Google
This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct
to make the world's books discoverablc online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
Äbout Google Book Search
Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web
at|http: //books. google .com/l
Google
IJber dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nu tzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books . google .coiril durchsuchen.
1
'. • ■■ w;! ■■■
d
■'
■
• 1
8 *
. . •'
-• •
■• • •.
<
,V ■ •? tyi».
'<. -•
V V.; v.*\f.-•
- '•
■ • ;■.••'!»•/•
■-.. • •• . VV;-:
■ .• ■. ••'* ■
' > .Ü"' • ;' ■ -
■^vW* ■^■•■^'^/- •^.■•'^•'■■^-
••-••i,-i.- ■^■. •-■v'>. -■■.... •**:•
"•■'■ . .■ ;. • • *••■ •■■■.« •^•- • . .-il
- ^ J /■
G>
(fl^'l
ZEITSCHRIFT
r
FÜR
DEUTSCHE PHILOLOGIE
BEGRÜNDET von JULIUS ZACHER
HERAUSGEGEBEN
VON
HUGO GERING
ZWETUNDZWANZIQSTER BAND
HALLE A. S.
VERIJIQ PER BUCHHAITOLUNO DES WAISEITHAUSES.
18 90.
•% * //.->- ... — ' -*
. L. ■ »
■^
vR. iiq\ w.
Inhalt.
Soit»
Die bedoutungen und der syntaktische gebrauch der verba kötmeti und mögen
im altdeutschen. Ein beitrag zur deutschon lexikograyhie von W. Kahl . . 1
Über Ziglers Asiatische Banise. Von G. Müller-Frauenstoin .... 60. 168
Eine quelle des Simplicissimus. Von R. v. Payor 93
Zum Tellenschuss. Von H. v. Wlislocki 99
Untersuchungen zur Snorra Edda. I. Der sogenante zweite grammatische trak-
tat. Von E. Mogk 129
I>ie alaisiagen Bede und Fimmilene. Von H. Jaekel 257
Zu Xotkers Rhetorik. Von P. Piper 277
Über den bildungsgang der gral- und Parzivaldichtung in Frankreich und Deutsch-
land. Von San Marte 287. 427
Ein quodlibet Von K. Euling 312
Eine lügendichtung. Von demselben 317
Zum Passional.
1. Dresdner bruchstücke aus Pass. K. Von A. Neumann 321
2. Clovisches bruchstück. Von F. Schroeder 324
Ein unbckantes oberdeutsches glossar zu Luthers bibelübersetzung. Von P. P i e t s c h 325
Um Städte werben und vorwantes in der deutschon dichtung dos 16. und 17. jhs,
nebst parallelen aus dem 18. und 19. I. Von L. Fränkel 336
Zwei vers Versetzungen im Beowulf. Von E. Joseph 385
liederhandschriften des 16. und 17. jhs. Das liederbuch der horzogin Amalia
von aeve. Von J. Bolte 397
Vermischtes.
Gudbrandur Vigfusson. Nekrolog von K. Maurer 213
Zu der frage nach der ontstehungszeit dos Lutherliedes. Von 0. Ellingor . 252
Abwcihcn. Von II. Morsch 253
Des mädchens klage. Von G. Ellinger 255
Eine lausavisa des Hrömundr halti. Von H. Gering 383
Zu ztschr. XXII, 93. Von demselben 384
Bericht über die Verhandlungen der deutsch -romanischen section der XXXX.
versamlung deutscher philologon und Schulmänner in Görlitz. Von Tli. Siebs 455
Berichtigung zu ztschr. XXII, 243. 244. Von A.Lcitzmann 501
Zu ztschr. XXn, 255. Von G. Ellinger 502
Nachrichten . . • 128. 256. 384. 502.
Neue erscheinungen 503
An die mitarbeiter und loser dor Zeitschrift Von H. Gering 504
IT INHALT
Soite
Littcratur.
Altdeutsche predigten, heraosg. von A. Schönl^ach U; angez. von F. Bech . . 1]')
Karolingis<:ho dichtungcn, untersucht von L. Traube: angez. von IL Althof . 121
Diedrich von dem Werder von 0. Witkowski; angez. von F. Robert ag . . 12.')
Die Edda, deutsch von "NV. Jordan; angez. von JI. Gering 128
Poetik von TV'. Scherer; Die einbildungskraft des dichters von "NV. Dilthey; Ifand-
bucli der jjoetik von H. Baumgart; Poetik, rhetorik und Stilistik von TV'. Wackor-
nagel; Pr>e8ie und prosa, ihre arten und formen von J. Metbner; angez. v<.»n
G. Ellinger 129
Joli. El. Schlegel von E. TVolff; angez. von TV. Croizenach 230
Gesclüchte des Physiologus von F. I^uchert; angez. von E. Voigt .... 28()
König Tirol, TViiisl^eko und TVinsbekin, herausg. von A. Leitzmann; angez. von
K. Kinzel 242
La littorature franvaise au moyen age par G. Paris; angez. von H. Buchior . 244
Die sage von Tristan und Isolde von TV. Golther; angez. von V. Kerckhoff . 24.')
Die natur, ihi-e auffassung und i>oeti8cho Verwendung in der altgerm. und mhd.
epik von (). Lüning; angez. von K. TV'e inhold 24C
TVahrheit und dichtung in Ulrich von lichtensteins frauendienst von R.Bock er;
angez. von demselben 247
Das erste staiiium des V-umlauts im germanischen von E. v. Borries; ango/..
von 0. Bremer 248
Edda Snorra Sturlusonar. Tom. III. Sumptibus legati Amamagn. ; angez. von
K. Mogk 8G4
Die ostor- und passions-spiele bis zum 16. jahrh. v(m L. TVirth; angez. von
H. Holstein .-^78
Fr. Nicolais Kloyner feiner almanach 1777 und 1778, herausg. von G. Ellinger:
angez. von J. Bolte 381
Grundriss der germanischen philoIogie, herausgegeben von II. Paul; angez. von
E. Martin 402
Orondel, herausg. von A. E. Berger; angez. von F. Vogt 4(kS
Untersuchungen über den satzbau Ijuthcrs von II. TVunderlich; angez. von
0. Erdmann 401
Goethe und die griechischen bühnendichtor von II. Morsch ; angez. von G. Kett-
ner 403
Indogermanische präsensbildung im gemianischen von G. Burghauser; angez. von
0. Bremer 404
Fr. Gottl. Kloi)8tocks öden, heraa*«g. von F. Munckcr und J. Pawel; angez. von
0. Erdmann 407
Die bestix'bungen der sprachgeselschaften dos 17. jhs für i-einigung der deut-
schen Sprache von II. Schultz; angez. von G. TVitkowski • . 400
Rogister von E. Matthias r»()4
DIE BEDEUTUNGEN UND DEß SYNTAKTISCHE
GEBEAUCH DEE VEEBA „KÖNNEN^^ UND „MÖGEN^'
IM ALTDEUTSCHEN.
EIN BEITRAG ZUR DEüTSCirEN LEXICOGRAPHIE.
Die vorliegende arbeit bezweckt eine eingehende, auf benutzung
eines ausreichenden Stellenmaterials gestüztc Untersuchung über die
bedoutungen und den syntaktischen gebrauch von können und mögen,
wie diese sich im ablauf der sprachgeschichtlichen entwicklung von Ul-
filas bis zum ausgang der mhd. periode liin, etwa bis 1350, darstellen.
Mögen und können werden uns anfangs als Zeitwörter mit schaif
ausgeprägter, sinlich fassbarer bedeutung entgegentreten, als sogenante
begrifsverba, jedes mit gesonderter bcschränkung auf ein bedeutungs-
gebiet: kömien bei Ulfilas = hciata^iai^ mögen = laxvco, dvvafAai
u. dgl. Almählich beginnen die grenzlinien zwischen können und
mögen zu vei-schwimmen und in einander überzulaufen; mögen gibt
noch früher als können seine prägnante bedeutung auf; bald dienen
boide vorba dem ausdruck blosser „möglichkeit." Mit dieser verblas-
sung der bedeutung geht die Verwitterung der verbalen kraft von kön-
nen und mögen hand in hand. Algemach sinken können und mögen
zur goltung von hülfsverben herab, die nach Jollys werten (Gesch. des
Infinitivs im idg. s. 175) nur noch als fulcrum des damit verbundenen
iofinitivs erscheinen; „das hülfsverbum dient dem infinitiv so zu sagen
als exponent, indem es tempus und genus bezeichnet, der infinitiv
dagegen, der nur als Verbalsubstantiv in unbestimter casuellor bedeu-
tung gefühlt wird, den reinen verbalbegriff ausdrückt."
Diesen process almählicher entwicklung des begrifsverbums zum
hülfsverbimi zu beobachten, soll unsere aufgäbe sein.
Im gegensatz zu den vorarbeiten, die wir weiter unten verzeich-
nen werden, denen wir reiche belehrung und manchen brauchbaren
gosichtspimkt verdanken, haben wir unser hauptaugenmerk daraufgerich-
tet, die semasiologischen und syntaktischen tatsachen nicht nur einfach
zu verzeichnen, sondern auch den gi'ünden nachzugehen, welchen jene
ZEITSCHBIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXU. 1
KAHL
tatsachen iliro entstehung und ihre innere berechtigung verdanken: wir
werden dieselben zum teil auf dem wege spraehpsychologischer beti-ach-
tung auffinden können.
Zudem waren wir bestrebt, nach möglichkeit Beneckes forderung
zu eifüUen: „Die aufzählung aller falle ist es, aus der sich gesetze
sowohl als ausnahmen ergeben" (vorrede zum Iweinwb.); nicht in dem
sinne zwar, dass wir das ganze überreiche Stellenmaterial auch mitteil-
ton: sondern so, dass wir unsere resultate allerdings aus einer durch-
forschung und prüfung möglichst aller falle hervorgehen Hessen, in den
belegstellen uns aber mit einer auswahl des \\'ichtigsten und bezeich-
nendsten begnügten.
So haben wir die got, altsachs. und ahd. denkmäler volständig
für die zwecke unserer arbeit verwertet; von den mhd. denkmälem
sind folgtuule von uns durchgearbeitet und für unsere Untersuchungen
berücksichtigt worden. Aus dem XI. Jahrhundert:
MüUenhoff-Scherer Denkmäler usw.- 1867, z. t.; mit Scherer
betrachte ich das jähr 1050 als grenze zwischen ahd. und mhd.
(vgl. Scherer Q.-F. XII, 1 — 10, Lttgsch. s. 780, Wackernagel
Littgsch. I », s. 38).
Wiliirams Paraphrase des hohen liedes ed. Seemüller, Q.-F.
XXVIII.
Genesis und Exodus, citiert nach selten und zeilen der ausgäbe
von Diemer 1862.
Annolied ed. Bezzenberger 1818.
Aus dem XII. Jahrhundert:
Willirams Hohes lied erklärt von Rilindis und Herrad ed.
J. Haupt 1864 (Hpts. Hl.).
Könifi: Rother ed. v. Bahder 1885.
Heinrich v. Melk (H. v. iL Pr. =» priesterlebeu; Er. = erinnerung)
ed. Hoinzt.'! 1867.
Des Minnesangs Frühling (MF.) edd. lAchmann - Haupt ^ 18S2.
Heinr. v. Veldeckes Eneide (En.) ed. O. Behaghei 1882. (Seine
lieder s. MF.).
Aus dem XIII. Jahrhundert:
Hartmann v. Aues e|)eo: wegen der citate (A. H. -= armer Heinrich :
iirvar. — Grv^mus: Er --=- Erec: Iw. = Iw^in) verweise ich auf die
noch zu uoimende arbeit vuqv. Monsterberg Ztsohr. f.d. ph. XVllL
Wolfram v. Esohenbach ed. K. Laohmaun^ 1872 (1. ■-- lit^der:
Fkn. » FkndTal: llt » Titurel: Wilh. == WiUehalm).
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 3
Gotfried v. Strassburg Tristan und Isolde (G. Trist), cd. Mass-
mann 1843. Lobgesang (= Globg.) ed. Haupt Z. f. d. a. IV", 513;
zu G. Trist, die fortsetzung von Ulrich v. Türheim (ülr. Trist) in
Massmanns ausg.
Der Nibelunge Not (Nib) und Klage (Kl) ed. Lachmann^ 1878
(mit besonderer berücksichtigung der hs. Varianten).
Gudrun (Gudr.) ed. Martin 1872.
Walther v. d. Vogelweide (Walth.) ed. Lachmann ^ 1853, mit hiu-
zuziehung der ausgäbe von Wilmanns 1882.
Fridanks Bescheidenheit (Frid) ed. Bezzenberger 1872.
Sachsenspiegel (Sachssp.) ed. Homeyer 1861.
Borthold v. Regensburg (Berth.): als probe die bei Wackernagel
Altd. Isb. s. 878 abgedruckte predigt über Mtth. 5, 1.
Konrad v. Würzburg Alexius (AI.) ed. Haupt Z. f. d. a. III, 534.
Klage der kunst (Kl.) ed. Joseph QF. UV.
Engelhard (Eng.) ed. Haupt 1844.
Goldene schmiede (Gold, schm.) ed. W. Grimm 1840.
Der Weinschwelg (Weinschw.) ed. Vernaleken. Germ. III, 210.
Aus dem XIV. Jahrhundert:
Boners Edelstein (Bon.) ed. PfeifiPer 1844.
Nicolaus V. Jeroschin (Jer.) ed. Pfeiffer 1854.
Ulfilas eitlere ich nach der ausgäbe von Bernhardt 1875; He-
liand nach C bei Sievers 1878; die übrigen alts. denkmäler nach
Heyne Ifl. altnd. denkmäler 1867; die Sanct-Galler Benedictiner-
regel (B-R.) nach Hattemer I, 28 fg.; Isidors Hispal. de nativ.
dorn. (Is.) ed. Holtzmann 1836. Murbacher hymnen (Murb. h.) ed.
Sievers 1874.
Tatian ed. Sievei-s 1872; Otfrid ed. Kelle 1856; Notker ed. Pi-
per 1882/3 [Boeth. = Boethius; Mcp. = Mart Capeila; cat =
categorien; de interpr. = de interpretatione; ps. = psalmen (unter
zuhülfename von R. Heinzel und W. Sc her er Notkers psalmen
nach der Wiener hs. 1876)].
Die ahd. glossen (Ahd. gl.) ed. Steinmeyer-Sievers 1879/82.
Es erübrigt noch die benuzte litteratur zu verzeichnen:
Benecke Wörterbuch zu Hartmanns Iwein 1833.
Grimm Gesch. d. d. spr.» 625. 627; Gramm. IV, 92; 138; 171.
Mittelhochdeutsches Wörterbuch I, 805b; II, 9b.
Deutsches Wörterbuch V (Hildebrand), VI (Heyne).
K. Lucae Bedeutung und gebrauch der verba auxiliaria im mhd. 1868.
1*
£AHL
4
r
Horak Über die verba praeterito-praesentia im mbd. 1876 (eine
liiichst ungenügende arbeit).
V. Monsterberg-Münckenau Der infinitiv nach wcUen und dei
Terba praeterito-praesentia in den epen Hartmanns v. Aue: Z. I
d. ph. XVin, 1 fg.; als ergänzung zu desselbc^n Verfassers: ^Dei
infinitiv in den epen Hartniauns v. Aue** (in Weinholds German
abh. T): eine arbeit, die volles lob verdient und von mir ausgie
big benuzt worden ist
A. Köhler Der synt gebrauch des inf. im got.: Germ. XTT.
Steig Über den gebrauch des inf im altnd. Z. f. d. ph. XYI.
Pratje Syntax des Heiland: Jalirb. d. Vereins f. niederd. sprachfor
schung XI, 1SS5.
M. Denecke Der gebrauch des inf bei den ahd. Übersetzern de:
Vra. und IX. jahrh. 1886.
0. Erdmann Untersuchungen über die syntax der spräche Otfrids
1874 6.
M. Erbe Über die conditionalsätze bei Wolfram: Paul-Braune V
1 — 50.
L Bock Über einige falle des conjunctivs im mhd. QF. XXVH.
Rötteken Der zusammengesezte satz bei Beithold v. Regensburg
QF. LIII.
Jolly Geschichte des int im idg. 1873.
0. Erdmann Gnindzüge der deutschen syntax I, 1886.
§ 1. KQuneu Im srotisehen.
Zwei wego stehen uns offen, wenn wir uns der bedeutung des
got. kunnan vergewissern wollen. Der eine bonüzt den glücklicher
umstund, dass die gotischen Sprachdenkmäler der übi*rsetzung eines
griechisohon Originals angehönui; der anden.* sucht kuunan im kreis(
I der urverwanten spnichou auf und stelt mit denni hülfe die bedeutung
des got. kauH fi^t
I Duivh den vergleich des griivhischen bibeltextes mit der gotischer
Übertragung können wir sonder mühe ermitteln, in welchem vorstel
i lungskivise «las got, hnimm heimisch gi^wesen ist: wir finden, dass
Ulfihus human d\uvhweg gritvh. /nimrxfir, yn-^iZuw elönat, f.Tiora-
ai^m ent^pnH'hen lässt (bt^legi^ vgl. unten); dies führt uns unmittelbai
in die sphäiv intelleetueller tiitigkeit, und wir sind beiwhiigt für kam
die bedeutung «ich erkeiuie, ich verstehe, weiss u. dgl.*' in ansprucl
zu nehmen. Von einem lünübi^rspielen nach mai/an kann für das
got noch durchaus keine nnle st^in. miyan dient dem ausdrucke des
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD.
physischen Vermögens und der objectiven möglichkeit, während für
ktinnan das bedeutungsgebiet des geistigen befähigtseins vorlbehalten
bleibt
Nur ein einziges mal wird o\öa durch mag widergegeben: I. Ti-
moth. 3, 5: jabai fvas seinomma gai'da fauragaggan ni viag, haiva
aikklesjon gups gakarqp = ei de tig rod Idiov oImov TtQoavfjvac oi'>t
oidev. Doch gerade hier, so glaube ich, ist mag vonTJlfilas mit beson-
derem bedacht gewählt worden: nach altgermanischer anschauung rei-
chen keutnis und wissen nicht aus, einem hauswesen vorzustehen: der
pater familias muss die kraft, muss die macht haben, selbst mit dem
Schwerte in der hand, sein haus zu schützen und zu. vei*teidigen. Die-
ser einzige fall, wo mag olda entspricht, darf also nicht als negative
instanz gegen das, was wir oben ermittelten, geltend gemacht werden.
Das ziel, dem uns diese betrachtung entgegengeführt hat, können
wir auch noch auf einem andern wege erreichen. Die Sprachverglei-
chung lehrt uns das got. kiinnan als glied einer familie urverwanter
Wörter kennen, denen die beziehung auf wissen, verstehen u. dgl.
gemeinsam ist (vgl. die belege bei Curtius Grundzügo der griech.
etym.* 178, dortselbst auch die verweise auf Benfey, Pott usw.). Zu
got. kann gehört u. a.: skrt. gnu, gändm. = kennen, griech. -y/yrw,
lat. gno'sco, no-tiis; ahd. knäan = cognosco usw. Die Sprachver-
gleichung bestätigt also durchaus das resultat, das wir oben durch den
direkten schluss von der gotischen Übersetzung auf das griechische ori-
ginal fanden.
Wir dürfen somit an die spitze der weiteren Untersuchung den
satz stellen, dass in dem ältesten der uns bekanten dialekte der ger-
manischen spräche, im got, dem verbum können die bedeutung des
erkennons, des wissens, des geistigen Vermögens zusteht
Wenn wir die reihe der syntaktischen fügungen überblicken, in
denen got kann auftritt', so muss uns das fehlen jeglichen iufinitivs
nach kann, der uns vom mhd. her so geläufig ist, auffallen. Schon
Grimm (Gr. IV, 92) ist auf diese eigentümliche tatsache aufmerksam
gewesen; er hat sie mit der bemerkung verzeichnet, dass einem inf.
nach kann nichts im wege stehe, da das ahd., alts., ags. und nord.
diese construction kennen; Grimm hätte noch hinzufügen können, dass
der inf. nach den synonymen icait, lais, man belegt ist (Köhler
Germ. XII, 429).
Wir sind nun in der läge den grund anzugeben, der aller Wahr-
scheinlichkeit nach das ausbleiben der infinitivcoustruction nach ka?in
verschuldet hat Es ist eine eigentümlichkeit der neutestamentlichen
6 KAHL
gnieiMtät, nach den verben des erkennens und wissens den inf. oder
aeo. 0. inf. zu vermeiden, dagegen die anknüpfung eines nebensatzes
mit Uli und iIk: zu bevorzugen. Nur einmal wird im Neuen testament
von /iiiiffzfii' ein intinitiv abhängig gt»maeht: Hebr. 10, 34: leider fehlt
hier das got.; nach ynoQt^eiv und hmatauai steht nie ein inf. (vgl.
