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Full text of "Zeitschrift für deutsche Philologie"

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ZEITSCHRIFT 


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FÜR 


DEUTSCHE  PHILOLOGIE 


BEGRÜNDET  von  JULIUS  ZACHER 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


HUGO   GERING 


ZWETUNDZWANZIQSTER  BAND 


HALLE  A.  S. 

VERIJIQ   PER   BUCHHAITOLUNO    DES    WAISEITHAUSES. 

18  90. 


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vR.  iiq\ w. 


Inhalt. 

Soit» 

Die  bedoutungen  und  der  syntaktische  gebrauch  der  verba  kötmeti  und  mögen 

im  altdeutschen.    Ein  beitrag  zur  deutschon  lexikograyhie  von  W.  Kahl  .    .  1 

Über  Ziglers  Asiatische  Banise.    Von  G.  Müller-Frauenstoin     ....  60.  168 

Eine  quelle  des  Simplicissimus.    Von  R.  v.  Payor 93 

Zum  Tellenschuss.    Von  H.  v.  Wlislocki 99 

Untersuchungen  zur  Snorra  Edda.    I.  Der  sogenante  zweite  grammatische  trak- 

tat.    Von  E.  Mogk 129 

I>ie  alaisiagen  Bede  und  Fimmilene.    Von  H.  Jaekel 257 

Zu  Xotkers  Rhetorik.    Von  P.  Piper 277 

Über  den  bildungsgang  der  gral-  und  Parzivaldichtung  in  Frankreich  und  Deutsch- 
land.   Von  San  Marte 287.  427 

Ein  quodlibet    Von  K.  Euling 312 

Eine  lügendichtung.    Von  demselben 317 

Zum  Passional. 

1.  Dresdner  bruchstücke  aus  Pass.  K.    Von  A.  Neumann 321 

2.  Clovisches  bruchstück.    Von  F.  Schroeder 324 

Ein  unbckantes  oberdeutsches  glossar  zu  Luthers  bibelübersetzung.  Von  P.  P  i  e  t  s  c  h  325 
Um  Städte  werben  und  vorwantes  in  der  deutschon  dichtung  dos  16.  und  17.  jhs, 

nebst  parallelen  aus  dem  18.  und  19.  I.    Von  L.  Fränkel 336 

Zwei  vers Versetzungen  im  Beowulf.     Von  E.  Joseph 385 

liederhandschriften  des  16.  und  17.  jhs.    Das  liederbuch  der  horzogin  Amalia 

von  aeve.    Von  J.  Bolte 397 


Vermischtes. 

Gudbrandur  Vigfusson.    Nekrolog  von  K.  Maurer 213 

Zu  der  frage  nach  der  ontstehungszeit  dos  Lutherliedes.    Von  0.  Ellingor     .  252 

Abwcihcn.    Von  II.  Morsch 253 

Des  mädchens  klage.    Von  G.  Ellinger 255 

Eine  lausavisa  des  Hrömundr  halti.    Von  H.  Gering 383 

Zu  ztschr.  XXII,  93.    Von  demselben 384 

Bericht  über  die  Verhandlungen  der  deutsch -romanischen  section  der  XXXX. 

versamlung  deutscher  philologon  und  Schulmänner  in  Görlitz.   Von  Tli.  Siebs  455 

Berichtigung  zu  ztschr.  XXII,  243.  244.    Von  A.Lcitzmann 501 

Zu  ztschr.  XXn,  255.     Von  G.  Ellinger 502 

Nachrichten    .     .     • 128.  256.  384.  502. 

Neue  erscheinungen 503 

An  die  mitarbeiter  und  loser  dor  Zeitschrift     Von  H.  Gering 504 


IT  INHALT 

Soite 
Littcratur. 

Altdeutsche  predigten,  heraosg.  von  A.  Schönl^ach  U;  angez.  von  F.  Bech .  .  1]') 
Karolingis<:ho  dichtungcn,  untersucht  von  L.  Traube:  angez.  von  IL  Althof  .  121 
Diedrich  von  dem  Werder  von  0.  Witkowski;  angez.  von  F.  Robert ag  .     .     12.') 

Die  Edda,  deutsch  von  "NV.  Jordan;  angez.  von  JI.  Gering 128 

Poetik  von  TV'.  Scherer;  Die  einbildungskraft  des  dichters  von  "NV.  Dilthey;  Ifand- 

bucli  der  jjoetik  von  H.  Baumgart;  Poetik,  rhetorik  und  Stilistik  von  TV'.  Wackor- 

nagel;  Pr>e8ie  und  prosa,  ihre  arten  und  formen  von  J.  Metbner;  angez.  v<.»n 

G.  Ellinger 129 

Joli.  El.  Schlegel  von  E.  TVolff;  angez.  von  TV.  Croizenach 230 

Gesclüchte  des  Physiologus  von  F.  I^uchert;  angez.  von  E.  Voigt  ....  28() 
König  Tirol,  TViiisl^eko  und  TVinsbekin,  herausg.  von  A.  Leitzmann;  angez.  von 

K.  Kinzel 242 

La  littorature  franvaise  au  moyen  age  par  G.  Paris;  angez.  von  H.  Buchior  .  244 
Die  sage  von  Tristan  und  Isolde  von  TV.  Golther;  angez.  von  V.  Kerckhoff  .  24.') 
Die  natur,  ihi-e  auffassung  und  i>oeti8cho  Verwendung  in  der  altgerm.  und  mhd. 

epik  von  ().  Lüning;  angez.  von  K.  TV'e inhold       24C 

TVahrheit  und  dichtung  in  Ulrich  von  lichtensteins  frauendienst  von  R.Bock  er; 

angez.  von  demselben 247 

Das  erste  staiiium  des  V-umlauts  im  germanischen  von  E.  v.  Borries;   ango/.. 

von  0.  Bremer 248 

Edda  Snorra  Sturlusonar.    Tom.  III.    Sumptibus  legati  Amamagn. ;   angez.  von 

K.  Mogk 8G4 

Die  ostor-  und  passions-spiele   bis  zum  16.  jahrh.  v(m  L.  TVirth;    angez.  von 

H.  Holstein .-^78 

Fr.  Nicolais  Kloyner  feiner  almanach   1777  und  1778,  herausg.  von  G.  Ellinger: 

angez.  von  J.  Bolte 381 

Grundriss  der  germanischen  philoIogie,  herausgegeben  von  II.  Paul;  angez.  von 

E.  Martin 402 

Orondel,  herausg.  von  A.  E.  Berger;  angez.  von  F.  Vogt 4(kS 

Untersuchungen    über   den   satzbau   Ijuthcrs   von    II.  TVunderlich;   angez.  von 

0.  Erdmann 401 

Goethe  und  die  griechischen  bühnendichtor  von  II.  Morsch ;  angez.  von  G.  Kett- 

ner 403 

Indogermanische  präsensbildung  im  gemianischen  von  G.  Burghauser;  angez.  von 

0.  Bremer 404 

Fr.  Gottl.  Kloi)8tocks  öden,  heraa*«g.  von  F.  Munckcr  und  J.  Pawel;  angez.  von 

0.  Erdmann 407 

Die  bestix'bungen   der  sprachgeselschaften   dos  17.  jhs  für  i-einigung  der  deut- 
schen Sprache  von  II.  Schultz;  angez.  von  G.  TVitkowski •     .    400 

Rogister  von  E.  Matthias r»()4 


DIE  BEDEUTUNGEN  UND  DEß  SYNTAKTISCHE 
GEBEAUCH  DEE  VEEBA  „KÖNNEN^^  UND  „MÖGEN^' 

IM  ALTDEUTSCHEN. 

EIN  BEITRAG  ZUR  DEüTSCirEN  LEXICOGRAPHIE. 

Die  vorliegende  arbeit  bezweckt  eine  eingehende,  auf  benutzung 
eines  ausreichenden  Stellenmaterials  gestüztc  Untersuchung  über  die 
bedoutungen  und  den  syntaktischen  gebrauch  von  können  und  mögen, 
wie  diese  sich  im  ablauf  der  sprachgeschichtlichen  entwicklung  von  Ul- 
filas  bis  zum  ausgang  der  mhd.  periode  liin,  etwa  bis  1350,  darstellen. 

Mögen  und  können  werden  uns  anfangs  als  Zeitwörter  mit  schaif 
ausgeprägter,  sinlich  fassbarer  bedeutung  entgegentreten,  als  sogenante 
begrifsverba,  jedes  mit  gesonderter  bcschränkung  auf  ein  bedeutungs- 
gebiet:  kömien  bei  Ulfilas  =  hciata^iai^  mögen  =  laxvco,  dvvafAai 
u.  dgl.  Almählich  beginnen  die  grenzlinien  zwischen  können  und 
mögen  zu  vei-schwimmen  und  in  einander  überzulaufen;  mögen  gibt 
noch  früher  als  können  seine  prägnante  bedeutung  auf;  bald  dienen 
boide  vorba  dem  ausdruck  blosser  „möglichkeit."  Mit  dieser  verblas- 
sung der  bedeutung  geht  die  Verwitterung  der  verbalen  kraft  von  kön- 
nen und  mögen  hand  in  hand.  Algemach  sinken  können  und  mögen 
zur  goltung  von  hülfsverben  herab,  die  nach  Jollys  werten  (Gesch.  des 
Infinitivs  im  idg.  s.  175)  nur  noch  als  fulcrum  des  damit  verbundenen 
iofinitivs  erscheinen;  „das  hülfsverbum  dient  dem  infinitiv  so  zu  sagen 
als  exponent,  indem  es  tempus  und  genus  bezeichnet,  der  infinitiv 
dagegen,  der  nur  als  Verbalsubstantiv  in  unbestimter  casuellor  bedeu- 
tung gefühlt  wird,  den  reinen  verbalbegriff  ausdrückt." 

Diesen  process  almählicher  entwicklung  des  begrifsverbums  zum 
hülfsverbimi  zu  beobachten,  soll  unsere  aufgäbe  sein. 

Im  gegensatz  zu  den  vorarbeiten,  die  wir  weiter  unten  verzeich- 
nen werden,  denen  wir  reiche  belehrung  und  manchen  brauchbaren 
gosichtspimkt  verdanken,  haben  wir  unser  hauptaugenmerk  daraufgerich- 
tet, die  semasiologischen  und  syntaktischen  tatsachen  nicht  nur  einfach 
zu  verzeichnen,  sondern  auch  den  gi'ünden  nachzugehen,  welchen  jene 

ZEITSCHBIFT  F.   DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.   XXU.  1 


KAHL 


tatsachen  iliro  entstehung  und  ihre  innere  berechtigung  verdanken:  wir 
werden  dieselben  zum  teil  auf  dem  wege  spraehpsychologischer  beti-ach- 
tung  auffinden  können. 

Zudem  waren  wir  bestrebt,  nach  möglichkeit  Beneckes  forderung 
zu  eifüUen:  „Die  aufzählung  aller  falle  ist  es,  aus  der  sich  gesetze 
sowohl  als  ausnahmen  ergeben"  (vorrede  zum  Iweinwb.);  nicht  in  dem 
sinne  zwar,  dass  wir  das  ganze  überreiche  Stellenmaterial  auch  mitteil- 
ton: sondern  so,  dass  wir  unsere  resultate  allerdings  aus  einer  durch- 
forschung  und  prüfung  möglichst  aller  falle  hervorgehen  Hessen,  in  den 
belegstellen  uns  aber  mit  einer  auswahl  des  \\'ichtigsten  und  bezeich- 
nendsten begnügten. 

So  haben  wir  die  got,  altsachs.  und  ahd.  denkmäler  volständig 
für  die  zwecke  unserer  arbeit  verwertet;  von  den  mhd.  denkmälem 
sind  folgtuule  von  uns  durchgearbeitet  und  für  unsere  Untersuchungen 
berücksichtigt  worden.     Aus  dem  XI.  Jahrhundert: 

MüUenhoff-Scherer   Denkmäler  usw.-   1867,   z.  t.;    mit  Scherer 

betrachte  ich  das  jähr  1050  als  grenze  zwischen  ahd.  und  mhd. 

(vgl.  Scherer  Q.-F.  XII,  1  —  10,   Lttgsch.  s.  780,  Wackernagel 

Littgsch.  I »,  s.  38). 
Wiliirams    Paraphrase    des   hohen   liedes    ed.   Seemüller,    Q.-F. 

XXVIII. 
Genesis  und  Exodus,   citiert  nach  selten  und  zeilen  der  ausgäbe 

von  Diemer  1862. 
Annolied  ed.  Bezzenberger  1818. 

Aus  dem  XII.  Jahrhundert: 
Willirams    Hohes    lied    erklärt    von    Rilindis    und   Herrad    ed. 

J.  Haupt  1864  (Hpts.  Hl.). 
Könifi:  Rother  ed.  v.  Bahder  1885. 
Heinrich  v.  Melk  (H.  v.  iL  Pr.  =»  priesterlebeu;  Er.  =  erinnerung) 

ed.  Hoinzt.'!  1867. 
Des  Minnesangs  Frühling  (MF.)  edd.  lAchmann  -  Haupt  ^  18S2. 
Heinr.  v.  Veldeckes   Eneide  (En.)   ed.  O.  Behaghei  1882.     (Seine 

lieder  s.  MF.). 

Aus  dem  XIII.  Jahrhundert: 

Hartmann  v.  Aues  e|)eo:  wegen  der  citate  (A.  H. -=  armer  Heinrich : 
iirvar.  —  Grv^mus:  Er  --=-  Erec:  Iw.  =  Iw^in)  verweise  ich  auf  die 
noch  zu  uoimende  arbeit  vuqv.  Monsterberg  Ztsohr. f.d.  ph.  XVllL 

Wolfram  v.  Esohenbach  ed.  K.  Laohmaun^  1872  (1.  ■--  lit^der: 
Fkn.  »   FkndTal:  llt  »  Titurel:  Wilh.   ==   WiUehalm). 


KÖNNEN  UND  MÖGEN  IM  ALTD.  3 

Gotfried  v.  Strassburg  Tristan  und  Isolde  (G.  Trist),  cd.  Mass- 
mann 1843.  Lobgesang  (=  Globg.)  ed.  Haupt  Z.  f.  d.  a.  IV",  513; 
zu  G.  Trist,  die  fortsetzung  von  Ulrich  v.  Türheim  (ülr.  Trist)  in 
Massmanns  ausg. 

Der  Nibelunge  Not  (Nib)  und  Klage  (Kl)  ed.  Lachmann^  1878 
(mit  besonderer  berücksichtigung  der  hs.  Varianten). 

Gudrun  (Gudr.)  ed.  Martin  1872. 

Walther  v.  d.  Vogelweide  (Walth.)  ed.  Lachmann ^  1853,  mit  hiu- 
zuziehung  der  ausgäbe  von  Wilmanns  1882. 

Fridanks  Bescheidenheit  (Frid)  ed.  Bezzenberger  1872. 

Sachsenspiegel  (Sachssp.)  ed.  Homeyer  1861. 

Borthold  v.  Regensburg  (Berth.):  als  probe  die  bei  Wackernagel 
Altd.  Isb.  s.  878  abgedruckte  predigt  über  Mtth.  5,  1. 

Konrad  v.  Würzburg  Alexius  (AI.)  ed.  Haupt  Z.  f.  d.  a.  III,  534. 

Klage  der  kunst  (Kl.)  ed.  Joseph  QF.  UV. 

Engelhard  (Eng.)  ed.  Haupt  1844. 

Goldene  schmiede  (Gold,  schm.)  ed.  W.  Grimm  1840. 

Der  Weinschwelg  (Weinschw.)  ed.  Vernaleken.     Germ.  III,  210. 

Aus  dem  XIV.  Jahrhundert: 

Boners  Edelstein  (Bon.)  ed.  PfeifiPer  1844. 
Nicolaus  V.  Jeroschin  (Jer.)  ed.  Pfeiffer  1854. 

Ulfilas  eitlere  ich  nach  der  ausgäbe  von  Bernhardt  1875;  He- 
liand  nach  C  bei  Sievers  1878;  die  übrigen  alts.  denkmäler  nach 
Heyne  Ifl.  altnd.  denkmäler  1867;  die  Sanct-Galler  Benedictiner- 
regel  (B-R.)  nach  Hattemer  I,  28  fg.;  Isidors  Hispal.  de  nativ. 
dorn.  (Is.)  ed.  Holtzmann  1836.  Murbacher  hymnen  (Murb.  h.)  ed. 
Sievers  1874. 

Tatian  ed.  Sievei-s  1872;  Otfrid  ed.  Kelle  1856;  Notker  ed.  Pi- 
per 1882/3  [Boeth.  =  Boethius;  Mcp.  =  Mart  Capeila;  cat  = 
categorien;  de  interpr.  =  de  interpretatione;  ps.  =  psalmen  (unter 
zuhülfename  von  R.  Heinzel  und  W.  Sc  her  er  Notkers  psalmen 
nach  der  Wiener  hs.  1876)]. 
Die  ahd.  glossen  (Ahd.  gl.)  ed.  Steinmeyer-Sievers  1879/82. 

Es  erübrigt  noch  die  benuzte  litteratur  zu  verzeichnen: 

Benecke  Wörterbuch  zu  Hartmanns  Iwein  1833. 
Grimm  Gesch.  d.  d.  spr.»  625.  627;  Gramm. IV,  92;  138;  171. 
Mittelhochdeutsches  Wörterbuch  I,  805b;  II,  9b. 
Deutsches  Wörterbuch  V  (Hildebrand),  VI  (Heyne). 
K.  Lucae  Bedeutung  und  gebrauch  der  verba  auxiliaria  im  mhd.  1868. 

1* 


£AHL 


4 


r 


Horak   Über   die   verba   praeterito-praesentia   im   mbd.    1876   (eine 

liiichst  ungenügende  arbeit). 
V.  Monsterberg-Münckenau   Der   infinitiv   nach   wcUen  und  dei 

Terba  praeterito-praesentia  in  den  epen  Hartmanns  v.  Aue:   Z.  I 

d.  ph.  XVin,  1  fg.;   als  ergänzung  zu  desselbc^n  Verfassers:    ^Dei 

infinitiv  in  den  epen  Hartniauns  v.  Aue**  (in  Weinholds  German 

abh.  T):  eine  arbeit,  die  volles  lob  verdient  und  von  mir  ausgie 

big  benuzt  worden  ist 
A.  Köhler  Der  synt  gebrauch  des  inf.  im  got.:  Germ.  XTT. 
Steig  Über  den  gebrauch  des  inf  im  altnd.  Z.  f.  d.  ph.  XYI. 
Pratje  Syntax  des  Heiland:   Jalirb.  d.  Vereins  f.  niederd.  sprachfor 

schung  XI,  1SS5. 
M.  Denecke   Der  gebrauch    des  inf  bei  den  ahd.   Übersetzern  de: 

Vra.  und  IX.  jahrh.  1886. 
0.  Erdmann  Untersuchungen  über  die  syntax  der  spräche  Otfrids 

1874  6. 
M.  Erbe   Über   die   conditionalsätze   bei  Wolfram:    Paul-Braune  V 

1  —  50. 
L  Bock  Über  einige  falle  des  conjunctivs  im  mhd.  QF.  XXVH. 
Rötteken   Der   zusammengesezte   satz   bei  Beithold  v.  Regensburg 

QF.  LIII. 
Jolly  Geschichte  des  int  im  idg.  1873. 
0.  Erdmann  Gnindzüge  der  deutschen  syntax  I,  1886. 

§  1.    KQuneu  Im  srotisehen. 

Zwei  wego  stehen  uns  offen,  wenn  wir  uns  der  bedeutung  des 
got.  kunnan  vergewissern  wollen.  Der  eine  bonüzt  den  glücklicher 
umstund,  dass  die  gotischen  Sprachdenkmäler  der  übi*rsetzung  eines 
griechisohon  Originals  angehönui;    der  anden.*  sucht  kuunan   im  kreis( 

I  der  urverwanten  spnichou  auf  und  stelt  mit  denni  hülfe  die  bedeutung 

des  got.  kauH  fi^t 

I  Duivh  den  vergleich  des  griivhischen  bibeltextes  mit  der  gotischer 

Übertragung  können   wir   sonder  mühe  ermitteln,   in  welchem  vorstel 

i  lungskivise  «las  got,   hnimm   heimisch  gi^wesen    ist:    wir   finden,   dass 

Ulfihus  human  d\uvhweg  gritvh.  /nimrxfir,  yn-^iZuw  elönat,  f.Tiora- 
ai^m  ent^pnH'hen  lässt  (bt^legi^  vgl.  unten);  dies  führt  uns  unmittelbai 
in  die  sphäiv  intelleetueller  tiitigkeit,  und  wir  sind  beiwhiigt  für  kam 
die  bedeutung  «ich  erkeiuie,  ich  verstehe,  weiss  u.  dgl.*'  in  ansprucl 
zu  nehmen.  Von  einem  lünübi^rspielen  nach  mai/an  kann  für  das 
got  noch  durchaus  keine  nnle  st^in.    miyan  dient  dem  ausdrucke  des 


KÖNNEN   UND  MÖGEN   IM   ALTD. 


physischen  Vermögens  und  der  objectiven  möglichkeit,  während  für 
ktinnan  das  bedeutungsgebiet  des  geistigen  befähigtseins  vorlbehalten 
bleibt 

Nur  ein  einziges  mal  wird  o\öa  durch  mag  widergegeben:  I.  Ti- 
moth.  3,  5:  jabai  fvas  seinomma  gai'da  fauragaggan  ni  viag,  haiva 
aikklesjon  gups  gakarqp  =  ei  de  tig  rod  Idiov  oImov  TtQoavfjvac  oi'>t 
oidev.  Doch  gerade  hier,  so  glaube  ich,  ist  mag  vonTJlfilas  mit  beson- 
derem bedacht  gewählt  worden:  nach  altgermanischer  anschauung  rei- 
chen keutnis  und  wissen  nicht  aus,  einem  hauswesen  vorzustehen:  der 
pater  familias  muss  die  kraft,  muss  die  macht  haben,  selbst  mit  dem 
Schwerte  in  der  hand,  sein  haus  zu  schützen  und  zu.  vei*teidigen.  Die- 
ser einzige  fall,  wo  mag  olda  entspricht,  darf  also  nicht  als  negative 
instanz  gegen  das,  was  wir  oben  ermittelten,  geltend  gemacht  werden. 

Das  ziel,  dem  uns  diese  betrachtung  entgegengeführt  hat,  können 
wir  auch  noch  auf  einem  andern  wege  erreichen.  Die  Sprachverglei- 
chung lehrt  uns  das  got.  kiinnan  als  glied  einer  familie  urverwanter 
Wörter  kennen,  denen  die  beziehung  auf  wissen,  verstehen  u.  dgl. 
gemeinsam  ist  (vgl.  die  belege  bei  Curtius  Grundzügo  der  griech. 
etym.*  178,  dortselbst  auch  die  verweise  auf  Benfey,  Pott  usw.).  Zu 
got.  kann  gehört  u.  a.:  skrt.  gnu,  gändm.  =  kennen,  griech.  -y/yrw, 
lat.  gno'sco,  no-tiis;  ahd.  knäan  =  cognosco  usw.  Die  Sprachver- 
gleichung bestätigt  also  durchaus  das  resultat,  das  wir  oben  durch  den 
direkten  schluss  von  der  gotischen  Übersetzung  auf  das  griechische  ori- 
ginal fanden. 

Wir  dürfen  somit  an  die  spitze  der  weiteren  Untersuchung  den 
satz  stellen,  dass  in  dem  ältesten  der  uns  bekanten  dialekte  der  ger- 
manischen spräche,  im  got,  dem  verbum  können  die  bedeutung  des 
erkennons,  des  wissens,  des  geistigen  Vermögens  zusteht 

Wenn  wir  die  reihe  der  syntaktischen  fügungen  überblicken,  in 
denen  got  kann  auftritt',  so  muss  uns  das  fehlen  jeglichen  iufinitivs 
nach  kann,  der  uns  vom  mhd.  her  so  geläufig  ist,  auffallen.  Schon 
Grimm  (Gr.  IV,  92)  ist  auf  diese  eigentümliche  tatsache  aufmerksam 
gewesen;  er  hat  sie  mit  der  bemerkung  verzeichnet,  dass  einem  inf. 
nach  kann  nichts  im  wege  stehe,  da  das  ahd.,  alts.,  ags.  und  nord. 
diese  construction  kennen;  Grimm  hätte  noch  hinzufügen  können,  dass 
der  inf.  nach  den  synonymen  icait,  lais,  man  belegt  ist  (Köhler 
Germ.  XII,  429). 

Wir  sind  nun  in  der  läge  den  grund  anzugeben,  der  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  das  ausbleiben  der  infinitivcoustruction  nach  ka?in 
verschuldet  hat     Es  ist  eine  eigentümlichkeit   der  neutestamentlichen 


6  KAHL 

gnieiMtät,  nach  den  verben  des  erkennens  und  wissens  den  inf.  oder 
aeo.  0.  inf.  zu  vermeiden,  dagegen  die  anknüpfung  eines  nebensatzes 
mit  Uli  und  iIk:  zu  bevorzugen.  Nur  einmal  wird  im  Neuen  testament 
von  /iiiiffzfii'  ein  intinitiv  abhängig  gt»maeht:  Hebr.  10,  34:  leider  fehlt 
hier  das  got.;  nach  ynoQt^eiv  und  hmatauai  steht  nie  ein  inf.  (vgl. 
Wahl  Clav.  nov.  test  phil.  p.  87a,  lOöb;  Grimm  Ltw.  graeco-lat.  in 
libros  novi  test.*  s.  81  b,  169a.)  —  döirat  c.  ace.  c.  inf.  findet  J?ich 
zweimal:  I.  IVtr.  5,  9,  wo  das  got.  fehlt;  Luc.  4,  41,  wo  das  got.  über- 
sozt:  irissetiun  ^iUnm  JVm/ii  ifta  irisan  =^  fldeiaav  loi' A'^.  aviöv  uvcu. 

Der  inf.  nach  oida  tritt  uns  in  7  stellen  entgegen,  nur  3  gestat- 
ten  den   vergleich   mit  dem  gi>t:    Phil.  4,  12   winl  vldu  dun-h  laiii  c. 

inf.  überstv.t;  l.Thes,  4,  4  ist  eicVi-ai /.rdo^ai  =  ci  in'ti ya- 

iitrtMan;  I.  Timotli.  3,  5  ohla  =  iwm/  wurde  ben^its  oben  besprochen. 
Sonst  winl  im  X.  t  stets  nach  den  verbis  cognoscendi  der  inhalt  der 
orkentnis  und  di^  wissens  in  einem  nachs^itz  gi^gi'ben,  der  durch  vu 
oder  Vti  mit  dem  hauptsatze  verknüpft  ist.  Nach  dem  vorliegenden 
tatlH^stande  haben  wir  also  kein  rw*ht  dazu,  das  fehlen  des  infinitivs 
nach  hinnan  auf  rochnung  einer  principiellen  abneigung  der  g^t.  spräche 
gi^gi»n  dii>so  syntaktische  ausdrucksform  zu  setzen:  nicht  das  got.,  son- 
dern das  griech,  original  trä*:t  die  schuld  daran,  dass  innerhalb  der 
g\>t  sprachroste  der  intinitiv  nach  hmn  nicht  nachweisbar  ist 

Wir  können  uns  nunmehr  der  aufzählunc:  der  vers<"hitileuen  svn- 
taktisi'hen  i\>nstructionen  zuwenden,  in  denen  hinn  auftritt. 

1.     kann  absolut  ^rebraucht, 

l.  Kor.  13,  9  snman  htnnnm  ^fuh  snuian  pniufifj'.itti,  Matth.  27, 
l>r>  ,NW>fi,vwY  hinnnfi  {  i-v  i>iÄ?ifU  11.  Timoih.  1,1^,  v,.n  Schulze 
(iiot.  wb.  1847  s.  185)  hierlier  pi^stclt,  j^^iört  unter  111', 

IL    kann  mit  einem  objektsaccusativ. 

Mafth.  7,  23  fnUci  ni  k\whnn  ku*il^i  {}yt\jii  fitn\^:  Marc.  4.  11 
iiNiffffii»  runa  />ifiA?«iMn^f(V<  ^nT«ii?i  lo  uitTii'^wi^n:  M.^rv.  4.  13  ftos 
%t9linky^ns  kfinnrif^  (iiic  .i«r^.,i?ivi*Vc  ;n.VtnK'^ft:  Job,  lix  3S  un7*  Jn  fnik 
afaiki^  it/iifNW  pnm  sinfnu^i  {U<:  of  «i. H7^>i An^  ur  iC>«  v^.,  iiivrzu 
IavK^  äu  L  Cor.  9^  2oU  Skcir  V,i  s.637;  iuA**.  ir*  /  *:7*.ii.s  hin  *ina' 
H^w^wr  iiir;n'fK     Kpht^  3,  19;  M,^n\  i,  24  usxx. 

lVp|H>ltor  «^vu^i^tix   lindot  sich:  Joh.  17,  3  n  i>#'.  .;/  ;.7    ;<»^.-t/oi- 


KÖNNEN  UND  MÖGEN  IM  ALTD. 


III.     kann  mit  einem  abhängigen  nebensatze. 

a)  Indirekter  fragesatz. 

Phil.  1,  22  jah  hapar  woljau,  ni  kamt  (oö  yt'ioQlCio)'^  Luc.  10,  22 
jah  ni  hashiin  kann,  /ms  ist  sn?nts;  Marc.  1,  24  kann  puk,  hos  pu 
is  =  olda  ae  rig  ei.  Marc.  14,  68  7ii  nait  ni  kann,  Iva  pu  qipis  (ovy. 
olda  ot'cJ'  i/tlavaf,iaL  ri  au  Xiyeig). 

b)  Mit  ei  oder  patei  eingeleiteter  nachsatz. 

Klinghardt  hat  Zs.  f.  d.  ph.  VIII,  173.  176  die  regel  aufgestelt, 
dass  „der  gebrauch  von  ei  wesentlich  an  optativische,  der  von  patei 
an  indicativische  nebensatze  geknüpft  ist,  weil  patei  gegen  ei  eine 
stärkere  bindung  enthält*'  II.  Cor.  13,  5  pau  nin  kunnup  ixims,  patei 
L  Xr,  in  ixuns  ist;  Joh.  15,  18  kunneip  (yiviooKeve)^  ei  7nik  fniman 
ixwis  fijaida;  Marc.  13,  28  kunnup,  patei  ?iefva  ist  asans:  11.  Tim.  3, 1 
kunneis,  ei  ...  atgaggand;  Joh.  17,  23  Imnnei  so  manaseps,  patei  pu 
mik  in^andides  usf. 

Passive  formen  von  kunnan  finden  sich  im  got  nicht;  wie  gewöhn- 
lich nimt  Ulfllas  seine  Zuflucht  zur  Umschreibung:  so  Phil.  4,  5;  Eph. 
3,  5;  auch  im  griechischen  original  ist  das  passiv  von  yiviooMi}  sehr 
selten. 

Die  behauptung,  welche  wir  an  den  anfang  dieses  abschnits  stel- 
ten,  und  welche,  wie  wir  hoflen,  durch  die  beigebrachten  stellen  bestä- 
tigt worden  ist:  dass  nämlich  dem  got.  ka7m  die  logisch  kräftige  bedeu- 
tung:  ich  erkenne,  ich  weiss  u.  dgl.  zukomt,  erhält  noch  eine  stütze 
durch  den  umstand,  dass  die  got.  spräche  die  fähigkeit  besass,  von 
kunnan  composita  zu  bilden.  Denn  auch  darin  zeigt  es  sich,  dass 
das  got.  kann  noch  nicht  zum  hülfszeitwort  abgeschwächt  ist,  sondern 
dass  es  seine  volle  kraft  als  begrifsverbum  in  ursprünglicher  stärke 
bewahrt  hat 

Ein  schwaches  verbum  kmmwi  ist  bei  Ulfllas  nicht  mehr  beleg- 
bar; denn  I.  Cor.  1,  21  haben  Gabelentz-Loebe  ohne  grund  das  hand- 
schriftliche ufkumiaida^  (=  tyvio)  durch  kunnaida  ersezt  Die  compo- 
sita von  kunnan  erscheinen  bald  in  der  starken,  bald  in  der  schwa- 
chen foim. 

anaktinnan  =  dvayLVüta7,€iv,  z.  b.  II.  Cor.  1,  13;  frakunnan  = 
dO^BTelv,  YMzaqiQOvelvy  vgl.  Grimm  Gr.  IV,  689;  atkunnan  =  jcaqixuv 
Col.  4,  1;  gakunnan  stark  =  hcoidaaeo&ai  I.  Cor.  15,  28;  schwach 
=»  yivioa'/,€iv;  ufkunnan  (praet  ufkunpa)  ^  i7tiyinoa/.£iv. 

Auf  diese  composita,  welche  uns  die  bedeutung  des  einfachen 
kunnan  in  gewissen  nüancen  zeigen,   näher  einzugehen,   liegt  für  uns 


S  EAHL 


keine  Teranlassuiiir  vor:   wehren  dt-s  stelknmaierials  >E-i  auf  Schulze 

Göt.  wb.  s.  lSi>  fc.  verwiesen. 

Aus  dt-n  betrachningen,  die  wir  bisbor  g^pfl-.'iren  haben,  dürfte  sie 

en^-ben  haben,  dass  das  gt't.  kattn  jene  diii\hsivhti^e.  be^niäich  gena 

fassbaiv  bi-deutunir   u-X'h  durchaus   bewalin  hat.   avif  welche   uns   de 

venrkich  des  ir^tischen  mit  dem  srritvhis^/hea  oririnil   s-jwie  das  vei 

iiältnis  zu  den  Temanien  wC-nera   der  übri^vn  lij.  -prachen  hinwies 

erst  l;lns^?  nach  der  zeit,   in  welcher  die  «rot.  spra.h i'-nksiäler  entstar 

den.   hat  können  einbusse  an  sein-:r  verbal-n  kräft  vrlineu,   bis  es.  j 

weiter  wir  uns  v..»ra  irot  enrf.rnen,   mehr  un«i  mehr  zu  einem  hülfj 

Zeitwort  herab^resunkeu  ist,  d,ts  irleichsam  zu  sein-r  un:-  rstützun^  eine 

nachi^.^^zten  infinitivs  K^iarf,   d^^m  ^i-s  eine  e: jy  niünilicL-   mvHiale  fai 

bunsr  verleiht,   ••hne  selbst  eine  mt-rkliche  bedeiirLini:  zu  besitzen:   vc 

dem  XII.  jiihrhundert  ied-xh  hat  dit-j^r  venvitttnin^rrozesis  nicht  hi 

ffonnen. 

jS  :2.    Können  Im  alfsirhslsrlien. 

Der  ctbrauch  dt>?  :!:t:n:rlvs  im  ahnd.  hat  diirL-h  >>::i:  iZs.  f.  < 
ph.  XVIi  tine  S':Tir:al:iv>?  b-hand'.viri:  erfalirvn,  w.\hv  sich  auch  ai 
die  svntax  von  r'.i»»  im  Heliacd  •.rsn^v'kt:  die  übrij^n  ä\ztA.  «irnkmäh 
bieten  k^in  beispiel  v.r.  (-7h.  >>^i^  Knierk:  1.  \.  s.  :^>».»:  .Nv»r  unirei 
führe  ich  uniir  dt-c  auxilian»:n  c.,^s  v/rt^um  -7»*  auf.  -ia  •>.  winiirstei 
im  Hvliand.  als  Sv':ch-:>  r.ioh:  K:rach:'.T  wonien  d:ir:.  Es  erscheii 
nämlich  übt rwit-cx n  •  *->  trar.'^i'ivis  v-:rb  1=  n  vi»  n:::  . b'rktsacv^-i 
>ativ  c-der  mi:  d«:r.:  i:.::nitiv.  In  al'.i'-i  fiilkr.  is:  die  Krieumr.^  vc 
rt?ii  eine  vi- 1  kräni^.ri,  als  man  sie  b-i  rinem  b".  -ssv!:  auvlüir  erwa 
KT  und  r..\h  w..:  tr.::\m:  v,r.  der  !:a  hhi:  dis  r.h:.  k  r.r.vn.- 

Für  viiv  Krivv.f.ir.iT  v,'n  "i?*;  i>t  >>  n^Urs  v'::.ir..k:- r:>::-<h  d 
>:t".'v^H*/..  7«4   ''.?i    i\   »>   ::'•?' 7«"  c;:;.  i,     '  ■>    :^*.»'   '''■•  -;<•    •»,   v^.  •  i./n  ; 

dur\^hw.\:  di-.   ar.w.iidur.iTir.  ^vr.  ,•;^  im  H-  iand. 

1.  l\r  abs::u:v  c-brauoh  v.n  cm  ^  :>:  aus  i-.:u  Heliasd  nie 
ru  ty"'.-:o:  r- 

11-    ,  ;•    r«i:   i». ::,  i  b'ckts.'iv  ciisativ    \V    r:.;v-.   IVr  ;vvusiU 

I 

Ä«        .  «*.»•■«,  T.*.*.  .\.«..\.  1'».*         .T&  .  »•.^^-  ^«.      .. 

'  111.     Für  ..}•;  m::  einem  iv.!:r.::iv   b;-:::   v::r  H-".:;ind  4  bi 

i  Sil-:".-:;  :?:^>    •.  ->r:    "'.r   '.ri,.-*;;:   l^v^*  •♦  .         ',  ;   -    -:   •-«.  .  »it:iitniit 


«...  . 


KÖNNEN  UND  MÖGEN  IM  ALTD.  9 

Bei  225  und  2650  legt  uns  der  Inhalt  des  von  can  abhängig 
gemachten  Infinitivs  [mahlean  und  seggian)  die  übereetzung  „ich  weiss'', 
^ich  verstehe''  unmittelbar  nahe,  die  auch  für  1669  passt:  „sie  verste- 
hen nicht  zu  gewinnen." 

2530  endlich  bietet  uns  das  erete  beispiel  einer  construktion ,  die 
uns  im  weitc^ren  verlaufe  dieser  Untersuchungen  noch  öfters  begegnen 
wird:  ein  Substantiv,  hier  ein  substantivierter  Infinitiv,  wird  durch  eine 
praeposition  (te)  mit  can  verknüpft.  Die  erklärer  wollen  in  unserem 
falle  meist  eine  ellipse  annehmen  (vgl.  Grimm,  Or.  IV,  11).  Ich  folge 
jedoch  Steig,  der  1.  1.  s.  490  dieses  can  sehr  glücklich  mit  giuuald 
hebbian  te  vergleicht;  er  sagt:  „Schon  oben  habe  ich  ausgeführt,  welche 
Schwierigkeiten  das  verbum  can  demjenigen  bereitet,  welcher  es  unter 
die  auxiliarien  einrechnen  will;  auch  imser  beispiel  zeigt  eine  leben- 
dige, kräftige,  nicht  auxiliare  bedeutung  und  steht  einem  ausdrucke 
wie  giuuald  hebbian  te  ziemlich  nahe"  (vgl.  Hei.  2162.  2327.  4518). 

Das  alts.  besizt  noch  eine  composition  von  cunnan  :  bicunnan; 
es  steht  jedesmal  mit  dem  objectsaccusativ  und  entfernt  sich  in  der 
bedeutung  vom  einfachen  cunnan  nicht.  Es  tritt  uns  entgegen:  1961. 
4961.  5320.  5816;   3101  hat  C:  bi^canst  merumcan  sidon,  M  canst 

Somit  rät  uns  alles  dazu,  für  das  alts.  so  gut  wie  für  das  got. 
die  anfange  jener  bedeutungsabschwächung  abzulehnen,  welche  im  laufe 
der  zeit  können  ziun  verbum  auxiliare,  zum  kraftlosen  hülfezeitwort 
hat  herabsinken  lassen. 

§  3.    KSiiueii  im  althochdentseheu. 

Bevor  wir  zur  darstellung  der  bedeutung  und  der  syntax  von  kan 
im  ahd.  übergehen,  müssen  wir  des  umstandes  gedenken,  dass  kan  in 
den  früh -ahd.  denkmälern  in  geradezu  auffallender  weise  zurücktritt. 
Otfrid  hat  nur  5  beispiele  für  kan;  bei  Tatian  und  Isidor,  in  den  fragm. 
theot,  der  B.-R.,  den  Murb.  hymnen  wird  man  vergebens  nach  einer 
form  von  können  suchen  (chunnemes:  Isid.  XVIIIb,  10  und  chunnet: 
fragm.  theot  XVII,  12  gehören  zu  dem  schwachen  verbum  kunnen: 
vgl.  Ahd.  gl.  I,  128,  13;  Notker,  Mcp.  79527;  Graff  IV,  411;  Mhd. 
wb.  I,  810^;  Bezzenberger  zu  Frid.  109,  2).  Es  ist  uns  möglich, 
melu*ere  stellen  in  Tatians  evangelienharmonie  mit  den  entsprechenden 
Worten  der  got.  bibel  zu  vergleichen  und  hierbei  ergibt  sich,  dass  da, 
wo  das  got.  formen  von  kunnan  hat,  Tatian  uuixxan,  fnrstantan  und 
ähnliches  sezt:  z.  b.  Mtth.  7,  23  patci  fii  hanhun  kunpa  ixuis  == 
Tat.  42,  3  bithiu  uuanta  ih  nio  in  altere  iuuih  uuesta;  Mtth.  26,  72 
kann  =  Tat.  188,  3  uueix;  Mtth.  27,  65  kunnup  =  Tat.  215,  4  uuixxit; 


'■  Jrth.  li.  1.»  ht,>»tu-h  -  Tat.  ><i.  •«  h-hvfn:  .[..h.  IT-,  l>  kttnuäp  -  T; 

;  Ib'.t.i  M»i:JI;  .J.;.li.  17.  i-l^aA  A«h*.i  -  Tat.  ITl'.  J  infi  forslanle  iif 

t  I^'i'i'-r  liU-t  si<-li   ilas   il'.-i-'li*?  v-rialmn  auf  i>iil"r  nwX  «iit.-  aiitl 

I  n-n   ■■l".-ii   ;:"nanMi   fI>.-nkiiiiil>F  »i-ht   ar.w.-f.'i-.-r..     lu  Tariaii:-  u'urlsi'liii 

:  s>lih-iiit  ab'>r  kau  ;rvlV-li!t  zu  haU-n.     B-i  N"ik-r  tin>i»-n  wir  lam  liäiil 

!i:>-braiU'lit.     Auf  itiii  niii^s-n  wir  iiiitJ  l".i   ü-.tii  v-n-u-L-,-,   aii>  ilt-r  all 
üh.iTs-.'tzunL'slitt-ranir  ili-  lit-<i-iittiD::  v.,.n  '>.»"  zu  vrniin'^ln.  iK'si'hriinke 
hierbei  iliitli-n  «ir  ah>r  Di.ht  v.>r::».->-^-n ,  Jasü  >"-ik»r  «^s  liobt,  in  fr*.'i 
I  wvis-    ili"    ahti.  sprarli'.-   d«-ni    lat,    .■ri-iu:il    :?-:?:  luih^r   zu   ;^-stalten  lll 

I  iias.<  er  ik>hall'  iii-lil  iiiini>T  j-ii-   ir»u--   iil-n- tzunj  l'i-u-t,    wiMh- 

I  uns  "liiiv  wiii.n-5  »iiii.'di'-fit.   •Um   miiti   v\a-<  aliJ.  \\"n'<   iliiMi   di 

vcrjrliii'li  iiii!  'V\\\  lai.  "riL'inal  I\.->t2ii-!'  li-  ii. 

Ain'h  ili>'  i:l'ss>n  iit-wähnii  uii-:  nur  i:^nii:?f  ausWuK-:  würtfr  w 
jsi/h.  (/!(//(.«.■.(  H.  it^I.  »inj  in  il-n  iii'-ist-ii  f^I^n  i"  v^iständliob.  d« 
sie  vin'^r  i:l"^-:i'nms  ni-Jit  b'-iiirf'.n.  K-  jV.L-ii  un>  Qiir  3  ;:l'i>.*en  i 
j^-Iji.i.'.  mit  ,l.i>ii  Imlf.'  wir  di-.-  Kd-muii;:  d--  a.hd.  i«»«  oniiiitvlu  kö 
ncn:  Aiv  in-i.-  [Kira]t)ir.L<i<  mtir.  •hnnft  hf  —  ■/'"-/  tJ»/  «/;».<  vrftrn 
(M':iD*e.T  irl.  ('■■i  IVz  1.  :i:;Oi  inu:i.-  v..rlaiirfj  a-is-r  a.;ht  bl-iben. 

E>ir  j:!i>ssap'  d«T  korv>nisi.h-iirabjLi*''livn  >i[ii*"  —  wie  :?iviuim'y 
sie  iiout  —  habi'«  lAhd.  jrl.  1.  -17'i  i-:-fU  '-  Ä>'».  JIA'Ih.-  eine  glos 
bt'i  IVz  1,  ;{7l  lautti:  hm  f-uoh  -j.v«(«/.i.v  .>f  UtUrn.-^:  i-iiie  plw 
zu  ^i^J  li..niil.  in  cvan;:.  1.  (l  iMii:tw  lAWl  j.  lOy-'Al  --  Ahd.  j 
II.  27ti '=  sizt  zu  dtm  lai.  't-hi'-n- r-  ■,■■11  fiffui-  :  Hhii'mavh 
Inli  iti'/i'tn:  üi-  di-  handM-hrift-ii  !■  ui.ii  r;  •li-hmi  l  'ntniinth  i 
t's  Iiand.Ii  si.'li  um  oim-  i,Tisti:;.'  mti|:k-:t  ■.t.U-i-t..,:i:  •k^lialb  koi 
zn  iifttnuh  si'tir  «nl  dto  variain-  -»'in  liin.Mii:i-lui:t  w.:rd.-n  yul-inii 
fjuii  nur  n-nh  iHtV,  IV,  :>1.  ;i;ti.  Auf  di"  l-il-jutun;:  hm  ■—  mm  \i 
sin  lins  aui'h  t'.'UTmio  ;:K'n^.«  f>li:it.-x<.n:  I.  :','Ö-'  .-■/'»'/(«  —  *■«, 
."//■/d:   I.  74^''    /■■'/(««  /«  xt-fiiituiis  -     ift'in.-ti-i-r:    II.   1>5  "  rWf* 

Zu  d>>n  ani;cfuliilini  srloss-'n  tritt  lin  v,  rs  li*^  M:Sll  <il  iuitin.>ic 
tin  Oarm-'n  ;nl  IV-um  (viTfa>s[  S"Oi:  /t!"-  ^"'.-v>  t'r->it  m.xit}  -  p 
ttfim  filljn  .s.w.  »7(  ,lftf.  Hi.'  ir'.ti.  ln'  b.-.i.u;iiiij  >wisä-_-n-.  .vcreti'lic: 
b.'p%'n>>t  uiH  «Ulli  n.vh  durch«!-:;  l'.i  N'rkvr.  Einii.-- d-r  wit-hlipit 
sti'ilni  soiiMi  hitT  hor:iuSi.vli.d'ini;  Mi']».  7iM  ■':  'h'.i"<t  -  .«-*>,■  d 
i!'l  ■"   'Imii  »(»(•/*,■     717-'    f<'i>j)"'.,v.;    %..<     n.;ii,.'„f,     —    impiii 

.iri>il  (■.■.».■  u<w.  Mi']v  7i*"« '■■'  vni.-.jinvhr»  >:oli  .i.in'fiH  «V  vhtiiin 
l-fhftimii  sih  ^.l'-it  im-l  ./»v  nilh--;  >  -■'■.  .,.f.,:?.  Mit  dvroselb 
sinn  für  d;(s  rii-liti^v.  mit  Aem  Nutk-r  P-ith.  34:»-'  ri.«  iiilitm'iian 
durv'li    i'im*  wt-nduiit:    mit  iliunntii    widonrab.    mit  tfbcu  dem  fein' 


KÖNNEN   UND   MÖGEN   IM   ALTD.  11 

sprachgefiihl  hat  or  an  unserer  stelle  dem  lat.  vaUierc  keine  form  von 
magan  gegenübergestelt,  sondern,  da  noscere  =  bec/iennen  folgt,  durch- 
aus richtig  chmnthi  dafür  gesezt     ^ 

Für  das  ahd.  bleibt  also  wie  für  das  got.  und  alts.  bestehen,  dass 
kunuau  der  sphäre  des  intellektuellen  gescheheus  angehört,  dass  es 
„wissen",  „verstehen"  u.  dgl.  bedeutet  Eine  durchmusterung  der  syn- 
taktischen fügungen,  in  denen  uns  kunnan  begegnet,  wird  dieses  resul- 
tiit  noch  weiter  bestätigen. 

I.     Der  absolute  gebrauch  von  kau 

ist  im  ahd.  nicht  mehr  zu  belegen;  da,  wo  laut  scheinbar  selbständig 
steht,  ist  ein  intinitiv  aus  den  umgebenden  Satzgliedern  zu  ergänzen: 
so  MiSD  Gl,  8  pctöno  inltjii  soso  ih  c/utn  (seil.  pitteu)\  MSD  4,  2,  5 
ihü  biyuokn  Uuodan  so  he  uuola  comla  (seil,  bigalun;  die  formel  sös 
er  uuola  coudu  findet  sich  auch  Otfr.  I,  27,  31;  vgl.  MSD  s.  276). 
Mitunter  weist  ein  ix  auf  den  zu  entlehnenden  intinitiv  hin:  Otfr.  I,  2, 
42:  in  thiu  l/iaz  ih  ix  kunni  (seil,  thionon). 

U.    kau  mit  objectsaccusativ 

liegt  vor  bei  Otfr.  III,  16.  7:  uuio  er  ihio  buah  konsti  (=  Joh.  7,  15 
yQcqufAara  oldev,  got  haitra  sa  bokos  kanu)^  vgl.  die  glosse  Pez.  I,  371: 
kan  buoh  =-  asscculus  est  lifteras.  Der  accusativ  nach  kan  findet  sich 
weiter  in  der  glosse  Pez  I,  320:  uuax  chunnot  ir  =  quod  est  opus 
vestrmn?  Notker  Categ.  434^:  er  man  sie  (artes)  ehojidi;  4342« 
tia  (fiffuras  geometricates)  nimnan  necJian;  Mcp.  717 1^:  anima  ne- 
choiidi  nieht;  791^:  uiiaiidn  ouh  til  phihlogia  musicam  chanst; 
Boeth.  111^^:  alle  die  aslrono7niam  chmmeu.  Die  bedeutung  „wis- 
sen", „verstehen"  tritt  in  den  angeführten  beispielen  besonders  deut- 
lich her>'or. 

III    kan  mit  infinitiv. 

Nichts  führt  in  den  —  relativ  —  zahlreichen  stellen,  die  wir 
hierfür  beibringen  können,  über  die  ursprüngliche  bedeutimg  von  kun- 
nen  hinaus.  Es  zeigt  sich  dies  darin,  dass  die  Infinitive,  welche  zu 
kan  gesezt  werden,  demselben  vorstellungskreise  entstammen,  dem  kön- 
nen selbst  angehört:  sie  beziehen  sich  durchweg  auf  eine  handlung, 
welche  entweder  selbst  eine  denktätigkeit  bezeichnet  oder  eine  solche 
zur  notwendigen  Voraussetzung  hat;  so  ist  der  infinitiv  durch  ein  ideel- 
les band,  durch  verwantschaft  des  inhalts,  aufs  engste  mit  kan  verknüpft 
Können  wird  ahd.  stets  von  personen  ausgesagt,  auch  darin  zeigt  es 
sich,  dass  die  ursprüngliche  bedeutung  „wissen",  „verstehen"  noch 
nicht  aufgegeben  ist.     Die  personiflcationen ,  welche  sich  namentlich  bei 


12  KAHL 

Xotker  finden  (z.  b.  Mcp.  791 M  können  hiergegen  nicht  geltend  ge 
macht  werden.  Niemals  findet  sieh  ahd.  kan  mit  dem  unpersönliche) 
Subjekte  ex,  ii  verbunden.  . 

Es  folge  die  aufzählung  einiger  infinitivconstructionen.  Sehr  häufij 
VK';r<-gnet  uns  die  Verbindung  chaH  beehenucn,  miUxen,  fernemcn 
z.  b.  Xotker  Mop.  798^^  chunnhi  UchcHHcn  sih  selben;  809*;  698- 
fj4'sinnf:n  chunne:  Categ.  715-^  (hau  uuiweu;  Ps.  118,  127  nechun 
den  ....  irf'hcunf'tt:  (cod.  St.  Gall.  hat  nechonden  —  irchiesen) 
Ps.  91,  6  )iechuunen  hcehettnen:  vgl.  weiter  Boeth.  335^*;  347 -^ 
Otfr.  I,  1,  120;  ilSD  83,  69  f/ic/natna  .  .  bidcnrhan  usf.  Nicht  aus 
sdiliejislich  auf  intellektuelle  tätigkeit  bezogen  sind  folgende  infinitivc 
bimidan  Otfr.  IV,  5.  10;  da\  rcth  uurchen  MSD  86  B  1,  24;  ginto 
ijcn  MSD  91,  231;  Notker  Boeth.  15^®  (jeaniuurten ;  47*^  gesagcn 
65*-  =-"•;  139  22:  xc  gote  ..  fuuden;  Ps.  34,  11;  49,  19;  Mcp.  791»* 
Categ.  434-'^  usw.  In  allen  diesen  beispielen  darf  aber  die  Übersetzung 
J\r\\  weiss*,  «ich  vei-stehc^,  „zu  tun*^  mit  vollem  fug  aufrecht  erhalte 
werden;  nichts  nötigt  uns,  die  verblassung  von  kuttnan  schon  für  da 
ahd.  anzunehmen. 

Überblicken  wir  noch  einmal  die  in  diesem  abschnitt  geführt 
Untersuchung,  so  ergibt  sich,  dass  ahd.  hafi  in  bedeutung  und  syntat 
tischer  anwendung  vom  got.  und  alts.  ktuntmi  sich  höchstens  dadurc 
unterscheidet,  dass  die  infinitivconstructionen  nach  kan  in  grösserer 
umfange  auftreten  als  im  alti?.  oder  gar  im  got,  für  welches  diese  syu 
taktische  ausdrucksform  nicht  nachweisbar  war.  Da  wir  aber  zeige 
konten.  dass  «las  ausbleiben  des  infinitivs  nach  got  kann  auf  einer 
Zufall  beruht,  dass  es  dem  griechischen  (»riginal  weit  eher  zur  last  z 
l<*gr-n  ist  als  der  gotischen  Übersetzung,  so  dürfen  wir  in  dem  umstand« 
«lass  das  ahd.  den  adverbialen  infinitiv  bei  kan  in  relativ  grosser  auj^ 
«h'linung  kent,  nndi  keine  abschwächung  von  können  zum  verbur 
auxiliare  erblicken,  zumal  jene  infinitive  so  gewählt  sind,  dass  sie  m 
dem  inlialte  von  können  sich  wo  nicht  ganz  decken  (bcchennen,  unii 
Arn  usw.)  so  «loch  aufs  engste  berühren  (gc.sagen,  geantuurtcii  u.  dgl. 
Aneh  im  ah«I.  ist  also  von  einer  al)nahme  der  altererbten  intellektuelle 
kraft  des  begrifsv^-rbunis  können  nichts  zu  spüren:  die  ersten  vurbote 
j«.'ner  verwitt«*rung  tauchen  in  den  frühesten  denkmälem  des  mhd.  auf 

§  4.    KSuiieii  Im  mlttelhochdcnt^ehen. 

Bevor  wir  zur  darstellung  der  syntaktischen  Verhältnisse  von  kön 
n<*n  im  sprachgebraucho  d(*s  mhd.  übergehen,  empfiehlt  es  sich,  folgend 
betrachtung  algemeinerer  art  vorauszuschicken. 


KÖNNEN   UND  MÖGEN  IM  ALTD.  13 

Nach  der  jezt  vorhersehenden  ansieht  haben  wir  in  dem  inflnitiv 
den  erstarten  casus  eines  Verbalsubstantivs  zu  erblicken  und  zwar  einen 
dativ,  der  das  ziel  oder  die  richtung  einer  bewegung  ausdrückt  (etwa 
=  ad.  c.  ger.;  die  näheren  belege  s.  bei  v.  Monsterberg,  der  infinitiv 
in  den  epen  Hartmanns  von  Aue  s.  59). 

Der  infinitiv,  der  zu  können  hinzugefügt  wird,  hat  die  aufgäbe, 
dem  wissen  oder  verstehen,  welches  durch  können  nur  algemein  bezeich- 
net ist,  die  richtung  auf  ein  bestimtes  ziel  anzuweisen,  chanst  du 
mir  gesagen  (Notker  Boeth.  47  20)  heisst  nicht:  kennst  du  das  sagen, 
yiyydKTxeig  tö  liyeiv,  sondern  bist  du  wissend,  intellektuell  befähigt  in 
bezug  auf  das  sagen,  etwa  =  sdeiis  ad  dicendum.  Mit  dieser  anschau- 
ung  verflicht  sich  das  bewusstsein,  dass  der,  welcher  so  spricht,  eben 
durcli  sein  wissen  und  seine  kentnisse  die  mittel  besizt,  deren  er  zur 
erreichxing  jenes  Zieles  bedarf,  das  in  dem  infinitive  gesagen  ausgedrückt 
ist  Diese  mittel  sind  bei  dem  ursprünglichen  verbum  können  intel- 
lektueller natur. 

Es  hat,  so  lange  die  alte  bedeutung  von  können  noch  besteht, 
nur  dann  einen  sinn  mit  können  einen  infinitiv  zu  verbinden,  wenn 
erstens  der,  von  dem  das  können  ausgesagt  wird,  eine  person  oder  eine 
als  person  gefühlte  sache  ist:  denn  es  wäre  gegen  den  geist  der  spräche, 
die  sich  noch  des  ungeschmälerten  besitzes  des  begrifsverbums  können 
erfreut,  wenn  man  einer  sache  ein  wissen,  ein  verstehen  zuschreiben 
wolte.  Der  infinitiv  kann  zu  jenem  kan,  welches  „ich  weiss'',  „ich 
verstehe"  bedeutet,  zweitens  nur  dann  liinzutreten,  wenn  das  ziel,  auf 
welches  das  können  sich  richtet,  auch  wirklich  auf  intellektuellem  woge 
erreichbar  ist:  denn  nur  in  diesem  falle  befähigt  das  wissen  zur  errei- 
chung  des  Zieles.  Für  das  alts.  und  ahd.  treffen  diese  beiden  Voraus- 
setzungen noch  stets  ein;  einereeits  wird  kan  nur  persönlich  gebraucht, 
anderseits  gehen  die  infinitive,  welche  zu  ka7i  hinzutreten,  aus  dem 
bereiche  solcher  handlungen,  welche  durch  Veranstaltungen  geistiger  art 
verwirklicht  werden,  nicht  heraus. 

Im  mhd.  werden  diese  bedingungen  jedoch  nicht  immer  und  über- 
all erfült  Wir  finden  können  mit  sachlichem  Subjekte  oder  auch  ganz 
unpersönlich  gebraucht;  der  infinitiv,  der  dem  können  den  weg  weisen 
soll,  erstreckt  sich  oft  auf  handlungen,  über  welche  das  wissen  und  ver- 
stehen kein  anrocht  mehr  hat,  deren  Zustandekommen  oft  geradezu  von 
körperlichen  mittein  abhängt  Die  benifung  auf  die  ursprüngliche 
bedeutung  von  können  genügt  in  diesem  falle  nicht  mehr.  Das  intel- 
lektaelle  moment,  das  dem  alten  kayi  so  charakteristisch  zueignet,  wird 
bei  dieBen  gebraucbsweisen  kaum  mehr  gefühlt     Es  bleibt  nur  noch 


14  KAUL 

der  aiisdruck  der  befiihigung  zu  einer  tätigkeit,  ohne  dass  die  geistige 
voraussetyamg  jenes  fiiliigseins  noch  hervortritt;  mit  andeien  Worten: 
die  sp(»zielle  bedeutung  „durch  wissen  befähigt  sein"  wird  durch  die 
algcMneinere  „überhaupt  befähigt  sein''  verdrängt.  Vom  Standpunkte 
der  nhd.  spräche  aus  nehmen  wir  keinen  anstoss  daran,  können  im 
sinne  des  algemeinen  möglichmachens  zu  gebrauclien.  Wir  sagen:  „ich 
kann  lesen,  „lateinisch  sprechen"  usw.;  aber  auch:  „ich  kann  noch  ge- 
sund werden",  d.  h.  es  besteht  für  mich  die  möglichkeit  zu  gesunden, 
oder  gar:  „ich  kann  dies  oder  jenes  gewicht  haben",  wo  an  eine  ver- 
niitlung  geistiger  art  zwischen  dem  Subjekte  und  dem  Objekte  gar  nicht 
mehr  gedacht  werden  darf. 

Man  vergass  also  im  laufe  der  zeiten,  dass  können  auf  dem  besitze 
geistiger  kräfte  ruht,  die  das  könnende  Subjekt  zur  erreiclumg  irgend 
welchen  Zweckes  in  bewegung  sezt;  man  behielt  nur  die  algemeine 
voi-stellung  davon,  dass  der  könnende  überhaupt  die  fahigkeit  hat,  auf 
die  faktoren,  welche  eine  handlung  in  ihrer  entstehung  bedingen,  so 
einzuwirken,  dass  die  Überleitung  aus  der  blossen  möglichkeit  in  die 
Wirklichkeit  gewährleistet  ei*scheint  So  kam  es,  dass  man  können  in 
beziehung  zu  verben  sezte,  welche  der  sphäi'e  geistigen  geschehens,  der 
können  ursprünglich  ausschliesslich  angehörte,  fremd  gegenüberstehen. 
Der  begrifl'  der  möglichkeit,  nicht  mehr  das  band  intellektueller  fahig- 
keit, verknüpft  jezt  kan  mit  seinem  infiuitive.  Es  war  nur  eine  etappe 
auf  diesem  wege,  wenn  man  sich  schliesslich  nicht  mein*  scheute,  durch 
den  zu  hau  gesezten  infinitiv  auch  solche  handlungen  andeuten  zu  las- 
sen, welche  von  der  ausübung  körperlicher  tiitigkeiten  abhängen  odoi 
durch  die  constellation  äusserer  umstände  bedingt  sind,  über  welche 
uns  die  macht  entzogen  ist 

Aus  dieser  betrachtung  ergeben  sich  die  kriterien,  aus  denen  wir 
erkennen,  ob  wir  es  mit  einem  reinen,  ui*sprünglichen,  oder  mit  einem 
abgeblassten  können  zu  tun  haben.  Wii*  sagten  eben,  dass  die  Ver- 
witterung der  verbalen  kraft  von  können  solche  iufinitive  in  die  nähe 
von  könn(*n  führte,  welche  mit  intellektueller  tätigkeit  nur  an  sein 
wenigc^n  punkten  sich  berühren.  Wir  schliessen  nun  rückwärts:  wenn 
der  infinitiv  nach  Ican  eine  handlung  bezeichnet,  die  zu  ihrer  verwirt 
li(;hung  geistiger  beihülfe  nicht  bedarf,  wenn  das  band  der  inhaltsver- 
wantschaft  zwischen  kan  und  seinem  infiiütive  gelöst  ist,  so  ist  uns 
dies  ein  anzeichen  dafür,  dass  kmt  nicht  heisst:  ich  verstehe  mich  aul 
etwas,  ich  bin  geistig  befähigt  in  der  und  der  richtung  tätig  zu  sein, 
sondern  ganz  algemein:  für  mich  besteht  die  möglichkeit,  dass  diese 
oder  jene  faktoi*en  so  zusammenwirken,   dass  ihnen  die  geplante  band- 


KÖNNEN  UND  MÖGEN  IM  ALTD.  15 

lung  entspriDgen  kann.  Auf  der  anderen  seite  können  wir  folgende 
betrachtung  anstellen:  dem  alten  können  komt  naturgemäss  nur  ein 
persönliches  Subjekt  zu;  es  widerstrebt  dem  Sprachgefühle  von  einem 
dinge  ein  können  im  sinne  des  wissens  auszusagen.  So  finden  wir 
auch  im  goi,  ahd.  und  alts.  können  nur  persönlich  gebraucht  Seit 
dem  XII.  Jahrhundert  begint  sich  liier  ein  wandel  zu  volziehen.  Die 
spräche  trägt  kein  bedenken  mehr,  auch  nicht-menschliche  Subjekte  zu 
trägem  eines  könnens  zu  erheben.  Wir  werden  weiter  unten  einige 
Zwischenstufen  aufzeigen,  welche  von  dem  persönlichen  gebrauche  zu 
dem  sächlichen  hinüberführen.  Zulezt  hat  man  die  alte  kraft  von  kön- 
nen so  sehr  vergessen,  dass  man  sogar  ein  ex,  das  inhaltloseste  und 
schwächste  aller  grammatischen  Subjekte,  für  stark  genug  hielt,  einem 
können  als  stütze  zu  dienen. 

Das  sind  die  kriterien,  die  uns  bei  der  aufführung  der  belege  für 
jenes  abgeschwächte  können  zu  leiten  haben  werden:  einmal  der  ver- 
änderte Charakter  der  infinitive,  die  zu  kan  in  abhängigkeit  treten; 
sodann  die  Verknüpfung  von  kan  mit  sächlichen  und  unpersönlichen 
Subjekten. 

Bei  den  bisherigen  Untersuchungen  sind  wir  von  der  feststellung 
der  bedeutung  ausgegangen,  um  auf  diesem  wege  eine  sichere  grmid- 
lage  für  das  Verständnis  der.  syntaktischen  construktionen  zu  gewinnen. 
Pur  das  mhd.  wird  diese  Voruntersuchung  kaum  nötig  sein,  da  kan  im 
ahd.  noch  die  rein  intellektuelle  bedeutung  „wissen",  „verstehen"  durch- 
weg bewahrt  hat  Wir  dürfen  getrost  annehmen,  dass  diese  bedeutung 
zunächst  auch  in  das  mhd.  übergegangen  ist.  Der  volständigkeit  hal- 
ber soll  hier  nur  auf  einige  glossen  verwiesen  werden,  die  zur  bestä- 
tigung  dieser  annähme  dienen  können.  Die  ausbeute,  welche  uns  die 
mhd.  glossare  gewähren,  ist  freilich  sehr  gering.  Man  wird  die  mei- 
sten der  erhaltenen  mhd.  glossare  und  vocabulare  (Mone,  Quellen  I, 
273.  300;  Mone,  Anz.  f.  k.  d.  d.  vorz.  IE,  47.  IV,  81.  93.  231.  489. 
V,  84.  229.  VI,  210.  337.  435.  VH,  194.  297.  VEH,  93.  247.  489. 
H.  Hoffmann,  Sumerlaten.  Mhd.  glossen  1834,  W.  Wackernagel, 
Vocab.  optimus.  1847,  zusammen  mit  mehreren  nur  handschriftlich 
erhaltenen  vocabularien  und  ersten  drucken  benuzt  von  Diefenbach, 
Gloss.  lat-germ.  med.  et  inf.  lat:  Suppl.  zu  Ducange)  vergebens  nach 
einer  form  von  können  durchsuchen.  Der  vocabular  des  Niger  Abbas 
(ed.  M.  Flohr,  Strassb.  stud.  III,  1)  bietet  n.  4372/73  s.  74:  scienda 
kunst;  scientificus  künstiger;  aus  Mainzer  Voc.  bringt  Diefenbach  s.  518 
sciens  kunstich,  scientificus  kunstwiser^:  wir  dürfen  daraus  rück- 
schliessend  kunnefi  =  sdre  festsetzen;  auf  die  gleiche  bedeutung  führt 


16 

uns  die  bezeichnende  stelle:  Gudr.  286,  1  uir  Launen z  niht  beschei- 
den  noch  icissenx  nihi  ze  sagen. 

Im  mhd.  hat  also  die  alte  bedeotung  knnnen  =  seire  noch  be- 
standen: dass  dieselbe  aber  mannigfeche  abschwächongen  eriitten  hat, 
wird  die  folgende  Untersuchung  zeigen. 

Wir  wenden  uns  nunmehr  der  erurterung  des  syntaktischen  ge- 
brauchs  von  können  im  mhd.  zu. 

I.     Absoluter  gebrauch  des  mhd.  han. 

Im  Mhd.  wb.  I,  S05b  ist  mit  recht  bemerkt,  dass  ein  absolutes 
kan  aus  dem  mhd.  nicht  belegbar  ist,  dass  an  allen  den  stellen,  an 
denen  kan  scheinbar  selbständig  steht,  ein  Substantiv  oder  ein  infinitiv 
zu  ergänzen  ist  Dortselbst  ist  eine  anzahl  solcher  scheinbar  absoluter 
kan  besprochen,  die  durch  die  annähme  einer  ellipse  sieh  ohne  mühe 
erklären  lassen:  Iw.  7684;  Wig.  34;  Gotfr.  Trist  90  2- ;  pf.  Konr. 
117  2*  usw.  Es  wäre  ein  leichtes,  das  hier  gebotene  Stellenmaterial 
noch  beliebig  zu  vermehren,  da  fast  jeder  mhd.  schriftsteiler  von  der 
auslassung  des  inf.  oder  subst  nach  können  gebrauch  gemacht  hat 
Doch  verzichte  ich  darauf,  noch  näher  auf  diese  leicht  verständliche  art 
der  ellipse  einzugehen  und  weitere  bel^e,  die  mir  reichlich  zu  geböte 
stehen,  herbeizuschaffen.  Nur  auf  eine  gattung  dieser  ellipse  möchte 
ich  hier  noch  kurz  aufmerksam  machen.  Bei  mögen  tritt  die  auslas- 
sung des  Infinitivs  öfters  dann  ein,  wenn  der  unterdrückte  infinitiv  eine 
bewegung  bezeichnet:  es  genügt  hier  die  blosse  angäbe  der  richtung, 
welche  die  bewegung  nehmen  soll,  dureh  ein  ortsadverb  oder  dgl.,  z.  b. 
Nib.  576,  2  tcess  ich,  irar  ich  mchte:  Gudr.  734,  4  dax  si  nindert 
mngeu  xuo  den  sträien.  Bei  knunen  dagegen  findet  sich  diese  ellipse 
weit  seltener;  sie  liegt  vor  z.  b.  in  Gudr.  1124,  2  so  si  aller  besle 
dan  mit  ir  sehe  ff en  kiinden;  G.  Trist  465^  ine  kan  iceder  dar 
noch  dan, 

n.     kan  mit  substantivischem  objecte. 

a)    im  accusativ. 

Der  aufzählung  der  beispiele,  welche  diesmal  in  grösserer  volstän- 
digkeit  als  sonst  erfolgen  soll,   will  ich  die  bemerkung  vorausschicken, 

1)  Was  mit  der  iid.  plosse  fwscere  hekytmen  (Mono  Quollen  1,  307)  anzu- 
fangen Ist,  weiss  ich  nicht;  Schiüer-Lübbon  Mud.  wb.  I,  209  Wiegen  nur  beken- 
nen; zudem  wäre  können  y  nicht  kynnen  nd. 


KÖNNEN  UND  MÖGEN  Df  ALTD.  1? 

dass  der  gebrauch   des  objektsaccusativs  nach  kunnen  gegen  das  ende 
der  mhd.  zeit   in   deutlich   wahrnehmbarer   abnähme   begriffen   ist:    es 
hängt  dies  damit  zusammen,  dass  lunnen  überhaupt  im  mhd.  eine  ste- 
tig zunehmende  abschwächung  erfahrt.     Bei  den  höfischen  dichtem  des 
XIÜ.  Jahrhunderts  findet  sich  jener  gebrauch  noch  in  ziemlicher  aus-  * 
dehnung:  bei  Gotfried  habe  ich  z.  b.  40  hierher  gehörige  fälle  gezählt; 
im  vülksepos   tritt   die   construction   zurück.     Gudrun   hat  sie  10  mal, 
Nib.  gar  nur  Imal  (254,  1);   Konrad  v.  W.  bietet  in  mehreren  seiner 
werke  keinen  beleg,  so  im  Alex,  und  in  der  Gold,  schm.,  im  Engelh. 
nur  3;   Xicol.  v.  Jeroschin  und  Boner  verwenden  kan  in  der  erwähn- 
tei  weise  auch  nur  je  Imal.     Über  die  spärlichen  reste  des  accusativs 
Mch  können   im   nhd.   handelt  Hildebrand  im  D.  wb.  V,  1725.     An 
ibigenden  stellen  ist  mir  objektsacc.  nach  mhd.  kan  begegnet: 

MSD  30,  75  sie  kumien  alle  liste;  31,  6  tvant  st  diu  bnoch  chun- 
den;  37,  2,  5  sich  suer  dir  icht  ebresckin  kan;  96, 19  chaji  er  des 
heiligen  glouben  nihL 

Will.  58,  16  sacramenta  scripiuramm;    118,  5  discreiionem  odoris 

et  foetoris. 
Gen.  102  ^^  list 
Roth.  1029  rede. 

Hpts.  Hl.  5,  7  vil  ist  des  ivir  kunnin. 
Heinr.  v.  M.     Pr.  66   geinüi7iex   biivort;    453   ex   (sc.  gotcs  tcort); 

544  vil  der  buoche, 

il.  F.  22^®  der  (witxe  unde  sinn)  niht  enkan;  33^*  der  besten  mdxe 
niet;  1012»  maxe;  132"  uax;  138 ^^  so  vil;  im^^aldax;  180  32. 
192  2'  dax.;    1943^  rät;    207»  des  ich  niene  kan. 

Kneit.  1518  rat;  1803  tvech;  2281  wonders  vele;  4559  trech;  6394 
et;  6568  dat;  8790  et;  9408  list;  9746  rede;  10229.  10232  et; 
11241  liste;  11392  geivonne. 

^artmaun  Iw.  5318  riterschaft;  6201  dax;  7301  süexes;  Er.  5188 
xoubers  kraft;  7368  dingcs  ahte;  8748  list;  Greg.  954  rede;  1407 
huoche;  1409  mere. 

>Vülfram.  Parz.  55,  19  franxoys;  85,  18  wälhisch  spräche;  96,  30 
sUch;  104,  26  dax;  115,  27  bnochstap;  147,  28  vil;  193,  9  des 
—  niht;  439,21  icidersax;  490,30  ivax  Wunders;  641,  28  xtiht; 
796,  16  künste.  Wilh.  90,  3  tröst;  94,  26  niht  bcxxers  rätes; 
110,  4  spil;  192,  12  spräche;  233,  6  liste;  237,  6  franxeijs; 
278,  18  dienest;  295,  27  uenie;  408,  14  krte.  1.  7,  13  niuivex 
singen. 

%£ITSCURIFT   F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.    BD.    XXII.  2 


18  KAHL 

Gotfr.  Trist.  27 ^  xouberlist;  55^  hovespil;  57^^  scMchxahelspü; 
58^  list;  6811  guotes;  6922  walMige;  79  28  da^;  90  ^^  ift/cs  iht; 
90  21  it;eiAcr  Aa7^(fe;  93  i^  seitspil;  93  2»  es;  94  *  seii^pü;  94  i«^ 
vrcmeder  zungeti  iht;  94^^  fo/e;  95^  a/fe^,*  95^2  ,<jpi/^-  99^"^ 
kunst;  108^'^  v^uoge;  120'^'^  ambet;  121^^  dorne;  122^^  dax; 
1231®  dax;  17537  /^./.  19037  umnder;  191^  höfsckeit  und  vuoge; 
19426  Zis/  t^/i£2ß  kunst;  194^®  fremder  spräche  vil;  197  1®  des  — 
!>//;  1992  seitspil;  201  ^^  da;t-;  201^7  t;wo(/e;  201  »^  sprdclie;  202* 
t^o^e;  2151»  spräche;  219  25  lantspräche;  249  1«  sp//;  272  ^  w'a^ 
wimders;  273*®  Imitspräche ;  326^7  umnder;  404^7  /jj;^/,  —  lobg. 
31,  1  fces/e  —  rföx. 

Ulr.  Trist.  511 1^  /a^aWe;  553i*  list 

Wigal.  235  seitspil;  334  spräche;  561  e;;^;  1060  sträxe, 

Nib.  254,  1  erxcnte. 

Gudr.  4,  2  affes  des  genuoc;  51,  2  da^s:;  342,  2  ;:i2^A/;  358,  3  ez; 
359,  3  sivttnke;  374,  4  w^'se;  383,  4  stimme;  714,  1  eto;?; 
1056,  2  e;i. 

Walth.  1821  guotes;  43 1^  mäxe;  46  ^  «t'i^se;  48  ^^  «/;a.T,-  51 1®  :?:o2/- 
6er/  56^  list;  58  2«  tvunder;  73  2^  yj/^^  were;  73  2^  flüechc; 
103  3^  guotes;     115  2c   tvunder    rede;     116  ^    fuogc;     116  2»    /ä/ 

Frid.  8,  2  gehuben;  44,  6  untrimve;  57,  13  swax;  65,  19  &>/; 
66,  22  (70/es  ww/e;  70,  20  c?es  glauben  niht;  75,  5*^  fc/;  78,  16 
to//is/;  79,  11  Z/sZ;  80,  7  reffe;  115,  7  kunst 

Konr.  Engelh.  89  dix  alles;  756  schächxabel  unde  seit&nspil;  4073 
vil  umnders, 

Weinschw.  67  dax. 

Berthold  v.  ß.  38,  34  (Pf.  I)  schal  (vgl.  ßötteken  1.  1.  s.  118). 

Leyser  prod.  12,  29  dinch;  67,  24  scrift;  76,  40  bmch. 

» 

Bon  er  20,  4  kluogJieit 
Nie.  V.  Jer.  1,  304  dutsdiis. 
ßülmann  139,  13  sträxe. 

Das  Mhd.  wb.  I,  805b  und  Lexer,  Mhd.  liwb.  I,  1778  bieten 
noch  einige  weitere  beispiele  aus  Lanz;  MS;  Benner;  Wgast  usw.,  die 
nochmals  auszuschreiben  es  sich  nicht  der  mühe  verlohnt,  da  in  ihnen 
dieselben  substantiva  widerkehi-en,  die  wir  schon  beobachtet  haben 
(z.  b.  sträxe,  uege,  pnocfiCy  rät  u.  dgl.). 

Zum  schluss  sei  noch  darauf  hingewiesen,  dass  der  accusativ  bei 
kan  uns  können  noch  als  volkräftiges  begrifsverbum  zeigt 


KO.VNEN   UND   MÖGEN   IM   ALTD.  19 

b)   Substantivische  Objekte  durch  eine  pracposition  mit  Ican 

verknüpft. 

Bisher  haben  sich,  so  viel  ich  sehen  kann,  nur  zwei  forscher  auf 
dem  gebiete  der  mhd.  syntax  über  den  gebrauch  der  praepositionen 
nach  mhd.  kimnen  ausgesprochen:  J.  Grimm  und  Lucae.  J.  Grimm 
erklärt  Gr.  IV,  138  die  anwendung  der  praep.  aUy  xe,  mit  (andere  sind 
nicht  nachweisbar)  bei  kumien  in  folgender  weise:  „Man  darf  einen 
Infinitiv  supplieren,  der  ungefähr  das,  was  unser  nhd.  „umgehen",  aus- 
sagt; da  es  aber  mhd.  hiess:  mit  triuiren  varn  (Parz.  167,  29;  322,  21; 
mit  Worten  varn  Iw.  7685;  mit  ir  varn  Tw.  3960;  mit  saelden  varn 
Wig.  8634),  so  kann  ganz  gut  die  übliche  ollipse  von  „fahren"  bei- 
behalten werden."  Diese  erklärung  scheint  algemeine  billigung  gefun- 
den zu  haben  (vgl.  Martin  zu  Gudr.  285,  4);  sie  ist  auch  vom  mhd. 
wb.  adoptiert  worden.  Widei-spruch  gegen  sie  erhob  Lucae  (Über 
bedeutung  und  gebrauch  der  mhd.  verba  auxiliaria  s.  15),  der  die 
annähme  einer  verbalellipse  ablehnt,  weil  die  bedeutung  von  kiinnen 
„boscheid  wissen,  bekant  sein  mit"  die  Verwendung  der  praep.  nach 
hinnen  volkommen  genügend  erkläre;  ich  kan  mit  riterschaft  sei  zu 
übersetzen:  ich  weiss  bescheid  mit  ritterlichem  tnn.  —  Einen  eigent- 
lichen beweis  hat  Lucae  für  seine  ansieht  nicht  erbracht;  ich  möchte 
ihn  im  folgenden  antreten.  Zunächst  verweise  ich  nochmals  auf  das 
üben  besprochene  beispiel  Heliand  2531  can  te  githenkeamie ,  welches 
wir  mit  Steig  durch  die  Umschreibung:  „ich  habe  intellektuelle  kraft, 
gewalt  zu"  erklärten.  Sodann  sei  folgender  umstand  hervorgehoben: 
viele  der  substantiva,  welche  mit  an,  xe  oder  mit  an  kaii  angeschlos- 
sen werden,  lassen  sich  auch  in  der  form  des  objektsaccusativs  bei  Ican 
nachweisen;  das  nötigt  uns,  einen  Zusammenhang  zwischen  beiden  con- 
struktionen,  dem  objcktsaccusativ  und  der  praepositionellen  anknüpf ung, 
anzunehmen.  Ferner  finden  wir  mehrere  dieser  substantiva  mit  jeder 
der  nach  hnnnen  üblichen  praepositionen  verbunden.  Welten  wir  also 
mit  Grimm  eine  verbalellipse  annehmen,  so  müste  das  zu  ergänzende 
verbum  so  gewählt  sein,  dass  es  zu  an,  xe,  mit  passt:  für  varn  trift 
(las  nicht  zu;  welches  analogen  liesse  sich  beibringen  zu  varn  an  rtter- 
Schaft?  Auch  sonst  wird  sich  kaum  ein  verbum  finden,  Avelches  dem 
erwähnten  anspruche  voll  genügt. 

Es  wird  von  der  annähme  einer  verbalellipse  bei  kan  mit  praep. 
abzusehen  sein;  wir  haben  vielmehr  in  dem  gebrauch  der  praepositio- 
nen nach  kunnen  ein  anzeichen  für  eine  besonders  kräftige  bedeutung 
von  kunnen  zu  erblicken:  mhd.  kan  c.  praep.  berührt  sich  aufs  engste 
mit  alts.  can  te  githenkeanne.    Zu  vergleichen  ist  weiterliin  der  gebrauch 

2* 


der  praep.  nach  wixxeji  (Mhd.  wb.  III,  786'),  z.  b.  Walth.  41  ^^  tmsic 
ich  niht  umh  nngimmch;  Wolfr.  Pai'z.  532,  16  timb  solheu  kiimher  ich 
niht  weix;  vgl.  720,  5;  805,  11;  gr.  Bud.  C^  23  wixxen  mnnic  arbeit; 
auch  mit  findet  sich  so,  jedoch  nur  an  2  stellen:  G.  Trist.  21^^ 
jedoch  enwestcr  niht  hie  mite;  Flore  6211  Ckirts  meiste  niht  da  7nite 
(vgl.  Sommer  z.  st.);  ebenso  vo7i:  Parz.  3,  29  diu  aventiure  tat  iuch 
wixxen  beide  von  liehe  und  von  leide;  Albr.  39,  90  die  nitvan  von 
arbeit  wisten. 

Ich  teile  nunmehr  die  beispiele  von  kan  mit  praep.  mit,  und  zwar 
in  solcher  luiordnung,   dass  sie  zugleich    unsere  obigen   ausführungen 
unterstützen. 
rede    a)   im  objoktsacc:    Roth.  1029;    Frid.  80,  7;   Eneit  9746; 
Greg.  954.     b)  vorknüpft  durch  mit:    Flore  6634.      c)  verknüpft 
durch  xe:  Rrone  11854. 
ritersehaft  a)  acc,  Iw.  5318;  ülr.v. Licht  13*.     b)  ^wt7  Wolfr.Parz. 
66,  10.     152,  12  (ritters  fuore);  Wig.  8456.     g)  xe  Hartm.  Greg. 
1365;    Ottok.  152';  fastn.  424,  20.     d)  an  Eneit  9069. 
%uhi   a)  acc.  Wolfr.  Parz.  641,  28;    Gudr.  342,  2;    G.  Trist  191» 
(/Hifscheit) ,   h)mit  Wolfr.  Parz.  493, 18.  c)  ^c  Wgast  1274  (JiöfscheitJ . 
strft  a)  acc.  fehlt     b)  mit:  Wolfr.  Parz.  210,  22.    348,  24.    704,  6 
(tjost):    738,  23  (tjo^t);    Wilh.  78,  5.     mit  gejcgede  G.  Trist  3612. 
c)  xe  Loh.  1163   xe  tjoste;  Bit  647;  Ottok.  93 **  xe  urliuge, 
guot  a)  acc,  G. Trist  68";  Walth.  18*i.   103 3^;  Wgast  4796.   b)  mit 

fohlt    c)  .:  e  Wgast  3555.  4508. 
triuwe  a)  acc.  Frid.  44,  6  (uutriuwe) ;    b)  mit  M.  F.128'*^.     q)  xe 

Wgast  1588  .;r  staete. 
mit  juNcfrofcen  U.  Trist  504*^;   xu   rrouicenliebe  Heinr.  Trist. 

3720. 
list  c.  acc.  Walth.  56*^  u.  ö.;  mit  t^l^^hen  listen  g.  Gerh.  815. 
Die  übrigen  beispiele,  bei  denen  almliche  veixleiche  wie  bei  den 
bisher  angeführten  nicht  möglich  sind^   sind,   nach  den  praepositionen 
gei^nlnet: 

9nit:  Wolfr,  Parz.  2,  13  mit  schanxen:  62,  24  mit  armiiete:  114,  13 
mit  sänge:  317,25  mit  schailen:  Tit.  90, 3  mit  tmophat:  G.  Trist 
72^  damite:  78^  hie  mite:  385^*  mit  ihte:  Benecke  Beitr.  184  «= 
Ulr.  V.  Winterstetten  ed.  Minor  V,  17S:  mit  den  Unten:  Lamp. 
AleJL.  4223  <Äi  mite:  Konr,  Troj  6271  mit  gesi^hiitxe. 

xe:  Gudr.  285,4  xe  arlfcit  (vgl.  Martins  anm.)  997,1  dtjrxno:  Heinr. 

Trist  220ti  xno  schimpfe:  Wani,  1568  ;r  frfmtie$9. 
an:  Eneit  9069  an  riderskap. 


KÖNNEN   UND   MÖGEN   IM  ALTD.  21 

Die  anwendungen  des  mhd.  kfirmcn^  die  wir  bisher  besprochen 
liaben,  zeigen  uns  können  noch  durchweg  als  begrifsverbum  transitiven 
Charakters,  zu  welchem  substantiva  in  ein  abhängigkeitsverhältnis  tre- 
ten. Die  abschwächung  von  Iciumcii  zum  hülfsverbum  tritt  in  einer 
anderen  gebrauchssphäre  ein:  da,  wo  der  infinitiv  dem  können  ein 
bestimtes  ziel  in  einer  handlung  anweist,  zu  der  der  könnende  befä- 
higt erscheint.  Die  verminderte  rücksichtnahme  auf  den  ursprünglich 
rein  geistigen  Charakter  dieser  befahigung  hat,  wie  wir  oben  darlegten, 
dazu  geführt,  dass  können  seinen  eigentümlichen  Inhalt  immer  mehr 
verlor  und  den  besche^idenen  rest  seiner  verbalen  kraft  nur  noch  als 
verbum  auxiliaro  zur  geltung  brachte. 

in.     han  mit  dem  infinitiv. 

Wir  haben  bereits  oben  die  kriterien  besprochen,  die  uns  bei  der 
Unterscheidung  des  reinen  köimen  vom  abgeblassten  zu  leiten  haben: 
wir  müssen  auf  der  einen  seite  das  Verhältnis  berücksichtigen,  welches 
zwischen  können  und  dem  begriflichen  inhalte  des  adverbial  zu  ihm 
gesezten  infinitives  besteht,  imd  müssen  auf  der  anderen  seite  darauf 
achten,  ob  hmiten  von  einem  persönlichen  oder  unpei^sönlichen,  säch- 
lichen Subjekte  ausgesagt  wird. 

Überblicken  wir  nun  die  überreiche  fülle  der  beispielo  für  han 
c.  inf. ,  so  lässt  sich  diu*ch  mehrere  Zwischenstufen  hindurcli  ein  almäh- 
licher  Übergang  von  der  bedeutung  „wissen,  verstehen",  zum  ausdruck 
der  objectiven  möglichkeit  verfolgen.  Am  reinsten  tiitt  uns  können 
da  entgegen,  wo  der  infinitiv  bei  kau  derselben  begrifssphäre  entnom- 
men ist,  der  kunnen  ursprünglich  selbst  angehört  Eine  gelinde 
abschwächung  der  bedeutung  begegnet  uns  da,  wo  der  infinitiv  nicht 
mehr  ausschliesslich  dem  gebiete  geistiger  tätigkeit  entstamt,  wo  die 
handlung,  welche  durch  den  infinitiv  bezeichnet  wird,  zu  ihrem  Zu- 
standekommen der  intellektuellen  beihülfe  des  könnenden  zwar  nicht  ent- 
raten  kann,  daneben  aber  doch  noch  auch  anderer  faktoren  bedarf,  welche 
von  dem  geistigen  vermögen  des  könnenden  Subjektes  nur  indirekt 
abhängen.  Je  weiter  nun  diese  faktoren  sich  aus  dem  bereiche  dessen 
entfernen,  dem  das  können  einer  handlung  zugesprochen  wird,  um  so 
mehr  nähern  wir  uns  jenem  abgeschwächten  können,  welches  dem  aus- 
drucke objektiver  möglichkeit  dient 

Zur  erläuterung  des  gesagten  wollen  wir  hier  das  scliema  mittei- 
len, nach  dem  wir  weiter  unten  die  b(^ispiele  für  hmnen  c.  inf.  anzu- 
ordnen gedenken;  hieraus  wird  sich  sogleich  ergeben,  was  unter  jenen 


l.*2  EAHL 


faktimMi  zu  vorstellen  ist,  welche  im  laufe  der  zeit  mehr  und  mehr  aus 
dem  bejrrifsverhum  können  das  intellektuelle  m^ment  verdrängt  haben. 
1,   Köimen  bewahrt  wenipjtens  ziuu  grösseivn  teile  noeh  die  ursprün«:- 
liohe   betleutunir;    ^wissen *■,    »verstehen*.     IKt  infinitiv,   der  von 
können  abhän^is:  sremacht  wird,  bi-zeiehnet: 
li  eine  denktäti,:rkeit  selbst   '•y7.t/*m/*.  rcrs^t'itt,  u'iwfitl. 
2i  eine    hamilung,    welche   eine   deDktün;;ktit   zur   notwendigen 

vi^raussi'tzunj:  hat,     IMt-se  handiuns:  U-steht: 

»  k. 

ai    in  der  veräu>serliehung  und  v..rsin:iohunir  innerer,   gei- 

stiirer  vonräUiTC   tin.^'Ui*ti,  röUn,  ^urtrh^o. 
bi   sie  btTuht  auf  drm  timluss  der  iutelli-kniellen  kräfte  auf 
die    übricen    trivbkhin»-    d-.s   si-^lenlebens:    zum   zwtvkc 
einer  oinwirkuniT  auf  i^-tuhi  und  j^mür.  c^dt-r  zur  dauern- 
den   ce^^i»hnuni:  an   rine    K.^timtv  arr    d».-<   moralis*.*hen 
\  V rl  1  a  1 : V :  1  s     r>  -   >j»  unbh'  n,  ^ ■  * > ^  /i .  •;?/•//■*/#.  ;^ta*  h.   i>-inj . 
ei    sie  tutsiih:   dunii    ö.as    ::;;N;<r.::i>!r.\irkvii    der   g»-istigi*n 
und    k-rjvTÜohen    fahi^rk- ::-.  n    d*.>    iiivLsohen.    sm   zwar, 
dass  das  phvsisohe  virr.ic-.::  v  ::  ..:vr  iLtellrktuellen  ein- 
sieh: o'leite:  wird  \Vih:-",  '>..^7*'n'ti  r.sw.i. 
\\\    sie   s» .:!   eine   Kci».  hv*r.^   xi-.s  vtrv.^anri-.-s  auf  die  ubjekte 
der  au^6^:^n  r.a:i;r  \   rius,   -k* •/./!>•  'iuroL  das  wiss-.n  in 
d*u  berxie!:  inenMi.ü.L.r  :a::^k-.::  Linvincez^iren  werden 
\A:^.>-'i-:}t    <.' ;'  /   u>^x    . 
U.   Kt^r.nen    \erblasst    ..j    dtr   a.^.  :v.-.  ::>:n    i- ri- .iran^   di-s    .möirlieh- 
n^.aihens" :  e>  \miv,  V.;;.:>\i  rb;;:r.:   .::>  .-.i^:  s:  h  «iarin.  dass 
a^  der   u*.!in;tt\     i.:   dt:/,    k- r.v.  :.   i:r.   ..:-*.   >^.~:.    V'leh^-^    dun*h 

j;viv;::;x»  \i  ran>:a'.!;;r,ct:)  1".:^:.:  -.r^L  :■-!.:  *i'-.ri-.  n  kann. 
b*  J,avs   ;.vv 

e.^  \eu  s;K!;*:v^hi V., 

Hl     K.^ntun  \er.:rrt  ;iv.-    c:c.v.:^  Sri-;;:.:*.:   v.r..;  :r!::  £U  dvm  infinitiv 

'         '        •  i  *.  ■  '•         -"* 

•  »■    u,    \...,t     \,(  .,>»  .  \* ;  .  s  . .  V  ..    -  .«       ^■i ».  — . 

vi*'»'    «*      Vv    '••>••'■•♦»  ^»»»      v  X.*  •!'*  ■  •  "  ."  V  •   ""         **         •      -       <.■■*'■%.    ■        ■"    •      .»«.•     V^  -   .'«t'Vh»      «tI^IiK. 

•^"      *'«.       ■-.*•      «4.     .«««.i..     .».     1 ■•— i,      ■—*  .     .*il.*t  II     IlKIll 

c\\  >\\\\  ;\\\  \\>^.\\\\K\\c\\,  a;>    ;•.;,:•::   ■  :  ^    v  .;:  >  .:;:"  r^::irrn:::v!en  sohrift- 
vt,';v':   s\-.l  .  ^^^o^  K;v\:v   ,;:;%,:•.  %v.    :.    :>  ^>;r.;   ^;:\  ":::^T^<  ^ein,   auch 
,*i;N  ;4:'.-.'v.\  N,  ';  'S'.e'^^'.v.  ^:..'-.    'v.^vv:  .>vx ...... v.\:   'i-.  .:■ ':  :^  lu  vermehren. 

Woiiv:^   d^ ;    K;vj*;x''o  au^    :;,v.::v.\'.  v.    ^;:>^::s.    :.::  **«:  v.  Mv-iisterK'i^ 
xvMtix^Äwhe  a*,K;;.  -*s  t   ,:   *,\!:    Will.  ';*. 


KÖNNEN  UND   MÖGEN   IM   ALTD.  23 

Rother  259  verminen, 

Hoinr.  v.  M.  Er.  948  gedenchen;  Pr.  138  erchennen;  141  hedenchen, 
M.  F.  44^^  gedenken;  89'*^  versinnen;  120^^  vol  bedenken. 
Eneit  1305  bedenken;  2571  erkennen;  13150  erdenken. 
Hartmann  a.  H.  811  verstn)i;  Iw.  841  erdenken;  2859  erkennen, 
G.  Trist.  1-^  erkennen;  192*  wixxen;  349^^  gemeinen. 
Ulr.  Trist.  499^7  verstän. 

Wo  1fr.  Parz.  369,  3  versinnen;  Willi.  178,  2  verstm;  256,  3  erahten. 
Nib.  152, 3  tcixxenknmle  CD  (woAifcAB);  602,3  verstenJ)  {mac KRG)\ 
1316,2  wixxen;  1678,3  verstän;  1904,3  undersUln  mit  sinne?t  GF. 
Klag.  77  gemerehen;  318  u^xxen;  1682  versinnen. 
Gudr.  1142,  4  gemerken;  1677,  1  erahten. 
Walth.  42*  verstän;  59*^  erdenJcen;  96^^  versten. 
Frid.  62,  13  merken;  102,  8  erkennen;  141,  21  verstän. 
Konr.  Eng.  269  erkennen.     Alex.  1142  bedenken, 
Berth.  p.  881,  1  (W.)  ertrahteu. 

Boner  43,  44  erkemien.  ' 

Nie.  Jer.  43,  101  volaehtin;  52,  156  volahten. 

I2a. 

Will.  18,  6  mi^tnom  uurc  bringon;  48,  27  gesogen;  51,  11  beschir- 
men mit  spiritnalibus  armis;  118,  3  diseernere. 

Gen.  1,  3  reden. 

Ann.  84  predigi^i. 

Roth.  394  gesogen;  1023  geantworten;  4360  geraden. 

Hpt  Hl.  91,  4  gesogen. 

Heinr.  v.  M.  Er.  476  vergexxen;  613  singen;  Pr.  184  geantwurten. 

M.  F.  11^^  seh-cn;  25^^  gexeigen;  42^^  vertriben  mit  gedanhen;  44^^ 
leren;  115  ^'^  verswigen;  125^1  fliegen  mit  gedanken  usw. 

Eneit  36  genoemen;  442  gcvrägen;  915  ge^eggen. 

Hartmann  a.  H.  871  xeigoi.;  Iw.  2096  gebogen;  2264  gesprechen. 

Wolfr.  Parz.  127,  22  &?rm;  337,  25  r/me  sprechen;  454,  10  ie^cAc^i- 
rfö/i;  457,  28  wärheit  sagen;  645,  20  ye/^/^;  792,  5  7/^/7  fo/c/^  t'cr- 
suochen;  Tit  49,  4  volschriben;  Will.  58,  22  7y2^  //eic//. 

G-  Trist  59 2^  w/^  sinnen  hin  l/ringen;  114^^  bescheiden;  174^''  7wi7 
//<s/e/e  schermen;  183^^  gescJieid^n.     lobg.  67,  5  w/^Y  rerfc  volcnden. 

Ulr.  Trist.  569 »^  m/ß^?,,.  587*  fe'mi. 

Nib.  10,  4  gejiennen;  293,  3  gelouben  (Blh);  959,  3  verdagen;  1118,  2 
verjehen;  1152,  1  gesogen  (C);  1386,2  betiuten;  1878,2  2^??';t^c?i-  W;^. 


24  KAHL 

KL  424  bescheiden;  1719  raten. 

Gudr.  312,  3  wiixe  walten;  418,  4  imigen;  542,  4  mit  listen  heilen; 

607,  1  brieve  gelesen;  1570,  1  bescheiden, 
Walth.  8^^  rät  gegeben;  110  ^^  xe  danke  singen;  120 2*^  rerhelen. 
Frid.  5,  21  gebeten;  81,  2  n^isheit  gepflegen;   115,  17  gedanhe  vahcn. 
Konr.  Eng.  2'7  rät  vinden;  1086  bedivten;  Gold.  schm.  3  getihte  spnelxefi. 
Sachsp.  I,  23,  1  bereden. 
Bcrth.  s.  879,  17  gesagen. 
Boner  12,  47  2ra?i  geben. 
Nie.  Jer.  8,  8  voltihtin;  30,8  gelonbin;  34,283  mischin  mit  icunder- 

lichin  listen. 

I2b. 

Will.  141,  19  covipati;  137,  13  parcere. 

Hpts  Hl.  117,  7  gexerten. 

M.  F.  12*  beivam;    6420  irürie  sin;    83  i*  behagen;    100^^  staete  s^in; 

IIP  vcrtriben  senelichc  sicaere ;  115^^  klagen;  117*  gelm'en;  148^^ 

leit  rerkeren;    170^^  sich  schöne  tragen;    175 1'  tm.saeldc  erivejidcn; 

182  1^  staete  sin;   183  ^  vrö  geinachai;    193  ^  tugcntüch  leben;    197'^ 

höhgemüete  geben. 

Eneit  11302  sich  beivarn. 

Hartmann  a.  H.  304  gebären;  Iw.  2423  geliebefi;  3560  nach  rUer- 
liehen  siten  gebären;  6809  staete  werden. 

Wolfr.  Parz.  59,  18  ereii  tmde  triiäen;  93,  3  manheit  tragen;  140,  2 
riuwen;  154,  16  minnen;  170,  30  mit  schäme  ringen;  547,  30  vor- 
serefi;  606,  4  xomes  walden;  649,  14  manlich  die?ist  tuon;  Willi. 
90,  3  tröst  geben;  92,  28  xürnen;  168,  4  troesten;  345,  28  triuicc 
hän;  415,  24  ;it/A/c  tvalten. 

G.  Trist.  193^^'  gelieben;     290  *<>  trösten;     462  22   //t?^,?^^   w,trf   ^rös< 

Ulr.  Trist  587  2'»  7?»7  (/wo/e  feftew. 

Nib.  11,  4  (?rc?*  pflegen;  635,  4  herlichen  leben;  714,  3  xühte  pflegen; 

960,4  verklagen;  967,1  troesten;   1137,3  tagende  pflegen;    1174,2 

fritmtliclie  liebe  begän;  1753,  3  eren  phlegen;  2269,  4  verklagen, 
Klage  57  frmide  pflegen;  71  rehter  trinwen  phlegen;  385  sich  gefrcun; 

812  xe  sorgen  bringen;  1228  muot  geben;  1323  '/;^27  tvünne  leben, 
Gudr.  218,  4  nach  eren  gedioien;  284,  4  getroesteti;  975,  9  dicnepi. 
Walth.  6  22  riuive  gebefi;    24 1*  />-o  gebäre7i;    44^  ?rc5e//  /rö;    91^^ 

gedienen;  124 20  sorgen. 
FriA  114,  9  schone  geleben;  118,  19  sanfte  gdeben. 


KÖNNEN   UNÜ   MüüEN   IM   ALTD.  25 

Konr.  Eng.  375  crfröuiven;  595  getriuwc  sin;  4965  sich  lasters  schä- 
men, 
Weinschw.  85  fröude  geben. 

Boner  25,  27  gemäxen, 

I2c. 
Will.  51,  4  nehtan. 

M.  F.  83  ^"  vlien  unde  jagen. 

Eneit  5216  hehne  fionwen;  5930.  7852  veehten. 

Hartmann  Iw.  6993   strlten  xe  rosse  und  %e  vuoxe;    7000  den  man 

veUcn. 
G.  Trist.  69 '-'^  pAe/'^  gehaben;    83^-  gevolgcn;    165*'^  xe  kamphe  sineni 

Übe  mite  gan;  331  •'^-^  rotten;  433^-'  laufen. 
ülr.  Trist.  527  ^  riten. 
Wolfr.  Parz.  263, 15  weren;  538,9  ringen  unt  mit  dem  swanke  tunn- 

gen;   597,  18  tjoste  mexxen;  Willi.  411,  16  mit  dem  swerte  wem. 
Nib.  129,  3  gevolgen;    194,  2  geleiten;    1825,  3  riten;    2220,  4   in 

dem  stürme  bexxers  niht  getuon;  2280,  4  gei7f  vinden  stau. 
Klage  695  videln;  928  Schildes  rant  xe  seherme  tragen. 
Gudr.  92,3  versniden;  363,4  schirmen;  514,  4  helme  Idieben;  517,  3 

vehtcn;  1058,  2  gewaschen. 

Walth.  351«  Hüten. 

Frid.  154,  9  beschirmen. 

I2d. 

(Die  beispicle  berühren  sich  hier  oft  mit  1 2  c.) 

Koth.  794  gesmide  slün. 

Heinr.  v.  M.  Er.  722  fiwer  —  erleschen. 

G.  Trist  118^^  galt  van  swachen  Sachen  machen. 

U.  Trist  573'**  slilxxeh  machen. 

Wolfr.  Wilh.  370,  18  sper  machen. 

Frid.  25,  20  glas  machen;  126,  6  von  beulte  scharlachen  machen. 

Die  infinitive,  welche  wir  bislier  aufgezählt  und  je  nach  dem 
grade  ihrer  engeren  oder  weiteren  beziehung  zu  dem  intellektuellen 
vermögen  systematisch  gruppiert  haben,  hatten  die  gemeinsame  eigen- 
schaft,  dass  die  handlung,  auf  welche  durch  sie  hingewiesen  wurde, 
geistiger  beihülfe  zu  ihrer  Vollendung  bedurfte:  der  könnende  lieh 
gleichsam  seine  geistigen  kräfte,  sein  wissen  und  verstehen,  einer  ande- 
ren fahigkeit  seines  geistes  oder  körpers.  In  den  angeführten  beispie- 
len  komt  man  mit  der  Übersetzung:  „ich  weiss,  ich  vei-stehe  zu  tun^ 
noch  durchweg  aus.  Auf  der  anderen  seite  konten  wir  aber  beobach- 
ten, dass  das  Verhältnis  zwischen  können  und  seinem  infinitive  immer 


*J6  KAHL 

mehr  sich  lockerte.  Namentlich  da,  wo  das  können  zu  den  bewegun- 
ireu  des  menschlichen  körpers  oder  gar  zu  Objekten  der  äusseren  natur 
in  beziehunjT  tritt,  schwindet  das  bewusstsein  fiir  die  geistigkeit  der 
mittel,  welche  das  ursprüngliche  können  an  die  band  gibt,  mehr  und 
melir.  (Jchen  wir  auf  diesem  wejre  weiter,  so  bleibt  zulezt  nur  noch 
der  begrift*  des  möglichmachens,  der  fähigkeit,  eine  Wirkung  herbeizu- 
führiMi,  ohne  dass  man  sich  bewusst  bleibt,  dass  das  können  anfanglich 
stets  eine  g^'istigi»  befiilügung,  ein  möglichmachen  auf  geistigem  wege, 
involviert. 

Wir  wenlen  unbinlenklich  für  können  die  beziehung  auf  die  gei- 
stigkeit der  mittel  dann  tallen  lassen,  wenn  der  von  kan  abhängige 
intinitiv  ein  |>iissivcr  ist.  Doun  sobald  der  infinitiv  ein  erleiden  aus- 
drückt, winl  dadurch  imgedeutet,  dass  nicht  melir  der  könnende  es  ist 
dessen  wissen  die  verwirklichunsr  einer  handlum;  verdankt  wird,  son- 
dorn  dass  entw^nler  andere  men>«.*hen  oder  auch  andere  dinge,  auch 
ge\\isst*  umstände,  ohne  unst-r  zutun  jene  tat  herbeiführen,  welclie  für 
uns  ein  leiden,  ein  „überunserüx^henhissen*  i^t.  Von  diesem  sresichts- 
punkte  aus  ist  das  häutig  Vi»rkommeude  hin  ♦;?  /^»»v*  u.  dgl.  zu  erklären. 

Nicht  sv»  unbedingt  wir\l  man  in  manchen  anderen  fällen  für 
kanncfi  nur  die  bK^sse  K\loutung  tK^  . möglichmachens •  als  zulässig 
enu'hten.  Ks  hält  mitunter  rxvlit  schwer,  bei  bin  c.  inf.  das  Vorhan- 
densein jeclichen  intellektuellen  nivunents  zu  leugnen.  Der  zusatz  von 
k^'unen  be/.eichnet  gleichsiim  ein  himinltb-jn,  ein  hineinversenken  in 
die  äuss^^nni  vonränce  und  verrät  s*.^  eine  w».i:  cemür^oUere  anteilnahme 
an  der  o^Sv'hildenen  handlunc.  a!s  sie  d:is  blasse  mögv>n  jemals  auszu- 
drucken itn  Stande  ist.  AVir  horTen  aK  r.  diiss  wir  die  unten  mitgeteilten 
Ki>piele  so  o*>^ählt  haben,  dass  sie  uns  in  der  tat  hfnnen  in  jener 
alv\sc!i\\äv'hten  bevleutunc  /eii^n.  d:e  siv'h  '*t'»hfi  nähert.  Da.  wo  sich 
ir.  vU!i  hanvlsvhritV.icl.en  Varianten  i7< /:.»*••»  und  »"'/»/fvi  austauschen, 
\^:r\{  dies  stets  K^ender^  herv.»n:^'h'^lvn  wervKn. 

IIa. 

Av,n    -.^^  ';         /'•     ''xy  i^i    sr'*   ;     '•'-"-  •:*::;    'irf»i/;*/i   mV/ziam  ffeain, 

M  F  l^^  ,  \::".  " '•'  ff.  *'•  r  ■■.■.-'•:  '.'•;  TS'*  y -'?'./«•  iV^  rnhilafen 
•  •  "i  "  •  .  :r  /  /  •  -  ,  rv,  •. ,  ;  , .  ; . ; .  -  7  ^w  t^i  i  ,m;^  /Wcftrr  m'emer 
i  • :  .  I ' .'  •  . .  •  - ;  rJO  • '  ■*  -^  ;  ■  •  >  #1  • ' .;  I.  ■  *%'  ■^  t^  ir/HOn  eralten  (vgl. 
i'arv.v   Bv;r    tOJ.i    *{,'*••:*:    e:s    ' '.    i'-'-rV.';   .:/:.-    IW"  itkn   künde 


KONNEX   UND   MÖGEN  IM  ALTD.  27 

Eiieit  211  wand  si  sich  vor  den  onden  herihteii  niet  enkonden;  11023 
Hcheincs  sldpes  er  enplach  er  enmohte  noch  enkonde, 

Hartmann  a.  H.  436  ich  künde  xe  Säleme  keinen  meiner  tmidai; 
Iw.  5954  ichn  kujide  des  nie  überkomen. 

G.  Trist.  35^  sone  hmde  er  niemer  stn  genesen;  62 "^^  ir  aller  dehei- 
ncr  künde  noch  enmohte  dehei)ie  stunde  iif  sinen  viiexen  ye^tibi; 
73-'^.  13827  usw.;  195 ^^  weder  rät  noch  helfe  kan  geivesen,  wand 
er  kan  niemer  genesen. 

Ulr.  Trist.  516  2»  ein  vruin  man  an  triuwe   niemer  werden  kan. 

Wolfr.  Parz.  149,  1  im  künde  niemen  Hent  sin,  155,  21  er  knnde 
in  ab  geviehen  niht;  155,  24  mit  sinen  blanken  handen  fier  ktind 
ers  niht  nf  gestrichen;  Willi.  273,  30  er  kan  ivol  friunt  und  vlent 
sin, 

Xib.  129,  3  des  enkunde  im  ge  folgen  nie  man:  so  niihcl  was  sin  kraft; 
416,  6  der  tiuwel  nx  der  helle,  iH  kund  er  davor  gerwsen;  498,  2 
der  Ican  si  wol  gewerben  mit  elknhafter  kraft;  746,  3  dax  eigen- 
holde  niht  richer  kuitde  wesen;  928,  1  er?i  ynohte  (CB  chunde)  niht 
gesten;  982,  2  dax  wir  niht  rnohten  (AC;  chunden  Dlhf,  B  fehlt) 
iine  so  gröxcs  scitaden  stn;  1010,  2  s^ine  htinde  [mohte  CDIh)  niht 
gcgdn;  1079,  4  donc  künde  im  Knemhilt  nimmer  vinder  gewesen; 
1291,  3  dax  vrou  Hekhe  niht  schoener  Jcunde  {mohte  Dlhg)  gesin; 
1458,3.  1862,3  ir  kunnet  niht  genesen;  1981,4  dö  enkunde  Gisel- 
here  nimmer  xorner  gesin;  2047,  4.  2098,  2.  2156,  1  sine  künde 
niht  gewegen;  2223,  4  wie  künde  er  (moht  er  111)  grimmeger  sin 
gewesoi. 

Klage  239  dax.  den  Olselheres  tot  nieman  künde  (moht  H)  erwendefi; 
259  der  oikunde  einer  niht  genesen;  608  tiurr  helde  kunnen  2vesen 
ninder  i)f  der  erde;  637  dö  enkundex  langer  niht  gestdn;  1050  in 
künde  der  helt  niht  derfilr  von  vnkreften  bringen. 

üudr.  719,  3  da  si  genesen  ku?ulen;  875,  4  wie  kundens  wese?i  küc- 
ner;  1163,  4  nu  kan  ir  ende  nieman  erweiulen;  1265,  1  si  vuoren 
.so  si  künden  beldiste  dan;  1330,  4  dax  lix  der  kemouUe  .  .  nie- 
man hoeren  künde  (863,  3  mohte). 

Walth.  27®  des  enkan  ich  niht  ge^liexen  in  den  arken;  61-^  wie 
kunde  sieh  deheiniu  danne  min  er  wem. 

Frid.  135,  13  mit  irolven  nieman  kan  genesen;  154,  8  xe  Röme  vert 
manc  tilsent  man,  die  der  bdbest  )iiht  scheinen  kan. 

Konr.  Engelh.  11?24  ich  ar?ne  enkan  niht  leider  des  dinges  über  wer- 
den; 1570  Sit  ieh  danne  dieh  niht  überwimlen  kan. 


iJ5  KAHL 

Woinst-hw.   105  /VA  kan  jtjijnt  um!*    niltrH:    403  ich  kan   icol  wdfen 

liii'rh. 
B"n.  32.  6   le  vhihtf  fnirtt  lt*r*it  ir  Uni,  ^i  kouden  al  gcvliehen  icol. 

II  b  ff. 

filhd.   kennen   mit  sächlioh»>ni   Subjekte.) 

Zunächst  müssen  wir  diejoniiren  ßllo  aus>oheiden.  in  denen  wir 
t-s  mit  einer  f*»rmli*.hen  ivr>'.nifikati'>n  zu  tun  haben:  so  wenn  z.  b. 
der  trau  Minnv  ein  können  zuL'r-sohri-bt.'n  wini:  Waltb.  109  *"  Jlinfie, 
innnhr  knn  »Un  *iü't*:  hfU  Nrvh'ti:  M.  F.  1  •-  ivgl.  Carm.  Bur.  126,  6) 
Toutjrtt  mltoi»  koi*  *j*Un  h»'»h*  9i  tnn  »i.  —  Di^-st-ibe  und  ahnliche  per- 
M'nitikationen  liefen  in  t-'li^Miden  Kispielen  Vi.ir: 
l' .  Trist,  ö > 7  *  ' //»<  liiitoi'  bitf  trol  h'n  f r  rrüwlt . 
Wolfr.  Parz.   7o7.  24   A'Wf  tunnt»    lau    tr*jl   xUrm:    Tit.  71,   1   oire^ 

knh»i  diu   HfittU''  %ifid*r  hlf*    •ri'i'j't}, 
Walth.  109-*  mitni»   —  d*)  katt^i  rfW.'/v/^. 
Frid.  V^i».  ».»  utittu»   bin  sirh  »vf//V  ^h*  »id»    tr^th. 
Konr.  Enc.  ^*v*  >it   Triuu'    wt  dii   nJhx   bin:    >^?»9  do\   si  fMianr) 
^jftrolt'.y  küiot*'  i*jh'ij»u:  l»ö4  d'l  ko/i  diti  Minft^  fviüftdeu  hrrxr, 
Weinsi'bw.  12d  du  tritt  btH.^f  dt\  dut\<tif}'U  hUu. 

I»:-.'  lieKv'.Ole  vtisvnkur.^  in  die  natui>i^h«»nheit»-n.  welche  auch 
dt-n  t-.'tvn  oby.ktin  unsir^r  umcr-buii;:  mens^hÜchis  fülilen  und  empfin- 
den Itiht.  s<"huf  ausdnuks weisen  wie: 

M.  F.  >3  ■    diu    h'.id'    irmh   d'T    v»*:!"'    snw    kau    du    ir   irosi    wir 

M.  F.  1*»>"'*  d' r  wifir*/'  bin   uihi  nitdfi's  s*u    trän  ^trotrc   und  dne 

Auf  d«. n^.  ü1vrir:in^e  vom  j^ts"  n'iohen  .Tum  unjH-rsiinlichen  ge- 
brauch \  n  v/";'fr*/  K Plenen  uns  w.iTtrhin  mehrere  falle,  bei  denen 
don  i:«. i>ncT.  .ir.d  a^ivh  k!nvTl:oh»:n  l:i^ns<■ha::en  dner  persTinlichkeit 
d:is  k  nr.rn  i:;>T  h:\r..;*:;ir,.r  7:iow-;,>.'n  wiH.  i-bw.;«!  sTi>?nssrenommen 
di^.s  ptrs  r.'i-hv  s:;!;»:»::  >• -^s:  »s  ist.  wo'.-. !.»:>  nv.T  hülfe  jener  geistigen 
•  •d-T  k  nyr'i/::  r.  kntf:-  div  "•■;.: -^iluiii:  ausführt.  Wenn  es  z.  b.  bei 
K'.r.r.  li  ■'.'.:.  Svhrf:.  ^'••«i  hvisst:  :7V •*  >>Vy  ?,.  ?,  s-V'-  9nn*dm  rrrheilrft  kau 
dir»  s-f*i'''  /Vsr.  >■  dürf-.r.  w:r  d.-^für  sviren:  .du  versti-hst  mit  hülfe 
d'::>r  t"..i^i.::     ir<r-    r\\  ]\\i\<m    \c..  tiiidr.  M2.  ^^  fftV  fuii  dehrineu 

Ai:ä!  c  sirl  :  ■"^- "r  :•;'  ^»l-v  ru  bouneilei;: 
M.  F.   ^4   -    >•//>»    h' rif   /.-/»/fK   ir    ui^^mcr  bi9rtn9    :<   /w,     214^  der 
rii   of'fif   T/i^'J  dai   f'Cytf  d<7i   Hu  herif  bnu 


KÖNNEN   UND   MÖGEN   IM  ALTD.  29 

G.  Trist  297 1^  ir  gelbncten  sinne  dien  künden  niender  hin  geive- 
gen.    411 2*  stt  daz  sl?i  herxe  nieiner  kein  gemach  gefiabn  kan. 

Wolfr.  1.  10,  19  ir  7rnnnecUchex  Uwhen  kan  mir  wol  gemacJien 
höhen  mitoL  Parz.  114,  1  sinfxen  wule  Uwhen  künde  ir  muni 
ril  ivol  gemachen;  vgl.  672,  19.  404,  8  diu  oiigen  kunnen  spehn, 
638,  19  ir  hlic  tcol  künde  tagn,    Wilh.  373,  28. 

Nib.  812,  2  Jane  kari  (AC;  7?iach  BIG)  iu  niht  geJtelfen  diu  gruxe 
Sterke  sin. 

Waltli.  69^^  50  enkans  eiii  herxe  alleine  niht  enthalten, 

Frid.  51,  4  den  Ican  dehei)ies  mamies  list  —  schuldie  tnachen, 

Konr.  Gold.  schm.  204  dln  munt  kan  diu  sele  spisen, 

Bon.  17,  37  boese  xunge  sclieiden  kan. 

Ähnlich  ist  kan  bei  folgenden  substantivierten  Infinitiven  zu  er- 
klären: 

M.  F.  157^1  stt  mich  min  sprechen  nu  niht  Ican  gehelfen. 
Gotfr.  Lobg.  77,  1  (u.  ö.)  von  dir  sagen  —  ka7i  iji  die  herxen  minne 
tragen. 

Seit  dem  XII.  Jahrhundert  finden  wir  auch  tieren  ein  können  zu- 
geschrieben : 

Eneit  8674  ros  kan  bat  flien  daniie  jagen. 

Wolfr.  Parz.  36,  12  ors,  dax  beidiu  künde  hurtlichen  dringen  unde 

springen. 
Nib.  890,  3  dax  tier   enkund  im  niht  entrinnen;    891,  1  kraxe^i 

noch  gebixen  kund  ex  niht  den  nian;  1211,  3  ex  enkumlen  (moh- 

ten  Ih)  hundert  7niule  dannen  7iiht  geti^agen. 
Gudr.  97,  3  vögele  künden  vliegende  7iiht  entrinnen;    541,  3  kun- 

denx  so  olbetide  7iiht  getragen. 
Konr.  Gold.  schm.  528  strüx  kan  sine  eier  sciu/ne  briieten. 

In  den  folgenden  beispielen  haben  wir  volkräftige  belege  dafür 
zu  erblicken,  dass  können  die  beziehung  auf  wissen  und  verstehen 
abgestreift  hat  und  sich  niugen  nähert,  mit  dem  es  sich  in  die  aufgäbe 
teilt,  auszudrücken,  dass  für  irgend  eine  tatsache  die  objective  mög- 
lichkeit  ihres  eintretens  besteht. 

M.  F.  188^  Tiöt  —  nien  künde  groexer  sin. 

Wolfr.  Parz.  1,  18  dix  bispel  —  kan  vor  in  ivenken;  2,  1  t7^iiiwe  — 
kan  verswinden;  311,  21  stacte,  diu  den  xu^lvel  dan  kan  schaben; 
434,  17  sin  tvdge  kan  seigen;  490,  30  wax  tviinders  dix  gelüppe 
kan!;  572,  28  dix  bette  kan  so  umbe  vam;  Tit.  80,  4  ob  dirre  schilt 
kimde  7iiesen;  Wilh.  390,  30  da^ie  künde  7iiht  geJiarren  sin  vane. 


'SO  KA1IL 

G.  Trist.  167  ^'-^  sofie  kutide  ir  aller  viere  schln  ebenUefUer  nienicr 
gcstn;  195^^  tveder  rät  noch  helfe  ka?i  gewesen;  203**  7wtelindiu 
nierner  vremdef^  kundefi  sl7i. 

Ulr.  Trist.  5312  disiu  weit  kan  xe  gähen  ende  gebe7i. 

Nib.  17,  3  wie  liebe  mit  leide  xe  jmigcst  Ionen  kan;  231,  1  groe- 
xisten  nöt^  die  immer  künde  sin  geschehen;  237,  4  maere  kün- 
den nimmer  lieher  gesln;  530,  4  bexxer  pfiertgereite  ku9ule  nim- 
mer gesln;  11]  5,  2  Imnden  disiu  maere  niht  verholen  sin;  1412,4 
sone  moi]  (chan  Clh)  in  nihi  gewerren  der  Kr,  muot;  1849,  1 
strit  niht  anders  kiinde  siii  erhabn;  1763,  3  vofi  Ardbisclien 
sfden,  die  beste  mohten  (AB  chunden  C)  sin. 

Klage  779  dax  enkunde  niht  eruenden  diu  helfe  aller  diner  man; 
942  wan  diu  Rüdegere^  hant  künde  wunsehliclien  gelten, 

Gudr.  1500,  2  xwnie  kiele  künden  niht  getragen, 

Walth.  46*  wax  wiinne  ka7i  (BC;  ??ia€  A  E)  sich  da  genöxen  xuo. 

Koiir.  Engelh.  250  sin  muot  kiaule  nach  wirde  ringen;  2071  d€LX 
(dine)  mir  doch  nimmer  werden  han;  Gold.  schm.  572  din  güete 
kan  nf  tvallen;  1519  ex^  (brot)  kan  sich  doch  beJieften  mit  kreften. 

II  bi^. 

Ein  schritt  weiter  auf  dem  wege  der  bedeutungsverwitterung  ist 
es,  wenn  kan  mit  dem  unbestimten  Subjekte  ex  verbunden  wird:  ebenso 
unbestimt  und  inlialtsloer  als  ex  pflegt  in  solchen  fallen  auch  der 
abhängige  infinitiv  zu  sein;  wir  sehen  mit  Vorliebe  geschehen,  werden, 
we^en,  sin  zu  dem  unpersönlichen  kan  gesezt. 

Bei  der  aufzählung  der  beispiele  beschränke  ich  mich  auf  die 
angäbe  des  inlinitivs;  die  ei*sten  belege  für  ex  kan,  ex  künde  u.  dgl. 
finden  sich  in  M.  F. 

M.  F.  72 7  geschehen;    105«.  164 ^l  206 -i*  verndn;    "^20^  gehelfen. 

Hartm.  Iw.  2063  geviicgen;  2638  geschaden;  6345  gescheiten;  a.  H. 

1176  gewinrn, 
Wolfr.  Parz.  658,  8  gexemn;  Willi.  406,  4  gennogen, 

G.  Trist  126  2-».  157.10  urrden;  184  2-»  gewesen;  214»  geschehen; 
lobg.  71,  3  werden. 

ü.  Trist.  499 ••^•♦.  576 21.  577 ^^  578'^*  geschehen;  525»*  werdai  rer- 
swigen. 

Nib.  13,4  sin  geschehen;  17,4  missegdn;  133,4  werden;  284,1  wie 
künde  dax  ergdn  (ABC;  mohte  Ih);  348,  6  dne  dine  ftelfe  kwidex 


KÖNNEN   UND   MÖGEN   TM   ALTD.  31 


y 


{pioht  ex  Ih)  niht  gesln;  279,  3  ob  künde  (ABC;  mohte  Ih)  da. 
geschehen;  348,  10  sivax  dar  an  kan  (mac  D)  gesin;  444,  1  des 
niak  niht  ergän  (Alh;  emnaeh  B;  mac  fioch  D;  enchan  noch  C); 
669,  1  ob  dax  mohte  .(AB  chünde)  geschehen;  694,  4  dax  künde 
(moht  Ib)  müelich  gescheht;  696,  2  obe  dax  mehte  sin  (chumUG\ 
7nac  Ih). 

Ähnliches  schwanken  der  handschrifton  zwischen  ka?i  und  mac 
noch:  7b9,lknnde  AB  (mohte  Clh,  sohlB);  859,4  Ät^mfeA  {mohte  BC; 
mohtlh)]  94:3,2 kundc ABCB  {mohtlh);  1071,4: enkiiiide ABC  (enmoht 
Ih);  1085,  1  mohte  AB  (chunde  C);  2039,  4  kan  C  (//^ac  AB);  2063,  2 
eÄMW/feBCD  {mohte  Ih);  2310,  1  künde  ABC  (woA/  Ih).  Ih  hat,  wie 
man  sieht,  besondere  Vorliebe  für  die  formen  von  mugen,  —  geschehen 
bei  imperson.  kan  findet  sich  noch  Nib.  884,  3.  1751,  2.  2034,  1; 
gesin  oder  sin:  905,  2.  1077,  4.  1895,  4.  2026,  4.  2039,4.  2215,4; 
Wesen:  889,  3.  2063,  2.  2180,  2;  er^iaw.-  759,  4.  1163,  3;  gewem: 
1630,  1. 

Klage  10  desn  kutidex  niht  beliben;  66  geschehen;  120  des  enkunde 
(Ih  enmoht)  ?iiht  gesin. 

Gudr.  214,  1.  770,  3.  940,  1  gescheiten;  963,  2  s/;^;  1255,  3  ge- 
lingen, 

Walth.  98^7  geschehen. 

Wie  nahe  sich  dies  impers.  kunnen  mit  mugen  berührt,  zeigen 
besonders  die  Varianten  der  handschriften,  die  wir  aus  diesem  gründe, 
wo  es  immer  angieng,  möglichst  volständig  mitgeteilt  haben. 

m. 

Es  erübrigt  uns  noch,  das  mhd.  kan  auf  eine  stufe  zu  begleiten, 
auf  der  es  seine  eigene  bedeutung  gänzlich  aufgegeben  zu  haben  scheint 
und  als  eigentliches  hülfsverbum  im  vereine  mit  dem  infinitive  nur 
eine  Umschreibung  des  einfachen  verbum  finitum  bildet,  jedes  selbstän- 
digen Vorstellungsinhaltes  baar. 

Soviel  ich  sehen  kann,  war  Benecke  der  erste,  der  auf  das  bedeu- 
tungslose kan  hinwies,  welches  zu  einem  infinitive  hinzutritt,  ohne  den- 
selben irgendwie  zu  beeinflussen;  Benecke  bemerkt  zu  Iwein  7457: 
„was  kan  behift,  so  haben  wir  vielleicht  noch  zu  lernen,  dass  dieses 
wörtchen  wie  das  altenglische  gan,  ohne  selbst  eine  merkliche  bedeu- 
tung zu  haben,  eine  schmeidigcnde  paraphrase  bildet:  vgl.  Parz.  29,  19. 
514,  8.  536,  22.  548,  13.  MS  I,  16a."  Haupt  widersprach  dieser 
auffassung   (zu  Erec  23,  s.  329),   ohne  jedoch  gegengründo  geltend  zu 


32  KAHL 

machen:  es  mag  ihn  die  einsieht  geleitet  haben,  dass  oftmals  in  sol- 
,chen  fallen,  in  denen  uas  kan  als  dnrchaus  überflüssig  erscheint,  der 
mhd.  schriftsteiler  eine  beziehung  —  mitunter  leise  ironie!  —  aus- 
ge^l rückt  wissen  wolte.  die  wir  nicht  mehr  nachzufühlen  im  stände  sind. 
Es  liegt  eine  Schwierigkeit  eigener  art  darin,  aus  einem  infinitiv  nach  kan 
jede  intellektuelle  oder  gar  potentielle  beziehung  auszustossen  und  kan 
noch  unter  die  geltung  als  mattes,  inhaltarmes  hülCsverbum  hinabzu- 
drücken. Wir  müssen  uns  aber  daran  erinnern,  dass  von  einem  got 
kann  Jnina  mannan  zu  einem  mhd.  ex  kan  niht  geschehen  eine  stetig 
wirkende  Zersetzung  der  ursprünglichen  bedeutung  hinabftihrt:  die  vol- 
ständige  abstreifung  der  individuellen  bedeutung,  die  sich  auf  der  lez- 
ten  entwicklungsstufe  volzieht,  darf  uns  darnach  nicht  mehr  befremdlich 
erscheinen. 

Die  Vertretung  des  conjunctivs  durch  kan  cinf.,  die  bei  mag  sich 
so  häufig  findet,  ist  bei  kan  ziemlich  selten:  sie  sezt  voraus,  dass  der 
ausgleich  zwischen  kiiniien  und  mugen  sich  bereits  volzogen  hat. 

Einen  wunschmodus  ersezt  kan  c.  inf.  in  folgenden  fallen:  ML  F. 
120 '*  künde  ex  gehelfen!  G.  Trist  lol'^^  künde  ex  temer  werden  so/ 
(vgl  auch  Holtheuer,  Zs.  f.  d.  ph.  erg.  1874  s.  153  fg.). 

Ich  teile  nunmehr  beispiele  für  denjenigen  gebrauch  von  kutmen 
mit,  bei  denen  kan  c.  inf.  an  begriflicher  stärke  das  einfache  verbum 
finitum  nicht  übersteigt. 

M.  S.  I,  16'  rfw  kanst  ein  teil  xe  lange  sin. 

Wolfr.  Parz.  29,  16  ich  Ican  xe  lange  sitxen;  117,  18  si  kuiide  tvol 
gcinuten  ir  snn;  167,  23  sus  kund  er  sich  bt  frowen  schemji; 
332,  4  hinde  got  mit  heften  Icbn;  380,  26  der  onch  diu  sper 
niht  künde  sparn;  390,  4  die  knappen  künden  dankai,  sie  baten 
in  belibe?i  vil;  466,  20  diu  gotlieit  kan  luter  sin;  535,  10  der 
(riter)  schilt  noch  sper  7iiht  künde  sparn;  536,  22;  548,  13  diu 
sunnc  kan  so  nider  stin;  572,  28  dix  bette  kan  sÖ  unibe  vam; 
589,  27  dehein  sül  stuant  dar  U7ide  diu  sich  geliehen  künde  der 
gröxen  sdl;  609,  9  kund  si  tohter  unde  swester  sin;  650,  15. 
769,  22  da  er  den  lip  niht  künde  sparn.  Wilb.  59,  14  swax  er 
siveixes  üf  dem  orse  vant,  den  kund  er  drabe  wol  striclien, 

Hartm.  Iw.  7458  der  ich  niht  sere  engelten  Ican, 

U.  Trist  527*^*  den  liehten  schin,  der  also  lüter  kan  geshi. 

Nib.  1082,  3  vergexxen  künde  fiiht  AB  (mit  klage  nie  ver- 
gax  C).  1318,  2  dax  in  niht  enschadete  ABIh  (scliaden  künde  C; 
moht  gcsehaden  D). 


KÖNNEN  UND  MÖGEN  IM  ALTD.  33 

Gudr.  461,  1  die  er  katide  bringen  mit  im  dan   (vgl.  Martin  z.  st. 
und  zu  429,  1);  962,  2  Ludewtc  künde  unsanfte  schoener  frotven 
pflegen  (vgl.  Martin  zu  1528,  3). 
Frid.  49,  25  der  lose?'  schadet  vianegetn  man,  dem  er  niht  wol  ge- 

frumen  kau, 
Konr.  Eng.  602;  Gold.  schm.  1823  der  schulde  kan  xe  ringe  wegen» 
Silv.  3748  dem  menschen  ist  geboren  an,   dax  er  dem  töde  wah- 
sen  kan. 

Wir  schliessen  damit  unsere  darstellung  der  syntax  des  altdeut- 
schen können;  einige  einzelheiten  werden  noch  am  Schlüsse  dieser  arbeit 
besprochen  werden. 

Ein  rückblick  auf  das  von  uns  dui'chmessene  gebiet  gibt  uns  zu 
folgenden  bemerkungen  anlass. 

Können  ist  ursprünglich  in  der  Sphäre  geistiger  tätigkeit  aus- 
schliesslich heimisch;  darauf  weist  uns  das  Verhältnis  zu  den  urverwan- 
ten  sprachen  und  der  gebrauch  von  können  im  got,  alts.  imd  ahd. 
Erst  im  laufe  des  XI.  und  XII.  Jahrhunderts  zweigt  sich  von  dem  alten, 
reinen  können,  das  wälirend  der  ganzen  mhd.  zeit  sich  lebendig  erhal- 
ten hat,  ein  schwächeres  können  ab,  welches  sich  mit  mugen  nahe 
berührt  und  vielfach  austauscht  Wir  können  noch  die  faktoren  beob- 
achten, die  in  jenem  processe  der  Verwitterung  des  alten  können  gewirkt 
haben:  sie  haben  im  laufe  der  zeit  aus  dem  kräftigen  begrifeverbum, 
das  sich  aus  dem  urgermanischen  ungeschwächt  bis  ins  ahd.  fortgeerbt 
hat,  ein  mattes,  haltloses  hülfsverb  gemacht,  das  nur  noch  in  der  Um- 
gebung eines  infinitivs  auftritt,  weil  ihm  die  kraft,  als  selbständiges 
verbum  zu  fungieren,  völlig  abhanden  gekommen  ist 

Uns  ist  fast  nur  noch  jenes  können  geläufig,  welches  die  objek- 
tive möglichkeit  ausdrückt;  wir  haben  beinahe  ganz  vergessen,  dass 
können  ursprünglich  auf  intellektuelle  tätigkeit  beschränkt  war:  nur  in 
spärlichen  resten  schimmert  noch  jene  alte  bcdeutung  durch,  die  einst 
die  allein  herschendo  war. 

§  5.    MSgen  im  gotischen. 

Die  durchforschung  der  bedeutungen  und  des  syntaktischen  ge- 
brauches  des  altdeutschen  mögen  bietet  nicht  immer  das  Interesse,  das 
uns  die  geschichte  des  altdeutschen  können  abnötigte. 

Wir  müssen  annehmen,  dass  auch  mögen  im  urgermanischen  ein 
begrifeverbum  gewesen  ist:  das  gotische  weist  uns  in  deutlichen  spuren 
darauf  hin.  Aber  schon  im  got  sind  die  bedingungen  für  die  bedeu- 
tungsabschwächung  gegeben,  welche  magan  frühzeitig  zum  hülfszeitwoii; 

ZKITSGHBin  F.   DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.   XXU.  3 


34  KAHL 

hat  herabsinken  lassen.  Bereits  im  ahd.  tritt  die  elementare  kraft  von 
maffan  =  iaxi€i^\  valere  nicht  alzuhänfig  zu  tage:  in  der  überwi^n- 
den  mehrzahl  der  falle  venmsohaulicht  magan  einen  b^rifF,  der  einen 
sehr  weiten  und  darum  individuell  sehr  wenig  bestimten  inhalt  hat: 
die  objektive  mögliohkeit.  Während  die  intellektuelle  bedeutung  des 
alten  kunnan  nur  eine  be^rrenzte  anzahl  von  verben  zu  kunnan 
in  adverbiale  beziehunpen  treton  lit^ss,  le^^e  magan  solche  schranken 
nicht  auf,  und  so  linden  wir  schon  im  ahd,  teilweise  schon  im  got 
und  alt&,  intinitive  des  dispanuesten  inhalts  zu  magan  hinzugesezt:  die 
möiiiiclikeit  kann  eben  auf  die  verschiedenste  weise  bedinjrt  sein:  durch 
das  Subjekt  mit  seinen  ki^rpi-rlichen  cnier  geistigren  eigenschaften^  durch 
äussere  umstände  imd  veriiälrnisse  usw. 

Wie  bei  können,  so  drehen  wir  auch  bei  mötren  in  der  darstel- 
lung  der  syntax  von  der  emiineJung  der  bedeutung  aus.  Zwei  wege 
fuhr^^n  uns  zu  dem  resultate.  dass  das  ur^rman.  mag  dem  ausdrucke 
ki'rjH^rlioher  kraft  und  tüchtickeit  diente. 

Die  Sprachvergleichung  sieit  fviirende  sippe  urverwanter  Wörter 
auf:  skt.  mahosi  glänz,  macht:  mohau  grosse:  griech.  iifyo^^  ."Cio^» 
,iif;xäri;.  ii^]cz^\  iat.  mag-nu^,  vi.iior.  mag-ts:  goi.  mag,  mahh,  mi- 
kiL<:  kiivbensL  m<'g'\  }»i*>suin  usw.:  alünui.  lio-for-magar  =  augctitr 
(Virl.  Curtius,  Grundzü^-*  s.  o2i«.  383:  d-jitseibs:  «lie  übrisre  litteratur). 

Auf  der  andeni  Mite  k<nnen  wir  be^.bachren,  dass  das  goL  mag 
dem  iniivr^  ^^<W^j  i^i^^i  ^lycuai  {ntsnricbi  idie  bt-Ie^e  Vii  unuu).  HäI- 
ten  wir  hi.r  ein:::  äug-.iiMiv'k  :n:*e!  Die  entspret^hung  ujjixj  =  uwg 
stin::  7.U  d-.n  ei-ei:  darci-e^'cu  trv::.:lj^:>.:kvii  Verhältnissen.  Etwas 
aiiiivrs  ist  ♦.<  :r.i:  Oiit.'<n:/:  zwär  l;is>:  au/ü  M'i^uai  die  übersetzun«:: 
«ich  habt-  lUäjL:*  ,~;;.  aber  iiÄi:ob':n  lx>sT^bt  schon  für  die  klassische 
cratvitä:  vii^v  a::deiV',  Kas>ii\-  ui:ii  aiirt-meineiv  beieunins::  die  der 
faiiigkt::  i;btrhäup:.  dvr  mög'ichkei::  stellen  wie  ^»ph.  Ant.  6S6  ovi 
Ji   {^111?« III»    ujii'  ^iHüiaiint   i^' in :  VMl.  13i^3  il  tU  :*'  ir  Äö^tMC  -tö- 

•        •  •       •  •       4  «  #  #  - 

CU1  dirfxi.uiii^a  u>w.  s^/h/u-NMU.  wtil  irinnitive  ireistiirer  natur  hin- 
.T:'^:'M.\r:  sini,  ■.::.;  li-zirhur.i:  äu:  ki^ift  ;r.id  raach:  aus:  es  handelt  sich 
hiir  ur.i  ti:-  c.e*.-  a.jTvxeints  •kinniu'",  ^bne  rucksicht  auf  die  mit- 
:el.  wt".:Lv  der.:  k  nutr.din  z;ir  V'.rfii.nir.c  <^:^ei;  werden  müssen. 

WiiLriiid  äI>:.  div  £T:T:':h:s.!i-'ii  ♦::.tsv•^tvhu^ii^-Il  des  ct't.  kan  duivh- 
w-:-^  t::>.r  v^d  d-rs-/.r»::i:  l»-:-^rl:s>v»hAri  ii;t>:r.2rLint;n  i-iixjKTxiA.  dda,  L-vi- 
ciauai  usw..  ^rli.LsÄi::  :.ur  viT^vi.ivnier*  iri-wvridete  veräusserlichun- 
^n  d-:s?<lKi:  » .  rS'::".l;:nr>::-Lii.:-:s  sind,  s:-  birci  das  <n:»L  man  in  sich 
Svb.n  iwii  vv:s:i;ediriv  t*tgrlf[e.  den  der  kraft  xmd  den  der  mog- 
lichkeit. 


KÖNNEN  UND  MÖGEN  IM  ALTD.  35 

Zwar  ist  es  ein  leichtes,  diese  beiden  begriffe  auf  einen  zurück- 
zuführen: das  physische  können  Hesse  sich  als  eine  besondere  art  der 
möglichkeit  auffassen,  derjenigen,  welche  durch  das  körperliche  vermögen 
des  Subjektes  bedingt  ist  So  erschiene  die  fähigkeit  im  algemeinsten 
sinne  als  diejenige  Vorstellung,  welche  viaffan  ursprünglich  zu  gründe 
liegt  Die  etymologischen  Verhältnisse  widersprechen  aber  dieser  annähme 
aufe  entschiedenste:  die  urverwanten  Wörter  zeigen  sämtlich  eine  deut- 
lich wahrnehmbare  beziehung  auf  Wachstum  und  stärke,  während  sie 
einem  so  abstrakten  begriffe,  wie  der  der  objektiven  möglichkeit  ist, 
ursprünglich  fremd  gegenübei-stehen. 

Wir  müssen  daher  annehmen,  dass  man  sich  nicht  immer  des 
Charakters  der  mittel  bewusst  geblieben  ist,  welche  durch  magan  an 
die  band  gegeben  werden,  dass  man  vergessen  hat,  dass  der  ^mögende" 
eigentlich  nur  auf  physischem  woge  zu  seinem  ziele  komt  Den  ana- 
logen process  haben  wir  oben  für  hiiuian  beobachtet;  nur  ist  hier 
noch  einmal  zu  betonen,  dass  können  seine  genuine  bedeutung  lange 
zeit  hindurch  bewahrt  hat,  während  für  mögen  die  ersten  anfange  der 
bedeutungsdifferenzierung  \md  -verblassung  schon  bis  ins  gotische  hinab- 
reichen. 

Das  got  7nag  =  lox^^j  valeo  lässt  sich  in  dreifacher  construk- 
tion  nachweisen: 

I.  Absolut,  doch  ist  dieser  gebrauch  ziemlich  selten;  meist  ist 
da,  wo  mag  allein  steht,  eine  ellipse  zu  statuieren:  Rom.  8,  7  ivitoda 
gups  ni  ufhatisdpy  ip  ni  mag  (ovdi  yäq  dvyavai).,  Marc.  9,  18  jah  qap 
sipoJijam  pcinaim  ei  usdribeina  ina  jah  ni  niahtedun  (xat  ov'^  Xayrv 
aar);  Marc.  9,  22;  Marc.  10,  39  ip  ci^  qepun  du  imma:  tnagii  (ßwa- 
iu^a)\  Luc.  19,  3  jah  ni  mahta  (sc.  gasaihan)  faura  managein. 

n.  mag  ist  befähigt,  einen  objektsaccusativ  zu  sich  zu  neh- 
men, doch  bezeichnet  dieser  nie  ein  concretes  objekt,  sondern  enthält 
algemeine  bestimmungen  wie  all,  Iva  u.  dgl.:  11.  Cor.  13,  8  ni  aiik 
7nagum  ha  ivipra  sunja  ak  faur  s^iwja;  Phil.  4, 13  a//  mag  (/cdvva  laxvio), 

UI.  Meist  wird  das  objekt,  auf  welches  die  iax^g  oder  dijvafiig 
gerichtet  ist,  in  einem  Infinitive  angegeben:  Mtth.  8,  28  sleidjai  filu, 
swasive  ni  mahta  manna  usUipan  pairh  panu  wig  jainana  (üare  [atj 
iaxveiv  naqeXd^Eiv);  Luc.  6,  48  jah  ni  mahta  gawagjan  iia  (ovtl  Yaxvoe 
aaXtüaai  avvi/jv)]  Luc.  8,43.  14,  29.  20,  26.  Luc.  16,  3  graban  ni  lYtag, 
bidjan  skama  mik  Eph.  S^  IS  ei  —  mageip  gafahan  =  iVa  e^iaxv- 
atfce  'AjaiaXaßlo&ai, 

Der  begriff  der  kraft  und  stärke,  der  in  den  bisher  mitgeteilten 
beispielen  festgehalten  wurde,  tritt  in  den  folgenden  belegen  nicht  her- 


36  KAHL 

vor:  es  handelt  sich  hier  in  dem  oben  besprochenen  sinne  um  den  aus- 
druok  einer  objektiven  möglichkeit,  eines  dvvaa&aiy  posse:  Marc.  2,  4 
jafi  Pii  mogapidan^  uelva  tjiman  {ur  dwiiuiroi  :rq(Kt)yioai)\  Luc.  8,  19 
jah  ni  mahtcduu  amtqipan:  Marc.  6,  19.  Skeir.  39,  10  ni  mag  ga- 
saHra9t:  Marc.  9,  23  magcis  galauhjau:  Luc,  t>,  42  magt  qipaji  (dvva- 
aai  iJyetr).  In  den  beiden  folgenden  beispielen  bewegt  sich  der 
abhängige  inünitiv  duivhaus  auf  dem  gebiete  geistiger  tätigkeit;  um  so 
weniger  sind  wir  berechtigt,  hier  mag  =  la/vio  zu  fassen  und  an  kör- 
perliche kraft  auf  Seiten  des  mr»genden  zu  denken.  Joh.  14,  5  ßvaiica 
magum  jKitia  ing  ktinimn  (ihrciiu^a  dö^rai);  Eph.  3,4  duppe  ei  sigg- 
iramians  mageip  frapjan  frotlei^i  miiuai  in  runai  Xristaus  =  /tqb^ 
8  dviKtat^t  arayinJa-Aorre^  rof^oat  ri^r  anaur  x.  r.  A. —  Weitere  belege 
zu  I,  II  und  III  bietet  Schutzes  Got.  wb.  s.  216:  Köhler,  Synt.  ge- 
brauch des  infinitiv  im  got:  Genn.  XII,  425. 

§  6.    Mtisren  im  altsiehsiseheii. 

I.  Der  absolute  gt^brauch  von  magtut  ist  im  alts.  nicht  mehr 
belegbar,  es  sei  denn,  diiss  man  Hol.  2S4t>  huaf  mag  that  thoh  the- 
saro  me/iigi  nicht  wie  Steig  (Zs.  f.  d.  ph.  XVI.  327)  getan,  durch  die 
einfache  ollipse  von  HHtsaft  erklären  will.  Ellipsen  leichterer  art  lie- 
gen vor:  Hei.  659  sia  frumida  thic  mahta  (sc.  frummicn).  2727  hah- 
duh  imi  for  ufidf\<agim  so  sia  un^la  mahinn  (sc.  hclfbian). 

II.  Für  mag  c.  objektsaccusativ  bietet  das  alts.  kein  beispieL 

III.     mag  c.  infiu. 

ai  mag  c.  inf.  =-  raito  begegnet  uns  an  folgenden  stellen:  Hei. 
891  ///«*  mag  alln'o  manno  gihmna  m*^ngithahto  sumicouo  sii-oroH; 
lW>  that  hit  atatan  mah  liad^^}  gi/iHttiliko/t  sat-a  endi  saiidea:  2107 
/<  t/il'4tiii  that  thu  ainuahl  hahis  that  tha  imi  hinana  mäht  htian 
giuuirktati:  Ö321  hii  ni  wahta  is  Ittns  gifnson. 

bi  ZahlniclKT  sind  die  boispivle  für  magan  =  <JrwKF^i,  posse: 
ich  muss  mich  hirr  aut  tino  auswahl  K^schninken.  725  iiw  ie  giuNin- 
nah  mag:  77^>  ////  htnhtu  an  jridu  hdont  that  kimi:  1800  al  so  ic 
iH  nit  oiita*\<*nh  ntii4]:  4041  sujqian  man:  50S7  muqau  is  autkennian 
uuiht  usw. 

D;is  alts,  k^^nt  auch  Ivniits  un{vrsOnliohe>  mag:  Hei.  141  huuo 
mag  that  giuuird^m  s-^r  13S  hui  it  so  niamrthan  muqi:  271.  An 
zw^^i  >ti-ilon  ist  man  s:oD»iirt  mnn  zu  übersetzen  durch  •loh  liabe 
urviuhf.  vt  ranla>>ung~ :  1709  /////////  mahtha  afttr  ihiu  smise^  man- 
iifs  g/sojh  sithrir  giituoi*an:  1711  .<>'  mag  that  an  is  hugi  mvra  an 
ihrsarxf  middilgant  manno  gihuuilicun  musan. 


\ 

KÖNNEN  UND  MÖGEN  IM  ALTD.  37 

Einmal  endlich  —  in  der  altnd.  psalnienübersetzung  Ps.  54,  13  — 
sehen  wir  ein  pliisquamperf.  coni.  durch  mofiti  c.  inf.  widergegeben: 
afßsrondissern  me  forifitan  ab  eo  =  ic  bürge  mi,  so  mohii  gibergan 
fan  hno.  Wir  werden  weiter  unten  gelegenhcit  haben,  ausführlicher 
auf  die  nahen  beziehungen  zwischen  ymigen  und  dem  conjunctiv  zu 
achten. 

Das  alts.  zeigt  uns  somit  bereits  eine  gi-össere  mannigfaltigkeit 
syntaktischer  an  Wendungen  von  mag  als  sie  uns  das  got.  bot;  wir  wer- 
den das  ahd.  auf  diesem  woge  immer  weiter  fortschreiten  sehen:  jemehr 
aber  die  gebrauchssphäre  von  mögen  an  ausdehnung  gewint,  um  so 
ärmer  wird  der  logische  inhalt  von  rnugcn, 

§  7.    MOgcn  ini  althochdeutschen. 

Die  ahd.  glossen  bezeugen,  dass  auch  im  ahd.  neben  jenem  mugen, 
welches  lat.  i-alerc  glossiert,  ein  anderes  eiuhergeht,  lat.  possiim  oder 
tjHeo  entsprechend;  die  übei-setzungen  bieten  zahlreiche  belege  für  diese 
tatsache;  sie  verraten  ausserdem  noch  einige  andere  bedeutungsnüancen 
von  mitgen,  =-  licet,  convenit  usw.;  sie  lehren  uns  femer,  dass  der 
conjunktiv  und  das  hülfsverbum  mitgen  in  begriflicher  verwantschaft 
stehen;  sie  nötigen  uns  endlich  eine  ganz  erhebliche  abschwächung  der 
ursprünglichen  bedeutung  da  anzunclmien,  wo  wir  mag  c.  inf.  einem  ein- 
fachen verbum  finit.  des  lateinischen  gegenüberstehen  sehen.  Von  den 
ahd.  glossen  kommen  hier  folgende  in  betracht:  I,  26*®  invalidis  — 
unmahtik;  152^^  valerct  —  mahda;  235  ^^  queam  —  meld;  236  ^^ 
qucverwit  —  mahton ,  mahtun;  236  ^^  yotucrunt  —  viakton;  365  * 
polest  confici  —  mac  uuerdan  katan;  586  ^^  valebit  —  maget;  754^^ 
possHint  —  viegin;  IL,  21'^^  nc  posdt  —  thax  ni  mngi;  27^^  quis 
queat —  nuer  )iu  mugk;  14:6'^'^  nequiverit  —  nemegi;  Q29^^  possimn^ 
—  megin;  666  ^^  potes  —  fnahtöst;  Emmer.  glosse  (Pez  I,  402)  passi- 
bilem  =  martra  doleii  magan. 

Aus  der  ahd.  übersetzungslittcratur  bringe  ich  nur  einige  beispiele, 
da  ich  unten  dem  deutschen  texte  jedesmal,  wo  es  angeht,  das  latei- 
nische original  hinzufügen  werde.  Fragm.  theot.  IV,  17  poiesiis  — 
magut;  XI,  3  licet  —  mac;  III,  1  perderent  —  farkosan  mäht  in; 
Isid.  VI,  a.  6  sit  —  mac  uuesan;  Tat.  108,  2  valeo  —  mag;  231,  1 
manducettir  —  ex%an  megi;  Notk.  Boeth.  40  ^  libuit  —  mugin;  41^® 
fas  fimset  —  "tnahU;  89  2«  habere  licet  —  haben  mugen;  122  ^^ 
Videos  —  mäht  sehen;  153  ^^  valct  —  mag;  173  ^^  licet  —  maxj; 
200  2ß  habent  volcndi  nolendiqnc  naturam  —  inugen  miellen  tmde 
nemiellen;  Mcp.  696  ^  eonveniret  accipere  —  nennen  ynahti;  MSD  54,  12 


38  KAHL 

qiiomodo  sc  dicit  —  uueo  mag  sin;  10,  14  imcle  hohes  —  uuär  maJii 
thil  ncman;  vgl.  auch  Denegke  Gebrauch  dos  inf.  bei  den  ahd.  Über- 
setzern des  Vin.  und  IX.  Jahrhunderts  s.  9. 

Der  nunmehr  folgenden  darstellung  der  syntax  des  ahd.  mögen 
legen  wir  folgendes  Schema  zu  gi'unde.  Wir  behandeln  L  den  absolu- 
ten gebrauch;  II.  die  transitiven  anwendungcn,  die  sich  in  der  casuel- 
lon  oder  präpositioneilen  anknüpfung  eines  objekts  an  mmj  kundgeben; 
III.  die  infinitivconstruktion  bei  maij.  Unter  III.  stellen  wir  zunächst 
a)  die  fälle  zusammen,  in  denen  may  valere  entspricht;  dann  b)  die- 
jenigen, in  denen  es  die  blosse  fähigkeit  und  möglichkeit  zum  aus- 
druck  bringt,  =  posse;  c)  im  anschluss  hieran  finden  die  beispiele 
erwähnung  und  erklärung,  die  uns  mag  als  Übersetzung  eines  lat  licet, 
fas  est  u.  dgl.  zeigen;  d)  in  einem  folgenden  abschnitte  weisen  wir 
nach,  dass  mngen  im  ahd.  nicht  auf  persönliche  Subjekte  beschränkt 
ist;  von  persönlich  gedachten  subjecten  gelangen  wir  bis  hinunter  zu 
e^,  als  'dem  träger  eines  magan;  der  mangel  an  concreter  bestimtheit, 
der  sich  in  einem  vx  mac  ausspricht,  leitet  über  zu  den  fäUen  e),  in 
denen  mac  c.  inf.  nur  eine  Umschreibung  des  einfachen  verbum  fini- 
tum  ist;  gesondert  hiervon  ist  endlich  der  gebrauch  desjenigen  mac 
c.  inf.  zu  behandeln,  das  zum  ersatze  eines  conjunktivs  f)  und  des 
futurums  g)  dient. 

I.     Der  absolute  gebrauch  des  ahd.  viag 

ist  selu*  selten:  mir  sind  nur  folgende  beispiele  bekant:  MSD  60,  15 
in  des  tadllnn  er  sih  gatriMa  magan  (euiiis  volvntate  credidit  sc 
l)osse)\  Ben.-R.  39,2  ferisi  megi  =  praevalet.  —  gimvgen  steht  absolut: 
Notk.  Ps.  140,  7  uiianda  dei  gemähten.  In  den  meisten  fällen  handelt 
es  sich  bei  tdleinstehendem  mag  um  eine  ellipsc,  so  Notker  Boeth. 
46  ^^  SU  sie  gedrungenöst  vtahton;  Ps.  118,  13  alle  nemahta  ih  (sc. 
Urnen):  Ps.  8,  3.    37,  7. 

Der  Infinitiv  fehlt  besonders  dann,  wenn  es  sich  um  ein  verbum 
der  bewegung  handelt:  hier  genügt  die  angäbe  der  richtung:  MSD 
13,  20  ne  megih  in,  nohhein  lant;  Otfr.  V,  10,  6  uiianta  furdir 
ihn  ni  mäht;  Notk.  Ps.  119,  2  ferrera  denne  du  megi^t 

II.     mag  mit  einem  objekte  (iiuax,  da^,  all  u.  dgl.) 

1)  c.  acc.  MSD  60,  2  7ii  mac  dix;  17  dax^  mac;  20;  22  dax  neo- 
man  mac  in  Panlo,  dax  mac  xa  nudre  in  trühtln  =  quod  nemo 
jwtest  in  PaidOj  Iwe  polest  in  domino:  vgl.  got  IL  Cor.  13,  18; 
Phil.  4,  13.  MSD  82,  11.  19  negimahta  nieht;  91, 106  so  siex  verröst 
gimngin;   109  tibe  ih  ex  girnac.     Murb.  H.  20,6  uuax  diu  mak  hökira; 


KÖNNEN   UND  MÖGEN  IM   ALTD.  39 

Tat.  92,  4  oba  thü  uuax^  mugts;  Otfr.  IV,  31.  33  allax  tibarmag. 
Notker  kent  nur  das  compositum  ffhmigen  c.  acc.:  Booth.  53^^  rhe- 
torica  gernag  micheUu  ding;  80^2  mer;  107'  dax;  174  ^  185^. 
198 2.  217«  a/;  233^1;  Mcp.  781 1»  filo  getnag;  Ps.  118,  93.  Nur 
einmal:  Ps.  14,  4  haben  die  Wiener  und  Wessobrunner  hs.  nieht  ne- 
fnahia;  der  cod.  St.  Gall.  nieht  fiegernahta. 

2)  c.  gen.  Notk.  Boeth.  2^9^^  sih  fermugen  stnes  kmiges;  248  ^^ 
fennahta  er  sih  ringennes, 

3)  c.  dat.  Tat.  80,  3  gimngen  iri  (sufficiunt  eis);  Notk.  Ps.  7,  3. 
60^  4  er  geniag  mir  (hat  gewalt  über  mich);  88,  23  7iieht  nemag  imo 
der  fient  (vgl.  Lachmann  zu  Nib.  785,  1). 

4)  c.  praep.  Tat  24,  3  xi  niouuihta  nimag  ix  elihdr;  90,  3 
ni  yvmvgun  uuidar  int  (non  praevalebnnt  adversuß  eain), 

III.     7nag  c.  infin. 

a)  7niigen  =  valere. 

Ich  beschränke  mich  auf  eine  aus  wähl  von  stellen: 

MSD  3,  57  (Musp.)  dar  nimac  nute  helfan  vora  deine  muspiUe. 
3,  83  imo  man  kipägan  ni  mak;  9,  2  giiiualt  dux  er  mue  gine- 
rian;  86 C  1,  11  der  so  kiuualtic  uiias  dax  er  sinan  pichoräre 
firsen^hin  mähte. 

Tat  38,  3  mag  xuogiouhhön  (=-  got  Mtth.  6,  17  mag  anaaiikan); 
108,  2  ih  ni  7nag  graban  (fodere  non  valeo) ;  189,  3  quedentan 
mngan  xiimerfan  gotes  tempal;  205,  3  sih  selbon  ni  mac  er  heil 
tnon;  236,  4  ni  mohtiin  xiohan  =  na?i  valebant  trahere, 

Otfr.  I,  23,  47  got  mag  these  kisila  irquigken;  V,  7,  35  ni  meg  ih 
thax  irkoboron  vgl.  V,  23,  1. 

Notk.  Boeth.  141  ^  ncmugen  siu  aber  geleisten  =  valent  efficere; 
153^^  mag  chuningo  geivalt  —  mahtige  getüon  =  val&nt  efficere 
potentem;  162^'  ficmugin  dara  f olleleiten  (perducere  valeant) ; 
Mcp.  753  2'  linde  den  adarnas  7üoman  f erbrechen  nemag;  Ps.  35, 
13  an  demo  fuoxe  nemahton  si  gestcn;  40,  4  so  er  föne  unchrefte 
ur  firsten  ncrnag;  146,  9  er  tnicix  die  starclien  dia  dax  heuue 
magen.  Ebenso  MSD  9,  5.  55,  3.  4.  65  ü,  5.  67,  30.  Isid.  IV, 
b.  8.  Tat  30,  4.  44,  19.  46,  2.  88,  10.  Otfr.  H,  22,  23. 
Notk.  Boetli.  7H    10 9. 

b)  mugen  =  posse. 

Es  wäre  ein  zweckloses  unternehmen,  alle  die  stellen  anführen 
zu  wollen,  in  denen  7nag  c.  inf.  posse  entspricht;  d.  h.  die  objectivo 
möglichkeit  bezeichnet     Wir  dürfen,  ohne  uns  der  gefahr   der  über- 


40  KAHL 

treibung  auszusetzen,  behaupten,  dass  schon  im  ahd.  der  infinitiv  eines 
jeden  verbums,  welches  auch  sein  eigentümlicher  begrifeinhalt  sein 
möge,  zu  diesem  mag  adverbial  hinzutreten  kann.  Ich  begnüge  mich, 
aus  MSD  einige  der  hierher  gehörigen  Infinitive  aufzuzählen  und  zu 
rubricieren.    Der  infinitiv  bezieht  sich 

1)  auf  eine  geistige  tätigkeit:  MSD  3,  94  arlingan;  13,  5  in 
gedaiwhuii  giuuauchon;  54,  8  farstanten;  61,  28  quidan;  72,  40  he- 
vemnjan;  82,  7,  3  uuhxen;  82,  12,  2  gwehan;  83,  7  miiDian;  86  C,  7 
irchenyiin, 

2)  auf  körperliche  Verachtungen  u.  dgl.:  82,  3,  2  geizigen: 
83,  18  gm;  83,  53  gerlhten;  85,  17  scaden;  86B  3,  34  heimir  chcnnen, 

3)  passive  infinitive  liegen  vor  in:  4,  3,  7  a«  scedin  uuerdan; 
56,  101  heil  uue^an;  66,  13  vuiidan  unertJtan;  79,  220  kcluiHcn 
uucrden;  82,  3,  9  gcseuin  uuerdiu;  86B  1,  5  irfidlü  uuerdcH;  86  A 
4,  10  firhren/iet  tiiierdett. 

Es  wird  ein  leichtes  sein,   diese   belege   aus   der   ahd.  littoratur 

beliebig  zu  vermehren.    Ich  möchte  noch  darauf  hinweisen,  dass  einige 

mal  lat.  adj.  auf  -hiUs  durch  mmjen  c.  inf.  umschrieben  werden.     Em- 

mer.  gl.  (Pez.  I,  402)  ])assibihm  =  martra  dolai  magcn;  MSD  80,  13 

huic  exorahilis  =   ter  mag  horsho  gebetön;    Notk.  Boeth.  397  ***  .sv/- 

sceptibilis  est  =»  iuphahen  mag;  397  ^.  —     Ps.  118,  54  ra)tinbilis   = 

dax  ich  sie  singen  mahta,  —   Die  Windsberger  psalmen  (s.  564  Or.) 

bilden  an  dieser  stelle  saucKch;    vgl.  auch  Notk.  Boeth.  174  2*  perspi- 

cua  est  «==  7nag  sehen, 

c)  mag  =-=  licet  u.  dgl. 

Schon  oben  wiesen  wir  bei  gelogenheit  zweier  stellen  des  Hei. 
darauf  hin,  dass  im  ahd.  mag  neben  jenen  bedeutimgen,  welche  wir 
oben  besprochen  haben,  noch  einige  andere  liegen,  die  sich  durch  eine 
stärkere  bezugnahme  auf  das  subjekt  auszeichnen,  als  sie  sonst  dem 
algemeinen  begrifFe  der  möglichkeit  zueignet  7nag  kann  im  alid.  auch 
hoissen: 

1)  es  steht  mir  frei;  ich  kann,  wenn  ich  will; 

2)  ich  habe  Ursache,  veranlassung. 

Wie  haben  wir  xms  diese  bedcutungsnüancon  zu  erklären?  Die  mög- 
lichkeit einer  handlung  kann  in  umständen  wurzeln,  die  den  persön- 
lichen eigenschaften  des  Subjekts  oder  den  Verhältnissen  der  äusseren 
Wirklichkeit  entstammen;  für  den  ausdruck  dieser  arten  der  möglich- 
keit ist  mugen  bestimt 

Wenn  nun  angegeben  werden  soll,  dass  zwar  die  äusseren  und 
inneren  faktoren  vorhanden  sind,  welche  durch  ihr  zusammenwirken 


KÖNNEN    UND  MÖGEN   IM   ALTD.  41 

die  befahigung  des  Subjekts  und  damit  die  möglichkeit  der  handlung 
constituieren,  dass  aber  gleich wol  das  Subjekt  die  unumschränkte  frei- 
heit  seiner  cntschliessung  sich  bewahrt,  dass  es  in  keiner  weise  einem 
nötigenden  einflusse  jener  umstände  unterliegt,  so  entwickelt  sich 
daraus  der  begriff:  „ich  bin  zwar  befähigt  zu  einer  tätigkeit,  aber  es 
steht  in  meiner  band,  ob  ich  die  tätigkeit  aus  der  möglichkeit  in  die 
Wirklichkeit  will  tibergehen  lassen."  Wir  haben  es  hier  also  mit  einer 
besonderen  art  der  möglichkeit  zu  tun:  derjenigen,  welche  dem  subjecto 
keinen  zwang  auflegt,  ihm  die  freiheit  der  selbstentscheidung  belässt 

Auf  der  anderen  seite  kann  nun  der  fall  eintreten,  dass  die  fak- 
toren  der  möglichkeit  mehr  tun  als  die  möglichkeit  bedingen.  Wenn 
wir  Otfr.  I,  18,  11  lesen:  thax  mugun  ladr  io  riaxan,  so  ist  damit 
nicht  ausgedrückt,  dass  uns  die  fähigkeit  zu  klagen  innewohnt;  Otfried 
will  vielmehr  sagen,  dass  der  verlust  des  paradieses,  unseres  heimat- 
landes,  von  dem  an  jener  stelle  die  rede  ist,  ims  gewissermassen  auf- 
fordert zu  klagen,  der  anlass  unserer  trauer  ist  Auch  hier  tritt  also 
nur  eine  seite  des  algemeinen  begriffes  der  möglichkeit,  jedoch  schär- 
fer und  bestimter,  hervor.  Nicht  genug,  dass  die  möglichkeit  überhaupt 
vorhanden  ist:  die  umstände,  denen  sie  ihre  existenz  verdankt,  sind 
zugleich  so  eigentümlicher  natur,  dass  sie  an  uns  das  ansuchen  stellen, 
die  möglichkeit  zur  Wirklichkeit  zu  gestalten. 

1)   Beispiele  für  mag  ==  licet,  es  steht  mir  frei. 

MSD2, 55  (loh  7naht  du  nu  aodlieho  —  hni^sti  geiudmian;  Fragm.  theot. 
XI,  3  odo  ni  mac  dax  ich  unitlu  iuoen  =  aut  nmi  li<^ct  inihi  quod 
volo  facere? 

Otfr.  I,  23,  18  .so  ihn  thir  t/iar  le^an  mäht;  ebenso  II,  3,  11;  3,  29; 
m,  14,  51;  IV,  5,  60;  6,  2;  15,  59;  33,  21.  —  ü,  9,  90  ms  mäht 
thih  al  hithenkan;  L.  44  sclbo  mäht  ix  lesan  thar;  11,  24,  2;  V, 
13,  3;  H.  38. 

Notk.  Boeth.  40  ^  ituax  si  geti)en  mugin  (libidt) ;  41^^  ix  nemahti 
nioman  anderro  gitumi  (fas  faisset) ;  89  ^^  den  vianigc  haben  nernu' 
gen  (licet) ;  173^^  samolih  mag  ih  sagen  (=  similiter  licet  ratio- 
cinari) ;  195  ^^  7nag  ih  j^aldo  festcnö?i  (licet  cancludere) ;  200  2<»  tiu 
natürlicho  mugen  hineilen  unde  ne  iiuellcn  (quae  habent  aliquayn 
t'olendi  7iolendiqtfc  naturam) ;  Mcp.  696^  mielicha  er  neman  mahtt 
(quam  conveniret  accipere). 

2)   mag  -=  ich  habe  Ursache. 

MSD  3,  6  sorgeft  mac  diu  sela;  3,  23  so  mac  huckan  xa  diiiy  sorgen 
dräto;  91,  239  dax  ich  inniglicho  biweinmi  —  mugc. 


42  KAHL 

Otfr.  I,  18,  4  ich  vieg  ix  lohon  harto  (vgl.  hierzu  Erdmann  Unter- 
suchungen usw.  I,  18  gegen  Grimm  Gr.  IV,  80);  I,  13,  11  thax 
mugun  uuir  io  riaxan;  11,  4,  77  ih  mag  ix  uuola  tnidan;  IV,  12, 58 
ih  meg  ix  baldo  sprechan;  V,  9,  20  Utax  miigun  uuir  iamer  mmnon. 

Notk.  Boeth.  102*  tar  mag  man  ana  Urnen  integritatem;  184*  tiu 
per  uuort  mugen  uuir  —  diuten;  Categ.  368  ^^  sie  mag  man  bede 
heixiu  homo  unde  animah 

(1)  mag  mit  unpersönlichem  Subjekte. 

Es  war  interessant  zu  beobachten,  wie  langsam  der  unpersönliche 
gebrauch  von  können  im  altdeutschen  sich  bahn  brach.  Vor  dem  Xll. 
Jahrhundert  war  die  Übertragung  von  kunnen  auf  ein  sächliches  Sub- 
jekt oder  gar  auf  ex  nicht  nachweisbar;  wir  konten  noch  mehrere  Zwi- 
schenglieder aufzeigen,  welche  die  vermitlung  zwischen  dem  persön- 
lichen und  unpersönlichen  können  gebildet  haben.  Anders  ist  dies  bei 
mag!  Die  objektive  raöglichkeit  kann  für  eine  sache  ebenso  gut  ein- 
treten wie  für  eine  person:  von  einer  befahigung  darf  man  hierbei 
freilich  kaum  sprechen;  es  handelt  sich  darum  auszudrücken,  dass 
gewisse  umstände  der  Verwirklichung  einer  handlung  günstig  sind 
oder  nicht,  und  somit  für  dieselbe  ein  mugen  oder  nemugeu  herbeifüh- 
ren. Die  ereten  beispiele  für  mugen  mit  sächlichem  subjekt  und  ex 
lassen  sich  im  ahd.  bei  Tatian  nachweisen. 

1)  mugen  mit  sächlichem  subjekt 

Tat.  25,  1   ni  mag  bürg  uuerdan  giborgan:    134,  8  inti  ni  mac  dax 

giscrib  xilösit  uuerdan:  164,  3  than  i/iisiu  uueralt  intfdhan  nimac; 

167,  3  dax    uuinloub   ni  mac  beran   uuahiismon  fona  imo  selbemo: 

240,  2. 
MSD  79A  119  irmewcn  unde  begrifen  nemag  in  nehein  sin;  81,  26 

tax  ist  Ubhafte  (anhnal)  dax  sich  ruerin  mag, 
NotL  Boeth.  10  ^\  30^^  imprudentia  nemag  mih  bringen  xc  demo  scuU 

digen:     49^^   s fernen    nemugen    skinen;     65*-    sprdchö    unde  ding 

nemugen  dne  strii  nicht  urrdent:    81  *  so  mugen  anchorae  gestdten 

dax  skef:  87 1\    91^\    102  ^    147  »^    154  »i  usw. 

2)  ex    mac  c.  inf. 

Tat  17,  3  fon  Xaxarrth  mag  sih  uuax  guotes  uuesan;  119,  5  vuo 
mugun  thisu   (haec)   uuesan:  181,  1  ob  ix  uuesan  mohti. 

Otfr.  I,  25,  5  uuio  mag  sin?  vgl,  I,  27,  58.  11,  3,  7.  11,  7,  46. 
IV,  11,  26.  V,  7,  21  mag  mih  gelüsten  uueinonnes;  V,  18,  13  ix 
mag  uns  uuesan  drdti:    V,  19,  36  queman  mag  un^  thax  in  muat. 


KÖNNEN   UND  MÖGEN  IM  ALTD.  43 

Notk.  Boeth.  61-^  dax  iuw  samoUh  kcslehcn  ytmhti;  95-^  na  nema{i 
aber  de^  nicht  sin;  99-  dax  ivio  liehesta  muge  sin;  103^2  uuux, 
mag  —  danne  liehen;  12125  ^nag  keskehen;  136  ^^  nuio  mag  sin; 
vgl  21H    114*.    14913    16028.    1801*. 

e)  Viag  c.  inf.  =  verbum  finitum. 

Der  impersonelle  gebrauch  von  mugen  lässt  uns  darauf  schliessen, 
dass  schon  im  ahd.  die  logische  kraft  des  verbums  mugen  bedeutend 
abgenommen  hat:  frühzeitig  ist  das  ahd.  mag  zum  hülfsvorbum  herab- 
gesunken. 

Schon  aus  dem  anfang  des  IX.  Jahrhunderts  können  wir  falle 
nachweisen,  in  denen  mag  c,  inf  nur  die  geltung  des  einfachen  ver- 
bum finitum  hat,  wie  uns  die  lat  Übersetzungsvorlagen  zeigen  kön- 
nen. Nun  kann  zwar  nicht  geleugnet  werden,  dass  in  manchen  der 
beLspiele,  die  wir  unten  anführen  werden,  mag  wol  nicht  ohne  absieht 
vom  deutschen  Übersetzer  hinzugefügt  worden  ist  und  deshalb  bei  der 
crklärung  nicht  ohne  weiteres  auf  die  seite  geschoben  werden  darf. 
Allein  man  wird  doch  zugeben  müssen,  dass  dies  mag,  wenn  man  ihm 
noch  eine  individuelle  bedeutung  zugestehen  will,  jedenfals  recht  schwach 
und  inhaltsarm  ist  und  von  dem  alten  magan  =  laxteiv  durch  eine 
tiefe  kluft  getrent  ist. 

MSD  10,14  miar  mäht  thil  gnot  man  nemaii  qnecprmman  =  unde 
ergo  habes  aquam  vivam? ;  10,  27  des  makthu  sichüre  sin  =  hoe 
vere  dixisti;  10,  28  dax  thü  mäht  forasago  sin  =-  qnia  propheta 
es  in;  54,  12  uuco  mag  er  christdni  sin  =---  qnomodo  se  christia- 
num  dicit;  80,  5  so  man  einen  stnpf  ketuon  mag. 

Tat.  45,  4  fhiu  bihaben  mohtun  einerö  giunelih  xuei  mex  odo  thriu 
(eapientes  singiilae  metretas  binas  vel  iernas) ;  240,  2  undniu  the- 
san  mittUgart  bifähan  magan  =«  arbiträr  mundum  capere  eos. 

Otfr.  IV,  14,  15  thiu  mngun  tirkundon  sin. 

Notk.  Boeth.  124  *'  unax  ynag  starcheren  sin  ad  lyers^iiadendum  danne 
dax  lob  ist;  135-^  /«i  nemahti  nicht  smahc  ^in  =  neque  enini  vile 
quiddam  est;  Ps.  24,  19  ih  iro  deste  mdrseren  trost  haben  mag. 

f)  mag  c.  inf.  ersezt  den  conjunctiv. 

Dem  conjunctiv,  mag  er  nun  im  besonderen  als  optativ,  jussiv 
(adhortativ),  potential  oder  wie  auch  sonst  immer  auftreten,  ist  es  eigen, 
einen  „mangel  an  objektiver  tatsächlichkeit*'  zum  ausdruck  zu  bringen. 
Ebenso  schliesst  aber  jede  möglichkeit  einen  mangel  an  Wirklichkeit  in 
sich ;  es  haben  daher  „die  kategorien  der  möglichkeit  und  fähigkeit  eine 


44  KAHL 

verwantschaft  zu  der  durch  den  conjunctiv  bezeichneten  der  verringer- 
ten realitüt  oder  negativität"  (Bock  QF.  XXVII,  15).  Von  diesem 
gesichtspunkte  aus  haben  wir  es  zu  beurteilen,  wenn  im  ahd.  nicht 
selten  viac  c.  inf.  da  steht,  wo  wir  eine  conjunctivform  des  verb.  fin. 
erwarten  oder  gar,  wo  das  lat  original  sie  bietet  Mitunter  wechseln 
innerhalb  desselben  Satzgefüges  der  conjunctiv  und  ein  indicativ  von 
rnugen  mit  infinitiv,  z.  b.  Otfr.  Y,  23,  37  ihoh  imo  abuuertax.  st  ni- 
mag  ouh  mit  then  ongo?i  xi  g^ginuuertiz  scouuon;  vgl.  IV,  19,  25/6. 
Als  beispiele  für  den  ersatz  des  conj.  durch  mac  c.  inf.  führt 
Erdmann  (Untersuchungen  usw.  s.  36)  an: 

MSD  10,  28  herro  in  thir  utiigic  sein,  daz  thü  mäht  forasago  sin; 
Otfr.  II,  14,  55  ynin  muat  —  duat  mih  wis,  thaz  thii  forasago 
sis  (vgl.  MSD  s.  294).  Wir  haben  die  stelle  MSD  10,  28  schon  oben 
unter  den  fällen  aufgezählt,  in  denen  7na€  c.  inf.  =  verb  fin.  steht. 
Otfr.  V,  23,  1  steht  im  nachsatze  mag  einem  conj.  praet  des  con- 
ditionalen  Vordersatzes  gegenüber:  nnott  ih  hiar  nu  redinon,  ni 
mag  ix  ihoh  irh'oboron. 

Die  Vertretung  des  conj.  in  optativem  sinne  durch  mag  kann 
ich  aus  dem  ahd.  nicht  belegen;  doch  möchte  ich  hierher  stellen: 
Notk.  Mcp.  760  -  iia  maktist   tu    genw    sehen    glixenta    (quam   et 
eonspieere  nitentem  vellcs). 

Der  jussiv  liegt  vor  in:  Otfr.  I,  26,  6  hiar  mag  er  lernen  = 
hiar  lerne  er  (Erdmann  s.  36);  FV,  26,  24  ia  mag  ix  got  erbm^men. 
Weit  häufiger  wird  der  potentialis  durch  jnecc  ersezt.  Das 
wescn  des  potentialis  hat  Erdmann  (1.  c.  s.  16)  zutreffend  folgender- 
massen  beschrieben:  „In  einer  beschränkten  anzalü  selbständiger  con- 
junctivsätze  ist  die  subjectiv-bcgehrende  erregung  des  sprechenden  ab- 
geschwächt, da  kein  interesso  desselben  am  satzinhalte  hervorgehoben 
wird.  Was  dieser  conjunctiv  mit  dem  wünschenden  und  auffordernden 
gemeinsam  hat,  ist  die  Vorstellung  des  redenden,  dass  das  eintreten 
nicht  jezt  wirklich  statfindet,  sondern  algemein,  d.  h.  nicht  zu  einer 
bestirnt  ins  äuge  gefassten  zeit,  sondern  überhaupt  zu  irgend  einer  zeit 
stattinden  könne,  d.  h.  möglich  sei."  Man  ersieht  daraus,  dass  das 
hülfsverb,  dem  die  function  zukomt,  die  möglichkeit  auszudrücken, 
nämlich  jmigen,  in  ganz  besonderem  masse  geeignet  erscheint,  den 
conc.  potentialis  zu  vertreten.  Bisweilen  wird  bei  diesen  Vertretungen 
mngen  selbst  in  den  conjunctiv  gesezt.  Hierüber  hat  sich  Holtheuer 
(Zs.  f.  d.  ph.  erg.  166)  so  ausgesprochen;  „Ohne  das  hülfsverb  würde 
der  conjunctiv  stehen,  mit  dem  hülfsverb  steht  der  satz  im  indicativ; 
es  umschreibt  also   den  modus.     Die  spräche  geht  aber  noch   einen 


KÖNNEN  UND  MÖGEN  IM  ALTD.  45 

schritt  weiter.  Sie  sezt  auch  das  hülfsverb  in  den  modus,  den  es 
eigentlich  umschreiben  soll,  und  es  enthält  der  satz  so  die  modale 
beziehung  in  der  tat  doppelt  ausgedrückt."  —  Beispiele  für  mac  c.  inf. 
=  conj.  potent,  sind: 

MSD  13,12  uuie  maktih  dir  intrirman  (et  quo  a  faeie  tua  fugiam) ; 
54,  13  odo  um  mac  der  furi  andra  derä  calawpä  purgeo  sin  (vcl 
qtiomodo  pro  alio  fidei  spo7isor  existat), 

Otfr.  I,  4,  55  uuio  rneg  ih  uidxxan  thanne;  V,  25,  36  tmcs  ^tney 
ih  fergori  mera. 

Notk.  Boeth.  96  ^^  ioh  singen  inahtist  {cantares)\  122  ^^  tu  mäht 
ena  sehen  =  itaque  illam  videas;  168^  tiues  mag  ih  nn  digen 
(quid  imprecer) ;  224  ^^  uuer  ma/j  uuinneskefte  scaffunga  getüon 
=  qivis  legem  det  amantibus;  102  ^^  uuax^  mag  ih  racho7i  (quid 
disseratn) ;  113^  aide  tmax  mag  —  Jmbeyi  (aut  quid  habeat). 

Im  gefüge  des  zusammengesezten  satzes   begegnen   ims  folgende 
Vertretungen  des  conj.  durch  miigen: 

1)  Relativer   nebensatz. 

Fragm.  theot  III,  1   hnueo  sie  ifian   forleosan  mahtin    (quomodo 

perderent). 
Tat.  231,  1   thax  man  exxan  megi    (quod  manducetur;   Par.  fragm. 

Zs.  f.  d.  a.  XVII,  74  mafiducetis) . 
Notk.*  Boeth.  10  '^^  after  dien  man  stigen  muhti  (quibus  esset  ascen- 

siis) ;    46  1^   thar  müoi   suht   insliefen  mag   (per  quod  irrepserit 

morbus),      105^^   tie  dien   unirsisten   miujen  haften   =   quae   se 

patiantur  pessimis  haerere. 

2)  Indirecter  fragesatz. 

Isid.  VI,  a  6  uuala  nu,  auh  tiue^  7nac  dhesiu  stimna  nuesan  = 
age  nunCj  cuitis  est  haec  vox, 

3)  Absichtssatz. 

Otfr.  I,  2,  55  thax  ih  iamer  —  mit  themo  dröste  megi  sin;  IV,  19, 
25  thax  si  mohtin  —  biredinön;  IV,  19,  64  tJiax  si  nan  ynohtin 
gianabrechon;  V,  12,  17  thax  uuir  megin  —  irkennen;  V,  17,  38 
thax  bax  sie  mohtiii  sconan;  vgl.  II,  22,  3. 

4)  Concessivsatz. 

Otfr.  I,  18,  5  thoh  mir  megi  lidolth  sprehhan  (Kelle  üborsezt  die 
ganze  etwas  schwer  verständliche  stelle:  „und  wenn  auch  jedes 
glied  des  leibs  der  spräche  gäbe  mir  besäss,  so  könte  doch  mit 
Worten  nie  mit  diesem  lob  ein  ende  sein);  I,  27,  57  thax  mih  ni 
thunkit,  megi  sin;  vgl.  II,  12,  37;  II,  14,  91;  Erdmann  s.  37. 


46  KAHL 

5)  In  bedingungssätzen  habe  ich  mugefi  =  conj.  im  ahd.  nicht 
gefunden;  für  das  mhd.  vgl.  weiter  unten  und  Holtheuer  LI.  s.  165 fg. 

g)  mac  c.  inf.  =  futurum. 

Das  jfuturum,  das  eine  handlung  aus  der  gegenwart  in  die  Zu- 
kunft, aus  der  Wirklichkeit  in  die  möglichkeit,  hinausschiebt,  schliesst 
ebenso  wie  der  conj.  einen  mangel  an  realität  in  sich  und  tritt  dadurch 
zu  mugen  in  nahe  beziehungen.  In  folgenden  fällen  entspricht  mugen 
c.  inf.  einem  einfachen  futurum: 

Tat.  3,  6  imo  mag  thax.  sin  ==  quoniodo  fiet  istud, 
Otfr.  in,  6,  17  tittar  mugun  uuir  nu  biginnan  mit  koufu  brot 
gefiiuinnan  =  Joh.  6,  5  Ttd&ev  dyoQccoo^ieVy  unde  emcmtis;  III,  25,  7 
uitax  mugun  mar  —  thesses  duan  =  Joh.  11,  47  quid  fade- 
mus;  vgl.  Tat  135,  1  uuax  duomcs;  IV,  9,  5  uuara  7nugen  uuir 
unsih  uuenten, 

Notk.  Boeth.  91^®  tir  nemag  tili  fortuna  dax  7iieht  kegeben  (nuni- 
quain  faciet);  104^^  mäht  teil  ieht  üxerdreuuen  =  num  quic- 
quxim  imperabis. 

Zur  lunschreibung  des  den  gorraanisclien  sprachen  fehlenden  futu- 
rums  durch  andere  hilfsverben,  wie  seal,  uuillUj  munx,  vgl.  Grimm 
Gr.  IV,  179;  Erdmann  1.  c.  s.  5  fg.;  meist  hat  das  praesens  die  funk- 
tionen  des  futurums  übernommen  (vgl.  u.  a.  Tat.  135,  1  uuax' duomes 
=  quid  faciemus). 

Wir  haben  damit  die  syntax  dos  ahd.  mugcriy  zum  wenigsten  io 
ihren  haupterscheinungen  erschöpft,  und  können  nunmehr  zu  mugen 
im  mhd.  übergehen. 

§  8.    MOgen  im  mittelhochdeutschen. 

Für  den,  dem  zum  zwecke  der  ermitlung  der  bedoutung  des  mhd. 
kwunen  der  einfache  hinweis  auf  das  ahd.  nicht  genügt,  schreiben  wir 
hier  aus  den  oben  (s.  15)  angeführten  vocabularien  folgende  glossen  aus: 

passe  =  7nogen^  mocgen,  mugen  (Diefenbach  s.  449);  valere  =  mu- 
gen (ebd.  s.  605);  vakx  =-  mugen,  7?iugenheit,  gesuntheit;  vgl.  auch 
Diefenbach  Nov.  gloss.  1867  s.  376  s.  v.  valere,  Voc.  d.  Nig.  Ab- 
bjis  ed.  M.  Fiohr  s.  68  n.  3911:  possibilis  =  7nogelich^';  possibili' 
tas  =  mogelicheit;  3919/20  potens  =  7Piehtiger;  potentia  ==  maJity 
gewaU. 

Auch  im  mhd.  treten  uns  also  für  mugen  die  beiden  grundbedeu- 
tungen  posse  und  valere  en1^;egen. 


KÖNNEN   UND   MÖGEN   IM  ALTD.  47 

Für  den  unterschied  zwischen  kunnen  und  mugen  verweisen  wir 
noch  besonders  auf  Weinschw.  164  ich  kan  wol  trinken  unde  maCy 
ich  hun  kunst  unde  kraft. 

Nicht  selten  erscheinen  kunnen  und  mugen  verbunden:  die  mög- 
lichkeit  wird  alsdann  gleichsam  von  zwei  selten  beleuchtet:  intellektuell - 
subjektiv  (kunnen)  und  physisch -objektiv  fmugen),  Heinrich  v.  Vel- 
decke  liebt  diese  Verbindung  ganz  besonders:  vgl.  M.  F.  64^^;  Eneit 
572.  1600.  2298.  3394.  4986.  5335.  8673.  10374.  10559.  11414;  vgl. 
ausserdem:  Will.  141,  14;  Wolfr.  Wilh.  263,  2;  G.  Trist.  62  33 
Klage  123.  259  CD;  Leyser  pred.  29,  33.    65,  41.    83,  39.    90,  12. 

Bei  der  nun  folgenden  darstellimg  der  syntax  des  mhd.  mugen 
behalten  wir  das  Schema  bei,  nach  dem  wir  oben  das  ahd.  mugen 
behandelt  haben  und  sprechen  daher  vom: 

I.     Absol.  gebrauch  des  mhd.  mugen. 

Der  absol.  gebrauch  von  mitogen  ist  im  mhd.  nur  an  wenigen 
stellen  nachzuweisen:  MSD  46,  76  warul  wir  fm  dich  nine  mugen; 
Gen.  55,  9  si  sprachen  dax  er  wol  mohte  (nach  Diemer  =  dass  es 
ihm  wohl  gehe);  130,  18  wolde  uaren  ^e  sinen  geslachte  eruiriden  vrie 
ex  mohie;  M.  F.  197^^  02ve  leider  ich  ennia^;  Walth.  35*  er  maCy  er 
hat,  er  tuot;  weitere  belege  s.  Mhd.  wb.  11,  4  b  (myst.  131,  2  ist  dort 
falsch  citiert!)  und  Mhd.  hwb.  I,  2219. 

Meist  liegt  da,  wo  7nugen  allein  steht,  eine  ellipse  vor:  so  z.  b. 
MSD  33  F.  20;  Hpts  EQ.  17,  17;  Heinr.  v.  M.  Pr.  301;  Roth.  121. 
1775.  4865;  M.  F.  16  2^.  48^0.  172  »7;  Eneit  4986.  5335.  10559. 
11414.  13045;  Wolfr.  Parz.  193,  28;  Wilh.  17,  7.  96,  11.  G.  Trist. 
11  i^  25116.  Ulr.  Trist.  569  27.  Nib.  1766,  4.  2081,  1;  Klage  121 
dö  lie  six  (six  gen  BCDIh)  als  ex  mohte,  Gudr.  846,  1.  1347,  3. 
1563,  1;  Walth.  581».    91 1^;   Frid.  3,  25;   Nie.  Jer.  1,  172. 

Der  Infinitiv  eines  verbums  der  bewegimg  ist  zu  ergänzen:  G. 
Trist.  2422.  544^7;  Nib.  576,  2;  Gudr.  734,  4.  1463,  2;  (vgl.  oben 
s.  16). 

n.     mag  mit  einem  Objekte. 

Die  meisten  hierher  gehörigen  beispiele  beziehen  sich  auf  eine 
ausdrucks weise,  die  unserem:  „was  kann  ich  dazu,  dafür"  u.  dgl.  ent- 
spricht (vgl.  Lachmann  zu  Nib.  785,  1;  Kl.  sehr.  I,  191;  Zarncke 
Mhd.  wb.  II,  4b  u.  fg.). 

M.  F.  7238  desn  mac  ich  niet;  1712»  wax  mac  si  des, 
Wolfr.  Parz.  271,  3  wax  mohte  si,  swax  ir  geschaeh. 


48  KAHL 

G.  Trist  250^^  dax  ist  ir  art:  wer  mac  des  iht?  446  2®  tver  mag 
im  dirre  hlintheit  iht?  Ulr.  Trist.  543  3*  tvax  mag  ieh;  557*^ 
wax  mohte  ich. 

Walth.  62  2-.  89^  dax  ich  es  niene  mac  (vgl.  Wilmanns  aiim.). 

Konr.  Gold,  sclim.  1094  tver  mac  im  denne,  oh  er  geleit  tvirt, 

Bon.  37,  45  tver  mag  im  des? 

Anderer  art  ist  der  accusativ  in:  M.  F.  180 ^^  dem  ist  nu  also, 
dax  ich  bax  7iie7ie  ynac;  Hartm.  a.  H.  1256  ivider  den  nieman  nieht 
enmac;  Er.  2079;  Greg.  3499.  Hugo  v.  Langenstein  Mart  266^,  61 
och  ist  friger  muot  gegeben,  dax  er  guot  und  ubil  mac.  Gudr.  1190,  1 
tüir  tiion  sivat  icir  gemügen  (diese  stelle  für  gemügen  [vgl.  got  Gal. 
5,  6  iraiht  gamag  =  laxvco]  fehlt  Mhd.  wb.  II,  8**  und  Lexer  I,  848. 
Bei  Hartm.  Greg.  2906  und  Er.  8319  scheinen  mir  formen  von  wa- 
cfien,  nieht  mugen  vorzuliegen). 

Wie  man  sieht,  ist  die  hinzufügung  eines  Objekts  zu  mugen  im 
mhd.  ziemlich  selten;  sie  ist  auf  bestimte  formelhafte  ausdrücke 
beschränkt. 

in.     mugen  mit  abhängigem  infinitive. 

a)  mugen  =  valere. 

Den  gebrauch  von  mugen  =  valere,  d.  h.  kräftig,  körperlich  fähig 
sein  zu  etwas,  den  das  nhd.  kaum  mehr  kent,  können  wir  aus  zahl- 
reichen beispieleu  des  mhd.  noch  belegen;  wir  verwenden  in  diesem 
sinne  das  compositum  „vermögen",  das  seit  dem  ende  des  mittelalters 
die  funktionen  von  mugen  =  valere  übernommen  hat. 

Bei  der  aufzählung  einiger  beispiele  begnüge  ich  mich  mit  der 
angäbe  der  infinitive,  die  von  diesem  mugen  abhängig  gemacht  werden. 
Will.  58,  18  adversarias  potesiates  nider  triben;  142,  9  beskirmen; 
Annol.  681  widirsten;  Hpts  Hl.  116,  31  sich  gerekken;  Heinr.  v,  M. 
Er.  111  erheben;  Roth.  2571  widirstän;  M.  F.  72  3»  ir  krefien  .  . 
gcstemen;  30  3*.  47  2^.  127  33.  13712.  17037. 

Eneit  708  gewinnen  met  gewalt;  1258  op  stän;  1852  erweren;  2388 
gestdn  noh  gegdn;  2672  gevehten;   4022.  6454.  8846.  9164.  9805. 

Hartm.  Er.  817  mit  kreften  gelegen;  3118  gestriten;  Iw.  6678  erveJiten. 

Wolfr.  Parz.  66,  16  getuon  riterschaft;  124,  4  ab  gexicicken. 

G.  Trist.  48*®  init  wer  gecristen;  62^5  Ctf  sinen  vüexen  gestäfi. 

U.  Trist.  558^  gespringen. 

Nib.  58,  1  mit  gewalte  erwerben;  1010,  2  gegän  CDIh;  1977,  3  er  wand 
in  mugen  twingen  A;  (das  ist  das  einzige  beispiel  für  den  Infinitiv 
des  mhA.  mag:  vgl.  Lachmann  zu  1977,3;  die  anderen  handschriften 


KÖNNEN   UND   MOQEN   IM   ALTD.  4Ö 

haben:   er  wände  in  solde  tivingen  C;   er  möhte  in  twinge?i  B;    er 

moht  ertmngen  Ih).     433,  3  mit  krefte  des  schuxes  niht  gestän. 
Gudr.  94,  AsoUier  krefte  geivalten;  514,  2  sterke  walten;  852, 4.  1463, 1. 
Frid.  2,  25.    19,  23.    53,  1.   67,  5.    175,  13.   69,  14  erwem;  132,  20 

überwaten, 
Konr.  Alex.  960  gebrechen  üx,  der  kende  sin;  974  mit  kraft  —  dräx^ 

geivinnen. 
Nie.  Jer.  6,  149  gestän  —  uf  de?i  tmexen. 

Zu  Berthold  v.  R.  vgl.  Rötteken  1.  1.  s.  117. 

b)  tnugen  =  posse. 

Ich  leiste  von  vornherein  verzieht  darauf,  für  dieses  im  mhd. 
ungemein  verbreitete  mugen  beispiele  beizubringen;  wie  wir  schon  fiir 
das  ahd.  bemerkten,  hat  jenes  mugen  fast  jeden  Infinitiv,  er  mag  indi- 
viduell wie  auch  immer  geartet  sein,  in  den  bereich  seiner  abhängig- 
keit  gezogen:  die  objektive  möglichkeit  ist  unbeschränkt  auf  alle  gebiete 
geistigen  und  körperlichen  geschehens  ausgedehnt;  joder  mhd.  schrift- 
steiler bietet  hierfür  eine  fülle  von  belegen. 

Monsterberg  hat  in  seiner  verdienstvollen  arbeit  die  mühe  nicht 
gescheut,  die  beispiele  für  dieses  mugen  bei  Hartmann  nach  der  beson- 
deren art  der  umstände,  welche  jeweilig  die  möglichkeit  bedingen,  sorg- 
faltig zu  ordnen  und  zu  klassificieren;  es  gebricht  mir  an  räum  imd 
zeit,  dies  lehrreiche  verfahren  auch  auf  meine  beispielsamlung  anzu- 
wenden. 

Wir  gehen  sogleich  zu  einem  weiteren  gebrauche  von  mugen  über. 

c)  mag  =  es  steht  mir  frei,  ich  habe  Ursache  xl  dgl. 

Wir  haboD  oben  auf  die  bedeutungsnüancen  hingewiesen,  welche 
sich  aus  dem  ahd.  mugen  entwickelt  haben;  wir  suchten  zu  zeigen,  dass 
die  scheinbar  geänderten  begriffe,  welche  diesen  neuen  arten  von  mugen 
zu  gründe  liegen,  nur  verschiedene  selten  des  einen  hauptbegriffes  der 
möglichkeit  sind.  Das  gleiche  gilt  für  das  mhd.;  zu  den  beiden  bedeu- 
tungen,  die  wir  im  ahd.  beobachten  konten:  1)  ich  habe  Ursache,  2)  es 
steht  mir  frei,  tritt  hier  noch  eine  dritte  hinzu,  die  auch  dem  ahd. 
nicht  ganz  fremd  war:  „ich  habe  recht,  es  ist  mir  erlaubt '^  Auch 
auf  diese  bedeutungsvariante  kann  die  erklärung  anwendung  finden,  die 
wir  oben  für  die  analogen  erscheinungen  im  ahd.  gegeben  haben.  Da, 
wo  mag  heisst:  „ich  habe  ein  recht  darauf,  so  oder  so  zu  handeln'^, 
sind  die  umstände,  in  denen  die  mögUchkelt  der  handlung  wurzelt,  so 
beschaffen,   dass  sie  mir  nicht  nur  freistellen,   ob  ich  die  möglichkeit 

ZUTSCHRIFT  F.  DEUTSCHS  FHILOLOOIE.      BD.  ZXH.  4 


50  KAHL 

in  Wirklichkeit  umsetzen  will   oder  nicht,   sondern  dass  sie   mir  auch 
die  berechtigung  meines  tuns  ausdrücklich  verbürgen. 

Bei  der  fülle  der  beispiele,  die  mir  für  c)  zu  geböte  steht,  muss 
ich  mich  mit  einer  auswahl  begnügen. 

1)  mac  =  ich  habe  Ursache. 

Dies  mugen  ist  leicht  daran  kentlich,  dass  mit  Vorliebe  adverbiale 
bestimmungen  wie  gerne,  wol,  vil,  von  schulden,  lihte  usw.  zu  mac 
c.  inf.  hinzutreten. 

MSD  32,  1,  17  dax  mag  man  nmnteran. 
Gen.  2,  6  dax  mugit  ir  gerne  hören;  13,  25. 
Annol.  575  den  man  müge  tvir  nu  et  bispili  havin, 
Hpts  Hl.  20,  13  ex  mugin  öch  wol  alle  sprekin,   24,  31. 
Heinr.  v.  M,  Er.  16  er  mac  wol  sprechen;   318.  410.   669.   776  dd 
mäht  ex  gern  tuon;  Pr.  527  des  nuxg  er  sich  immer  schämen, 

Roth.  125  die  du  wol  mugis  senden;  1775  dax  siex  immer  Antigen 

klagen,    1438.  2372.  4128.  4364. 
M.  F.  14  *®  so  rmic  er  vil  wol  iriuien;    21  ^  er  mojc  tvol  froeUdien 

leben;    127  ^^  so  mac  ich  von  schulden  sprechen  wol;    16^.  60^. 

6120.    66*6.    70».    913     93*1.    97H    1098«.    113».    1131».    196»«. 

209». 
Eneit  1588  ir  moget  hen  wale  met  eren  friuntlike  ane  sien;  1546. 

2258.  2476.  2041   et  mach  mich  balde  ruowen;    3694  des  mahtu 

wale  frö  sin;    5036.   5944.    6199.   6771.   7469.   9984.   11774  u^ir 

mögen  ons  hösUke  skamen. 
Wolfr.  1.  5,  16  ein  wtp  wol  mac  erlauben  mir;    7,  42  dax  ich  wol 

mac  mit  wärheit  jehen;  Parz.  318,  18  die  man  gerne  möhte  schau- 

wen;    827,  3  dax  mac  wol  xümen  Kyot;   Wilh.  58,  28  ex  möhte 

etliches  mag  beklagen;    Parz.  136,  14.    561,  11;    Wilh.  463,  16; 

Tit.  118,  4. 
Hartm.  Iw.  26  dax  man  gerne  hoeren  mac;    3993  ich  mac  wol 

clagen;  Er.  6032.  7508  des  mac  ich  wol  erktchen;  weitere  belege 

bei  V.  Monsterberg  1.  1. 
G.  Trist  235  ^^  tvir  mugen  ex  äne  sorge  län;    349  ^*  ich  mac  tml 

weinen;  106  i.  119  i«.  173".  367  2.  466".  486». 
U.  Trist  502  «s  ^^y  megen   von    herxen   aüe    wesen  frd;    526  **. 

5641. 
Nib.  48,  3  er  mohte  tvol  verdienen;  249,  1  ir  muget  in  gerne  dan- 
ken; 935,  1  ir  muget  iuch  Uhte  rüemen;  1156,  3  ir  muget  mich 


KÖNNEN   NUD   MÖGEN   IM  ALTD.  51 

gerne  ffrüexen;  1184,  4  du  mäht  dich  treuwen  balde;  1663,  1  si 
mac  ml  lange  weinen;  2181,  3  i^h  mag  wol  balde  Magen  u.  öfters. 

Klage  1021  erschrahie,  als  er  von  schulden  mähte;  1213  daz  man 
immer  m^re  da  van  maere  sa^en  mac, 

Gudr.  73,1  des  mac  man  verjehen;  154,  4  dich  miigen  loben  balde; 
127,  2.  192,  2.  269,  4.  299,  2.  361,  4  des  mohte  er  stnen  scherm- 
knaben  gedanken;  382,  2.  516,  3.  671,  2.  715,  3  daz  man  ims 
danken  ^nohte  von  scJmMen  wol  nach  eren;  1473,  2  si  mohte 
balde  klagen  usw. 

Walth.  16  1^  der  weise  klagen  7nac;  38  ^^  wir  mähten  balde  klagen 
von  schulden;  100  ^^  der  mac  wol  sorgen;  121^^  ^nöhtens  wol  ge- 
dagen  usf. 

Frid.  8,  24  von  donre  7nac  tnan  ^minder  sagen;  49,  4.    56,  13. 

Konr.  Gold.  schm.  539  und  mac  dich  tvol  bedielten;  909. 

Weinschw.  40  ich  mac  in  wol  erliden, 

Berth.  881,  10  (Wackern.  leseb.)  die  möhtet  ir  gerne  an  sehen. 

Bon,  2,  37  her  an  mac  gedenken  tvol 

Nie.  Jer.  15,  19  des  man  mochte  lachin. 

3)  mac  =  es  steht  frei,  licet. 

mugen  in  dieser  bedeutung  berührt  sich  nicht   selten   mit   dem 
futurum. 

Heinr.  v.  M.  Er.  117  der  mac  tuon  stvaz  er  tvil. 

Both.  364  nü  mugider  Mren  mSre;   5095  nü  mugit  ir  hören  we 

er  sprach. 
M.  F.  175^®  mugent  ir  micliel  wunder  an  mir  sehen. 
Eneit  3385  alse  du  gesien  mäht;  9390  dö  moget  ir  hören  wo?ider; 

12966  da  fnochte  man  skouwen. 
TVolfr.  Parz.  58,  14  hie  mugt  ir  gröz  tvunder   lösen;    123,  1  du 

mäht  hie  vier  ritter  sehn. 
G.  Trist  14615  ^^^  ^j^i^k*  ich  nü  mire  sagen;   175 1®.   199 '^  344 '^ 

260  ^®  ich  mac  wol  disen  geivalt  an  minem  vinde  Heben. 
U.  Trist  511*  stver  vrouwen  wolle   schofiwen,   der  mohte  da  vil 

schoene  sehen. 
Nib.  1,  4  muget  ir  nu  tvunder  hoeren  sagen:   oft  widerkehrende 

epische  formel:  1062,  1.    1644,  2.   1661,  2.   1873,  1  usw.     Gudr. 

1010,  1. 
Klage  527  du  mäht  noch  manegen  vinden. 
Gudr.  652,  4  so  muget  ir  mich  tvol  vrägen;    721,  2  mafi  mohte 

dax  tvol  hoeren. 

4* 


52  KAHL 

Walth.  18^®  da  mugent  ir  alle  schouwen  wol  ein  vmnder  ht 
Konr.  Gold.  schm.  415  dax  nian  erkennen  7nac  da  hl. 
Nie.  Jer.  6,  136  als  nian  da  mac  schoutvin;  52,  14. 

3)  mac  =  ich  habe  recht,   es  ist  mir  erlaubt. 

Wol  fr.  Parz.  48,  3  si  mohtex  wol  mit  eren  tnon. 

Nib.  63,  3  gewant  dax  also  stolze  recken  mit  eren  mügefi  trafen; 

102,  9  dax  7nugt  ir  wol  mit  ern  tuon;   673,  4  si  mac  mit  eren 

mi?inen  des  S.  lip;  usw. 
Frid.  52,  17  der  mac  mit  eren  werden  alt. 
Berth.  902,  1  (Wackern.  leseb.)  swer  da  sprichet,   ex  müge  dehein 

eman  bi  slner  hüsfrotven  geligen  äne  koubetsünde  usw.  (vgl.  Eöt- 

teken  s.  117). 

d)  mac  mit  nicht-persönlichem  Subjekte. 

Über  den  nicht- persönlichen  gebrauch  von  mtigen  ist  oben  zum 
ahd.  bereits  das  nötige  bemerkt  worden.  Ich  führe  aus  meiner  bei- 
spielsamlung  nur  belege  aus  früh-mhd.  denkmälem  an,  um  zu  zeigen, 
dass  man  schon  frühzeitig  im  mhd.  kein  bedenken  getragen  hat,  sub- 
stantiva  der  mannigfachsten  art,  concreta  und  abstracta,  endlich  auch 
ex  zu  Subjekten  von  mugen  zu  machen. 

Will.  27,  3  die  doma;  43, 12  tuba;  55,  9  saeeularis  actio;  107, 11. 

Annol.  605  predigi. 

Hpts  Hl.  27,  5  unstr  samet  wesi?i;  116,  31  diu  sele. 

Heinr.  v.  M.  Er.  87  rät;  830  olbende;  973  otige;  Pr.  15  hunde; 
155  tivel 

Roth.  654  ros;  1859  mantele;  4908  vöxe. 

M.  F.  7"  herxe;  42  «^  staete;  43«»  htwte;  53 1  wän;  81*  staete; 
83^^  Winter;  87^  tot;  113  ^  tier;  119^^  glas;  1381»  saelde;  166i» 
tcunder;  188^®  bluomen  schin. 

Eneit  1963.  2110.  4296  rät;  7018  tom;  11222  brief;  12097  ros. 
Über  das  impersonelle  ex  rruic  c.  int  ist  wenig  zu  bemerken; 
es  ist  seit  Williram  in  einer  grossen  anzahl  von  stellen  zu  belegen. 
Wie  im  ahd.  zeichnen  sich  auch  im  mhd.  die  Infinitive,  die  adverbial 
zu  ex  mojc  hinzutreten,  durch  eine  gewisse  algemeinheit  und  darum 
auch  unbestimtheit  ihres  Inhaltes  aus;  solche  Infinitive  sind  werden^ 
sin,  geschehen,  gän,  irgän  usw.  Von  einer  aufzählung  von  beispie- 
len  für  diese  ungemein  häufig  vorkommende  ausdrucksweise  glaube 
ich  füglich  abstehen  zu  dürfen;  sie  bietet  nur  das  eine  interesse,  dass 
sie  uns  mugen  auf  einer  sehr  niedrigen  stufe  seiner  verbale  fonctions- 
fähigkeit  zeigt 


KÖNNEN  UND  MÖGEN  IM  ALTD.  53 

e)  mac  c.  inf.  =  verbum  finitum. 
Wie  im  ahd.,   so  lassen  sich  auch  im  mhd.  eine  reihe  von  fallen 
beobachten,   in  denen  mugen^   eigener  bedeutung  fast  ganz  baar,  pleo- 
nastisch  und  das  einfache   verbum   umschreibend,    zum   Infinitiv   hin- 
zugefügt wird:    dieser  gebrauch  lässt  mugeii  vollends  als  hülfsverbum 
erscheinen.     Oft   dient  mugen    hier    dem   ausdrucke    der  gemilderten 
behauptung;   die  zuversichtlichkeit,  welche  in  den  indicativformen  sich 
ausspricht,   wird  dadurch  gemildert,   dass  man  die  handlung   aus  der 
direkten  Wirklichkeit  in  die  möglichkeit  hinausschiebt:    dies  geschieht 
dadurch,  dass  man  das  einfache  verbum  durch  mcic  c.  inf  umschreibt 
Es  ist  klar,  dass  mugen  in  dieser  anwendung  jenem  mugen  sehr  nahe 
komt,  welches  im  verein  mit  dem  abhängigen  Infinitiv  den  potentialis 
ersezt;  es  hält  oft  schwer  zu  entscheiden,  ob  ein  solches  mac  c.  inf.  n\ir 
die  geltung  des  einfachen  verb.  fin.  hat  ober  ob  es  den  potential  vertritt 
Heinr.  v.  M.  Er.  216  der  in  der  werlt  7iiht  einen  esel  mohte  haben; 
480   V071  de?n  geinäinen  Uhene  mag  ex  einen  besunderen  fiamen 
tvol  haben, 
Koth.  2217  der  diu  genöx  mohte  sin;    2482  her  mach  wole  unse 

vatir  sin;  2588.  2628  dö  mohter  vunfxic  düsint  haven, 
M.  F.  8  2®  des  ich  niht  mohte  hdn  noch  niemer  mac  getvinn^en;  53  ^^ 

wax  mac  dax  sin,  dax  diu  werlt  heixxet  minne. 
Wo  1fr.  Parz.  53,  30  den  xins  von  stnen  landen,  swax  der  gelten 
7noht  ein  jdr;  86, 15  von  detn  sol  er  ledic  stn,  mac  mtn  her  Br. 
ledic  stn  von  diner  haiit  (nach  Erbe  P.-Br.V,  36  =  fut);  123,  11 
ir  mugt  tvol  sin  von  ritters  art;  123,  21.  326,  17  usw.;  Wilh. 
98,  8  si  mohtenx  ungerne  tuan. 
G.  Trist  18*  schoeniu  vrouwe,  der  ieglichiu  mohte  sin  von  schoene 

ein  rickiu  künegtn, 

U.  Trist  573^*  du  mäht  wol  höhe  vröude  haben. 

Nib.  109,  3  ich  wil  an  iu  erttvi?igen,  swax  ir  muget  hdn;   118,  2 

er  mohte  Hagenen  swestersun  ml  wol  sin;  393,  2.  995, 1.  1427,  3. 

83,  2  sin  im  die  herren  künde  AB  (mag  er  sie  bekennen  CD); 

961,  2  so  vememet  selbe  A  (so  muget  ir  selbe  hoerenB]  ir  milget 

tvol  selbe  hoeren  C);  2212,  3  dax  moht  man  kiesen  (erchox  manxC). 

Gudr.  401,  2  mac  er  haben  kröne  oder  hat  er  eigen  Land  (vgL 

Martins  anm.);  429,  1  die  sie  mohten  hän, 
Frid.  127,  2  swä  nuxxe  scheint  diu  kindeliny   dd  mac  des   tönes 
Uhte  sin;  143, 1 ;  95,  4  für  durst  tnac  niht  bexxers  sin  dan  tvasser. 
Konr.  Eng.  294  su^enn  ich  des  goldes  niht  mac  hän;    543  die  tvtle 
dax  ich  mac  geleben. 


54  KAHL 

Sachsp.  I,  17, 1  aUe  de  sik  geltke  nä  io  der  sibbe  gestuppen  mögen. 

Bon.  3,  44  die  rede  mokt  ex  vil  käme  hän. 

Nie.  Jer.  15,  124  der  besiin  die  er  mohle  hän;  20,  123. 

f)  mac  c.  inf.  ersezt  den  conjunctiv. 

Auf  die  beziehungen,  welche  zwischen  mugen  und  dem  conjunc- 
tiv obwalten,  habe  ich  schon  oben  bei  gelegenheit  des  ahd.  hingewiesen. 
Im  ein&chen  satz  vertritt  mdc  c.  inf.  meist  den  potentialis  oder 

den  Optativ. 

1)  mac  c.  inf.  =  potentialis. 

Vgl.  hierzu:  Holtheuer  Zs.  f.  d.  ph.  erg.  s.  153. 
Koth.  743  die  mach  wole  wesen  herre;   840  von  wannen  mac  dix 

Volk  sin? 
M.  F.  85**  mac  si  hoeren,  waz  ich  meine;  104  ^    119^^. 
Hartm.  Er.  3816  waz  mac  ich  sprechen  me;  7970  tvaz  mac  ich  tu 

mere  sagen.     (Weitere  beispiele  bei  v.  Monsterberg  1.  1.  s.  49). 
Wolfr.  Parz.  475,  20  waz  rätes  möht  ich  dir  nu  Uion?   Tit  54,  1. 
G.  Trist  682^  diz  mugen  wol  guote  Hute  sin. 
Nib.  82,  2  rieh  unde  küene  moht  er  vil  wol  sin;    1690,  4  er  mac 

wol  sin  ein  recke  guot 
Gudr.  988,  4  er  mac  sich  ir  wol  geliehen;  1207,  4.    1271,  3. 
Walth.  72^5  der  mac  ivol  heizen  friundes  gebe. 
Frid.  137,  17  daz  mac  tvol  shi  ein  heilic  ztt. 
Berth.  I,  44,  20  tver  mac  reht  haben?  (vgl  Rötteken  s.  117). 

2)  mac  c.  inf.  =  optativus. 

Holtheuer  1.  L  s.  148;  dortselbst  beispiele  aus  Hartm.  Iw.;  Röt- 
teken s.  27. 

M.  F.  127*7  ^^200  si  sich  doch  miner  rede  versinnen;  5  ^^.  19  ^  160*^ 

Wolfr.  1.  7,  37  mäht  du  troesten  min  geinüete;  Tit  2,  1  nü>ht  ich 
getragen  wdpen. 

G.  Trist  265*  m^ht  ich  der  rede  getvis  s^in! 

U.  Trist  512*7  möhtestü  7nir  ze  tröste  kmnen. 

Gudr.  227,  1  möhte  daz  ges^iii;  1432,  4  möht  ich  mit  den  vinden 
gestriten. 

Walth.  39*  möhte  ich  versläfen  des  vnnters  ztt. 

Berth.  I,  137,  12  nu  mac  dir  got  vil  tvol  vergelten. 

3)  mag  c.  inf.  »  adhortativ. 
Walth.  51  ^'^  muget  ir  schouwen;  62^ 


KÖNNEN   UND  MÖGEN  IM  ALTD.  55 

4)  mac  c.  inf.  in  conditionalsätzen 

dient  dazu,  entweder  „den  inhalt  des  fragesatzes  noch  mehr  in  das 
gebiet  des  ungewissen,  bedingten  hineinzuziehen'^  (vgl.  Holtheuer 
s.  167)  oder  die  un Wahrscheinlichkeit  und  irrealität  des  bedingungs- 
satzes  noch  schärfer  auszudrücken,  als  das  durch  den  einfachen  con- 
junctiv  möglich  ist.    Beispiele  hierfür  sind: 

M.  F.  63^  möht  ich  enverben  mit  fröiden  ir  hulde, 
Wolfr.  Parz.  46,  10  möht  ex  mit  shien  hulden  sin;  420, 13  ich  möht 
mit  eren  empfähen  min  lant;  vgl.  Erbe  über  die  conditionalsätze 
bei  Wolfram  v.  E.:  P.-Br.  V,  1  fg. 
G.  Trist  2001*  und  mohte  sie  dax  tvixxen;  333  ^^   3582». 
Nib.  112,  2  ex  enmü^e  von  dinefi   eilen  din  lant  den  fride  hän, 

ich  tvils  alles  walten;  467,  2. 
Klage  65  ob  si  möhte  sin  ein  man, 

TValth.  95  8®  möht  ex  mit  liebes  hulden  si?i;  125^  möht  ich  die  lie- 
ben reise  gevaren  über  se. 
Fr  id.  17,  9  oi  alle  seien  möhten  sin  in  einer  haut,   s(/n  künde  ir 
schin  nieman  grifen  noch  gesehen;    73,  20  möht  ich  wol  mtnen 
willen  häiiy  ich  wolle  dem  heiser  'x  riche  län. 

5)  mugen  im  indirekten  fragesatze. 

M.  F.  123^*  nü  rätefit  liebe  frowen,  wax  ich  singefi  müge. 

U.  Trist.  558^1  wer  er  wesen  möhte. 

Nib.  393,  2  tver  die  unkunden  reken  mügen  sin. 

Es  wird  sich  empfehlen,  die  Vertretung  des  conj.  durch  mugen 
noch  einmal  mit  systematischer  volständigkeit  und  mit  benutzung  des 
gesamten  Stellenmaterials  zu  behandeln;  bis  jezt  liegen  in  den  arbeiten 
von  Holthener  nnd  Erbe  nur  bescheidene  ansätze  hierzu  vor. 

g)  mac  c.  int  =  futurum. 

Über  den  grund,  der  mac  c.  inf.  und   das  futurum  zusammen- 
führte, wurde  bereits  oben  gesprochen.    Es  folgen  einige  beispiele. 
G.  Trist  214*^  ir  muget  noch  wol  geleben  den  tac. 
Nib.  113,  2  sweder  unser  einer  am  andern  mac  gesigen;   234,  3 
dax  ex  Liudgere  mag  immer  tvesen  leit;  639,  3.  1407,  3  ir  mu- 
get harte  tvol  genesen;  1865,  1. 
Gadr.  268,  1  wer  mac  wis  dax  geUmben. 

Walth«  49,  29  wax  mach  ich  nu  sagen  mS:   so  lesen  Wacker- 

nftgel  und  Bartsch;  Lachmann  liest  an  der  angegebenen  stelle 

>ifen    hfmdschnften    sol;    hiermit    vergleicht   Wilmanns 


56  KAHL 

Ulr.  V.  Liecht  201  ^  waz  sol  ich  iu  sagen  mt    Die  vertauschung 
von  sol  mit  dem  futuralen  mac  lässt  sich  auch  sonst  in  den  hand- 
schriften  beobachten:   vgl.  u.  a.     Hartm.  Iw.  135   do  mohter  oh 
Ad  (da  soldestu  auch  a;  do  inohie  ouch  ir  BD). 
Frid.  120,  1  tvil  er  in  allen  angesigen,  er  rnac  wol  ein  halp  under- 

ligen. 
Berth.  877,  21  (Wackern.  leseb.)  diu  e  tvart  oder  iemer  mir  eht  wer- 
den niac;  890,  38  daz  du  nie  würde  ?wch  niemer  werden  mäht 
Wir   beenden   hiermit   unsere   darstellung   der   syntax   des   mhd. 
niugen;   wir  konten  uns  in   derselben  durchweg  kürzer  fassen   als  in 
den  übrigen  teilen  unserer  arbeit,   da  wir  die  principiellen  fragen  für 
die  behandlung  des  mhd.  mugen  schon  bei  gelegenheit  des  ahd.  erör- 
tert hatten;   es  galt  nur  unter  die  dort  aufgestelten  kategorien,   welche 
wir  mit  geringen   ändenmgen   beibehalten   durften,   die   beispiele  aus 
dem  mhd.  einzuordnen.     Auf  volständigkeit  in  der  herbeischaffung  der 
belege  musten  wir,   um  dem  vorwürfe  alzu  grosser  ausführlichkeit  zu 
entgehen,  verzichten;  jedoch  werden  die  beispiele,   die  wir  beigebracht 
haben,  in  genügender  weise  zum  Verständnisse  der  von  uns  besproche- 
nen syntaktischen  erscheinungen  beigetragen  haben. 

Wir  schliessen  diesen  abschnitt  unserer  Untersuchungen  mit  einem 
kurzen  rückblicke  auf  die  geschichte  des  altdeutschen  mögen. 

Schon  an  dem  got.  magan  traten  uns  zwei  begriffe  entgegen: 
der  der  körperlichen  kraft  und  der  der  möglichkeit;  während  der 
ganzen  altdeutschen  zeit  gehen  diese  beiden  bedeutungen  von  mögen 
neben  einander  her,  so  zwar,  dass  mugen  =  jyosse  die  überhand  gewint, 
mugen  =  valere  in  den  hintergrund  tritt  Die  nhd.  spräche  kent 
mögen  in  der  bodeutung  „körperlich  kräftig  sein'^  kaum  mehr;  können 
und  das  kompositum  „vermögen"  teilen  sich  in  die  functionen  des 
alten  muge^i  =  valere,  Mugen  ==  posse  begint  bereits  im  ahd.  auf 
der  einen  seite  seinen  logischen,  begriflichen  Inhalt  mehr  und  mehr 
aufzugeben  und  in  der  breiten  gebrauchssphäre  eines  verbum  auxiliare 
sich  zu  verlieren,  auf  der  anderen  seite  einige  bedeutunffsnüancen  aus- 
zubilden, welche  uns  den  grundbegriff  der  möglichkeit  in  verschiedenem 
lichte  zeigen.  Daneben  endlich  erlangt  mugen  die  fähigkeit  modale 
beziehungen  auszudrücken,  den  conj.  und  das  fut  zu  umschreiben. 

Der  verwitterungsprocess,  der  sich  im  ahd.  an  der  bedeutung  von 
mugen  vollzogen  und  der  7nugen  zur  geltung  eines  hülfisverbums  her- 
abgedrückt hat,  dauert  auch  im  mhd.  stetig  fort  Zwar  bewahrt  sich 
mugen  noch  nach  einigen  richtungen  hin  seine  verbale  kraft,  die  sich 
vor  allem  auch  in  ein^r  begriflich  genau  ftssbaien  bedeatung  kundgibt 


KÖNNEN    UND   MÖGEN   IM  ALTD.  57 

Im  algemeinen  aber  ist  muyeii  seines  sinlichen  vorstelluagsinhaltes 
beraubt  und  kann  nur  dann  im  Satzgefüge  wirksam  auftreten,  wenn  es 
von  einem  Infinitive  unterstüzt  wird. 

Das  nhd.  (vgl.  DWb.  VI,  2449)  kann  uns  zeigen,  welcher  man- 
nigCaltigkeit  von  an  Wendungen  und  bedeutungen  mögen  gerecht  zu  wer- 
den im  Stande  ist  Die  vielgestaltigkeit  des  nhd.  mögen  ist  aber  zum 
überwiegenden  teile  durch  den  umstand  erkauft,  dass  dem  Zutritte  des 
infinitivs  zu  mögen  keine  grenzen  gesezt  sind:  infinitive  der  verschie- 
densten art  werden  von  mögen  abhängig  gemacht  und  prägen  dem 
inhaltlosen  mögen  bald  diese  bald  jene  bedeutung  auf;  nur  an  wenigen 
und  schon  stark  verwischten  spuren  wird  offenbar,  dass  auch  das  hülfs- 
verbum  mögen  einst  eine  selbständige,  sinlich  kräftige  bedeutung  gehabt 
hat,  wie  sie  uns  das  got  7nagan  =  lax^uv  noch  zeigt. 

§  9.    Einzelheiten  aus  der  syntax  von  kSnnen  und  mSgen  Im 

altdentsehen.    Nachträge. 

In  diesem  schlussparagi-aphen  sollen  noch  einige  punkte  bespro- 
chen werden,  die  bisher  entweder  übersehen  worden  sind  oder  deshalb 
mit  absieht  übergangen  wurden,  weil  sie  können  und  mögen  betrafen 
und  darum  in  der  von  uns  gewählten  anordnung  nur  schlecht  platz 
finden  konten. 

1)   Können   und   mögen   in   nachsätzcn   nach  positiven 

comparativen  und  Superlativen. 

Bock  hat  (Q.  F.  27,  15)  über  die  tatsache  berichtet,  dass  können 
und  mögen  im  mhd.  besonders  gern  in  nachsätzen  nach  positiven  com- 
parativen und  Superlativen  da  gesezt  werden,  wo  ims  das  einfache 
verbum  in  indicativ-  oder  konjunctivformen  zu  genügen  scheint:  z.  b. 
Nib.  128,  2  mere  danne  ich  iu  ka?i  gesagen;  Hpts  Hl.  30,  25  hdheste 
rvunne  die  man  gehabiii  mach,  Bock  hat  richtig  gesehen,  dass  hier 
eine  Steigerung  des  gedankens  vorliegt:  die  Verneinung  der  Wirklichkeit, 
welche  in  jenen  nachsätzen  zum  ausdrucke  komt,  wird  durch  den  Zu- 
satz von  können  oder  mögen  gleichsam  für  alle  Zeiten  ausgesprochen. 
„Was  niemals  gewesen  ist  und  was  niemals  sein  wird,  wird  in  der  Vor- 
stellung leicht  ZU  einem,  was  nicht  sein  kann  und  nicht  wird  sein 
können,  was  nirgends  ist,  zu  einem,  was  nicht  sein  kann,  d.  h.  zu 
einem  unmöglichen.'^  —  Beispiele  findet  man  in  genügender  zahl  bei 
Bock  8.  16;  aus  den  mhd.  epen  sind  uns  formein  wie  Roth.  1336 
aUer  beste  die  man  iergin  mochte  Jmven  durchaus  geläufig. 


58  KAHL 

2)  Der  inf.  praet  nach  können  und  mögen. 

Die  deutsche  spräche  hat  nicht  die  fahigkeit  besessen,  einen  Infi- 
nitiv der  Vergangenheit  zu  bilden;  sie  muste  daher,  wenn  sie  nidit 
etwa  dem  praesentischen  infinitivo  die  Vertretung  des  praeteritalen  über- 
lassen wolte  —  wie  dies  im  ahd.  noch  durchweg  geschieht,  vgl  Grimm 
Gr.  IV,  170  —  zur  Umschreibung  ihre  Zuflucht  nehmen.  Diese  nun 
wird  so  volzogen,  dass  der  infinitiv  „haben*'  zu  dem  part  praes.  des 
verbums  hinzugefügt  wird,  dessen  inf.  praet.  gebildet  werden  soll;  z.  b. 
Nib.  792,  3  du  möhtest  gedaget  hän. 

Solche  inf.  praet.  finden  sich  a)  nach  kunnen:  M.  F.  160  ^*; 
175  34;  G.  Trist.  35«;  Wolfr.  Parz.  404,  30;  Nib.  2098,  2;  2223,  4 
künde  ABC  {moht  Ih);    Gudr.  1439,  2;  1453,  2. 

b)  nach  mugen:  Hpts  Hl.  22,  24;  Heinr.  v.  M.  Er.  687;  Roth. 
1583;  1632;  M.  F.  452»;  140»;  177 2«;  Eneit  4667;  5560;  7626; 
11226;  Wolfr.  Parz.  286,  30;  464,  6;  484,  22;  565,  28;  Gotfr.  Trist 
89  3'-*;  388  ^  428  ^  lobg.  62,  12;  Nib.  401,  4B;  792,  2;  1496,  1; 
Klage  557;  628;  Gudr.  127,  3;  Walth.  17^^  106  7;  Konr.  Eng. 
1480;  vgl.  auch  Grimm  Gr.  IV,  171. 

3)  Die  prothese  der  partikel  ge-  vor  den  infinitiven  nach 

können  und  mögen. 

Die  forscher,  die  sich  in  neuerer  zeit  mit  dem  vielumstrittenen 
ge-  beschäftigt  haben  (vgl.  die  litteratur  bei  Reifferscheid  Zs.  £  d.  ph. 
erg.  319  fg.,  v.  Monsterberg  Zs.  f.  d.  ph.  XVIII,  301),  sind  darin  einig, 
dass  der  verschlag  von  ge-  mit  besonderer  verliebe  bei  den  infinitiven 
eintritt,  die  von  kuimen  und  mugen  abhängig  sind.  In  betreff  der 
erklärung  dieses  ge-  gehen  die  ansichten  der  forscher  weit  auseinander; 
die  bisherigen  auffassungen  hat  Reifferscheid  1.  c.  eingehend  bespro- 
chen und  der  reilie  nach  mit  stichhaltigen  gründen,  wie  mir  scheint, 
als  irrig  abgewiesen.  Seinen  eigenen  erklärungsversuch  hat  Reiffer- 
scheid noch  nicht  veröffentlicht;  er  gedenkt  ihn,  wie  er  die  gute  hatte 
mir  brieflich  mitzuteilen,  in  seiner  demnächst  erscheinenden  Tristan- 
ausgabe  vorzulegen.  Die  neueste  Untersuchung  über  ge-  war  mir  bis 
jezt  noch  nicht  zugänglich:  Dörfeid  Über  die  function  des  praefixes 
ge-  in  der  composition  mit  verben.     I.  ge-  bei  Ulfilas  und  Tatian. 

V. Monsterberg  erklärtere-  in  folgenderweise  (1.L  8.314):  Überall 
scheint  mir  das  syntaktische  ge-  dem  zwecke  eines  durch  das  InteroBse 
oder  die  persönliche  beteiligung  des  Subjektes  an  der  handlang  hierroiv 
gerufenen  nachdrucks  zu  stehen,   die  kraft  des  verbums  meilt  i 
stischer  sinlichkeit  zusammenfassend.^     Nach  einer  soigf 


KÖNNEN   UND   MÖGEN  IM  ALTD.  59 

aller  einschlägigen  stellen  aus  Hartmann,  aus  der  sich  ergibt,  dass  ge- 
rn der  überwiegenden  mehrzahl  der  falle  nach  kan  und  mac  sich  findet, 
sagt  V.  Monsterberg:  „Wie  man  also  auch  die  numerischen  tatsachen 
zu  einander  in  beziehung  setzen  mag,  immer  treten  rtidc  und  kan  als 
diejenigen  hervor,  welche  für  das  ge-  am  Infinitiv  am  günstigsten  sind. 
Der  grund  kann  nur  in  der  bedeutung  beider  verba  liegen  und  deren 
verwantschaft  mit  dem  sonst  hervortretenden  Charakter  von  ge-,^ 

Ich  kann  nicht  entscheiden,  ob  diese  annähme,  welche  v.  Monster- 
berg für  seinen  Schriftsteller,  Hartmann,  wahrscheinlich  zu  machen  ge- 
sucht hat,  auch  sonst  geltung  beanspruchen  darf.  Der  umstand,  dass  die 
handschriften  mhd.  sclirifteller  oft  an  denselben  stellen  den  Infinitiv  mit 
und  ohne  ge-  bieten:  z.  b.  Nib.  129,  3  künde  gevolgen  AB  (chunde 
volgen  CD)]  259,  2  sehen  7nöhte  A  (gesehen  B)\  759,  1  gesin  AB  (stnC) 
usw.;  falle  wie  Berth.  leseb.  893,  34  er  kan  an  der  liute  silnde  gar 
höhe  unde  gröx  unde  swaere  machen  und  kan  sin  selbes  sünde  gar 
schoene  und  liht  gemachen,  denen  ich  aus  meiner  beispielsamlung 
noch  manche  andere  zur  seite  stellen  könte,  deuten  meines  erachtens 
darauf  hin,  dass  man  in  das  ge-  bisher  zu  viel  „hineingeheimnisf  hat, 
dass  man  nach  den  gründen  innerer  berechtigung  da  geforscht  hat,  wo 
vielfach  nur  äussere  Verhältnisse  (z.  b.  verszwang)  gewirkt  haben.  Doch 
wage  ich  es  noch  nicht,  diesem  urteile  über  ge-  eine  bestimte,  alge- 
meine formulierung  zu  geben. 

4)  Die  composita  von  kunnen  und  mugen  im  altdeutschen. 

Über  die  composition  von  kumtan  im  got.  und  alts.  haben  wir 
bereits  oben  gesprochen. 

kunnan  hat  im  ahd.  2  composita: 

incunnan  =  accu^are    \ 

farkunnan  =  desperare]  ^«^«S«  ^^  ^^"^  ^V'  *!<>•  ^^^- 

Von  dem  schwachen  verbum  kunnen  werden  gebildet:  gakunnSn 
desperare;  arkunnen  eocperiri. 

Das  mhd.  kent  zu  den  schwachen  verben  erkunnen  imd  ver- 
kunnen  nur  im  particip  die  starken  nebenformen  erkunnen  und  ver- 
kunnen:  vgl.  Mhd.  wb.  I,  807a;  Lachmann  zu  Nib.  2241,  4.  Im 
nhd.  ist  „ verkennen "  «  „sehr  können**  nur  im  schwäbischen  nach- 
weisbar: Schmid  Schwab,  wb.  s.  323. 

Das  goi  kent  von  nmgan  nur  das  comp,  gamagan:  Gal.  5,  6; 
im  fÜM.  W  kein  comp,  von  mugan  zu  belegen. 


60  MÜLL£R-FRAÜ£NSTEIN 

Das  ahd.  hat  gamagan,  tmmagan,  ubannagan,  famicigan  (nur 
mit  sih)  und  fnrimagan  (Graff  II,  609);  daneben  besteht  eine  schwache 
bildung  magen  =  valere,  mit  dem  comp,  gamagin. 

Mhd.  gemügen  findet  sich  u.  a.  Gudr.  1190,  1;  ubamiac  und 
vermac  sind  im  mlid.  ziemlich  selten;  erst  im  nhd.  hat  der  gebrauch 
von  „vormögen*'  grössere  ausdehnung  angenommen.  Die  schwachen 
verba  megincn  und  gameginen  belegt  das  Mhd.  wb.  II,  8  a/b  nur  aus 
der  Genesis. 

Mit  dieser  nachlese  schliessen  wir  unsere  Untersuchungen  über 
die  bedeutungen  und  den  syntaktischen  gebrauch  von  können  und 
mögen  im  altdeutschen. 

Es  war  unser  bestreben,  auf  grund  eines  ausgiebigen  stellenmate- 
rials  die  scmasiologischen  und  syntaktischen  eigentümlichkeiten  von 
kunnen  imd  mttgefi  einer  wissenschaftlichen  durchforschung  zu  unter- 
ziehen. Wir  glaubten,  bei  der  einfachen  constatierung  imd  aufzäblung 
der  tatsachen  nicht  stehen  bleiben  zu  dürfen.  Dariun  gingen  wir  einer- 
seits den  momenten  nach,  die  uns  auf  eine  geschichtliche  entwickliuig 
innerhalb  des  uns  vorliegenden  syntaktischen  tatbestandes  schliessen 
lassen  und  suchten  wir  anderseits  die  algemeingültigen  logischen  und 
psychologischen  gesetze  auf,  denen  wir  einen  einfluss  auf  die  gestal- 
tung  syntaktischer  ausdrucksformen  zuschrieben. 

Unter  diesen  gesichtspunkton,  historisch  berichtend  und  logisch- 
psychologisch begründend,  versuchten  wir  die  geschichte  der  bedeutungen 
und  der  syntax  von  können  und  mögen  im  altdeutschen  zu  schreiben; 
vielleicht  ist  es  uns  wenigstens  in  den  hauptpunkten  geglückt,  das  ziel 
zu  erreichen,  das  wir  uns  sezten. 

DIEDENHOFEN   I/LOTHR.  WU.HEUI   KAHL. 


ÜBEE  ZIGLEKS  ASIATISCHE  BANISE. 

Um  falschen  erwartungon  vorzubeugen  und  von  vom  herein  zwi- 
schen mir  und  meinen  lesem  envünschte  klarheit  zu  verbreiten,  erkläre 
ich  zunächst,  dass  meine  absieht  auf  den  folgenden  selten  keineswegs 
darauf  gerichtet  ist,  die  bibliographischen  notizen  über  Ziglers  einst 
vielgerühmten  und  später  so  vielgeschmähten  roman  um  einige  neoig- 
keiten  zu  vermehren.  Weder  bibliographische,  noch  auch  biographische 
anliegen  1  möchte  ich  vorbringen,  sondern  allein  ästhetische. 

1)  Die  ersteren,  auch  überS^en  andeie  werke,  befriedigen  bis  jezt  sumeiet 
L.  C!hoIoviu8,  die  bedeatendetea  <*<        »^  ranano  des  17.  jahriumderts  (Leip&g  186G) 


ZIOLERS  ASUTISCHE  BANISB  61 

Mir  hat  es  als  einsamem  leser  der  Asiatischen  banise  vor  mehr 
als  drei  lustren  nicht  recht  gelingen  wollen,  meine  damaligen  studen- 
tischen freimde  von  dem  eigenartigen  genusse,  den  sie  mir  schon  da 
bot,  zu  überzeugen,  und  ich  legte  schliesslich  selbst  das  buch  mit  einer 
gewissen  zweideutigen  befriedigung  aus  der  band.  Jezt  hat  mir  eine 
nochmalige  gründlichere  imd,  wie  ich  hoffe,  mit  etwas  geklärterem 
geschmack  vorgenonunene  lektüre  und  eine  längere  beschäftigung  mit  der 
betreffenden  litteraturperiode  den  wünsch  geweckt,  nicht  nur  vielleicht 
einen  oder  den  andern  der  eben  erwähnten  Zweifler  von  1869,  sondern 
auch  andere  mistrauische  gemüter  davon  zu  überzeugen,  dass  selbst  diese 
blume  unseres  litterarigchen  irgartens,  die  in  einer  besonders  wüsten 
ecke  steht,  ihren  dufl;  hat  und  trotz  ihres  grellen  farbentones  das  anse- 
hen verlohnt  Ich  halte  es  aber  für  nötig,  nicht  etwa  zum  zwecke 
einer  entschuldigung,  sondern  um  der  Wahrheit  willen,  darauf  hinzu- 
weisen, dass  diese  zweite  lektüre  imd  die  von  mir  daran  geknüpften 
und  hier  widergegebenen  bemerkungen  nicht  etwa  durch  Cholevius  und 
Bobertag  angeregt  oder  nur  beeinflusst  sind.  Beider  bücher  über  den 
roman  kante  ich  zwar  längst,  hatte  aber  in  betreff  der  Banise  mir  aus 
ihnen  nie  eine  zeUe  notiert,  ja  selbst  gerade  diese  partie  vor  jähren  bei 
beiden  kaum  mehr  als  überflogen.  Die  nach  dem  abschluss  meiner 
arbeit,  und  mit  absieht  erst  da,  vorgenommene  vergleich ung  meiner 
und  ihrer  urteile  hat  mir  den  grösten  genuss  gewährt,  mich  aber  nicht 

8.  153,  und  F.  Bobertag,  Geschichte  des  romans  und  der  ihm  verwanten  dichtungs- 
gattungen  in  Deutschland,  1.  abteilung,  2.  band,  1.  hälfte  (Breslau  1879)  s.  159 
und  233,  und  am  volständigston  des  leztgenanten  einleitungVI — YIII  zu  seiner  1883 
erschienenen  ausgäbe  der  Banise,  in  Kürschners  Deutscher  national -litteiatur  bd.  21. 
Andere  aufzahlungen  finden  sich  z.  b.  bei  Gödeke,  Grundriss  zur  geschieh te  der  deut- 
schen dichtung,  und  JÖrdens,  Lexikon  deutscher  dichter.  Biographisch  ist  für  alle 
die  genanten  und  für  die  später  zu  nennenden  Schriften,  die  sich  mit  Zigler  und 
seiner  Banise  beschäftigen,  eine  hauptquelle,  die  aber  nicht  reichlich  fliesst,  unver- 
kenbar.  Die  hauptpunkte  sind  folgende:  Heinrich  Anshelm  von  Zigler  und  Klip- 
haosen  ist  geboren  den  6.  Januar  1663  (Cholevius  und  Bobertag  fälschlich  1653) 
zu  Badmeritz  südlich  von  Görlitz  in  der  Oberlausitz,  besuchte  drei  jahi'e  lang  das 
gymnasiqm  zu  Görlitz,  dann  1680 — 84  die  Universität  Frankfurt  an  der  Oder,  wo 
«r  sich  neben  seinem  fachstudium,  der  Jurisprudenz,  besonders  mit  der  dichtkunst 
beechiftigte.  Nach  dem  tode  des  vaters  1684  hat  er  sich  zumeist  in  der  nahe  von 
T^aipiig  aufgehalten.  Er  widmete  sich  der  Verwaltung  des  ihm  zugefallenen  ritter- 
gütea  FrobBthain  und  lebte  als  reicher  unabhängiger  edelmann  ganz  seinen  neigungen, 
die,  weit  ernster  als  die  der  kavaliere  seiner  zeit,  sich  auf  Wissenschaft  und  littera- 
tar  TJohtetoi.  Ansser  Probsthain,  das  er  später  verkaufte,  hat  er  noch  die  guter 
JpedsMIii  AKkdtig  und  liebertwolkwitz  besessen,  daneben  war  er  stiftsrat  von  Wur- 
am        r.  elvb  Mh,  schon  am  8.  September  1697. 


62  Mt5LLER  -  FRAUENSTEIN 

ZU  einer  ändening  des  von  mir  niedergeschriebenen  bewogen.  In  die- 
ser methode  der  arbeit  liegt  der  grund  —  und  deshalb  erwähne  ich 
den  umstand  — ,  dass  ich  die  auseinandersetzungen  in  die  anmerkun- 
gen  verweise  und  dass  ich,  ausgenommen  natürlich,  was  A.  Schlossar 
und  den  von  ihm  veröffentlichten  scenenentwurf  der  hauptaktion  der 
Siegenden  Unschuld  in  der  Persohn  der  Asiatischen  Banise^  betrift, 
auf  die  ursprünglichkeit  des  im  text  gegebenen  gewicht  lege. 

Die  europäische  berühmtheit  unseres  buches,  ^Asiatische  Banise 
oder  blutiges  doch  muthiges  Pegu'^,  seine  beliebtheit  in  unserem  vater- 
lande, dessen  lesendes  publikum  sich  mehr  als  siebzig  jähre  lang  an 
ihm  weidete  und  von  1688  bis  1766  nicht  weniger  als  zehn  neudrucke 
veranlasste  2,  müssen  schon  an  und  für  sich  des  litterar-  und  im  alge- 
meinen des  kulturhistorikers  aufmerksamkeit  erwecken.  Wirft  doch 
ein  solches  werk  licht  auf  den  geistigen  zustand  nicht  nur  des  Ver- 
fassers, sondern  auch  der  lese  weit  der  zeit,  und  muss  doch  bei  einem 
so  seltenen  romanerfolge  die  frage  nicht  etwa  so  gestelt  werden:  Was 
wagte  der  Verfasser  seinem  publikum  zu  bieten,  sondern  was  verlangte 
es  selbst,  worin  liegen  im  einzelnen  die  gründe,  dass  gerade  diese 
dichtergabe  so  ausserordentlichen  jubcl  erregte?  Das  ende  des  17.  und 
der  anfang  des  18.  jahrhimderts  haben  ein  so  unzii'oifelhaft  klares  urteil 
abgegeben,  dass  ich  Zeugnisse  dafür  im  besonderen  nicht  anzuführen 
brauche;  Gottsched  konte  noch  1733  in  seinen  „Beyträgen  zur  Criti- 
schen  Historie  der  Deutschen  Sprache"  usw.  6.  stück  s.  274  sagen: 
Seit  dem  erscheinen  der  Banise  habe  sich  kein  einziger  mensch  daran 
gemacht  und  die  fehler  nachgewiesen  (vgl.  auch:  Nöth.  Vorrath  usw. 
284,  286,  291,  293). 

1)  Osterreichischo  kultur-  und  littcratuibilder  mit  besonderer  berückBichtigung 
der  Steiermark  (Wien  1879)  s.  Co  fg. 

2)  Es  gibt  ferner  eine  fortsetzung  von  dem  Schlesier  J.  G.  Hamann,  welche 
mindestens  schon  1721  existierte,  eine  opombearbeitung  von  Joachim  Becoau  1710, 
ein  trauerspiel  von  Grimm  (Cholevius  153  und  Bobertag,  Gesch.  d.  r.  233  und 
noch  in  der  einlcitung  zur  ausga])e  d.  B.  VI  nennen  Friedrich  Wilhelm  Grimm 
und  die  zahl  1733,  Schlossar  dagegen  s.  69  und  Seuffert  in  seinem  „Maler  Mül- 
ler" s.  233  den  erst  1807  verstorbenen  gothaischen  minister  Fr.  Melchior  v.  Grimm 
und  die  Jahreszahl  1743;  daneben  klingt  es  außüllig,  wenn  E.  Schmidt  Schnorrs 
Archiv  f.  L  IX,  1880  sagt:  Grimms  Banise  kenne  jeder,  sie  sei  eine  jugendsfindeX 
mehrere  nachahmungen :  Deutsche  Banise  1752,  Engelländische  Banise,  priniessin  yoa 
Sussex  1754,  Ägyptische  Banise  1759,  und  eine  umarbeitong  in  eine  altpeiBiadhe 
novoUe:  Der  hohe  aussprach  oder  Ghires  und  Eatime  von  dem  maier  Müller, 
welche  zuerst  1825  in  den  ,BheinUüttijea'  enohifln  nnd  die  auBfühnmg  euies  top 
demselben  in  seinar  jagend  begomMan  npemtoitiM  in  AkonndzuMm  dantelt 


ZIOLERS   ASIATISCHE  6ANISE  63 

Die  asiatische  Banise  repräsentiert  den  charakteristischen  roman- 
stil  jener  tage  neben  Daniel  von  Lohensteins  Arminius  und  Thus- 
nelda am  besten;  diesem  lezteren  werke  allein  wurde  es  nachgesezt, 
aber  es  gefiel  wol  algemeiner  —  wie  es  uns  noch  heute  mehr  gefält,  als 
dieser  ri^enroman  —  wurde  tatsächlich  öfter  gelesen,  infolge  seiner  ver- 
hältnismässigen kürze  und  wegen  des  zurücktretens  der  aufdringlichen 
belehrenden  partien,  die  sicherlich  schon  vor  190  jähren  die  lektüre 
des  Lohensteinischen  buches  erschwerten,  wenn  der  Verfasser  auch  die 
beste  absieht  dabei  verfolgte,  nämlich  „diejenigen  auch  wider  ihren 
Vorsatz  gelehrt,  klug  und  tugendhaft  zu  machen,  welche  in  dem  ge- 
dichte  nichts  als  verliebte  eitelkeiten  suchen  würden.'' 

Ein  rückschlag  erfolgte,  wie  überhaupt  gegen  die  zweite  schle- 
sische  schule,  so  auch  gegen  Ziglers  hauptroman  durch  Gottsched  und 
daneben  durch  die  Schweizer.  Sie  stellen  den  schwulst,  die  Unnatur 
der  lyrik,  epik  und  dramatik  der  Hoffimannswaldauischen  anhänger 
zuerst  an  den  pranger,  und  dabei  ist  es,  um  es  kurz  zu  sagen,  im 
ganzen  auch  bis  heute  geblieben.  Aber  es  hat  doch  lang  gewährt,  ehe 
sich  das  lesende  Deutschland  von  der  Banise  abwendete.  Bekantlich 
lässt  noch  Goethe  in  dem  6.  kapitel  des  1.  buches  von  „Wilhelm 
Meisters  lehrjahren"  bei  der  so  reizend  geschriebenen  erzählung  Wil- 
helms von  seinen  ersten  theatralischen  versuchen  auch  Chaumigrem, 
eine  hauptfigur  in  unserem  roman,  mit  nennen:  „Da  muste  nun  könig 
Saul  in  seinem  schwarzen  samtkleide  den  Chaumigrem,  Cato  und  Da- 
rius  spielen."  Als  zum  text  verwendete  bücher  nent  er  „die  Deutsche 
Schaubühne  und  verschiedene  italienisch -deutsche  opem."  Man  wird 
also  nicht  wol  schliessen  dürfen,  dass  der  junge  Goethe,  der  ja 
bekantlich  in  diesen  partien  des  Wilhelm  Meister  seine  eigenen  jugend- 
erinnerungen  erzählt,  den  opemtext  von  J.  Beccau  oder  den  roman 
selbst,  sondern  dass  er  irgend  eine  dramatische  bearbeitung,  sei  es 
die  von  Grimm  oder  eine  mehr  volkstümliche  zu  seinem  Puppenspiele 
benuzt  hat  Das  fiele  also  in  die  zeit  um  1755  und  stimmte  durch- 
aus mit  den  in  den  oben  citierten  nachahmungen  von  1752  — 1759 
liegenden  beweisen  für  das  Interesse,  welches  in  weitesten  kreisen, 
speziell  am  anfang  der  zweiten  häUte  des  vorigen  Jahrhunderts  unse- 
ler  Banise  en1;gegengebracht  wurde.  Wissen  wir  doch  auch,  dass 
1753  noch  zwei  und  1764 — 66  noch  eine  neue  aufläge  des  buches 
nOiig  waren,  und  femer,  dass  ausser  der  von  A.  Schlossar  besproche- 
nen «DflBhnmg  der  hauptaktion,  welche  1722  durch  die  Bruniussche 
fliioa>«Mn^olKhaft  in  Graz  in  Steiermark  vor  sich  gieng,  noch  zwischen 


64  MÜLLER -FRAUENSTEIN 

1740  und  1750  die  bekaute  Schucbscbe  scbauspielertruppe  „die  Banize^ 
aufführtet 

Doch  für  die  litteraturgcschichte  war  seit  Gottsched  das  urteil 
gesprochen-,  Wol  haben  einzelne  richtungen  und  einzelne  Vorkämpfer 
im  vorigen  und  in  diesem  Jahrhundert  auf  die  starke  belebung  der 
Phantasie  und  zugleich  des  Patriotismus,  auf  die  einführung  neuer  stofie 
und  kräftigerer  plastischer  ausdrücke  in  unsere  litteratur,  also  auf  eine 
gewisse  fördorung  derselben  in  algemein  ästhetischer,  inhaltlicher  und 
formeller  hinsieht  hingewiesen,  welche  von  der  sogenanten  zweiten 
schlesischen  schule  ausgieng.  Die  tendenzen  der  Schweizer  wie  der 
romantiker  zeigen  deutliche  berührungspunkte,  aber  wie  wenig  falt  dies 
im  grossen  und  ganzen  ins  gewicht!  An  eine  regelrechte  „rettung" 
hat  bis  jezt  niemand  gedacht  und  wird  wol  auch  nicht  so  leicht  jemand 
denken,  schiefer  anschauungen  sind  aber  ziemlich  viele  zu  bekämpfen. 

Für  meinen  zweck  reicht  es  aus,  bevor  ich  meine  eindrücke  und 
die  darauf  gegrimdeten  urteile  widergebe,  nur  einige  wenige  kritiken  in 
den  gangbai-sten  litteraturgeschichten  über  die  Banise  einander  gegen- 
überaustellen;  gar  manche,  fürchte  ich,  sind  geschrieben,  ohne  genaue 
kentnis  des  buches,  nur  nach  einem  kurzen  überfliegen  oder  selbst  auf 
die  autorität  anderer  litterarhistoriker  hin^.  Da  spricht  z.  b.  Otto  Bo- 
quctte  (I,  390)  von  der  gelehrten  spräche,  in  der  Zigler  Lohenstein 
nachahme.  Kurz  (II,  434)  nent  das  werk  den  unkünstleiischesten  imd 
geschmacklosesten  roman  der  zeit"  Scherr  behauptet  wenigstens  (U, 
187),  es  repräsentiere  volständig  den  wunderlichen  romanstil  jener  zeit, 
Vilmar  (369)  findet,  Arminius  und  Thusnelda  habe  einen  weit  besseren 
Stil  als  die  Banise.  Sehr  hart  urteilt  von  den  früheren  Wachler  (EL,  78). 
Im  Sinnenkitzel,  sagt  er,  wisse  Zigler  seiner  meister  kostbarkeit  und  Schlüpf- 
rigkeit zu  erreichen,  durch  umiatürliche  Übertreibungen  und  erfinderische 
grausamkeit  sie  zu  übertrefien.  Obendrein  habe  er  noch  die  undeut- 
sche vcrkehriheit  des  vornehmen  geselschaflstoncs  mit  lüderlicher  sprach- 
mengerei  bekundet*.  Die  Banise  sei  das  erzeugnis  zügellos  wilder,  im 
erklügeln  schwülstiger  gefühlo  oder  Vorstellungen  und  ausdrücke  dafür 
bis  zur  erschöpfung   juigestrengter   einbildungskraft;   im   erstreben  des 

1)  Tlieatr.  joumal  f.  Deutschland  1777,  I,  64. 

2)  Eine  frühere,  aber  weniger  wichtige  kritik  über  die  ganze  romangattang 
fiudct  sich  in  Bodmcrs  „Discoursen  der  Mahler '^  teil  UI,  s.  100. 

3)  Menzels  litteraturgcschichte  stelt  Chdevius  in  seiner  vorrodo  an  den  pranger. 

4)  Das  ist  wol  die  ungerechteBte  aller  beaohnldigimgen.  Der  vergldch  Ziglers 
mit  seinen  quellen,  besonden  mit  RvioiMii  bewmt  angenfUlig,  wie  er  deren  fremd- 
irorta  duxoh  deutnlie  er 


ZIOLERS  ASIATISCHE  BANISE  65 

neuen,  ungeheuren,  was  staunen  und  grausen  erregen  soll,  verspotte 
sie  die  gesetze  der  natur  und  sitsamkeit  und  sinke  oft  matt  zur  gemein- 
heit  herunter.  Ganz  anders  klingen  Scherers,  des  neuesten  gewichtigen 
kritikers,  werte  (379);  er  stelt  die  Banise  über  Arminius  in  betreff  der 
effektvollen  fortschreitenden  handlung,  erklärt  den  stoff  für  geschickt 
verändert  und  abgerundet  und  rühmt,  hier  finde  sich  keine  gelehrsam- 
keit,  keine  verborgene  Weisheit,  dafür  aber  die  richtigen  romanfiguren. 

Man  sieht  schon  aus  dieser  blumeniese,  die  beliebig  vergrössert 
werden  könte,  dass  es  nötig  ist,  unbeeinflusst  von  früheren  äusserun- 
gen,  sich  eine  eigene  meinung  zu  bilden.  Die  neueste  handliche  aus- 
gäbe der  Banise  (siehe  oben)  ladet  dazu  ein,  nach  dieser  eitlere  ich 
als  nach  dem  besten  bisherigen  drucke,  obgleich  der  herausgeber  die- 
sen nicht  nach  einer  der  ersten  auflagen  (1688  und  1690),  sondern 
nach  einer  von  den  zwei  aus  dem  jähre  1707  stammenden  hat  herstel- 
len müssen. 

Ich  gebe  zunächst  eine  gedrängte  Inhaltsangabe  des  werkest  Ba- 
lacin  ist  der  zweite  söhn  des  königs  Dacosem  von  Ava  in  Hinterindien, 
Banise  die  tochter  Xemindos,  des  kaisers  von  Pegu,  des  nefifen  jenes 
Dacosem.  Die  beiden  hauptpersonen  stehen  also  im  Verhältnis  von 
onkel  und  nichte,  doch  wird  gerade  diese  verwantschaftliche  Stellung  gar 
nicht  berührt,  vielmehr  nur  die  tatsache,  dass  Dacosem  seinen  neffen  als 
kaiser  nicht  anerkent,  ihm  den  lehnseid  weigert  und  somit  die  beiden 
höfe  in  erbitterter  feindschaft  einander  gegenüberstehen,  zumal  Dacosem 
das  land  von  Banisens  vater  gerade  für  seinen  zweiten  söhn  Balacin 
erobern  will.  Ein  Überläufer  von  Pegu,  der  sich  in  Ava  aufhält,  ist 
Chaumigrem  aus  Brama,  der  an  dem  hofe  Dacosems  sehr  bald  einen 
ganz  ausserordentlichen  einfluss  erhält,  besonders  dadurch,  dass  Xemin- 
dos einfaU  in  Ava,  bei  dem.Balacins  älterer  bruder  getötet  wird,  durch 
Chaumigrems  bruder  Xenimbrun  zum  stilstand  gebracht  wird.  Auch 
dieser  falt  nämlich  von  Xemindo  ab  und  bedroht  Pegu,  so  dass  der 
bis  dahin  siegreiche  kaiser  sich  gegen  ihn  wenden  muss.  Lezterer 
besiegt  und  tötet  jenen  zwar,  doch  hat  dies  nur  die  folge,  dass  nun 
der  viel  gefahrlichere  Chaumigrem  an  des  bruders  stelle  herr  von  Brama 
wird  und  sein  ehrgeiz  eine  weit  gewaltigere  kriegsflamme,  die  ganz 
Hinterindien  erfasst,  entzündet  Er  erobert  zuerst  Martaban,  dessen 
könig  ein  Schwiegersohn  Xemindos  ist,  vertilgt  unter  den  grösten  grau- 

1)  Andere  Inhaltsangaben  bei  Cholevius  s.  154  — 162,  Bobertag  s.  160  — 176 
und  im  kürzesten,  aber  recht  geschickt  bei  Schlossar  s.  84 — 87.  Ich  gebe  oben 
smiäolist  nur  die  hanpthandlung  nnd  füge  auf  den  folgenden  seiten  minder  wichtige 
dodi  wissenswerte  partien  an. 

F.  DIXITSOHB  PHILOLOGIE.      BD.   XXH.  5 


66  MÜLLEB-FRAUENSTEIK 

samkeiten  das  ganze  dortige  fürstenhaus  und  bedroht  endlich  Pegu 
selbst  Gegen  ihn  erfleht  jezt  Xemindo  seines  onkels  Dacosem  von  Ava 
hilfe  und  zwar  durch  dessen  söhn  Balacin,  welcher  vor  Chaumigrems 
einfluss  frülier  hat  aus  Ava  weichen  müssen,  in  tiefetem  incognito  nach 
Pegu  gegangen  ist  und  durch  alle  möglichen  heldentaten  Xemindos  und 
vor  allem  seiner  tochter  Banise,  einer  gefeierten  Schönheit,  liebe  gewon- 
nen hat  Balacin  wird  also  mit  günstigen  anerbietungen  von  Pegu  zu 
seinem  vater  geschickt,  richtet  aber  nichts  aus,  sondern  muss  zwei 
monate  lang  bei  seinem  vater  unter  strenger  bewachung  aushalten, 
während  welcher  zeit  Chaumigrem  Pegu  einnimt,  den  kaiser  Xemindo 
in  unwürdiger  weise  tötet  und  auch  Banise  zu  ermorden  befiehlt 
Darauf  eilt  Balacin,  der  jezt  freigelassen  wird,  nach  Pegu,  gelangt  nach 
den  mannigfaltigsten  abenteuern  in  Talemons,  des  kaiserlichen  Schatz- 
meisters, eines  früher  gewonnenen  freundes,  schloss  und  hört  hier,  als 
er  verwundet  an  das  krankenlager  gefesselt  ist,  sowol  dass  Banise  durch 
das  mitleid  des  oberhauptmanns  von  Chaumigrems  leibwache  Abaxar 
gerettet  ist  und  versteckt  gehalten  wird,  als  dass  sein  vater  plötzlich 
gestorben  und  ihm  damit  Ava  und  zugleich  durch  den  tod  des  dor- 
tigen königs  Aracan  zugefallen  ist.  Er  hat  also  nun  die  macht,  mit 
Chaumigrem  ofien  in  die  schranken  zu  treten,  untemimt  aber,  durch 
die  Verschlimmerung  von  Banisens  läge  dazu  gedrängt,  einen  versuch 
sie  ans  Pegu  zu  entführen.  Der  tyrann  hat  nämlich,  nachdem  er  sich 
auch  des  landes  Prom  bemächtigt  und  die  dortige  königin  getötet,  von 
Abaxars  eigenmächtigem  handeln  kentnis  erhalten,  Banise  vor  sich 
fuhren  lassen  und,  von  ihrer  Schönheit  hingerissen,  ihr  eine  bedenkzeit 
von  sechs  tagen  gegeben,  nach  deren  ablauf  sie  entweder  sich  mit  ihm 
verbinden  oder  den  tod  erleiden  soll.  Durch  Talemons  söhn  Ponnedro, 
den  „oberhofmeister  des  kaiserlichen  frauenzimmers",  wird  Balacin, 
der  sich  als  portugiesischer  händler  verkleidet,  eine  Zusammenkunft; 
mit  Banise  ermöglicht,  bei  der  er  sie  beredet,  Chaumigrem  einen  Schlaf- 
trunk einzugeben.  Dieser  tut  seine  Schuldigkeit,  die  liebenden  entflie- 
hen glücklich  aus  der  Stadt,  verirren  sich  aber,  und  Banise  wird  mit 
des  prinzen  diener  Scandor  eingeholt  und  zurückgebracht  Zu  ihrem 
glücke  folgt  der  noch  immer  verliebte  Chaumigrem  dem  rate  des  ober- 
sten priesters,  desKolim,  welcher  bei  der  gefesselten  prinzessin  anblick 
ebenfals  von  leidenschaft  zu  ihr  erfasst  worden  ist  und  sie  für  sich 
gewinnen  will,  und  bewilligt  ihr  eine  sechsmonatliche  trauerzeit  in  des 
Bolim  gewahrsam;  Scandor,  den  er  frei  lässt,  gibt  dem  fest  verzweifel- 
ten Balacin  davon  künde.  Dieser  rüstet  in  Aracan  zum  kriege  und 
tritt  Ava  seiner  Schwester  Higvanama  ab,  während  Chaumigrem  Siam 


ZIGLERS   ASIATISCHE   BANISE  67 

und  dessen  hauptstadt  Odia  erobert  Bei  diesem  zuge  wird  Abaxar, 
der  in  Chaumigrems  vertrauen  geblieben  ist,  von  den  Siamesen  gefan- 
gen, lernt  dabei  die  siamesische  prinzessin  Fylane  kennen  und  lieben, 
besteht  für  sie  einen  Zweikampf  und  wird  nach  der  einnähme  der  stadt 
ihr  und  ihres  verwundeten,  heldenmütigen  bruders  Nherandi  retter  und 
gefangen  Wärter.  Auf  dem  rückraarsche  von  Odia  trift  Chaumigrems 
beer  in  einer  furchtbaren  schlacht  am  passe  Abdiara  mit  Balacin  zusam- 
men und  wird  bis  auf  klägliche  trümmer,  die  sich  nach  Pegu  retten, 
vernichtet  Um  diese  Stadt  zieht  sich  nun  der  krieg  zusammen;  ausser 
Balacin  belagert  auch  prinz  Zarang  von  Tangu  dieselbe,  ein  unglück- 
licher liebhaber  Banisens,  der  gelegenheit  gehabt  hat,  leztere  in  des 
Rolim  gewahrsam  widerzusehen,  aber  ebenso  wie  der  zudringliche Rolim 
selbst  von  ihr  abgewiesen  worden  ist  Auch  der  siamesische  prinz 
Nherandi,  der  seine  freiheit  wider  gewonnen  und  sein  heimatsland  von 
den  zurückgelassenen  truppen  Chaumigrems  befreit  hat,  komt  Balacin 
zu  hilfe,  endlich  noch  des  lezteren  Schwester  und  Nherandis  verlobte, 
Higvanama  von  Ava.  Diese  jedoch  fält  unterwegs  in  die  bände  eines 
Chaumigrem  zuziehenden  heeres,  wird  aber  glücklicherweise  kurz  darauf 
von  ihrem  bräutigam  wider  befreit  Trotz  alledem  scheint  der  gefan- 
genen Banise  Schicksal  besiegelt  Chaumigrem  hat  mehr  und  mehr 
seine  leidenschaft  für  sie  überwunden,  und  als  Banise  den  Rolim,  wel- 
cher ihr  gewalt  antun  will,  niedersticht,  befiehlt  er,  sie  nach  21  tagen 
dem  kriegsgotte  Carcovita  zu  opfern.  Die  nachricht  davon  bringt  der 
wider  einmal  gefangene  und  ausgewechselte  Scandor  seinem  herm,  und, 
während  die  Stadt  aufe  heftigste  belagert  wird,  schmiedet  dieser  nun 
mit  dem  immer  noch  als  Chaumigrems  leibwächter  in  dessen  unmit- 
telbarer nähe  weilenden  Abaxar  und  einem  von  dem  tyrannen  belei- 
digten general  Martong  den  entscheidenden  plan.  Vorher  ist  auch  sein 
nebenbuhler  Zarang  durch  die  von  ihm  früher  verschmähte  prinzes- 
sin von  Savaady,  die  in  der  Verkleidung  der  Banise  zu  ihm  komt 
und  plötzlich  sein  herz  gewint,  zum  abzuge  vermocht  und  das  feld 
zwischen  den  hauptpersonen  völlig  frei  geworden.  Balacin  und  sein 
getreuer  Scandor  machen  sich  unkentlich,  gelangen  in  die  stadt  Pegu 
und  erfahren  von  Abaxar  die  einzelheiten  des  rettimgsplanes.  Lezterer 
bewirkt  bei  dem  neuen  Rolim  die  aufnähme  Balacins  unter  die  opfer- 
priester,  und  diesem  gerade  als  dem  jüngsten  wird  der  auttrag,  Banise 
zu  töten.  Die  unglückliche  prinzessin  ist  ohne  jede  ahnung  von  diesen 
massnahmen,  sie  komponiert  eine  trauerarie,  die  bei  der  ceremonie 
gesungen  wird,  imd  hält  in  dem  tempel  des  kriegsgottes  vor  dem  ver- 
sammelten hofe  Chaumigrems  und  der  priesterschaft  eine  grosse  trauer- 

5* 


68  MÜLLER -FRAUENSTKW 

und  abschiedsrede.  Während  sie  aber  mit  gesclilossenen  äugen  vor 
dem  altare  kniet,  macht  sich  der  vor  ihr  stehende  opferpriester  plötz- 
lich als  Balacin  kentlich,  ersticht  den  auf  ihn  losstürmenden  Chaumi- 
grem,  und  ein  von  Abaxar  und  Martong  geleiteter  aufetand  wirft  des- 
sen anhänger  im  tempel  nieder;  Nherandi  erstürmt  inzwischen  die  stadt 
Algemeine  freude  herscht  ob  der  glücklichen  wendung,  sie  wird  noch 
dadurch  erhöht,  dass  Abaxar  sich  als  prinz  Palekin  von  Prom  ausweist 
und  Talemon  die  von  ihm  verborgenen  schätze  von  Banisens  vater  dem 
neuen  herscher  ausliefert  Die  hochzeiten,  nämlich  die  von  Balacin, 
Nherandi  und  Palakin  mit  den  zu  ihnen  gehörigen  Prinzessinnen,  bie- 
ten zu  Schaustellungen  jeder  art  anlass,  von  denen  ein  poetischer  wet- 
streit  zwischen  Venus  und  Mars  und  das  Schauspiel:  Die  handlung  der 
listigen  räche  oder  der  tapfere  Heraclius  die  glänzendsten  sind,  und 
unter  den  zärtlichsten  freundschaftsbetouerungen  nehmen  Balacin,  der 
kaiser  von  Pegu  und  Aracan,  Nherandi,  der  könig  von  Siam,  und 
Palekin,  der  könig  von  Prom  und  dem  ihm  geschenkten  Ava,  mit  ihren 
ehehälften  abschied  von  einander. 

Dies  der  Inhalt.  Die  Verteilung  des  Stoffes  in  die  drei,  nicht 
weiter  in  kapitel  oder  sonstige  unterteile  zerlegten  bücher  geschieht  in 
folgender  weise:  Das  erste  buch  ist  fast  ganz  mit  erzählungen  am  kran- 
kenlager  des  verkleideten  prinzen  Balacin  auf  Talemons  schloss  erfült 
Ziemlich  alles,  was  vor  desselben  zweitem  erscheinen  vor  Pegu,  also 
vor  seinem  aufenthalte  bei  Talemon,  und  vor  dem  unglücklichen  flucht- 
versuch,  geschehen  ist,  wird  hier  von  seinem  diencr  Scandor  (s.  38  — 
86  und  95  — 171)  vor  den  obren  des  alten  Talemon,  seines  zu  besuch 
anwesenden  sohnes  Ponnedro  undAbaxars,  der  lezteren  begleitet,  berich- 
tet Der  prinz  muss  seine  und  seiner  Schwester  Higvanama  lebens- 
und  leidens-  und  seine  und  Banisens  liebesgeschichte  geduldig  mit 
anhören,  auch  Talemon,  selbst  Ponnedro  haben,  wenigstens  von  dem 
zweiten  teile,  längst  genaue  kentnis,  nur  Abaxar  scheint  lauter  neuig- 
keiten  zu  erfahren.  Der  bericht  ist  ausserdem  insofern  recht  unglaub- 
würdig, als  der  diener  nicht  nur  seines  herrn  werte  und  handlungen 
mit  gröster  epischer  breite  angibt,  sondern  auch  seine  und  anderer 
gedanken,  ganz  wie  es  der  dichter  direkt  tun  würde,  erzählt  Am 
auffalligsten  aber  sind  die  darein  geflochtenen  briefe  und  gedichte,  die 
einerseits  zum  teil  dem  Scandor  kaum  bekant,  anderseits  seinem 
gedächtnis  in  dem  getreuen  Wortlaut  unmöglich  so  eingeprägt  sein 
können.  Ein  einziger  vers  nämlich  s.  45  stamt  aus  seinem  eigenen 
gehim,  dann  folgt  s.  48  eine  liebesarie  der  prinzessin  Higvanama,  ein 
vers  Chaumigrems  (s.  52) ,  ein  brief  des  lezteren  an  jene  (55),  ein  hnet 


ZIQLEBS  ASIATISCHE  BANISE  69 

und  gedieht  Nlierandis  an  dieselbe  (63—  65),  ein  gefälschtes  schreiben 
und  gedieht  desselben  an  die  gleiche  pei-son  (72.  73),  drei  schreiben 
Chaumigrems  an  Balaein  und  dessen  vater  (81  —  83).  In  der  zweiten 
hälfte  von  Scandors  erzählung  findet  sich  der  wichtige  orakelvers  (100), 
welcher  Balaein  zuerst  nach  Pegu  weist  und  ihm  sein  ganzes  Schicksal 
voraussagt,  welchen  man  also  nicht  wol  anfechten  kann,  aber  auch  ein 
unsagbar  geschmackloses  lied  der  piinzessin  von  Savaady  (116.  117), 
die  lange  erzählung  des  flüchtlings  aus  Martaban,  der  dem  versammel- 
ten hofe  in  Pegu  Chaumigrems  greueltaten  daselbst,  und  zwar  auch  in 
erster  person  berichtet  (138—146),  ein  längeres  liebesgedicht  Balacins 
in  Alexandrinern  (162.  163)  und  eine  ebensolche  antwort  Banisens 
(164).  Die  vom  dichter  direkt  gegebene  handlung  im  ersten  buche 
besteht  nur  in  Balacins  ankunft  vor  Pegu,  seiner  Verwundung  durch 
Bramaner,  seiner  glückliehen  aufiiahme  in  Talemons  schloss,  dem  allein 
er  sein  incognito  enthült,  und  seinem  achttägigen,  durch  den  heilungs- 
process  veranlassten  aufenthalte  daselbst.  Er  wird  hier  durch  die  trotz 
seines  incognitos  in  ihn  verliebte  tochter  des  Talemon,  Lorangy,  und 
deren  Stiefmutter  Hassana  in  fatale  läge  gebracht,  aber  durch  die 
ankunft  seines  diencrs  Scandor  erfreut,  welcher  ihm  zwei  briefe,  die 
auch  wörtlich  abgedruckt  sind,  überreicht  und  darin  die  künde  von 
seines  vaters  in  Ava  tod  und  von  seiner  wähl  zum  konig  von  Aracan 
bringt.  Sonst  ist  im  ersten  buche  noch  der  umstand  wichtig,  dass 
Abaxar  mit  Balaein  bekant  wird  und  abneigung  gegen  seinen  hon'n, 
Chaumigrem,  verrät;  er  deutet  jedoch  noch  mit  keinem  werte  an,  dass 
er  die  für  tot  gehaltene  Banise  gerettet  hat. 

