conceptio, fuudere sanguinem
et, si opus est, animam ponere . . . Sed quo fine? An ut furori.
vanitati, avaritiae serviant, an propriae voluntati? Nequaquam.
sed ut faciant in eis Judicium, in quo quisque non tarn suam
quam Dei, angelorum et hominum sequatur ex aequitate et publica
utilitate arbitrium . . . Xam et haec agentes milites snncti sunt ;
vgl. auch VI 5 honestas idoneum militem reddit. ferner Ilonorius
August. Spec. eccl. Sermo generalis, Migne 172, S65 A.; Petrus
Blesensis epist. XCIV, Migne 207,294; Alanus de Insulis Summa
de arte praedicatoria cap. XL, Migne 210, 185 — 187.
Die Moralis philosophia - wurde um 1170 — 1180 von
• Roth von Schreckenstciu Die ritterwiirde und der ritterstand
s. 257 — 275; Petersen Das rittertum in der Vorstellung des Job. Kothe,
QF. 106. 155—164.
- auf dem boden der weltlichen tugendlehre ^tehn auch die diei
hiteinischen liebesbriefe der Tegernseer hs . MFr. 221 — 224. der Verfasser
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM 14:.
Werrier von Elraendorf, kaplan des propstes Dietrich von
Heiligenstadt im Eichsfeld, ins deutsche übertragen >. die wider-
gabe ist nicht sonderhch geschickt, oft sind unnötige Umstellungen
gemacht, vieles ist ausgelassen, zwischen wichtigem und unwich-
tigem ist nicht recht unterschieden, vor allem aber ist der knappe
und klare ton der lateinischen vorläge nicht getroffen, zumal den
lateinischen tugendworten in der Übersetzung keine präcis gefassten
deutschen abstracla entsprechen, nur selten hat Werner etwas
von dem Charakter der zeit hinzugetan, wie er etwa bei der
'liberalitas' die mildtätigkeit gegen die armen betont (V 291 — 439)
oder die kriegslehre zeitentsprechend umgestaltet (V 760 ff , vgl.
Schönbach s. 65). ritterliche und höfische anklänge finden sich
bei ihm gar nicht.
Werner bescliränkt die fünf quaestioneu der Moralis pliilo-
sophia auf drei dinge: Drl sachin hören an den rat, Da bij
alle Uigent nu stat : Daz eine daz is ere, daz ander fronte.
Daz dritte ivi man do zu käme Daz man durch liehe
noch leide Ere und fronte umnier nicht gescheide 83 — 88.
er teilt also ein in 1. ere, honestum, 2. fronte, utile, 3. daz
man ere und fronte nicht gescheide. d. i. de pugna utilitatis et
honestaiis-.
Die teiltugenden, abarten, des honestum in der Moralis philo-
sophia waren aber ebenfalls, allerdings y\e\ später als die vier
cardinaltugenden, schon in die kirchliche morallehre aufgenommen
und in geistlichem sinne ausgelegt worden, zum teil trafen sie
mit bibUschen reihen zusammen, mit den sieben gaben und elf
fruchten des heiligen geistes, mit den sieben seligpreisungen. in
der tugendtafel des Honorius Augustodunensis zb. (Migne 172,
beruft sich auf die secularium doctorum uon improbanda doctrina •222, 2!l.
es handelt sich dabei um die regeln der hncescheit : iura curialitaiis
und um die ere, das honestum : fons et origo totius honestatis
223, 1 f, fructus honoris et honestatis 224, 30. dagegen ist der Inhalt
des buches De Amore vom caplan Andreas sehr verschieden von der
Moralis philosophia.
1 ed. Hoffmann v. F. Zs. 4, 2S4 — 317 ; zu der quelle Werners und
der art der Übersetzung s. Schönbach Zs. 34, 55 — 75.
- dieses klare system wurde natürlich später nicht mehr begriffen:
Johannes Rothe macht daraus die drei dinge hoöisch, nutse unde [jud
oder nuts, togunt, ere 2557- 25C4, vgl. Wilmanns LebeD Walthers v. d.
Vogelweide b 470, 2 aufl. von Michels s;. 4f)4.
146 EHR18MANN
187 — 190) sind die meisten einzelteile des honestum enthalten,
auch in Bamberger Glaube und Beichte, MSD '.) 1 , 210 ff.
THOMASIN VON ZIRCLAERE.
Die tugendlehre * hat unter den mhd, autoren am ein-
gehendsten Thomasin von Zirclaere entwickelt, im 5 buch
seines Wälschen Gastes will er zeigen, wir die tiajcnda vüetjtmt.
(hiz, daz man ze himel komen sol 5700. er spricht hier von
dem guten und von dem übel, das übel, das aus dem teufel
und den Untugenden besteht (V 5727 — 5742), wird nicht weiter
berücksichtigt, da die höfische ethik es nur mit dem honestum
und utile zu tun hat. es handelt sich also um die dreiheit:
1. ober.stcz yuot, daz ist nnfifr herre got 5709 — 57 18; 2. daz
ander heizet guot gar (oder gar guot, vgl. 5721. 47. 88. 93.
96. 98), daz sint die ingende 5719 — 5726^. gar guot. völlig
' zu Thüiuasinti sittlichen anschauungen vgl. bes. Schönbach Die an-
fange des deutschen minnesanges s. 35 — 49; Laura Torretta 'Wälscher
Gast' di Toinmasino di Cerclaria e la poesia didattica del secolo XIIJ,
Studi medievali, diretti da FNovati e RRenier I 24 — 76; Friedrich Ranke
Sprache und stil im Wälschen Gast des Tb. v. C, Palaestra LXVIII 134
—170; s. auch Zs. 49, 406 f u. Zs. f. d. Phil. 45, 314 f. die Moralis
philosophia (Schönbach s. 40 ff) hat Thoniasin wol im einzelnen benutzt
und äufsert vielfach ähnliche gedanken, aber ethische grundanschauungen
wie das oberste gut, die s^tcete als allein bestimmende tugend, die mäze
als jiiEaörrjg finden sich in der Mor. phil. nicht, und umgekehrt hat
Thomasin nicht das dort herschende ciceronianische honestum.
" Die tugendeu sind stufen einer treppe, stiege, die zum obersten
gut führen 5781 — ^5846. das bild von der stiege oder leiter ist Boethius
De consoJatione I 1 entnommen : die philosphia trägt ein gewand, das sie
selbst aus fäden gewoben und in das sie eine treppe eingewirkt hat.
diese scala geht von unten nach oben zwischen den buchstaben /7 und €)
d. i. TiQÜ^ig und ^swQia, sie eriiebt sich also von dem praktischen leben
zum theoretischen (s. oben s. 138). von den tugendeu ist hierbei Boethius
nicht die rede, aber im provenzal. Boecis (10 jh.) sind die stufen der
sieben tugendeu sieben lästern (darunter vier hauptsünden) entgegengesetzt,
die scala führt vom irdischen leben zu dem rechten glauben. Otfrid hat
b. IV cap. 29 im anschluss an eine kurze notiz bei Beda und Alcuin zu
Joh. 19, 24 (Erdmanns ausgäbe in den anmerk. zum text und in den er-
läuterungen s. 457 f) eine ebenfalls aus der stelle des Boethius stammende,
aber rein christliche allegorie: Karitas ist die verfertigerin des gewandes,
nicht die treppe wird mystice gedeutet, sondern die fäden: diese sind die
gläubigen in guter und standhafter gesinnung, die in einniut vereinigten
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM 147
gut, ist das xazögO^coucc der Stoiker (s. oben s. 1 13), perfectiim
officiam rectam (De off. 13). zu yar gaot steht im gegensatz
;'.. übel unde gnot, das was sowol schaden als nützen kann,
je nachdem es der mensch gebraucht 5743 — 5780. das oberste
sittHche gut also ist^Gott^. das zweite gut sind dieJugenden.
und zwar sind es religiöse tugenden , die alttestaraentlichen
Personen beigelegt werden (s. dazu die anmerkung Rückerts
s. 56Sf)i: Abraham kam zum obersten gut bezw. zum liimmel
durch gehorsam, Moses durch demut, Job durch geduld, Finees,
weil ihm die Verletzung von Gottes gebot leid war, Isaac
durch keuschheit, Jakob durch einfalt, Enoch durch reinheit,
Joseph, da er böses mit gutem vergalt (6041 — 0095). es ist
wol zu merken, dass es christüche tugenden sind, die zu Gott
führen, forderungen mönchischer demut und enthaltsamkeit, nicht
die ciceronianischen tugenden der Moralis philosophia. das dritte,
übel unde guot 5743 — 5780, sind die sechs dinge adel, inaht,
gelust, name. rlchinom, herfchaÜ (sie sind auch schon vorher be-
sprochen, 2677 — 4144) und zwar 1. rlchtuom (gnot) 2677 —
3066; 2. herschaft 3067—3284; 3. mäht 3285—3516; A. name
3522—3854; 5. adel 3855—3926; 6. gelnat 3927—41-14. es
sind also sechs glücksgüter. sie werden später 9731 — 9750
durch zufügung der körperlichen guter zu zehn dingen erweitert,
wobei jedoch die einteilung etwas geändert ist: es sind a) fünf
dinge im leib: sterke, snelle, gelust, schcene, behendekeit; b) fünf
dinge aufserhalb des leibes : adel, mäht, rlchtuom, name,
herschaft.
zlieder der kirche, iu liebe verbunden im glauben an Christus lebend,
mit freude; das gewand (tunicka 14 f) ist die kirche (über die allegorie
des gewandes vgl. Marie Gothein Der gottheit lebendiges kleid, Archiv f.
religioDSwiss. 9, 337—364; vgl. auch Eoethe Eeinmar vZweter s. 218). an
dieser allegorie vom gewande der philosophie kann man die entwickelung
des ritterlichen tugendsystems verfolgen : Boecis wendet die antike auf-
lassung des Boethius ins christliche, indem er die laster und tugenden
einfügt, Otfrid hat dann auch noch an stelle der heidnischen Philosophia
die christliche Charitas gesetzt, wird nun die geistliche Charitas in die
höfische Minne, amor, übertragen, dann ist die bedeutung der niiune als
Schöpferin der tugenden erreicht, vgl. dazu Wechssler Das kulturproblem
des minnesangs I, bes. cap. XI ff; die tugenden als gegenmittel gegen
uster hat ähnlich wie Boecis N'Ät de Mons, Wechssler s. 344.
» vgl. die Geistlichen ratschlage, MSD. nr i.x.xxv.
148 EHRISMANN
Die ethisclie grundfrag-e in Thomasins Sittenlehre ist die
nach dem wahren wert des iebens. die antwort ist: die glück-
seligkeit besteht im besitz des höchsten gutes und nicht in dem
der irdischen glücksgüter. diesen teil seines lehrbuches schöpft er
unmittelbar aus des Boethius buch De consolatione j)hilosophiae.
in diesem Zusammenhang handelt es sich also um das höchste gut
und um die weltlichen guter, um das summum bonum und das
utile, die Uufserlichen und körperlichen Vorzüge sind nahezu die
gleichen wie bei Boethius b. III (divitiae, honores, potentia, gloria.
voluptas, robur, niagaitudo, pulchritudo, velocitas, salubritas III, 2),
der sich seinerseits an Ciceros püichtenlehre anlehnt, nun aber hat
Thomasin statt der zwei gebiete des Boethius — höchstes gut und
irdische glücksgüter — den üblichen dreiteiligen plan, indem er
das gar giiot, die tugenden, einfügt, diese würden dem hone-
stura Ciceros entsprechen , aber er hat eben nicht die ciceroniani-
schen vier grundtugenden des honestum mit ihren abarten auf-
genommen, sondern eine anzahl geistlicher tugenden. diese aber
spielen bei ihm sonst gar keine rolle in seiner lehre, vielmehr ist
sein ganzes sittengebäude gegründet auf die sta'. t e , das ist in
hölierem sinn die göttliche weltordnung (vgl. 17S9 — 2679, bes-
2147—2422. 2603 ff. 43 17 ff) und auf die befolgung der gott-
gesetzten Ordnung (4323) durch die menschen, somit ist die .?<«:! fe ==
stcBte an guoten dingen, aller guote ervollunge, die eifüllung alles
guten; mit ihr vollbringt man die tugenden (4333 — 4347). sie ist
die grundlage der tugenden. das entgegengesetzte laster ist die
unsioite, aus der alle uusittlichkeit entspringt (1837 ff), un-
stKTe'vcü engeren sinn ist = inconstantia, Unbeständigkeit, wandel-"^
barkeit (ebenfalls 1837 ff), im gegensatz hierzu ist sta'te dann =;
\ constantia, unveränderlichkeit, beharrlichkeit, festigkeit. der stoßte
j gesellt Thomasin als Schwester die mäze^ bei (in diesem falle aber
^besteht ein Widerspruch zum vorigen, die statte mit der mäze
sind kinder einer fügend 12340, während vorher doch die stmte
die grundlage der tugenden ist), deren gegenteil die unmäze ist,
aus der die sieben hauptsünden hervorgehn (9S95ff). Die mäze
ist die aristotelische fxsoörrjc, medietas, medioeritas, die richtige
' vgl. Wilh. Hermanns Über den begriff der uiäfsigung in der
patristisch-scholast. etbik von Clemens vAlexandrien bis Albertus Magnus,
Bonner diss. 1913.
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM ]4<j
mitte zwischen zwei extremen (dia rehte mäz diu hat ir zu en-
zwischeM lützel umle vil 9937 f). diese mitte ist immer eine tilgend,
die extreme sind zwei Untugenden (zwischen zwein Untugenden ist
ein tngent zaller fr/s^ 9993f), und bei dieser gelegenheit werden
dann neben den Untugenden auch einige tugenden berührt: diu-
muot 9997, einvatt 10021, reht 10043, dultekeit 10057. die
mäze gibt aber auch ere und guot 9947, man mühte mit der
mäze lere die untugent ze tugent bringen 9986 f (vgl. temperantia
in der Moralis philos. Migne 171, 1034, temp. est dominium ratio-
nis in libidinera usw.), insofern ist also die mäze überhaupt be-
wirkerin der tugend und wiederum dasselbe wie die st(fte. nach
der stcete und mäze betrachtet Thomasin noch das reht als
bruder der beiden 12341 und die milte als des rehtes kint
13580 (sie gehört unter die tugenden der justitia, s. oben
s. 142 die raoral. phil.).
Thomasins ethik ist also nicht einheitlich, denn er nimmt seine
tugenden aus verschiedenen quellen: zwischen das höchste gut
und die irdischen guter bei Boethius schiebt er die christlichen
Patriarchentugenden ein, und doch ist anderseits die sta'.te, die
aus dem stoicismus, aus Horaz, Seneca, Boethius stammt, die grund-
lage des tugendsystems, während die ihr beigegebene mäze des
Aristoteles tugendprincip ist; das honest um Ciceros mit den vier
kardinaltugenden fehlt ganz.
Stcete und mäze sind grundwerte der stoiker und des Ari-
stoteles, reht und milte sind pflichten des adels und der herren.
die morallehre Thomasins besteht aus antiken principien, die in
christliche Weltanschauung übertragen und den anforderungen seiner
zeit und seines Standes angepasst sind, pliilosophia moralis und
theologia sind also hier verschmolzen, es ist eine aristokratisclie
lebensbetrachtung, aber nicht in ausgesprochen ritterlicher und über-
haupt nicht in höfischer auffassung. von dieser weicht sie be-
sonders ab in der geringeren einschätzung der minne und in
völliger Verurteilung des ruhmes. der rulim (name, namehnft siu.
ruom) gehört zum übel unde guot 5746 und ist lediglich irdi-
sches, also nichtiges gut, vgl. bes. 3520—3854, u. a.: ich u-it
sagen . . . von dem manne, der namehaft gerne ivcere. daz ist
war, der dunket mich ein töre gar, beispiel: Artus 3520ff, ol>
ein herre reht tnon wil und ist an tugent rolkomen gar, er sul
niht ahten umh ein här daz man von im sage vil, wan ein In-
150 EHRISMANN
derbe herre ivil f/rrner durch got ivesen yuol dnv durch ruom
3662—3668.
Für Thomasin liegt das ideal im christlicheu ritter, der frei
ist von irdischer ruhmsucht, dessen aufgäbe es ist, für Christus
zu streiten und für Christi ehre gegen die die sie erniedrigt haben,
da sie sein land genommen, es ist der kreuzzugsritter, den er in
seiner kreuzpredigt (11384 — 11848) an seine ptlichten und an
seine belohnung mahnt, der ewige rühm, der über den tag des
gerichts hinaus besteht, daz ist tugent und vre 11394—11400.
die er 6', die zu Gott führt, ist also der dienst im kämpfe für
Christus, oder auch: es sind die christlichen lügenden (s. oben
s. 140), nicht die lügenden der Moralis philosophia. das utile
aber, das irdische gut, gehört überhaupt nur in die weltliche
raorallehre, in die philosophia moralis, nicht in die christliche,
in die theologia. die irdischen guter sind eitel und vergänglich
und führen nicht zur wahren glückseligkeit: das ist die lehre
der kirche.
Die tugendlehre Thomasins urafasst das ganze werk mit aus-
nähme des ersten buches, für das er ein früheres ebenfalls von
ihm, aber in italienischer spräche verfasstes buocli von der hüf-
scheit benutzt hat 1173 — 1178 (Schönbach Anfänge d. minne-
sanges s. 76). in einigen puncten schliefst er sich hier besonders
an das capitel über die modestia in der Mor. phil. an (sp. 1033 — 39).
dieses I. buch enthält eine höfische anstandslehre für adliche kinder
{diu edeln kint 344. 528. 601, ähnlich 363 f), für Jünglinge und
Jungfrauen, adliche herren und damen, eine lehre der zuht (zühte
lere 30, waz zuht si 25). zuht ist einmal das erzogenwerden,
die lehre der wolgezogonheit, und dann das erzogensein , das er-
gebnis des erziehens, die wolgezogenlieit selbst, bildung, feine sitte.
sittsarakeit, liebenswürdigkeit, die summe der eigenschaften einer
höfisch gebildeten persönlichkeit, höfescheit, cuoyc (schmn'm hove-
zuht 302, swer hilf seh wil sin unde (jevuoc 153), prov. cortezia,
afrz. courtoisie. die zulit fällt nach den ritterlichen begriffen in
das gebiet der ttujent, denn tuyent bedeutet vortreffliches jeder
art (Benecke Wb. zum Iwein), aber beim ethischen System ist
streng zu scheiden zwischen den zwei gebieten der tilgen t nach
mhd. Sprachgebrauch, da diese einmal nur die äufserliche feine
höfische sitte {tugent in gesellschaftlichem sinn, = .2«/« /j bedeutet,
dann aber die höheren werte, die im honestum zusaniraengefasst
RITTERLICHES TüGENDSYSTEM 151
sLod. die lügenden, oder tugend, virtus, im normalen ethischen
sinn, '
Zuht, wolerzogenheit also, ist schon tugcul im höfisch ge-
sellschaftlichen sinn, sie kann auch zur tugent in eigentlich mora-
lischem sinn, virtus, führen 21—32. wie ztiJit und tugent so sind
auch zuhl und rrr unzertrennlich: zuht erzieht zur ere, und
zuht = iQmQ bildung ist ere, vgl. 163 f. 5G9 — 1172. diese hö-
fische Sittenlehre des I buches, wo tugent = zuht ist, entspringt
mittelalterlichen gesellschaftsverhältnissen , dagegen der hauptteil.
wo die tugent als virtus (hone s tum) gelehrt wird, gründet
sich, wie oben verfolgt wurde, auf die antike.
Das beseelende dement im höfischen leben ist die nilnne,
in weiterem sinne der gesellschaftliche verkehr zwischen den höfi-
schen herren und damen; davon spricht Thomasin in den letzten
abschnitten des I buches, v. 11G3 — 1676. die grundlage aller höfi-
schen zulit ist die mäze, die selbstbeherschung {OLorfgoovvr^,
temperantia), die macht über das temperament, das zurücktreten-
lassen des ichs, das raafsvolle auftreten, auch in der körperlichen
lialtung, das rücksichtsvolle benehmen im verkehr mit andern, das
schöne ebenmafs (Wechssler Kulturproblem s. 44ffj.
Jfäze ist die acht höfische tugend. der prüf stein der aristo-
kratischen bildung. eine gesellschaft die ihre lebensweise auf die
rücksicht gegen die nebenmenschen gründete, muss ein hohes mafs
inneren tactes besessen haben, und es erregt unsere bewunderung,
wie das rittertum in seiner blütezeit an der Vervollkommnung
seiner sitten (zuht) und seiner Sittlichkeit (tugent in moralischem
' Zuht ist das was Cicero 'deconim' iienut (De oificiis 1 27 ff uiul
bes. 35 ff), das anständige, ein wesentlicher teil der temperantia, ausführ-
lich behandelt als 'modestia' in der Moralis philosopliia (sp. lOjJJ— lüaO),
die äufsere haltung, das benehmen, überhaupt die anstandspflichten, die
darauf beruhen, dass die Vernunft die triebe im zügel liält, das ergebnis
der erziehung und Selbstzucht, worin zugleich die bemühung ligt, den bei-
füU derer zu gewinnen unter denen wir leben, als vernunftgeniäfse, ver-
ständige äufsere und innere lebensführung ist modestia = mhd. öe-
ircheidenheä, wonach Freidanks Spruchsammlung den namen trägt, in-
sofern sich die modestia im besonderen sinne auf das äufsere sichtragen
und benehmen im verkehr mit der Umgebung bezieht (so in der moral-
theologie des Thomas, vgl. LSchütz Thomas-lexikou s. 4S9), nimmt (his
wort bescheidenheit die einges.-hriiuktere bedoutuug des uhd. bescheideii-
^eius au.
1.-S2 EHRISMANN
sinn) gearbeitet hat. — Tliomasin selbst hat in seiner liofzucht die
tuäze nicht als sittigende norm aufgestellt, erwähnt sie vielmehr
hier nur gelegentlich (du itiäzc ist niht icol behnot 722 — 724).
WAL'i'HER VON DER VOüELWElDE.
Ein bestimmtes tugendsystem wie Thomasin hat Walthei-
von der Voge 1 weide ^ nicht befolgt, er steht nicht unter der
unmittelbaren einwirkung der antiken ethik; auch nicht der
mittelalterlichen moralis philosophia, aufser dass er die grund-
'Vmteihmg gotes Inil de. ere, 5r?/o^ aufstellt, 8, 4. 2n, 1(1. 22. 18.
22,33. 83,27, vgl. auch 20, 27f. 37, 21)f, die dem snmmum
bonum, honestum, utile entspricht.
J. (1 (lies hulde ist so viel wie huldcrweisung, gnade, gratia,
eine göttliche, ohne alles menschliche zutun würkende kraft, von der
alles gute kommt, also auch frc und gnot. hu Ide ist -- genaue, es
ligt aber in hulde das tiefe ethische gefiihl des treuverhältnisses
zwischen (lern lierrn und dem gefolgsmann, jenes innigen baudes,
das die grundlage der Sittlichkeit ist, der iriuice. die gnade
ist eine eigenschaft Gottes und eine handlungsweise Gottes gegen
den menschen und gehört allein in das gebiet der theologia.
Davon zu unterscheiden ist die gottes Verehrung, religio,
cultus Dei. die Verehrung Gottes besteht in Gott erkennen, ihn
lieben, ihm dienen, gotcs miime, gotes gebot tielinlte)!, gotr top und
<re fragen, die gottesverehrung ist eine eigenschaft und eine
handlungsweise des menschen gegen Gott und gehört sowol in
die theologia als in die philosophia moralis. in dieser steht sie
unter der jnstitia und ist ein teil der benignitas, Moral, phil.
sp. 1021, Werner vElmendorf r)57 — ()2()-. In der christlichen
Sittenlehre fällt sie demgemäfs unter die moralischen tugenden,
die cardinaltugenden, und ist die vorzüglichste von ihnen allen,
vgl. Thomas v. Aquino Summa theol. II, 2, qu. Sl art. 6:
religio praeferenda aliis virtutibus moralibus. die religio ordnet
* über Walthers sittliche lebcnsaiischuuuiij; s. Wiliiiaims Lebeji
abschn. III 156—252, 2 auÜ. abschu. IV 234— 2«>9; Burdach Walther vdV.
I 89 — 101; Roethe Reinmar vZweter s. 176—257.
- redeliche 561 ist abstractes fem. zu redeluh, belegt in Jludolfa
vEms Weltchroiük v. 15 283 var. (vgl. auch Schönbaeh Zs. 34, 62).
<lie eigentliche bedeutiing ist ratio, vtriiunft, vernunftgeinäfses, ordnungs-
gemäfses verhalten : r-edel'i<-h, rcdehaft = rationalis.
UITTERLICHES TÜGEXDSYSTEM 153
den menschen in seinem Verhältnis zn Gott: reli^i,. ordinal
hominera ad Deum. ebda art. 1. andacht nnd gebet sind die
Innern, die wesentlichen acte der gottesverehrunj^, die änfsern
sind opfer, -elübde u. a. ' religiös! können gemeinhin alle sein
die Gott verehren, aber speciell werden diejenigen so genannt,
welche ihr ganzes leben dem gottesdienst widmen, indem sie sich
von den geschäften der weit abziehen: qj^mvis religiosi dici pos-
sint communiter onines (|ij^i Deum colun\,specialiter (anto-
nomastice, quaest. ISü art.'l) tamen religiosi dicuntur, qui
totam vilam suam divino cultui dedicant, a raundanis negotiis se
abstrahentes ; darüber handelt ferner qnaest. ISG, 1: Deo tota-
litär adhaerere (Augustinus), mit dem citat aus Gregor super
Ezech. hom. XX: sunt quidam, qui nihil sibimetipsis reservant.
sed sensum, linguani, vitani atque substantiam, quam perceperunt,
omnipotent! Deo immolant. Honorius Augustodunensis Elucida-
rium 1112 (Migne 172, 1157) hat die gleiche Zweiteilung, es
sind hier die 'perfecti quibus praecepta non sufficiunt. sed plus
quam praeceptum est faciunt, ut raartyres, monachi, virgines". und
die 'justi, qui praecepta Domini implent sine querela. unter ihnen
gibt es also zwei stufen der gereclitigkeit, die perfecti, sie haben
das himmelreich als erbe und werden nach dem tode rasch dahin
geführt, und die justi, die zunächst an Übergangsstationen kommen,
den gerechten dient ihr lebenswandel zur ehre (ad honorem),
den vollkommenen zum heil (ad salutemj. religio in diesem
engern sinne ist das klösterliche leben, der ordo religiosus,
dessen mitglieder die religiösen, mönche und nonnen, sind, die die
drei weltentsagenden gelübde der armut, der keuschheit, des ge-
horsams abgelegt haben, der ordo religiosus, das klosterleben,
ist der status perfectionis acquirendae, der stand der die
Vollkommenheit erstrebt (JBSägmüller Lehrbuch d. kathol. kirchen-
rechts, 2. aufl. s. 822 f"-) und somit der stand der höchsten Voll-
kommenheit in diesem leben; denn die perfectio kann hienieden
' vgl. Carl Werner Der heil. Thomas vonAquino II öW^ ff.
'■' der stand der 'vollkomuienheit' bestellt im einhalten der 'evange-
lischen rate', d. i. armut. keuschheit, gehorsam, die zwei stünde der
perfecti und justi entsprechen Ciceros vollkommener und mittlerer ptiieht,
dem griechischen ftazÖQ&ojfia und xadfjy.ov, welche Unterscheidung auf
Aristoteles zurückgeht (s. oben s. 13S). der niönch ist der mittelalterliche
uachfolger des griechischen weisen, des cpiX6ao(fo:. der das leben im
/. F. ü. A. LVI. X. F. XLTV U
154 EHRISMANN
nicht erlangt, sondern nur erstrebt werden, die perfectio vitac
cliristianae besteht in der Caritas (Thomas vAquino II 2.
qu. 184 art. 2). die menschlich mögliche stufe der vollkommen
heit ist erreicht, wenn alles ausgeschlossen ist was der Caritas
widerstrebt, also die hauptsünden, und alles was den geist hindert
sich gänzlich auf Gott zu richten.| das letztere ist aber im welt-
leben äufserst schwer zu verwürklichen, während der mönchstand
auf jenes ziel hin eingerichtet ist: Religionis Status principaliter
est institutus ad perfectionem adipiscendam per quaedam exercitia,
quibus tolluntur impedimenta perfectae caritatis. sublatis autem
impedimentis perfectae caritatis multo magis exciduntur occasiones
peccati, per quot totaliter tollitur Caritas, Thoraas qu. 186
art. l. damit ist ein unterschied gemacht zwischen der frömmig-
keit der mönche und der laien, des klosterlebens und des weit-
lebeus, und es ist für das erstere die höhere Vollkommenheit be-
ansprucht, '■^die specialiter religiosi sind die welche durch
den ordo religionis die perfectio in diesem leben erstreben,
deren lebeusarbeit ganz auf das erringen der (jofe.s Im [de, des
hinimelreichs, gerichtet ist; die co mm uniter religiosi sind die-
jenigen welche die religio der philosophia moralis besitzen, die
zum honestum (cre) gehört.! das ist die mönchische, asketische
regelung des Verhältnisses vom menschen zu Gott, die gnade,
gotes hulde, kann aber auch laien, saecularibus, zuteil werden,
wenn sie im weltleben die Vollkommenheit erstreben (zb. durch
bufsei.
Die gendde = goles liulde ist also einmal die von Gott aus-
gehende bewegende Ursache des willens zum guten in dem be-
treffenden menschen, und dann der zustand der perfectio des be-
treffenden, oder wenn man hulde in national-germanisciiem sinne
auffasst: das innige treuverhältnis des dieners zum herrn, was dann
in christlichem sinne wider der innigen Vereinigung mit Gott ent-
spricht, man könnte die erste bestiramung, die bewegende kraft,
speciell mit dem wort gendde, die zweite bestimmung, den
zustand des treu Verhältnisses, speciell mit gotes hulde be-
zeichnen.
gieiste, nach der Vernunft, führt, der 'theoretische' tätigkeit ausübt, gegen-
über dem laien, dem manne der praktischen tätigkeit, der nach den
fuKCuden lebt.
RITTERLICHES TÜGENDSYSTEM 155
II. Erc entspricht dem hon es tum der Moralisphilosophia. in
dem begriff ehre sind zwei verschiedene bestimmung-en zu unter-
scheiden ^ :
A. der subjective (innere) gesiehtspunct, d. i. die ehre in der
eigenen Vorstellung, wobei wider die ehre lediglich subjectiv als
Charaktereigenschaft (ehrgefühl, ehrenhafter charakter, ehrenhafte
gesinnung) aufgefasst werden kann, oder mit objectiver richtung
als Willensrichtung und verhaltungsweise, welche die anerkennung
der tüchtigen und guten durch ehrliche und tüchtige leistung zu
erringen strebt (ehrliebe), wobei sich also die ehre beide raale
in ehrenhaftem handeln äufsert.
B. der objective (äufsere) gesiehtspunct, dh. die ehre in der
fremden Vorstellung, 'das mals von wert oder die geltung, die
jemand in den äugen seiner Umgebung hat', die ihm also von soiten
anderer zuteil wird: das geehrtwerden, ehrung, anerkennung, achtung,
ansehen , Wertschätzung, Verehrung, geehrt werden kann aber je-
mand auch durch äußere zeichen der ehre, dann ist ehre = ehren-
stellung, hohe Stellung, Standes- oder berufswürde, auszeichnung;
diese hat nur insofern ethischen wert, ale sie durch 'ehrliche und
tüchtige leistung' erworben ist, denn an sieh betrifft die ehren-
stellung den stand des menschen, nicht eine eigenschaft.
A. Ehre in subjectivem sinn als ehrenhafter charakter und
als ehrenhafte leistung ist mhd. der Inbegriff aller inneren Vor-
züge, das ciceronianische honestum, honestas in wörtlicher
Übersetzung, also gleichbedeutend mit tiiyent, innerer Vollkommen-
heit, bona animi {die inre tugent üz keren Sl, 4, vgl. 35. 33.
103, 6).
B. Ehre in objectivem sinn als geehrtwerden, mhd. ere =
iL-irde, werdekeif, loh, prts, ruom, name, adj. ivert, tiure, gloria;
und als ehrenstelluug (hoher stand, adel), mhd. ere = wirde,
u-erdekeit, adel, nobüUas, gehört in der Moralis philosophia
zum utile (nobilitas sp. 1043 A, gloria sp. 1050—1052), bei Tho-
masin dementsprechend zum 'übel unde giiot .
Die verschiedenen begriffsschattierungen von ere sind in der
mhd. litteratur nicht immer leicht zu scheiden (dasselbe trifft übrigens
auch auf den gegenwärtigen begriff von ehre zu), die höfische
1 Paulseu System der cthik, 2 auH. s. 46i)Ü-; Wilu.aui.s Leben
s 225—227, 2 aufl. s. 248—250.
ir
156 EHRISMANN
ehre als tugend (hon es tum) erstreckt sich über den morahsclien
ehrbegriff der Moralis philosophia hinaus auf die gute gesellscliaft-
Hche form (ebenfalls tugent, s. oben s. 150 f^), und rre ist dann
eine frucht der guten erziehung, der zuht, bez. soviel wie zuhi
im sinne von wolerzogenheit, feiner bildung, hövi'schclt.
Immer aber ist zu bedenken, dass sich auch die fre als tugend
mit den einzelnen unten zu nennenden tugenden wie triuwe,
.stcete, miltc (aufser der religio) zunächst nur auf das weltliche
leben, nicht auch auf das Verhältnis zu Gott bezieht; wie denn
die vier haupttugenden des honestum und ihre teile in der Moralis
philosophia nicht etwa religiös , wie in der religionslehre als 'sitt-
liche' tugenden gewendet sind '.
III. (ruot, das utile, umfasst die rein irdischen, äufseren
glücksgüter, das was nützt oder frommt, daher auch die wörtliche
Übersetzung Paz eine daz is ere, daz ander fronte Werner vElraen-'
dorf 85, fr/mi ii,nde gotes hulde und loeltlich ere Walth. 83, 33.
Am treffendsten charakterisiert Wallher die drei guter in dem
ersten spruch, der sein politisclies leben eröffnet, 8,4^. die Stö-
rung der sittlichen weltordnung ist es hier, wie in 8, 28, worüber
er so soi'genvoll nachsinnt, gotes hulde, die gnade, steht höher jils
die irdischen guter ere und griof, sie ist der zweier Überguide 8, 17.
ere und guot werden hier zusammengefasst gegenüber gotes hulde
als ^diu zwei' 8, 14. 17. wenn sie aber auch eine engere einheit
bilden, so schaden sie doch oft einander, das eben ist das elend
der zeit, dass die sittlichen begriffe verworren sind: die drei ethi-
schen grundwerte kann die menschheit nicht mehr vereinigen, die
ehre kommt mit dem reichtum in conflict und beide sind wider-
spenstig gegen Gott; die irdische sinnenweit ist zerfallen mit dem
reich der gnade, durch die nähere bestimmung 'weltlich' ere 20
ist ehre der gotes hulde noch schärfer entgegengesetzt; varnde
guot 14 (vgl. 60, 35) bezeichnet ausdrücklich den reichtum in
ausscheidung von anderen glücksgütern (bona fortunae), adel, mäht,
name, herschaft (Thomasin), der widerstreit zwischen ere und
^ in diesem artikel gilt tugend, tugenden, wenn nichts besonderes
bemerkt ist, in dem jetzt geläufigen sinn für virtus, virtutes, also nur für
das honestun).
2 Wilmanns Leben s. 225, 2 aufl. s. 24S; Hurdach Walther s. ÜO.
260 ff.
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM 157
guot ist gegenständ der quaestio V in der Moralis pliilosophia:
'de pugna utilitatis et honestatis". liier wird, nach Cicero,
die Übereinstimmung des utile mit dem honestum behauptet».
Walther aber also ist gegenteiliger ansieht. — die andere mög-
liche Verbindung, gotes hui de und cre gegenüber dem unot,
stellt Walther in den Sprüchen 20, 16. 22, IS und 22, 33 auf:
hier ist das guot den beiden höher geordneten dingen entgegen-
gesetzt (in 22, 26 werden auch mi selben Up , wip itnde kint,
die sonst in \Valthers güterlehre keine rolle spielen, jenen beiden
untergeordnet).
Das guot ist der mindere wert, der seinerseits den beiden
höheren verderblich werden kann : man soll es so gebrauchen, dass
es gotes hulde (der sele 23, 6) und ere niclits schadet fgegen-
sätze: der weise — der tor 22, 18 ff; der arme, dem Gott schooten
sin, guote sinne, d. i. das vermögen des intellects, gibt, im gegen-
satz zum reichen, der kein streben nach eren hat 20, 19 — 25).
alle drei gebiete sind zusammengefasst 29, 27: die trunksucht
schadet an Übe au guot und an den eren und oiidi an der sele
(der zu Gott bestimmte unsterbliche teil), das ist die körperliche
und moralische Vernichtung, in einem Jugendspruch S4, 4 weils
Walther gotes hidde, frotcen minne und die aufnähme an den hof
zu Wien (ere) als drei sorgen zu vereinigen, also gottesdienst,
frauendienst, herrendienst.
I. Ere. — Fflichtsysteme stellt Walther in drei Sprüchen auf:
1. Die tugenden des mannes zeichnet er 35, 27 (sog. 'Mannes-
lob'): küen unde mitte sind in weiterem sinne au fgefasst = stark
und gütig (das strenge gepaart mit dem zarten , das starke mit
dem milden), vgl. diemüete — vrevelliche site Hartm. Greg. 3798.
3800; dazu stmte, zuverlässig, charakterfest, dieser inneren eigen-
schaften wegen soll man den mann loben [lugende 35), nicht
wegen der schmne 27; sie, nicht die äulsere erscheinung, macheu
die ere aus. deutlich bestimmt hier Walther das gebiet der
' in der geistlichen auffassung ist alles unser sehnen vereinigt in
Gott, alles quod decet, quod expedit, quod delectat . . . ; expectatio nostra
est . . . ut Deus ait omnia in omnibus, omue jucuuduni, ouiue utile,
omne honestum, Bernhard vClairvaux Sermo in vigilia Dom. V. — mit
T. 26 fride unde rellt sint sere icunt sind die grundla-en der staatlichen
Ordnung angegeben, denn es ist die erste pflicht des fürsteu, justitiu
und pax aufrecht zu erhalten.
158 EHRISMANN
ehre: es sind die tilgenden (honestum), nicht körperliche eigen-
schaften (bona corporis). — 2. Regeln für die Jugend gibt
er 37, 24 CJugendspiegel'): bezwingung des eigenwillens , d. i.
Folgsamkeit; der eigen wille, die superbia schadet hier dem leben
und dort der seele; die Vernunft (rehter sin 28 j soll den bösen willen
austreiben, liebe Gott (religio), dann bleibst du froh; wirb um
ehre (lop) mit rechter wolerzogenheit (= mit fuoge werben ^^'alther
111, 37); verkehre mit keinem schlechten; glaube an die lehre
der priester. willst du dieses noch mit einem besonderen schmuck
zieren, dann sprich den frauen wol. man sieht den abstand in
den sittlichen anforderungen an die Jugend gegen die viel stärkeren
pflichten des innerlich gefestigten mannes in dem vorhin behandelten
Spruch: in der hauptsache wird auf gehorsam gedrungen, das ist
schon eine betätigung der selbstbeherschung, der mäze. auf ehre
sehen ist auch hier der hauptzweck der zuht, nur eine oberfläch-
liche frömmigkeit wird gefordert, die auf irdisclies wolsein be-
rechnet ist. und schlielslich der gipfel der höfischen erziehung
ist es, von den frauen gutes reden. Selbstzucht, besonders aber
frauenminne ist der beschränkte Inhalt der lehren für den 'jungen
mann' (ein früligedicht Walthers) 91, 17. die 'Jugendlehren' 87, 1
enthalten nur die zu der zuht gehörige, aus den geboten der
beichte stammende mahnung, zunge, äugen, ohren zu hüten (zunge
hüten auch Mor. phil. unter verecundia sp. 1039f, Werner vElmen-
dorf 873—8881). — 3. Der 'Fürstenspiegel' endlich, 36, 11,
gehört in die umfangreiche mittelalterliche litteratur der regenten-
erziehung- und zählt auch die sonst dort geläufigen tugenden auf:
die tapferkeit, die kaiser Otto in der auff orderung zum kreuzzug
empfohlen wird, felilt (12, 18, vgl. 11, 33). — drei tugenden preist
er an dem landgrafen Ludwig: er ist miUe , strete, ivol gezogen
S5, 20 f.
' dieses thema stammt aus der geistlichen didaktik, vgl. den Bern-
hard vClairvaux zugeschriebenen tractat De ordine vitae et morum in-
stitutione alias De doctrina puerorum seu verecundia adolescentium
cap. IV: Laudanda autem virtus verecundiae, quia quorura oculos, aures,
linguamque possidet, non sinit tiirpiter ludere ac ridere. es sind die
Sünden der körperteile in der beichte.
- über fürstenspiej^el vgl. EBooz Fürstenspiegel d. ma.s, diss. Frei-
burg i. Br. 191i{ und die Grcifswalder dissertationen von Fiebach und
Tiralla sowie die dort angegebene litteratur, jetzt auch Rurdacb Z. kenntnis
altd. hss. s. 440. in der mhd. litteratur sind .solche lehren sehr liäufig.
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM l.v,)
Im kämpf ums leben hat Walther seine erkenntnis von den sitt-
lichen werten des lebens immer und immer wider erprobt, ihm ist das
leben überhaupt eine sittliche aufgäbe', des lebens vorj^änge sieht
er von dem ethischen standpunete aus und er weifs es als seinen
beruf, lehrer der idee des sittlichen zu sein, davon zeugen seine
Sprüche und eine anzahl seiner lieder.
Im mittelpunct von Walthers Sittenlehre steht die ehre in
ihren beiden unzertrennlichen richtungen, der inneren ehrenhaftig-
keit und der äufseren Wertschätzung (ehrenhaftigkeit verschafft
ehrung). diese teilung ist gemacht 35, 27, das eine mal mit in
die Hute sehen und mit den drei tugenden küene, mute, .stculc, das
ist die innere ehre — das andere mal so ist er r/7 (jar geloht,
d. i. äußere ehrung. auch der niedere mann hat rre. der
dichter selbst wil werben nmbe icerdekrit, dann ist er, wie nieder
er auch sei, doch einer der wertgeschätzten 66, 33; durch ehren-
ervveisung fühlt er sich beglückt 18, 15; seine aufgäbe ist es, die
ehre der herren zu verkündigen oder sie daran zu mahnen (in
vielen Sprüchen); sein eigener beruf, seine kunst, seine arbeit"-^ ist
für ihn die quelle seines ansehens 31, 33. 32, 7. 64, 31. 66, 21,
vgl. 28, 1. 102, 29. die höfische erziehung, zuJit, hat zum
ziel die ere 37, 24. 87, 3. 91, 3f; die musterstätte der hoflehre
ist künic Artnses hof 24, 33; deutsche sitte und lebensart geht
allen andern voran 56, 37. geehrt v^' erden ist das streben des
mannes 35, 37, durch milte erwirbt sich der fürst ere, bez. ver-
herrhchung durch die fahrenden 19, 22. 21, 24. 25, 28. 26, 36.
84, 37 3. selbst das Verhältnis von Gott und dem teufel wird unter
den gegensatz von ere und iinere gestellt 3, 21 — 24, und das
heilige land ist das land der ehre 15, 2. 8.
Trotz dem durchgehnden ethischen gehalt in Walthers ge-
dicliten ist die zahl der einzelnen darin vorkommenden tugenden
doch nicht grofs. sie lassen sich einreihen in die zwei gebiete
der Moralis philosophia.
I. Ere, die tugenden, die unter das h o n e s t u m , den
gesamtbegriff der ere oder der fngenf in moralischem Sinn,
fallen, wozu aber vom höfischen gesichtspunct aus auch die
' Burdach Walther s. 90.
- werben iimbe icerdekeit mit uncersayeler urebeit Üü, H4, arbpii
als verlorene liebesmüh; 53 5. 72, 38.
^ 3. auch Burdach Reinniar s. 24 ff.
160 EHIUSMANN
'gesellscliaftliclien' tuj^euden gehören, in jjjesetzmäfsijrkeit, orde-
nuiifje, bestellt die einrichtung der weit ü, !i. Ordnung ist
das richtige verliältnis der einzelnen teile, das ist die mäze,
medietas, sie ist die Schöpferin alles dessen was ehre bringt,
aller irerdekeit ein fiiefferiiiue , sie lehit das weder zu nieder
noch zu hoch 4ü, 32, vgl. auch 83, 14. S4, 22. in dieser hin-
sieht bewahrt sie den menschen vor der hoffart, über seinen
stand hinauszugehn SO, 3, und ist die beherscherin der leiden -
Schäften, temperantia 81, 7 (andere stellen bei Wilmauns s. 240.
2 aufl. s. 293). — milte ist für Walther, den gehrenden, die
wichtigste herrentugend ^. — die zeit und seine eigene erfahrung
aber drängen ihn immer und immer wider, zur triuive'^ zu
mahnen und die schände der ungetriuiceii blofs zu steilen.
triuire'-^ hat hier die specielle bedeutung von treue, Zuverlässig-
keit (nicht die allgemeine von altruismus, wolgesinntsein gegen
jeden menschen), fides, fidelitas, öfter aber die von Wahrhaftigkeit
(gegensatz von lüge, heuchelei), frlnire unde irärheit sind be-
schimpft, darum ist die rre verniclitet 21, 23. die triuwe ist im
germanischen Charakter begründet als ethischer und socialer grund-
wert, aber sie gehört auch zu den tugenden des honestum, Cicero
De off. 1, 7: fundamentum est justitiae fides, id est dictorum
conventorumque constantia et veritas, treue also ist beständigkeit
(Zuverlässigkeit) und w-ahrbaftigkeit. die Moralis philos. hat fide&
und veritas unter der religio (sp. 1022j, vgl. Werner vElmen-
dorf V. 601 ff; triuwe, reht, gewcere (fides, justitia, veritas) als
teile des rechts im gedieht vom Rechte (Waag Kl. deutsche ged.
d. XI u. XII jhs , 2 aufl. s. 70 ff). — die constantia, stifte, ist
das wichtigste band der minne, vgl. 30, 27 f. 3ö, 27. — die
friuntschaft, amicitia, ist in der Moralis philosophia eine
Unterart der justitia^. Walther muss manche enttäuschung in
' Wilmauus Leben s. 231—233, 2 aufl. s. 254 f.
■' Wilmanns Leben s. 229 — 231, 2 auf!, s. 251 — 254; Burdach lleimuar
8. 2(15 f, Walther 8. 91 ff.
^ vgl. Vera Vollmer Die begriffe der triuNvt- und der sta;te in der
höfischen niinuedichtung, Tübingen diss. l'.lll.
' die freundschaftslehrc siauinit aus des Aristoteles ethik LX 9 ff,
'das bedürfnis nach freunden', friunt Ideseit und cerliesen, ist eine
sprichwörtliche lebensregel und geht wol auf Ciceros Laelius cap. 19
zurück, ndid. beispielc gibt Edw. Sehröder Die erstt Kürcubergerstrophe
BITTERLICHES TUGENDSYSTEM 161
der freundscliaft erfahren haben, daher diese mahnun^^en und
lehren 2S, 4. 3ü, 14. 30, 29. 54, 37. 79, 17. — zuhi, emc
moralische und gesellschaftliche HugenV, ist verbunden mit der
schäme, einer unterart der temperantia, 5!t, 15. (i4, 4. 81, 12, der
verecumUa, ehrbarkeit in der äufseren haltung, in worten und
gebärden (Moral, pliil. Migne 171, 1039).
Grundbedingung der moralischen und der gesellschaftlichen ziiht
ist die tiiüzr {zuht und mäze Gl, 36 fj, als höfische verkehrsform
das rücksichtsvolle benehmen : der höfisch gebildete hat sich immer
als ein glied der gesellschaft zu fühlen und muss sich ihr an-
passen. — geselligkeit verlangt freude', lebenslust, und festes-
freude ist das dement dieser aristokratischen cultur, die erste
gesellschaftliche pflicht des höfischen mannes ist die f'röude, fröh-
lich, heiter, lebenslustig sein, niemand taugt ohne fröiule 99, 13,
fröude .n ein ere 71, 30. auch der leidbeschwerte muss ein
freundliches gesiebt zeigen, er muss seinen kummer verbergen,
darf nicht truren. 'freut euch mit den fröhlichen' ist auch ein
gebot der hövescheit, der fuoge 47, 36, und erfüllen kann es
nur der welcher die nahe bar, die kraft seine Stimmung zu be-
herschen {niit zühten gciueit, prov. cortes e yal, Wilmanns Leben
s. 192 ff, 235. 239, 2 aufl. 258 f. 263 f. 276 f)2. zumal des
dichters aufgäbe ist es, fröudj' um sich zu verbreiten, denn er
soll durch seine üeder die ritterlichen herren und damen erheitern,
vgl. bes. den nachruf auf Keinmar 83, 7 f. so entspringt die
forderung der fröude aus den bedürfnissen des würklichen lebens.
in unsern nihd. dichtungen hat sie aber zunächst einen historischen
grund: die minuelieder schliefsen sich au das alte, volkstündiche
tanzlied bezw: mailied an, und in diesem war die aufforderung zu
Zs. 32, 137-41, vgl. auch Ehrisinanu Zs. f. d. phil. 33, 398 f. in den
Moiiatsregela für freundeswalil, die JGrimm Zs. 8, 542—544 heraus-
gegeben hat, wird die freundschaft als ehrenfördernd gepriesen (s. 543,
zum mai und august). was hier von freundschaft gesagt wird, kann auch
auf die minne angewendet werden.
' Burdach Reinmar s. 9. 32. 102. 103. IOC; Wilmanns Lebpn
s. 42. 235 240, 2. aufl. s. 256 — 262; Anna Lüderitz Die liebestheorie
der Provenyalen s. 08 ff.; Wechssler Kulturproblem reg. s. 492, im ein-
zelnen bes. s. 29 ff. 321, wo auch über die entstehung der höfischen
freude {joi, adj, gai) aus dem maitanzlied gehandelt ist.
- vgl. besonders Reinmar. Strophe MFr. 164, 30; Burdach Keinmar
s. 112.
lf.2 EHR ISMANN
froher Inst ein traditioneller bestandteil ' (muster eines raaitanz^
liedes ist M, 1 3).
Nicht nntcr die lügenden gehört im antiken wie ritterlich-
weltlichen inoralsystera die minne, anior. sie ist eine leiden-
schaft, passio -, des sinnlichen begehrungsvermögens und kann
gutes oder schlimmes bewirken, es kommt auf den menschen an
der sie besitzt oder von ihr befangen ist: J)er niinii natüre ist
so getagt: f>i machel uüser irhcn man und glt dem törn mh-
närrischeit sagt Thomasin in seiner lehre von der hofzucht,
WGast 117',) — 1181. jedenfalls übt die minne eine unwidersteh-
liche macht auf den menschen aus, sie zwingt ihn; auch in der
liöfischen auf Fassung gilt der Wahlspruch Ovids 'omnia vincit amor'.
sie kann mit ihrer macht vernichten oder beglücken, sie kann den
willen stärken oder schwächen, zum guten oder zum schlechten
lenken; sie kann tugenden fördern, zum höhen mnof und zur
arbeit anspornen, f runde verleihen; oder zu hauptsünden verleiten,
besonders zur aeidia, tristitia, melancholie, bis zur völligen willens-
lähmung, und in l;iun})er, sn-(i;re, sorge, trkren versetzen -K
' Weclissler s. 35 u. ö., s. legister unter 'joi'. — aber auch die theo-
lo^ia iiioralis kennt die freude, als gaudium spirituale, geistliche
freude, die freude über das göttliche gut; sie ist eine wirkutig der
liebe zu Gott, der Caritas Dei , vgl. Thomas Summa theo]. II 2, qu. 28.
sie ist ein gegensatz zur aeidia.
■■^ Thomas II 1, 26 — 28, PRousselot L'histoirc du probleme dt;
raniour au moyen äge, Beitr. z. gesch. d. philosophie d. niittelalters,
hsg. von Baeumker und vHertling bd. VI h. 6. — für die höfische minne
und ihre beziehungen zur Scholastik vgl. bes. KVofsler Die philosophischen
grundlagen zum 'süfsen neuen stil'; "Wechssler Kulturproblem bes. 8.219 ff.
•' die minne als erziehende macht: Wilmauns Leben s. 177-182.
192 ff, 2. aufl. s. 2G2 — 266. 275 ff ; amor als quelle aller guten dinge:
Wechssler s. 50. 342 ff u. reg. unter 'amor'; Lüderitz s. 68 ff ; Ferd. Michel
Heinr. vMorungen und die troubadours, QF 38, 111 — 116. für Walther s.
bes. 81, 31; vgl. Burdach Rcinmar s. 104. 130 f. 143 f, Walther s. %;
Roethe Reimar vZweter s. 20!) ff. — minne stärkt den beiden in kampfes-
nöten: JGrimni Mythologie ' 1 ;;71. — die belebende und veredelnde kraft
der minne kommt in dtr nihd. litteratur zum ersten mal in Lanjp-
rechts Alexander 3362— .H36i) (vgl. 2759. 2788 f), dann in der Kaiser-
chronik 4607 — 4614 vor. in der kirchlichen morallehre wirkt die
Caritas tugendhafte gesinnungen (effectus caritatis), u. a. freude,
gaudium, bezw. sie ist verbunden mit inneren tugendhaften zuständen
(affectus), s. Lehmkuhl Theologia moralis I 314. minne führt zur
aeidia: beispiele s. bei Hartmanns büchlein unten, ferner Iweinn
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM 163
Mit der minne gewinnt nun auch das minnelied ethische
bedeutung. nicht unmittelbar ist hier die moralische lehre ge-
geben wie in den Sprüchen, aber würksamer, denn sie kommt aus
dem gefühl und geht zum gefühl. gerade viele lieder Walthers
haben einen lehrhaften gehalt, sind gleichsam beispiele für das
verhalten in minneangelegenheiteu oder geben betrachtungen über
das wesen der minne. sie ist denn auch in der würklichkeit die
freudebringerin, I runde ist der immer wideiholte frohklang in
VValthers minneliedern, die frauen geben die höchste freude, das
höchste glück, schon der gedanke an die geliebte, die hoffnung
selbst in unerwiderter minne verleiht tröst (hoffende freude, ivän-
l'röude i).
Fronde ist gehobene lebensstimmung, sie ist höheres lebens-
gefühl und kann damit auch das ethische bewustsein unterstützen,
sie stärkt den willen in der richtung auf das gute, ist eine Stei-
gerung der sittlichen kraft zu hohem streben, zu den pflichten der
ere. diese ethisch gewendete froade ist der hohe muot. höher
muot (hdchgeumete) und das adj. hörhgemuot {hohe yemuot) sind
ritterliche Standeswörter, das adjectiv ist schmückendes beiwort,
im volkstümlichen epos synonym mit stolz, bei deyen, hdt,
liebeskrankheit; Veldekes Eneide 9790 ff; Ottes Eraclius 2903 ff ; Arznei-
buch des 14 jhs. in Hoffmanus Fuudgr. I 321; Lüdeiitz s. 68 ff; Burdaeh
Reinmar s. 122; scholastisch bei Thomas II 1 qu. 28 art. 5 (languor, amor
est passio laesiva) und qu. 35 — 39. — aber es ist natürlich nicht gemeint,
dass unbelohnte minne zur wiilensschwächung führen muss. die zahl-
losen liebesklagen der minnesinger sind nur ein ausfluss der Stimmung
und bedeuten nicht eine Wandlung des Charakters, auch bei versagter
ininue kann der liebende sein streben {arbeit) weiter einsetzen, er kann
trotzdem mit ganzem sinne der minne eil schöne dienen, Hartm. Büch-
lein 793—800. dafür ist Reinmar ein beispiel: ich hän lange cc'ile un-
sanfte mich gesent und bin doch in der selben areheit MFr. 171, 6 f ,
oder 172, 17—22. 172, 30-173, 5. 173, 6—12. 174, 24-37. 179, 21-29,
vgl. Burdach Reinmar s. 104. wer auch ohne erhörung nach hoiier minne
strebt, der mag doch in hohem muote leben 180, 1—9. vgl. Wechssler
s. 233 ff. — minne in der bildenden kunst: Piper Mythologie der christl.
kunst 1, 248 ff; vdLeyen u. Spamer Die altdeutschen Wandteppiche im
Uegensburger rathause; vdLeyen Deutsche dichtung und bildende kunst
im mittelalter, Abhandlungen zur deutschen litteraturgesch. Franz Muneker
dargebracht.
» Wilmanus Leben s. 200 1, 2 aufl. s. 287 f; vgl. Wechssler s. 183 ff
('der liebeswahn')-
164 EHRISMANN
recke u. a. * im volkstümliclien epos ist hoher nmot gesteigertes
kraftgefülil uud ligt in der lieldcneigenschaft der tapferkeit; in der
höfischen anschaiiung ist es die niinne, die den Itöhvn iiinof, den
starken sittlichen willen, verleiht; so ist die freudenspenderin minne
eine triebkraft zur tuf/ent, zur ere, u. a. '.»2, 9. auch die kunst
kann höhen muot auswürken 100, 7. der innerlich gefestigte iiat
das hohe streben, selbst wenn ihm liebe versagt ist 41, 30 oder
wenn er in gedrückter iebenslage sich befindet 43, 2.
Höher nmot ist vcrwant mit der uf/a/.oiiivytu'des Aristoteles
(Nikomach. Ethik 4, off), da diese, 'die hochstrebende gesinnung',
sich hohe ziele setzt; und mit der magnanimitas der Moralis philo-
sophia (sp. 1020), die charakterisiert wird durch ein citat aus
Lucan: 'compouite mentes ad magnum virtutis opus summosque
labores', und aus Cicero De off. 1, 9 (aber etwas verändert im
sinne von hohem streben): 'haec virtus cum ad aspera ineunda
aliquera promptum faciat' . . darauf 'haec virtus torporera sie ex-
citat' (erlahmung des mutes).
II. Giiot- im engeren sinne ist ^ nchfuom. opes, opulentia
und gehört in der Moralis philosophia speciell zu den bona for-
tunae. rtchtmmi ist nach Thomasin ö 74 3 ff. 59 15 ff übel mule
ilKot, er schadet und nützt, je nachdem er einem bösen oder
einem guten manne zugehört, so auch bei Walther: die mäze
entscheidet, man soll nicht zu sehr nach gtiote streben und soll
es auch nicht zu gering schätzen, denn obgleich es äufserer besitz
ist, so kann es doch nützen für das innere sittliche leben {ez
f'ruint dir an dem iiniofe)'^ die zu grofse liebe zum f/uoi bringt
den Verlust von sflc und f'/r, dagegen sein schwinden ist der tod
' vgl. Bartsch Wörterbuch zu d. JS'ib. Kot. s. 155. 156; Wald.
Lehuerdt Die anvvendung der heiwörter in den mhd. Epen von Ortnil
und Wolfdietrich s. 201. 202; CvKraus Virginal und Dietrichs ausfahrt
Zs. 50, 34. 56; für die höfische diehtung \'gl. Haupt Zs. 1, 108;
OSchissel von Fieschenberg Das iidjectiv als epithetou im lieheslicd des
12 jhs. s, soff; Guido CLßiemer Die adjectiva bei Wolfr. vEschenbach
stilistisch betrachtet, Leipz. diss. 1905, s. 87 f ; PllPope Die anwenduug
der epitheta im Tristan Gottfrieds vStrafsburg, Leipz. diss. 1903, s. 65;
Wilh. Lucas Das adjectiv bei Ulrich vLichtenstein , Greifswalder diss.
1914, s. 19. 34—37; für Walther: Erich Gärtner Die epitheta bei Walther
von der Vogelweide, Kiel 1911, reg. unter hdckuetnuot, ItOchgemüete,
icolijernuot.
- Wilmanns Leben s. 226 f, 2 aufl. 8. 249 f.
RITTERLICHES TÜGENDSYSTEM 165
der fröwJe 22, 33, desgl. 20, 25: wer sich zu sehr dem yuote
dienstbar macht, verliert gotes hulde und ere. hier, in 20, 25.
22, 18 und 22, 33, steht gitot den beiden andern werten gotefi
hulde und ere gegenüber.
Chiof und rn- im gegenseitigen Verhältnis: ere soll vor dem
guot gehn 31, 13; g"ot und ere (ansehen und würde) sind
schätze für den fürsten lii, 36 (ere speciell = fürstenwürde auch
36, 1); wlsheit unde jugent, sclicene ande tugent lassen sich
nicht vererben {wlsheit unde tugent gehören zum bereich der ere,
jugent^ und schcene zum guot) 82, 24; ganz gesunken ist die
zeit, da der der übel tuot (also der h(£se) ere und guot hat. dem
utile et honestum entspricht f)-i(m und ^-e 23, 20. 84, 37. —
auch in der Verteilung des guotes ist die richtige mitte (mäze) das
gesunde Verhältnis S1.23: ze rldi äne muot, ohne die rechte ge-
sinnung, macht hoffärtig (superbia), ze rieh \'erdirbt die zuhX (edle
sitte), zarm lässt den geist nicht aufkommen; den einen macht
Gott reich an geist (sin), dem andern gibt er das geld (guof),
jener ist schätzenswerter als dieser, es sei denn dass dieser nach
eren strebe 20. 1!>. Walther selbst ist reich an kunst und trotz-
dem arm 28, 2.
Ebenfalls unter das utile bezw. das ^übel unde guot'' Tho-
masins fällt adel, edles geschlecht, nobilitas, in der Moralis philo-
sophia speciell unter die bona corporis (sp. 1043). dass edles ge-
schlecht im niittelalter hochgeschätzt wurde, versteht sich nach den
standesbegriffen der zeit von selbst, und auch Walther 'legt darauf
hohen wert', wlsheit, adel, alter machen das ansehen des mannes
im rat aus 102, 18. adel berührt sich mit der ere, wo diese so
viel ist als Standeswürde, fürstenwürde, nobilitas, und ist als ange-
borene (ein 'selhu'ahsen ere' wie die mägsehaft, verwantschaft 7Ü,
22), nicht als erworbene würde nur ein guot, utile, und gehört
nicht zu den formen der ere, honestum. Walther selbst spricht
sich über das Verhältnis von adel und ere nicht unmittelbar aus,
jedenfalls aber schätzt er den inneren wert höher ein als die
äufsere würde-, das adj. edele bedeutet bei Walther meistens
'von edlem geschlecht', zb. der edel knnie 28, 34; des edel»
1 'die zeit der höchsten männlichen reife', Burdach Reinniar s. 4.
'^ Burdach Reinmar s. 136; Wilmanns Leben s. 246 f. 2 auf!, s. 293;
Wechssler s. 52 ff; "Vogt Der bedeutuugswandel des wertes edel s. 10 ff;
Neckel Adel und gefolgsehaft, PBBeitr. 41, 385—436.
16G EHRISMANN
lantgrävev Sf), 17; ein edel'm schäme f'rowe reine 46. 10;
edel unde rlchc ifromven) 50, 39; aber = edel denkend: edeliu
wvp 48, 35.
Die schönlieit ', schiene, puleliritudo, ist eines der körperlichen
guter der Moralis philosophia, eines der fünf dinge ^itnme übe' bei
Thomasin 973 ff. Waltlier warnt, sich durch sie berücken zu
lassen, sie ist nur ein äufserer schein 81, 2, ein vergängliches
gut 67, 32. für den mann ist Schönheit kein lob, es klingt zu
weichlich und oft geradezu verächtlich 35, 27. die /uogc, vvoi-
anständigkeit, ist der schäme vorzuziehen 116, 17, bei frauen die
liebe der Schönheit 92,19. gnot und schmtH- sind äufserlichkeiten
29, 36.
Die forme! Up und guot betrifft die beiden teile des utile,
dessen was nützt, die bona corporis und die bona fortunae 36, 14.
45, 4, 91, 19. das zu den zweien hinzutretende 'miioV 88, 3
bedeutet wol ritterliehe gesinnung, zuht (87, 2, s. Wiimanns an-
merkuiig zur stelle und Freidank 5 7, 6 — 9j und bezieht sich auf
das honestum.
Die soMc {s(Mekeif), die irdische glückseligkeit - ist ein zu-
stand frei von sorgen 122, 20, der fröide 97, 36, den der besitz.
das geld, ermöglicht 20, 31. 43, 1. aber frö Scdde verteilt ihre
gaben ungleich, den dichter lässt sie leer ausgehen 20, 31. 43, 1.
55, 35. im gründe mufs man sein glück Gott anheimstellen 24.
18. 105, 10. 122, 20. der trunkenbold wird gemahnt mäfsig zu
sein, denn mäze bringt gelüche, heil und scdde und ere 29, 31.
aber auch menschen können scelde verleihen und haben die kraft
zur beglückung: von einem reinen weihe und der rainne kann
smlde und cre kommen 93, 16. in diesem falle ist der glück-
gebende gleichsam selbst die sadde, der Inbegriff der Vollkommen-
heit, etwa wie der nninsch- so ist scelde wol auch 63, 1. 97, 29
{sin unde scdde, sin = verstand, Vernunft) zu fassen, scelde und
(ire formelhaft verbunden 93, 16. 97, 29. einmal bedeutet scelde
die ewige Seligkeit: in der kreuzzugsstrophe 125, 7. kaum ver-
schieden von scelde ist das viel seltenere geiücke 29, 31. 90, 19:
ungelüdce 92, 5 '-.
' Wilmauns Leben s. 227 f, 2 aufJ. s. 250 f.
' lat. Felicitas ist die glückseligkeit, svöaipiovca , Foituua das
Schicksal, das gut iiad schlinini sein kann (Augustinus De civ. Dei
IV 18), die göttin, die ihre gaheii, die gliicksgiiter, bona fortunae, nach
BITTERLICHES TUGENDSYSTEM 167
Ahd. sulida ist das wort für glück, felicilas, beatitudo.
beatitas, bona fortuna, und bedeutet sowol das weltliche glück als
die heilsgciben des Christentums; das adj. sälhj ist glücklich, ge-
segnet, das begrif fsver wante. fast synonyme ahd. adj. heil hat
die bedeutung von sanus, salvus, heil, gesund, wolbehalten, un-
versehrt; entsprechend ist das subst. heil n., heul f. -= salus.
sanitas, gesundhelt, wolergehen. hailti, hau! ist das germanische
vunschwort, grufswort. sali da tritt mit heil, heill in Verbindung
als Wunschformel, so in der huldigung Otfrids an seinen obersten
weltlichen herrn. den könig Ludwig: Themo si iamer heili joh
saüda yiineini ad Lud. 5, bona fortunae i. Hei unde salida,
Notkers Rhetorik, Piper I 674; im mhd. begegnet heil und scelde,
auch als wunschformel häufig, die widmung an den erzbischof
Salomo von Konstanz beginnt Otfrid mit der huldigungsformel
Si salida ginmafi Salomones (juati ad Sah 1 ; er wünscht hier
dem kirchenfürsten die ätifseren guter geistlicher macht, später
aber, 31 ff, erflelit er für ihn Christus gnade und huld al.s
segen für äufsere und innere (religiöse) guter, wenn das welt-
liche und das christliche glück in beziehung zu einander gesetzt
werden, so bezeichnet heil mehr das erstere, sielde mehr das
letztere, so ad Sal. 44. Sielde. hat einen tieferen ethischen ge-
halt. — der begriff glücklichsein ist verschieden je nach dem be-
wustseinsinhalt des menschen, für die angehörigen des gottes-
staates. die geistliclien , umfasst scelde die auf Gott zielenden
innern eigenschaften und die erfüllung dieses strebens in der
ewigen Seligkeit, im ritterlichen tugeudsystem dagegen ist sczUh
der Inbegriff des irdischen glucks, welches besteht aus den eigen-
schaften des honestum und aus den besitztümeru des utile, in
engerem sinne sind gerade die echt weltlichen bona fortunae und
corporis darunter gemeint, in der dichtung ist die weltliche saAdr
zu einer hohen dame poetisiert, rrou Sielde, in Übertragung der
classischen göttin Fortuna und i» gesellschaft mit der vrou Minnr.
rrou Werlt\ möglich ist, dass dabei verblasste Vorstellungen ger-
manischen götter- und dcämonenglaubens mitgewürkt haben, vrou
Smlde ist in der ritterpoesie die inhaberin der weltlichen guter,
Willkür austeilt, rvxri. der unterschied zwischen swlde und gelüche ist
etwa der, dass^a/«/e mehr d.r Felicitas, gelücke mehr .!er Fortuna ent-
spricht.
168 EHRTSMANN
der tilgenden und der äulseren Vorzüge, und verleiht sie ihren
günstiingen. nach dem christlichen glauben aber ist Gott der ur-
lieber alles guten, also auch der weltlichen gaben, die haupt-
stellen hierfür sind Augustinus De eiv, Dei IV IS — 24. ',][]. 34.
V 1 : 'die fülle aller wünschenswerten dinge ist die glückseligkeit
(felicit.tsi, welche nicht eine göttin ist, sondern ein gnadengeschenk
(iottes' 1.
Nachdem nun die einzelnen bestandteile der beiden werte,
der ehre und des gutes in höfischer auffassung, festgesetzt sind,
lassen sich die gebiete abgrenzen, unter fre gehört 1. die sub-
jective ehre, ehrenhafte gesinnung und ehrenhaftes handeln
(honeshini)-^ 2. die objective ehre, das geehrtwerden von den
menschen wegen der ehrenhaften gesinnung und des ehrenhaften
handelns (gloria). unter (pwf gehören 1. (juot = reichtum, und
adel als bona fortunae; 2. .^chx'jie, Schönheit als bonum corporis.
abweichend von der antiken, stoischen pflichtenlehre und von der
Moralis philosophia wird das geehrtwerden, der rühm, gloria, der
dort zu den eigenschaften des gutes (utile) gehört, unter die
tugenden versetzt, das entspricht der mittelalterlichen anschauung
vom heldentum.
III. Gnics ]uil(h\ — die höchste sittliche wertfrage für den
mittelalterlichen menschen war das Verhältnis zwischen Avelt und
(lott. für den geistlichen, zumal für den mönch, war sie, theo-
retisch wenigstens, leicht zu lösen : alles weltliche ist böse, allein
was Gottes ist ist gut. aber die laien, die in der weit lebten
und ihre pflichten für diese weit zu erfüllen hatten, konnten un-
1 zu .srr/r/e s. bes. Mhd. wb. II 2, 35—37; JGrimni ^[ythol. •* fl
719 — 732. III 250 — 207, dazu Wunsch ebda, reg. s. 540 (zu AVunsch
s. auch Wild. wb. III !S18 — 821); Wackernagel Das glücksrad und die
kugel de.s glucks, Kl. sehr. I 241 — 257; Weinhold Glücksrad und lebens-
lad, Abhandlungen der Berliner akademie d. wissensch. 1992 s. Sit'; Schön-
bach Über Hartmann s. 190, wo noch weitere litteratur angegeben ist;
Kegine Strümpell Über gebrauch und bedeutung von .<irl(le, s/pUc und
verwantem bei mittelhochdeutschen dichtem, Leipz. diss. 1917; Burdach
Der ackermann aus Böhmen s. 249—252. über die wihcp.lde s. CRöhr-
scheidt Studien zur Kaiserchronik, Gott. diss. 1907, s. 14 ff; häufig in der
bildenden kunst. — zur auffassung des glückes als einer person konnte
besonders Koethius De consolatione Philosophiae B II. cap. 1 u. 2 bei-
getragen haben, cap. 2 sagt Fortuna, dass sie reichtum und ehre ■ und
alle jihiiliehen guter in ihrer macht habe.
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM 16!)
möglich das gebiet, für welches sie arbeiteten, für böse halten; gar
in einer zeit, in welcher sie selbst von hohen ideen bewegt wurden,
in der ihnen die kunst aufging, diese weit mit dem herrlichen
kleide der poesie zu schmücken, und in der sich die Schönheit
und hohe würde des weibes den erstaunten sinnen offenbarte,
jetzt erblühte der frau Welt eine ungeahnte, romantisch -seltsame
Verehrung, dem gottesdienst wurde ein weltdienst zur seite ge-
setzt, neben die huld Gottes trat die des weibes, die lust dieser
weit wurde gepriesen statt der himmlischen freude, anstatt der
demut galt als höchstes ziel der höhe iiuiot und die ere, das
religiöse hauptlaster also, die superbia. diese weit ist die feine
gesellschaft, sind die höfisclien kreise mit ihrem tugendcodex
der erc.
Ein kind dieser weit' ist Walther in jenem teil seiner ge-
dichte, in denen seine tugendlehre zum ausdruck kommt, er er-
klärt sieh selbst für einen willigen diener der weit 60, 6. 117,15,
sogar: ich hau llp vnde svle geivdf/ef tüsentshnif dur dich 67, 12;
er dient um der frauen huld 66, 32; den frauen wol sprechen ist
eine gäbe, die sogar der liebe zu Gott und dem glauben an die
predigt der geistlichen einen höheren glänz verleiht 37,;S3. aber
die weit ist anders geworden, und diese Wandlung ist nicht im
sinne des alternden dichters: Sd we dir, Welt, wie iihel dfi stest!
21, 10; sie ist freudlos: o/tfre deich niht vergezzen mac ivie rehte
frö die Hute u-dre» 120. 10, stt mein meman siht väch fröiden
ringen 112, 12, auch 21, 17. 42, 33. 5S, 21. 90, 33. 97, 34.
100, 33. 124, 18. auch die eve ist verloren: 21, 10. 60, 31.
85, 29. 90, 29. 33; ere und znht 24, 3. 38, 18 sind ge-
schwunden, vnfHoge ist eingerissen 24, 8. 90, 35; mit den ge-
triincen alten sifcn ist man aus der mode gekommen 90, 27;
triiuve, milte, znht und ere sind tot 38, 18. 112, 14; triun-e
linde wärheit werden beschimpft 21, 23; die uiilte wird nicht
mehr anerkannt 21.19; irhhcit, adel und (fZ/cy sitzen nicht mehr
im rat 102, 18. viele dieser klagen über den verfall der weit
gehören nicht in die letzte lebenszeit des dichters, es sind oft nur
unwillige ausbrüche eines laudator teraporis acti-.
Allerdings, die weit ist anders geworden, aber nicht nur die
1 Wilmanns Leben s. 22'.; f, 2 iiufl. s. 214 f.
- Burdach Walther s. 94.
Z. F. D. A. LVI. N. V. XLIV. 12
1 70 EHRISMANN
feinen höfischen nianieren, selbst nicht blofs die sittlichen begriffe
hatten sich vermindert, sondern das ganze Weltbild hatte höchst
ernste züge angenommen, der gegensatz zwischen papsttum und
kaisertum war aufs äufserste verschärft, ein kreuzzug sollte ihn
lösen V aber es war zu spät, und ist nicht Walther selbst ein
anderer geworden? das alter ist über ihn gekommen, das ewige
ist ihm näher gerückt, da ist ihm die weit nicht mehr nur die
vveltfreudige hofgesellschaft, die sich durch beaelitung der äufser-
lichen formen des gottesdienstes doch ganz gut mit den forde-
lungen der religion abfinden konnte: es ist jetzt der mundus im
antigeistlichen sinne, der weltbegriff, der im gegensatz zum gottes-
begriff steht 2. von dieser, den weg zum ewigen {gotes hulde)
liemmenden, sündhaften weit sagt er sich in aller form los 100,24.
()7, 8. er predigt bufse 122,24. 124,40, die kreuzzugsstimmung
hat allen hang zu dem Übeln mundus ertötet 13,5. 124, 1. jetzt
sorgt er um sein Seelenheil 67, 12. 124, 33 (auch 3S, 14)^ um
die wahre und stäte minne 67, 24. 81, 31, er schaut nach den
iskEteii f'rinden 13, 25. 124, 33, s. auch 42, 7, nach der ewig
währenden scelden kröne 125, 7.
Getrennt von der weltlichen moral gehen die rein religiösen
lieder und sprüche, sie gehören in das gebiet der religio und
streben nach dem 'obersten gut', der gotes hulde ^. aus ihnen
spricht ein frommes gemüt, weltliche und geistliche gedichte ver-
eint'geben das gesamtbild einer tief sittlichen Persönlichkeit^, mit
dem alter haben die ernsten geistlichen gedankeu der weltentsagung
(die lostrennung vom mundus) die überhand gewonnen. — Von
der weit zu Gott: diesen weg haben viele seiner Zeitgenossen ein-
geschlagen, ihn weisen eigene lebenserfahrung und der verlauf
des menschendaseins, der dahin geht, 'nach und nach die freie
seele einzuschränken', das mochte der natürlich gegebene gemüts-
zustand in den späteren jähren auch bei Walther gewesen sein,
der treibende grund aber war sicher eine religiöse gewissens-
sache, eine f orderung der kirche: die sorge um das ende, es
' Wilmaniis Lebeu s. "iST, 2 auti. s. 232 i.
- WilmaiiDS Ausg. anm. zu 67, 14.
■' Wilraauiis Leben s. 214—222, 2 auü. s. 2:VJ - 24().
■* luau könnte die religiösen gedichte der theologia niorali.s zu-
teilen, die gedichte der ritterlichen Sittenlehre dagegen der philosophia
ini.)ralis.
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM 171
näherte sich sein weg vom conimuniter religiosus dem specialiter
religiosus.
Begreift nun Walther unter dieser der gotteshuld wider-
strebenden Sündenwelt zugleich aucli die ehrenweit der höfisch-
heit? nein, denn er sagt selbst, nachdem er jahrzehntelang ge-
sungen, dass er mit v,nverzageter areheit um ehre werben will,
wie er von kind an getan 66, 21 ff:, aber er hat doch die
bittere erfahrung gemacht, dass diese gesellschaft undankbar ist
und schliefslich nur ihr spiel mit ihm treibt, geehrt werden von
den trefflichen und damit die huld der höfischen leute haben
(66, .•'.2. 67, 3) ist des strebens wert, aber höher steht die wahre
minne 67, 26. es ist dieselbe wertabstufung wie in seinem ersten
politischen spruch 8, 4: gotes hulde ist mehr denn weltlich ere
und varnde guot. und doch ist die höfische weit nicht von der
übrigen weit zu scheiden. Walther selbst muss bekennen, dass
das lob der irdischen minne (der minnesang) der seele leid ist
und dass es schwer ist, in dem leben der höfischen gesellschaft —
denn die speciell nur ist gemeint 67, 12 — sein heil zu bewahren,
vom standpunct des mittelalterlichen mönches und geistlichen au.s
war er ein weltdiener und lebte in der weit der sünde. diese
Wertung des lebens als der sünde vertritt er hier und in den
andern zuletzt genannten gedichten seines alters und der kreuz-
zugsbewegung, und er spricht sie aus in den anschauungsformen
und im stil der theologie. aber er hat damit seine lebensarbeit,
seine kunst, die weit zu erfreuen, doch nicht als einen irrtum
widerrufen. der Widerspruch bleibt also bestehn. er hat den
Zwiespalt zwischen Gott und weit, zwischen seele und leib, zwi-
schen gotes hulde und den weltlichen gütern, der die mittelalter-
liche Weltanschauung beherscht, speculativ nicht vereinigen können,
er hat die formel nicht dafür gefunden, den conflict zwischen
dem laien und den foiderungen des theologen konnte er, als er
ilin — eben in diesen letzten gedichten — selbst aufstellte, nicht
ausgleichen, im leben selbst aber hat er eine 'nütze arbeif voll-
bracht, denn er war gottesfürchtig (religiosus im weiteren, com-
rauniter, aber doch nicht im gewöhnlichen sinne) und hat 'mit
n-erdekeW der werlde hulde behalten (Parz. !S27, 19 ff) 2.
' zu diesem liede vgl. Bardach Eeinmar s. ü ff.
" vgl Wustniaun Walther vdVogelweide s. 82— So.
12*
172 EHRISMANN
HARTMANN.
Unter allen mittelhocluleutsclien (liclitern, abgesehen von den
reinen didaktikern, liat Hart mann von Aue die grundlagen
seiner moralischen anschauungen am kräftigsten herausgearbeitet,
er stellt würkliche Systeme auf und erweist auch damit seine
methodische Schulung, streng trennt er die beiden gebiete, das
reich der gnade und das reich der weit, zum gottesdienst leiten
seine beiden geistlichen erzählungen, der Gregorius und der Arme
Heinrich, weltliche Sittlichkeit lehren die beiden höfischen romane
und das Büchlein. Hartmann will moral lehren ', nicht nur in
seinen beiden religiösen werken, sondern auch in den drei
weltlichen.
Hartmanns Büchlein (das sog. I Büchlein) ist eine minne-
lehre"-, das thema ist: wie kann man frauenliebe erlangen? die
antwort lautet: durch arheif. austrengung. die arheif besteht in
der ausübung der tugenden. damit ist die minnelehre zur tugend-
lehre geworden, die weltlichen tugenden der moralis philosophia
bezw. die moralischen tugenden des Christentums werden auf das
minuewesen übertragen.
Der grundplan der allegorie ist folgender: ein jüngling ist
von der minne bezwungen, aber seine geliebte erhört ihn nicht
(nimmt seinen dienst nicht an), darüber verfällt er in melancholie,
verschwiegen trägt er seinen kummer und beklagt ihn nur in
seinem Innern, sein leib und sein herz halten zwiespraciie 1 — 33.
der leib klagt das herz an, weil es ihm die minne eingegeben
hat 76 — 84 (180), wodurch alle seine fröude vernichtet wurde
94 f. 146. 334 ff. 392 f. 427 ff. 535. das herz weist die vor-
würfe des leibes zurück: deine äugen sind schuld daran, denn
alles was in der weit geschieht, lerne ich nur durch den sehsinn
kennen 535 — 557; vielmehr rate ich dir immer zum guten, und
auch nur in guter absieht habe ich dir zu diesem weibe geraten
558 — 602. du hast keinen grund zu klagen, denn wer minne
erwerben will, braucht vernunft {scJmne sinne 608) und muss
sich anstrengen (arhelt 613). nun folgen weiter in der minne-
lehre 603 — 641 die tugenden: übrigens geht es dir nicht schlecht,
iu hast ein vergnügtes leben 642 — 718 (bes. 671 — 689). aber
' Piquet Etüde sur Hartmaiiii d'Aue s. 213. 317.
■-' Piquet s. 82 ff.
EITTERLICHES TUGENDSYSTEM 173
du musst männlich zugreifen 7 38, das glück muss man erkämpfen
742—800, wer durch eigene kraft das glück erwirbt, der darf
den nmot hohe tragen 1S8— 1^0; sei kein Schwächling, lass dein
überflüssiges klagen, scliau aufwärts und sei heiteren mutes, Gott
hat die seinen nie verlassen 801 — 820. nicht du, sondern ich
lebe in sorgen, und zwar wegen deiner minderwertigkeit (boshei.t
858) und torheit [tmfruot 859), du hast keine tugenden und keine
ehre 862— S6S. wesentlich neues begegnet im folgenden nicht
mehr, hervorzuheben sind jedoch noch einige stellen: der leib
rauss dem herzen gehorsam sein 896; das herz hat gewalt über
den leib 44 — 50. SO, aber es hat nur den vernünftigen willen
{muot und frien gedanc 9l6f) und kann nur ratgeber des leibes
sein (das herz kann den leib nur zum guten bewegen, nicht das
gute selbst ausführen) 920 — 924 [zum text vgl. unten s. 247];
die zweite minnelehre, der kräuterzauber, 1269 — 1348; und die
letzte minnelehre: greif besonnen und nicht hastig übereilt zur
minne^, sei süete 1536 — 1564, denn die beste lehre ist, be-
ständig in der minne sein 1613 — 1632.
Hier hat Hartmaun, zum erstenmal in seiner dichterischen
laufbahn, tugendsj^steme zusammengestellt, sie werden beide male
vom herzen dem leibe als minnelehre vorgetragen (609). die
einzelnen eigenschaften des minnedieners (621) sind dieselben wie
die in den listen des Gregorius und des Armen üeinrich: 603
— 640 werden angeführt irlawe, miUe. inanheit, zühtcdichen halt;
zur letzteren pf licht, der zuht, gehört den lq> schone haben 629 -,
das ist eine aufgäbe der modestia (Moral, philos. 1035, Cicero
De offic. I 35. 36). vorausgeschickt werden allgemeine ver-
haltungsmafsregeln, 6n7 — 625: szcer ahte hat vf minne, der darf
wol schmner sinne (helle, klare, richtig geordnete sinne, Vernunft 3);
ferner nur guotez tuon (610 f und 623 — 625): das eben ist der
inhalt des honestum, der tugent, der tugende zusammen; nur auf
rehtes mannes muot (wiederum = tngent. speciell 'des mannes")
bedacht sein, das erfordert arbeit : und dass man viel an die ge-
liebte denke, da gehoeret arbeit zm 613, jane ist ez niht ein
* Tgl. Ulr. vLiehteasteiiis Frauenbuch üOiS, 2 f. 27.
* umgekehrt Meinloh .MFr. 12, 20 ican sol 26 liehe (jähen, vgl,
Lüderitz s. 47.
3 schmner ^m vgl. 12'j2, ferner II büchlein 220; Walthcr vd Vogel -
weide s. oben s. 157.
174 EHRISMANN
kindes spil, stver daz mit rehte erwerben sol daz im von wthe
qcschihet ivol 603 — 605; minne machet niemen fr'i ze ijrazem
gemache 616 f; du muost mit herten dingen nach ir hulden
ringen und sogar: beide sele unde lip mnoz er wägen durch diu
wlp 635 — 638 ^ mit diesen eigenschaften (es sind lauter virtutes
des honestura) erwirbst du, daz dir die fro/ren iresen holt 632 f.
wer durch lugenden dient, dem folgt der lohn 640.
Etwas anders gemischt sind die tugenden in den pigmenten
des kärlingischen kräuterzaubers 1269 — 132G. das ist nicht nur
ein minnerecept, sondern ein mittel zur irdischen glüclcseligkeit.
die allegorie lautet: kein mensch besitzt die gewürze (das sind
die tugenden), nur Gott hat sie in seiner gewalt, der mensch er-
langt sie, wenn ihm das glück zuteil wird sie zu erlangen 1290,
von Gott mit der Vernunft (mit schamem sinne 1292), durch den
richtigen gebrauch der Vernunft bezw. der intelligenz, vgl. auch
759. 1231; aber Gott gibt sie doch nur wem er will 1299-.
das bild der tugenden als gewürze stammt aus dem Hohen lied,
dessen commentare überhaupt für die christliche tugendlehre von
bedeutung sind, die tugenden sind die auch sonst immer wider-
kehrenden, hier geteilt in vier gruppen: mute, zuht, diemuot
1302 — 1308; triuioe unde stmte 1309 — 1313; kiuscheit unde
schäme 1314 f; manheit 131 6f; wer sie besitzt, ist biderbe unde
guot 1225; das gefäfs in das sie aufgenommen werden sollen,
das herz, soll ohne haz sein 1319 — i;i23. 1329 f. eine weitere
* scle kann hier allerdings nicht die vollbedeutung von unsterbliche
seele haben, sondern sele und lip ist nur formel für 'sich ganz' hingeben,
die formel ist also 'erstai'rt'.
- Schönbach s. 80 — S2. 260 f. 390 — MOo. auch hier wider das un-
klare zusammenspielen von scplde (heil) und Gott. — Wilh. Weise Die
Sentenz bei Hartmann vAue, Marburger diss. liUO s. 30 — 34. Weise ver-
weist im excurs s. 35— 3S zur erklärung von Veldekes minnebaum (Parz.
291, 1 ff) auf den bäum der liebe, albre d'amor, des Malfre Ermengaut
(vgl. den bäum bei Suchier-Birch -Hirschfeld, Franz. LG. I 93). dieser
bäum der liebestugenden ist eine nachahmung eines arbor virtutum (bzw.
vitiorum), wie einer bei Migne 176, 1006 ff unter den werken Hugos
von SVictor abgebildet ist. auch dies ist ein beispiel der Übertragung
geistlicher Vorstellungen auf das minnewesen. über den tugendbaum vgl.
auch Roethe Reinmar s. 218. zur allegorie ausgebildet ist der Stamm-
baum der tugenden bezw. der laster auch im Renner, hier ist auch der
bäum der dichtkunst in Gottfrieds Schwertleite v. 4736 ff anzureihen.
RITTERLICHES TÜGENDSYSTEM 175
forderung ist: es sich beim gebrauch des zaubers ernst sein zu
lassen (= arbeit) 1335. wer die Zauberkunst hat, die kräuter
(tugenden) zu mischen, dem wird es von wtbe immer rehte wol
ergän 1336 f; er wird also die ersehnte minne gewinnen, er
wird aber, wie schon vorlier versprochen worden ist, sich über-
haupt beliebt machen 1286 1 (zunächst durch die drei ersten
tilgenden 1285 — 1303); noch mehr: er wird heil oder liebes (an-
genehmes) deheinen teil 1273 f. 1300, er wird die smlde erlangen
' sich bei den menscben beliebt machen ist ein erfolg der
tugenden, es gelingt dem, der die eigenschaften des honestum besitzt,
schon die ältesten 'Eatschläge für liebende' geben die belehrung : (eri
werbe das mit sinne, das in allic dio weit minne Und man
ime wol spreche Docens Mise. II 307, vgl. Seherer QF. 12, 90;
ferner Gregorius alle tar/e er friunt geiean 1245, die Hute tra-
i/ent dir holden muot 1460, lauter steUeu, die von tugenden handeln,
•das wolgefallen der weit zu besitzen ist ein erfordernis der höfischen
bildung (er muose wol gecallen durch reht den Hüten allen Moriz
vCraon 287 f ), und die summe der Vorzüge hat der, von dem alle Hute
wol sprechent, vgl. Walther 119, 29 (Burdach Reinmar s. 1171, Erec
2402. 10052, AHeinr. 36, Ulrichs vTürheira Tristan, Mafsmann 589, 7 f,
Rudolf vEms im Alexander, Zingerle Die Quellen zum Alexander des
Rud. vEms s. 121. den beifall der menschen zu gewinnen ist die auf-
gäbe des decorum, der niodestia, Cicero De officiis I 108. Cicero
stellt als wichtigste praktische lebensregel auf 'conciliare animos hominum
et ad usus suos adjungere' und gibt als einleitung zu der erlangung des
utile die dazu nötigen tugenden au. De off. II <o. aber dieses weltgefallen
ist nur ein satz des honestum der antiken tugendlehre, das sittlich»-
lebensideal der laien stellt doch ein höheres ziel, es ist die Vereinigung
von Gott und weit: Swer got und die icerlt kan behalten, derst ein
scelic man Freidank 31, ISf, und Ein man sol lop und cre bejagen
unt doch got in herben tragen Freidank 93, 22 f, vgl. Ehrismann
Zs. 49, 454—456. Richard Ritter Die einleitungen der altdeutschen epen,
Bonner dissertation 1908 s. 62; ferner s. Annolied 610—613, MFr. 20, 13f,
Münchener Oswald, ßaesecke v. 1871, besonders aber Gottfrids Tristan
b«00fi— 8030. das ist biblische Sittlichkeit: 'gnade bei Gott und den
menschen': Luc. 2, 52 (vgl. 2, 14) gratia apud deum et homines; im
alt. test. Sirach 14, 1. 2. 45, 1: dilectus Deo et horainibus; Benedict,
regel cap. V: tunc acceptabilis erit Deo et dulcis hominibus; vgl. ferner
Hernhard vClairvaux, sermo in vigilia nat. dorn. V: Neque enim homini-
bus sine lenitate non plus quam Deo sine lide placere possibile est.
propterea siquidem oportet nos providere bona non solum coram
Deo, sed etiam coram hominibus, ut non tantum regi
nostro, sed et concivibus et commilitonibus nostris grati esse possimus.
diesen zweck hatte Hartmanu bei der abfassung des aHeinrich 12-15:
176 ElIRISMANN
1325. es erhebt sich aber am schhiss die lelire zu höheren als
bldfs ^veUlichen aufj;aben : er soll den zauber oline schände und
grofse Sünde tun 1339 — 1341, und er soll nicht nur der weit
gefallen und das weltgUick erlangen, sondern (jal iin<Ldiu irerlt
inlimet in 1344 — 1341): damit hat er das höchste gewonnen, was
dem weltmanne erreichbar ist, die Vereinigung von weit und Gott^
diese also kann man durch die weltlichen tugenden zu wege
bringen, wenn man dabei die religio, die dem in der weit
lebenden vorgeschriebene frömmigkeit, bewahrt.
Das thema von Hartraanns Büchlein ist eine minnelehre: ein
junger mann, der kein glück in der liebe hat, wird belehrt, wie
er die niiune seiner dame erwerben kann, der didaktische stoff
ist eingekleidet in das moliv der geistlichen allegorie vom streit
zwischen leib und seele (vgl. bes. die Visio Fulberti bei Du
M^ril Poesies populaires lat. anterieures ... s. 2 I 7—230 ■^). das
Büchlein ist also eine Übertragung geistlicher Vorstellungen auf
das minnewesen. statt um die ewige Seligkeit handelt es sich um
die weltwonne (minne) 277. an die stelle der seele ist das herz
getreten, die veranlassung dazu hat der psychologische grundsatz
gegeben, dass das herz der sitz der leidenschaften, besonders der
minne ist 2. nur unter dieser Voraussetzung kann die mehrzahl
der von Schönbacli s. 469 — 471 aufgeführten stellen über da.s
Verhältnis von herz und leib richtig verstanden werden, nicht
herz und leib machen nach der scholastischen anthropologie den
menschen aus, sondern seele und leib, nidit das herz hat die
gedanken, gibt den rat (also auch zu den tugenden), befiehlt, ist
lierr des leibes, sondern die anima intellectiva, die trägerin von vei-
nunft und willen ■•. herz (cor) und leib (corpus, caroj zusammen
von so gewanten sacken da:~ rjote.-< eren töhte und da mite er-
sieh mühte (jelieben den Hüten (zur erkläruiig der stelle s. Schönbacli
s. 130. 439), uud Giej^orius 3991: got und in ^e minnen (Schönbach
s. 438).
' s. unten Parzival.
- Piquet s. 77 ff.
•'* im minnesang: Burdavh ßeinniar s. 114 f. 119.
* dass Hartniann keinen anstofs an diesen widersjjrüelieu j,'LMionmjen
hat, beweist, dass er psychologisch im sinne dt^r scholastischen philosophie
ungeschult war; vgl. auch Heinr. vKugge MFr. 101, 31. im hötisshen
minneverhältnis bandelt es sich überhaupt nicht um die .<ele, sondeiii
um das herze; vgl. Lilderitz s. 97 ff.
RITTERLICHES TÜGENDSYSTEM 177
bilden nur den leiblichen teil des niensclieu, d. li. das herz ist ein
teil des leibes. gegenüber dem leib als dem sterblichen teil steht
die Seele als der unsterbliche teil des menschen, die misachtung
des leibes von seiten des herzens, der tadel seiner trägheit, seiner
genussucht entspricht der christlich - asketischen verpönung des
fleisches. sein minnekummer ist hier aufgefasst wie die haupt-
sünden acidia und luxuria.
Auch in dieser weltlichen minnelehre lässt Hartmann seine
fromme gesinnung zur geltung kommen, sie findet ausdruck
weniger in formelhaften als inhaltlichen beziehungen auf Gott '.
wie in der belehrung über das verhalten des leibes und des
herzens gegenüber der seele in hinsieht auf das zukünftige leben
1034 — 1055; in der hintansetzung der liebe zur dame gegen die
liebe zu Gott 144Sf; in der erklärung der tugenden als gaben
Gottes im kräutersegen 1287 — 1300; oder in dem trostwort ja
vevliez f/ot den slnen, nie SOS.
1* Der bisherige verlauf der Untersuchung hat den engen zu-
I sammenhang zwischen der ritterlichen und der christlichen moral-
I lehre erwiesen, alle factoren der w^eltlichen ethik hatten ihre
Hinalogie auf geistlichem gebiete, das System des honestum läuft
parallel dem der vier cardinaltugeuden, die weltliche minne, amor,
steht gegenüber der göttlichen, der charitas-, der frauendienst
dem gottesdienst, die ynäde der dame der gnäde Gottes, die
weltehre der gottesehrung, die arbeit für die minne der arbeit
um das himmelreich, die irdische sielde der ewigen Seligkeit:
und so bis in einzelheiten. das rittertum ist durch die kirche
erzogen worden, die formulierung seiner sittlichen begriffe steht
unter dem einfluss des moralsystems der kirche, die minne ist
zu einer macht in der menschenbildung erst geworden durch
die angleichung an das kirchliche dograa. die theologie, die
in ihren logischen begriffsbestimmungen das weib für ein nie-"^
dereres wesen erklärte, hat gegen den phantasievollen cult |
der frau in der Marienverehrung nicht angekämpft, die glut der
begeisterung beherschte die zeit der kreuzzüge und ergriff so
geistliche wie laien. das sehnen nach der gemütsoffenbaning des~l
überirdischen schuf bei jenen die Christusmystik und erweckte bei (
' Schönbach s. 7!)- 82.
- s. Wechs.sler. bes. s. 813 — 355.
178 EIIRISMANN
diesen die erapfindong für die tiefe der frauenseele. neben, j;i
an stelle des alten ritterideala der tapferkeit ist ein neues getreten,
die niinne.
Im Gregor ius hat Ilartmann mehr als in allen seinen
anderen werken seine eigene persönlichkeit zur geltung gebracht S
ist doch er selbst aus der klosterschule in die weit getreten, mit
l>egeisterung preist er das rittertura, uin doch vor den gefahren
des weltlebens zu warnen, zwei lange aufzählungen gibt er von
rittertugenden. die erste ist eine fürstenlehre, das moralische Ver-
mächtnis des sterbenden herzogs an seinen söhn 244 — 258.
empfohlen werden liier die tugenden der ere (honestumj, zuerst
die allgemein gültigen: trlinre und std'fr , mute, vrerele mit
{/iiele (vgl. Walther 35, 29 kiicne und mute), zuJit-^ dann
speciell regentenpflichten: den herren starc, den armen guot,
die dlnen .sott du freu, die vremcden zuo dir leeren: /vis den
UHSen gerne In, rliiich den tninhen sivd er sl ist eine lehre für
die Jugend, aber auch für die fürsten bezüglich ihrer ratgeber.
den abschluss bildet die höchste der moralischen tugenden, die
gottesverehrung, religio: vor allen dingen rninne got, und mit be-
sonderer hinsieht auf das künftige amt des fürsten als richter:
rihte wol dvrch sin gehot. bemerkenswert ist, dass unter den
weltlichen tugenden auch die demut vertreten ist 249 2. die
' Piquet s. 2S. 2Tü.
- vgl. Piquet s. 317. — die deiuui ist eine speciell christliche
lugend (eiue frucht des heil, geistes, Gal. 5, 22) uud keine des antiken
tugendsystems, ja sie ist die charakteristische tugend des Christen, dem
hauptlaster, der superl^ia, wird die humilitas entgegengesetzt, beide
kämj)fen gegen einander in der Psychomachie des Prudentius (v. 178 ff)
und sind fortan die das sittliche leben bestimmenden gegenpoJe besonders
in der moral des münchtums. die demut ist dann wegen ihrer hcrschenden
bedeutung innerhalb der christlichen ethik auch in das ritterliche tugend-
t-ystem aufgenommen worden als notwendige forderung für den christlichen
ritter (vgl. Wechssler s. 392 — 394 u. reg. s. 491). im christlichen tugeud-
system ist die humilitas unter die modestia der Moralis pliilosophia
(s. oben s. 143) eingereiht, so bei Thomas vAquino Summa theol. II 2,
<iu. Itil, den höheren der beiden sittlichen werte stellt natürlich die
christliche tugend der humilitas dar, der in der weit lebende mensch
gelangt eigentlich blols zur modestia, der tugend des honestum. als be-
griffsbenennung würde sich demnach für das ritterliche tugendsystem
speciell die bezeichuung modestia mhd. he-icheidentieit empfehlen, statt
RITTERLICHES TDGENDSYSTEM 179
gottesliebe bringt in diese weltliciie lehre eine geistliche färbung,
es werden auch nur die zwei edleren guter, Gott und ehre, nicht
auch das weltliche gut, eingeschärft.
Die andere tugendreihe charakterisiert den sceldenrtchcn Jüng-
ling (127 7) Gregorius, 1235— 12S4. er hat die äufseren guter,
bona corporis (aber nicht die bona fortunae, adel, macht, reich-
tura, vgl. V. 1093—1700): er ist scimne unde starc 123S; und
innere guter, die tugenden, 1239 — 1259, die in einer langen liste
aufgezählt sind. den grundstock bilden die stereotypen be-
dingungen: getrimce undc (juot 1239, ziiM unde fuoge 1242,
mute 1250; zu den notwendigen pflichten gehört auch die
mäze in freud und leid 1247 (in der Moral, phil. unter con-
stantia sp, 1053, Werner vElmendorf Sllf). die mäze in der
tapferkeit 1252, wie schon bei Aristoteles das mittel zwischen
der Verwegenheit und der feigheit, audacia und tinior, schreibt
die Moralis philosophia ebenfalls vor (Migne 1027 AB, Werner
vElmendorf 733 — 759); die geduld, patieutia, in der Moral, phil.
1026 A. 1034 B, bei Werner vElmendorf 843—856 (ist auch
eine frucht des heil, geistes)!; fürgedanc als diu wisheit gebot
1256, in der Moral, phil. sp. 1011 C und Werner vElmen-
dorf 91 ff; schäme 1258, verecundia, Moral, phil. sp. 1039 f,
Werner vElmendorf 857 ff; friunt gewimien 1Ö45, amicitia, Moral,
phil. sp. 1023 13, Werner vElmendorf 675 ff. während die vorher-
gehnden tugenden ihre entsprechung in der allgemeinen ritter-
lichen lehre und in der Moral, phil. haben, ist die mansuetudo
eine raönchspflicht. zorn (innere erregung) durch Sanftmut be-
kämpfen und beschwichtigen 1 244 ist eine frucht des heiligen
geistes und eine lehre des Aristoteles (Etliik IV cap, 5), von
Thomas vAquino in der Summa theol. II 2, quaest. 157, art. I
behandelt und schon in die Benedictinerregel aufgenommen (iram
nou perficere, iracundiae terapus non reservare cap. IV); die
Moral, phil. hat ähnliches unter modestia sp. 1035 B. charakte-
ristisch endlich für den klosterschüler Gregorius ist es, dass er
humilitas. tatsächlich bezeichuet aber in der kirchlichen spräche modestia
ebenfalls die christliche demut, welches wort ja gerade in der grundstelle
Gal. 5, 22 gebraucht ist.
» Wechssler s. ;-)94 und register s. 496 unter patientia; als wichtige
forderung zum himmelreich in Aiigustins De civ. Dei XIX cap. 4, 5;
Thomas vAquino Summa theol. II 2, qu. 136.
1'80 EHRTSMANN
der ?rr(',, disciplina, Untertan war 124'.), den wisen folgte, wie es
sich für kinder (knaben) geziemte 1253 (eine aufgäbe der mo-
destia, Moral, pliil. sp. lOGo CD, s oben s. 112), und dass er in
den artes sehr gelelirt war 1241, vgl. 1173 — 1197. auch dieses
System gipfelt am sehluss in der kröne der moralischen tugenden,
in der gottesverelirung, religio: er süovMe yenädc unde rät zallen
ziten (in got und behielt starke am gebot 12(iO. diese frömmig-
keit äufsert er auch in seinen das rittertum verJierrliclienden
reden an den abt 1534. 17b2. 1S04 und bewahrt sie in seinem
weltleben ISÜO. 2053. 2070. 2075—2081. 22Gi). 2273. 22S8,
und sie scliützt ilm vor dem äufsersten frevel , vor der Ver-
zweiflung an Gott 2 Ol) 5 ff.
Noch an einer dritten stelle gibt Hartmann eine tugendliste,
863 — 868. es sind nur allgemeine Vorzüge, die hier der jungen
herzogin beigelegt werden, sie konnten gerade so gut von einer
männlichen persönlichkeit ausgesagt werden.
Das leben des Gregorius ist ein musterbeispiel für den
dualismus zwischen Gott und weit und zwar in der schroffsten
auffassung: swaz dem llbe samfte tuot, dazu ist der sele dehein
guot 2659. zur erscheinung gelangt dieser Zwiespalt in den
gegensätzliclien formen des rittertums und des klosterlebens, die
legende ist also eine Versinnbildlichung des Verhaltens des com-
muniter religiosus und des specialiter religiosus, oder des in der
ere lebenden bezvv. des nach gotes liulde strebenden menschen :
Stver sich von pfajf'en bilde gote machet wilde unde ritterschaß
hegät, der muoz mit maneger missefät vericürken sele unde llp
1517 — 1521. der abt hat Gregorius ze einem gotes kinde envelt
1526. 1555, aber sein freier wille steht nach der weit 1439.
1512. 1800. das ist das tragische geschick des beiden, es ligt
in seinem blute, seinen natürlichen bedingungen, der trieb zur
ritterschaft ist ihm von seinem geschlechte her angeboren, das
klosterwesen ist ihm nur anerzogen.
Eine doppelte schuld lastet auf Gregorius, die seiner eitern
und seine eigene '. das vergehen seiner eitern braucht er nicht
sich als schuld zuzurechnen, aber er hat doch durch sie gotes
/mZfZe verloren 1780 — 1784: das hätte ihn um so mehr bestimmen
sollen, in dem heiligen leben des klosters sich ganz dem dienste
' vgl. Schöllbach 8. 91 f.
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM 181
Gottes hiazugebeii, während er mm nur noch heftitrer nach der
weit verlangt, um seine eitern zu erfahren 1790 — 1 SOS. die un-
natürliche Verbindung von mutter und söhn fassen beide, über-
einstimmend mit den anschauungen des volkes i, als eigene schuld
auf, mlssetät 2G81. 2087. 2703, und ihr gewissen (das natur-
gesetz) belastet sie mit den schwersten vorwürfen 2G05— 2750.
für diesen frevel nun weiht er sein ganzes kommendes leben der
bufse 2751 ff. und in der tat. wenn er diese schuld auch un-
bewust auf sich geladen (durch ignorantia) -, so ist er doch durch
eigenes verschulden in die läge gekommen, sie zu begehn, näm-
lich durch die ungeordnete anweudung seines freien willens,
der ihn in die weit geführt hat, statt ihn im kloster zurück-
zuhalten 3. darin ligt der Ursprung seiner moralischen irrung: es
ist die weltsucht, der weltehrgeiz, und diese sünde ist in seinem
fall um so scliwerer, da ihm der abt als ein weiser und wol-
meinender berater die gefahren des weltlebens dringend vorstellte,
und da sogar der wille der eitern, der auf der rafel eingeschrieben
war, ihn zur büfsung ihrer schuld aufforderte 753 — 702. aber
statt dessen treibt ihn ihr widernatürliches vergehen erst recht in
die weit, seine eigene schuld führt ihn dann erst zu Gott, als er
dem iceltlh-hen nniote absagt 2747. so gelangt er von der welt-
lichen hoffahrt zur demut in Gott, von der sünde zur gnade, vom
Status culpae zum Status gratiae. das urteil über die ethik des
gedichtes muss ausgehn von den sittlichen anschauungen des
mönchtums, nach welchen das klosterleben (ordo religionis) das
vollkommenste abbild des gottesreiches auf erden, die weit das
reich des teufeis ist. das religiöse thema ist ein problem des
willens, es ist die Unterordnung der irdischen Sinnlichkeit unter
das auf den himmel zielende gesetz Gottes, des eigen.willens unter
den gotteswillen. die vernunft, die erkenntnis des guten, soll den
willen lenken, nicht das triebhafte begehrungsvermögen.
Alle jene v. 1235 — 1202 an ihm hervorgehobenen tugenden
1 eine schuld nach der volksmeinung: Schöul)ach s. 102.
- vgl. Schönbach s. 100 ff. 40.5—410; Ehrismunn Zs. 40, 447 f.
3 die impedimenta des weltlebens s. oben s. 154. dieser zug des ge-
dichtes ist eine parallele zu dem beispiel, das Thomas Summa theol. II 2.
qu. 186, art. 1 citiert : consulitur cuidam qui uxoreni occidcrat, ui
potius monasterium ingrediatur, quod dicitur esse melius et levius, .|uani
quod poenitentiaui publicam a,i;at, remanendo in saeculo.
1 82 EHRISMANN
sind merkmale, die die vrouwe, SoßUcheit an ihn gelegt hatte,
die soilde ist also Schöpferin der tugenden. Gott aber hat dem
umnsch, dem hervorbriiiger aller vortrefflichkeit, erlaubt, ihm die
äufseren und inneren gaben im höchsten werte /u verleihen 12G3.
hier also ist Gott der anreger, der u-unsch der unmittelbare
Schöpfer der tugend. der wünsch ist die schöpferische kraft
Gottes, die, in religiöser auffassung, die weit als zier, als kosmos
bildet und ordnet, der Widerspruch, dass das eine mal die scnlde,
das andere mal Gott durch den iciinscli. spender der tugenden ist,
hat seinen grund darin, dass weltliche und geistliche auffassung
zusammengeworfen sind: die snidc. ist an die stelle Gottes ge-
treten '.
Die an Gregorius gepriesenen tugenden sind die weltlichen
des honestum, aufser der mansuetudo. sie sind zugleich auch
religiöse tugenden, die dem System der cardinaltugenden ange-
hören, aber llartmann meint an dieser stelle — wie auch sonst
immer in seinen tugendsystemen — einzig die weltlichen tugenden
der cre '-.
Das aber ist von bedeutung für die auffassung des Charakters
den der dichter seinem beiden verheb: er wollte ihn von voni-
' sceAde s. oben s. 166 — 16S. selbstverständlich kann man bei luhd.
dichtem keine pünktliche Systemdurchführung, keine streng eingehaltenen
einzeldefinitionen erwarten, das ist besonders auch bei den umfassenderen
l)egriffen wie güete, ere, scelde der fall, so hat in unserm gedieht v. 1285
rrouice S'elicheit dem Gregorius die glückbringenden tugenden verliehen,
V. ]69Sff aber flieht sie ihn und er muss sie erst erjagen, im ersten fall
ist scelde das Schicksal, im zweiten bedeutet sie nur die glücksgüter reich -
tum, macht, ansehen, rühm.
- das geht daraus hervor, dass er sie von der irau Sxlde eingeben
liisst. das 'ideal klösterlichen lebens' (Schönbach s. 191. 199) würde
ganz anders aussehen, von sch(sne und ftarc, suht und fuoge, friunf
fjetoinnen und vom lob der leute würde dabei nicht die rede sein, edles
geschlecht würde unter den Vorzügen eines mönches nicht vermisst werden,
die Übereinstimmung mit der Benedictinerregel in einigen tugenden ist
selbstverständlich, weil die ritterliche ethik mit der geistlichen manche
puncte gemein hat, es fehlen aber umgekehrt in der liste bei Hartmann
wichtige pflichten der Benedictinerregel cap. IV ff, so gleich die grundlagc
alles geistlichen lebens, die demut, humilitas. — auch wo der abt ihn
Kcelic Jungelinc nennt, dem es so gut gehe, als er nur irgend wünschen
könne, meint er nur seine gegenwärtigen Verhältnisse und spricht nicht
von Gott.
RITTERLICHES TÜGENDSYSTEM is:^
herein nicht als von mönchsidealen beseelt darstellen, sondern als
ein geborenes weltkind, bei dem dann, als die gelegenheit sich
ergab, die angeborene ritterliche natur zum durchbrach kam,
gerade wie bei dem jungen Parzival. damit ist seine absage an'
das klosterleben nicht ein plötzlicher und unvermittelter Umschwung
seiner gesinnung, sondern eine naturgemäfse entwicklung seines
Charakters, es blieb ihm der freie wille, die von Gott ange-
regten, von der mMe in ihm bewürkten tugenden zu gebrauchen,
er hat sie nicht zum leben im raönchtum, sondern zu dem in der
weit angewendet, das ist der moralische grund für seine Ver-
schuldung, der unmittelbare anlass aber ist die auffindung der
tafel und die entdeckung, dass er ein funtkint ist 1323. 139',).
1411. diese ruft gleich zwei welthche gedanken in ihm hervor:
die furcht vor der schände und dem spott der leute und die
hoffnung, ritter werden zu können 1409 ff. 1479 ff.
Damit ist der ehrgeiz in ihm erwacht 1496. lebendig steht
vor seiner seele das schöne ritterleben 1558 — 1624. er entwickelt
das ziel seines ehrgeizes 1675 — 1730: oh ich mit rehter arbeit,
mit sinne und mit manheit erwirhe guot und ere, des priset mau
mich mere ... 1715, also gut und ehre mit arbeit erringen,
nicht sich durch gemach verligen 1677. 1683.
Hier ist das programm für die lebensaufgabe des ritters ent-
wickelt: es ist arbeit, handeln, tat. damit ist ein neuer factor
der ritterlichen Sittenlehre zu besprechen, es ist die lebens-
aufgabe, die sich das rittertum selbst gestellt hat, eine
äufserung seines eigensten wesens, nicht blofs eine aus einem
antiken oder einem kirchlichen System entnommene tugend oder
Pflicht 1.
' gefordert wird die tüchtige arbeit öfter schon im neuen
testament. arbeit im dienste der nächstenliebe ist die praktische, vom
Christentum geforderte lebensaufgabe für geistliche und laien. dem be-
griff und der hohen wertung der arbeit in der ritterlichen Sittenlehre
entspricht in der christlichen philosophie die bedeutung des willens,
in dem nach Augustin 'der kern unseres wesens ligt' (Haruack
Dogmengesch. III 1- 2 s. HO anm. 2) und der von Thomas vAquiiio
als ausgangspunct unseres sittlichen handelns so stark betont wird,
selbst die mystik erkennt den hohen wert des handelns an, natür
lieh als geistlichen tuns, wie in der Verkündigung des wortes Gottes, in
dem guten, der charitas usw.; der vita contemplativa steht dann die vitu
activa gleichberechtigt gegenüber, im tugendsystem hat die acidia, trä/teir.
IS4 EHRISAIANN
Ohne arbeit kein gerinanisclier lield und kein echter mittel-
alterlicher ritter. arbeit im sinne des ritters ist heldentum, darum
ist für ihn sich verlUjen die grol'se schände, arbeit im gerechten
kriegsdienst erkennt auch die kirclie als den geordneten beruf
des ritters an, und sie hat ja diese arbeit in den dienst des
Christentums und der barmherzigkeit gestellt: das ist der typus
des christlichen ritters. ja, jeder mensch ist ein kämpfer', und die
militia materialia, militia extcrior, ist nur ein bild für die
niilitia spiritualis, militia interior, der miles materialis
nur ein miles in actu, der miles spiritualis aber ist der
ritter im geist, in spiritu, der vorgestellt wird nach Epheser
(i, 11 — 17 (Alanus Summa de arte praedicatoria cap. XL, Jligne
'210, 185 — 187). die arbeit als eine notwendige lebensform liat
entsprechungen auch in der christlichen ethik und in der lehre
vom honestum, aber sie ist doch ganz selbständig aus den nut-
wendigen bedingungen des rittertums hervorgegangen.
Die praktische bedeutung der arbeit im ritterlichen leben
hebt Thomasin öfter hervor, vor trägheit wird die Jugend ge-
warnt (im anschluss an die modestia der Moral, phil.): muoze ist
jungen Hüten 'untiigent, trakeif ist niJii wol In jnyenl 147 f. unter
den hauptsünden wird die irdkeif gegeifselt v. 7233 — 72i')2, auch
13513 — 13552; v. 7753 — 7S20 wird eine ausführliche belehrung
über die arbeit im sinne des geistlichen rittertums gegeben, dar-
unter einige kernige aussprüche sind wie: (jeäenket, ritr, an
imrern orden : zuin s1t ir ze rlter irorden'^ durch släfen?
uri.z got ir enslt. dd von daz ein man f/erne l'it. sol er dar
>nnhc rlter wesen? 7769 — 7773; Sirer iril rlters nndiet phlegen,
ihr gegenteil in der fortitudo, geistlich mich zelus honi (Benedict.-regel
cap. 72), und in der praktischen nioral des Christentums hat die
Pflichterfüllung selbstverständlich ihren angemessenen platz, auch das
niöuchsleben, die askese, ist eine stete arbeit des menschen, und
zwar an sich selbst im kämpf mit der Sinnlichkeit; die guten werke,
die auch der laie zu verrichten hat, sind pii lahnre.^. auch die bufse
ist arbeit, mühsal, die mau zum büfsen auf sich nimmt, vgl. 2723.
2752. 3S4S, auch Parz. 4i'9, 29; auch in der kirchensprache ist bufse
ein Uibor. — auch die Moral, phil. enthält eine heleliruug über die
arbeit, hier specieU in betreff der Jugenderziehung unter der modestia,
sp. 1037: exercendo labore animi et corporis aetas adolescentiae, nach
Cicero De off. I 3. einfluss der magnanimitas auf die arbeit s. oben
s. Iü4 unter Walther.
• der mensch als "miles': Burdach Ackermann s. 214 ff. 242 f
RITTERLICHES TÜGENDSYSTEM 1S5
dermmz mere arbeil legen an sine vaor dan ezzen wol usw. 7 7 85 ff;
der mac niht riters ambet phlefjen, der nihf enwil wan samfte
leben 7791 f: ferner 8671—8724 und die krenzpredigt 113 17
— 11830; 'bete und arbeite' ist das tliema von 1024'Jff. — im
minnewesen ist auch die Werbung um die geliebte und die minne
selbst arbeit ' .
Vom ehrgeiz, heldentaten zu verrichten, ist Gregors herz er-
füllt, dagegen spielt die minne bei ihm nur eine geringe rolle,
nur kurz bemerkt der dichter ihren guten einfluss, dass sie ihn
noch mehr zu rühm und ehre anspornte und freudenreich maciite.
um so stärker hebt er die verderbHehe gewalt der minne hervor,
denn sie betörte den jungen herzog zu seinem frevel an der
Schwester 323. und in ihren fesseln siecht er elend zu tode 841.
S51. an den beiden unglückseligen hat vron Minne ihre alte
niederzwingende art gezeigt, nach freude leid zu bringen 451.
die den menschen in sünde und schände verführende leidenschaft
ist das werk des teufeis, denn dieser neidige feind hat sie den
jungen menschen eingegeben 318ff. das in sündenschuld verlassene
weib wendet ihre minne zu Golt. um seiner hnlde willen, die sie
verwürkt hat, gibt sie alle freude auf und führt ein bufsfertiges
leben S71 — 898. der Verräter der menschheit aber plant auch
den zweiten incest und schafft, dass sie gefallen an dem fremden
ritter findet, der ihr söhn ist 1960. 2246. denn trotz ihres
frommen lebens und trotzdem sie in gote 2228 den mann nimmt,
den ihr Gott gesandt bat 2241, hat sie doch nicht gotes hnide, denn
sie war noch den gefahren der weit zugänglich (ist noch immer nur
communiter religiosa), wie aus ihren eigenen worten /ran mir ist
diu Scelde (das irdische glück) gram 25G2 — 2569 hervorgeht und
wie ja auch ihre lieirat beweist (sie befolgte noch nicht das
nonnengelübde der keuschheit), darum hatte der teufel immer noch
macht über sie. erst als sie nach der zweiten sünde durch ein
viel strengeres büfserleben (2665— 21.94. 2695—2736. 3S47 —
3S52. 3866f. 3901—3915. 3042-3948) der weit und der Sinn-
lichkeit ganz abgestorben war (als sie auch in der weit
1 Lüderitz s. 54 f. 5o. iu (Jvids Ars amatoria sind die be-
mühungen und künste, die liebesmiihen, das niädchen zu gewiuuen,
abores. 'amor dulcis labor' s. Burdach Reinniar s. lÜ-1. 117. sehr hiiuti«
iiu minnesang.
Z. F. D. A. LVI. N. F. XLIV. 13
186 EHRISMANN
specialiter leligiosa geworden war), konnte sie Gottes huld ei-
ringea 39BI.
In drei Zeitabschnitten verläuft des Gregorius leben naci*
seinem weggang aus dem kloster:
1. Das weltlel>en in der ehre 1837 — 275(1; hierin wider
drei teile:
a) ein rascher aufstieg: das ringen um gut und ehre; Gregor
als abenteurer, dann als befreier einer bedrängten frau (durch got
und durch ere wold er . . . däz unschuldige nnp loesen 2U70),
ritterliche guttaten 1887 — 2240 (darin die hauptsächlichsten stellen
des ehrgeizes 1871 — 1876. 1967 f. 1989—1998. 2036—2079.
2165—2184).
b) eine kurze herrlichkeit: der lohn des ehrenstrebens und der
ritterlichen guttat; Gregor als fürst 2247 — 2604, dabei seine
regententugenden : er war ein guter richter; gerühmt wegen seiner
vüUe] ein Schützer des landes gegen denjenigen der es feindselig
angriff (also gegen unrehte höhvart 2196), indem er ihn der eren
und des guotes beraubte; er pflog der mäze 2257 — 2276.
c) der fall und die reue 2605 — 2750.
2. Die bulse in demut 2751 — 3729; au stelle der ritter-
lichen arbeit ist die bufse als 'arbeiV getreten 2752.
3. Die erhöhung durch die gnade 373U — 3958. aus
der Sünden gewalt 3675 hat den Gregorius die gnade durch ein
wunder erlöst, das äufsere zeichen dafür ist der widerfund der
tafel 3730. jetzt ist er ein wahrhaft scalic man, ein vir beatus
in spirituellem sinne (er hat die hienieden mögliche perfectio er-
langt), da ihm die gnade zu teil geworden, während er vorher
als sceldenrtcher jungelinc 1277. 1457 nur scelde, weltliches gut,
dabei die religio (communiter religiosus) besafs. das ergebnis
endlich, das der dichter als sittliches beispiel aus dem leben der
beiden schuldbehafteten menschen zieht, ist: wie si nach grözer
schulde erwürben gof.es hulde 3961. jetzt hat Gregorius Gottes
huld erlangt, zu der er einst als Jüngling den richtigen weg nicht
wüste und die er verscherzte, weil er dem rat des abtes zuwider
sich zum rittertum wandte 1779 — 1798. frömraigkeit, religio, war
ihm eingewurzelt, und die besafs er auch als weltkind, ebenso wie
seine mutter sich auch in dem weltleben Gott hingab, jetzt aber
ist ihnen durch Gottes gnade Gottes huld zu teil geworden. d:i
EITTEßLICHES TUGENDSYSTEM 187
sie, durch strengste bulse zu absoluter weltentsaguug gelangt, voll-
kommen geworden waren.
In dieser scliicksalsgeschichte fehlt auch der verhängnisvolle
gegenständ nicht, es ist die tafel, das rätselhaft verschleierte
Zeugnis der missetat der eitern 719—769. 1041. sie dient zur
fortbewegung und mitentscheidung der handlung, unheilvoll für
des Sohnes seele, indem sie in Gregor den entschluss in die weit
zu gehn verstärkt 1745^ vernichtend für sein weltglück, da sie
das geheimnis seiner ehe mit der mutter enthüllt 227 7 — 2604;
zum schluss aber, nachdem er sie aus Unachtsamkeit verloren 3045.
3080. 3683 ff, zu seinem heile mitwürkend, da Gott durch das
zeichen ihrer widerentdeckung seine wundertätige gnade erwies,
wodurch der arme büfser offen als gottseliger mann bekundet
wurde 3730 — 3740.
Gregor hat den willen (voluntas) zum guten, aber seine
einsieht war getrübt, er wendete den willen auf die guter der
weit an. durch die erkenntnis seiner schuld wird der richtige
zustand der Vernunft (ratio) wider in ihm hergestellt, der ver-
nünftige wille; und jetzt richtet er den willen auf das würklich
gute, auf Gott, seine arbeit hatte er vorher für die ritterehre
eingesetzt, jetzt wird sie zur bufse. die arbeit ist das leben
fördernde princip, die triebkraft zur perfectio, sei es zur ritter-
lichen oder zur geistlichen, jedoch tritt hier der grofse gegensatz
zwischen weltstaat und gottesstaat ein i : für diesen genügt der
eigenwille nicht, sondern Gott ist es, der, wie er unsere vernunft
erleuchtet, so auch unsern willen bewegt, die gnade ist es, die
den willen zu dem wahrhaft sittlich guten, dem höchsten gut,
bewürkt und stärkt '-. schon die erkenntnis der Sündhaftigkeit und
der wille zur bufse ist ein act der gnade.
Aus der tiefsten erniedrigung hat die gnade Gottes den guten
Sünder zur obersten würde der Christenheit eriiöht. wider gibt
der dichter eine Charakteristik von seinem beiden 3793 — 3830.
jetzt hat der heihge geist ihm die lehre eingegeben, gezeichnet
ist er als gerechter und doch gnädiger herscher, denn die ge-
* der streit zwischen den beiden reichen, zwischen der weit und
Gott, also das augustinische staatenprincip, ist der religio» -politische
Untergrund im Gregor und im aHeinricb.
2 Thomas Summa Iheol. I 2, qu, 109, art. 2 u. 7.
13*
188 EHRISMANN
rechtigkeit, justitia, ist die oberste füratenpflicht ^ diu zwei ge-
rillte 3807, die zwei verhaltungsweisen des Judicium sind diemuot,
was den armen zu gute kommt, und vrevclUche site (plur.),
gegen den hohen muot 3808; es sind die gleichen pflichten
die der alte herzog seinen sehn lehrte 249 f. die bufse soll
man sanft machen 3813, gnade gft für daz reht 3822: dieses
ist die rechte mdze 3823, die ihn der heilige geist lehrte 3794 2,
und ist eine Vorschrift die die Benedictiner-regel den übten gibt,
cap. LXV: semper superexaltet misericordiam iudicio ... in ipsa
autem correptione prudenter agat et — ne quid nimis. so hat er, der
einst in der weit seine eigene ere mochle, jetzt als papst mächtig
die gotes ere gefördert 3828.
Die idee des armen Heinrich ist ebenfalls der widerstreit
' Das bild des christlichen regenten hat Augustin in seinem gottes-
staat festgestellt, vgl. Ernst Bernheim Politische begriffe des mittelalters^
im lichte der anschauungen Augustins, Deutsche zs. f. geschichtswissen-
schaft n. f. 1, 1896/97, und die Greifswalder dissertationen vou Otto Meine
Gregors VII auffassung vom fürstenamte 1907; Heinr. Krüger Was ver-
steht Gregor VII unter justitia? 1910; Rieh. Hamniler Gregors VII stelhing
zu frieden und krieg 1912, bes. s. 48; Gerh. Bagemihl Otto II u. s. zeit
im lichte mittelalterl. geschichtsauffassung 1913; Johannes Lange Das
Staatensystem Gregors VII; Johannes Fiebach Die augustinischen an-
schauungen papst Innoceuz' III usw. 1910; Gottfried Herzfeld Papst
Gregors VII begriff der bösen obrigkeit 1914; Leonh. Frederich Der ein-
fluss der augustinischen anschauungen von pax und iustitia usw. 1914:
Hugo Tiralla Das augustinische Idealbild der christlichen obrigkeit als
quelle der 'Fürsteuspiegel' usw. 1916 (daselbst weitere lit. s. Iff); ferner
Carl Hainer Das epische dement bei den geschichtsschreibern des frühei-en
mittelalters, Giefsen. diss. 1914, passini.
^ vgl. Schönbach s. 109 — 111. — unsere stelle hat mehrfach be-
rührungen mit Gregors VII auf Augustin beruhenden anschauungen ül)er
die justitia. die gerechtigkeit stammt von Gott selbst ab (Krüger s. 9) :
vom heil, geist 3795; der gottgefällige fürst ordnet sich dem willen Gottes
unter (Krüger s. 7): diemüete iJ798; er muss mit strenge verfahren, wenn
es nötig ist (Krüger ebda.): rrepellifhe 3b00; die sich dem recht wider-
setzenden sind milglieder der civitas diaboli (Krüger s. 10): des tiecels
kint 3804; mit gewalt soll der fürst die Untertanen zur gerechtigkeit
zwingen (Krüger s. 12): da hceret dünne f/eioalt zuo 3806; misericordia
soll der fürst üben, die armen, witwen und waisen, die bedrängt sind, soll
er schützen; dieinäete in geioalte, da yenesent die armen mite 379S.
der quelle Hartnianns, der lateinischen legende, scheint hier das bild des
grofsen ))ai(stes vorgeschwebt zu haben, dessen letzte Worte waren: dilexi
justitiam, ergo luorior in exilio.
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM ISO
zwischen weit und Gott, in diesem couflict ligt die tragik des
geschickes des helden, seine schuld besteht darin, dass er glaubt,
ere und guot ohne got haben zu können 398. damit ist das Ver-
hältnis der drei moralischen guter festgesetzt, es ist das gleiche
wie bei Walther: Gott ist gegenüber den beiden andern der
höhere wert, in drei abschnitten ist auch dieses lebensbild ge-
zeichnet.
1. Das wunschleben, die beiden weltlichen teile ere und
guot sind beschrieben und untereinander ziemlieh genau abgegrenzt
in 32 — 74. zunächst sind alle eigenschaften der beiden gebiete
zusammengefasst als tugende 33 im weiteren sinne von * vor-
treffliches jeder art' (vgl. dazu besonders Iwein 3517, wo auch
schcene und rieh unter tugent aufgezählt sind), v. 38 — 45
sind zwei äufsere Vorzüge, zwei bona fortunae, genannt: gehurt
(uobilitas, adel) und richhcit (habe 41) 39, und die inneren werte
zusammengefasst als tugent 40, hier = virtus. honestum, ere.
dann kommen von 50 — 74 diese inneren werte, die in 40 als
tugent begriffen sind', die der eren und des mnotes id, honestatis
et animi, also tugenden im engeren sinn von virtutes. zuerst
wird Heinrichs trefflichkeit (tugent) im allgemeinen gepriesen
50 — 60. valsch bezieht sich auf die ere (tugend), törperheit
(unfuoge) auf die zuht: er war an ehren ohne falsch (an tugenden
ohne makel) und vollkommen in der hövesclieit] dann folgen
ebenfalls allgemeine bezeichnungen des ehrenhaften lebens d. i.
des honestum: ere, werltl. ere, aller hunde reiner tugent, zierde
unter den jungen männern 54 — 60. darauf kommen einzelne
eigenschaften der werltlichen ere: froüde. triuwe, zuht; die
speciellen ritterpflichten : Zuflucht der bedrängten und schütz der
verwanten (vgl. oben Policraticus: pauperum propulsare injurias,
dazu Moral, phil , Migue 171, 1020 u. Cicero De off. I 19 pro
fratribus fundere sanguinem), mute, durch die last der elire
(ehrenstelleu) erworbene ere, rät^. das letzte lob und saue eil
wol von mwven "^ ist eine ars und gehört zur rhetorik : damit
' nach au ist ein punct, nach 40 ein doppelpunct zu setzen.
2 röA, consilium, ist in der Moralis philosophia eine Unterart der
prudentia, sp. 1013; geistlich ist consiiium eine gäbe des heil, geistes,
scholastisch-theologisch ein monient des willens, Thomas vA(iuino Summa
theol. II 2 qu. 52, 1 2 qu. |4.
■* die frihiukeit zu singen bei den troubiidouis s. Wechssler s. 345.
1 90 EHRISMANN
ist ihm die feinste höfische geselischaftsbildimg zuerkannt, das
ergebnis aller dieser ritterlichen eigenscliaften ist für Heinrich der
rühm der weit, er selbst besals das, was die weit schätzte: die
höfischen tugenden und weltweisheit. der Übergang zur folgenden
katastrophe (74 — 81) fasst nochmals das 'wunschieben zusammen
in die begriffe rre und yuot (honestum et utilei und betont, dass
der vornehme herr sich wol behagte: fneliches luuotes und werlt-
Itcher wUnnc , denn er hatte mehr ehre als jeder seines ge-
schlechtes.
Unmittelbar als nichtiger besitz verworfen werden einige der
höfischen eigenscliaften von dem raädchen, wo sie den himmel
der weit gegenüber hält 717 ff. zu den glücksgütern ( bonum,
utile) gehurt und (jaoi kommen hier die körperlichen Vorzüge
sdtoene und sterke und der daraus entstehnde höhe mnot, dann
werden die tugenden (honestum) als tugent und Cre zusammen-
gefasst.
Eye und gaot sind vereinigt als weltliche werte: in bezug
auf den ritter 77. 1431, in bezug auf die meiersleute 363. 495.
617. 805. 1439. als mindere werte gegenüber Got werden sie
behandelt 398. 403.