Wahl Clav. nov. test phil. p. 87a, lOöb; Grimm Ltw. graeco-lat. in
libros novi test.* s. 81 b, 169a.) — döirat c. ace. c. inf. findet J?ich
zweimal: I. IVtr. 5, 9, wo das got. fehlt; Luc. 4, 41, wo das got. über-
sozt: irissetiun ^iUnm JVm/ii ifta irisan =^ fldeiaav loi' A'^. aviöv uvcu.
Der inf. nach oida tritt uns in 7 stellen entgegen, nur 3 gestat-
ten den vergleich mit dem gi>t: Phil. 4, 12 winl vldu dun-h laiii c.
inf. überstv.t; l.Thes, 4, 4 ist eicVi-ai /.rdo^ai = ci in'ti ya-
iitrtMan; I. Timotli. 3, 5 ohla = iwm/ wurde ben^its oben besprochen.
Sonst winl im X. t stets nach den verbis cognoscendi der inhalt der
orkentnis und di^ wissens in einem nachs^itz gi^gi'ben, der durch vu
oder Vti mit dem hauptsatze verknüpft ist. Nach dem vorliegenden
tatlH^stande haben wir also kein rw*ht dazu, das fehlen des infinitivs
nach hinnan auf rochnung einer principiellen abneigung der g^t. spräche
gi^gi»n dii>so syntaktische ausdrucksform zu setzen: nicht das got., son-
dern das griech, original trä*:t die schuld daran, dass innerhalb der
g\>t sprachroste der intinitiv nach hmn nicht nachweisbar ist
Wir können uns nunmehr der aufzählunc: der vers<"hitileuen svn-
taktisi'hen i\>nstructionen zuwenden, in denen hinn auftritt.
1. kann absolut ^rebraucht,
l. Kor. 13, 9 snman htnnnm ^fuh snuian pniufifj'.itti, Matth. 27,
l>r> ,NW>fi,vwY hinnnfi { i-v i>iÄ?ifU 11. Timoih. 1,1^, v,.n Schulze
(iiot. wb. 1847 s. 185) hierlier pi^stclt, j^^iört unter 111',
IL kann mit einem objektsaccusativ.
Mafth. 7, 23 fnUci ni k\whnn ku*il^i {}yt\jii fitn\^: Marc. 4. 11
iiNiffffii» runa />ifiA?«iMn^f(V< ^nT«ii?i lo uitTii'^wi^n: M.^rv. 4. 13 ftos
%t9linky^ns kfinnrif^ (iiic .i«r^.,i?ivi*Vc ;n.VtnK'^ft: Job, lix 3S un7* Jn fnik
afaiki^ it/iifNW pnm sinfnu^i {U<: of «i. H7^>i An^ ur iC>« v^., iiivrzu
IavK^ äu L Cor. 9^ 2oU Skcir V,i s.637; iuA**. ir* / *:7*.ii.s hin *ina'
H^w^wr iiir;n'fK Kpht^ 3, 19; M,^n\ i, 24 usxx.
lVp|H>ltor «^vu^i^tix lindot sich: Joh. 17, 3 n i>#'. .;/ ;.7 ;<»^.-t/oi-
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD.
III. kann mit einem abhängigen nebensatze.
a) Indirekter fragesatz.
Phil. 1, 22 jah hapar woljau, ni kamt (oö yt'ioQlCio)'^ Luc. 10, 22
jah ni hashiin kann, /ms ist sn?nts; Marc. 1, 24 kann puk, hos pu
is = olda ae rig ei. Marc. 14, 68 7ii nait ni kann, Iva pu qipis (ovy.
olda ot'cJ' i/tlavaf,iaL ri au Xiyeig).
b) Mit ei oder patei eingeleiteter nachsatz.
Klinghardt hat Zs. f. d. ph. VIII, 173. 176 die regel aufgestelt,
dass „der gebrauch von ei wesentlich an optativische, der von patei
an indicativische nebensatze geknüpft ist, weil patei gegen ei eine
stärkere bindung enthält*' II. Cor. 13, 5 pau nin kunnup ixims, patei
L Xr, in ixuns ist; Joh. 15, 18 kunneip (yiviooKeve)^ ei 7nik fniman
ixwis fijaida; Marc. 13, 28 kunnup, patei ?iefva ist asans: 11. Tim. 3, 1
kunneis, ei ... atgaggand; Joh. 17, 23 Imnnei so manaseps, patei pu
mik in^andides usf.
Passive formen von kunnan finden sich im got nicht; wie gewöhn-
lich nimt Ulfllas seine Zuflucht zur Umschreibung: so Phil. 4, 5; Eph.
3, 5; auch im griechischen original ist das passiv von yiviooMi} sehr
selten.
Die behauptung, welche wir an den anfang dieses abschnits stel-
ten, und welche, wie wir hoflen, durch die beigebrachten stellen bestä-
tigt worden ist: dass nämlich dem got. ka7m die logisch kräftige bedeu-
tung: ich erkenne, ich weiss u. dgl. zukomt, erhält noch eine stütze
durch den umstand, dass die got. spräche die fähigkeit besass, von
kunnan composita zu bilden. Denn auch darin zeigt es sich, dass
das got. kann noch nicht zum hülfszeitwort abgeschwächt ist, sondern
dass es seine volle kraft als begrifsverbum in ursprünglicher stärke
bewahrt hat
Ein schwaches verbum kmmwi ist bei Ulfllas nicht mehr beleg-
bar; denn I. Cor. 1, 21 haben Gabelentz-Loebe ohne grund das hand-
schriftliche ufkumiaida^ (= tyvio) durch kunnaida ersezt Die compo-
sita von kunnan erscheinen bald in der starken, bald in der schwa-
chen foim.
anaktinnan = dvayLVüta7,€iv, z. b. II. Cor. 1, 13; frakunnan =
dO^BTelv, YMzaqiQOvelvy vgl. Grimm Gr. IV, 689; atkunnan = jcaqixuv
Col. 4, 1; gakunnan stark = hcoidaaeo&ai I. Cor. 15, 28; schwach
=» yivioa'/,€iv; ufkunnan (praet ufkunpa) ^ i7tiyinoa/.£iv.
Auf diese composita, welche uns die bedeutung des einfachen
kunnan in gewissen nüancen zeigen, näher einzugehen, liegt für uns
S EAHL
keine Teranlassuiiir vor: wehren dt-s stelknmaierials >E-i auf Schulze
Göt. wb. s. lSi> fc. verwiesen.
Aus dt-n betrachningen, die wir bisbor g^pfl-.'iren haben, dürfte sie
en^-ben haben, dass das gt't. kattn jene diii\hsivhti^e. be^niäich gena
fassbaiv bi-deutunir u-X'h durchaus bewalin hat. avif welche uns de
venrkich des ir^tischen mit dem srritvhis^/hea oririnil s-jwie das vei
iiältnis zu den Temanien wC-nera der übri^vn lij. -prachen hinwies
erst l;lns^? nach der zeit, in welcher die «rot. spra.h i'-nksiäler entstar
den. hat können einbusse an sein-:r verbal-n kräft vrlineu, bis es. j
weiter wir uns v..»ra irot enrf.rnen, mehr un«i mehr zu einem hülfj
Zeitwort herab^resunkeu ist, d,ts irleichsam zu sein-r un:- rstützun^ eine
nachi^.^^zten infinitivs K^iarf, d^^m ^i-s eine e: jy niünilicL- mvHiale fai
bunsr verleiht, ••hne selbst eine mt-rkliche bedeiirLini: zu besitzen: vc
dem XII. jiihrhundert ied-xh hat dit-j^r venvitttnin^rrozesis nicht hi
ffonnen.
jS :2. Können Im alfsirhslsrlien.
Der ctbrauch dt>? :!:t:n:rlvs im ahnd. hat diirL-h >>::i: iZs. f. <
ph. XVIi tine S':Tir:al:iv>? b-hand'.viri: erfalirvn, w.\hv sich auch ai
die svntax von r'.i»» im Heliacd •.rsn^v'kt: die übrij^n ä\ztA. «irnkmäh
bieten k^in beispiel v.r. (-7h. >>^i^ Knierk: 1. \. s. :^>».»: .Nv»r unirei
führe ich uniir dt-c auxilian»:n c.,^s v/rt^um -7»* auf. -ia •>. winiirstei
im Hvliand. als Sv':ch-:> r.ioh: K:rach:'.T wonien d:ir:. Es erscheii
nämlich übt rwit-cx n • *-> trar.'^i'ivis v-:rb 1= n vi» n::: . b'rktsacv^-i
>ativ c-der mi: d«:r.: i:.::nitiv. In al'.i'-i fiilkr. is: die Krieumr.^ vc
rt?ii eine vi- 1 kräni^.ri, als man sie b-i rinem b". -ssv!: auvlüir erwa
KT und r..\h w..: tr.::\m: v,r. der !:a hhi: dis r.h:. k r.r.vn.-
Für viiv Krivv.f.ir.iT v,'n "i?*; i>t >> n^Urs v'::.ir..k:- r:>::-<h d
>:t".'v^H*/.. 7«4 ''.?i i\ »> ::'•?' 7«" c;:;. i, ' ■> :^*.»' '''■• -;<• •», v^. • i./n ;
dur\^hw.\: di-. ar.w.iidur.iTir. ^vr. ,•;^ im H- iand.
1. l\r abs::u:v c-brauoh v.n cm ^ :>: aus i-.:u Heliasd nie
ru ty"'.-:o: r-
11- , ;• r«i: i». ::, i b'ckts.'iv ciisativ \V r:.;v-. IVr ;vvusiU
I
Ä« . «*.»•■«, T.*.*. .\.«..\. 1'».* .T& . »•.^^- ^«. ..
' 111. Für ..}•; m:: einem iv.!:r.::iv b;-::: v::r H-".:;ind 4 bi
i Sil-:".-:; :?:^> •. ->r: "'.r '.ri,.-*;;: l^v^* •♦ . ', ; - -: •-«. . »it:iitniit
«... .
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 9
Bei 225 und 2650 legt uns der Inhalt des von can abhängig
gemachten Infinitivs [mahlean und seggian) die übereetzung „ich weiss'',
^ich verstehe'' unmittelbar nahe, die auch für 1669 passt: „sie verste-
hen nicht zu gewinnen."
2530 endlich bietet uns das erete beispiel einer construktion , die
uns im weitc^ren verlaufe dieser Untersuchungen noch öfters begegnen
wird: ein Substantiv, hier ein substantivierter Infinitiv, wird durch eine
praeposition (te) mit can verknüpft. Die erklärer wollen in unserem
falle meist eine ellipse annehmen (vgl. Grimm, Or. IV, 11). Ich folge
jedoch Steig, der 1. 1. s. 490 dieses can sehr glücklich mit giuuald
hebbian te vergleicht; er sagt: „Schon oben habe ich ausgeführt, welche
Schwierigkeiten das verbum can demjenigen bereitet, welcher es unter
die auxiliarien einrechnen will; auch imser beispiel zeigt eine leben-
dige, kräftige, nicht auxiliare bedeutung und steht einem ausdrucke
wie giuuald hebbian te ziemlich nahe" (vgl. Hei. 2162. 2327. 4518).
Das alts. besizt noch eine composition von cunnan : bicunnan;
es steht jedesmal mit dem objectsaccusativ und entfernt sich in der
bedeutung vom einfachen cunnan nicht. Es tritt uns entgegen: 1961.
4961. 5320. 5816; 3101 hat C: bi^canst merumcan sidon, M canst
Somit rät uns alles dazu, für das alts. so gut wie für das got.
die anfange jener bedeutungsabschwächung abzulehnen, welche im laufe
der zeit können ziun verbum auxiliare, zum kraftlosen hülfezeitwort
hat herabsinken lassen.
§ 3. KSiiueii im althochdentseheu.
Bevor wir zur darstellung der bedeutung und der syntax von kan
im ahd. übergehen, müssen wir des umstandes gedenken, dass kan in
den früh -ahd. denkmälern in geradezu auffallender weise zurücktritt.
Otfrid hat nur 5 beispiele für kan; bei Tatian und Isidor, in den fragm.
theot, der B.-R., den Murb. hymnen wird man vergebens nach einer
form von können suchen (chunnemes: Isid. XVIIIb, 10 und chunnet:
fragm. theot XVII, 12 gehören zu dem schwachen verbum kunnen:
vgl. Ahd. gl. I, 128, 13; Notker, Mcp. 79527; Graff IV, 411; Mhd.
wb. I, 810^; Bezzenberger zu Frid. 109, 2). Es ist uns möglich,
melu*ere stellen in Tatians evangelienharmonie mit den entsprechenden
Worten der got. bibel zu vergleichen und hierbei ergibt sich, dass da,
wo das got. formen von kunnan hat, Tatian uuixxan, fnrstantan und
ähnliches sezt: z. b. Mtth. 7, 23 patci fii hanhun kunpa ixuis ==
Tat. 42, 3 bithiu uuanta ih nio in altere iuuih uuesta; Mtth. 26, 72
kann = Tat. 188, 3 uueix; Mtth. 27, 65 kunnup = Tat. 215, 4 uuixxit;
'■ Jrth. li. 1.» ht,>»tu-h - Tat. ><i. •« h-hvfn: .[..h. IT-, l> kttnuäp - T;
; Ib'.t.i M»i:JI; .J.;.li. 17. i-l^aA A«h*.i - Tat. ITl'. J infi forslanle iif
t I^'i'i'-r liU-t si<-li ilas il'.-i-'li*? v-rialmn auf i>iil"r nwX «iit.- aiitl
I n-n ■■l".-ii ;:"nanMi fI>.-nkiiiiil>F »i-ht ar.w.-f.'i-.-r.. lu Tariaii:- u'urlsi'liii
: s>lih-iiit ab'>r kau ;rvlV-li!t zu haU-n. B-i N"ik-r tin>i»-n wir lam liäiil
!i:>-braiU'lit. Auf itiii niii^s-n wir iiiitJ l".i ü-.tii v-n-u-L-,-, aii> ilt-r all
üh.iTs-.'tzunL'slitt-ranir ili- lit-<i-iittiD:: v.,.n '>.»" zu vrniin'^ln. iK'si'hriinke
hierbei iliitli-n «ir ah>r Di.ht v.>r::».->-^-n , Jasü >"-ik»r «^s liobt, in fr*.'i
I wvis- ili" ahti. sprarli'.- d«-ni lat, .■ri-iu:il :?-:?: luih^r zu ;^-stalten lll
I iias.< er ik>hall' iii-lil iiiini>T j-ii- ir»u-- iil-n- tzunj l'i-u-t, wiMh-
I uns "liiiv wiii.n-5 »iiii.'di'-fit. •Um miiti v\a-< aliJ. \\"n'< iliiMi di
vcrjrliii'li iiii! 'V\\\ lai. "riL'inal I\.->t2ii-!' li- ii.
Ain'h ili>' i:l'ss>n iit-wähnii uii-: nur i:^nii:?f ausWuK-: würtfr w
jsi/h. (/!(//(.«.■.( H. it^I. »inj in il-n iii'-ist-ii f^I^n i" v^iständliob. d«
sie vin'^r i:l"^-:i'nms ni-Jit b'-iiirf'.n. K- jV.L-ii un> Qiir 3 ;:l'i>.*en i
j^-Iji.i.'. mit ,l.i>ii Imlf.' wir di-.- Kd-muii;: d-- a.hd. i«»« oniiiitvlu kö
ncn: Aiv in-i.- [Kira]t)ir.L<i< mtir. •hnnft hf — ■/'"-/ tJ»/ «/;».< vrftrn
(M':iD*e.T irl. ('■■i IVz 1. :i:;Oi inu:i.- v..rlaiirfj a-is-r a.;ht bl-iben.
E>ir j:!i>ssap' d«T korv>nisi.h-iirabjLi*''livn >i[ii*" — wie :?iviuim'y
sie iiout — habi'« lAhd. jrl. 1. -17'i i-:-fU '- Ä>'». JIA'Ih.- eine glos
bt'i IVz 1, ;{7l lautti: hm f-uoh -j.v«(«/.i.v .>f UtUrn.-^: i-iiie plw
zu ^i^J li..niil. in cvan;:. 1. (l iMii:tw lAWl j. lOy-'Al -- Ahd. j
II. 27ti '= sizt zu dtm lai. 't-hi'-n- r- ■,■■11 fiffui- : Hhii'mavh
Inli iti'/i'tn: üi- di- handM-hrift-ii !■ ui.ii r; •li-hmi l 'ntniinth i
t's Iiand.Ii si.'li um oim- i,Tisti:;.' mti|:k-:t ■.t.U-i-t..,:i: •k^lialb koi
zn iifttnuh si'tir «nl dto variain- -»'in liin.Mii:i-lui:t w.:rd.-n yul-inii
fjuii nur n-nh iHtV, IV, :>1. ;i;ti. Auf di" l-il-jutun;: hm ■— mm \i
sin lins aui'h t'.'UTmio ;:K'n^.« f>li:it.-x<.n: I. :','Ö-' .-■/'»'/(« — *■«,
."//■/d: I. 74^'' /■■'/(«« /« xt-fiiituiis - ift'in.-ti-i-r: II. 1>5 " rWf*
Zu d>>n ani;cfuliilini srloss-'n tritt lin v, rs li*^ M:Sll <il iuitin.>ic
tin Oarm-'n ;nl IV-um (viTfa>s[ S"Oi: /t!"- ^"'.-v> t'r->it m.xit} - p
ttfim filljn .s.w. »7( ,lftf. Hi.' ir'.ti. ln' b.-.i.u;iiiij >wisä-_-n-. .vcreti'lic:
b.'p%'n>>t uiH «Ulli n.vh durch«!-:; l'.i N'rkvr. Einii.-- d-r wit-hlipit
sti'ilni soiiMi hitT hor:iuSi.vli.d'ini; Mi']». 7iM ■': 'h'.i"<t - .«-*>,■ d
i!'l ■" 'Imii »(»(•/*,■ 717-' f<'i>j)"'.,v.; %..< n.;ii,.'„f, — impiii
.iri>il (■.■.».■ u<w. Mi']v 7i*"« '■■' vni.-.jinvhr» >:oli .i.in'fiH «V vhtiiin
l-fhftimii sih ^.l'-it im-l ./»v nilh--; > -■'■. .,.f.,:?. Mit dvroselb
sinn für d;(s rii-liti^v. mit Aem Nutk-r P-ith. 34:»-' ri.« iiilitm'iian
durv'li i'im* wt-nduiit: mit iliunntii widonrab. mit tfbcu dem fein'
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 11
sprachgefiihl hat or an unserer stelle dem lat. vaUierc keine form von
magan gegenübergestelt, sondern, da noscere = bec/iennen folgt, durch-
aus richtig chmnthi dafür gesezt ^
Für das ahd. bleibt also wie für das got. und alts. bestehen, dass
kunuau der sphäre des intellektuellen gescheheus angehört, dass es
„wissen", „verstehen" u. dgl. bedeutet Eine durchmusterung der syn-
taktischen fügungen, in denen uns kunnan begegnet, wird dieses resul-
tiit noch weiter bestätigen.
I. Der absolute gebrauch von kau
ist im ahd. nicht mehr zu belegen; da, wo laut scheinbar selbständig
steht, ist ein intinitiv aus den umgebenden Satzgliedern zu ergänzen:
so MiSD Gl, 8 pctöno inltjii soso ih c/utn (seil. pitteu)\ MSD 4, 2, 5
ihü biyuokn Uuodan so he uuola comla (seil, bigalun; die formel sös
er uuola coudu findet sich auch Otfr. I, 27, 31; vgl. MSD s. 276).
Mitunter weist ein ix auf den zu entlehnenden intinitiv hin: Otfr. I, 2,
42: in thiu l/iaz ih ix kunni (seil, thionon).
U. kau mit objectsaccusativ
liegt vor bei Otfr. III, 16. 7: uuio er ihio buah konsti (= Joh. 7, 15
yQcqufAara oldev, got haitra sa bokos kanu)^ vgl. die glosse Pez. I, 371:
kan buoh =- asscculus est lifteras. Der accusativ nach kan findet sich
weiter in der glosse Pez I, 320: uuax chunnot ir = quod est opus
vestrmn? Notker Categ. 434^: er man sie (artes) ehojidi; 4342«
tia (fiffuras geometricates) nimnan necJian; Mcp. 717 1^: anima ne-
choiidi nieht; 791^: uiiaiidn ouh til phihlogia musicam chanst;
Boeth. 111^^: alle die aslrono7niam chmmeu. Die bedeutung „wis-
sen", „verstehen" tritt in den angeführten beispielen besonders deut-
lich her>'or.
III kan mit infinitiv.