Ist  nun  die  composition  des  ganzen  ersten  buches  überhaupt  schon 
sehr  sehwei-fällig,  der  kunstgriff,  dass  die  vorgescliichte  breit  erzählt 
wird,  besonders  deshalb  ungeschickt,  weil  es  vor  zumeist  längst  in  die- 
selbe eingeweihten  geschieht,  so  muss  man  sich  noch  mehr  über  die 
naivetät  wundern,  mit  der  der  dichter  in  person  Scandors  ab  ovo  anfängt, 
während  doch  der  unglückliche  prinz  nach  einem  erlösenden  werte  über 
Banisens  Schicksal  schmachtet.  Einige  stellen  könten  darauf  hinweisen, 
dass  Zigler  die  unwahi'heit,  die  in  den  langen  erzählungen  gerade  vor 
diesen  personen  Hegt,  selbst  fühlt.  Der  prinz  verrät  öfters  seine  teil- 
nähme in  höherem  gi*ade,  als  Abaxar  vorstehen  kann;  so  heisst  es,  als 
sein  erster  abschied  von  seiner  verlobten  berichtet  wird,  s.  169:  „Hier 
wendete  sich  der  Printz  um,  und  hätte  sich  in  sothaner  schmertzücher 
erinnerung  fast  verrathen,  indem  er  seinen  äugen  nicht  mehr  zu  gebie- 
ten vermochte,  dannenhero  Scandor  seine  erzehlung  möglichst  verkürtzte 
und  sie  durch  folgende  werte  endigte.''     Man  vergegenwärtige  sich  nur 


70  JIÜLLER  -  FRAÜEN8TEIN 

die  Situation:  die  einzige  persönlichkeit  auf  gottes  weiter  erde,  die  den 
prinzen  beruhigen  könte,  sizt  an  seinem  lager,  nämlich  Abaxar,  aber 
dieser  wird  von  keiner  seite  gefragt,  ob  er  den  befehl  Chaumigrems, 
von  dem  alle  wissen,  Banise  zu  töten,  ausgeführt  habe. 

Dies  geschieht  erst  am  anfange  des  zweiten  buches.  Darin  wird 
zunächst  die  dürftige,  selbständige  nebenhandlung  des  ersten  zu  ende 
geführt,  Lorangy  bekomt  einen  mann,  aber  nicht  den  prinzen,  der  in 
der  grösten  Verlegenheit  zu  einem  nächtlichen  besuche  von  Seiten  sei- 
ner Verehrerin  seine  Zustimmung  gegeben  hat,  sondern  den  untergescho- 
benen Scandor,  der  weder  von  Lorangy  noch  von  deren  mutter  im 
dunkel  der  nacht  erkant  und  sogar  schleunigst  mit  ersterer  feierlich 
verheiratet  Avird,  ehe  das  tageslicht  den  irtum  aufholt.  Dies  ist  eine 
der  ergötzlichsten  partiecn  des  buches,  sie  erfült  einen  künstlerischen 
zweck,  nämlich  mitten  in  die  tragische  Spannung  ein  ablenkendes 
moment  einzufügen,  ähnlich,  um  kleines  mit  grossem  zu  vergleichen, 
wie  die  scenen  zwischen  Francisca,  Just  und  Werner  in  Minna  von 
Barnhelm  den  abschluss  der  haupthandlung  zwar  verzögern  und  doch 
woltuend  wirken.  Eingeschoben  ist  gerade  der  traurige  schluss  der 
Vorgeschichte,  die  Talemon  (s.  181  —  205)  übernimt,  da  er  natürlich  am 
besten  von  dem  „Tod  und  Untergang  des  unglückseligen  Käysers  Xe- 
mindo  samt  dessen  Printzen  und  gantzem  Keich"  bericht  erstatten  kann. 
Er  erzählt  in  durchaus  motivierter  weise  die  einzelheiten,  die  Balacin 
und  Scandor  unbekant  sein  müssen,  im  ganzen  einfach  und  natürlich; 
nur  ein  einziges  mal  flicht  er  einen  brief  der  königin  von  Prom  an 
Chaumigrem  (199,  200)  ein. 

Damit  ist  die  exposition  zu  ende  geführt;  wir  stehen  aber  auch 
so  ziemlich  in  der  mitte  des  ganzen  romans.  Gerade  als  Abaxar  Bala- 
cins  incognito  durchschaut,  als  er  andeutet,  dass  er  Banise  gerettet 
habe,  und  als  er  jenem  seinen  beistand  schwört,  wird  er  verhaftet,  um 
Chaumigrem  über  die  Schonung  der  prinzessin  rede  zu  stehen,  und 
nun  wird  der  natürliche  gang  der  erzählung  nicht  mehr  unterbrochen. 
Von  der  composition  dieser  zweiten  hälfte  ist  nicht  viel  mehr  zu  sagen. 
Schon  das  zweite  buch,  das  die  läge  der  heldin  sonst  nur  schlimmer 
werden  lässt,  gibt  den  anfang  der  peripetie  in  der  seclismonatlichen 
frist,  Avelche  Banise  gestelt  wird,  und  in  Balacins  rüstungen  zu  ihrer 
befreiung;  als  untergeordnetes  moment  kommen  die  grossen  Verluste 
hinzu,  welche  Chaumigrem  vor  Odia  erleidet 

Das  dritte  buch  steigert  die  gefahr  aufs  höchste  und  gibt  ein 
schier  unglaublich  gutes  enda 


ZiaLEBS  ASIATISCHE  BAIQSE  71 

Von  anfang  an  balanciert  also  das  Schicksal  Banisens  auf  der 
schärfe  des  Schwertes;  sie  ist,  wie  alle  glauben,  auf  Chaumigrems  befehl 
getötet,  nur  der  urplötzliche  eindruck  ihrer  Schönheit  auf  den  zum 
mörder  bestirnten  Abaxar  hat  sie  gerettet  Nachdem  dies  am  selben 
tage  sowol  ihrem  verlobten  als  Chaumigrem  bekant  geworden,  gerät 
sie  wenigstens  insofern  in  immer  grössere  gefahr,  als  nicht  nur  ihr 
leben,  sondern  auch  ihre  tugend  fortwährend  bedroht  wird.  Die  angriffe 
darauf  abzuwehren  gelingt  ihr  allein,  ihr  leben  wird  gerettet,  als  sie 
es  um  ihrer  keuscheit  und  treue  willen  in  die  schanze  geschlagen  hat, 
von  ihrem  verlobten,  wobei  man  sich  nur  wundern  muss,  dass  ihr 
widerstand  ihr  nicht  vorher  den  tod  oder  schände  zugezogen  hat 

Ein  wort  muss  an  dieser  stelle  noch  den  Übergängen  und  sprän- 
gen der  erzählung  in  der  zweiten  hälfte  des  romans  gewidmet  werden. 
Sie  sind  meist  nicht  gewaltsamer  als  in  vielen  neueren  büchem  der- 
selben poetischen  gattung;  die  phrasen  jedoch,  die  dabei  verwendet  wer- 
den, sind  komisch  genug,  um  angedeutet  zu  werden.  Einfach  klingt 
noch  eine  der  ersten:  „Wir  wenden  unsere  äugen  von  —  zu"  (218). 
Dann  aber  (280)  „verlassen  wir  auf  kurtze  zeit  das  waffen-bemühete 
Aracan  und  schicken  die  feder  nach  Pegu."  Natürlicher  wider  klingt 
der  satz  (294):  „Hier  wollen  wir  die  bedrängten  Siammer  in  blut  und 
darapff  verlassen  nnd  nach  Pegu  eilen,  um  die  einsame  princeßin  in 
ihrem  tempel  zu  besuchen."  Nach  den  von  ihr  abgeschlagenen  „heff- 
tigen  zwey  liebes -stürmen  wollen  wir  sie  wider  ruhen  lassen  und  mit 
unserer  feder  einen  rück-flug  nach  dem  lager  vor  Odia  nehmen"  (306). 
Von  da  „lauffen  wir  wider  zurücke  nach  Siam"  selbst  (311)  und  „las- 
sen dann  unsere  feder  abermahls  zum  überläuffer  werden,  welcher  sich 
aus  der  Stadt  in  das  feindeslager  begiebt"  (324).  Femer  heisst  es: 
„Wir  wollen  diese  zwey  Löwen  (Balacin  imd  Zarang)  den  Tyger  (Chau- 
migrem) bestreiten  lassen  und  uns  nach  dem  Printzen  Nherandi  um- 
sehen, wo  dieser  in  solcher  unruhe  geblieben  sey  (350)?"  „Wir  wollen 
Higvanama  auff  dem  wege  verlassen  und  sie  bald  in  ketten  und  ban- 
den finden:  nachdem  wir  zuvor  die  Peguanischen  mauern  übersprungen 
und  den  verliebten  zustand  des  Chaumigrems  und  Kolims  betrachtet 
haben"  (352)  und  über  dieselben  Mauern  „tlmn  wir  wider  einen  flug 
zurück"  (364).  Noch  lebhafter  sind  die  Übergänge:  „Doch,  grossmüthige 
Bügvanama,  lasse  nur  die  gedult  das  geistespflaster  werden,  und  wisse, 
dass  du  in  kurtzem  das  verhängniß  loben  und  rühmen  wirst"  (366) 
oder  „Und  will  ich  hier  der  feder  ein  stillschweigen  aufferlegen,  weil 
sie,  alle  vergnügongen,  freundschaffts- küsse  und  hertzliche  werte  vor- 
zustellen,  nur   ihre   unvermögenheit  verrathen   würde"   (373).     Oder 


72  MÜLLBB- FRAUENSTEIN 

endlich:  „Wir  lassen  hier  den  vergnügten  Zarang  den  Savaadischen 
gürtel  lösen,  und  verfügen  uns  wider  in  das  Aracanische  lager  vor 
Pegu,  woselbst  wir  statt  lieblicher  küsse  donnernde  cArthauen  spielen, 
und  statt  der  myrthen  die  mauern  von  Pegu  mit  blutigen  cypressen 
umgeben  schauen"  (382).  Neben  derartigen  Übergangsphrasen  treten 
die  falle,  wo  einfach  von  etwas  neuem  „kurtzer  bericht  abgestattet" 
oder  mit  einem  „inzwischen"  und  dergleichen  abgeleitet  wird,  völlig 
zorück. 

Wir  können  den  abschnitt,  der  die  composition  des  werkes  behan- 
delt, nicht  schliessen,  ohne  auf  noch  einige  andere  augenfällige  unwahr- 
scheinlichkeiten  der  handlung  ausser  den  schon  erwähnten  hingewiesen 
zu  haben.  Die  geschraubte  Situation,  die  auf  der  ununterbrochen  fort- 
dauernden lebensgefahr  der  heldin  beruht,  ist  uns  am  empfindlichsten, 
sie  ist  aber  gerade  ein  hauptmittel  des  autors,  die  Spannung  zu  erhöhen 
und  könte  noch  heute  gerade  wie  damals  das  glück  des  Schriftstellers 
machen.  Er  ist  unerschöpflich  im  aufspüren  neuer  gründe,  um  Ver- 
zögerungen für  den  eintritt  der  katastrophe  herbeizuführen,  ganz  wie 
Sue  oder  Dumas.  Oft  werden  tage  oder  wochen  oder  monate  im  vor- 
aus bestimt,  wo  irgend  etwas  eintreten  soll,  in  der  Zwischenzeit  sucht 
er  es  dann  so  zu  arrangieren,  dass  alles,  was  er  zur  abwendung  des 
Unheils  eintreten  lassen  will,  nicht  zu  unwahrscheinlich  erscheint 
Trotzdem  glaube  ich  nicht,  dass  gerade  die  als  glanzpunkt  gedachte 
lösung  im  tempel  des  kriegsgottes  mit  der  rede  Banisens  und  dem  tode 
Chaumigrems  von  den  Zeitgenossen  so  gar  anders  gefunden  worden  ist 
als  von  heutigen  lesem.  Die  rede  mag  ihrem  geschmack  entsprochen 
haben  ^,  während  sie  uns  unbeschreiblich  geschmacklos  dünkt  in  ihrer 
schulmässigen  rhetorik,  mit  ihrer  kühlen  Überlegung  und  Phrasendre- 
scherei. Aber  dass  die  ihr  folgende  befreiung  nicht  so  geschickt  und 
spannend  wie  andere  partien,  zu  tumultuös  erfolgt,  wird  wol  auch 
einem  oder  dem  andern  der  ersten  Verehrer  des  buches  aufgefallen 
sein*. 

Ein  einziges  mal  kann  es  scheinen,  als  ob  Zigler  etwaigen  ein- 
wendungen  gegen  die  fabel  entgegentreten  wolte.     S.  318  sagt  er:  „Zu 

1)  Cholevius  s.  169  zergliedert  sie  ganz  correkt,  fiodet  sie  ebenfals  ^  pedan- 
tisch uad  unnatürlich,  trotzdem  sie  sicher  unzählige  heisso  thränon  heivorgelockt 
habe.*' 

3)  Bobertag  s.  220  sagt  ganz  richtig,  „es  mangele  die  fähigkoit,  die  bedeutsam- 
sten Situationen  klar  zu  erkennen  und  von  weniger  wichtigem  zu  unterscheiden,  auch 
die  kunst,  dann  eine  wirkungsvollere  und  mehr  als  sonst  spannende  darstellung  anzu- 
wenden. ** 


ZIQLERS  ASIATISCHE  BANISE  73 

verwunden!  ist  es,  wie  sich  ein  väterliches  hertze  durch  fremdes  fleisch 
sein  eigenes  geblüte  könne  lassen  verhasst  machen:  Allein  hier  muste 
die  Verwunderung  den  finger  auflf  den  mund  legen,  weil  öfifters,  ob 
zwar  ein  ehrlicher,  doch  unordentlicher  begierdens  rauch  die  flamme 
natürlicher  liebe  ersticket"  Ich  muss  aber  betonen,  dass  es  z.  b.  den 
Charakterzügen,  die  der  dichter  den  personen  verleiht  und  die  später 
besprochen  werden  sollen,  nicht  recht  entspricht,  wenn  der  mordgie- 
rige, von  Banise  in  jeder  weise  zurückgestossene  oder  überlistete  Chau- 
migrem  dieser  so  oft  bedenkzeit  gibt,  auch,  nachdem  seine  leidenschaft 
schon  erkaltet  ist,  die  räche  verschiebt  (s.  besonders  s.  352,  354,  363), 
ferner  wenn  der  jugendlich  leidenschaftliche  imd  ritterliche  Balacin  die 
zweite  herausforderung  durch  den  prinzen  Zarang,  als  sie  zusammen 
Pegu  belagern,  nicht  annimt,  oder  wenn  der  leztere  so  schnell  der  ihn 
überlistenden  prinzessin  von  Savaady  die  täuschung  verzeiht  und  sie 
sogar  heiratet,  oder  wenn  Scandor,  eigentlich  nur  um  seinem  herrn 
das  geschehene  melden  zu  können,  von  Chaimiigrem  nach  dem  flucht- 
versuche  ohne  sti'afe  entlassen,  oder  endlich  wenn  Abaxar  von  diesem 
nach  dem  flagrantesten  ungehorsam  in  seiner  hohen  würde  gelassen 
wird.  Das  sind  schwächen,  die  sicher  auch  nach  dem  ersten  erscheinen 
des  Werkes  empfunden  worden  sind. 

Anders  steht  es  mit  einigen  andern  punkten.  Der  unglückliche 
vater  Banisens,  der  kaiser  Xemindo,  lässt  sich  auf  dem  richtplatze 
(s.  195)  mit  einem  Portugiesen  in  ein  gespräch  ein,  und  unter  andern 
Worten  diese  fallen:  „Ich  muss  gestehen,  wenn  es  gott  gefiele,  möchte 
ich  itzo  noch  eine  stunde  leben,  um  zu  bekennen  die  vortrefligkeit  des 
glaubens,  welchem  ihr  andern  zugetan  seyd."  Diese  löbliche  gesinnung 
erscheint  uns  selbst  bei  dem  etwas  schwachmütigen  kaiser  von  Pegu 
so  völlig  unvermittelt,  dass  wir  an  ihrer  echtheit  zweifeln  müssen;  auf 
die  leser  vor  200  jähren,  die  mehr  als  wir  von  den  erfolgen  der 
jesuitischen  mission  gerade  in  Ostasien  hörten,  mag  sie  wol  besonders 
erbaulich  gewirkt  haben.  Auch  der  uns  wunderlich  vorkommende 
schluss  der  hochzeitsfeierlichkeiten,  das  Zwiegespräch  zwischen  Mars 
und  Venus  und  das  von  Portugiesen  aufgeführte  theatei-stück,  wird  in 
jener  zeit  einen  entgegengesezten  eindruck  gemacht  haben.  Uns  will 
der  von  Zigler  „aus  dem  italiänischen  übersezte"  und  getrent  von  der 
Banise  schon  einmal,  ein  jähr  vor  deren  erscheinen  gedruckte  „tapffere 
Heraclius'',  auch  wenn  Portugiesen  ihn  vor  dem  jungen  kaiserpaare  in 
Pegu  aufführen,  gar  nicht  nach  Hinterindien  gehören.  Die  gelehrten 
anspielungen  daiin  auf  alte  mythologie  und  geschichte  fallen  uns  als 
vor  diesen  zuschauem  in  so  hohem  masse  unmotiviert  auf,   dass  wir 


74  MÜLLEB-FBAVEKSTEIN 

bei  dieser  gelegenheit  erst  recht  deutlich  empfinden,  wie  rein  der  eigent- 
liche roman  sonst  von  allem  solchen  krimskrams  ist 

Man  würde  jedoch,  meine  ich,  sehr  unrecht  tun,  wenn  man  die- 
ses angehängte  theaterstück,  obgleich  es  dem  Inhalte  nach  eine  gewisse 
ähnlichkeit  mit  dem  roman  nicht  verleugnet,  als  organisch  mit  dem 
ganzen  verbunden  beurteilen  wolte.  Das  titelblatt  sagt  es  ganz  offen: 
„Diesem  füget  sich  bey  eine  theatralische  handlimg."  Der  dichter  hatte 
die  absieht,  das  stück,  auf  das  er  jedenfals  nicht  wenig  stolz  war  und 
das  nicht  besser  und  nicht  schlechter  ist  als  die  durchschnitswaare  der 
zweiten  schlesischen  schule,  noch  bekanter  zu  machen,  indem  er  es 
dem  gefolge  der  asiatischen  Banise  einverleibte;  der  kunstgnff  war  ein- 
fach genug  und  hat  jedesfals  seine  Wirkung  getan.  Eine  entschul- 
digung  kann  aber  auch  vom  künstlerischen  Standpunkte  insofern  gefun- 
den werden,  als,  wie  schon  angedeutet,  ein  parallelismus  zwischen  dem 
roman  und  dem  stücke  existiert  Phocas  entspricht  in  manchem  Chau- 
migrem,  Heraclius  hat  die  züge  Balacins,  Theodosia  die  Banisens, 
Mauritius  gleicht  dem  unglücklichen  Xemindo,  das  zweite  liebespaar 
Honoria  und  Siron  könte  mit  Higvanama  und  Nherandi  zusammen- 
gestelt  werden.  Der  kern  der  fabel  ist  allerdings  insofern  ein  anderer, 
als  der  tyrann  sich  ausser  in  die  zwei  genanten  Prinzessinnen  vor 
allem  in  den  als  weib  verkleideten  Heraclius  verliebt;  der  leztere  aber 
hat  doch  ebenso  wie  Balacin  die  ihm  entrissene  braut  zu  befreien  und 
einen  gestürzten  k aiser  zu  rächen.  Die  mittel  sind  die  gleichen:  Ver- 
kleidung und  plötzlicher  Überfall  des  im  augenblick  wehrlosen  gewalt- 
habers,  Unterstützung  des  kühnen  angreifers  durch  von  aussen  eindrin- 
gende freunde,  welche  die  leib  wache  unschädlich  machend  Es  haben 
also  äussere  gründe  in  erster,  nicht  unbedeutende  innere  in  zweiter  linie 
den  dichter  zu  dieser  nochmaligen  benutzung  eines  fiüheren  Werkes 
verführt;  der  hauptfehler  dabei  liegt  in  der  Verwendung  vor  einem 
publikum  (in  Pegu),  das  wohl  für  die  sache,  nicht  aber  für  die  namen 
Interesse  haben  konte.  Es  ist  dies  jedoch  ein  fehler,  den  Zigler  in 
weit  geringerem  umfange  begeht  als  alle  romanschriftsteller,  die  mit 
ihm  zugleich  arbeiteten. 

Wir  kommen  nun  zu  der  hauptfrage  in  betreff  der  dichterkraft 
Ziglers:  Wie  viel  von  dem  roman  ist  seiner  eigenen  phantasie  ent- 
sprungen, wie  viel  hat  er  benuzt  oder  abgeschrieben?  Der  einzige 
kritiker,  welcher  bisher  Ziglers  angaben  über  seine  quellen  (in  der  vor- 

1)  Ich  nehme  also  an ,  dass  Zigler  in  betreff  der  composition  seines  romans  in 
etwas  von  diesem  seinem  dramatischen  werke,  das  er  als  aus  dem  italiänischen 
übersezt  ein  jähr  früher  veröffentlichte,  abhängig  war. 


ZIQLERS  ASIATISCHE  BANISE  75 

rede)  geprüft  hat,  ist  Bobertag  s.  176  — 179.  Mich  befriedigten  dessen 
resultate  nicht  volständig,  ich  gebe  deshalb  hier  die  meinigen.  Sie 
beruhen  auf  der  genauen  iektüre  und  vergleichung  der  beiden  von 
Zigler  genanten  werke:  Gasparo  Balbi,  viaggio  dell'  Indie  orientali, 
Venedig  1590,  und  Erasmus  Francisci,  Ost-  und  Westindischer,  wie 
auch  Sinesischer  Lust-  und  Stats-Garten,  Nürnberg,  1668,  zwei  wie 
in  der  grosse,  so  in  plan  und  ziel  völlig  verschiedene  bücher,  von 
denen  jedoch  das  zweite  das  erste  benuzt  Balbi  war  venetianischer 
Juwelier  und  reiste  seines  geschäftes  wegen  1579  —  88  im  Orient  umher, 
in  Syrien,  Mesopotamien,  Vorder-  und  Hinterindien.  Da  sein  buch 
in  der  hauptsache  vom  kaufmännischen  Standpunkte  geschrieben  ist  und 
alles,  was  für  den  handel  seiner  Vaterstadt  von  vorteil  und  interesse 
sein  kann,  in  erster  linie  zusammenträgt,  so  bringt  es  nur  wenige  eth- 
nographische oder  geographische  specialitäten.  Über  geschichtliche  stoffe 
ist  es  ausführlicher  in  den  kapiteln  35  und  37;  hier  teilt  es  mit,  was 
gerade  damals  in  Hinterindien  politisch  wichtiges  geschah.  Was  Balbi 
selbst  davon  sah  oder  von  Portugiesen  daselbst  hörte,  bringt  er  als 
neue  zeitung  aus  Pegu  nach  Venedig. 

Von  seinem  werke  gab  es  eine  lateinische  und  eine  deutsche  Über- 
setzung, die  erste  1606,  die  zweite  1605  in  Frankfurt  erschienen;  es 
ist  mir  aber  wahrscheinlicher,  dass  Zigler  das  original  selbst  benuzt 
hat,  da  er  meist  den  italienischen  text  wörtlich  überträgt  Dies  geschieht 
an  folgenden  stellen: 

Balbi  blatt  100  ==  Zigler  seite  347,  die  beschreibung  von  Pegu; 
B.  101  und  102' =  Z.  347,  die  krokodile  und  die  bürg  ebenda;  B.llO** 
=  Z.  281,  über  den  könig  des  weissen  elefanten;  B.  111  und  112  = 
Z.  281  und  282  über  die  bewafnung  und  ausrüstung  des  heeres,  die 
fehlende  artiUerie  usw.;  B.  118'  =  Z.  132  und  133  über  das  schöne 
schiff  des  königs  von  Pegu;  B.  118**  und  119'  =  Z.  133,  der  aufzug 
ebendesselben;  B.  122  =  Z.  135,  das  schifsfest  Sapan  Donou.  Aus 
dem  17.  kapitel  sind  ferner  wol  noch  die  festlichkeiten  bei  dem  tode 
eines  königs  von  Pegu  und  die  stelle  über  die  gebrauche  der  priester 
benuzt,  endlich  ist  ganz  wörtlich  das  36.  kapitel,  die  elefantenjagd,  = 
Zigler  282  fg. 

Das  alles  sind  züge,  die  unser  dichter  nur  zur  ausschmückung 
der  fi^el  entlehnt;  diese  selbst  aber  hat  er  bis  auf  einen  nebenpunkt 
nicht  nach  Balbi  entworfen.  Derselbe  erlebte  nämlich  den  krieg  ZAvi- 
schen  Ava  und  Pegu,  welcher  bei  Zigler  ganz  im  anfange  von  Scan- 
dor  erzahlt  wird.  Hier  heissen  die  fürsten  Dacosem  und  Xemindo, 
Balbi  nent  keine  namen,  berichtet  überhaupt  den  hergang  ganz  trocken 


76  MÜLLEB-FBAUENSTEIN 

und  hängt  die  geschieh te  eines  zweiten,  aber  verunglückten  feldzuges 
gegen  Siion  (nach  Francisci  1509  =  Sion  =  Siam  =  Odia)  an,  wel- 
chen Zigler  nicht  benuzt.  Mit  wie  freier  phantasie  der  leztere  gerade 
diese  für  uns  wichtigste  stelle  verwendet,  ergibt  folgende  Zusammen- 
stellung. Bei  Balbi  wie  bei  Zigler  huldigt  der  könig  von  Ava  dem 
von  Pegu,  seinem  nefifen,  nicht,  gibt  ihm  keine  geschenke  und  hindert 
den  handelsverkehr  zwischen  beiden  ländern;  den  umstand  benuzt  Zig- 
ler nicht,  dass  der  von  Pegu  deshalb  abgeschickte  gesante  von  jenem 
ermordet  wird.  Vor  dem  feldzuge  richtet  der  könig  von  Pegu  aus 
furcht  vor  verrat  4000  personen  hin,  die  vornehmsten  seiner  unter- 
thanen  mit  ihren  familien  bis  herab  auf  die  Säuglinge;  Zigler  lässt 
dagegen  Xemindo  von  ehrgeizigen  unterthanen,  Xeminbrun  und  Chau- 
migrem,  wirklich  verraten  werden.  Auch  die  erkrankung  dos  königs 
an  den  blättern  benuzt  er  nicht  In  der  entscheidungsschlacht  kämpfen 
ferner  bei  Balbi  beide  könige  selbst  mit  einander;  der  Peguaner  tötet 
den  von  Ava,  bei  Zigler  nur  dessen  ältesten  söhn,  so  dass  nun  dem 
jüngeren,  Balacin,  die  thronfolge  zufalt.  Von  einzelheiten  sind  bei 
dieser  scene  mehrere  bezeichnende  mit  herübergenommen,  z.  b.  das 
Schwert  des  Peguaners,  welches  ihm  von  dem  portugiesischen  vicekönig 
Luigi  di  Taida  verehrt  worden  ist,  ferner  die  verletzimg  und  wut  sei- 
nes elefanten.  Man  sieht,  das  sind  alles  einzelne,  wenige  zügo  von 
bestirntem  Charakter,  gewisse  härten  werden  gemildert;  der  ausgang 
aber  ist  ein  völlig  verschiedener.  Während  bei  Balbi  die  feindliche 
armee  sich  ergibt,  Ava  geschleift  und  seine  einwohnerschaft  in  die  Wild- 
nis hinausgejagt  wird,  lässt  Zigler  hier  Xeminbruns  abfall  eintreten  und 
Pegu,  ohne  Ava  selbst  anzugreifen,  sich  gegen  diesen  wenden.  Nur 
den  umstand,  dass  der  grosse  schätz  von  Ava  nicht  aufgefunden  wird, 
beutet  er  später  in  Pegu,  gegen  Chaumigrem,  aus,  und  wörtlich  nimt 
er  die  rührende  stelle  herüber,  wo  der  elefant  des  gefallenen  königs 
(oder  kronprinzen)  von  Ava  bei  dem  siegeseinzuge  in  Pegu  weint  und 
14  tage  lang  keine  nahrung  zu  sich  nimt.  Aus  dem  nun  folgenden 
feldzuge  gegen  Siam  oder  Odia  könte  unseren  dichter  höchstens  die 
notiz  angeregt  haben,  dass  der  vater  des  königs  von  Pegu  früher  mit 
800000  mann  die  stadt  eroberte;  er  lässt,  wenn  auch  nicht  durch 
Xemindo,  so  doch  durch  Chaumigrem  dasselbe  ziel  erreichen. 

Also  nur  für  eine  nebcnhandlung,  den  krieg  Xemindos  gegen 
Dacosem,  hat  Zigler  hie  und  da  züge  aus  Balbi  benuzt,  etwas  mehr 
zur  künstlerischen  ausschmückung  der  Verhältnisse  von  Stadt  und  hof 
in  Pegu.  Der  kern  der  fabel,  die  Schicksale  Banisens,  Balacins,  Chau- 
migrems,  ist  bei  Balbi  mit  keiner  silbe  gestreift 


ZTOLERS  ASIATISCHE  BANISE  77 

Solte  Francisci  dafür  die  quelle  gewesen  sein?  Jedesfals,  das 
merken  wir  bald,  ist  dessen  dickleibiges  buch  aus  ungemein  vielen 
älteren  kompiliert  und  eine  bequeme  fundgrube  für  kuriose  nacbrich- 
ten  aus  Ost-  und  Westindien  nicht  nur,  sondern  aus  allen  ländem 
und  Zeiten.  Es  erzählt  nicht  nur  zwei,  sondern  eine  ganze  menge 
kriege  in  Hinterindien,  es  führt  auch  mehrere  personen  deutlich  vor, 
aber  von  der  hauptfabel  Ziglers  ist  auch  hier  nur  wenig  zu  entdecken. 
Von  Seite  1530  an,  im  dritten  teile,  wird  es  für  uns  wichtig.  In  dem 
Vorgespräch  zwischen  Floris  Angelott  und  Sinnebald  erinnert  dagegen 
nur  der  gedankenaustausch  über  liebe  und  frauen  in  etwas  an  entspre- 
chende partien  bei  Zigler,  ist  aber  nicht  wörtlich  benuzt.  Aus  dem 
ersten  buche  femer  ist  das  kraut  dutroa,  mit  dem  Banise  Chaumigrem 
einschläfert,  sonst  aber,  gerade  wie  aus  dem  zweiten,  nur  weniges  zur 
naturgeschichtlichen  Schilderung  des  landes  entlehnt.  Balbi  endlich, 
nicht  Francisci  1518 — 29,  liegt  den  entsprechenden  Ziglersehen  seiten 
über  Pegu  zu  gründe,  wie  schon  angegeben.  Auch  die  geographische 
beschreibung  Slams  oder  Odias  (Fr.  1509,  Z.  290)  ist  nicht  wörtlich, 
der  anlass  zum  kriege  zwischen  Siam  imd  Pegu  sachlich  wol  gleich, 
in  der  form  anders  erzählt,  die  zustände  in  Siam  erscheinen  in  einem 
anderen  lichte,  der  ganze  feldzug  ist  bei  Francisci  1510  sehr  kurz, 
nach  Cäsar  Fridericus,  behandelt  Wir  ersehen  daraus  als  faktische 
ergänzung  zu  Balbi,  dass  im  jähre  1567  ein  könig  von  Pegu  29  monate 
lang  Odia  mit  1400000  mann,  zu  denen  noch  500000  mann  zuzug 
gekommen  seien,  belagert  und  endlich  durch  verrat  genommen  haben 
soll;  der  überwimdene  könig,  so  heisst  es  kurz,  habe  gift  genommen. 
Bei  Zigler  ist  aus  diesen  wenigen  Sätzen  der  grossartige  kämpf  um 
Odia  geworden,  den  Chaumigrem  schliesslich  trotz  Nherandis  verzwei- 
felter Verteidigung  siegreich  beendet,  während  der  könig  Higvero  mit 
seiner  gattin  sich  vergiftet  (s.  284  —  294,  306  —  330).  Balbi  dagegen 
verweilt,  wie  oben  gesagt,  länger  bei  dem  zu  seiner  zeit,  also  etwa 
15  jähre  später,  erfolgten  verunglückten  angriff  des  sohnes  jenes  königs 
von  Pegu  auf  Odia. 

Fast  wörtlich  gleich  lautet  zuerst  die  algemeine  Schilderung  des 
festes  des  kriegsgottes  (Z.  364,  Fr.  1523),  welche  nach  Yincent  le  Blanc 
entworfen  ist,  ebenso  die  krönung  in  Pegu  (Z.  404  fg.  =  Fr.  1525  fg.), 
nur  dass  Zigler  viel  kürzt  und  anderseits  die  schöne  rede  des  Rolim 
Korangerim  durchaus  selbständig  dazusezt  Wie  die  nach  Balbi  gefer- 
tigte erzählung  des  peguanisch-avanischen  krieges  bei  Zigler  durch  den 
erzähler  Scandor  eine  völlig  andere  farbung  erhielt,  so  flicht  hier  unser 
dichter  geschickt    seine    eigenen    politischen   ansichten   ein,    überträgt 


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itÜLuCR  -FutnRauiH 


ausserdem  gewisse  handliingeu  auf  ganz  ändert'  personen.  In  den 
vordorgnmd  für  den  gang  der  kriegsereignisse  in  unserem  romaoe 
tritt  Francisoi  erst  s.  1530  fg.,  von  wo  an  er  den  PuriugicseD  Fenumd 
Meiidez  I'intu  und  Botorus  benuzt,  uni  die  kriege  eines  königs  tob 
Brama  mit  den  andern  hinterindisclien  Kirsten  zn  Pintos  lobzeiten  m 
erzählen.  Der  könig  ist  nicht  genant,  sein  obertVIdherr  nur  heiast 
Xemiubrnu;  bei  Zigler  bilden  lezterer  und  Chaumigrem  ein  wtlrdigM 
brüderpaar,  von  dem  der  erstgenante  bald  verschwindet,  und  alles,  w» 
nach  Francisci  der  könig  selbst  ausführte,  komt  hier  auf  ChaomigrctBB 
rechnung  selbst  Bei  Fr.  zieht  der  könig  zuerst  gegen  Martabon,  des- 
sen könig  Cambaiuba  von  beiden  Schriftstellern  den  gleichen  nameo 
erhält,  bei  Fr.  aber  kapituliert,  bei  51.  ritterlich  kämpft.  Eine  geuiumv 
verglüichnng  der  betreffenden  seilen,  Fr.  1530  —  1535,  Z.  138  — H6, 
ergibt  die  völlige  Selbständigkeit  unseres  dichters.  Francisci  eREfthlt  aus- 
führlich von  Unterhandlungen,  Zigler  läset  durch  einen  entronnenen  Mar- 
tahaner  lebendig  und  anschaulich  die  belagerung  und  eretürmung  berichten. 
Die  folgende  massenhinrichtung  dagegen  ist  zwar  nicht  ganz,  aber  in  vie- 
len ausdrücken  wörtlicii  und  der  sacbe  nach  bei  beiden  gleich  {Fr.  1533 
—  1538,  Z.  141  — 146).  Bei  Fraucisci  rückt  der  Brama  nun  sofort  vor 
Prom,  und  dessen  belagerung  und  erstürnumg  hat  Zigler,  wenn  audi 
in  anderem  zusammenhange,  beinahe  gleichlautend  mit  Jenem,  beson- 
dere bezieht  sich  dies  auf  den  brief  der  königin  (Z.  199  —  205,  Fr.  I&36 
— 1541).  AUerdings  fehlen  bei  dem  älteren  autor  alle  beziehungüu  aol 
Abaxar,  welche  persönlichkeit  durchaus  Zigk-i's  ei-findung  ist;  geschickte 
abkürzungen,  ersetzung  von  fremdworten  durch  deutsche  und  nicht 
recht  nach  Asien  passender  durch  gescliicktere  fallen  ferner  dabei  anC 
Ganz  selbständig  ist  in  unserem  buche  die  ausmalung  eines  groasea 
Rusfalles,  welche  mir,  nouh  ehe  ich  mit  Fraucisci  vergleichen  koobs 
wegen  ihres  plastischen  ausdruck»  besondere  gelungen  erschien.  Der 
leztere  lässt  an  dieser  stelle  den  könig  von  Brama  verwundet  und  Si'- 
nlmbrun  getötet,  Zigler  ähnlich  Chaumigrem  von  einer  lanze  verlezt 
und  dessen  obersten  feldherm  niedergehauen  werden. 

Alle  bei  Fraucisci  1541  —  62  folgenden  ereignisse  hat  Zigler  ntdit 
benuzt,  der  name  des  milchbruders  des  bramanischen  fürsten,  n'^TW^i'^^ 
Chatmiigrem,  komt  aber  hier,  s.  1561,  zum  ersten  male  vor.  Smlaim 
ist  für  den  wirklich  historischeu  hintergrund  daran.':  die  annierkuog 
8.  1557  von  Wichtigkeit,  in  der  es  heisst;  Pinto  sei  bei  der  btdagcmne 
von  Prom  ohngeßlhr  im  jähr«  1540  zugegen  gewesen,  sohon  i 
aber  habe  derselbe  könig  von  Brama  Pegu  bezwungen.  Daiin  1 
sich  Francisci  e.  1562  zu  dem  zweiten,  aber  unglücklicli^  i 


ZIGLEBS   ASIATISCHE  BANISE  79 

Slam,  welchen  die  eine  seiner  quellen,  Boterus,  ins  jähr  1570  sezt, 
während  er  in  die  zeit  von-  Balbis  aufenthalt  fält  Ähnlich  ist  hier 
nur  bei  Zigler  s.  284  fg.  die  figur  der  königin,  »die  sich  durch  ver- 
brecherische taten  hervortut,  dagegen  fehlen  bei  Fr.  Nherandi,  Fylane, 
natürlich  auch  Abaxar  und  die  schreckensscenen  und  zwistigkeiten  in 
Odia,  gerade  wie  bei  der  ersten  belagerung.  Die  einzelbeiten  führt 
unser  roman  ganz  selbständig  aus,  die  lebendigsten  kampfecenen  haben 
bei  Fr.  kein  analogon.  Die  mannigfaltigkeit  derselben  ist  aber  in  der 
Banise  geradezu  bewundernswert:  eine  schlacht  vor  der  einschliessung, 
grossartige  arbeiten,  den  fluss  abzudämmen,  ausfälle  bei  tag  und  bei 
nacht,  stürme  in  sehr  verschiedener  art  und  weise.  Den  abzug  vor 
Siam  veranlasst  nun  bei  Francisci  s.  1564  der  abfall  des  Xemindo  in 
Pegu  von  dem  könige  von  Brama,  welch  lezterem  diese  Stadt  Untertan 
ist  Dieser  Xemindo  wird,  wie  bei  Zigler,  dargestelt:  gutherzig,  mild 
und  höflich,  er  wird  bei  beiden  in  einer  schlacht  geschlagen,  Pegu 
ergibt  sich  (Fr.  1565).  Trozdem  fält  auch  Martaban  ab  und  ausserdem 
der  Xemin  von  Satan  (1566);  ja  lezterer  überrascht  den  Brama  und 
bringt  ihn  um.  Der  milchbruder  des  getöteten  jedoch,  Chaumigrem, 
rettet  sich  mit  dem  grossen  schätze  (1567)  nach  seiner  geburtsstadt 
Tangu,  während  Xemin  von  Satan  als  könig  in  Pegu  gekrönt  wird. 
Gleich  seinem  Vorgänger  verfahrt  er  aber  tyrannisch  gegen  die  Unter- 
tanen, wird  von  dem  widerauftauchenden  Xemindo,  der  sich  aus  jener 
imglücklichen  schlacht  gerettet  hat,  belagert  und  falt  bei  einem  gefeeht 
vor  seiner  residenz.  Xemindo  ist  nun  3^2  jähre  lang  ein  friedlicher 
und  gerechter  herscher  in  dem  viel  umstrittenen  Pegu,  dann  wird  er 
in  einer  bei  Francisci  ausführlich  beschriebenen,  bei  Zigler  nur  erwähn- 
ten schlacht  von  Chaumigrem  überwunden.  Der  leztere  will  nach  Fran- 
cisci (1576)  die  Stadt  schonen,  erscheint  hierbei  in  gutem  lichte,  da 
er  sogar  deswegen  einem  aufruhr  entgegentritt,  und  zieht  in  Pegu  ein 
(1577).  Erst  von  hier  an  benuzt  Zigler  die  vorläge  wider  mehr  (187 
— 198),  und  dies  ist  überhaupt  die  wichtigste  entlehnung,  die  sich  bei 
ihm  findet  Sie  betrift  Chaumigrems  einmarsch  und  sein  Strafgericht 
über  den  gefangenen  Xemindo.  Durch  den  erzähler  Talemon  wird  aber 
in  der  Banise  die  prinzessin  selbst  mehr  in  den  Vordergrund  geschoben 
und  Chaumigrems  Charakter  verschlechtert  Klagen  über  die  Vergäng- 
lichkeit des  glucks  treten  dazu,  eine  hässliche  scene,  in  der  Xemindo 
Toa  dnem  Portugiesen  verhöhnt  wird,  falt  weg.  Dagegen  sind  die 
partiell,  in  denen  er  von  Chaumigrem  verspottet,  dann  zum  richtplatz 
geoddept,  Ton  seiner  tochter  mit  wasser  erquickt,  von  dem  henker 
ft  vnd  endlich  getötet  wird,  ganz   gleich.     Zigler  entlehnte 


80  MÜLLER -FRAUENSTKIN 

dieser  schon  bei  Francisci  hochdramatischen  scene  z.  b.  auch  die  werte, 
in  denen  Xemindo  den  wünsch  ausspricht,  Christ  zu  werden,  und  sezt 
da  nur  die  strafe  hinzu,  welche  der  henker  von  einem  unbekanten 
erfahrt  Wörtlich  benuzt  sind  von  unserem  dichter  mehrere  sätzo  auf 
s.  187  und  188,  die  Seiten  189  und  190  und  endlich  193—198.  Auf 
s.  191  ist  nur  die  scene  zwischen  dem  könige  und  seiner  tochter  wört- 
lich gleichlautend  bis  auf  den  sclüuss.  Dieser  aber  ist  für  unsere  febel 
gerade  durchaus  die  hauptsache,  Francisci  s.  1578  nent  keinen  namen 
für  die  tochter;  sie  ist  die  verlobte  des  prinzen  von  Nautir,  eines  prin- 
zen  von  Ava,  und  wird  (s.  1579)  „auf  dem  Rucken  ihres  Vatters,  den 
sie  umhalse te,  erwürgt"  Da  ist  also  nur  der  umstand,  dass  ein  söhn 
des  königs  von  Ava  als  bräutigam  der  tochter  des  Xemindo  genant 
wird,  von  Zigler  beibehalten.  Alles  andere,  was  er  von  diesen  beiden 
personen  zu  erzählen  weiss,  und  das  ist  doch  der  inhalt  seines  buches, 
ist  produkt  seiner  frei  waltenden  dichterkraft:  Vergleichen  wir  weiter, 
so  ergibt  sich  folgendes:  Die  beiden  anderen  liebespaare  existieren  in 
den  quellen  gar  nicht,  Scandor  und  Talemon  ebensowenig.  Der  vater 
Banisens  wird  aus  einem  von  vielen  Usurpatoren  zu  einem  grossen 
kaiser  umgewandelt,  dem  der  grössto  teil  Hinterindiens  von  rechts- 
wegen  gehört  Chaumigrcm  dagegen  wird  aus  dem  bruder  des  grossen 
königs  von  Brama,  der  diesem  nachfolgt,  zu  einem  emporkömling,  auf 
den  fast  alle  kriege  und  die  verwin-ung  in  Ava,  Martaban,  Prom,  Siam 
und  Pegu  zurückzuführen  sind.  Er  wächst  dadurch,  dass  ihm  seines 
bniders  taten  mit  übertragen  werden ,  zu  einem  Napoleon  Hinterindiens 
empor,  zu  einer  grossartigen,  wenn  auch  für  imseren  geschmack  zu 
grell  gezeichneten  persönlichkeit  Eine  kunstvolle  Steigerung  seiner 
erfolge  ist  bewirkt,  indem  feldzüge  aus  dem  jähre  1540  bis  1585,  von 
Pintos  bis  Balbis  anwesenheit  in  Asien,  ihm  beigelegt  sind,  und  mit 
dem  grössten  siege,  der  eroberung  Slams,  der  höhepunkt  erreicht  wird. 
Wenn  wir  Francisci  und  Balbi  verbinden,  so  sehen  wir:  Es  tritt  erst 
unter  einem  seiner  nachfolger,  welcher  zwar  Ava  bestraft,  aber  vor 
dem  abgefallenen  Siam  abziehen  muss,  in  Wirklichkeit  eine  art  rück- 
schlag  ein,  bei  Zigler  erreicht  ihn  selbst  eine  fiirchtbare  nemesis.  So 
ist  in  wirklich  kühner  weise  aus  den  verschiedensten  bausteinen  ein 
gewaltiges,  einheitliches  gebäude  aufgeführt,  vor  dem  man  nicht  daran 
erinnert  wird,  aus  welchen  Steinbrüchen  das  material  herbeigeholt  ist 
Und  was  die  hauptsache,  eine  einzige  wichtigere  scene  hat  Zigler 
nicht  selbst  entworfen,  diese  hat  er  aber  mit  redit  wörtlich  benozt,  sonst 
betreffen  alle  enüehnmigea  nur  -nfibanhaiidlimgeia  oder  sind  smr  ilieto- 
rischen  aasschinfldning  a  herftbeigeQommen. 


ZIOLKBS   ASIATISCHE  BANISE  81 

Dieses  resultat  meiner  vergleichung  der  beiden  hauptquellen  mit 
dem  romane  selbst  enthebt  mich,  so  hofiTe  ich,  derselben  arbeit  in 
betreff  der  noch  ausserdem  von  Zigler  selbst  genanten  buchen  „Saa- 
rens  und  Schultzens  Keisebeschreibungen,  Kogeri  Heydenthum,  Eossens 
Religionen."  Auf  sie  führe  ich  die  meisten  bilder  religiösen  Inhalts, 
die  processionen  und  einzüge,  die  tempel-  und  Städtebeschreibungen 
zurück;  für  die  fabel  selbst  kann  ich  nach  den  bei  Balbi  und  Francisci 
gefundenen  ergebnissen  nichts  dergleichen  annehmen.  In  betreff  der 
Personennamen  kann  ich  nur  zwei  untergeordnete  tatsachen  noch  anfüh- 
ren: An  Balacin  erinnert  der  bei  Balbi  94'  angeführte  ort  Balatin  in 
der  nähe  von  Pegu,  und  Nherandi  glaube  ich  als  historische  person 
annehmen  zu  müssen,  da  das  Handbuch  der  geographie  und  Statistik 
von  Stein -Hörschelmann  H,  3  s.  452  als  „befreier  Slams  von  Pegu  und 
mehrer  des  reichs"  einen  P'hra  Nera'  von  1564  — 1593  nent  Das 
stimt  der  sache  nach  ganz  zu  der  von  Balbi  und  Francisci  erwähnten, 
unglücklichen,  zweiten  belagerung  Odias  durch  die  Bramaner  und  Pe- 
guaner. 

Man  erlaube  mir  nur  noch  einige  wenige  bemerkungen  über  den 
eindruck,  welchen  die  von  Zigler  benuzten,  nach  den  eben  gepflogenen 
Untersuchungen  allein  ins  gewicht  fallenden  entlehnungen  zur  lokal- 
färb ung  usw.  auf  den  leser  machen.  Wer  unbefangen  vergleicht,  wird 
gestehen,  Zigler  versezt  tatsächlich  mehr  als  irgend  einer  seiner  zeit- 
genössischen zunftgenossen  in  die  zeit  und  an  den  ort,  wohin  er  die 
fabel  nun  einmal  verlegt  hat  Schlossar  geht  mir  zwar  zu  weit,  wenn 
er  sagt  (s.  69):  Zigler  schildere  an  der  band  ethnographischer  und 
naturhistorischer  werke  das  leben  und  treiben,  die  üppige  Vegetation, 
die  orientalische  pracht  an  den  königshöfen  dieser  länder,  er  zeige  die 
kriegfülirung,  die  sitten  und  gebrauche  der  Asiaten.  Ich  werde  im 
folgenden  zeigen,  in  wie  weit  das  berechtigt  ist,  in  wie  weit  nicht, 
doch  in  gewisser  hinsieht  bleibt  allerdings,  das  ist  auch  meine  ansieht, 
von  anfang  bis  zu  ende  das  Hinterindien  vor  unseren  äugen,  welches 
in  der  zweiten  hälfte  des  16.  Jahrhunderts  durch  gewaltige  erschütte- 
ruDgen  bewegt  wurde ^.    Die  Portugiesen  sind  geschickt  verwertet,   sie 

1)  Auoli  Cholevius  s.  152  sagt,  die  Banise  verdiene  allein  einigermassen  dou 
ntmeii  ttnes  ethnographischen  romans.  Zwar  seien  die  fürsten  und  Prinzessinnen  wie 
die  enropSisohen,  Hinterindien  sei  nicht  geogi*aphisch  oder  malerisch  beschrieben 
(JIJL  166),  doch  es  seien  darin  revolutionen  und  kriege  beuuzt,  welche  wirklich  am 
4ät  16.  jahriianderts  dort  sich  ereignet  hätten.  Bobertag  s.  227  —  229  nent  die 
nicht,  nimt  sie  also  auch  nicht  aus,  was  er  einigermassen  hätte  tun 
er  von  allen  diesen  histoiisch  -  galanten  (wie  Cholevius)  oder  heroisch - 

*-.  mCUTSCUK  PUILOLOGIK.      BD.   XXII.  0 


handeln  in  den  verscbiedensten  städten  mit  europäischen  waart^n.  lavit- 
reu  zwischen  den  parteien  hin  und  har,  lehren  die  bessere  benutzung 
der  geschiitzo  und  f;;eben  durch  ihren  anschluss  an  du8  gute  princip, 
durch  die  Unterstützung  Balaoins,  zwar  nicht  den  ausKchlag  in  der 
fabel,  spielen  aber  wenigstens  eine  auch  uns  Europäer  befriedigende 
angemessene  rolle. 

Ich  finde  in  den  geographischen  und  naturhistorischen  excursen, 
in  den  beschroibungen  von  tempeln  iind  religiösen  ceremunien,  von 
einstigen  und  Schaustellungen,  so  wie  sie  die  Banise  bringt,  nidita 
unser  gefiihl  in  höberom  masse  störendes,  als  wenn  Ebers  in  seinen 
ägyptischen  romanen  die  antiquarischen  kentniase  benuzt,  die  ihm  g'Nsdt 
Über  das  Fharaonenland  zn  goboto  stehen.  Zigler  beutet  dabei  seioe 
quelle  sorfaltig  aus,  er  zieht  aber  die  gelegenheit  nicht  sozusagen  b«i 
:  den  haaren  herbei.  Er  ist  wol  breit  und  verweilt  mit  Vorliebe  boi 
dem  grtisslichen  und  seltsamen,  aber  dafür  kann  um  ebenso  der  g6- 
schmack  seines  publikums  entschuldigen ,  wie  es  der  heutige  tut,  wenn 
in  den  berühmten  novellen  Heyses  und  anderer  ungewöhnliche,  krank- 
hafte, ja  selbst  den  unbeteiligten  Zuschauer  nervös  erregende  und  pei- 
nigende seelenzustündo  im  Vordergründe  stehen.  Ich  kann  darum 
unmöglich  in  so  pharisäischer  weise  den  epischen  dichter  tadeln,  wie 
es  wol  sonst  geschehen  ist,  wenn  er  seine  hauptorzälilung  in  langsarao- 
res  tempo  fallen  tasst,  sobald  Balacin  zu  dem  tempel  von  Pandior 
komt  (s.  96  fg,),  oder  sobald  er  das  schiffest  8apan  Dunon  mit  begeht 
(131  lg,),  oder  an  der  tatel  des  kaisors  von  I'egu  teilnimt  (137).  Mau 
glaube  sodann  nicht,  doss  Balacin  hierbei  nur  oinen  müssigen  zusciiau«r 
spiele;  es  ist  vielmehr  bewegung  und  handlung  genug  in  diesen  episo- 
den,  und  die  charakterzelcbnung  gewint  dabei  neben  der  lokalfarbung. 

Nicht  viel  anders  steht  es  um  Chaumigrems  einzug  in  das  besiegte 
Pegu  (IS7  fg.),  die  binrichtung  Xemindos  (193  fg.),  Higvonamas  krö- 
nung  in  Ava  (275),  die  ihres  bruders  in  Pegu  (404  fg.)  u.  a.  Üna 
muss  es  natürlich  eimüden,  wenn  die  paradestücke  sich  mehren;  dCT 
„curiöse"  sinn  der  leser  vor  200  jahi-eu  aber  schöpfte,  wie  ja  algemeio 
anerkant  ist,  mit  vei;gnügen  die  belehrung,  wie  sie  ihm  weiter  iii  dom 
bilde  von  der  beerdigung  der  prinzessin  Salagramnia  (312  fg.)  und  ihres 


f;al<uiten  (wie  er  selbst  sie  oont)  lomanen  sagt:    Die  dorsteUung  von  i 
gaogeaer  Seiten  bei  beetimtea  Völkern,    iJL-reiL  trouu  and  onachauli^kett  B 
orfnrdcrnis  de«  historiachen  romans  sei,  fehle  gatit  und  gar,  sie  m 
storiscli,   zerbilder.  —     Auf  die  Verwendung  der  Portugiesen  wdst  BUoh  C 
a.  161  hin.  —    Ziglor  si'Ibst  «igt  in-a«inor  vorrede  (s.  8):    »Der  innholt  g 
Dkohr  omnt  I!i>il')i'ihchon  BeHchrolViinK,  al»  Helden -Gediuht'.'.'' 


ZIOLERS  ASUTI8CH£  BANISK  83 

Vaters,  des  königs  Higvero  von  Slam  (313  fg.),  von  der  bestattung  des 
alten  und  der  wähl  des  neuen  Rolim  (355  fg.)  geboten  wurde.  Wenn 
bei  allen  genanten  gemälden  in  erster  linie  die  entfaltete  pracht  die 
Phantasie  der  leser  erregen  soll,  so  ist  es  mehr  auf  die  thränendrüsen 
abgesehen  bei  der  Schilderung  der  feuerprobe  in  Siam  (318)  und  der 
menschenopfer  in  Pegu  (363  fg.),  Schilderungen,  bei  denen  von  Ziglers 
Seite  nicht  viel  erfanden  ist;  mich  haben  sie  neben  den  genanten  quel- 
len öfter  an  Olearius  moskowitische  reise  erinnert  Diese  partieen, 
besonders  die  lezte,  gerade  wie  die  geographischen  und  naturhisto- 
rischen, sind  es  allein,  welche  er  wörtlich  aus  den  quellen  entlehnt 
hat  Die  beschreibung  von  Odia  (=  Ajuthia  von  1350  — 1766  haupt- 
stadt  von  Siam)  s.  290  und  die  von  Pegu  (347)  könte  von  einem  Ho- 
mann  aus  Nürnberg  geschrieben  und  seinem  atlas  in  derselben  weise 
einverleibt  sein,  wie  dies  bei  Isfahan  und  Täbris  oder  Kars  und  Erze- 
rum geschieht;  so  sachlich  und  einfach  sind  sie.  Denselben  eindruck 
macht  die  elefantenjagd  (282  —  284)  und  der  krokodilfang  (373);  die 
wahren  quellen  habe  ich  ja  oben  genant 

Man  sieht,  unendlich  viel  beiwerk  hält  Zigler  für  nötig,  um  geist 
und  gemüt  der  leser  zu  befriedigen;  das  zuviel  stumpft  unseren,  der 
heutigen  generation  genuss  ab.  Die  angewanten  mittel  an  und  für 
sich  sind  aber  nicht  falsch.  Wie  anders  muss  uns  dagegen  in  Lohen- 
steins Arminius  die  verhülte  erzählung  der  ganzen  habsburgischen 
geschichte,  die  bezugnahme  auf  Ludwig  XIV.,  auf  Gustav  Adolf  usw. 
erscheinen!  Zigler  falt  es  doch  nicht  ein,  wie  seinem  gefeierten  vor- 
bilde, aus  allen  zeiten  und  den  verschiedensten  örtlichkeiten,  besonders 
in  den  gesprächen,  die  beispiele,  vor  allem  anekdotenhafte,  zu  entleh- 
nen. Er  bleibt  im  ganzen  doch  im  16.  Jahrhundert,  und  da  ihm  die 
frühere  lünterindische  geschichte  natürlich  unbekant  ist,  so  kann  er 
auch  nicht  altertum  und  mittelalter  immer  in  die  neue  zeit  mengen, 
wie  es  Lohenstein  umgekehrt  tut  Dazu  komt,  dass,  wenn  Zigler  in 
die  Banise  auch  vieles  hineinbringt,  was  nicht  unbedingt  zur  haupt- 
handlung  gehört,  «dieses  sich  doch  weit  natürlicher  mit  derselben  ver- 
bindet als  im  Arminius^. 

1)  Bobertag  s.  218  fg.  sagt:  Ziglem  könne  eine  weit  leichtere  bürde  von  gelehr- 
samkeit  wol  ebenso  vor  Überladung  mit  gelehrtem  kram  bewahrt  haben  wie  richtiger 
takt,  obwol,  ganz  objektiv  genommen,  der  Banise  dieser  mangel  als  ein  nicht  ganz 
unbedeutender  vorteil  anzui-echnen  sei.  Das  „obwol"  scheint  mir  nicht  gerecht  Zig- 
ler wird  überall  als  ein  ausserordentlicher  Vielleser  genant,  auch  Bobertag  einleitungVI 
sagt,  er  habe  durch  viele  stubenarbeit  seiner  gosundheit  geschadet,  da  ist  doch  die 
„weit  leichtere  bürde  au  gelehrsamkeit "  mindestens  unerwartet.  Wenn  es  dann 
s.  219  anmerkung  weiter  heisst:  „Zu  beachten  dürfte  sein,  dass  Zigler  in  seinen  spä- 

6* 


84  itCller-fraürnst&d? 

In  den  entsprechenden  zoitverhältnissen  bleiben  wir  bei  Zigler 
im  ganzen  immer;  in  betreff  der  örtlichkeit  nimt  er  nun  freilich  gar 
manches  aus  seinem  vaterlande  mit  an  die  ufer  der  Irawaddi  und  des 
Menam.  Das  bezieht  sich  vor  allem  auf  die  formen,  unter  denen  die 
menschen  mit  einander  verkehren^.  Das  ganze  gebiet  des  geselligen 
und  auch  des  politischen  Verkehrs  kann  Ziegler  nur  nach  den  deut- 
schen oder  den  europäischen  regeln  seiner  zeit  darstellen;  er  will  die- 
selben, wie  es  scheint,  geradezu  seinen  lesem  in  reinster  form  vor 
äugen  führen.  In  dieser  bezielmng  schiesst  Schlossars  oben  angege- 
benes urteil  über  das  ziel  hinaus. 

Dass  die  liebenden  in  dem  tone  Lohonsteins  mit  einander  reden, 
ist  etwas,  woran  man  sich  bei  der  menge  solcher  gespräche  noch  am 
ersten  zu  gewöhnen  im  stände  ist;  dass  die  schönlieiten  sich  alle  durch 
ungemein  weisse  haut  auszeichnen,  so  dass  man  die  einzelnen  äderchen 
blau  durchschimmern  sieht,  ist  schon  verdächtiger;  der  feierliche  curial- 
stil  aber,  der  hie  und  da  zu  tage  tritt,  macht  einen  fast  noch  komi- 
scheren eindruck.  Kein  titel  wird  uns  geschenkt  bei  den  adressen  der 
briefo  und  bei  den  anreden;  an  anderen  stellen  möchte  man  sich  in 
deutsche  ständeversamlungen  oder  synoden  versezt  wähnen.  Ich  eitlere 
nur  die  anrede  Korangerims  an  Balacin,  als  diesem  in  Aracan  gehul- 
digt worden  ist  (278):  „Grossmächtigster  König  von  Aracan,  Tipara, 
Chacomas,  Jangoma  und  Bengalen,  Herr  von  Pegu!  Wir  in  tiefster 
unterthänigkeit  treuergebenste  stände  und  unterthanen  dieses  Reiches, 
statten  gegen  Ew.  Königl.  Majest.  demüthigst-gehorsamen  danck  ab, 
nicht  sowol  vor  die  bereits  gnädigst- erwiesene  Reichs -Väterliche  Vor- 
sorge in  erhalt-  und  Verbesserung  unserer  grund-gesetze  und  daher- 
sprossenden  heiligen  gerech tigkeit:  sondern  auch  vor  itztermeldte  höchst- 
rühmliche Sorgfalt"  usw. 

Sind  alle  diese  äusserlichkeiten  aufs  strengste  nach  occidentalem 

teron  werken  die  kuriosität  seiner  Zeitgenossen  reichlicli  entschädigt  hat*,  so  kann 
ich  (las  nicht  als  einen  makel  auffassen.  Gerade  dass  er  den  ^ssen,  ersten  roman 
frei  hält  von  dem  ballast,  ist  und  bleibt  ein  beweis  für  seinen  künstlerischen  ver- 
stand; andere,  ausser  vielloich  Philipp  von  Zesen,  haben  ihn  nicht  Wem  fSilt  es 
ein,  aus  der  späteren  verballhomisierung  vonTassos  hauptwerk,  obgleich  er  sie  selbst 
voinahm,  einen  algenieineren  ungünstigen  schluss  zu  ziehen?  Und  die  Verschlech- 
terung eines  trefliclien  Werkes  ist  doch  noch  viel  schlimmer. 

1)  Darauf  beziehen  sich  die  algemeinen  tadelsäussoningen  unserer  kritiker  am 
meisten.  Die  richtige  erklärung  gibt  Cholevius  8.  169:  „Man  war  gewohnt  aus  den 
romanen  die  feineren  Umgangssitten,  geselschaftliche  redcweiso  und  sogar  den  aas- 
druck d<M*  empündungen  zu  cntnehmon.*^ 


ZIGLEIIS   ASIATISCHE   BANISK  85 

muster  ausgeführt,  so  mischt  Zigler  Europäisches  und  Asiatisches  mehr, 
sobald  er  kriegsereignisse  berichtete 

"Über  die  militärischen  gemälde,  die  er  gibt,  wäre  ein  besonderer 
excurs  nicht  uninteressant;  sie  nehmen  einen  sehr  grossen  teil  des 
romanes  ein,  und  ich  halte  einige  davon  für  die  am  besten  gelungenen 
abschnitte,  gerade  wie  die  gespräche  über  liebe  und  ehe,  die  sich  an 
verschiedenen  stellen  finden.  Hier  beschränke  ich  mich  auf  nur  wenige 
bemerkungen.  Lebendig  und  übersichtlich,  das  muss  jeder  zugeben, 
sind  die  Schlachtschilderungen  sämtlich.  Kürzer,  und  darin  sehe  ich 
keinen  nachteil,  sprechen  Scandor  und  Talemon  über  die  kriege;  wo 
der  dichter  selbst  redet,  geht  er  in  alle  möglichen  details  ein. 

Die  zahlen  mögen  wol  zumeist  aus  Balbis  buche  genommen  sein, 
sie  klingen  am  meisten  orientalisch.  Ich  verweise  der  kürze  wegen 
auf  die  Seiten  139  fg.,  182  fg.,  193,  199  fg.,  281,  289,  291,  308,  336, 
345  fg.,  und  eitlere  nur  die  truppenzahl  von  Chaumigroms  armeen: 
vor  Martaban  führt  er  400000,  vor  Pegu  900000,  vor  Prom  700000 
und  vor  Slams  hauptstadt,  Odia,  1200000  mann  (Balbi  hat  da  1^^ 
millionen). 

Diese  beispiele,  denke  ich,  beweisen  genug.  Der  dreissigjährige 
krieg  mit  seinen  vergleichsweise  kleinen  beeren  schwebt  da  nicht  als 
muster  vor:  hatte  doch  Gustav  Adolf  bei  Lützen  nur  14000  und  Wallenstein 
vor  Pappenheims  eintreffen  12000  mann.  Xerxes,  Dschingiskhan  und 
Tamerlan  bringen  in  ihren  ungeheuren  reichen  nicht  mehr  bewafnete 
zusammen  als  diese  hinterindischen  fürsten,  in  Europa  haben  das  16. 
und  17.  Jahrhundert  nur  in  den  türkisch -tatarischen  kriegen  annähernde 
zahlen.  Noch  mehr  glaube  ich  in  den  einzelheiten  der  kämpfe  anklänge 
an  die  Türken-,  weniger  an  die  französischen  eroberungskriege  unter 
Ludwig  XIV.  finden  zu  müssen,  die  elefanten  spielen  mehr  eine  halb 
komische  rolle.  Beides  sieht  man  vor  allem  in  der  grossen  schlacht 
am  passe  Abdiara  (337  —  343),  die  neben  den  kämpfen  um  Prom  (202 
—  205)  und  um  Odia  (287  —  330)  den  glanzpunkt  in  militärischer  hin- 
sieht bildet  Balacin  hat  sich  durch  Verräter  in  seiner  Umgebung  abhal- 
ten lassen,  Pegu  in  seines  feindes  ab  Wesenheit  anzugreifen  und  muss 
diesen  trotz  dessen  doppelter  Übermacht  aus  einer  günstigen  Stellung 
herausschlagen.    Vorher  führt  Scandor  ein  kühnes  reiterstückchen  aus, 

1)  Schlossar  s.  69  behauptet  auch  hier  etwas  zu  viel,  weDn  er  sagt:  Zigler 
zeige  die  kriegsfübrung  der  Asiaten.  Cholevius  s.  162  criiinert  mir  zu  einseitig  an 
die  fieser,  welchen  die  schrecken  des  dreissigjährigen  krieges  in  erinnerung  gewesen 
seien.^    Ich  würde  lieber  sagen:  der  Türken-  und  daneben  der  raubkriego. 


Sfi  Kßl.  ^^ 

indem  er  :^50  mit  piilver  imd  50  mit  gold  beladoue  wogen  anQJI^H 
Tielleicht  eine  erinnerung  an  eine  tat  aus  Ziglere  zeit  Der  hftii^^ 
schlag  trift  das  feindliche  beer  infolge  des  aiifiliegens  einer  iingoiieurea 
mine,  die  an  die  riesigen  türkiBchen  arbeiten  Ühutichor  art  vor  Wien 
1683  erinnert.  600  schritt  lang,  l'iO  breit,  3  eilen  tief  wird  sie  ange- 
legt und  mit  den  250  Wagenladungen  pulver  gefillt  Entfemungsmar- 
ken,  eventuell  brustwehren  sind  ausserdem  für  die  von  Portugiesen 
bediente  artillerie  angebracht  Die  feinde  rücken  in  form  eines  riesigen 
halbkreises  heran,  dessen  mitte  von  auserlesenen,  um  Chaumigroin 
geschaarten  Bramanen  gebildet  ist,  während  die  vorgeschobenen  Qügel. 
aus  der  reiterei  und  den  elefanten  (diesen  auf  der  rechten  seile)  beste- 
hend, das  aracanische  heer  zu  umzingcbi  streben.  Balacin  muss  des- 
halb schleunigst  seine  flügel  ausdehnen,  die  mitte  bildet  einen  nach 
vom  ziigespizten  kegel.  Während  aber  in  einer  ähnlichen  Stellung  die 
Römer  bei  Cannä  Kannibal  erlagen,  vernichtet  hier  die  artillerie  und 
die  grosse  mine  den  ganzen  feindlichen  linken  flügel.  Schou  die  bano- 
nenkugeln  tun  den  elefanten  grossen  schaden,  denn,  „wenn  so  eine 
hauptpille  ein  solches  tier  schnellete,  so  Uess  es  sich  nicht  melir  regie- 
ren, sondern  kehrte  mit  gi-öster  ungestüm  zurücke,  und  begab  sich  ins 
freye  feld,  da  es  niederfiel  und  starb."  Als  aber  „mit  eiui.'m  entseti- 
licben  knallen  und  donnerschlag"  das  pulver  explodiert,  da  „sähe  man 
mit  erschrecklicher  Verwunderung  die  imgeheuren  elefanten  in  der  lullt 
fliegen,  welche  nebst  denen  steinen  und  anderer  rüstung  nicht  wider 
an  ihren  ort,  sondern  auff  ihr  eigen  volck  zarücko  fielen,  und  deren 
sehr  viel  erschlugen."  Dieses  ereignis  „schlug  dem  Chaumigrem  den 
bereits  in  bänden  habenden  sieg  aus  der  faust"  Die  art,  wie  Chau- 
migrem seine  leute  immer  und  immer  wider  gegen  die  mauern  von 
Prom  oder  Odia  wirft,  mahnt  an  Solimans  oder  Kara  Mustafas  verfidi- 
ren  in  den  festungskämpfen  an  der  Donau.  Unser  dichter  benuHe 
dabei  mit  nicht  unglücklichem  griffe  umstände,  welche  zu  dem  gesamt- 
bildo  passeu,  mit  entschieden  glücklicherem,  als  wenn  Lohenstein  erin- 
nerungen  aus  dem  17.  Jahrhundert  in  die  zeit  von  Christi  geburt  Iritgt 
In  den  einzelheiten  sind  verhältnismässig  nur  nocli  wenige  ganz 
unpassende  europäische  reminiscenzen  zu  tadeln.  Dabei  denke 
ich  z.  b.  au  das  wunderliche  grundgesetz  in  Aracan  (s.  277),  dass  der 
könig  stets  seine  schwoster  ehelichen  muss:  „Ursache,  weil  Adams  söhn 
auch  seine  scbwester  zum  weibe  genommen  habe."  Das  ist  wol  von 
demselben  Standpunkte  zu  beurteilen  wie  die  oben  berührte  Sehnsucht 
des  Semindo,  in  der  todesstunde  zum  christentume  überzutreten.  Nodi 
mehr  verrät  sich  der  Europäer,  wenn  er  Scandor  erzählen  lasst  (s.  lOSL 


ZIOLKRS   ASIATISCHE   BANISE  87 

sie  hätten  sich  „nach  morgenländischer  art  aufF  kostbare  teppichte"  zur 
tafel  niedergesezt,  oder  wenn  ebenderselbe  von  wunderbaren  bäumen 
erzählt,  die  „ein  gelehrter  Europäer"  beschreibe  (52).  Zu  den  wenigen 
gelehrten  anspielungen  gehört  z.  b.,  wenn  Hassana  einmal  die  tochter 
warnt:  „der  flüchtige  Mercur  ist  öfiTters  denen  männem  ins  hertze 
geprägt"  (87),  wenn  die  sirenen,  Venus,  Diana  genant  werden  (67, 
295)  und  wenn  Banise,  als  die  Verfolger  sie  bald  eingeholt  haben, 
wünscht  „in  einen  lorbeerbaum,  gleich  der  Daphne",  verwandelt  zu  wer- 
den (263). 

Sonst  muss  der  unbefangene  beurteiler  zugeben,  dass  z.  b.  in 
betreff  der  pflanzen-  und  tierweit,  der  kleidung  und  der  materiellen 
Seite  des  lebens,  aber  auch  in  betreff  der  religion  der  dichter  sein  mög- 
lichstes tut,  um  eine  lokalfärbung  über  das  ganze  zu  verbreiten. 
Selbst  mexikanische  bäume  versezt  Zigler  in  die  königlichen  lustgäiien 
von  Ava,  und  zwar  mit  genügender  motivierung,  sie  üben  dort  auf 
Chaumigrem,  der  sie  und  ihre  eigen tümlichkeiten  nicht  kent,  eine  belu- 
stigende Wirkung  aus.  Bei  der  ceremonie  der  nächtlichen  Vermählung 
Scandors  und  Lorangys  wird  holz  von  einem  bäume  rawasitton,  wie 
stets  beim  abschlusse  von  eben,  verwendet  (213),  auch  das  kraut 
dutroa,  aus  dem  Banise  den  Schlaftrunk  bereitet,  wird  (in  einer  gelehr- 
ten anmerkung)  genau  beschrieben  (259).  Die  eigentümlichkeiten  cha- 
rakteristischer tiere,  der  krokodile  und  elefanten,  sind  nicht  ohne 
geschick  benuzt  (133,  183,  282  fg.,  374).  Sowol  Balacin  als  Banise 
beobachten  wir,  wenn  sie  sich  ankleiden;  das  kostbare  kaiserschiflf 
Xemindos,  erinnernd  an  die  prachtwerke  der  Ptolemäerzeit,  wird  von 
Scandor  ausführlich  behandelt  (132). 

Auf  die  rituellen  und  ceremoniellen  kunstausdrücke  mit  den  dazu 
gehörigen  erklärungen  kann  ich  hier  nur  hinweisen,  sie  sind  sehr  zahl- 
reich, werden  im  grossen  und  ganzen  aber  mit  mässigung  ausgebeutet 
Von  den  tempelbeschreibungen  sind  die  des  tempels  Apalitä  (97)  und 
Carcovitä  (387)  hervorzuheben.  Wenn  auch  Scandor  hie  und  da  ein- 
mal vom  teufel  spricht  (z.  b.  97),  kann  doch  von  einem  stärkeren  her- 
einragen europäischer  religiöser  Vorstellungen  nicht  die  rede  sein.  Die 
grosse  „trauer-  und  abschiedsrede  der  sterbenden  Banise"  ist  die  wich- 
tigste ausnähme;  in  ihr  ist  vom  schoss  der  gnaden,  vom  ewigen  leben 
neben  der  „Niba"  die  rede,  und  manche  sätze  klingen,  als  hätten  sie 
ganz  in  die  christlichen  grabreden  vor  200  jähren  gepasst,  wie  etwa 
der  folgende:  „Du  himmlische  Gottheit  aber  lass  dir  meinen  geist  zu 
zu  geheiligter  band  befohlen  seyn,  und  lasse  ihn  statt  jetziger  gallo  die 
süsse  himmelskost  schmecken."     Diese  rede  ist  aber,   anders  darf  mau 


88  MÜLLER  -  FRAUENSTKIN 

sie  nicht  auffassen,  ein  paradestück,  gerade  so  wie  die  dialogc  über 
ehe  und  liebe,  nur  dass  die  lezteren,  weil  algemein  menschliche  Ver- 
hältnisse behandelnd  und  viel  besser  motiviert  als  jene,  geist  und  gemüt 
weit  mehr  ansprechen. 

An  solchen  stellen  tritt  Zigler  wie  die  anderen  epischen  und 
dramatischen  dichter  seiner  zeit  ganz  aus  dem  von  ihm  entworfenen 
künstlerischen  rahmen  heraus  und  wendet  sich  nur  als  Zeitgenosse  durch 
den  mund  der  von  ihm  erfundenen  personcn  an  seine  leser.  Was  diese 
lezteren  als  feinen  geschmack  und  beweis  grosser  belesenheit  anzu- 
sehen pflegen,  das  allein  ist  ihm  dann  die  richtschnur.  Tun  das  aber 
nicht  auch  viele  unserer  dichter?  Lassen  sie  nicht  auch  der  eine 
seine  lieblingshelden  sämtlich  rein  pessimistisch,  der  andere  rein  dar- 
winistisch,  der  dritte  fast  nur  mystisch  sprechen?  Geben  sie  vor  allem 
nicht  oft  genug  allen  ihren  figuren  eine  ganz  gleich  tiefe  bildung,  so 
dass  die  funkensprühenden  citate  und  geistreichen  Sentenzen  in  ihrem 
mimdc  sich  förmlich  jagen?  ^  Hört  man  nicht  z.  b.  in  dem  sonst  so 
interessanten  romane  W.  Jordans  „Die  Sebalds"  auch  recht  oft  mehr 
den  dichter  als  seine  geschöpfe  reden?  Tritt  da  die  absieht,  zu  beleh- 
ren, der  wünsch,  die  eigenen  ideen  vom  schönen  und  wahren  anderen 
einzuimpfen,  nicht  eben  so  deutlich  hervor?  Wir  lernen  nur  bei  Jor- 
dan wirklich,  wir,  die  leser  des  zum  ende  sich  neigenden  19.  Jahrhun- 
derts, während  uns  Ziglers  einstmals  ganz  ebensolchen  einfluss  übende 
gedanken  in  dieser  weise  nicht  mehr  berühren  können.  Dass  diese  art 
von  romanen  noch  heute  das  beste  publikum  findet,  kann  niemand 
leugnen;  man  muss  es  wol  noch  unterscheiden  von  demjenigen,  das 
sich  an  den  zalillosen  familienzeitschriften  eine  gute  tut  Aber  es  ist 
doch  ein  gewaltiger  fortschritt  gemacht  insofern,  als  auch  für  die  rei- 
neren ästhetischen  ansprüche  gesorgt  wird. 

Der  kreis  der  feinschmecker  ist  stets  ein  kleiner:  Kotzebue  und 
Iffland  boherschten  die  bühne,  als  Goethes  und  Schillers  meisterwerke 
das  licht  der  weit  schon  erblickt  hatten.  Auf  unser  thema  ange- 
wendet, heisst  das:  Auch  der  Banise  popularität  beruhte  ihrer  zeit 
auf  dem  entgegenkommen  gegen  die  wünsche  des  publikums,  doch 
zeigt  sie  noch  immer  ein  grösseres  geschick  in  betreff  der  composition 

1)  Cholovius  s.  1C8  spricht  von  einem  „wahren  fouerwerke  im  aifekte*^  bei 
Zigler  und  von  dem  streiken  f^eistreich  zu  sein  (167).  Auch  Erich  Schmidt  a.  a.  a 
nent  ihn,  allerdings  nur  in  bezug  auf  die  figuren  und  Verwickelungen,  einen  «vir- 
tuoscn,  freilich  einen  coulissenreis8er>  Gottsched  drückt  sich,  wundeilich  genng, 
so  aus:  Zigler  sei  selbst  ganz  asiatisch  geworden,  nämlich  im  hoohtnibeiideii  md 
gekünstelten  ausdruck. 


ZIGLEBS   ASIATISCHE   BANISE  80 

und  der  lokalfarbung,  eine  selbständigere  phantasie  wie  die  anderen 
romane  ihrer  zeit^.  Noch  heute  können  wir  uns  an  ihr  über  gewisse 
finessen  in  dieser  beziehung  freuen,  die  nicht  zufällig,  nicht  aus  den 
quellen  entnommen,  sondern  vom  dichter  erfunden  und  wol  überlegt 
sind*.  So  erscheint  mir  z.  b.  das  meiste,  was  mit  Balacins  incognito 
zusammenhängt,  reiflich  erwogen.  Wie  der  alte  Talemon  zuerst  ihn 
durchschaut  und  gerade  dieser  umstand  beide  zu  freunden  macht,  den 
falschen  Pantoja  von  Tenasserim  und  den  reichsschatzmeister  von  Pegu, 
wie  dann  der  andere  in  fremder  maske  auftretende  prinz,  Pseudo- 
Abaxar,  mit  ihm  in  Verbindung  gebracht  wird,  wie  der  erste  in  seiner 
leidenschaftlichkeit  mehrmals  in  gefahr  komt  sich  zu  verraten,  und  wie 
er  endlich  (s.  206)  auch  Abaxar  gegenüber  seinen  angenommenen 
namen  aufgibt:  das  ist  alles  gut  begründet  und  mit  wahrscheinlichen 
umständen  umkleidet  Balacin  wird  uns  auf  der  ersten  seite  sofort  in 
seiner  wahren  natur  vorgestelt,  sein  gegenbild  ist  in  dieser  beziehung 
Abaxar,  dessen  wirklicher  Charakter  erst  ganz  zum  schluss  enthült  wird. 
Und  es  ist  gar  nicht  uninteressant,  die  kunstgriffe  zu  verfolgen,  mit 
denen  der  dichter  auf  diesem  zweiten  wege  operiert,  auf  welchem  er 
nicht  nur  mit  Balacin  und  den  anderen  personen,  sondern  auch  mit 
dem  bis  in  die  lezten  selten  hinein  im  unklaren  gelassenen  leser  ver- 
stecken spielt    Die  anspielungen,  die  auf  Abaxars  anderen  stand  deu- 

1)  Cholevius  vortrefliches  buch  benuzt  in  seiner  lesenswerten  einleitung  über 
die  Amadisbücher,  die  nachbildung  des  griechischen  romanes  und  über  den  neueren 
historischen  roman  die  Banise  weniger  als  alle  die  anderen  von  ihm  besprochenen 
werke  (von  Zesen,  Bucholtz,  A.  Ulrich  v.  Braunschweig  und  Lohenstein),  um  aus 
ihr  algemeine  bemerkungen  abzuleiten.  Damit  wil  ich  keinen  Vorwurf  aussprechen, 
ich  finde  vielmehr  eine  indirekte  bestätigung  darin,  dass  ihm  wu'klich  in  den  übrigen 
mehr  algemeine  charakteristische  kenzcichcn  auffielen:  jedesfals  ist  absolut  keine 
absieht  darin  zu  vermuten.  Die  Banise  ist  im  Stoffe  selbst,  wie  ja  auch  Cholevius 
andeutet,  und  in  gewissen  seiten  der  ausführung,  der  „mache**,  ein  originelleres 
werk,  hat  tatsächlich  nicht  so  viel  gemeinsam  mit  den  anderen  als  diese  imter  ein- 
ander. In  der  cinzelbesprechung  verwendet  Cholevius  auf  die  afrikanische  Sofonisbe 
24  (ohne  die  proben  aus  dem  roman),  auf  Ibrahim  und  Isabolla  15,  die  adriatische 
Rosemund  5,  Assenat  17,  Simsen  17,  Hercules  und  Valisca  15,  Herculiscus  und 
Herculadisla  8,  Aramena  39,  Octavia  66,  Arminius  und  Thusnelda  81  seiten,  auf 
die  Banise  nur  16.  Dadurch  wird  die  leztere  unter  die  noch  am  meisten  zuriicktre- 
tenden  romane  in  Cholevius  werk  eingereiht.  Ich  finde  m  dieser  eigentümlichkeit 
des  lezteren  eine  hinreichende  entschuldigung,  um  mich  noch  einmal  ausführlich  mit 
der  Banise  zu  beschäftigen,  zumal  auch  Cholevius  monographien  über  die  einzelneu 
romane  verlangt. 

2)  Ich  lese  aus  Scherers  werten  (s.  379)  eine  ähnliche  Stimmung  heraus  und 
freue  mioh  der  Übereinstimmung  mit  dessen  von  mir  an  anderem  orte  gebührend 
g0w1lidigtem  werke. 


00  KDLLBB'FUUBNBTBI» 

tpn  (z.  b.  s.  27,  28,  36,  37,  206),  kommen  natürlich  und  iiiigesucht 
heraus.  Eutscliieden  dramatisch  belebt  und  spannend  ist  die  scene 
(206),  wo  Talemon  seine  erzäblung  vom  Untergänge  Proms  beeodpt  hat 
und  Abaxar  von  ihm  angeredet  wird.  Wir  und  aile  anwesenden  wis- 
sen nicht,  in  welch  nahem  Verhältnisse  der  leztere  x.u  diceem  Staate 
und  dessen  ermordeten  oberhäoptom  steht,  Ein  unheimliches  Streiflicht 
fält  nur  auf  die  Situation  durch  seine  unerwarteten  worte:  „ich  erkenn« 
die  sonder-  imd  wunderbaren  gorichto  der  strengen  gotlheit  satsam  iui 
Untergang  des  königreichs  Prora.  Idi  beseuffze  der  königin  tod,  und 
beweine  des  priutzon  fall:  die  götter  werden  es  künftig  zu  schicken 
wissen,  dass  dieses  uhr-alte  stamm-reich  wider  durcli  einen  recht- 
mässigen thron -besitzer  dermahleinst  beherrschet  werde."  Dass  er  selbst 
dieser  racher  ,ist,  das  enthült  er  nicht,  komt  auch  nicht  dazu,  von 
seiner  für  die  fabel  wichtigsten  Handlung,  der  rottung  Banisens ,  genaue- 
res zu  berichten.  Ealacin  aber  verrät  sich,  als  in  diesem  augenblicke 
Cliaumigrems  schwgen  gemeldet  werden,  und  so  weiss  Abaxar  seiaor 
familie  schrecklichen  tod  und  dazu  die  nähe  des  rächera,  seines  natür- 
lichen bundesgenosseu,  ehe  er  in  ketten  vor  Chaumigrem  gebracht  wird. 
So  stehen  für  die  wissenden  in  wirklich  packender  gegenilberstellung 
zwei  an  charakter  und  lebensgang  so  ähnliche  und  doch  wider  so  ver- 
schiedene personen  vor  uns,  die  von  nun  an  ein  und  dasselbe  ziel 
hand  in  band  erstreben  werden.  Aber  auch  schon  die  art,  wie  Abaxar 
eingeführt  und  durch  Soandors  und  TaJemons  erzählungen  mehr  und 
mehr  auf  Balacins  seite  gezogen  wird,  ist  geschickt.  In  der  deutlich 
ausgesprochenen,  wenn  auch  ain  Schlüsse  des  romans  erst  klar  moti- 
vierten absieht  dos  verkleideten  prinzen  von  Prom  nämlich,  zu  dem 
prinzen  von  Ava  überzugehen,  wenn  er  „eine  oder  die  andere  ange- 
nehme nachricht"  von  dem  leben  desselben  vernehme,  Hegt  die  künst- 
lerische begründung  der  langen  berichte  an  Balacins  krankenlagor;  ein 
wichtiges  Werkzeug  wird  durch  sie  für  die  gute  sache  endgiltig  gewon- 
nen. Dies  entschuldigt  den  schon  oben  verurteilten  ankünstleriscbcn 
bau  des  ersten  buches  doch  in  etwas. 

Ehe  wir  nun  definitiv  von  der  äusseren  architektur  des  romaits 
zu  sehier  inneren  ausschmUckuag  übergehen,  ist  es  wol  am  platze,  den 
andeutungon  und  ausblicken  des  autors  auf  das,  was  später 
kommen  soll,  einige  worte  zu  widmen,  Sie  zeigen  die  mache  am 
deutlichsten,  die  kunst,  den  leser  zu  spannen,  manchmal  selbst  auf  die 
folter  zu  spannen.  So  wissen  wir  im  gründe  noch  gar  nichts,  VS]^ 
dass  ein  verkleideter  priiiz  Balacin  auf  seines  alten  freundes  lUOB^H 
schlosE  eine  icuQucht  gefunden   hat,  und  echun  wird  uiis  %  fttJ^^| 


ZIGLERS  ASIATISCHE  BANISE  Ol 

träum  des  ersteren  aufgetischt,  worin  er  seine  Banise  von  olefanten 
umgeben  sieht,  mit  ihr  aus  deren  mitte  in  die  luft  gehoben,  da  oben 
durch  eine  flamme  von  ihr  getrent  und  schliesslich  durch  einen  von 
krokodilen  wimmelnden  breiten  fluss  völlig  abgeschnitten  wird.  Aus 
Scandors  erzählung  gehört  sodann  hieher  das  traumbild,  welches  dem 
prinzen  vor  dem  tempel  Apalitä  zum  ersten  male  die  schöne  Banise 
vor  äugen  führt  (99)  und  der  vielsagende  orakelspruch  (100): 

Zeug  hin,  betrübter  Printz,  dir  winket  Pegu  zu, 

Errette  deinen  feind  aus  seines  feindes  bänden: 

Es  wird  ein  fremdes  bild  so  aug  als  liebe  blenden: 

Doch  endlich  findet  man  die  eingebildte  ruh. 

Schau!  dein  Vergnügen  liegt  in  schrecken,  furcht  und  ketten: 

Drey  cronen  müssen  erst  die  vierdte  crone  retten. 

Das  opffer  crönet  dich  als  einen  Talipu. 

Die  höhepunkte  der  ganzen  fabel  sind  in  diesen  sieben  Alexandrinern 
angedeutet,  im  zweiten  Xemindos  rettung  aus  meuchlerhand ,  im  drit- 
ten die  erste  Verlobung  mit  der  prinzessin  von  Savaady,  im  vierten  die 
zweite,  nämlich  mit  Banise,  im  fünften  deren  gefahr,  im  sechsten  die 
belagerung  von  Pegu  und  im  siebenten  die  opferscene.  Zweimal  ist 
späterhin  die  erinnerung  an  diese  rätselhaften  werte  von  ausschlag- 
gebender bedeutung;  das  erste  mal  aber  denkt  Scandor  (240)  mehr  an 
die  von  dem  priester  des  orakels  mitgegebenen  schachteln  voll  verstel- 
lender salbe  und  rät  zu  dem  unglücklichen  entführungsversuch,  das 
zweite  mal  (384),  als  alle  zeilen  bis  auf  die  lezte  sich  bewahrheitet 
haben,  ermutigt  diese  erwägung  den  prinzen  zu  dem  gewagten  schritte, 
sich  unter  die  opferpriester  in  Pegu  aufnehmen  zu  lassen.  So  schwebt 
über  dem  ganzen  verlauf  der  dinge  ein  höherer  wille,  vor  dem  die 
irrenden  menschen  sämtlich  sich  beugen  müssen,  der  die  von  Balacins 
vater  gewünschte  herschaft  des  sohnes  über  Pegu  auf  ganz  anderem 
wege  herbeiführt,  als  Dacosem  geplant  hat,  und  der  dem  guten  prin- 
cipe zum  siege  verhilft i.  Weniger  hervortretend,  doch  deutlich  genug 
sind  drei  andere  omina  (161  und  150).  Als  nämlich  Banise  und  Bala- 
cin  von  Xemindo  verlobt  werden  und  erstere  des  vaters  band  küsst, 

1)  Schon  Cholevius  und  Bobertag  betonen,  dass  die  ganze  gattung  der  heroisch - 
galanten  romane  dann  die  Amadis-romane  übertreffe,  dass  sie  doch  wenigstens  vor- 
suchen,  ein  sitliches  interesse  im  romane  zur  geltuog  zu  bringen.  In  der  Banise, 
das  geht  wol  aus  meiner  darstellung  hervor,  siegen  Unterordnung  unter  die  geböte 
der  gotter  und  strenge  sitlichkeit.  Das  ist  allerdings  nicht  in  derselben  weise  eine 
tendenZf  wie  sie  der  maier  Müller  in  seiner  novelle  verfolgt:  kämpf  für  die  men- 
fldieiiieohte,  gegen  das  conventionclie  (Seuffert  s.  238),  sondern  es  ist  mehr. 


02  MÜLLER -FRAUENSTEIN,    ZIGLERS   ASUTISCHE  BANISE 

^schiesseii  ihr  unversehens  drey  blutstropflfen  aus  der  nasen  auf  des 
Käysers  rock**.  Gewiss  ein  unheimliches  Vorzeichen,  das  nicht  nur 
damals  ,,sothane  angenehme  zusammenkunfiFt  zu  des  Printzen  hohem 
miss vergnügen  desto  eher  geendigt",  sondern  auch  manchen  leser  mit 
den  schlimsten  ahnungen  erfiilt  haben  mag,  zumal  wenn  man  sich  des 
„entsetzlichen  c^met- Sterns''  erinnert,  der  an  heiterem  himmel  plötz- 
lich über  Pegu  erscheint,  und  des  umstandes,  dass  des  kaisers  pferd 
auf  ebener  erde  beim  schritreiten  vor  P^us  toren  stürzt 

In  den  kontouren  des  ganzen  litterarischen  gebäudes  und  in  sei- 
ner äusserlichen  ausschmückung  ist,  wie  aus  vorstehendem  wol  erhelt, 
sorgfaltige  Überlegung,  ja  raffinement  nicht  zu  verkennen.  Die  ange- 
wendeten mittel  werden  zwar  übertrieben,  sind  zumeist  aber  nicht 
falsche  Besondere  hervorhebung  verdient  die  mühe,  die  der  lokalfar- 
bung  gewidmet  ist;  auch  die  Verzahnung  der  verschiedenen  ineinander 
greifenden  handlungen  kann  als  nicht  ungeschickt  bezeichnet  werden. 
Nur  über  die  anläge  des  ersten  buches,  über  einige  gewaltsame  Über- 
gänge in  den  späteren  teilen,  über  die  anfügung  des  „tapferen  Hera- 
klius**  und  über  die  töne,  welche  im  geselligen  verkehr  angeschlagen 
sind,  können  wir  uns  nicht  hinwegsetzen. 

1)  Bobertag,  Gesch.  d.  romans  I,  2,  1  gibt  s.  203  —  263  eine  besprechung 
der  litteraturgruppo,  zu  der  die  Banise  gehört,  mit  einer  ganzen  reihe  treffender 
bemerk ongen,  zu  denen  ich  mich  liier  nicht  genötigt  sehe  weitere  zusätze  zu  machen. 
Von  s.  213  an  In^pricht  er  die  künstlerische  behaudlung,  plan  oder  disposition  dieser 
werke,  nämlich  die  aufeinanderfolge  der  einzelnen  teile  der  erzahlung,  die  ait  der 
nicht  eigentliih  erzählenden  elcmente  und  das  grössenverhältnis  der  einzelnen  teile. 
Die  Banise.  sagt  er  210  fg..  verfahrt  nach  der  auch  von  Haupt  ausdrücklich  auf- 
gestelten  reg»»l,  wonach  dt*r  r\>man  denselbt>n  gesetzen  wie  das  heldengedicht  zu 
gehon'hen  hat.  So  hätten  Ziglers  und  Zesens  romane  nicht  nur  einen  massigen 
unifang.  sondern  aurh  festere  innere  gliederung  und  grossen?  einheitliche  geschlos- 
sonheit  als  die  anderen:  sie  verfülu\»n  nach  den  hingst  aus  Homer  und  Virgü  gezo- 
g^^nen  reir»»ln:  der  anfang  müsse  mitten  in  die  bi»wegung  hinein,  einzelne  teile  würden, 
weil  nachzuholen,  den  aufhi'tenden  personen  in  den  mund  gelegt,  die  hauptpersonen 
triiten  nicht  zu  s|Kit  auf  und  nicht  zu  zeitig  ab.  Die  anderen  grosseren  romane  ver- 
fuhren mehr  nach  den  werken  der  historiker.  Unepischer  noch  sei  die  Verwendung 
der  neU»nsachen:  die  K»schreibung .  die  mitteilung  gelehrter  kentnisse  kennen  kein 
mass,  keine  bi*schränkende  rücksicht.  In  betreff  des  griVssenverfailtnisses  der  teile 
Sin  anzuerkennen,  dass  die  l>edeutendsten  werke  anfang,  mitte  und  ende  gleichmässig 
ausführten:  sie  enthielten  weniger  phantastisches  und  wunderbares  wie  die  früheren 
erzählenden  unterhaltunp>schnf^en,  al»er  Ivwiesen  Verschwendung  mit  ereignissen. 
S.  230  wider  sagt  er  freilich  rund  heraus:  Kein  künstlerischer  bau,  das  menschliche 
leben  und  die  Charaktere  seien  nicht  wahr. 

(Fortsetzung  folgt.) 


93 


EINE  QUELLE  DES  SIMPLICISSIMUS. 

Dass  der  „Abentouerliche  Simplicissimus"  von  Job.  Jacob  Chri- 
stofFel  von  Grimmelsbausen  im  algemeinen  in  der  durcb  Diego  Hurtado 
de  Mendoza  begründeten,  durch  Mateo  Aleman,  Vicente  Espinel  u.  a. 
weiter  ausgebildeten  litterarischen  tradition  des  „picarischen  romanes" 
steht,  ist  eine  bekante  tatsache.  Auf  ein  bestirntes  werk  dieser  ge- 
schmaksrichtung  jedoch  als  muster  hinzuweisen,  ist  noch  nicht  versucht 
worden. 

Durch  prof.  Jakob  Minor  angeregt  unternahm  ich  es,  das  Verhält- 
nis des  „Simplicissimus*'  zu  einem  seinerzeit  algemein  gelesenen  und 
bewunderten  romane  von  Mateo  Aleman,  dem  „Guzman  von  Alfarache"  ^, 
wie  wir  ihn  der  kürze  halber  bezeichnen  wollen,  zu  untersuchen. 
Dabei  ergab  sich  folgendes: 

Im  jähre  1616  erschien  zu  München  von  dem  durch  seine  Über- 
setzungen der  Schriften  Guevaras,  des  hofpredigers  Karl  V.,  bekanten 
Jesuiten  Aegidius  Albertinus^  eine  bearbeitung  des  „Guzman  von  Alfa- 
rache", die  der  gepflogenheit  jener  zeit  gemäss  den  langatmigen  titel 
führt:  „Der  Landstörtzer  Gusman  von  Alfarache  oder  Picaro  genannt, 
dessen  wunderbarliches,  abenthewrlichs  und  possirlichs  Leben,  was  ge- 
stallt er  schier  alle  Ort  der  Welt  durchlofiPen,  allerhand  Stand,  Dienst 
und  Aembter  versucht,  viel  Guts  und  Böses  begangen  und  außgestan- 
den,  jetzt  Reich,  bald  Arm,  und  widerumb  Reich  und  gar  Elendig 
worden,  doch  letztlichen  sich  bekehrt  hat,  hierin  beschrieben  wird 
Durch  Aegidium  Albertinum,  Fürstl.  Durchl.  in  Baym  Secretarium,  theils 
aus  dem  Spanischen  verteutscht,  theils  gemehrt  und  gebessert.  Erst- 
lich Gedruckt  zu  München,  durch  Nicolaum  Heniicum.  Anno  MDCXVI." 
8  jähre  später  gab  ein  sonst  unbekantcr  autor,  der  sich  auf  dem  titel 
den  poetischen  namen  Martinus  Frewdenhold  beilegt,  zu  Frankfurt  am 
Mayn  eine  fortsetzung  zu  diesem  werke  heraus,  die  sich  als  eine 
ziemlich  unbeholfene  nachahmung  darstelt  und  als  „dritter  teil"  gel- 
ten will  3. 

1)  "Vida  y  hechos  dol  Picaro  Guzman  do  Alfarache.  Atalaya  de  la  vida  hu- 
mana  por  Mateo  Aleman. 

2)  Nicht  „Albertini'^,  wie  ihn  Titman  in  der  einl.  zu  seiner  ausg.  des  Simpl.  nent. 

3)  „Der  Landstörtzer  Gusman  von  Alfarache,  oder  Picaro,  genant  Dritter  Theil, 
Darinnen  seine  Reyß  nach  Jerusalem  in  die  Türekey,  vnd  Morgenländer,  auch  wie 
£r  von  den  Türeken  gefangen,  widerumb  erledigt,  die  Indianischen  Landtschaiften 
besuchet,  vnd  in  Teutschlandt  selbst  alle  Stätte  durchwandert,  auch  allerhand  vndcr- 
schiodliche  Dienste,  vnd  Ilandworck  versuch(>t,  vnd  bald  zu  grossem  Reichthumb  auff- 


Ö4  VOK  PATER 

Die  bearbeitung  des  Albertinus  sowol,  wie  die  foitsetzung  zeich- 
nen sich  —  nicht  gerade  zu  ihrem  vorteil  —  durch  eine  grosse  zahl 
von  excursen  oder,  wie  der  Verfasser  mit  dem  Spanier  sagt,  „discur- 
sen^^  aus,  die  zusammengenommen  nahezu  die  hälfte  des  ganzen  Wer- 
kes ausmachen  und  zur  eigentlichen  handlung  nur  in  einer  sehr  locke- 
ren, nicht  selten  aber  auch  in  gar  keiner  beziehung  stehen.  Und  diese 
gerade  sind  es,  die  den  ausgangspunkt  unserer  betrachtung  bilden  müs- 
sen. 11,  356  komt  der  held  des  romanes,  Guzmann,  in  den  dienst  eines 
Junkers  und  „discuriert'^  auf  dem  wege  mit  diesem  drei  lange  kapitel 
hindurch  über  adel  und  edelleute  (s.  357):  „Was  den  Adel  und  Edelleut 
belanget,  Gepietender  Juncker,  welche  jederzeit  und  billich  bey  allen 
Völckem  in  grossen  Ehren  gehalten  worden,  befinden  wir,  daß  der- 
selbige  auch  von  vielen  wird  mißbrauchet,  Indem  auch  viel  gemeine, 
und  geringes  Standspersohnen  gefunden  werden,  welche,  wann  sie  so 
viel  zusammen  geraspelt  und  geschachert,  daß  sie  drey  Hel- 
ler im  Beutel  und  ein  Seyden  Kleid,  beneben  einem  federbusch 
auflr  dem  Hut  tragen  können,  mitgewaldt  Rittermässige  Herren  wol- 
len seyn,  kauffen  Adels  BrieflT^,  und  stutzen  so  Adelich  in  [358]  den 
Städten  umbher,  daß  man  genug  von  ihnen  hat  zu  sagen,  und  mit  fin- 
gern nachdeutet,  welchs  jhnen  doch  nicht  zu  Ehren,  sondern  zu  mehrer 
Schmach  und  Schande  gereichet,  dann  da  weiß  man  nichts  mehr  zu 
erzehlen,  als  daß  jhr  Großvatter,  auch  wohl  jhr  Vatter,  Tag- 
IShner  und  Lasttriger,  ihre  Vätter  Beerstecher,  jhre  Brüder 
Bfittel,  jhre  Schwestern  Huren,  jhre  Mutter  Hurenwürthin 
gewesen.  In  summa,  jhr  gantzes  Geschlecht  dermassen  besu- 
delt und  befleckt,  und  sie  selbst  so  Schwartz,  als  wann  sie 
jetzo  auß  der  raucherischen  Werckstatt  des  lahmen  Vulcani  dem  Bronti 
und  Stetopi  als  jhren  rechten  Brfidem  entlauffen  weren." 

gosüep^n.  bald  widonunb  in  höchste  Armuth  gcrahten,  anßfühilichen  beschrieben 
wird.  Beneben  anmüthiger  vnd  eygenüicher  Besehreibong  der  Morgenländer,  deB  H. 
Lands  vnd  der  Indianischen  Insulen,  auch  vieler  artigen  henüchen  Diseursea,  vnd 
ErinnerungeD.  AuO  dem  S|tanischen  Original  erstmals  an  jetzo  vertentscht  durch  Mar- 
tinum  Fiewdenhold.  Getruckt  zu  Franckfurt  am  Mayn,  Im  Jahr  MDCXXVI.*  8. 
Iq  der  folge  soll  die  bezeichnung  I  für  die  bearbeitung  der  Albertinus,  II  für  die  fort- 
Stützung  des  Fiewdenhold  gelten. 

1>  Vgl.  Mosohen>sch,  Weltwosen:  ^.  .  .  .  hat  kaum  so  viel  im  Sickel  ge- 
habt, daß  er  den  Adelhrieff  bezahlen  und  einen  Stall  mit  Gunst  in  melden  kauflfen 
können:  sich  doch  ungeachtet  aller  ehrbarkeit  nicht  mehr  Metzger,  nicht  mehr  Wag- 
ner etc.  . . .  sondern  Herren  von  Metzegem,  Herren  von  Wagenem  etc.  . . .  will  titu- 
lirot  etc.  . . .  haben,  damit  er  under  die  Altgebome  vom  AdeU  under  die  alte  Ritter- 
schaft nicht  nur  gerechnet  si^ern  auch  denselbigi^n  gar  möi*hte  voigeiogen  werden.* 


ZUM  SIMPUCISSIMUS  95 

Diese  stelle  greift  Grimmeishausen  heraus  und  stelt  sie  wirkungs- 
voll an  den  anfang  seines  werkes,  dorthin,  wo  der  erzähler  von  seiner 
eigenen  abstammung  berichtet: 

„Es  eröffliet  sich  zu  dieser  unserer  Zeit  (von  welcher  man  glau- 
bet, daß  es  die  letzte  sey)  unter  geringen  Leuten  eine  Sucht,  in  deren 
die  Patienten,  wan  sie  daran  kranck  ligen,  und  soviel  zusammen 
geraspelt  und  erschachert  haben,  daß  sie  neben  ein  paar  Hel- 
lern im  Beutel,  ein  närrisches  Kleid  auff  die  neue  Mode,  mit 
tausenderley  seidenen  Bändern,  antragen  können,  oder  sonst  etwan 
durch  Glücksfall  mannhafft  und  bekant  worden,  gleich  Kittermässige 
Herren,  und  Adeliche  Personen  von  uhraltem  Gesclüecht,  seyn  wol- 
len; da  sich  doch  oflft  befindet,  daß  ihre  Vor-Eltern  Taglöhner, 
Karchelzieher  und  Lastträger:  ihre  Vettern  Eseltreiber:  ihre  Brü- 
der Büttel  und  Schergen:  ihre  Schwestern  Huren:  ihre  Mütter 
Kupplerinnen,  oder  gar  Hexen:  und  in  Summa,  ihr  gantzes  Ge- 
schlecht von  allen  32.  Anichen  her,  also  besudelt  und  befleckt 
gewesen,  als  deß  Zuckerbasteis  Zunfft  zu  Prag^  immer  seyn  mögen; 
ja  sie,  diese  neue  Nobilisten,  seynd  offt  selbst  so  schwartz,  als 
wan  sie  in  Guinea  geboren  und  erzogen  wären  worden." 

Im  weiteren  verlaufe  führt  Simplicissimus  einen  ironisch  gehal- 
tenen, mit  einer  gewissen  behaglichkeit  in  alle  details  sich  ergehenden 
vergleich  zwischen  dem  bauernhofe  seines  „Knän''  und  einem  fürst- 
lidien  palaste  durch  und  fährt  I,  7  fort:  „Anstat  der  Pagen,  La- 
queyen  und  Stallknechte  hatte  er  Schaf,  Böcke  und  Sau,  jedes 
fein  ordentlich  in  seine  natürliche  Liberey  gekleidet,  welche  mir  auch 
offt  aufif  der  Waid  aufgewartet,  biß  ich  sie  heimgetrieben;  die  Rüst- 
oder Harnisch -Kammer  war  mit  Pflügen,  Karsten,  Aexten,  Hauen, 
Schaufeln,  Mist-  und  Heugabeln  genugsam  versehen,  mit  welchen 
Waffen  er  sich  täglich  übete;  dan  hacken  imd  reuthen  wai*  seine 
disciplina  militaris,  wie  bey  den  alten  Römern  zu  Friedens -Zeiten, 
Ochsen  anspannen,  war  sein  Hauptmannschafftliches  Commando, 
Mistauß führen,  sein  Fortification-wesen,  und  Ackern  sein  Feldzug, 
Stall -außmisten  aber,  seine  Adeliche  Kurtzweile,  und  Tumierspiel; 
Hiermit  bestritte  er  die  gantze  Weltkugel,  soweit  er  reichen  konnte, 
und  jagte  ihr  damit  alle  Emden  eine  reiche  Beute  ab"*. 

1)  Die  figm*  des  „Zuckorbastel**,  des  Oberhauptes  der  Prager  gauoerzunft,  ist  nach 
Roinh.  Köhler  (Gosches  archiv  I,  295  fg.)  der  Ulenhartschen  bearbeitung  einer  novello 
des  Cervantes  „Rinconete  nnd  Cortadillo'^  entnommen  und  nichts  als  eine  Übertragung 
des  Seif  er  Monipodio,  des  obersten  der  Sovillaer  gaunerzunft,  in  deutsches  kostüm. 

2)  Vgl.  auch  Moscherosch,  Weltwcsen  „.  .  .  und  doch  muß  der  beste  Adel 
leiden,  und  hören,  daß  sein  aller  eretor  UiiUiuhcrr  ein  Ertzbauer,  ein  rechter  Schaff- 


96  VON  PATER 

Dagegen  halte  man,  was  Guzman  11 ,  359  weiter  in  seinem  „dis- 
curse'^  vorbringt:  „...  imd  müssen  leyden,  das  man  jhnen  an  allen 
Enden  auch  wol  ins  Angesicht  darif  sagen,  daß  eine  Bawren  Hütte 
sey  jhr  Pallast  gewesen,  darinn  sie  geboren  und  erzogen,  die  Stätte, 
da  sie  gewohnet,  oder  von  denen  sie  sich  schreiben,  also  beschaffen, 
daß  wann  man  über  die  Mawren  springet,  die  Zeune  krachen,  jhre 
Gfitter  offiermals  ein  gemein  Feldt,  darauff  sie  sich  kümmerlich  erhal- 
ten, jhre  behengte  Kammern  und  Gemach,  ein  stinckendes  und  berauch- 
tes  Loch,  da  man  weder  Sonn  noch  Mond  recht  gesehen:  jhre  Die- 
ner und  Lackeyen,  Schafe,  B6cke  oder  Siwe,  deren  sie  gehüttet, 
der  Pflug  jhre  Ritterliche  Wehren,  darin  sie  sich  gefibet,  daß 
Kühe  melcken,  ist  jhre  kurtzweil,  Gräben  außwerffen,  jhre  disciplina 
militaris,  Esel  treiben  oder  Mist  auff  Bereu  tragen,  oder  am  Karch 
ziehen,  jhre  Hauptmanschafft  gewesen,  und  was  deß  dings  mehr 
ist,  dessen  sie  sich  zum  h6clisten  müssen  schämen,  wann  es  jhnen  zu 
hindertreibung  jhres  Übermuths  vorgewoiifen  wird.*' 

Dieser  discurs  vom  adel  scheint  Grimmeishausen  so  sehr  gefallen 

zu  haben,  dass  er  ihn  auch  noch  an  einer  anderen  stelle,  im  17.  kap. 

dc^  L  buches  zweimal  ausnüzt: 

Simpl.  L  57.  Guzmao  II,  368  fg. 
Ji^auiies  de  Platoa  will  außtrücklich,  Und  wil  Johannes  de  Platea  außdrück- 
dali  man  in  Bestallung  der  Aemter  dem  lieh .  daß  mann  in  bestellong  der  Emptcr, 
Adel  den  Vorzug  lassen,  und  die  Edel-  dem  Adel  allezeit  den  Vorzug  lassen  und 
leute  den  PlelH\jis  schlecht  soll  vorziehen ;  sie  den  plebeis  schlecht  sol  voraehen,  wie 
ja  solches  ist  in  allen  Rechten  brüu<.'h-  solches  auch  in  allen  Rechten  bräuchlich: 
lieh,  und  wird  in  heiliger  Schriift  iK'ste-  auch  in  heiliger  Schlifft  bestettiget  wirt 
tiget.  dan  Bi'ata  terni,  ciyus  Kex  nohilis  ....  (s.359).  Also  lieset  man  auch  in  dem 
<'st.  sagi't  Syrach  cap.  10  welches  ein  Büchlein  Syrach  cap.  10  ßcata  terra,  cu- 
h»*rrlich  Zeugnüß  ist  des  Vorzugs,  so  dem  ins  Rex  nohilis  est:  wol  demLandt,  des- 
Adel gebühret.  sen   König   Edel    ist:    welches   auch   ein 

Zeugnuß  ist  des  Vorzugs,    so  dem  Adel 
m  dem  weltlichen  Regiment  geb&hret 

Simplii'issimus  I,  57.  Guzman  II,  370. 

Seneca  Siigi't:  Halnn  hoc  proprium  ge-  Dalier  dann  dieser  Spruch  Senccae  wol  lu 

m^rosus  animus,    «ju^hI  concitatur  ad  ho-  bt^denckeu.  da  er  sagt :  Habet  hoc  proprium 

nesta,    iV'  neminem  excelsi  Ingenii  Virum  generosus  animus,  quod  concitatur  ad  ho- 

humilia    delectant    vV    sordida.     "Welches  nt^sta,   &  neminem  excelsi  Ingenii  virum 

auch   Faustus  Poota  in  diesem  Dysticho      himiilia  delectant  &  sordida.    Das  ist:  

exprimii>»t  hat:  weUhes  auch  Faustus Poeta  in  nachfolgen 

Si  te  rusticitas  vilem  geuuisset  agn^stis,  dem  dü^ticho  gar  wol  exprimirt  hat 

Nobilitas  animi  non  foret  ista  tui.  Si  te  rusticitas  vilem  genuisset  agrestis 

Nobilitas  animi  non  foret  ista  tui. 

und  Kuhhirt,   und  der  sich  dazu  so  wohl  gehalten  hat,    dal)  er  auß  Statt  und  T.dnd 
ist  venK-iescu  wurden,  nemlich  Adam.** 


ZUM   BIHPLICI88IMUS  97 

I,  116  macht  Simplicius  dieselbe  walirnehmimg  wie  Guzman  I,  52: 

Simpl.  Guzman. 

Seithcro  hab   ich   dor   Sache   vielmals  Damals    sähe    und    erkento    ich,    daß 

nachgedacht,  und  bin  der  Moynung  wor-  die  Vnroinigkeiten ,  welche  in  dergleichen 
den,  daß  solche  Excrementa,  die  einem  accidentiis  und  Zuständen  gefeilt  und  aus- 
aus  Angst  und  Schrecken  entgehen,  viel  geworfen  werden,  viel  übler  schmeckten, 
üblem  Geruch  von  sich  geben  als  wan  weder  andere  ordinariae,  die  Philosophi 
einer  eine  starke  Purgation  eingenommen.  irnd  Sophisten  aber,  werden  die  ey gent- 
liche Vrsachen  dessen  wol  wissen  zu 
inquiriren  und  zu  erforschen. 

II,  410  will  sich  Guzman  einer  geselschaft  von  gauklem  und 
tänzem  anschliessen.  Diese  gelegenheit,  die  nur  zu  diesem  zwecke 
herbeigeführt  zu  sein  scheint,  benuzt  der  Verfasser  sogleich,  seine 
gelehrsamkeit  auszukramen.  Er  gibt  uns  eine  mit  zahllosen  stellen  aus 
antiken  autoren  und  kirchenvätem  belegte  geschichte  des  tanzes  und 
ergeht  sich  schliesslich  in  eine  endlose  polemik  gegen  die  unsitlichkei- 
ten,  wie  sie  bei  den  tanzunterhaltungen  vorkamen,  ein  thema,  das 
deutsche  prediger  vom  15.  bis  tief  ins  18.  Jahrhundert  hinein  unzälilige 
male  behandelt  haben.  Auch  an  einer  anderen  stelle  eifert  er:  „Ja  da 
verleurt  man  manchs  [344]  par,  welche  sich  in  einem  heimlichen 
Winckel  verkriechen,  allda  sie  gewißlich  kein  Pater  noster  betten,  es 
komme  sie  dann  eine  sonderliche  Andacht  an.^' 

Simplicissimus  ist  auch  kein  freund  des  tanzes,  wie  er  lU,  342 
versichert:  „Anstat  des  Tantzens,  dem  ich  nie  bin  hold  worden,  wiese 
ich  die  Gerade  meines  Leibes,  wan  ich  mit  meinem  Kürschner  föchte", 
aber  an  stelle  der  langen  abstrakten  predigt  orzält  er  ims,  als  wäre  er 
dabei  gewesen,  mit  derbem  realismus  die  ergötzliche  geschichte  „Wie 
sich  ein  Oänser  und  eine  Gänsin  gepaaret"  [buch  II  kap.  1]  und  knüpft 
nur  am  Schlüsse  gewissermassen  in  parenthese  119  die  bemerk ung  daran: 
„Günstiger  Leser,  ich  erzehle  diese  Geschichte  nicht  darum,  damit  er 
viel  darüber  lachen  solle,  sondern  damit  meine  Histori  gant^  sey,  und 
der  Leser  zu  Gemüt  führe,  was  vor  ehrbahre  fruchte  von  dem  Tantzen 
zugewarten  seyn  [120].  Diß  halte  ich  einmal  vor  gewiß,  daß  bey  den 
Täntzen  mancher  Eauff  gemacht  wird,  dessen  sich  hernach 
eine  ganze  Freundschafft  zu  schämen  hat^^  Dieser  lezte  satz, 
der  in  der  tat  auch  mit  dem  unmittelbar  vorhergehenden  in  keiner  sti- 
listischen Verbindung  steht,  ist  wider  wörtlich  aus  „Guzman"  II,  413 
entlehnt  Es  heisst  dort:  „.  .  imd  wann  gleich  und  gleich  zusammen 
kommen,  wird  mancher  unehrlicher  Kauff  gemacht,  dessen 
sich  hernach  eine  gantze  Freundtschaft  schämen  muß." 

ZEITSCHRIFT  F.  DKUTSCUB  PU1L0I.0OIE.    BD.  XXII.  7 


98  VON  PAYEB 

In  cap.  XIV  des  ersten,  von  Albertinus  herrührenden  teiles  wird 
Guzmau,  fremd  in  den  Strassen  Genuas  umherirrend,  von  einem  ehr- 
würdig aussehenden  manne,  der  seinen  vater  gekant  zu  haben  behaup- 
tet, gastlich  aufgenommen.  Während  er  des  nachts  in  einem  weichen 
und  reinlichen  bette,  wie  er  es  seiner  tage  nicht  gehabt,  behaglich  die 
müden  glieder  streckt,  stürzen  vier  als  teufel  vermumte  männer  ins 
Zimmer,  reissen  ihn  aus  den  federn,  legen  ihn,  der  vergebens  alle  hei- 
ligen anruft,  auf  einen  „kotzen"  und  prellen  ihn  derartig,  dass  er  die 
bcs^innung  zugleich  mit  der  „vis  retinendi''  verliert  ^  Zu  sich  gekom- 
men sucht  er  die  Verunreinigung,  die  er  angerichtet,  tunlichst  zu  ver- 
bergen und  schleicht  im  morgengrauen  aus  dem  hause,  in  dem  man 
ihm  so  übel  mitgespielt. 

Simplicius  wird  II,  134  in  derselben  weise  mishandelt  Aber 
während  im  „Guzman"  die  gesclüchte  ohne  Zusammenhang  mit  dem 
vorhergehenden  und  olme  bezug  auf  das  folgende,  bloss  um  ihrer  selbst 
willen  dasteht,  hat  sie  hier  in  der  absieht  des  Schriftstellers  eine  ganz 
bestimte  aufgäbe  zu  erfüllen:  Simplicius  soll  dadurch  seines  Verstandes 
beraubt  und  in  seinem  bewusstsein  in  ein  kalb  verwandelt  werden,  ein 
streich,  von  dem  sich  der  Veranstalter  manchen  spass  verspricht  Sim- 
plicius, schon  vorher  von  dem  pfarrer  gewarnt,  macht  gute  miene  zum 
bösen  spiel,  und  im  selben  augenblicke,  wie  er  als  „kalb**  in  die  runde 
tritt,  die  sich  um  den  tisch  des  obersten  versammelt  hat,  ist  auch  die 
absieht  des  Verfassers  klar:  der  narr  betrachtet  nun  die  geselschaft  mit 
den  äugen  eines  tieres,  als  solchem  können  ihm  daher  albemheiten  und 
unnatürlich keiten  auftauen,  in  denen  menschen  gar  nichts  besonderes 
erblicken  können,  weil  sie  dieselben  eben  dadurch,  dass  sie  menschen 
sind,  gewissormassen  mit  der  muttermilcli  eingesogen  liabea.  So  dient 
hier  der  streich  niu"  dazu,  der  Siitire  einen  besonderen  nachdruck  zu 
vorleihen. 

Fernere  anlehnungen,  die,  an  sich  von  geringerer  bedeutung,  nur 
im  gofolge  der  früher  erwähnten  ins  gewicht  fallen,  sind  folgende: 

Simpl.  IV,  455  erzählt  Olivier,  wie  er  des  naclits  die  Strassen 
durchstreifte  um  vorübergehenden  die  mäntel  zu  entreissen,  und 
wie  er,  dabei  ertapt,  nur  mit  not  dem  galgen  entrint  Wegen 
desselben    verbn.vheus    wird    Guzman  I,  372    zum    galgen    verurteilt 

1'  Dieser  >1';Vns  svhoiut  sich  in  Sivinieu  einer  Ivsondeivn  beliebtheit  zu  erfreuen: 
D'.r.  i^uix.  t»^  I.  tril  oap.  17  wird  in  der  sehenke  mit  Sancho  Pansa  derselbe  uofng 
otr:-*Ven.  Die  vier  tvufels:;\r\vu .  die  den  olinungslosen  äberfallen  und  erschrecken, 
erscheinen  auoh  im  «Man^^s  Obrv^con*  von  Viccnte  £s|4nel.  übersezt  von  Ludwig 
Tuek  «Brv*$ldu  1S27)  1.  W.  s.  15Ö. 


ZUM  SIMPLICISSIMU9  99 

und  in  anbetracht  seiner  Jugend  zur  galeere  begnadigt  Diese  art 
des  raubes  ist  nur  bei  den  weiten  wallenden  gewändern  der  Süd- 
länder denkbar:  sclion  aus  dem  alten  Athen  haben  wir  künde,  dass 
es  leute  gab,  die  im  dunkel  der  nacht  zwischen  den  langen  mauern 
dasselbe  gewerbe  übten.  Die  Griechen  nanten  es  honodweiv,  und  es 
muss  eines  der  verachtetsten  verbrechen  gewesen  sein,  denn  es  wurde 
mit  seelenverkäuferei  und  tempelraub  auf  eine  stufe  gestelt  und  mit 
dem  tode  bestrafte 

Der  präceptor,  der  sich  mit  den  ihm  anvertrauten  Zöglingen  des 
nachts  in  den  Strassen  herumtreibt  bis  der  eine  bei  einer  balgerei 
erstochen  und  die  übrige  geselschaft  von  der  polizei  eingezogen  wird, 
ist  gleichfals  aus  Guzman  I  cap.  XXIX  entlehnt. 

Nachdem  Guzman  seine  dreijährige  galeerenstrafe  überstanden  hat, 
begibt  er  sich  —  so  begint  die  fortsetzung  des  Frewdenhold  —  auf 
eine  pilgerfahrt  nach  dem  heiligen  lande.  Er  wird  dabei  nach  Alexan- 
drien  verschlagen  und  fährt  den  Nil  hinauf  nach  Cairo.  Dort  fält  ihm 
auf,  dass  man  hühnereier  in  Öfen  künstlich  ausbrütet  Auf  einem  aus- 
flug  nach  der  totenstadt  gerät  er  in  die  gefangenschaft  der  Türken: 
lauter  züge,  die  sich  im  VI.  buche  des  „  Simplicissimus"  wider  finden. 

Alle  die  erwähnten  stellen  zusammengenommen  lassen  meines 
erachtens  kaum  einen  zweifei  aufkommen,  dass  jene  bearbeitung  des 
„Guzman''  von  Aegidius  Albertinus  mit  der  fortsetzung  des  Martinus 
Frewdenhold  Grimmeishausen  bei  der  abfassung  des  „Simplicissimus" 
vorgelegen  hat 

WIEN,   IM   OKTOBER    1888.  RUDOLF   VON   PAYER. 


ZUM  TELLENSCHUSS. 

E.  L.  ßochholz  hat  in  seinem  treflichcn  werke:  „Teil  und  Gess- 
1er  in  sage  und  geschieh te"  nachgewiesen,  dass  lange  vorher,  ehe  eine 
Schweiz  war,  die  sage,  welche  das  schiessen  eines  apfels  vom  haupte 
einer  geliebten  pereon  als  Charakteristiken  grösster  schützenkunst  hin- 
stelt,  schon  unter  Völkern  verbreitet  gewesen  ist,  die  sich  heute  räum- 
lich ungemein   ferne  stehen.     Die  Übereinstimmung  mythischer  sagen 

1)  Xenophon,  Coin.I,  2,  46.  Über  das  stehlen  des  mantels  bemerkt  Tieck  zu 
Marcos  Obregon,  I.  bd.,  cap.  3:  „Das  stehlen  des  mantels  war  damals  etwas  sehr 
gewöhnliches  in  Madrid.  Eine  gewisse  art  der  diebo  legte  sich  vorzüglich  auf  diese 
rSuberei,  zu  welcher  Schnelligkeit  und  goschicklichkeit  ex-forderlich  war.^ 

7* 


100  VON  WLISLOCD 

bei  den  verschiedensten  Völkern  mag  oft  überraschen,  aber  sie  erklärt 
sich  gar  einfach.  „Je  weiter  man  in  der  zeit  zurückgeht,  um  so  mehr 
nimt  die  Verschiedenheit  der  Völker  imd  stamme  ab,  um  so  grösser 
muss  auch  die  Übereinstimmung  aller  in  dem  punkte  der  sagen  gewe- 
sen sein."  Als  kleinen  beitrag  hiefür  will  ich  aus  Siebenbürgen  einige 
unedierte  sagen  und  märchen  mitteilen,  die  die  weitverbreitete  mythe 
vom  apfelschuss  bis  auf  den  heutigen  tag  bewahrt  haben. 

Ein  unediertes  märchen  der  transsilvanischen  Rumänen  lautet  in 
genauer  Übersetzung  also: 

Seharfaug,  Schnellauf,  Trefweit. 

Es  lebte  einmal  eine  arme  alte  frau,  die  hatte  drei  grosse  söhne, 
von  denen  ein  jeder  eine  trefliche  eigenschaft  besass.  Den  ältesten 
nante  man  Scharfaug,  weil  er  ein  so  scharfes  äuge  hatte,  dass  er 
drei  meilen  weit  alles  deutlich  sehen  konte;  den  mitleren  nante  man 
Schnellauf,  weil  er  so  schnell  laufen  konte,  dass,  ehe  man  sagte: 
„bleib  gesund "*,  er  schon  drei  meilen  zurückgelegt  hatte  und  wider 
andere  drei  meilen,  ehe  man  ein  „lebewol"  sprach*;  und  den  jüngsten, 
den  nante  man  Trefweit,  weil  sein  schuss  auf  drei  meilen  weit  sicher 
traf.  —  Als  ihre  mutter  starb,  machten  sich  die  drei  brüder  auf  den 
weg,  um  in  der  grossen  weit  ihr  glück  zu  versuchen.  Einmal  sassen 
sie  am  rande  eines  waldes,  als  Scharfaug  in  weiter  ferne  einen  hinken- 
den wolf  erblickte.  Er  rief:  „Seht,  dort  am  rande  jenes  waldes  komt 
ein  wolf  hinkend  einher!'*  Doch  kaum  hatte  er  diese  werte  gesprochen, 
so  kam  schon  Schnellauf  mit  dem  wolfe  zurück.  Die  brüder  verban- 
den den  wehen  fiiss  des  wolfos,  der  ihnen  von  nun  an  wie  ein  hund 
üWralhin  nachfolgte.  So  kamen  sie  denn  einmal  in  eine  Stadt,  wo 
ein  niäohtigor  ki^nig  wohnte,  der  eine  wunderschöne  tochter  besass, 
die  alvr  nur  den  heiraten  wolte,  der  sie  im  wetlauf  besi^.  Sie  war 
eine  ausson^nlontlich  schnelle  läuferin  und  hatte  schon  viele  bewerber 
im  wotlauf  besiegt  und  hinrichten  lassen.  Als  nun  die  drei  brüder 
hioviui  künde  erhielten,  unternahm  es  sofort  Schnellauf  mit  der  königs- 
toohter  um  die  wotto  zu  laufen.  Doch  ehe  sie  den  lauf  begannen, 
sprach  die  königstvvhter  also  zu  Sohnellauf:  „Drei  meilen  weit  werden 
wir  laufen  und  wenn  du  vor  mir  das  ziel  erreichst,  so  will  ich  deine 
frau  wonlon!  Dvvh  ehe  wir  den  lauf  noch  bt^innen^  schenke  ich  dir 
schon  den  trauring!**  Und  sie  gab  ihm  einen  ring  mit  einem  pradit- 
volleii  stein,   den  Sohnollauf  zu  seinem  unglück  sofort  an  den  finger 

n  Zu  dU^^or  wondiing  v^d.  moinon  au^tx:  ^Zu  iieii(eneekiscli«i  Tolksüedeni* 
^in  dor  Zoit!>ohnft  f.  vorgt.  littonitUTp^sch.  u.  ivaaissance-üttmmr  X.F.  ImLI  s.3^). 


ZUM  TELLENSCHÜSS  101 

zog;  denn  der  stein  im  ring  hatte  die  kraft  jeden,  der  ihn  am  finger 
trug,  nach  kurzer  zeit  einzuschläfern.  Und  so  geschah  es  auch  Schnel- 
lauf. Kaum  hatte  der  wetlauf  begonnen  und  Schnellauf  bereits  zwei 
meilen  zurückgelegt,  da  fiel  er,  in  tiefen  schlaf  gesunken,  wie  tot  zu 
boden.  Dies  bemerkte  aber  noch  rechtzeitig  Scharfaug  und  sagte  zu 
seinem  bruder  Trefweit:  „0  wehe!  unser  bruder  ist  bezaubert  worden 
und  liegt  nun  zwei  meilen  weit  von  hier  in  tiefem  schlaf,  auf  den 
boden  gestreckt  Der  ring,  den  ihm  die  königstochter  geschenkt  hat, 
muss  ein  zauberring  sein!"  —  «Das  werden  wir  gleich  sehen!''  ver- 
sezte  Trefweit,  „zeig  mir  nur  die  richtung,  in  welcher  unser  bruder 
liegt"  Und  als  ihm  Scharfaug  die  richtung  anwies,  schoss  er  seine 
flinte  ab  und  von  der  kugel  getroffen  fiel  der  zauberring  zersplittert 
vom  finger  Schnellaufs.  Dieser  erwachte  sofort  und  legte  wie  der  blitz 
die  lezte  meile  zurück.  Lange  nachher  kam  die  schnelfüssige  königs- 
tochter am  ziele  an.  Sie  forschte  sogleich  nach  dem  ringe  und  Schnel- 
lauf erzählte  ihr  nun,  dass  wahrscheinlich  sein  bruder  Scharfaug  ihn 
schlafend  bemerkt  habe,  worauf  dann  sein  jüngster  bruder  ihm  den 
ring  vom  finger  geschossen  habe.  Da  rief  erzürnt  die  königstochter: 
„Gut,  ich  will  dein  weib  werden,  aber  weil  ihr  mich  betrogen  habt, 
so  muss  dein  bruder  Trefweit  mir  noch  einmal  seine  kunst  zeigen; 
gelingt  ihm  die  aufgäbe  nicht,  so  lass  ich  ihn  und  deinen  bruder 
Scharfaug  hinrichten!"  Und  sie  befestigte  einen  ring  oben  auf  dem 
hanpte  Scharfaugs,  stelte  ihn  dann  vor  Schnellauf,  auf  dessen  haupt  sie 
eine  kartoffel  legte  und  hiess  nun  Trefweit  von  hundert  schritt  weite 
durch  den  ring  die  kartoffel  vom  haupte  seines  bruders  zu  schiessen. 
Da  begann  der  wolf  zu  heulen  und  wolte  auf  die  königstochter  los- 
springen, aber  Trefweit  besänftigte  ihn  und  sprach:  „Warte,  bis  dass 
mir  der  schuss  mislungen  ist!"  Und  er  nahm  die  flinte  zur  band  und 
schoss.  Durch  den  ring  hindurch  drang  die  kugel  in  die  kartoffel  und 
riss  sie  mit  sich  fort.  Nun  muste  die  königstochter  Schnellauf  heiraten 
und  die  drei  bruder  lebten  glücklich  bis  an  ihr  seliges  ende.  Sie 
machten  das  reich  des  königs  gross  und  mächtig,  denn  jedermann 
fürchtete  sich  vor  ihnen  und  als  sie  starben,  weinten  alle  leute  im 
lande  und  glaubten  lange  zeit  nicht  an  den  tod  der  bruder,  sondern 
dachten  bei  sich,  dass  sie  sich  vielleicht  gekränkt  aus  dem  lande  ent- 
fernt hätten  und  einmal  noch  zurückkehren  würden.  So  gerne  hatten 
die  leute  diese  drei  bruder  — 

Dies  das  märchen  der  Bumänen,  das  sich  im  grossen  und  gan- 
zen mit  der  italienischen  NovcUa  dell  Fortunato,  welche  1869  zu  Li- 
vomo  von  Giov.  Papanti  nach  einem  drucke  aus  dem  fünfzehnten  jähr- 


102  VON  WUSLOCÜ 

hundert  hcmusgegcben  worden  ist,  deckt  Auch  im  märchen  bei  Grimm, 
K.-M.  nr.  71;  Ey,  Harzniärchenbuch  s.  116,  und  im  märchen  „Belle- 
Belle  OH  le  Chevalier  ForUine^^  von  der  gräfin  d'Aulnoy,  „kernt  ein 
wetlauf  mit  einer  königstochter  vor,  wobei  der  läufor  einschläft,  aber 
durch  einen  schuss  oder  wurf  noch  zeitig  genug  erweckt  wird,  um  vor 
der  Prinzessin  das  ziel  zu  erreichen"  (s.  Roch  holz  a.  a.  o.  s.  44  und 
vgl.  R.  Köhlers  schätzbare  niitteilungen  1872  in  Brockhaus  Kritischen 
anzeigen).  Was  den  von  obigen  märchen  abweichenden  zug  vom  ein- 
schläfernden zauberring  betritt,  so  ist  das  rumänische  märchen  am 
nächsten  verwant  mit  Basiles  Pontamerone  III,  8.  wo  „der  läufer  Fur- 
golo  (blitz)  durch  einen  ring  mit  einem  zauberstein  festgemacht  wird, 
bis  der  armbrustschützo  Cecadiritto  (Trifgut)  ihm  den  magischen  stein 
vom  fingerring  schiesst"  Zum  schuss  durch  einen  ring  nach  der  kar- 
tofTel  (also  einem  „erdapfel",  s.  Rochholz  a.  a.  o.  s.  41)  ist  zu  verglei- 
chen der  schuss  des  mythischen  Serbenholden  Milosch,  der  um  die 
lateinerbraut  in  der  veste  Ledjan  werbend,  dieselbe  dadurch  gewint, 
dass  sein  pfeilschuss  durch  einen  ring  tritt  und  den  apfel  dahinter 
von  der  lanzenspitze  herabschiesst  (Gerhard,  Serbische  volksl.  I,  s.  148). 

In  den  meisten  der  hierhergehörigen  sagen  hält  der  schütze  noch 
einen  pfeil  bereit,  den  er  im  falle  eines  mislingens  demjenigen  zuzu- 
senden gedenkt,  der  ihn  zu  dem  verhängnisvollen  schusse  zwang.  Ob- 
wol  im  nimänischen  märchen  das  bereithalten  eines  zweiten  pfeiles 
(kugel)  nicht  erwähnt  wird,  so  ist  doch  nicht  undeutlich  darauf  ange- 
spielt, indem  Trefweit  zum  wolfo  spricht:  „Warte,  bis  dass  mir  der 
schuss  mislungen  ist!"  Was  nun  den  wolf  anbelangt,  der  in  diesem 
märchen  —  wenigstens  in  der  vorliegenden  gestalt  —  sozusagen  gar 
keine  rolle  spielt  —  so  erlaube  ich  mir  an  die  holsteinische  sage  von 
Henning  Wulf  zu  erinnern  (Rochholz,  a.a.O.  s. 38;  MüUenhoff,  Schles- 
wig-Holstein, sagen  nr.  66  und  Jahrbücher  von  Schleswig-Holstein  1860 
III,  3  s.  444).  Dass  nach  den  werten  des  märchens  die  drei  brüder 
im  glauben  der  leute  noch  fortleben,  ist  ebenfals  ein  alter  zug,  den 
wir  in  der  sage  von  den  drei  Teilen  am  Rütli,  den  drei  zauberschlä- 
fern im  Axenberge  u.  m.  a.  widerfinden  (s.  Rochholz  a.  a.  o.  s.  125  fgg.) 

Wichtiger  noch,  sowol  für  die  vergleichende  sagenkunde  als  auch 
für  die  fortbildung  und  Verbreitung  der  Tellengeschichte,  ist  eine  sagen- 
hafte erzählung  der  Bulgaren,  die  als  gärtner  und  feldbauem  im  Süd- 
westen Siebenbürgens  wohnen.  „Wenn  Eutych  Kopp,  Oesch.-b]ätter  2, 
362  die  auffallende  ähnlichkeit  erkant  hat,  welche  zwischen  Saxos  Toko- 
geschichte  und  der  Tellengeschichte  der  Schweizerchronisten  in  anläge 
und  darstellung  der  eizälten  begebenheit  besteht;  und  wenn  wir  da 


ZUM   TELLENSGIIUSS  103 

auf  beiden  selten  dieselbe  sage  mit  denselben  haupt-  und  Wendepunk- 
ten haben",  so  gilt  dies  auch  —  mutatis  mutandis  —  mehr  oder  weni- 
ger von  der  bulgarischen  erzähhmg,  wenn  wir  dieselbe  mit  der  däni- 
schen Tokogeschichte  und  der  Schweizer  Tellengeschichte  vergleichen. 
„Den  waghalsigen  apfelschuss  nach  des  kindes  haupte;  den  aufgestelten 
stecken;  die  Zuversicht  und  geschicklichkeit  des  vaters;  das  bereithal- 
ten mehrerer  geschosse  von  seite  des  schützen  und  dessen  freies  wort 
an  den  dränger;  das  fallen  des  drängers  durch  des  schützen  hand", 
alle  diese  haupt-  und  Wendepunkte  der  erwähnten  beiden  geschichten 
lassen  sich  auch  in  der  bulgarischen  erzähl ung  genau  nachweisen.  Wenn 
ihr  auch  der  historisch -gefärbte  schluss  (empörung  der  Dänen,  herzog 
Parricida)  abgeht,  so  dreht  sie  sich  doch  auch  um  eine  geschichtlich 
nachweisbare  person.  Digenis,  der  bulgarische  trefschütze  ist  meiner 
ansieht  nach  derselbe,  der  auch  in  den  neugriechischen  Volksliedern 
vorkomL  Schon  seit  langer  zeit  besass  man  neugriechische  Volkslieder, 
in  denen  von  einem  wunderbaren  beiden,  namens  Digenis,  die  rede 
ist  (vgl.  z.  b.  Passo^,  Popularia  carmina  Graeciae  recentioris  nr.  430. 
491.  516;  Sakellarios,  Cyprische  volksl.  nr.  4.  17;  Legrand,  Recueil  de 
Chansons  populaires  grecques  III,  nr.  87  —  90),  ohne  dass  man  mit 
diesem  Digenis  viel  anzufangen  wüste,  bis  endlich  zu  anfang  des  vori- 
gen decenniums  in  Trapezunt  ein  daselbst  vor  einnähme  der  Stadt  durch 
die  Türken  (1462),  vielleicht  schon  im  10.  Jahrhundert  verfasstes  hel- 
dengedicht  von  mehr  als  dreitausend  politischen  versen  entdeckt  wurde, 
das  von  einem  gewissen  Basilios  Digenis  Akritas  handelt,  dem  söhne 
eines  Emirs  von  Edessa,  namens  Ali,  und  einer  tochter  des  griechi 
sehen  stratarchen  Andronikos  Dukas.  Er  hiess  Digenis  (diyevijgiy  von 
zweifacher  abstammung)  wegen  seiner  arabisch -giiechischen  eitern  und 
Akritas  als  grenzwächter  gegen  die  muselmänner  am  Euphrat  (als 
eine  art  grenzwächter  tritt  er  auch  in  der  bulgarischen  erzählung 
auf);  er  hiess  auch  Porphyrios,  bei  den  Persern  Farfurius;  sein 
eigentlicher  name  scheint  aber  Panthirios  oder  Panthir,  und  er 
derselbe  feldherr  gewesen  zu  sein,  welcher  nach  dem  Zeugnisse  Nestors 
im  jähre  941  die  flotte  des  russischen  fürsten  Igor  vernichtete.  Er 
war  mit  dem  griechischen  kaiser  Komanos  Lekapenos  verwant  und 
Oberbefehlshaber  der  asiatischen  provinzen.  Das  erwähnte  gedieht  nun 
ist  seitdem  von  Konstantin  Sathas  und  Legrand  herausgegeben  worden 
(Les  Exploits  de  Digönis  Akritas,  6pop6e  byzantine  du  X.  siöcle  publi6o 
pour  la  premiöre  fois  d'aprös  le  manuscrit  unique  de  Tröbizonde.  Pa- 
ris 1875).  Der  Sagenkreis  des  Digenis  ist  übrigens  auch  nach  Russ- 
land voi^gedrungen,   woselbst  in  einer  handschrift  des  14.  — 15.  jahrh. 


104  VON  WLISLOCKI 

ein  heldengedicht  über  Deugenius  Äkritas  vorhanden  ist  (s.  A.  Wesse- 
lofsky  in  der  Russischen  revue,  Petersburg  1875.  IV.  jahrg.  8.379fgg.): 
„Bruchstücke  des  byzantinischen  epos  in  russischer  fassung"  und  Alfred 
Rambaud,  La  Russie  epique,  Paris  1876,  s.  421  fgg.  „L'Epopöe  n6o- 
grecque  Digenis  Akritas";  vgl.  auch  Felix  Liebrecht,  Zur  Volks- 
kunde s.  202). 

Die  genaue  deutsche  Übersetzung  dieser  bulgarischen  sage  —  so 
wie  ich  dieselbe  1887  im  Originaltext  aufgezeichnet  habe  —  lautet  also: 

Der  schuss  des  edlen  Digenis. 

Einst  lebte. am  klaren  wasser  der  Donau  ein  gewaltiger  held,  der 
mit  seiner  frau,  einer  guten  Stia^  einen  söhn  zeugte,  dem  er  den 
namen  Digenis  gab  und  zu  dessen  paten  er  sich  den  grossen  könig 
von  Buda  erbat.  —  Als  Digenis  sein  zwanzigstes  jähr  erreicht  hatte 
schickte  ihn  sein  vater  hinauf  in  die  bürg  von  Buda,  damit  er  seinem 
paten  zeige,  was  er  gelernt  habe.  Und  über  Digenis  künste  hatte  der 
könig  und  seine  leute  guten  grund  zu  staunen;  denn  Digenis  konte 
schwimmen  wie  ein  fisch,  er  konte  besser  laufen  als  das  beste  reit- 
pferd  des  königs,  springen  konte  er  wie  das  reh  der  gebirge  und  steine 
von  einem  berge  auf  den  andern  schleudern,  die  sechs  pferde  von  der 
stelle  zu  rühren  nicht  im  stände  waren.  Aber  erst  schiessen!  das  ver- 
stand er  wie  kein  mensch  auf  erden.  Auf  eine  halbe  meile  weit  schoss 
er  den  allerkleinsten  apfel,  auf  einen  stock  gesteckt,  auf  den  ersten 
schuss  herab.  Über  diese  seine  künste  wunderte  sich  gar  sehr  der 
könig  von  Buda  und  sprach  zum  edlen  Digenis  also:  „Du  bist  noch 
jung  an  jahrcn,  aber  du  kanst  doch  mehr,  als  zehntausend  hundert- 
jährige greise!  du  bist  noch  zu  jung,  um  heiraten  zu  können;  darum 
sende  ich  dich  hinaus  in  meine  bürg  im  gebirge;  dort  solst  du  als 
kapitän  (capitano)  den  Türkon  schrecken  einjagen;  nach  fünf  jähren  aber 
will  ich  dir  meine  einzige  tochter  zur  frau  geben  !*^  Gar  traurig  zog 
der  edle  Digenis  hinauf  in  das  gebirge,  in  die  bürg,  um  dort  die  Tür- 
ken abzuwehren;  gar  traurig  war  er,  denn  er  hatte  eine  Jungfrau  lieb, 
die  or  doinniU'hst  auch  heiraten  weite;  nun  aber  solte  er  nach  fünf 
jaliron  des  königs  von  Buda  tochtcT  zur  frau  nehmen!  Was  tat  nun 
d(»r  (»dio   Digenis?     Mitten  auf  dem  wege  kehrte  er  um  und  ritt  zu 

I)  still,  amh  .Imhi  j;onjint,  sind  wnldnymphen  in  jugendlicher  frauengestalt 
Kk  \i'ih\  Im  »so  und  K»to  Stiu;  dio  l»ösi«n  lobon  an  Aussen  und  soon;  sie  haben  ein 
liujf^os  luuir,  da«  mo  dtMi  Hirh  r.\\  ihnon  vorin-ondon  menschen  über  das  haapt  wer- 
fon,  um  dünn  di««  darin  vorNtrit^kton  im  wasser  zu  ersäufen;  die  guten  hingegen 
crzotigen  mit  irdinrlion  mlüui(«rn  kindor,  aus  denen  gewöhnlich  grosse  helden  werden. 


ZUM  TELLENSCHUSS  105 

seiner  geliebten,  die  er  heiratete.  Nun  zog  er  mit  seiner  jungen  frau 
in  die  ferne  bürg  im  gebirge.  Durch  seine  künste  wurde  er  gar  bald 
der  schrecken  der  Türken.  Als  fünf  jähre  um  waren  schickte  der  könig 
von  Buda  dem  edlen  Digenis  einen  grossen  brief  mit  einem  grossen 
Siegel,  damit  er  nach  Buda  komme  und  seine  einzige  tochter  heirate- 
Der  edle  Digenis  bestieg  also  sein  ross,  sezte  sein  vieijähriges  söhnlein 
vor  sich  hinauf  und  ritt  zum  könig  von  Buda.  Als  er  dort  ankam, 
sprach  er  also:  „Herr  könig,  euere  tochter  kann  ich  nicht  heiraten, 
denn  ich  habe  mir  schon  vor  fünf  jähren  ein  weib  genommen!  Hier 
ist  mein  vierjähriges  söhnlein!"  Da  ergrimte  der  könig  von  Buda  und 
sprach:  „Du  hast  wie  ein  weib  gehandelt  und  verdienst  von  den  pfer- 
den  zertreten  zu  werden ^1  Doch  ich  will  dein  leben  schonen,  weil  ich 
ja  dein  pate  bin,  aber  du  musst  einen  goldenen  apfel  vom  haüpte  dei- 
nes kindes  auf  den  ersten  schuss  herabschiessen !  Verfehlst  du  das  ziel, 
so  musst  du  sterben!"  Und  sie  führten  den  edlen  Digenis  samt  sei- 
nem söhne  hinaus  in  das  freie  feld  und  legten  dem  knäblein  einen  gol- 
denen apfel  aufs  haupt.  Dreihundert  schritte  vom  söhne  entfernt  stand 
der  edle  Digenis  und  lud  beide  laufe  seiner  langröhrigen  flinte.  Er 
sezte  an  und  schoss.  Der  goldene  apfel  flog  weithin  auf  die  erde.  Das 
söhnlein  stand  unversehrt  da.  Grimmig  sprach  hierauf  der  könig  von 
Buda:  „Du  bist  ein  treflicher  schütze,  Digenis!  Sage  mir  aber  wozu 
hast  du  beide  laufe  deiner  flinte  geladen?  Du  durftest  ja  —  hätte  der 
erste  schuss  gefehlt  —  zum  zweiten  mal  nicht  schiessen?"  Da  hob 
Digenis  seinen  knaben  auf  den  arm  und  sprach:  „Hätte  die  kugel  des 
einen  laufes  nicht  den  goldenen  apfel,  sondern  mein  kind  getroffen, 
dann  hätte  die  kugel  des  zweiten  laufes  dein  hundeherz  gewiss  nicht 
verfehlt!"  Und  wie  der  Sturmwind  flog  er  über  die  haide  hinauf  in 
das  gebirge,  wo  er  in  einer  höhle  rast  hielt.  Müde  schlief  er  ein  und 
als  ihn  sein  weinendes  söhnchen  aufweckte,  da  sah  er,  dass  draussen 
vor  der  höhle  der  könig  mit  hundert  seiner  leute  stand.  Der  edle 
Digenis  besann  sich  nicht  lange,  sondern  schoss  seine  beiden  laufe  ab. 
Der  könig  von  Buda  und  sein  ältester  söhn  fielen  tot  zu  boden.  Da 
begann  ein  kämpf,  wie  ihn  nicht  sobald  ein  mann  gesehen  hat  Als 
die  sonne  den  himmelsrand  küsste,  da  lag  der  könig  von  Buda,  dessen 
sehn  und  die  hundert  männer  tot  auf  dem  boden;  der  edle  Digenis 
aber  zog  mit  seinem   söhnchen   heim   zu   seiner  frau  und  dann  ver- 

liessen  die  drei  für  immer  das  land  und  wurden  nimmer  gesehen 

Dies  die  bulgarische  sage,   deren  held  wol  geschichtlich  ist;   der 
apfelschuss   aber  ist  mythisch  und  dem  vertrag   des  ereignisses   bloss 

1)  Ygl.  liebrecht,  Zur  Volkskunde  (s.  296:  Eine  alte  todesstrafe). 


106  VON  WUSLOCKI 

angewachsen  aus  älterer  Überlieferung,  die  bislang  unbekant  ist  (vgl 
Grimm,  Myth.  354).  Lezteres  (freilich  olme  geschichtlichen  hintergnind) 
gilt  auch  von  der  sagenhaften  erzählung  der  Szekler,  die  ich  im  jähre 
1879  im  Häromsz6ker  komitate  (Südosten  Siebenbürgens)  im  ungarischen 
Originaltexte  aufgezeichnet  habe  und  zwar  in  drei  Varianten,  von  denen 
ich  hier  die  volständigste  und  bedeutungsvolste  in  genauer  Verdeut- 
schung mitzuteilen  mir  erlaube. 

Tschalo  Pischta.^ 

Es  war  einmal  dort,  wo  er  nicht  war,  dort,  wo  man  die  lause 
und  flöhe  mit  goldenen  hufeisen  versieht,  dort  war  also  einmal  ein 
mann,  dem  hinterliess  seine  frau,  als  sie  starb,  ein  zehnjähriges  söhn- 
chen. Der  mann  war  so  arm  wie  eine  kirchenmaus  und  konte  sich 
kaum  das  tägliche  brot  verschaffen.  Da  dachte  bei  sich  der  arme  mann: 
du  gehst  mit  deinem  söhnchen  in  die  weite  weit!  vielleicht  kanst  du 
anderswo  dein  brot  dir  leichter  verdienen!  —  Und  der  arme  mann 
buk  sicli  aus  seinem  lezten  mehle  einen  aschenkuchen,  steckte  densel- 
ben in  seinen  raantelsack  und  zog  nun  mit  seinem  söhnchen,  das  man 
Tschalo  Pischta  nante,  in  die  weite  weit  hinaus.  Sie  erreichten  gar 
bald  einen  grossen  wald  und  legten  sich  ermüdet  unter  einem  grossen 
eichbaum  nieder.  Der  vater  schlief  gar  bald  ein,  während  Tschalo 
Pischta  dem  gesange  der  vögel  und  dem  gesumme  der  käfer  zuhörte. 
Da  lief  ein  manschen  heran  und  sprach  also  zu  Pischta:  „Lieber  knabe, 
ich  habe  zuhause  acht  kinder  zu  ernähren  und  habe  heute  noch  kein 
krümchen  esbaros  gefunden.  Du  hast  in  deinem  mantelsack  einen  gan- 
zen aschenkuchen;  gib  mir  ein  wenig  davon,  damit  ich  es  zu  meinen 
kindem  trage  und  ich  will  es  dir  belohnen!*'  Tschalo  Pischta  brach 
ein  Stückchen  vom  aschenkuchen  ab  und  warf  es  dem  manschen  zu, 
das  nun  also  zu  ihm  sprach:  „Reiss  mir  ein  barthärchen  aus  und  be- 
wahre es  gut;  wenn  du  in  not  bist,  so  speie  es  an  und  ich  werde  dir 
zu  hilfe  eilen,  dann  stich  mir  in  das  linke  pfotchen  und  sauge  einen 
tropfen  blut  daraus,  du  wirst  dadurch  so  stark  werden,  dass  du  zent- 
nerschwere steine  von  einem  berge  auf  den  andern  wirst  werfen  kön- 
nen!'' Als  Tschalo  Pischta  das  härchen  herausgezogen  und  einen  tropfen 
blut  ausgesogen  hatte,  lief  das  niäuschen  davon.  Als  sein  vater 
er^vachte,  erzählte  ihm  Tschalo  Pischta  nichts,  sondern  behielt  das 
geheimnis  für  sich.     Nun  zogen  sie  wider  weiter  in  die  weit,  von  einem 

1)  IMsilita  =  donünutiv  von  Istvan  (Stefan).    Im  Ungarischen  wird  der  tauf- 
nanie  dorn  familiennamen  naohgesozt 


ZUM  TELLENSCHUSS  107 

ort  zum  andern,  bald  arbeitend,  bald  bettelnd,  —  so  wie  es  eben 
gieng.  Nun  kamen  sie  einmal  auf  einen  hohen  berg  und  der  vater 
legte  sich  nieder  und  schlief.  Tschalo  Pischta  konte  aber  nicht  schla- 
fen, sondern  stieg  den  hohen  1)erg  hinan  und  wolto  sich  in  der  umge- 
gend  ein  wenig  umsehen.  Da  kam  er  an  eine  höhle,  deren  eingang 
mit  einer  goldenen  türo  verschlossen  war.  Der  junge  versuchte  die 
türa  zu  öfnen,  da  es  ihm  aber  nicht  gelang,  so  nahm  er  einen  zent- 
nerschweren stein  und  warf  ihn  solcher  wucht  an  die  türe,  dass  die- 
selbe klirrend  aufsprang.  Himmel  und  erde  erzitterten  und  aus  der 
höhle  sprang  eine  nachtschwarze  hexe  hervor  und  rief:  „Nun  sollst  du 
dein  leben  lassen,  junger  bursche,  wenn  du  nicht  so  weit  deine  steine 
schleuderst,  als  ich  schiessen  kann!"  Und  sie  nahm  eine  flinte  hervor 
und  schoss  vom  nächsten  berge  einen  raben  herab;  Tschalo  Pischta 
aber  nahm  einen  zentnerschweren  stein  und  warf  ihn  auf  den  nächsten 
berg,  imd  erschlug  damit  einen  wolf,  der  grade  über  den  berg  laufen 
weite.  Da  nahm  er  einen  zweiten  stein  und  ehe  sich  die  hexe  versah, 
erschlug  er  sie.  Die  flinte  steckte  er  in  seinen  mantelsack  und  kehrte 
zu  seinem  vater  zurück,  dem  er  von  seinem  abenteuer  gar  nichts 
erzählte. 

Vater  und  söhn  zogen  nun  weiter  in  die  weit  und  kamen  end- 
lich in  eine  wüste,  die  kein  ende  nehmen  wolte.  Tagelang  wanderten 
sie  herum,  ohne  das  ende  der  wüste  erreichen  zu  können  und  waren 
nun  nahe  daran,  vor  hunger  zu  sterben.  Da  untersuchte  der  vater 
einmal  den  mantelsack  seines  sohnes  und  fand  darin  die  zauberflinte. 
„Woher  hast  du  diese  flinte?"  fragte  er  seinen  Pischta.  Dieser  ver- 
sezte  darauf:  „Von  einer  hexe!  Aber  was  nüzt  sie  uns  jezt,  wenn  wir 
nichts  zu  schiessen  haben!  Möchte  die  flinte  uns  doch  zu  einem  bra- 
ten verhelfen!"  Kaum  hatte  er  diese  werte  ausgesprochen,  da  flog  die 
flinte  durch  die  luft  weit  weg  und  kehrte  in  kurzer  zeit  mit  einem 
erschossenen  rehe  zurück.  Nun  hatten  sie  zu  essen  und  lebten  ohne 
sorge  und  kummer,  denn  sobald  sie  fleisch  brauchten,  schickten  sie  die 
flinte  auf  die  jagd,  die  dann  stets  mit  einem  erschossenen  wilde  zurück- 
kehrte. —  Nach  dreissig  tagen  erreichten  sie  endlich  das  ende  der 
wüste,  wo  ein  siebenköpfiger  drache  den  ausgang  bewachte  und  ihnen 
den  weg  versperte.  Da  schleuderte  Tschalo  Pischta  sieben  mächtige 
felsblöcke  auf  den  drachen  und  erschlug  ihn.  Sie  zogen  nun  ungehin- 
dert weiter  und  erreichten  gar  bald  eine  grosse  Stadt,  wo  ein  sehr 
grausamer  könig  wohnte.  Die  leute  empfiengen  die  beiden  wanderer 
mit  grossen  ehrenbezeugungen,  gaben  ihnen  die  besten  speisen  und 
getränke  und  führten  sie  in  ein  schönes  haus,  wo  sie  von  nun  an  woh« 


108  VON  wusLOcn 

nen  soltcn.  Sie  fragten  erstaunt  die  leute,  was  alle  diese  ehrenbezeu- 
gungen  zu  bedeuten  haben?  Da  erzählten  ihnen  die  lente,  dass  ihr 
grausamer  könig  den  drachen  am  ausgang  der  wüste  gehalten  und 
jeden  tag  ihm  einen  menschen  zu  fressen  gegeben  habe.  Nun  seien 
sie  durch  Tschalo  Pischta  von  diesem  ungeheuer  befreit  worden  und 
weiten  von  nun  an  für  alle  bedürfhisse  des  vaters  und  des  sohnes  sor- 
gen. —  Doch  nicht  lang  dauerte  ihr  vergnügtes  leben,  denn  als  der 
könig  erfuhr,  dass  Tschalo  Pichta  seinen  siebenköpfigen  drachen  erschla- 
gen habe,  da  liess  er  vater  und  söhn  zu  sich  führen  und  sprach  also 
zum  knaben:  „Du  bist  an  jähren  noch  ein  Mnd,  an  stärke  und  kraft 
aber  ein  riese!  Nun,  wenn  du  mit  felsblöcken  spielen  kanst,  so  wirst 
auch  ein  guter  schütze  sein!  "Weil  du  meinen  drachen  erschlagen  hast, 
so  will  ich  dich  und  deinen  vater  an  einen  ort  setzen,  wo  ihr  weder 
sonne  noch  mond  zu  sehen  bekomt,  wenn  du  vom  haupte  deines 
vaters  nicht  einen  goldenen  apfel  auf  tausend  schritte  weit,  herab- 
schiesst"  Und  er  legte  dem  vater  einen  goldenen  apfel  aufe  haupt  und 
hiess  nun  den  jungen  zu  schiessen.  Auf  tausend  schritte  entfemung 
schoss  Tschalo  Pischta  und  der  apfel  fiel  vom  haupte  des  vaters.  Da 
sprach  der  könig  also  zum  knaben:  „Du  hast  den  apfel  getroffen  und 
ich  will  euere  strafe  auch  lindem!  Ihr  solt  die  sonne  und  den  mond 
sehen  können,  aber  ich  will  euch  in  einem  netze  für  euer  ganzes  leben 
gefangen  halten!"  Er  rief  seine  diener  herbei  und  liess  die  beiden  in 
ein  starkes  stricknetz  werfen,  das  am  tore  des  königshauses  befestigt 
wurde.  Yiele  tage  und  nachte  sassen  schon  die  beiden  im  netze  ge&n- 
gen,  ohne  von  den  leuten  befreit  zu  werden,  die  sich  vor  dem  zom 
und  der  grausamkeit  ihres  königs  fürchteten.  Da  erinnerte  sich  eines 
tages  Tschalo  Pischta  des  barthärchens,  das  er  einst  dem  manschen 
herausgerissen  hatte.  Schnell  nahm  er  es  hervor  und  spie  es  an.  Da 
liefen  im  nu  viele  tausend  mause  heran  und  frassen  das  ganze  netz 
auf,  worauf  sie  ins  haus  des  königs  drangen  und  denselben  samt  haut 
und  haaren  verzehrten,  worauf  sie  wider  verschwanden ^  Die  leute 
machten  nun  den  Tschalo  Pischta  zu  ihrem  könig,   der  in  glück  und 

Zufriedenheit  bis  an  sein  seliges  ende  lebte 

Dies  ungarische  märchen  gehört  in  den  kreis  derjenigen  erzählun- 
gen,  in  welchen  von  trefschüssen  berichtet  wird,  die  nicht  allein  daidi 
des  schützen  kunst,  sondern  mehr  durch  das  magische  vermögen  seiner 
Zauberflinte  gelingen  (s.  Rochholz  a.  a.  o.  s.  44  fgg.).    Der  zug  von  der 

1)  Durch  diesen  zug  gehört  obiges  märchen  auch  znr  märchenreihe  vom 
^Mäusoturm.''  S.  meinen  aufsatz:  «Die  mäuseturmsage  in  Siebenbürgen'^  (Oermania 
N.  reihe  XX  s.  432  fgg.)  wo  ich  dies  märuhen  nicht  angezogen  habe. 


ZUM  TELLENSCHÜSS  109 

selbstjagenden  flinte  findet  sich  auch  in  der  Kalewala  (15,  371  nach  Schief- 
ners Übersetzung),  wo  des  finnischen  Wäinämöinens  bogen  von  selbst 
zu  walde  aufs  weidwerk  geht;  nach  dem  altfranzösischen  roman  des 
Huon  von  Bordeaux  „bedient  sich  der  jagende  elbenkönig  Oberon  eines 
pfeiles,  an  dem  augenblicklich,  wann  es  der  eigner  will,  jegliches  wild 
steckt"  (Vgl.  auch  die  sage  von  Orvaroddr;  Weinhold,  Altnord,  leben 
205;  Rochholz  a.  a.  o.  s.  45.)  Ein  ähnlicher  zug  findet  sich  auch  in 
einem  unedierten  rumänischen  märchen  meiner  samlung  vor,  in  wel- 
chem drei  Waisenkinder  eine  flinte  besitzen,  die  ihnen  das  wild  aus 
dem  walde  holt  Am  nächsten  verwant  ist  das  vorstehende  ungarische 
märchen  mit  den  betreffenden  finnisch -lappischen  erzählungen  (s.  Roch- 
holz a.  a.  0.  s.  88  fgg.),  in  denen  das  hauptmotiv  ebenfals  in  die  Wir- 
kung des  Zaubers  verlegt  wird;  ebenso  ein  gemeinschaftlicher  zug  der 
finnisch-lappischen  erzählungen  und  des  ungarischen  märchens  ist  die 
„Verwechslung  vom  objekt  ins  Subjekt",  indem  auch  hier  der  söhn 
den  apfel  vom  haupte  des  vaters  schiesst  Zu  den  steinwürfen 
wäre  noch  zu  vergleichen  die  Töllussage  der  Inselschweden  (Rochholz 
a.  a  0.  s.  83  fgg.). 

Schliesslich  will  ich  mir  mit  bezug  auf  das  mitgeteilte  ungarische 
märchen  eine  bemerkung  erlauben.  Rochholz  sagt  (s.  92)  in  seinen 
schäzbaren  bemerkungen  mit  bezug  auf  die  betreffenden  finnisch -lap- 
pischen erzählungen:  „Einwirkungen  durch  die  schwedisch- dänische 
sage  haben  dabei  unleugbar  statgehabt."  Ich  erlaube  mir  dagegen  zu 
bemerken,  dass  grade  die  züge,  welche  den  finnisch -lappischen  erzäh- 
lungen und  dem  ungarischen  märchen  gemeinsam  sind,  sich  in  den 
schwedischen  und  dänischen  relationen  nicht  vorfinden  (schuss  des  soh- 
nes,  Zauberflinte). 

Der  nächste  und  lezte  schritt  führt  uns  zu  den  blinden  trefechützen. 
Es  lassen  sich  in  diesem  sagen-  und  erzählungskreise  überhaupt  drei 
abteilungen  aufstellen  und  zwar  1.  trefschützen  mit  gewöhnlicher  waffe, 
2.  trefechützen  mit  zauberwaffen,  und  3.  blinde  trefschützen.  Eine  Ver- 
einigung der  beiden  lezten  abteilungen  (zauberwaffe  im  besitze  eines 
blinden  schützen)  findet  sich  im  märchen  der  Bukovinaer  Armenier 
vor,  das  ich  aus  der  handschriftlichen  samlung  meines  freundes,  des 
Mechitaristenpriesters  dr.  Wertlianesz  Jakudjian  hier  in  deutscher  Über- 
setzung mitteilen  will. 

Der  blinde  kSnlgssohn. 

Vor  vielen  tausend  jähren  lebte  im  osten  ein  mächtiger,  reicher 
könig,  der  sein  ganzes  leben  hindurch  von  glück  und  erfolg  in  allen 


110  VON  WUSLOCn 

seinen  taten  begleitet  war.  Da  kam  einmal  ein  weiser  mann  zu  ihm 
und  bettelte  um  speise  und  trank.  Da  sprach  der  könig  zu  ihm:  ^Du 
bist  ein  weiser  mann,  dessen  ruf  sich  in  sieben  reichen  verbreitet  hat, 
imd  dennoch  kanst  du  von  dir  nicht  sagen,  dass  du  glücklieh  bist! 
Ich  dagegen  habe  nicht  den  tausendsten  teil  deines  Verstandes  und  bin 
doch  der  glücklichste  mann  der  erde!''  Lächelnd  versezte  hierauf  der 
weise:  ,, Erinnere  dich,  o  könig,  deiner  worte,  wenn  du  einmal  im 
Unglück  bist!*^  Und  ohne  eine  gäbe  anzunehmen,  entfernte  sich  der 
weise  mann.  —  Die  zeit  vergieng  und  es  drehte  sich  das  rad  des 
scliicksals  und  der  reiche,  mächtige  könig  ward  elend  und  unglücklich. 
Ein  anderer  könig  brach  in  sein  land  ein,  besiegte  ihn  und  liess  ihn 
in  den  kerker  werfen;  seinen  einzigen  söhn  aber  liess  er  blenden  und 
jagte  ihn  aus  dem  lande.  Da  rief  der  imglückliche  vater  und  könig: 
„0  weiser  mann,  wie  schmerzvoll  erinnere  ich  mich  meiner  worte,  die 
ich  einst  zu  dir  gesprochen!^  Da  erschien  wie  aus  der  erde  hervor- 
gewachsen der  weise  mann  und  sprach  zum  könig:  „Hast  du  mut 
gehabt,  dich  einst  für  den  glücklichsten  mann  der  erde  zu  halten,  so 
habe  auch  mut  jezt  dein  unglück  zu  ertragen.^  Hierauf  verschwand 
der  weise.  —  Der  blinde  königssohn  wanderte  in  begleitung  eines  hun- 
des,  der  ihn  führte,  von  dorf  zu  dorf,  von  Stadt  zu  Stadt  und  bettelte 
um  milde  gaben.  Du  kam  er  einmal  in  eine  wüste,  wo  ihm  der  weise 
mann  erschien  und  also  zu  ihm  sprach:  „Du  erträgst  dein  unglück 
still  und  geduldig  und  hast  dein  gottvertrauen  nicht  verloren.  Wahr- 
lich, deines  bauens  und  Vertrauens  grund  ist  gott  allein  und  darum 
will  ich  dir  helfen.  Hier  gebe  ich  dir  einen  lebendigen  goldpfeil,  der 
dahin  tliogt,  wohin  du  ihn  eben  liinwünschst  und  da  alles  tötet,  so  du 
es  haben  willst.  Morgen  wird  der  könig  ein  festschiessen  veranstalten, 
an  dem  auch  du  teil  nehmen  solst;  alles  andere  wird  sich  schon  zum 
besten  wenden.  Ich  bin  der  heilige  Joseph,  der  dich  und  deinen  vater 
besi'hützen  und  schirmen  will  vor  unglück  und  leid!  Darum  gebe  ich 
dir  hier  auch  eine  salbe,  mit  der  du  deine  äugen  übermoigen  einreiben 
solst,  damit  du  wider  sehend  werdest!  Moigen  solst  du  noch  blind 
am  fostsohiessen  teil  nehmen!**  Mit  diesen  werten  gab  der  heilige  Joseph 
d^m  blinden  kiuiigssohn  den  goUipfeil  und  die  salbe  und  verschwand. 

Oottvertnuien  und  frohe  Zuversicht  im  herzen  machte  sich  der 
königssohn  auf  den  weg  in  die  sUidt  seines  feindes.  Unerkant  nahm 
er  zum  gi^läohter  der  leute  teil  an  dem  festschiessen.  Doch  als  sein 
poKlpfoil  als  erster  durch  einen  goldenen  ring,  der  als  ziel  auf  einer 
stang^^  aufgi^telt  war,  flog  —  da  lachten  die  leute  nimmer.  Dreiund- 
dn'issignial  scIk^ss  der  blinde  königssi>hn  und  dreiunddreissigmal  flog 


ZUM  TEXLENSOHÜSS  111 

sein  pfeil  durch  den  goldenen  ring  und  kehrte  stets  ungesehen  zu  ihm 
zurück.  Da  rief  der  heidnische  könig  seinen  leuteu  zu:  „Bringt  mir 
den  gefangenen  könig  hervor!  Der  blinde  soll  ihm  vom  haupte  einige 
äpfel  herabschiessen!  Wenigstens  hat  er  dabei  eine  grosse  angst  aus- 
zustehen!" Und  sie  brachten  aus  dem  kerker  den  gefangenen  könig 
hervor,  stelten  auf  sein  haupt  einen  apfel  und  hiessen  den  blinden 
schiessen.  Der  königssohn  schoss  und  der  apfel  fiel  zur  erde.  Drei- 
unddreissig  äpfel  schoss  er  nach  einander  vom  haupte  seines  vaters. 
Da  flog  aber  der  lebendige  goldpfeil  auf  den  heidnischen  könig  und 
dessen  leute  und  tötete  sie  alle.  Da  befreiten  die  leute  den  könig,  der 
nun  mit  seinem  wider  sehend  gewordenen  söhne  in  steter  gottergebung 
lebte  und  bis  an  sein  ende  weise  regierte 

Dies  die  armenische  erzähl ung,  die  gleich  den  meisten  armenischen 
Volksüberlieferungen  einen  legendenhaften  anflug  hat  Trotzdem  lässt 
es  sich  nicht  verkennen,  dass  auch  sie  die  hauptzüge  der  Tellsage 
(schuss  nach  dem  haupte  eines  geliebten  wesens,  Stange,  apfel)  aufzu- 
weisen hat.  Durch  den  schuss  des  söhn  es  (also  auch  hier  Verwechs- 
lung vom  Objekt  ins  Subjekt)  und  die  gefangenschaft  lehnt  sie  sich  auch 
an  die  mitgeteilte  ungarische  erzälüung;  den  zug  vom  lebendigen  gold- 
pfeil finden  wir  auch  in  den  tatarischen  heldensagen,  wo  Katai-Chan 
einen  goldpfeil  besizt,  der  lebend  ist,  über  sieben  länder  fliegt  und  da 
alles  tötet  und  schliesslich  zum  schützen  zurückkehrt  i.  Abgesehen  vom 
eingang,  der  sich  an  die  sage  von  Crösus  anlehnt,  lässt  sieh  bei  die- 
ser erzählung  —  trotz  ihres  christlich -legendenhaften  anfluges  —  der 
orientalische  Ursprung  nicht  ableugnen.  Diese  armenische  gestaltung 
der  sage  vom  apfelschusse  scheint  auch  Th.  Benfeys  ansieht  (in  den 
Oöttinger  anzeigen  1861,  s.  677)  zu  bestätigen,  derzufolge  schwerlich 
daran  zu  denken  sei,  dass  die  ursprüngliche  sage  der  Orient  vom  occi- 
dent  empfangen  habe,  sondern  wahrscheinlicher  das  umgekehrte  anzu- 
nehmen sei.  Hiefür  spricht  auch  mit  schlagenden  gründen  das  mär- 
chen  der  transsilvanischen  zeltzigeuner,  das  ich  im  jähre  1883  während 
einer  mehrmonatlichen  Wanderung  mit  einer  zigeunertruppe  aufgezeich- 
net habe. 

Der  Originaltext  dieses  unedierten  märchens  lautet  also: 

Trln  godjIÄvere  p^rälä.* 

Tekvär  dvnäs  trin  ppräld,  ke  kämena  andre  Urne  ihe  jiäl  te 
leskre   bdft  the  drdkel.     Diires  yon  andre  Urne  jidfiend  te  fiikai  yon 

1)  Castron,  Die  Altai-vöIker  (1857)  s.  215. 

2)  Was  dio  Orthographie  anbelangt,   so  entspricht  c  dem  deutchon  tsch,   p  = 


112  VON  WU8L0CEI 

dräkenä  hdpt  Akor  jiänenä  yekvdr  pdl  bare  päüi  ie  akänd  yek  väsh 
leske  yek  ruk  besMveläs  te  yoii  penenä,  the  odoy  pdpäle  även  pdl  yek 
bersh,     Te  yon  jidneud  upro  pro  leskro  drmn. 

0  legtemeder  triii  pfrdlefigr^  buter  dveläs  dndro  bdro  ihdgdr, 
kdske  trin  legshukdreder  raklyiyd,  dvnds,  ke  cdk  trin  pprdlen  käme- 
nd,  ke  may  bdre  the  kerdndsK  Atwici  gindelds  legtemeder:  O  bersh 
cdces  mayd  ndcilyds  te  me  sikdrdyom  the  gdrdvel;  m're  pfrdia 
tdldn  so  sikdrend.  Tdldn  d?nende  dvnd  trin  rdklyiyd  thägdreskro! 
Käde  gmdinelds  o  legteimeder  te  jidnelds  kiyd  pdiÜ  leskre  pfrdlen 
the  drdkel  Te  yon  dvend  biso  te  pefiend,  so  dndre  Urne  the  sikär- 
dyeiids^.  0  legp^ureder  sikdrdyehds  the  ndsel  te  sdr  bdrvdl  näse- 
las;  0  duyto  yek  genddlos  kerelds,  kdy  sdkofeles  yon  dikhenä  te  o 
trito  sikdrelds  the  gdrdvel  te  legdureder  gdrdvelds  sdr  yek  driklo  the 
tirdl  jdnelds,  Akor  trin  p^rdld  petiend  hoy  yon  trin  rdklyiyen  thägd- 
reskro kdmend  te  jidnend  kiyd  thdgdreske  te  kiyd  leske  penenä:  „Bdro 
rdyeyd!  Amen  kämen  tire  rdklyiyen!  Pen  niende,  so  dmen  the 
keren?^'  Te  o  thdgdr  penelds:  „Ldcesf  Ko  inWe  legpfureder  rdklyd 
romfli  M,  ddä  sikeder  the  jidsel  sdr  yoy!"  Akor  peneläs  o  legpfure- 
der:  „Me  kämdv  the  ndsel! ^^  Te  yov  näseläs  legp^reder  räklydhä 
thägdreskro  dndre  trin  stdcie  te  dvelds  hdmdrdb  dndre  dopds.  Akor 
peneläs  o  thdgdr:  y,Ldces!  m're  legp^ureder  rdklyi  hin  tute;  uvd  cdk 
dtnnci  hin  lä  tute,  kdnd  Vre  p^rdlä  m're  dvre  rdklyiyen  Üerdy^*, 
dnddkode  m're  rdklyiyd  kämen  cdk  trin  pgrdlefi!  Nosd,  m're  duyie 
rdklyi  kdde  gdrddyol,  hoy  üiko  lä  dikhel!  Ko  kdmel  lä  the  drdkel?^' 
Akor  peneläs  o  duyto  trin  p^rdleiigrä:  „Me  drdkäv  läf"  Te  dvrijiä- 
las  te  leskre  genddlos  dvrilelds.  Akor  dikheläs  rdklyd  thägdreskro  an- 
dro  per  yekd  bdre  gurunidkri,  Yov  peneläs  thägdreske  te  ddä  pene- 
to;  yyLäccs!  m're  duyte  rdklyi  hin  tute;  uvd  cdk  dtunci  hin  lä  tuie, 
kdnd  fro  legtemeder  pcrdl  m're  legtemeder  rdklyd  fierdyds,  dndakode 
mVe  rdklyiyd  kdmen  cdk  trin  pfrdlen!  Xosd,  upro  pro  shero  m're 
legtemeder  rdklydkri  hin  yek  somndkuno  bdl:  tumdro  legtemeder  pfrdl 
the  telegdrel  les:  te  tdldlel  dver  bdl,  dkor  turnen  meren/"  Akor  o  leg- 
temeder leskre  pushkd  Idiclds  te  dndre  tripi  stdcie  sommäkuno  bdl 
shereskfv  legtemeder  rdklydkri  telegdrelds,  Atunci  sdhmethdfieste  voyd 
te  voyipen  drnds  te  e  trin  godyiävere  pfrdlä  dtunci  jidenä  andre  bdre 
bdct  leskre  shukdre  pvmiiiyeptsd 

ek,  j  =  (isek .  fi  =  nj\  sh  =  sck ,  y  =  j  {s,  meine  , Sprache  der  tnmsBflvaniacliea 

ripeunor''  s.  3). 

l\  3.  iil.  imi»f.  i\>i\j.  2)  3.  pl.  plusq.  eoiy. 

3)  3.  pl.  |HMf.  iud. 


ZUM  TElLttNäCmii^S  113 

In  genauer  Verdeutschung  lautet  dies  märchen  der  Siebenbürger 

zeltzigeuner  also: 

Die  drei  klugen  brfider.^ 

Es  waren  einmal  drei  brüder,  die  beschlossen  in  die  weit  zu 
gehen  und  ihr  glück  zu  suchen.  Lange  zeit  zogen  sie  in  der  weit 
herum  und  ÜEUiden  nirgends  ihr  glück.  Da  kamen  sie  einmal  an  einen 
grossen  see  und  da  pflanzte  jeder  von  ihnen  für  sich  einen  bäum  und 
sie  versprachen  einander,  dass  sie  sich  nach  einem  jähre  hier  wider 
treffen  weiten.    Und  nun  zog  jeder  seines  weges. 

Der  jüngste  der  drei  brüder  kam  nach  langer  zeit  zu  einem 
könige,  der  drei  wunderschöne  töchter  hatte,  die  aber  nur  drei  brüder 
heiraten  wolten,  die  etwas  aussergewöhnliches  leisten  könten.  Da  dachte 
bei  sich  der  jüngste:  das  jähr  ist  bald  um  und  ich  habe  schiessen 
gelernt,  meine  brüder  werden  ja  auch  etwas  gelernt  haben!  Vielleicht 
können  wir  uns  die  drei  königstöchter  erwerben!  So  dachte  der  jüngste 
und  gieng  an  den  see,  um  seine  brüder  zu  treffen.  Und  sie  kamen 
denn  auch  und  erzählten  eiaander,  was  sie  in  der  weit  gelernt  hätten. 
Der  älteste  hatte  laufen  gelernt  und  konte  laufen  wie  der  wind;  der 
zweite  hatte  einen  Spiegel  machen  gelernt,  in  dem  man  alles  sehen 
konte  und  der  dritte,  der  hatte  schiessen  gelernt  und  konte  so  weit 
schiessen,  als  ein  vogel  zu  fliegen  im  stände  war.  Da  beschlossen  die 
drei  brüder  um  die  drei  königstöchter  zu  werben  und  giengen  hin  zum 
könig  und  sprachen  also  zu  ihm:  „Grosser  herr!  wir  wollen  deine  töch- 
ter heiraten!  Sag  uns  was  wir  tun  sollen?"  Und  der  könig  sprach: 
„Gut!  Wer  von  euch  meine  älteste  tochter  zur  frau  haben  will,  der 
miiss  schneller  als  sie  laufen  können !^^  Da  versezte  der  älteste:  „Ich 
will  laufen!"  Und  er  lief  mit  der  ältesten  königstöchter  drei  meilen 
weit  und  kam  um  die  hälfte  der  zeit  früher  an.  Da  sprach  der  könig: 
„Gut!  du  hast  meine  älteste  tochter  gewonnen,  aber  nur  dann  bekomst 
du  sie  zur  frau,  wenn  auch  deine  brüder  meine  beiden  andern  töchter 
gewinnen,  denn  meine  töchter  wollen  nur  drei  brüder  zu  männem 
haben!  Nun  also,  meine  zweite  tochter  kann  sich  so  verbergen,  dass 
sie  niemand  sieht!  Wer  will  sie  suchen?"  Da  sagte  der  zweite  der 
drei  brüder:  „Ich  suche  sie!"  Und  er  gieng  hinaus  und  nahm  seinen 
Spiegel  hervor.  Da  sah  er  die  königstöchter  im  bauche  einer  grossen 
kuh.    Er  sagte  es  dem  könige  und  dieser  sprach:  „Gut!  du  hast  meine 

1)  Vgl.  auch  das  märchen  der  zigeuncr:  ^Die  vier  bösen  brüder'^  in  meinem 
aufsatz:  „Märchen  des  Siddhi-Kür  in  Siebenbürgen'^  (in  der  Zeitschr.  d.  deutsch, 
morgonländischen  geselschaft '^  bd.  "^TJ  8.  448  fgg.).  Hier  fehlt  jedoch  der  treff- 
schuss. 

zutschrift  f.  deutsche  Philologie,    bu.  xxii.  8 


114  VON  WUSLOCKI,   ZFM  TRLLKNSCHUSS 

zweite  tochter  gewonnen,  aber  nur  dann  bekomst  du  sie  zur  frau,  wenn 
auch  dein  jüngster  bruder  meine  jüngste  tochter  gewint,  denn  meine 
töchter  wollen  nur  drei  brüder  zu  männern  haben!  Nun  also,  meine 
tochter  hat  auf  dem  haupte  ein  goldenes  haar;  euer  jüngster  bruder 
soll  es  herabschiessen;  trift  er  aber  ein  anderes  haar,  so  müsst  ihr  alle 
drei  sterben."  Da  nahm  der  jüngste  seine  flinte  hervor  und  schoss  auf 
drei  meilen  weit  das  goldene  haar  vom  haupte  der  jüngsten  königs- 
tochter.  Nun  war  überall  freude  und  jubel  und  die  drei  klugen  brüder 
lebten  von  nun  an  mit  ihren  schönen  frauen  in  grossem  glück 

Dies  das  märchen  der  transsilvanischen  zeltzigeuner,  das  in  bezug 
auf  die  künste  der  brüder  einige  ähnlichkeit  mit  der  fünften  erzählung 
des  sanscrit-romans  Vetala-pantscha-Vintschati  hat,  wo  ebenfals  drei 
Brahmanen  durch  ihre  künste  die  töchter  des  ministers  Haridasa  erwer- 
ben. Der  bedeutendste  zug  dieses  märchens  aber  ist:  das  verkrie- 
chen in  den  bauch  einer  kuh  und  das  goldene  haar  auf  dem 
haupte.  Dieser  zug  enthält  zweifelsohne  eine  reminiscenz  an  den  alt- 
indischen Sonnenmythus  und  ich  erlaube  mir  hiebei  nur  folgendes 
anzuführen:  „Die  begleiter  der  beiden  indischen  äthergottheiten  Indra 
und  Rudra  sind  die  Ribhus,  deren  name  im  indischen  selbst  als  Son- 
nenstrahlen übersezt  ist  und  die  zugleich  trefliche  bogenschützen  sind. 
Aus  ihrer  schaar  ragen  drei  brüder  durch  ihre  taten  besonders  hervor: 
Ribhus,  Vibhva  und  Vayas  (Rochholz  a.  a.  o.  s.  140).  Sie  entsprechen 
aber,  wie  Adalb.  Kuhn  in  seiner  zeitschr.  (IV,  95  fg.  110  fg.)  nachge- 
wiesen hat,  genau  jenen  drei  von  der  germanischen  mythe  gefeierten 
brüdem:  Völundr,  dem  kunstschmied;  Slagfi|)r,  dem  beflügelten  pfeil^ 
und  Egill,  der  schaifdurchdringenden  pfeilspitze.  Dem  kunstschmied^ 
ViSlundr  entspricht  im  zigeunerischen  märchen  der  bruder  mit  dem  Spie- 
gel, dem  Slagfi{)r  der  schnellaufende  bruder  und  dem  Egill  der  jüngste^ 
der  das  goldene  haar  herabschiesst  Und  somit  liefert  auch  dies  mär— 
chen  den  beweis,  dass  der  goldhort  einer  ursprünglichen  mythe  oft  in 
tausend  blätter  und  blätchen  verarbeitet  und  weit  und  breit  hin  ver- 
streut wird,  und  wir  können  daher  unsere  ansieht  entschieden  dahin 
neigen,  dass  die  sage  vom  Tellenschuss  zum  mindesten  in  ihren  anfang- 
lichen keimen  als  gemeingut  des  arischen  stanmies  zu  betrachten  ist 

MÜHLBACH    (siKBKNBrROKN).  HEINRICH    V.   WIJSLOCKJ. 


^^^^gi~  LTITERATUK. 

^Kltdeiitsche   predig teu.     Herausgegeben    vid   Anton  ScbBnlwcb,     Zweiter 

■    band:  tcxts.    Graz.     Vt>rlagsbu<ililian(Uuug  Styrio.    188S.    XI  und  32S  s.    9  m. 
1^  Der  zweite  band  der  iu  dieser  xeitschr.  XIX,  4S6  fgg.  bcsprochoneD  predigten 

bringt  ztun  entteo  male  volständig  die  aus  Oberaltaoh  stammende  predigtsaiulnag, 
nelubp  Itereils  K.  Roth  in  den  „Predigten  des  12.  und  13.  jalirhun Jerfs "  zur  ver- 
gitüchuiig  suiner  Kegensburger  brucbstüeke  stellenweise  beiiuigezogOQ,  und  übor  die 
IU  Deuestt?r  zeit  A.  Liuseimiayer  in  seiner  „Geschiühte  der  predigt  in  Deutschland" 
^huidolt  liat  Die  loser  werden  es  dem  berau8gel)er  sicher  danl  wissen,  dii.s8  er 
mit.  diesem  bände  von  seinen)  urspriingüehon  plane  abgewichen  ist,  dass  er,  ehe  er 
u  die  untersnchong  über  die  entstehung  und  den  Zusammenhang  der  iUtorn  prcdigt- 
aiiilongeu  geht,  sogar  erst  noch  einon  dritten  band  etsuheinen  lasaoo  wird,  in  wel- 
chem er  die  ehenfuls  noch  vor  Berthold  fallenden  predigten  des  priesters  Konrad 
nubuteileu  gedenkt. 

läeböDbaidi  hat  sieh  aiier  auch  in  anderer  l>oziehaug  von  seinem  ursprünglichen 
plue  abgewant.  Er  hat  eu  u&mlich  Mr  seine  oberste  ptlicht  eraohtet,  in  den  beige- 
pjt^npu  erklÄnmgen  genauer  und  ausführlicher  als  es  bisher  gesuhehen  die  mimittcl- 
Wo  ijuellen  der  verschiedenen  predigten  zu  ermitteln  und  festzustellen.  Dadurch 
^eint  allerdings  fnr  einen  grossen  teil  des  textes  die  einem  glossar  sonst  znfaUeode 
»iifgahe  der  erklfirung  dieses  und  jenes  Wortes  Überflüssig  gewotdeo  zusein,  voraus- 
^^zt  dass  der  leser  des  deutschen  textes  die  mühe  nicht  scheut,  die  lateinisL'he 
IQulle  Qberall  zugleich  mit  za  studieren.  Indessen  lässt  sieh  nicht  in  abrede  stellen, 
''■»s  die  lektüre  durch  dos  fortwährende  suchen  in  den  latoinischeo  quolleuaiigabeu 
"■ütdeatens  sehr  aufgehalten  wird.  Auch  finden  sich  nicht  wenig  stellen,  in  denen 
^^  suchende  durch  das,  was  ihm  die  lateinischen  auszüge  bieten,  nicht  befriedigt 
«ird;  und  ^riule  da  ist  es  meist  für  den  leser  von  interesso  zu  wissen,  welches  die 
'uRoBsung  des  herausgebers  gewesen  sei.  Aus  diesen  gründen  wird  man  das  erklä- 
'i'ode  Wörterverzeichnis  in  dem  vorliegenden  baude  ungern  vermissen. 

Was  die  behandlung  des  textes  hotrifl,  der  trotz  der  von  alter  liaud  schon 
gcbtacbten  kerrokttirGn  noch  eine  menge  sehrojbfebler  und  Undomugen  euthlUt  und 
'^ütou  sprachformen  nach  wol  kaum  noch  dem  13.  Jahrhundert  angehört,  so  ist  hier 
"1  gleicher  weise  wie  iu  dorn  ersten  bände  bei  den  Leipziger  predigten  „die  üborüe- 
EeruDg  der  handschrift  möglichst  getreu  widergegeben  und  vou  ihr  nur  abgewichen, 
^  Tgtu  offenbare  fehler  Vortagen."  Dabei  sind  die  Überbleibsel  zweier  anderer  noeh 
tetn  12.  jalirhundert  angehörender  handscliriflan  beoiizt  und,  nra  dem  leser  ihrever- 
gieiijnuig  zu  ennöglicheu,  in  den  Varianten  wider  abgedruckt  worden:  uHmlieh  die 
''Ws  von  ILBoth  herausgegebenen  Kegeusburger  bmchstücke,  über  welche  K.  lAch- 
"^■»u  seiner  zeit  ein  so  absprechendes  urteil  flillon  zu  müssen  glaubte  (vgl.  seine 
'^U'KU'kuug  snm  Iwein  4194)  und  das  von  Hoffmann  in  seine  fundgmben  I,  118-^' 70 
'^■>gi-mihte  fragment,  Beide  waren  für  die  hier  voröffentliebto  samlung  schon  darum 
'"''*  huhem  werte,  weil  aus  ihnen  uinviderloglich  hervoi'gcht,  dass  dieselbe  noch  im 
>~-  jthrlinndert  entstanden  ist. 

Wie  bei  der  besprcchung  des  ersten  bandes,  so  werde  ich  nuu  auch  hier  auf 
I  "<"£■>  Ktellou  des  textes  näher  eingehen,  in  denen  ich  von  der  anfTossung  des  her- 
ta   '"^Urs  abwuiclion  zu  müssen  glaube. 

H  5,  4  heisst  es  im  text  nach  der  lis.;  iltu  liiliff  luopersichl  diu  den  jueneeken 

H  ^'^  kiitut  füert   unde   minniieret   irdischen   diticli  —  —    hier  gibt  minnacrel  = 
I  ^' 


116  BBCH 

minnert  keinen  sinn;  wahrscheinlich  ist  unmaeret  oder  im  unmaeret  (=ihm  gleich- 
gültig, verächtlich  erscheinen  Iftsst,  verleidet)  zn  lesen,  vgl.  v.  d.  Hagens  Germania  8, 
295,  14d  du  hetestin  (iis)  dax  valsche  leben  geleidet  und  gestcaereij  so  teaer  ex 
in  geunmaeret, 

8,  10  ist  überliefert  diu  bexeicheni  xtcaier  laeut;  sicher  hat  der  Schreiber 
nach  xtcaier  ein  wert  übersehen;  Schönbach  ergänzt  hande;  eher  scheint  mir  lei[e] 
aasgefallen  zu  sein,  wegen  der  ähnlichkeit  der  darauf  folgenden  silbe. 

19,  8  der  stnen  hiligen  sun  hin  xe  erd  hat  gebaut;  xe  ist  zosatz  des  heraus- 
gebers;  statt  hin  xe  erd,  was  ich  in  mhd.  Schriften  des  12.  — 13.  Jahrhunderts  sonst 
nicht  gefunden  habe,  war  wol  besser  her  in  erd  (h*  in  erd)  zu  setzen;  so  heisst  es 
54,  40  dat  er  ton  himel  her  in  erd  ehom;  Fundgr.  I,  90,  9  an  disem  tage  sant  er 
sinen  einborn  »un  her  in  erde;  St  Trudberter  H.  lied  8ü,  11  got  tcas  rone  hitnile 
ehomenie  her  in  erde;  Deutsche  gedd.  ed.  Diemer  349,  25  der  de*  tages  ekom  her 
nerde:  Anegenge  8,  72  ton  den  drin  gesant  wart  hern  erde  ein  rart;  K.  v.  Hei- 
mesfurt in  M.  Himmelfahrt  848  do  du  durch  uns  in  erde  kaeme.  Ausser  diesen 
beispielen  finde  ich  nur  xuo  der  erde  im  Iwein  3942;  xer  erden  bei  Walther  8,  33; 
in  H.  v.  Veldekes  Eneide  7722  ist  xu  erden  komen  nach  den  Varianten  =  ans  land 
kommen.     Nur  bei  Williraiu  ed.  Seem.  19,  3:  hera  xeerdon. 

19,  24  fgg.  heisst  es:   Unser  herre  sant  Stephan der  ist  ron  rehi  geeret 

da  xe  hiwel ,    tcan  der  ander  meins  t  rehi  ins  ritter,    die  wider  des  tiufels 

schar  rächten  u/ui  taegelich  rechtent,  an  der  heiligen  schar  uax  er  raner,  trau 
der  nach  urisers  herien  marter  der  erst  martraer  tcax;  hier  wird  vor  tnins  trech- 
tins  ritter  das  wort  schar  vom  Schreiber  ausgelassen  sein;  in  der  vorläge  hiess  es 
vrahrscheiulich :  wand  er  an  der  schar  tutns  trehtlns  ritter;  auch  gegen  ende  ist 
wol  wand  er  für  wan  *ier  zu  schreiben. 

28,  10  wie  aber  dax  chomen  macht  dax  si  des  chineUs  missen  mochten  dax 
si  mit  rliie  lugen  — ;  der  herausgebor  fügt  noch  nihi  e  vor  missen  hinzu^  was 
dun.*h  den  zusanmionhang  durchaus  nicht  notwendig  gefordert  wird;  die  deutschen 
Worte  sind  ohne  diesen  zusatz  volkommen  entsprechend  der  lateinischen  quelle  (s.  203) 
forte  Morrt  aliquem^  quomodo  Jesus  tanta  diligetttia  a  parentibus  nutritus  Ulis 
nescientibus  in  Jerusalem  possit  remanert. 

30,  IS  dal  si  chunden  an  dem  st  im  gesehen  ist  überiiefert,  Schönhach  schreibt 
dafür  gestim  sehen:  die  ül^rlieferung  lasst  sich  möglicher  weise  halten,  wenn  man 
ins  aufte  fas^t  Sumerl.  2,  39  astrum,  stime:  Graffs  Sprachsch.  VI,  723  sibtmstimi; 
Suchenwirt  IV,  327  sibeftstirn  (:schrim):  \-gl.  auch  Haupt  zu  Erec  1969. 

42,  11  HU  sehen  wir  wie  getan  l^ixerunge  wir  Christen  da  ro»  nemen  und 
sehen  ^  dai  wir  christenlichen  namen  an  christeHlicMeu  werek  ihi  haben;  in  der 
hauds^'hrift  steht  aWr  wir  etteliehen  namen:  darnach  k^te  man  wol  mit  näherem 
ans<'hlu:>s  an  die  Überlieferung  eitel tchen  pm men  dafür  \*ermuten  ^=  leeren,  blossen 
namen;  vgl.  s.  77,  4  und  2l>,  wo  itteler  neben  eiteler  überliefert  ist. 

37,  S  l\tulus  der  wxms  ein  aechler  der  christenJkeit  e  denne  er  ron  der  Juden- 
schtfi  bechert  wunle:  sk>  lautet  der  text  nach  der  überiieferung;  man  begreüt  nicht, 
warum  der  schreilvr  sich  hier  geirt  haben  Si>ll.  und  warum  der  heiaosgeber  heiden' 
scht'ft  für  juden^cheft  setceu  zu  müs&>en  geglaubt  hat;  etwas  anderes  ist  es  doch 
wenn  e:^  41,  2v>  heiss>t:  aiser  hagtien  bexeicheni  alle  die  die  ron  der  kaidensehefl 
bechert  sint, 

A\  37  do  diu  sat  wachsen  begung^  do  ckos  man  dax  unekraut  usw.;  so  lau- 
tet der  text  luu^h  der  haudschrift;   der  hemusg^ber  hat  begung  in  begunde  ge&ndert, 


ÜBKH   SCHÖNBACH,   ALTD.   PKEDIQTICN.    II  117 

es  also  für  eineD  Schreibfehler  angesehen.  Ein  solcher  braucht  aber  hier  nicht  vor- 
zuliegen; man  kann  das  wort  mit  gutem  rechte  auch  für  eine  dialektische  form  des 
Schreibers  oder  seiner  vorläge  ansehen;  gerade  hegung  findet  sich  noch  an  einigen 
andern  stellen,  nicht  blos  bei  md.  Schriftstellern,  sondern  auch  bei  oberdeutschen, 
und  zwar  in  ziemlich  früher  zeit,  so  zweimal  in  den  Augsburger  bruchstücken  von 
Wemhers  Marienleben  in  der  Germania  7,  323,  320  diu  rorhie  begunge  si  ane  gen 
und  322  dd  sie  begunge  warten;  dazu  die  beispiele  aus  Otacker  bei  AVoinhold  Bair. 
gramm.  §171;  vgl.  dessen  Alem.  gramm.  §  180. 

51,  10  swer  der  ist  der  nach  richtuom  wirret y  des  hertx,  hat  manige  stund 
erdenehei  tag  und  naht  wie  er  iht  getcinne  mit  reht;  auffällig  ist  hier  zuvörderst 
manige  stund  neben  tag  wui  naht,  noch  auffälliger  aber  das  participium  erdenchet 
statt  erddht^  ja  für  das  12.  und  13.  Jahrhundert  gradezu  undenkbar.  Vergleicht  man 
aber  die  in  den  lateinischen  anmerkungen  vom  herausgeber  angezogene  stelle  aus 
Haymo  (s.  219):  diuitiae  Spinae  sunt,  quia  sicut  Spinae  suis  punctionibus  cor- 
pus laniant  et  eruentant  und  femer  quanio  magis  acquisitae  fuerint,  tanto  magis 
in  aequisitianetn  animum  possessoris  accendufit:  dann  ist  das  rechte  unschwer 
gefunden.  Es  muss  offenbar  heissen:  des  herxe  hat  manige  stungfe],  erdenchet  tag 
und  naht  usw.  Fast  ebenso  drückt  sich  der  prediger  auf  s.  140,  8  und  11  aus:  die 
dorn  und  die  hagendom  die  bexaichent  die  stunge  und  diu  angele;  dein  vleisch, 
dein  leip,  der  gebirt  dir  stunge  und  angel  der  sünten.  Über  die  Verwechslung  von 
stungen  mit  stunden  seitens  des  Schreibers  vgl.  Haupts  anmerkung  zu  Neidhart  62,  22; 
ebenso  das  Gneistli  in  Lassbergs  LS.  III,  48,  855  ob  er  mit  stunt  des  willen  kunt, 
diu  sei  wirt  üf  den  tot  verumnt,  wo  nach  meinem  dafürhalten  stu7ic  oder  stung 
gelesen  werden  muss.  Das  wort  findet  sich  auch  noch  mehrere  male  im  J.  Titurel, 
so  3777,  4  dax  kund  vil  höhe  vreude  von  im  sicenden  und  starke  jdmer  stunge 
f eider  xuo  dem  herxen  fiähen  senden;  5091,  2  dd  müexen  jdmer s  stunge  (:  sprtinge) 
triben  dar;  5202,  3  in  angeheilter  wunden  »merxen  stunge  (:  ordenunge);  5360,  4 
hix  dax  in  jdmer  stungen  {=jdmers  stunge  in  Pfeiffers  Üb.  117, 41)  begreif;  4274,1 
hie  icdlent  niht  beliben  die  jdmer  gebenden  stungen  (:  den  jungen).  Die  zulezt 
aDgeführte  stelle  ist  zugleich  die  einzige,  welche  ein  schwaches  femininum  stunge 
gewährt,  wie  es  bei  Lexer  II,  1269  angesezt  ist;  das  beispiel  aus  J.  Tit.  1727  ist 
dort  aus  versehen  zum  belege  des  schwachen  pluralis  herangezogen,  es  enthält  viel- 
mehr den  substantivierten  infinitiv:  so  wil  ich dem  reinen  süexen  jungefh 

niht  harte  wtxen,  dax  der  minne  stungen  irn  ktimmer  gap.  Die  sonst  auftretenden 
plurale  stunge  könten  wol  auf  einen  Singular  stunc,  m.  zurückgehen. 

52,  14  dax  er  uns  in  diseni  leib  bis  staetig  xe  stnem  dienst;  gemeint  ist 
bistaetige  oder  bestaetige. 

54^  24  er  ruofl  iemer  und  mer,  lies  ie  mir  und  mir. 

51,  37  ich  han  eu  die  götlicheti  tougen  geoffent,  ich  han  eu  den  sin  uf ge- 
tan, dax  ir  die  hiligen  sehrift  verstet,  dax  der  menig  und  ander  nieman  verlax- 
xen  ist;  hiervon  kann  man  der  lezten  zoile  schwerlich  einen  passenden  sinn  abgewin- 
nen; was  gesagt  worden  solte,  errät  man  aber  aus  dem  zusammenhange;  vermutlich 
hiess  es  in  der  vorläge:  dax  der  menig  noch  afider  ieman  verläxen  ist.  Vertaten 
hier  =  anheimgeben,  gestatten  wie  im  Roland  260,  20;  269,  18;  Hartm.  v.  Aue  1. 
büchl.  47. 

55,  16  fg.  der  gelatib  der  mit  rechten  werchen  gexirt  ist,  diu  erlüchtent  den 
menschen,  diu  behaUent  in  xe  detn  etcigen  leib;  die  Verwirrung,  welche  hier  der 
Schreiber  geschaffen  hat,  rührt,  wie  man  aus  dem  darunter  abgedruckten  Hoffmann- 


118  BECH 

scheu  bmrhstück  ersieht,  daher,  dass  er  das  iu  seiner  vorläge  stehende  diu  gelouhe 
in  der  gelaub  änderte,  gleichwol  aber  in  seiner  gedankenlosigkeit  die  darauf  bezüg- 
lichen relativa  diu  —  diu  im  folgenden  stehen  liess,  sie  vielmehr  auf  icerehe  bezog 
und  domgomäss  erlüchtent  —  behaUent  schrieb  statt  erlüJUet  —  behaltet.  Auf  glei- 
cher gedankenlosigkeit  beruhen  die  Verwirrungen,  welche  an  andern  stellen  dem  leeer 
das  Verständnis  des  textes  erschweren.  So  s.  50,  2 — 4:  ir  ist  vü  die  den  hüigen 
gelaubeti  enpfattgen  habetii,  die  sint  geladet;  die  st  arer  behaUent  mit  den  wer- 
eben,  der  ist  leider  vil  wen  ich;  auch  hier  hatte  der  Schreiber  in  seiner  voilage 
die  —  geloiibe,  wie  das  aus  Unachtsamkeit  von  ihm  stehen  gelassene  si  (vor  aver) 
statt  in  beweist  Derselbe  fall  ist  152,  30  dax,  ist  diu  heidensehaft  die  den  heili- 
gen gelauben  enphangcn  habent  und  si  mit  guten  werchen  erfuUeiä;  auch  hier  hat 
dieselbe  band  si  stehen  gelassen  ohne  zu  bedenken,  dass  sie  kurz  vorher  deft  gelau- 
ben für  die  geloube  geschrieben  hatte.  Endlich  137,  20  lautet  nach  der  handschrift: 
dennoch  was  ir  gelaube  nicht  so  dunhaechtig  also  si  seit  wart,  an  welcher  stelle 
der  herausgcber  das  ihm  auffallige  si  in  er  geändert  hat,  in  der  Voraussetzung, 
dass  dem  Schreiber  das  veraltete  diu  geloube  nicht  mehr  geläufig  war.  Diese  beob- 
achtung  verhilft  schliesslich  noch  zur  Verbesserung  einer  andern  stelle.  Ich  meine 
s.  63,  37  fg.  da  (in  der  erzählung  von  der  heilung  der  besessenen  Matth.  15,  21  fg.) 
iaigt  uns  unser  traeclUiny  dax  wir  unser  freunt  und  atuler  guter  laeut  geniexxen, 
dax  wir  selb  des  niht  wirdich  sein,  das  er  uns  erhör ,  danne  dax  wir  der  rehten 
gefiiexxen.  Offenbar  stand  in  dem  vom  schreibor  benuztcn  exemplar  noch  gelaube 
oder  gelouben  nach  der  rehten;  ohne  ein  solches  wort  hätte  der  text  keinen  rechten 
sinn.  Auch  leitet  darauf  das  gleich  folgende :  nu  schule  wir  die  genad  unsers  herren 
an  rfiffeuy  dax  er  uns  rechten  gelauben  —  —  ruch  xe  geben.  Im  13.  Jahrhundert 
war,  wie  die  beispiele  in  den  mhd.  Wörterbüchern  zeigen,  diu  geloube  bereits  veral- 
tet imd  nicht  mehr  in  gebrauch;  vgl.  noch  Diemcr  Deutsch,  gedd.  12,  20  und  die 
anm.  dazu;  Trudberter  H.  lied  18,  11;  27,  26;  Diut.  I,  282»»;  LQ,  494;  am  längsten 
hat  es  sich  wol  erhalten  in  der  formel  xe  gelaube y  vgl.  Jänicke  zu  Biterolf  1614. 

65,  24  swenn  sich  der  vofi  den  genaden  und  con  der  barmung  des  alm. 
gotes  enchert  und  dax,  bedencht,  dax  er  alles  gutes  entsetxet  ist;  zu  enchert  ist 
unten  in  den  vaiianten  vermerkt:  ^enchert  aus  enehent  gebessert"  Soltc  der  cor- 
rektor  sieh  nicht  versehen,  vielmehr  erehent  gemeint  haben?  Denn  darauf  führt  die 
quelle,  welche  hier  der  prediger  übersezte,  Pseudo-Beda,  den  der  herausgeber  s.  229 
citiert:  qui  cum  se  instinctn  et  misericordia  Iki  eognoscit  omni  bona  destitutnm. 
Überdies  ist  encheren  eine  rein  mitteldeutsche  form,  die  man  dem  Schreiber  der 
handschrift  nicht  zumuten  darf;  für  das  im  Mhd.  wörterb.  I,  798**,  14  dem  Wigalois 
beigelegte  enkarte  (4386  ed.  IV>neke)  hat  schon  Pfeiffer  in  seiner  anmerkung  zu  115,2 
die  richtige  lesart  engarte  gosezt 

73,  1  dar  xuo  erweiter  im  ein  gerelliges  wixCy  da  unser  peint,   dax  vlaisehy 

und  die  fünf  sinne  dar  an  gechrutxet wurden;  hier  konte  das  sinstörendc  da 

entsprechend    dem  Kegensburgor  bruchstück    in    dax  geändert  werden,    wie    es    der 
Zusammenhang  verlangt 

80,  2  iedoch  wolt  er  dax  wir  die  gehugede  der  selben  herett  marteraer  tae- 
gel  ich  emtxigen;  das  offenbar  von  dem  gedankenlosen  Schreiber  herrührende  mar- 
teraer muste  hier  sowie  in  z.  4  in  marter  oder  in  martgr  (so  in  dem  Rcgensburger 
bruchstück)  gebessert  worden;  vgl.  151,  20. 

81,  12  da  aber  erfüll  wart  diu  xit  dax  von  got  gearnet  wax  xe  der  urlo- 
sung  des  menschen.    Für  gearnet  hat  Schönbach  getennet  in  den  text  gesezt    Aber 


ÜBER   SCHÖNBACH,    ALTD.    PBEDlüTEN.    n  119 

es  ist  doi'h  noch  fraglich,  ob  nicht  gearnel  alt»  dialektische  form  für  f/eornety  geornt 
=  geordent  zu  nehmen  ist,  wie  sie  in  ganz  gleichem  sinne  auf  s.  173,  21  wider 
erscheint:  der  seligen  sei  die  da  geornt  sint  xe  dem  ewigen  leben,  wo  der  heraus- 
geber  wie  mir  scheint  ohne  not  geordent  hat  drucken  lassen.  Allerdings  heisst  es 
81,  18  die  xuo  dem  ewigen  leibe  geordent  sint;  doch  vgl.  die  beispiole  von  geornt 
bei  Leser  II,  160.    Überdies  wird  es  zu  anfang  statt  diu  xit  heissen  müssen  dax  xit. 

83,  13  merch  wir  den  ruf  und  beeher  wir  uns,  so  sin  wir  saelieh;  verun- 
rucken  wirx,  so  sein  wir  unsaeli^h.  Überliefert  ist  aber  verunrucheleti  statt  rer- 
unruchen;  imd  das  brauchte  nach  meinem  dafürhalten  nicht  aus  dem  texte  entfei*nt 
zu  werden.  Auch  auf  s.  126,  37  hat  die  handschrift:  so  schidn  wir  unser  swnt 
nicht  rerunrucMn,  wo  der  herausgeber  ebenfals  vemnruchen  gesezt  hat.  Man  vgl. 
Graff  Interlin.  5,  s.  463,  z.  5  von  imten:  dax  cit  wir  verrtiockelen  (negligimus)  riu- 
icines  (poenitetuli) ;  aus  den  Glossae  Herrodianae  (?)  citierto  Graff  Sprachsch.  II,  381 
rirriMcJielofh  wir  die;  ferner  Mai'garetha  Ebner  ed.  Strauch  83,  2  ich  konv  aines 
tages  in  groxxes  laii  viines  täglicheti  unruochels  =  unruochelennes ;  vgl.  Zarnckes 
LJterar.  centralbl.  1882,  sp.  184. 

103, 8  so  er  (=  unser  nmot)  wider  eheren  beginnet  voth  wertlichen  ditigen,  enhab 
irir  nicht  detm  dax  wir  für  in  legen  der  geistlichen  füre;  mir  scheint  hier  denn 
=  danne  an  einen  falschen  platz  gerückt,  es  gehört  vielmehr  vor  niht;  andererseits 
fragt  sichs,  ob  der  herausgeber  das  richtige  getroffen  habe,  wenn  er  fuore  hier  ein- 
sezt  für  das  in  der  handschrift  überlieferte;  da  steht  brunne,  und  über  b  istF  gesezt. 
Frunne  aber  könto  die  dem  schrei  bor  mundrochtere,  dialektische  form  für  fruonde^ 
ahd.  fruonda,  mhd.  pfrüende  sein.  Zur  Übersetzung  des  in  der  lat  quelle  s.  258 
vorkommenden  coelestis  alimonia  wäre  das  wort  wol  ebenso  geeignet  als  fuore.  Aus 
md.  gegenden  stammen  die  bei  Diefenb.  s.  v.  prebenda  450^  verzeichneten  fonnen 
pron,  prune,  prin;  Lexer  11,  264  bringt  aus  einem  weistum  der  Wetterau  pfrun; 
in  dem  Urkundenb.  von  Arnstadt  ed.  Burkhardt  s.  415  tnft  man  phrune  und  pffrune 
dafür  (a.  1493);  sonst  ist  der  Übergang  von  nd  in  nn  auch  auf  oberdeutschem  Sprach- 
gebiete zu  finden  bei  Weinhold  Bair.  gr.  s.  177  und  Alem.  gr.  s.  147,  wo  aus  Seb. 
Brants  Narrensch.  30,  1.  22  citiert  wird  der  reim  pfrän:tän, 

104,  20  a4so  dax  brot  an  der  Wirtschaft  übertriffet  alle  ander  spise,  also 
übertriffet  diu  hilig  niinne  alle  ander  tugent;  die  werte  alle  ander  spise  sind  vom 
herausgeber  ergänzt,  um  siim  in  den  satz  zu  bringen.  Man  kann  ihrer  aber  entbeh- 
ren, wenn  man  arider  Wirtschaft  schreibt  für  an  der  w.;  hier  wie  öfter  bedeutet 
Wirtschaft  das  was  bei  der  bewirtung  dargeboten  wird,  das  gericht,  vgl.  121,  20  ir 
deheiner  miner  Wirtschaft  enbixet  =  gustabit  coetium  meanv;  Erec  8361;  8646; 
Parz.  1947;  v.  d.  Hagens  Germania  8,  301,  289. 

119,  23  dax  st  deheinen  wix  möhten  dar  chomen;  die  handschrift  hat  hier 
aber  gewix  für  wix;  ich  kann  das  nicht  für  einen  Schreibfehler  halten  in  anbetracht 
der  stellen,  die  M.  Haupt  zum  Erec  2169  über  gewis  gesammelt  hat;  füge  hinzu 
Wolfr.  Willeh.  123,  28  K.;  Ges.  Abenteuer  HI,  369,  480;  Wiener  Stadtrechtsb.  ed. 
Schuster  art  93  munich  —  geweis;  ai*t  113  mortes  geweis;  Schmeller- Frommann 
II,  1024. 

12,  30  die  hüigen  patriarchen  die  miner  laetä  pflageti;  für  miner  laeut 
erwartet  man  nach  dem  zusammenhange  mines  Herren  (oder  mhies  trehtins)  laut 
wie  z.  39  und  s.  13,  3. 

119,  33  do  er  sack  welick  genad  er  verworcht  ket,  welkiu  witx  (d.  i.  wtxe, 
mpplieia)  er  gea/rweit  ket;  gearweit  im  sinne  von  erarbeitet,  erworben,  verschuldet 


120  BiSGU,   ÜBER  8CHÖNBACU,   ALTD.   rilEDIOTBN.   U 

ist  mir  im  mhd.  nicht  vorgekommon ;   wahrschoinlich  hatte  die  vorläge  gearnet  oder 
geaniot. 

121 ,  4  da  hab  tcir  an  tcie  un^er  herre  sinen  jungem  ein  gelieknüsse  sagt 
usw.;  hier  wird  der  Schreiber  gelesen  nach  kah  wir  an  ausgelassen  haben,  wie  es 
schon  in  der  vorhergehenden  zeile  steht;  vgl.  124,  9. 

126,  13  die  naehicetUeti  die  er  pitet  sich  fraetien  ist  ohne  not  wie  mir  scheint 
in  pitet  dax  si  sich  fraeuen  verändert.  Biten  mit  dem  infinitiv  nach  Grimm  Gr.  IV, 
99  und  118;  Diemers  Wörterb.  zu  Genesis  und  Exodus  s.  93. 

131,  16  do  die  ungelaubigen  judeti  sich  seihen  des  gotes  rieh  verteilten;  der 
horausgebor  hat  hier  riches  drucken  lassen  für  rieh;  an  einer  andern  stelle,  s.  139, 
39,  hat  or  die  Überlieferung  unangetastet  gelassen:  die  sint  des  gotes  riehe  vil 
gncis;  vgl.  dagegen  über  den  abfall  des  genetivischen  -.s  die  beispiele  bei  Weinhold 
Ifhd.  gramm.',  §448  und  4.54;  Eoethes  anmerkungen  zu  Boinmar  v.  Zw.  118,  8; 
187,  6;  225,  4;  231,  2. 

135,  22  ix  icas  groxe  menig  mit  unsenn  herrefi  =  „magna  turha^^;  der 
herausgebor  hat  noch  ein  vor  groxe  gesezt.  Ich  glaube,  dass  dieses  überflüssig  war 
nach  dem  sonstigen  Sprachgebrauch  zu  urteilen,  vgl.  Diemer,  Genes,  u.  Exod.  160,  4; 
Nib.  1804,  1;  öfter  iindot  sich  so  grox  volc,  grox  werlt  und  ähnliche  ausdrücke,  in 
denen  ein  gespart  ist.  Dagegen  meine  ich  war  ein  kaum  zu  entbehren  s.  122,  15: 
er  het  ein  irip  genomen,  wo  die  handschnft  ein  ausgelassen  hat. 

145,  7  unser  herre  in  dax  iemptum  gie  und  die  unreincheit  dar  xätet;  ich 
verstehe  hier  xuoiuon  nicht;  es  muss  hier  wol  üxtet  heissen. 

145,  9  die  tauben  und  tisch  mit  dem  schatx  die  die  ralschar  inne  heten,  die 
stiexer  umh;  gemeint  ist  Matth.  21,  12  fg.  et  metisas  numulariorum  et  eathedras 
rendentiuM  columbas  erertity  worauf  in  den  anmerkxmgen  hätte  verwiesen  werden 
sollen.  Dor  vorhergehende  satz  unseres  textes  schliesst  nun  aber  mit  den  werten: 
und  slug  da  mit  aus  sinem  haus  atle  die  die  da  chauften  und  verehauften;  man 
hat  also  auch  die  werte  die  taube»  zu  dem  vorhergehenden  satze  zu  ziehen,  den 
punkt  davor  zu  tilgen;  es  kann  nicht  heissen  die  taui>efi  stiex  er  tunbe, 

147,  17  em  fand  sines  datx  im  nicht,  lies  des  sines  wie  z.  19,  26  u.  34. 

151,  16  (/<i;  si  getaubich  ^mrden  und  gotes  dieten  u^trden;  für  gotes  dieien 
steht  in  dor  handsohrift  zu  lesen  got  dieten;  das  kann  auch  aus  got  dienende  oder 
diente  verderbt  sein. 

156,  3  ist  ülK»rliofert :  «»  er  \e  dem  ju99gistefi  tag  urteil  chumet;  im  text  ist 
tag  g^'tilgt;  es  hoisst  aln^  z.  b.  in  den  Fundgruben  I,  80,  15  so  si  em  dem  junge- 
sten  tage  chomrn  uns  xerteilen  und  111,  10  ^)  er  an  dem  jungisten  tage  ehumet 
Uf9s  xrtieilen:  elH>ü  darnach  lii^^^^  sieh  auch  hier  verbessern  oder  vielleicht  bloss 
urtrilrn  (intinitiv)  für  urteil  sohnnbon. 

l(>2,  %ft>  dax  er  seins  Hutes  in  sin  genad  getriset  het:  der  genetiv  hier  nötigt 
grKisrt  hat  mit  risitarit  zu  ülx^rsetion;  dann  muss  es  aber  heissen  in  siner  gendde. 

167,  15  nie  man  ist  der  rtm  sf9^r  ehrafl  und  ron  sinen  geurerften  antlox 
siurr  sunde  rru^^u  müg:  dio  handsohrift  Wotet  jedoch  ron  sinen  geraerehien,  ^jO« 
ist  mditMl";  dor  ulwUoforuuj:  ontspnvhendor  ist  daher  wohl  gewurckten;  über  die- 
st>s  dorn  rJ.  jalirhundort  dun^haus  nioht  ungeläufige  wert  =  opus,  factum^  meritum 
vjrl  i^imflf  K  975;  Ix^xor  Ul,  *W     »nv 

I7l\  15   und  miuHteH    den    at^ptaehtigen  got    und   liexem   die   unmaeriseken 

giriseheit:    das  woil  unmaerisek  ist  SH>  \ioJ  ich  wois^i  dem  12.  bis  14.  Jahrhundert 

uuWkant;    loh  \ormuto,   dass   hior  ein  Verderbnis  vortiegt«   und  lese  deshalb:  die 

/ 


ALTUOK,   ÜBKR  TRAUBE,   KAROL.   DICUTUNGKN  121 

unmaeren  (oder  unreirwn)  schaixgirisclieU  oder  besser  aehcUxgiricheit  =  philargy^ 
riae  mahmi  wie  es  in  der  lateinischen  quelle  s.  309  heisst;  vgl.  sehaxgir  und  schax- 
girie  bei  Lexer  ü,  676;  Schönbach  Predd.  I,  121,  20;  GrafflV,  229  scaxgirida  und 
aeax^ridi, 

ZEITZ,   NOVEMBER  1888.  FEDOR  BEGH. 

Earolingische  dichtungen  untersucht  von  Lndwig:  Traube.  Berlin,  Weid- 
mann. 1888.    gr.  8.    Vm  und  162  s.    5  m. 

Die  vorliegende  arbeit  bildet  das  1.  heft  der  „Schriffcen  zur  germanischen  phi- 
lologie'^,  herausgegeben  von  Max  Roediger,  welche  in  zwandosen  heften  erscheinen 
sollen  und  Untersuchungen  aus  dem  gesamtgebiete  der  germlnischen  philologie,  ein- 
schliesslich also  der  englischen  und  nordischen,  auch  solche  über  neuere  litteratur, 
femer  texte  und  zusammenfassende  darstellungen  enthalten  wei*den. 

Es  könte  auf  den  ersten  blick  erscheinen,  als  ob  kritische  Untersuchungen  über 
lateinische  dichtungen  ausserhalb  des  kreises  der  vom  herausgeber  geplanten  Veröf- 
fentlichungen lägen,  allein  die  poetische  litteratur  der  Earolingerzeit  ist  znm  grösten 
teile  erwachsen  auf  dem  boden  des  ^linkischen  reiches,  gepflegt  und  genährt  von 
dem  grossen  GermanenfiLrsten ,  der  als  „Europas  erhabener  leuchtturm'^  von  den  Sän- 
gern seiner  zeit  gepriesen  wird,  nud  sie  zählt  unter  ihren  Vertretern  zahlreiche  dichter 
germanischer  abstammung;  daher  verdienen  die  karolingischen  dichtungen  trotz  ihres 
fremden  gewandes  in  der  geschichte  der  deutschen  litteratur  berücksichtigt  zu  wor- 
den. Diese  poetischen  erzeugnisse ,  welche  früher  nur  in  mangelhaften  einzelausgaben 
abgedruckt  waren,  sind  durch  E.  Dümmlers  mustergiltige  ausgäbe,  fortgesezt  von 
L.  Traube,  der  Wissenschaft  ei'st  recht  zugänglich  geworden.  Doch  bieten  diese 
^albentes  campi*^  der  weiteren  forschung  noch  ein  grosses  gebiet,  und  wir  begrüssen 
daher  die  arbeit  Traubes  mit  besonderer  freude,  zumal  der  Verfasser  sich  durch  eine 
gründliche  litteraturkentnis ,  grosse  Sorgfalt  der  forschung  und  scharfsinnige  beweis- 
fohrung  auszeichnet. 

Es  sei  uns  im  folgenden  gestattet,  ohne  hier  auf  einzelheiten  einzugehen,  die 
wichtigsten  ergebnisse  der  Untersuchungen  in  kürze  darzulegen. 

Nachdem  der  Verfasser  in  einem  Vorworte  das  Verhältnis  der  philologie  zur 
geschichtswissensohaft  berührt  hat,  beschäftigt  er  sich  im  ersten  teile  seines  Werkes 
mit  dem  Angelsachsen  Aedelwulf,  einem  weniger  mit  darstellendem  talent  als  mit 
poetischem  gefühle  begabten  dichter,  von  dem  wir  ein  gedieht  über  die  äbte  eines 
gewissen  angelsächsischen  klosters  besitzen,  zulezt  herausgegeben  von  E.  Dümmler 
im  ersten  bände  der  Poetae  Carolini  (P.  C.)  s.  582  fgg. 

Über  den  namen  und  die  genauere  läge  des  besungenen,  unter  könig  Osred 
(705  —  716)  von  dem  füi-sten  Eanmund  gestifteten  klosters  ist  uns  nichts  bekant, 
doch  beweist  Traube  an  der  band  des  gedichtes,  dass  es  in  der  nähe  des  berühmten 
lindisfame  auf  einer  insel  gelegen  haben  müsse.  Nachdem  Aedelwulf  in  seiner  dich- 
tung,  die  er  einem  bischof  Ecgberht  widmete,  die  geschichte  des  klosters  bis  zum 
tode  des  6.  abtes  Wulfsig  besungen  hat,  geht  er  zur  erzählung  seiner  eigenen  erleb- 
nisse  über,  ohne  des  zur  zeit  der  abfassung  seines  gedichtes  regierenden  abtes  in 
irgend  einer  weise  lobend  zu  gedenken,  aus  dem  einfachen  gründe,  weil  Aedelwulf, 
der  unter  Wulfsig  in  das  kloster  eintrat  und  nur  in  einer  einzigen  handschrift  des  13. 
Jahrhunderts  als  lindisfamensis  monachus  bezeichnet  wird,  —  selbst  dieser  abt  war, 
aber  nicht  der  7.,  sondern  der  8.  in  der  reihe  der  äbte.  Sein  Vorgänger  muss  eben 
jener  bischof  Ecgberht  gewesen  sein,   für  den  eine  dichterische  verherlichung  seines 


122  ALTHOF 

Stiftes,  ai)  das  ihn  verwantsohaftliclic  und  fi*cuDdschaftliuhe  baude  knüpften,  eine  sehr 
wilkomineno  gäbe  sein  nuistc.  Die  nahe  beziehung,  in  der  Ecgborht  zu  dem  kloster 
Aedelwulfs  stand,  wii-d  auch  durch  die  richtig  gedeutete  Überschrift  und  den  eingang 
von  kap.  I  bezeugt.  Dass  dieser  Ecgberht  nüt  dem  bischof  Ecgberht  von  lindisfame 
identisch  ist,  der  von  803 — 821  i-egierto,  ist  wol  unzweifelhaft,  und  wahrscheinlich 
ist  unser  gcdiclit  bald  nach  dem  11.  juni  803,  dem  tage  der  weihe  £cgborht8,  von 
dem  neuen  ahte  Aedelwulf  als  ein  abschiedsgruss  an  den  scheidenden  freund  und 
Vorgänger  gedichtet.  Dies  wüi'de  auch  zur  genüge  erklären,  warum  der  dichter  uns 
weder  den  namen  des  klosters  uent  noch  dessen  äussere  Verhältnisse  schildert,  die 
ja  dem  empfänger  der  schiift  bekaut  waren. 

Die  annähme,  d4^  Aedelwulf  ausser  dieser  dichtung  früher  in  einem  gedichte 
seinen  lehrer,  den  presbyter  und  lector  Ilyglac;  und  andere  fromme  Angelsachsen 
besungen  habe,  wie  man  bisher  annahm  (vgl.  T.  C.  1,  582),  weist  Traube  als  ein 
misvcrständnis  nach,  denn,  wie  er  s.  13  — 18  zeigt,  bezieht  sich  die  angäbe  des 
dichters  kap.  XVI,  v.  3fgg.: 

„de  quo  iam  dudum  perstrinxi  pauca  relatu, 
Anglorum  de  gente  pios  dum  carmine  quosdam 

jam  cecini 

nur  auf  eine  vorhergehende  stelle  des  nämlichen  gedichtes  kap.  XV,  27  fgg. 

Wie  alle  seine  Zeitgenossen  benuzte  auch  Aedelwulf  lleissig  die  werke  anderer 
dichter.  So  führt  Trauk^  besonders  stellen  an,  welche  aus  Aldhelm  herübergenom- 
men sind  (s.  19  —  21);  ebenso  ist  Ikdas  gedieht  auf  Cudberht  und  t'yprians  carmen 
de  hcptateucho  benuzt.  Alcuins  umfangreichste  dichtung  ^de  sanctis  Euboriccnsiü 
ecclesiae"  aber,  welche  dem  gedichte  Aedelwulfs  zeitlich  und  inhaltlich  am  nächsten 
stand,  ist  lezterem  mehr  vorbild  bei  der  komposition  gewesen  als  im  einzelnen  von 
ihm  nachgeahmt  woixlen. 

Die  drei  handschrifteii  des  gedichtes,  die  liondoner  (L),  die  Oxforder  (0)  und 
die  jüngste  Cambridger  (('),  haben  einzelne  versehen  und  zahlreiche  falsche  lesarten 
mit  einander  gemein,  für  welche  Traube  s.  27  —  30  verbessei;ungen  in  voi*schlag  bringt. 
Alle  drei  gehen  schliesslich  auf  eine  in  angelsäc^hsischer  schrift  geschriebene,  lücken- 
hafte, nicht  sehr  getreue  abschritt  x  zuriick,  und  zwar  muss  diese  L  unmittelbar 
vorgelegen  haben  und  getreu  copiert  sein,  während  sonderle.sarten  in  0  und  C  deren 
abstammung  von  einer  aljschrift  von  x  dartun.  Auf  grund  der  handschriftenverglei- 
chung  gibt  Traube  dann  s.  32  —  3G  zahlreiche ,  meist  annehmbare  berichtigungen  des 
textes  und  schliesslich  einige  verbesserte  interpunktionen. 

Im  anhange  zu  Aedelwulf  s.  38  —  45  findet  man  die  nachrichten  über  den  ge- 
nanten bischof  E<;gl)erht  von  Lindisfame  und  die  zeit  der  ersten  Zerstörung  des  klo- 
sters zusammengestelt ,  sowie  den  narhweis,  dass  der  oben  erwähnte  lector  (Vorsänger) 
Hyglac  nicht  ein  Schriftsteller  war,  zu  dem  man  ihn  hat  stempeln  wollen.  In  einem 
dritten  kapitel  zeigt  Traube,  dass  Aldhelm  kap.  VIII  und  IX  nicht  etwa,  wie  Ebert 
in  seiner  litteraturgeschicht(>  behauptet,  ein  ganzes  bilden  und  sich  auf  die  einweihung 
einer  von  der  angelsächsischen  königstochter  Bugge  erbauten  kirche  imd  die  in  der- 
sellK>n  Iwlindlichen  altän^  l>eziehen,  sondern  aus  vier  verschiedenen  gedichten  beste- 
hen, IX  1,  VIII,  IK  2—13  und  IX  14,  die  noch  dazu  nicht  einmal  für  dieselbe 
kirche  bestirnt  gewesi^i  sind. 

Der  zweiti>  teil  der  untoi'suchungen  behandelt  die  interpolation  und  recension 
in  Alchuines  (so  srhrieb  er  sich  selbst)  und  Angilberts  gedichten.  Da  die  beiden 
hfmdschriftou  der  «vei-sus  de  sanctis  Euboricensis  ecclesiae''  augenscheinliGh  verloren 


ÜBER   TRAUBE,    KABOL.    DICHTUNGEN  123 

sind,  haben  wir  uns  möglichst  an  die  oditio  princoi)s  vom  jähre  KiDl  zu  halten  und 
demgemäss  in  einigen  fällen  (s.  47)  statt  der  ändemngen  Dümmlers  die  lesarten 
Th.  Gales  widerherzustellen.  In  verschiedenen  anderen  godichten  Alkuins  haben  die 
metrischen  und  grammatischen  vei'stösse  des  yei*fassei*s  häufig  anlass  zu  absichtlichen 
änderungen  gegeben,  die  wol  kaum  auf  eine  spätere  i-edaktion  des  dichtors  zurück- 
zuführen sein  dürften.  Besonders  stark  inter[)oliert  ist  die  Alenc^oner  handschrift  der 
vita  "Willibrordi. 

Eine  eigentümliche  falschung  aber  hat  sich  der  cod.  rogin.  2078  s.  IX/X  zu 
schulden  kommen  lassen:  er  hat  Angilbert,  dem  karolingischen  Homer,  einen  betiilcht- 
liehen  teil  seines  geistigen  gutes  gestohlen,  welchen  Ti'aubes  Untersuchung  seinem 
rechtmässigen  eigentümer  wider  zurückgegeben  hat.  Die  genante  samlung  karolin- 
gischer  dichtungen  enthält  u.a.  32  nummcm,  welche P.C.I,  413 fgg.  als  Bornowini 
episcopi  carmina  abgedruckt  sind.  Von  diesen  bilden  die  nummem  VI — XXVI 
samt  dem  von  Dümmler  unter  Angilbert  V,  i  abgedruckten,  von  Traube  als  Bemowin 
Via  bezeichneten  gedichte  eine  besondere  gruppe,  bestehend  aus  titeln,  orationon  und 
einem  cpitaph,  welche  teils  als  aki-o-,  meso-  und  telosticha  den  namen  des  dichters 
Angilbert  bewahrt  haben,  teils  durch  fortlassung  der  eigennamen  oder  ei'satz  dersel- 
ben durch  ein  „ilT.*'  zu  blossen  fonneln  geworden  sind  oder  endlich  an  stelle  des 
ursprünglichen  verfassemamens  den  eines  Bemowinus  haben.  Diesen  Beraowin,  der 
von  Angilbert  nirgends  erwähnt  wird,  hielt  Dümmler  für  emen  uns  nicht  näher 
bokanten  freund  des  dichters,  der  freilich  ein  seltener  freund  gewesen  wäi*o,  da  er 
nicht  müde  wurde,  in  kimstvoU  geformten  poetischen  Spielereien  den  beistand  des 
himmels  für  seinen  lieben  Angilbert  zu  erflehen  statt  für  sein  eigenes  heil  zu  beten. 
Jene  gedichte,  deren  wertvolstes  das  nach  dem  muster  Alkuins  (CXXIII)  gedichtete 
epitaph  ist,  sind  aber,  wie  Traube  unzweifelhaft  klai*  stelt,  dichtungen  Angilberts, 
dessen  eigener  namo  so  wol  wie  der  dos  Schutzpatrons  seines  klosters  Centula,  des 
heiligen  Richarius,  auch  überall  für  den  des  Bernowinus,  bezw.  für  ^ilt.'^  eingefügt 
werden  kann,  während  es  Bemowin  nicht  immer  gelingt,  „seinen  ruhmestitel  ins 
metrum  zu  zwängen.^ 

Auch  von  den  0  versen  der  nr.  XXV III,  in  der  handschrift  als  „versus  Ber- 
nowini  episcopi  ad  crucem''  bezeichnet,  weist  Traube  7  dem  Angilbert  zu,  während 
er  die  zwei  übrig  bleibenden  dem  „dichter**  Bemowin  lässt.  Dieser  ist  höchstwahr- 
scheinlich der  erzbischof  Bernoin  oder  Barnoin  von  Vienne  (fli).  Januar  899),  erbauer 
eines  armenspitals  daselbst,  für  den  man  die  inschriftcn  von  St.  Kiquier  und  Angil- 
berts orationen,  so  wenig  sie  auch  passten,  umzuarbeiten  vorsuchte. 

Die  dichtungen  Alkuins  sind,  wie  gesagt,  ebenfals  vielfach  wilkürlich  umge- 
staltet worden.  Einen  grossen  teil  derselben,  272  nummem,  veröffentlichte  Querce- 
tanus  im  jähre  1617  nach  einer  leider  nicht  mehr  vorhandenen  reichhaltigen,  doch 
nicht  fehlerfreien  handschrift  aus  St.  Bertin.  Ausseixiem  haben  wir  zum  teil  noch 
fehlerhaftere  sonderüberliefemngen.  Leztere  gehen  auf  die  einzolexemplare  des  dich- 
ters zurück,  während  die  korrektere  samlung  bereits  in  den  gedieh ten  dos  Hra>)anus 
Maorus  vielfach  benuzt  ist  Traube  entwirft  uns  ein  bild  von  den  Verhältnissen  der 
Überlieferung  an  dem  beispiele  des  gedichtes  „de  clade  Lindisfamensis  monasterii^, 
gibt  8.62 — 67  eine  genaue  Charakteristik  des  nur  dui*ch  lesefehler  eines  ungebildeten 
Schreibers  entstelten  codex  H  (arleianus)  ms.  3685  s.  XV,  welcher  die  einzelüberlie- 
ferung  der  dichtung  darstelt,  um  sodann  s.  69  — 108  die  Überlieferung  von  II  dem 
texte  der  samlung  des  Quercetanus  imd  den  Zeugnissen  Ilrabans  in  tabellarischer 
Übersicht  einander  gegenüberzustellen.     Das  ergebnis  der  Untersuchung  ist,   dass  H 


124  ALTHOF 

sowol  wie  dio  handschrift,  welche  dem  samler  und  rocensor  der  Alkuinschen  gedichte 
vorlag,  auf  ein  und  dieselbe  absclirift  der  ersten  fiassung  der  genanten  dichtung 
zurückgehen;  dass  diese  aus  der  ersten  hallte  des  9.  Jahrhunderts  stammende  reoen- 
sion,  deren  abschrift  die  verlorene  handschrift  aus  St.  Bertin  bot,  von  Hraban  beim 
citieren  benuzt  sein  muss,  zugleich  aber  von  ihm  nach  einer  anderen  abschrift  der 
dichtung  der  text  der  reccnsion  corrigiert  wurde,  während  andere  abweichungen  in 
den  citaten  auf  Hraban  selbst  zurückzuführen  sind. 

Unter  den  frühesten  rhjrthmischen  gedichten  der  EaroUngerzeit  haben  die  blan- 
des Mediolanensis  civitatis*  (P.  C.  I,  24)  und  die  „laudes  Veronensis  civitatis"  (P.  C. 
I,  118)  nach  form  und  inhalt  viele  ähnlichkeit  mit  einander.  Beide  gehören  zu  den 
trochäischen  fünfzehnsilbem  mit  silbenvorschlag  und  haben  in  darstellungsweise  und 
einzehicn  Wendungen  manches  gemeinsam;  beide  enthalten  eine  topographisclie  be- 
Schreibung  der  genanten  städte,  berichten  von  den  hervorragendsten  bauten  dersel- 
ben, sowie  den  reliquien  der  heiligen  und  enthalten  einige  geschichtliche  nachrichten. 
Da  der  erste  der  beiden  rhythmon  bald  nach  738  verfasst  ist,  der  zweite  jedoch  erst 
c.  810,  wie  Traube  s.  114 — 115  zeigt,  können  die  berührten  ahnlichkeiten  nicht 
durch  die  gemeinsamkeit  des  Verfassers  erklärt  werden,  während  Dümmlers  u.  a. 
Vermutung,  dass  der  Veronesor  rhythmus  eine  nachahmung  des  Mailänder  sei,  mög- 
licherweise das  richtige  trift  Doch  gibt  uns  Traube  s.  115  fgg.  noch  eine  andere 
erklärimg.  Er  hält  den  Veroneser  rhythmus  für  eine  begleitende  erläuterung  des 
alten  Stadtplanes,  der  sich,  unmittelbar  mit  dem  gedichte  verbunden,  in  der  jezt 
verlorenen  handschrift  des  klosters  Lobbes  befand  (vgl.  P.  C.  I,  118),  und  ebenso 
das  zweite  topographische  gedieht  für  die  beschreibung  eines  Mailänder  Stadtplanes. 
Das  gemeinsame  vorbild  beider  plane  und  beider  rhythmen  sucht  er  in  einem  Karo- 
lingischen  Stadtplane  Roms  und  einer  mit  demselben  verbunden  gewesenen  rhyth- 
mischen erklärung.  S.  119  — 129  folgt  dann  ein  sorgfältig  verbesserter  abdruck  beider 
gedichte  mit  anmorkungen. 

Im  anhange  zu  diesen  topographischen  rhythmen  handelt  Traube  von  den  bei 
Jaifc,  Bibl.  in,  s.  38  fgg.  abgedruckten  angelsächsischen  rhythmen,  deren  erster  von 
einem  unbekaut<»u  Verfasser  an  Aldliolm  gerichtet  ist,  auf  dessen  namen  das  wort 
„cassos**  in  v.  1  anspielt  (Aldhelm  =  ,cassis  priscus'').  Nr.  II  bei  Jaffo  ist  das  in 
dem  briofo  Aodelwalds  an  Aldhelm  (ep.  5,  s.  37)  als  anläge  erwähnte  und  für  "Wyn- 
fried  bostimte  gedieht  „de  transmarini  itineris  i)eregiinatione'',  dessen  verlust  Jaflfo  in 
seiner  anmerkung  s.  37  lM»klagt.  Da  uns  von  beziehungen  des  heil.  Bonifatius  zu  Ald- 
helm sonst  nichts  b<»kant  ist,  dürfte  gedachter  Wynfried  mit  ersterem  schwerlich  iden- 
tisch sein;  vielleicht  ist  aber  auch  Winfried  verlesen  ausWihtfried,  dem  namen  eines 
Schülers  vcm  Aldhelm.  Über  nr.  III  lässt  sich  nichts  bestimtes  sagen;  IV  ist  ein 
gedieht  Ai»delwald8  an  Aldhelm,  V  die  antwort  darauf.  Dieser  Aedelwald  ist  nach 
Traul)o  si(h(M*  ein  laits  viellei(^ht  der  von  716  —  757  regierende  könig,  jedenfals  aber 
verschieden  von  dem  geistlichen  Verfasser  der  nr.  I.  S.  133  — 135  stelt  Traube  einige 
vom  hemuHgt»lH»r  gelinderte  schnnbungen  in  den  5  rhythmen  wider  her  und  fugt 
daran  eine  verb(*HHeruiig  von  str.  24  und  25  der  „versus  de  Aquilegia  numquam 
i-esUuramla •*  (1*.  ('.  II,  s.  150  fgg.). 

\)vr  vioHe  und  li»/.t»»  t(»il  der  Untersuchungen  ist  den  rhythmischen  fünfsilbem 
mit  tn«'häiMch(»in  HchlusHO  gi'widmct,  den  ^vci-sus  |)erextensi*'  des  gnunmatikerB  Ver- 
giliuH,  d(»n«n  erkliiniiig  so  gnissi^  Schwierigkeit  bot  Sehr  frühe  rhythmen  dieser  art 
liegen  in  iUm\  kürzlich  durch  K.  Hoiulurand  in  Paris  volständig  veröffentlichten,  im 
jähre  H-t3  vo!huid<»it»fi  fürMtenspiegel  der  Dhuoda  vor.     Die  drei  s.  141  — 149  abge- 


ÜBER   TRAUBE,   KAROL.    DICHTUNGEN  125 

drackten  gedichte  sind  verschieden  gebaut  und  bestehen  aus  Strophen  zu  4  bezw.  7 
nnd  6  zeilen  ~  v>  ^  _  ^  oder  w  _  ^  ^  w;  Silbenzuschlag  ist,  dem  Charakter  volks- 
mässiger  dichtung  entsprechend,  zugelassen,  auch  der  schluss  bisweilen  unrein  gebil- 
det (Siebensilber),  der  5.  vers  der  Strophen  in  nr.  III  ist  stets  viersilbig.  Es  finden 
sich  in  allen  drei  gedichten  spuren  von  reim,  der  hiatus  ist  gestattet,  von  elision 
ist  in  ihnen  nirgends,  von  synizesis  dagegen  wie  in  vielen  rhythmen  oft  gebrauch 
gemacht 

Im  anschluss  an  diese  fünfsilber  untersucht  der  Verfasser  das  zuerst  von 
Dümmler  (P.  C.  n,  s.  118)  veröffentlichte  „carmen  ad  Agobardum  archiepiscopum 
missum*^,  ein  nicht  unbedeutendes  gedieht  über  das  jüngste  gericht,  dessen  Strophen 
der  sapphischen  nachgebildet  scheinen.  Doch  hält  Traube  diese  nachahmung  für  keine 
unmittelbare,  vielmehr  weist  die  zweite  hälfte  der  drei  ersten  verszeilen,  die  stets 
w^w^.w  gebaut  ist  und  die  widerholung  der  ersten  fünfsilbigen  hfilfte  mit  silben- 
verschlag  darstelt,  auf  einen  Zusammenhang  mit  den  rhythmischen  fünfsilbern. 

Die  anfangsbuchstaben  der  Strophen  1  — 11  des  gedichtes  bilden  die  werte 
AGOBAfiDO  PAX,  die  der  ersten  14  Strophen  nach  Traubes*  Verbesserung  A.  P.  SET. 
Nach  Dümmlers  ansieht  war  dieser  Agobard,  erzbischof  von  Lyon  von  816 — 840, 
der  empfänger  des  gedichtes,  während  uns  Angilberts  beispiel  zeigt,  dass  die  akro- 
sticha  den  namen  des  dichters  zu  überliefern  pflegen.  Str.  12  und  13  stelt  Traube 
die  lesart  der  einzigen  Pariser  handschrift  wider  her  und  gewint  so  ohne  zwang  rich- 
tige verse  mit  einer  lücke  am  ende  von  str.  12,  2.  In  dieser  lücke  muss  der  name 
des  empfängers  gestanden  haben,  den  man  wie  in  den  besprochenen  gedichten  Angil- 
berts fortliess,  um  dem  gedichte  seine  persönlichen  beziehungen  zu  nehmen  und  das- 
selbe als  formel  benutzen  zu  können.  Derjenige  aber,  dem  Agobard  seine  dichtung 
übersante,  den  er  in  seinem  leiden  um  rat  fragte,  war  höchst  wahrscheinlich  erz- 
bischof Leidrad  von  Lyon,  des  dichters  Vorgänger  im  amte,  so  dass  der  s.  152  fgg. 
abgedruckte  rhythmus  vor  dem  28.  december  816  verfasst  sein  muss. 

Dies  der  hauptinhalt  der  ergebnisreichen  und  ani*egenden  Untersuchungen 
Tranbes,  die  aufs  neue  beweisen,  wie  sehr  der  Verfasser  geeignet  ist,  das  werk  des 
meisters,  die  herausgäbe  der  karolingischen  dichtungen,  zu  ende  zu  führen. 

Im  anhange  findet  man  eine  Zusammenstellung  der  besprochenen  dichterstol- 
len, sowie  ein  bei  der  fülle  des  gebotenen  Stoffes  wilkommenes  sachvei*zeichnis. 

Die  darstellungsweise  Traubes  ist  etwas  manierieii  und  entbehrt  bisweilen  der 
wünschenswerten  durchsichtigkeit,  ein  umstand,  zu  dem  auch  die  aufnähme  zahl- 
reicher, nicht  immer  durch  besondere  schrift  oder  anführungszeichen  hervorgehobener 
citate  in  den  text,  sowie  die  spärliche  anwendung  der  interpunktionszeichcn  beigetra- 
gen hat. 

Die  ausstattung  des  heftes  ist  eine  sehr  gute.  Die  mode,  die  grossen  buch- 
staben  beim  beginn  der  einzelnen  sätzc  mit  kleinen  zu  vertauschen  und  so  den  punkt, 
das  wichtigste,  aber  imscheinbarste  schriftzeichen  seines  merksteines  zu  berauben, 
können  wir  nicht  zur  nachahmung  empfohlen. 

HANM.  MÜNDEN,  Di  OKTOBER  1888.  HKRMANN  ALTHOF. 


Diedrich  von  dem  Werder.  Ein  beitrag  zur  deutschen  litteraturge- 
schichte  des  siebzehnten  Jahrhunderts.  Von  dr.  G.Wltkowski.  Leipzig, 
Veit  und  comp.  1887.    144  s.   8.   4  m. 

Der  deutsche  dichter,  welcher,  dreizehn  jähre  älter  als  Opitz,  ähnliche  bahnen 

wie  dieser  verfolgte,  der  es  nicht  ohne  erfolg  unternahm,  Tasso  und  Ariost  zu  über- 


12ß  ROBFÄTAO 

setzen,  iUm*  oiue  hoiTorragonde ,  ja,  man  kann  sagen,  die  erste  rolle  in  der  Fracht- 
briugoudün  gosolsohaft  während  der  ersten  jalirzehnte  ihres  bestehens  spielte,  hatte 
sohon  ohor  die  bt^achtung  verdient,  welche  ihm  jezt  erst  durch  den  Verfasser  der 
vorlieg^Midon  srhrift  zuteil  geworden  ist. 

Nai*h  dtT  Einleitung  und  einer  dankenswerten  abhandlung  über  Tobias  Hüeb- 
nor,  welcher  Werders  Vorgänger  in  mehrfacher  beziehung  genant  werden  muss,  folgt 
die  Im^raphio,  darauf  die  bibliograplüo ,  femer  ,,  Werder  und  die  Fruchtbringende 
gesolschaft",  ,  Worder  und  Opitz*,  , Werdens  Übersetzungen",  „Werders  eigene  werke", 
der  Si*hluss  fasst  urteile  über  den  dichter  zusammen  und  gibt  dessen  Würdigung  nach 
des  Verfassers  ei^vner  ansieht. 

Nach  dem  eben  gesagten  muss  die  wähl  des  themas  gelobt  werden,  ob^eich 
dit^  Schwierigkeit  der  aufgäbe  es  mit  sich  gebracht  zu  haben  scheint,  dass  sie  nicht 
in  allen  teilen  der  arbeit  gleichmässig  gelöst  worden  ist  Im  ganzen  wird  ein  unpar- 
timsoher  Unirteiler  dem  buche  seine  anerkennung  auszusprechen  haben,  weil  es  unsere 
kentuis  der  litti'ratur  des  XVII.  Jahrhunderts  in  vielen  einzelheiten  durch  meist  vol- 
kommen  erwies^^'ne  ergi'bnisso  bervichert  \md  aufklart  sowie  zum  ersten  male  ein 
g^^fsamtlnld  einer  immerhin  bedeutenden  und  interessanten  schriflstellerischen  Persön- 
lichkeit liefert.  l>as  verdienst  der  biographischen  und  bibliographischen  angaben  Wit- 
kowskis  springt  K'i  einer  vergleiohuug  mit  dem,  was  bereits  vorliegt,  zu  deutlich  in 
di<«  au^nu  als  dass  darüU^r  mvh  et>\'as  zu  sagen  wäre.  Vielleicht  wird  hie  und  da 
g^^le^'ntlieh  u^Hrh  etwa>,  das  nachzutragen  i^t.  zu  tage  kommen,  die  hauptsaehen 
sind  sicher  erschöpft.  ' 

Was  Witkt>u-skis  ^^samtauCEassung  des  litterarisohen  lebens  jener  zeit  anlangt 
s^^  ist  luxup^U^n,  dass  hiebei  die  Subjektivität  des  betrachters  eine  grosse  und  keines- 
wt'^rs  cuir  unU^iwhtigte  n>Ue  s|)ielt.  Hieiiuk'h  werde  ich  nicht  misverstanden  wer- 
den, vi-vnn  uh  i:estebt«,  in  der  vorliegenden  arbeit  öfter  die  sohäife  der  beleuchtong 
lu  xemiiSM'u,  welche  denn  dvvh  zum  Verständnis  des  litterarischen  fortsohrittes  einer 
!Uti\>Q  eU'us^^  nv^  ist  wie  die  objektive  und  WUige  beoiteilung  der  erscheinongen 
aus  ihrvr  lei:  henus.  Namentlich  in  der  wünügung  der  Fruchtbiingeiiden  geselschaft 
4>^h.t  r/.:r  Witkowsk:.  wie  mich  dünkt,  duivh  Barthold  und  Krause  beeinflusst,  nicht 
>charf  cv^ui:  vor  — -  not;i  bene  für  einen  httenirhistoriker,  der  durchmns  den  zusam- 
niTtiKmc  d«T  t^xvh^n  lu)  aui>'  behaltx^  und  den  forts^rhiitt  de$  ge^ivhmackes  in  den 
kktaefvc  und  ^tvv>s«i^;\':i  ^mipivu  i^vtischer  erxtMiicnisä^,  die  er  b^ecraehtet.  stets  prü- 
fen ^^L  l>as  auf  >«x^:^  4t>  a^^^i«^^  kann  xins  schwerlich  überzeugen,  dass  die  gesel- 
<v-i;jA  u^sjb.hlvh  (^wiis  aiKicTv^  ^-ar  als  ein  littenturvenein.  £s  war  eben  die  korz- 
NX'iiUiiitx:  ucsi  k:c,fu»».>e;  Ott  hvvho^K^rvnen  mitdieder  <ohald.  wenn  sie  meinten, 
ifcss  SÄ  »::■.•  sa.i::-  A::'.^rs  a:uLrt*ifer.  kv'RU^r.,  denn  ihr\^  Krstr«l>usi:efi  kv^ten  sie  ein- 
J5C  Ta:.v^  jC-.ir.  :r,  itr  l:nenn:r.  d,  h.  m  M:hniVs;«:&hscfcen  o^ier  {<^tis<'licn  enceug- 
*»*•:..  d»;-  cscrsf,!*  «uwr.,  ivl^eu  n;jit>hec:.  UBri  >»  baKrc  e>  aach  wirklich  nur 
ax.:  iji-t«'  m\c>*f  ^-tac..  ^^"•:^c^  M  l^^^^rs  W;:kv^w^l:  >*<l^r  ein  K»>;«el«  wie  wenig  man 
^,i  :z.  .j*\  j.* 'S,  ia^j.  i»c  k  m->tx>crd;  ;;j  >;e:  sfsrftchrväi^'ci  K?££<%!^  In  der  höfischen 
v.tt-i.^sji^s.c.  m-Tc.  «>  ixr.  "ta.t  v.-./r,:  Uvat  j^«\xn  >«r.  ä^^  s&an  üt^rlianpt  dentsch 
>ao*«-*i.  i.*;  4M*  ir^^-s-  V,-rT\-x;vir>i>i:t\'c.  Ursi'ir,>H'h,  ^.r.  rur.rirtü:  -ieutHrher  sitte, 
Win.  <-j^.ui;.  ^^*t>t,i:,r  ja^j.  "^>^'i.^  £>;  k,*;»;-  r^xie.  ot5».i.«rtj^  i:«x  v:€i  tiner  deutsch* 
iJb£Kdr.kKCL  7«.'i.':r.i  >^  .«CL  :^^ju:  tx-:  >.>r  a;;:nuih:ix*  :t.  i:^  j?t*^*sciia^  nk-ht  aaf  littera- 
r!s.K    ^\ci'fcc.-<i:'   sÄi..    >s    '»j;»:    ,-a>  r-Kt  *JK*h«r^i,    am    aljMwvc^Citen  war  €s»  ein 

>«*«IClf*t.    «WCkYlLIXJw   4*:^W^  0>ttlV*.^t   «v^vK-c   k««^:. 


Pitm  wmtfmBKi.  munptii.  t.  i 


127 


Man  wiitl  jn  zugeben,  dnsH  dio  ergebnislosigkeit  dieses  troibeus  uiclit  dem  mora- 
Guhen  Charakter  der  einzelneD  znr  laut  fält,  BOndern  den  traurigen  vi^rhOlttiisäPii ,  aber 
Bdnrprseits  nah  "s  dodb  tnänncr  wie  Moaclieroscli  und  Grimmelshauscii ,  welche  die 
achou  8u  klar  und  richtig  ansahen  und  ihre  nieinung  so  deutlich  aaidrikkten,  da.ss 
I  in  vergluich  mit  ihoeu  die  deutsche  gesiunung  uod  die  natioaalou  beKtrebuagen  der 
wi  vom  |)alRieiiiirdcn  uns  Hehr  wenig  imponieren  kümieD. 
Doch  genug  von  diesen  dingen,  üher  die  ehen,  um  in  der  spräche  des  XVII. 
Jikrhauderb'  zu  icden,  „unterschiedene  opiniones  fallen"  können,  and  kommen  wir 
n  ohjektiveu  bomerkungou.  Da  kann  nun  zimüohst  die  nicht  unterdrückt  wurden, 
er  stioat  wol  untirrnchtcte  verfas.'jor  für  den  aozuiugen  pbilologiächen  teil  seioer 
e  kaum  genügend  vorbereitet  erscheint  Son^t  wikrden  etliche  nüsväiständniHse 
■At  vo^ekonimen  sein,  weloh"  in  seiner  arbeit  auf  recht  störende  weise  auffallen. 
'  (^1.  s.  75)  bedeutet  nie  und  also  auch  nicht  in  Werden!  Tasso  XI,  30,  0 
.i^siascci'',  soDderu  ^warten,  verharren."  Was  hatten  denn  die  lente  auch  auf  der 
ir  in  beisaenl'  Werder  selbst  oder  seiuem  freunde  muss  das  schon  hall)  veraltete 
imt  bedenUioh  gewoi'den  sein,  denn  er  ändert  die  stelle  in  B.  „Sie  entweifh"  ist 
■Uta  wimiger  tia  eine  entstellung  von  ^entweicht"  aus  reimnot,  sondern  ebrlichsK, 
"s  noch  ziemlich  gebräuchliches  prStorituni  frir  „entwich",  was  übrigens  auch 
te  nuammonhang  fordert  {s,  77,  im  Tasso  VI,  59,  1).  Noch  manches  möchten  wir 
lUm  wünschen;  es  fehlen  gestchtspunkto,  die  oin  pliüologo  sehr  vermiiist,  wie  ?..  b. 
'fc  frage  nach  etwaigen  dialektischen  eigentümtichkeiten  in  wortu'uhl  und  formen. 
ID  die  Schreibung  seines  Vornamens  beweist,  dass  Werder  an  dialektfonnen  festhielt, 
■uoe  darauf  gt^richtete  uutersuchtmg  würde  nicht  ohne  nrgobnisse  geblieben  sein, 
itngew&hnliclie  worto"  (s.  75)  ist  keine  rechte  kategorie,  es  müssen  doch  wenig- 
8  damals  und  jezt  ungowiJhuhcbe  geschieden  werden.  „Sctununtzeln"  wtrde  zu 
«r  von  iKiiden  klassen  gehören.  Dass  der  dichter  „kart"  fü.r  ^kehrte",  „drang* 
*f  idrang",  ,scbeusst*  für  „achiessf  u.  dgl.  mehr  (s.  77)  sagt,  „um  seiner  spräche 
'S  fülle  zu  verleihen",  ist  eine  annähme,  welche  im  lichfe  der  historischen  gram- 
'Uä  gerad^iu  komisch  erscheint  Hat  denn  der  Verfasser  ili>.'se  formen  sonst  nie 
*  Uteren  büchem  gelesen  V 

Wir  hoffen,  dasa  das  angeführte  genügen  wird,  um  Witkowski  zu  übetKeagen, 

■    ^wK  niaii  auch  zur  beurteilung  der  spräche  des  XVII.  jalirhunderts  die  germnnisohe 

l^il-ikigie  herbeiziehen  mus.s,  um  nicht  auf  bedeukhcho  abwöge  zu  geraten.     Uninit- 

'^bu-  Qg,^  ^Q  ausfühningen ,  die  uns  nicht  gebdlen  wollen,  gibt  er  noch  s.TS  eine 

""^kdanenswerte  probe  seines  scharfeins,  und  ich  freue  mich,  dio  richtigkeit  seiner 

PUutung  lictitStigoa  zu  könni'n.  Die  ausgäbe  des  Tasso  Lyon  1581  in  16°,  welche 
^owaJu  als  vorläge  Werders  vormutet,  aber  uieht  erreiehen  kante,  liegt  mir  vor, 
hier  steht  XVI,  20,  4 

Ai  ministri  d'Amor  minietro  eletto. 
der  hiesigen  stadtbifaliothck,  welche  überhaupt  an  dcrgleielien  sei- 
'ich  ist,  und  hat  die  Signatur  N  1919.  Ich  habe  die  übrigen  bei  die- 
'011  Witkowski  {s.  78fgg.)  angemerklen  stellen  verglichen,  dos  eigcb- 
:  die  ausgitbe  enthalt  gegen  Witkowskis  Vermutung  dio  Strophen  XI, 
in,  1  steht  RftTia  —  IX,  90.  3  Corcutte  —  I,  54,  5  Kuggi.T  di  Bnl- 
,  74,  1  Enrico  e  Iterongario  ^  V,  -18,  1  t'ilicla  —  Vm,  (i!t,  4  atoht 


^s  buch  gehört 

'**»l>eitou  sehr  w 

''  gelegen  hcit  \ 

»«•  i«  Hgndm 


u  Tile,  das  citat  ti 


ichtig  s 


-  XVll,  5, 


i  -  XVII,  CS.  7 


-  70,  5  Altiiio  —  111,  «1,  3  vermigtia  la  sovravesta  —  XU,  «9,  2  virfe  — 


'  75.' 1  guMi.'.i  —  IX.  92, 8  grau  Madre  - 


'  XI,  28,5  {30,5)  lautet: 


128  NACHRICHTRN 

Cosi  dicean;  ma  für  le  voci  intese. 
Xin,  48,  7  moss  falsch  citiert  sein,  vielleicht  ist  v.  5  derselben  Strophe  gemeiat: 

Pur  vi  passai:  che  ne  Tinceudio  m'  arse. 
Durch  das  eben  beigebrachte  wird  Witkowskis  vormutong  nach  meiner  ansieht  nichts 
weniger  als  entkräftet  Die  auslassung  von  XI,  8  und  9  erklärt  sich  leicht  Wit- 
kowski  meint,  Werder  würde  diese  Strophen  schon  wegen  ihres  religiösen  inhalts 
übersezt  haben,  er  hat  sie  aber  grade  deswegen  weggelassen,  denn  er  war  Protestant 
Aus  demselben  gründe  halte  ich  es,  beiläufig  gesagt,  für  unmöglich,  dass  Werder 
den  tag  Leo  des  Grossen  als  den  „tag  der  allergrössesten '^  bezeichnet  habe  (s.  62, 
anm.  3). 

Dass  Opitz  „noch  weit  weniger'^  als  Lohenstein  imstande  gewesen  sei, 
dichterisch  grosses  zu  leisten,  bestreite  wenigstens  ich,  wenn  sonst  niemand,  wie 
Witkowski  meint  Lohenstein  ist  so  wenig  wie  Opitz  poetisch  begabt,  eher  noch 
weniger,  ausserdem  aber  hat  er  viel  weniger  geschmack  und  takt,  den  man  Opitz 
durchaus  nicht  absprechen  kann  (s.  59). 

Die  Schlussredaktion  des  buches  scheint  etwas  flüchtig  bewerkstelligt  zu  sein. 
S.  27  ist  der  satz  ,. Landgraf  Moritz  hatte  usw.*^  unklar.  Es  soll  wol  statt  „Evange- 
lischen*^ heissen  „Lutherischen*^,  wenigstens  ist  dies  das  geschichtlich  richtige.  S.  52 
heisst  es  „Werder  —  entschied  in  vielen  fragen  mit  scharfsinniger  begründung'^,  das 
folgende  beispiel  beweist  das  gegenteiL  Es  hätte  das  s.  54  angeführte  an  diese  stelle 
gehört 

BRESLAU,   JUU   1888.  FEUX    BOBCRTAG. 

Die  Edda.    Deutsch  von  Wilhelm  Jordan.    Frankfurt  a.M.    W.  Jordans  selbst- 
veriag.    1889.    8.    IV,  534  s.    5  m. 

Da  die  „gelehrten^  aumeriLungen,  die  der  Übersetzer  seinem  buche  beigegeben 
hat,  bei  dem  uneingeweihten  die  meinung  erwecken  könnten,  als  ergreife  hier  em 
genauer  kenner  des  altnordischen  das  wort,  so  sei  kurz  bemerkt,  dass  wir  es  mit 
der  arbeit  eines  dilettanten  zu  tun  haben,  für  den  die  wissenschaftliche  forsohong 
der  lezten  dreissig  jahro  |nicht  vorhanden  ist  Von  der  technik  der  alten  allitera- 
tionspoesie  hat  Jordan  keine  ahnung;  geradezu  belustigend  wirken  die  verse,  die  er 
(s.  407)  ans  der  einleitenden  prosa  zu  Gu{)r.  I  zurechtgeschnitten  hat  Was  treue 
und  gewissenhaftigkeit  anbetrift,  steht  diese  Eddaübeisetzung  hinter  der  Simrockschen 
ganz  erheblich  zurück,  die  Jordan  übrigens  nur  in  einer  älteren  aufläge  gekant  hat, 
daher  es  ihm  begegnet,  dass  er  fehler  seines  Vorgängers  bekämpft,  die  dieser  selber 
schon  berichtigt  hatte.  Eine  höheren  anfordcrungen  genügende  Verdeutschung  der 
Edda  bleibt  also  immer  noch  ein  fronmier  wünsch,  bis  ein  meister  sich  findet,  der 
mit  genauester  sprach-  und  sachkentnis  dichterischen  geist  und  ein  ausgebildetes 
formtalent  verbindet.  H.  G. 


NACHRICHTEX. 


Am  31.  Januar  1889  starb  zu  Oxford  nach  längerer  krankheit  der  bekante 
lexikogra^th  und  hcruusgilH'r  altnordischer  littenturwerke.  dr.  Oudbrand  Yigfüs- 
son,  (i8  jähre  alt. 


Halle  &.  S..  BacäOnickerai  dw  W 


UNTERSUCHUNGEN   ZUR   SNORRA-EDDA. 

I. 
Der  sogenanto  zweite  grammatlselie  traktat  der  Snorra-Edda. 

Während  wir  bei  keinem  anderen  germanischen  stamme  eine 
grammatische  behandiung  der  heimischen  spräche  im  mittelaiter  nach- 
weisen können  —  denn  die  „grammatica  patrii  sermonis",  die  auf  ver- 
anlassung Karls  des  Grossen  in  angriff  genommen  wurde  (Einhardi  vita 
Karoli  c.  29),  ist  höchst  wahrscheinlich  gar  nicht  zustande  gekommen — , 
finden  wir  in  dem  fernen  Island ,  dessen  bewohner  auf  geistigem  gebiete 
in  mancher  beziehung  den  Zeitgenossen  vorausgeeilt  sind,  mehrere 
abhandlungen  über  die  heimische  spräche.  Dieselben  waren  bis  in  die 
jüngste  zeit  meist  verkant  oder  wenig  benuzt  ^;  erst  unser  gramma- 
tisches geschlecht  hat  sie  hervorgezogen  und  ist  bemüht  gewesen,  sie 
in  das  rechte  licht  zu  setzen. 

Die  erste  gründliche  arbeit  über  die  grammatische  tätigkeit  der 
alten  Isländer  waren  Björn  Magnussen  Olsens  trefliche  Untersuchungen 
über  die  runen  in  der  altisländischen  litteratur^.  Die  wichtigsten  ergeb- 
nisse  nahm  dann  der  Verfasser  in  die  einleitung  zu  seiner  ausgäbe  der 
3.  und  4.  abhandlung  auf^,  und  die  herausgeber  der  beiden  ersten, 
V.  Dahlerup  und  Finnur  Jönsson,  bauten  auf  seinen  resultaten  im  gan- 
zen weiter*.  Während  aber  V.  Dahlerup  die  älteste  grammatische  arbeit 
noclunals  scharf  ins  äuge  fasst  und  ihre  bedeutung  namentlich  für  die 
isländische  schrift  etwas  andei-s  und  zweifelsohne  richtiger  darlegt, 
geht  Finnur  Jönsson  gerade  über  die  hauptfragen  zu  schnell  hinweg 
und  prüft  weder  die  abhandlung  auf  ihren  bau  hin,  noch  untersucht 
er  den   Zusammenhang  ihrer   Überlieferung;   er  hält  sich   zu   sehr   an 

1)  Am  meisten  hat  sie  zweifelsohne  A.  Holtzmann  zu  würdigen  gewust,  der 
in  seiner  altdeutschen  grammatik  die  erste  abhandlung  volständig  und  die  zweite 
wenigstens  teilweise  übersezt  (I.  s.  55  —  66). 

2)  Runeme  i  den  oldislandske  Literatur  vod  6.  M.  0.    Kbh.  1883. 

3)  Den  tre^jo  og  fjfl)rde  grammatiske  afhandling  i  Snorrcs  Edda.    Kbh.  1884. 

4)  Den  ferste  og  anden  grammatiske  afhandling  i  Snorrcs  Edda.    Kbh.  1886. 

ZKnSCBVm  f.   DSUTSCUE  pmLO]X)QIE.    BD.   XXII.  9 


130  MOGK 

Hjrirn  (')lson,   der  den  kleinen  entwurf  nur  gelegentlich  berührte,   ihn 
al)(M*  nicht  in  den    bereich   seiner   eigentlichen  forschungen   hineinzog. 
DaluT  konit  es,   dass   trotz    der   neuen  ausgäbe   auch  heute  noch  die 
r(H'ht(»  Würdigung  dieses   sogenanten   „zweiten  traktates''   fehlt ^     Man 
sh4t  d(Miselben  durclnveg  im   hinblick  auf  seine  jüngere  und  verderbte 
Überlieferung  neben  den  wahrhaft  bedeutenden  orthographischen   neue- 
rungsvei-such  aus  der  ersten  hälfto  des  12.  Jahrhunderts  und  neben  die 
mehr   h\ut-    und   sprachgeschichtliche  abhandlung   des  Olaf  pordarson: 
im    vergleich    mit   diesen   muss   allerdings   seine   wagschale    bedeutend 
steigen.     Aber  ich  meine,  es  ist  ein  grosser  unterschied,  ob  man  eine 
orthographische  oder  sprachliche  abhandhmg  vor  sich  hat,   die  auf  die 
zeitgiMiossen  bestimmend  einwirken  soll,  oder  bemerkungen  über  die 
bestehenden   buchstaben   oder   laute,    die    nur    zu    einem    bestirnten 
zwecke,   im    hinblick    auf  ein   bestimtes  werk  geschrieben  sind.     Jene 
kann  man    mit   gutem   rechte   ,, grammatische  traktate**    nennen,   diese 
nimmernu»hr.     Es   liu^t   sich   auch   auf  keinen   fidl   an    diese   derselbe 
massstab    legen    wie   an  jene.      Man    hat    dies   aber   bisher   durchweg 
gi^an    unil    dadurv*h    die   bemerkungen   zu    dem   isländischen  alphabete 
aus  dem   anfangi^  di^  13.  Jahrhunderts  volständig  verkant     Sie  verdie — 
neu   in   ihivr  ui^sprünglichen  fassung  überhaupt  nicht  den  namen  einest 
gnunmatischen  traktuti^,   sondern  sie  siiul  mit  dem  namen  zu  bezeich    - 
neu,  der  i\\\w\\  von  haus  aus  nach  dem  willen  ihres  Verfassers  gehörtrr 
niünlich  als  die  spnichliche  einleitung  zum  Hattatal.     Dass  sie  in  di— 
g\^clschat>   der   granunatisi^ien    abhandlungi'u  gelangt  sind,   verdanke)^ 
wir  dt^msellvn  untahigxMi   bcarboitor  di^s  Snorris^^'hen  werkes,    der  auc 
dit^  iibrigxMi  teile  der  Kdda  auseinander  riss  und  nach  eignem  gutdün 
ken  wider  .Tus;unn\enleimte,     l'm  daher  die  bemerkungen  zu  verstehe 
miisson  wir  sie  \i>r  allem  aus  dem  /us:immeuhange  herausreissen,   ii 
welchem    n\an    sie    :\x   betrachten    ptU^.     Es   ist   aus   diesem   grund 
gx^K^ton,  t\ivhn\als  auf  dit*  üborlit^fonuig  einzugehen  und  die  folgen,  di 
daraus  erwachsen,    ins  aucx'  ru  fa^^en,   wenn^rleich  Finuur  Jonsson  i 
der  uKrUeferuncsfia^^  s\*hen  in^  c^iixen  d;ui  richn5^^  betroffen  hat.- 

;     1\*.   :.>;;.\:  ,.:\c".   viv  \\:.V.v.i>T.n  fr^vr.  üKt  a:-"  .iVr.12  i;ur.ir,  nümlich  ül^: 
.' "iv  Ivx»  ;.!;;:<,  .v:  \^   txv'rv-  r    "  o*v.v:v,  V^iv.n  ;v./>A:r.^  »r.Mrh^  ^^raohtens  sohr  nahe 

;'    Vn    >t   v.„ rK\x,.'A,  j^,    r.v.:   \Xv:.V  •.    VhA:v.;VA:::    M:lr*v:  F.  J.   noch   an  do 

A*.:.' .  A.iUvv,.:^  .;,  V  !  A -.Iv. '.r/v  v^  .-h.;/;  ;nv,>^  ".^o^^:,     Nji;h.:-,r.:  »r  >*"hritt  für  sohrit 
,..  ,:x\,  v,r.  ^•.  v;./:  •.,;,  ..^sv  ,;,,x  k,.  •,    v   ;av>— ^  ol.o  ;::si  r«'rV..ho  154  leinl.  s.  XV 

.;v.,  v,r,  v.v.j  -:    .,.{  .:-  -..:  aN  ^\\  .^v  .*  lo    x  Vv^i^:  .     Auf  'i^:^  fL^ä>!>Q  <kr  nt^nci 


TOiEBSCcnufTOW  irR  stf.  RnDA  I  131 

ÄUcs,  was  die  Isländer  über  üire  scbrift  und  sprafiio  gesdii'icbcn 

liaben,   ist  in   der  alten  Eildnhundschrift  cod.  AM.  242  fol,,  dem  codex 

WorniianuB,  der  aus  der  mitte  dos  14.  Jahrhunderts  stamt,  aufbewahrt-' 

I)iT  Schreiber  oder  vielmehr  bearbeiter   dieser  handschrift  boniitzto  bei 

seiner  arbeit  mehrere  werke,  deren  bedeutendstes  die  wdl  von  l)laf  |HJril- 

atsoii    herrührende   fassunji;   der  Edda  war,    und    vereinigte    diese    zii 

einem  ^ranzen,  das  er  durch  eigene  arbeiten  erweiterte,  mit  vorrede  ver- 

1  und   in  seinen   einzelnen  teilen    nicht  selten  verwässerte.     Nach 

■Btr^bjöm  Egilssons  Vermutung^  soll  Berg  Sokkason,   der  freund   des 

chof  Laurentiiis    nnd    abt   des   Benediktinerklosters   zu    MunkafiverA 

diesL^n  codex  zusammengestelt  haben,  eine  annähme,  die  anklang  geliin- 

len  hnL*    Ich  sehe  nicht  recht  ein,   dass  diesdbe  irgend  welche  ft«to 

*tüt!en  liabe.    Die  aaga  des  bischufa  Laurontius  gibt  uns  ein  ziemlich 

genaues  bild  von  dem  charakter  und  der  tätigkeit  des  Borg;  wir  eifali- 

twi,    dass  derselbe  mit  eiserner  festigkeit  auf  die  beobachtung  der  klo- 

Bjlterreeeln  sah  {Bisk.  s,  I,  840.  850),  wir  hören,  dass  er  ein  vorzüg- 

iher  Sänger  und  tüchtiger  rodner  und  prediger  gewesen  sei,  wir  lesen 

üs  er  die  geschichtcn  der  heiligen  männor  vortreflich  ins  ishin- 

■ßcbe  übersezt  habe  (Bisk.  s.  I,  832.  891)*,  aber  nirgends  ert!ahren  wir 

Was  darüber,  dass  er  sich  auch  eingehender  mit  heimischer  litteratur 

Jcliäftigt  habe  oder  dass  er  ein  dichter  gewesen  sei,  während  doch 


wol    für  lien    üborarboiteton    te.tt,    uiclit  nbor   für  <lon    urBpriiti[;li<;bcu    goltiuig 
^bcn. 