2. Der fall aus dem wunschleben, gleich der erste satz
82 f gibt den grund an für die erniedrigung des mit aller weltlichen
Vollkommenheit geschmückten herrn Heinrich: es ist der höhe
■nniot (82), das hochgefühl, das ihm aus jenen fähigkeiten erwuchs,
die moralische begründung der erniedrigung 82 — 162 gibt das
Selbstbekenntnis Heinrichs 383 — 408: sündhaft ist sein höher muot
(404), weil er glaubt jene guter haben zu können, ohne sich um
Gott zu kümmern (äne-.got 399), während ihm doch das ganze
icunschleben 393 von der gnade Gottes (394. 402) verliehen
wurde '. gedankenlos schreibt er sich dieses glück als eigenes
* V. ü91 ist vielleicht zu leiten tcon ich enhete ruht triaice
(oder triuwen) gar (besserungen s. bei Gierach z. st, u. Zs. 55, H20),
was einen passenden sinn ergeben würde: Heinrich hatte nicht völlige
triutoe, denn es fehlte ihm die dankbarkeit für die gnade Gottes; in
seinen welttugenden war er stcater triuwe ein ndamas^ 62, und er er-
langte auch später die triuwe gar mit dem erbarmen über das niädcheii
1225 und mit seiner dankbaren ergebenbeit in Gottes willen 12:55 ff. der
fehler der hss. würde sich aus einer abgekürzten und die Wörter nit
triutoen eng zusammenrückenden Schreibung der vorläge wie etwa mit Pioc,
rJTTEPvLICHES TüGENDSYSTEM 191
verdienst zu '. die sittliche Ordnung wird in ihm nach seiner
Prüfung erst dadurch wider hergestellt (1430—1436), dass er
gmt und ere nunmehr als gnadengaben Gottes anerkennt (Schön-
bach s. 133 f. 154 f. 451 f) und sich mehr um Gottes geböte be-
kümmert als vorher, damit hat er dann auch die ewige ehre
erworben, der grund zum fall Heinrichs ist also sein Mher rnvot.
charakteristisch geradezu für Hartmanns sittliches bewustsein und
wie sehr er an kirchlichen anschauungen haftete, ist eben seine
Wertung des höhen niuotes: das hohe lebensgefühl und die lebens-
freude, womit dem ritter die energie verliehen ist, seine ideale
kräftiger zu verwirklichen, ist für Hartmann schon so viel wie höch-
rart^ 151 {unrehter höchmuotErea 1230, hochnmot im Iwein nicht
gebraucht, jedoch höchvart im Erec und Iwein), das ist die haupt-
sünde superbia, die elatio der Benedictiner-regel, die er wol schon
auf der klosterschule zu fliehen gelehrt wurde (elationem fugere,
Benedictiner-regel cap. IV). darum, weil der hohe nmot für ihn
Übermut und also ein frevel ist, legt er ihn auch selbst seinen
weltlichen beiden Erec und Iwein nicht bei. höher nmot begegnet
bei Hartmann nur im aHeinrich, aufser an den angeführten stellen
S2. 404 noch 718 in der aufzählung der zum himmel wertlosen
irdischen guter und im Gregorius 3808 (in den hss. A E), wo er
so viel wie Übermut ist; nur in dem liede MFr. 215, 1 und im
Büchlein 790 ist den muot höhe tragen, die durch minneerhörung
gehobene Stimmung gemeint. Erec 8702 gibt minne ruhen nmot.
das adj, höchgemuot wendet Hartmann nie an, jedoch gebraucht
oder mit~t''icn, erklären, wie die Indersdorfer hs. mehrfach hat (Gierach
s. 98 u. in den Varianten auf s. 73. 75. 76. 77). da hieraus leicht mit vioe
B« 365 und mit eroicc l'."* 365 (Gierach s. 90) gelesen werden konnte,
was dann wider die änderung des ganzen verses in B» B" zur folge hatte.
' vgl. Augustinus De civ. Dei XIX cap. 4: Tantus autem superbiac
Stupor est in his hominibus, hie se habere finem boni et a se ipsis fieri
"beatos putantibus. Willirams paraphrase, nach Haiinos commentar zum
Hohen liede: Dero tugede allero anagenge scal t<in assidua com-
memoratio gratiae caelestis, uuante nieman fidelis nescal praesumere
de suis meritis, sed tantum de spe gratiae meae, quia sine me nihil
potestis facere, Seemüller s. 31, 5—8; vgl. Rom. 3, 24 f. 11, 6. 12, 6 u.
oft in den briefen Pauli, dazu Joh. 15, 5. diese schuld Ueinrichs ist ein
vergehen gegen die humilitas oder modestia.
2 eine etymologische erklärung des begriffes '/uV/fPrtr?' gibt Thomasin
11849—11860.
1 92 EIIRISMANN
eer im Iwein dreimal wol ge.nmol, das jenem synonym ist (tapfer
willensstark), 1176. 2901). 57SG.
3. Die erliebun;i'. der unmittelbare zustand Heinrichs
nach dem fall ist ein körperlicher und seelischer Zusammenbruch
133 — 162. er trägt sein leiden nicht geduldig wie Hieb, er
trauert um die verlorene ehre, er verflucht den tag seiner geburt,
er will nicht länger leben 244. als ihm alle hoffnung auf heilung
geschwunden ist, beginnt langsam die erhebung, es ist der weg
von der weit zu Gott, von der Versündigung zur entsühnung
(Schönbach s. 155), von der hoffart zur demut in drei acten der
frömmigkeit. der erste act der fröramigkeit ist ein äufserliches tun.
almosengeben: er gibt sein gut den armen und der kirche um
seines Seelenheils willen 246 — 25S. — der zweite act der fröni
migkeit ist ein inneres tun: erkenutnis seiner schuld und des
grundes, der hoffart; damit kommt die einsieht, dass Gottes gnade
es war die ihm sein glück gegeben 3S3 — 417. — der dritte act
der frömmigkeit, das schwerste äufserliche und das vollkommenste
innerliche tun : er leistet verzieht auf seine heilung und damit auf
die weit, und beugt sich in demut vor Gott r225 — 1370. das
erste wort der sittlichen widerherstellung ist "erbarmte in' 1225.
erbarmen, das ist ein teil der triuwe, charitas, ist die sittliche
eigenschaft, die seine innere reinigung, die entsühnung, möglich
macht, damit ist in ihm die wandelung zum neuen leben, zu
dem ihm als laien erreiclibaren grad der perfectio, vorgegangen:
und gewan einen nimven rnuot . . . und verkerte vil gedräte Kin
altez gemüete in eine niuwe giiete 1235 — 1240. die niuwe güete
in ihm ist die demütige ergebung in Gottes willen 1243 — 1255.
1276. 1352. triuwe und erhcnnde hat er jetzt erwiesen 1366,
damit hat er die prüfimg bestanden und erlösung seiner leiden
gefunden 1360 — 1370'. fortan tut er alle seine dinge in Gott
1432 — 1434. 14S0 — 14S6. 1500. 15U6.
Auch der meier mit seiner familie hat guot und e/t', aber
sie erkennen an, dass sie diese guter von ihrem herrn haben ;
und triuwe, nächstenliebe (290. 419, 101 5j, bezeugen sie da-
durch dass sie den aussätzigen bei sich pflegen.
• nachdem die gnade ihn erhoben, ist der gnddelöse gast (1342)
nicht mehr der arme Heinru;h 133S, sondern der guote herre Ileinnnh
1372, vgl. oben s. ISO — ISS zu Gregorius.
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM 193
Ganz zum reicli des obersten gutes gehört das reine kind,
das den weitschuldigen herrn gesund macht, auch sie strebt nach
ere, aber nach der himmlischen 806. 1292. 1300, der rlchm.
Mmelkröne 1293. sie bewürkt seine heilung durch inuive, giiete
(charitas, bonitas); sie hat die kraft der gute von der seinsgüter
dem heiligen geist, denn der ist die charitas oder bonitas (beide
sind fruchte des heiligen geistes, Gal. 5, 22). sie ist also das
mittel, durch welches die erlösung vollbracht wird, nicht die voll-
bringende kraft selbst, denn diese kraft hat auch sie nur durch
die gnade {der tcüle s7 ir von yote komai S14), und auch sie
muste erst in der todesuot die treuprobe bestehn 135t) ff. ein
mit überirdischer mission zur erlösung leidender betrautes geschöpf
darf aber — ein bekanntes uiutiv 1 — keine irdische neigung
neben der himmlischen charitas im herzen haben, in dem reli-
giösen gedieht Hartmanns ist kein platz für sinnliche rainne-.
Mit dem Gregorius und dem armen Heinrich hat Hartmann
zwei verschiedene rittertypen gezeichnet hinsichtlich des Verhaltens
zum ritterlichen beruf und zur religion. beide Seiten sind äufse-
rungen ihrer gesamtpersöniichkeit, es kommt also darauf an, die
erscheinungsform festzustellen, weiclie der dichter seinen beiden
beiden gegeben hat bezw. die er in der überheferung vorfand.
Gregorius ist der abenteuernde held eines höfischen epos,
also eine romanhafte, idealistisch stihsierte gestalt der dichterischen
pliantasie. er ist der heroische held eines abenteuerroraans, dessen
notwendige Eigenschaften sind eilen unde kraft uhd ganze kunst
ze ritterschaß 1993.
Der arme Hein rieh dagegen ist eine person dos würk-
lichen lebens, ein, allerdings stark mit Vorzügen ausgeschmücktes,
mitglied der aristokratischen gesellschaft. der held einer familien-
geschichte, besitzt er die innerhalb seines kreises gewinnenden
eigenschaften : er was hühesch und dar zuo tvts 74. Gregorius
ist der 'held', Heinrich ist der 'minuesänger; jener der miles mili-
taris, der ritterliche ritter, dieser der miles curialis. der höfische
ritter. — Auch religiös gefasst sind Gregorius und Heinrich ver-
schiedene typen: jener, der klosterschüler, zu einem gotes kindr
1 Schillers Jungfruu vou Orleans, Hebbels Judith.
" Burdach Auz. xii 199 f; Ehrismann Festschrift für Kelle, Prager
deutsche Studien S, :''IT — :i24.
l'J4 EHHISMANN
erzogen, hat sich aucli immer die gottesverelirung (relif^i)) be-
wahrt; sein fehler ist der ehrgeiz, der jedoch jene tugend nicht
erstickte. Heinrich dagegen, der weltmailn, hat keine religio, das
ist eben sein mangel. das verhalten beider wird, da sie in ver-
schiedenen Verhältnissen aufgewachsen sind, auch mit verschiedenem
mafs geraessen : der in den mönchischen regeln erzogene kloster-
schüler trägt eine stärkere sittliche Verantwortung als der in der
weit lebende vornehme herr. der fromme Gregorius wird schon
dafür bestraft, dass er in die weit geht, Heinrich, der von jeher
in der weit lebt, erst dafür, dass er überhaupt das mindestmnfs
der pfHchten gegen Gott nicht erfüllt, seine hoffart ist stärker
als die des Gregorius, dagegen ist seine zurechnungsfähigkeit ge-
ringer, der gottstrebende mensch Gregorius, der in selbstgewählter
askese den weg zur perfectio beschreitet, wird aber auch höher,
mit der erhabensten würde der Christenheit, belohnt, während der
in der weit verbleibende herr Heinrich nur in seine weltlichen
lebensbediugungen wider eingesetzt wird.
In seinen beiden erzählungen hat Hartmann die Stellung des
ritters zu Gott und die frage, wie ist Gottes huld zu erlangen?
behandelt, in seinen beiden romanen entwirft er ein bild von
der aufgäbe des ritters der weit gegenüber, wie ist glück und
ehre zu erwerben, das honestum?
Im litterarischen urteil der zeit waren die beiden tendenzen
des ergötzens und belehrens nicht getrennt, die beiden der romane
waren zugleich sittliche Vorbilder. Thomasin im Wälschen Gast
1041 ff rät den edelknaben : juncherren suln von Gmceln hceren,
Clies, Erec, Iwein und suln rihten sin jugent gar nach Gäweins
reiner tugent. volgt Artus dem künege her: der treit iu vor vil guote
le.r' ferner 1131 ff (giiot äventkire zuht mert 1138), die aventiure
dieser beiden empfiehlt er in dem ersten buche seines Wälschen
Gastes, der hofzucht, als erziehungsmittel zur hüfscheit für die
männliche Jugend ^ aber in dem hauptteil, der tugendlehre, wo
er nicht mehr die pflichten des höfischen, sondern die des christ-
lichen ritters bespricht, da verdammt er die ruhmsucht und damit
' über Vermischung epischer und didaktischer demente in der mhd.
diclitung s. Maync Die altdeutschen fragraente von kön. Tirol und Fride-
brant s. 74 — 77.
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM 195
den vielgenannten Artus 3535 ff, wol mit einem Seitenblick auf
die einleitung zum Iwein i. hier gerade aber hat Harlmann die
grundsätze seiner ritterlichen moral aufgestellt, für welche Arius
gewisse lere gibt, die pädagogische absieht verleiht seinen beiden
romanen einen bedeutenden ethischen sinn, die beiden werden zu
höheren daseinsformen erzogen, es sind erziehungs- oder bildungs-
romane. Thomasin erklärt auch die abenteuergeschichfen für sitten-
bildend: ich enschiUe deheuien man der dventiure tihten kan:
die dventiure die sint guot, wan si hereitent kindes muot. swer
niht viirhaz kan remcmen, der sol da Vi ouch bilde nemen
1087 — 1092. der geistUche, der die schrift versteht, soll die
Schrift ansehen, der ungelehrte mann, der die schrift nicht ver-
steht, soll die bilder ansehen; der tiefe sinne niht versten kan,
der sol die dventiure lesen . . ., wan er findet mich da inne daz im
bezzert sine sinne 1103 ff. diese weltlichen stoffe enthalten nicht
reine Wahrheit (wie der Gregorius und der aHeinrich), sondern sind
sehr mit lüge umkleidet 11 18 ff; sie sind aber doch ein erziehungs-
mittel, wenn auch ein niedreres, die höfische epik ist also sym-
bolische dichtung, wan si bezeichenunge hat 1124. 1130. 1132.
wenn also Hartraann auch in seinen abenteuerromanen sittlich
würken wollte-, dann versteht man, dass er selbst nach dem
Gregorius und dem aHeinrich wider den weltlichen Iwein abfassen
konnte: es ist kein wandel in der gesinnung vom Erec zu den
beiden erzählungen und dann zum Iwein, als etwa vom weltkiud
' Schönbach Die aufäuge des deutschen niinnesanges s. 62 f. auch
Heinrich vdTürlin Krone 421 fasst Hartmanns werke (gemeint sind nur
seine höfischen dichtungen), aber ebenso Reiumars lieder als turjentbüde
und werde lere auf, vgl. Schönbach über Ilartmann s. 4TS — 480. — die
-christliche kunst hat die hohe aufgäbe, das göttliche zu verherlichen und
das gemiit zum göttlichen zu erheben, für den populären sinn genügt je-
doch das erbauen und das belehren, die bilder in den kirchen sollten
denen die nicht lesen konnten, die schrift erläutern (Gregors ep. I 10, VA).
das ist auch der zweck der armenbibeln, in welchen die Illustrationen die
hauptsache sind.
2 er schätzt den erziehungswert seiner romanc doch höher ein als
Thomasin der 'äventiure' zugesteht, denn er hat sie nicht nur für janc-
herreii und kinder bestimmt, aber ausdrücklich erkennt er in der ein-
leitung zum Iwein an, dass die abeuteuerdichtung nur ein gegenständ der
mufsestunden sei, während er den armen Heinrich als eine sittliche tat
erachtet (aHeiurich 6—28). scnliefslich ist es der unterschied zwischen
res humanae und res divinae.
196 EHKISMANN
zum büfser und wider zum weitmann, sondern es sind belehrende
bilder für verschiedene stufen menschlicher Sittlichkeit: Gregorius
hat die höchste irdische perfectio, die des märtyrers erreicht;
Heinrich widmet sich nach seiner läuterung innerlicher und werk-
tätiger fröramigkeit bei erfüllung seiner socialen pflichten; wen
aber seine Stellung und sein beruf in das hofleben führt, der hat
sein muster am Iwein.
Beide romane Hartmanns suchen dasselbe problem zu lösen:
den ausgleich zwischen den zwei bestimmenden factoren der höfi-
schen lebensanschauung, zwischen der minne und der ritterehre
(bezw. rUerschaff, ritterliches leben), dem neu hinzugetretenen
und dem alten culturideal des rittertums. jeder der beiden werte
muss in richtiger weise zu seiner entfaltung kommen können, das
grundgesetz der tugenden und der willensstrebungen muss geltung
haben, das utjöev äyccv, die raedietas. die uidze ist also das
forragebende princip.
Im Erec sind diese bezüge einfach, die ethischen motive sind
in sich nicht fein differenziert, die minne ist hier die dämonische
macht, die den menschen entnervt. Erec verfällt der acidia, sein
sittlicher wille ist geschwächt, die mäze ist dadurch gestört, dass
der eine der beiden werte, die minne, die überhand über den
andern, die mannbaftigkeit (fortitudo), die grundlage der 'ritter-
schaft' bezw^ der ritterlichen eluT, gewinnt, das richtige Verhältnis
wird dadurch widerliergestellt, dass die erkenntnis seines unrühm-
lichen lebens, die ihm durch Eniteas unfreiwillige Offenbarung
(3029 — 3032) aufgeht, wider die Willenskraft in ihm stärkt, durch
tapfere arbeit (arbeit im bereich der fortitudo) stellt er seine ehre
wider her. morallheoretisch würde dieser Vorgang darin bestehn:
amor, die leidenschaft, passio, des sinnlichen begehrungsvermögens,
ruft die acidia hervor, diese schädigt das honestura, im speciellen
die fortitudo, denn acidia und fortitudo sind gegensätzc; der ver-
nünftige wille aber setzt die fortitudo wider in beweguug; durch
ausübung der fortitudo, durch die arbeit, labor, wird die acidia
besiegt und das honestum zurückgewonnen.
Hartmann behandelt im Erec das gleiche ethische problem
wie im Büchlein, die didaktische allegorie ist in eine lebeusgeschichte
mit handlung und Charakterzeichnung verkörpert, auch im Büch-
lein führt die unheilvolle leidenschaft der minne zur geistigen
Stumpfheit, der leib erhebt sich aus dieser dumpfheit durch die
RirrERLICHES TUGENDSYSTEM ]!)7
Stärkung der arbeitsenergie, welche das herz ihm ein!,Mbt (eine
aufgäbe, welche im Erec die bekümmerten werte der Enite
erfüllen), die arheii, die hier in der erwerbung der lugenden
überhaupt, nicht nur der fortitudo wie im Erec besteht, führt zum
ziel, zu der erreichung der minne der geliebten.
Ehrei ist der ethische grundton des gedichtes. es beginnt
mit der Verletzung von Erec^ ehre durch dea frechen zwerg, dieses
ereignis ist die indirecte Ursache zu seiner Verbindung mit Eniten,
die Verletzung der ehre führt die katastrophe herbei und ist das
treibende moment für die folgenden ereignisse, die ehrenproben.
die den gröfsten teil der erzählung ausmachen; und ehre ist das
erreichte endziel, auf das die handlung des Stückes angelegt ist,
denn nun hat der held den höchsten rühm erlangt, so dass er
den überschwänglichen ehrennamen der wunderiBre erhielt 10037
—10053. 10085—10 106. 10121—10124.
Was ist ere? im weiteren sinne: das honestum, der Inbegriff
der tagenden, also der kern der weltlichen Sittlichkeit des ritter-
tums. auch im Erec gibt Hartmann eine, ziemlich ungeordnete,
tugendliste, und zwar für Gawein, 2730 — 2751. seine ganze ge-
sinnung war ritterlich, nur giiot (inbegriff der ritterliehen tugendenj
sah man an ihm. äufsere guter: rieh und edel 2732, starc,
schoine 2738; innere werte: trimve (ohne nlt, getriuwe 2733 f;
siniu lüort unbetrogen 2737 1, skete 2736, milte 2735, manhafi
(tapfer) 2 7;-! 8, zuht {ivol gezogen 2736, mit schosnen zühten fro
2740), der wünsch- hat ihn vollkommen geschaffen (Gawein ist
das ideal der [weltlichen] Vollkommenheit), und, zusammenfassend:
üf ere leit er arbeit 2746. das sind lauter weltliche eigen-
schaften, es fehlt die mit dem religiösen verbindende religio. —
Erecs prls nach dem grofsen turnier wird dadurch gekennzeichnet,
dass er berühmten tugendmustern gleichgestellt wird: an vmtuom
Salomo, an schmie Absalon, an sferke Samson, an milte Alexander
2816 — 2821. aber alle diese tugeuden kommen in der Ökonomie
des romans nur wenig in betracht; ere, rUerachaß, ist hier allein
tapferkeit, die in der bestehung von gefahrvollen abenteuern sich
kund tut und die die allgemeine ehrung, den rühm bei den
1 stellen für ritterliche zuclit im Erec k. Schöi)bach s. 472; Piqiiet
1. 205 ff.
- ebenso Gregor 1265, aber dort ist, dem geistlichen inhalt ent-
sprechend, Gott der anreger des Wunsches, s. oben s. 1S2.
198 EHRISMANN
t
menschen, als lohn einbringt (u.a. 5291. 8373— S3S9. 8398. 8527
8538. 9890 — 9S9S), jedoch nicht auf guot, d. i. reichtum, macht
(bona fortunae), abzielt, ein anderer sittlicher zweck, als daes
Erec seine verlorene ehre wider einholt, ligt diesem abenteuernden
herumfahren nicht zu gründe; auch den kämpf mit Mabonagrin
hat er nur unternommen, weil es ihm ein erfreuliches ivunsclispil
schien 8530, nicht um die achtzig klagenden frauen von Joie de
la curt zu erlösen '. aber doch wird an ihm die barmlierzigkeit
mehrfach hervorgehoben, so bei der befreiung Sadochs, wo das
bewustsein der ritterpflicht, bedrängten zu helfen, mitspricht 5343.
53(;S. 537 1 (Chrestien 4316—4321. 4356—4364). verliehen
wurde Erec die ehre mit ihren erfolgen von der Scelde, die sie
ihm schon in die wiege legte 9899 — 9902.
Der contrast zur ehre ist das sich verligen (2971. 10 123),
gemach, die acidia, 2527 f. 2924—3032. 4096—4102. 4977 f
(vgl. auch Iwein 2791—2798).
Die minne zeigt ihr zwiefaches gesicht, sie würkt zum
schaden oder zum vorteil: sie benimmt den verstand, an dem
strick der minne fängt man gar leicht einen so listigen mann,
den niemand sonst fassen kann 3691 — 3708; wer sie aber recht
zu behandeln verstünde, dem würde sie seine arbeit lohnen
3709 — 3721. im Erec kommt ihre gute seite wenig zur geltung.
sie stärkt zwar (ein häufig begegnendes höfisches motiv) dem
kämpfer den mut, wenn er au die geliebte denkt 8863 — 8873.
9169 — 9187. 9230 f, indes die moral des gedichtes ist ja gerade darauf
angelegt zu zeigen, wie sie, zur alleinherschaft gelangt, den menschen
zum sinnengeniiss und zur trägheit erniedrigt, aber ebenso kann
die minne nach der andern richtung hin schädlich wirken, indem
sie ihren sclaven zu übermäfsiger kampfeslust verleitet, w^ie den
Mabonagrin. und damit ist nun gelegenheit gegeben, Hartmanns
eigene Stellung zu dem minnewesen der höfischen gesellschaft
kennen zu lernen, er ist ein gegner des rainnedienstes. in keinem
seiner epischen werke- wird der frau gehuldigt aufser da, wo
* die ganze abenteuerfahrt ist eiue tapferkeitsprobe um die ehre
wider herzustellen, die einzelnen kämpfe sind meist durch das verhalten
der gegner veranlasst, Piquet s. 159 f.
' minnedienst in Hartmanns Liedern s. Hurdach Reinmar s. 52 ff;
Saran HvA. als lyriker s. Ü9 ff ; Hugo Kauffmann Über Hartmanns lyrik
s. 15 ff; Lüderitz s. 40.
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM i«j<>
eben das widersinnige des übertriebenen frauencultus dargetan
werden soll, nämlich im Büchlein, wo die minne den leib un-
männlich (zage), und in der Mabonagrinepisode, wo sie den ritter
kampftoll macht, und dieses verhalten gegen die minne entspricht
auch Hartmanns temperament: er mit seinem mafsvollen naturell
verfiel nicht ihrem bann, er selbst sagt im Iwein, dass er nie von
der minne bemeistert wurde ;'.015. nicht die minne ist für Hart-
mann das band, welches die seelen von mann und frau sym-
pathisch verknüpft, sondern die gattentreue: die treue bewahrt
Enite, die lieblichste unter des dichters frauen gestalten, ihrem
manne in aller prüfung, die er ihr in seiner härte auferlegt
(6781 ff); und treue hält der würdigste seiner beiden, Iwein, dem
weihe, das ihn verstofsen. und wenn des mannes höchste ehre
die tapferkeit ist, so ist des weibes schönster schmuck die güte.
in der treue und in der demütigen gute (327S. 3449. 9703 u.ö.)
gleicht Enite, die ihr leben ihrem gatten weiht, dem mädchen, das-
für den kranken herrn sein herzblut hingibt.
Mit der ehre notwendig verbunden ist die arbeit, bei Hart-
inann das mittel zur herstellung der ehre, ihre specielle äufserungs-
form in den beiden ritterromanen ist die tapferkeit. arbeit ist also,
wie ehre, ein das ganze gedieht durchdringender zug (im einzelnen
u. a. 4096—4101. 4363. 4977 f. 7251—7759. 9890; minne-
arbeit 3713j. im gründe ist dies ja in jeder heldendiehtung ohuo
weiteres der fall, aber Hartmann stellt in moralisierender absieht
die arbeit als ethisches princip auf, um ihre bedeutung für das
sittliche leben des rittertums zu zeigen.
Ein wesentlicher zug in Hartmanns gemütslebeu ist die
frömmigkeit. sie kommt auch in seinen weltlichen dichtungen,
im Büchlein, Erec und armen Heinrich, stark genug zur geltung
um dem gesamteindruck eine besondere ethische färbung zu ver-
leihen, denn die religiösen bestandteile ' sind nicht nur unwillkür-
liche Sprachmittel, wie ausrufe, beteuerungen, oder mechanische
formein, wenn auch diese weitaus, die mehrzahl bilden, sondern
es sind dabei auch ergebnisse einer bestimmten Weltanschauung:
die Versöhnung des dualismus zwischen mensch und Gott durch
' Schönbach s. 4 — 23. auch die fälle die Hartmann aus Chrestieii
entnommen hat, sind beweiskräliig, Hartmann hat aber geraüe das religiöäe
moment eigenartiger ausgeprägt als Chrestien; Piquet s. 318 ft. 337 — :-{30.
200 EHKISMANN
demütige frömmigkeit. dieses verinnerlichte verliältnis des men-
schen zu Gott äufsert sich in mehreren, aber verwanten be-
ziebungen: der ritterliche stolz und eingeiz wird gemildert durch
die christliche demut. denn die erfüllung des erwünschten hängt
von Gottes willen ab, zb. oh mir got der eren gan daz ich
gesige an disem ?nan, so ivirde ich eren rtche 8560 — 8562, oh
got wil 5527, oh gof ruochet 4341. (J851 u. a. (auch die be-
scheidenheit, modestia, im gegensatz zur prahlerei, vana gloria,
2380 — 2390) K dass das gute ihm von Gott zu teil geworden,
erkennt auch Erec selbst an (modestia) : er tete snm die wisen
tuont, die des gote genäde sagent smaz st eren hejagent uvd
ez von im wellent hdn 10085 — 10 106. er war nie der welt-
gesinnte herr wie Heinrich von Ouwe, er schrieb nicht all sein
glück seiner eigenen friimehelt zu (10094). darum auch das un-
bedingte vertrauen auf Gott, fides, der glaube, eine der drei gött-
lichen, nicht eine der sieben moralischen tugenden: so lauge mich
Gott in seiner hut hat, kann mir kein übel geschehen 8147 — 8153.
es ist dieselbe gewisheit einer über uns waltenden macht Avie im
schicksalsglauben , und neben dem trostreichen bewustsein eines
väterlich gütigen Gottes (10 126) bringt Hartmann auch aus-
sprudle eines gestalt- und empfindungslosen fatalismus'^: nü mac
doch daz nieman hewarn daz im geschehen sol (Keiin) 4801 f.
Der grundsatz der religiösen Überzeugung Hartmanns lautet
in kirchlicher auffassung ausgedrückt: alles gute wird von Gottes
gnade gewürkt. bei ihm kommt aber doch der mitbetätigung des
menschen ein viel höherer wert zu als im kirchlichen dogma.
'arbeit' ligt ja in der idee des gedichtes. Gott und eigene kraft
gehen zusammen: Gott und seine eigene tüchtige arbeit (früm.e-
keit-) retteten ihn in das land der gnade 7070 — 7072. aber un-
vermittelt mit der frommen hingebung an Gott tritt dann doch
wider auch eine ganz weltliche macht schicksalbestirainend auf,
die Smlde 9899 — 9902, ja die scelekeit und gotes ivllle verfügen
sogar neben einander über ein günstiges ereignis 6713. 6726^:
fron Saide und diu gotes hövescJieit 3460 f, und echt höfisch
' Piquet s. 817.
'■^ frümekeit ist ein iieblingswort Hartuianns im Erec und im luein.
«s ist 'tüchtigkeit' iu weitestem siuue, etwa dasselbe wie tugent, eigentlich
taugliclikoit.
•' Piquet s, 26.
RIITERLICHES TUGENDSVSTEM 201
muss Gott seinen einfluss mit der minne teilen 8855-8873: hei
wie dicke er noch genas dem er geimdic wolde wesen! wU
er, -so trüwe ich wol genesen, und gleich darauf: swenn mich
der muot (Enite) iwer ermant, so ist sigescelic mm hont: imv
itiwer guote minne die sterkent mlne sinne K
Das harmonische ineinanderAvürken von mensch und Gott
ist die aufgäbe des irdischen iebens, der Zwiespalt also zwischen
Gott und weit besteht für den demütigen, Gottes gnade sich
ergebenden ritter nicht, der dualismus beschwert nicht diese ge-
müter wie die asketischen grübler. ihre einfache religiosität lautet:
Gott möge meiner ehre walten und meine seele bewahren (vgl.
9988 fj 2; möge ich hier soweit meine pflicht (ere ist die pflicht
und berufsarbeit des ritters) erfüllen können, dass Gott mir nacli
Gott und irdische minne stehn unvermittelt nebeneinander, die
weltliche liebe, amor, und die himmlische, charitas, können nur durch
allegorie oder mystische Suggestion mit einander eins werden, für Hart-
mann aber ist minne eine leidenschaft des sinnlichen begehrungsvermögens,
und die mystische Übertragung auf die himmlische liebe kennt er nicht,
dagegen kann die arbeit um ehre, die ritterliche Pflichterfüllung, getragen
sein von demütiger frömmigkeit, wie dies bei Hartmann der fall ist. auch
das irdische glück und Gott sind zwei unvereinbare kräfte, denn ein
günstige.-! ereignis kann entweder nur von der höfischen sjelde oder nur
von der gnade Gottes ausgehen, aber nicht von beiden zugleich, höchstens
kann Gott in der poetischen Wahnvorstellung die frau Sa;lde zu günstigen
handlungen bewegen, die angeführten stellen gehören in das gebiet des
höfisch-christlichen Synkretismus, vgl. zu diesem Wechssler register s. 49S.
— ganz ins weltliche gezogen ist Gott in den Wendungen diu gotes
höcescheit (frou Sa-lde und (jote^ höcesrheit verhinderten, dass Enite ein
Ungemach bei ihrem pferdedien.'st zustofse) 3461, als ez der hücesche got
gebot 5517 (s. beide male Haupts anmerk. : Gott ist als höcesck bezeichnet
weil er, wie es die höfisclie saht vorschreibt, dem bedrängten wolwollenden
beistand leistet).
^ de/ icerlte lop. der scle heil erwerben im ersten kreuzlied MFr.
210, 10, 8. Piquet s. 11: oü on conquiert Paradis et honour im kreuz-
lied des Conon de Bethune, vgl. auch Mätzner Altfranz, lieder nr V 15 f,
und s. 133 f; ferner Reinmar MFr. 181, 1; GVVolfram Zs. 30, 109; Sioei
das lop bejagen kan da coii er hie ein biderbe man schlnt und dient
doch gote lool, loiszet daz er smlic werden sol Thomasin in seinen kreuz-
predigtversen 11401 — 11.404, vgl. auch 11 377 — 11379 (kreuzfahrt ist
arbeit um Gott 11491); der geionn Rönueren mirhel Ore. die iCK^en
redent er behielte die sele Kaiserchron. 073 f, ähnl. 11 140 u. vgl. ll' — 14;
ferner Wigalois 4, 24 ff, Winsbeke str. 3, 0 f
Z. F. D. A. LVI. N. F. XLIV. 14
202 EHKISMANN
diesem leben das ewige leben verleihe 10 11!) — 10 129. und mit
dem frommen Segenswunsch schliefst das gedieht ' : 'möge Gott
uns hier als seine treuen diener haben (Gottes huld ist der höchste
lebenswert) und uns nach dieser irdischen Verbannung seinen lohn
zu teil werden lassen'. Ilartmann erkennt den sittlichen wert der
menschlichen arbeit im ritterlichen beruf an und hält an der Ver-
einbarkeit der rerum divinarnm und der rerum buuianarum, der
weltlichen tüchtigkeit mit der göttlichen gnade, fest, das ist sein
h u m a n i s m u s "-.
Im Ivvein ist das kräfteverliältnis zwischen den beiden be-
stimmenden werten umgekehrt wie im Erec: die mdze ist dadurch
gestört dass durch bevorzugung des männlichen dementes, das ist
die tapferkeit, das frauenhafte, die minne, zurückgedrängt wird,
damit ist zugleich die richtung für die ethische behandlung dos
Stoffes gegeben: die minne muss nach dem fall des beiden stark
betont werden, damit gezeigt wird, dass sie in der tat wider in
ihre rechte eintritt, daneben behält die ritterehre mit ihrer äufse-
rung der tapferkeit bzw. arbeit selbstverständlich ihre mitherschende
Stellung im stoffe, da sich die handlung ia ritterlichen kämpfen
abspielt.
Die Psychologie des ethischen empfindungsvermögens ist im
Iwein feiner ausgebildet als im Erec. die minne ist auch hier
die willenbezwingende schicksalsmacht, aber sie ist auch zu gleicher
zeit das band das die gatten verknüpft und dem manne sittliche
jjflichten gegen die familie und gegen die erhaltung des besitzes
auferlegt. Iwein verletzt zugleich seine aufgäbe als landesfürst,
als scbützer seines volkes, da er die minne zu seiner frau mis-
' die drei ausblicke auf das ewige leV)en hat Chrestien nicht,
riquet s. 229.
- dieser ritterliche humanisinus steht uicht im gegensatz zu den
forderungen der kirche, vielmehr erkennt diese die laienarbeit ebenfalls als
sittlich berechtigte tat, ja als notwendige pflicht an (s. oben s. 183 anm.).
ehre und Gottes huld sind also auch nach der kirche vereinbar, die ehre
ist nur ein geringerer grad der perfectio als die askese. gerade bei dem
christlichen rilter im kämpf ums heilige grab gewinnt die ritterliche ehre
auch im kirchlichen sinne eine höhere weihe, darum in dem kreuzzugs-
gedanken das motiv von der Vereinigung von weltruhm und Seelenheil
besonders nahe ligt; vgl. auch Alanus Summa de arte praedic. Ad milite-s:
honestae militia'e et temporalia donativa debentur et aeternae remunera-
tionis stipendia nou negantur, Migne 210, 1S6 C.
RITTERLICHES TUGEXDSYSTEM 203
achtet, als er dann ihre minne veHoren hat und an die stelle
ihres besitzes das sehnen getreten ist, da erhebt sich in ihm dio
minne zur treue, und die gattentreue ist der sichere halt in dem
irrenden elend des verstofsenen. mit der treue in der liebe macht
er seine schuld an der minne wider gut. damit hat dieses werk
die höchste sittliche weihe empfangen, es ist ein lied der gutten-
treue, gleichsam ein christlicher Widerspruch gegen den beweg-
grund, der in der idee des antiken Stoffes ligt, gegen 'die treu-
lose witvve'. aus dem grundmotiv der unstd^le (2301) ist die
Verherrlichung der trimve geworden, aus dem abenteurer der
christliche ritter, die sportsmäfsigen kraftproben wurden werke der
barmherzigkeit. denn so wie die minne zu der sittlichen eigen-
schaft der treue geläutert wurde, so wurden die taten der blofs
ritterlichen ere erfüllt mit der ethischen idee der- christlichen
nächstenliebe. endlich auch ist die gottesvorstelluug reiner, denn
der raenschenwille und die sselde haben nicht so sehr mitbestim-
mende kraft wie im Erec; der dualismus zwischen weltleben und
Seelenheil wird nicht berührt und damit fällt auch der ausblick
auf das jenseits weg. in den pflichten des lebens, in gattentreue
und menschlicher barmherzigkeit, erfüllt sich Iweins aufgäbe, ohne
rücksicht darauf, wie sich bei dieser diesseitsarbeit die zukunft der
sele gestaltet.
Dieses etwa sind die grundlinieu, welche den moralischen
Inhalt des gedichtes bestimmen, sie treten aus dem aufbau der
haudlung an verschiedenen stellen mehr oder weniger deutlich
heraus.
Die wichtige rolle, die der minne in der bewegung der
Charaktere zugewiesen wird , kommt schon äufserlich dadurch in die
erscheinung, dass ihr drei längere reflexionen gewidmet sind: ihre
macht, die Iwein bezwingt 1537 — 1664; das klügelnde Zwie-
gespräch zwischen Hartmann und der Minne über den austausch
der herzen 2971 — 3028; und die frostige allegorie vom zusammen-
wohnen von Minne und Hass in einem gefäfs 7015 — 7074 (hier
die freundesliebe; vgl. auch v. 7491 — 7497); dazu auch die be-
kannte sensuale erklärung der entstehung der minne durch die
äugen 2341 — 2355. meist ist die Minne die betörerin der sinne
1335—1337. 1519—1521. 3405 f, sie besiegt selbst einen beiden
wie Iwein 1537—1664. :;249— 32GÜ. 3405. 7783—7804, sie
hat gewalt über wen sie will und bezwingt alle könige leichter
ir
204 EHRISMANN
als ein kind 1567 — löVO. sie hat auch ihre hand ira spiele, als
die eben witwe gewordene Laudine ihren erscldagenen gatten so
rasch vergisst 1623— 1G64. 2054—2057 (fehlen bei Chrestien i).
vor allem aber ist es die räche der beleidigten Minne, die die
kämpfe und seelenleiden Iweins veranlasste, gutes schafft sie
selten: sie stählt den raut 1419 — 1421.
Zum lebenfördernden princip wird sie erst als gattenliebe,
dann ist sie 'treue' liebe, überhaupt die 'trmwe'' : daz senen 2962.
3984, seneder gedanc 3083, senlichiu triuwe 3089, seMediu sivaere
3982, -senediu not 4236, jämer nach dem wlbe 3213, der
knmher den er truoc 8100; sie erhält ihn stcete, so dass er kein
anderes weib heben kann 3 797—3801. 6500—6516. 6574—6582.
6802 — 6811; es ist diu mlwende not nach seinem weibe mit
dem schmerz über ihre verlorene liulde, und der drang diese
wider zu gewinnen 3537 f. 3964 f. 4006—4010. 4216 f. 5466
—5470. 5493. 7903. 8111. 8134 bestimmt sehliefslich sein
Schicksal und führt es zu gutem ende 7781 — 7804. 7886 f.
7931 f. die lebenserfahrung, die der dichter aus den Schicksalen
des beiden zieht, ist ein preis der ehe 8139 — 8147 (vgl. 2426
— 2432), welcher tiefere ethische sinn erst von Hartraann in die
entsprechenden verse Chrestiens (6788 — 6801) hineingelegt wurde,
nur zweimal braucht Hartmann das wort liehe, 2210. 2929,
beide male wol um die wahre herzensneigung gegenüber der
minnebesessenheit auszudrücken; so auch das adj. liep in liep
hfin 8095.
Die tragische schuld Iweins ligt darin dass er durch sein
übertriebenes rittertura den termin der heimkehr versäumte, er
hat seine trimce gebrochen, sein ritterliches ehren wort 3173.
3185 f. 3208. nicht verloren aber hat er die triuwe, die stcete
zu seinem weibe, die beständigkeit in der liebe 3082 — 3092. 3210
(die Vieldeutigkeit des begriffs triuwe macht den sinn dieser stellen
1 damit dass Hartmann die niinne als eine dämonische schicksals-
gewalt hinstellt, der der mensch willenlos folgen niuss, entschuldigt und
mildert er die treulosigkeit der witwe. die pointe der classischen er-
zählung wird dadurch allerdings noch mehr abgestumpft. Laudiue ist
aufserdem schon durch die pflicht, ihrem lande einen Schützer zn geben,
tinigermalsen entlastet; vgl. Schönbach s. 441 — 443, Piqiiet s. 139 ff.
(Luneten rat, vgl. Gregorius 2 185 ff, wo die vasallen ebenfalls die königiu
zur heirat veranlassen, um dem land einen Schützer zu geben.)
KIITERLICHES TüGENDSYSTEM 20f,
unklar), und diese triuwe in der liebe ist es, die die schuld des
verletzten treuwortes wider sühnt, es ist die riince, widerum in
zwei bedeutungen: der kummer über das verlassene und ver-
scherzte glück 3082—3092. 3231, und die reue über begangene
schuld, dm versümde rinwe 3209, vorgebracht in der form
eines Sündenbekenntnisses vor seiner frau 8102—8109 (beicht-
formel: bekenntnis, confessio 8103. 8105 f, reue, poenitentia 8103.
8107, Sündenvergebung, remissio peccatorum, satisfactio, haoze,
8108f). treu ist Iwein auch in der dankbarkeit (gegen Lunete,
4257 — 4260), und symbolisch ist ihm der löwe als begleiter bei-
gegeben, ein bilde der rehten triuwe 4001 — 4005. so ist also
treue in der liebe das sittliche verhalten Iweins, wodurch er
innerlich die schuld au der minne sühnt, aber tatsächlich erringt
er die huld seiner frau nicht durch die treue zurück, sondern
durch seine tapferen taten, die ihn geeignet machen, den schütz
des landes zu übernehmen, aber Laudine nimmt ihn auch nicht
einmal aus diesem praktischen gründe wider auf, nicht die sitt-
lichen taten der treue und tapferkeit verschaffen ihm endgültig
sein weib und sein land zurück, sondern dieses gelingt in würk-
lichkeit der intrigue Lunetens. durch intrigue gewinnt Iwein die
minne seines weibes, er verliert sie durch Verletzung der minne
und erlangt sie wider durch intrigue. die dienerin mit ihrer intrigue
ist die bewegerin der handlung wie im classischen französischen
lustspiel ^ damit ist der ethische gesamtcharakter gestört, die
ethische schuld ist nicht in würklichkeit durch sittliche läuterung
gesühnt, sondern der conflict ist durch ein blofs novellistisches
Clement gelöst.
Die ehre 2 besteht wider wie im Erec in der ritterlichen
tapferkeit, die sich in den abenteuern offenbart und als arbeit
die pfiicht des ritters ausmacht gegenüber der faulen bequemlich-
keit (s. Beneckes wb. unter ere, arbeit, rUerschaft, manheit.
äventiure, gemach, sich verligen u. ä.), bes. 2770 — 2912 (Ga-
weins rat, darin der bäuerliche ritter 2807 — 2858), 525 — 549.
967 f. 39 17 f. 7171 — 7188. ein gegenstück zu der ernsten tätig-
» Piquet s. 136 f.
- stellen für ritterliche suht im Iwein s. Schönbach s. 472, Piquet
s. 205 ff. Iweius bcscheideniieit (luodestia) v. 1089-1042, vgl. Piquet
8. 317.
206 EFIRISMANN
keit Iweins ist die kiudliciie abenteuersucht rles jungen herrn vom
Jungfrauen wert, der durch seinen leichtsinn sein land in schände
und Unglück brachte 6328 — 6376. einen wahrhaft sittlichen wert
erhält aber Iweins arbeit und ritterscliaft dadurch, dass seine
abenteuer taten der barrnherzigkeit sind, er vollbringt die pfllcli-
ten des christlichen ritters, er hilft den bedrängten und zwar ohne
lohn 371)7—3801. 4842—4844, besonders den frauen: er befreit
die von ihrem feinde angegriffene frau von Narison 3703 — 3827.
er erlöst die gefangene Lunete 5145 — 54 50, die söhne des burg-
herrn 4357 — 5144, die dreihundert arbeiterinnen 6085—6866,
und verhilft der tochter des grafen vom Schwarzen dorn zu ihrem
rechte 5625 ff. 685)5 ff; besondere stellen: 4432—4440. 4507—
4509. 4740 f. 4853 — 1860. 4932 f. 6407-6424. er spricht es
selbst als seine lebensaufgabe aus: swem mins dienates not ge-
schult und sroer guoter des gert, dem wirt ef niemer entwert
6002—6004. den traurigen burgherrn fragt er, da er seineu
und seiner leute kummer sieht, was ihm geschehen sei 4432— 4440,
er tut also die barmherzigkeitsfrage, die Parzival im anblick von
Anfortas leiden unterlassen hatte, in derselben seene bringt der
dichter auch eine hierher passende sentenz an: swer ie kumber
erleit, den erbarmt des mannes arbeit michel harter dan den
man der nie deheine not getvan 4389 — 4392.
Längere tugendreihen wie in seinen vorhergehnden werken
bringt Hartmann im Iwein nicht, oft jedoch gibt er kurze, ganz
allgemein gehaltene und meist sich inhaltlich nahezu widerholende
tugendformeln: für Iwein 2089—2100. 2412 f. 2426—2428.
3350—3357. 3515—3528. 3752, für Laudine 1925 f. 2423—
2425. 3127 — 3129. zweimal zeichnet er ausführlich ein weibliches
tugendideal durch trockene aufzählung der guten eigenschaften :
6463 — 6470 (Chrestien hat dafür ein graziöses amorettenbildchen
5366 ff) und 7297 — 7303, hier durch eine in zierlichem stil ver-
bundene anzahl von attributen.
Wie im Erec ist auch im Iwein fnlmcke.it von Hartraann
oft gebraucht als Zusammenfassung der tüchtigen eigenschaften des
mannes (s. Beneckes wb. unter vri'nnekheit).
In dem letzten roman Hartmanns ist der religiöse geist ^ noch
stärker und gefestigter als in seinem ersten, noch mehr ist das
' Schönbach s. 28—47.
RITTERLICHES fUGENDSYSTEM 207
empfinden der menschen durchzogen, das handeln begleitet von
frommen gedanken. dem rat und der hülfe Gottes stellt Iwein
seia geschick anheim (modestia) : uf, gehe mir got guoten rät
der mich unz her geleitel, hat 4S8<Jf; und wil mir goi guwdec
wesen, so trüwe ich harte ivol genesen. sm hat er ir got
pflegen 6421—6423; got .vi der sine gnade fuo . . gol d,r hewar
mir nünen lip und min ere 7420 — 7423; vgl. ferner <J83 — 987
1086—1690. 2338 f. 5482— 51S7. 5530f. 7415 u. ö.; Gott ist
beistand des rechtes im Zweikampf 5014—5016. 5167 ff. 5274
— 5280. 6774. 7628. auch die meisten andern nicht-gegnerischen
Personen bezeugen frömmigkeit in worten: Luiiete 4045—4047.
5157—5160. 5233. 8062 — 8064 u. ö. ; Laudine 1808 — 1815.
1903—1906. 2324. 5533- 5540; der burgherr 4502— 4.-,06. 5140
—5144, 5836.5848; die arbeiterinnen 6342—6345. 6S59— 6866:
die botin 5791—5794, 5972. 5987 — 5996.6000; fatalismus 1396.
6567 f; Optimismus 3685 f. 36!)1 — 3693; höfisch 5351-5361.
Das tun Iweins ist frömmer aufgefasst als das Erees. seine
arbeit geschieht im dienste der barmlierzigkeit, das gelingen hängt
von der gnade Gottes ab, auch die scelde kommt von Gott: got
müez lach bewarn unde gehe in scelde U7id ere^b'301, ähnl.
4854f, 6051—6053. 6412. 6864 (heil und ere 1991), got gebe
mir smlde unde sin 5995; und das ganze gedieht schliefst mit dem
versa got gehe uns scelde und ere 8166. der auffallendste unter-
schied aber zwischen dem Iwein und dem Erec in dem bereich
der religiösen gedanken besteht darin, dass sie im Iwein nur auf
das diesseits gerichtet sind, nur auf glück und ehre unter den
menschen, nicht auf die Zukunft, auf das heil der seele. diese
beschränkung auf das irdische wird ausdrücklich im proIog und
im epilog angedeutet, die volle Weltanschauung des dichters also,
<3as Verhältnis zu dem dualistischen princip seiner zeit, kommt
nicht zum ausdruck. wollte er in einem gedichte, das ein Spiegel
des weltlichen rittertums sein sollte, absichtlich nicht mehr (wie
im Erec) von der zukunft der seele reden? oder war der grund
nur der, weil Chrestien, dem er im Iwein peinlicher folgt als im
Erec, zu solchen gedanken keine veranlassung gab ? •
' im Erec gibt Hartmann gegen Clirestien in der gleichen stelle am
schluss auch noch einen nioi-alischen ausblick über das leben de.s beiden
nach seiner heirakehr 10 11.5 ff, im gegeusatz dazu aber unterlässt er dies
208 EH RI SM ANN
Sd'ldc und ire, die irdischen guter, sind die werte, um die
es sich im Iwein handelt, und würkungsvoll hat sie Hartmann io
den ein- und den ausgang seines ritterlichen lebensbildes gestellt *.
die ethischen begriffe in den ersten versen sind rehtiu güete, das
ist die tugend (die moralischen tugenden), das gar guot Tho-
masins •, das honestum, die sittlich gute gesinnung im sinne von
tugent; saMe und (irc machen die irdische glückseligkeit aus
(scelde speciell umfasst die bona fortunae mit crc. rühm [gloria], im
engeren sinne), deren eins das andere bedingt, nach dem mora-
lischen System ausgedrückt bedeuten diese verse : die tugend (die
moralischen tugenden, die vier cardinaltugenden mit ihren unter-
teilen) verschafft das weltliche glück und die weltlichen glücks-
güter. das vorbild für ein solches leben der ritterlichen ehre gibt
der könig Artus, der nach rühm {lop) strebte 7, bei lebzeiten die
kröne der ehren trug (der die moralischen tugenden [ere] besafs
und dementsprechend geehrt wurde) und dessen rühm noch jetzt
fortlebt. Ärtüs der guote 5 ist das anerkannte symbol des ritter-
lichen ideals, seine tafeirunde der Inbegriff höfischer zuht und f're;
in der dichtung aber, in der er nur wenig handelnd auftritt, bringt
er keineswegs die ritterlichen tugenden besonders zur geltung^.
der grundzug seines Charakters ist milte. in dem materiellen sinn
der freigebigkeit, aber auch in dem tieferen der barmherzigkeit,
denn an ihn und seine beiden wenden sich die schwachen und
unterdrückten (4510—4513. 4547. 4572. 5ö59— 5662). die
Übertreibung der höfischen galanterie fehlt auch hier nicht: Artus
schlägt keine erfüllbare bitte ab und gibt seiner tre zu liebe so-
gar sein weib her 4537 ff. — also nicht aus Artus verhalten
kann der leser oder hörer die rehte giiete, das rechte rittertum,
im Iwein mit dem hinweis, er wisse nichts dayon, da er darüber von
seinem gewährsmann (d. i. Chrestien) keinen bescheid erliielt.
' den gedanken, dass Artus' 'ritterliche tüchtigkeit' {proesce) uns
zur lehre dienen soll, hat Hartmana aus Chrestien l — 3 entnommen, aber
er hat erst den sittlichen grundsatz, dass die tugend die quelle des glucks
und der ehre ist, als leitmotiv aufgestellt.
2 Tgl. Thomasin 3860 — 3862: niemen ist edel niican der man, der
sin herze und sin gemüete hat gekert an rehte güete; vgl. auch Wil-
manns Leben Walthers s. 420 anm. 451, 2 aufl. s. 465 anm. 87, wörter
ähnlicher bedeutung wie güete ebda. s. 424 anm. 482, 2 aufl. s. 468
anm. 118, und Walther-ausg. 36, 11; Vogt Der bedeutungswiindel des
Wortes edel s. 14.
•' Piquet s. 327 f.
KITTERLICHES TUGENDSYSTEM 20t)
kennen lernen, sondern aus den tagenden und fehlem des Helden
des gediclites, Iweins.
Die innere entwickluug in den beiden novelien und in
den beiden romanen Ilartmanns ist die läuterung des beiden, er
ringt sich von dem verkehrten zum geordneten zustand durch,
es ist die Herstellung der sittlichen Ordnung im menschen, dieser
weg geht durch die arbeit, arbeit ist in den beiden erzählungen.
ihrem geistlichen gehalt entsprechend, bufse, im Gregoritis selbst-
auferlegte pein, im armen Heinrich gottgesandtes leiden, bufse
ist demütigung, die demütigung führt zu Gottes Huld, im Erec
und im Ivvein ist arbeit erprobung der ritterlichen tugeud, der
frümekeit, riterschaß, ere, manheit, und führt wider zu der ver-
lorenen weltlichen scdde. aber von erfolg gekrönt ist aucli diese
arbeit nur durch die hülfe Gottes, von dem das gute kommt,
durch die gnade.
Die grundsätze der höfischen morallehre standen fest, und
überall in den weltlichen mhd. dicHtungen kehren die im vorbei-
gehenden aufgeführten züge wider, wenn auch der einzelne autor
sie individuell verwenden mochte. Idealbilder sind die beiden der
höfischen epen alle, aber in den werken der bedeutenderen dichter
hat jeder seine besondere geistige physiognomie. hier können
darüber nur noch kurze andeutungen gemacht werden. Walther
holt seine ethischen anschauungen unmittelbar aus der Umgebung
und erteilt ebenso unmittelbare reaUstisch-praktische lehren für die
aristokratische gesellschaft, in der er selbst lebt, das ist das hof-
ieben im frieden; insofern kann man Waithers ritterbild den
'höfischen ritter', miles curialis, nennen. Hart mann stellt in
jedem seiner vier erzählenden gedicHte einen besonderen Cha-
rakter dar: Herr Heinrich von Ouwe ist ebenfalls eine realistisch
aufgefasste figur aus der gegenwart, er ist der zur gottesfufcht
bekehrte ritter. der, nach seiner läuterung, guot, ere und gofcs
hulde vereinigt. Gregorius erreicht noch eine höhere stufe, er ist
der zum heiligen gewordene weitmann, der die beiden weltlichen
guter abgestreift hat und nur noch in Gott lebt; es ist der
legendentypus. Erec und Iwein sind romangestalten, sie vertreten
den typus des poetisierten abenteuerritters, ihre lebensarbeit ist
auf die irdischen guter, auf guot und ere gerichtet, sie sind aber
in Harmonie mit Gott, denn sie haben die raodestia, Iwein auch
in hohem mafse die barmherzigkeit (raisericordia). beide unter-
210 EHRISMANN
scheiden sich wider von einander im j2;emüt: Erec ist härter, Iwein
liat feineres sittHclics empfinden und einen zug von Sentimentalität,
insofern beide ihre haupttätigkeit im kämpfe, in der riterschaß,
vollbringen, kann mau sie unter den typus des 'ritterlichen ritters',
miles niilitaris, stellen.
WOLFRAM.
Am tiefsten von den mittelhochdeutschen dichtem ist Wolfram
in das wesen der wahren Sittlichkeit eingedrungen '. er betrachtet
das menschliche dasein überhaupt sab specie aeterni. den weg
des menschen zu (!<itt raaclit P^arzival, er führt durch die bitterste
seelennot. tapferkeit und treue (manheit und trvmve), die ererbten
tugenden, dazu die deraut, die Selbsterkenntnis, führen ihn zur
gotterkenntnis, und er erringt die höchste geistig- ritterliche Voll-
endung auf erden in dem symbol des heiligen Gral, auf anderm
wege gelangt Trevrizent zu dem höchsten gut, durch völlige welt-
entsagung. im Willehalm stellt Wolfram den christlichen ritter in
seiner ausgeprägtesten form, dem kreuzritter, dar, Schionatulander
aber geht zu gründe an seinen nur weltlichen idealen von minne
und ritterehre, die menschheit ist geteilt in kinder Gottes und kinder
der weit, in das reich des Grals und des Artus, Gawein erreicht
den Gral nicht, da auch ihm der sinn nur für rittertum und minne
empfänglich ist. die erscheinungen sind bei Wolfram Symbole
ewiger ideen. auf solcher höhe der anschauung steht er ver-
einsamt in seiner Umgebung.
Iwein strebt darnach, die v^erlorene minne seines weibes
wider zu erhalten, Parzival ringt um die gottesliebe, seine treue
hat die minne seines weibes nie verscherzt, für jenen, der den
einfachen glauben an die macht Gottes immer bewahrt, sind nur
i:(v,lde und ere das zu erstrebende ziel; Parzival dagegen, der
grübelnde tatenmensch, verlangt aus dem gotteshass heraus zur
gotteshuld zu kommen, in der anschauung über die Vollendung
des ritterlichen lebens stimmen beide überein: c/t haben und doch
die scle nicht verlieren, aber nur Parzival kennt das tiefe sehnen
nach dem einssein mit dem göttlichen, nur in ihm wird es zum
' litteratur s. Zs. 49, 404 ff. , Germ. - roman. monatsschrift 1909,
«löTff; speciell Wolfram und Walther: Burdach Walther s. 13 — IT. 97,
Reinmar s. 125f. 170, Der mythische und der "geschichtliche Walther,
D. Rundschau 29 jahrg. october und november 1902.
RITTERLICHES TUGENDSYSTEM 211
inneren gotteserlebuis. Gurnenianz, der ritter, gibt die lehren die
zur weltlichen ere (honestum), Trevrizenti, der einsiedler, jene
die zu gotes huhJe führen, die ritterlichen lehren des Gurnemanz
sind berechnet für einen jungen fürsten, als welchen er Parzival
an seinem äufsern erkennt 170, 21 f. darnach zerfallen seine
Vorschriften in drei teile, die aber nicht systematisch abgegrenzt
sind: \. jugendlehren: sdiam 170, 16—20, eine lere, die auch
Thomasin lS5ff den kinden gibt: unfKoge meiden, d.izu gehört
besonders die verhängnisvolle waruung 'du sollst nicht viel fragen',
ebenfalls ein punct der Jugenderziehung, vgl. vll verneinen, lülzel
sagen, hct^ren daz enschat uns niht: von rede uns dicke leif.
g esdiiht Thomas'm 582 ff; dazu gehört auch die anstandslehre für
den künftigen ritter. sich nach ablegung der waffen gesiebt und
bände zu waschen 172, 1 — 16. 2. fürstenlebren ; sich der not-
leidenden erbarmen, inilte (menschenfreundlich sein), gnel.c, diemüete
(hier == sich nicht über die armen erheben), hülfreich gegen die
kummerbeschwerten sein 170,25 — 171, 6, das rechte mafs halten
im geben 171, 7- — 12. 3. die lehren für den litter betreffen die
ritterehre: kühn sein und zugleich hochherzig gegen die besiegten,
tapfer und frischen mutes 171, 25 — 30, tapfer sein 172, 7f;
minnelehren 172, 9 — 28, mit einem preis der ehe 172, 29 — 173, 6.
diese tugenden sind nicht in ein System gepresst, sind nicht lehr-
haft stilisiert, sie werden ganz natürlich vorgetragen, so wie ein
erfahrener mann zu einem jungen menschen redet, den er zum
guten leiten will, es ist als ob wir den dichter selbst ver-
nähmen, den mann mit der grofsen lebenserfahrung und dem
gütigen herzen.
Dem höfischen ton im Titurel entspricht es, dass der Stamm-
vater, Titurel, in dem rückblick auf sein leben vornehmlich höfi-
scher tugenden gedenkt (Tit. I 2—5); ausdrücklieh aber nennt
er dann die hauptpflichten für den Gralskönig: kimche unde
reine 7, 1, reinheit von sinnenlust-.
GOTTFRIED.
Ganz auf das diesseits gerichtet ist Gottfried, er trennt
überhaupt die beiden reiche völlig, und damit ist die frage des
' Zs. 49, 422 ff.
■i vgl. Zs. 49, 425 f.
212 EHRISMANN
daalismus und das schwanken zwischen Zwiespalt und harraonie
für ihn gegenstandslos, für ilm gilt nur die weltmoral. sie wird
belierscht von dem recht der minne, und auch in diesem sittlich-
unsittlichen reiche gibt es ein ethisches grundgesetz, das ist die
Irimve *, aber nicht die gattentreue Iweins und Parzivals, sondern
die treue zwischen dem manne und dem weihe, die die minne durch
ihren zaubertrank aneinandergezwungen. wenn die dämonische
leidenschaft den menschen beherscht, dann hat er keinen willen
als den ihr gebot zu erfüllen, damit ist der begriff der Sittlich-
keit verschoben, das höchste gut ist nicht mehr Gottes huld,
sondern die minne. die tugenden behalten ihre kraft, aber sie
haben nur soweit wert, als sie der minne dienen, die Schlechtig-
keiten aber werden bei dieser raoral ruhig mit in kauf genommen,
wenn sie im namen der minne geschehen, und während Parzival
von irhiiccn (jeborn war, hat Tristan list uinl trug schon von
seinen eitern geerbt. Gottfried will aber nicht 'aller weit', der
immerfrohen weit zum vvolgefallen dichten, sondern jenen die lieb
und leid zusammen haben '^, die auch die sorgen der liebe kennen.
die in sehnsuchtsschraerzen um die liebe ringen 15 ff 3. das sind
solche kämpfer wie Iwein, auch wie Parzival, die in ihrem irr-
leben die liebe zum eigenen weibe geleitet, liebessehnsüchtige zu-
gleich und kraftvolle Streiter, es ist die arbeit um minne, wie
sie Hartmann im Büchlein mit nocli ungeübten kräften lehrt ''.
die zwei liebesdoctrinen gehn im minnesang nebeneinander her,
dass minne freude oder dass sie kummer gibt, liebeslust und -leid •'.
oft aber wird auch ausgesprochen, dass beide Stimmungen in der
minne vereinigt sind; für diese letztere erfahrung gibt Gottfried
' Uhich Stökle Die theolog. ausdrücke und vveiiduugen im Tristan
Gottfrieds von StraLsburg, Tübinger diss. 1915, s. 94 ff.
2 Vogt aao. s. loff. 31 f. H5 ('daz edele herze'); Burdach Über den
Ursprung des humanisnias, D. Rundschau 40 jahrg. (märz 1914) s. 3T0.
^ arbeit in der uiiune gehört zu den remedia amoris Ovids, vgl. Rem.
am. 135 ff. 733 ff. liebe als uaturzwaiig: Wilibald Schrötter Ovid und die
troubadours s. 50 — 56.
* Durch daz ist fjuot, swer herseklage und ^enede not ze herzen
trage, das er mit allem ruoche dem Übe unmuoze suoche Trist.
87 — 90: das ist der gleiche rat, den in Hartmanns Hüchleiu das herz
dem leibe gibt.
» Burdach Reinmar s. 25. 103. 127—142; Wilmanus Leben s. 192— 19S
2 aufl. s. 275—280.
RriTERLICHES TUGENUSVSTEM 2t 3
in seiner liebe Tristans und Isoldens ein beispiel. damit dass die
rainnesehusuclit die obwaltende Stimmung bildet, ist auch der
Charakter Tristans bestimmt: er ist der sentimentale held.
Ein lehrhafter zug ist Gottfried eigen, er fasst, wie sein
gegner Wolfram, das leben als einen ethischen process auf. die
geschichte des jungen Tristan ist ein erziehungsbild, und er selbst
wird wider zum lehrer der jugendlichen Isolde, er unterrichtet
sie in der moräliteit 8006—8030' (dazu S 136— 8145), 'diu
kunst diu leref schoene site\ diese Wissenschaft bezieht sich so-
wol auf die weit als auf Gott, sie lehrt uns got uiide der tverlde
gevallen, sie ist allen 'edeln herzen' zur erzieherin gegeben, denn
guot und ere (utile et honestum) kann man nur durch sie er-
langen, hier sind die grundsätze der moralis philosophia {mo-
räliteit) widerlegt: sie lehrt sclmne site, weltliche Sittlichkeit (ere)
und die gewinnung äufserer guter (guot), sie lehrt aber auch
Gott und die weit in einklang bringen (insofern ihr Inhalt, die
tugenden, auch ein mittel ist, die Gott wolgefällige Sittlichkeit zu
stärken), man sieht, wie winUchaffen die moralis philosophia ist.
die frau, die durch diese erziehung so vornehme sitte erwarb,
so schöne und reine gesinnung, feines und edles benehmen 8028
— 8030, sie betrog Gott durch den vergifteten cid und stand bei
der weit in höchsten ehren 15 751 ff.
Einen vollkommenen weltlichen beiden beschreibt Gottfried
durch aufzählung seiner tugenden in der person Riwalios 243 —
272. zuerst werden die guter des nützlichen gehurt und schoene
genannt 247 — 241), dann eine reihe der tugenden der ehre
250 ff 2. eine ritterlehre gibt Marke seinem neffen Tristan bei
seiner schwertleite 5020 — 5038. die allegorie vom tugendkleid
begegnet 4561—4580.
Charakteristisch für die lehre, die in Wirnts Wigalois
Gawein seinem söhne gibt, ist ein starker zug der fröramigkeit
(Pfeiffer 293, 17—294, 10).
' Vogt aao. s. 31 f; Specht Unterrichtsvvesen s. 2 SS ff
■^ hier ahmt Gottfried die tugendreihe des alleiurich 29—74 nach,
vgl. Piquet L'originalitc de Gottfried de Strasbourg s, 63. auch darin
stimmen die Charaktere ßiwalins und Heinridis iiberein, dasd sie alle
tugenden, aber dabei aucU welthoffart besitzen (übermuot Trist. 260,
höher rnuot aHeiur. 404).
214 EHRISMANN
Wol die älteste ritteiieliro ist Die Liebesbotscliaft (der
heimliche böte), Docens Mise. II 306 f i. hier wird noch die
Uottgen mivne'' empfojilen. zwei typen von rittern sind unter-
schieden, die einen, die nichts von der miime verstehn, sind die
welche stolz sind auf ihre körperliraft und Schönheit, auf ihr gutes
haar, die auf turnieren herumreiten und nie zu hause sind (30(1,
12 — 23). die andern sind die wvl minnenden^ und an einem
solchen wird nun das bild eines feinen höfischen mannes ent-
worfen (3()(), 24 bis zum schluss). es sind die lehren für den
minnedienst (306, 29). demut (modestia) wird zuerst geboten,
und die zunge im zäum halten, die folgenden Vorschriften werden
speciell den armen rittern- gegeben (sie gelten aber doch für
den ganzen stand), es sind allgemeine ratschlage, die darauf
hinauslaufen, sich bei der weit beliebt zu machen, als quelle
wird angegeben ein buch von Phaset, das h^on guoter m'mnen
sagef, also wol ein lateinischer Facetus^^ der von der minne
handelte oder einen abschnitt über die minne enthielt.
Später als Hartmann, Gottfried und Wolfram, auch nach dem
Freidank, fällt Der Minne Für ge dank, Docens Mise. II 172
— 188, mit seinen zehn minnegebolen. wer sie hält, wird der
weit und Gott wert s. 174. 184. es sind die bekannten lügenden,
darunter aber auch die gediild, mit der man Gottes huld und der
frauen gunst erringt s. 177. -zum schluss folgt eine lehre für
frauen s. 184—188.
Die sittlichen anschauungen Walthers, Hartmanns, Wolframs
haben in der folgenden litteratur stark nachgewürkt, überall treffen
wir auf ihre spuren, oft verraten sich die nachahmungen durch
die fassung des textes.
Die bedeutendste ritterliche Sittenlehre, reichhaltig, von wahrer
Sittlichkeit durchdrungen, deren letztes ziel die liebe Gottes ist,
enthält der Winsbeke. speciell ein fürstenspiegel ist der König
Tirol, nicht zu den ritterlehren gehören Frei dank, dessen
> vgl. Scherer QF. 12, 90; Steiniueyer Anz. ii 238—240; neu ab-
gedruckt in Meyer-Beufeys Mhd. Übungsstücken s. 30 — 32.
* vgl. das gespräch des plebejus mit einer dame von höherem adel
beim Capellan Andreas, Trojel s. 53 — 6i(.
^ Scherer aao.
KirTERLICHES TUGENDSYSTEM 2ir,
Aveisheit alles measchenleben umfasst, die allgemeinen Sittenlehren
des Cato, Facetus, Hugos von Trimberg usw.
Die epigonen verstanden den richtigen sinn der ethischen
lehren der meister oft nicht mehr, so schreibt der PI ei er ge-
dankenlos Wolfram und Walther aus in seinem preis der frei-
gebigkeit (4arels (Garel 10 545 — 10(128) und kommt zu der morai:
mit guote man verdienen sol icerltlich er und gotes huldc, duz
ist alles guotes iihergulde 10 611 — 10 613.
Ulrich von Liecli tenstein, der die minnespielerei in die
würklichkeit übertrug, schliefst den roman seines lebens mit einem
rückblick auf die ethischen werte, denen die zeit nachstrebt, in
anlehnung an Walthers Reichssprnch , 587, 11) — 589, 18 '. in
seiner redseligen art setzt er sie auseinander, aber die drei sitt-
lichen dinge erweitert er zu vieren: Imldc, diu vre hie, geiaacli,.
guoi, die äufseren guter des utile teilt er also in zwei, in gemach,
d. i. lust, Üppigkeit (luxuria), und gnot, d. i. besitz, wir lernen
von ihm auch, auf welche weise ein echter ritter zum hohen muof
gelangt: fünf dinge sind es, die ihm die fröude und damit den
höhen muot verschaffen: die freude, guter lebensunterhalt, schönt^
pferde, gute kleidung und ritterlicher aufputz. das also waren
in würklichkeit die ziele der ritterlichen lebenssteigerung des hohni
muotes in der mitte des dreizehnten Jahrhunderts.
Der tüchtigste ethiker unter den nachfolgern der grofsen
dichter ist Rein mar von Zw et er. seine Iran Ehre- ist die
personification des honestum, ihre gespielen 71, 3—6 sind lauter
tilgenden, die unter dem honestum der Moralis philosophia ver-
treten sind; sie wird güefe genannt 71, 8, = tugend, wie im
eingang des Iwein. gerade in seinen moralischen grundsätzen ist
er der echte schüler Walthers, er hat die abstufiing der drei
guter: Diu Ere minnet niht durch giiot . . . swer guot vür ere
minnet 14, 1. 3; Got ist der eren höchstez zil 76, 4; zer
werlde wart nie niht so guot, so daz wir minnen die gotes
hulde nnt ere 65, 11 f. aber er ist mehr scholastisch gerichtet
als Walther. er bringt die ehre mit der trinität zusammen
7 7, Iff:*, darnm kann er sagen, dass die ehre sich nie von der
»vgl. Singer Mittelalter und renaissance, Sprache und dichtuu-
h. 2, 15 f.
- Roethe ßeinmar vZweter s. 215 ff.
^ vgl. Anegenge, Hahn s. 12, ö.') — 13, 12.
21 H EHKISMANN, KITTEKLICHES TUOENDSYSTEM
huld Gottes trennt, die elire der trinität ist das gleiche wie die
ehre Gottes, so hat er das honestura vergöttlicht, die weltliche
ehre ist spiritualisiert zur gottesehre, so wie die irdische liebe zur
himmlischen '. wer dieser göttlichen ehre teilhaftig ist, der ist
vor Gott und hier auf erden sieger, sie, Gottes liebling, vcrleilit
leib und seele eine höhere weihe, in der himmlischen minne und
in der göttlichen ehre sind weit und Gott versöhnt, der dualismus
ist durch den mystischen Spiritualismus, durch den übernatür-
lichen glauben überwunden.
' es ist der 'süfsc neue stiF, vgl. Vo.ssler itüo.; Wechssler bes.
s. 21!» ff; Vogt aao. s. y.5; Ehrismann Zs. f. d. phil. 45, .HOT f. — Fraoen-
lol) hat die cre zum [)hiIosophisclien princip erhoben, die liöfisch-ethische
auffassung Walthers ist bei ihm scholastisch-metaphysisch umgedeutet:
ein teil (leiMlirh minnet, d. i. Gott, das ander ist icerlte wirdiheit,
d. i. weltlich cre, da; dritte ist natüren, d. i. guot, vgl. Heinr. Liitcke
Studien zur philosophie der meistersänger, Palaestra 107 s. 48 ff und
damit ist diese hetrachtung des ritterlichen tugendsystems wider auf ihren
ausgangspunct zurückgekommen, auf die drei charaktertypen und die drei
menschenclassen Piatos (oben s. 1.37).
Greifswald. Gustav Ehrisinunii.
DAS BUCH PHASET? Der verf. des frühmhd. lehr-
gedichtes, welches Ehrismann oben s. 211 kaum glücklicher als
Scherer 'Liebesbotschaft" nennt, beruft sich für lehren von der
minne anscheinend auf ein buch 'Phaset', und E. sieht darin wie
Scherer 'einen latein. Facetus, der von der minne handelte oder
einen abschnitt über die minne enthielt', nun reicht aber der
älteste Facetus kaum in die zeit unseres gedichtes (ca. 1180)
hinauf, und er entspiicht dieser erwartung inhaltlich keineswegs,
und wenn ich auch an ausdruck und Wortstellung u-ande kdh
phaset saget ein biioch nicht anstofs nelimen will, so ist mir doch
die Umbildung von facetus > phaset höchst bedenklich, ich bin
daher sclitm längst auf den verdacht gekommen, dass in ^pliasef
gar kein buchtitel stecke, sondern eine gröbliche verschreibung.
die beiden Schreiber, welche unser gedieht copierten und dabei
sehr oft entgleisten, reime in den vers stellten usw., hielten sich
offenbar zeilengetreu an die vorläge: in dieser stand genau unter
dem woite faget das wort pliade, und da ist der abschreiber aus-
geglitten, und aus den beiden Wörtern phade -f- faget hat sich ihm
die unforra phaset gebildet, neben die er dann alsbald das richtige
faget setzte; wir hätten also phafet einfach zu streichen. E. S.
DAS VAGANTHNLIED VON PHYLLIS UND
P1.0RA
NACH EINER NIEDERSCHRIFT DES AUSGEHENDEN
12 JAHRHUNDERTS.
Das prävldige vagantenUed von PhylUs vnd Flora hat be-
reits sechs aimjaljen aufzwoeisen, von denen die letzte freilich
nur ein icortgefreuer ahdruck der vorhergehnden ist. den ersten
text lieferte 1S()6 Docen in Aretins Beyträgen z. gesch. u. litt.
VII 3olff unter dem titel 'Kampfgespräch zwischen Phyllis und
Flora über die Vorzüge ihrer geliebten', die nächsten drei aus-
gaben kamen kurz hintereinander in den vierziger jähren heraus:
1841 erschien das gedieht in Wrights Latin poems commonhj
uttributed to Walter Mapes 2r)8ff, — IS43 in JGrimms Ge-
dichten des mittelalters auf könig Friedrich 1 den. Staufer und
aus seiner so wie der nächstfolgenden zeit (Abh. d. k. Akad. d.
wiss. z. Berlin, aus d j. 1843. phil. u. hist. abh. 218 ff), —
1817 in Schmellers Ckirmina Burana (4. unveränd. auji. 1904)
155 ff. in neuerer zeit veröffentlichte schlief stich noch Haureau
an zwei verschiedenen stellen die dichlung : den 188(3 in den
Notices et extraits des viss. de la Bibl. nat. XXXII I, 259 ff
gelegentlich einer beschreibuiig von mini. 1544 des Nouv. acquisi-
tions (Fonds lat.) gebotenen text widerholte er mitsamt dieser
heschreibung ls93 in .seinen Xof. et extr. de quelques mss.
latins de la Bibl. nat. VI 27Sff.
Von diesen sechs ausgaben fafsen drei auf der Bcnedict-
beurer hs. in München \clm. 4660): die von Docen, Grimm
und Schmeller. während Docen aber einzig und allein auf diese
ifn 3 ver.< der 62 strophe abbrechende vorläge angen-iesen umr,
konnten Grimm und Schmeller daneben auch die Wrighlsche aus-
gäbe zu rate ziehen und nach ihr nicht nur die am schluss
fehlenden Strophen — das vollständige gedieht zählt ihrer 79 —
hinzufügen, sondern auch zahlreiche versehen des codex Buranus
berichtigen. Wrights quelle war das Harleian-ms. nr 97S,
aus der mitte des 1 3 jh.s stammend, ein paar Jahrzehnte jünger
Z. F, D. A. LVI. N. F. XLIV. 15
218 BOMER
<tls (las von Benedictheiireii , ihni aber ait t/üfe (ileichkoymnevd,
u-enn nicht iiJ>erIc(/en, von der vollständujkeli völluj ahgesehen.
Haurmus ahxidif i/ietig lediglich dahin, ciucn guten, moglichnt
eimvandfreieii text des gedicktes zu bieten, wissenschaftlich, ist
mit seiner ausgäbe wenig anzufangen^ da er es unterlassen hat,
einen kritischen apparat ticizugeben und. die unterlagen seiner
lesajieu im einzelnen nachzuweisen, er begnügte sich damit, in
der cinleitung zu iM'.merken, dass er den text zu verbessern ver-
sucht habe, indem er eine ausnwhl getroffen unter den Varianten-
der ausgaben von Doccn . W'righi und Schmeller — die von
Grimm ist ihm unbekannt getdieben — iind denen der beiden
Pariser hss. >?/• 10208 und Nouv. ucquis. /;rl544. erstcre
ist die alte in Pertz Archiv VIII 302 erwähnte nr Sorbonne 980
aus dem 14 .///., ^coptie de bonne date, mais malheurmsement in-
complete roinnic ta jjremiere des e'ditions'. ' die zweite gehört erst
dem 15 jh. an. nicht tienutzt hat Haure'au drei andere ihm be-
kannte hss., von denen die eine trotz aller mängel die ihr an-
haften, ihres alters wegen für die textgestaltung von nicht zu
unterschätzender bedeufung ist. sie irar im 11 jh. in den händen
der königin Christine von, Schiveden und ist jetzt im Ijcsitz der
Vaticanischen bibliothek in Born (cod. reg. tat. nr 344);
eine ausführliche beschreibung des wertvollen sammelbandes hat
Haure'au 1880 in den Xot. et exir. XXIX 2, 231 ff nach mit-
teilung von Elie Berger, der damals der Ecole francaise de
Home angehörte, gegeben, der 57 bll. umfassende codex ist von
rcrschiedenen händen zu. ende des 12 und zu anfang des l^jh.s
geschrieben und enthält eine bunte Sammlung lateinischer dich-
tungen, mit dem Anticlaudianus des Alanns de [nsulis beginnend,
die 'Altercatio pMllidis et flore' steht an 20 stelle und reiclit
von 1)1. 34^** bis 36 '^ die noch dem 12 jh. angehörende hand,
ivelche sie niedergeschrieben, setzt sicher schon auf bl. 29''^ mit
dem Iten der stücke, drei gedichten aus der Aurora des Petrus
de Riga, ein. aufser dem unscrigen hat sie im folgenden noch
eine ganze anzahl anderer Vagantenlieder aufgezeichnet, u. a. die
Generalbeichte des Archipoeta (14), die Altercatio Ganymedis
et Helenae (16) und die Apocahjpsis (17). von einer Verzeichnung
der lesarten der bereits gedruckten stücke hat Berger bei seiner
mitteilung bedauerlicherweise abgesehen; er gibt nur gelegoitlich
einige textproben, von unserem gedieht noch eine verhältnismäfsig
PHYLLIS UND FLOEA 219
umfangreiche: die strophe» 22—27. dass Haure'an von dirscr
einen stelle ahgesehen de» Vaticanus für seine aiisr/ahe nicht aus-
nutzte, hat dem teerte seines textes nicht nnerhehlichen ahhrurh
getan, von der heranziehung der zwei jüngeren ihm noch be-
kannten hss. konnte er dagegen ohne besonderen schaden abstand
nehmen, sie gehören beide dem 14 jh. an. die eine ruht in der
Hofbibliothek zu Wien [Theol. 7S1). schon der im katalog
[Tabulae codd. manu Script, praeter Graecos et orientales in
Bibl. Palatiua Vindobon. asservat. I 1S6 4 nr 883) mitgeteilte
anfangs- nnd schlussvers lassen erkennen, wie icillkürliche Ver-
änderungen das gedieht hier über sich hat ergehen lassen müssen
{ineipit: Quadam vice medii maij sub virore. — explicit: Ad
amorem clericum ducunt aptiorem). die ztveite der jüngeren hss.
ist im besitz der Königlichen bibliothek zu Berlin (Bihl.
Sant. 2S. Abschrift von Schlee 1804: Diez C. quarto 55. vgl.
Pertz' Archic VIII S53). sie stammt aus dem Benedictinerkloster
SJacob ia Lüttich., demselben dem auch die von mir in der
Schlossbibliothek zu Herdringen aufgefundene vagantenlieder-
sammlung (Zs. 49, 161 ff) angehört hat. unsere 'Disputatio
liuanim reginarum, quarum, nna diligebat clericum. altera mili-
tem^ {bl.23il) schliefst sich hier ebenso wie in der Vaticanischen
hs. an das gespräch zwischen Ganymedes und Helena an.
Die Berliner bibliothek besitzt seit einigen jähren auch
die bis dahin meines wissens noch nicht bekannte aufzeichnung
des Phyllis und Flora-gedichts, die hier in ihrem ganzen um-
fang mitgeteilt werden soll, da wir eine fassung vor uns haben,
die dem. urtext um lieles näher kommt als irgend eine der
übrigen hss., indem sich bei ihr aufs glücklichste hohes alter —
sie reicht noch vor den Vaticanus in das ausgehnde 12 jh. zu-
rück — mit geu:issenhaftigkeit der Überlieferung vereinigen, die
Königliche Idbliothek erwarb den jetzt die Signatur Cod. lat.
od. 199 tragenden band 1911 auf einer der Versteigerungen von
Phillipps-hss. sir Thomas Phillipps halte ihn nach einer bleistift-
notiz auf dem Spiegel des vorderdeckeis 1830 von Ludwig Tross
erstanden, der ihn seinerseits 1812 für 4U //•. in Sfrafsimrg
{wo er damals die Universität besuchte) gekauft zu haben be-
hauptet {bl. 1: L. Tr. Argentorat. IS 12. 40 fr.), in den Mit-
teilungen aus der Kgl. bibl. II. neue erwerbungen der hss.-abt. 1
(1914) «.43 wird diesernotiz jedoch wenig glanhwürdigkcit Ijei-
15*
220 BÖMER
gemessen, vielmehr die vernmti(U(j ausgesprochen, dass der codex
aus einer der säcularisierten tvestfäUschen klosterhihitotheken
stamme, mit deren schätzen der mit der einziehung betraute
Hammer conrector Tross nicht besonders gewissenhaft unigegangen
zu sein scheint, der von Tross neugebundene band besteht aus
7 mit römischen und 58 mit arabischen zahlen folilerten perga-
mentblättern, die bis auf das bedeutend kleinere, offenbar aus
einem andern mamiscript stammende bl. III den rest einer um-
fangreichen sammelhs. darstellen, von der am anfang 19 und
am schluss mindestens 1 läge verloren gegangen sind, die schrift
verteilt sich auf ö verschiedene hünde der zweiten hälfte des
12 jh.s. die älteste unter Urnen ist diejenige ivelche das fremde
bl. III geschrieben hat: den anfang eines comnientars zu
Boetius de consolatione philosoj)hiae. von den übrigen
4 gehören der ersten die bll. I, II, VI u. VII an, der zweiten
bll. IV u,. V, der dritten und vierten blh 1 — 58. die 4 blätter
der ersten hand, die in der reihen folge \, VI, VII, II die
XX läge des alten bandes gebildet haben (bl. 11^' trägt diesen
zählcustoden) enthalten bruchstücke eines Lucan-commentars,
die 58 blätter der beiden letzten hände, durch custoden als alte
lagen XXI — XXVIII festgelegt, den text des Boetius {rest von
buch 5, mindestens 1 läge, fehlend), auf den beiden von der
zweiten hand zweisjjalfig geschriebenen bll. IV u. V steht unser
gedieht und im anschluss an dasselbe noch, unten in spalte V"'
beginnend, der hyninus 'Cives celestis patrie regi regura
concinite' (= Chevalier Rep. hymn. 3271: Marbodus Redonensis,
de duodecim lapidihus pretiosis). soivle die erste zeile des hymnus
'Urbs beata lerusalem' (= CÄei?aiier 20 918). diese poetischen
stücke sind bei der jetzigen Zusammensetzung der hs. mitten in
den Lucan-commentar hineingebunden, falls sie nicht etica auch
wie bl. III aus einem andern bände stammen, ivogegen aber die
gleichheit im format, im pergament und im zeitcharakter der
schrift spricht, müssen sie also einer der verlorenen 19 ersten
lagen angehört haben, während bei dem hymnus weder verse
noch Strophen abgesetzt sind, ist bei dem vagantenlied vers- und
strojihengliederung innegehalten, und zwar ebenso wie zb. bei den
gedachten des Archipoeta in der Stabloer hs. (jetzt Brüssel 207 i
= van den Gheyn Cat. I 202 nr 368; vgl. die gedichte des
Archipoeta hrsg. von Manitius 1913 s. 11) in der weise, dass
PHYLLIS UND FLORA 221
die lelzfe oder die beiden letzten reimsilhen jeder strophe heravs-
geJwhen und durch scJilanfjenlinien mit dem ende der 4 verse, zu
denen sie gehören, verbunden sind, die anfangsbuchstaben der
einzelnen verse, die teihceise in regelrechten majmkeln, teilweise
aber auch nur in ettvas gröfser gehaltenen minuskeln geschrieben
wurden, sind etwas ausgerückt, für die erste initiale des ge-
dieh ts ist der platz ausgespart, zur einßgung durch den rubri-
cator, der aber nur bei den lagen XXI und XXII in tätigkeit
getreten ist. bei bl. IV fasst auf beiden seilen jede spalte 1 1
Strophen; bei bl. V stehn auf der Vorderseite 2 mal 12, so-
dass von den 79 Strophen für die rückseite noch 11 übrig blieben,
welche die erste spalte nur so tceit füllen dass noch 5 zeilen
von dem hymnus darunter geschrieben werden konnten.
Wenn auch die niederschrift im allgemeinen als sorgfältig
bezeichnet icerden kann, so sind gleichwol allerlei versehen unter-
gelaufen, die teihveise vom Schreiber selbst nachträglich verbessert
ivurden, teilweise aber auch stehn geblieben sind, der kritische
apparat gibt darüber im einzelnen rechenschaft {vgl. 7. I. 29, 4.
34, 3. 43, 4. 45, 4. 57, 3. 4. 59, 2. 64, 2. 3. 4. 65. 3. 70, 4.
71, 1. 7 2, 1). für 3 gröfsere änderungen ist der untere rand
von bl. y benutzt, während eine von diesen (64, 4 coniectatur
teneri thalamus) eine ivürkliche berichtigung ist, haben tcir in
den beiden andern überflüssige conjecturen zu erblicken (47, 1
sie decebat; 56, 4 dispense). da das decebat auch in der ander-
weitigen Überlieferung erscheint, ligt die Vermutung nahe, dass
unserem Schreiber, falls er nicfit etiva selbst der urheber gewesen
sein sollte, noch eine zweite vorläge in die hand gekommen ist.
zu mehreren versehen fiat die heraushebung der reimsilbe anlass
gegeben, indem das letzte tvort trotzdem entweder ganz ausge-
schrieben ist oder doch bis in die reimsilhe hinein izb. 10, 3
rependit-dit; 45, 1 un-nus). an zicei stellen (-15, 4. 48.4) wurde der
fehler durch untergesetzte puncte verbessert, als besondere eigen-
tümlichkeit der hs. ist anzumerken, dass dmal die silbe quit
in gestalt des sigcls (fd erscheint, 2 mal bei dem wortc liquit
(1, 4. 42, 1), Amal bei inquit (12, 1. 13, 4. 15, 3. 21, 1). ver-
einzelt begegnet überdies d statt t noch 51,3 bei capud. im
reim hat der dichter keinen unterschied gemacht zwischen c und
qu. dementsprechend finden wir in unserer niederschrift 13, 2
obl-icum, 30, 4 e-cus, 40, 3 anli-ca.
222 BÖMEE
Der abdruck des (ledlchts hält aich eng an die vorläge,
doch werden die abkürznngen in ühUcher weine aufgelöst und die
interpunelion durchweg, die Orthographie hei den Jmchduhen \
und j, u und v modernisiert, als Satzzeichen kennt die hs. seihst
nur den punct, von dem sie besonders da gehrauch zu machen
pflegt, wo Worte und ivortverbindungen coordiniert aneinander-
f/ereiht werden; gelegentlich auch ivol zur t rennung der beiden
vershälften. elgennamen sollen immer grofs geschrieben werden.
Im apparat werden die lesarlen sämtlicher ausgaben, und
■da wo die herausgeber von der ihrem text zu gründe gelegten
hs. abgewichen sind, in bemerkenswerten fällen auch die lesarten.
dieser hs. verzeichnet. unerlässUch aber schien es mir, dazu
auch noch den Vaticanus zu collationieren, und ich freue mich,
diese arbeit noch kurz vor ausbrach des krieges an ort und stelle
bewerkstelligt zu haben.
Die vergleichung hat ergeben, dass die Vaticanische hs. (F),
obwol nur wenig jünger als tinscre Berliner {B), hinsichtlich der
gute des textes bei weitem nicht an diese heranreicht, zwar hat
V an einer reihe von stellen, an denen die Überlieferung im
übrigen auseinander geht, zusammen mit B die ursprüngliche
fassang beu-ahrt, aber diese stellen treten doch an zahl tveit zu-
rück gegenüber solchen bei denen in V bereits eine ändernde
hand zu erkennen ist. der text von B dagegen erweist sich da
2V0 irir eine handhabe für die entschridung der prioritätsfrage
besitzen, fast durchweg als der ursprüngliche, mit voller be-
stiwmtheit als ursprünglich anzusprechen sind, ihre lesarten natür-
lich da wo wir die sondige Überlieferung als aus dem text von
B verschrieben, verlesen oder vielleicht auch verhört erkennen,
das gilt zb. 71,1 von dem sinnlosen Soiiipnes urget des Harle-
ianus {II) {für das Schmeller von Haurcau aufgenommenes Oinnes
urget conjizierte), indem es sich als Verderbnis erweist aus dem
von B zusammen mit V bewahrten Somno surgit. das trifft
ferner auch zu 33, 1 bei dem. unhaltbaren Movit, welches noch
neustens Haurcau nach der Benedicthenrer hs {Bh) eingesetzt hat,
und das auch bereits in V erscheint, aber nichts anderes ist als
ein Schreibfehler für Novit, das B, diesmal Z2isammen mit H.
erhalten hat. alles nähere im apparat!
Als ursprünglich dürfen wir die lesarten von B aber auch
dann ansehen wenn andere hss. eine glattere, natürlichere,
PHYLLIS UND FLORA 228
allgemeinverständlichere fassumj hieten. ivenn zh. in B ein
seltenes, wenig bekanntes wort erscheint, wie 57, 4 das tenas, —
oder wenn ein landläufiges wort in ungeivöhnlicher hedeutung
verwendet worden ist, wie das faciebat 47, 1 und 53, 1, — oder
wenn überhaupt irgend ein anlass zu einer Veränderung vorge-
legen hat. mit andern loorten überall da wo etwas erträglich
gutes von B etivas besserem der sonstigen Überlieferung gegenübry.
steht, ich weise hier nur kurz auf einige besonders charakte-
ristische stellen hin. B alleinstehend 4. 4 nainque: 9, 4 pudor;
30, 4 premit; 31, 4 meus [ähnlich 40, 3; vgl. 31, 2); 59, 4
mavult; — B mit V 4, 4 das zweite huic; 19, 2 sineret; 41, 4
His est et Luiusmodi; — B mit JT 3, 1 Eunt; 14, 1 Aristotiles
(sehr bemerkenswert); 31, 2 meus; — B mit Bb 38, 1 constant;
41, 2 instruxit. hierher gehören auch die fälle in denen bei B
tactwechsel oder hiat oder gar beide vereint erscheinen, während
sie bei anderen Jässungen gemieden sind, tuctivechsel : B allein
34, 2 Qua probas; 55, 2 Plus habet; — B mit Y 35, 3 et sitis;
55, 3 que spectans. hiat: B allein 4,2 He annos; 46,2 Tandem
illum; — B mit ff 16, 1 Surge inquit. factu-echsel und hint:
B mtt H 29, 1 Cum orbem.
Schon diese wenigen beispiele lassen erkennen, wie eigenartig
das Verhältnis der hss. zueinander ist. bald bietet B allein den
ursprünglichen text, bald zusammen mit dem fast gleichalterigen
Vaticanus und bald auch mit dem jüngeren Harleianics oder
Buramis, die vielgestaltigkeit der Überlieferung tritt aber erst
vollends in die erscheiming , wenn wir auch diese hss. der reihe
-nach miteinander vergleichen, hat die eine eben noch in einem
wichtigen puncte mit einer zweitai zusammengestanden, so weicht
sie gleich darauf an einer nicht minder wichtigen stelle von ihr
ab, um sich entweder an eine dritte anzuschliefsen, mit der vor-
her keinerlei bemerkoiswerte übereinstiinmung festzustellen war,
oder auch einen eigenen weg zu gehen, ich muss mich darauf
beschränken, dieses Verhältnis noch für eine der drei genannten
hss. mit einigen beisjnelen zu belegen, greifen tcir V heraus!
ivir sahen sie widerholt in beachtenswerter weise an der seile
-von B stehn, aber ebenso oft geht sie auch gegen B, hier mit
Bb, dort — freilich seltener — mit 11, am häufigsten für aich
allein. V mit Bb 7,2 secus; 13,1/2 umgestellt, dabei 13,1
recolit militem; 17,1 libidinis; 21,2 nimis usw. besonders zu
221 3ÖMER
enrnhnen 51, 1 fehlerhaftes flora, (lau in V freilich nach-
träglich durch übergeschriehenes forma corrigiert worden ist.
r mit H 11, 3 Tstis; 78, 2 ventilant et. V allelndehend 4, li
non sunt paruin impares sed ; 10,3 Miitua sie mutuis mutiio
rependit; 13, 4 amas liunc quem; 15, 3 unde tibi gloria inquit;
75, 1 Causa vie (jueritur; 7 8, 4 et amorem clerici dieunt meliorem,
und zahlreiche andere weniger markante -stellen, den anspricch
die urspr angliche zu sein dürfte unter diesen lesarten kaum eine
zu erheben haben, anzumerken aber sind zwei vereinzelte stellen,,
wo V tadn-echsel hat, u-dhrend ihn ß mit den übrigen rermeidel:
5, 4 est modus; ü, 1 Sed amor.
Dass angesichls des vorstehend kn)z skizzierten Verhältnisses
der hss. zu einander die aufstellung eines Stammbaums unmöglich
ist, ligt auf der hand. uns muss die feststellung genügen, dasB
wir in der Berliner hs. wie die älteste, so auch die bei iveitem
beste, also die dem archetypns — wenn wir auch hier von einem,
solchen sprechen, dürfen — am nächsten stehnde aufzeichnung
des beliebten gedicktes besitzen.
Ihre kcnntnis verdanke ich meinem freunde prof. dr Degering
an der Königlichen bibliothek in Berlin, der gelegentlich der
drucklegung des encähnten Verzeichnisses der lUll erworbenen
hss. die liebenswürdigkeit hatte, eine 2)hoiogr apitische aufnähme
der blätter anfertigen zu lassen und mir zur ausnutzung zu.
übermitteln.
1. [A]nni parte tiorida, celo puriore,
Picto terre gremio vario colore.
Dum fugaret sidera luincius Aurore,
Liquid soninus oculos Phillidis et Flore.
- 2. Placuit virginibus ire spaciatum,
Nam soporem reicit pectus sauciatuiii;
Abl,ü.r;ni TKjen. 1. Aui<gaben: Doc. =^ Docen, Gr. = Giimrrc
(Doc. u. Gr. nur angeführt, wenn Schmeller abweicht),
Haur. = Haurdau, Schrn. = Schmeller, W>. = Wright. —
2. Handfichriften: D = Berliner, Bb = Benedictheurer, H =
Harlvian, \ = Vaticanisrlie.
1, 1. florido Bb, ron Schm. nach Wr. verbessert. 3. Cum V,
Haur. 4. Li(i"d fehlerhaft unsere hs. {ebenso 4 2, 1), liquet Schm.,
PHYLLIS UND FLORA 22f>
Equis ergo passibus exeunt iu pratum,
Ut et locus faciat ludiini esse gratnin.
3. Ennt ambe virgines et ambe regine:
Phillis coma libera, Flora torto crine.
Non sunt forme virginum, sed furme divine.
Et respondeiit facies luci matutine.
4. Nee stirpe nee facie nee ornatu viles
He annos et animos habent iuveniles;
Sed sunt parura impares et parum hostiles,
Huic namque clericus, huic placet niiles.
5. Non est differentia corporis aut oris,
Omnia communia sunt intus et foris;
Sunt unius habitus et unius raoris,
Sola differentia modus est amoris.
6. Susurrabat modicum ventus tempestivus,
Locus erat viridi gramine festivus,
Et in ipso gramine defluebat rivus
Vivus at(iue garrulo murmure lascivus.
7. Ad au//mentum decoris et caloris minus
Fuit iuxta rivulum spaciosa pinus,
Venustata foliis, late pandens sinus;
Nee intrare poterat calor peregrinus.
8. Tunc sedere virgines; herba sedem dedit.
Phillis iuxta rivulum, Flora longe sedit;
Et dum sedit utraque et in sese redit,
Amor corda vulnerat et utramque ledit.
9. Amor est interius latens et occultns
obwol Bb ricJitig liquit hat. 2, 3 gressibus UV. 3, 1 Eunt mit
Wr. gegen Erant V, Schni., Haur. 2. torto [cfr. Orid, Jrs
aniatoria I, 505) gegen compto aller übr. 4. respondet Wr. facie
Schm. 4, 2. Et st. He, den liiat vermeidend, alle übr. 3. Non
sunt parum impares sed F. pares impares et pares hostiles, ohne
hiat, Wr. 4. Nam huic placet clericus alle übr. huic placet
miles mit V. illi placet ra. Wr., Haur., illi vero m. Schm.
5, 2. similia Wr., sunt communia et mit silbenüberschiisis Schm.
3. st. unius beide mal ejusdera Wr. 4. est modus V. 6. 1. rao-
dice Wr. 2. gramine viridi Wr. 4. lacivus fehlerhaft W
7, 1. aucmentum die hs., das c durch zivei untergesetzte puncte
getilgt, aber das g überzuschreiben vergessen. Ut puellis noceat
calor solis minus Wr. {mit unnötiger beseitigiing ■ des substan-
tivierten minus); von Schm. gegen Bb {Doc, Gr.) übernommen.
2. secus st. iuxta V, Bb (Doc, Gr.); von Schm. nach Wr. auch
iuxta eingesetzt. 3. folio V. 8, 1. Consedere st. Tunc sedere
alle übr. 2. prope st. iuxta gleichfalls alle übr. 3. cum st.
dum. zu dein perfect sedit passender, Gr. sedet V, Haur. ac
St. et V, Schm., Haur. 9, 1. Sed amor st. Amor est F; La istner
22(1 BüMER
Et corde certissimos elicit singnitus;
Pallor g'enas inficit, alternantur vultus.
Fa. in verecnndia pudor est sepultus.
10. Pliillis in suspirio Floram deprehendit,
Kt haue de consimili Flora reprehendit;
Altera sie alteri mutuo rependit,
Tandem morbnm dete,2:it et vnlniis ostendit.
11. nie sormo nnituus nuiltiiin habet ninre,
Et est qnidem series tota de aniore;
Amor est in aniinis, amor est in ore.
Tandem Pliillis incipit et arridet Flore.
12. 'Miles', inqnif, 'inclite,mea cura, Paris.
Ubi modo militas et nbi raoraris?
0 vita milicie, vita singularis,
Sola digna gandiis Dyonei laris!'
13. Dum puella militem recolit amicuni.
Flora ridens oculos iacit in oblicum.
Et in risu loquitur verbum inimicum:
'Amas,' inqui^, 'poteras dicere, meudicum.
1 4. Sed quid Aristotilcs agit, mea cura.
(GoUas IST!) .V. ll.M'i sddtuil Amor sit und in r. 2 e corde vor.
2. certissinio Hr. ;>. genus fäischlieh Wr. iilternatur 1", alterantur
Sehm.. Hmir. 4. Sed .sf. Et alle ühr. furor, n-ol eingeselzl. viri
(las liehen dem sijnoiiijmen verecundia weiiü/ glückliche, aber
doch ivahrscheitilich nrsprünff liehe pudor zn beseitigen, alle Uhr.
10, 2. sed lianc Schin.. istam 11 V. 3. Mutua sie mutuis mutuo
rependit T. alteram mutuo deprehendit ßh (Doc., Gr.). Schm. hat
-nach Wr. rependit eingesetzt, ohne alteram in alteri zu ändern,
■tinsere hs. hat rependit ansgeschrieljen, ohu-ol das -dit als reim-
■silhe der strophe herausgehohcn dasteht. 4, vultus st. vulnus Bh
{Ihr.. Gr.), quid sit. unter vermeidang des tacf wechseis. IIV.
11, 1. Iste Schm. 2. quedam V, Sehn/., von Schreiher (Die
vagaidenstrophe. diss. 1S94, s. (i!) f ) bevorzugt. 12, 1. inq'd
feiilerhaft die hs. (ebenso 13, 4. lö', 3. 21, l), ait 1'. 2. vel
ubi Schm., ubi nunc, den tw. vermeidend, Wr. 4. gaudio )'.
*Sehm., Hanr. 13, ! /2 timgestellt V, Schm. 1. recolit militem
1', Schm. 4. amas liunc quem V, araas et quem Wr., von Schm.
•übernommen statt des uyihaltharen amans inquit von Bb (Doc),
wofür Gr. von Sehreiher gnfgeheifsenes ainens inquit liest, alle
diese wenig glücklichen änderungen unserer lesart, die auch bei
Haur. (ohne komma hinter dicere!) erscheint, wol veranlasst
durch n ichtverstehen der parenthese dicere poteras. (^dti liebst,''
^sprach sie, 'hättest du sagen können, einen armen schlueker.'')
14, 1. Aristotiles mit Wr. gre^e«_ Alcibiades {V: alcipiades) aller
übrigen. Alcibiadcs nnpassend , da kein Vertreter des gelehrten-
PHYLLIS UND FLOEA 227
Res creata digniur omni creaturaV
0 sola felioia clericorum iura,
Quos beavit oninibus gratiis natura!"
15. Floram PlüUis arguit de sermone duro
Et sermone loquitur Floram commoturo;
Nam: *ecce virgunculam,' inquif, 'corde pure.
Cuius pectus nobile servit Epicuro!"
16. 'Surge,' inquit. 'misera de furore fedo!
Solum esse clericum Epicurum credo ;
Nichil elegancie clerico concedo,
Cuius implet latera moles et piiiguedo.
17. A castris Cupidinis cor habet remotum.
Qui soninum desiderat et cibum et potum.
0 puella nobilis, oninibus est notnm,
Quod est longe niilitis ab hoc voto votnni.
18. Solis necessariis miles est contentns;
Somno, cibo, potui non vivit intentus;
Amor illi prohibet, ne sit somnolentus;
Cibus, potus militis amor et iuventus.
19. Quis amicos copulet nostros loco pari?
Lex. natura sineret illos copnlari?
htanäes. facit st. agit 1', UV., Haur., facis Seht». 2. pulcrior •>■/.
dignior Wr., das jedoch zu seiner lesart Aristoteles nicht passt,
vielmehr nur im anschhiss an Alcibiades entstanden sein kann.
somit bei IVr. vermengung z>ceier verschiedener fassuvgen, mäh-
rend unser text durchaus einheitlich, allein gut und auch
ohne ziveifel ursprünglich ist. Alcibiades dürfte conjectur eines
Schreibers sein, der an der Verwendung des namens des grofsen
Aristoteles für einen Liebhaber anstofs genommen hat. wenn die
ersatzivahl unglücklich gewesen, so ist daliel zu berücksichtigen,
dass nur wenig fünfsilbige namen zur Verfügung standen. 3/4,
das in unserer hs. genau 12, 3/4 entspricht, von allen übr. um-
gestellt; dabei quam st. Quos T", quem die übr. 15, 2. in sr.
Et Sclim. 3. unde tibi gloria inquit V. virguncula lf>., Schm..
Maur., letzterer dazu, den hlat vermeidend, satis st. inquit.
pure ausgeschrieben neben reimsilbe uro; vgl. 10, 3. 4. nobih
Wr. 16, 1. Surge, surge, den hlat vermeidend, V, Schm., Haur.
2/3 umgestellt Haur. 4. implent st. implet {so auch V) Wr., Schm..
Haur. 17, i libidinis V. Hb (Doc, Gr.), Jedoch Schm.. nach
Wr. unser Cupidinis. 4. quam sit F. Schm., Quod sit Haur.
18, 1. Rebus militaribus Wr. intentus 1'. 2. eontentus 1'. 3. illc
St. illi Wr. 4. potus cibus Wr. 19, 1. Quos unpassend Wr.
loro {dem copulet angepasst) st. unseres durch V und auch Schm.
gestützten farblosen loco Wr., Bb {Doc, Gr.), Haur. 2. Lex
naturae st. des gleichfalls durch V, Schm. gestützten Lex, natura
22 S BOMER
Meus novit ludere, tuus epiilaii;
Aleo seiiiper proprium dare, tuo dari.'
iO. Haurit Flora snn^ainem vultu verecundo
i'^t apparet pulcrior in risu secuiido;
Kt tandem eloquio resei'ar. facuiido,
Quod corde conceperat artibus fecundo.
21. 'Satis,' inqui^, 'libere, Phillis, es locuta;
jMultuni es eloquio velox et acuta;
Sed non efticaciter verum prosecuta,
IJt per te prevaleat lilio cicuta.
22. Dixisti de cleiico, quod indulget sibi ;
Servum somni nominas et potus et cibi.
Sic solet ab invido piobitas describi;
Ecce, parum patere, respondebo tibi:
23. Tot et tanta, fateor, sunt amici mei.
Quod nunquam incog'itat aliene rei;
('eile mellis, olei, ('ereris, Liei,
Auruni, g'ennne, pocnla faniulantur ei
24. Est tarn dulcis copia vite clericalis,
Quod non i)0test aliqua pin,i;;'i voce talis;
Volat et duplicibus anior plaudit alis,
Amor indeticiens, amor immortalis
25. Sentit tela Veneris et Amoris ictus,
Non est tarnen clericus macei- et aft'lictus;
Quippe nulla gaudii parte derelictus,
Cui respondet animus domine non tictus.
dieselben, tcol ursprioiyUches sineret (= iciirde lassen f) iinl V
gegen prohibet der übrigen, (bei lesviig prohibet der satz aber
nicht als fragesatz anf'zv fassen, ivie \Vr. getan!) 20, 1. Hausit
V, Schm.. obivol Bb [Doc., Gr.) auch Haurit hat. 2. jocundo
Sehn., Haur. 3J4: in V zuerst vmgesielU. jedoch von der allen
hand durch vorgesetztes h und a in Ordnung gebracht. 3. tandem
in, den Iw. meidend, Wr. i-esonat Schni. 4. quae Wr. 21, 1. Satis
plus quam deceat. Phyliis. es astuta Schm. 2. Nimis st. Multum
V, Sehn. 3. es secucuta (verschrieben st. secuta) st. prosecuta V.
4. dicis quod praevaleat IFr., von Schm. gegen Bb (Doc, Gr.)
ilbernonimen. 22, 2. proprius st. nominas V. 4. tolera st. pafere
Wr. 23, 1. tanta aus tanti verbessert, die hs. 2. quae Wr.,
Quod non unquam indiget, den tiv. meidend, Haur. 3, vasa
mellis V (verschrieben moliis), Wr., Haur. tritici, olei st. olei,
Cereris Wr. 24, 1 In tam dulci copia V (dabei vita), Wr..^
Sehn., Haur. 2. aliquis Wr. voce pingi V, Wr., Haur. 3. valet
st. volat, wie auclt Bb hat, Gr. semper st. amor Schm.
25, 2. non tamen est [mit tw.) V, Schm., Haur. aut st. et Wr.,
Haar. 3. copie st. gaudii V, Sehn. 4. domino Wr. 26, 3. nee
PHYLLIS UND FLORA 229
26. Macer est et pallidns tuns preelectus,
Pauper et vix pallio sine pelle tectus;
Non sunt artus validi nee robiistum pectus,
Nam, cum causa deficit, deest et effectus.
27. Turpis est paupeiies imniinens anianti.
Quid prestare poterit miles postulanti?
Sed dat multum dericus et ex habundaiiti:
Tante sunt divicie reddiiusque tanti."
28. Flnre Pliillis obicil: 'multuni es perita
In utiisqne stiidiis, in ntraque vita;
Satis prubabiliter et pulcre nientita,
Sed hec altercario non cessabit ita.
29. Cum orbera letiticat liora lucis feste,
Tunc apparet dericus satis inlioneste,
In tonsura capitis et in atra veste,
Portans testiiiioniura voluHtatis »ieste.
30. Non est ullus adeo fatuus aut cecus,
Cni non appareat militare decus.
Tuus est in ocio quasi bi'Utum pecus;
Meura preniit galea, nieum portat ecus.
31. Meus armis dissipat inimicas sedes
Et, si forte prelium meus init pedes,
Dum teilet bucefalam suus g-animedes,
Meus nie comiuemorat inter ipsas cedes.
32. Redit fnsis h(»stibus et pug-na confect.a
vires nee animura aU 1. vershälfte Bh {iJoc, Gr.), wozu habet
zu ergänzen. Sclun. hat den nominntiv animus eingesetzt, seil.
est. Nee vor sunt Hmir. non vor rob. V. 4. dum Sehn.
deest siraul V, et deest Wr. 2J1, 1. eminens fälschlich V.
3. multa .s^ nniltum alle übrigen. 28, 2. utroque studio Wr.,
auch von Sehn, gegen Bb [Doc, Gr.) eingesetzt, et st. des
ztveiten in V, Hnur. vel Wr. 3. es st. et Sclini., Haur. pulcre
es V.. 4. lioc Wr. quiescat st. cessabit Bb {Doc.. Gr., quiescet
V, Schm.. Haur., quiescit Wr. 29, 1. Orbem cum, tir. und hiat
vermeidend V, Schm., Haur. 2. tum Wr. 3. nigra .s^ atra !'.
4. volüptatis ueste die hs.. verschrieben statt voluntatis meste,
50 Wr., Schm., Hmr.; volüptatis meste V. 30, 1. et st. aut Wr.;
Non est adeo fatuus aut omnino cecus Schm. 4. tegit st. prerait, das
anstofs erregt zu haben .scheint, alle übrigen. 31, 1 • Miles rainis
st. Meus armis Wr. edes st. sedes Schm. 2. meus init pedes
durch Wr. gestützt, iunit solus pedes V, solus intrat pedes Schm.,
inierit pedes Haur. 3. bucephaUiin Schm, Haur., buciidialum V.,
quadrupedera Wr. sumn st. snus V. 4. ille nie F, Schm., Ipse
me Haur., me saepe Wr., alle {wie die meisten bereits in v. 2)
das nochmalige meus vermeidend, suas st. ipsas V. 32, 1. Cedit
2:k» bümp:r
Et nie sepe respicit galea reiecta.
Ex liis et ex aliis ratioue recta
Est vita niilicie mihi preelecta.'
33. Novit iram Phillidis et pectus aiilieliim
Et remittit multiplex Uli Flora telum.
'Frustra,' dixit, 'loqueris, os ponens in celnm.
Et per acuni niteris tig-ere caniehiiii.
34. Mel pro feile deseris et pro falso verum,
Que probas miliciam reprobando clerum.
Facit amor niilitem streuuum et feruni?
Non ; immo pauperies et defectns rerum.
35. Pulcra Phillis, utinam sapienter ames
Nee Verls sentenciis amplius reclames!
Tuum domat militem et sitis et fames,
Quibus mortis pefitur et inferni tranies.
36. Multum est calamitas militis atrita;
Sois illiiis dura est et in arto sita,
Cuius est in peudulo dubioque vita,
Ut habere valeat vite requisita.
37. Non dicas oprobrium, si eognoscas moreni:
Vestem nigram clerici, comara breviorem;
Habet ista clericus ad summura honorem,
Ut hiis se sig-nilicet omnibus niaiorem.
38. Universa clerico constant esse prona,.
Et Signum imperii portat in corona.
Imperat militibus et largitur dona;
Fanuilante maior est imperaiis persona.
(von der alten hand iibergeschr.: redit) cesis T. 4. nihil sf. mihi
fehlerhaft Bh (Doc), von Gr., Sehn, nach Wr. in mihi ver-
bcssert. cunctis .sf. mihi F. 33, 1. Novit mit Wr. {nach ihm
auch von Seh in. yegen Bh eingesetzt) gegen unhalihares Movit der
Uhr igen, hanelura fehlerhaft V. 2. Dum st. Et Banr. ei st.
illi IFr. 3. dicit Hanr., inquit Wr. 4. trahere Wr. 34, 1. de-
serius fälschlich Gr. 2. quod probas Mr., approbans, den tw.
meidend, V, Schiii. inprobando Wr. 3. strennum st. strenuum
fehlerhaft die hs. aut st. et 1', Wr., Schm. 35 und 36 ntn-
gestellt Sch)H. 35, 2. meis st. veris F, Wr., Haur. 3. totum
st. Tuum F. sitis atque st. et sitis et, den tw. meidend, Schm.,
Haiir. 4. infertur Bh , von Doc., Gr., Schm. verbessert.
36, 1. Multum, auch in Bh (Doc, Gr.), von Schm. zur Ver-
meidung des hiats in Multis verändert. Militis calamitas multum
est Wr. 2. dira Wr. 3. pendiculo fpediclö) st. in pendulo F.
hubio penduloque Wr. 37, 2. corporis st. clerici F. 4. sese st.
diis se F, UV., Schm., Haur. 38, 1. Vniverso fälschlich T.
constant mit Hb (JJoc., Gr.), constat V, Wr., Schm., Haur.
PHYLLIS UND FLORA 231
39. Ociosnni clericum scniper esse iuras.
Viles spernit operas, fateor, et duras;
Sed cum eins animus evolat ad curas,
Cell vias dividit et rerum naturas.
40. Meus est in purpura, tuus in lorica:
Tuns est in prelio, mens in lectica.
Mens gesta principnm relegit antica,
Scribit, querit, cogitat totnra de amica.
41. Quid Dione valeat, qnid amoiis dens,
Primus novit clericns et instruxit meus.
Miles est per clericum factus citlierues.
His est et buiusmodi sermo tuus reus.'
42. Liqui/' Flora pariter vocem et certamen
Et sibi Cupidinis eligit examen.
Phillis primum obstrepit et quiescit tarnen,
Et probate indice redeunt per gramen.
43. Totum in Cnpidine certamen est situin:
Suum dicuut iudicem verum et peritr.m,
Quia vite noverit utriusque ritum, «
Et iam sese prepara/^t ut eant anditum.
44. Pari forma virgines et pari pudore.
Pari voto militant et pari colore;
Phillis veste Candida. Flora bicolore.
Mulus vector Phillidis erat, eqnus Flore.
2. Nam st. Et Hanr. 39, 2. opera fehlerhaft l\'r. clericus st.
fateor T'. 3. dum IVr. 40, 3. ubi gesta religit prineipuni 1\
ubi gesta principura relegat TF/-., . . . reeolit Hau/:, ubi facta
principnm reeolit Schni. unsere hs., ähnlich ivie in str. 31. mit
'lern fviderholten mens allein^stehend. 41, 1. Dianae fälschlich
Wr. et st. quid Wr., Schm., Haur.. 2. primum TFr.. primo
Schm., Privus verdruckt Hanr. 18S6 [Haar 1893 niil unserer
hs. u. V: Primusj. amicus st. instruxit T', Wr. 3. Factus est
per clericum miles alle übrigen, chithareus V, cythareus Bh {von-
Doc, Gr., Schm. in Cytliereus verbessert). 4. unser His est et
huiusmodi durch V. {mit anderer tinte auf rasur) gestützt, illis
et hiis modis est Wr., Est semper huiusmodi Schm., His est et
ex aliis Haur. tuus sermo alle übrigen. 42, 1. Flora vocem
pariter liquit et F. 2. exigit st. eh'git alle übrigen. 3. in V
lirimum mit anderer tinte über multum geschrieben, acquiescit
st. et quiescit alle übrigen. 43, 1. est certamen, den tw. m.eidend.
Schm. 2. gratura .st verum V. 3. qui et st. Quia Wr. iuris^
st. vite Schm., Haur. noverat st. noverit F. 4. lamiam st. Et
iam Schm. praeparat . . . eat fälschlich die hs. 44, 12. pudore
und colore vertauscht Schm , Haur. 2. in F über voto mtt
anderer tinte modo geschr. 4. erat fillidis vector T^. 45, 1. erat
282 BUMEK
45. Mulns quidem Pliillidis muliis fuit unus,
Quem creavit, aliiit, douiuit Neptunus.
Hunc post apri rabieni, post Adonis funus,
Misit pro solatio Citeree munus.
46. Pulcre matri Pliillidis et probe regine
'I'andeni illiim prebnit Venus Yberiue,
Eo quod indulserat opere divine.
Ecce Phillis possidet istuni leto tine.
47. Faciebat niniium virg-inis persone:
Pulclier erat, habilis et stature bone,
Qualem esse decnit, quem a regioue
Tam longinqua niiserat Nereus Dione.
48. Qui de superpositis et de freno querunt.
Quod totum arg'enteum dentes muli terunt,
-^ciant, quod hec omnia talia fuerunt,
Qualia Neptunium munus decuerunt.
49. Non decore caruit illa Phillis hora,
Sed multum apparuit dives et decora.
Et non minus habuit utriusque Flora,
•S'^. fuil V, IVr., ScJwi. un-nus felilerliaft die hs. 2. dorauit
aluit V. 3. quem st. Hunc Wr. 4. in solatium Wr. citaree
st. citeree fälschlich die hs., vgl. 72, 1. munus -uus, das erste
nus durch untergesetzte puncte getilgt, die hs. 46, 2. illuni
tandem .v^. Tandem illum, den hiat vermeidend, alle übrigen.
3. ei st. Eo Wr. insculpserat (-sculpserat auf rasur mit anderer
tinte] V. 4. illum (wider auf rasur) leto crine V. datuni st.
istum Schm., illum Wr. dato st. leto Wr. 47, 1. Faciebat hat
unsere hs., damit ganz alleinsteh eyid, wi text, während unten auf
dem rande mit einem entsprecheoiden zeichen ( v ) von der alten
hand sie decebat vermerkt steht, im sinne von ''sich passev, sich
schicken' gebraucht [vgl. Properz 3, 1. 20 = non faciet capiti
dura Corona nieo), mit dem 'mulus' der vorhergehenden Strophe
als subject, dürfte Faciebat die ursprüngliche lesart sein. Decebat
auch V, Bb (Doc, dabei aber st. Sic: Hoc, wofür Gr. u. Schm.
Hie eingesetzt haben), Congruebat Wr., Haar., beides wol con-
jeciur von Schreibern, denen die angegebene bedeutung von Faciebat
{vgl. dazu 53, 1) nicht geläufig gewesen ist 2. fuit Wr. stabilis
•sf. habilis F. 3. bonura morem docuit Wr. de st. a Wr.
regione-ne die hs. 4. Neptunus st. Nereus, 45, 2 entsprechend,
Schm., Haur. 48, 1. Qui de superpositis mit Wr. st. Si qui de
suppositis der übrigen, vel st. et Wr. frenis st. freno {so auch
Wr., Gr.) Schm. 4 fehlt Wr. neptuiü fehlerhaft V. decueri-
-runt, das ri durch untergesetzte puncte getilgt, die hs. V hat
als reimsilbe die ganze strophe hindurch -ant. 49, 2. satis st.
multum V, Schm. 4. aeque st. equi fehlerhaft Wr. frenis F,
PHYLLTS UND FLORA 233
Nam equi predivitis freno domat ora.
50. Equiis ille domitiis pegaseis loris
Multum pulcritudiiiis habet et valoris,
Pictus artiticio varii coloris,
Nam mixtus nigredini candor est oloris.
51. Forma fuit habilis, etatis primeve,
Cui cervix ardua, coma sparsa leve.
Auris parva, preminens pectus, capu^ breve,
Et respexit paululum timide, non seve.
52. Do.rso pando iacuit virgini sessure
Spina, que non senserat aliquid pressure.
Pede cavo, tybia recta, largo crure,
Totus fuit sonipes Studium nature.
53. Equo superposita faciebat sella:
Ebur enira medium clausit auri cella,
Et, cum essent quatuor seile capitella,
Venustavit singulum gemn)a quasi Stella.
54. Multa de preteritis rebus et ignotis
Erant mirabilibus ibi sculpta notis.
Nuptie Mercurii, superis admotis,
Fedus matrimonii, plenitudo dotis.
55. NuUus ibi locus est vacuus aut planus:
Plus habet quam capiat animus humanus.
<Schm. 50, 1. fuit .s^ ille IVr. Horis 7, ScJdii. 2. Satis st.
multum V, Schm. valoris mit anderer tinfe üher decoris {so
auch Schm.) geschr. V. 3. pectus fälschlich Bh, von Schm. nach
Wr. verbessert. 4. nuptus st. mixtus Haur. color V, Schm.
51, 1. unser Forma durch V (correctur aus .unhaltbarem flora,
wie auch Bb [Doc] hat) gestützt; Formae quidem humilis Haur.;
pulcre st. Forma Wr. und nach ihm Gr., loco Schm. 2 — 4 um-
gestellt in der folge 4. 2. 3 alle übrigen, dabei in 2. Cervix fuit
st. Cui cervix. 2. sparsa coma Wr. 3. prominens Wr., Schm.
capud die hs. 4. munde st. timide, unpassend und überdies den
■vers störend, Wr. 52, 1. virginis V, Bb (Doc), von Gr., Schm.
nach Wr. in virgini verbessert, cessurae Wr. 2. laesurae st.
pressure Haur. 3. dedit st. pede Bb (Doc), von Gr., Schm.
nach Wr. in pede verbessert, longo st. largo Schm., Haur.
4. totum Schm. 53, 1. radiabat V, Schm., respondebat Haur.
A quo supraposita congruebat Wr. icol alles icider wie 4 7, 1
änderungen statt unseres nicht verstandenen faciebat. 2. claudit
Wr., Haur. 3. cellae Wr. 4. venustabat V. cingulum, wol
verschrieben, Wr., Haur. velut st. quasi Schm., tanquam Wr.
54, 2. scripta st. sculpta F. 4. matrimonium Wr. 55, 1. vacuus
locus est V. 2. habet plus, den tw. meidend, V, Schm., Haur.,
Z. F. D. A. LVI. N. F. XLIV. 10
234 BÖMER
Solus illa sculpserat, que spectans Vulcanus
Vix hoc suas credidit potiüsse manus.
56. Pretermisso clipeo Mulciber Achillis
Laboravit phaleras et indulsit illis
Ferraturam pedibus et frenum maxillis
Et habenas addidit de sponse capillis.
57. Sellam texit purpura subiutexta bisso,
Quam Minerva reliquo studio dimisso
Acha?/t() texuerat et Acre narcisso
Et per tenas margine limbriavii 6cisso. .
58. Volant equis pariter iste domicelle;
Vultus verecuudi sunt et gene tenelle.
erat plus OV. '^. ea st. illa \) illara Sehn, que spectans durch
V {auf rasur mit anderer tinte) gestützt, hec spectans ScJini.:
ganz abweichend, den iu\ meidend aurifex Wr., Haur. 4. hoe
durch V gestützt, hec die üljrigen. condidisse st. potuisse Wr.
56, 1. militis 1^1) (Doc), von Gr., Schm. nach Wr. in Mulciber
verbessert. 2. fabricavit Wr. indulsit ans inciusit corr. V,
induxit Hanr. illis-lis die hs. 3. frenum et Bh {Doc, Gr.).
4. unter de sponse, durch eine kurze Schlangenlinie mit ihm
verbunden, steht unten auf dem rande in unserer hs., von der
alten hand geschrieben: dispense. 57 fehlt in V. vielleicht ist
die Str., bei der die Überlieferungen stark auseinandergehen, ab-
sichtlich fortgelassen wegen irgend ivelcher mängel der vorläge,
zumal in v. 4. 1. tegit Haur. subintuta Bb (Doc, Gr.), Wr.,
Haur., subinsuto Sch)n. 3. achato die hs., wol verlesen aus
acliäto = achanto, statt des normalen acantho, rvie Schm. {Haur.)
aus dem achamo von Bb (athamo Doc, Gr.) glücklich conjiciert;
de arante texerat Wr., ganz unglücklich {Schreiber denkt an
aranea st. de arante, womit aber auch nichts anzufangen isti.
Gr. schlägt in einer anm. statt des in den text aufgenommenen
atharao: e thymo vor. 4. unser tenas n-ol gleichfalls die ur-
sprüngliche und allein richtige lesart. Du (kinge s. v,: tena vel
tenia . . . a teno dicitur estque vittarum extremitas dependens
diversorum colorum vel extrema pars vittae quae dependet coronae.
partes von Wr., Schm. und pennas von Haur. späterer, un-
glücklicher ersatz für das den Schreibern unbekannte tenas.
marginum Bb {Doc, Gr.), von Schm. nach Wr. in margine ver-
bessert, firabriaui cisso fehlerhaft die hs. statt firabriavit scisso,
ivie Haur. richtig liest; fimbria inciso {unserer hs. nahestehend)
Wr., fabricavit scisso Schm. 58, 1. Volant equis durch V ge-
stützt, Equitabant die üljrigen. passibus mit anderer tinte über
pariter geschrieben, infolge falscher auffassung des equis als
aequis V. diie st. iste V, Wr., Haur., ambe Schm. dnelle
fehlerhaft V. 2. genaeque, den in-, mcidind, Haur. tetelle st.
PHYLLIS UND FLORA 235
Sic emergunt lilia, sie rose novelle,
Sic discurnint pariter due celo stelle,
59. Ad Anioris destinant ire paradisuni.
Diilcis ira commovet utriusque visum ;
Flore Phillis, Pliillidi Flora inovet risum.
Phillis fert acipitreni, Flora mavult nisum.
60. Parvo tractu temporis nemus est inventum.
Ad ingressum nemoris murmnrat fluentum;
Ventus inde redolet iiiirram et picmentuni,
Audinntur timpana cytareque centura.
61. Quidquid potest boininuTn compreliendi raente,
Totum ibi virgines audiunt repente.
Vocum differentie sunt illic inventae,
Sonat diatesseroii, sonat dyapenle.
62. Sonant et mirabili plaudunt armonia
Timpanum, psalterium, lira, siniphonia;
Souant ibi phiale voce valde pia,
Et buxus multiplici cantum pronüt via.
tenelle fälschlich V. 3. erumpunt Wr. et st. des zweiten sie V
4. decurrunt V, Wr., Schm. duae coeli Wr., Sehn., caeli duae
Haur. 59, 2. u-sura st. visum fehlerhaft die hs. (das erste u
scheinbar aus n verbessert, das i zuzufügen vergessen), risum V,
Bb (Doc), von Gr., Schm. nach Wr. in visura (.so auch Haur.)
corr. 3/4 in V mit anderer tinte geschrieben, jedoch nicht auf
rasur, also zunächst 7col ausgelassen und platz ausgespart,
unser v. 3 durch V gestutzt. Phillis Florae, Pljillidi F'lora movet
risum Wr., Haur.; ganz abweichend paris pulcliritudinis decus
est illisum Sehn. 4. Fert Phillis accipitrem manu, Flora nisum
alle übrigen, den anlass zur änderung dürfte das wol ursprüng-
liche mavult unserer hs. gegeben haben. 60, 2. nemoris] das e
nochmals übergeschrieben über aus o verbessertem e. 3. myrrliis
Wr. 4. citliare timpanaque V. 61, 1. hominis Wr. 2. audiunt
virgines V. 4. diatessaron richtiger alle übrigen. 62, 1/2 bei
Wr. umgestellt. 1. Sonat und plaudit Wr., Haur., V {u-o plaudit
tnit anderer tinte über nochmaliges sonat geschrieben ist). 4. buxiiQ
st. buxus aus buxum (so auch Bb) mit anderer tinte verbessert V.
cantum übergeschrieben über unverständliches öra F. sonum st.
cantum Haur. prodit 6-^. promit V, edit Bb, Haur.; unverständ-
liches movet vitae via ganz abweichend Wr. einen eigenen weg
geht auch Bb, die in v. 3 dieser strophe abbricht, nachdem sie
unsern v. 4 als 2 eingesetzt hat:
Sonant voces avium modulatione pia
et buxum multiplici cantum edit via
et amoris stu!
^6♦
236 BOMER
63. Sonant omnes avium lingue voce plena:
Vox auditur nienile dulcis et amena,
Coridalus, graculus atque philomena,
Que non cessat conqueri de transacta pena.
64. Instrumento musico, vocibus canoris,
Tiinc diversi specic contemplata floris,
Tunc odoris gratia redunda»^e foris,
Coniectatur teneri thalamns Amoris.
65. Virgiaes introeiuit modico timore
Et eundo propiiis crescunt in araore.
Sonant queque volucres propi'io rumore,
Accenduntur aninii vario clamore.
66. Inmortalis tieret ibi manens homo.
Arbor ibi quelibet suo g-audet pomo;
Vie mirra, cinamo flagrant et amomo:
Coniectari poterat dominus de domo.
67. Vident coros virginum et doniicellarum,
Singularum corpora corpora stellarum.
63, 1. voluerum Wr. 3. garrulus Wr. turtur st. atque 1% IVr.,
Säur. 4. cessant unpassend V. 64, 2. tum V, Wr.. Haur.,
ebenso in v. 3, tarn in v. 2 Schm. speciera (fpem) fälschlich die
hs. statt specie (so alle übrigen, V abgekürzt: fpe). conteraplatae
fälschlich Haur. 1893 (1886 richtig contemplata). 3. redüdare
st. redundante {so alle übrigen) fälschlich die hs., tvol verlesen
aus redüdäte, wie V abgekürzt hat. foris aus floris durch tinter
das 1 gesetzten punct corr. die hs. zwischen 3 m. 4 von unserem
Schreiber zuerst versehentlich der i: vers 'der folgenden strophe
eingefügt, durch rasur entfernt. 4. die hs. hat int text folgende
fehlerhafte form :
Cum iactatur teneri calamus amoris,
die der Schreiber seihst unten auf dem, rand der seile (vgl. 47, 1.
56, 4) in Ordnung gebracht hat durch den vermerk: coniectatur
teneri thalamus {so auch die übrigen). 65, 1. timor-re fehler-
haft die hs. 2. proprius fälschlich Wr. 3. Sonat . . . voiucris V,
Sonant . . . voluerum Wr., Haur. propriorum ore (pp^olt ore) in
falscher tvortabteilung statt proprio rumore die hs.; ein kreuz
neben dem vers weist wol auf die absieht einer correctur hin.
4. clamore mit anderer tinte über calore geschr. V. 66, 2. gaudet
suo Haur. 3. cinamo corr. aus cinomo durch unterpunctieren
des o und überschreiben von a die hs. fragrant V, Wr.,
Haur. 4. ex st. de die übrigen, dora-mo fälschlich die hs.
67, l. iuvenum st. virginum Wr., Haur. domorcellar fehler-
haft V. 2. singulorum V, Wr.; ganz abweichend Splendentesque
PHYLLIS UND FLORA 237
Capiuntur subito corda puellanim
In tanto miraculo rerura novellarum.
68. Sistunt equos pariter et descendnnt, pene
Oblite propositi sono cantilene;
Sed auditur iterum cantus philomene,
Et statim virginee recalescunt gene.
69. Circa silve medium locus est occultus,
Ubi viget maxime suo deo cultus.
Fauni, nimpbe, satiri, coraitatus multus,
Timpanizant, concinunl ante dei vultus.
70. Portant viua manibus et Coronas flornm.
Bachus nimphas instruit et choros faunorura;
Pedum servant ordinem et instrumentorum.
Sed »S'illenus titubat nee psallit in chorum.
71. Somno surgit senior asino proi'ectus
Et in risus copiam solvit dei pectus.
virgines ut ordo stellarum Haai: 68, 2. oblito fälscJilich Wr.
{corr. Gr., Sehn.). 3. interim st. iterum V. ?>. sonus sf.
«antus von Wr. abweichend Gr. 4. vene st. gene alle übrigen.
69,2, unsere lesart durch Wr. (/estützt {nur bei ihn statt suo:
suus), ibi viret raaxiraus {aus varius verbessert?) suus deo cultus
V: ganz abweichend Hie semper ab omnibus est Cupldo cultus
Haiir. 70, 1. thyma st. vina (so auch V) Wr., Eaur. 2. mt-
passendes imbuit st. instruxit V. 3. servant pedum ordines Wr.,
dabei ordinem V, Hanr. 4. Sillenus mit V eingesetzt statt des
fehlerhaften Scillenus der hs.: das übliche Silenus Wr., Harn:
et saht st. nee psallit Wr., nee phallit per chorum 7. 71, I . Somno
surgit senior asino proiectus, durch V gestützt {das nur bei asino
statt des i ein durchstriche nes d aufweist), bei proiectus ist
unserem Schreiber ein versehen u)iterla^(fen. wir lesen nämlich
sinnloses praenectus oder auch pronectus, da das p sowol die
pro-schleife wie den ytrae-strlch führt, das n ist über ein durch
■ unterpunctierung getilgtes u geschrieben, ich möchte annehmen,
dass' der Schreiber zuerst praeuectus geschrieben hat und dieses
in proiectus {wie V richtig liest) hat verbessern tvollen, dass er
dabei aber den pvae-strich zu tilgen vergessen und statt des i
versehentlich ein n übergeschrieben hat. statt unseres Somno
surgit hat Wr. ein offenbar auf verlesen infolge falscher wort-
abteilung beruhendes unsinniges Sompnes urget, statt proiectus ein
unglückliches pervectus. letzteres hat Gr. schon ni provectus
corrigiert; mit Sompnos, das er für Sompnes angesetzt wissen
wül, ist jedoch gleichfalls nichts anzufangen, eine wurkliche
Verbesserung bedeutet Schnellers von Haun'au aufgenommene les-
art Omnes urget senior asino provectus. für ursprünglich und
auch am svnngemäßesten halte Ich jedoch die unser ige. als vor-
238 BÖMER
Clamat vina: remanet clainor imperfectus,
Viani vocis inpedit viniini et senectus.