Nichts führt in den — relativ — zahlreichen stellen, die wir
hierfür beibringen können, über die ursprüngliche bedeutimg von kun-
nen hinaus. Es zeigt sich dies darin, dass die Infinitive, welche zu
kan gesezt werden, demselben vorstellungskreise entstammen, dem kön-
nen selbst angehört: sie beziehen sich durchweg auf eine handlung,
welche entweder selbst eine denktätigkeit bezeichnet oder eine solche
zur notwendigen Voraussetzung hat; so ist der infinitiv durch ein ideel-
les band, durch verwantschaft des inhalts, aufs engste mit kan verknüpft
Können wird ahd. stets von personen ausgesagt, auch darin zeigt es
sich, dass die ursprüngliche bedeutung „wissen", „verstehen" noch
nicht aufgegeben ist. Die personiflcationen , welche sich namentlich bei
12 KAHL
Xotker finden (z. b. Mcp. 791 M können hiergegen nicht geltend ge
macht werden. Niemals findet sieh ahd. kan mit dem unpersönliche)
Subjekte ex, ii verbunden. .
Es folge die aufzählung einiger infinitivconstructionen. Sehr häufij
VK';r<-gnet uns die Verbindung chaH beehenucn, miUxen, fernemcn
z. b. Xotker Mop. 798^^ chunnhi UchcHHcn sih selben; 809*; 698-
fj4'sinnf:n chunne: Categ. 715-^ (hau uuiweu; Ps. 118, 127 nechun
den .... irf'hcunf'tt: (cod. St. Gall. hat nechonden — irchiesen)
Ps. 91, 6 )iechuunen hcehettnen: vgl. weiter Boeth. 335^*; 347 -^
Otfr. I, 1, 120; ilSD 83, 69 f/ic/natna . . bidcnrhan usf. Nicht aus
sdiliejislich auf intellektuelle tätigkeit bezogen sind folgende infinitivc
bimidan Otfr. IV, 5. 10; da\ rcth uurchen MSD 86 B 1, 24; ginto
ijcn MSD 91, 231; Notker Boeth. 15^® (jeaniuurten ; 47*^ gesagcn
65*- =-"•; 139 22: xc gote .. fuuden; Ps. 34, 11; 49, 19; Mcp. 791»*
Categ. 434-'^ usw. In allen diesen beispielen darf aber die Übersetzung
J\r\\ weiss*, «ich vei-stehc^, „zu tun*^ mit vollem fug aufrecht erhalte
werden; nichts nötigt uns, die verblassung von kuttnan schon für da
ahd. anzunehmen.
Überblicken wir noch einmal die in diesem abschnitt geführt
Untersuchung, so ergibt sich, dass ahd. hafi in bedeutung und syntat
tischer anwendung vom got. und alts. ktuntmi sich höchstens dadurc
unterscheidet, dass die infinitivconstructionen nach kan in grösserer
umfange auftreten als im alti?. oder gar im got, für welches diese syu
taktische ausdrucksform nicht nachweisbar war. Da wir aber zeige
konten. dass «las ausbleiben des infinitivs nach got kann auf einer
Zufall beruht, dass es dem griechischen (»riginal weit eher zur last z
l<*gr-n ist als der gotischen Übersetzung, so dürfen wir in dem umstand«
«lass das ahd. den adverbialen infinitiv bei kan in relativ grosser auj^
«h'linung kent, nndi keine abschwächung von können zum verbur
auxiliare erblicken, zumal jene infinitive so gewählt sind, dass sie m
dem inlialte von können sich wo nicht ganz decken (bcchennen, unii
Arn usw.) so «loch aufs engste berühren (gc.sagen, geantuurtcii u. dgl.
Aneh im ah«I. ist also von einer al)nahme der altererbten intellektuelle
kraft des begrifsv^-rbunis können nichts zu spüren: die ersten vurbote
j«.'ner verwitt«*rung tauchen in den frühesten denkmälem des mhd. auf
§ 4. KSuiieii Im mlttelhochdcnt^ehen.
Bevor wir zur darstellung der syntaktischen Verhältnisse von kön
n<*n im sprachgebraucho d(*s mhd. übergehen, empfiehlt es sich, folgend
betrachtung algemeinerer art vorauszuschicken.
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 13
Nach der jezt vorhersehenden ansieht haben wir in dem inflnitiv
den erstarten casus eines Verbalsubstantivs zu erblicken und zwar einen
dativ, der das ziel oder die richtung einer bewegung ausdrückt (etwa
= ad. c. ger.; die näheren belege s. bei v. Monsterberg, der infinitiv
in den epen Hartmanns von Aue s. 59).
Der infinitiv, der zu können hinzugefügt wird, hat die aufgäbe,
dem wissen oder verstehen, welches durch können nur algemein bezeich-
net ist, die richtung auf ein bestimtes ziel anzuweisen, chanst du
mir gesagen (Notker Boeth. 47 20) heisst nicht: kennst du das sagen,
yiyydKTxeig tö liyeiv, sondern bist du wissend, intellektuell befähigt in
bezug auf das sagen, etwa = sdeiis ad dicendum. Mit dieser anschau-
ung verflicht sich das bewusstsein, dass der, welcher so spricht, eben
durcli sein wissen und seine kentnisse die mittel besizt, deren er zur
erreichxing jenes Zieles bedarf, das in dem infinitive gesagen ausgedrückt
ist Diese mittel sind bei dem ursprünglichen verbum können intel-
lektueller natur.
Es hat, so lange die alte bedeutung von können noch besteht,
nur dann einen sinn mit können einen infinitiv zu verbinden, wenn
erstens der, von dem das können ausgesagt wird, eine person oder eine
als person gefühlte sache ist: denn es wäre gegen den geist der spräche,
die sich noch des ungeschmälerten besitzes des begrifsverbums können
erfreut, wenn man einer sache ein wissen, ein verstehen zuschreiben
wolte. Der infinitiv kann zu jenem kan, welches „ich weiss'', „ich
verstehe" bedeutet, zweitens nur dann liinzutreten, wenn das ziel, auf
welches das können sich richtet, auch wirklich auf intellektuellem woge
erreichbar ist: denn nur in diesem falle befähigt das wissen zur errei-
chung des Zieles. Für das alts. und ahd. treffen diese beiden Voraus-
setzungen noch stets ein; einereeits wird kan nur persönlich gebraucht,
anderseits gehen die infinitive, welche zu ka7i hinzutreten, aus dem
bereiche solcher handlungen, welche durch Veranstaltungen geistiger art
verwirklicht werden, nicht heraus.
Im mhd. werden diese bedingungen jedoch nicht immer und über-
all erfült Wir finden können mit sachlichem Subjekte oder auch ganz
unpersönlich gebraucht; der infinitiv, der dem können den weg weisen
soll, erstreckt sich oft auf handlungen, über welche das wissen und ver-
stehen kein anrocht mehr hat, deren Zustandekommen oft geradezu von
körperlichen mittein abhängt Die benifung auf die ursprüngliche
bedeutung von können genügt in diesem falle nicht mehr. Das intel-
lektaelle moment, das dem alten kayi so charakteristisch zueignet, wird
bei dieBen gebraucbsweisen kaum mehr gefühlt Es bleibt nur noch
14 KAUL
der aiisdruck der befiihigung zu einer tätigkeit, ohne dass die geistige
voraussetyamg jenes fiiliigseins noch hervortritt; mit andeien Worten:
die sp(»zielle bedeutung „durch wissen befähigt sein" wird durch die
algcMneinere „überhaupt befähigt sein'' verdrängt. Vom Standpunkte
der nhd. spräche aus nehmen wir keinen anstoss daran, können im
sinne des algemeinen möglichmachens zu gebrauclien. Wir sagen: „ich
kann lesen, „lateinisch sprechen" usw.; aber auch: „ich kann noch ge-
sund werden", d. h. es besteht für mich die möglichkeit zu gesunden,
oder gar: „ich kann dies oder jenes gewicht haben", wo an eine ver-
niitlung geistiger art zwischen dem Subjekte und dem Objekte gar nicht
mehr gedacht werden darf.
Man vergass also im laufe der zeiten, dass können auf dem besitze
geistiger kräfte ruht, die das könnende Subjekt zur erreiclumg irgend
welchen Zweckes in bewegung sezt; man behielt nur die algemeine
voi-stellung davon, dass der könnende überhaupt die fahigkeit hat, auf
die faktoren, welche eine handlung in ihrer entstehung bedingen, so
einzuwirken, dass die Überleitung aus der blossen möglichkeit in die
Wirklichkeit gewährleistet ei*scheint So kam es, dass man können in
beziehung zu verben sezte, welche der sphäi'e geistigen geschehens, der
können ursprünglich ausschliesslich angehörte, fremd gegenüberstehen.
Der begrifl' der möglichkeit, nicht mehr das band intellektueller fahig-
keit, verknüpft jezt kan mit seinem infiuitive. Es war nur eine etappe
auf diesem wege, wenn man sich schliesslich nicht mein* scheute, durch
den zu hau gesezten infinitiv auch solche handlungen andeuten zu las-
sen, welche von der ausübung körperlicher tiitigkeiten abhängen odoi
durch die constellation äusserer umstände bedingt sind, über welche
uns die macht entzogen ist
Aus dieser betrachtung ergeben sich die kriterien, aus denen wir
erkennen, ob wir es mit einem reinen, ui*sprünglichen, oder mit einem
abgeblassten können zu tun haben. Wii* sagten eben, dass die Ver-
witterung der verbalen kraft von können solche iufinitive in die nähe
von könn(*n führte, welche mit intellektueller tätigkeit nur an sein
wenigc^n punkten sich berühren. Wir schliessen nun rückwärts: wenn
der infinitiv nach Ican eine handlung bezeichnet, die zu ihrer verwirt
li(;hung geistiger beihülfe nicht bedarf, wenn das band der inhaltsver-
wantschaft zwischen kan und seinem infiiütive gelöst ist, so ist uns
dies ein anzeichen dafür, dass kmt nicht heisst: ich verstehe mich aul
etwas, ich bin geistig befähigt in der und der richtung tätig zu sein,
sondern ganz algemein: für mich besteht die möglichkeit, dass diese
oder jene faktoi*en so zusammenwirken, dass ihnen die geplante band-
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 15
lung entspriDgen kann. Auf der anderen seite können wir folgende
betrachtung anstellen: dem alten können komt naturgemäss nur ein
persönliches Subjekt zu; es widerstrebt dem Sprachgefühle von einem
dinge ein können im sinne des wissens auszusagen. So finden wir
auch im goi, ahd. und alts. können nur persönlich gebraucht Seit
dem XII. Jahrhundert begint sich liier ein wandel zu volziehen. Die
spräche trägt kein bedenken mehr, auch nicht-menschliche Subjekte zu
trägem eines könnens zu erheben. Wir werden weiter unten einige
Zwischenstufen aufzeigen, welche von dem persönlichen gebrauche zu
dem sächlichen hinüberführen. Zulezt hat man die alte kraft von kön-
nen so sehr vergessen, dass man sogar ein ex, das inhaltloseste und
schwächste aller grammatischen Subjekte, für stark genug hielt, einem
können als stütze zu dienen.
Das sind die kriterien, die uns bei der aufführung der belege für
jenes abgeschwächte können zu leiten haben werden: einmal der ver-
änderte Charakter der infinitive, die zu kan in abhängigkeit treten;
sodann die Verknüpfung von kan mit sächlichen und unpersönlichen
Subjekten.
Bei den bisherigen Untersuchungen sind wir von der feststellung
der bedeutung ausgegangen, um auf diesem wege eine sichere grmid-
lage für das Verständnis der. syntaktischen construktionen zu gewinnen.
Pur das mhd. wird diese Voruntersuchung kaum nötig sein, da kan im
ahd. noch die rein intellektuelle bedeutung „wissen", „verstehen" durch-
weg bewahrt hat Wir dürfen getrost annehmen, dass diese bedeutung
zunächst auch in das mhd. übergegangen ist. Der volständigkeit hal-
ber soll hier nur auf einige glossen verwiesen werden, die zur bestä-
tigung dieser annähme dienen können. Die ausbeute, welche uns die
mhd. glossare gewähren, ist freilich sehr gering. Man wird die mei-
sten der erhaltenen mhd. glossare und vocabulare (Mone, Quellen I,
273. 300; Mone, Anz. f. k. d. d. vorz. IE, 47. IV, 81. 93. 231. 489.
V, 84. 229. VI, 210. 337. 435. VH, 194. 297. VEH, 93. 247. 489.
H. Hoffmann, Sumerlaten. Mhd. glossen 1834, W. Wackernagel,
Vocab. optimus. 1847, zusammen mit mehreren nur handschriftlich
erhaltenen vocabularien und ersten drucken benuzt von Diefenbach,
Gloss. lat-germ. med. et inf. lat: Suppl. zu Ducange) vergebens nach
einer form von können durchsuchen. Der vocabular des Niger Abbas
(ed. M. Flohr, Strassb. stud. III, 1) bietet n. 4372/73 s. 74: scienda
kunst; scientificus künstiger; aus Mainzer Voc. bringt Diefenbach s. 518
sciens kunstich, scientificus kunstwiser^: wir dürfen daraus rück-
schliessend kunnefi = sdre festsetzen; auf die gleiche bedeutung führt
16
uns die bezeichnende stelle: Gudr. 286, 1 uir Launen z niht beschei-
den noch icissenx nihi ze sagen.
Im mhd. hat also die alte bedeotung knnnen = seire noch be-
standen: dass dieselbe aber mannigfeche abschwächongen eriitten hat,
wird die folgende Untersuchung zeigen.
Wir wenden uns nunmehr der erurterung des syntaktischen ge-
brauchs von können im mhd. zu.
I. Absoluter gebrauch des mhd. han.
Im Mhd. wb. I, S05b ist mit recht bemerkt, dass ein absolutes
kan aus dem mhd. nicht belegbar ist, dass an allen den stellen, an
denen kan scheinbar selbständig steht, ein Substantiv oder ein infinitiv
zu ergänzen ist Dortselbst ist eine anzahl solcher scheinbar absoluter
kan besprochen, die durch die annähme einer ellipse sieh ohne mühe
erklären lassen: Iw. 7684; Wig. 34; Gotfr. Trist 90 2- ; pf. Konr.
117 2* usw. Es wäre ein leichtes, das hier gebotene Stellenmaterial
noch beliebig zu vermehren, da fast jeder mhd. schriftsteiler von der
auslassung des inf. oder subst nach können gebrauch gemacht hat
Doch verzichte ich darauf, noch näher auf diese leicht verständliche art
der ellipse einzugehen und weitere bel^e, die mir reichlich zu geböte
stehen, herbeizuschaffen. Nur auf eine gattung dieser ellipse möchte
ich hier noch kurz aufmerksam machen. Bei mögen tritt die auslas-
sung des Infinitivs öfters dann ein, wenn der unterdrückte infinitiv eine
bewegung bezeichnet: es genügt hier die blosse angäbe der richtung,
welche die bewegung nehmen soll, dureh ein ortsadverb oder dgl., z. b.
Nib. 576, 2 tcess ich, irar ich mchte: Gudr. 734, 4 dax si nindert
mngeu xuo den sträien. Bei knunen dagegen findet sich diese ellipse
weit seltener; sie liegt vor z. b. in Gudr. 1124, 2 so si aller besle
dan mit ir sehe ff en kiinden; G. Trist 465^ ine kan iceder dar
noch dan,
n. kan mit substantivischem objecte.
a) im accusativ.
Der aufzählung der beispiele, welche diesmal in grösserer volstän-
digkeit als sonst erfolgen soll, will ich die bemerkung vorausschicken,
1) Was mit der iid. plosse fwscere hekytmen (Mono Quollen 1, 307) anzu-
fangen Ist, weiss ich nicht; Schiüer-Lübbon Mud. wb. I, 209 Wiegen nur beken-
nen; zudem wäre können y nicht kynnen nd.
KÖNNEN UND MÖGEN Df ALTD. 1?
dass der gebrauch des objektsaccusativs nach kunnen gegen das ende
der mhd. zeit in deutlich wahrnehmbarer abnähme begriffen ist: es
hängt dies damit zusammen, dass lunnen überhaupt im mhd. eine ste-
tig zunehmende abschwächung erfahrt. Bei den höfischen dichtem des
XIÜ. Jahrhunderts findet sich jener gebrauch noch in ziemlicher aus- *
dehnung: bei Gotfried habe ich z. b. 40 hierher gehörige fälle gezählt;
im vülksepos tritt die construction zurück. Gudrun hat sie 10 mal,
Nib. gar nur Imal (254, 1); Konrad v. W. bietet in mehreren seiner
werke keinen beleg, so im Alex, und in der Gold, schm., im Engelh.
nur 3; Xicol. v. Jeroschin und Boner verwenden kan in der erwähn-
tei weise auch nur je Imal. Über die spärlichen reste des accusativs
Mch können im nhd. handelt Hildebrand im D. wb. V, 1725. An
ibigenden stellen ist mir objektsacc. nach mhd. kan begegnet:
MSD 30, 75 sie kumien alle liste; 31, 6 tvant st diu bnoch chun-
den; 37, 2, 5 sich suer dir icht ebresckin kan; 96, 19 chaji er des
heiligen glouben nihL
Will. 58, 16 sacramenta scripiuramm; 118, 5 discreiionem odoris
et foetoris.
Gen. 102 ^^ list
Roth. 1029 rede.
Hpts. Hl. 5, 7 vil ist des ivir kunnin.
Heinr. v. M. Pr. 66 geinüi7iex biivort; 453 ex (sc. gotcs tcort);
544 vil der buoche,
il. F. 22^® der (witxe unde sinn) niht enkan; 33^* der besten mdxe
niet; 1012» maxe; 132" uax; 138 ^^ so vil; im^^aldax; 180 32.
192 2' dax.; 1943^ rät; 207» des ich niene kan.
Kneit. 1518 rat; 1803 tvech; 2281 wonders vele; 4559 trech; 6394
et; 6568 dat; 8790 et; 9408 list; 9746 rede; 10229. 10232 et;
11241 liste; 11392 geivonne.
^artmaun Iw. 5318 riterschaft; 6201 dax; 7301 süexes; Er. 5188
xoubers kraft; 7368 dingcs ahte; 8748 list; Greg. 954 rede; 1407
huoche; 1409 mere.
>Vülfram. Parz. 55, 19 franxoys; 85, 18 wälhisch spräche; 96, 30
sUch; 104, 26 dax; 115, 27 bnochstap; 147, 28 vil; 193, 9 des
— niht; 439,21 icidersax; 490,30 ivax Wunders; 641, 28 xtiht;
796, 16 künste. Wilh. 90, 3 tröst; 94, 26 niht bcxxers rätes;
110, 4 spil; 192, 12 spräche; 233, 6 liste; 237, 6 franxeijs;
278, 18 dienest; 295, 27 uenie; 408, 14 krte. 1. 7, 13 niuivex
singen.
%£ITSCURIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 2
18 KAHL
Gotfr. Trist. 27 ^ xouberlist; 55^ hovespil; 57^^ scMchxahelspü;
58^ list; 6811 guotes; 6922 walMige; 79 28 da^; 90 ^^ ift/cs iht;
90 21 it;eiAcr Aa7^(fe; 93 i^ seitspil; 93 2» es; 94 * seii^pü; 94 i«^
vrcmeder zungeti iht; 94^^ fo/e; 95^ a/fe^,* 95^2 ,<jpi/^- 99^"^
kunst; 108^'^ v^uoge; 120'^'^ ambet; 121^^ dorne; 122^^ dax;
1231® dax; 17537 /^./. 19037 umnder; 191^ höfsckeit und vuoge;
19426 Zis/ t^/i£2ß kunst; 194^® fremder spräche vil; 197 1® des —
!>//; 1992 seitspil; 201 ^^ da;t-; 201^7 t;wo(/e; 201 »^ sprdclie; 202*
t^o^e; 2151» spräche; 219 25 lantspräche; 249 1« sp//; 272 ^ w'a^
wimders; 273*® Imitspräche ; 326^7 umnder; 404^7 /jj;^/, — lobg.
31, 1 fces/e — rföx.
Ulr. Trist. 511 1^ /a^aWe; 553i* list
Wigal. 235 seitspil; 334 spräche; 561 e;;^; 1060 sträxe,
Nib. 254, 1 erxcnte.
Gudr. 4, 2 affes des genuoc; 51, 2 da^s:; 342, 2 ;:i2^A/; 358, 3 ez;
359, 3 sivttnke; 374, 4 w^'se; 383, 4 stimme; 714, 1 eto;?;
1056, 2 e;i.