1)  Dos  kli'iue  Btttcl:,  dos  Ü^oni  OlHcn  als  anhaog  iu  seiner  ausgal«  dor  3.  und 
b  abhoniUiiDg  (m.  i^li  fgg.)  nacii  i^nd.  AM.  D2I.  4°  hat  abdrucken  lassen,  ist  oino  eiu- 
Seho  iötcrlinearverHion  der  lalomiachen  conjugatinn.  Zur  zoit  ungodruftte  roimo  über 
*"  iBlfindischcii  liucbstnbon  ont.hält  der  cod.  AM.  415.  4"  (vgl.  O.  Htorm,  Islandske  Ann- 
ftlcr  iudtil  1578  B.VIIt. 

2)  S11.E.  AM.  U  H.  190  aain.  1. 

3)  Vgl  K.  MüUenhüff  DAK.  V,  208.  230.  Ich  selbst  lia1»  lange  aoit  dio 
MsicLt  gtitoilt,  bin  aber  nach  gründlichem  durohleaon  der  Laui'ontiussaga,  uiisoi'sr 
>>>uptqiieUe  ülwr  B«rg  SoUason,  gauz  davon  abgekoinjacn ,  da  üieli  aus  ivv  snga  ein 
*iild  von  dar  tstigtoit  aller  miinner  aus  Laurentius  zeit  entworfen  lüsst,  dio  der  vev- 
'»ssi-r  iu  aeioor  CTKÜhlung  charakterisiort. 

4)  In  gloicbem  sinne  d.  b.  im  binblick  auf  die  missienstätigkeit  ilires  holden 
"'wranEte  BoiT!  "'"'''  di*'  tUafssaga  Tryggvasonar  des  inönchs  Odd  von  fingojrrir.  Ob 
™  Biisfülirliebo  rosBttng  im  cod.  Oolin.  1  fol.  lArwidasen,  FÖrtw:kning  ofver  kgl. 
~~ '^^thrkels  i  Stockbolni  isl.  hss.  s.  3},  die  luia  Bergs  überaetxuDg  der  Ölafsängn 
^J^">(ät  (Öbifeaaga  Tryggvasonar,   er  ßergr  dboti  maraäi),   dio  nraprüngliche  arbeit 

»btM  ist,  oder  ob  diese  vorliegende  nicht  vielmehr  auf  eine  kürzore  faasong  Bergs 
irago  ich  nicbt  zu  eutscbeidou,  zumal  wir  noch  ktiinun  abdruek  des  cod. 
*"•  fol,  1  büEitw.'n. 


132  MOOS 

die  Ijaurentiussaga  von  mehreren  anderen  männem,  vor  allem  vom  Lau- 
rentius  selbst  ganz  ausdrücklich  hervorhebt,  dass  sie  vorzügliche  „ver- 
sificatores"  gewesen  seien  (Bisk.  s.  I,  794.  800  u.  ö.).  Beides  muss 
aber  bei  dem  Verfasser  der  vierten  abhandlung,  der  mit  dem  Schreiber 
der  ganzen  handschrift  zusammenfalt,  vorausgesezt  werden.  Da  sich 
nun  diese  Voraussetzungen  auf  Berg  nicht  anwenden  lassen,  halte  ich 
Egilssons  annähme  mindestens  für  wenig  wahrscheinlich.  Dagegen  finden 
sie  sich  bei  einem  andern  manne  derselben  zeit,  und  diesen  möchte 
ich  mit  ziemlicher  bestimtlieit  als  den  urheber  des  cod.  AM.  242  anneh- 
men: es  ist  bruder  Ärni,  der  natürliche  söhn  des  bischofe  Lauren- 
tius.  Zunächst  ist  die  handschrift  in  bezug  auf  die  schrift  eine  der 
vorzüglichsten  aller  handschriften,  die  wir  besitzen,  vielleicht  die  beste 
aus  dem  14.  Jahrhunderte  (vgl.  das  facs.  nr.  11  in  Sn.  E.  III).  Fer- 
ner weist  die  geschichte  des  codex  und  seiner  abschrift  AM.  756.  4® 
darauf  hin,  dass  derselbe  im  nördlichen  Island  geschrieben  ist,  wie 
auch  0.  Vigfdsson  ihn  nach  dem  kloster  pingeyrir  verl^^.  Weiter: 
alles,  was  wir  beim  Schreiber  des  codex  voraussetzen  müssen,  was  wir 
aber  nicht  bei  Berg  fanden,  haben  wir  bei  Ami. 

Bruder  Ärni,  wie  ihn  die  anualen  und  die  lAurentiussaga  stets 
nennen,  war  der  uneheliche  söhn  des  Laurentius  mit  der  ]^urld  Änia- 
dottir  (Bisk.  s.  I,  807).  Für  ihn  sorgte  der  vater  nach  kräften.  Auf 
Lauivntius'  betreiben  hin  wurde  er  nach  dem  Lögmannsann&ll,  dem  ich 
hierin  folge  (Storni,  Isl.  annal.  s.  266)  1317  vom  abte  Gudmund  als 
Benediktinerniönch  des  klosters  J)ingeyrir  aufgenommen  (Bs.  I,  832). 
Als  I^aurentius  1324  zum  bischof  von  Hölar  geweiht  war,  ruft  er  auch 
den  Ärni  nach  dem  bischofsitze,  wo  er  neben  Olaf  Hjaltason,  dem  lehrer 
in  der  gnunmatik,  und  Vallyof,  dem  leiter  des  geistlichen  gesanges,  an 
der  vom  neuen  bischof  begründeten  schule  als  lehrer  tatig  war  (Bs.  I, 
846).  Von  hier  aus  begleitete  er  seinen  vater  widerholt  auf  visitatiousreisen 
(Bs.  1,  851).  Damals  sante  ihn  auch  Laurentius  nach  Sk&laholt  zum 
biscliof  Jon,  der  ihn  zum  priester  weihte  (Bs.1,  850).  Anfangs  gehörte 
er  zu  den  tn^tlichsten  klerikern  (Bs.  I,  832.  850),  später  gab  er  sich 
jedoi'h  zuwrilon  der  giMuisssuoht  hin,  die  ihn  einst  nach  einem  zu 
fix>hlich  verbracht(»n  julfi^ste  auf  das  knmkenhiger  warf.  Dadurch  berei- 
tete  er  stMuem  vater  liauivntius  ärgemis,   der  ihn  nun  unter  ernsten 

1)  Corp.  |M>ot.  bor.  l  s.  XLV,  dooli  irt  Vigfiisson ,  wenn  er  sagt,  dass  sich  im 
cotl.  W.  voi-wo  ili»s  bruil««i"s  Ami  i'ititMl  fiinvion.  Nur  das  dor  handschrift  beigefügte 
^loiolmltrip»  fni^Mni-nt  NVl».  ontliult  oino  visa  Amis  (^Sn.  E.  II,  500)  und  scheint  noch 
niohr  oiitlmlton  Kti  )m)M«n  (vgl.  l^utVisstHida  in  Sn.  R  11,  032).  Dies  scheint  von 
oiuoni  .silitiliM'  doN  Ami  /.u  soiii^  Mohor  uioht  von  ihm  selbst. 


UNTERSUCHUNQEN   ZUR   SN.   EDDA   I  133 

ermahnnngen  nach  dem  klostcr  pingoyiir  zuriicksanto,  damit  er  hier 
sparsam  sei,  nnterrichte  und  schreibe  (Bs.  I,  873.  913).  —  Von  Ärnis 
b^^bung  scheint  sein  vater  nicht  viel  gehalten  zu  haben,  da  er  seine 
band  von  jeder  beforderung  des  sohnes  fem  hält,  und  da  er  ihm  stets, 
mag  er  ihn  als  lehrer  oder  zu  einer  Sendung  verwenden,  tüchtige  män- 
ncr  zur  seite  stelt  Dieser  Ämi,  berichtet  nun  die  Lauren tiussaga,  sei 
ein  vorzüglicher  Schreiber  und  dichter  gewesen  ^  Dies  stimt  aber  vor- 
züglich zum  Schreiber  des  Worm.  Als  lehrer  bedurfte  femer  Ärni 
einer  grammatica  und  ars  poetica,  da  er  hierin  seine  schüler  zu  unter- 
richten hatte.  So  mag  unsere  handschrift  zu  bestimtem  pädagogischen 
zwecke  entstanden  sein:  sie  war  ein  werk  für  heimische  spräche  und 
poesie.  Denn  die  muttersprache  (möäurtunga)  hielt  Laurentius  für  die 
alleinige  vermitlerin  zwischen  geistlichkeit  und  volk  (Bs.  I,  861  fg.); 
daher  wird  er  auch  den  Unterricht  in  dieser  gefördert  haben.  Uns 
wird  jezt  auch  die  belesenheit  des  Schreibers  in  den  lateinischen  gram- 
matikera  verständlich:  er  verdankte  hierin  seine  kentnisse  seinem  col- 
legen  Olaf  Hjaltason,  den  Laurentius  eingesezt  hatte  „at  kenim  gram- 
maticam"  d.  i.  lateinische  grammatik  (Bs.  I,  846).  Zu  diesen  äusseren 
gründen,  die  für  Ärais  Verfasserschaft  sprechen,  treten  aber  auch  innere. 
Der  Schreiber  muss  natürlich  das  Hättatal  gekaut  haben.  Aber  er  scheint 
dasselbe  auch  gründlich  studiert  und  sich  zum  vorbild  genommen  zu 
haben:  in  der  vierten  abhandlung  sind  nicht  nur  Strophen  aus  Hättatal 
citiert,  sondern  auch  widerholt  die  künstlichsten  formen  nachgeahmt 
Nun  sind  aber  unter  bruder  Amis  namen  eine  visa  und  zweimal  je 
zwei  halbverse  erhalten:  beide  zeigen  offenbar  kentnis  von  Snorris 
niustorha)ttir  imHättatal.  Sn.  E.  11,  500  findep  wir  in  allen  vier  unge- 
raden halbversen  den  ersten  studill  (auf  hochtoniger  silbe)  unmittelbar 
vor  dem  zweiten,  den  das  lezte  wort  und  die  erste  silbe  des  dritten 
fusses  des  halbverses  enthält,  gerade  so,  wie  es  Snorri  beim  refhvarfa- 
brudir  (Hättat  v.  23;  Möbius  11,  s.  12)  offenbar  angestrebt  hat;  die  bei- 
den andern  halbverspaare  (Sn.  E.  11,  632)  dagegen  sind  nach  dem  ganz 
seltenen  grossen  stuf  (Hättat.  v.  51)  gedichtet,  der  in  der  alten  poesie 
sonst  einzig  dasteht  —  So  laufen  alle  fdden,  die  uns  der  cod.  AM.  242 
betrefe  seines  Verfassers  gewährt,  in  Ämi  zusammen;  der  samler-  imd 
schreiberfleiss  seines  vaters  Laurentius  und  dessen  oheim  pörarin  kaggi 
(Bs.  I,  790)  können  diese  annähme  nur  stützen,  da  sie  den  weg  zu 
zeigen  scheinen,  wie  Arni  in  den  besitz  seiner  vorlagen  kam.    Welches 

1)  Bs.  I,  832:  rarä  Jiann  hinn  frainasti  klerkr  ok  skrifari  haräla  scnni- 
ligr  ok  versificator;  ebd.  I,  850:  Var  broäir  Ami  hinn  hexti  klerkr  ok  rersi/tcator 
ok  kenndi  mqrgum  klerhim. 


1:M  mogk 

(Ii(^s(>  ^owesoii  sind,  diis  dürfon  wir  nach  den  neuesten  forschungen  als 
foststohond  ansehen. 

Die  eigentliche  Edda  kernt  für  uns   hier  nicht  in  betracht;   uns 
berühren  nur  die  grammatischen  arbeiten,   die  in  ihrer  gesamtbeit  im 
zweiten  bände   der  aniamagna^anischen  Snorra  Edda  (s.  1 — 249)    und 
kritischer  von  dem  Samfund  usw.  1884 — 86  herausgegeben  sind.    Von 
diesen  abhandhingen  ist  das  älteste  stück  ein  auszug  aus  dem  runen- 
alplmbete  des  pörodd  Cramlason  und  Ari  (c.  1100),   den  Olaf  {kSrdarson 
im  ersten  teile  seiner  abhandUing  aufgenommen  hat    Auf  diese  folgt 
der  zeit  nach  der  traktat   eines  unbekanten  Verfassers,   der  um   1140 
entstanden  ist  (I):  sein  Verfasser  verändert  das  lateinische  aiphabet  sei- 
ner heimat,  indem  er  unnütze  buchstaben  ausmerzt  und  neue  einführt; 
er  befivit    die   isländische   schrift   vom  joche  der   ungenügenden  latei- 
nischen und  schalt  so  eine  mehr  nationale  schrift     Sein  werk  ist  in 
jinler  weise  hervorragend   und  beherscht   die  ganze  folgende  zeit,   die 
zeit,  aus  der  die  ältesten  isländischen  handschriften  stammen. —  Hierauf 
foli^Ml  die  aus  ihrem  zusammenhiuige  losgerissenen  einleitenden  bemer- 
kmiirini  über  die  spmche  zum  Hättatal  in  einer  kaum  wider  zu  erken- 
nenden gestalt  (in.    Zeitlich  Si*hliessen  sich  dann  die  arbeiten  Olaf  p6rA — 
arsons  über  die  buchstitWn  und  die  rhetorischen  figuren  an  (III).    Dicm 
le:^ter\M\  erweitert  nun  der  schnnber  der  handsohrift  durch  eigene  for — ' 
schuusr,   indem  er  zugleich  die  meisten  figuren  durch  eigene  diehtun^^ 
ht^legt  {\\):   allen  dii^^n  arbeiten  fügt  er  schliesslich  ein  gemeinsamess" 
verwort  l^inzu. 

AVährv^nd  man  sich  mit  dem,  was  die  forsohung  unserer  tag^^ 
Mrx^fe  der  l.,  IIL  und  IV,  abhandlim?  s^^fimden  hat,  bescheiden^ 
kann,  wissen  wir  ülvr  die  sv^o>n.  IL  abhandlunsr  nicht  viel  mehr"^ 
als  was  wir  sv*hvni  früher  wüsten;  etwas  tiefer  in  das  wesen  und  den::* 
r\\\^\*k  dorscllvu  cinrudrinsreu  Ivabsiohtiü^Hi  die  vorliegenden  unter-*^ 
suchutueu  \ 

l-  Oio  überarbeitete  cestalt  und  die  ursprünclichere  fassungrS 

P:o  S'^o  tuiritv*  r^unti^*  i:nuuttiaris\.*he  abhandtuni:  der  ^norra-Edda-^ 
w:o  >:o  luvh  vlio  ;üri>te  aus^r^iW  Iwr^Hohuet,  oJer  die  einleitiuag  zunc^^ 
H.i:«ir.il.  w:c  .ch  vlor  uurcrvuvhuivc  vv^n:r\^itvud  dietselbe  nennen  mochte-*^ 
->:  uv.s  VA  -'Wvi.  p->:a':v»;  ulvr^ietert:  ei:uT  iirspruacüoher«!  und  einei^ 
;i\i-%:cvf.^c\t:.    vi:;    -jr.o   Kttur:   hat.     Wie  Ruui  isi  norden  die  spatere^ 


TJNTEILSUCIIUNUKN    ZUK    SN.    EDDA    I  135 

fassiiDg  als  dio  ursprüngliche  ansah,  zeigen  die  verechiedenen  ausgaben 

der  Snorra-Edda,  G.  Vigfüssons  verächtliche  aussprüche  über  dio  ältere, 

reinere  gestalte  zur  genüge,  und  dass  man  auch  in  Deutschland  dieser 

ansieht  folgte,  beweisen  Holtzmanns  bemerkungen  in  seiner  althd.  gram- 

matik  (I,  65  fg.)  oder  Möbius'  werte  zum  Hättafcil  (I,  18).     Das  war  die 

herschende   ansieht,   als   ich  Beitr.  VI,  5362   j^g   gegentoil   behauptete 

und  andeutete,   dass  die  jüngere  gestalt  überarbeitet  sei  und  dass  sich 

die  quellen  des  Überarbeiters  nachweisen  lassen.     Zu  ähnlichem  resul- 

tate  kam  bald  darauf  Müllenhoff  (DAK.  s.  167  anm.)  und  später  F.  Jöns- 

son  (ausg.  der  ü.  abh.  s.  XVI  fgg.). 

Die  älteste    und   relativ   reinste  gestalt   unserer    abhandlung    ist 

erhalten  im 

cod,   Upsal  coli.  Ddagard.  no.  IL 

Es  ist  derselbe  codex,  welcher  die  ganze  Edda  und  was  mit  diesem 
hausbuche  Snoms  in  engstem  zusammenhange  steht,  in  seiner  relativ 
ursprünglichsten  gestalt  enthält.  Hier  findet  sich  die  abhandhing  auf 
den  SS.  88  —  91,  fült  also  gerade  2bll.  Vor  ihr  befinden  sich  die  Skdld- 
skaparmäl,  nach  ihr  ein  entwurf  des  Hättatals,  welcher  die  anfange  und 
die  namen  der  36  (ausschliesslich  der  35.)  ersten  vlsur  des  gedichtes 
enthält  Dieser  fült  gerade  s.  92  und  93  der  handschrift,  und  an  ihn 
schliesst  sich  unmittelbar  das  commentierte  Hi'ittatal.  Einen  buchsta- 
bengetreuen abdruck  dieser  fassung  der  abhandlung  haben  wir  im  zwei- 
ten bände  der  amamagnäanischen  Edda  (AM.  11 ,  364  —  69)  und  in  der 
«usgabe  von  Finnur  Jönsson  (F.  J.  s.  56  —  61).  Zwei  figuren  sind  der 
iibhandlung  beigegeben;  diese  sollen  die  werte  der  abhandlung  veran- 
schaulichen. —  Ob  wir  in  dieser  fassung  die  ursprünglichste  gestalt 
haben,  wird  sich  weiter  unten  zeigen.  Auf  alle  fälle  ist  ihre  vorläge, 
von  der  unsere  handschrift  eine  flüchtige  abschritt  ist,  in  der  zweiten 
fassung  unmittelbar  oder  mittelbar  benuzt,  nämlich  im  cod.  Wormianus, 

dem  cod.  AM,  fol  242. 

Hier  befindet  sich  die  abhandlung  bl.  40'  fgg.,  wo  sie  auf  der  6.  zeilo 
begint.    Sie  steht  zwischen  dem  1.  und  3.  grammatischen  traktate.   Dass 

1)  Nachdem  G.  Vigfüsson  schon  Sturl.  I,  LXXXI  dio  alte  fassung  an  abrUhj- 
mcnt  of  the  second  Skalda  Trcatisc  gouant  hat,  äussert  er  sich  im  Cpb.  I,  XLVll: 
a  few  bits  of  the  Anonymoiis  Grammarinn's  work,  icith  imperfcct  broken  tcrt, 
but  irith  the  Table s  refcrrcd  to  in  „TF*S  but  iiot  copied  therey  being  probably 
missiny  in  his  original.  Von  Vigfiisson  freilich  war  nicht  zu  hoffen ,  dass  er  in  den 
fragen  über  dio  Überlieferung  der  Edda  jemals  den  klarsten  nachweisen  beistimmen 
würde;  ihm  war  der  AVormianus  das  a  und  gj,  dem  alles  zum  opfer  fallen  muste. 

2)  Daselbst  ist  z.  5  AM.  II,  44  (st.  74)  zu  lesen. 


13G  MOOK 

sie  nach  dem  willen  des  aufzciclmers  nicht  unmittelbar  an  den 
1.  anschlicssen  soll,  beweist  der  umstand,  dass  sich  vor  ihr  ein  freier 
räum  von  sechs  zeilen  befindet  Dagegen  hat  sie  der  Schreiber  als 
grammatische  arbeit  aufgefasst  und  auch  äusserlich  den  inneren  Zusam- 
menhang zwischen  der  1.  abhandlung  und  ihr  angedeutet:  während  er 
bei  zwei  abschnitten  der  handschrift,  die  inhaltlich  von  einander  ver- 
schieden sind,  den  zweiten  mit  einer  grossen,  3  zeilen  umfassenden 
initiale  beginnen  lässt,  ist  hier  beim  beginn  der  abhandlung  nur  räum 
für  eine  kleine,  zweizeilige  gelassen.  An  unsere  abhandlung  schliesst 
sich  dann  unmittelbar  der  traktat  des  Olaf  pördarson  an. 

Diese  fassung  der  abhandlung  ist  nun  auf  der  einen  seite  angcfült 
teils  mit  ganz  unangebrachter  theologischer  gelehrsamkeit,  teils  mit  stel- 
len aus  dem  ersten  grammatischen  traktate,  teils  mit  stellen,  welche 
scheinbar  ganz  in  der  luft  hängen, —  alles  dies  hat  die  fassung  im  cod. 
Ups.  nicht.  Auf  der  andern  seite  aber  entbehrt  der  cod.  Worm.  der 
figuren  der  Upsalaer  handschrift,  auf  welche  er  sich  selbst  zu  wider- 
holtcn  malen  beruft. 

Das  alte  ist  zerrissen  und  neu  zusammengeflickt,  imd  zwar,  wie 
schon  eine  einfache  lektüre  beider  fassungen  lehrt,  von  einem  geist- 
lichen, der  kein  besonders  grosses  talent  besessen  haben  kann,  wie  es 
sich  ja  beim  bruder  i.mi  zeigte.  Welten  und  müsten  wir  von  dieser 
fassung  ausgehen,  wir  würden  nie  unsere  abhandlung  verstehen  kön- 
nen; sie  ist  verwirt  und  verwirrend.  Ganz  anders  steht  es  bei  der  älte- 
ren fassung.  Hier  ist  alles  vom  anfang  bis  zum  ende  rein  sachlich, 
logisch  durchdacht  und  scharf  gegliedert,  wenn  wir  von  dem  abschnitte 
absehen,  der  später  besonders  ins  äuge  zu  fassen  ist 

In  der  auch  den  andern  teilen  der  Edda  eignen  katechetischen 
weise  begint  der  Verfasser  mit  den  drei  arten  des  tones,  nämlich: 

1)  des  tones   lebloser  gegenstände   und   zwar   a.  solcher,   die   von 
selbst  tönen  (luft,  wasser), 

und  b.  solcher,  die  durch  die  menschen  zum  tönen  gebracht 
werden  (stein,  wafFen);  es  folgen: 

2)  die  laute  der  tiere  (a.  der  vögel,  b.  der  landticre,  c.  der  was- 
sertiere), 

3)  die  laute  des  menschen. 

Die  entwicklung  ist  volständig  klar  und  durchsichtig.  Der  dritte  punkt 
—  und  dies  führt  zugleich  von  der  einleitung  zum  eigentlichen  thema  — 
gibt  veranlassung,  die  organc,  mit  denen  die  menschliche  spräche  her- 
vorgebracht wird,  anzuführen  und  das  bild  zu  gebrauchen,  wie  mund 
und   zunge   einem   Spielplatz   gleichen,   auf  dem    die   einzelnen   buch- 


UNTERSUCHUNGEN   ZUR   SN.    EDDA   I  137 

Stäben*  mit  einander  spielen.  An  diese  bcmerkung  reiht  der  Verfasser 
unmittelbar  einen  zweiten  vergleich :  die  spräche  gleicht  der  auf  der  sim- 
plionie  heiTorgebrachten  musik;  wie  diese  durch  das  zusammenwirken 
von  taste  und  saite  hervorgebracht  wird,  so  erzeugt  das  vorbinden 
von  consonant  und  vocal  die  menschliche  spräche.  Beide  vergleiche 
werden  dann  durch  figuren  veranschaulicht,  welchen  eine  eingehendere 
erklärung  folgt  Wie  nun  das  häkchen  der  taste  und  die  saite  zusam- 
niengreifen  (henda)  müssen,  um  den  ton  hervorzubringen,  so  müssen 
sich  auch  consonant  und  vokal  verbinden,  um  den  einfachsten  klang 
der  spräche  und  poesie  zu  erzeugen,  imd  diese  Verbindung  ist  die 
liending.  Mit  dieser  sind  wir  unwilkürlich  zu  dem  grundpfeiler  der 
skaldonmetrik  gefülirt  und  wir  verstehen,  weshalb  unsere  abhandlung 
sich  unmittelbar  vor  dem  Ht^ttatal,  diesem  sammelgedichte  altislän- 
discher versarten,  befindet:  sie  ist  die  naturgemässe  einleitung  zu  dem- 
selben. 

Anders  liegt  die  sache  in  der  zweiten  fassung  der  abhandlung. 
Hier  ist  dieselbe  aus  ihrem  zusammenhange  losgerissen  und  bildet  ein 
in  sich  abgeschlossenes  ganze,  das  sich  nur  durch  die  ähnlichkeit  des 
inhalts  mit  dem  vorhergehenden  und  folgenden  ganz  oberflächlich 
berührt  Indem  dies  aber  vom  Hättatal  losgetrent  wurde,  bedurfte  es 
einer  volständigen  Umarbeitung.  Dies  sah  selbst  ein  so  wenig  begabter 
bearbeiter  wie  Ämi  ein.  Allein  wohin  wir  auch  blicken  mögen,  überall 
sezt  diese  neue  arbeit  die  alte  voraus,  jene  selbst  ist  ein  ziemlich  kläg- 
liches werk,  nur  zu  oft  ohne  einsieht  und  Überlegung  niedergeschrie- 
ben. Man  vergleiche  gleich  den  eigentlichen  eingang,  den  anfang  von 
cap.  2  (AM.  n,  46.  FJ.  50*2  fgg.):  JST^  hafa  pesser  luter^  hlioä,  su- 
mer  rqdd  ok  sumer  mal,  sein  sagt  var.  Die  lezten  werte  (sein  sagt 
rar)  sind  volständig  unverständlich,  da  vorher  kein  wort  von  dem 
gesagt  ist,  was  hier  angedeutet  wird.  Nun  hiess  es  aber  in  der 
ursprünglichen  fassung  (AM.  11,  364,  4  fgg.     FJ.  56*^  fgg.): 

Ell  pripja  hlioäs  grein  er  sii,   sem  memiinir  hava;  pat  heiter 
hlioä  ok  rodd  ok  mal, 

1)  Ich  gebraucho  dies  wort  im  anschlass  ao  das  stafir  des  textcs. 

2)  Dio  norwegischon  oigentümlichkciton ,  dio  wir  mehrfach  im  cod.  W  finden, 
crkläroD  sich  ebenfals  aas  der  annähme,  dass  Ämi  der  sclircibor  sei.  Ann  stamte 
aas  dem  westlichen  Norwegen,  wo  Ijaurontius  seine  matter  I^urid  kennen  gelernt 
hatte.  In  der  altertümlichen  kirche  von  Borgund,  die  noch  heute  den  wanderer  zum 
besuche  ladet  (Du  Chaillu,  Im  lande  der  mittemachtssonne  I,  417),  ist  er  getaaft; 
in  den  anmutigen  gefilden  dieser  gegend  hat  er  seine  erste  Jugend  verlebt  (Bs.  I, 
807.  820). 


i:i8  MOGK 

VorluT  sind  hier  dio  goräiischo  der  elementc,  dio  stimmen  der  tiere 
orwähnt.  Sachgemäss  geht  der  Verfasser  nun  zur  spräche  der  men- 
srluMi  über.  Diese  ganze  entwicklung  hatte  der  Überarbeiter  vor  äugen, 
als  er  jene  worto  schrieb,  und  da  er  nicht  weiter  darüber  nach- 
(hiclite,  dass  bei  ihm  erst  folgen  solte,  was  er  in  seiner  vorläge  gelesen 
hatte,  so  fügte  er  jenes  an  und  für  sich  ganz  sinlose  sem  sagt  rar 
hinzu. 

Forner   heisst  es  (AM.  II,  48^^fgg.;    FJ.  51^^):    /  fyrsia   hring 

vru  fiorrr  stafer Es  ist  also  von  den   spielplatzringon  die  rede, 

von  denen  vorher  gesagt  ist:  ok  V  hringar  eni  um  pa  stafi  siegner  edä 
s'icitrr  i  maaL^  lueitL  Die  ganze  stelle  ist  uns  widerum  volständig  dun- 
kel; wenn  wir  die  Hgur  im  cod.  U  nicht  hätten,  wüsten  wir  gar  nichts 
mit  ilir  anzutangen.  Sie  sezt  diese  voraus  und  weist  demnach  schla- 
ginid  auf  den  vorrang  von  U  hin.  Ja  am  Schlüsse  dieses  abschnittes 
k(*>iuion  wir  noch  deutlich  sehen,  dass  der  Überarbeiter  jenen  ring  vor 
sicli  gehabt  hat,  sonst  könte  er  niclit  sagen  (AM.  52,  6.  FJ.  52**^): 
TitUir  cru  her  sra  rttadar  sau  i  qdntm  riixluetiiy  da  doch  weder  vor- 
her uivlx  nachher  der  //7/(ir  erwähiumg  getan  wird.  Auch  das  ganze 
tlinfte  kapitel  (AM.  II,  5G  fgg.  FJ.  53--  fs^.)  sezt  die  zweite  figur  des 
ihhI.  r  (AM.  s.  olK^.  JF.  57)  voraus  und  wird  erst  durch  sie  über- 
haupt vorstiüuUioh. 

Zum  glück  hat  der  überarWiter  so  ungeschickt  gearbeitet,  dass 
i^  uns  nicht  schwer  fallen  kann,  selbst  ohne  hülfe  der  kürzeren  fas- 
suui:  den  ivhtcn  alten  kern  henuiszus^^hülen. 

Ich  tinde  in  der  arlvit  eine  dreifeche  quelle  des  Schreibers  und 
rwar: 

U   den   konu    welcher,    vvni   einigen   nüsverständnis^m   abgesehen, 

iicmlivli  :uit  der  kürrcrv^u  f;issun;:  üborvinstimt. 

L*>  iuteav^Uuionou,  die  ,^us  dorn  1.  tmkiate  Äb;^?schrieben  sind. 

i^i  K^«tcrkuno.n\  dc^  üK^nirtvitt^rs  nÄmentiich  am  ein:jani:e  und 
s^'hlu>^\  welche  durcli^^tv  lUvnichsw.isheit  enthalten  und  3:u  den 
sf»mch>.v'!icu  lvluo^kuu;^n^  jxis^cu  wie  dio  &ust  auts  aage. 

Ar.:   kUrs:cu   «ciiTt    punit  :?,   dAS5>   in   d-^r  ausfuhrlichen   fiissung 

utts^*rvT  abhciudluu^  ctuc   uN^n^rly  i^H^dc  h.*rul  t;*::^  i^?wet?en  ist     Dass 

der  l.  tmir^i:  \u\  früher  a*s  dio  *:irc^^  ;:^>>:»::  d-.^  ^J;c^  turnten  zweiten 

•     >.      >  — 

cu^i^^iridcc.  *<:,  s^ti:  uttu-^^^sr.^c^sCioh  tv^:.  IViie  >rini::in!i  in  versehie- 
dcticr.  sciicicr.  ^^ort>,o:i  uKr^^.u,  o.v,v.^  ;;K'r:i:i>:i=:r::"^n^  i>t  so  gnxss^ 
viLfeÄi  sie  stvÄ  u;;r  j^->  .^ViSvhri:^  viv^^  cauu  aus  vi^^ci  AÄC-:ni  tckliren  lüsst 


UNTERSUCHUNGEN    ZUR   SN.    KDDA   I  139 

(AM.  n,  52,  5.     FJ.  52  2»):  dazu  aus  dem  1.  trakt.  (AM.  II, 

Jiefer    iituU    eklci    einkar    eitli    iil  38  2.     VD.  IS^^): 

stafSy  heUdr  er  kann  til  shjringar     Titnil  liefer  emi  elclä  eäli  til  stafs, 
ritx.  eiin   haim    er  J)o    til  skyndingar 

ritx.   (natürlich  ist  dies  die  einzig 
richtige  lesart). 

Veranlassung,  jene  bemcrkiing  einzufügen,  gab  das  titlar  ero  sva 
ritapir  her  sem  i  opmm  ritxhcctti  (AM.  II,  367,  g.  FJ.  59  2^).  Mit 
diesen  werten  schloss  regelrecht  die  erklärung  der  figur;  ein  weiteres 
eingehen  auf  die  titlar  war  nicht  bezweckt,  ja  wäre  überhaupt  unan- 
gebracht gewesen.  Allein  der  schreibselige  Überarbeiter  ist  noch  nicht 
mit  jener  bemerkimg  zufrieden,  dass  die  titlar  eigentlich  gar  keine 
biichstaben  sind,  er  muss  uns  auch  noch  die  etymologie  des  wortes 
titidl  geben,  natürlich  auch  nur  aus  dem  1.  traktate. 

(AM.  n,  38  ".     VD.  13  1«.)  (AM.  II,  52,  4.     FJ.  52  »o): 

Titan  heitir  sol,   en  pada?i  af  er  Sol  heiter  Titan,   heiter  paäan  af 

niinkat  pat  iiafn,  er  titulus  er  a  tituhis    i    latimi,    er    ver   kollum 

latinu;    titull  kveäum  ver  pat  er  titiil,  pat  er  sem  litil  sol,   pviat 

sem  Ktil  sol  se,  pinat  sva  sevi  sol  sva  sein  sol  lysir  heim  allan,  sva 

lysir  pars  aar  var  myrkt,  pa  lysir  lysir  titull  orä  rett  ritin, 
sva  titull  bok,  ef  fyr  er  ritinn. 

Nach  diesem  isidorischen  erklärungsversuche,  welcher  sich  in  der 
ersten  abhandlung  mitten  in  der  erklämng  der  einzelnen  buchstaben 
befindet,  fahrt  der  Verfasser  von  1  mit  der  darstollung  der  einzelnen 
buchstaben  fort  Das  veranlasste  auch  den  Überarbeiter  der  zweiten 
abhandlung  nochmals  zu  den  buchstaben  zurückzukehi*en.  Er  übersah 
dabei  ganz,  dass  er  etwas  zu  pergament  brachte,  was  er  schon  (AM. 
n,  48.  FJ.  51)  im  grossen  und  ganzen  gesagt  hatte.  Bei  dieser  gelo- 
genhoit  fügt  er  noch  eine  bemerk ung  über  x  und  x  (AM.  11,  54  ^. 
FJ.  53*)  hinzu  und  zwar  widerum  aus  der  1.  abhandlung  (AM.  II,  343 
FJ.  129),  ohne  auch  nur  daran  zu  denken,  dass  sich  diese  nicht  recht 
in  einklang  mit  seinen  früheren  werten  bringen  lässt 

Es  folgt  ein  neuer  abschnitt,  der  abermals  wörtlich  aus  der 
1.  abhandlung  genommen  ist 

(AM.  n,  30  1«.     VD.  10  12.)  (AM.  II,  54  i«.    FJ.  53  \) 

Enn  fyr  pvi  nu,  at  surnir  sam-  Enn  fyrer  px'i  nu^  at  stutier  sam- 

hUoäendr  hafa  sin  Ukneski  ok  nafn  hliodendr  hafa  sitt  lilmeski  ok  nafn 

ok  iartein,  en  surnir  hafa  hofud-  ok  iartein,  enn  sumer  Jiafa  hofud- 

stafs  Ukneski  ok  fiafn  ok  iartein,  stafs    Ukneski    ok   skipat    stqfum, 


140  MOQK 

en  siimir  hafa  hqftidsiafs  liknesld     enn  siimer  i  7iafni  ok  aukit  at- 
ok  skipat  stqfum   sumra  i  nafni     kvceäi    bceäi    nafns    ok  iarieinoTj 
ok  aukit  atla*cedi   bcedi  nafns  ok     enn  siimer  haUda  likneski  sinu  ok 
mrieinaVy  en  sumir  haUda  liknesld     er   po    minnkat    atkvcedi    nafns 
s^inu,   ok  er  po  minnkat  atkvcedi    peira  ok  tartein  su,  er  ßeir  skulu 
jiafns  peira,  ok  iartdji  su,  er  peir     bera  i  malinu  peiri  lik  er  i  7iafn' 
shdo   hafa  i  mälinu,    skal  peiri     inu  verdr;  pa  skal  nu  syna  leiin 
lik  er  i  nafninu   verda,  pa  skal     bcedi  likneski  peira  ok  sva   nqfn 
nu  syna  leita  bcedi  lilcneski  peira     fyrer  ofan    ritud,    at    yfcr  peim 
ok  st^a   nofn  fyr  ofan  ritin ,   at     megi  nu  allt  saman  Uta  er  aaähr 
yfir  pat  7negi  nu  aUt  samari  Uta,     var  sundr  latisUga  um  rcett 
er  adr  var  sundr  lauslega  um  rcett. 

Hierauf  folgt  in  beiden  abhandlungen  das  grosse  und  kleine 
alphabot,  in  IL  wie  der  hcrausgeber  in  AM.  ganz  richtig  hervorhobt 
,,non  sine  confusione.*' 

Der  vergleich   der   oben   angeführten   stellen    bedarf  wol    keines 
kommentars,   um  die  herübemahme  des  Überarbeiters   aus   der   ersten 
abhandlung  als  tatsache  hinzustellen.     Schauen  wir  jezt  auf  die  beiden 
andern  teile  des  überarbeiteten  textes,   auf  den  eigentlichen  kern  und 
die  theologischen   bemerkungen   des  Verfassers.    Auf  den   ersten  blick 
tritt  uns  hier  ein  auffallender  gegensatz  vor  die  äugen.    Auf  den  kla- 
ren, logisch  strengen  gedankengang   der  ursprünglichen  fassung  in  U 
machte  ich  schon  aufmerksam;  diese  gedanken  hat  der  Überarbeiter  im 
ganzen  beibehalten.    Wo  sich  ü  mit  W  deckt,   ist  alJes  rein  sachlich, 
die  spräche  ist  edel,  aber  ohne  jeden  rhetorischen  schmuck.   Von  einem 
hinweis  auf  gott  finden  wir  keine  spur.     Ganz  anders  der  eingang  und 
der  schluss  der  Überarbeitung.    Bemerkungen  ohne  allen  inhalt,  Unklar- 
heit, tautologien  und  rhetorische  Wendungen,  in  denen  der  dichter  sich 
nicht  verleugnet  (man  vgl.  die  bindungen  skrfjddr  ok  pr^ddr,   neyti  ^* 
njötiy  limir  ok  lidir)^  eine  breite,  oft  widerliche  spräche,  die  öftere  veir- 
bindung  coordinierter  sätze  durch  eda  statt  okj   dabei  stete  seufzer  ^^ 
gott  und  zum  Schlüsse  das  grosse  halleluja   auf  den  dreieinigen  goti, 
das  ist  das  machwerk  unsers  Überarbeiters,  durch  welches  er  sich  u^^s 
zur  genüge  als  einen  wol  gläubigen  aber  ziemlich  beschränkten  klerik^^ 
vorstelt     Seine  eigenen  werte  mögen  zeigen,   wes  geistes  kind  er  w^"'- 
(AM.  II,  44.    FJ.  50.) 

Nu  fyrer  pvi,  at  madrinn  se  skynsamlcgnm  anda  skryddr  ^ 
pryddr,  pd  skilr  hann  ok  greiner  allra  luti  giqrr  ok  gl<^ggra,  en  anf^^^ 
kykvendi,  pa  neyti  ok  Jiioti  pess  lans  med  gudi,  hiarta  mannx  k^^^' 
ner  allz  ok  vid  hiartat  liggr  bcedi   barki  ok  velendi  ok  andblasf^^^ 


UNTERSUCHUNGEN   ZUR  SN.   EDDA  I  141 

dtäar  renna  par  upp  ok  rcetaz  bceäi  pcer  ceäar,  er  bera  vind  eäa 
Ikstr,  bloä  eäa  lioä,  ok  a  annän  veg  horfa  pcer  sva,  at  pcer  nuetax 
xüS  tungu  rcetr  meä  pvi  hverr  er  parf;  renn  ok  rqdd  upp  fyrer  hveriu 
orfi.  parf  ok  med  oräi  hveriu  prior  pessar  greiner:  minni  ok  vit  ok 
Ailrdng;  minni  at  muna  oräa  aikvcedi,  vit  at  hugsa  hvat  kann  vill 
nuekt,  skilfdng  til  pess,  hvat  i  byr  oräunu?n. 
Und  weiter  heisst  es  am  schlösse: 

(AM.  n,  58.    PJ.  54 10). 

Osanna,  seger  hon  (tungan),  pat  pydiz  a  vaara  tungu  sva:  grced 

Pu  oss.    En7i  pat  er  a  ebresku  mcelt,  ok  stakk  hana  natturan  til  pess 

fyrer  pvi  at  hofi  var  fyrst  ok  gekk  pa  um  aUan  heim,  pangat  til  er 

ffiiä  skipti  peiyn,  —  Nu  seffir  par  til,  at  henni  potti  hann  vera  styri- 

fnodrinn,   er  hann  sJcapadi  hana  ok  af  kristx  nafni  er  kristnin  koU- 

tt^.     Ver^  er  kristner  erum,  koUum  hann  hofud  vddrt,  enn  ver  hans 

Utner  ok  lidir,   ok  hans  sonr  er  sa,   er  Jiann  sejidi  hingat  i  heim,  ok 

w  er  vddrr  fader,  en  ver  hans  bqm,     Var  ok  faderinn  vcenligr  til  at 

9homa  sinum  bqrnum  sva  sern  bext  gegndi;  var  pi  ordit  or  messunni 

W  tekit,  at  hann  vissi  hverr  lofsongr  honum  potti  mestr  framm  fluttr 

P^^sa  heims  vid  sik  sialfan,  er  par  ok  vaar  hialp  oü  i  folgin,  er  um 

^^*w«  pisl  er  rcett  ok  saar,  er  hann  poldi  a  krossiiiwn  helga  er  or  rann 

"<^t  blöd  ok  vatn,  ok  i  pi  erum  ver  skirdir,  er  rett  truum  a  abnattk- 

^^  gud.     Ok  pat  hans  hoüd  ok  blöd,   er  i  messunni  er  framm  flutt, 

^  vart  famest,  pa  er  ver  forum  af  pessum  lunmi,     Nu  skal  pat  vaan 

^oar  at  vcetta  pess  at  sva  fremi  farix  oss  vel,  er  sva  verdr  sem  härm 

'^fer  fyrer  sied,   at  bcedi  se  at  hann  er  i  fqr  med  oss  ok  ver  med 

'^^^um,  pa  er  ver  forum  heim  til  fodurleifdar  vaarar;  ok  pa  er  hann 

'^^fer  sHpt  sinu  Udi  sier  til  hregri  hmidar  epter  domsdag,  pa  skulum 

^^^  hefja  upp  alleluia  fyrer  pvi  at  pat  er  cigi  iardneska  sqngr;  syngin 

-^tta  pa  aller  sanuin  tiu  fylki  guds  engla  ok  maiuui,  pa  er  almattigr 

9u^  ferr  medr  sina  ferd  heim  i  himinrikis  dyrd  ok  skulum  pa  una 

*  ^fellu  sva  at  aUdri  skal  epter  verda  7ned  gudi  almatkum  par  sem 

^nn  er  €8  ok  ce  med  fear  ok  syni  ok  helgum  anda,   sa  er  Ufer  ok 

^fer  einn  gud  of  aUar  aUder  veraUda.  amen. 

Die  aogef (igten  stellen  glaube  ich  genügen,  um  mein  urteil  über 
^ou  Überarbeiter  zu  rechtfertigen.  Hervorgehoben  sei  nur  noch,  dass 
^ie  bemerkungen  über  das  Ösanna  und  das  Alleluja  aus  Isidor  (Orig. 
^I|  k.  19)  geschöpft  sind,  alles  andere  ist  zweifelsohne  mach  werk  des 
wenirbeiters  selbst.  Von  all  dieser  theologischen  Weisheit  hat  die  kür- 
zere fiissung  in  ü  kein  wort  Wenn  wir  nun  auf  der  einen  seite  die 
^  tatsaehe   erwiesene   herübernalmic   aus   der   ersten   abhandlung  im 


142  MOQK 

auge  behalten,  dazu  die  volständige  verscliiedenhcit  auch  der  anderen 
stücke,  auf  der  anderen  seite  aber  hervorheben  müssen,  dass  von  allen 
diesen  die  fassung  im  cod.  Ups.  nichts  hat,  so  glaube  ich,  liegt  es  auf 
der  band,  wo  der  ursprüngliche  text  unserer  abhandlung  zu  suchen 
ist  Auf  diesen  werden  wir  aber  auch  geführt,  wenn  wir  endlich  noch 
den  kern  in  der  ausführlichen  fassung  mit  der  kürzeren  vergleichen. 

Bereits  die  oben  betonte  tatsache,  dass  die  fassung  in  W  die  in 
U  voraussezt,  muss  uns  für  leztcrc  handschrift  einnehmen;  weitere  oft 
ganz  widersinnige  auffassungen  und  änderungen  nötigen  uns  für  immer 
mit  der  ausführlichen  fassung  zu  brechen.^ 

AM.  n,  48  7.     FJ.  51 12  heisst  es  in  W: 

Äfudrifui  er  leikvoUr  ordarma,  en  tungan  styrid, 

U  hat  nur: 

Mvprinn  ok  Uingan  er  leikvoUr  orpanna, 

Lezteres  ist  das  allein  richtige.  Der  Überarbeiter  von  W  ist  ganz  aus 
dem  bilde  gefallen,  indem  er  auf  den  Spielplatz  auf  einmal  das  schife- 
steuor  bringt,  denn  nur  dieses  bedeutet  st^ri.  Doch  selbst  angenom- 
men, styri  sei  an  unserer  stelle  das  holz,  mit  dem  man  den  spielball 
zu  schlagen  pflegte,  das  knatttrö  oder  die  knattgiMra,  wie  es  einmal 
in  der  Grettissaga  (s.  27  ^^)  heisst,  so  zeigt  doch  der  ganze  Zusammen- 
hang, dass  dies  hier  unangebracht  wäre:  Auf  der  zunge  spielen  die 
feststehenden  „buchstaben"  gerade  so  wie  auf  den  lippen,  und  der 
gaumen  ist  nicht  weniger  tätig  als  diese  beiden  teile  unserer  sprach- 
workzeuge. 

Nach  der  ei-ston  figur  (AM.  s.  367.  FJ.  57),  welche  sich  ja  nur 
in  U  befindet,  auf  die  sich  aber  der  text  beider  fassungen  beruft,  heisst 
es  in  W  (AM.  48^.     FJ.  51 1»): 

7  fyrsta  hriug  eru  fwrer  stafer,  er  heiia  hofiiästafiry  pa  ^na  Hl 
ei?tskis  atmars  vyia,  eint  rem  npphaf  ok  fyrer  oärum  stqfwm  p,  r 
(so  heisst  es  natürlich  für  das  handschriftliche  y).  h.  q. 

In  U  dagegen  haben  wir  (AM.  366  i.     FJ.  58  i): 
/  fyrsta  hriiiy  ero  IUI  stafir;  pa  ma  iil  e?iskis  annars  7iyta  en 
Vera  fyrer  olrum  stoftint  — 

Aus  vei-seJH^n  liutti»  nun  der  ursprüngliche  aufzeichner  oder  der 
Schreiber  d<»r  vorhige   von   U   die  an  dieser   stelle   notwendigen  buch- 

1)  l<h  kaiii)  inirh  hi<T  otwns  kürzer  fassen,  iudem  ich  auf  die  gründliche 
iK'lKMU'inaiulrrstollmip:  v«m  V,  .IniiKHon  s.  XVI  fj^^.  verweise.  Es  sind  hier  hauptsäch- 
lich <lio  htnllrn  tuMauH^n^rifTon^  dio  K.  .).  nirbt  l>orührt  oder,  die  ich  anders  aufzufas- 
sen p>zwunK««n  liin. 


f  rUTEBBITOBUNOW  «ÜR  SH.  ECDA  T  M3 

PÄben  p.  P.  h.  q  weggelassen    und  sie  untui-  dorn  ninenzekhen  f  an 

4en  rand  goBchrieben.     In  dem  una  erhaltenen  cod.  U  sind  sie  aber 

felscli  eingetragen  und  eine  zeile  zu  tief  gekummen    (ein  recht  clmrak- 

I    teriatisches  beispiel  fiir  den  flüchtigen  und  gedankenlosen  Schreiber  von 

LH!).    Dabei  hat  der  Schreiber  von  U  niebt  nnterlassen,  in  seiner  fnbr- 

■  lisaigeD  weise  auch  das  f  mit  in  den  text  aufzunelimen.     Auf  stofum 

■  iffliss  also  folgen:  p.  v.  h.  q.  Dies  gibt  allein  sinn  und  recht  guten 
sinn.  Die  note  zu  AM.  II,  Stiö:  „p,  h,  q  ad  prinium,  f  ad  secun- 
JuiH,  y  ad  tertiura  circulum  pertinet"  ist  ohne  sinn,  Dass  die  rune  hier 
nicht  am  platze  und  einfach  dui-cb  jenes  schreiberverseben  in  den  text 
gekommen  ist,   üegt  auf  der  band.     "Wie  aber  dieses  zeichen  gebraucht 

.  wurde,  um  versäumtes  nachzuholen,  zeigt  z.  b.  die  Konungsbiik  der 
L  Orägis  [Grdijds  III.  Sfißker,  som  fimlrs  i  AM.  351  fg.  usw.  s.  483).  Und 
^M£8  man  ^  —  ao  hat  die  handscbritt  —  nicht  als  bilabiale  tünende 
r^Kms  autTasste,  ist  nicht  recht  veratändlicb,  da  ja  diese  Schreibweise 
füf  I'  in  den  isländischen  Handschriften  ziemlich  oft  vorkomt  (vgl,  z.  b. 
ß'slason,  Um  fruraparta  s.  61  fgg-).^  Prüfen  wir  nun  aber  die  stelle 
*uf  ihren  Inhalt  hin.  Nach  W  sollen  sich  h,  v,  p,  q  nur  im  anlaut 
ood  vor  anderen  buchstaben  finden.  Das  ist  unrichtig,  denn  in  allen 
''WdscJiriften  können  wir  ??  und  q  —  ^bleibe  zunächst  noch  bei  seile  — 
Lwch  im  inlaute  finden,  [Oislason  a.  a.  o.  s.  61  fgg.  S2  fgg).  Es  kann  allein 
Bpch  U  heissen:  p,  k,  v,  q  finden  sich  nur  vor  andei-on  buchstaben, 
H^h.  sie  kommen  nie  im  auslaut  vor.*  Dass  aber  der  üherarbeiter  von 
Bp  gerade  auf  das  vera  iipphaf  einzig  und  allein  den  ton  gelegt  hat, 
■Oweist  das  folgende,  denn  er  bringt  durch  diese  auffassung  einen  zwei- 
Md  Unsinn  in  seine  arbeit,  der  sich  auch  in  den  folgenden  teilen  soi- 
Hbt  übenirbeitung  widerfindet.  Da  nämlich  unser  kleriker  von  der 
^fcnahme  ausgicng,  dass  jene  laute  nur  im  anlaute  vorkommen,  bczeiclinet 
B  m  als  hqfmhlafir  (er  fietla  hofadslafir  AM.  II,  48  >».  FJ.  51  '^). 
Hnid  als  er  nach  einer  stelle  aus  dem  1.  traktate  (AM.  II,  52i.  FJ.  53>) 
Bm  sich  selbst  abschi-eibt,  widerholt  er  diese  auffassung,  die  er  höchst 
^•hrscheinlicb  aus  der  1.  abhandlung  erschloss,  ohne  dabei  zu  nier- 
Hki,  dass  kqfiKtslaff  in  dieser  eine  ganz  andere  bedeiitung  hat.  Hier 
WP^  DÄmlich  das  Wort  duR'hweg  die  bedeutimg  „majuskel."  Der  über- 
^P^ter  wirft  also  den  buchstaben,  der  nicht  im  auslaut  stehen  darf, 
^P  Uem  zusammen,  der  nur  im  anlaut  vorkomt,   er  vermischt  weiter 

^B        I)  VgL  da^a  Fiunur  JÖDsaoa  (s.  Ol  fg.)>  <ler  sich  älinUch  ausspricht. 
^H       2)  Brenner  betont  ebeafnis  (n.  a.  o.  s.  275),  dass  unsere  stolle  auf  nichts  andc- 
^VblndeotH,  als  auf  dio  imflihigkeit  dieser  rior  baehstabfn  ,im  wurt-  (und  silbou-) 
^Pl«Uti)*  KU  stehvn. 


144  HOOK 

konsonant  im  anlaut  und  majuskel  —  gßnug  Zeugnis,   dass  er  sei 
für  die  einfiiclisten  dinge  wenig  Verständnis  hatte.  ^ 

AM.  n,  50  1^.  FJ.  52  s  heisst  es:  a  i  o  y,  pesser  giora  eh 
saman  mqrg  orä,  efin  skamt  mal  giqra  peir  sialfir.  —  Die  vier  vok 
a,  i,  0,  y  fehlen  in  ü,  mit  vollem  rechte,  denn: 

1)  alle  vokale  —  pesser  geht  auf  die  laute  im  dritten  ringe  ^ 
figur  —  können  ein  wort  ausmachen,  nicht  nur  jene  vier; 

2)  W  komt  mit  sich  selbst  in  Widerspruch,  da  es  später  wie  U  ai 
y,  ^,  ey  (ei)  unter  den  beispielen  anführt 

Das  widersinnige  af  hneigingtim  (AM.  II,  52  ^  FJ.  52  ^')  in 
ist  schon  von  Rask  nach  U  verbessert 

Dass  AM.  II,  525.   pj.  52  is  überaU  die  einfache  majuskel  für 
verdoplung  steht,   ist  auch  nicht  richtig,   wie  widerum  die  figur  i 
jede  handschrift  aus  dem  13.  Jahrhundert  zur  genüge  zeigen.     U  hat 
vonloplungen  richtig. 

So  zeigt  sich  fast  an  allen  stellen,  wo  die  frage  an  uns  her 
tritt:  welche  fassung  enthält  das  richtige?  dass  U  nicht  nur  die  ri 
tigo,  sondern  überhaupt  die  einzig  mögliche  lesart  bietet.  So  lai 
man  aber  dies  nicht  erkant  hat,  wird  man  weder  dem  Verfasser  auf 
spur  kommen,  noch  die  bedeutung  der  abhandhing  begreifen.  "^ 
müssen  dieselbe  volständig  aus  der  gemeinschaft  der  grammatiscl 
abhandUingon,  in  die  sie  nur  der  mönch  von  j^ingeyrir  gebracht  hat,  1 
trennen  und  sie  mit  ü  als  teil  des  werkes  betrachten,  dem  sie  all 
angehört,  der  eigi^ntliohen  Edda. 

n  Fiunur  Jonss(>n  nimt  dio  losart  von  W  in  den  tcxt  auf  (s.  63"),  jedei 
im  lüiiUliok  auf  dio  umiirstafir  ((ftö*)«  d.  i.  dio  konsonxinten,  die  nicht  im  anl 
stohon  diirfiMK  U^fmUiafir  komt  in  der  nordischen  spräche  in  zwiefacher  bedeut 
vor:  im  ersten  );ramm«tisi'hen  traktato  als  majuskel  und  in  Snonris  Battatal 
hauptstah  di^si  halhvers|Miar\'s«  der  in  der  skaldi^ndichtung  den  zweiten  halb 
U^nt  und  d\Hi  stahrtnm  der  Mden  versliiüfton  Whers^*ht;  nach  ihm  richten  sich 
j(/M(t/*ir  (Mtdnus«  Huttat.  11,  l  **  ^¥<^  Ini  einen  wie  andern  üiUe  haben  wir  spn 
lieh  nehti)^^  tusanuuens^'tiiungtnK  denn  k^fmt-  als  erster  teil  der  composita  bezc 
net  StAvol  die  rftvuuliehe  jnx^ssi*  als  auch  die  hervorragende  Stellung,  die  der  z^ 
teil  der  xusammeiisetJiuii):  in  S(>iner  gattung  einnimt.  Andei^  stände  es  mit  der  er 
nuii;  d«v<  ky^/nd^Uifr  \\\  der  voriiei^K^nden  al^andlum:,  selbst  wenn  wir  das  ^ 
üln^rs^^tten  Konten  .buchstalv,  der  nur  in»  anlauu^  votiomt.*  Dann  konte  einer 
vier  IniehstaUn»  d^n^h  nur  Av»/Vntv/*i/V  der  buv'hstaben  des  wertes  sein,  an  dö 
spitjie  er  st^^ht.  Wt  jinlivt  ändert^  wert  hstti*  einen  andern  ki^fitdftafir  and  wie 
buohstaU'U  UM>H'hti^9  mud,  an  der  siutx«''  eim>cii  wx^rt»  zu  stehen,  so  viel  wireo  a 
U»tvvUli4;l,  Av/WttsM/M'  i^Mwint  tu  >Ävrvk^K 


UNTERSUCHUNOEN   ZUR   SX.  EDDA    I  145 

Der  Verfasser  der  abhandlung  und  ihre  bedeutung. 

Das  sicherste  zeugnis,  dass  das  ganze  corpus  eddicum  von  Snorri 
Sturluson  oder  wenigstens  unter  dessen  ieitung  verfasst  ist,  ist  unzwei- 
felhaft die  älteste  Überlieferung  selbst;  es  sind  die  schon  oft  citierten 
werte,  welche  an  der  spitze  der  Upsalaer  handschrift  stehen  und  vom 
Schreiber  des  codex  oder  wol  eher  von  dem  seiner  vorläge  herrühren: 

Bök  pessi  heitir  Edda,  Hana  hefir  samanmtta  Snorri  Sturluson 
epiir  peim  h^tti,  seni  Mr  er  skipai:  er  fyrst  frd  dsum  oh  Ymi, 
parmest  Skäldskaparmdl  ok  heiti  margra  hliita,  sUtast  Hdtfntnl, 
er  Snorri  hefir  ort  um  Ildkon  konuny  ok  Skala  hertoga. 

Dies  unzweideutige  zeugnis  konte  man  nur  über  die  achsel  ansehen, 

so  lange   man   annahm,    dass    die    interpolierte   gestalt    der  Edda   die 

ursprüngliche  sei.     In  Deutschland  dürfte  wol  jezt  die  irrigkeit  dieser 

aJinahme   bei    allen    feststehen,    die    sich    eingehender    mit  Eddakritik 

beschäftigt   haben.      Für   Skäldskapamial   hat   es  Müllenhoff  (DAK.  V, 

s-  177  fgg.)   zur  genüge   gezeigt,   nachdem   ich  bei  Gylfaginning   (PB. 

Beitr.  VI,  499  fgg.)   und   Hattatal   zu   gleichem   resultate   gelangt   war 

(Zs.   f.  d.  phiL  Xm,  238  fgg.).     Was  sich  für  diese  drei  hauptteile  der 

Edda  ergab,  zeigte  aber  auch  die  eben  durchgeführte  Untersuchung  für 

den    abschnitt,   den   man   als  grammatischen  traktat  aufzufassen  pflegt. 

^uu   weiss  aber  der  cod.  ü  nur  von  jenen  drei  hauptteilen  der  Edda, 

^*^ss   sie  Snorri  zum  Verfasser  haben;    von  den  sprachlichen  erörterun- 

ff^u   erwähnt  er  nichts.     Dass  diese  aber  nicht  besonders  hervorgehoben 

^^^d,  hat  bei  näherer  betrachtung  seinen  guten  grund. 

Abgesehen  davon,  dass  der  Schreiber  der  Überschrift,  wer  er  auch 
S^ Wesen  sein  mag,  jene  wenigen  seiten  leicht  als  nebensächlich  über- 
sahen konte,   scheint  er  dieselben  gar  nicht  als  abgeschlossenes  ganze 
^^tfgefasst  zif  haben,  sondern  als  teil  desHättatals,  der  zu  diesem  ebenso 
^^höre,  wie  der  formäli  zur  Gylfaginning,  oder  die  erzähl ung  von  dem 
^Sttergelage  beiiEgir  zu  den  Skäldskaparmäl.     In  diesem  falle  brauchte 
^1"  aber  jener    sprachlichen   erörterungen   ebensowenig   erwähnung   zu 
tlin,  wie  dieser  einleitenden  bemerkungen  oder  erzählungen.     Dass  aber 
0er  kern   dieser   kapitel    denselben   mann    zum  Verfasser   hat  wie   die 
Qbrige  Edda,  l^n  verschiedene  erwägungen  mindestens  sehi*  nahe. 

Alle  teile  der  Edda,  welche  mit  ziemlicher  bestimtheit  Snorri  zu- 
geschrieben werden,  beginnen  in  katechetischer  form;  dass  dieselbe 
nicht  bis  zum  Schlüsse  durchgeführt  ist,  beweist  wie  so  vieles  andere, 
dass  Snorri  sein  hauptwerk  in  unfertigem  zustande  hinterliess.  Dem 
entsprechend   beginnen   auch    unsere   kapitel    mit   <ler  frage:    hvai   er 

ZKITOCHHIKT  F.   DBÜTSOHK  PHILOLOOTR.      BD.   XXII.  10 


140  MÖGE 

hljödsfft'ein?   die  antwort  und  die  weiteren  fragen  und  antworten  ent- 
sprechen ganz  dem  eingang  des  Hättatals^ 

Femer  zeigen  die  wenigen  Seiten,  soweit  wir  sie  mit  ziemlicher 
bestimtlieit  dem  Snorri  zuschreiben  können,   dieselbe  klarheit  im  aus- 
druck  und  dieselbe. beherschung  der  muttersprach e.    Ellipsen,  die  uns  in 
den  übrigen  teilen  der  Edda  so  oft  entgegentreten,  wie  svä  ok,  sem  her 
u.  dgl.,  finden  wir  auch  hier.     Ein  weiterer  umstand  komt  hinzu.     Man 
hat  es  auffallig  gefunden ,  dass  unsere  bemerkungen  so  weit  ausholen  und 
mit  dem  einfachen  naturlaute  beginnen.     Aber  gerade  das  ist,  was  ganz 
entschieden  für  Snorris  Verfasserschaft  spriclit    Alle  seine  werke  begin- 
nen ab  ovo:    die  Heimskringla,   wie  schon   der  narae  sagt,   mit  dem 
erdkreise  und  führt  dann  mit  den  aus  Asien  eingewanderten  äsen  hin- 
über zur  geschichte  des  skandinavischen  nordens;  die  Gylfaginning  mit 
der  Schöpfung  von  himmel  und  erde;  auch  hier  führen  die  wanderungs- 
sagen  hinüber  zu  der  götterlehre  der  alten  nordländer;  die  Skäldskapar- 
mäl  beginnen  mit  einem  gelage,   das   der  meeniese  -^gir  gemeinsam 
mit  den  göttern  hält,   und  hierbei  ist  es   der  späte  dichtergott  Bragi 
selbst,  der  jenen  in  die  geheimnisse  dichterischer  Umschreibungen  und^ 
ausdrücke    einführt     Auf   ähnliche   weise    beginnen    die   vorliegendeiM. 
bemerkiuigen  mit  dem  einfachsten  tone  der  demente,  gehen  dann  zunm. 
laute  der  tiere  über  und  von  diesem  auf  den  laut  der  menschen,  deMr 
der  einfachste  bestandteil  seiner  spräche  und  dadurch  auch  seiner  dicht — 
kunst  ist 

Nicht  ohne  bedeutung  ist  auch  die  benutzung  der  abhandhmgj" 
und  die  art  derselben  durch  Olaf  pördarson,  dem  lieblingsneflfen  de^* 
grossen  forschers,  der  in  Snorris  sinne  die  wissenschaftlichen  plane  de^s^ 
oheims  fortsezte.  Dieser  hat  ausser  anderem  auch  unsere  abhandlun^ 
benuzt  Es  heisst  doch  den  Sachverhalt  geradezu  auf  den  Jcopf  steller 
wenn  man  ohne  triftigen  grund  die  zweite  abhandlung  gleichsam  eii 
echo  der  dritten  nent 

1)  Mülionhoff  (a.a.O.  s.  167  anm.)  sagt:  „durch  die  frage  hta  erd  hliMsgreiff  ^ 
mit  dor  antwort  frenn  hrer  schoiut  allordings  der  anfang  in  u  der  katochetisclie  «^ 
form  dor  Edda  ango|>asst  zu  soin.*^  Diese  auffa.ssuug  ist  mir  nicht  recht  vorstäudlict»  - 
Nach  prenn  gehört  natürlich  ein  puukt  und  nach  hrer  ein  fragezcichen,  sodass  wi"*" 
hier  denselbou  eingang  wie  im  Hattatal  haben:  Hrat  er  seininy  fuittaY  frenn.  Hrer"  ^ 
tala  ok-  yrein.  \\\mn  die  katechotisohe  form  nicht  foi-tgeführt  wird,  so  kann  di( 
diH^li  nielit  die  unurspningliehkeit  erweisen,  denn  auch  in  Skm.  und  dem  comment 
zum  Hattat.  ist  sie  nicht  l»i8  zum  ende  durchgeführt  Ja  die  katechetische  for^'^^ 
weiter  zu  fühn»n,  wiiw  nicht  einmal  angebracht  gewesen,  da  die  ausführung  ül 
die  divi  arten  des  lautes  elH»n  ilie  antwort  auf  die  zweite  frag<*  ist. 


UNTERSUCHUNGEN   ZUR   SN.  EDDA   I  147 

Es  steht  zunächst  fest,  dass  II  und  III'  (d.  i.  der  grammatische 
teil  von  III)  auffallende  Übereinstimmungen  haben,  die  nur  aus  gegen- 
seitiger oder  gemeinsamer  entlehnung  sich  erklären  lassen.  Ich  komme 
\\XTZ  auf  diese  zu  sprechen,  da  sie  auch  für  Snorris  bemerkungen  (11) 
nicht  ohne  Interesse  sind. 

Wie  n  mit  der  frage  begint:   Was  gibt  es  für  arten  des  lautes? 

so  geht  auch  Olaf  vom  laute,   kljöd,   aus   (AUt  er  hljöd,  pat  er  tim 

hikrefidis  eyru  7nd  skilja  Björn  Olsen  s.  33  2),   und  die  Überschrift  in 

der  ursprünglichen   fassung,    in   der   handschrift  AM.  748.  4®,   lautet: 

dt  grehia  fdjöä.     Als  laut  fasst  6M  demnach  alles,   was  man  mit  den 

ohi^n  wahrnehmen  kann.     Ganz  dasselbe  versteht  ja  auch  der  Verfasser 

von  n  unter  hljöit    Dann  geht  Olaf  auf  den  verschiedenen  Ursprung 

rfes  tones  ein  und  zwar   zunächst   auf  den   ton   lebloser  gegenstände. 

Br   unterscheidet  dabei  bewegliche   und  unbewegliche  dinge,   die  töne 

eizeugen;    zu  ersteren  rechnet  er  wind  und  wasser,  zu  lezteren  steine, 

wetalle   und   saiten,   die   durch   berührung   mit   anderen   gegenständen 

^uien  ton  hervorbringen  (s.  34).     Dazu  vergleiche  man  die  werte  in  11: 

P^i   er  ein  greift  hljöds,   er  Pytr  veär  eäa  vatn  eäa  srer  eäa  lyjqrg  e(ta 

)P^^  eäa  grjöt  hrynr.     Dann  wird  auch  hier  weiter  erzählt   von  dem 

tone,    er  malmamir  gera    und    endlich:    pat  gern   hqrpurnar.     Wir 

s^hen  also  dort  wie  hier  ganz  dieselbe  gliederung. 

Die  zweite  art  des  tones  bringen  die  lebenden  wesen  hervor.    In 
beiden  abhandlungen  folgt  dies  auf  jenes. 

IX.  (AM.  n,  36410.     FJ.  62  ").  III.  (AM.  II,  64.    B.  0.  35  »i). 

^^nur  hljöäs   grein    er  sü,    sern  Af  Ufaiidi  hlntnm  peim,  er  skyn 

f^^Qlarnir  gera    eäa    dyrin   ok  sa  hafa,   veiär   ammt   hljöä,  pat   er 

Mf^ivindi;  pat  heitir  rqdd.  rqdd  heitir. 

Während  darauf  aber  II  in  der  darlegung  der  stimmen  der  tiere 
fortfährt,  knüpft  der  Verfasser  von  III*  nach  einigen  bemerkungen  über 
<lie  Sprachorgane,  die  ebenfals  II  entnommen  sind,  die  erklärung  der 
flVox"  nach  Priscianus  an  (35  3*  fgg.).  Hierdurch  ist  auf  eüimal  Olaf 
zu  der  spräche  und  durch  diese  zur  schritt  geführt;  er  gibt  erklärun- 
^^  beider  nach  seiner  lateinischen  quelle;  wie  er  so  plötzlich  zu  die- 
^^  gekommen  ist,  geht  aus  dem  inneren  zusammenhange  nicht  her- 
^^^\  sie  erklären  sich  nur  aus  dem  Wechsel  der  quellen.  Mit  Priscianus 
^^  er  auch  zu  dem  stafr  gekommen,  dem  buchstaben,  als  dem  klein- 
^öJX  gliede  der  spräche  und  dem  grundpfeiler   aller  dichtung^     Ganz 

1)  Dass  Olaf  wie  Snorri  den  gospi^ochcnon  laut  und  das  fresclniehonp  zeichen 
^'Umonwirft,  darf  uns  nicht  wunder  nelimen. 

10* 


148  MOOK 

anders  in  II.  Auf  den  laut  der  tiere,  der  hljoä  und  rqdd  zugleich  ist, 
folgt  die  spräche  der  menschen,  die  in  sich  hljöä  ok  rqdd  ok  mal  ver- 
einigt; die  unzertreniichen  begleiter  dieser  sind  gedächtnis  und  ver- 
stand. 

Wir  sehen  also,  dass  nicht  nur  11  und  III  gleichen  ausgangspunkt 
haben,  sondern  dass  sie  auch  ein  bedeutendes  stück  neben  einander 
marschieren,  und  zwar  so  lange  dem  Olaf  seine  lateinischen  quellen 
keinen  stoff  gewähren.  Schon  hierin  liegt,  dass  U  auf  keinen  üeüI  III 
benuzt  haben  kann:  dort  geht  die  klare  entwicklung  ununterbrochen 
fort  bis  zum  ende;  der  einmal  entworfene  gedanke  wird  durchgeführt 
Hier  dagegen  wird  er  abgerissen  und  ein  neuer  angeknüpft  Aber 
die  beiden  arbeiten  II  und  III  haben  wol  auch  nicht  eine  gemeinsame 
quelle  gehabt  Wäre  dies  der  fall,  so  müste  sich  diese  mit  11  im  hin- 
blick  auf  dessen  logische  entwicklung  decken.  Ich  kann  aber  beim 
besten  willen  nichts  ünden,  was  diese  annähme  stützen  könte.  Kein 
wort  spricht  dafür,  dass  in  II  ein  alter  lateinischer  grammatiker  benuzt 
sei.  Björn  (Msen  hat  dies  wol  behauptet  (Om  Buneme  s.  70),  aber  mit 
keinem  worte  zu  beweisen  gesucht  Auch  für  eine  gemeinsame  islän- 
dische quelle  lässt  sich  nichts  vorbringen.  Dass  hljöäsgrmi  im  ein- 
gtuige  von  III^  also  in  den  teilen,  die  im  ganzen  mit  II  übereinstim- 
men, in  derselben  bedeutung  vorkomt  wie  in  11,  während  es  in  den 
späteren  abschnitten  das  Priscianische  icNor  widergibt,  dass  Olaf  /üjäd- 
stafr  ebenfals  im  eingange  einmal  als  heimischen  ausdruck  für  vokal 
gebraucht,  während  wir  sonst  bei  ihm  als  Übersetzung  des  lateinischen 
„vocalis*^  raddarstafr  und  der  „consonans^  liamhljwlafidi  finden,  beweist 
diK^h  wahrlich  nicht,  dass  die  Übereinstimmung  aus  gemeinsamer  vor- 
hige  sbunmon  niuss*.  Wanun  soll  sie  der  Verfasser  von  UI  nicht  auch 
aus  II  halH'n  nehmen  können?  In  II  sind  die  einmal  gewälilten  gram- 
matischen ausdrücke  bis  zum  ende  gleich,  sodass  auch  von  dieser  seite 
die  abhandlung  ihriMi  einheitlichen  Charakter  bewahrt  —  Dagegen 
spricht  alles  dafür,  dass  II  von  i.Maf  in  III'  benuzt  worden  ist:  im 
anfangi^  folgt  die  einloitung  von  III'  II  treulichst,  sobald  aber  mit  der 
erklärung  der  spräche  die  lateinische  quelle  da  ist,  springt  der  Verfas- 
ser von  II  ab  und  folgt  dit^ser  fast  ausschliesslich,  abgesehen  von  den 

n  /»##«<i<5/i\  das  Hjiini  (.>Ison  olnMifals  für  soiut'  ansieht  anführt,  beweist  eben- 
Koweiii^.  !n  !11  Ihult^t  si»*h  stets  /«min^/i*  iKler  das  griei^h.  diphthongos  der  vorläge. 
Nur  einmal  (s,  47^)  heisst  es:  (itrtir  hilla  fctnn  siaf  fiipJ$tkonffon,  ßai  er  tri' 
kijöitr  «I  HornrtM  /««»lyf«.  l^ies»^  >telle  ist  al»er  eine  einfache  übersetzong  von  Pri- 
vrinns  (1  (\rHM:  IMphthonp  aiitem  dieuntur«  t|u«Hi  binos  phthongos,  hoc  est  voces, 
i^mipivheiiduiit. 


UNTERSÜCHUNOKN   ZUR   SN.  EDDA  I  149 

abschnitten  über  die  runon,  wo  er  andere  quellen  ausschreibt.  Die 
zweite  abhandlung  ist  in  ihrer  ursprünglichen  gestalt  ein  einheitliches 
werk  vom  anfang  bis  zum  ende,  (3lafe  ein  zusammengetragenes;  jenes 
entspricht  seinem  Charakter  nach  ganz  der  Edda  in  ihrer  ursprünglichen 
gostalt,  dieses  ganz  dem  überarbeiteten  texte,  jenes  hat  nationalen, 
dieses  humanistischen  anstrich.  Ich  trage  daher  kein  bedenken  in  II 
die  quelle  des  ersten  teiles  der  (3lafschen  abhandlung  zu  finden  und 
hierauf  einige  weitere  Schlüsse  zu  bauen. 

Fragen  wir  uns,  wie  hat  Olaf  seine  aufgäbe  im  ersten  teile  seiner 
sprachlichen  abhandlung  gefasst  und  was  muss  infolge  dessen  seine 
ansieht  über  II  gewesen  sein?  Hierüber  kann  nach  seinen  eigenen 
Worten,  wie  sie  im  5.  kapitel  (BO.  s.  51)  vorliegen,  kein  zweifei  her- 
schen:  durch  die  Verbindung  gleicher  consonanten  mit  gleichen  oder  ver- 
schiedenen vokalen  in  je  zwei  Wörtern  entsteht  die  hendiny^  d.  i.  der 
reim  (binnenreim);  ihm  ist  also  die  ganze  abhandlung  über  die  buch- 
staben  der  Wegweiser  zum  Verständnis  der  dichtkunst,  über  die  er  im 
zweiten  teile  seiner  abhandlung  (IIP)  Untersuchungen  anstelt.  Das 
metrische  berührt  er  dabei  nur  ganz  oberflächlich,  weil  es  schon  im 
HÄttatal  und  dem  commentar  dazu  genügend  erörtert  war^;  ihm  kam 
es  mehr  auf  die  dichterische  spräche,  die  poetischen  figuren  u.  dgl.  an, 
die  einzige  seite  der  dichtkunst,  die  Snorri  in  seiner  Edda  nicht  behan- 
delt hatte,  und  so  solte  seine  abhandlung  diese  gewissemiassen  ver- 
volständigen.  Da  nun  Olaf  sprachliche  und  grammatische  darlegungen  als 
Vorstufe  der  metrischen  für  nötig  erachtete,  da  er  weiter  sich  fast  überall 
bei  seinen  arbeiten  Snorri  zum  vorbild  nahm,  da  ferner  von  ihm  II 
offenbar  benuzt  ist,  so  liegt  der  schluss  nahe,  dass  er  auch  hierin  sei- 
nem vorbilde  folgte.  Er  fasste  die  dem  Hättatal  vorangehenden  kapitel 
als  einleitung  zu  diesem,  und  nach  alle  dem,  was  wir  über  das  Ver- 
hältnis von  Snorri  und  Olaf  wissen,  sind  wir  zur  annähme  berechtigt, 
dass  er  diese  aufTassung  Snorris  eigner  porson  verdankte. 

Zu  all  diesen  inneren  gründen,  die  dafür  sprechen,  dass  Snorri 
der  Verfasser  jener  einleitenden  kapitel  ist,  tritt  ein  äusserer,  der  uns 
zugleich  aufklärt,  wie  dieselben  entstanden  sein  mögen. 

Die  kapitel  haben  in  der  alten  Upsalaer  handschrift  die  Über- 
schrift: her  seffir  af  setningo  hatta  lyckilsins  (Sn.  E.  II,  364).  Finnur 
Jönsson  verwirft  dieselbe.    Overskrifteii  kann  ikke  vcere  rigtig  (s.  87)  — 

1)  Vgl.  Sn.  E.  II,  148.  B.  0.  s.  96:  petta  k(^Uum  rer  ad/ilJi4*ndifigar  i  skdld- 
skap  ok  taka  af  ßessi  figüru  upphaf  ßeir  hfettir,  er  vieä  hendingutn  cm  saman 
settir,  ok  hreytix  ßat  d  marga  vcga,  sein  finnax  man  l  pci  hdttatah\  er  Snorri 
hefir  ort. 


150  MOOK 

und  dann  folgt  eine  erklärung,  dio  meines  erachtens  ganz  haltlos  ist 
Von  seinem  Standpunkte  aus  kaim  sie  allerdings  nicht  richtig  sein, 
aber  schon  der  umstand,  dass  doch  sonst  in  U  die  Überschriften  richtig 
sind,  hätten  die  frage  nahe  legen  sollen,  ob  der  folgende  Inhalt  mit  der 
Überschrift  sich  doch  nicht  zusammenbringen  lässt.  Gewiss  findet  sich 
in  den  kapiteln  kein  wort  über  die  hcettir,  aber  unmittelbar  nach 
ihnen,  ohne  irgend  eine  Überschrift  oder  ein  zeichen,  dass  hier  ein 
neuer  abschnitt  anhebt,  folgen  die  anfange  der  ersten  36  visur  des 
HÄttatals  mit  den  namen  der  einzelnen  hcetiir  (abgedruckt  Sn.  E.  II, 
369  fgg.)i  ^in  imistand,  der  nicht  übersehen  werden  darf. 

Wir  wissen,  dass  das  gedieht  Hättatal  zunächst  als  ein  „von  sei- 
nem commentare  unabhängiges  und  durchaus  selbständiges  werk*'  (Mö- 
bius,  HÄttat  I,  19)  um  das  jähr  1222  entstanden  ist  Der  comnientar 
ist  zweifelsohne  später  und  nur  zum  geringen  teile  von  Snorri  selbst 
verfasst  Wenn  wir  nun  hier  die  stophenanfange  noch  ohne  commentar 
und  nur  mit  aufzeichnung  der  namen  der  einzelnen  hcettir  haben,  so 
muss  diese  niederschrift  vor  die  entstehungszeit  des  commentars  fallen^ 
ja  ich  glaube,  dass  sie  der  erste  entwurf  zu  diesem  ist  Wir  wissen, 
dass  Snorri  abs^^hnitte  der  Edda  nicht  selbst  aufgezeichnet,  sondern 
unter  seiner  leituns:  hat  niederschreiben  lassen  *.  Das  scheint  auch  hier 
der  fall  gewesen  zu  sein.  Snorri  hatte  einem  seiner  schaler  den  plan 
über  die  erkläning  des  HÄttatals  entworfen  und  den  eingang,  einige 
bomerkungen  über  laute  und  die  spräche  als  den  gnindpfeiler  aller  dich- 
tung,  selbst  ausgeftihrt.  Dies  solte  der  sehüler  weiter  spinnen  und  dann 
zum  ovmimentar  des  gedichtes  übergehen.  Lezteren  wusste  aber  der 
be«rboiter  nicht  recht  anzufa^en  und  so  b€^ügte  er  sich  anfangs  mit 
aufzeichnung  der  strv>phenanfange  und  der  namen  der  htetiir,  bis  ihm 
der  meister  den  weg  weiter  wie^  Und  wie  die  ganze  Upsalaer  band- 
s^*hrift  eigentlich  mehr  ein  Sammelwerk  bald  mehr  bald  weniger  aus- 
geführter entwürfe  ist  als  ein  zusammenhängendes  ganze,  so  fiind  auch 
dieser  en>ti^  entwurf  aufnähme,  der  jetlenfiüs  eine  ganz  andere  gestalt 
erhalten  hätte,  wenn  Snorri  die  lezte  band  an  das  grosse  werk  seines 
lebens  gelebt  hätte. 

HaKui  wir  s^»  in  grv^ssen  umrissen  ilie  entstehungsgesehichte  der 
einleit^^nden  k^pitel  div  i\nnmentars  zum  IIättat;il  zu  entwerfen  ver- 
sucht, sv>  trin  als  woiterv^  t'nigx*  an  uns  hemn:  L*s?t  sich  in  luiserer 
&SSUUÄ:  eine  dopivlre  arbeirsw  ois^^  orwois<*n>  Ich  glaube,  diese  frage 
b^^)ahon  ru  iuü:>s^"n. 

l-  V^:.  x  X  AU.h  iv  u;vr>i^■^!•.r>  :a  AM.  TiS  ■<:•.  K  IL  4'JS':  —  fri  sem  fyn'r 


UNTERSUCHUNGEN   ZUH   SN.  EDDA    I  151 

Die  erklärung  der  viereckigen  figur  (nr.  II)  zertalt  offenbar  in  zwei 
teile,  deren  zweiter  von  den  worten  Hör  stmida  (AM.  II,  369'-*  fgg., 
FJ.  65,  27  fgg.)  bis  zum  ende  geht  Finnur  Jönsson  hat  den  ganzen 
abschnitt  eingeklammert  und  ihn  als  späteren  zusatz  imd  als  eine  wider- 
gabe  des  ersten  teiles  bezeichnet  (s.  96).  Dagegen  hebt  auch  Brenner 
(a.  a.  0.  s.  280)  mit  vollem  rechte  hervor,  dass  man  das  vielmehr  vom 
ersten  teile  anzunehmen  berechtigt  sei,  da  der  zweite  ein  ungleich  kla- 
reres biid  als  der  erste  gebe.  Wenn  wir  beide  teile  ganz  vorurteilsfrei 
lesen,  so  werden  wir  sofort  erkennen,  dass  beide  dasselbe  sagen,  dass 
beide  eine  erklärung  der  figur  geben;  in  beiden  teilen  werden  die  con- 
sonanten  mit  tasten,  die  vokale  mit  densaiten  der  simphonie  verglichen, 
in  beiden  ist  von  einem  reissen  und  stossen  der  saite  durch  die  tasten 
die  rede.  Nur  ist  der  zweite  sofort  volständig  klar,  während  der  erste 
an  verschiedenen  stellen  rechtes  kopfzerbrechen  macht.  —  Das  erste  wort 
des  zweiten  teiles  ist  Mr,  Dies  weist  auf  einen  ganz  bestimten  punkt 
hin,  und  dieser  kann  nur  die  buchstabontabelle  sein.  Dieser  rauss 
sich  femer  unmittelbar  vorher  befinden,  und  selbst  die  offenbar  gesuch- 
ten flickworte  am  Schlüsse  des  eisten  teiles  (seni  nü  er  ritat  dar  i 
siafa  seininginni)  ändern  an  diesem  logischen  zwange  nichts.  Dem- 
nach gehört  der  zweite  teil  von  haus  aus  unmittelbar  nach  der  figur: 
mit  seiner  hülfe  wird  uns  erst  der  erste  verständlich.  Dieselben  män- 
gel,  die  der  erste  teil  der  erklärung  der  viereckigen  figur  hat,  zeigt 
aber  auch  die  erklärung  der  ersten  figur.  Diese  beiden  abschnitte  sind 
es,  die  allein  in  der  ganzen  abhandlung  Schwierigkeiten  bereiten,  und 
die  prüfung  wird  zeigen,  dass  ihr  Verfasser  weder  ein  klares  bild  von 
seinem  spiele  gab  noch  von  der  simphonie  hatte.  Nun  schliesst  der 
teil,  der  von  den  lauten  und  der  spräche  im  algemeinen  handelt,  mit 
den  Worten:  Mitärinyi  ok  tungan  er  leikvqllr  ordanna.  Apeim  velli  eru 
rdstir  siafir  peir,  er  7näl  aüt  yera,  ok  Jiendir  mälit  prisa  svd  til  at 
jafna  sem  hqrpustreiigir  eda  eru  IpUr  lyklar  t  simphonie.  Hier  ist 
wo!  der  mund  mit  dem  spielplatze  der  woi*te  verglichen,  aber  ein  ver- 
gleich des  Spieles  der  buchstaben  untereinander,  sodass  daraus  die 
werte  oder  silben  entstehen,  ist  nicht  angedeutet,  sondern  ausschliess- 
lich der  vergleich  der  spräche  mit  der  musik  der  simphonie.  Knüpfen 
wir  nun  an  diesen  schluss  unmittelbar  die  quadratische  figur  und  daran 
die  zweite  erklärung  derselben,  so  haben  wir  einen  zwar  kurzen  aber 
klaren  abriss  über  den  laut,  die  stimme  und  die  spräche,  deren  kleinster 
teil  der  „buchstabe"  und  die  hending,  d.  i.  die  Vereinigung  von  min- 
destens einem  vokale  und  einem  consonanten  ist.  Geschrieben  aber  ist 
derselbe  im   hinblick   auf  die  hending,   wie   ihn   auch  Olaf  pördai*son 


152  MOGK 

aiifgefasst  hat,  und  ist  somit  berechtigt,  als  die  einleitung  zum  com- 
montar  des  Hattatals  bezeichnet  zu  werden,  der  in  seinem  eingange 
die«e  darlegung  voraussezt^  Und  diesen  ent>vurf  dem  Snorri  abzu- 
sprechen, liegt  nicht  der  geringste  grund  voi:. 

In  dieser  gestait  mag  Snorri  seinem  scbüler  den  eingang  zum 
commentar  des  Hattatals  übergeben  haben,  vielleicht  mit  der  bcstim- 
mung  denselben  zu  erweitem,  wo  er  es  nötig  erachte.  Schon  die  bemer- 
kung  über  die  fähigkeiten  der  vögel  mag  auf  dieses  rechnung  zu  schrei- 
ben sein.  Vor  allem  aber  fühlte  er  sich  durch  den  l^kvqllr  orßanrta 
veranlasst,  zu  dem  schon  von  Snorri  niedergeschriebenen  vergleiche 
einen  zweiten  zu  entwerfen  und  mit  ziemlicher  Unklarheit  auf  kreis- 
rundem spielplatze  —  eine  form,  zu  der  wol  der  mund  veranlassung 
gab  —  die  ^buchstaben^  untereinander  ball  spielen  zu  lassen.  Etwas 
abseits  vom  wege  ist  es  um  des  Vergleichs  willen  geboten,  einen  blick 
auf  die  altnordischen  baispiele  zu  werfen,  die  heute  längst  vergessen 
sind,  aber  im  mittelalter  eine  bedeutende  rolle  gespielt  haben  ähnlich 
wie  die  ritterturniere  auf  deutschem  und  romanischem  boden. 

Fast  in  allen  bezirken  Islands,  vielleicht  auch  in  Norw^n,  be- 
fand sich  ein  leikvqllr,  ein  Spielplatz,  auf  dem  die  balspiele  statzufinden 
pflegton-.  Diese  hiessen  nach  dem  balle,  der  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  aus  holz  war,  knattleikar.  In  der  regel  fanden  dieselben  zur  zeit 
dos  herbstes  ixior  winters  statt  *\  Der  IcikroUr  war  meist  das  eis  des 
meorbusons  der  gi^^nd  oder  eines  binnensees*.  Die  tage  des  Spieles 
waren  algi»meine  festtago;  aus  der  ganzen  gegend  strömten  die  leute 
herbei  *\  von  den  hügeln  lun  strande  schaute  das  weibliche  geschleclit 
zu  und  verfolgte  mit  regem  Interesse  das  spielt 

Bc^nnon  nach  den  nötigen  Vorbereitungen  die  spiele,  so  teilten 
sich  zunächst  die  spielenden  in  zwei  parteien:   gewöhnlich  war  dabei 

1^  llHttat.  (Mob.)  !K  1  **:  ^afastttiit*^  pcrir  »mU  aW,  eu  Mjodsgrtin  er  ßat, 
ai  hofh  srtM^ftofttr  usw.  M-hoint  uninittollmr  an  die  s«i*h1osswortc  dos  ciDganges  anzu- 
sohlh^ti^on.  Vgl.  aurh  Mohius'  U^morkunp^n  xu  11.  41.  Ohoe  hier  näher  darauf 
oinzup^hou,  soi  uur  anpvUnitot.  dass  ich  auch  den  ersten  entwurf  des  commentars 
für  Snorris  arheit  haltt». 

1^)  Vas.  IL  s.  407»**. 

3>  Fs.  (I|i '»:  (I  finu  ktiHst^imri:  oM.  80-*.  Eyrh.  s,  TT"».  Eg.  s.  (Rkv.  185«» 
77*':    ci     ^mirrnhtm  rrtn\ 

i\  (y\x\\\^  s.  4:>'*:  CI  Ihii'skjaßantor  K<i:  Tinnt.  §^27*":  «i  Midßardarratni; 
Gisl,  s, '^i*:  II  fji^'t^  f^ifi,  rr  StftJ^*r»  kn'tir:  Vij:l,  s.t>7**:  a  EfJMtjt^m. 

M  Fs.f>T»",     lAxd.  s.  ilSl>>\  UXP*.     Kc    J^-^^"  tt-  ^^ft- 

i^)   Fs,  St»"-*:  stttfi  LotfHr  nti  ol  Ät»r/ff«  «i  frikinH,    Valjfrr^r  sat  9tpp  #  brekk- 


UNTERSUCHUNGEN   ZUR   SN.  EDDA   I  153 

die  heimat  der  betreffenden  ausschlag  gebend,  indem  die  bewohner  der 
einzelnen  gegenden  zusammen  standen  i.  Alsdann  wurde  einer  gewählt, 
der  die  spiele  zu  leiten  und  wol  auch  den  einzelnen  parteien  und 
Spielern  ihren  platz  anzuweisen  hatte;  es  war  der  fyrinnaär,  der 
obmann^.  Die  Spieler  der  einzelnen  parteien  standen  abteilungsweise 
oder  allein  hinter  einander 3.  Beim  spiele  selbst  kam  es  hauptsächlich 
aiif  stärke  (afl)  und  gewantheit  an*,  wie  auch  diese  eigenschaften  der 
fyrirfnaär  in  vollem  masse  besitzen  musste.  Spielzeug  waren  der  ball 
(knattr  oder  bqllr  Eg.  s.  78  3)  und  das  balscheit^,  das  beide  parteien 
gemeinsam  besassen^. 

"Weniger  klar  lässt  sich  der  hergang  des  spioles  selbst  aus  den 
quellen  erkennen.  Fest  steht  zunächst,  dass  unmittelbar  beim  spiele 
von  jeder  partei  nur  einer  tätig  war,  und  diese  beiden  hatten  den 
ihnen  vom  fyrirniadr  bestimten  platz  7.  Die  beiden  partner  standen  in 
gewisser  entfernung  voneinander;  der  eine  schlug  mit  dem  baischeite 
den  ball^,  der  andere  hatte  die  aufgäbe,  ihn  aufzufangen.  In  jener 
tätigkeit  zeigte  sich  die  stärke,  in  dieser  die  gewantheit  War  der  ball 
vom  gegner  aufgefangen,  so  schlug  er  ihn  zurück,  nachdem  der  erste 
Spieler  ihm  wol  das  balscheit  gegeben  hatte.  Bei  dem  schlage  kam  es 
aber  auch  darauf  an,  den  ball  gerade  an  den  ort  zu  werfen,  wo  der 
g^ner  stand  (er  fyrir  verär  Sturl.  I,  352^*).  War  dagegen  der  ball 
über  den  Zielpunkt  hin  weggeflogen,  so  bemühten  sich  beide  parteien 
in  ihrer  gesamtheit  den  ball  zu  erlangen;  es  entstand  ein  rennen  und 
streiten  um  seinen  besitz,   denn  derjenige,   der  den  ball  erlangt  hatte, 

1)  Grott.  8.27»»fgg.  Vigl.  s.67*«fgg.  Hardai^;.  (Isl.  s.  II)  70".  Fms.  III,  18(5. 
(Ich  trago  kein  bodenkeii,  auch  die  mythischen  sagas  mit  heranzuziehen,  da  die  hier 
eingellochtonen  spiele  doch  nur  in  der  Wirklichkeit  iliro  wurzel  haben.) 

2)  Gull]).  8.  45*^:  pdr  fyrir  suwuin  porskafjqrä  geräu  p&ri  at  fyrirmnnni 
fyrir  (irleiks  sakir  ok  allrar  algjqrri;  en  vcsto/nmenn  vildu  ßat  ekki  . . .  Laxd. 
s.  196»  HaUr  beüisk  fyrir. 

3)  Fms.  ni,  186**  ßeir  (porstciun  ok  Fullstcrkr)  snc^rudu  ai  Frosta;  Pviat 
kappamir  stödu  fretnstir  riä  hvomivcggja  bckkinn. 

4)  Es.  60".    Laxd.  s.l96'».    Fas.m,  529"  u.  oft. 

5)  Der  gewöhnliche  namo  ist  hiaittre  (Gisl.  s.  32„.  Eg.  s.  77*».  Fas.  U,  407". 
Fas.IlI,  264*  u.  oft).    Grett.  s.27"  findet  sich  dafür  knaitgildra. 

6)  Eg.  8.78':  Grimr  Imfäi  heut  bqllinn  ok  rak  undan,  en  adrir  sveinarnir 
söttu  eptir,  Sturl.  I,  352**.  Fas.  in,  262  fgg.,  wo  sich  das  paarweise  spielen,  das 
vom  besitz  des  balles  und  balschcitcs  abhängig  ist,  recht  klar  zeigt. 

7)  Eg.  8.77*®:  Egil  gegen  Grimr;  Grett.  s.  27*^:  Grettir  gegen  Audun;  Gisl. 
s.  26":  Gisli  gegen  forgrim  u.  oft. 

8)  Der  ausdruck  dafür  ist  slfl  hiqttinn  z.  b.  Vigl.  s.  68**^  u.  (*». ;  ald  km^ttinn 
üt  fyrir  ehm.  =■  den  ball  über  jemand  hinausschlagen. 


154  MOGK 

kam  jezt  ans  spieP.  Hierbei  konto  auch  derjenige,  der  den  ball  nicht 
aufgefangen  hatte,  seinen  fehler  wider  gut  machen;  erwarb  er  den  ball 
nicht,  so  galt  er  für  besiegt  Nur  so  erklärt  sich  der  zom,  den  der 
an  den  tag  legt,  über  den  der  ball  hinweg  geflogen  ist 2.  Hieraus 
erklären  sich  auch  die  raufereien,  die  beim  balspiel  vorkamen  und  die 
nicht  selten  mit  Verwundungen,  ja  mit  dem  tode  endeten  ^  Waren  die 
gegner  sich  gewachsen,  so  spielten  sie  wol  so  lange,  bis  der  fyrir^ 
niaär  ein  anderes  paar  bestimte.  —  So  überliefern  uns  die  altnordischen 
quellen  das  balspieH.  Wenn  mit  diesem  die  spräche  vorglichen  wird, 
so  sind  es  zwei  punkte,  die  als  verglcichungspunkte  angesehen  wei'den 
müssen: 

1)  die  gruppierung  in  zwei  parteien,  von  welchen  jedoch  stets  nur 
je  einer  spielte; 

2)  die  kraftprobe  beim  schlagen  und  die  gcwantheit  beim  treflFen 
des  Zieles  und  beim  auffangen  des  balles. 

Beides  glaubte  der  aufzeichner  des  Vergleiches  in  der  spräche 
widerzulinden.  So  entwarf  er  den  kreisrunden  leikvqllr,  auf  den  er  die 
buchstaben  gruppenweise  eintrug,  indem  er  sie  in  fünf  parteien  schied 
nämlich: 

1)  die  consonanten,  die  nur  vor  vokalen  stehen  dürfen; 

2)  die  consonanten,  die  so  wol  vor  als  nach  vokalen  stehen; 

3)  die  vokale; 

4)  die  doppelconsonanten; 

1)  G(^ngu  llrolfss.  (Fas.  111)  8.264":  fter  Hrölfr  tidt  hiettinutn;  kann  grtpr 
knatttrcit  af  Kraki  . . .  Ebd.:  Hrafn  Mjop  eplir  htcttitnim;  Eg.  s.  78':  Grimr  hafdi 
fni  hent  bi^llhin  ok  rak  ttfidan,  en  adrir  sreinarnir  soHu  eptir,  Gisl.  s.  2(3  **: 
hrfir  Poryrimr  ekkt  rid:  fddi  Gisli  hann  ok  bar  lit  hK^itinn.  Pd  viU  Oisli  taka 
hif^ttinn ,  en  poryrimr  hcldr  honum  ok  Uptr  hann  ckki  fri  nd. 

2)  Vi^'l.  s.  1)8*'*:  J>at  rar  einn  fhnay  at  Vujlnndr  slo  hiqttinn  tit  fyrir  Jt^klL 
Ji^kuH  reiddix  pd  ok  (6k  htf^tttinn,  er  hann  nddi,  ok  setti  franum  i  andlit  d  Vig- 
linidi  ard  at  ofan  hijnp  hninin.  —  I^oretoiuss.  (Faü.  II)  407*:  J5a/  bar  til,  at  ßörir 
sefti  nidr  kn\tttinn  ard  hart,  at  hann  sti^kk  yfir  Olaf  ok  kam  fjarri  niär;  Olafr 
reiddix  pd  ok  pötti  porir  tjera  leik  til  sin;  sotti  hann  pd  km^ttinn,  en  er  hann 
kofft  aptr  ....  ,sl6  pd  med  hiatttrenu  til  pöri^  ....    Ebenso  Grett  s.  27.     Eg.  8.  77. 

3)  Das  lH\sto  iHÜKpiol  gibt  dio  G^ngu-llivlfss,  (Fas.  UI)  262:  hrundu  peir 
iMi^nnnnt  ok  feldn  hardliga,  en  »hign  snnta;  at  kreldi  rdru  Prir  /ta9idbrotnir ,  en 
tftartjir  Inmdir  eda  meiddir. 

4)  Voll  allon  spiclon  auf  f^'rmalusch('m  gobiote  schciot  das  kugelwerfen  in  den 
mai'S('hliU)d<Tn ,  dos  cbonfiils  auf  dorn  oiso  der  grüben  und  moräste  statfindet,  mit 
doni  n<»nlisrlu»ii  l»«l>pit»li^  iWo  ghissto  ahnlichkoit  zu  hal>ou.  (Vgl.  Fischer,  Beschrei- 
bung dor  \ory.iigli«'liston  volksfcnto  11,  8.  47  fgg.    Wien  1799.) 


UNTKRSUaiUNÜKN   ZUR   SN.  EDDA   1  155 

5)  die  consonanten,  die  nur  nach  vokalen  stehen  dürfen,  denen 
sieh  die  abkürzungen  anschlössen,  weil  auch  die  sich  nie  im 
anfang  eines  wortes  finden. 

Jeder  „buchstabe"  solte  einen  zum  spiele  berechtigten  darstellen: 
die  spielpaare  geben  die  kleinste  lautverbindung  in  der  spräche.  Wie 
wir  nun  beim  baispiele  nie  mehr  als  zwei  parteien  nachweisen  können, 
so  fallen  im  gründe  genommen  auch  diese  fünf  parteien  in  zwei  zu- 
sammen, nämlich  in  vokale  und  konsonanten.  Von  lezteren  sind  aber 
nicht  alle  zum  spiel  volberechtigt;  vier  sind  nur  zum  wurf  (h,  q,  v,  p), 
vier  andere  nur  zum  fange  da  fd,  Xy  c,  x).  Lezteren  mögen  sich 
wol  auch  die  consonantenverdoplungen  angeschlossen  haben.  Dass  es 
solche  halbberechtigte  auch  beim  spiele  gegeben  habe,  lässt  sich  aus 
keiner  einzigen  stelle  unserer  quellen  schliessen.  Der  Vorgang  beim 
spiele  der  spräche  selbst  ist  klar:  spielt  a  mit  6,  so  entsteht  in  der 
spräche,  wenn  a  wirft  und  b  fangt  die  lautverbindung  ab,  wirft  dage- 
gegen  b  und  fangt  a,  so  haben  wir  ba.  —  Aus  solchen  lautverbindun- 
gen  besteht  die  ganze  spräche. 

Im  grossen  und  ganzen  ist  also  der  vergleich  nicht  als  verfehlt 
anzusehen,  im  einzelnen  dagegen  ist  manches  nicht  zutreffend.  Lezte- 
res  ist  nun  zum  nicht  geringen  teil  dadurch  veranlasst,  dass  in  der 
figur  sowol  wie  in  der  beschreibung  derselben  der  buchstabe  mit  dem 
laute  zusammengeworfen  ist,  d.  h.  dass  der  Verfasser  des  Vergleiches  fast 
nur  über  schriftzeichen  handelte  und  diese  vor  äugen  hatte,  während 
er  dem  zwecke  der  arbeit  entsprechend,  sich  über  laute  äussern  solte. 
Und  hierin  unterscheidet  sich  dieser  vergleich  vor  allem  von  dem  zwei- 
ten, wo  die  spräche  mit  der  musik  der  simphonie  vergHchen  wird,  und 
den  ich  für  den  älteren,  allein  von  Snorri  herrührenden  halte.  Hier 
ist  alles  nur  laut,  und  auf  den  laut  komt  es  nur  bei  der  hendiny  an. 

Brenner  hat  auch  den  vergleich  der  spräche  mit  dem  spiele  als 
rein  lautlichen  (sprachlichen)  erklären  wollen  und  alles,  was  sich  auf 
die  Schrift  bezieht,  als  randbemerkung  u.  dgl.  bezeichnet  (a.  a.  o.  s.  275 
fgg.).  Das  ist  ihm  offenbar  nicht  gelungen,  denn  fast  aus  jeder  zeile 
spricht  es,  dass  der  Verfasser  des  Vergleiches  wirklich  auch  schreiber- 
regeln hat  geben  wollen.  Man  vergleiche:  bei  den  vokalen:  ok  skal 
»vd  rita;  bei  den  Umingar:  ok  skal  svd  Hia;  bei  denselben:  h4r  ertc 
iveir  hljödsstafir  samanltindir ;  bei  den  lausaklofar:  skal  svd  rita,  stafir 
svd  ritadir,  ebd.:  en  fyrir  ritshdttar  sakir  er  pessa  stafi  öha^gt 
saman  at  binda;  bei  den  langen  vokalen:  en  ef  sk^rt  skal  rita,  pd 
skal  draga  yfir  paun  staflnn  u.  oft  Im  hinblick  hierauf  liegt  auch 
kein  grund  vor,  die  werte:  Lofat  er  pat  l  ntskwiti  at  rita  aflimingum 


156  MOGK 

oder  die  bemerkung  über  die  titlar  am  Schlüsse  des  Vergleichs  wie  in 
der  figur  als  späteres  machwcrk  zu  erklären.  Wir  haben  in  unserem 
vergleiche  wirklich  eine  unklare  Vermischung  von  lautlichen  bemer- 
kungen  und  graphischen  Vorschriften.  Eine  solche  ist  aber  von  einem 
manne  wie  Snorri  nicht  anzunehmen.  Ergab  sich  nun  aus  inneren  wie 
äusseren  gründen  der  ursprüngliche  vergleich  der  spräche  mit  der  sim- 
phonie  gegenüber  dem  vergleiche  mit  dem  spiele  als  der  firühere  und 
reine,  so  sind  wir  zu  dem  Schlüsse  berechtigt,  dass  er  in  dem  jüngeren 
vergleiche  benuzt  ist;  jener  diente  dem  interpolator  zum  vorbilde,  nur 
war  OF  von  diesem  nicht  richtig  verstanden,  und  so  entstand  dies 
unklare  gemisch  von  bemerkungen  über  die  spräche  und  von  graphi- 
schen Vorschriften. 

Was  sich  uns  aber  hier  für  den  ersten  vergleich  ergibt,  zeigt 
sich  auch  beim  späteren,  in  der  handschrift  zuerst  aufgezeichneten  teile 
des  zweiten  Vergleiches.  Snorri  vergleicht  die  spräche  mit  den  tönen 
der  simphonio.  Zum  besseren  Verständnis  gehört  ein  klares  bild  über 
dies  instniment  Leider  besitzen  wir  gerade  aus  der  zeit,  in  welcher 
der  vergleich  entstanden  ist,  keine  einzige  darstellung  desselben.  (Rühl- 
mann,  Die  geschichte  der  bogeninstrumente  s.  70.)  Die  simphonie 
oder  das  organistrum,  die  noch  in  der  radleier  des  Savoyardenknaben 
fortlebt,  war  inf  mittelalter  ein  weitverbreitetes  und  beliebtes  instru- 
mcnt.  Über  einen  kjistenartigen  unterbau,  der  von  haus  aus  wol  länglich 
viereckig*,  später  geschweift  war,  ist  die  saite  gespant,  die  durch  ein 
rad,  das  eine  kurbel  bewegt,  in  Schwingungen  versezt  wird.  Auf  dem 
oberen  teile  des  kastens  sind  femer  tasten  (claves)  angebracht*,  und 
auf  diesen  grifhölzem  finden  sich  schon  in  alter  zeit  buchstabcn  zur 
bezeichnung  der  einzelnen  töne-^  Diese  tasten  wurden  an  die  saite 
angedrückt.  Indem  nun  zu  gleicher  zeit  das  rad  in  bewegung  gesezt 
wurde,  entstanden  die  verschiedenen  töne.  In  der  regel  spielten  zwei 
pei*soncn  das  instrument:  die  eine  drehte  das  rad,  die  andere  drückte 
die  tasten  (Schult/.,  Höf.  leb.  I,  431  und  452).  Nun  kennen  wir  aber  eine 
simphonie,   wenn   auch  aus  etwas  späterer  zeit,   die  tasten  besass,   die 

1)  Vf^l.  dio  musikalischo  abhandlung  l)ci  Odo  von  Clugny  nach  dem  cod.  Par. 
7*J11  (hv'\  Ocrbort,  Scnpt.  cccl.  do  imis.  I,  252):  Lignum  qiindraium  in  modum 
rapanr  et  inU^  convnrum  in  mmium  eifharar,  super  quod  posita  charda  sonat, 

2)  Kh  ontstoht  i'in  volHtütidig  uiiorkIäiii<>hc8  bild,  wenn  nian,  wie  algemein« 
lyklar  mit.  sihlüsscl  widtT^'ibt.  lyklar  ist  das  lat.  claves,  und  dies  können  bei  der 
Kim|ihnni()  nur  tast«*n  sein. 

IJ)  Vgl.  o«|(>  von  Clugnys  lH»inorkungon  in  der  kleinen  abhandlung:  Quomodn 
oriiaiuHh'tini  funistrtttititr  iiarli  dvm  cod.  Vind.  bei  Oerbeii;  I,  302.  S.  auch  dio  abbil- 
dung  in  UühlniannK  athiH  taf.  5  iig.  1. 


ÜNTKRSUCHUNOKX   ZÜH   f\S.  KDDA   1  157 

sich  nach  innen  schieben,  folglicli  auch  nach  aussen  zurückbewegen 
lassen.  In  „dem  Innern  zugespizten  teile"  der  taste  befand  sich  ein 
häkchen,  welches  an  die  saite  andrückte,  oder,  wenn  man  die  taste 
zurückzog,  sie  riss.  Bei  dieser  simphonie  spielen  bereits  ober-  und 
Untertasten  mit  halben  tönen  eine  rolle.  (Büblmann  a.  a.  o.  s.  83.)  Der 
Spieler  sass  vor  dem  instrumente;  um  die  gewünschten  töne  zu  haben, 
musste  er  entweder  die  taste  nach  innen  schieben  oder  sie  zurück- 
ziehen. 

Ein  solches  instrument  muss  Snorri  im  gedächtnis  gehabt  haben, 
als  er  mit  seinen  tönen  die  spräche  verglich.  Wenn  sich  auf.  Island 
auch  dasselbe^  nicht  nachweisen  lässt,  so  kann  es  Snorri  doch  sehr 
wol  am  norwegischen  königshofe  kennen  gelernt  haben,  denn  hier 
kante  man  es  offenbar  (vgl.  FMS.  VII,  97  i».  Strengl.  1^  u.  oft).  — 
Der  vergleich  ist  ebenso  klar  wie  einfach.  Die  eine  klangsaite,  die  das 
OTganistrum  von  haus  aus  besizt,  hatte  sich  Snorri  in  seiner  Idealfigur 
vervielfacht  gedacht,  und  nach  allen  selten  sich  die  tasten  hin-  und 
zuruckbewegen  lassen.  Sizt  der  Spieler  nun  vor  den  tasten,  so  ent- 
steht, wenn  er  die  6-taste  an  die  a-saite  andrückt,  der  klang  ba,  zieht 
er  dagegen  die  fe-taste  zurück,  so  entsteht  der  klang  ab,  weil  durch 
jene  tätigkeit  die  consonantentaste  nach  dem  vokale  hin,  durch  diese 
von  ihm  weg  bewegt  wird.  Somit  ist  das  bild  im  hinblick  auf  die 
ersten  zwölf  consonanten  ziemlich  einfach.  Ob  wir  nun  auch  instru- 
mente gehabt  haben,  wo  das  tastenhäkchen  die  saite  nur  durch  schie- 
ben oder  durch  zurückziehen  traf,  vermag  ich  nicht  zu  sagen;  gefunden 
habe  ich  darüber  nirgends  etwas,  wenn  nicht  vielleicht  die  ober-  und 
untertöne  die  band  zu  dem  vergleiche  geboten  haben. 

Dieser  vergleich  ist  demjenigen,  der  sich  über  Snorris  manuscript 
gemacht  hat,  offenbar  nicht  ganz  klar,  jedenfals  weü  er  nie  ein  solches 
instrument  gesehen  hatte.  Denn  sonst  konte  er  nicht  die  ziemlich  unkla- 
ren eingangsworte  bringen  (Stafasebmig  sjd,  sem  h4r  er  ritut,  ei^  svd 
seit  tu  möls,  sein  lyldar  til  hljöds  i  müsikd)  und  behaupten,  dass  sich 
zu  beiden  selten  der  vokalsaite  tasten  befänden.  Nur  soweit  sich  die- 
ser au&eichner  streng  an  den  zweiten  teil  hält,  ist  er  klar;  sonst  weiss 
er  nicht  viel  vernünftiges  zu  sagen.  Der  erste  teil  des  zweiten  Ver- 
gleichs stelt  sich  also  in  jeder  weise  zu  dem  ersten  vergleiche  und 
kann  nur  aus  einer  feder  geflossen  sein. 

Nach  diesen  erörterungen  ergibt  sich: 
1)  Der  plan  des  teiles  der  SE.,   den  man  bisher  algemein  als  eine 
grammatische  abhandlung  aufgefasst  hat,  rührt  von  Snoni  her. 
Dieser  hatte  ihn  als  einleitung  für  seinen  commentar  zum  Hat- 


1.^8  MOOK 

tatal  bestirnt.  Er  solte  bemerkungen  über  den  ton  und  den  laut, 
namentlich  den  der  menschen,  enthalten.  Leztere  führten  zur 
menschlichen  spräche,  deren  kleinster  bestandteil  „der  gespro- 
chene stafr"  ist  Durch  die  Vereinigung  zweier  stafir,  und  zwar 
eines  vokales  und  eines  consonanten,  entsteht  aber  das  kleinste 
ganze  in  der  spräche,  und  dies  ist  die  stafasetning,  von  der  es 
im  Hättatal  heisst:  Stafasetning  gerir  mal  cUlt  (Ht  1*^.)  Die 
stafasetning  ist  aber  auch  die  grundlage  aller  dichtung^ 

2)  Von  Snorri  rührte  her: 

a)  Die  algemeinen  bemerkungen  (meine  ausg.  s.  159^ — 160^)  mit 

ausnähme  einer  randbemerkung  (159  **~*^).    * 
ß)  ¥igv\T  U. 
y)  Der  zweite  teil  der  erklärung  dieser  figur  (s.  164  *~^^). 

3)  Zu  dieser  einleitung  fügte  ein  späterer  bearbeiter,  vielleicht  ein 
Schüler  Snorris: 

a)  Figur  I. 

ß)  Die  erklärung  dieser  figur  (s.  1605—1621*). 
y)  Den  ei-sten  teil  der  erklärung  der  zweiten  figur  (s.  162 1* 
1643). 

Bei  seinen  erklärungen  der  figuren  legte  er  die  erklärung  Sn 
ris  von  II  zu  gründe,   brachte  aber  ausserdem  allerlei  schreiberrege^^ 
an,   die  gnr  nicht  hineingehören,   die  weder   die  spräche   oder  scb 
unuindorn  wollen  noch  können,  da  sie  weiter  nichts  sind  als  eine  tr 
bung   der   klaren   gedanken   Snorris.     Ich   vermag    deshalb    auch    cE 
nicht  in  ihnen  zu  finden,   was  Brenner  aus  ihnen  herausliest   (a.  a. 
s.  275);  ebensowenig  wie  zu  grammatischen  zwecken,  ebensowenig  si 
sie  auch  zu  metrischen  zwecken  geschaffen.     Es  sind  unfähige  bem^ 
kungtni  di^sselben  mannes,  der  auch  einen  grossen  teil  des  comment» 
vom  IlÄttatal  auf  seinem  gewissen  hat  und  der  von  Möbius  (H6tt 
s,  1^5  fgg.)  so  richtig  gezeichnet  ist 


\)  Dio  «MiiEij:»^  ansirht,  dio  bisher  über  den  Verfasser  gomacht  worden  ist, 
OS  \\Wx  nllon  «wcifol ,  diiss  ilorsolU^  ein  goÜ5tliohor  soi  (Björn  Olsen  a.  a.  o.  s.  XX^^ 
und  im  ansohluss  \\\\  ihn  Finnur  «lonsstm  a.  a.  o.  s.  XXX).     Auch  nicht   ein  w 
sjuioht  it)  dor  ui'spniu^'liobou  p*st;dt   für  dou  gi^istliohen.     Hier  hat  wider  einmal  cJ 
Nohr»»ilH»r  d«\s  Wonuiuiius  soiii  wosou  gi>trielH>n,  und  das  einfache  durchlesen  des  tc^ 
tos  wiixl  dio  unsii'ht  t.\\x  pniüj^^  wid<»rloji^m. 


UXTKRSUCHUNÜKN   ZUR   SN.    EDDA   I  159 

Der  text. 

Hvat  er  hljödsgrein?  frenn. 

Hver?     j^at  er  ein  grein  hljöds,   er   pytr  vedr  eda  vatn  eda 

s^r  eda  bj(jrg  eda  JQrd  eda  grjot  hrynr;    petta  liljöd  heitir  gn>^r  ok 

Vrymr  ok  dunur  ok  dynr.     Svd  fat  hljöd,   er  malmamir  gera  eda 

manna  pyssinn;    pat  heitir  ok  gnj'r  ok  glymr  ok  hljömr.     Svii  {)at     5 

ok,  er  vidir  brotna  eda  vipnin  mcotaz,  petta  heita  brak  eda  brestir 

eda  enn,   sem  adr  er  ritat     Allt  eru  potta  vitlaust  hljod.    En  hör 

um  framm  er  pat  hijöd,  er  stafina  eina  skortir  tii  mäisins;  pat  gera 

hqrpumar  ok  enn  helldr  hin  meiri  SQngfoörin,  en  pat  heitir  sQngr. 

Onnur  hljödsgrein  er  sü,  sera  füglarnir  gera  eda  dyrin  ok  s^-  10 
tyqvindin.      J^at  heitir  rQdd.     En  p^r  raddir  heita  &  marga  lund: 
fuglamir  syngja  ok  gjalla  ok  klaka,  ok  enn  med  ymsum  hättum,  ok 
D<jfnum.     [K^inmistnm    eru    greind  ymsa   vega  dyra   nqfniii,    ok 
hinnu  menn  skyn,   hvat  kyqxdndin  pykigaz   Imida  med  vtqrgum 
^nt€7n  lätumj     S^kyqvindin  Wasa  eda  gella.     AUar  pessar  raddir  15 
^rii   niJQk  skynlausar  at  viti  flestra  manna. 

En  pridja  hljödsgrOin  er  sü,  sem  menninir  hafa:  pat  heitir 
'*lj^tt  ok  rqdd  ok  mal.  Mälit  geriz  af  bl^strinum  ok  tungubragdinu 
viil  tenn  ok  göma  ok  skipan  varranna.  En  hverju  ordinu  fylgir 
'^iruiit  ok  vitit;  minnit  parf  til  pess  at  muna  atkv^di  ordanna,  en  20 
vitit  ok  skihiingina  til  pess,  at  hann  muni  at  m^la  pau  ordin,  er 
hann  vill.  Ef  madr  f^r  snilld  m&lsins,  pä  parf  par  til  vitit  ok  ord- 
fr^^di  ok  fyrir^tlan,  ok  pat  mJQk,  at  hoügt  s6  tungubragdit  Ef  tennr- 
^^ai*  eru  skqrpöttar,  ok  missir  tungan  par,  pat  lytir  mälit  Svd  ok 
^f  tungan  er  ofmikil,  pa  er  mälit  blest;  nü  er  hon  oflltil,  pÄ  er  sd  25 
tolgömr.     ^t  kann  ok  spilla  mälinu,  ef  varramar  eru  eigi  heilar. 

Die  Orthographie  schliesst  sieh  im  ganzen  an  das  auf  der  buchstabentafel  ont- 
^oi-fene  aiphabet  an.  Nur  <r  habe  ich  noch  zu  den  schon  vorhandenen  buchstaben 
genommen,  da  ich  den  Übergang  ce  >  €e  aus  dem  anfang  dos  13.  Jahrhunderts  nicht 
^«^bweisen  kann.  Snorri  reimt  stets  a  :  a?  (Hattat.  13®.  31  ^  64*.  81)  und  fe  :  a 
U7«  28®.  50*);  nur  68*  reimt  mar^  ßqlsnoerda,  Seite  demnach  schon  schwanken 
'^gönnen  haben?  —  2.  pat.  Es  liegt  kein  grund  vor,  von  der  handschrift  abzu- 
^eichen  und  Su  zu  schreiben,  da  die  attraktion  des  pronomens  an  das  prädikat. 
'^Oftien  durchaus  nicht  nötig  ist.  Vgl.  Comment.  z.  Hattat.:  pat  er  kenning  3*®, 
^  ^^  aannkenning  4**  **,  Pat  er  stuänhig  4*',  Petta  er  dröttkreedr  hdttr  3',  Pat 
^'^  tolf  stafir  1**  u.  oft.  —  6.  brottm  eda  gnesta  W.  —  13  fgg.  hat  wol 
^rxlngiich  am  rande  gestanden.    Das  zeichen,  welches  andeutet,  woliin  es  gehöre, 

Jf®  <ler  abschroiber  für  2  ==  ok,  das  sich  in  der  handschiift  vor  kunmistum  befindet.  — 

24   # 
.     ^Ungan  Par  die  einzig  mögliche  losai^t;   tanngardar  W  und  nach  ihm  FJ.  lässt 

^^  'Weder  sprachlich  noch  inhaltlicli  erklären. 


160  MOOZ 

SlnArinn  ok  tun^n  er  leikrtjllr  ontanna.  k  ^im  velli  em 
reistir  stafir  l>eir,  er  m&l  allt  gero,  ok  headir  ro&lit  fmsa  bv6  dl  it 
jafha  sem  hijrpustrengir  eda  em  l^stir  lyklar  I  simpbönfa 

Figur  I. 


I  fyrsia  hring  em  fjörvr  slafr;  Jut  md  Hl  ensläu  c 
n^ta,  fiii  rem  fijr  qdnim  Htqfmn:  p.  v.  h.  q.  I  oßnnn  krhig  er» 
stafir  XII,  pelr  scm  heita  mühtafir;  hvcrr  J>eha  mä  vera  hftti 
fyrir  ok  epiir  i  malimi,  eii  e}igi  peii-a  gerir  mal  af  »jälfum  »ir: 


0.  Xn  so  W;  U  XI,  wns  zurdllig  auch  mit  der  figur  !«timt.  da  hier  im  cvc 
tnti  krcixp  k  fohlt.  Ich  seho  kc-inen  gnind  <^in,  dicRon  biichHtabpii  mit  F.  J.  aiis> 
meraen,  da  er  oicht  allein  im  rolg(>iideD  in  boidea  hflndschrifton  übcriicfort  int,  i**^ 
dem  dft  aunh  die  zweite  ßgur  ihn  in  dein  dem  swoitcn  ringe  eittsprecheoden  obp'' 
teile  der  tnfel  lint. 


ÜKTERSUCHÜNQEN   ZUR  SN.  EDDA   1  161 

b.  rf.  f.  g.  k,  l.  m.  n.  p,  r.  s,  t  En  nqfn  peira  era  h6r  seit  eptir 
hljöäi  peira,  T  ptidja  hrhig  eru  tölf  stafir,  er  hljöästafir  lieita, 
jpe-sr.Äi  grein  er  J^eira  stafa:  fyrst  heita  stafir  ok  skal  svä  ritu:  a,  e, 
/.  o.  V.  y.  Qnnur  grein  er  sü,  er  heita  llmingar,  ok  skal  svä  rita: 
r9*.  Ol,  c^;  pessir  eru  prtr;  her  eric  tveir  hljöästafir  sainanU^näir,  5 
pt-^t  at  pessi  stafrinn  hefir  hvern  hlut  af  hljöäi  himia,  er  Juiiin  er 
fxf  €jerr.  En  priäja  grein  er  pat,  er  heita  lausaklofar,  ok  skal  svä 
ritcL :  ey.  ei.  pessir  eni  tveir  stafir  svä  ritaäir,  at  rita  bäda  stafi 
ö&9'€^ytta  ok  gor  einn  af,  pvi  at  hann  tekr  Mjöä  hiniia  beggja,  e?i 
///*•  ritshdttar  sakir  er  pessa  stafi  öh(je{/t  saman  at  binda.  Nu  e?^  10 
e^n.?2.  tölfti  stafr,  er  skiptingr  heitir;  pat  er  i.  pat  er  r4ttr  hljöd- 
^t€M.fr,  ef  mälstafr  er  fyrir  Jionurn  ok  eptir  honum,  i  sanistqfunni; 
cif  nf  hljöästafr  er  nest  eptir  hmmm,  pä  skiptix  Imnn  i  niälstaf, 
ok  gerax  pä  af  honum  t)iqrg  füll  ord,  svä  sem  er  ja  eda  jqrä  eSa 
/^^-,-  ok  enn  svä,  ef  mälstafr  stendr  fyrir  homim,  en  hljöästafr  n/ist  15 
^J^iir,  svä  sem  h4r  er:  bjqrn  eäa  björ  eda  hjqrg.  Onniir  slcipting 
Ä/i/«^  er  pat,  at  hann  s4  laiisakhfi,  svä  sem  peir,  er  ädr  eru  ritadir. 
^e-sf^s/r  stafir  einir  saman  gera  mqrg  fuUord,  en  skamt  7näl  gera 
P^i^'  själfir.  Ef  a  gerir  lieilt  ord,  pä  viex  svä,  sem  pü  nefnir:  yfir, 
ey*.  i,  pat  sem:  fyrir  immn,  en  o  eda  v  pau  skijita  um  ordunmn,  svä  20 
«^?/^  er:  satt  edä  vsatt  Menri  kalla  einn  vid  y,  en  ce  pat  er  vein- 
^*>^  ,  eil  ey  heitir  pat  land,  sem  sjör  eda  vat7i  feUr  mnhverfis,  pat 
^^  kaUat  ok  ey  eda  ce,  er  aUlri  prytr,  Hljödstafir  hafa  ok  tvejina 
O^cin,  at  peir  s6  styttir  eda  dregnir;  en  ef  skyrt  skal  Hta,  pä  skal 
^Ircäga  yfir  pann  stafinn^  er  seint  skal  leida,  sem  Mr:  „ä  pvi  äri,  25 
«ey/^  AH  var  foeddr^^  ok  „pat  er  i  minu  minni^  Optliga  skipta  orda 
le/dFi/ijrar  qllu  mäli,  hvärt  enn  sajni  hljöästafr  er  leiddr  seint  eda 
^k/ölt,  Lofat  er  pat  i  ritshptti^  at  rita  af  limingnm  helldr  a-lykkju 

5.  prtr:  ü  liest  tveir;  der  Schreiber  hat  wol  die  folgende  ij  schon  im  äuge 
gehabt  W  hat  ebenfals:  ßesser  ßrir  »tafer.  —  8.  in  der  lis.  ist  nach  tveir  (II) 
^in  loch;  dann  folgt:  svd  rita  at  rita;  im  hin  blick  hierauf  bin  ich  W  gefolgt  stafer 
f^  fitaäer.  Vielleicht  ist  besser  mit  F.  J.  zu  schreiben:  ok  skal  svä  rita,  at  rita; 
*®*^  kabe  die  lesart  im  hinblick  auf  das  parallele  gerr  nicht  aufgenommen,  zumal 
•uch  ^jgg  luibestimte  man  sehr  selten  und  meist  nur  bei  dichtem  durch  den  plunü 
^<iergegebeo  wird   (vgl.  Lund,  Oldn.  Ordföjnl.  §  10  4»  anm.  4.    §  203,  16  anm.) — 

^-  ok  etm  svä lljqrg  gehört  zweifelsohne  nach  jor;    hierher  passt  es  allein, 

JJ^h  ritadir  (z.  17),  wo  es  in  der  hs.  steht,  gibt  es  keinen  sinn:  es  war  eine  i*and- 
~^**i^ung  und  wurde  vom  abschreiber  an  falscher  stelle  eingefügt.  —  enn  in  der 
^  zerfressen.  —  18.  pessir  stafir  stelt  alle  vokale  in  gegensatz  zu  den  consonan- 
^*^  —  23.  ok  f.  U;  so  nach  W.  F.  J.:  ok  kallaf.  ~  26.  Nach  ok  fügt  W  noch 
^^  er  ertud  hann.  —  28.  U:  en  af  lyckio  .  .  dem  Schreiber  hat  das  folgende  en 
'^U  TorgOBohwebi    Dieselbe  änderung  hat  auch  F.  J. 

^nBORBIR  F.  DKUTSCHB  PHILOLOOIE.      BD.  XZH.  11 


162  MOOK 

en  füllt  a,  ok  er  pd  svd  ^,  q.     I  fjönta  hring  eru  tölf  stafir  $vä 

riiadir:    «,.^.R:6.R.a.C).D.»'.  K.5J.  pessir  stafir  gera  ekki 

annatj  en  metm  vilja  liafa  pd  fyrir  ritshdttar  sakir,  ok  er  seiir 
hverr  peira  einn  fyrir  tvd  mdktafi,  pvi  at  sum  ord  eSa  nqfn 
emlax  i  svd  fast  atkvpäi,  at  engl  indlstafr  ftr  einn  bority  svd 
sem  er:  hqll  eäa  fjall  eda  kross  eäa  hross,  framm,  hramm.  Nu  parf 
annaÜivdrt  at  rita  tysvar  einn  mdlstaf,  eäa  lata  sir  Uka  pannig  at 
rita,  I  finita  hring  eru  ritaäirpeir  prir  stafir,  er  kallaäir  eru  undir- 
stafir:  ä.  x.  x;  pessum  stqfuni  ind  viä  engem  staf  koma,  nema  pat 
si^  eptir  hljödstaf  l  hverri  sdvistqfu.  Enn  fjöräi  stafr  er  c,  ok  hafa 
suniir  nienn  pann  ritshdtt,  at  setja  kann  fyrir  k;  en  hitt  eifia  er 
r^tt  hans  hljöit  at  vera  sem  adrir  undirstafir  i  ejida  samst/^fu. 
Titlar  eru  svd  ritaäir  li^r,  sefn  i  qitrum  ritshftti. 


Stafasetning  sjd,  sem  hör  er  rituty  er  svd  sett  til  mdls,  sem  3— 
lyklar  til  hljöds  l  mtisikd,  ok  regur  fylgja  hljödstqfum  svd,  sem  peir 
lyklar  vuilstqfutn.  Mdlstafir  eru  ritadir  med  hverri  regu  bedi  fyrir 
ok  eptir,  ok  gera  peir  mal  af  hendingum  peim,  senh  peir  hafa  vid 
hljtUtstafina  fyrir  ok  eptir,  Kqllnm  vor  pat  lykla]  sem  peir  eru 
i  fastir,  ok  eru  hör  svd  settir  i  spaeionne,  sepn  lyklar  i  simphötife,  ^^ 
ok  sbil  pi'im  kippa  eda  lirinda,  ok  drepa  svd  regustrengiim,  ok 
tekr  pd  pat  hljod,   sem  pu  villt  haft  hafa.    pe^sar  hendingar  eru 

5,  M^»/>i:  lir,  samsit^fu  wol  das  richtige.  —  G.  «  nach  W  eiigänzt,  fehlt  inU.  " 
10.  st^fum  vorlH\sscrt  nach  K.J.  U:  staf,  —  12.  naoh  at  ein  loch  in  der  hs.  se^^ 
haN^  ioh  gi^s^^hriolnMi  uarh  oiiior  StCK'kholmer  (uipierhandschnit«  deren  schreil)cr  ^^ 
hs.  ncK*h  in  Ivssi^ix^m  zustande  vor  sieh  hatte;  hafn  F.  J.  —  /y**"-  k  schreibe  'w^^ -^ 
die  hs.  Xy  d.  i.  k\mMui^  wie  auch  die  herausgelvr  liaben.  Allein  das  gibt  keii::*-^ 
sinn;  der  t\üoht^^^*  aUs^'hreilvr  konte  sehr  leicht  hieranf  kommen.  Oder  hat  xm^^-^ 
leicht  urspninglich  k  ftta  y  {l\  r,  y)  da^^tanden:  —  Die  folgende  figur  ist  wie 
riu^gur  in  der  handschrift  ziemlich  Hüchtig;  lH>ide  mussten  in  übereinstimmi^' 
mit  dem  text  j^^bracht  wenien.  —  15  fgg.  o^hört  nach  fig.  2.  —  16.  ♦  fp- 
in  V;  es  muss  unUsiingt  hier  stehen;  vgl  auch  F.  J.  Sw  93.  —  rt^a  ist  dasse^  ' 
wie  rty«i  FMS  XK  441  u.  (i.  Pas  \\>^rt  ist  s^mst  nirgends  im  nonüschen  belegt;  ^ 
ist  ahd.  #*#i/''»  *^^^*  ''V**'  ''^V*  ~  ^""*^  r^'i^«>  ^Schade,  Altd.  wb.*713)  und  bezeich«-** 
hier  wol  die  iu>tnuuou(saiteu  ^rtyMcfrivMj/i»,  denen  der  v^Tfasser  nach  den  V^^ 
mir  stark  p^yeichneten  liuieu  den  namen  gab.  —  fitir  i^kiar  mätst^fam,  ü  XM^* 
F.  J.  nur  /r#V  l^Unm:  mir  iNt  tiie  stelle  so  dunkel.  IVr  s^^hreiber  sprang  nach  /  %r<^ 
I^Uar  auf  die  endung  >oi\  woh^^fHw  üIht.  —  IS,  fitim  so  verindert  mit  F.  •^ 
hs,:  /r#V#,  IS.  *i>;,t;  in  der  hs.  nur  m»  mvh  tu  les^'ti.  —     20,  hs.  oik  eru  p^^' 

ktr  JNM  *r/l#V  her  ww  •  s^hu^ionc  *r»»  , . » .  —  i»2.  Nach  kafa  will  Brauner  (a.  a-    ^ 


CNTBRSUCIIIINOEN  ZUR  SS.  I 

Figur  IL 


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164  MOQK 

eigi  meiri  eii  ptßr,  sem  fyir  eni  ritadar,  ok  hinar  minxtu  peira, 
sein  stafat  86  Hl,  pvi  at  Mr  er  i  heiiding  ei^ni  Mjödsiafr  ok  einn 
niälstafry  ok  gerlr  svd  margar  hendingar,  sem  nü  er  ritat  dar  i 
stafasetninginni. 

H6r  standa  um  pvert  blad  XI  hljqdstafir,  en  um  endilangt  5=5 
blad  y^  mälstafir;  eru  peir  svä  settir,  sem  lyklar  i  simphönle,  en 
hljöctstafir  sem  strengir.  Mälstafir  eru  Xu  peir  sem  b^di  hafia  hljöd, 
hvärt  sem  kipt  er  eda  hrundit  lyklinum,  en  VIII  peir,  er  sfdarr 
eru  ritadir,  hafa  hälft  hljöd  vid  hina:  sumir  taka  hljod,  er  pü  kippir 
at  I)6r,  sumir,  er  pü  hrindir  frä  J)6r.  L  C 

pessir  hliodstafir  standa  um  J)vert:  o.  e.  i,  o.  y,  u,  p.  q.  m\ 
ei.  ey.  pessir  eru  XII  mälstafir:  b.  d.  f,  g,  k.  l  7n.  n.  p.  r.  s.  t. 
pessir  eru  mälstafir  ok  hafa  hälft  hljöd  vid  hina:  ä,  p,  %,  v.  c,  h.  x,  q, 

8.  279)  dcQ  satz  ok  gerir  .  .  i  stafasetninginni.  (164*);   ich  sehe  den  gmnd  nicbfr 
recht  ein,  weshalb  er  von  der  Überlieferung  abweichen  will. 

1.  eigi  meiri y  U  nur:  meiri y  F.  J.  minni.  Der  Schreiber  hat  nur  aus  ver- 
sehen das  abgekürzte  eigi  weggelassen.  Die  stelle  will  sagen:  obgleich  in  der  zwei- 
ten figur  vielmehr  buchstaben  stehen  als  in  der  ersten,  so  sind  doch  die  hendingar 
nicht  zahlreicher.  —    5.  Her  bis  zum  Schlüsse  spätere  intorpolation.  F.  J. 

Übersetzung. 

Wie  viel  verschiedene  arten  des  tones  gibt  es?  Drei.  Welche? 
Das  ist  die  eine  art  des  tones,  wenn  der  wind  pfeift  oder  das  wasser 
oder  das  meer  rauscht,  oder  die  berge  oder  das  erdreich  oder  gestein 
dröhnt;  solche  töne  heissen  getöse,  geräusch,  gedonner,  lärm.  Hierher 
gehören  auch  die  töne,  die  die  metalle  von  sich  geben  oder  die  entste- 
hen im  kämpfe  der  männer;  diese  heissen  ebenfals  getöse  und  klang  und 
lärm.  So  auch,  wenn  bäume  brechen,  oder  wafifen  aneinander  schla- 
gen; das  heisst  gekrach  oder  gerassei,  oder  auch  wie  es  früher  bezeich- 
net ist  Alle  diese  töne  entstehen,  ohne  dass  dabei  irgend  welcher 
verstand  im  spiele  ist  Hierher  gehört  nun  weiter  auch  der  ton,  wel- 
chem der  buchstabe  allein  zur  rede  mangelt;  diesen  erzeugen  die  har- 
fen  und  noch  mehr  die  grösseren  musikinstrumente:  dieses  heisst  musik. 

Eine  andere  art  des  tones  ist  der  der  vögel  und  der  tiere  auf 
dem  lande  und  im  wasser.  Dieser  heisst  stimme.  Diese  stimmen  wer- 
den aber  auf  verschiednerlei  weise  bezeichnet:  die  vögel  singen,  kräch- 
zen und  kreischen  und  geben  noch  andere  töne  von  sich,  die  anders 
bezeichnet  werden.  [Nach  ihrem  vermögen  sind  die  namen  der  t^pre 
80  mannichfaeh  entstanden,  denn  die  menschen  wissen  bescheid,  was 
die  lebenden  wesen  mit  ihren  vielen  gewohnheiten  anzudeuten  schei- 


UNTERSUCH UNOKN  ZUK  SX.  EDDA  I  165 

nen.]  Dio  tiere  im  meero  blasen  oder  schnauben.  Alle  diese  stimmen 
entspringen  geringer  vemunft  im  vergleiche  zum  verstände  der  meisten 
menschen. 

Die  dritte  art  des  tones  ist  der  der  menschen:  hier  vereinen  sich 
laut,   stimme  und  spräche.    Die  spräche  entsteht  durch  das  herausbla- 
sen   der  lufk,   durch  die  bewegung  der  zunge   an  zahne  und  gaumen 
vind  durch  das  öfhen  und  schliessen  der  lippen.    Aber  jedes  wort  steht 
niit    dem  gedächtnisse  und  verstände  in  engstem  zusammenhange;   das 
Gedächtnis   ist  nötig,   damit  die  ausspräche   der  Wörter  immer  gegen- 
wärtig ist,     verstand  und  Urteilskraft,   damit  man  jederzeit  weiss  dio 
wox^  hervorzubringen,  welche  man  haben  will.     Ist  einer  beredt,   so 
bedarf  er  ausser  dem  verstände  auch  gewantheit  im  ausdrucke,  schlag- 
fertigkeit imd  vor  allem  leichtigkeit  der  zunge.    Wenn  dio  zahne  abge- 
brochen sind,   und  die  ziuige  infolgedessen  ihr  ziel  verfehlt,   so  klingt 
die    spräche  hässlich.    So  auch,  wenn  die  zunge  zu  gross  ist;  dann  lis- 
pelt der  sprechende;   ist  sie  dagegen  zu  klein,  so  murmelt  er.    Auch 
wenn   die   lippen   in   nicht  ganz   normalem   zustande   sind,    kann    der 
spx^iche  abbruch  geschehen.' 

Der  mund  und   die  zimge  sind  der  Spielplatz  der  werte.     Auf 

diesem  plane  sind  die  buchstaben  aufgerichtet,   die  die  ganze  spräche 

ausmachen,  und  es  greift  die  spräche  bald  diesen  bald  jenen  buchstaben 

h^Taus  (um  sie  zusammenwirken  zu  lassen),  gerade  so  als  wären  es 

saiten  oder  die  befestigten  tasten  in  der  simphonie. 

(Figur  L 

Im  ersten  ringe  haben  ^vir  vier  buchstaben;  diese  darf  man  nur  vor 
andern  buchstaben  gebrauchen:  p.  v,  h.  q.  Im  zweiten  ringe  befinden 
sich  zwölf  buchstaben;  diese  heissen  consonanten.  Jeder  von  ihnen 
kann  sowol  am  anfang  als  am  ende  eines  wertes  stehen,  aber  keiner 
macht  ein  wort  für  sich  aus:  b.  d.  f.  g.  k.  L  m.  n,  p.  r.  s.  t  Ihre 
namen  sind  hier  gesezt  nach  ihrem  lautlichen  zeichen.  Im  dritten  ringe 
sind  zwölf  buchstaben,  die  vokale  heissen.  Unter  diesen  ist  folgender 
unterschied:  Die  ersten  heissen  vokale  (?  stafir)  schlechthin  und  sie 
sind  so  zu  schreiben:  a.  e.  «.  o.  v,  y.  Die  zweite  art  heisst  verschmol- 
zene buchstaben  und  diese  soll  man  so  schreiben:  ce.  cn,  Gy.  Dies 
sind  drei;  hier  sind  je  zwei  vokale  verschmolzen,  sodass  diese  buch- 
staben einen  teil  von  den  lauten  haben,  aus  denen  sie  gebildet  sind. 
Die  dritte  art  sind  die  diphthonge  und  diese  soll  man  so  schreiben: 
ey.  ei.  Diese  beiden  buchstaben  sind  so  geschrieben,  dass  man  ihre 
beiden  teile  unverändert  niederschreibt   und   daraus  einen  macht,   der 


I."    -. 


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..",   ; '•      ■  .'    r/' j  ///,//  i.<\*v  JfiH  •.•«.l»>r  kn:*j^s,  hrns^ 

/  '.*  Uli  i!  /  I    •  /.»'  i'i«  ii  'i'!'  I     ."  fi  /'i  fj'  ^jii"iii''ii.  Ulli  .S"  ZU  schr«?iboii. 

In    'I' II    f'Mil»' n    iMi."      jii'l    'Im-    ))tir)i  t^ifi^n    f'iniretrairon,    welch 
intiln  ht/n    )■•  i    «  n  /•!    )i    lin' li  hilnii.    »Im*   iii'-lit    JIM  anlaut  sti?hoii  dür*' 


*   lt.      '    ■,!         .1        !    '       t      ■    t 


1  I         -1         l-|i|ii' 

•  i|"  t.i  II        I  i  ■'      'iM    nlf'  I 
t(i-l     Mii'  I  ■•  .1  V.  I  •  li    li  r 


I     >|  I  ■.!  Ii      i|i 

-  'I    '     n    I'.    II 


Uli'    t.     / /■    l.iffihnjr  liiifir  am  ti"eu>ti'n  widtM' 

ih      Ihhuh  t  inin    lllfi'u   rsf    fafiahiliti. —    BiVtl" 


UNTEBSUCHUNGEN   ZUR   SN.  EDDA  I  167 

fen):  et  x,  x.  Diese  buchstaben  können  nur  mit  einem  andern  in  ver- 
bindimg  gebracht  werden,  wenn  in  einer  silbe  ihnen  ein  vokal  unmit- 
telbar vorangeht.  Der  vierte  buchstabo  ist  c,  den  manche  leute  als 
graphisches  zeichen  für  k  gebrauchen;  aber  das  allein  ist  sein  wahrer 
Avert,  dass  er  wie  die  andern  undirstafir  (nur)  am  ende  der  silbe  ste- 
hen darf. 

Die  abkürzungen  sind  hier  geschrieben  wie  man  sie  auch  sonst 
zu   schreiben  pflegt) 

Figur  IL 

(Die  buchstaben tabelle,  die  hier  aufgezeichnet  ist,  ist  so  mit  der 
Sprache  in  Verbindung  gebracht,  wie  die  tasten  mit  dem  musikalischen 
tone;  und  wie  die  linien  (d.  i.  saiten)  den  vokalen,  so  gleichen  die  tasten 
den  consonanten.  Consonanten  stehen  sowol  vor  als  hinter  jeder  (vokal-) 
linie,  und  sie  erzeugen  die  spräche  durch  ihr  zusammentreffen  mit  die- 
sen, je  nachdem  sie  vor  oder  nach  dem  vokale  stehen.  Wir  nennen 
das  tasten,  worin  sie  stehen  (d.  i.  die  kleinen  viereckigen  kästchen  der 
^fel),  und  sie  sind  hier  auf  dem  felde  gerade  so  gesezt,  wie  die  tasten 

■ 

^*^  der  simphonie,  und  man  muss  sie  reissen  oder  stossen,  und  dadurch 
^i^  liniensaiten  schwingen  lassen,  und  man  bekomt  so  den  ton,  welchen 
^"^^n  gehabt  haben  will.  —  Dieser  Vereinigungen  (d.  i.  von  vokal  und 
^^xisonant)  sind  hier  nicht  mehr  als  die,  von  denen  oben  geschrieben  ist, 
^*>Xd  die  kleinsten  von  denen,  die  sich  zu  einer  silbe  verbinden  lassen, 
^■-^Bn  hier  ist  in  der  Vereinigung  nur  ein  vokal  und  ein  consonant. 
"•^  gibt  so  viel  Vereinigungen,  wie  viel  oben  auf  der  buchstabentabelle 
^^rzeichnet  sind.) 

Hier  stehen  auf  dem  blatte  oben  von  links  nach  rechts  elf  vokale, 
^V)er  von  oben  nach  unten  zwanzig  consonanten.    Leztere  sind  so  gesezt, 
^^"^ie  die  tasten  in  der  simphonie,  aber  die  vokale  wie  die  saiten.   Zwölf 
Konsonanten   geben   ton,   mag   mau   die  tasten   (häkchen)   reissen    oder 
^tossen,   während   die   andern   acht,   die   zulezt  geschrieben  sind,   nur 
^inen  halben  ton  im  vergleich  zu  jenen  haben:  die  einen  nämlich  tönen, 
"^enn  du  sie  zu  dir  ziehst,  die  andern,  wenn  du  sie  von  dir  stösst  — 
l?olgende  vokale  stehen  oben  von  links  nach  rechts:   a.  c,  i.  o.  u.  y,  f. 
9.  av.  ei.  ey.    Dies   sind  die  zwölf  consonanten:    b.  d,  f,  g,  k.  l  m,  w. 
y.  r.  s.  t    Halben  ton  im  vergleiche  zu  diesen  haben  folgende  conso- 
nanten: ct.  p.  X.  V,  c,  /i,  X.  q, 

LEIl»ZKt.  E.    MOOK. 


1Ö8  MÜLLEH-i*KAUEXöTJtr^' 

ÜBER  ZIGLEES  ASIATISCHE  BANISE. 

(Fortsetzung  und  schluss.) 

Wenden  wir  uns  nun  dem  inneren  ausbau  zu.    Einige  alg^^ 
meine  bemerkimgen  mögen  da  vorausgehen.    In  betreff  der  kunstmitt^^^^i 
welche  dem  erzähler  als  solchem  zu  geböte  stehen,  ist  Zigler  durcl 
aus  nicht  zaghaft     Nicht  emsilich  zu  bezweifeln  ist,   dass  er  von  di 
lateinisch -griechischen  schulgelehrsamkeit  seiner  zeit  ganz  bedeatend< 
gebrauch  gemacht  hat;  dagegen  ist  mir  zweifelhaft,  ob  er  die  poetik< 
und  rhetoriken  der  französischen  Jesuiten  seines  Jahrhunderts  Studie, 
hat^.     An  imd  für  sich  ist  dies  zwar,   da  er  ja  so  viel  gelesen 
nicht  unwahrscheinlich;  meine  bemühungen,  mehr  positives,  als  Bebe: 
tag  in  dieser  beziehimg  gefanden  hat,   beizubringen,   sind  aber  erfolg 
los  gewesen.    Von  zwei  gerade  in  dieser  zeit  erschienenen  rhetorik^  :«=^    ^ 
kann  ich  allerdings  ganz  deutlich  beweisen,   dass  sie  ohne  einfiuss  kcM-  '^ 
Zigler  gewesen  sind.     Bernard  Lamys  rhetorik  widerspricht  mit  ihre: 
regeln  über  die  anwendung  der  tropen  und  tiguren  und  über  den 
seiner  methode  schnurstracks;  es  weht  ein  völlig  anderer  geist  in  bei- 
den büchem.    Auch  die  Sentiments  sui*  les  lettres  et  sur  rhistoire  av( 
des   scrupules   sur   le   stile    (Paris  1683),    ein  geistreich   und   gewan.' 
geschriebenes    werkchen,    entspricht    in    seinen    anweisungen   unserein^ 
geschmacke  weit  mehr  als  dem  der  zweiten  schlesischen  schule.    Schärft 
und   kürze   des   ausdrucks,   Vermeidung   von   Sprichwörtern,   charakte- 
ristische walil  der  werte  je  nach  der  sprechenden  person,   mass  in  lob 
und  tadel  wird  da  gefordert     Den  alten  schwerfalligen  romanen  stelt 
es  die  novoUcn  gegenüber  und  begründet  die  abneigung  gegen  erstere 
mit  ihrer  länge,  ihivr  mischung  von  vielen  verschiedenartigen  geschieh- 
ten,  ihrer  masse  handelnder  personen,  der  altertümlichkeit  ihrer  Stoffe, 
der  schwei-fiilligkeit  ihres  baues,   ihrer  un Wahrscheinlichkeit  und  ihrem 
überuulss.     Man  sieht,  das  sind  alles  aussetzungen,  die  auch  die  Banise 
treffen. 

No«*h  ein  anderer  umstand  hat  mich  von  dem  glauben  abgeführt, 
dass  Zigler  sii»h  auf  französische  regeln  direkt  stütze.  Nahe  lag  der 
verdacht,  den  freilich  vor  mir  niemand  ausgesprochen  hat,  dass  die 
zahlnnchen,  zur  rhetorischen  aussi*hmückung  eingeflochtenen  briefe  nach 
fnwizösisi'ht^i  mustern  entworfen  seien.  loh  habe  mich  deshalb  die  mühe 
nicht  venlriesson  lassen,  alle  damaligen  französischen  brie&teller,  die 
mir  erivichbar  waren,   gmiau  zu  verirleiohen :    Pielat,   Le  secretaire  in- 

1)  Vgl.  K.  Schmidt  in  lSclmorrj>  Aivhiv  II,  ISSO. 


vjjucu  (Lyon  I67'J  und  ltiS3),  desselben  Secretairo  noiivoan  (Amster- 
dam 167JI),  femer  Kiche-Source,  La  bousole  du  partait  secretairo  (Paris 
1S80),  auch  (Quinet),  Nouveau  recüeü  de  lettres  et  billets  galandos 
iParis  1(J80).  Aus  ihnen  allen  hat  Zigler  keinen  buchstaben  entnom- 
men. Es  wäre  höclistens  nicht  unmöglich,  dass  er  eiaige  winke  der 
Sousole  befolgt  hätte.  Wir  suchen  deshalb  direkt  aus  der  Banisc  selbst 
<lie    rhetorischen  grundsätzo  Ziglers  herauszidesen. 

Sie  sind  gar  nii;ht  so  unbedeutend.  Er  geht  sofort  in  medias  res, 
WÄt  an  einem  passenden  punkte  ein,  baut,  wenn  auch  in  groben  fur- 
iDon,  dix'h  nach  einem  einheitlichen  plane,  gibt  episoden  und  digres- 
sianen,  lässt  pai-allelo  handlungen  und  in  gewissem  sinne  auch  parallele 
Charaktere  vor  uns  erscheinen,  stelt  rührendes  und  komisches  in  manch- 
niai  nicht  ungeschickter,  zumeist  freilich  uns  wenig  anmutender  weise 
oebcm  einander,  versucht  direkt  und  indirekt  zu  charakterisieren,  wenn 
Ufts  die  dafür  aufgewant^'u  mittel  audi  nicht  selten  recht  wunderlich 
vörtonmien  mögen,  und  hält  die  Charaktere  im  grossen  und  gauzen 
eatschieden  fest  Er  erhöht  die  Spannung  durch  algemeine  andoutun- 
gen,  die  im  voraus  beruhigen  oder  erschrecken,  und  zwar  thut  er  dies 
^*aisam,  nicht  im  Übermasse,  ivie  es  seine  zunftgenossen  sonst  woi  zu 
'im  pflegen,  er  verwickelt  und  entwirt,  wenn  auch  hio  und  da  etwas 
(."»■waltsam,  doch  im  algemeuien  nicht  durch  geradezu  unglaubliche 
erÜBdungen,  strebt  einen  bestirnten  lokalton  wenigstens  an,  wenn  er 
luch  oft  genug  aus  dem  lande,  in  dem  die  handlung  spielt,  wider  her- 
OTiafaU,  und  versteht  den  fortschritt  der  ereignisse  zu  steigern,  wenn 
uucli  gerade  die  höhepunkte  uns  die  mäugel  seiner  dichtiing,  die  gren- 
isen  seiner  kraft  am  deutHchsten  zeigen.  Vor  allem  aber  hat  er  doch 
figuren  gesciiatfen,  denen  das  Interesse  gewalirt  bleibt,  dankbare  gestal- 
ten fUr  den  ronian  seiner  und  überhaupt  jeder  zeit,  und  zwar  nicht  in 
^'  grosser  onzahl  und  nicht  so  bunt  durch  einander  laufend,  doss  sie 
*uf  einander  drücken  oder  sonst  einander  schädigen'. 

1)  Schorere  urteil  Ilbdu  idi  daiiu  wol  alloin  mit  zu  hiUe  rufoB.  In  botreff  der 
""^lUktei-e  kann  K.  Sclunidt  ,  boim  Ixuttcn  willt-n  ieina  iinjiviJualisienmg  in  Banise, 
^"»«-■iii,  Chaniiiigrem,  Rolini  iindeu",  <iio  tiguran  und  verwicklangon  seien  vielmehr 
""  *uiieBttitheB  tTpisL'h.  (-Iiulevius  s.  164  meiüt,  alk'  figuren  glichen  einander,  die 
^**o  hier,  iüb  schlecht*»  dort,  uitr  in  den' sthiuksaJon  seit-ii  einige  hervortretend. 
_.  ™nig,  der  überhaupt  nicht  gnr  viel  von  chÄrakteristit  wis»eu  will,  ai^  s.  223, 
*'eli>i-  leiHi«  etn'os  mehr  darin  &ls  Bui.holtz  und  Lohensteiu,  tadelt  aber  nucb,  dass 
^^  tugundbelden  wie  die  btisewiuhter  ^''''strakt  folgerichtig '',  „geuau  nach  der  iuatruk- 
'^''■'  «Ann.  Ich  finde  das  doch  nicht  so  absolut:  Cbauniigrom  macht  versuche,  bes- 
**  £u  orscheincD  (210,  230,  330,  361],  Balacin  lernt  en^t  regieren  und  suheint  mit 
'***    imto  SU  wachsen,    Bcandor  hebt  üich  doch  auch  etwas.    Eine  eutwiuklung  der 


170  SIÜLLER-FRAÜENSTEIN 

Dio  engclschöne  und  ongelreiDO  Banise  und  ihr  tapferer  u 
getreuer  Balacin  sind  das  liebespaar  par  excellence,  neben  welches  zi 
andere  von  ähnlicher  treue,  wenn  auch  in  abgeschwächten  lichttöi 
treten:  Balacins  Schwester  Higvanama  und  Nherandi  von  Siam,  < 
lezteren  Schwester  Fylane  und  Palakin  von  Prom.  Ihrer  aller  glü* 
liehe  Vereinigung  nach  Überwindung  der  grössten  hindemisse  ist  < 
ziel,  dem  der  dichter  zustrebt  Zwei  andere  liebespaare  von  geringe 
bedoutung  bilden  eine  art  zweiter  gruppe,  die  das  gemeinsame  l 
dass  die  weiblichen  glieder  derselben  die  männlichen  erobern,  so  wei 
die  lezteren  zuerst  dieses  Schicksal  für  begehrenswert  halten,  und  d 
dadurch  die  beiden  hauptpersonon,  denen  hier  Lorangy,  dort  Zaw 
nachstellen,  luft  erhalten.  Ein  tiefgreifender  unterschied  liegt  aber  dai 
dass  Seandor,  Balacins  Paladin,  im  gründe  doch  die  seinem  he: 
nachlaufende  Lorangy  übertnimpft  und  so  zu  einer  seinem  charah 
durchaus  entsproohenden  höchst  komischen  lösung  anlass  gibt  ] 
prinz  Zarang  von  Tangu  dagegen,  welcher  um  Banisens  willen 
grössten  anstrengungon  macht  und  deshalb  sich  einmal  zu  feigen  v 
hinterlistigen  streichen  hergibt,  dann  wider  in  frauenkleidung  in  c 
tempol  der  prinzessin  dringt,  endlich  neben  Balacin,  aber  nicht 
freund,  sondern  nebenbuhler,  Pegu  belagert,  um  Banise  zu  befrei 
dieser  Zarang  dagegen,  sage  ich,  wird  von  der  ilim  ewig  getrei 
Prinzessin  von  Savaady  ganz  regt^recht  überrumpelt  und  nimt  cii 
völligen  noigungs-  und  damit  charakterwechsel  vor,  um  sich  ih 
gviungonen  list  doch  endlich  zu  freuen. 

Auf  der  siegenden,  nach  unerhörten  gefahren  endlich  triumpl 
rendon  stnte  stehen  sixlann  noch  in  zweiter  linie  der  alte  Talemon  i 
Hassana,  rA>rangys  eitern,  deren  brudor  Ponnedn»,  der  „obcrhoflFmeii 
üIht  das  fnuienzimnuT  des  käysers  Chaumigrem*^,  ferner  die  feldher 
Padukko,  Mangt>stan,  der  überlauter  Martong  und  endlich  der  wi 
Koningorim,  welohor  als  neuer  Kolim  d.  i.  als  Oberhaupt  der  hierarc 
Si*hlii^ioh  die  khuumg  di^  liebt^paaros  ausführt. 

(lOgonübiT  diesen   personon    steht    nun    in    allerereter   linie 
Wüterich  Chaumignnu,   der  zuerst  Higvanama,   sodann  Banise  verfo 
dann  der  nlw  Rolini  von  Pegu,   welcher  neben  seinem  herm  Banis 

ihanikton»  bat  Ziarlor  ft\*üich  kaum  orstn^bt.  Hiohtis:  ist  zweifellos  BoWrtags 
-*:?4:  ^PiT  haupifehler  sei,  dass  liioj^o  horvnsvh - gal;uitoQ  Sihnftstcller  oharaktore  sc 
derlou,  dio  >ie  im  loWu  iii.ht  trafen*,  woiui^itons  in  dem  sinne,  als  sie  übertreii 
KNm^>o  unt\»rs\hr\nlv  ich  s«nn  urtei!:  itrimmelshausen  stehe  in  betrvfif  der  mensch 
dATstellung  weil  hoher.  Tri'iidem  kann  ieh  das  wei: werfende  wert  von  dem  ,[ 
liächon  UDwert*  dn^T  lextM  auf  dio  Uauis«  weni^tens  nicht  mit  beziehen. 


ZIGLERS   ASIATISCHE   BANISE  171 

besitz  erstrebt;  von  ihnen  erleidet  der  erste  durch  Balacin,  der  zweite 
duxch  die  heldin  selbst  den  tod.  Neben  ihnen  wären  als  einzige,  noch 
etr^as  charakterisierte  nebenpersonen  des  ersteren  bruder  Xeminbrun 
und  der  feldherr  Soudras  zu  nennen. 

Eine  ganz  eigentümlich  grosse  zahl  schlechter  väter  und  mütter 
bew^  sich  sodann  mehr  im  hintergrunde  der  fabel,  für  die  Verwicke- 
lungen  sind  sie  jedoch  gerade   von   höchster  bedeutung.     So  in  Ava 
Balacins  und  Higvanamas  vater  Dacosem,  der  die  schlänge  Chaumigrem 
grosszieht  und  seinetwegen  die  eigenen  kinder  von  sich  stösst,  ebenso 
in    Odia   der   vater  Nherandis   und  Fylanes,  Higvcro,   welcher  seiner 
zweiten  frau,  jener  beiden  Stiefmutter,  seine  liebe  zu  den  kindern  erster 
ehe  opfert,   femer  in  Prom  Palekins  vater  und  Stiefmutter,   die  genau 
ebenso  handeln,  so  dass  der  söhn  unter  dem  namen  Abaxar  sein  glück 
in    der  fremde  sucht,  endlich  Scandors  vater,  der  den  söhn  einer  sieb- 
zehnjährigen Stiefmutter  wegen  davon  jagt    Die  euizigon  guten  eitern 
sind  im  gründe  nur  diejenigen  Banisens,  deren  vater  Xemindo  in  dem 
besten  lichte  erscheint,  und  Lorangys,  deren  pflegemutter  Hassana  doch 
inirner,  wenn  auch  auf  einem  ungewöhnlichen  wege,  das  glück  dersel- 
bon  erstrebt,  während  Talemon  als  vater  gleichgiltiger  erscheint    Von 
den  älteren  frauen  in  unserem  roman  ist  im  ganzen  also  nicht  viel 
ff^tes   zu  berichten,   die   sticfinütter   erscheinen    besonders   von    ihrer 
^'^schreckendsten  seite,  wie  sie  nur  immer  die  Volksmärchen  darstellen 
Toxinen.    Ein  paar  werte  müssen  aber  im  besonderen  noch  der  oben 
^^"Vrähnten  Hassana  und  einer  anderen  duenna,  Banisens  hofdame  Es- 
^"^^ja  gewidmet  werden.   Sie  repräsentieren  die  intriguensucht  der  frauen 
^^itleren   alters,    sind   zu  liebesafifairen   trotz   ihrer  Verheiratung   auch 
^^Ibst  noch  geneigt,   beide  aber  werden  vom  dichter  mit  überlegenem 
^'^^Unor  behandelt    Eswara,  des  oberelephantenwärters  von  Pegu  abstos- 
^^nde  gattin,  stelt  dem  edlen  Scandor  selbst  nach,  Hassana  aber  erhält 
^Hn  sehr  wider  ihren  willen  zum  Schwiegersöhne,  da  er  sich  für  seinen 
^^rm  opfert  und  unter  dessen  namen  sich  zu  einer  ehe  nötigen  lässt, 
^e  ihm  bei  lichte  besehen  gar  nicht  so  imeben  dünkt 

Die  beiden  hauptpersonen   nun   sind  für  unseren  geschmack 
^U  rosenrot  gekleidet     Was  ich  an  mangeln,  die  der  dichter  beabsich- 
tigt haben  kann,  entdeckt  habe,  belauft  sich  bei  Balacin  darauf,  dass 
dieser  einmal  sich  durch  bestochene  ratgeber  abhalten  lässt,   in  seines 
feindeB  abwesenheit  gleich  nach  Pegu  zu  ziehen  und  Banise  zu  befreien, 
sodann  dass  er  nach  der  ersten  befreiung  der  Banise  mit  ihr  sich  ver- 
irt,  obgleich  er  für  die  flucht  alles  vorher  genau  bestimt  hat  und  wahr- 
haftig zeit  genug  und  vor  allem  gnmd  genug  zum  erkunden  des  weges 


172  MÜLLER  -  FRAÜENSTEIN 

gehabt  hätte,  und  dass  er  dabei  schliesslich  vorausreitet  und  sei 
braut  in  feindeshand  fidlen  lässt,  ohne  einen  versuch  zu  ihrer  reitu 
zu  machen.  Es  sieht  aber  nicht  aus,  als  ob  das  in  des  dichters  auf 
flecken  auf  des  prinzen  charakterbilde  sein  selten,  obgleich  doch  be 
male  die  gefahren  und  seelenqualen  seiner  verlobten  dadurch  verläng 
und  gesteigert  werden.  Zigler  gibt  ihm  zwar  eine  art  jugendlicl 
Unbesonnenheit,  lässt  um  schnell  verzweifeln,  Selbstmordversuche  mach 
aber  er  meint  zweifelsohne  das  ideal  eines  jungen  forsten  in  Bala 
gezeichnet  zu  haben.  Uns  könte  wol  noch  mancher  andere  punkt 
ihm  aufiGdlen,  im  handeln  und  im  sprechen,  doch  sie  erklären  s 
leicht  aus  dem  anderen  geschmack,  der  anderen  zeitrichtung,  sind  ai 
unbedeutend.  Banise  ist  vom  dichter  entschieden  noch  vorteilhaJ 
entworfen,  engelrein  an  geist  und  körper,  von  heroischer  willensstär] 
aber  an  dem  bilde  der  frau  fallen  uns  doch  gewisse  züge  noch  m< 
auf,  die  selbst  vor  200  jähren  nicht  algemein  unangefochten  vor  < 
schönen  leserinnen  äugen  durchpassiert  sein  mögen.  So  wenn  Ban 
in  schimpfreden,  wie  sie  heute  nur  das  gröbste  hökerweib  braud 
würde,  allerdings  in  fürchterlichen  Situationen,  ausbricht,  so  wenn  sie  < 
Kolim,  den  hohenpriester,  um  ihre  ehre  zu  retten,  mit  dem  deiche  ersti( 

Die  frauen,  das  ist  meine  empfindung,  hat  Zigler  überhaupt  i 
mehr  energie  im  reden  und  handeln,  um  es  mild  auszudrücken,  a 
gestattet,  als  uns  angenehm  sein  kann.  Ich  will  da  nicht  seine  eigt 
Schaft  als  Junggeselle  mit  zur  erklärung  benutzen,  wenn  schon  die  v 
liebe,  mit  der  in  den  gesprächen  über  liebe  und  ehe  abschreckei 
beobachtungen  angebracht  sind,  dazu  verführen  könte.  Ich  will  ai 
nicht  bei  den  älteren  frauen,  die  in  die  handlung  eingreifen  imd 
ich  schon  erwähnt  habe,  länger  verweilen;  von  deren  untreue,  eventc 
ihren  zotenhaften  reden,  soll  später  gesprochen  werden;  Eswara  u 
Hassana  sind  dafür  typisch.  Jedesfals  kent  der  dichter  aber  seine  z« 
Die  fleckenlose  tugend  Banisens  und  ihrer  späteren  Schwägerin  Hig- 
nama  hält  er  jedoch  als  die  edelste  eigenschaft  derselben  fest,  dui 
ihr  und  der  dritten  prinzessin,  Fylanc,  verhalten  werden  im  grur 
die  pessimistischen  anschauungen,  welche  Scandor  spcciell  zur  seh 
trägt,  lügen  gestraft.  Doch  sanfte,  liebliche  figuren  sind  diese  dann 
ganz  und  gar  nicht,  sie  gleichen  viel  mehr  aniazonen,  sind  eine 
mannweiber  nach  dem  muster  der  Dido  und  Semiramis.  Schwa( 
nerven  suchen  wir  vergebens,  im  hass  imd  in  der  liebe  beweisen  < 
frauen  sich  als  starke  naturen. 

Sind  wir  nun  berechtigt,  diese  eigentümlichkeit  niu*  aus  der  rü( 
sieht  auf  den  geschmack   der   deutschen   leseweit  vor  200  jähren 


ZIOLERS   ASIATISCHE  BANISR  173 

erklären,  oder  können  wir  auch  darin  eine  höhere  hünstlerische  Über- 
legung suchen?     Uns   erscheinen   diese  frauen    sicher  weit  mehr  als 
Asiatinnen  denn  Europäerinnen;  aber  die  briefe  der  pfalzischen  tugend- 
^wächterin  am   hofe  Ludwigs  XIV.,    der   herzogin   Elisabeth   Charlotte 
von    Orleans,   welche   durchaus   in   die   zeit   der  Banise  fallen,   geben 
uns   allein  schon  den  massstab,   wie  die  damaligen  deutschen  Prinzes- 
sinnen   sich    auszudrücken   wüsten.      Zwischen  jenen   tagen    und   der 
gegenwart  liegt  das  Jahrhundert   der   Sentimentalität,   über   die  wogen 
der  Pamela-  und  Werther- Schwärmerei  müssen  wir  hinüberblicken  zu 
dem  öden  strande  deutscher  verrohung,   den  der  dreissigjährige  krieg 
hinterlassen  hatte.    Das  berücksichtige  man  für  das  folgende. 

Als  Banise  zum  ersten  male  vor  Chaumigrem  geführt  wird  (231), 

tritt  sie  noch  ziemlich  zahm  auf,  sie  sucht  sich  durch  „heStigste  zom- 

blieie"  ihm  verhasst  zu  machen  und  durch  „viele  scheltworte"  ihn  zur 

volziehung  des  todesurteüs  zu  bewegen.     „Blutbegieriger  tyrann",  „ver- 

rätoT  meines  Vaterlandes",  „henker  meiner  freunde,  mörder  meiner  lan- 

des-leute,  bluthund"   sind  die  titel,   welche   sie   ihm  zuruft     Stärker 

schon  sind  die  ausdrücke,  die  sie  nach  dem  verunglückten  fluchtver- 

suot  vor   ihrem   peiniger  gebraucht   (266).     Am   höchsten   steigt   aber 

wio  natürlich  ihr  zorn,  als  der  Rolim  ihr  gewalt  antun  will;  die  wen- 

du-ügen,  in  denen  sie  ihrem  gepressten  herzen  da  luft  macht,  sind  die 

^^ri^ssesten,  welche  ihrem  schönen  munde  entströmen,  sie  würden  heute 

^^x*  in  den  dichtungen  Zolas   und   seiner  schule   denkbar  sein  (353). 

«Soliäme  dich  ins  hertz,   du  alter   stinckender   geilheits-bock!     Sollen 

di^    götter  durch  deine  unzüchtige  scheinheiligkeit  dermassen  beleidiget 

^^X'den?    0  so  schlage  doch  der  blitz  deinen  grauen  schedel  entzwey!" 

^^d  als  sie  von  den  reichsräten  an  des  Rolim  leiche  gefunden  wird, 

l>ö>^egt  sie  sich  in  ganz  ähnlichen  ausdrücken  (354). 

Dieselben  lippen  aber,  die  sich  durch  solche  zügellose  reden  ent- 
^^ihen,  können  auch  wider,  wenn  ein  listiger  anschlag  durchgesezt 
^^:»den  soll,  kokette  und  verführerische  werte  genug  finden.  So  bei 
"^1:1  Vorbereitungen  zu  dem  verunglückenden  fluchtversuch.  Banise  ist 
®^^n  erst  vom  Selbstmord  abgehalten  worden;  in  dem  augenblick,  wo 
^^  den  dolch  in  ihre  entblöste  brüst  stossen  will,  tritt  Ponnedro  ins 
^^^^^^omer  und  entreisst  ihr  die  waflFe  (233).  Er  sagt  ihr:  „Wo  erd  und 
^^lle  nicht  vermag,  kann  bloss  die  list  eines  frauenzimmers  auch  selbst 
^i^  unmögligkeit  überwinden.''  Sie  solle  sich  gegen  Chaumigrem  der- 
^Msen  anstellen,  dass  er  mehr  Ursache  zur  liebe  als  zur  grausamkeit 
*^ben  möge/'     Und  als  nun  der  tyrann  zu  ihr  tritt,  während  Balaein 


174  MÜLLER -FIUÜENSniN 

hinter  einer  tapete  versteckt  ist,  richtet  sie  an  jenen  die  verfänglich 
Worte:  „AVo  in  dieser  weit  (245)  noch  etwas  zu  finden  wäre,  wen 
ein  gefesseltes  frauenzimmer  einen  solchen  Monarchen,  welchem  c 
Vergnügung  selbst  zu  fusse  fallt,  vergnügen  könne,  so  wüste  ich  do 
nicht,  worinnen  solche  erfüllung  beruhen  solte?"  Im  weiteren  verla 
des  gespräches  weiss  sie  so  doppeldeutig  zu  sprechen,  dass  es  ihr 
brautigam  hinter  der  tapete  bald  heiss  bald  kalt  überläuft;  sie  geht 
weit  zu  gestehen:  „Ein  verborgener  trieb  entzündet  mich,  und  e 
innerlicher  zug  heisset  mich  lieben,  das  kan  ich  nicht  läugnen.'^  S 
weiss  ihn«  natürlich  nur  um  zeit  zu  gewinnen,  zu  einer  standesgema 
sen  Verheiratung  zu  bereden,  dann  solte  ,,dem  kayser  die  ersten  ros( 
ihrer  liebe  zu  sameln  mit  freuden  erlaubet  sevn.**  Und  als  der  vc 
liebte  tj'rami  eilfertig  darauf  eingeht,  verlängert  sie  die  unterredui 
«mit  veistelten  liebesgeberden'^,  nent  ihn  „mein  schätz,  mein  augei 
trost*^  und  beichtet  ihm,  dass  ihr  „entflammtes  hertze  ganz  entzüc 
den  Weyrauch  beliebter  g^en- liebe  auf  den  altar  seiner  seelen  strei 
und  sich  diese  glut  in  ihr  nicht  länger  verbergen  lasse.*^  „Sie  schl 
get  zu  mund  und  äugen  heraus,  weil  mein  geist  von  lust  und  lie 
^eiclisam  übei^^hwemmet  wird/  ^Eben  diese  flanunen  quälen  me 
hertze,  und  ich  bin  nicht  weniger  begierig  unsere  liebe  vollkomm 
zu  machen.**  Drei  tsige  frist  bis  zur  Vermählung  sind  das  resultat  di 
s»?s  gespräches,  und  als  der  abend  gekommen,  an  dem  „das  Tali**  v 
sich  geben  solK  lässt  sie  sogar  Chaumigrem  wissen,  dass  ihm  no 
vor  der  engervn  Verbindung  ihr  zimmer  offen  stehe.  Damit  ist  c 
gelogenheit  zur  flucht  ermi^licht;  kaum  ist  der  verliebte  bei  ihr  ei 
getreten,  so  wei:si  sie  ihivn  wundertronk  anzubringen  und  entflie 
Alle  diot?e  ^>ivnon  sind  aber,  das  nuiss  zu  Ziglers  ehre  gesagt  werd< 
nicht  weiter  siulioh  au:>gemalt,  Chaumigrem  bringt  es  in  summa  1 
zu  einem  einzigen  handku>;so,  und  auch  seine  wone  halten  sich  h 
in  gx^bührvnden  sohmuken. 

Baiiis^^ns  benelmieu  ^"gen  den  Kolim  und  gegen  Chaumign 
können  wir  nach  den  irogelvnen  Knspieien  kaiun  anders  als  extrai 
£:;uu  nennen:  darauf  IvjLiehon  siv*^  meine  worte«  wenn  ich  sie  amas 
nenliaft  linde.  Die  Jkümvkliohe  uce,  in  die  sie  durch  jene  gebnu 
ist.  iHits>ohuMigte  sie  violleioh;  vor  200  jahiv-n,  heute  urteilen  wir  stK 
J^Y.  lit^^n  ihivn  tHwas  >iioiohher£ip>n  vaier  und  gegen  üiien  hü 
tigaiu,  lilvriuiu)^  «v^hx  alle  anderen  ivrsinien,  mit  denen  sie  rasa 
nHHithft,  Ä^il^  o>^"n  den  sudringliohet)  priozon  von  Tangu,  ist  u 
bleibe  sie  *iie  *\lle  und  f^nni^'bildoto  %ianie  der  vonielunen  weit,  an 


ZIGLERS   ASIATISCHE  BANISE  175 

nach  unseren  begriffen.  Ihre  briefe  und  gedichtet  zeichnen  sich  vor- 
teilhaft durch  kürze  und  nicht  gar  zu  übertriebenen  schwulst  aus.  Ich 
nenne  als  probe  das  antwortslied  auf  Balacins  erstes  liebesgedicht  nach 
der  Verlobung;  mir  wiU  es  von  allen  das  annehmbarste  scheinen  (164). 
Auch  in  den  scenen  vorher,  als  Balacin  seine  liebe  erklärt,  spielt  sie 
eine  natürliche  und  wirklich  liebenswürdige  rolle,  ihre  klarheit  sticht 
nach  unserem  geschmacke  woltuend  ab  gegen  die  schwülstigen,  unsäg- 
licli  breiten  sätze,  die  Zigler  dem  prinzen  in  den  mund  legt  und  mit 
denen  er  sicher  einen  glanzpunkt  seines  werkes  geschaffen  zu  haben 
glaubt 

Ist  demnach  bei  dem  ersten  und  wichtigsten  liebespaare  unseres 
baches  der  männliche  Vertreter  neben  seiner  partnerin  etwas  schwächer 
gehalten,   so  ist  bei  dem  zweiten  das  Verhältnis  umgekehrt    Der  prinz 
^lierandi  hat  dieselben  höfischen  tugenden  wie  Balacin,  seine  persön- 
liche tapferkeit  tritt  in  den  schlachten  aber  mehr  hervor  als  bei  jenem. 
Jähzornig  ist  er  auch,   so  wenn  er  dem  bramanischen  gesanten  den 
ic>j>f  abschlägt  (287),  aber  im  ganzen  erscheint  er  schon  gereifter  als 
Söin  Schwager.    Dessen  Schwester  dagegen,  seine  braut,  hat  insofern 
®iö.e  gewisse  familienähnlichkeit  mit  dem  bruder,   als  sie  zu  unbeson- 
'iöx^en  streichen  neigt      So  schon  gegen  Chaumigrem   und  vor  allem 
*^öi   ihrem  anmarsch  vor  Pegu.    Eine  tagereise  davon  überlegt  sie  „mit 
^Vi^send  freuden,  wie  sie  durch  eine  Verstellung  das  Aracanische  lager 
^^^'Schrecken  imd  sich  hernach  mit  beliebter  anmut  zu  erkennen  geben 
^^^Itö.^     Sie  macht  also  halt,   um  am  andern  tag  den  bruder  zu  über- 
^^^^chen,  und  —  lässt  sich  von  Soudras  überfallen  und  gefangen  neh- 
^^^n.    Gegen  ihren  bruder  und  ihren  bräutigam  verrät  sie  jedoch  ganz 
^^^Äselben  treflichen  gesinnungen  wie  Banise;   sie  gleicht  ihr  aber  auch 
verhalten  gegen  Chaumigrem,   der  ihr  von  dem  bösen  vater  Daco- 
au%ezwungen  werden  soll.     Sie   durchschaut  seine   lügen,   weiss 
^icih  vor  ihm  zu  verstellen  und  listig  seinen  anschlagen  zu  begegnen, 
^'t^ndhaft  weist  sie  alle  Versuchungen  zurück.    Auch  ihre  reden  lassen 
^^hliesslich  an  deutlichkeit  dem  zudringlichen  heuchler  gegenüber  nichts 
^U  wünschen  übrig,  nur  dass  sie  weniger  robuste  ausdrücke  als  Banise 
"Wählt    „Hochmütige  einfalt",  sagt  sie  (s.  78),  „ich  als  eine  freygebohme 
königliche  Princeßin  soll  mich  zwingen  lassen,  einen  sclaven  der  laster 
2a  lieben?    Unverschämter  graff,   schämet  euch  in  euer  hertze"  usw. 
Am  meisten  lässt  sie  sich  einmal  gegen  Scandor  gehen  (53),  als  dieser, 
ohne  den  Zusammenhang  zu  ahnen,  sich  zum  Überbringer  eines  briefes 

1)  Selbst  Wachler  räumt  ein,    dass  unter  den  eingeschalteten  godichten  meh- 
iBxe  lyrischen  geist  und  tiefes  gofühl  veiTaten. 


1 70  MÜLLER  -  FRAUKNSTEIN 

von  Chaumigrem  hei^gegeben  hat     Sie   speit  das  schreiben  an, 
OS  zur  erde,  tritt  es  mit  fiissen  und  redet  den  unglücklichen  boten  mi^ 
den  freundlichen  werten  an:    „Und  du,  verfluchter  hund,  dar&t  dht^ 
unterfangen,  mir  von  einer  ewigverbanten  person  solche  sadien  einzx — 
händigen,  welche  würdig  wären,  mit  dem  hencker  beantwortet  zu  wer — ' 
den.    Hiervon  solte  gewiß  an  dir  der  anfang  gemacht  werden,   wencP- 
ich  nicht  des  Printzen  (Balacin)  verschonte.    Inmittelst  lasse  dich  nichts 
gelüsten,  vor  meinem  angesicht  mehr  zu  erscheinen,  sonsten  soll  dein 
kopff  auff  dem  nunpffe  wackeln.^     Auch   sie   hat   einmal  Selbstmord- 
gedanken,  doch  bewegt  sich  ihr  Schicksal  glücklicherweise  in  weniger 
extremen  bahnen  als  das  ihrer  Schwägerin,   wenn  ihr  auch  bei  ihrer 
gefangennalune  gelegenheit  geboten  wird  (s.368),  „sich  aller  weiblichen 
natur  zuwider  als  eine  ungemeine  heldin  zu  beweisen^  imd  tapfer  in 
die  feinde  einzuhauen.     Das  gedieht,  das  ihr  in  den  mund  gel^  wird, 
ist  gezierter  als  das  Banisens  (s.  48),  doch  nicht  so  schlimm  wie  man- 
ches andere,  die  scene  des  widersehens  mit  Nherandi  (370)  recht  leben- 
dig und  anmutend  ausgeführt.     Diese   leztere   partie   und   der  bericht 
von   der   briefeendung  ihres  geliebten,   welche   ihr  bruder  mit   einem 
ki>8tbaren  goldenen  Schmuckkästchen  (s.  62 — 66)  überbringt,   sind  die- 
jenigen stellen,  in  welchen  Higvanamas  Schönheit  und  anmut  am  mei- 
sten zur  geltung  kommen.     Sie  gibt  da  Banisen  kaum  etwus  nach. 

Das  dritte  liebespaar  endlich,  Abaxar  oder  Palekin  von  Prom 
und  FN'lane,  Nherandis  Schwester,  unterscheidet  sich  scharfer  von  den 
beitlen  ersten  als  diese  unter  einander.  Abaxar  ist  von  den  prinzen 
im  gründe  der  festeste  oliarakter.  Durch  harte  schicksalsschlage  gestählt, 
voll  suvei^oht  auf  seine,  voll  mistrauen  g^:en  fremde  kraft,  vermag 
er  xu  si'hweigen  wie  das  grab,  von  langer  band  her  anschlage  zu 
s^'hmitHlen  und  mit  unvenirossener  geduld  sie  durehznführeiL  Wie  eine 
art  Si'hwHTKen  raohegeiste«  steht  er  neben  Chaumigrem,  an  Teja  erin- 
nernd nelnni  dem  Aohilleus-Totila  ähnlichen  Balacin.  Ein  mal  auf  dem 
rtvhten  arme,  das  wie  ein  sehwert  gestaltet  ist,  hat  gleich  bei  seiner 
gi^burt  ^ganti  Asien  "^  auf  ihn  aufmerksam  gemadit  Eine  böse  Stief- 
mutter aber,  die  ihrem  eigenen  söhne  die  herscfaift  zuwenden  will, 
hat  ihn  dem  herzeji  de^  vaters  entfrvmdet  und  durch  Vergiftungsver- 
suche xur  Huoht  g^^riebiHU  Fünf  jähre  weilt  er  dann  in  Martaban 
iiux^niti^  als  grat;  Chaumigrem,  ge^^n  den  er  zu»^  t^^r  gekämpft 
hat,  >vinl  auf  ihn  aufmerksam  und  hebt  ihn,  den  gefiuigoieQ,  nach 
und  nach  iu\mor  hv^her,  s^>  da:^  er  aik^^^hlaggebend  in  Ranjapfii^  Schick- 
sal oingnMix'n  kann.  Kr,  Talonion  und  daneben  Scandor  sind  die  über- 
legten ratgx'U^r,   die  tialaoin  Un  der  uumC^ofa  scheineiidea  befreiung 


i  AaunBDBB  BunsR 


frier  prinzt«8in  zur  band  gehen,  ev  gibt  die  entechpidenden  nachrichteii, 
zugclt  das  leidenschaftliciie  ungentüni  und  weiss  alles  zum  besten  zu 
wendva.  Mit  Fylane  hat  ihn  bei  der  belngerung  von  Odia  eine  merk- 
würdige Verkettung  von  itmstaudon  zusianiinengefülirt.  Bei  einem  stürme 
ist  er  der  erste  auf  der  mauer,  pflanzt  selbst  eine  Peguanische  fahne 
auf,  wird  aber  abgeschiiititu  und  gefangen  genommen.  Nun  stirbt  die 
jüngste  pmizessin  von  Siam,  ihre  stiefecbwester  Fylane  wird  von  der 
bilst:ii  Stiefmutter  beschuldigt,  sie  vergiftet  zu  haben,  ein  vei-schmähter 
licbhaber  schürt  das  feuor,  und  Fylane  muss  tue  flaniinenprobe  erlei- 
den. Von  schmen:  und  aeeleniiual  überwältigt,  gesteht  sie,  was  man 
Villi  ilir  verlangt,  und  wird  zur  Verbrennung  verurteilt  Der  Stiefmut- 
ter ruft  sie  die  entrüsteten  worte  zu:  „Ha,  blut-gierige  bestie!  du  bist 
iw«r  eine  henckerin  meines  leibes,  aber  doch  uoch  viel  zu  vteuig, 
meinen  willen  zu  zwingen  oder  mein  gemütlie  zn  beherrschen.  Die 
«schreckliehe  schlänge  des  höllischen  rauch-bauses  wird  deine  dräunng 
»u  dir  erfüllen  und  ditli  statt  meines  vaters  mit  schwartzen  gei- 
stern vermählen.''  Dem  vator  gegenüber  bleibt  sie  eine  gute  toch- 
"jr,  sie  sagt  zu  ihm:  „Ob  ich  zwar  von  aller  weit  verlassen  bin,  und 
■Dir  deijenige,  welcher  mir  das  leben  gegeben,  statt  dessen  den  tod 
?©^väliret:  so  will  ich  doch  auch  sterbende  die  vaterliche  band  küssen, 
iin<J  die  kindliche  liebe  nicht  im  geringsten  beleidigen.  Ihm,  wei-the- 
stt*!-  Herr  Vater,  wünsche  ich,  dass  die  gütter  diese  that  vei-gessen, 
i"i»«l  die  räche  von  dessen  liaupt  abwenden  wollen,  loh  sterbe  als  ein 
ut»5Mhiildig  gobursames  kind."  Von  dem  abwesenden  bruder  endlich 
niiTit  sie  mit  den  worten  abschied:  „Dir,  allerliebster  bruder  Nherandi, 
iler  ilti  noch  meinen  tod  erst  mit  innigstem  Jammer  erfahren  solst, 
»«eo  ich  die  letzte  gute  nacht,  und  schicke  dir  durch  die  luffl  den 
letssten  abschieds-kuli"  {320  tgg.). 

Wie  andere  —  und  wir  fügen  hinzu,  wie  viel  schüner  —  stelt 
"'gfor  hier  eine  ähnliche  sceno  des  nbsc:hieds  von  der  weit  dar  als  spä- 
•ötiiin  bei  Banisena  opfening!  Ich  muss  auch  hier  wider  auf  die  man- 
"'Rfitltigkeit  der  mittel  hinweisen,  die  ihm  bei  der  Zeichnung  ähnlicher 
'^^Uiitionen  wie  ähnlicher  Charaktere  zu  geböte  stehen;  ein  dichter  nie- 
'l^rer  gattung  findet  sieber  nicht  so  leicht  die  kraft  zu  solch  gofabr- 
*-''*Oii  expcrimenton. 

Doch    kehren   wir    zu    dem    trauerspiele    in    Odia    zurück.      Dem 

**öf  presst  der  rührende  anblick  schliesslich  Iriinen  aus,   sein  schmerz 

_/7**^ht  sich  Inft  in  den  worten:  „Ach!  wolton  die  Gütter,  ea  unterstünde 

IPp'*    jemand    deine    unscbuld    zu   behaupten,   so    wolte   ich  leicht  zum 

^py«ll  zu  bewegen  seyn."     Und  Abaxar,  der  in  ketten  und  banden  in 

I      *C«StHHm    7,    Df.üTSCHE   PHIUILOnlE.       BU.  XSII.  12 


178  XÜLLKR-FRAUEirSTKIN 

der  nälie  steht,  hört  diesen  seufzer,  er  ist  von  der  Schönheit  Fylanes 
betroffen,  von  ihrem  Schicksal  erschüttert,  und  erbietet  sich,  nur  mit 
Schild  und  stab  bewafhet,  gegen  jeden,  er  sei  bewafhet,  wie  er  wolle 
für  sie  zu  kämpfen.  Trotz  aller  hinterlist  der  königin,  die  ihm  einen 
möglichst  dünnen  schild  hat  reichen  lassen,  besiegt  er  den  gegen  ihn 
anstürmenden  günstling  derselben  und  errettet  die  Schwester  Nherandis 
vom  tode.  Der  leztere  aber  erscheint  gerade  noch  zur  rechten  zeit  aul 
dem  platze,  um  weiteres  unheil  abzuwehren,  Abaxar  und  Fylane  untei 
seinen  schütz  zu  nehmen  und  vater  und  Stiefmutter  mit  der  gebühren- 
den strafrede  zu  brandmarken.  Dass  die  zeit  des  gemeinsamen  gewahr- 
sams  von  Abaxar  wol  angewendet  wird,  um  Fylanens  herz  zu  gewin- 
nen, versteht  sich  von  selbst,  der  dichter  ist  aber  auch  so  klug,  was 
Lohenstein  kaum  getan  haben  würde,  sich  darüber  kurz  zu  fassen  und 
seine  kürze  vor  dem  geneigten  leser  durch  die  schalkhafte  bemerkung 
zu  begründen:  „Er  werde  wol  selbst  wissen,  was  er  vor  werte  in  der- 
gleichen begebenheit  gebrauchen  wolte.''  Die  weitere  entwickelung  dei 
dinge  ist  in  der  inhaltsübersicht  erzählt 

Ich  glaube  kaum  fehl  zu  gehen,  wenn  ich  am  Schlüsse  der  neben- 
einanderstellung der  drei  fürstlichen  liebespaare  es  offen  ausspreche 
dass  die  geschwister  Nherandi  und  Fylane,  dazu  Abaxar  noch  heute 
recht  dankbare  romanfiguren  darstellen  würden,  dass  aberBalacin,  seine 
Schwester  Higvanama  und  seine  braut  Banise  weit  mehr  fremdartige 
uns  nicht  voll  befriedigende  züge  tragen.  Fylane  ist  weiblicher,  Nhe- 
randi und  Abaxar  sind  männlicher  nach  den  modernen  begriffen  ab 
die  anderen  drei  personen.  Da  sie  nicht  in  allererster  linie  stehen 
hat  der  dichter  an  ihnen  nicht  so  viel  zu  potenzieren  für  nötig  gehal- 
ten als  bei  den  gliedern  des  Avanischen  und  Peguanischen  hofes,  die 
lezteren  leiden  unter  der  wucht  sowol  der  ihnen  beigelegten  heroisch - 
galanten  eigenschaften  als  der  ihnen  zudiktierten  erlebuisse.  Für  du 
figuren  ersten  ranges  haben  wir  heute  einen  andern  massstab.  Die 
klarheit  der  seelischen  Vorgänge  ist  bei  Zigler  zwar  nicht  verwischt 
diese  selbst  sind  aber  unangenehm  übertrieben.  In  anderer  weise  die 
hauptpersonen  interessanter  zu  machen  war  der  dichter  unfähig.  £i 
kann  wol  die  ähnlichen  gestalten  ziemlich  lebhaft  von  einander  unter- 
scheiden, in  paralleten  handlungon  eine  unterscheidende  gruppierun^ 
und  ausdrucksweise  anwenden,  aber  anders  als  durch  Übertreibung  das 
zu  heben,  was  zu  allermeist  hervortreten  muss,  dazu  reicht  seine  krafl 
nicht  aus.  Er  kann  in  eine  persönlichkeit,  die  er  geschaffen,  nicht  tie- 
fer eindringen,  sondern  vermag  nur  die  färben  dicker  aufzutragen;  uns 
ist  die  grössere  psychologische  feinheit  in  der  Zeichnung  der  massstab 


ZI0LER9    ASIATISCHE  BANISE  179 

fiir  d^  grössere  oder  geringere  Interesse,   das  die  personen  uns  abge- 
Wönen.    Dazu  kam  noch  ein  anderer,  wichtiger  grund.     In  die  schick- 
sa/e   Ifherandis,   Fylanens,    auch   Abaxars   sind   wir  im   gründe   doch 
genauer,  wenn  auch  auf  viel  geringerem  räume,   eingeweiht  als  in  die 
der   drei  partner.     An   den  seelenqualen   und  körperlichen   leiden   der 
lezteren  gehen  wir  mit  fast  geringerer  teilnähme  vorüber;   wir  fragen 
uns  eher:  Warum  komt  der  dichter  dazu,  immer  mehr  und  mehr  Jam- 
mer  aufzuhäufen   auf  die  vortreflichsten   aller   menschen?     Der  begriff 
der  tragischen  schuld  fehlt  gänzlich.     Man  sieht  aber  auch  den  grund 
der  Vorliebe  des  alten  Dacosem  für  den  grundliässlichen  feigling  Chau- 
migrom,   unter  der  Balacin  und  Higvanama,   schliesslich  auch  Banise 
leiden,  viel  weniger  ein,  als  warum  der  alte  könig  von  Siam  oder  der 
von  t*rom,   die  sonst  auch  wie  zwei  —  mit  respekt  zu  sagen  —  alte 
esel    Erscheinen,  ihre  kinder  so  schlecht  behandeln.     Da  spielt  wenig- 
stens   eine  sicher  recht  hübsche  zweite  frau  die  rolle,  welche  hier  einer 
wahren  misgeburt  zufalt 

Doch  wir  gehen  über  zu  den  nebenpersonen.    Da  ist  nun  zunächst 
figur  Scandors  mit  unleugbarem  geschick  entworfen  und  ausge- 
führt i.     Er  behält  stets  seine  frische  leichtlebige  manier  bei,   ist  dabei 
^^^  scharfem  blicke  begabt,   gibt  mehrmals  den  einzig  guten  rat  und 
"^rt  entscheidende  Wendungen  herbei;  er  opfert  sich  als  treuer  diener 
^^^ht  nur  ein-,   sondern  mehrmal,   in  den  schlimsten  momenten  steht 
*hni  seine  menschenkentnis  und  ein  gewisser,  halb  höfischer,  halb  bäu- 
^scher  humor  bei.     So  windet  er  sich  aalglatt  durch  alle  verwicklun- 

1)  Sclierer  nent  ihn  einen  „humoristischen  diener"  neben  dem  tapferen  lieb- 
^iaber^  der  edlen,  duldenden  prinzessin  und  dorn  schrecklichen  tyrannon,  Schcrr 
'»^^tie  art  von  hanswurst  zur  vorsichtigen  ab  wehr  alzugrosser  schmerzen.''  Cholevius 
^  I64  sagt:  „es  verdiene  der  versuch,  inScandor  eine  besondere  individualität  aufzu- 
stolle^^  beachtung.  Sein  stand  erlaubte  ihm  ein  munteres,  witziges  wesen.  Der 
'^^al  gestirnte  hen*  bewege  sich  meist  in  tragischen  Situationen,  neben  ihm  stehe  der 
^^^pimchsloso,  lebenslustige,  leichtblütige,  treue  diener.    Bisweilen  seien  seine  scherz- 

^^u   etwas  ungelenk,   sein  witz  g»?]ie   nicht   über   die  gewöhnlichsten  spässe  liin- 

^*^  (?!)."   Als  bcispiele  führt  er  an  das  gcspräch,  worin  Balacin  Scandor  zurodet  eine 

/^^    2u  nehmen,  dann  die  scene,  in  welcher  leztcror  als  verkleideter  portugiesischer 

^*i<ller  die  hofdamen  in  Pegu  an  der  naso  herumführt,  und  drittens  die  antworten, 

^*cl^e  er  nach  seiner  ersten  gefangennähme  Chaumigrom  gibt.    Von  diesen  scheint 

**"  das  erste  gar  nicht  zu  passen,  die  beidon  anderen  eher.  Bobortag  s.  254  macht 
S^ßon  Gottscheds  tadel,  Scandor  sei  zu  sehr  hanswurst,  geltend,  dass,  wo  alles  sehr 
^^^  gemalt  wird,  auch  die  derbheit  des  humors  nicht  alzusehr  absticht  Sonst  hält 
-^  ^fassen  ausstollungen  gegen  die  Charaktere  fest;  diese  wichen  von  der  wahren 
^^^^liafifenheit  der  zeit,  in  welcher  sie  sich  befinden,  ab.    Er  lobt  es  auch,  dass  Gott- 

^^<i  seineD  tadel  nicht  ausdehne  auf  die  couscquenz   der  Charaktere  an  sich  selber. 

12* 


180  MÜLLER -FRAUENSTEIN 

gen  hindurch,   an  den  Sklaven  in  der  alten  komödie,   an  die  kammer- 
kätzchen   des   älteren   französischen  lustspieles  erinnernd,   erntet  dabei 
die  hand  und  das  vermögen  eines  vornehmen  jungen  mädchens,   dasL 
von  einer  halb  wahnwitzigen  liebesraserei  zu  seinem  herm  erfüllt  ist^ 
und  steht  am  schluss  als  festeste  säule  des  neugegriindeten  hinterindi — 
sehen  reiches  neben  dem  throne  der  unvergleichlichen  Banise  und  ihre^ 
Balacin,  in  alles,  was  diese  beiden  hauptpersonen  betrift,  wie*  niemand 
sonst  eingeweiht  und  ihi'es  Vertrauens  in  jeder  hinsieht  wert    Er  stanzet: 
übrigens   aus   einem   alten   adeligen   geschlechte  von  Ava.     Licht   und 
schatten,   Idealität  und  realität  sind  bei   diesem  charakterbilde  in  glei— 
eher  weise  zur  geltung  gekommen.    Ein  liebenswürdiger  Schwerenöter, 
über  dem  der  himmel  öfter  einzustüi*zen  droht,   dem  aber  schliesslicb 
alles  gut  ausfallen  muss,   steht  da  vor  uns,   wie  wir  ihn  uns  gern   in. 
die  zeit  denken,   wo  höfische  gewantheit  und  selbstlose  Unterwürfigkeit 
unter  eines  fürsten  gebot  und  Interessen  das  höchste  äussere  glück  ver- 
anlassten.   Der  alte  Talemon  ist  zu  dem  jugendlich -kecken  Scandox- 
ein  in  etwas  matteren,   aber  ebenfals  anziehenden  färben  ausgeführtes 
gegenbild;   er  ist  von  derselben  treue  im  grauen  haar  wie  Scandor  im 
braunen,   aber  seine  frische  ist  nicht  nui*  infolge  der  schicksalsschlägp^ 
und  des  alters,   sondern  auch  der  erfahrungen,   die  er  in  der  ehe  g^^ 
macht,   unmöglich  geworden.     Er,   der   im  verlaufe  des  romans   zuitmi 
Schwiegervater  Scandors  wird,   hat  durch  seine  frau,  für  die  der  auto^ 
nur  sehr  grelle  und  unangenehme  färben  auf  der  palette  im  verrat  häl  "Ä? 
von  einer  und  zwar  der  schönsten  seite  des  lebens,   von  den  fireude- 
der  familie,  offenbar  nur  sehr  schwache  Vorstellungen  bekommen.    Sca 
dor  bringt  ganz   eben   solche   schon   vor   seiner   ehe   mit,   er   spricl^   ^ 
witzige  und  weltkluge  ideen  über  die  frauen  und  die  liebe  aus,   uuc^ 
nach  der  art,   wie  er  mit  seiner  zukünftigen  Schwiegermutter  imd  frau 
im  ersten  und  zweiten  buche  umspringt,   wird  man  hoffen  können,  ei 
werde  das  alte  Sprichwort:    „Die  ersten  jähre  der  ehe  sind  die  lezte 
der  erziehung"   wie  an  sich   selbst  so   vor   allem   an   seiner   Lorangy^^ 
wahrmachen,  an  der  Schwiegermutter  Hassana  scheint  allerdings  hopfen^ 
und  malz  verloren. 

Scandors  abenteuer  sind  zahllos,  seine  reden  geradezu  gespickt 
mit  den  fruchten  von  Ziglers  lesewut,  aber  ich  kann  nicht  sagen,  dass 
die  contouren  der  persönlichkeit  dadurch  verwischt  wären.  Alles  hat 
vielmehr  ein  bestimtes  gepräge,  was  mit  Scandor  zusanunenhängt;  seine 
unverwüstliche  spotlust,  die  aber  nur  selten  verletzend  wirkt,  geht 
hand  in  hand  mit  einem  gesunden  menschenverstand.  Wie  für  seine 
lose  zunge  diese  beiden  grundzüge  massgebend  sind,    so  ist  für  seine* 


'  HQ1.KR9   iBIATISCHE   BAKIBE  !8I 

handliingswcLse  der  vorteil  seines  lionii  alloin  bestimmend.     Er  spielt 
den  Don  Juan  nnr  in  dessen  interosse,   um  seinetwillen  verheiratet  er 
sich  mit  Lorangy,  um  seinetwillen  hat  er  vorher  der  alten  Eswara  den 
liof  f^mafht  und  ist  dabei,    da  er  von  deren  gatten  in  ihrem  zimmer 
überrascht  wird,   in   eine  ziemlich   fatale  Situation  geraten.     Diese  bei- 
den novellenartigen  episodeu  sind  ganz  in  der  art  des  Decanierou  oder 
der  Canterbury  Tales  gehalten,  nur  dass  sie  weit  reinlicher  vcrlaulon 
und  weit  mehr  die  lach-  als  die  sinnonlust  erregen.     Seinen  humor 
verliert  Scandor  weder,  als  er  unter  der  „oberdecke"  noch  als  er  unter 
dem  „teppich"  versteckt  liegt,  weder  als  die  intriguantin  Kassana  noch 
uls  des  oberelephantenwärtei-s  hiindchen  ihn  anbelt.    Das  eine  mal  muss 
die  überkluge  mutter  erkennen,   dass  sie   den  diener  statt  des  herrn 
zum  Schwiegersohne  gepresst  hat,   das  andere  mal  bleibt  der  unnötig 
eifersüchtige  gälte   in  dem  teppich  zu  einem  ballen   eingeschnürt  auf 
dem  schlachtt'elde  liegen.     Amüsant  ist  Scandor  doch  auch  als  verklei- 
deter portugiesischer   handler   in   Pegii    bei    des  tyrannen   Chauniigrem 
I      tfraucnüimmer"  (253  tgg.).     Er  preist  „point  d'Espague  an  (wie  Bober- 
'»g  meint,  wnl  eine  art  spitze),  das  von  Pariß  aus  Sachsen  kömmt  und 
denaassen  wohl  genäht,    daß  man  Höhe   darinne  fangen  könte",   ferner 
ntreffliche  saphire,  womit  man  sich  ein  gehäßiges  gemüthe  verbinden 
''m",  endlich  ein  „köstliches  schmincköhl",  dessen  beschreibung  er  in 
•■inem    buche   von    seiner    grossmutter- Schwester- sohuestochter   gelosen 
"ftbo.     Zweimal   tritt  er  als  gefangener  vor  Chaumigrems  äugen.     Das 
^ Beste  mal  mit  einem  wahren  galgenhumor;    da   berichtet   er   dem  wüte- 
^B^h,  sein  herr  sei  heute  „auff  der  post  vorbeygegangen"  und  habe  ihn 
HPSt     dem   feüeisen    (der   wider   eingetangenen   Batiise)    ziirückgolassen, 
it»oh  das  zweite  mal  sieht  Chaumigren  ihn  sehr  unkluger  weise  wegen 
spXT^er  lustigen  einfalle  nur  als  einen  narren  an.     Von  seiner  militü- 
"^'lilien  lanfbuhn  ist  schon  kurz  berichtet;   ganz  zu  dem  charakterbilde 
P**SBt  nun  die  leichte  art,  mit  der  er  über  seine  tapferen  taten  hinweg- 
S'^Ht     Er  rettet  z.  b.  in  der  ersten  schiacht  Balacin  das  leben  (39  fg.), 
'^'■»'d    dabei    verwundet,   aber   dann   in    die   algemeine   flucht  mit  ver- 
"■»c-keK   imd   berichtet  das   mit  den   Worten:    „Jeder  fragte  seine   füsse 
'^'*i   rat    und   eilte,   dass   er  nicht  wusste,   ob  feind   oder  freund  hinter 
™|**»i  war."     Er  erwartet  deshalb   „mit  einem  schimpfl'Üchon  lufllarreste 
|K^«get",  d.  h.  gehenkt  zu  werden  und  beschliesst  „auch  im  todo  eine 
^^^Vnassen  hoho  mine  blicken  zu  lassen,  daß  ihn  jedweder  fremder  vor 
^^P*ien  TTnter-Feld-Herm   angesehen   und   respcctiren  müstc."     und  vim 
^^^Iner  Stimmung  vor   diesem    seinem    ersten  treßen    legten    die  naiven 
^F'Cirto  am  geständnis  ab:  „Hier  verließ  mich  die  Courage  auff  einmahl. 


182  MtLLRR  -  FRAUEN8TRIK 

daß  ich  auf  der  stelle  umkehrte  und  mich  zur  bagage  begeben  woli 
Zur  rede  gesezt,  stösst  er  die  in  der  eile  ersonnene  entschuldigung  h 
vor:  „er  wolle  nur  den  muster-schreiber  sein  testament  au&etzen  1 
son,  weil  er  doch  wol  einsehe,  es  müsse  gestorben  sein."  Und  als  < 
befehl,  sich  auf  tausend  schritte  zurückzuziehen,  komt,  freut  er  s 
herzlich,  „in  meynung,  es  würde  so  bis  in  Ava  hinein  währen,  da 
denn  gewiß  nicht  der  letzte  zum  thore  wolte  gewesen  seyn."  Gj 
charakteristisch  ist  da  wider  der  zusatz:  „und  freute  ich  mich  seh 
wie  mich  meine  liebe  mutter  aus  dem  gefährlichen  kriege  so  sehnl 
empfangen  würde."  Diese  liebe  mutter  ist  die  junge  dame  von  si 
zehn  Jahren,  die  den  alten  vater  beherscht  und  den  stie&ohn  verfc 
hat  Ganz  bezeichnend  ist  dann  seine  weitere  erzählung:  Bei  d 
„entsetzlichen  Wort:  Setzt  euch,  schließt  die  glieder,  macht  daß  gew< 
fertig!  fragte  ich  meinen  Printzen  gantz  ängstlich:  Gnädiger  Herr,  s 
len  wir  auch  feuorgeben?"  während  seine  abteUung  doch  nichts  als  spie 
und  Säbel  hatte.  So  treibt  er  es  am  anfange  seiner  militärischen  la 
bahn,  so  bleibt  er  bis  ans  ende,  der  spassmacher  par  cxcellonce,  < 
dem  tode  unzählige  male  lachend  ins  äuge  schaut 

Gerade  die  nach  Gottscheds  ausdruck  „übel  angebrachte"  pers 
des  Scandor  fesselt,  zumal  sie  nie  aus  der  rolle  fält,  uns  dergcst 
dass  selbst  die  langatmigen  erzähl ungen  des  ersten  buchcs,  die  ihm 
den  mund  gelegt  werden,  durch  die  art  des  Vortrages  einigermas: 
erträglich  werden. 

Über  die  anderen  nebenpersonen  ist  es  kaum  nötig,  uns  des  ¥ 
teren  zu  verbreiten,  zumal  schon  von  allen  die  hauptzüge  angegel 
sind.  Dagegen  verlangen  Chaumigrem  und  der  Rolim,  welche  • 
böse  princip  darstellen,  noch  eine  kurze  betrachtung.  Bei  ihnen  t 
dasselbe  zu  wie  bei  Banise  und  Balacin;  wie  diese  zu  rosenrot, 
schauen  jene  zu  kohlschwarz  aus.  Der  fluch  der  lächerlichkcit  ha 
trotz  aller  grausamkeit  an  dem  „Ertztyrannen";  persönliche  feigb 
ungeschickte  manieren,  grobe  redewendungen  kommen  zu  einem  üb 
sätlichen  blutdurst  und  unbezähmbaren  ehrgeize  hinzu,  um  den  mi 
möglichst  verächtlich  zu  machen.  Überall  holt  er  sich  deshalb  ai 
körbe.  In  Martaban  hat  er  von  nicht  weniger  als  drei  vornehmen  fir 
lein,  die  er  später  henken  lässt,  abschlägigen  beschoid  erhalten  (145), 
Ava  wUl  die  prinzessin  Higvanama,  in  Pegu  Banise  nichts  von  i 
wissen.  Die  gedichte  und  briefe,  die  er  verfasst,  sind  die  allerkoi 
schesten  (z.b.  55,  72,  73)^;  es  ist  kaum  anzunehmen,  dass  Zigler  da 

1)  In  dorn  enten,  an  ffigramana  goriohtetea  briefo  spricht  er  vom  ,lieiü 
iKtai^  «od  '■  'HoUn  Sitx:   ,Eb  reisset  mich  höfitig 


ZI0LER8   ASIATISCHE  BANISE  183 

oi3Jiie  absieht  verfahren  hätte,  und  ich  sehe  deshalb  im  besonderen  die 

g^3>^chte  mit  etwas  günstigeren  äugen  an  als  die  meisten  sonstigen  kriti- 

k^^:»;  sie  sind  dem  dichter  ein  kunstmittel  zur  Charakterisierung  und  zwar 

emsM:y^  mittel  von  durchaus  ungewöhnlicher  art    Am  meisten  tritt  dies  her- 

v^:>:i:,  ausser  bei  dem  von  Chaumigrem  verfertigten  und  unter  Nherandis 

DCÄ^^Mke  abgeschickten  sterbelied,  bei  Scandors  ,,nacht-liedgen''  (209)  mit 

de^Äii  anfang:  „Hier  kömt  Scandor,  der  Götter  affenspieP';  dasselbe  ent- 

sp^xicht  durchaus  der  manier  seiner  ungebundenen  reden.    In  der  ersten 

s(3]3lacht  spielt  der  spätere  kaiser  geradezu  den  Horribilicribrifax.    Er 

h.sL±  den  Oberbefehl  geführt,   Dacosems,   des  ältesten  prinzen  von  Ava 

to<3  verschuldet  und  als  erster  flüchtigen  fusses  die  schützenden  mauern 

angesucht     Während  aber  Scandor  sich  zu  den  versen  aufschwingt: 

Ihr  Götter!  soll  ich  unverhofft 
Mein  leben  schliessen  in  der  lufft; 
So  soll  mich  dieser  tod  nicht  kränckön, 
Lasst  Chaumigrem  nur  bey  mir  hencken, 
g"ibt   der  leztere  eine  darstellung  seiner  heldentaten  (s.  77),  wie  sie  Gry- 
phixxs  seinen  beiden  Bramarbas  auch  hätte  in  den  mund  legen  können. 
A^xxch  die  folgenden  schlachten  finden  den  miles  gloriosus  stets  ebenso 
*^rf   dem  gesichertsten  posten,  nur  vor  Prom  wird  er  bei  einem  nächt- 
liolien  Überfall  verwundet     Von  dem  Eolim  endlich  ist  kaum  mehr  zu 
n,    als    dass    er    überall    der    lüsterne,    herschsüchtige    bleibt    bis 
tode. 

Solchergestalt  sind  die  Charaktere,  welche  der  dichter  entworfen 
^^t-      Mit  welchen  mittein  nun  führt  er  sie  uns  vor  äugen? 

Wenn  ich  von  meinen  eindrücken  auf  die  anderer  schliessen  darf, 

^^    gelangen  wir  zu  dem  scheinbar  seltsamen  resultat,  dass  alle  die  per- 

^^ix^n,   von  denen  er  äusserlich  und  innerlich  ein  beschreibendes 

^^  entwirft,   vor  unserem  geistigen  augo  es  absolut  nicht  zu  einem 

klaren  konterfei  bringen  können.     So  Banise  selbst,  Balacin,  Hig- 

ama,   am  ersten   noch  Chaumigrem  oder  etwa  Lorangy.     Dagegen 

en  figuren  wie  Scandor,   Talemon,   die  er  nur  indirekt,   in  ihren 

^n  und  handlungen  charakterisiert,  ganz  bestimte  gesichtszüge  auch 

meiner  phantasie  an.    Ich  meine,   man  erkent  daraus,   wie  in  sol- 

romanhelden   gleich   den   leztgenanten   nicht   nur   das  algemoine, 

am  auch  das  besondere  von   dem   dichter  wirklich   gut  getroffen 

^^Ifden  ist,  mag  ich  mir  nun  Scandor  oder  Talemon  in  der  kleidung 


^^Iwn  sohenckel,  wobey  sich  auch  ein  durch  fall  befindet;  allein  ihre  huld  kann 
heilen,  und  allen  schmertzen  vertreiben**;  er  unterzeichnet:  „doro  liebenswür- 
Ch.* 


1 84  MÜLLER  -  FRAU£NSTRIN 

und  mit  dem  bart-  und  haarschnitt  des  17.  Jahrhunderts  oder  unsere] 
zeit  vorstellen.  Auch  in  dieser  beziehung  scheint  mir  Zigler  etwas 
höher  als  seine  zeitgenössischen  rivalen  zu  stehen.  Während  er  aussen 
zustände,  ich  meine  in  der  natur  und  geselschaft,  gern  beschreibt,  ist 
er  damit  sparsamer  bei  personen;  das  tut  er  vielleicht  doch  mit  absieht 
Denn  es  sind,  wie  die  nachfolgende  aufzählung  ergibt,  doch  nicht 
wenige,  die  nicht  direkt  geschildert  werden,  deren  äusseres  und  inne- 
res bUd  wir  vielmehr  selbst  construieren  aus  ihren  eigenen  reden  und 
handlungen  oder  aus  den  urteilen  anderer  über  sie.  Wie  sich  Zigler 
eine  besonders  schöne  und  eine  besonders  hässliche  frau,  wie  er  sich 
den  „Feuerbrand  Hinterindiens"  äusserlich  vorstelt,  kann  er  allerdings 
sich  nicht  versagen  auszumalen;  auch  für  eine  mittelmässige  Schönheit^ 
wie  es  doch  neben  Banise  und  Higvanama  die  prinzessin  von  Savaady 
oder  Tjorangy  sein  sollen,  gibt  er  eine  beschreibung,  sonst  ist  nur  Ba- 
lacins  portrait  noch  schärfer  gezeichnet;  damit  sind  wir  in  betreff  der 
direkten  Schilderungen  seiner  romanfiguren  am  endo. 

Vergleichen  wir  jezt  die  einzelheiten.  Des  hauptheldeii  bild  wird 
sehr  bald  entworfen  (22),  Lorangys  blinde  Verliebtheit  soll  dadurch  ver- 
ständlich werden.  Dazu  erhalten  wir  bei  gelegenheit  des  schifefestes 
Sapan  Donon  in  Pegu  eine  darstellung  seiner  paradekleidung  (131) 
Für  seine  heroisch -galanten  inneren  eigenschaften  geben  zeugnis  seine 
tapferen  taten  und  seine  liebesreden  vor  Banisen.  Die  lezteren  sind  am 
meisten  charakteristisch  für  den  dichter  des  17.  Jahrhunderts;  als  probe 
benutze  ich  die  kostbare  liebeserklärung,  durch  welche  die  prinzcssic 
gewonnen  und  Balacins  incognito  aufgegeben  wird  (159):  „So  breche 
demnach  die  kette  meiner  schwachen  zunge,  und  bekenne  aus  inner- 
stem gründe  seines  hertzens,  dass  Balacin,  Printz  von  Ava,  bereits  mit 
dem  einen  fusse  das  grab  berühre,  wo  ihn  nicht  die  überirdische  leut- 
Seligkeit  der  himmlischen  Banisen  vom  todo  errettet  Denn  wie  die 
Sonne  auch  abwesende  würcket,  und  man  den  unsichtbaren  Göttern  die 
meisten  opffer  gewähret;  also  schwere  ich,  daß  mich  dero  Schönheit 
auch  in  der  ferne  venvundet,  und  die  strahlen  ihrer  tugend  entzündet 
haben.  Die  begierden  haben  durch  dero  hohes  lob  auch  von  weiter 
als  ein  zundcr  glut  gefangen,  welche  aber  nunmehro  durch  den  blit? 
gegenwärtiger  kraflft  vollkommene  flammen  zeigen.  Hemmet  sie  nur 
nicht,  unvergleichliche  Banise,  diese  brunst,  und  lasset  die  brennende 
Sonne  sich  nicht  in  ein  güldenes  licht  süsser  gegenhuld  verwandeln 
so  muß  Balacin  zu  ascho  werden.  Ich  erkühne  mich  nunmehro  unge- 
scheut  zu  sagen:  Ich  bin  verliebt.  Banise  ist  die  Sonne,  ich  ihre  wende 
sie   ist   mein    nord-stem,   ich   ihr   magnet     Schönste   Vollkommenheit 


ZIOLKBS   A8UTISCHE   BANISE  185 

mein  glüendes  hertz  zündet  ihr  den  Weyrauch  reinester  liebe  an,  und 
ich  schwere  auch  mein  getreues  leben  aufzuopffem.  Weil  nun  der 
Götter  tempel  dem  offen  stehet,  welcher  sie  zu  verehren  suchet:  so 
eröfl&ie  sie  demnach  ihr  himmlisches  heiligthum  der  soelen,  und  ver- 
schmähe nicht  das  flammende  opffer  ihres  ewig  gewiedmeten  Balacins.'' 
Neben  dieses  nonplusultra  von  geschmacklosigkeit  in  unserem  sinne 
und  von  feiner  redeweise  nach  der  anschauung  unserer  voreitern  vor 
200  Jahren  muss  man  die  kernigen  werte  halten,  mit  denen  derselbe 
mann  seine  feldherren  vor  der  schlacht  von  Abdiara  anfeuert;  sie  klin- 
gen an  livianische  reden  an  (s.  340). 

Banise  tritt   in   den  vei*schiedensten  seelenzuständen  auf,   einmal 
schamhaft  errötend  bei  der  Verlobung  ihres   paladins,   ein  andres  mal 
leichenblass  zu  dem  gefesselten  vater  hinschreitend,   um  ihm  vor  dem 
tode  ein  glas  wasser  zur  labe  zu  bringen,   dann  wider  mit  geschwun- 
genem dolche  an  des  Rolim  leiche  oder  mit  wankenden  knien  vor  dem 
opferaltare.     Ihre   äussere   erscheinung   wird   von   Scandor   ausführlich 
beschrieben  (s.  126).   Schwarze  äugen,  hochblondes  lockenhaar,  ein  etwas 
aufgeworfener  mund  sind  nach  Ziglers  phantasie  die  wichtigsten  athi- 
bixte   dieses   ideals   weiblicher   Schönheit.     Können   wir  es   dem   edlen 
Balacin  verdenken,   wenn   sein   ganzes  wesen  sich  umwandelt,   sobald 
diese  Schönheit  sich  ihm  zugeneigt  hat?     Scandor  malt  gar  nicht  übel, 
^'©nn  auch  vielleicht  etwas  spöttisch,   seinen   zustand   aus   (s.  161  fg.). 
B^i  der  abschiedsscene  (s.  166)  sehen  wir  Banise  „auflf  einem  stule  in 
solcher  erbärmlichen  gestalt  vor  uns  sitzen,   daß  die   unbarmherzigkeit 
sölbst  zu  einigem  mitleiden  hätte  müssen  beweget  werden.     Die  schö- 
^^n  haare  waren  zu  felde  geschlagen,  ein  dunkel-gelber  atlaß  verhüllte 
^^n  schönen  leib,   und  gab  zugleich  die  innerste  traurigkeit  ihres  her- 
^iis   zu   erkennen.     Die   häufiBgen   thränen   schienen   einen   theil  der 
Vorigen  anmuth  weggeschwemmet  zu  haben,   und  das  englische  haupt 
^ar   von  der  lincken  band  als  einer  marmor-seule  unterstützet"     Die 
^^hrenden   trennungsklagen   schliessen   die  „beweglichen  werte''  Bani- 
^^s:    ,,So  fahret  wohl,   mein  Printz,  mein  Engel,  mein  Leben,  fahret 
^ohl!  imd  bedenket,  dass  ihr  etwas  hinter  euch  gelassen,  welches  sich 
^^^Tch   langes    abseyn    selbst   verzehren   würde.     Fahre   wohl,    liebster 
^^atz,  den  mich  die  liebe  du  zu  nennen  zwinget!     Fahre  wohl,  weU 
^   doch  muß  geschieden  seyn.     Die  Götter  führen  und  begleiten  dich! 
^   müsse  lauter  Sicherheit  auf  allen  wegen  wachsen,   wo  du  nur  dei- 
^^U    matten   fuß   hinsetzen   wirst!     Wo    du   dein  Haupt   hinlegest,   da 
^^^Bchatte  dich  der  Götter  Schutz!    Ja  es  müssen  alle  deine  tritte  zu 
^^n  werden!     Fahre  wohl!''     Eine   sin  lieber  gehaltene   beschreibung 


186  NÜLLEB- FRAUENSTEIN 

von  Banisens  körperreizen,  die  aus  des  Rolim  munde  komt,  hebe  i 
für  eine  spätere  gelegenheit  auf  und  erinnere  hier  nur  noch  an  ( 
stelle,  die  uns  Banise  vor  dem  opferaltare  zeigt  (s.  388). 

Yen  dem  prinzen  Nherandi  erinnere  ich  mich  nicht,  wie  seh 
oben  angedeutet,  eine  direkte  Schilderung  durch  den  dichter  gelesen 
haben.  Der  eindruck,  den  er  auf  die  holdselige  Higvanama  genuu 
hat,  und  seine  tapferen  taten  sprechen  lebendig  für  ihn.  Dagegen  erb 
ten  wir  von  seiner  braut  durch  Scandor  ein  bild,  das  ein  ande 
Schönheitsideal  als  das  der  Banise  darstelt  (s.  49).  „Sie  war  eil 
anständigen  länge,  sehr  wohl  gewachsen,  ihr  haupt  war  mit  kol 
schwartzen  natürlichen  locken  bedecket  usw."  Später  finden  wir  sie 
garten,  wo  sie  von  ihrem  bruder  mit  Nherandis  brief  angesucht  w. 
(s.  62).  Sie  bewilkomnet  ihn  „mit  einem  dermassen  anmutigen  kussn 
dass  Scandor  noch  bei  dem  berichte  „durch  blosses  gedencken  der  mu 
voll  Wasser  läufiPL"  Bei  Fylane  und  Abaxar  verhelfen  uns  nur  < 
eindruck,  den  sie  auf  einander  und  auf  andere  machen,  imd  ihr  v 
halten  in  den  schicksalsschlägen,  die  sie  treSen,  zu  einem  deutlict 
bilde,  direkte  beschreibungen  von  ihnen  gibt  Zigler  nicht  Das  glei( 
gilt  von  Scandor  und  Talemon;  der  leztere  lässt  einmal  eine  bemerkv 
fallen,  die  sein  vorleben  beleuchtet  Er  sagt  nämlich  (s.  88):  „Die  G 
ter  haben  die  Sünden  meiner  Jugend  durch  meine  itzige  ehe  geroche 
Von  seiner  frau  Hassana  hören  wir  ebenfals  nur  auf  indirektem  we 
alles  ist  aber  auch  darnach  angetan,  des  ehegatten  urteil  zu  bestätig 
Sie  liebt  den  trunk,  ist  neugierig  und  herschsüchtig,  plump,  ja  roh 
reden  und  handeln.  „Einfaltiger  mensch,  der  gewiß  sehr  jung  aus  < 
liebes -schule  entlauffen  ist",  so  redet  sie  dem  verkleideten  prinzen 
gewissen,  als  dieser  ihre  deutlichen  anspielungen  nicht  verstehen  i 
(s.29);  „fremde  lumpon-hunde"  ist  ein  anderer  ehrentitel  für  die  un, 
betonen  gaste  (s.  86);  sie  denkt  sogar  daran  (s.  87),  „nach  hofe  zu  la 
fen  und  ihren  alten  zu  verrathen,  daß  er  verdächtige  fremdlinge  ausi 
beherberget",  und  fügt  die  herzlosen  werte  hinzu:  „Hierdurch  räi 
ich  meine  schmach,  und  kan  mit  gelegenheit  auch  meines  alten 
werden."  Das  stimt  nun  ganz  zu  dem,  was  wir  aus  ihrem  und  ih 
ptlegetochter  munde  von  ihrer  Vergangenheit  hören.  Erstere  erinn 
sie:  „Sie  weiß  ja  selbst,  wie  starck  das  süsse  gift  der  liebe  sey,  u 
hat  deren  wün*,kung  so  wohl  gegen  den  bewußten  Hof-Juncker 
auch  den  Portugisischen  cammer-diener  sattsam  empfunden."  Di' 
anspielung  bringt  die  mutter  zu  dem  geständnis,  dass  sie  sich  „dui 
das  süße  andencken  voriger  liebe  gantz  verjüngt  befinde",  aber  sie  fi 
den   stossseufzer  hinzu:    „Ich   bin  zum   höchsten   leidwesen   mehr 


ZI6LEBS   ASIATISCHE  BANISE  187 

sechsmahl  dergestalt  angelauffen,  daß  man  mit  mir  wie  mit  einem  ver- 
salzenen  brey  umgegangen,  welchen  jeder,  wenn  er  ein  paar  löfFel 
davon  genossen,  stehen  lassen"  (s.  88).  Die  pflegetochter  Lorangy  steht 
entschieden  trotz  der  komischen  rolle,  welche  sie  spielt,  etwas  höher. 
Als  die  mutter  ihr  „eine  nothwendige  regul"  (nämlich  spröde  zu  tun) 
für  „uns  frauenzimmer,  welches  profeßion  von  der  liebe  zu  machen 
suchet",  geben  will,  antwortet  sie:  „Ich  begehre  keine  profeßion  von 
der  liebe  zu  machen,  welches  sonst  gar  eine  verdächtige  art  zu  reden 
ist*',  aber  sie  fügt  hinzu:  „Dieser  junge  fremdling,  er  sey,  wer  er  sey, 
hat  mich  dermassen  verwundet,  daß  ich  fürchte,  wo  nicht  das  pfiaster 
ehlicher  liebe  darauff  geleget  wird,  es  dörfifte  auf  eine  verbotene  cur 
naus  lauflfen."  Und  auch  sie  bricht,  als  der  prinz  sich  immer  einfal- 
%er  stelt,  in  die  werte  aus:  „Alberes  geschöpflfe,  wie  hat  sich  doch 
Schönheit  mit  einfalt  so  imrecht  vermählen  können?  Ich  liebe  euch, 
öud  begehre,  wiederum  von  euch  geliebet  zu  werden''  (s.  22).  Ihr 
äusseres  malt  der  dichter  folgendermassen:  „Sie  war  sonst  von  gemei- 
^^^  Schönheit,  mehr  lang  und  starck,  als  wohl  gewachsen,  blasser  färbe, 
verliebter  äugen,  etwa  24.  jähr  alt,  und  endlich  einer  standes-gleichen 
Hebe  noch  wohl  würdig:  Ausser,  daß  man  einigen  mangel,  des  sonst 
dem  frauenzimmer  anständigen  Verstandes,  an  ihr  verspührte:  indem 
^Jö  die  flammen  ihrer  begiorde  durchaus  nicht  verbergen,  noch  sich  in 
*U-2u  hefitiger  liebes -bezeugung  mäßigen  kunte";  sie  selbst  zählt  ihre 
^i^e  ähnlich  auf  (s.  91  u.  92).  Man  merkt  die  doppelte  absieht  Ziglers, 
eianaal  Balacin  als  unwiderstehlich  und  vor  allem  als  treu  darzustellen, 
^d«inn  gegen  die  tugendheldinnen  Banise,  Higvanama,  Fylane  einen 
koiitrast  zu  schaffen. 

Ebenso  übertrieben,  wie  dies  leztere  hier  geschieht,  falt  aus  dem- 
^''V^en  gründe  die  beschreibung  Eswaras  durch  Scandor  aus  (s.  122. 
^^S).  Die  holde  dame  ist  später  ungeschickt  genug,  Banisens  verhält- 
^^  zu  Balacin,  das  sie  zuerst  unterstüzt  hat,  dadurch  entgegen  zu 
*^^^iten,  dass  sie  den  prinzen  von  Tangu  verkleidet  in  den  tempel, 
^^^n  die  prinzessin  verborgen  gehalten  wird,  herein  lässt;  sie  wird 
"'VTMh  den  Rolim  entlarvt,  und,  indem  sie  durch  fremden  tritt  die  hei- 
"s-^eit  des  tempels  entweihet,  jämmerlich  gesäbelt"  (s.  306).  Dieser 
P^^^^z  Zarang  von  Tangu  nun  und  die  energische  prinzessin  von  Savaady 
^^^en  im  ganzen  ebenfals  mehr  indirekt  charakterisiert;  von  lezterer 
^^^Mlten  wir  jedoch  aus  Balacins,  von  ersterem  aus  Banisens  munde 
^*^^X  leidliches  äusseres  bild. 

Als  dem  prinzen  von  Ava  zuerst  die  prinzessin  von  Savaady  ver- 
^^t  worden  ist,  klagt  er:  „Ist  dieses  die  vorgestellte  Schönheit,  die  ihr, 


168  HOL 

betriiglicilp  Oftttcr,  mir  im  ti-aiiin  zu  zeigen,  nk'ht  aljL-r  im  1 
zustollon  vennöget':'  Ist  dieses  die  sfliönc  tocbter  des  Königs  3 
von  dero  übeiirdiai'hcn  Schönheit  das  gerüchte  fast  gante  Asien  bvgiorii; 
geoiaclit  hat,  sie  zu  sehen?  0  su  darff  sich  mettif^  ScJiwester  vor 
beglückt  achten,  daß  sie  dieser  gar  gerne  den  lorbeer  aiis  der  band 
reisset"  Scandor  wirft  dazwischen;  er  müsse  duch  gestehen,  da«  dien 
Prinzessin  „«einer  Einfalt  nach  noch  recht  liebenswürdig  spy."  Dec 
prinz  aber  antwortet,  „Sie  ist  mir  ein  schatten  gegen  jenem  trsume« 
Denn  wie  jener  «labaäterno  stii-ne  durch  die  lichten  lucken  nni  eJB 
grosses  erhaben  ward:  also  mißfallen  mir  an  dieser  nicht  wenig  dbe 
rrtthlieh  scheinenden  haare,  welche  nielit  selten  einen  bßgen  sinn  ver- 
rathen.  Und  wie  jenes  angosichte  diii-ch  eine  runde  gcstalt  seine  «mia^ 
tliigü  vüllkommenhcit  darstellet«:  also  überschreitot  dieses  dnrch  eini^ 
länge  die  gritntzen  der  Schönheit,  üire  äugen  sind  zwar  mehr  schw&rta 
als  blau,  jedoch  sind  sie  nur  wie  ausgelöschte  kühlen,  bei  donen  äch 
kein  schwefel  der  liebe  entzünden  kan.  Ihre  lip]ien  sind  KWar  coral- 
len,  doch  ohne  magnet,  und  ihre  wangcn  ein  mit  rosen  alUoliäiifi^ 
überstreutes  feld.  In  summa,  es  mißßUlt  mir  etwas  an  ihr,  welchee 
ich  selber  nicht  vorstehe,  noch  sagen  kan."  Trotz  der  gesi^hmackloscr 
spräche,  in  der  Balacin  sich  ausdrückt,  mlissen  wir  doch  die  deutUch- 
keit  anerkennen,  mit  der  der  unterschied  zwischen  den  beiden  weib- 
lichen Schönheiten  angegeben  ist.  Der  prinz  von  Tangu  dagegen,  dem 
die  Savaadysche  königstochter  nnTerbrüchlich  treu  bleibt,  wird  vDfl 
Zigler  im  gründe  mit  viel  weniger  günstigen  tarben  «usgcmalt;  er  iai 
auch  ein  wesentlich  zum  bösen  geneigter  eharokter,  kunisch,  ohne 
selbstbeherstOiung,  nur  seinen  neigungen  nachlebend,  ohne  die  wildhtöt 
itnd  bosartigkeit  Chaumigrems,  aber  in  sinneslust,  tölpischer  gebenlc 
und  derben  reden  ihm  nachstrebend.  So  kann  man  es  der  tugtmd- 
reichen  Bauise  nicht  verdenken,  wenn  sie  dem  vater  erklUrt:  „Ich  bitte 
mich  eher  zu  einem  opffer  als  zu  einer  braut  des  !(orangs  ku  bestel- 
len, ich  will  eher  seinen  sebcl  als  seine  lippen  küssen,  weil  mich  dei 
tod  mehr  als  sein  purpur  ergötzen  soll.  Erwegen  E.  M.  doch,  ob  die- 
Bflr  zu  lieben  sey,  welcher  sich  gleich  denen  bestion  fast  stündlich  in 
iii^ten  Lastern  besudelt,  und  seine  bruust  täglich  durch  frischen  Wech- 
sel KU  kühlen  trachtet  Seine  hochmuth  verwandelt  sich  üften  in 
grobheit  und  kan  hierdurch  auch  der  gemeinsten  Seelen  einen  ecke) 
erwecken. "  Doch  hat  der  dichter  ein  einsehen  und  lässt  das  zieinlicfa 
\inü)inlichn  paar  zum  Schlüsse  „lange  jähre  in  größter  zufriedonhoit  und 
Vergnügung  beysammen  leben  imd  unterschiedene  tapffere  zengen  ihrw 
liebe  erzielen." 


ZIOLERS   ASIATISCHR   BANISE  189 

Wie  Banisc  vom  dichter  dazu  ausersehen  ist,    von  diesem  lieb- 
baber   im  gespräche  ein  bild  zu  entwerfen,   so  auch  von  dem  zudring- 
lichsten  aller  ihrer  Verehrer,   dem  Rolim.     Sie  antwortet   ihm    einmal 
auf  seine  verliebten  reden:  „Es  sey  nun,  alt^r  Vater,   eure  liebe  ernst 
oder   schertz,  verboten  oder  erlaubet,  so  werdet  ihr  euch  doch  wold  zu 
bescheiden  wissen,  daß  derjenige,  welcher  sein  beschneytes  haupt  noch 
mit  Venus- myrthen  zu  bekräntzen  suchet,   nur  feuer   in   den   schnee 
und    im  winter  rosen  suchet     Und  wie  sich  ein  bleyerner  liebespfeil 
der  alten  gar  nicht  nach  dem  güldenen  ziel  grünender  Jugend  richten 
lässt;    also  weiß  ich  nicht  ob  ich  zu  viel  rede  wenn  ich  sage:    es  ver- 
diene meine  Jugend  ein  grösseres  mitleiden,  als  daß  man  sie  mit  einem 
nach  dem  grabe  scluneckenden  küsse  qvälen  wolte"  (s.  299).     Es  bleibt 
uns   nur    noch    übrig,    die    kunstgrifife    des    dichters    zu    verzeichnen, 
durch  die  er  Chaumigrems  persönlichkeit  lebendig  vor  unser  äuge  zu 
bringen  sucht.     Scandor  lässt  seiner  laune  in  der  Schilderung  (s.  50) 
freien  lauf,  er  schliesst  mit  den  werten:  „In  summa,  es  war  ein  recht 
crocodil  der  liebe  und  eine  mißgeburt  der  aflfection." 

Von  seinen  eigenschaften  als  oberfeldherr  erhalten  wir  den  besten 
begriff  beim  lezten  stürm  auf  Odia:  da  hält  er  eine  kräftige  kurze 
rede,  wie  sie  etwa  Attila  auf  den  katalaunischen  gefilden  gehalten  haben 
J^öute,  und  sezt  bei  dem  stürm  alles  daran,  den  sieg  zu  erringen  (s.  326). 
I^  seinen  lezten  augenblicken,  als  Balacin  ihn  mit  deto  für  Banise 
bäumten  strick  zu  boden  gerissen  und  mit  dem  scharfen  opfersteine 
emen  tötlichen  stoss  in  die  linke  brüst  versezt  hat,  bietet  er  einen 
grässlichen  anblick;  brüllend  wälzt  er  sich  in  seinem  blute,  und  muss 
»mit  ach  und  weh  seinen  schwartzen  geist  der  flammenden  Hölle  zu- 
schicken **  (8.  396). 

Auch  diesen  abschnitt  können  wir  mit  dem  facit  schliessen,  dass 
^  die  Übertreibung  in  ei-ster  linie  ist,  welche  uns  diese  bilder  so  fremd- 
^''ög  erscheinen  lässt,  dass  die  art  aber,  wie  der  dichter  alles  arran- 
S*^it,  wie  er  den  von  ihm  ersonnenen  figuren  leben  einzuhauchen, 
l^^isch  und  blut  beizulegen  sich  bemühet,  ganz  und  gar  nicht  ungeschickt 
^*>  vielmehr  bedeutendes  kunstverständnis  verrät  Unser  lezter  teil 
^^^  die  geschmacksänderung,  welche  seit  200  jähren  in  Deutschland 
^^^^egangen  ist,  noch  deutlicher  nachweisen,  er  befasst  sich  mit  der 
^P^'ache  und  der  gefühlsweit  im  algemeinen,  soweit  sie  sich  in 
^^^tem  roman  luft  macht  Der  schwulst  der  sogenanten  zweiten 
^^^lesischen  schule  erhält  hier  also  in  höherem  masse  als  bisher  seine 
^löuchtung,  wenn  schon  die  ungeheuerlichen  zahlen,  die  unnatur  in 
^^    gefühlen  der  verwanten,   die  Übertreibungen   in  den  äusserungen 


190  MÜLLKR-FRAUKNSTKIN 

des  hasses  wie  der  liebe,  die  häufung  sdilechter  und  guter  taten  dnrd 
die  träger  des  schlechten  und  guten  princips  dem  nicht  fern  stehen 
was  uns  noch  zu  behandeln  bleibt^. 

Wie  die  Vertreterinnen  des  schwachen  geschlechts  sich  in  unseren 
romane  durch  starke  nerven  auszeichnen,  so  sezt  dies  der  dichter  aad 
bei  seinen  schönen  leserinnen  voraus.  Es  kann  sich  eine  situatioi 
schon  recht  grässlich  anlassen,  er  muss  noch  neue  momente  dazu  tra 
gen,  welche  die  neigung  für  das  wunderbare,  das  phantastische,  da 
unerwartete  noch  mehr  befriedigen  —  wir  würden  heute  sagen,  welch 
diese  neigung  geradezu  ad  absurdum  führen.  Oleich  der  anfang  bie 
tet  dafür  ein  klassisches  beispiel.  Balacin  komt  infolge  eines  briefe 
von  Talemon  ganz  allein  in  die  umgegend  von  Pegu,  ohne  hilfe  ßi: 
Banise  mitzubringen,  die  er  ausserdem  für  verloren  halten  muss 
Da  wird  er  von  drei  Bramanem  überfallen  und  in  die  linke  schulte 
verwundet,  doch  tötet  er  zwei  der  angreifer,  den  dritten  verjagt  ei 
Er  falt  in  Ohnmacht,  kommt  wider  zu  sich  und  kriecht  auf  allen  vie 
ren  das  ufer  des  flusses  hinunter,  wo  er  unter  baumwur:S:eln  eine  aus 
gewaschene  höhle  entdeckt  Die  leichen  der  zwei  getöteten  werdei 
über  ihn  hinweg  auf  den  sand  geworfen,  die  nähe  der  feinde  un< 
eigene  ermattung  nötigen  ihn  versteckt  zu  bleiben.  Er  schläft  bis  zun 
späten  abend,  der  mond  beleuchtet  „mit  vollem  glänze  das  silber  de 
rauschenden  flusses."  Der  schmerz  der  wunde  und  der  nagende  hun 
ger  (er  hat  seit  zwei  tagen  nichts  gegossen)  wecken  den  prinzen,  e 
sieht  im  nächtlichen  Zwielicht  die  zwei  leichen,  ausserdem  aber  nocl 
eine  ganze  anzahl  anderer  angeschwemter  körper,  welche  Chaumigren 
zwei  Wochen  vorher  in  den  fluss  hat  werfen  lassen.  Wenn  er  um  siel 
greift,  erfasst  er  bald  eine  eiskalte  band,  bald  einen  köpf  voll  haar 
und  andere  bereits  vermoderte  menschliche  glieder;    darum  kriecht  e 

1)  Boborta^  l)otont  mit  recht  s.  210  fg.,  dasR  im  stile  grosse  fortschritte  bi 
daliin  soit  Luther  gemacht  wonion  seien,  grössoix)  als  je  in  Deutschland.  Von  Opit 
bis  liohenstoiu  sei  die  grammatik  immer  i'ogelrcchter  und  konsequenter,  die  sprach 
mongerei  immer  geringer  geworden,  dem  stil  habe  man  durch  den  satzbau  und  figa 
nn\  eine  ruhige  würde  verliehen.  Am  weitesten  sei  man  (212)  darin  gekommen 
dem  gedank(*n  einen  klaren  und  präoisen  ausdruck  zu  geben.  Unklarheiten  seien  seh 
wenige  vorhanden,  neu<>rc  novellisten  könten  sich  daran  ein  muster  nehmen.  De 
seil  willst  sei  fn)ili<;h  zuzugel>en,  aber  es  güb<>  heute  doch  auch  it)cht  viel.  Er  defi 
niert  ihn  (21.'{)  als  „jedes  den  guten  geschmack  verletzende  zuviel  des  sprachlicbei 
ausdnu^kH  im  verhiiltiiis  zu  dem,  was  ausgedrückt  werden  soU.*^  Die  bewunderon^ 
für  (niri(")H(«  gi*lolirNamk<Mt  und  d(»r  mangel  einer  reinen  Umgangssprache  seien  vo' 
alh*m  daran  H<*huld.  I<*h  stütze  hinzu,  unsere  heutige  salonsprache  hat  noch  bSss 
liehen*  mUngt^l. 


ZTQLKRS   ASIATISCHE  BANISR  191 

iieber  aus  der  höhle  heraus,  wird  nun  aber  von  einem  herabspringen- 
den  tiger  erschreckt,  der  die  leichen  gewittert  hat.  Diesem  schlägt  er 
die  rechte  tatze  ab,  und  nun  erst  sind  die  nächsten  gefahren  glücklich 
überwunden.  Talemons  stimme,  die  er  jedoch  nicht  erkent,  klingt 
plötzlich  an  sein  ohr,  und  in  dessen  schloss  findet  er  pflege  und  schütz. 
Aber  er  nent  zuerst  aus  vorsieht  seinen  namen  nicht,  weiss  auch  nicht, 
wo  er  sich  befindet,  und  wird  in  ein  finsteres  gemach  geführt,  das 
„gantz  schwartz  zu  sein  schiene.^  Er  öfnet  das  fenster  und  sieht  einen 
steilen  felsen  hinimter,  „dessen  thal  voller  bäume  und  sträucher  stund, 
darinnen  einige  wölflFe  entsetzlich  beuleten,  welche  unangenehme  music 
etliche  eulen  mit  ihrem  sterbegeschrey  vermehreten,  daß  unserem  Prin- 
tzen  die  haare  zu  berge  stunden,  und  nicht  anders  vemieynte,  er  wäre 
aus  einer  mördergrube  ins  grab  geratlien."  Wahrhaftig  ein  nacht- 
gemälde  ä  1^  Höllen -Breughel,  so  dass  wir  erleichtert  aufatmen,  als 
man  sich  nach  zwei  stunden  wider  um  ihn  kümmert,  ein  alter  mann 
nüt  einer  lateme  in  das  zimmer  tritt  und  Balacin  und  Talemon  sich 
ia   die  arme  s\nken  (s.  10  — 18). 

Ein    anderes    meisterstück    Ziglerscher    nervenerprobung    ist    der 
l^richt  von  Martabans  Zerstörung  (s.  141  — 146).     Nach  einem  furcht- 
baren „wüten,  würgen  und  niederhauen"  wird  die  Stadt  dem  erdboden 
gleich  gemacht  und   über   die  wenigen   gefangenen   gericht  gehalten  ^ 
3000  mann  mit  spiessen  und  musketen  führen  „140  kem-schöne  wei- 
"^•bilder*^,  jedesmal  vier  und  vier   zusammengebunden,   mitten  drin 
^^e  königin  zwischen  ihren  vier  kindem,  herbei.     „Ihre  gesiebter  waren 
*lle  dermassen  schöne,   daß  sie  unter  den  abscheulichen  haufFen  ihrer 
^hrer  und  henckers- knechte  wie  die  sonnen -strahlen  unter  den  schwar- 
^ön    wolcken  hervorleuchteten.     Man   erblickte   an   ihnen    das  zarteste 
^^sen,  und  spielten  die  vor  angst  erblasseten  rosen  ihrer  wangen  noch 
^^t   solcher  anmuth,  daß  auch  die  steine  hierdurch  hätten  sollen  erwei- 
p»^et  werden,  angesehen  alle  zwischen  funflFzehen  und  fünff  und  zwantzig 
Jähren    ihrer  Jugend    mit    einer   schmertzlichen   todes-art   verwechseln 
'^^^sten.     Dieser  vor  äugen  stehende  schmähliche  tod  und  erbärmliche 
^^^illigkeit  pressete  einen  seufftzer  und  zetter-geschrey  nach  dem  andern 
.  ^^^ns,  worbey  diese  schwache  doch  holdseelige  creaturen  fast  jedesmal 
j^     ^ine  Ohnmacht  fielen.     Ob   nun   zwar   viel   andere  weiber,   welche 
*^^en  das  geleite  gaben,   ihnen  allerhand  stärckungen  und  confect  rei- 
^eten,  so  kunten  und  weiten  sie  doch   nichts  kosten,   sintemahl  die 
^^t^rkeit  des   todes   alle  Süßigkeit   in   wermuth   verwandelte. **      Dann 

1)  Abaxar,  der  sich  doch  auch  darunter  befindet,  wird  dabei  nicht  erwähnt. 


1 92  MÜLLER  -  PRAÜRNSTRIN 

folgen  sechzig  traucrlitaneien  singende  priester  und  vierhundert  kl( 
kinder,  „welche  in  einer  langen  reyhe  daher  liefFen:  Diese  waren  un 
Werts  des  leibes  gantz  bloß,  hatten  stricke  um  ilire  halßgen  und  we 
brennende  wachskeitzen  in  iliren  bänden.^     Dann  komt  die  Bramanic 
wache,   ein  trupp  von  hundert  elephanten   und   noch   so  viel  andi 
volk,   dass  Zigler  zweitausend  reiter,   zehntausend  mann  fussvolk 
zweihundert  elephanten  zählt     An   zwanzig  galgen  werden  je  sie 
von  den  frauen  und  zwar  an  den  füssen  aufgehängt,    „weswegen 
denn  unter  schmertzlichom  seuiTtzen  erst  in  einer  stunde  in  ihrem  b 
erstickt  waren.**     Ein  rührender  abschied  von  der  königin  ist  vorl 
gefangen,   ein  noch  traurigerer   der  lezteren  von  ihren  kindem  fi 
dann  bricht  ihr  das  herz,   sie  sinkt  tot  nieder,   wird  aber  schleun 
noch  an  dem  einundzwanzigsten   galgen   mit   ihren  vier  kindem 
vier  hofdamen  aufgeknüpft.     Dem  gefangenen  könige  aber  wird  in 
folgenden  nac*ht  ein  schwerer  stein  an  den  hals  gehängt  und  er  m 
mit  se<*hzig  vornehmen  herren  ins  tiefe  meer  geworfen. 

Ähnlich  raffiniert  ist  die  beschreibung  von  Xemindos  hinricht 
(s.  189—198),  von  Proms  und  Odias  Zerstörung  (s.  202  — 205,  32; 
330)  u.  a.  Mit  einer  wahren  henkerslust  ist  z.  b.  die  ungerechte  bes 
fiing  aller  der  Vergiftung  der  prinzessin  von  Odia  angeklagten  i 
geführt  (s.31o.  316). 

Wie  das  grässliche,  so  ist  auch  das  komische  in  mehreren 
dem  bis  zur  Verletzung  aller  heute  geltenden  künstlerischen  gren 
übertrieben,  am  wunderlichsten  ist  die  mischung  von  komis(*hem  i 
gefühlvollem,  die  an  einigen  stellen  hervortritt  Dies  gilt  z.  b.  für 
soene,  wo  der  kaiser  Xemindo  seine  tochter  in  einem  zimmer  al 
lässt  und  ihr  befiehlt;  den  tapeten  desselben,  die  sie  zu  zeugen  il 
liebe  angerufen  hat,  gütige  antwort  zu  erteilen.  Hinter  den  tap( 
aber  steht  Balacin,  was  Bimise  nicht  weiss  (s.  156  fg.).  Chaumigi 
führt  in  seiner  Verliebtheit  die  wunderlichsten  streiche  aus  (s.  48 
Er  hört  Higvanaiua  im  garten  eine  schmachtende  liebesarie  sin^ 
springt  plötzlich  her\'or  und  schreit  aus  vollem  halse:  Chaumigrem  s 
sich  ein,  ,, lachte  auch  hieraufT  mit  vollem  Halse  dermassen,  als  ol 
die  artigste  sache  voi'gebracht  hätte. **  Er  blizt  natürlich  gründlich 
i.st  abi^r  so  fi*st  von  dem  eindruck  überzeugt,  den  er  gemacht  hat,  c 
er  die  verschiiMlensten  bäume  nach  einander  umarmt,  im  glauben, 
gi^giMisüuid  seiner  liebe  in  den  lurmen  zu  halten;  der  eine  dieser  bau 
sticht,  «ler  ändert^  stösst  ihn  auf  die  empfindlichste  weise.  Später  näl 
er  sich  ihr  mit  soU'her  ehriTbietung,  djiss  es  siiieint,  ^als  ob  er  . 
der  nast»  an  die  enle  gi'wachsiMi  wäre,   weil  jedweder  siiiritt  mit  ei 


kioutRO  ASIAUHCHR  banisr 


I6fl 


liel'i>n  noigUD^  begleitet  wurde."     Die  übrigen  komisciieii  partien,  Soan- 

■  tor  boi  Kswara  (s.  131)  und  bei  Lorangy  (a.210fg.)i  ttic  enthülluug  des 

i  und  Lomngy  gespiolten  betrugs  (s.  215),   das  wideraeiiea  Nhe- 

inndis  uud  Higvanamas  (s.  370  ig.)   und   Dndlicli   das  Zarangs   und  der 

(rinsessin  von  tiavaady  sind  weniger  übertrieben  und  entBp^ec^hen  niehi" 

■Jmseren  begriffen  von  dem,  was  spasshaft  wirkt 

Ich  füge  hier  nun  noch  mehrere  beispiele  dafür  an,  wie  die  ver- 
lirfiieiiGnou  gofilhie  nacb  des  dichtei-s  darstcllung  sieh  üussern  und  in 
■■Kelclifn  sich  gesehniacklosigkcit  und  kraft  oft  in  wunderlichster  weise 
I  reitinden.  Die  oft  filierten  ersten  dreizehn  zeiien  des  ersten  buclies, 
in  denen  Balacin  blitz,  douner  und'  hagel  auf  Chaiunigrems  residcnz 
hiTabwünscIit,  kann  ich  als  bckant  voraussetzen.  Wätu-end  sich  iu 
iluiei)  nur  der  sehnliche  wunHcli  nach  räche  ausspricht,  ist  die  aussc- 
iiug  sKiiies  sehnierzes  über  Baniseus  wahrscheinlichen  tod  in  der  regel 
Mit  einem  selbstraonivorsueh  verbunden,  der  von  den  umsteheuden  ver- 
'unücrl  wird.  Das  entzücken  über  den  traiun,  in  weldiem  er  sie  zuerst 
^Wellen,  macht  sich  in  den  wurten  Inft  (s,  99.  100):  „Ach  himmei,  was 
'*"*  eine  überirdische  Schönheit  hat  sich  denen  gemüths-augen  im 
^Bhlgfie  vorgostellet  1  Ihr  blosses  anschauen  hat  mich  entgeistert,  und 
andencken  setzet  meine  seole  in  empfindlicliste  flammen.  Ich 
F*äi^ore,  dieses  bild  soll  mir  nimmermehr  aus  meinem  hertzen  geris- 
**"*  werden.  Ich  will  alle  ecken  der  weit  durclireisen ,  und  die  schön- 
'"^it  suchen.  Bin  ich  hierinueu  unglücklich,  so  will  ich  sie  doch  im 
^liminel  anü-effon."  Als  sie  dann  durch  ihn  von  dem  verfolgenden 
I*»U)er  gerettfit  worden  ist  und  zum  ersten  male  „ihre  rosenlippen " 
S^Öfnet  hat,  werfen  ihn  „ihre  zucker-worte  zu  der  erden,  dass  er  mit 
^ö  verliebtesten  geberden  den  säum  ihitjs  rocke«  kUste"  (s.  120).  Bei 
™*"  künde  vun  Chaumigrems  greuoltaten  in  Martaban  rät  er  „statt 
""^riger  thrUnon  das  schwartze  blut  der  feinde  zu  vorgiosson  und  nicht 
^^r  ?.a  ruhen,  biß  des  mörders  köpf  in  einem  niöi-sel  zerstoßen  und 
oie  verhasstßu  ansüfftor  dieser  mordthat  denen  entseelten  ein  blutiges 
™'-"li-i)pffer  seyn  mögen."  Und  als  der  schmerzerfiilte  kaiaer  Xemiudo 
''"»1  antwortet:  „Hierdurch  muß  auch  ein  ambos,  geschweige  ein 
"'^lischlicbes  hertze,  gekrümmet  und  weich  gemacht  werden,  wo  der 
"**Kl(icks-hauiraer  so  gar  harte  hinsdilägt",  entgegnet  er:  „Die  glut  der 
"•^lie  kau  alles  wieder  gerade  machen,  und  diese  wunden  können  nicht 
***<]ers  denn  mit  dem  blute  des  tjrannen  gcheilet  werden.  Ich  schwere 
'^**  bey  der  ewigen  Gottheit,  daß,  wo  mir  nicht  durch  einen  fall  das 
'*-V>(jn  verkürtzet  wird,  ich  demiahleinst  noch  mit  eigner  band  die  giau- 
^'^Hiate  räche  von  diesem  fi-auen-mörder  nehmen  will"  (s.  147).    Seine 


194  IfÜLLXR-PRAUKNSTBIK 

freude  über  einen  brief  von  Banisens  band  zeigt  er,  indem  er  die  a 
Schrift  inbrünstig  küsst  und  sagt:  ^Ach  angenehmste  zeilen,  dei 
sehrifft  nicht  irrdische  äugen,  sondern  sonnen  zu  lesen  würdig  sii 
Wohlan,  es  sey  gewagt,  ich  erbreche  den  briefF,  um  bey  diesem  zucl 
der  galle  nicht  zu  entwöhnen.^  Und  als  er  nun  gelesen,  dass  sie  b: 
nen  vier  tagen  sterben  soll,  ruft  er  aus:  „Wehe  mir,  die  zeit  ist 
kurtz,  und  ich  bin  verlohren.  Ach!  so  ist  denn  kein  beständiger  sc 
nenschein  mehr  zu  hofPen,  und  muß  ein  jeder  stem  zum  cometen  wi 
den?  Zwar  derjenige  solte  sich  wohl  vor  keinem  ungewitter  mc 
furchten,  welchen  der  ungütige  himmel  schon  öffters  durch  harte  blii 
verhehret  und  betrübet  hat  Allein  wo  er  zugleich  mit  den  keul 
seines  zoms  spielet,  da  mu8  auch  der  festeste  grund  erzittern''  (s.  23 
Sehen  wir  auf  der  anderen  seite,  wie  Banisens  gefühle  (aust 
den  oben  besprochenen  extremen  fallen)  sich  äussern.  Als  sie  in  eine 
Selbstgespräche  zum  ersten  male  ihre  neigung  verraten  hat,  und  Ba 
ein,  der  alles  gehört,  zu  ihr  tritt,  tut  sie  einen  lauten  schrei  und  läi 
nach  dem  fenster.  „Als  nun  schrecken  und  schäm  die  schöne  purpi 
färbe  ihrer  wangen  um  ein  grosses  vermehrte,  und  ein  anmuthig 
zeugniß  ihrer  züchtigen  schamhaiftigkeit  gegeben,  oder  vielmehr  anj 
deutet  hatten,  daß  der  Printz  noch  dermaleins  ihre  Vollkommenheit  u 
keusches  herize  als  die  edelsten  schätze  der  triumphirenden  natur  i 
lieb-  imd  leibeigen  besitzen  würde,  also  war  mein  Printz  (so  erzä 
Scandor)  eine  gute  weile  mit  seinen  äugen  an  den  ihrigen  gehefF 
verblieben,  deren  magnet  als  zwey  heUfimkelnde  nord-steme  ihn  gai 
an  sich  gezogen  hatten"  (s.  157).  Die  freude  über  Balacins  ersten  r 
tungsplan  entlockt  ihr  die  werte:  „Nun  schmeltzet  mein  hertze,  u 
die  seele  krieget  flügel,  ja  ich  vergöttere  mich  gantz,  daß  ich  mein 
Printzen,  meinen  Schutz -Engel,  so  nalie  wissen  soll"  (s.  236).  „1 
folge,  wo  man  mich  hinführet  Ich  will  mit  ihm  die  verbrannten  mc 
reu  besuchen,  ja  auch  die  kalten  nord-länder,  wo  sich  die  weiss 
baren  auffhalten,  nicht  ausschlagen,  denn  solte  mich  gleich  der  himn 
zu  ihrer  kost  versehen  haben,  so  würde  ich  doch  viel  sanfter  in  s 
nem  schoß  sterben,  als  hier  in  verhaßtem  purpur  leben"  (s.  257).  Ihr 
zom  gegen  den  prinzen  Zarang,  als  dieser  sie  im  tempel  mit  den  sehn 
desten  antragen  verfolgt,  drückt  sie  einmal  in  dem  energischen  sal 
aus:  „Wenn  ich  Göttin  wäre,  so  weite  ich  blitz  und  bley  auff  eu 
Verwegenheit  regnen  lassen,  und  das  imzüchtige  hertze  in  tausend  stüc 
zerreissen"  (8.306).  Die  freude  über  ihre  rettung  endlich  lässt  sie  v 
dem  opferaltar  zu  des  prinzen  füssen  niedersinken  und  mit  „schwach 
und  beweglichster  stimme"  ihren  dank  sagen  (s.  379  fg.). 


ZtOLKRS   ASlATlSGttR  BANlSK  105 

Auch  in  Higvanamas  antlitz   sehen  wir   übrigens   einmal  wegen 
eines  briefes  von  Nherandi  eine  „solche  bestürtzung  und  freude"  sich 
verbreiten,  „daß  die  färbe  der  wangen  sich  nach  der  stirn  zogen,   und 
also   dem  gantzen  gesiebte  eine  angenehme  röthe  verursachte"  (s.  63). 
Ihr   schöner  mund  drückt  unzählige  küsse   auf  das  „glückselige  blat." 
Der  erste  abschied  ihres  bruders  zieht  ihr  eine  Ohnmacht  zu,   und  sie 
bricht  dann  in  die  klage  aus:   „Unglückliche  Higvanama,   so  solst  du 
nun  die  andere  hoUfte  meines  hertzens  voUend  verlieren,   nachdem  du 
das  eine  theil  (Nherandi)  fast  zwey  jähre  entbehren  müssen.     Soll  ich 
den,  welcher  nicht  mein  bruder,  sondern  mehr  als  mein  vater  gewesen, 
von  mir  scheiden  lassen?    "Worzu  nützet  mir  denn  mein  leben?    Grau- 
samer vater,   sind  denn  alle  wolcken  leer,   und   heget   ihre  finstemiß 
keinen  blitz  mehr  in  sich,   solche  greuelthat  zu  rächen?"  (s.  85).     Sie 
beschliesst  durch  einen  dolchstich  ihrer  bedrängten  seele  luft  zu  machen, 
ndaß  sie  ungescheut  um  ihren  liebsten  Nherandi  und  werthesten  Bala- 
ciri    schweben  möge",  was  der  leztere  natürlich  hindert     In  der  gefan- 
genschaft   des   Soudras   sehen   wir   „die   armselige   Königin   gebunden, 
Solche  vor  wenig  tagen  ein  grosses  reich  beherrschte,   und  noch  vor 
etliohen  stunden  hunderttausend  köpflfe   zu  ihrem  winck   stehen  hatte. 
Ja     die  sich   nicht   sattsam   an    der   süssen   hoflfnung  vergnügen  kunte, 
^öiin  sie  ihren  liebsten  bruder  mit  einem  schwesterlichen  hertz- getreuen 
kii^sse  umfassen  würde,  die  muß  sich  jetzt  als  sclavin  in  die  arme  ihres 
feirtdes  werfien,  und  die  prächtige  last,  will  sagen,  silberne  fessel,  küs- 
sen« (s.  366). 

Nach  ihrer  befreiung  durch  den  verlobten  endlich  heisst  es:  „Die 
^^it  erlaubte  ihnen  sattsam,  eine  verliebte  erinnerung  des  vergangenen 
leid-  und  freudenwechsels  gegen  einander  anzustellen,  und  sich  nach 
^^x*2ogenem  ungewitter  an  der  liebes -sonne,  wie  keusch -entflammte 
pft^en,  wiederum  zu  wärmen  und  zu  ergötzen"  (s.  372). 

Als  gegenbild  hierzu   führen  wir  Lorangy  an.     Sie   begibt   sich 

^-    t.  einmal  mit  ihrer  mutter  so  „eylends"  aus  dem  zimmer  Balacins 

^^d  „schmeißt"  die  tür  mit   solchem   ungestüm  hinter  sich  zu,   dass 

^igler  wünscht,   „es  hätten   damahls  aller  bösen  weiber  köpfife  darzwi- 

^hen  gestecket"  (s.  30).     Ihre  haupteigenschaft  bleibt  aber  die  verliebt- 

*^^it,  die  bezeichnendste  stelle  dafür  findet  sich  s.  91  —  94.     Da  bricht 

"Manchmal  eine  glut  der  spräche  hervor,  die  an  das  hohe  lied  Salomo- 

^^  oder  an  Venus  und  Adonis,  den  Shakespeare  zugeschriebenen  sonet- 

*^^fcranz,  erinnern  könte. 

Des  prinzen  Zarang  liebesseufeer  klingen  bei  weitem  unschöner, 
^^*ie  mildesten  ausdrücke  vor  Banisen  sind  folgende:  „Unempfindlichste 

13* 


1 06  MiJLLKR  -  FRAÜRNSTRIN 

Princeßin!   so  können  denn  auch  die  zelten  und  das  Unglück, 
sonsten  ertzt  und  marnior  bezwingen,  ihr  hei-tze  nicht  entsteiner 
denn  meine  liebe  so  gar  verhaßt,   daß  sie  nur  jederzeit  mit  vei 
tem  ohr  und  stählernem  gemüthe  soll  angenommen  werden?"  (s 
Zu  seiner  sinlichen  natur  aber  passt  es  schliesslich,   dass  er  der 
zessin  von  Savaady  sich  zuneigt,  als  er  sie  „in  beweglicher  gesb 
sich  knien  sähe,  die  Alabaster- haut  der  eröffneten  brüst  betrachte 
einer  sonderbahren  anmuth  in  dem  gewiß  liebenswürdigen  wang( 
gewahr  wurde"  (s.  381).     Das  stimt  zu  des  Rolim  reden,   der, 
Banise  gesehen,  Chaumigrem  warnt:  „Durch  das  anschauen  beher 
die  schwachen  weibsbilder  die  stärcksten  männer,  ihr  flehen  und 
sind  geböte,   ihre  thränen  wilde  wasser,   welche  den  dämm  des 
Vorsatzes  durchdringen,  und  ihre  seuffzer  sind  stuiTnwinde,  denei 
der  unbeweglichste   Colossus   nicht   widerstehen   kan"   (s.  228). 
bald  verspricht  der  alte  sünder  dem  kaiser,   Banise  „die  liebes- 
erwünscht einzubringen.     Angesehen   sie   nur  noch  ein  kind  is 
noch  in  schalen  stecket,   und  ein  bäum,   auf  welchem  der  kützel 
nie  geblühet  hat    Ich  will  ihr  aber  schon  durch  süsse  lehren  die 
pen  aufthun"  (s.  267).     Er  begint  dies  mit  den  werten:   „Ich  k 
hier  als  eine  biene,   welche  klee  suchet,  und  vor  ihi-en  Käyser  \ 
dessen  mund  so  sehr  nach  ihr  lechset     Der  blitz  ihrer  äugen  h 
entzündet,   und    ich    sehe   selbst,    wie   anmuthig   der   scharlaeh 
mund  und  der  purpur  ihre  wangen  decket.     Hier  brennet  lebe 
Schnee,    imd   dort   quillt   zinober.     Und    diese   Schönheit    ist   w 
einen  Käyser  zu  vergnügen"  (s.  268).     Er  meldet  das  resultat  s 
herm  mit  dem  trost:    „Holtz,   das  bald  feuer  fängt,   hält  nicht 
kohlen.     Der  hundsstern,   welcher  fast  die  halbe  weit  durch  hitz 
zehret,   hat  nicht  lange  frist  zu  brennen."     Aber  der  trostlose  si 
„Die  seiffe  der  Verachtung  ist  zu  wenig,  ihr  bildniß  aus  meinen 
zen  zu  tilgen"  (s.  271).     Und  der  ungetreue  böte  seufzt  bald  i 
„Princessin,  ich  liebe  sie,   und  wo  die  rose  ihres  Wohlstandes  l 
soll,    so   wisse   sie,    daß   solche   auff  den   grund   meiner   liebe 
gepfiantzet  werden.    Ich  lodere,  ich  brenne,   ich  sterbe:    wo  nicl 
unvergleichliche  Schönheit  denjenigen  in  ihre  arme  nimmt,   welcl 
magnetischer  weise  an  sich  zeucht"  (s.  296). 

Die  anmenge  Aetorischer  figuren  und  Wendungen,  welche 
die  ToigefOhrten  beispiele  aufweisen,  wird  wo  möglich  noch  gesi 
in  Ghanmigrems  munde.    So  wenn  er  dem  könig  Dacosem  klagt: 
Tnmnwgffrht  Higvaiiama  ist  die  feindin  meiner  ruhe,   in  ihren 

und  leben.     Oroßmächtigster  König    und  Herr 


ZIOLEllS    ASIATISCHK   BAMSE  197 

g^eniesse  unwürdigst  dero  überflüßige  gnade;  allein  ohne  der  Princeßin 
g-ULOst  ist  mir  dieser  Zucker  nur  galle,  und  dero  versagte  huld  wird 
mich  bald  aus  I.  M.  äugen  rücken"  (8.61).  Zu  Banise  sagt  er  einmal: 
,,  Wi©  so  betrübt,  meine  Schöne,  wenn  werden  uns  die  benetzten  wan- 
gon.  trockene  rosen  und  die  tiaurigen  äugen  fröhliche  sonnen  gewäh- 
ren.?*' Und  weiter:  „Mit  einem  werte,  Chaumigrem  brennet  und  erkie- 
set Banisens  liebe  zur  kühlung  seiner  flammen."  „In  meiner  seele 
herrschet  brunst  und  flamme,  welcher  allen  haß  nunmehro  verzehret 
ha. !;.'••  Als  aber  Banise  ausweichend  ihre  eigenen  reize  herabgesezt  hat 
in.  dem  satze:  „Einem  solchen  Herrn  müssen  gestirnte  kertzen  und 
nioht  schlechte  irr- lichter  zu  bette  leuchten",  schwingt  er  sich  zu  dem 
vorgleiche  auf:  „Ich  erkenne  mehr  als  zu  wohl,  wie  der  fruchtreiche 
horbst  ihre  brüst  und  der  anmuthige  frühling  ihre  lippen  beseelet  Weil 
sioh  auch  der  sommer  in  völliger  pracht  auf  der  rosen -wangen  zeiget: 
^^'iö  kan  doch  der  verdrießliche  winter  im  hertzen  wohnen"  (s.  244  —  46). 
^^a.ch  dem  verunglückten  fluchtversuch  strömt  seine  leidenschaft  noch 

• 

irnmer  in  den  sätzen  hervor:    „Ach,  grausame  Banise!  welche  ein  Ari- 
^'^^spischer  wolff  mit  gifll  und  blute  muß  gesäuget  haben.    Ihr  kaltes 
hertze  muß  auch  das  eyß  aus  Zembla  (Nowaja-Semlja)  übertreffen,  weil 
^^^in  heisses  bitten  weder  vormahls,   noch  mein  flammendes  begehren 
j^tzvind  zu  schmeltzcn  vermochte"  (s.  267).     Besser  stehen  dem  wüte- 
^^<^li    alle  die  färben  zu  gesiebte,   mit  denen  sein  blutdurst  und  seine 
^^ütenden   zornesäusserungen   ausgemalt   werden.     So,    wenn   er  sagt: 
'n^ix  meynen,  daß,  wo  unsere  wolfarthslilien  am  besten  blühen  sollen, 
'^^n  nothwendig  die  felder  mit  des  feindes  blute  düngen,   und  wo  wir 
^user  Reich  befestigen  wollen,  man  die  stufFen  zum  throne  durch  feind- 
üclxe  leichen   bauen   müsse"   (s.  219).     Ponnedro   wider   drückt  seine 
^^sicht  über  die  Verbindung  von  Chaumigrems  liebesraserei  mit  seiner 
^^iistigen   natur  in   dem   geschmackvollen  satze  aus:   „Die  durchdrin- 
gende Schönheit  der  Princeßin  hat  auch  dieses  tygerhertz  bezwungen, 
^annenhero  er  von  dem  gifll  eingesogener  liebe  fast   zu  börsten  ver- 
"^eynet"  (s.  238).     Im  zom   schreit  Chaumigrem:   „Wo  ist  die  bestie, 
^^    ist  der  ortz-verräther?"   und  lässt  „seinen  grimm  durch  folgende 
^'^'^orte  und  grausamen  befehl  ausdünsten:   Daß  nicht  alsobald  tausend 
"öixcker  erscheinen   und   dir   verfluchten   hund   den  verdammten   lohn 
^urch  pech  und  schwefel  ertheilen.     Darffst  du  vermaledeyter  erdwurm 
^*^h  dessen  unterstehen,  dem  strengen  befehl  unserer  geheiligten  Maje- 
f^^  boßhaflBig  zu  widerstreben?"  (226.  227).     Oder  als  Banise  entwichen 
^'    ^ Blitz,   brand,   schwefel,   bley  und  hundert  hencker   sollen   diese 


1 98  MÜLLER  -  FRAUENSTEIN 

Schmach  rächen,  und  ihr  alle  solt  es  mit  euren  halsen  bezahlen,  d^^^^^^fi 
ihr  dieses  höllen-kind  entreissen  lassen"  (s.  261). 