72. Intel- hos aspicitur Citheree natus:
Vultus est sidereiis, vertex est pennatns;
Arcnra leva possidet et sagittas latus:
Satis potest conici potens et elatus.
73. Sceptro piier nititur floribus perplexo;
Stillat odor nectaris de capillo pexo.
Tres assistunt Gratie dig-ito connexo
Et Anioris calicem tenent genu flexo.
74. Appropinquant virgines et adorant tute
Deum venerabili cinctum iuventute,
Gloriantur numinis in tanta virtute.
Quas deus considerans prevenit salute.
lagen des dicMers dürften die verse Ovid Ars amatorla I, 543- 548
(jedient haben:
Ebrius ecce senex: pando Siienus asellu
Vix sedet et pressas continet arte iiibas;
545 Dum sequitur Baccbas Bacchae fugiuntqiie petuntque,
Quadrupedera ferula dum malus urget eques,
In Caput aurilo cecidit delapsus asello:
Clamarunt Satyri 'surge age.. surge, pater!"
die fassung hei Sehn, und Haur. knüpft an v. 545 an (unter
Verwertung des in anderem Zusammenhang gehrauchten urget von
V. 546), die unsrige an v. 547/548. dafür, dass die unsere —
hei der ührigens die auch in der vagantenlitteratur beliebte
alliteration 'Somnu surgit senior' wol zu beachten ist — die
echte ist, scheint mir zu sprechen 1. das verderbte 'sorapnes
urget' bei TFr., da in ihm das 'somno surget' noch deutlich zu
erkennen ist, während das 'omnes urget' nichts als eine gelungene
conjectur für jene worte sein dürfte, mit der auch das 'provectus'
in einklang gebracht worden ist, 2. der Zusammenhang mit v. 2
der Strophe, denn die 'risus copia' des Gottes können wir uns
durch nichts so gut ausgelöst denken als durch das herabpurzeln
Silens, des immer trunkenen alten {zu senior vgl. Ovid Fast.
I, 399) von seinem esel. 3. vina wider durch V {c.orr. aus
uiuo?) gestützt, io Wr., Haur. sonus st. clamor Wr. TZ. 1. liaec
6/. hos Wr., Haur. citharee wider {wie 45, 4) fehlerhaft st.
citheree die hs.; auch Wr. hat hier dieses Cythareae, das aber
von Gr. schon in Cythereae verbessert ist. 4. ndci (?) st. conici V.
73, 4. amoi. fälschlich V. 74, I. odorant st. adorant {das o
auf rasur) V. 3. gl[ori]antur Wr. nimium .sf. numinis T'.
PHYLLLS UND FLOKA 239
75. Causam vie postulat; aperitur causa.
Hinc laudatur utraque tantum pondus ausa.
Ad utrainque loquitur: 'modo parum pansa.
Donec res iudicio reseretur clausa I"
76. Deus erat; virgines norunt deum esse.
Retractari singula non fuit necesse.
Equos suos deserunt et quiescunt fesse.
Amor suis imperat. iudicent expresse.
77. Amor habet iudices. Amor habet iura:
Sunt Amoris iudices usus et Katura.
Ulis tota data est cnrie censura,
Quoniam preterita sciunt et futura.
78. Eunt et iusticie ventilant vigorem.
Ventilatum retrahunt cuiie rigorem:
Secundura scienciam et secundum moreni
Ad amorem clericum dicunt aptiorem.
79. Conörmavit curia dictionem iuris
^ Et teneri voluit etiam futuris.
Parum ergo precavent rebus nocituris.
<^ne sequuntur militem vel fatentur pluris.
75. 1. Causa vie queritur l'. 2. Et st. Hinc alle übrigen.
4. referetur Wr. {Gr. und Sehn, aber besser reserentur).
76, 1. deum norunt V. 2. retractare T', Eetractandi Haur.
3. decndüt (soll heifsen descendunt) st. deserunt )nif störendem
tw. V. 77, 3. Istis r. Wr. 7S, 1/2. vigorera und rigorem
vertauscht V. 2. ventilant et st. ventilatum T", Wr. 4. et
-amorem clerici dicunt meliorem V. 79, 1. Comprobavit alle
übrigen. 4. qui st. que Wr. u-on Gr. eorr."}. et st. vel die
übrigen.
Münster i. W. A. Bömer.
BUKGOXDEN,
Behaghel hat vor kurzem (PBBeitr. 43, 150) die frage auf-
geworfen, 'ob sich schon jemand gewundert habe über die mangelnde
Übereinstimmung zwischen dem namen Siegfrieds und denen seiner
eitern', ein sonderbarer zweifei. kann denn ein lehrer des alt-
deutschen, der mit seinen schülern oder Studenten den eingang
des Nibelungenliedes list und dabei selbstverständlich auf die
bildung der germanischen personennamen zu sprechen kommt,
überhaupt an dem Widerspruch S'n-rii-Si(/crn/int (SigelintJ vor-
bei? die frage kann doch nur die sein, wie diese Verschieden-
heit zu deuten und ob sie etwa sagengeschichtlich zu verwerten
sei? und da glaub ich für Scherer aus guter erinnerung ver-
sichern zu können, dass er das paar Sirrit-Su/emunt im sinne
seiner lehre auffasste, dass vielgebrauchte Wörter sich lautlich
rascher und stärker abschleifen als seltene, wenn jetzt Eehaghel
die allgemeine häufigkeit von 'Siegfried' i^immer als Sifridvs.
Sivrit) und die Seltenheit, ja in manchen landschaften den
gänzlichen ausfall von 'Siegnuind' betont, so läuft das tatsäch-
lich auf dasselbe hinaus, das Verhältnis im Nibl. entspricht dem
bairisch-österreichischen urkundenbefund, wo die vielgebrauchten
S'ifrif, Slhoto fast immer in der contrahierten form erscheinen,
die seltenen Sigholt, Sigmar, Sigloch den guttural bewaliren;
Sighart und Siharf schwanken derart, dass sich zum letztern sogar
die lateinische form Sgnts; entwickeln konnte (GGA. 1914 s. 317);
was aber den namen Sigemunt (Sigismiind) angeht, so ist er im Süd-
osten überhaupt nicht bodenständig, sein auftauchen in Bayern und
Österreich im laufe des 1 5 jh.s hängt auch nicht mit der helden-
sage zusammen, sondern mit dem deutschen kaiser aus luxem-
burgischen hause und bald durch ihn bald direct mit der aus-
breitung des cultus des merovingischen (burgundischen) heiligen
herzog Sigismund, dessen legende zb. im münster von Freising
bildlich dargestellt ist. anderseits ist. wie man schon aus
Behaghels nachweisen entnehmen darf, eine beeinflussung vom
Rheine hier ausgeschlossen, denn der dort nicht seltene name
'Siegmund' erscheint zb. gerade in den Urkunden von Worms und
Speyer regelmäfsig in der form Symund (SyniontJ, und ich füge
hinzu, dass mit der frühen contraction auch die beliebtheit des
namens Simon bei einer reihe romanischer, niederländischer und
westdeutscher herrengeschlechter zusammenhängt (gegen Kalbow
Die germ. personennamen des afz. heldenepos s. 39).
Auch die modernen adressbücher bestätigen dies insofern
als der für Bayern zu erwartende familienname *Seimund weder
in München, Wien, Nürnberg noch überhaupt vorkommt, der fn.
Siemund sehr selten ist (die meisten belege im nordosten), in
den Rheinlanden also, wo aufser Siemund auch Siegnmnd so gut
wie ganz fehlt, Siemon(.s) seinen hauptsitz hat. schon in den
SCHRÖDER, BURGONDEN 241
Kölner sclireinsbüchern der zeit um 12(10 liiidet sich neben 61
Sirrit kein Siinunt oder Sigemunt, wol aber 3'.) Simon.
Ubrig-ens geht die Isolierung des namens Sivrli durch unsere
gesarate nihd. heldendichtung: das Nibelungenlied hat aufser
einer zweiten Sigelint (der wasserfrau) noch den Sir/estap. die
.Kudrun neben Slvrit von Morlant den Sigehcmt, die Klage
und der Biterolf aufser den eitern Siegfrieds noch SlgeJu;r und
Sigestap, der Wolfdietrich B die Sigwinne; und noch in den
Rosengärten A und D kehrt das nebeneinander von Sirrit und
Sigesfap wider; nur allein der Rosengarten F (V 19. 2'i) weist
die foim Sigerrit in der Überlieferung auf, wo sie aber mindestens
an der zweiten stelle (Sigerrit mit den sinen) verdächtig ist.
Mit mehr Zuversicht glaub ich die Vermutung aussprechen
zu dürfen, dass man der namensform, unter der könige und land
der Burgunden im Nibelungenlied erscheinen, nicht die auf-
merksamkeit geschenkt hat die sie verdient — ich selbst bin
erst vor nicht langer zeit zu der fragestellung gelangt die ich
hier vorlege.
Der tatbestand ist dieser, die handschriften des Nibelungen-
liedes ^ überliefern mit einer einhelligkeit die namensform Biir-
govfJen. dass jeder zweifei an der vom dichter gewollten und
einheitlich durchgeführten form ausgeschlossen ist. eine form
mit" e: Bürgende'^ bietet öfter B: 531, 4 bringt sie Bartsch im
text, 442, 3. 562, 4. 740, 3. 829, 1 in den lesarten. die zu
erwartende Schreibung mit n bietet ziemlich häufig nur d (die
handschrift k. Maximilians!): Bi(rginideii 2, I, Burgundien 531, 4,
Bnrgundier 562, 4 usw., vereinzelt findet sie sich auch in A
(77 = L. 78, 3. 1197 = L. 1137, 1 Burgnnde. 1577 = L. 1517, 1
Burgunden), in B (767, 2. 939, 4. 992, 1), in S (5, 3) und andern
liss., was nicht wunder nehmen kann.
Ein reimzeugnis können wir im Nibelungenlied nicht gut
erwarten: zu den wenigen Wörtern des klingenden versausgangs
(typus Uötm : gäoten) gehört unseres nicht, und den cäsurreimen
steh ich zwar nicht so skeptisch wie Zarncke gegenüber, halte
aber 992, 1. 2 Burgonden : vercluvande allerdings für einen unbe
dingten zufallsreira, wie ich anderseits die von Bartsch (Unter-
suchungen s. 55) aufgestellten 'cäsurassonanzen' Burgonden :
landen. 2, 1.2, : schänden 232, 3.4, .• lande 1522, 1.2 ver-
werfe-— ganz abgesehen von der unpassenden bezeiehnung asso-
nanz für diesen möglichen typus des archaischen reinis. einen
oberdeutschen reim auf -onde{n) kann es ja überhaupt nicht
geben, also käme nur -nnden) überhaupt in frage, ich habe
1 ich eitlere, schon um der lesiirieii willen, nach der profsen ausijjabe
von Bartseli.
- über ihren vermutlicLen ursprnni.' s. unten.
242 SCHRÖDER
mir die mühe nicht verdriefsen lassen festzustellen, dass in der
cäsur -v)t(l('. 38 mal, -nnden 86 mal vorkommt, d.i. 1,3 o/o aller
cäsuren. dem entspricht denn auch die häutiglceit des cäsur-
reims: (jcsunden : vcrclnmnden 239, 1, 2, verdiKunden : fanden
1858, 3. 4, geminden : wunden 195G, 1. 2 (vgl. künden : wunden
254, 2, 3). nun kommt Burgo7ide I mal (2215, 31), Burgonden
32 mal (2, 1. 5, 3. 44, 3. 194, 1. 203, 1. 232, 3. 28S, 1.
442, 3. 562, 4. 740, 3. 767, 2. 992, 1. 1110, 1. 1156. 1.
1197, 1. 1208. 1. 1495,2. 1522, 1. 1569, 1. 1577, 1. 1686. 3.
1713, 1. 1718, 1. 1732, 1. 1736, 4. 2010, 1, 2012,4. 2043. 3.
2092, 1. 2122, 1. 218S, 1. 2371, 1) in der cäsur vor; hätte
der dichter Bargwulen gesprochen, so war hier eine besonders
günstige gelegeuheit zum cäsurreim geboten — aber der eine
fall 992, 1, 2 (obendrein mit überschiefsenden -n) spriclit ganz
gewis nicht für die absieht und kaum für die möglichkeit der
reimbildung. dass in der tat das wort Burgondr.n aus dem
reime ausgeschlosen war, werden wir feststellen, wenn wir dich-
tungen mit klingenden reimen befragen, zunächst sei noch con-
statiert, dass auch der Verfasser der aventüren-überschriften, der
nicht mit dem dichter (oder 'redactor'j des Nibelungenliedes identisch
ist', zweifellos die form Burgonden übernahm, wie die Über-
lieferung bei av. XXVIIf. XXXII bezeugt.
Unter den werken die in enger litterarischer beziehung zum
Nibelungenliede stehn, interessiert uns am meisten die Klage
hier bot sich für ein reimwort Burgunden die schönste gelegen-
heit: 21 mal begegnet der reimtypus -miden und dazu noch
14 mal -unde. allein niemals erscheint darin unser wort, der
versausgang auf Burgonden (man erinnere sich, dass das wort
in der cäsur der Nibelungen 33 mal erscheint) wird deutlich
gemieden, um so häufiger ist Burgonde(n) lant: 1S8. 288. 342.
463. 734. 1172. 1414. 1786. 1840. 1S97 usw. sieht sich der
dichter absolut gedrängt, den volksnamen in den reim zu bringen,
so braucht er Burgondcere 3300, oder er greift gar einmal zu
Burgenden 1557 (.• erwenden), wo dann eine der jüngsten hss., b,
durch Umstellung ändert {Burgunden : erwenden künden).
Ganz ähnlich steht die sache im Biterolf, der uns ja
bekanntlich nur durch die Ambraser hs. überliefert ist: wenn
Jänicke 811 schreibt ze Burgonje durch daz lant, so ist das
eine ungerechtfertigte concession an Hans Ried, der zwischen
Burgunden, Burgundi, Burgonic, Burgundüandt, Burgunilandt,
Burgunielandt wechselt; im allgemeinen hat der herausgeber gewis
richtig Burgonde{n) lant eingesetzt, denn auch hier wird das
' hier nur im vorübergehen ein hinweis: in dem sehr magern Wort-
schatz dieser Überschriften begegnet dreimal das verbum briaten für 'heiraten'
(av. X. XI. XXII); er ist dem Nibelungenlied und überhaupt der bairisch-
österreichischen litteratur fremd und scheint auf einen alemannischen
herausgeber zu weisen; ähnlich beurteil ich üereiten (av. XXXVI).
BURGONDEN 243
wort im versausgang: gemieden, der volksname erscheint im reim
stets a.\s Burgondcere (4703. 7743 12 321. 13 039i, so zahlreich
die möglichkeiten wären, ihn auf -unden zu binden!
Die fragraente von Walther und Hilde gund (Zs. 2, 217.
12, 281) sind zu wenig umfangreich, um das verhalten des
dichters festzustellen, immerhin lassen die beiden fälle I str. 7
Oiiz Ortivines lande durch Bm-fjonde dem und II str. 18 in der
Bürgende lant mit leidlicher Sicherheit neben der o-schreibung
auch die abneigung erkennen, das wort in den reim zu bringen;
niiiglichkeit zum klingenden reim auf -unden war hier gegeben.
Die form Bur<ionde{n) ist also für den dichter des
Nibelungenliedes und den litterarischen kreis der zu ihm gehört,
mit gewisheit ermittelt: und zwar handelt es sich nicht um eine
schreibform oder gar blofs um eine graphische Variante, sondern
um eine absolut feste sprachform, neben der wol Bim/endev,
aber gar nicht das zu erwartende Burrjunde{n) vorkommt, dass
man das bisher nicht mit voller klarheit erkannt hat, ligt offen-
bar daran, dass sich in den hss des Nibelungenliedes auch bereits
die formen konde. gonde, begonde für künde, gunde, hegundc
linden und so auch in unsere ausgaben übergegangen sind; in
der cäsur steht beispielsweise konde 1477, 4. 1692, 3; gonde
1696, 3; begonde 665, 2. hier aber ligt ein ganz bestimmter,
nicht lautlicher process vor, man beachte, dass sich in. diesen
hss. kein hont-Jionde, mont-tnmide, kein stände, woiule, kein ge-
sunden, kein gehonden, gewonden finden, die erscheinung ist viel-
mehr auf jene drei hilfsverben beschränkt und steht hier unter
dem einfluss von molde, lohte; icolte, solle; dorfle, forste, es ist
also formale analogie, und aus ihr darf die möglichkeit einer
lautlichen nebeniorm Bnrgonden neben Bxrgunden nicht gefolgert
werden, mögen immerhin in anderen alemaunisclien und bairischen
handschriften Schreibungen wie hont, geltonden gelegentli'ih vor-
kommen, für den laut gilt das germanische gesetz, dass vor nasal-
gruppe nur u und nicht o seinen platz hat. die form Ihirgonden
kann also nur aus der anderweitigen geschichte eben dieses
Wortes erklärt werden, nicht aus irgendwelchen erscheinungen
des vocalismus auf oberdeutschem gebiete.
Über die ältere Schreibung des Burgundennamens gibt jetzt
Schönfelds Wb. der altgerra. personen- und völkernamen s. 55 — 58
erschöpfende auskunft, so dass man die dort verzeichnete litteratur
(zu der allenfalls noch Wackernagel Kl. sehr, m 340. 380. hin-
zuzufügen wäre.) nicht heranzuholen braucht. es stellt sich
heraus, dass das o in der zweiten silbe zwar schon in der übei--
lieferung des Plinius auftaucht, sonst aber selten und ganz auf
jüngere hss. beschränkt ist. weiterhin hab ich in den Scriptores
rerum Merovingicarum. tom. I — VI bei über hundert be-
legen die o-form nur 2 mal im text und 2 mal in den les-
arten gefunden: I 86, 24 schreibt der herausgeber des Gregor
244 SCHRÖDER
V. Tours BtDyoridiove.s (v. 1. Bnrf/onione.s), 11 353, 10 hat die
Vita Saiicti Chlodovaldi (ms. saec. XII!) Burijoiulia; V 287. 6
laa. bcKcj^net Bunjondiae in einer Jüngern lis. der Passio Leude-
garii, \ 587, 7 laa. in einer solclien der Vita Filiberti, in diesen
wenigen fällen handelt es sich natürlich um französische hss.
Auf deutschem boden sucht man die form Bur/jondia.
Burgondii, Biirf/ondiones msw. vergeblich: mag man in den Monu-
menta (leimaniae historica und anderwärts den Einhard oder
die Annales regni Francorum; Ekkehard 1. Widukind oder Hrots-
with; Thietmar. Wipo, Adam, Lambert, den Annalista Saxo oder
Frutolf von Michelsberg; Helmold oder Otto von Freising; die
Annales Marbacensens, die Chronica Regia Coloniensis, dasChronicon
S. Petri Erfordense nachschlagen, überall trifft man nur die
altberechtigte und obendrein der deutschen spräche allein ge
mäfse form mit -und-.
Die deutschsprachliche Überlieferung des Wortes ist bis ins
13 jb. nicht eben reich, bestätigt aber, wie zu erwarten, den Sach-
verhalt, für den volksnamen ist einmal die ablautsform Bnr-
(jindori überliefert (Alid. gll. in Gll, 32 Schlettst.) ', im übrigen
bieten die glossen (Graff lu 20S) nur Burr/imfare uä. ins-
besondere ist dies auch die form des nach 1100 und wahrschein-
lich in Worms oder nicht allzuweit davon entstandenen Sum-
marium Heinrici (Ahd. gll. iv. 131, 25 ff), in dessen hss. daneben nur
noch die eine entstellende ab weichung B/iiriitare begegnet, die
Kaiserchronik bietet aufser Purgundla 7341 Burgunden 15 735,
wo ich aber das Btirgenden der Vorauer hs. vielleicht hätte be-
lassen sollen, und schliefslich Bargentriche 15 3S6, das die
Überlieferung sichert und auf das ich gleich zu sprechen komme,
für die Sächsische Weltchronik genügt es auf VVeilands register
zu verweisen; text und lesarten ergeben für den namen des landes
nur Burgunden, Burgundia (und composita, auf die ich gleich
komme), dazu jüngere formen (Purgani, Purgonl, Burgundi) in
der bairischen fortsetzung; das volk heilst Burguvdc.re 110, 21.
112, 0. 129, 22, wie in den ahd. glossen.
Das land resp. der Staat wurde in der alten spräche durch
ein compositum mit -Imit (Dudesch Bnrgentlavt Sachs. Wehr.
158, 31 ; Furguntlant Lohengr. str. 488. G59), .häufiger mit
-rtche bezeichnet: Burguntrlchi ist bereits für das ahd. gesichert
durch Burgundia regna Hrotswith Passio S. Gang. 21 und
Thietmar prol. in libr. V v. 5; für die mhd. zeit führ ich
an: Burgentriche{n) Kehr. 15 386, Burguntrikc Sachs, Wehr;
113, 5, Burguntriche Konrad Eng. 221 und Burg('vtrich{e) Roseng.
D 8, 1. 18, 2. 41, 2. 5(1, 2^. 51, 1. 45 1, 2. 554, 2. 568. 2.
' hier sei immerhin das ags. fU/i-r/endas {1 large/idaland) im ags.
Waldere und in Aelfreds Orosius erwähnt.
- die festigkeit der Verbindung wird hier durch dreimalige widerkehr
der formal gein Bargentriche erwiesen.
BURGONDEN 245
67*(, 3, Bargmürkh für Burf/itiiden setzt aiidi die jüngste be-
arbeitung der Kuiserchrouik iMafsmann WIKZ) 15735 ein. und
ebenso verfährt die hs. L. des Nibelungenliedes wideiholt in der
cäsur: 1569, 1. 1577, l, resp. deren absclirift g 16Sü, 3: Bitr-
gontriche. man beachte dass gerade in diesen festen compositis
widerholt die form mit e gut und ausdrücklich bezeugt ist : Kehr.,
Sachs. Wehr., Eoseng. D; es ist sehr wol möglich, dass die
form Bürgenden sich erst aus der tonschwächung der niittelsilbe
{Bürghuden, aber Bnrgeufrlche resp. -länt) entwickelt hat.
Jedenfalls haben wir auf diesem etwas umständlichen wege
festgestellt, dass in Deutschland vor dem Nibelungenliede und
auch nachher aufserhalb des vom Nibelungenliede beherschten
litterarischen kreises eine form Burgonden nirgends bezeugt ist.
lautliche berechtigung konnte sie in Deutschland allenfalls am
Niederrhein und selbstverständlich in den Niederlanden haben,
aber es ist klar, dass wenn sie von dort mündlich, mit der
sagenform eingeführt wurde, ihre Umsetzung durch lautersatz in
Burganden selbstverständlich gewesen wäre, es ligt also unbe-
dingt eine litterarische Verpflanzung des namens vor: der eigen-
wille eines autors hat diese für jedes oberdeutsche ohr fremd-
artig klingende form in unserem liede und damit in einem ganzen
litteraturkreis festwerden lassen, und fremdartig war auch die
betonung, denn neben vorwiegendem Burgonden wird auch Bur-
gonden gebraucht: in dem verstypus üz (in, von) Burgonden länt
264, 3. 567, 3. b29, 1 usw., weiter zm (von) Burgonden ddn
67, 1. 1474, 3; der Burgonden viere 2044, 2; der k'ünic von,
Burgonden, wo ich überall die schwere betonung ablehne, mit
der liedertheorie in irgend einer form verträgt sich die er-
scheinung insofern nicht, als eine Vielheit von personen an dieser
sprachlichen schrulle unmöglich beteiligt gewesen sein kann, es
steht fest: der name hatte in laut und betonung etwas exotisches!
Neben dem uiederfränkischen wäre nun ein anderes gebiet
für die herkunft der namensform zu erwägen: das romanische,
gewis nicht ohne Zusammenhang mit jenem niederfränkischen
Übergang u> o hat sich der gleiche im benachbarten ostfran-
zösischen gebiete vollzogen: so entstanden aus Faramundus >
Faramonz, ms Burgimdia > Bourgogne (dazu Bourgognoys; Bour-
gonogs, neben Bourguignon). wenn nun auch die classische form
Burgundia, Burgundlones noch weiterhin von den lateinisch
schreibenden historikeru beibehalten w^urde, wie etwa von dem
Burgunder Rudolfus Glaber in 11, von dem Wallonen Sigebert
von Gembloux im 12 jh., so mehren sich doch jetzt in den hss.
die anzeichen für ein eindringen der 'vulgärform' mit o: vgl.
etwa in MGSS. xxvi 522, 13 (Annalen von SMedardus in Soissons)
Burgondie oder die gleiche Schreibung in den laa. 306, 1 (Wil-
helmus Britto), 444, 18 (Weltchronik von Laon).
So könnte die form Burgonden so wol auf die nordwest-
240 SCHRÖDER, HURGONDEN
deutschen mundarten wie auch auf den Sprachgebrauch fran-
zösischer historiker zurückgeführt werden, dass ich beides zur
erwägung stelle, hat seinen grund darin, dass ich tatsächlich
selbst nicht dazu gelangt bin mich zu entscheiden, nur soviel
fühl ich heraus und glaub ich wahrscheinlich gemacht zu haben:
es ist auf jed^n fall eine litteraiische form, ob sie nun aus
einem andern dialekt des deutschen sprachgebit-ts in die südost-
, deutsche Nibelungendichtung verpflanzt oder aus der gelehrten-
sprache der französischen geschichtsschreibung bewust über-
nommen wurde.
^Vichtiger als diese frage ist aber eine andere, die sich
sofort anschliefst, war es würklich nur die namensform, die
damals, im 12 oder gar erst im anfang des 18 jh.s, aufnähme
fand? handelte es sich nicht vielmehr um namen und begiiff
des Burgundenvolkes überhaupt? man stelle sich einmal vu-,
dass die sage und ihre ältei-en litterarischeu fassungeu duich
Jahrhunderte hindurch den lUirgundennanien in der etymologisch
berechtigten ^ und lautlich allein möglichen form Burgunde{n)^
Burguiulcere (und daneben allenfalls Bürgenden, Burgendcere) be-
wahrt hätten, wäre es dann wol möglich gewesen, dass ein
einzeldichter mit der eigensinnigen einführung der form Bur-
gonden nicht nur bei den zahlreichen Schreibern seines wei'kt-s
sich fast widerstandslos durchsetzte, sondern auch, wie die Klage
und der Biterolf zweifellos bewiesen haben, in der angrenzenden
litteratur gewissenhafte nachahraer fand?
Dass der 'Nibelungensage' der Burgnndenname zeitweise
ebenso verloren oder veiklungen war, w-ie der Dietrichsage
dauernd der nanie der Goten, der Wolfdietrichsage der der
Franken, ist eine tatsache die sovvol durch die Zeugnisse des
nordens (wo vinr Borgunda Akv. 19, 4 isoliert steht) wie
durch das lied vom hörnen Siegfried hinreichend festgestellt wird.
es hat unzweifelhaft eine historische auffrischung des alten
sagenstoffes stattgefunden, bei der auch nanie und begriff der
Bnrgunden neu belebt wurden, diese einführung kann allenfalls
der österreichischen Nibelungendichtung die wir besitzen voraus-
liegen: aber keinesfalls so lange, dass sich bereits mit ihr der
Biirgtnulen-x)s.men verbreitet hatte; das wahrscheinlichste ist,
dass der name des Volkes erst durch eben den mann wider ein-
geführt wurde, der dafür alsbald die preciöse form Burgonden
wählte: denn nur so vermag ich mir den erfolg zu erklären,
den er mit dieser laune erzielt hat.
Als ich vor Jahresfrist zum ersten mal vor der form Bi<r-
gonden stutzte, hatte ich unwillkürlich die idee. das müsse doch
wol mit der 'Nibelungias' zusammenhängen, die ich bereits (nicht
ohne kämpfe) wider bei seite gerückt hatte, dass und warum
sich mein fündlein als stütze für Roethe^ these nicht brauchen
lässt. dürfte aus obigen ausführungen deutlich hervorgehn.
E. S.
24T
ZUR KRITIK VON HARTilANNS BÜCHLEIN. Zunächst
mücht ich aus dem Wortschatz Hartnianns — uud mit vorbehält
aus dem mittelhochdeutschen Wörterbuch überhaupt — ein äVfai'
evgr;ix€vov ausschalten: 'krützouhef lci04. die stelle ist so
zu lesen:
1 Diu krüt sind dir unerkant:
also sint si genant,
milte zuht dierauot.
ez ist kein zouber so guot :
1305. swelich saeliger man
diu driu krüt tempern kan
darnach als in gesetzet ist,
daz ist der rehte zouberlist.
bei ez ist kein . . . verfiel der sohreiber unwillkürlich auf das
eben vorhergegangene Icrfd und corrigierte sich dann aus der
vorläge mit zouher, unterliefs aber, wie wir das so oft beob-
achten, das erste wort auszustreichen, und so entstand ein
scheinbares compositum krützouber, das er selbst schwerlich
beabsichtigt hatte, — obendrein ein schlechter vers.
Für die verse 831 des winters meisterschaft und 845 von
des ivinters haut, die jeder eine hebung zu wenig haben ', hat
Haupt einen besseiungsvorschlag unterdiückt. obwol er (zu 831)
für beide das fehlen eines beiwortes feststellte: er wollte also
weder entscheiden, ob das adjectiv bei winter oder bei )iieisier-
schaft resp. ]iai(t fehlte, noch gefiel es ihm, ein bequemes, ge-
läufiges wort (wie etwa kalt, herte, swcere) zu empfelileu oder
gar einzusetzen; Bech kannte solche bedenken nicht und schrieb
kurzweg beidemal des swoeren icinters. nun kann es sich unmög-
lich um den einfachen 'ausfall' des beiwortes bandeln: das zwei-
malige fehlen kurz hinter einander schliefst den zufall aus das
adjectivum, das Hans Ried bewust fortliefs, war offenbar beide-
mal das gleiche, uzw. ein solches das ihm nicht geläutig. viel-
leicht gar fremd war; dies könnte zutreffen für das uns so
bequeme strenge, ein wort, das bei Walther, im Nibelungen-
lied und in der Kudrun ganz fehlt (gewis auch noch bei
anderen ostbair. und Österreich, dichtem, die ich nicht nach-
prüfen konnte), dem wertschätz Hartmanns aber angehört, vgl.
aHeinr. 597, Greg. 3020. ich schlage also vor zu schreiben
831 des (strengen^ icinters meisterschaft, 845 von des /strengen}
winters hant.
Noch an einer dritten stelle möcht ich das gleiche beivvort
ergänzen. 1875 Froice, ja hat dln strit sünde an mir be-
gangen (wo sich Bech mit der bei ihm sehr beliebten ergänzung
(der) du strlt begnügt), schlägt Haupt dln (stceter) str'd voi-;
' auf die dreihebig stumpfen verse Hartmanns wird man sich im
vorliegenden falle wol nicht berufen wollen.
248 SCHRÖDER, KRITIK VON HARTMANNS BÜCHLEIN
dhi (strenger) strit dürfte sich mehr empfehlen, bes. ii» hinblick
auf Wig. 7487 f: ouch was diu frouvx JaphUe nilit stremje
nn dem strtte: vgl. auch Böse frau 164 f: st ivart mir nie so
strenge, si werde mir noch strenger.
297 ist das von Haupt-Martin und Bech (nach Wackernagels
Vorschlag) durch erzücket verdrcängte erkücket der hs. schon vom
Mhd. wb. I 893'' in seinem rechte geschützt worden, nur wird
man statt der bair.-österr. M-form bei dem Alemannen Hartmann
eher 'erkicket schreiben müssen. — 020 Zwierzinas besserung
harte wol für vaste wol 2s. 45, 356 kann ich damit stützen,
dass HRied auch anderwärts vielfach harte durch vast ersetzt:
so Nib. (ed. Bartsch) 85, 3. 643, 2. 772, 2 (vast wol\) 1279, 4.
1479,2. 1708,4, — 1395 daz s7 min (swcerez) leit mit also ringem
muote treit hat Haupts ergänzung gewis das richtige, von ringe
(vgl. zb. Greg. 38 ff. 2502 ff. 38 K», Iw. 4264) geforderte wort
gefunden, aber der vers ddz sl min swärez leit ist sicher noch
nicht in Ordnung (noch weniger freilich Bechs ddz si daz min
leit); im hinblick darauf dass Ried widerholt für herzeleit ein-
faches laid einsetzt (so Iw. 1980, Nib. 1796, 4), hat es kein
bedenken zu schreiben daz sl min (sivoirez herze^leit^. — 1471
Lachmanns gewaltsame änderung daz ich 'wcetlirh' werde wert
st. von leichtem ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil Ried
dem iv(Btlicli{e) seiner vorlagen sonst niemals aus dem wege
geht, sondern es zumeist mit icai/delich(en) widergibt, s. Bartsch
zu Nib. 22, 4. Bechs Umstellung da von ich lihte werde
wert trifft hier gewis das richtige. — 168S les ich statt
Lachmanns lücer ich (in} ortende {ormende hs.), dessen deutung
durch Bech ich übrigens nicht versteh, lieber wcer ich (von)
Oriente, gemeint ist wie 209 f: und ob ich wcere ein heiden
von der kristenheit gescheiden. — 1882 vil bdz gelangen ist ein
für Hartraann unmöglicher vers. der Iwein hat unter 63 be-
legen für baz nur ein vil bdz (so wcer im vil bdz geschehn
6512) und ein vil diu bdz 4395, aber zweimal verre baz (683.
887 f, dazu vil verre deste baz 2622), im aHeinr. begegnet
€in verre baz 854; aus dem Erec hab ich mir notiert vil bdz
346. nlht vil bdz 6593. 7161; aus dem Gregor nur michel
haz 2361 — nirgends ein vil bdz. verre baz ist auch ander-
wärts das geläutige: Walther 28, 36. 79. 24 (daneben vil bdz
18, 7). Nib. 685, 1 usw.
* ebenso les ich auch im sog. II Büchlein v. 141 für aller hande
'.her;e)leit.
E. S.
DIE VORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL.
Über die {griechische vorläge der gotischen Bibel hat in neuerer
zeitFr. Kauf f mann in einer reihe von aufsitzen ' geliandelt. dann
hat WStreitberg im j. 1908 seiner schönen ausgäbe der gotischen
Bibel einen abdruck des vermutlich von Wulfila übersetzten textes
nebst kritischem apparat beigegeben, an dieser reconstruetion hat
A Jülicher nicht unerhebliche ausstellungen gemacht- und da-
durch widerum F^r. Kauffmanns lebhaften Widerspruch^ gegen seine
kritik wachgerufen, das problem ist bedeutsam genug, um nicht
liegen gelassen zu werden, und der folgende versuch soll an einem
bestimmten beispiel zeigen, in welcher riclitung etwa weiterzuarbeiten
ist. dazu muss freilich zunächst vom grundsätzlichen ausgegangen
werden.
Die Sicherheit der reconstruetion jeder Übersetzungsvorlage ist
abhängig von unserer kenntnis der textgeschichte des Originals,
und diese ist ihrerseits gemeinhin bedingt durch unser wissen um
die Schicksale der Übersetzungen, das gilt für alle antiken werke
mit weitverzweigter Überlieferung und im höchsten mafse für die
Bibel, aber dieser circulus vitiosus hat die forschung nicht ab-
g'eschreckt, und es gilt durch herzhaftes zupacken und methodische
arbeit die fehlergrenzen auf ihr geringstes mafs zu reducieren:
dass sie nie restlos zu beseitigen sind, also stets ein quantum
Unsicherheit übrig bleiben wird, darf freilich nicht vergessen
werden.
Streitberg hat v S o d e n s arbeit über die textforraen des
Neuen Testaments für einen in methodischer hinsieht genügend
sicheren grund angesehen, um darauf seine reconstruetion aufzu-
bauen, für die er ferner das material im einzelnen 'l'ischendorfs
Editio octava maior sowie Sabatiers Sammlung entnahm: und
dieses vertrauen auf die leistung vSodens ist bis zu einem ge-
wissen grade seinem eigenen werke verhängnisvoll gewurden, denn
unbeschadet alier bewunderung, welche das Organisationstalent und
i Zs. f. d. phil. 30, 145 ff 31, ITT ff. 32, 314 ff. 35, 433 ff. 37, 352 ff.
2 Zs. f. d. alt. 52, 365 ff. vgl. 53, 36"J ff.
3 Zs. f. d. phU 43, IIS ff.
Z. F. D. A. LVI. N. F. XLIV. 17
250 LIETZMANN
der fast 20 jähre zäh ausdauernde, entsagungsvolle fleifs de&
Berliner gelehrten verdient, nuiss gesagt werden, dass sein werk
in der hauptsache ein fehlschlag war^. die classenabteilung ist
verfehlt, desgleiclien die methode der herstellung des urtextes, und
im einzelnen sind die angaben von beträchtlicher unzuverlässig-
keit. als bleibenden gewinn dürfen wir vor allem eine genauere
kennti)is der geschichte des byzantinischen textes buchen, wir
müssen also auch für die gotische Bibel die grundlage in gröfserena
umfange erst selbst legen, als es nach vSodens arbeit anfänglich
nötig scheinen konnte, und als ausgangspunct dafür — wie über-
haupt für die neutestamentliche textkritik — empfiehlt sich der
text der paulinischen briefe um ihrer in jeder beziehung ein-
facheren Überlieferungsverhältnisse willen, nur von ihnen soll im
folgenden die rede sein.
Seit JJGriesbach teilt man die zeugen des neu testajn ent-
lichen textes in drei classen, die sich auch geographisch ein-
ordnen lassen: eine ägyptische, byzantinische und occidentalische.
die Überlieferung dieser classen ist aber keineswegs gleichartig^
und darauf muss sofort hingewiesen werden.
Die ägyptische classe ist vertreten durch die grofsen
uncialbibeln des 4 und 5 Jahrhunderts: BAC und den Sinaiticus^
den ich S nenne -. dazu treten die ägyptischen Übersetzungen :
die bohairische (== bo), zwar handschriftlich erst seit dem 12 jh.
erhalten, aber mit vorzüglicliem alten text, und die eigenartige,^
durch alte handschriften seit dem 5 jh. überlieferte oberägyptische
in sahidischem (= sa) dialekt. vollständige commentare zu den
paulinischen briefen sind uns aus Ägypten im original nicht er-
halten, so dass wir auf bruchstücke und gelegentliche citate bei
ägyptischen vätern — insbesondere Origenes, Athanasius, Didymus^
Kyrill — angewiesen sind.
Die abendländische classe wird durch die 'Itala' in ihren
mancherlei Schattierungen vertreten, das reiche citatenmaterial der
lateinischen väter hat Sabatier in seinem bekannten werk ge-
sammelt, welches natürlich jetzt erheblicher ergänzung bedarf,
commentare zu den paulinischen briefen haben um 380 der sog.
' näheres in meinen anzeigen Zs. f. neutest. wiss. 8, 45 ff. 15, 323 ff;
s. auch RKnopf GGA 1917, 385 ff.
2 Streitberg nennt ihn Sin, Tischendorf hat ihn leider X getauft.
DIE VORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL 25,1
Ambrosiaster und um 400 Pelagius geliefert: der text der letzteren
ligt z. Zt. noch unediert in Karlsruhe, der griecliische text dieser
classe ist vornehmlich durch zwei handschriften ' erlialten, D und G;
beide sind zweispnichig — griechisch- lateinisch — und im Abend-
land von Lateinern geschrieben, der Claromontatius D entstammt
dem 6 jh., der Boernerianus G dem 9 Jahrhundert, neben diesen
Codices, welche zugleich die einzigen vollständigen Italahss. des
Paulustextes sind, existieren noch kleinere fragraente, die zumeist
hier aufser betracht bleiben können, darunter jedoch eine lateinisch-
gotische bilingue, von der noch die rede sein wird, durch
citate können wir diesen abendländischen text bei den lateinischen
Vätern durch das 4 und 3 jh. bis hinauf zu TertuUian um 200
sicher verfolgen.
Ganz anders ligt die sache bei der dritten, der antiochenisch-
byzantinischen classe, die für uns von grundlegender bedeutung
ist, weil ihr die gotische Bibel angehört: diesen typ nennt vSoden
die Koine (= K*). die ältesten hss. sind KLP aus dem 9 jh.,
denen sich dann die ganze fülle der jüngeren Codices bis zum
16 jh. anschliefst. in der auseinanderlegung dieses riesenhaften
Stoffes hat vSoden hervorragendes geleistet, aber schliefslich —
ebenso wie sonst — den entscheidenden fehler begangen, die ge-
fundenen resultate in die Vergangenheit zu prnjicieren, ohne die
würklich vorhandenen zeugen der früheren jahihunderte voll heran-
zuziehen, vielmehr werden vätercifate und Übersetzungen des 4
und 5 jh s nach den mafsstäben eingeschätzt, die aus den Codices
des byzantinischen mittelalters gewonnen sind, und ihre besonder-
heiten als belanglose abweichungen weggeworfen, das hat sich
echwer gerächt, es gilt zunächst einmal die tatsache zu würdigen,
dass wir keine handschrift der Koine des 4 oder 5 jh.s besitzen
und dass unsere handschriftliche Überlieferung erst 500 jähre nach
300 einsetzt: das will bei einem so beweglichen text wie dem
neutestaraentlichen etwas ganz anderes besagen als bei einem
normalen litterarischen werke, lehrreich sind da die katholischen
briefe: die bibeln, welche im 4 jh. in Syrien und Kleinasien in
gebrauch w^aren, enthielten deren nur drei: Jakobus, i Petrus,
I Johannes; das steht durch die Peschito und die vätercitate fest,
wir besitzen keine einzige bibelhandschrift, die nur drei katholische
* ihre abschriften E und F bleiben aufser betracht.
17*
252 LIETZMANN
briefe enthielte: überall zeigt sich die alexandrinisch-palästinensische
siebenzahl, mit andern worten: es ist uns keine reine Koinehs
der katholischen briefe erhalten, das mahnt zur vorsieht auch bei
den Paulusbriefen, wer den antiochenisch-byzantinischen text in
der gestalt des 4 und 5 Jahrhunderts gewinnen will, darf sich
nicht auf die jungen handschriften allein verlassen, sondern muss.
alle älteren zeugen in vollem umfang i)eranziv.hen. nur dann
dürfen wir hoffen, den würklichen tatbestand in seiner ganzen
raannigfaltigkeit — die ja im vorliegenden fall sehr wesentlich
ist — soweit zu erfassen, als es mit der trümmerhaften Über-
lieferung möglich ist.
Am beispiel des Galaterbriefes mag das, wenn auch in be-
schränktem mafse, gezeigt werden, ich lege Nestles text zu gründe,
einmal, weil er in aller bänden ist, sodann, weil er im wesent-
lichen die ägyptische textform widergibt, von der sich die Keine
gerade sehr charakteristisch abhebt, damit sind folgende zeugen
verglichen ^ :
KLP: die drei ältesten Codices s. IX nach Tischendorfs aus-
gäbe.
Johannes Chrysostomus homilien zu Gal. nach Fields aus-
gäbe (Oxford tS52): doch eitlere ich wie üblich nach paginae
Montfaucons, die Field am rande gibt; Giffords arbeit in den
Dissertationes Halenses XVI l habe ich zu rate gezogen,
dabei ist zu unterscheiden
Chr = das lemma, dh. die erstmalige anführung des er-
klärten textes, die nicht unbedingt sicher den text des
Predigers bringt; gelegentlich sind diese lemmata
später nachgetragen, namentlich gröfsere stellen am
anfang der homilien.
Clirys = der iiu Wortlaut der predigt angeführte bezw.
widerholte oder erläuterte text, der also sicher dem
Johannes zuzuschreiben ist. die predigten sind zwischen
3S8 und 398 in Antiochia gehalten.
Theodoret biscliof von Kyrrhos. nordöstlich von Antiochia, schrieb
um 420 einen in vielen hss. überlieferten, aber noch nicht
zuverlässig herausgegebenen commentar zu den paulinischen
briefen. ich benutze die einstweilen beste ausgäbe von
Nösselt t. III
* ich habe jede coUation nur einmal gemacht und die notate bei der
eorrectur nachgeprüft: das genü.te für meinen zweck, obwol es nicht
ausschliefst, dass Varianten übersehen sind.
DIE VORLAGE DER GOTISCHKN RlBEf. 258
Th = lemma bei Theodoret.
Tlieo(lt= sichere iesart des commentars.
pescli = die Peaeliito, die in der syrischen kirche seit
dem f) jh. gebrauchte, wahrscheinlich um 420 von
bischof Kabbuia von Edessa verfasste Übersetzung, sie
ist uns in hss. seit dem 5 jh. vortrefflich erhalten und
nur wenig durch Varianten getrübt, Gwilliara hat 19Ü1
eine kritische ausgäbe der Evangelien \ eröffentlicht;
der Apostolos steht noch aus. ich benutze die aus-
gäbe der amerikanischen bibelgesellschaft (New York
1878), deren text Gwilliam in den Studia biblica et
ecclesiastica III (1891) 551" als ein gutes beispiel des
ostsyrischen typs bezeichnet hat. Tischendorfs notate,
die auf der lateinischen Übersetzung Schaafs beruhen,
geben hier wie bei andern ver.sionen keine vofstellung
von der würklichen textform, notiert sind zunächst
ohne reflexion alle abweichungen, wofern nicht ein
handgreiflicher 'Syriasmus' vorlag.
pal = die sog. palästinensische überset;iung in nord-
palästinensischem dialect, welche nach Kurkitts aus-
fühningen im Journal (»f theological studies 2, 174 ff
in der Umgebung von Antiochia im H jli. entstanden
sein mag. zum Galaterbrief sind nicht unerhebliche
bruchstücke in hss. des 8 jh.s erhalten, die in den
Horae Seraiticae VIII = Codex Climaci rescriptus von
ASLewis ediert sind (= pal'): ergänzungen dazu
finden sich vor allem im VI bände der Studia Sinaitica
(= pal-): pal' umfasst Gal l i—i?,. 3 20 — 4?.
4 15 — 5 12. 0 24 — 6 12, pal 2 3 24 — 4; und 6 14— is.
go = die gotische Übersetzung ist nnter diesen grofsen
zeugen der Koine der älteste, da gegen 3r)0 ent-
standen, und nördlichste: ihre heiniat ist die bul-
garisch-rumänische üonaiigrenze bei Plewna. sie um-
fasst in sich teilweise ergänzenden stücken aus zwei
handschriften A und B (s. weiter unten) den Galater-
brief zum gröfsten teil: es fehlen nur 1 s-10.
3 6 b— 26.
In der folgenden Variantenliste steht vor der klammer J die
^ägyptische) Iesart des Kestleschen textes: wo eine der grofsen
ägyptischen hss. SABC mit der Variante des Koinezeugen geht,
ist das bemerkt; correctoren (S*^ B*^ etc.) sind nicht berücksichtigt.
1, l dl dvlf(j(b7iov] Öl fivl^QCÖ;iiov Chrys cf. (iöij^^ ü'J4^'
3 y^dgic] äydnr^ pal
;rai(j6c t'nijjv y.ul y.vQiov P ChrJ ;iuiuitQ y.(ti y.vqiov
i)uGjv BKL Th go posoh j)al, um. itulir Chrys GG2'^''
2n4 LIETZITANN
1, 1 vjikQ Clirys üli3^ Cü5 *^ go] yrfpi SA KLP [pesch pal|
Tof uLMvoc jov fviarwioc] toü ivtaxiöiog ctlCJvoc
KLP Clnys CG3'='i G(;r>^ Th go, toü alcjvog tov-
lov pesch
xai vor //aT^öc] om. pesch
5 Töy ft^wvwr] om. Chrys 6(35'^ 666'* go
6 ort oj?/wcl yfcDc pesch
' lueTUTi!/fo!}^f\ + fr rrü vqj i\uöiv pal
A'^ptrTror] «"/foil Theodt
7 ä?J.o] om. pesch
/.itTanrgfifi((i\ nfTCtrQhpui K avarof't/'ca Clirj'S 06S * *"^
S äAAd] ow. pesch, die etwa y.ai yag eäv widerj^ibi
y.al fdv ii)ueic] ymv iyoj Cbr, aber Chrys 671'' para-
ph rasiert t)^£tg
€vayye).ilrjTiii vfiiv L Chr Th evayyeXitsrai. vfilv
KP "
■jcaq^ 0 £vayys?.ionfieita i'uh'\ jcuq' 8 7rc(Q£).nßeTe
Chr (nacli v. 9j aber Chrys 670*^ eäv zig vfiüg €v-
uyyflioi^rcct, jcuf) ö tiuyys/.iocqietya vuäg
vßTv'^'\ om. Th
i) 7TQoeLQi]y.uiUv\ 7rQO£iorf/.u S pesch
Xeyiü] ).Eyo!Xf-v Th
si T/c] ö(UiQ pal
10 si] + yuQ KLP Chrys G?!'»*^ Th pesch pal
11 ycig] de SA KLP Chr (var.) Th pesch pal: om. Chr
dÖe)jfoi] om. P
yard dv!^Qn>/rov] jcuq' dvit^Q(h7T0v pesch pal
12 ovöe V Chr Th] ovie B KL
14 7ieQiaooteQiog\ praem. v.ai pesch pal
%(x)v 7TO.iqv/.G)v i-iov 7rctoccö6oeiov] jf^g 7caTQiy.rjg (lov
7ra()cidöoec()g pesch pal
15 ök] om. pal
evöö/.rjoev pesch] + o ^sög SA KLP Chr Th pal
18 €7ceiTu] y.al pesch ? aber vgl. v. 21
TQice irr] P Chr pesch pal] eu] rgia B KL Chrys
680^ Th
Kr}(rüv] netQOv KLP Chrys 677^6 67S^ Th
e7rf'ßei.vu] V7reueiva P
19 iiegov de] praem. yal pal
20 loC ^eoC] y.vüiov P
21 xf^g vor l\ih/.iac\ om. Chr G79^, nicht Chrys 679 '^
22 öe] yuQ Chr, 'und nicht bekannt waren mir von gesicht
die gemeinden' pesch
Tüig ev XüLOioj] om. Chr
23 fiiövov de] + tovto pesch, öe om. go
24 (ööta'^ov fv ifiol KLP dir Th pesch] iv i^iol edöia'Zov
'go (DG Latt)
DIE VORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL 255
5, 1 eiittxu] +' Ö£ Chr var.
Ttdliv aveßrjv KLP Th] avißr^v yrdhv go (DG aetli):
7td/.iv om. Chr pesch
YMi vor Thov] om. pesch
2 y.üi dvedei^a toTq öo/.ovoiv slvai xi /.at' Idiav
pesch
3 d//.ä] OHi. pesch
l TraQSiod'/.TOvc] otu. pesch
tva 7^/täe Y.aTadov'/.vjoovan'] om. Chr (nicht Chrvs
6S2'"i)
y.aradov/MOovGiv P?] x«T«(5oi'/a)(Jwvra« KL Th goV
6 jTOTfi] o?H. pesch V
d ,^£dc? P Chr] &söq BC KL Th [go]
irqöoiOTtov d^sög dvl/gcörrov KLP Th] 7cgöai07Cov
dvO^QCOTtov 6 ^£Ög Chr 683*^ ^sdg ydo TTgöotOTCOv
dvd^Qcb/rov pesch ^eÖQ dv^Qcbicov /rgöotovcov go
(DG La«, aber auch •?' 46j
ydg] om. Chr 6S3 '^. aber es steht im volleren citat
684^
oL öoxovvTSc] oSroi pesch
7 iöövT£c] siööreg CP
y.cid^d)g rieToog Ti]g :r6QiT0uf^g] om. K, 'wie betraut
wurde Kephas mit der beschneidung' pesch
8 . nSTQO)] TliTQOV L
elg rd eD-viq\ elg drtooro/.Tjv tcüv eO-vCJv pesch
9 ydgn'] + Tov Xqlotov Chr var. Chrys (+ tov v.vqiov
und + TOV S^eov Chr var.)
'Idy.toßoQ y.ai Kr^cfäg y.al hodvrjg KLP Chr Th pesch]
nergog y.cei 'Idy.coßog y.al 'hodvr^c Chrys 651)''
(685'' var. Krjfpäg) go
y.oivcoviac^ stellt hinter dsüdg pesch
10 d\ om: pesch ?
jcttfj om. go
11 Kr^fpäg P] nixQog KL Chr go
drt y.aTsyvcoouevog f^v\ 'denn sie wurden geärgert durch
ihn' pesch
12 ovvrjGd-uv] rja&uv go ? pesch V
«ai^rdv] stellt nach vriEarsllev pesch
13 yMi Gwvrrey.Q. a. z. oi /. 'lovöcüoi] om. Chr, aber Chrys
689^ kennt die worte
avvvrtey.QL^r]oav] avvv7r€vdyrj(Jccv pesch?
wäre y.ai Bagvdßu avva^rax^fivai P
y.ai^-^ vor loLTtoi und vor Bagvdßag] om. go
avTÖiv rfj vno/.QiOEi] xfj vrtoy.qlOEi avTÖiv P go
(DG 'Latt)
14 TTQÖg rr^v dh]i>&iuv\ iv rf] dXr^i^sin pesch
Kr](fa] nerQO) KLP Chr go
25« LIETZMANN
2, 14 y.ui Ol/. {'oidccr/.öJc L'vjc P] Lfjc y.ai oüyt iovdctiy.iöc
KL Chrys G8S^ GSD^b (öiiy.) pescli g<)
./tjc 1' pesch go] t/ kl Chrys «88^ tiS'J^ Tli
15 y fiele] + 7ä(> go (arm), ei yäQ i)uerg pesch
tf'vaei] om. go
Voi'()«rof] H- uvrec go pesch (?)
Ifi de L go] 0///. KP Chr Th pesch
dixccioCicti] ör/MU')!fr<UTUi Chr 690^ (nach dem fol-
genden), nicht GDü'^
*o)'] et Chr
XqlöxoC JtjooC] Ir^ooi Xqujiov SC KLP Chr Th
pesch go
\Qiai6v li^aovv\ 'J}]Oovv Xqiotöv B pesch, Xqioxöy
Chr
öixc(iv)D^GJuev\ stellt hinter XqloxoD '\\\ pesch
tva bis oäQi\ om. Chr
A'pmrot; '-] + 'Ir/Ooü go, praetit. 'Irjoov K
ÖTt^ öiÖTi C KLP Th
f5 ^Q-j'iov röfiov Ol) diy.unoOi'jOeiai P pesch ?] ov
öiyMtioi}i]aercii ei eoyiov vöfiou KL Th go
17 Xqiotöc] praem. 'lr](Tovg pesch
18 « v.ccxeXvaa, TctvTu\ ö /.. tovto go
Tuvta 7iä/,iv\ 7c<ikiv ravtu pesch
7CC(QaßÜTrjv] + rf^g ivTo).i]Q pesch
ovvioidvio P] GvviarrjUt KL Chr Th [ stellt vor ifiav-
TÖv pesch
10 Iva] + yäg Chr zuerst, danach aber nicht: er verbindet
jedoch iva -D^ecö Lrovy mit dem folgenden.
20 de*] ovv go 'und nun' pescli
iruQCcdövTOc] öövtog Chr
21 üoa\ om. pesch, + /.ul go
8, 1 eßdo/Mvev Chrys peschj + tTj d?,r]0^£i^ fxrj neiOeoi}ctt
C KLP Th go
ioTUVQiouevog pesch] praem. iv vfxiv KLP Chrys
694^ 605 e Th go
3 evagtäfievoL bis eniTeUlaDe] om. K
(1 /.ut/üjc] + y.cd go (Matlh, d)
7 dpa] /ä(> P
utot eloiv Chr Th] ftffJv i^iot K(L)P
8 de] 7a(> Chrys 698^'* pesch? ] 'weil nämlich vorher wüste
Gott, dass durch den glauben gerecht werden die
beiden, verkündete er vorlier dem Abraham, wie sagt
die heilige schritt' peach
evev'/.oyriO^raovrai ev ooi\ ev (Joi evXoyi]i}i^00vxuL
Chrys tJ9S «^ (^99^
9 arj'l ev pesch
DIE VORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL 257
3. 10 yi.yQaTr.Tai yüq ort e7tLv.aTäQaT0Q\ eTtiyMzdpaTog yäo
dir 699 b ^ . "
6ti\ om. KL Th
7cäg ög ovv. ififiivEi jcäaiv roig yfyga^^ivoig ev toi
ßißlioj Tov vö/j,ov {rov noif^oai avTd)\ iiäg 6
lii] 7coiG}v 7cävTa rä yeygafifteva ev ito vöuia
rövTOi pesch
7täoiv\ praem. iv AC KLP Clir Th
vöiiov] + TOVTOv Chr
11 jraQa rcL ^so] om Chr.: jcavil jcov Chr nur scheinbar
vgl. Gifford.
Sti-\ + yeygajcrai pesch
ÖTt 6 cf. Chrys 699^] 6 de Chr (599 <^, aber er citiert
Habakuk
12 üVTä P Chr 699 'i] + äv^ouycog KL Th: tu yeyqau-
fxeva ev avxvj pesch
13 XQiOTÖg r^fxäg] fjuäg öe Xgcorög pesch
ort yeyQaTTtai] yeyQa7ixai yäg S KL? Chr Th pesch
14 'Irjoov Xqloto) pesch] XotaTiü 'lt]Oov AC KLP Th :
Tcj XoiGTiü Clir 700*^^?
j Idßiüfiev] J.üßcjOL Chr
15 öntog] ÖTi pesch
•Aey.vQioiieviiv\ 7tQ0'/.eycvQCJfi£V7]v Chrys 700*^ 701'^ (var.)
IG ös] om. Chr
rfTreouaoiv] + avrov Chr : + aov pesch
«ZA' u)g ecp' ivög y.al tv) Orregiiari aov] d)j.a. t(.[
oiteoßari gov ojc ecp' ivög pesch
17 i^eov P] + eLg Xqioiöv KL Chr Th pesch
TSTQa/.öaia y.al rgidy.ovra e'ii] P Chr pescli] i'tr]
TETQay.oöia y.al jQidy.ovra KL Th
oty. dy.vQOL\ 'vermag nicht aufser kraft zu setzen" pesch
stg t6] y.al pesch
IS ydg] ÖS pesch
19 xQv 7raQaßd(J£iov] Tf]g Tragaßdoecog pesch
.rQoaerei/r^] edöOr] Chrys 702 ^9
axQig rh'] äygig oi Chr Th
öucTayetg] add. 6 vöuog pescli
20 evög] elg pal
21 SV vÖ!.i(p UV tfv B €/. vöfxov dv r]»' AC ix vöuov t^v
UV S] dv SA vduov ■fjv KLP Chr Tlieodt
22 Ttt] om. K
'irjGov Xqiotov] ev Xqioto) 'Ii]Oov L
2a V7cd vöuov icfQOvooviisO-a ovyy/.eiö/.ievoi] V7cd vöuov
ovyy.sy.lsioiisüa (fgougovßsvoi- pal : 'war das ge-
.: setz uns behütend, in dem wir eingeschlossen waren"
pesch
258 LIETZMANN
3, 23 ovy/./.tiöfisvot- P] avyy.fy.Xtiai.ievoi G KL Cliiys 703*^ VW
d:jioy.ci?.v(fy'h'jVat\ -|- etg fjuäg Chr pal
24 i^/tiüv] i)uTv pesch pal
X()iaiöv\ praem. '/r](Tovv pal
2.") ovxfTi] oi'x pesch [nicht pal!|
f(Tfi£v\ eOTe Clirys 704", nicht 10:^"^
26 öiä ri]Q 7naTfLi)Q\ Ölo. /lioieioQ rfjg Chr 7(»4'': J/d
7riaT£U)Q V
' h X()iarq) 'It](Tov] om. P : iv 'IrjGov Xgcaro) pesch paf
27 yäg] öe pal ' : om. pal 2
28 -/Ml] 7] Chr 704 b go ?
sie] tv go Chr var. (DG Latt, Basilius Ps. Theodoret)
XgtrfTO) !t]GoC\ 'Irjcrov XgcOKo pesch pal
20 ei df-] 'und wenn' pesch
X(}i<JioC] rov Xqigtoü Chr 704'^: ev Xgcarij) pal ^
(nicht pal ')
a7reQfia\ ojceQixuroQ B pal
y.at' pal] y.ül y.ar' KLP Chr Th pesch go
i7tayy£)dav\ inayys).iaQ (plural) go
4, l öh] om. pal - (nicht pai ')
2 ioiiv ycci o(y.ovöfiovQ] y.ctl oly.ovö[xovg eaziv Chr
704 d
TTüTQÖc] + cdrov pesch pal
3 ött\ + }'ä^ pal
fi^isO^a] i^usv ABC KLP
ÖeÖov)mli£voi\ om. Chrys 704^
4 ytv6^£vov\ yf.vvufj.erov (K) Tli (var.) aber nur an der
ersten stelle
5 e^ayoQcior]] (S.ccyoQtt.oiqTaL Chr 705^ (var.)
Iva ^] y.cci pesch ?
6 vloi\ + (heov go (DG Latt, aber auch Ps. Justin
expos. 5 var.)
flfidv P] vftöiv KL Th pesch go
narriQ^ + t^umv pesch pal
7 ^r öovkog dk?.ä viög' sl de vldg] ioie dov?.oi dlXä
viel xal et vloi pesch : dü.ä vlög om. go
Ölo. i)^eov] öid Xqioxov pal: ^eov öid Xqlgtov
KLP (Chr var.) Th go : O^eov öid 'It]Gov Xqlgtov
pesch : fuv -^eov , GvyyJ.rjQOvöuog öe Xqigtov
Chr var; andere zeugen von Chr lassen v. 6. 7 aus
(so F'ields text)
8 aAAdJ o/H. pesch
TÖte i.i€v\ + ydg pesch ?
iöov/.evGars] stellt hinter O^eoig go (DG Latt)
ffVGet fiTj P pesch go] ^7} (fvGSL K?L Chrys 705" Th
■*J vvv öl] + iöoi) go?
DIE VORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL 259
, !) S^eov] praciit. tov K
7cG)c\ om. pesch
i/tLOTQecpere] iTreoTgeipaa^e pesch go
e7tLGTQe(pST£ /rä'/.iv] vcdhv h[EGTQEil>aai}e pesch
näXiv ävcjd^ev] nur ein wort pesch vgl. v. 19
öovlEvoai SB] dovlevsi%' AC KLP Chr Th
{^HbTs] €^€?.£r£ Th
10 f^nsQag] + ydg K
yMi yxcigovg] om. P
12 yhsffO^s] praem. dXh\ go
viielc] + EL^i pesch
13 de] 0«?. go (DGLatt): yaQ pesch
da^ixdc] + iiov Chrys 706^, nicht 707^
TÖ TTQÖTEQOv] oni. Chrys 70G^ 707^
14 nELQuOf.iöv vßüv] jcEiQctGßöv fiov TOV KLP Chrys
706^ 707 '^ Th : 7reioc(Gßdv tov C pesch go
eiemvouTt] öiETTTVGars Chrys 707^
(hg, Xgiordv 'It]GoCv] om. Chrys 707 ''^^
XgiGTÖv 'Ir]Oovv] 'Ir^Govv XgiGTov pescli
15 7C0V P peschj zig KL Chr Th go
odv LP] + fjv K Chr 707 ^' Th go
Toiig öcfOal/iiovg] xöv oifO^uXiiöv pal
e^(hy.aT.E\ praem. äv KLP Chr Th
16 ÜGte] 'etwa' pesch (pal giebt ÜGzt wieder): 'aber nun
wie' go
d)^rjd^€vcov\ 'indem ich euch die Wahrheit verkündete'
pesch
17 ■0-£?.ovGiv] ^elovTeg P
18 de] + eoviv pesch go
Cr^lovoO^ai] praem. rö KLP Chr Th
19 %£yvü\ TV/.via AC KLP Chrys 708^ Th go
^BtgLg\ äxgig AC KLP Chrys 708 ^ Th
XgLGTÖg iv v/.iiv] iv i\uiv XgiGTÖg pesch, aber un-
sicher
20 de] om. Chr : ydg pesch
21 leysre] + ydg Chr
rdv vöfiov] TOV vö/^iov Th
dyovsTs] dvayivcbGy.ers pal (arm) dveyvcojE glosse in
22 viovg ioxsv] EGyßv vlovg go
23 fxev] om. B pesch pal
did rryc e7iayy£llag] y.ar' EicayyE'k'ucv Chrys 709 "^
TlOi': dl E7TuyyEUag SAC (go?)
24 ÜTivd EGTiv d?J.r]yogov^Evu] 07n. pesch
atrai ydg Eiaiv ovo öuc^rjyMi] aitcu ydg (oder de)
etOLV dlXvyogiuL Ovo diaO-rjyöiv pesch
Övo\ praem. al Chr, nicht Chrys 7 10'^
2ti0 LIETZMÄNN
4, 24 fiiv] Olli, pesch pal
yevvöjaa] ytvvrjüüaa pal
25 %ö öl "AyctQ ^ivä ö'qoc pal] ro yäg "AyuQ Hivä oqoq
KLP Clir Th pesch: tö 2:ivd ö'gog go (xo ydg
2:iv(2 ögoQ SC sah Orig GLalt)
ÖE ^] (»n go, der vielleicht avaror/ovv wiedergiebt
ycLQ P Chrys 110'^] ök KL Chr var. Th go : om.
pesch pal
26 i^jUcDi' Chr pesch go] vcärrtov fj^iöv A KLP Th pal
27 «t5fyrpot'i//;rf] + }'«(> {cp)jGi) Chr
^] -f 7«^ pal
28 vfiüc . . . eaj^. palj ////«Tc . ■ . eofiiv SAG KLP Chrys
711 b"^ Theodt pesch go
29 ä//'] y.cd pesch
30 ey.ßüXe trjv 7raidioy.r]v y.a) röv viöv avifjg\ i'xßa?.e
TÖv viöv trjg rrcuöiG/.rjg Chrys 711'**
yhrjQovoßi)nsi P Chr] yXriQovüj.u)ni^ AC KL Th
31 ölö pesch?] öiö ydg pal: ägu KL Chr: dga o^v Th-
go : r]fisig ös AG P
5, 1 T^ ilsvO^sgia rjuäg XgiorÖQ '^lev&egioGev P pal] ifj
€k€v!/£gic( ovv i) XgiGTÖc il)f.iäc i^XtvÜegioaev KL,
ebenso aber ohne ovv Th : fj f'/.svl^fgia fifiäg
XgiöTÖQ rjlsv^egtooev pesch go (dG Latt) : rfj ydg
ikev^egla /} XgicfTÖc vuäg eti]y6gc((Jsv Chr 712*^
der vtiüg gleich danach wiederholt und eirjögaasv
bestätigt
ati^xsTS otv P pesch pal go] ort'iy.eis KL Chr Tii
Kvycp dov'Aelac] öov'kEiag Cvycp go (DG Latt) [pescb
nicht bestimmbar]
3 7cäkLv] om. Chr pal go
TtoirjGai] nlr^gcjoac Chrys 713 <= 714^ Theodt (obwohl
das lemma morr^oai hat) pesch
4 Xgioiov P] Tov XgioroC KL Chr Ih
oiiivsc] öaoi ydg Chrys 697 '^
rfjg xf^QiT^og] pracm. y.ul pesch
5 ydg\ de go
jT.vtv(xarL iy. ?f/(Jr£wc] öid TtLöjeiog iv jirsv/xari Chr
6 ia^vet] eaziv Chr var. pesch
XgtOKÖ 'lr]aov] Ir^ooö Xgiorcö pal
iv£gyovf.iev7j] Te?^eiovu€vr] pesch
7 d/aji^sia] praem. rfj KL Th
ährjO^tia ^ifj 7reii}eaiyuL\ om. Chr
S jcaiaixdvi)] + v^iibv pesch pal (Latt)
j 9 ^xz^fi] + ydg L
Lü/ioT] (JoAoi go (DLatt, aber auch Marcion und Const
apost. II 17, 4)
DIE VORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL 261
5, lii iyö)] + d« C P pal
y.uQUo\ so auch Chrys 715 <^ obwohl das lemma
XoiCiTo) hat
y.QLiiu] + v^iCjv pal
11 ert i] ow. go (DG Latt)
zi iii\ eig tL pesch
, ciQu] fasst als fragepartikel pesch
12 d(.ce/.ov] 4- de pesch
13 j'ßßj ö'e Chr pesch
ddfAf/^of] stellt vor eyr' ihvO^egia Chr
;U)) TTjV €/.£v^e(jutv] (.nq eir. fj e'/.evO^eoia vuQv
pesch ?
T^ GUQv.i] Tic octQv.ög go (D Latt) | + jvoutie go
(+ öcors Latt)
dAÄd] o»2.. Chr
dyd/ftjc] + TOJJ 7TV6VUCCTOQ go (DG Latt)
14 ro/iocj Xöyoc KL | + fv üuFv go (DG Latt)
7r€7r?.i]gtoTai] vr/.i^govTai KLP Chrys 7i9^ Th pesch go
OiccvTÖv K Th] iaviöv LP Chr
16 i7Ci^vfj,iciv] € /r i ^v fx i ug Th {va.r.) vielleicht bestätigt durch
Theodt jiüi/TjiinTiov
17 7cvevfxci\ + €7nltv(.ieL pesch, wo die ganze stelle freier
übersetzt ist
TüVTU yäg] 'und diese beiden' pesch
ydQ'^] ÖS AC KLP Chr Th : o^v go (Clem. Alex.)
vgl. pesch
d'/J.rjkoig dpi iy.eiTai arm go] dvTr/.etTca d?.'A'^Xoig
S KP Chr var. Th : dvriY.sivzat. dlliqloig L Chr
var.
18 V7Cd v6LiOv\ V7Td VÖLIOV Th (cf. VTTO TW vöiico Ttoli-
TSvöusvoL Theodt)
19 7T0Q%'Sia] praem. fior/eia KL Chrys 721 '^^ (Chr fioix-
steht nach 7co(ji'.} Th go
20 eiöco'/.o'/MTQela, (fc((juay.€ia] cfccguayeiu, eiöioXo'kaTQsia
Chr
ey^S^Qai\ €/J/ga pesch
£üic pesch] i'giic C KLP Chrvs 721*^*^ Th go
Ltkog P pesch go] ':>^/.Pt SC KL Chrys 721^6 Th
^vfxoi] IHuög pesch
€Qii)^eLai\ eQLiftiu pesch
dixoaiuGLui\ + il.iii/vginfioL go
21 cp^övoi'] (f^övog pesch | + cfövoi A.G KLP Chr Th
go : -t- cfövog pesch
' fie&at] fie^7] pesch
y^öfiot] om. K : xcjftog pesch
rd ö,uo/a] praem. 7cdvia pesch
262 IJETZMANN
5, 21 d /rgo/Jyio] ä y.ai vvv ?Jyo) pesch r
jigofniov] 2)raem. xal AC KLP Chr Th go ('schon')
22 iaiiv] om. Chr
23 eyy.Qcirsia] + ayviiu go (DG Latt, aber auch Basilius
u. Palladius)
ovy. EOTi röuog] vöuog ov y.eiiuL pesch
24 Xqiotov 'Iroov P] Xqiotov KL Chr Th pesch go :
y.vQiov Itjoov XQimov pal
adQy.u] + ctvTwv pesch go (G Latt, aber auch arm
[aeth bo sa] )
Gvv\ + vrdoiv pesch
S7tiiyvf.iiüic\ + ccöifjc; pesch pal
25 si LöJusv] LäJusv O'öv Chr pesch
nvsvixuTL 1] praem. iv L
7rrevtiuri yal] y.al ^rvsviiecTi Chr pesch
OTQor/jöusv] moor/ßvnsv KL
26 /ij)| 'und nicht' pesch
7rQoyM),ovi^itvoi\ ■3T()ooy.c(loviuvoi LP
«/1/jAo/c] praem. y.ul pesch pal | dXXriXovq P
6, 1 y.al ^] om. pesch go
yrgohjLKf^fj] jiQoyaTa/.rjrfO^f] K
ävO^Qi07[oc] TiQ et vavjv P pesch pal
ev rivL 7rccQa7CTd)uari] om. Clir
TÖv TOtovrov] avTÖv pesch
oy.oiiwv GeavTÖv firj y.ai crd TteioaoOf.c] oy.o7rovvt€g
eavTOvg f-trj yal vfielg 7t£iQaoO^)]T€ pesch
2 rä ßägr]] rö ßägog pesch
ßaaiäLers] ßaGiäoars P
y.ai ovTioc\ ovicog yäo oder iTTsi ovtwq pesch
dva7rh]oibaf.is Th (var.) pesch pal| dva7t).r^ocbauxe
SAC KLP Chrys 723*^ Th (var.)
3 öoy.EL Tic] Tig öoyel Chr
(TQSva/rajd iavxöv Chr] eavtöv rpQivaTtara KLP
Th pesch go
4 Sy.üOTog om. pesch (dafür rtg?)
(MÖvov] om. pesch go
ii£QOv\ iiaiQOv aviov pal
G TÖV löyov] rd )^öyio K
TW yarr^/^oüvTi] om. K | + aCzöv pesch pal
dyaltoig] + aözov go^
7 xa/] owi. pesch pal
8 eavToC] om. pescli
^egioti] praem. y.al go beide male ] Oegitsi pesch pal
das erste mal, nur pal das zweite mal
aagycdg] + avTov dir Th pal
DIE VORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL 263
6, 9 ivy.ay.ÖJti6r] r/.y.cr/.cjuiv C KLP Chrys 726 ^«^ 725'^ Th
iteglaouev] VsqLglousv SC LP
[iri iyJ.vÖLievoi] 'und es wird uns nicht lästig sein' pesch
10 eycüfiev] eyoiuv AG KLP Chr Th
€QyctZüüeirci\ egyalöueäa A LP: fQyaacöue^a K
öe] om. Chr pesch go
11 valv] hinter eyocul'cc go^, hinter yocaiuaoiv go^ (DG
Latt), aber wohl innergotische Variante
12 uii\ stellt vor zw otuvqü KL Chr Th (nicht pesch go)
diiby.MVTciL Chr Th] öicjy.ovTca AC KLP
13 7t€QtTeuvöf.i€i'0t KP Chr Th] jiSQuaturiuevoi B L
uvjoi\ om. pesch go
y.üvy^oiovTaL] yMvyfiOovTcu. P
14 iixoi\ praem. döehpoi pal 2
y.ctvyäGi)^ai\ yMuyjjOaalf^ai A K | + «y ovöevl go
y.dyöj] + iOTctVQOJucu pesch
yöojxqt] praem. 7w KL Chrj-s 728'*^ Th
15 oirs ydg n€girof.irj Chr pesch pal go] iv ydg Kgiorq
IrjOov OVTE nsQLTOi-irj SAG KLP Th
Tf] om. Th var,
iojiv pesch pal go] ioyvei KLP Chrys 728« 729 ^^ ^h
16 GToryi]aovoiv] oroiyovoiv AC Chr pesch pal
17 y.önovg f.ioi fx'qöeic] firjöeig fxot yörrovg pesch? paP?
ydg] om. pal 2
xov Irjoav go ^] tov y.vgiov 'Ir^Gov KL: tov
XoiGTOv P arm : tov y.vgiov r^ficov 'Ir^aov Xgioiov
8 Chr Th pesch go ^
18 i^ucöv] om. S P
Xgiazov] om. P
Unterschrift: T£T€/.€(TTca fj yrodc FaXäTaQ iniaroXij fj iygdcfi]
dnö "^PdjurjQ pesch . irgög ra/.drag TereXeorai go-^^:
+ ngög rtchdxug iygdifi] dyrö 'Pcbur^g go -A-
Die liste zeigt zunächst, welche fülle von Varianten in dieser
älteren Koine möglich sind, von denen weder Tischendorfs noch
vSodens ausgäbe eine Vorstellung geben, das bild würde sieb
noch erheblich bunter gestalten, wenn die gelegentlichen citate der
syrischen, kappadokischen, frühbyzantinischen väter. eingetragen
wären, vor allem aber das reiche material verwertet wäre, das in
den handschriften der armenischen {^= arm) Übersetzung ver-
borgen ligt: hier und wol auch in der georgischen Bibel sind
noch weitere quellen der Koine des 4 und 5 jh.s zu erschliefsen.
.204 LIETZMANN
Tiscliendorfs mehr wie (lürftip;e notate, die über Tre^elles auf
die armenisclie ausgäbe Zolirabs von 178!» zurückgelm ', lassen
wenigstens etwas davun ahnen.
Und diese fülle der Varianten muss demjenigen zur Ver-
fügung stelin, der über die vorläge des Wulfila handeln will:
weder der correcte urtext des Lukian — wenn es je einen solchen
gegeben hat, was ich nicht weifs — noch ein irgendwie er-
schlossener normalt^'p reichen da aus. die Koine hat gar wild
gewuchert, und neben tausend verschollenen ist der gotische text
einer der wenigen erhaltenen dieser so wandlungsfälligen zeugen,
angesichts dieser tatsache ist als erste methodische regel aufzu-
stellen, dass jede lesart des Goten als seiner griechischen vorläge
angehörig anzusehen ist, welche uns sonst noch in einem zeugen
der alten Koine begegnet, einerlei ob dieser eine handschrift, ein
Schriftsteller oder eine Übersetzung ist. gewis können dabei' zu-
fallsirr tum er unterlaufen, das ist hier wie sonst unvermeidlich;
aber auf diesem wege kommt man der walnheit näher als auf
jedem andern, nach diesem kanon sind demnach an Streitbergs
griechischem text folgende änderungen vorzunehmen: 1 4. i. 2 6
(die Voranstellung von if^ög diu-ch pesch gedeckt). <j. 15 (yccg).
3 27. 4 'j {e;[fOiQetliaTeL n {utiouauöv ohne ^lov). 20. 31. 5 1
(/; iL etc.). 3 {7rcüuv om.). 17 {ct/.h]}.oiQ avzi'/.siiai). 6 4
{uövov om.). 19 (de om.). u {aviol om.) sind die in unserer liste
als go bezeichneten lesarten in den text zu setzen, dagegen
würde 2 15 (+ övTec). 20 iodv). 4 is H" f(TTiv) als unsicher und
vielleicht nur durch das gleiche bedürfnis der Übersetzer in go
und pesch übereinstimmend zu bezeichnen sein: 4 10 würde ich
wäre mit zeichen der Unsicherheit im text belassen, es gehören
ferner in den text nach dem genannten kanon die stellen, an
denen go zwar nicht mit unseren hanptzeugen, wol aber mit
anderen zufällig erhaltenen citaten aus dem gebiet der Koine
zusammentrifft, obwol die lesart ihre heimat auf abendländischem
textgebiet hat : das sind 3 28 {^t>). 4 r, (+ ^€0v). 5 9 {öo/.ol).
23 (+ äyveia). 24 (+ «ütöv arm !).
Mit diesen stellen ist aber bereits die frage berührt, welche
die reconstruction der vorläge des Wulfila zu einer so ganz be-
sonders complicierten aufgäbe gestaltet : die nach dem einfluss der
■•• • ' Bo ENestle Einführung iu d. Neue Testnnicnt ^ 156.
DIE VORLAGE DER GOTISCHEN EIBEE 265
Lateiniscliea Übersetzung und nach einer etwaigen neubearbeitung
des alten Wulfilanisclien textes durch spätere — man hat die
aus Hieronymus epist. 106 bekannten Sunja und Fril)ila ge-
nannt.
Haben wir auf grund äufserer Zeugnisse und umstände an-
lass, eine neubearbeitung des ursprünglifhen gotischen texfes an-
zunehmen? Kauffmann hat in ausführlicher untersucliung Z. f. d.
phil. 32, 30.') ff auf die vorrede des Codex Brixianus f hingewiesen,
die nun auch bei Streitberg s. XLIIf bequem abgedruckt ist. es
kann danach niclit zweifelhaft sein, dass wir in f die copie der
lateinischen columne eines evangelienbuches erhalten haben, welches
in paralleler anordnung mindestens den gutischen und den latei-
nischen, wahrscheinlich aber auch den griechischen text enthielt,
denn die vorrede beruhigt den leser über die differenzen des
griechisciien, gotischen und lateinischen, die ihm in interiora lihri
— vielleicht in interiore (ora) lihri w^e Schöne will — jedenfalls
'drinnen im buche' aufstofsen werden : es gebe da zwar sprach-
liche Verschiedenheiten, aber der sinn sei der gleiche, deshalb
dürfe keiner schwanken, was denn eigentlich die biblische aiitorität
offenbare nach dem rechten sinn der spräche, das sei nach der
wortgrammatik sorgfällig festgestellt, wie im folgenden zu lesen
sei. und diese erkenntnis zu verbreiten sei der zweck dieser Ver-
öffentlichung ^ mit rücksicht auf andere leute — das ist natürlich
Hieronymus — 'die mit falsciien behauptungen nach eigener Will-
kür lügen ins gesetz und in die evangelien durch eine eigene
üliersetzung hineingetragen liaben. dies liabeu wir deshalb ver-
mieden und vielmehr das- geboten, was seit alters gelesen und im
griechischen stehend erfunden wird, und w^ovon sich nach der
bedeutung der sprachen der nach weis liefern lässt, dass es mit-
einander übereinstimmend aufgezeichnet ist und auf ein und den-
' probanter ist mir doch noch unklar; das wort scheint mir sicher,
aber fohlt etwas davor?
2 zu lesen ist: haen posita sunt, quae antiquitus le'/i et (statt
antiquitas leni-^) in dirtis Graerorurn contineri inceniantur et {per)
ipsas etymolofjias linguarum concenienter (so Kauffmann statt coii-
venientes) sibi cons(-ribt.a (statt consc.ribtas) ad unum t<en.<um con-
^Mrrere demonstrantiir. das et hinter le(ß wird vielleicht nicht erforder-
lich sein; unser autor liebt das asyndeton; deßiijnata esae conscripta und
soiius üocis stehn ebenso neben einander. .
Z. F. D, A. LVI. N. F. XLIV. 18
2r.(; Lii^yr/MANN
selben sinn liinausHliift'. naclidem er so die erwartun^ dos lesers
gespannt liat, kommt er zur näheren bezeicliiiung dos mittels,
durch welches dem benutzer des buches die erwünschte gewislieit
verschafft wird: er hat tmlthres — lateinisch Iicifst das (ulnotnüo
— dem text beigefügt und will nun angeben, was diese zu be-
deuten haben, ein nuUhrc mit übergeschriebenem (jr- enthält die
lesart. des Griechen, steht la darüber, so ist das lateinische
widergegeben •.
Daraus ergibt sich, dass in dem buche der gotische text die
hauptsache war: der herausgeber will zeigen, dass er würklich die
gütfliche Offenbarung enthält und in nichts hinter den griechischen
und lateinischen, bei Hyzantinern und Italienern übiiciien Bibeln
zurücksteht — gar nicht zu reden von der schlechthin abzu-
lehnenden Vulgata. er setzt deshalb die diei texte in columnen
nebeneinander — den Goten natürlich in die mitte — und notiert
in gütischer spräche die Varianten der seitencolumnen am rande
des gotischen textes. so wird der germanische leser. der von be-
unruhigenden abweichungen seiner Bibel von den ihm als ori-
ginaler erscheinenden texten gehört hat, in die läge versetzt, sieh
selbst von der harmlosigkeit der unterschiede und damit von der
einheitlichkeit des sinnes zu überzeugen.
Aber nun zu unserer liauptfrage. ist die hier bezeugte arbeit
am gotischen text eine neurecension? ganz im gegenteil : der
Verfasser will gerade den alten text gegen neuerungen verteidigen!
um seine Zuverlässigkeit nachzuweisen, versieht er ihn mit jenen
randnoten, die ja doch nur zeigen sollen, dass ihre Icsungen nicht
besser sind, als was im text steht, und jedenfalls in der haupt-
sache auf denselben sinn hinauslaufen, aber vielleicht ist seine
arbeit unabsichtlich von so umgestaltender würkung gewesen, dass
der schliefsliche erfolg eben doch eine durchgreifende Veränderung
des Wulfilatextes war? etwa so, dass die abschreiber der gotischen
columne die randnoten für Verbesserungen hielten und in den text
aufnahmen, wozu man als nicht allzu fernliegende analogie die
freilich beabsichtigte Umarbeitung des Septuagintatextes durch
Eusebius und Pamphilus auf grund der von hause aus auch rein
' ubi Uttera .fjr. super uulthre incenitur, sciat qui ler/it, quod in
ipso uulthre secundum quod Gruecus continet scribtum ei^t : tibi cero
Uttera . la . super uulthre incenitur, secundum latina linQua in uulthre
ostensum est.
DIE VORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL 267
referierenden Hexapla des Origenes anführen könnte. Streitberg
schreibt s. lxiv: 'die in der Praefatio des Brixianiis angekündigten
uulthres i. e. adnotationes finden sich tatsächlich in unsern gut.
hss.: in CA und zahlreicher in A sind randglossen überliefert,
aufserdem lässt sich in einer reihe von fällen schlagend nach-
weisen, dass ursprüngliche randglossen in den text einge-
drungen sind und entweder' die alte lesart \^erd rängt oder sich
neben sie gestellt haben, ein teil dieser randglossen verrät deut-
lich die einwürkung des altlateinischen bibeltextes\ die bei dieser
annähme nötige Voraussetzung, dass der text von A im gegensatz
zu den randglossen dann eben der alte wulfilanische sein müsse,
wird freilich von Streitberg nicht geteilt, wie zahlreiche anmer-
kuBgen beweisen : doch mag das fürerst auf sich beruhen, was
lehren die randglossen ^ in A? es sind deren, wenn ich recht
zähle, 53: davon können als notierung von variierenden lesartea
angesprochen werden höchstens sieben.
I Cor, 13, 3 ei gahrannjaidau A == lvü y.av^-)'](7cofiai
(Keine, DGLatt): gl. ei hopau = iva y.avyjjOtofxca SAB, aber
auch Ephr. Syrus II 112. II Cor. 1 , 8 afswagg^viäai weseima
A = fEa/roQTj^fjVai rißäg : gl. skamaidedehna (B im text
skamaidedeima uns) ohne beleg: denn das taederet nos der Latt,
auf welches Streitberg verweist, heilst auch nicht 'wir schämten
uns'. II Cor. 3, 14 afdauhnodedim AB = £7rcoQcb!AT]{nar) :
gl. afblindnodedun = i7rrjQ(bÜr]{oav), was hier nicht belegt ist,
aber Streitberg verweist mit recht auf die entsprechende Variante
Rom. 11, 7 (Latt). Eph. 1, 19 in uns AB = 6iq rjiäg: gl. in
izwis = £LQ vfiäc P DGLatt. Eph. 2, 3 n-iljans AB = rd
^sh'jiara : gl. lustuns = voluptates Latt, aber iis lustum gibt
Phm. 14 auch ymtu iv.ovniov wider, wo dann als gl. gahaurjaha
steht. Gal. 4, 21 niu hauseip AB = ovy. dv.oveie: gl. niu
Ms[svggwup] = non legistis Latt ovy. ävccyivcbayeTS pal (arm).
Das ist alles, die übrigen 46 glossen tragen einen andern
Charakter. Eph. 1, 14 ist zu gafreideinais = 7rfQi7ioir^Giiog am
rande zugefügt ganistais = ütoxi-Quic, d. h. die stelle ist nach
I Thess. 5, 9 erklärt; wenn nicht etwa eine Variante vorligt, zu
Eph. 2, 3 HHstai barna hatize (Jiatis B) AB ^= (fvoei rey.va ögyr^g
' in B begegnet uur eine randglosse zu i Cor. 15, 57 si'jis AB]
gl. sihic.
18*
2()8 LIETZMANX
ist Hill runde die crliiiiterung beijjescli rieben ussateinai urriKjhai
== 'vüu Ursprung verworfene . I Cor. 9, 9 ist als parallelstelle
I Tim. 5, I S an den rand gesell rieben, Epli. 4, 8 steht am rande
des cilates aus Psalm <i7 lüSi, 19: p.salmo.
Die überwiegende^ masse der gl»K«seii bringt synonynia zu
den im text stelinden gtitisclien worlen. in einzelnen fällen kann
man s'agen, dass die glosse sich dein gric« bischen genauer an-
schliel'st: so etwji Gal. 2,5 yastandai Ali: gl. pairhicimi =
diaiifii'i;. Gal 4, l;< .sinkcln A: gl. iinniaht = äaißevuav.
Gal. 4, 19 (/((bdirhlitiifJft/i AH: gl. ilu hindjai gafrisahtnai =
f.iOQifvj'h~. II Tim 3, 10 (jalaista is AH: gl. (jalais(J,]ides =
TtctQriV.o/.ovÜiv.uc:. aber II Tim. 4, G dlsnnssals AB: gl. ga-
malteinais = dva/.vnfoc ist die giöfsere wörtliclikeit auf selten
des textes, und auf beide partcien verteilt sicji diese eigen-
scliaft Eph. l, 9 hi wiljin. sael f'avrafjaleikaida luima AB:
gl. ana leikainai poei .garaidida in imma = :cnä ttjv
evöov.utv '[uviov], iv 7i(joiÖeio fv uvjqj: die glosse ist im
ganzen genauer, aber das nyoeUfie bildet f'a7(rng{ileikaida
besser nach; übrigens geben beide teile den abendländischen text
ohne avioC. in Gal. 4, 3 uf stabliu A : gl. iif tn(j(jlam ist der
text wörtliche Übersetzung von mor/i-ut, während die glosse den
sinn trifft. I Cor. 9, 21 wird gafjei{/(aidcdj)au A = ■/.f()öroco
sinngemäfs durch gawandided/au Vhiss ich bekehre' erläutert.
Eph. 6, 11 diahiihms AB: gl. unhuJpins und I Tim. 5, 18
mizdons A: gl. launis wird ein dem Griechischen näher stehendes
wort beseitigt, vielleicht ersetzt der glossator ein ihm befremd-
liches gotisches wort durch ein geläufiges in fällen wie I Cor. 15,33
riurjand A : gl. fraicardjand = (f tieiuovniv. II Cor. 12, 7
hnupo A hinito H : gl qairu == <r/('>'/.oilK I Tim. 5, 2;} qlpaus
AB: gl. SKqnls = (Tiöuayfir, vielleicht auch I Tim. 3, 11 ga-
faurjos A: gl. andapahtos ^= i i^i/ u/Jovc, wogegen II Tim. 3, 2
sik frijondans Ah : gl. seinaigairnai = tfl/Mvioi die glosse das
seltenere wort zu haben scheint.
Schon diese letzte classe von randbemerkungen geht augen-
scheinlich über das programm hinaus, welches in der vorrede des
Brixianus für die indpres angekündigt ist. Varianten des Griechen
oder des Lateiners — dies vielleicht an höchstens 3 stellen —
buchen würklich nur die erstgenannten sieben glossen. zur not
kann man von der danach behandelten reihe auch noch be-
DIE yORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL 269
haupten. sie entspiiiclie jener ankündigiing, insofern der griechisclie
Wortlaut genauer widergegeben werde, obwol der umstand, dass
II Tim. 4, 6 und Gal. 4, 3 die gröfsere wörtlichkeit auf selten
der textlesart ist, leclit bedenklich machen muss. die buchstabeti
. gr . und . la . raüste der absclireiber weggelassen haben, aber
gotische Worte zu erläutern hat der Verfasser der vorrede nirgends
in aussieht gestellt, wie denn eine solche arbeit seinem theologischen
ziele der beruhigung von Zweiflern nicht im geringsten dienlich
sein kann, nun aber folgt die masse der übrigbleibenden — 27 —
glossen, in denen einfach ein gotisches wort durch ein anderes
ersetzt wird, ohne dass ein zureichender grund zu tage ligt. einige
beispiele mögen genügen: Rom. 9, 13 fijaida A: gl. andivaih =
efxiörjGcc. I Cor. 9, 22 ei Jvauva A: gl. el waila = Ivu rräv-
Tiog. I Cor. 10, 30 andnima A : gl bnikja -= uireyco. I Cor.
1 4, 2 1 patei in A : gl. ei in = ön ev (!). II Cor. 2, 1 5 fra-
qistnandam AB: gl. fralusnandam = cntoXXvfxevoig. II Cor.
12^ 15 lapaleiko A: gl. (= B) gahaurjaha = rjöioia. Eph.
2, 10 godaim AB: pinpeif/aini = dyai/oig. Eph. 4, 14 icaira
fullamma A : gl. gumin fullamma = chöga rileiov. Gal. 2, 6
andsiiip {-aip B) AB: gl. nimip = ?Mfißdv£i. Gal. 2,8
waurshveig gataivida AB : gl. waurhta = evijQyr^aev. II Tim.
3, 9 sicikunp AB: gl. gatarhip = ey.öt]}.og. II Tim. 3, 13
liutai AB: gl. lubjaleisai = yöi]i€g. Tit. 1, 16 nskusanai A :
gl. urigakusanai = döö/.iuoi. Phm. 1 1 meinos bnists A : gl.
meinos hairpra = xä euä G;r).nyyvu. Phm. 14 us lustum A:
gl. gahmirjalia = VMra r/.ovaiov. weiter noch I Cor. 9, 19.
13, 5. II Cor. 2, 11 (4, 2). 5, 12. 6, 16; Eph. 3, 10; Gal. 2, 6;
I Tim. 1, 5. 1, 9. 1, 18. 6, 6 !?j.
Diese stellen geben den ausschlag und entscheiden auch für
die bewertung der voraus behandelten, die randglossen in A
haben mit den zvulpres des Brixianus schlechterdings nichts zu
tun. sie lassen sich überhaupt nur unter einem andern gesichts-
punct begreifen und auf einen alle umfassenden generalnenner
bringen : nämlich wenn wir sie als cullation einer zweiten gotischen
handschrift verstehn, welche zumeist innergotisehe übersetzungs-
bezw. abschreibervarianten und daneben auch einige durch einfhiss
griechischer lesarten verursachte textabweichungen darbot, diese
erklärung umfasst die ganze menge der glossen und trägt damit
die Wahrscheinlichkeit in sich, nur die noten zu Eph. 1, 14. 2, 3.
270 IJETZMANN
4, 8 und I Cor. 'J, 9 bleiben als würkliche erläuternde rand-
beraerkung'en bestelm, und man darf sich fragen, ob sie vom
Schreiber des codex A stammen oder etwa bereits am rande der
collationierten handscliiift standen und von daher übernommen
sind, wenn wir also II Cor. 1, 8 und 12, 15 die lesart der
glosse im text von B finden, so ist nicht eine nindnote von A
bezw. .seiner vorläge in den text von B gedrungen, sondern um-
gekehrt : B bietet an diesen stellen denselben text, den die am
rande von A collationierte handschrift las.
Scheiden somit sowol die vorrede des Brixianus wie die rand-
glossen in A als zeugen für eine neurecension der gotischen bibel
aus, so bleibt uns die aufgäbe, die handschriftliche Überlieferung
selbst nach einschlägigen belegen zu befragen, die paulinischen
briefe berulieii glücklicherweise nicht auf einem einzigen codex,
wie die e\angelien, sondern sie sind uns durch zwei liandschriften
des f) jii.s, A und 15, erhalten, die auch auf weite strecken die
gleichen stücke bieten, so dass sich ein bild von einklang und
abweichung innerhalb der gotischen tradition gewinnen lässt.
Streitberg hat die texte in parallelcolumnen bequem neben-
einander gesetzt, die collation beider zeugen lehrt nun zuerst
einige eigenheiten von B kennen: er unterlässt gern die assimi-
lation des endenden -h zb. I Cor. 1 6, 8 wissuh pan B gegen
irissiip pan A u. ö., schreibt oft i statt ij (II Cor. 2, 4 u. ö.)
und andere orthographica mehr, die hier aufser betracht bleiben
können ; auch verschreibt er sich etwas öfter als A. ferner hat
B eine Vorliebe für den optativ I Cor. 1 5, 58 wairpaip B
gegen ivairpip A = yivBöl^H (imperativ i: ähnlich I Cor. 16, I.
II Cor. 13, 1. Eph. 4, 27. Gal. 2, 6(!) 5. 17. I Tim. G, 3.
Uns kümmert hier in erster linie die frage nach der be-
schaffenheit der eigentlichen textvarianten zwischen A und B, und
da ist vorab zu bemerken, dass im vergleich zu dem umfang der
erhaltenen parallelstücke ihre zahl erstaunlich gering ist, aber
doch grofs genug, um uns zu lehren, dass A und B zwei durch-
aus selbständige zeugen der Überlieferung sind. Varianten, die wir
auch snnst innerhalb der Koine feststtillcn können, finden sich
an folgenden stellen: II Cor. 3, D aiKlJxihti B = ?y öiuy.oviu
KLT Chr Tli : (indhnhtja = rfj öur/.ovicx pesch (mit äg. und
lat. text). TI Cor. 1, 14 'Irjnoü A mit KL Th : 'Ir^nov Xqi(Jtoü
J3 mit V Chr ))esch. II Cor. 4, 4 fügt B nngasaih'anui = rov
äoQc'iTov zu mit LP arm. II Cor. 8, 10 stellt B um ov iiövov
TÖ ^f).£tv üü.ä v.ui 10 TroifiOai wie pesch (eine änderung die
übrigens nahe ligt). II Cor. 13, 13 y.voiov A mit KLP: y.vqLov
YnoJv B mit Chr Th pescli. Gal. 0, 17 'h^noC \: y.vuiov fjiüv
DIE VORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL 271
'Ir^aov Xoi.(TTov R s. oben die liste. Phil. 3. 8 Xomroü 'fr/JoiJ A
wie L fund ägypt. text): '//;ff )<7 Xuiarov B mit KP Clir pescli. Col.
4, 12 'lT]rsov Xoi'Trov A mit P arm: Xut'Tfov [i](Tov B mit L
(und äg. text sowie andern rainuskeln); Xoinrov allein haben K
Chr Tli pesch (Latt). I Tim. 5, 4 fügt ß y.aldv ymI zn mit
arm und minuskeln. I Tim. 4, 7 de'^ ora. B mit P (D vghss.):
^und' pescli II Tim. 4, 10 Krispus B pesch: Xreskus A kommt
dem üblichen Koijav.ric nahe.
Einfluss des abendländischen textes, der uns hier be-
sonders interessiert, ist vornehmlich in Varianten von A gegenüber
B zu spüren. II Cor. 2, 12 in aiwaggeljon B = itg tö fvuy-
yeXiov. in aiwaggeljom A = diu tö tvayye/uov (D) G Latt,
aber auch Chr. scheint die lesart zu kennen. II Cor. ö, 12
hairtin B = y.ciQÖia KLP Chr Th : in liairtin A = rr y.aoriia
OLatt (äg.), doch lässt B auch II Thess. 1,4. 3, 8 in beim dativ
(^ ^p) aus. II Cor. 5, 2(i huljam Vi = ösöusO-a : hidjandans
A = ösniievni DGLatt, aber auch eine hs. des Chr. II Cor.
8, 23 umlpus B = dnia : nuilpaiis A = öö'trc Latt, aber Phil,
ti. 19 braucht A ivu/paus unzweifelhaft als nominativ, wo auch B
wiilpus hat: s. Braune Got. gramm. § 105 a. 2. II Cor. 9. 2
Jvo2)a B = y.avyß)Ui(i: Ivopam A = zavyüus^a Latt V nach
Streitbei-g z, st. Eph. 3, 12 ist der einschub von freijhals in A
möglicherweise durch Latt verursacht. Eph. 3, 21 list A ev
Xoi(yTc[) 'IriGov y.ai rfj r/.yJ.r^ni'c! mit DGLatt. I Tim. 2, 6
gibt A 01^ TÖ ßccQTVQiov wider = DGLatt (und minuskeln).
dagegen könnte II Cor. 4, 1 bei wairpaima us-gnuljans in B
(statt icuirpam Ai einfluss von non (leficiamus einiger Latt vor-
liegen : doch macht die Vorliebe von B für den optativ unsicher.
I Tim. 6, 5 list A den Koinetext cupiaraoo d/cö töjv tol-
ovrojv: B lässt die worte mit GLatt und dem äg. text aus. —
unsicher ist das urteil wider bei I Cor. 15, 54, wo in B die worte
panup-pan bis undiicanein = örav öh — äl/avuaiav fehlen.
G hat die gleiche lücke, die durcli homoioteleuton erklärlich ist:
der ausfall kann in B aucli dem gleichen zufall verdankt werden,
zumal im gotischen auch das anfangswort panuh hinter der lücke
widerkehrt: I Cor. 16,20 ist ein analoger ausfall in B ent-
standen. II Cor. 2, 16 kommt A us daupau dem fV. intvc'cioy
des äg. textes gleich: daupaus B = ^'/avcirov Koine Latt. die
Wucherung des textes zeigen gut zwei andere stellen. II Cor.
12,20 hat der übliche text (fviucbneic cr/MTaaTaniui: A schiebt
davor 7ruovf.'^ia ein, V> dagegen lässt (pvauhneiQ aus; dass
beides auf griechische Varianten zurückgeht, wird dadurch wahr-i
scheinlich, dass G Chr d/MiuaTaniui auslassen. Phil. 3, Ki list
A ei samo hugjaima jah samo frapjaima samon gaggan gnrai-
deinai, während B die worte mmon gaggan garaideinai auslässt.-
der urfext der stelle lautet Tcp avii[i aioiyüv (==a), das wurde,
glossiert durch zufügung von yMVÖvi. (= a) oder anderswo er-
272 LJETZMANN
läutert bozw. ersetzt durch das synonyme lö uviö (fQovfiv
(= b). li hat die lesart b in doppelter, durch 'und' verbundener
fjotischer übersetzunj»- : A hat zu dieser b dublette noch die Über-
setzung von a' zugefügt, bringt also b + a. der ägyptische
text list a. die Lateiner b ^- a, die Koine a' -\- b. die \ulgata
bringt auch b + a wie go^. aber durch et verbunden, wäiirend
gC^ wol dav(»n unabliängig- ist und construiert hat, 'dass wir au
dasselbe denken, näiniici» nach derselben regel zu gehn'.
An einer reihe von stellen ist es fraglicli, ob die Variante
bereits in der vorläge stand oder erst inneihalb der gotischen
Überlieferung entstanden ist, da sie durch keinen oder keinen aus-
reichenden beleg gedeckt wird, dahin gehören I Cor. 1 6, 2 lagjai
A = itO^/to): aber 13 tanjal =^ vroieiiw. I C<»r. IG, 5 avk = yao
oni. B. II Cor. l, 8 skauundedcima nns B (gl A). II Cor. 1, 17
ei + iii B. was den guten sinn ergibt *dass nicht bei niir das
ja ein ja und das nein ein nein sei': ei + m) in einer vorläge
wäre durchaus möglich. II Cor. 1, 10 merjada A: waihiiiierjada
B = fvayyf/.KJx'Uic. II Cor. 2, 10 y.r/rn)iauui. = frugiba B;
fragaf A braucht keineswegs von dontiri i att verursacht zu sein;
beide lesarten können das perf. des Griechen widergeben; Streit-
berg meint, B sei durch das vorhergeluule fraglbip veranlasst.
II Cor. 2, 13 itu A = uvioic inima B = at'/o; (d.h. Titus).
II Cor. 2, 1 4 stellt B pairh uns hinter in allaim stadhu. II Cor.
3, 3 suikunj) B = ifu^fQÖv. II Cor. 5, 3 bei e'i yt y.ai fehlt
iah = y.cc} in A: Latt lassen es auch aus, aber 13, 4 begegnet
dieselbe Omission des jah in B (= Latt), ebenso I Tim. 1, 2o. II Tim.
3, 7. 3, 9, während es I Tim. G, 9 in A fohlt. II Cor. G, 8 ist
iah in A zugesetzt. II Cor. 5, 16 honnmi, -\- ina B. II Cor.
6. 3 -f pannu B vielleicht = ccqu, vielleicht frei zugesetzt wie
Mc. 1-i, G. II Cor. 7, 3 mipgasiciltan A = ovvunoifuvflv i
gaswUtan B. II Cor. 9, 2 + izei \\ = uvtcöv vgl. Gal. 6, G
+ uviov A. II Cor. 12, 9 kann der plural siukcim B (statt
siukein A) durch ein dn'Jcvsi'aic: der vorläge, aber auch spontan
entstanden sein : jedenfalls hat das gleich folgende siukcim =
äni)Evtiuic ihn veranlasst. II Cor. 13, 7 ligt in A und B eine
schwere conftision vor : iwgakumnai ist auch in die er.^te,
pugkjaima auch in die zweite satzparallele gedrungen und B Iiat
zu bessern versucht; schon die vorläge kann den fehler gehabt
haben. Eph. 2,5 sijup A = irne: sijion B = foiüv, aber
derselbe Personenwechsel ohne beleg begegnet noch Eph. 4, 25.
I Tim. 1, 8 Eph. G, IS fv -.tdaij ora. A. Phil. 3, 15 loa = n
cm. B. I Thess. 5, 27 nllaim = rräoiv om. B, aber auch die
minuskel 17. I Tim. 3, 3 fügt hinter sutis = cuieiyf^ liinzu
A (jairrus = ijinoc, B airkns == önioc, während sonst an
dieser stelle keine Wucherungen verzeichnet sind. II Tim. 4, S
fügt B hinter papru = '/.oljiöv ein pan = ovv zu. II Tim.
4, KJ lässt B I'Ltoq eiQ JuLauriuv aus.
DIE VORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL 273
Rein in nergo tisch ist dagegen die ganze übrige menge
der Varianten. II Cor. 7. 10 gatidgidai B: gatulgida A. II Cor.
12,21 aglaitja A: aglaiie'm\o] B. I Tim. 1,4 timreinai A:
Hmreina B. I Tim. 4, 8 gaguäei A : gagiulein B. I Tim. 6, 3
aljoJeiko B : aljaleikos A. II Tim. 3, 2 vnarknai B : iinark-
nans A. II Tim. 3, 11 u-rakjos A: icrakos B. Tit. 1, 9
triggivs A: triggivis B und anderes der art. vgl. I Cor. IG, 1.
II Cor. 3, 3. Eph. 3, 16 I '1 liess. 5, 23. fortlassen des Per-
sonalpronomens in B II Cor. 13, 4. 13, 5 und in A Eph. 1, 4.
Phil. 3, 12; das fortlassen des artikels in A II Cor. 7, S. 7, lo.
Co). 4, 5, in B Eph. 1, 10. Col. 4, 12. Phil. 3, ü; Wechsel in
Partikeln II Cor. 3, 9 in widpau A : us tndpau B = ev öcjhj.
II Cor. 7, 8 unte A: auk B. II Cor. 13, 5 nihai A: ihaiB
und 6 die Umstellung von patel und ei. in B. Eph. 1, 3 ona A :
in B. Eph. 3, 1 9 in A : du B. Eph. 4, 28 ip A : ak B. der
Zusatz von S7va I Cor. 15, 49 und von ju Eph. 2, 19 in B. die
Umstellung ist auk B gegen ai(k Ist A I Cor. 15, 53 und I Tim.
1, 9 nlst lüitop A gegen tcitop rast B = vöuog ov iy.euai). Gal.
6, 1 1 gamelida izivis A : izicis gamelida B.
Synonyme Übersetzungsvarianten begegnen, soweit sie
nicht im vorangehenden angeführt sind, II Cor 8, 22 filu A:
filaus mais B. II Cor. 9, 2 usu-ngida A : gawagida B =
ligeO-iaev. II Cor. 12, 15 lapaleiko A: gahcmrjaha B (gl. A)
iföiOTa. II Cor. 13, 5 fraisip A: fragip B = ^reiodlexE.
Eph. 1, 5 in ina A : in imma B = eic uvröv wie Rom. 11, 36.
Gal. 2, 2, vgl. auch Streitberg z. st. Eph. 1,22 alla A: allB = 7rdvTC(.
Eph. 2, 2 fairhaus A: aiwis B = v.önj.iov ist fraglieh. Eph. 2, 3
hatize A: hatis B = ögyr^g. Eph. 2, 6 mipurraisidai und mip-
gasatidai B statt -da A. Eph. 3, 1 0 filufaiho A : managfalpo B =
TroXvjroi/.tJ.og. I Tim. 1, 8 witoda A : ivitodeigo B =^ rouiiaog.
II Tim. 2, 20 (gafahanai) hahanda A: tiultada B = e'UoyorjiiUfoi.
II Tim. 4, 2 instand A: stand B = EnioDr^n wie 4, 3 gadmgand A:
dragand B = f^rioojQevnovüiv.
Keine Varianten, sondern einfache versehen werden vor-
liegen in II Cor. 2, 17 SKß om. B ', II Cor. 3, 5 lücke in A.
II Cor. 8, 1 aikklesjon B (statt -m A). II Cor. 8, 18 aiwag-
gelJ07}[s\ A. II Cor. 13, 11 lücke in B. Eph. 3, IG in om. A.
Col. 1, 11 lücke in B. I Tim. 2, 4 [ga]icili B. I Tim 5, 4
sik om. B. I Tim. 5, 5 ist om. A. — eine glosse im text von
A findet sich Eph. 3, 20 giban, während B den reinen text hat.
Überblickt man dies bild, so ist das ergebnis klar, möglich
dass ich etwas übersehen habe, sicher dass man einzelne stellen
anders zu bewerten hat, als hier geschehen ist: aber das gesamt-
'■ B ist nicht nach it. geändert, wie Streitberg meint: in it. fehlt das
zweite m?, wie Str. im griech. apparat riciitig angibt.
274 LIKTZ.MANN
resiiltat wird sich iiiclit ändern. A und R sind zwei selhständij;e
zweige einer im g-anzcn unj^ewölinlicli geschlossenen Überlieferung,
sie ist nicht pedantisch und stumpfsinnig conserviert, sondern von
denkenden nuinnern fortgepflanzt und daher gelegentlich iin sprach-
lichen aiisdruclv verändert, durch kleine versehen entstellt, auch
durch einwirkung anderer morgen- und abendländischer vorlagen
hie und da beeinflusst worden, aber weder steht A zu 15 noch
B zu A im Verhältnis einer neuredaction zum älteren text, und
dasselbe gilt, wenn man die lesarten der am rande von A col-
lationierten handschrift heranzieht, auch für diese, alles bleibt weit
innerhalb der grenzen normaler Überlieferungsformen.
Der bilingue Codex Carolinus gar, dessen bruchstückc Streit-
berg 8. 239 — 249 gibt, erweist sich in seinem gotischen teil, so-
weit ein vergleich möglich ist (Rom. 12,17 — 13, 5i, als zwillings-
bruder von A : da das erhaltene fragnient genau an ein seiten-
ende in A anschließt, so luuss auch die seilen- und zeilenlänge der
gemeinsamen vorläge in A und Car irgendwie übernommen sein'.
Es kann also nach dem bisher dargelegten von äiifseren
Zeugnissen für eine Umarbeitung der gotischen Bibel nicht ge-
sprochen werden, und tatsächlich sind auch die entsclieidenden
gründe für eine solche annähme nicht auf diesem gebiet zu
suchen: vielmehr hat man die Überlieferungsverhältnisse nur als
weitere bestätigung für eine these herangezogen, die ohnehin aus
inneren gründen festzustehu schien, die beschaffenheit des ge-
samten uns vorliegenden textes war es, welche die heute fast all-
gemein angenommene hypothese von einer mehr (»der minder
systematischen, aber jedenfalls ziemlich stark eingreifenden Über-
arbeitung herausforderte: und zwar soll der alte, auf der Koine
beruhende text des Wnlfila auf grund der lateinischen Bil»el um-
gestaltet sein: das beweisen eben die zahlreichen stellen, an denen
der uns vorliegende text abendländische lesarten darbietet. Kauff-
mann hat das Zs. f. d. phil. 35, 433 f eingehend ausgeführt, und
Streitberg hat ihm zugestimmt (s. xxxiv) und in zahlreichen einzel-
anmerkungen seiner ausgäbe oder durch nichtberücksichtigung der
^lateinischen' lesarten bei der reconstruction die consequenzen dieser
Voraussetzung gezogen, wie sollte es auch anders zu erklären
' die zeilengetreuen abdrucke von A und Car durch Uppström sind
mir in Jena niflit zugänglich, so dass ieli nicht wi itcr nachprüfen kann.
DIE VORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL 275
sein, dass ein auf der Koine beruhender text einen so starken
einsclilag iateinischer' lesarten aufweist?
Sehen wir einmal unsere liste der Varianten zum Galaterbrief
an, so ist zu bemerken, dass eine anzahl lesarten, die Streitberg
als 'lateinische' angesehen und ausgeschieden hat, auch bei andern
zeugen der Koine begegnen: 2, (i (^£Öc dv^odjnov n.). 2,9
(Ilergog y.al 'kr/..). 3, 28 (fV). 4, 6 (viol + ^eov). 4, 26 om.
nävTwv). 5, 1 {/■ iL), f), 17 {d'Ü.rjloig dvTi/.siTat). 5, 23
{-\- äyvsia). b, 24 (-{- icvicjy). diese dürfen wir also, obschon es
von haus aus abendländische lesarten sein mögen, mit gutem recht
als eine mindestens nicht unerhörte erscheinung in einem alten
Koinetext ansehn und getrost der griechischen vorläge des Goten
zuschreiben, das macht uns mut, für die übrigen stellen 1, 24
(«v iuoi iöö'^a'Cov). 4, S («^foTc edovkivaan). 4, L3 {de om,).
4, 25 (to yaQ ^ivü etc.). 5, 1 dov/.siag Lvyo)). 5, 9 {öoJ.oi).
5, 11 {äri^ om.). 5, 13 (rr^g ouQV.dg ■jroiiLre und + xov
jjvevuarog). 5, 14 (+ bv vuiv). 6, 11 {yQdf.ifxaoiv ißiv go^)
die frage aufzuwerfen, ob es da nicht ebenso gewesen sein kann,
oder etwas anders formuliert: ist für das gebiet, in dem VVulfila
würkte, das Vorhandensein einer stark mit abendländischen les-
arten durchsetzten Koinespielart möglich oder gar wahrscheinlich?
für das gebiet der bulgarisch-rumänischen grenze, an der byzan-
tinische und römische cultureinflüsse sich bis zum heutigen tage
mischen? die frage so, dh. in ihrer vollen historischen bedingt-
heit formulieren, heifst sie bejahen, nichts ist natürlicher, als dass
der Koinetext an seiner nordwestlichen grenze früh eine Verbin-
dung mit seinem abendländischen nachbar eingieng und aus den
griechischen handschriften der Abendländer — die für uns bis
auf die späteren bilinguen D und G verloren sind — entlehnungen
in gröfserem umfang aufnahm, auch wenn wir keine Zeug-
nisse dafür hätten, würden wir einen solchen misehtext postulieren
€ürfen: so aber wird uns das werk des VVulfila ein unsc-hälzbarer
zeuge für die geschichte der nördlichen Koine im frühen vierten
Jahrhundert.
Die Zuversicht mit der dies urteil ausgesprochen ist, wird
noch erhöht durch die tatsache, dass wir im Süden des Orients
den analogen Vorfall bertbachten können, die engen beziehungen
zwischen Ägypten und Rom, die sich seit 200 immer deutlicher
erkennen lassen, haben früh die bekanntschaft alexandrinischer
-276 LIKTZMANN
theologcn mit abendländiselieni Bibeltext vermittelt: nicht selten
befrefxiien uns deraitific Icsarten bei Origenes, aucli in die uneial-
bibeln, btsonders H, sind sie mehrfach eingedrungen, und als
volle parallele zur Gotenbibel linden wir die alte sahidische Über-
setzung, die in Obcrägypten gebraucht wurde, in so reichem
nial'se von abendländisclion icsarten durchsetzt, dass sie trotz ihrem
unbe;i\veifelten 'ägyptischen' textdiaraktcr doch vielfach als neben-
zeuge für abendländische Icsungen auftreten kann: Blass hat in
seinen ausgaben der Lukasschrifteu lehrreichen gebrauch von ihr
gemacht.
Aber zeigt nicht die gotische Übersetzung deutlich ein-
würkungon der lateinischen — niciit einer abendländischen
griechischen — Bibel ? ist nicht durcii eine gtanze fülle feiner
beubachtungen festgestellt, dass der uns vorliegende text in der
widcrgabc der construclion, der auffassung des griechischen in
lexikalischer und syntaktischer hinsieht vom lateinischen abhängig
ist'? zweifellos, und wen die bemerkungen Kauffmanns und Streit-
bergs nicht überzeugt haben sollten, der interpretiere für sich die
seilen 23it— 249 der Streitbergschen ausgäbe, wo der gotische
text bequem zwischen dem Griechen und Lateiner steht, und ver-
folge im einzelnen, wie der Übersetzer zwar stets den Grieclien
widergibt, aber immer und immer wider dabei den Lateiner zu
rate zieht, sogar ihm die vocabel rapjon nsgihip = raUovcm
reddet für /.öyov cc:todd)08i Rom. 14, 12 anpasst. aber warum
sollen denn nur nachgeborene interpolatoren so verfahren seinV
warum nicht Wulfila selbst, der irihus Unguis j^lures tractatus rl
mtdias httcrpretationes . . . j^ost se drreliquit':f es erscheint mir
selbstverständlich, dass dieser im grenzgebiet aufgewachsene mann,
der aufser seiner muttersprache auch griechisch und latein be-
herschte, die lateinische Bibel bei seiner arbeit ständig zu rate
zog, möglicherweise in der in zweisprachigen gegenden beliebten
form der bilingue. diese Vermutung wird noch gestützt durcli die
auffällige tatsache, dass die gotische Bibel den Hebräerbrief nicht
enthält und — wenigstens soweit nach A geurtoilt werden kann
— nicht entiialten hat (Streitberg s. xx\i). dass griechisch ge-
bildete gotische theologen wie der Verfasser der Skeireins ihn
kennen, ist natürlich eine sache für sich, diese auslassung ist für
das gebiet der Koine sowol im 4 wie im h jli. befremdlich,
wenn Epiphanius G'J. 'M und Theodoret praef. in Ilebr. davon
DIE VORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL
27 7
reden, dass 'die Arianer den Hebräerbrief verwerfen', so wird das
■durch unsere kenntnis des morgenläiidisclien Arianismus und
Seraiarianisraus nicht bestätigt: es dürfte vielleicht nur reflex der
tatsache sein, dass die 'arianisclien' Goten den Hebräerbrief nicht in
ihrer Bibel haben, dagegen kommt er ira Abendland erst gegen
ende des 4 jh s in aufnähme: sein fehlen iu der Gntenbibel ist
also etwas typisch abendländisclies und erklärt sich besonders gut,
wenn dem Wulfila eine bilingue vorlag, deren lateinischem text
Hebr. von hause ans fehlte: mit rücksiclit darauf hat mau ihn
dann auch in der griechischen columne weggelassen, abend-
ländische Überarbeiter um 400 würden Hebr. nicht beseitigt,
sondern eingefügt h;iben: somit ist sein fehlen der stärkste aller
uns begegnenden 'latinismen": und gerade der ist nur zur zeit
des Wulfila möglich, schliefslich spricht für unsere annähme
nicht zum wenigsten die andere grofse Schöpfung des VVulfila,
die mit seiner Übersetzung in ursächlichem Zusammenhang steht*
das gotische aiphabet: es ist ebeuso wie die gotische Bibel im
wesen griechisch, mit gotischen eigeuheiteu und — mit lateinischem
einschlag. beide tragen dasselbe antlitz.
Was ergibt sich aus dieser erkenntnis für die reconstruction
der griechischen vorläge des Wulfila V ich denke die forderungy
dass der gotische text so treu wie möglich nachzubilden ist,
da wir angesichts unserer kümmerlichen kenntnis der alten Koine
die möglichkeit, dass eine zur zeit noch unbezeugte Variante doch
dem original angehört, stets in rechnung stellen müssen, aber
der grad der Sicherheit bezw, Unsicherheit ist kenntlich zu machen,
etwa durch cursivdruck oder f im text sowie genauere angaben
ira kritischen apparat. dieser selbst kann dafür entlastet werden,
indem alle stellen, an denen etwa aus Tischendorf bereits die
nötige Koinebezeugung für den gotischen text ersichtlich ist, ohne
coiimentar bleiben und zeugen nur da angeführt werden, wo die
Unterstützung nicht aus Tischendorf ersichtlich oder dürftig ist:
dass für die reconstruction neben Chrj^sostomus und Theodoret
vor allem die Peschito, aber auch die palästinensische Übersetzung
systematisch heranzuziehen ist, glaube ich erwiesen zu haben,
dass man lesarten des abendländischen textes einzustellen hat,
folgt aus dem bisher dargelegten : wo D G den griechischen Wort-
laut nicht bieten, ist er 'ermutungsweise durch rückübei-setzung
herzustellen und durch cursivdruck als fraglich kenntlich zu machen.
27S LIETZMANN, DIE VORLAGE DER GOTISCHEN BIBEL
gegen die niifnalinic von lesarten. die go mit dem ägyptischen
text gemein li;vt, bestelin erst recht keine bedenken: je älter die
Koine, desto loicliter sind einwüikungen der alexandrinisclien Bibel
begreifhch, die ja aucli ilirerscils deutlich die spuren der wechsel-
wüikiMig trägt, als beispiel wie ich mir die linke seite einer
neuen auriage der Streitbergschen Bibel denke, gebe ich Gal. 4,
6 — IS: die familien bezeichne ich, um verweclislungen auszu-
schalten, mit fracturbuchstaben: Jp = äg3'ptischer text (des
IlesychV), St = Koine, !lLs = westlicher text der lateinischen
zeugen.
IV () C/Tt o£ £'7Te ulol i)cO'j, izy.~ir:zzOxy 6 r)sr? tö TrvEova
ToC uioo aoTO'j sie tv.c xapf^iy; oaiov, /co^^ov • äßää o —y.zro.
1 cuTTö o'j/.iTt si ooO>.oc, [äXXa ulöc] • v. ()k uld:, x.al x.'Xroovo-
i7.o; i)£0'j <)<,'/. XpKjToC. 8 y.^Cky. totö yiv oOx. sir^i'-ö; 5)$ov
Totg (pv-'cit {7.y 00 t flcotc £fVj>j).£'JcaTö • y v'Tv (ie iöov yvovTs;
■Oec'v, |7.aA>.ov fis YvcorjOsvTs; Üttc flsoG, ttw; erreorQtil'aoite
-rraXtv £-1 Ta aaDsv? x.7.', r-^y/y. CTO'./sia, oi; r:y\vi c/vojOsv
f^O'j>c'j£'.v Dsls" ; 10 r^y-spy; -zpaTr^pa-jOs x.'/l v/T^va; y.al
xatpou? y.al svty.u-oi.'!; ; 11 o:ßoGy.ai u[7,'/; ij.7 7:<o: slx.v; y.sx.oTTia/.a
£i; üy.äc. 12 cJ//.f< yivörnOE o,; syo', cti x.ayo!) ac uy.£i;, ä-
<^£Xooi, f^foy.yi tp.alv. o'jfilv y.£ r^iysiny.TZ. 13 o'i'^aTE ['^i] Öti
fii' acTtlivstav t?; ny.o/lc, vyr.y\'zkinyfj:rv uaTv to ttoc'teoov,
14 /.'yl Tcv 7r£'.pa'7[j.cv tcv äv tv ny.z/J. u.ryj oux. scciuOcv/ca-i
oüfV £C£-T'JcraT£, 0».' de, ayyslov {)£ou £f^£;ac')£ {y.£, c ; XoirjTov
I'/]'7ouv, 1 5 Ti? oüv YjV 6 [7-a/.a trru.o; uy.tiTv ; [^.apTupcu yap Oaiv
CTi £1 o'jvzTcv TO'j; cOi)a^ao'JC uy.ojv £Cooü^y.vTS? av £f^t<jx,y.T£
f/.oi. 10 Ü'tt: >■ s/Hpc; uij-tZv yiyova. aX*/ji)£U(ov ufy.Tv ; 17 ':^-/j-
XoGtiv uv.ä; oü x-aXwc, äXXa £x,x,>.£i'7at u[7.ä; fliXoucjiv, Iva au-
Tou; ^r^Xo'jTS. 18 y.7.y.lv <)s, t -^ ';^-/jXoui79ai sv /.aXuJ — avTOT£.
6 3:oC go DG 2} Ps Justin expos. 5 (var.)] om. rell. 7 aXXa u'cs
om. go (Schreibfehler) 8 soouXsLTaTe lach ö-joi? go DG 2B] nach 9-£C/V
rell. I oüaet [xr] go P pesch J^] (jlt, ovas'. .ft' 9 Jooü ör/c^. j go er.ejTiE'^acO-s
go peschl sr.'.aTp^sEis rell. 12 &AXä rjc/rf. go 13 Sk om. goDGSi^: väp
pesch 14 r$.c.a'T[j.ov go C pesch| -f" H-^'-" iv Iß wote] 'aber nun wie'
go 'etwa' pesch 18 o£ -\- iiv.v go pesch wol als iibersetzungsbilfe.
Jena. Hans Lietzniann.
279.
zun VATICANUS MIT DEN ALTSÄCHSISCHEN GENESIS-
FE.AGMENTEN K Um der heiniat der im palatincodex der Vati-
cana 1447 erhaltenen as. Genesisfragmente näher zu kommen,
war es notwendig, in der handschrift selbst nach einer spur zu
suchen, sie fand sich im kalender und führte nach SAlban und
Silartin (dorn) in Mainz, wie und woher kam der codex nach
SAlban, da er doch reichliche Magdeburger eintiäge aufweist?
Jostes stellte die fi-age, wie ist der Magdeburger kalender in den
Mainzer hineingekommen? da derselbe im mittelalter nicht aus
Mainz herausgekommen ist, so ist es kaum anders denkbar, als
dass ein Magdeburger [als münch oder als Student] die feste seiner
heimat in den Mainzer kalender eintrug (Zs. 40, 129). später ist
auch Wrede auf die frage eingegangen (Zs. 43, 333).
Ein eingehendeies Studium der Mainzer geschichte gerade
im 10 Jahrhundert liefs mich zwischen SAlban und Magdeburg
vielfache beziehungen tinden; ich begnüge mich damit die ein-
schlägigen geschichtlichen daten hier zusammenzustellen.
il37 mai 23. kg Otto I ("tSö — 73) dotiert eine Schenkung
au den priester Hartbert : actum civitate Jlog. ad S. Alhanum.
(Diplomata Ottou. I nr 8.)
937 mai 29. kg Otto I, zu N.- Ingelheim weilend, schenkt
an SAlban sein hofgut zu Grofs -Winternheim (bei N.-Ingelh.):
ex fisco nostro Ingelheim . . . ecclesie S. Alb. foris mumm
Maguntiae . . . (Dipl. Otton. I nr 9 ; Stumpf Acta imp. s. 5.)
940 juni, mehrmals in Mainz — actum Magontic — iw
Maguntia — 2Log. ad. s. Alhanum. (Dipl. Otton. I nr 31. 32;
Mittelrhein, urkb. I 239.)
942 juni 2. Ottol urkundet: inMaguntla. (Dipl. Otton. Inr 47.)
953 august 11 u. 20. Otto I urkundet: publice in civitate
Magontia. (ib. nrr 166. 168)
953 Liutgard, tochter Ottos I, wird in SAlban beigesetzt^
ihre silberne spindel daselbst aufgehängt: [Luidgarda, filia
Ottonis I\ in ecclesia Christi martiris [S. Alb] in Mogoncia
flebiliter est sepulta, cuius fvsum argenteitm in eins memoria
ibidem est snspensum. (Thietmari Chron. 1. 11 c. 24, ed. Kurze s. 43.)
954 Wilhelm. soLn Ottos I, wird erzb. v. Mainz, beigesetzt
in SAlban; epitaphverse. (Jaffd Moguntina s. 719.)
957 Ludolf, söhn Ottos, herzog von Schwaben, wird bei-
gesetzt im Chore des klosters SAlban ; epitaphverse. (Marconi
Sc. ehr. ad ann.; Jaffe s, 7i9.)
955 apr. 4. Otto I schenkt auf bitten Idas, der witwe
Ludolfs, zu dessen Seelenheil sein gut zu Neisen im Lahngau
an SAlban: praedium in villa Nasina ... ad aecclesiam SAlb.
» Die nachstehnden notizen hat mir pfarrer Falk kurz vor seinem
tode (1909) zur Verfügung gestellt, nachdem es nicht möglich gewesen ist^
sie in anderm Zusammenhang zu verwerten, bring ich sie so wie sie Falk
niederschrieb zum abdruck. '^- "•
280 FALK, VATICANÜS MIT D. ALTSÄCHS. GENESISFßAGM.
t/ue eat Joris muros Moijoncie constructa. Acttiin Morjuncia ri-
■vitaie. iCüd. dipl. Nass. ed. Sauer nr 91; Joaniiis II 735.)
963 juli 'il. Otto II bekundet die schon vom vater be-
absiilitijj'te Schenkung des hofes HergentVld bei Bingen: ad eccl.
S. Alb. III (/iie foris muruiii civitatis Moyontinc condructa esse
videtnr. (Dipl. Otton. II nr 9; Stumpl' s. ','>0\.)
' 975 jnni. Willigis, seit jaliien um kaiserl. hofp, wird erzb.
von Mainz auf Ottos cinfluss liin.
993 sept. kg Otto III schenkt an SAlban auf Willigis
Verwendung G königshufen wald zwischen Kebersheim u. Wicsel-
bach im Nahegau: \l regales mansos ... ad xl porcos saginan-
dos etc. (Dipl. Otton. III nr I05; Stumpf s. 33.)
996 Jan. 21. Otto III schenkt an SStephan in Mainz ein
gut im Rangau; SStephan ist eine Stiftung von Willigis. (Dipl.
Otton. lU nr IS;». 249.)
996 oct. 21, Otto III genehmigt einen gütertausch SAlbanS
mit seinem getreuen Eberhard. (Stumpf s. 361.)
Im gefolge des kgl. hofes befanden sich cleriker, welche
der kalendarien usw. bedurften, der kgl. hof weilte abwechselnd
in SAll)an und in der sächsischen heimat.
Klein-Winternheim. Franz Falk j.
ZUR SPRACHLEHRE DES 1 6. JAHRHUNDERTS. Nach
einem hinweis Morfs hat ESchröder oben s. 135 die schrift De
differentia vulgarium linguarum des Bovillus 1533 und eine
daiiii enthaltene sprachliche erörterung zwischen dem Franzosen
Bovillus und dem deutschen gelehi-ten Trithemius als lücken-
büfser behandelt, beiden gelehrten ist unbekannt geblieben, dass
ich die gleiche schrift und stelle in meinem buche 'Von Luther
bis Lessing' sprachgeschichtlich eingereiht und bewertet habe;
vgl. 1. aufl. s. 51 = 5. aufl. s. 69.
Ich benutze diese gelegenheit, auf eine deutsche Sprachlehre
des H) jli.s hinzuweisen, die der gelehrsamkeit Jellineks (Ge-
schichte der nhd. grammatik. Heidelberg 1913) und wol auch
andern entgangen ist das büclilein "Lorenz Fries, der ge-
schichtschreiber Ostfi-ankens' von Heffner und Reufs erwähnt s. 30
eine verloren gegangene schi'ift des Fries 'Von der Art, Eigen-
schaft und dem Gebrauche der hochdeutschen Sprache' mit den
Worten: 'dieser schrift erwähnt Fries an zwei stellen (Ludewig,
Sammlung der geschichtschreiber des bistum Würzburg. Frank-
furt a. M. 1713) s. 425: was nun pagus haisse, hah ich in
ainein andern buch, so ich von art, aigens'haft und gebrauche
der hohen deutschen zungen schreibe, antzaignng gcthan. — s. 449:
loas atier pagus pag gewest sei, davon such in meinem buch dcw
ich von rechter art und aigenschaf't der hohen deutschen zungen
gemacht hah\ F. Kluge.
ZUR SPRACHE VELDKKES.
1 . 0 n neu o d e r g o n n en?
CvKraiis hat auf gruud seiner beobachtungeii zum rührenden
reim oben s. 61 die Vermutung ausgesprochen, dass Veldeke
noch präüxloses onnen, onde, geonncn 'gönnen' gesprochen habe;
er verweist zur stütze auf Serv. ii 1S73 veroinieii (iiif.). ich
war inzwischen von ganz anderer seite zu derselben meinung
gekommen, bei den vorarbeiten zu einer neuausgabe des Karl
und Elegast (KE) habe ich die ganze ältere überliefei'ung, die
von der Rheinprovinz über Limburg, Brabant nach Antwerpen
und Delft läuft und sich über das 14 und 15 jh. erstreckt,
sprachlich untersucht, uzvv. vor allem mit dem blick auf die
geographie der laute und formen, dabei zeigte sich für 'gönnen'
folgendes resultat: das Haager fragment H, 2 hälfte des 14 jh.s,
von dem mir College Kloeke in Amsterdam eine abschrift besoi'gt
hat, überliefert rcronnen inf. 590 {: fihewoimex), onste 634 (nach
Kuipers Zählung); der Delfter druck A (1478 — 1488', ebenfalls
nach einer abschrift Kloekes, vergönnen, gonsfe und gönne conj.