Walth. 1821 guotes; 43 1^ mäxe; 46 ^ «t'i^se; 48 ^^ «/;a.T,- 51 1® :?:o2/-
6er/ 56^ list; 58 2« tvunder; 73 2^ yj/^^ were; 73 2^ flüechc;
103 3^ guotes; 115 2c tvunder rede; 116 ^ fuogc; 116 2» /ä/
Frid. 8, 2 gehuben; 44, 6 untrimve; 57, 13 swax; 65, 19 &>/;
66, 22 (70/es ww/e; 70, 20 c?es glauben niht; 75, 5*^ fc/; 78, 16
to//is/; 79, 11 Z/sZ; 80, 7 reffe; 115, 7 kunst
Konr. Engelh. 89 dix alles; 756 schächxabel unde seit&nspil; 4073
vil umnders,
Weinschw. 67 dax.
Berthold v. ß. 38, 34 (Pf. I) schal (vgl. ßötteken 1. 1. s. 118).
Leyser prod. 12, 29 dinch; 67, 24 scrift; 76, 40 bmch.
»
Bon er 20, 4 kluogJieit
Nie. V. Jer. 1, 304 dutsdiis.
ßülmann 139, 13 sträxe.
Das Mhd. wb. I, 805b und Lexer, Mhd. liwb. I, 1778 bieten
noch einige weitere beispiele aus Lanz; MS; Benner; Wgast usw., die
nochmals auszuschreiben es sich nicht der mühe verlohnt, da in ihnen
dieselben substantiva widerkehi-en, die wir schon beobachtet haben
(z. b. sträxe, uege, pnocfiCy rät u. dgl.).
Zum schluss sei noch darauf hingewiesen, dass der accusativ bei
kan uns können noch als volkräftiges begrifsverbum zeigt
KO.VNEN UND MÖGEN IM ALTD. 19
b) Substantivische Objekte durch eine pracposition mit Ican
verknüpft.
Bisher haben sich, so viel ich sehen kann, nur zwei forscher auf
dem gebiete der mhd. syntax über den gebrauch der praepositionen
nach mhd. kimnen ausgesprochen: J. Grimm und Lucae. J. Grimm
erklärt Gr. IV, 138 die anwendung der praep. aUy xe, mit (andere sind
nicht nachweisbar) bei kumien in folgender weise: „Man darf einen
Infinitiv supplieren, der ungefähr das, was unser nhd. „umgehen", aus-
sagt; da es aber mhd. hiess: mit triuiren varn (Parz. 167, 29; 322, 21;
mit Worten varn Iw. 7685; mit ir varn Tw. 3960; mit saelden varn
Wig. 8634), so kann ganz gut die übliche ollipse von „fahren" bei-
behalten werden." Diese erklärung scheint algemeine billigung gefun-
den zu haben (vgl. Martin zu Gudr. 285, 4); sie ist auch vom mhd.
wb. adoptiert worden. Widei-spruch gegen sie erhob Lucae (Über
bedeutung und gebrauch der mhd. verba auxiliaria s. 15), der die
annähme einer verbalellipse ablehnt, weil die bedeutung von kiinnen
„boscheid wissen, bekant sein mit" die Verwendung der praep. nach
hinnen volkommen genügend erkläre; ich kan mit riterschaft sei zu
übersetzen: ich weiss bescheid mit ritterlichem tnn. — Einen eigent-
lichen beweis hat Lucae für seine ansieht nicht erbracht; ich möchte
ihn im folgenden antreten. Zunächst verweise ich nochmals auf das
üben besprochene beispiel Heliand 2531 can te githenkeamie , welches
wir mit Steig durch die Umschreibung: „ich habe intellektuelle kraft,
gewalt zu" erklärten. Sodann sei folgender umstand hervorgehoben:
viele der substantiva, welche mit an, xe oder mit an kaii angeschlos-
sen werden, lassen sich auch in der form des objektsaccusativs bei Ican
nachweisen; das nötigt uns, einen Zusammenhang zwischen beiden con-
struktionen, dem objcktsaccusativ und der praepositionellen anknüpf ung,
anzunehmen. Ferner finden wir mehrere dieser substantiva mit jeder
der nach hnnnen üblichen praepositionen verbunden. Welten wir also
mit Grimm eine verbalellipse annehmen, so müste das zu ergänzende
verbum so gewählt sein, dass es zu an, xe, mit passt: für varn trift
(las nicht zu; welches analogen liesse sich beibringen zu varn an rtter-
Schaft? Auch sonst wird sich kaum ein verbum finden, Avelches dem
erwähnten anspruche voll genügt.
Es wird von der annähme einer verbalellipse bei kan mit praep.
abzusehen sein; wir haben vielmehr in dem gebrauch der praepositio-
nen nach kunnen ein anzeichen für eine besonders kräftige bedeutung
von kunnen zu erblicken: mhd. kan c. praep. berührt sich aufs engste
mit alts. can te githenkeanne. Zu vergleichen ist weiterliin der gebrauch
2*
der praep. nach wixxeji (Mhd. wb. III, 786'), z. b. Walth. 41 ^^ tmsic
ich niht umh nngimmch; Wolfr. Pai'z. 532, 16 timb solheu kiimher ich
niht weix; vgl. 720, 5; 805, 11; gr. Bud. C^ 23 wixxen mnnic arbeit;
auch mit findet sich so, jedoch nur an 2 stellen: G. Trist. 21^^
jedoch enwestcr niht hie mite; Flore 6211 Ckirts meiste niht da 7nite
(vgl. Sommer z. st.); ebenso vo7i: Parz. 3, 29 diu aventiure tat iuch
wixxen beide von liehe und von leide; Albr. 39, 90 die nitvan von
arbeit wisten.
Ich teile nunmehr die beispiele von kan mit praep. mit, und zwar
in solcher luiordnung, dass sie zugleich unsere obigen ausführungen
unterstützen.
rede a) im objoktsacc: Roth. 1029; Frid. 80, 7; Eneit 9746;
Greg. 954. b) vorknüpft durch mit: Flore 6634. c) verknüpft
durch xe: Rrone 11854.
ritersehaft a) acc, Iw. 5318; ülr.v. Licht 13*. b) ^wt7 Wolfr.Parz.
66, 10. 152, 12 (ritters fuore); Wig. 8456. g) xe Hartm. Greg.
1365; Ottok. 152'; fastn. 424, 20. d) an Eneit 9069.
%uhi a) acc. Wolfr. Parz. 641, 28; Gudr. 342, 2; G. Trist 191»
(/Hifscheit) , h)mit Wolfr. Parz. 493, 18. c) ^c Wgast 1274 (JiöfscheitJ .
strft a) acc. fehlt b) mit: Wolfr. Parz. 210, 22. 348, 24. 704, 6
(tjost): 738, 23 (tjo^t); Wilh. 78, 5. mit gejcgede G. Trist 3612.
c) xe Loh. 1163 xe tjoste; Bit 647; Ottok. 93 ** xe urliuge,
guot a) acc, G. Trist 68"; Walth. 18*i. 103 3^; Wgast 4796. b) mit
fohlt c) .: e Wgast 3555. 4508.
triuwe a) acc. Frid. 44, 6 (uutriuwe) ; b) mit M. F.128'*^. q) xe
Wgast 1588 .;r staete.
mit juNcfrofcen U. Trist 504*^; xu rrouicenliebe Heinr. Trist.
3720.
list c. acc. Walth. 56*^ u. ö.; mit t^l^^hen listen g. Gerh. 815.
Die übrigen beispiele, bei denen almliche veixleiche wie bei den
bisher angeführten nicht möglich sind^ sind, nach den praepositionen
gei^nlnet:
9nit: Wolfr, Parz. 2, 13 mit schanxen: 62, 24 mit armiiete: 114, 13
mit sänge: 317,25 mit schailen: Tit. 90, 3 mit tmophat: G. Trist
72^ damite: 78^ hie mite: 385^* mit ihte: Benecke Beitr. 184 «=
Ulr. V. Winterstetten ed. Minor V, 17S: mit den Unten: Lamp.
AleJL. 4223 <Äi mite: Konr, Troj 6271 mit gesi^hiitxe.
xe: Gudr. 285,4 xe arlfcit (vgl. Martins anm.) 997,1 dtjrxno: Heinr.
Trist 220ti xno schimpfe: Wani, 1568 ;r frfmtie$9.
an: Eneit 9069 an riderskap.
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 21
Die anwendungen des mhd. kfirmcn^ die wir bisher besprochen
liaben, zeigen uns können noch durchweg als begrifsverbum transitiven
Charakters, zu welchem substantiva in ein abhängigkeitsverhältnis tre-
ten. Die abschwächung von Iciumcii zum hülfsverbum tritt in einer
anderen gebrauchssphäre ein: da, wo der infinitiv dem können ein
bestimtes ziel in einer handlung anweist, zu der der könnende befä-
higt erscheint. Die verminderte rücksichtnahme auf den ursprünglich
rein geistigen Charakter dieser befahigung hat, wie wir oben darlegten,
dazu geführt, dass können seinen eigentümlichen Inhalt immer mehr
verlor und den besche^idenen rest seiner verbalen kraft nur noch als
verbum auxiliaro zur geltung brachte.
in. han mit dem infinitiv.
Wir haben bereits oben die kriterien besprochen, die uns bei der
Unterscheidung des reinen köimen vom abgeblassten zu leiten haben:
wir müssen auf der einen seite das Verhältnis berücksichtigen, welches
zwischen können und dem begriflichen inhalte des adverbial zu ihm
gesezten infinitives besteht, imd müssen auf der anderen seite darauf
achten, ob hmiten von einem persönlichen oder unpei^sönlichen, säch-
lichen Subjekte ausgesagt wird.
Überblicken wir nun die überreiche fülle der beispielo für han
c. inf. , so lässt sich diu*ch mehrere Zwischenstufen hindurcli ein almäh-
licher Übergang von der bedeutung „wissen, verstehen", zum ausdruck
der objectiven möglichkeit verfolgen. Am reinsten tiitt uns können
da entgegen, wo der infinitiv bei kau derselben begrifssphäre entnom-
men ist, der kunnen ursprünglich selbst angehört Eine gelinde
abschwächung der bedeutung begegnet uns da, wo der infinitiv nicht
mehr ausschliesslich dem gebiete geistiger tätigkeit entstamt, wo die
handlung, welche durch den infinitiv bezeichnet wird, zu ihrem Zu-
standekommen der intellektuellen beihülfe des könnenden zwar nicht ent-
raten kann, daneben aber doch noch auch anderer faktoren bedarf, welche
von dem geistigen vermögen des könnenden Subjektes nur indirekt
abhängen. Je weiter nun diese faktoren sich aus dem bereiche dessen
entfernen, dem das können einer handlung zugesprochen wird, um so
mehr nähern wir uns jenem abgeschwächten können, welches dem aus-
drucke objektiver möglichkeit dient
Zur erläuterung des gesagten wollen wir hier das scliema mittei-
len, nach dem wir weiter unten die b(^ispiele für hmnen c. inf. anzu-
ordnen gedenken; hieraus wird sich sogleich ergeben, was unter jenen
l.*2 EAHL
faktimMi zu vorstellen ist, welche im laufe der zeit mehr und mehr aus
dem bejrrifsverhum können das intellektuelle m^ment verdrängt haben.
1, Köimen bewahrt wenipjtens ziuu grösseivn teile noeh die ursprün«:-
liohe betleutunir; ^wissen *■, »verstehen*. IKt infinitiv, der von
können abhän^is: sremacht wird, bi-zeiehnet:
li eine denktäti,:rkeit selbst '•y7.t/*m/*. rcrs^t'itt, u'iwfitl.
2i eine hamilung, welche eine deDktün;;ktit zur notwendigen
vi^raussi'tzunj: hat, IMt-se handiuns: U-steht:
» k.
ai in der veräu>serliehung und v..rsin:iohunir innerer, gei-
stiirer vonräUiTC tin.^'Ui*ti, röUn, ^urtrh^o.
bi sie btTuht auf drm timluss der iutelli-kniellen kräfte auf
die übricen trivbkhin»- d-.s si-^lenlebens: zum zwtvkc
einer oinwirkuniT auf i^-tuhi und j^mür. c^dt-r zur dauern-
den ce^^i»hnuni: an rine K.^timtv arr d».-< moralis*.*hen
\ V rl 1 a 1 : V : 1 s r> - >j» unbh' n, ^ ■ * > ^ /i . •;?/•//■*/#. ;^ta* h. i>-inj .
ei sie tutsiih: dunii ö.as ::;;N;<r.::i>!r.\irkvii der g»-istigi*n
und k-rjvTÜohen fahi^rk- ::-. n d*.> iiivLsohen. sm zwar,
dass das phvsisohe virr.ic-.:: v :: ..:vr iLtellrktuellen ein-
sieh: o'leite: wird \Vih:-", '>..^7*'n'ti r.sw.i.
\\\ sie s» .:! eine Kci». hv*r.^ xi-.s vtrv.^anri-.-s auf die ubjekte
der au^6^:^n r.a:i;r \ rius, -k* •/./!>• 'iuroL das wiss-.n in
d*u berxie!: inenMi.ü.L.r :a::^k-.:: Linvincez^iren werden
\A:^.>-'i-:}t <.' ;' / u>^x .
U. Kt^r.nen \erblasst ..j dtr a.^. :v.-. ::>:n i- ri- .iran^ di-s .möirlieh-
n^.aihens" : e> \miv, V.;;.:>\i rb;;:r.: .::> .-.i^: s: h «iarin. dass
a^ der u*.!in;tt\ i.: dt:/, k- r.v. :. i:r. ..:-*. >^.~:. V'leh^-^ dun*h
j;viv;::;x» \i ran>:a'.!;;r,ct:) 1".:^:.: -.r^L :■-!.: *i'-.ri-. n kann.
b* J,avs ;.vv
e.^ \eu s;K!;*:v^hi V.,
Hl K.^ntun \er.:rrt ;iv.- c:c.v.:^ Sri-;;:.:*.: v.r..; :r!:: £U dvm infinitiv
' ' • i *. ■ '• -"*
• »■ u, \...,t \,( .,>» . \* ; . s . . V .. - .« ^■i ». — .
vi*'»' «* Vv '••>••'■•♦» ^»»» v X.* •!'* ■ • " ." V • "" ** • - <.■■*'■%. ■ ■" • .»«.• V^ - .'«t'Vh» «tI^IiK.
•^" *'«. ■-.*• «4. .«««.i.. .». 1 ■•— i, ■—* . .*il.*t II IlKIll
c\\ >\\\\ ;\\\ \\>^.\\\\K\\c\\, a;> ;•.;,:•:: ■ : ^ v .;: > .:;:" r^::irrn:::v!en sohrift-
vt,';v': s\-.l . ^^^o^ K;v\:v ,;:;%,:•. %v. :. :> ^>;r.; ^;:\ ":::^T^< ^ein, auch
,*i;N ;4:'.-.'v.\ N, '; 'S'.e'^^'.v. ^:..'-. 'v.^vv: .>vx ...... v.\: 'i-. .:■ ': :^ lu vermehren.
Woiiv:^ d^ ; K;vj*;x''o au^ :;,v.::v.\'. v. ^;:>^::s. :.:: **«: v. Mv-iisterK'i^
xvMtix^Äwhe a*,K;;. -*s t ,: *,\!: Will. ';*.
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 23
Rother 259 verminen,
Hoinr. v. M. Er. 948 gedenchen; Pr. 138 erchennen; 141 hedenchen,
M. F. 44^^ gedenken; 89'*^ versinnen; 120^^ vol bedenken.
Eneit 1305 bedenken; 2571 erkennen; 13150 erdenken.
Hartmann a. H. 811 verstn)i; Iw. 841 erdenken; 2859 erkennen,
G. Trist. 1-^ erkennen; 192* wixxen; 349^^ gemeinen.
Ulr. Trist. 499^7 verstän.
Wo 1fr. Parz. 369, 3 versinnen; Willi. 178, 2 verstm; 256, 3 erahten.
Nib. 152, 3 tcixxenknmle CD (woAifcAB); 602,3 verstenJ) {mac KRG)\
1316,2 wixxen; 1678,3 verstän; 1904,3 undersUln mit sinne?t GF.
Klag. 77 gemerehen; 318 u^xxen; 1682 versinnen.
Gudr. 1142, 4 gemerken; 1677, 1 erahten.
Walth. 42* verstän; 59*^ erdenJcen; 96^^ versten.
Frid. 62, 13 merken; 102, 8 erkennen; 141, 21 verstän.
Konr. Eng. 269 erkennen. Alex. 1142 bedenken,
Berth. p. 881, 1 (W.) ertrahteu.
Boner 43, 44 erkemien. '
Nie. Jer. 43, 101 volaehtin; 52, 156 volahten.
I2a.
Will. 18, 6 mi^tnom uurc bringon; 48, 27 gesogen; 51, 11 beschir-
men mit spiritnalibus armis; 118, 3 diseernere.
Gen. 1, 3 reden.
Ann. 84 predigi^i.
Roth. 394 gesogen; 1023 geantworten; 4360 geraden.
Hpt Hl. 91, 4 gesogen.
Heinr. v. M. Er. 476 vergexxen; 613 singen; Pr. 184 geantwurten.
M. F. 11^^ seh-cn; 25^^ gexeigen; 42^^ vertriben mit gedanhen; 44^^
leren; 115 ^'^ verswigen; 125^1 fliegen mit gedanken usw.
Eneit 36 genoemen; 442 gcvrägen; 915 ge^eggen.
Hartmann a. H. 871 xeigoi.; Iw. 2096 gebogen; 2264 gesprechen.
Wolfr. Parz. 127, 22 &?rm; 337, 25 r/me sprechen; 454, 10 ie^cAc^i-
rfö/i; 457, 28 wärheit sagen; 645, 20 ye/^/^; 792, 5 7/^/7 fo/c/^ t'cr-
suochen; Tit 49, 4 volschriben; Will. 58, 22 7y2^ //eic//.
G- Trist 59 2^ w/^ sinnen hin l/ringen; 114^^ bescheiden; 174^'' 7wi7
//<s/e/e schermen; 183^^ gescJieid^n. lobg. 67, 5 w/^Y rerfc volcnden.
Ulr. Trist. 569 »^ m/ß^?,,. 587* fe'mi.
Nib. 10, 4 gejiennen; 293, 3 gelouben (Blh); 959, 3 verdagen; 1118, 2
verjehen; 1152, 1 gesogen (C); 1386,2 betiuten; 1878,2 2^??';t^c?i- W;^.
24 KAHL
KL 424 bescheiden; 1719 raten.
Gudr. 312, 3 wiixe walten; 418, 4 imigen; 542, 4 mit listen heilen;
607, 1 brieve gelesen; 1570, 1 bescheiden,
Walth. 8^^ rät gegeben; 110 ^^ xe danke singen; 120 2*^ rerhelen.
Frid. 5, 21 gebeten; 81, 2 n^isheit gepflegen; 115, 17 gedanhe vahcn.
Konr. Eng. 2'7 rät vinden; 1086 bedivten; Gold. schm. 3 getihte spnelxefi.
Sachsp. I, 23, 1 bereden.
Bcrth. s. 879, 17 gesagen.
Boner 12, 47 2ra?i geben.
Nie. Jer. 8, 8 voltihtin; 30,8 gelonbin; 34,283 mischin mit icunder-
lichin listen.
I2b.
Will. 141, 19 covipati; 137, 13 parcere.
Hpts Hl. 117, 7 gexerten.
M. F. 12* beivam; 6420 irürie sin; 83 i* behagen; 100^^ staete s^in;
IIP vcrtriben senelichc sicaere ; 115^^ klagen; 117* gelm'en; 148^^
leit rerkeren; 170^^ sich schöne tragen; 175 1' tm.saeldc erivejidcn;
182 1^ staete sin; 183 ^ vrö geinachai; 193 ^ tugcntüch leben; 197'^
höhgemüete geben.
Eneit 11302 sich beivarn.
Hartmann a. H. 304 gebären; Iw. 2423 geliebefi; 3560 nach rUer-
liehen siten gebären; 6809 staete werden.
Wolfr. Parz. 59, 18 ereii tmde triiäen; 93, 3 manheit tragen; 140, 2
riuwen; 154, 16 minnen; 170, 30 mit schäme ringen; 547, 30 vor-
serefi; 606, 4 xomes walden; 649, 14 manlich die?ist tuon; Willi.
90, 3 tröst geben; 92, 28 xürnen; 168, 4 troesten; 345, 28 triuicc
hän; 415, 24 ;it/A/c tvalten.
G. Trist. 193^^' gelieben; 290 *<> trösten; 462 22 //t?^,?^^ w,trf ^rös<
Ulr. Trist 587 2'» 7?»7 (/wo/e feftew.
Nib. 11, 4 (?rc?* pflegen; 635, 4 herlichen leben; 714, 3 xühte pflegen;
960,4 verklagen; 967,1 troesten; 1137,3 tagende pflegen; 1174,2
fritmtliclie liebe begän; 1753, 3 eren phlegen; 2269, 4 verklagen,
Klage 57 frmide pflegen; 71 rehter trinwen phlegen; 385 sich gefrcun;
812 xe sorgen bringen; 1228 muot geben; 1323 '/;^27 tvünne leben,
Gudr. 218, 4 nach eren gedioien; 284, 4 getroesteti; 975, 9 dicnepi.