Doch  führen  wir  schliesslich  noch  etwas  weniger  scharfrichte^  m:- 
massige  Wendungen  an!  Scandor  und  Talemon  sollen  uns  unter  c^B^  me 
leidlich  civilisierten  menschen  zurückführen.  Der  alte  reichsschatzm^^?^J- 
ster  des  kaisers  von  Pegu  bricht  bei  dem  bcricht  von  dessen  gang  zi  m  -mn 
hinrichtungsqlatz  in  die  khige  aus:  „0  wunderliches  verhängiiiß!  o  v^:^  x- 
ändorliches  glück!  0  spiegelglattes  eiß  der  hen-schaft!  da  sich  «li  :ie 
crone  in  einen  cypressen-krantz  und  das  scepter  in  einen  blutig"  ^=^n 
mörder-stahl  verwandelt.  Hier  sehen  wir,  wie  vergebens  wir  arK'Mie 
menschen  bemüliet  sind,  wenn  wir  uns  unterstehen,  den  Schluß  zu  im«'-^i- 
den,  welchen  das  verhängniß  in  das  himmels-buch  mit  solchen  zief&^'■:•  i^, 
welche  nur  die  Götter  vorstehen,  eingeschrieben  hat"  (s.  195).  Scancl  ^or 
auf  der  anderen  seito  wird  nie  so  sentimental.  Selbst  als  er  mit  Bä  m"^»i- 
sen  von  den  verfolgenden  Bramanern  eingeholt  wird,  lässt  er  einfiÄ^^l» 
sein  pferd  laufen,  sezt  sich  neben  die  prinzessin,  deren  ross  gestüL«.  ^t 
ist,  auf  die  baumwurzeln  und  sagt  ihr:  „Ich  kan  mir  nicht  weiter  hc:*  ^f- 
fen.  liier  wollen  wir  sitzen  bleiben,  und  uns  vor  zwey  hasen  ai^T^-S- 
geben:  weil  es  nun  im  gehege  ist,  so  werden  sie  uns  wohl  ungebrül»-  ^^ 
lassen"  (s.  263).  Seine  Verwunderung,  als  er  in  Talemons  schien fi^=^ 
plötzlich  seinen  verwundeten  herrn  findet,  macht  sich  in  dem  dra^iS'Ä'i- 
schen  ausrufe  luft:  „0  ihr  Götter,  errettet  mich  von  diesem  zaubc-*  -■"" 
orte.  Talemon,  ihr  alter  hexen-meister,  ihr  verblendet  meine  aiuge: 
Er  will  „zur  thür  hinaus  reissen",  wird  aber  von  dem  schlosshei'J 
zurückgehidten  und  komt  schliesslich  „mit  zitterndem  fusse"  an  cl 
bett  d(^s  prinzcn  (s.  30).  Den  höchsten  grad  seiner  ergebenheit  gog"<— ^" 
diesen  spricht  er  in  den  worten  aus:  „Wo  einige  treue  gegen  einen  s==^» 
grossen  Herrn  durch  eine  geringe  heyrath  kan  bewiesen  werden,  2==^^ 
weite  ich  mich  wol  unterfangen,  das  älteste,  heßlichste,  boßhaffiig^^'^^ 
und  ärmste  weib  in  gantz  Asien  aufiTzusuchen,  und  mich  dadurch  ^^^^^ 
Göttern  so  weit  angenehm  zu  machen,  daß  sie  nach  diesem  leben 
ner  gewiß  verschonen  würden,  weil  ich  die  hölle  sattsam  aufF  ord^"*^ 
gehabt  hätte"  (s.  179).  Das  ist  doch  bald  so  hoch  geschworen,  wie  ^^ 
Banise  mit  dem  gelübde  ihren  Balacin  zu  den  mehren  wie  zu  d^^ 
eskimos  zu  begleiten  tut. 

Ich  habe  auf  den  lezten  seifen  eine  ganze  auswahl  von  Empß-'^' 
dungs-  und   wunschäusserungen  nach  Ziglers  manier  zusammengest^'''t 
und  zwar  mit  m('>glichsfer  Vermeidung  der  für  die  einzelnen  individi»*'* 
charakteristischen   stellen.     Sie   geben   den  typus  ab,   wie  sich   frei»^^ 
und  entzücken,   kummer  und  schmerz,   zorn  und  rachedurst,  eingeben- 


Iieit  lind  liebe  nach  unseres  Schriftstellers  meinuiig  luft  machen  sollen. 
Wir  verlangen  heute  mehr  einfachheit  und  klarheit  des  ausdrucks,  eine 
gi^seere  mässigung  des  gefühls,  wenn  wir  einen  einigermassen  wol- 
tuenden  eindrnck  gentessen  wuUen-  Nicht  nur  äussenmgen  der  men- 
acbeii  werden  aber  in  aolchen  rhetoriHch  autgepuzten  salzen  widergege- 
ben,  es  ist  vielmehr  so  ziemlich  alles  in  diesem  tone  gehalten.  Die 
twriichtigte  „lieblich keif  des  ausdrucks  verbietet  es,  natürlich  und  ein- 
hcti  KU  sprechen;  blumige  Umschreibungen  begegnen  uns  auf  schritt 
nnd  tritt.  Bei  einem  Sonnenaufgang  z.  b.  benuzt  der  dichter  die  Wen- 
dung: „Das  luigenehme  welt-aiige  machte  artige  Vorstellungen  in  dem 
apringenden  wusser  eines  in  don  Garten  stehenden  kunst-brimneos" 
(3.  19),  oder  „Nuninehro  brach  das  betrübte  licht  an"  (s.  166),  oder 
«das  grosso  woltauge  hatte  kaum  das  blutige  feld  bestj-ahlet'"  (s.  372); 
l*i  einem  untergange  heisst  es:  „Die  Sonne  begiint«  bereits  einen  theil 
ilirer  strahlen  in  die  see  zu  verbergen,  als  die  Glut  der  Lorangj-  erst 
fachte  flammen  fieng''  (s.  207).  Von  den  unzahligen  tropen,  die  für 
Wegsereignisse  verwendet  werden,  eitlere  ich  nur  die  eine  stelle:  „Sie 
»erltibten  ihren  rühm  mit  rothen  buchstaben  denen  mauern  ein.  Das 
l»schütze  musto  tag  und  nacht  blitzen,  die  unbeweglichen  mauern  zu 
''»^wcgen,  daß  sie  dot-h  einen  freyen  eintritt  erlauben  weiten"  {s.  382). 
'"  der  frieden sprokiamation  am  Schlüsse  komt  der  satz  vor:  „Heute 
'"^ll«ti  si<'h  alle  sebel  in  pflugschaaren ,  die  spiese  in  eggen  und  die 
Iimt7,en  in  weinplahle  verkehren"  (s.  399).  Das  klingt  gar  nicht  übel, 
'"'H  liofFe  überhaupt,  dass  schon  in  dem  bis  jezt  gegebenen  manch  scho- 
"0*4  hild,  manch  gut  gewählter  ausdruck  neben  den  übertriebenen  und 
''»rloldten  aufgefallen  sein  wird.  Am  cmptindlichsten  berühren  uns 
"»iriier  die  rohen  freuden-  oder  zomesaushrüche.  So  wenn  z.  b.  von 
'lEirn  „angenehmen  und  herrlichen  anblick"  geredet  wird,  den  Xemin- 
''*"\JI18  auf  eine  lanze  gestecktes  haupt  bietet  (s.  183),  oder  wenn  Xemindo 
"^sf  dem  schaffot  einige  freudentränen  vergiesst,  weil  der  ihn  misshan- 
delndo  henker  von  einem  der  umstehenden  mit  einem  wurfspiess  „durch 
^nü  durch  gerannt  wird"  (s.  19ß). 

So  unangenehm  femer  das  kapitel,  so  kann  Ich  doch  der  vol- 
*'tÄndigkeit  wegen  nicht  ganz  an  den  ^zotenhaften  stellen  vorbei- 
B^hon,  wenn  sie  uns  auch  entschieden  seltener  als  bei  anderen  achrift- 
stoilern  der  zeit  begegnen  und  von  dem  damaligen  publikum  wol  kaum 
*'8  smlen  empfunden  worden  sind.  Ich  rechne  hierher  sclion  einige 
'"  'indercm  Zusammenhang  gegebenen  reden  über  imd  von  Hassana 
'^  *<7.  88)  und  alle  anderen  stellen,  in  denen  frivole  worte  über  ehe- 
'^uli  laut  werden.    Mit  wenigen  aiisualimea  linden  sie  sicii  In  Scaadon 


*J00  MÜLLER -FKAUENSTELV 

munde,  z.  b.  s.  45,  178.     Als  Eswara  den  losen  Paladin  in  ihrer  wt^» 
nung  versteckt  hat,  stürmt  ihr  „guter  Mann"  mit  ähnlichen  Worten  5-^ 
türe  herein  (s.  180).     Am  unzüchtigsten  redet  Zarang  und  zwar  dir"ic?*lkt 
Banisen  ins  gesicht,  als  sie  ihm  erklärt,  sie  sei  bereits  so  gut  als  v"<_?-r- 
mählt  (s.  305).     Der  Rolim  braucht  wenige  rainuten  vorher  etwas  w&Äi'Äi- 
ger  schlimme  bilder  bei  seinen  Zudringlichkeiten  (s.  299),  dagegen  ni.i.v.ss 
uns  seine  aufzählung  von  Banisens  reizen,  durch  die  er  ihr  seine  ^''^jdI- 
ligo  Unfähigkeit,  ihnen  zu  widerstehen,  erklären  will,  geradezu  anwidc^r  jn 
(s.  295).     Den  schluss  dieser  wenig   anmutenden   aufzählung   bilde     «fÄie 
lose   redensart,    welche   Sc^ndor   nach    seiner    rettung   durch   Taleco  «->n 
braucht:  „Ich  bcgunte  schon  wie  die  hechte  auf  dem  rücken  zu  schwi zäu- 
men:   welches  dann  meinen  glauben  bestärckte,    daß  ich  kein  fraiac_^n- 
zimmer  sey,  als  welches  von  der  schamhafftigen  natur  bey  dergleirlm.  ^n 
nassen  fällen  dazu  versehen,   daß  sie  jederzeit  dem  wasser  den  ford^c.T- 
tlieil    des   leibes   gönnen,   und  auf  dem  gesiebte  schwinunen  müsso»:»'* 
(s.  31). 

Es  ist  dies  aber  tatsächlich,   so  weit   ich   es   habe  kontrollicr^^'n 
können,   alles,   was  in  betrefF  dieses  punktes  in  der  Baniso  vorkor» ^^" 
die  „erstlinge   der  blumen",   „die  blumen  der  Schönheit"  werden  all<^'''" 
dings  noch  hie  und  da  als  wünschenswert  citiert,  aber  eben  nur  citic*rf. 
Am  Schlüsse  bogleiten  wir  die  drei  jungen  ehepaare  in  ihre  ruhezelt^'- 
„Worinnen  die  mit  so  vielen  dornen  bißher  verwahrten  rosen  mit  gn»^ 
ter  Vergnügung  gebrochen,  und  alles  ungemach  mit  einem  süssen  acli- 
geschroy  der  leidenden  Princoßinnen  erwünscht  geendiget  wurde"  (s.40  '• 
408).      Dieser    ausdruck    und    des    Rolims    beschreib ung    von    Baniso 
schmecken  wol  am  meisten  nach  lüsternheit;  uns  sind  derartige  stell«^^ 
unerträglich,  sie  können  ein  buch  ungeniessbar  machen.     Bedenken  wi^ 
aber,   wie  zahm  alles  dies,    mit  anderen  sowol  epischen   als  lyrischc^*^ 
si^liiideningen  anderer  schriftsteiler  jener  zeit  verglichen,  erscheint,  cri^**' 
nern  wir  uns,  dass  die  Wielandsche  muse  weit  sinlichere  ergttsse  h^^ 
vorgebracht,    dass   selbst   das   publikum    unseres  Jahrhunderts   Claure?»^^ 
vei-schlungen    hat    und    heutzutage    Zolas   bücher   in   den   vornehmst*:? '""^ 
boudoirs  liegen,  dann  wird  unser  tiulel  verstummen. 

Doch  verlassen  wir  dieses  gebiet  und  wenden  wir  uns  den  int^^^ 
ressantcsten    und    algemeinsten   redewendungen   zu,   den   sprichwör*^*^ 
liehen  sätzen,  deren  ich  eine  ganz  ausserordentliche  zahl  in  der  Bani^*^ 
annehmen   zu   müssen  ghiub(\     Es  ist  mir  unmöglich,   sie  hier  auß*^*^ 
zählen,  einige  sind  schon  früher  mit  untergelaufen,  ihre  benutzung  ^^^ 
allen  dingen  durch  Scandor  liefert  mir  aber  einen  weiteren  beweis 
die  nicht  unglückliche  Charakterzeichnung,   die  ihm  durch  den  dicb*^^ 


tu  teil  gewordoll  iat.  \/inta  seines  schlnges  worden  stets  und  libcrall 
tiae  Vorliebe  fiir  die  kurzoii,  scheinbar  jede  weitere  einwendung  ans- 
ScUiessenden  Sentenzen  verraten.  Von  den  anderen  personon,  welolie 
äergleiehen  nusdrücke  brauchen,  nenne  ich  nur  die  folgenden:  Bunisens 
^nze  lebensanschauung  könte  man  in  ihren  woiten  sehen:  „Sturm, 
nnglrlßk  und  hertzeleid  ist  die  beste  lust  der  tugend,  angst  ist  ihre 
matter,  und  elend  ihre  amrae"  (s.  2ti9).  Higvanama  sieht  ihr  zur  seite 
mit  dem  satze:  „Wo  einmahl  reine  liebe  durch  den  tod  betrübet  wird, 
da  ist  die  kouschheit  der  beste  Schatz  in  der  Welt,  und  alle  liebe  ist 
«l^^dAnn  nur  ein  irrwisch,  dessen  glantz  von  unreinen  seelen  cntsprin- 
RL't"'  (s.  45).  Und  in  demselben  gespräehe  brnuclit  sie  noch  die  weis- 
heitsregeln:  „Wohl  dem,  welcher  seine  klugheit  in  dem  sarge  suchet, 
und  das  Oold  seines  Verstandes  auff  den  probierstein  der  Sterblichkeit 
stroichcL"  „Wu  hertz  und  lufit  trübe  ist,  da  wird  sonne  und  brunst 
•Janckel.''  Chaumigrem  dagegen  redet  ihr  zu:  „Lasse  sie  die  todten 
ihre  todten  begraben."  Der  alte  Talemun  tlicht  einmal  die  benierkung 
''in;  „CJcdiilt  ist  die  lincke  haud  der  tapHcrkeit";  und  später:  „Alle 
»erachtung  bringt  Sicherheit,  Sicherheit  gefahr  und  diese  den  tod" 
(s-  203).  fjeiu  söhn  l'onnedro  liilft  sich  im  gespräcb  mit  Chaumigrem 
iiQci  später  Baniso  ebenfals  öfter  mit  dergleichen  Wendungen:  „Wenn 
*if->i  grosso  berren  rauffen,  müssen  die  unterthanen  ihre  liaare  darüu 
hoi-gebon,  und  wenn  gecrönte  haupter  niisso  aufbeissen,  so  muß  es  mit 
'Jen  Zähnen  der  unterthanen  geschehen"  (s.  222);  ferner:  „Wo  die  getahr 
^*x  pferde  sitxet,  da  mtill  guter  rath  freylich  nicht  auf  steltzeu  gehen" 
(*-  235).  „Das  glücke  ist  rund",  und  „wir  würden  nur  pfeiler  in  die 
i**^«  bauen,  und  boy  der  nattor  gunst  suchen"  (s.  238,  239).  „Alle 
ffeycr,  narren  und  trunckene  sind  reich"  meint  Balaciu  mit  deutlicher 
»nftpieliing  einmal  zu  Scandor  (s.  32).  Der  satz;  „E3iuo  Krone  ohne 
Bani-se  ist  mir  eine  gesaltzeno  speise  ohne  tranck"  (s,  35)  belegt  seine 
"nverbriiehiiche  treue  gegen  die  braut  wie  der  andere:  „Wo  das  garn 
^^r  liebe  nicht  aus  reiner  Unschuldsseide  gesponnen  wird,  da  fressen 
S'uh  unfehlbar  die  motten  des  unglüclts  ein"  (s.  91).  Die  bei  weitem 
•"Pi«ten  in  unserem  buche  angebrachten  Sprichwörter  best^hüftigen  sich 
"lit  der  liebe.  Scandor  und  zuerst  auch  der  Rolim  sind  in  dieser 
"''«ichung  unerschöpflich  in  Unglücksweissagungen,  Wie  ein  priamel 
*^'ttgt  des  lezteren  maluiung:  „Die  liebe  ist  eine  tantasie  und  ein  unge- 
'•'«ser    zweck.     Sie  ist  blind   und   dennoch  sieht  sie  schärffer   als  ein 


""-'hs,  Sie  bauet  ihren  thron  in  dem  hortzen,  und  ist  doch  ein  unbe- 
'»'^iffliches  wesen.  Ein  vogc-l  siebet  den  leim  und  die  mücke  das  licht, 
"'^nngch  lässt  sich  jener  kirren  und  diese  verbrennet  sich  selber,  das 


202  MÜLLEB-FfUCENSTEIN 

schnelle  rehe  scheuet  das  garn,  uod  der  Schiffer  kennet  die  fahrt  d 
ancker- losen  see:  doch  kan  jenes  das  sehen  nicht  klug,  noch  die» 
die  gefahr  verzagt  machen"  (s.  265).  Scandors  erstes  Sprichwort  l 
algemeinen  Inhalt:  ,,Wer  geld  hat,  kan  leicht  schätze  suchen,  und  vi 
viel  hunde  hat,  kann  leicht  hasen  fangen"  (s.  36).  Dann  aber  heii 
es:  „Wo  die  liebe  raset,  da  strauchelt  der  verstand,  ja  der  klügi 
mann  wird  zum  narren"  (s.  75),  und  der  anfang  des  zweiten  bucti 
mit  seinem  acht  selten  langen  gespräch  zwischen  dem  prinzen  und  s* 
nem  diener  liefert  hierhei^hörige  beispiele  in  hülle  und  füllet 

Aus  anderen  gesprächen  über  das  wesen  der  liebe,  z.  b.  z wisch 
Balacin  und  seiner  schwestor  (s.  66  fg.)  oder  zwischen  Banise  und  d( 
Kolim  (s.  295  fg.),  füge  ich  noch  an:  „das  frauenzimmer  und  die  lie 
ist  ein  zartos  wescn",  „die  liebe  ist  eine  Schwachheit  des  gemüthei 
„bei  den  rosen  sind  dornen",  „die  einfältige  Wahrheit  ist  die  best 
„Schön  und  fromm  seyn  stehet  selten  bey  einander." 

An  heutige  Wendungen  klingen  endlich  auch  die  beiden  redei 
arten  (s.  114)  an:   „Unter  der  rose",   wofür  wir  gewöhnlich  den   lat 
nischcn  ausdruck  brauchen,   und  „er  hat  sich  unsterblich  verliebt", 
stelle  unseres  „sterblich  verliebt" 

Ich  schliesso  diesen  abschnitt  mit  den  unzweideutigen  seite 
blicken  und  anspielungen  auf  Europa  und  dessen  Verhältnisse  \ 
zweihundert  jähren;  aus  allen  spricht  ein  etwas  verbittertes  gemüt  oc 
wenigstens  die  melancholische  Stimmung  des  pessimistischen  einsiedle 
Schon  die  werte  Higvanamas  sind  wol  mehr  auf  Europa  als  Asien 
beziehen:  (s.  67)  „Froylich  ist  es  zu  beklagen,  ja  mit  blutigen  thrän 
zu  beweinen,  daß  unser  Asiatis(».hos  frauenzimmcr  fast  mehr  comet 
als  Sterne  blicken  lasset;  da  eine  bereits  durch  das  band  der  lie 
gebundene  Venus  den  Wechsel  dermassen  liebet,  dass  ööters  < 
sämtlichen  plancten  nicht  genugsam  sind,  sie  durch  ihren  oinfl 
zu  stillen.  Und  brennet  ja  noch  wo  ein  reines  licht,  welches  sj 
keine  lasterwolcke  will  schwärtzen  lassen,  so  heissen  dessen  stral 
einfaltig"  usw.  Auch  über  die  geschwisterliebe  der  zeit  hören  ^ 
klagen,  und  zwar  aus  Scandors  munde:  „Als  welche  itziger  zeit  d 
massen  erfroren,  daß  fremde  personen  ihre  liebe  viel  liitziger 
brüder  und  Schwestern  erzeigen,  ja  wo  heutiges  tages  drey  geschwis 
sind,  so  bemühet  sich  das  dritte,   wie  es  die  anderen  zwey  in  eim 

1)  Bolwrta^  oriniiert  mit  vollem  rechte  daran,  dass  hier  eine  sehr  ausführli< 
Variation  vorliege  eines  seit  dem  mittelaltor  in  der  faceticn-  und  populär -moraliscl 
littoratur  in  Deutschland  hosoudors  seit  der  Verdeutschung  der  schrift  Petrarcas  v 
glücklichen  und  unglücklichen  leben  beliebton  gedankens. 


ZIGLERS   ASIATISCHE  6ANISE  203 

der    hetzen  möge"   (s.  84).     Ein  hübsches  pendant  zu  dem  oben  gege- 
benen ausdruck  Banisens,  dass  die  liebe  sie  zwinge  Balacin  „Du"  zu 
heissen,  finden  wir  in  Scandors  werten:    „Eine  Jungfer,  oder  fräulein, 
wxG    sie  heutiges  tages  wollen   getaufft  sein"   (s.  376).     Eine   „grund- 
reg-iil  der  heutigen  weit",    die  er  zwei  selten  später  gibt,   klingt  ganz, 
als    ob  sie  auf  unsere  heutigen  junggesßUen  gemünzt  wäre:  „Ein  pfund 
g^old  muß  im  heyrathen  einen  centner  tngend  überwiegen."     Zahlreich 
sind  auch  die  sätze,  in  denen  ein  licht  auf  die  politischen  anschau- 
ungen   Ziglers   fält      Er   lässt   Scandor   sagen,    dass   er    sich   vor   der 
?,  gemeinen  Hof-pest  ungemessener  einbildung"  gehütet  habe  (s.  46)  und 
Tailemon  einmal  klagen,  über  „den  wanckenden  pöbel,  wie  wenig  sich 
Äxif"    dero  beständige  treue  zu  verlassen  sey"  (s.  188);   der  ßolim  sagt 
Äi-tf    der   anderen   seite   Chaumigrem    ins   gosicht:    „Alle   herrschafften, 
darinnen  man  allzu  viel  schärfte  brauchet,   bestehen  nicht  lange.     Wo 
r^öoht  ist,  da  muß  auch  gnade  seyn:  diese  beyden  zieren  einen  monar- 
ehen,   wie  sonne  und  mond  den  blauen  himniel,   und  hierdurch  kann 
^»*     nur  den  Göttern  am  nechsten  kommen.     Ein  Regente  ist  auch  an 
^^    gesetze  gebunden,  daß  er  nicht  allenthalben  frey  zu  verfahren  hat 
I^^-tio  Status  aber  ist   hingegen   die  verdammte   rathgeberin,   daß  man 
^'^<ier  vater  noch  mutter,   weder  kinder  noch  geschwister,   weder  treu 
rioch  glauben,  weder  göttliches  noch  weltliches  gesetze  verschont,  son- 
^öixi  durch  list,  falschheit,  und  tyranney  alle  rechte  unterdrucket,  die 
^^uterthanen  ins  elend  stürtzot,  sich  aber  selbst  erschreckliches  ende  auf 
d^ü  halß  zeucht"  (s.  224  fg.).     Kurz   vorher   hat   er   dem   kaiser   klug 
Sollten,   „weder   eine   durchgehende   dienstbarkeit,    viel   weniger   eine 
völlige  freyheit  einzuführen."    Das  alles  ist  aber  so  wenig  nach  dessem 
herben,   dass  dieser  losbricht:    „Vermaledeyet  sey  das  gesetze,   welches 
^ö    macht  eines  freyen  Königs  einzuschrencken  sich  bemühet     Ratio 
^te.toi8  ist  die  eintzige  richtschnur  grosser  Herren,   und  hat  die  gerech- 
^*&teit  zur  stieflP- Schwester."     In  erfreulichem  gegensatze  dazu  stehen 
^i^  grundsätze,  mit  denen  Balacin  die  regierung  antritt     Seine  herolde 
proklamieren  sie  in  den  noch  von  blut  rauchenden  Strassen  Pegus,  fast 
^Is  ständen  sie  nach  dem  dreissigjährigen  kriege  in  Deutschland  (s.  399). 
Dazu  hält  der  ehrwürdige  neue  Rolim  Korangerim,  der  sich  schon  frü- 
**©r  durch  kluge  ratschlage  hervorgetan  hat,  bei  der  kaiserkrönung  eine 
S^^^  vortrefliche  rede  an   den   dem   namen  nach  „gewählten"  fürsten 
(8-404—6),  wert,  dass  sie  ganz  hier  abgedruckt  würde.     Er  warnt  ihn 
^^r  begünstigungen,   vor  zorn  (denn  „der  Zorn  ist  eine  motte,  w^elcho 
^^   purpur  verderbet"),  vor  neid,  vor  unbesonnenen  reden  (denn  „der 
'^^ten  woiie  sollen,  weil  sie  von  jedem  erwogen  werden,   zuförderst 


204  MÜLLER  -  FRAUENSTEIN 

wohl  auf  clor  wage-schalo  der  bedach tsamkeit  abgewogen  seyn)."    Der 
beschränkte   räum   verbietet   leider    eine   ausführlichere   analyse  dieses 
oratorischen  meisterstücks. 

Diese  hier  ausgesprochenen  staatsmännischen  wcisheitsregeln,  die 
sich  zweifelsohne  über  die  praxis  der  politik  des  länderschachers  erhe- 
ben,  wie'  sie  das  Europa  Ludwig  XIV.  trieb  und  wie  sie  unser  buch 
im  verschenken  und  vertauschen  der  einzelnen  hinterindischen  gebiete 
auch  zeigt,  erhalten  nun  dadurch  einen  besonderen  beigeschmack,  dass 
Ziglcr  sein  werk  dem  kronprinzen  Johann  Georg  von  Sachsen  gewid- 
met hat,   dem   söhne   Johann   Georg  III.,    des   bekanten   „sächsischen 
Mars",   demselben,   der  später  als  der  vierte  seines  namens  zur  r^e- 
rung  kam,  leider  aber  durch  einen  plötzlichen  tod  alle  auf  ihn  gcseztcn 
hofnungon   zu   nichte   machte   und  August  dem  starken,   dem   gegncr 
Karls  XII.  von  Schweden,  den  thron  hinterliess.     Diesem  Johann  Geoi^ 
ist   das   dedicationsgedicht    gewidmet,    welches    dem   werke   vorangeht. 
Darauf  weiter  einzugehen  hiesse  die  gediild  des  lesers  ermüden.     Cha- 
rakteristisches findet  sich  absolut  nicht  darin.     Nur  möchte  ich   darauf 
hinweisen,   dass  in  ihm  wie  in  der  vorrede  an  den  „nach  Standes- Ge- 
bühr Geehrten  Ijeser"  Zigler  sich  nicht  wie  in  der  Banise  selbst  vor 
fremdwörtern  und  gelehrten  anspielungen  hütet,  sondern  vielmehr  seine 
feine  bildung  darin  auch  von  dieser  seite  möglichst  zeigte     Er  citiert, 
wenn  ich  recht  gezählt  habe,   in    den   132  Zeilen  des  gedichts  jedoch 
noch  nicht  20  namen,  ist  auch  darin  also  nicht  so  unmässig  wie  andere 
Zeitgenossen;    die   übertriebene  devotion  und  sklavenhafte  Unterwürfig- 
keit ist  uns  unangenehmer.     Von  dem  anfange  der  vorrede:    „Endlich 
erkühnet  sich  meine  Asiatische  Banise,  als  eine  unzeitige  frncht  seich- 
ter lippen,   unter  der  presse  hervorzuwagen,    und  sich  auf  den  Schau- 
platz der  schrifit- eckein  weit  vorzustellen"  urteilt  schon  Gottsched  genau 
so  wie  wir.     Von  algeineinerem  Interesse  ist  dagegen  die  polemik  Zig- 
lers  gegen  die  „vielen  nicht  günstigen,  welche  nicht  ermangeln  worden, 
diese    blätter    durch    alle   Praedicamenta   durchzuziehen",    „gegen    die 
Catonianische  meynung,  ob  wären  die  Komaineu  schlechter  dings  unnütze 
schrifflen"'-.     „Denen  ungegründeten  hassern  der  HeldenschriflPten ,   und 
andern    übel -gesinnten"   rät    er    dienstfreundlich   „dieses   Geringfügige 
werkgen,  welches  sich  nur  als  eine  unwürdige  aufwärterin  der  heutig- 
vortreftlichen  Romainen  aufgeführet,  bey  seite  zu  legen,   und  ein  nütz- 

1)  Auch  Cholcvius  s.  1G9  moiüt:  ^iri  der  vorrodo  drücke  er  sich  wie  die  kava- 
liere  der  zeit  aus.  ))rauche  französisch  und  latciniscli.'* 

2)  BolK»rtag  s.  240  fj;.  gibt  eine  ergötzliche  [»rohe  solchen  energischen  tadeis 
gegen  die  gattung  der  heldooromano  aus  jener  zeit  in  extenso. 


ZIQLERS  ASIATISCHE  BAMSE  205 

licher  buch  nach  seiner  Caprice  zu  ergreiflfen,  aus  welchem  er  beweisen 
könne:  Dicatur  in  eo,  quod  non  dictum  sit  prius."  „Denen  übel  deu- 
tenden Momis  und  Zoilis"  sezt  er  schliesslich  „wolbedächtig"  den  Wahl- 
spruch des  hüsenbandordens  entgegen:  Honni  soit,  qui  mal  y  pense. 

Die  art  also,  wie  er  mit  diesen  gegnern  umspringt,  beweist  deut- 
lich, dass  er  sich  seines  publikums  durchaus  sicher  fülilt;    er  lebt  der 
angenehmen  hofhung,   dass  sich   „viele  honette  Gemüther  finden  wer- 
den, die  dieses  sein  wohlmeynendes  unterfangen  mehr  loben  als  schel- 
ten"; er  steigt  nirgends  von  einer  souveränen  Verachtung  der  gegner 
herunter.     Doch  lässt  er  seine  „Indianische  Princeßin  ganz  gerne  beken- 
nen, daß  sie  keinen  locum  in  denen  Actis  Eruditorum  meritire,  ange- 
sehen sie  sich  nur  in  einem  schlechten  deutschen  kleide,  nicht  aber  im 
hämisch,    wodurch   sie   einige   begierde   zu   fechten   andeuten   möchte, 
f    vorstellet"     Er  versichert  ferner,   er   habe   sich    „möglichst   beflissen, 
alle   unartige   und   ärgerliche   rodens -arten  äusserst   zu  meyden,   auch 
niemanden  mit  fleiß  zu  touchiren,  es  sey  denn,  daß  sich  jemand  getrof- 
fen   fände,   da  er  versichere,   es  sey  von   ungefehr  geschehen."     Über 
^ine  spräche  endlich  urteilt  er  —  in  dem  ersten  teile  sicher  mit  recht, 
^D    dem  zweiten   zu  unserer  grossen  Verwunderung  — ,   er  hoffe  „des 
S^yli   und   eingestreueten   BarbarLsmi   wegen    pardonniret"    zu  werden, 
^^nn  er  sage,   er  habe    den    eigentlichen  endzweck    der  romane,    die 
^^utsche   spräche    zu    heben,    nicht    so   genau    beobachtet;    der   inhalt 
g'oiche  mehr  einer  historischen  beschreibung  als  einem  heldengedichte. 
^^s,  meine  ich,   können  wir  im  gründe,   wenn  wir  andere  werke  der 
2^it  zur  vergleichung  herbeiziehen,   zugeben.     Dagegen  klingt  es  heute 
?^i^dezu  komisch,   wenn  er  vorgibt,   er  habe  nicht  „durch  vergebene 
l^^riiühung   die   armuth    seiner   zunge   verrathen,   sondern   sich    durch- 
S^Uends  einer  leichten  und  gewöhnlichen  redensart  bedienen   wollen." 
^^minius  und  Thusnelda  von  Lohenstein  werde  in  betreff  der  volkom- 
J^enheit  der  spräche  den  leser  mehr  befriedigen. 

Als  eine  aii  probe  von  manchen  im  vorstehenden,  besonders  im 
^*^ten  teile  gefälten  urteilen  kann  uns  ein  vergleich  dienen,  den  wir 
^'Wischen  unserem  roman  und  dem  von  Schlossar  mitgeteilten  scenen- 
^"f^twurf  einer  dem  roman  nachgebildeten  dramatischen  boarbeitung  zum 
^Uusse  ziehen  wollen.  Dieser  anhang  scheint  mir  berechtigt,  da  von 
'^^Bhreren  kriükem  betont  wird^,  Zigler  habe  vom  drama  gelernt,  da 
ferner  die  verschiedenen  Umarbeitungen  zur  oper  und  zum  Schauspiel 

1)  Wörtlich  so  E.  Schmidt  a.  a.  o.     ('holevius  und  Bobci-tag  berühren  sieb  in 
**U^ii  urteilen  darüber  insofern,  als  sie  die  afFektvollon  stielen  für  besondei-s  gelungen 
d  <jie  Umarbeitung  des  Stoffes  für  lobenswert  und  effektvoll  erkläi'en. 


'Jiß}  MthiLER  -  FRAÜENSTMK 

diesen  schluss  sehr  nahe  legen  und  schon  wenige  Jahrzehnte  nach  dem 
eischeinen  der  roman  dramatisiert  worden  ist.  Das  älteste  zeugnis 
dafür  hat  nun  Schlossar  mitgeteilt  (a.  a.  o.);  er  hat  ein  blatt  in  die 
hand  bekommen,  wie  es  die  pfälzische  hofkomödiantengeselschaft  des 
Joseph  Heinrich  Brunius  in  Graz  1722  an  die  angesehenen  besu- 
eher  ihrer  Vorstellungen  verteilte  und  auf  dem  der  inhalt  des  Stückes 
scenisch  skizziert  ist  Genauer  gesagt,  umfasst  das  ganze  vier  blätter, 
voran  geht  ein  dedikationsgedicht.  Die  „unterredenden  Persohnen" 
sind:  Baniso,  kaiserliche  prinzessin  von  Pegu,  Balacin,  prinz  von  Ave, 
Ximindo,  kaiser  von  Pegu,  Ximin,  dessen  prinz,  Savadi,  eine  vertrie- 
bene Prinzessin,  Zorang,  prinz  vonTangu,  Talemon,  reichsschatzmeister 
von  Pegu,  Chaumigrem,  tyrann,  hernach  kaiser  von  Pegu,  Abaxar, 
Mortang,  dessen  generale,  ßolim,  oberpriester,  Hans  Wurst,  Balacins 
lustiger  diener,  ein  Courier  von  Marteban,  ein  hauptmann  des  prinzen 
Zorang. 

Das  stück  zerfalt  in  fünf  actus,  der  erste  und  zweite  zu  je  8, 
der  dritte  und  vierte  zu  je  11,  der  fünfte  zu  4  scenen.  Schlossar 
begnügt  sich  nun  s.  95  an  seine  interessante  mitteilung  nur  wenige 
algemeine  folgerungen  anzuknüpfen.  Die  art  der  anordnung  und  der 
einreihung  in  den  dnimatischen  rahmen  sei  sehr  geschickt  aus  dem 
roman  herausgenommen.  Nur  die  hauptpei-sonen  würden  hervorgeho- 
ben, jedoch  selbst  einige  nebenepi^oden  berücksichtigt,  z.  b.  das  Ver- 
hältnis von  Zorang  und  der  prinzessin  von  Savaady.  Talemons  Ver- 
hältnis zu  Balacin  sei  zu  wenig  ausgeführt.  Die  scenenordnung  findet 
er  sehr  sachgemäss,  zum  schluss  sehr  spannend,  den  abschluss  rasch 
und  gewant  herbeigeführt.  Alzu  grässliche  scenen  gäbe  es  bis  zum 
Schlüsse  nicht,  die  vielen  blutigen  ereignisse,  von  denen  der  roman 
überfült  sei,  würden  in  der  darstellung  nicht  berührt 

Der  wert  des  Scblossarschen  aufeatzes  beruht  in  dem  wörtlichen 
abdruck  des  sccnenentwurfes,  den  ich  hier  als  zu  umfangreich  nicht 
nochmals  hersetzen  kann.  Von  der  spräche  des  eigentlichen  Stückes 
erhalten  wir  dabei  freilich  nur  einen  geringen  begriflP,  man  wird  aber 
wol  nicht  fehl  gehen,  wenn  man  annimt,  dass  Balacin  und  Banise 
wenigstens  die  schöne  spräche  wie  im  romane  gesprochen  haben  mögen 
und  dass  auch  Scandor,  der  hier  zum  Hanswurst  degradiert  ist,  sich 
vielfach  angelehnt  haben  mag  an  seine  reden  in  dem  Ziglerschen  werk; 
wie  er  sich  schon  darin  manche  scherzrede  erlauben  darf,  ohne  Balacin 
zu  beleidigen,  so  wird  er  auch  hier  seine  possen  so  ungeniert  wie  mög- 
lich getrieben  haben.  Der  titel  lautet:  „Einer  Hochlöblichen  |  In  Ost 
Regierung  |  und  HofF-Cammer  |  Wird  |  Zur  Allerunterthänigsten  Pflicht 


ZIGLERS   A8IAT1SCH1B  BANISE  207 

und  Schuld  Bezeigung  |  eine  Sehens-würdige  und  vortrefliche  Haupt- 
Action  I  Betitult:  |  Die  Siegende  |  Unschuld  |  In  der  Persohn  der 
Asiatischen  |  Banise  |  von  Johann  Heinrich  Bmnius,  Churfürstlich-  | 
Pfältzischen  Hof-Commoedianten-Principalen  |  Mit  bey  sich  habender 
Hoch- Ten tscher  Corapagnie  |  TJnterthänigste-Gehorsambst  oflFerirt  und 
dedicirt  |  Grätz,  gedruckt  bez  den  Widmannstätterischen  Erben.  1722." 
Auf  diese  „vortreffliche  Haubt-Action  folget  ein  Ballett  und  Extra- 
Lustige  Nach-Comödie.'' 

Ein  vergleich  mit  dem  roman  ergibt  nun  folgendes:  Als  devise, 
gewissennassen  als  richtschnur  auch  für  die  hörer,  wonach  sie  ihre 
erwartungen  zu  bestimmen  haben,  stehen  am  anfange  der  orakelspruch 
und  der  träum  Balacins,  die  in  nuce  die  ganze  folgende  handlung  ent- 
halten. Dann  folgen  seine  ersten  heldentaten  in  Pegu,  durch  die  er 
aller  äugen  auf  sich  lenkt.  Der  zweite  akt  bringt  die  belohnung  dafür, 
die  Verlobung  mit  Banise,  aber  auch  das  herannahen  der  Verwicklung 
in  Chaumigrems  sieg  über  Martaban.  Der  dritte  führt  diese  selbst  her- 
bei in  dem  Untergang  des  kaisertums  von  Pegu  und  in  der  gnaden- 
frist,  welche  Chaumigrem  der  wider  seinen  willen  geretteten,  ihn  sodann 
aber  zur  heftigsten  liebe  entflanmienden  Banise  stelt.  Die  grosse  der 
gefiJir  wird  auch  dadurch  bewiesen,  dass  beide  liebende,  Balacin  in 
der  8.,  Banise  in  der  11.  scene  Selbstmordversuche  machen.  Der  vierte 
steigert  die  Verwicklung  durch  den  unglücklichen  fluchtversuch  beider, 
Chaumigrems  bestimt  ausgesprochene  absieht,  die  prinzessin  hinrichten 
zu  lassen,  wenn  sie  ihn  nicht  erhöre,  und  ihre  Überlieferung  in  die 
band  des  Rolim.  Der  fünfte  akt  begint  mit  des  lezteren  ermordung 
durch  Banise,  führt  die  Spannung  in  der  tempelscene  zur  höchsten 
böhe,  indem  der  als  Bolim  verkleidete  Balacin  Banise  töten  soll,  und 
enthält  in  der  lezten  scene  die  schnelle  peripetie  in  Chaumigrems  tod 
durch  Balacins  band  und  in  dem  „hellen  freudengeschrei,  welches  den 
Heldenmüthigen  Printzen  Balacin  mit  seiner  unvergleichlichen  Banise 
vor  wahre  Beherrscher  deß  Kayserthums  Pegu  erkläret,  wobey  die  Liebe 
diese  zwey  gequälte  Hertzen  mit  Ehelicher  liebe  zu  deß  gantzen  ßei- 
cbes  Vergnügung  entzückt  verknüpfet."  Balacins  rivalität  mit  dem 
prinzen  Zorang  (im  roman  Zarang)  wird  mit  als  Spannung  erwecken- 
des momeut  benuzt,  sie  wird  in  der  5.  scene  des  ersten  aktes  begrün- 
det, führt  zu  des  lezteren  vergeblicher  Werbung  in  der  8.  imd  zu  des- 
sen duell  mit  Balacin  in  der  5.  scene  des  zweiten  aktes.  Sie  erfahrt 
aber,  wenigstens  in  dem  vorliegenden  scenenentwurf ,  keinen  versöhnen- 
den abschluss  durch  die  endliche  Verbindung  Zorangs  mit  der  prinzessin 
Savadi  (so  hier  statt  Savaady).    Vielmehr  sind  diese  zwei  leztgenanten 


208  MÜLLER -FIUUENSTEIN 

personen   zwar  genau   so  wie  in  der  ersten  hälfte  des  romans  neben 
einander  gesielt,  der  prinz  liebt  Banise,  die  prinzessin  verzehrt  sidi  ift 
Sehnsucht  nach  ihm,  der  gegensatz  wird  aber  im  stücke  noch  verschärft, 
da  hier  der  prinz  Zorang  durch  Balacin  in  einem  duell  regelrecht  über- 
wunden wird   (2.  akt   5.  und  6.  scene),   während   das    im  roman  nur* 
einem  von  ihm  geschickten  stelvertreter  passiert,   und  dann  doch  wol, 
wie  in  der  5.  scene  angedeutet,  zu  Chaumigrem  übergeht,  ohne  wider* 
erwähnt  zu  werden.     Von  der  gemeinsamen   belagerung  Pegus  durclm 
Balacin  und  den  prinzen  Zorang,  von  dessen  täuschung  durch  die  ihn. 
liebende  prinzessin  und  schliesslicher  Versöhnung  und  Vermahlung  mit 
ihr  ist  keine  rede.     So  wie   hier   beider  nebenfiguren  Schicksal  nicht 
zu  einem  wenn  auch  nur   notdürftig  motivierten  abschlusse  komt,  so 
wenig  ist  der  prinzessin  von  Savjiady  Verhältnis  zu  Balacin  zu  verste- 
hen.    Von  ihrer  durch  den  kaiser  von  Pegu  zu  allererst  proklamierten. 
Verlobung  ist  keine  andeutung  gegeben,  doch  besizt  Balacin  ein  bildnis 
von  ihr  wie  im  roman  und  gerät  deshalb  mit  dem  verschmäheten  lieb- 
haber  derselben,  Banisens  bruder  Ximin,  in  einen  Zweikampf,  den  die 
prinzessin  von  Savaady  wie  bei  Zigler  durch  ihr  dazwischentreten  uad 
die  wegnähme  des  „Contrefait"  endigt  (I,  7).    Später  wird  sie  nur  nocli 
einmal  erwähnt,  da  Banise  ihr  in  der  3.  scene  des  4.  aktes  „ihre  sorg'e 
wegen  der  treue  ilires  prinzen"  entdeckt. 

Die  Verwirrung  also,  welche  der  licbesgott  durch  die  ungleiöli 
verteilten  neigungen  im  roman  anrichtet  und  die  mich  an  Shakespeares 
sommernachtstraum  erinnert^,  scheint,  wenigstens  nach  der  erhaltenen 
inhaltsangabe  des  dramas,  in  diesem  nicht  so  gut  benuzt;  zwei  per- 
sonen fallen  sozusagen  ohne  rettung  ins  wasser. 

Dagegen  kann  ich  nicht  finden,  dass,  wie  Schlossar  sagt,  Tale- 
mens  Stellung  zu  Balacin  im  drama  „weniger  ausgeführt  sei."  Es  sind 
vielmehr  alle  hauptmomente  ganz  deutlich  benuzt:  Talemon  will  von 
dem  Hanswurst  (=Scandor)  Balacins  herkunft  erfahren,  erhält  auskunA 
von  lezterem  selbst  uud  schwört  ihm  daim  ewige  treue  (I,  6).  Er 
ladet  ilm  dann  zur  kaiserlichen  tafel  und  nimt  an  dieser  wol  selbst 
auch  teil  (II,  3  —  5).  Er  wird  von  Chaumigrem  gefangen  genommen 
(III,  1),  verrät  diesem  „etliche  schätze"  (wie  im  roman),  wird  dadurch 
frei,  kann  aber  Balacin  über  Banisens  Schicksal  nicht  beruhigen  (Ifli 
5.  G),  gerade  so  wie  bei  Zigler.  Dann  hält  er  den  prinzen  vom  Selbst- 
mord zurück  (III,  8)  und  ebenso  die  inzwischen  in  sein  gewahrsai*^ 
gebrachte  Banise  (III,  11).     Hier  ist  in  ganz  geschickter  weise  Tale- 

1)  Bobertag  vergleicht  sie  mit  der  liebes  Verwirrung  in  „Diana*'  von  HarsdörflF^^* 


2I0LKBS  ASIATISCHE  BAllISE  20d 

* 

tkions  söhn  Ponnedro  durch  den  vater  ersezt,  und  dieser  wächst  dadurch 
liur  an  bedeutung.     So  ist  es  auch  im  vierten  akte,  wo  Talemon  (nicht 
3?onnedro)  Banisens  briefe  dem  auch  im  drama  offenbar  in  Talemons 
sK^hiosse  sich  versteckt  aufhaltenden  Balacin  überbringt,  lezteren  ermu- 
tigt, indem  er  die  werte  des  Orakelspruches  als  zumeist  in  erfüllung 
gegangen  erklärt,   Banisen  den  fluchtplan  mitteilt  und  Balacin  die  zu- 
fiRammenkunft  vor  der  flucht  ermöglicht     Wenn  er  dann  in  der  7.  scene 
oiischeint,  „begierig,  ob  der  anschlag  gelungen'',  von  dem  erwachenden 
CAaumigrem  erfährt,   dass  Banise  ihn  überlistet  hat,   und  nun  bemerkt 
,   „ertheilet  Befehl,  selbe  geschwinde  zur  Straffe  aufzusuchen",  so  ist 
einmal  bei   der  grammatikalischen  Unsicherheit  des  scenenentwurfs 
ttooh  nicht  ausgemacht,  ob  wirklich  Talemon,  nicht  Chaumigrem  damit 
aT^rrteint  ist,   jedenfals   aber   darf  kein   böswilliger  und   verräterischer 
*i:isc?hlag  Talemons   darin   gesehen   werden.     Das   beweisen    die   gleich 
folgenden  ersten  scenen  des  fünften  aktes,   wo  Talemon  an  des  ermor- 
^^t:^n  Rolim  stelle  gesezt  wird  (offenbar  nur,  um  nicht  noch  eine  neue 
^öl^enfigur  einführen  zu  müssen)  und  mit  Abaxar  den  ganzen  rettungs- 
PWxi  entwirft.    Talemon   beredet  Chaumigrem  dem  „verstelten "  Balacin 
^^i  der  Opferung  Banisens  die  würde  des  Rolim  zu  übertragen,   er  ist 
^Iso  auch  im  drama  durchaus  der  hebel  in  der  peripetie. 

Mein  eindruck  ist  also:  Talemon  spielt  auf  der  bühne  eine  noch 
^>^88ere  figur  als  im  roman,  seine  schwäche  gegen  frau  und  tochter  fält 
^eg,  da  diese  selbst  nicht  benuzt  werden  und  er  wird  auch  durch  die 
Verschmelzung  mit  seinem  söhne  Ponnedro  bedeutender;  alle  handlun- 
gen  nicht  nur,  die  im  romane  ihm  beigelegt  werden,  sondern  noch 
einige  dazu  werden  im  drama  auf  sein  konto  geschrieben.  Eher  könte 
Abaxar  etwas  zurückgesezt  werden.  Fallen  doch  seine  ganze  liebes- 
geschichte,  seine  taten  in  Odia  und  seine  eigenschaft  als  verkleideter 
prinz  w^!  Er  ist  und  bleibt  nur  der  lebensretter  Banisens,  wird  von 
Gtiaamigrem  deshalb  vorgefordert,  spielt  aber  mit  Talemon  bei  der 
opferscene  wider  neben  Balacin  die  entscheidende  rolle.  Scandor  ist 
weit  in  den  hintergrund  gerückt,  was  die  hauptfäden  der  Verwickelung 
betrift;  gewonnen  hat  nicht  seine  Stellung  als  treuer,  aufopferungs- 
fShiger  vasall,  sondern  nur  seine  Wirkung  auf  die  lachmuskeln  der 
hörer.  Er  heisst  „Hannß -Wurst '^  oder  Hans  Wurst,  ist  Balacins  die- 
ner  und  narr  und  greift  in  den  gang  der  handlung  eigentlich  nur  ein, 
indem  er  Balacins  sieg  über  den  prinzen  Zorang  meldet  (11,  6),  seinem 
herm  die  zwei  briefe  überbringt,  in  welchen  der  tod  von  dessen  vater 
und  die  wähl  zum  herscher  in  Aracan  gemeldet  wird  (IT,  2),  Banise 
auf  ihrer  unglücklichen  flucht,   die  er  geraten,  begleitet  und  mit  ihr 

ZEIT8CHBIFT  F.   DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.  XXU.  14 


2 1 0  MtiLLKR  -  PRA  ÜKN8TKIN 

gefangen  genommen  wird  (IV,  9.  10)  und  endlich,   als  oflBzior  verklt 
det,  den  lezten  briet"  trägt,  welcher  den  rettungsplan  mitteilt     Das  i^ast 
doch  recht  wenig,  wenn  wir  daneben  halten,  was  der  Ziglerschc  Scä 
dor  leistet;   die  mitgeteilten  handlungen  stimmen  aber  bisher  mit  di 
roman    überein.     Sonst  parodiert   er   die   grossen   ereignisse,   die  8i<Lrli 
abspielen,    ahmt   wie   ein   elown   speciell   seines   herm   heldentaten      ix 
komischer  weise  nach  und  bekämpft  mit  seinen  riarrenspossen  die  em&'fce 
Stimmung,   welche  die  Zuschauer  beschleichen  könt«.     Er  erzählt  z.      "b. 
mn  anfange  des  Stückes  nach  seinem  herrn  auch  seinen  träum,   „i 
vi(Tet  sich"  bei  dem  kämpf  der  zweiten  scene  auf  einen  bäum,   vn 
rend  So^ndor  im  roman  an  dieser  stelle  seinen  herrn  aus  dem  gedrän/^ie 
herausliaut,  imd  hat  in  der  vierten  „seine  Lustbarkeit"  mit  dem  tot^n 
löwen  (im  roman  panther),   vor  dem  Banise  durch  Balacin  geretfc^et 
worden   ist.     Im  ei*sten  auftritt   des  zweiten  aufzuges  ist  offenbar  djBa& 
von  uns  oben  besprochene  gespräch  über  die  liebe  benuzt,  da  es  heis&tt: 
„Balacin  und  Hannß-Wurst  haben  eine  curieuse  Unterredung  über  dj»^ 
Liebe,  worüber  beyde  entschlaffen",  im  dritten  akt  eilt  er  seinen  herr"^ 
zu  retton,    nachdem  TalcMUim   das  eben  schon  getan,   und  in  der  allc«^* 
lezten   scene   maciit    sein    ,,arthiger   Hochzeit -Wunsch    der   Action  ei-^'' 
lustiges  Ende." 

Von  kleineren  wirksamen  oder  doch  auffallenden  zügen  des  romans^ 
die  im  dnima  Verwendung  linden,  ist  zuerst  zu  er^vähnen,  dass  Bani-' 
sens  vater  Ximindo  vor  seiner  strangulierung  sich  plötzlich  zum  chri- 
stentume  beki'ut  Sodann  wiixl  auch  der  rührende  umstand  verwendet, 
dass  Iknise  den  gefesselten  vater  mit  einem  trunk  wasser  zu  labea 
komt  Eine  spannende  scene  muss  wol  ferner  die  6.  des  vierten  aktes 
gewesen  sein,  avo  Banise  ,, unter  schmeichelnden  Liebkosungen  dem 
verliebton  Tyi-anneu  den  vergift'ten  Schlaf- Trunck  überreichet  und  nach 
dem  er  entsohlatteu,  ihre  Kleyder  mit  den  seinigen  wechselt^  und  in 
ähnlicher  weise  die  1.  dt»s  fünften  aktes,  „wo  der  in  die  Banise  ent- 
bnuHite  Rolim  bey  selber  mit  Gewalt  die  Kühhmg  seiner  Flanunen 
suchet,  die  er  aber  von  der  höchst- beleydigten  Printzessin  mit  einem 
tödlichen  Stii*h  erhaltet"  Vor  allem  aber  natürlich  die  lezte  scene, 
wo  „die  Si'hlaclitung  der  Banise"  volzogen  werden  soll  und  diese  „mit 
erbiinnliclien  Worten  der  Welt  Athen  sjiget",  und  wo  Chaumigrem 
st»lbst  band  an  sie  legen  will,  von  Bidacin  jt»dooh  „mit  einem  Strick 
erwürget"  winl. 

Hiis  dramatunrische  geschick  des  bearbeiters  können  wir  ausser 
in  diesen  zügon  am  meisten  erkennen  in  den  w^lassungen  und  sce- 
uisi'iien  Veränderungen.     Das  stück  führt,   wenn  wir  nach  dem  inhalt 


RE  211 

auf    (ieu  ort  der  handlungen  schliessen  wollen,   uach  art  der  engliscUeu 

Stacke  nach  einamier  au  eine  ganze  anzahl  vei-schiodeuer  örtlichkeiten; 

ea    ist  weit  entfernt  von  einer  einbeit  des  orts,  ebenso  wie  der  zeit 

Dagegen  ist  die  einheit  der  Handlung,  wie  schon  die  orakel-  und  trauni- 

scene  des  ajif&nges  beweist ,  im  ganzen  wirklich  mit  geschick  bewahrt 

Wir  stehen   zuerst  vor   dem   tenipel    bei   Pandior  an  der  grenze 

von  Äva  und  Pegu,    werden  in   der  2.  scene  in  einen  wald  bei  Pegu 

TBTsezt,    die   3.  —  5.   sind   zu  denken    in   einem    garten    des   hofes,   die 

6.-8.  können  wol  auch  darin  gespielt  werden.     Der  zweite  akt  begint 

vielleicht  an  derselben  ürtliuhkeit,   wo  der  schluss  des  vorhergehenden 

w  Bich  gieng,  die  4.  —  8.  scene  ist  jedoch  in  die  kaiserlichen  gemacher 

TeriegL    Im  dritten,  vierten  und  fünften  akte  sind  jedesmal  wenigstens 

verschiedene  scJiauplätze  anzunehmen.     Die  zeit  der  Handlung  ist 

lermindestens  nach  vielen  monaten  zu  berechnen.     Ist  doch  von  einer 

^lichte    kaum    eine   rede,    sondern   das  stück   begint  einige  zeit, 

die  beiden   Hauptpersonen  sich   das  erste  mal  gesehen  haben,   und 

'Srfolgt  durchaus  gemessen  seinen  gang,   indem  diese  sicJi  kennen  und 

lernen,  verlobt,  dann  getrent  und  endlich  nach  langer  not  wider 

ymiat  werden.     Ein  dunkler  punkt  in  betreff  der  haupthandlung  bleibt 

t  b.,  wo  Balucin  bei  Chaumigrenis  sieg  über  Pegu  steckt;    kein  wort 

.in  der  scenen Übersicht  gibt  dafür  eine  erkiärung,    doch   bot  der  roman 

'Üch  dafür  fingerzeige  genug.     Völlig  unbenuzt   sind   die  verhält- 

des  hofes  von  Äva,    Higvanama  und  NHerandi  von  Odia,   ebenso 

Balacins  kriegerische  Heldentaten.     Die  einzige  scHlachtscene  über- 

ipt,  welche  das  stück  bieten  konte,  ist  am  beginn  des  dritten  aktes, 

Chaumigrem    die   Pegiianer    überwindet;    die   3.    des   fünften   aktes 

ilt  wenigstens  deutlich   in  dem   lager  Balacins   vor  Pegu,   hat  aber 

Hanswurst  allein  als  akteur.    Den  seelischen  kämpfen  wird,  gewiss 

it  zum  nachteil  des  Stückes,  ein  weit  grösseres  feld  eingeräumt 

Der  bau  des  Stückes  ist  zweifellos  wirksam,  wenn  auch  die  expo- 
ion  ziemlich  dürftig  gewraen  sein  mag.  Der  erste  akt  gibt  das  ver- 
idnis  der  personen,  und  zwar  nicht  in  langen  monologen  oder 
P*altsam  orientierenden  gesprächen,  wozu  der  roman  recht  wol  hätte 
'■firßhren  küunen,  sondern  in  flott  sich  ablösenden  Handlungen.  FreJ- 
"oh  tonit  es  darauf  an,  wie  viel  von  den  nebenhandlungen  des  roniaos 
"'cbt  doch  noch  angedeutet  worden  ist,  ohne  dass  der  scenenontwurf 
■Urauf  rucksiebt  nimt,  der  leztere  gibt  aber  keinen  anlass  dergleichen 
'^  vermuten.  Der  zweite  akt  wirft  auf  das  junge  glück  der  liebenden 
''"0  ürsten  schatten,  lässt  aber  in  der  jedenfals  mögüchst  grausigen 
'"Steuerzahlung,  die  „mit  jedermanns  Bestürtzung  burichtet,  wie  Chau- 

14* 


212  MÜLLSR-FRAÜENSTKIN 

migrems  Tyranney  den  Königlichen  Stamm  von  Martabana  außgerottet^, 
die  grosse  der  gefahr  schon  ahnen.  Die  ersten  zwei  akte,  wir  können 
auch  sagen,  die  exposition  ist  also  klar  und  anregend,  die  Verwicklung 
und  lösung  aber  in  noch  besserer  Steigerung,  als  sie  der  roman  durch- 
führt mit  seinen  dazwischen  geschobenen  kriegswechselfallen  und  neben* 
abenteuern.  Niemand  wird  im  drama  den  wegfall  der  liebespaare 
Higvanama-Nherandi  und  Fylane-Abaxar,  auch  Lorangy-Scandor  be- 
dauern, niemand  die  schlachten  von  Prom,  Odia,  am  passe  Abdiara  und 
schliesslich  von  Pegu,  die  prunkscenen  und  Schaustellungen  der  si^ges- 
einzüge,  der  prinzlichen  und  königlichen  beerdigungen,  der  bestattnng 
des  alten  und  der  wähl  des  neuen  Bolim  vermissen.  Zu  deigleichen 
fehlten  wohl  auch  die  scenischen  mittel.  Die  einzigen  mit  grösserem 
pomp  ausgeschmückten  und  an  spektakel  reicheren  auftritte  in  dem 
stücke  können  ausser  den  siegen  Balacins  über  die  meuchelmörder  und 
den  löwen  in  der  2.  und  4.  scene  des  ersten  aktes  nur  sein  im  zweiten 
akte  die  königliche  tafel  (4.  scene),  im  dritten  Chaumigrems  sieg  nnd 
des  kaisers  Xemindo  hinrichtung  (1.  und  10.  scene)  und  im  fünften 
natürlich  die  krönung  des  gebäudes,  die  grosse  schlussscene.  Auf  der 
bühne  selbst  sterben  ausser  jenen  meuchlern  und  dem  löwen  nur 
Xemindo,  der  Rolim  und  Chaumigrem,  ein  zwei-  und  ein  „säbel- 
kämpf"  (I,  7  und  11,  5)  und  zwei  Selbstmordversuche  kommen  sonst 
noch  vor;  das  ist  in  anbetracht  der  Verhältnisse,  im  vergleich  mit  den 
dramen  der  schlesischen  schule,  so  schlimm  es  schon  aussehen  mag, 
für  eine  hauptaktion  doch  nicht  zu  arg.  Man  vergleiche  nur  die 
zahl  der  nervenerschüttemden  auftritte  im  romane  damit  und  berüA- 
sichtige  den  umstand,  dass  schon  der  albekante  name  Chaumigren^ 
den  Zuschauer  auf  gi-ässliche  scenen,  grausamkeit  und  mord  vorberdtwi 
muste. 

Weniger  berauschende  kunstmittel,  die  dem  durch  Lohenstein  und 
genossen  verwöhnten  freieren  publikum  der  zeit  kaum  so  sehr  impo-' 
niert  haben  werden,  möchten  etwa  sein:  der  träum  Balacins  in  der  1--» 
der  der  Banise  in  der  3.  scene  (sie  träumt  „ihres  vaters  ungltick")  uni 
die  zweimalige  Verkleidung  Balacins,  einmal  beim  Stelldichein  vor  der 
flucht  als  portugiesischer  kaufmann  (IV,  5)  und  dann  als  Rolim  (V,  4)- 
Auch  fehlt  es  nicht  an  zarteren  partien,  so  wenn  der  prinz  Zonsg 
„bey  Banise  um  Liebe  anhält",  Balacin  und  Hanswurst  sich  einen  gan- 
zen auftritt  über  die  liebe  unterhalten,  Banise  dem  schlafenden  Balicii^ 
das  bild  seiner  Schwester  von  der  brüst  nimt,  ebendieselbe  von  ihre^ 
Verlobung  mit  Balacin  „verblümbter  Weise  verständiget,  und  artig"» 
doch  (!)  vergnügt"  mit  ihm  verbunden  wird,  oder  wenn  sie  sich  w^ge** 


ZIGLEBS   ASUTISCHB  BANISE  213 

der    treue  des  beiden  bei  der  prinzessin  von  Savaady  rats  erholt  und 
encllich  zu  ihrem  „höchsten  Vergnügen"  von  ihm  besucht  wird. 

Ich  meine,  die  sonst  in  der  litteratur  völlig  unbekante  figur  des 

Verfassers   dieser  hauptaktion,   vielleicht  J.  H.  Brunius   selbst,   spielt 

gar     keine  so  ungünstige   rolle   imd   die   hochdeutsche   hofschauspieler- 

gesolschaft  wird  mit  dem  stücke  in  Graz  im  jähre  1722  volle  häuser 

erzielt  haben.     Der  schluss  aber,   der  nun  wol  auch  zu  ziehen  erlaubt 

ist,     kann  nicht  anders  lauten,  als  dass  die  „Asiatische  Banise"  durch 

diese  dramatische  bearbeitung  indirekt   in   unserer  Wertschätzung  nur 

gehoben  wird.     Mit  ausnähme   einiger   streiche   des   Hanswurstes  und 

der   Verschmelzung  Ponnedros  und  seines  vaters  in  eine  pereon  hat  der 

draxnatiker  nichts  zu  verändern  oder  hinzuzufügen  gebraucht 

Und  so  nehme  ich  abschied  von  dem  beliebtesten  romane  jener 
zeit,  mit  dem  wünsche,  dass  Ziglers  hofnung  sich  auch  an  diesem  ihm 
gewidmeten  aufeatze  erfüllen  möge,  dass  sich  nämlich  „honette  gemüter 
finden  werden,  die  dieses  mein  wohlmeynendes  unter&ngen  mehr  loben 
als  schelten,  und  aus  dem  willen  erkennen  werden:  was  ich  mir 
wünschte,  in  der  That  würcklich  zu  leisten.'^ 

HANNOVER.  G.  MÜLLER- FRAUENSTEIN. 


GUDBRAXBUR  VIÖFÜSSON. 


Am  31.  Januar  L  j.  starb  in  Oxford  nach  langem  krankenlager  dr.  Gud- 
bran^^fYfgf^ggOQ^  einer  der  tätigsten  arbeiter  auf  dem  gebiete  der  altnordischen 
pbilologie.  Als  der  älteste  seiner  deutschen  freunde  wage  ich  es,  in  dieser  Zeitschrift 
^^^  einen  nachruf  zu  widmen,  da  ein  wissenschaftlich  berufenerer,  Theodor  Möbius, 
*ei<löx  durch  krankheit  verhindert  ist  dieses  seineraeits  zu  tun. 

Oudbrandur  war  am  13.  märz  1827  geboren;  es  ist  demnach  ein  irtum,  wenn 

^^     «nglischefi  biographisches  Wörterbuch   (Men  of  the  time;  1887)   das  jähr  1830, 

^^  wenn  ein  dänisches  blatt  umgekehrt  das  jähr  1821  als  sein  geburtsjahr  angibt 

'^^    sein  gebortsort  wird  von  glaubhafter  seito  her  der  Hof  Frakkanes  auf  der  Sku^s- 

r^^tid  genant;   eine  zeit  lang  wohnte  sein  vater   aber  auch  im  Galtardale  auf  der 

.^^^trönd,  dann  imFagridale  und  anderwärts  in  der  landschaftSaurbaBr,  und  gerade 

^^^"Xom  ist  die  angäbe  des  geburtsortes  nicht  völlig  sicher,  wenn  auch  feststeht,  dass 

^^^elbe  der  Dalas^la  in  Westisland  angehörte.    Das  geschlecht  Gudbrands  war  ein 

^^^^  angesehenes.    Er  stamte   im   geraden  mannsstamme  von  Porkell  Hallgrimsson 

,      >    dnem  bnider  des  priesters  Porläkr,   des  vaters  des  vielgefeierten  bischofs  Gud- 

^5^^!)idar  von  Hölar  (tl627)  und  führte  andererseits  auch  durch  seine  ururgrossmutter 

^^Iga  sdnen  stambaum  auf  denselben  bischof  zurück,   indem  deren  vater,   Magnus 

4^m88on,   des  bischofs  urenkel  war.     Ich  erwähne  dieses  umstandes  teils  darum, 

^11  durch  B.  Gudbrand  Porl4ksson   der   name   in   das   geschlecht   gekommen  war, 

^%lchai  der  verstorbene  nach  dem  bruder  seines  gross  vaters,  dem  apotheker  Gud- 


214  MAVBER 

brandur  Vigfüsson  zu  Nes  Im  R«>ykjavik  (f  1822)  trag,  toils  aber,  und  hauptsäcl^^. 
lieh,  woil  der  verstorbene  nach  isländischem  brauche  auf  seine  abstammung  grosse i 
wert  legte.  Auch  auf  seine  abkunft  aus  dem  Wostlande  tat  sich  dieser  viel  zu  gut:^ 
und  fülirt*?  mit  Vorliebe  den  alten  spnich  an,  nach  welchem  die  Nordländer  edellei^^ 
(hofmenn),  die  Ostländer  bauoru  (bumonu),  die  Südländer  krämer  (mangarar),  <^i 
AVestländer  gelehrte  (visindamenn)  sein  sollen. 

Nicht  iK'i  seinem  vater,  Vigfüs  Gislason,  welcher  neben  seiner  landwirtscb  ^^1 
auch  noch  die  kunst  eines  silherschmiedes  ausübte,  in  welcher  sich  später  ein 
rer  söhn  doüisolbou,  der  archaeologe  iSigurdur  in  Beykjavik,  auszeichnete,  sondern 
einer  Schwester   seines   grossvaters,    Katrin   Vi^füssdottir,   genoss  Gudbrandur  sei 
erste  erziohung.     Zu  Kleifar    im   Gilsfjördur   aufgewachsen,   erhielt    derselbe  seizie?] 
ersten  Unterricht  durch  sera  Halldorr  Jönsson,   den  späteren  pfarrer  in  Tröllatun^ 
(+  1888),   und  später  durch  sera  l^orkell  Eyjolfsson,    den  jetzigen  pfarrer  zu  Stada 
stadur,   dessen  vater  ein  bruder  der  mutter  Gudbrands,    Halldora  Gisladottir,   ^-ar 
Damals  war  sora  Verkeil  hauslehrer  bei   dem   landesphysikus  Jon  Thorsteinsson     ii 
Koykjavik,    und  zwei  jähre  lang  unterrichtete  er  Gudbrand,    der  ihm  sowol  als  söra 
Halldorr  zoitlebtnis  dankbar  und  anhänglich  blieb;    dem   sehne  des  ersteren,    dr.   Jon 
T*orkelsson  in  Ko|>enhagi^n,    dem  Verfasser  der  tn*tlichen  schrift   ^Om  digtningen    j>5 
Island  i  det  IT»,  og  16.  ärhundrede"  (1888),    verdanke  ich  einen  guten  teil  der  fCir 
diesen  nachruf  beuüzten  angaben.  —     Am  15.  juli   1844  wurde  Gudbrandur  in   di« 
gelehrte  schule  zu  Bessastadir  aufgenommen,    mit  welcher  er  im  jähre   1846  na«.*^* 
Reykjavik  umzog,  und  wokhe  er  im  juli  1849  mit  der  erst»»n  note  al>solvierte.   Beo- 
tor  Sveinbjfiru  Egilsson  und  dr.  Ilallgriinur  Schoving  wareu  hier  seine  lehrer  gewesen, 
und  aui'h  ihnen  bewahrte  er  stets  ein  dankbares  andenken.     N«)ch  in  demselben  jah  rc 
K^zog  er  die  Universität  in  KojHMihagen,    wo  er  sith,    nachdem  er  die  gewöhulicheo 
Prüfungen    (das  examen  aitium,    phili>lngicum  et  philosophicum)    mit  bestem  erfolg«' 
bestanden  hatte ,  sofort  ausschliesslich  auf  das  Studium  der  altnordischen  spräche  und 
litteratur  verlegte,    und  wo  er  im  august  des  jahres  1856  zum  zweiten  sti[)endiate0 
der   amam,'\gn:vischen    Stiftung    eniant    wurde,    von    welcher    funktion    er    erst  am 
1.  Januar  IStV  enthoben  wunie.    nachdem  er  K^reits  seit  dem  december  1864  nach 
England   gegangi^n   war,    während  den  sti|>endiaten  stiftungsmässig  die  Verpflichtung 
zum  ständigen  aufeuthalt  in  Ko|)onhagen  obliegt. 

In  die  erste  zeit  seines  sti)Hmdiatentums  Hut  der  Wginn  meiner  bekantschift 
mit  Gudbrand.  Mit  Studien  ülvr  isländische  rechtsgesi'hichte  beschäftigt,  hatte  ich 
mich  eiitst  blossen  die  insel  selbst  zu  lH?suchen,  um  mich  mit  deren  toi>ographic  und 
wirtsehafllichen  zuständen  näher  lH>kant  zu  machen;  ein  längerer  besuch  in  Kopen- 
hagen solte  mir  abtT  ,nls  vorlvreitung  für  die  reise  dienen,  und  mir  zumal  eine  vor- 
läuligi^  Orientierung  üN?r  die  Verhältnisse  Islands  und  die  nötige  fertigkeit  in  der  islin- 
disohen  spräche  verschaffen.  So  kam  ich  im  herbste  des  jahres  1857  nmeh  Kopenhagen. 
Durch  Jon  Sigunlsson,  mit  welchem  ich  schon  früher  in  brieflichem  verkehre 
gestanden  hatte,  wurde  mir  Gudbrandur  als  lehrer  empfohlen,  tmd  teils  in  folge  die- 
s«^  umstaiidos.  teils  aber  auch  dadurvh,  da.ss  ich  vermöce  meiner  wissenschaftlichen 
zwecke  mich  überhaupt  vorwiegend  auf  den  verkehr  mit  Isländern  angewiesen  sah, 
tra^'n  wir  uns  bald  näher.  Als  ich  sodann  im  frültjahre  1858  über  Kopenhagen  nach 
Island  i^'iste,  traf  i<.'h  nicht  nur  dort  vor  meiner  einschiffong  wider  mit  ihm  zosaffi' 
men,  sondern  wir  konten  auch,  da  er  gleichfals  seine  heimat  zu  besuchen  gedachte, 
ein  steldichein  in  dieser  verabreden.  Wirklich  trafen  wir  uns  am  14.  aognst  in  Holt 
in  der  landsohaft  SaurKer.  und  durchstreiften  nun  14  tage  lang  teils  zu  pferd.  teils 


215 

boleu  die  ösUicJien  guslado  und  ioseln  deB  wnnderschÖQOQ  üiviili^britiir.  Am 
sugast  treoten  wir  uns  in  Ujiirilarholt  im  Laxärdalo;  aber  schon  am  1.  Oktober 
traJea  wir  uns  uidor  ia  Bey^avik,  von  wo  aus  wir  reiohlich.  zwei  wocbcn  spater 
ubt*r  BBssastadir  imd  Oardat  nach  dem  Hafnaljörfnr  ritten,  nm  von  hier  aus  am 
.  unsere  rüokreise  iilwr  die  Fteräer  uod  Stibottland  Dach  Eopcnhagea  luizu- 
Ucten,  Das  längere  enge  ;iusammeuieben  auf  der  reiso  und  der  vielfache  g;edankon- 
lostauscb,  KU  welchem  dasselbe  gelegeuhcit  bot,  befestigte  solbstverstündlich  unsttro 
bBiiehnngen  zu  einander  sehr  erheblich;  ein  reger  brieflioher  verkehr  wunle  in  den 
»aohstfolgeaden  Jahren  unter  uns  aufrecht  erhalten,  durch  gameinsame  wiasonsohaft- 
e  lestrebungon  vielfach  hefordBii;,  und  zweimal  erhielt  ich  während  dieser  zeit 
flkgon  besuche  Gudbrands  hier  in  Münolteo  (185ä  und  1803). 

Wahrend  der  leit  seines  Kopenhageuer  sufenthaltes  entfaltete  Guübrandur  eine 

LT  lebhafte  litterarische  tätigkeit     Dieselbe  beganu,  soviel  mir  hekant  ist,  mit  zwei 

1  gleichzeitig   ersohieneneo    arbeiten,    nümliuh   dem  boriohte  über  eine  reise 

■oh  Norwugen,   welche  er  im  jahiu  1854  auf  Veranlassung  profeaaor  C.  R.  Ungers 

immeu  hatte  (Sf  feiagsiit,  bd.  XV,  s.  I~S3i  1855),    und  einer  eingehenden 

Dillcing  über  die  Chronologie  der  islUiidiachen  sagenzeit  (im   zweiten  hefte    des 

Ib  til  sögu  lahuids  og  islenaltra  bokmeota,  bd.  I,  s.  185  —  502;  1855);  leKtoi'es  eine 

ibeit  von  grundlegender  bedentung,    in  welcher  deren  Verfasser  volauf  gelegenheit 

■ul,  towol  seine  volkommene  herschaft  über  die  gesamte  ifiländische  sageDlitteratur, 

■  MUh  seinen  ungowobnlichen  Scharfsinn   in  der  doutung  und  combitiierung  ihrer 

'^pben  EU  «eigen.    Bald  folgte  eine  reihe  anderer  aufsiitxo  in  den  N^  feingarit,    ^h 

*ren  mitredakteur  Ouabraudur  auch  in  den  jähren  1858— 64  wirkte;  so  eine  nbhand- 

Jaag  über  die  isländische  laut-  und  llexienslehre  i^bd.  XTU,  s.  117— 66;  18ÖT),  eine 

_  raihe  Ton  sehr  beachtenswerten  bomerkungcn  über  einzelne  IslendinKssögur  und  deren 

»usgahcn  (bd.  XVm,  s,  154-68, 1858;  XJX,  s.  128-36, 185!);  XXI,  a.  118—27 

ä— 36,  1861);  sowie  über  Ungera  ausgäbe  der  Stjöm  Cbd.XXHI.  s.  132—61, 

,  femer  eine  beschreibimg  der  ersten  reise  Gudbrands  nach  Deutschland  (hd.  XX, 

~H3,  1860),  und  ein  aufsatz  über  die  mrtst'haftliohen  zustände  Islands  in  der 

,  welcher  duruh  eine  schrift  des  norwegischen  holanikers  Schübeier  veranlasst 

>'(bd.  XXUI,  8.  109—26;  1863).    An  diese  kleberen  arbeiten  reihte  sieh  sodann 

1  anzahl  sehr  verdionstUcher   ausgaben  von   quellenwerkon  an.     Dahin 

It  der  erste  band  der  Biskupasögur  {1656 — 58),   sowie  das  erste  heft  ihi'es  zwei- 

k  bandes  (1802),    welche  Oudbroudur,   xum  teil  gomeinsam  mit  Jon  Sigurdsson, 

iongte;  die  ausgäbe  derBArdar  sagaSueefoUsass,  Viglundor  saga,  I'^rdar  saga  hredu, 

t  Dtaunuvitrauir  und  desVölsa  [rättr,  welche  die  NordiskeOldskrifter,  heft  XXVH 

.   und  die  FoTusogur,   Vntnsdicla,   Hollfredar  saga,  Flöomanna  saga,  welche 

fbrandur  mit  Th.  Möbiua  zusammen  herausgab  (>)eide  1860),  sowie  die  Eyrb^rggja 

^»  (1864);  endlich  wurde  jezt  von  ihm,  im  vereine  mit  profeasor  Unger,  die  gewal- 

^^  ausgäbe  der  Flateyjaibök  begonnen,    welche  freilich  erst  in  etwas  spütoror  zeit 

*-'*tm  abscliloss  gelangle   (1800 — 08)-     (tleichzeitig   beteiligte  sich  Gudbrandur  aber 

1  hüllrdub  an  fremden  arbeiten.    Als  es  galt,  Sveinbjöm  Egilssons  Lexicon  poe- 

1  aati<|uae  ÜDguae  septeutrionalis  herauszugeben,    besorgte   er  mit   dem   rector 

l  Kirkelaion  in  Reykjavik  die  re\-ision  des  inanusoriptes.    An  der  horausgabu  voa 

i  islenzkar  ^edsögur  og  Eeüntj-ri  I,1S<!2  —  64)  war  er  uelion  mir  beteiligt, 

1  liefalte  (ür  dieses  werk  neben  manchen  anderen  wertvolleu  beitragen  zumal  auch 

I  lehrreiche  vurrede.     Bei  der  herausgäbe  seber  uborsetstmg   der  Njäla 

Ml)  a&eate  siub  G.  W.  Dasent   seiner  Unterstützung;  mir  aber  lieferte  er  mr 


216  MAURER 

l>oarlMutun^  dos  ailikols  Gragus  in  der  Algomeinen  oncyklopaedie  der  Wissenschaften 
und  künsto  (1864)  dio  wertvolsten  mittcilungen.  Eine  Zeitlang  (1861—62)  redigierte 
er  üln^rdios  dio  Zeitschrift  Skimir,  und  korrespondierte  zugleich  für  isländische  bUt- 
tor,  zumal  dou  I^jodolfur.  Eine  wcndung  aber  ergab  sich  in  bezug  auf  seine  littera- 
risi'he  täti^keit  durch  seine  Übersiedelung  nach  England,  deren  oben  bereits  gelegent- 
lich gedacht  wunie. 

Es  war  niii  eiginitümliehcr  anlass,  welcher  Gudbrand  nach  England  führte. 
Ein  sehr  vennöglieher  junger  Engländer,  Richard  Cloasby,  welcher  geschmack  an 
philologisdien  Studien  gefunden  und  hier  in  München  unter  Andreas  SchmellerB  lei- 
tung  sich  tüchtig  in  dio  gormanischo  Sprachforschung  eingearbeitet  hatte,  war  später 
nach  Kopenhagen  gegangen  und  hatte  doit  die  ausarbeitung  eines  altnordischen  Wör- 
terbuches in  die  band  genommen.  Schon  im  wintor  1839  —  40  war  der  plan  hierzu 
entworfen  und  im  folgenden  frühling  mit  der  ausführung  begonnen  worden.  Da  für 
die  dichtei*sprache  SveinbjÖm  Egilsson  bereits  ein  Wörterbuch  nahezu  fertig  gcstelt 
hatte,  für  de.^sen  lierausgal>c  es  nur  an  mittein  zu  fehlen  schien,  beschloss  Cleasby 
hiezu  einen  Ivitrag  zu  leisten,  seint*  eigene  arbeit  dagegen  auf  die  prosasprache  zu 
beschränken.  Mehrere  junge  Isländer,  darunter  zumal  Konhid  Gislason  und  Bryn- 
jölfr  Tetursson,  wunlen  zu  dieser  lierangezogen ;  aber  am  6.  Oktober  1847  starb 
rieasby  in  KoiHMihagen.  ohne  dass  sein  Wörterbuch,  von  welchem  bereits  einige 
U^gt^n  pn>bewcise  gesezt  worden  wari»n.  vollendet  worden  wäre.  Mit  anerkennens- 
werter pietät  und  opferwiIIigkt»it  suchten  st^ne  angehörigen  das  werk  in  Kopenhagen 
nach  dem  ui'sprüuglichen  piano  vollenden  zu  lassen;  als  die  arbeit  aber  immer  nicht 
vorangi*hen  weite  und  i\{xA\  im  jähre  1SÖ4  statt  eines  fertigen  mauuscriptes  nur 
neue  gt^ldft^rilerungini  einliefen,  verloren  sie  enillich  die  geduld:  das  material  wurde 
von  ihnen,  >o  wie  es  lag,  nach  England  abi^»foniert  und  nunmehr  einem  englischen 
fach  mann,  li.  W.  Oast^ut.  zur  weiten^u  behaudluug  üln^rgebon.  In  der  meinong.  es 
mit  einem  nahezu  druckfenigen  mauuscript  zu  tun  zu  haben,  sezte  sich  dieser  bchufi» 
der  veri>lTeuTlichung  sofort  mit  den  delegierten  der  Claivndon  Press  in  Oxford  in  Ver- 
bindung. Widerum  wurde  eine  pr^^lv  gost^zt.  aber  l«ld  wurde  man  sich  über  den 
völlig  ung^^nugenden  .^^ustand  der  vorarlnMten  klar,  und  es  blieb  die  sache  ein  volles 
jahr/ehnt  liepMi.  bis  Djvk'ut  endlich  im  jaht»  1S64  neuerdings  mit  den  delegierten 
in  xinterhandlunpMi  tnu,  in  f«^lg\^  den^i  dir^»  sich  zu  einer  verwilligung  verstanden, 
um  die  hülfe  t*ines  islän.iischen  philologen  zur  fertigstellung  des  Wörterbuches  zu 
gt»winnen.  ruidbrandur  wunio  seferi  als  helfor  gewählt,  und  siedelte  noch  im  laufe 
des^elUii  jahivs  navh  England  ulvr.  Da  Pasent  durx'h  anderweitige  aufgaben  völlig 
in  auspniv^h  t:\MiemmtMi  war,  i\A  ihm  die  arlvit  s*.^  zu  sagen  allein  zu.  und  als  das 
\*erterbuch  m  vien  jahnm  l Sr»l»  — 74  er^ichien  »An  Kvlacdic-English  Diotionary,  based 
en  the  M>  iVlUvtiens  cf  tl.e  laie  Kivharvi  CI',^asby,  ezüarged  and  oompleted  by  Gud- 
bwnd  Vijifussen  M  V.^,  kente  pAscnt  ,i:n  Sv*hluÄio  ein?*s  ihm  vorgesezten  lebensabris- 
M>s  i'l»Msl>\>  nr.t  tV.j;  u!;d  tvrht  aus>pr>vhcv.:  «Tho  Pi.'tienarj-  as  it  now  Stands  is  fiu- 
iv.xMv  the  Wv^tk  v'f  V;j;!fus>on  thaii  of  OIv^Aslv."  Es  ist  d!-,*<e  arbt*it.  welche  Gud- 
b:^nds  i\,ie.\o:s  wllcuht  .-i'.v,  lvVa:.tcs:o:*.  ^.vv.ah:  hat.  Das  friher  nahezu  einzige 
hc.Usv.v.tti't.  »i.is  \.M)  KasW  *.-.'r,-iiiSj:x»j:\'K:".-  ;>*.i:;.i:>;he  wörtert^uch  Björn  Halidüresoa« 
vlSir,  WA!  d'.ir\V.  s;c  nrt  c::*c-v.  iv..tlc  ar.T  :,:.-. r: ,  *.;i:i  au.'h  über  die  ziemlich  gleich- 
st". ;i^  T-.v.*',;r's»v.r:i  \\.»i!c:lv.:'::or  v.r..i  j:V'>.v.\r.^r.  v:-  Eir.kur  Jonsson  <1^^)<  Th.  Mö- 
l'iUN  .IS*"m*»  i;'\d  }  V'.:!;r.ci  ,  ISvi'  ^7^  war  w--:  h::ji-sc..ci2£vn.  wenn  sich  auch 
i:uh?  \ c: KC!*.s',*'a  !.v*n:,  ,;.i.vi  c^iv:;  .ior.  >v*:;'.us{S  i.>  w^rk-^s  hin  einige  ermüdong  des 
\crr,-wv>x*rN  Mvh   IvnjcrllvAi   inao:*.:.    ors!   .i:e  :ni  0Tv^.'hT*i-T»c  l^^criffene  zweite  aosgabe 


OUDBRANDÜR   VIGFUSSON  217 

des  Fritaierschen  Wörterbuches  wird  der  arbeit  Gudbrands  mit  erfolg  den  rang  strei- 
tig machen  können. 

In  England  blieb  Oadbrandur  fortan  wohnhaft.  Von  London,  wo  er  anfangs 
seinen  anfenthalt  genommen  hatte,  siedelte  er  im  jähre  1866  nach  Oxford  über.  Im 
jähre  1871  emante  ihn  die  dortige  Universität  honoris  causa  zum  master  of  arts,  und 
übertrug  ihm  später  auch  eine  professur,  weiche  er  bis  an  sein  ende  bekleidete. 
Gelegentlich  des  Jubiläums  der  Universität  üpsala  wurde  er  honoris  causa  zum  doc- 
tor  der  philosophie  promoviert  (1877),  aus  welchem  anlasse  auch  in  der  festschrift 
der  Universität  eine  kurze  lebensbeschreibung  desselben  eingerückt  wurde  (XJpsala 
universitets  fyrahundraärs  Jubelfest,  s.  368 — 69;  Stockholm,  1879).  Seit  dem  jähre 
1873  gehörte  er  unserer  akademio  der  Wissenschaften  als  correspondiereudes  mitglied 
an,  und  im  jähre  1885  wurde  ihm  der  Danebrogsorden  von  der  dänischen  regierung 
verliehen.  Unermüdlich  arbeitete  er  inzwischen  in  seinem  berufe  weiter.  Noch  wäh- 
rend seiner  beschäfHgung  mit  dem  wörterbuche  entstanden  einige  kleinere  abband- 
Inngen:  „On  the  word  runhenda  or  rimhenda*^,  dann  „Some  remarks  upon  the  use 
of  the  reflexive  pronoun  in  Icelandic'^,  welche  die  Transactions  of  the  philol.  society, 
1865.  n,  8.200—207,  und  1866.  I,  8.80—123  brachten.  Nach  der  erledigupg  jener 
umfangreichen  arbeit  erschien  sodann  eine  sehr  verdienstliche  ausgäbe  der  Sturlünga 
(1878),  welcher  noch  eine  reihe  weiterer  quellenschriften ,  sowie  eine  ausführliche 
und  vielfach  belehrende  litterargoschichtliche  einleitung  beigegeben  sind.  Mit  Fr.  York 
Powell  zusammen  gab  femer  Gudbrandur  einen  „Icelandic  prose  reader*^  heraus 
(1879),  welcher  nicht  nur  wegen  der  zugäbe  einer  kurzen  grammatik  und  eines  glos- 
sars  beachtenswert  ist,  sondern  auch  darum,  weil  einzelne  der  mitgeteilten  quellen- 
stüoke  auf  grund  wertvoller  handschriften  selbstständig  bearbeitet  erscheinen.  Eben- 
fals  im  verein  mit  Fr.  York  Powell  veröffentlichte  Gudbrandur  sodann  das  Corpus 
poeticum  boreale  (1883),  welches  in  zwei  bänden  nicht  nur  die  alten  dichtungen  des 
nordens  in  text  und  Übersetzung,  dann  mit  erläuternden  bemerkungen  versehen  bringt, 
sondern  auch  in  einer  litterargeschichtlichcn  einleitung  und  einer  reihe  von  excursen 
nicht  wenige  materien  einer  selbständigen  behandlung  unterzieht.  Mit  demselben 
freunde  gab  er  auch  gelegentlich  der  centenarfeier  für  J.  Grimm  eine  festschrift  her- 
aus unter  dem  titel:  „Grimm  centenary.  Sigfred-Arminius  and  other  Papers*^  (1886). 
Als  ein  bestandteü  der  ofßciellen  samlung  der  „Renim  Britannicarum  medü  aevi 
scriptores'^  erschienen  endlich  seine  „Icelandic  sagas  and  other  historical  documents 
relating  to  the  Settlements  and  descents  of  the  Northmen  on  the  British  Isles*^  (1887), 
deren  zwei  bände  neben  einer  reihe  von  auszügeu  aus  verschiedenen  quellenschriften 
volständige  ausgaben  der  Orkneyiuga  saga  und  der  Magnüss  saga  Eyji^arls,  der  Häk- 
onar  saga  gamla  und,  soweit  sie  reicht,  der  Magnüss  saga  lagabootis,  sowie  die  bis- 
her noch  unedierte  Dunstanus  saga  bringen.  Neben  diesen  eigenen  arbeiten  forderte 
Gudbrandur  nach  wie  vor  fremde  Unternehmungen.  Dasent  z.  b.  unterstüzte  er  bei 
seiner  Übersetzung  der  Gisla  saga  Süi*ssonar  (1866),  und  Sir  Edmimd  Head  bei  seiner 
Übertragung  der  Yigaglüma  (1866);  zur  zweiten  ausgäbe  der  Analecta  Norroena  von 
Th.  Möbius  lieferte  er,  nachdem  er  schon  für  die  erste  (1859)  die  I'orsteins  saga  Sidu- 
hallssonar  und  den  Draumr  I'orsteins  Siduhallssonar,  sowie  stücke  der  Hallfredar  saga 
vandrsodaskalds  beigesteuert  hatte,  zwei  stücke  aus  der  Hauksb6k  und  ein  kleines 
stück  „um  Beda  prest*^  (1877) ;  mir  selber  endlich  teilte  er  nicht  nur  mehrfache  sehr 
erhebliche  notizen  zur  Verwertung  in  meiner  abhandlung  „Über  die  ausdrücke  alt- 
nordische, altnorwegische  und  isländische  spräche '^  mit  (1867),  sondern  ihm  ver- 
danke ioh  auch  die  abschrift  der  Skida-rima,    nach  welcher  ich  dieses  eigentümliche 


218  MAURER 

godicht  im  jähre  1869  herausgab.  Auch  au  yerschiedenon  Zeitschriften  arbeitete  6ad- 
brandur  uoch  mit,  wie  er  denn  z.  b.  noch  mehrere  jahi'e  lang  regelmässiger  cone- 
spondent  des  „I'jodolfr'^  blieb,  und  auch  gelegentlich  in  die  „ Times ^  schrieb,— 
correspondenzen ,  die  ihn  gelegentlich  in  rocht  widerwärtige  Streitigkeiten  Terwickelteo, 
wie  z.  b.  die  controverse  über  die  neue  isländische  bibelübersotzung,  dann  über  die 
hülfebedürftigkeit  Islands  während  des  notjahres  1882 — 83.  Von  wissenschaftlicher 
bedeutung  sind  zumal  seine  beitrage  für  die  „Academy'^  und  für  die  ,,£nglish  histo- 
rical  reviow" ;  in  der  erstoren  erschien  auch  die  lezte  arbeit,  welche  er,  soviel  mir 
bekant,  veröffentlichte,  nämlich  ein  nekrolog  für  Jon  Arnason.  Ein  grösseres  werk, 
an  welchem  er,  widerum  mit  Fr.  York  Powell  zusammen,  arbeitete,  und  welches 
die  älteren  isländischen  sagen  samt  der  Islendingabok ,  Landnama,  Kristni  saga,  den 
älteren  Biskupa  sögur  und  den  auf  Amerika  bezüglichen  quollen  umfassen  soll,  ist 
im  drucke  bereits  weit  vorgeschritten  und  dessen  baldige  Vollendung  gesichert 

Während  der  ersten  zeit  seines  aufenthaltos  in  England  sezte  Gudbrandur  den 
brieflichen  verkehr  mit  mir  noch  sehr  eifrig  fort,  und  zumal  gab  die  ai'beit  an  m- 
nem  wörterbuche  zu  einem  regen  godankcnaustauscho  anlass,  da  er  zumal  über 
juristische  terminologie  gorn  mit  mir  rücksprache  zu  nehmen  pflegte.  Im  Jahre  1874 
war  er  auch  noch  einmal  längere  zeit  bei  mir  zu  besuch;  almählich  aber  wurde  die 
correspondenz  eine  lässigere,  teils  wol  weil  der  gang  unserer  Studien  immer  weiter 
auseinander  führte,  und  weil  für  mich  mit  Gudbrands  entfortiung  von  Kopenhagen 
die  möglichkeit  wegflel,  seine  hülfe  bezüglich  der  dort  aufbewahrton  handschriften  in 
anspruch  zu  nehmen,  teils  aber  auch  weil  das  zunolimendo  alter  uns  beide  träger  im 
schreiben  machte.  Doch  wechselten  wir  noch  aljährlich  einige  briefe,  am  18.  Januar 
1.  j.  aber  liess  er  mii-  durch  herm  Fr.  York  Powell  mitteilen,  dass  er  schwer  krank 
liege,  und  ein  brief,  welchen  ich  daraufhin  abgehen  lioss,  gehörte  zu  dem  lezten, 
was  er  lesen  konto.  Ein  langwieriges,  aber  zum  glück  wenig  schmerzhaftes  krebs- 
leiden, welches,  vom  magen  ausgehend,  auch  die  leber  ergriff,  machte  seinem  leben 
ein  ende.  Englische  freunde,  vorab  der  trefliche  Fr.  York  Powell,  haben  ihn  treu- 
lich gepflegt  bis  an  sein  endo,  und  ihn  auch  in  würdigster  weise  zum  grabe  geleitet, 
in  welchem  er  nun  von  einem  leben  voller  mühe  und  arbeit  in  fremdem  lande  ausruht 

SoU  zum  Schlüsse  noch  etwas  über  Oudbrands  wissenschaftliche  bedeutung 
gesagt  werden,  so  hält  es  schwer,  licht  und  schatten  richtig  zu  verteilen.  Gud- 
brandur war  ein  ganz  ungewöhnlich  begabter  mann,  von  raschester  fassungsgabe  und 
unermüdlichem  fleisse.  Seine  fertigkeit  im  lesen  und  in  der  beurteilung  von  hand- 
schriften war  eine  ganz  ausserordentliche ;  die  verloschenste  schrift  vermochte  er  noch 
zu  entziffern,  und  wochenlang  konte  er  von  morgens  bis  abends  abschreiben  ohne 
dass  seine  äugen  ermüdeten.  Rasch  wusste  er  sich  auch  in  den  filiationsverhältnis- 
sen  der  handschriften  zurechtzuflnden,  und  von  hier  aus  für  seine  quellenausgaben 
stets  den  richtigen  text  zu  wählen  und  die  nötigen  Varianten  auszulesen.  Seine  aus- 
gebroitete  bekantschaft  mit  der  gesamten,  gedruckten  und  ungedruckten  litteratur 
seiner  heimat  liess  ihn  überdies  im  vereine  mit  seinem  bewunderungswürdigen  gedächt- 
nisso  stets  alle  beziehungen  gegenwärtig  haben,  die  ihm  für  die  erledigung  irgend 
einer  aufgäbe  von  nutzen  sein  konten,  imd  eine  seltene  kombinationsgabe  gestattete 
ihm  aus  dem  reichen  materiale  die  überraschendsten  Schlüsse  zu  ziehen.  Aber  aller- 
dings standen  diesen  glänzenden  eigenschaften  auch  wider  schwache  Seiten  gegenüber, 
welche  die  ungetriibte  entfaltung  jener  ersteren  mehi-fach  behinderten.  Die  flüchtige 
band,  mit  welcher  Gudbrandur  seine  handschriften  copierte,  war  manchmal  eine  i^ 
flüchtige,  sodass  nicht  immer  die  lesart  der  handschrift  in  seinen  ausgaben  ganz  vet- 


OUDBRANDUR  VIGKUSSON  219 

Ussig   widergegeben  ist.     Sein  vortrefliches   gedächtnis   verleitete  ihn   zuweilen  zu 
alzngrossem  yertratien  auf  dasselbe;   er  citicrtc  vielfach  aus  dem  köpfe,   und  konte 
dann  hin   und  wider  auch  wol   ein   ungenaues,   oder   selbst  ein   geradezu   falsches 
citat  mit  unterlaufen.    Seine  rasche  combinationsgabe  verführte  ihn  manchmal  auch 
i«rol  zu  recht  seltsamen  ergebnissen,    die   zufolge  seiner  ungewöhnlich  schneUon  art 
zu  arbeiten  keiner  hinreichend  bedächtigen  nachprüfung  unterzogen  zu  werden  pfleg- 
ten.    Ein  an  sich  sehr  anerkennenswertes  streben  nach  Originalität  liess  ihn  über- 
blies fremde  arbeiten  oft  nicht  beachten,    oder  selbst   ganz  ungerechtfertigter  weise 
misachten,  zumal  wenn  sie  irgendwie  störend  in  seine  eigenen  HebUngsansichten  ein- 
griffen.   Alle  diese  Schattenseiten  seiner  art  zu  arbeiten  machen  sich  aber  in  Gud- 
l>rands  späteren  Schriften  weit  mehr  fühlbar  als  in  seinen  früheren.    Seine  Übersie- 
delung nach  England  riss  ihn  los  von  dem  natürlichen  boden  seiner  tätigkeit.   Fortan 
fehlte  ihm  der  tagtägliche  zutritt  zu  den  handschriften  der  Arnamagnaeana  und  der 
grossen  königlichen  bibliothek,  und  damit  die  möglichkeit  der  benützung  dieser  hand- 
schriften beim  lesen  von  korrokturon,    durch  welche  alle  flüchtigkeiten  von  abschrif- 
ten  verbessert  werden   konten;   es  fehlte  ferner  der  leichte  Zugang  zu  den  roichen 
bücherschätzen,   welcher  vordem   die   richtigstellung   von   citaten  jeden   augenblick 
ermöglicht  hatte.    Nicht  minder  bedenklich  wirkte  aber  auch  die  trennung  von  einem 
kreise  gleichstrebendcr  landsleute,  imd  zumal  das  wegfallen  des  zügelnden  einfiusses 
des  treflichen  Jon  Sigurdsson,   dessen    eminente  Verständigkeit  verbunden  mit   dem 
unbegrenzten  ansehen,  dessen  er  sich  bei  allen  seinen  landsleuten  erfreute,  gar  man- 
cherlei extravaganzen  zurückzudrängen  wüste,    zu  denen  gerade  die  begabtesten  sei- 
ner jüngeren  Schutzbefohlenen  sich  hinreissen  zu  lassen  geneigt  sein  mochten.    Es 
konte  nicht  ausbleiben,   dass  Gudbrands   absprechendes   auftreten  und  die  zuweilen 
recht  wükürliche  behandluog  der  quellen  in  seinen  späteren  Schriften  manche  scharfe 
Zurückweisung  zu  erfahren  hatte,   mochte  solche  nun  in  feinerer  form  wie  von  Ed. 
Sievers  (Paul  und  Braune  X,  s.  209  u.  fg.)  und  Magnus  Stephouson   (Timarit  hins 
islenzka  bokmentafelags,  V,  s.  145 — 80),   oder  in  derberer,   wie  von  Theod.  "Wisen 
(Arkiv  f.  nord.  fil.  in,  s.  202,  anm.  2)  und  Jul.  HofFory  (Göttinger  gelehrte  anzeigen,  1888, 
8.153  u.  fg.;  jezt  auch  in  dessen  Eddastudien  I,  s.  87—142)  erfolgen;  aber  gegenüber 
solchen  auswüchsen  seiner  unendlich  originellen,  wenn  auch  alzu  wenig  methodisch 
geschulten  natur  wird  man  nie  vergossen  dürfen,  wie  unsäglich  viel  wir  dem  unermüd- 
Uchen  fleisse  und  dem  seltenen  schai'fsinn  des  manues  verdanken,   der  überdies  in 
seinem  persönlichen  auftreten  von  der  liebenswürdigsten  anspruchslosigkeit  und  einer 
nahezu  kindlichen  naivität  wai*.    Ich  persönlich  und  mancher  andere  mit  mir  werden 
nie  des  dankes  vergessen,    den  ich  ihm  für  gar  manche  wissenschaftliche  förderung 
und  für  nicht  wenige  vergnügte  stunden  des  Zusammenseins  schulde;   möchte  dieser 
rasch  hingeworfene  nachruf  ein  sprechender  ausdruck  der  Wertschätzung  sein,  welche 
ich  dem  teueren  geschiedenen  zolle! 

HÜNCHEN,   IS.   MÄRZ   1889.  K.   IfAUBER. 


MISCELLEN  UND  UTTERATUE. 

Poetik.     Von   Wilhelm   Scherer.     Berlin,   Weidmannsche   Buchhandlung.     1888. 

Xn  und  303  s.    8. 
Die   einbildungskraft    des    dichters.     Bausteine   für   eine   poetik.     Yon 

Wilhelm  Dilthey.    (PhUosophische  aufsätze,  Eduard  Zeller  zum  fünfzigjährigen 

doctor -Jubiläum  gewidmet,  Leipzig  1887,  s.  302—482.) 


220  ELLINQEB 

Handbuch  dor  pootik.  Eine  kritisch-historische  darstelluDg  der  theo- 
rio  dor  dichtkunst  von  Hermann  Baomgart.  Stattgart,  Cottasohe  bach- 
handlang.  1887.  XJI  and  734  s.  8. 
Poetik,  rhctorik  and  Stilistik.  Akademische  vorlesangen  tod  Wilhelm 
AVackernagol.  Herausgegeben  von  Ludwig  Sieber.  2.  aufl.  Halle  a.  S., 
Verlag  der  buchhandlung  nos  waisenhaases.  1888.  XU  and  597  s.  8. 
Poesie  and  prosa,  ihre  arten  and  formen,  von  J.  Methner.  Halle  a.  8., 
Verlag  der  buohhandlaog  dos  waisenhaases.  1889.    XH  and  330  s.    8. 

Man  darf  es  als  eine  angemein  orfroaliche  tatsache  betrachten,  dass  jezt  von  ^-w- 
so  verschiedenen  Seiten  vcrsache  gemacht  werden,  umfassende  lehrsysteme  der  *^^ 
poetik  aufzustoUon.  Niemand  hat  dringendere  Veranlassung,  die  förderang  dieser  -^«^ 
Studien  zu  wünschen,   als  der  litterarhistoriker.    Denn  bei  jeder  litterarhistorischen  .mim  ^^i 

arbeit,  sofern  sie  sich  nicht  auf  diejenigen  gebiete  bezog,  auf  denen  die  philologie 

den  begriff  philologie  im  engeren  sinne  des  wertes  genommen —  feste  normen  gescfaaf "^^f 

fen  hatte,  empfand  man,  wie  wenig  aus  der  bisherigen  spekulativen  ästhetik  80woLE<=>  o 
für  den  dichter  als  für  den  forscher  zu  gewinnen  ist.  Immer  mehr  und  mehr  muster^^c^ot 
sich  einem  jeden,  der  scheu  wolte,  die  Überzeugung  aufdrängen,  dass  es  verfehlt  iaigj^^dsi 
auf  metaphysü^cher  gnindlage  ein  System  dor  poetik  aufbauen  zu  wollen,  dass  eo^^^oi 
vielmehr  vorsucht  werden  muss,  ein  System  der  poetik  aufzustellen,  in  welchem  dic^M*  Jli< 
gesamte  litterarische  Produktion  untersucht  und  klassificiert  würde  und  in  welchemr^rK  'sn 
man  auf  grund  dieser  umfassenden  durch forschung  und  klassifikation  innerhalb  gewis —  s^ja 
si^r  gn'nzen  zu  l>ostimten  nennen  und  gesetzen  gelangen  könte. 

£inc  solche  aufgäbe  zu  K>sen,  war  sicher  niemand  geeigneter  als  Soherer.   Un(S^^ 
mit  tiefer  trauor  muss  es  uns  erfüllen,   dass  es  ihm  nicht  vergönt  war,   diese  auf — -' 
gäbe  volstäiidig  durchzuführen.    Si*herer  fühlte  schon  lange  das  unmittelbaie  bedüif- 
nis  na^*h  einer  vergleichenden,  empirischen  poetik,    und  nach  dem  abechlnss   seiner^ 
Utteniturgi'schichto   ting   er   an    einen  entwurf  aufzustellen,   den  er  einer  v< 
zu  gründe  legte.    W'än'  es  ilm\  möglich  gewesen,   die  Vorlesung  mehrere  male 
haiton,  si>  hätte  er  U^m  mehrmaligen  duivharbeiten  des  gleichen  Stoffes  gewiss  noch, 
oinschneidcude  Veränderungen  vorgenommen;   das  gleiche  wäre  sicher  von  der  aos- 
arU^itun};  der  für  die  ven^ffentbchung  Wstimten  form  der  fall  gewesen.    Was  uns 
jezt  vorliegt,   ist  ein  erster  entwurf   und  ist  als  solcher   zu  beurteilen.     ICt  tiefer 
Wehmut  habi^  ich  diese  blättor  duix'hgeUnik^n,   denn  bei  jeder  seile  stieg  die  herliche 
|)orsönlichkeit  des  uuvci^'sslichen,  teuren  mannes  vor  meinem  äuge  empor  und  jede 
zoile  rief  mir  aufs  neue  mit  schmerzliihor  gewalt  ins  godächtnis,   was  wir  besessen 
haK^n  und  w,^  uns  nun  unwiderbringlich  verloivn  ist.    Ich  moste  mich  erst  nach 
mehnnaligi'm  It^ion  l^^waltsam  von  diesem  iK'Rk^nlichen  eindracke,  den  das  bnch  auf 
mich  mdU'hte,  Ivfreien  und  glauU'  jezt  wol  im  stände  zu  sein,  unparteiisch  nber  die 
müngvl  mu\  vorni*;t*  des  entwurfes  nvhonsi^'haf^  ablegen  zu  können. 

AVelcho  svhwiohcleiten  sich  der  lösung  der  aufgaben,  die  hier  zu  erledigen 
sind,  euto*};>*«^toU«»n .  ergibt  sich  deich  Um  dorn  versuche  Soherer?.  den  umfang  des 
gt*bieu*s,  wol.hcs  :u  durv*hfersK*hcn  ist,  festzustellen.  S^'hervr  steh  folgende  bdden 
Sätze  auf:  l.  nicht  alle  |KVsie  ist  kunstmä^ig^'  anwendanc  der  spräche.  2.  nidit 
alle  künstln ;l^sll^'  Anwcnduu«:  der  spräche  ist  |yv:üe.  IV'm  zweiten  dieser  sitze  ist 
iweifellxvi  *uch  dann  rurustiMuwen,  wenn  n\an,  wie  Sohervr.  alle  pnwaischen  reime- 
men  dt\<  stvhiohiucn  u«,i  s^cV;chnten  Jahrhunderts  lur  poosie  n?ohnet;  denn  manche 
anw\Hiduu):\ni  der  kuustr.uvvij^ni  txhIc»  wie  i,  K  viio  pTv>Ügt,  die  rede  n.  ä.  wird  man 
gt^wiÄfi  mcht  für  d:c  iwsic  lu  ansprach  nehmen,   ob6\*hon  t*  selW?tverstiiidlich  nicht 


ÜBER   SCHRIFTEN    ZUR  DEUTSCHEN   POETIK  221 

ausgeschlossen  ist,  dass  beispielsweise  die  predigt  poetischen  Charakter  annimt,  ja  gera- 
dezu sich  der  poetischen  form  bedient,  wie  in  der  Bamberger  predigt.   Eine  andre  frage 
ist  dagegen,  ob  der  zweite  satz,  so  wie  ihn  Scherer  formuliert,  als  richtig  anzuerken- 
ist     Scherer  sucht  ihn  damit  zu  beweisen,  dass  er  das  ausdenken  eines  ballets,  also 
Ciiner  zusammenhängenden  dramatischen  handlung,  bei  welcher  nicht  gesprochen  wird, 
für  einen   akt   poetischer   eriindung  erklärt.      «^^  kunstwork   entsteht  erst,    wenn 
Bigiert  wird,  und  das  geschieht  ohne  spräche.    Wenn  vollends  einer  eine  solbsterfun- 
dene  pantomime  aufführt,   nach  seinen  eigenen  gedanken,    nach  seiner  eigenen  erfin- 
düng,  —   so  braucht  er  die  spräche  überhaupt  nicht;   und  dennoch  kann  dies  ein 
dichterisches  kunstwerk  sein.    Es  gibt  also  aktion,  tanz,  gebärdenspiel  ohne  spräche, 
wobei  gleichwol  ein  poetisches  kunstwork  entsteht. '^     Ich  glaube  nicht,    dass  diese 
folgerungen,   so  wie  sie  hier  gezogen  werden,    überall  richtig  sind.    Das  ausdenken 
eines  ballets  kann  man  doch  kaum  einen  akt  poetischer  erfindung  nennen.    Es  ist 
nur  ein  akt  kunstmässiger  erfindung,  nichts  anderes,  als  wenn  der  maier  ein  grösse- 
i-es  bild  entwirft  und  die  einzelnen  gestalten  im  geist  gruppiert    Zu  einem  poeti- 
schen kunstwerk  wird  ein  solches  ballet  erst,    wenn  das  wort  zu  hilfe  genommen 
^^ird,    um  den  einzelnen  personen  ihre  Stellungen  oder  ihre  funktionen  anzuweisen; 
so  wird  man  gei^iss  nicht  anstehen,  Heines  tanzpoem  vom  doktor  Faust  als  eine  art 
^on  poetischem  kunstwerk  anzuerkennen.     Aher   diesen  fall   schliesst  Scherer   aus- 
drücklich aus.  —    Auch  Scherers  beziehung  auf  die  oper  ist  nicht  völlig  zutreffend, 
sondern  es  wird  durch  dieselbe  weiter  nichts  bewiesen,   als  dieses,    dass  wir  es  hier 
-nicht  mit  einem  rein  poetischen,   sondern  mit  einem  gemischten,   poetisch -musika- 
lischen kunstwerk  zu  tun  haben;  und  dass  die  oper  erst  dann  vollendetes  kunstwerk 
wrird,    wenn  die  musik  zum  werte  hinzutiitt,    trägt  zum  beweise  jenes  satzes  nichts 
bei.  —  Der  satz  kann  daher,  so  wie  er  hier  formuliert  wird,  nicht  anerkant  werden 
und  nur  wenn  man  die  Verhältnisse,  die  hier  angedeutet  sind,  rein  historisch  eifasst, 
kann  man  zu  einer  hchtigeu  präcisierung  desselben   gelangen,    die  etwa  folgender- 
massen  lauten  würde:   In  den  ältesten  zeiteu  erscheint  die  poesie  niemals  allein  als 
kunstmässige  anwendung  der  spiuche,  sondern  sie  ist  immer  verbunden  mit  tanz  und 
musik,  ja  es  kann  zuweilen  vorkommen,    dass,    wie  beim  taubstummen  die  Zeichen- 
sprache die  wirkliche  spräche  ersezt,  die  pantomime  geradezu  als  mittel  des  poetisch - 
dramatischen  ausdrucks  dienen  muss,    weil  die  spräche  selbst  dazu  noch  nicht  im 
stände  ist.    Erst  almählich  lösen  sich  die  einzelnen  künste,  poesie,    musik  und  tanz 
aus  ihrer  Verbindung  los. 

Einen  ähnlichen  satz  stelt  Scheror  später  auch  auf  (s.  16),  indem  er  die  ein- 
zelnen ablösungsakte  genauer  präcisiert.  Er  führt  die  ältesten  formen  der  poesie  auf, 
wie  wir  sie  heute  noch  bei  den  naturvölkern  finden:  chorlied:  Sprichwort,  mährchen. 
Das  chorlied  erscheint  in  den  ältesten  Zeiten  und  auch  heute  noch  bei  den  naturvöl- 
kern, zum  teil  auch  noch  bei  uns,  wie  wir  es  bei  den  bauem  und  den  kindem 
beobachten  können,  mit  dem  tanz  verbunden.  Zunächst  hat  dann  die  ablösung  vom 
tanz  statgefunden;  indem  dann  das  chorlied  zum  einzeUied  wird,  erfolgt  langsam 
auch  die  ablösung  von  der  musik.  Rechnet  Scherer  nun  alle  gebundene  rede  zum 
forschungsgebiete  der  poetik,  so  erhebt  sich  die  frage,  was  von  der  ungebundenen 
rede  hinzuzurechnen  ist.  Von  den  für  die  älteste  zeit  anzunehmenden  formen  der 
poesie  erscheint  seit  sehr  früher  zeit  das  mährchen  in  ungebundener  rede,  für  die 
anderen  gattungen  aber  überwiegt  die  poetische  form,  so  dass  dieselbe  in  der  älteren 
litteratur  aller  Völker  auch  für  den  A^isseuschaftüchen  vertrag,  die  inschrift,  wol  auch 
für   die   politische  rede  verwendet  wird.     Almählich   aber  —   vortrefliche   beispiele 


222  ELLINOER 

bietet  für  diesen  Vorgang  die  deutsche  litterator  des  fünfzehnten   und   sechzehntexii 
jahrhundei*ts  —  wird  für  einzelne  gattungen  die  gebundene  rede  von  der  ungebi 
denen  abgelöst. 

Für  alle  formen  ungebundener  kunstmässiger  rede,  soweit  sie  nicht  von  voi 
herein  ihre  beziehung  auf  die  poesie  ausschliessen,   wäre  auch  die  gebundene  foi 
möglich,  z.  b.  für  roman,  novelle,  mährchen,  fabel;  ja  sie  ist  häufig  auch  dafür  y^:v. 
wendet  worden.    So  stehen  diese  formen  in  der  unmittelbarsten  verwantschaft  zu  d^^n 
formen  der  gebundenen  rede,   z.  b.  der  roman  zum  epos,  die  novelle  zur  poetisch  ^ji 
erzählung.    Demnach  kann  man  der  abgrenzung  des  gebiets  der  poetik,    wie  Schepe/ 
sie  s.  32  gibt,  wol  zustimmen:  die  poetik  ist  vorzugsweise  die  lehre  von  der  gebcm- 
denen  rede;  ausserdem  aber  von  einigen  an  Wendungen  der  ungebundenen,  welche  mit 
den  auwendungen  der  gebundeneu  in  naher  verwantschaft  stehen. 

Mit  vollem  recht  stelt  Scherer  an  den  anfang  seiner  Untersuchungen  die  frage 
nach  der  entstehung  der  poesie.  Um  den  dichterischen  prozess  volständig  beschrei- 
ben, um  die  allen  dichtem  gemeinsamen  züge  sammeln  zu  können  und  dergestalt  zu 
einem  richtigen  gesamtbildo  vorzudringen,  dürfen  wir  nicht  bei  den  dichterischen 
erzeugnisscn  hochentwickelter  kulturopochen  stehen  bleiben*,  wie  etwa  bei  der  litte- 
ratur  der  Griechen  seit  den  homerischen  gesängen,  sondern  wir  müssen  versuchen, 
uns  auf  gruud  der  poetischen  gebilde  der  naturvölkor,  die  zu  einem  solchen  zwecke 
freüich  erst  einer  umfassenden  klassifikation  unterworfen  werden  müste,  die  ersten 
Stadien  der  entwicklung  der  poesie  überhaupt  zu  vergegenwärtigen.  Erst  wenn  wir 
so  zu  den  „urzellen,  den  primären,  einfachen  lebensformen  der  poesie*^  aufgestiegen 
sind,  ist  es  möglich,  eine  volkommen  ausreichende  beschreibung  der  dichterischen 
Organisation  zu  geben.  Die  herlichen  hinweise,  die  Herder  in  dieser  beziehung  gege- 
ben hat,  sind  ein  Jahrhundert  lang  fast  unbeachtet  geblieben  oder  wenigstens  doch 
nicht  in  ihrer  ganzen  fruchtbarkeit  erkant  worden.  Also  die  frage  nach  der  entste- 
hung der  poesie  ist  eine  kardinalfrage  der  poetik  und  mit  recht  verlangt  Scherer, 
dass  sie  zunächst  gestelt  und  beantwortet  werde.  Ob  diese  frage  in  dem  vorliegen- 
den entwurf  nun  auch  schon  gelöst  ist?  Ich  glaube  nicht.  Es  ist  notwendig,  hier 
die  bemerkungen  folgen  zu  lassen,  in  denen  Schcrer  die  rcsultate  seiner  Untersuchun- 
gen über  die  entstehung  der  poesie  zusammenfasst.  „Die  poesie'^,  sagt  er,  „entspringt 
aus  dem  ausdrucke  des  Vergnügens  durch  springen,  jubeln,  lachen.  Der  ursprüng- 
liche gegenständ  ist  vermutlich  erotischer  natur,  doch  sind  vielerlei  gegenstände 
möglich.  Der  poetische  erfinder  schlägt  ein  fest  vor,  wobei  eine  angenehme,  ver- 
gnügliche Vorstellung  geweckt  wird  durch  symbolische  handlungen,  mit  denen  sie 
durch  werte  ausdrücklich  assocüert  wird,  und  wo  eine  weitere  Verbindung  mit  den 
alten  ausdrücken  des  Vergnügens,  mit  springen  und  singen  statfindet.  Springen  und 
singen  sind  von  alters  her  mit  vergnügen  assocüert  und  dadurch  geeignet,  Vorstel- 
lungen des  Vergnügens  hervorzurufen.''  Durch  die  analyse  der  momente,  die  wir 
bei  einem  von  Scherer  herbeigezogenen,  mit  tanz  verbundenen  austi-alischen  chorlied 

1)  Sehr  richtig  äussert  Dilthey  über  diesen  ponkt,  a.  a.  u.  s.  339:  ,,das  wosen  und  die  fanktioii 
der  kunst  können  nicht  mit  der  idealistischen  ästhotik  an  dem  höchsten  ideal  derselben,  das  wir  heute 
zu  fassen  im  stände  sind,  erkant  werden.  Die  meisten  theorieen  der  listigen  weit  ans  der  zeit  der 
deutschen  Spekulation  zeigen  diesen  fehler.  Was  sich  unter  den  grünstigsten  bodingungen  entwickdt  hat, 
darf  nicht  als  antrieb  in  die  ganze  reihe  von  orscheinuug^n  verlegt  werden,  in  denen  dieser  lebenskreis 
sich  entfaltete.  Die  kunst  ist  überall,  wo  etwas,  sei  es  in  tönen  oder  einem  festeren  material,  hin- 
ge»telt  wird,  das  weder  der  orkentnis  des  wirklichen  dienen  noch  selbst  in  Wirklichkeit  ttbergeführt 
den  soU,  sondern  fUr  sich  das  interesse  des  anschauenden  befriedigt.** 


r 


ÜBER   SCHRIFTKN   ZUR  DRUTSCHKN   POKTIK  223 

f>ool>achten  können,   versucht  Scherer   zu  beweisen,   dass   es  sich  „immer  um  ein 

vergnügen  handelt,   um  die  weckimg  angenehmer  tätigkeiten  und  Vorstellungen  auf 

ein^    angenehme  weise.     Für   die  angenehme  weise   tritt   schon  als  charakteristisch 

faei^'v^or:  das  vergnügen  der  vergleichung  zwischen  einem  dargestelten  gegenständ  und 

dessen  darstellnng.    Die  darstellung  ist  auswählend,   andeutend,   symbolisch;   keine 

vol^-tändige  nachbildung.'* 

Ich  habe  an  diesen  darlegungen  zweierlei  auszusetzen.    Einmal  sind  die  nlge- 

^^^^inen  reflexionen,  auf  denen  Schorer  zu  diesen  resultaten  gelangt,  nicht  völlig  ein- 

l^o^cülitend   und   zwingend   und   zum   andern   gründet  sich  dies  ergebnis  auf  ein  zu 

g'eirijages  historisches  material.     Dem  einen  australischen  liedchen,   an  dem  Scherer 

*^^i«^«  theorie  dartut,   Hessen   sich  viele  erzeugnisse  der  naturpoesie  entgegenstellen, 

^u.      deoen  die  theorie  eben  nicht  passt.    Gewiss  ist  das  vergnügen  für  die  entstehung 

^^*~      poesie  ein  wichtiges  moment,    aber  es  ist  keineswegs  das  einzige:   der  schauer 

^^^^^      der  gottheit,   die  furcht,   die  trauer  sind  ganz  in  dem  gleichen  masse  herbeizu- 

^^^i^^n.    Fals  ich  auf  grund  meiner  geringen  kontnis  der  naturpoesie  eine  Vermutung 

^^^^^^K"  die  entstehung  der  poesie  geben  solte,    so  müste  sie  folgendermassen  lauten: 

^^^       poesie  entsteht  überall  da,    wo  ein  erlebnis  aus  dem  kreise  gewisser  seelenstim- 

igen  —  sie  sind  soeben  angegeben:   schauer  vor  der  gottheit   (kultushandlung), 

iht  (vor  bösen  göttem;  Waitz  führt  ähnliche  lieder  auf),  trauer  (um  den  toten  hel- 

_  *^^*,  weiter  wäre  auch  hass  und  zom  hinzuzurechnen   (kämpf  gegen  die  feinde)  — 

^**^^  dafür  besonders  empfängliche  seele  in  lobhafte  erregung  versezt.    Die  erregung 

^^^        die  quelle  aller  poesie,   wie  wir   das   heute  noch  an  kindem  und  eingebildeten 

ren  sehen   können,   die   in   furcht  und  aufregung   dinge   hören   und   sehen,   die 

it  vorhanden  sind  oder  die   in  dieser   Stimmung  das,    was  sie  wirklich  gesehen 

»en,   bis  ins  ungeheure  vergrössern.     Es  ist  dieselbe  kraft,   die  im  dichter  wirk- 

^  ist,   wenn  ein  erlebnis,   an  dem  ein  anderer  mensch  gar  nichts  aussergewöhn- 

'^^^^es  finden  würde,  so  in  seine  seele  fält,  dass  er  fühlt:   hier  sind  die  grundlinien 

'^      einem  kunstwerk  gegeben.     Der  dichterische  prozess  wird  also  in  den  frühsten 

^^'ten  kaum  anders  gewesen  sein,  als  in  unserer  zeit.    Nur  sind  zweifellos  die  kreise 

^^1  enger  gewesen,  aus  denen  ein  erlebnis  die  dichterische  Stimmung  zu  wecken  im 

,^^jide  war.    Und  ich  halte  es  für  möglich ,  diese  kreise  bis  zu  einer  gewissen  genauig- 

^^it  auf  gnmd  der  naturpoesie  zu  bestimmen;  denn  dass  sie  mit  den  oben  gegebenen 

^^^tientungen  nicht  erschöpft  sind,  liegt  auf  der  band. 

Darin,  dass  Scherer  den  Ursprung  der  poesie  allein  im  vergnügen  sieht,   liegt 
^^r  gnind  für  die  tatsaohe,   dass  ihm  die  ableitung   des  Vergnügens  an  tragischen 

1)  Auf  diosen  pnnkt  weist  Schorer  allenlin^  hin ,    aber  er  betont  nur  einen  teil  der  fragen ,  die 
^^bei  in  betracht  kommen.    S.  97 :    „  Kino  gewiss  alte  gattung  dor  poesie  sind  die  klageliedor  um  einen 
^fallenoi  hftnptling,   holden,   geliebten,  angehörigen.    Solche  lieder  fallen  zum  teü  unter  abschnitt  1, 
Wo  davon  die  rede  ist,  dass  aussprechen,  mitteilen  der  trauer  von  der  empfindung  des  schmerzes  abzieht 
^d  dass  in  dem  aussprechen  des  traurigen  und  schmendichen  orfahrungsmOssig  ein  trost  liegt,  vgl.  auch 
Unten  s.  224,  wo  auch  auf  das  tröstende  hingewiesen  wird ,  das  in  dor  toilnahmo  anderer  an  dem  eigenen 
fichmene  liegt].    Aber  ausserdem  ist  dor  fost-  und  trauerpomp,   ja  der  trauerschmaus  ein  vergnttgungs- 
ffioment.    Femer  fand  schon  Aristoteles  in  den  klagegesängen  als  ein  element  des  Vergnügens :    die  erin- 
nerong  an  den  toten  und  die  vergegenwärtignng  dessen ,  was  er  getan  und  wie  ers  getan ;  also  alles  prei- 
MB  das  toten  erweckt  eine  angenehme  Vorstellung.    Analogos  können  wir  noch  heut  erfahren.   Müllenhoff 
nhiieb  mir:    „des  tod  ist  der  treueste  freund  des  menschen,   weil  er  erst  das  volkommene  bild  der  Per- 
sönlichkeit gibt."    Endlich  sind  die  ü-auergesänge  vielfach  verbunden  mit  dem  kultus  der  abgeschiedenen 
Seelen,    mit  manen  -  kultus ;    diese»  beruht  darauf,    dass  die  seele  fortlebt,    und  das  iied  soll  den  toten 
geneigt  machen ,  soine  kraft  oder  seinen  willen  zu  schaden  oinzuschränkon ;  es  dient  also  zur  bes&nftigung 


(f 


224  KLUNGBR 

gegenständen  so  grosse  Schwierigkeiten  bereitet.  Wenn  die  poesie  zunächst  bloes  «l 
aasdruck  des  Vergnügens  ist,  dann  ist  es  allerdings  unbegreiflich,  wie  der  rnensd 
dazu  gekommen  sein  soll,  am  unangenehmen  oder  an  der  darstellung  desselben  frend« 
zu  finden.  Sehen  wir  aber  von  der  Voraussetzung  Scherers  ab,  so  bietet  das  intereaM 
des  menschen  (auf  niedriger  kulturstufe)  an  unangenehmen  gegenständen  kein  alza- 
schwieriges  problem.  Dilthey  hat  mit  recht  auf  das  bedürfhis  der  menschlicha 
natur  nach  mächtigen,  wenn  auch  mit  starker  unlust  verbundenen  erregungen,  wd* 
ches  nicht  auf  die  erzeugung  eines  maximums  von  lust  zurückgeführt  werden  kaiiD 
hingewiesen.  Die  frage,  wodurch  dasselbe  entsteht  und  wie  diese  eigenschaft  dei 
Organismus  zu  erklären  ist,  hat  meines  erachtcns  der  physiolog  und  psychophyaike: 
zu  lösen,  die  rein  empirischen  gründe,  die  Schorer  anführt,  reichen  entschieden  nich 
aus,  obgleich  einzelne  derselben  für  die  weitere  ausbildung  des  Vergnügens  an  tn- 
gischen  gegenständen  sicherlich  in  betracht  gezogen  werden  müssen,  so  z.  b.  di< 
erleichterung',  die  der  mensch  durch  das  aussprechen  des  Schmerzes,  der  ihn  drückt 
empfindet 

Ich  habe  damit  die  punkte  bezeichnet,  bei  denen  ich  glaube,  dass  sich  dif 
grundanschauungen,  von  denen  Scherer  ausgegangen  ist,  nicht  halten  lassen.  Trotz* 
dem  sind  aber  auch  in  diesen  abschnitten  des  buches  auf  schritt  und  tritt  die  fein« 
sten  beobachtungen  zu  finden,  an  welche  diejenigen,  die  die  Wissenschaft  der  poe 
tik  weiter  ausbauen  wollen,  beständig  anzuknüpfen  haben  werden  (man  vergleichi 
namentlich  die  ausführ ungen  in  dem  abschnitte  über  die  entstehung  der  poesie  übei 
die  Vorbereitungsstufen  für  tanz  und  chorlied  sowie  über  die  associationsvorgänge  un( 
das  symbolische  in  der  älteren  dichtung).  —  Muste  ich  aber  in  den  angeführtei 
abschnitten  gegen  die  grundanschauungen  und  die  hauptresultate  Scherers  polemisie 
ron,  so  kann  ich  um  so  freudiger  anerkennen,  dass  in  allen  übrigen  partieen  den 
buches  Scherer  bei  den  fragen,  die  er  behandelt,  zu  einer  befriedigenden  lösun] 
gelangt  oder  einer  solchen  mindestens  doch  sehr  nahe  gekommen  ist  Alle  die« 
abschnitte  bieten  die  reichste  belehrung  und  eine  fülle  der  anregung,  namentlich  fü 
den  litterarhistoriker.  Es  ist  damit  selbstverständlich  nicht  ausgeschlossen,  dass  aucl 
die  in  den  si)ätoren  partieen  niedergelegten  anschauungen  nicht  noch  mancher  berich 
tigung  und  ergänzung  bedürfen;  das  ist  bei  einem  ersten  entwurf,  wie  wir  ihn  vo; 
uns  haben,  unvermeidlich.  Aber  der  belebenden  kraft  dieser  gedanken  wird  sich  » 
leicht  kein  einsichtiger  entziehen  können.  Über  den  wert  der  poesie  stelt  Schere: 
vortrefliche  beobachtungen  zusammen.  £r  behandelt  zunächst  den  tauschwert  de 
poesie,  wobei  er  diejenigen  mächte,  welche  für  die  jeweilige  fixierung  dieses  wertes 
in  frage  kommen,  sowie  dio  bodinguugen,  unter  denen  diese  faktoren  segonsreicl 
oder  unheilvoll  wirken,  volkommen  richtig  und  scharf  bezeichnet;  er  führt  dei 
unterschied  zwischtMi  kunst-  und  Volksdichtung  im  wesentUchen  auf  den  unterschiec 
zwischen  goschriebeuor  und  ungi>schriebener  poesie  zurück  und  er  betrachtet  dam 
dun^haus  als  un]>arteiisuher  l)eobachter  und  mit  gerechter  abwägung  den  idealei 
wert  der  poesie  und  die  frage  nach  der  sitlichen  Wirkung  derselben.  Hieran  schliess 
sich  ein««  in  ihrer  knaphoit  glänzende  darstellung  und  Vertiefung  von  LachmaDDi 
theori«H>n,  dooh  winl  nicht  bloss  die  Itoteiligung  mehrerer  dichter  an  einem  weri 
in  lietracht  gezogen,  m)udorn  uurh  auf  stilunterschiede  hingewiesen,  die  sich  be 
werk«m  geltend  niarlum,  welche  von  einem  dichter  herrühren  und  zwar  in  den 
fall,  dasH  die  arlnnt,  nit^hrfarh  unterbrochen,  sich  auf  verschiedene  epochcn  sein« 
lekH^ns  vert^nlt.  liei  dorn  ersten  punkte  ist  sehr  richtig  auf  das  Volkslied  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts  hingi*wipsi«n;   eine  eindringendere  Untersuchung  der  volksliedei 


ÜBER   SCHRIFTEN  ZUR  DEUTSCHEN  POETIK  225 

nAcli    ihrer  ztisammonzetzung,  nach  der  frago  dos  hincinlragons  von  stellen  dos  einen 
Volksliedes  in  ein  anderes,    das  etwa  im  stofF  oder  in  der  Situation  analoge  Vorgänge 
bietest,   würde  noch  wichtige  beitrage  zu  diesem  kapitel  liefoni.    Weiter  wird  eine 
iintoT-suchimg  über  die  schaffenden  soelenkräfte  begonnen;  die  pliantasie  führt  Scheror 
im    mresentlichen  auf  reproduktion  zurück;  die  aufgalx),  welche  bei  der  künstlerischen 
arlioit:  dem  verstände,    der  die  phantasie  zu  beherschen  hat,    ohne  dass  er  sich  an 
ihi-e    stelle  drängen  darf,  wird  gokenzeichnot  —  schön  sagt  Scherer  s.  16C:  „Ein  samen 
fölt  z     und  es  entspriosst  sofort  ein  ganzes  blumenbeot,  aus  dem  der  dichter  die  wähl 
liat,      zu  pflücken  was  ihm  beliebt.    Das   blumenbeot  liefert  die  phantasie;   bei  der 
aus'^vahl  des  pllückens  muss  der  verstand  helfen"  —  und  die  verschiedenen  methoden, 
deren    sich  die  phantasie  bei  der  Umwandlung  der  in  der  erinnerung  aufbewahrten 
tats3olieii  bedient,  kurz  charakterisiert.    Dio  verwantschaft  der  künstlerischen  anlagen 
mit      den   dispositionen   zu   abnormen   geistigen   zustünden   behandelt   ein  besonderer 
absclmitt.     In  den  ausführungen  über  die  einteilungcn  der  dichter  weixien  die  bis- 
liorlgen   klassifikationsversuche   kritisiert,   insbesondere  Schillere  einteilung   in   naive 
un<l     Sentimentalische  dichter,   welche   im  wesentlichen    zunickgewiesen  wird.     „Es 
sind  ,    sagt  Scherer  s.  183  fgg.,  sehr  mannigfaltige  ointeilungen  der  dichter  möglich  — 
dio     sil)stufungon   sind   einerseits   so   mannigfaltig  wie   dio  Charaktere  der  individuen 
üb^rliaupt,  andererseits  gibt  die  ganze  poctik  in  allen  ihren  teilen  motivo  und  gesichts- 
punVt*»  an  die  band  für  Verschiedenheiten ,  weil  da  ganz  vorschiedene  methoden  mög- 
bcli    sind.    Die  Charakteristik  eines  dichters  zu  entwerfen,   ist  daher  ausserordentlich 
seil >v er.    Aus  all  solchen  eigentümlichkeitcn ,   sofern   sie   in   den  werken    der  dich- 
ter   sich  ausprägen,   sezt  sich  der  persönliche  stU  zusammen.  —    Eins  aber  gehört 
liierlier,    in   den   Zusammenhang   dieses   kapitels,    ein   unterschied   in    der   produk- 
tions'woiso   der  dichter,   ob   ohne   rücksicht   auf  publikum   oder  mit  nicksicht   auf 
Publikum.* 

Damit  hat  Schorer  einem  gedanken  ausdruck  gegeben,   der  meines  wissens  in 

der   ^bisherigen  poetik  und  Usthetik  noch  niemals  aufgetaucht  und  der  doch  von  ganz 

ftusserordentlichor  fruchtbarkeit  ist.     Dass   er   uns   so   solbstverständlich   erscheint, 

"^^"oist  nur,  dass  er  durchaus  zutreffend  ist,  aber  nicht  etwa,  dass  seine  aufstellung 

unnötig  wäre.     In  welcher  weise  der  hörer-  oder  loserkreis,   mit  einem  werte  das 

Publikum^  auf  den  dichter  wirkt,  ihn  beeinflusst,  ihn  zu  Zugeständnissen  nötigt,  ist 

®*Oo    frage,   die  erwogen  werden  muss  imd  die  bei  der  betrachtung  fast  jedes  littera- 

V^'^öTkes  von  höchster  Wichtigkeit  ist    Die  vortreflichsten  belege  bietet  dafür  wider 

*^     geschichtc   unsror   eignen   dichtung,    bei   deren   betrachtung   der  historiker   auf 

^^**Titt  und  tritt  auf  die  wechselnde  Zusammensetzung  dos  publikums  rücksicht  zu 

'^«hirten  hat;  man  sehe  sich  nur  das  zwölfte  und  dreizehnte,  das  fünfzehnte  und  sech- 

***^te,  das  siebzehnte  und  achtzehnte  Jahrhundert  nach  dieser  richtung  hin  an.    Wir 

.  ^^^Sen  die  litteraiischen  gegensätzo  der  Zeitalter  viel  besser,   wenn  wir  etwa  das 

^^^licho  publikum  um  die  wende  dos  zwölfton  und  dreizehnten  Jahrhunderts,    das 

^*^    liedem  Beinmars  und  Walthei-s  lauschte  und  für  das  Heinrich  von  Veldoke  und 

,     ^-^^wun  dichteten,  vergleichen  mit  dem  bürgerlichen  publikum  des  sechzehnten  jahr- 

^^^«rts,  das  sich  an  den  wüsten  zoten  Michael  Lindeners  und  Jakob  Freys  crgözto, 

/^^    docli  noch  innerliche  kraft  genug  besass,    die  Schriften  Luthers  imd  seiner  mit- 

.^^iter  voU  und  ganz  auf  sich  wirken  zu  lassen.  —   Ähnlich  wie  die  gosetze,   die 

^^    for  die  fonktionen  der  schaffenden  soelenkräfte  aufstellen  lassen,    sucht  Scherer 

^*^    «och  die  gosetze  für  die  geniessenden  soelenkräfte  zu  ermitteln,  d.  h.  die  bedin- 

^^*Sen,  unter  denen  ein  dichterisches  werk  auf  den  loser  oder  hörer  einen  bestirnten 

F.  DEUTSCHE  PHILOLOOnC.   BD.  XXII.  1^ 


226  KLUNOER 

Ixiabsichtigton  cindruck  auszuüben  im  stnndo  ist.    Zum  teil  schliosst  or  sich  dat^tf?! 
den  aufstollungcn  von  Fechner  an. 

Aus  den  beiden  Iczten  abschnitten,   welche    die   stoffo,   die   innere   und    d.«^ 
äussere  form  behandeln,  kann  hier  nur  das  wichtigste  herausgegriffen  weiden.   Sch.^' 
rer  versucht  die  motive*  zu  klassifizieren,  welche  dem  dichter  zu  goboto  stehen;  w^^^ 
er  bietet,    sind  selbstverständlich  nur  die  grundzüge  einer  algemeinen  motivenlehi  ■^"' 
welche  noch  im  einzelnen  ausgebaut  werden  müste.    Wie  in  der  betrachtang  ül 
den  wort  der  poesie,   verhält  sich  Scherer  auch  in  der  darstellang  der  wii 
welche  die   Stoffe   hervorbringen,   grundsätzlich   als   unparteiischer  boobachter. 
begnügt  sich  damit  zu  beschreiben,   will  aber   keine   gesctzo  aufstellen.     Dennoc 
gelangt  er  zu  einer  bestimten  Wertunterscheidung  der  klassen  der  v^irkungen,  welcl 
im   wesoiitlichon   darauf  hinaushiuft,    dass   derjenigen   poesie,   welche   edle  gefuhl 
anregt,    ein   höherer   wert   zuzuschreiben   ist,    als   eine   poesie,   welche   sich 
begnügt,  auf  die  niederen  triebe  zu  wirken.     „Ich  sage  nicht,  bemerkt  Scheror  s. 
die  poesie  soll  hohe  gefühle  anregen,   sondern  ich  sage  dem  dichter:   wilst  du  di 
anerkennung  der  edlen,  so  zeige  dich  edel.     Genügt  es  dir  z.  b.  die  niedere  tierisch 
sinlichkeit  der  meuschen  anzuregen,   so  tue  es.    Aber  sei  darauf  gefasst,   dass  di. 
menschen  dich  I>etrachten  als  ein  Werkzeug   niedriger   lüste   und  dich  nicht  höh« 
achten  als  eine  käufliche  schöne.    Dies  gesetz  berulit  auf  unserem  anteil:  wir  dehne 
die  Wirkung  des  steffes  auf  den  auter  aus.    Wir  denken  uns  in  die  Situation 
hinein;   führt  uns  der  dichter  durch  kloaken,   so  stinkts  oben  und  wir  fühlen 
beschmuzt,  wenn  wir  auch  für  die  technik  bewunderung  haben.    £r  sagt:    „Ich 
nur  wahr  sein.*^     Nun  denn,   das  ist  ein  ehernes  gesetz:   wenn  etwas  angeregt  wü 
was  wir  selbst  verachten,   dann  dehnt  sich  dies  gefuhl  aus  auf  den,   von  dem  jcn.. 
anregung  ausgeht.    Da  lülft  all  sein  reden  nicht,   wenn  er  uns  hässliches  voi 
Der  dichter  hat  danach  die  wähl.     Der  weise  dichter  wird  mindestens  die  gegei 
stände  in  kontrast  bringen  und  so  unsem  blick  auf  die  tetalität  lenken.*^   — 
abschnitt:    Innero  fonn  untei'scheidet  bei  der  behandlung  der  steffe  zwischen  objeld 
tiver  behandlung  (die  Unterabteilungen  sind  aus  Scherers  litteraturgcschichte  bekanb^     ' 
naturalismus,  idoalismus,  typischer  realismus)   und  subjektiver  darsteliung   (die  gafc   — 
tuugen   derselben   sind:    humoristisch;    satirisch;   elegisch;   idyllisch).   —     In   dei 
abschnitt:   Äussere  form  liegt  der  hauptnachdruck  auf  den  betrachtungen  über  di« 
gnmdformen  der  darsteliung,    während  die  bemerkungen  über  komposition,   sprach- 
und  metrik  etwas  obenhin  behandelt  werden  musten.    Von  den  Unterabteilungen  d( 
abschnittos  über  die  grundformen  der  darsteliung  sei  namentlich  das  stück:  die 
der  rede  hervorgeliol)en ;   die   dort   gegebenen  einteilungen  werden  sich  nament 


1)  Sohr  richtig  sm^t  Schoror  s.  212:    „Das  hanptmotiv  wird  zawoilon  idee  genant.    Mit 
Wort  ist  oin  nirchtbaror  unrup;  irctriobon  wonlon.    Ich  mOchte  vurschlagon ,  den  aasdmck  Adlon  n 
xrir  sntcon  (Infllr  KtofT,  tlu>ina,  votwurf,  hauptmotiv.    Wir  lioluüton  don  ausdmck  höchstens  bei  lOr 
tiofitiinto  »,niipp<*  von  workon :   für  «lio  Uassorlicho  oinhoit  eines  godiehts ,  die  durch  ein  Fahol*  dooet  enl 
Htoht,    wio  (lo4^tho  von  dor  id(M>  do^t  Faust  spricht.    Da  indessen  deutsche  dichter  des  19.  | 
unter  dorn  oinflu^s  einer  JLsthetik  stAnd«*n ,  welche  überall  von  ideen  sprach  nnd  daranter  gern 
s&tzo  verhtand ,    di<»  sich  in  den  dan?est('Iten  fllllen  verwirklichen,   so  muss  man  fttr  die  bemtiiliing 
eher  werki«  auch  ntit  dor  llMthotik  ihrer  autoren,  d.  h.  mit  den  llsthotischon  ansichten  dieeer 
und  ihn*r  ilMtliotisihon  tonninolo^io  rechnen.    Wenn  ich  freilich  ein<m  volständigen  roman  um  aolc^ 
,Jdee"   willen  U>Hen  hhU  ,    ilann  saire  ich  mir:    t.int  de  bruit  pour  une  Omelette!    Die 
lidienM  winl  dn  7U  oinor  Inbol  deirnMliort.    Wo  man  an  die  grossen  weltdiditer  herantritt:  ^^»u, , 
spean*,  (i(M>tho,   da  haitdolt  os  sich  um  mehr  als  eine  solche  idee.    Stoffo,    motive  bietet  das 
deH  AchilliMis  zu  AKamenimm ,  ulM>r  nicht  einen  einzelnen  moralsatz." 


ÜBKR  8CBRIFTEN  ZUR  DEUTSCHEN  POETIK  227 

wie    Scheror  bereits  mohrfach  liorvorgohobon  hat,   für  eine  bessere  klassifikation  der 
lyi-ik    vortreflich  verwerten  lassen. 

Soll  ich  nun  den  gesamteindruck  formulieren,  den  das  buch  l)oi  kühler  abwä- 
gixng  auf  mich  hervorbringt,  so  meine  ich:  es  ist  unbestreitbar,  dass  Scheror  das 
unvorgleichliche  verdienst  gebührt,  zum  ersten  male  die  grundsätzo  einer  verglei- 
cH enden  empirischen  poetik  fest  formuliert  zu  haben.  Keine  legislative,  sondern 
eine  descriptive  poetik!  Beschreibung  der  vorhandenen  und  möglichen  formen  der 
Produktion.  Keine  subjektiven  urteile  über  wertunterschiedo,  —  urteile,  die  bloss 
die  porsönlichon  anschauungen  des  fisthetikers  widerspiegeln  —  sondern  nur  bestim- 
muiigen,  wie  sie  sich  mit  der  beschreibung  des  vorhandenen  als  unmittelbare  resul- 
tato  ergeben.  Eine  poesio,  die  auf  die  edelsten  menschen  aller  zeiten  gewirkt  hat, 
^ird  gewiss  einen  höheren  wert  für  sich  in  anspruch  nehmen  dürfen  als  irgend  eine 
andere:  das  ist  ein  Werturteil,  wie  es  unmittelbar  aus  der  betrachtung  der  vorhan- 
denen arten  und  formen  der  Produktion  und  ihrer  Wirkungen  hervorgeht;  vor  weiter- 
gelicndcn  bestimmungen  hat  sich  die  poetik  zu  hüten. 

Das  auf  dieser  grundlage  aufgebaute  gebäude  ist  gewiss  nicht  flecken-  und 

feHlerlos.     Das  liegt  nicht  allein  an  der  ungleichen  Verteilung  des  Stoffes,    >velche 

dnrch  die  Zufälligkeit  der  entstehung  bedingt  ist,    sondern  es   ist  vor   allem  darin 

^K^ündct,   dass  die   schwierigen    problcme,    die   hier   aufgestelt  worden  sind,   sich 

Dicht  auf  den  ersten  wurf  lösen  lassen.    Es  ist  Scherer  meines  erachtens  nicht  golun- 

S^ö,     die  quelle  der  schöpferischen  kraft  zu  bestimmen,   weil  er  eine  der  mächte, 

w'olcb.e  diese  quelle  zum  fliesson  bringen,    verwechselte  mit  der  quelle  selbst.    Auf 

dieser  unrichtigen  Voraussetzung   ist  noch  eine  reihe  von  Schlüssen  aufgebaut,    die 

mit   der  Voraussetzung  hinfällig  werden.    Ferner  ist  es  nicht  zu  Ixjstreiten,    dass  aus 

einem   zu   geringen  oder  zu  beschränkten  materiale  oft   zu  weit   gehende   Schlüsse 

S^zogcn  und  venügemeinerungen  von  einzelfällen  vorgenommen  werden,  die  nicht  zu 

billigen  sind.    Alle  diese  mängel  aber  verschwinden  vor  den  grossen  Vorzügen  des 

Entwurfs,   vor  der  anregenden   und  belebenden  kraft,   die   von   ihm   aasgeht.    Für 

^*o     geschichto   dieser   Wissenschaft   wird   Scherers   poetik  ein   markstein   sein;    für 

Sclierers  freunde  ist  das  buch  ein  neues  abbild  der  herlichen  persönlichkeit,   die  es 

geschaffen. 

Eine  vortrefliche  orgänzung  hat  Scherers  poetik  in  der  abhandlung  Diltheys 
gefunden,   die  als  ein  überaus  wertvoller  beitrag  zu  einer  vergleichenden  poetik  zu 
bezeichnen  ist.    Mit  Scherer  ist  Dilthey  davon  überzeugt,    dass  die  bisherige  speku- 
^vo  ästhetik  die  fühlung  sowol  mit  der  dichterischen  Produktion  als  mit  der  litte- 
nitargeschichto  verloren  hat,   mit  Scherer  teilt  er  den  Widerwillen  gegen  eine  ledig- 
lich  legislative  poetik.     Von  der  dichterischen  individualität  geht  Dilthey   aus  und 
durch  die  beschreibung  der  Organisation  des  dichters  sucht  er  algemeine  normen  für 
^  dichterische  schaffen  zu  gewinnen.    Er  will  nicht,  wie  die  idealistische  ästhetik, 
dem  dichter  wilkürliche  schranken  setzen  und  nicht  den  törichten  versuch  machen, 
^  poetische  Schöpferkraft  einzudämmen,    sondern  er  sucht  durch  eine  betrachtung 
'*®f  vorhandenen  erscheinungsformen  der  poesie  und  durch  eine  beschreibung  der  natur 
^^  dichters  zu  gesetzen  zu  gelangen,  die  im  stände  sind,  dem  dichter  eine  leitung, 
J*®***  Htterarhistoriker  feste  ausgangspimkte  für  die  beurteilung  zu  gewähren.     „Das 
."^^1  sagt  er  s.  415,   verlangt  gebieterisch  eine  leitung  durch  den  gedanken;  kann 
^®  solche  auf  metaphysischem  wege  nicht  hergestelt  werden,   so  sucht  es  einen 
T^orn  festen  ponkt    Dürfen  wir  diesen  nicht  mit  der  veralteten  poetischen  technik 
^Qq  meisterbildem  einer  klassischen  epoche  suchen,  dann  bleibt  nur  übrig,  in  der 

15* 


228  RLUNQER 

tiefe  (lor  inonschlichon  nahir  solbor  und  in  dem  zusammcuhang  des  gcschichtlif^ht^D 
Ichons  solche  geschichtlichen  nac^hfoi'schungen  anziustellen.** 

Von  diesem  Standpunkt  aus  hat  Dilthey  zunächst  die  elementare  funVtion  des 
diclitei-s  darzustellen  und  deren  gi*undlage  zu  ermitteln  gesucht.  Er  findet,  dass 
diese  Funktion  bt^dingt  ist  durch  die  grössere  energie  gewisser  seelischer  Vorgänge: 
der  dichter  unters(^heidet  sich  von  anderen  menschen  zunächst  durch  die  Intensität 
und  gonauigkeit  der  wahrnehmungsbilder,  die  mannichfaltigkeit  derselben  und 
das  interesse,  das  sie  begleitet.  Er  unterscheidet  sich  alsdann  durch  die  klarheit 
der  Zeichnung,  die  stärke  der  empfindung  und  die  energie  der  projektion,  welche 
seinen  erinnerungsbildern  und  den  gebilden  aus  ihnen  eigen  sind.    Mehr  noch       ^ 

unterseh« *idet  er  sich  durch  die  kraft,   mit  welcher  seelische  zustände,   sellist- 

erfunden«\   an  anderen  aufgefasste,   folgerecht  ganze  ]x}gol)enheiten  und  Charaktere,  _^  ^ 
wie  sie  in  der  Verknüpfung  solcher  zustände  bestehen,  von  ihm  nachgebildet  werden.^    ^ 
der  dichter  unterscheidet  sich  auch  durch  die  energische  beseel nng  der  bilde^E^ 
und  die  so  entstehende  befriedigung  in  einer  von  gefühlen  gesättigten  anschauuujT' 
Aus  alle  dem  ergibt  sich,   dass   die  grossen   diclitor  von   einem   unwiderstehliche! 
dränge  vorangetrieben  werden,    erlebnis  irgend  einer  mächtigen  art,   das  ihrer  nat 
gemilss  ist,  zu  erfahren,  zu  wid(Mholen  und  in  sich  zu  sammeln.    Der  dichter  untei 
scheidet  sich  endlicih  dadurch,   dass  sit^h  in  ihm  die  bilder  und  deren  verbhidungi* 
frei   über  die  grenzen  des  wirklichen  hinaus  entfalten.     Er  Schaft  situationei 
gestalten  un<l  Schicksale,  welche  diese  Wirklichkeit  überschreiten.  (S.  341  —  349.) 

Um  zu  bestirnten  normen  für  <las  dichterische  schaffen  zu  gelangen,  versucl 
nun  Dilthey  eine  psychologische  erkläning  des  dichterischen  Schaffens  zu  geben, 
ich  ülM»r  diesen  umfangreiclien  teil  der  arbeit  meine  meinung  sagen  —  so  weit  i( 
als  laie  bei  der  l)eurteilung  rein  psychologischer  fragen  dazu  im  stände  bin  — 
muss  ich  auch  hier  anerkennen,  da.ss  die  Untersuchung  im  ganzen  mir  ungemei 
fördernd  für  eine  erkentnis  des  wesens  dtjr  poesie  erscheint'.  Dilthey  sucht  zu  ze  '^* 
gen ,  auf  welche  weise  die  bilder  in  der  seele  des  dichters  entstehen  und  fostgchalt«^  " 
werden,  wie  das  kunstwerk  sich  aus  Wahrnehmungen  zusammen.sczt  und  diese  eii 
drücke  durch  ausschaltung  von  b(»standteilen,  durch  Steigerung  und  minderung  so^ 
dur«ih  ergänzung  verändert  und  umgebildet  woi^den.  So  sehr  ich  im  prinzip  mit  det 
Verfasser  einvorstanden  bin,  so  kann  ich  in  mehn»ren  einzelnen  fragen  dieser  untei 
suchung  jedoch  nicht  mit  ihm  übereinstimmen  —  der  mir  für  diese  bosprechung  z  -'* 
gelK)te  stehende  räum  verbietet  es  mir  leider,  mich  im  einzelnen  mit  dem  verfasscT:^^^^ 
auseinanderzusetzen.  Auch  vermag  ich  bei  mehreren  punkten  den  faden  nicht  au^^  ^' 
zufinden,  der  von  hier  aus  zu  dem  lezten  teile  der  abhandlung  hinüberführt 

Diestir  ti*il,  in  welchem  der  Verfasser  eine  theorie  der  poetischen  technik,  wi 
sie  auf  der  entwickelten  i)sychologischen  grundlegung  aufgeliaut  werden  kann,  z 
skizzieren  vei"sucht,  v(Tdient  ganz  besonderes  lob  und  sei  allen  litterarhistorikem  z 
eindiinglichem  Studium  empfohlen.  Es  ist  an  dieser  stelle  unmöglich  auf  alle  di 
«»inzelnen  fi-inen  lM»merkungen  und  fruchtbaren  gedanken  einzugehen.  "Wie  Schere::::^^^^' 
das  Publikum  und  dessen  l>edeutuug  für  die  entwicklung  der  i)oesio  als  eine  wichtij^^*^ 
lehre  der  poetik  lH>zeiclinet  und  der  lehre  vom  publikum  demzufolge  eine  ausfahrlicl^^^^** 
darstellung  gewidmet  hat,  so  analysiert  Dilthey  den  eiudruck,  den  das  dichtoriscL^^-*^ 
kunstwerk  auf  die  se«»le  ties  lesors  oder  hörers  her>'orruft  imd  bezeichnet  mit  rect::^^^* 

1)  Namoiitlich  si'i  d.i1>oi  auf  <Iio  schöne  nntorsuchnn^  üticr  ilio  gofUhlftkruse  nnd  die  m 
ffich  orKot>on(lon  ilnthotisrhoii  olomontAnroflOtzo  vonricson :  vcl.  Iiosnndcn«  r.  2ßß  ffr.  and  s.  971  %. 


ÜBER   SCHRIFTEN   ZUR  DEUTSCHEN   POETIK  229 

diesen  Vorgang  als  einen  mit  dem  dichterischen  schaffen  verwanten  prozess.  Rich- 
tiger als  Scherer  sieht  er  meines  erachtens  in  der  frage  nach  der  entstehung  der 
poesie*.  Dagegen  stimt  er  mit  Scherer  überein  in  der  abweisung  des  unfugs,  den 
man  mit  dem  wort:  ideo  getrieben  und  in  der  bezeiclmung  der  betrachtmigsweise, 
dio  an  die  stelle  der  soeben  genanten  zu  treten  hat.  ^  Jodes  lebendige  werk  grösse- 
ren lunfangs  hat  seinen  stoff  in  einem  erlebten,  tatsächlichen  und  drückt  in  lezter 
Instanz  nur  erlebtes,  gefühlsmässig  umgestaltet  und  veralgemeinert,  aus.  Dalior  darf 
in  der  dichtung  keine  idee  gesucht  werden."  S.  437.  „An  dem  stoff  der  Wirklichkeit 
wixxi  durch  den  dichterischen  Vorgang  ein  lobens Verhältnis  in  seiner  bodeutsamkeit 
aofjgeCasst;  was  so  entsteht,  ist  eine  triebkraft,  durch  welche  transformation  in  das 
poetisch  bewegende  erwii'kt  wird.  Das  lebensverhältnis,  so  erfasst,  gefühlt,  voralgo- 
meinort  und  dadurch  Wirkungskraft  dieser  art  geworden,  wird  motiv  genant  In  einer 
grösseren  dichtung  wirkt  eine  anzahl  von  motiven  zusammen.  Unter  ihnen  muss  ein 
hcrscbendes  die  triebkraft  haben,  die  einheit  der  ganzen  dichtung  herzustellen.  Dio 
^äW  möglicher  motivo  ist  begrenzt,  und  es  ist  eine  aufgäbe  der  vergleichenden  lit- 
töJ^t Urgeschichte,  die  entwicklung  der  einzelnen  motivo  darzustellen.'^ 


Ich  musto  bei  den  beiden  arbeiten  länger  verweilen,  weil  sie  von  ganz  neuen 
g*^s^ichtspunktcn  aus  eine  betrachtungsweise  in  der  poetik  anstreben,  deren  ungemeine 
fruchtbarkeit  sich  schon  jezt  erkennen  lässt,  von  tag  zu  tag  aber  immer  mehr  her- 
^^t^reton  wird,  zumal  wenn  noch  mehr  arbeiter  ihre  kräfto  dem  ausbau  der  wissen- 
*^«aft  widmen  werden.  Dio  ausgangspunkte  der  beiden  forscher  sind  nicht  miteinan- 
^^^  identisch,  ebensowenig  ist  es  ihre  methode;  dennoch  kann  man  beide  betrach- 
^^gsweisen  leicht  mit  einander  vereinigen,  wie  sich  schon  daraus  ergibt,  dass  Sche- 
'^*'  und  Dilthey  vielfach  zu  den  gleichen  i*esultaten  gekommen  sind. 

Begründeten  diese  beiden  Schriften  eine  ganz  neue  auffassung  der  poetik,  so 
^^dcln  die  drei  anderen  bücher,  die  uns  hier  beschäftigen,  im  wesentlichen  in  den 
^nen  der  traditionellen  ästhetik.  Die  Vorzüge  wie  die  mäugel  des  lehrbuchos  von 
^▼"ackernagel,  das  jezt  in  zweiter  aufläge  vorliegt,  sind  algemoin  bekant  Die  lezte- 
^n  ergeben  sich  aus  der  wilkürlichen  konstruktion  und  der  damit  zusammenhängen- 
^f^n,  sehr  häufig  sich  geltend  machenden,  einseitigkeit  der  ästhetischen  betrachtung. 
-Oie  Vorzüge  dagegen  beruhen  auf  der  glänzenden  beherschung  des  litterarhistorischen 
Materials  sowie  darauf,  dass  das  werk  namentlich  in  den  abschnitton  über  rhetorik 
Hnd  Stilistik  unstreitig  ungleich  geistreicher  und  anregender  ist  als  irgend  ein  anderes 
t^n  vielen  freunden,  die  das  buch  sich  boi*eits  gewonnen,  wird  daher  auch  die  vor- 
Uogende,  sorgfältig  revidierte  ausgäbe  eine  wilkommene  gäbe  sein. 

"Weit  schwieriger  ist  es,  dem  anderen  werke  gorecht  zu  werden,  der  umfang- 
l^eichen  poetik  von  Baumgart.  Mit  anzuerkennendem  grossen  fleisse  hat  der  Verfas- 
ser den  versuch  gemacht,  ein  umfangreiches  lehrsystem  der  poetik  aufzustellen,  und 

1)  S.  434t :  Das  erlebnis  ist  gnmdlago  der  poesio ,  und  so  zeigt  die  niedrigste  civilisation  überall 
«iJe  dichtung  mit  primären  mUchtigen  formen  dos  crlebuisses  verbimdon;  solche  sind  kultushandlang, 
f«ste»fireade ,  tanz,  übergehend  in  paiitomime,  gedächtnis  der  stammesahnen ;  hier  sind  schon  licd,  opos 
Xtnd  dnuna  in  der  wnrzel  gotrent.  —  Da  mAchtige  orrogongen  der  soole,  sofern  sie  nicht  zu  'willenshand- 
Ivingca  führen,  sich  in  laut  und  geberdo,  in  der  Terbindung  von  sang  und  dichtung  ftnssom,  so  finden 
'«rir  bei  den  naturvOIkexn  dio  dichtung  an  kultushandlungon  und  fostfreude,  an  tanz  und  spiel  gebunden. 
X>er  Zusammenhang  der  poesie  mit  dem  mythos  und  religiösen  kultus,    mit  dem  glänz  der  feste  und  dos 

«piob,  mit  MfaOner,   heiterer  gosolligkeit  ist  daher  psychologisch  begründet,    in  den  ersten  anfangen  der 

civilisation  sichtbar  imd  er  geht  dann  durch  die  ganze  litteraturgeschichte. 


230  ELUNGER,   ÜB^   SCHRÜTEN   ZUR  DEUTSCHEN   POETIK 

in  ausführlichen  abschnitten  hat  er  die  einzelnen  dichtungsgattungen  behandelt    Ist. 
es  im  \vescntlichen  die  metaphysische  grundlage,   auf  welohor  Baamgart  sein  bixch. 
aun)aut,  so  kann  man  ihm  doch  andrüi*seits  das  Zeugnis  nicht  versagen,  dass  er  sicVi 
eine  gründliche  kcntuis  der  littcratur  angeeignet  hat,  obgleich  er  bei  der  Terwcrt-^Mig 
des  litterarhistorischeu  materials  im  urteil  zuweilen  mit  grosser  wilküilichkeit  ^"or- 
geht  (man  vgl.  z.  b.  s.  55  fg.  die  ganz  ungerechte  beurteilung  von  Bürgers  Lenr>;r%3). 
Auch  finden  sich  im  einzclniiu  recht  interessante  imtersuchungen ,  die  manches  SLW^Txy- 
gendo  bieten.    Aber  trotz  aller  dieser  anzuerkennenden  Vorzüge  dos  buches  muss     ioh 
betonen,  dass  meiner  meinung  nach  die  grundlegung  des  Verfassers  sich  nicht  haltoa 
lässt    Denversuch,  die  aristotelische  katharsis,  deren  auslegimg  durch  Jakob  Berm&^'s 
überaus  ausführlich,  aber  doch  nicht  überzeugend,  bekämpft;  wird,   auch  auf  andc?jro 
gattungen  der  poesio  zu  übertragen,   kann  ich  niclit  für   glücklich    holten,   wiv    ^^s 
denn  überhaupt  etwas  sehr  mislichos  ist,  heutzutage  noch  den  aufbau  einer  poetik  »sof 
wesentlich  aristotelLscher  grundlage  zu  vorsuchen.    Dazu  komt  dos  Verfassers  noignr:"'^^ 
zum  schematisieren,   die  ihn  auch  da  nicht  verlässt,   wo  nur  eine  rein  historisc^^^^ 
betrachtung  am  platze  wäre ;  so  werden  z.  b.  für  den  unterschied  zwischen  romanze 
ballado  üsthetLsche  gründe  ins  feld  geführt.    Alles  in  allem:    Baumgarts  poetik  wi 
niemand  das  zcugnis  versagen,  dass  sie  ein  mit  liebe  zur  sache  gearbeitetes  fleissi^ 
bucli  ist,   aber  im  Verhältnis  zu  dem  umfang  des  buches  sind  die  neuen  aufschlüss^^^ 
die  man  erhält,  nicht  eben  zahlreich. 

Das  bucli  von  Methner  zeichnet  sich  durch  seine  klare  und  anschauliche  dar 
Stellung  aus.    Es  beruht  seiner  gesamtauffassuug  nach  auf  den  anschauungen  der  tra — '"^^^a 
ditionellen  ästhetik,   wie  denn  der  versuch,    einen  unterschied  zwischen  ballade  udÄ--^ 
romanze  duich  aufzeigung  ilia»s  inhaltlich  verechiedenen  wesens  darzutun,  auch  hier^  ^\^\ 
widerkehrt.  (S.  74.)    Aber  der  Verfasser  hat  der  geschichte  unsrcr  dichtuug  eingehendem^  "^ 

Studien  zugewant  und  wenn  auch  einzelne  ansichten,  die  er  vorträgt,  irrig  oder  ver '^^ 

altet  sind  (man  vgl.  z.  b.  s.  202,   wo  volksschauspiel  und  haupt-  und  Staatsaktionen  ''^'^  " 


für  zwei  verschiedene  dinge  gehalten  werden),  andre  von  einseitigen  gosichtspunkten  .^-*  "^^ 
ausgehen  (man  vgl.  z.  b.  s.  112,  wo  Rabener  den  satiiikern  des  lö.  Jahrhunderts*:^'*^ 
gegenüber  sehr  ungerecht  beurteilt  wird),  so  entwirft  er  doch  meist  richtige  und-Ä-^-*^ 
ansprechende  bilder  von  der  cntwicklung  unsrer  poesie.  Dio  thoorie  der  gattungen  .tf^^  ^' 
der  rede,  die  der  Verfasser  auf  dieser  grundlage  aufbaut,  legt  zuweilen  allerdings^^'^?^ 
recht  wilkürliche  ma.ssstäbe  an  dio  dinge,  aber  vor  dem  verlieren  iu  alzu  entlegene 
gebiete  der  Spekulation  schüzt  ihn  die  klare,  übersichtliche  eintcilung,  deren  wei 
überhaupt  uicht  zu  gering  anzuschlagen  ist.  Man  niag  an  den  einteilungen  &  117fg^£^^ 
(vgl.  auch  s.  88  fg.)  im  einzelnen  manches  auszusetzen  haben,  im  ganzen  werdoitf^v  ^^' 
solche  aufstellungen  immer  fördernd  und  klärend  wirken.  Auch  sonst  findet  sich^  ^  ^^ 
manches  anregende  und  da  der  Verfasser  auch  dio  metrik  mitbehandelt,  so  wird 
cmpfohlenswertho  buch  namentlich  Schulmännern  von  besonderem  nutzen  sein. 

BEUUN,   IM   DEZEMBER   1888.  UEOBa  KLLIKOfiB. 


Johann  Elias  Schlegel  von  fingen  Wolff.     Berlin,  vorlag  von  Bobert  Oppen- 
heim. 1889.    8.  4  m. 

Ehe  wir  uns  zur  besprechuug  des  Inhalts  wenden,    müssen  wir  in  beeng  an: 
form  und  anläge  der  schrift  einige  bedenken  äussern. 

Es  scheint,   als  ob  der  Verfasser  sich  auch  an  weitere  kreiao  wenden 
Die  darstellung   bewegt  sich,   wie   bei  einem  vertrag,   durch   die   183  selten  ohn^ 


231 

nihepunkt  und  ohue  Joutlic:bo  gliedoi'ung;  tler  toxt  ist  liuruh  /.abk'U  uutui'brochcu, 
(üo  aal  die  aniiierkuiigeu  am  KuhliiüH  Abu  hxuihea  lunweisi-'u.  Wer  die  Echrift  etutlie- 
ren  und  nachprüToD  will,  dum  ist  dadurch  soino  aufgäbe  aehr  eraubwerL  Auf  der 
■ndern  seit»  ist  das  thoma  dwh  auvli  nicht  voq  dor  art,  dass  i?tue  m  aaBfuluüube 
dantelluiig  auf  das  interesBö  eines  gröBsoren  publikuma  rechnen  könto. 

In  äaoc  mobr  jwpulärou  darstcUuiig  hätte  z.  b.  auf  dio  ansubaulivhe  Schilderung 
von  SchuJpforte,  Leipzig  und  Kopenhagen  mohr  Sorgfalt  verwendet  werdeu  müssen. 
nnd  vor  allen  dingeo  wäre  diu  vergleicbung  mit  Schlegeb  Vorgängern  zur  richtigou 
Würdigung  seiner  Verdienste  unbedingt  netig  gewesen.  Wer  mit  dem  gegenständ 
liorvits  vertTHUt  ist,  wii'd  andreiwitu  finden,  daas  bei  bespreehung  der  wirksitmkoit 
J.  &  Öchlegels  auf  dum  theoretisuhcii  gebiet  hekaiite  dinge  £u  auuFnbrlieh  widerhoit 
werden, 

Indess  hat  der  Verfasser  doch  aueh  manebes  neue  und  tieacbtousworte  vorge- 
bmuht, naiueutiich  da,  wo  er  die  pootiauheu  werke  J.  E.  Scblegebi  besprieht.  Bei 
Orest  und  Pyladee  weist  er  mit  raoht  darauf  hin,  dasa  oinselne  ünderungen ,  die 
SoUegel  in  modern- h um aiioni  sinne  mit  dein  überlioferten  steffe  vornahm,  eine  gewisse 
vorwantschall  mit  Goetlies  Umgestaltung  der  liiliigeoiensago  zeigen.  Baas  jedoeh 
S<^iogeI»  tragödio  direkt  die  aufmorksanikeit  UooUios  auf  diesen  steif  hingelenkt  hüben 
**U  —  „ähnlich  wie  Suhlegels  llerniaun  den  ausgaugspunkt  bildet,  von  welchem 
Qoethe  zum  Ooetz  geführt  wurde",  ist  gewiss  nieht  unzuuebmeu. 

Für  die  bcurtoilimg  der  Dido  hat  WoIS  nicht  dun  richtigen  gesichtspunkt 
£^''u«jden.  Er  leitet  das  drania  direkt  von  dem  VergUsuhon  opos  her,  wäliroud Schle- 
P"'  «Itonliar  auch  die  ti-ogödie  Didon  von  Lefnuio  de  Pompigoan  (1734)  bonuzt  hat 
"<**l-iijh  hat,  so  viel  ich  weiss,  weder  Schlegel  selbst  noch  ii'gend  einer  der  spätmiin 
"'"Sraphen  auf  diesen  zusammonliang  aufmerksam  gemocht  Aus  der  ftan»>sischun 
"^K'Jdio  Jiat  Schlegel  einen  zug  entlehnt,  den  Wolff  als  eine  glückliclie  nenerung 
™'  *'*^t,  dnss  nHuUich  der  dichter  den  Aencas  auf  dor  ilucht  noch  don  angriff  des  lliarba« 
iur~iÄuksuhlagou  üos^  und  so  die  kriogerische  ehro  des  holden  zugleich  mit  seinur 
«"G^»3cn  dichterischen  ehre  gerottet  habe.  Auch  ist  es  auf  die  französische  trogödie 
*'''~*i.ckzuführen,  wenn  köoig  Hiarbas  als  gesanliir  vor  Dido  erschoiot,  und  sieh 
™»«a  erst  im  lauf  dos  gesprächs  su  erkennen  gibt  Ebenso  bietet,  wie  ich  meine, 
ih^c-  vergloieb  mit  Iicfranc  de  Pompignan  dio  beste  erkliirung  für  eine  xtelle,  die 
"*^lS  lüs  oino  entluluiung  aus  Bhakesgieare  auffassen  mochto.  üidu  glaubt  don  sohat- 
'^^      ihn»  gomahls  Sicbaeus  zu  erblicken  (akt  IV  sc.  5);  sie  ruft  ihrer  Schwester  zu: 

Ach  Schwester!  ioh  orselirocke 

0  anbliek!  siehst  du  niuhts  dort  in 


Was  siebst  du?  fasse  dich.    Trau  nicht  auf  dem  gesiebt, 

Denn  deine  furcht  allein  botriegt  dor  äugen  licht 
Dido. 

Noiu,  nein!    Ich  sobe  selbst  den  mir  bokanton  schatten! 

Ich  sehe  dio  gestalt  des  sonst  goliebtoo  galten! 

Ich  sehe  seinen  nuind,  und  sein  so  schönes  haar! 

Ich  sehe  seine  stiru,  und  dieses  augenpaarl  usw. 
Diese  stelle  vergleicht  Wulff  mit  Hamlet  akt  III  sc.  4,  wo  im  solihü^gomauh  der 
f^'ein  der  goist  des  alten  Hamlet  bloss  dem  sehne,    nicht  ober  der  gomablüi  siebt- 
^  <3rgcheiDt.    Atier  bei  Schlegel  handolt  es  sich  gar  nicht,  wie  bei  Shakespeare  um 


232  CREIZENACH 

oino  wirkliche  geistorcrechcinung;  das  trugbild,  das  der  krankhaft  gesteigerten  phan- 
ta>siu  Didos  vorschwebt,  ist  nichts  aus  ein  rhetorisches  eifektmittel  ini  sinne  der  tra- 
gödie  dos  klassischen  stils  und  es  wäre  nicht  schwer,  anderwärts  ähnliche  stellen 
nachzuweisen.  Die  Schlogelschen  woito  enthalten  eine  schwache  nachahmung  des 
anCangs  des  fünften  aktos  bei  liofranc  de  Pompignan.  Die  scene  spielt  hier  zur 
uachtzeit;  Dido  stürzt  auf  die  bühno;  sie  glaubt  sich  vom  geiste  des  Sichaeus  ver- 
folgt und  ruft  uin  hülfe:  ihre  Schwester  erscheint  und  beruhigt  die  königin,  die  noch 
immer  im  fieberwahu  das  gcspenst  zu  sehen  glaubt 

Schlegel  hat,  wie  sein  bruder  Johann  Heinrich  berichtet,  die  Dido  noch  in 
Schulpforto  im  jähre  1739  geschrieben.  Wir  müsten  demnach  annehmen,  dass  die 
novität  des  französischen  theaters  ziemlich  rasch  bis  in  die  sächsische  klosterschule 
vorgedmngcn  sei.  Die  Dido  erschien  indoss  erst  1744  im  fünften  teil  der  Deutschen 
Schaubühne.  Damals  wurde  das  trauerspicl  „  gröstenteils  in  seiner  ursprünglichen 
gestalt  dem  drucke  übergeben,  der  lezte  aufzug  ausgenommen.*^  Von  diesem  lezten 
aufzug  teilt  Johann  Heinrich  in  der  ausgäbe  der  werke  seines  bruders  bd.  I  s.  71  fgg. 
den  ursprünglichen  plan  mit  und  riilunt  die  teilnähme  des  Aeneas  am  kämpf  gegen 
Hiarbas  als  eine  besonders  glückliche  neuerung.  Nun  könto  man  auf  den  gedauken 
kommen,  dass  Schlegel  erat  nach  seinen  schuljaliren  die  französische  tragödio  kennen 
lernte  und  daraus  manches  bei  der  Umarbeitung  seines  ontwurfs  verwertete.  Indess 
stimmen  auch  wichtige  sconen  in  den  fiühem  akten,  so  namentlich  die  scime  zwi- 
schen Dido  und  Jai'bas  und  die  geistersceno  mit  Lefrauc  de  Pompignan  übercin  und 
wenn  diese  scenen  gloichfals  erst  in  der  Umarbeitung  hinzugekommen  wären,  dann 
hätte  Johaim  Heinrich  gewiss  nicht  die  oben  augeführten  worte  gebraucht. 

Noch  ein  mnstand  darf  nicht  uiienvähnt  bleiben.  Die  französischen  litterar- 
historiker  haben  l>ercits  bemerkt,  dass  die  erschcinung  des  Jarbas  unter  der  maske 
eines  gesanten  von  Lefranc  de  Pompignan  der  Didone  abbandonata  dss  Metastasio 
(1724)  entlehnt  wurde.  Indoss  findet  sich  bei  Metastasio  ausseixiem  auch  der  kämpf 
zwischen  Aeucas  und  Jarbas.  Die  scene,  in  welcher  Dido  ihren  ersten  gemahl  zu 
erblicken  glaubt,  konte  der  französische  tragiker  noch  nicht  in  der  italienischen  oiier 
finden.  Völlige  Sicherheit  über  das  Verhältnis  der  dixji  Didodramen  zu  einander  würde 
freilich  nur  durch  eine  bis  ins  einzelne  gellende  Untersuchung  zu  eiTeichen  sein. 

Schlegels  Trojanerinnen  sind  merkwürdig  als  chai'akteristisches  beispiel  für  eine 
im  vorigen  jahrhundeit  sich  volziehende  boweguiig  des  deutschen  geistes.  Wir  sehen 
den  dichter  hier  über  die  französische  renaissancepoesie  hinweg  auf  die  muster  des 
griechischen  altcrtums  zurückgreifen.  Es  wäre  noch  zu  imtei'suchen ,  ob  er  dazu 
nicht  vielleicht  durch  Brumoys  einllussreiches  werk  über  das  griechische  theater 
(Theatre  des  Grecs,  1730)  veranla.sst  war. 

Für  (Iw  beurtoilung  des  Arminias  ist  in  den  oft  citierten  werten  Goethes  der 
massgebi*nde  gesichtspunkt  enthalten.  In  seinem  beri('ht  über  die  bühnonschicksalc 
tles  Arminius  konit  Wolff  auch  auf  die  französische  bearbeitung  zu  sprechen,  „ßau- 
viii  üborsezte  das  stü(,*k  17ü9  frei  ins  französische  unter  dem  titel  „Anninius'',  1773 
französierte  er  es  noch  mehr,  und  so  wurde  die  tragödio  als  ^Les  Clierus<iues *"  in 
Paris  nicht  nur  gedruckt,  sondern  auch  aufgeführt.*  Als  seine  fiuelle  für  diese  nach- 
richten  citiert  er  S<^hmid,  Chronologie  des  deutschen  tlieaters.  Er  hätte  sich  nach 
einem  bessern  gewährsmanne  umsehen  sollen.  Freilich  weiss  auch  Süj)lle  übiT  die 
Schicksale  des  Arminius  auf  dem  französischen  theater  nicht  viel  zu  sagen,  obwol 
er  in  seiner  geschichte  des  deutscheu  kultureinilusses  auf  Frankreich  bd.  1  s.  170 
Bauvins    Verhältnis  zu  Schlegel  und  die  verschiedenen  ausgaljcn  seiner  übersctzuug 


ÜBER   WOLFF,   JOH.    EL.    SCHLEGEL  233 

bespricht   Hinsichtlich  der  bühnendarstelluag  beschränkt  er  sich  auf  die  werte  ^nach 
aa^abe  von  Jördens  soll  Arminias  im  Jahre  1773  in  Paris  zui*  aufführung  gekommen 
seitx.*^    Und  doch  besitzen  wir  über  diese  Pariser  aufführung  einen  höchst  merkwür- 
digen, eingehenden  boricht  von  dem  alten  Gottschedianer  Grimm ,  der  wol  eine  wider- 
gal>e  an  dieser  stelle  verdient.   Grimm  schreibt  aus  Paris  unter  dem  1.  okt.  1772  (Cor- 
rcsf  ondanco  littorairo  ed.  Tourneux  bd.  X  s.  67  fg.):  ^Lo  theutre  anglais  n'est  pas  le 
sexxl  oü  nos  poetes  cherchont  aujourd'hui  leurs  sujots;   ils  viennent  de  faire  le  memo 
houJDoar  au  theutre  allemand,  et  Ton  a  donne,  le  26  du  mois  dernier  sur  le  theutre 
do    la  Comodie  Fran^aise,   la  premiere  representation  des  Cherusques,    tragedie  neu- 
volle,  imiteo  du  theatre  allemand.     C'cst  le  siget  d'Arminius,   traito  en  Allemagne 
par    feu  M.  Schlegel;  c'est  la  defaite  doYarus:  c'est  par  consequent  un  siget  national 
en    Allemagne.     La   piece  de  M.  Schlegel  est  imprimoe   depuis  environ  trente    ans. 
Je    crois  Tavoir  luo  dans  ma  jeunesse,  maLs  je  ne  me  la  rappelle  plus  en  aucune 
maniore;  je  n'en   pourrai   donc    pailer   que   d'apres  l'esquisse  franyaise.    Un  vieux 
bonhomme   de   soixante    ans,    appele   Bauviu,    pauvre   comme   un   rat   d'eglise   ou 
commo   un   poöto,    ce   qui   est    synonyme,    s'est   avise    un    peu    tard    de    prendre 
le    melier    de    faiseur    de    tragedies.      II    a    choisi    colle    de    M.  Schlegel,    et  Ta 
ajustoo   tant   bien   quo   mal    au    Theatre -Frany^.      II   en   a   fait    la    lecture    aux 
Coniediens,   qui  Tont  re^ue;   mais  tardant  longtemps  u  la  jouer,  le  pauvre  auteur, 
presse   par  la  faim,   l'a  fait  imprimer.    Elle  parut  en  1769,  et  ne  fit  aucune  Sen- 
sation.     Alors  los  Comediens  rosolurent,   je  crois,   de  ne    la   point  jouer   du   tout, 
et   Ton  pretend  qu'ils  ne  se  sont  depaitis   de  cette  resolution  que  parco  que  l'au- 
teur  a  eu  le  bonheur  d'interesser  M^o  la  daupliino  en  sa  faveur.    Getto  charmante 
et  au(^uste  princesse  a  esdge  que  la  piece  fut  jouee,  et  Ton  a  oboi.    Mais  los  acteurs 
ctaieot  si  porsuades  qu*ello  n'irait  pas  jusqu'u  la  fin  qu'ils  ne  s'etaient  pas  donne  la 
P^uio  de  Tapprendro.    Je  n'ai  jamais  vu  piece  aussi  mal  jouee.    M^o  Dumesnil,   qui 
est  presque  toujours  mauvaiso,  quand  eile  n'est  pas  sublime,  et  qui  commence  ä  etre 
^'^'^nicnt  sublime,  fut  dotestable  ce  jour-lu.    Elle  jouait  le  röle  d' Adelinde,  princesse 
cheruijquo,   mero  de  Thusnelde  et  de  Sigismond.     Thusnolde   etait  ropresentee   par 
Mmo  "Vestris.    Brizard   etait   chargo   du   role   de   Sogismar,   prince  chorusque,   pere 
dArminius,  joue  par  Mole.    Los  autres  rOlos  etaient  remplis  par  des  acteurs  si  mau- 
^^8,     que  jamais  la  patience  du  public  ne  fut  mise  u  plus  forte  epreuve.    La  picco 
P*^iUia  en  etre^la  victime;  mais  enfin,  apres  avoir  coui'u  les  plus  grands  risques,  eile 
®^t  1^  bonheur  de  resister  ä  tous  les  dangers  et  de  reussir.    L'auteur  fut  appele  u 
^^o^^ls  cris.    U  ne  put  ou  ne  voulut  pas  paraitre  le  premier  jour:  le  pauvre  homme 
J^avait^pas  peut-etro  d'habit  pour  so  montrer;   mais  ü  la  seconde  representation,   il 
^^  appele  de  nouveau,  et  vint  faire  sa  revcrence  au  public.    On  conto  quo  les  otats 
^-Äxtois  (rautour  est  de  ce  pays-lä)   lui  ont  promis  de  lui  faire  une  pension,   sup- 
P^*^    que  sa  piece  ait  trois  representations.    Si  cela  est,   la  pension  est  doja  gagnee. 
f*^»    quel  bizarre  et  ridicule  caprice  de  la  part  d'un  corps  aussi  respectable  que  les 
^ts    d'uno  province  d'attacher  un   bienfait,   apparemment  jugo   necessaire   et   bien 
I  *aoo ,  au  succes  d'une  piece  de  theatie !     Qu'a  de  commun  le  besoin  d'un  \ieillard 
^  ^oixanto  ans  avec  une  bonne  ou  mauvaiso  ti'agedie?    Quoiqu'il  en  seit  de  la  verito 
<i.«  la  faussete  de  ce  conto,  il  etait  si  bien  ctabli  dans  le  public  (lu'il  faut  conve- 
'^    ^n'ü  influa  sensiblement  sur  le  succes  de  la  tragedie.    Mais  apres  l'avoir  applau- 
®    ^n  theatre,  on  on  a  dit  beaucoup  de  mal  dans  le  monde.     Gu  l'a  trouvoe  froide 
^Unuyoüse;   mais  on  n'a  pas  asscz  considcro  combien  le  mauvais  jeu  des  acteurs 
^  fait  tort    Gn  commence  u  cn  pailer  aujourd'hui  avec  un  peu  plus  d'estime  ou 


234  CREIZENACH 

inoins  de  dönign^mont;   ce  qui  me  fait  presumer  que  les  comedieos,   qui  ne  s* 
daioDt  (Kis  a  i-o  suci^s.  la  jouent  avcc  uu  ix>u  plus  de  soin. 

Coniino  la  pioco  de  M.  Bauvio  est  imprimee  depuis  trois  ans,  je  me  suis 
l^nso  d*OD  fairo  ici  uuo  analyse  en  forme.    Les  changemoDts  qu  il  y  a  £uts  po 
romettro  au  thoatrc  nc  sont   pas  bion  considerablcs,   et  se  trouvenmt  en  tout 
bicntöt  daus  uno  nouvelle  edition  qu'il  ne  manquera  ]>as  d'en  faire  apres  V 
SU1.XVS,  quelle  viont  d'avoir  au  theatre."" 

AVir  orfahn^n  ab^  auch  aus  diesem  bericht,  dass  Marie  Antoinette  es  war,         die 
die  aufTührung  der  deutsehen  tragödie  in  Paris  durehsezte. 

Mit  der  tragödie  Canut  hat  Sehlegel  nach  seiner  Übersiedelung  nach  DaneiHraart 
einen  glücklichen  griff  in  die  geschichte  seines  adoptivvaterlandes  getan.    Mit  r^E^cht 
hat  AVolff  dii^sem  drama  eine  In^sonders  ausführliche  behandlung  zu  teil  werden       las- 
sen.    Er  Aveist  auf  eine  l^earbeitung  hin.    die  1780,   vierunddn?issig  jähre  nach    <joid 
erscheinen  des  Si^hlegelschen  dranias  giMiruckt  wurde,    also  zu  einer  zeit,   da  &c-Jion 
der  Alexandriner  auf  der  bühne  durch  die  prosa  verdrängt  war.     Wolff  will  dar^ao, 
wie    in   diex.'r   [mtsaautlosuug   eine  fülle  von   dramatischem  leben  entfesselt  iRiutle, 
das    in    der   engl«egrenzten    form    des    Alexandriners   verl»orgon   geblieben   ^"ar.        Es 
wäre  sehr  wünschenswert  gewmk^n,    wenn  er  diese  intervssante  beobachtong  durch 
nnchlichere  Knspiele  Wiegt  hätte.     Unter  den  urteilen   der   Zeitgenossen   registriert 
WolfT  auch    eine    stelle    aus    Li^ssings    dramatunnscher   corres|M>ndenz   mit  Nicolai- 
Inde^  hat  lA^s>ins:  si*in  eindringendes  Studium  des  Schlegi*ls^-hen  meisterwerkes  Äii.*^"b 
anderwärts  lvwiosi»n.     In  dem  entwurf:    ,Der  Schauspieler.    Ein  werk  worinnen   <^^ 
grundsätie  der  ganzen  köq«erlichen  l»erodsamkeit  entwickelt  wenien.*  Hempel  bd.  X 1 
s.  SoOfjx.  hat  er  oinici»  >tellen  in  den  rx^llen  des  Canut  und  des  Ulfo  im  hinblick   ^^ 
dit^  umleitenden  gi*sten  ausführlich  l«otrachtet.     Und  ausseniem  hegte  er  iirsprüi*^' 
lieh  die  ab^i'.ht,  in  der  dnuuatuqne  den  Canut  eingehend  zu  behandeln.     Im  sche^^oa 
;ur  fortM^iuuj:  ^IK^mjvl  M.  XXs.t>4l»>  notiert  er  .l*L  Canut«  Schlegels  Hang,  do»^** 
>tica  facta  ;u  wählen,     lluni  p.  211  N.  JSÖ.     Mittwochs  den  23.  September.*     "^    "^ 
keine  andon.*  notir  des  weni::  Km^hteten  Mhenias  —  abI^?sohen  vielleicht  von  nr.  t:^« 
wo  Iji^Nsmc  eine  untersuch uiic  ulvr  den  eher   in  der  tnu«ödie  in  aussieht   stell     ' 
Ijfcsst  ur.>  das  j.the  abbrvvhen  der  dramaruTpe  mehr  K>iauem.    Gewiss  würde  L^-*^' 

>ini  hier  ovianicn  entwickelt  haK'n.    die  i^in  nt^ues  licht  auf  Minna  von  Bamb«^*-^ 

* 

fallen  Ik^^üs^n  utid  die  !s:ch  Wv*l  auvh  nüt  den  o^iankeniv-ihen  Ki^rnhrt  hätten,    doT"*- 
welche  VnX'thc  Xv»::  llcmui:n  dem  Ohen;>ker  auf  döti  von  Beriichingen  hinübergel^^** 
tel  wur,:i\ 

i'iinut  ^Ä-ar.  cMiSv^  u:e  llemiaaa  Ktoit^  174S  auf  dem  re|«ertoire  der  Sei»*-** 
m*r.iaR:i>cbon  tmvjv  ::;  Fr;iu;kfurt  am  Mai::. 

E:!vr*  frech: Ivarxn;  c.^chTspur.kt  ha:  siv  h  W..!f  entcehen  lass^m.  Er  hätte  2^^^' 
iXHj  syj,c::.  w:o  Svhlcot^-s  :rac.>vhe  viik::.-?.,  d>.^  K^kar.üivh  von  fran  nt  Goethe  ^^ 
niu>:*T  ii'^  >t'-".:Vr,  \;'rC;i''tt^::  >::!>  ancv^fuhr:  u:ri,  s:.b  auscimt.  wenn  man  sie  Of^^ 
dT^n  -.'.a.'hw-rii^:  iV^:^<ht\is  und  soii^r  ar.hjicp.*:,  d^r  l\t2t.^hol,  Grimm,  Quistt^^T* 
usw.  \-.:,r:-!  ^^:-  l\;t\h  o::v  Sx^.ho  ^vt  r.uS. tsTi Ilür,:  »:ri  -i.v  Wdeutung  Schleg'ß^-*^ 
ais    sii'^  h;'rx,':rjLr.::.i^r.^r.   ^i.•.;^-.^.o:;  :rai'.kcrs  d-.r   .Ias^i:i^^:-ch■:tl   riv*htuiig   wol    ^^ 

lx\  K>;T\\>:.;r^  vU'i  'u^rvj^u^ic  VcTr.r:  i;:  x-^-^a^jt^r  et-  pe4«-'t,  dem  er  bcr?"^ 
fniV :  r  ;^,r,  :  v  .:r  •.*  p;'  r. .: ,  >  >:  /,  .v.  ,:r*.  c  - « *.  ^t r,^  i :  h *:.  M a:>:>.i-x^  >  :c  *^ai .  was  er  hier  ^^^ 
%:Tri>.:.j;«v.*:  S.M-.V''^  •-"^>--  *^i-  >:ivv.i>^  Iritik.r  >,"»>o  res:  i:H»  d<*  ScMegelscK*^" 
c\^xvrs»:>,v.>:,K',>    \  ,^:i.:- :*.*:: .    ;>5    ivwiss   K:\vh:Ä      IX«   vv;«   Letssäng    so   schrei 


r getadelten  ,geäcbiiftigfn  miissiggäDget'''  rühmt  Wolff  alh  das  onte  doutüche  aitteu- 
Inntspiel,  doch  köote  man  diese  meiiiuug  erst  daim  zur  diakitasiou  stellen,  neun  smvb 
die  soustigcn  ansätxo  zum  sittnnluBtspid  iu  jeuor  seit  gL-nauer  ins  aoge  gcfasst 
wiirdtiu.  Zu  aum.  126  ist  xu  bemerken,  doss  ühuliuhe  stoheude  rodouBarten  dorLei|i- 
xigcrinDen  auch  in  Mcoantes  satirisehem  romon  (Deutsuhe  □ationnUittcratur  bd.  37 
8,  480)  angnführt  werden.  Ebenso  wie  den  gesuhäftigon  müsaiggäuger,  nimt  Wolff 
Aai;])  das  lotenge.sprUuh  Dcmokrit  gegen  Lt-ssiag  in  Hehutz,  Lessing  hat  bekaot- 
üfh  (Dtamaturgio  st  XVII)  nicht  undeutlich  du  ruh  blicken  lassen,  dass  er  es  für 
p^nterei  hält,  wonn  Suhlegel  vun  Regiiards  vcrstüHseu  gegen  die  historische  wahi- 
svhflinliuhkeit  bu  viel  aul'bubeuä  macht.  Im  wcsuntlicheD  wird  dech  wol  Lostung 
rfKht  behalten.  Allerdings  ist  oh  daukonHwort,  dass  Wolff  auf  don  ZuBaoimenhang 
tiinweist,  der  zwischen  dem  toteiLgespriich  und  dem  Suhlegotschon  lustspiolfragment 
,dJo  drei  Philosophen"  bestobt.  Hier  bat  der  dichter  sich  lemüht,  Plato,  Diogenes 
"od  Anstipp  mit  treuerer  fcBUmltung  des  historiHchon  kolorits  in  eine  laatapiclintri- 
gao  XU  verwoben.  Eine  mossgobendu  bedcutung  in  der  gotieblchtä  des  IiisteriBchcD 
'uBtepiels  dort  Schlegel  deshalb  alwr  doch  nicht  beanspruchen;  unter  seinen  vorgän- 
ptm  auF  diesem  gebiet  musto  t'or  allen  dingen  auch  noch  Boursnult  berücksicb- 
Ugt  worden.  Wenn  s.  108  Leasings  jugendfronnd  Mylius  (+  ll'ii)  mit  dein  heraus- 
gebcir  dea  komischen  tlieaters  der  Deutschen  (1783)  verwechselt  wird,  so  ist  daK  fn-i- 
licfti.  ob  starkes  stüek. 

Zu  der  ansprechenden  eharattcristik  der  anakroontischou  lioder  und  criählun- 
£?>»  Schlegels  wäre  eu  bemerken,  dass  kaffoe  als  ein  gotiünk,  das  zur  poosie  begei- 
^tc^  kann,  schon  von  Neukircfa  iu  den  AnTangsgründen  der  reinen  teubichen  iioeaio 
M"wahnt  wird  {vgl.  HiWebraud  im  deutschen  Wörterbuch  IV,  21).  Nachdem  die 
_tofc«kBpooMie  in  Hoffmaon  von  Fallerslebon  einen  gosehJchtschroiber  gefunden  hat, 
I  vielloieht  auch  oininal  der  taffee  in  der  deutschen  dicbtung  im  Kusammenlumg 
tolltet  werden. 
_  Das  hauptgewiuht  legt  WollT  mit  iwht  auf  Schlegels  Wirksamkeit  als  theore- 

^tttor  und  kriliker.    Sein  respektvoll  diplomatisches  vorhiiltuiH  »u  Gottsched  ist  duruh- 
treSbnd    chiirakterisiert.     Daüs   t^hlegel   kein   gewöhnlicher  Gottachedianer  sei, 
F**aoten  dio  gognot  sehr  bald:  Pyra  im  Erweis  dass  die  Oottachedjanischo  secte  den 
|j*®chfnack  verderbe  s.  10-1,    behandelt  ihn  sehr  höflich,   auch  die  Neuborin  suchte 
]"**    KU  sich  horüborzuziohen.    Dnnzols  ansieht  von  Oottsehod  als  dem  scböpfer  der 
•"^     uiner  deutschen   uatiotiallittoratur  hat   Wolil   ku   sehr    auf  treu    und   glauben 
Für  Sühlegchi  anfüge  war  auch  noch  dor  auDtatx  von  Puter  über  die 
>  der  jKtesie  an  den  fürstenschulen  (Mitteilungen  des  voreing  f.  d.  gosch.  d.  stadt 
1  bd.  I  hcft  3)  zu  berücksichtigen. 

Don  ergobnissen  Antoniowiczs  über  die  französisehon  quellen  Schlegels  stimt 

^yUt  im  wesentlichen  bei.    Gewia  mit  recht,    denn  was  inzwischen   Braitmoier  in 

^'ST  GoBchichlo    der  poetischen   theorie  usw.    (L  I,  Frauonfeld  1888)   gegen   diese 

'^(iüsohe  einwirkung  vorbringt,  ist  wenig  überzeugend.    Dass  Schlegel  sich  schon 

**«otJg  in  der  französischen  litteratnr  umsah,  Iwweist  seine  bokantschaft  mit  Lefrooc 

XNnnpignan.    Schlegels  ansuchten  über  dos  material  der  nachahmung  in  dor  iwosio 

mit  Vatrys  theorie  so  nahe  verwant,    dass  man  wol  den  gedanken  einer  entleh- 

I  Seiten  Schlegels  festhalten  darf.     Anders  steht  es  Avilich  mit  Schlegels 

*^*%iiptuog,  derjenige,  welcher  nachahmt,  müsse  „sich  nach  don  Vorstellungen  derer 


"»i.; 


die  das  bild  vergnügen  snll.„     7.  Wir  haben  : 
1  Hipiwlyt,    kurz  ganz  i 


Zeiten  < 
gemacht,   welche 


rieics  \ 


\ 


236  VOIGT 


dem  W0S6D  der  grossen  unserer  zeit  halben  und  nur  in  alte  nameo  gekleidet  8in<^J^ 
In  diesem  falle  ist  es  entschieden  zu  weit  hergeholt,  wenn  Antoniowicz  oioen  z\ 
menhang  mit  Fraguiors  Retloxions  sur  les  dioux  d'Homere  annimt.    Braitmoier 
gewiss  das  richtige  getroffen,  wenn  er  auf  die  verwantschaft  mit  der  Broitioger8Gt=3fiii 
theorie  hinweist.    Auch  sonst  sind  in  Braitmeiors  darstellung  einige  wichtige  puni 
besser  hervorgehoben,    so  namentlich  die  Übereinstimmung  Schlegels  mit  Lessing 
der  beurteilung  dos  Philoctet  (vgl.  Braitmoier  s.  252).    Zu  dem  ^schreiben  von  erri« 
tung  eines  thcaters  in  Kopenhagen'^  wäre  noch  zu  bemerken,    dass  bereits  Gottscl 
in  der  deutsclion  Schaubühne  t.  11  s.  22  auf  dio  notwondigkeit  einer  tantieme  für 
dramatischen  scliriftsteller  hingewiesen  hatte. 

Der  Verfasser  war  in  der  läge,    ungedrucktes   briefliches   matorial   für   se^  Joe 
arbeit  zu  benützen.    Ausserdem  hat  er  zum  ersten  male  eine  handschriftliche  sam^Mn- 
lung  von  godiclitcii  des  vators  Scldegel  herangezogen  und  dadurch  mancherlei  hübsci^^c^ 
Züge   für   die   Schilderung   des   elterlichen   hauscs   und   der   ersten  jugendeindrü^rlo 
gewonnen. 

KKAKAU,   IM   FEOR.    1880.  WILHELM   CBKIZKNACH. 

Friedrieh  Lauchert,  Geschichte  dos  physiologus.    Mit  zwei  textbeilagen. 
Strassburg,  Karl  J.  Trübner.  1889.    8.    XIII  und  313  Seiten.    7  m. 

Nachdem  uns  J.  V.  Carus  in  seiner  ücschichte  der  zoologio  1872  aus  der  foder  des 
dr.  Hügel  eine  geschichte  des  physiologus  in  aussieht  gestolt  hatte,  empfangen  wir  nun 
durch  Friedrich  Lauchert  das  orwaileto  buch,  welches  bei  der  Wichtigkeit  dos  phy- 
siologus für  die  geschichte  der  Zoologie,  der  fabel  und  des  ticrschwauks,  dos  Sprich- 
worts und  dos  opimythions,  der  ticrbildlichen  typen  in  litteratur  und  kunst,  wie  des 
Stifts-  und  klostei*schul Wesens  von  vorn  herein  auf  algcmoines  Interesse  anspruch 
erheben  darf.  Wir  werden  zu  prüfen  haben,  wie  weit  die  gcspanten  crwartungen, 
mit  denen  wir  das  werk  in  die  band  nelimeu,  in  ihm  erfült  werden. 

I.  Der  erste  teil  (s.  1  — 109)  bietet  1.  oino  Vorgeschichte,  2.  inhaltsüborsicht 
und  quellennachweis  der  ui*sprünglichen  49  stücke  sowio  einiger  späterer  anhängscl, 

3.  entstehuug,  4.  Überlieferung  des  griechischen  tcxtes,  5.  patiistische  Zeugnisse  der 
jütereu  zeit,  G.  l>esprechung  der  alten  Übersetzungen,  nämlich  des  aethiopischon,  des 
armenischen,  der  syrischen,  des  arabischen  textes,  7.  luid  8.  der  lateinischen  Ver- 
sionen, 9.  und  10.  des  physiologus  in  mittelgriechischen  tiorbücheru  und  in  der  natur- 
goschichto  des  mittelalters,  11.  eine  vergleichendo  übcreicht  der  verschiedenen  anord- 
nungen. 

II.  Der  zweite  teil  (s.  110  —  228)  eroi-tert  1.  die  Übersetzungen  und  boarbei- 
tungen  des  physiologus  in  der  germanischen  und  romanischen  litteratur,  2.  und  3. 
die  Verbreitung  der  physiologus -typen  in  di<;htung  und  kunst  des  mittelalters,  sowie 

4.  die  lezten  nach  Wirkungen  des  physiologus  bis  in  die  neue  und  neuesto  zeit. 

III.  Im  anhang  wird  der  toxt  des  griechischen  wie  des  jungem  deutschen 
physiologus  (s.  229  — 299)  nebst  nachtrügen  und  register  gclfoten. 

Man  sieht,  das  buch  bringt  vielerlei.  Je  mehr  man  sich  aki*  hincinliest, 
desto  deutlicher  erkcnt  man,  dass  man  es  hier  nicht  mit  einer  eigentlichen  forschunj^ 
zu  tun  hat,  die,  unbefriedigt  von  dem  vorgefundenen  stände  der  erkentnis,  selbstiin- 
dig  und  kühn  nach  allen  richtungen  hin  den  gegenständ  zu  ergründen  und  aus 
umfassender  samluiig  unbonuzten  quellonmaterials  und  eindringender  durchdenkung 
desselben  neue  aufschlüsse  zu  gewinnen  strebt,  sondern  mit  einer  kritischen  Zusam- 
menstellung der  an  den  vei*schiedcnstcn ,   oft  schwor  zugänglichen  oiten  zerstreuten 


ÜBER  LAUCHKRT,  PHYSIOLOOUS  237 

bisherigen  orgobnisse  der  physiologus-forschung,  die,  weil  im  ganzen  mit  sachkent- 
nis  und  besonnenem  urteil  durchgeführt,  für  den  fernereteh enden  ebenso  lehrreich 
und  wilkommen  ist  wie  sie  die  erwartungeu  des  keimers  in  der  hauptsaclie  unbefrie- 
digt lassen  wird.  Der  wert  der  einzelnen  abschnitte  ist  somit,  je  nach  dem  grade 
wie  vorarbeiten  vorliegen  und  dem  Verfasser  bekant  bez.  zugänglich  waren,  ein  sehr 
verschiedener:  recht  interessant  ist  I,  2 — 5  und  II,  2,  wenig  gehaltvoll  ist  IT,  3, 
die  übrigen  stücke  halten  eine  gewisse  mitte  inne. 

Gehen  wir  nun  die  einzelnen  kapitel  durch,  um  auf  lücken  und  mängel  auf- 
merksam zu  machen. 

S.  77  fgg.  vermisst  man  die  wichtige  stelle  Augustins  über  die  fulica  (in  Psalm, 
cm,  17):  Intelligimtis  petram  esse  idaneatn  fulieae  domuvi,  niisquam  fortiiis  et 
ßmiius  hahitat  quam  in  petra.  In  quali  petra?  In  mari  constidUa.  Eist  tun- 
litur  fluctibuSf  frangit  tarnen  flnHuSf  non  frangitur:  hoc  habet  niagnum  petra  in 
narr  constituta  ....  Ergo  fulieae  damns  et  fortis  est  et  humilis,  Non  habet 
lomum  fulica  in  excelsis;  nihil  illa  domo  firmius  et  nihil  humilius.  In  cedris  qui- 
fern  nidificant  passeres,  jyropter  praesentem  necessitatem :  sed  peiram  illatn  habent 
fucetn,  qnae  fluctibus  tunditur  et  non  frangitur,  —  Zu  s.  G8  —  79  konte  die  fleis- 
igo  monographie  von  Feiner  „Vom  Phoenix  in  den  Schriften  der  väter**  (München, 
*rogr.  des  Ludwigs -gymn.  1840/00)  benuzt  werden.  —  S.  80.  Das  programm  von 
C.  Ahrens  (Ploen  1885)  konte  der  Verfasser  nicht  zu  gesiebt  bekommen,  obwol  ein 
chrciben  an  die  gymnasial -direktion  vermutlich  hingei-eicht  hätte,  ein  oxomplar  des- 
dben  zu  seinem  eigontum  zu  machen.  Es  ist  eine  sehr  lesenswerte  studio,  die 
licht  bloss  überzeugend  nachweist,  dass  das  syrische  tierbuch  des  Brit.  museums  aus 
ler  herm  Lauchert  unbekant  gebliebenen  handschrift  Ind.  ofllce  Ms.  Syr.  n.  9  abiftamt, 
sondern  auch  überhaupt  eine  eingehendere  Untersuchung  über  die  quellen  des  phy- 
(iologus  enthalt. 

S.  88  —  94  werden  nach  dem  einleuchtenden  beweise,  dass  die  erste  lateinische 
ibersetzung  des  physiologus  bereits  vor  431  verfasst  sein  muss,  die  beiden  bekanten 
lauptübertragungon  angegeben,  nämlich  die  durch  die  lis.  10074  von  Brüssel  und 
233  von  Bern  reprilsentierte  klasso  AB  und  die  durch  die  Bemer  hs.  318  vertretene 
klasse  C,  somit  die  geschieh to  des  lateinischen  prosatextos  mit  dem  10.  Jahrhundert 
abgeschlossen.  Da  es  nun  die  lateinischen  fassungen  waren,  welche  diese  tierbilder 
dorn  abendlande  übermittelten,  da  der  hauptoinfluss  des  physiologus  auf  die  abond- 
ländische  litteratur  und  kunst  in  die  zeit  vom  10.  — 14.  Jahrhundert  fält,  da  endlich 
gerade  derartige  litterarische  produkte  den  mannigfachsten  orweiterungen  (auch  Vin- 
cenz  von  Beauvais  Spec.  natur.  XX,  172  de  testudine  benuzt  einen  erweiterten  phy- 
suologus)  und  Verkürzungen,  sowie  sonstigen  änderungen  in  reihenfolge,  verlauf  der 
Handlung  und  ausdeutimg  ausgesezt  sind,  so  wäre  es  die  pflicht  des  Verfassers  gewe- 
sen, etwa  in  der  weise,  wie  es  Oesterley  für  die  Gesta  Romanorum  getan,  die 
geschieh te  des  textes  durch  das  ganze  mittelalter  zu  verfolgen,  also  womöglich  die 
sämtlichen  erhaltenen  handschriften  aufzuspüren,  sie  auf  ihre  spezifischen  eigentüm- 
lichkciten  hin  zu  untersuchen  oder  durch  die  allezeit  bewährte  liebenswürdigkeit  der 
bibliothekare  untersuchen  zu  lassen  und  so  die  handschriftliche  Überlieferung  des 
lateinischen  physiologus  während  des  mittelalters  auf  bestirnte  grundtypen  zurückzu- 
führen. Nur  so  hätten  wir  über  die  Schicksale  der  ph.- texte  von  jahrhimdert  zu 
jahrhimdei*t  volles  licht  erhalten,  nur  so  hätte  sich  auch  jedesmal  die  lateinische 
quelle  der  volkssprachlichen  bearbeitungen  nachweisen  lassen,  für  deren  abweich un- 
gon  von  AB  und  C  der  Verfasser  wol   eine   in  diesen  punkten  bereits  modificierte 


238  VOIGT 

latoinischo  vorläge  vermutet  (s.  126  anm.  1,   131  anm.  1,  133  anm.  1,  138  z.  9— 1£ 
140  z.  17  fg.),   aber  eben  leider  nicht  anzugeben  vermag.    £r  weist  wo!  auf  die 
M.  F.  Mann  (Anglia  VIT,  445  fg.)   genanten  Handschriften  hin,   hat  aber  noch  nie! 
einmal  die  ihm  so  bequem  erreichbaren  Münchener  verglichen,  geschweige  denn 
er   die   gerade   in   dieser   hinsieht   so   zuverlässigen   handschriftenkataloge   daranfl^ma 
durchgesehen  hätte.    Ich  habe  mir  von  physiologus-handschriften  seiner  zeit  notie: 
Angers  294  —  Avranches  28  —  BriLssel  8340  —  Douai  073  —  ifcpmal  48  und  58 
Gent  IG  —  Kopenhagen  1634  (Kl.  lat  denkm.  s.  6)  —  ITiddlehill  4725  (Jahn  und 
bode  Neue  jalirb.  suppl.  VIU,  1842  s.  448)  —  Oxford  cod.  Bodl.  misc.  lat  247  (wozu 
der  katalog  auf  den  druck  bei  Hugo  de  S.Victore  Venedig  1588  11,  189  hinweist)   — 
Paris  Bibl.  Nat.  3638  a,  4931c,  8564  (?),  10448,  11207  —  Pommerafolden  2913  nod 
2917,  und  aus  der  ältesten  zeit  Bern  611  (fol.  116»»— 138»»)  s.  VIII/IX,   Oxford  ood. 
Bodl.  misc.  lat  129  s.  IX  und  Wolfenbüttel  cod.  Gud.  148  s.  X,  welch  lezterer,  wie 
aus  einer  mir  von  W.  Scherer  gtitigst  überlassenen  abschrift  zweifellos  hervorgeht, 
zur  klasse  C  gehört,    ebenso  wie  das  Toletaner  fragment  bei  Isidor  od.  Arevali  JY, 
521.    Auf  diesem  wego  hätten  wir  auch,   was  wir  in  dem  vorliegenden  buche  rocht 
vennisscn,  einen  stambaum  der  gesamten  physiologus-recensionen  erhalten. 

S.  95.    Bei  der  hohen  Wichtigkeit  Gregors  des  Grossen  für  die  litteratur  des 
mittelalters  üWrhaupt  wie  für  die  Verbreitung  der  physiologischen  allegorik  insbesoa- 
dero  war  es  wünschenswert,    die  bei  ihm  vorfindlichen  physiologus- spuren  sorgfiüti^ 
und  erschöpfend  zusammenzustellen.    Hier  mag  nur  zu  dem  dritten  zugo  der  schlang 
(Ph.  11«")  auf  Hom.  in  Euang.  II,  32,  2  hingewiesen  werden:  Xüiil  maligni  spirUu^ 
in  hoc  vmfuio  proprium  possident.    Nudi  ergo  cum  nudis  luetari  debemus.    }sar99- 
8%  msiitus  quisquam  cum  nudo  luctatur,    cittus  ad  terram  deieitur,    quia  habet 
Wide  teneatur.     Quid  enim  smU  tcrrctm  omnia  nisi  quaedam  corporis  indumerUa  ^ 
Qui  ergo  contra  dialtolum  ad  certamen  propcrat,   uesti^nenia  abiciat,   ne  suceum^ 
hat.  —   S.  97   anm.  3.  Zu  dem  verse  Ph.  Theob.  146  Dicitur  a  Pkysio-,  cum  doe^ 
inde,  -logo  bemerkt  der  verfassen    ,,  Solche  abgeschmackte  worttrennungon  komm^«* 
bekautlieh  in  der  lateioischen  poesie  des  mittelalters  nicht  selten  vor;   ich  erinncr*^ 
an  den  schönen  vers  beiRabelaisPautag.il,  41:  Deficiente  pecu-  deficit  omne  -uto-  ** 
Verfasser  besizt  eine  viel  zu  dürftige  kentuis  der  mlat.  dichtung,   als  dass  ihm  el«^ 
recht  zu  einem  solchen  urteil  zustände.    Von  vereinzelten  Spielereien  abgesehen,  wt^^ 
sie  allen  epigonenlitteraturen   oi^en   sind ,   finden    sich   derartige  Worttrennungen  i  ^^ 
ihr  nur  in  ganz  seltenen  fällen  zwingender  prosodischer  notlage.    Je  mehr  sich  heiC^ 
Lauohert   mit   diesem  zweige   der  litteratur   beschäftigt,    desto   mehr  wird   er  sei** 
^bekantlich*^  und  sein  ^nicht  selten*  einzuschränken  lernen.  —  S.  98.  Der  zug, 
die  hirsche  l)eim  durchschwimmen  eines  flusses  eine  linie  bilden  und  zwar  so, 
immer  der  hintermaim  seinen  köpf  auf  den  rücken  des  Vordermanns  legt,  geht  nicb^ 
auf  Gregor  zurück,   sondeni  findet  sich  schon  bei  Plinius  VIII,  50  und  dann  wide« 
holt  l>oi  Augustin,  vgl.  in  Psalm.  XU,  4,  CXXIX,  4,  I)e  diuersis  quaest  IJÜCI,  1. --^ 
S.  98.    Der  al»schnitt  von  der  spinne  in  Theobalds  ph^'siologus  beruht  auf  den  (ii»^ 
stellen  wie  JobVIÜ,  14,  IsaiasLIX,  5  fg.  von  ihm  und  seinen  vorgangem  entwickele 
ten)  ausführungen  Gregors  Mor.  VIII,  44:    Bcmc  hyptycritarum  fiducia  araneantrß^ 
telis  similis  dicitur,    quia  omne,   quod  ad  obtinendam  gloriam  exsudanty   uenit^ 
uitae  mortalis  dissipat  . . .  Aratuiarum  tela  studiose  texitur,  sed  subito  flatu  diss*' 
patur.  —    S.  99.    Das  hier  citierte  tierbuch  der  Leipziger  Universitätsbibliothek  i^ 
identisch    mit   der   U^reits   aus   dem  XII.  Jahrhundert  stammenden  versification  tod 
Isidor,    die  den  titel  führt:    Xature  aftimalium  extracte  de    Ysidoro   (ine.  Katur^^ 


0nCB  LAÜCHIBT,  PSTUOUMim  839 

nari-is  animalin  »wit  rcdimila.  Tiujur  limx  morrs  hiU  reditmre  slude]  und  aucli 
im  cod.  Bern.  40a  a.  Xll/Xlil  f.  1  — 38"  sowie  in  Av.r  stiftsbiblioUiet  St.  Hurian  au 
Uni  im  cod.  ICC  f.  272'— 307*  erhalten  ist,.  Weshalb  der  Verfasser  betrcfa  des 
iDdfTvi)  Thicrfelderschen  hinweiees  auf  den  Brcslaaor  pliyaiologus  oicbt  oiuo  anfrago 
nn  dio  ilorugo  imivereitätsbibliothek  oder  an  Rudolf  Peiper,  die  siclior  auf  das  lic- 
buuwürdigHte  beantwortet  worden  wäre,  zu  richten  für  gut  befunden  hat,  ist  nns  bei 
dem  ADtor  einer  ^Gesehichto  des  physiologus*  ebenso  wenig  erklärlich  n*Jo  so  nionuhe 
udere  uuterlasKimgasUnde  des  huchcs. 

8.  124.  Dio  lehre  von  den  sieben  oigonschafton  der  taubo  braucht  nicht  aus 
ilüx.  Noiibam  Do  nat.  ivr.  s.  100  ttntnommen  zu  sein,  findet  sich  \ielmebr  in  der 
(«Uristik  sehr  häufig  (Boda  bei  Migno  XCIV,  ö2,  Hrab.  Maur.  zu  Matth.  III,  IC, 
Hnpiio  Hoin.  dp  temp.  16,  Gunrricus  Abliw  Sernio  VI  de  piirificntinne  und  sonst) 
anil  War  um  die  inittu  des  XIII.  jalirhunderts  gewiss  liingst  ein  geinciugut  der 
getnl(l<^taD  geworden.  —  S,  134.  Bei  der  symbolischen  ansdeutting  des  hahos  falt 
DS  auf,  dass  der  Verfasser  uiuht  das  im  mitti^lalter  so  sehr  beliebte  gedieht  MttUi 
««'  presliileri,  qui  iynorant  giiare  (gedruckt  z.  b.  Serap.  I,  107  fgt;.)  zur  vorgloi- 
chniie  hernnuieht.  Auch  Marbods  lapidarius  kent  er  s.  136  nicht.  —  8.  139  unton. 
Der  hier  hervorgehobene  neue  zug  in  der  faliel  von  der  orwockung  des  Jungou  lüwen 
g**'  gewiss  auf  Guang.  Job.  XI,  43  zui'iiok.  —  S.  140.  Die  aiialegung  der  viper- 
cigonschaft.  auf  den  neid  ist  ganD  iin  sinoo  des  im  inittolaltcr  vielbezeugtfn  sprich- 
«orts,  dass  neid  zuerst  den  eignen  herra  fresso,  dorchgefülirt,  vgl.  meine  nachweise 
*"  ^ecunda  Ratia  I,  795.  —  S.  142.  Von  den  beiden  neuen  zügon  des  raben  beruht 
''*''  «Weite  auf  dem  simchwort  Comix  eorniei  ociilog  tum  effbdil  (vgl.  auch  Georges 
'■  "-  fnTBij-);  der  erste  ist  von  Isidor  (auch  Sont  m,  43,  5)  aus  Gregor  übornom- 
""■*:  Mor.  XXX,  9,  33  Esl  adhiic  ntiud,  quod  de  eorwa  moraliter  possit  haeUigi. 
""Itt  nmngtie  pullis,  tU  fertur,  rseam  jikne  jiracbere  ditaimutat ,  priusquam 
/''"'n^seeiulo  nigrfseant ,  ejj$qHfi  inedia  afftri  patitur,  quoadiuque  in  Ulis  per  pen- 
""""^tm  ni^edimm  aua  »imilitudo  uidetUur.  Qui  liue  illueque  uagantur  in  nido 
^'tionim  exprluitt  apurto  ort  subaülium-  AI  cuin  nigreseere  coeperint,  lanlo  ria 
P*^**^^ida  alinunta  nriUntius  requiril,  quaiita  iUoa  alere  diutiu»  distutil.  — 
°-  1^43  onm.  C,  Der  hier  aus  Isidor  bezeugte  aberglaube  wird  schon  von  PUnius  VITT, 
--1  34  uud  Sorvius  zu  Voi'g.  Eolog.  IX,  54  sowie  in  wortgeoauer  überoinstimmnnB 
^''O  Ambrusius  Hexaem.  VI,  4  üherhofort:  Lupus  ai  prior  liumitKm  uirlrril,  uocem 
*^pit,  ti  despitit  enm  tanqaam  uicior  uoeia  ablatar.  hU'm  ai  at  praeuiaum  a<m- 
"'^^i  I  deponcl  fcraciam,  nim  polest  eurrere,  —  S.  148  z.  2  fg.  Dieses  glcichnis 
*nonort  na  einen  lieblingsgcdonken  des  Petrus  Chrj'sologus:  Sol  langil  sterPora,  tum 
*'"ntn  atereoribua  inquinalur  (Sermo  3,")  und  04). 

8.  158.  Bei  der  hier  atigezogeoen  stello  dos  ags.  Crist  darf  moo  sohwerlich 
■n  den  Phoenix  denken,  sondern  an  den  vogel  überhaupt  (nach  Sap.  V,  10)  und  wenn 
•"  ohien  bostiniton,  dann  an  den  adler  (nach  Prouorb.  XXX,  18,  woiier  aui'h  die 
'"ofte  Mgenschalt  der  sciilange  bei  Hugo  von  Lau  genstein,  die  s.  174  angegeben  wird, 
"*  stammen  scheint).  Die  spricbwörtlichkeit  derartiger  stellen  erhellt  aus  Fecunda 
^'m  I,  320,  524.  —  Auch  die  stelle  aus  der  predigt  Aeltrics  ist  schwerlich  direkt 
"'S  (ic,^  phys.  entnommen;  dieser  gegenwtz  der  goselligfrohen  tauben  und  der  oiti- 
'*'''^o,  beschaulichen  turtellaube  wird  üburaus  häufig,  zumal  zu  Lucas  ü,  24,  von 
_"  lon^lienTfilem  hervorgehoben,  vgl.  meine  nachwoiso  zn  Fecuuda  Ratis  I,  951, 
'*  Über  deu  s.  ICO,  z.  7—0  angeführten  zug  zu  I,  230.  —  Elx-iiso  zweifelhaft  ist 
"  "»»Ir,  ob  die  auf  Greg.  Mor.  XX,  22,  48  luinictgebendo  syniliolik  di-r  rechten  und 


240  VOIGT 

lioken  altarseite  (s.  lOß  oben)  mit  der  Charadrius-fabel  zusammenhängt  —    S.  167- 
Durch  eine  anmerkung  der  spanischen  Übersetzung  von  Ticknors  litteraturgescbichto 
wird  der  Verfasser  auf  die  Madrider  handschrift  des  libro  de  los  Enxemplos,  in  dp»r 
stücke  vom  Antholops,   Hydms  und  Einhorn  vorkämen,   aufmerksam  gemacht;  im 
nachtrag  s.  300  fgg.  wird  aus  dem  in  jener  handschnft  entlialtenen  katzcnbache  ,da*» 
bislier  noch  gar  nicht  als  solches  erkanto  bruchstück  einer  spanischen  physiologns— 
bearbeitung",   bestehend    aus  Autholops,   Hydnis   und  Vulpes   (die  einhom&bel  de« 
katzeubuchs  ist  nämlich  nicht  physiologisch,   sondern  aus  dem  Barlaam  des  Joann?^ 
Damascenus  entnommen,  vgl.  Zs.  f.  d.  a.  XXTII,  298)  mitgeteilt    Joder  sachkundi^^ 
Icser  schüttelt  den  köpf,  denn  es  handelt  sich  um  nichts  weniger  als  um  etwas  nene^-y 
nur   um   die   spanische   Übersetzung  des  Odo  de  Ciringtonia,   die  bereits  1865  vo^«» 
H.  Knust   in  I^mckes   Jahrbuch    für  romau.    und  engl,  litt  VI,  1 — 42,    119—14^ 
publiciert  ist,    deren  lateinisches  original,   von  teilabdrücken   abgesehen,    18G8  vo«* 
H.  Oesterley  bei  Lemcke  IX,  121  —  154  sowie  1884  von  Her\ipux,   lies  Fabulistc»«* 
latins  II,  587  —  713  horausgogebt;n   ist,   dessen   quollen,   auch    den    physiologische «» 
anteil,   ich   in  der  Zs.  f.  d.  a.  XXIII,  283 — 307    aufzuzeigen   versucht   habe;  v^X- 
ferner  meine  nachweise  in  den  Kl.  lat.  denkm.  s.  36  —  51,  Zs.  f.  d.  a.  XXII,  387  f^--i 
Oesterley  \m  Lemcke  XII,  129  —  154  und  Gcsta  Rom.  s.  239  und  252,    Hervieux  X^ 
044  —  680.    "Wenn  man  vorwundert  nach  dem  gründe  fragt,   wie  es  kam,   da.ss  ei«i 
in  den  jüngst  voi*flossenen  jahrzt?hnten  so  vielfach  behandelter  thiersymboliker  der"*^ 
Verfasser  unbekant  bleil)en  konte,   so  ist  die  antwort:   alles  was  nicht  ausdrückhc?^ 
die  finna  „Physiologus**  trägt,  lä.sst  er  bei  seite;   dass  der  physiologus  nur  ein  gli^^ 
in   der   ausgedehnten   reihe   der   mittelalterlichen   tiei-dichtungen   ist   und   dass  eir»^ 
geschichte  dieses  gliodes   nur  in   dem  masse  gelingen  kann,   als   man   die   übrige?» 
glieder  kent  und  vergleichend  im  äuge  l)ehält,  das  hat  er  sich,  wie  wir  unten  nocrli 
deutlicher  sehen  werden,  nicht  genügend  klar  gemacht  —  S.  174.  Des  igels  boshcit  i^t 
nicht  sowol  aus  dem  physiologus,  als  vielmehr  aus  der  sprichwörtlich  gewordenen  (vgrl- 
zu  Fee.  Ratis  I,  1502  und  Gloss.  Jun.  400)  stelle  Gregors  Mor.  XXXIII,  29  zu  erkläre^«»- 

Zu  II,  3,  der  Symbolik  des  physiologus  in  der  christlichen  kunst,  wird  jedc^r 
leser  sich  leicht  ergünzungen  machen  können,    z.  b   A.  de  Rochambeau,    Priourc  cl<^ 
C'ourtoze  et  ses  j)eintures  murali»s  du  XIP  sicclo,    Paris  1874,   Hammann,   Briqti<?« 
Suissos  omees  de  bas-reliefs  du  XIIP  siede,    Genf  1869,    Aus*m  Weerth,   Kuns*^- 
denkmäler  des  christlichen   niittolalters  aus  den  Rheinlanden,   meine   nachweise    ä'* 
Ecbasis  s.  57  nro  4.     Die  dürfligkoit  seiner  mitteilungen  in  diesem  abschnitt  entschi  J- 
digt  der  Verfasser  s.  VI  damit,  dass  kuustgoschichte  nicht  seine  sache  sei.    Das  sie^>* 
man  allerdings,  und  niemand  wird  von  ihm  eine  geschichte  der  tierbildnerei  im  mi*' 
tolaltor  verlangen.     Was  man  aber  von  ihm  verlangen  miLss,  ist  die  fordcrung,  dus^ 
wenn  er  einmal  eine  geschichte  des  physiologus  schreiben  will,  sich  ebenso  wie    ^^ 
in  theologischen  fragen  die  übemus  wertvollen  informationen  des  herrn  professor  Fri*^ 
drich  eingehet  hat,    sich  auch  auf  dem  archäologischen  gebiete  einen  sachkundig^?" 
ratgeber  sucht  und  nach  dessen  Weisungen  die  kunst^eschichtliche  litteratur  für  s^^' 
neu  besonderen  zweck  gründlich  ausbeutet.    In  dem  augenblick  wo  wir  uns  eine  wis- 
senschaftliche aufgäbe  wählen,    sind  wir  frei;   haben  wir  sie  aber  gewählt,   so  siD^ 
wir  ihr  sklave  geworden. 

So  viel  zu  den  kapiteln ,  die  das  buch  enthält  Al>er  wir  vermissen  doch  ai»<^" 
andererseits  manches  kapitel.  So  z.  b.  eine  klarlegung  der  wege,  auf  denen  die  ti*-*'' 
geschichtlichen  züge  des  physiologiLS  aus  den  engeren  kreisen  der  geistlichen  %Jt.^ 
gelehrten   in  die  weiteren  schichten  der  gebildeten  und  in  das  volk  ül)erhaupt  Cf^' 


ÜBER  LAÜCHKRT,   FH7SI0L0OU8  241 

gedrangen  sind.    Hier  war  auf  spiellcute  und  dichter,   stein  motze  und  holzschnitzer, 

auf  dio  predigt  und  namentlich  auf  den  Schulunterricht  hinzuweisen.  Specht,  geschichte 

des  iinterrichtHwesens  in  Deutschland  s.  148  fg.,  sezt  auseinander,    dass  in  der  geo- 

metrie -Station  des  quadriviums  vorzugsweise  goographie  vorgetragen  sei,  und  manche 

anzeichen  wiesen  darauf  hin,    dass  sich  damit  ein  naturgoschichtlicher  Unterricht  auf 

gmnd  von  Isidor,  Hraban  und  dem  physiologus  verbunden  habe.    Man  darf  hinzu- 

Higeii,  dass  zumal  seit  der  abfassung  von  Thcobalds  physiologus  und  je  mehr  dieses 

büchlein  sich  verbreitete,  der  physiologische  Unterricht  in  die  trivialstufe  hinabstieg 

und  dass  man  dasselbe  schon  in  den  untersten  klassen  neben  Cato,    Avian  u.  a.  um 

so  lieber  las,   als  man   daran    bequem   die   einführung   in   die   metrik   anschliessen 

konte.     Sowol  Eberhard  von  Bethune  (Ijaborintus  III,  87  fg.)  wie  Hugo  von  Trimberg 

(Registrum  688,   746  —  749)   bezeugen  den  physiologus  als  Schulbuch,    und  lezterer 

nont  ausdrücklich  Theobalds  dichtung  unter  jenen  elementarbüchera ,   qui  in  sUulio 

eurrf^fU  puerorum  (690);   in  dem  Wessobrunnor  katalog  vom  jähre  1227  (Sorap.  II, 

258)  \rird  der  physiologus  unter  den  libri  scolaMici  aufgeführt,  und  in  dem  von  abt 

Frowin  (1131  —  78)  abgefassten  Verzeichnis  der  Engolberger  büchersamlung  erscheint 

als    selbständige  gruppe  eine  mit  dem  physiologus  beginnende  Schriftenreihe   (Liber 

^  ncUura  bestmrum  —  Äuianus  (bis)  —  Auianus  nomis  —  Fabule  poetarum  — 

A^oww«  Cato  —  Expositw  fahularum  —  Cato)j  die,  wie  E.G.Vogel  (Serap. X,  121) 

nchtig  mutmasst,   eine  besondere,    von  den  übrigen  handschriften  des  stiftes  abge- 

^^oigte  Schulbibliothek  bildeten.    Wer  überhaupt  einige  bekantschaft  mit  den  hand- 

schriftenkatalogen  besizt,  der  weiss,  wie  ungemein  oft  sich  misccllaneonbändo  finden, 

^  denen  Cato,   Theodul  und  der  physiologus  vereinigt  sind,    dermassen,   dass  man, 

wenn  das  Verzeichnis  der  einzelnen  Schriften  des  sammelbandes  mit  Cato  begint,  mit 

^^'^ger  Sicherheit  annehmen  darf,   nun  werde   auch   der  physiologus  folgen.    Diese 

t'^'iÄgogische  Seite  des  physiologus  verdiente  es  wol  in  einem  besonderen  abschnitte 

»^leuchtet  «u  werden. 

Ebenso  muste  auch  die  einwirkung  des  physiologus  auf  die  fabelbücher  des 

"Mittelalters,  namentlich  auf  die  Phaedrus - Romulusfamilie ,  zu  der  auch  Johannes  de 

öchopeya  gehört,   sowie  auf  Cyrillus  von  Guidono  \ind  ganz  besonders  auf  die  sich 

'^^   Reinhart  und  Isengrim  gruppierenden  tierschwänke  dargetan  werden ,  die  der  ver- 

7®^<if  8.  201,  205  mit  einer  gelcgentlichon  notiz  abfertigt.     Denn  gerade  hier  zeigt 

s*cli     (Ue   schöpferische   Verwertung   der   vom   physiologus   empfangenen   anregungon 

**^^h  die  mittelalterliche  poesie.    Wie  merkwürdige  fortbildungen  der  physiologus - 

^^"^^^hichten  bietet  Cyrillus!    Wie  meisterhaft  gestaltet  Nivai-d  von  Gent  das  motiv 

^'^^    Scheintod  des  fuchses  in  seinem  ersten  schwanke!    Wie  deutlich  spiegelt  die 

^^^>asi8  in  ihrer  darstellung  von  igel  und  fulica  und  vollends  von  parder  (panther) 

^^    einhom  den  einfluss  des  physiologus  auf  die  fabulation  des  frühen  mittelaltcrs 

^^Oi*!    Aber  freilich,    von  allen  diesen  dichtungen  hat  der  Verfasser  keine  kentnis, 

T^^dem  er  (s.  VI)  germanist  ist  und  trotzdem  gerade  die  germanistische  litteratur 

^^    lezten  Jahrzehnte  aus  diesem  kreise  so  manche  publikation,   so  manche  unter- 

^   ^Hting  zu  tage  gefördert  hat,   aus  der  er  sowol  überhaupt  wie  für  diesen  bcson- 

^   ^^O  zweck  etwas  hätte  lernen  können.   Wenn  die  fortgesezte  bildung  neuer  special- 

-T^^^or  dem  Verfasser  einer  geschichte   dos  physiologus   das  recht  gibt,   die   ganze 

|.  ^^1-  und  tierschwank -bewegung  der  lezten  zwanzig  jähre  zu  ignorieren,  dann  frei- 

^^    liört  aller  Zusammenhang  der  Wissenschaft  auf. 

Wir  brechen  hier  unsere  besproohung  des  buches  ab  und  verzichten  auf  eine 
'^^ Prüfung  der  toxtbeilagen.    In  summa:  Wir  wollen  genügsamen  seelen  den  genuss 

^lOtSCmnFT  F.   DRUTSCHE  nilLOLOOIK.      BD.  XXII.  16 


242  KINZRL 

des  Werkes  uicht  verküniniem.  Es  reicht  im  algcmoinen  zur  orientiening  für  d 
weit(ti«n  kreis  der  litteraturfreunde  lün,  deiin  es  gibt  noch  gar  viele,  die  vom  p] 
siologuH  kaum  mehr  als  eine  leere  gedächtnisnotiz  im  köpfe  haben;  für  diese  ist  < 
werk  volständig  au8rei(?hend ,  und  wir  wären  die  lezten,  die  darüber  murren  würd 
weim  dantli  dasselbe  ein  wichtiges  glied  des  mittelalterlichen  geisteslebens  algcmei 
l>ekaiit  und  gewürdigt  würde.  In  diesem  sinne  wünschen  wir  ihm  alles  glück.  iW. 
nel)en  di(>ser  aussengemeinde  gibt  es  noch  eine  kleine,  anspruchsvollere  innengemeiv 
und  in  deren  geiste  glauben  wir  das  urteil  fallen  zu  müssen:  das  buch  hat  eix 
intt^ressanto  und  lehrreiche  kapitel;  im  algemeinen  indessen  fehlt  es  dem  verfa^ 
zu  einer  befriedigenden  lösung  seiner  aufgäbe  ton  dem  ernste  eindringender  forscl:^! 
wie  an  umfassender  gelehrsamkeit  Eine  wirkliche  geschichte  des  physiologus  j 
noch  geschrieben  werden. 

Die  ausstattung  ist  gut;  druckfehler  begegnen  nur  ganz  vereinzelt:  lies  ä.  : 
z.  27  rhetorisch y  s.  83,  z.  28  martmis;  die  citatt»  hätten  sich  durch  kursivdruck  V4 
texte  abheben  sollen. 

BEKUN,    DKJv  10.    MÄRZ    1889.  ERNST   VOIGT. 


König  Tirol,  Winsbeke  und  Winsbekin  herausgegeben  von  Albert  Lelta 
mann.  [A.  u.  d.  t  Altd.  textbibliothek  herausg.  von  U.  Paul  nr.  9.]  Hall 
Niemeyer  1888.    CO  s.    8.    0,80  m. 

Der  hauptwert  des  büchleins  l)esteht  in  der  neuen  textrovision  des  Winsl»eke 
imd  der  Winsbekin,  welchen  gedichten  I^'itzmann  eingehende  Untersuchungen  i 
Paul -Braune  Beitr.  13,  248  —  277  gewidmet  hat.  Er  gibt  dort  zuerst  eine  coUatic 
und  Untersuchung  der  Kolmarcr  handschrift  (k),  welche  Haupt  nicht  benuzt  ha 
Ix'handelt  die  frage  nach  dem  dichter,  dem  Verhältnis  der  handschriften,  über  di 
sich  Haupt  nur  ganz  kurz  ausgesprochen  hatte,  der  echtheit  der  Strophen  in  beide 
gedichten  und  endlich  die  bezieh ung  zum  Wigalois,  wel(!he  er  in  abrede  stelt  D 
resultate  sind  in  der  einleitung  zur  ausgäbe  mitgeteilt  Das  verfahren,  welches  d* 
verfa.sser  hier  wie  dort  in  der  äusseren  einrichtung  eingeschlagen,  können  vdr  uicl 
billigen.  Der  text  erscheint  ohne  kritische  amuerkungen;  es  mag  das  in  der  einricl 
tung  der  samlung  liegen,  ist  aber  immer  aufs  neue  zu  bedauern.  Denn  das  variai 
ten- Verzeichnis  in  der  einleitung  s.  13  —  IG  bietet  dafür  keinen  ersatz.  Ich  wüste  * 
uicht  anders  zu  benutzen,  als  dass  ich  es  mir  in  den  text  übertrüge,  halte  ab 
schon  seine  anläge  für  falsch.  Ebenso  nämlich  wie  Leitzmann  in  seiner  abhandlui 
die  Varianten  der  Kolmarer  handschrift  zu  Haupts  texte  gab,  statt  zur  handschrift 
(Berliner  XilH>lungenhandschrifl,  gedruckt  in  v.  d.  Hagens  Germania.  Abdruck  vi 
licitzmann  als  genau  Ix'funden),  so  teilte  er  auch  in  der  einleitung  die  abweichungi 
von  Haupts  texte  mit  mid  Haupts  Icsarten  hinter  dem  glcichheitszeichen.  Er  beleh 
uns  nicht  einmal  über  die  Zuverlässigkeit  dieser  Icsarten  oder  darüber,  ob  Haup 
angaben  ausivichend  sind,  kurz  er  fordert  uns  nach  dieser  richtung  in  keiner  weis 
AVir  müssen  fortan  Haupts  ausgäbe  neben  seiner  benutzen  und  uns  die  Varianten  d 
handschrift  k  Wi  Haupt  eintragi^n.  Wem  ist  damit  gedient'?  Gelehrten  und  stadi 
riMiden  wenig,  bleibim  die  „weiteren  kreise*,  denen  nach  dem  Vorwort  der  verfas» 
«durch  diese  neuausgabe  eins  der  vorzüglicheren  godichtc  des  mittelaitcrs  sugan^( 
zu  macheu**  hoft 


flsm  TinoL  iiin>  wimBna  bd.  ixmaum 


243 


Dio  resultato  der  cinloitung  sind  kurz  folgende.  Wüliroud  llauiit  B  (Woin- 
i;artuor  lic<derhaiidHdirilt)  zu  grundu  legte,  weil  die  uidern  ,itu  ganzen  die  über- 
lieroruDg,  der  Juno  folgt,  willfürlioh  verändern  (Haupt  b.  TII),  gründet  Lcitzmann 
sfiiueij  text  auf  J,  welche  bacdstihrift  mit  B  und  C  (Paiisur  ha.)  dersellwn  älteren 
grup|ir'  angehörend  den  verhiUttiüniüitsig  reinsten  vmd  beuten  toxt  bietot  Die  stri>|>lieu- 
UbJuug  int  glücklicher  WHise  tUeBslbe  geblieben  wie  bei  Hanpt,  da  er  hierbei  echthtnt 
BHd  unechthoit  der  stnipbon  nicht  berücksiehtigt.  Im  Wiuabuken  woiileu  drei  ver- 
hsner  anguniimmen:  atr.  1— 5ti  (wie  Haupt),  57—64,  C5— 80.  Der  erste  teil  wird 
d^ot  ritter  vun  Winsbaoh  zugeHchricbon,  der  urkundliche  naehweis  seines  geaahlechts 
Hin  niniga  aagnhon  vermehrt,  dagogon  dor  von  Haopt  vermutete  Hermanuus  de  Wiu- 
(ksbjuilt  (oanonicus  und  spUter  archidiaconuN  1228  —  12üij)  als  Verfasser  abgewiesen. 
Ilio  (gründe  hierrür  sind  zwar  besteclieiid ,  aber  docli  uieht  nureichond.  Denn  für  dio 
igewohnlicbe  datierung  des  gediehts,  nach  der  es,  gewiss  mit  recht,  uugefiihr  in  die 
nrato  haifte  des  iweiten  deuonniums  des  13,  jahihmiderta  geaezt  wird",  bringt  der 
TPrfasser  nichts  liei. 

Noch  unangenekiner  moebt  sich  Uns  verfahren  Leitzinanns  in  der  auf  wünsch 
raius  dorn  bücblein  lieigofügteii  ausgäbe  der  didaktischen  teile  des  König  Tirol  tülil- 
^-  Kr  gibt  an,  doas  er  l«i  herstellung  des  textes  ans  der  einzigen  (Pariser  liedcr') 
hwitlfjv-hrift  möglichst  konservativ  verfahren  sei  und  es  vorgezogen  habe,  an  manchen 
stuUfn  kicinoro  anstüsso  stehen  zu  lassen  statt  wonig  plausible  konjoktnren  anfEuneh- 
meo,  Wenn  er  doch  diese  stellen  wenigstens  bezeichnet  oder  die  losarten  in  dor 
Miioitung  volständig  gegeben  hätte!  Aber  es  ist  kein  grundsatB  bu  erkennen,  nacli 
■®'*'lip[n  er  verfahren.  Wir  sind  der  ansieht,  dass  in  liineni  so  kleinen  werke,  das 
"1'^  auf  vier  blAtter  dnicbon  kann,  entweder  alle  oder  keine  Varianten  zu  geben 
""**-  Und  wazu  dos  gedieht  tu  hochdeutscho  formen  umschreiben,  wenn  dio  mitlol- 
''^tscbc  herfcunft  durch  die  Überlieferung  genügend  bezeugt  ist?  Sieht  denn  ewt- 
^'*^},l  :  haelil  cfwa  besser  aus  als  impferlU  :  hwhl?  Ich  meine,  darüber  sollen  wir 
-**  naehgnido  hinaus  sein.  Also  einige  beisptele  für  die  unsicberiieit  des  verfah- 
™J*^  :  «^8«  UHrdf-fUrhe  für  als  icirdektkh  5,  6  ist  verzeichnet;  hottbel  für  ßioubt  5,  7, 
'•**«  für  leigen  6,  4  fehlt.  Ebooso  fehlt  im  Verzeichnis  u.  a.  13,  4  rainach  tagt. 
''■•  f)  «riM.  13,  6  die.  13,  7  dia.  13,  3  ist  das  in  der  handschrift  fehlende  aihif- 
'^**t  als  solches  bezeichnet,  usw.  usw.  Kurz,  wer  wissen  will,  wie  das  gedieht 
'^'^^ «-liefert  ist,  der  rnoBs  doch  widor  Müllenholts  apracbprobun  aufschlagen.  Warum 
^■»t  denn  im  toxt  20,  2  xirS  und  aibcntie  sprach  die  werlt  hat,  iu  der  band- 
"^'^^ilt  rfi'ii;  35,  3  die  hahent  sieh  gegen  dir  geslerkt  für  gen;  36,  0  06  (Ais  niht 
■"•«JWrrt/Ml  föv  Am!* 

Über  die  sti'ophe  verweist  uns  der  Verfasser  alzu  kurz  aaf  Scherer  D.  stud. 
'•  OO  anm.,  wo  nicht  viel  iiesondroa  zu  holen  ist.  Ist  wirtlich  die  waiao  iu  dem 
'^^«Igedicltt  einige  male  weiblich,  wBhrend  die  meisten  stumpf  ausgehen,  auch  dio 
*•*»!«  5,  0,  wo  Leitzmaun  itirdccliöhf.  fiir  dos  bandsehriftüclie  wirdeclich  und  20,  0 
*'■*  IT  herre  für  her  achriebV  Von  34  atrophen  haben  20  männliche  woise,  jodo  mit 
'   «»•■biingoü,  bleiben  nur 

I,  6  dax  man  si  in  den  landen 
18  rofi  siferlen  iii/er  die  sehille 
31  daxs  ungclmiben  druhten 
24  »lö  krdne  gein  in  neiget. 
Im  lehrgcdicht  ist   die   sacho  giuiz  anders.    Auch  alle  übrigen  verse  haben 


«tluii 


»l'fen 


and  doch  hat  dor  verlasser  in  str.  ] 


,  5.  7  mrungen  :  druugen  für 


244  BUCHIRR 

klungen  :  swungen  der  handschrift  in  den  reim  gesezt     Über  all  diese  fragen  ist 
kein  woi-t  verloren.    Sie  sind  dem  leser  zu  beantworten  überlassen. 
Zum  König  Tirol  bemerken  wir  ausserdem  noch  folgendes: 

29,  6  fehlt  xe,  tumieren  dax  ist  ritterlich: 

80  hcprt  xuo  xe  strtte  dringen, 

ich  verstehe:  waffenübung  ist  einem  rittcr  nötig,  aber  er  muss  sie  auch  im  cmstfall 
bewähren. 

36,  7  lies:    dax  dich  heider  schade  gexemej    für:  dax  sich  heider  schade  ge- 
xeme.    licitzmann  fügt  nach  sich  ein  ir.    Der  sinn  ist:   tragen  deine  leute  einande: 
hass  und  sind  sie  nicht  zu  vei-söhnen,    so  stehe  dem  bei,   der  im  recht  ist,   sons 
wenn  du  die  sache  nicht  einrichtest,  wider  in  Ordnung  biingst,  glauben  sie,  dass  di 
beider  schade  recht  sei. 

38,  5  hat  die  handschiift: 

swanne  dir  der  gemde  ktiml)er  klagei, 
wirt  im  dm  helfe  danne  versaget j 
5  ein  trahtu  von  stnem  herx4^i  gät, 
du  klebt  an  der  stinie  dtn, 
swenne  got  an  stme  gerihte  stut, 

liCitzmann  liest  trahen  und  stelt  ohne  not  vers  6  um:    der  klebet  an  dtner  sti\ 
Gemeint  ist  vermutlich  ein  trahty  seufzer,  der  vom  herzen  geht;  denn  tränen  geh 
von  den  äugen.    In  vers  6  ist  nach  diu  vermutlich  schult  au.sgefallen;   vgl.  40, 
stn  schulde  an  diner  stime  klebet, 

41,  2.  3  handschrift  lugcy  lies  lüge,    Leitzmann  liegen, 
9,  5  jappestlft,  das  aus  43,  4  entlehnt  ist: 

diu  strafe  ist  vipemutem  giß 
und  snidet  als  dax  jappestift. 

setzen  das  Mhd.  wb.  und  Lexer  als  „fussangel*'  (?)  an.  Den  grund  hierfür  sehe  ■ 
nicht.  Stift  heisst  dorn,  wozu  9,  5  pr  tritet  in  jaj)pestift  gut  passt.  jappe  w& 
ich  allerdings  nicht  zu  erklären.     Steckt  ein  pflauzennamo  darin? 

FRIEDKNAU,    DECBR.    1888.  KARL   KTNZFX. 


Gaston  Paris,  La  litterature  fran^aise  au  moyon  age.  Paiis,  librairieHach^^'*'*^ 
et  c'«,  1888.    VII,  292  s.    kl.  8.     2,50  fr. 

Von  allen,  die  sich  mit  dem  mittelaltcr  beschäftigen,  ist  das  fehlen  einer  üb»^-^*"* 
sichtlichen  darstellung  der  altfranzösischeu  litteratur  seit  lange  schmerzlich  empfi-*-**" 
den  worden,  und  so  wird  das  vorliegende  werk  alseitig  mit  freuden  begrüsst  werd^^**^ 
dessen  Verfasser  durch  abhandlungen  von  tief  einschneidender  bedeutung  seine  g» 
petenz  auf  diesem  gebiete  widerholt  daigelegt  hat  und  nüt  rocht  für  einen  der  ers 
kenncr  desselben  gilt. 

Zwar  ist  dieses  werk  nicht  eigentlich  eine  litteraturgeschichte,  die  auf  chro 


logischer  grundlage  das  almähliche  heranwachsen  und  grosswerden  der  litteratur       ^ 
den  vorachiedeneu  landschaften  zeigt.     Eine  solche  wird    erst   möglich    sein,    w^^^, 
die  wichtigsten  texte  in  kiitischen  ausgaben  vorliegen,  wovon  wir  zur  zeit  noch  W^^^ 
entfernt  sind,    und  wenn  der  boden  weiterhin  durch  spezialimtersuchungen  für  c^^ 
weg  des  litterarhistonkers  urbar  gemacht  worden  ist.    Einstweilen  liess  sich  nur     -  ** 


ÜBER   O.   PARIS,   LITT.    FRAN^.   Aü   MOTEN   ACE  245 

Skizze  geben,  die  alles  wichtige  kurz  verzeichnet  und  ihm  seinen  platz  anweist,  aber 
nur  solche  werke  eingehender  behandelt,  die  für  die  weitere  ontwioklung  der  abend- 
lüDdischen  litteratoren  bestimmend  gewesen  sind. 

Nur  wer  die  mittelalterlichen  litteraturen  so  beherscht  wie  Gaston  Paris,  war 
im  Stande   auf  so  kleinem  räum  in  gedrängtester  dai-stellung  so  reiche  belehmng  zu 
geben.     Ist  das  buch  auch  mehr  für  das  grosse  publikum  der  lernenden  als  für  den 
kleinen  kreis  der  fachgelohrten  bestirnt,  so  werden  doch  auch  die  lezteren  an  keinem 
abschnitt  vorübergehen,    ohne  über  neue  tatsachen  aufklänmg  zu  erhalten  oder  neue 
ausblicke  zu  gewinnen,  wobei  auch  die,  welche  der  ütt«ratur  im  engern  sinne  ferner 
stehen,  wie  der  historiker,  der  Jurist,  der  theologe,  nicht  leer  ausgehen.    Insbeson- 
dere wird  der  germanist,    der  so  viele  spuren  des  deutscheu  altertums  in  das  fran- 
zösische hinein  verfolgen  muss,  das  bucli  als  ein  wichtiges  handbuch  bei  seinen  Stu- 
dien  stets  gegenwärtig  haben  müssen. 

Von  grossem  nutzen  sind  die  am  schluss  gegebenen  litteratumachweise,  die 
nach  einem  eigentümlichen  prinzipe  ausgewählt  siod.  In  der  regel  wii"d  nur  das  werk 
zitiert,  in  welchem  über  die  betreffende  frage  zulezt  gehandelt  wurde,  und  welches 
^"^t-weder  die  einschlägige  litteratur  verzeichnet,  oder  doch  weitere  nachweise  gibt, 
^^elche  zur  Orientierung  über  diese  führen. 

Abweichende  ansichten  über  einzelne  punkte  auseinander  zu  setzen  ist  hier 
'*icht  der  ort.  Nur  eine  frage  von  algemeiuer  bedeutung  möchte  ich  hier  aufwerfen, 
öicht  tun  dem  Verfasser  einen  Vorwurf  zu  machon,  sondern  um  sie  für  die  zukunft 
seiner  erwägung  zu  empfehlen.  Die  französischen  gelehrten  haben  sich  daran  gewöhnt 
d-as  provenzalische  als  ein  von  dem  französischen  ganz  unabhängiges,  selbständiges 
gt^biet  zu  betrachten.  Gehört  nicht  das  provenzalische  ebenso  zu  dem  nordfranzö- 
^^^s<5hen  wie  das  niederdeutsche  zum  hochdeutschen,  wie  das  galloitalische  zum  ita- 
liänisehen?  Wir  alle  wissen  Gasi)ary  dafür  dank,  dass  er  in  seinem  klassischen 
^'^^'ke  die  galloitalische  ütteratur  des  13.  Jahrhunderts  mitbehandelt  hat,  und  so  solte 
*ucli  die  provenzalische  litteratur  nur  als  ein  dialektisch  abweichender  zweig  der  alt- 
'^^nzösischen  aufgefasst  weixlen. 

Doch  es  wäre  undankbar,  von  dem  Verfasser  etwas  anderes  zu  verlangen  als 
^^  hat  geben  wollen,  und  so  sei  das  schöne  werk,  dessen  reicher  gehalt  zu  dem 
^®*"*Dgen  umfang  in  keinem  Verhältnis  steht,  allen  forschem  auf  dem  gebiete  des 
''^^^elalters  aufs  wärmste  empfohlen. 

UALLK.  UERMANN   SUCHIER. 


^^'igrwigr  €U)lther,  Die  sage  von  Tristan  und  Isolde.  Studie  über  ihre 
Entstehung  und  entwicklung  im  mittelalter.  München;  Kaiser.  1887. 
"^in,  124  8.   8.    3,20  m. 

Man  unterscheidet  seit  langem  zwei  hauptversionen  der  Tristansage,  die  des 
J^^l  und  die  des  Thomas.  Die  frage  nach  der  Thomasversion  ist  durch  die  arbei- 
^  ^elbings,  Vetters  und  Röttigers  in  allen  hauptpunkten  als  erledigt  zu  betrachten. 
®  Äerolversion  hat  der  veif asser  in  diesem  büchlein  einer  eingehenden  wüixligung 
^/^^'iogen  und  zu  diesem  behufe  das  bisher  ungeordnet  daliegende  material  zu  sich- 
^  unternommen.  Dabei  muste  natürlich  die  frage  nach  der  entstehung  der  sage 
.^*t:ermig  finden.  Verfasser  handelt  in  drei  abschnitten  über  den  stoff  und  den 
^^•^•t  der  Tristansago,   über  die  spielmannsversion   und  über  die  höfische  version, 


24()  KERGKHOFF,    ÜBER  GOLTHER,   TRISTAN   U.   ISOLDE 

das  Tbomasgodiclit.  An  verscbiodonen  orten  waren  schon  über  den  stoff  der  sago, 
violf>  troff(»ndo  bemorkungen  gemacht  und  viele  episoden  als  dem  mittelalteriiclieii 
noYollon-  und  märcht»nschatz  entnommen  nachgewiesen  worden.  All  das  stelt  nun 
der  Verfasser  im  ereten  teil  geordnet  zusammen.  Aus  seinen  ausfühnmgeD  ergibt 
sich,  dass  sich  weder  aus  den  keltischen  namen  der  sage,  noch  aus  den  wecügen 
halbgeschichtlichen  angaben,  noch  aus  der  kymrischen  oder  bretonischen  sagen iilnsr- 
lioferung  eine  keltische  Tristansago  als  urform  orschliessen  lässt.  Vielmehr  Lassen 
sich  fa^t  all(»  episoden  —  und  die  Tristansago  sezt  sich  aus  lauter  lose  verbundenen 
episixlen  zusanmien  —  als  solche  nachweisen,  die  dem  mittelalterlichen,  seinem 
ui'sprunge  nach  in  den  Orient  zurii<'kreichenden  novellen-  und  märchenschatz  ent- 
nommen sind. 

Der  zweite  teil  der  arl>eit,  der  kern  derselten,  bescbäftigt  sich  mit  der  Berol- 
vorsioii.  Verfasser  weist  nach,  dass  die  sogeuanten  Berolfragmente  Überreste  von 
Spielmannsdichtungen,  nicht  aber  U>ile  eines  grösseren  godichtes  seien,  dass  man  sJso 
nicht  von  einer  vei-sion  des  dichters  Borol,  sondern  nur  von  einer  spielmannsversion 
nnien  dürfe. 

Der  lezte  al>schnitt  führt  im  anschluss  an  Kölbing  aus,  dass  in  den  fran^ö- 
siscbeu  fragmenten  des  Tliomasgedichtes ,  in  der  englischen  und  nordischen  fassiiDg 
und  Un  Gottfriinl  von  Strassburg  verschiedeno  redaktionen  einer  und  derselben  böfi- 
schen  Version  vorliegen.  Anhangsweise  folgt  noch  ein  überblick  über  die  nordiscl^^" 
bi»arln.'itungiMi  der  Tristansage  in  Norwegen,  Island,  Dünemark  und  auf  den  FaenK-^T*- 

Man  winl  dem  verfa.sMM'  für  seine  interessanten  Zusammenstellungen  nur  d»«^*^' 
Imr  sein  können.  Störend  wirkt  in  dem  vortragi*  die  vielfache  widerfaoluug  desjjen-^*'* 
gi^lankens,  eine  gi»wisse  bnnto  des  ausdrucks  (Ursprung  und  entstehung  der  s^^ 
s.  IV.  älte>te  urform  s.  V2)^  die  häufige  anwendung  völlig  entbehrlicher  frcmdwör^^*^ 
iwie  tangieivn.  transferien'u),  die  ungleirhmässige  handhabung  der  Orthographie  (cV'"' 
risrh  s.  7,  kymrisch  s.  VI;  cyclen  s.  33,  cyklisch  s.  3(>  u.  a.)  und  endlich  die  si*^*^' 
giniaut»  büchorcitato  in  den  zu.sammenhaug  einzufügen,  statt  sie  in  die  anmerkuog  ^^ 
vorweisen. 

muiUN.  oKTintKij  1^*^.  r.  kerckhoff. 


Otto  Lflnlncr«    Die  natur,    ihre  auffassung  und  poetische  Verwendung     * 
der    altuermanisohen    und    mittelhov-hdeutschen    epik    bis    zum    a  '^^ 
Nchluss  der  Mütesoit,     Zürich,  Frio^lrich  Schulthv>ss,   ISSO.     III  u.  313  s.      ^' 
•l  nu 

Wer  die  n*>to  der  aligi^rmanisohen  jHVsio  aufmei^sam  lie5>t,    mit  sinn  für  d^^^ 
lolvn  und  mit  gt'fuhl  f\ir  die  Schönheit,    winl  sich  dunih  den  frischen  hauch  an^^^' 
mutet  ftihleu,    der  jileich  dem  o^nioh   neu  i^*bnx*henen  KMens  aus  den  worten  u'^ 
>ers*M\    ;ustn>!nt,      r»Ai\£    lv>onders    xeiohnen    sich    die   ang^^lsachsisohen    dichtung*^ 
dAviurv^b  AUS.     Danllvir  psienke  iv^h  n\\h  mimer  di^  erstt»n  lesens  von  J.  Grimi^-^^ 
einbntun»;   su  AuNlnsis  und  Kiene,    und  der  fn^ude,    die  ich  an  den  dichtangcn  d*^ 
Rveterbuvhes  hatu^  aK  i^ b  sie  ruerst  sTudx^rte.     Spricht  >:rh  auch  darin  eine  reicK^" 
KyabuMj:  der  emr einen   duhter  au>,    so  rei^:    d^vh  sohlen   die  formelhaftigkeit  ^'^^ 
KUer  und  »enduujivn.   und  der  M*bmwv  Von  vier.  K'iwv^rter,  di-.^<*r  uieders^^hläge  poo^-^' 
s^^ht^i  Si'hatTon>,    dANS  eu\e  \sH^!isv'he  njvhe  AuiiistATtuRi:  des  iranzen  Tolkes  daduT«^ 
K^seuj:?   >xsrvi.     Die    lv>\'bArti>iunj;   nut   der  jwtiM,"'hen  s|»nK*he  ucsers  alteitnms, 
JA,  \>)e  die  heldensA^x',  m  xleu  c(uscheu  duhiuni^^n  i^'c^  dmxehnten  jihri»uidciti>  naf^- 


K.   WEINHOLD,    ÜBER   LÜNINO,    DIB   NATUR  USW.  247 

l[IiDgt,  gewährt  den  grösten  lohn  schon  dadurch,  dass  man  die  einsieht  in  die  weise 
geii^ixit,  wie  die  Wahrnehmungen  und  erfahrungon  durch  die  reihen  der  Jahrhunderte 
von    der  germanischeu  Volksseele  verarbeitet  worden  sind. 

Im  vorliegenden  buche  hat  sich  herr  0.  Lüning  die  aufgäbe  gestelt,  auf  dem 
angedeuteten  wege  „die  auffassuog  und  vei'wendung^  der  natur  in  der  epik  bis  1230 
eti^'a.  darzulegen.  Der  „ iudex '^  (!)  zerlegt  den  stoff  in  drei  sehr  ungleiche  teile: 
I.  Ü  liersichtsbild  der  gesamten  natur  in  germanischer  poesie.  A.  Die  unorganische 
natur:  1.  licht.  2.  die  elemeute.  B.  Die  organische  natur:  1.  pflaozenreich.  2.  tier- 
leicb.  C.  Verbindung  der  organischen  und  unorganischen  natur:  die  landschaft,  das 
lokal  (!).  —  II.  Ästhetische  betrachtung.  A.  Das  verhalten  des  menschen  zur  natur, 
ihre  einwirkung  auf  sein  gemüt.  B.  Die  einwirkung  des  menschen  auf  die  natur.  — 
QI.    Besondere  eigenschafton  der  germanischen  naturanschauung. 

Diese  eiuteilung  ist  gemacht,  nachdem  das  buch  fertig  war.   Sie  ist  schwerfäl- 
lig gleich  dem  ganzen  titol  des  buches  und  in  manchen  punkten  unverständlich  (so 
bei  II.  B.  und  bei  IH.  im  ganzen).    Aber  man  muss  nicht  nach  ihr  das  buch  selbst 
beurteilen.     Abgesehen   von   den   erforderlichen   sprachkentnissen   hat   der  Verfasser 
poetischen  sinn  imd  gefüge  empfindbarkeit  genug,    um  den  alten  dichtungen  nachzu- 
fühlea  und  sich  in  ihren  lebenskreis  zu  versetzen.    Er  versteht  die  Stimmungen,    er 
begreift  die  daraus  entspringenden  gedankcn,  und  legt  an  der  grossen  samlung  dich- 
terischer stellen  der  Skandinavier,   Angelsachsen,   Nieder-  und  Hochdeutschen  dar, 
was  die  Germanen  in  der  natur  sahen  und  was  aus  der  natur  in  sie  hineinwirkte, 
ßei  manchen  Verschiedenheiten  im  einzelnen  erhelt  doch  der  einheitliche  grundzug 
<J®r  germanischen  Völker  auch  in  dieser  hinsieht    Sie  schauten  aus  dem  inuem  her- 
aus auf  das  äussere  und  beseelten  selbst  das  unbelebte  ding,   so  wie  die  natur  im 
g^^ssen,  nach  dem  bilde  und  wesen  des  einzelnen  menschen. 

Indem  der  herr  Verfasser  den  angelsächsischen  und  nordischen  stellen  Über- 
setzungen beigegel)en  hat,  wird  auch  ein  weiterer  leserkrcis  aus  dem  buche  genuss 
^nd  belehrung  schöpfen  können. 

BRKSLAU.  K.    WEIMHOLD. 


^Uihold  Beeker,   Wahrheit   und   dichtung   in   Ulrich   von  Lichtensteins 
^rauendienst    Halle,  Max  Niemeyer.  1888.     110  s.    8.    2  m. 

Herr  R.  Becker,  der  Verfasser  des  buches  „Der  altheimische  minnesang", 
^®gt  Unter  obigem  titel  eine  arbeit  über  Ulrichs  von  Lichtonstein  frauendienst  vor. 
^^  g^ht  von  dem  satze  aus,  die  kultur  unsers  mittelalters  sei  keine  internationale 
^®^  genauer  keino  romauisierende  gewesen.  Man  könne  wol  von  einer  romanisieren- 
^®^  ü.bennalung  des  ritterlichen  lebens  durch  die  dichter  sprechen,  in  Wahrheit  aber 
^*  ^  eigentümlich  deutsch  gewesen.  Die  tumiere  waren  durchaus  nicht  nachbildun- 
S^  der  französischen.  Das  minnelied  war  kein  absenker  des  provenzalischen.  Der 
"^^©udienst  sei  durchaus  nicht  nach  den  höfischen  e^ien  und  den  lebensbeschreibun- 
8^  der  troubadours  zu  denken,  sondern  war  eine  mit  sinlichkeit  gepaarte  tiefgefühlte 
^•^JJöderung  des  geistigen  adels  der  gebildeten  frau  (s.  7  zu  lesen).  Auf  verheiratete 
^^^"1,  wie  behauptet  werde,  sei  der  dienst  durchaus  nicht  beschi'änkt  gewesen,  am 
^eniga^n  worden  frauen  den  mädchen  vorgezogen.  —  Nach  dieser  einleitung  geht 
^®^  herr  Verfasser  an  die  prüfung  des  gedichts  Ulrichs,  weil  dasselbe  der  einzige 
**^**ieiitische  bericht  vom  deutschen  minneleben  jener  zeit  ist,  und  meint  durch  die 
^^^lumenhangonde   kritik   desselben  jene   ansichten   stützen   zu   können.    In   sechs 


248  WEINHOLD,   ÜBiSR  BEOKEH,   ULRICH  Y.   UCHTEN8TKIN 

abschDittcQ  untersucht  herr  Becker  nun  den  Inhalt  des  godichts   auf  Wahrheit  anc? 
dichtung  und  scbliesst  mit  einem  kapitel  ^Rückblick  uod  folgerangen. '^     Er  nent  di.^«c^ 
erzählung  Ulrichs  im  grossen  und  ganzen  ein  märchen,    ^das  nur  wegen  der  ermiis. — 
denden  brcntc  und    oft  spürbaren   nachlässigkeit   der  darstellung*^   noch  von  keine 'xnr^ 
vor  ihm  nacligoprüft  und  deshalb  so  hingo  für  glaubwürdig  gehalten  worden  sei.   '^*'  ^ 
ein  auss])ruch,    für  den  sich  einige  herron    bedanken   mögen.     Er  solbat  lässt  Bi^^rl:» 
recht  breit  und  ermüdend  und  mit  wunderlich(^n  l)emerkungett,  woloho  die  von   k*_«i.— 
nem    menschen    geläugneto    Verschiedenheit    der    menschen    im    raittolalter    lK.»trc?«ffVE?»ia 
(s.  104  fgg.)  darüber  aus,  dass  herr  von  lichtenstein,  ein  grand  seigneur,  die  geg(^^:m- 
wart  hochgemut  geniessen  und  sich  und  andre  l)elustigen  und  zerstreuen  wolto,  inde^  m.^^ 
er  von  dem  ritterlieheu  leben,  wie  er  es  kante  (also  doch  kein  märchen?)  ein  rofiis^.K2- 
tisch  und  humoristiscli  gesteigertes  bild  entwarf.     Ich  kann  nicht  sagen,    dass  h^zr^wT 
Becker  mi<^h  durch  die  form  seines  voiirags  hochgemut  gestirnt  und  durch  den  iah  «saJ-t 
irgend  b<;lehrt  hätte.     Das   wahre    in   seinen    aiisichten    bezweifelt  kein  ver8tändi@^<j?r 
mensch,  und  ich  fürclite,    dass  auch  seine  verheissene  schrift  über  den  frauendieim £»t:, 
mit  dem  er  sich  von  den  deuts<?hen  Studien  verabschieden  will,  etwas  bringen  wcncJi.*:'- 
das  neu  und  richtig  zugleich  sei.     Über  Ulrichs  von  lichtenstein  frauendienst    fc»  «>* 
hen'  Schönbach  laugst  gesagt,    was  nach    den    hnuptpunkten  sich  sagen  lösst,    im-X3^ 
wolweislich  darauf  verzichtet,    in  einer  dichterisi.'hen  lel>ensschilderung  des  13. 
hundeiis  Wahrheit  und  dichtung  im  einzelnen  scheiden  zu  wollen. 

URESLAU.  K.    WKINHOU). 


Borries,  Emil  you,    Das  erste  stadium  des   /-umlauts   im  germanisch^    "" 
Strassburger  dissertation.     Strassburg,  Heitz  1887.     82  s.     8.     1,50  m. 

Nach  einer  langatmigen  einleitung  (s.  3  — 14)  üIhm*  ^die  n%;uen  theorieen  iil^ 
den  idg.  voealismus,  speziell  soweit  sie  germanisches  e  bctrefFen**,  behandelt  der  v*^' 
fasser  1.  ^Weitor<mt\vickelung  v<»n  germanischem  e  zu  *  nach  Ijeffler;    prüfung    ci 
von  ihm  gewoimenen  ergtilmissc**  (s.  15  —  72),  11.  «Erklärung  des  Vorgangs**  (s.  73 
77),    111.  ^Zeitbestimmung''  (s.  78  —  81).     Der  Schwerpunkt  der  arl»eit  liegt  in  de 
ei*sten  abs(.'hnitt.     Ks  wäre  in    der  tat   ganz   nützlich  einmal  in  zusammenfassend 
weise  den  tat}»estand  darzulegen,    der    für   die    entseheidung   der    frage    in  betrac 
komt,  unter  welchen  bodingungen  im  urgerm.  ein  e,   unter  welchen  ein  i  gesproch^*^ 
wunle,    und   vor  allem  wäre   es  nützlich  die  Chronologie  des  lautwandcls  e  r>  i  fii 
die  einzelnen  hierbei  in  frage  stehenden  punkte  zu  bestimmen.     Natürlich  müsto  auc 
die  geschichto  des  idg.  /  mit  behandelt  und   eine    erkliüung   des  noch  unerklärtem^ 
wechseis  von  e  luid  /,  besonders  im  ahd.,  vei"sucht  weixlen.     Auch  die  beantwortuii^ 
der  fnige,  unter  welchen  bedingungen  im  urgerm.  ein  it,  unter  welchen  ein  o  gi*spiv 
eben  wunb^,  wäre  bi'i  einer  derartigen  untei'suchung  nicht  zu  umgehen.     Man  niüst^ 
auf  zwei  viM-schiedenen  wegiai  vorgehen:    einmal  wären  die  einzelnen  genn.  spracheO 
auf  das  material  hin   zu  untersuchen,    welches  sie  bieten,    zum  andern  die  ältostcii 
eigennamen.     Die    arln^it   von  v.  Borries    erfült   in    keiner  weise    die   anfordcrungen. 
welche  man   bere<htigterwcise  an  dieselbe  stellen  muss.     v.  Borries  hat  sich  darauf 
beschränkt  zu  untersuchen,    «ob  und  wie  weit  der  vokalismus  des  althochdeut^cheti 
die  theorie,  die  liCif  1er  hauptsächlich  für  das  gebiet  des  altnordischen  erwiesen  hat,  stüzt 
oder  nicht",    und  wi(j  er  .statt  aller  genn.  sj>rachen  nur  das  ahd.  herbeigez(>geu  hat, 
so  hat  er  statt  aller  für  den  lautwandel  c  7>  t  in  betracht  kommend(*n  iälle  nur  doii 
fall  untei'sucht,  dass  in  der  folgenden  silbe  ein  als  vokal  oder  als  konsonant  fuugic 


SB,  ÜBE«  Toit  BOimm,  I-VMLAVJ 


i  nndes  i'  stand.    Die  abbandlong  ^ 
kleiner  loil  desseQ,  was  ibr  titel 


.  BorriBS  ist  nlm  ilitcm  iiibalt  i 
;ht, 


verspntl 

Aber  Buch  dieser  klsiue  teil  ist  angeriügeod.  v.  Borries  tpilt  seinen  stoS 
ein  nai'h  solchen  nillen,  in  denen  e  vor  i  oder  j  der  folgenden  gilbe  zu  »  gewan- 
delt ist,  und  imch  solthou,  in  donon  e  gobliolrau  ist.  Ohne  auf  oinKelbeiton  wei- 
ter einzugehen,  verzeiühne  ich  das  urgebnia,  An  dtMn  wol  niemand  bis  her  gunwei- 
Tult  hnt,  dasK  1  ein(;etreton  int  ,vor  den  ondungou  -is,  -ist  nnd  -il  der  2.  3.  sg. 
priU.  ind.  ablaiitendef  verba  1.  und  2.  klasse",  in  den  ,  nominal bildungon  der  sub- 
"üuitiva  der  /- deklinatiou ".  in  den  hauptwortern  „mit  di'U  Suffixen  -ja,  -it.  'ing. 
-nla"^,  in  den  fligensoliaftawortem  nut  den  Suffixen  -ja,  -ig,  -in,  -int,  -il,  in  den 
witw-ortern  uuf  -jan  und,  fügen  wir  den  von  v,  Borries  nur  als  wahrscheioUoh  hin- 
gCätolten  fall  hinzu,  in  den  steigerungsfonnen  der  eigeusohaRBWÜrtor  auf  ■«'rund  -iat. 
Der  neiiw,  woleher  auf  die  «ustübrliche  sauilung  von  beispielen  (h.  17  —  51))  verwant 
wordea  ist,  ist  aneriicnnenswert.  -•  Das  i  von  ahd.  i»l  und  mit  (s.  69)  eridüit  sich 
wie  Ucis  von  ih  und  mih  aus  der  uubetoutheit  im  satxe;  das  in  botontor  silbe  laut- 
ew^tKliehe  c  zeigt  an.  ags.  merr'. 