1413, also y- wie in dem rheinischen Karlmeinet [vergunnen K
382, 30, gunde 383, 13, gimne 394, 4S); aber 83, wo die frei-
schaltende Überlieferung K nach mhd. gepflogenheit gunde : be-
gunde reimt (374, 61), hat A onste : hegousie aus älterer Über-
lieferung bewahrt, uzw. im einklang m.it seinem sonstigen re-
spect vor den reimstelleu. da nun H ohne zweifei nach Lim-
burg, zumindest an die limburgisch-brabantische grenze gehört
(an die 40 mal ich 'ego' neben oec 572 'auch' und ic, ick, falls
das pron in enklise steht oder ihm selbst ein adv. incliniert
ist: hehhk 513. 536; dadlc 628, ■wlllic 630, jayc 649, weet
icker 525, soude icker 52S, hadde icker 586), und da die heiniat
des Originals nach dem ergebnis meiner Untersuchungen das an-
stof sende Brabant ist. so wäre zu schliefsen: die prätixlose form
ist limburgisch-bi'abantisch, die g-iorm rheinisch und holländisch.
mit recht hat deshalb Kuiper in seiner kritischen ausgäbe die
V-losen formen bis auf 1413, das ebenfalls zu ändern wäre,
durchgeführt, die brab. fragmente MN überliefein die form
leider nicht, aber interessant ist das verhalten von b, das sind
die drucke BCDE, alle Antwerpener he-rkunft. sie überliefern
übereinstimmend /- in 83. 590. 634, g- in 1413, was ich für
B meiner eignen abschrift, für CDE Kuipers apparat entnehme.
für die nach westen gelegenen gebiete dürfen wir demnach j-
aus gi- (Franck Mnl. gr. § 108) als cliarakteristische form er-
warten, dazu stimmt auch die beobachtung Mullers im Reinaert-
commentar (Mu.), Utrecht 1917, s. 73, der für die fläm. hs. A (an-
fang des 15 jh.s) durchgehends j-formen notiert, die die neue hs. F
(+ 1340) consequent in prätixlose formen umsetzt, dass diese
Z. F. D. A. LVI. X. F. XLIV. 19
2S2 FRINGS
lis. narli Hnllaiul j,'eliürt. wird von Mu. s. !.'> selbst bezweifelt
und ist in der tat nicht sicher zu erweisen, da pie textkritisch
en^ bei Martins frag-nient E steht [M\\. s. Ki. 35), so könnte
man auch an geographische verwantschatt denken; gewis ist
jedenfalls, dass auch E das Häm. /- zu <j;unsten der präfixlosen
form pieisgibt: QF. (»r», s. 27 v. 314() lii ans om E g:e}?en
jaus A; E aber ist brab. (so QF. s. 12. 13: ostbrab. Mu. s. 4!)
gep^en LWillems Tijdschr. 3(», 224 — 237, dei- für die geg'ond
von Venlo li^iünde zu haben g-laubt), dass für das holl. //- als
charakteristicuni igelten kann, beweist aucii K (hs. von Reiuaertlli,
die man nach Holland setzt und die in die zeit des A-druckes
vom KE gehört (+ 1475; Mu. s. 11). 4!)): sie hat statt des ./-
von Rein. I durchgängig 7-; vgl. Martin Rein. II lü gönnen inf.
(: hegoiiiicii). lO'.l!) i/mi , 2582 gönne gegen ,/- in Rein. I 10.
1074. 25(;o ; weitere belege für Rein. II in Verdams Mnl. wb.
(V.) u 2l)(i5 unter gonste 'gunst'; dieselbe beobachtung mit zum
teil anderen beispielen bei Muller Tijdschr. 7, 43'. jonm-n als
charakteristicuni der west-, onuen als charakteristicuni der ost-
hälfte der südl. Niederlande lässt sich auch aus den dialect-
proben bei Franck Mnl. gr. - s. 207 ff ablesen, aus des West-
Hamen Maerlant Spiegel histuriael liab ich mir jonstf (prät.)
373 (nach Francks Zählung), aus dem Häm. -Seeland. Walewein
jonncH (52 (.• hefonncin notiert, wobei betont sei, dass in beiden
fällen auch die hss. fläm. sind (mitte des 14 jh.S); ira Leven van
SLutgart des Willem van Afflighem, der zuletzt leiter der
Benedictinerabtei STruiden in \Vestlimburg war, heilst es aber
onstich 'günstig' G. 130, onncn inf. 20 (.• begonnen), als formen
der limb. Seimoenen. deren lis. dem 14 jh. angehört und die
man in die gegend von Maastricht oder Tongeien setzt (Kern
§ 226 s. 170), gelten inf. onnen, veronnen\ präs. ind. 1. 3. sg.
an, 1. 3. pl. onnen, veronncn\ opt. 1. 3. sg. onne .Kern § 217
s. liiO). das umfangreiche belegmaterial von V, das unter 0-
und go- steht (unter go- auch .70-; die fälle des alten gc-o lass
ich beiseite , ist nur mit vorsieht zu benutzen; denn das bei-
spiel des KE zeigt zur genüge, wie gründlich die spätere Über-
lieferung die formen des oiiginals umgesetzt hat; und dazu sind
wir in vielen fällen nur mangelhaft über die dialectzugehüiig-
keit der originale unteriichtet. aber dennoch glaub ich es im
grofsen für meine gruppierung verwerten zu k'"'niien. bei onnen
inf. und omte subst. V. v S37 ff. 'J4G ff halten sich die sicher
zu localisieienden denkmäler des Ostens und westens die wage;
bemerkenswert ist aber ntet onsten Serv. i 217(5 (ich eitlere
nach l'iper> V. nach Bormans, der mir nicht zugänglich ist).
an dem artikel onstich V. v 950 ist das Lev. v. SLutg. stark
beteiligt, und onsfichril. wird fast ausschliel'slich mit brab. be-
legen bestritten, aus dem osten stammen auch die belege zu
onstelijc, -Uke adj.. adv. V. v *>4^, darunter met onstellker
ZUR SPRACHE VELDEKES 283
trouwen Serv. ii 770 und das tmstelech 'favorabilis', imsieleke
'favorabiliter' des Beruer glossars (1:^/14 jh , limb.. nähe der
limb. Sermoenen; vgl. Buitenrust Hettema s. IV. XXIX). bei
den von V. unter onnen angeführten sonderglossaren. die unter
an 1. sg. präs. präiixlose belege bringen (ilelibeus. Lorreinen)
wäre noch van den Bergh zu Heiniics Roman van Heinric en
Margriete van Limborch nachzutragen, bd ii*274. in den artikeln
g{j)onnen, g{j omte, (i[j)omikh, g(j)oiisticheit, g{j)onsteiijc,
-like (V. II 2062. 2065. 2ti66. 2067) treten die in den o-
artikeln begegnenden östlichen denkmäler stark zurück, eine
genauere Scheidung des ./- und <j-, das auch dem süden nicht
ganz abzusprechen ist, scheint unmöglich, immerhin wiid man
auf grund der belege sagen können, dass g- (d.i. die gutturale,
mehr oder minder stl. Spirans neben der sth. palatalen spirans
./-) vor allem dem brabantischen eigentümlich ist, und zwar den
von Limburg entfernteren centralen teilen das starke schrift-
sprachliche streben der Mittelniederländer hat neben der um-
setzenden tätigkeit der Schreiber die dialektischen formen ge-
mischt und dann auf dem ganzen gebiete, vor allem aber in der
mitte, in Brabant, zu einer concurrenz von g-. ,/- und prätix-
loser form geführt, und die muste gerade in Brabant um 'so
stärker sein, als hier auch in der mda. die drei tj'pen auf enger
fläche nebeneinander standen, genauere kritik der hss. wird
volle klarheit bringen; dass aber mein resultat in den grund-
zügen richtig bleibt, das verbürgen mir die heutigen mdaa.:
De Bo Westvlaamsch idioticon (Brügge 1873) s. 47 3 belegt
jimnen (Jeiincn), jiwde, gejiind, junstr und bringt zudem belege
aus Pater Poirters (ende des 17 jh.s) und dem vor kuizem ver-
storbenen Karel de Gheldere ; dazu stimmen meine eigenen
westfl. aufzeichnungen aus Yperen, Westroosebeke, Thielt,
Iseghem, Moorseele, Clercken, B)-ugge: janu. Jonen, Jmn, mit
geschlossenem oder halb offenem 0. auch Ostflandern hat j: Ne-
vele bei Gent Jona und jcum, Aalst jnicn, und selbst Brüssel im
westl. Brabant: Jone, für das gebiet von Antwerpen und Mechelen
ist jonnen bei Cornelissen und Vervliet Antwerpener idioticon
(Gent 1899) belegt, also in Übereinstimmung mit den Antwerpeuer
b-drucken des KE, deren ältester von 1496 stammt, aber gleich
östlich von Brüssel belegt Goemans, Leuvensche Bijdragen 2, 37.
40. 41 gunst für Leuven, und gleich östlich von Antwerpen habe
ich mir für Herenthals ggne notiert, demnach läuft die ./-/r/-
grenze heute von norden nach süden durch das herz von Brabant;
sie wird durch die ./-orte Antwerpen, Mechelen, Brüssel gegen
die g-OYi& Herenthals und Leuven bestimmt, leider hab ich das
wort für die östlichen dialekte der südl. Niederlande nicht ver-
folgt, da mein Interesse auf die quantität und qualität des vocals
gieng. aber das //-gebiet kann nicht sehr grofs sein; man muss
es sich als einen schmalen, central- und ostbrab. nordsüdstreifen
19*
284 FKIXGS
vorstellen; denn Tongeren, .">() km iistl. von l.euven und 20 km
westl. von ^laastiicht hat one nacli Gniolaers, Lenv. Hijdr. s, 14S,
somit in übeieinstimmiuip- mit der älteien linib. übcrliefernng-.
vor allem den Strinoenen. wie fi;-roIs das prätixlosi; .y-ebiet hentc.
ist, kann ich niclit sagen; es wird nach osten durch das mfrk.
./-gebiet abgelöst {joiii- in Aachen), dessen ./- von ./- und »i-
konimen könnte, aber nach ausweis der nii'rk. üboilieferung auf
'/- zurückgt'ht.
Damit ist die pi-ätixlose form für Veldeke nach allen selten
sicher gestellt stutzifr machen könnte Serv. t/an {: man), yumk
{ : h<i)ide< 1 I'.ITU: ii ^}\[\. I81-J. 2ir)7. 252G, die vKraus gleich
den vorhin herangezogenen o-formen nicht anführt (die beispifle
nach Piper; zwei weitere belege bei V. und Leviticus Laut-
uml flexionslehre der SServatiuslegende, Ilaarlem IS?)!), {j 142,
kann ich nicht auffinden), aber hier hat die junge hs. junge
formen ans dem benachbarten mfrk. übernommen, die einfache
verbtvlbildung ist von dem mfrk. (j- bei'eits stark ergriffen (oimr
3. sg. präs. conj. nach Leviticus nur i I2()(i), das verbale com-
positum rcriiinieii und die norainalljildungen {>itet oksIch, onsterih)
haben jedoch die alten bodenständigen Verhältnisse bewahrt, das
eindringen des mfrk. ;/- steht im Zusammenhang mit der allge-
meinen revolution, die das südl. ndfr. auf dem weiten bogen von
Tongeren über Crefeld-Ürdingen bis in die gegend von Elber-
feld durch den westlichen und nördlichen vormarsrh mfrk. formen
erfahren hat.
2. te spoede oder Ic (joedc?
Für MFr. 67, 34 den erget et wale te giide (; die güde)
schlägt vKraus oben s. 62 te spüde vor unter berufung auf den
Karlmeinet, er hätte auch noch auf das mnl. verweisen können
V. VII 1769. klarer und beispielreicher als jedes der deutschen
Wörterbücher entwickelt V. die bedentungsgeschichte, die sich von
dem grundwert 'fortgang, fortschritt' (voortgang, goede voort-
gang, goed gevolg, gclukkige uitkomst, success, welslagen) zu
den abgeleiteten begriffen 'glück' (voorspoed, geluk, auch heil)
und 'beschleunigung, eile' (bespoediging, het spoed maken met
iets, het voortnmken, spoed, auch haast) entwickelt, von hause
aus ist dem grundwert 'fortgang' nicht einmal die nuance 'gut,
glücklicli, erfolgreich' eigen ; er bezeichnet das 'vorwärts, die
Vorwärtsbewegung" schlechthin, und das hat dann veranlassung
gegeben, zur bezeichnung des "glücklichen vorwärts, des glucks'
auf hd. und ndd. boden franispiiot und royspül, vorespoet, zur
bezeichnung des gegenteiligen Verlaufs das ndd. ndl. n-edderspöt.
iceders])oet , tegempoet zu schaffen, also den grundwert durch
prägnante partikeln zu differenzieren; das simjdex hielt sich nnl.
nur in der bedeutung 'eile'.
ZUR SPRACHE VELDEKES 285
Wie stellen sich hierzu die beispiele aus Kailni., auf die
vKraus sich beruft? die bei Bartsch Über Karlm. s. 324 an-
geführteu reimfälle sind alle unter dem Stichwort 'eile' summiert,
aber diese bedeutung- trifft nur für einen teil der fälle zu, die
zudem an die formal mit spöde, mit (/öder t<iM gebunden sind.
es handelt sich' um i 4, 23. 17, 11. 190, l'.i (alle mit spMe :
i/öde dat. von got subst. oder flect. adj., in der prägnanten be-
deutung- von adv. 'schnell'), m 34 S, 25. 353, 22. 3G3, 16 (alle
mit göter sjwt : cjöt adj. und zu mindest in 3G3, 16 [vgl. 363,
14 das parallel'.vort hacstl ich] und darnach auch wol in den
anderen fällen mit der prägnanten bedeutung von adv. 'mög-
lichst schnell'), iv 391, 28 (mit </dder spot 'schnell', vom be-
arbeiter für die entsprechende mnl. formel metio- sjxxit [V. vu
1772] eingesetzt, die sich 390, 21 aus dem original [Kui. KE
1102. IISI] in der form mit der spot gehalten hat; metter i^poei
hat mnl. den wert von metter haast). au nur drei stellen tritt
die bedeutung 'gelingen, erfolg' hervor und zwar in i lOG, 2S
got geve uch goeden spoet, in v^ 416, 29 syne siege en hedden
geynen spoett, und auch in i 66, 13 dat ich neit en achten up
de spoet 'dass ich mir um das gelingen, den glücklichen aus-
gang, keine gedanken mache*, im übrigen zeigt das wort im
mfrk. gegenüber dem mnl. zwei weitere nuancen: einmal 'vor-
teil, zweck' und dann weiter 'anlass, absieht' in der formel uin
de{n) spot i 10, 59. 12, 31. 17, 37 'um des erfolges oder Vorteils
willen, zu dem zwecke, aus dem anlass' (daher auch 9, 38 durch
einche boese spoet 'in irgend einer niedrigen absieht') und dann,
abgesehen von 9, 38, auf einen folgenden nebensatz hinweisend,
der den zweck, den anlass oder die absieht näher bestimmt, zb.
12, 31 hei dedc id allet umb den spoet dal hei Karlle
ironlde liclpen si/Dre eren; ein andermal 'art und weise' und
dann in abhängigkeit von mit das adv. eines zwischenstehenden
adj. umschreibend: i mit lever sput 11, 26 'in freundlicher weise',
und ebenso mit hescheijdener spoet 72, 53, mit hardc koestelichem
spoet 110, 28, mit stoeltzelichem spode 200, 44, ii sy namen
Morantz goet ind in. dar va mit boeser spoet besachten
boeszlich 223, 65, in ind dede us syne wapen guet ind cleyde
!>ich mit hranrker spoet 'und tat geringere kleidung, keine
lüstung, an' 348, 38. diese geschwächte bedeutung lässt sich
zwanglos aus der adv. formel ^nit spnl 'schnell" ableiten, wenn
* Die fehler iu Bartschs citaten verbessere ich mit hülfe meines
reiinwörterbuchs; nur den beleg mit ^pode aus V kanu ich nicht auf-
treiben, da mein rwb. nicht soweit reicht, falsch ist sonder spoet 18, 2
(: f/uet) verstanden, das 'fürwahr' bedeutet; die hs. liat spät, und wir
werden einen reim spot : (jut annehmen müssen, es sei allerdings nicht
verschwiegen dass das Ber'ner glossar eiii spuet 'ridiculum' enthält, das V.
vr 1773 in spot ändern will, und 501, (Ui spoet 'spott' geschrieben ist
iua reim zu f/ot; zudem ist weiter unten für Prüm Sprit in der bedeutung
•'spafs' belegt.
280 FRINGS
man zb. einen satz wie (//ei) herhcrfjcdc mich iiiit lerer spul
11, 20 zunächst mit hülfe der iiberganp:sbedeutnng- 'mit freund-
licher j^eschäftisrkeit' interpretiert, steht statt des prägnanten
ein sinnschvvaches adj. oder gar ein pron. adj., so überniniiiif
die formel die function eines modalen adv. : i mit alsus daner
spuet 13,34 = 'so'; iii de niii snlcher spoit alsus hieven
doit 35!), 36, wo der adV. begriff 'auf diese weise, so" doppelt
ausgedrückt ist; mit t/eijiier spoet i 85, 44, ni 325, 44 zur Ver-
stärkung einer negation {dat hey den mit (jeyner spoet neit
durch slaen en kitnde: dat sy mit yeynre spoet enyeync
fjave en nemen). so kann denn auch die prägnante formel
mit quder spuet in in 309, 5S zum inhaltlosen flickstück herab-
sinken: //;; der hiirch, here, .... '/'• ir mit (judor spurt hyr
rar ach seit slaeii.
Von diesen 20 Karlm.-beispielen könnten somit nur die drei
für MFr. 07, 34 herangezogen werden, die ich oben durch 'ge-
lingen, erfolg' umschrieben habe, aber sie wären um so kräf-
tiger für vKraus ins feld zu führen, als in meiner heimat, im
linksrheinischen ndfik.-mfrk. Übergangsgebiet, das wert in dieser
bedeutung bis heute lebt, im material des Eheinischeu Wörter-
buchs lind ich auf einem von Franck geschriebenen Zettel sjjot
'fortgang' als gegensatz von 'eile' (ausgezogen ans den mir un-
zugängliclien heften von JSpee Volkstümliches vom Niederrhein
[gegend von Kaldenkirchen], Köln 1875, i 25), und w.is das
bedeuten soll, lehrt ein Sprichwort der Ortschaften Kempen,
Breyell: je mir host, je u-enijer spid 'je mehr hast, ungestüm,
um SO geringeren erfolg' (ans dem von lierrn prof. Müller aus-
gearbeiteten fragebogen x). der beleg ist umso interessanter,
als .sj;ö/' in directem gegensatz zu /ia<(st steht, mit dem es im
mnl. und vor allem im nnl. zusammengeht, aus den Veldeke
benachbarten westlichen, flämischen mdaa. stehn mir keine be-
lege zur Verfügung; sie scheinen, wie ich aus Leuv. Bijdr. 1, 2y(>
schliefse, wo sjmd für Aalst in Ostflandern durch nnl. spoed über-
setzt ist, nur noch diese bedeutungsstufe zu kennen.
Auch in den mdaa. der mittleren und südlichen Rhein-
provinz ist die im nnl. verallgemeinerte bedeutung 'eile' unter-
gegangen, dafür hat sich aus dem grundwert 'fortgang' die
bedeutung 'bewegungsmöglichkeit, bewegungsraum, weitung, be-
wegungsfreiheit, freiheit' entwickelt, der zapfen und das rad
müssen S2)ut haben, und zwar das rad zwischen spindel und nahe
(Zwalbach kreis Merzig, Bitburg Eifel), ebenso die schultern
und die arme an den ansatzstellen im kleide (Bitburg, Piüm),
schliefslich auch die Schulkinder und die erwachsenen (Zwalbach,
gegend von Bernkastei), in Prüm begegnet das wort auch in
der bedeutung 'spafs'. auszuscheiden aus der geschieh te des
Wortes im rheinischen hätten die belege aus dem Kölner Lanslot,
der ca. 1510 bei Heinrich von Neuss gedruckt wurde, und zwar
ZUR SPRACHE VELDELE8 287
spoü 348 in der bedeutung 'Jagdglück' und loiiffhi mit der spoet
690; denn er ist, wie schon diese letzte, anch oben aus dem
rliein. KE belegte formel beweist, eine wortgetreue umschritt
eines ndl. Originals; vgl. Norrenberg Kölnisches littoiaturleben
im ersten viertel des 16 jhs (Viersen IS73) s. :54.
Für spoet in Verbindung mit te könnte vKraus auf V. vii
1772, 2 verweisen: nlemen en ivcd, hoe tn. dnt Icet es dicke
tsjmede, obgleich mir die stelle, die dem Belgisch Museum i ent-
nommen ist, und die ich nicht nachprüfen kann, verdächtig
scheint (vielleicht de spoe(?[e]?); ferner auf 1771 mener/ arbeit
(3. sg. präs.) /(• crancken spude 'met weinig success' (Limb.
Serm., vgl. Kern s. 680 a), M levet te deinen spoede (Hade-
wijch), die beide aus Veldekes näherer oder entfernterer heimat
stammen; vgl. auch 17 70 ien Ijesten spoede (Hadevvijch). und
dennoch ist der Vorschlag von vKraus zumindest zweifelhaft,
denn es kommt auf die ganze formel an, also auf eine ent-
scheidung zwischen te spfide ergdn und te gade ergdn. te spoede
ohne prägnantes beiwort in Verbindung mit einem tätigkeits-
begriff, dessen resultat es ausdrückt, ist nirgends nachzuweisen;
wol aber ist te goede in dieser function massenhaft belegt; ich
verweise auf die zahlreichen beispiele bei V. ii 2044 und im
besonderen für te goede vergaeyi auf V. viii 1735. vor einer
änderung der stelle w^arnt auch MFr. 63, 21 te gtide meinen
und 64, 2 te gfide end te lieve ditii, wovon das letztere bei V.
II 2044, 2045 wider genaue entsprechungen hat.
Ist Veldeke übrigens ergdn, also die Vorsilbe er- zuzu-
erkennen? er- fehlt bekanntlich dem echten mnl.; es kommt
nur in östlichen grenztexten vor (V. n 678), Franck-van
Wijk s. 157 a, te Winkel Grdr. I - s. 878) und ist im übrigen
durch ver- vertreten, er- und ver- für got. «s- gehn in den
Limb, Serm. durcheinander; vgl. Kern s. 658 ff. in einzelnen
fällen reicht ver- für er- auch noch tief in die Rheinprovinz
hinein, dass ver- die function von got. us- übernahm, hängt
in diesen nördlichen gegenden in erster linie mit dem unter-
gang des ingwäonischen (anglo-fries., asächs.) a- zusammen, im
rheinischen und im limburgischen ist er- gewis vielfach jüngeren
daturas, so wie auch die nnl. Schriftsprache zahlreiche er- fälle
aus dem hd. neu eingeführt hat, eine Untersuchung der frage
täte not; für Veldeke wüste ich mich im augenblick nicht zu
entscheiden, [FVogt macht mich darauf aufmerksam, dass MFr,
()4, 31 BC in der tat vergan überliefern, anderseits 5!), l'J das
raetrum erbl/ken verlangt. Veldeke hat demnach ver- und er-
gekannt, die aber nicht willkürlich, sondern von wort zu wort
wechseln, für die neue aufläge von MFr. hatte Vogt vergan
schon in aussieht genommen, bevor er von meiner notiz erfuhr.]
28S FKINGS, ZUR SPEACHE VELDEKES
Anhangsweise sei zur einfüg-nnir von )ic in MFr, (iJ, IC»
darauf hingewiesen, dass g-erade im rheinischen diese neg'ations-
partikel sich am längsten, si^urenhaft sogar bis heute, ei-halten
hat (vgl. jetzt Beliaghel Wiss. beiiiefte der Zs. d. allg. d. Sprach-
vereins V i-eihe, lieft, 3S — 40, s. 247 und GLouis Nicht und
nichts, diss. ]\[arburg 1917. s. 8). in fliimischen mdaa. ist sie
noch ganz lebendig, vor allem im westen und in Fianzösisch-
Flandern: aber sie geht vtn osten nach westen stark zurück,
und so kann man bei Stijn Streuvels auf jeder seite construc-
tioneu mit und ohne ca beobachten, ohne dass eine regel zu
erkennen wäre.
Bonn. Theodor l"rlii"s.
ZUM TEXT DES MOTJIZ VON CKAON. Zu den vor-
schlagen Wallners oben s. 132 ff Stellung zu nehmen, verschieb
ich bis mir eine neue aufläge der Rittermären dazu gelegenheit
gibt, hier füg icii nur ein paar bemerkungen ein, für die mir
eben der räum zur Verfügung steht, v. 113 1. Ritterschaft. —
v. 1090 ff uf des hifJites phert er setz und fuor als in ''der
kneht' hiez. nu vcrnemet wie in der Icnelit liez in einen honm-
garten. das mittlere Imclit ( — kneht hiez : — kneht liezl) ist
sicher falsch; man kann schwanken, ob der hole zu setzen sei
(Vgl. ei7i böte 1082) oder diu f)'Ouwe, was ich vorziehen
möchte, vgl. 1084. SS mm fronwe — daz enböt sie uch
hl mir. — V. 1145 ff Die veder wären guot genuoc. daz Her
daz die beige triioc daz ist alfurt genant usw. veder kann
auch der flaurapelz von der bauchseite kleiner pelztiere sein
(liermlne vedere), dass es sich aber bei diesem 'tier' aus Maroeco
um den vogel straufs handelt, war mir längst klar, nur suchte
ich es in afz. auirur resp. mit 'umgekehrter Schreibung' altrue,
während mir jetzt ELittmann die müglichkeit eröffnet, dass es
doch ein arabisches wort sei: 'obrad, pl. burd heifst eigentlich
'gefleckt', dann wird es von gefleckten tieren gebiaucht, vom
panther (leopard) sowol wie vom stranfs. beim sti-anfs erscheint
das wort allerdings meist mit metathese: arbad, pl. rubd.'' —
v. 1230 diu 'froKwe' giiefUcheu sprach — die nachfolgenden
Worte gehören aber der zofe, die natürlich niemals f'rrnarc heifst,
sondern abwechselnd juncfromve (1095. 1100. 1195. 1242. 1385.
13901, magedin (1259. 1289), maget (1363. 1404. 1465. 1509),
und das letzte wort ist hier einzusetzen. — v. 1279 vu ist aus
dem eingang der nächsten zeile eingedrungen, der vers ist wol
zu lesen müht er sin släfen haben gespart! E. S.
ANZEIGER
FÜR
DEUTSCHES ALTERTUM
UND
DEUTSCHE LITTERATUR
HERAUSGEGEBEN
VON
EDWARD SCHROEDER und GUSTAV ROETHE
ACHTUNDDREISSIGSTEK BAND
BERLIN
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG
1919
INHALT.
Aelfiic. s. Fehr
Barlaam, Laubacher, s. Perdisch
Beer, Tre Studie o videch slovesneho deje v golslina. cast |)rvne: (l<'-
jiny otazky, von Hartmann 1
Bibliothekskataloge. Mittelalterliche, s. Gottlieb u. Lehmann
Björkman, Morte Arthure, von Schröder 104
Bolze, Schillers philosophische begründung der ästhetik, von Zinkernagel 178
Bonifatius, s. Tangl
SBrant. Flugblätter, s. Heitz u. Schult/.
Bremer, Deutsche lautlehre. von Jellinek ... 135
Brüggemann, Utopie und Robinsonade. von Kiemann 157
Buchwald, M. Luthers lieder und fabeln, von Schröder 172
Bugge u. Olsen, Norges indskrifter med de seldre runer I-III 1, von Bing 133
Caminade, Les chants des Grecs et le philhellenisme de WMüller. von
Walzel 85
CoUinson, Die mnd. Katharinenlegende der Brüsseler hs., von Schröder 109
Deckelmann, Die litteratur d. 19 jh.s im dtschen Unterricht, von Kiemann 93
Dove, Studien zur Vorgeschichte des deutschen volksnamens. von Michels 1 30
Eckart, Der wehrstand im volksmund, von Schröder 181
Fehr, Die Hirtenbriefe Aelfrics, von Schröder 103
Frings, Studien zur dialektgeogiaphie des NiedeiTheins, von Teuchert 14
Gebauer, Geschichte des französischen kultureinflusses auf Deutsch-
land, von Brecht 113
Gereke, KvWürzburgs Engelhard .170
Goethes briefwechsel mit HMeyer, s. Hecker
Gottlieb, Mittelalterliche bibliothekskataloge Österreichs I. von vSlein-
meyer >-'
Griilparzers ahnen, von Knefsch ISO
Gudemann, P. Cornelii Taciti de Germania, von Schröder ... 96
Günter, Die römischen krönungseide der deutschen kaiser, von Schröder 98
Hartlieb, s. Ulm
Hecker, Goethes briefwechsel mit HMeyer 1, von Sein öder . . . 114
Heinrichs, Der Heiland und Heimo von Halberstadt, von Schröder . 100
Heitz u. Schultz, Flugblätter des Seb. BranI, von Schröder . . . . 110
Hermsen, Die Wiedertäufer zu Münster in der deutschen litteridiir,
von Schneider ^'^
Hessel, Altdeutsche frauennamen, von Schröder- 98
Hirschfeld, Kleine Schriften, von Henning '-"
Höpfner, Untersuchungen zu dem Innsbiucker, Berliner und Wiener
Osterspiel, von Rueff t '*
IV INHALT
Seile
Jiriczfk, Macplicrsons Kraf^mciits uf iiiicient poetry, von Scliröder . 112
- , Seifriedsbiirg und Seyfriedsage, von Schröder Hii»
Juellie, Der minnesiinfier Hiltl)()lt von Schwangau, von Keim . . 142
Kalbow, Die fjerman. |)ersoiu'nnainen d. ailfranz. hcUicnepos, von (lieracli '■Hi
Katharinenleijende, s. CoUinson
Kempeneers, HvVeldeke eii de broii van zijn Servalius. von Scliröder 107
Klewitz, Die natur in üüntlicrs lyrik. von Kaninierer 174
Kock, Die Skeireins, von Jellinek 27
Koehler, Lat.-ahd. glossar zur Tatianübersetzung, von Schröder 1()»>
Korrodi, C. F. Meyer-studien. von F. (ieiger 87
Krönunjiseide, s. Günter
f.chinann, MitlelalttMlicIie bibliotliekskalaloge Deutschlands und der
Schweiz 1. von vSteinnieyer 121
Lenz, s. S(^lunitz-Kalleiil)ei'<i
Luther, s. Buciiwald
Macpherson. s-Jiriezek
Maync, Geschichte der deutschen Goethe-biographie, von Brecht . 17(5
Meinoires de la Societe neophilologique de Helsingfors VI, von
Schröder 168
Merker, Kefonnation und litteratur, von Petsch 173
Mertz, Die deutsclien briichsliicke von Athis und Frophilias, von Schröder 1 70
Mitteilungen aus der Königlichen bibliotiiek I— IV, von Schröder . . 16ti
Mitteilungen, Neuphilologische (Helsingfors), 16 — 19 Jahrgang, von
Schröder 1»)9
Morte Arthure, s. Björkman
WMüller, Verzeichnis hessischer weistümer, von Schröder . . . . 100
Olsen, s. Bugge
Olson, Studier över prononienet den i nysvenskan, von vUnwerth j 101
Paul, Veranlassung und quellen von .). El. Schlegels 'Canuf, von Petsch 17
Peebles, The legend of Longinus, von Blöle .147
Perdisch, Der Laubacher ßarlaam, von Baesecke 51
Piper, Burgenkunde ', von Schröder 99
Pollak, Proben schwedischer spräche und mundart I. von vUnwerth f 102
Prem u. Schissel von Fleschcnberg, Tirolische analekten, von Schröder 112
Ranke, Der erlöser in der wiege, von Panzer 137
Roethe, Luthers bedeutung für die deutsche litteratur, von Petsch 173
Sadee, Rom und Deutschland vor 1900 jähren, von Schröder ... 95
Schissel v. Fieschenberg, s. Prem
Schmitz-Kallenberg, J. M.R.Lenz Briete über die moralität des Werther,
von Petsch . .' 1 7(J
.Schneider, Die gedichte und die sage von Wolfdietrich, von Baesecke 42
Schoof, Die Schwälnier mundart, von Teuchert 2&
Schoepperle, Tristan and Isolt, von Kelemina 55
Schultz, s. Heitz
Seehaussen, Mich. Wyssenherres gedieht und die sage von Heinrich
d. Löwen, von Schneider 150
Skeireins, s. Kock
INHALT V
Seite
Sprengel, Die neuere deutsche dichtung in der schule, von Riemann 90
TStimmer, Comedie, s. Witkowski
Tacitus, s. Gudemann
Tangl, Die briefe des heil. Bonifatius und Lullus, von Schröder . . 97
Trösch, Die helvet. revolution im lichte der deutsch-schweiz. dichtung,
%'on E. Geiger t 161
Ulm, Joh. Hartliebs Buch aller verbotenen kunst, von Hirsch . . . 154
Walther, Luthers deutsche Bibel, von Schröder 172
Walz, Germanisms in english speech: God's acie, von Schröder 101
Weller, Württembergische geschichte, von Schröder 100
Witkop, Die neuere deutsche lyrik, von Walzel 75
Witkowski, TStimmers Comedie von zwei jungen eheleuten, von
Schröder 111
Wolter, Das SGaller spiel vom leben Jesu, von Rueff f 66
KvWürzburg, s. Gereke
Wyssenherre, s. Seehaussen
Zur altentötung, von E. Mayer 181
Eine Brünner copie der hs. Gerhards v. Maastricht und des Wiener
Otfrid, von Wallner 116
Ein brief JGrimms an dr Bach in Fulda, von Schröder .... 182
Idbansa, von Schröder 117
'Maria zart', von Wrede 182
Zu HvMorungen 128, 6, von vKraus 117
Personalnotizen 118. 184
Ehrentafel H. ül 120. 184
Register 185
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FÜR
DEUTSCHES ALTERTUM UND DEUTSCHE LITTERATUR
XXXVIir, 1. 2. augast 1918
Aiitoain Beer, Tri Studie o videch slovesneho deje v gotstiniT'.
cast prvni: dojinj- ntazky. Prag, P>. Rivndc, 1915. Kirl.
böhm. Ges. d. \v. "phil. abt. VIII. 187 ss S** (Drei essays über die
aspecte der verbalhandiung im gotischen, erster teil: Fragen
der actionsait.)
Während WStreitbergs aufsatz über perfective und imper-
fective verben im gotischen (PBBeitr. 15, 70 — 17 7) aufserhalb
Böhmens nahezu allgemeine Zustimmung gefunden hat und der
Widerspruch dagegen , obwol einige einschränkungen gemacht
wurden, allmählich verstummt ist, haben Prager gelehrte und auf
ihre foi'schungen gestützt auch Richard Heinzel in seiner be-
urteilung von Streitbergs arbeit den ergebnissen von anfang an
starke zweifei entgegengestellt. BDelbrück hat sich dadurch be-
stimmen lassen , in seiner Syntax II 11 9 ff. Streitbergs ergebnisse
ganz abzulehnen und namentlich durch einführung einer geänderten
terminologie die tatsachen in anderer weise zu gruppieren; aber
weder Moureks grofse Syntaxis gotskych predlozek noch Delbrücks
ausführungen haben die Überzeugung von der richtigkeit der
gruudlage der ansichten Streitbergs wesentlich erschüttern können,
immerhin kann die frage nicht als gänzlich gelöst gelten; ein
neuer versuch, die noch bestehnden zweifei zu beseitigen und
die lücken unserer kenntnisse zu füllen, hat daher von vornherein
anspruch auf beachtung und erregt unser Interesse, sehen wir
was das erste heft der umfangreichen Untersuchung Beers über
den schwierigen gegenständ bietet.
Der erste teil der arbeit verspricht die fragen die sich an
das wesen der actionsart anknüpfen zu behandeln, eine sehr
eingehnde geschichtliche darstellung bespricht das auftauchen und
die ent Wicklung des problems; der verf. ist offenbar bemüht ge-
wesen, auch die abgelegensten winkel der litteratur abzusuchen;
er bespricht zunächst alle die aufsätze, dissertationen und mono-
graphieen, die die erscheinung auf dem gebiete der idg. sprachen
im allgemeinen und auf dem der deutschen im besonderen be-
handeln, vollständig ist seine Übersicht noch immer nicht; Brug-
mann im Grundriss 2 II, 3 s. 715 erwähnt noch einiges was
Beer entgangen zu sein scheint; aul'serdem ist die Vollständigkeit
wol auch der geringste vorzug einer solchen Übersicht, ich habe
mich bemüht, für das thoma aorist und imperfectum eine ähn-
liche Zusammenstellung in KZs. 4S, 1 ff. zu machen, und weils
dalier die Schwierigkeit zu schätzen, die hauptsächlich darin ligt,
A. F. D. A. XXXVIII. 1
2 HARTM.VNN ÜBER BEEK
das weiterwirken der auftauchenden neuen gedanken und gesichts-
puncte zu verfolgen, aber schon der umstand dass B. auf
1S7 Seiten nur erst einen teil der Untersuchungen nach ihrem
■wert und ihren ergebuissen für den gegenständ durchmustert,
während er die fragen der griechischen actionsarten für den
zweitt'u aufsatz aufspart (vgl. s. 1S7), zeigt, wie umfangreich die
einsclilägige litteratur schon geworden ist und welche arbeitslast
sie dem vf. aufgebürdet hat. zugleich ergibt sich hierbei ein
bedenklicher fehler der Stoffanordnung für die gesamtarbeit, denn
dem aufsatz von Streitberg sind die selten 61 — 98 gewidmet;
sie enthalten schon eine sehr eingehnde, z. t. mit bemerkungen
metliodisclier und grundsätzlicher art durchsetzte beurteilung einer
grofsen zahl einzelner stellen, ohne dass doch zuvor volle klarheit
über das wesen der actionsart herbeigeführt würde; ja, nach der
urt und weise wie die Untersuchung an den einzelnen besprochenen
arbeiten geführt wird, bleibt zu befürchten, da-ss auch die folgen-
den Untersuchungen diese klarheit nicht weiter fördern werden,
als hauptgrundsatz des Verfahrens, nach dem B. sich das urteil
über die einzelnen erscheinungen bildet, tritt in der beurteilung
der ausführungen Streitbergs nur immer wider der tadel hervor,
dass Streitberg nicht das ganze material vor dem leser ausbreite,
sondern mit ausgewählten, seiner ansieht günstigen stellen arbeite,
widerstrebendes in unglaubhafter weise zu entkräften suche: das
gesarat material aber biete so viel entgegenstehnde belege, dass
in Wirklichkeit von Streitbergs 'lehre' nichts übrig bleibe, nimmt
man weiter hinzu, was der vf. über Moureks 'Präpositionen' sagt
— er wirft dieser Untersuchung inconsequenz vor, weil Mourek
nur für gd- die perfectivierende Wirkung unbedingt anerkenne,
während doch nicht einmal (j(i- überall diese Wirkung zeige —
und was er in der vorrede als gegenständ der noch ausstehenden
zwei Untersuchungen verspricht — ausführungen über die Wirkung
von /a«r-, fra-, faur-, dis-, du- und ga- in der verbalcomposition
— so kann man vermuten, dass er in diesen furtsetzungen be-
strebt sein wird, die mangelnde folgerichtigkeit der ausführungen
Moureks durch völlige durchführung seiner eigenen ansieht zu
ersetzen, die s. 97 f dahin ausgesprochen wird: Streitbergs grund-
satz 'jedes beliebige verbum kann durch den Satzzusammenhang
iterative bedeutung erhalten' (Got. elementarbuch 3—4 s. 193) sei
dahin zu erweitern, dass jedes verbum, sei es zusammengesetzt
oder einfach, nach dem Satzzusammenhang durativ, perf^ctiv
und iterativ sein könne, wäre diese ansieht richtig, ergäbe
sich ihre richtigkeit aus B.s beispielen und entwickelungen, so wäre
alles was Jacob Grimm, Schleicher, Miklosich über perfectiva und
imperfectiva im gotischen gesagt haben und was Streitberg auf
grund ihrer hinweise breiter ausgeführt hat, völlig in den wind
geredet; so weit sind auch Mourek und Heinzel in ihrer bekärapfung
der ansieht Streitbergs nicht gegangen, es ist zu verwundern,
FRAGEN ßKR ACTIONSART 3
dass B. als Slawe nicht den actionsunterschied fühlt, der sich in
den gotischen verbalformen unzweifelhaft ausspricht und deshalb
auch von slawischen forschem wie Miklosich und Mourek aner-
kannt ist. aber es ist anderseits auch wol zu erklären, dass er
an diesem actionsunterschied zweifelt; denn Streitberg beruft sich
iu seiner darstellung der Verhältnisse auf die ähnlichkeit mit dem
slawischen, und dass diese ähnlichkeit nur in beschränktem mafse
zutrifft, ist allgemein zugestanden, wer daher die slawischen Ver-
hältnisse rein im gotischen wiederfinden will, oder wer dort ein
ebenso klares, wenn auch anders geartetes bild der actionsarten
sucht, wie es die slawischen sprachen bieten, der hat solange
leichtes spiel die actionsunterschiede überhaupt zu leugnen, als
das System des germanischen verbums nach dieser richtung noch
nicht völlig verstanden ist. dies unbedingte leugnen aber ver-
sperrt tatsächlich nur der fortschreitenden erkenntnis den weg
und bereitet ihr, besonders bei so starker Übertreibung, wie sie
in B.s arbeit hervortritt, erheblichere Schwierigkeiten als der glaube,
dass mit Grimms, Schleichers, Miklosichs ansieht das wesentliche
richtig erkannt sei, dass aber die einzelheiten noch viele und z. t.
schwierige ungelöste fragen bergen.
Bevor ich dazu übergeh in kürze anzudeuten, auf welchem
wege die Untersuchungen fortzuschreiten haben, wenn sie über
ein fruchtloses behaupten und leugnen der hauptsache hinaus-
führen sollen, will ich an einigen beispielen zeigen, wie der vf.
bei der beurteilung von Streitbergs aufstellungen verfährt, ich
lasse dabei gewisse entgleisungen im ton unbeachtet, da sie ja,
zumal in der in wissenschaftlichen kreisen wenig bekannten
böhmischen spräche, schwerlich jemand verletzen werden. Beer
folgt Streitberg in der gegenüberstellung von verbalpaaren, von
denen eines perfectiv, das andere imperfectiv sein soll, so stellt
er 8. 80 — ^97 die beispiele für hausida gahausida, sitan gasitan,
hahan gahaban und viele andre gegenüber und belegt seine auf-
fassung vielfach noch durch heranziehung der altkirchenslawischen
und der böhmischen Übersetzung der stellen, das schlussverfahren
das er dabei anwendet, wird besonders an der gruppe -iiaban
gahaban deutlich.
'Über Mt. 9, 25 habaida handu izos — exQcizrjOev tfjg
yjiQÖg — j(^tu ja za rakq sagt Streitberg: 'dass diese auf-
fassung glücklicher sei als die des Originals, wird man kaum be-
haupten dürfen, da sie der Situation nicht entspricht; ein grund
zu einer solchen änderung ist auch nicht ersichtlich' (s. 90). in
Verlegenheit war Wulfila nicht, denn er hatte undgreipan zur Ver-
fügung (Mc. 9, 27; 1, 31; 12, 12; 14, 46), fairgreipan (Mc. 4,51 i;
Lk. 8, 54), gahaban (xMc. 3, 21; 6, 17) und greipan und haban
können perfective bedeucung haben: Mc. 9,. 10 pata waurd
« lies 5, 41.
4 ;11ART.MAN.N ÜBKU HKIOK
habaidcduu du ais misao — töv Xöyov iy-gÖTr^Oüv 7iQd<: eavrovg
— udrazas^ slovo vi sehe, Mc. 14, 49 jah ni griinip mik —
oiz (Y.QaTrjOUTe iie — ne j'^ste mene, Mc. 14, 44 grciplp pnna.
— xQaTi]oar€ avrdv — iniHe i.' also eine stelle mit der
Streitberg eingestandenerniarsen nichts anzufangen weifs, wird in
der weise gegen ihn gewendet, dass zunächst an anderen beispielen
die niüglichkeit der Verwendung eines zusammengesetzten verbunis
gezeigt wird — Mc. 5, 41 heifst es jalt, fairyraip In liaiubiu
pntd harn /.cd y.Qceri](JaQ if.g yjigöc rov jcaidiov — ; dann
aber werden stellen angeführt an denen das unzusammengesetzte
kahüii oder greiimn dem griechisclien aorist gegenüberstellt. B.
nennt die bedeutung dieser formen Mc. i), lo und 14, 49 aus-
drücklich "perfeetiv": dann wäre also bei dieser auffassung auch
Mc. 9,25 iu Ordnung, und für greipan wenigstens entsprechen
in der tat alle belege griechischen aoristen (Mc. 14, 44. 48. 49.
51); aber seine absieht ist nicht, etwa die perfective bedeutung
von hahan. zu erweisen, sondern die Unfähigkeit des gotischen zur
Unterscheidung der actionsarten zu belegen, das ergibt sich deut-
lich daraus dass er im anschluss daran Mc. 10, 23 bespricht, wo
pai jailio gehabdndans oi lä XQVfiara tyovxtQ übersetzt, während
im verse vorher steht ivas auk Jiahands f'ailtu manag r'jv yÜQ
sy^iov xii'^uara jrok/.ü.
In derselben weise verwendet B. die stelle L. 7, 38—46.
hier findet sich 38 eiifxuooev biswurb, v.ax^ifiki.i kukida, ij'/.fi-
(f6v gasalhoda, 44 ei^ixu^tv hiswarh, 45 (filr^fia töioy.ug
kukidcH^ 46 rjlsnJiaQ salhodes, fjXeiiliev gasalhoda, also einerseits
perfective formen dem griechischen imperfectum, anderseits nicht
zusammengesetzte formen dem aorist gegenüber. es ist natür-
lich, dass die stelle Streitberg manche Schwierigkeit bereitet, und
er ist nicht immer glücklich in der erklärung. Beer aber schliefst
(s. 94): wenn Wulfila die einfachen und zusammengesetzten formen
hier mischt, so lasse sich das mit stilistischen absiebten erklären,
keineswegs aber mit unterschieden der actionsart.
Auf eine besondere veranlassung zur wähl des corapositums,
das sich, wie häufig und von sehr verschiedenen forschem behauptet
srorden ist, oft nur unmerklich in der bedeutung vom simplex unter-
scheide, weist Beer an verschiedenen stellen hin: der gebrauch eines
compositums führe auch bei benachbarten verben zur anwendung
der Zusammensetzung, und ebenso stehen die einfachen verben in
gruppen. das folgert er zb. aus L. 16, 6 f. nim pus bokos Jah
gafiitands sprauto gamelei . . . und nhn pus hokos jah melei . . •.
' ich will nicht unterlsiBsen, auch an dieser stelle auf die abweichende
erklärung hinzuweisen, die ich für diese und ähnliche stellen schon mehr-
mals, u. a. in den Verhandl. des Marburger philologentages und Sokrates
2, 630 f gegeben habe; bei Plato folgt sehr häufig auf einleitendes axeyai
ein oxönet; das präsens erklärt sich aus der wider hol ung. vgl. auch
meinen auf.satz KZ. 49.
FRAGEN DEH ACTIOXSAET 5
ebenso stehe J. IG, 22 saihra öipo^ca wegen des benachbarten
hahalp, fagirtop, vimif). besonders bei der bespreehung der com-
posita von gaggan und *Ieipan s. 143 ff findet er, dass sich diese
erklärung für die abweichungen der gotischen Übersetzung vom
griechischen text aufdränge.
Es ist nun ohne weiteres zuzugeben, dass die Zusammen-
stellung und gruppierung der für Streitbergs ansieht uugünstigen
fälle äufserst würksam ist und auch bei den eifrigsten Verfechtern
dieser ansieht starke zweifei an ihrer richtigkeit hervorrufen muss.
aber es kann anderseits auch nicht bezweifelt werden, dass die
blafse ablehnung dieser ansieht, obenein in der schroffen formu-
iierung, in die sie B. kleidet (s. oben s. 2), den tatsachen
nicht gerecht wird und die mit bänden zu greifende abwechselung
einfacher und zusammengesetzter verba nicht erklärt. diese
Unklarheit erklärt sich m. e. vor allem daraus, dass man trotz
mancherlei theoretischen speculationen über tempus- und actions-
bedeatung und trotz tiefsinnigen erörterungen über das was eine
form bedeuten könne und müsse, sich bisher über die vergleich-
barkeit der verglichenen formenkategorieen noch keineswegs ge-
nügend klar geworden ist. hat in der classischen philologie uud
besonders im griechischen das Verständnis der tempus- und tempus-
stammbedeutungen lange zeit darunter gelitten, dass man vom
lateinischen verbalsystem als dem normalen ausgieng, ohne sich zu
fragen, wie dies aus dem ganz anders gearteten idg. hervor-
gegangen sei, so kranken die Untersuchungen über gotische oder
deutsche perfectiva und imperfectiva gemeinhin daran, dass mau
entweder das slawische actionsartensystem oder das griechische
tempussystem als mafsstab verwendet, ohne vorher zu untersuchen,
was denn diese verschiedenen s\^steme einerseits leisten und
leisten sollen, und wie weit denn anderseits eine vergleichung mit
dem germanischen formen vorrat überhaupt möglich ist. einen
ansatz zu dieser erkenntnis kann man vielleicht bei Beer darin
finden, dass er s. 74 f ausführlich auf Mahlows warnung hin-
weist, deutsche resultalive nicht mit perfectiven zu verwechseln
und die Verschiedenheit der verbalbedeutungen bei der beurteilung
der tempusbedeutung nicht unbeachtet zu lassen, so richtig
diese beobachtung ist — sie wird für uns am besten erkennbar
in der notwendigkeit bei sehr vielen griechischen verben präsens-
stamm und aoriststamm durch verschiedene ausdrücke zu über-
setzen — , so wenig erschöpft sie doch die ganze Schwierigkeit,
von der sie nur ein dem laien gewöhnlich kaum erkennbares
Symptom hervorhebt, übrigens ist auch von andrer seite unab-
hängig von Mahlow öfter auf die gleiche erscheinung hingewiesen
worden. Meillet und seine schüler. zb. Barbelenet De l'aspect
verbal en latin ancien, Paris 1913, s. 1 ff. betonen immer wider,
dass die fragen der actionsarten für jede spräche gesondert zu
behandebi seien, Barbelenet geht sogar so weit, dass er den aus-
t» HABTMANN ÜBEH BKEK
drücken "perfectiv" und iniperfectiv" für das altlateinisclie eine
ganz besondere bedeutung beilegt, von der notwendigkeit, jede
spräche in diesem sinne für sich zu betrachten und sie nicht
einem unpassenden mafsstabe zu unterwerfen, kann man sich
rein äufserlich leicht überzeugen, wenn man folgende gegenüber-
stellung vornimmt, die tatsächlich vorhandenen tempora im idg.,
griechischen, altindischen, slawischen, germanischeu, denen ich
noch das lateinische hinzufüge, weil dessen tempussystem vielfach
bisher als raafsstab genommen worden ist, gruppieren sich so:
idg. griech. altind. altbaktr. slaw. germ. lat.
pras.
pras.
präs.
präs.
imperf.
imperf.
—
imperf.
aorist
aorist
—
1 ,
perf.
—
perf.
, perf.
plusquamperf.
—
—
plusquamperf.
fut.
—
—
fut. I
fut. II
Bei dieser ganz äufserlichen gegenüberstellung ist aber schon
nicht berücksichtigt, dass das perfectum des griechischen eine ganz
andere bedeutung hat als das des altindischen, des germanischen
und lateinischen, dass das imperfect des slawischen, dass imperfect,
plusquamperfect, futurum und futurum exactum des lateinischen
neubildungen sind, die mit den ursprünglichen tempora des idg.
kaum noch einen entfernten Zusammenhang bewahren, dass ferner
perfectparticipien im slawischen erhalten sind, und dass wenigstens
nach weitverbreiteter ansieht im germanischen präteritum auch
spuren des idg. aorists fortleben, aber auch wenn man diese
ergänzungen der tabelle mit in rechnung stellt, so ergibt sich
unmittelbar, dass die bedeutungssphären der einzelnen tempora in
den verschiedenen sprachen sich vielfach durchkreuzen und in-
einander übergreifen müssen, zumal ja das slawische den idg. fünf
tempora nur drei, das germanische sogar nur zwei gegenüberstellt,
das slawische hat nun neben den tempusbildungen die verbal-
aspecte entwickelt, es unterscheidet perfectiva, imperfectiva, ein-
malige, iterativa und inchoativa und besitzt infolge dieser aus-
bildung der verbalstämme einen aulserordentlichen reichtuni der
formenentwickelung, obwol es eine Unterscheidung von relativer
und absoluter tempuserscheinung nicht ausgebildet hat. im ger-
manischen ist aber von einer ähnlichen Unterscheidung der verbal-
stämme bisher nichts mit Sicherheit nachgewiesen worden, nur
die eigenschaft der slawischen verbalcoraposition, kraft derer aus
den einfachen imperfectiven verben durch den vortritt von Prä-
positionen und präfixen perfectiva werden, glaubte man beobachten
zu können und sah darin allgemein auch ein formales mittel
zur Unterscheidung der actionsarten im altgermanischen, aber es
FBAGEN DER ACTI0N8ART 7
ligt ja auf der band, dass ein rein formales mittel zur bezeich-
nung des verbalaspects in den germanischen sprachen nicht vor-
ligt, wenigstens nicht in solcher weise entwickelt ist, dass man
sagen könnte, alle damit ausgezeichneten formen seien perfectiv,
alle es entbehrenden imperfectiv. man hat daraus, sehr verkehrter
weise, eine principienfrage gemacht, obw^ol wir doch gerade aus
der geschichte der sprachen erkennen, dass jedes formale mittel
die function zu deren ausdruck es dient, erst irgendwo, irgend-
wann und irgendwie erhalten und ausgebildet hat, dass es zu
irgend einer zeit aufkommt, wächst, sich ausbreitet, dann aber
wider verblasst und verfällt, so ist zb. bei der entwickelung
des sigmatischen aorists im griechischen sehr deutlich, wie das
a und das a, die ihn vornehmlich kennzeichnen, sich weit über
das ihnen ursprünglich zustehnde gebiet hinweg ausdehnen, in
das perfectum, den starken aorist, ja selbst in das imperfectum
übergreifen und so schliefslich die bedeutung zu deren ausdruck
sie geschaffen waren, allmähhch verlieren, sobald man für das
germanische, wie Streitberg und viele andere tun, perfective sim-
plicia annimmt, ist der grundsatz den Meillet am schärfsten in
den Etudes sur l'etymologie du vieux slave I s. 5 formuliert:
'aucune categorie semantique n'a ete admise qui ne r^pondit ä
un moyen d'expression distinet de la langue meme", schon ver-
lassen oder durchbrochen, qipart, nimav, gihan sind formell von
andern einfachen verben wie etwa iian, dihoi, hairun nicht ge-
schieden; wenn sie schon aufserhalb der Zusammensetzung perfectiv
sind, so ist damit anerkannt, dass die Zusammensetzung nur eins
der mittel ist, deren sich die spräche zum ausdruck der perfectiven
actionsart bediente; und da ferner ganz gleichartige einfache
formen in doppelter Verwendung vorkommen, so wäre es sicher
nicht überraschend, wenn auch bei zusammengesetzten formen die
entsprechende doppelbedeutung begegnete, wie sie ja übrigens
auch im slawischen tatsächlich begegnet.
Finden wir nun einerseits im slawischen ein sehr empfind-
liches actionsartensystem entwickelt, aber die temporalen Unter-
scheidungen des idg. allmählich verblassend, im lateinischen ander-
seits eine reich gegliederte Unterscheidung der tempora, dagegen
nur noch spuren der einst vorhandenen actionsunterschiede, so
stellt uns die extreme Verschiedenheit dieser beiden formensysteme
vor die frage, wie die Stellung des älteren germanischen in der
mitte zwischen beiden zu beurteilen ist, ob die äufserste dürftig-
keit formeller entwickelung die hier eingetreten ist, auf ein
ursprüngliches tempussystem oder ein actionsartensystem zurück-
zuführen ist, oder ob etwa von beiden nur das absolut unent-
behrliche gerettet worden ist. die frage wird noch verwickelter,
wenn man dabei die Vermutungen von OSchrader und SFeist in
rechnung zieht, denen zufolge das germanische als eine indogor-
manisierte spräche eines ursprünglich nichtindogermanischen volkes
8 HAUT.MANN ÜRKR BEB«
angesehen werden müste. jedenfalls handelt es sieh dann aber
um den nachweis der spuren, die von dem älteren zustande nocli
zeugen, sowie um die Verfolgung des weges, auf dem die Ver-
luste eingetreten sind und die Verwirrung in der Verwendung der
formen entstanden ist. dass dabei in historischer zeit der unter-
schied der aclion in allen germanischen sprachen allmählich weiter
verschwindet und neue tempusuntersclieidungeu, meist unter deutr
liebem einfluss des lateinischen aufkommen, bedarf hier keines
nachweises; ich erwähne die entwickelung nur, weil sie bis zu
einem gewissen grade einen schluss auf die Vorgänge der vor-
geschichtlichen zeit nahelegt.
Zeigt schon diese nur an den formenscliatz anknüpfende
Überlegung, dass man sich hüten muss, von der gotischen Über-
setzung unmögliches bei der widergabe der griechischen formen
zu verlangen, so beanspruchen noch zwei weitere beobachtuugen
ernste berücksichtigung bei der bearteilung der einzelnen gotischen
formen; erstens enthält die widerga!)e der formen des griechischen
passivs, die Wulfila gröstenteils umsehreiben muste, durch die
mannigfaltigkeit der dabei hervortretenden gotischen formen doch
einen hinweis darauf, dass der Gote für die Unterscheidung der
actionsarten ein deutliches gefühl besafs; zweitens aber zeigt das
recht weitgehnde schwanken der handschriftlichen griechischen
Überlieferung zwischen imperfect und aorist, zwischen präsens
historieura und aorist, zwischen perfectum und aorist. dass nicht
nur versciiiedene auffassungen desselben Vorgangs möglich waren,
sondern dass auch das griechische selbst in der entwickelung seines
tempiissysteras mit den ursprünglichen actionsarten zum teil iu
kämpf geraten ist, so dass die blofse griechische tempasform
keineswegs immer untrü'^jlich erkennen lässt, ob die form in per-
fectivem oder imperfectivem sinne aufzufassen sei.
Die gotischen passivuraschreibungen mit dem part. perf. pass.
und ist, was, umrp behandelt Streitberg PBBeitr. 15, U)2ff. ;
B. berührt sie in anlehuung an seine besprechnng der disser-
tation von ABOberg Über die hochdeutsche passivumschreibung,
Lund 1907 (vgl. WWilmanns Anz. xxxii I02j, s. 174 anm. 15S.
aber die bloi'se Zusammenstellung von formen die Streitbergs
deutung widerstreben bleibt auch hier unfruchtbar, weil dabei auf
die möglichkeit, die stelle im Zusammenhang zu verstehu, nicht
genügend rücksicht genommen wird, schon wenn Oberg s. (3 zu-
sammenstellt, dass das participium mit ist aorist, perfect und
präsens, mit was dagegen imperfect, plusquaraperfect, perfect,
aorist, und mit warp aorist, imperfect, perfect umschreibe, so er-
gibt sich der bedeutungsunterschied, und es handelt sich zunächst
nur darum, festzustellen, welche auffälligeren beispiele für >cas bei
der widergabe des aorists und perfectums, für »rarp bei der Über-
setzung des imperfectums vorhanden sind, und hierbei erkennt
luaa, dass alle diese fälle nahe mit der an zweiter stelle genannten
FRAGEN' DER ACTIOXSART '9
crscheiaun<5 zusararaenlhängen, der unsicherlieit oder mehr-
deutigkeit der griechischen tempora.
Mit dieser beschäftigt sich mein anfangs erwähnter aufsat«
in KZ. 48, 1 ff., 49, 1 ff., von dessen ergebuissen ich an dieser
stelle nur erwähnen will, dass das iraperfectum in der erzählung
an zahlreichen stellen dem slawischen perfectirura entspricht und
dass diese ei-scheinung m. e. mit der Verbindung perfectiver
und imperfectiver actionsact im griechischen präseus
(vgl. Mahlow KZ, 26, 573) zusammenhängt, eigentüch hätte
diese erscheinung auch B. auffallen müssen, zumal er bei seinen
beispielen oft genug die böhmische Übersetzung verwendet, die
altslowenische Übersetzung gibt das perfectiv gebrauchte iraper-
fectum nahezu ausnahmslos durch das imperfect, tut also, ähnlich
wie die Vulgata, der spräche geradezu gewalt an; aber das
böhmische weicht in nicht seltenen fällen ab und verfährt also
dem griechischen text gegenüber selbständiger, die handschriften
■des NT. selbst geben die beste bestätigung für diese erscheinung;
es ist geradezu erstaunlich, wie oft einem aorist der einen hand-
scbrift ein imperfect der andern gegenübersteht, um einen begriff
von dem umfang der erscheinung zu geben, verzeichne ich aus
den ersten fünf capiteln des Marcusevangeliunis die von Soden
angeführten Varianten dieser art: 1, 18 ty/.o/.ovO-r^ßav : i]y.o}.ov-
^ovv, 21 l^i^uOY.Ev : k^i^aiev, 27 e'&aa^v^d^Tqoav : iO-aviia^ov,
35 TCQOGi^vyßvo : ngooevS^ero, 39 rj?.itev : ^v: 2, 7 d(piivai :
dipsLvai, 14 ^7.o?.ovÜ^r]G6v : ijy.olovd^ei, 15 )]xolov^')^ovv : ir/.o-
y.ov9-r]Ouv; 3, 4 eaub/ccov : iaKbrcrjaav, 6 iöiöovv : f7roh;oav,
S f]ld-ov : i'jXoÄovd-ovv, d'/.ovovrsg : dxovaavreg, 10 f. '/£(»«-
■/isuoav : sL^cQd/tEvev , äiptovTai : urtTiovrai, eTtiTtlnreiv :
€7CinEGelv, 12 STreviua : en:STiurjOev, 22 y.avaßdvrsg : yxitu-
ßalvovveg'^ 4, 8 i'iqcütcov : r.ochTr^auv, 12 dzot'wfJi : dy.ovatoai,
awicöoi : (jvvcöaL, 15 dy.ovocoaiv : dy.oviooiv , 37 i/teßa'/j.fv :
Erteßalev] 5,4 'i'ayyev: layvaev, 9 s/ojocbva : ertr^gdiTvotv, 1 2 7iuqi-
y.dXeaav : jiaQexd^.ovv, 18 TCccQeyMXet : r'jQ^azo /iuou/.cclelv,
20 id-avfia'^ov : i^avfiaoav, 24 f.y.olovO^f-i : i]y.o?.ovi^7;a€v,
d7ti])J)-€v : VTtfjyev, 30 7rtQießlenBT0 : ■ufoießleil'ajo.^ an
nahezu allen stellen geben beide formen einen guten sinn, das
gleiche bild ergibt sich bei der vergleichung der parallelstellen
aas den Synoptikern, was das eine evangelium im aorist be-
richtet, erzählt das andere im imperfect und umgekehrt, es be-
steht demnach eine ziemlich weitgelinde freiheit in
der Verwendung der actionsarten zum ausdruck desselben
Vorgangs, eine andere wichtige eigentümliclikeit des griechischen
tempusgebrauchs liegt in der berührung der bedeutungssphären
von aorist und perfectum. die erscheinung ist namentlich von
J Wackernagel in seinen Studien zum griechischen perfectum, Göt-
tiugen 1904, behandelt, bedarf aber noch viel umfassenderer Unter-
suchung und darstellung. das resultativperfectuni, dessen auf-
;tO HARTMANN rrtKU BEER
kommen und ausbreitung Wackernagel verfolgt, wird von vielen
verben überhaupt nicht gebildet und kann auch bei solchen
die ein perfectum entwickelt haben, durch den aorist
ersetzt werden, die erscheinung ist im NT. ganz gewöhnlich,
auch hier schwankt der text der handschriften sehr häufig i; das-
resultativperfect aber und der stellvertretende aorist haben
keinen anspruch auf die widergabe durch eine perfective verbal-
form im gotischen; so erklärt sich zb. havhta L. 14, IS neben
ushauhta, ebenda 19 für r'jyÖQaoa, 20 Uugaida i'yr^fia. alle
diese umstände wollen bei der erwägung der einzelnen gotischen
form berücksichtigt werden und müssen die beurteilung des ge-
samtbildes, das das gotische einerseits dem griechischen, ander-
seits dem slawisclien gegenüber bietet, mitbestimmen, wird aber
die vollständige Untersuchung des gotischen sprachmaterials, die-
natürlich jeder derartigen forschung zu gründe liegen muss und
die auch, wie zahlreiche statistische angaben zeigen, bei Streitberg
tatsächlich zu gründe ligt, nach diesen veränderten gesichtspuncten
erneut vorgenommen, wird also die actionsbedeutung des griechischen
neben der form in rechnung gezogen, wird der Spielraum be-
rücksichtigt, den der auszudrückende gedanke unabhängig von
der gewählten form behält, wird die notlage des gotischen Über-
setzers beachtet, der mit einem wesentlich kleineren formenvorrat
das ausdrücken muste was seine vorläge ihm bot, so muss sich
nicht nur das bild beträchtlich verschieben das Streitberg von
dem zustande des gotischen verbums entworfen hat, sondern es-
wird sich auch ein anderes gesamtergebnis herausstellen als das
zu dem Beer, wie oben gezeigt, gekommen ist, und das auf die
völlige leugnung eines einfhisses der präposition auf die actions-
art hinausläuft.
üass das gotische ein consequent durchgeführtes actionsarten-
system nicht mehr besitzt, wie es die slawisclien sprachen im
wesentlichen aufweisen, kann keinem zweifei unterliegen, da es
verben in beträchtlicher anzahl gibt, die perfective und imper-
feetive actionsart vereinigen, wie diese erscheinung zu erklären
ist, und wo sie ihren ausgangspunct genommen hat, ist hier nicht
zu untersuchen; ich verweise dafür auf meinen aufi^atz in KZ. 49.
um jedoch die besprechung auch an irgend einer stelle durch
tatsächliches zu fördern, will ich zum schluss noch auf zwei
schwierigere verba eingehen, auf gulaul'jan, das teils in imper-
fectivem sinne 'vertrauen haben", teils in ingressiver bedeutung
'vertrauen fassen" gebraucht wird, und auf lngjini gahtgjan, das
die perfectiviereude Wirkung des gu- voll bestätigt.
Für die mischung der actionsarten bei galaulijan sind be-
weisend neben überwiegenden imperfectiven formen der vorläge
galaubeifi jtioifvörjc J. 11, 40, R. 10, 9, galaubeip 7i tOTfvOft
' so th. Mc. 3, 2G yadailij) irorp /uefieQtojai und i^eglodr].
FÄAGEN DER ACTIONSAHT 1 l
L. 16, 11, 7tiar€V07]T€ L. 8, 24, galauhjand TtioxevGovaiv
R. 10, 14, galauhjan moievobj J. 9, 36, galauhjai niox^vGj}
Mc. 11, 23, J. 17, 21, galaubjaima yciOTevoco^iev Mc. 15, 32,
J. 6, 30, gaJaubjaiJ) niortvoere J. 5, 47, niarevorjTe J. 11, 15;
14, 24, 7CiOTevoaT£ J. 10, 38, galauhjaina J. 11, 42, galaubida
enloTEvoev J. 12, 38, R. 10, 16, galauhiJedum iznoTevoofi^v
R. 13, 11, G. 2, 16, galaiibidedup InLOTEvaare 1 K, 15, 2; 11,
ni galaubidedun iiniGtr^oavUc. 16, 11, galaubidedun eTriaxEvaav
J. 7, 31; 8, 30; 9, 18; 10, 42; 11, 45; 12, 42; 17, 8;
R. 1(>, 14, galnubidedi eviiöxevOfv J. 7, 48 (Sk. 51, 22; 52, 4),
galaubjari rnaxevGai Mc. 9, 23, galaubjatiddu.s 7ciox€voavieg
L. 8, 12, E. 1, 13, galaubjaiidam jciarevoccoiv 2 Th. 1, 10,
galmibjaudei rtiorevoaGa L. 1, 45, galaubips warp €7Tiaxfv(/rj
1. T. 3, 16, 2 Th. 1, 10. dazu kommen noch vereinzelte fälle,
wo im griechischen text präsentische formen oder das imperfectum
die bedeutung 'glauben fassen' aufweisen, die slawische Über-
setzung braucht dann nicht das durative verovati, sondern um-
schreibt den sinn mit verq j^ti {imati) 'den glauben annehmen,
vertrauen fassen', so zb. 7noxeveig J. 1 1, 26, 7iiGxevovoiv L. 8, 13,
TTioxEvexe Mc. 13, 21, TriOTevrjXS J. 10, 38, €7riOTfVfj£ J. 5, 4H.
TiLOxevExe J. 10, 37; 14, 11; anderseits hat der aorist hii-
Gxevaa auch die bedeutung 'ich bin gläubig gewesen' und nähert
sich also dem perfectum yiejcioxev/M 'ich bin gläubig geworden'
M. 8, 13, G. 3, 6, Mc. 11, 31, L. 20, 5; an der stelle L. 1, 20
ist diese auffassung möglich; R. 11, 30. 31 steht im griechischen
text i]7i£id^rioaxe, i]7r£i&r]0av mit der entsprechenden bedeutung.
es versteht sich, dass die griechische vorläge an zahlreichen stellen
Unsicherheit zeigt und dass der sinn der auffassung im einzelnen
fall oft weiten Spielraum gewährt, ich will noch ausdrücklich
betonen, dass die bedeutungsverschiedenheit von 'glauben' und
'glauben schenken' nicht genau mit der von nioxeveiv und
7riox£voai zusammenfällt, denn 7iLOxtvto hat, besonders im in-
dicativ und bei iterativem sinn, beide bedeutungen, und der aorist
kann ebenso in ingressivem wie in abschliefsendem sinne gebraucht
werden, wie die zeit aber die bedeutungen verschiebt, lehrt ein
vergleich der Übersetzung von Joh. 10, 37. 38 im kirchenslawischen,
russischen und böhmischen text. dort folgen (xii TTiaxfveie, ifav)
/uTj TUGTfVTjxe, 7rioxfvoaT£ dicht aufeinander; die altslawische
Übersetzung hat sinngemäß ne emlefe veri/, aste . . vcry ne emlefe,
veruute (ostr. verq imete). die neurussisclie gibt die beiden ersten
stellen durch verit', die dritte durch yorerit', die böhmische alle
drei ohne unterschied durch veriti. galaubjan ist von gaJaubs
abgeleitet wie gahaftjcm von * gahifts, gamainjan von gamains-^
warum nicht wie bei gdgahaffjan, gagamawjan eine Verdoppelung
des ga- zur bezeichnung der abgeschlossenen handlung eingetreten
ist, wie wir sie im nhd. geglaubt noch jetzt haben, entzieht sich
unserem wissen.
12 HARTMANN {'BF.K HKKR
Gellen wir nun zu litf/jnn. g'ild'/jini, usUtgjnn über, üufser-
lioh betrachtet liaben wir bei Inf/Jnn 24 belege, von diesen stebn
".» priisentisehen oder imperfectischen formen des griechisclien gegen-
über: Mc. <J, Ki; .). lu, II; L. 5, 'Mi; 1 T. f). 22; 1 K. IG, 2;
2 K. 3. 13: Mo. (i. r^li; 10, 16; 15, Ht ; einmal entspricht das
prrfectuni .1. 11, 34, zweimal das futurum .1. 13, 37. 38, 12 mal
aoristformen, der erste eindruck ist also der annähme eines im-
perfectiven verbums sehr ungünstig, bei g(ün(j)(ni sind 28 belege
vorhanden ; rechnet man die sechs für das part. perf. pass. ab,
die besonders zu behandeln sind, so bleiben 22, denen IS mal
aoristformen. 4 mal präsensformen gegenüberstehn, und da das
griechische präsens auch perfective bedeutung haben kann, und an
drei dieser stellen tatsächlich hat ^ so ist die perfective bedeutung
von gnlngjori nicht zweifelhaft, ebenso ist es bei tislagjo)»; unter
sieben belegen entsprechen fünf griechischen aoristen, zwei L. 15, 5;
;), 62 präsentischeu formen; L. 15, G passt das futurum, da es
sich um einen angenommenen fall handelt, ausgezeichnet und
L. 9, 62 ist das participium iisl(i(/jinnls ebenso angemessen wie
es htgjionh wäre. es fragt sich also, wie das überwiegen
aoristischer (und futurischer j entsprechudgen bei l'igi'm zu er-
klären ist.
Zunächst erklärt sich higidcdup leüiy/xcii J, 11, 34 durch
das was soeben über das resultativperfectum gesagt wurde, stell-
vertretende aoriste für dies bei r/i^?;at bekanntlich seltene und
späte perfectum sind L. 19, 21. 22 täiy/xcc. tdr/.u lagides,
lagi(la\ sie erklären sich im griechischen auch aus dem zutritt
der negation, im gotischen erklärt die negation widerum die
wähl des imperfeclivunis. in gleicher weise ist auch lagjattds
^eixtvoQ 2 Kor. 5, 1 •.) aufzufassen. — für die imperative lagei
lagjljj ßd'/.e DiaOe J. 18, 11, L. 9, 44 ist zu bemerken, dass
das gotische beim befehl die scharfe Unterscheidung der actionen,
die im griechischen und slawischen gemacht wird, nicht mehr
kennt; auch im lateinischen ist der präsensimperativ verallgemeinert
und auf den sofort auszuführenden einzelbefehl übertragen worden,
hieran schliefseu sich aber unmittelbar die aufforderungen ci JagjaLs
cvu euiUTc Mc. 5, 23 und ei layidedi Iva €7Ci0^ij Mc. 7, 32
als Umschreibungen der befehlsform. — anders geartet sind die
futura i)riOL0 lagja J. 13, 37 und lagjis 0^i]afic: .). 13, 38, mit
denen J, 15, 13 lagjip ^i zu verbinden ist. in allen drei fällen
' .J. 15, 6 steht ßdkkovaiv (v. I. e/j.ßa?.ovaiv) neben ißXrj&t] e|cü xai
i$r]Qdvdr], 'lern gnomischen aorist, der in allgemeinen Sentenzen zur be-
zeichnung der vollendeten handlang gebraucht wird. Wultila hat natür-
lich das perfective präsens in allen (fünf) fällen; ganz ähnlich ist der
gebrauch von ßdXlezaL L. 3, 9; R. 9, 33 übersetzt zidtjui das hebräische
perfectum /«V.sar/ (3. p. !), die Septuaginta Jes. 28, 16 hat sfißdlXa) v. L.
SjLißaÄM; endlich Mc. 9, 42 ist Tieoixeirai sinngeniäfs geändert.
FRAGEN DEK ACTIONSART I 3
handelt es sich um die wendung ^eivai rr^v 4ivyj}v 'das leben
einsetzen'; es ist aber ohne weiteres klar, dass hier perfectivischer
ausdruck ebensogut denkbar ist als imperfectivischer und dass der
Sprachgebrauch entscheidet. — Mc. lö, 36 pragjauds pan ains
jcih gaf'ulljands siram akeltis galagjands ma raus dragkida ina
ÖQKfidjv ÖS sig vxd ye/iiiGag Uyröyyov ö'iovg jrEQLÜeiQ y.C(?M(,to)
hrÖTiZev ctVTÖv und M. 27, 48 jah sum pragida ains us im
jah nam sivamru fulljands aketis, jaJi lagjands ana raus draggkida
ina YMc £v^€cüg öga/nwv elg eS. avröiv vml laßojv orcöyyov
nlrjGag öSovg -/.cd 7i£Qi^Btg ymXuiioj inÖTtCev avtdv sind im
griechischen und gotischen Wortlaut sehr ähnlich, aber doch nicht
genau übereinstimmend; sie zeigen deutlich den Spielraum den
die actionsarten lassen, bei gafuUjands und galagjands; geht
die handlung des füllens und auflegens dem tränken voran, bei
fulljands und lagjands bezeichnen die participien die art und
weise in der das dragkjan erfolgte, denn das imperfectum i^iü-
TiCev ist Ingressiv, lui en donna ä hoire, nicht dahat ei bibere
oder daval jemu pif und napdjel ho, wie die russische und
böhmische Übersetzung geben; mit dem ingressiven imperfect aber
kann das aoristparticipium ebensowol in der bedeutung der gleich-
zeitigkeit verbunden werden, wie es mit dem aorist häufig ver-
bunden wird^ — der infinitiv lagjan übersetzt den aorist ßa/.eiv
M. 10,34 Xih ahjaip pafei qemjau lagjan gawairpi ana airpa
und M. 27, 6 ni skuld ist lagjan paus (skattansj in kaurbanaim.
beidemal lässt sich die handlung, da sie nicht vollendet wird, als
imperfectiv auffassen. — so bleibt nur die stelle Mc. 7, 33 übrig,
die etwas stärkeren anstofs erregen könnte, hier geht die auf-
forderung ei lagidedi imnia handu (vgl. oben) unmittelbar voran;
aber nicht daraus, glaube ich, ist die imperfective form herzuleiten,
sondern aus der widerholung der handlung, denn Christus legt
dem taubstummen die finger, offenbar einzeln, in die obren, und
daraus erklärt sich die form, die also iterative bedeutung be-
kommt, die weiteren einzelhandlungen attaitok, gaswogida, qap
sind perfectiv; Mc. S, 23 atlagjands ana handuns, 25 galagida
handuns, wo ebenfalls einzelhandlungen bezeichnet werden, zeigen
das compositum, damit glaube ich ein beispiel gegeben zu haben,
wie ich mir im gegensatz zu ABeer eine Interpretation der gotischen
verbalformen denke.
Der druck ist zwar im allgemeinen correct, aber an einzelnen
stellen häufen sich die fehler; angemerkt habe ich mir s. 8S
Y.arayyehTS, y.ccTayye/.ovoiv^Y.azayyelofxsv, a-eis gateihan, 95 sal-
bons, 124 7raQa'§r]loviLiev, 128 liaubada (1. hauliaba) im text
und in der anmerkung, y.ajayyelBiv, 131 vidimi (1. vidisi),
' ich erwähne nur das homerische xal fiiv qxovr'ioag enea nTsgoevTa
JiQOOTjVÖa, das schon den umfang der wenig beachteten erscheinung ver-
deutlicht.
I 4 HARTMANS ÜBKR HEER, KRAGEN DKR ACTl()Ns.AHT
13S gibans, snlhovs, dodfrat, 142 tjrcipan . 14() h'arhonüy
14S naöatu (\. nac^tu), anm. \bH jraQaay.evaOTcei, nuQUOYEvao-
fifroi, anm. 174 (8. 179) Kor. 11, 20 (1. 2. Kor. 11, 20).
Berlin-Scliöneberg, october 1917. Felix Ilartmann
Studien zur dialektgeograpliie des Mederrheins zwischen
Düsseldorf und Aachen von Theodor Frluifs. mit einer karte
[Deutsclie dialektjjeof^raphie hrg. von F. Wrede. lieft Vj. Mar-
l)urj?, Ehvert, 1913. IX u. 243 ss 8". — 8 m.
Nachg-erade hat sich die rheinische mundartenforschung^ zu
einer Specialwissenschaft entwickelt, sodass es selbst für den
fachmann schwer wird, den dort in frage stebnden problemen
nachzukommen, immer deutlicher zeigt es sich, dass die lösung
aller Schwierigkeiten auf phonetischem gebiete ligt. letzten endes
scheint alles auf den accent hinauszulaufen, diese entwicklung
drängt sich aus dem gründe dem an der forschung selbst nicht
teilnehmeudeu beobachter vor die äugen, weil von den vier heften,
die in der Wredeschen Sammlung, deren ausgangspunct bekannter-
mafsen die local- oder territorialgeschichte ist, bisher erschienen
sind und die wol zufällig das Eheinland behandeln, drei sich
eingehend mit dem 'rheinischen accent' beschäftigen. seit
Nörrenbergs aufsatz PBBeitr. 9. 402 ff ist die frage in fluss ge-
blieben, und alle nachfolger haben sich mehr oder weniger ein-
gehend mit dieser eigenartigen erscheinung befafst. aber ob-
gleich bereits Ramisch und Leihener im 1 uud 2 heft der gleichen
Sammlung die frage merklich gefördert haben, hat sich doch bis-
her niemand so entschlossen an die lösung der aufgäbe heran-
gemacht wie der vf. des vorliegenden buches. ob es ihm aller-
dings gelungen ist, die schwierige materie in Ordnung zu bringen,
bleibe vorläufig dahingestellt, immerhin gehört ein gut teil mut
dazu, die dinge einmal von der andern seite anzusehen, und als
folge anzusprechen was bisher als Ursache gegolten hat. aulser-
dem erfordert die buntheit der lauterscheinungen, mit denen in
der niederrheinischen landschaft der mundartenforscher operieren
muss, einen klaren blick und starke gestaltungskraft; ferner
muss das gehör in einer weise empfänglich sein, wie es wol
kaum in einer andern gegend Deutschlands erforderlich sein
wird. es ist nur verwunderlich, dass man noch immer der
experimentellen hilfsmittel entraten zu können glaubt, wenn
die, dazu noch zeitlich zurückliegenden Untersuchungen von F.
an blofsen zwei Wörtern (s. 225: ^tif steif und M:f steife,
stärke) die phonetische grundlage für seine neue hypothese ab-
geben müssen, welche aussiebten eröffnen sich dann erst in aus-
giebigeren phonetischen Studien?
Wir können bei dem Fringsschen buche von dem übrigen
inhalt absehen; es genüge die Versicherung, dass es gram-
TEUCHEKT ÜBER FRINGS, DIALEKTGBOGR. D. NIEDERRHEINS 15
niatische kenntnis, phonetische Schulung: und einen starken Üeifs
verrät, wie sein Vorgänger geht F. auf den nachweis ans, dass
<iie heutigen mundartengrenzen nur auf die territorialen Ver-
hältnisse des gebietes zurückzuführen sind, eine feststellung die
nachgerade keinem widersprach mehr begegnet, über diesen
abschnitt soll hier ebensowenig etwas gesagt werden wie über
die vorhergehenden, erwähnt sei nur noch, dass dem dialekt-
geographischen teil eine kurze lautlehre von Dülken stadt und
land voraufgeht.
Beachtung verdient jedoch die tatsache, dass sowol Rarais ch
iheft 1 der 'Dialektgeographie') wie jetzt F. die für die mund-
artenforschung bisher geltenden beiden hauptlinien, die Ür dinge r
und die Benrather, für das linksrheinische gebiet verwerfen,
da sie die dialektunterschiede des gebietes nicht so vorteilhaft
kennzeichnen wie eine andere für jeden der untersuchten bezirke,
ihre normallinien verlaufen beide etwas nördlich von den alten
Sprachgrenzen. Eamischs normallinie tritt an stelle der
Ürdinger, Frings normallinie empfiehlt sich mehr als die
Benrather. diese neu bekannt gegebene linie verläuft nach
Frings karte so, dass noch Neufs, München-Gladbach, Rheydt,
Odenkirchen, Erkelenz, Heinsberg südlich von ihr bleiben, wäh-
rend Krefeld, Viersen, Dülken zu ihr nördlich liegen, diese
normallinie bildet die grenze für die meisten mundartlichen
unterschiede des gebietes; F. nennt sie auch die z ega /zäyd -Imie,
weil diese in der hauptsache mit ihr übereinstimmt, wie vf. im
§ 300 zusammenfasst, ist seine normallinie historisch auch besser
begründet als die Benrather. doch ich weise hier nur kurz auf
dieses ergebnis hin.
Unsere aufmerksamkeit fesselt der abschnitt über den accent
(§ 312 — 332, s. 214 bis zu ende), es handelt sich um den
'rheinischen accent'. diese bezeichnung darf in weiteren
kreisen angenommen werden, da bisher anderswo dieselbe er-
scheinung noch nicht nachgewiesen ist; denn die limburgischeu
mundarten und Luxemburg, wo er auch auftritt, gehören sprach-
lich zum mittelfränkischen gebiet, seit Maurmann-Wrede (Zs. 39,
267 fufsuote 6) ist für diesen eigentümlichen accent die. be-
zeichnung 'circumflectierte betonung' gebräuchlich, F. verwendet
dafür nach Wredes Vorschlag jetzt die benennung 'schärfung',
was soviel wie kürzung bedeuten soll, kürzung des Stammes mit
seiner endung, kürzung nicht nur des stammvocals, sondern auch
der folgenden consonanten
Die kürzung ist, wie schon oben angeführt, an der experi-
mentellen darstelluug der beiden formen stif und sii:f deutlich
erkennbar, ein abklatsch der aufzeichnungen des kymographions
auf s. 243 gibt für i: das erste mal i^/ioo, das zweite mal
^•^/loo secunden als Zeitdauer an und für das /' 2^/100 und ^t" ,ou
secunden. dagegen verlangte in dem unflectierten adjectivum
16 TIOUCHKUT ÜBKR FRINGS
Hilf der vocal l nicht weniger als ''''/loo oder ^^^/loo seeunden
und das /' •"• loo oder "o loo seeunden. das i: ist also rund ^ :j
und das / in si'i : f rund 1/2 kürzer als die beiden laute in dem
unflectierten und -somit nicht der schärfung unterworfenen wort.
Diese kürzung ist bereits im jähre 1843 von Hardt (Vo-
calismus der Sauermundart) beobachtet worden, und REngel-
manu hat sie in seinem wertvollen aufsatz 'Ein mittelfränkisches
accentgesetz' (PBBeitr. 36, 3S2ff) als kennzeichen seiner luxem-
burgischen heimatmundart hingestellt, indem er für sie auf die
Hardtsche bezeichnung 'correption', dh. abkürzung, zusammen-
ziehung, zurückgriff. Engelmann wie Fiings sind unabhängig
voneinander zu der erkenntnis von der bedeutung der kürzung
gelaugt.
Um die kürzende Wirkung dieses accentes vor äugen zu
führen, gebe ich einige Fälle aus JosMüllers Mundart von
Aegidienbei-g im AVesterwald (Untersuchungen zur lautlehre der
mda. von Ae,, diss. Bonn 1900, s. 30). es heilst dort jräm
heiser, aber na'm.du name, an an, aber ha'u. hahn, däl tal,
aber da'l. dem tale, m^l mehl, aber )h{1. dem mehle. richtiger
kann man von dem accente sagen, dass er die dehnung ver-
hindert, dasselbe gilt, von dem zweigipfligen accent der nieder-
ländisch-limburgisclien mundarten, der nach Kern (Zum Ver-
hältnis zwischen betonung und laut in niederländisch-liuiburgischen
mundarten, Idg. forsch. 26, 258 ff) kürzung bewürkt und dehnung
verhindert.
Wichtig ist die Schlussfolgerung die F. aus der tatsache
der kürzung durch den 'rheinischen' accent zieht, während seine
Vorgänger diese eigentümliche betonung sich so entstanden vor-
stellen, dass der nebenton mit dem abfall des endungs-e oder
der Schwächung der endung auf die Stammsilbe tritt und dieser
den doppelgipfel mitteilt, sieht F. die apokope als eine folge des
accentes an. und dieser ist seinerseits erst aus der kürzung
hervorgegangen, diese aber hat ihren grund in der dem Rhein-
länder eigentümlichen satzrhythmik. er findet nämlich eine
scharfe sprechtacteiuteilung in seinen mundarten. der sprech-
tact überschreitet nie das mafs von vier silben. eine einsilbige
nichtgeschärfte form wie Ulf nimmt nun, wenn sie die betonte
stelle des sprechtactes bildet, die dem sprechtact zukommende
zeit nicht so sehr in anspruch wie eine tlectierende nichtge-
schärfte form desselben wortes, also wie ein ursprünglich voraus-
zusetzendes silvd. um aber das zur Verfügung stehnde zeitmafs
nicht zu überschreiten, sieht sich die muudart genötigt, eine
kürzung des zweisilbigen wortes vorzunehmen, diese geschieht
durch den jetzt auftretenden accent: so entsteht zunächst i;ii:v»
und im verfolg der durch das experiraent erwiesenen kürzungs-
tendenz Ui:t, dh. erst der accent bewürkt Schwund oder Schwä-
chung der endung.
DIAXiEKTÖEOGRAPHIE DES JfIBBBKRHEINS ' 17
Das nebeneinander einsilbiger und zweisilbiger formen des-
selben Wortes ist demnach die letzte Ursache für die kürzung,
tritt die schärf ung aber auch in zweisilbigen Wörtern auf, neben
denen sich keine einsilbige form nachweisen lässt, so ligt nach
F. systemzwang vor. stimmhafter stammauslaut begünstigt das
auftreten des accentes, ohne für ihn geradezu notwendig zu sein,
denn Ramisch weist schärfung auch vor stimmloser consonanz
(bi:t9 beifsen, zü:p9 saufen j nach, dass die schärf ung stimm-
haften auslaut bevorzugt, mag nach F. darin liegen, dass dei-
im 'rheinischen' accent erscheinende gleichlaut, der zunächst ein
blolser glottisverschluss ist, 'am liebsten zu einem stimmhaften
laut hinabgleitet'.
Die auffassung die F. hier vertritt, bietet eine erklärung
für den bisher als 'spontan' bezeichneten eintritt der schärfung
in den Wörtern mit wgerm. ä, e, ö, ai (> ahd. e), azi (> ahd. ö),
eo, wo sie ohne rücksicht auf folgende stimmhafte oder stimm-
lose consonanz ausnahmslos erscheint, während für die Wörter
mit % ü, ai (> ahd. ei), au (ahd. > ou) die nachfolgende stimm-
hafte consonanz erforderlich ist.
Dass die schärfung eine folgeerscheinung der energischen
Satzrhythmik und scharfen sprechtacteinteilung des Rheinländers
ist, findet F. durch den umstand bestätigt, dass gewisse er-
scheinungen wie die diphthongierung, auf die wir später eingehn
werden, nur dann auftreten, wenn das wort an betonter stelle
steht, in Dülken Stadt spricht man ve'i.l fiel, he'i.l hielt,
jo'u.t gilt, hlo'u.t blut, blo'u.m blume gegenüber einem e: und ö:
auf dem lande, aber nur "wenn die betreffenden Wörter an be-
tonter, affectisch gesprochener stelle stehn' (s. 238). unabhängig
von F. hatte bereits früher Bülbring in seiner abhandlung
'Über kehlkopfverschluss im wortinnern in deutschen mundarten'
in der festschrift für WilhVietor (Neuere sprachen 1910 er-
gänzungsband s. 263 ff) festgestellt, dass ein unterschied zwischen
betonter oder unbetonter satzstellung besteht, er hatte in den
hier in betracht kommenden Wörtern, die er in der mundart von
Niederempt bei Bedburg nachgeprüft hatte, beobachtet, dass sie
am satzende und im affect gesprochen neben der Verkürzung
um ein viertel hinter dem plötzlich abgebrochenen vocal mit
einem gehauchten absatz endigten, dieser hauch war aber
schwächer, wenn der affect geringer war oder fehlte; im satz-
innern fehlte er völlig iblif mr dox /'«»«' ^"^M neben Ä? het zix
en dqm nas3 wer dr düt [nicht düht] pliolt).
Als dritten beweis für die rolle die der satzton spielt,
möchte ich auf einige fälle bei Engelmann hinweisen, neben
vTCr wahr (schärfung mit glottisverschluss) steht vuriyt Wahrheit
(schwach geschnittener accent ohne schärfung) und ähnlich sonst,
es scheint zwar, als ob der wortton für das unterbleiben der
schärfung verantwortlich sei, aber offenbar füllt das längere
A. F. D. A. XXX Vm. 2
18 TBÜOHERT ÜBMK FRINGS
wort mit der schweren endung; die betonte stelle des sprach-
tactes in einem mafse. dass die kürzung des Stammes nicht mehr
möglich ist.
Es ist ein seltsames zusammentreffen, dass noch ein forscher,
anscheinend ohne kenntnis des Fringsschen buches — wenigstens
erwähnt er es nicht, obwol es wol vor der niederschrift des in
betracht kommenden aufsatzes erschienen ist und sein vf. gewis
während der abfassung oder drucklegung des buches mit F. per-
sönlich zusammengetroffen ist — , zu dem problem des rheinischen
accentes Stellung nimmt und sich im Fringsschen sinne aus-
spricht, ich meine die kurze, aber gehaltvolle abhandlung von
Andreas Scheiner, dem durch arbeiten über seine heimatmund-
arten bekannten siebenbürgischen gelehrten, in seinem aufsatz,
den er in hinblick auf Engelmann gleichfalls 'Ein mittelfrän-
kisches accentgesetz' betitelt (Korrespondenzblatt des vereins für
siebenbürgische landeskunde 37 [1914], 1 — 22), greift er wie F.
auf den ersten beobachter des rheinischen accentes, Hardt, zurück
und folgert aus erscheinungen der Viandener mundart Engel-
manns in Verbindung mit persönlichen beobachtungen an den
noch lebenden erforschern des rheinischen accentes (Maurmann,
JosMüller [Frings], Nörrenberg, Ramisch), dass 'die für die wort-
formung überhaupt so entscheidende accentuierte pausenstellung
auch für die apokope mafsgebend gewesen ist' (s. 20). grade
wie bei Engelmann der äufserste fall seines starkgeschnittenen
accentes, nämlich die schärfung mit glottisverschluss, nur bei
heute einsilbigen (dh. früher zweisilbigen) Wörtern und zwar
am deutlichsten ausgeprägt am satzende auftritt, so ist diese
betonte Stellung auch die Ursache für die apokope gewesen.
denn mit recht lässt sich die frage auf werfen, wenn die syn-
und apokope die Ursache für den accent gewesen sei, wodurch
denn diese erscheinungen hervorgerufen seien (s. 19, fufsnote
unten). Seh. findet den gemeinsamen grundirrtum der rheini-
schen forscher darin, dass sie 'den rheinischen accent nicht ent-
schlossen genug als eine ursprünglich selbständige und unab-
hängige gröfse des sprachlebens gefasst haben' (s. 1 5 f). was
Seh. über diesen gemeinsamen grundirrtum sagt, würkt über-
zeugend, die rheinischen forscher haben die beschreibende und
erklärende methode vermischt, indem sie den gegenwärtigen laut-
bestand der mundart ohne kritik mit früheren sprachstufen ver-
bunden haben, so wenn Engelmann sagt, 'die Viandener laute ....
die aus wgerm. d, e, ö, ai = ahd. e, au = ahd. ö, eu = ahd.
io entstanden sind, werden in heute einsilbigen Wörtern
durch glottisverschluss, in heute mehrsilbigen durch
stark geschnittenen accent unter allen umständen cor-
rigiert'. der von mir gesperrte zusatz bezieht sich auf auf evue
geschichtliche Vorstufe und enthält womöglich bereits etwas zur
ausdeutung des lautvorganges brauchbares, während der übrige
DIALEKTGEOGBAPHIE DKS NIBDEKRHEINS 19
teil des satzes eine blofs beschreibende grammatische regel ist.
ich kann Seh. bestätigen, dass auch ich, als mir vor jähren der
Engelmannsche aufsatz vor äugen kam, an dieser fassung seines
lautgesetzes anstofs genommen habe, eine ähnliche vermengung-
hat man bei der darstellung der sogenannten 'bedingten' circum-
flexion vorgenommen.
Entschieden erklärt Seh., dass der accent 'nicht zum ein-
zelnen wort, noch weniger zur einzelnen silbe, sondern vielmehr
zum ganzen satz (oder sprechtact)' gehört (s. 16), und ferner,
dass 'der sogenannte rheinische accent nichts anderes ist als die
conventionellste melodie, auf die in rheinischen landen die ge-
wöhnlichen lautgeberdentexte gesprochen zu werden pflegen'
(s. 17). wenn, so fährt Seh. fort, sich aus dem Vernerschen
gesetz auf einen germanischen wortaccent schliefsen lässt, neben
dem wol noch ein satzaccent gegolten haben könne, so sei die
annähme berechtigt, 'dass die . . . rheinischen accenttypen nichts
anderes sind als ein ausdruck des . . . sieges des den rheinischen
wie anderen deutschen mundarten ursprünglich fremden musika-
lischen satzaccentes über den vorauszusetzenden älteren germa-
nischen wortaccent' (s. 18). die anderen deutschen mundarten,
auf die Seh. hinweist, sind einzelne vlämische und sieben-
bürgische.
Wieweit wir Seh. in der annähme eines gerade musikali-
schen satzaccentes folgen sollen, ist recht fraglich, sowol Engel-
mann wie Frings und andere forscher sehen in dem musikalischen
dement des accentes nichts wesentliches. F. leitet sogar aus-
drücklich alle dynamischen wie musikalischen erscheinungen am
accent erst aus der kürzung ab, ebenso wie die Schwächung und
den Schwund der neben- und endsilben. aber das eine bleibt
beachtenswert und ist nach meiner meinung das gesicherte er-
gebnis der Fringsschen wie Scheinerschen beobachtungen und
erwägungen: der rheinische accent ist das ursprüng-
liche und die mit ihm im Zusammenhang auftretenden
lauterscheinungen die folge daraus.
Seh. wie F. kommen im verlauf ihrer erörterungen auf die
bekannte diphthongierungstheorie Wredes (Zs. 39, 257 ff) zu
sprechen, beide sehen von ihrem standpuncte die syn- und
apokope der ableitungs- und flexions-'' als die folge des accentes
an und leiten erst aus dem accent die diphthongierung ab, wie
schon Franck (Tijdschrift v. ned. taal- en letterk. 29, 24) getan
hatte, aber Seh. kennt nur den einen rheinischen accent, der
sowol die kürzung wie die vocaldehnung und somit diphthon-
gierung bewirken könne (vgl. s. 2 1 mitte), anlass zu diese)-
annähme Sch.s hat eine beobachtung an der Viandener mundarr
gegeben, in welcher der 'zweigipflige silbenaccent', der äufserste
fall des schwachgeschnittenen, besonders in energisch articulierten
Wörtern am ende des satzes steht, während er im zusammenhantr
20 TBüCHEET ÜBBfi FKINGS
der rede mehr oder weniger verschwindet (Engelmann aao. s. 385).
diesen circnmflectierenden ton hatte bereits JosMüller bemerkt
(s. 3 seiner arbeit), aber nachdrücklich vor seiner Verwechslung
mit dem eigentlichen circumflectierten ton, dem rheinischen accent.
gewarnt, nach ihm findet er sich in nachlässiger ausspräche
häutig, besonders bei auslautenden langvocalen, zb. v/f oder nei:
nein, jo ja, rceyi wicht (mädchen). 'es ligt hier gleichsam eine
zerteilung der länge in zwei längen, mit zwei exspiratiousstölsen
hervorgebracht, vor' (Müller s. 3).
Diesen zweiten accent vereinigt Seh. mit dem ersten, und
das ist ein böser fehler und müste zu rückschritten führen, wenn
nicht mit entschiedenheit auf die scharfe trennung der beiden
grundverschiedenen accentprincipien hingewiesen würde, die wir
Frings verdanken, kurz benennt F. beide nach ihrer augen-
fälligsten erscheinung die circumflexions- und die schärfungs-
tendenz.
Neben der schärfung besteht also noch ein c i r c u m -
flectierender ton, der nicht mit dem gleichbenannten der
früheren forscher verwechselt werden darf. ihm sind die
diphthonge des niederrheinischen gebietes zwischen Aachen und
Düsseldorf zu verdanken, dieser circumflex entsteht gleichfalls
unter dem affect; denn dieser braucht nicht nur zur kürzung zu
führen, sondern kann auch vergröfserung der dauer und damit
bei ursprünglich einfachen längen circumflexion und diphthon-
gierung bewirken, somit sieht F. die Ursache auch des zweiten
accents ebenso wie Scheiner in affectvoller articulation. aber
Seh. möchte die schranken zwischen den mittleren typen des
stark und schwach geschnittenen accentes bei Engelmann auf-
heben, um beide tonarten vereinigen zu können, während F. auf
ihre strenge Scheidung bedacht ist. warum bei gewissen vocalen
die schärfung, bei andern die circumflectierung erscheint, dafür
weifs F. noch keine abschliefsende erklärung vorzubringen; glaub-
haft scheint ihm die annähme zweier verschiedenen affectisclien
articulationsarten. zu beachten ist auch, dass die a e ö stellen-
weise in seinem gebiet der zweiten tendenz folgen und söp schaf,
href bref brief, jödn gehn, stödn stehn entwickeln und dass ^ ü
iu nicht notwendig der circumflectierungstendenz verfallen muss,
sondern auch schärfung aufweisen kann (vgl. neben wi:zd
weisen Ramischs }n:t3 beifsen, zi2:p9 saufen).
Ich finde, dass über diesen circumflectierungsprocess, der
teils zur dehnung, teils zur diphthongierung führt, noch nicht
das letzte wort gesprochen ist. möglich, dass, wie F. s. 235
vermutet, der dehnungsprocess in seinem gebiet verhältnis-
mäfsig jung ist und so alte und neue betonungsneigungen sich
kreuzen.
Wie erklärt nun aber F. die diphthongierung der alten i
ü iu? er gibt eine r,ei», p.honetische deutung. im auslaut
DIALEKTGEOGRAPHIE DES NIBDEERHBIN3 ^1
nimmt er von vornherein diphthongischen Charakter au; im In-
laut erklärt sich der diphthong rein lautlich derart, dass die *
ü iu in dem folgenden consonanten exspiratorisch und musikalisch
eine natürliche fortsetzung finden (vgl. s. 240). einen beweis
für diese behauptung sieht er in der hiatusdiphthongierung. aus-
lautendes t n iu entwickelt sich nämlich verschieden von den
fällen wo früher ein -e gefolgt ist, im zweiten falle muss
schärfung vorliegen, diese kann zwar auch dlphthonge heraus-
bilden, aber diese diphthonge zeigen in ihrem einsatz einen
andern Charakter als die aus der circumflexionstendenz hervor-
gegangenen, da nämlich die schärfung zugleich mit vocalsenkung
verbunden ist (vgl. die tatsache dass nach § 127 die schärf ung
in einigen districten die hebung des a> g verhindert und das
nebeneinander von hql ball mit gehobenem gedehntem vocal und
ba'1.9 mit einem ball spielen [niedriger vocal in geschärftem
stamm] in Dülken Stadt, ferner die Weiterentwicklung eines aus
/ u entstandenen geschlossenen f o in Dülken land zum offenen
f ^ in fällen wie st^'m. stimme, tQ'i^. zunge), so sind die
diphthonge in den zweisilbigen Wörtern, die der schärfung ihr
entstehn verdanken, regelrecht mit gesenktem ersten bestandteil
versehen (vgl. z^i' i. seihe, vr^'i.9 freien, hQ'u.d bauen), während
die einsilbigen den gesenkten eingang nicht aufweisen (vgl. vrei
frei, hlei blei, hou bau, rou rauh), dieses ei gu aus Dülken er-
scheint nach s. 128 in einem andern gebiet noch in der früheren
stufe ij iiif, und diese führt notwendig auf eine erste stufe *n
*im zurück, diese stufen 1. *// *uu, 2. |/ t^u, 3. ei gu sind
aber offensichtlich eine reihe, die ihren Ursprung in der zwei-
gipfligen natur des auslautenden langen vocals hat. also geht
diese circumflexion auch auf den wurzelaccent zurück, dieser
wurzelaccent variiert zunächst den vocaleinsatz ; er macht ein
e > ?3, ein i aber zu einem diphthong mit beginnendem e-laut.
darum muste die diphthongierung von t ü in der nhd. Schrift-
sprache ein ai und au und nicht ein ie uo ergeben, wie Wil-
manns (Deutsche gramni. 1 2, 276) gegen Wrede eingewendet hatte.
Dass in der tat die rein lautliche auffassung des diphthon-
gieruiigsprocesses ausreicht, um die entstehung der nhd. diphthonge
iii und au zu erklären, möcht ich durch den gleichen Vorgang
in meiner neumärkischen heimat belegen, die in meiner disser-
tation 'Laut- und flexionslehre der neumärkischen muudart' (Zs.
f. dtsche mdaa. 1907, 106) angegebene grenze zwischen dem
gebiet mit erhaltenem i ü und den daraus entwickelten diphthon-
gen verläuft allmählich von dorf zu dorf über ein überganga-
gebiet, in dem die Vorstufen der diphthongierung erkennbar sind,
unter affect spricht man in meinem heimatdorf, das sonst reines
eingipfliges i ü bewahrt, cmen doppelaccent {sunn oder .^in-in);
in einem andern ist der erste bestandteil gesenkt {svi-in, h^-uä),
in noch anderen schon Sve-in, hg-us mit Senkung zum geschlossenen
22 TBDCHERT ÜBER FRINGS
< nnd 0, bis schliefslich ^i, qu; «li äo und als letztes ergebnis
die reinen diphthonge ai und au in den westlichsten dürfern er-
scheinen, der weg geht vom ? // zu ai an, und nicht etwa zu
ie uo ; die Senkung erfolgt bei ? ü vorn, bei e o dagegen hebt
sich der vordere bestandteil {<h'l teil wird zu <il)l^ hom bäum
zu himn). dieser lautvorgang ist also mit der circumflectierung
notwendig verbunden.
Die frage, wie aus schärfung diphthonge entwickelt werden
können, begreift sich leicht, wenn man sich an den glottis-
verschluss Engelmanns und Bülbrings hauchlaut erinnert, diese
beiden lauterscheinungen bilden sich nämlich leicht zu richtigen
gleitlauten und kurzvocalen weiter und schaffen so mit dem ge-
kürzten Stammvokal einen diphthong. aus ^ ; (< wgerm. d)
kann q'9., aus q: (= ahd. ei) ein q'd. und aus o : (ahd. on)
ein H'd. werden.
Ich glaube, dass die scharfsinnige Scheidung der beiden
diphthonggruppen eine wertvolle errungenschaft ist, für die wir
F. gebührend danken müssen.
Beispiele aus den liraburcischen und moselfränkisch-luxem-
burgischen mundarten zeigen gleichfalls eine scharfe Scheidung
zwischen zwei verschiedenen diphthonggruppen. in Vianden steht
dem geschärften dativ laCf leib (mit glottisverschluss) der no-
minativ leif gegenüber, in Kenn bei Trier dem ei in tseit zeit,
keim keim ein {i in frqi : au freien, sfi : u;ni Scheiben.
In seiner dissertation 'Versuch einer lautlehre der mundart
von Saarhölzbach" Greifswald 1912 legt HThies wert auf die
Sonderentwicklung der einsilbigen infinitive gnii gehn, .sJrln,
■Hein schlagen, drein tragen (daneben veraltet gQ'^ti, sdQdv, Slg.ni,
drg9n), zcin sehen, dein tun (< *ti(e»), grein kriegen, s. 74
deutet er den wider erwarten in diesen kurzformen erscheinenden
circumflectierten accent, bei ihm 'geschliffener' genannt, als eine
art 'contractionsaccent', der sich nach der coutraction in *triin
und *shh) herausgebildet habe, aber seine ableitung der formen
gdn und -stdn aus got. gagga» und xtawlan befriedigt nicht, und
für dein < *diieu bleibt keine zweisilbige urform zur Verfügung,
warum überhaupt mit einem mal ein 'contractionsaccent' mit ge-
schliffenem ton, wo doch die contractionen sonst regelmäfsig die
schärf ung zeigen? vgl. grU'j.n kragen, glö'<Kti klagen. Frings
führt die gleichen abweichungen aus seinem gebiet an: jfhin
gehn, stortn stehn (Dülken) und zeii zhn sehen, ddn d/un tun.
diese Wörter zeigen keine schärfung, unterliegen also einer andern
tendenz. es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir hier an einer
stelle stehn, wo der früher 'spontan' benannte eintritt der
schärf ung sich als unabhängig von dem vocal zeigt und somit
die articulationsart als das frühere erwiesen wird, in Verbindung
mit fällen wie s^p schaf. href bref brief in gewisseji bezirken
gewinnt diese annähme an Wahrscheinlichkeit.
»lAliEKTGEOGRAPBlE DES NIBDEKBHEINS 23
Thies folgert aus manchen erscheinung-en seiner mundart,
dass der circumflex älter als die schärfung sei. ich bezweifle'
dass sein material zu dieser annähme ausreicht, und geh auf
seine ausführungen zu draest draet trägst trägt, slae.si slaet
schlägst schlägt mit circumflex gegenüber ze:st ze:t sagst sagt
nicht ein. jedoch sprechen allerdings andere erwägungen fiii-
das höhere alter des circumflexes, also der dehnungs- und
diphthongierungstendenz, in dem moselfränkischen gebiet, da
das genannte betonungsprincip im mosel- wie im niederfränkischen
nicht nur diphthonge, sondern auch längen aus kürzen hervor-
ruft (vgl. smäkd schmecken, spredkd sprechen, rM ritze, köald
kohlen [aber kQ'd.l kohle], vfiaydl vogel [aber stii'd.f stube];
für diese unechten diphthonge ed, w usw. treten anderswo [s. 97,
§ 212] die Vorstufen dazu, die circumflectierten längen ä. q, i,
q, 5, ü, Ü auf), so können fälle, in denen deutlich die dehnung
vor der schärfung auftritt, für das höhere alter des dehnungs-
accentes in ansprach genommen werden, in den ripuarischen
formen hos hase, nas nase aus Aegidienberg (JosMüller aao.
s. 29, fuXsnote) lässt sich erkennen, dass die dehnung vor der
apokope, also wol auch vor deren Ursache, der schärfung, ein-
getreten ist; wäre die dehnung nach der apokope erfolgt, so
müste es Jms. um wie Jläs glas lauten.
Aber man muss sich hüten, für das ganze Rheinland zu
verallgemeinern, darum braucht für das niederrheinische ge-
biet nicht zu gelten was im ripuarischen und moselfränkischen
gesetz ist.
Es empfiehlt sich in diesem zusammenhange auf die frage
.der mittelripuarischen dehnung hinzuweisen.' die tatsache dass
die heutigen ripuarischen mundarten in offener silbe die dehnung
der vocale hoher zungenstellung l u ü unterlassen, wählend die
Schriftzeugnisse des mittelalters eine dehnung höchst wahrschein-
lich machen, gewinnt von hier aus ein neues ansehen, wenn
würklich die ripuarische und überhaupt die ganze mittelfränkische
mundart, wie die Schreibung des 13 — 15 jh.s mit nachgesetztem
vocal (saigen sagen, waiJ wol, leider leeder leder, oeven oyven
oben, hoellen hoelen hoilen hoyllen holen, reil feile viel, oevel
übel u.a.) überaus glaubhaft erscheinen lassen (vgl. hierzu zu-
letzt WilhMülIer, Untersuchungen zum vocalismus der stadt-
und landkölnischen mundart, diss. Bonn 1912), alle vocale in
offener silbe gedehnt hat, so müssen die heutigen mundarten
eine kürzung haben eintreten lassen, und diese ist dann offen-
bar mit der schärf ung Frings, dem 'rheinischen accent'. zu
identificieren.
Die nachträgliche schärfung stimmt gut mit der Senkung
der e 0 ö > q Q ^, l u ü > e g ö. nur fragt es sich, warum
die Stadt Köln diese Senkung der vocale höchster zungenstellung
in manchen fällen nicht mitmacht, woher also die i i( ii des
"24 TEUCHEKT ÜBKK t^JUNGS, RIALBKTGEOGRAl'HIE O. NIEDKRRHKINS
Stadtkölnischen in stil stiel, hpnjl himmel, fri'd.d. frieden, ini{'l.
niühle, zi{'m.dr sommer, drij^'v.d drüben geg-enüber e q ö der
allg-emeinen neuripuarischen mundarten? und noch auffallende)-
ist der umstand, dass die vocale mittlerer Zungenstellung in der
Stadt sogar geschlossen gesprochen werden (vgl. hyd.i^ leer.
e'z.sl esel, ho'd.im boden, j^tnrd.9 getreten), mit WilhMüller
bin ich der ansieht, dass hier eine autochthone entwicklung dei-
stadtniundart vorligt. vermag aber die hebung der stammvocale
mit dem doch vorhandenen schärfenden ton nicht in ein-
klang zu bringen, es lohnt sich wol auch, den fall des höheren
vocals aus Dülken Stadt in ste'm. stimme, m^d» mitte, to'tj.
zunge, södj schütten gegenüber dem auf dem lande geltenden
e Q (> anzuführen, die annähme einer beeinflussung durch die
Schriftsprache reicht für alle diese fälle nicht aus.
Und schliefslich kann, so geraten es ist, accentverhältnisse
nicht zu verallgemeinern, in diesem zusammenhange die tatsache,
dass mancherorts an stelle eines gedehnten stamm vocals in offener
Silbe ein geschlossener kurzer auftritt, nicht wol übergangen
werden.
Im Westerwald gibt es nach Hommer Studien zur dialekt-
geographie des Westerwaldes (diss. Marburg 1910) ein kol kohle,
lewsn leben, gewan geben, jdSdgbn gestohlen, tsardl zettel, ja sogar
hurani boden. die hessisch - thüringische mundart des kreises
Eschwege hat nach ORasch Dialektgeographie des kreises E.
(diss. Marburg 1912) neben öwn ofen ein kglti kohlen und potn
boden, neben ketj kein kette ein ketd ketn. das waldeckische
schliefslich weist für i u ü in geschlossener silbe ein geschlos-
senes / u ii auf (vgl. >viz9 wiese, stik stich, zi{y) schwein, mt(.d9
schlämm, i^iv^l übel bei Bauer-Collitz Waldeckisches wb. s. 45*f).
Ich behaupte nicht, dass gleiche Verhältnisse schuld an
dieser gleichartigen lautgestaltung sind, gebe aber zu erwägen,
dass überall nachträgliche kürzung eines gedehnten vocals vor-
zuliegen scheint, wenn selbst die aufserhalb des Rheiulandes
vorkommenden hebungen an stelle einer zu erwartenden dehnung
nicht mit den stadtkölnischen erschein ungen vereinigt werden
dürften, so bliebe doch innerhalb des ripuarischen die dem gesetz
der schärfung widersprechende hebung in der spräche der Stadt
Köln und die aller Wahrscheinlichkeit nach im gesamten mittel-
fränkischen der schärfung vorhergehende dehnung der er-
wftguug wert.
Wie wir erfahre», ist F. mit der abfassung einer rhein-
ländischeu grammatik beschäftigt, die als Vorarbeit für das
Rheinische Wörterbuch gedacht ist. wir dürfen wol hoffen, aus
ihr aufklärung über manche der hier berührten fragen zu er-
halten. ,
Berlin-Steglitz. H. Teuchert.
TKUCHEKT ÜBßR rtOHOOF, ME SCnWÄl/MER MUNDART 25
Die Schwälmer raundart. ein beitrag- zur hessischen mundarten-
torschung von >V. Schoof. [sa. aus der Zeitschrift für deutsche
mundarten, jahrg. 1913, heft 1 ff.] Halle a. d. S., Waisenhaus
1914. 94 SS. 8 0. — 2,40 m.
Die ileifsige arbeit bietet einen reichen stoff in der üblichen
grammatischen darstelluug-. einleitende bemerkungeu zeig-en, daß
sich der vf. um die geschichte seines gebietes gekümmert hat
and aus den Urkunden nutzen für die Sprachgeschichte zu ziehen
versteht, eine stattliche reihe von vorarbeiten sind von ihm in
verschiedenen Zeitschriften erschienen, an die arbeit von LSchaefer,
Die Schlierbacher mundart, Halle 1907, ist seine darstellung in
der anläge angelehnt.
Wie noch stets zeigt sich wider, dass der verkehr der
dialektbildende factor ist. ein beweis dass die grenze des
Hessen- und Oberlahngaues bis in die Jetztzeit nachwürkt, lässt
sich nicht erbringen.
Zu loben an Sch.s arbeit sind die einleitenden paragraphea
der flexionslehre, sie regen von neuem den wünsch an, dass
unsere mundartenforscher die syntax nicht weiter stiefmütterlich
behandeln möchten, es überrascht zu sehen, in welch bedeuten-
dem umfang und welch reicher und verschiedener Verwendung
sich der genitiv in der Schwälmer mundart erhalten hat. diesen
abschnitt empfehl ich den grammatikern der Schriftsprache zum
eingehnden Studium.
Der erste teil der arbeit befriedigt bedauerlicherweise weniger,
nicht als ob ich der grammatischen Schulung des vf.s die an-
erkennung versagte, aber die starre methode der anläge ver-
hindert die herausarbeitung der würkenden psycho- und physio-
logischen gesetze, die die mundart zu dem gemacht haben was
sie heute ist. es zeigt sich hier wider einmal, wie ein schema
leblos werden kann, das erste erfordernis wäre die suche nach
den bildenden factoren gewesen, und danach hätte die gruppierung
auf das alte schema (I. vocale, a) kurze, b) lange, c) di-
phthonge usf.) erfolgen können, dann wäre ohne zweifei trotz dem
Schema aus der arbeit eine lautgeschichte der mundart geworden,
so aber ist sie eine beschreibung, der es nicht gelingt, den
früheren sprachstand mit dem heutigen zu verknüpfen.
An stelle weiterer worte beispiele ! es ist nicht richtig, dass
') zu u wird in num9 sie nahmen, usd sie afsen, drun sie traten
(§ 76), mhd. hobel > hetvdl, mhd. topf > deh^ (§ 51), aber sehr
richtig bemerkt wird in der fufsnote zu demselben paragraphen,
dass 'zweifellos dehd auf düppen beruht'; nicht notwendig braucht
gdwosd dui'ch hochd. einfluss veranlafst zu sein (4j 40;; i wird
nicht zu a in raw ringen (§44) oder w> e in tn<t unten, emr
unter (§ 67). wie sollte es auch mit rechten dingen zugehn,
dass aus dem schlichten, einfachen ä sich die vielen ö, ä, an, e,
y-, a, ä, 0 'und n heraus entwickelten? doch genug! widrige
2fi TEUCHERT ÜBKH SCHÜOF
Verhältnisse haben den druck der bereits 190S abgeschlossenen
arbeit verzögert; daher rührt wol der mangel der letzten feile,
daher erklärt sich wol die doppelte behandlung desselben laut-
lichen Vorganges, so decken sich die § 111 — 112 mit 176 — 177
und 120 mit 173. auch versehen wie 'wgerm. no, au' (§ 171. 173)
ua. fallen wol dem gleichen umstände zur last.
Doch ich will versuchen, von dem standpunct eines nicht-
kenners der mundart einiges zur erklärung der Sprachgeschichte
der Schwälmer mundart beizutragen, wie es die betrachtung des
beigebrachten Stoffes ergibt.
Der § 23 behandelt den Übergang von a < ä oder «».
dieser erfolgt 1. durch dehnung in offener silbe; 2. durch ein-
fluss von consonanten (r und r- Verbindungen; im einsibigen wort
vor /, 6, hs. t, cht), ?>. durch contraction (stahal > ^däl), 4. durch
ausgleichung innerhalb desselben paradigmas (.sdax stach), die
Partikeln <h(S das und bas (was) was machen diese entwickelung
nur unter starkem ton mit. so etwa hätte der § 23 aus-
sehen sollen.
Das gesetz der dehnung hätte eine gesonderte behandlung
erfahren sollen, es gibt zur zeit kaum eine brennendere frage
für die Untersuchung der mitteldeutschen mundarten als diese.
auch über den wortaccent und seine rolle in diesem puncte
hätte man gern in diesem zusammenhange aufschluss gehabt.
Wie es mit der dehnung des l steht, lässt § 40 nicht deut-
lich erkennen, möglicherweise gilt nur dehnung in offener silbe,
und s-bel spiel wäre aus den flectierten casus zu erklären, da
.Sf/eZ stiel auf eine zweisilbige form zurückgeht, aber es kann
auch dehnung im einsilbigen wort unter einfluss des l vorliegen,
wie denn smed Schmied einen solchen Vorgang vorauszusetzen
scheint, dann wäre i nicht anders wie a behandelt.
Doch ich darf aus raummangel jiur noch eine auswahl
treffen, ä > ä vor -g-, -r- (§ 69); in kämd sie kamen wirkt ent-
weder das 7v des anlautes (ahd. giichmm), oder es liegt aus-
gleich nach gäivd sie gaben vor. sdfiln sie stahlen (§ 72) ist
zur 6. ablautstufe übergetreten; ein gekürztes 2i gleicher her-
kunft besitzt rnunQ sie nahmen (§ 76). nicht risan, sondern
reisen führt zu resd reisen, win wein, mev mein ist durch
gutturalisierung entstanden, dagegen nur ivhük durch synkope
aus wenag wenig (§ 91). nur 'säugen' kann seej9 ergeben, nicht
sügan (§ 98). t wird nur in nebenbetonter silbe eingeschoben
{inidts jemand), aber sivets Schweifs ist würklich gleich 'schwitz'
(§ 107. 181)^; einzige ausnähme ist frets f rösche, au wird rein
lautlich zu a; der umlaut ist e; nähert sich ja doch auch das u
des SchMälmers dem ahd. laut ii. bedauerlich ist, dass der vf.
der hiatdiphthongierung nicht nachgegangen ist. i ü iu ent-
wickeln sich im hiat zu ai und au (ü und iu fallen zusammen),
ou öü > ö ai, ei > ä, uo> au, ea > ai, eo > au; im wortinnern
DIK SCHWAIiMKIl MUN'DAUI li
dagegen treten entweder unentwickeltere diphthonge (? > f?', ü
> qQü) oder (tiir die alten diplitlionge) nioiiciphtlionge auf.
Seh. kündigt fortsetzungen an. eint- syntax. eine untei-
suchung über die Wortbildung, eine nanienkunde und ein ver-
gleichendes Wörterbuch der nhd. schriitspraclie und de« Stdiwälniei
Wortschatzes sollen sich anschlieiseii. es erscheint fraglich, ob
es nicht nützlicher wäre, das mundartliche sprachgut, das der
vf. bei seinen langjährigen foi'schungen gewis zusammengebracht
haben wird, dem hessennassauischen Wörterbuch zu überweisen,
seine laut- und flexionslehre enthält wenig idiomatisches; ein vei-
gleichendes Wörterbuch der Schriftsprache und der mundart ist
mehr ein Wörterbuch der Schriftsprache als der mundart. die
unbekannten Wörter findet man nur, wenn man die begrifte die
das Volk besitzt, zu entdecken sucht, und auf diese unbekannten
Wörter kommt es doch am meisten an. stellt sich leider doch
immer wider heraus, dass unsere mundartlichen Wörterbücher gar
so viele neue Sprachstämme nicht zu tage fördern, um so mehr
sollen wir mundartenforscher bestrebt sein, auch in den dunkelsten
Winkel zu leuchten und fast verklungenes zum tönen zu bringen,
dazu aber hilft die Schriftsprache nicht.
z. Zt. Dt. Krone. II. Teuchert.
Die Skeireins. text nebst Übersetzung und anuierkuugon. von Eni>t
\. Kock. Lund, Gleerupska univ.-bokhandeln. Leipzig, Otto
Harrassowitz (1913). 35 ss. S°. — 1,10 m.
'Als ich neuerdings über die Skeireins las", heilst es in der
Vorbemerkung, 'fand ich in den ausgaben so viel, womit ich
mich nicht zu befreunden vermochte, dass ich mich entschioss.
lieber mittels eines kritischen textahdruckes nebst Übersetzung und
anmerkungen als in der gcstalt eines aufsatzes das gesammelte
vorzulegen', obwol also der Verfasser seine arbeit nicht als auf-
satz betrachtet wissen will, kann sie doch auch nicht als ausgalie
bezeichnet werden, den Inhalt erschöpft der Untertitel: 'text nebst
Übersetzung und anmerkungen'. stillschweigende Voraussetzung ist
dass der leser über die handschriftliche Überlieferung und die
gelehrte forschung orientiert ist, insbesondere dass er die aus-
gaben kennt, so erklärt sich u. a. die auf den ersten blick be-
fremdliche erscheinung, dass von keiner in den text aufgenommenen
conjectur der urheber genannt wird, eine Vermischung fremden
und eigenen gutes tritt übrigens dadurch nicht ein, denn keine
einzige textbesserung rührt von Kock her', auch nicht <lir 'i -
' man niiiste es nur als solche bezeichnen, dass <r 1 17 = 15
fjahcntjandiii, das Uppström in der hs. zu lesen plauMe , nunmehr ul«
conjectur in den text setzt, ich halte ühriuens di.-s. ecnj.clur für unnötii:,
♦•8 würde mich aber zu wdi fiihnn, meine grün<Ie darzulegen.
28 JEIiUNKK ÜBER KOCTv
setzang von pii^e unfaurwßimne III 1 6 =^ 1 4 ^ durch weibliche
formen, hier war Vollmer vorangegangen, nur dass er, kühn in
der textkritik. aber conservativ im grammatischen, iMzo unfaura-
weisono schrieb, während Kock mit seinem pizo unfaurweisano
die schwaclie genitivform auf -ano, die bisher in den lesarten
des gotischen kalenders ein stilles, von neugierigen blicken unbe-
lästigtes dasein führte, auf den hochsitz über dem strich erhebt,
ohne jede bemerkung, ganz als ob sich die sache von selbst
verstünde.
Dass der verf. der bequemlichkeit des lesers zuliebe die
mühe eines textabdrucks nicht gescheut hat, wird man ihm gewis
danken, und da seine schrift die ausgaben nicht kann überflüssig
machen wollen, werden die druckfehler Johannes statt lohannes
I 8 = 6 f und waurkjandis statt waurkjandins VI 18 ■= 1 5 f
keinen schaden anrichten, eher könnte der Variantenapparat be-
denken erregen, abgesehen von einer gewissen inconsequenz in der
mitteilung offenbarer Schreibfehler, vermisst man II 30 = 25
garehsnais und III 20 = 17 munandane. zu VII 21 = 18
war zu sagen, dass die lesung gamanwida ins unsicher ist.
Die anmerkungen geben keinen vollständigen commentar.
vornehmlich haben sie den zweck, die auffassung des Verfassers
zu begründen, namentlich scheint es ihm darauf anzukommen,
die abweichungen von Dietrichs Übersetzung und Streitbergs com-
mentar zu rechtfertigen, so erkläre ich mir etwa die anmerkung
zu kunnands I 13 = 11, das Kock anders als Dietrich mit 'er
wüste' übersetzt: er setzt kunnands = kunnands was und ver-
weist auf analoge fälle, an sich ist ja wol die ansieht, dass in der
Skeireins participien die stelle von verbis finitis vertreten, nicht
ganz neu; von kunnands an unserer stelle hat dies schon Loebe
und zuletzt noch Streitberg angenommen, oder, wenn gelegentlich
der Verbesserung Ivaparamme für Jvaparamma V 26 = 22 das
Verhältnis von has und hazuk, barj'is und harjizuh auseinander-
gesetzt wird, worüber doch vor mehr als 70 Jahren Loebe (Bei-
träge zur textberichtigung und erklärung der Skeireins s. 42)
alles nötige gesagt hatte, so ist das nur dadurch verständlich, dass
Dietrich in seinen text das Uppströmsche Jukaparamma aufnahm ;
es genügte Kock offenbar nicht, dass Dietrich selbst in der an-
merkung sich der Verbesserung Loebes anschloss. auch die be-
merkung, dass saiwalos IV 10 = 8 sowol object zu fauramanw-
jandei wie' zu fralailot ist, scheint nur polemisch gemeint zu
sein; denn auch diese bemerkung kann man schon bei Loebe
' ich setze hinter die zeileuzahlen des Kockscheu abdrucks immer
die der Streitbergschen ausgäbe, möchte man sich doch für die Skeireins
über eine einheitliche citiermethode einigen! wie unangenehm ist es, dass
man die Mafsmannschen Seitenzahlen, nach denen ESchulzes Got. glossar
oitiert, in keiner neueren ausgäbe mehr findet»
KKKIUKIN« 2i>
s, 35. 40 finden, s^veaa II 29=25 hat schon Streitber;,' sub-
stantivisch gefasst' usw.
Es scheint überhaupt, dasz Kock unter 'den ausf^aben' die
ausgaben Uietriciis und ötreitbergs versteht, ich schhefHC dies aus
der bemerkung zu gakaitands (V 12 = 10): 'ausg. ifakaifnndin.
vor Dietrich findet sich natürlicli die unglückliche conjectur
Kauffmanns in keiner ausgäbe und nach Dietrich nicht in der
Wredes.
So wie an dieser stelle stimmt an nicht wenig andern Kock
mit älteren herausgebern und Übersetzern überein. im ganzen ist
zu sagen, dass er namentlich die satzgliederung sehr oft richtiger
auffasst als Dietrich, im einzelnen dies zu zeigen ist nutürhch
nicht möglich, ohne einen grofsen teil der Übersetzung abzudrucketi.
niemand der sich mit der Skeireins beschäftigt, wird an Kocks
arbeit vorübergehn dürfen, ich bespreche hier nur einige inter-
essantere stellen.
II 8 = 7 wird iupapro als subject genommen, ''von oben'
aber besagte die heilige und himmlische geburt als eine zweite
durch die taufe erfahren', das ist sehr wol möglich, vgl. des
Ammonius rö "^ivoO^tv zr^v diä rov nveviiarnQ dvuyfvvTjOiv
orjfiaivsi (Dietrich s. uv). doch lässt sich auch die auffassung
des iupapro als object rechtfertigen; vgl. Cyrill (Migne 7 3, 24 4 Cj:
ö fxev yäg xvqioc . . . zip öid jcvevfiarog dvayivvrjOiv ävioi>€v
II 31 = 26 f ergänzt Kock pata gasaihan glücklich zu
pata gasaihano wato 'das sichtbare Wasser'.
III 9 — 14 = 8 — 13. In pizeÄ — daupein fasst Kock als
Vordersatz zu eipan — gavmgida, nl pana-seips — usdauiliaina als er-
klärende parenthese. ich stimme ihm darin bei, dass die bisher an-
genommene satzgliederung dem Zusammenhang nicht geroclit wird.
VI 16f = 14 übersetzt Kock ähnlich wie Dietrich anpar-
Imkein inmaidjan mit *in etwas anderes verändert werden', er-
' allerdings finden sich auch sonst noch allerlei bemerk unikcen die
schon von andern gemacht worden sind, wenn Kock zu ga/>uirnidnu — »
rjahauranii icairpan (II 1-1 = 12) auf L. 17, 25 verweist, so kiiiin inuii
doch wol Streitberg Got. eleraentarbuch s. 209 als seinen vorRänger be-
zeichnen, die erklärung der Schreibfehler IV 25. 27 -^ 21. 23 stammt
von Cromhout, die Vermutung, dass fjtze urijniiricei-*fine (111 IG - \\)
durch eine unrichtige beziehung des griechischen äxovoUov (dfia()TT)fidTWV\
zu stnnde gekommen ist, habe ich zuerst ausge.>ij)rorben , ebenso dass
VI24f:=21 icaurpanaim statt tcni/r/>artam grammatisch correet wäre:
vgl. Streitbergs commentar. Kock citiert seine vorgiinijer nur wenn er
mit ihnen nicht einverstanden ist. — manche bemerkungen betreffen selbst
verständliches, niemand der MriH.niUiaus IV 31 — 2(i in Murhnillaus
oder haitreins VIII 19 - 17 in haitrein iiinlerte. hat wol daran ge-
zweifelt, dass die Schreibfehler durch die benachbarten Wörter SnhnüUaus
und fncairlieins verursacht sind, und wer ."irr VII 21 ^ If »trirh. hat
gewis für das überflüssige \»ort die beideu in der niihe »lehndt-n .tien
Hlu «(ce verantwortlich gemacht; vgl. übrigens Uietrich b. XVUl und 29.
30 JELTilNEK ÜBER KOCK
klärt aber anparleikein für einen accusativ. er verweist auf
2 Kor. 3, IS po samon frisaht ingaleikonda. das ist nun zwar
eine wörtliche Übersetzung von rijv airriv eiv.övu fxera/xOQ-
cpovfX£i)a, aber ähnliclies könnte auch an unserer stelle vorliegen,
wenn übrigens Kock für die beiden accusative in der got. casus-
iehre einen besonderen platz verlangt, so ist dieser wünsch
wenigstens zum teil schon erfüllt: vgl. Gabelentz-Loebe II 2, "220.
VII 22 == 19. is in dem satz swe wilda andniman is hält
Kock für den nominativ. diese auffassung ist sehr erwägenswert,
obwol in keiner von den angeführten parallelstellen is ein pro-
nomen, wie hier ainlivarjammeh, wieder aufnimmt.
An vielen stellen kann ich Kock nicht zustimmen oder habe
doch bedenken; ich beschränke mich auch hier auf eine auswahl.
I 12 = II. mit welchem recht wird aiiamahtai (ebenso
wie von Dietrich in der anmerkung) durch 'Übermacht' übersetzt?
1 5 ff = 1 3 ff . 'denn wenn nun der teufel . . . den menschen
nicht gezwungen, sondern . . . angereizt hatte, das gebot zu
übertreten, so wäre es auch gegen das angemessene gewesen',
diese auffassung des mit jabai beginnenden Satzteils ist nicht neu,
vgl. Lundgrens Übersetzung (Ty om djäfvulen . . . icke nödgade,
utan . . . eggade att öfverträda budet, sa hade det varit emot
det tillständiga) und Lücke Absolute participia im gotischen s. 40.
sie ist aber falsch, da für den Skeireinisten die Verführung durch
den teufel nichts hypothetisches, sondern nur eine tatsache sein
konnte, an sich ist gegen die annähme, dass jabai neben der
absoluten participialconstruction pleonastisch stehe, nichts zu sagen,
aber die angeblichen parallelen sind anders zu deuten, niba saei
gabairada = edv firj xlq yevvrj^fj (Skeir. II = Joh. 3, 3. 5)
und niba saei wisip in mis = edv ßrj rig fxeivj] ev ifioi
(Joh. 15, 6) sind keine contaminationsbildungen, vielmehr ist die
construction verändert: niba heißt 'außer'; vgl, Bernhardt zu
.Joh. 3, 3. nebenbei: welchem gotischen wort entspricht das
'nun' in dem satz 'denn wenn nun der teufel . .' und was soll
es hier überhaupt ausdrücken?