Walth. 6 22 riuive gebefi; 24 1* />-o gebäre7i; 44^ ?rc5e// /rö; 91^^
gedienen; 124 20 sorgen.
FriA 114, 9 schone geleben; 118, 19 sanfte gdeben.
KÖNNEN UNÜ MüüEN IM ALTD. 25
Konr. Eng. 375 crfröuiven; 595 getriuwc sin; 4965 sich lasters schä-
men,
Weinschw. 85 fröude geben.
Boner 25, 27 gemäxen,
I2c.
Will. 51, 4 nehtan.
M. F. 83 ^" vlien unde jagen.
Eneit 5216 hehne fionwen; 5930. 7852 veehten.
Hartmann Iw. 6993 strlten xe rosse und %e vuoxe; 7000 den man
veUcn.
G. Trist. 69 '-'^ pAe/'^ gehaben; 83^- gevolgcn; 165*'^ xe kamphe sineni
Übe mite gan; 331 •'^-^ rotten; 433^-' laufen.
ülr. Trist. 527 ^ riten.
Wolfr. Parz. 263, 15 weren; 538,9 ringen unt mit dem swanke tunn-
gen; 597, 18 tjoste mexxen; Willi. 411, 16 mit dem swerte wem.
Nib. 129, 3 gevolgen; 194, 2 geleiten; 1825, 3 riten; 2220, 4 in
dem stürme bexxers niht getuon; 2280, 4 gei7f vinden stau.
Klage 695 videln; 928 Schildes rant xe seherme tragen.
Gudr. 92,3 versniden; 363,4 schirmen; 514, 4 helme Idieben; 517, 3
vehtcn; 1058, 2 gewaschen.
Walth. 351« Hüten.
Frid. 154, 9 beschirmen.
I2d.
(Die beispicle berühren sich hier oft mit 1 2 c.)
Koth. 794 gesmide slün.
Heinr. v. M. Er. 722 fiwer — erleschen.
G. Trist 118^^ galt van swachen Sachen machen.
U. Trist 573'** slilxxeh machen.
Wolfr. Wilh. 370, 18 sper machen.
Frid. 25, 20 glas machen; 126, 6 von beulte scharlachen machen.
Die infinitive, welche wir bislier aufgezählt und je nach dem
grade ihrer engeren oder weiteren beziehung zu dem intellektuellen
vermögen systematisch gruppiert haben, hatten die gemeinsame eigen-
schaft, dass die handlung, auf welche durch sie hingewiesen wurde,
geistiger beihülfe zu ihrer Vollendung bedurfte: der könnende lieh
gleichsam seine geistigen kräfte, sein wissen und verstehen, einer ande-
ren fahigkeit seines geistes oder körpers. In den angeführten beispie-
len komt man mit der Übersetzung: „ich weiss, ich vei-stehe zu tun^
noch durchweg aus. Auf der anderen seite konten wir aber beobach-
ten, dass das Verhältnis zwischen können und seinem infinitive immer
*J6 KAHL
mehr sich lockerte. Namentlich da, wo das können zu den bewegun-
ireu des menschlichen körpers oder gar zu Objekten der äusseren natur
in beziehunjT tritt, schwindet das bewusstsein fiir die geistigkeit der
mittel, welche das ursprüngliche können an die band gibt, mehr und
melir. (Jchen wir auf diesem wejre weiter, so bleibt zulezt nur noch
der begrift* des möglichmachens, der fähigkeit, eine Wirkung herbeizu-
führiMi, ohne dass man sich bewusst bleibt, dass das können anfanglich
stets eine g^'istigi» befiilügung, ein möglichmachen auf geistigem wege,
involviert.
Wir wenlen unbinlenklich für können die beziehung auf die gei-
stigkeit der mittel dann tallen lassen, wenn der von kan abhängige
intinitiv ein |>iissivcr ist. Doun sobald der infinitiv ein erleiden aus-
drückt, winl dadurch imgedeutet, dass nicht melir der könnende es ist
dessen wissen die verwirklichunsr einer handlum; verdankt wird, son-
dorn dass entw^nler andere men>«.*hen oder auch andere dinge, auch
ge\\isst* umstände, ohne unst-r zutun jene tat herbeiführen, welclie für
uns ein leiden, ein „überunserüx^henhissen* i^t. Von diesem sresichts-
punkte aus ist das häutig Vi»rkommeude hin ♦;? /^»»v* u. dgl. zu erklären.
Nicht sv» unbedingt wir\l man in manchen anderen fällen für
kanncfi nur die bK^sse K\loutung tK^ . möglichmachens • als zulässig
enu'hten. Ks hält mitunter rxvlit schwer, bei bin c. inf. das Vorhan-
densein jeclichen intellektuellen nivunents zu leugnen. Der zusatz von
k^'unen be/.eichnet gleichsiim ein himinltb-jn, ein hineinversenken in
die äuss^^nni vonränce und verrät s*.^ eine w».i: cemür^oUere anteilnahme
an der o^Sv'hildenen handlunc. a!s sie d:is blasse mögv>n jemals auszu-
drucken itn Stande ist. AVir horTen aK r. diiss wir die unten mitgeteilten
Ki>piele so o*>^ählt haben, dass sie uns in der tat hfnnen in jener
alv\sc!i\\äv'hten bevleutunc /eii^n. d:e siv'h '*t'»hfi nähert. Da. wo sich
ir. vU!i hanvlsvhritV.icl.en Varianten i7< /:.»*••» und »"'/»/fvi austauschen,
\^:r\{ dies stets K^ender^ herv.»n:^'h'^lvn wervKn.
IIa.
Av,n -.^^ '; /'• ''xy i^i sr'* ; '•'-"- •:*::; 'irf»i/;*/i mV/ziam ffeain,
M F l^^ , \::". " '•' ff. *'• r ■■.■.-'•: '.'•; TS'* y -'?'./«• iV^ rnhilafen
• • "i " • . :r / / • - , rv, •. , ; , . ; . ; . - 7 ^w t^i i ,m;^ /Wcftrr m'emer
i • : . I ' .' • . . • - ; rJO • ' ■* -^ ; ■ • > #1 • ' .; I. ■ *%' ■^ t^ ir/HOn eralten (vgl.
i'arv.v Bv;r tOJ.i *{,'*••:*: e:s ' '. i'-'-rV.'; .:/:.- IW" itkn künde
KONNEX UND MÖGEN IM ALTD. 27
Eiieit 211 wand si sich vor den onden herihteii niet enkonden; 11023
Hcheincs sldpes er enplach er enmohte noch enkonde,
Hartmann a. H. 436 ich künde xe Säleme keinen meiner tmidai;
Iw. 5954 ichn kujide des nie überkomen.
G. Trist. 35^ sone hmde er niemer stn genesen; 62 "^^ ir aller dehei-
ncr künde noch enmohte dehei)ie stunde iif sinen viiexen ye^tibi;
73-'^. 13827 usw.; 195 ^^ weder rät noch helfe kan geivesen, wand
er kan niemer genesen.
Ulr. Trist. 516 2» ein vruin man an triuwe niemer werden kan.
Wolfr. Parz. 149, 1 im künde niemen Hent sin, 155, 21 er knnde
in ab geviehen niht; 155, 24 mit sinen blanken handen fier ktind
ers niht nf gestrichen; Willi. 273, 30 er kan ivol friunt und vlent
sin,
Xib. 129, 3 des enkunde im ge folgen nie man: so niihcl was sin kraft;
416, 6 der tiuwel nx der helle, iH kund er davor gerwsen; 498, 2
der Ican si wol gewerben mit elknhafter kraft; 746, 3 dax eigen-
holde niht richer kuitde wesen; 928, 1 er?i ynohte (CB chunde) niht
gesten; 982, 2 dax wir niht rnohten (AC; chunden Dlhf, B fehlt)
iine so gröxcs scitaden stn; 1010, 2 s^ine htinde [mohte CDIh) niht
gcgdn; 1079, 4 donc künde im Knemhilt nimmer vinder gewesen;
1291, 3 dax vrou Hekhe niht schoener Jcunde {mohte Dlhg) gesin;
1458,3. 1862,3 ir kunnet niht genesen; 1981,4 dö enkunde Gisel-
here nimmer xorner gesin; 2047, 4. 2098, 2. 2156, 1 sine künde
niht gewegen; 2223, 4 wie künde er (moht er 111) grimmeger sin
gewesoi.
Klage 239 dax. den Olselheres tot nieman künde (moht H) erwendefi;
259 der oikunde einer niht genesen; 608 tiurr helde kunnen 2vesen
ninder i)f der erde; 637 dö enkundex langer niht gestdn; 1050 in
künde der helt niht derfilr von vnkreften bringen.
üudr. 719, 3 da si genesen ku?ulen; 875, 4 wie kundens wese?i küc-
ner; 1163, 4 nu kan ir ende nieman erweiulen; 1265, 1 si vuoren
.so si künden beldiste dan; 1330, 4 dax lix der kemouUe . . nie-
man hoeren künde (863, 3 mohte).
Walth. 27® des enkan ich niht ge^liexen in den arken; 61-^ wie
kunde sieh deheiniu danne min er wem.
Frid. 135, 13 mit irolven nieman kan genesen; 154, 8 xe Röme vert
manc tilsent man, die der bdbest )iiht scheinen kan.
Konr. Engelh. 11?24 ich ar?ne enkan niht leider des dinges über wer-
den; 1570 Sit ieh danne dieh niht überwimlen kan.
iJ5 KAHL
Woinst-hw. 105 /VA kan jtjijnt um!* niltrH: 403 ich kan icol wdfen
liii'rh.
B"n. 32. 6 le vhihtf fnirtt lt*r*it ir Uni, ^i kouden al gcvliehen icol.
II b ff.
filhd. kennen mit sächlioh»>ni Subjekte.)
Zunächst müssen wir diejoniiren ßllo aus>oheiden. in denen wir
t-s mit einer f*»rmli*.hen ivr>'.nifikati'>n zu tun haben: so wenn z. b.
der trau Minnv ein können zuL'r-sohri-bt.'n wini: Waltb. 109 *" Jlinfie,
innnhr knn »Un *iü't*: hfU Nrvh'ti: M. F. 1 •- ivgl. Carm. Bur. 126, 6)
Toutjrtt mltoi» koi* *j*Un h»'»h* 9i tnn »i. — Di^-st-ibe und ahnliche per-
M'nitikationen liefen in t-'li^Miden Kispielen Vi.ir:
l' . Trist, ö > 7 * ' //»< liiitoi' bitf trol h'n f r rrüwlt .
Wolfr. Parz. 7o7. 24 A'Wf tunnt» lau tr*jl xUrm: Tit. 71, 1 oire^
knh»i diu HfittU'' %ifid*r hlf* •ri'i'j't},
Walth. 109-* mitni» — d*) katt^i rfW.'/v/^.
Frid. V^i». ».» utittu» bin sirh »vf//V ^h* »id» tr^th.
Konr. Enc. ^*v* >it Triuu' wt dii nJhx bin: >^?»9 do\ si fMianr)
^jftrolt'.y küiot*' i*jh'ij»u: l»ö4 d'l ko/i diti Minft^ fviüftdeu hrrxr,
Weinsi'bw. 12d du tritt btH.^f dt\ dut\<tif}'U hUu.
I»:-.' lieKv'.Ole vtisvnkur.^ in die natui>i^h«»nheit»-n. welche auch
dt-n t-.'tvn oby.ktin unsir^r umcr-buii;: mens^hÜchis fülilen und empfin-
den Itiht. s<"huf ausdnuks weisen wie:
M. F. >3 ■ diu h'.id' irmh d'T v»*:!"' snw kau du ir irosi wir
M. F. 1*»>"'* d' r wifir*/' bin uihi nitdfi's s*u trän ^trotrc und dne
Auf d«. n^. ü1vrir:in^e vom j^ts" n'iohen .Tum unjH-rsiinlichen ge-
brauch \ n v/";'fr*/ K Plenen uns w.iTtrhin mehrere falle, bei denen
don i:«. i>ncT. .ir.d a^ivh k!nvTl:oh»:n l:i^ns<■ha::en dner persTinlichkeit
d:is k nr.rn i:;>T h:\r..;*:;ir,.r 7:iow-;,>.'n wiH. i-bw.;«! sTi>?nssrenommen
di^.s ptrs r.'i-hv s:;!;»:»:: >• -^s: »s ist. wo'.-. !.»:> nv.T hülfe jener geistigen
• •d-T k nyr'i/:: r. kntf:- div "•■;.: -^iluiii: ausführt. Wenn es z. b. bei
K'.r.r. li ■'.'.:. Svhrf:. ^'••«i hvisst: :7V •* >>Vy ?,. ?, s-V'- 9nn*dm rrrheilrft kau
dir» s-f*i''' /Vsr. >■ dürf-.r. w:r d.-^für sviren: .du versti-hst mit hülfe
d'::>r t"..i^i.:: ir<r- r\\ ]\\i\<m \c.. tiiidr. M2. ^^ fftV fuii dehrineu
Ai:ä! c sirl : ■"^- "r :•;' ^»l-v ru bouneilei;:
M. F. ^4 - >•//>» h' rif /.-/»/fK ir ui^^mcr bi9rtn9 :< /w, 214^ der
rii of'fif T/i^'J dai f'Cytf d<7i Hu herif bnu
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 29
G. Trist 297 1^ ir gelbncten sinne dien künden niender hin geive-
gen. 411 2* stt daz sl?i herxe nieiner kein gemach gefiabn kan.
Wolfr. 1. 10, 19 ir 7rnnnecUchex Uwhen kan mir wol gemacJien
höhen mitoL Parz. 114, 1 sinfxen wule Uwhen künde ir muni
ril ivol gemachen; vgl. 672, 19. 404, 8 diu oiigen kunnen spehn,
638, 19 ir hlic tcol künde tagn, Wilh. 373, 28.
Nib. 812, 2 Jane kari (AC; 7?iach BIG) iu niht geJtelfen diu gruxe
Sterke sin.
Waltli. 69^^ 50 enkans eiii herxe alleine niht enthalten,
Frid. 51, 4 den Ican dehei)ies mamies list — schuldie tnachen,
Konr. Gold. schm. 204 dln munt kan diu sele spisen,
Bon. 17, 37 boese xunge sclieiden kan.
Ähnlich ist kan bei folgenden substantivierten Infinitiven zu er-
klären:
M. F. 157^1 stt mich min sprechen nu niht Ican gehelfen.
Gotfr. Lobg. 77, 1 (u. ö.) von dir sagen — ka7i iji die herxen minne
tragen.
Seit dem XII. Jahrhundert finden wir auch tieren ein können zu-
geschrieben :
Eneit 8674 ros kan bat flien daniie jagen.
Wolfr. Parz. 36, 12 ors, dax beidiu künde hurtlichen dringen unde
springen.
Nib. 890, 3 dax tier enkund im niht entrinnen; 891, 1 kraxe^i
noch gebixen kund ex niht den nian; 1211, 3 ex enkumlen (moh-
ten Ih) hundert 7niule dannen 7iiht geti^agen.
Gudr. 97, 3 vögele künden vliegende 7iiht entrinnen; 541, 3 kun-
denx so olbetide 7iiht getragen.
Konr. Gold. schm. 528 strüx kan sine eier sciu/ne briieten.
In den folgenden beispielen haben wir volkräftige belege dafür
zu erblicken, dass können die beziehung auf wissen und verstehen
abgestreift hat und sich niugen nähert, mit dem es sich in die aufgäbe
teilt, auszudrücken, dass für irgend eine tatsache die objective mög-
lichkeit ihres eintretens besteht.
M. F. 188^ Tiöt — nien künde groexer sin.
Wolfr. Parz. 1, 18 dix bispel — kan vor in ivenken; 2, 1 t7^iiiwe —
kan verswinden; 311, 21 stacte, diu den xu^lvel dan kan schaben;
434, 17 sin tvdge kan seigen; 490, 30 wax tviinders dix gelüppe
kan!; 572, 28 dix bette kan so umbe vam; Tit. 80, 4 ob dirre schilt
kimde 7iiesen; Wilh. 390, 30 da^ie künde 7iiht geJiarren sin vane.
'SO KA1IL
G. Trist. 167 ^'-^ sofie kutide ir aller viere schln ebenUefUer nienicr
gcstn; 195^^ tveder rät noch helfe ka?i gewesen; 203** 7wtelindiu
nierner vremdef^ kundefi sl7i.
Ulr. Trist. 5312 disiu weit kan xe gähen ende gebe7i.
Nib. 17, 3 wie liebe mit leide xe jmigcst Ionen kan; 231, 1 groe-
xisten nöt^ die immer künde sin geschehen; 237, 4 maere kün-
den nimmer lieher gesln; 530, 4 bexxer pfiertgereite ku9ule nim-
mer gesln; 11] 5, 2 Imnden disiu maere niht verholen sin; 1412,4
sone moi] (chan Clh) in nihi gewerren der Kr, muot; 1849, 1
strit niht anders kiinde siii erhabn; 1763, 3 vofi Ardbisclien
sfden, die beste mohten (AB chunden C) sin.
Klage 779 dax enkunde niht eruenden diu helfe aller diner man;
942 wan diu Rüdegere^ hant künde wunsehliclien gelten,
Gudr. 1500, 2 xwnie kiele künden niht getragen,
Walth. 46* wax wiinne ka7i (BC; ??ia€ A E) sich da genöxen xuo.
Koiir. Engelh. 250 sin muot kiaule nach wirde ringen; 2071 d€LX
(dine) mir doch nimmer werden han; Gold. schm. 572 din güete
kan nf tvallen; 1519 ex^ (brot) kan sich doch beJieften mit kreften.
II bi^.
Ein schritt weiter auf dem wege der bedeutungsverwitterung ist
es, wenn kan mit dem unbestimten Subjekte ex verbunden wird: ebenso
unbestimt und inlialtsloer als ex pflegt in solchen fallen auch der
abhängige infinitiv zu sein; wir sehen mit Vorliebe geschehen, werden,
we^en, sin zu dem unpersönlichen kan gesezt.
Bei der aufzählung der beispiele beschränke ich mich auf die
angäbe des inlinitivs; die ei*sten belege für ex kan, ex künde u. dgl.
finden sich in M. F.
M. F. 72 7 geschehen; 105«. 164 ^l 206 -i* verndn; "^20^ gehelfen.
Hartm. Iw. 2063 geviicgen; 2638 geschaden; 6345 gescheiten; a. H.
1176 gewinrn,
Wolfr. Parz. 658, 8 gexemn; Willi. 406, 4 gennogen,
G. Trist 126 2-». 157.10 urrden; 184 2-» gewesen; 214» geschehen;
lobg. 71, 3 werden.
ü. Trist. 499 ••^•♦. 576 21. 577 ^^ 578'^* geschehen; 525»* werdai rer-
swigen.
Nib. 13,4 sin geschehen; 17,4 missegdn; 133,4 werden; 284,1 wie
künde dax ergdn (ABC; mohte Ih); 348, 6 dne dine ftelfe kwidex
KÖNNEN UND MÖGEN TM ALTD. 31
y
{pioht ex Ih) niht gesln; 279, 3 ob künde (ABC; mohte Ih) da.
geschehen; 348, 10 sivax dar an kan (mac D) gesin; 444, 1 des
niak niht ergän (Alh; emnaeh B; mac fioch D; enchan noch C);
669, 1 ob dax mohte .(AB chünde) geschehen; 694, 4 dax künde
(moht Ib) müelich gescheht; 696, 2 obe dax mehte sin (chumUG\
7nac Ih).
Ähnliches schwanken der handschrifton zwischen ka?i und mac
noch: 7b9,lknnde AB (mohte Clh, sohlB); 859,4 Ät^mfeA {mohte BC;
mohtlh)] 94:3,2 kundc ABCB {mohtlh); 1071,4: enkiiiide ABC (enmoht
Ih); 1085, 1 mohte AB (chunde C); 2039, 4 kan C (//^ac AB); 2063, 2
eÄMW/feBCD {mohte Ih); 2310, 1 künde ABC (woA/ Ih). Ih hat, wie
man sieht, besondere Vorliebe für die formen von mugen, — geschehen
bei imperson. kan findet sich noch Nib. 884, 3. 1751, 2. 2034, 1;
gesin oder sin: 905, 2. 1077, 4. 1895, 4. 2026, 4. 2039,4. 2215,4;
Wesen: 889, 3. 2063, 2. 2180, 2; er^iaw.- 759, 4. 1163, 3; gewem:
1630, 1.