Sehr  gchwnch  ist  die  unlersuchung  der  fidle,  in  welohen  i^  vor  i  oder  j  der 
'"'senden  silbe  geblieben  sein  solL  Es  gibt  nur  einen  derartigen  fall,  für  welchen 
'"K^i'ni.  erhaJtung  des  e  trotz  eines  scheinbar  folgenden  i  zuzugeben  ist,  nümlich 
v'enQ  die  DSchste  silbe  im  idg.  auf  wortstMiesseudos -e  auslautete.  Hier  nehme  ich  mit 
*'ev»srs,  Paul  u.  Braunes  Bcitr.  V,  lÜO  fgjj.  und  155  und  AgB,  gramm.',  g  131  an,  dass 
"^  in  urgerm,  zoit  abgefallen  iut,  ohne  seinen  dnfluss  auf  die  voraufgebende  silbe  xn 
•URseru,  d.  h.  bevor  der  lautwandel  e  >■  *  eingetreten  war.  Beispiele:  au.  ags.  m« 
<^  "dg.  'nie-ye,  as.  ahd.  «oh  (audemfals  wäre  'jailii  zu  erwarten)  <;  idg.  nu-qe, 
■BS.  piah  (audornfals  wäre  'pirh  zu  erwarten,  vgl.  ytnb  <;  idg.  mbhi  (li^ifi))  <:  idg. 
'i^t~ijf  oder  'töu-nr.,  der  votativ  sing,  der  maskulinen  o-atfinime,  die  3.  sg.  perf., 
■"**  2.  sing,  imperativi  der  starken  Zeitwörter  (urgerm.  'her,  'leoi  ubw.).  Iah  hoffe 
"■Xir  dies  [losotz  an  anderer  stelle  ausführlicher  zu  handeln.  Diese  falle  sbd  von 
'-  ftoi-rie»  nicht  in  betraeht  gezügen  wcjrdnii.  Wol  aVior  behandelt  derselbe  einen  ähnlichen 
'*!'.  Dämlii-b  dio  crhaltung  des  e.  neun  in  der  folgenden  ailbe  ein  e  steht,  für  das 
^'^^  später  t  erscheint;  z.  b.  in  den  obli'tuen  knsus  der  schwachen  deklination  im 
">d.  Man  kann  v.  Borries  von  seinem  Standpunkt  aus  keinen  Vorwurf  daraus  mauhen, 
*[*>!*>  et  auf  die  erklttrung  dieses  merkwürdigen  e  sich  nioht  oinlfisst,  sich  vielmehr 
I  *^4teh  dauüt  begnügt  zu  sagen,  <lieser  fall  komme  gar  nicht  in  botracht,  da  hier  kein 
***■»  «'  Toriiege;  i,  nieht  e,  bewirke  den  germ.  t-umlaut  von  idg.  e  zu  i.  Aber 
™*Une  sagt  mit  recht  in  seineu  und  Paula  Boitr.  IV,  556,  unursprüngliiihkoit  dos 
'***  gebe  ooeh  keine  anareichende  crklOrung  für  den  mangel  des  umlauts.  Dazu 
''^Rit,  dass  wir  ja  umgelauteto  formen  wie  nhd.  ktni»  haben.  Durch  einwirknug  von 
^""ö,  penm  wird  mwi  das  c  von  prren,  perin  nii^ht  erklären  wollen.     Es  bleibt  also 


y 


it  n  gUublieli,    itia  An  ■  i 

... jBcfannieu  die  furm  tk,  ik  oobdii 

l^^y^reo,    Uil  dum  ansdiacli  pnllus  (Burg,    Dia 
Twunnm-    Aach  vflra  luich  ikhd.  oAn 


.gti  iiom.  'rk  i 


I  i<iJi«iiDil  urgerm.   i 


250  BREMER 

dabei:  es  lagen  im  ahd.  neben  einander  zwei  gleichberechtigte  endungen,  oberd.  -i 
und  fränk.  -cnj  von  denen  nur  die  ei*stero  nmlautwirkende  kraft  hatte.  Ich  Im 
geneigt  anzunehmen,  dass  hier  vielleicht  der  alte  idg.  accent  noch  eine  spur  sein« 
Wirksamkeit  hinterlassen  hat.  dass  nämlich  idg.  e  nur  in  idg.  unbetonter  silbe  3 
germ.  i  geworden  ist,  dagegen  in  idg.  betonter  silbe  germ.  als  e  erhalten  blk 
gleichviel  ob  die  silbe  nach  germanischer  betonuugsweisc  betont  oder  onbetoi 
war.  Danach  würde  ein  idg.  genitiv  auf  -cfws  *  einen  ahd.  gen.  auf  -in  ergeben ,  e 
idg.  genitiv  auf  -cnos  einen  ahd.  auf  -cn.  Von  diesen  beiden  ursprünglich  neb< 
einander  liegenden  formen,  hätte  dann  je  eine  im  oberdeutschen  und  im  fränkischi 
die  horechaft  erworben.  —  Unter  derselben  Überschrift  „  Das  *  der  endung  ist  jung 
behandelt  v.  Bornes  mit  unrecht  beispiole  wie  uuehsil  neben  uuehsaly  legir  neb< 
l€{far.  Hier  ist  das  i  natürlich  eben  so  alt  wie  das  a,  weil  der  alte  idg.  abla 
-el-ol-l-y  -er-or-r-  vorliegt.  Die  sufßxo  -i7,  -ir  wirkton  an  und  für  sich  nmlaut,  w 
unser  wedel  <.  alid.  utiedil  (neben  uuadal)  zeigt.  Dass  zufällig  unter  den  wenig« 
ahd.  belegen  für  altes  e  in  der  stamsilbe  sich  keiner  findet,  der  stamhaftes  i  aa 
wiese,  verschlägt  nichts;  hier  liegt  analogiebildung  nach  den  formen  auf  -0/,  -arvc 
also  leyir  für  lautgesetzliches  *ligir  nach  dem  vorbild  von  hgar. 

Der  wichtigste  abschnitt  des  buches,  weil  dieser  allein  etwas  neues  bringt,  i 
das  kapitel  ül)er  „konsonantische  hindeniisse  des  wandeis  von  e  zu  t**  (s.  66  —  7S 
Hier  sucht  v.  Borries  nachzuweisen,  dass  bestimto  gruppen  von  konsonanten,  ui 
zwar  „r- Verbindungen'*  und  hh  —  nicht  mit  Loffler  auch  /  -f-  kons.  — ,  den  t-un 
laut  von  e  zu  *  gohindeit  hätten'.  Er  operiert  widorum  ausschliesslich  mit  ah 
material.  Da  ich  den  ausführungen  von  v.  Bornes  nicht  beizutreten  vermag,  bin  it 
es  der  arl)eit  schuldig,  auf  die  einzelnen  beispiele  einzugehen:  llrherxi,  uuidarperi 
und  die  meisten  beispiele  Lefflers  Ix^weison  nach  v.  Borries  selbst  nichts.  Skenm 
(Gl.  1,  57,  84)  kann  neben  dem  skirnieo  der  andern  handschriften  nichts  beweise 
Miltherxi  und  armhcrxkh  hal)en  wie  urhcrxi  ihr  c  von  herxa  bekommen;  das  lau 
gesetzliche  i  zeigt  urhirxL  Erdin,  mitercrdisc  können  mit  ihrem  e  gegenüber  irdl 
irdisk  nur  durch  anlohnung  an  erda  erklärt  worden.  FerrUk  hat  sich  an  fer  ang 
lehnt,  duucrfig  an  duuerf,  mittifcrhjan  an  mittiferhen  mUtiferhöny  blechin  i 
bleh.  Damit  sind  in  der  tat  alle  l)eispiele  erschöpft,  auf  welche  v.  Borries  sein  lau 
gesctz  gründet,  dass  „die  r-  und  wahrscheinlich  die  //-Verbindungen''  den  wand 
von  e  zu  i  im  ahd.  gehindert  hätten.  Und  daiauf  hin  führt  v.  Borries  dies  angeblid 
lautgesetz  im  verein  mit  der  goi  brochung  ohne  weiteres  auf  ein  urgerm.  gosetz  v( 
umlauthinderndtT  kraft  des  r  und  h  zurück! 

Völlig  ungenügend  ist  zum  schluss  die  Zeitbestimmung  dos  lautwandels  e  > 
behandelt,  v.  Borrics  kent  kein  anderes  beweismittel  als  einerseits  die  namon  SegesU 
SfginmndttSy  Regiments,  andrerseits  die  tatsache,  dass  der  lautwandel  vor  das  vok 
lische  auslautsgesetz  zu  stellen  ist;  als  terminus  ad  (juem  gewint  v.  Borries  so  Seh 
rors  gotische  periodo  (150  —  450)  und  er  verlegt  den  lautwandel  c  >•  i  in  das  2.  od- 
3.  Jahrhundert.    Wir  haben  tatsächlich  ein  grösseres  material.    Das  erste  %  in  de 

1)  'Otos  neben  -eitos  künto  als  spÄtidg.  O  urgerm.)  angloichong  aus  uridg.  -cnos,  -emm  {Sa 
fioro^j  noifttyo^)  angesehen  werden. 

2)  Übrigens  wäre,    die  berech tigong  des  e  zugegeben,    es  noch  die  frage,    ob  dieses  e  niokt  « 
sokundUr  widcnun  aus  i  entstanden  wttre.    Die  sache  Ifige  dann  ebenso  wie  beim  got.  ai  vor  k  vmi 
von  welchem  man  aucli  nicht  mit  v.  Borries,  s.  70  ohne  weiteres  sagen  darf,  es  sei  in  ihm  das  tlto  ifig. 
erhalten;    die  aliremcine  Wahrscheinlichkeit  spricht  vielmehr  dafür,   da&s  of  ent  aof  goUaaütem  koAn  f 

germ.  i  (<C  idg.  c)  eingetreten  ist. 


ÜBER   VON   DORRIES,    /- UMLAUT  251 

stamme  sigix-  beweist,  dass  e  zu  /  früher  in  unbetonter  silbo  gewandelt  als  in  beton- 
ter lungelautet  worden  ist.  Dazu  stimmen  namen  wie  Seghtnindus.  Die  ältesten  eigen- 
namen  erhellen  aber  noch  deutlicher  die  geschichte  des  e  >  /:  1)  Durch  die  bank  wird 
»  geschrieben  vor  gutturalem  nasal  (von  Caesai*s  TkiUngi  abgesehn)  Aeningia  Plin.IV,  96 
Ir9f^€tCFones  oder  Ingvaeonc^  Plin.IV,  96.  99,    Tac.  Germ.  2,    Ingmomerus  Tac.  Ann. 
I,    CO,  Reudigtii  Tac.  Germ.  40,  Marsigni  Tac.  Germ.  43,  ^aßah'yyoi  Ptol.  II,  11,  11, 
^VA^';'«*  Ptol.  II,  11,  18.  19,  MaQovivyoiVtQ\A\,  11,  22.  24,  Lacriwr/c«  Jul.  Cap.  22, 
^f€<xQiyyoi,  Dio  Cass.  LXXl,  12,  LXXVIII,  27,  Uaiiyym  Dio  Ciiss.LXXI,  12.     Der 
naine    Teiieteri  ist  keltisch.     Die  älteste  stufe  des  lautwandels  e  '>  i  ist  also  die  von 
en^  Z>  ing.    Dazu  stimt  der  gemoingenn.  übei-tritt  von  zeitwörteni  wie  pcihan,  prei- 
hriPi    aus  der  c-  in  die  /-mhe,  der  den  Schwund  des  ng  vor  h  und  den  diesem  voraus- 
gegangenen lautwandcl  e^tg  >.  ing  zur  Voraussetzung  hat;  ng  vor  h  ist  schon  im  1.  jahr- 
liujidert  n.  Chr.  geschwunden,  wie  Äctumerus  (vgl.  ags.  Ohthere)  zeigt*.  —    2)  Die 
z'wreite  stufe  war  der  lautwechsel  c  >  t  in  unbetonter  silbe,  der  im  1.  jahrh.  n.  Chr.  ein- 
trat-    Beispiele  Iure:  .ßri<<*/crt  sehr  oft,  Bastcrnae  oft,  GubemiVYm.  IV,  106,  Ougemi 
Tao.  Hist.IV,26.    Ann.  V,  16. 18,  ^li/s/cmFia  Plin.  1 V,  97,  Cunnencfatiesmn.W,  101 
nel>oii    Caninefates  Vell.   Pat.   II,   105,     Canninefates   Tac.   Ann.  IV,  73.     XI,   18. 
Hitst.    IV,  15.   16.   19,     Oandestrius  Tac.  Ann.  II,  88,     Segestes  Vell.  Pat.  II,   118, 
Tao.     Ann.  I,  55.  57.  59.  71,  -l>;'^'c;ri/?  Strabou  VII,  291.  292,   Vetiedi  oder  Vcncdae 
I*liii.    IV,  97,    Vcneti  Tac.  Gorm.  46,  Ovtvt^ai  Ptol.  HI,  5,  19.  20.  21.     Die  beispiele 
fiir     »-    sind  zahlreicher:    Scgimerus  Tac.  Ann.  I,   71,    Sigimcrus  Vell.  Pat.  II,   118, 
^^^^'''^itiiyog  Strabon  VII,  292,   ^ijyifHQog  Dio  Cass.  LVI,  19,  Scgimumlii^  Tac.  Ann. 
I,     Ö7,  ZiytfAoOvioq  StralwnVn,  292;   VamliU  Plin.IV,  99,    Vandilii  Tac.  Germ.  2, 
^"*i>^ihi8  Tac.  Ann.  U,  63,    Vistila  Plin.  IV,  81.   97.   100;    Mnnivii  Tac.  Germ.  43; 
J^^^^ümnes  Pomp.  Mola  Ml,  32,  Plin.IV,  99,  Tac.  Germ.  2,  XtuStivoi  Ptol.  U,  11, 
:io,      €harini  Plin.  IV,  99,  Ilelinium  Plin.  IV,  101,  Canninefates  Tac.  Ann.  IV,  73. 
XI,      18,    2:{ßivoi  Strabon  VII,   290,    2:h&^vo{  Ptol.  H,   11,   14,    2:ovSivoC  Ptol.  D, 
11  ,     25,   Varini  Tac.  Germ.  40;  Äliso  Vell.  Pat.  II,  120,  'EXiocüj'  Dio  Cass.  LIV,  33, 
A//*»j„j,  Pomp.  Mela  IH,  30,  Plin.  IV,  100,  Amisia  Tac.  Ann.  I,  60.  03    11,  8.  23, 
'^M^^tog,  'j4fiia(u  Ptol.U,  11,  5.  11.     Vm,  6,  3,  Hclisii  Tac.  Germ.  43,  LlLsiaciso 
'J^a^^-    Ann.  II,  16;  NarisH  Tac.  Gorm.  42,   OvuoiajoC  Ptol.  II,  11,  23,  NaQiaicu  Dio 
v^ass.  LXXI,  21,    Varistae  Jul.  Cap.  22;    Gambrivli  Tac.  Germ.  2,    nt/naßoi'ovioi 
Straljon  VII,  291.  —    3)  Ei*st  nachdem  c  in  unbetonter  silbe  zu   l  geworden  war, 
Koute  dieses  *  ein  e  der  voraufgehenden  silbe  zu  i  umlauten.    Die  einzigen  sichern 
^i»piele  für  *  sind  Hülerianes  Plin.  IV,  96  und  Sigimerm  VeU.  Pat.  ü,  118  und 
wahrscheinlich  Zfßivoi  Strabon  VII,  290-;    VibiUus  Tac.  Ann.  D,  63  und  2:a(yyiu 
^^-*-  H,  11,  18.  19  mit  idg.  e  oder  ^?    Vgl.  auch  in  unbetonter  silbe  Canninefates^ 
^*uiHi{^   VilnliuSj   Ilelinium ,  Amisia ^   Hclisii,  Gafnbrivii.     Sonst  steht  immer  c 
^'^f   »(c)  der  folgenden  silbe:  Hcliniiun  Plin.  IV,  101,   Uelisii  Tac.  Germ.  43,   Her- 
^l^''^oyies  Pomp.  Melam,  32,  Plin.IV,  99,  Tac.  Germ.  2,  Segestcs  Vell.  Pat.  11,  118, 
^^- Axin.I,55.57.59.  71,  .2'f}'*aTi??  Strabon  Vn,  291.  292,  ^^(//wer?/«  Tac.  Ann.  I,  71, 

.  1)  Wäre  damals  noch  nasal  vokal  goüiproi'hon  worden,   so  würdon  dio  Römor,  die  in  ihrem  ni^aa 

'^^^««Üvokai  durch  en  widergabon,  ^Anctumtnts  goschriobon  haben. 

2)  Ich  vennate,  diass^tßivot  und  2^^jnyo}yeg  boi  Strabon  dasselbe  volk  bezeichnen,  indem  beide 

'^MVmiieii   sich   yereinigon    unter   einem   stamabstnfendon   gorm.  *Stmin-,  •Ätiin-,    daraus  sptttor 

,  amm-  >  *Sibn-;  vgl.  Dulgubini  Tac.  (ierm.  ;U  neben  .1oiXyoifiyi(U  l*tol.  II,  11,  17.    Zi'/it- 

"wki  DtUgubud  eine  (germ.  oder  römische?)  kontaminationsbildung  aus  lautgosetzlichcn  -inin-  und 

Dii  Mtto  abiautsstafo  -an  zeigt  /)  Zr,fiuru  vXi,  rtol.  II,  11.  7. 


•A£. 


252  BREMER,   thlER   VON   RORRftlS,   /-niLAÜT 

2:fyifttjoo:;   Stni>K)n  VII,  292,     ^ly/ZiKoo;   Dio   Cass.  LVl,   19,    Segimundus 
Ann.  1,  57,    ^f/tuof-iTo^  Stralton  VII,  291,    Ziifi^kayxo^  Strabon  VII,  292, 
oder  Vemdae  Plin.  IV,  97,   IWiW#  Tac.  Germ.  46,  Oitvaat  Ptol.  III,  5,  19.  20.  21. 
4)  Otogen  au$gang  des  1.  Jahrhunderts  n.Chr.  ist  endlich  der  lautwechsel  von  e 
vor  ti  -\-  kons,  anzusetzen.     Zur  zeit  der  feldzügc  des  Dmsus  und  <vennanicii8  hal^e»^ 
die  Römer  jetlenfals  kennen  gelernt  die  namen:  Feuui  Tac.  rierm.  46  (bestätigt  dmroli 
Jonlanis  Fcnnae)^  Semnoues  m^u.  Anc.  2»>,  Vell.  Pat  II,  106,  Tac.  Germ.  39,  A.nn. 
11,  45,  -l>>iit»w*,  Strabon  Vll,  290,  2>>iror*,' Ptol.  II,  11,  15.  18,  Dio  Cass.  LXVI,  o. 
LXXI,  20,    Mnliorcfnitts  Tac.  Ann.  II,  25.     Baduhenna  Tac.  Ann.  IV,  73  wird  kel- 
tisi'h  sein  (vgl.  Arduenna.  Xehalcnnia  usw.).     Das  neue  i  finde  ich  in  drei  nameo 
spätori'n   Ursprungs:    Brinno  Tac.  H ist.  IV,  15,   Ivrortoyoi   PtoL  II,   11,  9    und  in 
4*11101  l^ol.  in ,  5,  2i).     Der  nanie  Cunhri  ist  keltisch.  —  Natürlich  ist  der  in  frage 
stehende  lautwandel  nicht  zu  gleicher  zeit  auf  dem  ganzen  gcnn.  Sprachgebiet  durch- 
gedrungen,   sondern  hat,    von  einem  punkte  ausgehend,   erst  almählich  fuss  geCisst. 
Wir  dürfen  vennuten,  dass  diest^r  ausgangspunkt  die  deutsche  nordseeküste  gewesen 
ist,  weil  im  anglo -  friesischen  der  lautwand»^!  c  '>  i  am  weitesten  gegangen  ist,  hier* 
auch  vor  einfachem  nasal  erscheinend. 

Eine  physiologische  erkLärung  des  Vorganges  <v.  Borries,  s.  73  —  77)  wird  mm-w» 
mit  Sicherheit  erst  dann  wagen  kimnen,  wenn  man  festgestelt  hat,  ob  das  verhiltnÄs 
des  gorm.  o  zum  w  ein  dem  von  e  zu  i   homogenes  ist  oder  nicht.    Im  bejahungs»— " 
falle  war  das  treibende  momeut  eine  von\jirtshewegung  der  hinterzonge,    im  vorne «-^ 
nungbf;üle    eine  veri>reitening   ders^'lben ,    offenbar   der    indiflferenzlage   entsprei-hen«"  *- 
weil  auch  die  un>»etonten  silben  davon  l»etroflfen  wurden.     Da  der  zeit  nach  die  eii—^' 
zelnen.    zu  unterscheidenden  stufen  ni«ht  weit  von  einander  liegen,    wird  man  kau^f^ 
versvhic'ionc  pbysiol«">gisi'he  triebkräfte  annehmen  dürf»^n  für  den  lantwandel  in  unb«E^==^' 
tenter  silK^.  vi»r  na.sil  und  ver  i  d'^r  f'»li:end»^n  sill-».'. 

<TR.\LSr.NP.    Jo.  MÄRZ    l^^V.  OTTO   BREMKR. 


ZU  DER  FRAGE  NACH   DER   ENT^TEHUNGSZEIT  DES 

LUTHERUEDES. 


>h 


In  der  Z-itSfhrift    für    kinhlioh»*   \vis<'»ns'haft    und    kin.'Wich«    leben,   bd. 
s.  I^,»  fciT.  hat  Knaaok«'  di«.-  von  S.hn»^id»  r  frühr-r  auf^^telte  ansieht,    dass  M.  Luthe-*^- 
s»Mn  \i*^\:  Kin  f^^to  bur^r  i>T  uriM^r  p^tt  im  jähr  1527  Vn>im  herannahen  der  pest  gedi 
tet   h,-i>-:*.    zu  »TWiis^'n  g'-<U'. liT.      I»'T   n.i-.hw.is    durch    das   von    ihm  aufgefunden 
p^saniil'U'h   >«.  heiut   mir  kcinoswecs   gx^vilü'.  kt.     Kn.iavke  hat  denselben  noch  dadurcL 
zu  >tutz*^n   ^e>U\hT.    d;\>>   er  di«^  >T»lleu   in   LuTh"r>  gleiohzeitig*?n  briefen   anführtt-^  **' 
auf  die  si.h'»a  Sv-hüri-ler  aufmerks,n!ii   ^t  ma-bt   hat  und   aus  denen  eine  nierkwürdij^^^^^^ 
ül vrein Stirn nnmi:  mit   dem   gt^i:\nkeninha!t  und  dorn  Wortlaut   des  liedes  hen'orgehe-  "''^^ 
M'll.     .Nachdem  Liuh-.T-,    >A:r   S-hr^oidor',    -in  die>^m   briofe  lan  Amsdorff  1.  no'       ^* 
1527»  Jr-m  fri^unde  steine  L^o  c*s«hi!dvn.  :?^'- hrie>-n  hat.  wie  er  füivhten  muss  fi^^^'' 
s«Mn  weiV-,  das  iu  ■iioc!  K-^^n  ;•■:•  ihT>T  entbir.di;r:i:  ♦■nTJre;^■*ns^»he,  für  sein  kind,  <^    ^^ 
s<!t  3  TA^-.!!   IravA   da^T,i«^i^! !:•;?:,    >ih!u^->t  ir  m:T    ien  w-nen:    so  cibt  es  dnus^^-^^B 
kam}f  und  driiiucr.  s.hrvvlti:.    aKr  i'l.rl>tus   suvhc:   ucs  brim.     Unser  einiger  trcj>a»A 


KLLINQKR,   KNTSTRHÜNGSZEIT  DES  LTTTHRRLIfEDEH  253 

den  wir  der  wut  des  teufels  eDtgegonstollen ,  ist  der,  dass  wir  das  wort  gottes 
haben,  welches  die  seelen  errettet,  wenn  er  auch  den  leib  vei*schUngt.  Betet  für 
uns,  dass  wir  die  hand  gottes  wacker  ertragen,  und  die  macht  und  list  des  teu- 
fels üborwioden,  sei  es  durch  tod  oder  leben.  Amen.  Zu  Wittenberg,  am  tage 
aller  heiligen,  am  zehnten  Jahrestage  des  sieges  über  den  ablasskram,  dessen  ange- 
deukon  wir  zu  dieser  stunde  wol  getröstet  durch  einen  trunk  feiern."  Vgl.  dazu 
noch  Köstlin,  2.  auil.  bd.  II  s.  660. 

Ich  will  dazu  nur  bemerken,   dass  alle  diese  scheinbaren  Übereinstimmungen 

für  die  abfassungszeit  des  licdes  gar  nichts  beweisen.    Denn  seit  Luther  zu  der 

Überzeugung  gekommen  war,   dass  er   den  kämpf  gegen   das   papsttum  aufnehmen 

müsse,  bewegten  ihn  die  gedankcn,  die  dem  liede  zu  gründe  liegen  und  er  gab  den- 

selbeu  in  briefen  und  Schriften  ausdnick,  mehr  oder  weniger  dem  Wortlaut  des  hedes 

sich  nähernd.    Und  grade  der  stärkste  anklang  an  den  worÜaut  des  licdes  fmdet  sich 

in  einer  sehr  frühen  schrift;    da  die  Übereinstimmung,   soviel  ich  weiss,   noch  nicht 

bemerkt  worden  ist,    so  sei  hier  kurz  darauf  hingewiesen.    £s  handelt  sich  um  die 

derbe  abführung,   die  Luther  dem  bischof  von  Stolpe  wegen  seines  mehr  „tolpischen 

^   stolpischen '^  zetteis  angedeihon  liess.    (Doctor  Martinus  Luthers  antwort  auff  die 

^zedel  so  unter  des  Ofücials  tzu  Stolpen  sigel  ist  aussgangen.   Lezte  seite):  Nimpstu 

^iT   den  leip  und  die  eher,   du  wirst   mir  Christum  bleiben  lassen.    In 

diesen  werten  tritt  die  Übereinstimmung  mit  der  lezten  strophe  des  Lutherliedes  so 

aofHillig  hervor  wie  in  keiner  anderen  stelle.    Dennoch  aber  wäre  es  sehr  töricht, 

^enn   man  daraus  folgern  weite,  das  lied  sei  im  jähre  1519  gedichtet  worden. 

BERLIN.  O.   ELLINGER. 


ABWEIHEN. 


Es  ist  die  frage,  ob  man  in  Goethes  „Götter,  holden  und  Wieland "  lesen  soll; 

^uast:    mit  deinem  verzehrenden  schwort  abgewei/iot  ihre  haare?*  oder:  „ abgo- 

wedcfcöt  ihre  haare?* 

Die  ausgaben  und  ausleger  schwanken  in  der  bedenklichsten  weise.    Während 

^'^*^    ^^mays  djOn,  398  und  von  Strehlke  in  den  8.  band  der  Hempelschen  ausgäbe 

""/^**Soweidet *  aufgenommen  ist,  auch  K.  J.  Schröer  (Deutsche  nationalhtt.  87.  Goethe 

^     393)  so  schreibt  und  „abgeweihet**  für  unverständlich  erklärt,  hatGödeke  „abge- 

^^■^ot"  in  den  text  gesezt,   was  auch  v.  Löper  in  einer  anmerkning  zu  „Dichtung 

^^    Wahrheit*,   z.  4.  teil  buch  16  verteidigt.    Grimm  hat  dem  in  der  ganzen  littera- 

v^    Vereinzelt  dastehenden  werte  keinen  platz  in  seinem  Wörterbuch  gegönt,  während 

^^"^^^rs  in  dem  seinigen  sich  für  „abgeweihet**  entschieden  hat.    Nicht  anders  steht 

'^it  den  ältesten  dnicken  und  aiLsgalxin  der  farce,  die  noch  zu  Goethes  lebzeiten 

ß^ma^ht  sind. 

_  Die  ältesten  diiicke  und  nachdrucke,  darunter  auch  ein  solcher  auf  der  königl. 

^^iothek  zu  Berlin  von  1774,   haben  „  abgeweidet  **,  die  ausgäbe  lezter  hand  jedoch 
^^t^  sowol  die  in  sedez  33,  283  als  auch  die  in  oktav,  „abgeweiAet.'^ 

Was  tun?    Zunächst  muss  man  bedenken,   dass  weder  jene  ältesten  drucke 

.  ^^)i  die  lezte  zu  des  dichters  lebzeiten  gemachte  ausgäbe  in  kritischer  hinsieht  hier 

S^Hd  welches  gewicht  haben  können.    Es  ist  ja  bekant,   wie  ohne  Goethes  eigent- 

/^^n  willen  die  farce  von  Lenz  in  Strassburg,  jedenfals  ohne  jede  korrektur  von 

?f**^ii  des  dichters,  zum  drucke  plötzlich  gegeben  wurde.    Aber  ebenso  liess  ja  Goe- 

^^    bei  widerstrebend  die  aufnähme  des  Stückes  in  seine  werke  durch  Eckermann 


254  MORSCH.    ABWEIHEN 

geschehen,  das  ,, abj^eweihet -  ist  also  hier  entschieden  nicht  auf  des  dichters  eigen- 
sten willen  zurückzuführen.  Beweisen  diese  beiden  lt»sarten  also  gar  nichts,  so 
lieweLst  ein  anderer  umstand  desto  mehr.  Wir  hal^n  die  lezteo  spuren  einer  Hand- 
schrift der  fan^  ]>ekantlich  bei  Wagner,  Briefe  an  und  von  Merck  (Darmstadt  1838) 
auf  welche  die  herausg».'ber  natürlich  schon  aufinerk-sam  geworden  sind ;  die  bcdeutuug 
dieses  hier  verborgenen  indirekten  Zeugnisses  scheinen  sie  jedoch  noch  nicht  genug 
gewürdigt  zu  haben.  S.  42  daselb.«>t  lesen  wir:  2)  Götter,  beiden  und  Wieland,  sehr 
rein  von  Goethe  selbst  geschrielien.  Nun  folgt  eine  anzahl  von  Varianten  dieser 
dem  herausgel»er  der  briefe  vorliegenden,  offenbar  aus  Mercks  nachlass  stammenden 
handschrift  <joethes,  welche  gewonnen  sind  durch  eine  vergleichung  der  handschrifl 
mit  der  ausgäbe  lezter  band  IG**,  bd.  33.  Während  nun  eine  anzahl  von  abweichungen 
beider  augemerkt  sind,  hat  der  herausgeber,  der,  wie  die  beigefügten  Seitenzahlen 
der  ausgäbe  lezter  band  l>eweiseu,  sorgfaltig  und  richtig  vergUchen,  l)t»i  der  fraglichen 
stelle  nichts  angemerkt,  obgleich  die  ausgäbe  lezter  band  «abgeweihet^  bietet.  Folg- 
lich las  er  in  der  handschrift  Goethes  ebenfals  ^abgeweihet** 

Ist  durch  diesen  allerdings  indirekten  schluss  „abweiAen*  handschriftHch  ziem- 
lich sicher  gestelt,    so  spnx'ben  sprachliche  und  sachliche  gründe  noch  mehr  dafür. 
Die  Goetliische  spräche  der  damaligen  zeit  ist  sehr  kühn,  durch  homerische  Wendun- 
gen und  pindarischen  schwung  l>eeinllusst.    Jene  ganze  stelle  in  ,G.  H.  u.  W.*^,  in 
welcher  der  inhalt  mancher  scenen  aus  des  Euripides  Alkestis  widergegeben   wird, 
ist   im   tone  der  Goethischen  öden,   ,» Schwager  Kronos''   u.  a.  gehalten.      Kurz   vor 
unserer  stelle  findet  sich   „eingleichen-,    ein  wort,    das  zwar  nicht  so  kühn,    aber 
ebeufaLs  ohne  l^eispiel  in  der  litteratur  ist.*    Aber  auch  in  den  Briefen  an  frau  v.  Stein 
1-,  17G  vom  juli  1770  lesen  wir  ja:  «geweiht  und  abgeschnittne  haare '^  (vgl.  Werke 
Wabrh.  u.  Dicht.  IV,   10  s.  035  (G<>edeke),    wo  Sanders  Ergiiuzungswörterbuoh  d.  d. 
Sprache  1S85  s.  021   .abgewfht"   für  einen  di-uckfehler  statt  « abgeweiht '^   mit   n?cht 
ansieht),  und  in  der  Iphigenie  C.  und  D.  s.  ,3.').  v.  <)00  bei  Bachtold:  „wenn  die  prie- 
sterin   sehon    unsre    locken    weihend    abziLSch neiden    die    band    erhebt"   —      Gleich 
«abweihen-  steht  ebenso  vereinzelt  «wegweihen-,  Werther  1,  0.  juli.  —    Wenn   sich 
nun  gerade  «abweihen-  nicht  mehr  belegen  lässt,  so  geht  doch  aus  den  angeführten 
stellen  her\or,  dass  dem  dichter  jener  Vorgang,  um  den  es  sich  hier  handelt,  bekant 
war.    Elie  die  opfertirre  geschlachtet  wurden,  ^iirde  ihnen  ein  büschel  haare  von  der 
stini  abgi^schnitten  und  diese  haare  ins  feuer  geworfen,    womit  sie  dem   tode   ver- 
fallen waren.     Vgl.  Schömann  gr.  staatsalt.  11,  s.  240.     In  der  vorbildlichen  stelle  bei 
Euripides  Alk.  v.  74:    brov   rocT*   ^;2fo>   xoktu;  «;i-i'aj|   tox/«  wird  der  todesgott  mit 
einem  opferer  verglichen,  der  mit  seinem  Schwerte  erst  demjenigen  einige  haare  vom     J 
haupte  schneidet,  der  ihm  verfallen  ist;    die  eigentliche  opferungsceremonie  wird  in 
der  Iphigenie  mit  den  citierten  werten  bezeichnet,  während  in  dem  briefe  an  fraa 
V.  Stein  das  wort  gleich  dem  folgenden  « abschneiden "  mit  der  Wirkung  des  wertlos- 
und  nichtigmacheus  gebraucht  ist;    im  gewöhnlichen  sinne  von  geweihten,  d.  h.  hei- 
ligen haaren  |«isst  es  gar  nicht  in  den  Zusammenhang.     Diesen  Vorgang  konte  det^ 
dichter  aus  der  Uias  oder  Odyssee  oder  sonst  woher  gelernt  haben. 

Die  lesart  «abgeweihef  scheint  demnach  nun  handschriftlich,  sprachlich  \xsx^ 
sachlich  genügend  Wfestigt  und  erklärt  zu  sein;  «ab weihen*  bekomt  holTentlich  ^\t\. 
mal  seinen  dauernden  platz  in  dem  Sprachschatze  der  deutschen  Wörterbücher. 

BEKUN.  II.    >|ORSCa. 

1«  Vtl.  üarül-or  Sju>-iors  Ktv. -wtN    li^»  >.  "i>'. 


[ 


KLLINQER,   DBS   MÄDCHENS   KLAOR  255 

DES  MÄDCHENS  KLAGE. 

Soviel  ich  woLss,  hat  Jiian  noch  nicht  beobachtet,  dass  Schillers  lied  Des  niäd- 
cheos  klage  ersichtlich  unter  dem  einflusse  eines  Stückes  aus  Herders  Volksliedern 
steht  und  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  von  demselben  angeregt  worden  ist.  Volks- 
licKler,  bd.  II  s.  18  ( Suphan  -  Redlich ,  bd.  XXV  s.  3-43):  Das  müdchen  am  ufer. 
lünglisch. 

Im  säuselnden  winde,  am  murmelnden  bach 
Sass  IJla  auf  blumen  und  weinet'  und  sprach: 
,Wa«  blüht  ihr,  ihr  blumen?  was  säuselst  du  west? 
Was  murmelst  du  ström,  der  mich  murmelnd  verlässt? 

Mein  lieber,  er  blühte  am  herzen  mir  hier, 
"War  fnsch  wie  die  welle,  war  lieblicher  mir 
Als  zophyr;  o  zephyr,  wo  flohest  du  hin? 
0  blume  der  liebe,  du  mustest  verblühn!" 

Vom  busen,  vom  herzen  riss  ab  sie  den  strauss. 
Und  seufzet  und  weinet  die  seele  sich  aus. 
"Was  weinst  in  die  welle?    Was  seufzest  in  wind? 
0  mädchen,  wind,  welle  und  leben  zerrint. 

Der  ström  komt  nicht  wider,  der  wostwind  vor  weht. 
Die  blume  verwelket,  die  Jugend  vergeht. 
Gib  mädchen,  die  blume  dem  ströme,  dem  west; 
Es  i.st  ja  nicht  liebe,  wenn  liebe  verlässt. 

Noch  ein  anderes  lied   aus  Herders  Volksliedern  (Suphan- Redlich,  bd.  XXV, 
s.  lt>0)    ^arf  herbeigezogen  werden: 

Die  seo  war  wild  im  heulen 

Der  stürm,  er  stöhnt  mit  .müh, 
Da  sa.ss  das  mädchen  weinend. 

Am  harten  feLs  sass  sie, 
Weit  über  meeres  brüllen 

Warf  Seufzer  sie  und  blick; 
Nicht  konts  ihr  soufzer  stillen, 

Der  matt  ihr  kam  zurück. 

Hier  beweint  das  mädchen  ihren  geliebten,  der  zur  see  gegangen  und  den 
sie  tog  ,jQj  ^  vergeblich  erwartet;  da  spülen  die  wellen  seinen  leichnam  heran  und 
«ötsoolt  sinkt  das  mädchen  über  ihn  hin. 

Bei  beiden  gedichten,   namentlich  aber  bei  dem  ersten,   erkennen  wir  genau, 
^^  Schiller  sich  an  dieselben  anlehnte.    Nicht  allein  in  der  ganzen  anläge  des  godich- 
.  ^^  sich  eine  auffallende  ähnlichkeit,  auch  im  einzelnen  können  wir  die  abhängig- 
^^t,  Schillers  von  den  englischen  liedem  beobachten. 

BSRUN.  ü.   KLUNGKK. 


250  NACHRICHTEN 


NACHRICHTEN. 

T)r.  Otto  Bremer  in  Halle  l>eabsichtigt  eine  ^samlung  von  gramnii^- 
tiken  deutscher  mundartcn"  herauszugeben,  deren  vertag  die  firina  Breitkopf 
und  Härtel  in  Leipzig  übernommen  hat.  Das  unternehmen  wird  eine  von  dem  lior- 
ausgeber  verfasste,  für  die  l)edürfnisse  der  dialektforschung  l)erechneto,  kurze  ,,deuit- 
Rche  phonetik'^  erüfnen;  als  erster  band  der  samlung  ist  eine  darstellung  der  mao<l' 
art  von  Mühlhoim  an  der  Ruhr  von  dr.  Maurmann  angekündigt. 


Ein  wichtiges  hilfsmittcl  für  das  Studium  der  ffloröischon  spracho  aim  d 
litte  rat  ur  ist  kürzlich  in  der  handschrift  vollendet  und  soll  demnächst  der  grosse*« 
königl.  bibliothek  in  Kopenhagen  übergeben  werden,  nämlich  die  von  Svend  Grund  ^' 
vig  begonnene  (vgl.  Aarboger  1882,  s.  357  fgg.)  und  von  dem  archivsocrctär  Jorg^  « 
Bloch  fortgeführte  samlung  fieröischer  lieder  nebst  dazu  gehörigem  (auf  grund 
samlungcn  von  Svabo  und  Mohr  ausgearl)eiteten)  Wörterbuch.  Die  erstere  uml 
10  (luaiibände,  das  leztere  3  foliant^^n.  Die  arbeit  ist  auf  kosten  der  gräflich  Hjelor»- 
stj(»rnc-Kosenkronschen  Stiftung  ausgeführt  woi-don;  sie  winl  wegen  dos  grossen  umfax:»- 
ges  und  d(^s  beschränkten  intoressentenkroisos  durch  den  druck  leider  nicht  ven^^' 
fentlicht  werden. 

Die  enthüllung  dos  Walther-denkmals  in  Bozen  wird  am  15.  septbr.  d.      J 
statfinden.     Der  obmanu  des  comites,   herr  gutsbesitzer  Andr.  Kirchebner,    la<l 
alle  Verehrer  dos  dichters  zur  teilnähme  an  der  feierlichkeit  ein. 


Die  DLZ  (1889,   nr.  15)  meldet,    dass  von  dr.  Konrad  Zwierzina  in  ein* 
dem  15.  Jahrhundert  angehörigen  handschrift  des  Konstanzer  Stadtarchivs  Wetzo^' 
Margaretha  und  der  volständige  Gregorius  Ilartnianns  in  einer  bisher  unbekant^^^ 
recension  aufgefunden  sind.    Das  orstgenanto  gedieht,    in  welchem  der  Verfasser  si^^^ 
nent,    ist  mit  dem   fragmentaiiscli  überlieferten  werke,    das  Bai*ts(?h    (Germanist,  «t 
dien  I,  1  fg.)  als  „Wetzeis  lieilige  Margarethe"  veröffentlichte,  nicht  identisch.     Ei" 
ausgalK)  beider  dichtungen  steht  bevor. 


Der  oi-deutliche  professor,  geh.  rat  dr.  Karl  "NVeinhold  in  Breslau  wurde  an  d»' 
Universität  Berlin  l)erufen,    der  aussoroi-dontliche  professor  dr.  Edw.  Schröder  i«* 
Berlin  zum  ordentlich(?n  professor  an  der  Universität  Marburg  omant. 

An  der  Universität  liiüpzig  habilitierte  sich  dr.  Eugen  Mogk  für  nordisch^ 
Philologie,  an  der  Universität  Heidelberg  dr.  Ilerm.  Wunderlich  für  deutsch^ 
Sprache  und  litteratur.  An  diesell)e  ho(;hschule  ist  dr.  Max  freiherr  von  Wald-* 
borg  (l)isher  aussoroixl.  prof.  in  Czcmowitz)  als  docent  ülKTg^'siedelt. 


Hallo  a.  8.,  Buehdnickcrei  dos  WttisonhaustMt. 


DIE  ALAISIAGEN  BEDE  UND  FIMMILENE. 

Seit  E.  Hübner  in  der  Westdeutschen  Zeitschrift  für  geschieh te 

und    kunst  3,  120  fgg.   über   zwei   zu  Housesteads   (Borcovicium)   am 

Hadrianswall   im   november   1883    gefundene   sandsteinaltäre    berichtet 

hatte,   welche   unter   kaiser  Severus  Alexander   in  römischen  diensten 

stellende  Germanen   aus   der   landschaft  Twente   ,,  Marti  Thingso   et 

diiabus  alaesiagis  Bede  et  Fimmilene"  gesezt  haben,  durfte  man 

ä-iif    eine   äusserung    der    germanisten    über    diese    bisher    unbekanten 

*c*\itschen    gerichtsgottheiten    gespant    sein.      Das    erste    wort    sprach 

W^.    Scherer.     Schon  am  24.  mai  1884  las  er  vor  der  Berliner  aka- 

i^mie  über  „Mars  Thingsus"  und,  als  ihn  inzwischen  R  Heinzel  auf 

4as     friesische   Bod-   und   Fimelthing   aufmerksam   gemacht   hatte,   am 

-ö-     mai  desselben  jahres  über  die  alaisiagennamen   Bede  und  Fimmi- 

teiie  1,     Seine  erklärung  dos  wortes  „  alaisiagis "  bezeichnete  er  freilich 

J^^ix-     als   notbehelf.      Jezt   hat   auch   Karl   Weinhold   in   dieser   zeit- 

s^^lir-ift  21,  1  fgg.  über  „Tius  Things*^   gehandelt   und    dabei   auch   die 

^^isiagen    besprochen.      Tliingsus    und   Bede    deutet    er  wie   Scherer, 

^i^Xiinilene   und   die  alaisiagen   abweichend.     Aber  auch  er  gibt  seine 

^^tläning  des  Wortes  „alaisiagis''  ausdrücklich  nur  für  einen  fraglichen 

^^^K*such  aus. 

Mir  scheinen  durch  die  bis  jezt  vorliegenden  erklärungsvcrsuche 

^^^Vit  nur  die  alaisiagen,  sondern  auch  die  namon  Bede  und  Fim- 

'^i-lene  noch  nicht  sicher  gedeutet   und  daher  auch  das  wesen  dieser 

S'^ttheiten  noch  nicht  genügend  erkant  zu  sein;  und  da  ich  durch  eine 

^^^t^rsuchung,  die  einen  anderen  ausgang  als  die  bisherigen  naiim,  zu 

^'^^bnissen  gelangte,  die  mir  sicher  zu  sein  schienen,   so  wage  ich, 

^^C5li  zwei  so  gewichtigen  stimmen  auch  mich  über  jene  gerichtsgott- 

*^^it:en  vernehmen  zu  lassen.    Ich  glaubte  mich  nämlich,   weil  spi-ache, 

^^^^ht  und  religion  der  Deutschen  zu  kaiser  Alexanders  zeit  bei  allen 

1)  Der  erste  vertrag  erschien  in  den  Sitzungsberichten  der  Berl.  akad.,  jahrg. 
1,  8.  571  fgg.    Über  den  zweiten  vertrag  vgl.  Scherers  brief  an  Hühner  in  der 
^«atdeotach.  stschr.  f.  gesch.  xl  kunst  3,  292. 

Zmncinan  f.  diutschs  Fmi.oi.ooiK.   bd.  xxu.  17 


258  JAEKEL 

gemcinsamkeiten  ihr  wirkliches  leben  doch  nur  im  recht,  der  sprach 
und  religion  der  einzelnen  stamme  hatten,  bei  einem  Tersuche,  di 
namen  „alaesiagis**,  „Bede*^,  „Fimmilene"  zu  deuten,  zunächst  an  di 
spräche  und  den  vorstellungskreis  nur  eines  Stammes  wenden  zu  düi 
fen.  Es  konte  dann  aber,  da  jene  altäre  laut  ihrer  inschrifton  vo 
angehörigen  des  friesischen  cuneus  errichtet  worden  sind  und  da  di 
beiden  alaesiagennamen  unverkenbar  auf  die  friesische  untorschei 
düng  zwischen  Bod-  und  Fimelthing  hinweisen,  nur  der  friesisch 
stamm  in  frage  kommen.  Daher  unternehme  ich  es  hier,  die  name 
jener  gottheiten  aus  der  denkweise  und  spräche  der  Friesen  zi 
erklären. 

Ein  starkes  bewustsein  von  der  heiligkeit  des  rechtes  hat  vo 
jeher  in  dem  Charakter  des  friesisch -chaukis(*hen  Stammes  den  grundzu 
gebildet  Von  seinem  lebhaften  interesse  für  recht  und  gericht  zeug 
es,  dass  die  gesamte  friesische  litteratur  des  mittelalters  lediglich  au 
rechtsaufzeichnungen  besteht,  und  dass  die  sage  bei  diesen  stäm 
men  nur  da  erscheint,  wo  es  den  ui-sprung  rechtlicher  einrichtungE 
zu  erklären  gilt,  oder  wo  sie  gestalten,  die  in  das  rechtsleben  d 
Volkes  eingegriffen  haben,  umranken  kann.  Nach  aussen  bekundet  si« 
derselbe  sinn  in  einer  früh  beobachteten  abneigung  gegen  angrifskrie^ 
und  in  einer  rücksichtslosen  ontS(*hlossenheit  und  zähen  ausdauer,  ss 
bald  es  sich  um  abwehr  von  re(4itsverletzungen  handelt 

Schon  Tacitus  hat  von  diesem  frieilfertigen,  gesetzlichen  sinne  d_ 
friesisch -(*haukisi»hen  Völker  künde  gehabt  Er  sc»hildert  Germ.  35  M 
Chauken  als  einen  ^populus  iuter  Germauos  nobilissimus  quique  magi' 
tudinem  suam  malit  iustitia  tueri.  sine  cupiditate,  sine  imputenta 
quieti  secn^tique  nulla  provocant  bella,  nullis  raptibus  aut  latnxr 
niis  populantur.  id  pr.Rvipuum  virtutis  ac  virium  argumentum  es 
quod  ut  superiores  jigant  non  per  iniurias  assequuntur.  prompt" 
tarnen  omnibus  arma  ac,  si  n^s  pos(*at,  exercitus.*'  Die  gesc*hich. 
hat  gezeigt,  dass  diese  Charakteristik  richtig  ist  Die  erhebung  d- 
Friesen  gegen  die  Rönierhersi-haft  im  Jahn»  28  nach  Chr.,  welche  zuer" 
(Tacit  ann.  4,  74)  den  friesischen  namen  unter  den  Germanen  berühm 
gi»macht  hat,  war  lediglich  ein  kämpf  für  das  verlezte  positive  reolT 
Sie  liatten  sich  12  vor  Chr.  —  mit  einer  für  einen  deutschen  stam:3 
auffallenden  iK^reitwilligkeit  —  zum  anschluss  an  Drusus  und  zu  ein* 
geringfiigigi^n  abgäbe  an  die  R('>mer  verstanden.  Als  aber  der  ri'»miscl ' 
präfekt  die  abgäbe  wilkürlich  erhölite,  erhob  sich  das  volk  für  d^ 
gi^kriinkte  reicht  und  warf  die  fn^mdherscliaft  siegreich  ab.  Demselben 
eintreten  ßlr  das  gekränkte  recht  entsprang  im  mittelalter  der  öOOjährig 


BEDE  UND   FDfMILENE  259 

Itanxpf  um  die  friesische  freiheit^.  Derselbe  geist  weht  im  niederlän- 
cHscheii  fireiheitskampfe  wie  in  den  ostfriesisehen  Ständekämpfen,  und 
«r  lebt  noch  heute  im  anwohner  der  nordsee,  der  mit  Zähigkeit  am 
ierg^brachten  rechte  hängt. 

Woher  der  friesisch -chaukische  stamm  diesen  sinn  hat,   ist  klar: 
diG    Batur  seiner  Wohnsitze   hat  ihn   geweckt   und  dauernd  frisch 
erhalten.     Auf  dem   tiefliegenden,   flachen   und   schmalen   küstenstreif, 
dessen  dünenwall  lange  vor  dem  beginn  unserer  Zeitrechnung  zerbröckelt 
w^ar,  konte  der  Ingävone  nur  auf  warften,  wie  noch  heute  der  bewoh- 
ner    der  deichlosen  nordfriesischen  ballig,  und  später  unter  dem  schütze 
<le>r    deiche  seine  hütte  bauen.     Warften-  und  deichbau  sezt  aber  com- 
munale  Vereinigungen  voraus  und  ruft   eine  fülle   rechtlicher   Verhält- 
nisse ins  leben,  ohne  deren  sorgsame  conservierung  solche  Wasserbauten 
nicht  dauern  können.    Nur  wer  sich  vergegenwärtigt,  dass  dem  Friesen 
und    Ghauken    die   möglichkeit   der  existenz   überhaupt  von  jeher   an 
seinen  deichen  und  warften  hieng,  wird  den  ingävonischen  geist  fried- 
fertiger rechtlichkeit  ganz  begreifen.     Um  den  grund  seiner  wogenum- 
sp tuten  armseligen  hütte   (Plinius  N.  H.  XVI,  1)   vor  beschädigung  zu 
liiiten   und   fest  zu   erhalten,    muste   er  mit   den   nachbarvölkem   und 
innerhalb  der  gemeinde  auf  dem  friedlichen  wege  des  rechtes  und 
der    billigkeit  auszukommen  suchen.   So  hat  dem  Ingävonen  die  natur 
öell>fit,   von  der  er  sich  ganz  besonders  abhängig  fühlte,   die  tiefe  ehr- 
fuxxsht  vor  recht  und  gesetz  anerzogen. 

Im  zusammenhange  mit  diesen  erwägungen  ist  es  mir  von  jeher 

bedeutsam  erschienen,   dass   die  Ghauken   als   ihren   hauptgott,   dessen 

^^gesehenstes  heiligtum  sich  auf  Helgoland  befand,   den  dem  gericht 

"^o  i-sitzenden,   streit  schlichtenden   Forsite   verehrten,   den   die 

spatere  nordische  mythologie  zum  söhne  des  licht-  und  gerichtsgottes 

Balder  machte*.     Es  lag  die  annähme  nahe,   dass  auch  der  hauptgott 

der   [Priesen  ein  gerichtsgott  gewesen  sein  müsse.     Da  ich  nun  aus 

Ortsnamen  und  gebrauchen,  sowie  daraus,  dass  gerade  die  ältesten  kirchen 

der  Friesen  dem  Schwertträger  Michael  geweiht  sind,  schliessen  muste, 

1)  Diese  meine  ansieht  von  den  freiheitskämpfen  der  Friesen  weicht  von  dem 

'^^tate  der  forschungen  Karls  von  Richthofen  ab ,  wie  er  es  in  den  ersten  drei  bfin- 

®*^    Beiner  XJntersuchnngen  über  friesische  rechtsgeschichte  (Berlin,  1880—82),   bei 

^'^ii  druck  ich  ihm  zur  seito  stehen  durfte,  dargelegt  hat.    Die  ausführliche  begrün- 

J^^^S  meiner  meinung  wird  meine  demnächst  erscheinende  Geschichte  der  friesischen 

°^^*^t  bringen. 

^^       2)  Weinhold  a.  a.  o.  s.  14 fg.,  Scherer  a.  a.  o.  s.  576,  v.  Richthofen  Unters.  II, 
^  'gg.  434  fgg. ,  Grimm  Myth.  190  fgg. 

17* 


260  JAEBXL 

dass  der  hauptgott  dieses  Stammes  Tius  gewesen,  so  blieb  Dur  d 
yermutoDg  übrig,  dass  diese  alte  arisch -germanische  himmelsgotttu 
auf  friesischem  boden  die  züge  des  gerichtsgottes  angenomm^i  hat 

Diese  Vermutung  wurde  mir  durch  die  inschriften  der  beid* 
votivaltäre  von  Borcovicium  zur  gewissheit  Die  eine  lautet:  D< 
Marti  Thingso  et  duabus  alaesiagis  Bede  et  Fimmilene 
n(umini)  Aug(usti)  Germ(ani)  cives  Tuihanti  v{otum)  8{olv 
runt)  l(ibentes)  m(erito);  die  andere:  Deo  Marti  et  duabus  ala 
siagis  et  n(umini)  Aug(usti)  6er(mani)  cives  Tuihanti  cud 
Frisiorum  Ver...  Ser...  Alexandriani  votum  solverunt  libe 
t[es]  m(erito).  Scliliesslich  begegnet  der  name  ,,Tingsus''  noch  s 
einem  dritten  steine,  der  in  Cumberland  gefunden  wurde  und  ( 
inschrift  trägt:  Deo  Belatucadro  a  muro  sivi  Tus  Tingso  ( 
cuneum  [Fr]is[iorum  Ger]manorum^ 

Die  landschaft  Twente,  aus  der  diejenigen  angehörigen  des  c 
neus  Frisiorum,  welche  die  beiden  altäre  errichtet  haben,  stamü 
muss  ebenso  wie  die  Drente,  nach  ausweis  der  ältesten  Ortsnamen  u 
nach  andeutungen  der  friesischen  sage,  einst  von  Friesen  besezt  gewes 
sein,  die  dann  von  osten  her  vielfaich  von  den  Sachsen  eingeschräi 
und  endlich  von  Süden  her  durch  chamavische  Franken  verdrängt  u 
überflutet  wurden.  Die  Lex  Francorum  Chaniavorum  zeigt,  wie  eng  si 
dort  das  leben  der  drei  stamme  berührte.  Zu  kaiser  Alexanders  z 
war  der  friesische  stamm  oflTenbar  noch  im  alleinbesitz  jener  stric 
und  so  erklärt  es  sich,  dass  die  von  den  Römern  ausgehobenen  ^ci^ 
Tuihanti**  in  den  cuneus  Frisiorum  eingestelt  wunlen.  Die  damal: 
spräche  der  Twenter  war  also  friesisch. 

Die  deutsche  form  des  namens  Thingsus,  welche  friesis 
^Things*'  lauten  wünle,  wird  von  Scheror  und  Weinhold  von  d 
adjei^tivstamm  thiNgsa-  hergeleitet,  der  mittelst  des  secundärsuffi: 
-«-,  welches  adjoctiva  und  appellativa  bildet,  die  in  irgend  einer  bez 
hung  zum  gnindworte  stehen  (Zimmer,  QF.  13,  214  fg.),  aus  dem  n^ 
tralstamme  thhtysa-  abgeleitet  ist  Dieser  neutralstamm  liegt  im  lan^ 
banlisi»hen  thinx  (Edictus  Rothari  171  fgg.)  vor,  welches  rechtsgesch 
gerichtliche  handlung  be<leutet  Ist  diese  ableitung  richtig,  so  kn 
Things  nicht  mit  Si^lien^r  (s.  574)  als  volksversamlungsgott,  s< 
dem  nur  als  gi>tt  der  rechtshandlungen,  also  nur  mit  Weinhold  (s- 
als  gerichtsgott  gedeutet  wenlen. 

1)  Ich  gi^bo  die  Hübiiersoho  losuiig  aus  der  Wostd.  ztschr.  3,  120.  Di« 
ins^'hrifk  ist  K)ihomons  opigr.  III,  iir.  8r>  aus  Bnuv  T^iiiidarium  soptontrionalo  nr.  ^ 
mitgeteilt    Eine  genaue  Ueschroibung  der  altäre  gibt  auch  Weinhold  a.  a.  o.  s.  2  ' 


BEDE   UND   FIMMILENE  261 

Diese  grammatische  erklärung  des  namens   „Things"  wäre  ohne 
weiteres  anzunehmen,    wenn  jene   altäre   von   einem   ostgermanischen 
stamme  errichtet  worden  wären.    Da  sie  aber  von  Friesen  gesezt  wur- 
den ,  so  ist  doch  zu  bedenken,  dass  der  Friese,  dessen  gerichtssprache 
wir    sehr  genau  kennen,  nichts  von  einem  ncutralstamme  tJmigsa-  weiss, 
lind    dass  er  das,  was  der  Langobarde  durch  thinx  bezeichnete,  thinyaih 
(v-     Hichth.,  Fries,  wb.  1073)  nante.     Wolte  man  nun  aber  den  namen 
dos    friesischen  Things  von  dem  adjectivstamm  thinga-  herleiten,   der 
sich,    mittelst   des   secimdärsuflixes  -a-   aus  dem  gemoingerm.  neutral- 
sta-mm  thinga-  „volksversamlung"   gebildet  habe,   so  würde  man  ein- 
^weMxden  können,   dass  im  Friesischen  wie  in  allen  westgerm.  sprachen 
AsL^    consonan tische  auslautgesetz  das  auslautsende  s  sehr  früh  entfernt 
li£i.l>e.     Es  fragt  sich  aber  noch,   ob  diese  cntfemung  des  auslautenden 
-«     im  Friesischen  bereits  im  anfange  des  3.  Jahrhunderts  durchgeführt 
^wrar.     Zur  zeit  des  Tacitus  war  dies,   wie  der  von  ihm  (Ann.  13,  54) 
überlieferte  friesische  königsname    „Malorix''    zeigt,   noch   nicht   der 
fall;    und   wenn   in   der   angeführten   3.  Inschrift    „Tus   Tingso"    als 
tlatiT  von  „Tus  Tingsus"   betrachtet  werden  soll^,  so  ist  ja  durch  den 
nonninativ  Tus   (für  „Tius")   das  auslautende   -s  für  die  zeit  unserer 
insohriften  nachgewiesen.     So  lange  also  nicht  für  das  3.  Jahrhundert 
der    Wegfall  des  auslautenden  -ä  nachgewiesen  ist,   könte  man  immer- 
hin   „Things"  vom  stamme  thinga-  leiten.     Aus  dem  friesischen  nomi- 
nativ  „Things"  hätte  sich  dann  der  römische  Steinmetz  sein  „Thingsus" 
zurechtgemacht  und  weiter  deklinierend  den  dativ  „Thingso"  gebildet. 
Das  richtige  ist,   dass  thiiuj  ursprünglich  thiiigis  things  lautete,    von 
dem  „Things"  durch  das  a-suffix  gebildet  wurde.    Der  friesische  name 
«Things"  bedeutet  also  volksversamlungsgott 

Mit  recht  haben  Scherer  und  Weinhold  das  wort  „Thingso"  auf 
unseren  inschrifton  als  adjectivischos  attribut  zu  Mars,  nicht  als  Sub- 
stantiv gefasst;  und  da  Mars  die  interpretatio  romana  des  Tius  ist,  so 
"Füssen  die  Friesen  den  gott  joner  altäre  als  Tius  Things  bezeichnet 
'^ÄOen,  wobei  aber  immer  vorausgesezt  ist,  dass  das  auslautende  -s  im 
^'  Jahrhundert  noch  vorhanden  war. 

Über  das  wesen  dieses  gottes  haben  Scherer  und  Weinhold  ein- 
sehend gehandelt  Wir  wei-dcn  nach  der  besprechung  der  alaisiagen 
lioch  einiges  über  die  beinamon  beibringen,  die  Tius  bei  Friesen  und 
Chauken  führte. 

Das  inschriftlicho  „alaisiagis"  oder  „alaesiagis"  zerlegte  Sche- 
^^  (s.  579)  in  „al-aisia-gis"  und  meinte,  es  könte  zur  not  erklärt  wer- 
1)  Vgl.  dazu  Schcrer  a.  a.  o.  s.  575. 


262  JAKKEL 

den  als  die  „algeehrten^,  wenn  man  aus  dem  einen  ahd.  Sredtn  in  de 
Gl.  Ker.  109,  36   auf  ein   germ.  aizjd-    „die   ehre''    schliessen   dürfi 
Diese  deutung  befriedigt  nicht.     In   sprachlicher   hinsiebt  ist   es  doc 
bedenklich,   aus  dem  nur  einmal  vorkommenden  ereom  erst  das  wo 
zu  erschliessen,   von   dem  „  alaisiagis "   abgeleitet  sein  soll.     Nach  d 
sachlichen  seite  aber  ist   mit   der  bedeutung  ^den  algeehrten**  nich 
gewonnen,   denn  dieser  farblosen  bezeichnung  fehlt  jede  beziehung 
recht  und  gericht;  und  doch  ist  es  ganz  unwahrscheinlich,  dass,  wä 
rend  die  beziehung  des  hauptgottes  zum  gericht  in  einem  besonder^^ 
beinamcn  klar  zum  ausdruck  gebracht  ist,   die  bezeichnung  der  beid 
ihn   als   gerichtsgott  begleitenden,   tiefer  stehenden  wesen   mit  keia. 
sUbe  auf  eine  gerichtliche  function  hindeuten  solte. 

So  ersezte  Weinhold  die  Scherersche  deutung  durch  eine  ungleich  S 
ansprechendere.  Er  nahm  die  zweite  silbe  für  ai  (ae)  „gesetz**  aim.^ 
gewann  damit  die  beziehung  zum  recht.  Dann  schlug  er  vor,  „siagi^  * 
in  „sagiis**  zu  ändern,  und  übersezte  das  so  erhaltene  „alaisagüs^  od^^r 
„alacsagüs"  durch  „den  grossen  gesetzsprecherinnen."  Bekantlich  wix^ 
der  friesische  gesetzsprecher  (ä^ega)  nach  der  friesischen  sage  (v.  Riclx*- 
hofen,  Unters.  11,  459  fgg.)  durch  unmittelbare  belehrung  eines  gottes  (i 
in  dem  Weüihold  richtig  den  Tius  Things  erkante,  in  die  kentnis 
rechts  eingeweiht,  sodass  er  als  diener  und  priester  des  Tius  aufgefas^*=3t 
werden  kann,  zumal  der  Zusammenhang  zwischen  dem  gesetzspreche  :^" 
amt  und  dem  priestertum  in  mehreren  älteren  deutschen  benennung^^'^ 
für  richterliche  beamte  klar  angedeutet  ist  So  erklärt  denn  Weinho^B-^ 
(s.  12)  die  „  alaisiagae "  oder,  wie  er  ändert,  „  alaisagiae "  für  solcl"^*® 
gesctzsprocherinnen ,  *aüagjon^y  „die  des  grossen  gerichtsgottes  Tii-^*^ 
Tiggs  gehilfinnen  sind,  gleich  wie  der  *aüagja  neben  dem  richter  stan  ^^ 
lun  den  urteilenden  männem  der  gerichtsgemeinde  das  göttliche  recÄ^^^ 
zu  lehren";  kurz,  die  beiden  alaisiagen  sind  ihm  die  göttlicb^^  ^ 
Vorbilder  der  asegen. 

Gegen  diese  ungemein  ansprechende  auffassung  der  alaisiagen  t^^-^^ 
Vorbilder  der  asegen  lässt  sich  sachlich  nichts  einwenden.  Was  <i-  ^^ 
sprachliche  seite  betrift,  so  wird  zugegeben  werden  müssen,  dass  ^*° 
der  zweiten  silbe  das  wort  ai  (ae)  „gesetz"  vorliegt,  aber  „siagis*^  ^^^ 
„sagiis"  zu  ändern  scheint  mir  nicht  möglich,  da  beide  inschrift^^  "^ 
die,  wie  die  form  „alacsiagis"  neben  „alaisiagis"  zeigt,  in  ihrer  ortl»-^ 
graphie  nicht  von  einander  abhängen,  „siagis''  haben.  Ich  lege  dal"*  *^ 
für  meine  deutung  das  inschriftliche  „alaisiagis"  zu  gründe,  das  i^^^ 
versuchen  will  aus  dem  vorstellungskreise  und  der  spräche  der  Frio^^^" 
zu  erklären. 


BEDE   UND   FIMMTLENE  263 

Auch  der  Friese  brachte  seinen  gesetzsprecher,  den  äsega,  in  die 
CDffste  beziehung  zum  priester.     Die  3.  unter  den  siebzehn  algemeinen 
iüroD  verlangt    vom    äsega,    der    alles   recht   zu   wissen   hat   (tenetur 
scire  omnia  iura),   dass  er  gerecht  und  unparteiisch  urteile,    „quia 
asega  significat  sacerdotem,  et  ipsi  sunt  oculi  ecclesiae  et  debent 
iuvare  et  viam  ostendere,  qui  se  ipsos  non  possimt  iuvare''  (v. Riclit- 
iiofen,  Unters.  I,  34,  Fries,  rechtsqu.  4  fgg.).     In  diesen  werten  ist  die 
Vorstellung,   die  sich  der  Friese  von  seinem  asega  machte,  klar  ausge- 
sprochen:  äsega  und  priester,  ursprünglich  identisch,  sind  die  äugen 
dox"    Christenheit;   alle  übrigen  sind  blind  und  können  daher  den  rech- 
ton     weg  nicht  finden.    Darum  müssen  sie  von  den  sehenden,   dem 
ä^og-a  und  dem  priester,   untei-stüzt  und  zurechtgewiesen  werden.    Den 
sohärfsten    ausdruck    hat    dieser    friesischen    aufEassung    der   sehr   alte 
Rllstringer   text   der  küre  gegeben.     Wenn  der  äsega,   heisst  es  hier, 
sioh  bestechen  lässt  und  dessen  überführt  wird,   „sa  ne  hach  hi  nenne 
<ioixx  mar  to  delande,   thruch  thet  thi  asega   thi  biteknath   thene 
pre Store;   hwande  hia  send  siande,  and  liia  skilun  wesa  agon  there 
holiga  kci-stenede;  hia  skilun  helpa  alle  tham  ther  hiam  selvon  nauwet 
l^t>Ipa  ne  mugun"  (v.Richthofen,  Fries,  rechtsqu.  7,  19).    Der  Fliese  legt, 
^^io    man  sieht,  alles  gewicht  auf  das  sehen  des  rechtes;  und  das  konte 
^iobit  anders  sein,   da  der  friesische  äsega  nur  gefragt  \md  besonders 
Ä^^igefordert  das  recht  wies,   nicht,   wie  der  isländische  l(jgs(jgumadr, 
^^^g'olmässig  vortrage  über  das  gesetz,  die  iQgsaga,  hielt.    Der  gesetzes- 
^  o  xr  trag,  die  *aüaga,  tiat  dem  Fliesen  in  der  Vorstellung  vom  äsega 
^^l^tändig  hinter  das  schauen,  d.  i.  wissen  des  rechtes,   die  *aisia\ 
Äviirlick.    Wenn  also  in  den  beiden  alaesiagen  die  göttlichen  Vorbilder 
O-or    äsegen  zu  erblicken  sind,   so  müssen  unter  ihnen  nach  friesischer 
^^ffiassung  göttinnen  gedacht  werden,   denen  die   *ai-siu  in  volkom- 
^^onem   grade   und  dauernd  eignet,   also   nicht  „gesetzsprecheriunen", 
sondern   „gesotzsoherinnen."     Daher   kann   das  wort  meines   orachtens 
nur  aus  al,   dem  zur  Verstärkung  des  wortbegrifis  vorgesezten  adjec- 
tAvum,  und  *aisi<ig-  zusammengesezt  und  lezteres  von  *aisia  „gesetz- 
sehoa",    „gesetzeskunde"    durch    das  adjectivsuffix  -(/a   (Kluge,  Stam- 
"^Mungslehre  §§  202  u.  207)  gebildet  sein,   sodass  also  *aisia(/-  „mit 
"®öi   recht-sehen,    der   gesetzeskunde   behaftet^    und  alaisioffis 
n^eix  erhabenen   rechtseherinnen''   bedeutet    Die  alaisiagen  sind 
^^   die  gehilfinnen  des  friesischen  hauptgottes  Tius  Things,  welche  das 


1)  Vgl.  y.  Richthofcn,  Altfrics.  wöi-terb.  s.  1010  unter  sia  und  dio  dorn  sub- 
^^tiv  *9ia  analoge  bildung  kcra  (gehör,  hören)  s.  810. 


264  JAKKEL 

gesetz  schauen  und  daher  stets  und  volkommen  wissen,  die  erh 
benen  gesetzseherinnen,  und  damit  das  echte  vorbild  der  friesisch 
Ssegen. 

Was  bedeuten  nun  die  namen  der  beiden  gesetzseherinnen? 

Die  Bede  fasste  Scherer  als  „die  personificierte  bitte,  d.  h.  au 
gebot,  befehl'';  „zum  bodthing  habe  bei  den  Friesen  eine  ladung  (be 
„bitte'',  später  bod  „gebot")  statgefunden''  (Mars  Thingsus  s.  5' 
Westd.  ztschr.  3,  292).  Weinhold  sezt  Bede  =  Beda  und  identifici 
diese  Beda  mit  ahd.  Biota  (fränk.  Bio  da,  Förstemann,  Altd.  namei 
I,  265).  So  erhält  er  die  bedeutung  „die  gebietende,  zum  ding  f 
demde.''  Dieser  deutung,  die  auf  der  annähme,  dass  Beda  =  Be 
sei,  ruht,  steht  ein  schweres  sachliches  bedenken  entgegen.  Vom  lad 
zum  Thing  spricht  nämlich  keine  friesische  rechtequelle,  wenn  sie  ( 
teile  des  friesischen  thinga  (placitare)  aufzählt  Deren  gibt  es  ledigli 
zwei:  die  Verhandlung  (duorum  allegationes,  twira  tale)  und  c 
urteil  des  äsega  (asega-iudicium,  asega-dom,  Richth.,  Unterss.!,.? 
Fries,  rechtsqu.  26  fg.).  Solto  also  eine  göttin  des  gerichts  von  etm 
den  namen  haben,  was  gar  nicht  zum  gerichte  gehörte  und,  fals 
vorkam,  für  den  begriff  des  gerichtes  unwesentlich  war?  Zum  lad 
hätte  es  überdies  keiner  besonderen  gesetzeskunde  bedurft,  sodass 
mir  nicht  denkbar  scheint,  dass  die  erhabene  rechtseherin  davon  ihr 
namen  erhalten  haben  solte. 

Was  Scherer  und  Weinhold  zu  ihren  erklärungen  veranlasst  h 
war  die  unzweifelhaft  richtige  bemerkung  Heinzeis,  dass  die  nam 
Bede  und  Fimmilene  auf  die  friesische  Unterscheidung  zwischen  bo 
und  fimelthing  hinweisen.  Nun  bezeichnet  aber  „bodthing**,  welcl 
„gebotenes  Thing''  bedeuten  soll,  öfters  gerade  das  „ ungebotene "  ^ 
rieht  (Grimm,  RA.  827).  Man  wird  also  zugeben  müssen,  dass  das  w» 
„bodthing"  entweder  überhaupt  nicht  oder  wenigsens  nicht  ursprüi 
lieh  „gebotenes  Thing"  bedeutet  haben  kann.  Von  diesem  woi 
kann  man  nicht  bei  der  deutung  des  alaisiagennamens  Bede  ausgehe 
aber  sachlich  stehen  „Bede"  und  „bodthing"  im  engsten  zusanunc 
hange,  und  aus  der  sache  werden  sich  weiter  unten  beide  wo; 
erklären. 

Mehr  Schwierigkeiten  als  Bede  machte  den  beiden  gelehrten  c 
name  Fimmilene.  Scherer  (s.  579)  erklärte  mm  für  eine  imorganisc 
Verdoppelung,  sezte  dann  got  *Flmilo  an  und  weite  das  wort  an  das  al 
fmir  „gewant",  „gesclückt"  anknüpfen.  „Dem  befehl",  sagt  er,  „stün 
dergestalt  die  geschickte  ausführung  gegenüber,  und  die  beiden  algeel 
ten  oder  ehre  besitzenden  und  daher  ehre  verleihenden  wSrea 


BEDE   UND   FIMMILENE  265 

nic^ht  Walküren,  aber  göttinnen  oder  genien  der  disciplin,  welche  den 
Things   sehr   passend   begleiten   würden:    ehre   wird    durch    den 

►ckmässigen  befehl  und  dessen  geschickte  ausführung  erworben'' 
(s.  580).  In  dem  vortrage  vom  29.  mai  wies  er  dann  noch  besonders 
avif  das  fimelthing  als  das  bewegliche  gericht  der  Friesen  hin  (Westd. 
ztsc^hr.  3,  293).  Dafür,  dass  mm  eine  unorganische  Verdoppelung  ist, 
spräche  allerdings,  dass  das  wort  fimelthing  im  friesischen  schulzen- 
reoht  mit  einfachem  m  geschrieben  ist;  doch  ist  der  text  desselben  so 
inajugelhaft  überliefert,  dass  darauf  nicht  viel  zu  geben  ist  Wichtiger 
Boti^int  mir,  dass  die  mit  jenem  alaisiagennamen  zusammengesezten 
Ortsnamen,  über  die  unten  zu  handeln  ist,  auch  nur  ein  m  haben, 
deshalb  halte  ich  ebenfals  mm  für  eine  unorganische  Verdoppelung. 

\T  die  deutung  Scherers  halte  ich  trotzdem  für  unrichtig.  Denn  der 
blassen  bedeutung  „die  geschickte''  fehlt  ja  die  beziehung  zum  gericht, 
wie  gewunden  ist  der  weg,   auf  dem  Scherer  dieselbe  mit  dem 

smeinen  begriff  „die  algeehrten"  in  Verbindung  bringt! 

Weinhold,  der  diese  crklärung  mit  recht  verwirft,  leitet  aus  Fim- 
**^ilene  einen  nominativ  Fimmila  ab.     Er  fasst  das  inschriftliche  „Fim- 
^^ilcjne"  ebenso  wie  „Bede"  als  lat  dativ.     Es  ist  aber  schwer  glaub- 
liclx ,  dass  eine  römische  Inschrift  aus  dem  anfange  des  3.  Jahrhunderts, 
dio    sonst  die  korrekten  endungon  hat,  gerade  bei  diesen  zwei  Wörtern 
der  endung  as  ein  e  gesezt  haben   solto.     Es    scheint  vielmehr 
'i     diesen  beiden  namen  die  lateinische  flexion  unterblieben  zu  sein, 
dieselben  im  nominativ  „Bede"  und  „Fimmilene"  gelautet  haben 
'^^örxlen.     Dom  würde  nun  freilich  die  von  Weinhold  nach  Wackemagel 
^^S'^führto   regel  widersprochen,   dass   „im  ersten  halbjahrtausend   des 
xt\i"ttelalters"    bei   der   deklination   deutscher   namen,   welche   schwache 
^^minina  (nom.  -a)  sind,   die  casus  obliqui  nicht  selten  durch  verbin- 
dixng  eines  ableitenden  an  mit  den  endungen  der  lateinischen  deklina- 
tion hergestelt  werden^,   sodass  also  der  nominativ  von  „Fimmilene", 
^©lohes  für  „Fimmilane"  stehe,  „Fimmila"  sei.     Nun  hat  aber  Wacker- 
^agel  jene  regel  aus  beispielen  dos  5.  bis  8.  Jahrhunderts  abgezogen, 
^®  kann  also  streng  genommen  erst  seit  dem  5.  Jahrhundert  zu  gelten 
"^oiuien  haben.     Dass  sie  zu  kaiser  Alexanders  zeit  nicht  galt,   lehrt 
^*>erdie8  die  neben  „Fimmilene"   stehende  form  „Bede."     Warum  hieb 


1)  Wackernagel,  Sprache  und  Sprachdenkmäler  der  Burgunden  s.  43;   bestäti- 
°***K  ÜEUid  er  bei  d'Arbois  do  Jubainville  ifetude  sur  la  declinaisou  des  noms  propres 
^^  la  langae  franque  ä  l'epoque  mcrovingienne  s.  44  fgg.  und  Fr.  Bluhme  Gens  Lan- 
beft  2,  8.  29. 


266  JAEEEL 

denn  der  Steinmetz  nicht  auch  „Bedene"?  Aus  keinem  anderen  grund 
als  weil  seine  friesischen  auftraggeber  die  eine  alaisiage  eben  Bed 
die  andere  Fimmilene  nanten. 

Weinhold  hält  nun  (s.  13  fg.)  „Finmiila"  für  eine  doppelt 
koristische   namenform,   die   von   Frithumod    ,,die  friedebegehrend 
oder  von  Frithumund  „die  friedeschützerin"  ebenso  gebildet  sei, 
die  friesischen  namen  Temmel,  Gummel,  wie  die  kosenamen  Kemmu^T 
Cuffolo,  Oppila,  Hibbelo  und   andere.     „Der  name  Frithumund  sei 
eine  rechtsgöttin,   welche  durch  ihre  belehrung  Streitsachen  zum  e 
liehen   aus  trag   bringt,    wol   geeignet"      Bedenklich    ist   hierbei,    d 
weder  Frithumod  noch  Frithumund  den  Friesen  geläufige  frauennam<^jn 
waren,  dass  das  femin.  „Fimme",  von  dem  „Fimmila''  abgeleitet  sei:» 
soll,    sich    nicht    belegen    lässt    und    dass   die   drei   durchgangsforme*-» 
Feddma,  Ferdma,  Fredma  auch  nur  erschlossen  sind,  dass  sich  als? 
nirgends  ein  fester  anhält  bietet     Von  den  angeführten  analoga  sin 
die  Salzburger   namen   des   9.  Jahrhunderts   Kemmulo    und   Cuffol^^  ^ 
nach  Stark  (Kosenamen  der  Germanen  143)  vielleicht  keltisch,  Hibbel*^^ 
begegnet  erst  im  14.,  Temmel  und  Gummel  erst  im  17.  Jahrhundert^ 
Auch  das  masc.  „Fimme",    „Femme*'   ist  erst  seit  dem  17.  jahrhundcr — '^^ 
nachweisbar.     Soltc  sich  also  ein  name  „Frithumund"   auf  friesischenr:^^ 
boden  zum  kosenamen  umgebildet  haben,   so   hätte   er   im   17.  jähr—  '^ 
hundert   erst  bis  zu  „Femma"   gelangt  sein  können,   aus   dem   sick^^ 
dann  erst  „Fimma"   und  „Kmmila"   hätte  bilden  müssen.     Der  alai^-Ä-^ 
siagennamc  „Fimmila"  ist  aber  schon  im  anfang  des  3.  Jahrhunderts?  ^ 
fertig.     Dazu   scheint   mir   die   bedeutung   „friedeschützerin"    noch  zilm' ^ 
algemein  zu  sein,   da  sie  keinen  liinweis  auf  eine  specielle  gerich 
liehe  tätigkeit  enthält,   wodurch  doch  erst  das  Verhältnis  der  Bede  zu 
Fimmilene  klar  würde.     „  Friedeschützend "   konte  jede  gerichtsgottheZ:  -^ii 
genant  werden,  Things  und  Bede  ebenso  gut  wie  Fimmilene.     Schli 
lieh  ist  es  doch  sehr  unwahrscheinlich,   dass  die  Friesen  eine  götti 
zumal  eine  gerichtsgöttin,   mit   einem  doppelt   hypokoristischen  nam€=— fl 
angeredet  haben  selten. 

Es  bleibt  somit  von  den  bisherigen  versuchen,  die  beiden  alik-  i- 
siagennamen  zu  deuten,  als  gimz  sicher  nur  Heinzeis  bemerkuc».^ 
bestehen,  dass  sie  auf  das  friesische  bod-  und  fimelthing  hinweise»^- 
Das  gegenseitige  Verhältnis  dieser  beiden  thingarten  muss  also  zl^* 
nächst  ins  äuge  gefasst  werden.  Vom  bod-  und  fimeltliing  spriclr^* 
unter  den  zahlreichen  friesischen  rechtsiiufzeichnungen  nur  eine,  da^-^ 
sogenante  westerlauwersehe  sehulzenrecht,  welches  in  Mittelfrieslan  ^-^ 
dem  ältesten  sitze  des  Stammes,  im   11.  jalirhundert  abgefEisst  word^-*^ 


^i, 


■  > . 


BEDE   UND   FIMMILENR  267 

isti.     Hier  heisst  es  in  §  25,   dass  die  Sachen,   welche  ini  bodthing 
nicht  zu  ende  gebracht  werden  konten,   im  fimelthing  zu  ende  zu 
bringen  seien,   und  in  §  29,   dass  diejenigen,   welche  bod-  und  fi- 
melthing gehalten  haben,  nachher  in  demselben  jähre  nicht  noch  des 
königs  bann  zahlen  dürfen  (v.  Richthofen,  Pries,  rechtsqu.  391).    Es  han- 
delt sich  hier  um  das  vom  königlichen  grafen  alle  vier  jähre  unter 
Jrönigsbann  gehaltene   bod-   und   fimelthing.      Das   aber   dürfen  wir 
wol   auch  für  die  vorfränkische   heidnische  zeit,   in   der   einheimische 
Jtöiiigo  über  den  Friesenstamm  herschten,   aus  dem  schulzcnrecht  ent- 
nohmen,   dass  das   fimelthing  nach  dem  bodthing  statfand,   und  dass 
diG    im  bodthing  nicht  zu  ende  geführten   Sachen  im   fimeltlüng  zum 
au3trag  gebracht  wurden.     Nach  §  25  liegt  nur  die  gewöhnliche  nacht- 
frxst;  zwischen  beiden  thingarten,  sodass  sich  wol  in  Wirklichkeit  manch- 
^^«.1    bod-  und  fimelthing  zu  einer  einzigen  gerichtsverhandlung  gestal- 
ten ton,  von  welcher  die  ersten  etmele  —  etmel  (v.  Bichthofen,  Altfries,  wb. 
^^2  ,  918)   hiess  den  Friesen  der  für  das  gerichthalten  bestimte  natür- 
^i^^li«  tag,   die  frist  von  sonnenauf-  bis  Sonnenuntergang  —   das  bod- 
^fa-  i  ^g)   das   lezte   oder    die   lezten   etmele    das   fimelthing  bildeten, 
den  zwei  stücken,   die  der  Friese  bei  jedem  gerichtlichen  verfah- 
unterschied,  der  Verhandlung  der  beiden  streitenden  parteicn  (duo- 
allegationes,  twira  tale)   und  dem  die  bussen  festsetzenden  urteile 
äsega    (äsega-iudicium,    äsega-dom)    fiel   also   dem  bodthing   das 
,   der  „rechtsstreit",   dem   fimelthing  die  foi-tsetzimg  desselben 
das  urteil  oder  nur  das  urteil  zu.     Verhandelt  konte  sonach  in 
clen  thingarten  werden,   aber  das  ursprüngliche  und  daher  für  die 
'cihristliche  zeit  die  regel  wird  wol  gewesen  sein,   dass  im  fimel- 
*^  ^Äg  das  urteil  gofält,  im  bodthing  der  streit  geführt  wurde, 
^iier  muss  man  von  vom  herein  erwarten,   dass  in  dem  namen  der 
^^^^•^^iage  „Bede"  als  der  patronin  des  bodthings,  eine  hindeutung  auf 


gerichtsstreit,  in  dem  namen  der  alaesiage  Fimmilene,  als  der 
nin  des  fimelthings,   eine  hindeutung  auf  das  die  bussen  aus- 
^I^ riechende  urteil  sich  findet. 

„Bede"  bedeutet  nun  aber  nicht  kämpf,  es  fragt  sich  daher,  ob 
^  name  vielleicht  früher  anders  gelautet  hat  Dies  ist  in  der  tat  der 
^^H.  Eine  stelle  in  dem  berichte  des  Tacitus  (Ann.  4,  73)  von  der 
^^esischen  erhebung  des  jahres  28  schliesst  über  die  ältere  form  des 
ens  der  alaesiage  Bede  jeden  zweifei  aus.     Er  erzählt  hier,   dass 


i 


1)  Es  kent  ooch  nicht  die  im  11.  Jahrhundert  in  FriCvSland  sich  verbreitende 
^^^^Jrkrechnung!    Vgl.  meine  abhandlung  über  das  frics.  pfund  und  die  fries.  mark  in 
^öT  Berliner  ztschr.  für  numism.  Xu,  144  fgg. 


268  JAEKKL 

der  römische  feldherr,  als  er  nach  einer  verlustvollen  schlacht  das  fri 
sische  land  zu  räumen  begann,  von  Überläufern  erfuhr,  dass  die  Fri 
sen  900  Römer  ,,apud  lucum  quem  Baduhennae  vocant^  vemidi 
hätten.  Der  name  dieser  friesischen  göttin  gehört,  wie  sein  zweit 
bestandteil  -hcnna  zeigt,  der  form  nach  zu  den  namen  der  f 
nimisch- germanischen  inschriften  aus  dem  Bheinlande  so  häufig  gen« 
ten  matronen,  wie  Albia-henae  (Brambach  C.  I.  Rhen.  551  —  55 
Alhia-henae  (a.  a.  o.  1722  add.),  Nersi-henae  (626),  Ve,sunia-h 
nae  (542,  580  —  584),  Gesa-hena  (330,  617),  Ettera-henae  (5: 
617)  oder  Etra-ienae  (616),  Cesa-ienao  (613,  616),  Aumen 
ienae  (343),  und  zu  namen  wie  Nehal-cnnia  (24,  27  —  30,  32 
44),  und  zu  dem  auf  unserem  votivaltar  genanten  Fimmil-ei 
Diese  inschriftlich  erhaltenen  namenformen  beweisen,  1)  dass  das 
und  die  Verdoppelung  des  ii  im  namen  Baduhenna  unorganisch,  n 
vom  römischen  munde  eingeschoben  ist,  und  2)  dass,  wie  schon  Mi 
lenhoff  (Ztschr.  f.  d.  a.  9,  241)  gezeigt  hat,  der  name  nicht  coi 
poniert  ist,  das  -henna  also  gar  nichts  bedeutet  Er  muss  zu  (] 
Taeitus  zeit  „Badu-ene''  oder  friesisch  geschrieben  „Badwene^  gela 
tet  haben.  Da  nach  einem  friesischen  lautwandlungsgesetze  a  zu 
wurde,  und  da  das  wie  das  englische  tv  gesprochene  iv  hinter 
leicht  ausfallen  konte,  wandelte  sich  „Badweno^  zu  „Bedenc'^,  das  si 
dann  zu  Bede  verkür/te,  wie  „Fimilene"  zu  „Fimilc.'*  Da  nun  -c 
nur  das  germ.  femin.  suflfix  iiii  (aus  -injö-)  sein  kann  (Kluge,  Sta 
bildungslehro  §  41),  so  hiess  die  alaisiage  vor  Taeitus  zeit  „Baiiuin 
oder  „Badwino"  und  die  andere  alaisiage  „Fimilino.''  „Badwin 
ist  nun  das  femin.  zu  altfr.  *lxidwa  =  ags.  badva  (pugil)  =  alid.  pai 
und  dieses  ist  von  badu  gebildet,  welches  auch  im  friesischen  eigc 
namen  Badu-nät  vorliegt  (Crecelius,  Collectae  ad  äugend,  nomini 
propr.  Saxonicorum  et  Frisiomm  scientiam  I,  19,  21,  22,  24,  25);  u 
das  altfr.  badu  =  got  *badu  =  ahd.  i)atu  (neben  i)ata)  ==  ags.  bea 
=  altn.  Itqd  bedeutet  streit  (pugna)^  Die  alaisiage  Badwine  od 
Bede  ist  also  die  kämpferin  (pugnatrix).  Als  dienerin  des  ^ 
richtsgottes  ist  sie  daher  die  über  dem  gorichtsstreite  waltende  u 
darum  die  patronin  desjenigen  things,  dessen  gegenständ  der  gericht 
streit  ist.  Und  da  der  äsega  vermöge  seiner  kentnis  des  gericl 
liehen  streitverfahrens  imd  der  belehrung,  die  er  darüber  gibt,  d 
geistige  lenker  des  Streites  im  bodthing  ist,  so  ist  sein  göttliches  v< 
bild,  die  alaisiage  Bede,  die  göttliche  Personifikation  der  rechtskunr 

1)  Vgl.  J.  Grimm,  D.  G.  U-,  423,  460,  537. 


BKDE   UND   FIMMILENK  269 

die  das  beweisverfaliren  im  streitding,  also  den  streit  überhaupt,  leitet 
Diese  Wortbedeutung  stimt  somit  genau  zu  der  tätigkeit,  die  wir  von 
vorn  herein  der  Bede  als  der  idealen  leiterin  des  bodthings  beilegen 
musten. 

Jezt  dürfte  sich  das  rätsei,  welches  der  name   „bodthing"   auf- 
gibt, lösen.     J.  Grimm  (B.A.  827)  erklärte  die  auffallende  erscheinung, 
da»«  an  einigen  orten  gerade  das  ungebotne  gericht  bodthing  genant 
^ixxi,   durch  die  annähme,   dass  entweder  hier  bot  das  ein  für  allemal 
Äög-esagte  gericht  bedeute,  oder  dass  auch  den  algemeinen  volksgerich- 
teci     hin  und  wider  eine  Verkündigung  vorausgieng,   ohne  welche   sie 
aus^gesezt  und  unbesucht  geblieben  wären,  wie  namentlich  in  Friesland. 
Die^se   erklärung   können   wir  im   anschluss   an    das   oben   ausgeführte 
diiÄ^cjh  eine  einfachere  ersetzen.     Wie  dem  alaisiagennamen  Fimiline 
i^&s.     fimelthing   antwortet,   so  muss  dem  alaisiagennamen  Badwine 
od^x  Bede  ein   baduthing  oder  bedthing  entsprochen  haben.     Das 
wcurt  bedthing  muss  nun  der  Friese,  als  das  wort  badu  (kämpf)  seiner 
8p»*:^he  verloren  gegangen  und  die  alaisiagen  mit  dem  heidentum  ver- 
s<*lx^vunden  waren,  nicht  mehr  im  stände  gewesen  sein  richtig  zu  deu- 
teln -   er  konte  es  nur  als   „gebotenes  thing"   fassen,   was  bedthing 
ja     säuch  bedeuten  konte.     In  Mittelfriesland  wurde  übrigens  in  späterer 
zeit  aus   dem   werte   bedthing   oder   bedding   nach   einem   rein   laut- 
ni  ^  chanischen  gesetze  bodding  oder  bodthing.     Aber  dieses  im  We- 
stc^x-lauwerschen  schulzenrechte  neben  dem  fimelthing  genante  bodthing 
ha-t  mit  dem  „gebotenen"  gerichto  ursprünglich  nichts  zu  tun,  sondern 
^     ^ar  eigentlich  ein  bedthing,  d.  i.  ein  badu-thing  „streitgerichf 
^i^rscheinlich   sind   auch   gar    manche    bodthinge    anderer   deutscher 
gög^nden  alte  baduthinge. 

Den  namenformen  Bede,  Bedene,  Badwine  entsprechen  die 
formen  Fimile,  Fimilene,  Fimiline.  Es  muss  nun  Fimiline  das 
°^t  dem  Suffix  int  gebildete  femin.  zu  dem  mascul.  *fimil  sein.  In 
"*©som  *fimil  aber  muss,  wie  wir  sahen,  eine  hindeutung  auf  das  die 
"^88en  festsetzende  urteil  liegen.  Daher  kann  das  wort  fimil 
^^r,  wie  es  später  heisst,  fimel  nur  von  der  wurzel,  die  in  altfr. 
^^e,  später  ferne  (v.  Richthofen,  Altfr.  wörterb.  732)  =  got  *fifna  =  mhd. 
^^^le  (Verurteilung,  busse,  7coivf],  poena)  vorliegt^,  durch  das  suffix 
**^  gebildet  sein,  welches  intensive  nom.-agent  bildet  und  nament- 
^^^  in  den  bezeichnungen  gerichtlicher  beamten  erscheint  (Kluge, 

1)   An    einen    Zusammenhang    zwischen   firaolthing    und    femo   dachte   schon 
"  ^Hmm,   R.  A.  S3S.     Wegen  feine  vgl.  Grimm,  J).  W.  IIT,  1510   und   Schmeller, 
-    ^.  I,  718. 


270  JAKKEL 

Stambildungslehre  §  18),   wie  in  ags.  pengel  =  an.  pengell,   ags.  fen- 
gel,   strengel,   ags.  bydel,   ahd.  biitil,   ahd.  weibil,   dwefigü  usw.    Das 
masc.  *fimil  bedeutet   also    „der  strafende*^    (ultor)   und   Fimiline 
„die    strafende'^,    „die   rächerin''    (ultrix).     Sie  ist  das  göttliche 
Vorbild  des  asega  in  demjenigen  gerichte,   in  welchem  er  die  bussea 
findet,    also    als    „fimiP    fungiert,    die   göttliche    Personifikation  der 
gesetzeskunde,   vermöge   deren   der  äsega   ein   gerechtes   bussurteil  zn. 
weisen  vermag. 

Wie  mit  dem  walten  der  Badwine  das  gericht  der  Friesen  anhobt-» 
so  erreichte  es  mit  dem  walten  der  Fimiline  sein  ende.     Denn  mi^ 
dem  „rechtsstreit"  begann,  mit  der  „bussauflegung*'  schloss  das  gerichfc-" 
liehe  verfahren  der  Friesen.     Beide  teile   desselben  stehen   nach 
glauben  des  volkes  unter  dem  walten  besonderer  gottheiten,  der  erha. 
benen  gesetzseherinnen. 

Der  angeführten  stelle  des  Tacitus  verdanken  wir  die  künde, 
der   alaisiage   Badwine    im   Friesenlande    ein   hain    (lucus,   altfr.  U 
geheiligt  war.     Dies  allein  würde  uns  schon  berechtigen,  von  der  ande 
ren    alaisiage   dasselbe   anzunehmen;    und  erinnert  man   sich   an 
Germ.  9  „lucos  ac  nemora  consecrant  deorumque  nominibus  appellan^^^ 
secretuni  illud  quod  sola  reverentia  vident^,  so  wird  man  es  für  wahi 
scheinlich  halten,   dass  auch  die  friesischen  Tius-heiligtümer  ursprüi 
lieh  in  hainen  bestanden  haben,  was  durch  mehrere  friesische  Ortsname- 
bestätigt  wird. 

Wo  das  haupthciligtum  des  friesischen  Thius  Things  h 
ist  zwar  nicht  überliefert;  doch  kann  meines  erachtens  kein  zweifr 
darüber  obwalten,  dass  es  sich  am  Flistrome  in  Alm  um  oder  Alm< 
num  befunden  hat,  einem  dorfe,  das  1580  in  den  stadtwall  der  an  di 
Zuidersee  gelegenen  stadt  Harlingen  eingeschlossen  wurde.  Seine  de: 
Schwertträger  Michael  geweihte  kirche  war  eine  der  ältesten,  vielleic' 
die  älteste  im  friesischen  stamlande  (v.  Richthofen,  Unterss.  II,  236  ^-)- 
Sie  stand  in  nalier  beziehung  zu  der  ebenfals  dem  schwertträg^^^ 
Michael  geweihten,  schon  im  8.  Jahrhundert  vorhandenen  Friesec^»" 
kirche  zu  Rom,  wie  aus  der  friesischen  Magnussage  hervoigetmt- 
Nach  dieser  wurden  die  Friesen  zu  Rom  von  Karl  dem  Grossen 
Leo  III.  mit  Vorrechten  und  freiheiten  begabt  und  die  ihnen  darüb 
ausgestclte  Urkunde,  welche  das  gesamte  friesische  rocht  enthie?^'^*' 
von  dem  fahnenträger  der  Friesen  Magnus  nach  Almenu 
gebracht  und  in  der  dortigen  Michaeliskirche  niedergelegte    Die  recta. 

1)  Ausführlicheres  über  die  sage  gibt  v.  Richthofen  Unters.  II,  235  fgg., 
aber  ihren  sinn  nicht  erkaut  hat. 


BRDR   UND   FIMMILENE  271 

gesetze  des  Stammes  wurden  also  unter  die  obhut  des  Schwert- 
trägers Michael   zu   Almonum   gestelt,   woraus   mit   Sicherheit  zu 
sebliessen  ist,   dass  in  heidnischer  zeit  der  das  recht  und  die  gesetze 
des  friesischen  Stammes  hütende  Schwertträger  Tius  Thin^  seinen 
Viauptsitz  zu  Almen  um  hatte. 

Dass  diese  deutung  der  Magnussage  richtig  ist,  beweist  auch  der 
name  Almenum.     „Almenum^,  seit  dem  13.  Jahrhundert  zu  „Almum" 
zusammengezogen  (v.  Richthofen  II,  235  anm.  2),  ist  aus  „ Almeginum*^  und 
dieses  aus  „Al-magin-hem^  entstanden.     Der  Ortsname  bedeutet  also 
^Heim   des   Almächtigen."     Dadurch    ist   erwiesen,   dass  Tius   der 
Al-magin  fis,  d.  i.  der  hauptgott,  der  Priesen  gewesen  ist    Dadurch 
ist  femer  erwiesen,  dass  niemand  andere  als  der  in  Almenum  thronende 
„Al-magin"    selbst   der   friesische   fahnenträger    „Magnus"    ist,   der 
»ach  der  friesischen  sage  die  gesetze  der  Friesen  nach  Almenum  bringt 
-Dann  aber  ist  klar,   dass,   wie  der  Magnus  der  sage  fahnenträger  und 
g^setzeshüter  in  einer  person  ist,  so  auch  der  friesische  hauptgott  Tius 
*ls     heerführer  und  gesetzeshort  zu  fassen  ist,   mit  anderen  wer- 
ten, dass  den  Friesen  ilir  hauptgott  gott  des  krieges  und  gott  des 
^öohtes  zugleich  war.     Vermöge  dieser  doppelnatur  ist  er  Schützer 
^^J>^<i  leiter  sowol  des  heeres  als  der  volksversamlung. 

Wo  der  von  Tacitus  erwähnte  lucus  Baduhennae  lag,  ist  eben- 

^alsi   nicht  überliefert,   doch  muss  er  östlich  vom  Flistrom  gesucht 

'vrox^en.     Denn   der   aufstand   von  28  n.  Chr.  brach  in  der  nähe   des 

^xnischen   kastels   Flevum   aus   (Ann.  IV,  72),   welches   am   Flistrom 

^^S",  und-  der  römische  feldherr   erfuhr,   als   er  von   hier   nach  einer 

^^glücklichen  schlacht  den  abzug  begann,   dass  900  Kömer  bei  jenem 

*^^iii  erschlagen  worden  seien.     Die  art,  wie  Tacitus  seine  angäbe  über 

^öxx  ort  des  gemetzeis  macht,  deutet  darauf  hin,   dass  dieser  Badwine- 

*^^ii  ganz  besonders  bekant  war.     Da  er  femer  schon  zu  Tacitus  zeit 

^ittc  ortsbezeichnung  abgab,  liegt  der  gedanke  nahe,  dass  er  in  einem 

^'^e  zu  suchen  ist,   dessen  heutiger  name   aus   „Badwine''   und   „10" 

S^Viildet  sein  könte.     Daher  möchte  ich  glauben,  dass  er  an  der  uralten, 

"Eiligen  gerichtsstätte  Bafflo,   dem  mittolpunkt  des  friesischen  landes 

^Mrischen  Laubach  und  Ems  gelegen  war.     Sie  hiess  noch  im  11.  und 

12.  Jahrhundert  Bathlon  imdBaflon  (Crecelius  12,  15,  16,  19,  31),  zwei 

^*^J^en,  die  sich  nur  aus  "Badwlon"  oder  „Badulon*'  erklären  .lassen. 

Es  gibt  im  westerlauwerschen  Friesland  keinen  oi'tsnamen,  der 
y^H  dem  alaisiagennamen  Fimiline  gebildet  wäre,  wol  aber  vermag 
Ich  2wei  derartige  Ortsnamen  aus  dem  ostlauwerschen  Friesland  aufzu- 


Im  MDormerliuide,   al»o   niif  altchiiuliisßlioiii   b<i<leii,   «-Kvnsi  r 
von  Ijecr,  Tcrzeidiiieii  ältere  karten  eiu  Örtdiea  Finiol,  das  bureite  t 
dem  ältesten,  im  10.  und  11.  jalirliiiridort  ziisanunouge&chriebeJien  gttte 
Verzeichnis  der  abtei  Werden  begegnet,  die  in  Ostfriesland  ,in  Fin 
lun"  ein  kleines  ai-kei-stliok  besiiss  (Creceliiis  23).     Der  unme  I 
nur  aus  „Fimile"  und  „lö"  deuten. 

Ein  andci'ee  Fiiiiel  liegt  bei  Termnnten  im  Flvelgauer  Oldarai*« 
hart  am  Dollart  Ks  wird  in  einem  zeugeaverhür  von  15R5  g6nan'%^ 
wo  aiisgesu^  ist,  .dat  anno  1525  de  nye  Knmmerdyck  van  Fimi>l  ik.^ 
derSwaghe  (Schwage,  jttzt  vom  Dolbirt  überflutet,  v.  RJchHiofen  11,  87S) 
gemaeckt  is"  (Driessen,  Mon.  Oroning.  a  446). 

Ks  ist  eine  bisher  nnbekante  tatäache,  dass  die  heidnisi'lieu  Fri^?- 
aen  nicht  nur  nach  de»  beiden  alaisiagen  BadwiJie  und  Kimiline,  snma- 
deni  auch  nach  ihrem  hauptgotte  seJlist  eine  thingai-t  henant  babosi, 
imd  zwar  die  höchste  geriehtaversamlung,  das  gericllt,  welohL>»  die 
volküversamlung  bildete,  also  das  lind-thing.  Die  aamun  eiui^^r 
friesisclier  gerichtsstiitten  beweisen  dies  und  lehren  uns  noch  otm^c^ 
beinanien  des  Tius  kennen. 

Im  ostfriesischen  Over!e<lingprlundo  nent  das  älteste  'Word«»^«' 
regirtter  widerholt  einen  ort  „Badunathashom",  der  in  dem  oSc-h^t;- 
ältesten  register  „Badanasthorp"  heiast  (Crecelius  13,  21,  22,  24,  25).  N'ijx 
in  diesem  ortsnaraen  ist  der  sonst  nirgends  begegnende  namo  Badun  *!■  * 
„ kampfgonoss "  erhalten,  neben  dem  namcii  „Badnhenna*  der  ciiizi^*^ 
beweis,  das»  die  frieRiscbe  spräche  einst  das  wort  l>ailit  für  irtreit,  kaiisp' 
kante.  Der  ortsnamo  ist  in  keinem  der  heutigen  ku  erkennen;  d»«-''^ 
ist  die  läge  des  ortea  gesichert,  da  er  in  dem  regislor  zwischen  Dri  ^^^ 
ver  und  (ieidnn,  d.  i.  Ihrhove,  ein  anderes  mal  mit  Frithunatiitislhorl* 
bei  Ihrhove  genant  winl.  Er  lag  also,  wie  das  el)enfala  vuim'hwundi?»**^' 
Fritlmnatha.sthorp,  bei  Ihrhove,  und  zwar  an  der  stelle  des  heutig^^" 
TjiicJien.  !n  diest^m  Badunathasliem  liioss  noch  im  10.  und  11.  jat»* 
hundert  eine  lokalitnt  Tiuding  und  hientacb  ein  stllck  der  feldma-*"* 
Tillding  tiochi  (Crecelius  25).  Da  „Tinding" 'kein  friesis<^hes  poitnia^^" 
niikoo  sein  kann  —  denn  „Tiud''  ist  weder  ein  friesischer  linmc 
der  teil  eines  solchen  — ,  kann  das  wort  nur  als  Tiu-ding  „Tiu-^ 
rieht"  erklärt  werden.  Dieser  friesische  flurname  besagt  also  dnssall 
wie  der.  dänische  ortsname  Tyrsting  und  dur  jütische  gauname  Ty  t^" 
thing  oder  Tyrsting.  Schon  Finn  Sfagiitisson  hat  (Lex.  niylhul  7&^^ 
dieses  Tyrsting  richtig  als  „Tyris  forum"  erklärt 

Wurde  aber   in  Üadunathashom    ein  Tiu-thing   gehalten,    bi-fiix>^ 
sii'li  also  daselbst  auch  ein  heiligtuni  des  Tiui^,  so  war  Dtuluuntliw-Iiei**     , 


*t1i 


BEDB  UND  niOOLENE  273 

das    heim  des  Tius  selbst,   d.  i.  Badunät  ,,der  kampfgenoss ^  ist  Tius 
selbst    In  „Badunät^  wird  man  demnach  den  namen  zu  sehen  haben, 
den   Tius  als  kriegsgott  der  Chauken  und  Friesen  führte.    Er  erin- 
nert  an   den  Saxnöt  „schwertgenoss''   der  Sachsen,   den  Saxneät   der 
Angelsachsen.    Da  „Badunät"  name  eines  heidnischen  gottes  war,  wird 
es  erklärlich,  dass  der  so  oft  genante,  sehr  ansehnliche  ort  Badunathas- 
hem  nicht  mehr  zu  finden   ist.    Die  christlichen  priester  werden  ihn 
umgetauft  haben.     „Badunäf  bezeichnete  die  kriegerische  seite  des 
Tius,  wie  „Things"  die  gerichtliche.    Offenbar  erschöpfen  die  gericht- 
lichen  fiinktionen  nicht   die  friedliche   tätigkeit    Tius;    es    kann    also 
„Things*^  nicht  als  der  volle  gegensatz  von  Badunät  angesehen  werden. 
Dem   „Badimät"   entspricht  genau   genommen  nur  ein   „Frithunät*' 
Nun  lag  neben  Badunathashem  ein  ort  Frithunathasthorp;  es  wohn- 
ten hier  also  wirklich  Badunät  und  Frithünät  neben  einander.    Drängt 
sieh    da  nicht  die   Vermutung   auf,   dass  Tius   hier  zwei   heiligttimer 
neben  einander  hatte  und  er  in  dem  einen  als  kriegsgott  „Badunät", 
ini  dem  andern  als  friedensgott  „Frithünät"  verehrt  wurde?    Frithu- 
nathasthorp lässt  sich   heute  ebensowenig  finden  wie  Badunathashem; 
öS  mag  in  christlicher  zeit  ebenfals  imigetauft  worden  sein,   weil  Fii- 
thunät  der  name  eines  heidnischen  gottes  war. 

Das  Tiu-thing  in  Badunathashem  steht  nicht  vereinzelt.  Nach 
4^m  nächstältesten  Werdener  register  besass  das  kloster  einkünfte  in 
Eitlem  Mesischen  orte  Tiudingi  „am  Tiu-goricht"  (Crecelius  12  und  16). 
J-*iese  ansiedelung  am  Tiugericht  liegt  im  Hunsegau,  und  zwar  im  heu- 
|*^6©ix  orte  Leens  in  der  Marne;  sie  besteht  aus  zwei  wierden,  die  noch 
^'^  diesem  Jahrhundert  „Tiunster  wierden"  und  „Tiunster-warve" 
S^iiant  wurden,  jezt  aber  als  „Leensterwiorde"  zusanmiengefasst  wer- 
^^ni  Sie  gehören  zu  Leens,  dem  alten  „forum  Lidonse",  der  alten 
*^^upt-  und  gerichtsstätte  der  Marne  (v.  Bichthofen  11,  844),  wo  das  liud- 
^'^ing  dieser  landschaft  gehalten  wurde.  Jenes  register  nent  wol  Tiu- 
**i*^gi,  nicht  aber  Lidenge,  weil  eben  Tiudingi  und  Lidengo  einen  und 
^^Uaelben  ort  bezeichnen.  Hier  liegt  also  die  Identität  von  liud- 
••hiiig  und  Tiu-thing  zu  tage. 

Da  Tius  den  Friesen  hauptgott,  der  almagin  es  oder  es  yuox* 
^^^3C^  war,  bezeichneten  sie  das  Tiu-thing  auch  als  fis-thing.  Die- 
^*^  namen  trug  z.  b.  die  gerichtsstätte  des  Middogsterlandes,  welche 
^^H5h  im  14.  Jahrhundert  „fisdingimi"   und  „fisding",   heute  Besinge 

1)  V|^   van  dor   Aa,    Aardrijkskundig   Woordenboek   der  Nederlande   unter 
iHda.<' 

FHILOLOOne.     BD.  xxu.  18 


274 

(t.  Richthofen  11, 796)  heis8t  sodass  als  cursprüngliehe  friesische  namenfonn 
tis-thiiigi  ^am  £sthing^  anznsetzen  ist  Ein  £lsthing  warde  anch  beim 
dorfe  Eisinghusen  im  Emsigeriande  gehalten.  Der  ort  heisst  nodi 
im  15.  Jahrhundert  ^flsing-hasum*^  (v.  Richthofen  II,  1164).  Dass  dies 
aus  ^flsthing-hasam^  ^bei  den  hausem  des  listhing ^  entstanden  ist 
folgt  auch  daraus,  dass  der  ort  im  ältesten  Werdener  register  noch 
den  namen  Tius-hem  (Crecelius  12)  fuhrt,  dort  also  ein  Tiusheiligtum 
stand,  an  dem  ein  Tiu-  oder  £sthing  gehalten  wurde.  In  christlicher 
zeit  wurde  der  name  „Tiushem^  durch  den  weniger  heidnisch  klingen- 
den „ftsthing-husum*^  verdrängt 

Bei  der  alten  heiligen  gerichtsstätte  Bafflo  liegt  ein  Örtchen  Saxum, 
ein  zweites  Saxum  liegt  bei  dem  £s-thing  des  Middogsterlandes  nod 
ein  drittes  Saxum  befand  sich  neben  der  jezt  vom  Dollart  überfluteten 
reiderländischen  gerichtsstätte  Bedding-hem  (v.  Bichthofen  11,  1191)^ 
Im  westerlauwerschen  und  ostemsischen  Friesland  gibt  es  keinen  der- 
artigen Ortsnamen.  Jener  name  „  Saxum '^  heisst  in  der  ältesten  fonn 
Saxinghem  (Crecelius  12,  14,  18;  Dronke,  Tradd.Fuld.  s.48).  Daduick 
ist  es  ausgeschlossen,  bei  dem  Ortsnamen  an  den  volksnamen  derSadh 
sen  zu  denken.  Mir  scheint  nun  auch  dieser  Saxing,  der  sein  heim 
an  friesischen  gerichtsstätten  hat,  Tius  zu  sein,  und  ich  halte  den 
friesischen  Saxing  somit  für  einen  und  denselben  gott  wie  den  säch- 
sischen Saxnot,  den  angelsächsischen  Saxnedt  Tius  als  steinschwert- 
oder  Steinbeil  träger  war  ja  dem  heidnischen  Friesen  eine  geläufige  Vorstel- 
lung, wie  die  schöne  sage  vom  Ursprünge  des  friesischen  rechtes  be- 
weist Ihre  älteste  fassung,  die  westerlauwcrsche,  lässt  den  Tius  als 
$ls  mit  goldenem  beil  (fries.  axe  =  got  aquizi)  auf  der  schulter 
auftreten  (v.  Bichthofen  II,  462).  Er  hiess  daher  den  Mittelfriesen  Axing 
und  seine  wohnstätte  Axenc-hove,  Axing-hove  oder  Axingi,  heute 
Aaxens  im  Westergau  südlich  von  Bolsward  (v.  Bichthofen  11,  430). 

Auffallender  weise  finden  sich  im  östlichsten  Friesland  keine 
gerichtsstätten,  deren  namen  mit  „Fimile",  „Bede'^  oder  „Tius*^  zusanh 
mengesezt  wären.  Hier  tiugen  die  gerichtsstätten  ganz  andere  bezeich- 
nungon.  Lehrreich  sind  hierfür  die  namen  dreier  neben  einander  H^ 
genden  gerichtsstätten  des  Brokmerlandes:  Barstedc,  Bangstede  und 
Ochtelbuhr,  oder,  wie  sie  im  15.  jahrhunderi  heissen  (v.  Bichthofen  H, 
1170,  1207,  1208),  Berstedo,  Bangkstede  und  öchtleburen.  Ber- 
stede  ist  aus  Lere  „klage,  Vorgericht'',  Bankstcde  aus  ba?iky  henk  „bank* 
und  siede  „statte^  componiert.  Dass  diese  „ bankstätte "^  und  ,,klage- 
stätte"  gerichtsstätten  waren,  folgt  aus  §  178  des  Brokmer  briefe^* 
thisse   benettie   (mordklage)   skel   tmi   dua  nper  bere  and  iiper  beni^ 


BEDE  WfD  füCHlLENB  275 

ßichthofen,  Pries,  rechtsqu.  176,  27).    Bangstede  hat  hiemach  seinen 
len  offenbar  von  der  gorichtsbank.     Das  wort  bere,  bare  „klage", 

dem  Berstede  seinen  namen  führt,  hängt  nicht,  wie  von  Richt- 
?n  (Altfries,  wörterb.  618)  glaubte,  mit  ahd.  bar,  parön  zusammen, 
dem  gehört  zum  altn.  berja,  ags.  berjan  „schlagen,  kämpfen'^  (Rck, 
gleich,  wb.  der  indogei-m.  sprachen  I^,  695),  imd  dadurch  ist  eiwie- 
,  dass  das  friesische  bere,  bare  ursprünglich  den  rechtsstreit,  „Boro" 
r  „Berstede''  die  Streitgerichts-  oder  bedthings- statte  bezeichnete, 
irend  wir  dann  in  Bangstede  die  entsprechende  fimelthingstätte  zu 
3n  haben. 

Der  ort  öchtle-buren  lag,  wie  sein  name  besagt,  an  einem 
t-hain.  Da  ein  ostfriesisches  öcht  des  15.  Jahrhunderts  auf  ein 
res  Acht  zurückweist,  und  da  die  gerichtsversamlung  des  ganzen 
kmerlandes,  also  das  Brokmer  liud-thing  'fnene  acht  heisst,  ist 
;cr  Ächt-hain  neben  der  bed-  und  fimelthingstätte  der  Brokmer 
beachten.  Dass  wir  es  hier  nicht  unmittelbar  mit  acht  „gerichts- 
samlung'',  sondern  mit  einem  eigennamen  Acht,  öcht  zu  tun 
en,  lehrt  der  name  des  dorfes  öchtersum^  (bei  Esens  im  Harlinger- 
ie).  Der  ort  heisst  noch  1426  öchtsem  (v.  Richthofen  II,  1214), 
1.  öchtcs-hem  „Heim  des  Ächf  (Öcht).  Derselbe  Acht  begegnet 
Mittelfriosland:  in  der  nähe  von  Almenum  liegt  Ächlum,  in  älterer 
aensform  Ächtelum  (v.  Richthofen  II,  590),  aus  welchem  das  bekante 
stum  von  1559  stamt  (v.Richtliofen,  Fries,  rechtsqu.  506).  Einzwei- 
Achtelum,  heute  Echtelen  oder  Echten  (v.  Richthofen  II,  725),  liegt 
mittelfriesischen  Lemsterland. 

Wer  ist  nun  dieser  Acht  oder  Ächte,  dem  die  Friesen  bei  den 
ichtsstätten  haine  heiligten?  Der  name  ist  von  äht  „Verfolgung*' 
Udet  imd  gehört  mit  dem  ags.  öht-here  und  dem  bekanten  Ac- 
aerus  (Tac.  ann.  11,  16)  =  ahd.  Ähtumer  „durch  die  Verfolgung 

feindes  berühmt"  zusammen  (vgl.  lOuge,  Etym.  wörterb.  unter 
f  und  Paul  und  Braune,  Beiträge  11  s.  2).  Achte  bedeutet  also 
r  verfolgen"  Ich  glaube  nun,  dass  Achte  ein  beiname  des  Tius 
^  der  ihn  als  Verfolger  im  kriege  und  im  gericht  bezeichnen 
ö,  und  dass  sich  diese  identität  von  Ächte  und  Tius  genau  bewei- 

lässt  Wenn  nämlich  Ächte  ein  beiname  des  Tius  war,  wie 
ing,  Axing,  Badunät,  Frithunät,  Things,  Forsite,  so  hätten  die 
uken    ihre    vornehmste    insel    Forsetisland,    wie   Helgoland   im    7. 

1)  ^  Ochtersum "  entstand  aus  „Ochtesuni''  durch  die  ostfriosischo  epenthese 
^y  durch  welche  in  derselben  gegcnd  „Ditsum''  zu  ^Dirtsum*',  „Oldesum*  zu 
^•rwnii*,  gOrimesum'^  zu  „Grimersum**,  „Loppesum"  zu  ^Loppersuin**  wurde. 

18* 


276  JABKXL,  BKDB  UND  IIMMILKNB 

und  8.  Jahrhundert  noch  heisst,  auch  nach  dem  Achte,  also  ^Icht- 
land^,  ,, Achtinsel  ^  nennen  können.  Da  insel  altfr.  avia  heisst,  hätte 
eine  „Achtinsel^  friesisch  als  „Achtavia^  bezeichnet  werden  müssen; 
und  so  hat  die  insel  wirklich  zu  Flinius  zeit  noch  geheissen.  Denn 
er  nennt  (IV,  27)  als  „insulae  nobilissimae^  an  der  chaukischen  koste 
von  west  nach  ost  „Burcana"  (Borkum),  „Austeravia**  (Astereinde, 
V.  Richthofen  n,  1230)  und  „Actavia.''  „Actavia*'  ist  aber,  wie  schon 
Müllenhoff  (Ztschr.  f.  d.  a.  9,  224)  gezeigt  hat,  die  römische  schr^ 
bung  für  germanisches  „Achtavia."  Somit  ist  das  Actavia  des  Flinius 
das  spätere  Forsetisland,  das  heutige  Helgoland. 

Dadurch  ist  nun  erwiesen,   dass  in  „Forsite*'  ein  jüngerer  bei- 
name  des  Tius  vorliegt  als  in  „Achte.''     Dazu  stimt,  dass  sich  „Achte* 
als  epitheton  ebenso  gut  für  den  kriegsgott  wie  für  den  gerichtsgott 
eignet,  während  „Forsite"  und  „Things"  nur  für  den  gerichtsgott  passt 
Man  wird  sich  also  wol  die  beinamen,   welche  Tius  bei  Friesen  und 
Chauken  führte,   in  folgender  reihenfolge  entstanden  zu  denken  hab^: 
Als  gott  des  krieges  und  des  öffentlichen  lebens,  wie  es  sich  in  den 
Volks-  und  gerichtsversamlungen  abspielte,   erhielt  Tius  den  beinamen 
Achte  (persecutor).     Sein  sinbild  war  das  steinschwert  {sax)  oder  das 
heil   (axe)^    und   darum    heisst    er  von   alters    her    der   Schwertträger 
(Saxing)  oder  beilträger  (Axing).     Indem  er  sich  dann  zum  kri^- 
imd    friedensgott    differenzierte,    entstanden    die    beinamen    Badun&t 
„ kampfgenoss"  und  Frithunät  „friedensgenoss."     Aus  den  functionen 
des  Frithunät  hob  dann  erst  das  friesische  Things,  das  chaukische  For- 
site die  wichtigste,  schütz  und  leitung  der  gerichtsversamlung,  beson- 
ders hervor.     Dass  aber  Achtavia  in  „  Forsetisland "   imigetaufk  wurde, 
beweist  ebenso  wie   das   „Things"  jener  votivaltäre  von  Borcoviciumt 
dass  den  Ingävonen   ihr  hauptgott  Tius  schon  in  sehr  früher  zeit  in 
erster  linie  gerichtsgott  war. 

Für  die  rechtsaltertümer  ist  durch  unsere  Untersuchung  festgestelt, 
dass  es  zur  heidnischen  zeit  bei  Friesen  und  Chauken  drei  thing- 
arten gegeben  hat,  von  denen  jede  unter  dem  walten  einer  besonderen 
gottheit  („velut  deo  imperante"  Tac.  Germ.  7)  und,  wie  ich  an  anderer 
stelle  zeigen  werde,  an  ihrer  besonderen  statte  abgehalten  wurde,  twd 
zwar: 

1)  das  liud-thing  oder  die  mene  acht  unter  dem  schütz  und 
der  leitung  des  Tius  selbst,  daher  auch  Tiu-thing  oder  fis-thing 
genant;  es  war  identisch  mit  dem  liudwarf  (conventus  populi),  der 
volksversamlung.  An  der  liudthingstätte  befand  sich  das  dem  K"^ 
geweihte  hauptheiligtum  des  liud. 


FIF£R,   ZU  NOTKXRS  RHETORIK  277 

2)  das  baduthing  (bedthing)  ^streitgericht",  gehalten  auf  der 
berstede  ^streitstätte'^  am  heiligtom  der  alaisiage  Badwine  oder 
Bede  „der  kämpferin  (pagnatrix)**,  die  über  dieser  thingart  waltet 

3)  das  f im  elthing,  beschüzt  und  geleitet  von  der  alaisiage 
Fimiline  „der  rächerin  (ultrix)'',  deren  heiligtum  sich  auf  der  gerichts- 
Stätte  befindet 

Der  dreizahl  der  gerichtsgottheiten  entspricht  die  dreizahl  der 
gerichte  und  die  dreizahl  der  gerichtsstätten. 

BRESLAU,  DEN   20.  FEBR.    1889.  HUGO  JAEKEL. 


ZU  NOTKEES  EHETOEIK. 


Auf  die  nachricht  Trautes  von  dem  Vorhandensein  einer  fort- 
säxung  der  rhetorik  (Ztschr.  f,  d,  altert  XXXII,  s.  388)  wante  ich 
ffdch  an  die  königüctie  bibliothek  xti  Brüssel  und  erhielt  ausser  der 
unten  folgenden,  diplomatisch  genauen  abschrift  des  in  betracht  kom- 
fnenden  Stückes  (nur  die  compendien  sind  aufgelöst,  die  mangelhafte 
interpunktian  aber  beibefudten)  folgende  nachrichten  über  die  hand- 
Schrift,  welche  die  angaben  Traubes  a.  a.  o.  ergänzen.  Ich  verweise 
daxu  auf  die  beschreibung  der  handschrift  im  ersten  bände  meiner 
ifotkerausgabe  s.  XII  fgg. 

Der  binio,  blatt  74 —  76,  dessen  lextes  blatt  weggeschnitten  ist, 
tnihält  auf  blatt  75  ein  bruchstück  eines  brisfes  des  grammatikers 
Päuli^ius  von  Aquilga  und  einen  (volstäfuUgen?)  brief  ebendesselben. 
-BfaW  76  ist  Uniiert  und  zum  schreiben  hergerichtet,  aber  völlig  unbe- 
^obrieben.  Auf  blatt  77  und  den  folgenden  stehen  dann  brief e  des 
Sidonius  ApoUinaris,  Nur  auf  blatt  74  befindet  sich  der  schtuss  von 
Noikers  rhetorik,  und  zwar  knüpft  derselbe  an  das  von  s.  65^  b 
^f  s.  LXXXIX  meiner  ausgäbe  abgedruckte  an.  Der  lezte  satz  laur 
^  daselbst  (unter  aufnähme  von  Traubes  berichügungen)  vde  folgt: 

Patronomicum  est  quod  a  propriis  nominibus  patrum  tantum- 
Jfiodo  deriuatur  (sed  unterstrichen)  Secundum  grecam  fonnam  id  est 
S^^^cam  terminationem  ut  eacides  quod  significat  ^aci  filius  vel  nepos 
^Pparet  ex  hac  diffinitione  omnia  patronomica  ad  aliquid 

Hier  sext  das  unten  folgeffide  stück  ein.  Die  schrift  des  blaues  74 
**^  iehr  klein.  Besonders  ist  der  untere  teil  der  kolumne  74  ^,  a  durch 
^^^ten  sehr  verdorben.  Die  schrift  ist  auch  sonst  oft  schwer  les- 
w>  daher  konte  trotz  aller  müJie  an  einigen  stellen  der  zusammen- 
•^y  nicht  mit  Sicherheit  festgestelt  werden. 


278  PIFKB 

[G  74^^  a]  dici.  Namque  siciit  filius  patris  est  filius.  et  nepos  est  aui 
nepos.  ita  eatides  (sie)  quod  utrumque  significat  necessario  ad  utrumque 
refertur  Oportet  autem  oppositum  ei  nomen  quod  communiter  patrem 
et  auum  significat  genus  esse  sicut  et  omne  patronomicum  {cod,: 
pat'nomicum)  communem  intellectum  habens  filii  et  nepotis  genus  est 

POSSESS 

Possessiua.  diuersas  habent  terminationes  que  numerand^  sunt  Sunt 
enim  plus  quam  XX**  in  acus  ut  cipriacus  (cod,  add.  I)  ager  .i.  cipriorum 
ager  In  icus  ut  ecclesiasticus  seruus  .1.  Qcclesi^  scruus  In  icus  ut 
libycus  (cod.  ly.bycus)  ager  .i.  ager  eorum  qui  in  libia  sunt  Has  ter- 
minationes a  greeis  suscepimus  in  us  puram  desinunt  possessiua  tarn 
greca  quam  latiria  In  eus  breui  .e.  ut  cesareus  miles.  miles  cesaris  In 
eus  producta  .e.  (cod.  e)  ut  achilleus  armiger,  armiger.  achilUs  in  ius  .1. 
(cod,  ide)  correpta  ut  marcius  ensis  ensis  martis  In  ius  .  i .  producta  ut 
chius  ager.  uel  chium  uinum  .  i .  ager  uel  lünum  eorum  qui  in  chic  sunt 
insula  In  ous  o  producta  ut  eous  nuncius.  nuntius  eois  (cod.  eo??,  vgl 
uinum  eorum  auf  voriger  xeile)  et  fit  simile  diriuatiuum  primitiuo 
In  eus  ut  hilius  comes  comes  hile^  In  oeus  ut  eub^us  habitus  habitos 
eorum  qui  incolunt  euboeam  insulam  In  iuus  ut  furtiuus  equus  fiiris 
equus  In  rius  ut  pretorius  excrcitus  exercitus  pretoris  Proprio  latino- 
rum  sunt  In  anus  ut  humanus  ritus  ritus  hominum  In  enus  ut  alie- 
nus  mos  aliorum  mos  In  inus  (cod.  ius)  .i.  longa  in  femininus  (cod,  i 
femino)  cultus  cultus  feminarum  In  ius  i.  breui  ut  pristinus  qui  est 
priorum  uel  prisconmi  uel  qui  est  prioris  tcmporis  In  unus  ut  tribu- 
nus  qui  magister  tribus  est  In  Inus  ut  populnus  non  de  arbore  sed 
qui  populi  est  In  rnus  ut  patemus  qui  patris  In  is  ut  hostilis  qui 
hostium  (cod,  hostilium)  est  In  er  ut  equester  qui  equitum  est  Ergo 
possessiue  significationis  (cod.  significatiois)  nomina  ad  aliquid  dici 
prius  (cod.  pritis)  dictum  est.  (cod.  ?)  quae  autem  sola  forma  possessiua 
dicuntur  in  diuersis  sunt  significationibus  Simt  enim  quedam  gentilia 
ut  romanus  ciuis  (cod.  eui9)  de  quibus  dictum  est  supra  alia  sunt  (hier 
ist  getilgt:  propria  ut  iulianus  quintilianus  de  bis  quoque  dictum)  pa- 
tronomicorum  loco  posita.  ut  cmilianus  scipio  uel  ocdauianus  cesar  ut 
dictimi  est  supra  alia  sunt  propria  ut  iulianus  quintilianus  de  bis  quo- 
que  dictum  est  Alia  sunt  agnomina  ut  affiricanus.  persicus  getulicu^^ 
creticus  et  h^c  propria  sunt  Alia  sunt  materiam  significantia  ut  ferreus^ 
a  ferro  factus.  similiter  aureus  (das  erste  u  iibergeschr.)  argenteus  fBCtiL:as 
marmorcus.  ligneus.  qucrneus.  oleaginus.  faginus  Ergo  quia  ferreus  Ci-t 
marmorcus.  inde  fit  non  quis.  uel  qualis  sit  demonstrant  ideo  substarm- 
ti^  qualitati  et  quantitati  huius  modi  sunt  dissimilia   Uidentur  ante 


zu  NOTEEBS  RHETOBIK  279 

aliquid  esse  et  relatiu^  dici  ad  ablatiuos  primitiuorum  sicut  et  posses- 

siua   ad   genitiuos   primitiuorum.     Inuicem   enim   se  construunt   (oder 

constituunt?)  atque  tollunt  Si  est  de  ferro,  est  ferreus  et  si  est  ferreus. 

est  de  ferro  Et  forte  melius  est  ad  septimum  casum  ea  referri  ut  sicut 

sensu  sensatum  est  ita  ferro  uel  marmore  fit  ferreum  {das  zweite  e  mit 

häkchen  übergeschr.)  uel  marmoreum  Et  differunt  quia  ferro  uel  de  ferro 

materiara  ferreus  autem  uel  ferrea  ferreum   materialem   rem   significat 

Si  quis  autem  huius  modi  relationem  quasi  ab  aristotile  non  inuentam 

recusat  suscipere  meminerit  ipsum  diffiniendo  dicere  relatiua  esse;  que 

modo  Übet  predicantur  ad  aliud  Uel  si  non  aquieuerit  meliorem  ratio- 

nem   reddat   ut  sequamur  eum   A  disciplinis  uero  dicta  ut  socraticus 

platonius.  c.  socratis  sectator  uel  platonis.  uel  a  professionibus  ut  mecha- 

nicus.    medicus    grammaticus    .i.    harum    arcium    studiosi    qualitatem 

plane  et  scientiam  significant   Similiter  ab  officiis  dicta  ut  mercenarius 

tabellarius  .i.  qui  tabulas  patrum  imaginibus  depictas.   nobilibus  rom^ 

antetulit  Item  cerarius.   hostiarius.   argentarius  erarius  uel  a  dignitati- 

bus  ut  questorius.  prefectorius.   i.  dignus  questura.   prefectura.  pretura. 

qualitatis  sunt     Alia  dicta  ab  Ms  in  (in  fehlt)    quibus  sunt  ut  planta- 

rium  quod  est   in   planta.    mensorium  quod  est  in  mensa.    motorium 

quod  est   in    motu,   palmarium    quod    est   in   palma   diuersorum   gen- 

enrm  species   sunt   Nam    plantarium   calciamentum   est   uelud   simpli- 

citer  dicam   aliquod   genus   indumenti   dialectice   autem   dicere    aliqua 

species    indumenti   mensorium   species   est   uelamenti   (von  mensorium 

^    mit  \'   am   rande  Tiachgetragen,   ob   von   anderer  hand?)   Menso- 

• 

fi^m  species  est  instrumenti  ut  est  illud  quo  terrentur  aues  in  uineis 

Paltnarium    quod   est   in   palma    hoc    est  in   laude    Ut  uictoria    (cod. 

^etoria)   Corporale   namque   palmarium   quod   in   palma   est   ut   bacu- 

'ßs    et  sceptrum  species  gestaminum  est  Incorporale  autem  palmarium 

(^^(^.  palmarum)  quod  in  laude  est  qualitatem  significat  quia  palmarium 

(cod,  palmarum)   quasi  laudabile  esse  intelligitur  et  eiusdem  cathegori^ 

®8t:    Nam   ut   liuius  scribit  in  X°  libro   ab  urbe  condita   (Liv.  X,  47) 

q^ando    triumphatum    est    a    sabinis    Lustrum    rom^    conditum   est   a 

liicio  cornelio   aruina  consule  et  eodem  anno  ob  res  bene  gestas  uic- 

^Tes  coronati  spectabant   ludos  sibi  editos.    et   tum   (cod,  tu)   primum 

^^r^nskto  egregio  more  palm^  dat^  sunt  in  manibus  eorum   Inde  ortum 

^t  ut  a  gestamine   palm^   ipsa  manus  gerens  siue  uictoria  (darnach 

^  -e.  durch  punkte  getilgt)  palma  dicatur  et  quod  triumphale  est   uel 

<luod  in  laude  est  palmarium    (cod,  palmarum)   dicatur   Alia  significant 

^®  quibus  sunt  ut  frumentaria  lex  de  ifrumento.  agraria  de  agris  num- 

''^Äria  de  nummis  Lex  ergo  secundum  ciceronem  species  iustiti^   est 


280  npn 

eius  iterum  species  sunt  plautina  Cornelia  et  ceter^  de  axtcboril 
eoram  uocitatQ  {cod,  iDcitatQ)  quarum  partes  sunt  fnimentaria  agra 
nnmmaiia  et  qualitates  sunt  Alia  dicta  ex  bis  quQ  continent  nt  nina: 
cella  que  habet  uinum.  armarium  in  quo  sunt  arma  posita  Sic  mo 
rium.   (oocL  mälariü)   auiarium  uiridarium   {cod.  uiiidianim)    rosarii 

« 

Ergo  cella  uel  offidna  substantiQ  sunt  et  species  edifidi  Cella  iti 
babet  species  armarium  et  uinarium  (cod,  uinariä)  Offidna  uero  spec 
babet  molendinum.  pistrinum  {cod,  pristinum)  refectorium  et  talia  S< 
tum  namque  ea  pars  terr^  dicta  est  que  sepe  circumdata  est  unde 
dicitur.  ut  sunt  borti  (b  mit  häkchen  vor  ort!  vorgeschrieben)  et  uic 
propterea  partes  sunt  terr^  borti  quibus  nomen  est  molarium  auiarii 
uiridiarium  rosarium  ubi  berb^.  et  flores  et  aues  nutriuntur  et  substi 
tiam  signiücant  Alia  sunt  a  temporibus  ut  diumus  noctumus.  bestemi 
hibemus  Alia  sunt  a  locis  ut  extemus  internus  Igitur  de  temporalib 
et  localibus  diligenter  uidendum  [O  74^,  b]  est  cui  predicamento  (ve 
tcischt)  asscribenda  sint  Et  sciendum  quod  sicut  (sicut?  übergeschr.)  unii 
catbegori^  sunt  magnus  et  magnitudo  sapiens  et  sapientia  .i.  quan 
et  quantitas.  qualia  et  qualitates  ita  unius  catbegori^  a  presciano  nom 
nantur  esse  ipse  locus  et  ipsum  tempus  atque  ea  quQ  ab  bis  dicunti 
localia  et  temporalia  ut  a  loco  internus  extemus  a  tempore  {cod,  temi 
bodiemus  hestemus  matutinus  uespertinus  Hoc  apparet  in  priorib 
ubi  ille  de  loco  exemplum  dare  non  potuit  et  localia  posuit  ut  longi 
quus  propinquus  sicut  et  bini  et  temi  numerum  simplidter  non  sigi 
ficant  sed  numoralia  sunt  i.  substanÜQ  numerat^  ut  bini  bomin 
gemini  {cod.  gemni)  fratres  temi  lapides  Discretio  tarnen  est  in  bis  q 
localia  ille  confuse  vocat  Nam  aduerbia  sursvm  deorsum  supra  in£ 
intra  extra  (extra  am  ra7ide  mit  • :  nachgetragen.;  van  anderer  hana 
ubi  significant  sed  et  locum  ipsvm  uidentur  significare  imde  supera 
et  infemus  internus  et  extemus  quQ  inde  tracta  {das  erste  t  undeu 
lieh)  sunt  forsitan  duarum  sunt  catbegoriamm  quantitatis  et  ubi.  Yrl 
nus  autem  et  oppidanus  et  rusticanus  et  palatinus  et  capitolinus 
querlinus  {cod.  q'lin9;  »  esquilinus?)  que  similiter  a  locis  dicta  ij. 
docuit  non  quantitatis  sunt  sed  ubi  significant  {cod.  significam9)  Nam 
opido  {sie)  ubi  tantvm  significat  Oppidanus  autem.  id  est  qui  in  oppi 
babitat  ubi  et  personam  {cod.  persona)  scilicet  in  loco  et  locatum  in  lo 
significat  Et  si  hoc  ratione  constabit  {cod,  9tabit)  quia  nihil  temere  f 
mandum  est  nomina  ad  sex  cathegorias  extenduntur  Et  si  bestemi 
hodiemus  et  similia  temporum.  nomina  aliquis  forte  plus  potent  i 
quando  trahere  quam  ad  quantitatem.  YIT*"  sunt  catbegori^  in  qc 
bus  nomina  inueniuntur  Sed  de  bis  dubitare  non  est  utile  ut  aristol 


zu  NOTKKRS  RHETORIK  281 

les  ait  Alia  a  dignitatibus  siue  officiis  ut  tribunus  antesignanus  Antea 

quoque  de  hac  significatione  dictum  est   a  prisciano  sed  non   in  hac 

terminatione  Bomiilus  exercitvm  suum  in  tres  partes  diuisit  et  quos 

eis  prefecit  a  tribus  partibus  tribunos  uocitauit  Postea  quoque  tribuni 

in  ciuitate  usque  ad  nouenarium  numerum   creuerunt   et  creati   sunt 

non  solum  militum  sed  et  plebis  tribuni  et  grece  chiliarchi  {das  zweite 

1  übergeschr.)  dicuntur  eo  quod  mille  presunt  {cod.  psit)  Ergo  dignitatis 

que  sunt  {cocL  fragexeichen)  ad  aliquid  pleraque  sunt  dicta  ut  rex  regni 

sui  rex  est  et  regnum  regis  est  regnum  Dux  quoque  comitum  dux  est 

et  comites  ducis  sunt  comites  et  qu^stor  questu  quQStor  est   quQStus 

nero  questoris  qu^stus   est   {cod,  ^)  et  prepositus  subpositis  prepositus 

est.  et  subpositi  prepositis  subpositi  sunt  et  prefectus  suffectis  prefectus 

esfL  suffecti  autem  prefecto  suffecti  sunt  quamuis  in  usu  habemus  suf- 

fectos  successores   dicere   Si   autem   uolumus  prefecto  oppositum  dare 

prefecturam  suam.  ut  piefectura  prefecti  sit  prefectura  et  prefectus  pre- 

fecture  su^  prefectus  sit  oportet  intelligere  quia  suffecti  prefecto  ipsi 

sunt  eins  prefectura  Eodem  modo  consul  dictator  pretor  presidens  {cod. 

psens)  presul  tribunus.  ad  consulatum  dictaturam  preturam  presidatum 

presulatvm  tribunatum  relatiuQ  atque  reciprocQ  dicuntur  Antesignanus 

®st    qui  uexillum  portat  ante  exercitum  et  qui  soquuntur  {cod,  sequn- 

^^^^)    eum  signisequi  sunt  et  inuicem  conuertuntur  Alia  a  generibus  ut 

öiasculinus  femininus  Si  quid  simile  {cod.  sime)  mascule  et  femin^  mas- 

cuJixixmi  et  femininum  dicimus  possessiue  dicimus  siue  de  exterioribus 

^t    ixiasculinus  et  femininus  amictus  siue  de  interioribus  ut  masculinus 

®^    femininus  color  uel  masculinum  genus  (genus  übergeschr,,  von  ande- 

h^md?)  et  femininum  Si  cui  uidetur  de  solis  exterioribus  possessio- 

dici  sciat  ad  similitudinem  exteriorum  interiora  predicari  et  sicut 

^^^^ixiinum  dicitur  opus  opus  femin^  ita  quoque  femininum  genus  genus 

femixj^  uel  feminarum  dicitur  et  ut  supra  dictum  est  ad  aliquid  dicitur 

^^     quis   autem  interrogat   qualem  animum  habet   ille   et  respondetur 

**ö^xxiiiinum  femin^  similem  intelligimus  et  qualitatis  est     Sic   semper 

®j^   significatione  predicamentum  intellegitur  Alia  sunt  ex  mutis  anima- 

lipix^  ut  passerinus  ansorinus  coruinus  ceruinus  An  ista  possessive  non 

^^vintur  quia  nesciunt  possidere  muta  animalia?     Non  utique  minus 

^   Ulis  quam  de  rationabilibus  possessiua  fit  predicatio  quid  est  enim 

^^J^iiina  uox  uox.    corui   Si  uero  dicitur  ceruina  pellis  manente   {lies 

'^^^^ilet  in?)  ceruo  {daxu  mit  verweisungsxeichen  am  unteren  rande  der 

*',  von  anderer  hand?   steht:  congru^  uidetur  intellegi  {cod.  intelgi) 

oearui  quod  non  manet  in  {cocL  non  manenit  mante,  das  texte  wort 

^*'**^  strich  darunter  getilgt)  ceruo)  de  exuuiis  hoc  dicitur  secundum 


282  PIPER 

prioris  tomporis  consiietiidinem  hoc  dicitur  Alia  sunt  a  persona  (?  die 
abschrlft  Iw^t  femina)  iit  libertinus  egenus  possessiue  dicitur  libertinus.  i 
filius  liberti  egenus  qualitatem  significat  ut  qualis  est?  egenus  est  Alia  a 
materia  ex  qua  constant  ut  humanus  terrenus  de  humo  et  de  terra  &ctus 
Hqc  ad  substantiam  et  quantitatem  et  ad  alias  cathegorias  nuUam  habent 
similitudinem  nisi  ad  qualitatem  et  ad  aliquid  Si  enim  interrogauero 
(cod.  interragauero)  qualis  est  forte  non  est  incongruum  dicere  humanus 
est  quod  aliquando  inteUegitur  misericors  est  Si  materiam  requiro  nun- 
quam  dico  qualis  est  sed  potius  imde  factus  est  aduerbialiter  interrogo 
et  respondotur  de  humo  de  terra  quia  non  est  inuentum  nomen  inter- 
rogatiuum  materi^  cui  reddatur  marmoreus  lapidevs  propterea  noc  qua- 
litatis  sunt  ista  quantum  conici  datur  Sunt  ergo  relatiue  et  ad  aliquid 
dicta  ut  ostendimus  supra  Comparatiua  superlatiua  diminutiua  planis- 
sime  ad  aliquid  predicantur  et  sunt  specics  oius  Nam  potentibus  poten- 
tior  est  •   et  potentium   potentissimus    est    ita    ad    positiuum   uterque 
respondet  gradus  comparatiuus  et  superlatiuus  quia  quamuis  potentibus 
minus  tamen  potentibus  potentior  dicitur.  eodem  modo  regulus  ad  regem 
paruus  rex  ad  magnum  regem  comparatiue  dicitur  Denominatiiia  uero 
et  uerbalia  et  omnia  similiter  nomina  omnesque  dictiones  quantum  ad 

generalissima  genera  decem  tantum  significationes  habere (dictum 

est?)  Quantum  autem  ad  genera  eorum  subaltema  et  species  et  indiuidua 
et  partes  generum  et  partes  specienim  et  indiiiiduonim  innumerabiles 
et  incomparabiles  esse  quis  dubitet?     InteUegitur  enim  quando  dicitur 

Caput esse  goneris   [O  74 ^\  a]   quia  animal  genus  et  totum 

quiddam  est  et  quando  dicitur  caput  hominis  inteUegitur  pars  totius 
indiuidui  quod  non  solum  inteUegitur  sicut  genus  et  species  sed  occu- 
lis  ccrnitui-  Ergo  denominatiuorum  et  uerbalium  uarias  significationes 
prescianus  in  diuersis  torminationibus  ostendere  conatus  est  primo  per 
uocales  deinde  per  consonantes  In  ia  quedam  desinunt  ut  duritia  iusti- 
tia  sapientia  quo  quia  quaütates  sunt  quales  faciunt  durum  iustrm 
sapientem  Sed  durus  naturalem  potentiam  iustus.  et  sapiens  habitum 
designant  In  a  consonante  antecedente.  ut  a  cantu  cantüena  Dicimus 
tamen  cantum  ipsum  inuentum  Carmen  quod  scientia  tenetur  et  a 
docento  discitur  cantacio  et  cantilena  ipsius  est  cantus  depromptio  et 
cantiitio  cantorem  facit  cantilena  taU  deficit  nomine  Sic  et  lux  et  lumen 
dum  idem  significent  a  luce  fit  lucidus  a  lumine  non  est  inuentum 
([uale  nomen  Nam  et  uirtus  manifeste  est  qualitas  et  ex  ea  quäle 
nomen  est  dissimili  uoce  studiosus  Contra  autem  innen ti  sunt  quales 
sine  qualitatis  nomine  ut  palestricator  qui  dicitur  non  exercicio  (cod. 
exercicicio)  sed  corporis  habitu.     Nee  in  cathegoriis  ipse  docet  aristo- 


zu  NOTXKBS  BHETOBIK  283 

tiles  In  e  ut  cubo  cubile  sedeo  sedile  Cubile  edificii  {cod.  edifieies,   es 
tinterpunktiert,  i  übergeschr)  species  est  aliquando  autem  pars  domus 
est  Sedile  autem  domestic^  {cod.  domesthc^)  supellectilis  species  et  ideo 
substantiam  signifieant  Cubile  edificium  et   sedile   domesticam   suppel- 
lectilem  quam  substantialia  habcnt  In  i  ut  frugi  nihili  id  est  abstinens 
et  uilis  qUQ  adiectiua  sunt  Si  autem  a  fnix  nominatiuo   (cod.  nomina 
natiuc)  datiuus  est  frugi  quis  dubitat  substantiam  esse,   fruges  et  spe- 
ciem  gemiinis?  Et  niehili  a  nominatiuo  {cod.  noiao)  niehilum  qui  com- 
positus  est   a  non   et  hiliun  negatiuiun   esse  illius  simplicis   nominis. 
liilum.  quod  olim  in  usu  erat  aliquantulum  significans  substanti^  Om- 
iiia  autem  negatiua  quantitatis  sunt  et  partes  orationis  ut  nemo  nuUus 
nusquam   numquam   nequaquam   et   similia   In   u   ut  tono    (cod.  ono) 
tonitru  Quid  est  tonitru?   nisi  tembilis   sonitus   disciurentis   uenti  in 
nubibus  et  conantis  erumpere  Ergo  (r  übcrg.)  tonitru  nomen  est  de  sono 
uocis  factiun  sicut  et  eins  primitiuum  (cod.  primitiü)  uerbum  tono  Et 
sie   uox  est  aer  ictus  tonitru  similiter  est  aer  ictus.  aer  namque  sub- 
stantia  est  vox  quoque  et  tonitru  quid  sunt  aliud?   partes  enim  sunt 
ipsius  elementi.     In  al  ut  a  ceruice  ceruical  a  tribuno  tribunal  Cer- 
uical  torus   capitale   culcita  fulcimenta  sunt   fulcimentum  autem  sicut 
uestimentum   et  indumentum   et   operimentum    substantiam   signifieant 
qiiamuis  et  ad  aliquid  dicuntur   {am  rmide  von  derselben  Jtand:   pro- 
batio)   Guius   est   enim   opperimentum   uestimentum   indumentum    nisi 
opert^  uestitQ  indut^  rei?   Item  quo  indutus  opertus  uestitus  nisi  indu- 
mento  operimento  uestimento  dicitur?  tribunal  uero  et  solium  et  cathe- 
dram  et  subsellium  et  tripodas  communi  nomine  sedem  dicimus  Sedes 
autem  et  mensQ   et  lecti  et   candelabra   (cod.  candelebra)   et   eiusmodi 
quibus  utimur  in  domo  utensilia  communiter  dicuntur  De  his  quoque 
suppellectilem  dicimus  quia  nemo  dubitat  substantias  esse  In  il  ut  uigilo 
uigiL  pugilus  pugil  Vigil  est  cid  inest  naturalis  {cod.  nat'alis)  seu  exer- 
citata  uigilantia/   aliter  vnde  ad  duas  qualitatis  species  pertinere  uide- 
tur  habitiun  et  naturalem  potentiam  similiter  et  pugil/  unde  et  liec  natu- 
ralis potentiQ  qualitas  dicitur  Pugil  uero  aliquando  exercitio  aliquando 
quoque  naturali  (cod.  nat'rali)  potentia  dicitur  et  ideo  ad  duas  species 
qualitatis  suscipitur  In  ul  ut  exulo  exul  presulo  presul  Exul  extra  solum 
est  et  ubi  significat  Presul  dignitatis  nomen  est  significat  enim  magi- 
ster  uel  episcopus  qu^  quia  ad  aliquid  sunt  dicta  presul  (ad  feJdt)  ali- 
quid dicitur  ut  superius  commemoratum  est  In  am  ut  nequis  nequam 
Hoc  adiectiuum  est  In  um  ut  oliua  oliuetum  rosa  rosetum.  tendo  ten- 
torium  sto  stabulum.  presideo  presidium  Orti  sunt  rosetum  et  oliuetum. 
i.  partes  (te  übergeschr.)  terrq  in  quibus  multitudo  rosanun  et  oliuarum 


284  TiPWB, 

innen iuntiir.  Tentorium  uero  togimentum  est  sicut  et  tuguriiim!  Vesti- 
menta  (datiiber  steht  d  als  zeichen  für  eine  randbenierkung ,  diese  sieht 
unten  mit  demselben  xeichen:  (Domus  quoque  et  cetera  habitacula 
nonne  sunt  tegumenta?  von  anderer  hand?)  quoque  et  (in  durch  strich 
darunter  getilgt)  operimenta  et  indumenta  quid  sunt  nisi  tegumenta? 
Tegumenta  uero  defensaciila  sunt  Defensacula  uero  siue  sint  opificialia 
ut  murus  et  propugnaculum  siue  naturalia  ut  montes  et  siluQ  corpora- 
lia  sint  Non  minus  tarnen  et  ad  aliquid  sunt  dicta  tegumenta.  et 
defensacula  sicut  operimenta  et  indumenta.  Stabulum  edificium  est 
dictum  est  prius  presidium  munitus  locus,  uel  exercitus  derelictus  in 
prouincia  ut  presidendo  et  armis  eam  muniendo  tutam  eam  ab  hosti- 
bus  faciat  ut  romana  presidia  per  totimi  pene  orbem  disposita  quon- 
dam  fiierant  ad  comprimendos  statim  primos  motus  prouinciarum.  ne 
crescendo  maiora  damna  rei  p.  {d,  i,  publicae)  infcrrent  Si  tarnen  est 
presidium  est  et  subsidium  (ad  auferenda  durch  strich  darunter 
getilgt)  et  ad  aliquid  sunt  DifiFerunt  autem  quia  presidium  est  ad  ca- 
uenda  mala  subsidium  ad  auferenda  uel  louanda  mala  Item  presidium 
contra  futura  mala  auxilium  et  subsidium  contra  presentia  mala  ita  ut 
auxiliiun  sit  ab  alienis  uel  extraneis  subsidium  uero  quod  postoa 
superuenit  In  ar  ut  lacus  lacunar.  calx  calcar  cedo  cesar  Si  lacunar 
locus  (lacus?)  et  receptaculum  aquarum  dicitur  de  terra  utique  hoc 
dicitur.  ipsa  enim  locus  est  et  receptaculimi  aquanmi  Ergo  lacunar  est 
pars  terre  pars  totius  indiuidui  elementi  Quando  autem  lucemam  aut 
laquoar  significat  similiter  corpus  est  Calcar  uero  instrumentiim  est 
equcstre  ut  et  lupar  et  strigiles  Illigatur  nanique  calcaneo  ad  stimu- 
landos  equos  Instrumenta  autem  siue  domestica  siue  rustica  siue  naua- 
lia  siue  equestria  siue  bellica  corporalia  sunt  Cesar  aliquando  proprium 
aliquando  appellatiuum  semper  substantiam  significat  In  er  ut  eques 
equester  macies  macer  Equester  est  possessiuum  macer  adiectiuum  In 
or  ut  senatus  Senator  amo  amator  Senator  nomen  est  dignitatis  et 
quäle  significat  Quq  uero  dignitatem  simul  et  officium  significant  (cant 
undeutlich)  ut  dictator  magis  ad  aliquid  sunt  Amator  plane  affectionem 
qu^  est  prima  species  qualitatis  et  passionem  que  est  tertia  species 
significat  In  ur  ut  sano  uel  saturo  satur  murmuro  murmur  Satur  qua- 
lis  est  murmur  qualitas  est  secundiun  quam  quales  dicimur.  id  est 
murmuratores  (tores  über  unterpunktiertem  tiones  übergeschr.)  In  us 
{lies  as)  ut  primus  primas  optimus  optimas.  ciuis  ciuitas  probus  probitas 
arpinum  arpinas  primas  et  optimas  [O  74  ^,  b]  nomina  dignitatum  sunt 
idem  honorabilLs  et  electus  de  quibus  quales  dicimur,  ciuitas  substan- 
tia  est  ut  oppida  et  urbes.   et  municipia.   et  omnes  structur^  probitas 


zu  NOTKBRS  RHETORIK  285 

qoalitatis  est  arpinas  patrium   {cod,  patriu)   est   es  correpta  pes  pedes 
equus  eques  teges.   pedites  et  equites  et  sagittarii  et  uelites  (cod.  ueli- 
tres)  nomina  sunt  militum  non  propria  sed  specialia  et  ab  acta  qiiales 
dicuntur  Es  producta  pauper  pauperies   acer  acies  sepio   sepes  struo 
strues  sterno  strages  pauperies  qualitas  est  qualem  facit  pauperem  Acies 
acut^  rei  acies  dicitur  non  minus  tarnen  et  qualem  facit  acutum  Sepes 
septQ   rei   sepes   est  relatiu^   enim   predicatur  Eodem  modo   strues  et 
strages.  structe  et  strate  rei  dicuntur  et  eiusdem  sunt  predicamenti   In 
is    ^des   edilis   rex   regalis.   amo   amabilis   penetro   penetrabilis   atlicne 
atlieniensis  sicilia  siciliensis  Edilis  nomen  officii  et  dignitatis  est  Bome 
D^mque  edium  curam  qui  gerebat  edilis  dictus  est  Edilitate  uero  edilis 
est  edüitas  autem  edilis  est  Et  quia  edilitas  qualem  quoque  facit  edi- 
lora  duplex  fit  edilis.  predicatio  qualitatiua  atque  reciproca  Regalis  pos- 
sessiuum  est  amabilis  naturalem  potentiam  ostendit  quia  amabilis  ille 
est  qui  alios  potenter  trahit  ad  amorem  sui  penetrabilis  naturalem  im- 
potentiam  ostendit  quia  facilo  ponetratur.  Atheniensis  patrium  est  sicilien- 
sis  gentile  De  bis  dictum  est  Os  ut  {cod.  et)  lepidus  (cod,  lepus)  lepos 
custodio  custos  lepos  est  eloquentia  et  qualitas  facit  enim  lepidum  Gustos 
qua.lis  est  et  ad  aliquid  facit  enim  custodia   custodem   utraque  tamen 
custos  et  custodia  custodit^  rei  rcciproce  dicuntur  Vs  diuersis  conso- 
öÄivtibus  ante  positis  saxvm  saxosus  spuma  spumosus  uito  uitabundus 
^^     «^  participiis  uersus  saltus  quando  quarte  sunt  declinationis   Et  ab 
*^u.^rbiis  supra  uel  super  superus  ab  infra  inferus  extra  externus  hodie 
'^^^iiemus  Saxosus  et  spumosus  id  est  plenus  saxis  et  plenus  spuma 
l^^^'lia    sunt    sicut    et   formosus   vitabundus    quod    intellegitur    similis 
^^^^^.xiti  comparatiue  dicitur  et  ut  similis  simili  similis  est  ita  et  uita- 
^^^^^dus  uitabundo  est  Supervs  et  inferus  externus  hodiemus  localia  et 
^*^cij)oralia  ante  sunt  dicta  In  x  fiu-  furax   capio  capax  audeo  audax 
^^**t:o  uertex  furax  capax  audax  qualia  sunt  üertex  uero  partem  cor- 
P^^is  significat  In  duas  consonantes  picenum  picens  quod  gentile  est 
^^^Vutum  tiburs.  quod  patrium  est  prius  dictum  est  His  addidi  que  in 
^^Ostionem  uenerunt  Montes  quid  sunt  nisi  eminentes  terre?    Et  ual- 
^^^     nisi  humiles  terr^?  et  campi  nisi  plane  terr^?  et  specus  et  putei  et 
t^  et  similia.  nisi  cauate  terr^?   Et  ill^  tcrr^  partes  terr^  sunt  Fora- 
autem  quia  ad  plura   uadit  forate   {vor  forate  ist  i  durch  purikt 
^^^'^"^nier  getilgt)  rei  est.    Longitudo  latitudo  et  altitudo  et  magnitudo 
^      «mplitudo  et  sublimitas   et  profundum   et  similia  quantitates  sunt 
^^^unt  enim  longum  latum  altum  magnum  amplum  sublimem  profiin- 
^^***l  Et  he  quantitates  infinite  sunt  et  comparatiue  dicuntur   Et  sicut 
^**8U8  ad  breuem  dicitur.   ita  et  longitudo  ad  breuitatem  comparatiue 


28G  PIPEB,   Zü  NOTKERS  BHETOBIE 


(licitiir  et  in  cetoris  eodem  modo   {cod.  mo)   Spacium  quoque  et  inter 
sti(4um  et  interuallum.   et  intercapedo  et  rima  et  hiatas  et  similia 
aliquid  sunt  et  pone  ununi  sunt   Quid   est  spacium  uel  unde  dict 


est?    A  patendo  (t  über  unterpimktiertcm  n)  enim  dictum  est  et  omnisE 
res  panda  uel  patula  spacio  patet/   nihil  est  spacium  nisi  quod  est  i 
medio  pande  et  patule  rei  Vndo  otiani  quod  in  medio  temporum  est  poi 
similitudincm  spa<Mum  dicitur  Ergo  spacium  protractio  loci  uel  tempori 


id  est  modiot^is  locorum  uel  temporum  infinita  Sic  et  interuallum  quod 
est  inter  uallos   Quomodo   enim  antiquitus  castra  (cod.  Castro)    fiebani 
fossa   circuni    ducta   est   cuius   egcsta   humus    interius   missa   aggerei 
(vorher  aggrcgö  unferstn'elieN)   fecit  super  quem  agerem  (sie)    ualli    'n 
est  sudes  fingebantur  per  circuitum  ut  essent  quasi  murus  intrinsecu 
positus  et  non  timercnt  hostium  incursionem  et  que  intra  illos  uallofe^ 
distantia   uidebatur   interuallum   dictum   est  Talis   est  rima   et   hiatus== 
Rima  uero  quasi    a   ramo   dicta  est  unde   et  uerbum  dicitur.    diriin< 
(juasi  duos  ramos  facio   Quando  enim  que  coniuncta  erant   aut  conti- 
nua  dirimunt  so  rima  est  et  hiatus  Ergo  rima  et  lüatus  medietas  diri- 
mentium  se.     Int(*rsticium  spacium  interstans  intercapedo  (das  xteeite 
iÜHT  intferpinikfierfem  i)   locus  capiens  medietatem  duorum  corporui 
Nam   in  bis  omnibus  nihil  nisi   medietatem  inuenio  aut  locorum   au' 
temporum  et  ideo  a<l  aliquid  sunt   Spacium  ut  dictum  est  pande  re 
uel    patule   rei    spacium   est  et  ipsji  res  panda  uel  patula  id   est  qu4 
patet   spacio   patet    Kima   diremtorum   est  et  dirempta  rima.    dirempl 
sunt  Hiatus  Inantium   est  et  hiantia  hiatu  hiant  Intersticium  circunL 
stantium  et  circumstantia   intersticium   circumstant   Intercapedo    intei^ — " 
ceptorum  est  et   inten^t^pta    intercapedine   intercepta  sunt   Quid  antei 
iNt  distantia?   separatio  alterius  ab  altero  et  ad  aliquid  est  Sicut  enii 
s(»paratit>   (»st    separat»^   hm  sie  et  distantia  distantis  rei  et  distans 

distantia  distat  Item  ([uid  ist  uia?  forte  uia  est  quantitas.  quia  uidett»^ 

esse  linea  que  tlucit  de  loco  ad   Uvum    Nam  et  latitudo  que 
in  uia  ciiva  illani   lineam   est  et  ipsa  non  habet  latitudinem  sed  lonj 
ttidineni  sine  latitinlinc  Inuisibilis  etiam  i^t  uia  enim  que  uidetur  no    ":       " 
t^st   ipsa  linca  scd  contricio  et  su|K»i1ioiei  demolicio  ex  uestigiorum  inm^^^" 

pn»ssiont*  facta   Iteni  quid  est  tacits?     Species  et  forma  in  coipore  ff= ^^ 

ideo  qiialitas   K)\\u\  t^t  uultusV  instabilitas  et  commutatio  que  oemiU  ^       ^ 
in  (nni,  \\\)  facio  V.Vixo  facios  ad  fonnani  uultus  ad  eflFectionem  pertin^L-=-  ^ 
qut»  sjHvies  sunt  qualitatis.;  Hvjc  cum  scripta  uides  scriptorem  qui  po' 
ridiv,     Sio  quod   non  potui   rusticus  ut  nolui.     Ac  tu  comple  re. 
ine  deiM^t  utit|Uo  llon\ 

M.IVNV.  P.    pn>ER. 


287 


ÜBEE  DEN  BlLDUNGSGiLNG  DER  GEAL-   UND   PAEZI- 
TJ^JL-DICHTUNG  IN  FEANKEEICH  UND  DEUTSCHLAND. 

So  lange  die  schätze  der  fi-anzösischen  bibliotheken  in  botroflF  der 
hier    einschlagenden  litteratur  in  Deutschland  nocli  unbekant  oder  nur 
dein    nanien  nach  und  nach  unzulänglichen  notizen  bekant  waren,  moch- 
ten    die  versuche  zulässig   und   berechtigt   erscheinen,   auf  grund   der 
mysteriösen  angaben  Wolframs  von  Esclienbach  über  die  quellen  seines 
gedichts:    über  Flegetanis,   der  in  den  stemen  vom  gral  las,   über  das 
arabische  manuscript  von  Toledo  und  die  chronik  von  Anjou,   welcher 
sein    vordichter,  Guiot  von  Provenze  gefolgt  sei,  nach  dem  urquell  der 
tiefsinnigen  sage  vom  gral  in  Spanien  zu  suchen  und  nach  Görres  bei- 
spiel  in  Hindostan  und  Indien,  oder  in  der  Kaaba  zu  Mekka  die  erste 
wnrzel  dieser  sage  zu  entdecken.     Seitdem  aber  der  in  halt  der  hierher- 
geliörigen   litteraturwerke   uns   deutlicher  teils   in   mehr   oder   minder 
^'-•^sfvihrlichen    auszügen,    teils    in   volständigem    abdruck   vorliegt,   ist 
^ö    aufgäbe:   sich  nicht  mehr  in  kühne  probleme,   phantastische  hypo- 
tiiesen   und  gewagte,   wenn  auch  geistreiche  kombinationen  zu  verlie- 
^^^  ^     sondern  lediglich  die  betreffenden  Schriftwerke  nach  ihrem  Inhalt 
^^^     zeugen  zu  vernehmen   und  so  den  gang  und  fortschritt  der  sage 
^^^^fonweise  zu  verfolgen.     Auf  diesem  wegc  sind  daher  Zamcke   (Paul 
^-    IBraune,  Beiträge  usw.  III,  Halle  1876,  s.  304)    und  Birch-Hirsch- 
^'öld     (Die  sage  vom  gral,  Leipzig,  Vogel,  1877)  zu  dem  resultat  gelangt, 
^^5äs    eigentlich  von  einer  sage,   d.  h.  einer  im  volksmund  und  volks- 
S*^^xxl)en  fortlebenden  und  je  nach  den  zeiten  etwa  gewandelten  tradi- 
*'*^Jx    nicht  die  rede   sein   könne,   sondern   nur  von   einer   diclitung, 
^^^lohe  aber  zugleich  das  algemeinste  Interesse  erregte,   und  die  ver- 
f^^^i^ensten  dichter  ansponite,   deren  Inhalt  weiter  zu  führen  und  ihn 
^^^      geschmacke   der   zeit   auszubauen.     Und  als  diesen  ersten  dichter 
^^A^ssen  wir  Robert  de  Boron  erkennen,   der  selbst  versichert,   dass 
'^^ol:!  kein  sterblicher  vor  ihm  über  den   gral  geschrieben   habe,   was 
^^oli  durch  die  bisher  aufgedeckte  litteratur  des  abendlandes  bestätigt 
^j^^cj.     Und  da  auch  in  der  Überdichtung  der  Historia  regum  Britan- 
*^^>   des   Gotfried  von  Monmouth  dun^h  Wace,   der   unmöglich   nach 
^^^^>^cr  art  der  behandlung  dieses  werks  den  gral  hätte  übergehen  kön- 
^^*>^ ,  wenn   er   spuren   davon   darin   oder  anderswoher  entdeckt  hätte, 
^^lits  vom  gral  zu  finden  ist,  so  ist  als  feststehend  anzunehmen,  dass 
^tw^  bis  zum  jähre  1150  oder  1160,  da  er  schrieb,  Borons  werk:  „le 
*^*^it  Graal"  der  dichterische  stamm  und  anfangspunkt  der  gralgeschich- 


288  SAN  MABTB 

ten  ist,  aiis  dem  vorzugsweise  Crestiens  „Conte  du  Graal*,  und  ii 
überraschender  mannigfaltigkeit  und  in  kurzen  fristen  dessen  fortsetzui 
gen  und  die  weiteren  gralromane  emporschössen. 

Wesentliche  beitrage  zur  deutlicheren  überschau  der  tätigkeit  d< 
französischen  dichter  liefert  das  unten  bezeichnete  verdienstvolle  wer^" 
Schürbachs ^    Die  umfangreiche  fortsetzung,   welche  im  14.  jahiiiai 
dert  die  elsässischen  dichter  Claus  Wisse  und  Philipp  Colin  dem 
sterwork  Wolft'ams  von  Eschenbach  einfügten,  wird  hier  zum  ersten  mtkl 
vcröfFentlicht     „Gehört  auch  das  ergänzungswerk  (bemerkt  der  herai 
geber)  in  die  verfalzeit  der  ritterlichen  poesic,   so  beansprucht  es  dcx? 
als  ein  nicht   unwesentliches  glied   in   der   kette   der   dichtungen 
Artus    tafeirunde    und    dem    grale    und   als   wertvolle   quelle    für   rl»     e 
geschichte  des  elsässischen  dialekts  im  mittelalter  ein  besonderes  inte^Kz:- 
essc.''  —  Über  diesen  lezteren  punkt  hat  sich  der  herausgeber  s.  XLa^KI 
einen  besonderen  ausführlichen  aufsatz,   der  sich  auch  auf  die  dicht;« 
rische  tätigkeit  und  befahigung  von  Wisse  und  Colin  erstrecken  wLx" 
zur  mitteilung   in   den   „ Strassburger  Studien"  vorbehalten,   der   dalm^^^r 
abzuwarten  ist,  und  die  philologische  betrachtung  des  werkes  in  dies^^^^r 
anzeige  ausschliesst.     Dagegen  trägt  die  wörtliche  Übersetzung  der  fni.i 
zösischen  dichtung  so  manches   licht   in  jenes  noch  immer  nicht  n 
ständig  aufgeklärte  littcraturgebict,   dass  es  sich  lohnt,   dieser   ^heii 
rung",   wie  Colin  sagen  würde,   sofort  gründlicher  nachzugehen,   u' 
vielleicht   zu   weiteren   speziellen   forschungen   neue   wege   zu   bahne] 
oder  wenigstens  anregung  dazu  zu  geben.     Als  ein  besonderer  glücke 
fall  ist  es  anzusehen,   dass  wir  in  dem  prächtigen  Donaueschinger 
dex,  den  der  herausgeber  ausfülirlicli  beschreibt,  und  dem  schon  Victc::^^^'*  • 
V.  Scheffel,  als  er  der  Donaueschinger  bibliothek  vorstand,  eine  beact^^" 
tungswerte  Schilderung  (Hdschr.  altdeutscher  dichtungen  der  fürstliche     ^ 
Fürstenbergschen  hofbibliothek  zu  Donaueschingen.    Stuttgart,  1859. 
S.  15  — 18)   widmete,   die  von  Barak  in  seinem  Verzeichnis  der  han^ 
Schriften  dieser  bibliothek  (Tübingen,  1865,  8.   S.  88  —  93)  weiter  ve] 
wertet  ward,   die   Originalhandschrift   der   dichterischen   überset^^ 
der  französischen  fortsetzungen  von  Crestiens  Conte  du  Gnud  besitzer""^^^' 
wie  sie  aus  dem  scriptorio  derselben  hervorgieng.     Die  darin 
fügten  persönli(^hen  bemerkungen  geben  ein  deutliches  bild  von  der  en^ 


1)  Parcifal  von  Claus  Wisse  und  Philipp  Colin  (1331  —  1336). 
zung  der  dichtung  "Wolframs  v.  Eschenbach.  Zum  ersten  male  herausgegeben  vf^^ 
Karl  Schorbach.  Strassburg,  Trübncr;  London,  Trübner  &  Cp.  1888.  (Zuglei«^^ 
fünfter  band  der  Elsässischen  litteraturdonkmäler  usw.  von  E.  Martin  und  £.  Schmiöt:  - ./ 


i 


BILDUNOSOANO  DER  aRALDICHTUNO  289 

long  derartiger  werke,   das   als  spezielles  beispiel   auch  für  andere 
liehe  flUle  wird  gelten  dürfen. 

Ulrich  von  Bappoltstein,  aus  dem  mächtigen  und  zahlreichen 
relsassischen  adelsgeschlecht  der  Bappoltsteiner,  beauftragte  einen  in 
lem  gewerbe  zurückgekommenen  goldschmied  Philipp  Colin,  und 
m  gleichfals   einer  goldschmiedsfamilie   angehörigen  Claus  Wisse, 

der  poetischen  Übersetzung  der  fortsetzungen  des  romans  Conte  du 
ä1  des  Crestien  de  Troies  aus  dem  französischen  ins  deutsche,  und 
te  ihnen  dazu  zwei  Schreiber,  namens  Henselin  und  von  Onheim 

dlsposition,  welche  ihre  arbeit  auch  beide  in  ihrer  erkenbar  ver- 
ledenen  handschrift  zu  stände  brachten.  Da  damals  im  Elsass  die 
tsche  spräche  noch  die  herschende  war,  und  sie  französisch  nicht 
standen,  wurde  ihnen  als  dolmetscher  ein  Jude,  Samson  Pine  zur 
fe  gegeben, 

Sp.  854,  28:  der  het  sine  xit  oiich  wol  bewant, 

an  dirre  oventure. 
er  tet  unx  die  stilre: 
wax  wir  xuo  rimen  hant  bereit, 
do  het  er  u?ix  dax  tücksch  geseit 
von  den  oventurefi  allen  gar. 
ich  tvünsche,  dax  er  ivol  gevar 
als  ein  Jude  noch  sinre  e. 
er  enbegerte  anders  nüt  nie, 

scheint  also  hausoffiziant  des  herm  Ulrich  (etwa  sein  finanzier) 
0^esen  zu  sein,  und  deshalb  ohne  besonderen  lohn  geholfen  zu  haben. 
'S  bestärkt  die  auch  vom  herausgeber  geteilte  Vermutung,  dass  die 
htung  auch  an  dessen  wohnsitz,  auf  dem  Gross -Rappoltsteiner  schloss 
srtigt  worden,  jezt  S.  Ulrichsburg,  „dessen  mächtige  ruinen  noch 
ite  auf  das  freundliche   Städtchen  Rappoltsweiler  herabblicken,   und 

Wahrzeichen  sind  für  das  an  naturschönheiten  so  reiche  elsässische 
d.**  —  Fünf  jähre,  von  1331  bis  1336,  ist  daran  gearbeitet,  wie 
6  beischriften  der  Schreiber  ersichtlich,  und  Colin  berechnet  die  kosten 

seinem  Schlussbriefe  an  den  herm  Ulrich  auf  200  pfund,  die  er 
och  nicht  zu  hoch  achtet,  da  ein  ritterlicher  minner  eine  solche 
Dme  wol  in  kurzer  stunde  ati  eime  orse  verstichet. 

Sp.  854,  44:  fiu  bin  ich  sicher  unde  wer 

unser  kost  si  angeleit  bax. 
an  alle  frowen  xühe  ich  dax 

CtTSCHRIFT  F.   DEUTSCHE  FinLOLOGIE.      BD.  XXn.  19 


200  SAN  MARIE 

tmd  an  rehte  minnerv, 
die  von  discn  hildere 
iverdent  rehter  minnr 
und  wonn  aiicli   das   in   der   diehtunf>:  i: 
/-cit  niclit  mehr  entspricht  und  zur  uarh.j! 
kosteuaufvvand    doch,    dass   wir    nach    i 
unsem  chmk  und  pi^is  für  das  geschal' 
den  Riippoltsteiner  nachrufen  können, 
grafen  Götze  v.  Eiirstenberg,  im  I 
namen  Herzelaudo  (französiert  L<»v 
bornes  töchterchen  ebenfals  Herzoh»'. 
dige  urkundlich  nicht  verfolgburc 
Farcifalhandschrift  wider  in  dfMi 
berg,  dem  Herzelaude  angehörte 
beweis  liefeii,  wie  in  beiden  Ip 
liebe  zur  deutschen  litteratur. 
epos  heimisch  war/ 

Die  sonstigen  notizt^n 
nen  und  &milien  sind    i 
und  dürften  voriäufig  wV 
tem  abgelegten  proben 
der  gewantere  in  sei?^ 
anevang  oder  prolotr 
yerse  einfisu^  und  < 
mit  dem  yeismas^ 
das  —  ieso  — 
dem  franzSsiscl 
eigne  bemerkt- 
Q  b^benf 
1  06  mit 

JB  sie 


1.  ••• 

1" 


BILDUNG  so  ANO  DER  ORALDICHTÜNO  291 

absfnche,  zasätze  und  änderungen  gewissermassen  neu  redigieren,  um 
die  abweichungen  und  Widersprüche  nach  möglichkeit  zu  beseitigen, 
die  sich  aus  den  fortsotzungen  ergaben,  was  ihnen  jedoch  nicht  vol- 
ständig  gelang.  Dass  diese  redaktion  gleichwol  mit  grosser  aufmerk- 
samkeit  auch  bis  ins  kleine  des  textes  gieng,  zeigt  die  Verbesserung 
des  fehlreimes  Wolframs  P.  46,  1,  2.  BaxaU^  —  wip  durch  einschie- 
bung  zweier  zeilen: 

gant  har,  min  herre  Bazalig, 
trettent  an  der  seiden  stig, 
ir  süUent  küssen  min  taip 
die  mir  liep  ist  als  der  Itp. 

Sämtliche  zusätze  und  änderungen  an  Wolframs  texte  hat  der  heraus- 
geber  sorgfaltig  s.  XLVI  bis  LVI  verzeichnet  Aus  der  vergleichung 
niit  Lachmanns  kritischer  ausgäbe  des  Parzival  ist  ersichüich,  dass 
ihnen  eine  gute  handschrift  zu  geböte  stand,  die  sie  sehr  sauber  kopier- 
*ön.  Der  französische  codex  scheint  auch  die  im  13.  Jahrhundert  dem 
^erke  Crestiens  vorgesezte,  auch  im  Pariser  druck  von  1530  widorholte 
*^d  nur  im  Monsser  manuscript  handschriftlich  erhaltene  „Elucidation 
^sw.**  enthalten  zu  haben,  deren  erste  474  zeilen  (Potvin,  11,  s.  1 — 17) 
dem  Wisse  das  material  zu  seinem  504  verse  langen  Prodromus  oder 
^^^^fang  gaben  mit  der  Überschrift: 

„  So  hebet  kie  an  der  prologiis  van  Parcifal,  der  us  tvelscliem  xuo 
iiischem  ist  gemäht,  unde  vohet  hie  sine  kintkeit  an", 

^^X"    hinter  unserm  P.  112,  11,  12  eingeschoben  ward,   nachdem  nach 
*^-   112,  10  die  rote  Überschrift  gemacht  wurde: 

y,Hie  ist  künig  Oamuretes  buoch  ics,  der  Pardfales  vatter  tvas/^ 

^^  Colin  bemerkt,  dass  Wisse  schon  ein  jähr  vor  ihm  an  der  hand- 
®^hrtft  gearbeitet,  und  dieser  am  schluss  des  vierten  buches  unsers 
"^i^val  (L  223,  30)  in  18  versen  eine  bitte  um  lohn  seiner  arbeit  an 
^le^^m  buche  einschiebt,  so  scheint  Wisse  zu  dieser  zeit  ausgeschie- 
*^^ix  zu  sein  und  Collin  das  werk  allein  fortgeführt  zu  haben.  Da  Col- 
^"^  am  schluss  seines  briefes  an  Ulrich  auch  die  bitte  um  lohn  aus- 
^P^cht,  so  ist  nicht  anzunehmen,  dass  auch  die  erstere  von  ihm  sei. 

Ein  zweites  exemplar  der  Übersetzung  von  Wisse  und  Colin  bil- 

r^^^     die   von  H.  v.  d.  Hagen   (Briefe  in  die  heimat,  II,  304)   in    der 

^^cmaüschen  bibliothek  zu  Kom  i.  j.  1816  entdeckte  handschrift,   aus 

^Icdier  A.  V.  Keller  in  seiner  ßomvart  (Mannheim,  1844)  anfang  und 

^«   und   die   kapitelüberschriften  mitteilte,   und  die  auch  Schorbach 

19* 


202  SAN  HARTE 

teilweise  verglichen,  und  als  eine  abschrift  der  Donaueschinger  band 
Schrift  erkant  hat,  worin  aber  durch  die  abschreiber  der  oberelsasae 
dialekt  sehr  verwischt  ist  Von  besonderem  wert  war  es  jedoch,  das 
aus  ihr  die  durch  das  fehlen  zweier  blätter  in  lezterer  handschrift  enl 
standene  lückc  ergänzt  werden  kontc.  Am  schluss  des  vierzehnte 
buches  unsers  Parzival  folgt  in  der  Originalhandschrift  eine  von  Heu 
selins  genossen  rot  geschriebene  prosanotiz,  welche  den  Übergang  de 
Wolfranischen  textes  zur  fortsetzung  durch  unsere  Übersetzer  vermit 
teln  soll  (s.  XIIl),  deren  leztor  teil  lautet:  ,yNu  gesivyen  tcir  kam 
Artuses  hie  und  sagent  von  kern  Oawane,  wie  der  xuom  ersten  mol 
xuome  grole  kam,  tnid  ist  anch  dax.  von  iceische  xuo  tüxsehe  brahi 
des  sin  me  ist  danne  der  tüxsehe  Parxefal,  der  nu  tätige  getihtet  isi 
und  alles  dax  hie  nach  geschriben  stat,  das  ist  ouch  Parxefal  und  is 
wn  welsche  xno  tüxsehe  brahi  iuid  volletihtet  und  xuo  ende  brahi 
Ihs  gesehaeh  do  men  xalte  von  goex  gebürte  drixehunderi  jor  un\ 
drisxig  jor  in  deme  sehsten  jore'^-  wodurch  das  alter  der  band 
Schrift  imzweifelhaft  festgostelt  wird.  Nach  von  Kellers  bemerkung  ifi 
diese  beischrift  als  Überschrift  und  titel  des  casanatischen  co 
dex  n>t  gesehrieben,  wörtlich  widerholt,  und  da  der  text  begint:  „hi 
im  xorn  iw*  dannen  schiet  Gairan*',  so  ist  zu  entnehmen,  dass  \i 
diesem  iHxlex  Wisses  Prodromus  nicht  mitenthalten  war.  —  Das  vor 
honuisgi^bor  angofiigte  namenrt^ister  ist  ein  hi)chst  wilkommener  un 
dankl)ar  anzuerkennender  leitfoden  durch  die  iigänge  dieser  aventürer 
Wildnis.  IX^r  text  ist  in  zwei  spalten  von  einigen  vierzig  versen  ai 
jeder  oktavseite  gedruckt«  daher  nach  spaltenzahl  zu  citieren  ist 

Si)  viel  über  das  deutsche  manusoript  Bevor  ich  aber  auf  dei 
oben  bozoiohneten  wege  weiter  gehe  zur  botrachtung  des  zum  grund 
lit^^ndeu  fmnzi^isohen  oinlex,  befinde  ich  mich  in  derselben  notlag 
wie  Scholl  bei  Ä>iner  ausgäbe  von  Heinrichs  von  dem  Türlin  Krön 
(Stutt^nirt.  litt-  veivin,  1S52.  s.  XV),  wie  Kochat  bei  seiner  litten 
rischon  abhandlung  über  das  Bomer  ms.  des  Parzival  (Zürich.  Kies 
liug,  ISW,  s.  XU  imd  wie  Biroh-Hirschfeid  in  seiner  gralsagi 
zuvor  eine  übersieht  dosi  inhalts  des  franzC^sohen  cediohrs  «reben  i 
mü:i^^n«  da  ohne  de^f^ni  nähere  kentnis  s^nne  lim^rirfei>:orisehe  bedei 
tuiu:  nicht  i^^wür\li£:t,  und  die  daraus  ru  xiohenden  folirerunc^n  nid 
versiJüldlich  worden  können.  Zwarfoioh  winl  es  cowi>s  auch  vielen  wi 
kommen  ^nn,  wenn  ihnen  iladun*  die  \v:>t5ind:i^^  ei^ne  lesuns  d< 
:^69S4  voRJO  dor  umdiehtung  >Ävnipa^nis  n^i;woi>^^  ersjvÄrt  worden  kani 
zumal  dar^m  der  ixHHiÄ*o  j^^uiv^  nk^ii  durv^xi^iir.c  Krrri-xiiirun^  finde 
moehto. 


BILDUNGSGANG   DEB  ORALDICHTUNG  203 

Gedrftngto  Inhaltsangabe. 

L.  730,  23:  Oäwän  wit  die  gesellen  sin 

nämen  urloup, 

Spalte  1.    Gawan  scheidet  im  zome  von  Joflanze,  um  den  blu- 
tenden Speer  zu  suchen,   doch  ivüst  er  nüi,   mi  welcher  steile  (1,  16). 
Er  gelangt  zu  einer  schönen  bürg  auf  hohem  feken,   wo  er  ehrenvoll 
und  gastlich  von  dem  kranken   auf  prächtigem  bette  gelagerten  wirte 
empfangen  wird.    Er  sezt  sich  zu  ihm,  die  tafeln  werden  aufgeschlagen 
für  eine  zahlreiche  ritterschaft,   und  eine  bahre  wird  vorgetragen,   auf 
der  unter  reichen  decken  ein  leichnam  liegt,  und  obenauf  ein  zerbroche- 
nes Schwert,   das  dem  wirte  von  siner  megin  einer  durch  liebe  tifid 
früntlieh  art  gesant  war  (6,  42).    Dann  wurde  eine  goldne  patene,  der 
blutende  speer  und  von  einer  heftig  weinenden  jungftau  der  gral  im 
saale  herumgetragen,   und  nach  deren  abgang  Gawan  das  schwort  mit 
dem  ersuchen  vorgelegt,  die  stücke  zusammen  zu  setzen.    Es  gelingt 
ihm  jedoch   nicht,    und   auf   seine    eifrige    nachfrage,    was   dies   alles 
bedeute,  erklärt  ihm  der  wirt,   er  sei  noch  nicht  reif,   die  geheimnisse 
dieser  dinge  zu  erfahren. 

her  Qawan  nam  der  rede  war 

und  horchete  so  vil  an  sine  tvort, 

dax  er  uf  der  iovelen  ort 

entsUef,  dax  sage  ich  sunder  lug  (7,  44  fg.). 

So  durchschlief  er  die  ganze  nacht,  und  fand  sich  am  morgen  unter 
einer  eiche  liegend,  ross  und  wafFen  neben  sich,  aber  die  bürg  ent- 
schwunden. Mit  leide  grimmig  was  sin  xom  (8,  20).  Er  wafnet  sich 
^d  reitet  weiter. 

Sp.  8.     Hie  stritet  her  Qawan  ynit  Dgnasdanres. 

Gawan  begegnet  einer  dame  mit  einem  ritter,  der,  als  Gawan 
^^h  nent,  ihn  des  mordes  seines  vaters  bezüchtigt.  Nach  hartem  unent- 
schiedenem kämpfe  verabreden  sie  dessen  fortsetzung  am  hofe  des 
Königs  von  Kavalun.  Dort  angekommen,  fordert  ihn  der  mächtige 
*^pe  Gynganbertil  auf,  den  ihm  früher  zugesagten  streit  sofort  mit 
^*ii  auszufechten. 

Sp.  13.     Hie  sprechent  xwene  Qawan  kämpf  ex  an  xuo  Kavalun. 

Der  könig  von  Eavalun  beruft  einen  rat  der  barone,  welcher  ent- 
^heidet,  dass  Gawan  mit  beiden  kämpfem  zugleich  fechten  soll.  Ein 
i^ker  benachrichtigt  Artus  von  dem  ungerechten  spruch,  dieser  eilt 
*^^rbei  und  stiftet  Versöhnung,  indem  er  dem  einen  seine  nichte  Tanate 
^nd  dem  andern  deren  muhme  Ciarate  zur  ehe  gibt    Der  könig  von 


204  SAN  HARTE 

Kavalun  iind  andi-e  forsten  geben  ihm  ihr  land  zu  lehn;  nur  ein 
Brun  von  Mieland  weigert  sich  und  scheidet  vom  hofe. 

Sp.  21.    Hie  teil  künig  Artus  Brun  von  Meilan  bdigen. 

Artus  zieht  deshalb  mit  vielen  namentlich  genanten  fürsten  u^^'^^ 
rittem  und  grosser  heeresmacht  gegen  die  feste  bürg  und  Stadt  M^^^ 
laut,  die  hart  belagert,  doch  tapfer  verteidigt  wird.  Bei  einem  glüc--^ — ^' 
liehen  ausfall  zur  verproviantierung  wird  Gawan  so  schwer  verwund^^®^ 
dass  er  erst  nach  14  wochen  wider  sein  liebes  ross  Gringalet  besteig^^sn 
kann.    Er  trent  sich  vom  beere,  um  andern  abenteuern  nachzugehn. 

Sp.  33.     Hie  kämet  her    Oawan  xuo   BrandaUns  swester  ttf^^Bd 
tvürt  viit  Brandalin  vehiende. 

In  schöner  Waldgegend,   unter  lieblichem  vogelgesang  hinreitei^^d 
findet  Gawan  am  dritten  tage  unter  einer  eiche  ein  prächtiges  zeit  wm    f- 
geschlagen,  in  welchem  auf  einem  ruhebett  ein  schönes  mädchen  schlfi^R 
Auf  seinen  gruss,   und  da  er  sich  als  Gawan  zu  erkennen  gibt,  biet-^^ 
sie  ihm  ihre  minne  an,  und  unter  freude  und  lachen  erwarp  er  gexcim- 
gcfiliche  der  minnen  spil  (37,  26). 

Sp.  37,  29:    ir  megede  nam  verlor  sü  sam; 

juncfroive  und  liep  heisset  nu  ir  fiam. 

Nachdem  er  versprochen,   sie  einzuholen,   reitet  er  weiter.    BiiJi^d 
kam  ihr  vater  zu  ihr  in  das  zeit,  dem  sie  das  ereignis  bekont,  und  d. 
nun  wütend  Gawan  nacheilt,   aber  im  kämpfe  von  Gawan  tötlicb 
wundet  wird.    Ebenso  komt  der  bruder  der  entehrten,   Bran  von 
nachgerant,  findet  den  vater  tot   und  ficht  mit  Oawan,  bis  beide  si 
ohnmächtig  fühlen  und  die  fortsetzung   des   kampfes  vertagen, 
erschöpft  kehrt  Gawan  zu  Artus  nach  Mielant  zurück,   und  heilt 
monate  an  seinen  wunden.    Brandalins  Schwester  Aclervis  {sa  seror 
der   vis,    ihr   wirklicher  name   ist  nach   sp.  255,  12  Gylorette)    a 
genas  eines  söhnchens.     Die   Stadt  Mielant   ergab   sich  endlich: 
nahm   sie  in  besitz  und  verteilte   das   land   an   seine  vasallen.    Au 
Brun  erhielt  sein  teil. 

Sp.  45.     Hie  vohei  Karados  buoch  an. 

Als  Artus  im  ersten  jähre  vor  Mielant  lag,  gab  er  seine 
Isevo  von  Karoes  dem  könig  Karode  von  Nantes  ziur  die.    Ein  zau 
kundiger  rittor  Elyafres  schiebt  jedoch  dem  Karode  eine  fialsche  Ise 
unter  und  schläft  selber  bei  der  echten,  die  von  ihm  ein  kind  empfieO; 
das  Karadot  genant  und  als  Karades  söhn  an  Artus  hofe  erzogen  w 
Bei  seiner  festlichen  schwertleite  kam  ein  ritter  und  fordert,  man  aol 
ihm    den   köpf  abschlagen:   er  werde  übers  jähr  wider  kommen  nn 
den  gleichen  schlag  an  dem  schlagenden  erwidern. 


BILDUNGSGANG  DEB  ORALDICHTÜNG  295 

Sp.  51.     Hie  öget  Elyafres  sine  xouverie. 

Als  alle  andern  zögern  haut  Caradot  dem  Elya&es  den  köpf  ab, 
dieser  sieh  doch  sogleich  wider  au&ezt  und  mit  dem  versprechen 
al^g-eht,  übers  jähr  an  Caradot  das  gleiche  zu  tun. 

Sp.  54.   Hie  bevindet  Karaelos,  dax  Elyafres  sin  vatter  was^  und 
tuowid  er  doch  künig  Karade  sun  sin. 

Nach  einem  jähre,  zu  pfingsten  kam  Elyafres  wider  zum  entsetzen 
des  hofes  zu  Artus,  schlug  aber  nicht  dem  Earados  den  köpf  ab,  son- 
dern vertraute  ihm  allein  das  geheimnis  seiner  geburt,  worüber  Kara- 
dos  empört  die  ehre  seiner  mutter  rächen  will.  Jener  entflieht  eilig, 
und  Earados  eilt  zu  seinen  eitern  nach  Nantes  und  erzählt,  was  ge- 
schehen. Der  könig  Earode  spert  erzürnt  seine  gemahlin  in  einen 
festen  türm,  wo  sie  jedoch  der  Zauberer  heimlich  oft  zu  besuchen 
weiss,  und  sie  herlich  und  in  freuden  leben.  Earadot  geht  nun  nach 
Karlowe  zum  pfingstfest  an  Artus  hof  auf  ritterschaft.  Dazu  erscheint 
aach  Eadors  von  Eomwale  mit  seiner  schönen  Schwester  Gyngeniers. 
Fnterw^  begegnet  ihnen  jedoch  Alardins  vom  see,  der  um  die  Schwe- 
ster schon  lange  vergeblich  warb,  und  sie  jezt  fordert.  Im  kämpf  des- 
hall)  unterliegt  Eadors,  doch  während  Alardins  die  Schwester  mit  gewalt 
fortfuhren  will,  komt  Earados  ihr  zu  hülfe,  Alardin  muss  sich  orge- 
ben, und  sie  führen  den  verwundeten  Eadors  mit  sich  fort 

Sp.  67.  Hie  kumt  Karados  xuo  Alardins  gexeU,  das  zauberisch 
göschmückt  auf  einer  schönen  wieso  prangt,  und  worin  junker  und 
niägde  fröhlich  tanzen  und  musizieren.  Sie  werden  von  Alardins 
Schwester,  die  von  dem  pavelune  ward  genant,  aufe  beste  empfangen. 
J^i©  drei  ritter,  Eadors,  Alardin  und  Earados  schwören  sich  freund- 
schaft  und  wollen  zu  einem  feste  an  Artus  hof  nach  Earliun  sich  auf- 
^^acheiL 

Sp.  73.     Hie  hmnment  Karados  und  Alardin  und  Kadors  xuo 
^^^etn  tumei  xu  künig  Artus  hof ,  mit  im  stvestem  beiden. 

Sie  rüsten  sich  prächtig  zum  tumier,  in  welchem  die  könige  Bis 

^oti  Qales  und  Eadvalan  von  Irland  um  die  schöne  Gyngenor  kämpfen 

^^llen,   die  aber  beide  verschmäht     Alardin   erbietet  sich  zu   ihrem 

^^pen,  und  sie  gibt  ihm  einen  ärmel  ihres  kleides,   den  er  als  klei- 

^^^    an  seine  lanze  befestigt     Sie  ist  Artus  niftel,   Schwester  Gawans, 

^^hter  des   Gramoflan    imd    der  Ttonia.      Ein    harter    langer  kämpf 

I^BUit,  in  dem   auch  Eador   die   aufinerksamkeit   der  schönen  Tden, 

^^ans  niftel,  erregt    Alardin  schickt  ihn  mit  einem  ersiegten  rosse 

^    Gyngenor,   die  Ydens  neigung  zu  Eador  unterstüzt     Sie  gab   an 

lor  eine  lanze,  und  dieser  sante  ihr  auch  ein  erbeutetes  ross.    Der 


296  SAN  HARTE 

kämpf  wird  immer  algemeiner:  Twein,  Sagremors,  Parzival,  Keye, 
Ywon  beteiligen  sich.  Endlich  sind  Bis  und  Eadvalan  überwunden, 
Parzival  gibt  seine  besiegten  an  die  Jungfrau  von  Pavelune,  Endlich 
tritt  ruhe  ein  und  Karados  macht  sich  dem  Gawan,  zu  dessen  freude, 
als  den  söhn  Tsewens  bekant  Artus  gibt  seine  niftel  Gyngenor  dem 
Alardin,  die  schöne  Yden  dem  Eador,  und  die  von  Favelune  einem 
hochgebomen  ritter  zur  ehe,  efes  name  sol  verborgen  sin.  Alle  ziehen 
heim,  ich  muox  ?iu  ander  mere  sagen, 

Sp.  109.  Hie  het  der  turnet  ein  ende,  und  vnl  von  Karados 
muoter  sagen. 

Die  gefangene  Ysewe  sezte  die  buhlschaft  mit  Elyavres  fort,  der 
sie  mit  Zauberkünsten,  musik  und  tanz  unterhielt  Dem  dichter  tut  es 
leid,  dergleichen  über  ein  weib  berichten  zu  müssen.  Endlich  gelingt 
es  Karados,  den  Zauberer  in  dem  türme,  der  Büffby  (daz  heixxei  hoch- 
fart)  noch  im  lande  genant  wird,  einzufangen,  den  könig  Earode  wü- 
tend will  schinden  lassen,  und  zum  schimpfe  mit  einer  jagdhündin, 
einer  lenne  (scortum)  und  einer  futschen  (ungezähmtes  fohlen?)  zusam- 
monspert  Auf  Karados  bitten,  und  nachdem  jener  geschworen,  nie 
widerzukehren,  wird  er  jedoch  entlassen;  als  er  aber  der  königin  gesagt, 
wie  er  gemishandelt  worden,  fordert  sie,  räche  an  Karados  zu  nehmen; 
Elyavres  weigert  sich  jedoch,  da  der  ja  sein  söhn  sei.  Sie  beschliessen, 
ihm  zwar  nicht  den  tod  zu  geben,  aber  ein  anderes  leid  zu  bereiten. 

Sp.  115.  Hie  machet  Elyavres  und  Karados  muoter,  dax  Kara- 
dos  7nit  eime  slange7i  ward  bekürnbert, 

Elyavres  sezt  eine  schlänge  in  ein  kästchen,  das  Karados  öfhen 
soll,  wenn  er  zu  seiner  mutter  komt.  Bei  seiner  öfhung  aber  windet 
die  schlänge  sich  so  fest  um  seinen  arm,  dass  keine  menschliche  kunst 
sie  zu  entfernen  vermag.  Nach  langer  vergeblicher  kur  sucht  er  heim- 
lich entfliehend  bei  einem  einsiedler  in  dessen  kapeile  Zuflucht  Artus, 
so  wie  Kador  von  Kornaval  mit  Gyngenior  eilen  nach  Nantes  auf  die 
nachricht  seines  verschwindens,  während  Karados,  geistig  ganz  nieder- 
gebeugt, ein  einsiedlergewand  angelegt  hat,  um  unerkant  zu  bleiben. 
Kador  lässt  ganz  Europa  nach  ihm  durchsuchen,  doch  lange  vergebens. 
Karados  besuchte  öfters  noch  eine  andere  kapello  zum  gottesdienst  bei 
deren  mönchen,  und  hier  entdeckt  den  verlornen  endlich  Kador  zu 
seiner  grossen  freude. 

Sp.  142.     Hie  het  Kador  Karadosse^i  funden, 

Sp.  150.  Hie  erlöset  Oynge^ner  ir  Uep  Karados  von  dem  slan- 
gen,  der  sich  umbe  sinen  arm  getvwiden  het. 


p  BiLDüKosatni}  DBB  aiui,wcim»Q  297 

I  UnUr  beschwürang  imd  segen  der  klosterleutf  wird  die  schlänge 

I  getötet,  beisst  aber  vorher  der  über  sie  geb'eugton  Gyngeiiier  eine  brust- 
I  waree  ab.  Dio  schlänge  hat  einen  teil  des  armes  verzehrt,  deswegen 
I  faiess  Kanidot  hinfort  Briebraa  [khiuarm).  Arm  imd  bnist  werden 
I  bald  geheilt,  und  alle  lande  &euen  sich  der  widerkehr  Karadots  und 
I  geiner  geliebten.  Der  ungetreuen  königin  wird  verziehen  und  Artus 
I  bereitet  die  vemmblung  KaradotK  mit  Gyngenier.  Bald  stirbt  der  könig 
I  £ador  und  Artus  verleiht  dem  Eoradot  dessen  reich.  Er  ward 
\  ein  künit/  her, 

biderfie,  mute,  kurteia; 
ffollc  xe  dienende  er  sieh  fids. 
Sp.  IßO.     Ilic  kumet  Imnig  Karados  mi  Alaidin  in  .tinc  biirij. 
Auf  einem  jagdzugo,    der   durch    ungowitter   gestört   wii'd,   komt 
das  junge  ehepaar  zu  einer  herli('h  gelegenen  bürg  und  wird  von  AJar- 
din  höchst  gastlich  empfangen.     Am  andern  morgen  schenkt  dieser  ein 
Lvon  seinem  schild  gebrochenes  goldnes  platcben  dem  Karadot,  dae  an 
l^io  stelle  der  von    der  schlänge   abgobissnen  brustwarzo  gelegt,   diese 
Freudig  ziehen  sie  heim;  die  goldne  warze  verwächst  mit  dem 
fleische,    doch  verbietet  Karadot  der  Gyngenier,   sie  irgend  wem  sehen 
lassen,  sondern  stets  mit  einem  tuch  zu  verhüllen.  —   Da  entbietet 
rtus  die  beglückton  zu  einem  feste  nach  Karliun. 

Sp.  165.     Di%  ist  die   aventüre   vomrne  liorite,   so   mau    vasscr 
rill  schütte,  der  wart  zuo  guten  leine. 

Bei   dem  feste  schenkt  ein  stolzer  ritter  dem   köuig  Artus  ein 
rächtiges  trinkhorn  mit  goid  und  elfenbein,  doch  mit  dem  bemerken: 
teer  dar  ux  trinket  sunder  utm, 
het  im  sin  Uep  untrUwe  getan 
oder  sin  etich  ivip, 
der  win  begüsset  sinen  lip. 
Die  königin  warnt  lebhaft  Artus  ihren  gemahl,  den  versuch  au  machen; 
doch    er  wagt   es   und  vergiesst    richtig  das  getränk.     Gawan,    Ywein, 
Keie,  allen  rittem  des  hofes  geschieht  das  gleiche.    Algemeines  geläch- 
■ter!     Nur  Karadot  gelingt  es,  und  deshalb  fasst  dio  königin  grossen  hass 
Rgegen  Gyngenier:   das  hörn  wird  bonet  genant.     Nach  drei  tagen  endet 
Kdas  fest    Karadot  bleibt  am  hofe;  seine  gemahlin  sendet  er  nach  hause. 
■  Sp.  169.     Hie  hat  Karadas  buoch  ein  eiuie,   und  u-il  sagen  von 

mteünig  Artus,    wie  er  hem   Oyftet  erlösen  icil,   der  get>angcn  lange  uf 
Wjtastel  Orgelus  lag. 

m  Auf  einem  pfingstfest  zu  Kamant  bemerkt  Artus  mit  zom  und 

Isiimut,  dass  Gytlet,  ein  tapferer  tafelrunder,  fehle,    der  beim  feldzuge, 


298  SAN  MABIB 

den  die  ritter  auf  eigne  band  ohne  seine  fiihrung  getan,  gefangen  und 
von  ihnen  im  stich  gelassen  sei.  Mit  fiinfisehn  auserwählten  bricht  er 
auf,  denselben  zu  befreien.  Auf  einer  wiese  rastend,  wird  Eeie  auf 
nahrung  ausgeschickt,  der  zu  einer  bürg  gewiesen  wird,  wo  er  in  der 
küche  einen  zwerg,  einen  pfau  bratend,  findet,  den  er  verlangt,  jener 
doch  verweigert  und  deshalb  geschlagen  wird.  Da  tritt  ein  statlicher 
ritter  hinzu. 

Sp.  182.     Hie  toart  Kein  geslagefi  mit  eime  gebrotenen  pfowen. 

Erzürnt  schlägt  der  ritter  mit  dem  bratspiess  samt  pCau  auf  Kein 
los,  und  andre  knechte  jagen  ihn  zur  bürg  hinaus.  Auf  diesen  bericht 
an  Artus  begibt  sich  Oawan  in  die  bürg,  und  der  herr  derselben  nimt 
alle  gastlich  in  herberge.  Es  ist  Ydiers  der  schöne.  Artus  lehnt  des- 
sen angebotene  begleitung  ab.  Weiter  gelangen  sie  zu  einem  hause  und 
kirchhofe,  wo  an  100  klausner  sassen  imd  speisten;  dabei  ist  ein  wun- 
derschöner garten,  dessen  geheimnis  der  dichter  hier  noch  verschweigen 
will.  Kach  zwei  tagen  reiten  sie  weiter  und  kommen  zu  einer  stadt 
und  bürg,  die  herlich  geschmückt  war.  Im  saale  des  Schlosses  finden 
sie  voll  gedeckte  tafeln,  aber  niemand  empfangt  sia  Gleichwol  neh- 
men sie  platz  daran. 

Sp.  191.  Hie  kam  ku7iig  Artus  xuo  Lis  von  ungeschihty  kern 
BrmideUns  btirg. 

Plötzlich  springt  Gawan  auf,  wapnet  sich  und  sezt  sich  wider, 
indem  er  durch  eine  tür  in  einer  kammer  den  schild  des  Bran  de  Lis 
bemerkt  und  erkent,  wo  er  sich  befindet.  Er  erzählt  das  aben teuer 
sp.  33,  und  als  endUch  Bran  de  lis  selbst  erscheint,  bereiten  sie  sich, 
den  damals  verabredeten  kämpf  auszufechten. 

Sp.  211.  Hie  veht  mit  einander  her  Oawan  unde  her  Bran  von  Lis. 

Beide  kämpfen  mit  äusserster  wut  Da  wirft  sich  Braus  Schwe- 
ster mit  ihrem  und  Gawans  fünjQährigen  söhnchen  zwischen  die  auf 
den  tod  erschöpften,  imd  Artus  bringt  die  verzeihimg  imd  Versöhnung 
zu  stände. 

Sp.  222.    Hie  kumet  künig  Artiis  für  kastei  Orgalus. 

Bran  zieht  mit  Artus  gen  Orgalus  und  lagert  sich  vor  der  bürg. 
Es  wird  in  einzelkämpfen  gestritten.  Der  burgherr  (er  heisst  der  reiche 
soldenier)  wird  endlich  von  Gawan  besiegt  und  gibt  den  gefiEuigenen 
Gyflet  (sp.  169)  frei. 

Sp.  250.  Hie  vert  künig  Artus  tvider  hein  von  kastei  Orgabiz, 
U7id  het  sinen  tvillefn  voUetidet  gar. 

Heimgekehrt  finden  sie  in  der  bürg  Lis  grossen  Jammer,  da  der 
kleine  söhn  Gawans,   als  er  vor  der  Stadt  spielte,   war  gestohlen  wer- 


BILDUNOSOANO  DER  ORALDICHTUNG  299 

den.  Bei  dem  kloster  Ormias  schlagen  sie  ein  lager  auf,  und  gehen 
in  Terschiedenen  häufen  nach  dem  knaben  auf  die  suche.  Oawans  lieb 
Gyrolette,  die  mutter  des  kindes,  und  sein  gefolge  will  vier  wochen 
dort  ihrer  rückkehr  harren.  Da  reitet  ohne  gruss  ein  ritter  vorbei,  den 
sie  will  kennen  lernen.  Gawan  gelingt  es,  den  sich  weigernden  in 
gute  zu  ihr  zu  führen,  nachdem  ihn  Eeye  hatte  dazu  zwingen  wollen, 
doch  abgestochen  wurde. 

Sp.  259.     Hie  taiirt  ein  ritter  erschossen  in  Oatvmis  geleite. 

Bevor  sie  zum  lager  gelangen,  tötet  ein  gabelet  den  ritter,  der 
sterbend  Gawanen  bittet,  seine  rüstung  anzulegen,  und  auf  seinem 
rosse  fortzureiten:  das  wisse  den  weg  dahin,  wohin  er  die  künde  des 
geschehenen  bringen  soll.  Demnach  reitet  Gawan  so  gerüstet  in  der 
nacht  bei  grausigem  unwetter  durch  den  wald,  und  als  er  in  einer 
kapelle  ruhe  und  schütz  sucht,  fährt  durch  ein  fenster  hinter  dem  altare 
eine  schreckliche  schwarze  band,  löscht  die  brennenden  kerzen  aus  und 
eine  grauenvoll  klagende  stimme  lässt  sich  hören. 

es  tvax  dex  groles  heimUchkeit 

m 

im  geschiht  2ve  unde  leit 
dem,  der  do  von  sagen  unl, 
tmz  es  sin  sol  uf  dax  xiL 

Qawan  eilt  erschreckt  weiter  und  überlässt  die  zügel  dem  rosse. 

Sp.  264.  Hie  kumet  her  Oawan  xuo  dem  grol  xiio  dem  ande- 
ren  mole. 

Das  ross  trägt  Gawanen  in  einen  herlichen  baumgarten  und  zu 
gebäudcn,  deren  bewohner  ihn  als  ihren  gebieter,  den  erschossnen  rit- 
ter, begrüssen,  da  er  dessen  ross  und  rüstung  führt.  Als  bei  seiner 
umkleidimg  sie  ihren  irtum  erkennen,  ziehen  sich  alle  zurück.  Stutzig 
darüber  geht  Gawan  in  den  grossen  saal.  Da  steht  eine  bahre  mit  der 
prächtig  geschmückten  leiche  eines  ritters,  von  brennenden  kerzen 
umgeben.  Auf  der  leiche  lag  ein  zerbrochenes  schwort  Ein  pfafiFe 
komt  mit  einem  silbernen  kreuze,  und  eine  grosse  schaar  domherren, 
die  sich  um  die  bahre  aufstellen  und  vigilie  singen.  Nach  ihrem 
abgange  blieb  noch  viel  volks  zurück  im  saale.  Darauf  ward  eine  tafel 
gedeckt  und  ein  statlicher  mann  mit  scepter  und  kröne  trat  ein,  und 
nahm  mit  Gawan  an  derselben  platz.  Das  gleiche  tat  die  ritterschaft. 
Der  gral  fuQf  snelleclich  har  und  dar 

für  die  tische  alle  gar 

und  versah  alle  reichlich  mit  speise  und  trank.    Als  die  tafel  aufgeho- 
ben war  und  sich  alle  entfernt  hatten,   bemerkt  Gawan  am  ende  der 


300  SAN  HARTE 

tafol  einen    in  silbernem   gefass  aufgestolten   speer,   von  dessen   spmtsse 
blut  in  das  gefass  floss,  aus  dem  es  einen  weiteren  abfluss  in  ein  gol  ei- 
nes gofäss  hatte.    Da  kam  der  herr  wider  mit  dem  zerbrochnen  8chw<3K-te 
imd  forderte  ihn  auf,   es  zusammen  zu  setzen,  was  ihm  jedoch 
gelang.    Es  gehörte  dem  vorher  erschossnen  ritter.     Da  sagt  der  ho] 
er  sei  der  rechte  nicht,   der  dazu  berufen,  und  solle  wider  komnoi 
wenn  er  beweisen  könne,  dass  er  der  tapferste  ritter  der  weit  sei. 
Oawans  frage  nach  dem  allen,   was  er  gesehen   und   was  gescheh^xi, 
erklärt  ihm   der   herr:    mit  dem   Speere  habe  Longinus   Christi   sem  'te 
durchstochen,   doch  als  er  die  geschichte  des  Schwertes  begint,   schl^Ül 
Gawan  fest  ein.     Wie  beim  ersten  besuch  findet  er  sich  am  morg-'^n 
auf  dem  anger  unter  einer  eiche,  die  bürg  verschwunden,  ross  und  w^i^- 
fen  neben  sich,  und  mit  dem  vorsatz,  femer  durch  rittertaten  sich  d<» 
grals  würdig  zu  machen,  reitet  er  weiter.    Der  dichter  sagt:  er  mii^s-se 
die  materie  kurz  fassen,   und  daher  dürfe  er  nicht  erzählen,   wer  d^^n 
söhn  Gawans  stahl,  ihn  erzog  und  zum  ritter  machte;  es  geschah 

vofi  der  megede  tvunnesam 
die  in  xuo  gesinde  7mm. 
Sp.  276.    Hie  seit  er  von  kern  Gaivaiis  siui  und  toie  in  sin  c^^^^^^" 
tcr  ranf,  her  Gawan, 

Diese  Jungfrau  reitet  eines  tages  fem  zu  einem  an  einer  f^^^ 
bologonen  schön  eingerichteten  zeit,  auf  dem  wege  dahin  sticht  <=J^^ 
jungi\  starke,  doch  in  der  wafFenführung  noch  unerfahrae  kämpe  nt^^^ 

einander  zwei  ritter  nieder.     Da  er  noch  keinen   toten  gesehen,   "ix "^ 

die  toten  ihm  nicht  rede  stehn,  sagt  er:  so  schlaft  denn!  und  lässt  ^*® 

liegen.  Als  Gawan  darauf  die  fürt  durchreitet,  ficht  er  auch  die?^^^^*^ 
an,  der  indess  seine  kraft  wie  sein  Ungeschick  erkent  und  nach  dl^^*^"^ 
nnmon  fragt  Freudig  erkennen  sie  sich,  und  Gawan  stelt  sich  e::=====^^^ 
Jungfrau  zur  Verfügung.  Der  französisclie  Verfasser  scheint  diese  wei  . 
orÄÄhlto  episode  von  anders  woher  hier  eingefügt  zu  haben,  denn  -■■  ^® 
Übersetzer  saigtm  sp.  284,  15: 

UH  han  ich  üch  geion  bekant 

irie  her  Oafran  sinen  snn  tnni 

und  oneh  die  junefrotre  sin^ 
und  »eitor  winl  sjv  287,  3  widerholt: 

hir  het  dox  mer  ein  riwfc  gar 

n>w  hern  tiaicans  ^ni  Mx  har 
naohdeni  noch  erzählt  wonlen,  wie  Gawan  jene  beide  nach  Brittann^      ^ 
führt,   wo   Artus  zwei   monate  zu  Karlaun  still  gelegen,  und  sie 
fnnulen  ompfan^Mi  worden.     Im  fteudengewimmel  stiehlt  ein 


BiLDüHosoAira  nn  qruioohxdiw 

litter  Gawans  ross  und  waffen.    Dem  Ywon  wird  Gawans  soliii  in  fer- 
'  nete  zucht  gegebeu. 

Sp.  287.    Hie  vahet  die  oventür  an  vmnme  swan,    lier  den  loten 
ritler  brohte  uffeii  deni  mer  in  eime  schiffe  xuo  Olomorgan. 

Id  schwüler  gewitteniacht  iiacli  regeo,  blitz  und  donner  gebt  Ar- 
ns  in  eine  Inube  am  nieere;  da  zieht  an  silberner  kette  ein  sf^bwaii 
tfn  hell  erleuchtetes  schiff  hei-au,  worin  ein  schöner  prächtig  geschmück- 
ritter  liegt,  dessen  brüst  jedoch  von  einer  lanze  durchbohrt  ist.  Er 
:  den  leicbnam  in  die  laubo  bringen  und  findet  in  der  tasche  des 
ters  einen  briet",  worin  er  los:  ,,diesor  tote  war  auch  ein  köuig,  der 
»or  seinem  ende  könig  Artus  bat,  dass  er  seinen  leicbnam  in  seinem 
llaste  ausstolle,  bis  ein  ritter  ihm  den  speerschaft  aus  der  brüst  ziehe, 
ler  aber  mit  demselben  eisen  seinen  mürder  erstechen  müsse.  Geschieht 
Hos  nicht  innerhalb  jaliresfrist,  so  möge  man  ihn  begraben.  Bis  dahin 
irerde  er  nicht  verwesen.  Goschiehts,  so  werde  man  am  hofe  erfah- 
,  wer  er  war,  und  wie  er  ungerecht  getötet  worden."  Unter  gros- 
i  geschrei  und  flügelschlag  schwamm  der  schwan  mit  dem  schifleiu 
iBvoii.  Wegen  der  unbesttmtlieit  des  briefes  kann  sich  kein  ritter  eut- 
en,  den  stahl  aus  der  brüst  zu  ziehen,  und  so  blieb  der  tute 
saal  aufgestelt  stehen. 
Sp.  294.  Hie  seil  er,  wie  Qaheries  gescheitdet  wart  in  dem 
garten. 

Gaheries  war  ausgeritten,   seinen  bruder  Oawan  zu  suchen,   und 
gelangt  zu  einer  prächtigen  bürg.     Da  sich  niemand  blicken  lässt,    rei- 
tet er  in  den  saal  und  weiter  in  eine  kammer  mit  drei  herlichen  bet- 
ten.    Hier  bindet  er  sein  pferd  an,  legt  die  waffen  ab  und  geht  weiter 
in  eine  zweite  kammer  mit  zwei  betten  und  in  eine  dritte  mit  einem 
bette,  alle  in  pracht  hergerichtet    Zulezt  blickt  er  in  einen  park,   in 
welchem  zwei  zelte  stehen.     Da  keine  tur  daliin  führt,  springt  er  durch 
ein  grosses  fenster  hinein  und  findet  in   dem   einen  zeit  eine  Jungfrau, 
die  einen  wunden  ritter  pflegt,   der  in   dem  bette  in  den  armen  eines 
I  Junkers  ruht.     Zornig  befiehlt  der  wunde  ritter,   den  dreisten  eindring- 
1  ling  wegzuschaffen.     Ein  bewafneter  zwergritter  greift  ihn  an;  Gaheriee 
Ijc^  die  ihm  nachgetragenen  waflen  an,  doch  wird  er  arg  niedergest^hla- 
[en   und   muss  unter  harten   beschimpfungen    und  bittersten   sputreden 
■die  bürg  verlassen.     An  Artus  hof  gekommen  klagt  er  sein  leid,   zieht 
Itfea  sperschaft  aus   der  brüst  des  toten   rittei's,    befestigt  das  eisen  an 
leiner  starken   lanze,    und  wulbewafnet  kehrt  er  v.\i   der  bürg  zurück, 
I  die  ihm  angetane  schmach  zu  rächen;  ihn  empfangt  ein  bewafneter 


302  SAN  KARTE 

zwerg,  in  der  gr()sse,  als  ob  ein  äffe  auf  einem  Jagdhund  ritte,  Aeok^      er 
aber  tötet 

Sp.  308.     Hie  richet  Gahen'es  sin  lasier. 

Im  zorn  über  den  getöteten  zwerg  wafnet  sich  der  wunde  li^zrii^ieT 
wird  aber  im  kämpfe  niedergestochen.     Da  komt  die  Jungfrau  erfr^3Eit, 
dass  der  durch  den  schwan  zu  Artus  gebrachte  tote  ritter  durch  m^^Ms- 
selbe  eisen  gerächt  sei,  das  ihrem  geliebten  den  tod  gab.     Beide  la^ss^^n 
die  toten  liegen  und  reiten  hinweg,   bis  sie  am  abend  in  einer  scliiiin 
im  meere  auf  einer  insel  gelegenen  bürg  gastliche   aufnähme  find^^- 
Oaheries  wird  schlafend  in  das  schiff  des  schwans  gebracht   und    ^  ^^ 
Jungfrau  fährt  damit  nach  Glamorgan,   wo  Oaheries  mit  grosser  freu^^^^ 
begrüsst  wird.     Die  Jungfrau  erbittet  nun  von  Artus  die  leiche  des  je-^^ 
gerächten  königs  Brangemor,   um  ihn  seiner  mutter  Brangebart  wid^^^^ 
zuzuführen.     Sein  vater  Oingamors  jagte  ein  schwein,   das  aber  ei 
fee  war,   die  nach  ihrer  Verwandlung  er  zur  ehe  nahm,   und  die  ih 
den  söhn  Brangemor  gebar.    Artus  lässt  sie  mit  seinem  sogen  ziehn. 

Sp.  314.     Hie   nirnet   die    oventür  ein   ende  vomme   stvan,   de^^^^^ 
den  toten  ritter  brohte  uffe  dem  iner  in  eime  schiffe  ztio  Olof^iorgan-'^^^ 
und  wil  nu  sagen  von  Parxifale  wid  kumet  xuo  der  bürge  xuo  den^^^^^ 
fk>nie,  und  ist  die  erste  oventür,  die  er  Inyie  in  dem  iceischen  buoche'^^^ 
dax  xe  tusche  broht  ist,     [Berner  ms.  ed.  Rochat,  Perceval  li  Galoi 
Zürich,  Kiessling.  1855.     §  1  u.  2.] 

nu  seit  uns  dis  mere  kürxlichj 

dax  des  selben  tages  fuegete  sieh, 

uf  eine  mittewuche  ex  geriet, 

dax  Parxifai  sich  do  schiet 

von  künig  Artuse  xtw  Joflanx, 

do  er  gestreit  mit  Oawan  und  Orafnolanx. 

ouch  sag  ich  üeh,  dax  er  xehant 

reit  durch  manig  frömede  laut 

dar  xuo  vant  er  ouch  xwor, 

dax  sollepit  ir  missen  fürwor, 

vmnig  oventür  stcer, 

die  uüt  sint  geschribcfi  her. 
Viele  tage   ritt   er   durch   fremdes   land,   bis   er  zu  einer  festen  bu 
gelangte,   an  deren  tore   ein  elfenbeinernes  hörn  hing.     Da  sich  ni 
mand  sehen  lässt,   so  bläst  er  das  hom  dreimal  so  gewaltig,   dass  di' 
bui^  erdröhnt     Endlieh  komt  der  burgherr,   könig  von  Nurasch  un 
Irland,    reich   gewapnot   mit  gefolge   und   volk  heraus,   rent 
scharf  an,  winl  aber  geworfen  und  ergibt  sich,  als  er  Parzivals 


BILDT7NG80ANQ   DEB  ORALDICHTÜNO  303 

hört,  der  für  den  besten  ritter  der  weit  gilt  Und  dieser  schickt  ihn 
zu  .Artus.  —  Parzival  hört  von  einer  wunderbaren  säule  auf  ^dem  lei- 
digen berge  (mons  dolorostis)^  an  welcher  nur  der  beste  ritter  sein 
pferd  anbinden  kann,  und  wendet  sich  dahin.  Als  Artus  vemimt,  dass 
Pai-2siTal  nicht  eher  zurückkehren  werde,  als  bis  er  die  blutende  lanze 
g'efonden  habe,  bricht  er  mit  dem  hofe  auf,  ihn  zu  suchen. 

Sp.  322.   Hie  kumet  Pandfal  xuo  der  jungfrowen,  die  dax  scliof- 
X'€y9,^^lge8tein  hefte,  dax  van  im  selber  spiüe,     [Bern.  ms.  §  3.] 

Parzival  gelangt  zu  der  stelle,  wo  er  einst  den  reichen  fischer 
am  see  fischend  fand,  und  gedenkt,  wie  er  von  dort  zur  gralbui^g 
gekommen.  Weiter  sieht  er  eine  herliche  bürg  jenseit  eines  breiten 
w^assers,  und  eine  schöne  magd  ist  bereit,  in  einem  kleinen  schiffe  ihn 
^l>ei^usetzen.  Doch  arbeitendes  volk  jenseit  warnt  ihn,  da  sie  ihn 
eirtränken  wolle,  und  bringt  ihn  selbst  sicher  an  das  andre  ufer.  Er 
S^ht  in  die  bürg,  bindet  sein  pferd  im  hofe  an,  legt  schild  und  lanze 
*l>,  und  betritt  einen  prächtigen  saal,  worin  ein  reich  geschmücktes 
t^^tte  angeschlagen  steht  Da  öfhet  sich  die  ttir  einer  schönen  gewölb- 
tem   kemenate;  darin  auf  einem  tisch  ein  wundervolles  Schachbrett: 

[Bern.  ms.  §  4.    R  Boron,  nach  Birch-Hirschfelds  auszage: 
„die  sage  vom  gral",  Leipzig,  Vogel  1877  s.  173.] 
®^    tut  einen  zug,  es  wird  unsichtbar  dagegengespielt,  Parzival  verliert 
stets  die  partien,  und  zornig  darüber  will  er  das  Schachbrett  in  den 
teich  unter  dem  fenster  werfen:  da  warnt  ihn  aussen  ein  schönes  mäd- 
^^^n,  zu  dem,  als  sie  in  den  saal  komt,  Parzival  in  minne  entbrent; 
^^oli  wehrt  sie  ihn  ab  mit  dem  versprechen,  ihm  minnelohn  zu  gewäh- 
y   wenn   er   den  weissen  hirsch  jage  und  ihr  dessen  köpf  bringe; 
»n  kleinen  bracken  wolle  sie  ihm  dazu  mitgeben.  —    Nachdem  er 
hirsch  erlegt  und  ihm  den  köpf  abgeschnitten,  komt  eine  Jungfrau 
S'öiritten,   die  den  kleinen  bracken  einfangt  und  ihn  nicht  eher  heraus- 
»en  will,   als  bis  er  mit  dem  ritter  im  grabgewölbe  werde  gefochten 
>en. 

Sp.  330.    [Bern,  ms.  §  5.  —  K.  Boron  s.  173.1    ^*^  '^^i  P^^' 
mit  dem  rittere,  der  imme  gewelbe  beslossen  was. 
Das  gewölbe  war  eine  massive  klause,  und  seit  fünf  jähren  hat 
^^^         ritter  seiner  geliebten  gelobt,  dasselbe  nicht  eher  zu  verlassen,  als 
^^^^    der  kämpe  gekommen,  der  ihn  besiege.    Seine  geliebte  ernährt  und 
^^ncht  ihn  darin.    Auf  Parzivals  aufforderung  komt  er  auf  einem  rosse 
^arz  gerüstet  Heraus,   doch  während  des  kampfes  beider  komt  ein 
^3ider  ritter  vorbei,   der   bracken   und  hirschkopf  stiehlt  und  damit 
^V-on  reitet    Der  schwarze  ritter  fühlt  sich   besiegt  und  flüchtet  in 


'    301  SAN    MiRTR 

ciiiK  gfiwiilbi?,   wohin  ihm   Parzivnl   nicht  folgen   kann 
nun  dem  rituber  nach,  indem  er  sich  von  dor  Jungfrau   tront,   dlft  1 
di>n  uanien  süwol  des  schwarzen  rittors  als  des  brackßndJebeH  zu  i 
neu  verweigert. 

Sp.  338.     Hie  himet  Parxifal  in  eine  bürg,  do  er  etneii  i 
shtog,  imil  vaht  mit  dem  iierren.    [Bern,  ms.  §  6.J 

Parzival  komt  zu  dem  schloas  Brunemuns,  ohno  jedoch 
bcwohiior  zu  crhiicVea,  Er  geht  durch  den  saal  in  den  garten,  wo 
am  bninneii  unter  schönen  biitimeu  ein  zeit  »tobt,  worin  oinc  Jungfrau 
ain  bette  des  ritters  Abrioris  von  BruneniunB  sizt  Vor  dem  zvlt  falt  ^ 
ihn  ein  lüwc  an,  den  er  tütet  Zornig  springt  der  ritter  auf,  wapnet:»^ 
sich,  miiss  sich  nacli  scharfem  kämpf  ergeben  und  sicli  mit  der  jni^  ^q 
frau  zw  Artus  begeben,  der  ihn  erfreut  zum  tafelrundiitter  crocnt.     J^^^| 

Sp.  350.  Hie  virulet  I^riiftd  einen  toten  ritter,  dor  wtx  ^'^^^^^ 
iien.     (Bern.  ms.  §  7.     H.  Bornn  s.  172.]  ^^H 

Der  ritter  heisst  Odinas  [im  Bemer  ms.  Odininns],  Pantiral  l^^^f 
stet  seine  klagende  geliebte  und  reitet  weiter.  ^^^H 

Sp.  3.')!.  Hie  kumei  füriifal  luo  eime  me»,  uml  uürt  mit  ^^^^ 
vehtende.    [Bern,  ms,  §  8.]  ^^^^ 

In  einem  schiinen  festen  schlösse  betritt  Parzival  den  saal,   <M^^H 
kdne  seele  lUsst  sich  sehn.    Eine  wolbcaezte  tafel  steht  da,   und  wSB^^ 
rend   er  sich   daran   stürkt,    tritt   eine  bleiche,   ahgeharmto  jungfVnu  ic"^ 
ärmlicher  kleidung  herein,  die  der  riese  schon  zwei  und  ein  hdbo^S 
jähr  gefangen  hält,  da  sie  seinem  willen  sich  nicht  orgeben  will,    i^c? 
fleht  ihn  zu  fliehen,  denn,  komme  der  riese,  so  sei  er  des  todos.     Ir»     I 
der  tat  erec.heint  er,  st^hlügt  mit  der  keule  Par/ivals  ross  tot,  wird  atK-«~    J 
Ton  Parzival  getötet.     Nach  guter  nacht  nistet  sich  dieser  neu,    nimC^  1 
ein  schönes  schwarzes  streitross,  das  der  riese  vor  zwei  monateu  einens-    I 
ritter  abgenommen  und   im  keller  geborgen   hatte,    und   reitet   »einc^^  I 
weges,  indem  er  die  Jungfrau  als  herrin  der  bürg  zurücklässt.  M 

Sp.  359.  Hie  wirt  l'arcifal  vehtenile  mit  eime  ritter,  lier  Awof^fl 
rines  wassers , .  dax  nieman  drinne  truhte.  [Bern.  ms.  §  9,  —  ^S^-*^! 
auch  R.  Boron,  B.-Hirschf.  s.  174  mit  einigen  abweichnngen.]  ^| 

Parzival  komt  an  eine  fürt  und  sieht  jenseit  de«  «asscn;  inn^H 
schönes  zeit  aufgeschlagen,  bei  welchem  ein  silbenier  schitd,  eine  weise^^f 
lanze  und  ein  weisses  pferd  steht.  Ais  er  sein  ross  in  d<T  fürt  gv-tTknkt-^^l 
rüstet  sicIi  beim  zeit  der  „weisse  ritter"  zum  kämpf,  wird  aber  boBtei;l^^| 
und  muss  sich  Artus  gefangen  geben.  Während  gütlicher  iil'<'i]i;ii  h^^| 
tung  erzlihlt  ihm  der  weisse  ritter,  er  sei  der  hUti^^r  dur  rniijix  tmJ^H 
((jiid  uinottrettje).      Zehn    mildchen    von    zwanzig  Jahren    wulmtiii    fm^^H 


BILDTJNOSOANO  DKR  GRALDICHTUNO  305 

iii:i.t;er  den  bäumen;   da  kam  mancher  held  und  wohnte  wol  6  monat 
böi   den  mädchen,  und  wenn  andre  ritter  kamen,  die  in  der  fürt  ihre 
rosse  getränkt  hatten,  wurden  sie  erschlagen,  die  siegenden  aber  wur- 
den brüderlich  aufgenommen.     Als  die  mägde  scheiden  selten,   schrie- 
bexx  sie  mit  goldnen  buchstaben  in  den  marmorstein  beim  zeit:   wenn 
ein   ritter  sieben  jähre  die  fürt  hüte,   so  werde  er  den  höchsten  preis 
begagen.  —   Dies   habe   er  unternommen,   doch   folge   er  nun   seinem 
bedfehle.     Auch   er  wird   von   Artus   freudig  in   die   tafeirunde   aufge- 
noxnmen. 

Sp.  364.  Hie  imirt  Parxifal  vehtende  mit  hem  Oawans  suUy 
cfey»  er  kette  von  heni  Brandelins  swester,  der  hies  der  schöne  uner- 
kannte,     [Bern.  ms.  §  10.] 

Zwei  Wochen  reitet  Parzival  durch   dichten,   von  wild   aller   art 
reich  belebten  wald,  vergebens  herberge  suchend.     Endlich  trift  er  eine 
einsam   auf  einem   marmorblock   sitzende  Jungfrau   im   walde,   die  so 
schön  wie  eine  göttin  ihn  fast  gereizt  hätte,  sie  um  ihre  minne  zu  bit- 
ten.   Da  komt  ein  ritter,   der  ihm  verbietet,   bei  der  Jungfrau  zu  ver- 
weilen. 

[Bern.  ms.  §  11.]  Nach  scharfem  anrennen  nent  Parzival  seinen 
Barnen;  da  gibt  der  ritter  sich  als  „den  schönen  unbekanten^,  Gawans 
Sohn,  zu  erkennen,  und  höchst  erfreut  reiten  alle  drei  zu  einem  wol- 
i  angesessenen  fischer,  der  sie  aufhimt  und  festlich  bewirtet  Er  hiess 
Elyadus,  sein  vater  Elydus;  der  war  herr  des  landes.  Seine  frau  ward 
vor  zwei  jähren  begraben.  Am  andern  morgen  reiten  sie  weiter,  das 
P^ar  zu  Artus  nach  Lunders  imd  Kantorbille,  Parzival  auf  eignem 
w-ege. 

Sp.  371.  Hie  kunt  Parxifal  xuo  dem  andern  mole  xuo  sinem 
^^^a>e  Kundewiramurs  xe  Belrepere.  [Bern.  ms.  §  12.  Das  ms.  hat 
^ö  französischen  namen  Augingeren,  Clamadieu  imd  Blancheflors.] 

Parzival  komt  in  eine  schöngebaute,  stark  bevölkerte  und  befestigte 

Stadt  mit  zwanzig  klöstern  und  vielen  kirchen  imd  türmen;    er  reitet 

^    das   schloss   imd   wird  von   einer  jimgfrau  mit  prächtigem  gefolge 

^'^pfangen.     Sie  findet,   dass  der  gast  die  gröste  ähnlichkeit  mit  dem 

^^eger  des  Kingrun  und   Klamide  habe.     Er  gibt  sich  zu  erkennen. 

grosse   freude   überall.     Das   volk   drängt   auf  die  Vermählung  beider. 

^^  besucht  Parzival  heimlich  in  der  nacht   (nachahmung  vom  besuch 

^*    Chreetiens),   sie  wechseln  tausend  küsse,   doch  das   beilager  wird 

^^^t  Yolzogen.   Vergebens  ist  alles  bitten,  dass  Parzival  länger  als  zwei 

jfifc^  verweile.    Tüchtig  und  schön  ausgerüstet,  auf  rotem  schilde  einen 

^^^HBnuen  löw^   führend,    reitet  er  unter    dem   versprechen    baldiger 

r.  DEUTSCHE  PHILOLOOIK.      BD.  XXH.  20 


306  SAN  HARTE 

widerkehr  und  mit  dem  schwur,  nirgend  in  einer  herberge  länger  al& 
eine  nacht  zu  weilen,  wider  ins  weite,  bis  er  den  hirschkopf  uucai 
bracken  widergefunden  und  die  geheimnisse  des  grals  erforscht  habe. 

Sp.  386.  Hie  würt  vehtende  Parxifal  mit  ein^  rittere,  der  Ue^ 
der  schöne  Böse,  [Bern.  ms.  §  13.  R  Boron  s.  174.  Er  hiess  t 
Beaus  Mavais.] 

In  dichtem  waldo  begegnet  ihm  auf  schönem  zeiter  in  seidneaa* 
kleidom  nach  komwälscher  tracht  ein  wunderhässliches  weib  (ähnlicrr: 
der  Kimdrie  beschrieben),  welchem  ein  statlicher  ritter  folgt  FarziT,^ 
muss  über  den  anblick  lachen,  worauf  der  ritter  ihn  anrent,  ab^ 
besiegt,  sich  ergeben  und  an  Artus  hof  gehen  muss.  Er  wird  d^ 
schöne  Böse  genant,  söhn  des  grafen  von  Galphage  {fix  al  conte  ^ 
Olavoie)\  sie  heisst  Rosete. 

Sp.  386,  33:    Sil  was  glich  einre  tüvelin. 

Zu  Kavelun  werden  beide  mit  ehren  empfangen,   nachdem  Kaje 

für  seinen  spott  hinter   den  sattel  geworfen  ward.     Später  wurde  die 

frau  immer  mehr  schön  und  weidlich,  dass  sie  algemeine  bewunderang 

erregte; 

Sp.  394,  7:  inenweis  oh  sü  von  feinen  kam. 

Sp.  394.  Ilie  kumet  Parxifal  xuo  mier  mtioter  wonutige  und 
bevindet,  dax  er  eine  swester  het  [Bern.  ms.  §  14.  —  R  Boron 
s.  173.] 

Parzival  muss  im  walde  ohne  herberge  übernachten;  dann  sieht 
er  den  bäum,  unter  welchem  ihm  einst  ein  ritter  beschied,  dass  Artus 
ihn  zum  ritter  machen  könne.  Er  erkent  seine  heimat,  das  mütterliche 
haus  und  wird  auch  von  einem  alten  knechte  wider  erkant  Eine 
Jungfrau,  seine  schwoster,  teilt  ihm  mit,  wie  seine  mutter  im  schmerz 
über  seine  ausfahrt  gestorben.  Rührend  ist  die  widererkennimg  der 
geschwister  geschildert  Parzival  will  den  hier  in  der  nähe  wohnenden 
einsiedler  sehn,  um  ihm  zu  beichten. 

Sp.  399.     Hie  würt  Parxefal  vehtende  mit  eime  ritter,   der  i^ 
si'tie  swester  wolle  netueti.     [Bern.  ms.  §15. —  R  Boron  s.  173.  174] 

Parzival,  treflich  gerüstet,  reitet  mit  der  Schwester  ab.  Bsl^ 
begegnet  ihnen  ein  ritter,  der  seine  Schwester  rauben  will,  doch  wiX^ 
er  im  kämpf  niedergestochen  und  Parzival  führt  dessen  ross  mit  sieb-- 

Sp.  400,  29:    iewederre  helle  eins  löwen  muot 

wnd  worenl  kec  sam  xwei  toilde  smn. 

Der  eremit,  der  Parzival  nicht  wider  erkent,  führt  die  geechwi»*^ 
in  die  kapelle  zum  grabe  ihrer  mutter.     Pandnd  enlfalt  Uel 


6ItDUKGSGANG  DRft  GRALDtCHTÜKG  307 

ne  abenteuer.  Der  einsiedler  tadelt,  dass  er  den  ritter  getötet,  des- 
1  ro8s  er  mit  sicli  führt  Sie  werden  in  der  klause  gut  geherbergt 
d  verpflegt  Ein  engel  bringt  ihnen  die  speisen.  Parzival  bittet 
Lügend  um  aufklärung  über  den  gral  und  blutenden  speer.  Nach 
iger  erbaulicher  predigt  reiten  die  geschwister  nach  hause.  Am 
dem  morgen  bricht  Parzival  unter  wehklagen  der  Schwester  wider 
f ,  den  gral  zu  suchen. 

Sp.  409.     Hie  kfint  Parxifal  xuo  der  megede  bürg,     [Bern.  ms. 
16.] 

Drei  tage  durch  wüsten  wald,  ohne  herberge  zu  finden,  irrend, 
)mt  er  endlich  zu  einer  herlichen  bürg,  deren  tor,  als  er  eingeritten, 
ch  schliesst  Kein  mensch  lässt  sich  sehen.  Vor  dem  saale  steht  auf 
Ler  vergoldeten  Säulen  eine  tafel  mit  angekettetem  hammer.  Dreimal 
3hlägt  er  darauf,  dass  die  bürg  erdröhnt  Da  zeigt  sich  ein  mädchen, 
as  ihm  jedoch  auf  seine  bitte  um  herberge  nicht  rede  steht  Widerum 
chlägt  er  an  die  tafel,  dass  man  es  zwei  meilen  weit  hören  kann,  und 
Jigst^oll  komt  nun  ein  andres  mädchen,  das  ihn  der  herrin  zu  mei- 
len verspricht:  denn  würde  er  zum  dritten  male  auf  die  tafel  schlagen, 
50  müste  die  bürg  in  trümmer  stürzen.  Im  glänzenden  saale,  von 
lundert  schönen  Jungfrauen  umgeben,  empfangt  ihn  die  herrin;  da 
»hwand  ihm  sein  zom  und  sein  hunger,  und  er  fühlte  sich  wie  im 
?aradiese.  Burg  und  schloss  werden  nur  von  Jungfrauen  edler  geschlech- 
»r  bewohnt,  und  sind  von  ihnen  ohne  die  hülfe  von  maurem  und 
rteinmetzen  erbaut.  Fahrende  ritter  werden  zur  herberge  aufgenom- 
nen;  wer  das  haus  menschenleer  findet,  sich  ängstigt,  dass  sich  das 
or  hinter  ihm  geschlossen  und  nicht  auf  die  tafel  schlägt,  der  findet 
iiorgens  das  tor  offen  und  kann  fortreiten.  Wer  aber  mutig  dreimal 
trf  die  tafel  geschlagen,  der  wird  köstlich  bewirtet  und  erhält  eine 
'Mächtige  Schlafstätte.  So  gieng  Parzival,  nachdem  er  seine  abenteuer 
^en  damen  erzählt  hat,  zur  ruhe.  Doch  am  andern  morgen  bei  schon 
lochstehender  sonne  erwachend,  findet  er  sich  unter  einer  eiche,  wap- 
lung  und  ross*  neben  sich,  die  bürg  verschwunden,  nirgend  menschen- 
pur; verwundert  spricht  er: 

Sp.  422,  24  Ich  wene  uf  mine  jungeste  vart 

Dax  Sil  gefenet  sint  aJle  gar, 

Sp.  422.    Hie  kunt  Parxifal,   da  er  sin  hirxhoubet  wider  vi7idei 
••tf  dose  breckelin,   dax  er  lange  gesiu)chet  kette,    und  nnirt  mit  eime 
dßrwmbe  vehtefide,    der   kies    Oarsalas,     [Bern.   ms.  §  17.  — 
B^ron  8.  176.] 

20* 


Nach  laiigem  waldritl.  komt  Parzival  zu  einfin  Hcliönen  grossen 
plan,  Hill'  dem  ein  mäclitiger  bäum  steht,  unter  dessen  schatten  wtil 
tausend  ritter  plalz  hätten,  und  daneben  ein  grosses  prächtig!«  zeit, 
nebst  zwei  kleinen.  In  einem  derselben  steht  ein  herlich  geschmück- 
t-es  bette  und  eine  Jungfrau  begrüsst  ihn  niit  der  Verkündigung  seines 
nahen  A-urderbens.  Ära  bäume  hangt  der  köpf  dea  erlegten  jcwölfenden, 
doch  fehlt  das  bräcklein.  Da  wird  unter  hörnerschall  ein  (odmtlder 
hirsch  von  dem  hündchen  lierangetriebi?n,  luid  ein  folgender  ritt«r  tjjtel 
den  hirsch.  Pawival  fordert  von  ihm  hirachkopf  und  bracken,  unJ  d» 
er  beides  weigert,  kämpfen  sie;  jener  wird  besiegt  und  verpflidiW, 
sich  mit  seiner  dame  an  Äitns  hofe  zu  gestellen.  Der  ritter  \\eitst 
Oorsalas,  sehn  des  herzogs  von  Genelogen  iand,  sein  lieb  TnschaiiK  <Üe 
ehre.  Parzival  will  von  ihm  das  nähere  über  die  buig  und  die  Jung- 
frau, die  ihm  den  bracken  gegeben,  erfahren;  jener  weiss  das  nicht; 
dann  fragt  er  nach  dem  schwai'zen  ritter  im  grabgewölbe.  Der  riKo 
erzählt  ihm  dessen  geschlchte  (so  gleichfals  in  Bern.  raK.  §  17  mit 
dem  zusatK:  „hier  endet  seine  geechichte,  die  ich  euch  wort  für  worl 
treu  erzählt  habe.")  Parzival  übernachtet  gut  bewirtet  und  reitet  y»- 
■  gnügt  mit  hirscbkopf  und  bracken  beladen  morgens  ab. 
seine  geliebte  werden  von  Artus  zu  Karleun  mit  ehren  empft 

Sp.  439,  Hu-  kunl  l'arcifai  xiio  der  juncfrowm,  die 
mul  kch,  d<r  in  fuorte  über  die  gleaine  hruyge,  mul  soUe  in  will* 
««0  dem  grole,  und  der  seüien  naht  sack  er  in  in  deni  icaltk  iwi 
ungeschifUe  und  dax  er«  tiüt  enwüste.     [Bern.  ms.  §  18,| 

Parzival  betfit  inbrünstig  zu  gott,  dass  er  das  schloes  mit  «teio 
schacltbrett  und  die  dame,  die  ihm  das  britckelin  übergeben,  widet 
finde.  Nach  einiger  zeit  komt  ihm  ein  schön  mit  reitzeug  gescIiBlüdl" 
tes,  blendend  weisses  maultier  entgegen  gelaufen,  dem  eine  8Ch<>ofi 
festlich  geputzte  dame  folgt  Diese  boeteigt  es,  nnd  obwol  sie  • 
abwehren  will,  reiten  beide  bis  in  die  nacht  hinein  mitsammen  weitsr- 
Da  eilt  sie  voraus  und  Parzival  riift  sie  vergebens  zurück.  Piötilirfi 
erholt  sich  die  nacht  duinih  kerzen  mit  hellem  schein,  bald  aber  tbl^ 
ein  ungowitter  mit  strömendem  regen.  Der  held  muss  im  walde  Übci" 
nachten,  doch  andern  tages  um  mittag  findet  er  die  dame,  die  ihn  »<*• 
lassen,  unter  einem  bäume  rastend  und  sie  erklärt  ihm.  dass  sie  iiuei" 
geliebten  Briina  (im  Bern.  ms.  heisst  er  linins  saus  pitie)  gelobt,  '''* 
zu  seiner  widerkehr  in  keiner  geselschatt  eines  manaes  zu  seia.  I"* 
nächtliche  erhellung  des  waldes  habe  der  gral  hervorgebracht,  wälu«^ 
der  hier  nahe  wohnende  hscherkdnig  sich  der  nacht  im  Ireiea  eriiW*^ 
Er  will  mehr  vom  gral  und  dem  blutenden  Speer  wisseu,  doch  erwjd*** 


sie,  dass  darilber  nur  ein  bewährter  priester  sprechen  kiinne.  Weiter 
reitend  kommen  beide  in  ein  taJ,  wo  eine  jimgfrau  sie  im  zeit  unter 
tiänmen  gastfreundlich  bewirtet;  er  erzählt  ihr  seine  fahrt  um  den 
hirschfcopf  und  bracken,  und  auf  sein  begehr,  zum  gralkönig  zu  gelan- 
gBQ,  gibt  sie  ilim  ihr  weisses  maultior  nebst  einem  ring,  durch  den 
la"  63  werde  richtig  lenken  können,  und  das  ihn  auf  der  gläsernen 
brücke  sicher  über  ein  grosses  wasser  führen  werde;  doch  soll  er  ihr 
ounltier  und  ring  widerbringen.  So  reitet  er  auf  dem  maulüer  mit 
seinem  ross,  hirschkopf  und  bracken  ab,  übernachtet  im  waldc  und 
gelaugt  glücklich  über  die  gläserne  brücke. 

1.  456.  Hie  lamt  Parxifal  tiio  eime  rittere,  der  hies  Brios,  der 
misete  über  die  hohe  bntuke,  do  nietnan  niähte  über  körnen,  ufid 
^atg  nuicant  futlber  ins  arisser,  unde  seite  titi  auch  von  dem  grossen 
iunuig,  der  sich  samniente  vor  der  bürge  Orgelus.  [Bern,  ms.  ^  19.] 
Er  begegnet  dem  edlen  ritter  Brios  von  dem  gebogenen  walde, 
on  den  inseln"  genant,  im  schonen  jagdkleide  mit  einem  hom 
elfcnbein  und  habicht.  Auf  wechselseitigen  frommen  morgengruss 
tht  ihn  Brios,  zunächst  bei  ihm  sich  zu  erfrischen,  führt  ihn  ins 
zu  frau  und  lochtor,  welche  leztere  einen  grossen  eindrnck  auf 
ftiRUTal  macht,  doch  von  mlnno  noch  nichts  wissen  will.  Nach  eraäh- 
long  seineii  hirsclikopf-abenteuers  nimt  er  den  verschlag  an,  an  dem 
toiier  teilzunehmen,  das  Artus  jenseits  des  flusses  beim  schlösse  Orge- 
Ins  ausgeschrieben  hat  Doch  mnss  er  dabei  eine  zauberbrücke  passie- 
fen,  die  nur  bis  in  die  hälfte  des  wassers  reicht,  und  über  die  ihm 
Bne  lange  geschichte  erzäiilt  wird.  Andern  tags  machen  beide  ritter 
sich  auf,  Parzival  unter  zurücklassung  des  hirschkopfs  uud  brackena, 
und  in  vortreflicher  rüstung.  Brios  bleibt  zurück,  als  Parzival  die  brücke 
betritt,  doch  sobald  er  an  deren  ende  in  der  mitte  des  breiten  brau- 
«nulen  Stromes  angelangt  ist,  löst  sie  sich  behend  vom  lande  los  imd 
scbwingt  sich  über  die  andre  hälfte  des  wassers  zum  jenseitigen  ufer, 
^  Parzival  sicher  betritt.  Damit  ist  erwiesen,  dass  Parzival  der  beste 
fitter  der  weit  ist  —  Artus  mit  allen  tatelrundem  ist  bereits  bei  der 
burg  Orgelus  versammelt  und  ordnet  die  parteien.  Als  gegenpart  steht 
könig  Auguses  mit  den  Irländern,  und  diesen  schloss  sich  Parzival  an, 
er  gegen  die  tafelrunder  unerkant  kämpfen  wolte.  Der  vorschnell 
eifrige  Kete  wird  zuerst  abgestochen  und  muss  den  Iwhn  dos  hofes 
"^f^ren.  Nach  \-ielen  siegreichen  kämpfen  kehrt  Parzival  über  die 
"^cke  in  gleicher  weise,  wie  er  gekommen,  zu  Brios  zurück,  der  ihn 
"^^rtet  und  beide  übernachten  in  der  behausung  des  neffen  Bries, 
^tteg  einsiedlers.     Am  andern  tage  widerholt  sich   der  gleiche  waffen- 


310  SAN  MABTE 

tanz,  und  Artus  misvergnügt  schickt  Gawan  aus,  zu  erkunden,  wer 
der  stets  sieghafte  ritter  sei.  Umsonst.  Abends  zieht  sich  der  held 
wider  zurück,  übernachtet  bei  Brios  und  zieht  mit  hirschkopf,  bracken 
und  weissem  maultier  seines  weges  weiter. 

Sp.  485.  Hie  kummet  Parxifcd  zvo  eime  sarke,  do  ein  ritier 
inne  lag,  und  der  ritter  betroug  in  darin  mit  sinre  bosheit  [Bern, 
ms.  §  20.] 

Bald  fand  er  im  walde  unter  einem  bäume  ein  kreuz,  darunter 
einen  marmorsarg.  Eine  stimme  rief  unter  dem  stein  um  hülfe.  Als 
Parzival  den  stein  aufhob,  sprang  ein  statlicher  ritter  heraus,  der  den 
beiden  in  den  sarg  und  über  diesen  den  stein  warf. 

Sp.  486.  Hie  ivurt  Parx^fal  erlöset  uz  dem  sarke.  [Bern.  ms. 
§20.] 

Der  tückische  ritter  versucht,  auf  dem  ross  und  auf  dem  maol- 
tier  davon  zu  reiten,  doch  beide  sind  nicht  von  der  stelle  zu  bringen. 
Er  vermutet  Zauberei,  lässt  Parzival  aus  dem  sarge  imd  springt  selbst 
wider  hinein  imd  ruft  nur  noch:  am  ende  des  jahres  werde  Parzival 
erfahren,  wer  er  sei.  Dieser  reitet  ab  und  findet  bald  im  walde  eine 
schön  gezierte  Jungfrau,  die  den  ring  und  jdas  maultier  als  das  ihrige 
ihm  abfordert,  und  fragt,  ob  er  beim  gral  gewesen  und  seine  wunder 
gesehn  habe?  was  er  verneint,  dagegen  seine  abenteuer  erzählt  Er  gibt 
ihr  ring  und  maultier,  womit  sie  wegreitet,  er  übernachtet  im  walde 
imd  betet  recht  inbrünstig  zu  gott,  dass  er  ihn  doch  endlich  zum 
fischerkönig  oder  zur  mägdeburg  führe.  Da  antwortet  ihm  hoch  aus 
dem  bäume  eine  stimme:  das  bräcklein  werde  ihn  führen!  Bellend 
läuft  es  voran,  er  eilt  freudig  ihm  nach. 

Sp.  492.  Hie  kiint  Parxifal  wider  xuo  der  jungfrowen,  do  er 
das  riebe  schofxovel-  gesteine  2md  bret  vant  und  die  im  lech  im 
braeken.     [Bern.  ms.  §  21.] 

Das  bräckelein  führt  den  beiden  in  eine  ansehnliche  bürg;  im  saale 
steht  ein  prächtiges  bett,  auf  dem  das  Schachbrett  liegt  Eine  schönge- 
schmückte Jungfrau,  der  das  hündchen  freudig  entgegenspringt,  begrüsst 
ihn  freundlich;  er  überreicht  ihr  den  hirschkopf,  erzählt  seine  abenteuer, 
bittet  nun  aber  um  crfüllung  ihres  gelübdes,  das  sie  ihm  bei  der  aus- 
fahrt gegeben:  gewähning  der  rainne.  Mit  vielen  küssen  fält  sie  ihm 
um  den  hals  und  erklärt  ihm  ihre  hingebung.  Sie  setzen  sich  auf  das 
bette  neben  das  Schachbrett,  über  welches  sie  auf  seine  bitte  ihm  aus- 
kimft  gibt:  einst  war  hier'  eine  wunderschöne  zauberkundige  magd: 
diese  fand  die  fee  Morgano  auf  einer  wiese  mit  einem  ritter  schach 
spielend;   als  sie  näher  trat,   bot  ihr  Morgane  ihr  schachbret  an  zum 


BILDÜNGSOANO  DEB  QBAIJ)IOHTÜNQ  311 

geschenk;    es  war  zu  Lunders  uf  der  Tamiise  gemacht     Als  gegen- 
gescheDk  gab  sie  Morgane  dieses   Schachbrett,   das  von   selbst  spielte, 
wenn  ein  ehrbarer  mann  *  oder  solches  weib  oder  Jungfrau  das  gegen- 
spiel   übernahm.     Als   sie  an  könig  Brandigans   hofe   war,   kam   auch 
Morgane  dahin,   nahm  sie  auf  zwölf  jähre  mit  sich,   und  schenkte  ihr 
das  Schachbrett  zurück,  wonächst  sie  vor  acht  jähren  sich  diese  schöne 
borg  erbaut  habe.  —   Kitter  und  damen  versammeln  sich  zu  festlicher 
abendtafel,  dann  wird  Parzival  schön  im  saal  gebettet  und  nachts  kam 
die  burgherrin  zu  ihm  und  löste  ihr  gelöbnis.     Andern  tags  reitet  Par- 
zival wider  auf  die  gralsuche  mit  dem  versprechen,  wider  zu  kommen. 
Sie  begleitet  ihn  bis  an  ein  wasser,  wo  ein  scliiff  an  einer  eiche  unter 
schloss  lag.'    Sie  schliesst  es  auf,   und   das   schiflein   bringt  ross  und 
reiter  hinüber  imd  kehrt  dann  von  selbst  zurück.     Er  verfolgt  die  ihm 
gewiesene  Strasse  zum  fischerkönig. 

Sp.  506.  Hie  vindet  Parxifal  einen  ritter,  der  an  den  fuexxen 
hieng  an  einem  boume,  den  er  erloste,  der  Bagumades  kies,  [Bern, 
ms.  §  22.] 

Keie  hatte  ihn  so  grausam  behandelt  und  mit  drei  rittem  angefal- 
len, als  sie  vom  leidigen  berge  kamen,  wo  sie  vergeblich  versucht  hat- 
ten, ihre  rosse  an  die  marmorsäule  zu  binden,  was  nur  dem  besten 
ritter  der  weit  gelingen  kann.  Bagumades,  nun  befreit,  reitet  zu  Artus, 
um  Keie  zur  rechenschaft  zu  fordern,  Parzival  zur  säule  auf  dem  mons 
dokmreiix,  um  zu  versuchen,  ob  er  der  beste  ritter  sei. 

Sp.  513.  Hie  kämmet  Bagimuxdes  xuo  küni^i  Artus  und  vmrt 
^^tende  mit  Keygin. 

Artus  imd  die  königin  schlichten  den  kämpf,  in  dem  Keye  zu 
unterliegen  droht,  in  gute,  und  da  Bagumades  den  gruss  von  Parzival 
gebracht,  machen  alle  tafelrunder  sich  auf,  ihn  zu  suchen,  Gawan, 
^^on,  Lanselot  usw.  Der  dichter  will  jedoch  nur  von  Gawan  erzäh- 
len, —  Hier  bricht  das  Berner  ms.  ab  und  schliesst  sich  erst  sp.  582 
^der  an.  —  Gawan  übernachtet  bei  einem  einsiedler  im  walde,  dann 
keiut  er  bald  zu  einer  bürg,  vor  der  an  einem  bäume  bei  einem  brun- 
^^^   ein  silberner  schild  hing,   dessen  wappen  ein  schwarzer  klimmen- 

^^^  löwe  ist 

(Schluss  folgt.) 


312 

EIN  QUODLIBET. 

Die  handschrift  cgm  270  der  kgl  hof-  und  Staatsbibliothek  in 
Münchcpi  aus  dem  15.  jh,  (catcUogus  V  1,  s,  31J,  in  welcher  auch  die 
17  gedichte  Heinrich  Kaufringers  aufbewahrt  sind,  enthält  bl,  73*^  bis 
76*"  nachfolgendes  qiiodlibet  (^ditz  haist  ain  geplerr",  v.  161),  das  ^ich 
durch  eine  fülle  eingestreuter  spf^iehwörter  und  sprichwörtlicher  redens- 
arten  ausxeichiiet  Die  anmerkungen  geben  die  lesarten  aus  cgm  379; 
in  dieser  hs,  steht  das  gedieht  bl  36^  bis  39^. 

bl.  73*  Ain  ander  guot  sprach. 

Wer  on  guot  wil  witzig  sein  ♦ 

Vnd  on  schiff  fert  über  rein 

Der  möcht  ertrincken  wol 

Durch  des  reiches  stet  on  zol 
5  Niemant  thar  gefarrn 

Was  die  Chargen  mügend  ersparen 

Das  wirt  den  nülten  zuo  tail 
bl.  73**  Auß  past  macht  man  sail 

Oder  guote  raffen  reff 
10  Gipt  ainer  seinem  chneht  ain  treflf 

Vmb  schneid  er  sol  nit  zürnen 

Für  die  feind  sol  man  turnen 

Die  zun  die  da  geachtert  sind 

Mit  ruoten  sol  man  slahen  chind 
15  Die  vmb  wöUent  zäunen 

In  müllen  fint  man  wannen 

In  dem  wein  hauß  die  maüß 

Ze  chirchen  vnd  zuo  straß 

Sicht  man  schöne  frawen 
20  In  weiden  muoß  man  hawen 

Holtz  das  man  da  prennen  wil 

Wer  wolfail  hin  gipt  vnd  lange  zil 

Der  verkauft  wol  was  er  haut 

Er  mag  sein  aber  verderben  drat 
25  Von  spils  uegen  der  gewin  ist  ciain 

Überschrift  fehlt  in  cgm  379.     1  an  so  st^ts.      5  niema.  gefaren.  6  kai^. 

7  zü  so  stets.        9  gütu  haffenref.        10  sin.        12  viend.        14  rautted.  slaschen. 

15  vmb  red  wellen.        17  maft.        18  kirche  vgl,  Mi  6.        19  Sich  sich.  22  hin 
go  tzil.        23  hat 


EULINO,   QUODUBKT  313 

Zwen  glich  hert  stain 

Malend  seltten  slechtes  mel 

Wer  haut  ain  guot  bockfei 

Der  ist  zwair  stiffel  gewiß 
30  Wer  rieh  ist  man  spricht  er  ist  gewis 

Niemant  waiß  ob  das  ist 

Auff  die  acker  fort  man  mist 

Der  si  gern  getunget  haut 

Der  pader  ainen  siechen  laut 
35  Zum  linggen  arm  zuo  dem  miltz 

Wer  haut  zwen  schuoch  mit  filtz 

Die  sint  den  winter  warm 

Die  frawen  spinent  gam 
bl.  74*  Aine  pessers  dann  die  ander 
40  Tuch  fürt  man  auß  flandem 

Wer  das  chaüffet  der  muoß  phenning  han 

Wer  übel  vnd  guot  chan  uerstan 

Tuet  er  vnrecht  man  sol  jn  strauffen 

Wer  schreit  on  not  waüffen 
45  Der  pringt  die  leüt  zuo  samen 

Wenne  man  sieht  schöne  samen 

So  ehumpt  gern  ain  guot  jar 

Ich  waiß  wol  wer  nit  hat  har 

Der  ist  sicher  ehal 
50  Wer  chom  hab  der  mal 

Die  weil  die  päch  sind  groß 

Weren  meiniu  pfant  loß 

So  wölt  ich  frölieh  sein 

Ich  waiß  wol  das  der  wein 
55  Macht  vngeraten  leüt 

Zuo  fasnacht  sieht  man  prüt 

Mer  dann  durch  das  jar  lanck 

Von  üeb  schaiden  ist  ain  swerer  ganck 

Also  gat  das  jar  da  hin 
60  Wer  vast  zert  on  gewin 

Dem  wirt  die  täsche  1er 

Ich  waiß  wol  es  ist  swerr 

26  gleych.        30  sprich.       34  bador.        35  langen,   auff  dem  m.      40  füret. 
fluider.        41  koft        43  solt.        48  hat    hat        53  wolt    froUch.        55  lüt 
50  get 


314  EÜLINO 

Das  niemant  erheben  mag  noch  chan 

Wer  des  winters  one  ban 
65  Vber  weld  muoß  reitten 

Der  sol  des  tags  erbaitten 

Leüg  ich  so  wil  ich  swigen 
bl.  74**  Wer  beginnet  seigen 

Dem  ist  ettwas  prosten 
70  Wer  badet  one  ehesten 

Der  schempt  sich  uil 

Wer  vor  dem  pem  uischen  wii 

Der  mag  sein  arbait  verliessen 

Wer  pöß  gelt  nit  chan  chiessen 
75  Der  verdruißet  seiner  zeit 

Wer  py  ainer  frawen  leit 

Vnd  jr  nicht  gelieben  mag 

Der  wölt  gern  es  war  tag 

Liegens  sol  sich  niemant  gewenen 
80  Siechtag  tuet  wee  den  zen 

Auch  ich  die  leut  hör  sagen 

Wer  vnrechts  vil  muß  haben 

Ich  wen  es  tue  jm  wee 

Czuo  sumer  pluomen  vnd  kle 
85  Sicht  man  auff  den  haiden 

Wem  sein  lieb  wirt  laiden 

Des  liebung  ist  gar  enzwai 

Laichnuß  ist  manger  lay 

Dar  vmb  ist  mir  geschechen  laid 
90  Wer  zuo  dem  augsten  wenig  schneit 

Der  tarff  dest  minder  traschen 

Frawen  mussent  waschen 

Das  lauß  wir  aber  sleiffen 

Chül  morgen  pringent  reififen 
95  Sehne  choment  nach  ehalten  winden 

Der  baupst  mag  enpinden 

63  noch  chan  fehlt.  66  orbiton.  67  Lieg.  68  eigen.  70  fehlt  ganz. 
75  verdrwßet  76  bey.  77  geminnen;  in  cgm270  steht  gelieben  von  jüngerer  hand 
in  rasur,  vgl.  über  dieses  in  cgm  270  geübte  verfahren  Heinrich  Kaufringer  hg, 
von  Euling.  s.  IL  79  Liegents.  wennen.  81  Als  ich.  her.  82  muß  ver- 
tragen. 83  tu.  86  Der  sein.  88  menger.  89  mir  fMi.  90 
93  slyffen.        95  kompt 


QUOOUBET  315 

Den  sundem  wil  er  haben  rw 
bl.  75*  Wann  der  mon  ist  new 

So  mag  sich  das  wetter  uerstossen 
100  Chuglen  vnd  possen 

Macht  vngeraüten  leüt 

Wer  hacket  oder  reut 

Dem  wirt  sein  prot  saür 

Arn  wolflF  vnd  ain  pawr 
105  Werdent  ain  ander  selten  hold 

Das  da  gleist  ist  nit  alles  gold 

Wenn  es  ist  auch  mess 

Ain  schmid  in  seiner  ess 

Sol  haben  guten  chol 
110  New  pesm  cheren  wol 

Paß  dann  si  werdent  alt 

Altu  wip  sind  ehalt 

Dar  zu  pringet  si  jr  alter 

Ich  wen  wenn  ain  malter 
115  Mer  dann  ain  pfünt  gelten  sol 

Es  sey  armen  leüten  nit  wol 

Pöß  offen  werdent  riechen 

Gern  lapt  man  die  siechen 

Wie  gern  sung  ain  man 
120  Ir  wissend  wol  wer  lützel  chan 

Der  haut  gesungen  schier 

Ich  waiß  wol  dry  vnd  vier 

Ist  siben  hewr  als  fert 

Wer  Pfenning  hat  der  ist  wert 
125  Disser  weit  lauflF  nieman 

Ains  mals  gesagen  chan 
bl.  75**  Vnd  wie  ieder  sei  gemuot 

Der  pfafF  aischt  nicht  das  guot 

Die  weil  das  öppfifer  mag  wem 
130  Ich  waiß  wol  er  wölt  gern 

Das  es  lange  wert 

Er  mag  fallen  hiur  als  fert 

Wer  hoch  wil  steigen 

98  man.  nuw.  100  Kichlen.  101  Mach.  105  an  ainander.  106  als. 
107  och.  109  guten  fMt.  110  pesen.  112  weip.  116  nit  fehlt.  119  Wy 
gemen  so  mag  ain  man.        122  oder  vior.        123  vart.        130  weit        131  wart. 


316  EUUNO 

Hern  sol  man  naigen 

135  So  si  piettend  jm  gruoß 
Thören  essent  gern  muoß 
Ymb  alle  sach  ist  mir  nit  chund 
Doch  waiß  ich  wol  den  alten  hond 
Ist  pöß  leren  die  pand 

140  On  pfening  vnd  on  pfand 

Niemant  zuo  dem  wein  sol  gan 
Der  sich  chimiers  wöl  erlaun 
Am  süntag  söl  wir  feirren 
Pfaffen  vnd  geyrren 

145  Sind  der  leüt  schaden  fro 
Gern  print  das  stro 
So  es  nahent  leit  py  dem  fewr 
Jr  wissent  wol  das  hewr 
Die  mäntel  gand  für  die  rock 

150  Gaiß  vnd  auch  pöck 

Tragent  lützel  guotter  wollen 
Wem  der  sack  nit  wil  follen 
Der  sol  jn  halb  verpinden 
Garn  sol  man  winden 

155  Oder  es  wird  sicher  verworren 
So  die  schwin  beginnen  kerren 
bl.  76'  Dar  zuo  tribt  si  des  hungers  not 
Wer  hewr  stirbt  der  ist  tod 
Vnd  ist  sin  piß  jar  vbrig  worden 

160  Es  ist  ain  herter  orden 
Ditz  haist  ain  geplerr 
Vnd  chompt  der  uogel  jn  das  flerr 
Er  wirt  uilleicht  geuangen 
Wer  zuo  jungst  chompt  gegangen 

165  Der  haut  versaümpt  den  ersten  trunk 
Alt  leüt  sint  nicht  Jungk 
Doch  haut  ain  gans  ainen  langen  kragen 
Ich  möcht  zu  vil  sagen 
Da  uon  sprich  ich  ain  wort 

170  Churtz  red  war  ist  ain  hört 


134  g<cneigeD.  142  orlan.  143  vyren  —  gyreo.  147  bey  dem 

fürr.  140  geoU.  155  i>icher  fehlt,  156  swein.  162  lerr.         167  min. 


LÜGENDICHTUNG  317 


Wer  pald  lauflF  dem  ist  gaüch 

Her  auff  da  trunk  ain  prediger  nach. 


171  löff.  172  Hör. 


EINE  LÜGENDICHTUNG. 

Deni  Verzeichnis  ynhd,  liigenstü'Cke  bei  Müller -Fraureuth,  di^^  deut- 
schen lügendichttingen  s,  12,  13  füge  wh  hinxu  „Spruch  das  alles  in 
der  Pelt  gut  gehet"  vom  Schnepperer  aus  der  hs,  des  gernmnischen 
niuseums  zu  Nürnberg  nr,  5339^,  vgl  Anzeiger  f.  ku7ide  d.  d,  vorx, 
1859 j  9 — 12,  Bei  Ooedeke  I,  329  fehlt  das  stüek,  trotzdem  es  vo7i 
Wendeler  in  seinen  Studien  über  Hmis  Rosenplüt  erwähnt  war.  Die 
angeführte  Überschrift  rührt  i^on  jüngerer  hand  her, 

bl.  410**  Ich  sollt  von  hübscher  abenteür 

Sagen  darzu  dorft  ich  wol  steür 

Ob  ich  zusamen  ein  gedieht 

Kunt  bringen  aus  gar  hofelicher  geschieht 
5  Ein  schweiczer  spiß  ein  helnparten 

Die  tanczten  jn  einem  hopffengarten 

Eins  Storchs  pein  vnd  eins  hasenfuß 

Die  pfiffen  auf  zum  tancz  gar  suß 

Die  würfPel  fürten  den  reyen  clug 
10  Dapei  was  heinczlein  meyers  pflüg 

Der  sas  in  einer  alten  taschen 

Vnd  schmidet  ser  an  einer  flaschen 

Was  grosser  kunst  er  daraus  droit 

Die  flasch  was  drei  messig  weit 
15  Er  schopffl;  gancz  vnd  gar  darein 

Das  mer  die  timaw  vnd  den  rein 

In  aller  weit  wassers  zuran 

Ein  muck  verschlant  ein  starcken  man 

Ein  feür  in  wasser  nie  erlasch 
20  Der  pfarrer  seinen  meßner  trasch 

Der  paursman  sictzt  wol  vnd  eben 
bl.  411'  Der  darft  kein  güllt  noch  zehent  geben 

Ich  sach  den  dittrich  von  Bern  den  recken 

Rennen  scharpf  auf  einen  heüschrecken 
25  Ich  wil  euch  neue  mer  hie  sagen 


318  KUUNQ 

Die  schweiczer  hatt  er  all  erschlagen 

Der  edel  fürst  von  osterreich 

Siezt  in  dem  schweiczer  land  gleich 

Vnd  hat  gewiinnen  mit  dem  schwort 
30  Als  er  vor  lang  hat  begert 

Ich  sag  euch  das  fursten  vnd  herren 

Der  Juden  schecz  nit  mer  begem 

Sie  haben  gemacht  gut  Md  vnd  gleit 

Vnd  haben  vertriben  weit  vnd  preit 
35  Die  rauber  gancz  aus  jrem  land 

Das  vnrecht  thut  den  forsten  and 

Es  sein  alle  straß  gar  fridlich  worden 

Vnd  yderman  hellt  recht  sein  orden 

Eeprecher  vnd  meinayd  schweren 
40  Das  vindt  man  auch  nu  nymermer 

Die  wellt  ist  worden  schlecht 

Richter  vnd  schopfiFen  die  sprechen  recht 
bl.  411**  Vnd  vrteilt  yderman  nach  seinem  synn 

So  ist  gerechtikeit  erschinn 
45  In  allen  landen  weit  vnd  preit 

Hat  man  die  vnrecht  au%egeit 

Die  prister  halten  sich  wirdigkleich 

Sie  schlagen  gancz  aus  alle  reich 

Es  wil  einer  nit  mer  haben  dann  ein  pfiründt 
50  Sie  haben  sich  alle  mit  got  versunt 

HofEjEtrt  vnkeüsch  geitikeit  ser 

Das  sieht  man  nymant  treiben  mer 

Man  most  sich  aller  symonei 

Alle  Wasser  vnd  weld  sein  worden  frei 
55  Wann  fursten  vnd  herren  thun  als  wol 

Vnd  nemen  nit  steür  noch  zol 

Der  Pfenning  ist  worden  vnwert 

Das  nymant  mer  vnrechts  begert 

Die  weit  die  fleißt  sich  aller  tugent 
60  Vnd  guter  ding  jn  aller  Jugent 

Die  Jungen  die  haben  die  alten  lip 

Darumb  ich  in  gros  lob  hie  gib 

26fgg.  über  die  satire  in  der  lügendichtung  vgl,  MUÜer-Fraureulh  9,22  f gg. 
39.  40  schwerer  Die?  49  vgL  Germania  33  (1888)  8.164. 