28 = 24. pizos du guda garaihteins 'in der gerechtigkeit
vor gott '. in der anmerkung : 'vgl. frawroMps du imma L. 16, 1 .
.lellineks und Streitbergs erkünstelte deutung ist abzulehnen . es
steht natürlich Kock frei, meine annähme, dass garaihteins für
garaihteinais stehe, 'erkünstelt' zu finden; ich meinerseits muss
erklären, dass die parallele aus Lukas wie die faust aufs äuge
passt. wie soll die Verbindung der richtuugspräposition du mit
dem einen zustand ausdrückenden adjectivabstractum garaihtei
dadurch gerechtfertigt werden, dass frawrohjan, ein verbum des
Sprechens, dieses du bei sich hat zur bezeichnung desjenigen an
den die äufserung gerichtet ist? mir ist Kocks gedankengang
vollkommen unverständlich; denn das kann ich unmöglich glauben,
dass für einen syntaktiker die tatsache malsgebend sein konnte,
-SKKIKEINS 3 t
dass man im neuhochdeutschen auch mit ankla;,'»'» die prä
Position 'vor' verbindet.
29 f = *25 f. jah mam aftra i/alapon nnvrihimjah >r,jiirs(vum
•die menschen wider einladen sowol mit werten als mit werken',
für diese auffassung des ersten jnli bringt Kock als parallele bei
engl, that she hoth fouud mc and kirn statt tliat s/ir foimd hoth nie;
and him. stilgemäfser wäre es wol gewesen, statt des neueng-
lischen beispiels ein altdeutsches beizubringen, etwa dn mmp-t ir
oinden schöne beide gebrochen bluomea unde ynitiK aber was
kann denn überliaupt die Stellung von beidr oder von bofh für
die Stellung von jtth beweisen? Iwein 3184 ff heifst es '/// was
ich an ensament meineide und triuwelös beidr, Wolfram Wille
halm 33, 18 Unten tind an orsen beiden; sollen wir daraus
schliefsen, dass man gotisch ivaurdani jah icautst/rani jah sagen
konnte? der anstofs den das jah vor man.s bietet, verschwindet,
wenn man gahikon mit Loebe durch 'nachahmen ' übersetzt.
Cromhout (s. 12) freilich empfand trotzdem das jah als störend
und wollte es tilgen, aber 'zur nachahmung seiner Weisheit auch
die menschen auffordern ' ist eine leicht begreifliche inconcinnität :
es schwebte der gedanke vor: 'auch so weise zu sein', zur
stütze der Loebeschen auffassung von i/ah'ikon mag auch di«'
von Dietrich s. lih citierte stelle des Irenaeus dienen, wo es heifst.
daß die menschen imitatores operum (Christi) werden sollten.
II 4 = 3. hotos übersetzt Kock mit 'drohung'. in Über-
einstimmung mit van der Waals ('bedreiging'i und jedenfalls cor-
recter als Dietrich ('drohungen ). aber ich glaube, dass hier
überhaupt nicht die bedeutung 'drohung" vorligt — trotz E. «>, 1).
es ist doch kein zweifei. dass hier auf .loh. 7. 4 7 tf bezug ge-
nommen ist (Bernhardt, Cromhout), namentlich auf 7, 52. dort
werden aber nicht eigentlich drohungen, sondern scheltreden der
pharisäer erzählt, wie nun emriuäv sowol durch {ijalrotjau wie
durch andbeitan übersetzt wird (vgl. z. b. die parallelstellen L. 4, 35
und Mo. 1, 25), so konnte wol LriTiiiia nicht nur durch an-
dabeit (2 Kor. 2, 6), sondern auch durch fvota widergegeben
werden.
10 f. t= <j. in pi^^i i'i inippan frumlst hamida fram laisarja
'weil er damals den meister zum eraten mal hörti'". das würde
ja einen trefflichen sinn geben, ich habe nur das bedenken, datw
die von Kock angeführte parallele nicht beweiskräftig ist. Job. 7, M
ist doch der got. text nibai faurpis hauseip fram iinnui jah
nfknnnaip ha taujai die genaue widergabe des griech. ^äv ur,
d'/.ovOj] irccQ ccVToC .rQÖiiQOY VAti ••riii xi .fOifi. es müste
also gezeigt werden, dass im griechischen dv.ovfiv /lagä rivo^
ohne accusativobject 'jemanden hören" bedeut^^n kann, an der
' auch zu 1 2 hätte ein anderer wol statt ;iut ahd. allf.^'immfn
lieber auf Otfrid M4. 6; IV 9. 1^ verwiesoii.
32 JELLINBK ÜBEK KOCK
citierten stelle fehlt das object nicht: es wird durch den satz ri
icotet gebildet, in der Skeireinsstelle ist es wol unbedenklich,
das object aus ßammuh 10 = 8 zu ergänzen (vgl. Loebe s. 20 f.).
umso unbedenklicher als in der griechischen vorläge dem f'rop ein
transitives verbuni, etwa ovvf^y.ev, entsprach und das davon ab-
hängige TOVTO ohne weiteres auch auf r'.y.ov(ye bezogen werden
konnte. Dietrichs Übersetzung ('weil er es eben zum erstenmal
vom meister hörte') verdreht nach Kocks meinung den sinn,
das ist aber doch nur dann der fall, wenn man sie so versteht,
dass 'es zum ersten mal vom meister hören' in gegensatz ge-
dacht wird zu einem 'es zum zweiten mal vom meister hören",
der sinn ist aber; 'weil er das was er jetzt vom lehrer hörte,
zum ersten mal hörte'. ^
25 = 21 gaäoh unstai übersetzt Kock widerum mit 'der
natur gemäfs'. in einer griechischen Verbindung (pvosi ntQeuov
würde gewis jeder das (fvost als modale bestimmung auffassen,
die richtige Übersetzung ('naturligen passande") hat schon Lundgren.
29 f. = 24 f. jah twos ganamnidn waiMs, swesa hajoptim-
du daupeinais garehsvai 'nannte er auch zwei Sachen, dinge, die.
der tauf Ordnung nach, den beiden angehörig waren", die prä-
position du ist bei Kock ein wahrer Proteus: im 1. fragment
hiefs ßizos du guda garaihtein der gereehtigkeit vor gott, hier
heifst du daupeinais garehsnai der taufordnung nach! nein,
der mit du eingeleitete ausdruck gehört zu ganamnida: er machte
für die einrichtung der taufe zwei dinge namhaft, schon Lundgren
hat die syntaktische gliederung richtig erkannt; die Übersetzung
des du durch 'vid' ist aber wol unrichtig.
III 12 = 10. Kock erwägt die möglichkeit, das über-
lieferte sinteino vor daupeinim zu belassen, aber die von ihm
beigebrachten beispiele für die attributive Verwendung von ad-
verbien sind beinahe alle so beschaffen, dass das adverbiura ein-
geklemmt ist zwischen eine bestimmung des substantivums und
dieses selbst, sei nun die bestimmung eine artikelform {ßaim
bisunjane haimom, 'fj dvco ööög) oder ein adjectiv (multac circa
civifates, omnes Siciliae semper praetorcs) oder eine präposition
(i sä fall), vgl. übrigens die erörterungen Loebes s. 27 f. Loebe
stellte sinteino daupeinirn zusammen mit aftra anastodeinai, wie
er I 26 = 22 schreiben wollte, man könnte eben beide Ver-
bindungen als ableitungen aus den syntaktischen gruppen aftra
anastodjan und sinteino daupjan begreifen, vgl. nhd. instatid-
* der anstofs entsteht dadurch dass das causalitätsverhältnis, welches
durch die satzeinleitung in ßis ei ausgedrückt ist, sich nicht auf die be-
stimmung/ram laisarja erstreckt: Nikodemus hätte die rede auch nicht
verstanden, wenn er sie Ton einem andern gehört hätte, ganz ähnlich ist
es V 14 f. = 12 f. iß nu ains jah sa sama icesi hi Sabailliaus insohtai:
die durch den opt. prät. ausgedrückte irrealität trifft nicht auf die be-
stimmung bi Sabailliaus insahtai zu.
SKEmElNS 33
Setzung, demgemäfs schrieb Mafsmann in seinem Uifilas nffni
anastödeindi und smteinö-däupeinm, Uppström aber nicht nur
aftraanastodeinai, sondern auch ainteinodmtjjeinim. aber es bleibt
das bedenken, dass zusanimensetzunf^eu eines Substantivs mit einem
wort das 'immer' bedeutet erst spät zu belegen sind, vgl. Wil-
manns Deutsche Grammatik II 54 2.
15 ff. = 13 ff. Der schwierigen stelle unte ivUoJ) usw. suciit
Kock dadurch beizukommen, dass er das zweite icitop als reca-
pitulierenden nominativ übersetzt: 'denn das gcselz bezüglich
einer der unvorsätzlichen missetaten ■ — das gesetz verordnete die
asche" usw. aber andere bedenken die der Wortlaut des textes
erregt (vgl. Anz. xx 154f), bleiben unbehoben.
23 = 20. 'womit er ihnen auch verlieh, dass sie söhne
des himmelreichs würden', diese Übersetzung ist wol durch R. S, 14
und G. 4, G beeinflusst. dass aber der Skeireinist an unserer
stelle die gotteskindschaft als unmittelbare folge der begabung
mit dem heiligen geist bezeichnen wollte, ist doch sehr fraglich,
wenn man den Wortlaut der bemerkung des Ammonius erwägt:
•/.cd rrvsCua äyLOv 7iag£r/£ y.ai vioUeöiuc aSUtv.
IV 12 = 10 f. 'indem sie sich bis zu diesem augenblick
über jeden ausbreitete ". icli halte es nicht für richtig, aud Icarjano
mit 'über jeden' zu übersetzen, wenn and in localer bedeutung
neben einem singuIar steht, bezeichnet das Substantiv einen col-
lectiven begriff oder ein continuum von gleichartigen teilen
{manaseps, Galeilaia, ludaia, airpa, baurgs, gawi, Ixiurgstraddßia,
driuso), vgl. auch and pata iy.tivrjQ L. 19, 4. Icarjano bezeich-
net aber eine individualgröfse, und die meinung ist natürlich auch
nicht, dass die lehre des herrn sich über alle teile jedes einzelnen
verbreitet iiabe. um Kocks Übersetzung zu rechtfertigen, müste
man annehmen, dass dem Skeireinisten and Ivnrjano statt and
allans in die feder gekommen sei.
15 ff. = 13 ff. 'nicht dass er ihn ohne grund als einen
überlegenen verkündigt hätte, sondern er wies auch solche macht
seiner gröfse nach', ebenso wie hier übersetzt Kcu-k auch IV
28 = 24 und V 5 = 4 insakan durch "nachwei.'jen'. während
er VIII 23 = 20 fanr sunja insakandin durch 'für die wahr
heit eintrat" und insahts an allen stellen durch 'aussage' wider-
gibt, da aber die bedeutung 'nachweisen' weder IV 2S noch
V 5 passt, weder durch die stellen wo itmakan in der bibel
vorkommt (T. 4, 6; G. 2,6). noch durch die bedeutung von jm-
sahts gestützt wird, werden wir sie auch an unserer stelle nicht
anerkennen, der durch ni . . snarc angekündigte beweis wird
nicht in dem satz ak — insok gegeben, sondern beginnt erst mit
in pizci. 'nicht dass er ihn ohne grund für allen überlegen
erklärt hätte, sondern er verkündigte, indem er ihn himmlisch und
von oben gekommen, sich dagegen irdisch und aus der erde
heraus sprechend nannte, diese grofse macht seiner majestät, weil
A. F. D. A. XXXVIII. 3
34 .JELLINEK ÜBKK KOCK
er seiner natur nach ein mensch war' usw. vgl. die Übersetzungen
Bernhardts und van der Waals und Anz. xxix 290.
V. das fragment beginnt: ma du attin sweripos. Kock er-
gänzt [all andnimands i.m^ma und übersetzt '[empfangend für
si]ch [alle]', es ist mir und auch wol andern nicht bekannt,
dass ein obliquer casus von is reflexiv gebraucht werden kann.
VI 11 ff. = 10 f. 'denn jener, indem er mit menschlichen
Worten zeugnis ablegte, schien, trotzdem er wahrhaftig war, denen
zweifei zu erregen, welche die dinge, die (gott) möglich sind,
nicht kannten', damit ist der unglückliche gedanke Uppströms
erneuert, niahta als substantiviertes adjectiv zu erklären, in der
bibel wird mahts nur zur Umschreibung von passivconstructionen
(zb. filhan ni mahta sind XQvßijvai ov dvvaTcci,) verwendet,
das oft vorkommende övvarög wird mit mahteigs übersetzt,
und dann: wie kann hier 'gott' ergänzt werden? es nützt nichts,
wenn Kock auf hiiihti II, 15 = 13 verweist; da kann man zur
not die ergänzung aus in pis el mippan fnimist hausida fram
iaisarja gewinnen, endlich, welch wunderlicher ausdruck 'er
schien denen zweifei zu erregen'^ — man würde erwarten: 'er
schien denen zweifelhaft zu sein" oder 'er erregte bei denen zweifei '.
16 = 1 3 f , Jvarjatoh waurde at mannam innuman 'jedes
wort, bei menschen vernommen', at neben niman und seinen
compositis steht zur bezeichnung des ortes wo (nach nhd. auf-
fassung: von wo) etwas im eigentlichen oder uneigen tUchen sinn
genommen wird; vgl. zb. I Th. 2, 13 nimandans at uns waurd
hauseinais gudis = naQaXccßövreg nag' i)^wv Xöyov dy.ofjg
Tov d^eov. also: 'jedes wort das man von menschen überkommen
hat' oder, wenn man inniman mit 'vernehmen' übersetzen will (vgl.
ganiman fiav&dvsiv): 'das man von menschen vernommen hat'.
30 ff = 25 ff. ebenso wie Dietrich (und Streitberg) nimmt
Kock die worte unte — seJvun als Vordersatz zu aadagai usw., fasst
aber at ßaim gaJvairbam frakunnan ni skuld ist anders auf:
'weil man, soweit die fügsamen in betracht kommen, nicht ver-
achten darf, manche aber würklich seine stimme gehört, und
manche sein gesicht gesehen, so sagte er denn: selig' usw. den
weg zum Verständnis der stelle hat Cromhout s. 58 f. gewiesen 2;
von seinen interpolationsphantasieen muss man freilich absehen,
drei dinge werden den ungläubigen abgesprochen: 1. das hören
der stimme gottes, 2. das sehen seines gesiebtes, 3. der besitz
.seines wortes. im gegensatz dazu wird andern 1. und 2. zu-
' den dativ paim unkwmandam lässt doch wol Kock von ßuhta
abhängen — seine Übersetzung ist zweideutig, für die Verbindung von
tweifljan in der bedeutung 'üweifel erregen' mit einem dativ wüssle ich
keine parallele, denn usagljaii hat man zu dem adjectiv agls oder aglus,
nicht zu dem Substantiv aglo zu stellen.
2 die Satzgliederung ist übrigens auch von Vollmer und Lundgren
richtig widergegeben.
SKEIKEINS 35
gesprochen, man erwartet gleiches für 3. das ist auch tatsäcli-
iich der fall; der satz iinte af pawi gakairbam frakunnan nt
skuld ist spricht es aus, er schliefst sich unmittelbar an den
vorhergehnden satz jah waurd — gahuihcij) an. dabei ist mit
Cromhout gabairham als ungenaue Übersetzung einer form von
7tEii>ead^ai, zu fassen, das ja sowol 'gehorchen' wie 'glauben'
bedeutet; es könnte auch die ableitung 7r6i'/rfn')i' im griech.
text gestanden haben, dagegen ist Cromhouts annähme, dass
etwas ausgefallen sei, falsch, ebenso seine Übersetzung von skuld
ist durch e'Seoii. subject von skuld i'it ist waurd. 'das wort
gottes', heilst es im evangelium, 'wohnt nicht in euch, weil ihr
seinem boten nicht glaubt . 'denn ', fügt der comraentator hinzu,
'bei den gläubigen wird es nicht verschmäht werden', auch
darin hat Oromhout recht, dass er den satz audagai auk ßan
qap als begründung von sumai pan is sinn sehun auffasst und
auk mit yäo übersetzt, die Übersetzung 'so sagte er denn
würde nur passen, wenn der satz audagai usw. dem .Tohannes-
evangellum entstammte, das vorhergehnde also den Übergang
zur mitteilung einer textstelle vermittelte, es ist nun freilich auf-
fallend, dass eine tatsache der Vergangenheit (sehun) durch einen
ausspruch über die zukunft (gasaiJvand = öipovrcu) begründet
wird; aber diese Seltsamkeit bleibt auf jeden fall, auch wenn man
durch die tatsache, dass einige gesehen haben, die Prophezeiung,
dass einige sehen werden, begründen lässt.
VII 2 ff. == 2 ff. 'sondern auch Andreas — wurde ebenso
wie Philippus widerlegt, wo er nichts grofses erwartete noch der
würde des meisters gedachte, nach dem zu urteilen, was er äufserte,
als er sagte", die Übersetzung von gasakan durch 'widerlegen',
die auch Dietrich gibt, ist an unserer stelle falsch, wir sind noch
nicht bei dem beweise, dass die kleingläubigkeit der jünger unbe-
gründet war, sondern erst bei der erörterung von .loh, 6, y. es
wird nun wol allgemein zugestanden, dass der got, text eine
ziemlich genaue widergabe ist von 6 \lvÖQ^aQ öttoiioq tq^
'DiXbr^rco iXeyxsTcct ut]Ösv (.itya rpavraoO^sig, ut]öiv ^/rnUov
lov dtdaßy.älov fpooviioccQ di' lov e:rr.yuyev. in diesem satz
sind aber die participien rpavraaO-siQ und ipoovr.dctg notwendige
ergänzungen des verburas (Kühner [t!)04] § 482) und i'/Jyx^iv
steht hier in der bedeutung 'überführen' oder besser 'dartun,
dass jemand etwas schlechtes tut oder eine schlechte eigenschaft
hat'. Philippus hatte Joh. 6, 7 seinem absoluten Unglauben aus
druck gegeben. Andreas bemerkt, dass fünf bntte und zwei fische
y.ur Verfügung stünden; auf den ersten blick könnte es scheinen,
dass er die speisung für möglich hielt, 'aber auch von ihm', sagt
der commentator, 'wird dar;;etan, dass er keines irrofsen \:<}
dankens fähig war, durch das, was er hinzufügte',
Wien, 3 januar it)l4. M II. .f.'lliii.k.
3»
36 GIEEACH ÜBEK KALBOW
Die germanischen personennamen des altfranzösischen
heldenepos und ihre lautliche entwicklung. von Werner
Kalbow. Halle, Niemeyer, 1913. 179 ss. S" — 7 m.
In dem Wortschätze der germanischen sprachen zeichnen
sich die eigennamen nicht nur durch das alter und die fülle der
Überlieferung aus, sondern auch durch ihre Verbreitung, die
germanischen stamme haben ihre personennamen durch ganz
Europa getragen, und auch dort, wo ihre sprachen wieder ge-
schwunden sind, haben sie doch den Völkern in denen sie auf-
giengen, ihre rufnamen als erbe überlassen, so finden wir den
germanischen anteil am Wortschatz der romanischen sprachen in
den personennamen besonders stark ausgeprägt, und noch heute
lebt da mancher name fort, der in den stammlanden längst er-
loschen ist, mancher kam später in romanisierter form zu uns
zurück, aber auch das in die fremde gewanderte sprachgut
verdient die beachtung des germanisten, und der afrz. namen-
schatz nmsomehr, als er eine wichtige quelle für die erschliefsung
der westfränkischen namengebung ist. das mag die anzeige
dieses buches rechtfertigen, das vorwiegend eine romanistische
arbeit ist.
Seit der eroberung durch die Römer waren in Gallien die
lateinischen namen herschend geworden und die keltischen fast
völlig geschwunden, das eindringen der Germanen (Westgoten,
Burgunder, Franken) führt wiederum einen völligen Umschwung
herbei, und zur zeit Karls des Grofsen waren 9 zehntel aller
namen germanischer und nur etwa 1 zehntel antiker herkunft,
wovon noch ein teil der christlichen kirche zu verdanken ist.
die polyptycha der Karolingerzeit, insbesondere das berühmte
polyptychon des abtes Irmino von SGermain-des Pres lehren uns
das, und es gibt kaum eine Urkunde, die uns besser den grofsen
Umschwung in der namenweit Galliens vor äugen führen könnte
als das letztgenannte güterverzeichnis.
Wie es aber im 12 und 13 jh. mit den namen bestellt
war, dafür bilden eine der vorzüglichsten quellen die chansons
de geste, zumal durch Langlois buch: Tables des nonis propres
de toute nature conipris dans les Chansons de geste (Paris 1904)
ihr namenschatz bequem erschlossen ist.
Die geschichte der germanischen personennamen in Gallien
ist noch zu schreiben; was seit Waltemath und Mackel von
Bonnier, Cipriani, Jud, Kremers u. aa. geleistet wurde, sind mehr
oder minder wertvolle voi'arbeiten. auch Kalbow liefert einen
schätzenswerten beitrag, wenn er auch sein ziel, 'festzustellen,
welche Veränderungen die germanischen personennamen im ger-
manischen und romanischen erlitten, ehe sie die gestalt, in der
sie uns in der afrz. dichtung entgegentreten, erhielten', nicht in
jeder hinsieht erreicht, die arbeit leidet etwas unter der Zwie-
spältigkeit des titeis: der erste teil, 'die germanischen personen-
DIE GKRMANISCHEN PERSONENNAMEN DES AFZ. KI'OS :< 7
namen des afrz. heldenepos', verspricht uns eine f?eschichte der
epennamen, die nicht gegeben wird; der zweite teil, 'ihre laut-
liche entwicklung', tritt in den Vordergrund, war aber eine
Lautlehre der eigennaraen beabsichtigt, dann fällt jeder grund
weg, sie auf die beispiele aus den epen zu beschränken; anderes,
örtlich und zeitlich besser bestimmbares material war dann
heranzuziehen und hätte mehr aufschlüsse geboten, so scheint
die bequeme Zusammenstellung der namen bei Langlois vor-
wiegend der grund für die wähl des nuiterials gewesen zu sein,
und namen wie Berhtheri > Bertier, Marhod» > Marhuef.
Thioderl > Thiers u. a. m., die doch in keiner hinsieht andere
entwicklung zeigen wie die behandelten namen, fanden bei K.
keine aufnähme.
Der verf. teilt seinen Stoff in fünf capitel:
1. Allgemeine gesichtspuncte bei der betrachtnng der ger-
manischen eigennamen in der frz. spräche.
2. Besondere gesichtspuncte bei der betrachtung der ger-
manischen namen im afrz. heldenepos.
3. und 4. Lautlehre der germanischen eigennamen.
5. Hybridismen und gattungsnamen als eigennamen.
Diese gliederung ist nicht immer scharf genug eingehalten;
dieselben puncte werden an verschiedenen stellen eriirtert, und
das erschwert die vollständige Orientierung.
Die behandlung der eigennamen lässt bei jAIackel in laut-
licher hinsieht manches zu wünschen übrig, hier hat K. be-
deutende fortschritte zu verzeichnen, und in den abschnitten
über die lautlehre ligt auch die stärke seiner arbeit, er er-
kennt die notwendigkeit, die verschiedenen schichten der ger-
manischen namen schärfer zu scheiden; sie sind ja zu verschie-
denen Zeiten aufgenommen worden, und dieser umstand prägt
sich in ihrer lautgestalt aus. allerdings wenn er glaubt, diese
schichten auf grund der französischen und deutschen lautgesetze
sondern zu können, begeht er den fehler, dass er die laut-
substitution zu wenig berücksichtigt, der fremde laut ist nie-
mals dem heimischen ganz gleich; steht er etwa in der mitte
zwischen zwei lauten, kann er bald diesem, bald jenem ange-
glichen werden, oder wenn eine lautentwicklung abgeschlossen
ist, kann ein später aufgenommenes wort doch durch laut-
substitution die gleiche änderung erfahren: zb. auch nach der
tenueserweichung kann germ. *IiaJ)ulf' als *l\ud(>l aufgenommen
worden sein, weil ja ein t zwischen vocalen nicht vorhanden
war. es ist ein kennznichen für lehnwürter, dass sie in ihrer
lautform schwanken: unterschiede zeitlicher art genügen durch-
aus nicht allein zur erklärung.
Von erbwürtern darf man bei den germanischen Personen-
namen überhaupt nicht reden, gewis zeigt-n viele namen die-
selbe lautliche entwicklung wie die einheimischen lateinischen
38 GIEKACH ÜBER KAIiBOW
Wörter, aber vor der eroberung sind germaniscbe namen doch
noch selten und sind auch kaum der spräche verblieben; in)
5 jh. aber sind mit den lateinischen lauten schon eine reihe
von Veränderungen vor sich gegangen, welche nur auf dem
wege der lautsubstitution neueindringenden Wörtern oder namen
zuteil werden konnten, die altfranzösischen lautgesetze sind
jedoch zu sehr verschiedener zeit und zum teil ziemlich
spät in erscheinung getreten, bestand nun ein germanischer
name aus lauten, die sich gar nicht oder erst spät geändert
haben, so wird er dieselbe entwicklung zeigen wie die echten
erbwörter, sonst aber in lehnwörtlicher form erscheinen, da
aber die namen erst eindrangen, als die französische spräche
die ersten stufen der entwicklung schon durchgemacht hatte,
sind sie sämtlich als lehn Wörter zu betrachten.
Was K. s. 22 über die bildung der germ. namen sagt, ist
recht unzureichend, u. a. widerholt er auch den jetzt so oft
gehörten satz: 'auf eine Übersetzung der namen muss . . . ver-
zichtet werden', demgegenüber halte man an dem grundsatze
fest: 'deutung des als deutbar erkannten!' ursprünglich muss
der name eine bedeutung gehabt haben; erst wenn mechanische,
von der bedeutung unabhängige Veränderungen mit den namen
vorgenommen werden, muss man auf eine Übersetzung verzichten.
es macht sich überhaupt fühlbar, dass K. auf germanischem gebiet
nur aus zweiter band arbeitet, so wenn ihm s. 40 nhd. Gertrud
dafür zu sprechen scheint, dass hier germ. *drüt und nicht
germ, *prüd vorlige und daher afrz. Gertru 'jünger und ober-
deutsch' wäre, während doch aller Wahrscheinlichkeit nacli
Getprüd im hochdeutschen an trfff angeglichen wurde.
Der rahmen dieser besprechung verbietet es, auf alle die
abschnitte welche den ersten teil von K.s arbeit bilden, des
näheren einzugehn, obwol sie fast sämtlich zu weiteren be-
raerkungen anlass bieten, man würde vor allem die Vollständig-
keit, die K. in der lautlehre anstrebt, auch hier gern durch-
geführt sehen, die entartung welcher die namen auf gallischem
boden zum opfer gefallen sind — die gewis eines der inter-
essantesten capitel darstellt — , wird s. 22 f mit elf zeilen ab-
getan! und wenn auch die ungerraanische bildung von weib-
lichen namen, die hybriden Zusammensetzungen u. a. m. später
nachgetragen w^erden, es fehlt eine systematische betrachtung über
die Zerrüttung des Systems.
Ich kann von den zahlreichen abschnitten nur einige heraus-
greifen, der fugenvocal ist auch bei den westfränkischen namen
zerrüttet, aber so ganz willkürlich wie K. es hinstellt liegen
die dinge doch nicht, a ist als vortonvocal unverhältnismäfsig
selten, aber es bleibt doch zu beachten, dass, wenn wir von der
Schwächung zu e und vom schwund absehen, unter den u-
stammen o und a weit überwiegen, oder bei den i-stämmen das
DIE GEBMANIRCHEN PERSONRNNAMKN DES KV/.. KI'fJH 39
i sich im Verhältnis viermal so häutig findet als bei den a-
stämmen. für den g-ermanisten ist beachtenswert, dass aus den
französischen formen a, mitunter — wenn umlaut vorligt —
auch i als fugenvocal erschlossen werden kann, während die
übrigen vocale einfach schwinden rausten.
Über 0 in der fuge afrz. naraen äufsert sicli K. s. 24 sehr
unklai-; wir erfahren nicht, warum 'altes o' in afrz. Dagobert
geblieben ist. dagegen bezeichnet er s. 7ü, wo er als weiteres
beispiel noch Aigolantz hinzufügt, die namen als lehnwürter.
während er für Bertolai ss. 24. 76. 84 Ogier 9249 citiert,
belegt er es s. 106 aus Gir. Rouss. 16 und erklärt widerum,
dass Bertolai 'möglicherweise nicht als gelehrt angesehen zu
werden' braucht. auffällig scheint mir, dass o nur vor /
{Aigolanz, Bertolai, Eniimolai) oder nach g {Aigolauz, Dago-
bert, Rigohert) zu finden ist. da neben Bertolai auch Berte lai
vorkommt, handelt es sich im ersten falle wol nur um die be-
kannte lehnwörtliche entwicklung von el > ol, wie /ilicaria zu
felchiere und folchiere, Ishild > Isolt, hasilica > Basoche,
elephante > olifant, Cadrella > Charolles. Dagobert, Rigobert
aber sind ins franz. mit o entlehnt, ihr o ist nicht in afrz. ent-
wicklung begründet; es sind gelehrte formen, die volkstümliche
überliefert der Liber bist. Franc, in Daijhertu.'^.
Namen wie Gatdier. Bateni erklärte Mackel durch über-
nähme aus dem obd. mit lautverschiebung. K. aber deutet s. 24
das t für d als Verhärtung im auslaut nach dem fall des fugen-
vocals: Gaiitier > niederfrk. WaWiari. s. 36 dagegen sieht er
in fränk. d eine stimmlose lenis und kennt keine Wirkung des
Silbenauslautes mehr, anderseits hält er mit ^lackel daran fest,
dass Borchart (neben Bongars) hochdeutsclie lautverschiebung
zeigt (s. 21). solche kleinen Widersprüche finden sich auch
sonst.
In einigen fällen ist K. geneigt, erhaltnng des germani-
schen accentes anzunehmen, wenn Winihard > Guinart, Willi-
helni > Guillaume, Theoderiai^ > Tierri wird, seien diese
namen mit accent auf erster silbe übernommen worden; denn
nur der ton könne i bezw. ie bewirkt haben, ich halte eine
solche bewahrung der fränkischen betonung im romanischen
munde für gänzlich ausgeschlossen: der (nicht phonetisch ge
schulte) Franzose ist gar nicht im stände U'illihihn zu sagen,
er wird immer den ton verlegen, auch beweist die lautliche
form der namen nicht die anfangsbetonung. die umlautkraft des
i in der fuge ist sehr zweifelhaft, zunächst muss K. (s. 98)
gegen die gewöhnliche annähme — damit hantieren, dass auch
hiatus-/ den umlaut bewirkt; das trifft aber auch nur zu für
namen auf -hard, -heim, -ivard, aber nicht für die auf -bald, -bcrt.
-mar, -munt. und wie bei diesen, finden wir i auch bei -winv
als zweitem glied. . wir müssen vielmehr feststellen, dass uin<
40 GIERACH ÜBER KAIiBOW
immer mit i im französischen erscheint, gleicligültig-, ob das t
der fuge im hiat ist oder nicht, ob das wort an erster oder
zweiter stelle steht: auch ^vUli- erscheint vor mit cons. beginnendem
grundwort stets mit i. so darf man darauf keine an sich höchst
unwahrscheinliche hypothese von der erhaltung des germ. ac-
centes stützen, ebensowenig auch auf Tlerry: das ie ist hier
schwerlich aus e diphthongiert, sondern nichts als eine der vielen
formen, in welchen der germ. diphthong eu dem französischen
munde angepasst wurde, in Tiecelin möchte K. selbst den re-
flex des mhd. (?) diphthongen ie widererkennen (s. 53). afrz.
Tierri ist auch nicht aus der urkundenform Theoderkus, son-
dern wol aus der entsprechenden westfränkischen form ent-
standen; auch auf deutschem boden findet sich ie in Urkunden
frühzeitig für eo (Niezliub, Thietrick, Tiecelin usw.). — dagegen
würkt der germanische accent in anderer weise nach: auch
wenn der zweite bestandteil kurz ist, erhält er gegen das
lateinische betonungsgesetz den accent. ein keltisches Vindo-
hriga erscheint als Veiideuvre, aber germ. Hari-vikus wird nicht
*Harivihus betont, sondern ergibt Hervieu.
K. ist ferner der ansieht, dass die germanischen namen in
latinisiertem gewande in die romanischen sprachen gekommen
seien (s. 30, s. 160 und sonst), das könnte nur richtig sein für
einen namen, der aus der Römerzeit stammt, die masse der
germanischen namen kam aber erst mit der fränkischen er-
oberung, also mit ende des 5 Jahrhunderts und später, das latein
führt damals nur mehr ein künstliches leben, wie sollte es da
gekommen sein, dass man die germanischen namen zunächst in
das lateinische übertrug und dann erst in die Volkssprache über-
nahm? im gegenteil alle die namensformen in den lateinischen
Chroniken des 6 nnd der folgenden Jahrhunderte sind rück-
latinisierungen aus der vulgärsprache. nur wo gelehrte ent-
lehnung vorligt, ist die lat. urkundenform der ausgangspunct
für den afrz. namen, sonst aber erfolgte der Übergang aus dem
germanischen naturgemäfs unmittelbar. K.s beispiele sind für
die latinisierung auch gar nicht stichhaltig, er meint, dass die
franz. formen auf -mer, -froi, -man, -re zeigen, dass die latini-
sierten formen -marus, -fridtis, -mannus, -radus zugrunde gelegen
haben müssen, zunächst beweisen erscheinungen wie -mer über-
haupt nichts, denn der Übergang von a > e ist nicht so sehr
an die freie silbe, sondern an die länge gebunden, auch trans
wird über träs zu tres, sal zu sei; was hätte da -mär anderes
ergeben sollen als -mer, -rät anderes als re? aber ganz abge-
sehen davon: wenn wir einen namen einer fremden spräche ent-
lehnen, zwingen wir ihn gewöhnlich in unser biegungssystem :
Cäsar, Cäsars, die Cäsaren; Voltaire, Voltaires. also taten
natürlicherweise auch die Eomanen: die germanischen namen
wurden der romanischen declination angepasst; solange die
DIE GERMANISCIIKN J'EßSONKNNAMEN DKS AI'/.. KI'OS 4 I
romanischen Wörter im frz. ihre unbetonten tiexionsvocale be-
hielten, so lange versah man auch die germanischen namen mir,
diesen endungen (ganz wie it. GuiccarJo). als dann die un-
betonten auslautvocale im französischen fielen (anfang des !» jh.s),
schwanden sie natürlich auch in den dem fränkischen entlehnten'
namen und sind bei jüngeren namen auch nie meiir angefügt
worden, aber die betonten vocale hatten inzwischen dieselben
entwicklungen mitgemacht wie die entsprechenden laute der
Wörter lat. herkunft.
Besonderes gewicht legt K. auf die eutwicklung des namens
Hervieux; er nimmt mit Henning (Runendenkm. 33 ff) an, dass
den namen auf -vechus, -vchs germ. irif/ (tempelj zugrunde ligt.
aus germ. "Hartwig, glaube ich, hätten die lateiner "Harucigus
gemacht, wie sie auch kelt. -briga unverändert übernommen
haben; aus *Harhcigus konnte nimmermehr Hen-kux entstehn.
wahrscheinlich ligt auch nicht -^üig vor, sondern -wih (vgl. an.
ve), das zu ivilian 'kämpfen' gehört und später durch 7ing er-
setzt wurde, die gelehrten der Merowingerzeit gaben das mit
-richiis, -vechus wider; das volk, dessen spraciie ch niclit kannte,
sprach -veus, wonach man auch -veus in die texte schrieb, der
name Henvich kann des Umlautes wegen erst nach der mitte
des 8 jh.s aufgenommen worden sein, der franzose des S jh.s
konnte weder frk. iv noch frk. i noch frk. ch sprechen: in
seinem munde klang der name mit angefügter declinationssilbe
*Erveus, daraus afr. Hervieux. im 9 jh. übernahm man viel-
leicht Her wich als Herveg, Her reges, das K. nicht zu erklären
weifs, Herwig als Herris; aber es ist ebenso gut denkbar, dass
Hervieu, Herveg, Herri nicht zeitlich und der bildung nach zu
trennen sind, sondern nur verschiedene versuche darstellen, das
nicht sprechbare -wih dem französisclien munde gerecht zu
machen, also nicht das 'lateinische gewand', sondern die durch
laut- und bildungssubstitution romanisierte namensform ist der
ausgangspunct für das afrz., das 'lateinische gewand' ist nur der
mehr oder minder gi-naue reflex der form der vulgärsprache.
übrigens stimmt die latinisierte form durchaus nicht immer zur
altfranzösischen: so wenn, wie K. selbst angibt, lat. -garda neben
-gardis, afrz. aber -gart erscheint, oder -7cine zu -rcuus und
-r/«M6' latinisiert wird, afrz. aber als -/// auftritt; die deminutiv-
endung germ. -lin erscheint naturgemäfs afrz. als liu, latinisiert
aber als -lenus oder -linus (s. Longnon i s. 34H); udglm.
Kann ich nicht auf alle abschnitte von K.s buch näiier ein-
gehn, so möchte ich doch nicht versäumen, auf ♦initre punct«-
hinzuweisen, die ebenfalls ••ine zusammenfassende behandlung
verdient hätten, es ist eine bekannte erscheinuni,'. dass sufrixe
auch gegen die lautregeln oftmals ilire gestalt bewaliron; iiire
bedeutung und ihre functi^^n führen auf dem wege der analogi-
sclien angleichung die einlieitlichk-it ilirer form herbei, gleiclie.s
42 GIERACH ÜB. KALBOW, GERM. PKKSONENNAMEN D. AV'A. EVOS
lässt sich auch bei einigen namenbestandteilen beobachten, so
erscheint zb. inine fast durchwegs als guin-, bez. -oin^ während
die lautregelrecht zu erwartende form etwa nur in Audiv'me
> Oeu neben Audoin vorligt.
Nicht minder beachtenswert ist, dass die namen oft in einer
gewissen form festwerden — durchaus nicht immer in der 'regel-
lechten'. es ist ein Vorgang, der uns aus dem deutschen nicht
minder bekannt ist, und der im neufranz. natürlich weitere fort-
schritte gemaclit hat. schon afrz. heifst es fast ausschlief slich
Tierry, während peod- sonst neben tie- ebenso häufig als ti- oder
te- erscheint, trotz gleichem anlaut im germanischen heifst es
zwar stets Floovent, Flobert, aber nie ^Flohier für Clohier und
J^ohier usw.
K.s hauptaugenmerk ist auf die lautliche gestalt der namen
gerichtet, wenn er hier nicht immer abschliefsende erklärungen
bieten kann, ist ihm bei der Schwierigkeit der sache kein Vor-
wurf daraus zu machen, sehr wünschenswert aber wäre Voll-
ständigkeit der namen und ihrer formen gewesen, unter germ.
eu ist wol Tedhalt, Tehaut, Tihaut, aber nicht Tläehaut (das
SS. 60. 61. 62. 83. 135 genannt wird) noch Tidbalt (s. 82) an-
geführt, neben Tiemj fehlen Terri (ss. 44. 46), Theriet (s. 55),
Tiecelm (ss. 55. 112. 136), der name Thion (s. 134) ist gar
nicht erwähnt, um nur bei peod- zu bleiben, und doch ist die
Vollständigkeit der belege die Vorbedingung zur lösung der sich
daran knüpfenden fragen.
Im übrigen bewegt sich K.s lautlehre der afrz. epennamen
germ. herkunft in den herkömmlichen bahnen, das buch kann
gute dienste leisten, um sich über die herkunft und entwicklung
der epennamen auskunft zu holen und gewährt die beste ein-
tührung auf diesem gebiete die wir bis jetzt besitzen, trotz
mancher mängel, die dem buche noch anhaften, sind wir dem
verf. für seine fleifsige und mühevolle arbeit zu danke ver-
pflichtet.
Reichenberg in Böhmen. E. Gierach.
Die gcdichte und die sage von Wolfdietrich, Untersuchungen
über ihre entstehuDgsgeschichte, von Herniaun Schneider. München,
Beck 1913. viii u. 420 s. — 12 m.
Dies buch bedeutet eine durch methode, fleifs, Scharfsinn, Un-
befangenheit und kenntnis gleich imponierende leistung philo-
logischer kritik. text- und sagenbeurteilung, schon früh ver-
fahren, werden in neue wege geleitet und in eins soweit geführt,
dass wir nun neben gotischer und burgundisch- fränkischer eine
gleichberechtigte und gleichbedaclite merowingische sage nicht nur
in 'Zeugnissen' stehen haben, zwischen diese beiden teile aber
BAESECKB ÜBER SCHNEIJ)EK, GEDICHTE U. SACK V. WOT-KmErniCH i.
schiebt sich ein in seiner Systematik fast neuartif,'er, wiewol liüclist
einleuclitender: nach reconstruction des arciietypu.s der texte und
seines inlialts wird weit und breit in der abendiändischen litt^-ratur,
namentlich der deutschen und französisclien, umschau nach ver-
wanten motiven gelialten und festgestellt, was gleichzeitig gang
und gäbe war, also in der ursprünglichen sage gefehlt haben
kann oder muss. aus dem spiel gelassen sind alle datierungs- und
localisierungsfragen , die sich an die texte knüpfen, die würden
wo! in einer ausgäbe wenigstens des gedichtes I), die vom verf.
nach all den vorarbeiten zu fordern ist, nai-hgebraclit werden. Eine
solche wäre dann auch die beste recension dos vorliegenden buclics,
indem sie zugleicli zeigte, wieweit der verf. eine gewisse souvc
ränität geduldig in den dienst des kleinsten stellen könnte, denn
es ist für den aufsenstehenden ein grofses stück arbeit, sich durch
die vorgetragenen difficilen Überlegungen und beweise hindurchzu-
winden, und ich getraue mich nicht, alle (zb. bei den postulierten
verlorenen fassungen) aufgestiegenen bedenken und an den rand
gemalten fragezeichen hinlänglich zu begründen: ich habe nicht
die prompte kenntnis von stil und inhalt jedes Wolfdietrichgedichtes.
auch der hypothetischen, obendrein nach ihren verschiedenen con-
taminationsteilen, und habe mir auch keine tabelle des Vorkommens
der zaldlosen einzelmotive angelegt, ohnedies ist der verf. bereit-
willig genug, zweifei zuzugeben, sogar zuzuscliieben; er plädiert
nirgends, er legt seine erwägungen nüchtern und unvoreingenommen
dar. so kann ich sagen, dass mir seine eignen einscliränkuiigen
in den allermeisten fällen ausreichend scheinen, dass ich seine re-
sultate annehme und mich mit einzeleinwendungen begnüge.
Die hauptresultate sind: in li ist II zu III ff, nicht zu I zu
stellen 1 ; A 5U0 ff = A2 (die alte Scheidung von A wird bei-
behalten) hat mit Bllff eine gemeinsame vorläge. D ist conta-
mination von Bllff, C und einem verlornen gedichte T, das
widerum mit *A2B aus W stammt, wobei aber der contaminatnr
d seinen eignen charakter entwickelt, damit ist der alte Stamm-
baum von Müllenhoff und .länickc zerstört (wiewol gegen Seh.
12/13 zu sagen ist, dass ausätze dazu schon Norhanden waren:
Lütjens Der zwerg s. 4 4 ffj, und zwar ist die neugruppierung von
B II und AäOGff besonders evident, während man bei der Zer-
legung von D naturgeniäfs eher zweifei haben wird, die sagen-
untersuchung aber bringt die fruchtbare gleichung Wolfdietrieh
== Theoderich = Floovant.
Sie stützt sich dabei auf die nordiscli-italienisclie Floovant-
' was Lehncrdt Die aiiwciulung der beiwörtt-r usw., Breslau 1910,
s. 172 für die alte einteiluiiR anführt, ist hinfällig: üierhom, (Uencvlt.
trüt sollen nur in den 'echten teilen' (BI II) vorkommen, in der tat
fehlen tiser/.om nnd triit au'^h in B II, ü^enrHt in I wie »n III ff. reint .
silese (Maria) und ellcihnft sollen in I und II fehlen, weniRstcni süe:>
fehlt aber aiieh in 111.
44 BABSECKE ÜBEE SCHNEIDER
Überlieferung, die wie unsre Wolfdietrichgedichte einen Chlodwig-
sohn als Konstantinssohn nach Konstantinopel verpflanzt und damit
den nicht charakteristischen gemeinsamen zügen (landflucht, heiden-
kampf, liebe zu einer heidin) gleich einen charakteristischen hin-
zufügt, (diese merkwürdige Verpflanzung erklärt Seh. s. 349
zweifelnd aus einer Verwechslung: Constantius Florus der letzte
heidnische kaiser, nach Wesselofsky Rom, 6, 162 in einem Dit de
l'erapereur Constantin 'Floriiens', könig von Griechenland genannt;
Chlodwig = Flovis, der letzte heidnische Frankenkönig, von Gregor
bei gelegenheit der tauferzählung als 'novus Constantinus' be-
zeichnet, mir scheint, als gäbe das italienische Fioravante geradezu
das mittelglied zwischen Floovant und Floriieus.)
Damit wird die bahn frei zu heranziehung der gesamten
Floovantüberlieferung für den Wolfdietrich, und es kann nun ein-
gehend dargelegt werden, wie ihr hauptstück, eben jener kämpf
des landflüchtigen gegen einen heidenköaig und die gewinnung
seiner tochter, durch die dienstmannensage und noch mehr durch
die Verbindung mit dem Ortnit (wenn Wolfdietrich Ortnits witwe
heiratete, muste er die heidin ausschlagen) zur episode des Falkenis-
abenteuers herabgedrückt wird, das ist die neue 'austrasische' Wolf-
dietrichsage, sie passt gut zu den andeutungen der Kaiserchronik
(l3S40ff) und stellt sich neben die Karissage im Oswald und die
berichte von Chlodwigs brautfahrt und den treuen dienstmannen.
Hier kann ich um so eher anknüpfen, als Seh. die entstehung
des Ortnit und der dienstmannensage als nächstes übrigbleibendes
Problem bezeichnet.
Die Vorgeschichte Berchtungs und der königin darf meines
erachtens nicht, wie Seh. (s. 27 f) tut, in zweifei gezogen werden.
es heifst AI 52:
In mine kemenäten het in sin zuht gewent.
Botelunge minem bruoder wart ich von im entspent.
Do erwarp er mich im selben, sich, und gap mich dir dö.
das scheint mir zu concentriert, zu eigen, um als augenblicks-
erfindung gelten zu können, und es gibt zu denken, dass wir keine
gleiche, nur eine sozusagen gegensätzlich ähnüche Werbung ander-
weit bezeugt haben: Herbort wirbt in Hildes kemenate erst für
seinen herren Dietrich und dann auf Hildes ermunterung für sich
selbst: da wird dann auch von ihm der Standesunterschied beiseite
geschoben (Ths. ed. Bertelsen H 56: pott teigi sea ec konungr
pa er po oll min cett tigin borin oc mriä a ec gull oc silfr at
gefa per), und Hilde wird ihrem vater entspent. in unserm falle
aber hätte Berchtung vielmehr gleich für sich geworben und dann
die braut freiwillig abgetreten, so dass Hugdietrich ihm bürge unde
ere (153) verdankte; Vertreter der braut wäre der bruder, nicht
wie sonst immer der vater. das sind lauter individuelle züge, und
namentlich würde jene abtretung insbesondre Berchtungs triuwe
DIE GEDICHTK UND DIE SAGK VON WOIiFDlETRICH 45
kennzeichnen, sie würde .aber auch sein besondres Verhältnis zu
dem jungen Wolfdietrich, vielleicht sogar jenen Vorwurf unehelicher
geburt motivieren, der ja, der historischen üljerliefcrung ent-
sprechend, bereits in der gemeinsamen vorläge vorhanden war
(vgl. auch B 278. 3 ö). der Verräter, der diesen Vorwurf erhebt,
ist Sahen, der schon im Widsid 1 1 h als Seafola neben peodrie
steht, den Berchtung in unserm ältesten und besten texte als ge-
sellen von kindes jugende her bezeichnet fA221, vgl. 7. 183.
230), der eben an Botelungs hofe war (A 193) und der Bit. 12047
mit Berchtung zusammen auf seite der östlichen beiden steht, ich
glaube nicht, dass das alles zufall ist; und dass auch der Biterolf
durchaus keine 'wahllose nebeneinanderstellung' seiner beiden bietet,
ergibt sich aus Hauff Untersuchungen zu Biterolf nnd Dietleip
(Bonner diss. 1907) s. 42 ff. ich selie darin vielmehr ein stück
dienstmannensage. richtig ist allerdings, dass bei der bedeutungs-
losigkeit Botelungs für die heldensage (soweit wir sie erkennen
können), dies alles wahrscheinlich keine alte Überlieferung sein
würde, vielmehr eine aus dem würklichen sagenberichte heraus-
gesponnene Vorgeschichte wie in DFL und zumal im Wolfd. B.
Fragen wir B, so ist zuerst zu sagen, dass BI nicht von
einer so 'vollkommenen geschlossenheit' ist wie es Seh. darstellt,
der aufbau ist vielmehr brüchig und verrät contamination (Münchener
Oswald s. 27 3 f). da wäre es doch möglich, dass sich seine inconse-
quenzen von demselben bearbeiter herschrieben, der B II — VI aus
U herstellte und der BI, als technisch höherstehend, i. a. über-
nommen hätte wie es war (entsprechend verfuhr ja ö, der com-
pilator von D mit B I und II ff i, d. h. es gölte nicht
U
^BI -f-U
A-i BII— VI \
f-h BI), sondern A.» BI— VI.
*B I wäre dann unvollendet liegen geblieben und hätte von einem
andern Verfasser eine zusammengeraffte fortsetzung erhalten; A2,
das anfangslose gedieht, kann uns ja über eine in U einleitende
Vorgeschichte nichts aussagen, und B I lässt sich an wie die
Kudrun, wie die absieht, eine sage in aller breite modern aufzu-
arbeiten, die dann eben gleicli eingangs an dieser breite ge-
scheitert wäre, möglich wäre auch, dass U eben das vollständige
gedieht *B war, von dem sich in B nur die erste aventiure un-
verkürzt erhalten hätte. dergleichen Überlegungen waren wol
vorzuführen und eventuell abzutun, zumal wir zur entstehung und
datierung von B I 'von keiner seite atif eröffnungen zu warten
haben', ich halte es für das wahrscheinlichste, dass ji-ne inconse-
quenzen nicht aus bearbeitung, sondern aus der uiikunst des
dichters zu erklären sind, jedenfalls für Chlodwig gibt B l nichts
her, auch A wenig, es gab eine brautfalirtsage von Gljlodwig
4 t) BAESECKE ÜBEB SCHNEIDEK
(siehe Fredeg-ar und Liber historiae), mit der von Hugdietrich hat
sie nichts mehr zu tun, denn die ist nur Vorgeschichte zur Wolf-
dietrichsage, und Hugdietrich ist Chlodwig nur^ weil Chlodwig der
vater Theoderichs ist. darum brauchen AI und BI auch nicht
zusammenzustimmen.
Für die kritik der dienstmannensage wäre es wichtig zu
wissen, wieviel söhne Berchtuug eigentlich hatte, auch für die
textkritik. in diesem puncte aber ist der verf. nicht überall
glücklich.
Wir kommen damit an den schwierigsten teil der arbeit: ein
doppelt interpoliertes, uns aber nur fragmentarisch erhaltenes C
aus einem gedichte D herauszuerkennen, das seinerseits aus z. t.
erst zu erschliefsenden gedichten compiliert und dabei natürlich be-
arbeitet, auch nochmals bearbeitet ist, das scheint eine ungeheuer-
liche aufgäbe, aber wir gewahren mit innigem vergnügen, wie
reim- und verstechnik, stil, Wortwahl, nachahmung, erzählungs-
tempo, Widersprüche, vergleich der verwanten fassungen usw. in
allen denkbaren combinationen gepaart und gekreuzt, weiter- und
heraushelfen, wo frühere generationen zwar nicht verzweifelt
hätten, wol aber hätten verzweifeln sollen.
Ich könnte nun in dem bruchstücke CHI Wolfdietrichs worte
ich hin, meister BercJitunc, gnuoc lange stille gelegen (45), die er
unmittelbar nach seiner rückkehr aus dem kämpfe mit Olfan
spricht, wol als humoristisch -hyperbolischen ausdruck seiner rast-
losen Überkraft verstehn, wie wir dergleichen auch sonst finden,
und würde darauf keine Scheidung von C III gründen, vielmehr
scheint mir etwas andres, von Seh. nicht beachtetes, eben die an-
gaben über die zahl der dienstmannen, ausschlaggebend zu sein.
Wolfdietrich kommt (str. 30) zu dem besagten kämpfe nicht mit
1 1 Berchtungssöhnen, sondern mit 1 1 dienstmannen, eben den rittern
die Str. 1 1 mit ihm ausgeritten sind, diese 1 1 passen nicht zu
den 300^ die er in str. 9 erhalten hat, und nicht zu den 11 Berch-
tungssöhnen, die er erst str. 44 erbittet, die 11 dienstleute ge-
hören zu der Olfanepisode und erweisen besser als ihre technischen
eigentümlichkeiten, dass sie unecht ist = C2 im gegensatz zum ur-
sprünglichen Ci. (zu ihr gehört auch die unrichtige erklärung
der redensart w?« berate got zen Kriechen min einlif dienestman
in Str. 31.)
Widerum innerhalb dieser episode heben sich durch ihre ge-
wantheit, ihre durchgeführten cäsurreime, ihre konradische mache
ganz zweifellos die schlachtschildernden Strophen 21 — 26 {Nu 27. 1
bezieht sich auf 20. 4) und 32 — 39 als eigentum eines andern
interpolators C3 ab. (allerdings der beweis aus den an-am-ve\men
s. 90 versagt, die zahlen sind alle falsch, auch kann man nicht
sagen, dass mit str. 3 Wolfdietrichs weitspringen besonders be-
tont werde: es ist durch die einfache anapher man lerte den
übrigen Unterrichtsgegenständen gleichgestellt, nur das steinwerfen
DIK GEDICHTE UND DIH SAGK VON WOLKDlKTliUM 17
wird 5,3 nachträglich hervorgehoben, so entfällt auch die foige-
rung auf s. 127, dass der Weitsprung VI l\:\ aus C herrübren
müsse, und olinedies ist es unrichtig, dass l>erchtungs Unterweisung
im springen, von der VI 123 die rede ist, die der str. III 3 sein
müsse: in III 3 lehrt ein unbestimmtes 'man, das eben darum
nicht Berchtung ist, und VI 123 ist von einer besondern art des
springens mit einem schilde die rede, schon das ist mir zweifel-
haft, ob man aus der hervorhebung von Wolfdietrichs wurfkunst
III ö folgern dürfe, dass er sich in C vor Sidrat damit zeigen
solle.) ist aber C doppelt interpoliert, so ist es schon darum nicht
richtig zu sagen: wo D von 16 söhnen spricht, ist nicht C seine
vorläge. C-2 und C?, konnten über diesen punct anders denken
als Ci, und C2 hat anders darüber gedacht, sonst hätte er wol
seine elf dienestvaan mit den 1 1 Berchtungssöhnen in beziehung
gesetzt, fest steht nur die zahl der 1 1 dienstmannen, und es wird
durch CHI 31 erhärtet, dass sie C2 vorher bekannt war.
Aber diese elfzahl wird von den verschiedenen Verfassern ver-
schieden herausgerechnet, nach A 344 und 358 besteht sie aus
16 minus 6 söhnen Berchtungs und dem vater, und dasselbe gilt
für D IV 9h: als Wolfdietrich die eingekerkerten mannen anruft,
heilst es:
Also der herzog Berchtunr die stimme dö vernam,
ivie baldr er in erkante : do sprach der yr2.se man.
also auch hier der vater und 10 söhne, die zusammen die diene-sl-
man (IV 10) oder friunde (IV 12) ausmachen. Seh. lässt hier einmal
seine Unbefangenheit fahren und setzt, obgleich er anderweit (s. I5()j
anerkennt, dass ac stärker umarbeitet und modernisiert als cf, die
farblose lesart von ac ein :
.SVc nämen alle gliche des herren stimme war
der eine sicherliche rief lüte wider dar.
übrigens muss sich ac in der (nicht anschliefsenden) folgenden
Strophe dann doch zu Berchtung als Sprecher bequemen, und
Str. 106 ist von 16 weniger 6 söhnen die rede.
Von Ci wird also dies stück nicht herrühren; auch schon
deshalb niclit, weil es Belmunts räche für ülfans niederlage in Cj
erzählt, der beweis, dass das Belnuintabenteuer ("1 angehöre und
dass es dasjenige sei, zu dem Wolfdietrich III 42 auszieht, muste
versagen (s. 160, 165, vgl. die Schwierigkeiten s. 172, die eigent-
lich drei Interpolationen von C erfordern), es wird mit der Olfan-
episode eigentum von C2 sein ; beide abenteuer zeigen die gleiche
aiischauung von der zahl der Berchtungssöhno. darin wäre also
Ci mit A verwant. und erst C2 hätte aus dem Sigeuot entlehnt
(s. 197 f.). raislich bleibt es übrigens für diese Scheidungen in
jedem falle, dass C;i aucü C1.2 alteriert haben soll oder nuiss.
und seinem vorbilde nicht nur ö, sondern auch spätere b^'arb.Mtor
nacheiferten Cs. 1 50").
48 BAESECKE ÜBER SCHNEIDER
Dass in den letzten kämpfen, nach der versölmung der brüder,
sechs diener erschlagen werden (D X 92 und 100 ff), hat mit der zahJ
der Berchtungssöhne eigentlich nichts mehr zu tun: es könnten
danach so gut sechzehn wie elf oder zehn gewesen sein, nur ist
allerdings wahrscheinlich, dass dieser verlust von sechsen dem
alten, der die sechzehnzahl voraussetzt, nachgeahmt ist. diese
stelle kann also (gegen s. 163) jedem verf., auch Ci , augehört
haben.
So wären auch die übrigen angaben über die Berchtungs-
söhne oder dienstmannen und ihre zahl neu zu überlegen (vgl. zb.
s. 132 und 142).
Auch im Rother interpretiert Seh. (s. 215) nicht genau genug
was darüber gesagt wird. Berker hat nach 474ff nicht 'zunächst zwölf
dienstmannen', sondern elf söhne und einen: Ich hete eilifsune herlieh
und dann, deutlich abgesetzt, der zwelfte hiez Helfrich — an godcs
dienstc -icart er irslagen. und umgekehrt, wenn Berker 5129 sagt:
der mtnir genöze quämen sechszene, so sind diese sechzehn deutlich
als teil der genöze gedacht; und kann der vater von sechzehn
söhnen sie 'sechzehn seiner genossen' nennen? vielmehr ist zu
sagen, dass auch im Rother eine alte elf- und sechzehnzahl von
dienstmannen oder söhnen schon bekannt war und dass auch von
diesen ein grosser teil verloren ging (4S4 ff.), dabei ist es klar
(was auch aus dem nebeneinander von Liupolt und Berker folgt),
dass hier die dienstmannen (Liupolts) mit den söhnen (Berkers)
contaminiert sind: v. 128 und 144 sind es noch elf grafen unter
Liupolt, ohne beziehung auf Berker und Helferich; nach 460 und
484 waren 7 Berkersöhne dabei, und die sich ergebende Unklar-
heit wirkt auch v. 5129. Seh. kommt (s. 391) durch anderweite
Überlegung zu demselben Schlüsse. Berker gehört nicht in den
Rother. die französische litteratur muss die dienstmannensage er-
klären.
Was den Ortnit betrifft, wird die alte Hazdingenerfindung
nicht ohne höhn verworfen, dann brauchte Voretzschens gewalt-
same reconstruction eines Urhuon, aus dem auch der Ortnit her-
vorgegangen wäre, keine neue eingehende Widerlegung: der ver-
gleich der nordischen und deutschen Überlieferung und namenthch
die figur des llias ergibt ohne weiteres , dass beide teile des ge-
dichtes selbständig und vor der Verbindung mit Wolfdietrich vor-
handen waren, der sich nun auch nicht mehr des Berners schwer
unterzubringende drachenkämpfe anhängen zu lassen braucht: erst
durch diese Verbindung, die den tod Ortnits zu rächen und die
italienische herschaft zu motivieren möglich macht, wird er zum
drachenbesieger. den älteren (fränkischen) Ortnit glaubte ich
(Münch. Osw. s. 291 ff) schon etwa 1170 ansetzen zu müssen, ein
gedieht von etwa 1200 (s. 4ü0) scheint mir so unerweislich wie
überflüssig: nichts zwingt uns anzunehmen, dass vor A ein Ortnit-
dichter von Wolfdietrich gewust habe.
DIE GEDICHTE UND DIE SAOK VUN WOLFDIETRKII
»9
Noch einiges einzelne sei aufserdem beraerl<t.
Das auftreten einer Sigerainne von Frankreich als gattin des jün-
geren Hugdietrich in DFL 2351 ff beweist (gegen s. 202), dass in dem
Wolfdietrichgedichte das dem verf. vorlag beide namen enthalten
waren, er benutzt sie nach seiner art innerhalb der geschlechtü-
geschichte für andre personen. die verse enthalten nicht confuses
gerede, sondern neue erfindung. — unfertig (wie übrigens auch der
vergleich von DFL s. 202) ist des Verfassers ansieht von der lUmip
episode, die in der anm. zu s. 227 doppelt, und dann noch 25<lf
weitergebildet wird, diese episode wird der nieerweibererzählung
im .Münchner Osw. 650 ff. gleichgesetzt, aber: Wolfdietrich lässt
sich D VII 1 1 5 ff gern von dem ungeheuren waldweibe zu ihren
genossinnen bringen, w^ird wo! bewirtet und bereitwillig davcm-
geführt; Oswalds rabe wird von einem meerweibe ins wasser ge-
zogen, von ihr und den ihrigen (auf spielmännische anforderung;
bewirtet, der entführerin was vröide mit ime gedälit iG63;, der
rabe entkommt durch list. tertium comparationis einzig die be-
wirtung bei wunderweibern :
Münch. Osw. 695
balde hiez sie tragen her
semele undc guoten win
linde u-az da reines mohte gestn,
zamez iinde wilthrcete,
guoter koste allez gercete,
der allerbesten splse genuoc.
Wolfd. D VII 131. 3
Röme diu alse
hiez dar tragen den win.
darzuo die guoten spise:
im wart dö tugent schtn
zum und wilthrcete,
fleisch und manegen visch
mit guotem loillen stcete
bräht man üf den tisch,
goltvaz unde schalen,
der heten sie genuoc.
Wie wenig das bedeutet, ergeben Or. 1532 ff und Berger /.u
der stelle, Herzog Ernst B 32 16 ff, Wolfd. B 55(i, DFL 745 ff
usw. auch wenn wir Dresd. IIb. 2i)0ff hinzunehmen, wird nichts
gewonnen, falls wir nicht die da erzählte Verzauberung (und
lösung) Wolfdietrichs der list des raben gleichsetzen wollen. da.s.s
die A'2 und D vorausliegende fassung des Wolfd., also W, diese
geschichte an den Oswald abgegeben habe, ist danach abzulehnen,
noch weiter ab führt die anmerkung, die den \/ager uyt (J riehen'
einbezieht, der wird von einem menschenfresserischen waldweibe
geraubt und entkommt mit list. im lied scheinen *die leckerbis.sen
die die riesin kennt, freilich nur gebratene menschen zu sein':'
daa wäre die entsprechung zu dem angebot von zaniem undc wilf-
hratel dass sie ihre tochtor anbietet, müste dem angeführten vrrs.
Münch. Osw. 663 entsprechen, natürlich kann diu gewonnene ur
' eher passt hierzu die erzUhluiii; D V GOfi. «<
W.'s niarner brät (vgL s. 325).
A. F. 1). A. XXXVIII.
itnnt ungeMiire
50 BABSECKE ÜBEK SCHNEIBER
form der vier berichte dann nichts characteristisches mehr enthalten,
die in die anmerkung eingeschobene Vermutung, dass auch W. ur-
sprünglich mit einem meerweibe zu tun hatte — 'dann freilich
könnte W das abenteuer nicht in dieser form enthalten haben'! —
scheint mir also nicht discutabel. ich will damit nicht behaupten,
dass der Jager uyt Grieken nicht anderweit mit dem Wolfd. zu-
sammenhänge.
Mit dem Hürnen Sewfried (1()0) hat der Woifdietrich
(D VII 52) auch den astronomen gemein, desgleichen das drei-
tägige hungern auf der spur des drachen (36), sodass wir die
'Historie vom gehörnten Siegfried" nicht in anspruch zu nehmen
haben, das bloise schwert beim beilager (B 580) auch im Engel-
hard, zu A 393 (man entdeckt frühmorgens, dass die bürg be-
lagert ist, und weckt die seinen), stellt sich aufser Haimonskinder
326, 18 ff auch Kudr. 1355 ff. was die Crescentia- und Genoveva-
legende betrifft (31 Off), so ist jetzt Panzer, Sigfrid 3 7 f, 5;j f zu
vergleichen. weitere belege für die vater-tochterheirat Münch.
Osw. s. 267 und PBBeitr. 11, 448 f.
S. 313 f. vergleicht Schneider nach E. H. Meyer Zs. 38. 87 ff
im vorübergehn die verwantschaft der Marpaly mit Hippodameia
und Harpalj^ke, deren sagen dann aber schon contaminiert sein
raüsten. ich denke vielmehr an die Marpessa ('die entführte',
zu fjtäQitrsLv), deren vater Buenos wie Oinomaos die freier seiner
tochter zu einer Wettfahrt herauszufordern und die köpfe der be-
siegten auf den mauern seines palastes aufzupflanzen pflegte.
Idas, og xd^TiOTog e/iix^^oviojv ysvsT dvÖQäJv twj/ töts (11.
IX 557 f, das übrige in den schollen zu dieser stelle), besiegt ihn
und entführt die tochter mit hilfe von Poseidonrossen, verfolgt
verschwindet er in einem flusse, wie Woifdietrich in jenem zauber-
see. vielleicht gewinnt die parallele an bedeutung dadurch dass auch
Wolfdietrich ursprünglich die heidentochter würklich errang, vgl.
Döhring Arch. für relig.-wiss. 5. 43 ff.
Der versteckname Dietrich im ronian von Loher und Maller
wird (s. 368) einleuchtend auf Rothers bezogen, Rothers versteck-
name (s. 391) auf Wolfdietrich: überall der treue herr, der un-
erkannt zu den notliaften mannen kommt, aber ich möchte doch
daran erinnern, dass derselbe versteckname unter andern umständen
im Friedrich von Scliwaben benutzt wird; auch Berthold von Holle
kennt und verwendet das motiv im Crane.
Die correctur des buches ist nicht zu loben (es steht u. v. a.
s. "231 zweimal 'Möhringer', s. 318 'Naphtalifeuer"), zu brandmarken
aber ist eine nicht geringe menge von stilistischen scheufslich-
keiten, um so mehr, als sie nicht in sprachlicher schwäche ihren
grund haben — das zeigt manche glücklich kühne wendung — .
sondern in etwas hochfahrender nachlässigkeit. s. 9 'drei bruch-
stückweise Veröffentlichungen', s. 18 'Theoderichs Jugendgeschichte
als völlig deckende grundlage derjenigen Wolfdietrichs be-
DIK GEDKUITK VN\) DIK SAOK VON Woll Dl KTKJfH ; j 1
zeichnet', s. :^S "proteusgestaltige meerfrau", s. »)2 Uld.sn \i V
von Alberidi nichts erzählt, ist i<ein notwendiger beweis', 8. 95
'genaue anklänge', s. 2(;3 'das abhängigkeitsverhältnis vom Iwein',
s. 344 "dass diese partieeu einen nachträglich aufge|)frnpften ein-
druck maclien", s. SSO 'sage von den zwei brüdern , von denen
der eine einem ungeheuer zum opfer fiel, während der andere
ihn rächte und die band seiner gattin errang" usw. nur ganz
reine gemüter aber werden s. H)7 ohne heiterkeit lesen: 'wie
der von Sidrat gespendete ring, stärkt er |der ring] also die
manneskraft [d. h. körperkraft] und schützt gegen die würmer'
|d. h. drachen|. auch dieses muste gesagt sein.
Königsberg i. Pr., IT.sept. 1913. Oeorg Baesecke.
Der Laubacher Barlaam eine dichtiin;^ dos bischofs Otto 11 von
Freising (1184—1220) lu-sg. von Adolf Perdisch. [Bibliotliek des
Lltterarischen Vereins in Stuttgart (-CLX.1 Tübingen \'.)\?,
XXXII u. 574 sa. 8 «.
Auf seine fleifsige dissertation über die Barlaamübersetzung
<les bischofs Otto hat Perdisch nach zehnjährigem umgang mit
dem texte nun die erste gesamtausgabe, mit kritischen an-
merkungen, folgen lassen, inzwischen hat er erkannt, dass der
angefügte epilog diesen Otto wortspielerisch bestimmt:
16680 er ist ein hischof also f'r'i;
singen sulen wir nu sä . . .
und damit ist eine völlige Verschiebung der perspective bewirkt:
es ist nicht mehr aus der spräche zu beweisen, dass unter den
zur Verfügung stehnden bischöfen namens Otto ein schwäbisch-
bairischer, also Otto II aus dem ostschwäbischen geschlechte der
grafen vBerg, der verfassei* sei, sondern wir erhalten umgekehrt
— das ist eine authentische günstige kritik an Perdischs vor-
arbeiten — ein fixiertes gedieht und können einmal sehen, wie
sich einer der viel in anspruch genommenen litterarischen misch-
dialecte in Wahrheit, ausnimmt, d. h. soweit man das echte er-
kennt: wir haben nur eine md. handschrift des ausgehnden
14 Jahrhunderts mit correcturen z. t. nach der vorläge. P. setzt
sie ins nihd. um — auoli ich wüste nicht, was er besseres hätte
tun können, wenn auch seine formen manrhmal gar zu riebt ie: aus
sehen und das ganze natürlich doch zu iioiinal und modern {jemacbt
wird — und bemüht sich, von Schrödfr und der lateinisclifD
vorläge unterstützt, redlich und oft {,'lückli<li um die herstellun?
des an sich wenig aufmunternden textes. mir wenigstens wurde
die lectüre dieses langausgesponnenen, immerfort widersprach
reizenden askesenwesens fast selbst eine asketische Übung, denn
die erfrischung durch die eingetlochtencn etlichen parabeln oder
<lie griechischen göttertaten in christlichrm hohlspiei;el hält nicht
4'
52 BABSECKE ÜBER PERDISCH
lange vor, und es bleibt an freuden kaum mehr als jene behag-
liche emptindung des wolerworbenen schwebens über dem allge-
meinen sprach- und Zeitgefühl, das aller altdeutschen lectüre
zugehört und so friedlich über sturmentrückte, verklärte und
doch eigne Vergangenheiten dahinträgt; dazu freilich einige ver-
lorene klänge des spielmännischen epos (vil wunderlichen dräte
1981, Minige : Bahilonie 5807 u. dgl. oder gar muspillifügungen
wie altfiant 2782, aller sorgen meist 2754, vgl. 16 462), über-
haupt das altertümlich-ungeschickte, dessen man unter dem un-
mittelbar erhaltenen (und dem gedruckten) noch mehr ahnt.
Dass aufserdem der philologe auf seine rechnung zu kommen
suchte, mögen folgende vorschlage zum texte dartun: 36 lis da
begund es manic man. — 401 1. da [h]er an sinem buoche seit.
— 640. 5815. 14 200. 14 542. die (schon §§ 44 f der dissertation)
dem bairischen dialect und der Zwierzinaschen regelung der e-
bindungen zuliebe escamotierten reime mere : waire{n) und ynere :
erloescere sind für damals gefahrlos: bemerkung zu 6187. —
1197., warum von der Möre (oder Mmre) lande aufgeben? vgl.
Kudrun. — 1317. vgl. die bemerkung zu 10 492. — 1561 ff 1.
daz er verholen deste haz möhte smen willen vollenhringeyi allen
nach nolens ad noticiam patris sui meditata per venire, ^Historia
duorum Christi militum e graeco in latinum versa' in Joan.
Damasceni . . . omnia . . . opera, Basileae 1535, s. 12. — 1908f
1. also du von kinde tvcerest min gesinde nach quasi aliquem de
familiaribus et coaetaneis meis aao. s. 15. — 1929. 1. beslagene.
— 1959. 1. daz er daz niht rceche. — 2311. 1. des wart er vol
verstözen. — 2405. 1. sie jähen in grözer gewalt (fem.). — 2411.
1. an die sunnen und die sterne; an < vn. — 2581. der latei-
nische text gibt für tvortwlse (statt des überlieferten mortivtse)
keinen anhält. — die änderung von 2584 f scheint mir willkür-
lich. — 2752. 1. alles. — 2762 anm. ein nachnotkerischer beleg
für eines dhiges borgen bei Wilmanns GGA 1906, 26. — 2769.
1. sie sprächen fremdicliche nach coeperunt variis Unguis loqui
s. 21. — 2782. 1. altfiant wie Musp. 44. — 3374. 1. (Zes ist erde
und luft diu tiurre. — ■ 3498. 1. län Lazarum (haplographie); vgl.
3509. 3738. — 3534. 1. daz er in baz bediute. — 4148. 1. strebet
statt sterket [vgl. die anm.]. — 4247 ff 1. wie überliefert ist:
Swer zürnet wider den bruoder sin, der hat verlorn die hulde
min, tuot erz äne schulde; so muoz er mine hulde darumbe wol
gewinnen mit rehte und ouch mit minnen. nur der erste ge-
danke war gegeben: omnis qui irascitur fratri suo sine causa,
reus erit iudicio s. 33. — 4261. daz altäre, gemäls dem latei-
nischen neutrura, ist zu belassen; vgl. Grimms Wörterbuch. —
4320. 1. wan der schätz ie gar vergät. — 4534. (em) ist über-
flüssig: vgl. vil 5625, 6342: die hervorhebenden vil, gar, wol
sind im mhd. stärker betont als im nhd., können auch vor ihrem
adjectiv den ictus tragen; vgl. zb. WOswald s. xl. — 4650. L
LAUBACHER BARLAAM 53
des statt daz und vgl. den apparat zu 3582. — 471'Jf. 1. er
enmac samt gedienen got mul dru rlchtuomen nach von potestLs
dco servire et mammonae s. 3fi und vgl. die reime 4015. 5917.
15 332, auch die bemerkungen zu 640 u. (»IST. — 4764. 1. ein
kör der marteroire nach mnrtgrum chorus s. 37. — 5168. 1.
grözes. — 5266. ist miniu gemeint? — 5521. din\ vgl. Gr. Gr.
IV 621. — 5618. l jämerdirher, vgl. 5621. — 5815. vgl. die
beraerkung zu 640. — 6187 und dgl. 1. ddlite : bnrhte. die
Schreibung hrähte beruht auf der für unsern text falschen Voraus-
setzung, dass in den reimen auf — ^ die vocale der ersten silben
gleich sein müsten (woire : Järe 14 568!); ebendarauf grofsenteils
die in §§ 4 6 ff der dissertation für den unilaut gezogenen folge-
rungen: vgl. die bemerkung zu 47 19 f. — 6263. en ist in einer
hs. vom ende des 14 jh.s schwerlich zusatz; lieber niht ^ iht. —
6751 u. 8120. fehlen des niht bei enwil wird archaisch sein, die
fälle stützen sich gegenseitig, im ersten hindert auch das metrum
den Zusatz, entsprechend lis v. 8286 emrart ohne aiht. —
6811. 1. ziehen an wie 6814 ahe ziehen nach dem lateinischen
qiiod nullo modo ex quo induimus e.ruere licet s. 58; vgl.
daz er ein kleine pelzelhi anzöch Willeh. 84, 23. — 7151. 1. .so
sin dhi schilt toid din swert: der reim erklärt sich aus swe > so:
Einführung ins ahd. § 73, 2d. — 7541. ged'ihen : r'tchen ist mir
sehr unwahrscheinlich, zu 7542 hat das lateinische nichts ent-
sprechendes : et in ipso abunda crescens et proficiem et botuim
e.rerce militiam s. 63. — 8051. 1. ungehörsmnen. — 8120. vgl.
die bemerkung zu 6751. — 8286. desgl. — 8430. keine Zu-
sätze: magnorum et ipse pro2)ter me parvum ef'ficieris purticeps
dci bonorum s. 70. — 8856. schcrnc herte ist schwerlich richtig,
vgl. praerupta quaedam pedibus et vianibus reptando — ad
crepidinem montis cuiusdam peruenit s. 73. — 9493. 1. {sjune
wol in des gelüste nach non osculatus est pater, ut solebat, sed
indignato et quasi irato similis ingresNUs est. — hinter
9898 ist kolon zu setzen. — 10 035 f. shien sun den meinte dö
der vater mit der starken drb'i vgl. havc patre minautc et cum
ira discedente s. 83. — 10 492. 1. xces shi rede wa.s so kar<*
nach mirabatvr quidem in sufisione verbi et responsiotiibus eins
acutissimis s. 85. ayiz ist für ircs eingetreten wie du: für rf»«
(3582. 4650). die berufung auf 1317 verfängt nicht, dort ist
vielmehr zu lesen ivaz krist wcre. gotes sun nach praecepit
etiam, ut nee modicum verbum de Christo et de ipsius dogmatibus
penitus audiret s. 7. — 12 943 f. 1. dan f'uorte sä den selben
man daz selbe volk, daz in nnm nach postea edwreruni eiun inde
qiä cum introduxerant s. 105. — 13 13S u. 13 741. haben di.-
starken vocative Bahilönischiu slaht und reiniu srtr urkundliche
gewähr? — 13 191. 1. gotheite. — 13703. das komma ist zu
streichen. — 14 200. vgl. die bemerkung zu 640. — 14 229 f. I.
ßöz zuo vil mange sträzen. — 14 234 f. 1. die Hute face.) entet
'54 BAESECKE ÜBER PERDISCH
daz äne danc emveder vorhte noch gedranc (getwanr) nach timor
et coactio minime frahebat populum s. 115. — 14 468 f. 1. er
naget im, daz enw(ere niwan ein got here (diss. s. 45 und oben
zu 4719 f), — 14 532 f. der reim verdienten : lebeten ist zu be-
lassen; vgl. 16 272 ein e : sträze u. ä. — 14542. vgl. die be-
merkung zu 640. — 14 871. und daz? vgl. sed impedivit me
patris mei obstinaüo s. 120. — 15 003. im lateinischen fehlt
etwas entsprechendes, in bergen und in albev ist mir höchst
unwahrscheinlich. — 15 332 f. inlten : guoten ist nach den Le-
merkungen zu 47 19f. 6187 unanstölsig. — 15 751. die klammer
muss fallen: du ist relativisch: vgl. gloria tibi Christe, rex vni-
versorum et deus benignissime, quia complacuit tibi s. 128. —
15885. dm (ztt) behalte ich trotz 12010 und 13004 (daz zif)
bei: auch andre werte (geivalt, Urkunde) kommen hier mehr-
geschlechtig vor. — 16 620. 1. dar du min ahhte hwte
gedältt.
In der einleitung macht das hauptsttick die geschichte
Ottos; was die Überlieferung seines werkes usw. betrifft, so
konnte trotz der eingetretenen Verschiebungen i. a. auf die
dissertatiou verwiesen werden, hervorgehoben wird eine ände-
rung in den metrischen anschauungen durch vKraus, die nun
auch die textgestaltung beeinflusst habe, indessen fühlt der
herauRgeber selbst, dass er mit der gerühmten declamation des
Verses der willkür das tor öffnet, in Wahrheit dient die be-
schwerte hebung {do stuont er nf unde sprach) nicht so sehr
der declamation als der natürlichen betonung, und der vers
bleibt doch wol der declamation übergeordnet, solange überhaupt
in versen gedichtet werden soll: zehen tn.sent pfünf war bisher
unmöglich, und auch ein gravis kann nicht darüber hinweg-
täuschen, dass eine neben- zwischen zwei haupthebungen ihnen
gegenüber eine Senkung ist. weder wird hier so die un-
erschwinglich hohe summe, noch anderswo staunen usw. rhyth-
misch wiedergegeben — man kann ja diese art der einfühluiig
bekanntlich leicht verhöhnen, wenn aber ztvel jär, drt ndmen
mit iüsent pfunt als nachdrücklich betonte Zahlwörter zusammen-
gestellt sind, so scheint fast die keuntnis der Hildebrandschen
gesetze des germanischen satzaccents zu fehlen, in der tat
beruht wol die metrische herstellung des textes nicht auf syste-
matischer durcharbeitung : er ist zuweilen, aber nicht immer,
durch Zusätze, abstriche, zerdehnungen (und declamation?) einem
normalbau angeähnlicht, der mir ebenso anachronistisch sein
würde wie die beanstandete regelung der klingenden reime (vgl.
zb. V. 4534. 2462. 15 095; 13 287 und 13 426, 13 878 und
13 932 usw.).
Gute dienste hat mir die dem text vorangestellte dispositiou
geleistet, dass dem Wörterverzeichnis grofsenteils die nlid. Über-
setzungen fehlen, ist eine überflüssige Vornehmheit; auch fehlen
F>AUHA(IIKI< liAAUI.AAM 55
vorbehalte bei conjecturen (zb. altäre, zlt : urküwh ist v. 'iS^W
stm.). der druck ist sorgfältig, härteic anstöfse verzeiclni»- icli
aus V. :-iOl6 (streiche der\ r)G()2 (.siV fehlt), r2(iyo imuhtu).
Mail muss dem herausgeber wahrlich dank wissen für eine
so langwierige treue mühewaltung sclion weil er die hundert-
fach schwerere arbeit kritischer herstellung einem einfachen, iin
angreifbaren handschriftenabdruck vorzog.
Königsberg, 11 october HMC. <;,.<.rt' Kaeseeke.
Nachträglich höre ich, dass der herausgeber, der nach
manchen vergeblichen angriffen andrer als erster diesen bösen
text zwang, sein leben für das Vaterland gegeben hat. sein
werk hatte nicht nötig, um solcher Verklärung willen mildere
mafsstäbe des Urteils zu fordern, ujid so brauchte oben kein
wort geändert zu werden, aber hättf,- doch der geist strenge»-
und unerbittlicher arbeit, der aus diesem buche spricht, wurzel
geschlagen wenigstens in einem oder dem andern seiner jugend-
liehen Schüler, dass er dereinst wider aufblühe und frucht trage'
K., 28 november 11» 16. <;. U
Tristan and Isolt. a study of the sourccs of the roniaiice bv
Gertrude Schoepperle (New York Lniversity, üttendorfer Memorial
Series of Germanic -Monographs no 3.1 Frankfurt a. M. Joaepli
Bacr, London David Niitt, 19i;i 2 bde XV u. 590 »s. s". — 15 m.
Mit dem erscheinen des zweiten bandes der Hedierscheu
Thomasausgabe (1905) ist der höliepunct derjenigen richtung der
Tristanforschung erreicht, die im gegeusatz etwa zur hedertlieorie
Heinzeis die biographische h'ebesgeschichte der erfindung eines
einzigen dichters zuschreibt, nach B<$dier habe ein um die mitte
des 12 jh.s lebender dichter einen solchen biographischen roman
verfasst, und dieses 'poeme primitif -- der IVtristan Ciolthers
sei die gemeinsame und alleinige (|uelle der bis auf den heutigen
tag erhaltenen, ja sogar aller je geschriebenen ■i'ristaruliohtungen
gewesen, lidroul, die frz. quelle Eilharts, die Kolie, 'ihomas und
der frz. prosaroman (dh. die von Bedier im anliang seiner aus
gäbe abgedruckten stücke) seien voneinander unabhängige bear
beitungen jenes alten, von Bedier und (iulther sogar 'recon-
ötruierten' gedichtes. das vorfindliche material , welches dieser
dichter seinem werke einzuverleiben vermochte, habe zur au^J
füllung einer planmäfsig forttchreiteiiden diditung nicht au?«
gereicht.
Ähnliche ansicLten liat die aus der schule Bedi« r^ kommende
Verfasserin des vorliegenden >\erke8 in aufsätzen und referaten ver
breitet, da sie noch mit dem abfassen desselben beschäftigt war.
das DUO erschienene buch enthält indes in mancher hinsirlit ein«'
56 KELEMFNA ÜBER SCHOEPPBRLE
allerdings in den verehrungsvollsten worten gehaltene abkehr von
Bediers ansichten. wol heilst es noch in der einleitung (s. 5),
das buch habe es sich zur aufgäbe gestellt, die ansieht Bediers^
es seien die vorhandenen texte von einer früheren biographischen
dichtung abhängig, zu stützen, doch gleich darauf werden die fort-
setzung Börouls und einzelne partieen der frz. prosa hie von aus-
j^enommen und die möghchkeit betont, es giengen die erwähnten
fassungen auf eine vom biographischen roman unabhängige, ja
sogar früher als dieser geschriebene version zurück, nach der
Verfasserin vorläufiger aufstell ung ist dieser roman — den sie im
hinblick auf Beroul 1789 die 'Estoire' nennt — lediglich die
quelle gewesen der Beroul- Eilhardfassung, des Thomas und der
Berner Folie, weitere, nicht minder belangreiche abweichungen
von B^dier ergeben sich bezüglich des mutmafslichen Inhalts des
urgediehtes. die von Bödier und Golther bei der herstellung des
urgedichtes — dieses litterarischen homunculus — angewandte
methode wird von der Verfasserin verurteilt, wol wird bei der
auswahl der für das urgedicht in betracht kommenden züge eine
gewisse mathematische exactheit vorgetäuscht, die man doch in
solchen Sachen nicht haben kann, allein eine nähere Untersuchung
zeigt bald, wie sehr bei der reconstruction 'erwägungen des ge-
schmackes, des gefühles und der logik mitgewirkt haben', in
vielen fällen entspricht die aus künstlichen compromissformeln
bestehnde widerherstellung keiner einzigen dichtung mehr, es
kann eben sache des litterarhistorikers nicht sein, zugrunde ge-
gangene dichtungen aus unzulänglichen trümmern wider aufzu-
bauen, den Ursprung und die entwicklung der Tristansage zu be-
leuchten, war das ziel der Verfasserin; um für die sage einen
litterarischen hintergrund zu gewinnen, war es notwendig, das
gesamte höfische und volkstümliche material, wie es eben von den
unterschiedlichen Versionen geboten wird, im Zusammenhang mit
analogen erscheinungen der französischen, skandinavischen und
keltischen litteratur zu untersuchen; es stellte sich hierbei heraus,
dass die frz. quelle Eilhards das ihr von wo immer zugekommene
material — allen ambitioneu selbständiger poetischer betätigung
entsagend und sogar unter hintansetzung offenkundiger Wider-
sprüche — , soweit es gieng, unverändert in den rahmen der er-
zählung aufnahm, andere Versionen — dies geht namentlich auf
Thomas — waren gegenüber dem zu behandelnden stoffe nicht
von derselben pietät beseelt, sicherlich, das hat man ja bislang
auch so geglaubt, dass Eilhard und Beroul altertümlicher seien als
Thomas; nur ist diese altertüralichkeit noch kein beweis, es sei
Thomas von jenen beiden dichtungen inhaltlich zwar völlig ab
hängig, nur habe er sich ab und zu abweichungen und Umände-
rungen nach eigenem gutdünken und geschmack, jedoch ohne
anderweitigen quellenmäfsigen anhält vorzunehmen erlaubt, zu
solchen anschauungen wird man sich kaum bekehren können, so-
TRISTAN ANT) ISOLT 57
lange die Verfasserin die existenz einer \m der -Estoire" uiiab
händigen, sogar älteren litterarisclien tradition annimmt und sich
in Thomas züge finden, die speciell durcii die prosa beglaubigt
werden, wie hat man sich überhaupt das Verhältnis der beiden
traditionen zueinander vorzustellen? wäre es nicht geratener ge-
wesen, statt durch allerhand erzwungene erkläriingskünste Thomas
gewaltsam einer fraglichen 'Estoire' unterzuordnen, die elemente
der unterschiedlichen traditionen in den vorhandenen texten fest-
zustellen und dann erst zu scheraatischen Stammbäumen zu
schreiten ?
BezügUch der Inhaltsangabe der Eilhardscheu dichtung
(s. 11 ff) ist zu bemerken, dass Seh. wol erst verhältnisraäfsig
spät auf die eigentümlichen Schwierigkeiten aufmerksam ge-
worden ist, die in der Überlieferung dieses werkes liegen, und
weiterhin auf die arbeiten Kniescheks und Gierachs, sodass deren
resultate auf die Untersuchung keinen durchschlagenden einfluss
ß-ewonnen haben, und sich die Verfasserin gezwungen sah, diesen
Schwierigkeiten in einem etwas sonderbar anmutenden 'anhang'
gerecht zu werden.
In der hierauf folgenden kritik des Bödierscheu urgedichtes.
kommt Seh. am schluss eines jeden abschnitte? regelmäi'sig zur
Überzeugung, es spiegle der Eilhardsche bericht (iic Verhältnisse
der 'Estoire' wider; die allenfalls abweichenden berichte der übrigen
Versionen seien Umarbeitungen und die reconstruction Bediers an
solchen stellen, in denen sie sich von Eilhard entfernt, sei dann
verfehlt.
Der glaube an die unbedingte vortrefflichkeit der Eilhanischen
Version, der sich der Verfasserin mehr und mehr verdichtet, führt
sie schliefslich halb unbewust zur völligen gleichsetzung der frz
quelle E.s mit der 'Estoire' (s. 111)! ein fortschritt gegen B(''dier
und Goltlier ist aber an diesem puncte immerhin zu constatieren :
die Verfasserin betrachtet die 'E^stoire* weder als das urbild aller
dichterischen Vollkommenheit noch als eine absolute neusclnipfung
Cthis poem represents in our opiiiion a late development of the
tradition', s. 75 anm. 2); hierin begegnet sich Seh, mit einer von
W Förster, Cliges-' s. i.xv. vorgetragenen ansieht, als typisch für
der Verfasserin bestreben, die 'Estoire" als alleinige quolb' den
Thomas zu erweisen, werde folgendes beispiel angeführt. (hw
erlöschen der würkung des trankes. die reue der liebenden und
deren aussöhnung mit Marke durch \ ermittlung < »grins seien von
Thomas zwar in seiner (luelle ani^etroffen, aber von ihm •.;etil;rt
worden, weil solche züge seinen höfischen idealen widorsprachen.
Dieser ansieht ist aber folgendes entgegenzuh:dten. es wt
nicht richtig, wenn die Verfasserin behauptet (_ss. 12 u. HI), die
würkung des trankes werde hei Eilhard in lebenslänglicher
dauer dargestellt; die textkritischen arbeiten KnicflchekiJ und
Oierachs (s. 171) hätten sie belehn-n k'innen. d:Hs dit» vor«»' E»lb.
58 KKLKMINA ÜBEK SCUOEPPERLE
2286 — ST. durch welche die würkung des trankes auf lebensdauer
erstreckt wird, unecht sind, Eilhard und seiner frz. quelle nicht zu-
kommen, wenn man von der bei Eilhard berichteten teniperierung der
würkung nach wochen und tagen absieht — dieser üblen zierat
seiner frz. quelle — , so entsprechen sich Eilhard und Beroul in
der festsetzung einer vier- oder dreijährigen frist auf das genaueste,
diese zeitliche beschränkung der wUrknng macht sich — und das
übersieht die Verfasserin gleichfalls — in der partie 'das waldleben'
deutlich bemerkbar. nur Eilhard und Beroul stellen das leben
im walde als ein hartes leben dar, nicht auch Thomas und die
frz. prosa (Löseth §§ 52. 344. 355); die letztgenannten berichte
kennen dementsprechend auch keine zeitliche beschränkung der
würkung. es ist eben den berichten Eilhards und B^rouls darum
zu tun, dem leser auf das sinnfälligste zu zeigen, wie das un-
glückliche liebespaar unter dem einfluss des trankes das mit un-
erhörten entbehrungen verbundene waldleben bis zum zeitpuncte
des erlöschens der würkung freudig erträgt, nach diesem zeitpunct
aber seine läge als schier unerträglich empfindet und unverzüglich
eine aussöhnung mit Marke anbahnen lässt. man sieht hier auch,
dass die von Eilhard berichtete abnähme der würkung innerhalb
der vier jähre eine ungeschickte ja unvorsichtige neuerung seiner
(juelle ist. überdies wird jene contrastwürkung in den beiden
berichten noch durch den doppelten besuch bei Ogrin verstärkt;
wie nämlich die ermahnungen des einsiedlers das einemal bei den
verbuhlten seelen würkungslos verhallen — nämlich vor dem ein-
tritt des kritischen momentes — , und hinwiderum wie sich nach dem
erlöschen der würkung beim liebeshelden bufsfertige gesinnung
einstellt.
Eine erklärung dieser Verhältnisse hat ref. in seinen Unter-
suchungen zur Tristansage (1910) zu geben versucht (ss. 29. 64).
der umstand dass eine von der Verfasserin getadelte scene bei
Thomas, wodurch die endgültige trennung der liebenden erzielt
wird, nämlich die 'entdeckuug im garten' durch den frz. prosa-
roman sichergestellt wird (l^ös. §§ 284 — S6), erheischt ebenso die
aufmerksamkeit der kritik, wie das fehlen der vorhin erwähnten
züge nicht nur bei Thomas , sondern eben auch in der prosa.
denn schliefslich kann man dasselbe was die Verfasserin von dieser
behauptet fs. 82): 'it preserves a version independent of the
Estoire', mit ebenso gutem rechte von Thomas sagen, wenn man
dann ferner die in dieser partie beobachteten Übereinstimmungen
der beiden berichte im zusammenhange mit den sonstigen — nur
diesen beiden texten zukommenden — zügen betrachtet, wird
man von selbst zur annähme eines für Thomas und gewisse par-
tieen der prosa gemeinschaftlichen Ursprunges hingeieitet.
Einer der auffallendsten parallelen züge dieser art ist das er-
scheinen des Palamedes hier, des irischen harfners dort, allerdings
erweisen sich die berichte der frz. prosa durch das fehlen der iu
TRISTAN AND ISOl.T .■)9
den poetischen texten bericliteten epiaoden 'entdecken im wal.ie'
und 'das trennende sehwert' als älter als die poetis('lien fassunfjcn.
speciell von der letzteren scene constatierte die verfa«8<!rin j^anz
richtig, dass sie in den berichten von Eilhard und P.i'-roul nur
Verwirrung stifte (ss. 77. 262) und — weil ja der könig durdi
sie von der Unschuld der liebenden nicht überzeugt wird — auch
compositionell wertlos sei; allein auf den ticfgelmden unterschied
in der behandlung der schuldfrage in der Kiihanlversi(»n einer- und
der Thoraasversion anderseits geht die autorin nirgends ein; und
doch hätte eine solche Untersuchung zunächst di»; Zugehörigkeit dt-r
erwähnten episode zu einer versionengruppe er\\ics<'n, in welcli'-r
das liebespaar aus keiner Situation als comproniittiert hervorgeht,
und fernerhin die Unmöglichkeit, die Thoniasversion einer proble-
matischen 'Estoire' unterzuordnen, überhaupt gezeigt.
Analog dem vorigen behauptet die Verfasserin von der luant-
werbung Tristans mit dem haar als erkennungszeichen, es sei diese
episode von Thomas als unpassend weggelassen worden, allein
ein blick auf die frz. prosa belehrt uns wideruui , «-s habe zwar
Thomas einen der "Estoire" entsprechenden bericht gekannt — da
er ja gegen ihn polemisiert — . es aber vorgezogen, seinem ge-
währsmann, der sich auch in diesem puncte mit der prosa be-
gegnete, zu folgen, selbst die Verfasserin kann nicht umhin, auf
die Schwierigkeiten, die sich durch die einführung des märchen-
haften berichtes von den schwalben für die 'Estoire" ergeben haben,
hinzuweisen.
Jetzt die 'ergebnisse" dieses abschnittesi 1) das gediclit Eil-
hards ist eine treue widerholung seiner frz. quelle. — dies hat
schon Lichtenstein und seither noch mancher forscher behauptet,
nur ist eben diese quelle verioren gegangen. 2i zu beginn der
Untersuchung (s. 8) hat die Verfasserin, ihre ergebnisse vorweg-
nehmend, von der 'Estoire' als der quelle einiger fassungen ge-
sprochen: 'this poem is the source of several versions — the
Beroul-Eilhardversion, Thomas and the Folie Tristan!" durch
die s. 111 gegebene Stilisierung der ergebnisse ki)mmt aber in
dieses Schema einige Unklarheit: 'the French original (Eilhardsi
was the same (!j as that of which HeronI represents a part". dies
nun liat die Untersuchung an keiner stelle gezeigt, und es ist nach
den gründlicheren Untersuchungen, die von anderen geführt worden
sind, eine solche annähme für immer ericdigt (Liclitenstein cx.xff,.
der Widerspruch der zwischen den citierten stellen unseres buchps
obwaltet, vermag sicheriich zur kräftigung des glaubens an eine
'Estoire' nicht beizutragen; erscheint doch im ersten falle die
'Estoire" als «luelle Eilhards. H.'rouls i. Thomas, und wird im
zweiten falle Ueroul i zur »|uelle der erwähnten werke er
hoben! das vom ref. in seinen •Untersuchungen aufgestellte
Schema, wonacli die frz. quelle Eilhards ((^), Hdrou! i und hs.
103 (mit den drei episoden i erweiternde bearbeitungen einer
flO KELEMINA ÜBER SCHOEPPERLE
älteren — Ri nahestehnden vorläge (V) — seien, hat die Ver-
fasserin in ihren später zu erwähnenden recensionen meiner Unter-
suchungen als 'hypothetisch' abgetan, es will aber scheinen, die
Forschung werde künftighin leichter mit hypothetischen quellen
und vorlagen als mit ungereimten estoiren auskommen.
Dass die auf die feinsten litterarischen Verästelungen und
abhängigkeiten nirgends eingehnde Studie keineswegs zu einem
solchen resultate berechtigt, wird gerne jedermann zugeben, der je
in die arbeitsmethoden Heinzeis, Lichtensteins, Kölbings, ja auch
Bediers einen einblick gewonnen hat. die frage nach der quelle des
Thomas und manche andere selten der Tristanforschung bleiben
auch nach diesem buche 'matters of doubt' (s. 71).
Die von der Verfasserin weiterhin versuchte sonderung des
höfischen raaterials — des jüngsten — von dem volkstümlichen
und keltischen, wie es die berichte bieten, behält ihre Wichtigkeit
auch, wenn man den damit verknüpften datierungsversuchen für
die 'Estoire' nicht zustimmt, die existenz einer Estoire in dem von
der autorin verlangten sinne fraglich findet, der erste teil der
dichtung enthält eine Verdammung des ehebruches, der zweite eine
Verherrlichung der unrechtmäfsigen liebe; die grundauffassung im
zweiten teil ist höfisch und unmoralisch, dieser letzte satz gilt
genau genommen nur für das in einem späten Stadium dem rahmen
des zweiten teiles einverleibte novellistische detail der Tristanlais
u. ä. ; dieses material, das für den gang der erzählung keineswegs
so unentbehrlich ist wie es die Verfasserin behauptet, zeigt allerdings
eine bemerkenswerte überscliwenglichkeit in der höfischen auffassung
des liebesdienstes; diese einzelheiten mögen in einem verhältnis-
mälsig späten datum einer älteren von moralischem geist beseelte»
dichtung eingefügt worden sein. was speciell das Verhältnis
Kaherdins mit Gargeolain betrifft, so wird ihm die Verfasserin
nicht ganz gerecht, die liebschaft wird im höfischen geschmacke
dargestellt, aber bis auf die stelle Eilhards 7878 ohne vordring-
liche frivolität. der gang der erzählung drängte den dichter auf
diese bahn: das Verhältnis Tristans zu Isolde ist unfreiwillig und
führt aus sich selbst zu keinem tragischen ausgange; Kaherdins
Verhältnis zu Gargeolain ist freiwillig und führt zur katastrophe;
von dieser wird Tristan als der mitschuldige helfershelfer ergriffen!
indem aber der dichter durch das tragische ende des zweiten Ver-
hältnisses einen vergeltungsgedanken schön umschreibt, verrät er
uns auch seine wahre, tief moralische auffassung des minnelebens.
Bedalis ist auch nicht der tragikomische betrogene gatte der mittel-
alterlichen novellistik, sondern der furchtbare rächer seiner ehre,
ein zweiter Marke!
Im einzelnen bringt die Untersuchung folgendes: der liebes-
handel zwischen Kaherdin und Kamille behandelt das thema
der in der höfischen lyrik als 'pastourelle' bekannten gattung;
Kaherdins Verhältnis mit Gargeolain bietet die typischen
TSISTAN AND IS(»I,T (j |
Situationen einer 'clianson del mal niuiiee"; die reue Isolts
erinnert an eine 'clianson :i personnages'; von einer über-
schwenglichen auffassun};: des minnedienstes zeugen die Be-
rufungen dorrh Tristiandes icilkn und dorch Isolden willen:
aber nicht alle von der Verfasserin beigebrachten belege sind
gleich kennzeichnend für einen stereotypen gebrauch dieser rede-
wendungen, so etwa nicht G244. 93:^8. auch müste noch be-
tont werden, dass jene Wendungen dem Mariendienstc enfstarnmen
und samt dem anlegen des härenen hemdes auf eine durchsetzung
und verinnerlichung des minnedienstes durch die religiösen Vor-
stellungen hindeuten, dass ferner bei Eilliard die auffassung des
minnedienstes nicht gar zu vorgeschritten sein kann, zeigt sich
darin, dass, wie im falle des Pilois, die frau der bittende teil ist;
ein analogen hierzu sind die einigermafsen anticjuierten ritterspiele,
Eilhard v. 7739.
Die Artusritter werden bei Eilhard bereits in ihren typischfu
rollen und Charakteren vorgeführt, das von Tristan bei der ersten
Zusammenkunft im Blankenwalde abgeschossene reis erinnert
— dies wurde sclion von anderen forschem ermittelt — an den
bastun im Geifsblattlais; wahrsclieinlich sind etliche einzelheiten
bei jener Zusammenkunft von einem Tristandichter einem solchen
lais entnommen, jedocli rationalistisch ausgestattet worden, es möge
aber angemerkt werden, dass Tristan bei Eilliard nicht auszieht,
um eine Zusammenkunft mit Isolde zu erreichen, sondern nur um
sein verhalten zur frau zu reclitt'ertigen; auch ist der bericht der
frz. prosa nicht in einem so fragmentarischen zustande erhalten,
wie die Verfasserin behauptet, vgl. Untersuchungen s. 44 ff. —
Die Verfasserin macht es wahrscheinlich, dass die 'schwimmenden
hölzer' bei den Zusammenkünften im garten — eine Variante des
abgeschossenen oder quer über den weg gelegten zweiges — einem
ehedem selbständigen cyklischen Tristangedicht entnommen worden
seien; nur ist die autorin hier nicht in der läge, eine solche no-
velle nachzuweisen; die von Golther (Tristan und Is(dde s. 230;
besprochene italienische novelle "die geschichtc vom lauschenden
könig' könnte immerhin in diesem zusammenhange genannt
werden. — Das prahlen Tristans mit seiner entfernten herrin bildet
ein thema der volkstradition, aber auch im Lanval der Marie de
France und in dem anonymen Graelent findet sich ähnliches, fest-
zuhalten für das gedieht Eilliards ist jedoch eines: Tristan macht
sich erbötig zu erweisen, dass die entfernte herrin einen hund um
seinetwillen zärtlicher halte als Isolde Weif.shand ihn; mit unrecht
nennt die Verfasserin diesen bericht eine 'additional fcature' is. lö«)!,
das Problem mit der Schönheit der unbekannten geli»'bten tritt bei
Eilhard ganz zurück, und grade für das eretere niotiv vermag di.-
Verfasserin keine schlagende parallele beizubringen. die über-
schwengliche liebkosung. die dem hund um Tristans willen zuteil
wird, scheint mir so wie das gespräch vom kühnen wasser nicht
ii2 Kj;rj;MiNA übeu schoefperlk
so sehr ein beweis für des dichters raffiniert höfische auffassung
des minneverhältnisses zu sein, als vielmehr ein zeuge eines naiven
und etwas rückständigen geschraackes. Den primitiven heldeu
der Volksüberlieferung reiht sich Tristan durch sein schwanken
zwischen zwei frauen an: einige analoge sagen prüft die
Verfasserin; die zweifei und seelenconflicte Tristans reihen unseren
roraan der 'psychologischen' gruppe von solchen erzählungen an ;
nur in diesen werden die widersprechenden gefühle, pflichten und
neigungen in der brüst des beiden gegenständ dichterischer be-
handlung; in der 'objectiven' gruppe verweilen die dichter nirgends
bei solchen problemen. — Auch für die namensgleichheit der
beiden frauen hat die 'Estoire' Vorbilder gehabt (s. 172). — Tristans
Weigerung die ehe zu erfüllen, zeugt — sagt die Ver-
fasserin — von einem aufserordentlich hochgespannten liebesideal,
und es kann die erfindung eines solchen zuges schwerlich für einen
früheren termiu angesetzt werden, als für eine gesellschaft für die
Cliges und der Karrenritter geschrieben worden sind, denn — so
wird dieser abschnitt beschlossen — keine von den vorhandenen
redactionen der Tristansage fällt zeitlich vor die letzten Jahrzehnte
des 1 2. jh.s ; die 'Estoire' selbst scheint kurze zeit vorher verfasst
worden zu sein.
Zum volkskundlichen raaterial übergehend bemerkt die
Verfasserin, dass es schwer fallen dürfte, für jeden in den Tristan-
versionen angetroffenen bericht die unmittelbare quelle aufzudecken;
aus der mehr conservativen art wie Eilhard und Beroul das lau-
fende material verwenden , lasse sich ein bild ihrer litterarischen
methode gewinnen, damit zb. der märchenhafte zug der braut-
werbung mit dem frauenhaar als erkennungszeichen in der
dichtung Eilhards Verwendung finden konnte, muste die heilung
Tristans aus der ferne vollzogen und durfte der held mit keinem
andern behelf als nur mit dem von den schwalben gebrachten
haar ausgerüstet werden; durch die einführung dieses märchen-
liaften zuges ergeben sich dann für die dichtung reichlich Schwierig-
keiten; zu allem überfluss unterlässt es Eilhard — ein beweis
seiner sorglosen erzählungsweise — den kaufmann Pro der ersten
reise mit dem Tantris der zweiten ausdrücklich von den Iren
identifizieren zu lassen; ebensowenig wird die heilende prinzessin
der ersten reise ausdrücklich mit der prinzessin des schwalbenhaares
gleichgestellt, das sind gewis arge Unterlassungen, aber nichts
hindert den leser, sich solche scenen des widererkennens dazuzu-
denken ; die hauptschwierigkeit ergibt sich für Eilhard nicht eigent-
lich aus der einführung jenes märchens, sondern aus dem von den
einzelnen Versionen, so namentlich von Eilhard belegten schwanken
in der Verwendung der beiden frauen, der mutter und der tochter;
auf die fragen dieser art geht jedoch das buch nicht ein.
Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht richtig, wenn die
Verfasserin als ein weiteres beispiel von Eilhards unvermittelter
TlÜSTAN AM> ISUM t, J
«rzälilunjisart den umstand aiifillirt. dass ;;«'.le};eiitlicli d.-s hcöuch«s
Tristans bei Artus seine bezieiiun^en zu Isolde als bekannt voraus-
gesetzt werden. diese episode ist ja keine iitterarisclie nt'u-
schöpfung, sondern eine sdileclit und recht (b-m rabnien der .-r
Zählung eingefügte selbständige n<»velle, der Tristan dieser partie
ist bereits der litterarisch berühmte liebhaber Isoldens; der etwa
am hofe Hoels erscheinende Tristan noch nicht: vgl. IJntei-s. s. :i7.
— Durch brautwerbungen vermittels eines Stellvertreters werden
in der volksüberlieferung (ifters tragödien der unrechtmäfsi^jen liebe
eingeleitet. Weiterhin werden im Zusammenhang mit ander
weitiger volkstümlicher Überlieferung besprochen : der draclien
kämpf, das motiv von der unterschobenen braut, die gedungenen
mörder, die rolle Brangaines und Camilles usw
Vieles von dem besprochenen ist zwar bislang in der Tristan
forschung bekannt gewesen, gewinnt aber erst jetzt in der zu-
sammenhängenden darstellung der Verfasserin erhöhte bedeutung.
so wird Camille. die zweite dienerin Isolts, und ihr zauberkissen
für eine junge zutat erklärt; die in dieser partie erzählten be
gebenheiten mögen ursprünglich den inhalt einer selbständigen rio
velle gebildet haben: mit der typischen rückkebr Aca verbannten
Tristan und der fortsetzung des durch die Verbannung gestörten
liebeslebens. dieser novelle ist wol hauptsächlich auch daran die
schuld zuzuschreiben, wenn das dem ersten dichter vorschwebend»'
ideal (Golther, Gottfr. ii. s. 147), nach der Verheiratung des beiden
dem liebesieben Tristans mit Isolde i ein ende zu machen, j^-e-
trübt wurde. — Die erzählung von der wolfs falle yehört wegen
der behandlung der Artusritter einem redactor der zweiten liälft«*
des 12jh.s an. — Die erzählung vom zweideuti ;::en eid kann
schwerlich, wie die Verfasserin annimmt, von Eilhards quelle weg
gelassen worden sein; in dieser version wird ja die schuld de.s
paares zweifellos erwiesen, niclit bei Thomas (s. 224) — Der
beiname des Bedalis 'der zwerg' sei ironisch. höchstwahr-
scheinlich ist aber der beiname einem stdistisclien bodürfnis
eines Tristandichters entsprungen: dem r lesen Morolt i-ntspricht
ein (stilistischer) zwerg P>edalis bei Eilliard, ein zwerg IVistan
bei Thoraas. Morolt und Bedalis (bzw. <ier zwerg Tristan
greifen in der entscheidendsten weise in die geschichtc des beiden
ein, zu beginn und am ende iler erzählung. vgl. rntersiichungen
s. .-)!.
Reichhaltig sind die losultate des zweiten bandes. der vor
nehmlicb der erforsobung der keltischen zügf iler saire L'cwidmot
ist. wenig keltisches material enthält die erzählung von der ge
burt Tristans (s. 281); es ist wahrscheinlich, dxss die liebes
ab en teuer mit den beiden Isolden nicht die einzigen waren
die von dem beiden erzählt wurden; die frz. prosa weifs noch
von einer liebe zwischen Tristan und der frau de« Segurades zn
berichten. vjtI. Tlntersncbun-ren s. TS. — Die im (JoifsblattlrnH
64 KELEMINA ÜBER SCHOBPPERLE
berichtete episode mag ein Überbleibsel einer specifisch iriseben
fertigkeit oder Übung sein, einer solchen wie sie in den Täin-
episoden berichtet wird (s. 315).
Tristan als meister primitiver ferligkeiten (s. 315): bei Eilhard
ist Tristan der erste, der daz angelln i hegan: analoges wird von
Waltharius manufortis berichtet; Tristan als hornbläser, vgl.
Untersuchungen s. 78. — Den Zweikampf Tristans mit Morolt
pflegt man als holmgang zu bezeichnen, doch wie die Verfasserin
erweist, mit unrecht (s. 364).
Wie haben wir uns in den Tristandichtungen des beiden aus-
gesprochenes vorhaben, heilung aus den bänden seiner feindin
zu erlangen, zu vereinbaren mit der erzählung, dass der tod-
wunde sich in ein ruderloses boot bringen und von den
wellen aufs geratewol hintreiben lässt? warum bricht er nicht
direct nach Irland auf? — reisen wie diese auf ruderlosen
booten in unbekannte fabelhafte länder, in denen heilung aus
den bänden des feindes winkt, werden berichtet in den irischen
Imrama; ein solches land war das laud Morolts: 'a land of
monsters beyond the confines of the earth, a land that cannot be
reached by means of chart or compass' (s. 390).
Besonders wichtig ist ferner die feststellung der Verfasserin,
die liebesgeschichte des ersten teils vom zaubertrankö bis zur
flucht in den wald und zur freiwilligen oder unfreiwilligen
rückkehr aus demselben finde zahlreiche und recht genaue ent-
sprechungen in den altirischen Aitheda! eine solche erzählung,
die von Diarmaid und Grainne, analysiert die Verfasserin, und
überall fällt neues licht auf die Tristansage, werden neue zu-
sammenhänge sichtbar, als einander entsprechende züge werden
aufgedeckt und durchforscht: der liebeszauber, dem hier wie dort
die liebenden ohne persönliche Verschuldung erliegen, das wald leben
und — ein besonders interessanter abschnitt — das trennende
Schwert, der hund im walde. — Unerwartete zusammenhänge
werden sichtbar in den episoden 'harfe und rotte', das 'kühne wasser'
und die 'holzspäne auf dem wasser'; für die freiwillige rückkehr vom
walde und die aussöhnung mit Marke gibt es gleichfalls parallelen
in den einzelnen Versionen der sage von Diarmaid und Grainne;
dem abschluss der dichtung bei Eilhard und in der frz. prosa
(hs. 103) entsprechen analoge erzählungen der keltischen iitteratur,
aber auch der abschluss des prosaromanes, so wie er bei Löseth
§§ 534 — 40 berichtet wird, erhält durch die katastrophe in der
'flucht Deirdres mit Naisi' erhöhte autorität. die keltische Aithed-
sage, aus welcher der frz. redactor die geschichte von Tristan und
Isolde machte, mag berichtet haben, es sei das liebespaar unter
Versprechungen von Marke aus dem walde gelockt und Tristan ver-
räterischerweise von dem eifersüchtigen könig nach der rückkehr
erschlagen worden, '^denn in dieser Tristanversion kommt die räche
wie in den keltischen Aithed-berichten vom könig' (s. 442).
TRISTAN ANI» ISOLT 65
Mit dem beweis dass die uureclitmäfsige liebe ein 8tündi{<e8,
vielbearbeitetes thema der altirischen litteratur frebiidet bat, be
schliefst die Verfasserin diesen so wicbti;,'en abschnitt des biicbea.
Bediers annähme, es könne unter den Kelten eine tragische be-
handlung der Tristansage nicht gegeben haben, oder wenn schon,
dann in einer beträchtlich gröberen fassiing, wird dadurch er-
schüttert.
Man tut den Verdiensten der Verfasserin keinen abbrucli. wenn
man behauptet, es hätte der hier auf 590 ss. vorgetragene Inhalt
kürzer dargestellt werden können, wenn zahlreiche lästige wider
holungen, namentlich von inhaltsangaben, fortgelassen würden, so
reichhaltig nun die einzelnen beobaclitungen sein mögen, zu einer
zusammenfassenden synthese und zu einem übersichtlichen bilde
des Werdeganges der sage in ihrem vorlitterarischen und litte-
rarischen Stadium werden sie nirgends zusammengeschlossen; das
von der Verfasserin skizzierte abhängigkeitsverhältnis der vor-
handenen texte und die annähme einer für gewisse Versionen ge-
meinsamen quelle, der 'Estoire', kann sowol wegen der allzu weit-
maschigen Untersuchungsmethode angefochten werden, als auch weii
die Verfasserin bezüglich der frz. prosa nirgends über das von der
vorhergegangenen forschung ermittelte hinauskommt und sich im
allgemeinen begnügt, in diesem berichte zwei schichten der Über-
lieferung anzunehmen, nun war es der ref., der in seinen l'nter-
suchungen (s. 71j zum ersten male mit allem nachdruck auf die
vielfachen im prosaroman zusammengetragenen Versionen hin-
gewiesen und einigen von ihnen sogar ein höheres alter als den
poetischen fassungen zuerkannt hat — und für diese und ähnliche
ketzereien von der Verfasserin in ihren beiden recensionen der
Untersuchungen hart gescholten wurde (liomania 40, 114-1 1^».
Literaturblatt f. gerra. u. rom. phil. 32, 3()2). allein der verlauf
der eigenen forschungen in sachen der Tristansage hat die Ver-
fasserin den ansichten des ref. genähert, man vergleiche etwa; zu
widerholten malen wird von der Verfasserin die frz. prosa in ge-
wissen partieen als eine von den poetischen fassungen unabhängige
und als ältere version bezeichnet (s. 9 a. a.), vgl. Unters, (s. 70.
78); die vom ref. als K:^ (provisorisch) bezeichnete prosafassung
bietet ein Stadium der Tristansage, in welchem der hehl nucli uu
verheiratet bleibt (Unters, s. 7S = Schoeppcrie s. 440j; der ur-
sprüngliche episodenroman hat mit der rückkehr vom walde eia
vorläufiges ende gefunden; dementsprechend wurde die würkung
des trankes auf vier jähre reduciert (Unters, a, G4 ff = Schuepp.
88. 408. 445); zu einem solchen episodenroman hat ein olassiscb
gebildeter dichter einen schluss gefunden, wie er in O. T, hs. 103 vor
ligt (Unters, s. 70 == Schoepp ss. 108. 445); der vom prosaroman
Löseth §§ 534 ff berichtete abschluss des werkea ist älter jus der
bericht von 0 T, R (hs. 103). (Unters, s. 7b - Schoepp. s. 43UI;
Tristan war ein berühmter liebesheld nicht nur wegen seioes ver-
A F. D. A. XXXVIII. :i
66 KELEMINA ÜBEB SCHÖPFERIN, TRISTAN AND ISOLT
hältnisses zu den beiden Isolden, sondern wegen ähnlicher be-
ziehungen zu anderen frauen (Unters, s. 78 = Scboepp. s. 297):
Caraille mit ihrem zauberkissen ist eine jüngere zutat in den
dichtungeu (Unters, s. 50 = Schoepp. s. 211); die heilung aus der
ferne und das märchen von den schwalben gehn auf denselben
bearbeiter zurück u.a.
So erfreulich nun diese gewis nicht unerheblichen Überein-
stimmungen auch sind, so hätte es sich nach jenen schroff ab-
lehnenden recensionen wol empfohlen, diese 'gedanklichen be-
rührungen' im buche auch recht fleifsig als solche anzuzeigen;
die von der Verfasserin gewählte — hochmögende — dar-
stellungsform : 'we believe' und 'we have no reason to believe'
wird so den tatsächlichen Verhältnissen nicht immer gerecht, doch
um der Wahrheit Zeugnis zu geben: s. 7 1 muss auch die autorität
des ref . herhalten , den Bedierschen Urtristan zu begraben : Hhe
table of concordances proves nothing', hätte Suchier in seiner so
selbstbewusten, in der Tristanforschung aber nicht grade über-
wältigende kenntnisse verratenden recension meiner Untersuchungen
(Zs. f. d. ph. 44, 22S) diesen wandel der dinge vorausgesehen,
sicherlich hätte er sich jene recension und die nun unvermeidliche
beschämung erspart.
Rudolfswerth in Krain. • Jacob Kelemina.
1. Das SGaller Spiel vom Leben Jesu. Untersuchungen u. text
von Emil Wolter. [Germanistische abhandlungen h. 41] Breslau,
M. u. H. Marcus 1912. XII u. 240 ss. 8" — 8.60 m.
2. Untersuchungen zu dem Innsbrucker, Berliner und Wiener
Osterspiel von Rudolf Höpfner. [Germanistische abhandlungen
h. 45]. Breslau, M. u. H. Marcus 1913. X u. 158 ss. 8" —
5.60 ni.
1. Das westmitteldeutsche spiel aus dem SGaller sammel-
codex 919, das zuerst IVIone (Seh. d. ma.s 49- — 128) unter dem
namen 'Leben Jesu" herausgegeben hat, legt Wolter in neuem
genauem abdruck vor. in der beschreibung der hs. fehlen die
üblichen präcisen angaben über formal, lagen u. ä. ; vor allem
vermisst man jeden versuch einer paläographischen datierung.
Mone setzte die hs. ins 14 jh.. jetzt kann man sich dazu aus
den notizen über einen besitzer des cod. einen späten terminus
ad quem (ca 1470) erschliefsen. — die grammatik gibt ein
klares bild der spräche des denkmals. an zwei für die heimat-
bestimmuug wichtigen stellen ist sie allerdings nicht zuverlässig.
s. 36 wird gesagt, dass die weitaus überwiegende «i-endung
der 2 p. pl. 'wol hauptsächlich auf das conto des Schreibers zu
setzen' sei. dabei werden die reime kint : ir — sint 17, Mini : ir
— sint 343, irkant : ir — begant 638 übergangen, die auch später
bei besprechung der anomala unter den tisch fallen (mit ausn.
RÜBFF ÜBER WOLTEIt, SCALLKK SPIEL VOM l-EBBN JESU Ö7
V. 638). ebenso dürfte unter 'pronoinina' nicht die anhabe
fehlen, dass der text nie eine der he-iormou, sondern durchwef?
er aufweist (her : er WM)).
Mit seiner heimatbestimuiung auf grund der spräche ist der
verf. nicht glücklich, das ligt teilweise an recht elementaren
mangeln. W. ist sich über die geographischen und dialekt-
geographischen bezeichnungen in Westmitteldeutschlaud nicht im
klaren, dass die prov. Starkenbnrg (Obt'r-Katzenellenbugen) ganz
aulser betracht bleibt, liefse sich durch den geringt-n bt;staud
urkundlichen materials erklären, unter •Rheinhessen' verst»^ht W.
ein land in dem Bacharach (s. 57). Boppard, Oberwesel, Diebach.
l.orch. Eberbach und allerdings auch Mainz ligt (s. 58). dieses
Ilheinhessen läuft gewöhnlich eingeklammert im schlepptau von
Süd-Nassau mit (s. 51. 60 usw.). südnassauisch ist auch der
Kheingau, mit ihm also kl. Eberbach mit seiner Oxf. Ben.-regel
(s. 52). und s. 51 wird sogar von dem einfluss des 'im südl.
Nassau angrenzenden (!) südfränkisch" gesprochen, das würkliche
Kheinhessen scheint für W. — moselfränkisches Sprachgebiet zu
sein, man muss das annehmen wenn man s. 45 list: 'für den
noch übrig bleibenden südlichen streifen moselfränk. bodens, . . .
dessen äufserste puncte Boppard a. Rh. im norden, Saarlouis im
Westen und Mainz im osten (!) sind, versagen die Sprachatla.s-
linien, und wir sind deshalb allein auf das zeugnis der Urkunden
angewiesen, diese zeigen ganz dasselbe bild wie die des übrigen
Moselfranken, und daher kommt das {ranze linksrheinische ge-
biet (!) für die localisierung niclit in frage", in würklichkeit ist
das reiche rheinhessische urkundenmaterial bei Baur, sind die
schätze von Worms (Boos) und Oppenheim (Frauck) gar-
nicht und die von Mainz nicht systematisch benutzt, und grade
dieses linksrheinische gebiet kommt m. e. vor allen andern in
frage. — Noch über eine andere confusion muss man sich khir
sein, wenn man Wolters bezeichnung in die übliche spräche
übersetzen will: moselfränkisch ist für ihn bald dialektgeographi-
scher bald rein geographischer begriff; einmal deiint es sieb,
geteilt in ein nördliches moselfr. und in ein "übriges" mit nördl.
und südl. hälfte über das ganze südl. md. linksrheinische gebiet
aus, und dann wird es wider unterschieden von dem nördl.
Nassau, das doch sprachlich ebenso moseifränkisch ist (s. 15 — 51i.
dieses 'moselfränkische', das auch nicht im entferntesten als heimat
<les Spiels in betracht kommt und unter kurzem hinweis auf
seine markante süd- und ostgrenze gleich anfangs ein für alle-
inal ausgeschaltet werden könnte, lässt den verf. durch die ganze
Untersuchung niclit ruhen und nimmt viele selten in anspruch.
selbst das ripuarische muss erst in aUer form unter autbietunp
sämtlicher nur möglicher südgrenzen gegen das moselfränkische
altgetan werden, weil Wilmotte den raschen dilettanteneinfall
gehabt hat. Ci dort zu localisieren. erst nach zehn selten ver
68 RUEFF ÜBER WOLTER
dichtet sich die heimatfrage zu dem satze: 'die entscheidung^
muss daher zwischen Oberhessen, Süd-Nassau (Rheinhessen) und
Wetterau fallen', in würklichkeit also zwischen Oberhessen,
Wetterau, Südnassau, Rheingau und dazu Rheinhessen und
Starkenburg. Oberhessen wird mit guten gründen ausgeschieden
(jjit = mit nicht oberhessisch; dit wäre in Oberhessen zu er-
warten — ebenso allerdings in der Wetterau). 'so steht
denn die frage zwischen Süd -Nassau (Rheinhessen) und der
Wetterau'. W. entscheidet sich, wenn auch nicht zuversichtlich,
für die Wetterau, hauptsächlich von der nähe Frankfurts mit
seiner verwanten Passion angezogen, die sprachlichen kriterien
sind hinfällig.
S. 51 bespricht der verf. das unverschobene bit == bis
(v. 620) und schliefst aus wenigen belegen, dass es über ganz
Hessen verbreitet sei. sehen wir uns die drei belege aus der
Wetterau an ! bei bg Hattstein — nb. nassauisch I — und bei
Gelnhausen muss dem verf. ein versehen untergelaufen sein: in den
beiden citierten Urkunden find ich kein bit. bei Wertheim, das
als südlichster punct des bit -gehiets angesprochen wird, zeigt
sich eine erschreckende Unvorsichtigkeit bei der prüfung der
Provenienz der Urkunde: formen wie irsuich; bit beradem müide
u. a. sagen genug, [ein anderes beispiel solcher Verwertung des
materials zeigt s. 53: 'unverschobenes dat (neben dit und if) ist
nur einmal in einer Hanauer urk. v. 1333 (Reim, ii 416) be-
legt', diese wenigen Stichproben müssen mistrauisch gegen den
ganzen aufwand an urkundlichen belegen machen.] das bit = &is-
gebiet beschränkt sich nach meinen eigenen feststellungen • auf
Nassau, Rheingau und Rheinhessen (östl. grenze etwa Giefsen,
kl. Schiffenberg, bg Reiffenberg, Wiesbaden, Mainz, Rhein bis
Worms), wenn auch das eine bit in G wenig beweist, so
spricht doch zunächst die Wahrscheinlichkeit gegen die Wetterau,
zumal da das denkmal auch das wetteraulsche dit nicht hat. zwei
andere auffallende und entscheidende sprachliche erscheinungen
hat W. ganz übergangen, ausnahmsloses er statt der in der
Wetterau und in Nassau heimischen /«-formen des pr. d. 3 p, m.
zeugt für Rheingau, Rheinhessen und Starkenburg, noch wich-
tiger ist die «Sendung der 2 p. pl., die der Schreiber fast durch-
weg setzt, und die auch dem dichter neben der gemein-mhd.
form geläufig ist (s. o.). die «^-formen finden sich nur ganz
sporadisch in Frankfurter, Hanauer und Geinhäuser Urkunden
(Reimer bd iii. iv), wo sie wol auf Mainzer brauch zurückzu-
führen sind; in Rheinhessen und im Rheingau sind sie boden-
ständig, für Starkenburg versagt das material, auf grund
* die einzelbelege für die geographische Verteilung dieser und der
folgenden sprachlichen erscheinungen geb ich in meiner abhandlung über
das Berliner Osterspiel.
SGALLEU SPIEL V(»M LKISKN JESU O'J
dieser kriterien ist Rlieinliessen-Rheingau als heimat des
sogenannten SGaller Leben Jesu anzuspreclien.
Als terminus a quo der hs. ergibt sieb für W. ca 1330
auf grund der a«-schreibung.
In der litterarbistoriscben Untersuchung stellt W. fest, dass
etwa die hälfte des textes der Vulgata entstammt, eine reibe
von motiven weist er bei bibelcommentatoren nach; es müste
aber noch stärker betont werden, dass jeder einzelne dieser ziig»-
Längst gemeingut der theologischen litteratur war. wenn W. in
dem abschnitt 'Das kirchenritual als quelle der darstellung"
die pueri cum palnm unmittelbar mit dem ritual des palm-
sonntags in Verbindung bringt, lohnt es sich vielleicht, an den
volkstümlich -kirchlichen brauch des 'palmschiefseus' zu erinnern,
bei dem kinder die hauptroUe spielen. Wiepens vorzügliche
arbeit (Palnisonntagsprozession und palmesei, Düsseldorf I'J02i
bringt auch beispiele aus Kheinhessen. ich selbst habe mir aus
der handschriftlichen kirchenordnung von SQuintin in Mainz
(15S5. Severus Dioecesis Mog., Mainz stadtbibl., s, 72) eine
leider nur kurze notiz gemacht: und wan sie singen vestimenla
2)r oster nehant in via, werff'en sie die chorröck uffs crucifix. —
anlässlich der depositio crucis beruft sich W. in wenig ein-
leuchtender beweisführung auf ein Directorinm missae der Mainzer
erzdiöcese. was für ein directorium ist das, wo hat es W. be-
nutzt? ich kenne ein Directorium Marianum (Liebfraut-n, vgl.
Würdtwein De stationibus, Mainz 1782), ferner einen Ordinarius
(Dom, vgl. Severus aao.) und den Ordo antiquus von SQuintin,
die alle dx'ei in einzelheiten der ceremonien auseinandergehn.
übrigens braucht man auch für die scenische anweisung (lila)
timc mittatur coliunha super caput Jesu eine parallele nicht erst
aus dem ceremonial von SPaul in London zu holen, auch in
Mainz (SQuintin) wurde — wie eben ähnlich überall — dei-
hl. geist an einem seil aus einer mit blumen verdeckten ütTnung
der decke herabgesenkt, aus der gleichen iJlYnung in der am
himmelfahrtstag das Christusbild verschwand (Severus s. Slfi.
In den abschnitten über (|uellen und einfluss des SGaller
Spiels leidet die Untersuchung an den üblichen methodischen
mangeln der meisten ähnlichen textvergleichungen. man hebt —
um es grob zu kennzeichnen — alle parallelen stellen herau«.
gibt 'seinem' spiel chronologisch einen ungefähren platz zwischen
andern denkmälern derart und lässt alle älteren, genügend verwunten
stücke 'quellen', die jüngeren 'abhängig' sein, die ganze benachbarte
litteratur existiert nur in beziehung auf das eine vorliegende spiel,
ein beispiel bei 'Wolter beleuchte diese art. s. 129 stellt der verf.
auf grund einiger stellen der scene von den freuden und der
bekehrung der Magdalena 'est: 'zweifellos hat dem dichter von
G hier W (Wiener Passion) vorgelegen', s. 1 U> erörtert er
den eintiuss der Magdaleuen-scene in (.i auf das Frankfurter
70 BUEFF ÜBKE HÖPFNER
Psp. alle entsprechenden scenen anderer spiele, die ihrerseits
mit W oder mit Frft verwant sind, bleiben aufser betracht,
weil sie keine unmittelbaren beziehungen zum vorliegenden Gr
haben, aber eben nur ein vergleich aller Versionen dieses
Magdalenenspiels in ihrem ganzen verlauf, nur der versuch einer
entwicklungsgeschichte dieses spiels kann den wert solcher
einzelbeziehungen wie hier zwischen W > G > Frft. bt^stimmen.
man hat gesagt, eine geschichte der deutschen geistlichen spiele
in ihrem Zusammenhang sei unmöglich, ehe nicht genug einzel-
untersuchungen vorlägen; ich möchte dem den richtigeren satz
gegenüberstellen: jede einzeluntersuchung ist wertlos und irre-
führend, wenn der verf. nicht den energischen versuch gemacht
hat, die gesamtheit der spiele in ihrem Zusammenhang zu über-
sehen, wie kann man zb. so typisch formelhafte verspaare wie
die soll : (jolt- und gut : hut-zeilen (s. 145fj die in kaum einem
osterspiel fehlen , für eine verwantschaft von G > Frft in an-
spruch nehmen? — Wenn G und Frft in der würfelscene beide
die Wendung gebrauchen tvir wollen spielen uf disen steyn G
und rudel uf dem steine Frft., darf man vielleicht daran er-
innern, dass man in Mainz und in Frankfurt of dem heifsen
stein (mit würfeln) spelte, d. h. in dem städtischen spielhans
(Chron. d. d. Städte xviii 226). ■ — Auf eine tatsache möcht ich
noch besonders aufmerksam machen. G zeigt in seiner knappen
osterscene aufser einem anklang an einen formelhaften reim
(1324 f) keine berührung mit dem text des deutschen osterspiels-,.
dagegen verrät der dichter an anderer stelle, dass ihm das sog.
Zehnsilberspiel bekannt ist: v. 666f Jesus: ir werdent alle dir re
nach von mir flihende bit mach. wan ir haut gehöret wol
sagen: so der hirte wirt geslagen, so werdent die schefelin
veriaget; das entspricht dem iani percusso ceu pastore oves
errant miseri, sie magistro discedente turbantur discipuli.