Klage 10 desn kutidex niht beliben; 66 geschehen; 120 des enkunde
(Ih enmoht) ?iiht gesin.
Gudr. 214, 1. 770, 3. 940, 1 gescheiten; 963, 2 s/;^; 1255, 3 ge-
lingen,
Walth. 98^7 geschehen.
Wie nahe sich dies impers. kunnen mit mugen berührt, zeigen
besonders die Varianten der handschriften, die wir aus diesem gründe,
wo es immer angieng, möglichst volständig mitgeteilt haben.
m.
Es erübrigt uns noch, das mhd. kan auf eine stufe zu begleiten,
auf der es seine eigene bedeutung gänzlich aufgegeben zu haben scheint
und als eigentliches hülfsverbum im vereine mit dem infinitive nur
eine Umschreibung des einfachen verbum finitum bildet, jedes selbstän-
digen Vorstellungsinhaltes baar.
Soviel ich sehen kann, war Benecke der erste, der auf das bedeu-
tungslose kan hinwies, welches zu einem infinitive hinzutritt, ohne den-
selben irgendwie zu beeinflussen; Benecke bemerkt zu Iwein 7457:
„was kan behift, so haben wir vielleicht noch zu lernen, dass dieses
wörtchen wie das altenglische gan, ohne selbst eine merkliche bedeu-
tung zu haben, eine schmeidigcnde paraphrase bildet: vgl. Parz. 29, 19.
514, 8. 536, 22. 548, 13. MS I, 16a." Haupt widersprach dieser
auffassung (zu Erec 23, s. 329), ohne jedoch gegengründo geltend zu
32 KAHL
machen: es mag ihn die einsieht geleitet haben, dass oftmals in sol-
,chen fallen, in denen uas kan als dnrchaus überflüssig erscheint, der
mhd. schriftsteiler eine beziehung — mitunter leise ironie! — aus-
ge^l rückt wissen wolte. die wir nicht mehr nachzufühlen im stände sind.
Es liegt eine Schwierigkeit eigener art darin, aus einem infinitiv nach kan
jede intellektuelle oder gar potentielle beziehung auszustossen und kan
noch unter die geltung als mattes, inhaltarmes hülCsverbum hinabzu-
drücken. Wir müssen uns aber daran erinnern, dass von einem got
kann Jnina mannan zu einem mhd. ex kan niht geschehen eine stetig
wirkende Zersetzung der ursprünglichen bedeutung hinabftihrt: die vol-
ständige abstreifung der individuellen bedeutung, die sich auf der lez-
ten entwicklungsstufe volzieht, darf uns darnach nicht mehr befremdlich
erscheinen.
Die Vertretung des conjunctivs durch kan cinf., die bei mag sich
so häufig findet, ist bei kan ziemlich selten: sie sezt voraus, dass der
ausgleich zwischen kiiniien und mugen sich bereits volzogen hat.
Einen wunschmodus ersezt kan c. inf. in folgenden fallen: ML F.
120 '* künde ex gehelfen! G. Trist lol'^^ künde ex temer werden so/
(vgl auch Holtheuer, Zs. f. d. ph. erg. 1874 s. 153 fg.).
Ich teile nunmehr beispiele für denjenigen gebrauch von kutmen
mit, bei denen kan c. inf. an begriflicher stärke das einfache verbum
finitum nicht übersteigt.
M. S. I, 16' rfw kanst ein teil xe lange sin.
Wolfr. Parz. 29, 16 ich Ican xe lange sitxen; 117, 18 si kuiide tvol
gcinuten ir snn; 167, 23 sus kund er sich bt frowen schemji;
332, 4 hinde got mit heften Icbn; 380, 26 der onch diu sper
niht künde sparn; 390, 4 die knappen künden dankai, sie baten
in belibe?i vil; 466, 20 diu gotlieit kan luter sin; 535, 10 der
(riter) schilt noch sper 7iiht künde sparn; 536, 22; 548, 13 diu
sunnc kan so nider stin; 572, 28 dix bette kan sÖ unibe vam;
589, 27 dehein sül stuant dar U7ide diu sich geliehen künde der
gröxen sdl; 609, 9 kund si tohter unde swester sin; 650, 15.
769, 22 da er den lip niht künde sparn. Wilb. 59, 14 swax er
siveixes üf dem orse vant, den kund er drabe wol striclien,
Hartm. Iw. 7458 der ich niht sere engelten Ican,
U. Trist 527*^* den liehten schin, der also lüter kan geshi.
Nib. 1082, 3 vergexxen künde fiiht AB (mit klage nie ver-
gax C). 1318, 2 dax in niht enschadete ABIh (scliaden künde C;
moht gcsehaden D).
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 33
Gudr. 461, 1 die er katide bringen mit im dan (vgl. Martin z. st.
und zu 429, 1); 962, 2 Ludewtc künde unsanfte schoener frotven
pflegen (vgl. Martin zu 1528, 3).
Frid. 49, 25 der lose?' schadet vianegetn man, dem er niht wol ge-
frumen kau,
Konr. Eng. 602; Gold. schm. 1823 der schulde kan xe ringe wegen»
Silv. 3748 dem menschen ist geboren an, dax er dem töde wah-
sen kan.
Wir schliessen damit unsere darstellung der syntax des altdeut-
schen können; einige einzelheiten werden noch am Schlüsse dieser arbeit
besprochen werden.
Ein rückblick auf das von uns dui'chmessene gebiet gibt uns zu
folgenden bemerkungen anlass.
Können ist ursprünglich in der Sphäre geistiger tätigkeit aus-
schliesslich heimisch; darauf weist uns das Verhältnis zu den urverwan-
ten sprachen und der gebrauch von können im got, alts. imd ahd.
Erst im laufe des XI. und XII. Jahrhunderts zweigt sich von dem alten,
reinen können, das wälirend der ganzen mhd. zeit sich lebendig erhal-
ten hat, ein schwächeres können ab, welches sich mit mugen nahe
berührt und vielfach austauscht Wir können noch die faktoren beob-
achten, die in jenem processe der Verwitterung des alten können gewirkt
haben: sie haben im laufe der zeit aus dem kräftigen begrifeverbum,
das sich aus dem urgermanischen ungeschwächt bis ins ahd. fortgeerbt
hat, ein mattes, haltloses hülfsverb gemacht, das nur noch in der Um-
gebung eines infinitivs auftritt, weil ihm die kraft, als selbständiges
verbum zu fungieren, völlig abhanden gekommen ist
Uns ist fast nur noch jenes können geläufig, welches die objek-
tive möglichkeit ausdrückt; wir haben beinahe ganz vergessen, dass
können ursprünglich auf intellektuelle tätigkeit beschränkt war: nur in
spärlichen resten schimmert noch jene alte bcdeutung durch, die einst
die allein herschendo war.
§ 5. MSgen im gotischen.
Die durchforschung der bedeutungen und des syntaktischen ge-
brauches des altdeutschen mögen bietet nicht immer das Interesse, das
uns die geschichte des altdeutschen können abnötigte.
Wir müssen annehmen, dass auch mögen im urgermanischen ein
begrifeverbum gewesen ist: das gotische weist uns in deutlichen spuren
darauf hin. Aber schon im got sind die bedingungen für die bedeu-
tungsabschwächung gegeben, welche magan frühzeitig zum hülfszeitwoii;
ZKITSGHBin F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXU. 3
34 KAHL
hat herabsinken lassen. Bereits im ahd. tritt die elementare kraft von
maffan = iaxi€i^\ valere nicht alzuhänfig zu tage: in der überwi^n-
den mehrzahl der falle venmsohaulicht magan einen b^rifF, der einen
sehr weiten und darum individuell sehr wenig bestimten inhalt hat:
die objektive mögliohkeit. Während die intellektuelle bedeutung des
alten kunnan nur eine be^rrenzte anzahl von verben zu kunnan
in adverbiale beziehunpen treton lit^ss, le^^e magan solche schranken
nicht auf, und so linden wir schon im ahd, teilweise schon im got
und alt&, intinitive des dispanuesten inhalts zu magan hinzugesezt: die
möiiiiclikeit kann eben auf die verschiedenste weise bedinjrt sein: durch
das Subjekt mit seinen ki^rpi-rlichen cnier geistigren eigenschaften^ durch
äussere umstände imd veriiälrnisse usw.
Wie bei können, so drehen wir auch bei mötren in der darstel-
lung der syntax von der emiineJung der bedeutung aus. Zwei wege
fuhr^^n uns zu dem resultate. dass das ur^rman. mag dem ausdrucke
ki'rjH^rlioher kraft und tüchtickeit diente.
Die Sprachvergleichung sieit fviirende sippe urverwanter Wörter
auf: skt. mahosi glänz, macht: mohau grosse: griech. iifyo^^ ."Cio^»
,iif;xäri;. ii^]cz^\ iat. mag-nu^, vi.iior. mag-ts: goi. mag, mahh, mi-
kiL<: kiivbensL m<'g'\ }»i*>suin usw.: alünui. lio-for-magar = augctitr
(Virl. Curtius, Grundzü^-* s. o2i«. 383: d-jitseibs: «lie übrisre litteratur).
Auf der andeni Mite k<nnen wir be^.bachren, dass das goL mag
dem iniivr^ ^^<W^j i^i^^i ^lycuai {ntsnricbi idie bt-Ie^e Vii unuu). HäI-
ten wir hi.r ein::: äug-.iiMiv'k :n:*e! Die entspret^hung ujjixj = uwg
stin:: 7.U d-.n ei-ei: darci-e^'cu trv::.:lj^:>.:kvii Verhältnissen. Etwas
aiiiivrs ist ♦.< :r.i: Oiit.'<n:/: zwär l;is>: au/ü M'i^uai die übersetzun«::
«ich habt- lUäjL:* ,~;;. aber iiÄi:ob':n lx>sT^bt schon für die klassische
cratvitä: vii^v a::deiV', Kas>ii\- ui:ii aiirt-meineiv beieunins:: die der
faiiigkt:: i;btrhäup:. dvr mög'ichkei:: stellen wie ^»ph. Ant. 6S6 ovi
Ji {^111?« III» ujii' ^iHüiaiint i^' in : VMl. 13i^3 il tU :*' ir Äö^tMC -tö-
• • • • • 4 « # # -
CU1 dirfxi.uiii^a u>w. s^/h/u-NMU. wtil irinnitive ireistiirer natur hin-
.T:'^:'M.\r: sini, ■.::.; li-zirhur.i: äu: ki^ift ;r.id raach: aus: es handelt sich
hiir ur.i ti:- c.e*.- a.jTvxeints •kinniu'", ^bne rucksicht auf die mit-
:el. wt".:Lv der.: k nutr.din z;ir V'.rfii.nir.c <^:^ei; werden müssen.
WiiLriiid äI>:. div £T:T:':h:s.!i-'ii ♦::.tsv•^tvhu^ii^-Il des ct't. kan duivh-
w-:-^ t::>.r v^d d-rs-/.r»::i: l»-:-^rl:s>v»hAri ii;t>:r.2rLint;n i-iixjKTxiA. dda, L-vi-
ciauai usw.. ^rli.LsÄi:: :.ur viT^vi.ivnier* iri-wvridete veräusserlichun-
^n d-:s?<lKi: » . rS'::".l;:nr>::-Lii.:-:s sind, s:- birci das <n:»L man in sich
Svb.n iwii vv:s:i;ediriv t*tgrlf[e. den der kraft xmd den der mog-
lichkeit.
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 35
Zwar ist es ein leichtes, diese beiden begriffe auf einen zurück-
zuführen: das physische können Hesse sich als eine besondere art der
möglichkeit auffassen, derjenigen, welche durch das körperliche vermögen
des Subjektes bedingt ist So erschiene die fähigkeit im algemeinsten
sinne als diejenige Vorstellung, welche viaffan ursprünglich zu gründe
liegt Die etymologischen Verhältnisse widersprechen aber dieser annähme
aufe entschiedenste: die urverwanten Wörter zeigen sämtlich eine deut-
lich wahrnehmbare beziehung auf Wachstum und stärke, während sie
einem so abstrakten begriffe, wie der der objektiven möglichkeit ist,
ursprünglich fremd gegenübei-stehen.
Wir müssen daher annehmen, dass man sich nicht immer des
Charakters der mittel bewusst geblieben ist, welche durch magan an
die band gegeben werden, dass man vergessen hat, dass der ^mögende"
eigentlich nur auf physischem woge zu seinem ziele komt Den ana-
logen process haben wir oben für hiiuian beobachtet; nur ist hier
noch einmal zu betonen, dass können seine genuine bedeutung lange
zeit hindurch bewahrt hat, während für mögen die ersten anfange der
bedeutungsdifferenzierung \md -verblassung schon bis ins gotische hinab-
reichen.
Das got 7nag = lox^^j valeo lässt sich in dreifacher construk-
tion nachweisen:
I. Absolut, doch ist dieser gebrauch ziemlich selten; meist ist
da, wo mag allein steht, eine ellipse zu statuieren: Rom. 8, 7 ivitoda
gups ni ufhatisdpy ip ni mag (ovdi yäq dvyavai)., Marc. 9, 18 jah qap
sipoJijam pcinaim ei usdribeina ina jah ni niahtedun (xat ov'^ Xayrv
aar); Marc. 9, 22; Marc. 10, 39 ip ci^ qepun du imma: tnagii (ßwa-
iu^a)\ Luc. 19, 3 jah ni mahta (sc. gasaihan) faura managein.
n. mag ist befähigt, einen objektsaccusativ zu sich zu neh-
men, doch bezeichnet dieser nie ein concretes objekt, sondern enthält
algemeine bestimmungen wie all, Iva u. dgl.: 11. Cor. 13, 8 ni aiik
7nagum ha ivipra sunja ak faur s^iwja; Phil. 4, 13 a// mag (/cdvva laxvio),
UI. Meist wird das objekt, auf welches die iax^g oder dijvafiig
gerichtet ist, in einem Infinitive angegeben: Mtth. 8, 28 sleidjai filu,
swasive ni mahta manna usUipan pairh panu wig jainana (üare [atj
iaxveiv naqeXd^Eiv); Luc. 6, 48 jah ni mahta gawagjan iia (ovtl Yaxvoe
aaXtüaai avvi/jv)] Luc. 8,43. 14, 29. 20, 26. Luc. 16, 3 graban ni lYtag,
bidjan skama mik Eph. S^ IS ei — mageip gafahan = iVa e^iaxv-
atfce 'AjaiaXaßlo&ai,
Der begriff der kraft und stärke, der in den bisher mitgeteilten
beispielen festgehalten wurde, tritt in den folgenden belegen nicht her-
36 KAHL
vor: es handelt sich hier in dem oben besprochenen sinne um den aus-
druok einer objektiven möglichkeit, eines dvvaa&aiy posse: Marc. 2, 4
jafi Pii mogapidan^ uelva tjiman {ur dwiiuiroi :rq(Kt)yioai)\ Luc. 8, 19
jah ni mahtcduu amtqipan: Marc. 6, 19. Skeir. 39, 10 ni mag ga-
saHra9t: Marc. 9, 23 magcis galauhjau: Luc, t>, 42 magt qipaji (dvva-
aai iJyetr). In den beiden folgenden beispielen bewegt sich der
abhängige inünitiv duivhaus auf dem gebiete geistiger tätigkeit; um so
weniger sind wir berechtigt, hier mag = la/vio zu fassen und an kör-
perliche kraft auf Seiten des mr»genden zu denken. Joh. 14, 5 ßvaiica
magum jKitia ing ktinimn (ihrciiu^a dö^rai); Eph. 3,4 duppe ei sigg-
iramians mageip frapjan frotlei^i miiuai in runai Xristaus = /tqb^
8 dviKtat^t arayinJa-Aorre^ rof^oat ri^r anaur x. r. A. — Weitere belege
zu I, II und III bietet Schutzes Got. wb. s. 216: Köhler, Synt. ge-
brauch des infinitiv im got: Genn. XII, 425.
§ 6. Mtisren im altsiehsiseheii.
I. Der absolute gt^brauch von magtut ist im alts. nicht mehr
belegbar, es sei denn, diiss man Hol. 2S4t> huaf mag that thoh the-
saro me/iigi nicht wie Steig (Zs. f. d. ph. XVI. 327) getan, durch die
einfache ollipse von HHtsaft erklären will. Ellipsen leichterer art lie-
gen vor: Hei. 659 sia frumida thic mahta (sc. frummicn). 2727 hah-
duh imi for ufidf\<agim so sia un^la mahinn (sc. hclfbian).
II. Für mag c. objektsaccusativ bietet das alts. kein beispieL
III. mag c. infiu.
ai mag c. inf. =- raito begegnet uns an folgenden stellen: Hei.
891 ///«* mag alln'o manno gihmna m*^ngithahto sumicouo sii-oroH;
lW> that hit atatan mah liad^^} gi/iHttiliko/t sat-a endi saiidea: 2107
/< t/il'4tiii that thu ainuahl hahis that tha imi hinana mäht htian
giuuirktati: Ö321 hii ni wahta is Ittns gifnson.
bi ZahlniclKT sind die boispivle für magan = <JrwKF^i, posse:
ich muss mich hirr aut tino auswahl K^schninken. 725 iiw ie giuNin-
nah mag: 77^> //// htnhtu an jridu hdont that kimi: 1800 al so ic
iH nit oiita*\<*nh ntii4]: 4041 sujqian man: 50S7 muqau is autkennian
uuiht usw.
D;is alts, k^^nt auch Ivniits un{vrsOnliohe> mag: Hei. 141 huuo
mag that giuuird^m s-^r 13S hui it so niamrthan muqi: 271. An
zw^^i >ti-ilon ist man s:oD»iirt mnn zu übersetzen durch •loh liabe
urviuhf. vt ranla>>ung~ : 1709 ///////// mahtha afttr ihiu smise^ man-
iifs g/sojh sithrir giituoi*an: 1711 .<>' mag that an is hugi mvra an
ihrsarxf middilgant manno gihuuilicun musan.
\
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 37
Einmal endlich — in der altnd. psalnienübersetzung Ps. 54, 13 —
sehen wir ein pliisquamperf. coni. durch mofiti c. inf. widergegeben:
afßsrondissern me forifitan ab eo = ic bürge mi, so mohii gibergan
fan hno. Wir werden weiter unten gelegenhcit haben, ausführlicher
auf die nahen beziehungen zwischen ymigen und dem conjunctiv zu
achten.
Das alts. zeigt uns somit bereits eine gi-össere mannigfaltigkeit
syntaktischer an Wendungen von mag als sie uns das got. bot; wir wer-
den das ahd. auf diesem woge immer weiter fortschreiten sehen: jemehr
aber die gebrauchssphäre von mögen an ausdehnung gewint, um so
ärmer wird der logische inhalt von rnugcn,
§ 7. MOgcn ini althochdeutschen.
Die ahd. glossen bezeugen, dass auch im ahd. neben jenem mugen,
welches lat. i-alerc glossiert, ein anderes eiuhergeht, lat. possiim oder
tjHeo entsprechend; die übei-setzungen bieten zahlreiche belege für diese
tatsache; sie verraten ausserdem noch einige andere bedeutungsnüancen
von mitgen, =- licet, convenit usw.; sie lehren uns femer, dass der
conjunktiv und das hülfsverbum mitgen in begriflicher verwantschaft
stehen; sie nötigen uns endlich eine ganz erhebliche abschwächung der
ursprünglichen bedeutung da anzunclmien, wo wir mag c. inf. einem ein-
fachen verbum finit. des lateinischen gegenüberstehen sehen. Von den
ahd. glossen kommen hier folgende in betracht: I, 26*® invalidis —
unmahtik; 152^^ valerct — mahda; 235 ^^ queam — meld; 236 ^^
qucverwit — mahton , mahtun; 236 ^^ yotucrunt — viakton; 365 *
polest confici — mac uuerdan katan; 586 ^^ valebit — maget; 754^^
possHint — viegin; IL, 21'^^ nc posdt — thax ni mngi; 27^^ quis
queat — nuer )iu mugk; 14:6'^'^ nequiverit — nemegi; Q29^^ possimn^
— megin; 666 ^^ potes — fnahtöst; Emmer. glosse (Pez I, 402) passi-
bilem = martra doleii magan.
Aus der ahd. übersetzungslittcratur bringe ich nur einige beispiele,
da ich unten dem deutschen texte jedesmal, wo es angeht, das latei-
nische original hinzufügen werde. Fragm. theot. IV, 17 poiesiis —
magut; XI, 3 licet — mac; III, 1 perderent — farkosan mäht in;
Isid. VI, a. 6 sit — mac uuesan; Tat. 108, 2 valeo — mag; 231, 1
manducettir — ex%an megi; Notk. Boeth. 40 ^ libuit — mugin; 41^®
fas fimset — "tnahU; 89 2« habere licet — haben mugen; 122 ^^
Videos — mäht sehen; 153 ^^ valct — mag; 173 ^^ licet — maxj;
200 2ß habent volcndi nolendiqnc naturam — inugen miellen tmde
nemiellen; Mcp. 696 ^ eonveniret accipere — nennen ynahti; MSD 54, 12
38 KAHL
qiiomodo sc dicit — uueo mag sin; 10, 14 imcle hohes — uuär maJii
thil ncman; vgl. auch Denegke Gebrauch dos inf. bei den ahd. Über-
setzern des Vin. und IX. Jahrhunderts s. 9.