LÜOENDICHTXTNO  319 

Die  kindt  volgen  vater  vnd  muter  schon 
bl.  412'  Nymandt  dem  andern  arges  gon 
65  Nymant  tregt  mer  neid  vnd  has 

Geen  dem  andern  ich  sag  euch  das 

Die  Juden  wollen  sich  gancz  bekem 

Vnd  nymmt  keiner  kein  wücher  mer 

Sie  sein  all  getauft  zu  der  cristenheit 
70  Jr  sund  ist  in  worden  leit 

Des  habens  alle  ein  guten  willen 

Ein  muck  ving  mit  einem  grillen 

Starcker  wolff  drei  on  wer 

Ein  schwarczer  storch  pädt  sich  ser 
75  In  einem  sperckennest  gros 

Ein  plinter  zu  dem  zil  schos 

Ein  zwifalter  aus  clugen  wiczen 

Sang  mit  einem  stigliczen 

Vmb  hundert  eleu  egerigs  tuchß 
80  Ein  henn  die  laß  mit  einem  fuchß 

Eüe  vor  das  sag  ich  euch  für  war 

Ich  was  gar  nahent  hundert  Jar 

Ein  gewaltiger  pabst  in  schottenlant 

Ich  gabs  mit  willen  auf  zuhant 
bl.412'*  85  Do  hett  ich  alles  das  ich  wollt 

An  dem  weg  do  lag  das  silber  vnd  das  golt 

Gleich  sam  die  grossen  quaderstein 

Das  was  mir  alles  gar  gemein 

Do  stund  ein  prunn  der  was  guldin 
90  Daraus  flos  der  aller  peßt  wein 

Ein  reiche  kuch  stund  auch  dapei 

Vnd  die  was  yderman  frei 

Da  gieng  ich  auch  ein  als  ich  solt 

Vnd  asß  vnd  tranck  do  was  ich  wolt 
95  Ich  schlug  es  aus  vnd  wolts  nit  han 

Da  sprach  zu  mir  frau  vnd  man 

Ich  wer  nicht  weis  das  ichs  ausschlug 

Solch  herren  leben  gar  gefug 

Ich  sag  ein  grossen  mülstein 
100  Da  fügen  in  lüften  gemein 

85  Igg.  pgL  Müller '  Fraureuth  s.  14  fgy. 


320  KÜURGh,  LÜOKNDICHTUNO 

Ich  sag  einen  paumen  der  trug 

Die  allerpeeten  semel  gut  vnd  clug 

Der  do  in  einem  weyer  hing 

Der  lauter  da  mit  milich  ging 
105  Darein  vihi  die  semel  herab 
bl.  413'  Ein  loflFel  man  yderman  gab 

Zu  essen  genug  semel  vnd  milch 

Ein  weber  macht  guten  zwilich 

Aus  einer  alten  decken  schon 
110  Ich  sag  den  tum  zu  babilon 

In  eines  kramers  korb  verspert 

Ein  äff  mach  hübsch  gefert 

Auf  einer  lauten  hofenleich 

Vor  Komischen  keisem  reich 
115  Da  kund  er  alle  seitenspill 

Ein  toter  Jud  der  gerbet  vil 

Schweiner  feil  zu  einem  pelcz 

Ich  sag  aus  einer  mucken  schmelcz 

Das  peßt  schmalcz  wol  drey  zentner 
120  Des  molers  pensei  trug  gar  schwer 

An  einem  schneckenkorb  gros 

Ein  frosch  zu  einem  storchnest  schos 

Es  vellt  neür  vmb  zwu  ackerleng 

Er  hetts  sust  troffen  sein  weit  sein  eng 
125  Mit  einem  alten  videlbogen 

Ob  ymant  Sprech  ich  hett  gelogen 
bl.  413**  Ich  hab  nit  brif  noch  sigel  dapei 

Wie  es  das  ewangelio  sei 

Damit  ich  die  kunst  bewer 
130  Das  ist  nit  war  vnd  ist  kein  mer 

Sagt  vns  der  schnepperer. 

126  fgg.  vgl.  Fsp.  1138. 
miDKSHEIM.  K.   EmJKO. 


321 


ZUM  PASSIONAL. 

1.    Dresdner  bruchstficke  aus  dem  passional  K. 

Ausser  den  beiden  von  0.  Meltzer  (Germ.  18,  355  fg.)  und  E.  Wör- 

(Ztschr.  f.  d.  ph.  8,  63  fg.)  veröffentlichten  bruchstücken  des  Pas- 
ais besizt  die  kgl.  bibliothek  zu  Dresden  noch  zwei  andere,  die  wie 

Wörnersche  bruchstück  dem  dritten  von  Köpke  (Quedlinburg  und 
»zig  1852)  herausgegebenen  buche  des  Passionais  (Passional  K.)  ange- 
sn.  Über  diese  beiden  noch  nicht  veröffentlichten  bruchstücke,  auf 
3he  mich  mein  freund  kustos  dr.  H.  A.  lier  aufinerksam  machte, 

im  folgenden  berichtet  werden. 

1)  Zwei  pergamentstreifen,  welche  zusammen  ein  wagerecht  durch- 
littenes  doppelblatt  darstellen,  das  ehemals  den  inneren  teil  eines 
bemio  gebildet  hat  und  dessen  Seiten  207  müL  hoch  und  173  mill. 
t  sind.  Dr.  H.  A.  lier  fand  diese  pergamentstreifen  im  inneren 
cen  eines  aus  der  ölser  privatbibliothek  des  verstorbenen  herzogs 

Braunschweig  stammenden  und  von  da  in  den  besitz  der  Dresdner 

bibliothek  übergegangenen  buches  (Helius  Eobanus  Hessus,  He- 
um  ChnstiaDarum  epistolae.  lipizk  per  Melchiorem  Lotter.  1514.  4®). 
232  verszeilen,  welche  das  bruchstück  enthält  und  welche  bei 
>ke  den  versen  139,  29  — 141,  68  entsprechen,  sind  so  verteilt,  dass 
.  auf  jeder  der  4  selten  2  spalten  zu  je  29  versen  befinden.  Das 
e  blatt  ist  am  seitenrande  verschnitten,  sodass  von  bl.  1'  sp.  2  die 
äausgänge  und  von  bl.  1**  sp.  1  die  versanfange  fehlen.  Es  fehlen 
ach  die  ausgänge  der  verse  Köpke  139,  58 — 86  und  die  anfange 

verse  Köpke  139,  87  — 140,  19.  Die  schriftzüge  sind  zwar  nicht 
ade  schön  und  regelmässig,  zeichnen  sich  aber  durch  deuüichkeit 
.  Andere  als  die  bokanten  abkürzungen  süid  nicht  verwendet  Die 
chnitte  sind  durch  grosse  bunte  initialen  bezeichnet;  so  begint  139,47 

einem  blauen  N,  140,  33  mit  eüiem  roten  P  und  140,  89  mit 
3m  blauen  D.  An  einzelnen  stellen  hat  die  schrift  durch  kleine 
:ier,  noch  mehr  durch  falzung  des  pergaments  und  aufgestrichenen 
n  gelitten. 

In  dem  folgenden  Varianten  Verzeichnis,  bei  welchem  ich  auf  die 
1  orthographischen  imterschiede  keine  rücksicht  genommen  habe, 
«ichnen  die  worte  vor  dem  strich  die  lesarten  des  Köpkeschen  tex- 

die  hinter  dem  strich  die  unseres  bruchstücks. 

13 9j  29.  an  mi  ungemutec  genuc  \  er  was  vnmvtic  gnvk    31.  im  \ 
33.  korbe  \  knehte     34.  ei7i  brot  \  dax  broi    36.  geweft  ein  ftein 

r.  DEUTSCHE   PinLOLOOIE.      BD.   X2UI.  21 


323 

fo  feharf  |  gKU)p.fen  ein  fiein  arharf    3  7.  gefen  |  gfj'ehen     3S  gtfc 
gefehehn     41.  hie  |  da     51.  futn  \  fvÜen     S3-  fit  \  fint     61.  (Ma  |  «R 
02.  im  I  do     69.  i«  |  vor     72.  die  ßlde  alle  |  da  falle  tr  alle     TU.  d^m^ 
an  I  die  fie  an     79.  kiifcn  |  «...     80.  ufm  |  hife     96.  hetni  gentw^ 
...77U9  heten 

140,  2.  kfninen  \  ar-Meii.     9.  in  die  fchalf-  \  dir  frhal     10.  -^i^t 
lait  \  M  tal      U.  feibe  fchale  j  . . . r  läge      12.  felhen  male  \  ...c  tam^ft 

18.  gutÜch  I liehen     26.  auch  rerfiimfftu  da%  \  orh  oh  dv  v'fovm^^/t 

daz  27.  wHrdcft  |  wvrdeft  51.  ftmx  er  ntnhte  Italien  \  ftrat  er  9w^t 
an  df  ftvnde  52.  fint  ifh  han  enlfafien  |  fit  ich  hart  enphrrm^^ 
64.  brgin  \  geuin  71.  fchifhrwhe  I  fehifhmehik  74.  uf  tU'm  \  vff* 
83.  arme?!  |  arme  84.  erlxirmen  \  erbarme  86.  befle  \  beflex  .  (rt^^r  \ 
an  trf-k  87.  bereit  \  gereit  88.  in  barmeherUkeit  |  in  die  barttih'xi- 
keit    93.  da  \  hin  da 

141,  5.  man  |  menfehe  10.  dax  in  fime  gehete  \  dax  tUeii  in  fin^ 
gebeie  18.  /p/Wfts  |  leidie  10.  fit  veriaeh  \  fint  iach  23.  ttibe  |  krrcr 
28.  zu  im  alfm  \  alfvx  xv  im  29.  Petre  |  peter  30.  du  haß  getcal- 
net  I  fft  ftafi  geweint  31.  um  \  rmbe  37.  «loa  mir  \  mir  n-as  39. 
kable  ir  teil  |  kelle  ir  not  40.  gut  |  guter  43.  prttieter  |  prrftf  f*" 
48.  fine,  |  fin  49.  an  fulcke  \  vf  folehe  51.  vor  den  ha/ndeti  \  tu  da* 
hentlf  53.  rieher  der  imie  \  richer  mae  35.  treit  \  v'treit.  32.  lUi  \ 
dax     67.  gefterheti  \  erfterhen. 

2)  Ein  perg:ainenMoppelbIatt,  jezt   mit  einem  papiereinbande  tpt^ 
sehen.     Es  trägt  die  beüeichnung  Msc^.  Drped.  M  177  und  die  acqui».— 
nr.  1789*  1243.     Dem  handschrifteukatalng  zufolge  iat  es  ein  geschenfc 
von  fräulein  Louise  von  Olivier  in  Dresden.     Die  blätter  sind  238  nüH- 
hoch  und   179  mill.  breit.     Die   aeiten   bieten   den   text  in  je  2  spalttÄ» 
mit  je  42  verszeilen.      Eine   ausnähme    macht   die   zweite   »palte  v»«» 
bl.  1\  welche  nnr  41  verszeileo  hat,  da  ihre  lezte  zeile  nnbcHchriebe« 
ist     Das  ganze  fragment  enthält  somit  235  verszcilen,   und  diese  ea*" 
sprechen  bei  Köpke  den  versen  581,  58—583.  3Ö  und  586,  81—588,  &'2 
Es  fehlen  dazwischen  336  verszeilen,    d.  h.  ein  doppelblatt  mit  8  sp*^' 
ten  zu  je  42  zetlen.     Das   hier  fehlende  doppelblatt  war  demnacti   d** 
oberete  einer  läge,  deren  zweites  unser  bnichstück  darstelt.     Die  sdir** 
hW  mit  der  des  hruchstiicks  1   nielit;  wenig  ähnltehkeit,   doch  ist  «1**^ 
selbe  ein   wenig  kleiner,   gedrängter    und    zum   teil   eher    noch    ett*"^ 
ungleichmaäsiger  als  dort.     Bunte   tinte  ist  reichlich   verwendet     H**^ 
initialen  finden  sich  bei  v.  1  des  bei  Köpfce  (s.  5^2)   mit  69  Ute  ^^~*\ 
ckei  dax   bt/ch  von  aUen   seien    überschriebenen   kiqiitets   (U)    ond     *^* 
5ST,  45  (Z),  blaue  initialen  bei  582,  fi9.  47  (Ti>  ..^-i  f.'^'J    a  (1 


ZUM  PASSIONAL  323 

• 

en  stehen  also  (wie  dies  auch  bei  bruchst  1  der  fall  ist)  an  densel- 
stellen,   wo  die  dem  Köpkeschen  text   zu  gründe  liegende  hand- 
rift  solche  hat.     Ausserdem  sind  vor  einzelne  verse,  aber  ohne  regei- 
sige Zwischenräume,  abwechselnd  rote  und  blaue  zierzeichen  (      ) 
lalt  und   am   ende   kürzerer  verse  hin  und  wider  horizontale  rote 
rstriche.     Die  handschrift,  welcher  unser  bruchstück  entstamt,  hatte 
ler  unter  dem  oberen  rande  der  seiten  die  kapitelüberschriften  in 
T  färbe.     Davon  sind  in  unserem  bruchstück  folgende  werte  erhal- 
auf  bl.  1'  — heyligen —   — iac — ;   bL  1**  — von —    — aller  — ; 
2*  —  Seim  —    -  iae—\   bl.  2**   —v(m—    —dOer—,    Auf  bl.  1' 
Bn  stehen  von  einer  hand  des  17.  Jahrhunderts  quer,  zum  teil  über 
text  werte   geschrieben,   von   denen   mir   nur  folgendes  leserlich 
•:  Anno  48 Wcdpurgis  1648  WcUpurgis  48. 

Lesarten: 

581,  59,  obe  tifchen  die  wol  axen  \  ob  den  tifchen  vnd  axen 
da  I  do  62,  gewac  \  ml  genvc  65,  zun  \  %e  67,  enheten  \  heten 
mochte  \  mohteti     82,  vninde  \  vrevde     84,  von  in  gewant  \  an  hi 

■ant      85,   wand  fi  getmwe   vrunt  haben  \  wan  fie  gnvc  vr.  h. 
hie  I  da     93.  woUent  \  wellen 

582,  4,  feie  \  feien  9,  zu  gefiaden  \  zegenade  10,  ire  \  ir  16, 
n  do  I  man  vns  19,  und  doch  nihi  uf  \  vnde  idoch  vf  24,  alt- 
ere I  aÜen  vceter     25,  zwei f boten,  merterere  \  zwelfpoten  martercerc 

582,  69,  6,  ful  wir  \  fvlt  ir     12.  OdiUo  \  odilo     13.  tvit  \  tuite 
feltzene  |  felifenez     16.  lit  \  Ugt    fchone  \  fchoner      22.  Odilio  \ 

lo  26,  fchrient  \  fchrirefi  32.  ifi  ir  \  ir  ift  35.  behaiden  \  hol- 
''  50.  kalt  I  kelde  52.  ieglich  |  igUch  55.  fchone  \  fchonez  58. 
xen  I  ende  , 

583,  1.  nicht  hie  \  hi^e  niht  3,  anic  \  cmiic  4,  undertanic  |  vn- 
t€enic      17,  im  |  in      19.  geborget  \  verborget      25,  fehlere  \  fchire 

vor  I  vofi     30,  u^rt  fchiere  \  fchire  wirt    31  lange  \  alle     36.  im, 
ij  fwem  I  im  fweni 

586,  89.  bume7ide  \  brennende     92.  bifuz  \  bift  dv      93.  binx  \ 
ex     94,  gehbete  himen  \  gelobte  zekvmen     97.  98,  \  98.  97. 

587,  12.  bunte  werc  \  bvntiverc  14.  teil  auch  alzu  fere  \  teil  al 
ere  15.  an  valfche  \  anvalfch  20.  als  des  der  \  als  der  31.  getvt- 
>*  I  gewifchen       33.   fnellekeiie  \  fnellicheit      36.   an   allen  \  allen 

•  Zum  dritten  machet  \  Zein  drittem  male  machet  49.  unferme  \ 
rem     58.  rufet  |  rufen      64.  behielt  \  befchieU     67.  traf  unz  vur 

*  M  I  hrU  vntx  vffen  tot      75.  gruben  in  die  \  gruben  in  in  die 

21* 


324  F.   SCHBOBDXR,    ZUlf  PA8SI0NAL 

80.  doch  I  do     86.  fprechet  \  fjprichet      87.  felemeffe  \  felenmeffe    97. 
mines  \  mins 

588,  5.  6.\  6.  5      9.  fo  \  fus      10.  vil  \  wol  vü      15.  in  \  fie 
18.  in  brachte  \  brahte  in     20.  zu  fiaten  \  wol  xeftaten     30.  felben  \ 
felbe     32.  ieglich  \  igUch     33.  wand  \  vnd     36.  wand  \  vnd    48.  feie ' 
feien. 

Noch  will  ich  bemerken,  dass  keines  der  beiden  bruchstüc^e, 
welche  den  schriftzügen  nach  in  das  ende  des  13.  oder  den  anfang  des 
14.  Jahrhunderts  zu  setzen  sind,  so  viel  ich  aus  den  beschreibun^^e*-!! 
der  herausgeber  habe  ersehen  können,  einer  der  bis  jezt  durch  bmoti- 
stücke  bekant  gewordenen  handschriften  angehört 

DRESDEN.  ALFRED   NEUMANN. 


2.    Cleyisehes  bmehstttck. 

Zu  der  aufzählung  der  handschriften  des  Alten  passionale^ 
bei  K.  Oödeke:    Deutsche  dichtung  im  mittelalter  s.  209^  ist  hinzuzu- 
fügen,  dass  sich  ein,  wahrscheinlich  dem  15.  Jahrhundert  angehöriges, 
bruchstück  aus  dem  zweiten  teile  des  Passionales  in  dem  archiv  der 
pfarkirche  zu  Cleve  befindet.     R  Schölten:    „Die  Stadt  Cleve"  8.449 
erwähnt  dasselbe  kurz  als  „Fragment  eines  liedes  von  sente  Jacob.^    Es 
ist  ein  halber  pergamentbogen  in  4^  gefalten,  mit  doppelcolumnen  jede 
zu  35  Zeilen,  im  ganzen  280  verse,  welche  einen  teil  der  legende  des 
apostels  Jacobus  des  älteren  behandeln  (=  K.  A.  Hahn,  Altes  passional 
s.  220  V.  73  —  223  v.  66).     Am  köpfe   der   einzelnen   Seiten   steht  mit 
roten  buchstaben  „Von  Sente  Jacob  aplo",  ebenfals  rot  oder  blau  gemalt 
sind  die  einfachen  initialen.  —  Im  jähre  1574  hat  der  bogen,  der  läng« 
nach  gefalten,  als  Umschlag  zu  einer  rechnimg  über  verausgabte  ahno- 
sen  gedient,   da  sich  am  rande   der  vermerk   findet:    „ratio  expensa^ 
eleemosinae  de  anno  LXXUU"  und  darunter  von  zweiter  band  „usque 
1575.  H."     Ausserdem  bezeichnen  löcher  die  stelle,   wo  die  rechnuag 
eingeheftet  war.  —  Im  text  stimt  das  bruchstück  mit  dem  texte  Haha^i 
die  geringen  abweichungen  betreffen  nur  die  Schreibung,  in  welcher  3* 
Hahn  nach  seinen  eigenen  werten  (vgl.  seine  vorrede)  nicht  immer  coö- 
sequent  gewesen  ist.     Wände  und  vfide  ist  regelmässig  wäi  und  i^^** 
s.  220  v.  73  liest  man  truch;    s.  221  v.  1  und  10  kunfcglne;    14  ^^^ 
betaue;  45  engil;  46  hengil;  48  gewaldes;  56  und  222,  14  vnmax^^^' 

Ja 

1)  Dass  für  grosse  partion  des  passionales  die  legenda  aarea  dos  Jacoba^ 
Voragiue  die  quelle  ist,    erwähnt  Gödeke  nicht    Und  doch  ist  die  übereinstimii»*^*^ 
stellenweise,  z.  b.  in  der  legende  von  St.  Jacob,  eine  fast  wörtliche. 


FIBT8CH,   OBSRD.   GL0B8AB  Zu  LUTHSBS  BIBBL  325 

222,  19  starc;  33  giel;  41  heis;  45  ungeuucher;  50  maniehveldiche; 
60  berch;  85  getet  vf  in  nach  („v/*"  ist  durchgestrichen);  223,  34 
ploech;  35  gelach;  49  erkani;  51  5wn  m  eiw  des  do  wart  (j,do^'  steht 
über  der  zeile);  61  sich  do  an  in  versach;  62  truchen;  63  vuchen; 
64  starke  tränke. 

Es  wäre  interessant  zu  erfahren,   ob  unser  fragment  ursprünglich 
vielleicht  zu  einer  noch  existierenden  handschrift  gehört  habe. 

CLEVE,    14.  JUNI    1888.  P.    SCHROEDKR. 


EIN  UNBEKANTES  OBEEDEUTSCHES  GLOSSAE  ZU 

LUTHEKS  BIBELÜBEESETZUNG. 

Während  das  kleine  glossar,   welches  zuerst  Adam  Petri  seinen 

beiden  im  märz  1523   erschienenen   nachdrucken  von  Luthers  Neuem 

testament  (der  eine  in  2^,  der  andere  in  8^)  beigab,  längst  die  aufmerk- 

samkeit  auf  sich  gezogen  hat,  indem  es  bereits  1859  von  R  v.  Raumer 

in  Frommanns  Deutschen  mundarten  (VI,  39  fg.)   algomein  zugänglich 

gemacht  und  in  neuerer  zeit  mehrfach  ausführlich  besprochen  worden 

ist  (H.  Kückert,   Gesch.    d.   nhd.   Schriftsprache  II,    92  — 108;    Kluge, 

r.    von  Luther  bis  Lessing,  83  —  91;  Socin,  Schriftsprache  und  dialekte  im 

deutschen,   236 — 45),    ist    ein   anderes   ähnliches,    aber   viel    weniger 

umfängliches  glossar  bisher  fast  völlig  unbeachtet  geblieben.     Allerdings 

erwähnt  Panzer,  Entwurf  einer  gesch.  der  bibeltibersetzung  M.  Luthers 

(1783),  8.  177,   dass  der  nachdruck,    welchen  Thoman  Wolf  in  Basel 

j     1523  von  dem  1.  teile  des  Alten  testaments  veranstaltete  „die  erklärung 

\    einiger   (für   die  Schweizer)   schweren   Wörter"    enthalte   und    Mezger, 

Gösch,  d.  deutschen  bibelübersetzungen  in  der  schweizerisch -reformir- 

*^ii  kirche  (1876),   s.  48  sagt  bei  besprechung  desselben  nachdruckes, 

^©tn  texte  folge  die  erklärung  von  Wörtern,    die  dem  Schweizerleser 

^^verständlich  waren.     Socin  ist  diese  leztere  bemerkung  nicht  entgan- 

S^H,  er  findet   sich  aber   mit  ihr  durch  die   frage   ab    (s.  245,  anm.), 

^^    damit  vielleicht   die   randglosson    zur  erläuterung  wichtiger  stellen 

S^Hieint    seien,    über   welche    er   s.  246,   anm.    aus   einem   Petrischen 

^^^*Ucke  mitteilungen  macht     Es  düifte  daher  nicht  unwilkommen  sein, 

^^nn  ich  aus   dem    einzigen    exemplar   des   betreffenden  druckes,   das 

'^^^Ar  bei  meinen  bibliographischen  vorarbeiten  für  die  herausgäbe  von 

^Uthers  bibelübersetzung  zu  gesicht  gekommen  ist  (in  Stuttgart),   das 

Slossar  hier  wörtlich   zum   abdruck   bringe.    Dasselbe  ist  mit  einigen 


326  PIETSGH 

aus  Petris  glossar  (bez.  aus  der  widerholung  desselben  in  dem  Strass- 
burger  nachdruck  von  1524)  stammenden  Zusätzen  ferner  enthalten  in 
dem  am  an&ng  und  ende  unvolständigen  exemplar  eines  nachdruckes 
des  ersten  teiles  des  Alten  testaments,  das  sich  in  Wolfenbüttel  befindet 
(höchst  wahrscheinlich  die  von  Panzer  a.  a.  o.  s.  180  beschriebene  aus- 
gäbe. Colmar,  Amandus  Farkal  1524).  Die  zusätze  bez.  abweichungen 
der  lezteren  ausgäbe  sind  unten  durch  kursivschrift  kentlich  gemacht 
Die  Wörter,  welche  sich  auch  bei  Petri  finden  —  in  Wolfs  glossar  sind 
es  nur  5  —  habe  ich  mit  *  bezeichnet  und  etwaige  kleine  abweichungen 
von  Petri  angemerkt  Auch  auf  die  von  Kluge,  Von  Luther  bis  Les- 
sing, s.  78  fg.  gegebene  konkordanz  der  bibelübersetzungen  des  16.  jahr- 
himderts  habe  ich  verwiesen,  wo  sie  sich  mit  omserem  glossar  berührt 
und  einige  weitere  bemerkungen  hinzugefügt,  wo  mir  solche  wünschens- 
wert schienen  oder  mir  möglich  waren.  Unsere  kentnis  der  in  Ale- 
mannion nicht  verständlichen  werte  Luthers  erhält  durch  Wolfs  glossar 
einige  nicht  unwesentliche  bereicherungen,  ebenso  natürlich  auch  die 
liste  der  durch  Luther  gemeindeutsch  gewordenen  Wörter,  die  zulezt 
Francke,  Grundzüge  der  Schriftsprache  Luthers  (1888),  s.  112  au%e- 
stelt  hat 

Das  glossar  steht  sowol  in  der  Wolfechen  ausgäbe  wie  auch  in 
der  wahrscheinlich  Farkalschen  unmittelbar  hinter  dem  bibeltexte. 

Dem  L&ser. 

Nach  dem  mal  nit  im  teutschen  als  im  Latin  alle  dinge  mit  eyn- 

nerley   wortten   genennet   werden/    haben   wyr   etliche    nach    vylerlcy 

sprach  hie  angezeyget/   auff  das  nitt  yemandt  im  l&sen  vast  behindert 

werde   der   solche  wortt   in   seiner   sprach   nit  erkündet  hette/   geheb 

dich  wol. 

A. 

Alle  /  oder  all  /  l&r  /  6d  /  verzeret  /  schwach. 

Arm  forderst  vierteyl. 

AufFrafien  von  der  erden  aufifeamlen. 

*  Anfurt  der  schiff  anlenduiig. 

B. 

5  Boythüns  wartens  zur  zeit  irer  krankheyt 

Bersten  zerspringen. 

Brüsten  brüst  vnd  stercke  gewynnen. 

Byenen  immen  /  byen  [byenen], 

Blachon  sunder  hügel  /  eben  velt 

10  *  Bange  engstig  /  arigst 


OBKRD.   GLOSSAR  ZU  LUTHERS   BIBEL 


327 


C. 


Canincben 

Cünykel. 

D. 
bla8en  z&r  gedechtnuß. 

E. 
wider  willen  haben  /  verschmehen.  [verschtne- 

Denckblasen 

Eckeln 

hen  fehlt] 

Eckel 

walgnng  /  wider  will. 

15    *Eyffer 

ernst, 

F 
verzagt  /  erschrocken. 

Feyg 

Früelinge 

der  ersten  zeyt 

Freybock 

denn  man  frey  ließ  lanflFen. 

*F&1 

mangel  /  bresten. 

20   Fittichen 

Srtter  an  klevdem  /  flügel. 

6. 
Korn  1  fnucht 

*  Oetreyde 

*  Oefeß 

geschirr. 

Gered 

allerley  geschirre  vnd  haußradt 

Geschosset 

ehern  gewannen. 

25  Gemang 

gemist  /  zweyerley. 

Grütz 

grieß  muß. 

Gedeyen  golt 

geleüttert  /  klar  /  fyn  [fein]  golt. 

Gemeyn 

nützbar  /  lesen  vnd  zftbereyten. 

*  Grentze 

ende /dar  ein  lant  keret.  [statt  dessen:  gegnej 

vmbkreiß]. 

H. 

30  *  Hügel 

gipffei  1  bühel. 

Hayn 

ein  vynster  walt 

Halliar 

Jubel  iar. 

Hockericht 

der  ein  hoger  hat 

Hundgelt 

das  man  gebonn  sollt  /  die  erste  gebürt. 

eins  hunß  zül6son. 

K. 
keyn  eeweib. 

35  Kebsweyb 

Kolcko 

cystem. 

Knotten 

bellen. 

Kelter 

trott  /  weinpreß. 

Kiemchtig 

steynig  /  rüch  von  steynen. 

40  Erygot 

ergreyfft  /  vahet. 

328 


PDET80H 


*  Lippen 

*  Lencken 

» 

Mevlich 


lefftzen. 
vml)keren. 


gemach. 


M. 


P. 


Paucken 

tninimen. 

45  Pfeben 

Pobel  [Piibd] 

erd&pffel. 

klein  geacht  volck. 

Quyd 

Q. 

on  /  abkomen. 

R 

Begot 
Band 

braucht  euch  /  webt  /  vnd  werbt  [tcerbent] 
end  /  ftrtter  vmbher. 

50  Schulter 

S. 
achsel. 

StuflFen 
Schliff 

Staffel  /  steyg. 
Wasser  rhflr. 

Schicht 
Schneützen 
55  *  Schwelger 

seyte. 

abbroch  /bützer; 

;  Schlemmer  /  füller. 

Toben 
Turstiglich 
*  TSpffen 
Tappen 

T. 
grymmig  /  zornig  sein, 
mit  freyem  müt  /  vnuerzagt 
hauen  [haffenj 
füeß  wie  hende. 

V. 

abgesmidert 
Verdachter. 

60   Vßgerottet 
Verloumbdcr 

Vngeheure 

vngeschickt 

W. 

Wancketen 
Wase 

waren  wanckelmütig. 
base. 

65  Wansynnig 

cngstig  /  nit  wissen  wo  auß. 

rr 

*Zige 
Zehenden 

z. 

geyß. 

ein  m&ßlin  als'  ob  mir  [tcir]  sprechen  j  vyr 

Züchter 

tzel  [viertxel], 
der  auß  golübd  ein  strengs  leben  füret 

OBEKD.   GLOSSAR  ZU  LUTHEBS  BIBRL  329 

Darauf  folgt: 
Anzeygung   wo   diso  nach  folgende  Ebreische   vn   auch   ettliche 
andere  wftrtter  verteutscht  vnd  außgelegt  werden  /  nach  Ordnung  des 
Alphabeths. 

cL  A.  ein  register  über  die  in  den  ghssen  besprochenen  worte,  yneist 
nur  das  xu  erklärende  wort  und  die  Seitenzahl  dabei;  leztere  fehlt 
jedoch  xuiveilen,  x.  b.  bei  Bethlehem  und  es  ist  dafür  die  erkläning 
selbst  gegeben:  eynn  hauß  des  brots  /  alls  ob  man  spreche  brot- 
hausen. 

Anmerknngren. 

1.  Gemeint  ist  die  bekante,  wie  es  scheint,  vor  Luther  in  der  litterator  nicht 
nachweisbare  prädikative  Verwendung  von  alle  in  der  bedeutung  ^xu  ende  gebracht.**' 
Hier  ist  offenbar  besonders  an  4.  Mose  14,  33  gedacht:  his  dns  ewre  leihe  alle  wer- 
den in  der  leüsten,  denn  an  einer  andern  stelle  des  pentateuchs,  wo  die  späteren 
ausgaben  von  Luthers  Übersetzung  auch  diesen  ausdruck  aufweisen  (1.  Mose  15,  16), 
haben  die  älteren  drucke:  die  missetat  der  Ammonifer  ist  tioch  nicht  gar  hie. 

2.  Es  ist  natürUch  nur  die  besondere  bedeutung  gemeint,  in  welcher  Luther 
das  wort  arm  5.  Mose  18,  3  gebraucht:  den  arm  vnd  beide  backen  vnd  den  watist 
[der  ochsen  und  sehafej. 

*  3.  4.  Mose  19,  9.  Soweit  raff&ti  vor  Luther  überhaupt  im  oberd.  vorkomt, 
scheint  die  bedeutung  rupfen  und  die  umgelauteto  form  reffen  vorzuhorschen.  Ver- 
breiteter ist  oberd.  das  von  derselben  wurzel  stammende,  mit  raffen  gleichbedeutende 
raspdn  -en  (&xxs  *rafspdn). 

4.  1.  Mose  49,  13;  5.  Mose  1,7  =  landungsstelle ,  hafen.  Auch  im  Neuen 
testament  mehrfach.  Vor  Luther  nicht  nachgewiesen.  Die  belege,  die  Gr.  wtb.  1,  335 
fg.  für  das  spätere  vorkommen  des  wertes  gegeben  werden,  zeigen  dasselbe  nur  bei 
Schriftstellern  md.  und  nd.  horkunft,  mit  einziger  ausnähme  einer  stelle  in  Seb. 
Francks  weltbuch.  Unmittelbar  von  Luther  hat  wol  Erasmus  Alberus  das  wort;  er 
führt  es  (Nov.  dictionarii  genus  zij')  neben  srhifflend  als  deutsche  cntsprechung  von 
portus,  navale,  statio  auf.    Lezteror  beleg  fehlt  in  Gr.  wtb. 

5.  3.  Mose  15,  25.  26:  xttr  xeit  yhrs  beythuns,  wofür  später:  x.  x.  jrer 
abs(ynderu7ig.  Die  im  glossar  gegebene  erklärung  bezieht  sich  auf  den  Zusammen- 
hang der  stelle,  an  der  vom  blutfluss  der  frauen  die  rede  ist.  Das  verbum  bei  tun 
belegt  Gr.  wtb.  noch  zweimal  aus  Luthers  Schriften,  es  bedeutet:  bei  seite  tun, 
abschaffen i  entfernen.  Vgl.  beilegen,  das  in  der  bedeutung  „6ei  seile  legen,  besei- 
tigen'*^ ebenfals  zuerst  bei  Luther  begegnet.  Lexer  belegt  bituon  btlegen  nur  =  hin- 
xutun,  -legen.  Vgl.  noch  3.  Mose  15,  19:  die  sol  sieben  tag  bei  seit  gethan  werden 
fseyfi),  und  auch  15,  20  haben  die  älteren  ausgaben:  so  lange  sie  beyseit  gethan 
ist,  wofür  ztdezt:  so  lange  sie  yhrc  xeit  hat. 

6.  Vgl.  Kluge,  s.  78:  Luthere  bersten :  brechen  Eck  u.  Zürich,  bibcl.  Man 
sieht,  dass  bresten,  die  oberd.  form  des  Lutherschen  berstefi,  in  der  bedeutung  frangi 
auch  oberd.  nicht  mehr  üblich  war.  Es  würde  wol  sonst  hier,  wie  nachher  64 ,  auch 
nur  die  md.  lautform  durch  die  oberd.  orsezt  worden  sein.  Stalder  belegt  bresten 
nur  in  der  bedeutung  ^gebrechen"'  und  „in  himmer  leben.'*' 

7.  4.  Mose  23,  24  haben  die  älteren  drucke:  Sihe  das  volck  wird  aufsteJien 
tcic  ein  jufiger  leice  riid  wird  sich  brüsten  ivie  ein  lewe  . . .,  wofür  später  ...  wird 


»ich  erhdicn  te.  «.  /.  gesaxt  ist.  Din  belsgi^  wulcho  Laxer  nnil  Or.  wtb.  für  krünlim 
geben,  sclioirien  ta  mgen,  das  das»  dtu  wart  auch  in  der  Bi-hwotz  nicht  unlxikiol 
war.    Stalder  belogt  ee  in  der  bodoutung  „sich  mit  aller  Ipibeski'aft  Hteinmen.' 

9.  Es  war  bei  dem  plur,  bymm  (5.  Mose  1 ,  44)  wul  uuf  die  form,  ■ntüAt 
anstössig  (^rsubieo,  Ul'ri  verrossor  des  gloBsare  war  neben  imme  nur  hie,  plnr.  hin 
oder  allonfals  hin{r),  pl.  bi»e(n)  geläufig.  Die  von  Luther  gebranchto  and  in  Üt 
Bchriftsprache  übergegangene  fomi  hiene  ist  im  hinblick  auf  die,  3o\-i8l  ii-li  uho  Ui 
Luther  dncuhstehcnde  Schreibung  luit  ie  wol  nicht  nie  Weigand  uod  Klage  aiuu'h- 
moD,  :=■  mh(L  bitte  kü  setzen,  sondem  vtrhilft  sich  in  b-ie  wie  noui.  'birrie  :  kirr^. 
Der  hergang  war  wol  der,  dass  bic  pl.  biet*,  bire  pl.  bir(e)n  in  diti  onalogie  na 
krSne  pl.  krön  t.  krönen;  atime  pL  stim  f.  »tirtten;  dirne  pl.  rficr«  f.  diemtn  mw. 
antraten  und  so  die  siug.  hienc  hime  erhielten,  zu  denen  die  plur,  hioi  htm  oder 
[mit  der  bevorzugang,  welche  seit  dem  15/16.  jahrhuDdeit  den  durch  lautliche  Wand- 
lung nicht  gutnibten  llsxionsfurmen  in  der  schritt  zu  teil  wint)  bümen  bimm 
lauteten. 

9.  Vgl.  Kluge,  s.  78:  Luthers  Blachfuld:  Flaohftld,  flache*,  «Am«  feid  i 
den  anderen  Übersetzungen.  Blacheti  in  bozug  auf  5.  Mose  4,  49;  II,  30,  ifo  lüe 
SltercD  ausgaben  ytin  (auf)  dem  blai'heit  feid  haben  (später:  dem  blaehfeUi), 
schliesslich  md.  (ud.J  ist  übrigens  die  furin  Uadt  nicht* 

10.  Vgl.  Petri;    bang  :  engstiij,  xnrnng,  •;edrfng:  Strassh.  naehdr.  i 
angst  xteang  gfdreng.    Kluge,  s.  78:  Luthers  Imng :  trang  angal  belribt  t 
in  den  anderen  nbersotzimgcn, 

11.  Luthers  md.  (nd.)  form  mit  a  ist  die  cberd.  allein  geltonde 
gegenübergoetalt.    Vgl,  HUdebraad  in  Gr.  wtli.  5,  1(11.  1705. 

12  Imzieht  sich  auf  3.  Mose  23.  24,  wci  die  ersten  drucke  haben:  noU  j 
hügligen  feyr  dft  denckblateiw  h«be.it.    SpAter  hat  Luther  dafür:   dt»  A/owiM  il 
gtdtehtnU  gesozt,  also  ganz  entsprechend  der  in  unserm  glossar  g 
sich  ausgedrüiukt, 

13.  14.  Vgl.  Kluge,  s.  78;  Luthers  Eekei;  grmfl,  grauen,  abaokeu, 
wueillen,  rrrdrueg  in  den  anderen  übeisotzungon.  Diese  fülle  von  er^tzwßrlern. 
die  durch  unser  glessar  uecb  um  einige  vermehrt  wird,  zeigt  die  völlige  freiudheit 
des  Lutberecheo  wertes  im  oberdeutschen  jener  zeit.  Walgwug  ist  das  wort,  dos 
Loxer  als  aiUgiirtge  (traigcrunge  iculgerunge)  r=  tmtisea  aus  Diofb.  gl.  u.  nov.  gL  bringt 

li   In  gmsena  nnd  gutvin  tchsinl  LoUioi  in  minor  orüioimplue  du  gaohiditllglie  nnUÜUitt 
Yon  ie  und  i  Iruti  mmnchar  teiseluobiinvini  im  PiiuBlnpn  twwiihrt  m  hk 
den  l>nt  dH  i  dnrftslte,    'Wontgivior»  ist  vol  uüireadi  boi  Luthor  it 
trflfldücbüicli  i  pthübtt-     SiiriBl   iurt   man    dodt  «ul  wu 

<}.  KidiBelii  iu  »man  BoitnUeo  i.  gwrh.  d.  itoutwheu  rachtsdireibiup  il^W),  >.  113—  11 
Tlhnnd  ans  des  dDrRigsn  uskbMi .  wolrhe  FCul  Fnncka  in  m<1iihu  OnrndfU^mi 
1188X1,  ;  IS,  1  ud  ;ai   iniii'hl,    ein  iiRch  nnr  nnisfllilBE  bild  «ich  nicht  ^vm 
Mm  idar  nnm.  ig.  iit  bsleirt  Sir,  11 ,  S,   aonR  ntu  plur.  Umml  nicht  —  btne,   beitutft  n|  j 
*.  Rieht.  14,  9),  wo  bitn  doch  fflwuA  Ale  gtoL  jilnr. 
TWbinduim;  nlulrofi  luit ,    wIhroiLd  d»  salbbtSodi^  Aulnt.  ucli 
it  I,  378  so,    die  rnnn  Inme  lade  sicll  in  dsn  predl^nnJiriL'iD  n«K.S,fl 
ina  ■mfulKrfnnn  lbI  dort  ahn  nicht  lAleirt ,    vialmalir  tinr  piiimitonn 
!.  IS.  IT.  3T,    dueben  Mnmitnrt«  3,    bimkorb  «.  11.  in.     Hin  tduru 


lonn  |,-iHrH<]  HIB  dum  Vilbidm  v.  OEtsrraidi  dn  Juhniiu  r.  Wiinljnri;,  alni  aioi 
Au  Lalhan  idmftun  liehyt  Dieb  nur  dnn  plur.  bym  dtiiI  du  hnnipi».  Inrn^nwi 
|Z)  l^bar  tlöck  und  flacK  y^.  >«t  8.  Bbbeb,  Pud-tlrwinB  13,  411  Ig. 


OBKRO.   GLOSSAR  ZU  LUTHERS  BIBEL  331 

15  ebenso  in  Petris  glossar. 

16.  Das  wort  feig  war  oberd.  wenigstens  in  der  bedeutung  y^furchtsam'^  nnbe- 
kant,  in  welcher  Luther  es  gebrauchte.  Höchstens  kante  man  es  so  in  Baiern  (vgl. 
Lexer  unter  veige  und  überveigen;  Schmeller  I',  695/6).  Im  alem.  hat  sich,  soweit 
das  wort  überhaupt  erhalten  blieb  (es  fehlt  bei  Frisius  u.  Maaler),  aus  der  ursprüng- 
lichen bedeutung  j^detn  tode  verfallen "'  vielmehr  die  entgegengesezto  bedeutung  j,keck, 
unverschämt*^  entwickelt.  Diese  ist  bei  Dasypodius  verzeichnet,  und  auch  die  übrigen 
belege  für  dieselbe,  welche  Grimms  wtb.  bietet,  sind  wesentlich  alem.,  besonders 
elsässisch.  Das  Schweiz,  idiotikon  I,  685  gibt  sie  auch;  das  figheit  mit  der  nhd. 
bedeutung,  das  ebenda  angemerkt  wird,  ist  doch  klärlich  aus  der  Schriftsprache  ent- 
nommen und  in  der  lautform  falsch  alemannisiert.  Dass  aus  der  bedeutung  y^deta 
tode  verfallen^  sich  einerseits  die  bedeutung  j^furchtsam"'^  andrerseits  y^keck,  unver- 
schämt*^ entwickeln  konte,  wird  klar,  wenn  man  die  verschiedene  Wirkung  erwägt, 
welche  das  bewustsein  der  bestimmung  zum  tode  auf  den  einzelnen  menschen  her- 
vorbringen kann:  es  kann  ihn  entweder  niederdrücken  oder  ihn  jede  rücksicht  abwer- 
fen lassen. 

17  bezieht  sich  auf  1.  Mose  30,  41.  42:  wenn  aber  der  laufft  der  früeltnge 
herde  war  legte  er  diese  stehe  in  die  rinnen  für  die  atigen  der  herde,  das  sie  vber 
defi  stehen  empfiengen.  Aber  in  der  spetlinger  laufft  leget  er  sie  nicht  hinein. 
Also  wurden  die  spetlinge  des  Labans  y  aber  die  frädinge  des  Jacobs.  Es  sind  die 
früh  im  jähre  gebomen  lämmer  im  gegensatz  zu  den  später  gebornen  gemeint,  die 
in  unserem  glossar  gegebene  erklärung  also  ziemlich  ungenügend.  Das  wort  ist  wol 
von  Luther  gebildet,  er  hat  es  sonst  noch  einmal  als  synonym  von  „erstling'',  (s. 
Dietz  u.  d.  w.) ;  in  der  bedeutung  „  frühxeit  des  jahres  **  findet  es  sich  nur  in  der 
Hauspostille,  für  deren  spräche  Luther  ja  nur  sehr  bedingungsweise  verantwortlich 
ist  (Köstlin  U',  301).    Sonst  sagt  Luther  lenx. 

18.  3.  Mose  16,  8.  10.  26  in  den  älteren  ausgaben,  später:  der  ledige  bock, 
d.  i.  der  bock,  den  am  versöhnungstage  die  Juden  frei  in  die  wüste  laufen  Hessen. 

19.  Petri  gibt  feil:  nachlesigkeitj  versümnifs;  fale:  missetat,  sünde;  fal: 
fnangel^  gebresten.  Hier  liegt  wol  ein  versehen  vor.  Luther  scheint  im  gebrauch  der 
form  feil  durchaus  fest  gewesen  zu  sein,  wie  komt  Petri  dazu  fale  (das  nicht  wie 
Socin  s.  239  meint,  form  des  plur.  zu  sein  braucht,  s.  Lexer  u.  d.  wt.)  als  Luthersche 
form  daneben  aufzuführen?  Es  ist  mir  nicht  unwahrscheinlich,  dass  fale  nüt  als 
erklärung  für  feil  stehen  solte,  dass  es  aber  in  folge  seines  anlautenden  f  imter  die 
zu  erklärenden  Wörter  geriet.  Demnach  würden  die  folgenden  missetat,  sünde  eben- 
fials  als  Synonyma  von  feil  zu  nehmen  sein.  Diese  passen  jedoch  nicht  wol  als 
solche  zu  feü,  sehr  gut  aber  zu  dem  folgenden  falj  wenn  die  erklärung  im  hinblick 
auf  Rom.  11,  11.  12  gegeben  wurde,  wo  fal  =  ntt^anitafia  (Vulg.:  delictum)  steht 
Für  die  annähme,  dass  fale  als  intorpretamentum  nicht  als  lemma  aufzufassen  ist, 
spricht  auch  der  umstand,  dass  vaele  vael,  wie  die  belege  bei  Lexer  u.  Gr.  wtb. 
3,  1419  zeigen,  in  Oberdeutschland  wol  bekant  war,  auch  Maaler  kent  es.  Dem- 
nach wäre  so  herzustellen: 

feil:  nachlesigkeit  versümnifs  fale  mangel  gebresten 

fal:  missetat  sünde. 
Der  verfertiger  unseres  glossars  weite  nun  offenbar  das  im  pentateuch  mehrfach  begeg- 
nende feü  erklären,    er  fand  in  dem  ihm  sicher  vorliegenden  Petrischen  Verzeichnis 
bei  feü  eine  für  die  betreffenden  stellen   (einen  feil  haben;   an  dem  (k)ein  feil  ist) 
gar  Dioht  passende  bedeutung,   dagegen  eine  solche  bei  fal,   diese  nahm  er  auf  und 


332  PDSTSGH 

sezte  vielloicht  ans   blossem  versehen   statt  feil  das  ihm   gel&afige  fal  als  lemnc^ 
dazu. 

20.  Die  erste  der  beiden  erklämngen  geht  auf  4.  Mose  15,  38;  5.  Mose  22,  ^^.'^V 
die  zweite,  die  gewöhnliche  bedeutung  enthaltend,  geht  aof  stellen  wie  1. Mose?,  14 
Für  das  oberd.  war  die  lautform  durch  das  md.  t  der  stamsilbe  fremdartig. 

21.  22  ebenso  in  Petris  gloss.  Zu  22  vgl.  noch  Kluge,  s.  79,  der  die  ezsetzu.^^ 
von  gefäss  durch  geschirr  aus  allen  verglichenen  Übersetzungen  nachweist 

23.    In  der  bedeutung,  die  hier  im  hinbhck  auf  2.  Mose  27,  3;    35,  13  u «s 

gegeben  wird,  Ist  das  überhaupt  md.  beliebte  wort  nur  aus  md.  denkm.  zu  belei  f( 
Die  md.  lautform  licss  es  in  Basel  noch  fremdartiger  erscheinen. 

24  meint  2.  Mose  9,  31:  denn  die  geraten  hatte  geschoseet.  Das  verbizziDu 
eehoxxen  =  schösse  treiben,  keimen  usw.  scheint  md.  (und  bair.  SohmeUerll*,  4~      71 

25.  Gemeint  ist  zweifellos  3.  Mose  19,  19,  wo  die  älteren  drucke  mit  gern  ai 
kom  bieten  für  das  spätere  „mV/  maneherley  samen.^  Oemangkom  ist  eine  zus — ^am 
mensetzung,  die  Hildebrand  in  Gr.  wtb.  IV,  1,  2,  3164  als  thüringisch  (beeon^zizier 
aus  Erfurt)  nachweist  So  kann  das  vorkommen  dieses  ausdruckes  bei  Luther,  ibp^ei- 
ches  Hildebrand  entgangen,  nicht  befremden.  Der  verfertiger  unseres  glossars  narnJun 
gemang  für  ein  a^j . ,  während  es  das  a.  a.  o.  von  Hildebrand  ebenfals  mit  rBichli(^  Jbeo 
belegen  nachgewiesene  md.  subst  gemang  =  gomenge,  misch ung  ist  VgL  die  gle  j<1i- 
fals  thüring.  Zusammensetzungen  gemangfutter,  gemangfische. 

26.  3.  Mose  23,  14,    wo  die  älteren  ausgaben:    kein  brot  noch  kuehen  rt^^ck 
grätx  haben  statt  des  späteren:  kein  new  brot  noch  sangen  noch  kam, 

27.  4.  Mose  8,  4,  wo  die  erste  ausgäbe  gedeyen  gold  hat,  von  der  zwei  ton 
an:  tichte  g.  Ebenso  ist  auch  4.  Mose  10,  1  das  anfängliche  vofi  gedeyem  silhtr 
in  der  zweiton  ausgäbe  durch  von  tiehtem  s,  ersezt  Das  adj.  gedeihe,  welches  hier 
vorliegt  (Gr.  wtb.  4,  1,  1,  1984.  2021)  war  örtlich  und  social  (bergmannswort  und 
wol  daher  Luther  geläufig)  so  beschränkt,  dass  die  un Verständlichkeit  desselben  in 
Basel  nur  natürlich  ist.  Auch  die  anwcndung  des  seit  dem  ahd.  in  a(yekti\'ischem 
gebrauch  befindlichen  prtc.  gedigen  auf  die  erze  dürfte  damals  oberd.  nicht  vorhan- 
den gewesen  sein. 

28.  Die  an  sich  nicht  wol  verständliche  orklärung  ist  offenbar  mit  beziehung 
auf  5.  Mose  20,  6  gegeben:  Welcher  einen  fceinberg  gepflantxet  hat  md  hat  j* 
noch  nicht  gemein  gemacht,  der  gehe  hin  vnd  bleibe  da  Iteime,  das  er  nicht  t' 
kriege  sterbe  vnd  ein  ander  ma^^he  jn  gemeine. 

29.  Die  erklärung,    die  das  Wolfscho  glossar  von  gretiixe  gibt,    ist  solbsti 
dig,  dagegen  hat  der  Colmarer  (?)  druck  die  in  Petris  glossar  und  den  widerholun 
desselben  befindlichen  erklärungsworte.     Kluge,  s.  79  weist  als  ersatzworte  für^rf 
aus  den  andern  Übersetzungen  y^gegend'*'  und  j^landmark^  nach. 

30.  Dieselbe  erklärung  gibt  Petri  und  seine  nachfolger.    Kluge,  s.  79:   / 
und  hnhel. 

31.  hagen  war  wol  nicht  bloss  in  der  md.  form  hain  in  Oberdeutsc 
unbekant,  sondern  hier  überhaupt  aus  der  lebendigen  spräche  geschwunden.  £ 
dafür  hag. 

32.  Die  bekante  jedenfals  von  Luther  herrührende   bezeichnung  des  if 
sehen  Jubeljahrs,    das  durch  den  hall  der  posaunen  verkündet  wurde.    Hau 

"--  *^5.  10.  11. 


OBEBD.   0L03SAB  Zu  LUTHEBS   BIBEL  333 

35.  Kebse  ist  dem  alem.  wol  nicht  eigentlich  fremd,  wenigstens  lässt  es  sich 
hd.  ans  alem.  dkm.  (z.  b.  aus  Notker)  belegen.  Die  verdontlichende  zusammen- 
zung  kebstceib  ist  schon  vor  Luther  vorhanden,   scheint  aber  nach  den  belegen 

Lexer  mehr  md.  Diese  war  es  also  vielleicht,  die  anstoss  gab;  möglich  auch, 
\s  kebse  sich  überhaupt  aus  dem  gebrauch  oder  wenigstens  aus  dem  gebrauch  der 
»ildeteren  verloren  hatte. 

36.  3.  Mose  11,  26.    Ein  echt  nd.  (md.)  wort  s.  Gr.  wtb.  5,  1613. 

37.  2.  Mose  9,  31.  Auch  hier  gab  wol  einerseits  die  lautform  (oberd.  ist 
ide,  vgl.  knödel)  anstoss,  andrerseits  und  besonders  aber  die  Verwendung  des  wor- 

zur  bezeichnung  der  Samenkapseln  des  flachses. 

38.  Vgl.  Kluge,  8.79:  Luthers Ä»//er;  trotty  torekel  in  den  andern  übersetzun- 
i  ausser  bei  Eck,  der  kelier  beibehält     Vgl  auch  Kluge,  wtb.  u.  d.  w. 

39.  Ygl.  5.  Mose  21,  4:  in  einen  kiesiehten  grufid.  Dem  zusammensteller 
{  glossars  ist  hier  sonderbarer  weise  die  alem.  form  des  adj.  in  die  feder  gekom- 
n,  vgl.  Gr.  wtb.  5,  698,  c).    Nahm  er  es  nur  auf  wegen  des  ie  f.  i? 

40.  Oberd.  war  nur  kriegen  schw.  bekant  und  nur  die  bedeutungen  „sich 
strengen,  streiten*^,  nicht  aber  „erlangen,  ergreifen.*^  Das  eigentliche  alem.  kent 
tere  bedeutung  auch  heute  noch  nicht.  Gr.  wtb.  5,  2235.  Seiler,  Basler  mda.  sagt, 
)s  kriege  =  erhalten  in  Baselstadt  neben  beko  gebraucht  werde,  in  Baselland  dage- 
1  fast  gar  nicht.  Es  ist  also  deutlich  ein  nur  durch  die  Schriftsprache  teilweise 
gebürgertes  wort. 

41.  Ebenso  in  Petris  glossar;  vgl.  noch  Kluge,  s.  80:  Luthers  lippe :  lefxe  in 
1  andern  Übersetzungen. 

42.  Petris  glossar  gibt  als  zweites  crsatzwort  mnbwenden. 

43.  1.  Mose  33,  14:  ich  teil  ineUich  hinnaek  treiben.  Luther  scheint  das 
rt  ausser  an  dieser  stelle,  wo  es  in  allen  ausgaben  sich  findet,  nur  noch  2.  Mose 
,  30  gebraucht  zu  haben,  wo  es  in  den  späteren  ausgaben  durch  y^ einzeln  nach 
lander"'  ersezt  ist.  Heyne  führt  Gr.  wtb.  6,  1456  noch  zwei  belege  aus  Luther 
,  wo  aber  metilich  steht.  Das  wort  war  also  Luther  wol  nicht  eigentlich  geläufig, 
fiefilig  scheint  bei  Luther  gar  nicht  vorzukommen.  Luther  gebraucht  andere 
^drücke  für  diesen  begriff,  z.  b.  7nit  der  weile  Weish.  12,  8.  Sicher  aber  war 
glich  melich  md.  sprachgui 

44.  Die  belege  für  püke  patüce  aus  älterer  zeit  weisen  allerdings  wol  mehr 
'  Mitteldeutschland  und  Baiem  als  auf  das  verbreitungsigebiet  dieses  in  seinem 
iprung  dunklen  woiles  hin. 

45.  4.  Mose  11,  5.  pfebe(n)  ist  weniger  md.  als  vielmehr  wesentlich  bair., 
enfals  von  beschränktem  Verbreitungsgebiet 

46.  Das  lehnwort  war  in  seiner  alten  form  gewiss  auch  in  Alemannien  üblich, 
)  die  mhd.  belege  zeigen,  anstoss  gab  also  wol  die  form  mit  &,  vielleicht  auch  die 
abgedrückte  bedeutung.  Auch  Petris  glossar  hat  Pubelvolek:  Jieglos  nnnütx  volck 
1  Kluge,  s.  80  weist  nach,  dass  Eck  dafür  Pöfei  oder  gemeines  volck y  die  anderen 
L  lezteren  ausdruck  gebrauchen. 

47.  1.  Mose  24,  8.  41 :  des  egdes  quit. 

48.  regen  scheint  zwar  md.  häufiger  als  oberd.,  doch  ist  es  dem  lezteren 
neswegs  fremd.  Also  handelt  es  sich  hier  wol  widerum  nur  um  die  besondere 
rweadang  dieses  verbums  in  Luthers  Übersetzung.  I.Mose 8,  17;  9,  7  steht:  reget 
ik  ttitff  €rdenf   dies  erschien  dem  Alemannen   zu  blass,   zu  wenig  ausdrückend. 


334  rasTRCH 

Das  jfbratteht  eueh'^  ist  Datürlich  =  mhd.  brouchet  iueh  d.  i.  biegt  euch,   nicht 
mhd.  hrüchel  iuch. 

49.  rand  findet  sich  in  den  älteren  drucken  der  5  bücher  Mose,  so  Tid  icl 
sehe,  an  folgenden  stellen:  am  rcmde  des  wassers  2.  Mose  2,  5;  an  eines  jglicl 
ieppiehs  rand  2.  Mose  26,  11;  an  jgliehen  teppich  am  rand  2.  Mose  36,  17; 
hefften  sie  an  die  xwo  ander  ecken  des  schiltlins  an  seinen  rand  2.  Mose  39,  lÖ^ 
An  allen  diesen  stellen,  ausser  an  der  ersten  hat  Luther  später  ort  für  rand  gese^^ 
In  der  erklärung  unseres  glossars  ist  örter  natürlich  in  der  bedeutong  ,» endpimkto  •>- 
zu  nehmen ,  nicht  als  loci.  —  Dass  rand  ia  seiner  nhd.  bedeutung  damals  in  Bas^f 
unverständlich  war,  ist  begreiflich,  dieselbe  ist  jedenfals  md.  Ursprungs. 

50.  Unbekantschaft  mit  dem  werte  sehtdter  ist  kaum  anzunehmen.     Wüsto 
man  genau,   welche  besondere  stelle  des  pentateuchs  der  Verfasser  des  glossars 
äuge  hatte,  so  liesse  sich  vielleicht  bestimmen,  wonm  derselbe  anstoss  nahm, 
wort  ist  sohl*  oft  gebraucht  zur  bezeichnung  des  vorderbugs  der  opferäere  (2.  ICoso 
9,  22;  3. Mose?,  32  u.  ö.;  auch  in  der  zusanmiensetzung  hebeschtUder  2. Mose  9,  27; 
3.  Mose  10,  14  u.  ö.),   ausserdem,   so  viel  ich  sehe,   von  der  menschlichen  schultez' 
nur  2.  Mose  28,  12:  auf  seinen  beiden  schtddem  tragen;  5.  Mose  33,  12:  vnd  ttini 
zwischen  seitien  schuldem  wohnen.     Wie  weit  Luther  selbst  schulder  und  achte'S 
unterscheidet  oder  synonym  gebraucht,  vermag  ich  nicht  festzustellen.    Dietz  {xLadt-- 
sei)  behauptet,  dass  Luther  beide  im  algemeinen  als  gleichbedeutend  verwende.    Da^ 
scheint  z.  b.  2.  Mose  28,  7.  12.  23  zu  bestätigen,  wo  in  den  späteren  ausgaben  aehs^^ 
und   Schulter   gleichbedeutend   gebraucht   scheinen.     Dass   aber  Luther   doch  eine*» 
unterschied  kante,  wenn  er  ihm  auch,  wie  uns  heutigen,  nicht  immer  zweifellos  khu^* 
vorschwebte,    zeigt   die  auch   von  Dietz    beigebrachte   stelle  Hieb  31,  22:   so  fatX^^ 
meine  schulder  von  der  achseln. 

51.  2.  Mose  20,  26:   auff  stuffen.    Vgl.  Kluge,  s.  87,  der  für  Luthers  stufe  -^ 
Staffel  (stapf cl)  in  den  anderen  Übersetzungen  nachweist    Das  fem.  stufe  dürfte  wc^J^ 
md.  sein.     Ein  fem.  stuofa  wird  für  das  ahd.  angesozt   (Weigand,  Schade,  Kluge)  ^ 
auf  grund  von  slegon  stuofa :  gradus  scalariun  in  Notkers  Boethius  (Piper  I,  10,  31V-r 
wo  aber  stuofa  ebenso wol  als  n.  plur.  von  stuof  m.  genommen  werden  kann  (plur^ 
erfordert  der  Zusammenhang).     Ferner  führt  Graff  6 ,  658  an  steora  uel  ostersttwplu^ 
als  bezeichnung  einer  ostfränkischen  abgäbe.     Auch  hier  ist  plur.  von  stuof  wol  deok- — 
bar,    andemfals  hat  man  hier  einen  md.  belog  für  das  fem.    Für  mhd.  stuof e  gib*^^ 
Lexer  3  belege,  davon  ist  einer  md.  (Frauenlob),  die  beiden  andern  in  der  Kolmare^* 
liederhandschrift  sind  nicht  beweisend:  dis  fuich  ane  nwfen  \  in  riuwe  stuofen  \  du 
wil  ich  Bai'tsch  6,  327;  iix  der  sünden  stiwf  (:  gcsckuof)  7,  15. 

52  mehrfach  in  den  5  büchern  Mose.    Vgl.  auch  schilfmer.    Das  wort  schein* 
allerdings  oberd.  nicht  grade  häufig  zu  sein,  wenn  auch  nicht  ganz  zu  fehlen. 

53.  Schicht  komt,    so  viel   ich  sehe,    nur  3.  Mose  24,  6  vor:   md  soll  sh 
legen  je  secJis  auff  eine  schicht  auff  den  feinen  tisch  für  dem  Herrn  ^   vgl.  ausser- 
dem 1.  Mose  6,  16:    Das  vnterteyl  soltu  xweischichtig  md  dreyschichtig  machen  ii 
den  älteren  drucken,    wofür  später:    Vnd  sol  drey  boden  haben ,    einen  unten j 
andern  in  der  mitte y  den  dritten  in  der  holte.  —   Vgl.  Kluge,  s.  80:  in  schichten 

in  rotten  Eck  (geht  auf  Mc.  6,  40;  \jQ.  9,  14).  —  Das  merkwürdige  wort,  das  Luth(=** "'' 
wol  aus  der  bergmannssprache  geläufig  war,  ist  vor  ihm,  wie  die  belege  bei  Lexer-" t 
lehren,  wesentlich  nur  im  md.  verbreitet. 

54.  4.  Mose  4,  9:    den    leuchter   des   Hechts    vnd  seine  lampen  mii  seine^^ 
schneutxen  vfid  tiepffen.     Ahbrech(e)  =  lichtschere  ist  auch   sonst   in   glossaM?"* 


OBESD.   GLOSSAR   Zu  LUTHERS   BIBEL  335 

eisbar  (s.  Lexer)  und  noch  heute  in  der  Schweiz  gebraucht;  biUnsr  =  putzer. 
»  scheint  wesentlich  oberd. 

55.  Vgl.  bei  Petri:  schwelgerei:  überfluss  in  essen  vnd  trtncken.  Diese 
auch  oberd.  vorkommenden  bildungen  waren  also  in  Basel  unbekant. 

56.  Da  toben  in  Alemannien  gewiss  nicht  unbekant  war,  kann  sich  diese 
kung  nur  auf  eine  besondere  Verwendung  des  wertes  beziehen.  Es  wird  wol 
je  15,  14  gemeint  sein.  Da  das  die  volker  hareten,  töteten  sie,  angst  kam 
tilister  an  lautet  dieser  vers  in  den  ältesten  ausgaben,  später  hat  Luther  für 
*;  erbehetefi  gesozt.  Die  erklärung  grymmig^  zornig  sein  ist  wol  nach  der 
a  gemacht,  wo  der  vers  lautet:  Äscenderunt  populi  et  irati  sunt;  dolores 
'^ertini  hahiiatores  Philisthiim, 

57.  1.  Mose  34,  25.  turst  nebst  seinen  ableitungen  scheint  hauptsächlich 
md  md.  verbreitet  gewesen  zu  sein,  wogegen  geturst  usw.  auch  alem.  vorkom- 
geturstecliehe  z.  b.  bei  Nie.  v.  Basel  und  Closener. 

58.  Petri  hat  topferen:  erden  geschir;  Kluge,  s.  81  erwähnt  die  Vertretung 
utherschen  topf,  topf  er  durch  hafeti,  hafner  in  den  anderen  Übersetzungen. 

59.  3.  Mose  11,  27:  alles  wa^  auf  tappen  gehet  {quae  incedunt  quadrupedia 
.    Das  seltene  wort  von  Lexer  nur  als  tdpe  belegt. 

60.  Petri  hat  ausgerottet:  von  der  rott  abgesündert,  außgerüt,  die  Strassbur- 
id  Nürnberger  ausgaben  lassen  das  leztere  wort  fehlen,  der  Kolmarer  glossen- 
tiger  Hess  auch  von  der  rott  weg  imd  so  kam  die  etwas  wunderliche  widergabe 
Tusgerottet"'  durch  abgemndert  zu  stände.  DiePetrische  etjrmologie  zeigt,  dass 
id.  rotten  als  nebenform  von  röten  nicht  empfunden  wurde. 

61.  verleumden  -er  ist  in  der  tat  md.  Das  subst.  verdachter  scheint  sonst 
belegt. 

62.  3.  Mose  21,  18:  er  sey  blind ,  lahm,  7nit  einer  scheußliehen  nasen,  mit 
eicrem  gelid  (später:  m.  e.  seltxamen  nasen,  m.  vngewanliehem  p.);  3.  Mose 
3:  ein  ochsen  oder  seliaf,  da^  vngeßiewre  gelid  oder  kein  sehwantx  hat  (spä- 
l.  ungewonlich  g.  oder  icandelbar  gelid  fiat).  Fremd  erschien  dem  Verfasser 
lossars  violleicht  nicht  sowol  das  wort  selbst  als  die  Verwendung  in  der  blassen 
tung  deformis. 

63.  2.  Mose  20,  18  heiSvSt  es  in  den  älteren  drucken:  vnd  alles  volck  saJte 
onner  und  blix  . . .  vTui  furcht  sich  vnd  wancketen,  wofür  später:  vnd  alles 
. . .  Da  sis  aber  solches  saften  flohen  sie.  Der  Verfasser  des  glossars  hielt 
im  gewiss  bekante  wort  wanken  wol  nur  nicht  für  passend  an  dieser  stelle, 
einzigen,  an  der  es  sich  findet),  vielleicht  im  hinblick  auf  das  pavore  concussi 
ulgata. 

64.  3.  Mose  18,  14.  Luther  hat  die  md.  form  wase  in  allen  ausgaben  fest- 
:en. 

65.  Während  das  subst.  wansin  5.  Mose  28,  28  in  allen  ausgaben  steht,  ist 
innig  5.  Mose  28,  34  später  von  Luther  durch  rtisinnig  ersezt  worden.  Vor 
»r  ist  wansinn  -ig  nicht  nachweisbai',  Weigand  gibt  als  ältesten  ort  des  vor- 
lens  sogar  das  Nov.  dict.  gonus  dos  Erasm.  Alberus  an. 

66.  Vgl.  bei  Petri  xiegenfell:  geyßfell,  kitxenfel;  Kluge,  s.  82  Luthers  *te- 
ek:  geißbock  bei  Eck  und  in  der  Züricherbibel. 

67.  Es  scheint  in  den  5  büchem  Mose  allerdings  nur  diese  form  xehenden 
(.;  n.  a.  pl.)  vorzukommen,    daher  hier  angesezt.     Die  erklärung  soll  nicht  den 


336  FIÜNKEL 

begriff  von  xehenie  geben,   sondern  denselben  durch  eine  ähnliche  bildung  der  hei- 
mischen spräche  nahe  bringen.    Dass  dies  nötig  erschien,  ist  allerdings  auffiülig. 

68.  Mit  xuchter  hat  Luther  in  den  älteren  ausgaben  den  nax4r  widergegeben 
4.  Mose  6,  13.  18.  19.  20.  21,  später  hat  er  dafür  Verlobter  eingesezt  An  diesen 
stellen  haben  die  älteren  ausgaben  auch  xiwht  statt  des  späteren  geUibd. 

Zu  broüiausen  vgl.  die  von  Dietz  I,  349*  angeführte  Übersetzung  Luthent: 
hroüiaws;  hier  ist  dies  sehr  hübsch  in  einen  deutschen  Ortsnamen  umgewandelt. 

Bemorkensweit  Ist,  dass  in  den  erklärungen  dieses  glossars  (ebenso  wie  auch 
in  dem  dos  Potrischen)  der  vokalismus  der  gemoinsprache  herscht,  ausgenommen 
fyn  27. 

GREI1''SWALD.  P.   PIET8CH. 


UM   STÄDTE   A\rEEBEN  UND   VEEWANTES  IN  DER 

DEUTSCHEN    DICHTUNG    DES    16.    UND    17.  JAHEHUN- 

DEKTS,  NEBST  PAEALLELEN  AUS  DEM  18.  UND    19. 

I. 

Reinhold  Köhler,  der  um  die  samlung  und  vergleichung  von  ver- 
wanton  zügen  in  sage  und  diehtung  hochverdiente  gelelirte,  hat  wol  zuerst 
eine  grössere  anzahl  von  stellen,  welche  die  eigentümliche  betrachtung 
einer  Stadt  als  braut  des  sie  begehrenden  zum  ausdruck  bringen,  zu- 
sammengetragen und  nach  gewissen  unterscheidenden  gesichtspunkten 
rubrizierte  Er  hat  auch  diese  eigentümliche  gattung  halbdramatischer 
gelegenheitspoesie  in  ihrer  verschiedenartigen  bedeutung  soweit  geken- 
zeichnet,  dass  für  einige  nachtrage  auf  seine  ausführungen  verwiesen 
sein  mag. 

Zunächst  berichtige  und  ergänze  ich  seine  mitteilung  über  ein 
gedieht,  das  ihm  nicht  selbst  zugänglich  war.  Es  fülut  folgenden  genau 
kopierten  titeP:  „Bulschafft  der  sich  reprc^sentierenden  Eidtgenössischen 
Dam,  welche  ein.  Hochloblichen  Eidtgenoschatt  ihre  Horzensgedanken 
in  treuen  eröffnet,  mit  Vermelden,  dass  sie  Ihr  verlobte  tragende  Jung- 
frauschaft gegen  allen  ihren  aussländischen  Buhlen  rein  behalten,    sich 

1)  Archiv  für  Utteraturgeschichte  I  (1870),  s.  228  —  251.  Vor  ihm  gaben  hinweise 
Soltau,  100  deutscht?  histor.  Volkslieder  (183(3)  8.  509  und  Hildebrand  in  seiner  daran 
angeschlossenen  2.  samlung  von  100  liedem  (18.56)  s.  93  imd  372;  einen  weiteren 
beleg  veröffentlichte  J.  M.  "Wagner,  Archiv  f.  d.  gcschichto  deutscher  spräche  und 
diehtung  1  (1873)  s.  160,  im  anschlusse  an  Köhler. 

2)  Derselbe  beruht  ebenso  wie  die  sonstigen  angalven  auf  dem  (1886)  im  antiqua- 
rischen katalog  nr.  liX  von  H.  (ieorg  in  Basel  untt^r  nr.  336  verzeichneten  exemplar, 
von  welchem  ich  seinerzeit  einsieht  nehmen  Hess;  über  den  gegenwärtigen  verV»h?ib 
dessiüben  ist  mir  nichts  In^kant  Köhler  a.  a.  o.  s.  240  stüzt  sich  auf  Weller,  A ana- 
len 1,  189  nr.  1020. 


UM   STÄDTE   WKRBKN  337 

in  Ehestand  nit  einlaf^sen,  sondern  by  ihrem  bis  dahin  tragenden  Kranz 
ihr  Leib,  Ehr,  Gut  und  Blut  aufsetzen,  darbey  leben  und  sterben 
wolle.  Kan  nebet  diesen  aussgesetzten  Melodeyen,  nach  gesungen  wer- 
den in  folgenden.  Es  ist  das  Heil  uns  kommen  her —  Auch  in  der 
Melodey  d.  Buhlschaft  zu  Brysach,  zu  4  Stimmen  aussgesetzt.  Wie 
gut  es  gemeint  mit  dem  Vatterland. ...  Alles  nach  dieser  Landen  Redens- 
art In  Verlegung  Caspar  Wurmanns,  von  Wisendangen,  Im  Jar  1676.'' 
In  duodezformat  enthält  das  gedieht  7  blätter  mit  der  zueignungsschrift, 
1  leeres  blatt  und  56  selten  text  In  lezteren  sind  noten  in  vierstim- 
migem satz  eingedruckt.     Ich  gebe  hier  den  anfang  der  anrede: 

Ich  bin  die  Dam  der  Eidtgnoschaft, 

Ich  muss  mich  präsentiren, 

Ich  trag  noch  rein  mein  Jimgfrauschaft, 

Das  thut  mein  Kranz  schön  zieren. 

Eidtgnoss  halt  steiff  zu  meinen  Kranz, 

Der  blühet  schön  und  ist  noch  ganz. 

Kein  blum  lass  ich  drauss  zehren. 
Zu  bemerken  ist  noch,  dass  die  in  dem  titel  angezogene  „Brey sacher 
buhlschaft "  das  landläufigste  dieser  um  die  mitte  des  17.  Jahrhunderts 
zahlreichen  lieder  gewesen  zu  sein  scheint,  wie  aus  der  längeren  reihe 
von  fassungen,  die  Köhler  s.  237  fgg.  bespricht,  und  obigem  hin  weis 
entnommen  werden  darf. 

Zwei  Personifikationen  der  Schweiz,  welche  auf  einem  ähnlichen 
allegorischen  gedanken  beruhen,  bieten  die  dichtungen  zweier  nach 
lebenszeit,  anschauungsweise  und  künstlerischem  vermögen  grundver- 
schiedenen schriftsteiler.  Während  nun  aber  Pamphilus  6engenba(*h 
in  seinem  nach  Goedeke^  schon  um  1514  geschriebenen  dramolet  „Der 
alt  Eydgnoss"  das  sinbildlich  durch  einen  alten  Schweizer  vorgestelte 
land  von  selten  verschiedener  auswärtiger  mächte  umwerben  lässt,  hat 
Johann  Caspar  Weissenbach  in  seinem  1673  zu  Zug  gedruckten  volks- 
schauspiel  in  versen  „  Eydgenossisches  Contrafeth  AufF-  vnnd  Abneni- 
mendor  Jungfrawen  Helvetiae,  von  gesammter  Burgerschaftt  löbl.  Stadt 
Zug  durch  öffentliche  Exhibition  den  14.  vnd  15.  Sept.  Anno  1672 
vorgestellt.  —  Der  Ander  Theil,  Das  ist  Abnemmende  Helvetia''^  wirk- 

1)  Pamphilus  Gengonbach,  horausgogebeu  von  Karl  Goedeko  (Hannover  1856) 
9.  543  fgg.  Abdruck  des  gedichts  ebenda  s.  12  fgg.  Vielleicht  hat  sich  gerade  auf 
Schweizer  boden  die  eigentliche  idee  der  eigenartigen  anschauung  in  dem  von  Roch- 
holtz,  Alemannisches  kinderlied  und  kinderspiel  aus  der  Schweiz  (I^eipz.  1857)  s.  410  fg. 
besprochenen  fangspiol  ^Das  thürmloin*'  erhalten,  wie  ich  leztercs  ausdeuten  möclite. 

2)  ^Zu  Zug  gedruckt  Bey  Jacob  Ammon  Tm  Jalir  1673.*' 

ZKlWCmüFT   F.    DKUTSCIIE   PHILOLOOIB.      RD.   XXH.  22 


338  FRÄNKKL 

lieh  sein  Vaterland  als  von  feinden  bedrängte  Jungfrau  auf  die  bübne 
gebracht.  Der  gang  der  handlung  hält  zwar  diese  symbolisierung  auf- 
recht, bietet  aber  für  unser  thoma  nichts  bemerkenswertes,  so  dass  ich 
auf  die  analyse  des  litterarhistorikers,  der  wol  zuerst  näher  auf  dieses 
stück  eingieng,  W.  Menzels  ^  verweisen  kann. 

Ein  deutlicheres  beispiel  aus  dem  reformationszeitalter  liefert  erst 
ein  glücklicher  fund,  welchen  Rudolf  Gren6e  vor  einigen  jähren  machte. 
Dieser  berichtete  über  denselben,  einen  meistergesang  von  Hans  Sachs, 
im  Correspondenten  von  und  für  Berlin  (decbr.  1885)  wie  folgt: 

„Das  gedieht,  welches  ganz  zweifellos  von  Hans  Sachsens  eigener 
band  geschrieben  ist,  steht  auf  sechs  ungewöhnlich  hohen,  aber  schma- 
len folioseiten  und  enthält  dreihundert  verse.     Die  Überschrift  lautet: 

„Klagsprucli   der  Stat  Nürnberg   ob  der  Unpillichen  Schweren 
pelegenmg  MarkgrafF  Albrechts  Anno  1552.'' 

Datiert  ist  die  handschrift  vom  16.  juni  1552,  also  wenige  tage  vor 
dem  friedensschluss,  welcher  jener  grausamen  belagerung  endlich  ein 
ende  machte.  Das  gedieht  ist  ein  gespräch,  welches  zwischen  Nürn- 
berg (als  „fräulein''  bezeichnet)  und  dem  dichter  gehalten  wird,  und 
das  „fräulein"  schliesst  es  mit  der  hofnung,  dass  gott  endlich  die  stadt 
erlösen  möge  — 

„Dass  ich  wider  zunehm  und  wachs. 
Das  wünscht  von  Nürenborg  Hans  Sachs." 

Ich  füge  noch  hinzu,  dass  in  des  dichters  eigenhändig  geschrie- 
benem gencralregister,  welches  sich  in  Zwickau  befindet,  ein  gedieht 
unter  dorn  titel  ,, Klagspruch  der  stadt  Nürnberg"  verzeichnet  sU^ht, 
und  zwar  mit  hinweis  auf  das  siebente  spruchbuch.  Dieses  siebente 
von  den  18  handschriftlichen  spruchbüchern  des  dichters  ist  aber,  >\ie 
noch  andere,  bis  jezt  nicht  ans  licht  gekommen,  imd  auch  dieses 
gcMÜcht  sowie  alle  auf  den  markgrafen  bezüglichen  wurden  nicht  in  den 
druck  gegeben.  Die  nun  aufgefundene  aparte  handschrift  des  gediclits 
ist  von  Hans  Sachs  einem  freunde  am  3.  februar  1553  verehrt  worden 
wie  einige  Zeilen  auf  der  lezten  seite,  leider  ohne  Unterschrift,  uns 
benachrichtigen." 

In  den  weiteren  Sätzen  dieser  vom  18.  dezember  1885  datierten 
mittoilung  spricht  Gen6e  nur  noch  von  dem  sclücksale  des  manuscripts 
soweit  dasselbe  nachweisbar*^,  berührt  aber  die  Zugehörigkeit  des  gtnlicb- 

1)  (^lescliic^hto  der  dcutsohon  dicht.ung  (Stuttg.  1859)  II,  s.  41G. 

2)  \S'M)  gdangtc  os   mit   vielen  anderen    aus    dem    y)esitze    dos    prpussischon 
gcneralpostmeisters  von  Naglt^r  in  die  Berliner  kgl.  bibliothek. 


I 


tes  zu  einer  ganzen  klasse  von  iniialtsvtTwantfin  mit  keinem  wortt?,  so 
dass  ihm  dieselbe  nnbekant  zu  sein  si^heint.  Und  doch  hat  gorade 
dieses  eine  hervorragende  bedeutung  als  deutliches  zeugnis  dafür,  dass 
schon  um  die  mitte  des  16.  Jahrhunderts  dieser  von  Schack'  in  spa- 
nischen romaazen  vor  1550  nachgewiesene  und  auf  orientalische  Vor- 
bilder- zurückgeführte  stoff  auch  in  Deutsehland  gäng  und  gäbe  war. 
Denn  nach  verschiedeneu  ausdrücken,  welche  in  dieser  zeit  bei  der 
Schilderung  entsprechender  Situationen  gebraucht  werden,  ist  der  rück- 
schluss  gestattet.  Man  betrachte  dazu  folgende  beliebig  gewählte  boi- 
spiele: 

In  einem  1542  anonym  gednickteni"  „Lustig  Gespräch  der  Teufel 
und  etlicher  Kriegsleute  von  der  Flucht  des  grossen  Scharrhansen  Her- 
zogen Heinrichs  von  Braunschweig"  heisst  es  vers  72  fgg.: 
Die  zwo  erlich  stet  Braunschweig  und  Goslar 
Solten  für  im  stehen  grosse  gefar. 
Die  wolt  er  der  massen  treiben  und  zwingen, 
Dass  sie  im  müsten  seins  gefallens  ein  liedlin  singen. 
Es  würde  im  niemant  dürfen  weren, 
Er  wolt  sich  auch  an  ir  mit  verwanten  nicht  keren. 
Ganz  genau  entspiicht  diesen  Worten  eine  stelle  in  einem  inhaltlich  eng 
damit  zusammengehörigen   „Bekentniss  und  Clag  Herzog  Heinriciis  von 
Braiinschweig  des  Jüngern"*  v.  155  fgg.: 
An  den  beiden  steten  im  reich 
Goslar  und  Braunschweig  zugleich. 
Die  selben  auf  das  hortst  bedrengt. 

Aber  das  mich  am  sersten  krenkt:  ^— 

Ich  hab  sie  nicht  können  zwingen  wie  ich  gewolt,  ^H 

Wie  säur  ich  mich  dagegen  gestalt.  ^H 

1)  Poesie  und  kimst  der  Ai'alier  in  Spanien  und  Sicilicn  (18ör>)  11,  f>.  IIT. 

2)  Eines  dcrwlbon,  bei  Mirchnndj  Historia  SeldRohucliidBruiD  ed.  Vullera  IC, 
wo  es  von  eiiiem  forsten,  der  seine  resideuz  Torlfisst,  heisst:  ,er  hefl«ta  der  gattin 
Am  mioben  oint^  drcifocbo  chescboidnng  an  dco  tiavm  ihres  schleiois",  bosizt  bei 
Bomer  (Od.  13.  3SS;  □.  16,  100)  eine  merkwürdige  paraUeb  b  dem  ^Teoftn  hQÜ 
n^tftvti  („Stirnband')  iiVic."  Vgl.  I^  llöderlpin,  HnmeriBt'hes  gloBsarium  ur,  739, 
Ameis  und  Dimtier  zn  v.  388,  nuuh  bymn.  Cerer.  151  xq^iffiya  mJJ.qoc'  (pbenso 
Haaiod  donls  "Hp.  105).  Fr.  Kummer,  Tarqnin  (Lpz.  1888)  IV,  2  (b.  101):  ,Ioh 
brach  der  zinnen  juugMulicheu  kränz." 

3)  Schade,  Satiren  und  ])a.squiUe  aus  der  refartiintionKioit  I.  s.  .ri4  u.  2\1. 

4)  Sehade  n.  a.  e.  s.  08  und  2L>0. 
&J  Schade  o.  a.  o.  s.  77  und  222, 

22*  ^ 


340  PRÄNKEL 

Eine  dritte  stelle  aus  derselben  Situation,  in  „Bruder  Veits  Landsknechts 
im  Lager  vor  Wolfenbtittel  treuliche  Warnung*'*  v.  25  %.: 

Dadurch  er  der  armen  stete  Goslar  und  Bratmschweig 
Vermeint  mechtig  und  ir  herr  zu  sein  zu  gleich 

berührt  sich  eng  mit  v.  45  in  „Ein  new  Lied  vom  Türeken  usw.,  Näm- 
berg  durch  Christoff  Gutknecht"   (1529?)^,   wo  dem  Wien   belagernden 
„Türk'*  zugerufen  wird:  „der  stat  soltu  nicht  gweltig  sein.*'     Man  über- 
sehe nicht  den  doppelsinn  des  „mechtig  (gweltig)  sein**,  was  hier  wol 
ähnliches  bedeutet  als  unser  „vergewaltigen"   und  des  „herr  sein**  «= 
„vermählt,   gatte  sein."^     Schliesslich   erwähne  ich  noch  einige  stelle 
aus  dem  berühmten  landsknechtliede  von  der  „Pavier  schlacht"^. 
heisst  da  v.  4  „von  dem  könig  aus  Prankreich": 

Mailant  das  wolt  er  zwingen 

und  v.  9  fg.:        Er  zug  für  ein  stat,  die  heisst  Mailant, 

die  selbig  tet  er  zwingen, 

wozu  man  die  oben  angefülirte  kongruente  wendung  bezüglich  Gosla«:  ^ 
vergleiche.  Ganz  deutlich  ist  die  anthropomorphische  auffassung  i  ^* 
V.  70  desselben  liedes,  wo  erzählt  ist,  dass  das  belagerungsheer  \e^  ' 
stärkt  worden: 

Pauia  tet  sich  des  freuen. 

Dem  lezteren  ausdrucke  begegnen  wir  in  einem  anderen  zeitg^?^ 
nössischen  liede  wieder,  dem  1552  von  Prankfurt  aus  verbreiteten  fli^»-- 
gendcn  blatte  „Von  der  belagerung  der  Stadt  Prankfurt",  welches  AminM^ 
und  Brentano  —  wahrscheinlich  aus  „Der  Weit -berühmten  usw.  Har»-- 
dels- Stadt  Frankfurt  am  Main  Chronica.  Durch  A.  A.  v.  Lersner.  170(>  "* 
s.  8S8  —  in  „Des  knaben  wunderhom  II,  336"  angenommen  habe«:»^- 
Ich  setze  die  dritte  Strophe  daraus  ganz  hierher,  da  die  bezüghciim^ 
anschauung  durch  dieselbe  durchgeht: 

•     Stadt  Prankfurt  an  dem  Maine! 
Dein  lob  ist  weit  und  breit. 
Treu,  elu*  und  glauben  reine. 
Mannliche  redlichkeit 
Hast  du  mit  deinem  blute 

1)  Abgedruckt  bei  Körner,    Historische  Volkslieder  aus  dem   16.  und  17.  jalHf' 
hundert  (Stuttg.  1840)  s.  150. 

2)  Über  mhd.  gcicalt  für   ,,dio  rechte  eines  ehegemahls  oder  begünstigten  li^*'' 
liabers''  vgl.  Ulil,  Unechü^s  l)ei  Neifen  (Paderb.  1888)  s.  31. 

3)  Abgedruckt  bei  Soltau,    Eiuhuudert   historische  Volkslieder*  (Loipi.  1845) 

s.  287  fg. 


UM   STiLDTE    WERBEN  341 

Erhalten  ritterlich. 
Vertrau  dem  herm  du  gute, 
Er  hilft  unschuldgem  blute, 
Dess  sollst  du  freuen  dich, 
erkent,   dass  hier  das  Verhältnis  der  belagerten  fostung  zu  ihren 
ängem  ganz  ähnlich  wie  in  den  bisher  beigebrachten  belegen  ge- 
t  ist.     Vcrwante  betrachtungsweise  kehrt  in  mannigfacher  modelung 
eformationszeitalter  wider.     Man  vergleiche  z.  b.  das  von  H.  Fischer, 
lan.  23,  57  fg.  mitgeteilte  „historische  lied  des  XVI.  Jahrhunderts "*, 
i.  a.  folgende  verse  vorkommen: 

Venedig,  sych  dich  eben  für 
Dein  hochmfit  würt  gestilt,  glaub  mir 
Dein  geyt,  vü  üppig  eytel  eer 
Mag  nit  vertragen  bliben  mer. 

orhin  heisst  es  von  der  trotzigen  stadt,   die  gowissermasscn  unter 
bilde  einer  spröden  kokette  erscheint: 

Bapst,  keyser  darzu  achtest  klein, 

In  eygnem  gwalt  vertröst  allein. 

Venedig,  sych  dich  eben  für. 

Dafi  dir  die  straff  ligt  vor  der  thür, 

Durch  keyser  Maximilian. 

Man  möchte  gewiss  auch  anderwärts  in  der  litteratur  des  16.  jalir- 
erts  noch  beispiele  auftreiben  können.  Aber  mir  komt  es  nur 
if  an,  aus  der  volksmässigen  anwendung  dieser  metonymio  ihre 
Luchlichkeit  in  der  in  frage  stehenden  periodo  zu  erweisen,  zum 
^sten,  dass  sie  gleichsam  in  der  luft  lag,  wenn  auch  nicht  viele 
e  von  der  handgreiflichkeit  des  Sachsischen  vorliegen. 

Jedoch  stehen  neben  diesen  Zeugnissen  für   die  gemeinverständ- 

anschauung  des  „um  städte  werben"  eine  reihe  von  verschieden- 
en Wendungen,  welche  denselben  grundgedanken  in  weniger  aus- 
gter  form  widerzugeben  versuchen.  Auch  hier  gebührt  einer  stelle 
lans  Sachs  zeitlich  die  führung.     Ich  meine  die  allegorische  deu- 

der  ^4  fräulein'',  welche  Nürnbergs  kraft  und  stärke  sinbildlich 
•rpern  sollen,  in  dem  als  ein  kabinetsstück  sinniger  und  poesie- 
»ssener  didaktik  bekanten  lobspruch  der  stadt  Nürnberg^.  Vom 
le  edelster  Vaterlandsliebe  verklärt,  ersteht  hier  ein  farbenbuntes 
Ide  der  phantasie,  welches  in  dem  alten  gcdanken  fusst,  dass  der 

einer  in  ihrer  macht-  imd  glanzfülle  allen  anfechtungen  siegreich 

1)  Gedichte,  buchl,  t.4,  bl.404.  Vgl.  v.2ü5fgg.,  285  fgg.,  289,  300fgg.usw. 


342  FBÄNKEL 

gewachsenen  stadt  der  frischen  und  reinen  blute  unberührter  Jungfräu- 
lichkeit vergleichbar  sei.     Weisheit,  gerechtigkeit,  Wahrheit  und  starke 
sind  die   „4  fräulein",    deren   gleichsam    unverlezte   keuschheit  Nüm^ 
bergs  schütz  und  schirm  bedeutet 

Man  fühlt  sich  unwilkürlich  an  die  vollere  ausgestaltung  dies^^ 
gedankens  erinnert,  wie  wir  ihn  in  andern  nummem  dieses  stofkreis^:^ 
finden,  so  in  dem  „Halt  dich  Magdeburg"  betitelten  „Flugblatt  aus  de^^ 
reformationszeit",  welches  Arnim  und  Brentano  in  „Des  knaben  wixix^ 
derhorn"  (1.  ausg.  11,  102)  zum  abdruck  brachten.  Ich  führe  als  clx^,^ 
rakteristisch  nur  Strophe  5  —  7  an: 

So  will  ich  nicht  verzagen, 
Ich  armes  mägdelein, 
Christum  will  ich  es  klagen. 
Der  wird  mein  schutzherr  sein. 

Magdeburg  bin  ich  genennet. 
Ganz  frei  und  wohl  bekannt. 
Ich  trau  auf  Christ  vom  himmel. 
Mir  hilft  seine  gewaltige  band. 

Die  mittel  will  ich  brauchen. 
Die  mich  mein  bräutgam  lehrt, 
Vor  diesem  beschomen  häufen 
Bin  ich  noch  unversehrt  ^ 

Die  sprechende  stadt  weist  also  die  umwerbungen  ihrer  feinde  schro»* 
zurück,  indem  sie  sich  gewissermassen   auf  ein  Verlöbnis  mit  Christ»^ 
beruft     Hierdurch  ist  aber  nicht  bloss  die  reichhaltige  anzahl  der  voi 
Köhler   zusammengestelten   lieder   dieser   art,   welche   sich  auf  Magde- 
burg beziehen,  um  eins  vermehrt 2,  sondern  zugleich  erwiesen,  dass  di« 
belagerung    der    stadt    durch   Tilly    vom  jähre    1629    keinesw^  di^^ 
erste  ist,  welche  zu  einem  solchen  gedichte  angeregt  hat     Es  verdien.  ^ 
hierbei  noch  angemerkt  zu  werden,  dass  das  in  „Des  knaben  wunder 
hörn''  unmittelbar  folgende  gedieht  „Die  Magdeburger  fehde^^,  welcher"===^ 

1)  Allerdings  ist    in    dieser   hochdeutschen   fassuiig    manches    etwas   cntstA-"*i 
mau  vergleiche  die  niederdeutsche  bei  Uhland  1,  554  und  v.  Lilioncron  IV,  515. 

2)  „Tilly  nach  der  schlacht  bei  Breitenfeld ",  ein  auf  lU'kundliches  matei  a* 
gevStüzter  aufsatz  (Schnorrs  v.  Carolsfeld?)  im  Aroh.  f.  lit.-gesch.  VI,  53—85  hic*^^^ 
viele  fälle  für  Magdeburg,  aber  ohne  das  typische  des  werbens  zu  streifen. 

3)  Quelle  ist  „Cyriacus  S|»angen bergs  Chronik  von  Aschei-sleben.     Eislebenl^*"-- 
Petri."     Das  gedieht  steht  Des  knaben  wunderhorn  II',  106. 


UM  STÄDTE  WEBBEN  343 

ch  ins  dritte  viertel  des  16.  Jahrhunderts  gehört,  zwar  diese  anschauung 

3ht  gerade  heraus  ausspricht,   aber  doch  in  mannigfachen  anklängen 

3   anlehnung  an  das  vorhergenante  gedieht  aufweist^;   in  Strophe  11 

d  12  bricht  die  Personifizierung   der  Stadt,   allerdings   unter   einem 

vas   andersartigen   bilde,   ganz   deutlich   durch.     Auch   bleibe   nicht 

erwähnt,  dass  die  von  Köhler  a.  a.  o.  s.  231  mehrfach  belegte  auf- 

sung  der  Werbung  als  einer  aufforderung  zum  tanz  sich  in  der  gan- 

i  gattung  öfters  widerholt;  ich  erinnere  an  die  geschickte  einflochtung 

ses  motivs  in  einem  neueren  aber  nicht  minder  volksmässigen  bei- 

ol,   „Die  befreiung  Wiens ''^  strophe  17: 

Es  tönt  so  froh  und  tönt  so  hell, 

Als  ging's  zu  tanz  und  wein. 

tiler  a.  a,  0.  s.  231  (und  anm.)  wies  schon  auf  diesen  zug  hin. 

Wie  verbreitet  jene  Übertragung  aus  dem  sozialen  leben  auf  die 

itebelagerung  schon  im   16.  Jahrhundert  gewesen  sein  muss,   erhelt 

'    der  anzahl  verschiedener  fassungen   des    „Halt  dich  Magdeburg", 

heute  noch  nachweisbar  sind.   Die  geläufigste  ist  freilich  wol  erst  um 

mitte  des  17.  Jahrhunderts,  anscheinend  infolge  der  belagerung  von 

-9 — 31,   endgiltig  fixiert  worden.     So  liegt  sie  uns  im  Venus-gärt- 

fi  (Hamburg  1659)  s.  55  —  57  vor,  und  bei  Uhland,  Alte  hoch-  und 

iilordeutsche  Volkslieder  I,  1,  553  ist  aus  einem  mundaitlichen  lie- 

^T}uche  eine  woi-tgetreue  plattdeutsche  Übersetzung  derselben  mitgeteilt. 

>€r  wir  kennen  auch  eine  in  einzelheiten  stark  abweichende  nieder- 

Xrift  als  fliegendes  blatt,   welche,   enthalten  in  „Zwey  schöne  lieder, 

^  erste  der  christlichen  Stadt  Magdeburgk   zu  ehren  gestellt,   durch 

L    Im  thon  Es  wolt  ein  jegcr  jagen  1551"*,  reichlich  hundert  jähre 

•-her  abgeschlossen  war.     Ähnlich  wie  oben  bei  Hans  Sachs,   ist  hier 

»1  „drei  jungfräulein^  die  rede,   welche  auf  dem  Magdeburger  stiidt- 

:'e  für  drei  fremde  fürsten  „rautenkränzelein'^  winden.     Auf  derselben 

de   bewegen   sich    die   verschiedenen   synonymen    ausdrücke    in   der 

lagdeburger  fehde.^     Neben  andern  gedenke  ich  nur  der  werte  in  der 

.  Strophe: 

Magdeburg,  du  bist  ein  wilder  arn. 

Dein  flügel  sind  unverhauen 

s  einer  geharnischten  ab^vehr  an  die  belagernden  fürsten,  welche  auf 
aem  sehr  nahestehenden  vergleiche  ruht. 

1)  Z.  b.  das  bezeichnende   „es  kommen  (viel)  fremde  gaste**    in  den  ersten 
t)phen. 

2)  Aus   dem   sog.    Festkalender   z.   b.  l)€i    Echtenneyor,    Auswahl   deutscher 
dichte,  29.  autl.,  s.  87  fg. 


344  f&Inksl 

In  anziehender  weise  ist  zugleich  in  „Halt  dich  Magdeburg*^  das 
alte  gleichnis,  dass  Christus  der  kirche  verlebter,  der  gläubigen  und 
frommen  geliebter  sei,  für  die  beziehung  der  gottheit  zu  der  glaubeus- 
mutigen  Stadt  verwertet  Die  hymnenlitteratur  und  kirchliche  lieder- 
dichtung  der  nachreformatorischen  Jahrhunderte  weist  eine  ganze  reihe 
von  stellen  auf,  welche  Christus  als  bräutigam  der  Stadt  Jerusalem^ 
bezeichnen  und  zwar,  was  für  uns  das  massgebende  ist,  als  friedlichen 
eroberer  im  sinne  der  religiösen  legende  oder  als  schlachlgewaltigi'n 
kriegsfürsten  im  altgermanischen  stile  des  Heliand.  Bloss  einige  pro- 
ben mögen  die  vielseitige  ausbeutung  dieses  halbmystischen  phantasie- 
bildes,  welches  die  ältere  christliche  dogmatik  in  ihrem  dränge  nach 
sinlicher  greifbarkeit  des  göttlichen  geschaffen  hatte,  mehr  andeuten  als 
sicher  beweisen. 

Zunächst  ein  beispiel  noch  aus  dem  16.  Jahrhundert  Rambachs 
Anthologie  christlicher  gesänge  II,  218,  auch  Schuppii  Schriften  s.  277 
verzeichnen  das  im  modernen  protestantischen  kirchengesang  wider  in 
aufnaJime  gekonmiene  lied  „Von  den  klugen  Jungfrauen"  aus  „Frewden 
Spiegel  dess  ewigen  lebens.  Durch  Philippum  Nicolai.  Frankfurt  1599." 
In  betracht  komt  sti'ophe  1: 

Wachet  auf,  ruft  uns  die  stimme  ^ 

Der  Wächter  sehr  hoch  auf  der  zinne. 

Wach  auf,  du  Stadt  Jerusalem, 

Mitternacht  heisst  diese  stunde, 

Sie  rufen  uns  mit  hellem  munde: 

^Wolan,  der  bräutigam  komt, 

Steht  auf,  die  lampen  nehmt! 

Halleluja! 

Macht  euch  bereit 

Zu  der  hochzeit, 

Ihr  müsset  ihm  entgegen  gohn!** 

Nur  um  für  die  spätere  zeit  die  fortdauer  dieser  belebenden  dar- 
stellungsweise zu  belegen,  ziehe  ich  die  betreffenden  zeilen  aus  ciuom 
seltsamen  hymnus  aus,  der  als  „Anmutiger  blumen krieg  aus  dem  gar- 

1)  Wackeniagol,  Poetik,  rhotoiUc  und  Stilistik  s.  398  bespricht  als  typü^^hft 
„l>ois|üol  allegorischer  porsoiiifikatiou"  Ilcsckiel  16,  „wo  Jerusidoni  ab?  weih  erscheint 
und  die  ganze  geschichto  der  Stadt  und  des  volkes  in  der  lebensgoschiehte  ^(^ 
einen  weibes  auschaulii;h  concentriert  wird.*^ 

*J)  Klopstoek  liefert  eine  nach  seiner  gewohnten  oruouerungsart  (siehe  Muiicktr. 
K.  (.1.  Kh^pstoek,  Stuttg.  1888,  s.  307  und  311  fg.)  vorgenommene  umarl>eitung  -1^»' 
geistlicJu'  aufersteh ung** :  Simitl.  werke  1823,  111  s.  89. 


UM   STÄDTE   WERBEN  345 

ten  der  gemeinde  gottes,   ans  licht  gegeben  im  jähre  1712"    in   Des 
knaben  wunderhorn  ^UI,  206  fgg.  neu  gedruckt  ^st. 

In  nr.  3,  die  den  Untertitel  „Triimiph  des  erwählten  volkes"  führt, 
lautet  str.  1: 

Auf  triumph,  es  komt  die  stunde, 

Da  sich  Zion,  die  geliebte,  die  betrübte  hocherfreut, 

Babel  aber  geht  zu  gründe, 

Dass  sie  kläglich  über  jammor  über  angst  und  kummer  schreit 

Str.  2: 
Diese  dime  hat  beflecket 

Ihr  geschenktes,  schön  geschmücktes  jungfräuliches  ehrenkleid 
Und  mit  schmach  und  höhn  bedecket. 
Die  dem  lamme  auf  die  hochzeit  ist  zum  weibe  zubereit. 

Str.  3: 
Stolze  dime,  nicht  verweile, 

Die  da  auf  den  vielen,  vielen,  vielen  grossen  wassern  sizt 
Und  mit  angeln  und  am  seile 
Ganze  Völker  zu  sich  ziehet  und  in  schnöder  brunst  orhizt.^ 

Str.  5: 
Auf  dem  lande,  in  den  städten 

Hat  die  dime  mit  dem  becher  alle  beiden  toll  gemacht, 
Sie  stolzieren  in  den  ketten, 
Haben  sie  als  schicksalsgöttin,  sich  als  götzen  hoch  gemacht 

Str.  11: 
0  wie  gross  ist  deine  wonne. 

Schönstes  Zion,  es  ist  kommen  dein  erwünschtes  hochzeitsfest. 
Da  sich  Jesus,  deine  sonne 
Der  dich  krönet,  deinen  bräutigam,  deinen  könig  nennen  lässt 

Endlich  str.  12,  einen  volkommenen  abschluss  bietend: 
Nach  der  hochzeit  wird  die  nymphe^ 
Aus  dem  hause  ihrer  mutter  in  des  vaters  haus  geführt. 
Die  mit  ewigem  triumphe 
In  der  kröne  ihrer  hochzeit,  ewig,  ewig  triumphiert 

Das  merkwürdige  stück  läsßt  trotz  der  vielfachen  dunkelheiten  im 
^^^elausdmck,  die  durch  die  verzwickte  interpunktion ,  in  der  es  hier 
^^^äss   dem   original    belassen   ist,    noch   gesteigert   werden,    dieselbe 

1)  Nach  der  Offenbarung  Johann.  17,  1:  die  grosse  hure  Babylon. 
^.  2)  Mit  hinbliok  aiif  vöfAiprj  „die  nou vermählte''  (Homer  II.  3,  130  u.  ö.)?    Ähn- 

^**  «braat*^  für  Junge  frau**  (vgl.  Hildobrandslied  v.  21). 


346  FBÄNKEL 

gegenüberstellung  wie  in  den  vorgeführten   „weltlichen*'  fallen  durct^^ 
scheinen,  ja  man  möchte  fast  sagen,   es  sezt  die  bekantschaft  mit  d: 
sen  und  ihre  üblichkeit  voraus.     Das  geht  auch  aus  einigen  parallel  ^> 
in  nr.  20  desselben  cyklus,   dessen  nr.  3  wir  soeben  in  bruchstüct^M-i 
kennen  lernten,  hervor.     Dieselbe,  „Hochzeit*'  betitelt^,  nähert  sich  nciit 
einigen  anklängen  namentlich  dem  liede  „von  den  klugen  jungfrauex^.- 
Ich  hebe  heraus  aus  str.  1: 

Es  hat  sich  aufgemachet 
Der  bräutigam  mit  prachi 

und  stelle  daneben  aus  str.  2: 

Die  Wächter  Zions  schreien. 
Der  bräutigam  ist  nah. 

Str.  3  bringt  sodann  die  völlig  dazu  stimmenden  verse: 

Die  ttir  ist  aufgeschlossen  ^ 
Die  hochzeit  ist  bereit, 
Auf,  auf  ihr  reichsgenossen. 
Der  bräutgam  ist  nicht  weit 

Auch  die  6.  strophc  gehört  hierher: 

Begegnet  ihm  auf  erden, 
Ihr,  die  ihr  Zion  liebt. 
Mit  freudigen  gcbcnlen 
Und  seid  nicht  mehr  betrübt! 
Es  sind  die  fi-eudcnstimden 
Gekommen  und  der  braut 
Wird,  weil  sie  überwunden, 
Die  kröne  nun  vortraut. 

Wie  scharf  das  gegenüber  des  siegreichen  eroberers  und  ^^^^ 
bezwungenen  bräutliehen  stadt  zu  fassen  ist,  zeigen  die  beiden  er»*^*^ 
Zeilen  der  nächsten  strophe  ganz  deutlich: 

Hier  sind  die  siegespalmen. 
Hier  ist  das  weisse  kleid 

und  nachdem  dieser  gegensatz  noch  mit  reichen  färben  ausgemalt 
bringt  die  8.  strophe  den  würdig  ausklingenden  schluss: 

Hier  ist  die  stadt  der  freuden, 
Jerusalem  der  ort. 


1)  Dos  koabon  wunderhom  *III,  229  u.  ö. 

2)  Ganz  realistisch  zu  donken,  wie  Christas  nach  den  evangelien  k 
einzieht. 


i 


UM  STÄDTE   WERBEN  347 

Wo  die  erlösten  weiden, 
Hier  ist  die  sichre  pfort, 
Hier  sind  die  goldnen  gassen, 
Hier  ist  das  hochzeitmahl, 
Hier  soll  sich  niederlassen 
Die  braut  im  rosental. 

jvaltet  auch  in  dem  die  eigentümliche  dichtung  abschliessen- 
imph  der  erwählten  seele''  derselbe  gedanke  vor,  indem  „der 
;t  aus  der  schlacht  komt**,  des  „höllischen  tyrannen  raubschloss 
stört",  so  dass  —  wenn  man  die  mystisch  verklausulierten 
auslegen  darf  —  „seine  teur  erlöste  braut"  nun  unbehelligt  ist. 

einige  versvante  züge  aus  neueren  kirchenliedern  gleich  hier 
i,  sei  Gellerts  abgeblasstes 

Dein  könig,  Zion,  komt  zu  dir 

s  liedes  „Dies  ist  der  tag,  den  gott  gemacht"),  Friedrich  Sach- 
Ä.ltenburger  hofpredigers 

Dein  könig  komt  zu  dir. 


Du  Stadt  des  felsengrundes. 
Noch  bist  du  seine  stadt. 
Mach  ihm  die  tore  weit! 


id  2  (los  liedes  „Thu  auf  die  heil'gen  pforten")  und  etwa  noch 
Drts  friedvolles  adventslied: 

Dein  könig  komt  in  stiller  grosse 
Sanftmütig,  ohne  kriegsgetöse, 
Empfang  ihn  froh,  Jerusalem 

Lim  die  Versicherung,  dass  die  ausgedehnte  pflege  dieser  an- 
durch  die  kirchliche  liederdichtung  schon  allein  aus  den  Luthe- 

jesangbüchern  viele  beispiele  herausgreifen  licss,  durchaus 
zu  machen. 

iren  wir  zu  der  chronologischen  reihenfolge  der  besprochenen 
zurück,  so  finden  wir  als  erstes  im  17.  Jahrhundert  unter  den 
licht  berücksichtigten  das  lied  auf  die  schlacht  bei  Leipzig, 
Ulf  tlugblättom  in  melirfacli  stark  variierter  fassung  überliefert 
3  längere,  noch  von  1631  datiert,  steht  in  Des  knaben  wun- 
^n,  93,  bei  Talvj,  Versuch  einer  geschichtlichen  Charakteristik 
;lieder  gennanischer  nationen  (1840)  s.  442  und  sonst  öfters 
5t,   eine   andere   unter   gleicher  Überschrift   findet  sich   knapp 


348  FRÄNKKL 

zusammcngcschnitten  in  Des  knaben  wunderhom  an  jenes  angeschlos- 
sen oder  in  erweiterter  gestalt  als  „Der  päpstischen  armee  unter  dess 
alten  corporals  general  graffen  von  Tylli  commando  zugk  vnd  flucht 
1631"  auf  einem  flugblatt,  welches  z.  b.  in  der  Meusebachschen  sam- 
lung  enthalten  war,  auch  verschiedentlich  veröffentlicht  worden  ist^ 

Wenn  man  annimt  (wogegen  kaum  ein  erheblicher  einwand  mög- 
lich ist),  dass  der  eingang,  wenn  nicht  ein  grösserer  abschnitt  dieses 
gedichts  in  der  erstgenanten  beai'beitung  der  Stadt  Leipzig  in  den  mund 
gelegt  ist,  so  darf  z.  b.  die  1.  Strophe  ohne  weiteres  als  beleg  für  die 
Aktion  eines  liebesverhältnisses  zwischen  Leipzig  und  Gustav  Adolf  gel- 
ten.    Sie  lautet  nämlich: 

Ich  hab  den  Schweden  mit  äugen  gesehn 
Er  tut  mir  wol  gefallen; 

Geliebt  mir  in  dem  herzen  mein 

Vor  andern  königen  allen. 

Gegen  den  schluss  bekommen  die  kaiserlichen  feldherm  den  beliebten 
moralischen   rippenstoss.      Während   sonst   meist   Tillys   Charakter  unA^ 
geschick  die  Zielscheibe   der   protestantischen  pamphletisten  bildet,  Is'äe 
es   hier   neben   diesem   auf  den  wilden   reitergeneral  Holk   abgesehec^ 
Charakteristisch   ist   namentlich   die  apostrophe  der  flüchtigen  „Krab»— 
ten''  und  „welschen  brüder''  str.  11: 

„Ade,  Leipzig,  behalt  dein  mahlzeit, 
Zu  dir  komm  ich  nicht  wider", 

und  zwar  ist  dieser  gefühlsausbruch  aus  der  vorangehenden  stroplie  z  "^ 
erklären,  wo  Holks  krankheit  durch  vergiftetes  confekt,  das  er  von  de*^ 
Stadt  Leipzig  erhalten,   erzeugt   sei.     Diese   merkwürdige    motivierun^ 
ist  aber   in    den  gedichten  jener  zeit    eine   sehr   gebräuchliche,  wen  ti 
schimpflicher  abzug  eines  belagercrs  geschildert  werden  soll*    BeispieJ!^- 
weise  sei  hingewiesen  auf  K.  Köhler,  Archiv  für  litteraturgeschichte  X 
245  (auch  241   und  243),   besonders  auf  Freih.  v.  Ditfurth,   52  unpe- 
drucktc   balladen    des   16.,    17.,    18.  Jahrhunderts   (Stuttg.  1874)  s.  \U 
(aus  dem  jähre  1704)  sowie  Freih.  v.  Ditfiuth,   110  volks-  und  gesel- 
schaftslieder  des  16.,  17.,  18.  jahrhiinderti>  (Stuttg.  1875)  s.  37  (schlaoht 
bei  Patras  1687)  und  s.  97  (belagerung  der  vestung  Rottenberg  1744. 

1  >  Z.  b.  in  dor  von  li.  Erk  besorgten  neuausgabc  von  Des  knaben  wunder- 
hom: L.  A.s  von  Arnim  sämtl.  werke  N.  A.  18.')7,  XII,  93  fgg. 

2)  l>io  «M'klärung  bieten  die  verse    «Ihr  red  war  usw.*"   bei  Opel  und  Cota« 
Der  dreisi>igjährigc  krieg  (1802)  s.  258, 


UM   STÄDTE   WERDEN  349 

Gleichfals  in  jene  zeit  falt  die  entstehung  des  gelegenlieitsgedich- 
tes   „Wallenstein  vor  Nürnberg"  \  in  dem  am  ende 

^Die  burger  schrien  und  sungen  überlaut: 
„Gelt,  Wallenstein,  du  hast  die  braut? 
Geh,  putz  dein  gesehen  drauss!*'*' 

Nach  dem  inhalte  zu  folgern,  muss  wenigstens  ein  und  demsel- 
ben jähre  der  spotdialog  „Tilly  und  der  lange  Fritz "^  angehören,  wo 
dem  Tilly  als  grund  seiner  erbärmlichen  läge  entgegengeschleudert  wird : 

„Weil  hast  die  magd  geschändet. 
Ins  elend  auch  gesendet, 

also    Magdeburgs  grausame  Zerstörung. 

Über   das   interessanteste   gedieht   des   17.  Jahrhunderts,   welches 

unser  thema  behandelt,   ist  man  bis  jezt  noch  nicht  ins  klare  gekom- 

^^öH-     Es  ist  widerum  auf  die  belagerung  Magdeburgs  bezüglich  und 

zAvar  die  von  Tilly  1631  mit  erfolg  durchgeführte.     Unter  den  vielen 

wummern,  die  sich  diesen  dankbaren  stoff  zum  Vorwurf  gewählt  haben, 

stelt   es  Köhler  s.  249  an  lezte  stelle.     Aus  seiner  angäbe  (s.  250),  dass 

dasselbe  gedieht  in  deutscher  Übertragung  —  das  original  ist  lateinisch 

^bgefesst  —   nach   einem   druck  von   1632  bei  Opel  und  Cohn,   Der 

^r-eissigjährige    ki-ieg    (Halle  1862)    s.  220  tgg.«  mitgeteilt   ist,    ergibt 

^ioh    seine   Identität  mit  einem  neuerdings  von  Witkowski^  eingehend 

^^spxochenen  gedichte  Werders.     Ich  teile  dessen  ausführungen  nebst 

^©n    bei  ihm  herausgehobenen  proben  mit,  indem  ich  noch  seine  notiz 

*^    der  bibliographie  der  Werderschen  schritten  vorausschicke,  dass  das- 

^^'^be  stück*  „mit  moderner  Orthographie''   an  der  angegebenen  stelle 

^^^*^*-Cohns  zu  finden  sei: 


„Weit  weniger  als  die  nachbildung  der  bussspalmen  ist  Werder 

^^^      „Trawerlied  vber  die  klägliche  Zerstörung  der  löblichen  vnd  vhr- 

^^^^^n  Stadt   Magdeburg"    gelungen,    welches   denselben   angehängt   ist. 

^■^    lied  schildert  die  Überwältigung  einer  Jungfrau  (das  wappen  Mag- 

^^virgs)  durch  einen  alten  Wüstling.     Unter  anderm  finden  sich  darin 

^^S^nde,  fast  komische  verse: 

1)  Ditfurth,  52  balladon  usw.  s.  172. 

2)  Ebd.  s.  168;   dieses   wie   das   vorige   nach   handschriftlicher  Überlieferung 
^^-     3m). 

3)  Diederich  von  dem  Werder.    Ein  beitrag  zur  deutschen  htteraturgeschichte 
^^*^    17.  Jahrhunderts  (Leipzig  1887)  s.  124  fg. 

4)  Exemplare  desselben^    1632  in  Leipzig  bei  Elias  Rohefold  gedruckt,   finden 
^^^  nach  Witkowski  in  Dresden  und  Göttingen. 


350  FRÄNKEL 

Der  himmel  selbst  erschrickt.     Gottloser  bulen  knecht, 
Es  weren  ja  für  dich  die  drey  höll  huren  ^  recht, 
Ilir  bräutigam  zu  seyn.     Mit  solchem  brand  vnd  morden 
Ist  auch  des  Plutons  weib  selbst  nicht  geraubet  worden. 
Du  ALTER  KAHLKOPF,  du  verdientest,  dass  das  schiff 
Charontis  mit  dir  stracks  in  seinen  abgrund  lieff. 
Die  allegorie  von  der  Jungfrau  und  dem  alten  liebhaber  ist  im.<:>ch 
weiter  geführt;  dann  redet  der  dichter  die  gefallenen  an: 
Ihr  bürger  aber  all',  ihr  männer,  vnd  ihr  frawen, 
Ihr  kinder,  knäbelein,  ihr  jüngUng  und  jungfrawen, 
Du  kecke  kriegesschaar:  Vnd  du  o  edler  Heldt, 
Der  du  ihr  wärest  gleich  als  hertzog  fürgestellt, 
Olantz  aller  Tapferkeit  2,  vnd  sonne  des  Vorstandes 
Ruht  iTihot  in  der  asch'  hier  ewres  Vaterlandes 
Ja  ruhet  süss  vnd  sanflH;,  kein  todt  ist  ewer  todt^: 
Ein  leben  ist  er  euch,  ein  leben  auch  in  gott. 
Ein  leben  voller  ehr,  ein  leben  voller  leben: 
Ihr  vberwunden  habt:  ihr  werdet  euch  erheben, 
Hoch  vber  das  gestim,  es  wird  nach  unsrer  zeit 
Auch  werden  ewer  lob  vnsterblich  aussgebreit 
Zum  schluss  ermahnt  der  dichter  die  überlebenden,   auszuharre:^ 
und  den  mut  nicht  sinken  zu  lassen.     Das  ganze  „trauerlied''  ist  dcr^ 
besungenen   gegenständes   nicht   würdig;    denn    von    dem    furchtbar^^ 
schmerz,  der  die  ganze  protestantische  weit  nach  dem  falle  Magdeburg-^^ 
bewegte,   ist  sehr  wenig  darin  zu  spüren.     Dasselbe  bild  von  der 
schändeten  Jungfrau  benuzte  Opitz  zu  einem  epigramm,  welches  zuers- 
bei  Neumoister'*  abgedruckt  ist  und  ebenso  wie  Werders  gedieht  beweii 


1)  loh  glaube,  da.ss  hierbei  der  stille  gegonsatz  vorschwebt,  welchen  das  obc' 
besprochene  flugblatt  ^Halt  dich,  Magdeburg^  so  ausprägt  (str.  16): 

Zu  Magdeburg  auf  dem  thore, 

Da  sitzen  drei  jungfräulein, 

Die  machen  alle  morgen 

Drei  rautenkränzelein. 
Bestirnt  sind  diesellwn  nac^h  den  folgenden  versen  für  „herzog  Hansen*,  graf  Albrecl 

von  Mausfeld  und  einen  noch   unbekanten   retter.     Die  „höllhuron*'  sind  Babylot ^' 

Jerusalem,  Ephraim. 

2)  Gemeint  ist,  was  W.  nicht  angemerkt  hat,   der  von  Gustav  Adolf  entsant 
kommaiidant  der  stadt,  obei*st  Dietrich  Falkonberg. 

3)  Diese  und  die  folgende  wendung  erinnern  an  ähnliche  antike  im  Stile 
bekanten  Tyrtäos  nachgo))ildeton  vorse  dos  Horaz. 

4)  Specimen  dissertationis  IlLstorico-Criticao  de  Poetis  C^emumicMl  h^fos 
culi  pi-accipuis  (2.  aufl.)  1708  s.  70  fg.     Vgl.  Strehlko,  M.  Opitz  8.  IWi 


UM  STÄDTE  WEBBEN  351 

«renig  die  poesie  damals  den  gefühlen  über  wirklich  erschütternde 
aisse  ausdruck  zu  geben  vermocjhte." 

Soweit   Witkowski,    dessen   darstellung   ich    in   extenso   gegeben 

weil  es  mir  notwendig  schien,  bei  der  berichtigung  des  tatbestan- 
ien  sachkundigsten  sprechen  zu  lassen.  Man  gelangt  aber  erst  zur 
m  feststellung,  wenn  man  seine  notizen  mit  denen  Köhlers  ver- 
llzt  Dieses  ergebnis,  dass  jenes  lateinische  gedieht  bei  Köhler 
9  fg.  und  das  Werdersche  zusammenzufassen  sind,  blieb  bei  Wit- 
ü  jedenfals  nur  deshalb  aus,  weil  ihm  leider  die  bemerkungen 
ü  Vorgängers  entgangen  zu  sein  scheinen.  Dies  geht  auch  überdies 
seiner  nichtberücksichtigung  von  Köhlers  auslassung  über  das 
ische  gedieht  (s.  247)  hervor. 

Da  es  sich,  um  die  genetische  entwicklung  zu  veranschaulichen, 
hieden  empfiehlt,  einfach  die  chronologische  reihenfolge  inne  zu 
1,  so  schliesse  ich  jczt  einen  hinweis  auf  die  wol  nicht  unbeträcht- 

litteratiu-  an,  welche  den  fall  Strassburgs  betrift  und  meist  noch 
ahr    1681    oder   die   unmittelbar   folgenden   falt.     Ich   halte   mich 

an  die  knappen  worte  Scherers  ^,  die  allerdings  nicht  in  hinblick 
3ine  litterarhistorische  Verwendung  niedergeschrieben,  die  sache 
lein  betrachten.  .jDie  populäre  littemtur  hatte  sich  des  gegenstan- 
wie  selten  in  jenen  zeiten  geschah,  mit  eifer  bemächtigt  Das 
lied  erhebt  sich  in  allen  möglichen  klageweisen,  schon  vor  der 
trophe  in  Warnungen,  nachlier  in  bitterem  unmut.  Aber  auch  an 
m  gegen  Strassburg  fehlt  es  nicht,  aus  denen  man  ersieht,  dass 
ueinung  sehr  rasch  verbreitet  wurde,  es  sei  verrat  im  spiel  gewe- 
und  die  Strassburger  müsten  nun  ihre  untreue  am  reiche  büssen. 
„lezter  reichs- abschied  von  der  mutter,  dem  römischen  reich,  an 
snterbte  tochter,  nun  französischen  stadt  Strassburg*'  geissei t  die 
)sigkeit  der  grenzstadt,  welche  ihr  unglück  selbst  vorschuldet  hätte. 

beachtenswert  ist,  dass  selbst  Leibnitz  in  den  zahlreichen  latei- 
en  und  deutschen  gedieh ten,  zu  denen  ihn  das  ereignis  gestimt 
,  einer  gleichen  auffassung  vorzugsweise  räum  gibt: 

„Pfuy  Strassburg,  schäme  dich 

..  musst  mit  vielen  scherzen 

Vei-spotten  lassen  dich  zu  deiner  pein  und  last*' 

Alle  genanten  Stimmungselemente  fliessen  iu  der  herben  abfer- 
g  an  die  alte  reichsstadt  zusammen,   welche  noch  ins  jähr  1681 

1)  Lorenz  und  Scherer,  Geschichte  dos  Elsasses  II,  130  fg.  S.  258  heisst  es 
jähre  1870:  ^Alle  Stadien  einer  regelrechten  belagerung  solte  die  unglückliche 
;,  die  siebenhundertjährigii  jungfräuliche  festung  erdulden. '^ 


352  KRANKEL 

falt  und  von  Ditfurth^  aus  „Cod.  germ.  s.  136  — 137"  der  staatsbibL 

tliek  zu  München  herausgegeben  ist     Strophe  8  darin  gibt  den 

des  gedankens: 

Ein  Jungfrau  wärest  du, 

Hast  g'habt  den  edlen  namen; 

Pfui,  pftii!  jezt  musst  dich  schämen! 

Scham  dich,  truck  d'  äugen  zu. 

Und  ruf:  o  weh,  o  weh! 

Hab  d'  jungfrauschaft  verloren. 

Bin  Absalon  geboren  — 

Die  untreu  nun  versteh! 

Für  diese  scharfe  Strafpredigt  an  die  —  wie  (oben  s.  344  fg.)  Babylon  — 
zur  dirne  erniedrigte  Stadt  empfangen  wir  in  der  übernächsten  strop^i^ 
folgende  erklärung,  welche  das  gleichnis  in  das  richtige  licht  rückt: 

Dir  war  das  prädikat, 

Dass  vor  viel  hundert  jähren. 

In  schweren  kricgsgefahren. 

Kein  feind  dich  zwungen  hat 
In  den  übrigen  teilen  des  20  Strophen  langen  gedichtes  treten  fast  al  l  ^ 
die  Wendungen  auf,   die  wir  in  den  bisher  mitgeteilten  Schilderungen* 
derselben  Situation  beobachten.     Str.  6  flicht  den  anscheinend  stereotj"  'W 
gebrauchten    ausruf:    „Pfui,    Strassburg,    schäme    dich**    ein    und   d§  ^ 
Schlusszeilen  der  3.  und  4.  Strophe: 

Das  Teutschland  lacht  von  herzen 

Zu  deinen  grossen  schmerzen. 

Hast  selbst  g'macht  dir  pein 
beziehentlich: 

Das  reich  dich  gar  nicht  kennet, 

Lacht  nur  zu  deinem  spott 

erinnern  so  auffiillig  an  Tjcibnitzs  obige  verse,    dass  ein  abhängigkei 
Verhältnis  auf  einer  seitc  wol  in  frage  gezogen  werden  könte,   sei 
nun  nur  dunkele  oder  unbewuste  reminiscenz  beim  kunstdichter  od 
zustutzung  für  den  geschmack  des  gemeinen  mannes  durch  dou  volk 
mund.     Zugegeben  sei,  dass  die  gebrauchten  ausdrücke  bei  der 
und  gäbe  gewordenen  vergleichsart  beiden  nicht  zu  fem  lagen'. 

1)  110  Volks-  und  geselschaftslieder  usw.  (Stuttg.  1875)  a.  29  — 35. 

2)  Von  bomorkonsworten  anklängen  seien  nocli  erwähnt:  aus  str.  1:  ,Aber  <Jo 
findest  kein  mann,  Der  jczt,  da  du  musst  leiden,  Mit  dir  sich  schwarz  will  Udden  * 
vgl.  mit  den  oben  s.  346  besprochenen  versen  „Hier  ist  das  weisse  kleid*  (dort  ^^ 
die  Werbung  einen  glücklichen  ausgang  genommen);   die  werte  der  iweita  atroph 


) 


UM   STÄDTE   WKRBEN  353 

hatte  Strassburg  hier  in  den  Vordergrund  gestelt,  obwol  einige 
;eschichtliche  lieder  dieser  zeit  auf  ereignisse  sich  beziehen, 
nehrere  jähre  älter  sind.  Aber  sein  fall  ist  der  bekanteste, 
irolksttimlicliste  und  daher  auch  vielbesungenste  stoff  aus  den 
igen  gedichten  unserer  gattung. 

►SS  im  vorbeigehen  erwähne  ich  das  bei  Ditfurth  a.  a.  o.  s.  18 
te  „Gespräch  zwischen  England  und  Ruyter  (1667)."  Dasselbe 
anzes  mit  den  oben  s.  337  behandelten  Personifikationen  der 
und  den  weiterhin  zu  erwähnenden  Deutsclüands  in  parallele 
i;  im  einzelnen  gehören  etwa  v.  29  fg. 

„Holland  hat  mich  stark  turbieret, 
Ist  mein  meister  worden  sehr" 

chfals  ein  ausruf  Englands  —  v.  16  — 
Dürft  mich  legen  bald  ins  grab 

den  lezteren  eigentümlichen  gedanken  erinnert  der  eingang 
Ditfurth  s.  24  „Belagerung  Rheinfelds"  (1678)  überschriebenen 

Liebste  gräfin  an  dem  Rhin, 

Allarm,  allarm!  es  steht  dahin, 

Dass  ihr  vielleicht  seyd  bald  ein  leicht,^ 

Noch  darzu  schandlich  begraben. 

Str.  2  wird  dem  general  Stahremberg  das  lob  zuerteilt,  dass 
)iten  „diese  gräfin  treulich  z'  schützen"  bereit  gewesen: 

„Die  nicht  redlich,  durch  die  büxen 

Liess  wie  d'  finken  bürsen*  fort  — 

Schöne  lehr,  jezt  liegt  er  dort!" 

i  str.  10  die  bedrängte  festung  aber  ausruft: 
Meine  burger,  treue  kinder, 
Meiner  feinde  überwinder, 
Halt's  femer  treu,  steht  mir  fest  bei! 
Nicht  wie  Freiburg  tut  mich  lassen. 
Drum  ganz  Teutschland  tut  sie  hassen 

don   g'walt   genommen '^    erläutern  nebst   den  voraufgehenden   ^Hast  lang 
ruzt*^  die  oben  s.  341   abgedruckten  verse  auf  Venedig  in  ebenso  wilkom- 
ise  wie  die  folgenden  ^(Der  dir)  die  federn  wol  gestuzt  usw.**  die  auf  Mag- 
Dein  flügel  sind  un verhauen.** 
S.  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch  VI,  612. 

Die  bei  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch  IT,  549  fg.  und  555  fg.  gegebenen 
ncklungen  passend? 

OR  r.   DEUTSCHE  FHILOI.0OIE.      BD.  ZXn.  23 


354  FRÜinoEL 

so   weist   sie   damit  auf  die   Vorgänge   hin,    welche   die   oben  s.  337 
erwähnte  Freiburger  bulschaft  behandelt 

Inhaltlich  gehört  in  diesen  Zusammenhang  die  ,,Schlacht  bei  Mal- 
plaquet"  (Ditfurth  a.  a.  o.  s.  61),  wennschon  ins  18.  Jahrhundert  (1709) 
fallend,  wo  die  5.  strophe  anhebt: 

„Eugenius  geht  izt  nach  Mons, 
So  ihn  erwählet  zum  gespons." 

Aus  dem  18.  Jahrhundert  hatte  Köhler  das  lied  auf  die  belag^ 
rung  von  Lille  (1708)  aus  „Des  knaben  wundorhom*'  IT,  100,  die 
berühmte  umdichtung  desselben  auf  die  von  Belgrad  und  eine  „Unter- 
redung zwischen  dem  könige  und  der  stadt  Breslau  imd  den  Oestrei- 
ehern,  so  bey  der  lezten  Übergabe  den  19.  dec.  1758  geschehen^  in 
den  bereich  seiner  betrachtung  gezogen.  Was  ich  als  ergänziuig  dazu 
bieten  kann,  ist  folgendes.  Zmiächst  eine  anscheinend  veralgemeinerte 
Personifizierung,  der  ich  zu  meinem  bedauern  nicht  weiter  nachspüren 
konte,  weil  mir  meine  quelle,  eine  recht  ungenaue  notiz  H.  Pröhles, 
bloss  geringen  anhält  bot  und  mir  auch  erkimdigungen  nicht  die 
gewünschte  kentnis  zutrugen.  Es  heisst  bei  Pröhle^:  „Die  büigerUche 
politische  Volksdichtung  aus  der  zeit  des  siebenjährigen  krieges  tritt 
nicht  selten  in  der  form  der  poetischen  prosa  auf. Mit  ausge- 
zeichnetem humor  finden  wii*  die  kämpfe  zwischen  Friedrich  und  Maria 
Theresia  als  dorfgeschichte  aus  dem  dorfe  Grossenhagen  dargestelt 
Deutschland  wird  als  krankes  frauenzimmer  abgemalt  (!),  dem  eine 
reihe  von  uneinigen  ärzten  an  verschiedenen  stellen  zur  ader  lässt** 

Ganz  bestirnte  nachricliten  gab  Köhler  schon  über  das  Breslauer 
werbegedicht.  Zur  crgänzung  bringe  ich  über  dasselbe  noch  die  äusse- 
rungen  K.  Janickes^,  der  aucli  ein  andres  stück,  gleichfals  dem  sieben- 
jährigen kriege  angehörig,  bespricht,  welches  einer  an  die  von  Köhler 
berührten  gedieh tc  des  17.  Jahrhunderts  anklingenden  Stimmung  aus- 
druck  verleiht  „Das  beruht  auf  alter  Überlieferung,  die  eroberang 
einer  stadt  mit  dem  werben  mn  eine  Jungfrau  darzustellen.  So  klagt 
die  Stadt  Breslau  dem  könig: 

0  preussischer  kriegheld,  was  thust  du  denn  gedenken, 
Dass  du  mich  in  die  Lieb  wüst  ganz  und  gar  versenken. 
Für  eine  Jungfrau  rein  galt  ich  so  lange  zeit. 
Es  hat  mich  niemals  noch  ein  heldenmut  erbeut 

1)  Friedrich  der  Grosso  und  dio  deutsche  litteratur  (BerÜn  1872)  8.  49  fg. 

2)  Das  deutsche  kriegslied.    £ioe  litterarhistorische  studio  (Berlin  1871)  s.  37. 


DM  BTXDTE  WKBBBM 


356 


Nicht  immer  bringt  freien  glück:    schlimm  ists,    wenn   eiu  mäch- 
tiger nebenbuhler  den  Hcboii  sicher  geglaubten  besitz  der  geliebten  uns 
wider  entwindet.     Darum  seufzt  der  marschaU  von  Coutades: 
Ha  ha  ha!    Ich  anner  manu, 
^k  Ach,  y/ae  mU  ich  fangen  an? 

^^  Hab  eine  jung&au  mir  genommen, 

^^  Bin  mit  ihr  ins  nnglück  kommen  — 

^^  Ea  ha  ha!   Ich  armer  mann, 

^K  Ach,  was  sol]  ich  fangen  au? 

^^^^^v^  Minden,  diese  stolze  magd. 

^^^^^^V  Nach  der  ich  so  lang  getracht', 

^^^^^^F  Die  hat  dieser  Ferdinande 

^^^^^^  Abgejagt  mir  ganz  mechante  — 

*  Ha  ha  ha!    leb  armer  mann, 

Ach,  was  soll  ich  fangen  an?" 
Ans  dem  ende  des  Jahrhunderts  gibt  es  ein  verwantes,  mir  aber 
Icht  ganz  zugänglich  gewesenes  „Lied  auf  die  belagerung  von  Lan- 
»1  (sept  1793),  das  mehrfach  reminiscenzen  aus  älteren  Hedem  ver- 
It"'.  Die  mir  bekanten  zwei  Strophen  enthalten  freilich  nichts  dem- 
itsprechendes. 

Der  zeitlichen  roihonfolge  gemäss  habe  ich  jezt  auf  die  dramatische 
Wertung  der  umkehrung  unseres  godankcns  aufmerksam  zu  machen, 
«Iche  Schiller  in  Maria  Stuart  2.  aufzug  1.  auftritt  unternommen  hat 
Dio  französische  brautwerbung'^  bei  der  königin  Elisabet  wird  daselbst 
i  einem  sinbildlicben  kriegsspiel  geschildert,  bei  welchem  12  rittet 
BTselben  „die  keusche  festung  der  Schönheit"  gegen  den  ansturra  des 
ärlangens,  repräsentiert  durch  dio  cavaüere  des  herzogs  von  Atyou, 
figroieh  verteidigen.  Düntzers  kommentar*  entnehrae  ich,  dass  ver- 
iliiedene  englische  historiker  hier  Schiller  eine  volkommen  ausgebil- 
Bto  vorläge  bieten  kunten,  von  Zeitgenossen  jener  aiifführuug  z.  b. 
Filliam  Cambden  im  1.  teile  seiner  „Annales  rerum  Anglicarum  et 
Übemicanim  regnante  Eüzabetha"  (1615)  sowie  der  von  diesem  direkt 
ispirierte  de  Thou  (Thuanus),  „historiaruin  sui  tomporis  CXXV."  Auch 
Woegel  borichtet  in  seiner  stofreiehen  „Geschichte  des  grotesk-komi- 
len " "  nach  augenzeugen  ähnliche  einzelheiten  über  die  testlichkeiten 

1)  Jauicke  a.  a.  o.  s.  43. 

2)  SchiUers  Maria  Stuart.    Erläutert.    (3.  oufl.  1878}  s.  136  %.     Düntzere  hin- 
s  s.  137  note  2,  dass  hier  die  umkohniug  dos  verhiiltnisaes  vorüega,  war  mir  bei 

oben  gej^l)enGU  ausfühmugca  uiibekaut. 

3)  In  der  ueuoii  bcai-boitung  von  EbeUng  {4.  aufl.  Letiii,  1887)  s.  272  nnd  2C0. 

23* 


356  FRÄNKEL 

am    damaligen   britischen   hofe,   die   „einen   seltsamen   mythologischen 
ansti-ich''  trugen.     Während  wir  nun  zwar  in  Deutschland  für  dieselbe 
zeit  die  darstellung  einer  belagerung  unter  der  allegorie  einer  braut- 
Werbung  nachzuweisen  imstande  sind,   scheint  es  als  ob  wir  auf  eng- 
lischem^ und  dem  dieses  geistig  so  vielfach  befiiichtenden  französischen 
gebiete  poetischer  formelbildung  jene  anschauung  wenigstens  bis  zur 
mitte   des   15.  Jahrhunderts   zurückverfolgen   können.     Indem    ich  die 
zahlreichen  ähnlichen  aufführungen  bei  gelegenheit  von  hochzeiten  und 
anderen  durch  ausgedehnte  beiziehung  der  repräsentativen  künste  ver- 
edelten festen 2  übergehe,  führe  ich  nur  den  mir  bekanten  ältesten  fall 
unserer  symbolisierung  an.      Er  findet  sich   bei  Enguerrand  de  Mon- 
strelet,  Chroniques^  HE,  101,  wo  die  erzählung  folgendes  mitteilt    Als 
Ludwig  XL  von  Frankreich  1463  in  Toumay  einzog,  kam  über  dem  tor 
auf  einer  maschine  die  schönste  Jungfrau  der  stadt  herunter  und  wäh- 
rend sie  sich  vor  dem  könige  verneigte,   lüftete  sie   ihr   gewand  am 
busen,   sodass  ein  daselbst  liegendes  künstliches  herz  sichtbar  wurde. 
Dasselbe  spaltete  sich  und  liess  eine  grosse  lilie  aus  gold  emporsteigen, 
welche  das  mädchen  mit  den  Worten  überreichte:    „Sire,   so   wie  ich 
eine  Jungfrau  bin,   so  auch  diese  stadt;    denn  noch  nie  ist  sie  erobert 
worden,  und  nie  hat  sie  sich  gegen  die  könige  von  Frankreich  empört: 
es  trägt  nämlich  jeder  einwohner  unserer  stadt  eine  lilie  im  herzen.*^ 
Dass  hier  derselbe  grundgedanke  vorschwebt,  liegt  auf  der  band;   dass 
er  sich  schon  in  den  alten   darstellungen   des   mitgeteilten   Vorganges 
findet,  beweist  die  behandlung  in  der  weitläufigen  „Histoire  de  Lovys  XL 
roy   de   JVance:    et   des   clioses   memorables    advenves   de   son    regne, 
depuis  Tan  1460  jusquos  ä  1483.     Escritte  par  vn  greffier  de  Thostel 
de  ville  de  Paris.   1620.^     Meines  erachtens  liegt  dieselbe  anschauung 
auch  der  repräsentation  nackter  Jungfrauen  beim  einzuge  Ludwigs  XI. 

1)  Vcrwanten  grundziig  zeigt  z.  b.  Das  schloss  der  beharlichkeit,  eioe  mora- 
lität  ans  dem  ausgehenden  15.  Jahrhundert  (vgl.  CJollier,  History  of  engl.  dram.  poe- 
trj'  II,  278). 

2)  Einige  besondere  frappante  beispiele  seien  genant.  „Bei  der  Vermählung 
der  Lsabella  von  Baiem  mit  könig  Karl  VI.  sali  man  ein  Zwischenspiel,  das  die 
eroberung  von  Troja  dai-stelte**  (FIoegel-El)eling  a.a.O.  s.  268),  bei  der  Heinrichs  IV. 
mit  Margarotha  von  Valois  hatte  man  vor  den  Tuilerien  2  Schlösser  (paradies  und 
hülle)  gebaut,  welche  eine  partei  von  rittem  unter  dem  könige  von  Navarra  und  eine 
unter  dem  lierzog  von  Anjou  gegen  einander  schützen  musten.  Nachdem  der  orsti* 
den  lezteren  besiegt,  erfolgte  das  signal  zur  Paiiser  bluthochzoit  (Recreations  histih 
riques  I,  2G1  — 274).  Vgl.  auch  Christine  de  Pizan  Vie  de  Charles  V.,  ni  eh.  41 
(s.  Koch,  lieben  und  werke  der  Chr.  d.  P.,  Goslar  1885,  s.  Gl  fg.). 

3)  Avec  notes  biographiques  par  Buchen.    Paris  1836. 


UM  STÄDTE  WEBBEN  357 

in  Paris  1461  zu  gründe,  von  welcher  F.  Liebrecht  Germania  33,  249 
spricht 

Aber  auch  auf  deutschem  boden  ist  diese  umkehrung  fürs  16.  Jahr- 
hundert gesichert,  wennschon  leider  die  beiden  lieder,  welche  ich  dafür 
anführen  will,  nicht  bestimt  datierbar  sind.  Doch  scheinen  sie  mir 
beide  im  16.  Jahrhundert  entstanden,  im  17.  modifiziert  und  umgedich- 
tet zu  sein.  In  der  vorliegenden  gestalt  ist  jedenfals  die  „bela- 
gerung"  älter,  welche  v.  Ditfurth,  52  ungedruckte  balladen  des  16.,  17. 
und  18.  Jahrhunderts  (Stuttg.  1874)  s.  14  fgg.  mit.  der  qucUennotiz 
(s.  IX)  „Altes  geschr.  liederbuch  aus  der  gegend  von  Würzburg** 
gedruckt  hat  Der  sehr  geschickt  gebaute  —  wie  alle  stücke  dieses 
stofkieises  sti-ophisch  gegliederte  —  dialog  lässt  sich  erst  wie  ein  ein- 
facher liebeszank  an,  als  plötzlich,  doch  innerlich  keineswegs  unver- 
mittelt (genau  beim  mittelsten  verse!)  das  mädchen  ihre  scharfe  replik 

mit  den  werten: 

Dass  ein  erbarmen  möcht! 

G'schwind  kommen,  eingenommen 

Die  veste  ohn'  reste: 

Das  wäre  mir  fein  doli! 

kiirz  abschneidet     Der   so    in    seiner   hofnung  auf  friedliche  Übergabe 
getäuschte  liebhaber  geht  jedoch  ohne  bangen  darauf  ein  und  erwidert: 

So  muss  es  denn  belagert  soyn. 

Wie  klärlich  ihr  es  also  wolt: 

Konstabier,  stucken  gross  und  klein 

Ruckt  her  mm  mit  gewalt  — 
Ruckt  her  nun,  ruckt  her  nun. 

Ruckt  her  nun  mit  gewalt! 

Lasst  summen  die  Bommen^, 

Stuck  knallen  und  schallen, 

Bresch  muss  geschossen  seyn! 

Den  ausgang  der  belagerung  erzählen  die  beiden  übrigen  Strophen  mit 
den  reden  des  paares  recht  nett: 

„  „Ach  weh !  ich  steh  in  grosser  not, 
Es  stürmet  auf  mich  alzuschr, 
All  meine  schanzen  seyn  zum  spott. 
Der  feind  bedrangt  mich  schwer  — 

Bedrangt  mich,  bedrangt  mich. 
Der  feind  bedrangt  mich  schwer. 

1)  Bojiime,  f.  tympanum,  nd.  buogc:  Orimm,  D.  wb.  LI,  236. 


358  FBÄMKBL 

Werd  müssen  schwer  büssen, 
Oder  schlagen  schamaden, 
Die  vestung  geben  her.^** 

„Was  seh  ich  drüben  auf  dem  türm? 
Ein  weisses  fähndiein  weht  aldort 
Victori  schreit!  Braucht's  mehr  kein  stürm, 
Man  öfiiet  schon  die  pfort  — 

Man  ö&et,  man  öfaet, 
Man  öfiiet  schon  die  pfort 
0  schönste,  angenehmste, 
Hie  lieget  besieget 
Eur  knecht  von  einem  wort! 

Die  zweite  nummer,  welche  in  betracht  komt,  ist  ein  ^galantes 
dreissigjähriges  kiiegslied"  in  Des  knaben  wunderhom  ^11,  344,  leider 
auch  in  der  von  L.  Erk  besorgten  neuausgabe  desselben  ^  ohne  quel- 
lenangabe  gelassen  und  nicht  einmal  ungefähr  datiert 

Die  ersten  beiden  Strophen  lauten  wie  folgt: 

Amor,  erheb  dich  edler  held! 

Begebe  dich  mit  mir  ins  feld, 

Frisch  auf! 

Mein  liebchen  ist  gerüst! 

Als  ob  sie  mit  mir  streiten  müsst, 

Sie  hat  nichts  guts  im  sinn. 

Jezt  zieh  ich  wider  die  ins  feld 

Die  mir  die  liebst  ist  in  der  Welt, 

Frisch  auf! 

Gott  weiss,  ich  bin  bereit 

Mit  ihr  zu  leben  ohne  streit. 

Wenn  sie  nur  selber  wolt 

Deutlichsten  ausdruck  gewint  das  bild  aber  erst  in  der  4.  strt>phe 
in  den  werten: 

Ihr  leib  von  gott  war  schön  bereit 
Die  festung  ist,  dämm  ich  streit 
Frisch  auf! 
Ihr  zarte  brüstelein 

1)  L.  Achims  von  Arnim  sämtliche  werke.    Neue  aosg.  1857,  12,  358. 


X7M  STÄDTE  WEBBEN  350 

Zwei  mächtige  basteien  sein^ 
Worauf  sie  sich  verlässt 

Die  folgenden  Strophen  führen  die  bewaftiung  der  geliebten  im 
einzelnen  aus,  doch  in  einem  stile,  welcher  die  niederschrift  des  gedichts 
geraume  zeit  vor  dem  aufkommen  der  widerlichen  manier  der  jüngeren 
Schlesier  zur  gewissheit  macht  Dabei  ist  diese  kleinmalerei  nicht 
übertrieben  realistisch,  hält  sich  namentlich  —  in  jener  periodo  beson- 
ders anerkennenswert  —  von  offenen  oder  verhülten  obscönitäten  fem 
und  entbehrt  doch  nicht  eines  gewissen  schalkhaften  humors. 

Str.  5:  Ihr  fahnlein  ist  der  Übermut, 
Damit  sie  mich  verachten  tut 
Frisch  auf! 

Ihr  zarter  roter  mund 
Ist  spiess  und  schwort,  so  mich  verwundt 
Ja  öfters  bis  in  tod. 

Str.  6:  Trabanten,  fussknecht,  reiterei 

Sind  ungnad,  falschheit,  tyrannei. 

Frisch  auf! 

Ihr  klare  äugelein, 

Die  sind  zwei  feuerkügelein. 

Damit  sie  mich  verblendt 

Str.  7:  So  gott  mir  gönnet  glück  und  preis, 
Dass  ich  das  fahnlein  nioderreiss, 
Frisch  auf! 

Ich  hoff'  damit  zu  sieg'n 
Herzlieb,  du  musst  doch  unterliegen 
Und  geben  mir  den  preis. 

Str.  9:  Denn  nimmer  hast  du  die  gewalt, 

Dass  sich  dein  list  gen  mir  erhalt. 

Frisch  auf! 

Geliebt  dir  frömmigkeit, 
'  Kunst,  tugend,  ehr,  so  wird  der  streit 

Durch  mich  gewonnen  sein. 

Zum  lezten  male  tritt  das  bild  in  der  vorlezten,    11.  strophe,   hervor, 
wo  der  liebhaber  warnend  ruft: 

1)  Dieser  vergleich,  vielleicht  durch  eine  falsche  deutung  von  ^brustwehr'' 
entstanden,  findet  sich  auch  sonst;  vgl.  Köhler  a.  a.  o.  s.  230  str.  8  bastiouen.  Vgl. 
na^td  als  schi&wand. 


360  FBÄNKEL 

Ein  wenig  denke  nach,  mein  schätz, 
Eh  du  komst  auf  den  musterplatz, 
0  weh! 

Keliren  wir  nach  dieser  längeren  abschweifung,  zu  welcher  uns 
die  herangezogene  Schillersche  scene  veranlassung  bot,  zu  der  zeitlichen 
Ordnung  der  Zeugnisse  zurück. 

Von  den  vier  grossen  liedmeistem  imter  der  dichterschaar  der 
freiheitskriege  fiel  Th.  Körner  viel  zu  früh  unter  feindlichen  kugeln, 
um  schon  die  belagerung  zu  erobernder  städte  ins  äuge  fassen  zu  kön- 
nen, während  E.  M.  Arndt  sich  bald  seiner  knorrigen  leidenschaft,  bald 
seinem  angeborenen  hausbackenen  und  volksmässig  trivialen  tone  mit 
der  neigimg  zu  einer  gewissen  algemeinheit  und  sprichwortähnlichen 
redeweise  überliess.  Daher  finden  sich  nur  bei  Schonkendorf  und  bei 
Rückert  belege  für  das  „um  städte  werben."  Von  den  erzeugnissen 
des  ersteren  komt  für  die  algemeinere  fassung  des  gedankens  besonders 
das  weihelied  „Seiner  hcrrin''  (1814)  in  betracht,  wo  er  sein  herz  ^in 
liebesglut  und  andacht"  für  sein  „heiliges*',  sein  „deutsches  reich* 
entbrennen  lässt^.  Bei  gegebener  gelegenheit  arbeitet  seine  phant^e 
auf  dem  boden  der  oben  für  das  Strassburg  des  17.  Jahrhunderts  vor- 
geführten anschauung,  z.  b.  wenn  er  in  seinem  von  echt  patriotischer 
begeisterung  getragenen  gedichte  „  Die  .  deutschen  städte "  strophe  32 
das  verlorene  Strassburg  mit  folgenden  worten  apostrophiert: 

Dann  wollen  wir  erlösen 
Die  Schwester  fi*omm  und  fein 
Aus  der  gewalt  der  bösen, 
Die  starke  bürg  am  Rhein. 

Meist  aber  nimt  das  grosse  gesamtvaterland  —  wie  ja  auch 
16.  Jahrhundert  öfters  —  die  stelle  ein,  welche  sonst  der  einzelnem ä: 
Stadt  angewiesen  ist*^.  Nachdem  der  dichter  gefragt  hat,  wie  lang:* 
„Der  stuhl  Karls  des  Grossen"  noch  leer  stehen  solle,  ruft  er  aus: 

Ach,  die  Sehnsucht  wird  so  laut! 
Wolt  ihr  keinen  kaiser  küren? 

1)  Vgl.  F.  J.  Schei-or,    Die  kaiseridee  dos  deutschen  volkos  in  Liedern  seiner 
dichter  seit  dem  jähre  1806:  Jahresbericht  des  Laurentianuni  Arnsberg  1879  s.  XVJJ- 

2)  Eine  verwaute  Stimmung  atmen  die  verse: 

Wer  dich  nur  schauet,  muss  entbrennen 
In  liebesglut  und  andacht  gleich; 
So  lass  mich  deinen  namen  nennen, 
Mein  heiliges,  mein  deutsches  reich! 
Eine  Übertragung  aufs  religiöse  gebiet  biotot  sein  weih  nach  tblied  ,  Brich  an  du*  str.- 


UM  äTÄiiT£  wi<:rüen  361 

Komt  kein  ritter  heimzuführen 
Deutschland  die  verlassene  braut?  ^ 

Schenkendorfe  genösse  und  mitstreiter,  Friedrich  Rückert,  hat  diese 
veise  richtig  als  besonders  charakteristich  für  die  tendenz  seiner  lyrik 
in  die  knappen  zeilen  seines  nachrufs  verwoben,  wo  es  heisst: 

Das  ist  der  Schenkendorf,  der  Max, 

Der  sang  von  reich  und  kaiser, 

Der  liess  die  sohnsucht  rufen  laut, 

Dass  Deutschland  ihn,  die  verlassene  braut,  ^ 

Nent  ihren  kaiserherold. 

-A^ixf  Rückerts  eigenes  gedieht  „Brauttanz  der  Stadt  Paris"  hat  schon 
Köhler  s.  250  als  auf  das  einzige  ihm  bekante  dieser  art  aus  dem 
19-  Jahrhundert  hingewiesen.  Zur  ergänzimg  seiner  angaben  setze  ich 
die  bezeichnendste  stelle  nebst  dem  bei  Köhler  übergangenen  fund- 
ort    her: 

Wir  mit  hunderttausend  lanzen 

Wollen  dir  den  brauttanz  tanzen. 

Rückert,  Gedichte,  auswahl  von  1841  s.  153. 

Unsere  weiteren  nachtrage  betreffen  poetische  äusserungen  einer 
zeit,  welche  erst  nach  Köhlers  Veröffentlichung  liegt,  nämlich  des 
deutsch-französischen  krieges^.  Für  unsere  samlung  quilt  in  der  rei- 
chen liederpoesie  dieses  grossen  jahres  ein  so  unerschöpflicher  bom, 
da^s  ich  mich  auf  eine  auswahl  des  bemerkenswertesten  beschrän- 
^^xi   muss. 

Ein  stilvolles  poem  W.  Jensens  eröfne  den  reigen  um  deswillen, 
^^il  es  dieselbe  allegorie  zu  gi-unde  legt,  die  wir  oben  bei  Rückert 
^^Hncn  lernten.  In  diesem,  welches  in  der  von  Franz  Lipperheide 
'herausgegebenen  und  verlegten  samlung  „Lieder  zu  schütz  und  trutz"* 
li^eferung  11  s.  65  abgedruckt  ist,  stehen  die  scharfen  werte: 

'^^nn  nun  der  eisenring  sich  schliesst  rund  um  die  zweimillionenstadt, 
^^tetia,  du  lautes  kind  Lätitias,  wen  klagst  du  an? 


^i^   lüge,  die  am  busen  du  genährt,  der  du  halleluja 
'^^    tausend  von  altären  sangst  —  sie  klage  an  Lutetia! 

1)  Gedichte,  Stuttg.  und  Tüb.  1815,  s.  184. 
.  2)  Vgl  Obermann,  Die  kriegsdichtuug  der  jähre  1870  und  1871.    Progr.  Zoitss 

^^,  8.5^.,  17  fg.,  21  fg.;  zu  den  ähnlichen  regungen  vor  1870  s.  Koch,  Die  sage 
^  r  Riedriob,  Progr.  Grimma  1880,  s.  18  —  31. 


362  FRÄNKEL 

Und  klage  an  den  hohlen  prunk,  den  deiner  eitelkeit  du  dankst, 
Und  klage  an  der  wollust  trunk,  den  du  zur  tiefeten  hefe  trankst, 
Die  feilheit,  die  dein  mark  entnervt,  die  sich  zum  götzenbild  ersah 
Die  trinität:  gold,  macht  und  rang  —  sie  klage  an,  Lutetia! 

Widerum  haftete  das  nationale  interesse  an  Strassburg^,  widerum 
mischte  sich  ein  schmerzliches  gefühl  in  den  anruf,  aber  diesmal  lei- 
tete die  klage  doch  ein  anderer  ton.     A.  a.  o.  10,  s.  15  heisst  es: 

Vergiss  der  tage,  da  um  bürg  und  wall 

Des  Siegers  schaaren,  dich  bedrängend,  lagen; 

Vergiss  —  irnd  wär's  auch  schwer  —  der  wunden  all', 

Die,  ach,  der  sieger  schmerzlich  dir  geschlagen, 

Da  er,  den  Wälschen  das  geraubte  gut 

Entreissend,  um  dich  warb  mit  seinem  blut 

Im  wesentlichen  fesselt  aber  die  widerherstellung  des  reiches  d^:z?r 
alten  kaiserherlichkeit  die  sänger  und  so  bewegt  sich  die  bewuss  ^^e 
Personifikation  meist  in  demselben  kreise  wie  bei  Schenkendorf.  WiJ- 
helm  Jensens  gedankenreichtum  fand  in  der  alten  prophezeiung 

„Es  wird  ein  kaiscr 
Auf's  neu'  um  Germania  frei'n. 
Wenn  zum  leztenmaJe  die  Türken 
Ihre  rosse  tränken  im  Rhein!" 

das  dankbare  motiv  zu  folgender  in  seiner  weise  derb  pointierten  ulb^ 
führung^: 

Gen  Osten  mit  schwirrender  geissei 

Treibt  die  Völker  ein  Tamerlan, 

Und  siehe,  an  seine  fersen. 

Da  heften  die  Turkos  sich  an. 

So  winket  erfüllung  dem  werte  — 

Schon  blitzen  die  Schwerter  zum  streich, 

Zimi  werben  schon  reitet  der  kaiser! 

Steig  auf,  du  heiliges  reich! 
und  ebenso  wird  in  die  neubelebte  volkssage  vom  alten  kaiser  Barh^ 
rossii  im  Kyffhäuser  zurückgegriffen,  wenn  ein  dichter'  denselben  sei 
dienerschaft  anrufen  lässt: 

1)  Ein  sachkundiger,  Janicke  (Das  deutsche  kriegslicd  usw.)  s.  96,  sagt: 
der  alten  nMchsstadt  mit  ihrem  ehrwürdigen  münstor  und  grossen  historischen  ei 
nerungen,  wante  sich  die  dichtung  mit  ausgesuchter  Vorliebe  zu." 

2)  Lieder  aus  dem  jähre  1870  (Berlin,  Lipperheide  1871)  s.  12.    Über  den 
gründe  liegenden  Volksglauben  s.  Koch  a.  a.  0.  s.  17  anm.  39. 

3)  Die  angezogene  stelle  ist  mir  nur  aus  Janicko  s.  104  bekant 


t»— 


e 


UM  STÄDTE  WKRBKN  363 

Auf,  Zwerge,  legt  mir  den  purpur  tun, 
Und  helft  meinen  hart  mir  stutzen, 
Zu  Deutschlands  hochzeitsfeier  muss 
Der  greise  kaiser  sich  putzen.  — 

mit  ist  denn  endgiltig  die  frage  beantwortet  worden,   welche  Ema- 
3l  GeibeP  ausgerufen  hatte: 

Deutschland,  die  schön  geschmückte  braut, 
Schon  schläft  sie  leis'  und  leiser. 
Wann  weckst  du  sie  mit  trompetenlaut. 
Wann  führst  du  sie  heim,  mein  kaiser? 

Wie  tief  aber  dieser  sinnige  vergleich  in  das  bewustsoin  des 
tschen  dichtergemütes  eingedrungen  war,  mögen  zwei  proben  bewei- 
,  welche  ich  Uhland  und  Scheffel,  diesen  beiden  berufensten  ver- 
orn  der  neueren  volkstümlichen  kunstdichtung,  entnehme.  In  dem 
A.  von  Keller,  Uhland  als  dramatiker  (1877)  herausgegebenen  frag- 
it  Konradin  ruft  (s.  325)  der  titclheld,  welcher  ausgezogen  ist,  um 
L  väterliches  erbe  widerzuerobem,  und  eben  an  der  seeküste  vor 
-pel  gelandet: 

Apulscher  boden,  freudig  sei  gegrüsst! 
0  erde,  die  du  dem  gelandeten 
Noch  unterm  fusse  wankst,  ich  fasse  dich 
Inbrünstig  wie  der  bräutigam  die  braut. 

^h  Scheffel  fand  keinen  passenderen  ausdruck  für  das  innige  ver- 
nis,  welches  ihn  zeit  seines  lebens  mit  der  alten  musenstadt  am 
kar  verband  als  den  sinbildlichen  vergleich  mit  der  heiligsten  ver- 
iung  zweier  menschen,  wenn  er  in  dem  bekanten  studentenliede 
Heidelberg  du  feine-  str.  3  und  4  natur  und  herz  in  diesem  hoch- 
Lhlo  zusammenstimmen  lässt: 

Und  komt  aus  lindem  süden 
Der  frühling  übers  land. 
So  webt  er  dir  aus  bluten 
Ein  schimmernd  brautgewand. 

1)  Heroldsrufe»  (1871)  s.  44  und  hieraus  Gresanimelte  werke  (1883)  11,  12  (als 
Ki  des  Alton  im  Bart"),  mit  vorschiedonen  abweichungon  bei  Enslin,  Die  lieder- 
»io  des  deutsch -französischen  kriegs  (Berl.  1871)  s.  146.  Über  Geibels  Verhältnis 
lieaem  gedankon  s.  Strodtmann ,  Dichterprofilo  I,  85  fgg.  Vgl.  Koch  a.  a.  0.  s.  28 
U  73. 

2)  Der  trompeter  von  Säkkingcn  (4.  und  folgende  auflagen)  s.  39. 


364  FBÄNKBL,   UM  »TÄDTK  MTERBEN 

Auch  mir  stehst  du  geschrieben 
Ins  herz  gleich  einer  braute 
Es  klingt  wie  junges  lieben 
Dein  name  mir  so  traut 

Dass  aber  das  alte  gleichnis  bis  mitten  in  unsere  tage  hinein 
fortlebt,  beweisen  die  —  freilich  weder  inhaltlich  noch  formell  achtung- 
gebietenden —  verse,  mit  denen  das  „Neue  Münchener  tagblatt**  vom 
30.  September  1888  sein  „Wilkommen  kaiser  Wilhelm  DL''  darbrachte. 
Ich  hebe  hier  nur  die  verse  hervor,  mit  denen  „Monachia''  aufgerufen 
wurde,  sich  zum  einzuge  des  friedlichen  eroberers  würdig  vorzu- 
bereiten : 

Wie  die  braut  sollst  du  dich  schmücken, 

Den  ersehnten  zu  empfangen. 
Und  dein  schöner  leib  soll  herlich 
Wie  im  diamantkleid  prangen. 

Mit  dieser  versöhnlichen  Verwendung  des  vielgebrauchten  gedan- 
kens  schliesse  ich  meine  unter  den  bänden  unerwartet  angeschwollene 
nachlese  zu  R.  Köhlers  reichhaltigen  mitteilungen.  Wenn  ich  es  unter- 
liess,  eine  volkommcn  sachgemässe  anordnung  zu  versuchen,  so  hat 
dies  seine  ui-sache  einmal  in  der  nicht  überall  möglichen  durchführ- 
barkeit  einer  solchen;  andrerseits  brachte  mich  von  einer  kurz  uniris- 
senen  entwickelungsgeschichte  des  stofiFes  die  hofnung  ab,  dass  durch 
die  hier  gegebene  anregung  andere  über  ausgiebigere  hil&mittel  ver- 
fügende zum  sammeln  von  belegen  dieser  für  die  litteratur-  und  kul- 
turgeschichte  wie  für  die  poetik  interessanten  ausdrucksweise,  welche 
fast  auf  allen  stufen  volkstümlichen  und  künstlerischen  dichtungsstils 
nachweisbar  ist,  veranlasst  werden  mögen.  Der  der  deutschen  lyrik 
eigentümliche  zug  sinlic^her  vermenschlichung  lebloser  gegenstände  prägt 
sich  hier  besonders  deutlich  aus. 

LEIPZIG.  LUDWIG   FRÄKKEL. 


LITTEEATUE. 

Edda  Hnorra  Storlufionar.  Tomus  tertius.  Sumptibus  legati  arnamag- 
ii»)aQi.  Havniae  1880—87  CXIX,  870  ss.  8.  Accedunt  tabolae  lithographicae 
quinque.     10  kr.  =  11,28  m. 

Dio  grosse  arnainagnäische  ausgäbe  der  Snorra-Edda  liegt  jezt  YoUendet 
vor.  Vom  dritten  baodc,  der  dio  arboit  abschlics.sen  solte,  ersohien  die  osta  bilfla 
im  jabi*o  1880  kurz  nacb  Jou  Sigurdssons  todc,  der  in  den  lesten  jabnn 


» 


■  MODI,  fian  m.  nnu  m  3K 

dun  warte  sich  nicht  in  ili>in  manw  widmen  konto,  rlaas  er  es  noch  hfitte  z\i  eiopni 
An  befriedigondeo  abschluüs  hritigen  köiiDen,  Finour  JünxsuD  hat  das  werk  im  goisic 
seinvT  Tnr^iger  uiitl  mit  tJigurilssoDH  rornrbeiteu  in  lobenswert  conservativer  weise 
vollendet  Wdl  haheo  Hluh  mt  iluni  urHcheinEsn  den  ersten  l>andes  die  ansiuhten 
über  die  Kddn,  uomuntUcli  über  dtti  lmud»obrif[eii  und  deren  wert,  volständig  ver- 
whoben,  allein  die  älteren  bSnde  waren  auf  den  alten  aoschaauugOD  oufgebaut,  beim 
texte  war  der  cod.  reg.  zu  gründe  gelegt  und  In  dienern  sinne  niiLste  nach  dnr 
Hclitnss  tibgefasst  sein;  es  calt  t^inon  alten  bau  zu  vollenden,  nicht  al>er  dIeKen  zn 
modeiniclcmu.  Deshalb  moste  F.  Jönsson  van  Reinem  stajxlpimkte  aus  von  <len 
itersQobuugon  abstand  nehmcm. 
in  der  mitte  der  vierziger  jsbre  die  aniainagnäischo  uommissiun  den 
boschliuts  bsste,  die  Snonit-Eklda  herauKzugeben.  üb(^rtruß  sie  die  arbeit  Jün  Sigunls- 
fion  und  Sveinbjiim  Ggilason;  jenem  fiel  die  aufgäbe  zu,  das  handauhriftliche  material 
KU  Kajnnietn  und  zu  ordnen,  diesem,  eine  lateinische  Übersetzung  anzufertigen  und 
innen  koiiimentar  zu  den  skaldonstrophen  herzustellen.  Ee  waren  noch  nicht  einmal 
alle  memliranon  fragmente  bokant,  alfs  Sigurdsson  an  seine  aufgäbe  giong,  denn  in 
ilerBelben  versanilung,  in  der  ülwr  den  fertigen  ersten  band  des  Werkes  beriohtPt 
wird,  wird  zum  ersten  male  das  ncugefundene  frogmeut  1  eß  fol.  erwähnt,  das  doch 
für  die  Eddakrltik  so  wi<;htig  ist  (Änt.  Tiditk.  184(;/48  e.  131.  105).  Eine  nnter- 
suchnng  über  das  handschiiftenverhältnis,  wie  wir  sie  heutzutage  verlangen,  war  der 
aut^alie  nicht  vorangegangen:  man  legte  den  ältesten  und  relativ  rolständigsten  codex 
dieselben  zu  gründe.  Auf  dieser  baais  sulte  das  ganze  werk  In  zwei  starken  oktav- 
bttnden  erecheiiien;  der  erste  solto  die  eigentliche  Edda  nach  dem  cod.  reg.  mit  lat»L- 
DEteher  übetsetzang  und  kritischem  apimrate,  der  zweite  die  gnun inatischen  ahhaud- 
limgen,  abdruck  der  Ups.  bandschrift,  das  fragmcnt  AM.  T4S.  4°,  den  commeiitar  der 
visnr  und  was  sonst  noch  im  engsten  Zusammenhang  mit  der  Edda  steht,  enthalten. 
SohoD  lä4S  konle  der  erste  band  eraohoinen.  Einige  jähre  später,  imfebruarl65I,  war 
Aueh  der  zweite  ziemlich  vollendet,  der  im  folgenden  jähre  ersohien.  üuteniessen 
hatte  sich  herausgestelt,  dass  das  angehiiufta  material  noch  einen  dritten  erheische 
[Ant  'Fidskr.  1841l/.'il  s.  IUI):  er  solle  den  Egilssonschen  kommentar,  regier  und 
üinleitung  bringen  und  in  2—3  jähren  vollendet  sein  (a.a.  o.  s.  217).  Die  aufnähme 
des  Skäldatal  vorlangte  jodoch  eingehende  Untersuchungen  über  die  einzelnen  dieli- 
ter,  andere  Interessen  der  amamagnSanischen  commissien  traten  in  den  Vordergrund, 
J.  tjigurdsson,  auf  Ueäsen  suhultem  jczt  die  arbeit  ailoin  lag,  war  auf  anderen  gebie- 
ten in  anspruch  genommen,  und  hu  verschob  sich  denn  die  Vollendung  von  Jahr 
zu  jähr,  uod  als  Signrdsson  im  dezetnber  1879  starb,  war  das  Skuldatol  ori<t  zum 
kMnsten  teil  (bis  HallfreA)  in  der  ausfübrung  vollendet  und  gedruckt.  Dieser  teil 
wurde  als  halbband  mit  fünf  vorzüglichen  facsimilia  1880  von  der  arnamagn.  eum- 
mission  hermisgegeben.  In  den  folgenden  jähren  hat  die  Eddaforachung  gewal- 
tige fortsohritte  gemacht:  der  vernachlässigte  Ujisalaer  codex  ist  als  hausbuch  der 
Snorrischen  famihe  anerkant  und  dadurch  da»  ganze  handscbriftenverhältnls  umge- 
kehrt worden,  HAttatal  ist  in  neuerer  besserer  gestalt  erachienen,  GuÄmundr  tor- 
l&ksflon  hat  in  sorgfiiltig  gewissenhafter,  Oudbrandr  Vigfusson  in  leichtfertig  genialer 
weist*  der  akaldendichtung  eine  gesahichto  gosohaffeu.  Soweit  es  angieng  bat  nun 
Finnur  Jonsson  mit  beuatzung  der  neueren  arbeiten  diesen  faden  zu  ende  gespon- 
nen: er  hat  da'^  Sküldatal  vollcudet,  eine  genaue  bcHchreibung  und  Zusammenstellung 
der  1inud9chrifto[i  als  piüfatio  gegebou  und  durch  den  index  generalis  die  bcnutzung 
dar  Borirra  Edda  ungleich  gegen  früher  erleichtert.    Es  ist  schwer,   einen  alten,  ja 


verBltcten  hau  nach  der  voracbriß  oDorkontor  meiüler  lu  voUeotlAn;  mMs  wird  «b> 
sicbtsloso  Vritili,  die  nicht  auf  dorn  gugobenon  wciIrt  xu  dünken  n^niug,  an  dorn 
sohlosssteiD  zu  mäkolo  haben. 

Der  Inhalt  des  jüugst  ToUemleten  3.  bandeä  ist  Dkiuuiigfkltig:  in  dir  pial^lnn- 
lieii  aufKühliuig  der  baudacliriftcn  der  8u.  Edda  eiitliiilt  t-r  eiot-n  beJtra);  tur  Utiji!kvt( 
ielündiacher  gelebrsamkcit  naniantlich  im  17.  jahrhiDilert,  duiuh  die  b^lubung  den 
toten  SkAldntal  einen  wichtigen  und  budoutcndon  beitrag  zur  aerwegisob-iitlilndiiichiiii 
litteraturgesrhichtn,  in  dum  Index  geuemlis  ein  niclit  uti  unterscbätiimdciB  hilfiuniitid 
bei  mythologischen  und  ku1turhiiitoriHi!h(<n  arbeiten,  in  dar  aufliisung  dnr  skaJdAD- 
Strophen  hilfamitU'!  /.um  vergtSndnis  einer  roilie  subwioriger  skaldeustfllon.  Sohnii 
oft  war  iob  genötigt,  das  baeh  zur- band  ku  nehmen  und  am  rat  eq  fra^u.  und  ioh 
gsBtohe  unumwunden  xu,  daas  idi  es  last  nur  mit  dum  getuhle  des  daiike«  gii^ici 
die  verfnsser  aus  den  hfinden  gelegt  habe.  Baas  ich  in  vielen  ponktan  ■adunr 
Cmsiuht  Ino,  kann  diesen  dank  nicht  achmglem:  das  ganze  werk  ist  der  bodaa,  ntf 
dem  allein  alle  nenereu  arbeiten  über  die  Su.  Edda  entstehen  kontan. 

Um  die  bodeutang  und  den  wert  der  Snorra  Edda  zu  vorslahan.  ist  es  oi^ttg, 
sich  in  diu  leit  zu  versetzen,  in  wolohsr  das  werk  entxtauden  ist.  Eh  dHrf  wol  k«i> 
nom  Zweifel  niuhr  unterliegen,  da»s  dasselbe  zu  tjnorris  zeit  und  zora  grüsaten  toil 
von  diesem  selbst  aufgexeiubnet,  dass  niRO  seine  ontstehungszeit  die  ente  hAlftw  dnt 
13.  Jahrhunderts  ist  Der  ganze  norden  war  christlich;  die  alte  skaldendichtnnK  war 
im  12.  Jahrhundert  in  verfall  geraten  und  in  di:n  gedicbteo  der  bedeutendsten  dicli- 
ter  wie  des  BJaroi  Kolbeinsson  weht  schon  ein  anderer  ^ug.  Schon  hatte  man  begmi- 
asa  io  den  nafDa)>ulur  dem  geUäobtuLSso  unter  diu  anno  zu  greifen,  um  das  vi«- 
stJlndDis  für  die  alten  weisen  aufzufrischen,  denn  dieses  Gnng  immei'  mehr  aa  n 
sinken  uud  die  lebendigen  kenniiigar  der  otton  skalden  waren  zum  nicht  gerinfinn 
teil  mi verstund! idio  phntse  geworden,  wie  sich  überhaupt  ein  almälitiches  schwindnn 
der  alten  kenningor  aus  dem  kreise  lieidnisuber  mytben  und  noidiscber  gerraanisabor 
heldensage  wahruebmen  lüsat  In  soluher  zeit  trat  Snorri  auf,  linrangebiidet  aaf  diTOi 
gehöfle  XU  Oddi  in  der  histonsohcn  schule  des  alten  Smmund,  von  bans  aus  ein» 
kouservativo  natur,  ein  kritisch  genialer  geist,  der  den  verfall  der  alten  diuhtiuiK 
und  seine  uiKachen  wol  orkante.  Schon  in  früher  Jugend  befasste  er  stuli  mit  dkli- 
terischen  versuchen,  mehr  nachahmend,  als  frei  Bobaffend,  doch  üIh-t  oUus  nach* 
denkend,  alles  erwagend.  Da  mag  ihm  dann  manches  aus  alter  gättervoratwllnog 
und  sage  dunkel  gewesen  sein,  und  so  kam  er  dazu  alles  zu  sammein,  was  er  sum 
Verständnis  der  alten  diclitung  auftreiben  konle,  um  dadurch  den  zoitgeuossen  wider 
Verständnis  für  die  oft  gohnmebten  leeren  woilf  und  weisen  zu  rorschafl'Dn;  « 
fühlte,  dass  nnr  auf  diese  weise  eine  neubolobung  der  dichtkunst  möglich  sei,  mid 
so  entstand  der  entwurf  seines  handbuches  für  skalden,  sütne  Edda,  d.  fa.  pcMft, 
wie  schon  P.  E.  Uüller  ("über  die  ächtheit  der  Asonlfbre  s.  70)  n.  a.  und  in  jüngM« 
zeit  vor  allen  E.  Oislason  (Aarb.  1864  s.  143  fgg.)  das  weit  neblig  gedeutet  luboB. 
Suorri  mag  daHndbo  tnnlUihst  für  seine  Umgebung  1«stimt  liabeu,  der  er  ja  Jadanät 
goisti||!9r  ratfeber  uud  beistand  war.  Und  dass  seine  saat  nicht  attf  unUhiohlbtron 
bodcn  fiel,  aeigt  vor  allem  sein  viel  schaffender  neffe  Storla  fordarson,  denwn  "biA- 
torischo  vialseitigkoit  sich  ebensowenig  ohne  Snonin  thoon<t)scho  werke  bs^rafcn 
llisEt  wie  Uoethaa  ftüluMt  ohne  kentnis  der  stürm-  und  ilrnngpitiode.  SturiM 
gedichtr  sind  der  pnditische  erfolg  von  Snonts  Edda.  Diese  tatsache  erkauten  ibs 
Zeitgenossen  ungleiub  klarer  lüs  lit-ut«  unsere  gelehrten  die  bedeuluug  der  Bdda 
Tcrstulien.     Dwhalh  arbfitatt-  man  sin  zu  einem   synti-matisuhen   handbuclio   lun,   tel 


ÜBER  SN.  EDDA  m  367 

nach  dem  subjektiven  ermessen  der  einzelnen  boarbeiter  von  der  vorläge  wegliess 
oder  neues,  ergänzendes  hinzufügte.  So  haben  wir  eigentlich  fast  so  viel  Edden, 
wie  wir  handschriften  haben.  Nur  legte  man  nicht  Snorris  entwurf  zu  gründe, 
sondern  das  von  einem  seiner  schüler  ausgearbeitete  werk.  Dieses  blieb  lange  zeit 
auf  Mand  der  kanon  der  dichter,  wie  die  kenningar  Eddu  regia,  Eddu  listar 
u.  dgL  (Cpb.  I,  XXVI  fg.)  zeigen.  Zwischen  dem  Snorrischen  original  und  dem  über- 
arbeiteten texte  ist  aber  ein  bedeutender  unterschied.  Auch  nicht  annähernd  besass 
der  Verfasser  dos  lezteren  den  kritischen  scharfen  geist  Snorris.  Das  werk  erhielt 
zwar  äusserlich  rundung,  aber  innerlich  wurde  es  verwässert,  auseinandergerissen, 
an  vielen  stellen  misverstanden.  Durch  aufdeckung  dieser  tatsache  allein  ist  es  mög- 
lich, die  geschichte  der  Edda  und  ihre  Überlieferung  zu  verstehen.  Zum  glück 
genügen  die  erhaltenen  handschriften,  dass  wir  die  ganze  entwicklung  klar  verfolgen 
können.  Snorris  entwurf  ist  uns  ja  wenn  auch  in  einer  flüchtigen,  oft  sinlosen 
abschrift  erhalten;  es  ist  dies  die  Ups.  handschrift  der  Delag.  samlung  nr.  11,  die 
mit  ausnähme  des  erweiterten  skaldatals  sich  blatt  für  blatt  auf  Snoiii  zurückführen 
lässt  Die  Überarbeitungen,  wie  sie  namentlich  im  cod.  Worm.  (AM.  242  fg.)  und 
cod.  reg.  (2367.  4^)  erhalten  sind,  haben  nur  secundären  wert,  die  nicht  selten  Snor- 
ris klarer  denkungswoise  mythologischen  und  sachlichen  unsinn  unterschieben,  den 
wir  freilich  selbst  in  gelehrten  arbeiten  noch  heutzutage  nicht  selten  als  lauteres 
gold  altgermanischen  götterglaubens  aufgetischt  finden.  Diese  tatsachen  in  der 
geschichte  der  Eddaüberlieferung  sind  nun,  wie  schon  in  Rasks  ausgäbe,  auch  in 
der  amamagn.  geradezu  auf  den  köpf  gestelt:  man  gab  die  jüngere  Überarbeitung 
als  xu'sprüngliche  Edda  heraus  und  druckte  nur,  mehr  des  materials  als  des  wertes 
wegen,  ^iaa  eigenÜiche  werk  als  ein  verdorbenes  und  verschnittenes  litteral  ab.  An 
diesem  von  Egilsson  und  Sigurdsson  vorgeschriebenen  wenn  auch  falschen  wego 
liess  sich  nichts  ändern.  Dagegen  war  zu  erwarten,  dass  F.  Jonsson  vielleicht  am 
schluss  seiner  einleitung  betrefs  der  handschriften  entweder  über  das  neuerwicsene 
redaktionsverhältnis  der  Edden  kurz  berichtete  oder  dies  widerlegte  und  die  alte  auf- 
fassung  als  die  richtige  erhärtete.  Von  keiner  soite  hat  sich  bis  heute  gegen  die 
von  Müllenhoff  und  mir  verteidigte  ansieht  Widerspruch  erhoben;  ja  sie  darf  wol 
jezt  von  allen  als  tatsache  angesehen  werden,  die  in  eddischeu  dingen  urteil  und 
kentnisse  besitzen.  Statt  dessen  lässt  sich  F.  Jonsson  auf  das  Verhältnis  der  hand- 
schriften und  redaktionen  unter  einander  überhaupt  nicht  ein;  er  berichtet  über  die 
geschichte  der  einzelnen  handschriften,  gibt  nach  bekanteu  mustern  ein  Verzeichnis, 
wie  die  einzelnen  laute  in  jedem  codex,  namentlich  im  reg.,  widergegeben  wer- 
den und  fügt  dazu  ein  algemeines  urteil  über  die  handschrift,  aus  dem  wir  gerade 
soviel  erfahren,  wie  wir  schon  nach  erscheinen  des  zweiten  bandes  wüsten.  So 
heisst  es  über  den  cod.  reg.,  über  dessen  geschichte  wir  manchen  neuen  und  schö- 
nen au&chluss  erhalten  (s.  XLY):  „Quamquam  codex  varüs  ex  causis  reprehendi 
potest,  tamen  pretiosissimus  et  summa  reverentia  dignus*^;  es  folgt  darauf,  wie  er 
allein  den  OrottasQngr,  die  Jomsvikingadrapa  des  Bjami  Kolbeinsson,  das  Malshätta- 
kvsedi  und  noch  vieles  andere  enthalte.  Die  Jomsvikingadrapa  und  das  M^h^tta- 
kvaedi  sind  anhängsei,  die  mit  der  Edda  überhaupt  nichts  zu  tun  haben;  vom  Grot- 
tasQngr  hat  die  dem  reg.  vcrwante  aber  entschieden  bessere  handschrift  AM.  748.  4^^ 
nur  die  erste  visa;   das  ganze  gedieht  ist  also  nur  vom  Schreiber  des  reg.  aufge- 

1)  In  der  ausgäbe  als  AM.  I.  eß.  foL  bezeichnet,   das  nach  der  nenordnong  der  amamagn.  nu». 
aof  dem  richtigen  platz  gokommon  ist  (Kalond ,  Katalog  ovor  den  amam.  handskrs.  I.  h.  s.  5). 


368  MooK 

nommcn  worden;  die  zusätze,  die  aber  sonst  der  reg.  hat,  wie  der  ganze  abschnitt 
aus  der  Nibolongensago  u.  dgl. ,  erweisen  sich  bei  nur  oberflächlicher  prüfung  bald 
als  späterer  Zuwachs.  So  spricht  vom  eddischen  Standpunkte  aus  die  fülle  seines 
inhalts  nicht  für,  sondern  gegen  die  gute  der  handschrift.  —  Roiner  und  ursprüng- 
licher, wenn  auch  jünger,  steht  in  dieser  beziehung  der  cod.  Worm.  da.  Über  diese 
handschrift  fält  F.  Jonsson  überhaupt  kein  urteil,  obgleich  dieselbe  von  einer  reihe 
nordischer  gelehrten  als  die  beste  bezeichnet  wird  (vgl.  u.  a.  Vigfusson  Sturl.  I,  LXXXI. 
Cpb.  I,  XlilV).  Es  wäre  demnach  nicht  nur  dieses,  sondern  auch  ein  Verzeichnis 
der  stellen  erwünscht  gewesen,  die  in  der  handschrift  vom  cod.  reg.  abweichen, 
sich  aber  nicht  in  der  od.  AM.  finden.  Es  mag  ein  solches  hier  folgen;  wenn 
ich  dabei  auch  rein  graphische  abweichuiigcn  mit  verzeichne,  so  sollen  diese  zni 
Charakterisierung  der  Schreibweise  des  cod.  dienen.  Ich  lege  dabei  die  ed.  AM.  zn 
gründe. 

AM.  4a:  fvrärlcghn;  —    10g  vandlegha.   —    14,  }iofx.   —    16*  hugh,  —   16* 
dagh.  —    20'  manndom  leghrm.  —   24^  draldix.  —    26  j  fehlt  „godr  ok.**  —   28* 
sem  nv  h.  —    30*  *  noreg  ok  svipiod  i  danmork  ok  seixland.  —    34*  t  mot;  — 
34*  f.  srä;  —   36**  huit;  —   42*  fylldix;  —    46*  ^  vox  vtuRr  rinsiH  hetidi;  — 
46"  steinana;  —  48,  steht  rpp  im  cod.;  —  50'  gafu  ataä;  —  50^  kHn\loü;  — 
52,  metinerniT\  —  54*  er  kollod  er;  —  54*  a  iordv;  —  j5t,  /ra4a,  Pctda  fast  stets 
im  cod. ;  dsgl.  hat  mikill  in  den  synkopierten  formen  ck,  im  dat  sg.  und  pl.  myeklu, 
mycklum;  —  78**  er  himinbiorg  keita;  —    82*®  vordtnn;  —   82**  f.  ek;  —   82" 
vindltö  (d.  i.   Vindlioni  oder  Vindlion);  —    84 ^  herianu;  —   86*  alfodr;  —  86, 
af  Palm  atbrrd  (so  hat  die  handschrift  yna  auch  das  von  ihr  abgeschriebene  fragm. 
AM.  756  zeigt);  —  88*  hat  im  cod.  tu  sinar  gestanden,  wie  auch  AM.  756  hat;  — 
92"  of  giarfa  sali; —  98**  i  mvnn  hans;  —  106®  ßreskolldr;  —  110,  Pa  «egir;  — 
112*    hat    W    ursprünglich    skvlo    rer   niega;    mega   ist   zwar   durchstrichen,    aber 
erst   von  späterer  band.      Daher  steht  es    in  AM.  756;  —    112*  ~*  ^   leggi  <rifn 
ydar;  —  112^  i  mnnninn;  —  116®  allfqdr  (nicht  allfodry  was  in  W  gar  nicht  vor- 
komt);—  116**  und  130**  dyra;  —  118**  trUdar  (hätte  der  Schreiber  tcUdar  schrei- 
beu  woUon,    so  hätte  er  talldar  geschrieben;   auch  120®  hat  die   handschrift  taUkif 
wie  r  luid  r);  —  122*  Pa  «egir  freyr; —  124,  niannfiqldifm;  I3O5  tnannfioläi;- 
124e  at  (PI  ma;—  124,  at  aptni;  —  128®  alfodr;—  130^  Pa  segii  har;—  130»* 
fn'orrm  trgrm;   —    136g  smidat  sem  rant  rar;   —    136,  gallt  h&an  Pa;   —   138* 
lofty  wie  überhaupt  fast  stets  für  i)t :  ft  steht;  so  gaftiy  eftra  142g  u.  dgl.;—  140" 
sakir\  —    140**  ramwr;   —    142*  ef  Per  kpfinrt;  —    142,,   son  bonda;  —   142, 
draldix;   —    142^   tal4i;   —    146*  rahiar  sa  madr   stod   vpp  skiott;   —    146'*» 
braut;  —    146,,   lagda  a   bak  «or,   gekk  fyr  vm    daginn  ok  steeg  hrlld  storr;  - 
148*  Inrsar;  —   148*®  dmiar;  —   148**  iidi;  —    148,  rm  vangann;  —   148,  fr^- 
ar;  —   150^  framan  ril  mids  dags;  —   150,  vnlliom  spalanna;  —   152*  Pri  mrf^ 
komv;  —    152**  moti  L;    ebenso  154^;  —    154,  prceyta  vm  drykkjr;   —    156*«^ 
Äva;  —    156*  pikk-i;  —    156**  cei;  —    156,  erendit;  —    156,  stikül;   —    156,^ 
ßiinr  fyrva  sinnt;  —  158®  f.  md  kann;  —    158®  feng\i\  —  160 ,0  ok  bad;  —  16Öj 
pcgvix  er  dagadi;  —   162*  brott;  —    162*  hremreg;  —    162*  rsavnd;  —    162**  Z' 
hrfd'w;  —   102,  f.  ok;  —    162,  pialra  (wie  meist);  —   164,^  uordii;   —   166,  /•*• 
semd;  —  168®  ^orr  brott;  —    168**  til  sioßr;   —     172®  Pa  «egir  haar;  -   17*2* 
dr<eymdi;  —    174®  a/  t'\\  risan;  —    180**  eretidi  sin;  —    180**  hoti  «egir  *va;  ^ 
182*   f  lagsliki;   —    182*®  Enu  kastadi;   —    182**  skildi:  —    182,   nidr  millm 
steina;  —    184,  f.  pd:  —    184,  landskiapta;  —   186®  sakir-,  —   186**  AoWrm;  - 


ÜBER  SN.   EDDA   m  369 

>k  er  hinu  ttedri  kioptr  a  wrär  eti  hinn  efri  riä  himin;  —  190"  fefirisrlf 
h  AM.  756);  —  192„  ed  alldfia  tre;  —  194*  begint  in  W  mit  Hrymr  wio 
litelanfängen  eino  neue  zeile,  gerade  so  wi^  in  756  und  auch  in  r.  Des- 
Q  lässt  der  cod.  für  die  initiale  freien  räum.  Auch  die  folgenden  visuraufaugo 
i  "W  und  756  durch  majuskel  hervorgehoben,  was  sonst  in  der  handschrift 
er  fall  ist;  —  198^  /a  «rarar  pridi;  —  208®  Ipt^rm  (nur  hier  und  2583  P 
ut  in  der  hs.);  —  208^  ok  annat  sinn;  —  210*  Ix^gtma;  —  210'^  griot;  — 
pmg;  —  212*  pinslom;  —  212*  hrmddr;  —  212 '»,  212^  ^esir;  —  212„  vm 
i,  —  218  g  Bragi  «egir;  —  2208  b^lf^erkr;  —  220  3  ai  ßmr  skvlv  freista;  — 
i;  —  222"»  kann  ich  auch  in  W  nur  lia  lesen;  —  222«  f.  ßd;  —  224*^  ard- 

—  224*0  hofctskaaUlin;—  226^  of  ragnarqkk;  —  226"  hofdi  en  drefna;  — 
[küles;  —  226,  at  ßa  arkrßorr;  —  228*  vid  ragtiarf^kk;  —  228, ^  gvdanna;  — 
!8*  ektare  ßa  . . .  bis  228 ,  . . .  kann  drap  konnuginn  ist  von  einem  anderen 
er  geschrieben,  der  durchweg  die  laugen  vokale  durch  accent  bezeichnet;  — 
ila;  —    2283  värgr;    —    228^  ßyrmdi;    —    228^  hroit;  —    232»«  Ivaiiga" 

—  234,0  vm  k.;  —    234,  f.  enn;  —    2389  wr/w,    was  756  als  mins  gelesen 

—  240®  frceyüi  d.  i.  freyju;  —  240^  gpd;  —  244'  ßafdan  ist  nach  der 
weise  des  cod.  ßefdan  (vgl.  AM.  757),  nicht  ßafdan;  —  246  g  vni  kvced;  — 
ilisar  vagr  (nicht  vaagrf);  —  248 5  f.  sem  hann  kvad;  —  250*  os;  — 
?d  fiardar;  —  252*  f.  svd  und  kvad;  —  252 »«  f.  nü;  —  252»'  f.  segir;  — 
mgord;  —  254'^  kvasslegnm;  —  258"  niox;  —  258»''  nur  ;  ok  enn;  — 
tayptir  starkeßi;  —  262*  gtdrvn;  —  262**  Äor  gete  ßess  er  skndi;  —  262,,  of 
i  he  fr; —  262  8  /«nn  er  k.;  —  262,  grllhihvsta;  —  264  g  eda  rord  guda;  — 
ok  bana  ok  dolg;  —  266»*  gvdanna;  —  266"  tofta;  —  2Qß^  iqrmvmja'ndx;  — 
eirradar;  —  268**  gvdanna;  —  268,,  faurbavta  m/^g  vdari;  —  270,  frceiv;  — 
a  segir  hrugyiir;  —    272^  hUeypdi;  —    272^  von  af  ßor  er  rpngmv  leti;  — 

griotrna  go'rda;  —  274®  rm  qxl;   —    276»  sva  at  f(Ptr  hans  lagv  a  halst 

—  276 ,„  W  hat:    enn  ^igi  sy^ni  smvm;  —    276 «  broti;  —    278»  ok  giordi 
af;  —    284®  rer/  /at;  —    284»'  flavg  mitt  sinn;  —   284»*  sakir;  —  284»* 

7g;  —    284»«  leit  moti;  —    284«  fiefdi  farid;  —    284^  ffetniv;  —    286"  f. 

286»*  ßa  ox  hofi  «va  at  vppi  bravt  a  oxl  Äonv/w.  ßa  qwSLd  /rann  ßetta;  — 

k  sai  ßorr  ßar;  —    288 ,  ßa  l<etr;  —    288«  endilangri  hqll;  —    288  g  geirr- 

—  298»®  tM<?;  —  298^  fv^mgengv;  —  300*  bra^olir;  —  302»  r/w/ir;  — 
versv;  —  304,  f.  Ä/ww;  —  306'  galla  ist  im  cod.  ganz  unsicher.  Nach  g 
t  sich  im  pergamente  ein  loch;  die  endung  aber  ist  mehr  ia  als  la;  —  308' 
dar;  —  308  **  fetmcila:  —  310'  dr^i; —  310,0  loddi;  —  310«  frodgum  ist 
Qsicher;  die  abkürzung  nach  f  kann  ro  sein,  doch  scheint  nach  dieser  ein  g 
en  zu  haben;  für  d  ist  kein  räum  da.  Zwischen  g  (V)  und  v  ist  über  den 
iben  om  loch;  —  310,  of  roni;  —  312*  fcera;  —  3128  varv  (wie  756);  — 
314«  fehlt  ursprünglich  in  W  und  756;  es  befindet  sich  in  beiden  codd.  ein 
aum,  den  in  W  der  Schreiber  der  2.  papiereinlage  (Sven  Jonas?)  nach  cod.  r. 
eben  hat.  Diese  Strophen  auch  im  Variantenapparate  mit  AV  zu  bezeichnen 
tathaft;  —  314,  Hcqxsv  (wie  756);  —  318«  5va  seni  bragi  ^vad;  —  320** 
i;  —  320,,  ok  golf;  —  320^,  sior  dyranna;  —  3206,  322,^  JuxUfrodr;  — 
ver^p;  —  324®  sva  «cm  Refr  gvad;  —  326«  kiapta;  —  326«  snegrmid;  — 
jT  longv;  —  330*  kann  ich  auch  in  W  nur  hrind  lesen;  das  d  hat  zwar 
nen  Schnörkel,  aber  dieser  ist  schwerlich  die  abkürzung  von  ir\  leztere  geht 
m  der  rechten  seite  nach  links;  jener  (/-schwänz,  den  die  handschrift  oft  hat, 

(CSRIFT  F.   DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.  XXn.  24 


\ 


370  MOOE 

geht  nach  rechts;  —  330»,  332*- *,  334*  u.  oft.  hreisv;  —  330,  kana  ich  nur  lesen 
rm  htios  vin,  so  hat  auch  ganz  deutlich  756;  —  334"  had*  (d.  L  er),  wie  auch 
756:  had  er;  —  340*  fyrir  dyrtim;  —  340*  lund;  —  340"  lavfcBygiar  (so  luch 
756);  —  342'  ßar  ril  enn  smi4rtnu;  —  342^,  344"  alldregi;  —  344,  fyrir  krtm- 
Pussrm  ok  d^mdr  nt  (so  auch  756);  —  344^  Tak  ßv;  —  346"  vü  skioU;  — 
346*^  sofft  fyrr  rar  sagt;  —  346  ^'^  f.  nicht  murgr,  sondern  of;  —  348 ^  WhatA^tt, 
nicht  Nylt;  y  ist  aber  in  der  handschrift  y,  nielU  j?;* —  392^  h4Pyrda  ek; —  396 U. 
•  störir  wie  in  U;  —  396,  Tokr  ßa  ok  elldinn; —  396g  f.  ßeim; —  398'  (U  hringn- 
rm;  —  398"  ok  ßa  reik;  —  398"  skildvx;  —  400 **  sa  er  hqlgi  er  nefndr;  — 
400'*  //ann  rar  fadix;  —  400  *'  /yr  svold;  —  402"  ßmgskaalvm;  —  404^»  iofrr 
(so  auch  756);  —  410*  rid  allxkyns;  —  410,  vm  viiaäar  rist; —  412*  framm;  — 
412"  f.  er;  —  414,  sceng;  —  416®  ein  radinn;  —  418"  hyrtvfmrm  (so  auch 
756);—  A20^Afornnn  skiUdi;  —  420,  drifr  ok  rotv;—  424«  hirggvx;  —  424  ^W 
hrcgynird'iry  das  zweite  r  ist  über  d(^r  zeile,  aber  es  iK^findet  sich  unten  ein  strich, 
welcher  andeutet,  dass  das  r  nur  eingeschrieben,  nicht  aber  kürzung  für  ar  sein 
soll.  Als  leztere  hat  es  fi^ilich  schon  der  Schreiber  von  AM.  756  aofgefasst;  — 
4249  ^^  ^^'*  ''^^  riiad;  —  424,  sa  er  frcpiv  (so  auch  756);  —  426"  vm.  rtiya;  — 
430"  Spiot  er  ortn  kalladr;  —  432*  rid  strengia; —  432"  el  eda  vapn  hiadninga 
elUir  eda  render;  —  432  y  ok  dottir  hans  brott  tekinu;  —  432,  ßar  rar  /yr  Minn 
wod  sitt  lid;  —  434-  Hogni  sraradi  strt  (so  auch  756);  d.  i,  sttät;  —  434' f. 
ßeir;  —  434«  Sca  ok;  —  436''  bfeti  ßrvdr;  —  436,  hat  W  ursprünglich  at\  di» 
ist  aber  unterpunktiert  und  of  darüber  geschrieben;  —  438*  nach  reidtar  hat  V 
noch  w.;  —  438 j  Her  er  ok  b(edi;  —  440"  Hpqtsv  skal  skip  kerma;  —  440'* 
ofridr; —  442*°  slod  sior;  —  442"  redr  lidi  (die  note  in  AM.  ist  unklar);—  446'* 
//rerw  reg  skdl  kenua  kr  ist;  —  446  ^  rammr;  —  448"  ervci;  —  450*  girkia;  — 
45O7  fnatmanua;  —  452*^  rar  ritat; —  452"  landsteki;  —  452"  rord  landx  folks;  — 
454^  folkstiora;  —  456"  havlldar;  —  456'**  hafa  /wed  ser  ril  fylgdar;  —  456,* 
dantftork;  —   456,  Äonung/;  —  458''  opt;  —   460"  8^;  —    462,  ok  enn  ^vad  Atni» 

rm  ßor/hiu  iarl; 606«  ßat  er;  —  606,  orda  fiolda;  —  608*  fyüa  ok  fegrm 

trtddl;  —  608'  ßat  err;  —  608*  dragax  framtn;  —  608«  i  qdrv  ordi  ok  kitur 
fiorda  srm  her  er;  —  608"  hness;  —  608, ^  her  crv  allar;  —  610*  mtnat;  — 
610'''  ok  hinr  fiorda;  —    610"  ordit;  —    610**  dettJtent  ok  dvnkefU  ok  #wed  »i#- 

rrrm;  —  610,,  fyrsta  ok;  —  610,  ör  afiarri;  —  610,  f.  leyfi  er  ßat,  —  610,  0* 

ü 

lidhemlitiyax.    Siacuda  at  hafra;  —  612-  viij.  at  ueyta; —  612^  Tivnda  efrist;-^ 

612«  f.  srd;  —  612**  rda  sia  fda  .sa;  —  612"  at  er  e.  (d.  i.  eda)  enn  at  ma 
hafra;  —  612,  ringiord; —  612,  /  egrewli; —  614*  hendinga; —  614*  ymsvm;-^ 
6I42  XVIffi.vlt;—  614«  fi*\;—  614*^  tra  maal;—  616N;r;—  616,  Ptndrcrfrs:" 
618*  f.  efi;  —  618'-^  ok  hid  ßridia;  —  618^  hefr;  —  618^  rennUyr;  - 
620*  /  hittr  sidaxta;  -  620''  f.  hättretiu^  ebiMiso  vor  den  folgenden  visur;  — 
622"  /  ßv\m  hiPtti,  —  622'  ßar  ord  er  olikext;  —  622"  ok  erv  her  af  ff^ 
sitfti  ord;  —  ()22,  rerr  *v/'/ir  oiikt  er  at  scekia  ok  rerw»;  —  624*  f.  ok  srd;  — 
624  ■•  iord  er  laud:  —  624»  ef  saa  /"err;  —  624*  saa  flytr  da  brart;  —  634* 
ßat  err  lios  ord;  —  ()24  "*  sdd  drtif'ir  srndr  er  skilr  e.n  sdd  fylkir  er  saffuii;  — 
624**-  f.  ßat;  —  624'-  f.  ok  enn  (vgl.  U);  —  624"  f.  i;  —  624**  f.  ßai;  - 
1)24^  ras'n  hin  hvildr;  —  624^  hid  VIII  riscord;  —  624^  f.  ntalt;  —  624,  f. 
ßd;  —    624,   siks   ylod   er  gull;   sickir  grllx    er    madr;   —    624^   haf;    —   626' 

1)  Dio  vMriuito»  der  eingofUi^tMi  papioiUlttor  sind  nicht  «agogeben. 


i 


371 


—  626»  (f.  ok)  fiav  ere  li-enn  i  htfirir 
:,-  —  626,  tahs;  —  626,  I  setta  nriti  er 
■   628'  (.  e*.;  —  62Ö'  f.   Ot;  —   C26'  f. 


^it  er  m»Ar  (wie  U);  —  626"  voakat; 
tisBordi^  —  626,  (f.  ok)  slitvar  dvl  utlai 
av»  (wie  tl);  —  628*  nl  kalla  ai  blo4;  - 
at;  —  628"  fr^nSr;  —  628,  daila;  —  628,  f.  svä;  ~  630'  l  er  svä;  —  630' 
fraatm:  —  030"  i  hrerw  orüt  —  632,  ok  hine  fiorda:  —  632,  ok  «■  ein  »nni- 
alafi  i  milli  ok  hkax:  —  634'  i  hinr  fyrula:  —  034"  ok  oräa  lengä:  —  634'* 
gda  fr  helidr  fyr;  —  634,  firdtim:  —  636°  PVss;  —  63ß„  friti»  bleika;  —  636, 
etn;  —  636,  S'eiHä;  —  636,  {f.  upp)  anat  vistwd;  —  638'  f.  w»;  —  Ü38"  mA 
toffit:  —  638*  vegrakkr;—  Ö38"  styria;—  638^  i  wt//rm  Pelra.—  Q4ß*  gr/r:  — 
640,  »■  i/dmokfiorOa  v.;—  642,  i«»  «iWa;—  642,  mmirm:  —  644'  oi  «ton*»;  — 
644'  baaOar;  —  646'  roato  (wie  U);  —  646''  «"  ?(frp  ok  IIU.  r.  o.  ok  aekil;  — 
646"  »em  fnanarxt:  —  646"  (X  en  bar:  —  646,  skialfhenda  moit  adal/ictulitigriu 
bid  pridia  p.  o.  i  liiyamia  kelmingi:  —  648*  framdi%;  —  648"  Aer  erp  prennar 
aäalhnulitigta ;  —  648"'  fmu;  —  648"  »amttafa  (vgl.  Xi);  —  648,  Aar  er;  — 
650,  her  »kiptir  litftCi;  —  650,  hliodfylUttg\n\  (wie  U);  —  652'"  drotikeedine ;  — 
654,  a-ikkrja  (wie  U);  —  654,  grotlp;  —  654,  kann  fröda-,  —  656'  »  ßUaaUken- 
din^:~  656*  /at  er  «igi  r«((;—  656,„  ««/  (Tor(:—  656,  kurndi  se  ort  eplir  (t.ok) 
tr  pa;  —  6Ö65  kliengr;  —  656,  fqr;  —  658»  pi  d.  i.  j6o«;  —  658"  (»7  hending 
«r;  —  658,  vellbroti  (wie  Ü);  —  660,o  f.  setn;  —  660,_,  audi  aad»  i  gvlH;  — 
882"  Aer  er  1  A««p  .(«j,  pmp  ortf»;  —  664"  Aar  err  qlt  vt'sv  ord  styfd,  pesair 
ktUüt  greindir  i  Pria  sladi;  —  664"  annan:  —  664"  ok  er  pat  haalaftjU:  — 
664,  geisa:  —  666,  fom  skaaldin  bafta;  —  666,  samt  nl  haattafqUcm :  —  666, 
£M  bis  luetti  f.  iin  uml.;  —  668'  zwischoo  kvitan  imd  /ryni  bt  ein  freier  räum 
TOn  o.  20  cm;  —  668'  i  a-e/ü  (wie  ü);  —  668'  oiirfo  tinr  (wie  U);  —  668"  iarU 
megin  (wie  U);  —  663'  luiatkyaa:  —  668"  u.  oft.  droUkeadt;  —  670"  yaf  max- 
jran  rfuj  rat;j«;  —  670"  kaattitysa;  —  670"  ok  ridhendnr;  —  672"  ahiatlda;  — 
672,  Nr  i-rr  peAr  htetUr:  —  672,  kimlal»^;  —  674*  glyggi:  —  674,,  /?r;  — 
674,  eeg  rm;  —  674,  Are^i  Uggi;  —  676'  pndgagh;  —  676'  gngta;  —  676" 
driftrm;  —  6T6„  £VtQ  or  Qffrv  oi  Amv  ^onfo  nuäf  dfata;  ~  676,  »Iqkkr^:  — 
678'  Act-  ptf  Pit;  samsf^fur  »  r.  0.  bbii  hendingar  ok  elafa  shipli  »em  i  krgfihenih 
(«Um  alldem  fehlt);  —  678,,  r?*i»ni.-  —  678,  lUt;  —  680'  nyddi  aserdmt  (bo  ver- 
mag tob  nur  im  cod.  xa  lesen;  erst  eine  jüngere  liaiid  scheint  etwaa  verbessert  ku 
luibeu);  —  680'  f.  krerjUi  —  680"  f.  AiW;  —  680»  f.  Pat;  —  680,  orla  ok;  — 
680,  alfr&inos,  vU»ng;  —  682'  öm  er  /at  /ram»;  —  682«  M-  err  Aer;  —  682"  f. 
tä:  —  ü82„  f.  er;  —  684'  ok  Uij;  ~  684'  f.  *pö;  —  684'  «ein  i ^Uertedtna. 
itaUi.  —  684'  (TP  (ly.  janisfqfvr  rc-Z/ar;  —  684»  f.  ein;  —  684"  fioUnn  (was  nor 
g^ltam/t  sein  kann);  —  684,  ona(  o4  AiÄ  tiy*.  v.  0. -,  —  684,  hofrtttafinü-,  — 
684,  rm  »««((';  —  686 '  Aer  er  sio/Aaudiog  1  fyrsla;  —  686'  f.  hatti;  —  686»  titg- 
btffi  (vgl.  liigtiKflt);  —  686"  r.  enp;  —  688'  Aer  er  t  /V"(tf;  —  688'  f.  mw;  — 
888°  oi  /iMf  fiorda;  —  688'  fwfaj;  —  690*  oh  tr/er:  —  690,  bivd  httrdr:  — 
69üi  r.  A<eflt":  —  692'  i  hhir  fynta  ok  pridia  ü.  o.  ßo  al  v.  ot;  —  692»  f.  env:  — 
692'*  ok  »tyfd  «I  fyrri:  ~-  694*  lyplax  Jena  oflidi:  —  694"  vi  »amitiilur  ok  aigi 
rangt  Poat;  —  694,  blaeegg;  —  696*  *  risv  ordi  Axarii)  ok  n  adalhending:  — 
686'  hueßtan  —  696'  wUlrandiT  (d.  i.  üüt..  wie  bei  Mi)  —  696"  hranngardü  — 
090.  rvnhaufit  vrr  kalladir;  —  698,  ena  qnnvr  Mna  gidarra  htlnaag;  — 

Wir  sehen  aus  diesem  verzeichnia,  daas  namentlich  Hättatal  bei  angäbe  der 
lostrton  von  W  in  der  AU.  ausgäbe  schleL>ht  weggekommen  ist.  Viele  dieser  les- 
«teo  hat  natürlich  sahen  Möhius  in  seiner  ausgäbe  dieses  teiles  dar  Edda  cur  gsl- 

24' 


372  MOOK 

timg  gebracht.  Im  anschluss  au  dieses  Verzeichnis  sei  oiuc  andere  unrichtige  angäbe 
wie  der  hei-ausgober  der  ed.  AM.  so  auch  Finnur  Jönssons  berichtigt  Ich  hatte 
schon  mehrfach  gelegenheit,  auf  das  engste  Verhältnis  zwischen  W  und  den  frag- 
montcn  AM.  756.  4°  hinzuweisen.  Das  räumt  auch  F.  Jönsson  ein;  gleichwol  reisst 
es  ihn  zu  der  bemerkung  hin  (s.  LXXX):  „sed  persaepe  lectiones  secundum  id  aut 
corrigi  aut  con-oborari  possunf  Das  ist  nicht  richtig,  denn  AM.  756  ist  weiter 
nichts  als  eine  ganz  flüchtigo  abschrift  von  W.  Wer  diese  zwei  handschrilten  neben 
einander  vergHchen  hat,  kann  keinen  augenblick  daran  zweifeln.  Ich  überzeogtfe 
s.  z.  prof.  Gislason  durch  einige  schlagende  beispiele  und  glaubte,  dass  infolge  sei- 
ner bemerkung  (Njala  II,  s.  287^255))  (üe  sache  als  abgetan  anzusehen  sei;  da  dies 
nicht  der  fall  ist,  sehe  ich  mich  genötigt  hier  den  beweis  anzutreten. 

Zunächst  stimmen  in  der  ganzen  einteilung  die  fragmonto  mit  dem  cod.  W  über- 
ein: wo  diese  hs.  einen  neuen  abschnitt  begint,  begint  ihn  auch  756;  nicht  in  einem 
punkte  weicht  lezteres  ab.     Dazu  einiges  andere.    AM.  I,  64*®  scheint  der  Schreiber 
von  W  erst  aus  vorsehen  nkegia  geschrieben  zu  haben,    hat  aber  dann  selbst  das^ 
in  p  verbessert;  756  las  g  imd  gab  es  infolgedessen  als  skeggia  wider.  —   68*  trent 
756  YG  drasils;  in  \V  endigt  nach  YG  die  zeile,  daher  der  irtum.  —    72*  steht  in 
W  ziemlich  hoch  hinter  hifroDst  ein  fragezeichen ;   dies  sah  756  als  abkürzung  an 
und  gab  es  deshalb  mit  bifrawftum  wider.   —   86  g  schreibt  W  hertUf^,   was  der 
Schreiber  von  756  als  berat gr  las.  —  88*'  geben  beide  handschriften  die  vierzig  auf 
ganz    gleiche  weise  wider  x^.   —     90*  macht  756    nach  W  denselben   Schreibfehler 
bergriaa  f.  hergrisar.   —     98    findet   sich  .  ganz    aussergewöhnlich    vor    cap.  26  ein 
freier  räum  von  c.  15  mm;  dei^solbo  findet  sich  auch  in  756. —  102*  schreiben  beidf 
handschriften  m(>g  niv  cm  etn  (do])pelt).  —    llO^  Ist  in  W  in  digrleiks  das  erste  » 
einem  a  sehr  ähnlich,    daher  die  Verlesung  daleiks.  —    112*  hat  W  von  haus  aus 
8k\'\o  f'er  megaj    erst  der  Schreiber  der  randnote  hat  mega  rot  durchstrichen,   daher 
findet  es  sich  756.   —    192jj  haben  beide  handschriften  ed  cUldna  tre.   —    198*  die» 
verschreibung  unur  (f.  /  mar)  in  756  kann  nur  auf  W  zurückgehen,    da  hier  das  ^ 
ganz  mit  nt  in /war  verbunden  ist*;  der  strich  über  i,  der  mehr  horizontal  als  schräg^ 
geht,    wurde  vom  Schreiber  von  756  für  abkürzungsstrich   über   den  ersten  beider» 
grundstricheii  angesehen.   —    202 ^  findet  sich  in  W  zweimal  vingnis,    erst  spätere» 
band  hat  das  einemal  durchstrichen.     Daher  Lst  das  wort  in  756  doppelt    Dasselbe 
gilt  204 5  von  den  weiten   sicr  hauii  ßa  at  /«mn  steiidxxr  uti  a  sletttim  velli,   dereu 
widerholung  in   W  auch  erst  später  durchstiichen  ist     Auch  320^  Rad  —  siitoi^ 
zcngt  denselben  fall.  —  238 ^  schreiben  beide  handschriften  für  bqlva:  bolfa.  —  Per 
schluss  der  llaustl(^ng  (.'U2, — 314^)  fehlt  in  W;  er  ist  erst  vom  Schreiber  der  zwei- 
ten papien^inlage  später  nachgetragen.     Urepriinglich  hat  die  handschrift  fünf  Zeilen 
freien   räum.      Auch  756  geht  nicht  weiter  als   W   und  lässt  ebenÜals    einen  fr««D 
räum  von  c.  4  Zeilen,  der  im  hinbhck  auf  die  Schreibweise  der  handschrift  dem  von 
W  entspricht.  —    324  findet  sicrh  in  W   nach  bar(eyiar  skalld  ein  freier  räum  von 
.50  —  60  mm;  in  756  findet  sich  eine  zeile  unbeschrieben.     Diese  beispiele  mögen  zei- 
gen, dass  der  Schreiber  von  756  den  cod.  W  auf  ganz  liederliche  weise,   ohne  ihn 
zu  verstehen,    abgeschrieben    hat;    für   die    Eddakritik    ist   das   fragment   volstindig 

ll  Es  bedürfto  oininal  der  untorsachung ,  wie  weit  die  prftpos.  daroh  iwutchlngs  an  das  fo^«*'* 
Bukst,  oder  pronom.  ihren  charaktor  als  selbständiges  wort  verloren  hat.  Sicher  xeigen  die  «iten  hMA* 
Schriften  im  norxUscIien  un/fthligo  )>eL»piolo,  wo  praop.  and  nomon  zusanunengeschneben  sind.  DtJi^ 
scheinen  ursprünglich  lange  praopos.  infolge  des  wort-  oder  satzaccentos  aadi  ihre  IlDge  vetlmrao  n 
haben. 


i 


ÜBEB  SN.  SDDA  m  373 

wertlos.  Dagegen  stimme  ich  mit  Fimiur  Jonsson  betrofs  des  abfassungsoiies  übor- 
ein:  alles  weist  darauf  hin,  dass  der  cod.  756  im  norden  entstanden  ist,  vielleicht 
auf  Veranlassung  des  gesetzsprechers  Jon  Sigmundarson,  in  dessen  händen  sich  im 
ausgang  des  15.  Jahrhunderts  der  cod.  W  befand. 

Über  den  umfang,  den  einst  der  cod.  W  gehabt  hat,  horscht  noch  Unklarheit. 
Bekantlich  fehlt  demselben  ursprünglich  die  ganze  episode  aus  der  Nibelungeusage 
and  die  erzahlung  von  könig  Frodi,  ferner  der  ganze  schluss  der  Skaldskaparmal 
von  denUkend  heiti  an  (I,  464),  der  anfang  des  Hattatal  und  der  schluss  desselben.^ 
Diese  abschnitte  sind  durch  papierblätter,  deren  inhalt  teils  dorn  cod.  reg,  teils  dem 
Qod.  Svarf.  entnommen  ist,  ergänzt.  Dass  die  episoden  aus  der  heldensage  ursprüng- 
lich nicht  im  cod.  gestanden  haben ,  darf  wol  als  sicher  gelten.  Aber  auch  der  zweite 
teil  der  Skaldskaparmal  hat  zweifelsohne  nicht  in  der  handschrift  gestanden:  Bl.  35 
»chliesst  mit  den  beispielen  der  keuningar;  es  beginnen  mit  bl.  36  die  grammatischen 
abhandlangen,  die  19  bl.  füllen.  Alsdann  folgt  die  papiereinlage  des  Svein  Jonsson; 
oach  dieser  der  erhaltene  teil  des  Hattatal.  Dieser  fült  6  pergamentblätter;  der  feh- 
lende schluss  ist  ungefähr  gleichen  anfangs  wie  der  fehlende  anfang.  Demnach  scheint 
BUlttatal  ursprünglich  auf  einer  läge  von  8  bl.  gestanden  zu  haben ,  von  der  das  erste 
and  lezte  blatt  verloren  gegangen  ist. 

Blicken  wir  nun  aber  auf  cod.  U,  wo  der  zweite  gramm.  traktat  unmittelbar 
vor  Hattatal  steht,  so  wird  es  wahrscheinlich,  dass  die  traktate  auch  in  W  ursprüng- 
lich vor  Hattatal  gestanden  haben,  und  dass  nur  durch  Svein  Jonsson  durch  den 
einschub  der  papierblätter  diese  trennung  erfolgt  ist.  Eine  andere  frage  ist,  ob  die 
ükend  heiti  vielleicht  von  haus  aus  vor  den  traktaten  gestanden  haben;  diese  aber 
wird  sich  nicht  entscheiden  lassen.  Solche  und  ähnliche  dinge,  welche  für  die  text- 
kritik  nicht  unwichtig  sind,  lassen  sich  aus  den  bemerkungon  über  W  (namentlich 
ien  ö.  XLVn  fgg.)  nicht  recht  erkennen.  Es  sei  daher  hier  noch  kurz  über  die  ein- 
lil  ung  von  W  gesprochen  und  einiges,  was  ich  bei  F.  Jonsson  vermisse. 

Der  schön  und  deutlich  geschriebene  codex  enthält  32  zeilen  auf  der  seite. 
jrosse  initialen  führen  die  hauptabschnitte  ein.  Bei  kleinen  abschnitten  findet  sich 
for  die  initiale  ein  kleinerer  rechteckiger  freier  räum.  Die  eingestreuten  Strophen 
beben  sich  nicht  von  der  prosa  hervor.  Schliesst  ein  teil  eines  wertes  die  zeile,  so 
leutet  ein  querstrich  ( — )  an,  dass  das  wort  noch  nicht  zu  endo  ist.  —  Der  codex 
besteht  aus  lagen  zu  je  8  bl.  Die  erste  seite  ist  uubeschrieben ;  unten  stehen  die 
irorte:  Olai  Wormii 

Dono  Amgrimi  jonae 
Islandi. 

Der  obere  teil  der  bl.  19  —  22,  27  —  30,  34  —  36  ist  sehr  zerfressen.    Es  folgen: 

Praefatio  —  bl.  4**,^. 

Gylfaginning  4\o  — 20%,. 
Bragara'dur   20\  — 22»»„. 
Eptirmal     22  \— 22  V 
Skaldskm.  22^^,—Zb\^. 

Von  bl.  27**  sind  nur  4  zeilen  beschriel)en ;  sie  enthalten  dou  schluss  der  forsdrapa 
les  Eilifr  Gudrunarson.  Der  übrige  teil  der  seite  ist  unbeschrieben.  Zwischen  bl.  30 
und  31  finden  sich  6  papierblätter,  die  die  episode  aus  der  heldensage  nach  dem 
ood.  Sparf.  enthalten.  Vom  lozteo  blatte  sind  nur  3*/,  zeilen  beschrieben.  Ein  f, 
das  sich  auf  der  ersten  zeile    derselben    und  (»ergamentbl.  31*,o  findet,    deutet  an, 


374  MOGK 

dass  dio  blätter  hierher  gehören.     Die  ganze  episodo   fehlt  also  von  haus  aas  der 
handschrift. 

Die  gramm.  abhandlungon  I  und  II  36*, — 41  ^7.  Diese  schliesscn  sich 
unmittelbar  an  das  vorhergehonde  an.  Erst  die  dritte  abhandlung  leitet  eine  grosse, 
schön  verzierte  initiale  ein.  Dadurch  gibt  der  Schreiber  zu  erkennen,  dass  hier  ein 
neuer  hauptabschnitt  bcgint,  der  ursprünglich  nicht  zum  werke  gehört.  Ausserdem 
ist  vor  dem  zweiten  traktate  ein  unbeschriebener  räum  von  6  zeileo. 

Grammat.  abhandlungen  III  mid  IV  41**8  — 54*3,.  Bl.  54**  ist  ursprünglich 
unbeschrieben;  eine  junge  band  hat  Marieulieder  und  andere  gedichte  frommen  inhaltes 
darauf  aufgezeichnet.  Es  folgen  9  papierblätter  mit  der  Überschrift:  cfe  »ynonymis 
aijnplicibus. 

Sie  enthalten  die  ükend  heiti,  die  fornn^fn  und  den  anfang  vom  H4ttatal  und 
sind  eine  abschrift  aus  dem  cod.  reg.  Alsdann  folgt  im  cod.  eine  läge  von  6  bL, 
die  höchst  wahrscheinlich  aber  einst  8  hl.  enthielt.  Das  erste  und  lezte,  aofEuig  und 
schluss,  sind  verloren  gegangen.  Diese  läge  hat  wol  einzig  und  allein  H4ttatal  ent- 
halten. Zwei  papierblätter  schliessen  sich  hier  an,  von  denen  das  erste  den  schluss 
des  Hattatal  nach  cod.  Svarf.  enthält,  während  das  zweite  unbeschrieben  ist  Das 
folgende  pergameutblatt  enthält  die  RigsmiU;  das  gedieht  begint  mit  grosser  schöner 
initiale,  der  schluss  fehlt  bekantlich.  Fünf  weitere  leere  papierblätter  deuten  den 
umfang  des  felilendon  an;  sie  sind  vom  schreibor  der  episode  aus  der  Niflungensage 
eingefügt,  wie  der  Wasserdruck  zeigt.  Zum  Schlüsse  folgen  noch  zwei  pergament- 
blätter  (abgedruckt  Sn.  E.  II,  495  fgg.),  dio  wol  das  3.  und  6.  blatt  einer  läge  aus- 
gemacht haben.  Die  lezte  seito,  ursprünglich  unbeschrieben,  enthält  von  junger 
haud  lobgodichto  auf  die  jungfmu  Maria. 

Doch  ich  verlasse  die  einleitenden  bemcrkungen  über  die  handschriften,  um 
noch  kurz  \m  dem  hauptinhalte  des  3.  bandes  zu  verweilen,  bei  dem  commcntar 
zum  Skaldatal.  Es  ist  noch  kein  Jahrzehnt  vergangen,  wo  man  sich  die  berichte 
über  leben  und  gedieht«  der  einzelnen  skaldcn  in  den  quellen  mühselig  zusammen- 
suchen muste.  Selbst  Keysers  litteraturgoschichte  gab  wenig,  N.  M.  Petersens  so 
gut  wie  gar  nichts.  Heute  besitzen  wir  nicht  weniger  aLs  drei  werke,  aus  denen 
wir  zur  genüge  belehrung  über  die  skalden  und  ihre  werke  schöpfen  können. 
Gudbr.  Vigfüsson  gibt  im  Cpl).  vor  den  gedichten  eines  jeden  skalden  einen  lebcns- 
abriss  des  dichtei-s,  geistreich,  mit  vielen  kühnen,  wenn  auch  oft  unhaltbaren 
einfallen,  die  um  so  schwerer  controlierbar  sind,  als  rurgend  die  quellen  angegeben 
sind,  aus  denen  er  die  positiven  tatsachen  geschöpft  hat.  Infolgedessen  ist  das 
werk  zu  wissenschaftlichen  zwecken  unbrauchbar.  —  Für  das  Samfund  t  udg.  af 
g.  n.  lit.  gab  femcM*  Gudmundr  forläksson  sein  buch:  „Udsigt  ovor  de  norsk- 
islandske  skjalde  fra  9.  til  14.  Irhundrede^  heraus:  es  gibt  in  kurzen  ansprechen- 
den biographien,  denen  nirgends  die  quellen  fehlen,  einen  überblick  über  die 
gesamte  skalden<iichtuiig  und  ist  für  viele  skalden  unser  einziger  gewissenhafte 
Wegweiser.  Während  aber  diese  Schrift  eine  grössere  zahl  von  skalden  behanddt 
vertieft  sich  der  commcntar  zum  Skaldatal  ungleich  mehr  in  das  leben  und  ▼i^ 
ken  der  einzelnen  dichter.  Das  alte  Skaldatal,  das  in  handschriften  der  beiden 
hauptwerke  Snoiris,  der  Heimskringla  und  Edda,  erhalten  war,  hatte  die  dichta 
vorgeschrieben,  deren  lebeiLslauf  aufzunehmen  war:  das  grosse  gebiet  war  «lÜick 
und  örtlich  beschränkt,  örtlich,  indem  nur  dichter  aufoahme  fanden,  die  an  oo^ 
dischen  königshöfen  geweilt  hatten,  zeitlich,  indem  es  in  der  erweitaitea  pt/Odi^  I 
Upsalaer  handschrift  mit  der  zweiten  hälfte   des  13.  jahriumdMtn  dbnUiaMt   l^    | 


ÜBIR  BH.  IDDA  HI  376 

)  kein  bodenkeu,  das  alte  SkiUdatal  ohce  seine  epätenin  lüaätzo  Snorri  in  seinem 

biien  umCange  zuzuschreiben.     Mogliüii,    dasa   os  ihm  eine  kritiaohe  Vorarbeit  za 

a  gioeseD  gescliiohts werke  war.    Lassen  sich  doch  Tast  alle  skalden,    die  hier 

^läfalt  sind,  in  Snorria  hauptwerken ,  der  Edda  uadHeimsknugla,  widerfinden,  ja 

I  kleineren  zügen    zeigt   (las  Skäldatal  mit  diosen  Übereinstimmung:    ßuorri 

hte  die  sagt'Dgestalt  Starkada  {Heimskr.  20.  22),   or  kent  Bagnai'  iodhrok  als  diuh- 

I.  E.  I,  666),  er  weise,  wie  köoig  Eystein  seinen  hund  Säur  über  dio  einwoh- 

0  PrÄndheim  aezte  (Heiraskr.  90.  391);   was  das  Skdldatal  von  fjödöU  (iir.  40) 
|t,  deckt  sich  fast  wortlich  mit  dem  eingangs  der  Heimskiiogla  (s.  I),  ebenso  das, 

1  Eyvinda  Hdleygjatal  berichtet  (nr.  158.  Hskr.  1 ").  Wie  aber  Snorris 
Atere  Zusätze  erhielt,  so  scheint  dieser  selbst  ein  bereits  aufgezeichnetes 
pldatol  beuuzt  zu  haben,  das  sich  wol  in  Stemunds  besitz  befundou  haben  mag.  Ich 
e  dies  aus  der  reihe  der  skalden,  von  denen  wir  weiter  nichts  erfahren,  als  dsss 
I  dieaeo  oder  jenen  fürsten  besungen  haben.  Hätte  ^norri  aus  der  lebendigen  tra- 
a  gesohoplt,  so  würde  er  gewiss  auch  von  ihnen  atroiihen  orfaliren  haben,  die 
I  dann  quelle  seiner  historischen  werke  geworden  wären.  Auf  alle  fälle  besteht 
sehen  dem  SkiUdatal  und  Snorris  werken  ein  innerer  lusammonhang,  und  zur 
It  dieser  jenes  zu  benutzen  und  umgekehrt  wäre  eine  daukbare  uud  gewiss  loh- 
ide  aufgäbe. 

iiSG  nicht,  wem  die  fruchtbare  idee  gehört,    den  toten  nanien  des  alten 

Sldatols  lebensvolle  biegraphien  der  einzelnen  dichter  zuzufügen,  ob  Sigurdssou  oder 

Jedenfalls  verdient  sie  volle  anerkennung   und  die  vollendete  tatsauhe   ist 

t  schönste  grundstein  zu  einem  corpus  scatdicuin.    Die  zusammonstellungea  über 

k  dichter  sind  reiu  philologischer  natur.     Ihre  virfassor  geben  das  tatsSchliche  aus 

k  quellen  und  bauen  mit  diesem  einen  soliden  lebenaabriaa  der  einzelnen  dichter  auf 

iBproohondo  nacbrichten  werden  kritisch  beleuivhtot  und  das  für  und  wider  ein- 

k  aber  klar  dargelegt     Dabei  war  freilich  die  arbeit  des  bearbeiters  des  lezten 

B  eine  umfassendere  und  weitgehendere  als  bei  der  bearbeitung  des  ersten  halb- 

Als  dieser  bearbeitet  wurde,  fand  man  noch  nichts  ähnliches  vor,  man  hatt« 

I  keine  falschen  ansichten  zu  bekämpfen,  sondern  einfach  aufzubauen.     Der  bear- 

r  des  üweiteo  halbbaudes  hatte  dagegen  bereits  Oudm.  I'orliikssons  Ddsigt  uud 

t  Cpb.  in  hSndeo,   mit  deren  verfastwm  er  sich  <)fters   auseinaudefsetzeu  muate. 

iweifelsohno   hat  er   dies    mit  ebensoviel    goschick    als   scharfsiim   getan   und 

parch  manchen  eingonistcten  fehler  Itesoitigt,    Dagegen  hätte  für  die  geschichte  der 

Idendichtung,  für  eine  Schilderung  ihi'es  alniahlichen  ao&teigens  und  Ihres  verfals 

1  mehr  getan  werden  können-    Die  philologtsche  gruudlichkeit  hätte  mit  dem  fei- 

I  beobaehlungsfiian  eines  V.  Rydberg  gepaart  worden  müssen,   und  wir  sind  über- 

,    dass  dadurch  die  skaldendichtung  erst  auf  die  stufe  gehoben  worden  wäre, 

1  gehört.     Von  den  drei  höhenpunkten  eines  £gO,    Sighvat,   Sturla  ^örd- 

.  lÜBst    sich   dos  weite    fold   sebön   und   klar   überblicken.     So   sehr   es   auch 

^t,  aa  einzelnen  gestalten  die  arbeitswoise  der  Verfasser  zu  zeigen,  so  musa  ioh 

1  doch  mit  beaprechung  nur  ebiger  stellen  begnügen. 

Über  die  sogongestalten  Starkads  und  ki^nig  Ragnan)  heischen  heutzutage 
und  zweifebobne  richtigere  ansichten.  Nachdem  bereits  S.  Orundtvig  Slarkad 
B  poetische  crscheinung,   al»  das  hcldenideal  der  nordischen  wikmgerzeit  auf- 

1  hatte  (Udsigt  s.  67  tgg.),  ist  von  Müllenhoff  bis  ins  kleinste  ein  bild  dieser 
1  holdeodichtung  entworfen  worden  (DAK.  V,  301  fgg-).    Auch  Bagnars  dichtong 

t  BÜom  die  Krukumäl  wird  man  nach  G,  Stomis  überzeugendem  nachweis  als 


376  MOGK 

oin  spätes  orzeugnis  aus  dem  onde  des  13.  jahrhundoi-ts  ansehen  (Ragnar  lodbiok 
usw.  s.  117).  Anders  steht  es  mit  Bragi  Boddason,  den  die  einen  für  eine  histo- 
rische gostalt  ansehen ,  andere  dagegen  in  das  beroich  der  sage  bringen.  Für  lezte- 
ros  lässt  sich  aber  nicht  die  geringste  stütze  bringen,  denn  was  E.  Jessen  (t}ber  die 
Eddalieder  s.  21)  dafür  vorbringt,  ist  volständig  haltlos  und  zur  genüge  von  G.Stonn 
(Uist.  Tidrkr.  111,  s.  72  fgg.)  widerlegt  worden.  Bragis  name^  sowol  als  auch  die 
gouealogio,  die  wir  aus  der  Landn.  und  Egilssaga  entnehmen  können,  haben  durchaus 
nichts  unglaubwürdiges,  und  während  die  sagengestalten  eines  Ragnar,  Starkad  u.  a. 
über  den  ganzen  norden  verbreitet  sind,  beschränken  sich  unsere  quellen  über  Bragi 
auf  die  wenigqn  norwegisch -isländischen  werke. 

Etwas  anderes  ist  es,  wie  Bugge  annimt  (Ztschr.  f.  d.  ph.  VII,  389),  dass  di«; 
person  wol  historisch,  die  unter  seinem  namen  überliefeiten  godichto  dagegen  sinte- 
ren Ursprungs  sind.  Die  frage  hart  bis  heute  noch  der  lösung.  Jedenfals  spricht  das 
geschichtliche  über  Bragi,  das  uns  die  quellen  an  die  band  geben,  nicht  dagegen. 
Es  darf  jezt  als  ausgemacht  gelten,  dass  die  sagengestalt  des  Ragnar  lodbrok  in  dem 
könige  Roginfridus  der  Lorscher  annalen,  der  814  nach  kurzer  herschaffc  fiel,  ihren 
historischen  hintergrund  hat.  Von  Bragi  stamte  in  dritter  linie  der  herse  ArinbJQrn, 
der  nach  der  Egilssaga  (c.  41)  etwas  älter  als  Egil  war,  also  ungefähr  900  geboren 
sein  muss.  Rochnet  man  das  durchschnitsalter  der  mutter  und  grossmutter  35  jähre, 
so  kommen  wir  auf  das  jähr  830,  m  dem  Astrid,  Bragis  tochter,  geboren  sein 
müsto.  Das  weihgoschenk ,  das  ihm  Ragnar  spendet,  zeigt  Bragi  als  rüstigen,  taten- 
dui*stigon  mann.  Es  spricht  also  nichts  dagegen,  wenn  wir  sein  leben  zwischen  die 
jähre  780 — 850  legen.  Vigfüssons  Verschiebung  (835 — 900  Cpb.  ü,  2)  ist  ganz  unbe- 
gründet. 

Das  todcsjahr  von  Gunnlaugr  ormstunga  (s.  323)  habe  ich  in  meiner  ausgäbe  um 
ein  jähr  verschoben  (auf  1009.  s.  XX).  Hierzu  sei  noch  bemerkt,  dass  der  algemein 
horschenden  ansieht,  d  sumar  bedeute  nur  „in  diesem  sommer'',  Laxd.  s.  104,  17 
widerspricht,  was  auch  die  herausgeber  ganz  richtig  mit  in  proxima  aestaie  wider- 
gebcn.  —  Unter  nr.  23  werden  Gizur  svaiti  und  Gizur  gullbra  als  eine  person  auf- 
gefasst.  Schon  der  alt<^  Einarson  trente  sie  und  Möbius  und  torUksson  sind  ihm 
gefolgt.  Aucrh  Finnur  Jonsson  sucht  die  wenig  erwiesene  identifizierung  wider  auf- 
zuheben (s.  541).  Zeitlich  liesse  sich  ja  gegen  dieselbe  nichts  einwenden:  Hjalti 
Skeggjason  kernt  1017  mit  Gizur  svai^ti  am  hofe  des  Schwedenkönigs  Olaf  zusammen 
(Hskr.  s.  273),  Gizur  gullbni  aber  fält  in  der  Schlacht  bei  Stiklastadir  (1030.  Hskr- 
491).  Dagegen  werden  die  beiden  personen  überall  in  den  quellen  auseinandergehal- 
ten: jenen  finden  wir  nur  im  gefolge  des  Schwedenkönigs,  diesen  bei  Olaf  dem  hei- 
ligen. Und  wenn  es  selbst  Ottar  dem  schwarzen  nur  durch  vermitlung  seines  oheiins 
Sighvat  gelang,  gnade  bei  Olaf  zu  erlangen,  so  ist  es  wenig  wahrscheinlich,  dass 
Gizur  svai-ti,  der  doch  am  Schwedenhofe  in  gleichem  Verhältnisse  zu  Olaf  dem  hei- 
ligen gestanden  hatte,  wie  Ottar,  eine  solche  rolle  gespielt  haben  würde,  wie  Gizir 
gulbra  in  der  tat  gesjiielt  hat  (Hskr.  s.  475^.     Dazu  widerspricht  meines  erachtens 

1)  Einen  anderen  »skulden  Bragi  Hallsson  lernen  wir  als  dichter  unter  könig  Sroxrir  und  seüita 
Hohu  Ilakon  kennen  (Skt.  nr.  1.S2.  138) ;  ein  weiterer  Bragi  Hallsson  erlag  der  grossen  epidemie  in  N^^' 
wogen  1.302  (Fth.  aiuial.  s.  a.).  Der  name  scheint  überhaupt  norwegisch ,  nicht  isländisch  gowe»«»  ^ 
S4>in  und  deshalb  mi'Khte  ich  den  jüngeren  skalden  Bragi  (s.  652)  auch  für  einen  Norweger  halten,  i^ 
vator  des  alten  Bragi  uont  das  Skt.  Boddi.  Dies  für  Boudi  za  erklären  (s.  907  anm.  7)  ist  ab«'  un^tit- 
haft,  da  diu  a.'sSLmulatiuii  nd  3>  dd  iui  norwegischen  nicht  vorkamt. 


i 


Obmu  bk.  sdju  iu  377 

auch  dei  luune.  Qizur  dos  schwarzen  buiaame  kaua  doob  wol  nur  auf  ilio  scliwnrzo 
&rbe  Beiner  ha&re  gehea.  Er  iiiag  denB^lbea  in  der  uiagebtmg  vou  üjalti,  vjelleiulit 
Ton  dieaem  gelbst,  erhalten  balwu  zuni  iititcrschiede  vou  Qjaitia  aubwiegervater  Qiior 
dem  weJBseu.  Für  den  beinaineD  des  jüngeren  Gixar  stelt  man  die  eigeutliuhe  roim 
des  GoIlbrdrBtidd  auf  imd  nimt  od,  dos»  er  ihn  aach  einem  gediclite  erholten  b&tto, 
das  er  auf  ein  madchen  mit  goldblonden  augenbraueii  gedichtet  habe  (a.  334).  Alleio 
dem  widerspricht  die  ülwrlieferung.  Die  Hskr.  Buhi'eibt  a\it  yullbrä  (475".  491"). 
Ebenao  das  SlcaJdatal,  wo  olmo  Krund  »"iter  62  Guldbnirekaid  horgoslelt  ist:  Ä  bat 
jfuUbrd,  B  ist  an  der  entscLoidenden  stelle  zerfrossen.  Die  grosse  OlaTHsaga  (1853) 
Bcbrdbt  ebeDfals  nur  guilbrd  (200,,.  217,).  In  der  Flb.  findet  sieh  Immer  gvü- 
brdrfoatri  (Flb.  n,  226.  340.  353.  355).  nur  einmal  gullhrdrakäld  (fl,  31Ö).  In 
der  OH.  s.  der  PMS.  findet  sich  ^».(^6™  (Thomak.  V,  a.  ö6.  AM.  325,  s.  80.  cod. 
Holm.  2,  s.  30)i  FMS.  Y,  203  haben  wir  giülbrdrfostri,  ».  80  haben  es  faat  ebenfals 
tälQ  bandsuhrifteu,  nur  AM,  325  hat  gidlbrdraMld.  Entscheidend  iHt  die  stelle 
FM8.  V,  56,  wo  sicher  zu  leseii  ist:  guilbrd,  föatri  HofgarSa-Refs,  wie  die  Tho- 
Eoassk.  bat  Hier  liegt  dar  Schlüssel:  Oizur  war  der  pflegevater  Hofgarda-Refs, 
Die  Überlieferung  erhärtet  guilbrd  als  einzig  echten  heiuamen.  Hierzu  trat  noch 
fögtri  Hofgaräa-Reß;  aus  mis Verständnis  aber  zog  man  föatri  zu  gtdlbrd,  liess 
Hofgarila- Refn  bei  Seite  und  so  entstand  gulüträrfoetri ,  das  erst  in  den  jüngsten 
([BeUen  in  gutlbrdrakdld  umgeändert  wurde.  Demnach  iiiess  Gizur  sellist  „goldbraue", 
dn  oome,  den  er  nur  von  der  helblouden  färbe  seiner  augenbraueu  gebäht  haben 
kann:  diese  aber  schiiesseu  echwaraes  haupthaar  aus.  —  Dagegen  musa  man  Jon 
Sgordsson  recht  geben,  wenn  er  den  HallbJQi'n  hali  (s.3T3),  den  das  Skt  auf 
Koüt  Eiriksson  (f  1105)  und  Sverrir  (tl202)  lühgediehte  verfassen  lässt,  von 
Hallhjqm  hali,  der  auf  forleif  jai'laskald  (t9ß4)  dichtete,  ti'enl.  forläksson  will 
beide  identifizieren  (s.  145).  Wol  erfahren  wir,  dsRS  der  leztere  lobgedichte  auf  für- 
sten  gedichtet  habe  (Ftb.  I,  215),  allein  dies  mnsa  in  der  seit  knrz  nach  I'orleifs 
tode  gewesen  sein.  Nachdem  die  Flb.  von  lezterem  berichtet  hat,  ßihrt  sie  fort: 
So  madr  bio  ßa  a  ptttgeelH  er  PorkeU  liel  tisw.  Dies  fid  kann  nur  auf  die  ;ieit 
gehen,  wo  l'orleif  starb.  Und  nach  der  episode  von  HollbJQrn  fährt  unmittelbur 
mschliessond  dieselbe  quelle  fort:  &*  /ro  brirdrum  Porleifs  er  pal  al  mgia  .  . 
(Ftb.  I,  214/15).  Der  erzähtung  wünle  das  ganze  Verständnis  geraubt  werden,  wol- 
len wir  sie  zeiüich  um  einomholb  Jahrhundert  versuhieben,  —  So  liessen  sich  auch 
zum  eralon  teile  dos  vorliegenden  bandcs  noch  eine  reihe  bemerkungen  machen,  die 
der  einzelforschuDg  noch  bedürfen.  Dasselbe  gilt  auch  von  der  arbeit  Finnur  Jöns- 
sODs.  Ein  Vorzug  lezterer  Lst,  dass  er  namentlich  auf  die  eomposition  der  grösseren 
gedichte  eingeht  and  von  manchem  eine  kurze,  klare  Inhaltsangabe  gibt.  Eine  guize 
reihe  niuht  genügend  oder  gar  nicht  erwiesener  bobnuptuiigen,  namentlich  Vigfüssous 
und  IVirÜikssDns,  weist  er  mit  gutem  recht  zurück.  Gegen  lezteren  scheint  er 
in  einigen  pmikten  freilich  zu  weit  zu  gehen.  Man  wird  sieh  zweifelsohne  auf 
F.  J6nSBons  seito  stellen,  wenn  er  z.  b.  jene  für  unsere  heldensago  so  wichtige  visa 

Oeiali  slendr  tit  grundttr 
(FM8.V,  234.    Ftb,  m,  244)  dem  torfinn  munr  zuschreibt,   wahrend  tormöd  Kol- 
farünftrsk&ld    kein   anrecht   auf    sie    hat      Dagegen    kann    ich    nicht  billigen,    weim 
F.  Jöusson  (s.  M^)  mit  Jon  Sigurdsson  (s,  209)  die  beiden  halbstrophen  der  Sn.  E. 

f5p/  kemr  (aol)  jar/tar  leiptra  (So,  E.  I,  232) 
nnd  par  eiga  vir  ceiyar  (Sn,  £.  I,  210j 


378  HOLSTEIN 

als  zwei  eine  visa  bildende  halbstrophon  ansieht  Gewiss  wird  niemand  leugnen,  diss 
in  einem  godichte  alhent  gestattet  ist.  Dass  aber  in  einer  visa  die  erste  hälfte  ganz 
regelmässiges  drottkvfett,  die  zweite  aber  durchweg  alhent  haben  kann,  ist  zum  min- 
desten wenig  wahrscheinlich. 

Neben  dem  litterarhistorischen  werte  des  vorliegenden  teiles  möchte  ich  aber 
auch   noch    den    philologischen    hervorheben.      Nicht   wenige    skaldenstellen    habou  ^ 

F.  Jonsson   zu   textkritischen   bemerkungon    veranlasst  und   so   erscheinen   ziemlich        _^ 
viele  in  neuem  lichte.    Es  lockt,   auch  von  dieser  seite  auf  das  werk  noch  einzu- 
gehen, doch  ich  werde  bald  anderen  orts  dazu  gelegenheit  finden. 

Ich  scheide  von  dem  vorliegenden  bände  der  Edda  mit  der  Überzeugung,  da.ssj^^g 
er,  wie  schon  der  erste  teil  auch  in  seiner  ganzen  gestalt  die  grundlage  zu  eincr^r  «r 
neuen  aera  der  skaldcndichtung  wird :  was  wir  im  Cpb.  für  alle  dichter  erwarte^  -^^t 
hatten,  das  besitzen  wir  im  vorliegenden  w^erke  von  einem  grossen  teile  derselbon^rr^a, 
Vertiefung  in  die  einzelnen  teile  dos  ganzen,  das  sei  der  dank,  den  wir  in  erste  -^^—^r 
linie  dem  verstorbenen  Jon  Sigurdsson,  aber  zum  nicht  geringen  teile  auch  riniiii^  m 
Jonsson  schuldig  sind. 

LEIPZIG,   IM  SEPT.   1888.  E.  MOOK. 


(• 


Lndwig  TVirth,  Die  ostor-  und  passionsspiole  bis  zum  XYI.  jahrhundcr  - 
Beiträge  zur  geschichte  des  deutschen  dramas.  Halle  a.  S.,  Max  Ni^ 
meyer.  1889.    VIII  u.  351  s.    8.     10  m. 

Die  Wahrnehmung,  dass  seit  einer  reihe  von  jähren  sich  für  die  ältere  geschieh  -^«te 
des  deutscheu  dramas  eine  erhebliche  teilnähme  gezeigt  hat,   muss  jeden  litteratu — ^Kir- 
freund  mit  freude  erfüllen.     War   doch    seit  Hoffinann  von  Fallendeben  und  Mo^    *"<^ 
lange  zeit  die  kentnis  dieses  wichtigen  littoraturzweiges  auf  einige  bedeutendere  geii^    ^^" 
liehe  spiele  des  mittelaltors  beschränkt  und  fast  jeder  versuch  einer  geschichthchei^'    -<^" 
entwicklung  des  geistlichen  dramas  ruhte  auf  den  forschungen  jener  beiden  führe:^':**^''- 
Inzwischen  waren  wider  einige  spiele  durch  den  druck  teils  volständig,   teils  brucC    "^'i" 
stückweise  bekant  geworden,   al)er   zu  einer   streng   philologischen   behandlung  d  .-ÄitT 
dramen  kam  es  noch  nicht.    Erst  nachdem  Schönbach  und  Milchsack  eine  kritis«^    '^'^ 
gesichtete,    auf  der   vergleichung   der   einzelnen   stücke    unter   einander   beruhen^     ^^ 
Untersuchung  über  die  Manenklagen  einerseits  und  über  die  lateinischen  osterfeie      '^^ 
anderseits  mit  überzeugender  Sicherheit  angestelt  hatten,   nachdem  femer  Milchsa^^*  ^^ 
in  seiner  ausgäbe  des  Egcrer  und  Heidelberger  passionsspieles  das  verwantschaftlicl^^^*^ 
Verhältnis  derselben  zu  älteren  spielen  mit  lobenswerter  Sorgfalt  erschlossen  hattrrrrro, 
konte  der  aufbau  einer  geschichte  des  mittelalterlichen  dramas  geplant  werden.    D^^*^*^ 
herausgäbe  der  Eilauer  spiele  durch  Kimimer,  sowie  Wackemells  Untersuchung  üb-^*'' 
die  ältesten  Tiroler  passionäSi>iele  haben  sodann  ein  neues  lehrreiches  material  an  d.«^^' 
licht   gezogen   und   neuerdings   hat  Lange   die   Untersuchung   über   die   lateinisch tz^^n 
osterfeiem  in  einer  geradezu  ül>erraschenden  weise  gefördert    Denn  während  Milc^^" 
sack  nur  28  osterfeiem  kante,  fand  Lange  nicht  weniger  als  224,  wovon  auf  Doutscto" 
land  159  kommen. 

Auf  ein  so  wolgeorduetes  und  vorbereitetes  material  gestüzt  hat  es  L.  Wirtii 
untemommen,  die  entstehung  und  entwicklung  der  oster-  und  passionsspiele  bis  zoid 
auftreten   des   gelehrtendramas   darzulegen.    Es   ist   dies   in  einer  weise  geeobeheo, 
welche  unsere  gerechte  be wunderung  herausfordert,   da  der  Verfasser  zeigt,  dass  tf 


ÜBEB  WIBIU,   08IEB-   UND  FASSIONSSPIKLB  379 

den  kaum  übersehbaren  8to£f  nicht  nur  yöUig  beherscht,  sondern  auch  streng  wissen- 
schaftlich zu  gliedern  und  zu  verarbeiten  versteht.  Unter  diesen  umständen  und  bei 
seiner  vortreflichen  kentnis  der  andern  mittelalterlichen  dichtungen  ist  es  ihm  gelun- 
gen, ein  grundlegendes  werk  zu  schaffen,  das  uns  den  reichtum  der  dramatischen 
poesie  des  mittelalters  erschliesst  und  die  Stellung  erkennen  lässt,  welche  das  geist- 
liche spiel  in  der  deutschen  htteratur  einzunehmen  berufen  war. 

Nachdem  der  Verfasser  in  der  einleitung  die  ostorfeiem  kurz  besprochen  hat, 
führt  er  die  einzelnen  auftritte  auf,  welche  die  beiden  gruppen,  in  die  die  osterspiele 
nach  anläge  und  inhalt  zerfallen,  darbieten.  Für  die  erste  gruppe  werden  7,  für  die 
zweite  ebenfals  7  auftritte  festgestolt,  deren  entstehung  und  schritweise  Weiterent- 
wicklung sorgfältig  nachgewiesen  werden.  £s  folgt  dann  eine  eingehende  betrachtung 
der  anläge  der  passionsspiele  und  ähnlicher  spiele,  wobei  eine  auf  Tischendorfs 
Synopsis  evangelica  (5.  aufl.  Leipzig  1884)  ruhende  chronologische  roihenfolge  der 
scenen  —  es  sind  deren  49  —  aufgestelt  wird,  welche  eine  genaue  Übersicht  über 
ihre  Verwertung  in  den  verschiedenen  spielen  gewährt.  £s  lässt  sich  erkennen,  dass 
die  umfangreichsten  spiele,  nämlich  das  Heidelberger  spiel,  die  Frankfurter  dirigier- 
rolle und  das  Alsfelder  spiel,  fast  den  ganzen  biblischen  stoff  bearbeiten.  Nimt  man 
dazu  die  präfiguititionen  des  Heidelberger  passionsspieles,  welche  der  Verfasser  zu 
erwähnen  keinen  anlass  hatte,  so  wird  man  zugeben  müssen,  dass  dieses  spiel  inhalt- 
lich den  ersten  platz  in  der  litteratur  des  geistlichen  dramas  verdient. 

An  die  betrachtung  der  anläge  der  passionsspiele  schliesst  der  Verfasser  bemer- 
kungen  über  die  entstehung  derselben.  Sodann  folgt  eine  sehr  lehrreiche  Untersuchung 
über  die  grundlage  und  die  quollen  der  osterspiele.  Der  Verfasser  verirrt  hinsichtlich 
der  ersten  gruppe  so,  dass  er  die  am  häufigsten  vorkommenden  versikel  zusammen- 
stelt,  um  erkennen  zu  lassen,  dass  die  Übereinstimmung  der  geistlichen  spiele  auf  der 
benutzung  derselben  schriftlichen  vorlagen  und  quellen,  nicht  auf  mündlicher  tradi- 
tion  beruht  und  dass  die  dichterische  tätigkeit  der  Verfasser  eine  sehr  verschieden- 
artige gewesen  ist,  indem  sie  ihre  quellen  entweder  wörtlich  benutzen  oder  umarbei- 
ten und  überarbeiten.  Als  ergebnis  wird  festgestclt,  dass  die  zahlreichen  hymnen 
und  klagegesänge  aus  den  Marien-  und  Magdalenenklagen  heiübergenommen  sind, 
dass  dagegen  für  den  übrigen  text  zahlreiche  ostergesänge ,  femer  Walter  von  Rhei- 
nans  Marienloben,  für  einzelne  stellen  auch  Martina,  passional  und  erlösung  gedient 
haben.  Als  grundlage  für  die  erste  gruppe  kann  der  Trierer  ludus  gelten,  daneben 
haben  aber  auch  >iele  fassungen  des  Innsbrucker  und  Wiener  ostorspieles  weite  Ver- 
breitung gefunden  (s.  69).  Auch  auf  die  zweite  gruppe  der  nach  inhalt,  spräche  und 
Charakter  von  der  ersten  bedeutend  abweichenden  osterspiele  dehnt  der  Verfasser 
seine  Untersuchungen  aus  und  gelangt  zu  dem  ergebnis,  dass  das  Innsbrucker  und 
das  Wiener  osterspiel  als  typus  und  grundlage  derselben  zu  betrachten  sind.  Die 
quelle  für  den  3.  und  6.  auftritt  sind  geistliche  dichtungen  wie  Urstendo,  Martina, 
passional  u.  a.,  für  den  lezteron  auch  die  erlösung.  Die  übrigen  scenen  sind  teils 
geistlichen,  teUs  weltlichen  dichtungen  entnommen.  Interessant  sind  besonders  die 
anchweise  von  der  Übereinstimmung  mit  manchen  Jastnachtspiolen ,  zumal  mit  dem 
Neithartspiele,  so  dass  man  eine  wechselseitige  beeinflussung  der  fastnachtspiele  und 
der  geistlichen  spiele  anzunehmen  berechtigt  ist. 

Der  Verfasser  zeigt  in  diesem  abschnitte  eine  grosse  Vertrautheit  mit  den 
schätzen  der  poetischen  litteratur  des  mittelalters,  wie  man  auch  das  sorgfältige  Stu- 
dium der  18  spiele  rühmen  muss,  das  er  in  dem  folgenden  abschnitt  zu  erkennen 
gibt     Hier  bespricht  er  das  Verhältnis  der  von  ihm  berücksichtigten  18  spiele  zu 


380  HOLSTKIN 

einander  und  gibt  ihre  besonderen  quellen  an,  wobei  eine  sorgfSltige  Charakteristik 
jedes  einzelnen  spicles  gegeben  wird.  Für  die  ältesten  spiele  wird  mit  recht  ein  ver- 
loren gegangenes  spiel  als  gemeinsame  quelle  angenommen.  Dem  Verfasser  erscheint 
das  Bedentiner  osterspiel  „wegen  der  frischen,  volkstümlichen,  humoristisch -sati- 
rischen darstellung,  der  niederdeutschen  lokalfärbung,  der  gelungenen  Charakteristik 
der  hauptpcrsonen ,  der  ebenso  eigentümlichen  wie  glücklichen  erweiterung  mancher 
sconen'^  als  das  beste  aller  ostcrspiele.  Von  der  ein  Wirkung  der  MagdaleDenscenou 
des  Benediktbeurer  passionsspieles  auf  die  anläge  anderer  spiele  sind  auch  wir  über- 
zeugt, aber  wir  hätten  gewünscht,  dass  der  Verfasser  statt  des  Hof&nannschen  textes 
den  der  Carmina  burana  in  der  Oesterleysohen  ausgäbe  zu  gründe  gelegt  hätte. 
Ebenso  wichtig  für  die  ontwicklung  der  geistlichen  spiele  erscheint  uns  das  Wiener 
passionsspiol.  Was  die  Frankfartor  dirigiorrolle  betrift,  so  darf  üire  entstehung  ohne 
bedenken  um  das  jähr  1350  angesozt  werden,  da  der  kanonikus  Baldemar  von  Peter- 
weil, der  1382  als  verstorben  erwähnt  wird  und  von  dessen  charakteristischer  hand- 
schrift  zahlreiche  manuscripte  im  archiv  zu  Frankfurt  vorhanden  sind,  an  ihr  Ver- 
besserungen vorgenommen  und  an  den  rand  bemerkungen  geschrieben  hat,  und  zwar 
nach  dem  duktus  dieser  bemerkungen  zu  scMiessen,  in  seiner  früheren  lebenszeit 
Mancherlei  für  die  geschichte  des  mittelalterlichen  dramas  wichtigen  ei^gebnisse  vrird 
die  in  aussieht  stehende  Veröffentlichung  des  Frankfurter  passionsspieles  von  1491^, 
das  sich  handschriftlich  im  Stadtarchiv  zu  Frankfurt  befindet,  zu  tage  fordern.  Es 
ist,  wie  mir  herr  dr.  Froning  schreibt,  eine  kopie  von  der  band  des  gericht8chreibers-«r 
Johannes  Cromer.  „Aus  der  Übereinstimmung  der  versanfänge  lässt  sich  in  vieleoH.  m  u 
fallen  schliessen,  dass  das  jüngere  spiel  auf  dem  älteren  beruht;  nur  ist  das  jüngertsi.^ ':Te 
unendlich  viel  dramatischer  und  hat  viele  wenig  dramatische  episoden  des  ältcreiKrrx  ^sn 
gestrichen;  auch  fehlen  die  im  älteren  spiele  so  häufigen,  aber  doch  sehr  undrama — .Mzsa- 
tischen  chÖi*e  in  dem  jüngeren  fast  ganz.'' 

Dem  fünften  abschnitte  fügt  der  Verfasser  eine  graphische  darstellung  dee*'*?^^  ^- 
abhängigkeits Verhältnisses  der  sämtlichen  spiele  bei,  aus  welcher  hervorgeht,  dass^s-=s.-i^ 
die  osterspiole  sich  vom  Rhein  (Trierer  ludus)  durch  Mitteldeutschland  verbreiten  mz^  -Q 
Von  hier  geht  ein  zweig  nach  Österreich  (Innsbruck,  Wien,  Storzing),  ein  anderec  "'t:*'^^ 
durch  Böhmen  ebenfaLs  dahin,  sogar  bis  nach  Ungarn  (Erlau),  ein  anderer  nachdfl^  *-"^ 
dem  norden  (Wolfenbüttel,  Redentin).  Die  passionsspiele  gehen  von  Süddoutseh-  -ätÄ- 
land  (Benediktbeuren)  und  der  Schweiz  (St.  Gallen)  aus,  verbreiten  sich  dann  nacHf  "=-'* 
Österreich  (Wien,  Sterzing,  Erlau)  und  Mitteldeutschland  (Donaueschingen,  Frank—  ^3^'" 
furter  dirigierrolle,  Friedberg,  Alsfeld),  wo  sie  mit  den  osterspielen  zusammen — 
treffen. 

Der  sechste  abschnitt  beschäftigt  sich  mit  dem  stil  der  geistlichen  spiele, 
wird  zunächst  wahrscheinlich    gemacht,    dass   die  weltlichen   demente,   welche   di€^ 
geistlichen  spiele  enthalten,    durch  die  Spielleute,    die  clerici  vagantes  und  ähnlichc^^ 
leute  in  dieselbe  gelaugt   sind.    Leztere  waren  teilweise  Schauspieler  von  beruf,   sic^ 
wurden  zuerst  von  den  geistlichen  als  miispieler  zugelassen;  als  jedoch  die  weltlichen, 
demente   hinzutraten,    wurden   die   spiele   aus   der   kirche    verbaut,   die   geistlicheo 
musten   auf  die   mitwirkung  verzichten  und   das  aus  der  kirche  vertriebene  drama 
geriet  nun  ausschliesslich  in  die  bände  der  spielleute.    Im  einzelnen  weist  nun  der 
Verfasser  an  den  sprachlichen,  stilistischen  und  sonstigen  eigentümlichkeiten  der  ver- 
schiedenen spiele  den  einfiuss  der  Spielmannsdichtung  nach,   so   zunächst   in   allen 
scenen,   in  denen  Pilatus  und  seine  ritter  auftreten,    in  den  krämerscenen,   in  den 
teufelsspieleu   und   in   den   Maria -Magdalenenscenen.    Der   nachweis   wird  in 


ÜBER  WIRTH,    OSTER-   X7ND  PASSIONSSPIELE  381 

Überaus  sorgfältigen  tmtersuchung  über  die  quellen,  ans  denen  die  dichter  der  oster- 
spiele and  der  fastnachtspiele  geschöpft  haben,  und  über  die  art  der  benutzung  der 
vorlagen  durch  die  Verfasser  der  verschiedenen  spiele  geführt.  Diese  Untersuchung 
erstreckt  sich  auch  auf  die  passionsspiele,  welche  grossenteils  auf  grundlagian  der 
epischen  dichtung  beruhen.  Mit  einer  bewundernswerten  Sicherheit,  einer  folge 
überaus  grtindlicher  komparativer  Studien,  kann  der  Verfasser  die  tatsache  feststellen, 
dass  sich  das  Benediktbeurer  und  das  Wiener  passionsspiol  als  produkte  der  spiel- 
mannspoesie  erweisen  und  dass  die  Verfasser  der  grossen  passionsspiele  ihre  vorläge 
in  sehr  vielen  fällen  wörtlich  abgeschrieben  haben.  Derartiger  hochwichtiger  ergeb- 
nisse  hatten  die  bisherigen  forschungen  über  die  entwicklungsgeschichte  der  drama- 
tischen poesie  des  mittelalters  sich  noch  nicht  zu  erfreuen,  und  wir  können  dem 
Verfasser  nicht  dankbar  genug  sein,  dass  er  sich  der  grossen  mühe  unterzogen  hat, 
ein  werk  zu  schaffen,  dessen  Zustandekommen  nur  durch  die  anwendung  des  ern- 
stesten und  gewissenhaftesten  fleissos  möglich  war. 

Als  „anhang''  (s.  235 — 343)  bringt  der  Verfasser  die  belege  zu  den  geistiiohen 
spielen,  durch  welche  das  Verhältnis  der  einzelnen  spiele  zu  einander  klar  gelegt 
wird.  Der  Verfasser  begint  hier  mit  der  markierten  Scheidung  zwischen  oster-  und 
passionsspielen  (A.  osterspielo),  ohne  dieselbe  bei  den  mit  dem  Benediktbeurer  spiel 
(s.  278)  beginnenden  passionsspielen  durch  den  vermerk:  B.  passionsspiele  kentlich 
zu  machen.  Auch  dieser  abschnitt,  der  das  scenarium  jedes  der  18  spiele  nebst  den 
nachweisen  der  Übereinstimmungen  mit  dem  scenarium  anderer  spiele  enthält,  lässt 
uns  auf  jeder  seite  den  hohen  wert  des  Wirthschen  buches  erkennen. 

In  dem  am  Schlüsse  befindlichen  littcratuiiiachweis  vermissen  wir  Fronings 
wertvolle  kleine  schrift  Zur  geschichte  und  beurteilung  der  geistlichen  spiele  (Frank- 
furt a.  M.  1884),  Milchsacks  recension  der  Kummerschen  ausgäbe  der  Erlauer  spiele 
(Litteraturblatt  f.  gei*m.  u.  rom.  philologie  4,  171  — 174),  Scherers  besprechung  der 
Milchsackschen  Oster-  und  passionsspiele  (Deutsche  litteraturzeitung  1881,  50),  fer- 
ner die  erwähnuug  dos  Lambacher  passionsspieles  (Progr.  Kremsmünster  1883).  Die 
berichtigungen,  die  der  Verfasser  auf  s.  350  und  351  verzeichnet,  lassen  sich  noch 
um  das  doppelte  vermehren;  es  sind  meist  druckfehler,  die  sich  jeder  leser  selbst 
verbessern  kann.  Doch  möchte  ich  folgende  wichtigere  hier  anführen.  £s  ist  zu 
lesen:  s.  123  z.  8  v.  u.  von  vom,  s.  139  z.  10  Mono  U,  s.  146  z.  17  brauchbarer, 
s.  147  ostensiones  und  Intendant,  s.  161  Herodias,  s.  191  und  193  Einbecker  sünden- 
Call  (unter  wegfall  des  kommas),  s.  204  und  205  Wackemagel  st.  Grimm,  s.  212  z.  11 
jenes  gedichtes  konte  ich  nicht  habhaft  werden,  s.  235  Hoffmann  st  Mone,  s.  238 
Pasche,  s.  305  mane  nobiscum,  s.  345  Pfeiffer,  s.  346  unter  Krolewiz:  lösch  st  Sich, 
s.  350:  zu  s.  53  z.  3  oben  st.  unten. 

WILHELMSHAVEN.  HUGO   HOLSTEIN. 


Friedlieh  Nieolais  kleyner  feyner  almanach  1777  und  17  78.  Erster  und 
zweiter  Jahrgang.  Herausgegeben  von  €^rg  Ellingrer.  Berlin,  gebrü- 
der  Paetel.  1888.  XXXVI,  64  und  XU,  86  s.  8.  6  m.  —  Auch  u.  d.  t:  Ber- 
liner neudrucke.  Herausgegeben  von  prof.  dr.  Ludwig  Geiger,  prof.  dr. 
B.  A.  Wagner  und  dr.  Georg  Ellinger,  1.  und  2.  band. 

Das   neue   unternehmen,    das   hier   glücklich    und    passend    durch  Ellingers 
emeuerang  der  Nicolaischen  volksliodersamlung  eröfnet  wird,   soll  vergriffene  ältere 


382  BOLTR 

werke   aus   dem   litteraturlelKJo  der  mark  Braüdenburg,   wie  N.  Peuckere  gediehte, 
Schmidt  von  Wemouchen  u.  a.  algemein  zugänglich  machen. 

Die  beiden  zierlichen  bcöndchcn  des  ^kleynen  feynen  almanachs  vol  schönerr 
echterr  liblicherr  volckslieder",  welche  von  den  zahlreichen  seither  aufgetretenen 
samleni  auf  diesem  gebiete  floissig  ausgeuuzt  worden,  sind  bereits  so  selten,  dass 
man  nur  mit  grosser  mühe  eines  cxemplars  habhaft  worden  kann,  und  so  wird  der 
vorliegende  abdruck  vielen  freunden  der  volkspoesio  eine  wilkommene  gäbe  sein, 
zumal  da  der  herausgeber  den  text  sorgfältig  revidiert  und  mit  einer  gut  orieutiereo- 
den  einleitung  voi"sehcn  hat. 

Seitdem  Herder  in  den  Fragmenten  über  die  neuere  deutsche  litteratur  und  in 
den  Blättern  von  deutscher  ail  und  kunst  die  junge  dichtergeneration  auf  die  wider- 
belebung  des  deutschen  Volksliedes  hingewiesen  und  den  wünsch  ausgesprochen  hatte, 
es  möge  ein  deutscher  Percy  aufstehen,   welcher  die  verstreuten  reste  desselben  im 
Elsass,  in  der  Schweiz,  in  Franken,  Tirol  und  Schwaben  samle,  waren  manche  die- 
ser mahnung  gefolgt.    Besonders  aber  widerholte  Bürger  im  Deutschen  museum  177G 
mit  driuglichkeit  Herders  klag*>n  über  die  gelehrte  Vorbildung  seiner  zeit  und  ver- 
langte,   dass  die  dichter  sich  in  ihren   balladen  das  Volkslied  ziun  muster  nehmen, 
und  ihre  Wirkung  nicht  auf  wenige  gebildete,  sondern  auf  das  ganze  volk  berechnen^z^v  u 
selten.    Diese  forderungen  und  der  et^'as  übei-schwängliche  ton  in  Bürgers  aufsatzc^^  ^c 
gaben  dem  Berliner  kunstrichter  Nicolai  den  plan  ein,  in  der  maske  eines  deutscheoc:^^  -^q 
Percy  aufzutreten  und  die  widorbelebuiig  der  volkspoesie  mit  denselben  parodistischeirzH^  ^sin 
mittein  lächerlicih  zu  machen,    die  er  kurz  zuvor  (1775)  in  den  Freuden  des  jongec:^  «^n 
AVerthers   gegen  Goethe  verwant   hatte.     Auf  Herder   brauchte   er   keine   rücksich*'  -«zÄTit 
mehr  zu  nehmen,    da  seine  Verbindung  mit  ihm  gelöst  war.     Längst  wol   hatte  e:  <e^   er 
mit   dem    nüchternen    beobachtucgstalente    und    dem    sammelfleisse,    welcher   sein^-M-v  na 
Beschreibung  einer  reise  durch  Deutschland  oder  seine  Beschreibung  von  Berlin  un<»-ÄZ«in*! 
Potsdam  kenzeichnet,    auf  fliegende   blätter  und   alte    liederbüchlein   geachtet,    abe'-:::^^-^^' 
darin  nur  curiosa  erblickt,    denen  kein  moralischer  nutzen  und  keine  fÖrderung  de^^  ^^^ 
dichtkunst  innewohne.     „Wenn  man  solche  Volkslieder  im  original  ansieht^,   schrief -^e:^  i^'l 
er  an  Gebier,  „so  erkent  man  deutlich  die  torheit  derjenigen,  welche  der  weit  w&bs^-ss^^sss- 
machen  wollen,  als  ob  aus  den  schrecklichsten  hecholträgerliedem  der  wahre  zaube •^i^"*^'" 
der  dichtkunst  oder  gar  der  geist  der  nationen   ausfindig  gemacht  werden  könne.'  —  '^^•'' 
Von  seinen  l^ekanten,    wie  Lessing  und  Justus  Moser,   erbat  er  sich  beitrage   um 
äusserte   sioh   dem   crstereu   gegenüber   auch   offenherzig   genug  über   die  von 
befolgte  methode:    mit  heimlichem  vergnügen  habe  er  einige  schöne   stuoke   Euer8^e=ä*t 
ans  licht  gebracht,  al)er  wisseotlich  einige  recht  plumpe  darunter  gesezt,  damit 
anschauend  sehe,    dass  wahrhaftig  nicht  alle  Volkslieder  des  abschreibens  wert  sim 
Eän  zweites  mittel  der  parodie  ist  die  absichüich  verzerte  und  überladene  schreib-  — 
weise,  mit  welcher  er  die  lilstigen  konsonantenhäufungen  des  16.  Jahrhunderts  über — 
bietet.     Auch  gieng  er  mit  seinen  vorlagen  oft  recht  eigenmächtig  um.     Deutliche:^ 
noch  zieht  er  in  der  vorrede,   welche  er  einem  handwerksgenossen  des  verachtetec^ 
meistersängers  Hans  Sachs,    dem  schuster  Daniel  Seuberlich  tzu  Ritzmück  an  deT 
£lbe,   in  den  mund  legt,    gegen  die  originalgenies  zu  felde;   aber  seine  parodie  des 
Bürgerscheu    aufsat7.cs   geht   plötzlich    in    einen   ungeschickten  direkten  angriff  vom 
moralisierenden  standpimkte  aus  über.    Der  erfolg  des  Unternehmens  war  kaum  der 
von  Nicolai  crhofte.    Seine  freunde  begnügten  sich  mit  einigen  ausweichenden  kom- 
plimenten  oder  sprachen  ihre  misbüligung  über  die  satire,    in  welcher  trefikshet  and 
geringes  in  gleicher  weise  verurteilt  wurde,  aus:    so  Merck,  Boie, 


ÜBER  NICOLAI,   ALMAKACH  KD.   ELLINGER  383 

beschränkte  sich  darauf,  in  einigen  Strophen  des  gediohts  Europa  1777  mehrere  äusse- 
rungen  der  vorrede  zurückzuweisen  (vgl.  Strodtmann,  Briefe  von  und  an  Bürger  1, 
381  fg.).  Zwei  anonym  gebliebene  autoren  veranstalteten,  wie  Ellinger  zuerst  nach- 
weist, einen  ironisch  gemeinten  nachdruck  des  Almanachs  und  eine  nachahmung: 
„Ausbund  schöner  weltlicher  lieder  für  bauers-  und  handwerksleute '^f  Reutlingen, 
3.  j.  Heixler  endlich  nante  den  Almanach  Nicolais  eine  schüssel  voll  schlämm,  auf- 
i^ctragen,  damit  die  nation  ja  nicht  zu  etwas  besserem  lust  bekomme,  und  unter- 
aahm  es  1778,  in  seinen  „ VolksÜedern  *  das  gold  aus  dem  schätze  der  deutschen 
volkspoesie  zu  heben  und  dem  publikum  aufzuzeigen. 