2. Hopf ners teilweise sehr glückliche arbeit gilt den beiden
wichtigsten Vertretern des reifen deutschen osterspiels, dem Inns-
brucker (I) und dem Wiener (W) text. irreführend ist es, wenn
er im titel zu den zweien das Berliner fragment einer krämer-
seene als Berliner osterspiel stellt, denn darunter muss man
zunächst das vollständige Berliner osterspiel von 1460 (fol. 1210)
verstehn. ■ — Die handschrift von I stammt aus jenem Augu-
stiner chorherrenstift Neustift bei Brixen, dessen kirche die ge-
beine Oswalds vWolkenstein birgt, die interessante notiz am
schluss der hs. aus der wir diese ihre herkunft erfahren, bezieht
sich eben auf den tod des Ohsaldus Wolkenstainer prebendari^is
Novecellensis am 2 aug. 1445. den Schreiber von I (1391)
localisiert H. nach sprachlichen kriterien in einem kleinen
gebiet dessen mittelpunct Schmalkalden ist. ich stimme diesim
resultat umso freudiger zu, als ich selbst auf grund allerdings
nicht ganz systematischer beobachtungen zu annähernd dem
INKSBRUCKER, BERIJNEK, WIENER 08TEJ{SI>IKI, 7 1
gleichen resultat gelangt war. zugleich bedanere ich aber aiicb.
dass die beweisführung Höpfners in seiner 'zusannnent'assunjr'
fs. 38 ff) nicht ganz so zwingend erscheint, wie es hd ausführ-
licher darlegung der sehr problematischen dialektgeograpliisclien
Verhältnisse des hennebergischen und energischer tixierung ne^'a-
tiver grenzen nach den Urkunden wol möglich {rewesen wiire.
vielleicht kann ich einiges dazu nachholen.
Die zuverlässige alte grenze gegen das hessische ist mehr-
fach gesichert', dagegen niüste die besonders interessante nord-
bzw. nordostgrenze des heimatgebietes von I genauer festgelegt
sein. H. bemerkt s. 40: 'jedem, der sich mit der älteren thür.
spräche beschäftigt bat, muss bei dieser localisierung im eigent-
lichen Thüringen, speciell in Nordthüringen, zunfichst auffalk-n.
dass die hauptmerkmale des älteren thür. dialekts fast voll-
kommen fehlen, ich meine vor allem die pronominal formen xnif,
ome. ort, oz usw.; ici, iH, /.' aber gerade, wie weit dieses
sprachliche eigentliche Thüringen im 14 jh. nach süden greift,
muss uns interessieren, nach dem geringen material das mir
eben vorligt (Hennebg. ob.. Erfurt, üb.; s. Höpfner litter.), darf
man als nordostgrenze des hennebergischen gegen die von H.
angeführten erscheinungen den Rennsteig annehmen, im uord-
westen von Schmalkalden ist wie = ivir in einer Urkunde des
kl. Breitungen v. 1338 (Hennebg. üb. bd II nr l) belegt, es gibt
aber noch eine branchbarere grenze, auf die mich der contrast
zwischen I und dem thür. Berl. frgt gebracht hat. schon dem
herausgeber des Hennebg. üb. bd III. Brückner, der nach seiner
terminologie sicher kein grofser sprachgelehrter war, fällt der
unterschied zwischen hennebg. und thür. Schreibung von nihd.
Ott in den Urkunden auf (Hennebg. üb. III s. V). in I hält
sich au- (oder atv = ouw) und o«-sclireibung etwa die wage
(H. s. 9), im Berl. frgt steht ou ioir = omr) neben oy: koufeii.
' Im vorübergehn möcht ich uoch auf eine nebenbüehlichere preni»
im Westen aufmerksam machen, besondere deshalb, sveil die siiraehliche er-
scheinung die sie abschlieltit, heute noch dieselbe Verbreitung wie im
14 jh. hat. über das präfi.x der ^^ er in derloubet 502 und weit öfter in
Maria Himmelfahrt von demselben Schreiber sagt H. (e. 12): 'es scheint
wesentlich ostmd. zu sein', der Sp.-atl. verzeichnet die letzten vereinzelten
f/er-orte im Westen in der gegend von tJchlüchtern, J^teinau, i?oden (4 ort«*
im oberen Jossatal) und bis in die gegend von Tulda. aus dem urkundeu-
material der Wetterau und Buchoniens ergibt sich folgendes bild der Ver-
breitung von der- und dir-: Steinau 137<) Keimer IV 3, 13H(^ R. IV 19«;
kl. Schlüchtern 1331 K. H 379, 13. K. FI 519. 13Ü0 K. HI 337. 1377
R. IV 57, 1381 R. IV 238, 13. R. IV 579. 1394 R. IV G83. 139S R. IV 791
Elm 1361 R. IH 371, 13G6 R. HI 519; Herolz 1417 R. Hl :;91
Hütten (auf Schwarzenfels) 1364 K. IH 4(12. Hütten: Kbersberg (s.o. Fuldaj
1375 R. IV nachtr. 81. Hütten (betr. Schlüchtern) R. III 095. Hütten
(Steckelberg) 1388 R. IV 4t)4; Burg-.Iossa 1343 R. II Ulf), 134(1 K. U
686; Mittel-Obersinn-Jossu 137J R. IV 27; .1. v. VVichelsbach (zeug. Hutt
Schlucht. Steinau) 1314 It. II 655; Fulda {z\^. 135:.-72) R. III 65Ü.
1374 R. III 679, 1378 Banr V 45.^.. 1119 Schunnat CCII u. mil.
72 ItUEFF ÜBEK HÖPFNER
koufschaz neben koyfen, koyfman, koyflüte, loyfen, toyhen (adj,)
(H. s. 49). die hennebg. Urkunden (dabei auch die schraalkaldi-
schen) haben in der 2 hälfte des 14 jh.s weitaus überwiegend au.
jenseits der nordöstlichen Rennsteiggrenze wird ebenso überwiegend
ou, daneben oi, oij geschrieben, ich notiere nur o-, ol-, oy-
schreibung. im üb. von Erfurt finden sich oi, oy sehr häutig,
zuerst 1278 koipf, underkoifer (Erf. üb. II 293). näher dem
Eennsteig: Uelleben-Laucha (bei Gotha) 1362 ividerkoyfe, f'roy-
win (Hennebg. üb. III nr LXIV), Schwarzburg- grf. Käfernburg
(Ilmenau) 1374 vorkoyfe neben vorkouft^ koufere (Hennebg. üb.
V nr CCXCI). gegen nw. bestätigt sich die grenze diesseits des
doppelklosters Breitungen (zwischen Schmalkalden und Salzungen),
wo in zahlreichen Urkunden ou stark überwiegt; dazu Br. 1343
verkoffe, gekoft, frowen (Hennebg. üb. II nr C), Br. 1350 ver-
koft u. ä., frowin (ib. CXV'), Stein -Altenstein 1350 vorkofi,
vorkoefe (ib. CXXVI), kl. Breitungen im verkehr mit einem
Salzunger burgmann 13.J4 vorkoife, koifern neben vorkouft,
widerkouf (ib. CXCI), ebenso (!) 1355 vorkoyfen, vorkouft,
kaufen (ib. CXCIX), Br. 1357 koyfen, kouf (Hennebg. üb. III
nr VIII).
Diese nordwestgrenze des hennebergischen zwischen Schmal-
kalden einerseits und Salzungen-Breitungen anderseits deckt sich
mit der grenze zwischen hochfränkisch und md., die Wrede
Zs. 37, 298 (und nach ihm Behaghel Gesch. d. d. spr.) ange-
nommen hat (vgl. auch Hertel Thür. Sprachschatz s. 8. 20) :
'in der gegend der Fuldaquelle zweigt die diminutivlinie von
der pf-\m\Q gen no. ab : sie läuft Fladungen, Wasungen. Schmal-
kalden zur rechten und Kaltennordheim, Salzuugen zur linken
lassend, auf den kämm des Thüringerwaldes los und folgt dem
Rennsteig nach so und diese hfr.-thür. dialectgrenze
stimmt wenigstens vom schnitt mit der Werra an mit der alten
ostfr.-thür. gaugrenze überein, westlich von der Werra sind
übereinstimmend nach der gau- und nach der heutigen diminutiv-
karte Sal Zungen, Breitungen thüringisch (vgl. Hertel aao.)
und Fladungen, Wasungen, Schmalkalden fränkisch.' zwischen
dieser wnw.- und der Rennsteiggrenze ligt das heimatland unserer
spiel-hs. wie ein breiter keil, dessen spitze etwa der Insel-
berg ist.
Eine charakteristische erscheinung in I ebenso wie in diesem
gebiet ist die mischung von her und er. zu ihrer beurteilung
hat H. die beobachtungen Wredes Zs. 30, 141 f scheinbar nicht
benutzt, es handelt sich ja um dieselbe gegend, in der Wrede
den Tatian mit seinem überwiegenden her neben he und er
localisiert: 'durch eine linie, die ungefähr von Lohr a. M. bis
Brüokenau in der Rhön zu der p / pf-grenze stimmt, dann östl.
auf Königshofen, nordöstl. auf Schleusingen und die südausläufer
des Thüringer waldes zugeht, wird heute laut Sp.-a. von dem
INNSBHUCKEH, BERLINER, WIENEU OSTEUSI'IEL ' .'>
htr. gebiet ein kleiner nördl. teil abgeschnitten, in welchem das
alte he mit dem fremdling er um das dasein ringt, während
südlich davon die form ar di*' alleinherrschaft führt . . . .' so
hätten wir auch eine leidlich sichere südgrenze (H. s. 39), aber
eine solche ist überhaupt unnötig, denn eine reihe von erschei-
nungen in I drängen nach dem norden des gegebeneu gebietes,
d.h. nach dem winkel des keils in dem Schmalkalden ligt. als
solche erscheinungen gelten mir: 1. die vielen mt neben ««, in
der Maria Himmelfahrt des gleichen Schreibers sogar ein paar-
mal glohen , glowhestu. im Fronleichnamspiel rroi/den, verloi/kente
(11. s. ;»). 2. e < / in off. silbe nie in henneb. urk., häutig abei-
in thüringischen; heute gehlehen niJrdl. Meiningen gesprochen
(H. s. 39). 3. diphthongierung noch nicht eingedrungen. 4. .sc//a/-
neben 6a7-formen nur zweimal in den vielen Schmalkalder Ur-
kunden (zu Höpfners nachweis von 1335 noch — wol von anderem
Schreiber — 1333 Hennebg. üb. II nr. XIV u. XV). 5. .sfcaupea
(V. 72S) neben stamphestti (v. 739), das man doch nicht so ohne
weiteres als Schreibfehler ansehen darf (H. s. 40;. 6. diminutiv
sulhigen v. 619 (von H. übersehen s. 14) neben gewühul. lln-
suffix. — so spricht tatsächlich starke Wahrscheinlichkeit für
Schmalkalden. H. weist für die im ma. blühende Stadt geist-
liche spiele im 16 jh. nach. 1603 wurde ein Spiel von der
Zerstörung Jerusalems aufgeführt; der lose angefügte schlussact
der Maria Himmelfahrt unseres Schreibers ist eben ein spiel von
der Zerstörung Jerusalems.
Das Berliner frgt (14 jh.) ist mit recht im thüringischen
d.h. im eigentlichen thüringischen nördl. der angegebenen grenze
localisiert. die ansieht Zachers, der das frgt in einer hand-
schriftlichen notiz auf dem Umschlag der hs. als niederrheinisch
bezeichnet hat. brauchte kaum widerlegt werden.
Das osterspiel aus der Wiener sammel-hs. von 1 172. der
wir auch den schles. Wiener Oswald verdanken, wird im ostcn
Schlesiens in der nähe des Xeissestädtchens Ottmachau v. 32(t. 16i
localisiert. H. widerspricht mit recht Baesecke, der das spiel in
die zeit Bolkos IL (1301 — 46) setzen will; von Höplners da-
tierung 'zweite hälfte oder ausgang des 14 jh.s' will mir die
•zweite hälfte' bei dem textlich mehrfach geschichteten und ver-
wilderten text als zu früh erscheinen.
Weniger einverstanden bin ich mit dem zweiten teil der
arbeit über die litterarischen beziehungen zwischen I. W und
lierl. frgt. der grundlegende fehler ligt in «1er aufirabestellung
selbst, schon im sprachlichen teile der untersuchniigen war es
anvorsichtig, alle reime für die spräche 'des dirhteis' in an-
spruch zu nehmen, als ob jedes der spiele ein Individuum, niciit
das resultat langer entwicklung wäre, als ob nicht in jedem vor
lUem alte, pietätvoll bewahrte textelemente steckten, die ganz
sicher nicht gerade im hennebergischen oder im schlesischen zu-
74 BUBFF ÜBER HÖPFNEK, OSTERSPIBL
hause sind. H. hätte mit seiner feststellung der gegenseitigen
beziehungen bei den alten kern-scenen einsetzen müssen; er hätte
sich dann gezwungen gesehen, die entsprechenden teile aller
anderen osterspiele heranzuziehen und wäre so dem problem der
textgeschichte des alten deutschen osterspiels entgegengetrieben
worden, nur von diesem problem aus darf man zur vergleichung
einzelner spiele kommen, wie ich schon im analogen aber weniger
wichtigen fall bei Wolter angedeutet habe, so aber vergleicht
H. von der peripherie her, mit dem prolog beginnend, scene für
scene die spiele, die sich in seiner arbeit zufällig zusammen-
gefunden haben, es besteht für ihn kein unterschied zwischen
den einzelnen beziehungen nach art und richtung, gleichviel ob
sie nun alte oder junge textschicht betreffen, es wird voraus-
gesetzt, dass die beziehung zwischen I und W eine einmalige
sei. H. fühlt selbst das unfruchtbare und in der darstellung
unerquickliche dieses Vergleiches: 'oft kommt man allerdings
über eine anfzählung nicht hinaus, dann müssen wir uns eben
begnügen, einige lose verbindungsfäden herzustellen', natürlich
gelangt er zu keinerlei geschlossenem resultat und, so sehr er
sich bemüht, über Wirths sinnlose parallelenjagd hinauszukommen,
so kann er eben doch nicht mehr geben als ein vorsichtig sor-
tiertes Vergleichs-material, das späteren das aufsuchen der
einzelnen parallelen erspart.
Wertvoll ist der nachweis einzelner komischer stellen der
krämerscene in der nichtdramatischen litteratur, so bei Fischart,
Alberus (s. 138) und in einem bair. schwank (s. 137). ich
möchte zu s. 138 noch auf die lügenpredigt 'Vom Packofen',
Zs. 36, 150 ff, aufmerksam machen, die auch sonst im Wortlaut
(zb. V. 117) anklänge an die krämerscene zeigt. — wichtig ist
auch die feststellung (s. 135), dass I die österreichische Variante
Prolant (< Brabant) hat, die wir aus Erlau und aus der Wiener
Rubinus-rolle kennen, (ich habe mich in Innsbruck selbst über-
zeugt, dass die handschrift Prolant hat.)
Wenn H. am schluss die textliche verwantschaft mit der
gemeinschaftl. 'ostmitteldeutschen heimat' in Verbindung bringt,
so darf er sich dabei ja nicht darüber hinwegtäuschen, dass das
gemeinsame pf gegenüber wmd. p u. dgl. doch recht wenig mit
den gegenseitigen beziehungen zu tun hat, und dass I dem
Wolfenbütteler, dem Trierer, dem rheinhess. (Berliner) osterspiel
von 1460 und auch dem Egerer osteract örtlich viel näher steht
als dem oberschlesischen spiel.
Berlin- Wilmersdorf [1914].
Hans RueiT
[gefallen in Flandern am 21 april 1918].
WALZEL ÜHEH \VITK(tl', l»IK NKlIKKi; DKi; isril i: |,M;IK 7 ,">
Die neuere dentschc Lyrik vun JMiilipp >Vhk<»p. Leipzig und
Berlin, R. G. Teubncr. i;»10-13. 2 Bde :M>r> vii n :S80 8s 8" —
10 M.
Ein recht anregendes, frisch geschriebenes, ja Hottes buch!
getrag-en von dem Verständnis das ein dichterisch tätiger junger
gelehrter dem geschäft des dichters entgegenbringt, aber auch von
der ganzen eigenwilligkeit des Werturteils die den jungen dich-
tem eigen ist. achtenswert ist das streben, übei- einen engen
kreis der betraclitung hinauszudringen zu gröfseren zusammen-
hängen, es stützt sich auf gute kenntnis der weltanscliauüchen
Wandlungen. W. weifs feine bemerkungen über dichterische form
vorzutragen, er möchte innerhalb einer entwicklung die ent-
scheidenden halt- und wendepuncte bestimmen, gewis ist seine
arbeit sehr geeignet, weitere kreise anzuregen und an den gegen-
ständ zu fesseln, kurz, es kann nur empfohlen werden. Witkops
gedankengängen zu folgen und sich mit seinen aufstellungcn
auseinanderzusetzen.
So könnte ich mein urteil formen und mich mit diesem urteil
begnügen, wenn W. nicht den anspruch erhöbe, auch der Wissen-
schaft etwas ganz neues zu sagen, ja in ironischen Seitenblicken
dem wissenschaftlichen betrieb der auf dem gleichen gebiete
herscht, heimleuchten zu dürfen, andere ansprüche, die von W.s
leistung erhoben wurden, die auch befriedignng fanden, kommen
hier nicht in betracht.
Ich spreche nicht als unbedingter anwalt der •litterarhisto-
riker', die für W. augenscheinlich eine gesellschaft blinder, ver-
rannter und unbelehrbarer gesellen sind, aber ich habe auch
keine veranlassung, einwände die ich gegen diesen oder jenen
brauch unserer Wissenschaft auf dem herzen habe und denen ich
schon mehrfach ausdruck lieh, bei gelegenheit von W.s arbeit
besonders in den Vordergrund zu schieben.
W. betitelt sein buch: 'Die neuere deutsche lyrik'. tatsäch-
lich umfasst es folgende teile, eine kurze theoretische Unter-
suchung steht voran, nach W.s Zeugnis eine ältere arbeit, die
den wegpunct zeichnet von dem er ausgegangen war. bis zu
Günther schildert W. die deutsche lyrik als ein ganzes, und zwar
in zwei abschnitten: 'Die ältere lyrik' und 'Die mystiker". auf
die Unzulänglichkeiten des ersten abschnitts geh ich nicht ein
und auch nicht auf die bewertungen, die der minnesang, das
Volkslied, 'das wir doch ursprünglich und vielleicht in seinen
besten erzeugnissen als bauernlied deuten müssen' is. 34), und
besonders das geistliche lied des mittelalters finden, die welt-
liche lyrik des 17 jh.s zu begreifen, nimmt W. si( h nicht die
geringste mühe, bleibt vielmehr in den üblichen abgünstigen
urteilen stecken und schreitet nicht vor zum Verständnis dieser
barockkunst, während doch gerade jetzt das barock und dessen
formwille allmählich begriffen wird, nicht vom »«arock. sond«ru
76 WALZEL ÜBEFi WITKOP
von der mystik aus dringt W. tiefer in die geistliche lyrik der
zeit ein und hat besonders über Spee treffliches zu sagen.
Fortan indes gibt W. die zusammenfassende betrachtung
auf und reiht bis an das ende seiner arbeit persönlichkeit an
persönlichkeit, ich gebe das Verzeichnis der persönlichkeiten,
hebe auch noch hervor, dass ab und zu in die characteristik
dieser menschen kürzere bemerkungen über ihre nächsten nachbarn
eingefügt sind; so spricht der abschnitt 'Mörike' von Schwab und
von Chamisso, der abschnitt 'Heine' von Wilhelm Müller, der ab-
schnitt 'Meyer' von Strachwitz. im ersten band folgen aufein-
ander: Günther, Brockes, Haller, Hagedorn, die Anakreontiker,
Klopstock, Schubart, Claudius, Bürger, Hölty, Goethe, Schiller,
Hölderlin; im zweiten: Novalis, Brentano, Eichendorff, Uhland,
Mörike, Lenau, Platen, Heine, Hebbel, die Droste, Keller, Meyer,
Fontane, Storm, Liliencron, Nietzsche.
Litteraturgeschichte, wie W. sie fasst, 'darf nicht den ehr-
geiz empirischer "Vollständigkeit" haben' (ii s. vn). ich selbst
lege gar kein gewicht auf solche empirische Vollständigkeit (in
anführungszeichen). doch von der jüngsten deutschen lyrik hat
W. würklich recht wenig zu melden, wenn er nur Liliencron und
Nietzsche, im nebenwinkel noch Greif nennt, fast scheint es, als
ob W., der Verächter berufsmätsiger beschränktheit, hier unver-
sehens den grundsatz mancher litterarhistoriker aufgenommen
hätte, lebende dichter seien von wissenschaftlicher betrachtung
auszuschliefsen. die ganze lange reihe der toten die er aus-
schaltet soll nicht aufgezählt werden.
Lenz oder Maler Müller fehlen ebenso wie Waiblinger oder
Scheffel, die vielen die nur beihin und meist mit ein paar ver-
nichtenden Worten abgetan werden, rechne ich nicht vor. Freilig-
rath wird abgefertigt mit der Wendung, seine 'giraffen-, mohren-
und blumenrachenballaden' atmeten die phantasie eines lyrischen
'commis voyageur', in seinen späteren socialen balladen wird er
'echter und ernster' (ii 312).
Scharf zugespitzte Werturteile ähnlicher art erscheinen viel-
fach bei W. nur kann ihnen nicht nachgesagt werden, dass sie
besonders neues zu bekunden wissen, auf dem wege den W.
geht, sind längstgefällte Werturteile in solcher menge anzutreffen,
dass mit Werturteilen kaum förderliches noch geleistet werden
kann, auch ligt es W. nicht daran, wesentliche neue bewer-
tungen vorzunehmen, rettungen begegnen bei ihm kaum, so
eigenwillig er auftritt, er bleibt doch ziemlich in den alten gleisen,
soweit das Wertverhältnis der dichter in frage kommt, er reifst
gern einem dichter den ruhmeskranz vom haupte, aber auch da
lassen sich Vorläufer die gleiches übten, rasch nachweisen, er
ist nicht der erste der die bedeutung einzelner deutscher lyriker
unterschätzt.
Sein mafsstab ist zunächst sein persönliches künstlerisches
DIE NEUERE DEUTSCHE LYKIK 77
gefühl. und er poolit auf dieses o^efühl in voller üherzrugiintr,
dass nur ein dichter, nie ein gelehrter da mitsprechen dürfe!
ganz wie er ständig den leitsatz verticht, es sei ein Unglück, wenn
ein gelehrter sich aufs dichten lege, so gesteht er auch dem ge-
lehrten die fähigkeit nicht zu, einen dichter zu begreifen.
Am anfang des buches (s. 10 IT) erörtert W. grundsätzlich
die frage nach der subjectivität und objectivität des dichters. er
wendet sich gegen neuere forscher, die meinten, der objective
dichter gebe sein ich preis, damit die weit sei, der subjective
löse die weit auf, um nur in sich zu sein, so habe man Shake-
speare zu einem genie der äulseren beobachtung gemacht, dem
keine zeit blieb sich selber zu suchen, kein bedürfnis in sich
ein selbst von imponierender macht zu gestalten, es folgt ohne
angäbe des gewährsmanns ein längeres citat, das diese ansieht
von Shakespeares wesen, diese nach W.s meinung falsche an-
sieht, weiter ausführt, dann setzt W. fort: 'nur ein gelehrter,
dem seine Wissenschaft immer stoff und gegenständ bleibt, immer
ein allgemeines körperliches oder geistiges object, konnte sich
von einem künstlerischen genie diese seltsame Vorstellung machen,
als wenn man einen genialen character gestalten könnte, ohne
selber einer zu sein!' grofse kunst, alles wahrhaft schöpferische
könne nicht durch äufsere beobachtung, vielmehr nui- im ureigenen,
ursprünglichen leben gebildet werden, das individuelle sei das
wesen der kunst im gegensatz zur Wissenschaft, die das allge-
meine wolle, 'nur die art in der uns der dichter seine indivi-
dualität gibt, ist verschieden: der dramatiker und epiker gibt sie
uns mittelbar, der lyriker unmittelbar, in beiden ist es die über-
gewalt des lebensgefühls, das sie zum ausdruck, zur gestaltung
drängt, aber art und bewegung dieses lebensgefühls ist beim
epiker und dramatiker centrifagal, in gewaltigen wellen und
wirbeln strömt es von seinem innersten in die objecte, beim lyriker
ist die bewegung centripetal, sie reifst die weit der objecte in
immer engeren wirbeln in das eigen inne "ste ich'.
Der gelehrte der hier von W. berichtigt wird, ist — wie
jeder kenner auch aus meiner gekürzten widergabe ersieht —
üilthey. W. nennt ihn nicht; und das mag den eindruck rück-
sichtsvoller bescheidenheit wecken, dennoch erblicke icli in W.s
einwänden nichts anderes als die geläutige ei-scheinung: ein an-
fänger zerrt aus einem gröfseren Zusammenhang ein paar sätze
heraus und nutzt sie zu einem angriff gegen die wolüberlegte
reife arbeit eines führers der wissenscl)aft. die stelle von der
ich rede, gehört ja zu der 'älteren arbeit' W.s. die er an die
spitze seines buches zu stellen den mnt hatte, warum verschonte
er seine leser nicht lieber mit solclien ersten Übungen von der
höhe einer seminararbeit? er hätte dann mindestens vermieden,
am anfang des ersten bandes gegen den gleichen gelehrten
zwecklos zu polemisieren, der am anfang des zweiten bandes (s. v)
/ö AVALZEL ÜBER WITKOP
als zeuge für den wert von W.s arbeit aufgerufen wird und
dem auch nach seinem hingang der zweite band gewidmet worden
ist. sollte das nur eine palinodie sein, so hätte sie als palinodie
gekennzeichnet werden müssen, mir könnte solches vorgehen nur
verleiden, mich je wider auf Diltheys Zustimmung zu berufen,
mir und wol auch andern, denn man kommt durch solche be-
rufung nachgerade in eine seltsame gesellschaft.
W. widmet seinen zweiten band dem andenken Diltheys. W.
erklärt am anfang des zweiten bandes, er wolle in Diltheys
richtung weiterschreiten, derselbe W. hat die unbescheidenheit,
am anfang des ersten bandes Dilthey zu belehren, das individuelle
sei das wesen der kunst im gegensatz zur Wissenschaft, die das
allgemeine will ! Dilthey soll das nicht gewust haben ! die worte
über Shakespeare, die Dilthey, 'nur ein gelehrter', in seinem werk
'Das Erlebnis und die Dichtung' (3 aufläge s. 204) äufsert und die
von W. angeführt und bekämpft werden, wollen Shakespeare von
-Goethe trennen, den starken Wesensunterschied beider kennzeich-
nen, mit keiner silbe behauptet Dilthey, dass Shakespeare ein
genialer Charakter nicht gewesen sei, mit keinem wort, dass
Shakespeare nur beobachtungsfähigkeit für sein schaffen ins werk
gesetzt habe, dagegen deutet Dilthey auf einen grundsätzlichen
gegensatz im dichterischen verhalten zum mitmenschen : Goethe ist
minder als Shakespeare geneigt, aus jedem menschen, der ihm
entgegentritt, den eigensten ton herauszuhören, weil er vor allem
sein eigenes selbst gestalten will und dieses selbst gegen die
andern menschen behaupten möchte, ich finde die Scheidung
viel wertvoller als W.s reden vom centrifugalen und centripe-
talen, das doch nur wider zusammenrührt was von Dilthey
sauber geschieden worden war. ferner bezweifle ich lebhaft, dass
Dilthey der belehrung bedurfte, künstlerisches schaffen beruhe
auf einer Übergewalt des lebensgefühls, das zu ausdruck und ge-
-staltung dränge, mindestens ist diese anschauung mit Diltheys
äufserung über Shakespeare wol zu verbinden.
Warum sagte W. nicht: Diltheys worte über Shakespeare
könnten von kurzsichtigen falsch aufgefasst werden, als meine
Dilthey, Shakespeare sei nur beobachter und nicht schöpfer ge-
wesen? daher müsse noch besonders hinzugesetzt werden, dass
alle grolse kunst aus dem innern des künstlers komme; doch
•dieses Zusatzes bedürfe es nicht für den einsichtigen, dann wäre
W. nicht in die läge geraten, offene türen einzurennen und gegen
selbstgeschaffene windmühlflügel eine lanze zu brechen.
In reiferer form erscheinen W.s anschauungen vom objec-
tiven und vom subjectiven dichter am eingang des abschnitts
über Gottfried Keller (ii 283 ff). W. stellt im Verhältnis von
weit und ich, von object und subject drei möglichkeiten des
.lebensgefühls fest:
1. Das subject ist noch nicht zu einem eigenbe wustsein er-
DIK NF.URRE »EUTSCHK I.VIjrK 79
wacht, das ich existiert nur als teil der weit, seine erkenntuis
begreift es nur als ein passives abbilden, sein künstlerisches schaffen
als ein treues nachbilden der würklichkeit.
2. Das subject reift in langsamer, jahrtausendlauf^er soiule-
rung zum selbstbewustsein, das individuum fühlt sich in schmerz,
in grübeln, in Vereinsamung anders als seine umweit, als die
weit, es fühlt sein recht, seine pflicht, anders zu sein, es begreift
sein subjectives recht und die macht des subjects. nicht das
subject wird durch die objecte geformt, sondern es formt sicJi
die weit, alles erkennen enthüllt sich als ein erschallen, noch
geheimnisvoller aber als dem erkennen eignet den) künstlerischen
schaffen ein schöpferisches gestalten neuen lebens. am grofsartig-
sten erlebt die Weltgeschichte diese selbstbejahung gleichzeitig in
Kant und Goethe.
3. Nachdem object und subject in schroffer einseitigkeit
behauptet sind, kann ein letztes weltgefühl beide umspannen,
kann es subject und object in ihrem ewig notwendigen gegen-
satz, ihrem ewigen kämpf, ihrer gegenseitigen Steigerung bejahen.
Diesen drei grundformen des lebens- und weltgefühls ent-
sprechen die drei grundfoimen der dichtung: die objectivität
des epos, die subjectivierung der lyrik, der ewig notwendige
Zwiespalt und kämpf zwischen object und subject im drama.
Kleist erscheint in solcher beleuchtung als der tiagikei- der
Deutschen.
Um nicht mit kanonen auf spatzen zu schiefsen, bemerke
ich: die dreiteilung ist eine arabeske. angebracht am eingang
zum abschnitt über Keller, verwertet wird sie lediglich, um zu
zeigen, wie Keller von der lyrik zur epik sich zurückbilden, wi»'
er von subjectiver dichtung zu objectiver sich zurückwenden
muste. äufserungen Kellers, die von W. zum teil abgedruckt
werden (s. 290 f), sprechen diesen Werdegang seines dichtens
i)hne mühsame abstraction und Verallgemeinerung aus. Keller
wüste, dass er vom 'geniefsen und absondern nach Stimmungen
und romantischen liebhabereien' zur 'hingebenden liebe an alles
gewordene und bestehende' hatte weiterschreiten müssen, iiin
vom lyriker znm epiker zu werden. W. führt noch wort«-
Flauberts und Thomas Manns an (s. 2S8 f); sie weisen auf die
notweudigkeit hin, die den epiker zwingt den eigenwilligen
wünschen des lyrikers und seinem sonderemptinden zu entsagen,
genau besehen, genügen die alten ausdrücke 'objectiv' und 'suh-
jectiv', um den künstlerischen gegensatz festzulegen, es ist auch
oft gesagt worden, dass ältere zelten objectiver fühlten al^
unsere; dass es mithin unseren dichtem nicht leicht werde, die
objectivität des epos in sich auszuwirken, daher sind die folgenden
feinen worte W.s auch ohne seine grofsartige eingangsarabeske
und dreiteilung zu verstehn, ja im wesentlichen auch gewis von
W. längst erfasst gewesen, elie er (lie eingangsarabeske zeichnete:
80 WALZEL ÜBER WITKOP
'der neuere epiker ist aus der unbewusten einheit der weit hin-
ausgetreten, er hat den einsamen, wehen kämpf um sein subject
aufgenommen, er hat sein recht mit der ganzen leidenschaft des
künstlers empfunden, er hat davon geträumt, auf alles, alle
menschen und dinge den Stempel seiner persönlichkeit zu drücken,
sich die weit zu unterwerfen, aber sein Charakter ist sein Schick-
sal: seine natur, sein weltgefühl — vorherbestimmt und unab-
leitbar wie jedes letzte lebensgefühl — besitzt nicht die göttliche
Selbstsucht, die sieghafte Sicherheit, die unwiderstehliche herscher-
bestimmung des lyrikers, der sich weit und menschen unter-
ordnen, in ihm lebt von anfang an jene tiefe gerechtigkeit, die
das recht der anderen zu ehrfürchtig fühlt, um das eigene rück-
sichtslos gegen sie durchzusetzen, einsam dringt er an dieser,
an jener stelle ins leben vor, um frühzeitig wider zurückzu-
weichen, wenn er die stelle von einem anderen behauptet oder
beansprucht findet, immer zagender, immer entsagender ringt
er darum, bis er eines tages sein tiefstes wesen, seine innerste
bestimmung begreift: er wird die weit besitzen, indem er ihr
entsagt, indem er alle persönlichen ansprüche preisgibt, indem
er nicht eins sein will, kann er alles sein, so opfert er sein
ich für die weit, um seiner all-liebe willen, seiner all-gerechtig-
keit. und nun ist der Zwiespalt ausgelöscht, die epische objec-
tivität ist möglich, von sich weifs er nicht mehr, von sich
spricht er nicht mehr, nun ist sein innerstes glück, dem atem-
zuge aller weit zu lauschen, den herzschlag jeden dinges zu
fühlen, dessen recht, dessen art zu künden und darzustellen,
unergründlich, unübersehbar ligt nun die fülle der erscheinungen
vor ihm und wartet auf ihn als ihren selbstlosen anwalt, ihren
liebenden apostel' (s. 287 f).
Sehr hübsch zeigt W. noch, wie allmählich die subjectivität
aus Kellers lyrik verschwindet, und wenn auch manches urteil
das W. über einzelne züge von Kellers dichtung fällt, mir durch-
aus nicht zusagt, kann ich nur erklären, dass von W. recht
gut dargetan wird, wie Keller allmählich zu seinem eigentlichen
beruf sich durchgerungen hat.
War es indes nötig, solchen förderlichen darlegungen die
anspruchsvolle arabeske voranzustellen ? vom drama ist ja über-
haupt nicht weiter die rede, und so durfte es auch am eingang
wegbleiben, wenngleich es mir persönlich nur willkommen sein
kann, dass W. über die wurzel von Kleists tragik ebenso denkt
wie ich ; er konnte nur durch solche auffassung zu der ansieht
gelangen, dass Kleist — in seinem sinn — der tragiker der
Deutschen sei. er hätte ebensogut Hebbel als zeugen für seine
behauptung anführen können, ob aber, was von Kleist und
Hebbel und von dem Verhältnis beider zu object und subject
gilt, gleich auch auf alle andere tragik sich anwenden lasse,
stelle ich dahin, noch zweifelhafter ist mir die parallele aller
DIE NEÜERK RF-ÜTSCHF. f.VHIK M
h'i-ik einerseits und Kants und Cioetht-s andt-rseits. {^enau so
gut wie von einer selbstbejahunf? des subjects bei Kant und
Goethe gesprochen werden kann, liefse sich bei beiden selbst-
verneinung des subjects feststellen, ich finde all das derart ins
abstracte getrieben, dass mir die erscheinungen unter der band
entwischen.
Dilthey spendete dem capitel über Keller — is war als
Freiburger antrittsrede schon trüber ausgegeben worden — seinen
beifall. so berichtet W. (s v). nachahmung von grolsen drei-
teilungen Diltheys glaube ich in der eingangsarabeske zu ver-
spüren, mir selbst ist jeder Ordnungsversuch willkommen, der
auf der inneren verwantschaft erkenntnistheoretischer und künst-
lerischer tätigkeit ruht und vermöge dieser verwantschaft licht
in die weltauffassung des künstlers hineinträgt, doch möcbt
ich wünschen, dass er tiefer begründet und minder obenhin an-
gestellt werde als W. dies tut. vorläutig hab ich nur den
eindruck, W. kleide längstbekanntes und längstgesagtes in ein
schimmerndes gewand. um ihm den anschein des neuen zu leihen,
den Schimmer aber borgt er — ein zeichen der zeit - von der
Philosophie.
Minder anspruchsvoll arbeitet der erste band durchaus mit
dem gegensatz von gefühl und reflexion, spricht er von der
selbstrefiexion im Zeitalter der auf klärung (s. 157). erblickt er in
Schubart den 'grösten und einseitigen Vertreter des gefülils* in
der lyrik (s. 175). widerholt er mehrfach, wie bei Goethe ge-
fühl und reflexion zu unmittelbarer einheit gediehen, und be-
hauptet, dass Schillers denken um das problem von gefühl und
reflexion von anfang an kieiste. das ist samt und sonders nicht
neu, ja es ist in älteren darstellungen der deutschen litteratur
des 1 S Jahrhunderts noch häutiger zu finden als in neueren, die
gern minder allgemein sich fassen und das seelisciie problem in
seine Voraussetzungen hinein zu verfolgen bemüht sind, wenn
indes W. behauptet (s. 3(i5), Schiller sei sich zuerst über ilie
culturelle bedeutung dieses gegensatzes und seiner verwanten
gegensätze klar geworden, also 'darüber dass ihre entwicklung
die entwicklung der menschheit in sich schlo.ss', so irrt er sehr,
die entwicklungsgeschichtliche Verwertung des gegen.satzes von
gefühl und reflexion ist weit älter, ich brauche wol nicht zu
sagen, wo W. näheres über diese frage erfahren konnte.
Nicht neu ist innerhalb der leitgedanken des buclies die er-
wägung, wieweit lyrische begabung auf musikalischer anläge
ruht, wieweit der rhythmus lyrischer dichtung aus musikaliscbeu
erlebnissen erwächst, bei ilülderlin und bei Nietzsche kommt
der Zusammenhang besonders zur spräche, merkwürdigerweise
nicht bei Schiller. \V. arbeilet noch immer mit der überwundenen
Vorstellung, dass bei Schiller zunächst der gedanke zu dichtung
wird. er scheint nicht zu ahnen, dass das urerlebnis der
A. F. I>. A. .xxxviii. •;
82 WAIiZEL ÜBJ3F WITKOP
'Künstlei' nicht gedauklicher, soudern musikalischer art war.
ganz seltsam verworren klingt daher alles was W. (s. 343 f)
über den augenblick zu sagen hat, in dem Hölderlin 'die melodie
seines wesens' entdeckte, da hätte W. unbedingt auch auf die
melodie Schillers stofsen müssen, die ja zuerst Hölderlin völlig
beherscht. W. weifs nur zu berichten, dass Hölderlin, als er zu
seiner eigenen melodie sich durchrang, die 'aclitzeiligen reim-
strophen Schillers' aufgab, die 'wie ein gebirgsbach, der die
lange hemmende schleuse zerbrochen, überschäumend voranstürzeu'.
warum aber ist im abschnitt über Schiller nicht von diesem
rauschen und überschäumen die rede? ist das nicht auch melodie?
Noch eine reihe von leitmotiven wäre aufzuzeigen, am
besten glückt das motiv der naturschilderung und des natur-
gefühls. es setzt sehr glücklich bei Spee ein und ersteigt seine
höhe in dem vorzüglichen abschnitt über die Droste. leitmotiv-
artig tritt auch betrachtung des sonetts da und dort hervor:
bei Goethe (i 280 ff) fragt W., wie dieser 'ungoethischen dicht-
weise' das innere erleben Goethes entsprechen konnte, und sucht
die frage zu beantworten, bei Platen fesselt W. die Überwin-
dung der Sonettenform (ii 181). bei Hebbel, meint W. (ii 24.^^»,
finde das sonett über seine romanische vorzeit hinaus zuerst
sein inneres gesetz. das ist natürlich falsch; richtig ist, dass
einem dialektiker von Hebbels prägung die sonettform be-
sonders lag.
An diesen leitmotiven und ihrem Schicksal beobachte ich
vor allem, dass der Wissenschaft mit darstellungen nicht gedient
ist, die so völlig im persönlichen stecken bleiben wie W.s arbeit,
und nicht nur im persönlichen, auch noch im biographischen,
eine entwicklung ist in einem nacheinander von Charakteristiken
nicht zu zeichneu. die fragen vollends, über die wir auskauft
haben möchten, lassen sich nicht einfach in Schilderungen von
dichtem nebenbei abtun, meines erachtens ist W.s arbeit nur ein
neuer beweis, wie dringend wir zusammenfassende Untersuchungen
über die probleme brauchen, die er nur leitmotivartig anklingen
lässt. die eingaugsarabeske des abschnitts über Keller, der ver-
such, lyrik und epik (meinetwegen auch drama) zu scheiden,
wäre minder unzulänglich ausgefallen, wenn W. nicht nur in
der widergabe einer 'älteren arbeit' die allgemeinen fragen er-
örtert hätte, sollten schon die persönlichkeiten in voller gröfse
mann für mann aufziehen, so wäre doch am ende der arbeit
Gelegenheit gewesen, die allgemeinen ergebnisse zusammenzu-
fassen, jetzt bleibt sogar eine frage, die von W. vielfach berührt
wird und in jüngster zeit dank Dilthey im Vordergrund der
betrachtung stand, ungeklärt: das wesen des künstlerischen er-
lebnisses.
W. spricht einmal (i 277) von gedichten Goethes, die, wie
der litterarhistoriker enttäuscht constatiere, 'ohne jeden persön-
DIK NKUKKK l»K( TSORK liYRIK SJ
liehen anlass' entstanden seien, ich möchte nicht mit W. über
die frage rechten, ob von einem persönliclieu anlass von 'Schäfers
Klagelied' oder von 'Trost in Tränen' kein»- rede sein könne,
aber wohin küme W. selbst, wenn er nicht von den persönlichen
anlassen reden könnte? seine beiden bände wären ganz wesent-
lich dünner ausgefallen, wenn er mit mehr Zurückhaltung
die biographischen Voraussetzungen vorbrächte. W. seihst wirft
(i 115) folgende fragen auf: 'was ist denn erlebnisV ist es da«
einzelne, aufsergewöhnliche ereignis im leben des künstlersV er
antwortet: 'gewis nicht, denn wir wissen, dass ein dichter zb.
von den emptindungen eines mörders tiefer und notwendigei'
rechenschaft zu geben weifs als der mörder selber, es ist nicht
das einzelne erlebnis, sondern das ganze erleben des künstlers.
um das es sich handelt', sehr richtig! ja vielleicht liefse sich
der grofse abstand zwischen dem äufseren lebensvorgang und
dem künstlerischen erlebnis noch stärker betonen, warum indes
verweilt W. selbst so lange bei den einzelnen au fserge wohnlichen
ereignissen im leben der dichterV tastet er nicht an dem problem.
das ganze erleben eines dichters zu bestimmen, nur beiläufig
herum, wenn er seine leser mit einer fülle lebensgeschichtlicher
«Einzelheiten überschüttet? ist die Marienbader Elegie würklich
als kunstwerk nur zu fassen, wenn haarklein die unschöne auf-
nähme geschildert wird, die Goethes absieht, Ulrike von Levetzow
zum weibe zu nehmen, bei seiner familie fand? die stelle auf
die ich hier deute (i 296 fj, ist ja wol der schlimmste fall dieser
art im ganzen buch, allein sie nimmt dem buch auch das letzte
recht, über litteraturhistoriker zu spötteln, die am persönlichen
anlass haften bleiben.
Wie allgemein und verschwommen der begriff des künst-
lerischen erlebnisses bei W. bleibt, das wird auch bezeugt durch
den satz (i 320): 'Die Jugendgedichte Schillers sind trotz ihrer
lebensfremde aus dem erlebnis erwachsen und wissen oft durcii
die kühne gewalt der bilder — wie in der 'Gröfse der Welt',
in der 'Schlacht' — den mangel an unmittelbarer wirklichkeil
zu ersetzen', solche phrasen mögen schlechten Schulbüchern und
conversationslexiken und deren ästhetisierendem gerede überlassen
bleiben, logik und wissenschaftlichen ernst sucht man in ihnen
vergebens, die stellen die ich zuletzt anführte, gehören durchaus
dem ersten band an. im zweiten sind ähnliche entgleisungen weit
seltener, immerhin wird auch hier in dem abschnitt über Heine
deutlich, dass W. nicht über die mittel verfügt, künstlerisches
erleben dann zu begreifen, wenn es nicht unmittelbar aus einem
Iters'inlichen anlass und aus einem einzelnen lebensvorgang stammt
recht verneinend klingt fast alles was über Heine gesajjt wird
das macht: W. versagt — oei einigen feinen bemerkungen übe»
lyrische form — dort wo ein künstlerisches forniproblem zu
fassen ist. er verdenkt Heine den weiten abstand, der Hein«>
84 WAIi/EL Ü15EK WITKOP, DIE NEUERE DEUTSCHE LYRIK
Hufseres leben von seiner dichtung trennt, ebenso wie er den
weiten abstand, der zwischen einem echten altheimischen Volks-
lied nnd Heines volksliedartiger dichtung klafft, ihm zum Vor-
wurf macht, diese abstände stellt W. mit viel Verständnis für
echte liebeslyrik und echtes Volkslied fest. noch die etwas
dunkeln worte, die W. (ii 202) über die unio mystica des lieben-
den und der geliebten sagt und über ihre bedeutung für echte
liebeslyrik, nehme ich gern hin. aber war neben aller Ver-
neinung von der tatsächlichen künstlerischen leistung des 'Buches
der Lieder' gar nichts zu berichten, als dass es in Ironie endet?
die mythologie der Nordseebilder in strafendem ton als 'ver-
kleinernde salonraythologie' ablehnen (ii 205) heifst allerdings
Heine so völlig misverstehn, dass nach einer solchen leistung
kaum noch auf verständnisvolle worte über Heines art und kunst
zu rechnen ist.
Wie die frage nach dem wesen des künstlerischen erlebnisses
von W. nicht befriedigend beantwortet wird, so kommt bei ihm
auch das menschlich wertvolle, menschlich nachfühlbare und er-
lösende der künstlerischen forraung des erlebnisses zu wenig
heraus, und zu wenig scheidet er lyriker, die in diesem sinne
berufene erlöser ihrer mitmenschen sind, von künstlern, die über
gleiche gäbe nicht oder mindestens in geringerem umfang ver-
fügen, von Dilthey, dem 'gelehrten', hätte er da manches lernen
können, ich mindestens danke ihm die bestätigung meiner eigenen
beobachtuugen und ich berief mich, als ich in meiner kleinen
Schrift über "Leben, Erleben und Dichten' diese beobachtuugen
vorlegte, ausdrücklich auf Dilthey. mein schriftchen wurde von
W. natürlich nicht benutzt, ist er doch in der auswahl seiner
gewährsmänner ungemein vorsichtig, so vorsichtig, dass auch ihn der
Vorwurf trifft, den ich gegen arbeiter auf dem gebiet der deutschen
litteraturgeschichte längst zu erheben gelegenheit hatte: während
auf jedem anderen wissenschaftlichen gebiet dem forscher zur
pflicht gemacht wird, die bestehende und geleistete arbeit zu be-
rücksichtigen, schreibt man über dichter frisch drauf los, ohne
sich um die forschung anderer zu bekümmern, dass man es hie
und da doch tut, erkennt nur der geschulte fachmann, wenn er
unversehens auf äufserungen stöfst, die ihm längst geläutig sind,
auch W. liebt solche anleihen bei älterer forschung. aber natür-
lich vermeidet er sorgfältig, seine gewährsmänner zu nennen.
Doch das wurde ihm von anderer seite schon vorgehalten,
ich brauche darum mich nicht weiter über diese seite seiner
arbeit zu äufsern. aus gleichem grund verzichte ich darauf,
ihm die verstöfse gegen die rechtschreibung, zunächst, aber nicht
blofs der namen, vorzuhalten.
Dresden, 5 September 1914. 0. Walzel.
WALZEL ÜB. CAMINADK, r,E3 CHANTS DKS OUKCS DK W. MI I.I.Ki: S.')
Lc3 chants des Grecs et lo plii lliell.'ii ismo <le Williolm
Müller par («uston ("amiiiiide. Pari». Fiiiix Aic^in. \'^\^^
198 p. 8". — 5 fr.
In der stunde in der icli diese anzeige abfasse, berührt
es wie bittere ironie, von dem bueli eines Franzosen über
Wilhelm Müller berichten zu müssen, und zwar noch über
Müllers 'Lieder der Griechen', soll dem Verfasser deutscher dank
gesagt werden dafür dass er deutscher dichtung- von dem frei-
heitskampf der Griechen seine arbeitskraft gewidmet hat, wol
bewust dass in Müllers sängen die Stimmung der deutsclieii
befreiungskriege nachklingt? C. prüft seinen stoff mit kühlem
herzen, ihn fesselt wol kaum der deutsche dichter an sich, vielmehi-
nur die Spiegelung eines politischen Vorgangs der aul'serhalb
Deutschlands liegt, ihm ist Müllers Griechendichtung *le raonu-
nient le plus curieux du philhellönisme allemand, parce qu'elle
traduit le mienx, dans son integralite et sa coraplexite, cet
enthousiasme qui tit tressaillir l'Europe devant la Gr^ce regen6r6e'
(s. 191).
C. wendet viel fleifs, aber auch recht viel wort»; an seine
Untersuchung, er hat im einzelnen neues zu sagen, er kommt
über deutsche forschung, auch über Arnold, hinaus, vielfach wol
nur durch die umfangreichere heranziehung von quellen auf die
schon längst hingewiesen worden ist. er geht aus von dem
menschen Müller und schildert ihn als hnmanisten. politiker. dann
mit besonderer betonung als thiisten. die entstehung der Grifchen-
lieder berichtet er, indem er die Chronologie prüft und die ver-
schiedenen ausgaben nebeneinanderstellt, eine tabelle versinn-
licht die ergebnisse dieser bemühung. das umfänglichste capitel
ergründet die geschichtlichen Voraussetzungen der einzelnen
griechensänge Müllers, es zerfällt in fünf abschnitte, nach Pouque-
ville, Castellan uaa. schildert C. die Griechen der zeit und die
Stämme und gegenden die für Müller besonders wichtig waren,
er weist schon hier auf verse Müllers hin i druckt sie sogar ge-
legentlich ab), die mit motiven griechischer cultur oder örtlich-
keit arbeiten, ja er meint (s. ISf) in einer stelle von »'orais
*M(5moire sur Tetat actuel de la civilisation cn (in-oe' ( 1S(>:<). die
verdeutscht in Ukerts 'Gemälde von Griechenland' (181 li über-
gegangen ist, die quelle des 'Kleinen Hydrioten' aufdecken zu
können, die weiteren vier abschnitte erzählen nach den gleichen
quellen, und indem sie Müllers lieder an passender stelle heran-
holen, den anfang des krieges, das verhalten der grofsmächte zu
<Jriechenland, die jähre 182'2 W, cndlicli Byrons .'ingnlfen iin.l
tod und den fall von Missolun:rhi. natürlich ertreben sich da
zahlreiche einzelnachweise von quellen Müllers, .lern Verfasser
scheint es aber weniger um die frage zu tun zu sein, wie Müller
seine stofflichen vorlagen verwertet, als um die gescliichtliohe
treue der Griechenlieder, darum stellt er immer neben die ;jlteii
S() WALZEL ÜBER CÄMINADE
berichte, die Müller {gekannt bat oder haben kann, die dar-
stellungen neuerer forscher, vom künstlerischen gestalten komrat
man auf diese weise stark ab. und mitunter gibt es seltsame
entgleisungen. das gedieht auf Kanaris 'Die Zweihundert und
der Eine' veranlasst (s. 87) die frage, wie Müller zu der zahl
zweihundert gekommen sei. mit grofser Wahrscheinlichkeit nimmt
C. an, eine falsche Zeitungsnachricht sei schuld, dann aber setzt
C. fort: 'Pouqueville nous permet de rectitier cette erreui". und
er nennt nach Pouqueville die wahie, viel bescheidenere zifrVr.
ich bezweifle nicht, dass nur eine ungeschickte wendung vorli;2t.
tatsächlich aber erweckt sie den eindruck, als sei ein gedieht
wie ein geschichtlicher bericht zu behandeln und sachlich zu
'berichtigen', ganz überflüssig wird (s. 88 f) von 'liypotheseu"
geredet, die das gedieht 'Bozzari' fordere, es ist ein totengesanp'
auf Mark Bozzari, aber Bozzari lebte damals noch, soll C.s
wahrscheinliche Vermutung, dass auch hier eine falsche nach-
richt zu gründe liege, gleich hypothese heifsenV Hatrteld hatte
in seiner ausgäbe (s. 473) allerdings gemeint, das gedieht beziehe
sich auf einen bruder Mark Bozzaris, und gleich noch ein»-
weitere haltlose Vermutung angefügt, ganz recht, dass C. sich
an Hatfield nicht anschliefst.
Recht brauchbar auch vom standpunct einer Würdigung der
künstlerischen arbeit Müllers ist das capitel über die litterarischen
quellen und Vorbilder, formeigenheiten der neugriechischen poesie
und der deutschen befreiungslyrik werden in den Griechenliederu
nachgewiesen, die Vögel die gern am eingang der lieder er-
scheinen, die neigung mit fragen zu beginnen : C. belegt all das
durch treffende beispiele. allerdings führt er auch da nur weiter
was von Arnold, ja von Goethe schon festgestellt worden war.
auch was über den politischen vers und seine Verwertung durch
Müller gesagt wird, hätte füglich mit Arnolds forschung in aus- .
drücklichen Zusammenhang gebracht werden können, dann wüste
der leser wenigstens, wieweit C. etwas neues zu sagen meint,
statt dessen gibt es recht zwecklose einwände gegen Arnold.
die widerholung des eingangsworts oder der eingangsworte
{'Boholina! Boholina': oder 'Hohe Fforie! Hohe Pforte':) will C.
nicht mit Arnold auf neugriechische, sondern auf deutsche be-
freiungslyrik zurückführen (s. 129). war nicht vielmehr fest-
zustellen, dass sie da wie dort und auch noch anderswo, zb. in
spanischer volkslyrik, beliebt ist?^ etwas dürftig ausgefallen
' wie wenig herausltomuit, wenn C. steine einwände gegen Arnold
richtet, beweist die stelle (s. 115): 'Arnold compare le 'Petit Mai'note' au
'Knabe Robert' de Arndt: la resseniblance eutre le jeiine Klephte de Müller
et celui de la chanson nt^o-greque est beaucoup plus frappante'. C. meint
ein Med das er nach Kinds Übersetzung von 1861 anführt, freilich muss
er die frage offen lassen, ob Müller das original oder eine ältere Über-
tragung auch nur gekannt hat. Arnold hingegen hatte nicht den 'Jlai-
LES CHANTS DES (iRECS DK UIDHELM MÜU.KH 87
ist der abschnitt über Mülleig beziehunpen zu ältpiej deutscher
Griechendichtung.
Nach allem was bis dahin in C.s buch über die lonn der
Ciriechensänge Müllers gesagt ist, hinkt das capitd über 'la
valeur litteraire des Griechcnlieder etwas nach, glücklicher-
weise ist es nicht blofs auf ein Werturteil angelegt, sondern ef
hebt noch einige forme igenheiten hervoi-, die bis dahin kein*-
eingehendere beachtung gefunden hatten, seltsamerweise begnügt
sich C. liier, die verstechnik (natürlich soweit der politische verB
nicht in betracht fällt) mit einem hinweis auf Arnold zn er-
ledigen.
Die beiden schlusscapitel sprechen von Müllers Übertragung
der neugriechischen Volkslieder die von Fanriel gesammelt
worden waren, und von den 'Keimen aus den Inseln des Archi-
pelagus'. die 38 'Reime' werden stück für stück auf ihre Vorbilder
geprüft, schon Hattield hatte für 30 dieser 'Reime' angegeben, anJ
welche nummern der von Müller übertragenen Sammlung Faurieli-
sie zurückgehn. C. weist noch die Vorbilder von viei- weiteren
'Reimen' nach, so dass nur noch vier unbestimmt bleiben (Der
Rausch vor dem Trünke, Spielzeug der Liebe, Geduld der Liebe,
Das erste Liebeszeichen).
Die bibliographie C.s hat auch neben dem vortrefflichen
artikel des neuen Goedeke (viii. '282 tY) über Griechendichtungei;
einigen wert, weil sie sich zum teil andere ziele setzt, mit dem
artikel über Müller selbst will sie nicht wetteifern.
Die drnckerei von Paul Brodard in Coulommieis wurde den
deutschen texten die in C.s arbeit angeführt sind, wol gerecht,
kleine Unstimmigkeiten finden sich wol, mögen aber nicht dem
Setzer zur last fallen: s. 70 z. S hatt für hat, s. 7 7 z. 1 dec
citates Laszt für Lasz, z. 6 hohen für rohen, s. 9tt z 2 de?-
titates im schwarzen Moder statt in srhirarzein Moder, s. 142
z. 3 v. u. Griechischer für (>riechisches Feuer, ebenda z. 2 v. u
Könnte ich meine Feder tauchen statt Könnt ich meine Feder
doch, ich gebe da nur Stichproben.
nottenknaben', sondern den 'Kleinen Hydrioten' gemeint, alt> t-r ih 1'28)
sagte: 'Arndts knabe Robert in der fustanella'. die iibereiuNtimiuuQv
bleibt bestehu, aucb wenn der 'Kleine Hydriot' eine tjucllt- in der
neugriechischen dichtuug hat. Arnold denkt wol nur an diese übereio-
stimmung. die von künstlerischer bedeutung ist, und meint doch sicher
nicht, dass Müller au.'; der dichtung der befreiungskriege etwai in dit
neugriechische weit versetze, was dieser weit frenul sei.
Dresden, 14 august 1914. 0. Wiil/.i
<■. V. Meyer-Studien von Eduard Korrodl. Leipzig. ilitesMi iM.
VII u. 15Ö 88. S". — r' m
K. hat sich die aufgäbe gestellt, die zubammenh.'iiige zwischen
jersönlichkeit und stil zu verfolgen, und gkichzeifig will er aucl;
88 GEJGEK ÜUER KORRODI
einmal CFMeyer. in die litteraturgeschichtliche entwicklung der
vSchweiz einreihen, das eine geschieht durch die nähere erörte-
rung des maler-dichterproblems bei den Schweizer dichtem, das
andere hauptsächlich durch die Untersuchung darüber, wie sich
dieses problem bei Meyer individuell gestaltet hat. das ganze
wird uns in sieben meist innerlich unter sich zusammenhängenden
abschnitten dargeboten (I. Die malerdichter in der Schweiz.
IL Der kämpf um den stil. III. Die plastische erscheinungs-
form von CFMeyers . stil. IV. Die schweizerische bildlichkeit und
CFMeyers stilethos. V. Adjectiv und particip in CFMeyers stil.
VI. Die Veredlung der rhetorischen hilfen. VII. Satzarchitektur
und dialog),
Die Vereinigung von maier und dichter, die in der Schweiz
traditionell war, sucht K. durch die starke würkung der schweize-
rischen landschaft auf die heimischen (wie auch die deutschen)
dichter zu erklären; die folge war, dass schon früh das äuge
dadurch geschärft wurde, bei Meyer taucht das problem in
etwas veränderter form wider auf, nämlich als Sehnsucht nach
den herrlichkeiten der plastik. seine kunst strebt einer zeit zu,
in der ein malerisches kunstwerk die gröste würkuog ausübte:
der renaissance. ein intensives schaubedürfnis, das auch seine
gestalten mit ihm teilen, leitet ihn. malerische neigungen führen
ihn zu einer gruppierung seiner personen die bildwürkung er-
reichen soll, plastische würkung dagegen erzielt er mit feiner
gebärdenkunst und -spräche, rliythmen der romanischen litteratur-
symmetrieen finden wir in der antithetischen formulierung seiner
Stoffe; auch in der Ij'^rik liebt er die Zuspitzung der gegeusätze.
überall treffen wir die intellectuelle unterströmung, und diese
hat auch seinen ganzen stil geformt, der ein resultat seiner
künstlerischen Überlegung ist. aber diesen stil muste er sich
mühevoll erringen, weniger im kämpf mit der mundart als mit
dem französischen einfluss, der trotzdem noch an einigen stellen
bemerkbar ist. wie weit aber sein feines gefühl reicht, zeigt
das gewissenhafte abwägen der nuancen und das aristokratische
wählen der werte, das wie ihm so auch seinen personen eigen
ist. es ist begreiflich, dass auch Meyers bildliche ausdrucks-
weise aus seinem kunstgefühl hervorgegangen ist. wo dieses
ihn sicher leiten kann, da beginnt seine bilderformende macht,
eigentümlich ist aber bei ihm die neigung zum abstracten aus-
druck, diewol aus der absieht hervorgieng, einen adäquaten eindruck
für das geistige oder für seelische Vorgänge zu finden, aus seiner
individuellen anläge lässt sich ferner erklären, dass auf ihn das
kunstwerk einen stärkeren eindruck machte als die würklichkeit,
dass er daher seinen vergleich oft aus dem bereiche der kunst
nimmt, sei es von bildwerken, sei es aus der litteratur. zu
einem gleichnis wächst sich sein vergleich selten aus, er sucht
dies im gegenteil durch stilistische kunstgriffe zu verhindern: er
C. V. Mi;YEI!-J5TnDIKN S'l
fasst sich möf^lichst knapp. b«i den andern Schweizerdiditern
ist die bilderspracbe auf der mundart geofründet, und sie sciieuen
auch nicht den derb realistischen vergleich, ihnen ^'e^eniiber
ist die bilderweit Meyers onf? begrenzt, er darf die niai'sstäbe
für die Seelenregungen seiner vornehmen iielden nieht der all-
tagswelt entnehmen, seine wählerische renaissancestiniinung, die
schon die Wortwahl beeintlusst, meidet die gemeine weit, sein
ganzer stil will feierlichkeit erwecken, das epitheton ornaus
ist ihm nur eine notwendige ergänzung, und er geht weniger
auf neuprägungen aus, als dass er sucht die Schönheit des ein-
fachen adjectivs würken zu lassen, in seinen spätem werken
wird er damit immer sparsamer und legt mehr wert auf den
sinnlichen eindruck des verbs. anderseits zeigt wider die Sub-
stantivierung von adjectiven und verben sein streben nach ein-
fachen grofsen stillinien. die damit verwantc absieht der con-
centratiou der gedanken lässt sich aus der anwendung von
participialconstructionen erkennen; zwar mag auch sein fran-
zösisches ohr die vorliebe für diese gesteigert haben, (bei den
auf s. 121 unten gegebenen beispielen scheint mir Meyer das
particip dem adjectiv vorgezogen zu haben, weil in jenem noch
die verbale kraft der bewegung durchschimmert.) ein ausge-
prägter rhythmus Lässt sich in Meyers spräche niclit feststellen,
die rhetorischen formein hat er meist individuell dichterisch
umzugestalten verstanden, wo es der affect der rede verlangt,
da wird auch sein stil wortreicher, und er gibt in seinen
Variationen gleichzeitig oft feine Steigerungen, seine gestalten
haben die gäbe sensibler naturen, das spiel der träume und
Visionen, aber sie geben nicht verworrene, sondern klare bilder
seine satzarchitektur ist eher knapp. schwere sätze tinden
immer eine Unterbrechung durch leichte, die mündliche rede
wird oft durch parenthetische sätze unterbrochen, die eine be-
gleitende gebärde geben; die coexistenz von wort und gebärde
soll dadurch verdeutlicht werden, er sucht kaum akustische
würkung der spräche, da sein augenmerk eben auf «He bilder,
nicht auf die klänge gerichtet ist. der dialog hat besonders
bedeutende augenblicke zu tragen. überhaupt schimmert an
manchen stellen der novellen. die ja oft zuerst als drainen ;,'edacht
wurden, die dramatische structur durch: capiteleingänge muten
wie Schilderungen des Schauplatzes an. dieser wird auffallender-
weise für jedes capitel nach gesetzen des contrastes festgestellt.
K. fragt sich, warum Meyer nicht zum drama gekommen
sei, und tindet eine plausible antwort hauptsächlich darin, das«
er im drama eben gebärde und antlitz seiner personen. femer
die gruppenbilder der willkür an<lerer liätte überlassen müssen,
während er doch gerade in diese schilderungt-n soviel kunst
legte, die erkenntnis stärkerer würkungen fUhrt<> ilm immer
wieder zur novelle. (ähnlich auch Langmesser s. 5(>fJi
90 GEIGER ilBER KORRODI, 0. F, MKYER-STUDIEN
K. hat in seinen Studien die feinen zusammenhänge zwischen
persönlichkeit und stil Meyers aufgedeckt und durch trefflich
ausgewählte beispiele belegt, nur ist es schade, dass wir die
hauptresultate seiner arbeit selten in klaren worten zu hören
bekommen, sondern sie uns meistens aus seinen bemerkungen
selbst zusammenstellen müssen; hie und da hätte vielleicht auch
manches in einfacheren worten deutlicher gesagt werden können.
K. hat es von anfang an abgelehnt, seine arbeit durch allzu
pedantische anhäufnng von beispielen und anmerkuugen unlesbar
zu gestalten, doch begreife ich eine art von inconsequenz nicht:
warum gibt er bei den einen belegen die herkunft an, bei den
andern aber nicht? grade bei den letztern kann sie gar nicht
immer aus dem inhalt der stelle erschlossen werden (s. zb.
s. 124).
Störende druckfehler sind mir folgende aufgefallen: s. 7
z. 4 v. u. ist 'den geist' ausgelassen, s. 42 anm. fehlt die Seiten-
angabe, s. 57 z. 15 V. u. soll es heifsen 'Vicedomini' statt
'Pizzaguerra', s. \)'.i z. 6 v. o. soll es heifsen "Angela' statt
'Pescara', s. 99 anm. 1 fehlt die Seitenangabe, s. 120 z. 6 u. 7 v.o.
soll es heifsen 'Lucrezia' statt 'Angela' s. 127 z. 3 v. o. 'minen'
statt 'mienen', s. 146 z. 6 v. o. 'Pescara' statt 'Angela', s. 148
z. 2 V. 0. 'ungebornes' statt 'gebornes'.
Baden (Schweiz). Paul Geiger.
1. Die neuere deutsche dichtung in der schule, vertrag, ge-
halten im Freien Deutschen Hochstift zu Frankfurt a/M. von
prof. dr. J.lx.Spreiitfel. Frankfurt a. M., M.Diesterweg 1911. 88 ss.
8«. — 1,20 in.
2. Dielitteratur des neunzehn ten Jahrhunderts im deutscheu
Unterricht, eine einfiihrung in die lectürc von dr. Heinrich
Deckelitiaiin , director des gymnasiums und realprogymnasiums
in Viersen (Rheinprovinz), zweite, wesentlich erweiterte aufläge.
Berlin, Weidmann 1914. .\vi u. 517 ss. s'\ — 7 ui.
1. Sprengeis büchlein ist FrPanzer zugeeignet, dessen fördern-
des Interesse für den deutschen Unterricht auf den höheren lehr-
anstalten widerholt von fachmännischer seite dankbar anerkannt
worden ist, zumal in Veröffentlichungen aus dem kreise der
Frankfurter collegen. während ESchönfelder sich in seinem
Hilfsbuch für den deutschen Unterricht um die reform der spracli-
lichen seite bemühte und dem schüler gotische, altdeutsche und
mundartliche sprachproben in die band geben wollte, wendet Sp.
seine aufmerksamkeit schon seit längerer zeit gerade der neuesten
dichtung zu, die für Schönfelder am wenigsten in betracht kommt.
Sp. lehnt im anfang seines Vortrages energisch 'die mannigfach
misverstandene und fälschlich idealisierte, in mancher hinsieht
keineswegs vorbildliche cultur der antike' ab und verlangt 'eine
Daturgemäfse. moderne geistesbildung aus völkischer wurzel'. sie
RJEMANN ÜK 81'KKNGEL, DIK NKD. )- UICJITPNC; IN I>. HCHIII.K '.I I
liefert unsere spräche und als ihr wiclitigstes tfil — wozu dieper
uraweg? — die nationallitteratar, die im mittelpuncte der jug-end-
und Volksbildung steiin nuiss. viel zu wenip iHt bisher die
deutsche dichtung des neunzehnten Jahrhundert« 'seit dem ab-
Bchluss der classisch-romantischen bewegung" berücksichtigt wor-
den, während doch gerade sie durch den ihr innewohnenden
würklichkeitssinn ein vorzügliches bildungsniittel darstellt, der
vorsichtigen abgrenzung gegen die ältere epoche folgt eine runde
ablehnung der 'ästhetischen verirrung des naturalisuius'. so be-
stimmt Sp. ein halbes Jahrhundert. 1840--1S90, als die eigent-
liche blütezeit des realismus, der namentlich die novelle und die
lyrik zur Vollendung brachte, der grofsen bedeutung der jung-
deutschen bewegung wird diese einteilung zweifellos niclit gerecht.
Sp. zieht aus ihr die consequenzen für den unterrichtsplan
und wendet sich gegen die auffassung. als ob die bekanntschaft
mit dem "Weimarer classicismus genüge, um sich mühelos bis zur
gegenwart weiterzutinden: 'wo soll man im achtzehnten Jahr-
hundert die mafsstäbe für die prosakunst des neunzehnten .Jahr-
hunderts finden?' der schule kann es nicht schwer werden, hier
helfend einzugreifen; denn die behandhing dei neueren diciitung
bildet eines der würksamsten mittel gegen alle 'echul Verdrossen-
heit', dem entsprechen auch mein* erfahrungen. \on dem stand-
puncte der bisherigen lehrpläne. welche die gesamte prosadichtung
des neunzehnten Jahrhunderts überhaupt nicht erwähnen, gehn
nur die für die oberste classe der höheren mädchenschuleu und
die drei weiblichen fortbildungsschulclassen ab. mit recht fordert
Sp. die Übertragung dieses fortschritts auf die knabenschuleu.
Voraussetzung ist nach seiner ansieht eine Vermehrung der Unter-
richtsstunden, das ist ein sehr bedenklicher Vorschlag, zwar will
Sp. die stunden die er im deutschen unterriclit braucht, anderen
fächern entziehen, aber die erfahrung beweist, dass difs auf die
dauer kaum möglich ist. die zurückgesetzten fächer fordern
nach einiger zeit, wenn die resultate zurückgehn. ihr recht wider,
und das ende vom liede ist eiue mehrbelastung des schülers. der
hier und da bereits HC Unterrichtsstunden zu tragen hat. \\(>niit
die maxinialgrenze erreicht sein dürfte, sodani: aber findet »ich
auch die nötige zeit, wenn ni;in nur von der unleidlichen ge-
wohnheit abläset, noch in prima den grösten teil der stunden mit
der rückgabe von aufputzen und der eriirterung von interpunctions-
regeln totzuschlagen, wenigstens scheinen mir die vier Unter-
richtsstunden, die in der oberrealschule dem deutschen zufallen,
vollkommen ausreichend: das gymnasium braucht also nur eine
stunde zuzulegen, sodann aber habt ich sein günstige erfah-
rungen mit einem iitterarischen i irkel' gemacht, der an unstrei
anstalt seit 1!UIS besteht, i^m gehören sohnler voi. obersecundii
bis Oberprima zeitweilig 2!» an, die sicli all» vierzehn tagt-
versammeln, um sich diei stunden hing mit neuerer und neuest«!
92 rJEMANN ÜB KR SPRENGEL
litteratur zu beschäftigen, der Vorsitzende, meist ein Oberpri-
maner, wird alljährlich gewählt; ich bin nur mitglied und melde
mich zum wort, wenn ich mich an der debatte beteiligen will,
seit vier jähren gibt der verein auch eine hektographierte zeitun^
heraus, die monatlich erscheint und bisweilen auf einen stattlichen
umfang anschwillt, so fehlte zur Kleistfeier usw. auch die zuge-
hörige Kleistnummer nicht, die freudigkeit die über den be-
schäftigungen einer solchen Vereinigung ligt, kann meines er-
achtens in regelmäfsigen Unterrichtsstunden überhaupt nicht erzielt
werden.
Grundlinien aber müssen dort gezogen werden; darin hat
Sp. sicherlich recht, er empfiehlt für die mittelstufe erzählungen
Storms, Schmitthenners, Ernst Zahns, Wilhelm Specks, Gottfried
Kellers, Mürikes, Levin Schückings, Chamissos und Fouques,
aufserdem historische erzählungen Riehls, Hauffs, Kleists, Raabes
und Stifters — die zweite reihe gefällt mir sehr viel besser als
die erste, in der sich sachen zweiter gute befinden, auch scheint
es mir zu genügen, wenn man zwei oder drei solche werke im
Unterricht lesen lässt, also zwölf stunden darauf verwendet, und
für die übrigen auf die oft viel zu wenig benutzte schüler-
bibliothek verweist, natürlich darf sie nicht gerade vor den
grofsen ferien gesperrt werden, was schadet es schliefslich, wenn
der ersatz eines in der Sommerfrische verloren gegangenen buches
auf Schwierigkeiten stöfst ? jeder lehrer sollte vierzehn tage vöi*
den ferien eine deutsche stunde auf die erläuterung des katalogs
der Schülerbibliothek verwenden, es ist keine verlorene stunde,'
sondern kann die wichtigste des jahres sein.
Auf der Oberstufe will Sp. 'hauptwerke der neueren litte-
ratur an geeigneten stellen einschieben, am besten wol durch
Stoffgruppen und in entwicklungslinien'. so geht er von der
•^ilinna von Barnhelm' zu den 'Journalisten' und zum 'Biberpelz',
den 'Oberhof' behandelt er aber nicht im anschluss an die mittel-
hochdeutsche dorfpoesie, sondern sieht darin merkwürdigerweise
'eine moderne fortsetzung der alten epischen Sagendichtung', den
'Ahnen' weist er eine zu geringe Stellung im unterrichte zu. ich
ziehe sie sehr häufig heran, auch in der geschichte, und finde'
immer gegenliebe. die bedeutendsten realistischen lyriker sind
nach Sp.: Hebbel, Keller, Meyer, Storm, Liliencron, Uhland,
Heine, Freiligrath. neben die drei letzten gehören meiner an--
sieht nach aber noch Lenau, Leuthold, Herwegh und Anastasius
Grün, dass Sp. nicht nur die dramatiker Hebbel und Ludwig,
sondern auch Ibsen für unentbehrlich hält, hat durchaus meinen
beifall, aber seine bekanntschaft wird nicht erst vom lehrer ver-
mittelt, sondern die primaner haben ihn stets schon gelesen, wenn
man ihn nennt, man kann vortrage über einzelne draraen halten
lassen und berichtigend eingreifen, damit kommt man nach
meiner erfahrung weiter, als mit der ausführlichen 'einleitung
DIE NEUERE DEUTSCH K DICHTUNO IN DKlt SCHTM: [)'.',
die Sp. empfiehlt, die oft allerdings von der rivalität dictierte
aufmerksamkeit ist besonders scharf, wenn ein mitscliüler auf dem
katheder steht, die nachfolgende kritik zeigt aulserdem oft. wit-
viel gelesen wird ohne dass wir es ahnen, iibeihaujjt scheint
mir, dass Sp. viel zu sehr vom lehnn- ausgeht, und ihn vieles
erst schaffen lassen will was schon beim schüier vorhanden ist.
gerade auf diesem gebiet liandelt es sich mehr um die pHege von
keimen als um frische saat. öp.'g liebe zu "Weh dem, der lügt'
und 'Zwischen Himmel und Erde' teil ich durchaus, verstell aber
nicht, warum er den 'Tasso' . zu hoch findet, man muss ihn
natürlich von Weimar aus interpretieren, eine viel zu geringe
l'olle spielt 'Soll und Haben', man kann es leicht dahin bringen,
dass sich jeder Unterprimaner schämt, der dieses werk noch nicht
gelesen hat. erfreut bin ich darüber, dass auch Sp. den gemein-
samen theaterbesuch mit den schülern empfiehlt, es ist meist
ein Opfer — der preis bestimmt den platz, man sitzt also nicht
im parkett — , aber es kommt viel dabei heraus, am besten
scheint es mir, wenn man in die stücke geht, die man vorher
mit der classe gelesen hat. die schüier sind dann unei-schüpflich
im fragen, bemerken vor allem jede gestrichene stelle.
2. Besteht Sprengeis verdienst darin, die besprechung der vvicli-
tigsten fragen wider einmal angeregt zu haben, so gibt Hein-
rich Deckelmann alles wünschenswerte gleich selbst in einem
werke, das schon nach kurzer zeit die zweite aufläge erlebt hat.
auch er schickt theoretische erörterungen voraus, er wünscht eine
verständige leitung der ptiichtgemäfsen hauslectüre durch vorher-
gehnde hinweise auf das was beim lesen zu beachten ist. nutzbar-
machung der nicht-pflichtmäfsigen lectüre in freigesprochenen
berichten und sehr weitgehude bewegungsfreiheit auf dem gebiete
des aufsatzes. den litterarischen schülervereinen steht er nicht
freundlich gegenüber; höher schätzt er eigentliche schulveran-
staltungen, litterarische abende, declamatorien und deutsche son-
dercurse ein, im lehrverfahren wünscht er die einhaltung von
drei stufen: das kunstwerk an sich, als persönliche schöpfang
des künstlers, als glied einer litterarischen bewegung. das
material für die zweite und dritte stufe, biographische und
litterarhistorische tatsachen, gibt er in seinem buche, dabei hat
er durchweg die richtigen quellen benutzt; es ist ihm kaum
etwas wichtiges entgangen, einen besonderen reiz geben seinem
werke die immer wider eingestreuten berichte über persönliche
Unterrichtserfahrungen.
Als ganzes bilden diese -zahlreichen analysen, problemerörte-
rungen, themensammlungen eines der bücher, von deren dasein der
nichtlehrer gewöhnlich mit grofsem erstaunen kenntnis nimmt,
der gelehrte wird sich frcutn, dass seine forschung-^ergebnisse in
dieser weise Verwendung finden, der eigentliciie hiie pflegt zu fragen,
ob denn nicht jeder lehrer imstande sei, dichtungen zu analysieren
9 4 KXEMANN OBER DECKELMANN
und die wissenschaftliche iitteratur zu Unterrichtszwecken auszu-
beuten, es sollte wol so sein, aber es ist leider nicht so. der ideale
lehrer, der nicht nur studiert hat, sondern noch studiert, der fach-
zeitungen list und die lebende Iitteratur mit unermüdlicher teil-
nähme verfolgt — dieser seltene mann wird Deckelraanns buch
allerdings nur lesen, um sich daraus einige auregungen zu holen
es wird eine ausnähme sein, dass er sich nur damit auf eine
bestimmte stunde vorbereitet ganz anders aber ligt die sache
für theologen, historiker, geographen usw., die 'nebenher' deutschen
Unterricht erteilen, solche leute muss es geben, da sonst jede
schule neun germanisten oder jeder germanist vier bis sechs
deutsche correcturen hätte, die ihn übrigens so weit beschäftigen
würden, dass er sich auch nicht mehr ordentlich vorbereiten
könnte, für alle die deutschen Unterricht erteilen, aber nicht
germanisten sind, ist Deckelmanns buch unentbehrlich, hier
können sie sich in einer stunde über romantik, jungdeutsche be-
wegung oder naturalismus so weit unterrichten, dass sie mit
gutem gewissen vor die classe treten können.
Natürlich ist Deckelmanns buch kein für alle ewigkeit gül-
tiger kanon. er selbst hat bereits in der zweiten aufläge ge-
ändert, hat namentlich den Jungdeutschen mehr räum gegönnt,
seine besondere Vorliebe gilt Hebbel und der heimatkunst. er
verehrt Rosegger in einem mir unbegreiflichen grade, meint sogar,
er habe als naturschilderer 'nicht seinesgleichen in der ganzen
weltlitteratur'. er zieht Hebbels, nach meinen erfahrungen für
primaner gänzlich unverständliche, theoretische äufserungen über
die tragödie heran, das viele gute was er darüber beibringt,
beweist mir nur, dass Deckelmann Hebbel verstanden hat, nicht
aber, dass seine primaner es tun. ich würde hier einen ganz
anderen weg einschlagen: den über Ibsen zu Hebbel, den von
der behandlung des eheproblems im gesellschaftsdrama zu der in
mythologischer Verhüllung, ein ausdruck Hebbels wie 'das sich-
selbst-aufhebungs-moment' ist uns leicht fassbar, weil wir Hegel
kennen, dem schüler aber müssen wir diesen erst vermitteln, eine
aufgäbe, die ich schon einmal gelöst zu haben glaubte, bis mich
der versuch einer widerholung nach längerer pause vom gegen-
teil überzeugte, es wird meist nur möglich sein, einen Philo-
sophen würklich zu behandeln, das erste recht darauf hat Kant
um Schillers willen oder Schelling, ohne den man beim 'Faust'
nicht auskommt, dagegen Fichte, Hegel, Schopenhauer — alles
sehr reizvoll, aber würklich 'durchgenommen' hat man nur das
worüber auch ein weniger begabter schüler fortan frei vor der
classe sprechen kann, diese probe aufs exempel fällt sicher
negativ aus, wenn man vier oder fünf philosophen auf ober
prima behandelt, schaltet man aber Hegel und Schopenhauer
aus, dann ist damit der weg zu Hebbels theorieen einfach
gesperrt.
J)I1<; LITTEKATUR DKS 1!> .IH.,S IM DKirrSCil KN (INTIi; Kl. II r 95
Unglücklich finde ich auch dir durch Klee rtiiis^ebürgerte
bezeichnnng 'poetischer realisnnis'. poetisch ist vermutlich &\W.
poesie. der g-egensatz zu "crass" ist -inalsvoir. so hätte ich im
einzelnen noch mancherlei zu erinnern, aber das kann die treude
an der Gesamtleistung: die in Deckelmaiuis buche vorligt, nicht
trüben, hier sind in geradezu vorbildlicher weise die ergebnisBC
der Wissenschaft in eine form gebracht, die es zunächst dem
lehrer, durch ihn dem schüler leicht macht, den zugang zu den
gewaltigen schätzen der deutschen litteratur des tieurizehnten
Jahrhunderts zu finden.
Leipzig (z. Z. im Felde). K.»l. Rii-mann
LITTERATURNOTIZEN.
Rom und Deutschland vor I!)00 jähren, weshalb bar
das Römische reich auf die eroberuug Germaniens verzichtet?
festvortrag am Winckelmannstag I !» I (> gehalten von Knii! Sud^«'
[sa. aus den Bonner Jahrbüchern bd 124|. Bonn, A. .Alarcus u
E. Weber 1917. 10 ss. gr. 8". 0,HU m. - Die frage welch-'
diese festrede aufwirft und in gehaltreichen erörterungen und
eindrucksvoller spräche beantwortet, ist keineswegs müf8it,r
am 1 6 mai des jahres 1 7 n. Chr. hat mit greisem gepränge
Orermanicus seinen triumph über alle rechtsrheinisihen (-icrmanen
bis zur Elbe gefeiert und doch wusto er seli)St am besten,
'dass die ganze feier ein blendwerk war', und dni- kaiserlich»*
adoptivvater Tiberius. als ein in germanischen dingen besonders
erfahrener general, sah ebenso klar und beurtt-ilte die aussiebten
eines neuen feldzugs gewis weit skeptischer, dass er von diesem
zeitpunct ab auf eroberungspläne in (Termanien verzichtete, er-
klärt S. einmal aus der dynastischen politik des ersten Claadiers.
der jeden miserfolg zu vermeiden bestrebt war. dann aber aus
den Innern zuständen iJoras, welche die Spannkraft zu grofsen
Unternehmungen lähmten, zumal zu solchen deren erfolg auch im
besten falle dem riimischen reiche keine neuen reicht iiiner oder
hilfsquellen zugeführt hätte, eine Stimmung eiiiHussreicher kreise
die dem kaiser entgegentreten oder ihn gar mit fortreifsen
konnte, hat es in Rom nicht gegeben: 'die fiut des imperialismus
ist abgeebbt, nicht infolge einer persönlichen Willenshandlung des
herschers. sondern nach überpersönliclien gesetzen. nacli langer
tragischer historischer entwicklung des ganzen volksoriranismus
auch daraus zieht Tiberius die folgerungen".
Das 'üermanen-epigramm' des Krinaijoras von Lesbos. welches
S. s. 15 anm. .'» (vgl. s. 2 anmi auf das jähr 15 nach Chr. bezieht,
wird neuerdings von Norden, unter ablehnung der von Sad«5e
wie von Mommsen übernommenen r.tnjectui' H »finin F'-erlkamp^
96 LITTERATUENOTIZEN
'l'r^rov ("cnavj ^(fifj st. ä/rtivra ^rir], auf die niederlage ge-
deutet, welche M. Lollius im jähre 16 vor Chr. durch die über
den Ehein nach Gallien eing-edrungenen Sugambern erlitt (BSB
1!)17 s. 668 ff). ' E. S.
P. Cornelii Taciti de Germania erklärt von
Alfred Gudemjiiin. mit einer karte [Sammlung griechischer und
lateinischer schriftsteiler mit deutschen anmerkungen begründet
von M, Haupt und H. Sauppe]. Berlin, Weidmann 1916. vu u.
272 SS. 8 0. 3 m.- — An die stelle einer 3 aufläge der Schul-
ausgabe von Zernial hat G. etwas eigenes und neues gesetzt:
nach Inhalt und zweck, umfang und niveau. dem text legt er
die 5 aufl. von Halm-Andresen zu gründe, von der er an 63
stellen abweicht; hierüber wie über etwa 20 stellen für die er
besserungsvorschläge macht, berichtet eingehend der kritische
anhang. ich habe nicht den eindruck dass wir hier irgendeinen
sichern gewinn zu verzeichnen hätten, und werde darin bestärkt
durch die eingehnde und gehaltvolle recension von Wissowa GGA
1916 nr 11, bes. s. 666 ff. von vielcitierten stellen heb ich hier
hervor: 2, 17 nujjer aiidituni (EWollf) st. mq)er additwn; 9, 2
wo G. [Herculem et\ Martern mit Ritter streichen will; 10, 4
consulatur (Rhenanus) st. consultetur (Haase); 22, 2 loci st. ioci;
23, 5 [si . . . rincentur] gestrichen; 25, 11 liberti st. Zi&eri ;
36, 6 fractl ruina Cheruscorum et Fosi st. tracti (tacti d. Über-
lieferung) ; 38, 9 horrentes capilli retro sequuntur . . religantur
^t. hör r entern capillum r. s. . . . religant. besonders bei 9, 2
muss ich gegen die Streichung und die art wie sie s. 32 n. 4.
89i:241 begründet wird, lebhaft protestieren: G. macht hier
nicht den notwendigen unterschied zwischen der interpretatio
romana 'Thonar —>- Hercules' und der interpretatio barbara
'Jupiter — > Thonar', der jedem klar und verständlich ist der
die germanische götterlehre kennt, es ist dies übrigens einer
der wenigen fälle, wo sich G. nicht enthalten kann das ihm
fremde gebiet der deutschen altertümer zu betreten ; im übrigen
besteht die eigenart und der wert seines commentars gerade
darin, dass er den römischen Schriftsteller als solchen und
nicht (wie die meisten erklärer) als das quellenbuch der deut-
schen altertumskunde interpretiert, wobei ihm aufser eigenen
Studien und Sammlungen das raaterial des Thesaurus linguae la-
tinae zur Verfügung steht, wieweit man darüber hinauskommen
kann, indem man einmal den Tacitus als nachahmer Seuecas noch
schärfer stilistisch erfasst und zum andern sein werk als bestand-
teil der reichen z. gr. teil verlorenen ethnographischen litteratur
der antike beurteilt, das hat Wissowa aao. s. 675 ff. 656ff an-
regend und vielversprechend ausgeführt, ebenda auch die Skepsis,
mit der G. in der einleitung der benutzung mehrfacher quellen
gegenübersteht (er bestreitet sogar dass T. aus Caesar und aus
Plinius Hist. nat. geschöpft habe), auf das richtige mafs einge-
LITTKKArURNOnZKN M7
schränkt, sehr hässlich wirkt es, wenn der lieransgebei- die <i{(en-
namen bei ihrem ersten vorkommen im text mit quantitäts/eichen
versieht, wobei denn tür den germanisten wortbilder wie ('hätli,
Tenderi und gar Suebi eine äugen- und seelenqual sind, auf
der beigegebenen kaite erscheinen die Ximetes iG. Nniietes') als
Nemores. durch kürzuug des ausdrucl<8, der oft umständlich und
weitschweitig ist, hätte sich leicht der räum für litteraturnacli-
weise gewinnen lassen, die man in dieser - nicht mehr Mir
Schüler bestimmten! — ausgäbe schmerzlich vermisst. K. S.
Die briefe des heiligen Bonifatius und LuUus.
herausgegeben von 3Iichael Taiierl. mit :< tafeln in lichtdruck
[=-- Epistolae selectae in usum scholarum ex Monunifntis Gcr-
maniae historicis separatim editae. tomus I]. Berlin, Weidmann
1916. XL u. 321 SS. 8 0. 6 m. — Der heilige fJonifatins hat
es in dem abgelaufenen menschenalter vor andern heiligen gut
gehabt: nachdem Albert Hauck im i bände seiner Kirchen-
geschichte (zuerst ISS") meisterhaft seine person und würksam-
keit geschildert und seine historische bedeutung fest umrissen
hatte, lieferte Wilhelm Levison eine mustergiltige edition seiner
alten lebensbeschreibungen (Vitae S. Bonifatii 1905), und nun
erhalten wir, genau 5(i jähre nach der ersten kritischen aus-
gäbe Jaffes, durch Michael Tangl, als krönung seiner nach mehr
als einer richtung ergebnisreichen Bonifatius-studieu, eine neu-
bearbeitung des briefwechsels, die alle wünsche befriedigt, welche
.Taöe (1866) und Dünimler 'lS92j übrig gelassen oder die
forschung seitdem neu geweckt hatte, nur fjeilicii sah sich T.
gezwungen, um der einheitlichkeit der citierung willen die brief-
folge der Dümmlerschen Mouumentenausgabe beizubehalten, von
der seine eigene fixierung, wie die tabelle auf s. xxxvii f zeigt,
vielfach abweicht, vorarbeiten des herausgebers findet man im
NArchiv 40, 641 ff. 41, 25 ff.
Die Überlieferung des briefbestandes den wir kurzweg als
die Bonifatiusbriefe bezeichnen, ruht durchaus auf drei alten h.ss..
die in München (l), Karlsruhe (2) und Wien (3i erhalten sind;
auf 1 und 2 geht die gesamte secundär-übeilieferung zurück, in
welcher als litterarisch bedeutsam die Bonifazstudien des Otlob
und deren Verwertung in seiner biographie des heiligen hervor-
treten, die drei alten hss. stammen sämtlich aus Mainz und
werden von T. älter taxiert als von Jaffe, insbesondere 1, das
T. s. VI aus paläographischen gründen 'dem ausgang des S oder
allerspätestens dem anfang des 9 jh.s" zuweisen möchte, vom
sprachlichen standpunct aus dürfte sich dagegen kaum ein t-in-
spruch erheben lassen; dagegtn bemerk ich. dass di«^ stücke
welche 3 (um 850) aus altem quellenbestand hiuzuiügte. vielfach
die lautbezeichnung der originale treuer festgehalten haben : vgl.
das hr- in Hrahan 245, 26. HreJiiu 238, 17. Hrothuiii 276. 32.
278. 15; das hn-- in Hiali) 235. 8; a in l<<t(j,nthnßh •21'^, 24.
A. F. I>. A. XXXVIIl. '
98 UTTERATTJRNOTIZEN
^ in B^genolfus 23S, 9. als hauptquellen hatte Jaffe bereits
zwei alte bestände erkannt, die er als 'collectio minor' uud
'coUectio maior' unterschied, T. führt dafür die bezeichnungen
"collectio pontificia' und 'collectio communis' ein und entwickelt
die Vorgeschichte unserer Überlieferung (s. xiii — xxix) in einer
Untersuchung von vorbildlicher klarheit. sehr merkwürdig bleibt
es, dass sich in England, wo doch ein guter teil der adressaten
lebte, keinerlei Sammlung und nur dürftige spuren von eiuzel-
überlieferung erhalten haben (s. xxxij ; was wir von einer solchen
zu erwarten hätten, zeigt das beispiel von nr 73, wo sich nur
im Chronicon Eveshamense die vermissten bischofsnamen 7 und S
(Huidta et Leo f man e 147,1) der Überschrift erhalten haben, mit
ihnen zugleich die richtige ags. namensform des bischofs von
Büraburg, die in der deutschen Überlieferung 99, 5 Uuintanum
{uumtanuni 1) griJblich entstellt, 93, 1 Umfiane altsächsisch um-
geformt ist.
Für den germanisten besteht der hauptwert dieser briefe
des Bonifatius und derer die sich um ihn gruppieren in der
reichen fülle der Zeugnisse für die sittlichen und religiösen zu-
stände besonders des Innern Deutschland: sie werden hier d^rch
ein ausgezeichnetes wort- und Sachregister bequem zugänglich,
dem ich nur gern ein paar dutzend deutscher Stichwörter ein-
gefügt gesehen hätte. E. S.
Altdeutsche frauennamen von dr Karl Hessel.
Bonn, A. Marcus & E. Weber 1917. 40 ss. 8». 1 ra. — Das
gutgemeinte schriftchen, ein Sonderdruck aus der Zeitschrift Die
höheren mädchenschulen, geht von unklaren Vorstellungen über
die bildung der germanischen personennaraen aus und lässt die
notwendige kenntnis der alten spräche durchaus vermissen, eine
probe von s. 7 mag genügen, um unsern lesern zu zeigen, dass
sie es getrost ungelesen lassen dürfen, die naraen auf -hilef.
-prüff und -gunp werden auf die schicksalsgöttinnen oder
Schlachtjungfrauen zurückgeführt, welche die nordische götter-
lehre nornen nannte (!) : 'die Deutschen nannten sie Hilde, Trude,
Gunde . . . Hilde ist helida, ist heldin! . . . der name Trude
ist eines Stammes mit traut, trauen, treue, Gunde ... ist viel-
leicht aus einer wurzel mit gönnen, dessen Urbedeutung retten
ist.' sapienti sat. ' E. S.
Die römischen krönungseide der deutschen kaiser
von Heinrich Günter [Kleine texte für Vorlesungen und Übungen
herausgegeben von Hans Lietzmann 132]. Bonn, A. Marcus «!t
E. Weber 1915. '>{ ss. 8 o. 1,20 m. — Das ceremoniell der
kaiserkrönungen von Otto I bis Friedrich II ist in einer
auch für den germanisten lehrreichen weise von ADiemand
(München 1894) dargestellt worden; die dafür in betracht kom-
menden 'ordines' hat zuletzt EEichmann in der Zs. d. Savigny-
.stiftung 33, canonist. abt. II s. 1 — 43 behandelt; er unterscheidet
LITTKRATURNOTIZEN 9'.)
drei Perioden, von denen die erste bis Berengar (9 1 .') i reicht, die
zweite die zeit von Otto I bis Heinrich V nmspannt, die dritte
mit der neuordnung des krönungsritas für Otto IV (1200) be-
g^innend ohne wesentliclie änderung bis zur letztm krünuMK-
(Karls V 1530) geht, die eide sind bei diesen und altern arbeiten
in den hintergrund getreten; sie sind in modernen publicationt-n
(insbesondere den "Constitutiones" der Monumenta Germaniaej zu-
meist bequem zugänglich, und Günter hat sie in der hauptsache
für die zwecke historischer Übungen zusammengestellt. sein
büchlein reicht von 754 bis 1530. er hat sich aber nicht aut
die zusagen der krönungstage selbst beschränkt, sondern auch
'die Voraussetzungen, begleiterscheinungen, Übergänge' mit heran-
gezogen, wie sie in sehr verschiedener Zuverlässigkeit bei den
historikern überliefert sind, so taucht denn gelegentlich aucli
einmal ein deutscher text auf: 14f) Braunschweig. Reimchronik
6644 ff (für Otto IV) — hier ist in z. 31 vordegcdJiinge [: wiginge)
zu lesen. E. S.
Abriss der burgenkunde von dr phil. h. c. Otto IMpt-r.
3 verb. aufl., mit 33 abbildungen [= Sammlung Göschen Ill)|.
Berlin u. Leipzig, J. G. Göschen 1914. 126 ss. kl. S^. gebd,
1 m. — Neben der zu berechtigtem ansehen gelangten grofsen
Burgenkunde des Verfassers hat nun auch dieser kleine abriss
bereits die dritte aufläge erlebt und so das bedürfnis bestätigt,
dem er als erstes derartiges werkchen aufs beste abhilft, die
zahl der abbildungen (jetzt wider um 2 vermehrt) genügt frei-
lich nur bescheidenen ansprüchen, im übrigen ist das werkchen
bei seinem geringen umfang überaus inhaltreich, in 24 capiteln
wird alles was mit dem alten burgwesen in baulicher beziehung
steht, mit sicherer sachkunde behandelt und durch reichliche iiin-
weise belegt, eine schwierige frage bleibt immer die nomenclatur:
P. selbst weifs sehr wol, dass sie in alter zeit vieldeutig und
unbestimmt ist und dass die moderne technologische anwendung
mancher ausdrücke, wie auch herchfrit — so schreibt er mit
HLeo — , keineswegs immer dem alten brauch entspricht, aber
wenn er zb. s. 47 n. sich gegen die anwendung des wortes
donjon ereifert, das sich doch in ganz bestimmtem sinne schnn
recht gut eingebürgert hatte, so möcht ich die frage auf werfen,
warum denn das verlies — übrigens mit falscher Schreibung
rerliefs — unbedenklich eingeführt wird (s. 42), obwol der aus
druck doch erst aus den ritterromanen des ausgehenden is jh.s
Stammt, und warum anderseits ein so gutes altes wort wie
H-lghus (es lebt noch heute in der Ziegenhainer vorstadt MViVA-
Jtaus fort) ganz fehlt, ebenso wie das weitverbreitete :ingel; zum
mindesten durfte der verwünschte donjon im register nicht fehlen,
der germanist soll freilich das büchlein studieren, zum nach-
schlagen ist es nicht bestimmt. K. S.
1 00 1.ITTERATURN0TIZKN
Württembergische geschichte von dr Karl Weller,
Professor am Karlsgymnasium zu Stuttgart. 2 neubearb. aufl.
[Sammlung Goeschen 462 1. Berlin u. Leipzig, G. J. Goeschen
1916. 182 SS. kl. 8*^. gebd. Im. — Das büchlein ist ebenso
knapp wie reichhaltig, insbesondere sind die drei ersten capitel,
welche die vordeutsche zeit, die zeit der freien Alemannen und
das alemannische gebiet als teil des Frankenreiches behandeln,
muster einer präcisen darstellung; aber auch darüber hinaus in
der schwäbischen und weiterhin, vom 6 capitel ab, in der eigent-
lich württembergischen geschichte ist der Verfasser, den wir vor
allem als ausgezeichneten kenner der südwestdeutschen siedlungs-
geschichte schätzen, durchweg ein zuverlässiger führer, der die
Stoffwahl und den ausdruck gleichmäfsig meistert, das fehlen
jeglicher kartenbeigabe fällt auf; namentlich bei der darstellung
der geschichte des limes s. 11 — 13 vermisst man zum mindesten
eine skizze im text. E. S.
Verzeichnis hessischer weistümer unter
Mitwirkung von dr Georg Fink bearbeitet von Wilhelm Müller
[Arbeiten der Historischen kommission für das grofsherzogtum
Hessen]. Darmstadt, verlag d. Hist. vei-. f. d. grofsherzogtum
Hessen 1916. iv u. 96 ss. — Nach dem muster anderer land-
schaften, insbesondere der Rheinlande, hat man der geplanten
ausgäbe von weistümern der grofsherzoglich hessischen provinzen
Starkenburg, Oberhessen und Rheinhessen zunächst ein Ver-
zeichnis des gesamten, nur erst zum kleinsten teil gedruckten
Stoffes vorausgesandt, zugleich als handwerkszeug und als Werbe-
schrift, trotz dem fruchtbaren fleifs der auf das vorliegende heft
verwendet worden ist, darf es nicht als litterarische leistung
gewertet werden : das ligt vor allem an der Unsicherheit des be-
griffs 'weistum', der im laufe der zeit immer dehnbarer geworden
ist. es stand dem weistümer-ausschuss in Darmstadt oder Giefsen
natürlich frei, dafür eine neue definition zu wählen, die auch
grenzbeschreibungen, eidesformeln usw. einschloss, nur wäre es
gut gewesen, dass der bearbeiter des 'Verzeichnisses' darüber
rechtzeitig aufgeklärt und instruiert wurde, es ist gewis nur
erwünscht, dass Urkunden des öffentlichen rechts in grofser zahl
mit aufgenommen worden sind, und anderseits könnte es der verf.
leicht rechtfertigen, dass er auch bei weitgespanntem rahmen 'von
der systematischen Verzeichnung der hessischen stadtrechtsquellen"
abgesehen habe, leider ist dies aber erst *im lauf der arbeit'
geschehen, die nunmehr den Stempel der ungleichmäfsigkeit trägt:
während auf Worms, das mancher kaum hier vermuten dürfte,
sechs volle selten des engsten druckes fallen (87 — 93) und hier
zb. alle die Stellung des bischofs zur Stadt betreffenden Urkunden
verzeichnet sind, tritt bei Friedberg (s. 40) beschränkung auf
die weistümer (und eidesformeln) ein und bleibt das schwierige
Verhältnis von Stadt und bürg unberührt. E. S.
LITTKRATÜRHrOTIZKN 1 O I
Germanisms in enfj^lish speeoli: "^od'« aore', by »''»Ihi
Albreclit Walz [sa. aus Anniversary papers by <;<)lle;iges an«!
pupils of George Lyman Kittredf^e p. 217 — 22(i! Hoston, (iinn
& CO. 1913. — God's ucit' hebt sich aus dem enj^lischen Wort-
schatz schon darum als fremd heraus, weil acic hier sonst nur
im sinn eines ackermafses erscheint, tatsächlich ist es der ge-
hobenen und besonders der poetischen spräche «ler Engländer
und Amerikaner erst einverleibt worden durch ein gedieht von
Longfellow, der es selbst als 'ancient saxoii phrasf' einführt,
als deutsches wort freilich war es in England seit mindestens
1 f)05. wie W. nachweist, bekannt — als bestaridteil der eng-
lischen spräche wird es zuerst 1884 registriert, amüsant ist
die aufreihung der anfragen und antworten, die die Notes and
Queries von 1851 bis 1880 über den eindringling gebracht
haben, in Deutschland ist das wort 1544 durch Luther als
•von alters' überkommen bezeugt: belege aus dem 15jh. kann
das DWb. reichlich bieten, vgl. vorläufig für l^öhmen un<l
Sfähren Jeliuek s. 328. K. S.
Kinil Olsoti, Studier över pronomenet dfu i nys-
venskan. Lunds universitets arsskrift. n. f. afd. 1. bd. 9.
nr 3. Lund, C. W. K. Gleerup. Leipzig, Otto Harassowitz.
viu, 118 s. 8 0. 2 kr. — Der Verfasser bietet hier in etwas
erweiterter und für zusammenhängende lectüre geeigneterer form
im wesentlichen dasselbe was auch der von ihm ausgearbeitete
artikel den in Svenska Akademiens Ordbok enthält, die ver-
scliiednen gebrauchsweisen des jtronomens werden mit reichlichen
neuschwed. beispielen belegt, denen sich dann hinweise auf die
Verhältnisse im aschw. und in den verwanten sprachen an-
schliefsen. die Verwendung des behandelten demonstrativpronomens
in deiktischem, anaphorischem und determinativem sinn»» ist dem
schwed. mit den andern germ. sprachen gemeinsam; aber nicht
alle einzelnen dazugehörigen gebrauchsweisen sind alt ererbt
oder selbständig entwickelt: wenn zb. der genitiv d,'ss im altern
neuschw. vielfach in der bedeutung "deshalb" auftritt, so wird
das mit recht als nachbildung der entsprechenden deutschen In-
struction aufgefal'st (s, 25 f.). dasselbe möchte man gern an-
nehmen, wenn man den w»', das sonst relativsätze einleitet, in
der bedeutung 'wenn einer" antiifft (s. 5lff.i.
Aus dem rahmen der gemein-germ. verwendnngsweisen
heraus tritt dann der gebrauch von d,;, als persi-nliches pro-
nomen (cap. 2). sein sing, neutr. und sein plor. sind schon
gemeinnord. für das fehlende 'es" und 'sie' eingetreten, erst im
neuschw. aber, das in der nominaltlexion den formalen unter-
schied von masc. und fem. verwischt hat. ist vielleicht nicht
ohne einfloss des dänischen, wo die gleiche entwicklung sich
s-hon früher vollzogen hatte, dcu als personalpronomen zur be-
zciohnung von sachen nicht neutralen geschlechts ;iutVekomm.'n,
102 ■LITTKEATÜKJS'CPriZKN
während die in der älteren spräche so verwendeten hau hon
auf personenbezeichmingen beschränkt wurden. , auch als 'for-
melles subject oder object' (dei faller miy nagot in) und in
späterer Sprachentwicklung: auch als subject und object unper-
sönlicher verben tritt natürlich das neutr. von den auf. seit
dem jüngeren aschw. erscheinen auch den sowie den som und
den dar als relativpronomina (cap. 3). beispiele in denen das
pronomen als nachg-estelltes demonstrativum sich durch seine
form noch als dem hauptsatz zugehörig- erweist, zeigen, dass sich
hier in später zeit nochmals eine entsprechende entwicklung-
vollzogen hat, wie sie in anderen gerni. sprachen früher vor sich
gegangen ist: dass nämlich ein dem hauptsatz angehöriges de-
monstrativum allmählich in den ursprünglich einleitungsloseu
oder von einer relativpartikel eröffneten relativsatz hinübei-
gezogen worden ist. dass auf die endgültige ausbildung der
construction die deutschen relativa nicht ohne einfluss gewesen
sind, wird gewis mit recht angenommen, einwirkung ent-
sprechender deutscher constructionen ist auch zu verzeichnen bei
dem 'unbestimmten pronomen' den, bei der Verwendung von den
als vorangestelltem artikel und seinem gebrauch als anredeform.
Marburg in Hessen. Wolf von llnwerth.
Hans Wolfgang Pollak, Proben schwedischer spräche
und mundart i. nr xxii der Berichte der phonogramm-archivs-
kommission der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien.
[= Sitzungsber. d. k. ak. d. wiss., philos.-hist. cl., 170. band,
2. abhandlung.] Wien, A. Holder. 1913. 77 ss. 8 0. 1,60 m.
— Die Schrift enthält eine ganze reihe von texten in schwed.
dialect oder schwed. Schriftsprache (riks.sprdkj, von denen das
phonogrammarchiv der Wiener akademie die platten besitzt, die
aufzeichnungen sind von schwed. Sprechern oder beobachtern vor-
genommen worden, den schwieriger verständlichen texten ist
eine Übersetzung in normale schwed. Schriftsprache, allen eine
deutsche Übertragung beigefügt, die mundartlichen stücke —
auch Estland und Gotland sind vertreten — kommen phonetisch
zu sehr eingehnder darstellung, soweit in ihnen das Lundellsche
landsmälsalphabet angewendet ist; dialectkenner wie JALundell,
ANoreen, GDanell sind bei den aufzeichnnngen tätig gewesen.
zu einem würklichen Verständnis der schwierigen lautschrift
wird freilich der deutsche benutzer kaum durch die kurze
schematische Zeichenerklärung auf s. 4 ff., sondern erst durch heran-
ziehung der dazu citierten litteratur gelangen.
Auch für die Schriftsprache geben einzelne mit hilfe des-
selben alphabetes hergestellte texte genaue abbilder der land-
schaftlichen sonderformen, charakteristische unterschiede der
Schriftsprache des mittleren Schwedens — speciell der stockhul-
mischen mit ihren eigenen besonderheiten — , gegenüber der-
jenigen der südlicheren landschaften kommen in den von Hesselman
LIITEKATUKNOTIZEN lOi',
und Limdell aufgezeichneten «tütkeri iv und xm /um ausdruck.
einige weitere texte, in denen das bezeiclinnngssystem von Lyttken«
und Wulff angewendet ist fxvi, xx), veranschaulichen durch di.-
bezeichnung der tonstärke gleichzeitig (vgl. s. 7) die beiden
accentuierungssystenie, nach denen das schwed. wortmaterial sich
scheidet (vgl. dazu Axel Kock Die alt- und neUHchwedi8(;hi-
accentuierung, Q.-F. 87, sowie jetzt den lelincichen Vortrag Ernst
A. Meyers auf der Marburger philologenversanimlung). eine dritte
gruppe endlich verzichtet auf genauere phonetische darstfliung und
hält sich an die normale Orthographie, wobei für den ausländer
zu beachten ist, dass die einzelnen buchstaben ihren üblichen
schwed. lautwert haben.
Marburg in Hessen. W„lf von l nMerlh.
Die Hirtenbriefe Aelfrics in altenglischer und hit.i-
nischer fassung herausgeben und mit Übersetzung und einleitunti
versehen von Bernhard Felir |= Bibliothek der angelsäclisischen
prosa begründet von Ch.W.M. Grein, fortgesetzt von K.P. Wülker,
herausgegeben von Hans Hecht, ix band]. Hamburg, Henri
Grand 1914. cxxvi u. 2(59 ss. 8". 20 m. Unsere kenntnis
wie unser urteil über Aelfrics kirchliche und litterarisclie würk-
samkeit beruht bis heute in der hauptsache auf der grundlegen-
den arbeit von Dietrich in Niedners Zs. f. die liist. theologie
bd. 25. 26 (1855/56), von der miss Carolina Louisa Wliite unter
dem irreführenden titel 'Aelfric. a new [V] study of his life and
writings' 1898 (in den Yale studies in english II) lediglicli einen
brauchbaren auszug mit bibliographischen nachtragen gegeben hat.
die biographischen und litterarischen daten haben MFöi-ster und
neuerdings EBrotanek in wichtigen puncten gekläit, die bedeu-
tendste förderung aber bringt in text und einleitung das werk
von Fehr, das ich nicht ansteh für eine der tüchtigsten leistungen
der angelsächsischen philologie zu erklären, nicht unwert, wenn
auch in einigem abstand, neben Felix TJebernianns (ii-setzen dei-
Angelsachsen genannt zu werden, die kircheniechtliche eigenart
wie die Überlieferung von Aelfrics Hirtenbriefen legten es dem
herausgeber nahe, sich Liebermanns arbeit zum muster zu neh-
men, und dies vorbild bekundet sich auch in der äufseren ein-
richtung der edition wie in dei- beigäbe einer Übersetzung, auf
die Fehr sichtliche mühe verwendet und durcli die er *u\i die
besondere dankbarkeit der kirchcnhistoriker gesichert hat
Es handelt sich im ganzen um seclis stücke (8. 1-227):
drei lateinische briefe (2. 3. 2a), die sämtlich an bischnf Wulfstan
(i) II von Worcester 0003 — 1016), erzbischof von York i KKKi
— 1023) gerichtet sind, und drei in dtr landessprache. von
denen der früheste (!) (F. setzt ihn s. xxxviiif ins jähr lOOI)
den bischof Wulfsi;e iii von Sherborne (992— t(Hi2). die beiden
andern (II. III) wider den Wulfstan zum adressaten haben, der
brief 2a wurde dem lierausgebei erst unter dem tlrucke durch
1 U4 MTrKItATUKNO lIZIsN
RBrotanek zugänglich — er war ganz unbekannt, die lateiu.
briefe 2. 3 lagen bisher nur in älteren ung'enügenden drucken
vor. auf die aug-elsächsischen briefe allein beschränkte sich die
ausgäbe von BThorpe in den Monumenta ecclesiastica von 1841:
Tli gieng' zwar gegenüber älteren ausgaben durchweg auf hand-
scliriften zurück, aber sein raaterial war für 1 nur dürftig, II gab
er uach einer Jüngern fassung (D, worüber Fehr s. lxv — Lxxvn)
und von III druckte er nur ein kleines bruclistück ab. so stellt die
ausgäbe F.s schon stofflich eine bereicherung der alteuglischen
litteratur dai;. und diese wird auf grund eines reichen hssmaterials
in solidei- kritischer bearbeitung geboten und ist von ei-gebnis-
reichen Studien über die Chronologie und die quellen begleitet,
nun wird freilich auch durch die sorgfältige textbehandlung der
litterarisclie wert dieser hirteubriefe nicht erhöht, und die fest-
stellung der quellen ergibt eine conipilatorische arbeit, die das
bild von Aelfrics schriftstellerischer persönlichkeit eher herab-
drückt; aber dai-um ist die jahrelange mühe welche F. auf die
herrichtung und Würdigung dieser texte verwendet hat, nicht
minder dankenswert, seine gewissenhafte arbeitsweise bewährt
sich auch noch in den anhängen, die unter I — V kleinere litur-
gische und katechetische stücke, unter VI die interpunction der
ae. briefe, unter VII eine concordanz mit Thorpes ausgäbe (folio
und quarto). unter VIII schliefslich nachtrage und Verbesserungen
zum text und zum apparat bringen, dieser 'apparat' ist wie bei
Liebermann ein sehr complicierter, denn er hat es in besondern
rubriken aufser mit den textvarianten mit glossen, (der concordanz)
und dcTi quellen zu tun. E. S.
Morte Arthure mit einleitung, aninei-kungen und glossar
herausgegeben von Erik Björkman. |Alt- und mittelenglische
texte hrsg. von L. Morsbach und F. Holthausen 9.] Heidelberg,
Winter 1915. XXVIT u 263 ss. S". 4 m. — Mein Interesse
an der Morte d' Arthure rührt aus der zeit her, wo uns
ten Brink in seiner unvergesslich fesselnden art mit dem dichter
Huchown bekannt machte und verriet, wie er sich das Verhältnis
von dessen verlorener 'gret gest of Arthur^' zu dem erhalteneu werke
vorstellte, ich habe daher, wie ich in erinnerung an jene köst-
liche lernzeit noch immer von zeit zu zeit einen mittelenglischen
text zur band nehme, die ausgäbe Björkmans mit Interesse be-
grüfst, möchte aber namentlich deshalb hier über sie berichten,
weil sie mir in mehr als einei' hinsieht typisch scheint für den
zustand der englischen philologie und ich darin eine bedenkliche
Stagnation der editionstechnik erblicke, die sich ihrer pflichten
gegenübe]- den alten autoren und gegenüber der litteratur-
geschichte noch immer nicht bewust weiden will, was ich hier
tadle trifft nicht Björkman allein oder auch nur insbesondere,
sondern mehr oder weniger die meisten neuern ausgaben, und
da ich seit meiner Studentenzeit nicht aufgehört habe, die wissen-
MTTKUATl KNrillZKN 105
Schaft meiner lehrei- MülleiilioiY und Sclier.'i, t»'ii I{rink uml
Zupitza, Tobler und Gröber als eiue einheitswiKKenHchaft vom
iiiittelalter anzusehen, ina^ man sich diesen Mibersfritr immerhin
erklären, wenn man ihn niclit luTtM-litiict linde.t.
Die allitterierende Morte d'Arthnre ist uns nni in dem be
l<annfen inhnltreichen Thornton ms. dir l)(iinl)ildioth<k zu Linroln
erhalten und aus ihr zuerst IS 17 von Halliweil. dann liir die
Early Knglish Text Society IS«;r> von Perry. 1^71. IS'.tS. I'.IOI
von Brock herausi>egeben, aulscrdem li)()0 auf s:rund einer nfucn
vergleichung der hs. von mrs i5anks; au diese aus;4abe sdilicfHt
sicli die von Bjöikman "in allem wesentliclicn' an; sie i«t also
die siebente widerijabe desselben hsl. textes — aber sie bleibt
jj:rundsätzlich bei der i>-enauen liewahrun^i: der zufällij^en ilber-
lieferungsform; B. «-ibt also sämtliche eij^enheiten der irräulichen
Orthographie, die wir doch wahrlich aus dfu sechs voraus-
gegangenen textabdrückt-n zur «»-enüge kennen, hült alle ab-
kürzungen mit peinlicher akribie durch cursivc fest und emp-
findet trotzdem im Vorwort fast reue, dass er den text nicht
'noch conservativer' behandelt habe, allerdinjjs waren so wunder-
liche dinge unvermeidlich, wie wenn die totale Umstellung- bei
V. 584 im text nicht kenntlich sfemacht wird, wol aber die hsl.
Überlieferung 'üoki'. im einzelnen ist die textkritik liurch
Björkman und die wertvolle beisteuer Holthausens vielfach ge-
fördert: hierfüi- war bisher auch so gut wie nichts ufesihehen!
wie lässig und gleichgiitig sich die vier (Ii englischen heraus-
geber in diesen ding-en verhalten, dafür mögen wenige beispieie
genügen: der name des römischen kaisers l.nrin.s steht 23. 12*^.
41!) usw. im stabieim auf lordr. v. Sf» überliefert den unrein«
^Ktnperonr ] erst Holthausen faml den fehlei- heriius — und
schreibt nun da wo er emendiert luiiml als <lie dem tliihter
zukommende foini; ebenso hat erst er das unmöofliche Mnuhnir:
'hrijtr' i:\H. 227. 407 uö. durch smir^ roii rnill : •hiniiihltis' '^^\
■durch das massenhaft in ähnlichem reim überlieferte rrn/ci/s
(s. wb. s. 241) geheilt, aber seine eigene irnte und geradezu
notwendige besserung >t:<istcl für irn.iT 147 wagt B. nicht in
den text zu setzen, und die andacht gegenüber dem Schreiber
geht so weit, dass beispielsweise <islr "heer". «las im glosgar
richtig unter o steht und s(» auch im Stabreim ♦517. I'.M)7. 22r»»).
23S7. 2S3'.t. 40(11. 4ort^. 4113 (anfserhalb des reimes zb H»74)
erscheint, mehrfach gegen den reim als liosh- belassen wird;
2008. :-t07(). im v. 4061 reimen aufeinander die drei tz. Wörter
ostrs :ahnit's: orn-hill --aber das dritte behält seine Schreibung
•honrhUri [nb. das wort fehlt im glossarj. so dürfen wir ann
denn nicht wundern, da.ss alle und jede scUwankuu«: der ortho-
•jraphie heibelialten worden ist: das ae. tri-oinl erscheint in fHnf
verschiedenen formen : Ireirthv, Irniufhr. hi»rllir. tmnlhr, hnuhf,
das fz. iintiitifiiiinlt: in ebensovielen: tiitinlln',n>lf. inn»rruutr<U .
lOb lilTTERATUKNOTIZEN
avainratdr, KvaiCDieiranlc, avatviiucarde — bei nur sieben-
inaligem vorkommen ! gewis sind auch die meisten dieser ortho-
graphischen Varianten spvachgeschichtlich interessant, aber dem
vornehmen dichter geschielit schreiendes unrecht, wenn man das
reinliche kleid seiner spräche nicht von dem rost und schmutz
einer 80 jalire Jüngern handschrift befreit, diese dinge gehören
in eine erschöpfende behandlung des Schreibers und mögen allen-
falls auiser in den lesarten auch im glossar verzeichnet werden,
das glossar Björkmans, ein neues zeugnis seiner längst bekannten
Sorgfalt und sachkunde, erfüllt ja auch diese aufgäbe vortreff-
lich, die einleitung bietet allerlei zur Orientierung, hat aber die
schwierige frage der quellenbenntzung nicht selbständig fördern
wollen, dass der Verfasser selbst nicht mit Huchown dem
dichter der 'Susanna' identisch sein kann, hat Björkman mit
entscheidenden sprachlichen gründen schon früher bewiesen.
E. S.
Der Heiland und Heimo von Halbe rstadt
von Richard Heinrichs. Cleve, comm.-verlag Fr. Bol's wwe l!)lfi.
41 SS. 8". 1,50 m. — Die, wie man zugeben muss, noch heute
nicht völlig aufgeklärte Stellung des Heiland zur angelsächsischen
litteratur hatte den verf., wie es scheint einen katholischen geist-
lichen, schon vor jähren auf den gedanken gebracht, es könne
der aus England stammende und als bischof von Halberstadt
(840 — 853) in Niedersachsen heimisch gewordene Heimo der
dichter der altsächsischen messiade sein, dieser verdacht ge-
staltete sich ihm zur wissenschaftlichen these, als er in Wredes-
aufsatz Zs. 48 Halberstadt von anderem gesichtspunct aus in den
bereich der erwägung gezogen sah und dort auch seinem freunde
Heimo und dem kloster Hersfeld, wo dieser 889/40 würkte,
wider begegnete, als hauptstützen dienen ihm neben den oben
angedeuteten lebensumständen Heimos dessen nahe beziehungen
zu Raban, der hinter einer seiner bekannten namenspielereien
versteckt sogar den ihm befreundeten Helianddichter besungen
haben soll (s. 12 ff), und demnächst (s. 16 ff) ein paar parallelen
zum Heliand aus Schriften Heimos, die als Zeugnisse der gleich-
zeitigen theologischen schriftstellerei immerhin gelten mögen, aber
weder 'quellen' darstellen noch auf den gleichen Verfasser hin-
weisen, ich halte die ganze these nicht nur für unbewiesen^
sondern für unbeweisbar und unmöglich, aber ich habe das heft
doch keineswegs mit dem Widerwillen bei seite gelegt, mit dem
uns oft ähnliche erzeugnisse von dilettanten erfüllen: der Ver-
fasser ist ein gebildeter mann, er schreibt überzeugt und beredt
und ist freilich in philologischen dingen zu gewalttätigkeiten
geneigt, aber seine eindringlichkeit hat nichts unangenehm auf-
dringliches. E. S.
Lateinisch-althochdeutsches glossar zur
T a t i a n ü b e r s e t z u ji g . als ergänzung zu Sierers' althoch-
LITI KKATUKNUI IZKN 107
deutschem Tatianglossar, bearlicitet von di Fricdrirli Köhl.r.
Paderborn, Ferd. Schöningh \\)l\. x u. ll.'} ss. S ". f. m,
Das vorzüg-liche glossar welches Sievers der '2 aufl. seiner
Tatianausgabe beigefügt hat, ist von den gernianisten mit immer
erneutem dankgefühl benutzt worden und hat d^-r l'orschung di»;
wertvollsten dienste geleistet, aber wer von uns hat nicht sciion
gerade bei diesem denkmal als ergänzung und controlle ein
lateinisch-deutsches glossar herbeigesehnt? dieser wnnsch wird
erfüllt in einer alle billigen anforderungen befriedigf-iideii weise
durch einen schüler von Sievers, der sich bi-rrits in seiner disser-
tation Zur frage der entstehungsweise dt-r ahd. Tatianübersetzung
(Leipzig 1911) als einen säubern ai heiter erwiesen hat. zur
raumsparung (das glossar von Sievers umfasst bei ganz ähnlicher
typographischer einrichtung 215 ss.!) sah sich der verf. freilich
genötigt, die Zeitwörter auszuscheiden und auf einen knappen
index zu beschränken, mit dem man aber immeriiin auskommen
kann, denn gerade die verba sind von Sievers am vollständigsten
behandelt, das hauptglossar ist kein blofser index zu Sievers,
sondern geht durchweg auf den text selbst zurück, über seine
wolerwogene einrichtung spricbt sich der verf. s. vi ff eingehend
aus. ich habe sein werk schon vielfach benutzt, und es hat sich
beim nachschlagen immer wider bewährt, auch die gegenprobe
an Sievers überall bestanden; nur muss man freilich niclit mit
diesem index für sich arbeiten wollen, sondern ihn immer als
Zugang zum text benutzen, den er uns vor allem durcli voll-
ständfgkeit und zuverläs>;igkeit der belegzahjen erschliefst, die
anstöfse die ich gefunden habe, erklären sich zumeist durch das
streben zu sparen, das aber gelegentlich irreführt, ich führe ein
paar beispiele von s. 127a an: bei iixor' [wo in z. 7 'qu.enun"
st. 'qucj^nun" verdruckt ist] lesen wir: ^u. tua : tliin q. 2, .'». S.
11 '. — in Wirklichkeit lautet der zweite fall: '«. mca : min q.",
der dritte: 'u. eins : sin q.' — bei 'raltle' hätte es allenfalls
genügt, die beispiele von der Steigerung des verbums und des
adjectivums getrennt aufzuführen, die fassung für 'thrato' : 'ilice.s
r. : 'ehtig th. 1U6, 3. 1."), 5. tli. mihi! |1. -michirj 2 Hl, .H.' lässt
nicht nur (was jeder sieht) beim letzten beispiel das lat. leninia
('magnus v.') fort, sondern verschweigt auch beinj zweiten fall,
dass hier: 'montein exci:huui r. -. hohan berg th.' vorligt. so muss
namentlich der gelegentliche benutzer dringend ermahnt werden.
stets den text selbst nachzuschlagen. K. S.
A. Keniponeers. Hendrik van Veldeke en de bron
van zijn Servatius [=^ Studien en Tekstuitgaven '.\\.
Antwerpen, 'Veritas' 1913. ix u. IBCss. 4". S fr. - Das buch
bringt zunächst (s. 1 — 46) nach guten alten mss. der Uollandisten
einen neuen text der Vita SServatii (übrigens denselben der
auch in der Leidener hs. hinter dem gedichte Veldekes steht»
und erweist diesen im s'egensatz zu FWillKlni als die von der
lOS LITTERATUÜNOTIZKN
quelle des hochdeutschen gedichtes (VVillielms G[esta]) abweichende
vorläge Veldekes (s. 49 — 64). dass der dichter des Servatius
und der Eneide dieselbe person seien, hält der verf. gegen
RMMej'er aufrecht (s. 65 — 73), verkennt aber dabei die Schwierig-
keiten, die mir Me\'^ers zweifei wolverständlich erscheinen lassen,,
ganz abgesehen von den rein sprachlichen differenzen, die sich
bis in Wortwahl und Wortbedeutung hinein verfolgen lassen, ist
der abstand des poetischen Vermögens derart, dass ohne die
äufsere bezeugung schwerlich jemand der Servatius und Eneide
hintereinander list, auf den gedanken verfallen würde, beide dem
gleichen autor zuzuweisen, ich finde vorläufig nur die erklärung,
dass Veldekes künstlerisches temperanient zwar beweglich genug
war, der muntern erzählung des französischen romandichters frei
zu folgen, dass sein eigenes können aber nicht ausreichte, um
aus dem zähflüssigen bericht der lateinischen legende etwas
unterhaltsames zu gestalten, was K. in seiner quellenvergleichung
(s. 106 — 141) beibringt, uu) das gleiche verfahren des dichters
gegenüber der lateinischen wie der französischen vorläge zu be-
weisen, macht wenig eindruck und ist nirgends entscheidend, und
die these, der Servatius sei eben eine Jugenddichtung, fällt um
äo weniger ins gewicht, als die abfassungszeit der legende und
ihr zeitliches Verhältnis zum roman noch nicht feststeht: K.
(s. 91 — 105) setzt sie um 1176 an und scheint 11 SO als das
datum zu wählen, um welches dem dichter das manuscript der
Eneide entwendet wurde; er rechnet dabei von dem abschluss
des ronians 1189/1190 die neun jähre rückwärts und hat offen-
bar von dem wichtigen funde von Wilmanns und den daran an-
geknüpften erörterungen keine künde. — Über die familie von
Veldeke und ihre beziehung zu den grafen von Loon und zur
abtei STrond bringt der verf. allerlei urkundliches material bei
(s. 74 — 91 gedrucktes, s. 158 — 162 ungedrucktes): wir kommen
dabei mit einem 'Robertus de Veldeca' allenfalls bis 1195 hinauf,
für unsern Heinrich selbst aber ergibt sich nichts (vgl. den
Stammbaum s. 90). eine übertriebene skepsis zeigt der Verfasser
gegenüber des dichters beziehungen zu Maastricht (s. 103 — 105.
143 — 146): er geht hier aus von dem Irrtum derjenigen ge-
lehrten, welche sich das dorf Spalbeke und 'Velkermolen' in un-
mittelbarer nähe Maastrichts vorgestellt haben (statt onö. Hasselt),
ein Irrtum der auch mich verdrossen hat, als ich im j. 1909 von
dort aus den spuren des dichters weiter nachgehn wollte, wenn K.
aber s. 103 f geneigt ist. dem 'coster Hessel' die Zugehörigkeit zum
Maastrichter Servatius-Stift zu bestreiten und womöglich sinte
Servaes honflsfat als einen pachthof oder die 'curtis' Niel-Sint
Servaas auszulegen, muss ich entschieden protestieren. — Noch
sei angemerkt, dass K. überflüssigerweise die polemik gegen
Behaghels trotz allem aufgewendeten fleifs und Scharfsinn ver-
unglückte pseudo-raaastrichtsche Umschrift der Eneide wider auf-
I.iriKÜATI'ItNdTIZKN lÜl»
nimmt (s. iXo;. dass er is. 14 i anm.) driiif^end warnt vor der
benutzung der ausgäbe des Servatiiis von Pipei- lin Kürschners
DNL. 4 i) und dass er seine scbrift scblielst mit 'Xog ov«'r
Wilhelms theorie' (s. Ib3— lüJJj: einer Zusammenstellung haupt-
sächlich belgischer urteile über W.s hagiographisc^li«' leistung.
es scheint dass diesem gelehiten immer auf die tinger geklopft
wird, so oft er sich in seiner geräuschvollen art auf das gebiet
der geschichtsforschung begibt, zur suche verweis ich auf die
darlegungen eines bestberufenen, WLevison in der W.-stdeutschtn
zeitschr. f. gesch. u. kunst -U) (l'Jlij, r)!(,i — 517: N. Archiv
37, 331. 11, 333 f. K. S.
Die Katharinenlegende der lis. 11. 1 i:; dtr Kgl.
bibliothek zu Brüssel herausgegeben von dr M'iliiani Kdward
Coliinson m. a. [= Germanische bibliothek hrsg. v. VV. Streitberg,
IT. abteilung: Untersuchungen u. texte luj. Heidelberg. C.Winter
1915. XII u. 178 SS. 8". 4 m. gebd. 4,80 m. — In der Zs. f.
d. phil. 36, 375 ff hat RPriebsch aus der Brüsseler papierhs. 11.
143 vom j. 1476 eine nd. Dorotheenpassiou herausgegeben und
ebenda s. 3S4 wichtige feststellungen für eine nd. Katharinen-
legende der gleichen hs. gemacht: sie zeigt in ihrem zweiten,
gröfseren teile (v. 501 — 1908) engste beziehuiigen zu einem md.
gedieht, von dem fragmente in Wolfenbüttel und Hannover (im
ganzen 265 verse) aufgetaucht sind; der erste teil ibis v. 500j
dagegen ist eine mnd. originaldichtung. mr Collinson. ein schüler
von prof. Priebsch, hat es unternommen, diese thesen seines lehrers
zu begründen und durch quellenstudien selbständig weiterzuführen
(s. 1 — 50); im anschhiss daran gibt ir eine recensio des ge-
samten mnd. textes (B), dem er in paralleldruck den mittel-
dentschen (W) beifügt, soweit dieser eben erhalten ist. in früheren
Stadien haben sich JFranck und CvKraus, Braune und Sievers
für die arbeit C.s interessiert ; der letztgenannte hat ein paar
gute conjectureu besonders zu W beigesteuert, während ici»
glauben möchte, dass Kraus die mit seinem namen gekenn-
zeichneten vorschlage zur reimglättung gegenüber dem fertigen
buche zurückgezogen haben würde; zuletzt hat dann nach aus-
brnch des krieges Rl'etsch die correctur übernommen und be-
sonders für einen saubereu druck des textes gesorgt, bei so
vielfältiger hilfe darf man voraussetzen, dass das ganze den an-
sprüchen der deutschen Wissenschaft genügt, ich möchte aber
ausdrücklich hinzufügen, dass mir auch die eifrene leistung C.s
als ein tüchtiges specimen eruditiunis erscheint ; der anfänger und
ausländer tritt hier und da in ungeschickten und überflüssigen
bemerkungen der grammatischen einleitung sowie der anmerkungen
zu tage.
C. macht es wahrscheinlich, dass das in B 11 überarbeitete
md. gedieht aus [Nord-| Thüringen stammte, in den uns erhaltenen
fragmenten des Originals weist er spuren eiufs nd. schreiben- auf.
1 1 0 LITTE RATURNOTIZKN
die sich leicht vermehren lassen. B I erklärt C. als ostfälisches,
genauer braunschweigisehes werk, das er, wol etwas zu früh,
noch ins 14 jh. setzen möchte, die frage, ob der Verfasser von
B I und der ttberarbeiter von B II identisch seien, hat er nicht
gelöst, ja nicht einmal aufgeworfen; den Schreiber der hand-
schrift B setzt er ebenfalls ins gebiet von Braunschweig.
Unter dem text von B I gibt C. eine nahestehude rtnl.
Version der legende aus einer Londoner prosahs., unter dem von
B II auszugsweise die lateinische vulgata nach Knust.