Der nunmehr folgenden darstellung der syntax des ahd. mögen
legen wir folgendes Schema zu gi'unde. Wir behandeln L den absolu-
ten gebrauch; II. die transitiven anwendungcn, die sich in der casuel-
lon oder präpositioneilen anknüpfung eines objekts an mmj kundgeben;
III. die infinitivconstruktion bei maij. Unter III. stellen wir zunächst
a) die fälle zusammen, in denen may valere entspricht; dann b) die-
jenigen, in denen es die blosse fähigkeit und möglichkeit zum aus-
druck bringt, = posse; c) im anschluss hieran finden die beispiele
erwähnung und erklärung, die uns mag als Übersetzung eines lat licet,
fas est u. dgl. zeigen; d) in einem folgenden abschnitte weisen wir
nach, dass mngen im ahd. nicht auf persönliche Subjekte beschränkt
ist; von persönlich gedachten subjecten gelangen wir bis hinunter zu
e^, als 'dem träger eines magan; der mangel an concreter bestimtheit,
der sich in einem vx mac ausspricht, leitet über zu den fäUen e), in
denen mac c. inf. nur eine Umschreibung des einfachen verbum fini-
tum ist; gesondert hiervon ist endlich der gebrauch desjenigen mac
c. inf. zu behandeln, das zum ersatze eines conjunktivs f) und des
futurums g) dient.
I. Der absolute gebrauch des ahd. viag
ist selu* selten: mir sind nur folgende beispiele bekant: MSD 60, 15
in des tadllnn er sih gatriMa magan (euiiis volvntate credidit sc
l)osse)\ Ben.-R. 39,2 ferisi megi = praevalet. — gimvgen steht absolut:
Notk. Ps. 140, 7 uiianda dei gemähten. In den meisten fällen handelt
es sich bei tdleinstehendem mag um eine ellipsc, so Notker Boeth.
46 ^^ SU sie gedrungenöst vtahton; Ps. 118, 13 alle nemahta ih (sc.
Urnen): Ps. 8, 3. 37, 7.
Der Infinitiv fehlt besonders dann, wenn es sich um ein verbum
der bewegung handelt: hier genügt die angäbe der richtung: MSD
13, 20 ne megih in, nohhein lant; Otfr. V, 10, 6 uiianta furdir
ihn ni mäht; Notk. Ps. 119, 2 ferrera denne du megi^t
II. mag mit einem objekte (iiuax, da^, all u. dgl.)
1) c. acc. MSD 60, 2 7ii mac dix; 17 dax^ mac; 20; 22 dax neo-
man mac in Panlo, dax mac xa nudre in trühtln = quod nemo
jwtest in PaidOj Iwe polest in domino: vgl. got IL Cor. 13, 18;
Phil. 4, 13. MSD 82, 11. 19 negimahta nieht; 91, 106 so siex verröst
gimngin; 109 tibe ih ex girnac. Murb. H. 20,6 uuax diu mak hökira;
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 39
Tat. 92, 4 oba thü uuax^ mugts; Otfr. IV, 31. 33 allax tibarmag.
Notker kent nur das compositum ffhmigen c. acc.: Booth. 53^^ rhe-
torica gernag micheUu ding; 80^2 mer; 107' dax; 174 ^ 185^.
198 2. 217« a/; 233^1; Mcp. 781 1» filo getnag; Ps. 118, 93. Nur
einmal: Ps. 14, 4 haben die Wiener und Wessobrunner hs. nieht ne-
fnahia; der cod. St. Gall. nieht fiegernahta.
2) c. gen. Notk. Boeth. 2^9^^ sih fermugen stnes kmiges; 248 ^^
fennahta er sih ringennes,
3) c. dat. Tat. 80, 3 gimngen iri (sufficiunt eis); Notk. Ps. 7, 3.
60^ 4 er geniag mir (hat gewalt über mich); 88, 23 7iieht nemag imo
der fient (vgl. Lachmann zu Nib. 785, 1).
4) c. praep. Tat 24, 3 xi niouuihta nimag ix elihdr; 90, 3
ni yvmvgun uuidar int (non praevalebnnt adversuß eain),
III. 7nag c. infin.
a) 7niigen = valere.
Ich beschränke mich auf eine aus wähl von stellen:
MSD 3, 57 (Musp.) dar nimac nute helfan vora deine muspiUe.
3, 83 imo man kipägan ni mak; 9, 2 giiiualt dux er mue gine-
rian; 86 C 1, 11 der so kiuualtic uiias dax er sinan pichoräre
firsen^hin mähte.
Tat 38, 3 mag xuogiouhhön (=- got Mtth. 6, 17 mag anaaiikan);
108, 2 ih ni 7nag graban (fodere non valeo) ; 189, 3 quedentan
mngan xiimerfan gotes tempal; 205, 3 sih selbon ni mac er heil
tnon; 236, 4 ni mohtiin xiohan = na?i valebant trahere,
Otfr. I, 23, 47 got mag these kisila irquigken; V, 7, 35 ni meg ih
thax irkoboron vgl. V, 23, 1.
Notk. Boeth. 141 ^ ncmugen siu aber geleisten = valent efficere;
153^^ mag chuningo geivalt — mahtige getüon = val&nt efficere
potentem; 162^' ficmugin dara f olleleiten (perducere valeant) ;
Mcp. 753 2' linde den adarnas 7üoman f erbrechen nemag; Ps. 35,
13 an demo fuoxe nemahton si gestcn; 40, 4 so er föne unchrefte
ur firsten ncrnag; 146, 9 er tnicix die starclien dia dax heuue
magen. Ebenso MSD 9, 5. 55, 3. 4. 65 ü, 5. 67, 30. Isid. IV,
b. 8. Tat 30, 4. 44, 19. 46, 2. 88, 10. Otfr. H, 22, 23.
Notk. Boetli. 7H 10 9.
b) mugen = posse.
Es wäre ein zweckloses unternehmen, alle die stellen anführen
zu wollen, in denen 7nag c. inf. posse entspricht; d. h. die objectivo
möglichkeit bezeichnet Wir dürfen, ohne uns der gefahr der über-
40 KAHL
treibung auszusetzen, behaupten, dass schon im ahd. der infinitiv eines
jeden verbums, welches auch sein eigentümlicher begrifeinhalt sein
möge, zu diesem mag adverbial hinzutreten kann. Ich begnüge mich,
aus MSD einige der hierher gehörigen Infinitive aufzuzählen und zu
rubricieren. Der infinitiv bezieht sich
1) auf eine geistige tätigkeit: MSD 3, 94 arlingan; 13, 5 in
gedaiwhuii giuuauchon; 54, 8 farstanten; 61, 28 quidan; 72, 40 he-
vemnjan; 82, 7, 3 uuhxen; 82, 12, 2 gwehan; 83, 7 miiDian; 86 C, 7
irchenyiin,
2) auf körperliche Verachtungen u. dgl.: 82, 3, 2 geizigen:
83, 18 gm; 83, 53 gerlhten; 85, 17 scaden; 86B 3, 34 heimir chcnnen,
3) passive infinitive liegen vor in: 4, 3, 7 a« scedin uuerdan;
56, 101 heil uue^an; 66, 13 vuiidan unertJtan; 79, 220 kcluiHcn
uucrden; 82, 3, 9 gcseuin uuerdiu; 86B 1, 5 irfidlü uuerdcH; 86 A
4, 10 firhren/iet tiiierdett.
Es wird ein leichtes sein, diese belege aus der ahd. littoratur
beliebig zu vermehren. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass einige
mal lat. adj. auf -hiUs durch mmjen c. inf. umschrieben werden. Em-
mer. gl. (Pez. I, 402) ])assibihm = martra dolai magcn; MSD 80, 13
huic exorahilis = ter mag horsho gebetön; Notk. Boeth. 397 *** .sv/-
sceptibilis est =» iuphahen mag; 397 ^. — Ps. 118, 54 ra)tinbilis =
dax ich sie singen mahta, — Die Windsberger psalmen (s. 564 Or.)
bilden an dieser stelle saucKch; vgl. auch Notk. Boeth. 174 2* perspi-
cua est «== 7nag sehen,
c) mag =-= licet u. dgl.
Schon oben wiesen wir bei gelogenheit zweier stellen des Hei.
darauf hin, dass im ahd. mag neben jenen bedeutimgen, welche wir
oben besprochen haben, noch einige andere liegen, die sich durch eine
stärkere bezugnahme auf das subjekt auszeichnen, als sie sonst dem
algemeinen begrifFe der möglichkeit zueignet 7nag kann im alid. auch
hoissen:
1) es steht mir frei; ich kann, wenn ich will;
2) ich habe Ursache, veranlassung.
Wie haben wir xms diese bedcutungsnüancon zu erklären? Die mög-
lichkeit einer handlung kann in umständen wurzeln, die den persön-
lichen eigenschaften des Subjekts oder den Verhältnissen der äusseren
Wirklichkeit entstammen; für den ausdruck dieser arten der möglich-
keit ist mugen bestimt
Wenn nun angegeben werden soll, dass zwar die äusseren und
inneren faktoren vorhanden sind, welche durch ihr zusammenwirken
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 41
die befahigung des Subjekts und damit die möglichkeit der handlung
constituieren, dass aber gleich wol das Subjekt die unumschränkte frei-
heit seiner cntschliessung sich bewahrt, dass es in keiner weise einem
nötigenden einflusse jener umstände unterliegt, so entwickelt sich
daraus der begriff: „ich bin zwar befähigt zu einer tätigkeit, aber es
steht in meiner band, ob ich die tätigkeit aus der möglichkeit in die
Wirklichkeit will tibergehen lassen." Wir haben es hier also mit einer
besonderen art der möglichkeit zu tun: derjenigen, welche dem subjecto
keinen zwang auflegt, ihm die freiheit der selbstentscheidung belässt
Auf der anderen seite kann nun der fall eintreten, dass die fak-
toren der möglichkeit mehr tun als die möglichkeit bedingen. Wenn
wir Otfr. I, 18, 11 lesen: thax mugun ladr io riaxan, so ist damit
nicht ausgedrückt, dass uns die fähigkeit zu klagen innewohnt; Otfried
will vielmehr sagen, dass der verlust des paradieses, unseres heimat-
landes, von dem an jener stelle die rede ist, ims gewissermassen auf-
fordert zu klagen, der anlass unserer trauer ist Auch hier tritt also
nur eine seite des algemeinen begriffes der möglichkeit, jedoch schär-
fer und bestimter, hervor. Nicht genug, dass die möglichkeit überhaupt
vorhanden ist: die umstände, denen sie ihre existenz verdankt, sind
zugleich so eigentümlicher natur, dass sie an uns das ansuchen stellen,
die möglichkeit zur Wirklichkeit zu gestalten.
1) Beispiele für mag == licet, es steht mir frei.
MSD2, 55 (loh 7naht du nu aodlieho — hni^sti geiudmian; Fragm. theot.
XI, 3 odo ni mac dax ich unitlu iuoen = aut nmi li<^ct inihi quod
volo facere?
Otfr. I, 23, 18 .so ihn thir t/iar le^an mäht; ebenso II, 3, 11; 3, 29;
m, 14, 51; IV, 5, 60; 6, 2; 15, 59; 33, 21. — ü, 9, 90 ms mäht
thih al hithenkan; L. 44 sclbo mäht ix lesan thar; 11, 24, 2; V,
13, 3; H. 38.
Notk. Boeth. 40 ^ ituax si geti)en mugin (libidt) ; 41^^ ix nemahti
nioman anderro gitumi (fas faisset) ; 89 ^^ den vianigc haben nernu'
gen (licet) ; 173^^ samolih mag ih sagen (= similiter licet ratio-
cinari) ; 195 ^^ 7nag ih j^aldo festcnö?i (licet cancludere) ; 200 2<» tiu
natürlicho mugen hineilen unde ne iiuellcn (quae habent aliquayn
t'olendi 7iolendiqtfc naturam) ; Mcp. 696^ mielicha er neman mahtt
(quam conveniret accipere).
2) mag -= ich habe Ursache.
MSD 3, 6 sorgeft mac diu sela; 3, 23 so mac huckan xa diiiy sorgen
dräto; 91, 239 dax ich inniglicho biweinmi — mugc.
42 KAHL
Otfr. I, 18, 4 ich vieg ix lohon harto (vgl. hierzu Erdmann Unter-
suchungen usw. I, 18 gegen Grimm Gr. IV, 80); I, 13, 11 thax
mugun uuir io riaxan; 11, 4, 77 ih mag ix uuola tnidan; IV, 12, 58
ih meg ix baldo sprechan; V, 9, 20 Utax miigun uuir iamer mmnon.
Notk. Boeth. 102* tar mag man ana Urnen integritatem; 184* tiu
per uuort mugen uuir — diuten; Categ. 368 ^^ sie mag man bede
heixiu homo unde animah
(1) mag mit unpersönlichem Subjekte.
Es war interessant zu beobachten, wie langsam der unpersönliche
gebrauch von können im altdeutschen sich bahn brach. Vor dem Xll.
Jahrhundert war die Übertragung von kunnen auf ein sächliches Sub-
jekt oder gar auf ex nicht nachweisbar; wir konten noch mehrere Zwi-
schenglieder aufzeigen, welche die vermitlung zwischen dem persön-
lichen und unpersönlichen können gebildet haben. Anders ist dies bei
mag! Die objektive raöglichkeit kann für eine sache ebenso gut ein-
treten wie für eine person: von einer befahigung darf man hierbei
freilich kaum sprechen; es handelt sich darum auszudrücken, dass
gewisse umstände der Verwirklichung einer handlung günstig sind
oder nicht, und somit für dieselbe ein mugen oder nemugeu herbeifüh-
ren. Die ereten beispiele für mugen mit sächlichem subjekt und ex
lassen sich im ahd. bei Tatian nachweisen.
1) mugen mit sächlichem subjekt
Tat. 25, 1 ni mag bürg uuerdan giborgan: 134, 8 inti ni mac dax
giscrib xilösit uuerdan: 164, 3 than i/iisiu uueralt intfdhan nimac;
167, 3 dax uuinloub ni mac beran uuahiismon fona imo selbemo:
240, 2.
MSD 79A 119 irmewcn unde begrifen nemag in nehein sin; 81, 26
tax ist Ubhafte (anhnal) dax sich ruerin mag,
NotL Boeth. 10 ^\ 30^^ imprudentia nemag mih bringen xc demo scuU
digen: 49^^ s fernen nemugen skinen; 65*- sprdchö unde ding
nemugen dne strii nicht urrdent: 81 * so mugen anchorae gestdten
dax skef: 87 1\ 91^\ 102 ^ 147 »^ 154 »i usw.
2) ex mac c. inf.
Tat 17, 3 fon Xaxarrth mag sih uuax guotes uuesan; 119, 5 vuo
mugun thisu (haec) uuesan: 181, 1 ob ix uuesan mohti.
Otfr. I, 25, 5 uuio mag sin? vgl, I, 27, 58. 11, 3, 7. 11, 7, 46.
IV, 11, 26. V, 7, 21 mag mih gelüsten uueinonnes; V, 18, 13 ix
mag uns uuesan drdti: V, 19, 36 queman mag un^ thax in muat.
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 43
Notk. Boeth. 61-^ dax iuw samoUh kcslehcn ytmhti; 95-^ na nema{i
aber de^ nicht sin; 99- dax ivio liehesta muge sin; 103^2 uuux,
mag — danne liehen; 12125 ^nag keskehen; 136 ^^ nuio mag sin;
vgl 21H 114*. 14913 16028. 1801*.
e) Viag c. inf. = verbum finitum.
Der impersonelle gebrauch von mugen lässt uns darauf schliessen,
dass schon im ahd. die logische kraft des verbums mugen bedeutend
abgenommen hat: frühzeitig ist das ahd. mag zum hülfsvorbum herab-
gesunken.
Schon aus dem anfang des IX. Jahrhunderts können wir falle
nachweisen, in denen mag c, inf nur die geltung des einfachen ver-
bum finitum hat, wie uns die lat Übersetzungsvorlagen zeigen kön-
nen. Nun kann zwar nicht geleugnet werden, dass in manchen der
beLspiele, die wir unten anführen werden, mag wol nicht ohne absieht
vom deutschen Übersetzer hinzugefügt worden ist und deshalb bei der
crklärung nicht ohne weiteres auf die seite geschoben werden darf.
Allein man wird doch zugeben müssen, dass dies mag, wenn man ihm
noch eine individuelle bedeutung zugestehen will, jedenfals recht schwach
und inhaltsarm ist und von dem alten magan = laxteiv durch eine
tiefe kluft getrent ist.
MSD 10,14 miar mäht thil gnot man nemaii qnecprmman = unde
ergo habes aquam vivam? ; 10, 27 des makthu sichüre sin = hoe
vere dixisti; 10, 28 dax thü mäht forasago sin =- qnia propheta
es in; 54, 12 uuco mag er christdni sin =--- qnomodo se christia-
num dicit; 80, 5 so man einen stnpf ketuon mag.
Tat. 45, 4 fhiu bihaben mohtun einerö giunelih xuei mex odo thriu
(eapientes singiilae metretas binas vel iernas) ; 240, 2 undniu the-
san mittUgart bifähan magan =« arbiträr mundum capere eos.
Otfr. IV, 14, 15 thiu mngun tirkundon sin.
Notk. Boeth. 124 *' unax ynag starcheren sin ad lyers^iiadendum danne
dax lob ist; 135-^ /«i nemahti nicht smahc ^in = neque enini vile
quiddam est; Ps. 24, 19 ih iro deste mdrseren trost haben mag.
f) mag c. inf. ersezt den conjunctiv.
Dem conjunctiv, mag er nun im besonderen als optativ, jussiv
(adhortativ), potential oder wie auch sonst immer auftreten, ist es eigen,
einen „mangel an objektiver tatsächlichkeit*' zum ausdruck zu bringen.
Ebenso schliesst aber jede möglichkeit einen mangel an Wirklichkeit in
sich ; es haben daher „die kategorien der möglichkeit und fähigkeit eine
44 KAHL
verwantschaft zu der durch den conjunctiv bezeichneten der verringer-
ten realitüt oder negativität" (Bock QF. XXVII, 15). Von diesem
gesichtspunkte aus haben wir es zu beurteilen, wenn im ahd. nicht
selten viac c. inf. da steht, wo wir eine conjunctivform des verb. fin.
erwarten oder gar, wo das lat original sie bietet Mitunter wechseln
innerhalb desselben Satzgefüges der conjunctiv und ein indicativ von
rnugen mit infinitiv, z. b. Otfr. Y, 23, 37 ihoh imo abuuertax. st ni-
mag ouh mit then ongo?i xi g^ginuuertiz scouuon; vgl. IV, 19, 25/6.
Als beispiele für den ersatz des conj. durch mac c. inf. führt
Erdmann (Untersuchungen usw. s. 36) an:
MSD 10, 28 herro in thir utiigic sein, daz thü mäht forasago sin;
Otfr. II, 14, 55 ynin muat — duat mih wis, thaz thii forasago
sis (vgl. MSD s. 294). Wir haben die stelle MSD 10, 28 schon oben
unter den fällen aufgezählt, in denen 7na€ c. inf. = verb fin. steht.
Otfr. V, 23, 1 steht im nachsatze mag einem conj. praet des con-
ditionalen Vordersatzes gegenüber: nnott ih hiar nu redinon, ni
mag ix ihoh irh'oboron.
Die Vertretung des conj. in optativem sinne durch mag kann
ich aus dem ahd. nicht belegen; doch möchte ich hierher stellen:
Notk. Mcp. 760 - iia maktist tu genw sehen glixenta (quam et
eonspieere nitentem vellcs).
Der jussiv liegt vor in: Otfr. I, 26, 6 hiar mag er lernen =
hiar lerne er (Erdmann s. 36); FV, 26, 24 ia mag ix got erbm^men.