Schon  Lossing  vermisste  ein  Verzeichnis  der  von  Nicolai  benuzten  drucke  und 
handschriften ;  EUinger  hat  in  einem  anhange  (2,  61—80)  einen  solchen  quellennach- 
weis  für  die  meisten  der  64  lieder  geliefert  Danach  sind  20  nummem  aus  den  drei 
teilen  der  Bergkreyon  (Goedeke,  Grundriss*  2,  28.  40  fg.)  entlohnt,  andre  entnahm 
der  samler  fliegenden  blättern  des  18.  Jahrhunderts  und  den  ihm  von  Moser  und 
Steinbart  zugesanton  aufzeichnungen  aus  dem  volksmunde;  zwei  stücke  des  zweiten 
bandes  sind  dichtungen  Simon  Dachs,  welche  in  Heinrich  Alberts  Arien  stehen.  Zu 
dem  2,  82  mitgeteilten  „Vierlander  baurUedlein  ** :  „0  moder,  o  moder,  min  kucken 
is  dod'^  sind  die  nachweise  bei  H.  Frischbior,  Preussische  volksreime  und  volksspiele 
(1867)  s.  18  fg.  zu  vergleichen.  In  dem  1669  angelegten  hederbuche  des  Leipziger 
Studenten  C'hristian  Clodius  (Berliner  mscr.  gemi.  oct  231  s.  4)  steht  eine  andere 
fassung  nebst  melodie: 

Hey  mutter,  der  finck  ist  todt 

Hätt  ihr  den  fincken  zu  trincken  gegeben. 

So  were  der  fincke  geblieben  am  leben. 

Der  Sorgfalt  des  herausgebers  entspricht  die  hübsche  ausstattung,  welche  die 
Verlagshandlung  dem  werkchen  hat  angedeihon  lassen.  Der  hohe  preis  wird  freilich 
der  Verbreitung  im  wego  stehen.  Dass  die  seiteuzalilen  des  originaldrucks  nicht 
angegeben  sind  und  das  von  Chodowiecki  gestochene  titelbildchen  nicht  widerholt  ist, 
wird  man  leicht  vorschmerzen;  bedauerlich  aber  ist  das  fehlen  der  teilweise  von 
Beichardt  komponierten  melodien,  um  so  mehr,  als  weder  auf  Erks  (Die  deutschen 
Volkslieder  2,  heft3  s.  14)  bemorkungen  über  dieselben  noch  auf  spätere  abdrücke  in 
Kietzschmers  und  Zuccalmaglios  samlung,  in  Erks  Deutschem  liederschatz  u.  a.  hin- 
gewiesen wird. 

BEKLIN.  JOHANNES   BOLTK. 


Eine  lausavlsa  des  Hrömundr  haltl^ 

die  in  der  Landnäma  (Isl.  sögur  I',  162)  und  in  der  Flateyjarbok  (I,  413)  verderbt 
überliefert  ist,  lässt  sich  folgendermassen  herstellen: 

Ne  j^vi  di^gri  daupi  RceAd  *k  litt,  [)6t  letAd 

&raug  flatvallar  hauga  h'^TQndr  He{>ins  fi^jar 

—  buumsk  vi{)  Ilm&r  }almil  —  (&{)r  vas  \ita^T  "ftum 

äßr  no  gser  vas  raj^inn.  a^r)  vi[>  rau{>a  skit^ldn. 

1  Varat  mer  i  dag  daudi  codd.  edd,  2  draugr  codd,  edd.  (eine  hs.  der  Landnäma 
drougar).  3  41mar  jalmi  eifie  hs.  der  Ldn.  4  vas]  of  codd.  edd.  6  litvordr  einige 
h98.  der  Ldn.  uitiar  Mb.  7  oss  var  adr  (adr  var  oss  Mb.)  of  markadr  codd.  edd.; 
Ümn.  yar  &0ü[  of  vitadr  Jon  Porkelsson. 


384  NAOHRICRTEN 

Zur  ersten  zeile,  die  iu  den  lies.  hendingcUaus  ist,  vgl.  SkimiamQl  13':  einu 
dagri  vqrumk  aldr  of  skapapr.  Z.  7  hat  in  den  hss.  ebenfals  keinen  silbenreim. 
Die  von  Jon  l^orkelsson  vorgeschlagene  coi^'ectur  enthält  zwei  metrische  fehler,  die 
durch  die  von  mir  vorgenommene  imistellung  entfernt  sind.  Ob  die  oonjectnr  du 
richtige  trifk,  ist  natürlich  ganz  unsicher:  die  Verderbnis  liesse  sich  allenfals  auf  dem 
wege  der  mündlichen  tradition,  schwerlich  auf  dem  der  schriftlichen  erklären.    H.  G. 


Zu  zeitschr.  XTOT,  93. 

Zu  dem  aufsatze:  Eine  quelle  des  Simplicissimus  (oben  s.  03  fgg.)  macht  mich 
herr  dr.  F.  Bobertag  dai'auf  aufmerksam,  dass  er  bereits  in  seiner  Geschichte  des 
romans  (IIa,  27.  64  fgg.  93)  über  die  benutzung  des  Gusman  von  Alferache  durch 
Grimmolshausen  gehandelt  hat.  H.  G. 


NACHRICHTEN. 


Der  verein  für  Hamburgische  geschichte  bestirnt  einen  preis  von  1000  mark 
für  den  besten  bis  zum  1.  mai  1892  im  mauuscript  eingereichten  beitrag  zur  kentais 
des  anteils  Hamburgs  an  der  entwickelung  der  deutschen  litteratur 
während  der  ersten  halte  des  18.  Jahrhunderts.  Nähere  auskunft  erteilt  der 
erste  Vorsteher  des  Vereins,  dr.  Th.  Seh  rader,  Hamburg,  Eilbeck,  Hinter  der  Land- 
wehr 6/7.  

Die  XL.  vorsamlung  deutscher  philologen  und  Schulmänner  wird 
vom  2.  bis  zum  5.  Oktober  1889  in  Görlitz  abgehalten  werden.  Die  vorbereitenden 
geschäfte  für  die  germanisch -romanische  sectiou  haben  professor  dr.  0.  Erdmann 
imd  professor  dr.  Gaspary  in  Breslau  übernommen. 


Professor  dr.  Fr.  Vogt  in  Kiel  wurde  als  nachfolger  K.  Weinholds  an  die 
Universität  Breslau  berufen. 

Au  der  Universität  Leipzig  habilitierte  sich  dr.  W.  Streitberg  für  germanische 
Philologie. 

Am  28.  april  d.  j.  verstarb  zu  Gotha  hofrat  prof.  dr.  Karl  Regel  (geb.  21.  mai 
1817).  Die  Zeitschrift  betrauert  in  dem  dahingeschiedenen,  der  das  druckfertige 
manuscript  einer  ausgäbe  des  Wilhelm  von  Österreich  von  Johann  von  Würzbuiig 
hinterlässt,  einen  ihrer  ältesten  mitaibeiter. 

Am  5.  juli  starb  zu  Berlin  der  litterarhistoriker  Wendelin  frei  herr  von 
Maltzahn  (geb.  10.  mai  1815). 


S.  128,  z.  1  V.  u.  lies  statt  68:  nahezu  62. 


Hallo  a.  S. ,  ßuchdruckerol  dos  Waisenhauses. 


ZWEI  VEESVEESETZUNGEN  IM  BEOWULF. 

901  —  915.  Zu  anfang  dieses  abschnittes  wird  ebenso  unvennutet 
^on  Sigmund  zu  Heremod  übergegangen,  wie  mit  seinem  Schlüsse 
ganz  unerwartet  wider  auf  Beowulf,  von  dem  vor  Sigmund  die  rede 
^war,  zurückgesprungen  wird.  Ferner  bleibt  das  syntaktische  Verhältnis 
zwischen  901  und  den  vorhergehenden  versen  durchaus  unklar.  Diese, 
die  sich  auf  Sigmund  beziehen,  lauten  nämlich: 

898  8e  wces  mreccena  tvtde  mch'ost 
ofer  werpeöde  mt^endra  hleö 
eUencU^dum:  he  p^es  äron  ääh. 
IDann  folgt  unser  abschnitt: 

901  Siääan  HeremMes  hild  sweärode, 
earfoä  ond  eilen  usw. 
Man  hat  diese  Schwierigkeiten  zu  heben  gesucht,  indem  man 
heremod  appellativ  nahm.  Dies  ist  zuerst  von  Kieger  in  seinem  lese- 
buche (s.  64  und  s.  281)  geschehen  und  im  anschluss  an  ihn  von  Holtz- 
mann  (Germania  Vin,  491  fg.)  weiter  begründet  worden.  Unabhängig 
von  beiden  hat  diesen  gedanken  neuerdings  Heinzel  in  Steinmeyers 
Anzeiger  X,  228  (vgl.  jezt  auch  ebenda  XV,  160  fg.)  erfasst^.  Und 
er  erscheint  im  ersten  moment  wirklich  verlockend.  Denn  nun  würde 
sich  auch  unser  abschnitt  auf  Sigmund  beziehen  und  sidäan  schlösse 
sich  aufs  schönste  an  das  vorhergehende,  da  es  den  bericht  über  ein 
späteres  unglückliches  abenteuer  Sigmunds  einleiten  würde,  nachdem 
vorher  von  einem  früheren  glücklichen  dieses  beiden  erzählt  war.  Ja 
es  scheint,  als  ob  auch  der  alte  Schreiber,  der  das  von  Cosijn  (Beitr. 
Vni,  568)  richtig  widerhergestelte  dran  ädh  in  txr  ofiMh  wandelte, 
auf  die  seite  dieser  aufifassung  träte.  Wenigstens  erholte  von  hier  aus 
der  zweck  dieser  änderung,  die  gewiss  nicht  unabsichtlich  geschah, 
wie  der  so  entstandene  gegensatz  cer  —  siädan  zu  beweisen  scheint. 
Gleichwol  kommen  wir  auf  diesem  wege  nicht  weit  Denn  schon  mit 
den  folgenden  weiter  unten  (s.  387)  citierten  versen  geraten  wir  in  die 
brüche.    Sie  lassen  sich  auf  keinen  andern  als  auf  Heremod  beziehen. 

1)  Auch  Kömer,   Kölbings  Engl,  studion  I,  494  erwägt  (»inen  ähnlichen  ge- 
dtnkon. 

P.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.  XXU.  25 


386  JOSEPH 

Heinzel  freilich  weiss  sie  für  seine  annähme  zu  retten,  indem  er  sie 
als  algemeine  betrachtung  ansieht.  Aber  widerspricht  dem  nicht  allein 
edel  Seyklin-^a  913?  Dass  herefnöd  sonst  nirgends  als  adjektiv  vor- 
komt,  sondern  immer  nur  als  name  auftritt,  davon  darf  man  füglich 
absehen.  Aber  sehr  entschieden  muss  darauf  hingewiesen  werden, 
dass  das  wort  auch  im  Beowulf  als  name  erscheint  imd  zwar  an  einer 
stelle,  die  unverkenbare  anklänge  au  unsere  hat  Hieimit  bleibt  deim 
auch  an  dieser  der  name  zweifellos  gesichert,  und  jeder  erklärungsver- 
such,  der  die  appellative  bedeutimg  des  wertes  zu  gründe  legt,  ist  ein. 
für  allemal  zurückzuweisen. 

Es  erhebt  sich  also  nunmehr  die  frage,  wie  die  Unebenheiten 
die  in  syntaktischer  beziehung  wie  im  gedankengang  durch  das  auf-T 
treten  Heremods  entstehen,  zu  erklären  sind.  Bevor  wir  aber  hierübe -^^^r 
zu  einer  entscheidung  kommen  können,  müssen  wir  unsem  abschnit"  ^^MX, 
gesondert  von  seiner  Umgebung,  in  seinem  Zusammenhang  in  sieltf^  -h^ 
betrachten.  Dieser  versuch  ist  schon  oft  unternommen  wonlen,  uir.^n. 
gehender  von:  Holtzmann,  Germania  VIH,  491  fg.;  MüUenhofF,  Zei  ^^It- 
schrift  für  deutsch,  altert.  XIV,  202,  Beovulf,  s.  50  fg.  (119  fg.);  Köl^  ^li- 
ier, Zeitschr.  f.  d.  phil.  II,  315  fgg.;  Homburg,  Die  composition  d»  Mn'> 
Beowulf,  s.  22  fg.;  Dederich,  Historische  und  geographische  studio  ^en 
zum  ags.  Beowulf liede,  s.  207  fgg.;  Körner,  Kölbings  Englische  studi*'  ^eii 
I,  492  fgg.;  Möller,  Das  altenglische  volksepos  in  der  ursprünglich  -^len 
strophischen  form,  100  fgg.;  Heinzel,  Anzeiger  f.  d.  alt.  u.  litt.  X,  2*^:^^  2S. 
XV,  160  fg.;  Bugge,  Beiträge  XU,  39  fgg.  Ich  vermag  keinem  ci^der 
bisherigen  foi-scher  in  jedem  punkte  betzutreten.     Die  verse  902**  fgp^ -g.: 

M  mid  Eotenum  wearä 
on  feömla  ^eiveabl  forit  forMcen, 
RtiMe  forsended 

fiusse   ich  übereinstimmend   mit  Bugge,   indem    ich   ebenfals   von   r^iid 
Eotenum  zunächst  absehe:  „Heremod  wurde  durch  verrat  in  die  ge\^^aft 
der  teufel  gegeben,   schnell  zur  hölle  entsendet."     Ähnlich  hatte  sctioü 
Heinzel,  Anzeiger  X,  228  diese  worte  erkläit     Daim  folgt  (mit  Buif- 
ges  interpunktioii): 

904  hine  sorhimjlmas 

lentcde  fö  lan^e,     hv  Ins  leödum  weard, 
eaUfiDf  cppelhi^um     tö  (ddorceare. 

Bugge  behauptet,  dass  der  erste  dieser  beiden  sätze  sich  auf  das  tun 
und  treiben  Heremods  in  diesem  leben  bezogen  und  einen  synonymen 
gedanken  zum  zweiten  satz  enthalten  haben  müsse.     Zu  diesem  zweck 


VKRSVERSETZÜNQEN  IM  BEOWULP  387 

schlägt  er  vor  hine  sorhwybiias   in  sorhivylma  hritie  zu  ändern   und 

übersezt  dann:  „durch  den  griff  der  verzehrenden  sorge  lähmte  Heremod 

(das  voik)  zu  lange  (als  dass  es  länger  geduldet  werden  konte).''     Die 

ausdrucksweise  für   diesen  gedanken   wird   niemand   glücklich  finden; 

auch  vom  syntaktischen  Standpunkte  erschiene  sie  auffallig.     Ich  sehe 

nicht  ein,   warum  man  den  satz,   den  Bugge  mit  so  kühner  conjektur 

bedenkt,  nicht  auf  das  leben  im  jenseits  beziehen  soll.   Nachdem  erzählt 

ist,   dass  Heremod  in  die  höUe  verdamt  ist,  wird  nun  von  den  quälen 

gesprochen,   die  er  dort  erleidet.     Dasselbe  geschieht  ja   auch  in   der 

andern  Heremodstelle  und  hine  sorkivylmas  lemede  (oder  mit  MüUen- 

hoff  lemedon)   tu  lan^e  in  diesem  simie  ^iirde  hier  dem  entsprechen, 

"was  dort  mit  dredmleäs  ^ebdd  . .  leödbealo  lon^sujn  (1720)  ausgedrückt 

ist     sorhurylm  zur  bezeichnung  von  höllenpein  findet  sich  auch  Güd- 

läc  1046. 

In  diesem  Zusammenhang  erhalten  denn  die  nun  folgenden  vorse 
S07  —  913,  die  schon  sehr  verschiedenen  Vermutungen  räum  gegeben 
iiaben,  ein  neues  licht: 

Swylec  oft  bemeam  (^jran  mcelum, 
siviäfe9'hpes  siä  miotor  ceorl  rfioni^y 
sepe  htm  bealwa  tö  böte  ^elyfde, 
910  p(P.t  pect  äeödnes  bearn  ^epeön  scolde, 
ffedercppelum  07ifm,  foh  ^eheuldav, 
hof'd  ond  hleöbiirh,  luelepa  rlce, 
edel  8cyldvn{/a. 
Bugge,  der  am  ausführlichsten  über  diese  stelle  handelt,  übersezt:  „so 
betrauerte  oft  in  früheren  zeiten  des  kühnen  gang  (sid)   manch  weiser 
manu,   der  bei  ihm  abhilfe  des  Übels  hofte,   (der  es  hofte,)   dass  des 
königs  söhn  gedeihen  solte,   empfangen  des  vaters  adel  und  das  volk 
verteidigen,  den  hört  und  die  schirmburg,  der  beiden  reich,  den  orb- 
sitz  der  Schildinge.''     Bugge  will   aus   diesen  verscn    einen   gegensatz 
zum  vorhergehenden  teile  herauslesen,   insofern  als  mit  cetran  ^nceluyn 
von  früheren  zeiten  aus  dem  leben  Heremods  gesprochen  werde,   wäh- 
rend  vorher   von   späteren    die   rede   gewesen   sei.     Die   verse   sollen 
besagen,   dass  Heremod  nicht  blos  in  späterer  zeit,   sondern  bereits  in 
seiner  Jugend  seinem  volk  anlass  zur  klage  wurde.    Und  zwar  dadurch, 
dass   er   eine   kriegsfahii;  in  die  fremde  untemalim,   anstatt  zu  hause 
seine  hei-scherpflicht  zu  üben  und  seinem  bedrängten  volk  erhofte  i-et- 
tung  zu  gewähren.     Hiergegen  nun  ist  einzuwenden,  dass  dieser  gegen- 
satz doch  äusserst  matt  und  nicht  geeignet  ist,   das  an  dieser  stelle  so 
unerwartete  zurückgreifen  auf  ein  Jugendabenteuer  Heremods  zu  i*echt- 

25* 


fertigen.     Ferner  aber  würde  auf  das  ubcnteuer  mit  fjaiiz  unveretäml- 
licher  kürze  bezug  geTiommeii  seiu.    Eine  solche  aber  wäi-e  hier  um 
80  weniger  angebrat-tit ,  als  man  aus  der  andern  Heremt'dstelto 
nien  zu  müssen  glaubt,   daBs  Hercmod   in   seinen  jungen  jtüiren  el 
ilio  hofnungeu  seines  volkes  geweckt  als  getauscht  habe;  vgl,  b«;soo(Ici^^ 
1716  fg^.,  wo  gesagt  wird,  dass  er  schliesslich  traurig  enden  tnuBte: 

äeähpe  hine  im'hli^  jod  ture^cm}^  unjunmn, 

eafepmn  staple,  ofer  eaÜe  vten 

forä  ^efremedc. 
Ich  halte  für  Bugges  gruiidfehlor  seine  autfassung  von  sid.    Und  dti 
wort  scheint  mir  auch  von  allen  übrigen  forschem  iiiieverstainien  i>di 
ungenügend  erklärt  zu  sein;  Simrock,  Grein,  Köhler  geben  es  mit  ^loi: 
geschiok"  wider,  was  nur  als  iiotbehelf  erscheinen  kann,    siä  heisst  hi  -^t 
„gang.'*     Aber  es  ist  an  dieser  stelle  nicht  mehr  plötzlitih  von  eiiu;»  m 
neuen  gang  aus  Heremode  leben   die  rede,    sondern   es  wird   offeuWair 
sein  im  ganzen  vorhergehenden  teil  behandelter  gang  ins  jenseits,  k^3I1 
hcimgang,  sein  tod  mit  jenem  werte  bezeichnet.    Aber  wie  kont»  A.«r 
tod  eines  so  veihassten   herschers    „manchem    weisen   mann"    geg^n> 
stand  des  jamraera  sein?    Das  beantworten  ÜO!)  fgg.    Mit  rt-cht  bvh>ts.p- 
tet  Körner,  Engl.  stud.  I,  493,  dass  die  verse  910  fgg.  sich  auf  jeman- 
den beziehen    müsten,   der  die  herschaft  noch  nicht  angetreten  haK>e; 
also  nicht  auf  Heremod  selber  gehen  könten,   von  dem  1719  fg.  raif 
den   werten   naüas  beä^as  ^eaf  Denum  eefter  dorne   die  auaübung  <Jei 
königtums  klai'  berichtet  wird.     Demnach  bleibt  nichts  Übrig,  als  unter 
äeödnes  beam  910  den  zur  nachfolge  bestirnten  söhn  Uercmudü,  d«i 
er  in  der  heimat  znrücklässt,  zu  verstehen.     Und  ans  unsem  Terw» 
dürt'en  wir  also   entnehmen,    dass   in   folge  von   Heremods   plützlicheiD 
tode  feinde  in   sein   land  fielen,   seinen  unmündigen  söhn   des  throin* 
beraubten  und  so  der  alten   dynaetie  ein   ende  machten.     Hierzu  nun 
stimt  treäich,   dass  Heremod   in   den   angelsächsischen   königsUsteD  all 
leztes   glied   genant   wird;    vgl.   MüllenhofF,    Beovidf,    s,  5   und  50  fe. 
Die  feinde  aber,  die  nach  Heremods  tod  in  sein  land  einfielen,  weiden 
dieselben  gewesen  sein,  die  er  eben  bekriegt  hatte  imd  bei  denen  CT 
um  seine  kampfestücbtigkeit  gekommen  war,  d.  h.  besiegt  wurde  iin^ 
fiel.     Hierfür  nun  passt  kein  anderes  votk  besser  als  ein  benachburt« 
und  daher  ist  mir  nicht  mehr  zweifelhaft,  dass  uuter  den  mtentw  Wä 
nicht  mit  Bugge  „rieseQ'',  sondern  vielmehr  das  volk  der  JUten  m 
verstehen  ist     Nach  alle<lcm  übersetzen  wir  die  veree  907  —  913  nun 
folgendonnasseti :  „Ebenso  beklagte  oft  in  vergangenen  Zeilen  den  hin- 
gaug  deti  kntftrautigen  mancli  weiser  manu,  der  sich  durcb  ihn 


vumvBasKTzuiwMt  M  bbowoij'  389 

iglttiiht  hatte  vor  den  Übeln    (die  nach  seinem  tode  eintraten),   erwar- 
tet hatte,  dassj  dieses  königs  söhn  gedeihen  sulte,  empfangen  die  väter- 
liche würde,  herschon  über  das  volk,   den  hört  und  die  sohirmburg, 
der  helden  reich,  den  erbsitz  der  Schildinge/ 
^L  Es  blieb  bisher  der  satz  unberücksichtigt,   an  den  »ich  die  eben 

^Rbersezten  verse  anttchliessen: 

H  905  iie  his  leädum  wearä 

^1  eallum  eepeUn^um  tö  aUlorceare. 

^pV^jr  sind  erst  jezt  in  der  läge,  diesen  werten  ihre  richtige  beziehung 
■  HO  geben.  Ich  mache  vor  Ae  905  eine  starke  interpunktion  und  über- 
setze dann:  ^Er  vrard  seinem  volke,  alten  edeüngen  zum  homenskum- 
mer,  nämlich  durch  sein  leben:  Ebenso  beklagte  andrerseits  seinen 
tod  manch  weiser  mann"  usw.  Die  verse  913" — 915  endlich  bedür- 
fen in  bezug  auf  ihren  Zusammenhang  keiner  weiteren  besprochung, 

Ist  somit  der  abschnitt  in  sich  zur  befriedigung  erörtert,  so  dür- 
fen wir  nunmehr  sein  Verhältnis  zu  den  unigobcn<lcn  versen  betrach- 
ten. Hier  nun  ist  durch  den  glückliehen  gedanken  ton  Brinks',  das» 
yOl  direkt  mit  861  zu  verbinden  sei,  ein  neuer  Ausgangspunkt  gege- 
ben. Mir  ist  nicht  im  mindesten  zweifelhaft,  dass  ten  Brink  mit  die- 
ser Verbindung  den  ursprünglichen  Zusammenhang  richtig  wlderher- 
gestelt  hat  Denn  nun  finden  sich,  wie  es  der  scliluss  unsros  abschnitte 
verlangt,  Beowulf  ujid  Heremod  unmittelbar  nebeneinandei^estolt.  Und 
beide  zugleich  im  vortreflichsten  gcgensatz:  Beo^vulf,  der  herbeieilt, 
^mu  den  Dänen  in  ihrer  bedräugnis  beizustehen;  Heremod,  der  wegzieht 
.  sie  so  iu  bedrängnis  zurücklässt.  Endlich  schlicsseo  sich  auch 
utaktisch  unsre  verse  in  ihrer  neuen  Stellung  aufs  beste  an:  „Beowulf 
r  der  beste  kriegsmann  auf  erden,  seit  Heremod  seinen  kampfesruhm 
ingebüsst  hatte."  Jezt  aber  erhebt  sich  die  fi'age,  auf  welche  weise 
;  unser  abschnitt  von  seinem  alten  platz  getrent?  Wie  haben  wii'  es 
1  erklären,  dass  zwischen  die  verse  861  und  901  der  passus  862  — 
'  getreten  ist?  Ten  Brink  benuzt  hier  seine  Variantentheorie.  Er 
mt  an,  dass  in  diesem  zweiton  MüilenhoH'schen  liede,  in  dem  wir 
befinden,  von  einem  ordner  zwei  Versionen  contaminiert  seien, 
s  volatandige  C,  die  den  grundstock  abgegeben  habe,  und  eine 
ivolstandige  D,  die  daneben  benuzt  sei.  Dieser  leztern  Version  ent- 
mme  der  passus  862  —  900.  901  sei  von  Stil  getrent,  indem  der 
Iner  das  D-stück  dazwischen  geschoben  habe.  Ten  Brink  weist  in 
Vorbemerkungen  (s.  4  fg.)  auf  diese  stelle  besondei-s  hin,   weil 


1}  Beowulf,  ijuollou  und  forsehuiigeii  62  (Sti'assbiu^  1 


300  JOSEPH 

hier  die  Verhältnisse  so  augenfällig  lägen,  dass  sich  die  richtigkeit  sei- 
nes Verfahrens  für  jedennann  ergeben  müsse.  Ich  will  an  diesem 
platze  nicht  algemeine  Stellung  zu  ten  Brinks  Variantentheorie  nehmen. 
Aber  ich  glaube,  dass  er  keine  günstige  stelle  ausgewählt  hat,  um 
zweifelnde  zu  bekehren.  Denn  was  müssen  wir  nun  annehmen?  Der 
Ordner  rcisst  ein  Satzgefüge  mittenauseinander,  trent  ohne  weiteres 
einen  nebensatz  von  seinem  hauptsatz,  um  einen  zusammenhängenden 
complex  von  39  versen  daz wischenzuschieben:  unbekümmert,  in  wel- 
ches syntaktische  Verhältnis  nun  der  losgelöste  nebensatz  gerät;  unbe- 
kümmert, wie  es  nun  um  die  beziehung  der  pronomina  im  abgetrenton 
teil  steht;  unbekümmert  endlich  um  alle  gedankensprünge,  die  entste- 
hen! Ist  das  wirklich  so  selbstverständlich?  Ist  es  vor  allem  selbst- 
verständlich von  einem  mann,  der  doch  gelegentlich  durch  kleine 
änderungeu  seine  arbeit  zu  verdecken  bemüht  ist,  der  im  ganzen  w«>l- 
bedacht  und  recht  geschickt  vorfährt,  nicht  selten  so  raffiniert,  dass  es 
in  der  reihe  gelehrter,  scharfsinniger,  gewissenhafter  forscher  erst  ten 
Brinks  bedurfte,  um  die  fremde  band  hcrauszuerkennen?  Demgegen- 
über möchte  ich  mm  ein  mittel  voi-schlagen,  dem  man  wenigstens  die 
einfachhcit  nicht  absprechen  wird.  Ich  nehme  nur  eine  kleine  Umstel- 
lung vor,  indem  ich  die  vorse  900  —  915  heraushebe  und  nach  8(U 
einsetze,  also  folgenden  toxt  aufstelle: 

D(7^r  u'ces  Beöirnlfe.s 

nuprdo  vmncd:  mo/a^  oft  ^eauced, 

Jxette  siUt  ne  tiorä  he  scem  Ureömnn 

ofcr  cormen^rutid  öpcr  ndmi'^ 

ander  svc^les  he^on^  selra  ucere, 
861   rotuUuebbendra  rice.s  wyräray 
901  siddan  Ilercmödes  hild  stvatrode, 

carfod  oml  eilen.     He  mid  Eoicnum  irexird 

on  feönda  yiveald  ford  fmidce?i, 

s?inde  forsemied:  hine  sorhwylmas 
905  lemedon  tu  lan^e.     He  Jus  Icödiim  tveard 

eallum  cepelin^um  tö  oMorceare: 

sirylce  oft  bemearn  cerran  maium 

sivtdferhpes  sid  s^iotor  ceorl  ynoni^, 

sepe  hhn  healwa  tö  Mte  ^elyfde, 
910  pect  pect  deödnes  hearn  ^epeön  aeoldcj 

fa'dcrcepelum  onfön,  folc  "^eheiüdan, 

hord  ond  hieöharh,  hrelepa  rice, 

edel  Scyldin^a,     He  pcer  ccdluvi  weard, 


TEBSVERSETZÜNGSN  IM  BEOWULF  391 

7tue'^  Hi^eldces  maniia  cynne, 
915  fre&ndum  ^efce^ra:  hine  fyreii  onwdd, 
862  Ne  hie  hüru  witiedrihteti  iviht  }ie  lo^oji, 

^Uedne  Hrdä^dr,  ac  pcet  wces  jöd  cyninj. 

Hivtlmn  heaporöfe  hledpan  Utoiiy 
865  cni  ^eflit  faran  fealwe  ^inearas 

äct*r  Mm  foldwe^as  fernere  pähton^ 

cystum  ciläe;  hwilum  (nfnin^es  Pe^n, 

-guma  ^ilphkeden,  -gidda  ^emy^idi^y 

sede  ealfela  eald^ese^ena 
870  'wam  ^enmnde,  ward  Oper  fand 

söde  ^ebufulen:  secg  eft  on^an 

sid  Beöivulfes  snyttnim  styrian 

ond  an  sped  ivrecan  spei  gerade, 

irordiim  tvrixlan,  tvelhivyh  '^ecwced, 
875  pa4  hil  frani  Si^etnunde  sec^an  hi)rde 

ellendceduvi,  unciipes  fela, 

Wcclsin^es  ^emn,  Wide  &fäas, 

pdrapc  ^umena  beani  ^earwe  iietviaton, 

frehäe  ond  fyrena^  biltan  Fitela  viid  hine, 
880  ponne  hJß  sivuhes  hivcet  scc^an  wolde 

edm  kis  nefan,  swa  hie  d  irceron 

fct  nida  ^ehtvdm  nifdgesteallafi. 

Hcefdon  ealfela  eote?ia  cynnes 

su'cordum  "^esa-^ed.     Si'^evnunde  ^csprong 
885  fofler  dedd-d/e'^e  dom  nnlyiel, 

aypdan  wiy^  fieard  wyrm  dcwcaldr, 

hordes  hyrde:  he  under  hdryic  stdn^ 

(epelimjes  hearn  dna  ^encdde 

frerne  dicde:  ne  ira^  him  Fitela  mid; 
890  htrrepre  him  ^escelde,  dcet  pcet  stvurd  ptuinrM 

irrretliene  wyrm,  pcet  hit  mi  wealie  ccLstöd, 

dryktUc  iren:  draca  mordre  siceaU, 

Ilcefde  dglceca  eine  ^egongen, 

pcet  he  hedlüiorde^  brücan  inöste 
895  selfes  dorne ;  .sa'bdt  ^ehivd, 

beer  on  beann  scipes  beorhte  fra'twa 

Wfches  eafera:  uynn  hdte  meaU, 

Se  ircvs  wreccenn  mlde  mcerost 

ofer  wefpeöde,  tvigendra  hleö 


392  JOSEPH 

900  eUendcedum:  he  J>eB8  dron  däh, 

916  Hzvilum  fiitende  fealwe  strcete 
niearmn  mcbUm, 
In  der  obigen  Ordnung  treten  also  an  drei  stellen  neue  Verbin- 
dungen ein:  zwischen  861  und  901,  zwischen  915  und  862  und  zwi- 
schen 900  und  916.  Dass  901  an  861  den  besten  und  einzigen 
anschluss  findet,  ist  schon  besprochen.  862  fg.  aber  gewinnen  in  ihrer 
jetzigen  Stellung  eine  ganz  eigene  bedeutung.  Denn  nachdem  Beowulf 
eben  auf  kosten  eines  vergangenen  Dänenkönigs  gelobt  ist,  erscheint 
das  kompliment  für  den  gegenwärtigen  herscher  als  nicht  übel  berech- 
net 916  endlich  folgt  auf  900  ebenso  gut  wie  auf  915.  Sehen  wir 
uns  nun  den  grossen  Zusammenhang  an!  Auch  hier  fügt  sieh  alles 
nach  schönstem  wünsch.  Auf  Beowulfe  treflichkeit  falt  von  zwei  ver- 
schiedenen punkten  aus  licht:  einmal,  indem  er  sich  im  gegensatz  zu 
einem  besonders  berüchtigten  beiden  —  Heremod  —  befindet;  und 
darauf,  indem  er  in  gleiche  Stellung  mit  einem  besonders  berühmten 
beiden  —  Sigmund  —  tritt! 

Die  richtigkeit  unsrer  Ordnung  erhält  nun  aber  noch  aus  einer 
stelle,  an  deren  erklärung  man  sich  bisher  vergeblich  versucht  hat, 
wilkommene  bestätigung.  Es  handelt  sich  um  die  verse,  mit  denen 
zum  zweiten  lobe  Beowulfs  übergeleitet  wird,  870  fgg. 

Word  Oper  faivd, 
söde  •gebunden:  sec^  eft  mi^an 
s^iä  Beöundfes  snyttnim  styrian. 
Was  sollen  wir  in  der  überlieferten  Ordnung  mit  dem  wort  aper  870 
anfangen,  das  hier  ebenso  unverständlich  erscheint,  wie  das  dann  fol- 
gende eß?  Heyne  bemerkt  im  glossar  unter  fifidan:  „er  fand  andre  worte, 
d.  h.  er  ging  zu  einer  andern  erzählung  über."     In  seinem  texte  war 
vorher  gesagt,  dass  Beowulf  gepriesen  wurde  und  hier  wird  wider  gesagt, 
dass  Beowulf  gepriesen  wurde.     Wie  kann  man  da  von  einer  „andern** 
erzählung  reden?     Man  hat  sich  denn  auch  fast  algemein  durch  ände- 
rung  des  textes  hier  zu  helfen  gesucht     So  Rieger,   Ztschr.  f.  d.  phiL 
in,  390.     Er  übersezt  ward  öper  fand  söde  gebunden  „ein  wort  fand 
das  andre,   richtig  gebunden'',    und  ändert,    diesen  satz  in  parenthese 
stellend,  das  folgende  sec^  in  sec^an.     Bugge,  Ztschr.  f.  d.  phil.IV,  203 
schliesst  sich  ihm  an.     Grein   ändert   ward  öper   in   wardhlcöper   und 
ihm  folgt   u.  a.  Holder   in   seiner    ausgäbe.     Bei    ten   Brink   falt  der 
anstoss  weg,    indem    er  870** — 874'   als   eine   Interpolation   innerhalb 
der  Version  D  ansieht.     In  unserm  Zusammenhang  nun  bedürfen  wir 
keiner  änderung  noch  irgend  einer  deutelei.     Die  verse  sind  auf  den 


ersten  blick  verständlich:  die  „andre"  rede,  mit  der  hier  der  Bän- 
ger das  lob  Beciwiilfs  wideraufnimt,  ist  die  zusammensteUiing  mit 
Sigmund,    welche    er    der    eben   vorangegaugenen    mit  Heremod    fol- 


Bei  so  alseitiger  ziisatnmenstimmun^  rauss  die  frage,  wie   die 
Umstellung  der  besprochenen  beiden  vorNgriippen  «ii   erklären    ist,  als 
eine   nebensächliche  erscheinen.     Dass  Verderbnisse   dieser  art  in   alten 
hnndschriftfiii  vorkuramen,  ist  eine  widerholentlich  belegte  tatsache.   Ich 
gestatt«  mir  auf  einen  fall  hini'.uweisen ,  den  ich  selbst  in  Konrads  von 
Würzburgs  Klage   der  kunst'  auHecken    konte.     Hier  liess   sich    auch 
mit  ziemlicher  Wahrscheinlichkeit  die  entstehung  der  Verderbnis  zeigen. 
Man   darf  wo!  auch  in  unsonu  tall  annehmen,  dass  ein  schreiber  die 
Kfitelle  an    ihrem  richtigen  plat:«  vei^ga^s,   an  einem   späteren  nachholte 
■Hod  dadni-eh  verursachte,  dass  ein  neuer  schreiber  sie  falsch  eiosezte. 
^P  Ich  glaube,    dass   erst  mit  der  obigen    herstollung   unsers  textes 

"die  richtige  grundlage  für  die  höhere  kritik,  d.  h.  für  die  betrachtung 
der  inuem  geschichte  dieses  teils  gegeben  ist,  Dass  aber  eine  solche 
betrachtung  hier  wie  im  Boowulf  überhaupt  am  platz  ist,  dass  wir  in 
diesem  gedieht  kein  einheitliches  werk  vor  uns  haben,  das  meine  ich 
nach  den  arbeiten  Müllenhoffs,  MöUers  und  ten  Briuks  imbedenklich 
annehmen  zu  dürfen.  Heinzel,  der  in  seiner  reccnsion  von  ten  Brinks 
buch^  einen  entgegengesezten  Standpunkt  vertritt,  hat  mich  in  keiner 
weise  überzeugt  Gewiss  wii-d  jeder  philologe  der  von  ihm  s.  181 
erhobenen  forderung  zustimmen ,  dass  man  jedes  dichterische  werk  nach 
seinem  eigenen  massstab  beurteilen  müsse.  Aber  ich  behaupte,  dass 
er  sich  leider  selber  gegen  diesen  grundsatz  versündigt  hat,  indem 
er  zur  erklärung  des  Beowulf  ein  material  heranzieht,  dits  durchaus 
QOgleichartig  in  sich  ist. 


1404 — 1407.     Diese   verse   stehen    ebenfals   in   Müllenhoffs  zwei- 
tem liede.     Grendels  mutter  hat  in  der  nacht  einen  genossen  des  königs 
Hrodgar,   Äschere,  hinwoggeschleppt     Beowulf  tröstet  den  klagenden 
könig  mit  dem  vei-sprechen ,   die  feindin  in  ihrem  verborgenen  Schlupf- 
winkel aufzusuchen.     Und  so  macht  man  sich  sofort  auf  den  wog: 
pä  totes  Hröd^dre  }iors  ^ebceted, 
1400  /iwj  ipumlenfeaz:  wisa  fengel 
^ealol/'c  je/jjde,  ^tmfepa  stöp 

1)  Quelldci  and  forsuhungiin  54,  s.  4  uod  s.  81!. 

2)  AoMigur  tili'  deutsch,  alt.  u.  doutscho  litt.  XV,  153  fgg. 


394  JOSEPH 

litifUuehbmidra,     Ldstas  wchvn 

rcfter  waldsivapimi  ivtde  •^espic, 

3a?ig  ofer  ^rundas,  -^c^nuni  för 
1405  ofcr  viyrcan  7nör,  ma^ope^7ia  beer 

pone  selestan  sdwolledsne, 

pdrape  mid  Hröä^dre  häm  eahtode. 

Ofereöde  pä  cepeUn^a  beam 

stedp  stdnhliäo,  sti^e  fiearwc, 
1410  en^e  dnpadaSy  micüd  ^elddy 

7ieowle  ruessas,  nicarhüsa  fcla. 

Die  gespert  gedruckten  verso  fallen  völlig  aus  dem  zusammei 
hang,  da  sie  einen  ini  gange  der  begebenheiten  bereits  erledigten  m  o- 
nient  noch  einmal  in  seinem  geschehen  hinstellen.  Bugge  (Beiträ^ssre 
12,  94)  sezt  daher,  indem  er  einen  gedanken  von  Sievers  (Beiträge  9, 
140)  aufnimt,  hinter  1403  ein  komma,  fasst  ^an^  1404  als  substant=:iv 
und  ergänzt  vor  dem  zweiten  halbvei-s  1404  hivcer  hcö.  Ihm  stir^-  nt 
ten  Brink  (s.  77)  zu.  1402  — 1408  würden  also  nun  besagen:  „l  nc 
spuren  waren  längs  den  waldstegen  weithin  zu  sehen,  der  gang  ül  K?r 
die  gefilde',  wo  sie  hinweg  gefahren  war  über  das  moor  und  den  best-  -  en 
der  ritter  seelenlos  getragen  hatte,  derer  die  mit  Hrodgar  die  hein—  lat 
berieten.^'  Abgesehen  von  dem  schleppenden  und  nachhinkenden  re  la- 
tivgefüge,  das  wir  so  erhalten,  so  ordnen  sich  die  verse  für  den  aw^  uf- 
merksamen  leser  Jiuch  jezt  noch  keineswegs  ein.     Denn  betrachten  \'^— vir 

die  unmittelbar  folgenden  vei-se  1408  — 1411,  so  erscheint  für  die  lai »d- 

schaft,   die  hier  geschildert  wird,   doch  gerade  die  imüborsichtlichk-H^cit 
charakteristisch.      Wir   sollen    sehen,    wie   mühsam   sich   Beowulf 
weg   dun^h  verborgene   jrfade,    in    fortwährendem   auf  und   ab   suci 
muss,  ehe  er  an  sein  ziel  gelangt     Wie  passt  nun  dazu  die  einganj 
bemerkung,  dass  die  spuren  des  Ungeheuers  weithin  bis  zimi  endpui 
-  denn  dieser  liegt  doch  beim  moor  —  zu  überblicken  waren?     V 
ähnlic^hen    erwägungen    ist   vermutlich    auch    ten    Brink   ausgegang^ 
wenn  er  s.  77  von  unsern  versen  sagt:    „die  stelle  .gehört  auf  keii 

fall   zum  kern   von  C."*     In  der  tat,   wir  würden  nicht  das  gering ste 

vermissen,   wenn  wir  sie  ganz  wegliessen.     Vielmehr  würde  dann         ^^ 
durchaus   folgerichtiger   weise    zuei^st   vom   wald,    darauf  vom   wil(^Ä^fl 
gebirge  und  mit  1412  fgg.  von  dem  getilde  gesprochen,  das  zum  m^?^*'*« 
dem  behausungsort  des  Ungeheuers,  führt. 

liiissen  wir  aber  nun  einmal  unsern  blick  auf  denjenigen  teil  des 
gedichts   hinübergleiten,   an   dem   die   eben    von    uns   ausgeschiedeo^i? 


VERSYERSETZUNGEN  Ol  BEOWÜLF  395 

verse  zeitlich  am  platze  wären  ^  auf  die  verse,  die  uns  Grendels  mutter 
in  der  ausführung  ihrer  untat  zeigen  *: 

1280  J>ä  äcer  sära  weard 

edhwyrft  eorlum,  sipäan  infie  feaih 

1282  5refidies  mödor.     Nces  se  ^ryre  hcssa: 

1294  Hrade  heo  cepelm^a  dmie  hrefde 

f(estc  hefan^e?iy  pd  lieö  tö  fenne  ^a?i^. 

Sc  ivces  Ilröp^äre  hcelepa  leöfost 

on  jestäes  häd  he  scbni  ticeönum, 

rice  raudivi^a,  ponede  lieö  mi  neste  dbredt, 

blredfce^ine  beai^n:  nce^  Iköwulf  d<er. 

Nachdem  mit  den  werten  pd  h^ö  tö  fenne  ^an^  1295  bereits  der 
abzng  des  Ungeheuers  beschrieben  ist,  erscheint  es  nicht  passend,  dass 
der  dichter  hinterher  ganz  nebenbei  in  einem  relativsatz  noch  ein  neues 
moment  des  raubes  bringt,  nämlich  mit  den  werten  ponede  heö  on 
rresfe  dbredt  1298.  Ten  Brink  ändert  daher  tö  fenne  in  07i  flettc. 
Hierdurch  wird  die  chronologische  folge  der  begebenheiten  in  sehr 
hübscher  weisse  gewahrt.  Indessen  es  ergibt  sich  eine  andre  Schwie- 
rigkeit, die  ten  Brink  sofort  zu  einer  weiteren  hypothese  nötigt:  „Zwi- 
schen 1298  und  1299  dürften  dann  eine  oder  mehrere  Zeilen  ausgefal- 
len sein,  wenn  nicht  der  alte  dichter  über  der  Charakteristik  Äscheres 
und  dem  Übergang  zu  Beowulf  (Jrcndels  mutter  vergessen,  d.  h.  ihren 
abgang  zu  erwähnen  unterlassen  hat.''     (S.  75  fg.) 

Ich  meine,  die  vei"se  1296  — 1298  tragen  zu  deutlich  den  Cha- 
rakter eines  nachträglichen  einschubs,  als  dass  hier  besser ungsversuche 
zum  ziel  führen  könten.  Scheidet  man  sie  nun  aber  wirklich  aus,  so 
ergibt  sich  ein  merkwürdiger  fall,  der  einzig  innerhalb  des  Beowulf 
dasteht  Denn  wenn  sich  sonst  nach  herauslösung  fremder  olemento 
die  zusammenrückenden  teile  ohne  weiteres  oder  doch  nach  leiser 
änderung  aneinander  schliessen,  so  bleibt  hier  syntaktisch  sowol  wie 
inhaltlich  eine  klaffende  lücke.  Aber,  ich  glaube,  es  gibt  eine  sehr 
einfache  erklärung  dafür:  die  klaffende  lücke  fand  eben  ein  Schreiber 
vor,  und  er  suchte  sie  durch  die  verse,  die  wir  jezt  an  ihrer  stelle 
sehen,  in  seiner  weise  auszufüllen. 

Hatte  dieser  mann  es  aber  wirklich  nötig,  seine  eigenen  kräfte 
zu  versuchen?  Vergessen  wir  seine  verse!  Erinnern  wir  uns  jener 
früheren,   die  uns  an  ihrer  stelle   so  widerspruchsvoll  und  entbehrlich 

1)  1280—1294  natli  ien  Briuks,  wio  ich  glauhc,  glücklicher  hci-stolluiig  des 
textcs  (s.  75). 


erschieneD!     Nehmen   wir   sie   von    ihrem    ulten    plat?,    und    setzet) 
mit  zwei  kleinen  anrfenuigen  hier  in  unsre  otho  stelle  ein, 
wir  also: 

Hraäe  heö  eepeUn^a  dnne  luefdtt 
1295  fffste  befangen:  pd  kc6  tö  fenve  oft 
1404  3«W3  fstnjj  ofer  gnimias,  gcjWMi«  fdr 
ofer  viyrcan  vi&r,  majopefftm  beer 
poiie  s^ksian  sdwoUe4sne 
1407  pdrapc  mid  Hröd^dre  Mm  cahlode, 
1209  blt^fresUie  beorn:  min  Bcöwulf  liair, 
so  haben  wir  auch   hier  oioo  tadellos  fortuch  reiten  de  und  geschlo* 
erzahliing,  in  der  in  knapper  iind  der  Situation  angeniesäener  weit»  di 
abgang  von  (Jrendela  mutter  geschildert  wird. 

Ich  zweifle  demnach   nicht,    dass    die  versc    1404  ^  1407 
ursprüngliche  Stellung  zwischen  1295  und  1299  Iiattnn. 

Hier  nun  sehen  wir  eine  kleine  gruppe  von  vier  vorsen  um  me^ 
als  hundert'  verse  von  ihrer  ursprünglichen  befitimmung  gutrtint.  ■ 
erscheint  die  trage  wol berechtigt,  wie  eine  solche  Verderbnis  ('Otstand 
sei.  Ich  gedenke  bei  andrer  gelegenheit  nachzuweisen,  dass  üwischen  d^ 
jetzigen  und  trüberen  platze  unsrer  verse  eine  bedeutende  inteipo- 
toriscbe  tatigkeit  statgefunden  hat,  und  dasü  nur  folgende  toilo 
ursprünglich  anzuerkennen  sind: 

1311-1313.  1816  —  1334.  1341-1344.  13S3  — 1385.  I: 
1394.  1399—1403. 
Im  ganzen  39  verse'.  Und  mehr  waren  auch  nicht  vorhanden 
xeit.  als  die  Umstellung  der  vei'se  geschah.  So  kontc  denn 
durchaus  innerhalb  einer  und  derselben  seile  vor  steh  gehen  und  t- 
liert  damit  ihren  auffälligen  Charakter.  "Wir  dürfen  vielmehr  nun  ii^  '"- 
liches  vrie  vorher  annehmen.  Ja  diesmal  sind  wir  in  der  Ugu,  e—^"» 
bestirntere  Vorstellungen  zu  bilden. 

Zunächst  können  wir  schliessen,  dass  der  schreiber,  dor  die  a-  ^"s- 
latisimgssünde  begieng,  seine  verse  nicht  absezte,  sondern  fnrtlanfi:^'"'' 
schrieb.  So  wenigstena  erklärte  sich,  dass  die  lücke  nicht  nacU  si'hlL**i 
sondern  nach  dem  erst«n  worto  eines  verses  eingetreten  ist.  Dii^^^^* 
erste  wort  aber,  nämlich  ^anj,  ist  nach  unsrer  einordnung  dop(>^' 
vorhanden,  indem  es  auch  am  olngaiig  der  umgesleltcn  verse  steht,  *" 
dass  wir  es  hier  streichen  muston.    Liegt  es  da  nicht  nahe,  in 


1)  Idi  buinerke, 
hitidcr  lusc. 


t   hirafer    VSit    uiit   Bu^'O    (ßcitrü^  V2,  ißl 


TRBHV  KUHEHUNBID'  IH  BBOWüLF 


397 


weiten  jöMj  nur  ein  merkwort  zu  sehen?  Einen  hinweis,  mit  dem 
der  Schreiber  andeuten  wolte,  hinter  welches  wort  im  texte  die  fol- 
gende stelle  einzuschalten  sei?  So  wilrde  uns  also  in  dem  zweiteu 
jatij  noch  ein  sehr  bestirntes  anzeichen  dafür  vorliegen,  dass  die  verse 
in  einer  fi'üheren  handschrift  an  einer  von  ihrem  eigentlichen  platz 
entfernten  stelle  nachgetragen  wai-en.  Aber  noch  mehr!  Es  ivürde 
sich  ungleich  aufklären,  warum  die  nachgetragenen  verse  später  falsch 
eingesezt  wurden.  Wie  leicht  nämlich  konte  ein  neuer  Schreiber  über- 
sehen, dass  jawj  nur  merkwort  sei,  und  es  so  zum  texte  selber  rech- 
nen! Und  nun  freilich  lag  für  die  einsetzung  der  verse  jeder  platz 
näher,  als  gerade  der  richtige!  Nehmen  wir  an,  dass  die  veree  am 
schluBs  der  seite  nachgetragen  waren,  so  beliess  der  Schreiber  sie- viel- 
leicht da,  bezog  sie  an  der  stelle,  wo  er  sie  ziiiallig  fand,  in  den  text 
ein.  Aber  wahrscheinlicher  ist  mir,  dass  er  mit  guter  Überlegung 
verfulu',  als  er  die  vei'se  an  ihren  jetzigen  platz  rückte.  Denn  nach- 
dem der  richtige  ausgeschlossen  war,  wo  konten  sie  wol  passender  imter- 
gebracht  werden?  Hier  fügten  sie  sich  am  leichtesten  ein  und  erfül- 
len zugleich  in  befriedigender  weise  eine  erwartung,  die,  wenn  man 
den  grossen  Zusammenhang  nicht  beachtete,  durch  1390  fg.*  angeregt 
werden  konte.  Wie  geschickt  aber  der  Schreiber  diesen  platz  gewählt 
hat,  erhelt  wol  am  besten  daraus,  dass  kein  forscher  bis  auf  tcu  Brink 
hsBere  verse  an  ihrer  stelle  beanstandet  hat 

^  Um  unsre  neuordiuing  zu  ermöglichen,  bedurfte  es  mit  dem 
Srorte  efl  1295  noch  einer  kleinen  nachbesserung.  Ich  hoffe,  dass 
die^r  umstand  der  vorgetragenen  Vermutung  nichts  an  gewähr  neh- 
nieu  wird. 

STRASSBURO,   TONI    1889.  EDOES   JOSETB. 


LIEDERHAm)SCHRIFTEN   DBS    IG.   UND    17.  JAHE- 
HUM)EETS. 

DAS  LIEDERBUt-'H  DER  HERZOGIN  AMAUA  VON  CLEVE. 

IDüand   verxet'eknel  unter  den  qtielleit  seiner  volksliedersafrUung 
\844  s.  974)  ein  im  16.  jahrhurulcri  enMatidertes  liederfriteh  <ler  her- 


II  lauten  nfimlich: 

ÄT^a  riecs  irmrd!  Alan  i 
5rendUs  mätan  zaus  si 


eilwiianf 


398  BOLTB 

xogin  Amtnelia  zu  Cleve,  aus  d^m  er  siehmi  nmnmern  (55,  65.  79h. 
80.  81,  194,  312)  entuonimeii  Jiat,  Seitlier  hat,  soweit  ich  sehe,  nie- 
ma9id  sich  um  dasselbe  bekümmert;  nur  Böhme  u^derhoÜ  in  seinetn 
Altdeutschen  liederbuch  (1877  s,  774)  die  kurze  notix  Uhlauds,  Eim 
eingehendere  nachricht  imrd  daher  an  dieser  stelle,  hoffe  ich,  nicht 
umvilkommen  sein. 

Die  miginalhandschrift  gieng  wm  1824  ans  dem  besitze  der 
antiquare  Ooldschmidt  und  Wimpfen  in  Frankfurt  a,  M,  in  den  des 
dortigen  arztes  dr,  Georg  Kloss  über  und  wurde  später  von  ihm 
fiaeh  Englarul  ro'kauß.  Wahrscheinlich  befindet  sie  sich  dort  ?wch 
im  2)rivatbesitz ;  im  Britischen  mtiseum  ist  es  mir  wenigstens  nicht 
gelungen  sie  zu  entdecken.  Unsere  kentnis  beruht  somit  allein  auf 
einer  abschrift,  welche  Kloss  1825  von  einem  schyieidergesellen  Jacob 
Lepper  anfertigen  Hess  und  welche  auch  Uhland  benuxte,  Sie  gehört 
jezt  der  stadtbibUotfiek  zu  Frankfurt  a.  ALK  Der  kopist  luit  seine 
vorläge  offenbar  ohne  Verständnis,  aber  sauher  u?id  sorgfältig  nach- 
gemalt.  Leicht  erklärliche  Icsefehler  sind  f  für  f,  dan  für  dair,  heuen 
für  lieuen,  I  für  A  u,  a,  „Einige  gedichtet',  bemerkt  Kloss  am 
15,  sept  1841,  „tvaren  so  sorgfältig  mit  dinte  ausgeWsctil ,  dass  sie 
nicht  mehr  zu  entziffern  waren!'  Im  ganzen  enthält  die  abschrift 
33  lieder  geistlichen  uiul  weltlichen  inhalts;  die  nummerierufig  rührt 
vielleicht  erst  von  Kloss  h^r,  da  nr.  20  und  21  zusammen  ein  lied 
bilden  luid  zweimal  fälschlich  zwei  oder  drei  verschiedene  lieder  unter 
derselben  nnmmer  (22  und  28)   zusammengefasst  worden  situl. 

Auf  die  ursprüngliehe  besitz eriii  und  samlerin  weist  die  hinter 
nr.  27  stehende  Unterschrift:  „AmmeUga  geboren  hertxzieliejpi  xo  cleve 
jullgeh  und  berg.^^  Die  folgenden  lieder  28 — 31  umrdeti  sicherlich 
erst  später  von  einem  andern  Schreiber  an fgex dehnet,  tcelcher  durch 
seine  wunderliche  häufung  der  ko)isonante)i,  nie  ss,  ff,  tz  im  aulaitt, 
td  statt  il,  und  andere  orthographische  eigcntümlichkeiten  auffiiU: 
rielleieht  ist  sein  name  in  den  unter  nr.  30  stehe^ulen  lettern  „iL  IL 
i?."  verborgen.  Die  prinxcssin  Amalie^  war  ah  die  jüngste  tochtcr 
des  herAogs  Johanu  LIL.  von  Jülich- Cleve- Berg  am  14.  nov.  1517 
geboren  utul  lebte  nach  deui  1539  erfolgten  tode  ihres  vaters  am  hofe 
ihres  bruders,  des  hcrxogs   Wilfuim   (1516 — 1592),  Z7i   Cleve,  iJüssd- 

1)  ,,  Lieflerbuch  der  Ammellya  gehornen  herzog  in  xuClerc,  Jülich  und  Btnf, 
Abschrift  des  Originals  gemacht  -im  Jahr  lS2i).*''     24  IL  fol. 

2)  Herr  professor  dr.    ]V.   Crecelins   in  Klberfeld  hat  die  gute  gehabt,   wir 
einige  nach  ir  eise  über  diese  fürst  in  xu  geben. 


LIEDERBUCH   DER   HERZOOm  AMALIA   VON  OLBYE  399 

ensherg,  Burg  und  amlerwmis.  Sie  blieb  mivertmhlt  und 
'  XU  ihrem  ende  (1.  mlirx  1586)  an  deni  protestantisehen 
?  fest,  ude  sie  auch  die  iöchter  ihres  bruders,  der  si^h  den 
^esinte7i  in  die  arme  geivorfen  hatte,  betvog,  der  reformierten 
*u  XU  bleiben,  Eiiiigermassen  auffällig  ist  es  dalwr,  dass 
n  fünf  geistliehen  liedern  unsrer  handschrift  (nr,  1.  3,  6,  19 
*eh  auch  ein  gebet  an  Maria  befindet.  Die  27  übrigen  num- 
ul  sämtlich  liebeslieder ;  ihr  thema  ist  nieist  das  scheiden  und 
seltener  die  Mrte  der  spröden  ayigebeteten;  viermal  (nr.  8,  9. 
begegnet  die  seit  dem  e^'wacfien  der  ritterlichen  miwiepoesie 
form  des  tageliedes.  Der  text  xeigt  xalilreiehe  Verderbnisse^ 
cken  nur  ein  teil  dem  modernen  abschreiber  xur  last  fallen 
Sicht  bloss  ist  metrum  und  reim  öfter  stark  veniac/Uässigt, 
teh  die  spraclw  ein  veruildertes  getnisch  von  niederrheiniscliem 
hdeut^chem  dialeJct.  Wenn  nun  Uhland  in  den  von  ihm  aus- 
n  nmnmern  einen  glatten,  lesbaren  text  herzustellen  suchte^ 
es  der  herausgeljcr  der  luwhfolgenden  stiieke  für  seitie  aufgäbe, 
'die  überliefening  selber  vorzulegen  und  nur  in  den  fiotiven- 
^ällen  von  ihr  abzuweichen.  MeJfrfaeh  bleibt  der  sinn  freilieh 
vkel  lind  muss  durch  weitere  textbessern ngoi  widerhergesteU 
Zwischen  den  liedern  siml,  wie  häufig  in  liederbüchern  jener 
've  rcimsprüehe  eingetragen,  so  bl.  la: 

Heit  jch  mich  vor  vei-suncn, 
des  ich  mich  na  verean, 
jch  eil  heid  iie  begonon, 
des  jch  begunen  han. 

Ich  qiiaem  gegan[g]en  in  eyn  lant, 
jch  vaint  gescriveii  aen  dei  want: 
Wait  dich  neit  annegeit, 
dat  la  stan,  da  et  steit 

Veil  gejaget  und  wenich  gevangen, 
veil  gehoyrt  und  wennich  vei-standen, 
veil  geseyn  und  wennich  meircket, 
dat  seint  ael  verlaren  wercken. 

Bl,  18a  Stede  und  stylle 

dat  ist  myn  wylle. 

mag  nun  ein  inhaltsverxeichnis  der  liedermmlung  folgen  und 
ich  eine  uuswahl  von  14  noch  nnbekanten  nummern  anscfdiessen. 


400  BOLTS 

L  Bl.  2a  Want  alle  dyngen  an  gade  st^ent, 
des  Süllen  wyr  vnß  besynnen. 
13  str,  XU  12  Zeilen,  —   Unten  nr.  I:  WeiknachtsKed, 

2.  Bl.  3  h  Idt  loufet  alltzomaile 

die  leufergyn  yn  dat  gras. 

3  str.  XU  8  X,    —     Uhlandf    Volkslieder  nr.  65.     Abschied  vofi 
liebsten. 

3.  Bl.  4h  Mit  diesen  nuwen  jare 

so  wirt  vns  offenbaire. 
12  str.  XU  4  X.  Neujahrslied.  —  Vgl.  Wackemagel,  Das  deutsche  fc=5a>- 
chenlied  3,  917  nr.  1090.  Bäumker,  Das  kathoUsche  deutsche  kirch^^^f. 
Med  1,  356  und  Vierteljahrsschrift  für  musikwissenschaft  4,  ^-^J. 
Hoff  mann  vmi  FaUersleben,  Niederländische  geistliche  Ueder  1^S54 
nr.  1 — 2.  Hölsc/ier,  Nd.  geistliche  lieder  und  sprUche  aus  depn  Mw^dn- 
sterlande  1854  s.  27. 

4.  Bl.  5a  Ortliches  ort,  myn  einiges  wordt, 

eyne  crone  bouen  allen  wyfen. 

4  str.  XU  8  X.  —  U7iien  nr.  V:  Liehesglück.  Eine  gleichfals  v^ier- 
strophige  fassu7ig  „Artlicher  hört,  du  min  einigs  ein,  ein  krön  ob  allen 
wiben"  7?iit  dreistimmiger  tnelodic  liegt  hsl.  in  Basel  (F  VI  26  nr.  8). 

5.  Bl.  5  b  In  liefden  ist  myr  my[n]  hertz  verbrant 

nae  eynem  vreuwelyngh  stoultz. 
10  str.  XU  8  X.  —    Unten  nr.  XIII:  Die  ungetreue. 

6.  Bl.  6  b  Myt  gantzem  ellendigem  hertzen 

klage  ich,  klage  ich  myn  sunden  groys. 
8  str.  XU  9  X.  —    Unten  nr.  II:    Oebet  an  Maria.     Zu  gnaide  Hegt 
eine  in  fliegenden  blättern  verbreitete  weltliche  tageweise: 

Mit  gantzem  elenden  hertzen 
Klag  ich  mein  schweres  layd. 
Ich  ste  in  sorgen  vnd  schmertzen: 
Ach  wechter,  gib  mir  beschaydt! 
Hilff  mir  die  sach  besynnen, 
Das  ichs  f^ch  weyslich  an, 
Das  ich  mit  lieb  sey  drinnen, 
Das  mein  niemants  werdt  innen; 
Trewlich  wil  ich  dir  Ionen.     (8  str.) 

Die  Berliner  bibliothek  besixt  vier  drucke  des  16,  Jahrhunderts  in  ol*»*' 
(Yd  8917.  8986.  8991.  8992)  und  einen  in  foUo  (Yd  7801,  49), 
Au4ih  ei?ie  ebenda  befindliche   liederhafidschrift  aus  der  ersten  kalßt 


LIEDERBUCH  DER  HEBZOGIN  AMALIA   VON   CLEVB  401 

des  16.  Jahrhunderts  (Mscr,  germ,  quart  718,  hl  10b)  enthält  das  Ued, 
ebenso  Cod,  palat  germ.  343  (jext  171)  bl,  49a. 

7.  BL  7a  Ade,  myt  leyde 

ich  van  dyr  scheide. 
5  str,  XU  9  X.  Liebeslied.  —  Vgl.  Oeglins  liederbuch  1512  nr.  18. 
Ott,  Lieder  1534  nr.  3.  Schnieltxl,  Quodlibets  1544  nr.  7.  Frank- 
furter liede^'buch  1582  (nendruck  von  Bergmann.  Stuttgart  1845) 
nr.  177.  Cod.  palat.  germ.  343  (jext  171)  bl.  58b.  Berliner  Ueder- 
handschrift  von  1568  (Mscr.  germ.  fol.  752)  nr.  102.  Mscr.  germ. 
oct.  237^  bl  4a.  Tschudis  liederbuch  (St.  Oaüener  cod.  463).  Hoff- 
mann,  Oeselschaftslieder^  nr.  154  (nur  eine  str.).  Eine  melodie  in 
Afnerljoclis  liederbuch  (Basel  F  IX  22)  bl  42a. 

8.  Bl  7b  Der  morgens  steme  der  hait  sich  uf  gedrongen; 
wie  lüde,  wie  lüde  dat  vns  die  fogel  sangen. 

9  str.  XU  4  X.  Tagelied.  —  Uhland  nr.  79b.  Vgl  Niederdeutsche 
Volkslieder  (Hamburg  1883)  7ir.  57.  Böhtne,  Altdeutsches  liederbuch 
nr.  108.  R.  Eitner,  Das  deutsche  lied  des  15.  und  16.  jhs  2,  173 
(1880).  Bartsch,  Oesamfnelte  vortrüge  u?id  aufsätxe  1883  s.  294  fg. 
OeistUehe  umdichtung  bei  Wackeniagel,  Das  deutsche  kirc/ienlied  3, 
689  nr.  797. 

9.  Bl  8a  Es  daget  wonencklichen, 

waile  schynet  der  heller  dach. 
3  str.  XU  9  X.     Unten  nr.  VI:    Tagelied.    —    Die   anfangsxeile   kehrt 
ft/iufig   in  gleichartige?^   liedern   und  deren    geistlichen   umdichtungen 
linder,  x.  b.  bei  Wackemagel,  Dasr  deutsche  kirchenlied  2,  535  nr.  709: 
„Es  taget  minnecliche  die  sunn  der  gnaden  vol." 

10.  Bl.  8a  Ayn  bueler  moyß  [s]ich  lyden  vyll, 

des  byn  ich  ynnen  worden. 
7  str.  XU  8  X.  —    Unten  nr.  XIV:   Loos  des  buMers.    Auch  in  der 
Berliner  liederhandschrift  von  1568    (Mscr.  germ.  fol  752)    nr.  123 
(str.  1  —  4.  6.  7.  5). 

11.  Bl.  9  a  Uis  gantzen  we  klaget  sich  eyn  hylt 

yn  stre[n]ger  hode  verborgen. 

10  str.  XU  9  X.  Wäehterlied.  —  Böhme  nr.  111  naeh  O.  Forster  1549,  3 
nr.  13.  Noch  eine  Darmstädter  hs.  (Monatshefte  für  musikgeschichte 
20,  71)  ist  bcnuxt  bei  Arnim  und  Brentano,  Des  hmben  ivunderluyrn 
1,  284.  554.  In  Berlin  (Yd  8925.  8929.  8930)  drei  cinxeUlrueke: 
Nürnberg  bei  K.  Hergotin  und  F.  Outknecht  und  Magdeburg  bei 
P.  Kempff.     Berliner  mscr.  germ.  qu.  718  nr.  8.     Eitfier,   Das  deut- 

F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.      BD.    XXU.  26 


402  BOLTB 

sehe  tied  1,  39  nr.  143,  Eine  geistliche  parodie  bei  Wackemagel  2, 
929  nr.  1156.     Bäumker  1,  254  nr.  10.     2,  362  nr.  413. 

12.  Bl  10a  Der  wechter  der  bließ  an  den  dach 

up  hoger  zynnen,  dair  er  lach. 
7  str.  %u  6  X.     WächterUed.  —  Frankfurter  liederbuch  1582  nr.  155. 
P.  V.  d.  Aelsty  Blum  vnd  Außbundt  1602  nr.  109.     Görres,  AUteut- 
sehe  Volks-  und  meisterlieder  s.  115.     Niederrheinisches  liederbuch  von 

1574  (Berliner  niscr.  germ.  qu.  716)  nr.  39.  —  Vgl.  Uhkmd  nr.  80. 
Böhme  nr.  102  a.  b.     Yxems  liederbuch  (Berliner  mser.  germ.  fol  753. 

1575  im  Oldenburgisehen  oder  Osnabrückischen  angelegt;  vgl  BoUe, 
Altpreussische  monatssehriß  25,  333)  nr.  54.  Nd  Volkslieder  1883 
nr.  115. 

13.  BllOb  Wuelde  got,  dat  idt  geschede 

zu  diesem  nuwen  jair. 
3  str.  XU  8  X.     Unten  nr.  III:  lAebeswerbuyig. 

14.  Bl.  IIa  Wat  wyrt  es  doch     des  wonders  noch. 

7  str.  XU  8  X.  Liebesklage.  —  Frankfurter  liederbuch  1582  nr.  21. 
P.  V.  d.  Aelst  1602  nr.  176.  Mit  L.  Senfls  melodie  in  Otts  tiedem 
1534  nr.  45—46  mid  bei  O.  Forster,  Liedlein  1  (1539)  nr.  24  und 
5  (1556)  nr.  51.  J.  Bdner,  Lieder  1581  nr.  26.  Fl  blatt  Nürn- 
berg F>  Outknecht  (Berlin  Yd  9637)  und  o.  o.  (Ye  209).  Cod.  palat 
germ.  343  (jext  171)  bl.  135a.  Tschudi^  liederbuch  (St.  OaUen  463) 
78.  Melodie  in  der  Baseler  Uederhs.  von  1560  (F  X  17—20)  nr.  26. 
Nd.  auf  einem  fl.  bl.  der  Berliner  bibliothek  (Ye  437).  —  Geistliche 
umdichtungen  bei  Wackernagel  2,  1077  nr.  1309.  3,  780  nr.  920. 
4,  77  nr.l31.  Eine  parodie  in  Rotenbuchers  Bergkreyen  1551  nr.19: 
j^WsLS  wird  es  doch  des  trinckens  noch." 

15.  Bl.  IIb  Die  eirste  freud,  die  ich  ye  gewan, 

ys  mir  zo  truren  kamen. 
5  str.  XU  7  X.  Liebeslied.  —  Uhland  nr.  194  gibt  auffallenderweise 
nur  die  beiden  texten  Strophen:  „Och  meetgen,  wat  hait  dyr  der  rocken 
gedayn";  vgl.  Eitner  1,  57  nr.  269.  Das  volständige  lied  hochdeutsch 
nach  ciiietn  fl.  bl.  (Yd  9293)  bei  Böhme  nr.  209.  P.  v.  d.  Aehst  1602 
nr.  170.  Cod.  palat.  germ.  109  (jext  66)  bl.  105b.  Nid.  in  einer 
Weimarer  hs.  von  1537:  Weimarisehes  jahrlmch  1,  103  nr.8. —  Eine 
geistliche  parodie  bei  Wackernagel  2,  1049  nr.  1285. 

16.  Bl.  12  b  Aen  dich  kan  ich     niet  freuwen  mich. 

3  str.  XU  8  X.  LiebesUed.  —  Frankfurter  liederbidcJi  1582  wr.  34. 
Fl.  bl.  Nürnberg,  V.  Neuber  (Berlin  Yd  9911).  Züricher  liederhand- 
schrift  O  438  bl.  411b. 


UEDKRBÜCH   DER  HERZOGIN   AMAUA   VON   CLEYE  403 

17.  BL  13a  Och  scheyden  brengt  myr  swer 

vnd  macht  mich  gantz  traurigklich. 

3  str,  zu  8  X,  —  Unten  nr,  VII:  Auf  imdersehetu  Auch  nd.  in  einem 
ß.  bl  Vur  hübsche  lede,  Wulffenbütiel  by  Conrad  Hom  (Yd  8719)  : 
„Nu  scheiden  bringet  my  swer." 

18.  Bl.  13b  Myn  gemuedt  vnd  pluedt 

ist  gantz  entzynt 
5  str.  XU  9  X.  —  Frankfurter  liedef'buch  1582  nr,  63.  Oedrucktcs 
foKoblatt  des  16.  jahrh.  (Berlin  Yd  7801,  44)  und  oktavdruck:  Nürn- 
berg, O.  Wächter  (Yd  9483).  Harnisch,  Liedlein  1588  nr.  15.  Wei- 
marer handschrifi  van  1537  (Weimarisches  Jahrbuch  1,  105).  Yxems 
liederhandschrift  von  1575  (Berliner  mscr.  germ.  fol  753)  nr.  25, 
vgl.  146.  Nd.  auf  einem  fl.  bl  der  Berliner  bibliothek  (Ye  437).  — 
Eine  geistliche  umdichlmig  von  H.  Knaust  bei  Wackernagel  4,  776 
nr.  1150. 

19.  Bl  14  a  Christe,  du  byst  dach  vnd  dat  lycht 

7  str.  xu  4  X.  Abendlied,  nach  dem  lat.  hymnus  des  Ambrosius: 
„Christe,  qui  lux  es  et  dies."  —  Wackernagel  2,  nr.  563.  1096. 
Bäumker  2,  246  nr.  246.  Hoffmann,  Nid.  geistliche  lieder  nr.  113. 
Balte,  Ztschr.  f  d.  phil  21,  138  nr.  65. 

20 — 21.  Bl  14  b  Idt  laich  eyn  armer  sünder  vnd  slieff. 
Beide  nummem  sirul  fälsclüich  vmi  eina^nder  getrent;  sie  bilden  xu- 
Summen  eine  besondre  Überlieferung  der  grossen  tageweise  Peters  von 
Arberg:  „0  starker  gott,  al  imser  not",  tvelche  Bartsch  in  der  0er- 
mania  25,  210 — 229  besprochen  hat.  Vgl.  noch  Bäumker  1,  451 
nr.  200.  Die  fünf  straphefi  van  nr.  20  hat  Uhland  als  nr.  312  sei- 
ner Volkslieder  abgedruckt  und  da?iach  Wackernagel  2,  333  nr.  501 
widerholt.  Nr.  21  enthält  nicht  nur  die  verse  17 — 50.  63  —  68.  55  fg. 
61  fg.  von  Bartschs  rekonstruktian  (Oerm.  25,  221) ,  sondern  nocJi 
Weitere  17  verse,  welche  in  den  aiidem  f absangen  feJilen. 

22.  Bl  16a  In  freuden  byn  ich  gantz  geletz, 

die  woyle  ich  vmmer  scheyden  moyß. 
S  str.  xu  8  X.  —   Unten  nr.  VIII:  Abschied. 

22a.  Bl  16  b  Ich  hadt  mich  vnderwonden, 

wolde  dienen  eyme  vreuwelyn  fyn. 

5  sir.  xu  8  X.  —    Unten  nr.  XII:   Der  ungeschickte  liebhaber.    Auch 

€Xuf  verschiedenen  fliegenden  bUittem  des  16.  jahrh.  in  oktav   (Berlin 

Td  7821,  34.    9552)    und  folio   (Yd  7801,  32)    erhaltest.     Die  erste 

atrophe  stimt  überein  mit  dem  Antwei'pener  liederbuche  1544  (neudruck 

26* 


404  BOLTR 

va?i  Hoffmann  von  FaUersleben  1855)  nr,  103.  Eine  fnelodie  „Ich 
hett  mich  vnterwunden^  steht  in  der  Kopenhagener  Uederhandschrift  des 
Petrus  Fabridus  (Nd.  Jahrbuch  13,  55)  nr,  182.  —  Versehiedefi  davon 
ist  das  lied  „Ich  het  mir  fürgenommen  zu  dienen  stetiglich"  bei  Böhme 
nr.  215. 

23.  Bl.  17a  Nu  hayn  ich  alle  myn  tage  gehoyrt 
3  str.  XU  8  X.  —  Böhme  nr.  265  nach  einem  gedruckten  foliobkitie 
(Berlin  Yd  7801,  60):  „So  hab  ich  all  mein  tag  gehört **  Gassen- 
hatverlin  1535  nr.  27.  Frankfurter  liederbuch  1582  nr.  45.  Ebeti- 
reutters  handschrift  von  1530  (Berliner  niscr.  germ.  fol.  488)  nr.  145. 
Berliner  Uederhandschrift  von  1568  (mscr.  germ.  fol.  752)  nr.  15.  Mscr. 
germ.  qu.  718  bl.  18b.  Ein  Baseler  liederbuch  von  1560  (F.  X.  17— 
20)  nr.  66  bietet  auch  eine  vierstimmige  mehdie. 

24.  Bl.  17  b  Ach  got,  wat  sali  ich  syngen, 

kurtzwyle  ist  myr  woyrden  duyre. 
11  str.  XU  8  X.  —    Unten  7ir.  IX:  Trennungsschmerx.     Fast  alle  stKc- 
phen  kehren  auch  in  andern  Volksliedern  derselben  xeit  ivider.     Str.   i, 
2,  4  und  6  sind  enthalten  in  der  Berliner  Uederhandschrift  von  15  ^S 
(Mscr.  germ.  fol.  752)  nr.  56.     Str.  1  begegnet  bei  Oörres,  Altteutsc*he 
Volks-  und  meisterlieder  s.  71.     Zu  str.  3  vgl.   Uliland  nr.  81,  4  t^/?^ 
88,  6.     Zu  Str.  6,    5  und  11   Uhla?ul  nr.  86,  4.     Zu  str.  9  Uhic^i^^ 
nr.  76,  11-^12  U7id  80,  4.     Einen  in  Zwickau   (XXX,   F,  20)    t^^' 
findlichen  einxcldruck  (12  str.)  habe  ich  nicht  vergleichen  können. 

25.  Bl.  18  b  Ich  byn  durch  frauwen  wyllen 

gereden  so  menche  dach. 
5  Str.  XU  9  X.  —  Tagelied.  Uhlaiid  nr.  81.  Böhme  nr.  121.  Oör'^'^^^ 
s.  126.  Bergkreyen  1536  nr.  45.  Frankfurter  liederbuch  1582  nr.  1  ^^' 
In  Berlin  vier  fliegende  blätter  aus  Nürnberger  (Yd  9565.  9566.  95^  *^/ 
und  Strassburger  presseii  (Yd  7850,  16),  Yxems  liederhatidscb  ß^^  ß 
von  1575  (Berliner  m.^cr.  germ.  fol.  753)  nr.  129.  Niederdeuts^^^^^' 
Volkslieder  1883  nr.  36.     Antwerpener  liederbuch  1544  nr.  102. 

26.  Bl.  19a  Wach  vff,  myn  ort,  vernym  myn  wort 

7  str.  XU  7  X.  -    Böhme  nr.  105.     Bergkreyen  1536  nr.  38.     Fran^' 
furter  liederbuch  1582  nr.  23  und  202.     P.  v.  d.  Aelst  1602  nr.  l5^ 
Fliegende  blätter:  Nürnberg,   V.  Newber  (Berlin  Yd  9004.  90U)  uri^ 
0.  o.  in  folio  (Yd  7801,  67)   und  im  Mscr.  germ.  quart  718,  bl  19^ 
Yxems  Uederhandschrift  (mscr.  germ.  fol  753)  nr.  97.     Ähnlich  Fof^ 
ster,  Liedlein  3  (1552)  nr.  6.     Niederdeutsche  Volkslieder  1883  nr.  62- 
—  Geistliche  parodien  bei  Wackenmgel  2,  1011  nr.  1249  und  4,  740 
nr.  1093. 


UEDERBUCH   DER  HERZOGIN   AMALIA   VON   CLKVR  405 

27,  Bl  20a  Betrübt  ist  mir  hertz,  moydt  vnd  syn 

wol  heuer  zu  diessem  neuem  jaren. 
3  str.  XU  6  X,  —   Unten  nr,  XI:  An  die  entfernte  geliebte, 

28,  Bl  20h  Wa  sali  ych  hyn,  wa  ssal  jch  her, 

wa  sali  ych  mych  hyn  kheren. 
10  str,  XU  8  X,  —  Frankfurter  liederbtich  1582  nr,  82,  Einxeldruck 
Nürnberg  bei  V,  Neuber  (4  str.  Berlin  Te  36),  Yxems  liederhand- 
Schrift  von  1575  (Mscr,  germ,  fol,  753)  nr,  68,  Berliner  liederhmtd- 
Schrift  van  1568  (Mscr,  germ,  fol  752)  nr,  94,  Cod,  paktt,  germ,  343 
(jext  171)  bl  14  b.  —  Ein  andres  üed  mit  gleichem  anfange  bei  Hoff- 
mann,  Geselschaftslieder  ^  nr,  384. 

28a.  Bl  20b  Eyn  bloymellyn  dat  heyst  meytden, 

dat  krencket  mych  so  hart 
3  str.  xu  7  X,  —    Eine  bessere  Überlieferung  bei   Oörres  s,  88  7iach 
Cod.  palaL  germ,  343,  bl  102a. 

28b,  Bl  21a  Ffyl  vngeluyckß  yst  vff  ertden, 

da  fiPiir  mych  got  behoedt 
3  str.  XU  8  X,  —  Beständige  li-ebe.  Bei  Oörres  s,  95  nach  Cod.  palat, 
geryn.  343^  bl  79b.  Oeorg  von  Helmstorffs  Uederlmch  von  1568  (Ber- 
liner ms,  germ.  qu.  402)  teil  3,  bl.  40  b,  Auch  in  einem  einxeldrucke 
„Nürnberg  durch  Valentin  Fuhrmann'^  (Berlin  Yd  7850,  27)  mit 
xivei  iveiteren  Strophen, 

29.  Bl,  21b  Ich  hoff,  mir  solsz  gelingen, 

ich  weiß  mir  ein  edels  blodt 

6  str.  XU  7  X,  —  Unten  nr.  IV:  Preis  der  liebsten.  Vgl.  xu  str.  3 
—  4  Böhme  nr.  131,  3.     Zu  str.  5,1—2  Böh^ne  nr.  260a,  4. 

30.  Bl  22a  Ich  hadt  myr  vsserwellet 

tzo  dem  mey  eyn  bluemelleyn. 
3  str.  XU  8  X,    —   IDiland  nr,  55,  —    Eine  geistliche  umdiehtiing  bei 
Wackemagel  2,  921  nr.  1147. 

31.  Bl  22b  Pfryssch  ffroyllich  wyllen  wyr  ssyngen 

yntgen  dyssen  koyllen  mey. 

7  str.  xu  8  X.  —  Unten  nr.  X:  Rosenkranx  xum  abschiede.  Über 
die  bedeutungsvollen  blumen  des  kranxes  (str.  3 — 4)  vgl.  Uhland,  Volks- 
lieder nr,  54 — 55  und  Schriften  xur  geschichte  der  dichtung  und  sage 
3,  437,  582,  Niederdeutsche  Volkslieder  nr.  130.  Für  die  strophen 
3 — 5  vemwg  ich  eine  bessere  Überlieferung  aus  einer  nieder  rheinischen 
Uederhandschrift  (Berliner  mscr.  germ.  quart.  612  bl.  30a)  anzuführen. 


406  BOLTE 

I.    Wellmachtslied. 

Nr.  1. 

[Bl.  2  a]         1.  Want  alle  dyngen  an  gade  staent, 
des  Süllen  wyr  vnß  besynnen. 
als  die  propheten  gesprochen  haynt, 
eyne  jonflFrauwe  sali  gewynnen 
yn  rechter  kuyssheyt  eyn  kyndelyn, 
deme  hemell  vnd  erde  beuolhen  saln  syn, 
deme  süllen  wir  alletzyt  vnderdienich  syn, 
got  sali  vnß  mystroest  wenden. 

Vns  ist  geboem  eyn  kyndelyn 
van  eyner  maget,  die  is  so  fynn, 
Maria  hyschet  die  lieue  moder  synn: 
yere  loff  en  hait  geyn  ende. 

2.  Dat  got  die  minshcit  an  sich  nam, 
dat  dicde  hy  vnß  zu  troesto. 

eyn  engel  viß  deme  hemel  qvam, 

hy  grueßet  die  magot  siere  schoyne, 

hy  spraich:  Got  gruetze  dich  der  gnaden  voll, 

der  here  van  dyr  geboiren  wyll  syn, 

want  aller  genadon  bys  dw  voll. 

Got  sali  vns  nivstroest  wenden. 

3.  Maria  schreckde  sich  dair  van: 
Wie  wulde  dat  got  gewyllen, 

dat  ich  e\Ti  kvnt  all  sonder  man 
'  all  gegen  naturo  solde  gewynnen  ? 
Der  ongel  spraich:  üat  kyndt  dw  draigts 
van  deme  hylgen  geyst,  und  dw  blyffs  maigt, 
dat  ys  dat  beste,  dat  men  mach  vynden. 
Got  sali  vnß  mvstrovst  wenden. 

4.  Keyser  Augustus  was  hy  genant, 
hy  geboide  geweldincklichen 

dat  eyn  yeder  minsche  durch  alle  syn  laut 
den  offer  soulde  brengen  zu  deme  riche. 
Der  aide  Joseph  gewann  yn  die  schair, 
hv  brachte  Mariam  mvt  eme  dair 

1,  1  godü  ha.  —  1,  0  Ixjiiüthcii  san  —  1,  0  —  12  nicht  ui  der  hs.  erst  mich 
8t r.  .7,  ist  aber  als  rcfrain  narh  jeder  strophe  xn  iciderholcfi.  —  1,'12  soyu  — 
2,  3  ge^am  —  2,  7  des  voll   -4,4  rieht 


LIEDERBUCH   DER  HERZOGIN   ABIAUA  VON   CLEYE  407 

ZU  Bethlehem,  dair  sy  yeres  kyndtz  [gebar?]. 
Got  sali  vnß  mystroest  wenden. 

[2  b]         5.   Wylt  ir  nu  wissen,  wer  er  sy, 
der  yn  der  krybben  lyget  gebenden? 
Jesus  Cristus  der  namen  dry, 
syn  troest  halt  uns  entbunden. 
Die  engelen  songen  und  waren  fro: 
Oleria  in  excelsis  deo. 
Die  heyrden  rieffen  ynt  offenbair: 
Unsere  leydtz  synt  wyr  entbonden. 

6.  Des  achten  dages  qwamen  [se]  dair 
all  nae  der  juedischer  seeden; 

dat  kynt  wart  yn  den  tempell  braicht, 
dair  wart  sich  Jesus  besneden. 
die  engelen  songen  mit  suessem  sanck: 
Jesus  Cristus  wirt  dat  kynt  genant, 
dair  van  so  wirdt  der  duffel  geschaut, 
als  sy  dat  kyndt  suert  [?]  nennen. 

7.  Des  woirden  die  hyllige  dry  konynck  gewair, 
sy  hoyrten  van  dem  lieuen  kyndtgen  sagen, 
golt,  mirre  und  [wirouch]  brachten  sy  dair, 
eynem  offer  deme  kyndtgen  zo  dragen. 

die  hem  warn  sierre  balde  bereydt, 
ein  Sterne  viß  Orienten  sy  dair  geleyt, 
sy  kneden  vur  der  maget  gemeydt, 
Jesus  boede  den  konyngen  syne  hende. 

8.  Wer  nw  wyll  treden  yn  den  kränz 
und  speien  myt  deme  lieuen  kynde, 

der  moyß  yn  synem  hertzen  dragen 

gedoult  und  suesse  mynne 

und  oeuerdenken  alle  syne  mysdait, 

die  hy  syn  leuen  begangen  halt, 

und  bydden  dat  kyndt  und  auch  die  lieue  maget, 

dat  sy  eme  syne  sunden  vertzye. 

9.  Wer  nw  dat  kyndgen  wylt  baden 
und  baden  yn  der  wonen, 

5,  1  mi  —    5,  4  han  —   5,  6  goloiia  —    5,  8  heydtz  —    7,  8  deme  kyndt- 
gen —   8,  1  kraeme  —  8,  6  sy 


406  HOLTE 

der  en  mach  so  druefich  nyet  gesyn, 
syn  liertz  en  moysz  eme  groenen. 
Moicht  ich  des  kyndes  syn  diener  syn, 
vnd  weschschen  eyne  syne  doichelchyn 
vnd  drugen  sy  yn  deme  sonne  schyn, 
so  hette  myn  truren  eyn  ende. 

[3  a]       10.   Köninck  Herodes  wart  kont  gedayn, 
so  wie  eyn  köny[n]ck  woere  geboeren, 
hy  dede  die  kynder  alle  erslayn, 
wat  onder  drj'^n  jarn  was  gebom. 
eyn  engel  van  bouen  braicht  die  mere 
zu  Marien  und  Joseph  dem  besnedere: 
Far  up  dar  hyn  yn  Egypten  lant 
all  uyß  der  falscher  bueser  hant! 

11.  Dat  kyndt  wart  yn  den  tempell  braicht 
all  nae  der  juedischer  sieden, 

dat  kynt  nam  Simeon  up  synen  ann, 
der  vurmails  blynt  war  gewoyrden. 
syn  alder  was  waill  vonfFhundert  jair, 
syne  ougen  woirden  ome  weder  klair, 
do  hy  dat  kynt  sagh  offen bair: 
Wat  hayn  ich  yn  mynen  henden? 

12.  Got  vater,  gott  sonn,  got  hylyger  geyst, 
dat  sint  drj'e  hylyge  namen, 

houcn  sich  up  zu  der  rechter  handt 

der  hellen  portzon  zu  samen. 

sy  gaeuen  der  hellen  portzen  eynen  stoysz, 

dat  sy  an  allen  enden  entflovssz 

vnd  last  den  zu  der  rechter  handt, 

verloeste  so  mennich  duyrbar  pandi 

13.  Nim  alle  dyngen  sint  volnbraich[t], 
als  VHS  die  wysen  sagen, 

wie  die  prophcten  gesprochen  haynt 

yn  den  prophcten  dagcn; 

dat  liait  vnsz  Maria  all  verfoult, 

hait  vns  evn  kvnt  braicht  aene  schoult, 

9,  7  sonne  klaire  sohyn  —    10,  3  sy  deck  die 


LIEDERBUCH  DER  HERZOGIN  AMALIA   VON  CLETE  409 

deme  sullen  wyr  alle  wesen  hoult 
Got  sali  vnz  mistroest  wenden. 

Vns  ist  gebom 

nae  yedem  verss. 

n.    Gebet  an  Maria. 

Nr.  6. 

[6  b]        1.   Myt  gantzem  ellendigem  hertzen 
klage  ich,  klage  ich  myn  sunden  groys, 
ich  stain  yn  sorgen  und  vriesen  [L  smertzen?] 
all  vnr  den  gryselichen  doyt 
hylfif  mir,  Maria  du  reyne, 
und  stae  mir  by  yn  myner  noyt, 
dat  ich  myne  sunde  mach  beweynen 
die  groysse  myt  den  kleyne[nj, 
ye  rayr  an  kompt  der  gryselycher  doyt 

2.  Maria  du  kayserin  [reyne], 
du  byst  alleyne  myn  zuuerlais; 
bydde  vur  mich  dyn  kyndelin  kleyne, 
dat  hy  myne  sele  wylle  ontfangen, 

du  byst  eyne  maget  schone 
all  yn  des  hemmeis  trone, 
bydde  vur  mich  dynen  sone, 
dat  ich  by  inn  kome 
all  zu  des  hemels  trone, 
dair  syngen  die  engelen  schone. 

3.  Maria,  du  byst  eyne  kuysche  reyne, 
du  byst  all  yn  dem  hertze  myn, 

mach  ich  geyn  troyst  an  dyr  gewynnen, 

so  bricht  dat  eynige  hertze  myn. 

du  byst  so  goder-turn  [/.  maueren?] 

men  vant  nye  dyns  gelichs 

du  bys  eyne  moder  des  heren, 

wyls  vns  yn  duegeden  lieren, 

so  sint  wyr  hemaemaels  verblydet. 

4.  Maria,  ich  bydden  vmb  genaiden, 
als  eyn  armer  sunder  groyss; 

wyls  mynre  seien  stain  zu  staden, 

1,  6  stoe  —  2,  1  keyseijniia 


410  BOLTK 

als  myr  ankumpt  der  bytter  doyt 

Kom  mir  doch  dan  zu  hulve 

yn  myner  meister  noyt, 

wyls  mich  doch  bewam 

all  vür  die  helssche  scharen 

vnd  fiieren  sy  all  yn  des  hemels  trona 

5.  ^Ach  mynsche,  ich  hueren  [dyn?]  klagen, 
Ich  will,  ich  wyll  gelouen  dir, 

eyn  dinck  wyll  ich  dyr  sagen, 

imd  dat  behalt  und  do  nae  mvr: 

ganck  hcymelich  zu  Caluarien 

all  vmb  den  berch  hoge, 

wyls  dyne  Sünden  dar  bekennen; 

got  sali  dyner  seien  ontfarmen 

und  fiieren  sy  jn  des  hemels  trone.*' 

6.  Maria,  ich  stain  in  sorgen; 
myne  Sünden  sint  so  menichfalt, 
der  doit  wylt  nyet  borgen, 

hy  en  spart  noch  jonck  noch  alt; 

myne  sele  die  ist  beladen 

mit  Sünden  also  groiß; 

stae  du  myr  zu  stadon, 

mich  dünckt,  ich  sv  verraiden 

all  myt  der  ewyger  pynen  so  groiss. 

7.  ^Ach  mvnsche,  wvls  nvet  mvstroestich  svn, 
die  bar[mlhertzicheit  ist  so  groyß; 

wylt  dyne  sele  van  sünden  genyesen, 

so  steis  du  fir  vyß  aller  noit 

got  ist  so  goder  lieren 

myt  grosser  barmhertzigkeit, 

hy  wyll  dyne  [7  a]  sele  visiteren 

mit  menoher  schöner  maueren 

jill  jn  der  ewicheit*' 

8.  0  here,  wyls  mir  vergeuen 
all  myn  vndanckberheit, 

dat  ich  havn  bedrieuen! 

och  alle  myne  sunden  synt  mir  leyt, 

jch  bydt  all  vmb  genaide 

C,  3  dort  —  7,  3  solc  —  8,  3  och  dat 


LIEDERBUCH  DER   HERZOGIN   AMAUA   VON   CLEYB  411 

als  eyn  anner  sunder  groyB, 

laB  mich  doch  nyet  [syn]  yerlom; 

du  hais  mich  vißerkom, 

verloist  myt  dynem  bytteren  doyt 

in.    Llebeswerbung. 

Nr.  13. 

[10b]        1.   Wuelde  got,  dat  idt  geschede 
zu  -diesem  nuwen  jair, 
das  mich  myn  schönes  lieff  anesiege 
myt  yei-en  äugen  klare: 
ere  angesicht  erfreuwet  mich, 
dar  zu  ere  freuntlich  laichen; 
es  gesche,  wes  geschiehen  sali, 
sy  kan  waile  fruntlich  machen. 

2.  Nw  halt  dich  vast  und  stede, 
das  wyll  ich  van  dyr  haben; 

off  eyner  queme,  dich  dar  vmb  bede, 
kere  dich  nyet  an  syn  sagen. 
Ich  wyll  mich  leytz  ergötzen, 
aber  hy  sali  waile  weder  komen: 
es  geschie,  wes  geschiene  sali, 
das  hayn  ich  wail  vemomen. 

3.  Ade,  ade  zu  guder  nacht, 
wyr  tzwey  wyr  moissen  scheyden; 
wanne  fuyr  und  stnie  by  eynandom  lieget, 
balde  das  ys  verbrennet. 

„Fair  hyn,  fair  hyn,  die  straeß  ist  weydt, 
fair  [hyn]  yn  frembden  landen, 
suelcher  boilschafft  darflf  ich  neyt, 
die  mich  brenget  zo  schänden." 

IV.    Preis  der  liebsten. 

Nr.  29. 
1.   Ich  hoff,  mir  solsz  gelingen, 
ich  weisz  mir  ein  edels  blodt, 
sy  goleibt  mir  vor  allen  dingen, 

1,  4  äugen  yere  —  2,  1  galt  dich  stedo  und  vast  —  2,  3  jarvimb  —   2,  8 
enomi«  —  3,  7  boitschafiFt 


412  BOLTB 

ein  heubsz  braunsz  medlein  goedt 
Ich  dein  ir  altzeidt  garen, 
ich  hoff,  sy  soll  mir  werden: 
sy  erfrewt  mir  mein  hertz  in  leib". 

2.  Ich  bin  ir  holdt  gewesen 
vorwar  ein  langer  tzeidt, 

von  aller  weldt  erlesen 
hadt  sy  mir  mein  hertz  erfrewt, 
es  lebt  kein  mensch  vflf  erden, 
die  mir  so  leib  mach  werden: 
die  warheidt  mosz  ich  sagen. 

3.  Sy  hadt  ein  braun  krausz  hare, 
darzu  zwey  klare  eagelein, 

sy  heissen  [?]  hin  vnd  herre 
woU  durch  das  jonge  hertze  mein; 
darzu  zwey  heubscho  wangen, 
nach  ir  drach  ich  verlangen 
in  meines  hertzen  grund. 

4.  Sy  hadt  ein  leib  gleich  einem  hermelin, 
darzu  szwey  ermelein  szmall 

mocht  ich  soy  in  drugtten  umfanggen, 
die  hertz  allerliebste  mein! 
sey  ist  mildt  vnd  dugentlichg, 
dazu  heubsz  vnd  seufiferlichg, 
ir  langer  ßerdt  ir  woll. 

5.  Sey  lägh  [wol]  vff  der  szynnen 
vnd  sagh  szu  dem  finster  herausz; 

sy  swengck  sich  gegen  mir  hervmmer, 

sey  vmfeinge  mich  mit  irren  ermelein  weysz: 

Wan  widtu  witterum  kommen, 

du  heubsche  vnd  vill  frome? 

Hertzleib,  in  kortzer  frist 

6.  Hertzleib,  du  dorst  mich  baldt  fragen, 

wan  ich  wittrum  kommen  soll  [l.  bei  dir  sol  sein]. 
Ich  mach  mich  baldt  herummer 
woll  zu  dem  jongen  hertzen  dein, 
vff  das  der  klefifer  nit  erfare; 

1,  5  grene  —  1,  7  erswore  —  2,  4  erewert  —  3,  2  engeldn  Uare —  31,6  noch 


LIEDERBUCH  DER  HERZOGIN  AMAUA  TON  CLBVB  413 

es  koest  mir  leib  ynd  leben, 
darzu  mein  getraues  hertz. 

y.    Liebesglftck. 

Nr.  4. 

[5a]        1.   ArÜicher  hört,    myn  eyniges  wordt, 
eyne  crone  bouen  allen  wyfen, 
du  hais  erloist    dat  hertze  myn, 
ich  wyll  dyr  stedich  blyuen. 
In  jamers  dall    hayn  ich  geyn  sali, 
dat  sy  mir  doet  Ionen; 
sy  ist  die  rechte,    ich  byn  yere  knechte, 
bis  dat  sy  myr  doet  lonenn. 

2.  Ein  edell  kruydt    halt  sy  gebuwt, 
dat  steyt  yn  yerem  garden, 

eyn  edell  gedieht    hait  sy  an  mir  erdicht, 

sy  schantz  vf  allen  karten. 

Die  schantz  was  groyss,   dae  myt  sy  mich  vmsloys 

myt  synnen  und  euch  mit  wytzen; 

sy  drückt  mich  myt  lust  an  yeres  hertzen  brost: 

Halt  frunt,  du  machs  mich  suure. 

3.  Eyn  vreuwelyn  fyn   ist  by  myr  gesyn 
gar  hoymlich  uff  ein  oirde; 

dat  wer  myr  leit,     dat  is  emantz  wyst, 

off  dat  idt  queme  zu  woerde. 

Des  briecht  [?]  nur  pyn    deme  jongen  hertzen  myn, 

das  machs  du,  frauwe,  geleufen. 

Sy  dreget  tzwy  brostgen,    die  synt  wyss, 

dair  zu  twey  bruner  ougen. 

4.  Ach  paradijs,    myn  hoichster  ort, 
waer  vyndt  men  dynes  geliehen! 

ich  lofen  dich  als  eyne  klaire  sonne, 

eyn  keyseryn  so  riche. 

Die  werde  guede,     dat  sy  mir  got  behuede 

vur  allen  falschen  zongen! 

Dyt  lietgen  ist  gemacht    zu  duysent  goider  nacht, 

jn  yerem  dienst  gesongen. 

1,  1  Ortliches  ort  —  1,2  wyseo  —  2,  1  sy  an  mir  erdicht  —  2,  5  vnsloys  — 
2,  6  ßynre  —  3,  5  pyne  —  4,  2  eynes 


414  BOLTB 

Tl.    Tagelied. 

Nr.  9. 

[8  a]         1.   Es  daget  wonencklichen, 
waile  schjrnet  der  heller  dach, 
van  yere  so  moys  ich  wichen, 
das  ist  mynes  hertzen  eyno  klaige. 
Sali  ich  nu  van  dyr  scheyden 
all  van  der  lieistcn  zart, 
so  geschaich  myr  nye  so  leyde, 
Sprech  ich  by  mynem  eyde, 
vurwair  sy  ließt  myr  hart 

2.  Ich  hayn  es  myr  gantz  vermessen, 
ich  will  de  geyno  lieuer  nyet  hayn; 
noch  halt  mich  die  lieffdo  besessen, 

du  goider  [?J  geselle  schone, 
ich  hayn  mich  dyr  ergeuen 
jn  rechter  stedichheit, 
nae  dynem  wyllen  zu  leuen, 
nochtant  so  moys  [ich]  steruen; 
ist  dat  nyt  jamer  groyss? 

3.  „Geselle,  du  darflfe  nyet  sorgen, 
du  hais  dat  hertze  myn, 

waile  schynet  der  lichter  helle  morgen, 

zu  eyner  vynstem  in, 

der  vns  tzwey  [hat]  vcrdrj^uen 

van  vnsorm  vreuwden  spyll: 

0  we  mich  armes  wyuen, 

dat  hertz  yn  mynem  lyuen 

dat  lydet  kommers  vyll." 

TU.    Auf  widcrsehcii. 

Nr.  17. 

[13  a]        1.   Och  scheyden  brengt  myr  swer 
und  macht  mich  traurigklich, 
dat  ich  nw  sali  van  der, 
die  offt  erfreuwet  mich: 
myt  lieff  und  euch  myt  schertzen 

Yil.    Mit  B  hcxeichne   ich  die   ahtceichungefi   eines  xu  ,,WulffeHbiiiiei 
Conrad  Ilorn^'  gedruckten  fl,  blattes  (Berlin  Yd 8719),    1, 2  A:  mich  ganx  tnmrigkli 


LIEDERBUCH  DER  HERZOGIN   AMAUA  VON  CLEVE  416 

halt  sy  myn  gemuet  bewarrt; 
yrst  werd  ich  kranck  yan  hertzen, 
so  ich  gedenck  der  hynne&rt 

2.  Vnfall  durch  synen  nyt 
hait  senlich  ciag  erdacht, 
vnd  ouch  durch  cieglich  tzyt 
dat  scheyden  wirt  vollenbraicht, 
dar  durch  ich  haefif  groyß  smertzen 
und  ist  laek  durch  [L  raet  duir]  by  mir, 
dat  jch  die  zart  moyß  myden: 

hylfif  Glück,  dat  clag  ich  dyr. 

3.  Kom  myr  myt  troyst  zu  steur, 
bedenck  des  scheydens  end, 

vyll  körtzweyll  wyrt  mir  deur, 

so  ich  [mich]  van  hynnen  wend. 

Myt  wissen  moys  [ich]  scheyden, 

doch  blyflft  dz  hertze  by  dyr: 

Glück,  schaff  die  tzyt  myt  freuden, 

hylff  vns  zosamen  schier! 

1,  6  -B:  myn  junge  hert  —  1,  8  -B:  der  varth  —  2,  2  A:  semlich  clag; 
)lche  klage  —  2,  3  -B:  Vnd  schicket  de  klegolike  tidt  —  2,  6  -B:  vnd  ys 
wilich  my  —  2,  7  5:  de  schönsten  —  2,  8  ^:  o  golücke  —  3,  1  jB:  Gelücke 
—  3,  5  jB:  mit  wesenden  moth  ick  —  3,  6  ^:  dat  junge  herte  by  er. 

Yin.    AbscUed. 

Nr.  22. 
[16  a]        1.   In  freuden  byn  ich  gantz  geletz, 
die  weyl  ich  vmmer  scheyden  moyß, 
ich  en  weyß  doch  nyet,  dat  mich  ergetz, 
dan  dat  ich  byn  yn  lyden  groyß; 
dat  ich  zo  freuden  hayn  erweit, 
dat  moiß  ich  myden  und  fayr  dair  hyn: 
zo  eilend  werde  ich  gantz  seit, 
so  lange  bys  ich  dich  weder  sieben. 

2.   0  werder  vrunt,  nw  halt  [dich]  yn  hoide, 
dat  ich  [/.  idt?]  dem  kleffer  nyet  en  werde  [schyn]! 
ich  frücht,  hy  wende  myrs  nyet  zo  goide, 
dat  haue  haue  [?]  weder  moit  noch  syn. 
Got  weiß,  dat  ich  geynen  wandell  beger, 

1,  2  woyle  —  2,  3  hy  werde 


416  BOLTB 

mach  ich  dem  kleffer  verholen  syn, 
in  rechter  deucht  nae  dyner  beghert; 
so  bys  du  doch  geweldich  myn. 

3.   Wyls  doch  myt  truwen  herden  [?]  wort, 
lais  felden  sien,  nyet  schrecke  dich, 
du  byst  myn  aller  hoichster  ort; 
wan  dw  myt  truwen  meynes  mich, 
so  iß  dyr  als  myr  yn  aller  swere 
durch  wont  myn  hertz  myt  scheydens  pyn. 
Gedenck,  wie  gerne  ich  by  dyr  were: 
so  en  mach  idt  leyder  nyet  gesyn. 

2,  8  myner  —  3,  8  on  mach  ich 

IX.    Trcnimiigsschiiicrz. 

Nr.  24. 

[17  b]        1.   Ach  got,  wat  sali  ich  syngen, 
kurtzwyle  ist  myr  woyrden  duyre, 
vür  zyden  gynck  ich  spryngen, 
dat  bues  ich  allet  hude  [/.  huyr]; 
myt  groyssem  suchten  swere 
vortzer  ich  menchen  dach, 
vnfall  ist  myn  gefere, 
wie  waile  ichs  nyemantz  clag. 

2.  Licff  hauen  und  zu  mvden 
ist  myr  eyn  swere  boeB, 

dat  schaff  der  kleffer  nyden, 
dat  ich  dich  myden  moeß, 
dat  ich  dich  hayn  verlorn 
so  gantz  vnd  euer  all, 
so  byn  i(Ji,  lieff,  dyn  eygen 
vnd  nym  du  yß  myner  gewar. 

3.  Hy  nam  sy  by  den  henden 
by  yerer  sclme  wysser  haut, 

hy  foyert  sy  also  veme 
wallen  durch  den  groenen  walt, 
dair  laigen  die  tzwey  by  oynandern, 
kurtzwyle  wart  yn  neyt  lanck: 

1,  7  my  —    1,8  clage  —   2,  2  ey  swe  —  2,  3  klelfer  mbmb  —  2,  6  i 
Berliner' Mg f  752:  verlassen  —  2,  8  ebenda:  gleab  mir  Hl 


LIBDKRBÜCH  DER  HKRaCOOIN  AMALIA   VON  CLBVB  417 

Hertzlieff,  ich  moyß  mich  scheyden, 
so  gayr  aene  myiien  danck. 

4.   So  haistu  mych  gefangen, 
dat  jonge  hertze  myn, 
nae  dyr  dragen  ich  groyß  verlangen, 
du  tzartes  jonfifreuwelingh, 
dyn  mondlyn  roit  zo  myden 
is  myr  eyne  swaere  boeß, 
des  trure  ich  wynter  und  somer, 
dat  ich  dych  myden  moess. 

5.  Der  meye  der  is  vergangen, 
die  lufft  die  weht  vns  kalt, 

myr  ligt  in  myne  sinne 

eyn  jonffreuweling,  ys  waill  gestalt 

Here  got,  muecht  ich  yr  stediger 

und  truwe  diener  syn, 

vnd  off  ich  yere  gefeie, 

ere  eygen  wulde  ich  syn. 

6.  Ich  sali  und  moyß  mich  scheyden, 
ys  kan  nyet  anders  syn, 

dat  brenget  myr  jB^oyß  lyden, 
ist  myr  eyne  swere  pyn. 
Och  scheyden,  vmer  scheyden, 
[18a]   und  wer  hait  dich  erdacht? 
du  hais  myn  jonges  hertzen 
[in]  groyß  truren  gebraicht 

7.  Vur  zyden  scheyn  myr  die  sonne, 
es  wyll  aber  nimmer  syn, 

so  byn  ich  nw  verdrongen 
van  der  aller  lieffeten  myn, 
der  regen  doet  vns  netzen 
kalt  weyet  vns  der  wynt, 
du  hais  mich  ofiPt  erfreuwet, 
du  vysserweldes  kynt 

8.  Nu  gesogen  dich  got,  myn  freuwelen, 
du  hertzes  jonflferlyngh, 

4,  1  imBerlitier  Mgf7o2:  Du  hast  mir  vmbfangon  —  4,  5  ich  {statt  roit)  — 
pjiie   —    6,  7  my   —    6,  8  tm  Berliner  Mgf  752:  auß  freudenn  in  traurenn 
lit-«  7,  3  verdrogen 

raiLOLoeiB.    BD.  xzn.  27 


418  BOLfl 

du  machs  mich  armer  reuwen 
bys  vp  dat  ende  myn. 
Wie  waile  da  daist  mich  verachten, 
dyn  [l  du]  weyblichs  byldt  so  werdt, 
ich  wünsch  dyr  eyn  fruntlich  laichen 
und  wat  dyn  hertz  beghert 

9.  Wat  zeuch  sy  vis  den  henden? 
van  goulde  eyn  ryngelchyn.: 

Nym  du  es,  du  hupscher  bresser, 
draich  du  es  durch  den  wyllen  myn. 
Wat  sali  myr,  lieff,  dyn  syluer, 
dar  zo  dyn  roydes  goult? 
Moeß  ich  es  doch  nyet  dragen 
vur  hübschen  fireuwelyn  stoltz! 

10.  Noch  wyll  ich  nyet  vertzagen 
vnd  wyll  nyet  auelaen. 

Der  hencker  mueß  jnn  plaegen, 
der  mich  beloegen  hayt 
myt  syner  fidscher  zongen, 
und  dat  ich  weinich  acht 
Dat  sy  dyr,  fynes  lieflF,  gesongen 
ade  zo  goder  nacht 

11.  Och  scheyden,  hertzlich  scheyden, 
vnd  wer  hait  dich  erdaicht? 

du  hais  myn  jonges  hertze 
in  groysses  tniren  gebraicht 
Dat  ich  [mynj  lieff  sali  myden, 
dat  krenket  das  hertze  myn: 
du  moyss  myr  vys  mynem  hertzen 
und  nimmermehr  dair  inn. 

9,  5  syn  —  10,  5  falcher  —  11,  2  ordicht 

X.    Rosenkranz  zum  abschiede. 

Nr.  31. 

[22  b]        1.   Ffiryssch  ffroyllych  wyllen  wyr  ssyngen 
ynigen  dyssen  koyllen  mey; 
wan  ych  de  bloemger  ssyen  sspryngen, 
SSO  hat  myn  troyren  eyn  endt 
Den  vnmoyt,  den  ych  draggen, 
den  draggen  ych  gar  heymlych 


LIKDEBBÜGR  DEB  HERZOGIN  AMALU   VON  CLEVB         ^  419 

van  mynem  steytdygen  boyllen, 
dar  na  verlanget  myeh. 

2.  [Du]  hast  myr  myn  hertz  durchtzochgen 
SSO  gar  wens  vfif  den  gront, 

dat  ych  dych,  hertzleyflf,  moysz  mytden: 

boeyt  myr  dyn  roytden  mondt! 

Dyn  boyigen  wyr  ych  gern; 

mach  esz  alsso  neyt  ssyn? 

dyn  clairer  schyn  erffroewedt 

dat  [jonge]  hertze  myn. 

3.  Wolt  du  mych,  hertzleyfF,  ergötzen, 
SSO  mach  myr  eyn[en]  krantz; 

dar  an  ssal  du  myr  ssetzen 
vii  roessger  algar  gantz, 
de  ych  dyr,  hertzleyff,  wyl  nenen 
SSO  gantz  myt  vnderscheyt, 

2,  1  hat   —   2,  4  coytder   —   2,  7  schynen  —    Str,  3 — 5  begegnen  in  bes- 

gestalt  in  einem  1574  am  Niederrhein  angelegten  liederhucke  (Berliner  mser, 

.  quart  612  nr,  15),   und  xwar  hier  xu  dem  liede  ,Ich  weiss  mir  einen  gart- 

'  gehörig: 

2.  Hertzlieb,  wilta  mich  nicht  verlaessenn, 

mach  mir  ein  krentzlein  daruonn; 

darzu  [so]  soltu  faessenn 

sieben  roeslein,  seindt  wollgethoenn, 

die  ich  dir,  hertzlieb,  wil  nennenn 

80  gar  mit  ynterscheydt: 

wolt  ir  sey  recht  erkennonn, 

mein  hertz  ist  euch  bereidt 

3.  Er,  lieb,  traw  vnde  stedicheit, 
das  seindt  der  roeselein  vier, 

je  lennger  ie  lieber  vnnd  vergift  meiner  nicht, 
die  staendt  euch  [/.  auch?]  woU  darbey, 
ein  kraut  heist  wolgemuedth, 
wolgomuedt  das  erfrewet  das  hertze  meinn; 
das  seindt  die  roeselein  siebenn: 
hertzlieb,  gedenck  an  das  krentzleinn! 

4.  Ein  kraut  das  heist  vntraw, 
das  setzet  mir  nicht  darbey 

vm  aller  trawenn  willen, 

die  ir  versprechet  mir. 

got  goff  dem  kleffer  leiden, 

darzu  groes  vnngefall, 

der  mich  vnnd  dich  vnns  beidenn 

nicht  scheiden  soll. 

27» 


420  «  BOLTI 

dat  du  mych,  hertzleyff,  erkenest: 
myn  hertz  yst  dyr  bereyt 

4.  Trow,  leyflBt  [vnd]  steytdygeyt 
dat  ssynt  der  roessger  dry; 

we  lange[r  vnd]  we  leyffer, 
dat  steyt  gans  wayl  dar  by, 
dat  du  es  vff  dysser  ertden 
geyn  lyffer  haffsz  dan  mych, 
dat  ssynt  de  roessger  all  vii: 
mocht  ych  dat  krenssgen  dragen. 

5.  Eyn  kroeytgen,  dat  heysscht  vnwyllen, 
dat  ssetz  myr  neyt  dar  an, 

dat  deyt  myr  myn  hertz  sseyr  qwellen, 

yt  en  kan  ysz  neyt  gelan. 

mych  duynckt,  du  hafi&z  onsz  geredt 

wayl  ouf  dem  hertzen  myn 

der  yst  ein  kleflfer 

yn  der  wylt  verdryssen  mych. 

6.  Ssolt  myr  eyn  kroytgen  bekleyffen, 
mach  esz  neyt  bleyfifen  stayn; 

ssol  mych  eyn  kleffer  verdryffen, 
de  yar  reyt  ga  yn  [?] 
Gott  geff  dem  kleffer  dat  lytden, 
vnd  ym  moysz  wertden  we, 
all  beyt  ssyn  ougen  blyntden, 
SSO  [en]  sseyt  er  esz  nimer  me. 

7.  Dar  an  ssolt  yr  gedencken, 
yr  hübsstz  yongffraweleyn  feyn: 
dem  de  leyffen  doet  kerencken, 
ssyn  droyren  hat  geyn  endt 

Myn  loyff  hat  myr  vntrow  gedayn, 
dar  vmb  troyr  ych  dach  vnd  nacht; 
eyn  ändert  [leyff]  moysz  ych  keyssen, 
dartzo  hat  er  mych  bracht 

XI.    An  die  entfernte  geliebte. 

Nr.  27. 

[20a]        1.   Betrübt  ist  mir  hertz,  moydt  vnd  syn 
wol  heuer  zu  dlessem  neuem  jaren: 

1,  2  wol  he  heuer 


UKDERBÜCH   DER  HERZOGIN   AMAUA   VON   CUCVB  421 

noch  drecht  mich  stet  mein  hoffonge  hem  [?] 
vnd  darffe  nyet  oflfenbajrren, 
das  ich  so  hart  betrübet  werd 
in  heimmelycher  leib  verborgen. 

2.  Das  ich  dich,  veins  [liefi],  mydenn  mus, 
brengt  myr  heimmeliche  smertzenn, 

ist  mynem  hertzen  eyn  sweire  bus 
vnd  krenckt  mych  fast  von  hertzen; 
so  leb  ych  doch  der  hoffonge  noch, 
mein  trouren  weyrt  sich  wenden. 

3.  Ich  wayrt  der  tzit,  do  er  wieder  geit 
mein  gemoit  mit  allen  freiten 

vnd  mir  macht  gesunt  myn  hertz  verwunt, 
heylff  vnß  zo  samen  beyde. 
tzo  dyr,  myn  gedacht,  ade  tzo  goder  nacht, 
van  dyr  moyss  ych  mych  ytzund  scheiden. 

2,  1  minlenn  —  3,  1  tzu  —  3,  3  verweynt  —  3,  5  geacht  —  3,  6  ytzons 

XII.    Der  ungeschickte  liebhaber. 

Nr.  22a. 
[16  b]        1.   Ich  hadt  mich  vnderwonden, 
wolde  dienen  eyme  vreuwelyn  fyn: 
sy  snyt  myr  dieffe  wonden 
dem  jongen  hertzen  myn. 
Wulde  glück,  müecht  jch  yere  dienen, 
jr  stedyger  diener  syn, 
vnd  were  es  ere  gefeilig, 
yere  eygen  woulde  ich  syn. 

2.  Ich  was  eirst  zo  yr  komen, 
verswonden  was  myr  myne  rede, 
ich  wart  zo  eynem  stomen, 

als  ichs  vemomen  hett: 
ich  dnrfft  nyet  vmb  sy  werfen, 
idt  was  alleyne  my[n]  schoult 
vyll  lieuer  wulde  ich  steruen, 
ye  ich  verluyr  yr  hulde. 

3.  Wie  sali  ich  mich  dair  inne  schicken, 
wie  sali  ichs  grj^en  an? 

ich  hay[n]  ja  gar  geyn  glück[ej, 
ich  byn  eyn  trurich  man. 


422  BOLTB 

Fynes  liefF,  laiB  dich  erbarmen 
m7[n]  kommer  vnd  groys  noyt: 
mueft  jch  dich  farn  laissen, 
lieuer  were  myr  der  doyt 

4.   Dae  gafif  ym  nw  die  reyne 
gar  yyle  fronüich  küB; 
dat  yreulyn  fienge  an  zo  weynen 
vnd  ßmückt  yn  an  yr  brüst: 
Fynes  lieff,  laiß  dich  erbarmen 
my[n]  komer  und  groys  noyt! 
ich  wyll  dich  nyet  begeuen, 
schaf[t]  lieff  dyn  mun[d]lyn  royt 

6.   Dyt  liedt  das  ist  gesungen 
vys  trur[ic]lichen  mut; 
vnfidl  halt  mich  verdrongen, 
ich  hoff,  es  werde  noch  goyt 
Ich  wyll  der  zyt  erwarten 
bys  vff  die  seine  stondt, 
moyft  ich  dich  fam  lalssen, 
so  spar  dich  got  gesondt! 

Str.  4  lautet  im  Berliner  mser.  germ.  quart  708: 

So  gab  sy  ym  ain  segen 
Mit  ainem  fraintlichen  kaß. 
Sy  sprach:  Qot  sol  sein  pflegen, 
Ynd  schmückt  in  an  ir  bnist. 
Die  weil  ich  hab  das  leben, 
Red  ich  zu  disser  stund, 
Wil  ich  dich  nit  auffgeben. 
Schafft,  lieb,  dein  roter  mund. 

4,  1  myne  —  4,  2  gar  ky  frutlich  —  5,  2  munde 

XIII.    Die  ungetreue. 

Nr.  5. 

[5  b]         1.   In  liefden  ist  myr  myn  hertz  verbrant 

nae  eynem  vreuwelyngh  stoultz, 

sy  leuet  myr  zu  aller  zyt 

recht  wie  dat  fuyre  dem  houltze. 

Ich  hain  yere  gedient  vff  golden  woene, 

recht  als  ich  byllich  konde. 
1,  1  my 


LIKDRRBUCH   DER   HERZOGIN   AMAUA   VON   GLBVE  423 

Wat  hylflft  yere,  dat  sy  mich  verkuyst 
och  sonder  alle  schoiüt! 

2.  ^Geselle,  des  seluen  geliehen 
klagen  ich  ofFenbair 

dem  armen  als  dem  riehen, 

du  wils  darum  nyt  layn: 

myt  der  eleu  du  myr  vismyst, 

mess  ich  dir  widder  vm. 

in  der  alder  truwen  du  dyck  vergyss, 

du  myrcks  waile,  wie  ich  des  meyne." 

3.  Zart  frauwe,  wyls  du  nyet  zürnen  dich, 
dat  ich  dyr  sagen  moes: 

mych  leues  bürde  [?] 
dair  vfF  myn  truwe  . . . 
du  hays  dyn  hertze  gedeylet 
eyme  hie,  deme  andern  dae: 
fFair  hyn  myt  kleynen  heyle, 
schaff  äff  haue  du  zu  lone. 

4.  „[Fare]  ich  nyet,  so  moysz  ich  gain, 
dat  myrcko,  du  knaue  stoultz; 

und  sytze  ich  nyet,  so  moysz  ich  stayn: 

schaff  äff  zu  dieser  stondt 

dat  gyfife  du  myr  zu  lone 

ind  drages  uff  mir  dinen  hass, 

du  sages  myr  wairlich  schone: 

got  geue  dyr,  ich  weys  waile  was." 

5.  Sage  fraue,  du  kans  vyll  spytyger  werdt 
vnd  dragen  oeuermoyt, 

dat  federen  splyssen  hais  gelert 

und  speien  vnder  dem  hoide, 

du  kans  wail  ryncken  giessen 

und  sagen  seiden  waere: 

der  dyr  . .  weirlich  zu  lieffe, 

du  drieues  ys  noch  eyn  hawe  [l  jaere?]. 

6.  „Geselle,  an  dynen  äugen 
suyt  men,  wat  an  dir  ist: 

1,  7  verknyst  —   2,  8  wade  —    4,  3  stayne  —   4,  4  off  —  5,  3  gehört  — 
suyt  wie 


424  BOLIK 

du  hais  er  yill  bedrogen 
myt  dyner  valscher  lyst, 

du  hais  inyr  vyU  gesongen 

wys  geboden  und  s 

des  hayn  ich  dich  befonden 
vf  eyne  falen  perde.** 

7.    Zart  vrauwe,  ir  kunt  den  mantell  schicken 
•  gegen  regen  und  gegen  wynt 
Yan  syden  machts  du  myr  snure, 
dair  gime  ich  henffen  vyndt 
Du  hais  es  dich  vermessen, 
du  kans  waile  spalden  wynt, 
du  machs  mir  des  gar  behende 
myt  sneden  [L  seenden]  äugen  blynt 

[6a]        8.   '„Geselle,  aen  allen  hoffen 
[duj  dienst  uff  losen  waen: 
fair  hyn,  die  dure  steyt  offen, 
ich  wyll  dich  neyt  langer  haen. 
Du  hais  der  kamern  also  vyll 
in  dynem  jongen  hertzen, 
dat  ich  dyr  neyt  geleufen  kan 
aene  schympo  und  euch  aene  schertzen." 

9.  Eyn  ander  hayt  mich  verdrongen, 
des  byn  ich  weirlich  fro; 

myr  ist  gar  wail  erlongen, 
sy  hait  eynen  andern  deren. 
N.  spraich,  sy  künde  schaffen, 
wie  sy  sich  hauen  wyll, 
der  narren  vnd  der  äffen 
hait  sy  gemachet  vyll. 

10.  „Nu  siet,  ir  schone  jonfirauwen, 
sydt  ir  yn  stediger  hode; 

hv  kan  sich  vruntlich  machen 

und  dryuen  wanckelen  moyt 

Hy  hait  ir  fyll  gefangen, 

an  synem  narren  seyle, 

ich  byn  eme  kome  entgangen 

got  geue  myr  gelück  und  heyle."* 

6,  7  besonden  —  7,  4  vynde  —  10,  3  vrmitlich 


LIEDERBUCH  DER  HERZOGIN  A3IALIA  TON  CLEYX  425 

XIY.    Loos  des  bulüers. 

Nr.  10. 

[8  a]         1.  Ayn  bueler  moyß  sich  lyden  vyll, 
des  byn  ich  ynnen  worden: 
des  dages  dryfPt  hy  aflFen  spyll 
und  fiiyrt  carthusers  orden, 
die  gantze  nacht  hy  oeuer  braicht 
myt  krysschen  und  [myt]  syngen, 
in  hageil  und  snehe  deyt  hy  im  wehe, 
hy  hofft,  im  stille  erlyngen. 

2.   Wan  hy  des  morgens  vrue  vp  steyt, 
duet  hy  sich  snell  anlegen, 
hy  wardt,  wann  sy  zo  kyrchen  geyt, 
dat  hy  yere  kome  entgegen. 
Wan  sy  yn  anblyckt,  syn  hertz  erschreckt, 
eyn  woirt  kan  hy  neyt  gehen, 
so  gruytz  sy  yn  und  geyt  vorhyn, 
nae  yere  duet  hy  vmbsiene. 

[8  b]         3.    So  geyt  hy  vp  und  wyder  aflf, 
dat  duet  sy  balde  vememen, 
syn  hertz  ist  im  der  vreuden  voll, 
wanne  hy  heymlich  sali  komen: 
vp  eyne  stont,  die  sy  im  gont, 
gar  schöyn  deyt  hy  sich  mutzen, 
hy  leufEt  steytz  vmb,  sueckt  renck  und  krum 
myt  gaffen  vnd  myt  gucken. 

4.   Wanne  hy  dan  zu  der  Uefster  kumpt, 
syn  truren  ist  im  vergangen. 
Sy  spricht:  Ir  syt  hupsch  und  gelat; 
myt  em  kan  sy  woU  prangen, 
vnd  lagt  yn  an,  als  sy  waill  kan 

Mit  B  bexeichne  ich  einige  au>s  dem  Berliner  mscr.  germ.  fol,  762  entlehn- 
Varianten.  —  1,  1  ich  —  1,  2  yn  den  —  1,  4  cathusers  —  1,5  —  1  B\ 
itt  I  mitt  pfciffen,  dantzon  vnnd  singen,  |  im  thutt  nitt  woo  roiff,  regen  oder 
ehe  —  1,7  sucht  deyt  —  2,  7  sy  gruytz  —  2,  8  7i:  ohr  darff  nitt  wieder 
sehen  —  3,  1  i^:  Ehr  geitt  ihr  na^jh  vnnd  nymbtt  jror  whar  —  3,  3  im  vyll  der 
den  —  B:  ist  foU  der  froudcm  gar  —  3,  4  B\  ohr  \m  sei  sali  -■  3,  5  B:  sei 
.  im  ein  stundtt  —  3,  0  //:  Hi<:h  /«»renn  --  3,  7  fg.  B\  Khr  godoncktt  ahn  jr, 
zeittwirt  jm  schwer,  |  für  di«  thur  komptt  ohr  hofflorenn  —  4,  A  B:  kallenn  — 
B:  sei  sichtt  in  an 


426  BOLTE,   UKDESBÜCH   DER  HERZOGIN  AMAUA  TON  CLXVB 

eyn  gecken  narren  oeuen. 

Hy  spricht  zu  yr:  Hertze  beger, 

eyn  schätz  bouen  allen  wyuen! 

5.  Ich  byn  uch,  jonffirauwe,  van  hertzen  hoult, 
nyet  me  kan  ich  gesagen; 

wanne  mir  vre  lieffden  nyet  werden  ensoldt, 

van  leyde  muest  ich  vertzagen. 

dan  nympt  sy  vur  eyn  euentuir, 

dair  myt  dat  hy  geit  drafen, 

macht  im  eyn  krantz:  die  lieifde  sy  [?]  gantz, 

vnd  wardet  eynes  andern  knauen. 

6.  Och  bueler,  du  vyll  armes  dier, 
wane  wult  du  wysheit  plegen? 

Sy  spricht,  sy  hait  geyne  gonst  zu  dyr, 

dar  vmb  lais  vnderwegen. 

Geleuve  myr,  du  byst  zu  aller  fryst 

eyn  mertyrer  hie  uff  erden, 

du  maches  dyr  pyn  durch  lieffden  schyn, 

dair  dyr  geyne  lieffde  mach  werden. 

7.  Lais  äff,  lays  äff,  du  armer  gouch, 
sulchs  boelschaft  darffs  du  nyet  suechen: 
dat  fiiyr  dat  lesch,  byst  dich  der  rauch, 
du  schaffs  nyet  yn  der  kuchen. 

Sueohe  anders  wae,  gayne  lieffden  ist  dae, 
die  dir  mach  wederfaren, 
dyn  lieffde  und  gonst  ist  gar  vmb  sunst, 
dyne  arbeit  machs  du  wail  sparen. 

4,  6  B:  jn  gecken  vnd  narren  weise  —    5,  3  soldo   —    5,  5  euen  mir  — 

5,  6  daet  myt  —  5,  5  fg.  5:  so  nympt  sei  vorhin  einen  andern  holen,  |  mitt  dem 
goitt  sei  heim  hrassen  —  5.  7  und  macht  im  eyne  —  5:  ist  gantz  —  5,  8  5:  sei 
wartt  auflf  ander   —    6,  2  wyscheit   —    6,  ^  5:  forwar  sie  onhatt  kein  liebde  — 

6,  5  B:  glaub  mir  dei(J,  du  bist  jn  aller  weiß  —  6,6  mertyter  he;  B:  mertler  — 
6,  7  schyng  —  B:  dir  schwer  vmb  liebde  scheir—  7,  2  boetschaft  —  7,  5  J5:  frei« 
anders  —  7,  8  B:  drumb  magstu  es. 

BERIJN.  JOHANNES   BOLTE. 


JBEE   DEN   BIIDUNGSGANG   DEE   GEAL-   UM)   PAEZI- 
FAl-DICHTUNO   IN  KBÄNKEBICH  UKD   DBUTSCHLAm). 

(Schluss.) 

Sp.  531.  Hie  kummei  her  Omvan  xuo  dem  kleinen  ritter,  der 
wunderlichen  schilt  hette. 
Am  brunaen  dabei  sass  eine  schöne,  prächtig  gekleidete  Jungfrau, 
die  mit  elfenbeinernem  kämm  ihr  goldig  glänzendes  haar  strich,  und 
ihn  freundlich  begrüsst,  als  er  seinen  namen  nent.  Alsbald  kernt  auf 
falbem  ross  ein  kleiner  wunderschöner  ritter,  prächtig  gekleidet  imd 
ungewafnet,  in  der  grosse  eines  fünQährigen  knabeu  hergeritten,  und 
ladet  Gawan  zu  seinem  schloss  ein.  Die  dame  ist  seine  Schwester, 
und  beide  sind  sonst  verwantenlos.  Den  schild  kann  nur  der  treuste, 
froraste,  tapferste  held,  der  zugleich  die  treuste  geliebte  hat,  erstreiten, 
fünfhundert  hat  der  kleine  ritter  bereits  besiegt,  die  den  versuch 
Während  sie  im  schlösse  gastlich  tafeln,  bringt  ein  knappe  auf 
warzem  ross  einen  gruss  von  Tdiern,  söhn  des  königs  Nuwes,  der 
ein  grosses  tumier  angesezt  hat,  zu  dem  auch  Artus  und  die  tatelrun- 
dor  kommen  werden,  und  wohin  auch  der  schild  des  kleinen  ritters 
gebracht  werden  möge,  um  darum  zu  kämpfen;  dazu  möge  er  sich 
beim  roten  kreuz  einfinden.  Nach  der  tafel  begeben  sie  sich  in  eine 
laube  mit  schöner  aussieht  und  worin  ein  prächtiges  bette  steht.  Der 
kleine  ritter  reitet  gerüstet  liinab,  um  den  schild  zu  hüten.  Darauf 
erklärt  seine  Schwester  Tanreie  dem  Gawan  ihre  liebe,  und  dieser  hoch 
entzückt  ijewan  die  blttome  von  irme  reinen  inngetliuyme.  Der  kleine 
ritter  kehrt  abends  ohne  abenteuer  zurück  und  Tanreie  ist  sehr  erzürnt, 
dass  der  kleine  ritter  neben  Gawans  hette  schlafen  will.  Beide  reiten 
früh  morgens  mit  dem  schilde  ab,  und  lassen  die  dame  schlafen. 
.  Nach  Übernachtung  bei  einem   ritter  nehmen  sie  rast,    wo  Artus 

■bit  3000  rittem  lagert,  und  senden  den  schild  an  Idiers,  dass  er  ihn 
Mn  Artus  als  kampfpreis  überreiche.  Kaye  nimt  ihn  zur  Verteidigung 
auf,  wird  aber  vom  kleinen  ritter  klafterweit  hinter  das  ross  abgesto- 
chen. Darauf  gleichfals  Gawaus  bruder  Mordret  von  Idiers.  Zulezt 
will  keiner  mehr  den  schild  zur  Verteidigung  auliiehmen,  Idiers  zieht 
sich  mit  Gawan  und  dem  kleinen  ritter  in  deren  zelte  zurück,  denn 
Oawan  wolte  unerkant  bleiben;  sie  nahmen  den  silberschild  mit  sich 
und  Hessen  sichs  wol  sein  bei  tafel  mit  speise  und  trank.  Artus  tafelt 
Beinern  lager  und  zürnt,  dass  niemand  den  kleinen  zwei^  erkant 
besiegt   habe.      Gawan   ritt   mit   dem   kleinen    ritter   heim,   beide 


428  8AN  XARTB 

schlafen  wider  beisammen  zum  leidwesen  der  Tanreie.  Am  andern 
morgen  verabschiedet  sich  Gawan,  während  die  Jungfrau  sich  in  lange, 
bittere  klagen  über  seine  treulosigkeit  ergiesst  Er  übernachtet  dem- 
nächst bei  einem  ehrbaren  ritter. 

Sp.  561.  Hie  vindet  Oawan  den  verdohien^  ritter,  dem  er  sins 
liebes  vnder  half. 

Beim  weiterritt  trift  Gawan  auf  einen  ritter,  der  träimierisch  und 
tie&innig  dahin  trabt  Ein  anderer  ritter  hat  ihm  seine  geliebte  abge- 
fochten.  Bald  finden  sie  dieselbe  in  einem  zelte,  aber  zugleich  auch 
den  feindlichen  ritter,  der,  von  Gawan  besiegt,  die  Jungfrau  an  den 
verdohten  zurückgibt,  und  Gawan  zur  nacht  einladet  Er  heisst  Brun 
und  muss  sich  bei  Artus  zu  Eavalun  gestellen.  An  einem  kreuzweg 
lenkt  das  beglückte  liebespaar  ab  nach  der  schwarzen  kapeile,  und 
Gawan  sezt  seinen  weg  allein  fort 

Sp.  572.  Hie  vindet  Oawan  sinen  sun  OingelenSy  den  er  hefte 
v(m  hern  Brandelins  swester. 

Nachdem  sich  beide  freudig  erkant,  macht  der  söhn  Gawan  bekant, 
dass  Artus  ihn  um  beistand  gegen  den  könig  Gatras  ersuche,  der  sein 
land  mit  feuer  und  schwert  verwüste.  Gawan  teilt  dem  söhn  seine 
sp.  259  und  264  oben  erzählten  abenteuer  mit 

Sp.  579.  Hie  vert  künig  Artus  mit  sime  her  uf  künig  Kairos 
von  Resesse. 

Artus  zieht  mit  grosser  heeresmacht  zu  felde.  Nach  viertehalb 
monate  langer  belageniDg  ergibt  sich  Katras,  und  nimt  sein  land  von 
Artus  zu  lehn.     Gawan  blieb  bei  Artus. 

Sp.  582,  11:    uns  enseit  dis  mere  von  imme  nüt  me 

nUy  tvie  ex  joch  hamoeh  erge. 

Sp.  582.  Nu  mil  er  von  Par^efale  sagen,  une  er  ein  bilde  in 
eins  kijides  tvise  vant  und  mit  im  rette  uf  einem  bäume  und  vnsete 
in  xuo  dem  leidigen  berge.     [Bern.  ms.  §  23,  zum  teil  lückenhaft] 

Sp.  582,  11:  ich  uril  üch  t^mi  Parxifalen  sagen, 

hörent  irs  gerne  vnd  lontz  üch  wol  behagen. 
Walther  von  Dunsin  dise  rede  rei, 
der  dise  ystorie  vollebroht  het. 
er  sprichet,  dax  Parxefal  wolgemuot 

1)  perrfoÄ/,  vgl.  sp.608,  23.     738,45.     739,29.     741,26. 
803,  11:  wart  sere  cerdoht  gar: 

er  veryax  sin  selbes  sunder  sin  dank. 
610,  8:     Parxefal  wart  so  sere  rerdoht, 

dax  er  enioüste  mit  tuon  fcas. 


■  BtLDUMOaOASO  »RR  OSALDICHTÜNO  439 

■'Vierzehn   tage    lang,    seitdem    er   Bagiiraedes    von    dem    bäume    befreit 

■hatte,   an  dem  er  mit  den  beioen  aufgehängt  war  [s.  sp.  506],   iimher- 

Ijitt,   als  er  im  walde   ein  schön  gekleidetes,    etwa   5  jähre  altes  kind, 

leinen  apfel   in   der  band,   hoch  im   bäume  ersah.     Er  fragt  nach   dem 

Igral,  doch  wiQ  das  kind  darauf  nicht  eingehii,  und  sagt  nur,  er  werde 

Imorgen   zur  saule  auf  dem   leidigen   berge  kommen  und  dort  weiteres 

rhören.     Darauf   stieg   es    im   bäume   immer   höher  und   höher,    bis   es 

verschwand.      Parzival    übernachtet    im    hause    eines    eiiisiedlers    und 

erreicht  am   andere  tage   den   leidigen    berg,  von  dem  eine  Jungfrau 

herabkomt,    die  ihn   warnt.      Ihr  ritter  sei    hier  wahnsinnig   geworden 

und  irre  hier  im  walde  herum;    sie  suche  ihn,    doch  lehnt  er  ab,   ihr 

darin  zu  helfen. 

Sp.  586.  Hie  vert  Paraefal  xno  der  sul  uf  den  leidigen  berg 
I  tmd  geschach  im  gros  oventäre.     [Bern.  ms.  §  23.] 

Auf  dem  leidigen  berge  fand  er  eine,  wol   einen   bogenschues 

lohe,    reich   vergoldete   kupferne    saule,    um    welche    fünfzehn    kreuze 

mden,    die  je  fünf  rot,    weiss  und  blau  gefäibt,   und  jedes  wol  funf- 

»hn   klafter  hoch  waren.     Mit  goldner  ijischrift   stand   auf  einer  mar- 

nortafel  lateinisch  unter  einem  ringe  geschrieben:    dass  nur  der  beste 

■zitter  hier  sein   ross  anbinden  könne.     Parzival   konte  sie    zwar  nicht 

■lesen,   doch  hatte  der  ritter,    der  ihn   in   das  grab  stiess   [sp.  485   und 

■486],    den   Inhalt  gesagt.     Er  steigt  ab,    lehnt  Schild  und   lanze  an  die 

VsKole   und   bindet  sein   ross   fest  an   den  ring.     Da  komt  auf  einem 

'  weissen  maultier  die  wunderschöne  Jungfrau  vom  leidigen  berge,   die 

ihr  schloss   hinter  dem   berge   hat,    begrüsst   ihn    freundlich,   streichelt 

sein  ross   und   ladet  ilin  in   ihr  zeit  ein,    das   sie  seit  vierzehn   tagen 

hier  aufgeschlagen   hat,    um   abzuwarten,   wie    djis  abenteuer   ablaufen 

wird,   das   die  tafelrunder  Uawan,    Gyüet,    Dos  söhn,   Ywon,    Lanselet 

und  Sagremor  bestehen    wollen   und   die  sie   bewirten  werde.     Viele 

mägde  und  knechte  befinden  sich  bereits  bei  dem  zelte. 

Sp.  591.     Hie   Jiörent    von   kiinig  Artus   gebürte  sagen.     [Beru. 
ras.  §  23.] 

Sie  erzählt  dem  beiden  von  Artus  geburt,  über  den  von  einer 
I  «eisen  frau  und  Merlin,  dem  weissager  des  königs  Uterpandragon, 
I  grosses  prophezeihet  worden.  Da  Uter  wissen  wolte,  wie  er  den  besten 
I  ritter  erkennen  könne,  zauberte  Merlin  jene  saule  mit  den  15  kreuzen 
Wnnd  dem  ringe  zum  anbinden  der  rosse  zur  prüfung.  Merlin  gieng 
K.vom  hofe  zu  ihrer  (der  erzahierin)  mutter,  und  da  ward  Merlin  ihr 
■nter.  Auf  ihre  frage,  wer  ihn  hergewiesen,  einzahlt  Parzival  ihr  das 
ubenteuer  sp.  486  mit  dem  ritter  aus  dem  grabe.     Die  Jungfrau  erklärt 


den  lezteren  für  einen  sohändlictien  räuber,  den  er  hätte  töten  i 
Sie  führt  Parzival  auf  den  weg  zur  gi-alsburg,  duch  die  sdrm 
gewitt«r  begleiten  ihn  am  tage,  während  die  schünheit  der  folg 
nacht  ihn  entzückt 

Sp.  598.     Hi^  vindel  Parxefal  einen    boum,    der   vol   Ifürr 
kerxen  wax.    [Bern.  ms.  §  24.J 

Da  sah  er  einen  bäum  mit  tausenden  brennender  kersen, 
je  näher  er  kam,  desto  mehr  verschwand  die  erleuchtung,  und  er  k*m 
an  eine  nur  mit  einem  licht  erleuchtete  schöne  kapeile,  in  der  auf  dem 
altare  ein  erschlHgener  ritter  unter  prächtigen  decken  lag.  Da  ergieng 
ein  blitz  mit  fürchterlichem  donnerschlag,  und  eine  bis  zum  ellesbogen 
schwarze  band  löschte  das  licht  aus  und  Parzival  verliess  unter  from- 
men gebeten  die  kapeUe.  Darauf  begegnen  ihm  Jäger  des  fiscberkönigs 
und  eine  Jungfrau  zu  pferde,  die  ihm  bestätigen,  dass  er  auf  dan 
rechten  wege  zum  gral  sei,  doch  verweigert  die  dame,  ihm  auskuoll 
über  das  kind  auf  dem  bäume  und  das  abenteuer  in  der  kapelle  zu 
geben. 

Sp.  602.  Hie  kummet  Parxefal  «wo  rfer«  anderen  niole  xvo  dem 
grok.  [Bern.  ms.  §  24  mit  dem  schluss:  drei  tage  nach  der  kröoimg 
Parzivals  »um  gralkönig  starb  der  fischerkönig  und  wurde  zu  grabe 
getragen.  —  R.  Boron  s.  176  —  178.] 

Endlich  komt  der  held  zur  gmlbiirg  und  wird  in  dem  prächtig 
geschmückten  saale  vom  könig,  der  auf  einem  ruhebett  sass,  gastlich 
empfangen  und  genötigt,  neben  ihm  platz  zu  nehmen.  Parzival  fragt 
eifrig  nach  der  bedeutung  seiner  erlebten  abenteuer.  dem  kindo  auf 
dem  bäume,  dem  bäume  mit  den  kerzen,  der  kapello  mit  dem  toten 
ritter.  Doch  der  kiinig  vertröstet  ihn  bis  nach  der  lafel.  Bei  dei^!- 
ben  ward  der  gral,  die  blutende  lanze  von  schönen  Jungfrauen,  das 
zerbrochne  schwert  von  einem  junker,  der  es  auf  den  tisch  vor  dem 
könig  niederlegt,  herumgetragen.  Parzival  weiss  nicht,  was  er  zaeret 
fragen  soll,  so  sehr  ward  er  verdoM  [sp.  (510,  8].  Der  könig  erklärt 
ihm:  das  kind  habe  sich  mit  ihm  nicht  befassen  können,  da  er  an 
einer  grossen  sünde  noch  zu  tragen  habe.  Gott  habe  den  menschen 
aufrecht  erschaffen,  damit  er  hoch  und  frei  um  sich  sehe,  und  di« 
seele  nach  dem  himmel  richte,  was  er  bisher  nie  getan.  Das  kind  l 
in  den  himmcl  gestiegen,  and  sei  ihm  die  Weisung  damit  { 
gleichfals  daliin  zu  streben.  Über  den  bäum  mit  den  kerzen  i 
kapelle  mit   dem   toten   ritter  wolle  er  nach  tische  weiter  reden.  . 


sival   bittet,    ihm   das  rätsei   < 
Ainfortas  entgehet:    wer  die 


gebrochenen  Schwertes  zu  IdseoJ 
stücke   zusammeofUgen   könne, 


BILDX7N0SGAN0  DEB  ORALDICHTÜNQ  431 

beste  ritter  der  weit,  doch  müsse  er  zugleich  voll  gottesfurcht  sein  und 
die  kirche  ehren.  Er  möge  versuchen,  die  stücke  zusammen  zu  fügen. 
Hernach  werde  er  ihm  vom  gral  und  dem  blutenden  speer  erzählen. 
Parzival  sezt  das  schwert  zusammen,  dass  es  wurde 

Sp.  609,  31:  80  schöne  unde  so  gantx, 

frischy  reine  und  gesJaht, 
cUse  dez  tagex,  da  ex  wart  gemäht  .... 

610,  13:  der  künig  such  in  an  unde  wart  fro. 
mit  armen  umbeviepig  er  in  do, 
aJse  ein  tugenihaft  man  tuot 
er  sprach:  lieber  herre  guot, 
über  dis  hus  sint  gewaltig  hie 
und  über  alles,  dax  ich  gewan  ie, 
one  alle  tviderrede  dekeine 
und  tail  üch  lieber  haben  eine, 
denne  keinen  7nan  der  nu  lebendig  ist. 

Darauf  wickelt  der  knappe  das  schwert  in  einen  zindel  und  trägt  es 
fort;  der  könig  aber  sprach 

Sp.  610,  32:  essent,  schönre  herre,  wolgemuot, 

dax  üch  got  durch  alles  sin  guot 
grosse  ere  geben  welle 
unde  behuote  üch  vor  der  helle. 

(Hier  begint  Manossiers  fortsetzung,  s.  B.-Hirschf.  1.  c.  s.  99.) 

Als  sie  weiter  tafeln,  wird  der  gral,  der  blutende  speer  und  die 
patena  nochmals  herumgetragen,  und  als  sie  sich  wider  entfernt  hatten, 
begann  der  könig  seine  erläuterung:  Mit  dem  speer  habe  Longinus  die 
Seite  Christi  durchbohrt,  der  gral  sei  „der  kelch'^,  in  dem  das  heilige 
blut  aufgefangen.  Joseph  brachte  ihn  her,  als  ihm  Yespasianus  aus  dem 
kerker  half,  da  er  nach  Judäa  gefahren,  um  die  untat  der  Juden  zu 
rächen,  und  wo  Joseph  das  evangelium  predigte.  Mit  seiner  gemeinde 
zog  er  in  die  Stadt  Saresse,  und  gieng  mit  ihr  in  den  sonnentempel. 
Der  könig  des  landes  wurde  hart  von  den  Ägyptern  bedrängt,  und  war 
alt  und  schwach  geworden.  Joseph  heftet  ihm  ein  rotes  kreuz  auf  den 
Schild,  mit  dem  er  und  sein  volk  gegen  die  feinde  ziehn  und  siegreich 
zurückkehren.  Da  liess  sich  Avaluk,  der  könig,  mit  seinem  volke  tau- 
fen, und  nante  sich  Modrens,  desgleichen  sein  schwager  Salafes,  der 
fortan  Natigon  hiess.  Joseph  zog  mit  dem  gral  und  seiner  gemeinde, 
überall  das  Christentum  verbreitend  weiter  und  her  in  dieses  land,  und 


der  gral  blieb  hier,  als  er  starb.  Er,  Ämf'ortiis',  glaube,  er 
nachkomme;  die  Jungfrau,  die  den  gral  trug,  sei  seine  tocbtfl 
andre  mit  der  patene  dio  des  königB  Gouns,  seines  brudeis.  Mit  den 
ficbwertc  sei  der  tütlicbste  scblag  geschehen;  denn  als  sein  bruder  auf 
der  bürg  Kintagüt  von  Epinogres  belagert  ward,  nahm  sich  der  neffe 
des  Epinogres  die  waffen  eines  tuten  ritters  von  Gouiis,  schlich  sieh 
damit  au  ihn,  und  spaltete  ihm  mit  dem  sc-hwert  das  haupt.  Bei  die- 
sem leidigen  schlage  zerbrach  das  schwert  Jener  warf  den  andern 
teil  weg  und  entfloh.  Der  leichnam  und  die  schwertetücke  wurden  auf 
die  bürg  gebracht,  und  meine  nichte  sagte:  wer  das  schwert  wider 
heistetle,  der  solle  damit  i-ache  an  dem  mörder  nehmen.  —  PaREinl 
hört  andächtig  und  teiluehmend  zu  und  bittet  um  das  schwert  zum 
rachezug  gegen  den  neffen  des  Aspauogree,  den  herm  vom  roten  türme, 
den  „unsinnigen"  Partinias,  dessen  krait  er  nicht  fürchte.  FarziTal 
lässt  nicht  nach  mit  fragen  über  den  bäum  mit  den  lichtem.  Es  ist 
der  goukdbaum,  da  sich  die  feen  vereammeln,  welche  die  loute  betra- 
gen, die  nicht  den  glauben  haben.  Da  sie  verschwanden,  als  ihr  nah- 
tet, soU  das  bedeuten,  dass  ihr  den  zaubern  dieses  landes  ein  ende 
bereiten  werdet  Den  bäum  wird  niemand  wider  finden.  Die  kapcUo 
aber  stiftete  Blanschemore  von  Kornuwale,  die  mutter  des  Asspynogres, 
welche  nonne  in  der  kapelle  wurde.  Als  sie  starb,  sciilug  er  ihr  das 
haupt  ab  und  begrub  sie  unter  dem  altar  der  kapelle.  Seitdem  wanJ 
fast  täglich  ein  ritter  von  der  schwarzen  band  unter  donuerschlägen 
getötet;  wol  schon  an  5000  fanden  so  ihr  ende.  Wer  aber  mit  der 
schwarzen  band  kämpfen  wolle,  der  nehme  die  weisse  fahne,  die  tu 
der  kapelle  steht,  und  vom  teufel  behütet  wird,  und  setze  sie  in  di« 
Weihwasserbecken,  besprenge  damit  die  ganze  kapelle,  altar  und  Icicfae, 
und  gott  im  himmel  werde  ferneres  unheil  verhüten.  Der  kämp&r 
müsse  aber  sehr  tapfer  sein.  —  Endlich  gehn  sie  im  prächtigsten  >in^ 
mer  schlafen;  das  bette  Parzivals  wird  weitläuftig  beschrieben.  Doch 
Parzival  steht  schon  in  der  frühe  auf,  und  rüstet  sich  besten«  zur  aiiB- 
fehrt  Vergebens  bittet  ihn  Arafortas,  wenigstens  noch  einen  tag  n 
bleiben. 

Sp.  625.  Hie  i>indei  Parxefal  Sagremors  und  iierdent  sü  xwene 
mit  xeherien  vekteruk. 

Sieben  meilen  von  der  lierberge  trift  Par/ival  auf  Sagromors,  "Ipr 
einen  elenden  klopper  reitet,  da  ihm,  als  er  nacht»  im  wolde  schüaC 
sein  ross  diebisch  mit  diesem  klepper  vertauscht  ward.     Gnisi 


I)  Im  fttinzösisolion  tatt  wird  der  nanic  Brnn  st^hn. 


BILDUNGSGANG   DER  GRALDICHTUNG  433 

dass  sie  sich  gefunden!  Da  kommen  zehn  ritter  feindlich  hervor- 
gesprengt; der  erste  reitet  den  schönen  Morel  des  Sagremors,  und  hat 
eine  Jungfrau  vor  sich  auf  dem  rosse,  die  nach  hilfe  und  befreiung 
schreit.  Im  ungetümsten  kämpfe  erschlägt  Parzival  fünf  ritter;  Sagre- 
mors verfolgt  die  übrigen  auf  seinem  rosse.  Auch  die  lezten  zwei 
werden  niedergemacht,  doch  Parzival  ist  schwer  am  knie  verwundet 
Dennoch  führt  er  auf  seinem  rosse  die  dame  auf  ihre  birg,  vor  der 
eine  bewafnete  schaar  ihnen  entgegen  komt,  ihre  herrin  zu  suchen. 
Freudig  empfangen,  glänzend  untergebracht  und  von  einem  arzt  ver- 
bunden, muss  der  held  einen  monat  dort  in  ihrer  pflege  verbleiben. 

Sp.  639.  Hie  jaget  Sagremors  eime  ritter  noch,  der  im  sin  ros 
heite  genamen,  unde  wilrt  mit  im  vehteiide  in  sinre  eighien  bürge. 

Der  verfolgte  floh  in  sein  festes  haus.  Sagremors  ihm  nach!  Der 
bauer  am  tor  liess  das  falgatter  nieder,  und  er  muss  mit  den  vorhan- 
denen bewohnem  kämpfen,  bis  er  sie  sämtlich  getötet  hat  Nun  bewir- 
tet der  um  gnade  bittende  torwart  ihn  mit  reichlichem  nachtmahl  und 
wolgerüstet  reitet  er  wider  auf  seinem  mutigen  Morel  in  den  wald  zu 
der  gestrigen  walstatt,  wo  die  leichen  der  zehn  ritter  lagen.  Bald  fand 
er  auch  eine  bürg,  die  sich  im  kriege  zu  befinden  schien. 

Sp.  648.  Hie  kummet  Sagremors  xuo  der  megde  bürg  und  wärt 
mit  eime  ritter  vehtende,  der  hies  Talides. 

Den  willig  eingelassnen  belehrt  eine  alte  dame,  dies  sei  die 
mägdeburg;  darin  seien  siebenhundert  Jungfrauen,  alle  von  edlem  ge- 
schlecht, und  dazu  ein  schüler  und  ein  kaplan.  Ein  mächtiger  ritter, 
Talides,  fordre  eine  zur  geliebten,  die  sich  aber  weigere,  ihm  zu  fol- 
gen, weshalb  er  jezt  die  bürg  bekriege.  Artus  sei  um  beistand  gebe- 
ten. Ein  Junker,  bruder  der  geliebten,  der  die  Schwester  lieber  tot 
sähe,  ehe  Talides  sie  erhalte,  hat  erkundet,  dass  Talides  mit  dem  beere 
morgen  anrücken  werde.  Sagremors  sendet  diesem  eine  Jungfrau  mit 
der  forderung  zum  kämpf  entgegen;  siege  er  nicht,  so  müsse  er  den 
mägden  urfehde  schwören.  Talides  wird  im  kämpfe  besiegt  und  muss 
sich  der  alten  dame  als  gefangener  stellen,  die  doch  gerührt  ihm  die 
geliebte  übergibt  Algemeine  freude  und  andern  tages  brautlauf  und 
heimzug,  während  Sagremors  auf  seinem  schwarzen  ross  Morel  andern 
abenteuern  nachreitet 

Sp.  662.  Hie  vindet  Sagremors  xivene  rittere,  die  eine  jung- 
frowe  woltent  geschendet  han  mit  den  er  vehtende  wart. 

Er  erschlägt  beide  Übeltäter,  und  die  Jungfrau  führt  ihn  in  ihr 
väterlicheB  schloss,  und  unter  beistand  ihres  bruders  und  vaters  ver- 
weilt er  sechs  wochen  dort  zur  heilung  seiner  wunden. 

r.  DKUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.   XXII.  28 


434  8Alf  XASTS 

Sp.  672,  1.     dex  gesivigen  tüir  nti,  tvie  ex  umbe  in  Kt, 

bitx  dax  ex  nu  tvürt  xit 
eins  anders  sollen  wir  an  fon 
von  künig  Artus  öhein,  hem  Oawan, 
alse  ich  ex  in  der  ystorien  vant; 
anders  tuon  ich  ex  üch  nüt  bekant 

m 

Sp.  672.  Bie  kuvimet  die  juncfrowe  xtw  hem  Gawan,  die  rf« 
ritiers  sivester  tvaXy  der  bi  dem  gexelt  erschossen  wart  in  hern  Oatcam 
geleite.     (S.  Sp.  259  oben.) 

Als  Oawan  eines  tages  sich  im  saale  mit  Artus  und  der  königin 
befand,  komt  schön  geschmückt  auf  einem  maultier  eine  Jungfrau  gerit- 
ten, und  teilt  unter  wehklagen  mit,  dass  sie  die  Schwester  des  hier 
meuchlings  getöteten  ritters  sei,  und  klagt  Gawan  an,  dass  er  nicht 
zum  gralkönig  gekommen,  der  ihm  alle  geheimnisse  würde  entdeckt 
haben,  und  dass  er  ihrem  bruder  das  geleit  gebrochen  habe.  Er  solle 
die  Waffen  des  toten  nehmen  und  ihr  folgen,  denn  sie  sei  in  grosser 
gefahr.  Seine  Sünden  hätten  ihn  einschlafen  lassen,  als  der  könig  ihm 
vom  gral  und  blutender  lanze  erzählte.  —  Beide  reiten  sofort  ab, 
übernachten  in  einer  befreundeten  bürg,  die  zweite  nacht  ohne  Spei- 
sung im  freien  walde,  den  dritten  tag  herbergen  sie  unter  gastlichem 
empfang  in  einem  zeit  bei  zwei  rittern  und  zwei  Jungfrauen,  und  dann 
wider  auf  der  bürg  eines  würdigen  ritters. 

Sp.  680.  Hie  kämmet  her  Gawan  xuo  einem  füre^  do  wolle  man 
eine  jungfroive  inne  verderbet  han  mit  unrehte. 

Weiter  reitend  sehn  sie  am  rande  eines  waldes,  wie  zwei  knechte 
eine   bis   aufs  hemde  entkleidete  jungftuu  in  ein  feuer  werfen  wollen. 
Aber  an  20  ritter  und  eine  menge  volks,  an  2000,  waren  auch  da;  ein 
ritter  erklärt,  sie  habe  ihren  bruder  ermordet,  um  seine  herschaft  allein 
zu  besitzen,   das  volk  aber  erklärt  das  für  lüge,  und  fordert  ihre  frei- 
lassung,   denn  der  wilde  Dodinas   habe   ihn  erschlagen,   den   sie  jezt 
gefangen  halte.     Gawan  kämpft  mit  dem  vorgetretenen  ritter,  stürzt  ihn 
vom  ross  ins  feuer,  aus  dem  er  tot  hervorgezogen  wird,  und  mit  jubel 
des  Volks  wird  die  gerettete  frei,   die  Gawan  zum  dank  leib  und  land 
bietet.     Statt  das  anzunehmen  lässt  dieser  den  Dodinas,  der  ihren  bru- 
der wirklich  getötet  hat,  vorfüliren,   und  erkent  in  ihm  seinen  freund, 
landsmann  und  tafelrundritter,   bittet   ihn  frei,   und   zieht   weiter  mit 
seiner  dame. 

Sp.  685.     Hie  kummet  fier  Gaivan  an  einen  loaU  unde  vindei 
drie  rittere,  die  gebruoder  worent,  unde  tvürt  mit  den  vekUnde* 


» 


■«ei 
f  nn 


Sie  sind  neffen  des  ins  feuer  gestürzten  ritters  und  wollen  ihn 
rächen.  Gawan  tötet  zwei  davon,  den  dritten  schickt  er  besiegt  zu  der 
geretteten  Jungfrau,  die  ihn  dankbar  aufnimt. 

Sp.  689.  Hie  kutit  her  Gawan  mit  einre  juncfrotccn  in  ir 
bürg,  die  in  fuorie  von  küitig  Arlus  hof,  unde  würt  mit  eime  hünige 
vehtende,  der  heis  Margtms. 

Ais  G&wan  mit  seiner  begleiteten  dame  in   deren  Stadt  und  bürg 

anlangt,    werden    sie  mit  klagen    empfangen.     König  Marguns   bat   sie 

liart  belagert,  weil  die  fraii  seinen  söhn  Kargrilo  als  gemahl  verschmäht, 

indem    sie   ein   ander  lieb  hatte.     Ilir   lieb   ward   aber   gefangen,   und 

üarguns  Hess  ihn  vor  ihren  äugen  hängen;  aber  von  den  ihrigen  wird 

auch  Kargrilo  gefangen,  den  sie  von  einem  türm  herunterstürzen  liess, 

er  starb.    Nun  rief  sie  ihren  bruder  zu  hilfe,  der  aber  in  Gawans 

ileite  durch  ein  javelot  an  Artus    hof   erschossen   ward   (s.  sp.  259), 

nnd  zwar  von  Keye,    was  Gawan  jedoch  bestreitet.     Am  morgen  reitet 

Qawan  wolgerüstet  dem  Marguns  entgegen.    Dieser  unterliegt  im  kämpf, 

moss  steten  frieden  geloben   und   sieh  dem   könig  Artus   als  gefangner 

,geBtelten.    Die  Jungfrau  bedauert,  dass  er  ihn  nicht  getötet,  und  bittet, 

er  an  Keye  räche  nehmen  möge;    sie  gab    ihm   dazu   ein   rotes 

inchen  mit  dem  bild  eines  weissen  löwen,  an  die  lanze  zu  heften, 

las  er  mit  Keyes  blut  färben  solle.     So  reitet  Gawan  nach  Karleun  ab, 

ährend  Marguns  gleichfals  mit  100  rittern  und  vielen  zeltgeräten  sich 

Artus  auf  den  weg  macht 

I.  700.    Hie  mürt  erreiteiide  künig  Margmis  sine  sireslcr,  und 
\rt  drumbe  vehtcnde  mit  eime  der  hies  Oogaris. 

Als  unterwegs  Marguns  seine  zelte  aufgeschlagen ,  komt  auf  einem 
maultier  ein  hovereht  getwcrc  geritten  und  berichtet,  dass  mit  150  rit- 
ten! Gogaris  Marguns  Schwester  Malolohat  gewaltsam  entführt  habe; 
Marguns  verfolgt  ihn  sofort.  Fünfzig  seiner  ritter  werden  erschlagen, 
Tzig  gefimgen,  und  fünfzig  entfliehen,  und  die  befreite  spert  den 
'Gogaris  in  einen  käfig,  in  dem  er  sieben  jähre  schmacliten  muste. 
'Itarguns  mit  dem  zunamon:  der  könig  mit  den  100  rittern,  wird  dem- 
ifichst  von  Artus  mit  ehren  empfangen  und  in  die  tafeirunde  aufge- 
nommen. 

Nv  gesivige  ich  von  im  hie. 

Sp.  703.    Hie  kummet  her  Gawan  xuo  einer  Imrg,  und  würt  mit 
'Mitte  ritter  vehifiide  von  der  bürge,  der  duffe  hovetneister  irns. 
Nu  hiirent  von  herren   Gauan. 

Einer  buvg  nahend,  erkent  ihn  die  am  fenster  sitzende  herrin 
[«selben,  und   befiehlt  ihrem  hofemelster,  ihn  gefangen  zu  nehmen, 


436  SAN  MABTB 

da  er  zu  Artus  gesinde  gehöre,  um  an  ihm  Solimag,  der  ihres  vaters 
bruder  war  und  an  Artus  hofe  heimtückisch  erschossen  ward,  zu  rächen. 
Nach  kurzem  kämpfe  wird  der  hofemeister  niedergeworfen  und  bittet 
ebenso,  wie  seine  auf  einem  maultier  herbeieilende  nichte,  um  gnade. 
Gawan  erkent  diese  dame  als  diejenige  jungfirau,  für  die  er  gegen  Mar- 
guns  gefochten  hat  Die  herrin  der  bürg  mahnt  zwar  daran,  dass  ja 
Solimag  unter  Gawans  geleit  erschossen  sei,  versöhnt  sich  jedoch  und 
nimt  Gawan  gastlich  auf.  Die  hinzugekommene  ist  Solimags  Schwester 
und  heisst  „die  rote  Jungfrau **;  Solimag  hiess  „der  herr  der  bürg  zu 
den  felsen.''  Gawan  verspricht  die  anklage  gegen  Keye  als  mörder  bei 
Artus  in  austrag  zu  bringen.  Gawan  legt  die  waflfen  des  erschossncn 
ritters  an  und  reitet  mit  der  roten  Jungfrau  zu  Artus. 

Sp.  710.  Hie  kwnet  her  Oawan  xuo  künig  Artus  hofe  mit  einre 
jungfrotven  unde  würt  7nit  Keygin  vehtende  von  iren  tvegen. 

Gawan,  der  unbekant  bleibt,  besiegt  Keye,  doch  wird  ihm  aiif 
Artus  bitten  das  leben  geschenkt.  Gawan  bringt  die  rote  Jungfrau  zu 
der  bürg  zurück,  wo  er  die  waffon  entlehnt,  und  weilt  noch  8  tage 
dort,  während  Keye  noch  zwei  monate  an  seinen  wunden  zu  hei- 
len hat 

Sp.  717.  Hie  vindet  he?'  Oaivan  sinen  bruoder  Agrafens,  unde 
werdent  vehtende  mit  fünf  rittern,  do  hies  einre  Patris, 

Nach  einiger  zeit  begegnet  ihm  sein  bruder,  der  ihm  zu  seiner 
beruhigung  mitteilt,  dass  Keye  wider  genesen,  der  hof  jedoch  nicht 
wisse,  wer  ihn  besiegt  habe.  Da  kommen  fünf  ritter,  todfeinde  des 
Agrefens,  feindlich  angestürmt,  doch  zwei,  Patris  von  dem  berge  und 
Galien  von  Kurnewal  werden  abgestochen  und  zu  Artus  geschickt,  die 
übrigen  entfliehen.  Artus  empfängt  sie  mit  ehren  wegen  ihres  besie- 
gers.   Bald  nachher  gehn  auch  die  beiden  bruder  an  den  hof  zu  Artus. 

Sp.  722,  9.     nu  wil  ich  Oawans  hie  gedagen 

und  wil  üch  von  Parxefale  sagen 
der  uf  der  bürg  siech  lag  dort  (sp.  625). 

Nach  mehreren  wochen  genesen,  bricht  Parzival  auf,  von  der 
herrin  der  bürg  vortreflich  ausgerüstet  Das  gebrochne  schwert  nimt 
er  mit  sich. 

Sp.  723.  Hie  kummet  Parxefal  xuo  einre  capeüen  unde  icurt  do 
mit  demme  tüfele  vehtende  und  überimidet  in. 

Parzival  sucht  einen  schmied,  der  ihm  das  zerbrochne  schwert 
herstelle.  Ein  schweres  ungewitter  überfält  ihn,  und  er  flüchtet  in 
eine  kapeile  im  walde,  dieselbe,  in  der  er  vor  etwa  Jahresfrist  geweM 


BILDUNOSOANG  DER  ORALDICHTÜNa  437 

(sp.  598).  Auf  dem  altar  liegt  der  tote  ritter  bei  brennender  kerze. 
"Wie  damals  verlöschte  eine  schwarze  hand  die  kerze;  er  warf  seinen 
wurfspiess  gegen  sie,  den  sie  aber  auffieng  und  zerbrach.  Da  erschien 
im  fenster  bis  zum  halben  gürtel  ein  feuriges  wesen,  das  ihm  einen 
zwei  klafter  langen  brand  entgegenstreckte,  der  ihm  augenbrauen, 
bart  und  gesiebt  verbrante.  Mit  furchtbarem  blitz  und  donnerschlag 
wird  die  kapeile  in  brand  gesteckt,  der  teufel  erscheint  in  person  und 
kämpft  mit  ihm,  seine  kreuzigungen,  segensprüche  und  gebete  sind 
jedoch  wirksamer,  als  sein  schwort  Der  böse  weicht  zurück,  und  Par- 
zival  nimt  aus  der  kapsei  das  weisse  fähnlein,  taucht  es  in  Weihwasser 
und  besprengt  überall  damit  die  kapelle.  Die  leiche  auf  dem  altar  ist 
ganz  schwarz  gebraut  Das  feuer  erlischt  Er  legt  das  fahnchen  wider 
an  seinen  ort.  Nach  vielen  gebeten  schläft  er  bis  zum  frühen  morgen, 
der  lachend  hereinbricht  Die  kerze  brent  wider,  und  er  läutet  eine 
glocke,  damit  ein  priester  komme,  die  leiche  des  ritters  zu  begraben. 
Mehrere  mönche  erscheinen,  legen  den  ritter  in  einen  marmornen  sarg^ 
bestatten  ihn  unter  den  hohen  bäumen  des  friedhofes,  und  hängen 
seine  wafFen  an  einen  bäum,  wie  auch  mit  den  dreihundert  rittem 
geschehen,  die  von  der  schwarzen  hand  erschlagen  wurden.  Doch 
unter  den  angeschriebenen  namen  derselben  befand  sich  kein  tafelrun- 
der. Die  königin  ßlanschamor  hatte  diese  kapelle,  deren  zauber  Par- 
zival  gebrochen,  gestiftet.  Bei  spärlichem  mahle  herbergen  ihn  die 
mönche  einen  tag  und  eine  nacht,  und  als  er  auf  weitere  abenteuer, 
um  preis  und  ehre  zu  gewinnen,  abreiten  will,  ermahnt  ihn  einer  der 
„guten  männer":  wie  er  damit  seine  seele  verderbe,  dass  er  die  men- 
schen töte.  Parzival  erschrickt,  geht  in  sich,  bereut  seine  Sünden,  tut 
busse  und  verspricht  besserung. 

Sp.  738.  Hie  sticket  der  tüfel  Parxefalen  von  sime  rosse,  und 
machet  sich  der  tüfel  xuo  eime  rosse,  und  tvurt  dax  ritende  und 
wolte  in  ertrencket  han. 

Der  teufel,  in  rittergestalt,  sticht  ihn  ab,  und  reitet  mit  seinem 
rosse  fort  Dann  komt  ein  lediges  gesatteltes  schwarzes  ross,  das  er 
einfangt,  sich  aber  mit  ihm  in  tiefes  wasser  stürzt,  aus  dem  er  sich 
jedoch  mit  mühe  errettet 

Sp.  742.  Hie  kumtnei  der  tüfel  in  eime  schiffelin,  und  het  sich 
gemachet  in  Parx^fals  wibes  geschöpfede. 

Während  der  held  sich  betend  bekreuzt  und  seiner  Sünden  gedenkt, 
komt  eine  feurige  dreiköpfige  gestalt  mit  leopardenantlitz,  feuer  schnau- 
bend unter  donner,  blitz  und  hagel  auf  ihn  zu.  Zugleich  komt  auf 
dem  wasser  ein  schifchen  mit  einer  Jungfrau,   worauf  jene  gestalt  ver- 


438  SAN  MABTB 

schwand,  und  diese  ihn  herzlich  als  sein  weib  Kondwiramur  anspricht; 
sie  habe  ihn  lange  gesucht.  Bei  der  tafel  im  zelte,  die  ihre  leute 
bereiten,  wird  von  keinem  priester  ein  segen  gesprochen.  Sie  erzählt, 
wie  ein  grimmiger  ritter,  Talides  von  Cafalun,  ihr  land  verheere;  sie 
bereitet  das  bette,  und  als  Parzival  scherzend  bei  ihr  lag,  blickt  er 
nach  seinem  an  der  wand  hängenden  schwort,  das  mit  dem  griff  oben 
ein  kreuz  bildet  Da  bekreuzt  er  sich  und  betet,  und  siehe,  plötzUch 
schaffen  die  knechte  bett,  alles  gerät  und  das  zeit  in  das  schiff,  das 
unter  donner  und  blitz  schnell  davon  schwamm.  Nun  erkante  er  des 
teufeis  list,  dankte  gott,  dass  er  ihr  entrann  und  betete  inbriinstiglicb. 

Sp.  747.   Hie  kumniet  ein  hotte  von  gölte  in  eins  biderben  man- 
nes  glichnisse  in  eime  schiffeUn  und  fiieret  Parxefalen  von  dannan. 
Der  biedre  mann  im  schiff  gibt  sich  dem  holden  zu  erkennen: 

Sp.  748,  13:  der  oberste  vatter  von  himelrieh, 

der  do  bekert  die  siinder, 
het  mich  noch  iich  gesant  her 
dax  ir  vmi  sorgen  werdent  erlost. 

Folgt  mir,  ich  werde  euch  zum  ziele  führen.  Zuvor  lässt  sich  Parzi- 
val den  erfahrnen  teufelsspuk  erklären.  Dann  setzen  sie  über,  und  aus 
der  bürg  führt  ihm  ein  junker  ein  schönes  weisses  streitross  und  einen 
zeiter  entgegen.  Der  jetzige  herr  dieser  bürg  heisst  Sakur  de  Laloe, 
sein  Vorbesitzer  Bores.  Der  gute  mann  versicheii;,  nachdem  er  das 
streitross  bestiegen:  es  werde  ihn  gewiss  zu  seinem  ziele  führen. 

Sp.  752.  Hie  fihtet  Parxefal  init  ei^ieme  rittere,  der  kiesch 
ifnme  xoL 

Parcival  verweigert  den  zoll,  sticht  ihn  vom  ross  und  schickt  ihn 
zu  Artus  mit  der  Weisung  — 

Sp.  754.  Hie  knmmet  Parxefal  xuo  Dodineas  liep  und  tcurt  bbs 
fehlende  mit  eineyne  rittere,  der  sil  emveg  fuorte  siner  angesihte,  der 
hies  Oafyens. 

dass  er  zu  pfingsten  an  den  hof  kommen  werde.  Auf  einem  wiesen- 
plan  findet  er  in  einem  zelte  die  geliebte  des  wilden  Dodineas,  die  ihn 
entwapnet  und  freundlich  bewirtet.  Plötzlich  sprengt  auf  weissem  ross 
ein  ritter  daher,  reisst  die  dame  auf  sein  pferd  und  jagt  mit  der  weh- 
klagenden davon.  Parzival,  ohne  eisen  wehr  (blos)^  nur  mit  schild, 
Schwert  und  lanze  bewafnet,  ihm  nach,  rent  ihn  nieder,  schickt  den 
besiegten  zu  Artus,  und  führt  die  gerettete  auf  seinem  ross  zum  zelte 
zurück,  wo  inzwischen  der  wilde  Dodineas  heimgekehrt,  der  ihn  bis- 
her gesucht  hat  und  nun  ihn  freudig  aufnimt 


BtLDÜNGSOANO  DSR  ORALDICHTÜNG  439 

Sp.  763.  Hie  sendet  Parxefals  Heb  Kundetviramors  nach  imme, 
dax  er  ir  xe  helfe  kumme. 

Arides  von  Kaffalun  verwüstet  ihr  land;  nachdem  beim  schmid 
Tribuet  das  zerbrochne  schwert  ganz  gemacht  und  das  huflahme  pferd 
hergestelt  ist,  eilt  er  mit  der  botin  nach  hause. 

Sp.  766.  Hie  kummet  Parxefal  xuome  dirtten  mole  xuo  sime  liebe 
Kundewiramors  xuo  Beh'epere. 

Freudig  empfangen,  besiegt  Parzival  am  andern  morgen  den  Ari- 
des, und  schickt  ihn  zu  Artus,  muss  aber  tages  darauf  weiter  zum 
leidwesen  der  gattin,  um  zu  pfingsten  bei  Artus  am  hofe  zu  sein. 
Inzwischen  melden  sich  beim  könige  der  ritter  Menader,  der  Parzival 
den  zoll  abforderte,  dann  Gafyens,  der  die  Jungfrau  rauben  wolte,  und 
endlich  Arides  als  von  Parzival  geschickte  gefangene,  und  werden  mit 
freuden  in  die  tafeirunde  aufgenommen. 

Sp.  779.  Hie  vindet  Parxefal  den  xagehaften  ritter  und  wart 
sin  geselle  fünf  jar, 

Parzival  begegnet  einem  ritter,  dessen  waffen  im  sattel  neben  ihm 
samt  der  lanze  hängen,  der  tiefsinnig  (verdoht)  schien,  und  ungewapnet 
ritt,  weil  er  nie  fechten  wolte.  Parzival  schilt  ihn  wegen  seiner  feig- 
heit  und  nötigt  ihn,  sich  kampffertig  zu  rüsten. 

Sp.  781.  Hie  kummet  Parxefal  und  der  xagehafte  ritter  xuo 
xehen  rittem,  und  woltent  xwo  juncfrowen  hau  verbrant  und  werdent 
mit  in  vehtende. 

In  einem  walde  finden  sie  fünf  ritter  und  zwei  knechte,  die  zwei 
mädchen  im  hemde  in  ein  feuer  werfen  wollen.  Parzival  eilt  ihnen 
zu  hilfe,  der  zaghafte  tötet  in  notwehr  zwei  ritter,  Parzival  die  übri- 
gen; die  knechte  entfliehen,  doch  verwundet  der  eine  von  ihnen  Par- 
zival mit  einem  vergifteten  pfeile.  Die  sieger  werden  von  den  geret- 
teten zu  ihrer  nahen  bürg  geführt,  wo  Parzival  von  seiner  wunde 
geheilt  werden  soll.  An  drei  monate  weilt  er  dort  in  der  pflege  der 
Jungfrauen  und  des  zaghaften,  der  hier  auch  „der  schöne  ritter''  ge- 
nant wird. 

Sp.  789,  14:  nti  hörent  von  Sagramors  fürbaß. 

do  er  dort  uf  der  bürg  was, 
do  men  im  bot  so  gros  ere 
alse  were  er  gesin  ein  künig  here  (s.  sp.  662). 

Als  er  geheilt,  findet  er  an  Artus  hofe  fast  alle  tafelrunder  ver- 
sammelt, die  vergebens  Parzival  gesucht  hatten,  und  Artus  ist  höchst 
misvergnügt,  dass  dieser  nicht  erscheint  An  zwanzig  der  vorzüglich- 
sten gehn  von  neuem  auf  die  suche,  jeder  auf  besondrer  Strasse. 


440  »AN  MARTS 

Sp.  794.  Hie  vindet  Boors  sinen  bruoder  Lionel,  den  sehs  riU 
tere  fuortent  7icLcket  und  gebunden  und  woltent  in  verderben, 

Boors  hatte  seinen  bruder  seit  zwei  jähren  nicht  gesehn.  Da  traf 
er  ihn  im  walde,  wie  er  grausam  gemishandelt  und  blutig  geschlagen 
von  sechs  rittern  dahingeführt  wird.  Während  er  im  begriff  ist,  diese 
scharf  anzurennen,  hört  er  das  Jammergeschrei  einer  Jungfrau,  die  ein 
ritter,  den  noch  zehn  andere  umgaben,  entehren  wolte.  Boors  befiehlt 
seinen  bruder  gottes  barmherzigkeit  und  errettet  die  verfolgte,  indem 
er  den  Übeltäter  und  alle  zehn  ritter  niederstreitet  und  tötet  Dann 
eilt  er  seinem  bruder  nach.  In  der  nacht  den  wald  durchreitend,  trift 
er  auf  eine  am  wege  sitzende  Jungfrau,  die  einen  ritter  ohne  köpf  im 
schoos  hielt.  Sie  weinte,  denn  sechs  ritter,  die  einen  halbnackten 
mann  unter  rohen  mishandlungen  mit  sich  fortschlepten,  erschlugen 
ihren  liebsten,  der  den  armen  befreien  wolte,  und  schnitten  ihm  den 
köpf  ab.     Boors  eilt  vierzehn  tage  und  nächto  ihnen  nach. 

Sp.  799.  Hie  Hndet  her  Oairan  Lyonel,  den  sehs  ritter  sltw- 
gcnt  U7id  übel  handeltent,  und  wurt  her  Oaivan  mit  in  vehtende. 

von  Boorse  ich  hie  lasxen  sol, 
und  sagen  von  heni  Oatvane  cluog, 

Gawan  auf  seiner  suche  nach  Parzival,  begegnet  den  sechs  rit- 
tern und  tötet  drei  davon,  die  andern  entfliehen.  Den  geretteten  Lyo- 
nel bringt  er  in  ein  haus,  wo  ihn  ärztliche  pflege  in  vierzehn  tagen 
heilt.  Dann  reiten  sie  neu  gerüstet  zusammen  weiter,  trennen  sich 
doch  bald,  und  Boors  klagt  zu  gott,  dass  sein  bruder  ihm  nicht  zu 
hilfe  gekommen.  Nach  vierzehn  tagen  weist  ein  mann  im  grauen 
kleide  ihn  zu  einem  bäum,  wo  ein  toter  ritter,  namens  Lyonel,  liege. 
Boors  findet  ihn,  und  ti*ostlo8  fleht  er  zu  gott  lun  beistand,  macht  das 
zeichen  des  segens  über  die  loiche,  und  siehe,  da  fuhr  der  böse  teufel 
mit  freischlicJiem  gebrumel,  dass  die  äste  an  den  bäumen  zerbrachen, 
aus  der  leiche.     Mit  gebet  und  dank  zu  gott  reitet  er  weiter. 

Sp.  804.  Hie  begegent  Boors  s^imc  bruodere  Lyonel  ufid  tcuri 
mit  imme  vehtende. 

Wütend,  dass  er  ihn  nicht  gerettet,  rent  Lyonel  den  bruder  nie- 
der. Der  hinzukommende  Kolagrenans  will  sühne  stiften,  wird  aber 
von  dem  rasenden  Lyonel  erschlagen.  Boors  erholt  sich,  bittet  verge- 
bens um  frieden ,  und  fleht  inbrünstig  zu  gott  um  Vergebung.  Da  kam 
eine  wölke,  so  dass  beide  sich  nicht  sehn  konten,  und  eine  stimme 
vom  himmel  rief:  dass  Boors  seinen  bruder  nicht  anrühren  dürfe;  die 
wölke  verschwand,  und  Lyonel  lag  wie  tot  am  boden.    Als  er  erwacht 


BILDX7NGSGANG  DER  6BALDICHTX7NG  441 

versöhnen  sich  die  brüder,  ein  mönch  hilft  den  Kolagrenans  begraben 
und  meint:  der  teufel  sei  in  Lionel  gefahren,  daher  sein  wütiger  hass 
gegen  den  bruder.    Beide  trennen  sich  bald  an  einem  kreuzwege. 

Sp.  812.  Hie  kummet  Parxefal  unde  der  schöne  ritter  sin  geselle 
xuo  einie  tumey  ivider  kilnig  Artus  rnassenie. 

Der  gebruodere  tvellen  tvir  svdgen  hie, 
und  sagen  tvie  es  Parxefale  ergie. 

Nachdem  Parzival  genesen  (sp.  781),  gelangt  er  mit  dem  „schö- 
nen bösen",  dem  zaghaften  ritter  zu  einer  bürg,  wo  Artus  und  könig 
Bademagun  (sp.  506  und  513  hiess  er  Bagumades)  ein  grosses  turnier 
abhalten.  Sie  halten  es  für  geraten,  sich  in  einem  benachbarten  klo- 
ster  einzuquartieren  und  ungekant  sich  in  die  rennen  einzumischen. 
Ohne  das  ende  abzuwarten,  trennen  sie  sich  am  nächsten  tage  und 
nennen  sich  ihre  namen.  Parzival  meint,  jener  müsse  „der  schöne 
kühne"  heissen  (der  dichter  vergisst,  dass  beide  schon  sp.  506  bekant- 
schaft  gemacht  haben).  Dieser  reitet  zu  Artus,  Parzival  betet  und 
beichtet  sehr  andächtig  in  einer  kapelle,  und  der  einsiedler  verpflichtet 
ihn,  nicht  mehr,  wie  ehemals,  an  heiligen  tagen  waffen  zu  tragen. 

Sp.  822.  Hie  vifidet  Parxefal  Estoren  Lansxeletens  bruoder, 
und  werdent  mitteinander  vehtende. 

Auf  einem  plane  zwischen  Schotten  und  Irland  findet  Parzival 
Estom,  der  zwei  jähre  lang  irfahrten  gemacht  Trotzdem  er  in  zer- 
hauenen Waffen  erscheint,  fordert  er  Parzival  zum  kämpf,  der  beide 
so  ermattet,  dass  sie  erschöpft  die  nacht  friedlich  im  walde  zubringen. 
Beide  fühlen  sich  todmatt  und  wünschen,  dass  ein  priester  zu  ihrem 
sterben  komme.  Da  erhelt  sich  der  wald  mit  heiterem  licht,  ein  engel 
trägt  den  gral  herbei,  umschwebt  sie  viermal,  verschwindet  in  dem 
himmel  und  beide  fühlen  sich  völlig  gesund  und  stark.  Sie  trennen 
sich  versöhnt,  Estor  sucht  den  bruder  Lanzelot,  Parzival  den  Par- 
tinias. 

Sp.  828.  Hie  kummet  Parxefal  xu^  Partinias  bürg  und  tvurt  mit 
imme  vehtende, 

Parzival  gelangt  zu  einer  sehr  festen  bürg,  mit  vier  kleinen  und 
einem  grossen,  dem  roten  türm,  wo  Partinias  wohnt,  „der  d&me  heil- 
gen  künige  Anfortas^  so  grossen  schaden  getan.  An  einer  grossen 
prachtvollen  tanne  vor  dem  roten  türme  hängt  ein  mit  zwei  Jungfrauen 
bemalter  schild,  imd  ein  knecht  belehrt  ihn:  wer  den  herab  werfe, 
der  sei  des  todes  und  werde  hier,  wie  er  sehe,  aufgehängt.  Parzival 
zerixridit  den  schild,   und  der  knecht  ruft  den  Partinias,   der  nicht 


442  SAN  MABTE 

an   gott  glaubt     Sie  kämpfen,   und  Parzival  schlägt  dem  Partmias 
<ien  köpf  ab. 

Sp.  834.  Hie  kummet  Parxefal  xtio  känig  Anfortasse  xuo  dem 
dritten  mole  mit  Partinias  Iwubet,  und  wurt  der  känig  vomme  grok 
ge^nt, 

Parzival  komt  endlich  mit  dem  zerbrochnen  Schilde  und  abge- 
schnitnen  haupte  des  Partinias  zur  gralsburg,  und  als  dieses  dem  Am- 
fortas  gemeldet  wird, 

Sp.  835,  17:    der  künig  mit  vil  frouden  gros 

sprang  uf  sine  fuesse  do  xe  stunt 
und  was  alxemole  gesunt, 
frölich  und  gar  wol  gemuot 
gieng  er  abe  die  siege  guot, 
und  begrüsste  den  beiden  mit  grosser  freude  und  dank,   dass  er  ihn 
von  seinem  langen  leide  befreit  habe.     Der  köpf  des  Partinias  wird  auf 
einen  pfähl  gesteckt  und  auf  dem  höchsten  türme  ausgestelt    Die  tafeln 
werden  aufgeschlagen  und  dreimal  wird  der  gral,   der  blutende  speer 
und  die  patene  feierlich  herumgetragen,   der  gral  spendet  speise   und 
trank.     Nach  der  tafel   nimt  Amfortas   den  Parzival   in    eine   fenster- 
nische  und  f.agt  nach  seinem  namen  und  herkunft,   und  sie  erkennen 
sich  als  vcrwante,  denn  Parzivals  mutter  war  die  Schwester  des  Amfor- 
tas,  und  könig  Goun,   den  Partinias  getötet,   sein  bruder,   der  später 
das  „wüste  land",  Parzivals  heimat,  verwaltete.     Er  versichert  ihn: 
Sp.  839,  3:  alles  min  lafit,  des  ich  geweitig  bin, 
sol  üch  eigefiliche  undertenig  sin, 
und  muessent  xuo  künige  gecrönet  sin 
xuo  pfingesten,  die  xe  nekest  gont  in, 
dax  muos  sicherlichen  geschehen, 
Parzival  will  aber  die  kröne  nicht  annehmen,   so  lange  Amfortas 
lebt;   er  müsse  zunächst  zu  Artus,   werde  aber  sogleich  widerkehrea 
Amfortas  gibt  ihm  neue  herliche  wafnung,  und  so  reitet  der  held  ab. 
Sp.  840.     Hie  kummet  Parxefal  xuo  einem   burneri  und  vindei 
sehs  rittere,  mit  dai  wurt  er  vehtende. 

Auf  einem  wiesenplane  findet  Parzival  an  zwei  tannen,  zwei  lor- 
beer-  und  zwei  olivenbäumen  je  einen  schild  und  speer,  jeder  von  ver- 
schiedener färbe,  grün,  weiss,  gelb,  violet,  zinnoberrot,  das  sechste 
war  gemusieret  mit  allen  diesen  färben,  aufgestelt  und  lun  einen  brun- 
nen  herum  sassen  sechs  ritter  fröhlich  spielend,  und  von  vier  schöneo 
Jungfrauen  bedient.  Es  ist  der  könig  Saladres  von  den  insdn  mit  sei- 
nen fünf  söhnen:  Dinisodres,  Menassides,  Nactor,  Aristes  und  Qmgat^ 


BILDÜNGSaANa  DER  GBALDICHTüNa  443 

Parzival  sticht  alle  sechs  einen  nach  dem  andern  nieder  und  schickt 
sie  zu  Artus,  der  sie  freudig  aufhimt 

Sp.  846.     Hie   kämmet  Parxefal  xtw   sime   bruoder  utid  viirdet 
den  von  geschiht  Fervis  Anschefin  u?id  tvurt  mit  imme  vehtende. 


Hier  schliesst  sich  Wolframs  gedieht  B.  XV,  734,  1  an  und  wird 
L  769,  28  das  abenteuer  von  Boors  und  Lyonel  (s.  oben  sp.  794  und 
804)  kurz  widererzählt  —  Es  folgt  Wolframs  text  L  770,  1  bis 
L  772,  30,  wo  Parzival  in  einem  längeren  einschub  kurz  alle  seine 
abenteuer,  die  oben  sp.  582,  598,  602,  723,  738,  742,  747,  779,  781, 
822,  828  und  840  erzählt  sind,  dem  könig  Artus  mitteilt  und  bemerkt 
der  Übersetzer  dazu  (Schorbach  s.  T JTT) : 

Dax  Seite  er  dem  künige  gar. 
der  kies  es  alles  sckriben  dar 
an  ein  buock  von  worte  xe  wort, 
die  aventüre  wolt  er  han  für  ein  ort 
und  wax  ieder  Htter  aventüre  seite 
hies  er  ouch  sckriben  algereite, 
der  guote  künig  eren  vol, 
und  hies  es  gekalten  wol 
Im  buch  XVI   ist  hinter  L.  793,  28   rot  die   beischrift  eingefügt 
(a.  a.  0.  LIV): 

Hie  kummet  Parxefal  tind  sin  bruoder  Fervis  Anschewin  und  künig 
Artus  U7id  die  tafehnmder  alle  xuo  Muntsalfaschs  xuo  dem  grole. 
Hinter  L  820,  16  folgt  ein  grosser  zusatz  von  54  versen,  der 
die  krönung  Parzivals  erzählt,  wobei  ihm  14  grosse  könige  dienen, 
\md  die  gralfeier  mit  dem  festlichen  gelage  sich  täglich  einen  monat 
lang  widerholte.  Dem  könig  Artus  werden  auch  die  geheimnisse  des 
grals  mitgeteilt,  worauf  er  mit  seinem  hofe  heimzieht 

Hinter  L.  823,  10  werden  noch  einige  familienangelegenheiten 
während  Parzivals  regieruug  angeführt,  die  Verheiratung  zweier  muh- 
men  und  der  tochter  des  Amfortas,  und  die  Überlassung  seines  heimat- 
landes  an  könig  Malun.  Dann  folgt  die  bemerkung  zum  schluss  (sp.  845): 
Hie  het  der  alte  Parxifal  und  der  nutve  ein  etide  und  wax  rede 
kie  noch  geschriben  stat,  dax  het  Pßlippes  KoUn  gemäht, 
und  folgt  der  widmungsbrief  an  den  grafen  Ulrich  von  Rappoldstein. 

Die  casanatische  handschrift  fasst  sich  hier  kürzer  und  weist 
die  geschichten  von  Loherin  und  priester  Johannes  als  hier  ungehörig 
ab.  Nach  v.  Kellers  auszug  in  seiner  Bomvart,  s.  675  lautet  sie  abwei- 
dMDd  von  dem  &  LVI  verzeichneten  zusatz: 


\ 


444  8AN  MARIE 

Parxifal  bleip  aldo  für  war 
gewaUiclich  alle  sine  jar 
7nit  gemache  vnd  Übte  herlich 
tmd  Inavet  manige  vesten  sterkUch 
sine  nachgehur  vorchten  in  gar  sere 
vnd  erboten  ime  gros  ere 
sine  xwa  fnumen  beriet  er 
herli^h  nach  aller  siner  ger 
dar  flach  horte  er  sagen  mere 
dax  Anghfals  sin  bruder  tot  teere 
dex  tnirt  er  betrübet  gar 
ican  er  in  lieb  hette  fürwar 
er  sante  nach  de^n  künige  von  Malun  xo  hant 
tmd.  beualch  ime  al  sin  lant 
dex  landes  vndertcant  er  sich 
künig  Mahvn  gar  frümklich 
ouch  sage  ich  tich  von  Lohelagrin 
der  tet  grosxe  vmnder  schin 
da  er  sich  ritterschaft  versan 
i7i  dex  groles  dienste  er  pris  geican 
er  beginc  tvunders  so  tnl 
Dax  ich  nit  alles  sagen  tHl 
tvie  er  xti  der  herxoginyien  gein  Brabafit  quam 
vnd  di^  xti  einer  amyen  nam 
vnd  dar  nach  tmder  xu  detn  grol*fur  also 
do  vo?i  wil  ich  fiit  sagen  no 
tvan  dax  wer  xti  vil 
do  von  ich  no  sivigefi  tvil. 
Hie  solle  Er  ig  no  sprechen  usw.  folgt  Wolframs  text  L.  826,  28 
bis  zum  schluss  827,  30.         

Das  französische  manuscript,  wahrscheinlich  doch  auch  auf  kosten 
eines  reichen  geistlichen  oder  \v^ltlichen  hem  hergestelt,  oder  aus  einem 
kloster  hervorgegangen,  stelt  sich  als  eine  kompilation  verschiedner 
Schriftstücke  dar,  die  der  kompilator  notdürftig  in  Zusammenhang  ge- 
bracht, und  dabei  wol  manches  an  den  originalstücken  geändert,  aus- 
gelassen oder  hinzugefügt  hat  Crestien  hatte  die  aventüren  Parzivals 
und  Gawans  bis  zu  den  festlichkeiten  auf  Joflanze  geführt.  Hier  füg- 
ten sich  zunächst  die  fahrten  Gawans,  dessen  erster  besuch  beim  gral 
und  andere  abenteuer  ein,  die  nur  mit  Artus,  nicht  mit  dem  gral  in 
beziehung  stehn,   und  von  unbekanter  band  eingeschoben  sind.    (Sp.  1 


445 

bis  45.)  Dann  begint  das  buch  von  Carados  (sp.  45  —  165),  dem  uocli 
die  keiischheitsprobe  mit  dem  übergieasenden  becher  an  Artus  hole 
angefügt  ist,  wie  ja  einer  oder  der  andre  dieser  höfischen  schwanke 
fast  in  allen  romauen  dieses  kreises  zur  belustigung  der  leser  aufgeführt 
wird,  und  auch  in  unsemi  Jüngern  Titnrel  (str.  2343)  in  der  wunder- 
brücke über  die  Sibra  nicht  folüt.  Mit  sp.  169  endet  diese  erzähtung 
in  sich  geschlossen  und  ohne  Zusammenhang  mit  Paraival  und  gral, 
und  steh  sich  als  eine  ganz  selbständige  erzähhing  dar.  Die  folgen- 
den abschnitte  bilden  den  feldzug  Arthurs  gegen  das  schloss  Orgalus; 
8p.  259  reiht  der  konipilator  Gawans  zweiten  vergeblichen  besuch  beim 
gral  ein,  führt  ihn  auch  in  den  kämpf  mit  der  schwarzen  band,  den 
Parzivai  später  siegreich  bestellt,  deren  goheininis  der  dichter  aber  hier 
noch  nicht  verraten  darf.  Die  abenteuer  Gawans  und  aeines  solines 
werden  als  eine  besondre  geschichte  bezeichnet  (sp.  287,  3),  und  dieser 
folgt  die  erzählung  von  dem  schwan  mit  dem  schiff  und  toten  ritter, 
welche  sp.  314  endet  und  lediglich  wälschen  Ursprung  verrät  Die 
Überschrift  hier  lässt  nicht  wo!  einen  zweifei,  dass  der  kompilator  nun 
ein  neues  besonderes  Schriftstück  einfügt,  dessen  inhalt  bis  sp.  602, 
mit  ausscliluss  der  aventuren  sp.  513^579,  Gawans  fahrten  betreffend, 
Parzivals  gralsuche  erzählt,  als  dessen  Verfasser  gegen  den  schluss  hin 
sp.  582,  19  Walther  von  Dunsiu  genant  wird,  der  aber  kein  andrer 
ist,  als  der  anderswo  Oautier  de  Denet,  Oauchier  de  Doudain  oder 
Dourdain  genante  erster  fortsetzer  Crestiens,  und  gleichfals  wie  der 
kompilator  mit  Gawans,  dieser  mit  Parzivals  scheiden  von  Joflanze 
begint  Eine  vergleichung  unsers  textes  mit  Rochats  auszug  des  Ber- 
ner ms.  zeigt,  dass  dem  kompilator  Gautiere  gedieht  im  original  vor- 
gelegen hat,  denn  kapitel  für  kapitel  mit  wenigen  ausnahmen  stimmen 
die  Überschriften  im  Inhalt  mit  den  paragraphen  Bochats,  und  vermute 
ich,  dass  auch  diese  übereehriften  im  Berner  ms.  enthalten  sind,  wo- 
rüber Rochat  sich  äussern  mag.  Da  aber  zugleich  sich  eine  grosse 
Übereinstimmung  mit  dem  dritten  teil  des  Boronschen  Petit  Graal  (Par- 
zivai) nach  Birch-Hirschfelds  ausznge  ergibt,  wie  im  obigen  auszuge 
angedeutet  ist,  so  wird  erkenbar,  dass  Gautier  diesen  gleichfals  als 
Torarbeit  benuzt  hat;  und  in  der  tat  deuten  die  antiangsworte  des  Ber- 
ner ms.,  welche  Rochat  s.  1  mitteilt,  auf  die  dichtungen  hin,  die  ihm 
zu  Abfassung  seines  gedichts  anregung  gegeben  haben. 
Do  roi  Artu  lairai  ata/it, 

ket  si  ores  dor  en  avmit, 
le  bon  conte  de  Percheval 
et  le  haut  liere  de  greal. 


440  UM  MAKn 

Le  bon  conte  de  Percheval  ist  unzweifelhaft  Crestiens  gedieht, 
fortsetzen  will,  und  le  haut  Ui're  de  Greal  der  Petit  Oreal  '. 
den  dieser  in  seinem  ersten  and  dritten  teile  mehrnifds  hIü  In  fffunt 
estoire  dou  Qroel  bezeichnet,  von  welchem  vur  ihm  noch  kein  aterh- 
licher  geschrieben  hat  Dabei  holt  er  mehrere  avoiitüren  nach,  die 
Crostien  übergangen  hat,  aber  bei  Borou  vorhanden  sind.  Auf  Borona 
Merlin  geht  Gautier  nicht  ein.  Er  schtiesst  mit  Parzivals  krQnuDg 
nach  der  geneaung  des  fischerkönigs.  welcher  drei  tage  nach  der  krw- 
nung  stirbt,  und  finde  ich  tiiemach  erwiesen,  daes  wir  in  dem  Her- 
Der  ms.  die  dichtung  (Jautiers  in  ihrer  unverlezten  ursprünglichkint 
besitzen,  wodurch  der  wert  jener  handschrift  für  die  französische  litten- 
tor  sich  steigern  dürfte,  aber  auch  in  beziehung  auf  Wolfirams  gedidii 
nicht  unwichtig  ist.  —  Der  kompilator  des  Colinsehen  ms.  kontti  diif- 
seo  schluss  nicht  gebrauchen,  da  er  auch  noch  die  fortsetzung  Jdaoe»- 
siers  in  seinen  codex  aufnehmen  weite,  zn  der  aber  der  fischcrkönig 
am  leben  bleiben  musste,  um  auch  die  noch  hinzugedichteten  fata  Par- 
zivals mit  zu  erleben.  Parzival  wurde  daJier  hier  nur  in  folga  dor 
gelungenen  Zusammensetzung  des  Schwertes  gewisserraassen  als  statbal- 
ter  eiugesezt,  die  krönung  aber  verschoben  bis  Uanessier,  als  zweiler 
fürtsetzer  Crestiens  noch  seine  dichtung  vorgetragen  hat  Die  krönung, 
wozu  auch  Artus  eingeladen  %fird,  erfolgt  nun,  der  endliche  schliui 
wird  aber  in  Colins  bearbeitung  durch  die  anbüngung  der  beiden 
leiten  bücher  von  Wolframs  Parzival  herbeigeführt,  und  demgemSs 
der  französische  text  verlassen.  —  Die  dritte  fortsetzung  Orestiena  Ton 
Gerbers  bleibt  unerwähnt  and  unberücksichtigt,  existierte  vieileii'lil 
auch  noch  nicht  Mit  unrecht  schreibt  Colin,  dass  Wolfram  dem  Cn.- 
stien  nachgedichtet  habe,  indem  er  gauK  ignoriert,  dass  unser  i 
den  provenzalen  Eyot  als  seine  quelle  angibt,  dessen  nameu  < 
im  deutschen  Parzival  Wolframs  muss  gelesen  haben. 

Augenscheinlich  hatte  Robert  de  Boron  es  auf  ein  umfu» 
Schriftwerk  abgesehen,  wozu  ihm  Gott&ied  von  Monmoutiia  iiistorii 
Regum  Brittanniae,  ein  werk,  das  in  kürzester  zeit  einen  weltnif  orlao)^ 
hatte,  und  von  einem  grossen  teil  der  geschichtschreiber  als  wahrt 
authentische  geschichtc  aufgenommen  und  nachgeschrieben  wurde,  ma; 
anregung  gegeben  haben.  Die  bekehrung  Englands  zum  christentim 
zu  schildern,  war  ein  würdiger  Vorwurf,  und  ebenso  war  es  ein  glück- 
licher geistreicher  gedanke,  die  ausfiihrung  dieses  vorwürfe  an  di«  bte  . 
ins  8,  und  9.  Jahrhundert  zurückroichcndc  l^endc  von 
Arimathia  und  das  ihm  anvertraute  gefass  mit  dem  blute  C 
knüpfen,   wodurch  seiner  erzühlung  ein  populärer,   zugleich  i 


dem  Cn.- 
er  itt|||J 

nfusJS^ 


BILDüNQ8aAN&  DEB  aBAIiDIOHTXTNO  447 

unteignind,  im  gegensatz  zu  den  zahllosen  weltlichen  rittergeschichten 
der  fahrenden  sänger,  gegeben  ward,  der  noch  dadurch  gefestigt  ward, 
dass  wirklich  bei  der  eroberung  von  Cäsarea  a.  1101  die  berühmte 
schale  entdeckt  ward,  welche  in  der  ganzen  Christenheit  das  grösste 
au&ehn  erregte  und  für  die  abendmahlschüssel  des  heilands  gehalten 
wurde,  wie  ebenso  bei  der  einnähme  von  Antiochien  im  jähre  1098 
die  lanze  des  Longinus  gefunden  ward,  wiewol  sie  schon  einmal  Karl 
dem  Grossen  geschenkt  und  von  diesem  an  Otto  I.  gelangt  war  — 
ereignisse,  die  nach  50  bis  60  jähren  im  volke  noch  nicht  vergessen 
sein  konten,  die  daher  in  seine  erzählung  hineinzuziehen  für  den  dich- 
ter nahe  lag.  Indem  am  Schlüsse  des  ersten  abschnitts  des  Petit  St. 
Graal  dem  hüter  des  heiligen  gefässes  und  seinen  genossen  die  Wei- 
sung gegeben  ward,  fem  nach  dem  westen  hinzuziehen  und  das  Chri- 
stentum zu  verbreiten,  und  ein  himlischer  brief  ihm  die  täler  von 
Avaron  (Avalen)  anweist,  wo  sie  die  gnade  gottes  und  den  söhn  Alains 
des  Grossen  erwarten  sollen,  spricht  Boron  deutlich  die  absieht  aus, 
die  geschieh te  seines  heiligtums,  des  grals,  mit  den  einheimischen 
fabeln  des  Artuskreises  zu  verbinden;  denn  im  tal  Avalen  auf  einer 
insel,  auf  die  nach  altwälscher  tradition  sich  der  tödlich  verwundete 
Artus  zurückzog,  und  von  wo  seine  widerkunft  zur  herstellung  seines 
reiches  erwartet  wurde,  lag  auch  das  berühmte  kl  oster  Glastemburg, 
zu  dessen  abte  im  jähre  1126  der  dem  englischen  königshause  ver- 
wante  Heinrich,  graf  von  Blois,  emant  war,  in  dessen  auftrage 
"Wilhelm  von  Malmesbury  um  1135  sein  werk  De  antiquitate  ecclesiae 
Glasteniensis  schrieb,  worin  nach  Zamckes  scharfsinniger  erörterung 
(Paul  und  Braune,  Beiträge  DI,  325  fgg.)  nach  einer  späteren  Interpo- 
lation der  apostel  Philippus  mit  seinen  genossen  die  dortige  erste 
kirche  gegründet  und  das  Christentum  verbreitet  haben  soll,  worauf 
schon  lange  die  regierung  der  englischen  könige  den  anspruch  der 
Unabhängigkeit  der  englischen  kirche  vom  pabst  zu  Rom  gegründet, 
ein  anspruch,  der  auch  noch  im  Tridentiner  konzil  auf  grund  dieser 
fragwürdigen  akten  behauptet  und  durchgeführt  wurde.  Zustatten  kam, 
dass  auch  der  wälsche  klerus  im  einverständnis  mit  den  fürsten  und 
häuptlingen  des  landes  im  eignen  Interesse  die  Unterwerfung  unter  den 
pabst  beharlich  verweigerte  (s.  Lappenberg,  Engl,  gescliichte  I,  136, 
141,  182,  248).  Den  französischen  und  englischen  gelehrten  rauss 
überlassen  bleiben,  festzustellen,  zu  welcher  zeit  diese  Interpolation  stat- 
gefunden  hat;  dass  sie  aber  zur  zeit,  da  Boron  schrieb,  schon  vorhan- 
den war,  zeigt  eben  seine  Verweisung  der  gralhüter  nach  diesem  angeb- 
lich ersten  apostolischen  kirchensitz,   und  er  fand   darin,   ebenso  wie 


Gottfried  vou  Mnnnioiith  ein  mittel,  eins  lebbafte  iiitt-r* 
werk  Bowol  der  kirchenpulitik  des  oiiglischoD  hol'es  und  waa 
anhängig,  als  der  brittischen  nation  mit  ihren  tafelrundrittf m ,  sn  wip 
des  wuffenfreiidigen  adels  zu  gewinnen.  —  Ob  unter  iliescm  Alain 
dem  GroBseni  jener  Alanus,  herzog  von  Arniorika,  der  nach  Ooltfriedi) 
von  Monmouth  Historia  Xu,  12  —  18,  die  mit  Caihvallo  vertriebotn'D 
Wälschen  aiifualmi,  und  spätor  ihnen  zur  rüekemberung  ihres  landtsi 
bebülflich  war,  zu  verstehen  ist,  muss  ich  dahingestelt  sein  lassen 
Die  wälschen  fahelschreiber  liebtön  es,  die  namen  hervorragender  pw- 
sonen  ihren  tafelrun drittern  zu  geben,  wie  z.  b.  Ovein  (Ivain),  Oertint 
ab  Krbin  (Erek),  Caradoe  Briöbras  (Caradoc  Vreicb-vras,  Gottfr.  v.  Mon- 
mouth, Hist.  V,  14  nnd  anni.  393  und  meine  Arthiirsage  s.  30)  itnd 
Maglucunus  (Mael-giin)  des  Gottfr.  v.  Monmouth,  der  nach  do  la  Vil- 
leniarqnes  scharfsinniger  cntdfickung  in  den  Lanzelot  der  romane  ver- 
wandelt wurde*,  romane  die  schon  vor  Gautier  von  Crestieu  iind  andvn 
gedichtet  waren.  Sieht  man  nn  diesem  lezteren  beispiel,  wie  mit  der 
Verwandlung  historischer  personen  in  romanhelden  iimgesprungeD  wijd, 
80  dürfte  auch  die  Vermutung  nicht  woit  abliegen,  wenn  man  den  in 
Borons  Merlin  eingpführte»  beiehtvater  der  mntter  Merlin.«,  Blnif« 
den  permanenten  Chronisten  dieses  ganzen  Sagenkreises,  mit  diMn  Hein- 
rich grafen  von  Blois,  abt  von  Glastemburg,  durch  ein  Wortspiel' 
in  eine  sinnige  und  schmeichlerisclie  Verbindung  zu  briiigen  suchte, 
indem  so  die  chronik  des  Blaise,  „durch  die  wir  das  alles  noch  wis- 
sen", aLs  Urkunde  des  hauses  Blois  kentlioh  gemacht  werden  äoltc- 

Der  zweite  teil  von  Borona  Petit  Set.  Graal,  Merlin,  fad 
fest  anssohliesslich  auf  Gottfr.  v.  Monm.  Hist  Rag.  Britt  basiert,  hbJ 
auch  dieser  teil  entbehrt  einer  gewissen  geistlichen  farbiing  nicht  in  der 
er/ählung  von  Merluis  gebiirt  und  seines  Ixotz  teuflischer  treburt  uiu- 
flussreich  guten  Verhaltens  zu  Pendragon  und  Uter  als  deren  bemlcf 
und  prophot,  luid  von  Äilhure  schwertprobe  und  feierlichen  brtlnnng 
auf  geheiss  Christi  —  weniger  freilich  in  der  erzählung  von  ArthuR 
unehelicher  geburL  Aus  diesem  abschnitt  Borons  scheinen  die  Mw- 
linromane,  die  von  Lanzelot,  Tristan,  Iwein,  Erek  und  die  unzJÜilif;«iL 
zusammenhanglosen,  zum  teil  weit  über  Borons  zeit  hinausr«icbei)ii(D 
abenteuerfahrten   ihren  abfluss  gonommon,  oder  in  ihuen 


1)  Üter  üin  a.  jneiuu  jAi-thorsafe-o",  ».30.  31,  Bothat  L  c,  i 
litirg,  avHOh.  Eoglanda  I,  250  (Dambarg,  Purthes.  1S34). 

2)  S.  Saa  Mute,  Beiträge  xur  coltisch -germanist^en 
bu[g,  Bistß.  1847)  s.  93. 

3)  Bloi«,  Ut.  Blc8at>,  Caslellum  Blesense.     llartinltt.  I 


1^  0 


BILDÜNOSOANO  DER  GRALDICHTÜNO  449 

melpunkt  gefunden  zu  haben.  —  Das  gebiet  dieser  erzälilungen  liegt 
weit  ab  von  der  bekehrung  Englands  zum  Christentum  und  der  erfor- 
schung  des  grals  und  seines  heils.  Das  streben  der  beiden  ist  ein  rein 
weltliches,  persönliches  nach  ehre,  waiFenruhm,  minneglück,  wie  das 
rittertiim  sich  das  leben  mit.  den  schönsten  färben  ausmalte,  gleich wol 
ohne  feste  Charakterausbildung  und  klar  durchgeführte  motive. 

In  Borons  drittem  teile,  Parzival,  tritt  jedoch  ein  neues 
wichtiges  dement  in  die  dichtung,  indem  der  gral  mit  seiner  beglei- 
tung,  durch  Merlins  Stiftung  der  tafeirunde  an  Artus  hofe  abgesondert 
wird  von  dieser,  und  er,  als  abendmahlsschüssel  und  heilige  wunder- 
tätige reliquie  ein  selbständiges  leben  und  wirken  erhält,  während  der 
sitz  an  der  von  Merlin  gestifteten  dritten  tafel  nur  eine  Vorstufe  bildet 
für  den  als  besten  der  weit  bewährten  ritter,  welcher  bestimt  ist  den 
gral  endlich  zu  finden.  Und  den  bildungsgang  dieses  erwählten  zu 
schildern,  macht  sich  der  dichter  zur  neuen  aufgäbe.  —  Von  den  zwei 
ersten  teilen  des  Petit  Set.  Graal  haben  wir  gesicherte  manuscripte, 
beim  dritten  teile,  Pai-zival,  liegt  der  verdacht  neuerer  Interpolationen 
vor,  und  da  scheint  mir  durch  das  Bemer  ms.,  wie  es  Colins  franzö- 
sischer codex  mitteilt,  und  im  obigen  auszuge  markirt  ist,  einige  kon- 
trolle  geübt  Werden  zu  können,  indem  die  eingemischten  kapitel,  welche 
sich  zwar  im  Berner  ms.,  nicht  aber  bei  Boron  finden,  als  von  Gau- 
tier neu  eingeschoben  anzusehen  sind;  denn  jedenfals  ist  das  Berner 
ms.  jünger  als  Borons  ursprüngliches  gedieht.  Solcher  art  sind  die 
kapitel  sp.  322.  338.  351.  364.  371.  409.  439.  456.  485.  486.  492. 
506.  582.  586.  591.  598.  —  Und  ist  es  richtig,  dass  wir  das  Bemer 
ms.  als  Gautiers  Originalgedicht  anerkennen  müssen,  so  werden  die  im 
codex  Colin  enthaltenen  nachtrage  und  einschiebsei,  welche  sich  nicht 
im  Bemer  ms.  und  auch  nicht  bei  Boron  finden,  als  vom  kompilator 
des  codex  Colin  herrührend  bezeichnet  werden  köimen  und  sehe  ich 
recht,  so  gesteht  auch  der  kompilator  dies  selbst  in  den  zeilen  zu: 

Sp.  314,  22:    dar  xuo  vant  er  (Parxival)  ouch  xwor, 

dax  soUent  ir  tvüssen  fürwar, 
manig  oventür  swer, 
die  nüt  sint  geschrieben  her, 

d.  h.  die  nicht  in  Gautiers  gedieht,  seiner  vorläge,  geschrieben  sind^. 
Denn  dass  diese  bemerkung  nicht  von  Gautier  und  noch  weniger  von 
unsera  Übersetzern  herrühren  kann,  sondern  nur  vom  kompilator  sei- 
nes codex,  zeigt  der  bei  Rochat  abgedruckte  eingang  des  Bemer  ms.  — 

1)  Dies  sind  die  kapitel,  sp.ölS.  531.  561.  572.  579. 

V.  »»aia  F1IILOLO0IE.     BD.  xxu.  29 


400  SAN  BIABTK 

Der  schluss  des  dritten  teils,  Arthurs  kämpf  mit  Mordred,  und  sein 
verschwinden  auf  Avalen  Rundet  sich  wider  auf  Gottfried  von  Mon- 
mouth  und  ward  die  quelle  zum  roman  Mort- Arthur. 

Robert  de  Borons  schriftstellerperiode  wird  sehr  bestimt  begrenzt: 
von  1150  oder  1160  nach  "Waces  Überdichtung  von  Gottfr.  v.  Monm. 
Historia  Reg.  Britt,  dem  Roman  de  Brut  bis  zum  tode  Crestiens  de 
Troies  1190,  der  über  seinem  Conte  de  Set  Graal  hinstarb,  dem  aber 
doch  Borons  gedieht  schon  einige  jähre  vorher  zu  seiner  benutzung 
muss  vorgelegen  haben.  Auf  grund  seiner  höchst  eingehenden  ver- 
gloichmig  der  hierher  gehörigen  Schriftwerke,  wie  eins  auf  das  andere 
sich  stüzt  und  weiter  bildet,  datiert  Birch- Hirschfeld,  1.  c.  s.  239  —  241 

Robert  de  Boron  zwischen  1170  und  1189, 

Crestien  de  Troies  um  1189, 

Gautier  de  Doudain  zwischen  1190  und  1200, 

die  Queste  du  Set  Graal  1190  bis  1200,  jedoch  nach  Gautier, 

den  Grand  Set.  Greal  vor  1204, 

Manessiers  fortsetzung  des  Crestien  zwischen  1214  und  1220, 

Gerbers  von  Montreuil  einschub  zwischen  Gautier  und  Manessier, 
vor  1225, 

Parcival  li  Gallois  in  prosa,  um  1225,  vielleicht  auch  etwas  später. 
Wir  müssen  erstaunen,  mit  welchem  eifer  die  romanschreiber  über 
den  von  R.  de  Boron  angeregten  stofF  in  den  nächsten  Jahrzehnten 
nach  Crestiens  herfielen,  und  wie  emsig  jeder  des  anderen  werk  nach- 
las, um  das  material  der  dichtung  zu  ergänzen  und  zu  vermehren. 
Aus  Gautiers  angäbe  seiner  quellen  müssen  wir  schliesscn,  dass  ihm 
nur  Borons  gedieht  und  Cretiens  Conte  du  Graal  bekant  war;  auch 
fehlen  in  der  bis  jezt  bekanten  littcratur  ältere  Zeugnisse.  Da  aber 
Crestien  das  buch  zu  seinem  gedichto  geständlich  vom  grafen  von  Flan- 
dern, Pliilipp  von  Elsass,  und  vielleicht  ein  schon  mit  Zusätzen 
versehenes  exomplar  erhielt,  so  muss  ich  jezt  mit  walirscheinlichkeit 
annehmen,  dass  dieses  buch  eben  Borons  gedieht  gewesen,  und  nicht 
das  gedieht  Guiots  von  Provins,  wie  ich  früher  vermutete.  Bonm 
selbst  hat  in  seinem  dritten  teile  schon  eine  ziemliche  anzahl  von  aven- 
türen  aus  dem  wälschbretonischen  Sagenkreise  aufgenommen,  auch 
gegen  den  schluss  (Birch -Hirschfeld  s.  178)  nochmals  den  Merlin  auf- 
treten und  ihn  gewissemiasscn  den  epilog  zum  ganzen  sprechen  lassen, 
so  (liiss  es  nicht  befremden  darf,  wenn  hieraus  sich  immer  neue  zusätze 
anschlössen,  die  indoss  über  die  entsteh ung  und  bedeutung  des  grals 
nicht  im  geringsten  neue  aufschlüsse  geben,  indem  alle  oben  genanten 
fortsetzer  den  gral  als  abendmahlschüssel  und  heilige  wundertätige  reli* 


SaDUNGSGANe  DSB  GRALDIOHTUNO  451 

quie,  dem  gedankenstrom  Borons  folgend,  festhalten,  ja  das  gefass  fast 
mit  dem  persönlich  herumwandelnden  heiland  selbst  identificieren, 
dadurch  aber  auch  dem  ringen  nach  dem  gral  ein  religiöses  motiv 
unterschieben,  das  indess  eigentlich  nur  in  der  figur  Parzivals  zum 
bcstimten  ausdruck  komt,  bei  den  übrigen  beiden  jedoch  ganz  verges- 
sen oder  sehr  in  den  hintergrund  gedrängt  ist  Ich  glaube  behaupten 
zu  dürfen,  dass  alles,  was  die  altwälsche  und  altenglische  litteratur 
seit  den  jähren  1170 — 80  speziell  über  den  gral  überliefert  hat, 
erst  aus  Frankreich  nach  den  inseln  übertragen  ist,  und  es  wird  ein 
vergebliches  bemühen  der  englischen  gelehrten  sein,  den  Ursprung 
der  sogenanten  gralsage  auf  wälschen  oder  englischen  boden  zu  ver- 
pflanzen, wogegen  Crestiens  unvollendetes  gedieht  durch  die  besondre 
hervorhebung  der  figur  Parzivals,  als  von  gott  designierten  gralfinders, 
vermuten  lässt,  dass  er  ebenso,  wie  Gautier,  mit  der  erreichung  des 
gesteckten  Zieles  seinen  roman  habe  schliessen  wollen.  Dieses  neuere 
material  führt  daher  nicht  zur  quelle  der  graldichtung  zurück,  sondern 
ist  dichterische  fortbildung,  bez.  entstellung  der  französischen  dichtung, 
wenn  auch  die  alten  wälschbretonischen  sagen,  der  mons  dolorcmis, 
das  casteüum  piiellarufn,  die  sich  schon  in  Gottfrieds  historie  finden, 
die  jagd  des  weissen  hirsches,  das  selbstspielende  Schachbrett,  die  peit- 
schenden Zwerge,  die  schwarzen  männer  und  riesen,  die  feen,  ver- 
wünschten wesen,  verzauberten  Schlösser  usw.  mit  in  die  erzählungen 
hineingezogen  werden. 

Vergleichen  wir  diese  französischen  graldichtungen  mit  unserer  — 
ich  darf  wol  sagen  deutschen  version  der  gral-  und  Parzivaldich- 
tung  Wolframs,  so  treten  wir  in  einen  ganz  andern  kreis  religiöser 
anschauung,  können  aber  den  einfluss  französischer  vemiitlung  nicht 
verkennen.  —  Schon  die  Vorgeschichte  bei  Wolfram,  die  Colin  sehr 
treffend  als  „das  buch  Gamui-et"  bezeichnet,  weist  uns  mit  entschieden- 
heit  darauf  hin.  Die  begebenheiten  bei  Patelamunt  und  Kanvoleis  mit 
den  dort  auftretenden  personcn  haben  anspielungen  auf  andere  erzäh- 
lungen, die  jedenfals  in  der  französischen  litteratur  vorhanden  waren, 
und  wovon  sich  spuren  auch  selbst  in  der  deutschen  litteratur  finden; 
Bötticher  in  seiner  abhandlung  (Zeitschr.  f.  d.  phil.  XIII,  420  fg.)  hat 
meines  erachtens  evident  dargetan,  dass  Wolfram  diesen  abschnitt  nicht 
erfunden  haben  kann,  sondern  einem  roman  gefolgt  ist,  der  Gamurets 
leben  bis  zu  seinem  tode  umfasst  Dieser  teil  enthält  auch  die 
schmeichlerische  auszeichnung  des  hauses  Anjou,  wozu  ein  deutscher 
dichter  jener  zeit  nicht  die  geringste  veranlassung  hatte;  auch  findet 
sich  keine  spur  von  beziehungen  Wolframs  zu  dem  mit  dem  englischen 

29* 


TOfTW  II  er 


4«  auuuxa 

königsbatis«  vortrautf/n  floiitsdion  Weifen Imiiso,  dem  zu  lielie  Wfll 
wie  Zamcko  andoiitpt,  dieso  anspielmig  köiino  ^maclit  haben, 
teil  enthält  nicht  dio  geringste  hindeiitim^  auf  dnn  gral;  «r  gonäfrti"  der 
iiblicbüti  anfordcrung  an  tlic  dichter,  dass  sio  aucJi  von  dun  vitrf 
des  erkomen  beide»,  und  wo  möglich  auch  von  seinen  nadikl^ 
nachricht  gabüii.  Da  Cresticn  in  seinem  Cunto  du  Oraal  »cbm 
Boron  darin  abwich,  dass  er  den  Parzival  schon  als  ritteri&bignil 
pen  einführt,  olino  vater  nnd  mutter  mit  namen  zu  nennen,  nnd  sonÄt 
seiiio  abstamniung  vom  wälsohon  Alain  verwarf,  war  es  einem  sinui^ 
nachdichter  —  nennen  wii-  ihn  Kyot  —  nicht  schwer,  den  beiden  Ga- 
mui'et  als  würdigen  vater  Parzivals  einzuführen.  Eincti  wCMjntliiJi 
abweichenden  Standpunkt  von  Crestien  abpr  nahm  er  b(?i  iler  Überarbei- 
tung von  dessen  ge<iicht  ein,  dem  er  im  t«tMiichüchen  zwar  ziemli** 
treu  folgte,  und  daher  die  öftere  Übereinstimmung  Wolframs  mit  Crt^ 
Btien,  aber  dem  gral  den  Charakter  als  abendmaldschüBsel  vind  reii(|uii> 
nalim,  somit  die  foier  der  me^e  ablehnte  und  ihn  zur  stimme  gott« 
machte,  die  unmittelbar  zu  seinen  erwählten,  seiner  gemeiiule  rpd*(. 
welcher  er  die  form  einer  nach  der  unubhiui^gkeit  vom  palwt  streben- 
den geistlichen  brUderschaft  gab,  und  zwar  des  von  ihm  in  «einer  bihk 
einzig  belobton  tempekirdens.  dessen  nütglieder  in  Verteidigung  des 
christlichen  glaubensschatzes  für  ihre  Seligkeit  kämpfen.  —  Die  alle^ 
rischen  namen  imd  örtlichkeiten  des  gral-  und  zaubergebielos  sind 
französische;  wie  soll  ein  deutscher  sio  erfunden  und  in  einem  deut- 
schen gedichte  französisch  eingefügt  haben?  —  Die  scheinbar  so  m- 
sammenhangtus  dastehende  kon-oktur  Trevrezcnts  hinsieht»  der  neutralen 
engel  zeigt  auf  einen  rein  theologischen  gelobrtenstrcitpunkt 
jener  zeit  hin  (s.  meine  Parzivalstudien  II,  55),  auf  den  Ouiot  dim'Ji 
die  erwähniing  in  Borons  legende  von  Joseph  gekommen  soin  mi^, 
wo  am  schhiBS  erzählt  wird,  dass  Joseph  den  Vespasian  niciit  bl« 
über  die  Schöpfung,  den  sündenlall,  gebiirt,  leben  und  sterben  dos  Iwi- 
lands,  sondern  auch  über  das  Schicksal  der  neutralen  engel  bcdehnmg 
geben  soll  (Bireh-Hiridifeld  9.  153),  wodurch  Vcspasian  zum  i 
tum  bekehrt  ward:  ähnlich  wie  Trevrezent  di^n  Farcival  boleht 
Crestien  ziemlich  kurz  gibt,  Guiot  aber  ansführhcher  scheint  1 
zu  hüben.  —  Ähnlicher  art  ist  die  andre  korrektur  in  TrovreKontal 
dass  gott  und  nicht  der  priester  die  Bünden  zu  vergeben  vprmijr'f* 
Parzivalstudien  II,  123,  124),  wodurch  der  mensch  in  uumittclbiitv 
lieziohung  zu  gott  gosezt  und  dem  walirhaft  gläubigen  narb  dem  spi- 
teren  nusdnick  der  refonnatoren  das  algomeini-  prie*!tertnni  erteilt,  iBe 
priesterlicho  abäoUitiun  vcnvorfen,  und,  so   hoch   auch   der  , 


3n  uiM  iKii- 
bcdeimmg 
1  cJirilt    j 

KintalHP^ 


BILDUNGSGANG    DER   GRALDICHTUNG  453 

stand  geehrt  wurde,  ihm  der  göttliche  nimbus  genommen  wird,  zumal 
in  joner  zeit  er  in  seiner  Verworfenheit  an  haupt  und  gliedern  ein 
zerbild  dessen  darstelte,  was  er  eigentlich  sein  solte,  wie  Guiot  von 
Provins  in  seiner  bible  (mitgeteilt  und  übersezt  in  meinen  Parzivalstu- 
dien  bd.  I)  es  ausführlich  nachgewiesen  hat.  —  Die  graldichter  wissen 
nichts  von  einer  schuld  des  fischerkönigs,  wodurch  er  sein  grausames 
leiden  als  strafe  verdient  habe,  er  wird  vielmehr  nur  als  ein  objokt 
behandelt,  an  dem  der  gral  seine  wunderkraft  zu  bewähren  hat,  wäh- 
rend bei  Wolfram  die  blutende  lanze,  mit  welcher  jene  dichter  nichts 
anzufangen  wissen,  als  das  strafwerkzeug  gottes  für  seine  Versündigung 
gegen  gottes  gebot  dem  Amfortas  vorgehalten  wird,  wie  in  der  häus- 
lichen erziehung  dem  kinde  die  rute  gezeigt  wird,  um  es  an  seine 
Unarten  und  deren  konsequenz  zu  mahnen.  Darum  wird  auch  die 
blutende  lanze,  wie  ich  gegen  Birch- Hirschfeld  s.  185  bemerke,  dem 
gralo  vorangeti*agen,  weil  bei  der  gralfoier,  die  Rosenkranz  schon  1830 
lur  eine  art  agape  erkante,  vor  dem  genusse  des  gralsegens  reue  und 
busse  vorhergehen  muss,  die  durch  das  algemeine  wehklagen  bei 
erscheinung  der  lanze  sich  kund  geben.  Daher  ist  auch  Parzivals 
frage:  „tvax  mir r et  clir?^^  nicht  blos  eine  frage  teilnehmenden  mit- 
gcfühls,  sondern  eine  gewissensfrago  nach  der  seelenläuterung  des  ge- 
straften dulders,  ob  der  kranke  in  wahrer  reue  seine  schuld  erkent 
und  bekent,  damit  er  der  gnade  gottes  wider  teilhaftig  werde,  und  auch 
in  diesem  sinne  beantwortet  Amfortas  s.  819,  16  —  820,  4  die  frage. — 
Ebensowenig  legen  sie  nachdruck  auf  die  unwandelbare  eheliche  treue 
Parzivals,  der  bei  ihnen  mehrmals  an  zärtlichen  anwandlungen  leidet, 
und  sich  sogar  die  minne  der  damc  durch  den  hirschkopf  erkauft, 
weshalb  er  auch,  je  länger  je  kräftiger  zum  lleissigen  kirchcnbesuch 
und  sonstigen  äusserlichen  Übungen  angehalten  werden  muss,  der  fri- 
volen ansieht  des  weltlichen  rittcrtums  entsprechend,  die  bei  dem  minne- 
vergehn  Gawans  in  den  versen  sp.  37,  29.  30  ihren  charakteristischen 
ausdruck  findet  Auch  die  liebestreue  Sigunens  lassen  sie  bei  seite, 
obwohl  ihre  gestalt  verdunkelt  vorübergeht  (sp.  350),  und  die  erschei- 
nung des  Poirefiss  entgeht  ihnen,  da  ihnen  das  buch  Gamuret  unbekant 
geblieben.  —  Femer  frage  ich:  wie  kam  Wolfram  zur  italischen  sage 
von  Virgil  und  Klinschor,  den  er  dem  wälschen  Merlin  substituiert, 
und  wie  zu  den  örtlichkeiten  in  Steiermark,  von  denen  Trevrezent 
erzählt?  worüber  der  vielgereiste  Kyot  sehr  wol  konte  künde  eingezogen 
haben.  —  Endlich  lassen  jene  graldichter  zur  lezten  prüfung  der  Wür- 
digkeit Parzivals  die  höllischen  erschein ungen,  ja  den  teufel  selbst  in 
grauenvoller  gestalt  gegen  ihn  ins  feld  ziehen,   nach  den  Vorstellungen 


4M 

des  stiiiupfen  Und  läufigen  vod  dorn  klcriii«  getunlirtun  ulii 
„nach  der  pfaffkeit  lere:'  Wie  künstlerisch  anschaulich,  ja,  ich 
sagen  verklärt  erscheinen  diese  ungeheuer  bei  Wolfriun  in  den 
die  ich  als  dem  reich  des  bösen  ungehörig  bezeichnet  habe!  i 
selben  stufe,  wie  jene  fi'anzösischen  dichter  steht  anch  Alhrocht  in 
nem  Titurel ',  der  über  den  gral  noch  die  eccicsie  als  die  liühere  macht 
aezt  Wenn  Birch-Hirsohi'old  am  schluss  seintss  wortvollen  werke*  za 
dem  resultat  gelangt,  dass  Wolfram  mit  seiner  Vorstellung  vuni  gnli« 
ganz  vereinsamt  dasteht,  so  möchte  ich  den  ausdnick  vielmehr  in 
originell  verwandeln,  denn  seine  religiöse  ansieht  steht  im  klaiwi 
gogensatze  gegen  die  jener  dichter,  so  wie  da»  biblische  evangdium 
der  piibstlichen  kirchensatzung  gegenüber  steht 

Und  in  denselben  Jahr.^chnten,  während  jene  dichter  den  grai  in 
ihrer  aufßisaung  verherlichten,  und  Guiot  und  Woltram  an  ilireo  dicJi- 
tungen  arbeiteten,  während  die  akademischen  kämpfe  über  A'w  wich- 
tigsten christlichen  glaubenssütze,  über  die  lehre  vou  der  Sündenverge- 
bung und  der  erlösung,  vom  ablass,  der  transsubstanliation  usw.  auf 
den  kathcdern  der  huchsehuten  und  auf  den  sc'hlüssom  der  gruttsun, 
wie  auf  den  gassen  auf  das  heftigste  diskutiert  wurden  und  ihren  hübo- 
pnnkt  erreicht  hatten*,  in  denselben  Jahrzehnten  wurden  schon  die 
Schwerter  geschliffen  und  die  Scheiterhaufen  geschichtet,  uni  die  fauii- 
dorttausende  hinzuschlachten,  die  von  der  entsti^^ltcn  kirchi'nlchre  aaA 
der  entweihten  pries terschaft  sich  mit  abschcu  abwanten.  Und  diiw 
tief  alle  schichten  der  Christenheit  in  Frankreich  und  weiter  dl 
wogende  religiöse  aufrogung  solte  nicht  auf  einen  gt-lchrten,  tiflf, 
nigen  bihelkundigon,  der  christlichen  Wahrheit  zugcwuntOD  geiat 
dcflseu  dichtung  einen  rcflex  geworfen  haben,  wio  der  franzose 
der  sich  mitten  im  lande  dieser  bewegung  befand,  ihn  angedeutet,  niid 
Wolfram  ihn  volkommcn  verstanden,  als  sein  eigentum  sufgenvmmeD 
und  in  meisterhafter  form  uns  widergogoben  lint?  In  ihm  glüht  ein 
funke,  der  nach  drei  jahrhundeiten  zur  hochauf lodernden  wclterluiich- 
tenden  flamme  aufschlug,  und  unsere  dichtung  hoch  über  alle  jene  buk 
zur  täglichen  Unterhaltung  gedichteten  werke  stelt,  und  ein 
ablegt,  das  wir  zum  vollen  Verständnis  und  zur  Wertschätzung 
ben  nicht  verläugnen  dürfen. 

1)  S.  San-Muto:  Rtiukhltuke  auf  diuhlungcii  ond  sogen  d(«  <!■ 
(QnwUinb.  Basse,  1872)  nr.  VII,  vergleich  Wolframs  mit  Allireoht  la 
boEJehung,  a.  175- 

2)  ßouter,  Geuuhiuhte  il»r  aufklüruiii;   im  miltulaltur.     Dd.  I,  buch 
tos  JslirhmiJert,     Berlia,  Hera,  1875. 

MAoni^DBa.  SAH  aiBi^ 


dttiejw 


455 

BERICHT   ÜBER  DIE   VERHANDLUNGEN   DER  DEUTSCH -ROMANISCHEN 
SECnON    DER    XXXX.   VERSAMLUNG    DEUTSCHER    PHILOLOGEN    UND 

SCHULMÄNNER  IN  GÖRLITZ. 

Erste  Sitzung. 

1.  Nachdem  sich  am  2.  Oktober  die  soction  im  saale  des  rathauses  constituiert 
hatte,  wurde  die  erste  sitzung  am  3.  Oktober  8V2  uhr  eröfnet.  In  das  album  haben 
sich  eingezeichnet:  Gaspary,  Breslau;  0.  Erdmaun,  Breslau;  Siebs,  Breslau;  Wolff, 
Kiel;  Marold,  Königsberg;  Blau,  Leipzig;  Weingärtner,  Breslau;  Wilke,  Lauban; 
Boetticher,  Berlin;  Kinzol,  Berlin;  Brugmann,  Leipzig;  Uhle,  Görlitz;  Koschwitz, 
Greifswald;  G.  Stier,  Zerbst;  Kölbing,  Breslau;  Ziemer,  Colberg;  Rost,  Schweidnitz; 
Wiodemann,  GörUtz;  Abicht,  Liognitz;  Fritsche,  Stettin;  Stomberg,  Görlitz.  Nach- 
dem der  erste  versitzende,  professor  Gaspary,  die  anwesenden  begnisst  hatte,  über- 
trug er  die  leitung  der  Verhandlungen  in  voraussieht,  dass  sich  dieselben  haupt- 
sächlich auf  dem  gebiete  der  deutschen  philologie  bewegen  mirden,  dem  zweiten 
versitzenden,  professor  Erdmann.  Zu  Schriftführern  wurden  Siebs  xmd  Wein- 
gärtner  gewählt. 

2.  Er d mann  widmet  den  während  der  lozten  zwei  jähre  verstorbenen  fachge- 
nossen werte  der  erinnorung;  in  eingehender  weise  gedenkt  er  vor  allem  der  Verdienste 
von  Karl  Goedeke,  Paul  Schütze,  Karl  Bartsch  —  dessen  teilnähme  an  den 
interessen  der  philologenversamlung  ganz  besonders  gewürdigt  wii*d  — ,  Nikolaus 
Delius,  Karl  Lucao,  Karl  Elze. 

3.  Sodann  hält  Mar old- Königsberg  den  angekündigten  vertrag*  „über  den  aus- 
druck  des  naturgefühls  im  minnosang  und  in  der  Vagantendichtung."  Die 
Vaganten  stehen  auf  dem  boden  der  lateinischen  schulpoesie  des  mittolalters;  von  ihrer 
gelehrten  ausdrucksweise  —  sie  pcrsonificieren  die  natur,  reden  vom  schoosse  und 
der  Schwangerschaft  der  erde  —  finde  sich  bei  den  älteren  minnosängem  keine 
spur;  erst  um  die  mitte  dos  XIII.  Jahrhunderts  seien  infolge  engerer  berührung 
zwischen  den  deutschen  sängcm  imd  den  wandernden  klerikem  jene  golehiten  de- 
mente in  den  deutschen  minnesang  eingedrungen.  Sie  treten  uns  eret  bei  Hohonvels, 
Nifen  und  späteren  entgegen,  deren  hcimat  —  ausser  Vrouwenlob  und  "Wizläv  — 
Schwaben  oder  die  Schweiz  ist,  und  bei  denen  sich  in  der  regel  beziehungon  zum 
geistlichen  stände  nachweisen  lassen.  Ein  weiterer  teil  des  Vortrags  behandelt  die 
Schilderung  des  winters,  der  in  der  Vagantendichtung  fast  durchweg  personificiert 
werde,  vor  allem  wo  der  dichter  den  kämpf  dos  winters  mit  dem  sommer  im 
äuge  hat.  Diese  Vorstellung  mag  urspiünglich  volkstümlich  sein,  jedoch  schon  die 
lateinische  gelehrte  dichtung  hatte  sich  ihrer  bemächtigt  (vgl.  z.  b.  den  conflictus 
veris  et  ktemis  des  Alkuin).  Bei  den  älteren  deutschen  minnesängem  finde  sich 
hiervon  keine  spur,  und  wenn  je  eine  stelle  beiVeldeke,  Hartman  und  Walther  einen 
beleg  bieten,  so  sei  zu  berücksichtigen,  dass  bei  diesen  dichtem  kontnis  des  latei- 
nischen und  gelehrte  büdung  vorausgesezt  werden  müsse.  Bei  den  minnesängern 
liege  vielmehr  das  chai'aktcristische  der  Winterschilderung  in  der  gemütvollen  teil- 
nähme an  den  Veränderungen,  welche  die  natur  erleidet  (der  entlaubte  wald,  das 
veränderte  bild  der  haide  usw.).  Dabei  bilden  sich  gewisse  typen  aus;  doch  fehlen  — 
abgesehen  von  einigen  stellen  bei  Voldeke  —  alle  physikalischen  anzeichen  des 
winters  (kalte  nachte,  die  niediig  stehende  sonne  usw.).  Diese  sind  für  die  vagan- 
tenlieder   charakteristisch,    während   sich   die   minnesänger    auf  die   innere   empfin- 

1)  [Dieser  Vortrag  wird  domnächst  in  erweiterter  form  in  der  zeitschr.  veröffentlicht  worden.    Red.] 


456  SIEBS 

duDg  beschränken  und  die  wintorklage  entweder  in  einklang  mit  dem  liebesschmen 
oder  in  gegensatz  zum  liebesglücke  stellen.  —  Eine  besondere  orörterung  verdiene 
Nithart.  Bei  ihm  seien  die  epitheta  des  winters  noch  algemciner  art,  und  nur  in 
den  unechten  liedem  seien  solche  zu  fmdon,  denen  eine  personification  zu  gründe 
liegt.  Dass  auf  Nithai't  die  Vagantendichtung  von  einfluss  gewesen  sei ,  zeige  sich  in 
häufiger  erwähnung  physikalischer  erschoinungcn,  z.  b.  der  winde,  dos  wettcrs,  des 
eises  (aus  der  ganzen  zahl  der  miimesängor  erwähnen  dieses  allein  der  kanzler, 
Konrad  von  Würzburg  und  ein  unechtes  lied  Nitharts,  während  sonst  nur  schuee 
und  reif  genant  werden);  auffällig  sei  bei  ihm  auch  die  mehrmalige  klage,  dass  die 
linde  nun  keinen  schatten  gebe:  sonst  wird  der  schatten  des  baumes,  der  in  den 
vagantenliodem  eine  grosse  rolle  spielt  und  vermutlich  aus  der  spiolmanusdichtung 
herübcrgonommen  ist,  im  minnesang  nur  an  vier  stellen  erwähnt  (Walther  94,  24; 
Ulrich  von  Wintersteteu  MSH  I,  139;  Vi-ouwenlob  MSH  III,  149;  Kon rad  von  Würz- 
burg in,  334).  Nach  der  zeit  Nithaits  finde  ein  immer  grösserer  ausgloich  statt 
indem  die  chai'aktoristische  art  und  weise  der  vaganten  sich  im  minnesang  einbüi'^^^ri} 
und  umgekehrt  Was  schliesslich  die  deutschen  Strophen  der  carmiua  Burana  angehe, 
so  seien  liier  die  wintersc'iilderungcn  durchaus  in  der  terminologie  der  s|>ätoren  niin- 
nesänger  abgofasst  —  In  der  sich  anschliessenden  debatte  erwähnt  Kölbing  die  von 
E.  Th.  Walter  (Germ.  34)  über  den  uraprung  des  minuesangs  neueixüngs  g^^äusserton 
ansichten  und  weist  sodann  auf  die  naturschilderungen  im  französischen  epos  und  auf 
das  mittolenglischc  epos  hin.  Hier  werde  namentlich  zu  beginn  der  abschnitte  die 
wintcrstimmuug  in  Verhältnis  zur  liebe  gestclt,  z.  b.  im  Merlin.  —  Gaspary  bemerkt, 
gelehrter  einfluss  sei  in  dem  doch  algcmeineu  vorkommen  derartiger  auffassung  der 
Jahreszeiten  nicht  zu  erblicken,  und  belogt  diese  ansieht  durch  hinweis  auf  proveu- 
zalischo  und  älteste  italienische  dichtungen.  —  Stier  macht  auf  ein  im  jähre  18K8 
erechienenes  Wcrnigoroder  festprogramm  aufmerksam  ^  —  Koschwitz  ist  der  ansieht, 
die  carmina  Burana,  in  denen  sich  so  viele  romanische  elcmento  finden,  seien  zu 
'utemational  in  ihren  motiven,  als  dass  sich  für  deutsche  dichtung  sichere  8c}ilü&>e 
daraus  ziehen  Hessen;  die  personiiicierende  auffassung  der  Jahreszeiten  nelmie  zeitlich 
mehr  und  mehr  zu.  —  Siebs  vermisst  in  dem  vortrage  Marolds  durchgeheuds  die 
imtersuchung,  inwieweit  wir  volkstümliche  motive  zu  erkennen  haben,  und  hält 
dafür,  dass  man  bei  solchen  arbeiten  nicht  füglich  die  carmina  Burana  heranziehen, 
die  volkstümlichen  grundlagen  des  minnesangs  aber,  wie  sie  Berger  (Ztschr.  f.  d.  i>hil. 
XIX,  440  fgg.)  unter  Verwertung  der  volksliedersamlungen  festsgetelt  hal)0,  unl)erück- 
sichtigt  lassen  dürfe.  —  Marold  erwidert,  das  falle  nicht  in  den  kreis  seiner  Unter- 
suchungen: er  habe  von  nationalen  dementen  abgesehen  und  überhaupt  nur  zügo 
hervorheben  wollen,  die  den  gemeinsamen  charakter  der  gelehrten  dichtung  und  des 
minnesangs  erweisen.  —  Wolff  bemerkt,  lenz  und  liebe  hätten  von  jeher  den  gegi»n- 
stand  aller -lyrik  gebildet:  die  Verbindung  beider  motive  sei  im  wesen  des  dichteri- 
schen processes  überhaupt  begmndet.  Die  anakreontik  des  18.  jahrhundoits  und  dio 
griechische  littoratur  wcixlen  herangezogen.  Nur  übereinstimmende  proben  ganz 
aussergewöhnlicher  naturkdebung  seien  für  abhängigkeit  beweisend.  —  Erdmano 
hält  eine  solche  annähme  für  viel  zu  weit  gehend.  Möglichkeit  der  Originalität  sei  ja 
selbstverständlich,  indes  hätten  wir  doch  der  anhaltspunkte  für  entlehnung  gar  viele; 
ein  sehr  wichtiger  scheine  ihm  z.  b.  in  den  besprochenen  Personifikationen  der  erde 
zu  liegen. 

1)  U.  Dreos,  Die  pootibcho  naturbotrachtung  in  den  liedem  der  deutschen  minneslngcr.    Wer* 
nigerode  1888. 


PHILOLOGENVBRSAMLUNG    ZU   GÖRUTZ  457 

4.  KiDzel  bittet,  in  weiteren  kreisen  für  das  pädagogische  untomehmen  der 
herausgäbe  älterer  deutscher  litteraturdonkmäler  nebst  Übersetzun- 
gen, die  ihm  und  Boetticher  obliege,  wirken  zu  wollen.  In  dieser  samlung  sollen 
41  gedichte  Walthers  von  der  Vogel  weide  erecheinen,  denen  etwa  20  liodor  aus  „Des 
minnesangs  frühling**  vorangeschickt  worden,  um  die  entwicklungsgeschichto  der 
lyrik  zu  veranschaulichen.  Der  vortragende  gibt  Übersetzungsproben  von  6  liodom 
Walthers. 

Schluss  der  Sitzung  IO74  ^^' 

Zweite  Sitzung. 

1.   Am  4.  Oktober  wird  die  sitzung  um  87«  uhr  mit  dem  vortrage  Wolffs  „üb  er 
den  stil  des  Nibelungenliedes'^  eröfnet.  Zunächst  wiixi  angeführt,  dass  volks-  und 
kunstdichtung  nicht  gcgensätze,  sondern  stufen  seien:  wenn  mau  das  Hildebrandslied  und 
ebenso  die  Nibelungen  als  volksepen  bezeichne,  so  lasse  mau  viele  grade  unberücksich- 
tigt   Eine  ontwicklungsgeschichtliche  erklärung  müsse  auf  dem  Nibelungenliede  fussen. 
Volksdichtung  sei  die  poetische  gostaltung  der  im  volke  fortlebenden  sage,   so  lange 
sie  von  individualität  ungetrübt  sei.     Stilistische  cigentümlichkeiten  der  Volksdichtung 
.seien  z.  b.  die  typisch  gewordene  Zusammenstellung  paarweise  zusammengeordneter 
worto  (wip  unde  man)^  ferner  parallclismus  des  satzbaus,  gewisse  metaphorn  u.a.m. 
Andere  erscheinungen  hingegen,  die  häufig  als  merkmalo  der  Volksdichtung  angesehen 
werden,   seien  nur  elemente  der  volkstümlichen  poosie,    nicht  der  volkspoesie, 
und  sie  seien  violüach  durch  die  Spielmannsdichtung  hineingekommen,    z.  b.  formel- 
hafte Wendungen,    sodaim  die  Superlative  ausdnicksweise    (tntr  efikunde  nimmer  lie- 
ber geschehen)^   die  schalkhafte  durstellung  usw.     Im  algemeinen  tragen  nicht  nur 
einzelne  lieder,   sondern  das  ganze  gedieht  einen  höfischen  charaktor,    und  der  sei 
nicht  etwa  einem  höfischen  Überarbeiter  zu  danken,    sondern  der  geist  des  ganzen 
Werkes  sei  höfisch.     Beweise  dafür  liegen  in  der  scliildorung  höfischen  prunkcs,    for- 
ner in  der  darstellung  des  coremoniellen  benehmens  {liüeäeger  vor  Hagctie)^    in  der 
auffassuDg  der  ethischen  begriffe  {ere,  minne)\  wir  finden  die  ei*st  nach  dem  zweiten 
kreuzzuge  in  Deutschland  eingedrungenen  demente  des  ritterwesens  (aectitiurej  fjoste 
U8W.);   die  alten  Charaktere  sind  gemäss  der  neuen  auffassung  umgestaltet   (Ilagetie 
der  vil  xierliche  degen;  PrmMlt  dax  minnecliche  wip)  —  kurz,  die  wonigen  spu- 
ren der  volkspoesie  seien  von  höfischer  kunst  überwuchert.  —   Sodann  wird  eröilert, 
ob  die  lieder  zum  singen  gedichtet  seien,    oder   ob  wir   es   mit   einem    zum    lesen 
bestirnten  Schriftwerke  zu  tun  hätten.     Auf  gruud  stilistischer  eigentümiichkeiten  wii*d 
die  lezto  ansieht  verfochten.     Zwai*  werde  im  Nibelungenliede  die  scenerie  der  hand- 
lung  kurz  vorgeführt  (dö  sprungen  von  dem  sedele  u.  ähnl.);  der  schall  ausführlich 
beschrieben  {icart  der  schal  so  gröXj    dax,  Wormex  diu  ril  loite  dar  nach  ml  Inte 
ftdox)^  der  sprechende  innerhalb  derselben  rede  widerholt  eingeführt  und  nicht  selten 
dio  konstruktion  ano  xoivoO  vonvant;    aber  es  sei  stets  nur  von  sagen,    nicht  von 
singen  die  rede,    und    subjektive    uiieilo,    seeleuschildemngen,    motivierungen    und 
Parenthesen  seien  zahlreich;    ebenso    komme    häufig    betonung   von   äusserlichkeiten, 
namentlich  der  kleidung,  vor.     Diese  lezterwähnten  i)unkto  seien  füi*  ein  zu  lesendes 
werk  bezeichnend,  denn  das  liod  kenne  keine  begründung  und  erläuterung,  sondern  nur 
^ä^hen.    Wir  könten  also  höchstens  von  kleineren  epischen  gedichten  reden,    die 
zosammengeschweisst  seien;  aber  auch  das  sei  nicht  anzunehmen,  da  wir  einen  inne- 
'^  CQsammenhang,   eine  lückenlos  fortlaufende  handlung  hätten;    femer  das  durch- 
&hm^  motiv,  dass  alle  lust  in  leid  ende.    Widersprüche,  die  durch  das  ganze  werk 


loufda,   atibu  aü.'lit  atidurs  xu  beurtüilon  iUh  lici  Bi^liillur  (Tinu  <.'jirl<iHj  irdi-'i 
spearo  —    die   seiun   durr.h  varHcliififono  qiicllon   erkUrlich.      Auoh    liobi'    : 
interpolBtionoD  iind  priDci|iioII<>Q  abäiidcningt-n  dur  iwhroiW   la  rochnrm. 
allam:    wir  babon  das  original  oiuas  uatiimaleD  hofopos  vor 
uumho  britckon  xum  rnimdon  romantiBuhon  borepoh  fiUiiiiD   (m  uai 
Wulfnuu}.    AIh  huimat  des  gudiuhtus  bexoiulinet  der  vurtragatidti  Ostontioh;  ^ 
stobuDg  seüt  er  aus  utillstlschQQ  gründoD  uud  aunahmu  hLstorischor  i 
luühluDg  dea  Friedrich  Barbarast»  mit  Beati-ii  von  Ttargund)  vor  1170  an. 

Dl  der  dobatfa!  wmidet  aiuh  zunilühst  Boetticlier  ge^-po  den  redoet. 
gegensatx  oiiios  romaiitisitliGn  and  nationalen  hüropoB  sei  aiiklar  uud  utslit  tu  liilUgn: 
botepoK  SM  die  iu  stulT  und  rorm  von  den  Franx(isi)ii  ontlobutu  inodedivblnng,  «Ui- 
rend  die  voUssago,  von  dem  Hptolleutan  hüfiauh  autgopuxt,  vorgotrngnn  wnrdn.  ¥t> 
nor  hJitton  wir  im  Nlbelungenliodo  durchaus  koinen  oinh^itllchon  xtil,  sonden  im 
volksmüsaige  stil  dor  Bpieltnaausixioeie  uud  dor  hüllHcho  sül  soiou  in  grossen  (lailini 
unverwjhmolxon  nabonoinander  zu  linden;  auch  soion  dio  roslauhilderunguu  usw.  dimdi- 
aufl  nicht  zum  ganzon  vorschmühcn.  liuini.Tkunswoi't  sei  fumor,  data  kein  börutelwi 
dichter  ausser  Wolfram  —  und  dieser  aus  anderen  grändrn]  —  IgibolungcndichltT 
enrühno,  wühiiind  doch  sonst  boi-ufuog  dos  oioon  auf  don  wideren  voriieg«  (Vrfdoko  — 
impffte  da\  erste  rls  u.v.a.)-  —  Dem  entgegnet  Wulff,  er  glaube  naturlieh  nicht,  im 
(üne  stiliBliscIie  hotraohtnng  allein  die  Kibolnngonfrage  lösen  könne.  DasB  übri^ma  der 
büfisclie  uhurakifir  nicht  einheitlich  durchgofiihrt  erauheino  —  hIko  dio  vorwutamitltngg 
den  spielmaDUHmüKsigen ,  de»  volksmässigon  und  des  hÖÜBohoa  stilolemoiito»  —  artUn 
sich  eben  dnroh  das  ringen  noch  einem  neuen  etil,  don'h  eine  iiborgangqwtiHilr. 
Boettiohcr  lienierkt,  der  kempunkt  der  ganzen  antonuohung  müsse  sein,  ob  vir 
überhaupt  lieder  oiizunehmon  bab(^,  gleichgültig  in  weloher  abgrenzung  und  veruW- 
tung;  und  diese  bigo  wordo  durub  stilbotrachtuogon  nicht  gelüsl.  —  Wnlff  borini- 
let  das.  —  Sodann  wendet  sich  Kinzel  im  ansohlusae  tui  Boettichors  aoffnsug 
gegen  dio  zu  verwerfende  methode,  die  des  vortragenden  untersncbung  eäiigi'twhUiwn 
habe.  T^ersolbu  hatm  sowol  bei  der  botrachtung  des  volkKtümliuhen  boshudM  iltf 
Nibelungen  als  aueh  bei  dor  bourteiluug  der  eiiiheit  seinen  ausgang  von  vurgufwMten 
meinnngen  und  deßnitlonen  genommen  und  dos  liod  au  diesem  massstabe  grmaMfn. 
Exompljlicationen  von  modernen  dichtuugon  (z.  \\.  der  vergleich  mit  den  widors|>rili:bi!a 
im  Don  Carlos}  seien  uuzulfisstg.  Sodann  wird  auf  griud  dogeheuderer  bespreohant 
des  vierten  liedes  des  vortragenden  annähme  bekiimpft.  —  Wolff  bemerkt,  üio  hat* 
die  eng  bemessene  zeit  genutigt,  in  der  form  atellenwoigo  dot^atiaoh  zu  votMiniB. 
Auch  sei  seine  anoidnuug  des  steiles  dadnrch  beeinflusHt,  dnss  die  rusultatv  MtH  iwaiir 
fortlaufenden  untorsucbunp  über  die  entwieklungsgesc hiebt»  dos  opisohon  stils  hennif 
gerissen  seien.  —  Zum  vergleiche  könne  man  die  bomerisoben  epon  berauzioboa,  Ü* 
keine  volksiweaie  mehr  seien;  ebenso  die  slswisoheu  hisUjriBchen  volkalledier,  db  aof 
der  stufe  unserer  spit^luiannspoosie  stunden.  —  Rost  wirft  dem  vortragenden  efatmUt 
vor,  er  sei  von  vorgefasslon  meinnngen  ausgegangen,  und  wendet  sieb  dann  i 
IHilnen  gegCD  die  Buffassong  gewisser  von  Wolff  als  hiiHsch  bezeichnülon  t 
[rieh.  hMleh).  An  hinsehen  cinflüssen  sei  das  liod  reich,  aber  man  1 
keine  liberar)>eltung  anzunehmen.  —  Wolff  entgegnet,  xierlifh  and  ■ 
der  holden  seien  beweiskräftig  für  die  veräusserlichl«  beurt^iluug  des  hol 
Uhlo  äussert  ülier  die  bedeutungsentwicklung  genanter  cpithots  eine  aii 
ijiebs  mit  einigen  etymologischen  bemrrkungon  widorspriclit.  —  Zum  ir 
Grdnianu,   sclilagworte  wie  .volkstüniticbe  poesie"   imd   ^Ttatii^naln  t 


PHIMLOOeWTEHBAMLUKe  Zu  oßBLITZ 


45S 


so  ächÜD  ait'  klingen  niügen,  mit  vorsieht  anzuwoodea.  Die  verschiodeiiea  imrüeo  — 
vor  allem  z.  b.  das  14,  gegon  das  'i.  und  3.  Ued  betrachtet  —  zoigtea  kontraste,  die 
unmö^ch  die  oinordaQug  zu  eioom  einheitlioben  ganzen  gestatteten, 

2.  Erdmann  verliest  einen  ontrag  Buettichors,  der  auf  einen  antrag  H.  Stiers 
in  der  [ddagogischeu  scction  der  De^sauor  pliilologonverstunlimg  im  jähre  1884 
EQTÜukgreift.  Die  resoliition  wird  einstimmig  in  folgender  fassung  aDgeiiommen: 
.Die  doDtsob-romaniscUB  Bection  des  40.  philolugentages  Behliesst 
auch  ihrerseits  siuli  den  bereits  1884  von  der  pKdagogisobon  soution 
aufgosteltcn  und  jüngst  in  der  versamlang  rheiuiesher  Schulmänner 
neobegründetoa  forderungen  hiasichtlicli  der  widerhorBtelluiig  der  mit- 
toIhochdoutBcbon  lektüre  in  den  oberston  klaseon  der  gymnaKien  und 
realgymuasioii  an,  indem  sie  in  den  immer  hÜuSgar  und  dringender 
lautwordondon  äusscrungon  dieser  art  ein  unverkenbares  zoiuhen  oiaeg 
unabweisliehon  bedürrnissos  erblickt," 

3.  ErdmauQ  berichtet  über  eine  im  Iwsitze  desdr.  Wilhelm ■  Breslau  befindliche 
swiilung  von  biiofen  »Oä  Rninlors  nauhlass,  dio  der  vator  des  jetzigen  Inhabers  in 
Anklani  dun;h  einen  zufall  dem  verderben  entrissen  hat.  Es  sind  alles  biiefe  von 
gräSBcrom  litterarifichou  interosso;  Klojigtouk,  maier  Hoiniiel,  Job.  Chr.  Schmidt, 
Gleini,  Sucre,  Sal.  Gessnsr,  Moses  Mondelasobn,  Ebert  siud  vertreten.  Der  besibtcr 
tereitet  die  herausgäbe  vor. 

4.  Fritsehe  berichtet  im  anschlusso  an  diese  niitloilnng  von  dem  funde  eines 
tnsher  nur  teilweise  bekauten  Goethebriefes  an  Karl  August  sowie  über  bruchsUicke 
eiooB  briefwechscls  zwischen  Friedrich  Wilhclni  IV,  und  de  la  Motte,  die  sich  in 
Stettin  im  besitze  des  assossor  Sohweecker  boßndcn. 

.   Wolff  erwähnt  denmachst  von  ihm  eu   vcrüfientlichende   handschriften  der 
__8a^uer  gymnasialbibhothek ,    unter  denen  nameotlicb  briefe  von  Emestino  Voss  an 
]  aohn  Abraham  bemerkenswert  seien. 

I  bes|iricht  ein  manuHcript  der  Breslaner  stadtbibliothok.  welches  — 

motlich  nach  oiuer  handschnft  —  im  jähre  ISOG  auf  der  bibliothek  des  Halliscbcin 

s  abgeschriebene  godiobtu  von  I.udw.  Wiih.  Oleini  enthält    Es  sind  ,Lie- 

t  gesungen  im  jahro  1792",  „Zoitgedicbto  für  wenige  leser.    Int  janner  1801"  und 

Sohwehserische  kriegsticder.    1708."     Die   beiden    ernten  samlungen   sind  im  dnick 

eracfaienen;   die  leztgenante  ist  dem  rofercnten  nur  aus  eioer  unvolständigi'n  hand- 

Bchrift  bekant,  die  sich  im  Oloimstine  zu  Halberstadt  befindet. 

7.  Nachdem  Erdmann  einige  vorschlage  betrufM  der  wähl  der  voinitiendcn  für 
die  nächste  in  München   abMihaltende  versamhmg  gemacht  hat,    gibt  Kiozcl  pro- 
ben seiner  überaetziingeu,  indem  er  woitoro  elf  üoder  Walthere  vortriigt 
Schluss  der  Sitzung  11  ubr. 

Dritte  sitEung. 

Am  Sonnabend  den  5,  Oktober  wird  die  siUnng  erst  um  ft'/i  "br  eröfnet,  damit 
den  mitgliedem  gelegenbeit  gegeben  sei,  dem  vortrage  des  dr.  Lehmann-Berlin 
«ülier  den  deutschen  Unterricht"  in  der  pUdagngisrJien  sectinn  ancuwobnen. 

1.  ElrÖftiet  wird  die  Sitzung  unter  voniitz  des  prof.  Gaspar,v_'mit  dem  vortrage' 
deapref.Koschwitz-Oreifswald  ,Übor  dio  notwendigkeit,  bei  syntaktisoheu 

m  prutoliola  dw 


460  SIBBR 

UDtersuchuDgen  die  lauthistorischua  vcräDdorungon  nicht  unbeachtet  zu 
lassen.*^    Für  das  studiura  des  französischen  sei  das  Verhältnis  dor  geschriebenen 
zur  gesprochenen  spi-ache  von  höchster  Wichtigkeit    Neuerdings  haben  schulrefonuer 
(wie  Paul  Passy)  behauptet,  man  müsse  die  gesprochene  spräche  unterrichten.    Not- 
wendige Vorbedingung  dafür  ist  uatüriicii  die  grammatik  einer  gesprochenen  spräche. 
Das  Verhältnis  dor  schiift  zur  ausspräche  lässt   sich   noch   am   ehesten  klarstelleD; 
al)er  in  der  erkentnis  der   quantitütsgesotze,    des  wort-  und  satzaccentes,   der  too- 
höhe,    des  Verhältnisses   der   gesprochene»   zur  geschriebenen  formenlohrc  sind  wir 
noch  weit  zurück.  Bezüglich  dos  lezten  punktes  verweist  dor  vortragende  auf  seiue 
^Neufranzösische  formonk^hre  nacli  ihrem  lautstando.  Oppeln  1889. "    Die  gesprochene 
tiexionslehre  zu  unterrichten  —  wie  reform  er  es  vorgeschlagen  haben  —  sei  wol  kein« 
erleichterung  des  lornens:  da  trete  in  den  meisten  fällen  für  die  regel  der  schrütgram- 
matik  nur  eine  andere  formulierung  ein;  aus  der  schulgrammatik  konto  man  doch  ba 
keiitnis  der  ausspräche  diu  regel  der  lautgi'anmiatik  abstrahieren,   aber  nicht  umge- 
kehrt. —  Betrefs  dor  abweicrhungen  zwischen  geschriebener  und  gesprochener  spracht' 
in  der  syntax  fehle  es  an  allen  vorarbeiten.     Die  ilexion  ist  vielfach  erloschen,  plu- 
rale  sind  meist  nicht  mehr  erhalten,  und  ueuausgebildete  syntaktische  mittel  vertraten 
die  alten  tU^xionon;   auch    sind  in  der  gesprochenen  spräche  die  alten  konkonlanz- 
gesetze  fast  geschwunden,    das  imperf.  conj.  und  das  porf.  histor.  existieren  fast  nur 
no<!h  in  der  gebildetonspmclie ;    superkompoiiierte  formen  {jai  eu  cntcfukt)  vertreten 
die  einfachen  u.  a.  m.     Diffeit)nz  der  gesprochenen  und  geschriebenen  spräche  in  der 
syntax  hat  es  selbstverständlich  wie  heute  so  auch  früher  gegeben:    darum  muss  die 
historisclio  erforschung   der   syntax   auch  die  lautsprache   ins  äuge  fassen'.     Daraus 
erklärt  sich  oft  die  aufstellung  spitzfindiger  gesetze,    denen  die  geschichtliche  basis 
fehlt.  —    lautliche  Veränderungen  können  syntiiktischo   Umwälzungen   bewirken.    So 
wurden    beim    Übergang    des   lateinischen  ins  romanische  formen  wie  fut  I  und  11, 
conj.  imperf.  und  perf.,  die  ihrer  lautlichen  gestalt  nach  zusammenfallen  oder  unkent- 
lich  werdtui  musten,   almählich  durch  Umschreibungen  und  neubildungen  verdrängt. 
Ferner:    im  frz.  des  12.  Jahrhunderts  vei'stumt«   l)ei  syntaktischer  zusammong^>hörig- 
k<üt  das  flexivischo  s  vor  konsonantischem  anlaut   (z.  b.  wo  ein  adjectiv  vor  einem 
konsonantisch  anlautenden  Substantiv  stand),  vor  vokalischem  anlaut  aber  und  in  der 
satzpauso,    d.  h.  am  Schlüsse  eines  satzes  oder  Satzgliedes  blieb  es  hörl>ar.     Dadurch 
geriet  schon  früh  der  gebmuch  des  ilexivischon  s  im  nom.  sing,  und  den  obliquen 
ca^us  ins  schwanken,  vermengung  des  nominativ  mit  den  casus  obli<iui  trat  ein,  und 
schliesslich  ward  die  casusunters(;heiduug  ganz  aufgegel>en.     Infolgedessen  ward  daon 
die  Wortfolge  im  satze  eine  strengere,    und   im  mittelfrz.  entwickeltt^  sich   die  dies- 
bezüglirhc  feste,    heute  noch  geltende  regel.     Die  crhaltung  des  tt  gerade  im  plur. 
beruht  wol  mit  darauf,    dass  der  acc.  plur.   häufiger  in  der  satzpauso  stand  als  der 
nom.   sing.;    das  .v   bli«'b  dann   bis   ins   17.  jahrhuntlert    an  dieser  stelle  lautend.  — 
Redner  geht  dann  auf  das  verstummen  des  U)nloson  c  näher  ein  und  führt  u.  a  aus. 
dass  tonloses  e  nach  einem  hauptton  vokal  viel   si)äter  am  schluss  des  satzes,   wo  es 
unter  dem  satzton  stand,  vei-stumt  ist,   als  in  andern  fiülon:  also  spätt*r  in  .,/«  nim 
fptc  j'ai  ru€"*  als  in  yj\ii  rufe)  la  mere.^"     Sehr  oft  haben  solche  erscheinungeu  xu 
den  spitzfindigen  schreibgesetzen  der  grammatiker  anlass  gegeb«»n:    daher  die  kompli- 
cierten  ivgeln  xxhov  pluralisation  appellativisch  gebi-au(;hter  eigermamen,  z.  b.  Cicerons; 
hier  lautete  das  .s  gar  nicht. —  Die  regel,  dass  man  nu-tctc  und  nu-pieds^  aber  iit€ 
nur  und  picdfi  nus  zu  schreiben   habe,    ist  mo<h'm:    afrz.  heis.st  es  fw«  teste  und 
teste  nucj  nur  verstumte  das  c  im  ersten  falle,  wo  os  ja  vortonig  war,  eher.    Bei 


FHILOLOORNTERSAHLUNa  Zu  GÖRLITZ  461 

afrz.  nux  piex  ist  s  (x)  schon  früh  verstumt,  in  pie%  nu%  hingegen  wurde  es  bis 
zum  17.  Jahrhundert  gesprochen.  Der  advcrbielle  Charakter  des  voranstehendon  nu 
L<*t  eine  fabel,  und  so  steht  es  auch  mit  den  regeln  über  demi,  »uppose,  excepte 
usw.  —  Nfrz.  lielas  ist  unveränderlich;  im  aft'z.  aber  brauchte  man  eh  las!  oder 
eh  lasse!  {Uisses  plur.),  je  nachdem  sich  männliche  oder  weibliche  weson  dieses  aus- 
druckes  bedienten.  Da  er  stets  in  der  satzpause  stand,  so  verschwand  die  flexions- 
unterscheidung;  aber  auch  im  masc.  blieb  das  s  fest.  So  ist  auch  die  moderne  regel 
über  mil  und  mille  (milles)  nur  durch  verstummen  des  e  imd  s  möglich  geworden.  — 
Sodann  weist  der  vortragende  die  regel  über  die  konkordanz  des  part.  pei-f.  mit  dem 
Subjekte  bei  reflexiven  verben  als  eine  neue  Spitzfindigkeit  nach.  Dass  ferner  das 
part.  perf.  bei  avoir  gerade  bei  vorangehendem  accusativ  das  e  bzw.  s  aufrecht 
erhielt,  bei  nachstehendem  aber  verlor,  komme  dalier,  dass  im  lezton  falle  das 
part.  meist  an  den  satzschluss  trat,  wo  sich  ja  auslautendes  e  und  s  am  längsten 
erhielt.  —  So  werden  alte  durch  frühere  lautverhältnisso  berechtigte  erscheiimngen  in 
der  Schrift  festgehalten,  aucli  nachd(»m  sich  die  lautverhältnisso  geändert  haben;  oder 
theoretiker  finden  in  dem  aufgeben  des  alten  lautes  grund  zur  aimalune  von  differen- 
zienmgon,  welche  die  spräche  nie  gekaut  hat.  Solche  erscheinungen  finden  sich  in 
allen  sprachen,  am  häufigsten  aber  natürlich  da,  wo  wie  im  französischen  eine  starke 
abschleifung  flexi vischer  laute  statgefunden  hat.  —  Erdmann  bemerkt  hierzu,  dass 
diesen  hochinteressanten  nachweisen  sich  aus  der  entwickluug  des  deutschen  in 
historischer  zeit  verhältnismässig  wenig  älmliche  falle  würden  zur  seite  stellen  las- 
sen. Doch  sei  z.  b.  die  moderne  Unsicherheit  im  gebrauche  des  conjunctivs  wol 
zum  teil  aus  dem  zusammenfallen  vieler  formen  desselben  mit  den  noch  im  mhd. 
von  ihnen  imterschiedenen  formen  des  indicativs  zu  erklären.  —  Gaspary  will 
die  regel  über  das  particip  nicht  auf  lautlichen  einfluss  zurückgeführt  wissen:  das 
praedicative  Verhältnis  sei  wol  noch  tiefer  empfiuiden  worden.  Aus  dem  spani- 
schen sei  nichts  zu  ersehen;  im  italienischen  habe  eine  abschleifung  nicht  stat- 
gefunden. Die  i"egel  sei  ungefähr  die  des  altfranzösischen:  unveiiüidert  sei  das 
part.  bei  voranstellung,  veränderlich  bei  nachstellung.  —  Koschwitz  gibt  zu,  dass 
die  erscheinung  vielleicht  nicht  bloss  auf  lautlichem  oinflusse  beruhe;  wie  in  den 
meisten  fällen  hätten  auch  hier  gewiss  zwei  factoren  zusammengewirkt.  —  Brug- 
mann  weist  darauf  hin,  dass  erscheinungen  wie  die  vom  vortragenden  behandelten 
sich  auch  in  den  älteren  indogennanischen  sprachen  finden,  namentlich  auch  schon 
in  der  muttersprache  des  französischen,  im  latein.  Die  jüngere  sprachentwick- 
lung,  in  der  sich  der  Vorgang  schrittweise  an  der  band  der  Sprachdenkmäler  ver- 
folgen las.se,  werfe  hier  wie  so  oft  liclit  auf  die  älterc,  wo  sich  der  process  ganz 
oder  zum  teil  in  vorhistorischer  zeit  volzogen  hat  und  es  dem  foi-scher  wilkom- 
men  sein  muss,  wenn  sich  seine  deutung  durch  analoga  aus  modernen,  leichter 
überschaubaren  Sprachphasen  stützen  liLsst.  ALs  beispiele  dafür,  dass  auch  bereits 
im  lateinischen  rein  lautlicher  wandel  syntaktische  neuenmgen  im  gefolge  hatte,  führt 
Bnigmanu  den  locat.  sing,  auf  -F  und  die  2.  pers.  plur.  auf  -ynim  an.  Dass  der 
locativ  mehr  und  mehr  zu  gunsten  der  ausdnicksweise  mit  in  c.  abl.  wich,  hing 
damit  zusammen,  dass  die  locativform  mit  der  genitivform  zusammenfiel  (belli  „im 
kriege**  und  „des  krieges*).  Bei  den  mit  dem  lautlichen  zusammenfall  (F  auch  im 
nom.  plur.  masc.)  zusammenhängenden  orthographischen  bestimmungen  der  alten 
grammatiker  (des  Lucilius  El  für  /  pingue,  T  für  i  teiuie)  liefen  in  ähnlicher  weise 
Spitzfindigkeiten  und  wilkürlichkc^iten  unter  wie  in  den  analogen  fälh»n  bei  den  älteren 
finmxösiflchen  grammatikern.     Das  imperativische  seqiiiminl  ist  mit  J.  Wackernagel 


dSS  KiaBF 

als  aino  imporntivlsch  vorwenrlotu  inßnitlvroriii  anxuarhcn,  ilic  dnrr  grir^h.  i 
wio  Xty^ftfVHi  entB|jricht;  dos  indicativischii  nequimim  dagoj^oii  w&r  nodi  ■ 
tung  ein  noin.  ptur.  part.  med.  (entsproobood  griocli.  fniiftivot  and  inüfitrat)  ■ 
urapränglinh  niohl  auf  den  gobranch  iüa  2.  pors.  boBubriUikt;  man  aagt»  a 
»vm-ua,  aalU,  tunt.  Nun  batt«  der  xnsanimeiifBU  von 
einerseits  dass  dos  imperat.  sequiminl  sich  auf  plurnlisi^ho  verwi-ndang  1 
iu>dnri>r8nitii  ilnss  dos  indicat.  gequimin'i  mit  woglassung  der  copula  nnr  i 
2,  pere.  geViranobt  wimie;  in  jenem  tallo  hatte  das  indicaU  gequimittf  d 
visclie  bueindoxat,  in  diesem  nmgohebrt 

2.  Da  die  nächste  pbilologenvcrsatnlung  in  Hfinchnn  stAt£iidon  s>iU,| 
den  zu  seotionfivorsitzendet)  die  profeRsoren  Konrad  Hnriiiaiin  »ad  Br« 

3.  Naclidem  der  TorsitiRnde,  prot.  flaspary,  doii  aiivresfiidcn  fttr  ilir  J 
tu'u  gedankt,  scliliefiat  or  die  sitzinig  um  10'/^  ubr. 