Der text selbst bietet nach der art seiner entstehung und
Überlieferung viele anstöfse: ich bezweifle dass sie dem heraus-
geber alle zum bewustsein gekommen sind, wie ich denn übh.
gegenüber der Vorliebe ausländischer doctoranden für die meist
sprachlich unreinen mnd. texte ein starkes Unbehagen emptinde.
wie so oft in späten hss, sind auch hier e und o oft schwer
zu unterscheiden (s. 2): so muss v. 270 /cor de st. werde, v. 833
vornemen st. vornomen, v. 1836 nemen st. nomeu gelesen werden,
dass V. 677 bedochte {: wrochte) = nihd. bedorffe (und nicht
= mhd. bedühte, wie 1148: vorsochte) ist, hat der hrsg. kaum
erkannt, da er den reim sonst s. 46 erwähnt hätte, (un-
rene) besehen v. 1119 beurteilt er richtig als ein st. part.pt.
zu 'beseiken' und er teilt eine conjectur von Priebsch mit, der
für die vorläge (vergezzev) : besezzen vorschlägt; beide haben
übersehen, dass besehen zunächst nur eine entgleisung aus be-
sheten (: vorgheten) ist — nam corvi et milvi non mingunt sed
merdunt! wie hier bleibt es in vielen fällen unsicher, ob der
bearbeiter oder der Schreiber von B an der entstellung schuldig
ist, so auch v. 1786 sad de heyser eyn recht myt sorgen — lis
enrichtel dem Schreiber allein zuzuschreiben sind die aus-
lassungen, deren zahl entschieden gröfser ist als sie C. an-
merkt: so fehlt in B I nach v. 306 ein reimpaar, in dem der
einsiedler eingeführt wurde, in B 11 vor v. 1286 der reim-
vers zu . . . i'ast : etwa de mynsche is up erden en gast,
E. S.
Flugblätter des Sebastian Brant herausgegeben von
Paul Ileitz mit einem nachwort von professor dr F. Schultz mit
25 abbildungen [Jahresgabe d. Gesellschaft f. elsäss. literatur in].
Strafsburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel) 1915. 12 ss. -f
25 doppelbl. + xiv ss. fol. 20 m. — GKönnecke hat mit nach-
druck darauf hingewiesen, dass man die Stellung des HSachs in
der geistigen bewegung des 16 jh.s bei weitem am besten er-
fassen könne auf grund der illustrierten einblattdrucke, von denen
einen besonders reichen schätz die Gothaer bibliothek verwahrt:
das viel zu wenig bekannte werk 'Hans Sachs im gewande seiner
zeit' (Gotha 1821 querfol.) ermöglichte schon früh die bekannt-
schaft mit diesen bedeutsamen zeugen der Zeitgeschichte, und zum
IlSachs-jubiläum hat dann Könnecke in seiner Festschrift ■ (Mar-
lilTTKnATUUNOTIy'.nN 1 1 |
bürg 1893) reichlicli neue proben g-eboten. nun lelirt uns die
prächtige dritte jahrespabe der rüliriuren Ciesellscbaft f. e|.säs8is(-li«
litteratur ein menschenalter rückwärts ( 1 4^)2— 1 r)(i-}j den Sebastian
Brant in einer ähnlichen rolle kennen, und t's trifft sicli gut.
dass wir fast gleichzeitig duicli die von Konrad H übler redigi.-rte
bibliographie der 'Einblattdrucke des 1 ;'> Jahrhunderts, hrsg. von
d. kommission für den Gesamtkatalog der wieg<Midrucke' (Halle
1914) in stand gesetzt werden, diese rolle im rahmen gleich-
artiger erzeugnisse des jungen buchdrucks abzuschätzen, unab-
hängig davon, wenngleich von Häbler und andern vielfach unter-
stützt, hatte der vielbewährte Sammeleifer von Paul Ifeitz 22 der-
artige blätter zusammengestellt, wozu dann noch 3 weitere mit
'bildnissen' Brants (im rahmen gnUserer darstellungi treten, und
FSchultz hat ein geleitwort hinzugefügt, dessen wir gerade diesen
zunächst wunderlich genug anmutenden documenten des aus-
gehnden mittelalters gegenüber dringend bedürfen. 1 1 stücke
sind bei resp. für Brants Basler Verleger Joh. Bergmann von Olpe
gedruckt, von den übrigen sind einige nachdrucke (wie 3. 4),
die aber mit gutem gründe hier gleichfalls widerholt werden,
die meisten nunimern waren den specialisten wol bekannt (vgl.
Eiublattdrucke nrr 456 — 469, 1476), aber sie blieben sämtlicli
schwer zugänglich, ja die mehrzahl ist nur als unica erhalten.,
die lateinischen verse (distichen) hat B. teilweise in seine Varia
Carmina (1498) aufgenommen; litterarisch tiefer stehn die meisten
deutschen reimereien. das Interesse ist ausgesprochen ein cultur-
geschichtliches und bedingt durch die Vereinigung von wort und
bild: die stärkste gruppe dieser Hugblätter ist der darstellung
und ausdeutnng seltsamer naturvorgänge und niisgeburfen ge-
widmet, zwei kleinere gruppen behandeln zeitgeschichtliclie Vor-
gänge von politischem Interesse und geistliche stotTe, und den
erstem wider reiht sich das satirische zeitgedicht vom •puchsliatz'
(1497) an, das litterarisch und in gewissem mafse auch bildlicii
dem Narrenschiff am nächsten kommt, auch dies stück ist 'an
den aller durchlauchtigsten herrn .Alaxirailianum. römischen könig"
gerichtet, dessen mit hoffnungsfroher Verehrung liegrüfste gestalt
durchaus im mittelpunct von SBrants tagesscliriftstellerei steht,
wieweit der poet auf die Illustration seiner flugblätter eintluss
hatte und ob zwischen einzelnen Zeichnern und der bildlichen
ausschmückung des Narrenschiffes beziehungen obwalten, wird
nicht leicht zu bestimmen sein. E. S.
C 0 m e d i e von zweien jungen p] h e 1 e n t e n
gestellt durch T o b i a m Stimmer von S t h n f t -
hausen. Maler anno 15So den 22 Dezember, nunmehr v.m
neuem auf die bahn gebracht durch (Jeorsr Ultkonskl. Leipzig.
H. Haessel l'.Mf). r>4 ss. kl. 4». 1,20 m. im j 1S91 hat
uns der Hubersche verlag in Frauenfeld eine schmucke ansirabe
dieses derben schwanks mit d^n IS federzeicbnungfn ans der
I 12 MTTKHATUKNdTIZKN
<(riginalhs. des «lichters und maiers beschert : JBaechtold hatte
den text revidiert und JOeri eine einleitung geschrieben. Wit-
koM'ski hat das stück, welches dem geschichtschreiber der deutsch-
i^chweizerischen litteratur als die beste komödie des Jahrhunderts
erschien, für die moderne bühne bearbeitet (die Uraufführung hat
im alten theater zu Leipzig am 27 november 1915 stattgefunden)
und diese Umformung abermals mit den bildlichen beigaben
Stimmers schmücken lassen, im ganzen entspricht seine text-
gestaltung gewis ihrem zweck, im einzelnen lässt sich gegen die
interpretation wie insbesondere gegen die beibehaltung alter aus-
drücke allerlei einwenden, ich greife nur ein beispiel heraus:
s. 9 der bittere Schweifs; der neuhochdeutsche ausdruck ver-
langt hier unbedingt 'sauer', ebenso wie wir den hittern aphel-
tranc Konrads von Würzburg mit 'saurem Apfelwein' und «eine
bitteren sirrrf mit 'scharfe Schwerter' widergeben müssen.
E. S.
Tirolische Analekten von S. M. Prem und 0. Schissel
V. Fleschenberg- [Teutonia. Aibeiten z. germanischen philologie
herausgegeben von Wilhelm Uhl. 15 heft|. Leipzig, H. Haessel
in comm. 1915. 115 ss. 8^'. ?> m. — S. 1 — 49 führt uns Prem
in ermüdender breite das leben und die kunstreisen des tirolischen
automatenkünstlers (!) ChrJTschuggmall (1785 — 1845) und seiner
erben vo^. — s. 51 — 84 werden von Schissel vFleschenberg zwei
localgröfsen der tirolischen dichtung, Franz Carl Zoller und Joh.
Nep. Alexius Mayr, mit einer Wichtigkeit behandelt, die sich nur
aus der unglückseligen Verbreiterung des IV bandes von Goedekes
Grundriss (!) erklären, aber keineswegs rechtfertigen Lässt. — ■
vollständig mitgeteilt wird dann aus der 'Österreichischen Garten-
laube' 18G7 'ein unbekannter druck Gilmscher gedichte' (s. 85
bis 90), obwol der herausgeber Prem selbst zugesteht, dass seine
einzigen Varianten druckversehen seien! — es schliefsen sich an
*zwei bauerngesänge aus Wildschönau' (s. 91 — 110), und den be-
schluss bildet der bericht eines k. k. Oberstleutnants über die
aprilereignisse 1809 (s. 111 — 115j. darüber was denn alle diese
tirolischen miscellen mit der germanischen philologie zu tun
haben, hätte uns der herausgeber der Teutonia aufklären müssen,
dem sie gewidmet sind, es gibt nicht wenige Jahrgänge von
Zeitschriften deutscher geschichtsvereine, die mit mehr recht diese
flagge aufstecken könnten. E. S.
James Macphersons Fragments ot Ancient
Poetry (1760) in diplomatischem neudruck mit den lesarten
der Umarbeitungen herausgegeben von Otto L. Jiriczek [Anglistische
torschungen hrsg. von Johannes Hoops heft 47]. Heidelberg, Carl
Winter 1915. xiii u. 64 ss. 8 0. 2,50 m. — Macphersons 'Ossian'
gehört zu den wichtigsten quellenschriften der deutschen littera-
tur, und die 1760 in zwei ausgaben erschienenen 'Fragments'
haben die reihe der ossianischen Veröffentlichungen eingeleitet.
T,nTKI{ATORN«)TI/EN 1 1 3
die würkung- in Deutschland setzt freilich n7»i:{/64) erst ein
(Koberstein I^ 423 f. Goedeke IV2 105 t), nachdem 17G2 und
1763 in London die bände erschienen sind, welche die namen
Tin^al' und 'Teniora an der spitze tragen; in ihnen sind die
fragmente zur gröfsern haltte verarbeitet, zur kleinern fort-
gelassen: 0 (von 15) blieben von der Verarbeitung und damit
■weiterhin auch von den gesamtausgaben ausgeschlossen. T. bietet
nun diese erstlinge Ossian-Macphersons in einem neudruck, der
typographisch und zeile für zeile dem original entspricht —
leider nicht auch seite für seite, wie es dem geniefsenden
litteraturfreund gewis am liebsten gewesen wäre, denn unten
musten die lesarten platz tinden, die hier mit gutem gründe
auch die interpunction sorgfältig berücksichtigen, die Göttinger
bibliothek hätte dem herausgeber manche mühen ersparen und
ihm die kenntnis wichtiger drucke bequem vermitteln können,
ihr bestand an Ossian-ausgaben setzt ein mit den beiden drucken
der Fragments von 1760 (J.s A und B); in A bestätigt eine
zeitgenössische eintragung den Umlauf handschriftlicher copieen
vor und neben dem ersten druck, denn zu 53, ISf ist bemerkt:
Mst Copy: as the IVind on thc Grafs of thc hills. wir haben
hier weiter 'Fingal' 1762 (F) sec. ed. und "Temora' 1763; so-
dann eine Zusammenfassung dieser beiden in der zweibändigen
ausgäbe "The works of Ossian . . . The third (!) editiou. London
1765'; das ziemlich gleichgiltige ergebnis einer collation hat
J. (dem drucke zwischen 1763 und 1773 unbekannt geblieben
waren) inzwischen in Herrigs archiv 136, 151 tf veröttentlicht:
es bestätigt sich, dass die zweite Umarbeitung erst in den 'Poems'
von 1773 (P) stattgefunden hat. K. S.
Geschichte des französischen k u It u reinflusses
auf Deutschland von der reformation bis zum dreifsigjährigeu
kriege, von dr. Curt Gebauer in Breslau. Strafsburg, J. H. Kd. Heitz
(Heitz(!t Mündel) 1911. 10 + 261 ss. S«. 5m. — Eine Heifsige und um-
sichtige arbeit, der der germanist nicht wird entraten können, wenn
er auch bedauern wird, dass gerade die beiden abschnitte über die
litteratur (Prosa und Versdichtung, s. 225 — 255) etwas mager
ausgefallen sind und ihm kaum etwas neues bieten, verdienst-
lich an dem buche ist aber die Zusammenfassung all jener
überaus mannigfaltigen zeiterscheinungen, deren summe den so
wichtigen einlluss französischer cultur auf die deutsche während
eines Zeitraumes von so gedrängter entwicklung auf fast allen
lebensgebieten ausmacht. die darstellung zeichnet sich durch
geschickte, widerholungen mit glück vermeidende gruppierung
des vielgestaltigen Stoffes aus (i. buch: Die trrundlagen. ins-
besondere Politik und verkehr, ii. buch: Höfe und gesellschaft.
III. buch: Moralische und intellectuelle culturj und ist angeu'-hni
lesbar, im wohltuenden unterschied von so vielen arbeiten ähn-
licher art. in der mitte steht mit recht die hnfrultiir. deren
A. F. 1). A. XXXVIII.
114 LITTER ATURNOTIZEN
aulserordentliche Wichtigkeit für diese zeit und in diesem Zu-
sammenhang scharf betont wird; namentlich der pfälzische und
noch mehr der hessische hof werden in ihrer bedeutung für die
neue französische bildung eingehend gewürdigt, die eminent
wichtige culturpersönlichkeit landgraf Morizens des Gelehrten
tritt sehr gut heraus, nächstdem die bedeutung der refugies
und des calvinismus überhaupt, trotzdem läfst sich nicht ver-
kennen, dass die auffassung noch etwas stoffliches behält - —
immer die gefahr derartiger themata: dies tritt besonders in
dem III. buche zutage: Moralische und intellectuelle cultur. hier,
in diesem wichtigsten weil geistigsten teile der darstellung er-
wartet man denn doch ganz anders in die tiefe geführt zu
werden — hier, wo es sich nun um das facit aller detailmühen
handelt, der 'schluss' (s. 253 — 255) ist durchaus unbefriedigend,
wie es so oft begegnet: der mit gründlichem fleifs herbeigeschaffte,
auch durch geschickte anordnung besonnen beherschte stoff ist
doch nicht genugsam in geist und bild verwandelt, dass dies
bei einem so disparaten thema besonders schwer war, soll nicht
geleugnet werden, immerhin ist Süpfle in seiner stofflich noch weit
umfassenderen Parallelarbeit, der Geschichte des deutschen cultur-
einflusses auf Frankreich, dieser teil der aufgäbe besser gelungen.
Im einzelnen findet man dankenswertes neues besonders im
II. buche 'Höfe und gesellschaft'. das, durchaus der kern der
arbeit, eine wertvolle monographie für sich darstellt, die vor-
handene litteratur ist reichlich herangezogen, wenn auch viel-
leicht nicht erschöpft (hier setzt schlielslich jede darstellung
grenzen); die 'primären quellen' würde ich in noch 'erheblicherem
umfange benutzt" haben, sie auch durch die darstellung noch
mehr haben durchscheinen lassen; zu gunsten der zeitfarbe so-
wol wie des gröfseren eindrucks der unmittelbarkeit und Solidität
der vorgetragenen erkenntnis. der forderung stärkerer ver-
geistigung des Stoffes würde dies nicht widersprochen haben —
vergleiche Jakob Burckhardt, dessen tact an diesem puncte viel-
leicht am bewundernswürdigsten erscheint.
Posen. Walther Brecht.
Goethes Briefweclisel mit Heinrich Meyer
herausgegeben von Max Hecker. I band: Juli 1788 bis juni 1797
[= Schriften der Goethe-gesellschaft im auftrage des vorstände»
herausgegeben von Wolf gang von Oettingen. 32 band]. Weimar^
Verlag der Goethe-gesellschaft 1917. xxn u. 458 ss. 8 o. —
Mit diesem bände beginnt die Goethe-gesellschaft eine Veröffent-
lichung, die umfangreicher als irgendeine ihrer früheren gaben
zu werden verspricht, die briefe Goethes an HMeyer liegen in der
IV abteilung der Weimarer ausgäbe (von bd 9 ab) vollständig-
vor, von Meyers briefen aber kannten wir bisher nur die aus
der zeit des ersten römischen aufenthalts, nach Goethes abreise:
in dem s. z. mit freudigem und berechtigtem danke begrüfsten
r-irri:i!ATUKN<)'nzi;\ 1 1")
5 bde der Schriften der Goethe-gesellscliaft fZiir naclitceschichte
der italienischen reise, 18'.M)) sind sie von OHarnack leider in
einer weise abgedruckt worden, die ich jjenau so hart beurteile
wie Hecker s. XVIII, wenn er sie einen "pseudophilolo^ischen
rohdruck' nennt, denn man tut würklich Meyer unrecht und
bereitet den lesern quäl und pein, wenn man die allem anschein
nach in den jugendbriefen besonders regellose Orthographie bei-
behält und auf die einführung einer das Verständnis fördernden
interpuuction verzichtet; von all den gründen die man etwa bei
■den Stürmern und drängern für ein derartiges lässig-conservatives
verfahren anführen kann, trifft hier keiner zu. ich bringe die
ausgäbe Heckers hier gerade deshalb zur anzeige, um mich
freudig zu der von ihm durchgeführten praxis zu bekeunt-n: er
hat unter selbstverständlicher wahrung landschaftlicher Idiotismen
und archaismen die rechtschreibung nach dem brauche der zeit,
d. h. nach Adelung, geregelt und die Satzzeichen so gesetzt wie
sie der sinn verlangt, denn diesen anforderungen hat sich unser
briefschreiber später stets gefügt, sobald er etwas drucken liefs:
er würde entsetzt gewesen sein, wenn er seine briefe in Harnacks
Abdruck erlebt hätte. — Da der herausgeber unter dem druck
zum heeresdienst eingezogen wurde, hat er auf die beigäbe der
anmerkungen, die hier besonders erwünscht und vielfach not-
wendig sind, aber gewis auch nicht aus dem ärmel geschüttelt
Averden können, vorläufig verzichten müssen, und wir werden
damit bis zum abschluss des ganzen vertröstet, wir erhalten
zunächst die vollständige correspondenz bis zum abschluss von
Meyers zweiter italienischer reise, die er zur Vorbereitung des
mit Goethe gemeinsam geplanten grofsen Unternehmens ausführte:
einer auf breiter geschichtlicher und landeskundlicher basis auf-
gebauten darstellung der cultur und kunstgeschichte Italiens,
es ist freilich schwer sich vorzustellen, dass das Interesse an der
fortsetzung des brief wechseis sich auf der höhe dieses ersten
bandes halten könnte, die achtung für Meyers pei-sönlichkeit
imd lebenswerk hat sich, seitdem Herman Grimm an die stelle
des von den romantikern übernommenen spottes ein vnn herab-
lassung nicht freies wolwollen setzte, beständig gehoben, wozu
am meisten die von Paul Weizsäcker mit hingebendem tleifs»-
hergerichtete ausgäbe seiner 'Kleineu Schriften zur kunst' 1 1S8<))
beigetragen hat. Heckers einführung gibt von der eigenart des
tüchtigen Schweizers wie von seiner hingebung an den grofsen
Weimarer freund ein bild voll sympathischer wärme, das duruh
die als zugäbe eingeschaltete selbstschilderung Meyers 's. XXlf
vortrefflich bestätigt und ergänzt wird. H S.
116 KIJilNE MIITEILUXGEN
KLEINE MITTEILUNGEN.
EINE BRÜNNER COPIE DER HS. GERHARDS VON
MAESTRICHT UND DES WIENER OTFRID. In der
Cerroni- Sammlung des Brünner landesarchivs (ii serie, bd. 11)
befindet sich unter dem titel Anecdotorium T. I ein band, den
der archivar und sammler J. P. Cerroni (1753 — 1826; s. über
ihn Wurzbach) aus der bücherei des Franciscus Gregorius
S. R. I. comes de Giannini erworben hat, wie ein exlibris und
ein vermerk auf dem vorsetzblatt ausweist (Emi ex BibUo-
theca Comitis gianini Canonici olonmcensis. Cerroni). der
band ist von einer band des ausgehnden 1 7 jhs. geschrieben und
enthält als nrr 3 — 6 copieen mittelalterlicher lateinischer hss.
meist aus norddeutschen klöstern, als nrr 17 — 23 (s. 181 — 242)
die abschrift eines Mfptm. ex Bihliotheca Dni de Mastrichf
Syndici Bremenfis Reipuhlicae Seculi XIII auf XIV in mem-
hrana: Varia fragmenta Poetarum. gernianorum continens
(: Lingua germanica : ).
Es sind 7 fragmente: I Daz Wifis erin miffeftc (= Ritter-
preis, DHS nr 115; Bartsch Beitr. 176, vgl. dazu Bech Zs. f.
d. ph. 19, 381); II Sihilla hnit gej prochen (= HMS in 468 h)-
III Historia Theoderici Veronexfis et Hildehrandi (= Virginal^
Str. 111 — 140,5); IV Alle fcole is gar egn wint (= Reinmar
von Zweter nr 31), 23 Sprüche; V Ich quam da luiLvreuden
faifsen Ritter nunc funder phi und VI Ich nril prifin fprach
die eyrfte Minen herzen leuen man (= HMS iii 441 f [Graff
Diutiska i 314 ff. E. S.]); VII Oh allen wunden (!) mirkit
wol ein tcunder grois (= Hoppe, Pfaff str. 11), 31 spräche.
Der kundige ersieht schon aus diesen angaben, dass hier
eine copie der pergaraenths. Gerhards von Maestricht vorligt»
die sich jetzt im besitze der Leipziger ratsbibliothek (CCCCXXI,
rep. II fol) befindet: vgl. DHB v, s. VII: hs. L; Roethe Reinmar
von Zweter s. 145: hs. n.; HMS iv 905; Haupt Zs. 3, 356.
wie diese abschrift mit dem text der niederrheinischen vorläge
wirtschaftete, mögen zwei proben zeigen, die erste bringt den
anfang der Historia Theoderici (Virginal str. 111):
DES antwert eyme der iunge do TJnde fchauice dife ehinture
Des ebinturin ich jelden uro Wan fi gelimp nog vurgge in
Werdin vnde deme hitzen hayt
Dinit man hi honen urawen Unde is fo ungehure
mide Dat man fi billiche miden fol
Dat i/'t eyn Wunderikher fide Dinit he fchonen vrauwen
Hayt yman gude witze mide
Der uolge mir dat is min So i/'t eme mit crankin vrou-
rayd den wol.
Das zweite pröbchen ist str. 17 des VII fragments (= Walther
48, 38):
KLKINK M.lTTKILi;N(it:N 117
WIF was i.e. der hoifte uame
Inde prifit has dan vrauwe alfich it erkenne
Welich wif /'ich ir wifhait (!) /'chaine
Die hone (!) mlnen fanc inde winke (!) denne
linder vrauwen ßnt unwyf under wiuin fin /'i dure
Wiues name unde iriuef lyf dot i.s i-il yehure
Wie it umhe allen vare
Wip nimpt des hoeften lotm wäre
Vrauwen lof dal honit
Wif it (?) eyn name der fi alle cronit.
Auf s. 243—257 steht als nr 24: M/tm Ex Caesarea
Vindobonenfi bibl. fragmentü Evangelioru Otfridi re/'tifutü. Caput
XXIII Lib. V paulo ante finem.
Zi themo thionofte
fie finth thar al gidro/'te . . .
Caput XXIY. ORATIO.
Giuuerdo iinf geban druhtin . . .
Caput XXV. CONCLUSIO VOLVMTNIS TOT WS.
SELBEN krlftes ftiuru
joh finera ginadu . . .
OTFRIDUS WIZANBVRGEKSIS MONACHVS HAUT-
MV ATE ET WERINBEHTO S. CALL! MOX ASTE IUI
MONACHIS.
Oba ich thero buacho guati
Hiar ia uuiltt mifsikcrti . . .
Evuangelion in uuar
thie zeigont unf fo fama thar
Gibietent unf {= v. 142).
Quae sequuntur funt in impre/fo Basileae MDLXXl. es folgen
die anfange der Widmungen an Salomo, Ijudwig und Liutbert,
der anfang und der schluss des ganzen uerks ioder genauer:
des geleitsbriefs an die SGaller niünclie). von dieser abschrift
des Wiener Otfried hatte Piper nach ausweis st-iner sorgfältigen
litteraturtafel keine kenntnis.
Graz, den 5. jänner 1914. Anton Wallner.
ZU MORUNGEN 128, 6. Seemüller macht mich frennd-
lichst aufmerksam, dass der vers nach meiner Änderung (Zu den
liedern Heinrichs von Morungeu, Abhandlungen d. kgl. gi'sellsch. d.
wiss. zu Göttingen u. f. XVI nr 1) um einen tact zu wonig
enthalte, der vollständige vers, der bei der reinschrift des
manuscripts um diesen tact verkürzt wurde, sollte nach meiner
absieht lauten: s'"* strichet si :>ii> mir 'ilm .siiHitn di»i<h nur bii:'.
Wien d. 7. 12. 1916. ( url \on Kraus.
TDBANSA. Bei Schönfeld und Helm, wo man si.' sucht, t.hlf
die dea Idbansa Gabia (CIl. xiii 7S67). der.-n votivslein zu Hons-
dorf-Pier zwischen Düren und .lülich aufgefunden worden ist. vgl.
Hang bei Pauly-Wissowa ix s79 und .IBKeune im supplenienH>d
118 KLEINK MITTEILUNGEN
III 1195, sowie zuletzt Lehner Die antiken Steindenkmäler des
Bonner provinzialmuseums (1918) s. 240. Kenne hat gewis recht,
wenn er den nanien Jetzt als germanisch anspricht: id- wird das
präfix (entspr. lat. 're-') wie in got. ichreit usw. sein, über *hansa
'horreum, stabulum' (vgl. ags. hos, got. hansts usw.) handelt
JGrimm im DWB i 1119, der es zu bindan stellt, ich will den
namen nicht deuten, sondern nur auf die möglichkeit hinweisen,
dass es sich um eine stallgöttin (oder scheuneugöttin) handelt,
wie sie etwa die Kelten in ihrer Epona besafsen. K. S.
PERSON ALNOTIZEN
Der 17 febr. 1917 raubte uns in Axel Olrik (Kopenhagen)
einen der bahnbrechenden erforscher germanischer Volksdichtung
und Sagengeschichte.
Am 9 märz 1917 starb zu Göttingen 72 jährig Wilhelm
Meyer aus Speyer, der vielseitigste und fruchtbarste unter allen
Vertretern der mittellateinischen philologie, dem unsere Wissen-
schaft die reichste förderung und mannigfache anregung verdankt.
Mitte märz 1917 starb zu Ludwigsburg der rector a. d. und
Wielandkenner dr Paul Weizsäcker.
Am 30 märz 1917 entschlief zu Weimar prof. dr Carl Schüdde-
Kopp, auf dem gebiet unserer classischeu und romantischen litte-
ratur als verlässlicher editor und eifriger bibliophile vielfach
betätigt.
Am 1 S april 1917 verschied zu Freiburg i. Br. professor
Fridrich Pfaef, als herausgeber der Alemannia und auch sonst
wolverdient um die oberrheinische Volkskunde.
Am 9 juni 1917 starb zu Düsseldorf der würkliche geh. ober-
regierungsrat dr ADOi.f Matphias, um die enge beziehung des
deutschen Schulunterrichts - zur Wissenschaft mit warmem eifer
verdient.
Am 13 oct. 1917 verschied zu Greifswald Ernst Zupitza
im 44 lebenswahre: die hohen erwartungen zu erfüllen mit denen
ihn die vergleichende Sprachwissenschaft und die germanische
Philologie bei seinem ersten hervortreten begrüfsten, hat ihn jahre-
langes schweres leiden gehindert.
Im Jan. 1918 starb zu Kiel der classische philologe Alfred
Schöne, der, der deutschen litteratur selbst durch eine reizvolle
novelle angehörig. Lessing und Goethe als erklärer und heraus-
geber seine fruchtbare teilnähme zugewandt hatte; ferner am
16 Jan. zu Berlin der Oberlehrer prof. Daniel Jagoby, ein fein-
sinniger keuner des 18 Jahrhunderts und des humanistendramas.
Am 16 febr. 1918 starb zu Göttingen dr Max Päpke, der
herausgeber des Marienlebens vom Schweizer Wernher, an plötz-
PEKSONALNdllZKN 119
licher krankheit, nachdem ihn eine schwere Verwundung d^m
heeresdienste entzogen hatte.
67 jahrig starb am 20 tebr. I'JIS zu Berlin .M.\x Kokdiukic,
in früheren jaliren ein geschätzter mitarbeit.-r der Zeitschritt
und des Anzeigers; 00 jährig ebenda am l.i märz l'.MS Kkinjiou,
Steig, der als helfer und erbe iiernian Grimms sich besonders
um den nachlass Achims und der brüder Grimm bemüht hat.
In den Salzburger alpen ist am 24 juli I'JIS Ai.exam.kk
VON Weilen- tödlich abgestürzt, der verdiente geschichtsciireiber
der Wiener theater.
Die deutsche rechtsgeschichte verlor wider zwei liöchstver-
diente greise gelehrte: am 'A janiiar 1917 starb zu Heidelberg
Richard ScHKÖDKK, mit dem der letzte persönliche mitarbeiter Jacob
Grimms geschieden ist, am IR mai 1917 zu Leipzig Kidoli- Sohm;
ferner starb am ä april 1918 prof. dr Kaui. Lehmann in Göttingen.
Die englische philologie beklagt schmerzlich den verlust des
ausgezeichneten graramatikers Kari> D. Bülüking, gestorben zu
Bonn 53 jährig am 23 märz 1917; weiterhin den litteratur-
historiker Emil Köppki., gestorben zu Straßburg am 3 juni 1917,
und Felix Lindnee, gestorben zu Rostock am 31 juli r.»17.
Carl von Kraus folgte zum herbst 1917 einem ruf als
nachfolger des von seiner lehrtätigkeit in :\lünchen zurück-
tretenden Hermann Paul; den Wiener lehrstuhl hat Josef See-
AiüLLER von neuem eingenommen.
Als nachfolger Rud. Ungers wurde prof. Fuasz Zinkeknagel
von Tübingen auf das Baseler Ordinariat berufen.
An der Universität Bonn wurde der privatdocent dr Theodok
Frings zum ao. professor mit dem specialauftiag für nieder-
deutsche und niederländische spräche und litteratur ernannt; zu
extraordinarien der deutschen spräche und litteratur befördert
wurden ferner der privatdocent dr Arthur Hüunkk in Berlin, der
privatdocent dr Paul Merker in Leipzig und, mit Sonderauftrag
für nordische philologie, der privatdocent dr ^V^>L^• vhn rNWEirm
in Greifswald.
Auf den lehrstuhl der englischen philologie in Straßburg
wurde prof. Beunhaio) Feur von Dresden berufen, der hier durch
prof. Rudolf Bkotanek von Prag ersetzt wird; den ^Mt-ichen
lehrstuhl in Bonn nahm prof. Wir,nKi..M Diuemus vom Hamburger
colonialinstitut ein, der in dem Münchener privatdoceiiten dr Emil
Wolfe einen nachfolger erhielt, einem ruf als ao. professor der
englischen philologie an die Universität Rostock folgte der privat-
docent prof. dr Rudolf Imklmann von Bonn, an der Universität
Graz wurde der ao. professor dr Alukki- Eichijcu zum Ordinarius
der englischen philologie befördert.
An der Universität Breslau wurde professor dr Hkimucm
Winkleu zum ord. honorarprofessor der allgemeinen und ver-
gleichenden Sprachwissenschaft ernannt.
120 PKRSONALNOTIZEN
Einem ruf als ao. professor der verg-leichenden idg. Sprach-
wissenschaft an die Universität Frankfurt a. M. leistete der privat-
docent dr Hermann Lommel von Göttingen folge, einem gleichen
rufe nach Greifswald dr Adolf Debrunner von Basel.
An der Universität München hat sich dr Christian Janentzky,
an der Universität Münster dr Leopold Magon für neuere deutsche
litteraturgeschichte habilitiert.
Prof. dr Rudolf Schlösser von Jena wurde zum director
des Goethe- und Schillerarchivs in Weimar ernannt.
EHRENTAFEL IL
Diese zweite reihe von germanisten, die ihre treue gegen
das Vaterland mit dem tode besiegelt haben, bringt neben einem
neuen, dem herausgeber besonders schmerzlichen verlust vor allem
eine nachlese, ich bitte die fachgenossen nochmals, mich bei der
Vervollständigung der ehrenvollen liste zu unterstützen.
Es sind als im kämpfe gefallen oder an ihren wunden ge-
storben weiter gemeldet: dr Wilhelm Berbig (Murner) -f im märz
1915 in Flandern; dr Bruno Busse (heldensage und Volkskunde)
-]- 15 Juli 191 6 im westen; dr Walther Dolch (handschriftenkunde)
7 9 december 1914 in Polen; dr Richard Findeis (entstehung der
idg. farbennamen, geschichte d. deutschen lyrik) 7 als Österreich.
Oberleutnant 28 September 1914 in Bosnien; dr Josef Gaismaler
(Bärenhäutersage); dr Friedr. Göhrke (Johann von Würzburg)
'{' 7 nov. 1917; dr Jon. Hahn (Julius von Voss); dr Kurt Herold
(Münchener Tristan) f 3 november 1914 bei Langeraarck; dr
Kurt Hever (Seuse) f 1914; dr Wilhelm Hoffa (antike de-
mente bei Gottfried) f vor Verdun 29 august 1917; dr Rudolf
HöPFNER (osterspiele) f 12 april 1916; dr Wilhelm Hohnbaum
(Wolfenbütteler Sündenfall) f 26 november 1914 in Nordfrank-
reich ; dr Hans König (Gengenbach) f 2 1 october 1915 bei Düna-
burg; dr Bernhard LuNDius (Carmina Burana) f 1916; dr Hans
RuEFF (dessen schöne arbeiten über das deutsche osterspiel druck-
fertig in meinen bänden sind) f als batterieführer bei Armentieres
2 1 april 1918; dr Wilhelm Weise (sentenz bei Hartmann vAue)
"l" 1915; dr Sieger. Wernicke (prosadialoge des Hans Sachs).
Am 9 juli 1916 f als k. u. k. Oberleutnant d. r. im garni-
sonsspital Graz dr Anton Kalla (Haager liederhandschrift)
ANZEIGER
FÜR
DEUTSCHES ALTERTUM UND DEUTSCHE LITTERATUH
XXXVIII, :i 4. miiiz l'.ll'.i
Mittelalterliche biblidthekskataloge Östcrrciclis herausgi-
gehan von der kaiscrl. akadoniio der wisseiiscliaften in Wien.
I. band Niederösterreich bearbeitet von dr. Theodor (liottlieb.
"Wien, Adolf Hoizhausen, 1915. xvi u. 615 ss. f?r. S". Ki ra.
Mittelalterliche bibliothekskatalofre Den t schiands und der
Schweiz lierausgej^eben von der könijrl. bayerischen akademic
der Wissenschaften in München. I. band Die uistiimer Konstanz
und Chur bearbeitet von Paul Lehinuun. mit einer karte
München, C. H. Kecksche verlagsbuchhandlunfj, 1!»1S. xvn u.
599 SS. gr. 8". 3t) m.
Beide bände führen auch den f,'-emeinsanien titei: Mittelalterliche
bibliothekskatalogc herausgegeben von der königl. preufji-^chen
akademie der Wissenschaften in Berlin, der königl. gesellsehaft
der Wissenschaften in (Jöttingen, der köni^il. sächsischen gesell-
schaft der Wissenschaften in Leipzig, der königl. bayerischen
akademie der Wissenschaften in München und der kaiserl.
akademie der Wissenschaften in Wien. Osterreich I. band bzw.
Deutschland und die Schweiz I. band.
Im laufe der letzten Jahrhunderte waren zahlreiche Ver-
zeichnisse mittelalterlicher bibliotheken von historikern und philo-
logen veröffentlicht worden, an eine Sammlung dieses weitver-
streuten raaterials wagte sich 1885 GBecker. indessen mangelt»-
seinen Catalogi bibrliothecarum antiqni sowol Vollständigkeit als
verlässlichkeit. die kritik muste rügen, das« er sich mit ober-
flächlicher durchmusterung der litteratur und, statt auf die hss.
selbst zurückzugehn, mit abdrücken dei- bisherigen ausgaben
begnügt hatte, nach welchen grundsätzen alte kataloge sollten
ediert werden, tat sj-stematisch erst TliGottliebs durch die Wiener
akademie subventioniertes werk l'ber mittelalterlichf biblio-
theken 1890 dar. dieselbe kürperschaft beschloss dann anfangs
1897 auf WvHartels antrag eine herausgäbe sämtlicher innerlialb
des ehemaligen Deutschen reichs. einschliefslich der Schwt-iz und
der Niederlande, vor dem jähr 1.5(10 entstandenen bücherver-
zeichnisse, nach und nach stellte sich jedoch heraus, dass bei
solcher ausdehnung der räumlichen grenzen die vorarbeiten sicli
endlos hinziehen und den abschlnss des Unternehmens in unab-
sehbare Zukunft hinausschieben würdt-n. Wien schränkte daln-r
1906 seinen plan auf die kataloge der bibli.ttheken des h.utigen
Österreich ein, trat aber, durchdrungen von der übrrzeugung.
dass der älteren westlichen cultur ein hö|i»'rii- w.rf 'N d.r
A. F. D. A. XXXVIII.
122 STEINMEYER ÜBER GOTTLIEB UND LEHMANN
jüngeren östlichen inne wohne, gleichzeitig an den kartellverband
der deutschen akaderaien mit der bitte heran, seinerseits eine
Sammlung der mittelalterlichen bibliothekskataloge Deutschlands
und der Schweiz in die band zu nehmen, der Göttinger kartell-
tag vom october 1906 gieng auf diesen Vorschlag ein und be-
traute keinen geringeren als LTraube mit der leitung des reichs-
deutschen corpus. sie verblieb auch nach dessen vorzeitigem
tode bei der Münchner akademie, die sich nunmehr mit Wien
in die vorarbeiten teilte, während Berlin, Göttingen und Leipzig
finanzielle beihilfe gewährten, weitere beratungen, insbesondere
1908 zu Berlin, 1909 zu Wien, 1911 zu Göttingen, erzielten
volles einvernehmen in allen eiuzelfragen der ausführung. als
erste frucht der geraeinsamen tätigkeit liegen jetzt die beiden
oben näher bezeichneten bände vor.
Für die deutsche litteratur speciell springt allerdings herz-
lich wenig heraus, das rührt einerseits daher, dass die spräche
der Wissenschaft und der kirche während des ganzen mittel alters
lateinisch war, andererseits daher, dass vielfach die titel so vage
lauten, dass wenig mit ihnen anzufangen ist: unter dem li.her
wlgaris qui dicitur das angcnge (Lehmann 4, 30) lässt sich an
sehr verschiedenes denken, angaben wie Benedicite ivlgaris per
modum carminis oder Formidarhim vulgare (Lehmann 126, 3ü.
392, 13) entbehren der wünschenswerten präcision. was uns
an der Karlsruher hs. Aug. CXI besonders interessiert, nämlich
das umfängliche glossar Ra., verschweigt der Reichenauer katalog
saec. IX (Lehmann 265, 12f) gänzlich, aber diese scheinbar
trockenen bücherlisten besitzen einen culturgeschichtlich unschätz-
baren wert: aus ihnen geht hervor, wie viel von dem erbe der
antike sich im mittelalter erhielt, in welchem umfang neue werke
hinzukamen und welche landschaftliche Verbreitung sie fanden,
wie lange sie lebendig wirksam blieben, bis sie, zumeist unter dem
wachsenden einfluss des Universitätsunterrichts, von moderneren
compendien abgelöst wurden, manches licht fällt auch auf die
gegenseitigen beziehungen der klöster und auf die beteiligung
der verschiedenen orden an der litterarischen production. flut
und ebbe der geistigen Strömungen im wandel der Jahrhunderte
spiegeln sich hier recht getreu wider, den vereinigten akademien
gebührt darum warmer dank für ihre publication. beide be-
arbeiter haben es sich angelegen seiu lassen, das material so
vollständig und so genau wie möglich vorzuführen, von den
76 nummern des österreichischen bandes waren 16 bisher unbe-
kannt, von den 96 des deutschen deren 25 während die Münchner
abteilung sich nach abschluss des ganzen werkes einen tafelband
vorbehielt, bezeugen die zwei dem Wiener band beigegebenen
facsimilia die grofsen Schwierigkeiten, mit denen öfters die lesung
zu kämpfen hatte, die geschichte der bibliotheken, deren kata-
loge sich erhalten haben, und das Schicksal ihrer handschrift-
MITTELALTERLICHE BIBLIOTHEKSKATALOOE 123
liehen bestände ündet in einldtendeii capit-ln sorf^same b.-hand-
lung: ich weise namentlich auf die lehrreichen erörterun^en über
SGallen und Reichenau hin, deren alte Verzeichnisse wir nun
in zuverlässiger gestalt besitzen, ich weifs daher nur kleinie-
keiten zu berichtigen.
Über das veihältnis, in dem die Klosterneuburger bücherlisten
saec. XIII nr 12 und 13 unter einander stehn, ist unbedingte
Sicherheit nicht erreicht. Gottlieb meint, nr 12 sei deshalb
älter, weil sie nachtrage jüngerer band enliialte, die von erster
band in nr 13 geschrieben seien, aber auch das gegenteil tritt
nicht selten ein: 97, 30 Amhros'ms de hono mortis, item <h Ysaac
et anima, in uno volumine = 94, 1—3. 98, G ff Item feronimus
super Esaiam in duobus volmninihus . . . Jdem super Lreminm.
Idem in epistolas Pauli ad GalatJias, ad Ephesios, ad Titum,
ad Philemonem. Hehraicq qu^stiones = 9-1, 12 — 15. 9S, 14
Idem {Büdbert7ts) super Mattheum und 98, 17 Item s-uper 'dm-
decim jJrophetas in duohus voluminihus = 94, 20. 22. 99. 1 2 f
Honorim super psalterium in tribus voluminihus. Claves phisir^.
Cognitio vitq = 94, 35 f. 99, 16 Hylarius de sancta trinitate.
Item de synodis = 94, 1. übei-all handelt es sich in nr 13
um eintrage zweiter band, welche von erster in nr 12 her-
rühren, der anfangsabsclmitt der nr 13 (97, 3 — l())ist wesent-
lich aus nr 1 1 geschöpft (nur fehlt der dritte band der Bibel),
hat aber bei 97, 13 Fastoralis cura mit nr 12 den zusatz in
quo etiam elucidarium. jedes der beiden stücke 12 und 13 bringt
eigentümliches, dem andern fehlendes, in dem citat 93, J3
Item epistola Cipriani — ijertinentia ligt wol ein di-uckfehler statt
passionalia vor.
Auch über die Melker Verzeichnisse saec XV nr 22 und 23,
deren zweites dem jähr 14S3 angehört, besteht volle klarheit
nicht, die fragmentarische nr 22 machen zwei von den innen-
deckeln des Melker codex 134 abgelöste papierdoppelbll. ans.
Gottlieb lässt unentschieden, welcher platz ihnen innerlialb der
läge zukam, aus nr 23 ergibt sich jedoci), dass sie die beiden
innersten doppelbll. einer läge bildeten: denn 22 bl. 2" reicht in
23 bis 188, 5 und 22 bl. 3' beginnt mit Notabilin alia plnrima,
die 188. 6 — 12 in 23 entsprechen. 22 wie 23 bieten denselben,
nach einzelnen archae geordneten katalog; erst naclitrftjjlich
sind ja die roten signatnrbuchstaben und die schwarzen signaturnrn
der nr 23 beigefügt, allerdings weist nr 22 veisthiedene kürzungen
auf, so fehlt nach 149, 7, was s. 180 f unter C r)3 — 65 steht;
151, 1—4 lauten anders als 183, 1-7 (C 8-1) und 151. 35—
152, 1 anders als 184 f (C 92); für den rest der archa III ^
190, 23—192, 6 (C 117— II 6) blieb in nr 22 der räum leer;
endlich lässt sich der anfang 148, 10— 11 9, -1 in nr 23 nicht
nachweisen, sonst deckt sich nr 22 s. 149, 5 — 156,21 mit
nr 23 s. 180. 29 (C 62) -199, 17 (D 32). Gottlieb gedenkt
124 STKINMEYER ÜBER GOTTLIEB UND LEHMANN
s. 161 beiläufig eines zweiten, aber wesentlich gekürzten Melker
exemplars des katalogs von 1483: vielleicht hätte dessen genauer
vergleich über das zwischen nr 22 und 23 bestehende Verhältnis
helleres licht verbreitet, denn manchmal ist nr 22 vollständiger
als nr 2:^: so 151, 12. 13 gegenüber 183, 21 f; 151, 16—18
fehlen hinter 183, 23 oder 32, ebenso 152, 17. 19 hinter 186,
28 und 37; 152, 21—29 stimmen nicht zu 187, 4 ff = C 97
und 152, 30 ist um den zusatz speclaliter capitulum de obediencia
reicher als 187, 27. fehler enthält jede der beiden nrn: richtig
steht 149, 40 Compendium historiarmn et iuriuni für 181, 38
vi7"ium, falsch ehendiSi institutoris statt institucionis, richtig 150, 5f
Tradatus Bahani contra eos, qui rejmgnant statuta sancti Bene-
dicti de receptione jmeroruni (vgl. 222, 15 und Migne 107, 419),
unsinnig 182, 2 Tradatus Rahani contra eos qui repugnant.
Statuta sancti Benedicti de recepcione puerorum. dagegen ver-
dient den Vorzug 182, 9 Ego stim vitis vera vor 150, 9 Ego
suni rir, 183, 15 Tradatus de ymitacione Christi vor 151, 7
Tradatus de mutatione Christi, 189, 13 de ingratitudine (vgl.
217, 29) vor 153, 36 de magnitudine. Gottliebs noten bedienen
sich zur kennzeichnung von Schreibfehlern leichterer und schwerer
natur häufig im sinne von 'sie' einer, so weit ich sehe, nirgends
erklärten sigle A. daher blieben mir s. 219 anm. d und e 'in
A folgt hier contra quondam truncato' und ^de tradatu in A
hinter Magnif.% wo doch unter A nur eine sonst nicht genannte
hs. verstanden werden kann, unklar, übrigens wäre jenes A
zb. auch bei 168, 37 ad Dalgasiam am platze gewesen. 315, 8
ist der rückverweis D 26 in D 46, 317, 7 C 10 in E 10
zu bessern.
Zum k atalog der Neithartschen familienbibliothek im Ulmer
münster nr 67 bemerkt Lehmann 306, 20 f: 'die fett gedruckten
zahlen rechts bezeichnen vielleicht die verschiedenen bücherpulte
oder geben den taxwert (in gülden) an', wenn es aber 386, 35
heifst 'die zahlen . . . können wie bei kat. 67 wert oder preis
angeben", so scheint er inzwischen mit recht anderer ansieht
geworden zu sein, unter den zahlen fehlen nämlich 1. 2. 11.
13. 17. 19. 21. 23. 25. 27. 29. 31. 33. 35. 37. 39. 41. 43.
45—49 überhaupt, 26. 28. 38. 44 treten nur einmal, 3. 4. 32.
42 nur zweimal auf, während 8 dreifsig mal, 14 dreiunddreifsig
mal, 10 achtunddreifsig mal, 12 sogar siebenundvierzig mal vor-
kommt, schliefst schon dieser befund jede möglichkeit aus, an
pulte zu denken, so zeigt nr 68 mit voller deutlichkeit, dass
es sich überall um Schätzungspreise handelte; zugleich ergibt
sich, dass 349, 10 die Ziffer 5 verschrieben oder verdruckt ist
für 50. — ich halte nicht für unbedingt sicher, dass nr 25
eine liste der von Mathias Bürer nach Rietz und ümhausen
verschickten bücher darstellt, denn wenn der mann von Rietz
aus seine Romfahrt antrat (135, 14), so besteht gröfsere wahr-
MIITEI.ALTERLICHE BIBLIOTHKKSKATALoni: 125
scheinlichkeit dafür, dass hinter der übersdirift ipmuilo iri ad
curiam Romanam das fins lihros misi in Rivcz nicht 'verschickte*,
sondern 'zurückliels' bedeutet. — ein weiteres, ehemals den
SGaller dominikanerinneu gehöriges ms. ('s. 14 7j befindet sich
jetzt in Erlangen, s. Die jüngeren hss. der Erlanger Universitäts-
bibliothek (1913) 107 f. — ich weise noch auf die wiederholt
in einigen abschnitten der nr 31 begegnenden interessanten
formatangaben regelhleter, bogenhleter, texf Meter hin: ersterer aus-
druck geht zweifellos auf folianten (DWb. VIII 492), hngcnbleter
auf quartanten; dann können texthlefer wnl nur octavbUcher
bezeichnen.
Die künftigen bände der Sammlung werden sich der ein-
richtung der beiden jetzt vorliegenden in allen wesentlichen
puncten anschliefsen müssen, es wäre daher zwecklos, bedenken
geltend zu machen, welchen sich nicht mehr rechnung tragen
lässt. trotzdem muss ich betonen, dass man Traubes Vorschlag
entsprechend statt des Jahres 1500 besser 1450 zum endtermin
hätte wählen sollen, sowol weil mit der eroberung Constantinopels
und mit der ertindung der buchdrnckerkunst das mittelalter
meines erachtens sein ende nimmt, als auch hauptsächlich darum,
weil alsdann der umfang des ganzen werkes sich in mäfsigen
grenzen bewegt haben würde, denn gerade die jüngeren kataloge
sind besonders ausführlich: in Lehmanns bände beanspruchen die
der zweiten hälfte des 15 jhs. angehörigen Ulnier volle 90 selten,
und dies um seiner geringeren Wichtigkeit für die forschung
willen früher wenig beachtete jüngere material erfährt unaus-
gesetzt Zuwachs und wirft alle vorausberechnung über den häufen,
noch 1911 glaubte man mit zwei bänden der österreichischen
abteilung auszukommen, deren erster Nieder- nnd Oberüsterreich
nebst den Alpenländern, deren zweiter die länder der böhmischen
kröne begreifen sollte : jetzt werden vier kaum hinreichen. Leh-
manns anteil wurde damals auf mindestens fünf bände geschätzt :
ich bezweifle, dass zehn genügen dürften, deshalb steht zu be-
fürchten, dass das reichsdeutsche corpus gleich so manchem
akademischen unternehmen unserer tage sich endlos hinziehen
und die jetzige generation seinen abschluss schworlich erleben
wird, immerhin scheint für die Zukunft, ohne dass den leitenden
grundsätzen abbruch geschieht, eine nicht unwesentliche reduction
des umfangs der ausgäbe durchführbar.
Man war 1911 übereingekommen, dass jeder abteilung erst
nach ihrer Vollendung ein eigener indexband zu folg.n hätte,
demgemäfs verzichtet Gottlieb vorläufig auf all»' rogister, Lehmann
hingegen bringt einen 'Schriften und scliriftsteller' betitriten
index, der nahezu 100 Seiten kleinsten zweispaltigen satzes ein-
nimmt, mit gröstem fleifs und äufserster Sorgfalt hergestellt
bietet er nur zu minimalen einwänden anlass. wenn zb.^ }fiUs
de Turri 556* verdeutscht als li'üfer mm Tum 572* wider-
126 STEINMEYEB ÜBER GOTTLIEB UND LEHMANK
kehrt, so sollte der Chorea mortuonim 516^ ein Totentanz 581^:
zur Seite treten, denn wem wird es beifallen, unter Chorea
nachzuschlagen? Von der ewigen wisshait ain büchly 591** meint
zweifellos Susos bekannte schrift: aber der artikel Henricus Suso
535'' nennt sie nicht. dem ansatz Sommerteil 577^ mangelt
das citat 206, 22, das für Winterteil 592' verwertet ist; hier
wäre zugleich auf Ustivale A88^ und Hiemale 536" hinzuweisen
gewesen, wie nicht minder bei De resurrectione 572" und Pilatus
567" auf Das buch von der iirstende und von Pilatus 591 **.
hinter Translacio harharica psalterii 561 " steht verdruckt 114, 16
statt 116, 14. die worte 'Vgl. auch Necrologia' 581^ gehören
nach 'Totenlisten' der nächsten zeile. die gruppe Versus beruft
sich 582'' zum vergleich auf Scurrae: dies lemma wird 574**
vermisst. störend wirkt und hal zu manchen inconsequenzen
geführt, dass, namentlich in älterer zeit, träger von familien-
namen nicht unter diesen namen, sondern unter ihren vornamen
alphabetisiert sind, weil indessen die familiennamen vielfach be-
kannter sind als die vornamen, sah sich Lehmann zu reichlicheü
verweisen genötigt, zb. Hemerli vgl. Felix H. 534^, Herz vgl.
Narcissus H. 536", Kider vgl. Johannes X. 560'', Spetzhardus vgl.
Hugo S, 578*; sie fehlen jedoch bei Faber, Mann, Nausea, Stein-
höwel, Suso, Textor und hätten, wäre dem gegenteiligen ordnungs-
princip der vorziig gegeben, überhaupt gespart werden können.
Rulman Mersivin tindet sich zweimal aufgeführt, unter Jf 555 '' und
unter R 573": aber nur an erste rem ort wird seines Meisterbuchs
gedacht, auf das der titel Ain buch, das der laig den maister
lertt 549^ hindeutet, während Gallus Öhem 530" unter Gallusj
Jacobus Wim2)felingiHS 542'' unter Jacobus gebucht steht, ohne
dass daneben Öheiu und Wimpfelingius auftreten, sind Virich
Boner dem B, Hermann von Sachsenheim 573" und Phil. Seiler
574'' dem *S' eingereiht, bei Udalricus, Hermannus und Philippus
dagegen nicht erwähnt.
Ich erkenne, wie gesagt, die schwere mühe bereitwillig an,
welche dieser index gekostet hat. aber seinen hauptsächlichen
Inhalt wird das generalregister am schluss des reichsdeutschen
teils zu wiederlioleu haben, und zwar in verbesserter gestalt,
weil erst der überblick über das gesamte material manche cor-
rectur erbringen, anonyme werke benannten autoren vindicieren,
pseudepigrapha richtig stellen kann, der herausgeber rauss sich
also derselben aufgäbe noch ein zweites mal unterziehen, dass
er schon jetzt einen partiellen index vorlegte, hat weiter zur
üblen folge gehabt, dass der druck starke Verzögerung erlitt
und dass der preis des bandes, verglichen mit dem des Wiener,
eine für den absatz verhängnisvolle Verteuerung erfuhr, endlich
fragt sich, ob der nutzen im rechten Verhältnis zu der auf-
gewandten arbeit steht, ich glaube das nicht, indices wollen;"
zur raschen ermittelung beiläutiger und versteckter notizen ver-^
MITTEI.ALTKKLICIli; Hl KI.Io TU i;ksK .\T.\l,(j(;i-; 127
helfen; nicht zur lortlaufcnden loctüre, sondern /.um nachschlagen
sind sie bestimmt, wer einen index herstellt, soll nicht nieclianisch
wesentliches und gleichmütiges mit haut und haaren alpliabctisieren,
sondern sich vorsichtig auf angaben beschränken, aus denen der
benutzer tatsächliche belehrung zu schöpfen vermag, ein reich-
liches drittel aller ausätze des Lehmannschen registers wird
niemand nachschlagen: wen können die kahlen titel Autipho-
narlum, Benedldionale, BrerUuiam, Caleiularlum, Cerimoniae,
Collectiones , Collectae, Compend'mm, iJecllnatione.s , IHrtiones,
Horae, Martyrologium, Materia, Matntinale, Xotahllia, Officinle,
Fasdonarms, Versus usw. irgendwie reizen? und wer wird ver-
langen tragen nach stich werten wie Erprewiones lilulornm et no-
mimim et libromm et dodonim et philosojjJiontm 528'', De floratihiis
diversis 529', Textus geste 530'', Hosjnlluni inmidi 540', /(«Wf/
541**, Latitudines foniiarum 549'* oder nach buchUberschriften
und buchinitien wie Der Ijöss grund 533', Des leid 550'', Litcta
aninte 551^'? dazu tritt erschwerend der umstand, dass die
gleichwertigen lateinischen und deutschen begriffe vielfach nicht
zusaramengefasst oder durch verweise gegenseitig in beziehung ge-
setzt sind, vgl. Der annutt hack 494" und Serino de paitpirtute 565*,
(Jantica 514" und Gesangbiccher 530'', Carniina 514'' und Ge-
dichte 530", Doctrina 526" und J)ie vier unfang vrangelischer
lehr 550'', Gebete 530" und Preees 568'', ])es haiUigcn gaistes
hiichlg 530° und S2nriti(s sandiis 57S". zuweilen wurden auch die
Stichworte nicht ganz glücklich gewählt: Virtute.s eorii vel cutis
serpentini steht 521'' unter corii, gehört aber unter serpens,
Processus et forma eligendi episcopum vel ahlxitein wäre besser bei
episcojws und abbas als bei eligendi 527' verzeichnet, ebenso
De penis principalibns in fern i richtiger bei inferntis als bei
poena 567". Usus fendontni 591'' hätte den sonstigen belegen
für feiidum 52S'' angereiht werden müssen, ganz überflüssig ist
De investigando vgl. Fures 543'' und Freserratira 568'': anter
Festilencia 565'' war das nötige schon gesagt, sollte durclrtius
dem band ein register folgen, so konnte man sich mit einem
knappen autorenverzeichnis unter einbegriff der jetzt fehlenden
donatorennamen begnügen, innerhalb solcher bescheidenen grenzen
halten sich hoffentlich auch dereinst die geplanten generalregister:
denn nach dem muster des vorliegenden partiah'udex angelegt
würden sie geradezu monströs ausfallen, nur auf grund eigener
lectüre, nicht mit hilfe von registern lassen sich biieherkatalo?!-
wie matrikeln allseitig ausschöpfen.
20. VI. 18. K. V. sttiiime\rr.
Kleine Schriften von Otto Ilirschreld. Berlin. Weidmann l'.MS.
1011 SS. 'M) m.
Ein stattlicher band 'kleiner Schriften', der auch dem ferner
stehnden einen einblick in die reiche lebensarbeit des verfaHBcr«
128 HKNNING ÜBKR HIKSCHB^ELD
gewährt, Germanien wird nur gestreift, aber die nachbarländer,
die für die deutsche alterturaskunde immer mit zu beobachten
sind, sind reichlich vertreten, vor allem Gallien durch eine reihe
von monographieen, die im wesentlichen den allgemeinen historischeu
und culturgeschichtlichen ertrag von Hirschfelds grofser inschriften-
publication darstellen, dabei kommt es dem verf. nicht blofs auf
das speciell römische an, er sucht auch die fäden welche dieses
mit dem einheimisch-nationalen verbinden, soweit es möglich ist
blofs zu legen, hierher gehören die 'Beiträge zur geschichte der
narbonensischen provinz" (1889), besonders die 'Gallischen Studien'
(1883), welche die Schicksale und einrichtungen der alten Phokäer-
colonie Massilia von ihrer gründung bis zur christlichen zeit er-
zählen und als gegenbild dazu diejenigen der benachbarten kelti-
schen gemeinde der Vocontier, die so manches von ihrer alten
nationalen Verfassung bewahrte, weniger ausgiebig fliefsen die
quellen über 'die Häduer und Arverner unter römischer herschaft'
(1897), reichlicher über 'Lyon in der Römerzeit' (1878), das von
Caesar noch ungenannte, aber dann als handelsstadt und ver-
waltungscentrum für das ganze römische Gallien (und Germanien)
rasch emporblühende Lugudunum, dessen frühes Christentum noch
eine besondere behandlung findet, die interesfante abhandlung
'Aquitanien in der Eömerzeit' (1896) greift in die ältere besiedelungs-
und Völkergeschichte hinüber und stellt neue fragen, sehr be-
merkenswert sind schon die sacralen Verhältnisse, im gegensatz
zu Gallien scheint es hier kaum priester gegeben zu haben, obwol
eine unzahl kleiner culte, unter denen der baumcultus sich be-
sonders hervortut, und kleine gemeinden von 'consacrani' be-
standen, an welche die modernen Ortsnamen mehrfach anknüpfen,
der höchste gott (Jupiter optimus maximus) war wol der wetter-
gott ('auctor bonarum tempestatium). die namen der in den
Pyrenäen verehrten gottheiten sind in Spanien alle nicht belegt,
was Hirschfeld veranlasste, als ältere bewohner Aquitaniens auf
andere als die Iberer zu schliefsen. er denkt an die Ligurer
und hat dafür die Zustimmung Sieghns gefunden, in der tat
entsprechen manche gruppen aquitanischer namen nicht der iberi-
schen, sondern der ligurischen bildungsweise, dann kam die Ver-
mischung mit den Iberern und später mit den Kelten, zu den
letzteren gehörten die (Bituriges) Vivisci, die von H. mit der be-
absichtigten auswanderung der Helvetier zu den Santoni com-
biniert wird, vgl. 'Vivisco' (Vevey) am Genfer see. auch eine
kleine Bojengruppe ist bei Bordeaux nachweisbar, ein gröfserer
stamm waren die Volcae Tectosages, aber es bleibt zu beachten,
dass schon Hannibal die letzteren an den Pyrenäen antraf.
Mit der gallischen Vorgeschichte beschäftigt sich auch der
aufsatz 'Timagenes und die gallische wandersage' (1894). Müllen-
hoff hatte angenommen, dass der bericht des Livius über die
Wanderung der Gallier nach Italien auf mailändischer tradition
KLEINK .SCIIRIITKN t2'J
beruhe, die ihm der Grieche Timaf,'enes vermittelt habe. H. lUast
den mailcändischen Ursprung bestehn, findet aber die anzeicheii
für eine griechische quelle zu unsicher und führt den bericht auf
das geographische werk des aus der Mailänder gegend stammenden
Cornelius Nepos zurück, die berührung mit dem text des .lu.stinu.s,
der durch die vermittelung des I'ompejus Trogus dieselbe quelle
benutzte, wird in gleichem sinne erklärt.
Zu den Germanen führt 'Der name Germani bei Tacitus und
sein aufkommen bei den Römern' (IS98j. die bekannte stelle
Germ. 2 ut omnes i)rimum a victore ob metinn wird in iil <mvir.s
a victo, re[or],. ob metum gebessert, was mir schon stilistisch
nicht eingehn will, dass die Römer und Tacitus, wenn sie über
die bedeutung des namens nachdacliten, ihn an das ihnen ge-
läufige 'germanus' anlehnten », ist anzunehmen, wie denn auch
Strabo mit seinem yvi]oioi römisch etymologisiert, dass der
name den Germanen von den Kömern gegeben sei, nimmt
auch H. nicht an. im übrigen vertritt er hinsichtlich der
ältesten belege eine von Müllenhoff abweichende auffassung.
Müll, meinte, dass der name schon vor Caesar als belegt gelten
dürfe. H. kommt zu der ansieht, dass M.s Zeugnisse nicht be-
weiskräftig seien, und dass Caesar in der tat als erster den
namen bezeuge. Sallust, der alte quellen benutzte, habe beim
Sklavenkrieg den namen aus Caesar eingesetzt und der epito-
mator des Livius wider aus Sallust geschöpft. wie dem auch
sei: einige decennien sind jedenfalls schon vor Caesar nötig, um
die ausdehnung des Germanennamens zu erklären, dass sie auf
nicht besonders orts- und volkskundige zurückgeht, ist gleichfalLs
deutlich, was wider zu dem Sklavenhandel, der hier vielleicht in den
bänden südgallischer Griechen oder 'Syrer' war, aufs beste passt.
Von sonstigen artikeln, die auch den germanisten interessieren,
seien nur noch erwähnt: 'Die Organisation der drei Gallien durch
Augustus'(1908), 'Die römischen meilensteine' (l!)07), 'Dacia'(lS7 l).
über Tacitus handeln noch mehrere ältere aufsätze.
' seine erklärung des namens aus keltischem i/ennanos — lat.
yermanus hat Much im Reallexikon ii 1S3 aufgegeben und durch »lie
sprachlich und sachlich gleich bedenkliche Germanus = deutsch (in-
ermanos 'conuniversalis' ersetzt, übrigens gehören die Gernien- in diu
Personennamen fast alle dem gebiet von SGerniain, also den homincs
SGermani an. dass dieser Schutzpatron hier in der tut in die nameiigebunkr
aufgenommen ist, beweist wol der umstand, dass die kinder di-s (iermenulf
Germanus und Germana heifsen; das forterben desselben compositionsgliede»
in den namen von eitern und kindern ist gerade im Polypiychon Irminoni»
besonders häufig.
Stralsburg l'.Ü l «• »^'""'»Jf
(Auf die inzwischen angewa<hscne lileratur über diu Germanennamt-n
kann hier nicht mehr eingegangen werden.
Heidelberg UM 9. '^ "
130 MICHELS ÜBEK DOVE
Studien zur Vorgeschichte des deutschen volksnamens von
Alfred Dovc. vorgelegt von Fr. Meinecke. Heidelberg, Winter
1916. 1= SBer. d. Heidelberger akaderaie d. Wissenschaften,
philos.-hist. kl. Jahrgang 1916. 8. abh.] 99 ss. 8*». b,2ü m.
Alfred Doves schöne festrede 'Der widereintritt des natio-
nalen princips in die Weltgeschichte' vom Jahre 1890 (wider-
abgedrnckt in den Ausgewählten schriftchen vornehmlich histo-
rischen Inhalts, Leipzig 1898, s. 1 ff), erhielt 1893 und 1895
wertvolle und oft citierte ergänzungen in den 'Bemerkungen zur
geschichte des deutschen volksnamens' und dem aufsatz 'Das
älteste zenguis für den namen Deutsch' (ebenda s. 300 u. 324).
die vorliegenden, leider unvollendeten 'studien' enthüllen nun den
ganzen wissenschaftlichen unterbau, sie zeigen eine so gründ-
liche philologische Schulung des historikers, dass man Meinecke
recht geben muss: die gelehrtenpersönlichkeit des geistreichen
Verfassers erhält erst durch diese Veröffentlichung ihr volles licht.
Dove geht streng systematisch zu werke, er schiebt im
ersten abschnitt JGrimms verschwimmende ausdeutung von
deutsch als 'volkstümlich' = 'germanisch', im gegensatze zu
römisch, verengert zu 'deutsch' im heutigen sinne, beiseite und.
lehnt auch die verschiedenen ansichten seiner nachfolger ab, die
er als die 'nationale' hypothese (a) 'antiparticularistisch', b) 'anti-
romanisch'), die 'vulgäre' (antilateinische) und die compromiss-;
theorie bezeichnet, um dann im zweiten abschnitt in Wulfilas
Übersetzung vonOalater 2, 14 ed^vixcög = J)iudisko den sicheren
ausgangspunct zu gewinnen, in einer überaus geistvollen Wür-
digung der Völkerwanderung zeigt er, wie der begriff des 'volks'
auf abstammung gegründet werden konnte und dass i'O^vog, gens^
dafür die bezeichnenden ausdrücke der Schriftsteller sind. (Sal-
vian konnte schon eine Charakteristik der wichtigsten völker-
persönlichkeiten versuchen, wie im 19 jh. GFreytag.) aus dem
gegensatz der gentes gegen das römische imperium entsteht die
gleichsetzung von gentes mit ßdgßaQoi.
Daran schliefst sich im dritten abschnitt eine sehr be-
achtenswerte Synonymik, in der das Verhältnis von i'^vog zu
laög Iscbg, yevog, (pvXov, von gens zu natio usw. erörtert wird'
und aus der nur angemerkt sei, dass natio zunächst enger ist
als gens und daher die von Mommsen misverstandene stelle,
Jordanis Get. 133 omnem ubique linguae kuius natlonem Über-
setztwerden muss 'alles was irgendwo von geburt der gotischen;
zunge angehört', nach ihr ergreift wider der historiker Dove
das wort, um zu zeigen wie die gens der völkerwanderungszeit;
sich im rex gleichsam verkörpert (s. 45 a; 1 wird über Tac.
Germ. 1 nuper cognitis giiibusdam gentibus ac regihus ge-
handelt). :
Einen besonderen excurs verlangte viertens der gebrauch
des plurale tantum gentes, ed^vrj für hebr. go'jm, ursprünglich
VOEGESCHICHIK J)i:s DKIi'i scllKN \( iI.KSN N M I.NS 1 :( 1
die bezeiclmung- der nichtjüdischen, dann der luclitchiistliclien
aufsenwelt. resultat: der kirchliche sprachf^ebraucii hat zu-
nächst nichts mit der bezeichnung der nalioncii zu tun; doch
mischt sich allmählich die nationale bedeiUiiiit,^ ein. auch jxi-
ganus verliert allmählich einen teil seiner vcrächf liehen schärfe;
(mit den ausführnngen auf s. (>0 ff, vf?l. jetzt WSchulze H8B.
1905 II. s. 749.) es wird fünftens gezeij^t, dass die {?ot. Über-
setzung von eO-voQ, yens als Völkerschaft l)iHda ist mit seinen
ableitungen piudans, piudanon, pmdinaf>si(.s, piudanfiardi, während
■jclf^O^og, öylog, ?.aöc durch manafjei, hiiihmn, iuinjo wider-
gegeben wird, begreiflicherweise übersetzt Wultila auch /^'/»'^y
im sinne von 'beiden" und das gleichbedeutende li'/.h^vfc durcli
den pluralis piados; aber Dove legt entscheidendes gewicht darauf,
dass OL i^viY.oi zweimal, nämlich l^fat. 5, K» und 8, 7 durch
pai piudo widergegeben ist, um zu schliefsen, dass es zu Wultila»
zeit das adjectiv phidisks überhaupt noch nicht gegeben habe und
dass das adverb pindisko == e^vr/Aoc:, mit dessen besprcchung
er zum ausgangspunct seiner Untersuchung zurückkehrt, nur eine
Augenblicksschöpfung gewesen sei (s. t)7, vgl. Ausgew. schriftchen
s. 319; ähnlich HFischer PBBeitr. 18, 204 und WSchulze aao.
s. 74S). diesen schluss halte ich nun doch für übereilt, sicherlich
ist der gebrauch des Avortes an der einzigen belegstelle im
Galaterbrief neu und eine kühnheit des Übersetzers, der den
knappen gegensatz ethviv.öiQ -- 'lovöaiy.aQ nicht treffender widei^
geben konnte als durch piudisko — ludaiivisko. aber dass es sich
um ein neugebildetes wort handle, halte ich angesichts der be-
liebtheit einerseits von piiuhi usw., die bei den Goten bis in die
zeit des pwdareiks und [iindaiuets fortdauerte, anderseits des ele-
mentes -{i)ska- für wenig wahrscheinlich, eiutr lebendigen und
bildungsfähigen spräche gegenüber ist der gruudsatz 'Quod nou
est in actis, non est in mundo' besonders gefährlich, wir be-
sitzen ja aus dem gotischen Wortschatz nur einen winzigen aus-
schnitt; ein pindisks aber konnte natürlich nur bedeuten: zur
fjuula, dh. in erster linie der Gxlpinda (nicht aber: zu den piudos)
gehörig, und dafür hatte die bibelübersetzung keine Verwendung,
zur vorsieht mahnt hier das englische, wo firodisc in der für «las
gotische vorauszusetzenden beileutung würklich erscheint, wenn
auch spät und selten belegt, nämlich: 1. in Layamons Hrnt. Cott
Cal. A IX V. 583S (gegen 12o:)': thu theodisn- meu 'die zum
Volke gehörigen, einheimischen männer' zur bezeiclmung der
R-6mer '-^ thc Bomanisce Cott. Oth. C XIII ; 2. das substantivierte'
neutrum in Aelfreds Boethius 4(i. 12 (vor S9U): <>n muHiij then-
d'usc 'in mancher v<dksspraclie' (vgl. Lays X 2()); ü. djis latini-
sierte adverb theodisrc in ein»Mn schreiben Alcliuins ed. Dümmler
MG. Epist. Karol. aevi II, p. 10 (786): hnn hüi.n (,mnu Iheo-
fUsce 'sowol lateinisch als in der Volkssprache' angelsächsiseh,
was bekanntlich Dove in seiiieui aufsafz über das ällestt* zeugnis
132 MICHELS ÜBEß DOVE, VORGESCHICHTE D. DEUTSCHJIN VOLKSNAMENS
für den namen Deutsch (Ausj^ew. sehr. s. 324) zu erklären und
gleichsam zu entschuldigen versuchte, seitdem aber hat es
Schlutter Zs. f. d. wtforsch. 14, 142 in derselben bedeutung auch
'im ae. charter Aethelwulfs vom jähre 845' nachgevi^iesen : sil-
vatn quem (!) nos theodoice (1. thcodisce) s n a d noviinnnms '.
auch HFischer schiefst deshalb wol über das ziel hinaus, wenn
er PBBeitr. 14, 203 ff aus der wichtigen tatsache, dass Otfrid
zwar das lat. sozusagen amtlich abgestempelte tlieodiscvs, nicht
aber das deutsche diutisc verwertet, nicht nur folgert, um 870
könne das wort als deutsches wort noch nicht 'geläufig' gewesen
sein, sondern sogar die möglichkeit erwägt, dass es künstlich
gebildet worden sei 2.
In der hauptsache aber behält Dove immerhin recht', und
wir folgen ihm gern auch im letzten abschnitt, wenn er zeigt,
wie infolge der veränderten Verhältnisse nach dem schluss der
Wanderungszeit einerseits auch die R(3mer oder Romanen zu den
(jentes gerechnet werden, anderseits durch die entstehung von
staatlichen gebilden mit gemischter bevölkerung, besonders bei
Alemannen und Franken ge7is, eO^vog, deot eine erweiterte, vor-
wiegend politische bedeutung erhält, mit der besprechung der
angelsächsischen Verhältnisse, wo die bevölkerung eines jeden
der sieben königreiche eine gens ist, aber auch Anglorinn {sive
Saxonum) gens die gesamtheit der eroberer bezeichnet, sodass
'die idee der werdenden englischen nation' ihren schatten voraus-
wirft, brechen die 'studien' ab. durch die früheren Veröffent-
lichungen sind sie leicht zu ergänzen.
' ich kann das citat leider nicht nachprüfen.
^ Dove spricht s. 70 auch haißns — so ist anzusetzen — dem
Wulfila ab und nimmt mit Bernhardt an, dass der beleg Marc. 7 26
'EXXrjviz haißno erst durch zweite hand in den text gekommen sei. das
ist durch Zahn N^ue kirchl. zschr. 10, IS ff und WSchulze aao. s. 748
widerlegt. Schulze hat das verdienst, die formalen und begrifflichen
Schwierigkeiten in der erklärung des wortes aufgedeckt zu haben, aber
seine eignen constructionen vermag auch ich nicht zu glauben. Kluge
EtWb.'' 199 wird der wahrheit näher kommen, eine die spräche ver-
gewaltigende erfindung, die zudem kein Gote hätte verstehn können, ist
Wulfila auch hier keinesfalls zuzutrauen, wol aber eine umbiegung des
Sprachgebrauchs, haißno und erst recht das zugrunde liegende masculinum
waren gewis gute alte gotische Wörter; nur bedeuteten sie noch nicht
'heid«', 'heidin'. sie mögen eine verächtliche nebenbedeutung gehabt
haben, wie unser 'die wilden', die sie mit (dem späteren?) paganus ver-
band, aber nicht überall zur Verwendung für "EX^rjv, 'EXXriviQ geeignet
erscheinen liefs. [vgl. jetzt ESchröder GGA 1917, 376ff u. Braune PBBeitr.
43, 428ff. haipiicisks und ludaiwisks klingen vielleicht nur zufällig zu-
eammen. ich bin geneigt beide für zaghaft gewagte bildungen der basen
haißi-, ludai- zu halten, wobei sich w als übergangslaut 'spontan' ein-
stellte. — correcturnote,]
^ vgl. jedoch auch dazu nun Braune aao. s. 436 ff.
Jena. Victor Michels.
BÜUG ÜHKl; BUGGE OLSKN, NOKQES INUSKIUKI KK \Mi
Norfcesindakrifterindtil reforiiiaticinen. u(l;,nvnc fordet Noreke
historiakc kildcskriftfond. forste afdt-l inj,': Ni.rfjcs iiidskriftcr
med do a^^ldre runor. udi^ivnc vcd Sophiis Hii<r^'e. iiidk-driinp
Runeskriftcns oprindolse o^ a-Idsto hisKirie: X, J'JJ ss. bd I
VIII, 45S SS. — bd. 2, hbd. 1 vcd Sopliiis l{ii»jrir»' med bistand
af Jlugnus Olsen: s. 4.M»-.V.I5. - bbd. 2 ved Ma^rmis Ols.-n:
B. .1%— 747. — bd. •^ ved Soplius Hiisrifc i,<i Ma^Miiis <Hs.'ii.
h. 1: 7(> SS. (^hristiania, A \V. JJr.tgijer.s l)o;,'tr}kkori, Ib'.il l'JIT
Die im jähre 1891 von Soplius Bugge begonnene und narli
dessen am 8 juli 1907 eingetretenem tode von seinem mitarbeitor
Magnus Olsen fortgeführte herausgäbe der in älteren runen ab
gefassten inschriften Norwegens nähert sich jetzt ihrem abschiusse.
es steht blofs noch das bereits unter der presse befindliche letzte
heft des letzten bandes aus, welches einige allgemeine bemerkungen
sowie berichtigungen und zusätze nebst registern bringen soll, in
welchem aber den deutschen lesern eine geographische karte über
die locahsierten funde auch recht willkommen wäre.
In der langen zeit über die sich die drucklegung hingezogen,
sind nicht nur manche inschriften erst entdeckt worden, die in
nachtragen auf verschiedene hefte verteilt sind, sondern von 1S91
bis 1907 hat Bugges beweglicher geist in vielen puncten —
manchmal leider zum schlechteren — umgelernt und sogar den
anlageplan des ganzen verändert, da hierzu die Veröffentlichung
von hinterlassenen nicht allein ausarbeitungen, sondern auch ent-
würfen und notizen, ferner die durchaus selbständige Olsensche
fortsetzung, welche Bugges rücksciiritte stellenweis nicht gutheifst,
stellenweis sogar ignoriert, und von arcliäologischer seite eine
besondere revision der inschriftendatierung kommen, ist es eben
60 begreiflich wie bedauerlich, dass das werk vielfach an Unüber-
sichtlichkeit, Unstimmigkeit und abgebrochenheit leidet.
Es zerfällt in einen 190') — 19i;5 erschienenen einleitungs-
band, der dem Ursprung und der ältesten geschichtc der runen-
schrift gewidmet ist, und drei numerierte bände, von diesen enf
halten die ersten beiden, mit gemeinsamer seitenzähUing versehen,
das eigentliche corpus der inschriften nebst mehreren excursen,
weiterhin mitteilungen über steine die wider vei'schwunden sind,
ohne dass ihre möglicherweise in älteren runen abgefassten in-
scliriften abgezeichnet oder gelesen wurden, nachrichtcn über aolclie
inschriften. die nicht als hergeh(irig anzuerkennen und ausg(\schlns.st'n
geblieben sind, und eine menge sogenannter beriohtii,Mingen und
Zusätze. der dritte band bietet, soweit er bis jetzt vorliegt,
'Arkeologiske tidsbestemmelser av a'ldre norske runcintiskrifter*
von Haakon Schetelig aus dem jähre 1914. von den in bd. 1
und 2 als nrr 1 — 54 behandelten runischen gegenständen erörtert
Schetelig hier, meist sehr ausführlicli und mit reicher bildlicher
veranschaulicliung. 21 und in bd. 2, 8. 71'.»— 721 einen, dessen
Inschrift erst 191.") entdeckt worden ist; die übrigen, darunter so
interessante steine wie die von Tune, von Opedal. von l>y, tiiud
134 BUKG ÜBER BUfUxE OLSEN
archäologisch nicht datierbar, von den datierbaren stücken ist
am ältesten die Speerspitze von Idvre Stabu. Biigge setzte sie,
noch Indledning s. 206, ins 4 Jahrhundert n. Chr., aber Schetelig
zufolge rührt das grab in dem sie gefunden ist, aus dem Schlüsse
des 2 Jahrhunderts n. Chr. her. die Speerspitze trägt eine sicher
runische inschrift. mag diese bedeuten was sie, und graviert
sein wo sie will, so widerspricht ihr Scheteligscher terminus ante
quem schroff Bngges schon 1898 vorgetragenem und im ein-
leitungsbande festgehaltenem resultate, dass die runenschrift bei
den Goten am Schwarzen meere kurz nach ihrem 267 ausgeführten
zuge nach Galatien und Kappadokien, also etwa um das jähr 270,
überhaupt erst aufgekommen sei.
Nach B. sind die ursprünglichen 24 runen bald unveränderte,
bald mehr oder weniger veränderte teils lateinische, teils griechische
buchstaben. die runennamen sind nach ihm von hause aus in
gotischem dialekte festgelegt, aber die meisten von ihnen mit
gröfserer oder geringerer Sicherheit zu betrachten als umdeutungen
bald aus als buchstabennamen erhaltenen, bald aus vorauszu-
setzenden teils armeni-schen, teils georgischen namen der griechischen
buchstaben durch einen Goten, dem diese namen von einem kriegs-
gefangenen sowol galatisch wie armenisch sprechenden kappa-
dükischen Armenier - — das scheint B.s letzte zurechtlegung ge-
wesen zu sein — mitgeteilt waren, einem oder eben diesem
Armenier sollen die runen auch ihre mit fnpark beginnende feste
reihenfolge und mit Wahrscheinlichkeit die teilung in 3 gruppen
von je 8 runen verdanken, die letzten beiden puncte auszuführen
ist jedoch B. nicht mehr vergönnt und Olsen unmöglich gewesen,
die runen, ihre feste reihenfolge, ihre drei gruppen und ihre namen
sind von den Goten einerseits zu den Nordgermanen, andererseits
zu den Westgermanen — weder durch die Nordgermanen zu den
Westgermanen noch durch die Westgermanen zu den Nordger-
manen — gelangt, die hauptrolle bei der Übertragung in den
skandinavischen norden, ja bei der dortigen fortpflanzung der
runenschrift durch viele Jahrhunderte hindurch sollen gewisse vor-
nehme erulische familien gespielt haben, wie verlockend manches
argument B.s auch klingt, so kann doch kaum die hälfte von alle-
dem als einigermafsen gesichert gelten.
Auch die interpretation der Inschriften in bd. 1 und 2 lässt
selbstverständlich für viele und schwere bedenken räum, ja wenn
man O.v.P'riesens lesung und Übersetzung des Tuner Steines im
Reallexikon der germ. altertumskunde bd. iv s. 14 a mit denen
B.s vergleicht, oder wenn man B.s verzweifelte besprechungen
des Steines B von Torviken liest und dabei noch bedenkt, dass
B. dessen inschrift um 725 datiert, Schetelig dagegen die grab-
karamer in die der stein verbaut worden, für keinesfalls jünger
als 600 erklärt, so möchte man meinen, dass hier probleme vor-
liegen, die noch lange nicht zur ruhe kommen werden, am er-
NOKGES INDSKRIFTER MED DE ALDKK lUJNER 135
freuliebsten wirkt an diesen beiden bänden Olsens selbstündij^er
beitrag, besonders die deutunp: der von ihm schon früher be-
handelten inschriften von Nordhuglen, Gjei-svik, Fhtksand und
Str0m. obwol auch hier manches noch fragwürdig? bleibt und
einiges sogar zum widersprucli lierausfordert ', liat Olsen dxs Ver-
ständnis der magischen inscliriften erheblich gefördert und uns
einen tiefen einblick in den heidnischen runenzauber eröffnet.
' einen geradezu komischen enulruck macht es, wenn Olsen s. (125,
fufsn. 3 das aus der inschrift des Kragehnler lanzenscliaftes ausccsonderte
vermeintliche wort muha mit dem deutscheu verbuni mofieln in etymo-
logischen Zusammenhang bringt und dies verbum obendrein nicht aU deutKcli,
sondern als ostfriesisch anführt.
Bergedorf 1. 10. 18. Pr. iJurtr
Deutsche lautlehrc von dr Otto Bremer, professor an der Uni-
versität Halle. Leipzig, Quelle & Mever 1918. viii u. 100 ss.
8". — 2 m. (geb. 3.50 m.
Bremer hat auf engem räum einen grofsen stoff zusammen-
gedrängt, die paragraplien sind in drei absclniitte gegliedert:
ausspräche, herkunft, rechtschreibung: dh. 'lautlelii-e' ist sowol
im phonetisch-beschreibenden wie im historisclien sinne zu nehmen,
und hinzu tritt noch die lelire von der Schreibung, die liisto-
risclien abschnitte führen die laute der heutigen spräche bis ins
idg. zurück, und die lautbeschreibung beiücksichtigt in aus-
gedehntem mafse auch die mundarteu. diese Vereinigung von
reichtnm des Inhalts und knappheit der darstellung ist eine
kunst die nicht jeder trifft, ich schätze sie an B. und mache
es ihm nicht zum voiwurf, dass er hin und wider sein ziel nicht
erreicht hat. denn in einer neuen aufläge künmn gewisse Un-
klarheiten des ausdrucks leicht getilgt werden, ich fülire fol-
gendes an: s. 4 wird gelehrt, dass im niittelalter mitunter lauge
vocale vor consonantengruppen gekürzt werden; bei eiuem neben-
einander von länge und küize im selben wortstamm sei gewöhn-
lieh die länge verallgemeinert worden, als erstes beispiel wird
gegeben 'Hühner nach dem voibilde von Huhn, ich weifs wol
was B. da meint, bezweifle aber, dass alle leser es erraten
werden, misglückt sind Wendungen wie (s. r>8) 'der ganz vtT-
schiedenen herkunft der mediae ist nur das gemeinsam, dass sie
bereits im mittelalter mit den buchstaben b. d und (/ geschriebfu
werden'; (s. H2) 'in einigen fällen ist unser d aus älterem / ent-
standen, nämlich a) in der Verbindung iid , in der es teils der
unter 2. genannten herkunft ist, zb. in MumK teils im mhd. aus
ahd.nt entstanden ist, zb. in IViiuhe)... b) in den Verbindungen
rd und Id in einigen Wörtern, in denen das d gleichfalls teils der
unter 2. genannten herkunft ist, zb. in werden und Gold, teils ur-
136 JEt,LINBK ÜBER BREMEK
sprüngliches t endgültig erst im 18 Jahrhundert durch d verdrängt
hat: Herde . . /; (s. 88) 'in Süddeutschland wie in den Nieder-
landen gilt in bestimmten fällen die scharfe, in anderen die
sanfte ausspräche (nämlich des /'), die erstere da, wo im ndld.
p und /■ die letztere, wo im ndld. v geschrieben wird\ was
meint B. mit der bemerkung (s. 69), dass k vor r unverschoben
bleibe? an die anlautsverbindung Ar kann er nach andern stellen
zu schliefsen nicht wol denken.
Eine neue aufläge wird vielleicht auch eine gewisse nn-
gleichmäfsigkeit in der auswahl des Stoffes beseitigen können.
B. berücksichtigt nicht nur die hd. normalaussprache, sondern
auch verschiedene Spielarten der Umgangssprache, hier scheint
mir ZU viel oder zu wenig geboten zu sein, wenn s. 2 über
eine an der nordseeküste und bis Vorpommern vorhandene, heute
im rückgang begriffene ausspräche der Verbindung kurzer vocal,
r, consonant berichtet wird, so hätten andere tatsachen das
gleiche recht auf berücksichtigung gehabt, es ist begreiflich,
dass B. die ihm vertrauten phoneme in den Vordergrund treten
lässt; mitunter bezeichnet er aber eine ihm geläufige ausspräche
als die normale, die es nicht ist, weder mit dem mafsstab der
bühnensprache noch mit dem der gebildeten Umgangssprache im
Süden gemessen.
Nach der definition s. 1 sind "enge' und "weite vocale'
relative begriffe, wie kann da s. 2 gesagt werden, dass a stets
weit sei? — ^ s. 2 wird gelehrt, dass 'nach der bei uns als
mustergültig geltenden norddeutschen ausspräche' die langen
vocale aufser a stets eng seien, auch e; s. 19f heifst es da-
gegen, dass es auch ein mit dem buchstaben ä geschriebenes
langes weites e gehe, das zwar der norddeutschen Umgangs-
sprache auch der ersten gesellschaftskreise fehle, aber gleichwol
für die gehobene spräche im Vortrag und gesang als normal-
deutsch gelte, hier ligt ein Widerspruch vor. der der aus-
gleichung bedarf.
Über die Chronologie des germanischen lautwandels und die
entstehung der nhd. lautform lehrt Bremer vielfach neues, ori-
ginelles, ich würde sehr gern dazu Stellung nehmen, rauss dies
aber aus zwei gründen unterlassen, erstens war es Bremer
natürlich unmöglich, im rahmen seiner schrift den beweis für
seine behauptuugen vorzulegen, zweitens bin ich nicht in jedem
einzelnen fall sicher, einer wolerwogenen theorie gegenüber-
zustehn; denn nicht ganz vereinzelt finden sich sätze, die nur
so zustande gekommen sein können, dass B. dinge die er ganz
gewis sehr gut kennt, sich augenblicklich nicht vergegenwärtigt
hat. so sagt er s. 11, noch Luther habe das dehnungs-Ä (wozu,
nebenbei, B. auch die h in gehen und ziehen rechnet) nicht ge-
kannt. — nach s. 19 hätte unsere Schriftsprache die einsilbigkeit
und flexionslosigkeit des englischen erreicht, wenn die e- losen
DEUTSCHK LAUTLKIIRK 137
Süddeutscheu sprachformen durchgedrungen waren. — darüber
dass das ö in er gösse nicht aus einem langen ahd. und mhd.
ö gekürzt worden ist (s. 24), dürften wir ddch einig sein. —
nach s. 33 wechselte seit ende der vülkerwanderung.szeit au mit
umgelautetem äu. unter den beispielen auch Frau : Fräulein,
Haus : Häuser, Maus : Mäuse, Sau : säuisch, das kann nur
ein lapsus memoriae vel calanii sein, denn wenige Zeilen vorher
bilden Maus, Sau heispiele für den lautwandel ü zu <iu, und
s. 35 wird Fränlein auf mhd. cw, das aus uw umgelautet sei,
zurückgeführt und Häuser ist da ein beispiel für äu = mhd.
iu Umlaut von «. — B. glaubt auch gewis nicht im ernst dass
das eu von Freund und heute fortsetzung eines ahd. und mhd.
Zwielauts iu sei, der zu beginn unserer Zeitrechnung aus idg. r«
entstanden ist (s. 35). — nach s. 43 soll der nicht silbebildende
i-laut, soweit wir ihn g schreiben (Könige, ew'ge) die t- aus-
spräche wol schon seit ahd. zeit gehabt haben, und auf der-
selben Seite wird die (/-Schreibung in Bräutigam, Könige, < ir'ge
so erklärt, dass man im mittelalter der ausspräche des latein
folgend g vor e und i setzte. 15. hat offenbar nicht daran gt--
dacht, dass König im ahd. kuning lautet, dass Könige aucli auf
kuninga und kuningo zurückgeht und in Bräutigam das g nie-
mals vor e oder i stand. — nach s. lOd soll ch im ahd. wie
kch zu sprechen sein, die buchstabenverbindung habe, hh ver-
drängend, den nhd. lautwert erst ei halten, nachdem in der
Schweiz kch zu ch geworden sei. B. liat sich liier nicht an die
Zusammenstellungen von Braune Ahd. gramm. § 145 anm. 1 er-
innert, denn ich kann nicht annehmen, dass er etwa Otfiid nicht
in die ahd. periode setzt.
Unter diesen umständen vermag ich es auch nicht zu be-
urteilen, wenn sich Bremer nicht ganz selten in seinen angaben
über heutige mundarten in Widerspruch setzt mit den Verfassern
von specialarbeiten, ich weifs nicht, ob er ihnen nicht glaubt
oder ob er sie nicht berücksichtigt hat.
Wien, 24 September 1018. 31. li. .hlliiick.
Der Erlöser in der wiege, oin l)eitrag zur deutschen v<ilks»agen-
forschung von Friedrich Ranke. Münclicn, Beck l'.MI. 78 ss.
8". — 2 ra.
Es gibt kaum eine giüisere Sammlung deutscher vcdkssagen.
in der nicht aus einem oder nielireren orten von vensucliicr er-
lösung jener 'weifsen frau' erzählt würde, die allenthaibfn in
verfallenen schlossern unseres laiidos sich zeigt, in vielen difser
sagen bejammert die verwünschte das mi.slingen der eri.isuiig
mit der lauten klage, es müste nun erst wider ein bäum auf-
wachsen und aus seinen brettern eine wiege geschnitten werden:
A. F. D. A. XXXVIII. Hl
138 PANZEß ÜBER EA.VKE
erst das kind, das in der wiege schaukle, könne sie erlösen,
dies motiv vom 'Erlöser in der wiege' macht R. zum gegen-
ständ seiner Studie, schon Jacob Grimm war eine beziehung
zur Adams- und kreuzesholzlegende aufgefallen, K Weinhold
hatte bestimmter behauptet, der sagenzug leite aus der
legende sich her, R. sucht den beweis dafür zu erbringen, die
abhandlung ist sehr gründlich und scharfsinnig und von nicht
geringem methodologischem Interesse als einer der sehr wenigen
versuche, unserer volkssage zunächst mit litterarischer forschung
beizukommen, statt wie das gewöhnlich zu gehu pflegt, sogleich
eine mythische deutung ins blaue hinein zu versuchen, ihre auf-
stellungen freilich kann ich weder im ganzen noch in der mehr-
zahl der einzelheiten für richtig halten und darf mir erlauben
ein wort darüber zu sagen.
Die Kreuzesholzlegende in ihrer geläufigsten fassung besagt:
Seth, vom sterbenden Adam ins paradies geschickt ihm das öl
der barmherzigkeit zu holen, erhält durch den engel drei Samen-
körner vom paradiesesbaum. die legt er dem toten Adam unter
die zunge, und es entkeimen daraus drei ruten, die zu einem
bäume zusammenwachsen, aus seinem holze wird schliel'slich
nach mancherlei Schicksalen das kreuz gezimmert, an dem der
Herr für die sündige raenschheit stirbt.
In dieser form steht die legende von unserer volkssage
nach sinn und Inhalt weit genug ab. nur einige äufsere einzel-
heiten treffen da und dort zusammen. R. bemerkt sehr richtig,
dass solche vereinzelte Übereinstimmungen leicht auf blofser
motivübertragung beruhen könnten; solle die ableitung des sagen-
schlusses aus der legende für erwiesen gelten, so müsten die
mittelglieder aufgezeigt werden, die beide verbinden, ihrem
nachweise widmet er den hauptteil der Untersuchung; sein ge-
dankengang ist, ein wenig umgeordnet, in kürze dieser:
Die Kreuzesholzlegende hat im mittelalter eingang gefunden
in den bekannten Descensus ad inferos des Evangelium Nicodemi.
Heinrich vHesler lässt nämlich in seiner bearbeitung des evan-
geliums den Adam in der vorhölle seinen söhn Seth statt vom
öle der barmherzigkeit wie im lateinischen texte und seinen
sonstigen bearbeitungen, die geschieh te vom kreuzesholze er-
zählen, vermutlich wird diese naheliegende Verbindung der
legende mit dem Descensus schon vor Hesler, schon zu anfang
des 13 jh.s vorhanden gewesen sein, aus einer solchen misch-
erzählung muss noch in der ersten hälfte dieses jh.s eine geschichte
geflossen sein folgenden inhalts: es hörte jemand eine seele im
fegefeuer jauchzen, als grund ihrer freude gab sie an, dass
eben der bäum entkeimt sei, aus dem s.z. das kreuz gezimmert
werden solle, daran ihr erlöser unschuldig sterben würde, diese
erzählung ist wol nirgends überliefert, aber ihr einstiges Vor-
handensein ist mit uotwendigkeit zu erschliefsen aus einer er-
DER EKLÖ.SEl! IN I)i;j{ WIKGK 139
Zählung im Bienenbiiche des Thoraas von Chautimprc (um 12G0),
- es hörte jemand eine seele im feg-efeuer jauchzen, weil eben
der knabe geboren sei, der einst als priester sie durch seine
primizmesse erlösen werde — , verglichen mit alpenländischen
volkssagen unserer zeit, nach denen jemand eine arme seele
jauchzen hört, weil eben der bäum entsprossen sei, dessen holz
geben werde: eine wiege für den priester, der durch seine
primizmesse, oder einen sarg für das kind, das durch seinen tod
sie erlösen würde. Thomas und die neueren volkssagen lassen
erkennen, dass jene nicht mehr erhaltene grundlorm der arme-
seelengeschichte frühzeitig durch vergessen und umwandeln ein-
zelnei- züge umgestaltet wuide; der vert. unterscheidet wesent-
lich 3 formen solcher verschiedenen ausprägungen. ans der
armeseelengeschichte gieng dann das bauni-wiegenmotiv in die
sagen von der erlösung der weifsen frau über, uzw. widerholt
und au verschiedenen orten, da man einwirkung zweier ver-
schiedener ausprägungen der armeseelengeschichte in der sage
beobachten kann.
Dieser gedankengang unterligt nun augenscheinlich schweren
bedenken, unter all den zahlreiclien bearbeitungen des evan-
gelium Nicodemi in den Volkssprachen des abendlandes, die
Wülckers bekannte Zusammenstellung übeiblicken lässt, begegnet
die einführung der Kreuzesholzlegende ausschliefslich bei Hesler.
dann erst wider in späten dramatischen bearbeitungen ; die
Vermischung erscheint also innerhalb einer sehr reichen Über-
lieferung vereinzelt und nicht vor dem ende des 13 jli.s. weiter
bietet Thomas vChantimprö für die vom verf. hergestellte ai-rae-
seelengeschichte den weitaus ältesten beleg, und doch soll bei
ihm das hauptmotiv der formulierung, das aufwachsen des krenz-
baumes, vollständig vergessen und an seine stelle die gebui't des
priesters getreten sein, dessen primizmesse die seele erlösen wird,
und dasselbe wäre in der schwerlich aus Thomas geflossenen er-
zählung der hs. von SFlorian aus dem 14 jh, sowie in Paulis
Schimpf und Ernst geschehen, während die volkssagen unserer
zeit das motiv treulich bewahrt hätten, nun sind gewis solche
Wunderlichkeiten in der Zeitfolge nicht ungewöhnlich, es gilt nur
sie mit einleuchtenden gründen walirscheinlioli zu machen, sind
hier solche gründe vorhanden? was vor allem zwingt uns denn
anzunehmen, dass jene armeseelengeschichte, die Thomas, die hs.
von SFlorian und Pauli erzählen, jemals überhaupt anders ge-
lautet habe als sie lautet, was anzunehmen, dass in ihr jemals
das baummotiv eine rolle gespielt habe? aus ihr selbst heraus
lässt sich das jedenfalls in keiner weise einleuchtend machen
und die parallele der licitigen volkssagen kann nicht zu K.s
schluss zwingen, dafüi- ist die Thomasgeschichte in zu tadel-
loser Ordnung, denn eine nähere, innigere, in den lehren der
kirche begründetere gedankenverknüpfung als die, dass die er-
10»
140 PANZER ÜBER RANKE
lösung einer armen seele aus dem fegefeiier durch eine messe
bewirkt wird, wird sich schwerlich aufzeigen lassen, dagegen
liefse sich ohne weiteres und ohne Schwierigkeit verstehn, dass
in die alpenländischen volkserzählungen von der jubilierenden
seele aus den im gleichen volksmunde umlaufenden erlösungs-
sagen das auch seiner inneren form nach ganz und gar un-
legendarische, ganz und gar deutschvolkstümliche baum-wiegen-
motiv nachträglich eingedrungen und der Thoraaslegende auf-
gepfropft wäre, entscheidend aber ist endlich dies, dass eine
geschichte wie die von R. hergestellte m. e. undenkbar ist. eine
arme seele sollte darüber jauchzen, dass der same zum kreuzes-
holz gelegt ist, an dem ihr erlöser sterben wird? dieser erlöser
könnte natürlich nicht ein beliebiger, sondern niemand anders
sein als Christus, zu dessen kreuze ist aber nach eben der
legende die hier benutzt sein soll, der same ja von des ersten
menschen söhn schon gelegt worden längst ehe es arme seelen
gab, und ebenso ist die annähme, dass eine arme seele durch
Christi opfertod erlöst würde, eine nach den lehren der kirche
wie nach dem Volksglauben gleich unmögliche Vorstellung, so
untadelig also die überlieferte erzählung des Thomas ist, so un-
denkbar ist die von R. angenommene grundform, aus der sie
entstellt sein soll.
Damit fallen denn die von R. angenommenen Zwischen-
glieder zwischen der legende und den sagen von der weifsen
frau weg, und wir stehn wider wo wir waren: hier die volks-
sage, dort die legende, jede mit völlig anderem sinn und anderer
richtung, aber verwantschaft in einzelheiten. wie hat man sich
dies Verhältnis zu deuten?
Dass die wendung der sage vom erlöser in der wiege ein-
fach aus der legende entlehnt sein sollte, ist nicht glaubhaft;
dazu ist der sinn des motivs in der sage von dem der legende
zu verschieden, der sinn des sagenmotivs ist der jamraer der
verwünschten: so lange noch muss ich warten! in den einzelnen
sagenfassungen wird dieser gedanke, diese Stimmung verschieden
ausgedrückt, einige fassen sie ganz nüchtern in zahlen: nun
muss ich wider 25, wider lUO jähre warten, bis jemand mich
erlösen wird, andere fassungen wählen eine sinnlich dichterische
Umschreibung: so lange bis der bäum erwachsen, die wiege ge-
schnitten, das knäblein darin geschaukelt sein wird; das Zwischen-
glied bieten Wendungen wie etwa bei Schambach-Müller Nieder-
sächsische sagen s, 93, 105, 132: nun wird erst in 100 jähren
wider einer geboren, der mich erlösen kann. R. hat nun in
beachtenswerten ausführungen s. 18 ff allerdings dargetan, dass
die angaben der volkssage vom erlöser in der wiege nicht eben
logisch sind, denn es wird weder klar, woher die verwünschte
diese bedingungen erfahren hat, noch ob auch jeuer erlöser, der
eben versagt hat, etwa schon unter gleichen bedingungen
dp;k kkloski! in der wikgk 141
geboren war. aber es fragt sich wol grundsätzlich, ob die von
unserem verf. auch s. 73 erhobene forderuiig: 'für die erste
fassung einer sage wird stets logische einheitlichkeit zu postu-
lieren sein' mit dem wesen der sage als dichtung denn über-
haupt verträglich sei. aus der erfahrung ist dieser satz jeden-
falls nicht geschöpft, und man wird gewis fragen dürfen, warum
denn die urform einer sage notwendig logischer gewesen sein
müsse als alle die zahllosen unlogischen formen, die nach aus-
weis der Sammlungen in kojif und mund so vieler Volksgenossen
leben und befriedigt weiter gereicht werden? wird nicht dei-
sagenforscher, statt auf jener 'logischen einheitlichkeif des ge-
samten auf bans zu bestehn, vielmehr nur fragen dürfen, ob
das motiv an seiner stelle den erkennbar gewünschten zweck
erfülle, und nur wenn dies nicht der fall ist, mit Wahrschein-
lichkeit auf Störungen raten dürfen? der sinn und zweck unserer
eigentümlichen wendung vom bäum und der wiege ist nun deutlich
auf nichts anderes gerichtet, als — dem ausgesprochen tragischen
grundzuge unserer gesamten sagenweit durchaus angemessen —
das tragische des mislingens der versuchten erlösung umso leb-
hafter und empfindlicher erscheinen zu lassen, indem nun der
nächste versuch einer erlösung auf undenklich lange zeit hinaus-
geschoben wird: ein sinn und zweck, Ben das baum-wiegenmotiv
offenbar trefflich erfüllt, wie sehr die aufmerksamkeit, wie sehr
alle gedanken der lebendigen sagenträger beim durchdenken und
-empfinden des zuges ausschliefslich nach dieser seite des "wie
lange noch!" gerichtet Avaren, das beweisen die mancherlei zu-
taten und kleinen Umgestaltungen, die das motiv in den ein-
zelnen fassungen gefunden hat. sie zielen durchweg darauf hin,
die bedingungen unter denen die erlösung aufs neue versucht
werden kann, noch schwerer erscheinen zu lassen: der knabe
muss weifsp oder rote haare, einen bestimmten namen haben,
muss ein Sonntagskind, söhn einer witwe aus zweiter ehe, einer
von drei gleichzeitig geborenen knaben sein, er soll die tat am
tage seiner confirmation, mit 20 jähren vollbringen, oder die
eichel daraus der bäum erwächst, muss von einem hirsch in
den boden getreten werden, muss von einem bt^stimmten bäume
fallen, der bäum muss an bestimmter schwieriger stelle wachsen,
an bestimmten tagen gehauen werden usw.
Wie alle diese kleinen zutaten unbezweiftlt geschäftiger
einbildungskraft des Volkes aus dem bedürfnis erwuchsen, den
überlieferten grundgedanken sinnlich schmerzlicher zu machen.
so glaube ich zuversichtlich, dass auch der oinfall selbst, den
blassen gedanken des 'solange bis' durch das baum-wieg.Mim<itiv
sinnlich, durch gegenständ und handlung auszudrücken, irgend
einem erzähler einmal aus freier einbildun^rskraft und jenen
dichterischen bedürfnissen und fähigkeiten erwuchs, die unsere
sagenweit überhaupt geschaffen hat. wenn es. um tMii vorlreff-
142 l'AKZER ÜBI;K HANKE, DER ERLÖSER IN DER WIEGE
liches wort Theodor Storms zu gebrauchen, das wesen des
dichterischen bildes ist, 'einen gedanken in scene zu setzen', so
ist unsere vvendung allerdings im reinsten sinne poetisch, sie
ist aber schlieJslich um nichts dichterischer, sinnlicher, lebendiger,
als so viele andere züge von entzückender Sinnlichkeit, die
unsere rechtsquellen auch sonst für die bezeichnung räumlicher
und zeitlicher mafse aufzubringen vermögen (s. etwa JGrimm
Kl. sehr. VI 170 ff), um nichts erstaunlicher als die wendung, die
der bekannte märchenkreis von der gestörten mahrtenehe wählt,
wenn er, zeit und mühen des langen wegs emptindbar zu machen,
das verlorene elbische lieb nicht eher will finden lassen, bis der
suchende ein paar eiserne stiefel durchgetreten, einen eisernen
wanderstab abgelaufen habe.
Kann ich also eine ableitung des motivs vom Erlöser in der
wiege aus der Kreuzholzlegende nicht für richtig halten, so bin
ich doch keineswegs der meinung, dass die beiden Überlieferungs-
reihen sich überhaupt nicht berührt hätten, vielmehr sind ohne
zweifei aus der ja weithin bekannten legende einzelne züge ge-
legentlich in die erlösungssage aufgenommen ; die wenn auch
nur äufserliche gemeinsamkeit des baummotivs rückte die beiden
Überlieferungen einander nah. so stammt zb. die gelegentliche
dreiwipfeligkeit des baumes oder das zusammenwachsen dreier
bäume zu einem in der sage klärlich aus der legende, da nur
dort der zug in der richtung des gesamtmotivs auf das (drei-
armige) kreuz gelegen ist.
In die volkssage von der jubilierenden armen seele hin-
gegen ist das baummotiv nach meiner Überzeugung erst aus der
volkssage von der weifsen frau hineingekommen, die ältere
form dieses Stoffes zeigt das predigtmärlein bei Thomas und
seinen nachf olgern; es übernahm das baummotiv aus der weifs-
frauensage, weil deren schluss, in innerlicher gemeinsamkeit mit
ihr, ebenfalls auf den gedanklichen grund des 'solange bis' ge-
baut war. umgekehrt muss denn auch in der weifsfrauensage
der in der wiege erwachsene knabe die verwünschte gelegentlich
als priester durch eine messe erlösen.
Frankfurt a. M. Friedrich Panzer.
Der uiinuesäuger üiltbolt von Schvvangau von Erich Juethe.
[Germanistische abhandlungen, begründet von K. Weinhoki.
hrsg. V. F. Vogt. 44. heft.] Breslau, Marcus 19 IH. viii u. 100 ss.
h-". — ;j m.
Der Urkunden in denen ein Hiltbolt von Schwangau er-
wähnt wird, gibt es im ganzen 8, von 1179—1256; und so ist
auch die lebenszeit des dichters teils ausschliefslich ins 12, teils
in die wende des 12 und 13 Jahrhunderts verlegt worden.
KKIM ÜBER JUETHE, UlI/IIü )T,T VON SCIIWANO AU 143
Jnethe interpretiert die Urkunden von 1221, 122S und 12öei,
in denen HvSch. einmal als zeuge bei einem graten von Tirol
und dann bei einem gi-afen von Hirschberg auftritt, auf grund
der von Schulte (Zs. 3<), 192 ff) geschilderten vt-rhältnissf der
ministerialen zu ihien lehnsherren mit grofsei- \valirscheinlichk«nt
als auf denselben mann bezüglich. 1250 aber ist nach dem
Charakter der lieder zu spät (s. 6), 1179 zu früh (s. 3). es
bestehn demnach über den dichter HvSchw. keine urkundlichen
Zeugnisse, aus seinen gedichten kann lediglicii entnommen wer-
den, dass er einen kreuzzug mitgemacht hat. die gedichte selbst
sind uns in der hs. C in 49, in der hs. H in 14 str(»phen über-
liefert, die lücke in B war, so weist J. überzeugend nach,
durch die Strophen in C mit ausnähme von 10, 17 und 18 aus-
gefüllt, diese 3 Strophen, von denen A 2 (10, IS) überliefert,
gehören dem markgrafen vHohenburg. Strophe ){ und 4, von den
früheren bearbeitern mit Strophe 1 und 2 zu (Muera lied ge-
rechnet, trennt J. als selbständiges lied ab. in I> fehlen aufser
diesen Strophen in der durch ausreifsen von :; I)lättern ent-
standenen lücke noch der Strophenanhang C 17 — 49. J. nimmt
sie, wie vor ihm alle bearbeiter, als Hiltboltsches eigentum in
anspruch (s. 14), weils aber aufser einigen ähnlichen ausdrücken
und allgemeinen metrischen Übereinstimmungen keine sclilagenden
beweise anzuführen, ich wage aus folgenden gründen nicht zu-
zustimmen: ■
XXn 1 myiierJlche fagc: H. hat in keinem seiner gedichte
diesen stereotypen, nie weiter ausgeführten natnreingang zur
contrastierung seines gefühls. XXI kann mit XXII nicht ver-
glichen werden; denn dort beruht das ganze gedieht nach altem
kunstbrauch auf dem ausgeführten gegensatz des wechseis der
Jahreszeiten zu der beständigkeit der liebesnot des dichters. —
XXII 2 niht daz nnn: H. braucht ziemlicli häutig antithesen;
aber sie sind bei ihm stets rhetorisch gehäuft (s. 33) und
haben infol'gedessen nicht einmal die schneidende schärfe
unseres falles. — XXII ist das einzige rein trochäische lied.
das kurze lied XXI, das offenbar trochäiscli gehört ist (s. "iSi,
hat trotzdem in v. 2 einen auftakt. XXII, fast dreimal so lang,
ist rein. — XXII 4 darin, nach Zwierzina Zs. 45. 71tT kommt
m hauptsächlich bei frk. und alem. dichtem vor, nicht aber bei
rein bayrischen, wie H. einer ist. bei ISmaligem reim auf -*-
steht das bequeme wort nur in unserm lied.
Bei der darstellung des Charakters von H.s liedern und
seines künstlertums zieht der verf. die von Burdacli AHB 33
vorgezeichneten züge einer retlectierendeii, nicht gerade tiefen,
aber doch liebenswürdigen kunst nach und sichert vor allem dem
anmutigen, frohen tanzlicd (IV) und dem frischen lied XII H.s
autorschaft, die Bartsch ihnen streitig zu machen suchte (s. 1 0 ff),
den weitaus grösten teil seiner gedanken hat H. mit den h»-
144 KEIM ÜBER JUETHE
fischen sängeru seiner zeit gemein, ich sehe seine lieder also
lediglich als eine kunstübung an, auf grund deren ein versuch,
eine reihenfolge der lieder festzustellen (s. 29), höchst proble-
matisch bleiben muss. als sicher kann nur gelten, dass III vor,
V nach dem kreuzzug, X nach Walthers Tr sult spt-echen wille-
komen', 5G, 14 ff, entstanden ist. für jede weitere chronologische
bestimmung dürfen nur formale beobachtungen herangezogen
werden, cap. IV behandelt H s Verhältnis zur zeitgenössischen
litteratnr. es lässt sich erkennen, dass H. vor allem von Hausen
und Reinmar abhängig, daneben auch von Morungen und Walther
direct beeinflusst ist.
Besondere beachtung verdient H.s nietrik. des dichters
lieder zerfallen in solche mit troj.-jambischem rhythraus und in
solche, die auf dem rom. zehnsilbler beruhen. eine Unter-
suchung der lieder der ersten gruppe ergibt, dass H. sich in
nichts von den in der mhd. höfischen lyrik beobachteten regeln
entfernt (s. 56 ff). — zu Vi a /? ist hinzuzufügen 1X9; zu
Vi ca: X2; XIII 7.
In der beurteilung der lieder mit daktytischem rhythmus
folgt J. der von Weifsenfeis und Wilmanns vorgezeichneten
entwicklung, die in der rom. melodie den Ursprung des deutschen
zehnsilblers und seines rhythmus suchen, es muss dabei all-
gemein das Verhältnis der betonungsfehler in den dakt. zu den
tr. janib. liedern auffallen, es beträgt bei H. 27,5 o/o : 6,2 <>/o
= 4,4 : 1 ! ^ zur vergleichimg hab ich herangezogen Morungen,
Fenis und Eugge, die beiden letzten vor, der erste gleichzeitig,
mit H. bei Morungen beträgt das Verhältnis 17,1 o/o : 1,3 ^jo
= 13,2 : 1, bei Fenis 16,3 o/o : 4,7 ü/^ = 3,5 : 1 , bei Rugge
5,6 o/q : 0,8 ö/o = 7 : 1 ! man hat den unterschied in den accent-
fehlern, die in den dakt. gegenüber den tr.-jamb. versen vor-
kommen, allein auf die Schwierigkeiten geschoben, die den dich-
tem der neue rhythmus bereitete, daran ist sicher ein teil
wahres; man darf aber nicht übersehen, dass es sich z. t. um
tüchtige dichter handelt, die für wort- und satzaccent ein feines
gefühl haben. Rugges accentfehler in seinen tr.-jamb. liedern
sind alle derselben art, Wörter wie nuschtUdlc und umtcete, die
kaum ohne leichten verstofs gegen den accent in tr.-jamb. versen
verwant werden können, vor allem erstaunlich ist das Verhältnis
bei dem sonst so feinfühligen Morungen. eine erklärung ligt
dafür allein darin, dass ein schroffer contrast von hebung und
Senkungen nicht bestand, dass der Vortrag vielmehr von der
hebung über nebenton zur Senkung glitt (Wilmanns Beiträge
4 heft, 25 f). SO beurteilt, erscheinen die beiden versgruppen
folgendermafsen: Morungen 1,1 o/o : 1,3 o/q; Fenis 4,4 o/^ : 4,7 O/o;
' es sind nur die einwandfrei dakt. verse, 120 an der zahl, unter-
sucht.
DER MINNESÄMGER IIII/IHOLT VON .SCH\V.\N(iAU 145
Rngge 0 " (j : 0,8 "/„ ; »Ih., wenn man die verhültnisinär.sig- «geringe
zahl der dakt. verse berücksichtigt, die zahl der accentverlet/jmgeü
im dakt. und im tr.-jamb. vers entsprechen sich. II. beliält bei
absteigender betonung 10, dh. 8,3 ^'o accentfehler. schon in den
tr.-jamb. liedern betrug die zahl der harten betonungen mehr
als bei den andern; daher kann es nicht wunder nehmen, dass
€r bei d«-m schwereren metrura ganz besondere Schwierigkeiten
findet.
8. 03 zählt J. die fälle auf, in denen die absteigende be-
tonung nicht besteht, in der ersten Sammlung handelt es sich
ausschliefslich um silbeugruppen vom typus ^ • gebraucht
als — > (hinzuzufügen ist V i versufjeu ivir), also um haujit-
tonsilben, deren länge nicht grammatisch, sondern nur im ein-
zelnen fall musikalisch besteht, daher denn auch vom dichter
manchesorts die länge überhört und die absteigende betonung
erschwert wird, ohne zweifei stehen ihr versfüfse entpregen,
deren 3. silbe der 2. gegenüber durch wort- oder satzaccent den
stärksten ton trägt (s. ()3). — es fehlen in dem Verzeichnis:
l2 so gröz iinstcete; III 36 ddz ez diu; VI 12 genäiJen mtleze;
XI 8 frdu-e, der; XIV 3 leider swige'nde; XIV 9 //• ff ein mir;
XV 9 beiden min; XXIII 10 scheide, swlez; XXIII 12 wrrde
min. die geringe formale begabnng II. s eifährt durch diese
fälle eine weitere Illustration.
Neben den normalen zelmsilblern stehn verse, die eine
Senkungssilbe weniger haben, in denen demnach auf einer silbe
eine ligatur von zwei tönen steht. — die betonungsverhältnisse
in der ersten vershälfte sind naturgemäfs nicht so ausgeprägt
wie in der zweiten, daher erklärt es sich, dass im ersten
versikel häufiger verstöfse gegen deu wort- und satzaccent vor-
kommen als im zweiten, in dem der dakt. charakter durchweg
schärfer hervortritt (s. 70ffi. neben den versen mit nur dakty-
lischem Charakter stehn eine ganze anzahl, die sich zugleicli
im daktylischen und im trochäischen rliythmus lesen lassen,
hier könnte nur die melodie Sicherheit geben (s. 74). unter den
versen die weder dakt. noch tr.-jamb. rhythmus erkennen lassen
(s. 75), ist III 21 zu streichen: dd h'i sult ir, hirre. ijedinkeu
viin ist ein V)-silbiger dakt. vers mit klg. zäsur und einem
trochäus. lied VI gehört zur gruppe XI und \'III.
VI 13 hat nur gezwungen dakt. rhythmus, der tr. jamb. er-
gibt sich aber ganz natürlich.
VI 14 ist zu lesen hihil statt hahiul; im obd. ist der ge-
brauch der vollen form an die bedeutung iialtt-n' geknüpft
(vgl. I 1.5). der vers kann nur tr.-jamb. gelesen werden.
VI i.ö hat dakt. gelesen zwei grobe verstöfse gegen den
satzaccent und cäsurfeiiler; er liest sich zwanglos tr.-jamb.
(s. 74. h).
HCl KKIM ÜJJEK .lUKTllK, HILTIJUI.T VuN SCHWANGAü
\'l ui kann nicht dakt. gelesen werden (s. 75, ij. der ganze
abgesang- ist demnach tr.-jamb. zu lesen.
\'I 5 lese ich sivenne ichz niht tuo. es lässt sich so auch
der I. abgesang zwanglos tr.-jamb. lesen; der auftakt ist un-
regelmäfsig, wie öfter bei H. (s. 58, 1).
Bei der besprechung der reime (s. 77) muste neben leit :
treit (XX 9) auch leit : geselt (V 18) als bayr. angeführt werden,
über die behandlung des //-umlauts im conj. prät. wäre zu sagen,
dass bei H. vor nasalcons. der ?(-umlaut fehlt; verbünde : be-
funde : übericunde XXIII 9 ff [reimwort stunde (liora)]; ebenso
IV 27, XIII 6. auch gnnde (XXIII ii) ist ohne umlaut, ebenso
künde iX i), das als conj. aufgefasst werden muss, da der Inhalt
des relativsatzes durch den nachsatz X 4 als nicht existierend
dargestellt wird, zu den i-reimen ist zu bemerken, dass H.
-liehe im adverb, -lieh im adjectiv reimt (IX 15 : 20; X 18 : 20);
in flectierten formen setzt J. mit recht -l.
Die textherstellung lässt es häutig an consequeuz fehlen.
XV 9 hat C f'röide, B vröde, der text fröude; VII 8 u. ö.
haben C und der text fröide, XXII 4 mit C vröude\ ebenso
beim verbum (VIII lo gegen XX 19 u. ö.) ; stets aber fromven.
VIII 9 hat der text sicenn ich, VI 5 swenne ich ; letzteres
hat, da der verf. elidiertes e schreibt, allein geltung; daher auch.
IX 9 ticte. — IX 12 dö ieh gegen V 10 döch^ das nach s. 5S, h
allein berechtiguug- im text hat. — XX 8 minern gegen XXII 17
mime, IV 6 eime ; es gilt die synkopierte form. I 16 hat dureh
(== BC), XIX 3 dur (B durch) == III 33; zu schreiben ist durch.
II 5 lis gein statt gen, da sonst in Senkung stets gein ge-
schrieben ist. in der hebung ist gegen zu schreiben, wenn das
wort unverschleift (XI 8), gein, wenn es verschleift auftritt
(XXIII 4); daher gein (XII 12; XIII 2).
Synkope fordert das metrum in getane (III 26) — die con-
jectur von Bartsch (vgl. annierk.) ist unnötig — gelonben
(XVII l); getan (VI 14); ungenäde (VIII 4); griäde (XIV 2, vgl.
gnade im text XI 24); gesach (XI 13) '. XVII s lis wellen statt
ivelen ; XXIII 12 : die emendation von seht ist mir zu gewagt,
es ist nicht besehcehe, sondern die im obd. freilich nicht so all-
gemein w'ie im nid. durchgedrungene konti-aliierte form be^svhce
zu lesen.
' Walther lässt in seinen minnelicdern nur finäde zw; -/.w e\ma,\ gselle
(Wilnianns Walther s. 39;.
Düsseldorf, ostern 1916. H. W. Keim.
BLÖTK i JJKK IKKKI.KS, IHK KKOKXU «il" LUXniNL'S I 1 7
Tlio Ifgcucl of I,((ii<; imi;. in (>(•^•lt'^sillsti(•;il t nidi t inii and in
enprlisli literatiiro, and its i-onnecruMi witli tlii-Grail,
bj' Kose JolTrios IVoblcs. P.ryn Mawr c()ll('f,'e ni(»nii«fraphs.
.Mono.srraph scrics vol. ix. Haltiniore, .1. M. Fnrst eonipanv. IDll.
VI u. 221 SS. s". — 1 dollar.
Zweck dieser stndie ist, aufs nene den urspruus' und die
entwicklung der Longinlegende in der {geistlichen und volkstüm-
lichen litteratur zu untersuchen und ihr vorkoninien und ihre
Verwendung in der mittelalterlichen englischen litteratur zu ver-
zeichnen, wie Carl Cröner teilweise sdion auf dem s-'-biet*- dt-r
französischen litteratur getan hat die verf. hat sich aber nicht
beschränkt auf die litterarische Überlieferung, wichtiir'^r an sich
ist sogar, was sie aus dem gebiete der kunst, der liturgie und
der heilkunde heranzieht, allem anschein nach wurde durch bild-
liche darstellnngen und durch die liturgie die entwicklung der
legende beherscht und vielleicht ihre litterarische form bestimmt,
am schlufs bietet die verf. zwei excurse, von denen der »Mne die
vor längeren jähren aufgeworfene hypothese von der bcein-
flussung der sage von Baldrs tod durch die Longinübprlieferung
wider aufnimmt, der andere sich mit der frage befasst, ob die
blutende lanze der Gralromane auf die waffe des Longin zuiiirk-
geht. —
Die typische fassung der Longinlegende im späteifu ii:it;i'l-
alter ist sehr einfach, der blinde krieger Longin durchbohit
mit seinem speer die seite des gekreuzigten Christus und be-
kommt sein gesiebt wider zurück, als das blut seine äugen be-
rührt, er glaubt darauf an den herrn. verkündet das evangelium
und stirbt als märtyrer. der IT) märz ist in der abendländischen
kirche sein feiertag.
Ans der darstellung der verf. wird zunächst klar, dass die
entwicklung des Loiigin eng Zusammenhang:! mit der legeinlari-
sierung des centnrio, iler nach dem Markus- und Mattliäus-
evangeiium angesichts der wunderbaren erschcinungiii litim tode
Christi zu der erkenntnis kam, dass der gekreuzigte wiirklich
der gottessohn war. im 4 jh. heifsen in dem Nicodemuscvan-
gelium sowol der centnrio als der krieger der in die seite
Christi stach, Longinus, aber das wesen der beiden ist ver-
schieden und den evangelien entspiechend. die verf. möchte
den namen Petronius, der in dem apokryphen ev. SPetri aus
dem 2 jh. dem centnrio gegeben wird, welcher im auftrag des
Pilatus mit den seinen das grab bewacht, auch für den centurio
der kreuzigung in anspruch nehmen; nach «lern mitgeteilten
bruchstück ist die Identifizierung der beiden centurionen freilich
zu beanstanden, zur zeit des ("hrysostomus (7 4U7) aber halte man
den centnrio schon zu einem verkündiger des evanjreliams ge-
macht, der den märtyrertod starb, eine interessante legende au»
etwas späterer zeit ibrief von Herodes an Pilatus '. jh.V)
14S BLÖTE ÜBER PEEBLES
möglicherweise eine palästinische localsage — hatte sich in
eigener weise um den krieger gebildet: Longinus wurde durch
einen engel an einen wüsten ort jenseits des Jordans geführt
und vor eine höhle, das gesicht zu boden gewandt, hingelegt,
jeden abend kam ein löwe aus der höhle und verzehrte bis zum
nächsten morgen den körper des kriegers. am tage wuchs der
körper wider an. so sollte seine strafe dauern bis zur wider-
kehr des herrn. diese fassung ist nicht ins abendland gedrungen,
hat auch sonst keine weitere Verbreitung gefunden. — seit dem
4 jh. aber wird bei den kirchenvätern die tat des centurio wie
die des kriegers mit dei^i speer symbolisch gedeutet, und mit
recht sieht die verf. darin eines der momente, durch welches sich
eine änderung in der autfassung von dem wesen des kriegers
entwickeln konnte, so dass er aus einem rohen krieger, der sich
an der gottheit Christi vergriffen hatte, zu einem auserwählten
wurde, an dem der gekreuzigte bei seinem tode eine ganz be-
sondere gnade erwies, im 10 jh. ist der prozess vollzogen: der
krieger ist ein verkündiger des evangeliums und ein märtyrer
geworden, auch er stirbt wie der centurio der legende in Cappa-
docien. man lässt ihn blindheit heilen, obgleich merkwürdiger-
weise in der litteratur selbst noch keine nachricht vorkommt,
dass er einst blind war und durch Christi blut geheilt wurde,
im 12 jh. nennt ihn Petrus Comestor 'beinahe blind' und in der
Legenda aurea (13 jh.) wird mit zweifei von der blindheit des
Longin gesprochen, allerdings durchsticht hier der centurio die
Seite; von dem anderen krieger — dem eigentlichen Longin —
ist also nicht die rede, und trotz alledem gilt bündheit des
Longin schon in der abendländischen kunst des 8 und 9 jh.s!
allerdings unter orientalischem einflusse, im orient kam die blind-
heit schon ein paar Jahrhunderte früher zur bildlichen dar-
stellung.
Die 18 nummern (s. 80 — 141), in welchen die verf. den Longin
aus der englischen litteratur vom 10 — 16 jh. vorführt, zeigen,
wie die legende litterarisch in England fast um keinen zug be-
reichert Avird. interessanter sind die mitteilungen der verf. von
Zauberformeln in welchen Longin angeiufen wurde, besonders
bei blutungen (s. 72 — 79j.
In diesem ersten teil der Studie, bis s. 141, tritt die Stoff-
sammlung in den Vordergrund, aber dadurch stellt sich heraus,
wie arm an zügen diese legende ist, wie laugsam sich einzelne
Umgestaltungen und zudichtungen vollzogen, und wie die legende
später so recht volkstümlich wurde, weil auf keiner bildlichen
darstellung der kreuzigung der krieger Longin fehlte, dieser
erste teil zeugt von Sorgfalt und Zuverlässigkeit. —
Der excurs, den die verf. über die von SBugge in die dis-
cussion gebrachte beeinflussung der eddischen Version der sage
von Baldrs tod durch die Longinlegende gibt, ist mit ein beitrag,
THE LKGEND OF LONGINUS 149
diiss der eigentümliche tod Baldrs in dieser Version nicht aus
Zügen der Longiniegende hervorgegangen sein kann, die verf. weist
auf das verhältnismäfsig späte vorkommen der blindheit des
Longin im abendländischen Europa hin (zuerst nachweisbar in
einer abbildnng einer SGaller hs. des 9 jh.s, im Orient schon
im 5/6 Jh.); sie führt chronologische bedenken an, indem die
erzählung des Longin in England, soweit bekannt ist, zner.-t bei
Älfric gegen ende des 10 jh.s vorkommt und bei diesem kein
bezog auf die blindheit des Longin genommen wird, wie übrigens
die blindheit in der Legenda aurea (13 jh.) noch als zweifelhaft
gilt; sie weist auf die geringe beweiskraft in den übrigens
nicht-christlichen bildern, wie sie das Gosforthkreuz in Cumber-
land bietet (das übrigens wie ähnliche kreuze frühestens dem
11 jh. angehört^,; machtauf eine anzahl folkloristischer parallelen
in der weltlitteratur aufmerksam und sieht mit Kauffmann und
Frazer in der tat des Hodr nicht den kernpunct der BalJrsage.
die behandlung des themas ist bei aller kürze (s. 142 — 165)
durch material und discussion beachtenswert. —
In dem excurs über die lanze des Longin und die Gralsage
(s. 166 — 221) verliert die verf. widerholt den boden unter den
füfsen. sie strebt d.inach Gral und verwantes als von christ-
lichem Ursprung zu deuten, sie bringt dabei allerdings interessante
parallelen und Zusammenstellungen, aber die deutung aus früh-
christlichen gebrauchen, wo eine entsprechende frühchristliche
Überlieferung fehlt, kann nur zu vagen möglichkeitsresultaten
führen, aufserdem arbeitet sie mit zu wenig gralmaterial, lässt
wichtiges unberücksichtigt und greift zu gezwungenen deutungen.
obgleich sie am schluss die eutstehnng des Grals um einige Jahr-
hunderte vor Chrdtien legen will, geht sie doch für ihre be-
trachtung von Chretien aus. weil dieser m.it Woltram die ältesten
Versionen bewahrt. Wolfram glaubt sie aufser betracl.t lassen
zu dürfen'.
Verf. richtet sich besonders gegen Browns artikel über die
blutende lanze in den Publications of the modern language as-
sociation of America 25, 1 ff. (1010), der als letzter den Gral und
dessen attribute als kelti&ch zu erweisen sucht und so auch für
die grallanze keine andere dentung möglich erachtet als ans dem
keltischen sagenschatz. es wird der verf. nicht schwer zu zeigen,
dass die von Brown angeführten lanzen ganz anders geartet sind
' die weise wie §ie Wolfram citiert und was sie von ihm anführt,
machen den eindruck. als hätte sie eine ausgäbe des Parzival nie recht
eingesehen, so citiert sie s. 183 den Parz.: '1. 21. r- S07 and agaiu
1. 30 f., p. 489' für S07, 21 und 489. 30 f merkwürdiR und rätselhaft
heifst es auf s. 216: 'XVI, 1. 20, p. 374': sieht man nach, so bemerkt
man, dass dies heifsen soll: XVI 750, 29, in Lachmanns ausgäbe s 374! —
Wolfram kenne keine blutende lanze — aber Parz. 231. IS ff. hätte die
verf. doch eines anderen belehren können
150 BLÜTE ÜUEK IMTKBLKS, THK LKGEND OF l.UNGINUS
als die grallanze, dass keine dieser laiizeii blutet in dem sinn der
gralsage, die verf. spricht darauf als ihre Überzeugung- aus, dass
Cliretien oder irgend ein Vorgänger beim anblick besonders der
bildlichen darstellungen der kreuzigung seine grallanze der
christlichen Überlieferung entnahm, aber damit das christliche
der grallanze nicht als etwas secundäres angesehen werde, be-
müht sie sich darzutun, dass die hauptgegenstände und Vorgänge
der gralsage gleichfalls christlichen Ursprungs sind, für die
gi'alprocession und sonstiges hatten andere ihr schon vorgearbeitet,
mit dem fischenden und kranken künig wie mit dem gralfinder
wird die verf. aber in der üblichen weise nicht fertig, sie betrachtet
mit Nitze und Weston den gralfinder als eine persönlichkeit,
die in ein geheimes wissen eingeführt wird, nicht freilich in
das occulte wissen eines naturdienstes, sondern in ceremonien,
die einen teil früherer christlicher gebrauche bildeten, man fühlt,
wie wenig haltbares die verf. zu bieten vermag.
Der wert des buches ligt jedoch nicht in dem excurs
über die gralsage, was die verf. uns über die Longinlegende an
sich gibt, ist ein beitrag wofür wir ihr dankbar sind.
Tilburg (Holland). .). r. ]). Blölo.
Michel W^'ssenhenes gedieht 'von doui cdeln hern von
Brnneczwigk, als er über mer fuie' und die sage von
Heinricii dem Löwen, von Walther Seehaussen. [Gcrraa-
nistischo abhaiidhiiiiron hr?g. von F. Vosft lieft 43.] Breslau,
Marens 11(1.'!. 8". VIII u. 173 ss. — 6.40 m.
Ein Widerabdruck des bisher ja nur in Malsmanns fehler-
hafter widergabe zugänglichen gedichtes von Michel Wissenherre
(welche namensform wir auf grund der hs. als die authentische
anzusehen haben) kann nur willkommen geheifsen werden, zu-
mal wenn zur sprachlichen und metrischen Charakterisierung des
denkmals soviel fleifs und Sorgfalt aufgewandt wird wie durch S.
geschehen ist. der dialect des Schreibers wie des dichters er-
fahren eingehude behandlung, an ganz specifisch landschaftlichen
kriterien fehlt es, aber im allgemeinen ist die Zuweisung zum
südlichen rheinfränkisch hinreichend gestützt, als kriterium für
die entstehungszeit dient hauptsächlich die klingende messuog
aller zweisilbigen reime, von einem durchschimmern eines auch
nur teilweise erhaltenen mhd. Originals kann also nicht die rede
sein, es steht ähnlich wie im Seyfridslied. die umgiefsung einer
älteren vermutlich poetischen vorläge ist ganz vom standpunct
der damals herschenden metrischen gepflogenheiten, nicht von
denen der vorläge aus vorgenommen.