BBiaUV,    OKIOBKR    1BB9. 


MISCELLEN  UND  UTTERATTTR. 


rundriaa  der  germaniacbon  philo! < 
Amira  .  .  .  fn.  a.)  herausgcgehea  i 
einer  taM,    StiMsbuiK,  Trübnor.  1889. 


UennHun  Pniil.     I.  lieferutig.     ttt 


250  8 


Eine  lOBammcnfassung  dos  biähor  von  der  duuLtchen  philologie  i 
unter  geGichtspiinktoTi,  welche  auf  ihre  weitoron  aurgalioo  hinweisen  wilton,  wu 
unEweirclbaft  erwiiuBuht  und  dankenswert,  wenn  suhon  für  diu  geauhichh)  unaefw 
vissensebaft  IiereJts  varzügliclio  gosaiutdarBtellungon  vorlagen  und  iiisofern  Pkü* 
unternehmen  nicht  in  gleichem  niaxse  neues  bieten  konte  wie  Oröben  gmudriw  d«r 
niinaniHcben  philologie,  an  welchen  «cb  der  seinige  üussorlieh  anaohliessL 

nie  erste  lieterung  wird  fast  gaux  dnrch  die  ^adiiishto  und  diu  mctluxlonlahn 
der  gennaniachun  philolugie  itnsgufült,  welohe  Pnul  soibst  boarUiituI  hat  Übet  da 
begriff  ttod  Eweuk  dieser  wiKsenHebaft  gebt  er  xir-juliub  tasvh  hinweg.  Kr  sdibari 
sieb  Eunüchst  an  Böckba  deriiiition  au,  welche  als  gegenstanil  der  (ihilologie  di< 
gesamte  ue^scblicbe  kultur  besnichnet,  eine  deflnttiun ,  nadi  welolusr  iibilulugta  und 
gi-seh lullte  ~  wenn  diese  ebeuso  im  woiteslan  sinne  gefitsiit  wird  —  xuuuninonhllai' 
Und  tju  spricht  aouli  Faul  in  dmi  crslen  algometnen  bemerkungon  seiner  incAbodiii- 
luhro  nicht  vom  philolugen,  soudem  vom  bisturiker.  FreUich  bnsobräakt  er  Cm* 
doch  die  aufgäbe  des  pbilolu|{eD,  indem  ov  ihm  die  beschäftigang  mit  den  apncb- 
denkmülem  tuweist  und  daher  sprach  Wissenschaft  und  littoratiirwiBKuuH<baR  alit  di* 
nutwendigen  Eweigo  seiner  tjitigkoit  ansieht.  Vielleiubt  lösKt  sieh  dien.-  bi.'ächriiakiipf 
noch  weiter  auf  einen  einzigen  kenipniikt  Kuriickfiihron.  Ich  sehlii»9i>  mich  dabai  ■> 
b«morknngen  an.  welche  MüUeaboff  mündlich  gofiussort  Imt  and  die  loli  aus  dar 
erinnerung  freilich  nur  in  sehr  unvolkommener  weise  widergeben  bann.  HQUeohtiS 
sielte  den  Philologen  dem  hislotitor  so  gogenfibor,  doss  or  dluMm  den  »taat,  Jen 
die  puusii'  als  den  mitt;;1puukt  seines  interosses  xuwies.  Gi-^nanor  wnrden  wir4| 
mit  Tiröhnr  (Qrimdriss  der  romanischen  philologie  s.  140  n.  ■),)  ansta 
künstleriavh  gestaltete  rede  setzen,  nur  dass  für  die  ältere  luit  Widna  Ji 
fiUt    In  der  tat  sind  eben  die  wiKsenachaftlii^heu  Geher,  die  skuh  mtl 


ÜBZB  PAUL,  OBÜNDRI88  DER  OKBM.  PHIL.  X  463 

hen,  metrik,  litteraturgeschichto,  poetit,  sowie  die  erklärung  einzelner  dicht-  und 
Schriftwerke  so  rocht  eigentlich  anfgahen  der  philologie,  während  dio  grammatik  auch 
von  den  sprachforschem  im  engsten  sinne,  die  altertümer  von  historikem  und  Juristen 
in  anspruch  genommen  worden.  Aher  das  tatsächlich  bestehende  Verhältnis  zunächst 
den  historikem  gegenüber  lässt  sich  auch  begriflich  rechtfertigen.  Die  Wissenschaft 
der  geschichte  hat  es  mit  dem  geschehenen  zu  tun;  sie  will  den  gang  einer  entwicke- 
lung  begreifen  und  darstellen,  und  sie  bekümmert  sich  daher  um  die  träger  dieser 
entwickclung  streng  genommen  nur  insofern,  als  an  ihnen  diese  entwickelung  sich 
volzieht  und  erscheint  Die  philologie  dagegen  fasst  das  gewesene  ins  äuge  und 
bemüht  sich  um  die  kentnis  der  einzelwcsen,  welche  sie  nach  allen  Seiten,  soweit 
die  überliefemng  es  nur  gestattet,  sich  zu  vergegenwärtigen  strebt.  Daher  greift  die 
geschichte  weit  aiLS,  während  die  philologie  sich  gern  beschränkt  Geschichte  und 
Philologie  verhalten  sich  in  der  art  ihrer  arbeit  und  ihrer  erzeugnisse  wie  maierei 
und  plastik:  jene  gibt  von  einem  festen  Standpunkte  aus  eine  ansieht,  welche  über 
grosso  flächen,  auf  weite  fernen  hin  sich  erstrecken  kann,  aber  immer  nur  eine  seite 
des  gegenständes  vor  äugen  stelt;  diese  zeigt  uns  volfiguren,  nach  allen  Seiten  hin 
ausgearbeitet,  aber  hx3ilich  so  dass  diese  gegenstände  nur  für  sich  oder  höclistens  mit 
wenigen  vei*wanten  erscheinungen  zusammengefasst  werden.  Müllenhoif  sagte,  wenn 
ich  nicht  irre:  gaschichte  stelt  dar  was  die  menschen  verbindet,  und  keine  Verbin- 
dung ist  so  stark  und  so  weitgreifend  als  die  durch  den  staat  gegebene;  philologie 
beschäftigt  sich  mit  dem,  was  den  einzelnen  auszeichnet,  und  so  eigen  ist  ihm  nichts 
als  die  poesie,  die  kunst  der  rede.  Äussert  sich  in  der  kunst  das  ganze  geistige 
vermögen  —  >\ie  es  ui*sprünglich  durch  das  verbum  können  bezeichnet  wird,  —  so 
ist  unter  allen  künsten  die  kunst  der  rede  dazu  am  meisten  befähigt,  da  sie  am 
wenigsten  an  äussere  bedingiuigen  gebunden  ist.  Es  kaim  mm  dio  frage  aufgeworfen 
werden,  ob  und  wie  die  übrigen  gegenstände  der  philologischen  forschimg  mit  jenem 
mittelpunkt  in  Verbindung  zu  bringen  sind.  Zunächst  die  grammatik.  Es  leuchtet 
unmittelbar  ein,  dass  für  das  Verständnis  der  poetischen  denkmäler  auch  die  volstän- 
digste  und  genaueste  kentnis  der  spräche  durchaus  nötig  ist,  dass  auch  die  etymolo- 
gie  schon  der  wortbedoutimg  wogen  ein  unentbehrlicher  bestandteil  der  philologischen 
grammatik  ist.  Dio  volständige  kentnis  der  spräche  erstrebt  nun  auch  die  Sprach- 
wissenschaft im  engeran,  besonderen  sinne.  Aber  wideiiun  ist  ein  unterschied  zwi- 
schen philologie  und  Sprachwissenschaft  vorhanden,  der  mit  jenem,  welcher  philologie 
und  historik  trent,  sich  wol  vergleichen  lässt  Die  Sprachwissenschaft  nent  sich 
genauer  noch  dio  verigleichende,  weil  sie  mehrere  sprachen  heranzieht,  entweder  um 
über  die  geschichtliche,  schrifüiche  Überlieferung  zurück  die  zusammenhänge  der 
sprachen  zu  erforschen  oder  \\m  das  wesen  der  spräche  überhaupt  zu  erkemien.  Der 
Philologe  dagegen  will  für  jedes  einzelne  dcnkmal  auch  sprachlich  die  einzelart  fest- 
stellen; er  will  wissen,  wie  jeder  ausdmck,  jede  Wendung  zu  verstehen  ist,  welche 
absiebten  der  Verfasser  damit  verfolgt,  ob  er  ernst  oder  ironisch  spricht,  ob  er  ruhig 
oder  leidenschaftlich,  gemein  oder  erhaben  sich  ausdrückt:  alles  fragen,  welche  den 
Sprachforscher  wenig  kümmern  werden.  Insofern  ist  auch  von  der  grammatischen 
seite  her  die  poesie  hauptgcgenstand  der  philologie,  da  sie  die  spräche  in  der 
grösten  freiheit  und  kraft  erkennen  lässt.  Ähnlich  steht  es  nun  auch  mit  den 
übrigen  feldem,  welche  die  philologie  gemeinsam  mit  anderen  Wissenschaften  bear- 
beitet Jacob  Grimm  nimt  teil  an  dem  auf  bau  der  deutschen  rechtsgeschicbte,  aber 
was  ihn  besonders  beschäftigt,  ist  die  poesie  im  recht,  ist  das  gebiet  der  formen  und 
fonneiiL   Alle  äussemngen  des  geistigen  Icbens  berücksichtigt  die  philologie,  aber  mit 


dorn   liauptaiigmimi'rk   itiif  dns  poettRchc  (tls  ditA  DigiTntiiTnlii'hn  der  i 
puriodeti,   der  nntbncn.    Ulmn  sinn  für  das  poetiMclio  mng  oiiior  «in  gator  i 
sohnr,   «n  gtitor  hktnriker  odor  Jurist  sein,   alwr  n'ui  gnler  phQologo   (•(  i 
Blicken  wir  auf  imsere  meintöi-,   die  brödor  Orimm,    LaahmauD,    UhUod, 
und  wer  sonst  ibii^n  beixu^-esitUen  ist,    m  wird  uiu  iliiüier  sinn  Für  dttt  pt^j 
sich  vieirai^h  (sellist  wtmii  wir  von  Uhinnd  alisiihtj)  nudi  durch  sclbBtltuJige  4 
sui;he  kundgcgeliuu  liat,   als  das  chamkteriätische  für  ihiv^  wissunRchnftlicba  I 
prschoinen.     Und  darin  üo)^  schliessliub  auch    dii>   eiKCntlipho  lioroclitignjig  i 
Wissenschaft  iun'Thnllt  dos  geistiKen  lobons  unserer  nation;  deit^n  ästhotisohe  0 
ist  wosuntlivb  diu  auricibo  der  philologie;   den  sinn  filr  poosic  soll  fäe  ausblUKii  wd 
(vgu  orhnltj^o,  und  dies  ilir  verdienst  ist  für  uns  um  nu  grösser,  als 
tmatniitig  in  einer  mt  Inbou,  in  welchur  die  poetiscliu  |irodnkUa&  in 
begriffen  ist  und  die  itntion  durch  (lolitiscb -sociale  Tragon  inohr  und  n»4tr  tu  M 
gouoinmeu  wird. 

Traten  wir  »on  diesem  Standpunkt  nos  an  Paule  grundriss  h«nn,  m^ 
uns  xunücbst  als  ein  mangol  crscliuiuun,  doKS  in  tlvr  abttiilun;;.  widubu  dar  UtU 
geechiehtn  gewidmet  sst,  die  doutachc  litteratar  nur  bis  num  endo  de»  inittnliltiin 
borüoksicfatigt  werden  soll.  Wio  ungeitirbt/ertigt  diowr  nussrhliUH  der  ueuomn  «ü 
ist,  iteigt  sieb  schon  dann,  dsss  Paul  selbst  in  der  methodenlehre  vicUadi  auf  dir 
geeubicbli?  dnr  noueron  Utiemtur  und  ihre  nit'thodp  boKUg  ujnit, 

Pauls  uetbodenlchro  selbst  bringt  vieles  was  wol  xa  lichirnEigon  ist;  diu  dar- 
Stellung  ist  bei  aller  Icuapheit  r(.<ichhaltig,  trolx  einer  guwiNsen  trocknnboit  oiadring' 
Uub.  Die  mügliclikeiten,  welcbe  der  forscher  bei  der  entscheidung  zwoifelluUler  Bllb' 
sioli  vor  augeu  halten  soll,  die  fragen,  welche  in  bezng  auf  jedes  uintelno  sptwdi- 
donkmnl  zu  stellen  sind,  werden  auafiihrlich  aufgcKJthlt  nntl  nrürb^rt.  Kür  die  apnA- 
gesohiclito  verweist  Paul  wesontliitli  auf  die  bebmidiung  dos  gngoostandos  in  sndm 
fPrindpien.'  Für  die  poetik  konit  i'r  xu  foi'derungeu ,  welche  vor  ihm  schon  tob 
Sehernr  ansgeüprochon  wordon  sind,  wie  überhaupt  doKsou  auregungmi  In  hral*  bodi 
vielboh  nachgewirkt  habun. 

Der  methodenlehre  ist  die  gesehichtii  der  germanischen  philologi"  voraoBRBstriL 
Paub  behandluug  dieses  Stoffe»  uinit  eine  niiltelstellung  ein  Ewiachen  dorn  bekaolm 
buche  von  B.  v.  Bamuer  und  Bglierors  Qrimmbiognt|>hie:  sie  ist  wonig<'r  nustübrUili 
ab  jenes,  beschränkt  sioh  aber  nicht. so  wie  diese  auf  die  banpt|iunktc.  IKn  bb- 
gefügte  biblingraphie  cratrclit  eim-  gewisse  volsljtndigkcit  der  wiobtjgen  sohtiAM; 
nachautragen  wüste  ref-,  der  allerdings  eine  genaue  nachiirüfung  nicht  hat  aastrikM 
kiinnen,  nur  etwa  auf  s.  110  Waltei'  de  i^riy  Bireh,  Cartularium  Haxouluum  (Imi- 
dun  1885  fgg.)  und  auf  s.  1:^6  die  3.  aulU)^  von  Jonckbloels  Oescbiedi^nis  van  ti«d«r 
laudsi'he  lettcrkuude  (IBHl  — 8t),  6  bdo,  der  0,  von  Peuon  bearbeitot).  Auf  >' M 
wäre  eine  schrin  nbor  die  Nibelun^ren  ^■on  Oficsr-kc]  (Hamburg  179ri)  zu  erwUinM 
gewesen,  «i'lehe  über  die  baudsi-liriftlicho  gnnidlngo  <lei'  Myllentchen  ausgäbe  iiwo» 
(los  riuhtige  bemerkt  hat.  ein  verdienst,  welches  auf  s.63  irrig  J.Qrinnn  augmJii^ 
bcn  wird:  6.  HüUcnholfs  auinerknng  r.u  den  kleinen  schriflj'U  J.  Grimms  4,  a.  3. 

Von  den  vorschiedenuu  abschuitt(?u  des  diese  nufiLÜliluiig  veriiindendcn  baW 
sind  die  fünf  ersten  bis  mir  eigfintlich  wissonsehaftiii-'hen  begriindung  der  ( 
[ihllologie  mit  guter  kentuis  und  übonieugend  behandelt;  iiisiienonden 
welufae  das  vorig«  jalirbnndert  diesen  studieu  sdienlle,  iM  su  ('ingahend  HEnuyiW. 
daas  auch  die  liltemrgesi.<hichUiohe  arfoncbung  ditueii  xuitraums  sich  daditmlt  f^' 
dMl  siebt 


ÜBER  PAUL,   GRXWDRISS  DKR  GERM.   PHIL.   I  465 

Dagegen  tritt  leider  in  den  zwei  lezten  abschnitten  die  persönliche  ansieht  des 
Verfassers  in  einer  weise  hervor,  welche  der  referent  nicht  ohne  widerspmch  dnrch- 
gehn  lassen  kann.  Immer  wider  ist  es  die  beurteilung  der  wissenschaftlichen  Ver- 
dienste Lachmanns  und  seiner  schale,  über  welche  sich  der  Zwiespalt  erhebt.  Aber 
wenn  Paul  s.  150  das  parteiwesen  als  den  schlimsten  unter  den  schaden  des  gegen- 
wärtigen betriebes  unserer  Wissenschaft  bezeichnet  und  dies  abzustellen  mahnt,  so 
wird  man  eine  reihe  von  bemerkungen  in  seinem  buche  kaum  als  dazu  dienlich  ansehn 
können.  Wo  Lachmann  und  seine  anhänger  genant  werden,  fehlt  selten  die  War- 
nungstafel vor  ihrer  wilkür  und  autoritätssucht.  Selbst  in  der  methodenlehre  wählt 
Paul,  um  vor  gewissen  arten  von  fehlem  zu  warnen,  seine  beispiele  so  gut  wie  aus- 
schliesslich aus  den  schriften  Lachmanns  und  der  Lachmannschen  schule.  Boeckh 
in  seiner  Encyclopaedie  der  klassischen  philologie  citierte  in  solchen  fallen  sich  selbst. 

Hauptgogenstand  der  vorwürfe  gegen  Lachmann  ist  wider  die  Nibelungenfrage. 
Hier  begeht  ntm  Paul  einen  allerdings  auch  schon  vor  ihm  gemachten  fehler,  indem 
er  s.  75  und  181  behauptet,  dass  Lachmann  den  text  von  A  nur  deshalb  für  den 
ursprünglichen  erklärt  habe,  weil  dieser  zu  seiner  theorie  von  der  entstehung  des 
gedichts  am  besten  passte.  Wo  hat  Lachmann  das  gesagt?  Und  wenn  man  ihm 
diesen  grund  unterschieben  will,  so  solte  man  doch  zunächst  nicht  übersehen,  dass 
auch  solche  germanisten,  welche  Lachmann  persönlich  nahe  gestanden  und  mit  ihm 
wol  auch  über  die  Nibelungenfrage  verhandelt  haben,  zwar  seine  liedertheorie  abge- 
lehnt, aber  daran  festgehalten  haben,  dass  A  den  ursprünglichsten  text  darbiete:  so 
die  briider  Qrimm,  so  Wackemagel,  so  Wilhelm  Müller.  Und  dass  der  gemeine  text 
wirklich  interpoliert  und  überarbeitet  ist,  das  lässt  sich  auch  mit  argumenten  dartim, 
welche  nichts  mit  der  liedertheorie  zu  tun  haben.  Wenn  z.  b.  in  der  Strophe,  welche 
B  hinter  der  str.  432  mehr  hat  alsA,  Siegfried  den  ger,  den  er  auf  Brunhild  schleu- 
dern will,  umkehrt  um  sie  nicht  zu  vem'unden,  dann  aber  in  str.  433  beim  anprall 
auf  die  rüstung  vom  funkensprühen  die  rede  ist,  welches  nur  durch  die  gerspitze, 
nicht  aber  durch  die  stange  hervorgerufen  werden  konte,  so  ist  432,  5 — 8  als  inter- 
poiation  deutlich  erkenbar,  einerlei  ob  man  die  Nibelungen  als  werk  eines  oder  meh- 
rerer dichter  ansieht.  Doch  weiter  auf  diese  viel  behandelten  fragen  einzugehn  ist 
hier  nicht  der  ort.  Nur  noch  die  bemerkung  möge  gestattet  sein,  dass  mit  demsel- 
ben rechte,  wie  man  Jjachmann  in  diesem  punkt  verdächtigt,  auch  imigekehrt  behaup- 
tet werden  könte,  seine  gegner  hätten  C  oder  B  deshalb  bevorzugt,  weil  diese  hand- 
schriften  ihren  theorien  besser  dienten  oder  gar  weil  sie  dadurch  der  Verpflichtung 
entgiengen,  auch  Lachmanns  liedertheorie  anzuerkennen.  In  der  tat  ist  es  eine  starke 
stütze  für  diese,  dass  die  in  B  und  weiterhin  in  C  zu  dem  bestand  von  A  hinzu- 
gekommenen Strophen  wesentlich  denselben  Charakter  zeigen  wie  die  von  Lachmann 
als  interpoliert  aus  dem  text  von  A  ausgeschiedenen. 

Aber  noch  schlimmer  ist,  wie  s.  133  und  235  über  die  liedertheorie  selbst 
berichtet  wird:  immer  wider  hören  wir  die  Verwunderung  darüber,  wie  sich  Lach- 
manns 20  lieder  zu  einem  ganzen  hätten  zusammenflnden  können.  Müllenhoffs  schrift 
Zur  geschichte  der  Nibelungo  not  (und  deren  fortführung  insbesondere  durch  Hen- 
ning) hat  Paul  also  volkommen  unberücksichtigt  gelassen,  während  doch  Müllenhoff 
gezeigt  hat,  dass  aus  dem  ersten  teil  des  gedichts  nur  das  L,  lY.  und  YUI.  lied 
T^ofthmAnna  für  Sich  bestehn,  die  übrigen  aber  als  foiisetzungeu  mid  einleitungen  zu 
denken  Bind.  Man  lese  das  YIII.  lied  und  frage  sich,  ob  nicht  Siegfrieds  tod,  der 
wiSBen,  im  13.  jahrhundei-t  als  lied  für  sich  gesungen  wuixle,  hier  so  zusam- 
L  and  abgeschlossen  vorgetragen  ist,  dass  liichts  als  die  algemeine  kent- 

FHILOLOOIB.      BD.  ZXn.  30 


466  MARTm  * 

nifi  der  sage,  also  etwas  für  die  zeit  um  1200  volständig  sichergesteltea,  vorans- 
gesezt  wird.  Endlich  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  die  von  Lachmann  angenommene 
entwickelung  dos  Nibelungengedichts  aus  einzelnen,  mit  einander  verbundenen  und 
intcrpoliei-ten  liodem,  in  einem  andern,  litterarisch  überlieferten  fall  ihr  volständig 
eiiteprechondes  gegenstück  hat:  in  der  dichtung  des  jüngeren  Titurol,  dem  die  Titurel- 
lieder  Wolframs  zu  gnmde  hegen. 

Überhaupt  hat  Paul  gei-ade  Müllenhoffs  Schriften  nicht  richtig  beurteilt  Er 
sagt  8.  97  von  der  Deutschen  altertumskunde  Müllenhoffs,  dass  sie  auch  vollendet 
doch  nicht  eine  volständigo  altertumskunde  gel)en  würde,  weil  sie  ausser  den  Stam- 
mesverhältnissen und  gewissen  punkten  der  Urgeschichte  doch  nur  die  phantasietätig- 
keit  der  alten  Gennanen,  ihre  götter-  und  heldensage  behandeln  solte.  Gibt  dies*» 
bemorkung,  die  selbst  wenn  sie  zuträfe,  nur  einen  tadel  des  gewählten  titeis  enthält, 
aucli  nm*  entfernt  eine  Vorstellung  von  dem  reichen  Inhalte  des  MüllenhoiTschen  Wer- 
kes, von  der  ei-schöpfenden  bohandlung,  von  der  geistvollen  lösung  der  allerschwie- 
rigsten  grundfi-agen  unserer  Wissenschaft?  Ein  glück  dass  dies  werk,  dass  überhaupt 
MüUenholTs  wissenschaftliche  tätigkeit  den  klassischen  philologen  bekant  und  von 
ihnen  in  ihrem  werte  anerkant  ist:  die  studierenden  der  germanischen  philologie,  für 
welche  Pauls  grundriss  zunächst  bestimt  ist,  weixlen  wonig  davon  erfahren.  Übrigens 
wiixl  das,  was  Paul  an  MüUonhoifs  altertumskunde  vermisst,  doch  noch  durch  die 
geplanten  fortsetzungon  geboten  werden,  in  welche  u.  a.  Müllenhoffs  vorlesungsheft 
über  die  Germania  aufgenommen  werden  soll:  da  werden  ja  aucjh  die  natürlichen 
lebensbedingungen  usw.  zur  spräche  kommen. 

Von  den  Denkmälern  Müllenhoffs  und  Scherera  heisst  es  s.  106  (und  nochmals 
ganz  ähnlich  s.  107)  dass  darin  „die  kleineren  althochdeutschen  texte  eine  nach  allen 
Seiten  hin  möglichst  erschöpfende  behandlung  erfuhren,  wobei  aber  die  poetischen 
zum  teil  sehr  wilkürlich  zurecht  gemacht  wurden.*  Also  kein  wort  davon,  dass 
MüllenhofP  hier  wichtige  gattimgen  und  selbst  einzelne  stücke  der  volkspoosie  als 
uralt  und  algemein  germanisch  nachgewiesen  hatte,  den  liebosgniss,  das  Sprichwort, 
wie  er  schon  fi-üher  für  das  rätsei  das  ghMche  getan;  und  nur  beiläufig  und  dunkel 
wird  s.  118  erwähnt,  dass  MüUenlioffs  einleitung  zu  den  Denkmälern  die  lautform  der 
,  deutschen  eigennamen  in  den  ältesten  Urkunden  zu  anhaltspunkten  verwertet  hatte, 
welche  die  vorher  zeitlich  und  örtlich  hin  und  her  versezten  ahd.  denkmäler  jener 
zeit  fest  und  sicher  zu  bestimmen  gestatteten. 

Auch  die  persönlichen  Verhältnisse  verschiedener  anliänger  der  Lachmannschen 
richtung  sind  wemgstens  schief  dargestelt.  Von  Wackeniagel  heisst  es  s.  96,  er  habe 
sich  in  seiner  Jugend  auf  das  kümmerlichste  durchschlagen  müssen.  Jeder  leser  wird 
diese  andeutung  zunächst  auf  mittellosigkeit  der  familio  l>ezichn,  die  doch  bei  andern 
gorniaiiisteu,  z.  b.  bei  Franz  Pfeiffer  in  viel  höherem  gi*ade  vorhanden  und  wirksam 
gewesen  ist.  Vielmelir  entsprangen  die  Schwierigkeiten ,  mit  denen  Wackemagcl  nicht 
nur  als  studcnt,  sondern  noch  weit  mehr  nach  beendigung  seiner  studien  zu  kämpfen 
hatte,  aus  der  traurigen  demagogenriecherei  in  den  zwanziger,  dreissiger  jähren. 
"Weil  er  als  gymnasiast  in  einem  vertraulichen  briefe  geschrieben  hatte,  Deutschland 
werde  wol  in  die  alten  herzogtümer  geteilt  werden  müssen,  ward  er  nicht  nur  sofort 
und  hart  g«»straft,  sondern  auch  später  weder  in  schule  noch  an  Universität  noch  in 
der  bibliotheksverwaltung  lx)i  irgend  einer  anstellung  zugelassen,  trotz  der  besten 
empfehlungen  seiner  lehrer.  Der  ruf  nach  Basel  war  für  ihn  die  rettung  und  daraus 
begi-eift  sich  die  treue,    mit  welcher  er  auch  später  dort  blieb  trotz  der  lockendsten 


ÜBER  PAUL,  aBUNBRISS  DER  OKRM.  PHIL.  Z  467 

anerbietungon  der  gröston  Universitäten;   daraas  aber  auch  gewisse  urteile  seiner  lit- 
tcraturgeschichte. 

Am  allerschlinisten  aber  ist  Wilhelm  Scherer  weggekommen,  dessen  Charak- 
terisierung s.  99  mit  den  zahlreichen  und  ersichtlich  von  herzen  gekommenen  klagen 
an  Scherers  frühem  grabe  in  schneidendem  Widerspruch  steht.  Zwar  was  Paul  damit 
meint,  wenn  er  von  Scherer  sagt,  er  habe  seine  ideale  in  dem  modernen  grossstäd- 
tischen leben  gefunden,  das  bekent  referent  nicht  zu  wissen.  Aber  wenn  es  weiter 
heisst.  Scherer  habe  einen  guten  teil  seines  einflüsses  und  seines  ruhmes  feuille- 
tonistischer  schriftstelleroi  zu  verdanken,  so  darf  wol  gefragt  werden,  ob  gelehrte 
wie  Miklosich,  Mommsen,  Zeller  etwa  dieser  begabung  Scherers  wegen  ihm  so  gün- 
stig gestimt  waren;  das  urteil  solcher  männer  wird  denn  doch  wol  auch  für  seinen 
rühm  und  seinen  einfluss  massgebend  gewesen  sein.  Übrigens  ist  es  bedeutsam  für 
unser  gelchrtenwesen,  dass  eine  leichte,  anmutige,  eindrucksfähige  form  in  wLssen- 
schaftlichen  dingen,  anstatt  zum  lobe,  vielmehr  zum  Vorwurf  gereichen  soll.  Der 
weiteren  bemerkung  Pauls,  Scherer  hal>e  absichtlich  die  psychologische  analyse  ver- 
schmäht und  darin  liege  ein  grundmangel  seiner  behandlungsweiso,  steht  schon  Sche- 
rers eigenes  wort  entgegen  (Preuss.  jb.  XXXI,  482):  „Das  wesen  der  geschichte 
wird  immer  lebendige  vergegonwärtigung  bleiben.  Es  gilt  die  psychologischen  pro- 
zcsse  aufzuspüren,  welche  den  taten  vergangener  epochen  zu  gründe  lagen  und  diese 
nachzuleben.*'  Und  wenn  nach  Paul  Scherer  nicht  ein  einziges  ausgereiftes  und 
abgeschlossenes  wissenschaftliches  werk  geschaffen  haben  soll,  so  widerspricht  dem 
der  hohe  wert,  den  Paul  selbst  s.  118  Scherei-s  buch  „Zur  geschichte  der  deutschen 
spräche*  beimisst;  bezeichnet  er  doch  das  jähr  1868,  in  welchem  dies  buch  zum 
ersten  mal  erechien  (die  2.  aufläge  von  1878  ist  trotz  ihrer  teilweisen  neubearbeitimg 
nirgends  ei^wähnt)  als  den  beginn  einer  neuen  periodo  in  der  wissenschaftlichen 
behandlimg  der  deutschen  grammatik,  der  zweiten  nach  J.  Grimms  grundlegender 
arl)eit  Und  ebenso  übergeht  hier  Paul  —  ausser  den  vielen  kleineren  arbeiten  Sche- 
rera,  von  denen  einzelne  schon  allein  ihrem  Verfasser  einen  namen  gemacht  hätten, 
seinem  J.  Grimm,  seiner  Litteraturgeschichte  des  Elsasses  usw.  —  das  lezte  grosse 
iebenswerk  Scherere,  seine  Geschichte  der  deutschen  litteratur.  Was  er  s.  138  von 
dieser  litteratui'geschichto  sagt,  die  referent  nicht  ansteht  unseren  besten  historischen 
büchem,  denen  eines  Ranke  etwa,  an  die  seite  zu  stellen,  ist  völlig  unzureichend. 
Er  nent  sie  nicht  einmal  da,  wo  er  von  den  neueren  populären  darstellungen  dos 
gegenständes  spricht,  s.  131:  unter  diesen  ragt  nach  ihm  Vilmars  litteraturgeschichte 
gleich  sehr  durch  geist  und  sachkentnis  hervor,  ein  urteil,  welches  nachzuprüfen 
referent  aus  persönliclien  gründen  andern  überlässt.  Wie  ganz  anders  als  Paul  weiss 
ein  Franzose  Scherers  buch  und  seine  wissenschaftliche  bedeutung  überhaupt  zu  wür- 
digen, Basch  in  den  Annales  de  TEst  I  und  II  (Nancy  1887—89,  auch  füi*  sich 
erschienen). 

Nur  eine  stelle  aus  Pauls  kritik  der  litteratui'geschichte  Scherera  möge  noch 
hervorgehoben  werden.  Er  tadelt  an  dieser,  dass  darin  die  hypothesen  I^achmanns 
und  seiner  schule  als  ausgemachte  tatsachen  behandelt  würden,  ohne  dass  in  der 
regel  auch  nur  angedeutet  sei,  dass  andere  auffassungen  bestünden.  Wie  wäivn 
solche  Andeutungen  in  einer  dai'stellung  möglich  gewesen,  welche  auch  für  andere 
leser  als  die  fachgenossen  bestirnt  war?  Die  angehängten  aumerkungen  weisen  da, 
wo  Soherer  wirkhch  begründete  zweifei  anerkante,  auf  diese  in  reichlichen  Ütteratur- 
ingltbeii  hin. 

30* 


4m 


MlRTtK .   DSRH  Pin. ,  OHTJWDMSB  DBt  OERH.  flBI..  1 


lOtwfDlIil^ 


Aber  wichtiger  ist  das  zngi-sländnis,  trelclie»!  ilei'  hcrauitgeber  des  g 
mil  der  eben  (ingeeogonen  beraarkuug  inKofern  macht,  als  wir  mm  holTcii 
den  weiter  rolgetidou  tt^ilou  seine»  Werkes  nicht  bloss  seine  luiii  seiiiitr  iiiitBrbeitPT 
oQsichtün  zu  orraliren,  BDn<]eni  anoh  die  von  ihnen  ubweinlieDdeii.  Da»  wird  oainvnt- 
lich  auf  dem  gebiet  der  mctrik  sehr  erwÜTiHoht  sein.  Es  wird  dann  hoffentlich  i.  Ii. 
(6r  die  altgermauische  metrik  nicht  vorschwiegen  werden,  dass  die  beobachtau^ei)  *un 
Sievore  über  die  steUang  der  zwei  hebnngen  des  halbveraes  r.u  dun  »wei  nutwfD<li|^ 
nebenflilben  nicht  anvoreinbar  sintl  mit  der  nnnaJime,  dass  die  gennanische, 
hochdeutschen  erhaltene  uribnn  des  balbverseN  vier  hebimgen  onthinlt,  vor  i 
Bohen  welchen  mindorlietonte  silben,  Senkungen,  stohu  abei'  am?h  fehlen  konta 
doch  eben  dieselben  l>eobachtnngeu  auch  auf  Otfried  anwendbar  gewesen, 
mand  die  der  hebangen  abspricht;  und  da$s  Otfriod  zwei  von  c 
über  die  iieiden  andern  hinans  noch  besonders  aiisxeii'lintit,  hat  bereits  Ijkrhmann 
nnsgesprochen  {Kleine  schritten  1 ,  457). 

Von  Sievera  rübrt  min  aoch  der  anfnag  des  die  ergobniase  der  gemuniscben 
Philologie  darstellenden  tdles  her:  die  runen.  Sieven  »clilieBBt  sich  fast  dnroliaas  an 
Wimmer  an,  Nur  sucht  er  den  ursprünglichen  sinn  des  wertes  riJna  iu  ,gunmrm«l, 
geheimnisToÜe  brsprpt'hnng",  während  doch  der  Kusammerihwig  mit  dem  nunliscbpti 
raun  ^crprolmng"  und  mit  dem  griechischen  tpii-viiai  längst  g>?ltend  gemacht  vrnrdpn 
sind,  um  die  bedeutimg  n^^c.  insbesondere  orakolfrage"  als  diir  ültetite  zu  erweiMw, 
welche  mit  dem  von  Tftcitoa  bnieugten  looHgebraui^h  der  Oerniaiien  übereinntimt  Die 
germanischen  buchstAben  sind  venniitlich  zuerst  znin  loeseii  angewendet  wordm, 
ähnlich  wie  die  latainischea  bei  den  aorlet  Praenestinae .  aiid  wol  im  onsclilui«  au 
eine  schon  früher  bestehende  rhabdomontte.  Weiterliin  versucht  Sievers  die  vnr- 
wantsohaft  von  buch  und  buche  zu  lösen,  wegen  der  verschiedeueu  sUUMhQdaug; 
aber  so  wenig  wie  diese  für  die  verschiedenen  formen  von  inart  eine  trennung  tn 
mehrere  etyma  begründet,  wird  sie  liier  gewicht  haben,  wo  uberdicM  dia  badw 
als  frugtfera  arbos  vortrellieb  zu  den  andcutungen  des  l^-itu»  übei'  den  mtran- 
gebrauch  stimt  Aucii  die  in  g  10  ausgesprochene  moinung,  das«  din  men^  nul 
relativ  korrekte  Überlieferung  der  alten  (eddisohenV)  lieder  aufzoichnnngen  in  ntim 
voraussotze,  hat  wenig  für  sich.  Eindringende  kritik  lüsst  diese  komktheit  suh 
gering  erscheinen,  insbesondere  die  heroischen  lieder  sind  gerodesu  EUsammeogovdf- 
felt;  und  dasä  das  godachtnis  der  sfjnger  in  der  alten  zeit  eine  ausserordrafliiAii 
menge  von  atrophen  fassen  konte,  wird  beispielsweise  durch  das,  was  von  dua  dal- 
den  Stilfr  in  der  Hriinskringla  Har.  hordr.  c.  ^^ft  ci'xählt  wird,  ülwrEeugeod  hde^ 

Den  schluss  der  lieferuug  bildet  eine  |>ataeugraphischc  anluitung  viiaW.  Andl 
lar  benrteilung  der  iu  latoiuisoher  sobriR  vorfasstt>n  deiikmülcr  nach  ihnir  tattmiä- 
len  Seite. 


Onndd,  ein  dcuti<ches  spielmannngedicht,  mit 
kungcn  heraasgegebcn  von  Arnold  E.  Btrirer. 
CXVI  u.  102  8.    8.    9  m. 

Eine  neue  ausgäbe  de.i  Urendel  wird  jedem  wilkummen  sein.  iW 
gewesen  ist,  äich  bei  der  bonutzung  des  von  der  Uageiisuheu  tuitoü  'li' 
Orten  mühselig  aus  dem  Varianten venteiuhuLs  zusaraineDsucheu  zu  imi 
war  beksul  tmd  durch  Harkensuu  irnti-rsui^hungen  über  das  spieltnann 


.    VBKII    OUICNOKI.   KU.    I 


-160 


Jii  (geteilt, 
1  vorgfei- 


I  dnroliaufi 
volstäiidig 


I  18TDJ  im  eiiisslnoB  nituligBn-jtwn,  dass  die  \m  vuo  tlvv  Bagon  zu  gi'uii<ln 
R  hondschrift  (H)  die  relativ  suhloclitei'e,  der  nur  ansnab  ms  weise  und  wilbür- 
I  fiir  die  texthortitellung  mit  hornDgeEogene  di'uok  (D)  dio  bessere  üWliefarung 
■rbi«toi  HaikcDsee  hatte  ferner  geteigt,  dass  die  gt/meinsame  gnindlaee  (U)  der 
EI  und  D  vielÜKti  verderbt  war  und  dass  die  Augsliurger  prosa  (P)  die 
iHösung  einer  von  U  onabbiüigigen  bandscbrirt  des  gedicbtes  ist,  welche  nicbt  set- 
rapriinglicbero  textgealalt  durebbliniten  l&jst.  Id  aUoo  wesantJiclieu  p\iok- 
I  stitnt  Berget  aaf  grimd  selbständiger  und  sorgfältiger  Dachprufimg  mit  dieser 
ifTaaeuDg  übereia,  ui)d  da  boi  Bolchem  stände  der  üüerliereruag  eine  lekonstrakticiu 
nnprünglicben  fasHung  des  gediobies  nitbt  möglioh  ist,  so  erkante  er  es  folge- 
als  seine  aufgäbe,  unter  »ngrundolegung  von  D,  aber  zugleioh  unter  steter 
Äehtigung  vüu  U,  die  beiden  gemeinKaiue  vorläge  U  kritiscli  lierzuätelleo, 
■Boben  alier  zu  versuchen,  wo  P  eine  handhabe  Iwt,  „über  ü  hinaus  dem  originale 
Iher  XU  kommen. "  Lezteres  ist  mit  löbliubor  euthaltsamkeit  und  vorsieht  gesehe- 
,  und  alles  was  im  texte  nicht  auf  D  oder  R  »urückgebt,  ist  durch  knraivdruuk 
\t  gemacht;  athetosen  sind  durah  einklanimerung  angedeutet.  Eine  eingehende 
äi)ht  über  den  dialekt  des  drucke«  und  eine  algemeine  charakteiiäük  der  sprooh- 
a  der  durch  von  der  Hagens  ausgalie  zugänglichen  handschrift  wird  in  der  oin- 
g  gegeben.  Ebendott  sind  aus  D  wie  aus  H  dio  kapiteliiberschhften 
aur  eiiäutenmg  der  in  beiden  enthaltenen  bilder  dienten  und  dei'e 
»igt,  daflS  auch  U  schon  mit  solchen  geBchroüokt  gewesen  sein  u 
n  seinerzeit  schon  in  meiner  llorolfausgahe  angewendeten  grundsützei 
M,  hatte  ich  nur  noch  gewünscht,  dass  dio  Augsburgei'  prosa 
wäre.  Die  eingehende  bespreohnng  ihi-es  Verhältnisses  zu  HU  In  der  ein- 
I  die  oinst^baltuDg  nur  in  ihr  erhaltener  vermutlich  echter  ittellen  in  den 
it  ja  recht  dankenswert,  aber  da  eben  U  rtchon  vielfach  verderbt,  oft  auch  aus 
[  nidit  mehr  sicher  herzustellen  ist,  so  hiltto  dem  leser  diu  möglichkoit 
^ben  werden  sollen,  überall  die  {iroaa  zu  vergleichen. 

Bei  gedichten  wie  das  vorliegende,  wo  eine  kritische  rekonatruktion  des  Origi- 
naltextes unmöglich  ist,  kaim  statt  dessen  eine  sorgfältige  Zergliederung  der  in  der 
übfrlieferung  hHufig  verwirten  kompOHition  über  die  eatwicklungsgescbichte  wenigstens 
doH  Inhaltes  der  diuhtung  einigen  aufschliuw  geben.  Berger  hat  diese  methode  mit 
«folg  angewendet.  Ein  femercui  sehr  wichtiges  hilfsmittol  für  derartige  forschungen, 
die  vorgleiuhuög  anderer  bearbeitungen  desselben  Stoffes,  war  dagegen  hier  so  gut 
wie  vertagt;  nur  in  den  einfachsten  grundeloraenteu  verwaute  traditionon  lassen  Giuh 
berheiziebiiu,  die  nicht  sowol  die  einzelnen  entwicklungsstufen  der  Oi'ondelsagc  und 
-diuhtung,  als  den  urkeim,  aus  dem  sie  sich  entfaltet,  erschtieeseo  lassen.  So  Ijewegt 
ach  soh.'he  untereuehung  vielfach  auf  schlüpfrigem  boden,  und  auch  wo  sie  wie  hier 
mit  gosclüuktor  band  geführt  ist,  bleiben  leicht  ihre  ergebnisse  bestreitbar. 

Von  entschiedenem,  ja  im  gründe  von  ontscheidendem  ein&usse  auf  Bergers 
■nthssong  war  Müllenhoffs  gehaltvolle  ausführuug  in  der  Deutschon  altertuniskimdo 
1,  33  fgg.  Nach  ihr  bildet  bekantlich  den  kein  des  inholtes  unserer  dichtuug  die 
Mis  dinem  Jahreszeiten mythus  erwachsene  sage  vom  Orendel,  der  nach  weiter  seefabrt 
schifbruch  leidet,  mit  dem  nackten  leben  davon  gekommen  in  des  rieBisehen  fischen) 
Im  dienst  tritt,  nach  lAngerer  zeit  mit  Ises  beistand  zu  seiner  gattin  heimkehrt  und 
nachdem  er  diese  von  lästigen  freiem  und  sonstigon  bedrfingem  erlöst  hat,  erkant 
und  als  gemahl  und  kenig  wieder  aufgenommen  wird.  Wjjhrend  mm  der  spiolmami 
im  ersten  teile  seines  gedicbtes  dio  heinikubrsage  in  die  übliche  brautfahi-tgeechichto 
*"^' 


^ 


470  voui 

umgoslallet  uti<]  mit  dem  lUiHitheiobarun  koslUni  iles  in  luiw^hteuluill  geinioiHni  htl- 
don  ilen  hoiligcn  ro(;k  voo  Trier  in  abeotouerlinho  vorhindung  braotite,  lijUfu  or  im 
lozton  teile,  wDicher  nach  bekanter  spielmanasmanior  du  hau]>tmotiv  variierend  wider- 
holt, dio  alte  traditioD  voo  der  belreiuL);  der  ^attin  aus  der  gowalt  der  tun  ilim 
nünim  worbendoB  deutlicher  uud  soliHrrer  horvortrelen  laesea. 

Aiiub  iia<:ii  Bergers  auflassiuig  eiud  diee  die  gruadolonienlu  dnr  dichtung.  Noi 
meint  i<r,  dass  dem  sjiieljnimiiu  die  olto  HOgc,  aus  dc<r  diowr  nairh  Hüllonhoft  fitr  dea 
iweiton  teil  nut  einzelne  hostandteile  lierausgenommou  oder  nachgubildet  faätt«,  wdioi 
in  zwei  vorachiodeiien  pootischen  versiaDou  vorgelegen  luibe.  Uio  eine  Mi  in  dm 
orzühlung  von  Orendele  schiriniL-h  bis  zu  seiner  anerkenaung  aJ^  ]Irid«s  köiriglinhiir 
gemahl  und  meister  Ises  belohnoog  benuzt  (1.  teil),  dio  andere  io  dam  bcriohtn  von 
Brides  gorangcDfiohaft  und  bofreiung  aaf  Uinolts  bni^  {2.  teil).  Geviss  ist  für  diu 
ersten  t«il  durch  den  angegoboaen  abschnitt  —  wenn  wir  noch  Orondela  ausCahrt  Und 
beimkehr  hiazafügeu  —  ein  älterer  kL>m,  eio  quelleomässigBr  gnud bestand  des  inlud- 
tes  Dnaerer  dichtung  iu  der  hauptsavlie  Hobtig  liostiint.  Die  gosohidit«  de«  hiälifm 
rockes  ist  recht  äosaerUch  damit  in  verblDdung  gebracht;  die  iirzlihlutig  ron  de« 
fisohera  erhobung  znm  ritter  und  henog  mit  den  doiauf  rolgendeu  kKmpren  ist  angsi- 
Hcbeinlich  eine  wilkürlichc  erweiterung  des  stofTos.  Auch  für  den  tweiteu  teU  vA  m 
viel  klar,  da^E  die  doppelung  der  eDiililaug  von  Brides  Vergewaltigung  und  erinMing 
niitht  uraprüngüeh  ist;  das  zeigt  soboii  dii*  koufuaitm,  die  durch  die  zwiebudie  bohand* 
luDg  dessellien  inotiveB  in  dii)  übeiliofenuig  gekommen  ist.  Freilinh  ist  dojnit  noob 
nicht  gt^sagt,  ilass  dem  dichter  der  alte  bestand  sebos  stoDns  in  |ioeti8cht«r  faMMug 
zugegangen  Bein  müste.  Zu  boweieon  wüi«  das  nm',  wenn  sich  doch  wenigste» 
irgend  etwas  von  der  alten  quelle  noch  im  Wortlaute  bt.'ratuUuu  liOHse;  abi.-r  danui  ist 
gar  nicht  zu  denken.  Bergend  in  den  günstigsten  faiinm  gi:^hiU.ti.^u  lUnitollung  dei 
inbaltua  seiner  beiden  urgodicfato  liest  »ich  ja  rocht  schön,  aber  sie  entApricbt  mria 
seiner  begnistoiong  Tai  den  gegenständ  als  dem,  was  uns  die  UUtrliererung  an  iBc 
band  gibt.  Dass  die  bezüglit^hen  abschnitte  unseren  gediuhtcs  teilweise  wirklich  pjo- 
tiseb  weit  bedeutender  sind  als  das  was  dorn  kern  des  BtoiTtti  nicht  anguhört,  muM 
nicht  notwendig  aus  dei'  form,  kann  auch  aus  dum  inhaltc  der  aJtim  qucUi!  bagtän- 
det  werden.  Dass  auch  in  der  vorliegenden  nbei'Iiofenmg  sich  hio  und  da  vvrec&i»- 
dene  schichten  noch  deutlich  von  einander  abhoben,  ist  aus  siiütersn  xuHitnni  tuid 
Veränderungen,  welche  das  gedieht  selbst  erfahren  hat.  urklürhar.  Für  rniwnhtscJMin- 
lieh  halte  ich  es  durchaus  nicht,  dass  i 
betreffenden  iuhaltes  bekant  war,  nur  steht  u 
um  ihre  existenz  wissenschaftlich  zu  begrönd 

Von  HüUenLoffe  orklfirung  der  sage  alBJahreGzoilenm^thn»  WL>iuht  Borgtirmit  Bwr 
(Paul-Braune  13. 1  fgg.)  darin  ab,  dass  er  die  beziohangon  derselben  auf  das  meer  niuU 
für  urepHinglioh  hält;  vielmehr  meint  er,  dose  diese  ei-st  ans  eintvr  beranflossmig  des 
Orendelmythus  durch  den  rontan  von  ApoUonius  von  Tyms  slaminon,  der,  in  r-ini^on 
teilen  der  Odyssee  nachgeahmt,  zugleich  die  mchrfooh  bemerkten  beruh i'ungot  nri' 
sehen  dieaor  und  dem  Orendol  vermittelt  habe,  Dabei  soi  frL'ilich  eine  altore, 
Odyssee  noob  näher  siebende  faasung  des  romanes  vuranszusctzcn  ala  d 
tene.  Dio  vorwantachaR  der  Oiftndelaage  mit  dem  yäaios  des  Odyssous 
nicht  alt.  ESn  gmsKor  kreis  von  heimkehi'sflgeii  und  -inftrchen,  welfdiNi  I 
herbeizieht,  kamt  gloichf^a  uaoh  Berger  nicht  fiir  die  emchliossung  S 
licheu  gostalt  verweilet  worden,  denn  er  eatstamt  nicht  linni  hier  i 
mylhus,    sondern    er    ist    spAter  aus   dem   Orient  eiug«dn 


spielmann  eine  alte  dichtung  du 
cht  genügendes  mst«rial  XU  gehnte. 


ÜBER  ORENDEL  ED.  BERGER  471 

8.  LXXXI).  Nach  Müllenhoff  nötigt  „dio  nordische  Überlieferung  (vom  Orvandil)  und 
die  nator  des  mythus"  zu  der  annähme,  dass  die  Orondelsage  ursprünglich  von  der 
heimkehr  des  helden  zu  seiner  gattin  gehandelt  habe.  Dagegen  hat  Beer  a.  a.  o.  dar- 
gelegt, dass  und  aus  welchen  gründen  as  unzulässig  ist,  „die  Orvandilüberlieferung 
aus  der  Orendelüberlieferuug  oder  diese  aus  jener  zu  ergänzen**,  und  aus  dem  von 
ihm  und  Bei^r  herbeigezogenen  sagen-  und  mythenmaterial  ergibt  sich,  dass  nach 
der  natur  des  mythus  das  von  dem  helden  befreite  oder  erkämpfte  weibhche  wosen 
ebcnsowol  eine  jungfi*au  wie  seine  gattin  sein  kann  und  dass  diese  befreiung  nicht 
bei  des  helden  rückkehr  in  seine  heimat  zu  erfolgen  braucht.  Wenn  trotzdem  die 
beiden  jüngeren  forscher  an  MüUonhoffs  ansieht  festhalten,  nach  der  erst  in  unserem 
gedichte,  und  zwar  erst  in  der  vorliegenden  fassung  desselben,  die  heimkehr  zur 
gattin  in  die  gewinnung  der  Jungfrau  umgewandelt  sein  soll,  so  sind  sie  zur  begi*ün- 
dung  dessen  schliesslich  doch  lediglich  auf  das  gedieht  selbst  angewiesen.  Und  in 
der  tat  gibt  denn  auch  nach  Beer  (a.  a.  o.  s.  110)  für  diese  auffassung  der  umstand 
den  ausschlag,  dass  „1.  in  der  katastrophe  vor  den  toren  von  Jerusalem  Orendel 
selbst  sich  als  den  einheimischen  könig  zu  erkennen  gebe  und  erkant  weixle;  und 
dass  2.  die  accessonsche  fortsotzung  der  legendenfassung  augenscheinlich  ein  unab- 
hängiges gedieht  auf  die  rückkehr  Orendels  zu  seiner  gattin  gekaut  und  benuzt 
habe.«* 

Was  zunächst  den  zweiten  punkt  angeht,  so  ist  ja  da  in  unserem  gedichte 
von  einer  rückkehr  Orendels  zu  seiner  gattin  so  wenig  die  rede  wie  im  ersten  teile. 
Orendel  ist  wider  mit  Bride  in  der  fremde;  da  wird  sie  ihm  von  einem  beiden  ent- 
führt; er  gelangt  in  Verkleidung  auf  dessen  bürg,  befreit  Bride  mit  eigener  lebens- 
gefahr  und  tötet  den  entführer.  Das  ist  die  entfühning  und  widergcwinnung  des 
schon  einmal  erkämpften  weibes,  wie  wir  sie  als  den  typischen  zweiten  teil  des 
spielmannsgedichtes  aus  dem  Rother  und  Morolf  zur  genüge  kennen;  augenscheinlich 
ein  bequemes  mittel  der  stoferweiterung,  wie  sie  beliebt  wurde,  als  die  spielleute 
von  der  knappen  form  des  epischen  liedes  zur  ausführlicheren  epLschen  erzählung 
übergiengen.  Die  Übereinstimmung  mit  dem  zweiten  teile  des  Rother  geht  bis  ins 
einzelne;  im  Morolf,  wo  ja  auch  der  erste  teil  schon  eine  widergcwinnung  erzählt, 
bieten  beide  teile  parallelen.  Dem  Orendel  wird  wie  dem  Rother  ausführlich  das 
Schicksal  der  geraubten  gemahlin  berichtet.  Der  entführer  ist  ein  beide,  wie  im 
Bother  und  beideraale  im  Morolf;  er  heisst  Minolt,  wie  Morolf  Sd  der  vater  des 
ersten  entführers;  sein  helfershelfer  heisst  Princian,  wie  im  Morolf  der  zweite  ent- 
führer; er  ist  wie  im  Rother  herscher  der  wüsten  Babilonie,  wo  ihm  72  könige  dienen. 
Im  Orendel  wie  im  Rother  und  im  ersten  teile  des  Morolf  macht  sich  der  gatte  mit 
einem  treuen  kampfgenossen  und  dem  beere  auf  die  seefahrt.  Nach  der  landung 
wird  das  beer  in  einem  sicheren  versteck  untergebracht  und  mit  einer  typischen  for- 
mel  fordert  Mor.  384,  3.  5,  Or.  3346/7  der  gefährte  den  beiden  auf  hervorzugehen. 
Der  könig  und  der  begleiter  (der  könig  und  zwei  begleiter  im  Rother,  einmal  der 
könig,  das  andre  mal  der  gefähi-te  im  Morolf)  gehen  nun  in  pilgertracht  auf  die  feind- 
liche bürg.  Orendel  und  Ise  werden  dort  wie  Morolf  zunächst  von  einem  torwärter 
freundlich  bewirtet  und  über  das  ergehen  der  entführten  unterrichtet.  Der  heidnische 
könig  hat  indessen  einen  unheilverkündenden  träum  gehabt:  ein  falke  kam  geflogen 
und  führte  ihm  die  frau  übers  meer  —  Rother;  ein  rabe  \md  ein  adler  kamen  übera 
meer  geflogen  und  brachen  die  bürg  nieder  —  Orendel.  Vor  den  obren  des  vor- 
geblichen pilgers  fragt  dann  im  Orendel  wie  im  Morolf  die  frau  den  beiden:  „was 
würdest  du  tun,  wenn  könig  Orendel  (Salman)  hier  wäre?*   Schliesslich  im  entschei- 


472 

(kodoD  momeRto  ^lit  in  allen  lirei  godichten  der  gatto  die  veritbilliiiig  auf, 
ia  lebenBgefahr.  aber  das  verliorgcae  hoer  wird  berliei^^rurcti, 
heido  mit  don  Boioen  gelölet.  —  Also  das  ist  keine  frage,  duaa  diOHer  zweite  t 
Orendel  sicli  in  dem  hergobrachten  geleiso  der  s|>icdinaimBpi>esie  buwe^ 

iaa  nun  dadnrdi  erklUren,    dass  hier  dinJi  der  spialmaiiD  eia  ara|)raiiglicli  e       

digea  gediaht  von  Orcndele  hoimkebr  beauzt  und  dasselbe  nach  dem  herkikulii^NB 
typus  zugesohnitton  Iiütte,  so  uüste  mao  »ar  bc^ünduiig  deHB»n  naobwoin-n  konTuin, 
das«  dieser  zweite  teil  mit  dem  ersten  ujgentlicb  niuht  voreinboi'  ist  —  du»  ist  alw 
nidit  der  bll,  vielmehr  schliesst  ur  sich  ihm  aufs  beste  an;  odrr  dnas  «t  <Io<^  m«- 
nem  wesen  nach  ein  in  sich  abgerundetes  gaeze  bildet  ~  auob  das  trift  durchaus 
nicht  zu;  es  muste  auch  sicherlioh,  je  melir  wir  vun  den  mit  dou  (ibrigisu  «irnj- 
raanuBgedicIiteu  gemeinsamen  zügun  boseitigeii,  um  so  deutüuber  die  alte  heimkelir- 
nzäbluag  dur<;hblioken,  aber  selbst  das  ist  Dicht  zu  bemerken.  Her  Kother  tap 
mehr  IwEiehungen  derart  als  der  Orendel.  Dasa  Hotbor  gerade  iiooh  in  dem  momimt 
sieb  eiofiudet,  wo  seine  fniu  scheu  mit  eioem  andei-n  hochseit  macht,  daoa  »r  alcli 
ihr  durch  den  heimlich  zugesteckten  ring  zu  erkenaeu  gibt,  sind  zwei  uhsniktitriiih- 
sebe  motive  der  beimkebrsage.  Trotzdem  wird  es  wol  niemand  einrallun,  den  Rotbnr 
auf  oiu  altes  gedieht  von  des  beiden  rückkeiir  zu  seiner  gattin  und  jenen  HchJuaiited 
auf  eine  besondere,  ursprüngliuh  sothstiindigo  fnssung  dieses  alten  gediehtos  corück- 
zuführen.  Da  sich  aber  im  zweitou  teile  des  Ui'ondol  nicht  einmal  solohe  benibnui* 
gen  mit  der  Traglicben  sage  lindöii,  so  haben  wir  auch  hier  noch  weniger  veranlag 
Hung  zu  jener  annabnio. 

Allerdings  glaubt  Berger,  doss  aus  un.soror  erziiblung  noefa  spuntn  dM  ^teit 
Verhältnisses  durchbUeken,  nach  welchem  Uroudel  dgeotlicli  der  lierr  der  bürg  a^ 
auf  welcher  der  beide  die  Bride  gefangen  hält.  Orendel  und  Jim  boren  den  grebm 
pfnrtner,  herzog  Achille,  ein  gebet  vorrichten,  aus  welchem  hervorgehe,  dan  vr  drat 
Orendel  treu  geblieben  sei;  er  habe  ein  interesse  für  ihn  und  Bride,  wmIcImm  aidi 
nur  erkUi«,  vcnn  Orendel  eigeuUich  sein  herr  eei,  und  in  der  tst  bezeichne  dooB 
auch  Ise  V,  340Ü/1  den  Aehillo  und  sii;h  selbst  abi  üwei  ritlt<r  des  Üraunickts.  leb 
kann  dem  nicht  zustimmen.  Der  freundliche  und  hilfreiche  pfurtner  <id«r  kUnmcarf 
auf  der  fremden  bürg  ist  eine  typisehe  j>orsoo.  Ich  erinnere  an  ülurulf  ü2<S  fgg.,  aa 
den  Gramabot  Welfd.  D.  VT,  an  Hildes  kämmerer,  der  trirb  Iloraata  und  Honup 
onnimt,  nachdem  er  sich  ganz  wie  der  Aehillf  als  nere  des  einen  der  lieidtm  anköui- 
linge  eDtpu]>t  hat.  Aus  Achilles  gebet  geht  nichts  weitur  herTor,  als  da»  «r  aln 
Christ  Ist,  und  dass  man  ihn  aus  seinem  herzogtum  vertrieben  hat;  splitvr  otMm 
wir,  das.s  er  jezt  schon  75  jabre  dem  heidniseheu  küuige  dient;  er  ist  also  dtt  mdsT 
in  seiner  hoimat  noch  kann  er  Orendela  dienstmann  gewesen  sein.  Als  einoii  ohiietM 
beschwören  ihn  denn  auch  die  beiden  vorgeblich  aus  der  heidensehalt  c 
pilger,  ihnen  zur  weiteiTeise  zu  helfen,  und  als  uhrist  nimt  er  angensuheu 
an  ihrem  wie  an  Brides,  der  christliohen  königin,  Schicksal,  deren  bofreiiui 
Orendel  ja  vorauBsiohtlich  auch  dun  selbst  die  A^ibeit  briugou  wird.  Was  I 
vers  3490  betritt,  so  iHt  o&  douh  auffällig,  doss  Achille.  niuht  seihst  sagt, 
dienstmann  des  Urundel,  sondern  doss  Iso  ihm  lUs  uiltteilt  (iVA  bin 
gun  ...  tö  inl  rfm  der  grdwe  roc  mfn  hirf,  lies  sind  wir  virfn  lUgt 
femer  Achille  den  Orendel  auch  noch  dieser  inittoilung  nicht  als  hemn  I 
und  daafi  dnrch  die  Erkennung  gar  nichts  an  seinem  plane  geitndert  wird,  i 
mehr  nach  wie  vor  zmiichst  versuchen  will,  den  Iwiden  von  dem  hoidM  i 
zur  Weiterreise  zu  erwirken.     Nun  steht  aber  r.  'M&i  das  entwhoii 


1  druukp.    Sownt  nach  iler  handsobrift  als  naüii  der  prosa  lautet  dor  vers 
S  !■(  dtr  grdwe  roc  iiitn  here;  ich  zwoifle  ^so  nicht,  dass  or  auch  urepriiLgÜch  so 
Im  Tolgondea  versa  bat   die  baudächii/t  ihr  daa  nprwli  ich  leol  mit  era 
Mtäriioh  uur  des  reiuies  ve^a  statt  des  in  D  rithttg  überlieferten  eiogeseit,   und 
1  der  ursprUuylicbi-D  loaart  sagtu  also  Isc  7,v.  Aühille:    ,iub  biu  dein  schwester- 
1,  der  Qraurock  ist  mein  horr,  vir  beide  (die  wir  liiei'  vor  dir  stehen)  idnd  snei 
riner  rittor."     So  erklÄrt  sich  der  vpriauf  des  geaiiiHeba  wie  der  weiteren  handluag 
II&  beflte;   Orendrl  gibt  sich  eben  nicht  zu  erkennen.    Aber  weder  dem  druuk  oovb 
br  prosa  pjnügte  das.    So  sobaltote  D  sein  da^  ein  (wie  es  sogar  auch  nooh  den 
1  Afliilles  Schwester  liinaufügte),    wahrend  P  den  vors  3400  in  ursprüng- 
lobiir  tonn  beibebieLt,    ihn  aber  zusammen  mit  dem  vuriicrgeheuden  deui  Aohille  in 
im  mnnd   legt«   nnd  diesen  sich  dann  weiter  nach  dorn  verbleib   dos  graurockes 
(iiDdigen  lässt,  der  ihm  nun  von  Iso  iu  der  person  seines  begleiters  vorgostelt  wird. 
M  alao  Oreiidel  dgentlii:h  der  berr  der  bürg  sei,   folgt  ans  dieser  stelle  nicht  int 
würdu  aogar  aas  ihr  nicht  einmal  folgen,    wenn  Ise  wirklich  den  AuhiUn 
B  den  dienstmaun  Orendolü  bezeichnete,   du  dieser  ja  konig  von  Jarusaleni  ist.    Ja 
Unt  wenn  es  rtwlstande,    was  Müllcohoff  annahm  und  an  und  rür  sieb  gann  wol 
Öglid)  ist,   dass  nach  der  urspriinglicben  darstcllung  in  diesem  suhlussteile  Ürendel 
id  seiner  rtii'kkehr  nach  Jenisalem  die  Bride  in  der  gewalt  der  treulosen  hüter  dus 
itiMS  findet,   so  würde  ja  auch  das  eine  sobr  passende  form  der  typischen  (ort- 
tzimg  gewesen  sein,    und  daraus  eine  stütze  für  die  annähme  zu  Eimraern,    anch 
w  erste  teil  des  gedichtos  habe  eigentlich  von  des  beiden  rückkehr  gebandelt,    ist 
unöglich.    Es  bleibt  also  für  die  begiiindung  jonot  aüfstallung  nach  alledem  nur 
K  inholt  des  ersten  teiles  selbst  übrig. 

Nun  ^bt  sich  aber  an  der  von  Beer  a.  n.  o.  verwertete)!  stelle  der  grawoek 
nneswegs  »als  einheimischen  konig",  sondern  als  könig  Orondel  von  Trier  zu  orkeo- 
n.  Darauf  bin  begrüast  ihn  Bride  als  von  gott  gesendet  und  freu!  sich  ibni  treulich 
Üland  geleistet  zu  haben;  die  tompelherron  aber,  die  ihn  eben  noch  angi'eifen  wol- 
lt, empfangen  ihn  mit  obren  und  setzen  ihn  auf  den  thron.  Iias  alles  ündot  aus- 
icfaende  begriindung  durch  das  vorausgegangene.  Der  graiu'ock  hat  vor  den  augon 
w  jnngfrtiulichon  königiu  Bride  wunder  an  tapfockoit  verrichtot;  einen  gegnor  nach 
im  andern  bat  er  übornuuden,  darunter  auch  üwoi  die  sich  auf  die  konigin  bofnung 
feohleD;  kein  zweifei,  daas  er  jezt  den  meisten  anspruch  auf  ihre  band  bat.  Aber 
■n  hält  ihn  in  semer  bäurlacbeu  kleidnng  für  einen  knecht  und  als  solchen  der 
inigin  and  des  thrones  für  unwürdig.  Als  Bride  ilio  nach  seinen  ersten  helden- 
ten  gefragt  hat,  ob  or  der  ihr  von  gott  zujii  obeberm  verheissene  könig  Orendel 
TOD  Trier  sei,  bat  er  selbst  es  geUugnet-,  als  sie  ihn  trotzdem  in  dio  anun  schliesst, 
wirft  ihr  ein  riose  vor,  dass  sie  seinen  knocht  küsse.  Als  sie  ihn  nach  seinen  wei- 
tBKo  mögen  mm  gomahl  oimt  und  sodann  ihre  mannen,  die  tempelbeiTen ,  ihm  treue 
i  Ifisst,  murren  diese  unter  einander:  ,wiis  kann  das  füi'  ein  kÖnig  sein,  der 
:iit8  als  einen  grauen  rock  hat,  als  wenn  er  aus  dem  kloster  gelaufen  wiLre;  wir 
1  ihm  kein»  heoffolge  leisten."  So  beabsichtigen  sie  denn,  als  Ureudel  mit  Bri- 
1  die  mflcbtigsteu  gegner  widerum  überwunden  hat,  ihrerseits  ihn  anzu- 
Da  gibt  sich  der  graurock  als  konig  Orendel  von  Trier  zu  erkennen,  und 
on  sie  jezt  dem  königo  gegenüber  den  widerstand  auf,  der  dem 
Khto  gegolten  hatte.  Man  braucht  gar  nicht  einmal  anzunehmen,  dass  sie  davon 
i  Bride  den  Ürendel  als  den  ihr  hcstimton  briiutigam  erwartet,  aber  sehr 
i  frt  sa  möglich,    duss  der  dichter  dicH  verauasc;ite,   und  dann  ist  vollends  kein 


omchtlicli,    ivoslialli    (.lioudul    lU'SJ'i'üuylicIj    dnr    oin 

Nicht  dteso  HclüuBssceim  ist  aI§o  aufTollig,  sondorn  Dur  joue  erste  ß>g»  ite 
Bride  an  den  unkentlichen  Oi'endel.  Ii«i  volcher  moh  leigt,  liosB  nie  *dd  Uuit  wel» 
und  ibo  als  zuliüartigen  gemahl  erwarttit,  ohne  itui  jo  gueolien  2U  haben.  Omut  11» 
diosu  tuQde  durah  diu  gotes  stimme  gekommcti  sei,  hält  mftii  gi^wiss  mit  recht  tat 
kein  altes  sagenoiotiv ,  und  ao  wird  dcoa  ntit  Mii11i>uhu(r  migutiommen ,  ilass  Bri>ie 
uiBprünglich  oben  den  Orendol  siihon  keat  —  dass  er  eigcnüiuh  ihr  io  veiSndefter 
geetalt  heimkohrondor  gatto  ist.  Aber  diese  folgoning  ist  doeU  muht»  wen 
zwingend.  AoalDgieen  für  jene  anrodo  der  Bride  in  den  Urendel  f 
aoch  nicht  im  entfemleaten  an  eine  solche  erklSiiiag  zu  dookea  ist  Im  Woll 
fraj^  Marpalio  den  beiden,  den  sie  oie  gesehen  bat,  üb  er  WolfdietncJi  ■ 
land  sei;  dem  bat  sie  ihre  jungfraunschnft  aufbewahrt  und  nur  er  sei]  ihr  b 
den  (Wolfd.  D;  er  soll  ihren  vater  im  messerwerfon  besiegen  Wolfd.  B).  WuUdie- 
trioh  verläugnot  si<;h,  trotzdem  teilt  sie  mit  ihm  dos  lagor,  nnd  nach  U  Bchlnidurt 
sie  das  Schwert  fort,  duroh  welches  Wolfdietrich  sie  von  sich  tmnt«  —  atlcii  tnfpt, 
die  sich  aoeli  im  Orendel  fiodon.  Nach  Helgakrllia  Hjvrvaifssoiiar  nedi«  Siäv*  iboi 
namenlosen  beiden  gleich  mit  Helgi  an  und  sie  weisK  was  ihm  bo8tiint  ist;  nadi  d*f 
darstellnng  der  VijIsnngasagD  tragt  die  bu.i  dem  todeeschlunimer  erweuktc  Bryiihilil 
ihren  befreier  sofort,  ob  er  Sigurd  Signiunda  sehn  sei,  nnd  MällonhofT  selbst  witnrt 
Auf  ,dte  aaalogii)  der  Nibolutigensage,  woBrünhUd  als  jungfräuliche  köni^n  in  Oumn 
lande  herschl  und  Siegftied  bei  der  ersten  begegnung  erkent."  Was  H&lleJihoir 
gegen  die  anwendbarkeit  dieser  loKtco  onalogie  einwirft,  Talt  mit  Beota  unteraucliuii- 
gen.  loh  denke,  ao  gut  wie  diese  weisen  Jungfrauen  konte  auch  die  Bride  in  dam 
holden  von  vornherein  ,don  rechtea'  ahnen,  umsomelir,  als  er  sich  schon  ror  thrm 
äugen  durch  seine  waffontAtcn  als  den  treQichsten  ausgewiesen  hat 

Auch  Bride  ist  kein  gewöhnliches  weih.  Sie  ist  «ne  slroitbaro  jungtrau  von  wun- 
derbarer stärke;  kein  mann  darf  sie  berühren.  Das  sind  die  einzig  wesentlichim  ei^mi' 
schallen,  welche  sie  im  gedichte  auszeichnen;  »ie  bleiben  nach  der  HüllonholTsctiea 
hypotheae  vüllig  unerkUrt;  den  eharaktor  späterer  erfindung  tragen  sie  darchans  nidit 
Die  durch  das  ganze  gedieht  hin  festgehaltene  Jungfiioliuhkeit  der  heldin  otna  aitt 
den  eioBuss  der  Brigittenlegende  zurüekzuführen ,  ist  unstaUiaft,  da  itiuli  ennst  nir- 
gend die  leisest«  spur  eines  solchen  nachweisen  ISsst  und  der  dichter,  wenn  ur  diov 
beziehung  gesucht  hätte,  der  Bride  das  prüdikat  sante  sicher  nicht  rorenthallea 
haben  würde.  Dieser  zug  gehöi-te  so  gut  wie  Beides  Streitbarkeit  der  alten  a 
die  auch  dadurch  wider,  ebenso  wie  weiterhin  durch  das  keusche  beUag«r  fl 
trennenden  sehwert.  durch  diu  knochtschoft  des  beiden,  die  votSnde 
gestalt  an  xiigo  der  Siogri-iod-Briinhildensage  erinnert 

So  wenig  wir  demnach    zu   der  Voraussetzung   berechtigt  sioil, 
nnprünglich  das  verlassene  und  widergefundone  ehewoih  gewesen  sei, 
bildet  moh  Kr  die  annähme  ein  anhält,  dass  ihr  «uf^uthallsurt  ursprün^ 
heimat  und  somit  ibro  erworbung  mit  des  beiden  heimkebr  verlninden  t 
Im  oeton  war  Orendel  verknechtet;   im  oaten  findet  er  ancli  die  jungfran. 
riezen  gowalt  behnd  ach  der  held;  von  riesen  hat  er  noch  die  Bride  zu  e 
Bride  seihst  ist  riesisober  natur,   sie  besizt  nicht  nur  Jene  gewaltige  kör)» 
fuhrt  vor  allem  auch  die  typische  riesenwalTu.  die  stange. 
hin,   dass  iler  hetd  von  anfiuig  an  die  Jungfrau  im  rie.scninnde  erwiriit. 
wir  diese  nage  auf  einen  naiurmythus  zuriickzuluhron  suchen,  woxu  Ja  fci 


ÜBER  ORENDKL  ED.  BERGEB  475 

des  helden  ein  besseres  recht  gibt,  als  es  den  meisten  deutungs versuchen  derart  zu 
gründe  liegt,  so  haben  wir  doch  durchaus  keine  veranlassung  an  der  ursprünglich- 
keit jenes  zuges  zu  zweifeln.  In  der  von  Berger  herbeigezogenen  orzähluug  von 
MenglQ])  und  Svipdagr,  welche  den  jahrzeitmythus  besondere  deutlich  hoiTortreten  lässt, 
wird  der  aufenthalt  der  MenglQ|)  als  fnirsa-pjopar  sjqt  bezeichnet  (FJQlsvinnsmul  1); 
MenglQ])  weilt  also  zweifellos  nicht  in  Svipdags  heimat;  sie  ist  auch  nicht  seine  gattin; 
sie  ist  wie  Bride  Jungfrau,  weilt  wie  sie  im  riesenlande  und  harrt  wie  sie  dort  des 
ihr  bestirnten  geliebten.  Mit  dem  MenglQ{)m5rthus  steht  der  von  der  Ger{)r  in  enger 
beziohung.  Und  auch  Oer|)r  wohnt  in  jQtunheim,  ja  sie  ist  eines  riesen  tochter.  Zu 
ihrer  erwerbung  bedarf  Skirnir  eines  besonderen  rosses  und  eines  besonderen,  den 
riesen  verderblichen  Schwertes  —  ganz  wie  Orendel  zur  gewinnung  der  Bride.  Die 
waffc,  welche  —  wenn  auch  nur  mittelbar  —  den  weg  zur  MenglQJ)  bahnt,  wird 
auch  in  P^Q^svinnsmäl  erwähnt;  sie  ist  in  der  unterweit  gewirkt  und  befindet  sich 
in  einer  mit  neun  schlossern  verwahrten  eisernen  lade.  Das  schwort,  welches  Oren- 
del zur  bekam pfung  des  riesen  erhält,  liegt  mannstief  unter  der  erde;  dasjenige^ 
welches  zueilst  für  das  erforderliche  ausgegeben  wird,  befindet  sich  in  einer  mit  di'ei 
schlossern  gesicherten  lade.  Auch  in  der  Siegfriedsage  gieng  der  gewinnung  der  wie 
MenglQ])  und  Gerj)r  von  der  waberlohe  umgebenen  Jungfrau  die  erwerbung  des 
Schwertes  und  des  rosses  voran.  Es  liegt  mir  fem,  deshalb  einen  direkten  Zusam- 
menhang der  Orendelsage  mit  einer  dieser  traditionen  anzunehmen,  oder  solchen 
detailzügen  wie  den  das  schwort  betreffenden  grosses  gewicht  beizulegen;  aber  so 
viel  scheint  mir  sicher,  dass,  was  sich  etwa  aus  dem  iuhalte  unseres  gedichtes  auf 
traditionen  mythischer  art  zurückführen  lässt,  viel  eher  auf  Vorstellungen  aus  dem 
angezogenen  kreise,  als  auf  die  von  Müllenhoff  reconstruierte  und  in  der  hauptsache 
auch  von  Beer  und  Berger  vorausgesezte  form  des  mythus  weist. 

Ich  glaube  nach  alledem  als  den  gi-undbestand  der  Orendelsage  die  folgenden 
drei  aus  dem  Jahreszeitenmythus  erwachsenen  motive  ansehen  zu  müssen:  1.  Orendel 
fahrt  ins  riesenland  und  gerät  dort  in  knechtschaft;  2.  Orendel  gewint  nach  erlangung 
von  ross  und  schwort  im  riesenlande  die  Jungfrau;  3.  Orendel  kehrt  aus  dem  riesen- 
lande heim.  In  dieser  reihenfolge  überlieferte  die  natürlich  nicht  mehr  mythische, 
sondern  rein  sagenhafte  ti-adition  jene  drei  motive  auch  unseim  gedichte.  Dass  in 
lezterem  das  heimkehrmotiv  verschoben  und  zugleich  damit  eine  vöUige  Umwälzung 
der  alten  Überlieferung  volzogen  sei,  ist  also  bei  dieser  fassung  nicht  mehr  anzuneh- 
men. —  Die  benutzung  der  quelle  kann  auch  schi*  wol  schon  an  einer  frühei'en  stelle 
unserer  dichtung  einsetzen,  als  Berger  annimt.  Zu  den  particen  wenigstens,  welche 
|)oetisch  enJtschieden  über  das  hinausgehen,  was  Berger  s.  C  fgg.  als  den  „anteil 
des  spielmanns*^  zu  bestimmen  sucht,  gehört  teilweise  auch  die  erzählung  von  Oren- 
dels  entSchliessung  und  Vorbereitung  zur  fahrt;  vor  allem  die  lebhaft  anschauliche 
darstollung  des  aufgebotes  an  die  vasallen  v.  287  fgg.,  die  nur  in  der  Überlieferung 
sehr  entstelt  ist^     Ich  sehe  also  keinen  grund  gegen  die  annähme,   dass  mit  den 

1)  Orendel  lä&t  die  herbeigekommenen  (je  nach  ihrem  verschiedenen  stände)  in  einzelnen  gmp- 
pen ,  ringen,  antreten.  Sein  erster  anfruf  gilt  den  königen :  S  derselben  treten  mit  einem  gefolge  von  je 
1000  rittem  hervor.  Der  zweite  ruf  ergeht  an  die  übrigen  vasallen  (vers  900/1  müssen  ursprünglich  an 
stelle  von  296  gestanden  haben) ;  and  zum  zweiten  male  stelt  sich  eine  schaar ,  1000  volständig  gewapnete 
rittar.  Nun  moss  der  dritte  ruf  erfolgt  sein ,  denn  nur  auf  einen  solchen  kann  sich  y.  904/^  do  kwid» 
er  mit  alten  atnen  einnen  die  hrreti  von  dem  ring  nit  bringen  beziehen.  Um  dieser  vergeblichen  laufforde- 
ning  an  den  dritten  ring  nachdmck  zu  geben ,  lässt  Orendel  einen  häufen  goldener  sporon  auf  den  hof 
achAtten,  und  mm  springen  alsbald  die  jungen  herbei  und  nehmen  dieselben  auf.  Die  goldenen  sporen 
sind  bekantlich  zeichen  der  ritterwürde ;    um  diesen  preis  lassim  sich  also  die  jungen    {degen  wird  etwa 


Versen  11)5  fg.  et  g/iridifl  in  dem  bttoehn  falndj  ein  »tal  ligt  tlf  tttir  MtUrlen  {il6]  m 
dor  tat  der  aus  der  alten  tradition  UThöpfeode,  nntiirlii.'b  über  biet  so  wenig  wir;  Mnd 
getreue  bedoht  eingeleitet  wird.  BeKtiglich  des  weiteren  inlialles  des  aratun  toiloi 
ptUcfate  ioh  Berger  bei,  soweit  ea  sich  um  die  ungeßLbre  begrunzung  ilea  bcstauUta 
der  filt6D  flberlieferimg  bandelt;  dass  ich  sonst  auch  hier  vielfacb  von  seioer  anflu- 
Rutig  abweiche,  folgt  suboa  aiis  den  nbon  gitgelieDeii  auaföbrunt'oii  uuil  wffil  sich  uoIm 
weiter  zeigen.  Auf  Oreiidels  voroüiiguiig  mit  Bride  iiacb  gemeinBamei  gläukUubei 
UberwinduDg  der  feinde  folgte  aber  naoh  meiner  ansieht  in  der  alten  orzihlung  nitiil 
allein  Ises  orsuhoinen  und  abfinduDg.  Kondoro  auch  die  mit  »einem  beistund  bnwert- 
»teltigte  beimkebr  Orendels.  Den  kei'n  des  zweiton  teilet)  auf  ein  solbetfindiges  |edkihl 
Eurückzufübreu .  fanden  wir  keine  Veranlassung,  vielmehr  erkauteu  wir  Ihn  als  die 
typisehe  foilsetxuDg  des  spielmouiisigädicbtes.  War  subon  die  quelle  tön  Milubra, 
etwa  von  der  gathiug  de»  ßotber,  so  mag  sie  aueh  schon  jeueo  zweiten  tril  mit 
umhsst  haben.  Hat  der  dichter  selbst  ihn  hinzugefügt,  so  ist  sein  werk  durch  spi^ 
,tere  zutaten  stark  überwuctiert  JedenTals  liegen  hier  elemente  der  diuhtmig  oeben 
und  übereinander,  welche  nicht  gloicben  nrsprungeH  sind. 

Fiir  die  datierung  der  qaelle  unseres  Orendel  febU  natürlich  jeder  anholtv  Ihc 
abtasBungszeit  dor  origiualfonn  Aen  leztdren  aber  ßlt  nach  Borgers  moinnng  tim  IKIO, 
die  entstehuug  von  ü  in  den  aosgong  des  13.  jahrbunderta.  H  sl&mt  aus  dem  jobi« 
1477,  D  aus  dem  jahro  1512;  was  ipbt  die  veranla^sang,  ü,  die  näohsto  gemeia- 
same  grondlage  der  beiden,  so  weit  zurück  zu  datieren?  Noch  Berger  der  umstaiul. 
das»  U  auf  reiaigung  der  reime  und  auf  regelrechten  versbau  ausgehe.  Für  dva 
orsten  pnnkt  bringt  er  15,  für  den  zweiten  2  belege.  Das  will  schon  gegenüber  dar 
gawaltigen  anzabl  anregelmfissiger  verse  und  reime,  die  in  V  sIebon  gebUc'bea  afaid, 
wenig  genug  sagen;  es  verliert  aber  vollonds  alle  liedeutong,  wenn  wir  seben,  ibm 
H  in  viel  ausgedehnterem  mas>*e  reine  reime  und  regelreclite  verso  einführt  als  U. 
Was  dort  im  15.  jabrhundort  gesubafa.  kann  doch  unmöglich  hier  die  abfassung  in 
Vi.  Jahrhundert  beweisen;  nichts  hindert  sie  in  weit  siiätere  zeit  au  ritukon. 

Die  anfangsgrenzü  für  die  datierung  von  U  wird  nin'h  Berger  durrJt  iwiii 
seiner  meinung  nach  erst  ans  U  stammende  reime  beatimi,  tai'mr.  (st  mdne) :  «ntAw 
und  galin  (sL  ijalint) :  sin.  Da  Berger  hier  nur  das  aine  beis|>iel  für  apnkop«  dai  * 
im  reime  beibringt,  so  scheint  er  die  zahlreichen  woiteron  falle  dotselhen  dem  ongi- 
nalo  EuzuBchreibon.  Er  berührt  diesen  punkt  denn  auch  gelegentlich  bei  dor  aulTüb* 
mng  deqenigen  reime,  aus  weluben  er  den  dialekt  dos  origiuolN  zu  beütimnien  muhL 
Aber  eine  Zusammenstellung  der  betreCfendeu  falle  verroisst  man  ebenso  sehr  wta  dH 
«rörtorung  ihrer  bcdeulung,  leb  habe  mir  23  reime  noUert,  welche  aiiotope  d(8  * 
■uuih  langer  stAnisilbe  unbedingt  erfcMem,  darunter  beispiele  wie  da:  ,-  fnsl  (priUnii- 
tum),  bereit : kit  (prSt),  hdl  [prät. I :  mUaeläi,  getetl  (pritt.J  :  gtmeit,  fuort  <pfiL) 
:tluoe,  diu  müt  (subst.)  .-  »chiU,  fr  (subst) :  Jte,  lae :  Irae  (droufae).  Dos  iat  dutt 
sicher  uiuht  die  reiroweise  dor  zeit  um  1160,  in  weluhe  Bürger  das  original  «nl- 
Et  muste  entweder  diese  datierung  fallen  lassen,  ndur  er  musto  dorgWi-h«)  Mmr 
der  hearboitung  (U)  zuweisen;  keinenfals  durften  sie  ignoriert  werden.  Ähnlich  sttll 
M  mit  den  zweisilbigen  reimen,  welche  auf  dehnung  ulToner  stamsilbon  wuisen.  Am(i 
sie  scheint  Bergur  insgesamt  dum  originale  zuzuscbreibeo ;  fulgeningon  für  dio  nbtv 
Bungazeit  desselben  wurden  aus  ihrem  hiiuflgen  vorkommen  nicht  gozogun;  m  II 


ÜBEK  OBKNDEL  BD.  BKROER  477 

den  ohne  weitere  bemerknngen  unter  den  dialektlichen  reimen  der  einzelnen  vokale 
ausfuhrt  Sie  sollen  also  doch  wol  auf  die  rechnung  der  mitteldeutschen  mundart 
des  gedichtes  gesezt  werden,  während  diese  erscheinung  in  gleicher  ausdehnung  in 
keinem  gedichte  der  fraglichen  zeit  auftritt,  auch  in  keinem  mitteldeutschen.  Freilich 
sind  Bergers  angahen  auch  recht  unvoLständig.  Der  reim  here  :  mere  komt  nicht 
allein  an  den  von  ihm  angeführten  4  stellen  vor,  sondern  auch  noch  v.  243  und  453. 
Ganz  übergangen  sind  here  (dominus)  :  mere  3027.  3288,  h^en  :  mere  2880,  ere 
(eren):mere  298.  576.  2874,  here  :  geren  3061;  geren  :  werden  2826.  2834.  3124. 
3132,  genesen : heren  1618,  sehen  :  were  2053.  2303,  leben  :  sterben  1586,  tage: 
sande  506.  Im  anschluss  an  diese  erscheinung  wären  auch  reime  wie  stunden : 
frume;  komen :  Schalunge;  ime  :  Pfenninge  zu  besprechen  gewesen.  In  manchen 
fällen  können  die  betreffenden  reime  anders,  teilweise  unter  annähme  noch  jüngerer 
sprachformen  erklärt  werden  (z.  b.  herr : gern,  gern: icer(d)n,  sen:wer)^  hie  und  da 
mag  auch  eine  andere  textherstoUung  angezeigt  sein;  jedenfals  bleibt  die  tatsache 
bestehen,  dass  apokope  und  dehuung  offener  stamsilbe  in  den  reimen  der  dichtung 
eine  häufige  erscheinung  ist. 

Was  an  entschieden  altertümhchen  i*eimen  dem  gegenüber  steht  ist  wenig 
genug.  Die  reimformel  forderöst  :  tröst  3679  ist  im  12.  Jahrhundert  geprägt,  imd 
wenn  sie  auch  bekanÜich  in  den  Nibelungen  noch  gebraucht  und  Karlmeinet  404,  7 
aus  Rol.  8,  8  beibehalten  ist,  so  wird  sie  doch  von  den  rhoinfränkischen  fahrenden 
schwerlich  noch  lange  nach  dem  12.  Jahrhundert  selbständig  angewendet  sein.  Lez- 
teres  gilt  auch  für  die  v.  3616  von  Berger  im  reime  horgestelte  form  gemarteröt, 
während  dem  umstände,  dass  in  U  ausserhalb  des  reimes  die  form  gebot(e)  stand, 
keine  bedeutung  beizumesseu  ist,  wenn,  wie  Berger  s.  XXXIV  bemerkt,  U  in  Ober- 
deutschland geschrieben  war;  ebensowenig  der  schrcibung  brimige,  brinige.  Der 
auch  von  mir  Mor.  CVIII  aufgefülirte  reim  danndn :  Jordan  1680  ist  nicht  sicher,  da 
ebensogut  wie  v.  3135  auch  dan  gemeint  sein  kann.  Ob  v.  346  menigin :  Rtti  oder 
die  sonst  übliche  form  menige :  Rtne  gemeint  ist,  will  ich  nicht  entscheiden.  Reime 
welche  auf  ein  flexions-c  beschränkt  sind,  lassen  sich  nach  Berger  sonst  nur  in  drei 
fallen  nachweisen. 

Das  sind  doch  überaus  spärliche  beispiele  voltonig  gebrauchter  endungen  für 
ein  gedieht,  dessen  reime  zum  grossen  teil  nicht  neu  gebildet  sind,  sondern  aus  alt 
überlieferten  formein  stammen.  Dass  sie  nicht  geeignet  sind,  seine  abfassung  in  der 
zeit  um  1160  wahrscheinlich  zu  machen,  ist  wol  klar.  Es  müsten  andere,  wichtige 
umstände  dafür  in  die  wage  fallen.  Nun  ist  die  reimkunst  des  Orendel  sehr  unvol- 
kommen;  die  assonanzen  sind  sehr  zahlreich  und  sehr  roh,  roher  als  im  Morolf;  von 
diesem  gesichtspunkte  aus  wird  man  geneigt  sein,  die  abfassung  des  Orendel  eher 
vor  als  hinter  die  des  Morolf  zu  verlegen.  Lezterer  aber,  meinte  ich,  könne  nicht 
wol  vor  dem  lezten  decennium  des  12.  Jahrhunderts  verfasst  sein.  Berger  ist  ande- 
rer ansieht  Er  glaubt,  dass  der  kürzere  Oswald  in  die  siebziger  jähre  des  12.  Jahr- 
hunderts falle,  der  Morolf  vor  diese  zeit  und  der  Orendel  vor  den  Morolf,  also  um 
1160.  Da  Berger  diese  datierung  des  Oswald  als  „ziemlich  sicher*^  bezeichnet,  da 
sie,  wie  ich  aus  Siegm.  Schnitzes  disscrtation  über  die  Oswaldlegende  (Halle  1888) 
ersehe,  auch  von  andern  dafür  gehalten  wird,  und  da  hierbei  umstände  in  betracht 
kommen,  welche  für  die  beurteilung  der  litterarhistonschen  Stellung  der  spielmanns- 
poesie  überhaupt  von  bedeutung  sind,  so  halte  ich  es  für  nötig  auf  die  frage  aus- 
ffihriioher  einzugehen. 


478  TOOT 

Zur  bcgriindung  dor  Zeitbestimmung  dos  Oswald  boraft  Berger  sich  auf  Paul- 
Brauno  XI,  382.  Dort  weist  er  darauf  hin,  dass  der  Oswald  in  die  grappe  Orendel 
Morolf  herzog  Ernst  gehöre,  und  zwar,  wegen  seiner  verhfiltoismässig  grösten  reim- 
genauigkeit,  als  leztcr  dieser  reihe.  Der  Orendel  aber  sei  viel  früher  als  1187  ver- 
fasst  —  das  solle  in  der  ausgäbe  ausgeführt  werden;  der  Morolf  falle  vor  1190  —  das 
solle  an  anderem  orte  wahrscheinlich  gemacht  werden.  Da  wird  doch  der  les«»r 
im  kreise  henimgefühi*t.  Es  bleibt  also  der  herzog  Ernst.  Ich  mnss  mich  wundem, 
dass  Berger  bei  seiner  Vertrautheit  mit  der  spiolmannspoesic  noch  dem  alten  heikom- 
men  folgen  kann,  welch(»s  dieses  gedieht  mit  dem  Orendel  usw.  in  eine  reihe  sezt 
Wenn  ich  dasselbe  bei  der  Schilderung  der  spielmannsmanier  Morolf  CXVlll  fgg. 
ausschloss,  so  hatte  ich  meine  guten  gründe  dafür.  In  der  tat  hat  ja  der  herzog 
Ernst  nichts  von  den  doi*t  geschild(?rten ,  so  leicht  erken baren  und  so  charakteristi- 
schen Zügen,  nichts  von  jener  an  den  ül)erlieforten  formelvorrat  gebundenen  daratol- 
lung,  nichts  von  den  possen  oder  der  plumpen  bigotterie,  von  der  ganzen  leichtfer- 
tigen behandlung  des  stoflfes,  von  dem  persönlichen  hervordriingen  des  sjiielmanDs, 
nichts  von  der  typischen  brautfahrt  oder  entführung.  Dass  der  held  in  den  Orient 
komt  und  dort  allerlei  abonteuer  erlebt,  macht  doch  dies  gedieht  so  wenig  wie  den 
Alexander  oder  den  grafen  Rudolf  zu  einem  spielmannsgedichte.  Und  von  vomhen»in 
sehen  wir  es  in  den  gebildetsten  kreisen  verbreitet.  Der  angehörigo  eim>s  der  vor- 
nehmsten bairischen  geschlechter  erbittet  es  sich  vor  11 80  von  einem  abte  zur 
abschrift.  In  der  zeit,  wo  an  den  höfen  noch  eine  edlere  geselligkeit  gepflegt  wurde, 
las  man  dort,  so  erzählt  uns  Wernher  der  gärtiier,  den  herzog  Erast  vor.  Eine 
bearbeitung  in  lateinischen  hexametem  wird  1206  dem  erzbischof  von  Magdeburg 
gewidmet,  eine  spätere  deutsche  erneue mng  nimt  sich  Wolframs  manier  zum  muster. 
Ein  solches  gedieht  kann  doch  unmöglich  einen  massstab  für  jene  ganz  auf  den  der- 
ben geschmack  und  den  l)eschränkten  anschauungskreis  eines  niederen  publikums 
zugeschnittene  und  aus  ihm  erwachsene  spielmannspoesie  abgeben.  Man  muss  vou 
dieser  von  vornherein  einen  viel  geringeren  kunstgrad,  eine  nel  grössere  befang»»n- 
heit  in  alt^^n  typen  und  formen  en^'arten.  Aber  welches  sind  denn  nun  die  kritericD. 
die  aus  dem  herzog  Ernst  für  die  Zeitbestimmung  des  Oswald  entnommen  werden? 
Oswald  Übertrift  an  reimgenauigkeit  bei  weitem  den  Morolf;  näher  steht  ihm  schon 
der  herzog  Ernst,  „in  dem  indessen  die  assonanzen  immer  noch  zahl- 
reicher sind."  Die  meist  tadellose  reinheit  des  reimes  im  Oswald  weist  immerhin 
(trotz  Ungeschick  in  darstellung  und  —  übrigens  wesontli(jh  korrektem  —  versl^an) 
schon  auf  die  zeit  einer  vorgeschrittenen  kunstentwickelung.  Nun  ist 
der  Ernst  in  den  siebziger  jahivn  (nach  Bartsch  zwischen  1173  und  1180)  gedichtet 
also  ist  der  Oswald  —  auch  in  den  siebziger  jähren  verfasst.  Für  „ziemlich  sicher^ 
kann  ich  diese  Zeitbestimmung  nicht  halten. 

Rödiger  hatte  Anz.  f.  d.  a.  TI,  252  fgg.  mundartliche  reimformen  des  Oswald  aas 
dem  alemannischen  des  15.  Jahrhunderts  belegt;  er  hatte  an  die  assonanzen  der  von 
Sc^hönbach  ins  14.  Jahrhundert  gesezten  Cäcilie  erinnert,  auf  die  zahlreichen  beispiele 
für  apokojM}  und  stamsilbendehnung  in  den  reimen  des  Oswald  hingewiesen ,  und  nach 
alledem  Bartschs  annähme,  dass  für  dies  gedieht  eine  vorläge  aus  dem  12.jahrh.  vor- 
auszusetzen sei,  abgelehnt.  Die  gründe,  welche  nun  Berger  Paul  -  Braune  XI,  370  fgg. 
zur  stütze  von  Bartschs  ansieht  beibringt,  sind  nicht  stichhaltig.  Er  behauptet  1)  os 
finde  sich  im  Oswald  eine  anzahl  im  15.,  ja  wol  schon  seit  der  mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts nicht  mehr  gebrauchter  ausdrücke.  Obwol  dieser  punkt  nur  die  frage  nach 
einer  ülteix^n  vorläge  des  gediehtcs  üU»rhaupt.    nicht  die  abfassung  derselben  im  12. 


47B 


Jahrhundert  botrift,  so  dnrf  doch  nicht  vprschwipgen  worden,  daw  Bci'görs  bohoup- 
toDg  bei  keinem  der  von  üjjii  aiifgo führten  werte  zutrirt.  Ek  tutid  die  Tolgendeo:  bef/ 
Twmen  v.  20.  1420  als  ilickwoit  im  reim  r=  fürwahr  oder  hesondpra:  daii  Deutsche 
wb.  belegt  es  in  der  ersten  bedeutung  ans  dem  ende  des  15.,  in  der  zwoiten  noch 
ans  dem  ende  des  16.  Jahrhunderts.  —  gefug  ini  D.  wb.  ana  dem  15.  Jahrhun- 
dert benoURt.  —  missacende  belegt  Lexer  noch  sus  dem  ].■>.  Jahrhundert.  —  aixju- 
liant  im  D.  wb.  aiis  dem  16.  jahrh.  nachgewiesen.  —  liw.  »under  ledn  kernt  noeh 
im  aufang  dos  16.  jahrhundertK  vor:  Wackomagel  Kirchenl.  II  n.  1314  Btr.  3,  9.  — 
nugeteipt  noüh  bot  Michel  Beheim,  Wiener  57,  7.  193,  6.  —  wiindemeliiere  iat 
keineswegs  ein  alt«s  wort:  Lexer  belegt  es  nur  aus  einer  plusstrophe  der  Horolf- 
handschrift  E  vom  jähre  1470  (hinter  str,  125),  femer  aus  der  KolocEOer  ha.  250,  175 
und  aus  Mone  altd.  eohausp.  1,  1920  (14.  jli,].  —  einem  angewintwn  im  D.  wh. 
reichlich  bis  ins  17.  Jahrhundert  belegt;  sogar  Wiuland  gebraucht  das  wort  noch, 
—  hoiiiseheil  327  ist  doch  niclita  anderes  als  das  eist  seit  dem  17.  jalirhundort 
erloschene  hübacheil.  —  sifh  undcrteindeti  =  sich  in  boaiti  setzen  380  wird  so  noeh 
im  10.  Jahrhundert  gebraucht,  z,  b.  Zimmeriacho  eltronik  11*,  422,  37.  —  geha» 
im  P.  wh.  ununterbrochen  bb  ins  18.  jalirhiindert  Iwiegt  —  fritdel  ebenda  noch 
aus  dem  15.,  gemeit  noch  zahlreich  aus  dem  16.,  lusten  =^  begehren  aus  dem  IG., 
mit  umlaut  noch  aus  dem  18.,  klar  ^  schön  bis  ins  17.  Jahrhundert  belegt.  — 
nd«r  komt  im  15.  jahrh.  z.  b.  in  Beheims  Wienern,  im  IG.  z.  b.  in  der  Zimmerischen 
cbronik  vor,  abei'  noch  im  18.  Jahrb.  wurde  es  nach  Fiisch  „in  gemeinon  roden  oft 
gehört."  —  wnrfp  =z  woge  bei  Frisch  aus  dorn  15.,  hei  Diefonbach  noch  ans  dem 
13.  Jahrh.  liolegt.  —  bfileti  =  zögern  im  D.  wb.  bis  ins  17.  Jahrh.  nachgewiesen. — 
Alm  dieser  punkt  ist  wol  abgetan. 

2.  Die  hdschr.  0  des  kürzeren  Oswald  ülierÜerert  einen  zug  dtr  sage  in  ver- 
mutlich ursprunglicherer  fassung  als  das  lungere  gedieht.  —  Das  künle  doch  nur 
beweisen,  dass  der  Verfasser  des  kürzeren  gedichtes  seine  kontnis  der  legende  aus 
einer  von  dem  längeren  unabhängigen  tradition  schöpfte^  auf  die  form,  in  welcher 
ihm  diese  zuilosa,  können  wir  daraus  gar  keinen  schlass  ziehen. 

3.  Aus  der  im  übiigon  nüchtamen  und  unbeholfenen  darstellung  heben  sicli 
einige  stellen  durch  zarte  empfiudung  und  {wotiaehen  auadruck  deutlich  ab  (es  wer- 
den G  kurze  versroilien  citiort);  diese  können  unmöglich  vom  Verfasser  von  WO  (d.  i. 
die  uns  üborlieferte  dichtuug)  heiTühren,  sie  weisen  auf  einen  begabteren  dichter.  — 
Daraus  würde  notwendig  der  soldoss  zu  ziehen  sein,  dass  in  WO  von  der  alten  dioh- 
tang  nichts  mehr  zu  erkennen  ist  als  einige  ganz  unbedeutende  trümmer;  alles 
andere  wäre  so  durchgreifend  gdLndert,  da^  sich  gerade  dadurch  jene  spILrlicheii 
reste  des  alten  noch  ,deutlich  abhoben."  Und  dabei  soll  noch  auN  den  reimen  die- 
ses nach  Berger  um  1400  verfassten  WO  --  und  zwar  nicht  etwa  aus  vereinzelten 
altertümlichen  erseheinungon,  sondern  aus  dem  gesamteharakter  sdner  reimkunst  — 
die  abfaKsungiJZeit  Jener  vorauagesezteu  alten  grandlage,  Ja  im  woiteren  verfolge  dio 
Chronologie  der  gesamten  spielmaunsdiuhtimg  bestirnt  worden?  Berger  entzieht  hier 
seiner  oben  angeführten  datierung  selbst  allon  boden.  —  Übrigens  Ifisst  sich  auch  aus 
den  betrelTeuden  stellen  kein  schluss  auf  eine  ältere  vorläge  ziehen.  Durch  die  ont- 
lebnungen  aus  dem  Orendel  and  Uorolf  wissen  wir  schon,  dass  der  dichter  seine 
erzäblung  mit  allerlei  reminiscenzen  ausschmückt  So  ist  die  von  Berger  besondets 
berausgeholieno  stelle  v.  411  fgg.  augonsoheinlich  einer  Jener  liebcsgrüs-ie,  wie  sie 
im  15.  jahrlinndort  vielfach  üborUefert  sind,  vgl.  z.  b.  Hätzlerin  s.  77',  Fioharda 
FtiukT.  anihtv  IH,  2Ü7;  ao  haben   ihm   bei   den   verseu  137G  fgg.   augenaübeinlluh 


480  vooT 

erinnerungen  an  irgend  ein  älteres  gebot  vorgesehwebt,  die  teilweise  gar  nicht  in  den 
Zusammenhang  passen. 

4.  Die  alliteration  hat  in  volksmässiger  redeweise  viel  zu  lange  fortgelebt, 
um  das  was  wirklich  von  Bergers  unter  dieser  rubnk  gegebener  zusammenstellang 
nicht  auf  zufälligem  gleichklang  des  anlautes  beruht,  zur  altersbestimmong  verwerten 
zu  können. 

5.  Die  wenigen  harten  assonanzen,  welche  ins  12.  Jahrhundert  weisen  sollen« 
(s.  372),  fmden  z.  b.  in  den  roimen  der  von  Rödiger  herbeigezogenen  Cäcilie  aas- 
i'eichende  parallelen,  vgl.  reime  wie  helibet :  yexühet ,  opher  :  einander,  nemen :  slux- 
xen  u.  a.  Unter  den  von  Berger  aufgefühi*ten  reimen  ist  übrigens  der  aus  Osw.  0 
entnommene  culier  :  beicaren  gewiss  als  adel-ar :  betcam  aufzufassen  (adel-ar  noch 
im  16.  Jh.).  Vers  53  scheint  mir  horhgeborn  (:  erkam)  0  dem  wolgetan  W  des 
Zusammenhanges  wegen  vorzuziehen ;  jedonfals  bietet  W  mit  seinem  fcolgetön :  irköm 
keineswegs  einen  alten,  sondera  einen  sehr  jungen  reim,  ebenso  jung  wie  die  nach 
Bartschs  angaben  in  WO  gemeinsam  überlieferten  unbegobit :  gelöbit  588,  böten  (nuii- 
tii)  ;  toten  (fecerunt)  849,  got  :  fiot  391.  448.  1328,  fwch  :  ril  noch  1076,  oeh  :  htn 
noch  1234.  Das  sind  l)esonders  dem  elsässischeu  dialekte  des  14/15.  Jahrhunderts 
gemässe  i-eime,  wie  sie  z.  b.  der  Strassburger  Morolfdruck  einführt  (Morolf  fortsetzung 
71',  10  mos%' :  grosx ;  73",  2  h6r:enhor;  73**,  16  sciwn  :  getan)  ^  erscheinungen ,  die 
zusammen  mit  dem  häufigen  gebrauche  der  apokope  und  stamsilbendehnung  der  reim- 
kunst  des  gedichtes  deutlich  genug  den  chamkter  des  14/15.  Jahrhunderts  aufprägen. 

Wenn  endlich  Berger  s.  374  „das  fehlen  höfischen  einflusses  und  die  stärkere 
geistliche  tendenz*^  betont,  so  ist  beides  bei  einer  dichtung  legendarischen  inbalt(^ 
aus  dem  14/15.  jahrhundei-t  ganz  in  der  Ordnung.  Andererseits  aber  waren  auch  di<* 
traditionen  der  spielmannspoesie  in  diesem  Zeiträume  lebendig  genug,  um  sich  in  dem 
gedieh te  daneben  bemerklich  zu  machen.  Der  „spruch  vom  könig  Etzel*  z.  b.  (Kel- 
ler, Erzählungen  aus  altd.  hdschr.  1)  ist  nichts  weiter  als  ein  ganz  an  den  alten  for- 
meln  klebendes  spielmaunsgedicht,  und  die  berührung  der  legende  mit  dieser  gattnng 
kann  der  Christophorus  B  veranschaulichen,  den  Schöubach ,  nach  Ztschr.  f.  d.  a.  26,83 
imten,  gewiss  mit  recht  nicht  mehr  wie  früher  für  ein  werk  des  12.  jahrhun- 
dei-ts  hält. 

Ich  denke,  wir  haben  nach  dem  allen  nicht  den  mindesten  grund,  den  kür- 
zei*eu  Oswald  bis  ins  12.  Jahrhundert  ziuiick zudatieren.  Woher  auch  immer  dem 
dichter  sein  stoff  zugeflossen  sein  mag,  sein  mach  werk  gehört  dem  14/15.  jahriiundert 
an,  und  es  kann  daher  für  di«>  datienmg  der  spielmannspoesie  des  12.  Jahrhunderts 
gar  nicht  in  betracht  kommen.  Damit  fält  denn  auch  die  grenze,  welche  Bei^r  für 
die  Zeitbestimmung  des  Orendel  und  Morolf  ziehen  wolte. 

Aber  Berger  bringt  a.  a.  o.  s.  380  fg.  noch  einen  anderen  grund  gegen  die- 
jenigen vor,  welche  den  Orendel  und  Morolf*  bis  gegen  das  ende  des  12. Jahrhundert» 
hiuabrücken  wollen.  „Katm  man"  —  so  fragt  er  —  „an  so  später  datienmg  der 
genanten  spielmannsgedichte  noch  ernstlich  festhalten,  wenn  man  ihnen  die  erzeug- 
nisse  der  volkspoesie  gegenüber  stelt,  die  uns  nach  ablauf  des  Jahrhunderts  entgegen- 
treten V^  Gewiss  nicht,  wenn  man  alle  denkmäler  der  deutschen  dichtung  in  eine 
einzige  gerade  linie  rückt,  mögen  sie  nun  in  Trier  oder  in  Österreich  entstanden, 
mögen  sie  l^ei  hofe  oder  an  den  stiussenecken  voi*getragen  sein.  Aber  ich  denke 
doch,    die  litteraturgeschichte  hat  nicht  nur  mit  chronologischen,    sondern  auch  nu* 

1)  Die  s.  380  danebeu  erwähnten  Rother  und  Ernst  sind  doch  nicht  ^^niMsi  liislMr"  lo 


ÜBER  OBBNDIL  ED.  BEBOEB  481 

Landschaftlichen  und  socialen  unterschieden  zu  rechnen.  Jene  volksmässige  epik  vor- 
aehmeren  Stils,  auf  welche  Berger  bezug  nimt',  sehen  wir  in  Österreich  und  zwar 
in  ritterlichen  kreisen  sich  ausbilden.  Um  1160  sind  uns  dort  ritterliche  trütliei 
bezeugt,  um  dieselbe  zeit  epische  dichtung  von  Rüdiger  und  Dietrich  von  Bern.  Dass 
üese  leztere  im  stile  des  Orendel  und  Morolf  gebalten  war,  wird  wol  niemand  anneh- 
men; es  würde  uns  dann  nur  eine  karrikatur  der  Nibelungensage  geblieben  sein. 
Die  beschaffenheit  jenes  altösterreichischen  ritterlichen  minnegesanges  lernen  wir  bald 
nach  jenem  ältesten  zeugnis  in  Kümbergs  liedem  kennen.  Dieselbe  strophenform, 
dieselbe  durchdringung  volksmässiger  und  ritterlicher  demente  wie  in  ihnen  tritt  uns 
später  im  Nibelungenlied  entgegen;  beides  muss  auch  für  dessen  liedartige  grund- 
bestandteile  Yorausgesezt  werden.  Minnelied  und  episches  lied  haben  sich  damals  in 
Österreich  neben  einander  auf  nationaler  grundlage  in  den  höheren  geselschaffcskreisen 
entwickelt  Wie  aber  in  Baiem  schon  im  12.  Jahrhundert  das  vorlesen  imifänglicher 
epischer  erzählungen  gegenständ  der  höfischen  Unterhaltung  geworden  war  (Eoland, 
herzog  £mst),  so  wante  sich  im  ersten  decennium  des  13.  Jahrhunderts  auch  in 
Österreich  gleichzeitig  mit  dem  ersten  eindringen  Hartmannscher  imd  AVolframscher 
epik  der  höfische  geschmack  vom  epischen  liedc  der  epischen  erzählung  zu.  Dem 
direkten  einflusse  der  französischen  litteratui*  jedoch  schon  durch  die  geographische 
Lage  entrückt,  geht  man  nicht  wie  in  Westdeutschland  zur  bearbeitung  französischer 
quellen  über,  sondern  die  nationale  dichtung  bequemt  sich  dem  neuen  geschmack 
an:  die  epischen  lieder  oder  liedercyklen  werden  unter  einmischung  modern  höfischer 
elemente  zu  umfänglichen  leseepen  verarbeitet,  so  entsteht  bis  um  1210  das  Nibe- 
lungenlied und  später  unter  dessen  einfiuss  die  Gudrun;  oder  man  baut  aus  einzel- 
nen sagenhaften  motiven  frei  combinierte  erzählungen  gleichen  Stiles  auf,  so  entsteht, 
gleichfals  in  unmittelbarer  anlehnung  an  die  Nibeluugendichtung  die  Klage  und  der 
Biterolf.  Zunächst  auf  die  bairisch  -  österreichischen  lande  beschränkt,  breitet  sich 
diese  dichtungsgattung,  inzwischen  mit  elementen  niederer  volkspoosie  versezt,  in  der 
zweiten  hälfte  des  13.  Jahrhunderts  auch  auf  alemannische  gebiete  aus.  Dass  sie 
jemals  auch  in  den  Mosel-  und  Rboinlanden  gepflegt  sei,  dafür  spricht  kein  einziges 
denkmai.  Insbesondere  aber  würde  die  annähme,  dass  in  diesen  ganz  von  der  fran- 
zösierenden dichtung  beherschten  grenzgebieten  gleichzeitig  mit  Nibelungen  und  Biterolf 
ebensolche  volksmässig- ritterlichen  epen  in  ausgebildeter  kxmstform  gedichtet  seien, 
allen  tatsachen  widersprechen.  Wie  sollen  wir  denn  also  zu  der  voraussetzimg 
berechtigt  sein,  dass  ebendort  in  der  zunächst  vorangehenden  zeit  die  gesamte  volks- 
poesie  sich  in  einer  zu  diesem  gipfel  aufsteigenden  hnie  bewegt  habe?  Mögen  wir 
die  abfassung  des  Orendel  und  Morolf  noch  so  weit  hinaufrücken,  soviel  ist  doch 
zweifellos,  dass  sie,  die  anerkantermassen  erheblich  später  als  der  Rother  gedichtet 
sind,  keineswegs  auf  einer  kunsistufe  stoben,  welche  über  den  Rother  hinaus  auch 
nur  von  ferne  auf  die  Nibelungen-  oder  Biterolfgattung  zufuhrt,  dass  sie  vielmehr 
die  ernstere  und  gediegenere  manier  des  Rotherdichters,  der  noch  um  den  beifall 
vornehmer  geschlechter  warb,  ins  niedere  fortgebildet  haben,  augenscheinlich  in  einer 
zeit  und  in  einer  gegend,  wo  die  höheren  gcselschaftskreise  den  geschmack  an  der- 
gleichen verloren  hatten.  Diese  gedichte  sind  eben  höchst  charakteristische  und  wert- 
volle Vertreter  einer  niederen  volkspoesie,  die  zu  allen  Zeiten,  wo  die  gebildeten 
stände  ihre  besondere  kunst  pflegten,  neben  dieser  existiert  hat;  die  noch  an  den 
alten  traditionen  haftet,   wo  die  kunstmässige  dichtung  längst  andere  wege  einschlug; 

Ij  Der  sellmt  nichts  weniger  als  sicher  datierte ,   nur  in  sp&ter  Überlieferung  erhaltene  Laurin 
ftr  die  datiemng  anderer  dichtungen  nicht  in  betracht  kommen. 

r.  DEUTSCHS  PHILOLOGIE.      BD.   ZZU.  31 


482  vooT 

und  die  umsowoniger  fühlung  mit  der  knnstpoesie  hat,  jemehr  diese  unter  fremdem 
einflusse  steht.  Dafis  Welo  formein,  dass  stil  und  kompositionsweise  dieser  durch  den 
Orendel  und  Morolf  vortretenou  volkspoesio  sich  auch  durch  die  mittelhochdeutsche 
blütepcriode  hin  in  lobendigor  Überlieferung  fortgepflanzt  haben  müssen,  zeigt  ihr 
widorauftauchen  in  dichtungen  wie  Ortnit,  "Wolfdietrich  BD  und  späteren  deut- 
lich genug.  Vielfach  berührt  sich  schon  jene  niedere  Spielmannsdichtung  mit 
den  moderneren  volksmässigen  gattuDgen.  Das  wunderbare  spielt  in  ihr  eine  ähn- 
liche rolle  wie  im  Volksmärchen;  die  formel  und  verwante  stilmittel  finden  sich  in 
einer  ausdehnung  wie  nur  irgend  im  volksliede;  die  mischung  von  ernster  und  paro- 
distisch-j)Ossünhafter  Ixjhandlung  des  Stoffes  erinnert  lebhaft  an  die  reste  der  voiks- 
Schauspiele,  die  wir  noch  in  der  puppenkomödie  besitzen';  der  rein  typische  Charak- 
ter ist  ihnen  mit  allen  diesen  gattungen  gemeinsam.  Ich  brauche  nnr  daran  za 
erinnern,  wie  lange  diese  noch  heute  lebendigen  arten  der  Volksdichtung  an  d^  alten 
Stoffen  und  stilformen  festhalten,  wie  wenig  und  wie  spät  sie  durch  neue  epochen 
der  kunstdichtung  beoinflusst  werden,  um  ein  entsprechendes  Verhältnis  zwischen  der 
niederen  spielmannspoesie  und  der  gleichzeitigen  höfischen  dichtung  einleuchtend  zu 
machen. 

Je  mehr  nun  sclion  dieser  k()n8er>'ative,  ganz  vom  überlieferten  abhängige 
Charakter  der  dichtung  der  ungebildeten  die  datierung  ihrer  einzelneu  denkmäler 
erschwort,  umsomchr  beachtung  verdient  es,  wenn  sich  in  ihnen  nun  doch  diese  oder 
jene  spur  einer  fortgeschrittenen  kunstübung  zeigt  Es  kann  so  gelingen,  wenigstens 
eine  anfangsgrenze  für  ihre  entstehung  zu  gewinnen.  Eine  solche  spur  glaubte  ich 
im  Morolf  zu  bemerken,  wenn  der  dichter,  der  sich  nur  stumpfen  reim  gestattet 
dabei  nicht  mehr  nach  alter  weise  auch  das  tonlose  e  im  versausgangc  zulässt  Diese 
sehr  merkwürdige  beschränkung  im  reimgebrauche  tritt  sonst  in  der  epischen  dich- 
tung erst  im  Nibelungenliede  auf,  während  sie  in  derselben  strophenform  bei  Küno- 
berg  noch  nicht  hci'scht.  Von  strophischer  dichtung  der  fahrenden  lassen  sich  nur 
Hergers  Sprüche  vergleichen.  Herger  fand  sein  brot  an  den  höfen,  er  geuoss  die 
gunst  hochgestclter  adlicher;  man  darf  ci-wartcn .  dass  er  mehr  Sorgfalt  auf  seine  dich- 
tung verwante  als  ein  spi(dmann  vom  schlage  des  Morolfdichtcrs;  aber  auch  er  bat 
sich  der  alten  freiheit  keineswegs  entäussort,  und  seine  Sprüche  reichen  bis  geg» 
1180.  Unter  diesen  umständen  meinte  ich  den  Morolf  nicht  über  das  lezte  decen- 
nium  des  12.  Jahrhunderts  zurückdatieren  zu  dürfen,  umsomchr  als  von  andrer  seit« 
einer  solchen  Zeitbestimmung  nichts  widerspricht,  wenn  man  nur  nicht  vergisst,  wel- 
cher dichtungsgattimg  der  Morolf  angehört  Berger  meint,  „solchen  nachweisen  sei 
keine  untrügliche  beweiskraft  beizumessen,  zumal  wenn  es  sich  um  geringe  zahlen- 
unterschiede  handle.^  In  den  783  Strophen  des  Morolf  finden  sich  nur  1  oder  2 
sichei-e  belege  für  die  hebung  des  r  im  versausgangc,  in  den  28  Strophen  Hergeis 
finden  sich  deren  14;  dos  sind  doch  wahrhaftig  keine  „geringen  zahlenunterschiede!' 
Auch  wenn  man  für  den  Morolf  noch  alle  stellen  in  betracht  ziehen  weite,  wo  sich 
irgend  etwa  vennut^n  liesse,  dass  der  überlieferte  text  zu  ändern  sei,  um  derartige 
vorsausgängo  herzustellen,  so  würde  doch  dort  immer  nur  auf  200,  bei  Herger  auf  4 
der  in  K'tracht  zu  ziehenden  reimpoare  ein  solcher  fall  kommen.  An  der  tatsache 
losst  sich  nun  oiinnal  nicht  rütteln,  dass  im  Morolf  der  stumpfe  ausgang  abweichend 
vom  ülteren  brauche,    in  derselben  weise  wie  im  Nibelungenliede  gesetz  ist.     Das  i>t 

1)  Dor  zuerst  von  Schoror  angedeutete  vergleich  zwischen  spiolmonnsdichtong  and  pnppc«i<:pMl 
liesse  sich  bis  in  sehr  bemerkenswerte  eiiizelheiton  durchlühren.  £m  boispiel  gab  P.  Sditttze,  Oeg«o- 
wart  bd.  XXIX  s.  314. 


aber  eioa  Bebr  wichtige  aeuerung,  walcho  den  BpialmaaQ  nötigte  mit  eioem  teil  der 
sonst  so  zäh  festgehaltenen  traditionen  zu  breoben.  Beiuhlicb  die  hAlfte  der  reime, 
welche  der  Orendel  verwendet,  wurde  beispielsweise  für  den  Morolfdichtar  durch  die 
befolgung  dieses  geaetzes  anbrauchbu*.  Auf  eine  grosse  anzabl  von  be<iiieineD  epischen 
fonnelu  niuste  er  verzichten,  foroiela  z.  b.  wie  in  aller  der  gfbare  :  als  ...  wäre; 
ftihl  langer  heilen  :  beraten;  . . .  gienc  gerihle  da  er  .. .  tetste;  . . .  gtenc  dräte  in 
ritt«  keimvuUe;  hiei-  aprini/en  : bringen;  mit  ginnen:  bringen  : gewinnen i  Hl  tehiere 
er  sich  hcaaniU  m  allem  ainetn  laude;  si  xvgen  üf  ir  segele  *r  kiele  giengen 
ebene;  mit  bröte  und  auch  mit  wine  mit  raarteger  hande  aptse;  Cornielii  femer  mit 
fekUn  :  ttieläen.  biderbe :  widere,  ^etexxen :  ftTmaxen,  säten  :  pergdxen ,  froiiiren; 
»tJtomce^l,  teile :  mite  usw.  Wenn  ein  spielmaan,  dosaen  dareteUnng  ganz  unter  der 
heisuhafl  der  epischen  formel  steht,  sieb  nller  dieser  Überlieferungen  entäossert,  oder 
dieselben,  wie  das  in  einzelnen  fällen  vorkomt,  nach  dem  veränderten  metrischen 
Schema  umgestaltet,  so  ist  us  doch  wol  klar,  dass  es  sich  da  nicht  um  ein  bodeu- 
tmigsloses  und  dem  zufall  unterworFsDes  mehr  oder  weniger  dieser  oder  jener  reim- 
form, sondern  tun  die  bewuste  dorchführung  eines  ganz  bestirnten  metriBohen  prin- 
«ips  handelt.  Sicherlich  würde  sich  aber  dieser  kiinstloso  und  reimarme  dichter 
einem  solchen  nicht  unterworfen  liaban,  wenu  es  sich  nicht,  im  zusammenhange  mit 
der  fortgeschrittenen  spracbentwickelung,  zu  seiner  Kcit  schon  algemeine  geltung 
emuigen  hatte.  Es  dürfte  demnach  wol  sein  bewenden  dabei  haben,  dasa  wir  den 
Uorolf  nicht  über  das  eade  des  12.  Jahrhunderts  zuräoltdatiereo, 

Weder  der  Morolf  noch  der  Oswald  luuin  demnach  zur  begründung  für  Ber- 
gers  Zeitbestimmung  des  Orendel  dienen.  Andrerseits  ist  anoh  der  jedenfals  betiHcht- 
liche  zwisoheuraum ,  welcher  den  Ürendel  vom  Rother  trent,  so  wenig  wie  die  abfas- 
aong  des  Hotber  selbst  auf  das  jahrzebent  anzugeben.  So  ist  denn  auch  hier  kein 
irgend  sicherer  anhält  Im  Orendel  selbst  weite  bskantlioh  E.  H.  Heyer  bestirnte 
betiehnngon  auf  die  geschiebte  des  konigreichs  Jerusalem  wobmebmen,  welche  darauf 
binfübren  wiirJen,  dass  das  gedieht  „etwa  bald  nach  den  voiMlen  vor  Akers  im 
jihTB  IIW  gedichtet  wäre.  Seinem  versuche,  den  inhalt  unserer  dichtung  mit  ein- 
lelhcitcn  aus  der  geschichte  Guidos  von  Lusignan  und  der  Sibylle  zu  verknüpfen 
kann  ich,  wie  ich  schon  bei  anderer  gelogenheit  äosserte,  su  wenig  wie  Harkensee 
nnd  jezt  Berger  zuiitimmen.  Überhaupt  sind,  wie  ich  Berger  weiterhin  zugebe,  die 
angaben  des  gedichtes  über  das  heilige  loud  meist  so  konfus  und  wilkürlich,  dass 
man  hier  von  voiohorein  keine  bestimten  und  EuvorlHsstgen  histerischen  beziebungen 
erwarten  darf.  Aber  gewisse  algemeine  Vorstellungen  von  den  zustanden  in  Palästina, 
das  durcheinander  von  Christen  und  heiden  in  Jerusalem,  die  feindseligkeit  der  tem- 
pelherreu,  die  kümpfe  um  das  heilige  grab,  sein  vertust  und  seine  widergewinnung — 
das  alles  sobeint  mir  auf  einen  uisohauiingskreis  hinzudeuten,  wie  er  sich  nicht  wol 
in  den  nächsten  jähren  nach  dem  zweiten  kreuxzuge,  sehr  gut  dagegen  in  der  von 
Meyer  vermuteten  zeit,  an  und  für  sieh  auch  in  einer  späteren  periode,  nach  1229, 
im  abcndlande  ausbilden  konte.  Das  wenigstens  träft  nicht  zu,  was  Berger  s.  IJX 
bemerkt,  dass  es  unerlaubt  sei,  in  der  Übergabe  Jerusalems  an  die  heiden  „umb 
einen  schätz*  (v.  2S95)  die  oroberung  der  Stadt  durch  Saladiu  im  Jahre  1187  widor- 
finden  zu  wollen.  Die  sladt  wurde  ja  titsächlieb  nicht  diiich  stürm  genommen,  son- 
deni,  ab  sie  nicht  mehr  zu  lialten  war,  nach  liiugeren  verliandliingen  durch  vertrag 
dem  Bultan  übergeben.  Das  volk  aber  warf  wirklich  dem  patriarchen  und  der  ritter- 
sdiafl  vor,  dass  sie  sohändliuhe  Schacherer  seien,  welche  den  beiden  die  heilige  Stadt 
Terkaoll  hatten,  wie  einst  Judas  den  heiland,    vgl.  Wilken,  Kreuzz.  Dl,  s.  311  und 

31* 


nnJiijue  Rdretitaalns  t 
sunt  , . .    Erant  LX  m 
Andere  tMihlugcn  in  im 


aiun,  123.  DssB  andrerseibi  oinem  deabk^bqu  H|ili>liiitinn  zar  zdÜ  An  dril 
zages  ddr  gedanfae  au  die  widergowinnuug  des  heiligen  graboB  nahe  genug 
ballen  würde,  tun  eine  Bolcho  aof  die  erzüMung  vom  varluste  dessolbon  folgen  n 
las^eo,  ist  dooh  Bicherlich  nicht  zu  bestreitend  Weim  uutFol  HarkeuBou  als  Bofn 
Orendels  seeroise  mit  der  Tahrt  einur  Im  jähre  1147  von  Küln  aasgeUufnaan  ktoai- 
fobroi'Hotte  vergleiuheo ,  so  köntc  es  scheineii,  als  ob  sie  nunohmea,  iU»b  «Uip  frinW 
erinnenuig  gerade  an  dieses  oreignis  in  der  scbild«nuig  des  rlwinisohen  spirtmuiii 
la  cikenaen  und  damit  eine  stütze  für  ihre  daticnuig  gewonnen  sei.  Ich  niuaa  dilw 
noch  einmal  dio  schon  Mur.  CVlll  gemachte  bemerkung  widerhulcn ,  dass  Im  jibn 
1188  rheinische  kreuzbhrer  ganx  denwlbeo  weg  wählten;  vgl.  Anuales  Colon-  bwe 
HGSS  XVn,  8.  795  anti.  1188:  intenm  naves  FabricabaDtar  per  diversu  regio»«  «t 
civitntes  in  expeditionein ,  o  quihus  IV  de  Colonia  niovernnt  in  qnibua  emnt  td  ]ID 
homines.  Tarn  bii  qaam  ceteri  omues  ad  III  annos  victualia  copioso  liabebant  tti^- 
Ootfried  von  C)öln  a.  a.  o.  796:  in  quadragesima 
invicem  ooiJolatae  vehit  oppsnsis  iter  aequoreiun 
ex  eis  vironun  vora  pngnatornm  X  milia  et  amplii 
ben  zeit  den  bei  Ürendels  zweiter  Jemsalenifahrt  beschriebenen  weg 
rheioaufwärts  za  hude  bis  Untpjilalicn  (Ann.  Ckil.  mox.  a.  a.  o.)  und  so  k«hrtaii 
im  noväDübor  1190  vialn  kreuzfahrer  über  Apulioa  zarück  (a.  a.  o.  s.  79S). 

Deutlicher  als  historische  weisen  kulturhistorische  momente  auf  dan  q 
zeit  als  die  von  Berger  angenommene.  So  fem  dorn  dichter  natürlich  die 
hÖÜBcfaer  puMie  liegen,  so  ist  ihm  doch  häÜHcbes  weaeo  keineswegs  frmud;  m  Int 
stellenweise  si^u  in  formen  auf,  welche  überhaupt  für  das  IS.jahrhundoTt  soiut  m^ 
nicht  nachweisbar  find.  Die  moderne  rittoiücfae  bampfart  gilt  dem  ll'pil^lnuuul  mIm 
als  selbst  veraländlich.  Jeder  nveikarupf  bcgint  mit  dem  s|ieer«tei^beu  'idiT  er  bnaohilBkl 
sieh  auch  gaux  darauf;  dem  siegcr  ßlt  das  ross  des  überwundenen  tu.  Daa  slMta 
findet  vor  den  äugen  der  dornen  statt  <854fg.);  naehdum  Orcndel  ftlle  g«gneT  Mlf  4> 
«and  gestreckt  bat,  läi^st  er  vor  der  königin  »ein  rosa  hoch  aufspringefi  (llOB^li 
Bio  cntbiotot  ihm  ihro  bald  und  will  ilm  in  ihren  die»e»t  nehuicin  (1152/57.  1161/1^ 
Das  tomier  bildet  auch  einen  bestandteil  der  schwertleil«.  Diese  wird  mit  BBäM 
Ise  bei  seiner  erhebuug  xuiu  herzog  vorgenemmon  und  im  einxBluini  goschMiA 
Naclidem  ihm  ein  berKogÜriLeB  gewand  angelegt  ist,  wird  er  in  die  h.  grabtidafAt 
geführt  und  dort  erfolgt  die  unigürtting  mit  dorn  Schwerte.  Jeder  der  ani 
beiden  gibt  ihm  einen  sclüag  an  den  hals  und  Ise  spricht  dab^':  ,tcli  werde  t» 
vergelten  wenn  iüh  kHnn,"  Ilaa  ist  nicht,  wie  Borger  jneiut,  eine  eigeni 
»Unat  niulit  nacbweiabare,  ,bei  Verleihung  der  herzogswürdo  üblich'!  cerimom«  *',  * 
iKt  xweifelloH  der  ritierachlag,  die  («le«  gemeint,  also  Jener  «chlag,  welchen  dar  am 
ritter  r.u  erhebr-nde  knappe  an  den  hals  erhielt  unter  hinweis  auf  din  mi'-hinifltin( 
dcä  heilnndu»,  die  er  an  den  ungläubigen  rächen  soll  (SO  nach  einer  iuu.'hricbt  Hl 
der  mitte  des  14.  jalidiunderts  über  Wilhelms  von  Holland  schwertleite),  inler,  aiA 
BjAterer  darslellung.  als  den  leiten  schlag',  den  er  sieh  ge&llen  lassen  sulla.  Um 
der  spielmaim  nicht  etwa  den  Oreudel  allein,  Boodcm  gUiich  die  ganxo  Tnrsuünaf 
dem  Ise  die  alajia  zufügen  lüsst,  ist  hei  der  <>ekantun  vorlicl«  dieser  pootan  dir  Umb 
prü^lsocnen  charakteristiBch  genug.  Der  gebmucli  des  ritterscfalsgea  aber  M  1^ 
Oontsnhlnnd  bieber  erst  seit  dem  U.  johrhimdfrt  mit  Sicherheit  belogt,  vgl  Brik 
V.  tichivckeiistein ,  liittei-wüfdc  und  rittorsland  h.  240  fgg.  245  (gg.  Seit  diour  wÜ 
kernt  es  «uch  hüu%  vor,  dass  deutsche,  adUuhe  sowol  wie  biLr^i',  sich  wie  nwaiV 
Ist'  lu  JüTUüalem  in  der  gtabeskirche  zu  rittani  vom  h.  graliu  äuhUgun  loseon.  WA- 


f  BEB  OBEÜDIL  BD.   BEB6KB  485 

tig  wäre  es  zn  wissen,  ob  sich  die  sitte  doch  schon  aus  froherer  zeit  nachweisen 
lässt.  Bis  dahin  scheint  mir  diese  wie  manche  andere  in  unserm  gedichte  za  tage 
tretende  vorstellang  spaten  orspmnges  dringend  verdlichtig.  Dass  dann  nach  der 
weiteren  erzählnng  die  wapnong  des  neaen  ritters  erfolgt,  entspricht  dem  bei  der 
schwertleite  herkömlichen  brauche.  Als  er  sich  aufs  pferd  schwingt,  wird  ihm  von 
Orendel  zngemfen,  er  solle  die  Christen  schonen,  nicht  aber  die  beiden  (bei  dem 
nonmehr  nach  höfischer  sitte  sich  anschliessenden  tumier).  Die  darauf  folgenden 
Worte  80  teil  ich  iueh,  degen  küene,  selber  iutter  »per  fiieren  müssen  auch  noch 
dem  Orendel,  nicht,  wie  Berger  will,  dem  Ise  in  den  mund  gelegt  werden.  Es 
gehört  mit  zn  den  cerimonien  der  schwertleite,  dass  die  ältei*en  ritter  den  novizen 
solche  dienstleistongen  erweisen,  vgl.  Nib.  33,  2  die  when  keien  rehl  dax  si  den 
tumben  dienden  als  in  was  e  getan.  Es  folgt  dann  das  tumier,  zu  welchem  her- 
zöge, grafen,  ritter  und  bauem  zusammenströmen. 

So  sehr  hat  die  ritterliche  tjost  schon  den  alten  reckenm&ssigen  kämpf  ver- 
drängt, dass  selbst  die  riesen  gegen  alles  herkommen  nicht  zu  fuss  mit  der  stange, 
sondern  zu  pferde  mit  dem  speer  kämpfen,  und  einem  wird  in  anbetracht  seiner 
grosse  gar  ein  elephant  statt  des  streitrosses  gegeben.  Die  rüstung  dieses  riesen  wird 
mit  gröster  ausfiihrlichkeit  beschrieben.  Das  dem  elephanten  bis  auf  die  füsse  rei- 
chende gedeeke  von  silber  wix.  (d.  i.  die  covertiure),  der  schmuoküberladene  mit 
dnem  wappen  versehene  schild  und  vor  allem  die  helmzier.  Zu  dieser  gehört  unter 
vielem  andern  ein  bewegliches  rad,  welches  an  das  des  Wigalois  erinnert  und  eine 
goldene  linde.  Leztere  ist  eines  jener  blasebalgkunstwerke,  welche  in  der  deutschen 
dichtung  zuerst  im  Strassburger  Alexander  durch  einen  goldenen  hirsch  vertreten 
sind.  Die  linde  erscheint  sonst  noch  im  Rosengarten,  Grimm  193  fgg.,  und  im  Wolf- 
dietrich B  807  fgg.  555  fgg.  Sie  steht  dort  in  einem  galten  bozw.  saale  und  ist  wie 
jener  hirsch  im  Alexander  mit  goldenen  röhren  durchzogen,  welche  in  hohle  vögel 
auslaufen;  wenn  durch  einen  blasebalg  die  luft  durch  die  röhren  getrieben  wird,  so 
angen  die  vögel.  Eben  dies  komplicierte  kunstwerk  trägt  nun  im  Grendel  der  riose 
auf  seinem  heim,  ja  er  lässt  es  sogar  musicieren,  indem  er  den  blasebalg  bewegt! 
Augenscheinlich  doch  eine  ganz  abgeschmackte  Übertragung,  wie  sie  sich  oi^^t  oinstelt, 
wo  dergleichen  motivu  in  der  kunsttradition  schon  abgenuzt  sind,  nicht  wo  sie  eben 
erst  eingang  gefunden  haben.  So  wird  auch  auf  den  wilden  maim,  der  sich  ausser 
einer  kröne,  der  linde,  dem  rade,  einem  löwcn,  drachen,  baren  und  eher  auch  noch 
auf  dem  helme  befindet,  ganz  gedankenlos  die  in  bezug  auf  bildlich  dargestelte  vögel 
gebräuchliche  formel  (Berger  zu  981)  übertragen:  —  recht  als  er  lebte  und  gegen 
den  lüften  strebte.  Diese  ganze  Schilderung  kami  überdies  nur  in  einer  zeit  ent- 
standen sein,  wo  das  helmzimior  sich  schon  zu  reichen  und  abonttmerlicheu  formen 
entwickelt  hatte,  und  das  war  im  12.  Jahrhundert  sicher  noch  nicht  der  fall.  Moint?s 
erachtens  gehört  sie  mit  zu  den  jüngsten  bestandteilen  der  dichtung,  und  ich  gestehe 
nicht  zu  begi-eifen,  wie  Berger  dies  toUe  zeug  gar  der  alten,  vqu  ihm  so  begeistert 
gepriesenen   queUe   des   angeblich   um    1160  verfassteu   gedichtes   zuschreiben   kaim 

(8.  xcvm). 

Auch  so  manche  werter  liessen  sich  aufführen ,  welche  in  der  von  Borger  ango- 
sezten  zeit  noch  nicht  belegt  sind,  teilweise  erst  sehr  viel  später  auftreten,  tuniei 
V.  2324  tiitt  in  der  deutschen  dichtung  zuerst  bei  Hemrich  von  Veldoko  in  einer 
noch  dazu  unsicheren  stelle  der  Eneit  937  und  im  oberdeutschen  Ser>^atius  3332  auf 
(die  von  Berger  cingesezte  form  tumier  ist  noch  weit  jünger),  banier  v.  1692  komt 
statt  des  früher  ausschliesslich  herschenden  va7ie  zuerst  bei  Zatzikhoven,  bei  Uerbort 


486  Yoer 

und  im  Athis  vor.  fier,  was  gewiss  v.  1878  einzusetzen  ist,  da  H  das  wort  niclit 
eingeführt  haben  würde,  wird  zuerst  bei  Heinrich  von  Morungen  und  Wolfram 
gebraucht  Alle  drei  werte  kommen  übrigens  auch  im  Morel  f  vor  (zu  fier  s.  Mar. 
361  anm.).  —  kerne  figürlich  vom  beiden  zuerst  Athis  C114  u.  anm.  —  Das  später 
(auch  Osw.  WO)  im  reim  so  beliebte  ftn  v.  1245  ist  zuerst  bei  den  minnesingem 
seit  Gotfiied  von  Neifen  gebräuchlich;  im  höfischen  opos  tritt  es  zuerst  bei  Konrad 
von  Würzburg  auf,  im  volksepos  erst  im  Ecke,  Rosengarten,  Wolfdietrich  und  der 
Virginal.  Dem  gegenüber  dürfte  man  sich  für  den  Orendel  auf  die  ganz  vereinzelte 
bibelglosso  des  10.  Jahrhunderts  bei  Graff  finlteho  tenere  sicherlich  nicht  berufen. 
Auch  eben  420.  1603  bildet  einen  in  später  zeit  beliebten  flickreim,  hüsere  ist  zuerst 
beim  Winsboken,  Reinmar  von  Zwetor  und  jünge]:en  spruchdichtom,  in  der  epä 
zuerst  im  Wolfdietrich  D  nachgewiesen  (Z.  f.  d.  a.  6,  387).  ■  vilxgebüre  v.  930  ist 
erst  seit  der  zweiten  hälfte  des  13.  Jahrhunderts  belegt,  über  art,  morgengäben  s. 
Berger  z.  3256.  198.  Das  erst  aus  dem  15.  Jahrhundert  bezeugte  nagelnüice  hütte 
Berger  nicht  v.  753  ausD  in  den  text  setzen  sollen,  ebensowenig  wie  das  nicht  ältere 
buolachaft  2429  und  lieben  =  minnen  1888,  worüber  weiter  unten. 

Also  auch  hier  fehlt  es  ebensowenig  wie  im  inhalte  und  in  den  reimen  der 
dichtung  an  merkmalen,   welche   über  das  12.  Jahrhundert   hinaus  weisen,    und  es 
erhebt  sich  immer  wider  die  für  die  Zeitbestimmung  des  Originals  vor  allem  wichtige 
frage,  in  wie  weit  uns  denn  dieses  in  der  vorliegenden  Überlieferung  überhaupt  noih 
erhalten  ist.    Berger  meint,   das  original  sei  in  der  Morolfstrophe  verfasst  gcweseo, 
und  diese  sei  erst  in  ü,   also  erst  in  der  nächsten  vorläge  von  D  und  H  boseitipt 
worden.    Er  dehnt  dabei  den  begriff  der  Morolfstrophe  dahin  aus,  dass  er  unter  dieser 
„jede  fünfzeiligo  stropho  mit  einer  waise  innerhalb  dos  zweiten  roimpaares*^  versteht 
ohne  rücksicht  auf  stumpfen  oder  klingenden  versausgang.    Er  hätte  sogar  die  gren- 
zen noch  weiter  ziehen  müssen;   denn  da  bei  einem  drittel  der  fünfzeiligen  Strophen, 
die  er  aus  dem  Orendel  nachweist,   der  zwischen  dem  lezten  rcimpaar  stehende  vers 
mitreimt,  so  kann  man  nicht  behaupten,  dass  dieser  eine  waise  sein  müsse.    Will  man 
auf  diese  veränderliche  metrische  form  jene  benennung  übertragen ,  so  habe  ich  nichts 
dagegen,  wenn  man  nur  nicht  behauptet,  da.s8  diese  „Morolfstrophe*  die  Strophe  <kB 
Morolf  sei.    Derartiger  freierer  fünfzeiligcr  Strophen  weist  nun  Berger  aus  den  f»A 
4000  versen  des  C)rendcl  im  ganzen  17  nach.     Es  kommen  einige  ffille  hinzu,  in 
denen  eine  langzeile  mit  dreihebigem  schlussteil  statt  der  4.  und  5.  zeile  steht    In 
andern  fällen  findet  sich  die  waise  auch  an  anderer  stelle,  auch  ausserhalb  der  Strophe 
oder  des  reimpaares;  weitaus  am  häufigsten  aber  ist  sie  spurlos  verschwunden.    Sehr 
oft  ist  es  auch  unmöglich,    zwei  reimpaaro  zu  einer  strophischen  gruppe  zusammen- 
zufassen:   die  konstruktion  erstreckt  sich  über  einen  solchen  komplex  hinaus;   oder, 
wenn  man  zwei  reimpaare  als  eine  Strophe  auffasst,  so  bleibt  ein  drittes  isoliert  usw. 
Hält  man  nun  trotz  alledem  an  der  grundlage  in  fünfzeiligen  Strophen  fest,  so  ergibt 
sich  als  notwendige  folge  die  annähme,  dass  die  form  des  alten  gedichtes  schon  inU 
eine  ganz  durchgreifende  wandelung  erfahren  hat,   bei  welcher  unbedingt  auch   die 
reime  die  weitestgehenden  veriindorungen  erleiden  musten.    Mithin  würden  auch  die 
reime  des  uns  allein  erreichl>aren  U  unmöglich  ein  irgend  zuverlässiges  bild  von  der 
reimkunst  dos  Originals  gehen  können,   und  eine  auf  sie  gegründete  Zeitbestimmung 
des  lezteren  würde  alle  Sicherheit  verlieren ,  sobald  es  sich  dabei  nicht  etwa  um  einzelne 
bestirnte  altertümlichkeiten,   sondcm   um    die   reimkunst   als   ganzes    handelt.     Nun 
glaube  ich  zwar,    dass  die  in  der  überlieferten  dichttmg  vorliegenden  merkmale  zur 
Voraussetzung  der  grundform   in  fünfzeiligen  Strophen  keineswegs  genügend  berech- 


ÜBER  ORENDEL  ED.  BRRGER  487 

tigen.  Die  zahl  der  belege  ist  viel  zu  gering;  das  häufige  vorkommen  von  „waisen*', 
welche  sich  in  die  strophische  form  nicht  eingliedern  lassen,  spricht  vielmehr  gegen 
als  für  jene  annähme;  auf  die  analoge  des  dem  Orendel  sonst  so  nahe  stehenden 
Morolf  darf  man  sich  nicht  berufen,  denn  die  berührungen  zwischen  Nibelungen  und 
Klage,  zwischen  Dietrichs  flucht  und  Rabenschlacht  sind  noch  nähere  und  doch  sind 
die  einen  in  Strophen,  die  anderen  in  reimpaaren  verfasst.  Die  vom  höfischen 
gebrauch  erheblich  abweichende  gliederung  der  reimpaare  erklärt  sich  hier  und 
anderswo  ausreichend  in  der  Lit.  cbl.  1876  s.  1371  angedeuteten  weise.  Aber  das 
unterliegt  auch  für  mich  keinem  zweifei,  dass  die  Überlieferung  des  Orondel  sehr 
erhebliche  Wandlungen  erfahren  hat,  viel  erheblichere  als  die  des  Morolf.  Eine 
solche  unentwirbare  confusion,  wie  sie  beispielsweise  am  Schlüsse  des  gedichtes 
herscht,  wo  Durian  die  Bride  in  einem  atem  verrät  und  errettet  (3785  fgg.)^  wo  in 
der  rode  dos  pilgers  die  parallelmotive  Brides  gefangenschaft  bei  Minolt  und  Brides 
geüangonschafk  zu  Jerusalem  mit  einander  vermischt  werden  (3286  fgg.)i  femer  zahl- 
reiche sonstige  Verwirrungen,  Verstümmelungen,  versversetzungen,  wie  Berger  sie 
mehrfach  nachgewiesen  hat  —  das  alles  im  zusammenhange  weiss  ich  mir  nicht 
anders  zu  erklären,  als  durch  die  annähme,  dass  die  dichtung  zwischen  und  neben 
den  schriftlichen  aufzoichnungen  auch  mündlich  sich  fortpflanzte.  Ein  solches  neben- 
einander von  schriftlicher  und  gedächtnismässiger  Überlieferung  der  spielmannsepik 
wird  uns  im  eingange  des  Wolfdietrich  C  ausdrücklich  bezeugt  durch  die  köstlich 
anschauliche  erzählung,  wie  die  schöne  äbtissin  zwei  meister  das  Wolfdietrichbuch 
auswendig  lernen  lasst,  die  dann  durch  alle  lande  hin  das  gedieht  singen  und  sagen. 
Und  entsprechende  Verhältnisse  dauern  ja  unter  den  geistigen  nachkommen  der  spiel- 
leute,  unter  den  puppenspielern  bis  auf  unsere  zeit  fort. 

So  erklärt  es  sich  denn  auch,  dass  altes  und  junges  in  einer  solchen  dichtung 
zu  einer  nie  ganz  wider  aufzulösenden  mischung  verfliesst,  dass  neben  formein  und 
reimen,  welche  nachweislich  aus  dem  12.  Jahrhundert  stammen,  sprachformen  und 
inhaltliche  beziehungen  sich  finden,  welche  auf  eine  spätere  zeit  weisen.  Eine 
bestimte  datierung  des  Originals  wird  danach  nicht  möglich  sein.  Aber  die  gattung, 
der  dasselbe  angehört,  wird  sich  gegen  ende  des  12.  Jahrhunderts  ausgebildet  haben, 
als  in  Westdeutschland  der  ältere  typus  epischer  erzählung  bei  der  französierenden 
richtung  der  höheren  stände  nur  von  volkssängern  niedereter  art  noch  gepflegt  und 
nach  dem  geschmack  ihres  publikums  fortgebildet  wurde.  Gewisse  grundanschauungen 
unseres  gedichtes  passen,  wie  wir  sahen,  in  diese  zeit  hinein;  was  sich  an  altertüm- 
lichkeiten findet,  lässt  sich  mit  ihr  bei  einer  dichtung  dieser  art  gut  vei-einigen.  Das 
werk  höher  hinauf  zu  rücken  liegt  durchaus  kein  grund  vor. 

Mit  so  unüberwindlichen  Schwierigkeiten  also  die  Orendelkritik  auch  zu  kämpfen 
hat,  an  einzelnen  stellen  scheint  doch  noch  die  naht  zwischen  älteren  und  jüngeren 
bestandteilen  erkenbar  zu  sein.  Dass  die  verso  650/65  ein  einschiebsei  seien,  hatte 
ich  Lbl  1880  s.  443  bemerkt,  und  auch  Berger  bezeichnet  sie  als  solches.  Wie  ich 
aber  dort  andeutete,  hängen  mit  dieser  stelle  andere  zusammen,  welche  derselben 
Überlieferungsschicht  zugewiesen  werden  müssen.  Es  wird  in  jenen  versen  erzählt, 
dass  Ise  und  sein  woib  dem  Orendel  eine  dreiorhose,  grobe  rindsledeme  schuhe  und 
einen  schiffermantel  schenken,  während  Orondel  unmittelbar  hinterher  doch  noch 
nackend  ist.  Eben  jene  schuhe  aber  bilden  v.  992 — 1010  den  gegenständ  eines  bur- 
lesken intermezzos,  welches  die  Schilderung  der  rossbesteigung  in  tolster  weise  unter- 
bricht; die  verse  sind  von  der  ersten  interpolation  nicht  zu  trennen.  Auf  das  geschenk 
der  alten  hose  bezieht  sich  dann  weiter  mit  v.  2229/30  und  2247/8  die  erzählung. 


wie  Orendel  der  Asuboriii  tarn  dank  für  Jeup  gahe  einen  toljelmantal  Bendet  Andi 
hier  muss  natürUch  die  eine  stelle  suBatz  sein,  gobold  man  die  andere  als  aoldidi 
auffaasL  Sie  bringt  denn  anch  einen  ganK  wunderlichen  widerspruoh  in  die  enU> 
lung.  lee,  der  von  der  Bride  löaegeld  für  seinen  kneoht  Ürendel  arlultnn  h«t,  giäa 
—  so  wird  hier  heiiehtet  —  zu  dieaeu  und  teilt  ihm  mit,  dass  er  frei  mä,  OnuM 
ist  hocherfreut  darüber  und  gibt  ihm  den  erwähnten  maotel;  Ise  Ifthtt  tua  lUnum 
nnd  trird  daheim  von  seiner  frau  empfangen.  Und  unmittelbar  bintarhei  geht  Ötwu- 
del  zur  Bride,  um  ibr  mitzuteilen,  dass  er  mit  Ise  als  liesscii  knccJit  übors  mmi 
gehen  müsse!  Der  interpolator  iat  hier  nicht  minder  gloichgiltig  gegen  den  susw- 
meubong  wie  au  der  zuerst  hos|irooheDeu  atelle.  Die  grenzen  Mines  susaUw  aU 
noch  in  den  gleioblautendun  vensen  220TyS.  2231/2  zu  erkennen;  aaf  2206  tcdgla 
niaprünglicb  2233/4  mit  der  in  D  noch  richtig  erhaltenen  lesart  küaigUt  atott  kimig. 
Die  verse  2235/48  rühren  dann  natürlich,  wie  angedeutet,  von  derGelben  band  ba. 
Nach  der  uisprünglichen  darstolluag  wüste  also  Grendel  nichts  von  lae«  abli»- 
duDg,  und  so  bonte  der  verbsser  die  aus  der  quelle  übernommene  erulbluug  lOt 
derselben  (vgl.  Berger  s.  LSXITT)  v.  2349  fgg.  mit  seinem  auf  eigener  erfioduttg  hwa- 
henden  berichte  von  Orendob  aliBii-ht  mit  Ise  fortzugehen,  Ises  rnckberufung,  ■räm' 
belebnung  usw.  fortsetzen,  ungetiobickt  freilich,  aber  du<;h  nicht  mit  einem  iiniiiiihijM 
und  unerklarbareu  Widerspruche,  wie  er  ohne  die  annähme  der  Interpolation  ihiB  Hit 
last  gelegt  werden  müate.  —  Auoh  hier  ist  wider  von  dos  ftschera  fraa  dw  rad*i 
und  merkwürdigerweise  kommen  nun  überhaupt  an  allen  stellen,  wo  diMe  pmifr- 
lichkeit  eine  rolle  spielt,  Widersprüche  in  die  erzälilung.  Die  scbildaruug  Ton  bM 
herlicher  bürg  589  fgg.  ISast  sich,  wie  Berger  zweifellos  richtig  bemerkt,  mit  du 
sonstigen  auftreten  Isea  nicht  vereinigen.  Sie  loitnt  aber  Ata  erelo  emelieinao  An 
fischerin  ein.  Der  ganze  abschnitt  ist  auch  hier  wider  durch  zwei  wt-nigstann  an 
reime  gleichlautende  verse  begrenzt:  628  würde  sich  gut  an  587  ansubtieHHw,  mä 
damit  würde  sowol  jener  Widerspruch  als  auch  die  relle  der  riscliorin  fortbllciu  — 
Nach  der  schon  heeproehenen  unsinnigen  inteqiolntion  650/CQ  tritt  Ises  weih  mmcW 
wider  bei  Orcndeht  abschied  von  den  öscherleuten  suf,  766/85.  Auch  hiirr  ict  ihn 
eiufnlirung  gleich  wider  mit  einem  hereits  von  Iterger  bemerkten  widerspruefaii  m- 
banden:  unmittelbar  nachdem  iJrendel  den  grauen  rtiek  dem  Iso  fUr  die  vwlaofte 
summe  abgekauft  hat,  tiagt  di<.>ser:  ,du  solst  den  rouk  verdienen  um  mi«b  ini 
deine  meisterin.''  Das  weih  beschenkt  darauf  den  Grendel  mit  3  gülden  und  t 
die«  geld  opfert  denn  auch  naeh  einer  nur  in  P  überheferten ,  aber  ron  Böge  Mv 
vorläge  Eugewiesenen  stelle  (hinter  v.  825)  Ürendt'l  am  h.  grabe.  üunittoHMV  IV^ 
her  aber  (v.  316)  bat  Orondel  ausdrücklich  gesagt,  dass  er  gar  nii^ts  aDd«t«B  m, 
opfern  hat  als  seinen  leib  und  seine  seelo!  Auch  hier  ist  also  widor  die  hau 
zadiuhters  zu  erkennen,  iu  jener  nur  m  P  erhaltenen  sU'Ue  sowol  wie  b  Uw»  wnNa 
756/85.  Als  Orendel  den  lange  begehrten  rock  endlich  erhalten  hat  (T'iü/Sl,  mtnAK 
er  sich  nach  der  ursprüngUchen  darstellnng  von  dannen  (78t)),  und  niemand  kenn 
ihm  folgen  789:  ursprünglich  wot  wegen  einer  wunderbaren  eigensuhaft  dos  gTM- 
rookes,  während  es  jezt  so  aussieht  als  wäro  vom  niongel  des  gefolges  iLo  r«dfi.  — 
Somit  bütto  sioh  denn  die  ganze  roU«  der  in  den  übrigen  leiluu  der  crciUlung  nicht 
erwähnten  ßscherin  als  apütero  etfioduDg  orwieMon. 

Zur  annähme  einer  iuterpoktion  Vünte  man  sich  leicht  bei  der  rrzühliuig  yo» 
der  abreise  Grendels  von  Trier  v.  335  fgg.  veranlasst  fühlen.     Die   scbiAe    wiu4oB 
bereit  gemacht,    mit  speiäc  und  trank  reichlich  beladen:    aiu  fahren  <lie  HmmI  n 
den  Rhein  abwärts  bis  an  dos  Wetarisohe  nieer  —  da  werüen  die  aohille  mit  k 


ÜBIB  OBENBIL  SD.  BEBOEB  489 

und  'trank  beladen,  die  heiren  gehen  auf  die  schiffe  osw.  Mit  dem  wilden  wäge, 
zu  welchem  sich  Orendel  v.  334  begibt,  wird  der  dichter  sicher  nicht  die  Mo&(bl, 
sondern  ebensogut  wie  v.  250  das  meer  gemeint  haben,  und  zwar  das  AVeterische 
meer,  an  welchem  denn  auch  nach  der  v.  244 — 50  gegebenen  darsteUung  die  72  schiffe 
für  die  fahrt  bereitet  wurden.  Und  so  Ifige  es  denn  nahe  v.  334  gleich  mit  v.  349 
zu  verbinden:  dö  kerte  er  gegen  dem  wilden  wäge  an  dax  Weteriscke  mer  usw. 
Aber  es  ist  sehr  wol  möglich,  dass  der  dazwischen  liegende  bericht  über  die  art 
und  weise,  wie  das  beer  zum  meere  kam  als  nähere  ausfühnmg  des  v.  334  vom 
dichter  selbst  herrührt.  Mit  den  hier  erwähnten  schiffen  werden  kleinere  flussfahr- 
zeuge  gemeint  sein,  von  denen  sich  die  reisenden  v.  351  auf  die  Seeschiffe  bogeben. 
Die  arken  v.  341  mögen  eine  art  prahm  bedeuten  oder  in  barken  zu  ändern  sein: 
die  am  ufer  angeketteten  flussschiffe  werden  gelöst. 

Gewiss  mit  recht  hat  Berger  v.  1315/26  als  einschiebsol  bezeichnet.  Es  schei- 
nen hier  verworrene  reminiscenzen  an  eine  ausführlichere  darstellung  des  kampfes 
in  den  kurzen  bericht  der  handschrift  auf  das  ungeschickteste  eingeschoben  zu  sein. 
Anfang  (md  ende  des  Zusatzes  ist  auch  hier  wieder  durch  einen  gleichlautenden  vers 
b^renzi  Auch  Bergei's  Vermutung,  dass  der  oingang  bis  v.  18  späteren  Ursprunges 
sei,  pflichte  ich  bei  und  meine,  dass  v.  13  — 18  als  erklärender  zusatz  hinter  v.  35 
beabsichtigt  waren.  Aber  ich  will  nicht  weiter  den  teilweise  noch  erkenbaron,  teil- 
weise verwischten  spuren  verschiedener  schichten  in  dieser  mit  der  zeit  stark  ver- 
änderten und  verderbten  dichtung  nachgehen  und  nur  noch  einige  einzelbemerkungen 
zu  Bergers  textherstellung  hinzufügen. 

Berger  bemerkt  s.  XI  ganz  richtig,  dass  D  das  wort  mintie  durch  liebe  ersezt, 
was  meist  eine  grössere  änderung  des  tcxtes  nach  sich  zog,  und  er  folgt  daher  mit 
recht  V.  196.  924.  1807  der  handschrift,  welche  das  wort  beibehält  Aber  es  ist  nicht 
minder  klar,  dass  an  anderen  stellen  so  wol  I)  als  auch  H,  jedes  auf  seine  weise, 
das  jener  zeit  schon  anstössige  wort  (vgl.  Haupt  z.  £ngelhard  977;  Milchsack  Paul- 
Braime  5,  288)  beseitigte,  xmd  es  war  daher  auch  doit  mintie  herzustellen.  Also  wenn 
V.  924  im  anschluss  an  H  gelesen  wird  wax  ich  da  mit  geioinne  dax  gib  ich  iuch 
gern  xuo  minne  so  muste  v.  894  dasselbe  reimpaar  (nur  mit  im  und  al  st.  iiich 
und  gern)  hergestelt  werden  aus  was  ich  da  mit  gewinne  (gewumie  D)  das  geb  ich 
im  alles  voti  mynen  {xu  lane  D)  ED.  —  Vers  1888,  wo  es  sich  \im  die  grausame 
drohung  eines  riesen  gegen  Orendel  und  Bride  handelt,  lässt  Borger  den  bösewicht 
doch  gewiss  nicht  passend  mit  D  sagen  frouw  Briden  teil  ich  von  herxen  lieben! 
H  überliefert  f.  B.  w.  i.  haben  xu  eigen.  Dio  mit  recht  aus  P  aufgenonunene 
unmittelbar  vohergeheude  zeile  lautot  will  ich  al  verbrennen;  natürlich  folgte  darauf 
f.  B.  wil  ich  minnen,  und  der  von  I)  beziehungsweise  H  je  nach  dem  bedarf  ilires 
reimwortes  hinzugefügte  vers  da  mag  mich  ni&mant  rofi  triben  1),  das  will  ich  detn 
grawen  roc  xeigen  H  war  zu  streichen.  —  Femer  liest  Berger  mit  D  v.  2429  rmn 
soll  ir  mich  buolschaft  (!)  mit  iuch  laxen  gewinnen,  v.  3227  7m  sollent  ir  mich 
iur  liebe  laxen  gewinnen,  v.  3806  nu  sollent  ir  mich  iur  hnlde  laxen  geicinfien. 
H  schreibt  an  den  drei  stellen  ich  miisx  fruntscliafft  mit  uch  beginnen,  ir  süllent  und 
nu  süllent  ir  früntschafft  juit  mir  begimien.  Überall  folgt  e  dax  ir  harnet  von 
hinnen.  Es  ist  doch  klai*,  dass  hier  überall  ein  imd  dieselbe  fonuel  nu  soll  ir 
mich  minnen  zu  gründe  lag.  —  Und  ebenso  ist  v.  3454/5  zu  lesen  der  künig  wil 
si  xwingen  dax  si  in  solle  mijinen  st.  dax  si  in  solle  lieb  getcimwfi  (so  Berger 
nach  P)   bezw.   xu   wunderlichen   dingen  (H). 


490  VOGT 

V.  228   lies   opfern  dem  heiligen  grab  unsere  h$ren  wio  in  derselben  for- 
mel  267.  —    V.  232  ist  natürlich   das  in  D  ganz  richtig  überlieferte  die  eehtmm 
st  die  schcene  in  don  text  zu  setzen.  —    Die  mnstellnng  der  verse  407  — 12  halte 
ich  nicht  für  notwi^ndig,    wenn  sie  sich  auch  an  P  anlehnt  (vgl.  Berger  s.  XIV  fg.); 
die  aufeinanderfolge  der  verse  401/4  ist  doch  unerträglich.  —     V.  458  doch  gewiss 
besser  nach  H  also  swinde.  —    507    ursprünglich  dri  tage  lange?  —    666  warum 
nicht   dannoch?  —     973  u.  ö.   würde   ich    unbedenklich   mit    Ettmüllor    ein    heim 
was    wol   gebouget    (gepouwet   D,   gelaubet   H)    in    den    text   gesezt   haben.     Der 
bildung  eines  8olch(3n  verbums  aus  boue  helmspange   (Gudr.  519,  3.     1423,  3)  stoht 
natürli<Jl   nichts   im  woge.     Da  ak^r  das  wort   sonst  nicht   gebränchli(;h   und   auch 
boiie  nach  1300  nicht  mehj*  vorzukommen  scheint,    so  erklärt  sich  die  konstviuente 
ändonmg  in   der   ül)erlieferung  zur  genüge.  —    V.  1205   ist   ohne   grund  umgestelt 
DH  lautete  (1202)  der  rise  kam  dö  mit  flixe.     sin  gedeeke  was  von  silber  tciie 
und  gieng   dem   helfafit    üf  den   fuox,    so   man    doch    den    risen    brisen    mucx. 
Davon  hätte  sicherlich  der  erste  so  gut  wie  der  von  Berger  ausgeschiedene  lezte  vers 
als  inter])olation  bezei(;hnet  zu  werden  verdient,    und  im  original  reimte  dann  wixe: 
füexe.  —  1284  st.  mir  lies  min,  wie  ja  D  ganz  richtig  überliefert.  —   1299  wol  AI 
bottent  si  ein  geriute,   da  erner  ...  —    1405:  die  Zeitangabe  einen  sumertag  I)  i^t 
richtig,  wie  aus  dem  gestern  1474  hervorgeht.  —  1446  lies  nekeiner  slahte  man.  — 
1509:  näher  liegt  nü  se  mcere  wtgant,  —    1587:  in  Übereinstimmung  mit  1963  und 
2712  muste  auch  hier,  wo  ja  noch  dazu  H  wesentlich  so  überliefert,  in  dem  grdictn 
roc  wil  ich  ex  lifgeben  gelesen  werden.  —  1632:  warum  denn  das  richtig  überlieferte 
md.  sas  (;  ffflr^)  hier  durch  sahs  ersetzen?   —    1637  war  es  nicht  nötig  hin  D  in 
nim  (nach  P)  zu  ändern,  in  dhie  hant  kann  mit  se  verbunden  werden.  —  1661  war 
vierxehen  hundert  aus  H  aufzunehmen,  vgl.  v.  1543.   1564.  —    V.  1788  moste  ent- 
weder hatten  oder  jungfroutre  geschrieben  werden.    Nac^h  v.  d.  Ilageu  hätte  auch  D 
baiten  und  froutcen.  —    1874  führt  die  Überlieferung  auf  die  schwache  form,   die 
doch  hier,  im  vokativ,  ganz  angemessen  ist.  —  1878  1.  dar  st.  das  (druckfehler). — 
1940/1:  hier  ^ird  wol  noch  in  ü  die  alte  fonnel  gestanden  haben  si  steueren  im 
triuw  und  eide  die  Hexen  si  alle  meine y  während  dieselbe  2530  schon  in  U  geändert 
war;    vgl.  Rother  B.  823  de^  swörefi  sie  ime  eide  die  liexen  sie  unmeine    (so  viel- 
leicht ursprünglich  auch  Orcndel  2510.  2520),    und  mit  Iwjseitigung  des  alten  reimes 
Dfl.  7184  rfd  swuor  auch  im  der  balde  drlxec  eide  an  der  xity  die  lie  er  alle  meine 
Sit.  —  2496  nun  niüex  uns  (euch  D)  niemer  leider  {layd  D)  gesehen  detme  me ister 
Isen  geschach  dö  er  si  bede  kamen  saeh.  Warum  Berger  hier  eine  Verderbnis  annimt 
und   die   ganz    richtig  überlieferte   hübsche  Wendung   durch    eine   an  P   angelehnte 
nüchterne  Übertragung  ins  positive  ersezt,    verstehe  ich  nicht.  —    2590:   die  ül»erlie- 
ferung  führt  doch  eher  auf  nit  icise  getan.  —  3148/9  soll  wol  heissen:  sie  glaubten, 
dass  Bride  Orendels  weib  sei,    währon<l  sie  ja  tatsächlich  nicht  sin  wip  wart.  — 
3173  mannen:    die  schwache  form  erst  seit  dem    14.  Jahrhundert  belegt  —    3647 
und  3653  muste  nach  einl.  XXXVII  turteltüb  st.  turteltoub  geschrieben  werden.  — 
(legen  die  Schreibung  Jerusalem  vgl.  Morolf  1,  1  anm.     Wie  dort  das  erste  e  so  ist 
in  Babilonie,    welches  formelhaft  auf  konige  menige  reimt,    gewiss  das  o  als   kürze 
anzusetzen.  —    Von   dem  bestreben  waisen  herzustellen  hat  Berger  seinen  text  hin 
und  wider  zu  sehr  beeinflussen  lassen,    z.  b.  wenn  er  2383  von  einem  in  D  überlie- 
ferten, in  H  fohlenden  n'impaaro  nur  don  oinon  vors  aufnimt,  denn  auf  ein  reimpaar 
weist  hier  auch  P  (wenden :  brcngen)  vgl.  s.  XLIX.     Aber  das  sind  ausnahmen.    Im 
ganzen  ist  der  text  mit  anerkennenswerter  besonnenheit  und  vorsieht  hergestelt. 


iÜBER  OBBNDEL  ED.   BEBOEB  491 

Beiohhaltige,  von  mnflassender  belesenheit  zeugende  formelsamlungen  hat  Ber- 
ger in  den  anmerkongen  neben  mancher  dankenswerten  notiz  gegeben.  Zu  v.  73  sei 
bemerkt,  dass  die  formel  in  ...  den  gebt^ren  aam  er  . . .  wtere  schon  im  Annoliede 
V.  591  begegnet;  vgL  femer  En.  1003  und  Behaghels  anm.,  2731.  Über  die  Über- 
tragung auf  lebloses  s.  zu  Mor.  688,  4,  wo  die  wendung  nach  dem  strophenschema 
umgemodelt  wird.  —  Zu  136  vgl.  auch  Nib.  C  Zamcke  49,  4  wä  ich  die  müge  nemen 
diu  mir  uni  mtme  riehe  xe  frouwen  müge  xernen  und  ebenda  50,  3  weihe  ir  kerre 
möhte  xeinem  wibe  nemen  diu  in  xe  frouwen  iökte  uni  oueh  dem  lande  mökte 
xemen.  Zu  den  beispielen  aus  der  höfischen  epik  komt  Erec  6198  dax  ich  si  xe  wibe 
neme.  mich  dunket  dax  si  wol  gexeme  xe  frouwen  über  min  lant,  —  Zu  288  muss 
doch  wol  D  st.  HD  gelesen  werden.  —  Zu  1207  vgl.  Morolf  7,  2.  7,  5  Ed.  282,  5.  — 
Zu  1402  vgl.  Mor.  755,  3.  5.  —  Zu  1548  und  1842:  atd  ir  din  frouw  Bride?  vgl. 
bist  du  dar  inne  edeler  künig  Prineidn?  Mor.  765,  4.  741,  4  und  anmorkung, 
sowie  Reinke  6m  sint  gi  dar  binnen?  Reinke  488.  Überall  wird  mit  dieser  for- 
mel die  forderung  der  freiwilligen  gestellung  oder  der  auslioferung  eines  Übeltäters 
eingeleitet.  Schröder  zu  Reinke  a.  a.  o.  hat  daher  unter  Verweisung  auf  Grimm  weist 
n,  749  mit  recht  vermutet,  dass  hier  eine  rechtliche  vorladungsformel  zu  gründe 
Hegt.  —  Zu  1695  vgl.  auch  die  dri  widerkere  durch  dax  her  Nib.  205,  1.  —  Zu 
1893  VgL  2700,  Mor.  57,  2.—  Zu  2351  vgl.  noch  Kehr.  D  447,  9.  484,  25,  sowie  des 
andern  morgens  fruo  gedahte  Karl  dar  xuo  Stricker  Karl  152,  3;  rein  formelhaft 
besonders  mit  bereiten,  vgl.  des  morgens  vele  froe  dö  gereiden  si  sich  dar  toe 
En.  1685,  darnach  des  dirten  morgens  fro  so  bereydend  üch  schnellichen  dar  xS 
Karlm.  29,  12,  an  dem  miticJien  fftorgen  fruo  deu  künig  in  berait  sich  dar  xuo 
Enenkel,  GA  U,  s.  545,  dax  si  sich  bereiden  dar  xü:  he  wolde  des  morgenes  vru 
Eilh.  3443,  dax  man  sich  da  bereite  xuo:  der  vürste  wolde  morgen  vruo  Mai 81,  20. 
—  Zu  2455  vgl.  auch  Genesis  Fdgr.  11,  41,  32.  70,  21.  —  Zu  2478  vgl.  auch  diu 
wile  dühte  in  lanc  (:  spranc)  Gudr.  112,  2  und  Martins  anm. 

Dem  urteile,  welches  der  Verfasser  in  seiner  alzu  weit  ausblickenden  vorrede 
über  die  bedeutung  seiner  forschungen  und  die  Sicherheit  ihrer  resultate  abgibt,  kann 
ich  nicht  ganz  beipflichten.  Aber  zweifellos  hat  er  durch  seine  ausgäbe  die  grund- 
lage  gelegt,  von  welcher  in  zukunft  die  Orendelforschung  auszugehen  hat,  und  diese 
selbst  ist  durch  seine  Untersuchungen  nicht  unwesentlich  gefördert. 

KIEL.  F.  VOGT. 


Untersuchungen  über  den  satzbau  Luthers  von  dr.  Hermann  Wunderlieh. 
L  teil:  die  pronomin a.  München,  J.  Lindauersche  buchhandlung.  1887.  70 
und  n  Seiten.    1,50  m. 

Der  Verfasser,  welcher  schon  durch  seine  dissertation :  Beiträge  zur  Syn- 
tax des  Notkerischen  Boethius  (Berlin  1883)  sich  als  gründHchen  und  eifrigen 
forscher  auf  verschiedenen  gebieten  der  historischen  syntax  bewährt  hatte,  betritt 
mit  der  vorliegenden  arbeit  die  der  aufhellung  noch  sehr  bedürftige  Übergangszeit 
vom  mittelhochdeutschen  ins  neuhochdeutsche.  Er  sezt  bei  dem  höhopunkte  der 
bewegung,  bei  Luther  ein ,  um  von  diesem  aus  zunächst  einen  überblick  nach  rückwärts 
imd  nach  vorwärts  zu  gewinnen.  Er  hat  eine  reihe  von  deutschen  b riefen  und 
originalwerken  Luthers,  von  der  auslegung  der  busspsalmen  (1517)  und  den 
berühmten  Streitschriften  dos  Jahres  1520  an  bis  zu  hervorragenden  Schriften  des 
jahi68  1643  eingehend  und  systematisch  auf  bestimte  syntaktische  fragen  hin  unter- 


402  KHDMAIfÜ,    ÜBIR  WÜNDIBLIOH,  LUTUIHS  SATZBAV  I 

Huohf,  nicht  nalUm  auH  reicher  bolesenheit  vergleichende  Seitenblicke  auf  andere 
IClfiinhxnjtigo  HchriftHtoIlor,  namootlich  Ulrich  von  Hütten  und  Sebastian  Brant 
worfmid.  Von  dumm  arbeiten  veröfTentlichte  er  in  dem  oben  angegebenen  hefte  die 
iinfi^rHiiohnngen  ÜlKfr  den  f^obmuch  dor  pronomina. 

DioHOH  ((nbint  iHt  cinoH  dor  roizvolsten  der  syntax,  weil  es  in  den  bau  des 
ninfni^hftn  NntxoH  wio  doH  Hatxgofüf^es  oinblicke  ermöglicht,  weil  syntaktisches  und  lexi> 
kaÜHf^hoH  Mich  Ixirühnm  und  durchkreuzen,  weil  endlich  auch  durch  die  pronominalen 
advftrbin,  wol^ho  xu  coi^junctioncn  geworden  sind,  sich  weite  ausblicke  in  viele  ande- 
ren fi'ilo  dor  Hyntiix  on*»fnon.  Al>or  oben  aus  diesen  gi*ünden  ist  es  hier  selbst  bei 
langwiorigfui  und  mühtuiinon  unt(<rRU(*hungcn  nicht  immer  möglich,  klare  und  dur«:h- 
Hrhlii^uido  n«HuItato  xu  g<twinnon,  zumal  da  in  der  nur  almfthlich  fortschreitenden 
ontwi(*klung  illtort«  und  neuen«  rodowoisen  sich  durchkreuzen,  da  bei  jeder  frage, 
oft  Ihm  jtHloni  boiHpit^l,  vorsohitMlono  möglicbkeiten  zu  erwägen  sind,  da  endlich  gerade 
iHtim  proiiomon  nuoh  loirht  individuolle  neigungon  imd  abweichungen  des  schriftstel- 
Irn«  nirh  gtdtond  maohon  (vgl.  x.  b.  AVunderli<»h  s.  22.  43).  Und  gerade  beim  satz- 
gofügo,  doHStMi  «Mitwioklung  Wunderlich  besonders  am  herzen  liegt,  ^ird  man  d*>?h 
M  liUthor  oino  gt^wisso  unlH«holfonheit  und  ein  schwanken  zwischen  verechieden*>n  Vor- 
bildern (Muoh  dem  dor  latoinisohon  schriftspnu^hc !)  oft  nicht  in  abrede  stellen  kennen. 

lU»\vol  Wundorlioh  stets  vorsichtig  zu  werke  geht  und  jedes  beispiel  na-h 
allen  soiton  tib\v;i^t,  oho  er  es  vonvortet,  so  ist  es  ihm  dennoch  gelungen.  V^i  rälec 
dor  von  ihm  untorsuohton  nnioweisi^n  sohöne  ergebnisse  zu  gewinnen.  L-h  cvm«e 
iiamoutlioh  dio  imohwoiso  ülvr  die  Um  Luther  vorkommende  oder  in  gewissen  CLLm 
«irhl  \orkommoudo  auslassung  des  persönlichen  pronomens  b^im  v-rrt:!::!- 
dio  jH»hr  Ausführlich  und  nüt  soharfsinnig^T  Unterscheidung  der  vers«  hie«ienec  surr-j-- 
koiuiou  faltorvMi  orv^rtort  ist  s.  11  --K  und  au  mehren^n  stell»'n  zur  errinz'^r^  «i-r 
K^richtigui\g  d«^  \ou  mir  in  den  «Orund£Ügi»n  «ler  deutschen  syntax*  darü'tTr  Ä?aÄc 
diouou  Kaim.  Ferner  holv  ich  hervor  die  lehnvichen  ehjrterun^en  üc»rr  ii?  plt.-i- 
*tischo  r/\  f-jc  ^ncmm;it!v,  accusanv.  »^»uotiv»;  tifrr.  «/<k<  s.  27.  Ä  31.  s /sri-r  üe  trirto; 
tUi  dw  V  ora  hUxlcuo n  fv^  i  mcii  de r  r  c  1  a  t  i  v  \  c  r  b  i  n  •  i  u  u  4  >.  o5  f t:^. .  jzire  r  i-fcr  2.  ij» 
>.  I^"^  <Vi;>'lvi'.cu  K'isricic  \v^ii  ;u;fv.j:uiii:  d-'s  ii-'U^a>atit>  ohc«?  •rL:v-CT<  cr.C';ci-=fi  «i-i*- 
•»Ixoib,  v"«;o  X  4S  fi:.  »i:e  K^pr^vhur.^  Ut  rvLiriv^itie  in  -rsv-r  z^tT  z^rrir^z  -»zr^-fL 
K>v'«^:crs  ^i,\!ilc:x^^crt  i^t.  H:cr  x*:o  in  oiTÜp::!  ändernd  >:tl!-f::  i2^c  A:-.i  !>  int:» 
iMvh  ■AV:'.:s;iieu  ;;i  l  ;;:hcrs  ^ir*.«^'  ».ii.:  rv^.h:  i»-ni  i<:.ht:^.     D'^ir.in»«^  S3»i 'S" i^i- 

vW   S'i  aoR».   \*^s*.^.;AU•t•^c.  ,^Jk^*ktt*r     ö-U^  -^LZ-Srln-c  fülrs  IriL.i:  nrir   '^rrv^msfL 

•".' V . ;'.*..:  jLTH",  •*.•:  -\v>:  \;'-:.- ctc*:.     v*^   ir :   r"-"  Ä'.i>wvv-iilrrt  *«»L>cL>:ir»i   tum  ajc 

*  •  .  .  -  ^  -       ■    ^      '^      ^  1*  •  _ 

'.  «.  '■    v       I-    >  •  i  •  V  :  -  •;    ".SC^S      *  :  .'.-    l.l:    .  >.'   i-c   3i-  Ciiip:':riai-a      4«   i    1  »^r 

■•*'    -7V-^  '«.■•;^-^    ■    c     -.c      .i*"«^     -:  .     ■  ii.     :~A:C      irü  t:c,    "1  ?tfr    äs    ^-r   »i::- 


KSnVKB,  ÜBKB  MOBSCH,   OORBE  U.   DIB  OBIECH.   BÜHNKNDIGHTER  493 

kimgen,  die  lange  nicht  an  die  durchaus  nicht  verächtlichen  nachweise  von  Kehre  in 
oder  Yernaloken  heranreichen. 

Gerade  diese  Franksche  schrift  zeigt  recht  augenfällig,  wie  erwünscht  und  ver- 
dienstlich die  fortführung  und  Veröffentlichung  von  Wunderhchs  syntaktischen  Stu- 
dien üher  Luther  sein  würde! 

Inzwischen  hat  Wunderlich  in  seiner  Heidelberger  habilitationsschrift:  ^Stein- 
höwel  und  das  Dekameron.  Eine  syntaktische  Untersuchung*^  (1889.  46  Seiten) 
versucht,  „syntaktische  Untersuchungen  in  den  dienst  der  algemeinen  litteratur- 
geschichte  zu  stellen.*^  Da  ihm  die  autorschaft  Steinhöwels  für  die  deutsche  Über- 
setzung des  Dekameron  (vgl.  Goedeke,  Gnmdriss'  XI,  368)  zweifelhaft  ist,  so  ver- 
gleicht er  den  Sprachgebrauch  derselben  mit  dem  in  anderen,  unzweifelhaft  Stcinhö- 
welschen  werken  (zu  denen  er  auch  die  von  Goedeke  I,  346  dem  Niclas  von  Wyle 
zugeschriebene  Übersetzung  von  Petrarcas  Griseldis  zieht),  um  auf  diesem  wego  eine 
entscheidung  über  die  autorschaft  Steinhöwels  zu  gewinnen.  Da  Wunderlich  diese 
verwickelten  Untersuchungen  noch  nicht  abgeschlossen  hat,  sondern  die  fortsetzung 
in  Herrigs  archiv  veröffentlichen  will,  so  begnüge  ich  mich  hier  mit  dieser  kurzen 
erwfihnung  der  arbeit 

KIEL.  OSKAR  ERDMANN. 

Hans  Morseh,  Goethe  und  die  griechischen  bühneudichter.    Programm  der 
kgl.  realschule  zu  Berlin  1888  (progr.  nr.  90).    55  s.    4®. 

Nachdem  das  veriiältnis  Goethes  zu  Homer  vor  wenigen  jähren  durch  Otto  Lücke 
und  die  leider  mit  der  italienischen  reise  abbrechende  arbeit  Hermann  Schrcyers 
eingehend  dargestelt  ist,  hat  der  Verfasser,  der  schon  1885  Goethes  Stellung  su  Horaz 
(in  den  N.  jbb.  f.  phil.  132,  268  fg.)  in  sachkundiger  weise  geschildert  hatte,  es  nun 
unternommen,  den  mannigfachen  beziohungen  nachzugehen,  welche  den  dichter  mit 
den  griechischen  dramatikem  verknüpfen. 

Er  begint  mit  Goethes  auftreten  gegen  Wielands  Alceste,  wobei  er  sehr  sorg- 
IIQtig  überraschende  spuren  einer  direkten,  nicht  bloss  durch  Brumoy  vermittelten 
kentnis  des  Euripides  nachweist;  weniger  glücklich  sucht  er  Goethes  auffassung  des 
dramas '  gegen  Seuffert  zu  vertreten ,  er  komt  dabei  über  die  von  Goethe  gebrauchten 
argumente  nirgends  hinaus.  —  In  dem  Prometheus  erkent  er  neben  antiken  elemen- 
ten  mit  recht  Wertherstimmung,  or  hÄtta  noch  bestimtor  auf  starke  rominisccnzen 
aus  Ossian  hinweisen  können.  Dann  wird  der  einfluss  der  bcsehäftiguug  mitAristo- 
phanes  auf  die  Alceste -farce,  den  Satyros  und  die  Vögel  entwickelt.  Mit  einer 
kurzen,  aber  alles  wesentliche  berührenden  Schilderung  der  am  Weimarer  hofe  her- 
gehenden, durch  Wieland,  Herder,  Villoison  genährten  liebhaberei  für  antike  littera- 
tur  geht  er  zu  den  dramen  des  klassischen  stils  von  Iphigenie  bis  zur  Natürlichen 
tr)chter  über,  bei  allen,  namentlich  auch  den  fragmenten,  wird  in  erster  linie  die 
einwirkung  antiker  Vorbilder  auf  die  dar  Stellung  bis  in  einzelheiten  sehr  genau 
verfolgt,  stilistische  mittel,  auf  denen  der  eigentümliche  ton  jener  dramen  beruht, 
hervorgehoben  und  auf  ihren  urspnmg  zurückgeführt;  unbefangen  werden  auch  manche 
disharmonien  zwischen  den  antiken  und  modenien  dementen  in  Inhalt  und  form  zu- 
gegeben. So  hat  der  Verfasser  es  auch  vorstanden,  zur  erklärung  der  Iphigeiüe 
mancherlei  neues  beizubringen,  indem  er  die  abgedroschene  vergleichung  derselben 
mit  dem  gleichnamigen  stück  d<.>s  Eurii)idos  bei  seite  liess  und  einmal  ihr  Verhältnis 
zum  antiken  drama  überhaupt  ins  äuge  fasst.  —   Kürzer  behandelt  der  Verfasser  die 

1)  Inzwischen  hat  darüber  auch  gesprochen  v:  'Wilamowitz,  Einleitung  in  die  attische  tragoodie 
(Eorip.  Herakles  I),  Berlin  1889,  s.  234. 


494 

weiteren  beziehungen  Goethes  zu  dem  lezteren,  die  neuen  durch  Schiller  und  yor 
allem  durch  Gottfried  Hermann  gegebenen  anregungen,  die  symbolisierenden  dnuneo, 
die  reconstruction  des  Phacthon  usw. ,  dagegen  werden  am  Schlüsse  noch  einmal  sehr 
genau  die  anlehnungen  der  Helena  an  bestimte  soenen  und  Situationen  antiker  dra- 
men  nachgewiesen.  Auf  Goethes  Stellung  zur  xu&uQaig  wolto  der  verfassor  wol  nicht 
eingehen,  weil  sie  mehr  sein  Verhältnis  zu  Aristoteles  berührt 

Es  steckt  in  der  schrift  des  Verfassers  eine  fülle  von  arbeit;  er  hat  nicht  bloss 
die  werke  Goethes  im  weitesten  umfang  (die  briefwechsel  und  tagebücher  eingeschlos- 
sen) für  seinen  zweck  durchgearbeitet,  sondern  beherscht  auch  die  litteratur  über 
dieselben  in  einer  bei  solchen  abhandlungcn  leider  nicht  gewöhnlichen  weise;  ebenso 
zeigt  er  eine  umfassende  bolesenhoit  im  griechischen  drama. 

SOHÜLPFORTR.  GUSTAV  ERTTNEH. 

Indogermanische  praosensbildung  im  germanischen.  Ein  kapitel  veiglei- 
chender  grammatik  von  Gustav  Bnrgrhaiisen  Leipzig,  Freytag.  1887.  56  ss.  8.  Im. 

Der  1886  erschienenen  schrift  des  Verfassers  über  den  indogermanischen  per- 
fektstamm im  germanischon  ist  eine  soh^he  über  dio  praesensbildung  gefolgt  ^  Auch 
in  dieser  schrift  ist  es  nicht  die  absieht  des  Verfassers  neues  material,  neue  fragrti 
den  fachgelehrt4^n  vorzulegen.  Weim  Burghauser  sich  auch  „hie  und  da  in  selbstän- 
digen aufsti'Uungeu  versucht*^  hat,  so  will  er  doch  im  ganzen  nur  den  gegenwärtigen 
stand  der  Wissenschaft  in  einer  zusammenfassenden  darstollung  des  gewählton  gegen- 
ständes zur  anschauung  bringen. 

Das  büchlein  eignet  sich  treflich  zum  leitfaden  für  Vorlesungen.  Ich  möchte 
es  Noreous  allerdings  selbständigerem  Utkast  tili  föreläsniugar  i  urgermansk  judlära 
zur  Seite  stellen.  Wenn  uns  noch  eine  ivihe  dei-artigor,  je  ein  hauptkapitel  der  ver- 
gleichenden germ.  granimatik  In^handelnder  einzclschrifteu  geschenkt  wiixi,  so  wird 
ein  künftiger  gelehrter  dieselben  leichter  zu  einem  einheitlichen,  nietfesten  werke 
zusainmonschweissen  können,  als  dies  dem  dichter  der  Nibelungen  nach  Lachmann 
mit  den  eiuzf^lnen  liedem  gelungen  ist.  In  emiangelung  einer  ausführlichen  germ. 
grammatik,  die  auf  der  grundlagt^  der  idg.  Ursprache  die  gonnanische  Sprachgeschichte 
aun>aut,  ist  ein  derartiger  ausschnitt  aus  einer  solchen,  wie  er  uns  in  der  schrift  von 
Burghauser  vorliegt,  mit  dank  zu  b<»grüS8en.  Die  darstellung  ist  streng  sachlich 
gehalten  und  bietet  eine  gute  Übersicht  ül)er  die  idg.  praesensbildung  im  gonna- 
nischen. 

Wurzelstämme,  reduplizierte  stamme  und  nasalstämme  bilden  das  erste  kapi- 
ti»l:  themavokallose  praesenti(»n.  Di(<  themavokalischen  weixlen  eingeteilt  in  solche 
ohne  wurzelenieiti»ning  (c-stiifig»>  imperfektpraesentien  und  tiefstufige  aoristpraesen- 
tien),  in  nasal-,  j<xl-,  inchoativ-,  /-praesentien  und  in  kausativa.  Wie  mau  aus 
dieser  inhaltsangaln)  sieht,  ist  der  ausgangspunkt  die  idg.  Ursprache.  Die  gennanisclic 
eintcilung  in  starke  und  schwache  Zeitwörter  konit  nicht  zu  ilirem  rechte.  Vom  idg. 
Standpunkte  aus  aber  scheint  mir  btM  den  themavokalischen  Zeitwörtern  doch  die 
Zweiteilung  im  Vordergründe  zu  stehen,  welche  auch  für  das  germanische  reclit  wol 
praktisch  zu  verweiten  ist,  in  j)rimäre  und  in  sekundäre  oder  abgeleitete  Zeitwörter. 
Nach  dieser  (Einteilung  würden  zur  h'zteren  klasse  bei  Burghauser  freilich  nur  die 
kausativa  auf  idg.  -ejö  gehöriMi.  Allein  es  gab  im  idg.  nicht  nur  denominativa  von 
c-  0- stummen  auf  -eJOj  sondern  auch  solche  von  a- stummen  auf -fly'o,  von  ^i- stam- 
men auf  -yjö  usw.;    es  gab  ferner  noch  andre,    bisher  freilich  noch  nicht  genügend 

1)  Neaenliugs  on>chicneu  ist:  Borghaosor,  Germ,  nommalflexion ,  Wien  1888. 


ÜBER  BT7ROHAÜ8EK,  FRABSBNSBILOüNft  495 

aufgeklärte  klassen  sekundärer  Zeitwörter  von  der  idg.  urzeit  her,  z.  b.  eine  sekun- 
däre klasse  nach  dem  paradigma  von  lat  habSre,  got  haban,  Buiighauser  bespricht 
nur  die  kausativa  auf  -^ö;  die  allerdings  schwierige  darstellung  der  übrigen  sekun- 
dären Zeitwörter  fehlt  bis  auf  die  s.  54  fg.  gemachten  andeutungen  ganz  und  gar. 
Und  doch  ist  eine  behandlung  dieser  für  die  erkontnis  der  germ.  praesensbildung 
notwendig.  Wie  wäre  sonst  der  übertritt  von  Zeitwörtern  wie  beben,  xittem  in  die 
schwache  konjugation  zu  erklären,  wenn  ihre  lautgesetzHch  ererbte,  urspriinglich 
starke  flexion  nicht  in  manchen  formen  lautlich  zusammengefallen  wäre  mit  formen 
sekundärer  (germ.  schwacher)  idg.  Zeitwörter  auf  e  und  ä?  Es  wäre  nützlich  gewe- 
sen, wenn  Burghauser  in  jedem  einzelnen  falle,  wie  er  es  z.  b.  s.  11  fg.  und  15  tut, 
den  weg  gezeigt  hätte,  auf  welchem  ein  idg.  primäres  Zeitwert  im  germ.  schwaoh 
geworden.  Tatsächlich  sind  von  den  idg.  praesensklassen  die  imperfektpraesentien 
und  die  mit  nasalinfix  die  einzigen,  welche  im  germ.  rein  als  stark  flektiert  erhalten 
sind;  alle  andern  klassen,  auch  die  themavokallosen  folgen  im  germ.  teils  der  star- 
ken, teils  der  schwachen  koigugation;  ja  die  auf  idg.  -^wni  sind  sogar  durchweg 
schwach  geworden.  Wünschten  wir  eine  weitgehendere  rücksichtnahme  auf  die  ein- 
teilung  in  starke  und  schwache  Zeitwörter  und  besonders  eine  eingehendere  darstel- 
limg  der  idg.  sekundären  Zeitwörter,  so  wüsten  wir  im  übrigen  an  dem  büchlein 
keine  wesenthche  ausstellung  zu  machen.  Wertvoll  ist  es  vor  allem  durch  die 
neueren  htteraturangaben  und  durch  die  reiche  beispielsamlung,  welche  bei  jeder 
praesensklasse  der  kurz  einführenden  darlegung  der  idg.  konjugation  folgt;  die  bei- 
spiele  sind  allen  germ.  sprachen  entnommen.  Von  einzelheiten  möchte  ich  hier  auf 
zwei  punkte  besonders  aufmerksam  machen: 

1.  An  der  auffassung  der  imperfekt-  und  aoristpraesentien  als  gespalten  aus 
einem  einheitlichen,  stamabstufonden  urtypus  (s.  19)  bin  ich  vielleicht  selbst  schuld 
mit  meinem  Paul  und  Braunes  Beitr.  XI,  49  als  idg.  aufgestelteu  paradigma  *bero, 
^Urrisi.  Um  so  mehr  fühle  ich  mich  verpflichtet  zu  bekennen,  dass  in  dieser 
algemeinheit  meine  aufstellung  jedenfals  eine  irtümliche  gewesen  ist.  Jenes  stam- 
abstufende  paradigma  hat  für  die  impeifektpraesentien  nicht  bestanden  und  ist  einzu- 
schränken auf  die  indische  vierte  und  sechste  klasse,  die  aoristpraesentien.  Neben 
einem  berb,  beresi  bestand  allerdings  das  aus  got.  tekan  und  an.  taka  zu  erschlies- 
sende  stamabstufende  idg.  pai*adigma  *digo,  *daye8t  (Beitr.  XI,  283).  Ob  daneben 
noch  eine  dritte,  tiefstuflge  praesensbildung  ohne  stamabstufung  im  idg.  bestanden 
hat,  das  will  ich  hier  unentschieden  lassen.  Die  beispiele  für  die  stamabstufende 
klasse  sind  jodenfals  sehr  zahlreich,  auch  wenn  man  von  der  hierfür  besonders  lehr- 
reichen vergleichung  des  slawischen  und  litauischen  (Leskien,  Archiv  für  slav.  phil.  V, 
497  fgg.)  absieht.  Ich  erinnere  nur  an  lat.  vertö:  vortö,  gr.  jqinoi  :  tquiko,  aind. 
svedate  :  svidyämi  usw.  Aus  dem  germ.  gehören  hierher:  1)  abulg.  perq  :  germ. 
faran,  ags.  swelan  :  ags.  forswalan,  germ.  kweman  :  germ.  koman,  an.  hwerfa  : 
an.  horfa,  aind.  kälpate  :  an.  holfa,  germ.  melkan  :  an.  molka,  germ.  skeldan  : 
ahd.  skaltan,  ht.  zengiü  :  germ.  gangan  :  afrs.  gunga\  ags.  awefan  :  an.  sofa,  an. 
drega  :  germ.  dragan,  aschwed.  grceva  (abulg.  grebq)  :  germ.  graban,  germ.  tredan : 
germ.  trodun,  germ.  bregdan  :  wang.  ik  brüd,  (ich  stricke),  germ.  knedan :  an.  hwäa, 
germ.  beogan  :  ags.  biigan,  germ.  kUoban  :  ags.  clüfan,  germ.  kreopan :  plattd.  kril- 
pen,  germ.  breowan  :  mndl.  brouwen  :  mndl.  brüwen^,  ahd.  niuwan :  ahd.  nü(w)an, 
germ.  skeoban :  germ.  sküban,  ahd.  slio^an  :  afrs.  sltita;  got.  tekan  :  an.  taka,    ahd. 

Vgl.  hierzu  germ.  haJSn :  ahd.  holön,  germ.  manon :  awfrs.  movna. 


496  BBEBCKB,  ÜBBB  BÜROBAÜSEB,  FRABSENBBILDÜNO 

täen  :  got  daddjan;  aschwed.  sleka  (<c  *8laikan)  :  ahd.  slihhan,  an.  streitask :  an. 
stritask;  lat.  vädö  :  germ.  wadan;  gr.  (ptayto  :  germ.  bak(k)an.  2)  mit  y-verstar- 
kiing  (aind.  IV.  klasse):  germ.  wirkfan :  germ.  wurkjan,  3)  mit  oder  ohne  y-yeistär- 
krmg:  ahd.  helan  :  germ.  kuljan,  abolg.  meljq  :  germ.  makm,  germ.  swimman  : 
an.  symjaf  got.  gairdan  :  germ.  gurdjan,  mhd.  erwergen  :  ahd.  würgen,  gr.  ar«v- 
^01  ;  ags.  h^dan,  germ.  neo^on ;  germ.  nutjan;  ahd.  dran  ;  germ.  atjan,  geim.  6rÄ- 
(2an  ;  amringisch  ^rä^t,  föhringisch  ^dift  braten  (•<  germ.  *brafy'an  nach  der  at- 
oder  $-koi\jugation);  vgl.  mit  «A;- Verstärkung  germ.  preskan  :  an.  Pryslga,  4)  mit 
n-verstärbmg:  aschwed.  spuBma  :  geim.  spoman,  germ.  rinnan  ;  *runnan  (Sie- 
vers,  Beitr.  VUl,  83  anm.),  ags.  swefnan  :  an.  «o/ha.  Auf  grund  dieses  wechsds 
werden  auch  einige  anomale  ablautsverhaltnisse  zu  erklären  sein:  ahd.  swedan  hatte 
ursprünglich  eine  tiofstufige  stamform  *süd''  neben  sich,  und  diese  schuf  nach  der 
analogie  von  hügan :  beogan  ein  neues  Zeitwert  seodan, 

2.  Sehr  wichtig  ist  die  s.  46  gegebene  erklärung  des  j  in  Zeitwörtern  wie  säen, 
wehen  usw.,  welche  mich  um  so  mehr  ei*freut  hat,  als  ich  selbst  im  gegensatz  zu 
meinen  früheren  ausführungon  (Paul  u.  Braunes  Beitr.  XI,  54  fgg.)  auf  denselben  gedan- 
ken  gekommen  war.  Nur  darf  man  wol  kaum  diese  erklärung  soweit  veralgemeinern, 
wie  Burghauser  es  tut.  Die  zeitwöi-ter,  welche  ich  a.  a.  o.  und  s.  275  fgg.  besprochen 
habe,  zerfallen  in  zwei  von  alters  her  völlig  getrento  Massen,  deren  Scheidung  vom 
germ.  aus  nicht  mehr  mit  Sicherheit  möglich  ist  Als  paradigma  der  einen  klasse 
hat  ahd.  säen  zu  gelten  <<  idg.  *8(8^mi  (tfjfjii),  als  paradigma  der  andern  ahd.  tden 
<:  idg.  dejö;  erstere  hatte  als  idg.  wurzelauslaut  langen  vokal,  leztere  t;  verbala^jek- 
tiv  dort  *8ate-,  hier  *dtte'.  Indem  nun  erstere  klasse  im  germ.  sich  der  thema- 
vokalischen koDJugation  anschloss,  war  der  anstoss  zur  Vermischung  beider  klassen 
gegeben,  wenn  nach  meiner  annähme,  a.  a.  o.  s.  71,  in  formen  wie  ahd.  sdit  sidi 
zwischen  d  und  t  ein  j  lautgesetzlich  entwickelte.  Nach  dem  vorbilde  von  säjit  = 
tdjit  schuf  man  sau  im  ahd.  zu  säju  =  täju  um.  Vielleicht  —  die  frage  wäre  wol 
der  untei'suchuDg  wert  —  gab  es  unter  den  hierhergehörigen  Zeitwörtern  noch  eine 
dritte  art  mit  wurzelauslautondem  «/,  etwa  idg.  *  streu-,  und  vielleicht  ist  hier  der 
ausgangspunkt  für  das  ags.  und  auch  im  an.  vorauszusetzende  w  von  ags.  sdwün^  zu 
suchen.  Noch  natürlicher  würde  der  zusammenfall  der  verschiedenen  klassen  sich 
im  germ.  ergeben,  wenn  unter  den  auf  i  auslautenden  stammen  sich  thcmavokallose 
befunden  hätten,  weil  dann  die  1.  und  2.  sg.  mit  der  ersten  klasse  schon  in  idg.  zeit 
zusammengefallen  sein  würde,  von  der  reduplikation  abgesehen;  denn  aus  einem 
*  deimi,  ^diisi  würde,  wie  idg.  *res  •<  *reis,  *retn  <,  *reim  (lat.  rSs,  rem)  zeigen, 
schon  in  idg.  zeit  *d?mi,    *d^8i  geworden  sein^     So  viel  über  die  Zeitwörter  mit 

1)  Der  idg.  schwund  von  i,  u  nach  langem  vokal  vor  bestiinten  konsonanten  kum,  wie  ich 
glaube,  grade  für  die  themavokallose  koi^ngation,  noch  manche  aofklärung  geben.  So  würde  sich  z.  b. 
Yarti/m  gegenüber  arnvQo^^  arvo)  usw.  erklären  aus  einer  wurzol  *stäu-,  welche  einmal  wie  folgt 
flektiert  wurden  wKre,  mit  auslnssung  der  reduplikation:  *sfanmi,  *8t(Uisi,  *stduti,  dual  und  pla- 
ral  *stü-\  Zu  einer  zeit,  in  welcher  *dieum  und  * Q&um  zu  *diem  und  *göm  (Zrjv,  ßOv) 
wurden,  sagte  man  auch  *sfami  für  *stäumi,  und  nach  dieser  1.  sg.  —  violleicht  auch  nach  der 
analog  behandelten  3.  sg.  ?  —  konto  man  (besonders  wenn  das  vorbild  der  auf  t  ausgehenden  themavukal- 
losen  Stämme  wirkte,  bei  denen  die  1.  und  2.  sg.  der  3.  gegenüberstand)  den  ganzen  sing,  nniformieien 
zu  ^stami,  *stasi^  *  statt.  Nach  diesem  sing,  wäre  dann  noch  in  idg.  zeit  im  dual  und  plural  a 
für  ü  eingesezt  worden,  weil  man  sonst  zu  ä  die  tiefstufe  a  hatte.  Ausserhalb  des  systemzwanera 
standen  und  erhielten  daher  ihren  ursprünglichen  vokal  aind.  5^/r;/ra;  sthdvira,  gr.  (txaVQOiy  OTVta, 
OTüXog,  ahd.  stomcen,  ahd.  stuxxen,  stiiden,  ags.  studtt,  ahd.  stüda.  In  denselben  weise 
wäre  aufzufassen  das  Verhältnis  von  idg.  *ple-  zu  *plcu-  (Beitr.  XI.  278,  9),  *  ßre-  »  *C[rrtl- 
(278,  12),  *stre'  zu  *  Streu-  (280,  18). 


SRDMANN,  ÜBER  KLOPSTOGES  OBXN  IDD.  MUNGKEB- PAWEL  497 

wnrzelhaftem  S,  Diejenigen  mit  idg.  ä  oder  ö  sind  im  germ.  in  derselben  weise  flek- 
tiert worden.  Unter  diesen  befinden  sich  primäre,  wie  an.  r6a,  ags.  röwan,  und 
sekundäre,  mity  abgeleitete  kausativa  zu  primären  ^-stammen,  wie  ahd.  muoen  (zn 
abulg.  sü-meti).  Erstere  werden  im  idg.  themavokallos  flektiert  worden  sein,  wie 
^ISoifAv;  denn  bei  annähme  des  gegenteils  würde  z.  b.  die  2.  und  3.  sg.  *röe8tf  *röeti 
nach  den  idg.  kontraktionsgesetzen  doch  zu  *rö8t,  *röti  geworden  sein  (scheinbar 
unthematische  formen)  und  daher  das  ganze  Zeitwert  in  die  unthematische  konjuga- 
tion  herübergezogen  haben.  Für  diese  Zeitwörter  wäre,  nachdem  sie  im  germ.  the- 
mavokalisch geworden,  lautgeschichtliche  entstehung  des  ags.tr  aus  dem  voraufgohen- 
den  ö  möglich.  Das  deutsche  j  hätte  seinen  ursprang  in  den  kausativen  auf  idg.  -e;o. 
Auch  können  hier  primäre  idg.  äi-  und  (H*- stamme  vorgelegen  haben. 

STRALSUND,  26.  MÄRZ  1889.  OTTO  BREMER. 


Friedrich  Gottlieb  Klopstocks  öden.  Mit  Unterstützung  des  Klopstock- 
vereins  zu  Quedlinburg  herausgegeben  von  Franz  Mnneker  und  Jaro 
Pawel.    Zwei  bände.    Stuttgart,  G.  J.  Göschensche  Verlagshandlung.  1889. 

Vor  etwas  über  zehn  jähren  begann  em  (auch  in  dieser  Zeitschrift  XI,  371. 
Xn,  286.  380  freudig  begrüsster)  neuer  aufschwung  der  Klopstockstudien.    Angeregt 
hauptsächlich   durch  Michael   Bemays   sammelten  gleichzeitig  Richard   Hamel  und 
Franz  Muncker  mit  emsigem  fleisse  xmd  unermüdlichem  eifer  für  die  sache  das  viel- 
fach verstreute,   teils  noch  niemals  ausgenuzte,   teils  in  Vergessenheit  geratene  mate- 
rial  zur  volständigen  textgeschichte  sewio  zur  sprachlichen,  metrischen,  litterarhisto- 
rischen  und  ästhetischen  Würdigung  der  Klopstockschen  werke;  und  wenn  auch  nicht 
alle  damals  ausgesprochenen  oder  gehegten  wünsche  volständig  erfült  worden  sind, 
namentlich  was  die  übersichtliche  Zusammenstellung  aller  späteren  textvoränderun- 
gen  im  „  Messias '^  und  die  emeuerung  der  prosaschriften  Klopstocks  betrift,   so  ist 
doch   im  verlaufe   dieser  jähre   eine   reihe  von   arbeiten   und   ausgaben   entstanden, 
welche  die  wirkliche  kentnis  und  unbefangene  Würdigung  Klopstocks  in  einer  vorher 
nicht  geahnten  weise  ermöglichen.     Richard  Hamel  liess   den  drei  heften  seiner 
„Klopstockstudien*^  (Rostock  1879.  1880)   die  ausgäbe  der  werke  Klopstocks  in  der 
Deutschen   nationallitteratur    (band  46 — 48,   erschienen   Stuttgart  1883  fgg.)   folgen, 
welche  zwar  nur  eine  auswahl  aus  den  poetischen  werken,  diese  aber  mit  sehr  beleh- 
renden einleitungen  und  mit  knappen,   aber  gehaltvollen  erläuterungen  —   die  drei 
ersten  gesänge  des  „  Messias '^  auch  mit  volständiger  angäbe  aller  losarten  und  die 
„Oden*'  mit  volständiger  Übersicht  der  entstehungs-  and  veröfFentlichimgsdaten  —  in 
vorzüglicher  ausstattung  und  mit  guten  illustrationen  dem  gebildeten  publikum  dar- 
bot   Franz  Muncker,  welcher  in  seiner  erstlingsschrift  „Lessings  persönliches  und 
litterarisches  Verhältnis  zu  Klopstock*  erörtert  hatte  (Frankfurt  a/Main  1880),  gab  im 
11.  hefte  der  „Deutschen  litteraturdenkmale  des  18.  Jahrhunderts*'  (Heilbronn  1883) 
einen  genauen  abdruck  der  ersten  drei  gesänge  des  Messias  nach  der  ausgäbe  von 
1748,   mit  einer  einleitung,   die  namentlich  sehr  zahlreiche  und  gut  gruppierte  litte- 
rarische belege  für  die  Wertschätzung  des  „Messias*'  und  die  von  ihm  ausgehenden 
geschmacksrichtungen  darbietet    Im  jähre  1888  vollendete  Muncker  sein  grosses  werk 
„Friedrich  Gottlieb  Klopstock.    Geschichte  seines  lebens  und  seiner  Schriften*'  (Stutt- 
gart, G.  J.  Göschensche  buchhandlung),  in  welchem  es  ihm  gelungen  ist,  nicht  nur 
den  äusseren  lebensgang  des  dichters   nach   neuer  und  vorsichtig -kritischer  durch - 
arbeitung  aller  zugänglichen  quellen  in  sehr  klarer  und  fesselnder  weise  darzustellen, 

ZErrSOHRIFT  P.   DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.   XXII.  32 


496  EBDXANN,  ÜBER  KL0P8T0CKS  ODBN  EDD.  MÜHCKEB-PAWKL 

sondern  aach  alle  werke  Klopstoeks  —  mit  eingehender  bezugnahme  aof  YortiafeT 
und  Zeitgenossen  —  unbefangen  und  mit  alseitiger  erwagong  der  geschichtlichen 
hediiigongen  ihres  entstehens  und  wirkens  zu  würdigen.  Schon  früher  hatte  Erich 
Schmidt  im  39.  hefte  der  «Quellen  und  forschungen^  (Strassburg  1880)  die  kontnis 
des  quellonmaterials  zu  Klopstoeks  jngcndlyrik  erheblich  erweitert;  J.  Pawel  Kl^»- 
stocks  öden  aus  der  Leipziger  periode  kritisch  erschöpfend  untersucht  (Wien  ISSÜL 
soiftie  andere  Specialuntersuchungen  und  -ausgaben  veröffentlicht  (vgL  diese  Zeitschrift 
Xm,  57.  XVII,  341);  0.  Lyon  Goethes  veriiältnis  zu  Klopstock  dargestelt  (Leip- 
zig 1882). 

Diesen  arbeiten  schliesst  sich  nun  jezt  die  historisch -kritische  ausgäbe  sämt- 
licher öden  Klopstoeks  an,  zu  welcher  zwei  der  genanten  Klopstockforscher  si^-h 
freundschaftlich  vereinigton,  indem  Pawel  namentlich  die  aufisuchung  noch  unbekant^r 
handschrifttfn  und  einzeldrucke  und  die  konstatierung  abweichender  lesarten  aus  ihnou 
betrieb,  Muncker  aber  das  ganze  material  sichtete  und  redigierte,  die  reihenf.»lge  dor 
öden  bestimte  und  die  angaben  über  ihre  entstehungszoit  und  ges<.'hichte  abfasste. 

Die  ausgal«  enthält  also  den  volständigen  abdrut.-k  aller  (235 1  öden  Klopst".ks 
mit  ausscheidung  einiger  ihm  falschlich  beigelegten  (vorwort  s.  Vll),  jedoch  nicht  di-^ 
gesänge  und  hymnen  aus  dem  XX.  gesange  des  Messias  und  den  dramen:  mit  nx-ht 
hat  es  Muncker  unterlassen,  diese  lyrischen  stücke  aus  ihrem  zusammenhange  bi'szu- 
reissen,  obwol  er  z.  b.  bei  der  ode  «Die  gestime*'  I.  154  auf  die  ähnlichkeit  taach 
ganz  gleiche  Strophen  form ! »  derselben  mit  einem  dieser  stücke  aufmerksam  macht. 
AngeoTxinet  sind  die  einzelnen  öden  streng  nach  der  entstehungszeit;  diese,  elion»:» 
wie  alle  von  Klopstock  selbst  veranlassten  drucke  sind  bei  jeder  ode  unten  angegol»?n. 
wi>bei  die  abweichungen  von  Klopstoeks  eigener  chronologisclier  anordnung.  wo  diese 
irtümlioh  war,  motiviert  werden  (vgL  auch  vorrede  I,  s.  Vlll».  Bei  d«*n  öden  -An 
Eberf,  -Wing<»lf-,  .Baidale*  sind  die  ältoten  und  die  jüngsten  fassungen  w^« 
ihrer  starken  Verschiedenheit  voLtändig  neben  einander  abgedruckt:  bei  allen  übrig« 
bietet  Muncker  den  text  der  ausiral-e  lezter  band,  während  die  abwei«_hungen  der 
von  Klnpstwk  gebilligten  ausgaben  <  ausser  der  wertliDsen  von  17S7»,  der  Danustadter 
ausgaK'  von  1771.  der  aufirefundenen  Originalhandschriften  Kbpstocks.  der  Gleim- 
sehen  al»schriften  und  dor  von  C.  F.  Cramer  ciiierten  älteren  lesarten  unter  dem  texte 
aufgeführt  sind.  DuR'h  diese  emsige  samlung  und  sorgfaltige  sichtunsr  des  sehr 
umfaugnüchen  materiales  für  die  textkritik  haben  die  herausgeber  sich  ein  grosses 
verdienst  erworl-t^n.  Im  eigentlichen  sinne  kritisieren  könte  ihre  arl«it  nur  jemand, 
wol»  her  dies^^s  ir.atorial  in  gleichem  ma?se  t-ohcr^ht  wie  sie  selbst,  was  ich  von  mir 
nicht  riihmou  kaim.  Wo  ich  ab^r  in  der  läge  war  eine  naohprüfung  anstellen  zu  kei- 
nen, da  halv  ioh  den  fleiss  ur.d  die  s^jrgfalt  der  herausgeber  vOUig  bewährt  gefunden. 

Die  anmerkungen.  welche  Klopstock  selbst  in  verschiedenen  ausgaben  zu 
Steinen  ».^ien  uvmacht  hat,  sind  volstäniii:  ab|=^?druekt:  auf  weitere  erläutenmgen 
abgesehen  von  den  schon  erwühn:on  ohre!iologis*:hen  auga^-rn  und  erörtenmgen,  haben 
die  heraiisgeivr  cöiLiIich  vernchte:,  S»  wei;  dit'se  er.thaltsanikeit  auf  der  scheu  davor 
W ruhen  ma*:,  die  eiJ^:Mle  subjektive  meinuug  mit  dem  oljektxv  mitgeteilten  lextmate- 
ri;il  xu  vennvng^'n,  lvi:rvitV  ich  sie  st*hr  wol;  eine  dem  bedürfnis  der  meisten  leser 
gcuujii'ude  erlaute vuug  der  Klopst^.rk sehen  ode  wär\'  Ivivht  ein  l^esonderes  werk  von 
mindestens  gleivheiu  uniiaiice  i:eworu-.'ü.  Alvr  p?wiss  wären  alle  leser  den  heraus- 
gelvru  uvvh  daiiklvarer  p'weseu,  wenn  sie  a'^is  dcKi  re::hen  schätze  ihrer  belesenheit 
in  der  KU^pstvH-klittoratur  wenigstens  liier  und  da  mitteilun^n  über  die  entstehun^- 
ges«.'hichte.  dio  textgvstaltuug,  die  Würdigung  der  einzelnen  öden  in  knapp^-r  fassuii«: 


WITKOWSKI,  ÜBEK  SCHULTZ,   SPRACHQESELSCHAFTEN  499 

i 

gegobon  hätten.  Ich  meine  z.  b.  solche  angaben,  wie  sie  C.  F.  Gramer  (2,  345)  bei 
der  ode  ^»Heinrich  der  Vogler*  über  die  von  Klopstook  selbst  später  in  abrede  gestelte 
ursprüngliche  bezieh ung  auf  Friedrich  den  Grossen  macht;  oder  notizen  wie  die  von 
Seume  („Mein  sommer  1805*^,  in  der  Hempelschen  ausgäbe  bd.  lY,  158)  über  die 
textgestaltung  eines  vorses  in  der  ode  „Die  gestime.*  Derartige  Überlieferungen  sind 
doch  wert  erhalten  zu  werden;  und  wo  könte  dieses  besser  und  wirksamer  geschehen, 
als  in  der  historisch -kritischen  ausgäbe? 

Doch  fem  sei  es  von  mir,  über  solchen  wünschen  das  grosse  verdienst  ver- 
gessen zu  wollen,  welches  sich  die  herausgeber,  sowie  alle  föi*derer  ihrer  mühevollen 
arbeit,  durch  diese  ausgäbe  erworben  haben.  Die  bedoutung  der  Klopstockschen 
öden  für  unsere  poesie  hat  Muncker  im  eingange  der  vorrede  gut  und  würdig  cha- 
rakterisiert; möchte  „ihre  nie  verwelkende  frische  und  ihre  nie  ermattende  kraft*  in 
dieser  schönen  und  reichhaltigen  ausgäbe  auf  recht  viele  leser  wirken! 

KIEL.  OSKAR  EBDUANN. 


Die  bestrebungen  der  sprachgeselschaften  dos  XVII.  Jahrhunderts  für 
reinigung  der  deutschon  spräche.  Von  dr.  H.  Schultz.  Göttingen,  Van- 
denhoeck  &  Kuprechts  vorlag.   1888.    3  m. 

Die  Sorgfalt  für  die  reinheit  der  mutterspracho  ist  seit  einigen  jähren  zu  einer 
öffentlichen  angelegenheit  geworden,  für  die  durch  eine  überaus  kräftige  agitation 
die  teilnähme  der  weitesten  kreise  erregt  und  wach  gehalten  wird.  Es  soll  hier 
nicht  erörtert  werden,  ob  dieser  weg  der  richtige  ist,  um  die  wünschenswerte  Säu- 
berung unsrer  spräche  von  einer  anzahl  entbehrlicher  eindringlingo  zu  erreichen,  es 
sei  nur  darauf  hingewiesen,  dass  es  uns  nicht  an  historischen  beispielon  fehlt,  wie 
wenig  dilettantischer  eifor  auf  diesem  gebiet  zu  nützen  vormag;  denn  das  siebzehnte 
Jahrhundert  bietet  in  seinen  besti'ebungen  für  die  sprachrcinigung  ein  seitenstück  zu 
der  jetzigen  bewegung.  Offenbar  hat  dieser  umstand  die  anregung  zu  einer  anzahl 
von  arbeiten  über  die  geschieh te  der  sprachgeselschaften  gegeben,  die  in  den  lezten 
Jahren  in  rascher  folge  erschienen  sind: 

Die  jüngste  derselben  ist  die  oben  bezeichnete  schrift  von  Schultz,  die  man- 
ches neue  bringt,  im  ganzen  aber  doch  in  bezug  auf  die  kentnis  der  vorarbeiten  und 
die  ausnützung  des  materials  mängel  aufweist.  Was  soll  man  z.  b.  dazu  sagen, 
dass  der  Verfasser  nicht  einmal  den  titel  von  Buchners  pootik  kennt  (wie  er  s.  38 
selbst  gesteht),  die,  abgesehen  von  sämtlichen  handbüchem,  die  litteraturgeschich- 
tcn  fast  ausnahmslos  anführen?  Wie  dürftig  sind  die  als  einleitung  vorausgeschick- 
ton bemerkungen  über  das  eindringen  der  fremdwörter  in  die  deutsche  spräche! 
Selbst  die  am  nächsten  liegenden  ergänzungen  würden  bei  weitem  den  umfang  des 
von  Schultz  angeführten  überschreiten.  Von  wichtigeren  vorarbeiten  blieben  ihm  die 
folgenden  unbekant:  Kluge,  Von  Luther  bis  Lessing;  K.  Dissel,  Die  sprachreinigen- 
den bestrebungen  im  17.  Jahrhundert  (Progr.  Hamb.  1885);  Walter,  Über  den  ein- 
fluss  des  dreissigj  ährigen  krieges  auf  die  deutsche  spräche  usw.  (Progr.  Prag.  1871). 
Hätte  Schultz  seine  Vorgänger  gekaut,  so  würde  er  wol  kaum  so  leichtfertig  den 
satz  (im  vorwort)  ausgesprochen  haben:  „Das  bisherige  urteil  über  die  sprachbewe- 
gung  des  XVII.  Jahrhunderts,  welches  dieselbe  als  verfehlt,  ja  lächerlich  bezeich- 
nete, war  durchaus  falsch,  da  es  sich  nicht  auf  eine  genügende  menge  von  material 
stüzte.*     Nicht  die  bewegung  an  sich  war  verfehlt,   sondern  nur  die  mittel,  durch 

32* 


500  WITK0W8KI 

# 

welcho  maa  ihre  ziele  zu  erreichen  äuchte,  waren  ungenügende  und  falsche,  und 
nur  in  dem  urteil  über  diese  mittel  weicht  Schultzs  meinung  Ton  der  seiner  Tor- 
ganger  ab. 

Der  Verfasser  steht  von  vom  herein  nicht  auf  dem  Standpunkte  des  leiden- 
schaftslos abwägenden  geschieh tschreibers,  sondern  auf  dem  des  lobredners,  und 
dadurch  komt  er  zu  einem  urteil  über  die  Fruchtbringende  geselschaft  (s.  73  fg.). 
das  von  dem  bisherigen  allerdings  wesentlich  verschieden  ist;  aber  nicht  deshalb, 
weil  Schultz  auf  neue  und  bedeutendere  lebenszeugnisse  der  geselschaft  hinweisen 
könte,  als  die  früheren,  sondern  nur  weil  er  den  langst  bekanten  übersetzungs-  und 
regelwerken  entgegen  der  geltenden,  wol  begründeten  ansieht  einen  massgebenden 
und  heilsamen  cinfluss  auf  ihre  zeit  zuschreibt,  während  wir  doch  durchaus  nichti 
davon  wissen,  dass  sie  ausserhalb  der  geselschaft  und  der  kleinen  gleichstrebcndn 
genossenschaften  irgend  welche  beachtung  gefunden  hätten.  Haben  doch  sogar  die 
eifrigsten  mitglieder  im  schriftliehen  verkehr,  wo  er  nicht  geselschaftsangelegenheiten 
betraf,  ohne  alle  scheu  ihre  rede  aufs  reichlichste  mit  fremden  werten  dorehsezt,  wie 
z.  b.  aus  Krauses  , Urkunden  zur  gesokichte  der  Anhaltischen  lande  und  ihrer  for- 
sten*^ (Leipzig  1861 — 66)  klar  herN'orgeht  Von  einem  gegenseitigen  anhalten  da" 
mitglieder  unter  einander  zum  gebrauch  un vermengter  spräche,  wie  es  Schultz  {s.65) 
für  wahrscheinlich  hält,  dürften  nur  wenige  beispiele  aufzufinden  sein,  zumal  da  die 
meisten  der  genossen  das  sinbild  des  palmbaums  mehr  für  eine  zierde,  als  für  em 
mal  ernsthafter  Verpflichtung  ansahen. 

Bartholds  «Geschichte  der  ftnchtbringenden  geselschaft*^  hat,  trotz  mannig- 
facher irtümer  im  einzelnen,  die  historische  bedeutung  des  bundes  richtig  bestirnt 
und  den  grösten  teil  des  Stoffes  verarbeitet  Wesentliche  eigänzungen  brachten 
Krauses  Schriften,  von  denen  Schultz  hauptsächlich  die  lezte,  , Ludwig,  fürst  zu 
Anhalt -Köthen*'  (Köthen  1877  —  79),  zum  grössten  teil  einen  schlechten  auszug  ans 
den  ftühert*n,  benuzt  hat  Er  widerholt  die  darin  enthaltenen  angaben  über  die 
schriftstellerischen  werke  der  geselschaftsmitglieder,  übergeht  aber  einige  der  wichtig- 
sten, wie  Tobias  Hücbners  «Erste  woche'  (Leipzig  1631).  Die  bemerkungen  über 
Opitzens  Verhältnis  zu  den  .Fruchtbringenden^  und  seinen  einfluss  auf  die  spräche 
sin«i  dürftii;;  recht  merkwürdig  ist  die  ansieht  (s.  31),  dass  Opitz  die  „unglücksehge 
alte  mythnlogie"*  eingeführt  und  uns  so  eine  ganze  gattung  von  fremdwörtem  zuge- 
bracht habe.  Bt'i  der  auf  Zählung  der  geschichtschreiber  der  Fr.  G.  (s.  71)  hitte  auch 
das  für  seine  zeit  ganz  vortrefliche  buch  von  Otto  Schulz,  «Die  sprachgeselschaften 
des  17.  Jahrhunderts *"  (^Berlin  1824)  erwähnt  werden  sollen. 

Von  den  kleineren  genossenschaften  behandelt  Schultz  zuerst  die  Aufrichtige 
geselschaft  von  der  Taimen  und  vermehrt  die  bisher  bekanten  tatsachen  zur  geschichte 
derseUten  bt^trächtlivh.  Die  mitglieder  werden  im  einzelnen  ausführlich  dai^iestelt 
(eines,  Joh.  Heinrich  Boeder,  ist  allerdings  übergangen),  die  Zugehörigkeit  von'l^'eckher- 
lin  und  MosohcR^Si^h  wird  dun.-h  neue  gründe  bestätigt  Ein  weiteres  mitglied  wird 
in  Hans  Heinrich  S<*hill  der  Tannengeselschaft  zugewiesen,  der  zugleich  als  ver&sser 
dor  sdirifi  .Der  teutsohen  sprach  ehren -krantz*  (Strassburg  1644),  bestimt  wird 
Aus  diosem  umfiinin\*i»'hen,  von  warmer  vatoriandsliebe  durchwehten  buche,  das  eine 
zusanimonstelluQi;  des  bis  dahin  gogen  die  sprachmengerei  gesagten  enthält,  gibt 
Schultz  dankenswerte  nMchliehe  auszüsie. 

Bin  der  darstoUung  der  ^  Deutschgesinten  genossenschaft  **  hat  sich  Schultz 
leider  die  gelep^nheit,   ein  bild  Zosons  und  seiner  bestrebungen  zu  geben    (wol  die 


ÜBES  SGHÜLTZ,   SFRAOnOBSELSGIUFTKN  501 

dankbarste  aufgäbe  der  deutschen  litteratargeBcbichte  des  17.  jal^hunderts),  entgehen 
lassen.  Unter  den  mitgliedem  fehlt  das  begabteste,  Jacob  Schwiger,  in  Schultzs 
aofzählong.  Die  (s.  103)  angeführten,  die  sprachmengerei  verspottenden  verse  stam- 
men nicht  von  Butschky,  sondern  aus  Opitzens  „Poeterey^,  was  zu  erwähnen  gewe- 
sen wäre. 

Unter  die  „gegner  der  genanten  sprachgeselschaften*^,  die  Schultz  im  folgen- 
den abschnitt  bespricht,  ist  vielleicht  auch  E.  K.  Homburg  zu  rechnen.  Wenigstens 
scheinen  die  verse  aus  dem  „Lob  des  krieges*^  (Schimpff-  vnd  Emsthaffte  Oo. 
Jehna  1642.  S.  E4*),  in  denen  er  die  neu  eingeführten  militärischen  ausdrücke 
anführt,  nicht  ironisch  gemeint  zu  sein. 

Die  „Pegnitz-hirten-geselschaft*^  wird,  entsprechend  ihrer  geringen  teilnähme 
an  der  Sprachreinigung,  nur  kurz  erwähnt,  ebenso  Rists  läppischer  „Eibischer 
schwanenorden '^,  und  die  übrigen  genossenschaften,  von  denen  wir  nicht  wissen,  ob 
sie  überhaupt  ins  leben  getreten  sind:  der  „Belorbeerte  tauben -orden*^,  die  „Teutsch- 
üebende  geselschaft*^,  der  „Leopolden -orden.*^  Wertvoll  sind  die  zusammoostellun- 
gen  von  Schultz  über  diese  Vereinigungen  deshalb,  weil  sie  zeigen,  wie  das  gründen 
von  sprachgeselschafben  schliesslich  zum  sport  wurde,  den  die  unbedeutendsten  leute 
zu  treiben  wagten. 

In  sieben  anhängen  gibt  Schultz  exkurse  zu  seiner  arbeit  Davon  hätte  der 
über  „die  gestickte  wappen-tapete  im  geselschaftssaale '^  (der  Fr.  G.)  und  der  über 
Ratichius  wol  fortbleiben  können,  auch  der  über  Leibniz  gehört  nicht  in  diesen  rah- 
men. Mit  recht  ist  im  anhang  I  die  abhängigkeit  Neumarks  von  Hille  betont,  die 
ioh  schon  früher  (Diederich  von  dem  Werder.  Leipzig  1887  s.  22)  hervorgehoben 
habe.  Anhang  m  und  V  handeln  über  die  undeutschen  vomamen  und  die  Verdeut- 
schung von  kunstwörtem  (d.h.  termini  technici),  anhang YII  endlich  stelt  die  „namen- 
losen^ (d.  h.  keinem  bestimten  Verfasser  zuweisbaren)  Schriften  gegen  die  sprachmen- 
gerei zusammen:  die  „Deutsche  satyre  wider  alle  verderber  der  deutschen  spräche*^, 
die  „Teutschen  Michels*^  und  den  „Sprach verderber. '^  Am  schluss  ist  ein  „Blat- 
weiser*^  hinzugefügt,  eine  bezeichnung,  die  allerdings  in  die  puristischen  bestre- 
bongen,  denen  das  buch  gewidmet  ist,  zurückversezt,  an  deren  stelle  aber  doch 
besser  das  gebräuchlichere  und  vor  allom  sinentsprechendere  „  inhaltsverzeichnis  ^ 
zu  gebrauchen  wäre.  Das  ganze  buch  zeigt,  wie  es  bei  der  vorwaltenden  ten- 
denz  selbstverständlich  ist,  das  streben  nach  absoluter  Sprachreinheit;  dass  diese 
aber  nicht  immer  gleichbedeutend  mit  Sprachschönheit  ist,  sieht  man  aus  bildungen, 
wie  „förmlich*^  u.  ähnL  Auch  sonst  finden  sich  eigentümlichkeiton  des  ausdrucks, 
z.  b.  „beschlagen*^  für  „betreffen^  (n^^  leztere  kann  höchstens  das  äussere  auftre- 
ten des  „ Palmordens **  beschlagen**  in  der  vorrede,  und  „modewörtem,  welche  die 
ausrüstung  des  ritters  beschlagen**  s.  2).  Wozu  sollen  solche  sprachschöpferische 
versuche  dienen?  Sonst  ist  die  darstellung  im  algemeinen,  bis  auf  einzelne  Über- 
gänge (s.  55,  65,  72)  gewant  und  gut  lesbar. 

LMPZIO.  G.   WITKOWSEL 


Berichtiguiig  zu  zeitschr.  XXII,  243.  244. 

Kinzels  anzeige  meiner  ausgäbe  des  könig  Tirol  in  Pauls  textbibliothek  möchte 
ich,  indem  ich  das  urteil  in  den  principiellen  fragen  (einrichtung  des  kritischen  appa- 
rats,  auswahl  dpr  Varianten,  metrik)  den  fachgenossen  überlasse,  nur  folgende  berich- 


502  BERICHTIOUNOBN  UN»  NACHRIGUTKN 

tigungon  beifügen.  Die  vermisste  Variante  zu  13,  6  steht  in  meiner  vorrede  8.  lY. 
20,  6  steht  nicht,  wie  Einzel  angibt,  her,  sondern  herre  in  MüllenhofEs  abdmck  der 
handschrifi  Ebenso  hat  die  handschrift  41,  2.  3  nicht  lugg^  sondern  lüg€,  gegen 
für  gefi  35,  3  ist  wegen  der  analogen  fälle  18,  2.  26,  6.  7.  30,  6  eingesezt  13,  3 
alhie  (nicht  cursiv  gedruckt)  und  20,  2  die  sind  zwei  leider  stehen  gebliebene  druck- 
fohler. 

HALLE,  20.  AUGUST  1889.  ALBERT  LEITZMANN. 


Zu  zeitschr.  XXII,  255. 

Durch  die  freundliche  vormitlung  des  herausgebers  dieser  Zeitschrift  macht 
mich  herr  prof.  Eettner  darauf  aufmerksam,  dass  die  von  mir  Ztschr.  XXII,  255 
angegebenen  quellen  für  Schillers  Mädchen  aus  der  fremde  schon  von  Boxbeiiger 
N.  Jahrb.  f.  phil.  und  pädag.  1868,  U,  10,  485 — 486  angemerkt  und  nach  dessen 
Vorgänge  auch  in  den  neuen  auflagen  der  kommontare  Yiehoffs  und  Düntzers  auf- 
geführt sind.  Ich  hatte  leider  den  nachweis  Boxbergers  übersehen  und  konto  durch 
Zufall  bei  der  niederschrift  der  miscellen  Düntzer  nur  in  der  1.  aufläge  benutzen. 

6.   ELUNOEB. 

NACHRICHTEN. 

Das  grabdenkmal  für  Julius  Zacher,  ein  einfacher  sycnit-obellsk  mit  einem 
treflich  gelungenen,  aus  dem  atelier  von  Paul  Reiling  in  Halle  hervorgegangenen, 
reliefbild  des  verstorbenen  in  bronce,  ist  am  27.  okt.  d.  j.  feierlich  enthült  worden. 
Den  freunden  und  schülom  Zachers,  die  in  freudiger  opferwilligkeit  unserem  aufrufe 
entsprochen  und  eine  würdige  ausführung  unseres  planes  ermöglicht  haben,  sage  ich 
hierdurch  im  namen  des  ausschusses  den  wärmsten  dank. 

KIEL,   NOV.   1889.  H.   GERING. 

Fünf  isländische  gelehrte  (Hannos  I^orsteinsson,  Jon  I^orkelsson,  Oli- 
für  Davidsson,  Pälmi  PÄlsson  und  Vald.  Asmundarson)  beabsichtigen  eine 
Zeitschrift  für  isländische  Volkskunde  herauszugeben,  die  den  titel  „Huld*^  fuhren 
soll.  Das  erste  heft  wird,  fals  ein  genügender  absatz  gesichert  ist,  im  frül\jahr  1890 
erscheinen.  Die  einzelnen  hefte,  von  denen  jährlich  mindestens  eins  ausgegeben  wer- 
den soll,  sind  auf  12  bogen  gr.  8  veranschlagt;  drei  davon  werden  einen  band  bilden. 
Der  preis  für  ein  heft  beträgt  2 kr.;  annieldungen  zum  abonnement,  die  zur  abnähme 
eines  bandes  verpflichten,  erbittet  der  buchhändler  Sigurdur  Kristjinsson  in 
Reykjavik. 

(jeh.  rat  professor  dr.  K.  Woinhold  in  Berlin  wurde  von  der  phUos.-hist 
klasse  der  kgl.  akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin  zum  ordentlichen,  prof.  dr. 
K.  Maurer  in  München  zum  correspondierenden  mitgliedo  erwählt  Die  kgL  bayr. 
akadomio  der  Wissenschaften  emante  prof.  dr.  £.  Sieyers  in  Halle  zum  correspon- 
dierenden mitgliede. 

Der  ao.  professor  dr.  Oskar  Erdmann  in  Breslau  folgte  einem  rufe  an  die 
Universität  Kiel  als  nachfolger  Fr.  Vogts;  der  ao.  professor  dr.  Max  Koch  in  Mar- 
burg wurde  in  gleicher  eigenschaft  an  die  Universität  Breslau  berufen. 


NEUE  ERSOHEINüNaEN  503 

Die  privatdoceuten  dr.  F.  Jostes  in  Münster  und  dr.  W.  Streitberg  in  Leip- 
zig sind  als  ordentliche  professoren  an  die  neubegründete  Universität  Freiburg  in  der 
Schweiz  berufen  worden. 

An  der  Universität  Leipzig  habilitierte  sich  dr.  Georg  Witkowski  für  neuere 
litteratur;  an  der  deutschen  Universität  in  Prag  dr.  Adolf  Hau  ff  en  für  deutsche 
Philologie. 

Es  starben:  am  13.  december  1889  zu  Elberfeld  der  professor  am  dortigen 
gymnasium,  dr.  Wilhelm  Crecelius  (geb.  zu  Hungen  in  Hessen  am  18.  mai  1828), 
seit  1871  mitarbeiter  unserer  Zeitschrift;  am  27.  december  1889  zu  Kopenhagen  der 
pastor  Carl  Joakim  Brandt  (geb.  am  15.  aug.  1817  zu  Nyborg),  bokant  als  her- 
ausgeber  älterer  dänischer  litteraturdenkmäler;  am  3.  Januar  1890  zu  Göttiogen  der 
ordentl.  professor  der  germanischen  philologie,  dr.  Wilhelm  Müller  (geb.  zu  Holz- 
minden  den  27.  mai  1812),  hochverdient  als  lexikograph  und  mytholog. 


NEUE   EBSCHEINTJNGEN. 


Steinmeyer,  £.,  Über  einige  epitheta  der  mhd.  poosie.  Prorectoratsredo 
4.  novbr.  1889.    Erlangen,  universitätsbuchdruckerei.    20  s.   4. 

An  nachweise  über  die  an  einem  erkenbaren  Zeitpunkte  beginnende  ausbreitung 
des  attributiven  gebrauches  von  klär,  teert,  kluoc,  gehiure  werden  weitgreifende 
bemorkungen  über  die  mhd.  dichtersprache  geknüpft. 

Müller,  W.,  Briefe  der  brüder  Jacob  und  Wilhelm  Grimm  an  G.  F.  Be- 
necke 1808  —  1829.  Mit  anmerkungen  herausgegeben.  Göttingen ,  Vandenhoek 
und  Ruprecht,  1889.    188  s.    8. 

Diese  briefsamlung  gewint  durch  die  mitteilungen  beider  brüder  über  den  gang 
ihrer  Studien,  sowie  durch  die  vielen  zwanglos  und  frisch  ausgesprochenen  urteile 
über  menschen  und  bücher  (z.  b.  v.  d.  Hagen  s.  17;  Lachmanns  Z.  G.  N.  N.  s.  88; 
Horlings  syntaktisch -stilistische  Studien  s.  137;  Rabener,  Geliert,  Gleim,  Uz  s.  159 
u.  V.  a.)  nach  vielen  Seiten  hin  hohes  interesse.  Einleitung,  noten  und  register 
des  herausgebers  erleichtem  die  benutzung. 

Schmitt,  F.,  Über  den  Ursprung  des  substantivsatzes  mit  relativpar- 
tikeln  im  griechischen.    Würzburg,  A.  Staber,  1889.    80  s.    8. 

Biese,  A«,  Das  metaphorische  in  der  dichterischen  phantasie.  Beitrag 
zur  vergleichenden  poetik.    Berlin,  A.  Haack,  1889.    33  s.    8. 

Die  heiligen  Englands.  Angelsächsisch  und  lateinisch  herausgegeben 
von  F.  Liebermann.    Hannover,  Hahnsche  buchhandlung,  1889.    XX,  23  s.   8. 

Odinga,  Th,,  Das  deutsche  kirchenlied  der  Schweiz.  Frauenfold,  J.  Hubers 
vorlag,  1889.    IV,  137  s.    8.    2  m. 

Marcus  evangelion  Mari  Luthers  nach  der  Septemberbibel  mit  den  les- 
arten  aller  Originalausgaben  und  proben  aus  den  hochdeutschen 
nachdrucken  des  16.  Jahrhunderts  herausgegeben  von  Alexander  Beif- 
ferscheid.    Heilbronn,  Gebr.  Henninger,  1889.    XII,  124  s.    8.    4,20  m. 


504 


Z.  flAGHBBGISTBB 


An  die  mltarbeiter  und  leser  der  zeitsclirlft. 

Da  meine  gegenwärtige  Stellung  mir  die  pflicht  auferlegt  hat,  meine  kräfte 
Yorwiegend  der  nordischen  philologie  zu  widmen,  erschien  es  mir  als  unabweislicbe 
notwendigkeit,  von  einem  teile  der  redaktionsgeschäfte  befreit  zu  werden.  Zu  meiner 
freude  hat  sich  mein  kollege,  professor  dr.  Oskar  Erdmann  hierselbst,  bereit  erklärt, 
vom  nächsten  hefte  ab  in  die  redaktion  der  Zeitschrift  einzutreten.  Die  arbeitsteilung 
wird  im  algemeinen  in  der  weise  statfinden,  dass  die  aufsätze  zur  ostgermanischen 
und  angelsächsischen  philologie,  zur  mythologie  und  altertumskunde  meiner  durch- 
sieht unterliegen  werden,  während  das  übrige,  namentlich  also  alles  in  das  gebiet 
des  alt-,  mittel-  und  neuhochdeutschen  einschlagende,  meinem  freunde  Erdmann 
zufält.  In  der  Überzeugung,  dass  diese  einrichtung,  durch  welche  natürlich  an  dem 
überlieferten  plan  und  Charakter  der  Zeitschrift  nichts  geändert  wird,  derselben  nur 
zum  vorteil  goreichen  werde,  bitte  ich  die  mitarbeiter  und  freunde  unsres  organs. 
ihm  auch  in  zukunft  teilnähme  und  tatkräftige  Unterstützung  zuzuwenden.  Briefe  und 
manuscripto  bitte  ich  in  zukunft  entweder  an  mich  oder  an  hcrm  prof.  Erdmaon 
(Eiol,  Lomsenstr.  16)  zu  richten. 

KIEL,  JANUAB  1890.  HUGO  GERING. 


I.    SACHREGISTER 


Akritas  siehe  Digenis. 

Albortinus,  Aegidius,  seine  bearbeitung 
von  Alcmans  Guzman  benuzt  von  Grim- 
molshauson  im  Simplicissimus  93 — 99. 
Vgl.  diesen,  Aleman  und  Frowdenhold. 

Aleman,  Mateo,  bearbeitung  seines  Guz- 
man von  Alfaracho  durch  Aegid.  Alber- 
tiuus  benuzt  in  Grimmeishausens  Sim- 
plicissimus 93 —  99.  vgl.  diesen,  Alber- 
tiniis  und  Frewdenhold. 

althochdeutsch,  konstruktion  von  kern 
9  — 12.  von  mugen  37 — 46.  absoluter 
gebrauch  38.  mit  objekt  38  fg.  mit 
dem  infinitiv  39 — 46.  vgl.  grammatik 
und  Notker. 

altsächsisch,  konstruktion  von  can  8  fg. 
von  ma{fan  36  fg.    vgl.  grammatik. 

A  m  a  1  i  a  s ,  herzogin  von  de ve ,  liedcrbuch 
397—426.  handschrift  398  fg.  inhalts- 
verzeichnis  399 — 405.  weinnachtsliod 
406  —  409.  gebet  an  Maria  409  fgg. 
lieboswerbung  411.  preis  der  liebsten 
411  fgg.  liebesglück  413.  tagelied414. 
auf  widersehen  414  fg.  abschied  415  fg. 
trennungsschnierz  416  fgg.  rosenkranz 
zum  abschiede  418  fgg.  au  die  ent- 
fernte geliebte  420  fg.  der  imgeschicktc 
liebhabiT  421  fg.    die  ungetreue  422  fgg. 

Armenisches  märchen  siehe  Schiller. 


Ami,  bruder,  bearbeiter  des  Eddacodex 
AM  242  fol.  und  Verfasser  der  4.  ab- 
handlung  131  — 134.    vgl.  Snorra-Edda. 

Balbi,  Gasparo,  quelle  für  Ziglers  Aiöa- 
tische  banise  75  fg.    vgl.  diesen. 

Blois,  Heinrich  graf  von,  in  der  franzö- 
sischen graldichtung  Borons  447  ig. 
siehe  Wolfram. 

Boren,-  Eobert  de,  le  petit  Gral  siehe 
Crestien  und  Wolfram. 

Brunius,  schauspiclcrtruppe  des  Job.  Heinr., 
ihre  bearbeitung  von  Ziglers  Asiatischer 
banise  206—213.     vgl.  Zigler. 

buch  imd  buche,  verwantschaft  468. 

bulgarische  märchen  und  sagen  als  ana- 
logien  zum  Tellschuss  siehe  Digenis  und 
Scniller. 

Colin,  Philipp,  und  Claus  Wisse,  Über- 
setzer der  französischen  graldichtung 
289  fgg.  293—311.  427  —  444.  siehe 
Wolfoun. 

Crestiens  conte  du  Graal,  seine  vorläge 
nicht  Guiot  von  Provins,  sondern  Ro- 
bert de  Boron  450  fg.     siehe  Wolfram. 

Digenis  Akritas  (Porphyrius,  Farfurius, 
Panthirios  oder  Panthir)  held  eines  bul- 
garischen epischen  gedichtos  103.  eines 
bulgarischen  märchens  104  fg. 

drama.  Ziglers  Asiatische  bamso  in  der 
dramatischen  bearbeitung  der  schauspie- 


I.   SACHBEGI8IEB 


505 


leiixuppe  des  Joh.  Heinr.  Bnmius  206 — 
213.  vgl.  Zigler.  —  J.  E.  Sohlegels 
dramen  siehe  diesen. 

Edda,  Snorra-,  brader  Ami  bearbeiter 
des  cod.  AM  242  foL  und  Verfasser  der 
4.  abhandlang  131  —  134.  älteste  ias- 
sung  der  abluiDdlang  135.  ihre  vorläge 
benuzt  im  ood.  iJi  242  fol.  135  f^. 
inhalt  der  ältesten  üassung  136  fg.  sie 
ist  die  einleitong  zum  Hdttatal  137.  art 
der  entstehung  und  Zusammensetzung 
der  jüngeren  fassung  137  — 144.  der 
Verfasser  der  abhandlung  u.  ihre  bedeu- 
tung  145  — 158.  Verfasser  der  ursprüng- 
lichen abhandlung  Soorri  145—50.  erklä:: 
rung  der  Übereinstimmung  zwischen  IE  u. 
in%  der  arbeit  Olaf  {)6raarsons  146  — 
149.  entstehung  der  doppelten  erklä- 
rung  der  figur  U  151  — 158.  der  jün- 
gere vergleich  der  spräche  mit  dem 
isländischen  baispiel  152 — 156.  der 
ältere  vergleich  (des  Snorri)  mit  der 
Symphonie  156  fg.  text  159  —  164. 
übereetzong  164  fg.  erklärung  der  bei- 
den figuren  165  fgg.  —  über  die  ent- 
stehung der  ursprünglichen  Snorra-Edda 
und  der  späteren  bearbeitung  366  fgg. 
Verzeichnis  der  abweichungen  des  cod. 
"Worm.  von  cod.  reg.  368 — 71.  nach- 
weis,  dass  AM  756  eine  flüchtige  ab- 
schrih  von  W  372  fg.  ursprünglicher 
umfang  und  einteilung  von  W  373  fg. 
das  Skaldatal  374  fg.  Zeitbestimmung 
Starkads,  königBagnars,  Bra^s  375  fg. 
todesjahr  Gunnlau^  376.  Gizur  svarti 
und  gullbrä  nicht  identisch  376  fg.  des 
lezteren  beiname  377.  Unterscheidung 
von  zwei  HallbJQm  hall  377.  —  Lieder - 
Edda,  ursprüngliche  aufzeichnung  der- 
selben in  runen?  468. 

Ernst,  herzog,   keine  Spielmannsdichtung 

478.    vgl.  Orendel. 
Farfurius  siehe  Digenis. 

Frandsci,  Erasmus,  quelle  für  Ziglers  Asia- 
tische banise  77 — 80.    vgl.  (Sescn. 

Frewdenhold,  Martin,  seine  fortsetzung 
des  Alemanschen  Guzman  de  Alfarache 
93 — 99.  vgl.  Aleman,  Albertinus  und 
Grimmelshausen. 

Friesen,  die:  erklärung  ihres  stark  aus- 
geprägten reol^tsbewusstseins  258  fgg. 
Things  gerichts-,  nicht  volksversam- 
lungsgott  260.  erklärung  der  namens- 
form 261.  alaisiagen  =  die  erhabenen 
gesetzseherinnen  261  —  264.  doutung 
von  Bede  undFimmilene  264  fgg.  bod- 
und  fimmelthing  266  fg.  deutung  von 
Bede  als  pugnatrix  267  fg.  des  bod- 
things  als  stroitgericht  269.    von  Fim- 


milene  als  ultrix,  des  fimmelthings  als 
Strafgericht  269^.  hauptheiUgtum  des 
!nus  lliings  in  Almenum  270  fg,  der 
lucus  Baduhennae  in  Bafflo  271.  Orts- 
namen von  Fimüine  gebildet  271  fg. 
liud-  und  Tiuthing  272  ig,  Tip  Badu- 
nat  und  Frithunät  272  fg.  Es-thing 
273  fg.  Tiu  Saxing  274.  sonstige .  frie- 
sische gerichtsstätten  274.  Tiu  Ächte 
275  fg. 

Gautier,  Gauchier  siehe  Walter  vonDunsin. 

gotisch,  bedeutung  von  kumian  4  fg.  kon- 
struktion  5 — 8.  magan^  bedeutung  und 
konstruktion  33  —  36. 

graldichtung  und  gralsage  siehe  Wolfram. 

grammatik.  können  im  gotischen  4 — 8. 
im  altsächsischen  8  fg.  im  althoch- 
deutschen 9 — 12.  im  mittelhochdeut- 
schen 12 — 33.  entwicklung  der  bedeu- 
tung von  können  13  — 16.  —  mögen  im 
got^chen  33 — 36.  im  altsächsischen 
36  fg.  im  althochdeutschen  37—46. 
im  mittelhochdeutschen  46 — 57.  ein- 
zelheiten  und  nachtrage  57  —  60.  vgl. 
gotisch,  altsächsisch,  althochdeutsch, 
mittelhochdeutsch.  —  urgermanische  er- 
haltung  des  e  trotz  scheinbar  folgenden  i 
249.  erhaltung  des  e  bei  folgendem  e, 
das  erst  Sjpäter  zu  %  wird  249  fg.  Suf- 
fixe -t7,  -*r  bewirken  umlaut  250.  kon- 
sonantische hindemisse  dos  wandeis  von 
e  zu  i  250.  zeit  und  ausgangspunkt 
des  lautwandels  c  >•  i  250  fgg.  —  an- 
gebliche Spaltung  des  indogermanischen 
im  perfekt-  und  aoristpraesens  aus  einem 
stamabstufenden  urtypus  495.  erklä- 
rung des  j  in  Zeitwörtern  mit  wurzel- 
haftem g",  ö,  ö  496  fg.  —  über  die  not- 
wendigkeit  der  berücksichtigung  laut- 
licher Veränderungen  bei  syntaktischen 
Untersuchungen  459  —  62. 

Grimmelshausen  benuzt  im  Simplicissimus 
des  Albertinus  bearbeitung  von  Alemans 
Guzman  und  die  fortsetzung  des  Mar- 
tin Frewdenhold  93  —  99. 

Herder,  zwei  stücke  der  Volkslieder  von 
einfiuss  auf  Schillers:  Des  mädchens 
klage  255. 

Lachmanns  behandlung  der  Nibelungen- 
frage 465  fg. 

Lefranc  de  Pompignan  siehe  Schlegel. 

lügendichtung  des  Schuepperers  aus  einer 
handschrift  des  germanischen  museums 
317—320. 

Luther,  entstehungszeit  des  Lutherliedes 
252  fg.  oberdeutsches  glossar  zur  bibel- 
übersetzung  in  dem  Basler  nachdrucke 
des  Thomas  Wolf  325  —  336. 

märchen.  analogien  zum  Tellschuss  in 
siebenbürgischen  m.  100 — 114. 


506 


I.    8ACHBE0I8TEB 


Metastasios  Didone  siehe  Sclilegel. 
minnegesang.    ausdmck  des  natorgefühls 

im   m.   und    in    der   Vagantendichtung 

455  fg. 
mittelhochdeutsch.   A:an>  ontwicklung 

der  bedeutung  13 — 16.    absoluter  ge- 
brauch 16.    mit  substantivischem  Objekt 

16—21.      mit    dem  infinitiv   21—33. 

mugen  46 — 57.    absoluter  gebrauch  47 . 

mit  Objekt  47  fg.    mit  dem  infinitiv  48 

—  57.    vjl.  grammatik. 
Morolf,  datierung  des  gedichtes  477.  481 

fgg.  Morolfstrophe  486  fgg.  vgl.  Orendel. 
MüUenhoff  imd  Scherer,   althochdeutsche 

denkmäler  466. 
Nibelungenlied,     über    den    stil    des   N. 

457  fg.  —   Lachmanns  behandlung  der 

Nibelungenfrage  465  fg. 
Notker.    schluss  seiner  rhetorik  aus  einer 

Brüsseler  handschrift  277—286. 

OrondeL  die  dem  gedieht  zu  gründe  lie- 
gende sage  470.  analogien  zwischen 
dem  2.  teile  des  gedichtes  und  dem 
des  Eother  470  fg.  der  grundbostand 
der  Orendelsage  470  —  476.  datie- 
rung der  urspningliohen  form  des  ge- 
dichtes 476  —  487.  angebliche  ent- 
stehung  des  Orendel  vor  Morolf  und 
dem  jüngeren  Oswald  477.  datierung 
dos  lezteren  478  fgg.  Herzog  Ernst  kein 
Spielmannsgedicht  478.  datierung  dos 
Morolf  481  fgg.  angebliche  historische 
anhalte  zur  datierung  des  Orendel  483  fg. 
kulturhistorische  484  fg.  sprachliclie 
485  fg.  die  Morolfstrophe  =  ursprüng- 
liche form  des  originales  486  fg.  Unter- 
scheidung von  älteren  und  jüngeren  be- 
standteilen  487  fg. 

Oswald,  der  jüngere,  datierung  478  fgg. 
vgl.  Orendel. 

Panthirios,  Panthir  siehe  Digenis. 

passional.  Dresdener  bruchstucke  des  pass. 
K  321  —  324.  aovisches  bruchstück 
aus  dem  2.  teile  324  fg. 

Philologie,  zweck  und  begriff  der  (ger- 
manischen) ph.  462  fg. 

physiologus.  Augustin  über  die  fulica  237. 
handschriften  des  ph.  238.  erklärung 
der  Verbreitung  der  tiergoschichtiichen 
züge  in  weitere  kreise  240  fg.  einwir- 
kung  auf  die  fabeldichtung  des  mittel- 
alters  241. 

Porphirius  siehe  Digenis. 
quodlibet  des  XV.  Jahrhunderts  aus  einer 
Münchencr  handschrift  312  —  317. 

roman.  Ziglers  Asiatische  banise  60 — 92. 
168  —  213.  vgl.  diesen.  —  quellen  zu 
Grimmeishausens  Simplieissimus  93 — 99. 
vgl.  diesen. 


Bother,  könig,  analogien  zwischen  diesem 

und  Orendel  470  fg. 
runen,   bedeutung  des  wertes  468.    vgl 

Lieder -Edda, 

Scherers  und  Müllenhoffs  althochdeutsche 
denkmäler  466.  Scherers  bedeutung /or 
die  germanische  philologio  467  fg. 

Schillers  Wilhelm  Teil:  Analog» 
zum  Tellschuss  in  einem  siebenbür- 
gischen  märchen  99  — 102.  in  dem  bul- 
garischen von  Digenis  103  fgg.  vd.  die- 
sen; schuss  des  Serbenhelden  MOoscli 
102.  analogie  in  dem  szekler  märdieo 
von  Tschalo  Pischta  106  fgg.  in  einsa 
armenischen  märchen  109  fgg.  in  einem 
zigeunermärchen  111  — 114.  —  Des 
mädchens  klage,  beeinflusst  von  zwei 
stücken  der  Herdorschen  Volkslieder  255. 

Schlegel,  Job.  Elias,  seine  Dido  ab- 
hängig von  Lefrancs  de  Pompignan 
Didon  231.  Verhältnis  zu  Metastasios 
Didone  232.  —  aufführung  des  ins  fran- 
zösische übertragenen  Arminius  in  Paris 
nach  Grinmis  bericht  232  fg.  —  Canat 
von  Lessing  erwähnt  234. 

Schnepperer.  der.  eine  lügendichtung  von 
ihm  aus  einer  handschrift  des  germani- 
schen museums  317  —  320. 

Serbisches  märchen  siehe  Schiller. 

Siebenbürgisches  märchen  siehe  Schfllet. 

Snorris  tätigkeit  an  den  grammatischen 
abhandlungen  der  Snon*a-Edda  siehe 
diese. 

Szekler  märchen  siehe  Schiller. 

Tellschuss,  analogien  dazu  aus  slavi- 
schon  märchen  siehe  Scliillcr. 

tordarsons,    Olaf,    tätigkeit    an    der   JIl. 

grammatischen  abhandlung  der  Snorni- 

Edda  siehe  diese. 
Vagantendichtung,      ausdmck    des    natur- 

gefühls   im    minnegesang    xmd    der   v. 

455  fg. 

Wackemagels  Jugend  466  fg. 

Walter  von  Dunsin  (Gauher  de  Donot 
(»auchier  de  Doudain) ,  sein  gedieht  vou 
Parcivals  gralsuche  (=  Bemer  manu- 
script)  445  fg.     vgl.  Wolfram. 

Werben,  um  städte.  in  einem  Schwei- 
zer gedieht  aus  dem  jähre  1676  336' fj:. 
zwei  weitere  Personifikationen  der  Schweiz 
in  Gengenbachs:  Der  altEydgenoss33T. 
und  in  der  dramatischen  bearbeitung 
des  Joh.  Casp.  Wissenbach  337  fg.  in 
n.  Sachsens  klaggespräch  der  Stadt 
Nürnberg  dieses  als  fräuloin  33S  fg. 
andre  beispiele  dazu  aus  dem  16.  Jahr- 
hundert 339  fgg.  Nürnbergs  vier  fniu- 
lein  in  H.  Sachsens  lobspruch  341.  in 
üedern  auf  die  belagenmg  Magdeburgs 


n.    YEHZEICHinS  DKB  BBSPBOGHENEN   STELLEN 


507 


Chiistus  der  yerlobte  der  Stadt  342  fgg. 
ähnliche  anschaunngen  in  liedem  des 
16. 18. 19.  Jahrhunderts  344  -  347.  Ak- 
tion eines  liebesverhältnisses  zwischen 
Leipzig  und  Gustav  Adolf  347  fg.  Nürn- 
bergs und  "Wallensteins  349.  Vergewal- 
tigung Magdeburgs  durch  Tilly  349  fgg. 
ähnliche,  aufStrassburg  bezügUche  Ue- 
der  351  fgg.  gespräch  zwischen  Eng- 
land und  miyter  353.  lied  auf  die  be- 
lagerung  Rheinfelds  1678  353.  auf  die 
Schlacht  bei  Malplaquet  354.  aufereig- 
nisse  des  siebenjährigen  krieges  354  fg. 
dramatische  Verwertung  der  umkehrung 
des  gedankens  355  fgg.  sowie  in  lie- 
dem des  16.  und  17.  Jahrhunderts  357 
—  360.  flUm  Städte  werben"  in  Schen- 
kendorfschen  und  Rückertschen  liedem 
360  fg.  in  liedem  aus  dem  deutsch - 
französischen  kriege  361  fgg.  in  Uh- 
lands  Konradin  und  Scheffels  Trompe- 
ter 363  fg.    beispiel  aus  neuster  zeit  364. 

"Wisse,  Claus,  und  Philipp  Colin,  Über- 
setzer und  bearbeiter  der  französischen 
graldichtung  289  fgg.    vgl.  Wolfram. 

Wolfram  von  Eschenbach,  es  gibt 
keine  gralsage,  sondern  nur  eine  gral- 
dichtung 287.  erstes  werk  über  den 
gral:  Robert  de  Borons  le  petit  gral 
287  fg.  deutsche  bearbeitung  der  fran- 
zösischen fortsetzungen  von  Crestiens 
Ck)nte  du  Graal  durch  Claus  Wisse  imd 
Philipp  Cohn  289  fgg.  exemplar  der- 
selben in  der  Casanatischen  bibliothek 
zu  Rom  291  fg.  Inhaltsangabe  293 — 
311.  427 — 444.    die  französischen  vor- 


lagen 444 — 451.  Parzivals  gralsuche 
nach  dem  gedieht  Walters  von  DuDsin 
{=  Bemer  manuscript)  445  fg.  vgL  die- 
sen. Borons  dichtung  446 — 450.  am 
Schlüsse  des  ei-sten  teiles  beziehung  auf 
lokale  Verhältnisse  (Heinrich  graf  von 
Blois)  447  fg.  unter  Borons  nachahmem 
auch  Cresfien  450  fg.  vergleich  der 
französischen  graldichtung  mit  der  deut- 
schen 451 — 454. 

Ziglers  Asiatische  banise:  bibliogra- 
phisches und  biographisches  60  anm.  1. 
fortsetzungen,  bearboitungen,  nachah- 
mungen  62  anm.  2.  beliebtheit  des 
buches  62  fg.  litterarhistorische  ur- 
teile 64  fg.  inhaltsangabe  65  —  68. 
komposition  68  —  74.  88  fgg.  Ver- 
hältnis zu  Balbi  75  fg.  vgl.  diesen, 
zu  Erasmus  Francisoi  77 — 80.  vgl.  die- 
sen, zu  sonstigen  quellen  81.  geogra- 
phische und  naturhistorischo  excurse 
des  Werkes  82  fg.  Übertragungen  deut- 
scher verkehrsarmen  84  fg.  kriegs- 
schilderungen  85.  sonstige  europäische 
reminiscenzen  86  fg.  lok^förbung  87  fg. 
ausblicke  auf  das,  was  kommen  soll 
90  fgg.  kunstmittel  168  fg.  figuren  des 
romanes  169 — 183.  mittel  derdarstel- 
lung  183 — 189.  spräche  und  gefühls- 
welt  dos  dichters  189 — 200.  sprich- 
wörtliche redewendungen  200  fgg.  an- 
spielungen  auf  europäische  zeitverhält- 
nisso  202 — 205.  vergleich  der  drama- 
tischen bearbeitung  der  Bruniusschen 
trappe  206  —  213.    vgl.  diesen. 

Zigeunermärchen  siehe  ochiller. 


n.    VERZEICHNIS  DER  BESPROCHENEN  STELLEN. 


Eine  lausavisa  desHromundr 

halti  s.  383  fg. 
Beowulf 

901—915  s.  385  — 393. 
1404—1407  s.  393— 397. 
Altdeutsche   predigten    (od. 
Schönbach)  H  B. 
5,  4  s.  115  fg. 
8,  10  s.  116. 
12,  30  s.  119. 
19,  8  s.  116. 
19,  24  fgg.  s.  116. 
28,  10  s.  116. 
30,  18  s.  116. 
37,  8    s.  116. 
42,  11  s.  116. 
45,  37  s.  116  fg. 
50,  2—4  S.118. 


51, 

10 

s.  117. 

51, 

37 

s.  117. 

52, 

14 

s.  117. 

54, 

24 

s.  117. 

55, 

16 

s.  117  fg. 

63, 

37 

s.  118. 

65, 

24 

s.118. 

73, 

1 

s.  118. 

80, 

2 

s.  118. 

81, 

12 

s.  118  fg 

83. 

13 

s.  119. 

103. 

,  8 

s.  119. 

104, 

20 

s.  119. 

119, 

23 

8.  119. 

119, 

33 

s.  119  fg 

121, 

4 

S.120. 

126, 

13 

s.  120. 

131, 

16 

8.120. 

135,  22  s.  120. 

137,  20  s.  118. 

145,  7     s.  120. 

145,  9    s.  120. 

147,  17  s.  120. 

151,  16  s.  120. 

152,  30  s.  118. 
156,  3  s.  120. 
162,  39  s.  120, 
167,  15  8. 120. 

König  Tirol 

9,  5  s.  244. 

29,  6  s.  244. 

36,  7  s.  244. 

38,  5  s.  244. 

41,  2.  3  s.  244. 
Orendel 

228  s.  490. 


ou» 

m.  WOBfBMISIlB 

Orendel 

1405  8. 490. 

232  8. 490. 

1446  8. 490. 

401/4.  407/12  8. 490. 

1509  8.490. 

458  8. 490. 

1587  8. 490. 

507  8. 490. 

1632  8. 490. 

666  8.490« 

1637  8. 490. 

894  8. 490.' 

1661  8.490. 

973  s.  490. 

1788  8. 490. 

1205  8. 490. 

1874  8. 490. 

1284  8. 490. 

1878  s.  490. 

1299  8. 490. 

1888  8.  489. 

2429  8. 
2496  8. 
2590  8. 
3148/9 
3173  8. 
3227  8. 
3454/5 
3490  s. 
3647  8. 
3806  8. 


489. 

490. 

490. 

8.490. 

490. 

489. 

8.489. 

472  fg. 

490. 

489. 


m.    WORTREGISTER. 


Altfriedsek. 

Aoht,  Aohte  8.  274  fg. 
Actavia  8.  276. 
alae8iagen  8.  261. 
Almenum  8.271. 
Axing  8.  274.  276. 
Baduene,  Badwene  8.  268, 
Badun&t  s.  272  fg. 
Bafflo  8.  271. 
Bangstede  8. 274  fg. 
Bede  8.264—270. 
Berstede  8. 274  fg. 
bodthiug  (bed-  bada-)  s.  264 

—270. 
Es-thing  8.  273  fg. 
Fimel  8.  272. 
Pimmilone  8.264—270. 
fimmelthing  8.264—270. 


Frithnn&t  8. 273. 
lindthing  s.  272  fg. 

Öchtleburen  8.  274  fg. 
Saxing  8.  274. 
ThiQg8  8. 265  fg. 
Tiathing    8.  272  fg. 

Altnordisch. 

hQfudstafir  8. 144  anm.  1. 

Mittelhoehdentsch. 

bongen  (bouc)  s.  490. 
8tung  (stunge)  s.  117. 

Kenhoehdeatseh. 

abweyhon    (boi   Goethe) 
8.  254  fg. 


beith&n  8.  329. 

byenen  (bie)  s.  330  und 

anm.  1. 
fSle  8. 330  fg. 
feige  8.  330. 
feil  8. 331  fg. 
Molinge  s.  331. 
gemang  s.  332. 
Schulter  s.  334. 
schiebt  s.  833. 
schifflend  s.  329. 
stufe  s.  334. 
tappe  s.  335. 
verdachter  s.  335. 
walgung  s.  330  fg, 
wansinn  s.  835. 


't-i 


Hallo  a.  S.,  Bachdrackorei  des  WaiHonhauflCfl.