Auf die vor allem durch ihre bequeme Übersichtlichkeit
dankenswerte nebeneinanderstellung der sämtlichen uns erhaltenen
fassungen der abenteuerlichen geschichte des Braunschweigers
folgt der teil der arbeit, in dem allein eine neue, selbständig zu
'-rHNEIÜEK ÜBKU .SEEll AllSSKN, MKIIKI. WVS>:|;Nm;iMti: 1')!
lösende aufgäbe erwuchs: S. will die saj^e in ihre t-inzelnen he-
standteile zerlegen und ihrer entwieklungsfreHchittlite nachgehii.
Von einer 'sage' kann in dem voiliegenden fall nur insofoi n
die rede sein, als einer geschiditlichen person unhistorische
abenteuer angedichtet sind, es handelt sich dabei um eine rein
litterarische schüpfung, man hat für den neuen sagenhelden keine
neuen abenteuer erfunden oder irrtümlicher weise mit ihm ver-
knüpft, sondern raau hat eine reihe von feststehnden, in spiel-
männischen kreisen verbreiteten und beliebten geschichten auf
ihn übertragen. S. sclieidet natürlich ganz richtig: 1. die
orientalischen abenteuer. 2. die lüwenerzählung. :i. die heimkehr-
sage, die Verknüpfung dieser einzelnen motive aber hätte ein-
gehender verfolgt, zeitlich genauer eingereiht werden sollen, als
es bei S. der fall ist. ich veisnche im folgenden z. t. auf die
resultate meines buches über die Wolfdietriche gestützt, eine be-
antwortung der frage, was wir mit Sicherheit über die ent-
stehungsgeschichte der sog. Braunschweigsage auszusagen in der
läge sind.
Wir wissen, dass in der zweiten hälfte des 12 jh.s die
einzelnen erzühlungselemente, die in der r>.-sage vereinigt er-
scheinen, einzeln im umlauf waren, die orientalischen geschichten
als abenteuer des herzogs Ernst, die löwengeschichte erfreute
sich seit dem Chevalier au lion der grösten popularität, sie
wurde mancher abenteuerserie als willkommener neuer bestand-
teil angehängt, auch, was für unsere frage von bedeutung ist.
gerade von Palästinareisenden erzählt (so im afrz. Gilles de Chin.
s. mein buch über Wolfdietrich s. 2(14,i. Chrestiens lüwe ist ohne
zweifei der ursprüngliclic Stammvater, wenn audi nicht in jedem
fall das directe vorbild dieser hilfreichen tiere. zur heimkehr-
sage ist festzustellen, dass die geschichte von der überraschenden
rückkunft eines hintergangenen gatten oder bräutigams, der durch
sein plötzliches erscheinen eine hochzeit stört, ursprünglich auth
unabhängig von der pilgerschaft nach dem heilig« n land »Tzählt
worden ist. wie der s. 21} 2 lierbeigezogene bericht aus Saxo zur
genüge dartut. specitisch orientalisch scheint der zug V(»m wider-
erkennungsring : doch auch ihn dürfen wir nicht als bestandteil
einer notwendig in den Orient führenden erzälilung ansehen,
da er in heimkehrsagen ganz anderer art ebenfalls auftritt, ich
verweise auf die sehr ähnliclif geschichte in dem anglonorman-
nischen gedieht von Hörn und llimenliild is. 2S!lf meines hnches)
das zwar nicht älter ist als 1 liälftc tlfs 13 jli.s, aber einer in
diesen zügeii jedenfalls nur unerli»>blirli abwri.htMiden t»np:lisclien
vorläge gefolgt ist. das riniriimtiv ist dann auch, freilich gc-
trennt von dem sonst typisclien zug der versenk uns dieses wider-
erkennungszeichens in einen becher, an der von S. auf s. 71 t
erwähnten stelle des Kother verwertet.
Das wären also die für unsere erzählun^'^ ;rnindlpirenden
152 SCHNEIDEK ÜBER SEKH AUSSEN
demente in ihrer ursprüng-lichen form, worin bestehn nun die
eigentümlichen züge, die diese älteren erzählungstypen in der
B.-sage aufweisen? bei den aus der Ernstsage genommenen
motiven ist ganz allgemein nur das eine hervoizuheben, dass
diese abenteuer, die sonst mit der person des schwäbischen her-
zogs aus dem 1 1 jh. verknüpft erscheinen, hier also auf einen
anderen beiden tibertragen sind, die beiden anderen bestandteile
haben aber eine ganz besondere ausgestaltung erfahren, der
löwenerzählung eignet in dieser fassung, dass das treue tier
seinem herrn nicht nur in das fremde land nachfolgt, sondern
dass es bis zum tode bei ihm ausharrt und schliefslich nach dem
abscheiden des beiden aus kummer auf dessen grab verscheidet
— ein zug von dorn alle anderen directen und indirecten Yvain-
nachahmungen nichts wissen. die ringerzählung schliefslich
zeichnet sich hier aus durch einen den älteren fassungen fremden
neuen anfang: der widererkennungs- entspricht eine abschieds-
scene, in der auf die spätere rolle des ringes bereits hingewiesen
ist, meist in der weise, dass der ring zwischen den beiden von
einander scheidenden geteilt wird und die widervereinigung der
getrennten hälften des reifs symbolisch wird für die der ge-
trennten gatten.
Es fragt sich nun weiter, wenn wir zur datierung der in-
dividuellen ausbildung unserer B.-sage gelangen wollen, welches
unsere frühesten Zeugnisse für eben diese ausbildung der be-
treffenden motive sind, einen anhaltspunct zur datierung der
specialisierten und fortgesetzten löwengeschichte habe ich s. 230
gegeben; es dürfte nach den dortigen ausführungen wol fest-
stehn, dass die türe von Yalthjöfstadt auf Island weder eine dar-
stellung der Iwein- noch der Wolfdietrichsage gibt, sondern be-
standteile enthält^ die die hier abgebildeten abenteuer dem typus
der B.-sage anzugliedern zwingen, um 1220, so werden wir
rund sagen, hat die geschichte in dieser erweiterten form — der
löwe verendet auf dem grabe seines herrn — bereits bestanden.
— für die datierung der erweiterten, dh. durch die abschieds-
scene eingeleiteten heinikehrerzählung dient uns die von S. heran-
gezogene, aber in ihrer tragweite sehr überschätzte (von einem
ersten auftreten des ringmotivs in ihr kann ja keine rede sein!)
geschichte von Cäsarius vHeisterbach (s. 74). auch dieser er-
weiterte erzählungstypus bestand nach diesem beleg bereits in
den 1220er jähren. — freilich zeigen uns die beiden bisher
herangezogenen Zeugnisse die motive noch in völliger Verein-
zelung, die eine geschichte handelt sogar von einem landfahren-
den ritter, die andere ausgesprochenermafsen von einem wall-
fahrenden pilger. aber es fehlt auch nicht an einem zeugnis,
das uns für annähernd dieselbe zeit die bereits erfolgte Ver-
einigung der beiden erzählungen verbürgt, wie ich s. 231
meines buches gezeigt zu haben glaube, hat bereits die vorläge
MiciiEi. \vyssi;niikkue 153
der beiden uns erhaltenen Wolfdietrichf^edichte A> und B aus
einer stofflichen quelle geschupft, die heid<' elemente der li.-SAge
enthielt, denn Wolfdietrich erscheint in bef^leitun}:;: eines löwen,
den er zu diesem zweck erst aus der umschlingnnj? eines serpaut
hat befreien müssen, in (unmotivierter) pilgerhafter vermumiiiung
auf dem hochzeitsfest der Lampartenkönigin, der er sich als der
allein rechtmäfsige freier zu erkennen gibt, indem er einen ring
in ihren becher gleiten lässt.
]\lehr aber, als dass um 1230 die beiden der Ernstsage
gegenüber ganz neuen elemente schon in ihrer jetzigen charakte-
ristischen ausgestaltung nebeneinander bestanden haben, können
wir mit Sicherheit nicht aussagen, es ist das alles was wir von
der Vorgeschichte der B.-sage wissen, fraglich muss also nach
wie vor zweierlei bleiben: erstens von wem wurde die combinierte
geschichte zunächst erzählt? die einfügung des löwenabenteuers
weist, dies sei widei-holt, keineswegs mit notwendigkeit auf
Heinrich den Löwen als ursprünglichen beiden hin, wie (;illes
de Chin beweist, aber es fehlt an anhaltspuncten, um diese
frage genügend zu beantworten, man könnte sich lediglich
daran halten, dass die inschiift auf der türe von V^althjöfstadt
besagt, dass hier ein mächtiger kuuioi;/ begraben liege, wer
weifs aber, wie weit der isländische künstler diesen begriff ge-
fasst haben, wie genau oder ungenau ihn seine dichterische vor-
läge über die qualität des beiden unterrichtet haben mag.
Zweitens, so bleibt noch zu fragen, ohne dass eine be-
friedigende antwort gegeben werden könnte: existierte dieser
erzählungstypus allein, dh. hat es eine heimkehr- oder orient-
sage gegeben, die nur die l)eiden für die zeit um 1230 fest-
gestellten bestandteile enthielt, und wurde sie erst später mit
der Ernstsage und ihren längst feststehnden abenteuern ver-
quickt, auf diese weise also erst zu einem richtigen abenteurer-
roman ausgesponnen? oder bestand die B.-sage zu der zeit,
in der wir nur das nebeneinander zweier grundmotivp nach-
weisen können, schon im vollen jetzigen umfang? und soliliofs-
lich, wenn das um 1230 schon der fall war, ist damals beirits
Heinrich der Löwe der held der geschiclite gewesen? oder folgte
erst späterhin eine Übertragung auf ilin, die ja auf doppt-lte
weise, durch seine Palästinareise und durch sein löwenabenteuer.
von denen beiden man sich noch erzählte, erklärlich erschiene?
darin stimme ich S. vollkommen bei, dass sowie in den quellen
die bezeichnung 'herzog von Braunschweig' für den lielden ein-
tritt, kein anderer gemeint sein kann als der Löwe, im übrigen
aber, das glaube ich gezeigt zu haben, liegen uns die phasen
der entvvickhingsgeschichte dieser sage doch keineswegs so klar
vor äugen, wie dies nach der hier uiciit hinreichend eindiinL'-'n-
den Untersuchung von S. den anschein gewinnen kann.
Berlin, den 20. juli 101 I. Hrniiniiii ScIuk idcr.
A. F. D. A. XXXVIII. 11
154 HIRSCH ÜBER ULM
Johann Haitliebs Buch aller verbotenen kunst. untersucht
und herausgegeben von Dora Ulm. Halle a. 8., Niemeyer 1914.
■lxviii u. 76 SS. 8'\ — 4 m.
Der vielgeschäftige Übersetzer Johann Hartlieb ist schon
früh von der forschung beachtet worden, wenn auch sein leben
und seine gesamte litterarische tätigkeit noch der zusammen-
fassenden darstellung harrt, man weils doch aus einzelnen hin-
weisen und Untersuchungen, dass Hartlieb die nachgehnde teil-
nähme, die man ihm widmet, verdient, von seinen arbeiten
haben einige eine ganz besondere bedeutung. seine Übersetzung
des lateinischen Alexanderromans ist zum Volksbuch geworden
und hat 200 jähre lang einen grolsen leserkreis erfreut, seine
Schrift von den warmen bädern, die Übersetzung eines werkes
von Felix Hemmerlin, ist die erste gröfsere deutsche quelle für
die geschichte des badelebens und hat, vou Hans Folz zu einem
reimgedicht umgearbeitet, rasch eingang bei den massen des
Volks gefunden, das 'Buch aller verbotenen kunst' (Bavk.) aber,
das Dora Ulm mit Üeils untersucht und sorgfältig herausgegeben
hat, ist eine bedeutsame fundgrube vor allem für die erforscher
der Volkskunde, die sprachlichen ergebnisse der betrachtung
sind gering: sie bestätigen den eindruck der ungelenken, trocknen
darstellung, den man auch aus Hartliebs sonstigen arbeiten ge-
winnt, bei der Untersuchung der quellen war sich die heraus-
geberin der Schwierigkeiten bewust, die dem wissenschaftlichen
erforschen der zauberlitteratur im wege stehen, so ist die vor-
sichtige art mit der Dora Ulm die von Hartlieb benutzten
bücher und geheiraworte der schwarzen kunst erklärt, kein
mangel, sondern ein Vorzug ihrer arbeit: sie hat es verschmäht,
die riesige dilettantenlitteratur über das zauberwesen zu be-
nutzen, und sich mit erfolg bemüht, für Hartliebs angaben aus
wissenschaftlichen werken und mittelalterlichen Schriften die
rechte erläuterung zu finden, allzu gewissenhaft ist sie beim
quellensuchen für zwei von Hartlieb genannte persönlichkeiten
gewesen, für 'Mancius, den zaubrer', der als erfinder der Chi-
romantie genannt wird, und für den rätselhaften Tyson', der
als der erste 'in der kunst phisonomia' auftaucht, es ist be-
greiflich, dass es der verf. nicht möglich war, über diese beiden
männer etwas zu finden, sie verdanken nur der kindlichen
etymologie Hartliebs ihr dasein: den Mancius hat er sich aus
dem wort 'Chiro-mancia' abgeleitet, den Pyson ebenso phan-
tasievoll aus Phiso-nomia. solches schaffen von gestalten aus
misverstandenen Wörtern habe ich in der Untersuchung von Hart-
liebs Alexanderbuch mehrfach belegt.
Zweierlei scheint mir bei den quellenbemerkungen von Dora
Ulm versäumt, einmal die erörterung der frage, ob Hartlieb
vielleicht, trotzdem ein selbständiges zusammensuchen beim Bavk.
erkennbar ist, doch eine den Unglauben ähnlich zusammenfassende
lull. iiAi; I r,ii:r. 155
vorläge benutzt hat. allerdings hätte ein einj^then auf diese fraf^^e
ein schwieriges Studium von lateinischen und deutsoiien hand-
schriften des 14 und 15 jahrluinderts erfordert, die sich über
heidnische brauche, Zauberei und Unglauben äufsern. mancherlei
anregungen scheint mir Hartlieb aus den schritten Felix Hem-
merlins empfangen zu haben, der ilim sicher persönlich bekannt
und vielleicht mit ihm zusammen in Rom gewesen ist. das
andere, was den Vorbemerkungen der verf. zu ihrer ausgäbe
wert und färbe gegeben hätte : ein vergleichendes betrachten
der Überreste germanischer mythologie, wie sie in Haitliebs buch
so zahlreich hervortreten.
Über die bedeutung von Hartliebs buch hat die heraus-
geberin ein eigenartiges urteil gefällt, das besorgte wolwollen,
mit dem akademische erstlingsarbeiten oft den behandelten autor
dem leser vorstellen, hat sie verleitet, Hartliebs buch eines der
ersten in deutsciier spräche zu nennen, 'in dem der verderbliche,
unheilstiftende aberglauben dieser Jahrhunderte mit grofsem eifer
und ebenso grofser auüführlichkeit bekämpft wird', das i.st nicht
richtig, gewis, Hartlieb wendet sich angstvoll gegen die schwarze
kunst, die den menschen an den teufel kettet und seine seele in
ewige pein führt, er ist betrübt, dass ringsum sündliafter Un-
glaube herscht, dass böse bücher, heidnische brauche, verborgene
Worte und zeichen den Christenmenschen vergiften, aber ist
dieses heftige eifern gegen die vielfachen stücke der zauberer
und hexen, die Hartlieb mit erstaunlicher wissbegierde beobachtet
hat, ist das predigen und beten gegen die künste des tausend-
listigen satanas ein kämpf gegen den verderblichen aberglauben
zu nennen? man kann das gegenteil sagen: Hartliebs schrift
brandmarkt manche harmlosen Überreste des altgermanischen
glaubens als schnöde ketzerei und teufelswerk, sie ruft alle
fürsten zum strengen einschreiten gegen die zauberer auf. man
lese in der neuen ausgäbe die mahnungen auf s. 2(1. 32. !M. 14
und besonders die eindringliche stelle s. 4!»: O fürst, dir lat
sind ffar vil in tealsi-hcii Janndoi: hüb dein fürstlich i/i'Hud
an die zu straffen, dein ijenad fand (jnr vil die dir hnlffm
vnd hem/estilnden. so eröffnet Hartliebs werk die reihe der
bücher, die, vom glauben an die verderbenden bündnisse des
teufeis mit den menschen beherscht, die weit des aberglaubens
anklagend darstellen und so die zeit der hexenverfolgung ein-
leiten: Hartliebs schrift hat etwas von der Stimmung des hexen-
hammers. wie erregt warnt er den fürsten vor den schlimmen
Zauberbüchern, deren anfang süfs ist, deren ende aber ewige
Verdammnis, wie lebhaft sieht er den teufel, den einbläser alles
Unheils, vor sich, er kennt die Zauberworte, mit denen die mei>rer
arbeiten, aber er verschweigt viele davon aus angst vor unheil
und ärgernis: es graut ihn, alles zu sagen, was er selbst schon
von böser zaubere! erlebt hat. was er berichtet, ist schon er-
11 •
156 HIRSCH ÜBER ULM, JOII. HAETUEB
schrecklich genug, gläubig und nicht ohne stolz, weil er selbst
dabei war, erzählt er von der hexe, die im sechsten jähr des
papstes Martin in Rom verbrannt wurde. Dora Ulm weils nicht,
ob Hartlieb damals würklich in Rom gewesen sein kann, weil
er da noch sehr jung gewesen sein muss. ich glaube, das ist
kein grund, um den aufenthalt in der ewigen Stadt anzuzweifeln:
Hartlieb war damals etwa 20 jähre alt und kann in Italien
seinen Studien obgelegen haben, das verbrechen jener hexe gibt
er als eine feste tatsache wider: die frau hatte als katze ein
kind gebissen und war von dem Verfolger mit einem messer am
köpf getroffen worden, am folgenden morgen wurde die hexe
durch die wunde am köpf erkannt, sie ward gefangen und ver-
brannt, zu dieser geschichte ist vielleicht ein kleiner litterar-
historischer excurs von Interesse: die schaurige erzählung hat
lange die gemüter beschäftigt und ist, getreu in allen einzel-
heiten, bis in unsere zeit berichtet worden, sie steht bei Hart-
liebs Zeitgenossen und landsmann, dem presbyter Andreas, dann
in Felix Hemmerlins schrift 'De nobilitate', sie erscheint dann,
als anekdote mit anderer Ortsangabe, bei erzählern des IG Jahr-
hunderts, sie findet sich, aus mündlichem bericht übernommen,
etwas verändert in Clemens Brentanos novelle: 'Die mehreren
Wehmüller', sie wird im 'Sonnenwirt' von Hermann Kurz über-
raschend getreu durch einen müllerknecht mitgeteilt, sie lebt
im geburtsort meiner mutter, Grofsenlinden in Oberhessen, noch
heute, als würkliches Vorkommnis berichtet, fort.
Mit derselben gläubigkeit mit der Hartlieb die katzen-
geschichte widergibt, verkündet er auch sein erlebnis mit der
hexe, die als wettermacherin zu Heidelberg verbrannt wurde,
man liefs ihn, als einen kenner aller natürlichen künste, das
arme weib im kerker besuchen, damit sie ihm ihre zauberfertig-
keit beibringe und so ihr leben rette, aber sie hiefs ihn Gott
verleugnen, sich mit leib und seele dem teufel ergeben und die
geister beschwören; das tat der gutgläubige doctor nicht, und
so muste er auf die kunst des wettermachens verzichten, und
die hexe muste im feuer sterben, wir wundern uns, wenn wir
das lesen, nicht allein weil Johann Hartlieb auch hier das leb-
hafte Interesse an der Zauberei zeigt, das uns im Bavk. be-
ständig entgegentritt und das dieser schrift den wert einer
eigenartigen Charakteristik ihres Verfassers gibt, vor allem ist
für uns befremdlich, dass Hartlieb selbst etwas lernen will, was
doch in seinen äugen sünde und ketzerei ist. aber ein blick in
den 'richterlichen klagspiegel' zeigt uns, dass der wissbegierige
doctor juristisch zu seinem verlangen berechtigt war. es heifst
in der (Hansens Quellen zur geschichte des hexenwahns ent-
nommenen) stelle : Welch aber das weter beschweren wnb des lo'dlcn
das das weter der fnicht, die auf dem velde ist, nit schaden
tu mit stain und kisel, das man hagel nennt, die sint nit peen
sunder Ions tvirdig. Siegmuud Hirsch.
EIEMANN ÜIUOK BRÜGGKMANN, l.TOI'IK VSl) JCOIUN.SONAOK 157
Utopie und Robinsonade. untersucliiinfjon zu Schnabels Insel
Fclsenbuif,' (IT^l — IT-i;}) von Fritz Ilrü-^'trenianM [ l'orscliun{,'on
zur neueren litteraturgcscliiciite Ins;,', v. F. Muncker nr. 4fj].
Weimar, Duncker 1914. xiv u. 200 83. 8". — b ni.
HUUrich hatte 1902 in seiner einleitung zur 'Insel Felsenburg'
betont, dass sie robinsonade und Utopie sei. er stellte ihre abliängig-
keit von fünf robinsonaden fest, vom 'Joris Pines', dem 'Philipp
Quarll', dem 'Sächsischen Robinson', dem 'Schwedischen Robinson'
und den 'Begebenheiten des Herrn von Lydio'. unter den utopieeii
des 17. jh.s hob Ullrich als die wichtigsten die auf christlichem
boden stehenden Andreaes, Seckendorfs und Dippels heraus, weil
in Schnabels roman das lutherische bekenntnis für alle Insel-
bewohner pflicht ist. nun erklärt Brüggemann, ihm hätten sich
bei der analyse von Schnabels werk, 'wesentliche neue aufgaben
für die ermittlung der abhängigkeit' ergeben, damit ist aber
nichts anderes gemeint als die einstellung in die geschichte der
Utopie, ich lese bei Ullrich (s. XXlXj: 'schon dass er (Schnabel)
sich zum entwurf eines solchen utopischen Staatswesens gedrungen
fühlt, setzt nicht nur ihn, sondern auch seine heimat in einen
gegeusatz zuDefoe und England', trotzdem erklärt Br, (s. .'>},
die 'Insel Felsenburg' müsse, 'nicht mehr nur wie bisher aus-
schliefslich im rahmen der robinsonaden, sondern auch im
rahmen der utopieen betrachtet werden.' Ullrich hat sie doch vor
zwölf jähren in aller öffentlichkeit aus dem einen rahmen heraus-
genommen und in den andern gesteckt! am sonderbarsten berührt
es mich, dass B. später (s. 13) sogar Ullrichs äufserungen heran-
zieht und gegen sie polemisiert, ohne deshalb die frühere stelle
zu tilgen oder zu ändern, aber solche Widersprüche sind bei
ihm nichts seltenes.
Er bestimmt als hauptmotive der 'Insel Felsenburg', dass
hier das eiland kein exil, sondern ein asyl ist, dass sich die be-
wohner freiwillig gegen die europäische culturwelt abschliefseu,
dass sie endlich diesen abschluss nur aus geschlechtlichen
Ursachen durchbrechen, ganz richtig ist das im dritten puncte
nicht, da auch die notwendigkeit einen geistlichen zu besitzen,
zur durchbrechung des Systems zwingt, die hauptmotive sind
unvollkommen vorgebildet im 'Französischen Robinson' (1723)
und in der freilich nicht durchgeführten anläge der deutschen
bearbeitung des 'Joris Pines' (1 72(i), ebenso aber schon in Cirimmels-
hausens 'Simplicissimus', dessen robinsonepisode wahrscheinlich
durch die lG(iS erschienene 'Isle of Pines', die urfassung des
'Joris Pines' angeregt ist, diese abhängigkeit Schnabels von
Grimmeishausen hat Br. in der tat recht wahrscheinlich gemacht,
auch lassen sich seinen ausfüliiungen nuch stützen unterschii'beu.
Albertus Julius erlebt als knabe die leiden des dreifsigjalirigen
krieges, worin ein schwacher nachklang der abenteuer des Sim-
plicius gefunden werden kann, ferner werden durch (b-n tranm
158 RIEMANN ÜBER BRÜGGEMANX
des einsiedlers Simplicius von Juliis und Avarus im 1(569 er-
schienenen sechsten bucli überaus künstlich, die ereignisse der
eng-lischen revolution, Cromwell und Karl TL in Grimmeis-
hausens roman hereingezogen, dieselben ereignisse aber lässt
mit ähnlich künstlicher begründung auch Schnabel erzählen,
indem er zwei Engländer, Amias und Robert Hülter, an der
insel Schiffbruch leiden und von ihren erlebnissen berichten lässt.
ergänzungen gibt dann noch David Rawkins lebensgeschichte.
es ist demnach nicht einmal unmöglich, dass der name des ganzen
Felsenburgischen geschlechts, Julius, von Grimmeishausens
Julus stammt, der durch das bei! endet, wie auch Schnabels
Stephanus Julius, der Urahnherr, gleichfalls aus politischen gründen,
'decoliiert' wird, es wundert mich, dass Br. diese ähnlichkeiten
nicht aufgefallen sind, obwol er auf die abhängigkeit von Grimmeis-
hausen so grofses gewicht legt.
Man sollte nun ei'warten, dass seine ausbeute auf dem ge-
biete der Utopie besonders grols sei, aber das ist kaum der fall,
er tindet seine drei hauptmotive in Vairasses 'Geschichte der
Sevaramben' (deutsch 16Si)) wider, während Foignys 'Südland'
(1704) das geschlechtliche problem etwas anders wendet, in
beiden utopieen wird eine ähnliche kleiderordnung wie in der
'Insel Felsenburg' durchgeführt, die patriarchalische herschaft
des Altvaters Albertus Julius scheint Schnabel aus Schütz 'Land
der Zufriedenheit' (1723) übernommen zu haben, dort sind auch,
wie auf der insel Felsenburg, die perücken verboten, es scheint
mir, dass gerade hier zur ergäuzung noch Ullrichs ausführungen
herangezogen werden müssen, im übrigen ist zuzugeben, dass
Br. U.s forschungen in einigen puncten glücklich fortgesetzt,
nicht aber, dass er ihnen gegenüber eine ganz neue bahn ein-
geschlagen hat.
Er hat dieses bewustsein, weil er auf grund unzureichenden
materials die seelische structur ganzer Zeitalter [zu enträtseln
versucht, dabei greift er meistens fehl, nicht der pietismus
und die empfindsamkeit allein haben das sociale empfinden der
neuzeit vorbereitet; der aufklärung kommt mindestens die hälfte
des Verdienstes zu. Brüggemann aber scheidet in einer art und
weise die ganz unmittelbar von Lamprechts schematisierungen
abhängig ist, die alte und die neue epoche voneinander: 'kabale
und humanität bilden den grofsen gegensatz, in dem die voll-
endeten Zeitalter einander gegenübertreten', die kabale ist die
kleinbürgerliche form des geistes der renaissance; die humanität
erscheint bereits 'stammelnd' in Schnabels Utopie, noch recht
stammelnd, in der tat! Lemelie erhält die grabinschrift: 'Und
also starb der Höllen-Brand als ein Vieh, welcher gelebt als
ein Vieh, und wurde allhier eingescharrt als ein Vieh', hat es
würklich einen zweck, auf werke mit so robuster psychologie
die verfeinerten begriffe einer anderen zeit und höher gearteter
ITTOl'IK rXD llOniNSCiNADi-; ]■)<,)
naturen anzuwenden? mit vorschneller verallgenieinerunj? betont
B., dass Lemelie als adlicher der neuen bürf,'erliclien cultur
gegenübergestellt wird, adlich ist aber aucli der tugendhafte
van Leuven, ebenso del- edle Valaro, und der bieder»' Rawkin
beginnt seine lebensgeschichte sogar mit den werten: 'Ich stamme
aus einem der vornehmsten Lord- Geschlechter in Engelland her .
wenn B. den gefühlscharakter der 'Insel Felsenburg' deuten und
culturhistorisch werten wollte, dann muste er sich von vornherein
darüber klar sein, dass Schnabel, ähnlich wie der Verfasser des
Faustbuches von 1587, nur mittelmäfsig begabt und gebildet
war. zum vergleiche waren vor allem Brockes, Günther,
Bodmer und Haller heranzuziehen, aber sie werden gar nicht
genannt, weil sie mit dem stoffkreise des romans nichts zu tun
haben, wenn man sich auf diesen beschränkt, dann soll man
auch nur von ihm reden, aber nicht versuchen, aus motivgeschicht-
lichen forschungen gewissermalsen als nebenproducte cultur-
historische resultate zu gewinnen, hätte B. an die gröfseren
Zeitgenossen Schnabels gedacht, dann wäre er vorsichtiger ge-
wesen und hätte nicht äulserungen getan wie die folgende (s. .'}1):
'es war lange in der deutschen litteratur keine so ergreifende
scene mehr geschrieben worden wie die trauer Concordias un)
ihren toten gemahl'. nach der älteren und besseren methode
suchte man zunächst zum gefühlsleben des einzelnen dichter»
vorzudringen und fragte sich dann, wieweit es als typisch für
die ganze zeit behandelt werden könne, aber man fängt all-
gemach an, jeden deutschen Schriftsteller als den berufenen
Sprecher seiner zeit zu betrachten, weil Goethe das gewesen ist.
wie haben wir uns den hofbarbier Schnabel vorzustellen? er ist
ein in kleinstädtischen Verhältnissen und geldsorgen verkümmerter
'projektenmacher', ein Vielleser und Vielschreiber, der sich mit
Phantastereien über seine elende läge hinwegtröstet und erstaun-
lich naiv wird, wenn er von Ungeheuern reichtümern oder auch
nur von festlichen malzeiten spricht, seinen oft betonten Zart-
heiten steht eine ganze reihe von derben und lüsternen scenen
gegenüber, besonders üppig wuchert die erotik, wenn es sich
um angehörige der romanischen nationen handelt, darin steckt
litterarischer einfluss. Fürst ist der abhänuis-keit Schnabtds von
spanischen novellisten bereits nachgegangen, aber B. lehnt .seine
nachweise mit der schönen begründung ab, die motive seien
derart, dass sie jeder selbst hätte erfinden können! ebenso sind
ihm die von Kippenberg nachgewiesenen ähnlichkeiten mit früheren
robinsonaden nicht weiter wertvoll, weil sie mit seinen drei
hauptraotiven nichts zu tun haben, er meint, man müsse zu-
nächst das wesen des romans ergriinden. 'um alsdann auch bei
der Untersuchung des abhängigkeitsverhältnisses das wesentliche
vom zufälligen zu scheiden', genau das gegentfil ist ri.htig.
von unten muss der berg bestiegen werden, zunächst war da."
160 RIEMANN ÜBER BRÜGGEMANN
nur angelesene auszuschalten, und was dann als eigentum Schnabels
übrig-blieb, konnte als ausdruck der seelischen disposition eines
ganzen Zeitalters — noch lange nicht gelten, weil dazu der
dichter nicht der mann ist. B.s reduction des romans auf drei
hauptbegriffe hat ihn nicht gehindert, einige einzelresultate zu
finden, aber das ist auch alles, keineswegs hat sie ihm dazu
verholfen. er hätte gewis mehr entdeckt, wenn er auf seine
Verallgemeinerungen verzichtet hätte.
Ich gebe noch ein beispiel, um zu zeigen, wie hier die
speculation auf die dürre beide führt, die vielen nachstellungen,
denen Schnabels frauen ausgesetzt sind, leitet B. aus dem
gegensat70 zwischen kabale (bosheit) und humanität (fügend) ab.
das trifft für Lessings 'Emilia Galotti' zu, aber nicht für die
'Insel Felsenburg'. Schnabel kommt zu diesen Situationen auf
einem ganz anderen wege: er liebt das pikante, deshalb er-
findet er diese unwahrscheinlichen geschichten, in denen über
die mafsen keusche frauen von 'verhurten Schand-Buben' verfolgt
werden, das gegenstück gibt die dem ersten bände als anhang
beigefügte geschichte Valaros, in der die frau das schändliche
geschöpf ist, der gatte der tugendheld. als Valaro mit seinen
gefährten auf der insel allein ist, müssen sogar affenweibchen
der 'verdammten wollust bestialischer menschen' dienen, dass diese
partien mit Schnabels berüchtigtstem wei'ke, dem roman 'Der
im Irr-Garten der Liebe herumtaumelnde Cavalier' (1738) eng
verwant sind, hat Ullrich hervorgehoben, aber diese pikanterie
erstreckt sich auch auf das so oft bewunderte liebesidyll zwischen
Concordia und Albertus, dass die liebenden allein auf der insel
sind und einander doch nicht angehören dürfen, das ist im gründe
eine Wielandsche Situation, eine raffinierte Verlängerung der prä-
liminarien. kein wunder daher, dass Wieland im achten gesange
des 'Oberen' eine reihe von motiven der 'Insel Felsenburg' ver-
wertete, die er offenbar sehr genau gekannt hat. wenn B. seinen
beiden zum humanitätspropheten umdichtet und unter die Vor-
läufer Herders einreiht, so gehört er nach meinem gefühl eher
unter die Wielands, verdient aber auch unter ihnen nur einen
bescheidenen platz.
Man wird nicht erwarten, dass ich in dieser weise fortfahre
und das ganze buch seite für seite oder satz für satz durch-
corrigiere. ich habe diese proben nur herausgenommen, um an-
zudeuten, dass ich es für einen methodischen fehler halte, wenn
wir uns der verallgemeinernden dai'stellung in der weise be-
dienen, wie es die schüler Lamprechts zu tun pflegen, das resultat
kann nur eine fragwürdige philosophie der litteraturge-
schichte sein. Lamprecht hat selbst oft aus zweiter band ge-
arbeitet und hat die fragen die ihn beschäftigten, nicht an der
band der werke selbst, sondern der litterarhistorischen dar-
stellungen zu lösen gesucht, daraus ergaben sich seine bisweilen
UTOl'lK UND R0I51NS0NADE 161
groiszügigen, bisweilen durchaus verschwommenen scliilderungen.
seine art, die begriffe hin und her zu schieben, ist oft einfach
die Hegels, grade solche partieen änfsern auf jüngere litterar-
historiker einen unheilvollen einflufs. sie können nicht rasch
genug bei grolsen gesichtspuncten und allgemeinen ausdrücken
anlangen, schreiben lieber die geschichte eines Zeitalters als die
eines mannes und fühlen sich immer erst wohl, wenn sie ins
blaue hineinsegeln, sie haben sehr grolsen respect vor geschichts-
philosophischen begriffen, aber sehr geringen vor einzeltat-
sachen. weil ihnen die geduld fehlt, aus einer grofsen menge von
beobachtungen greifbare resultate zu folgern, knüpfen sie au
eine einzige die weitgehendsten folgerungen. B.s erstes werk,
'Die Ironie als entwicklnngsgeschichtliches moment' (1909), hat
grade aus den kreisen der schüler Lamprechts begeisterte Zu-
stimmung gefunden, es wird dem neuen buche vielleicht ähn-
lich gehn; daher rauss gegen seine methode vom standpuncte der
fachwissenschaft zunächst einmal entschieden protestiert werden.
Leipzig. Kob. Riemaun.
Die helvetische rcvolution im lichte der deutsch-schweize-
rischen dicbtung. von dr Ernst Trösch. [Untersucliuiigcu
zur neueren sprach- und litteraturffcschichtc, hrsg. von Walzcl.
neue folge. X. heft.] Loipzi?, llaessel Hill, x luid 22N ss. S.
4,60 m.
Dem verf. hat in diesem buche oft sein draul'gänger-tem-
perament eine wissenschaftlich objcctive Würdigung von personen
und Sachen unmöglich gemacht, er stellt seine eigene politische
Überzeugung viel zu viel zur schau : die interessiert uns doch
nicht, in der helvetik sieht er fast ein ideal, alles andere ist
nichts, zornig schimpft er als eingeschraubter parteimann da-
gegen, statt zu widerlegen gerät er so leicht ins phrasonliafte
und in unnötige abschweifungen vom litteraihistorischen ins
politische, ich frage mich, ob es gut sei, in einer arbeit über
die politische dichtung auch die poIitik und die regierungen zu
beurteilen, jedenfalls dürfte es nicht so geschehen wie bei Tr.,
4er alles um so mehr schwärzt, je weniger es i»olitisch radical
ist, so das ancien regime, die katholiken, die aristokraten (s. 128£).
so war seine Stellungnahme gegen Johann Caspar Lavater und
Heinrich Zschokke, die er zuerst betrachtet, zum vornherein
gegeben: Lavater ist gegen die helvetik gewesen, folglich macht
ihn Tr. zu einem halbnarren. Zschokke war für die helvetik:
Tr. hebt ihn, nacli meinen: emplinden. zu sehr in den himmol.
ausgehend von dem gegensatz zwischen dem urteil des
litterarischen ausländes und den tatsächlichen Verhältnissen der
Scliweiz kommt Tr. zu dem schluss, dass die litteratur des
ansgehnden 18 Jahrhunderts der censur wegen nicht die volks-
t(»2 GEIGER ÜBE« TKÖSCH
stiniimuig- widergab. so auch Lavaters 'Scliweizerlieder'. es ge-
lingt dem verf. weder ein einheitliches bild der ganzen Persön-
lichkeit Lavaters zu entwerfen, noch sich von dem tiefen be-
dauern zu befreien, dass Lavater die dinge nicht so schaute
wie hundert jähre später Trösch. richtig bemerkt er, dass La-
vater im anftrag der helvetischen gesellschaft die glückliche
republik besingen wollte, dabei aber die würklichkeit mit dem
bilde verwechselte, darin nur eine verhimmelung schweizerischer
Verhältnisse (s. 21) sehen zu wollen, ist übertrieben und wider-
spricht dem was Tr. selbst s. 17 f richtig als beweggrund
Lavaters angegeben hatte, bei der dort angeführten stelle in
einem briefe Lavaters. darum schimpft Lavater nicht, sondern
rühmt, ich widerhole: Tr. misst Lavater viel zu sehr an sich,
statt an den Zeitgenossen.
Bisweilen sind Tr.s Zerrbilder wol nichts anderes als tem-
peramentvolle entgleisungen, wie s. 41. eine temperamentvolle
darstellung ist ja im allgemeinen ein unschätzbarer vorzug, und
bei diesem buche sehe ich in ihr einen hauptwert: Tr. langweilt
den leser nie; aber die elementare Vorschrift, dass der gedanke
nicht unter der darstellungsart leiden dürfe, lässt Tr. oft aufser
acht, das ist doppelt bedauerlich; denn manches was er über
Lavater schreibt ist gut, wie, mit ausnähme von einzelheiten,
s, 32 ff; freilich ist gerade bei diesen besten stellen eine ab-
hängigkeit von Ulrich Hegner, Hedwig Blenler-Waser uaa. deut-
lich spürbar. — wälirend ich seinen Lavater ablehnen muss,
dünkt mich Tr., wie schon erwähnt, Zschokke mehr Verständnis
entgegengebracht zu haben, auffallenderweise ist hjer Tr. mit
seinem persönlichen urteile vorsichtiger gewesen, er gibt hier
viel mehr objectiven bericht. leider; denn es besteht zurzeit eine
Zschokke-frage. jedenfalls sind nach meiner ansieht ideale (s. 59)
und Charakter (s. 69) Zschokkes bei Tr.s beurteilung gut weg-
gekommen; ich gehöre dabei durchaus nicht zu den Verächtern
Zschokkes.
Im folgenden capitel behandelt Tr. die dichtung über frei-
heit und gleich heit und bringt zahlreiche proben der ver-
schiedenen gattungen : manche stellten sich zur aufgäbe, ein
Jahrhunderte lang von seinen regenten am gängelbande geführtes,
für politische fragen völlig blindes volk aufzuklären, das ge-
schah durch zahllose prosaflugscbriften in gesprächsform, durch
politische gedichte, durch reden ; die töne waren oft gleich jenen
freiheitshymnen eines Lavater. durchaus treffend scheinen mir
die beobachtungen Tr.s über die Übereinstimmung der phraseo-
logie bei den freiheitsdichtern vor und nach 1848 zu sein (s. 82ff).
er befindet sich damit freilich im Widerspruch mit dem früher
über Lavater gesagten, aber er wird jetzt Lavater gerecht (s. 83):
'wenn die vorrevolutionären versemacher die freiheit besangen,
so dachten sie in erster linie daran, dass in einem fürstentum
DTE nErA'ETlSCMK REVOLUTION IN DER DlfUTUNG 1»)3
oder einem künif>ieicli die Untertanen vielt'aoli für die inilli(jnen
die am liofe versclileudeit wurden, uutkomnion niusten, während
die schweizerischen ropubliken veihältnisniärsig- billifre und spar-
same regierung-en hatten, als eldorado der lieiheit und des
glucks galt vielfach das land, das gar keine directen abgaben
zu entrichten hatte', die gegner des neuen rühmten das 'vfir-
malige glück Helvetiens'. wenn Tr. Knhn und Häfiigei' erwähnt,
hätte er den frühein und gar nicht sr) bedeutungslosen Ineichen
nicht übersehen sollen, der grund warum lläfliger während
einiger zeit mit seinen gedichten aussetzte (s. 7()). ist einfaelj
der, dass die regierung ihm abgewinkt hatte (vgl. ^lEsteiniann
Geschichte der alten pfarrei Hochdorf, ISOlj. ebenfalls sehr
richtig ist Tr.s hinweis auf die Unselbständigkeit der revoiutions-
lyrik (s. 117). sie ist fast immer niittelmüfsige gelegenheits-
dichtung. Johann Martin Usteris 'Freut euch des Lebens',
Schubarts 'Kaplied', 'Ca ira' und die Marseillaise. ^Matthia.s
Claudius Eheiuweiulied, einzelne Schweizerlieder Lavaters u. a.
schwebten als muster vor. so hat die schwere zeit der Invasion
keine dichterischen meisterwerke gezeitigt.
Dass Tr. zu beginn des folgenden sechsten capitels i'Jin
kämpf der parteien') die politische poesie richtig einschätzt,
glaub ich nicht, während er zuerst, wol mit mehr recht, ver-
mutet, vor 1798 sei die poesie nicht der ausdruck der volks-
meinung gewesen, nimmt er für die helvetik das gegenteil an
(s. 118). ich denke, es zeigt sich auch da in der politischen
poesie doch immer nur die meinung einzelner, eine tendenz.
nicht die des volkes. sich mit Tr. auseinander setzen wegen
seiner meinung, politische dichtung, zumal die einer revolutions-
zeit, sei nicht in erster linie nach ästhetischen grundsätzen
zu würdigen, einem unbedeutenden dichter gelinge es nicht
immer, aus dem reifsenden ströme eine band voll klarer, edler
poesie zu schöpfen, ist nicht möglich; denn auf grund ober-
flächlicher phiasen ('der born. aus dem sie |die politische poesie]
quillt, ist nicht der goldlautere quell der echten, rein künstle-
rischen lyrik. es ist vielmehr der wilde bergstrom der part.-i-
leidenschaft' s. 118) ist nicht gut streiten, wie weit fasst Tr.
die begriffe der dichtung, lyrik. poesie? politisch erregte zeiten
haben denn doch schon oft echte poesie (besonders von sonst
unbedeutenden dichtem) hervorgebracht, not lehrt beten — und
dichten, also die tatsache des geringen künstlerischen wertes
der politischen poesie zur zeit der helvetik ist mit dem poli-
tischen Charakter dieser poesie nicht erklärt. — Tr. gibt im
übrigen eine gute übersicl-t über die Zänkereien in versen von
hüben und drüben, die culturhistorisch (mehr als litterarhistorisrh)
sehr interessant ist. der geist dieser 'dichter' zeigt -ich in den
parodicen und umdichtungen; die Marseillaise, sogar das Vater-
unser und der glauben müssen herhalten ('Wilhelm Teil, der du
164 GEIGER ÜBER TRÖSCH
bist der Richter [Stifter] unserer Freiheit, dein Name werde
g-eheiliget in der Schweiz. Dein Wille geschehe auch jetzt bei
uns wie zur Zeit, da du über deine Tyrannen gesiegt hast. Gib
uns heute deinen Mut und deine Tapferkeit und verzeih uns
unsere vergangene Erschrockenheit . . .'). die Verteidiger des
alten sind nicht besser; kaum schlimmer, wie Tr. mit seiner
schwäche für die helvetik (s. 12Sf) bei seinen bemerkuugen über
den allerdings hirnwütigen JJSchweizer, pfarrer in Embrach,
andeutet, mit recht hebt Tr. ihm gegenüber als gutes beispiel
den Berner collegen GJKuhn hervor, mit seinem treiSlichen 'Bueb,
mer wey uf d's Bergii trybe' u. andern mundartlichen gedichten.
der verf. hätte noch beifügen können, dass in diesem ganzen
'dichtersaal' Kuhn der einzige ist, bei dem würkliche poesie auch
in den politischen gedichten zu linden ist. auch Joh. Martin
Usteri hält den vergleich mit Kuhn nicht aus. dass der helve-
tische director Peter Ochs von den auhängern des alten wegen
seines namens beständig verlästert wurde, ist bezeichnend, in
anbetracht von Usteris gehässigkeit ist Tr.s annähme, in Usteris
'Vikari' sei mit dem revolutionären 'schärer' (barbier) Chappi
der helvetische zürcherische regierungsstatthalter Joh. Caspar
Pfenninger gemeint, sehr ansprechend; Pfenninger war vor und
nachdem er den verantwortungsvollen posten innehatte, chirurg
und bader. und Chäppi-Caspar lässt sich hören, auch der hin-
weis Tr.s auf die rolle des revolutionären barbiers und der da-
maligen schweizerischen litteratur ist wertvoll, nur ist gerade
bei diesem capitel wider zu bedauern, dass Tr. so wenig ver-
sucht, zusammenhänge mit der nicht schweizerdeutschen litteratur
aufzudecken.
Tr. stellt fest, dass in dieser gesamten dichtung der hass
der Parteien den gemeinsamen hass gegen die Franzosen nicht
aufkommen liefs. nur beim föhnbrande in Altdorf 1799 ver-
einigten Zschokke und Usteri mit rührenden versen ihre stimmen,
und noch in einem puncte trafen die gedankeu der gegner zu-
sammen: in der Sehnsucht nach dem frieden. —
Tr. geht dann zur mediations- und restaurationszeit über
und betrachtet, wie einige hauptvertreter, also etwa Ulrich
Hegner, David Hess, JCAppenzeller, JMUsteri und Salomon
Tobler die helvetik in ihren erzählungen darstellen, der verf.
zeigt das bestreben Hegners in 'Salys Eevolutionstagen' über
den Parteien zu stehn, wie das nämliche dem aristokratischen
David Hess in der vom 'Saly' stark beeiuflussten Versöhnungs-
novelle 'Der Alte auf dem Berg' weniger gelingt, noch mehr
eine reactionäre tendenz vertritt Appenzellers 'Berghaus', am
schärfsten und unversöhnlichsten aber ist 'De Vikari' von
JMUsteri. die lyrik der freiheitssänger wie des dichters des
Rütliliedes Joh. Georg Krauer, schweigt während der restaura-
tionszeit. und in den dreifsigerjahren vergessen die dichter die
DIE HELVETISCHE MEVdLUTION IN DK« DfClITUNf; 165
helvetik; einzige ausnähme sind die 'Enkel Winkdiiods' von
Salonion Tobler, der ein ideales bild von den aufständigen
Niedvvaldnern entwirft. —
Im achten und letzten abschnitt, betitelt 'Historische
dichtungen', gelangt Fr. zu den neuen und neuesten dichte-
rischen darstellungen von helvetikmotiven. an stelle politischer
tendenz tritt das Interesse für den poetischen stoff, grofse Le-
gebenheiten, fesselnde Charaktere; eine neuentdeckte fundgrube.
dreien ist es nach Tr. gelungen, echtes gold zu giaben: Jakob
Frey, Gottfried Keller und Meinrad Lienert. er hätte vielleicht
auch Jeremias Gotthelf ('Elsi die seltsame Magd') und Jakob
Bosshart ('Barettlitochter'), die er später rühmt, daneben stellen
können. — nach der von Küster in seinem buche über Gottfried
Keller (s. 1 1 G) gemachten Unterscheidung von vier arten novellen
teilt nun Tr. den stoff auf grund von vier technischen typen;
ohne viel damit zu gewinnen, eine aufdeckung der beziehungen,
ein genaueres Studium der entvvickliing der motive wäre frucht-
barer gewesen und hätte diesem capitel den skizzenhaften Cha-
rakter nehmen können, dennoch gehört dieser teil zu den besten
des buches. Tr. bekundet hier ein sicheres, nicht voreingenom-
menes urteil und spricht es deutlich aus. nach meinem emp-
finden besteht freilich zwischen leuten wie Zahn einerseits und
Gottfr. Keller oder Gotthelf anderseits noch ein gröfserer unter-
schied als Tr. ihn sieht, nach besprechung von künstlerisch
wertlosen dichtungen, wie des dramas des Solothurncr land-
amraanns Wilhelm Vigier 'Der Fall der alten Eidgenossenschaft',
hebt er Jakob Frey in den Vordergrund, den er den poetischen
ehrenretter der helvetik nennt; um einen mehr oder weniger
erfundenen beiden stellt dieser eine häutig ebenfalls frei er-
fundene handhing, die fabel soll historisches Interesse erwecken,
so in der 'Waisen von Holligen', im 'Koten SchilTer von Luzern'
u. a. überall der hass gegen die Franzosen, die aiistokraten-
hetze der französischen emissäre; daneben eine glückselig-
unglückselige liebe, ähnlich auch im 'Breitenhaus', mehr ironi-
sierend veihält sich Gottfr. Keller der helvetik gegenüber in
seiner novelle 'Verschiedene Freiheitskämpfer', frei gehn Alfred
Hartmann ('Junker und Bürger') und Heinrich Zschokke ('Rose
von Jericho') mit dem Stoff um. und dann auf die neuesten
übergehend weist Tr. hin auf Und. vTavel C.lä, gäll. so geits!').
Jakob Bossshart ('Barettlitochter' und 'Bergdorf). Ernst Zahn,
dessen 'Albin Indergand' (sch(»n Walzel wies auf die bedenklichen
anachronismen darin hin) mit dem auffallende parallelen ent-
haltenden ein jähr altern 'Bergdorf Bossharts verglichen wird;
und besonders Meinrad Lienerts 'Schellenkönig'. —
Summa snmuiarum ist zu sagen, dass Tr., sowie er loslegt
nnd viel persönliche nieinungen bringt, zb. im Lavater-cnpitel,
leicht übers ziel schiefst, dann wird er unwissenschaftlich, ver-
166 GEIGKR ÜBER TRÖSCII, DIE HELVETISCHE REVOIAITIOX
zerrend, willkürlich. umgekehrt kann er unwissenschaftlich
werden, wenn ihm die g-eduld ausgeht, liebevoll und gründlich
dem einzelnen nachzugehn. beide hauptfehler Tr.s zeigen sich
auch im stil (beispiele etwa s. 11 'Am nnhaltbaisten' bis 'zu
sprengen', s. 119 'Wilder tobte' bis 'zusammenbricht'). —
Trotzdem ich mehr Vertiefung gewünscht hätte, kann ich
das buch als einen brauchbaren führer auf dem gebiete des be-
handelten Stoffes empfehlen, wer die, hier (wie jeder übrigens
selbst gleich merkt) besonders angebrachte, nötige vorsieht
gegenüber dem urteil des Verfassers anwendet, Mird ein wert-
volles material zusammengestellt finden (mit quellenangaben und
Personenverzeichnis am schluss), das verständnisvoll geordnet und
verarbeitet ist und in iuteressanter weise vorgetragen wird, die
Schrift Tr.s ist aber auch für jeden, der die neuere und neueste
Schweizerlitteratur gründlich kennen lernen will, ein nötiges
hilfsmittel.
Burgdorf (Schweiz). Eusjen iieiger \.
LITTERATURNOTIZEN.
Mitteilungen aus der Königlichen Bibliothek herausgegeben
von der generalveiwaltuug I— IV. Berlin, Weidraannsche buch-
handlung 1912 — 1918. gr. 8°.
I. Briefe Friedrichs des Grofsen an Thieriot herausgegeben von Emil
Jacobs. 1912. 44 S3. 3 m.—
II. u. III. Neue ervvcrbungen der handschriftenabteilung: I Lateinische
und deutsehe haudschriften erworben 1911. 1914. 121 ss. 8 m.
— II Die Schenkung Sir Max Waechters 1912. 1917. 164 ss.
10 m.—
IV. Kurzes Verzeichnis der romanischen haudschriften. 19ls. 141 ss.
10 m. —
Diese vornehm ausgestattete reihe von Veröffentlichungen
aus und über alten besitz und neuen erwerb der Königlichen
bibliothek hat im Jubiläumsjahre des grofsen Friedrich einge-
setzt mit den briefen und billetts des kronprinzen und des
jugendlichen königs an einen litterarischen correspondenten, von
dessen eigenen briefen einige die sich auf solche Friedrichs be-
ziehen eingeschaltet sind. Emil Jacobs gibt in seiner ein-
leitung und den knappen anmerkungen alles was wir zur Orien-
tierung brauchen in mustergiltiger form, aus dem Inhalt nenn
ich hier nur einen eigenartigen beitrag zu dem capitel 'Shake-
speare in Deutschland': unterm 10 vi 1745 ('au camp entre
Friedland et Braunau') verlangt der könig 'la Comedie du Sr.
Gresset et les Tragedies de Shackespear'. — In heft II hat
Jacobs, den leider inzwischen Freiburg der Berliner hand-
schriftenabteilung entzogen hat, 28 lateinische manuscripte mit
der reichen und sichern gelehrsamkeit seines Vorgängers und
I.l JIKÜAIIiüNOlIZKN 1()7
Vorbildes Val. Rose beschrieben; die meisten eil) »ntstaninitMi
der Sammlung Phillipps, so auch der älteste dieser Codices, Theoi.
lat. fol. 72ti saec ix (aus SMaximiu in Trier: 'Grimlaici rej^ula
solitariorum" mit den versen des Sniaragdus auf die Henedictiner-
regel). anderweit erworben wurden nur 4, darunter die scljijne
hs. des Albertus Aquensis Lat. fol. 67 7 aus SV^eit in Miinchen-
Gladbach. bei Theol. lat. qu. 375 errej^t mir die herkuiift aus
'kloster' Herborn zweifei. — näher f,^ehn uns die deutschen hand-
schriften au, denen Herrn. Dej^ering- seinen tlcifs und seine
Sachkunde zugewendet hat. zwar hat die meisten dieser gleich-
falls aus Cheltenham stammenden Codices schon Priebsch be-
schrieben, und der eine und andere ist inzwischen auch schon
anderweit benutzt worden, aber doch bietet uns D.s Spürsinn
für die textüberheferung und litteraturgeschichte des ausgehnden
mittelalters allerlei neues: ich verweise besonders auf s. H4 ff
(Joh. vNeumarkt), s. (i7 ff (der Osnabrücker HDissen, der in
Köln seine unkülnische spräche entschuldigt», s. 7:iff (Joh. Siederj.
s. 8Sff (Joh. Rothe!), s. 92 ff uMich. Beheim). auch cultur-
geschichtlich fällt einiges ab, wie s. 100 die reclame eines
reisenden arztes. — Auch die in III von üegering beschriebene
Schenkung enthält ausschliefslich manuscripte der bibliotiiek
Phillipps und vorwiegend solche aus Deutschland, die meisten in
deutscher spräche, die schöne litteratur des mittelalters ist hier
vertreten: durch handschriften von Strickers Karl d. (ir. (Germ,
qu. 1475), Rudolfs vEms Wilhelm ((.xerm. qu. 14S5) und dem
Wigalois (Germ. oct. 4S3); weiter nenn ich dichtungen die wir
probeweise bereits durch Priebsch kennen gelernt haben : die
Passauer gereimte Stephanslegende von Havich dem Kölner
(in Germ. fol. 1278), 'Johann der findiing aus dem vergiere'
(Germ. qu. 1476), das sog. Liederbuch der herzogin Amalia von
Cleve. das D. vielmehr einer Katharina von Hatzfeld zuweist
(Germ. qu. 14 SO); in Germ. qu. 147!) steht eine scene aus einem
niederrhein passionsspiel (s. 7S), in dem mittelfränk. miscellan-
codex Germ. oct. 477 ein lascives gedieht in Hotten Strophen
(s. 137 f), in der Österreich, sammelhs. Germ. qu. 14b4 neben
allerlei didaktischem (Gate, Freidank, Renner) ein gereimter
wundsegen (s. 96 fj. aus den prosahss. heb ich Ingolds Gol-
denes Spiel (Germ. oct. 4S2) und vor allem die Übersetzungen
des pfarrers Johann Gottfried von Oppenheim für srinen schüler
Johann von Dalberg '^Germ. qu. 14 77) hervor und verweise nocli
auf Lat. oct. 221 (riieinfränk. Franciscanerklosten, (term fol.
1276 (Nürnberg), Germ. qu. 14SI (Osnabrürk'. (Jerm. qu. 148»i
(fränkische karthause), Germ. oct. 47S (rheinfränk., z. tl. aus dem
niederländ. umgeschrieben), alle andern Codices überragt an
alter bei weitem Lat. 676 saec. ix aus Keichenau resp. Mur-
bach (s. IS— 26): das darin enthaltene glossar gibt 0. s. 24--26
in neuem abdruck. — lieft IV bringt nicht be8chreil>ungen und
168 LITTERATURNOTIZEN
auszüge wie I w. II, sondern nur ein knapp gehaltenes, durch
indices zugänglich gemachtes Inventar, den wertvollsten bestand
der romanischen abteilung bilden heute die 1882 erworbenen
handschriften aus Hamilton Paiace, von denen 584 in Berlin
verblieben sind: verteilt auf die Königliche bibliothek und das
Kupferstichkabinett, dazu treten die älteren bestände, die für
Italien und Spanien überraschend reich sind, und neuste er-
werbungen, namentlich französisciie hss. aus der Sammlung
Phillipps. dem jungen gelehrten der dies Inventar aufstellte,
cand. phil. Siegfried Lemm war es 1914 noch vei-gönnt, über
zwei besonders wertvolle hss. selbst zu berichten (Arch. f. d. stud.
d. n, spr. 132): über den neugefundenen 'Debat' des Alain Chartier
Hara 144 (Kupf.-Kab. 78, C 7) und über die Liederhandschrift
des cardinal Eohan Ham G74 (Kupf.-Kab. 78, B 17); nachdem
er am 30 april 1915 in Flandern den heldentod gestorben ist,
hat sein freund dr phil. Martin Lop el mann die revision
und die correctur geleistet und die indices hergerichtet.
E. S.
M6moires de la Societe neophilologique de Helsing-
fors VL Helsingfors 1917. 353 ss. 8 0. 7 marcs. — Dieser
band enthält drei abhandlungen die uns näher angehn. Arthur
Langfors 'Les chansons attribudes aux seigneurs de Craon, edition
critique' (p. 41 — 87), der die zweite aufläge meiner 'Ritter-
mären' nicht kennt, weicht von der dort vertretenen auffassung
nur darin ab, dass er das lied ^Flne amours claimme en moi
pnr Jiirefage' dem Pierre de Craon zuschreibt statt einem der
beiden Amaury. ^A Ventrant del doiiz termine' belässt L.
Maurice ii, freilich mit einem leisen sprachlichen bedenken; die
drei übrigen lieder die auch mit dem namen eines Craon vor-
kommen, weist er andern dichtem zu. von allen fünfen gibt er
kritische texte auf grund des vollständigen hsl. materials —
Hugo Suolahti 'Randbemerkungen zu mittelhochdeutschen
texten' (p. 109 — 125) verwendet hauptsächlich seine fremdwörter-
studien zu correcturen und erlänterungen von 10 stellen ver-
schiedener dichter: ich hebe hervor Trist. 10 909 gefrunzet 'ge-
fältelt' St. gef ranzet ; Roseng. F II 2, 1 gemnosieret st. ge-
viaschieret; Schlacht bei Göllheim 81 vadie = vogetie; Goeli
4, 31 wird portenscliei als franz. porie-joie gefassr, was mir
mehr einleuchtet als Singers neuerliche deutung aus dem
schweizerdeutschen. — Ivar Hortung, 'Zur altsächsischen
noniinalbildung: 1-formantien' (p. 127 — 171) hat sich ein wenig
dankbares gebiet ausgewählt: arbeiten wie dieser muss nach-
drücklich entgegengehalten werden, dass das sog. altsächsisch
doch nur in einer splitterhaften Überlieferung vorligt und dass
darum die wichtigste quelle zur eischliefsung des älteren spracli-
bestandes und Wortschatzes nicht übergangen werden darf: das
mittelniederdeutsche! — den band schliefst eine bibliographie
iMnriUlAfVUMil I / KM 16 'i
fär die Jahre 19l)y — 1915, dt« abeiiiiuls /-eij^i. weldicn frucht-
baren eifer die Hnnländischen {gelehrten aut den jjebieten d»T
Tomanische« und grermanischen jjhihdopfie entwickeln. K. S.
Neaphilolüglsche niitteiluni^en. IG. 17. 18. 1 1) jalirsan{r.
Helsingfors, Aktiebolaget handelstryckeriet 1911,1'.»! .">, l!) 1 7, 1 9 1 S ,
238, 212, 18S, 92 ss. 8". — Diese Zeitschrift, die durch den kriej?
<;ine Unterbrechung- (mit der lücke des Jahrgangs 191 tij erlitten
hat, enthält allerlei was unsere Studien berührt und zu fördern
geeignet ist. naturgemäfs weniger auf dem gebiete der litreratur-
geschichte (wo allenfalls der essai von HSchück über die neue
theorie vom Ursprung der chansons de geste 17, 1 — 3o zu nennen
wäre), als auf dem der grammatik und wottkundc i(;h nenne
die grundsätzlich wichtigen erörtciuiiueii von Seiälä über
•entlehnang und urverwantschaft (Kl, l(»5i, die durchweg inter
essanten artikel zur wortgeschichte von Mikkola (Ki. 4. 172.
174), Karsten (H). U;o), Suolahti (IT., 1.111; 17, I 17: Innhmf;
19, 10: ir'tndhiüi(l) und HOjansuu 'Beiträge zu den tinnisch-
:gennaii.beziehungen'(l6,lG,'>; 17,157; 18,1S; 19,49). lautgeschicht-
iliche Probleme behandelt HPipping 'Über den schwund des h
in den altnord. sprachen' (lt>, 124) und Br. Sür«3s 'Beitr. zur
kenntnis d. suftixes -nnfj, -iiui in den germ. sprachen' (IS, 24v
in dem lot-ztgenannteu aufsatz wird u. a. der dissimilatorische
aosfall des n in kanifi und honofi bestritten, die nasallosen
formen sollen uralte nebenformen si-inl und iifrnnig, Hcnniij,
Wernigerode nebst hundert andern eigenuamenV dabei operiert
der verf. wider mit dem einwand, es handle sich gar nicht um
M. neben n, sondern um 13 neben n — als ob dissiniilation nur
<Ue gleichen und nicht auch nahverwante laute treffe! im an-
.schluss an seine dissertation handelt E()hmann weni- ti.rdernd
über die franz. nomina proprio in den deutschen denkmäh-rn des
12 und \?, jh.s (19, 9i. V.. S.
Seif rieds b urg und Seyfriedsage (!). eine
sagenstudie in archiv und gelände von Otio L. Jiriezek. «a. au.>»
Archiv d. bist. ver. f. Cnterfranken bd mx. Würzbuig, univ-
drnckerei H. Stürtz a. g. 1917. 7« ss. S". Das bescheidene
radiment einer Siegfriedsage, der Säufritz von der fränkischen
,8aale, wird hier mit der gewissenhaftigkeit untersucht, die wir
von Jiriczek gewohnt sind, er bespricht zunächst die Über-
lieferung der localsage. die am frühesten von HDaador isii.'. und
dann (wenn wir von ♦•iuer knappen notiz aus d. j, is39 ab
sehen) nur noch einmal selbständig und zuverlässi- vuu Frran/.er
1848 aufgezeichnet worden ist denn dass LMechstein (1812)
von Baader unabhängig sei, muss ich auf das entschieden.ste be
streiten: noch mehr fast als der einfach übernommene »atx
unterhalb .scinoi Geburtsortes auf (lentsellnii lU rg eivr liurq
awfhauen liefs (man beacht<' besonders das licfs\) beweisen
<iie abhängigkeit die Varianten, die überall die retouche v»»r-
A, F. n. k. \XXVII1 1-
Ö 7 (• ;Lrr^ERATUI?^'OTIZK^•
löteB. dass die sagenform, wie. sie zum Seyfriedslied stimmt,
avkch von diesem abliängig* ist, wird dann überzeugend dargelegt,
und zwar liandelt es sich dabei wol schon um die gedruckte
dichtung. auf eine etwas breit geratene geschichte des dorfes
Seifriedsburg folgt die Zusammenstellung alles dessen was J.
über die frühhistorische 'bürg' westlich davon ermitteln konnte,
ÄUf der freilich nie sachkundige grabungen stattgefunden haben,
das Schlusskapitel findet den ausgangspunct der localsage in dem
zusammentreffen des siedelungsnamens 'Seifriedsburg' und eines
•flnrnamens 'Lindwurm' in unmittelbarer nähe, für den mundart-
lichen lautwandel zn^ Llngivunii bieten zahlreiche hessische Orts-
namen parallelen, s. Arnold Ansiedelungen und Wanderungen S; 31V»
und im register s. 675^^^. E. S.
Die deutschen bruchstücke von Athis uiid Prophiila»
in ihrem Verhältnis zum altfranzösischen romah. Strafsburger
doctor-dissertation von Richard Mertz. 1914. 88 ss. 80. - — Die
bequeme Vereinigung der sämtlichen bruchstücke des deutschen
Athis in dem Mittelhochdeutschen Übungsbuch von Kraus (1912)
und das gleichzeitige hervortreten von Hilkas ausgäbe des fran-
jLÖsischen romans (bd I', 1912) legte * eine quellenvergleichung
nahe, bei der der verf. durch Hilka gefördert worden ist. leider
•bringt M. für diese einfache aufgäbe nicht die nötige philo-
logische ausrüstung mit: wer uns gleich auf s. S (noch 70 jähre
nach Wilhelm Grimm) verkündigt, das gedieht (!) zeige 'eine
mischung von hochdeutsch und niederdeutsch', und dann mit un-
freiwilliger komik fortfährt: 'Gervinus, dessen philologischen [!]
Btandpunct wir hier anerkennend gelten lassen dürfen', der be-
reitet uns allerdings darauf vor, dass es um sein Verständnis der
mhd. spräche und dichtung nicht gut bestellt sein mag. man
begreift nicht, warum der verf., der nach vielfachen anzeichen
der sprachlichen Überlieferung ziemlich hilflos gegenübersteht,
•sich so viel mühe um die einsieht der Originalfragmente gegeben
•hat (s. 10 oben u. anm. 2), wobei er abermals übersah, dass sich
A* in den bänden von GKönnecke befindet, s. dessen Bilderatlas
2 aufl. s. 55. — das ergebnis seiner vergleichung des Inhalts
fasst M. s. 6 1 ff zusammen ; an der spitze steht der satz 'Der
deutsche dichter rauss die vorliegende (!) französische version
gekannt haben', nachher aber folgen erwägungen hinüber und
:herüber, die s. 64 zu dem Schlussresultat führen: 'Wenn wir
nach alledem den französischen roman als die quelle des deut-
schen gedichtes ansehen sollen (!), so kann doch dieser roman
nicht in der uns bekannten form unserem dichter als vorläge
gedient haben, sondern muss bereits eine Umänderung und stellen-
weise eine abänderung erfahren haben' usw. bei dieser Unsicher-
heit ist natürlich das ergebnis des Schlussabschnitts, in welchem
die beiden werke 'nach der darstellung' verglichen werden, noch
weniger befriedigend, kurz die arbeit muss noch einmal ge-
ivrrrBRA'r-üKNOTizKN 171
macht werden: sie hat sich wenig^stenb für die schwachen krätl«
dieses anfänf^ers als zu schwer erwiesen. K. H.
■ Ehf?elhard von Konrad von Würzbarjr, hemus^egebeD
von Paul Oeioke i Altdnutsche textbibliothek. heraus','e(;ebei: von
H; Paul nr. t7 . Halle, Nienieyer l!)r2. xi u. 220 ss. S». :j mj
— Dass neben der von Joseph erneuerten llauptschen ausjrab»'
des Engelhard eine zweite bedürfnis sei, niochtt- man juifi^pMicbtH
der fülle andcrweilij?er aufgaben der edition iuimerbin bezweifeln
— aber jedenfalls war Gereke dafür wol gerüstet und hat er
jetzt den beweis erbracht, dass sich sein werk auch nt;beii der
vielgepriesenen und schon uhi ihrer grundlegenden ;ininerknngen
willen unentbehrlichen ausgäbe Haupts sehen lassen kann, wenn
er den Verdiensten seiner Vorgänger und zuletzt noch meinen
und HLaudans arbeiten volle gerechtigkeit widerfahren lässt, ><>
hat er sich doch anderseits die freiheit der entseheidung überall
gewahrt und nicht weniges zur kritik des gerade mich dunh
seine Überlieferung für den philologen so anziehenden gedihtes
selbständig beigesteuert: wir haben es würklich mit einer neuen
recensio zn tun. was man bekanntlich nicht von allen bände«
der Altdeutschen textbibliothek sagen kann, es ist hier nicht
der räum, um in eine erörterung aller fälle einzutreten wo ich
vom herausgeber abweiche; ich will nur an einem beispiel zeigen;
dass noch immer im text junge resp. erneuerte Wörter sttcken. di«
auf das conto des Frankfurter setzers von 1573 kommen, die verse
2051 — 54 mit der reimfolge stetere : inire. binde : uiitiU ent«
Staramen einer reminiscenz an Hartmanns (Tregorins, die Haupt
noch nicht bekannt sein konnte:
Eng. 2053 f. IJreg. 38 ft.
daz mlnci- sorgen bürät uuä daz diu ffiO-f sumr
von in 'gelthterf würde der süntlirhen bürde
ein teil gering et iciirde.
geringet les ich Greg. 40 mit G und Pauls erster ausgäbe, während
eich Paul später mit Zwierzina für uni/er IK ents<hieden bat;
vgl. noch 3809f man sol dem sünditrc ringen .s/wr swa>re, ferner
3839f daz al der snnden bürde von int entladen uurdr, 2503f
(swm-e,) ivan duz ein kurz gedinge ir muot tcie ringe. d«M
man auch im Eng. 2054 geringet einsetzen muss. wird dadurch
gesichert, dass die Engelhard - stelle nun ihrerseiu bei einem
nachahmer Konrads, dem Verfasser von 'Aristotele.'^ und Phylli«'
103 f widerkehrt: hier hat vdllagens Text nach der Regensbur^er
hs. wie im der sorgen bürd( ein teil germgert uttrde, was maa
unbedenklich in geringet ändern mag; allerdings haben di«»
gleichfalls jugendlichen iiss. von Strafsburg und Karlsruhe gc
lihtert resp! geleicht, aber das ist eben dieselbe Verjüngung, di«
wir bei Konrad im späten druck vorfanden, ich trage kein bf'
denken, p]ngelhard 2054 im hinblick auf den gleichniäfRigen Wort-
laut des Vorbildes und de^ nachahmerH zn »chreiben:
172 LiriEKAlOBNÜTI/ KN
eilt teil geringet würde.
wem dieser ausgleich der drei stellen widerstrebt, mud» schoa
annehmen, das« sich bei dem dichter von 'Aristoteles und Phyllis'
reminiscenzen an eine Konradstelle {der sorgen bürde) und an
eine Hartmannstelle (ein teil) gekreuzt und verschmolzen hätten.
E. S.
D. Martin Luthers Lieder und Fabeln mit einleitung
und erläuternngen herausgegeben von Georg Uuchwald. Leipzig,
Phil. Reclam o. j. [Universalbibliothek nr 5913.] 107 ss. kl. 8.
0,40 m. — Eine populäre ausgäbe mit modernisierter recht-
schreibung, die Klippgens kritischen text der Lieder zu gründe
legt, zu nr 37, dem von 0 Albrecht in der Nürnberger kirchen-
ordnung von 1537 aufgefundenen gebetsspruch in reimpaaren
^All ehr und loh soll Gottes sein' ist zu bemerken, dass es sich
hier nicht um ein lied handelt, angefügt ist was sich sonst
von kleinern versdichtungen Luthers erhalten hat, dazu auch
'allerlei kurze Sprüche' aus den Tischreden, die B. selbst nicht
dem reformator zuschreiben will, den schluss bilden die Fabeln
nach Thiele. K. S.
Luthers Deutsche Bibel, festschrift zur Jahrhundert-
feier der reformation im auftrage des Deutschen evangelischen
kirchenausschusses verfasst von prof. d. Wilhelm Walther geh.
konsistorialrat. mit 4 bildertafeln. Berlin, Mittler & Sohn 1917.
VI u. 218 SS. 8". 3,50 m. — Dieses gut ausgestattete, in
papier und satz von keiner kriegsnot berührte buch 'will dem
breiten kreise der gebildeten dienen*, dass der Verfasser des
grofsen, leider wenig benutzten und allerdings auch nicht leicht
zu geniefsenden werkes über die deutsche bibelübersetzung des
mittelalters (Braunschweig 1889 ff) berufen war, über die Vor-
geschichte, Zeitgeschichte und nachgeschichte der Lutherbibel zu
schreiben und ihren wert und ihre eigenart zu würdigen, wird
niemand bestreiten, und wenn sich W. mehr zeit genommen hätte,
so wäre wol auch etwas zustande gekommen, woraus germanisten
und theologen gleichraäfsig lernen konnten, so aber hat man
vielfach den eindruck einer überhasteten arbeit, die im stofflichen
detail wie im ausdruck manches zu wünschen übrig lässt. um
ein beispiel zu geben, wird in anm. 85 meine umfangreiche be-
sprechung des buches von Lindmeyr über den Wortschatz der
katholischen bibelübersetzungen (GGA. 1900, 274 ff) auf die
Jenaer dissertation von Keferstein (1888!) bezogen — und selbst-
verständlich hat die recension dem verf. da keinen nutzen ge-
bracht, wo er sie unbedingt verwerten rauste: bei der be-
sprechung von Emser (Cochläus) , Dietenberger, Eck. am meisten
neues bietet W. in dem cap. 4: 'Rivalen der Bibel Luthers im
reformationszeitalter', aber das findet man ausführlicher und mit
den hier besonders erwünschten proben in seiner gleichzeitig er-
schienenen Sonderschrift Die ersten konkurrenten des Bibel-
ül^ersetzers Luther, Leipzig 1917. das schwierigste capiteJ
in jeder derartigen Würdigung Lnthers, sein Verhältnis zur
gedruckten deutschen Bibel, wird s. r»6 f ganz oberflächlich und
unbefriedigend abgetan: in dem alten buche von Hopf (Nürn-
berg 1847} und auch in dem programra von WKrafTt (Bonn 1NS3)
tindet man darüber selir viel besseres (jetzt auch bei Roethc
s. 30 ff, s. u.]. gewis glaub ich so wenig wie W. daran, dass I>nther
bei der Übersetzung des NT.s eine gedruckte deutsche Bibel zur
Seite hatte, wol aber war ihm deren Wortlaut besonders für die
evangelien- und epistel-texte der perikopen vertraut und gegen-
wärtig, und was die späteren revisionen angeht, bedarf die frage
einer heranziehung der mittelalterlichen Bibel oder :inch nur des
plenariums unbedingt oiner specialuntersuchnng. K. S.
1. D. Martin Lutliers bedeutung füi- die deutsdn:
literatur. ein Vortrag zum reformationsjubiläuui von H. Koetln-.
Berlin, Weidmann 1918. 48 ss. 1 m. — 2. Reformation und
literatur. ein Vortrag von P. .Merker. Weimar, IL Bohlau
1918. 46 SS. 1,50 m. und 30 o/o Zuschlag. — In Roethes
Lutherbüchlein vereint sich warme begeisterung für die deutsch-
volkstümliche persönlichkeit seines beiden mit scharfer kritik an
liebgewordenen Überlieferungen und urteilen. Luthers grenzen
treten überall als kelirseite seiner grüfse hervor: er war kein
prophet des nationalen gedankens, kein 'künstlor' und kein ge-
lehrter Sprachmeister; er war auch in seinen bemühungen um
die Verdeutschung des gottesdienstes nicht ohne Vorgänger, und
sein kirchenlied ') ist ohne die hymnik und die melodik des
ma.s so Avenig denkbar, wie seine bibelübersetzung die verständige
benutzung der älteren versuche verleugnet; zu allen diesen fragen
gibt R. wertvolle, neue tingerzeige (Luthers verskunst s. 1 1 f.,
mangelnde stilistische durchfeilung auch der reformatoiisclien
hauptschriften s. 22 f., bedeutung der Wartburgeinsamkeit für
die kuustform der bibel s. 29 f., die dann freilich nachher unt»T
ganz andern Verhältnissen festgehalten und fortentwickelt wurde!),
auch die beliebte wendung: Lnther der vater der uhd. Schrift-
sprache nimmt R. abermals unter die Inpe und entwirft in grofsen
Zügen ein bild der entwioklung unserer gemfinspiaili-' is. 38 f.),
ohne die ungeheuere, litterarische bedeutung d<'r spräche l.utliers
zu verkennen (s. 43 fh.
Roethes kritische beleuchtunf; der 'künstlerischt-n' bedentun?
L.8 dehnt Merk er (2) auf das ganze hl. jh. aus. sein.-r meinun;r,
die refonuationszeit sei überhaupt kein litterarisches Zeitalter
gewesen und zwai- deshnl'. nicht, weil sie wol kirchlich. :iber
' Ühcr J.uilicr als meloiJii-nsi-ln.pfer (s. KD (UfsoiultTN uii hiiil'lick
anf das k.imp£lied „Eine üe.^t«- bürg") v^l- jitit die au«j;fxci«-hiicti- arbeit
von Ph. Wolfrum (Luther und «lie inusik. Luthi-r iiuil Bach, ein vor
trag zur 4. zentenarfeier litr reforiiirttioii H'-iiNlhiTp, K. Pffi(f«T. 11)17— If*
.19 s. 1 ni.), bpsonilers !<. 7 f. '
1 7 4 LITTEU A.TUUN'01TZEK
nicht religiös brs in die tiefen bewegt war, dürfte sich einigte«
abdingen lassen; seine etwas einseitig-e Zeichnung L.s als taten-,
fast als reinen tatsachenmenschen schränkt er ja selber an verv
schiedenen stellen durch starke betonung des phantasiemäfsigen
in seinem schalten ein. gute beobachtungen bringt M. zu L/s
kirchenliedern fs. 2S ff) und zu seinen schriftstellerischen be-
ziehungen zur inystik (41). eine gewisse einschränkung seiner
breiten und lehrhaften darstellung hätte es vielleicht ermöglicht^
auf das Verhältnis der beiden psalmenübersetzungen von 152J
und 1524 und auf die vorlutherische bibel näher einzugehen-
dam t wäre sicher jenen weiteren kreisen gedient gewesen, deren
bedürfnissen M. im übrigen glücklich entgegengekommen ist.^
z. z. Heidelberg. 11. Petscli.
Die Wiedertäufer zu Münster in der deutschen
pichtung. von Hu^o Honnsen. [Breslauer Beiträge zur Lite-
raturgeschichte, neuere folge 33. heft.] Stuttgart. Metzler 1913i.
vin u. 164 SS. SO. 4,80 m. — Eine monographie wie die vör^
liegende kann wenig nutzen bringen, da sie sich der natur dei*
zu behandelnden werke nach auf einförmige Inhaltsangaben und
kurze kritische bemerkungen beschränkt, es sind gar zu kleine
leute um die es sich hier handelt, Hamerling erscheint unter
ihnen noch als ein wahrer riese an Schöpferkraft, und gerade,
seine Stellung zu der geschichte und zu seinen quellen ist schon
vor H. behandelt worden, daneben können nur etwa noch
Vulpius, Spindler und Adolf Stern Interesse erregen, GHaupt-
mann erscheint zum schluss als der prophet, von dem wir die
dichterische widerauferstehung dieses stoil'es zu gewärtigen haben
werden, poetische Wertstücke hat das 1 G Jahrhundert, in dem
die bewegung schon mannigfache behandlung gefunden hat, ja
schlief slich auch nicht geliefert, aber deren etwas genauere
durchforschung und berücksichtigung hätte sich vielleicht eher
gelohnt und jedenfalls sehr unbekannte gebiete erschlossen.
H Sehneider
Die natur in Günthers lyrik. ein beitrag zur litteratur-
geschichte des 1 8. Jahrhunderts und zur Würdigung des dichter»,
von Johaane.s Klewitz Jena, Kich. Müller 1911. 87 ss. 8^. -v
Die arbeit bringt als ergebnis: das Verhältnis Günthers zur natur
erhebt sich nirgends über das seiner zeit, die landschaft hat
in seiner dichtung eine untergeordnete rolle, nur der nacht-
himmel ist ihm zu einem persönlich ästhetischen wert geworden
(34, 83). reichlich ist der gebrauch von 'naturparallelen', meist
in der form überlieferter metaphern. — wieso aus diesen fest-
stellungen folgen soll, dass der dichter die natur in ein lebendiges
Verhältnis zum Innern erlebnis gesetzt habe, ist nicht einzusehen.
Günthers dichterische Vorzüge offenbaren sich nicht gerade in
seinem Verhältnis zur natur, wenigstens wenn man unter natur
die summe der naturgegenstände und -erscheinungen versteht.
laTTKr.vrucNon/.KN \yV$
wie es der vt. «hne irgendwelche bef?rifHicheii lehtlegniig^eu zu
jBreben, voraussetzt. — der verf. liat sehr unreclit, wenn er glaul>t-
in seiner arbeit systematisch verfahren zu sein (43). die beliebt»H
anordnung: orj,^ani3che — anorg^anische natur verrückt den schwer-
poDCt von dem dichter aul: die sache und ist wirklich nicht !?p-
■eignet, die frage nach der dichterischen g:estaltauj,' von narnr
und landschaft auch nur oberflächlich zu beantworten. welcl<
ungleichartige elemente tinden sich unter dem abschnitt "Wasser"
vereinigt: regen, tau, tränen, sclinee, reif, eis. fluss. meerl critii.
und diese Zerlegung wird zweimal ganz parallel durchgeführt:
üir die 'frühperiode Günthers bis zu seinem eintritt in Leipzig'*
ii. teil) und für seine 'weitere künstlerische entwicklung' (ii. teih.'
das ergebnis der arbeit rechtfertigt diesen scharfen chronologischen
querschnitt nicht; denn was als untei-scheidend angeführt wird,-
ist in keinem falle ein würklich bezeichnendes entwicklungs-
merkraal. der eingeschlagene weg hat den vf. zn ganz unerträg-
lichen widerholungen geführt, s. 50: 'wenden wri* uns jetzt zu<
df^r tierweit, und zwar zunächst wider ihren geflügelten Vertretern,
Sil tinden wir die meisten alten bekannten ans der periode wider,
zum gröfsten teil in unveränderter Verwendung' — ein satz, der
bezeichnend ist für die dürftigkeit der methode wie des stile-s.-
(ähnliche sätze bei der rose 46, beim wasser 72, beim winde Sl,.
beim mond 54). Studentenjargon gehört nicht in wis.senschaftliche
arbeiten: 'in freundlichen landschaften ist sein [des westwindesj'
auftreten überhaupt offiziell' (80). — gewis ist das ergebnis
der arbeit in seiner allgcuieinheit zutreffend, doch fehlt ihm.
wie der ganzen behandhuig schärfe und abschliefsende fnrra-
«jebung.
' Brauuschweig. Friedrich Kumui^rer. •
Die Veranlassung und die (|U eilen von .lohann
Elias Schlegels 'Canut' von (Justav Puul ((iiefsener Dis.-^er-
tation). Darmstadt, C. F. Wintersche I5uchdruokerei UM 5."
54 8S. 8". Der verf. sucht zunächst umständlich nachzuweisen.
<las8 Schlegel durch eine arbeit Hans Grams (ITl.'ii über Knuti
reise nach Rom auf seinen stofi geführt wurde, dieser erweis-
ist m. e. nicht gelungen, den gröfseren teil der arbeit füllt«
eine sehr breite, ziemlich änfserliche untersu'-hung «b-r geschicht-
lichen quellen des drauias, aus der sich ergibt, das-s Schlegel
Aufser den von ihm in seinem Vorhericht* genannten srhrift««n
(vor allem Saxo, dann Knytiingasaga, IluitfeUl. Torffäns, .sowi»*
Knuts Hofrecht) noch andere quellen benutzt hat. lie^dnders en«r-
lische geschichtswerke des mittelalters, wie Matthaeus v(m West
minster und Wilhelm von Malmesbury. i,-elungen ist auch d^r
nachweis, das Schlegel seine quellen ziemlich frei benutzte und
besonders einzelne tatsachen aus anderm zusammenhange aaf
seine eigenen figuren übertruir. wn er damit stärkere gemät»
Bewegungen zu erwecken hoffen durfte. K. Pfljich.
176 j.rrrK« ATU R^itwTiXKs
Briefe über die iiioralität der leiden des jttngrji)
Wertliers.. von Jakob Mich, Keink. Lenz, eine verlorejL
geglaubte schritt der stnriu- nnd drangperiode, aufgefunden und
herausgegeben von L. Schmitz-Kallviiberg:. Münster i. W., Franz
Coppenrath 1918. 50 g. 8». 1.20 ni. — Von Lenzens briefen
über den Wertlier wüsten wir bisher wenig nit^lir, als was-
FHJacobi in einem brief an Goethe vom 23 (nach Dünzer 2r>)
mai 1775 bemerkt; er macht einwände gegen das kleine, von
Goethe (an Job. Fahlnier, aufang niärz 1775) belobte werk und
rät von der drucklegung ab. die litteraturgeschichte aber be-
grüist, tiotz Lenzens 'stammelns und schnappens' und trotz
seines 'sausenden tones', den kleinen nendruck mit dank: wäre
es auch nur um der ergiebigen, wenn auch schiefen parallele
willen, die der 9 brief zwischen St. Preux und Werther zieht.
Lenz hat seine 'brief e' am 1 märz 17 7ü in der Stralsburger
litterarischen gesellschaft vorgelesen; die handschrift (oder eine
eigenhändige abschrift) kam aus Jacobis nachlass an Hamanns
freund Franz Kaspar Bucholtz, aus dessen nachlass sie Schm.-K^
nun herausgegeben hat, die knappe einleitung verrät uns nichts
über den heutigen aufbewahrungsort und über die nähere be-
schaffenheit der hs,, die zeichengetreu wiedergegeben wird, die
anmerkungen geben zu viel und zu wenig, wer nach diesen
briefen greift, braucht doch keine belehrung darüber, wer der
biblische Sinison war; dagegen wäre s. 41 Wieland als Verfasser
der 'comischen erzähhingen' zu nennen und anderes zu erklären-
gewesen.
2. z. Heidelberg, 18. 8. 18. U, Petsch.
Geschichte der deutschen Goethe-biographie. ein
kritischer abrifs von Jlarr.v Maync. zweiter abdruck. 1914.
Leipzig, H. Haessel. 74 ss. 8*^. 1,20 in. — Wer gelegenheit hat,
von Studenten und laien wider und wider nach 'der" Goethe-
biographie oder nach der 'besten" Goethebiographie gefiagt zu
werden, weifs, wie grofs das bedürfnis aber auch die urteils-
unsicherheit des grolsen publicums auf diesem felde ist. dem.
gebildeten frager dieser art kommt das hübsche büchlein von;
Maync entgegen, aber es ist natürlich, dass der Verfasser,
darüber hinaus, die blofse antwort eines 'kritischen abrisses' zu
einer für den germanisten wertvollen 'Geschichte dei- deutschen
Goethe-biographie' erweitert und gesteigert hat.
Besonders zu begrüi'sen ist dabei, dass gerade die erste,
im ganzen so wenig erfreuliche periode der Goethe-biographie
bis zu Viehoff und Rosenkranz (beide 1847) und weiter zu
Goedeke und Herman Grimm (1874 und 1874/75,. Grimms
buch im druck 1876) eine so eingehnde darstellnng gefunden
hat. die außerordentlichen Schwierigkeiten, denen das vei-ständnis^
Goethes in den so wenig zu tendenzfreier Würdigung geeigneten
Zeiten der revolution und reaction begegnen muste. traten mir
f.lTT>.KATUKN(r)l/KN | 7 7
beim lesen j^reitbar entj,'egen, nt-ben der politiBcben die philo-
sophiBche Schwierigkeit (zb. noch bei Koseokranz), die noch von
der damals zu ende gehnden periode dentseher j?ei8tes»^ntwi(k-
\nng her unnütii? den weg zn (Joeth»; Hpcirte. den ersten an-
iang vorurteilsfreier betrachtung muss man dodi in den oft
freilich allzu farblosen sammelbücliern sehr verschiedei)geartet«'r
heransgeber sehen, von denen die hüherstehnden, wie Varn-
hagen, gewis von der einsieht geleitet waren, für eine eigent-
liche biographie sei es noch zu früh.
Den umschwnng lässt Maync mit Rosenkranz, \ieliolT und
^- trotz allem — Lewes sich vorbereiten, mit Hernian (irimin
eintreten, der mit recht sehr ansgedchnten üharaktfristik de.'^
(Tfimraschen buehes kann ich mich in lob und tadel nnr an-
schliefsen. d«'r selbstverständlichen abweisung Haumgartnt-rs folgt
als kritische hauptpartie des bnches, sorgfältig und fein ausgefühit.
die vergleichende Charakteristik der (loethebiographieen h'MMeyers,
Bielschowskys und Heinemanns, mit lecht auch innerlich ange-
schlossen an die kritik Hermann Grimms, dessen werk die
nachfolgenden erst ermöglicht hat. ich würde der im ganzen
nnd einzelnen, besonders bei Meyer, sehr tretfenden Charakteristik
generaliter eins anfügen : jene 'prästabilierte harmonie' der ereig-
nisse in Goethes leben, die Maync in Meyers darstellung als
fehler seiner Vorzüge rügt, ist bei allen dreien zu stark heraus-
gebracht — besonders bei Heinemann, die innere not (ioetheischen
lebens, die schwere und in mehr als einer hinsieht tragische
selbstbrfreiung dieses angeblichen gütterlieblimrs. die tief vi-r-
schattet«» partien dieses strahlenden lebenskunstwerks, das gerade
daher »eine warme, weil warm menschliche beispiels- und
vorbildskraft zieht — die übliche antithese gegen Schiller über-
treibt und fälscht — : von alledem gewinnt man aus :illen dtei
biographieeu keinen zureichenden begrilY.
Gebührend gelobt wird von M.Witkowskis 'haus- und Volks-
buch', zu recht abgelehnt, übrigens mit anerkennenswert« r
objectivität, Eduani Engel, der bewertung (ieigers mit seiner
absichtlich bescheidenen, wie der Chamberlains in seiner ab-
sichtlich unbescheidnen haltung ist im wesentlichen zuzustimmen,
etwas mehr eingehen und eine viel stärkere würdii^ung hätte
ich gewünscht bei dem starken buche Simmeis, obwol es ja keine
eigentliche biogniphie ist und obwol sich M. an anderer stelle
(Nene Jahrbücher 11)13^ auslührliclier darüber geäniseri li.ni.
ich bin überzeugt, dass bei Simmel die bisher tief.ste auftassnng
und deutung der geistigen persiinliehkeit Goethes vorligt, von
der die dichterische sieh aurli in Sinimels gesamtaiiilasBung, trotz
dem Vorwort, nicht so scharf trennt, wie M. zu versiebn .scheint
wichtig scheint es mir. naciidriuklicli festzu.siellen. in welcbeiu
mafse die jahrzehntelange, still revolutionierende aibeit der
fioethephilologie die mit bänden zn greifen - unerlüMliche
1 78 LTTTEUA-TÜKNOTIZKN
voi'aussetjsung' gerade eines solcheu buehes • wie , des 'SinwnBlsohew
war, desseu auffassung- des 'urphänoraiens Goetbeä' ;ohhe: äan-
gerejoigte Goethebild^ider pliilologie garuicht denkbar wäre ■-^•
selbst da, wo Simmel sich gelegentlich einmal gegen eine übliche'
germanistische einzelauffassung wendet, die mode werdende, leicht
verhängnisvolle überschärfung des Unterschiedes philosophischer
und. philologischer betrachtungsweise im litterarhistorischfen bezirii'
fände hier eine sehr beherzigenswerte correctur. . '
Dass Diltheys behandlung (wol nicht: auffassung) Goethes!
über die Simmelsche hinausgeht, insofern sie auch den dichter
stärker einbegreift, ist zuzugeben ; hier ist aber in der tat an
S.s begrenzendes vorwort zu erinnern. ,;;,;,• i
M. schliei'st mit dem Idealbild einer Goethebiographie, wie
sie sein müsse: alle einzelnen Vorzüge der bisherigen in sich:
vereinigend, und doch 'ein kuustwerk persönlichster art und-
aus einem gusse. sie ist keine aufgäbe, die man sich stellen
kann, sondern zu der man geboren sein muss'. in Wahrheit, ein
ziel dem nachgestrebt werden muss, trotzdem und weil es< ein
idealziel ist. — vor der band aber heg ich den lebhaften wünsch,
dass, aus Ms vorliegendem kritischen ahriss einer geschichte der:
deutschen Goeihebiographie jenes gegenstück zu Albert Ludwigs:
werk 'Schiller und die deutsche nachweit' werden möge, daS' M.
selbst als notwendig wünscht (s.' \2). ' ■'
Poseu. Walther Brecht, i •.
Schillers philosophische , begründung der ästhetik'
der tragödie. von Wilhelm Bolze. Leipzig, Xeuienverlag 1913;
128 SS. 8^. ;> m. — So vielfach auch bereits Schillers theo-
retisches denken die forschung beschäftigt hat, so ist doch der^
vorliegende monographische versuch, der philosophischen begrün-
dung seiuer dramaturgischen Ideen nachzugehn, m. w. der erste.:
in richtiger Würdigung dieses umstands sieht daher der Verfasser
sein ziel auch vor allem darin, die entwicklung der Schillerschen
anschauung vom wesen des tragischen uns in möglichster prägnanz
vor äugen zu stellen, ausgehend von des dichters bemühungen,'
in den sog. 'Kallias'-briefen ein objectives princip des schönen:
aufzustellen, zeigt er uns, wie Schillers auffassung vom tragischen-
sich an dem begriff des erhabenen allmählich heranbildet, ver-^
folgt der dichter in seiner vorkantischen periode zunächst da»
moment der tragischen 'rührung', des 'mitleids", dh. die würkung
des tragischen, so wendet er sich späterhin immer bestimmter
dem gegenständ des tragischen, dem 'pathetiscli-erhabenen' selber
zu. immer klarer arbeitet sich in ihm die auffassung heraus,
dass dies 'pathetisch -erhabene' 'in zwiefacher weise in erschei-
nung tritt, indem es ein sinnliches leiden und die Selbständigkeit
eines übersinnlichen Vermögens gegenüber diesem leiden offene
hart' (s. 103). . .
AUein trotz dieser beschränkung auf die interpretiereadiö
Ln na; .vtuk>-ottzm^\ fc>,9
widergabe des Schillerschen .s;;edankenj,'anges veraäuiut der ver»
l'asser doch keineswegs, gele;<entlicii nicht mir die j'thwächen
der vorgetrairenen aiischauun? aufzudecken, ho vor alltMu ihr»»
moralistische befangenheit. sondern auch auf diejenit,^^ n punct''-
hinzuweisen, an denen sich Schillers «lenken mit dem anderer
theoretiker berührt, seien es nun ältere oder allerniodernstf.
gleichwol ist die aufg-ewiesene entwicklungslinie und da»
wäre vielleicht das einzig- wesentliche, was zu beanstanden wäre
— nicht eigentlich mit dem ange des historikers gesehen, zwar
ist natürlich der Zusammenhang mit Kant eingehend dargelegt,
der 'kantischen grundlage von Schillers ästhetik des erhabenen
und tragischen' ist sogar ein eigenes capitel gewidmet, aber
schon dass dieses capitel als erstes der eigentlichen betrachtung
vorangestellt wird, ist bezeichnend genug, denn verglast der
Verfasser auch keineswegs zu betonen, dass die richtung in
Schillers denken schon vor der berühruug mit Kant festgelegt,
war, dass auch manches aus dieser ersten zeit sich dauernd
gegen den Kantschen einfluss siegreich durciigesetzt hat, so be-
deutet dies alles für ihn letzten endes doch nur eine art per-
sönlichen einschlags. dass Schiller dagegen in der hauptsache
nur das weiterführt, was ander»", namentlich Lessing, vor ihm
angebahnt haben, dafür hat er anscheinend kein äuge, ja er
wundert sich geradezu darüber, dass — wie er zur 'ergänzung'-
eingehend darlegt — 'die von moralischen gesichtspuncten be-
einflusste mitleidstheorie" bereits in Lessings briefwechsel miti
Nicolai und Moses Mendelssohn eine rolle spielt, und doch ist
im gründe nichts natürlicher als das. freilich vermögen wir.
diesen Zusammenhang erst dann in seinei' ganzen bedeutung zu,
würdigen,, wenn wir uns die erkenntnis Kants, dass es kein ob-
jectives princip des schönen geben kann, einmal in allen seinen
eonsequenzen klar vergegenwärtigt haben, denn v(»n diesem
augenblick an wird nicht nur die form der tragödie, sondern
jede kunstform eine im eigentlichsten sinne historische bedeutuny:
für uns gewinnen. Schillers lösung des tragischen problem*.
wird uns als die krünung der rationalistischen knnsttheorie des.
18 Jahrhunderts erscheinen, aber ihre richtige beleiulitung wird
sie doch erst durch den gedanken erhalfen, da.-s alles ratio-
nalistische denken letzten endes ein systcm darstellt, das wo!
allgemeingiltigkeit beansprucht, .sie aber keineswegs besitzt.
Doch -diese ganze betrachtungsweise ligt d«'m Verfasser -
es handelt sich um eine doctoi-dissertation -- naturgemäfs nociv
fern, wäre sie ihm vertr.uUer. dann hätte er sich auch schwer-
lich davon abhalten lassen, der würkun- von Schiller'^ theori»*
auf des dichters eigene praxis nachzuspüren, statt nur ganz,
flüchtig auf das eine oder andere drama als beleg hinzuweisen
■finden wir uns aber damit ab, dass dieser weitere horizont hu-qe
nirgends sichtbiir wiid. dann wei-d-n uir einrfiiim.n mü3-»«»n.
1 so LITTKRA rUüNO nZBX
da8B der Verfasser aus eine, wenn auch etwas 8cl»uerfäiiige, Sf^
doch überaus gediegene befaandlnng seines schwierigen themas
geboten hat. er hat eine basis geschaffen, auf der jiRh mit
Sicherheit weiterbanen lässt.
Tübingen. Frau/, Ziiikernsi^el.
Ofrillparzers ahnen, tine iestgabe zu August Sauere
fiO. geburtstage, lierausgegeben vom Literarischen verein
in Wien. Wien l!)lo. verlag des Literarischen Vereins in
Wien. 4 o. 5fi ss. — Franz Grillparzer »stammt uns einer
oberösterreichischen bauerntamilie. die etymologie des namen^^
ist nocli nicht völlig klargestellt, der zweite teil des wortei?
wird aus dem slawischen hergeleitet, 'und zwar aus der prä-
position po =- an und dem Substantiv rcka = fluss'. als orts-
bezeichnung kommt 'Grillparz' in Oberösterreich viermal voi,
auch in Niederösterreicli gab es orte wie Grrillporz, Grillenporz;
der familienname erscheint bereits in einer Urkunde vvn !44()
in dem Städtchen Spitz, eine der frühesten erwähnnngen eines
ortes Grilleporz in der schönen Urkunde des Stiftes Krems-
münster von 11 G2 wird dem leser durch eine ausgezeichnete
widergabe der Urkunde in lichtdruck vorgeführt, die vorfahren
des dicliters tauchen zuerst in der herschaft Bergheim (an dei-
Donau) in Oberösterreich auf, gar nicht weit vom schlösse Berg-
heim liegen 2 Grillparzer höfe (am Rottenbeig und zu Nieder-
oberndorf), von denen einer der familie den namen gegeben
haben mag. Georg Grillparzer (1614 — 1694) ist als Stammvater
des geschlechtes anzusehen, sein urenkel .Tosef zog als binder-
geselle nach Wien, wo er 1755 als bestand wirt im Lerchenfelde
erscheint, dessen söhn, der vatei- des dichters, erwarb die
juristische doctorwürde und wurde hof- und gerichtsadvocat in
Wien, die mutter war Anna Franciska, tochter des decans der
Wiener Juristenfakultät d)-. Christoph Sonnleithner, dessen vatei"
Johann Michael als beamter im Temeser banat schon im alter
von 36 Jahren dem sumpfklima der TJieilsniederungen +irlegen
war. der urgrolsvater .Josef S. (1659 — 17HI) war besltzer einer
schiffmühle in einem jetzt längst zugeschütteten Donauarme iß
Wien, in der ahnentafel, die nur bis zu den grofseltern voll-
ständig ist, von den S ahnen nur noch 5, von den i6 ahnen
nnr 8 (oder eigentlich nur 6) und in der 6. reihe schliefslich
nur noch den ältesten träger des familiennamens Grillparzer
bringt, stehn die namen Grillparzer, Änzinger, Hofmann (aus
Freudenstein), Reitermayr, Blum, Sonnleithner (aus Wien), Schenz
(aus Wien), Doppler (ans Wien), Schindelböck (aus Freising in
Bayern), Diewald. irgendwie hervorragende Persönlichkeiten, auf
die man an dem enkel hervorstechende eigentümlichkelt'^n zu-
rückführen könnte, kommen auf der — allerdings auch gar zu
unvollständigen — tafel niclit vor. in der einleitung ist vom"
bearbeiter dr Budolf Paver von Thurn auch kaum ein v^ersueh
i,n ii;i;Aiij):Nori/.icN .181
pacb der richtuuj; iiiii gemacht, es i.st v\ul anzunehmen, dAM
])e\ weiterer torschunj; noch mehi- nachricliten zu tafje kouimeo
könneB, das leider etwas unübersichtliche buch, dem auch ein
register fehlt, ist mit liebe zusammengestellt und sehr gut aus-
gestattet, die eingeschalteten bilder und vorzüglichen lichtdruck-
tafeln (porträts, Urkunden, ansicliten) sin»! eine (laiikt'iis\v(;rt*^
zugäbe.
Von der familie Grillparzer lebt nocli ein ib58 geborener
grofsneffe des dichters Franz Grillparzer in Wien. c. KnetK«li.
Der welirstand im volksmund. eine sammlunj; von
sprichwortern, Volksliedern, kinderreimen und inschriften an
dentschen wallen und geschützen herausgegeben von Undolf
Eckart. München, Militärische Verlagsanstalt l'.HT. 121 ss
S". '-i m, - Aus einem knappen dutzcnd bequem zugänglicher
werke hat der verf., von dem man freilich nichts besseres gewohnt
ist, ohne kritik und geschraack eine roh geordnete auslese ge-
troffen, der die Verlagsbuchhandlung eine unverdient gute aus-
ütattang zuteil werden liefs: Schwabacher typen, abbilduugen
nach holzschnitten .Tost Ammanns und das beate papicr. schade,
würklich schade in dieser zeit der papicrn<>tl K. S.
KLEI N E M I T T E I L U X G E N.
ZUR ALTENTÖTUNG. JGrimm KA.M s. 66!i— tiTt hat
die nachrichten gesammelt, wonach alte oder gebrechliche lente
in dei germanischen frühzeit sich entweder selbst den tod
gaben oder in fällen öffentlicher not und ganz allgemein,
wenn das alter oder die gebrechlichkeit herankommt, getötet
wurden, auf das erstere gehn die von Grimm 1 s. <>70
zusammengestellten notizen aus Island, deren l)e\veiskraft
freilich von KMaurer Vorlesungen IV s. 51 sf erschüttert wor-
den ist: auf das letztere die oft (zuletzt von Schreuei in
Zs. f. vergl. rechtswiss. :H s. 10 anm. '.)) besprochen«- stelle
bei Prokop vjrsg tiTn' jfoXf.tuov VI II i? '1 — § 4 nach
diesen bisher bekannten belegen sind es vor allem die Skandi-
naven und gotischen stamme, bei denen der brauch erwähnt
wird — dazu kommt nun abei- noch eine weitere, bisher nach
meinem wissen unbenutzte angäbe, die denselben ganz all-
gemein für die Goten bezeugt, sie steht in einer licmili«' fi<
cfjv jtivir^/.oaT)]v (Migne Patr. gr. 52 col. S(i:n). die zwar an-
scheinend nicht von Johannes Chrysostomus herrührt, aber im
anfang des r> Jahrhunderts entstanden sein muss; denn sie ist g'«
schrieben unter einem kaiser. der söhn und vater eines Theodosius
war, also unter Arkadius; dass der kaiser als vater geschildtrt,
aber doch von ihm gesagt wird h fi(')0(;i i)).iy.ict, jimohitui-
^■■82 KLX.rKE MITTEILl'NGEN
•v-iyv dk aoffiav evdsr/.vv^evog, ist kein wideisprncb. der allenfälla
<so die bei Migne aao. col. 803 f genannten) die Worte Qeoöoolov
'i'tög xai ü rrarriQ QeofioGiov und damit den anhält für die ent-
stehungszeit als glosse zu beseitigen nötigte; denn gemeint' ist
nnr, dass jener kaiser in einem dafür überfrüben (aw(>oc) leVens-
alter 'graue' weisbeit besitzt, was auch von einem eiiiundzwanzig--
jährigen gesagt werden kann, in dieser predigt aus dem än-
iang des 5 Jahrhunderts, also einer zeit, wo man im osten die
Goten besonders gut kannte, beif st es: ;(Qd rovrov rfegüai.
Hr]T£Qag iydfiovv OTjuegov vrag^svlav daxovai,. IIqö rovrov
r.öt^oi TtaxiQüc dnlY.T£ivuv' Oi'jjicQOv to alua amdiv aIiusq
avaeßeiag ixxvsiv o/rovödCovat (aao. col. SOS), uunraebr kann
kaum mehr ein Zweifel darüber sein, dass die nachricht des Prokop
von der alten- und krankentötung- bei den Herulern richtig ist
und die einricbtung' bei allen gotischen Völkern bestand.
Würzburg. p:nist Maj^r.s-
••■■ • 'Maria zart'. Von den fünf fassungeti die Wachet hagel
mrchenl II SO'Mi ahdrucfct [vgl. dazu Nd. j ahrh. U;^T ft
15, 8 ff], entstammen die ältesten einer Werniqeröder lisi von
ca. 148S (nr 1035) und einer Miinchener von. ca. 1505 (nr 1036).
etwa gleichzeitig mit dieser ist eine (unvollständige) aufzeichumg
der ersten Strophe, die mir Küch, der director unseres Staats-
archivs, freundlichst mitteilte, auf einer nicht vollzogenen Ur-
kunde (Marburg, aht. Deutschorden 1493 at/^r. 24), :<^i!? zum
Umschlag für das küchenreg ister des ordens vom jafire,\ öOii
benutzt nnirde und die aufschrift trägt Jacob Brum. reatschriber^
steht vol von dessen h and: , .■•■.;•:;.•
Maria zcart vann etler artt | i ;;.,•■
Eynn roeß ane alle doerne j
Du baist vß macht erwidderbracbt ;
daß vor lange was verlorenn j ' ' ■
durch Adams vall dir hait j die waell
sannt Gabryell \ versprochenn
Hilfi; das nit werd j gerochenu
.; myn sund vnd schult ] Erwirb mir huldt
,::■[' want keyn | trost ist. wae du nit bist ••■. ":iv- ■
Barmhertzigkeit Erwerbenn. '■ > fi -
Marburg i. H. Ferd. Wrede,./
EIN BRIEF J. GRIMMS AN DR BACH IN FULDA. =!
Der nachstehnde brief, dessen abschrift mir dr Max Morris
übermittelt hat, befindet sich im besitz von professor Georif Sdhuls
in Berlin- Grunewald, der adressat hatte sich zu auszügtn 'für
das Deutsche Wörterbuch, erboten. •'■• '-' -
Ki/BiNK Mrrrt;iLuN<ii:N 1 83
Über dr Bach, verdanke ich.herrn prof. dr Haas i/t h\dda
die folgenden biographischen angaben: Nicolaus Bach wurde am
■li' 'ßiilgü^st 18Ö2 zu Montabaur im Wcsierwald geboreii, er stu-
diefte in Bonn und Berlin, wo 'Wv Humboldt sein hoher gönner
war; 18^8 wurde er Oberlehrer in Breslau und habilitierte sich
gleichzeitig an der dortigen philosophischen facultät; 1835 be-
i-ief ihn die kitrfürsit.' hessische regicrung als director an das
ggmnasium in Fulda, wo er schon 1841 gestorben ist. ir hat sich
äl.^ Philologe hauptsächlich diirch arbeiten über die griechischen
iijriker und elegiker bekannt giemacht.
Nach der srhlusswendunf/ unseres briefes muss man woJ
■annehmen, dass Bach sich auch mit der alteren deutschen lil-
ieratur und spräche ernsthaft beschäftigt hatte; bekannt ist da.-
von nichts, auch aus den Fischärt-aus.ivgen, die ihm der brief
^iahelegt, scheint nichts geworden zu sein: wenigstens wird Bach
in der vorrede zum ersten bände des DWB.s nicht erwähnt. E. S.
Hochgeehrter Herr Director,
Wahrscheinlich sind Sie von der ferienreise Zurück-
gekehrt, und ich darf nun Ihre bereitwillige erklärung dank-
bar annehmen und Ihnen das nähere niittheilen. Gerhard,
Fleming und Angelus Silesius sind bereits vergeben; möchten
Sie sich nicht an etwas schwerem üben? an einem der bücher
von Fischart (aulser der Geschichtsklitterung, die schon be-
••■ sorgt wird), etwa dem Bienenkorb, einem ganz ketzerischeh
"werke, das aber doch wol in Fulda zu finden ist oder ich
Ihnen von hier senden könnte? Freilich fordert dieser uutov
besondere rücksichten, die ich Ihnen aber auch eher als anderli
mithelfern zutraue. Er ist an spräche sehr gewaltig, wird
dadurch aber auch zu wortertindungen und unerhörten Zu-
sammensetzungen gereizt, auf die es uns beim w. b. minder
ankömmt. Die excerpte werden auf t^inzelnt; sedezblättchen
nach beifolgendem muster geschrieben, wir hulten es so, dass
wir im zweifei ein wort lieber aufnehmen, als abweisen; was
demnächst bei der redaction leichter sein wird, es zu bei-
seitigen, als nachzuholen. Übrigens wird nicht allein da*<
lexicalisch, auch das grammatisch merkwürdige ausgehobeü.
Doch alle solche anweisnng kann ich mir bei Ihnen ersparen.
Mit unserer alten und neuen spräche vt^rtjaut. .«sehen Sie
leicht woran es gelegen ist.
Mit aufrichtiger hochachtung und ergeb^nheii
dei Ihrige
Cassel 29 Aug. 1S3'.). .'acob ürimm
Herrn Gymnasialdirector Dr Bach
fr. Fulda.
184 PKOtSONALNOTiri'IN
P E K S 0 N A L NOTIZEN
Am 10 Januar 1918 starb in Lübeck dr Arthur Koia«,
Avolverdient um die erforschang des volks- und i^^esellschafts-
liedes vom 10 bis 18 Jahrhundert.
Am 25 august 191 S verschied in Berlin der dr med. et
phil. h. c. Max Mokris, dessen eifervoller hingäbe wir u. a.
die neubearbeitung des Jungen Goethe verdanken.
Die englische philologie erlitt einen neuen verlust durch
den tod von Wilhelm Vietor, der am '22 September 1918 im
•jS lebensjahre zu Marburg starb.
Im 75 lebensjahre verschied am 30 october zu Leipzig
Ernst Wi>,-disch — vor 50 jähren hat er durch seine von
Zarncke augeregte jugendschrift über die quellen des Heliand der
wissenschaftlichen discussion über die aitsächsische bibeldichtung
ihre richtung gegeben.
Ende december starb in Wien der gymnasialdirector prof.
dr Gustav Waniek im 69 lebensjahre, der sich nameutlich durch
seine nach inhalt und form wolgelungnen büclier über Pyra
und Gottsched unsern dank verdient hat.
Am 23 Januar 1919 verschied zu Greifswald ^.2 jährig prof.
dr Wolf von Unwerth, während er hoffnungsfroli in der ein-
rieb tu ng des neuen Nordischen Instituts begriffen war.
An die Universität Leipzig, wo prof. Kaül von Bah der in
den ruhestand tritt, wurde prof. dr Johann Andreas Jolle.«*
von Gent als ao. professor für flämische und nordniederländische
spräche und litteratur berufen. — Ebenda habilitierte sich für
• englische philologie dr Herueiit Schäii-ler,
EHRENTAFEL IIL
• Für das Vaterland gefallen sind von deutschen germanisten
weiterhin: dr Albert Hanenbkrg, assistent am Rheinischen
Wörterbuch (Niederrheinische dialectgeographie), f 1915 im
Osten; gymnasialprofessor Rudolf Heym aus Hildburghau.sen
(Spiel von Marien hiramelfahrt), f 21 noveraber 1914 als haupt-
mann d. 1. bei Czenstochau; dr Ernst Kaupert (Mundart der
herschaft Schmalkalden), -J- 1914 im westen; dr Hans Wix,
assistent am Sprachatlas (W^estfälische dialectgeographie), f 1914
im westen; dr Gustav Wollermann (Deutsche gerätenamen)
f 20 october 1918 an seiner vierten Verwundung.
Aus dem bericht des Akademischen Vereins der germanisten
in Wien seien ferner verzeichnet: di- Ernst Hladny, dr Ewald
Hofer, dr Anton Kinzel. .:
Der in der ersten ehrentafel (nacli der Zs. f. d. phil.) ge-
nannte dr Bernhard Lundius hat sich erfreulicherweise zum
jleben zurückgemeldet.
REGISTKR.
Die zahlen vor denen ein A sfelif, beziehen sich avif die soitLMi des Anzeiger»,
die übrigen auf die Zeitschrift.
Acceut, rheinischer A 14 ff
actionsarten, got. A Iff; verhältuis
■/.. tempusbildung A fl ff ; griech.
A8ff.
Aelfrics hirtenbriefe A 108
Aitheda, altirisch A G4
Alanus 141 ; Summa de arte praed.
144. 184. 2(»2
Alcuiu, Disputatio de rhetorica et
virtutibus 141
Alexander, Vorauer. rühr, reim 66
altentötung A ISl
Andreas capellanus 145. 214
anthrupologie, scholastische ITlif
apokope im rheinischen A 16 ff
Aqnitanien in d. Römerzeit A 12S
Aristoteles, ethik l.'lSf. 148 f. 153.
160. 164. ITii
armenbibeln 195
'Athis u. Prophilias' A 170
au\ou fränk.-thüring. grenze A 71 f
HvAue, z. kritik d. Büchleins 247 f;
rühr, reim 3 — 15; gebrauch von
har.fruot, snel 14 aum.; tugend-
lehre 172—210 214; aHeinrich
ISS— 194. 195. 199. 20!>. 213;
V. 391 : 190 anm.; Büchlein 163.
172 - 178. 196. 199. 212; Erec 175.
194—202. 203. 20tU. 209f; Gre-
gorius 157. 175f. 17S— 188. 192f.
195— 19S. 204. 209: Iwein 192.
194 — 196. 199.202—209. 212.215:
lieder 198. 201
Augustinus, morallchre 139 f. 183;
De civitate Dei 139. 166. 168.
179. 187 f. 191
NBach, brief an ihn von .Uirimni
A I82f
Balderjage u. Longinus A 1 l'f
Bamberger glaube u. beiclitf llti
barbier als revolutionär .\ 161
Barlaani, Laubacher .\ 51 tf
bäum der liel)e. der tugt'uden 174
Bedalis A 63
Benedictinerrogel 175. 179. l'^2.
184. ISS
A. F. ]>. A. .\.\.\N III.
Benrather linie A 15
Berchtung in d. Wolfdietrich.sage
A44f; zahl s. .söhne A 46 f
Berker im k Rother A 48
Bernhard vClairvaux 157f 175
bibliothekskataloge des nia .s .\ 121 ff
bit, Verbreitung .V 6*>
'Biterolf, rühr, reim 72 f
Boecis, i)rov. 14t. f anm 2
Boethius, De consolatioue philoso-
phiae 139. 146-149. 168
Bonifatius, briefe A 97f
CBovillus (Ch. de Bovelles) 135. 280
SBrant, flugblätter A 110
Cl. Brentano, Wehmüller A 156
hrnurhen "biegen' 65 anm.
Brünhildenstrafse nä. 83
lUichlein, sog. II 173
burgenkunde A 99
Buffiotulen im Nibl. 241 f, Klage
242, Biterolf 242, Waltlier u. Hil-
degund 24;<: woher die form''
243 ff
liur;/u/idiones— lJur;ioncliones 243 f
fiarguntlnnt, Bunjuntriche 24 I f
'Cato', mhd. 215
t'hrestien vTroyes 198 f. 204. 200 fi
chiistlichir rittVr 141. 15t». 1S4. 210
Cicero, morallehre 139f. 141 ff 147 tl.
151. 153. 157. 16t). 1«4. 173. 175.
184. 189; im ma. 14ti
circnnirtexidii im rlninischen A 19f;
Verhältnis ■/.. .schürfiing A 23
daktyli.scber rliythmus .\ Nif
dehnung. mittclripuar. .\. 2:tf; in <\.
m<la. der Sciiwalm .\ W
ilt-n, tU-t, ntu.schwed. \ 101 f
'fer-, md. prätix .V 7 1
'dcut.-^ch', herkunft A 13t>ff
diilitunir, object n. subject in ihr
A 77 ff
dienstmannensage A 4>
Dietrich nU verstocknanie A 50
\Vi>iltli.y A T7f
13
18()
REGISTER
diphtliong-ieruug-, rlieiuische A 19ff ;
in d. Neumark A 21 f; im hiat
A 26
du, got., bedeutung A 32
eiiiblattdrucke d. 15jh.s A llOf
Eirik.-ißatn 94 ff
WvElmeiidorf 144 f. 152. 156. 158.
160. IT!)
RvEms, rühr, reim 41—49
'Eutechrist' (Linzer), rühr, reim 62
ChrEphippiarius Kioff
er l her, grenze A 72 f
erlöser in der wiege A 137 ff
WvEsf.henbach , ethik 210f. 211 —
213f; Parzival 171. 174. 18,3 f.
210-212, Titurel 210f, Wille-
halm 210; rühr, reim 15 — 19
'Facetus- 2 14 f. 216
KFleck, rühr, reim 33—35
Floovant u. Wolfdietrich A43f
formate mittelalterl. bücher A 125
Frauenlob 216
HvFreiberg-, rühr, reim 59
Freidank 151. 166. 175. 214
OvFreising, Lautacher Barlaam
A 51 f
freundschaftslehre 160f
JFrey als dichter d. helvetik A 165
Friedrich d. Gr., briefe A 166
LFries 280
frilmekeit 200
fürstenlehre 158. 188. 215
fürstenspiegel 158. 188. 215
ga-, got, perfectivierend A 2 ff
galag/an, got., actionsart A 12f
galaubjan, got., actionsarten A lOf
SGaller spiel v. Leben Jesu A 66f
gamaißs s. gemeit
gelücke, ungelücke 166
gemeit 125 ff, in gimeitun 126 f, des
gemeiteii singen 128 ff; etymo-
logie 131 f
'Genesis", as., Mainzer herkunft d.
hs. 279f
genitiv in der mundart A 25
gens u. natio A 130
Germanen, name A 129; und Römer
A95f
Gertrud, nhd. A 88
qods acre A 101
Goeii A 16S
Göllheim, lied auf die Schlacht v. 8 1 :
A 168
Goethebiographieen A 176 ff
Goten töteten ihre alten A 181f
gotisch, perfective und imperfect.
actionsart A 1 ff
gotische bibel, s. Ulfila
gotte--<af/i-er A 101
WvGrafenberg 201. 214 ; rühr, reim
31—33
Gral und Longinus A 149 f; gral-
lanze A 150
griechische tempus- und actions-
unterschiede A 7ff
Grillparzers ahnen A 180f
.JGrimm, brief an NBach A 182 f
Grimmeishausen , Simplicissimus
von Schnabel benutzt A 157 f
Guillaume, Guinart A 39
.JChrGünther, s. naturgefühl A 172 f
'Gute frau', rühr, reim 37
Häf liger A 103
Haimo v. Halberstadt 191. A 106
haißnö got. A 132
handschrifteii in Berlin 219. A 73.
I66ff; in Brunn A ll6f; in Inns-
bruck A 70 f; iu Kiosterneuburg
A 123; in Marburg A 182; in
Melk A 123; in Rom 218; in Ulm
A 124f; iu Wiesbaden 100
JHartlieb, Buch aller verbot, kunst
A 154ff
Hartmanns 'Credo', rühr, reim 62 ff
FvHausen, rühr, reim 74 f
heil, heili 167
H Heine A 83 f
Heinrich d. Löwe, sage A 150 ff
'Heliand', 'Praefatio': anklänge an
and. vorreden 1 09 ff, rhythm. prosa
111 ff, interpolationen 114ff ; 'Ver-
sus': entlehnungeu u. anklänge
an die 'Georgica', 'Culex' u. Pau-
lin us vNola. — H. u. Haimo vHal-
berstadt A 106
hellweg uä. SO ff
helvetik A 161 ff
Herradv. Landsberg 141
Hercieux == Herwig A 4 1
HvHesler, Evang. Nicodemi A 138ff
hexe als katze A 156
Hildebert v. Le Maus 142
OHirschfeld, kl eine Schriften A 127 ff
höchgemuot, höchgemüete 163f
Honorius Augustodunensis, Specu-
lum ecclesiae 144. 145 f; Eluci-
darium 153
'Hürnen Sewfried' A 50. 190
Hugo V. SVictor, Eruditio didasca-
lica 141; Arbor virtutum 174
humanismus, ritterlicher 202
hiöta 'scheltrede', got. A 31
KJiGlSTKj;
IST
Idbansa Alibi
imperativ iirii.s., ^^ol , s. actionsart
A 12
-iii(], -n-iitj ) -ig, -IUI A 169
inniman got. A S4
insai,an got. A i>3
Iring in d. Thidrekssaga und im
Nibl. 84 ff
Iringes weg 77 — 9S
Isidor, Origines 141
iupaprö got. A 29
•.Tager uyt Grieken' A49f
Johannes v Salisburv 144. IS9
jugendlehreu l.ib
kaiserkröniiug, ihr ceremuuiell A
98 f
Kants einlluss auf Schillers ästhetik
A 179 f
Katharineulegende, iimd. A 109 f
GKelier A 79
HvKleist als drauiatiker A 79 f
Klosterneuburgerbücher]istenA123
Konrad vHirsau 141
kräraerscene im osterspiel A 74
kräuterzauber 174. 247
kreuzesholzlegende bei HvHesler
A 13Sff
kreuzlied 2i)l: kreuzpredigt 150.
185. 201 ; kreuzritter 210; kreuz-
züge 15*>. lÜS. 170. 201
Krinagoras von Lesbos A 95 f
krönungseide A 99
kürzung im rheinischen A 15 £
lafi/an, gut., actionsart A 12f
r.avater und die helvet. revolution
A 1(51 ff
Lenz, briete üb. d. Werther A 170
-Liebesbotschaft' 214. 2 Hl
liebesbriefe der Tegernseer hs. 144 f
Uv Liechtenstein 215
Livius, gallische wandersage .\ 1 28 f
Longinuslegende A 147 ff
löwe, treuer A 151
[iUcanus 164
M Luther A 17211
.TMacphersou A 112 f
mäddum ags. 131 f
•Mai u. Beätlur', rühr, reim 37 f
Mainz, beziehungen der Ottcnen
279 f
innißms gut. 131 f
'Marin -firt' 1S2
Marpaly und Marpcssa .V 5o
GvMaestrieht A llUf
Melk, büchtrkatalogp A 123 f
meiilpii mild. 131 f
< ;FMeyer. kunstgefübl u. stil .\ '^'^ if
lIMeyer, briete au (iopthe \ 114 f
iiiilclistrarse, mittelalterl. namen
79 ff
•.Minne Fürgedanc' 214
minnelehre 170 ff
minnewesen 1t;i ff
mittelvocal in d. compositionsfnge
A 3^ f
'Mnralis i)hilosophia' 141 — 152. 155.
I.i!) — 101. 104. 172f. 179. 1S4.
1S9. 213. 215
moralphilosophie des ma.s 137 ff
miiraltheologie 140 ff
•MorizvC'raon' 175: z. text 132 ff.
HvMorungen 128, 0:A 117
wiiha an. A 135
WMüUer. Griechenlieder A '55 ff;
'Der kleine Hydriot' A 85; 'Die
Zweihundert u. der Eine' A 80;
•Bozzari' A 80; 'Keime aus den
Inseln des Archipelagus' A 87
mundarten: rheinische A 14—24;
von der Schwalm A 25 ff
Xeidhartsche familienbibliothek A
124 f
HvNenstadt, rühr, reim A 124f
nihn neben absol. part. A 30
Nibelunirenlied, rühr reim 00—72;
z kritik: 1014,3: 09 f, 1(»00:68,
llOSrOv. 1433,1 :71f; fiurgon-
den 241 f
niht felilt neben en A 53
Notker. De arte rhetorica 141
o in der compositionsfniic A 39
EvOber<r, Tri-^tan u. P.rdiers Estoire
A 57 ff. 00 ff: dauer d. liebeszau-
bers A 57 f; fraut-nliaar .V 02
object u. subject beim dicht-T A77 ff
Ortnit A 48
Ossian A 112f
o-sterspit^l, Innsbrucker A 70 ff; Her-;
liner fragm. A 73: Wi.ner A7;U
rheinisches d. 17 jh.s KtO-IOS
Oswald, Münchener 175; v. OaO ff.
095 : A 19
()tfrid 140f. 107: l-.rünner copie
der hs. V: A 117
(Ittonen. Ixziehnngen -/.n Mainz 2i9t
Ovid 102. 183
<)vre Stabu, .Speerspitze .\ l.U
Palmsonntag .\ •''9
passivHiMschnibuimeii uii got. .\ *«l
13*
188
EEGISTKR
perfectiva u imperfectiva im sfot.
A Iff
Personennamen, germ, d. altfrz.
epos A 36ff
Petrns Lombardus, tugendsystem
14Ü
Phaset ein Imochf 214. 216
'Pliyllis u. Flora', hss. u. au.sg'aben
21Tft; ^gereinigter text der Ber-
liner lis. 224-2M9
Plato, ideenlehre 137 ff
Pleier 215
portenKchei A IßS
Praefatio s. Heiland
Prudentius, Psychomachie 178
'Ratschläge für liebende' 175
'vom Rechte' 160
redeiphe stf. 152
reim, rührender im nihd. 1 — 76; bei
gieichheit d. form Verschiedenheit
d. (wort- oder sat7,-)accents 3. 75 f;
HvAne 3, WvEschenbach 15.
GvStrafsburg 20. UvZatzikhoven
21», WvGrafenberg 31 , KFleck
o3, Stricker 35, Gnte Frau 37.
Mai u. Beaflor 37, UvTürheim 39,
RvEms 4 1 , K vWürzburg 49 (fort-
setzg d. Trojkr. 56), Reinfried v.
Braunschvveig 50, UvdTürlin 5S,
HvFreiberg 59, Gleinker Ente-
crist 62, Hartraanns Credo 62,
obd. Servati US 64. Vorauer Alexan-
der 66, Nibelungenlied 66, Bi-
terolf 72, Virginal 73, lyriker 74
'Reinfried v. Braunschweig', rühr,
reim 56 f
Reinmar d. a. 163. 195. 201; rühr,
reim 75
Rheinhessen, spräche A 66 f
rheinischer accent A 14 ff
Robinsonade u. Utopie A 157 ff
Eosengarten F II 2, 1 : A 168
JRothe 144f
'kRother A 48
rührender reim s. reim
runenschrift, alter u. verbreitg A 134
satzaccent u. satzrhythmik im rhei-
nischen A lt)ff. 19 f
schärfang d. accents A 15ff
Schillers ästhetik d. tragödie A
178 ff, u. Kant A 179; 'Die Künst-
ler' A 81f -
JESchlegel, Canut A 175f
Schnabel, Insel Felsenburg A 157 ff
schule u. neuere litteratur .V 90 ff
HvSchwangau A H2ff
Seifried.sbure- A 169
'Servatius' (obd.), rühr, reim 6lf:
z. kritik: v.20. 369ff. 2193:64 f:
brouchen 'biegen' 65 anm.
MvSevelingeu 173
'Sevvfried, hürnen' A 50. 170
Sigeminne A 49
Sipemunt u. Sicrit 240 f
Mnteinö- A 32f
'Skeireins', z. kritik u. erklärnng
A27ff
slavische verbalaspecte A 6 ; verbal-
composition z. ausdruck der per-
fectiva A 6f
Soest als Schauplatz desBnrgunden-
untergaugs 87 ff
spiele, geistliche A69ff
TStimmer, Comedie A Ulf
GvStrafsburg 174 f. 211— 213; rühr.
reim 20-29; eingangsstrophen 26 ;
Tristans verstecknamen (10615 ff)
27; Trist. 10909: A 168
straisennameu nach myth. erbauern
83 f
Stricker, rühr, reim 35—37
Sulzbach, osterspiel 100
Tacitus, Germania A 97 f ; c. 2 : A 129
Tatiau, lat.-ahd. giossar A 106f
tIieodi.-<c ags A 131
Thidrekssaga, s. Iring, Soest
Thierry altfranz A 39 f
J>iudi.'<h6 got. A 130 f
fnudö, pai got. A 131
Thomas v. Aquino, Summa theolo-
giae 140. 151 — 154. 162 f. 178 f.
183. 187. 189
Thomas v. Chantimpre A 139f
Thüringen, sprachl grenzen gegeii
Hessen u. Heuneberg A71f
'kTirol' 215
HvTriniberg, Renner 174. 215
Tristan dichtung A 55f; ruderloses
boot A 64; beziehungeu /u den
altir. Aitheda A 64
JTrithcraius 135 280
tugendkleid, allegorie 146 f. 213
tugendsj'stem, ritterliches 137 — 21fi
UvTürheim, Tristan 175; rühr, reim
39-41
UvdTürlin 195; rühr, reim 58
Ulfila, die vorläge s. bibelüber-
setznng 249 — 278; die vorrede d.
codex ßrixianus bezeugt keine
neurecension! 265 ff : ebensowenig
die roulthres 267 ff; Verhältnis
von A u. B 270 ff; einwürknnc;
d. lat. bibel auf U. 276 f; forde-
rungen für die reconstructiou d.
189
griech. vurlage 277 f; Matth.H, lö:
98f, 9, 25: A3; Marc. 7,33: A 13;
Luc. 7, 3Sff :A4
Utopie und Robinsonade A 157 ff
Valdemars oej 94 f
'vater unser' auf Teil parodiert
A 163 f
HvVeldeke, familie u. beziehungen
A löbf; quelle des Servatius A
107 f; rühr, reim 59—62; sprach-
liches : onnen, nicht gonne/i 2S1 ff,
te spoede':"2iiü, Vorsilben cer- u.
er- 287, negationsjiartikel ne 2SS;
miunebaum 174
'Versus de poeta' s. Heliand
'Virginal', rühr, reim 73 f
Virisro (Vevej') A 12S
WvdVogelvveide . etliisches 141.
152 — 171 173. 175. 208f. 214 —
216; rühr, reim 75; 4S,3S: A116f
Volksunterricht, kirchlicher im ma.
140
wandersage der Gallier A 129
wehrstand im volksmund A ISl
weistümer, hessische A loO
weiise frau erlöst A 137 ff
■iriifi, -teil/ in persouenuamen .\ 41
widertäufer in d. dichtunij;- A 174
wiege des erlüsers A 137 fi'
Wielaiid u. Insel Felsenburg A Ißii
Wilhelm v. Conches 142
Williram 191
Wiusbeke 201. 215
Wolfdietrich A 42 fi"; fassung B :
A45; CHI: A 46 ff; DVU 131 :
A49; beziehungt'ii zur sage von
Heinrich d. Löwen A 153; zum
'Jager uyt Grieken' A 49 f; zum
Münchner Oswald A 49; zum
Rother A4S; zum hürneu Sew-
f rid A 50
irolqemuot 164
Wulfila s. rifila
irulthres 267 f
.TvWürzburg, rühr, reim 51(
KvWürzburg. rühr, reim 49—56;
Engelhard 2054 : A 171f
MWyssenherre A 150 ff
ÜvZatziclioven. rühr, reim 29—31
ThvZirclare 144. 146-151. 155 f.
162. 164 — 166. 201. 204. 20'>. 211
HZschokke A 162
RvZweter 215
Drii<-L- vr.n .! H Hirschfelil lAuguxt l'rie») in Leipzig.
^1 ■^■i^»«»'«»' '-p '— -I»-«. rT«r «/«JA mr*^f
PF Zeltschrift für deutsches
3003 Altertuin und deutsche
Z5 Literatur
Bd. 56
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