Weit häufiger wird der potentialis durch jnecc ersezt. Das
wescn des potentialis hat Erdmann (1. c. s. 16) zutreffend folgender-
massen beschrieben: „In einer beschränkten anzalü selbständiger con-
junctivsätze ist die subjectiv-bcgehrende erregung des sprechenden ab-
geschwächt, da kein interesso desselben am satzinhalte hervorgehoben
wird. Was dieser conjunctiv mit dem wünschenden und auffordernden
gemeinsam hat, ist die Vorstellung des redenden, dass das eintreten
nicht jezt wirklich statfindet, sondern algemein, d. h. nicht zu einer
bestirnt ins äuge gefassten zeit, sondern überhaupt zu irgend einer zeit
stattinden könne, d. h. möglich sei." Man ersieht daraus, dass das
hülfsverb, dem die function zukomt, die möglichkeit auszudrücken,
nämlich jmigen, in ganz besonderem masse geeignet erscheint, den
conc. potentialis zu vertreten. Bisweilen wird bei diesen Vertretungen
mngen selbst in den conjunctiv gesezt. Hierüber hat sich Holtheuer
(Zs. f. d. ph. erg. 166) so ausgesprochen; „Ohne das hülfsverb würde
der conjunctiv stehen, mit dem hülfsverb steht der satz im indicativ;
es umschreibt also den modus. Die spräche geht aber noch einen
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 45
schritt weiter. Sie sezt auch das hülfsverb in den modus, den es
eigentlich umschreiben soll, und es enthält der satz so die modale
beziehung in der tat doppelt ausgedrückt." — Beispiele für mac c. inf.
= conj. potent, sind:
MSD 13,12 uuie maktih dir intrirman (et quo a faeie tua fugiam) ;
54, 13 odo um mac der furi andra derä calawpä purgeo sin (vcl
qtiomodo pro alio fidei spo7isor existat),
Otfr. I, 4, 55 uuio rneg ih uidxxan thanne; V, 25, 36 tmcs ^tney
ih fergori mera.
Notk. Boeth. 96 ^^ ioh singen inahtist {cantares)\ 122 ^^ tu mäht
ena sehen = itaque illam videas; 168^ tiues mag ih nn digen
(quid imprecer) ; 224 ^^ uuer ma/j uuinneskefte scaffunga getüon
= qivis legem det amantibus; 102 ^^ uuax^ mag ih racho7i (quid
disseratn) ; 113^ aide tmax mag — Jmbeyi (aut quid habeat).
Im gefüge des zusammengesezten satzes begegnen ims folgende
Vertretungen des conj. durch miigen:
1) Relativer nebensatz.
Fragm. theot III, 1 hnueo sie ifian forleosan mahtin (quomodo
perderent).
Tat. 231, 1 thax man exxan megi (quod manducetur; Par. fragm.
Zs. f. d. a. XVII, 74 mafiducetis) .
Notk.* Boeth. 10 '^^ after dien man stigen muhti (quibus esset ascen-
siis) ; 46 1^ thar müoi suht insliefen mag (per quod irrepserit
morbus), 105^^ tie dien unirsisten miujen haften = quae se
patiantur pessimis haerere.
2) Indirecter fragesatz.
Isid. VI, a 6 uuala nu, auh tiue^ 7nac dhesiu stimna nuesan =
age nunCj cuitis est haec vox,
3) Absichtssatz.
Otfr. I, 2, 55 thax ih iamer — mit themo dröste megi sin; IV, 19,
25 thax si mohtin — biredinön; IV, 19, 64 tJiax si nan ynohtin
gianabrechon; V, 12, 17 thax uuir megin — irkennen; V, 17, 38
thax bax sie mohtiii sconan; vgl. II, 22, 3.
4) Concessivsatz.
Otfr. I, 18, 5 thoh mir megi lidolth sprehhan (Kelle üborsezt die
ganze etwas schwer verständliche stelle: „und wenn auch jedes
glied des leibs der spräche gäbe mir besäss, so könte doch mit
Worten nie mit diesem lob ein ende sein); I, 27, 57 thax mih ni
thunkit, megi sin; vgl. II, 12, 37; II, 14, 91; Erdmann s. 37.
46 KAHL
5) In bedingungssätzen habe ich mugefi = conj. im ahd. nicht
gefunden; für das mhd. vgl. weiter unten und Holtheuer LI. s. 165 fg.
g) mac c. inf. = futurum.
Das jfuturum, das eine handlung aus der gegenwart in die Zu-
kunft, aus der Wirklichkeit in die möglichkeit, hinausschiebt, schliesst
ebenso wie der conj. einen mangel an realität in sich und tritt dadurch
zu mugen in nahe beziehungen. In folgenden fällen entspricht mugen
c. inf. einem einfachen futurum:
Tat. 3, 6 imo mag thax. sin == quoniodo fiet istud,
Otfr. in, 6, 17 tittar mugun uuir nu biginnan mit koufu brot
gefiiuinnan = Joh. 6, 5 Ttd&ev dyoQccoo^ieVy unde emcmtis; III, 25, 7
uitax mugun mar — thesses duan = Joh. 11, 47 quid fade-
mus; vgl. Tat 135, 1 uuax duomcs; IV, 9, 5 uuara 7nugen uuir
unsih uuenten,
Notk. Boeth. 91^® tir nemag tili fortuna dax 7iieht kegeben (nuni-
quain faciet); 104^^ mäht teil ieht üxerdreuuen = num quic-
quxim imperabis.
Zur lunschreibung des den gorraanisclien sprachen fehlenden futu-
rums durch andere hilfsverben, wie seal, uuillUj munx, vgl. Grimm
Gr. IV, 179; Erdmann 1. c. s. 5 fg.; meist hat das praesens die funk-
tionen des futurums übernommen (vgl. u. a. Tat. 135, 1 uuax' duomes
= quid faciemus).
Wir haben damit die syntax dos ahd. mugcriy zum wenigsten io
ihren haupterscheinungen erschöpft, und können nunmehr zu mugen
im mhd. übergehen.
§ 8. MOgen im mittelhochdeutschen.
Für den, dem zum zwecke der ermitlung der bedoutung des mhd.
kwunen der einfache hinweis auf das ahd. nicht genügt, schreiben wir
hier aus den oben (s. 15) angeführten vocabularien folgende glossen aus:
passe = 7nogen^ mocgen, mugen (Diefenbach s. 449); valere = mu-
gen (ebd. s. 605); vakx =- mugen, 7?iugenheit, gesuntheit; vgl. auch
Diefenbach Nov. gloss. 1867 s. 376 s. v. valere, Voc. d. Nig. Ab-
bjis ed. M. Fiohr s. 68 n. 3911: possibilis = 7nogelich^'; possibili'
tas = mogelicheit; 3919/20 potens = 7Piehtiger; potentia == maJity
gewaU.
Auch im mhd. treten uns also für mugen die beiden grundbedeu-
tungen posse und valere en1^;egen.
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 47
Für den unterschied zwischen kunnen und mugen verweisen wir
noch besonders auf Weinschw. 164 ich kan wol trinken unde maCy
ich hun kunst unde kraft.
Nicht selten erscheinen kunnen und mugen verbunden: die mög-
lichkeit wird alsdann gleichsam von zwei selten beleuchtet: intellektuell -
subjektiv (kunnen) und physisch -objektiv fmugen), Heinrich v. Vel-
decke liebt diese Verbindung ganz besonders: vgl. M. F. 64^^; Eneit
572. 1600. 2298. 3394. 4986. 5335. 8673. 10374. 10559. 11414; vgl.
ausserdem: Will. 141, 14; Wolfr. Wilh. 263, 2; G. Trist. 62 33
Klage 123. 259 CD; Leyser pred. 29, 33. 65, 41. 83, 39. 90, 12.
Bei der nun folgenden darstellimg der syntax des mhd. mugen
behalten wir das Schema bei, nach dem wir oben das ahd. mugen
behandelt haben und sprechen daher vom:
I. Absol. gebrauch des mhd. mugen.
Der absol. gebrauch von mitogen ist im mhd. nur an wenigen
stellen nachzuweisen: MSD 46, 76 warul wir fm dich nine mugen;
Gen. 55, 9 si sprachen dax er wol mohte (nach Diemer = dass es
ihm wohl gehe); 130, 18 wolde uaren ^e sinen geslachte eruiriden vrie
ex mohie; M. F. 197^^ 02ve leider ich ennia^; Walth. 35* er maCy er
hat, er tuot; weitere belege s. Mhd. wb. 11, 4 b (myst. 131, 2 ist dort
falsch citiert!) und Mhd. hwb. I, 2219.
Meist liegt da, wo 7nugen allein steht, eine ellipse vor: so z. b.
MSD 33 F. 20; Hpts EQ. 17, 17; Heinr. v. M. Pr. 301; Roth. 121.
1775. 4865; M. F. 16 2^. 48^0. 172 »7; Eneit 4986. 5335. 10559.
11414. 13045; Wolfr. Parz. 193, 28; Wilh. 17, 7. 96, 11. G. Trist.
11 i^ 25116. Ulr. Trist. 569 27. Nib. 1766, 4. 2081, 1; Klage 121
dö lie six (six gen BCDIh) als ex mohte, Gudr. 846, 1. 1347, 3.
1563, 1; Walth. 581». 91 1^; Frid. 3, 25; Nie. Jer. 1, 172.
Der Infinitiv eines verbums der bewegimg ist zu ergänzen: G.
Trist. 2422. 544^7; Nib. 576, 2; Gudr. 734, 4. 1463, 2; (vgl. oben
s. 16).
n. mag mit einem Objekte.
Die meisten hierher gehörigen beispiele beziehen sich auf eine
ausdrucks weise, die unserem: „was kann ich dazu, dafür" u. dgl. ent-
spricht (vgl. Lachmann zu Nib. 785, 1; Kl. sehr. I, 191; Zarncke
Mhd. wb. II, 4b u. fg.).
M. F. 7238 desn mac ich niet; 1712» wax mac si des,
Wolfr. Parz. 271, 3 wax mohte si, swax ir geschaeh.
48 KAHL
G. Trist 250^^ dax ist ir art: wer mac des iht? 446 2® tver mag
im dirre hlintheit iht? Ulr. Trist. 543 3* tvax mag ieh; 557*^
wax mohte ich.
Walth. 62 2-. 89^ dax ich es niene mac (vgl. Wilmanns aiim.).
Konr. Gold, sclim. 1094 tver mac im denne, oh er geleit tvirt,
Bon. 37, 45 tver mag im des?
Anderer art ist der accusativ in: M. F. 180 ^^ dem ist nu also,
dax ich bax 7iie7ie ynac; Hartm. a. H. 1256 ivider den nieman nieht
enmac; Er. 2079; Greg. 3499. Hugo v. Langenstein Mart 266^, 61
och ist friger muot gegeben, dax er guot und ubil mac. Gudr. 1190, 1
tüir tiion sivat icir gemügen (diese stelle für gemügen [vgl. got Gal.
5, 6 iraiht gamag = laxvco] fehlt Mhd. wb. II, 8** und Lexer I, 848.
Bei Hartm. Greg. 2906 und Er. 8319 scheinen mir formen von wa-
cfien, nieht mugen vorzuliegen).
Wie man sieht, ist die hinzufügung eines Objekts zu mugen im
mhd. ziemlich selten; sie ist auf bestimte formelhafte ausdrücke
beschränkt.
in. mugen mit abhängigem infinitive.
a) mugen = valere.
Den gebrauch von mugen = valere, d. h. kräftig, körperlich fähig
sein zu etwas, den das nhd. kaum mehr kent, können wir aus zahl-
reichen beispieleu des mhd. noch belegen; wir verwenden in diesem
sinne das compositum „vermögen", das seit dem ende des mittelalters
die funktionen von mugen = valere übernommen hat.
Bei der aufzählung einiger beispiele begnüge ich mich mit der
angäbe der infinitive, die von diesem mugen abhängig gemacht werden.
Will. 58, 18 adversarias potesiates nider triben; 142, 9 beskirmen;
Annol. 681 widirsten; Hpts Hl. 116, 31 sich gerekken; Heinr. v, M.
Er. 111 erheben; Roth. 2571 widirstän; M. F. 72 3» ir krefien . .
gcstemen; 30 3*. 47 2^. 127 33. 13712. 17037.
Eneit 708 gewinnen met gewalt; 1258 op stän; 1852 erweren; 2388
gestdn noh gegdn; 2672 gevehten; 4022. 6454. 8846. 9164. 9805.
Hartm. Er. 817 mit kreften gelegen; 3118 gestriten; Iw. 6678 erveJiten.
Wolfr. Parz. 66, 16 getuon riterschaft; 124, 4 ab gexicicken.
G. Trist. 48*® init wer gecristen; 62^5 Ctf sinen vüexen gestäfi.
U. Trist. 558^ gespringen.
Nib. 58, 1 mit gewalte erwerben; 1010, 2 gegän CDIh; 1977, 3 er wand
in mugen twingen A; (das ist das einzige beispiel für den Infinitiv
des mhA. mag: vgl. Lachmann zu 1977,3; die anderen handschriften
KÖNNEN UND MOQEN IM ALTD. 4Ö
haben: er wände in solde tivingen C; er möhte in twinge?i B; er
moht ertmngen Ih). 433, 3 mit krefte des schuxes niht gestän.
Gudr. 94, AsoUier krefte geivalten; 514, 2 sterke walten; 852, 4. 1463, 1.
Frid. 2, 25. 19, 23. 53, 1. 67, 5. 175, 13. 69, 14 erwem; 132, 20
überwaten,
Konr. Alex. 960 gebrechen üx, der kende sin; 974 mit kraft — dräx^
geivinnen.
Nie. Jer. 6, 149 gestän — uf de?i tmexen.
Zu Berthold v. R. vgl. Rötteken 1. 1. s. 117.
b) tnugen = posse.
Ich leiste von vornherein verzieht darauf, für dieses im mhd.
ungemein verbreitete mugen beispiele beizubringen; wie wir schon fiir
das ahd. bemerkten, hat jenes mugen fast jeden Infinitiv, er mag indi-
viduell wie auch immer geartet sein, in den bereich seiner abhängig-
keit gezogen: die objektive möglichkeit ist unbeschränkt auf alle gebiete
geistigen und körperlichen geschehens ausgedehnt; joder mhd. schrift-
steiler bietet hierfür eine fülle von belegen.
Monsterberg hat in seiner verdienstvollen arbeit die mühe nicht
gescheut, die beispiele für dieses mugen bei Hartmann nach der beson-
deren art der umstände, welche jeweilig die möglichkeit bedingen, sorg-
faltig zu ordnen und zu klassificieren; es gebricht mir an räum imd
zeit, dies lehrreiche verfahren auch auf meine beispielsamlung anzu-
wenden.
Wir gehen sogleich zu einem weiteren gebrauche von mugen über.
c) mag = es steht mir frei, ich habe Ursache xl dgl.
Wir haboD oben auf die bedeutungsnüancen hingewiesen, welche
sich aus dem ahd. mugen entwickelt haben; wir suchten zu zeigen, dass
die scheinbar geänderten begriffe, welche diesen neuen arten von mugen
zu gründe liegen, nur verschiedene selten des einen hauptbegriffes der
möglichkeit sind. Das gleiche gilt für das mhd.; zu den beiden bedeu-
tungen, die wir im ahd. beobachten konten: 1) ich habe Ursache, 2) es
steht mir frei, tritt hier noch eine dritte hinzu, die auch dem ahd.
nicht ganz fremd war: „ich habe recht, es ist mir erlaubt '^ Auch
auf diese bedeutungsvariante kann die erklärung anwendung finden, die
wir oben für die analogen erscheinungen im ahd. gegeben haben. Da,
wo mag heisst: „ich habe ein recht darauf, so oder so zu handeln'^,
sind die umstände, in denen die mögUchkelt der handlung wurzelt, so
beschaffen, dass sie mir nicht nur freistellen, ob ich die möglichkeit
ZUTSCHRIFT F. DEUTSCHS FHILOLOOIE. BD. ZXH. 4
50 KAHL
in Wirklichkeit umsetzen will oder nicht, sondern dass sie mir auch
die berechtigung meines tuns ausdrücklich verbürgen.
Bei der fülle der beispiele, die mir für c) zu geböte steht, muss
ich mich mit einer auswahl begnügen.
1) mac = ich habe Ursache.
Dies mugen ist leicht daran kentlich, dass mit Vorliebe adverbiale
bestimmungen wie gerne, wol, vil, von schulden, lihte usw. zu mac
c. inf. hinzutreten.
MSD 32, 1, 17 dax mag man nmnteran.
Gen. 2, 6 dax mugit ir gerne hören; 13, 25.
Annol. 575 den man müge tvir nu et bispili havin,
Hpts Hl. 20, 13 ex mugin öch wol alle sprekin, 24, 31.
Heinr. v. M, Er. 16 er mac wol sprechen; 318. 410. 669. 776 dd
mäht ex gern tuon; Pr. 527 des nuxg er sich immer schämen,
Roth. 125 die du wol mugis senden; 1775 dax siex immer Antigen
klagen, 1438. 2372. 4128. 4364.
M. F. 14 *® so rmic er vil wol iriuien; 21 ^ er mojc tvol froeUdien
leben; 127 ^^ so mac ich von schulden sprechen wol; 16^. 60^.
6120. 66*6. 70». 913 93*1. 97H 1098«. 113». 1131». 196»«.
209».
Eneit 1588 ir moget hen wale met eren friuntlike ane sien; 1546.
2258. 2476. 2041 et mach mich balde ruowen; 3694 des mahtu
wale frö sin; 5036. 5944. 6199. 6771. 7469. 9984. 11774 u^ir
mögen ons hösUke skamen.
Wolfr. 1. 5, 16 ein wtp wol mac erlauben mir; 7, 42 dax ich wol
mac mit wärheit jehen; Parz. 318, 18 die man gerne möhte schau-
wen; 827, 3 dax mac wol xümen Kyot; Wilh. 58, 28 ex möhte
etliches mag beklagen; Parz. 136, 14. 561, 11; Wilh. 463, 16;
Tit. 118, 4.
Hartm. Iw. 26 dax man gerne hoeren mac; 3993 ich mac wol
clagen; Er. 6032. 7508 des mac ich wol erktchen; weitere belege
bei V. Monsterberg 1. 1.
G. Trist 235 ^^ tvir mugen ex äne sorge län; 349 ^* ich mac tml
weinen; 106 i. 119 i«. 173". 367 2. 466". 486».
U. Trist 502 «s ^^y megen von herxen aüe wesen frd; 526 **.
5641.
Nib. 48, 3 er mohte tvol verdienen; 249, 1 ir muget in gerne dan-
ken; 935, 1 ir muget iuch Uhte rüemen; 1156, 3 ir muget mich
KÖNNEN NUD MÖGEN IM ALTD. 51
gerne ffrüexen; 1184, 4 du mäht dich treuwen balde; 1663, 1 si
mac ml lange weinen; 2181, 3 i^h mag wol balde Magen u. öfters.
Klage 1021 erschrahie, als er von schulden mähte; 1213 daz man
immer m^re da van maere sa^en mac,
Gudr. 73,1 des mac man verjehen; 154, 4 dich miigen loben balde;
127, 2. 192, 2. 269, 4. 299, 2. 361, 4 des mohte er stnen scherm-
knaben gedanken; 382, 2. 516, 3. 671, 2. 715, 3 daz man ims
danken ^nohte von scJmMen wol nach eren; 1473, 2 si mohte
balde klagen usw.
Walth. 16 1^ der weise klagen 7nac; 38 ^^ wir mähten balde klagen
von schulden; 100 ^^ der mac wol sorgen; 121^^ ^nöhtens wol ge-
dagen usf.
Frid. 8, 24 von donre 7nac tnan ^minder sagen; 49, 4. 56, 13.
Konr. Gold. schm. 539 und mac dich tvol bedielten; 909.
Weinschw. 40 ich mac in wol erliden,
Berth. 881, 10 (Wackern. leseb.) die möhtet ir gerne an sehen.
Bon, 2, 37 her an mac gedenken tvol
Nie. Jer. 15, 19 des man mochte lachin.
3) mac = es steht frei, licet.
mugen in dieser bedeutung berührt sich nicht selten mit dem
futurum.
Heinr. v. M. Er. 117 der mac tuon stvaz er tvil.
Both. 364 nü mugider Mren mSre; 5095 nü mugit ir hören we
er sprach.
M. F. 175^® mugent ir micliel wunder an mir sehen.
Eneit 3385 alse du gesien mäht; 9390 dö moget ir hören wo?ider;
12966 da fnochte man skouwen.
TVolfr. Parz. 58, 14 hie mugt ir gröz tvunder lösen; 123, 1 du
mäht hie vier ritter sehn.
G. Trist 14615 ^^^ ^j^i^k* ich nü mire sagen; 175 1®. 199 '^ 344 '^
260 ^® ich mac wol disen geivalt an minem vinde Heben.
U. Trist 511* stver vrouwen wolle schofiwen, der mohte da vil
schoene sehen.
Nib. 1, 4 muget ir nu tvunder hoeren sagen: oft widerkehrende
epische formel: 1062, 1. 1644, 2. 1661, 2. 1873, 1 usw. Gudr.
1010, 1.
Klage 527 du mäht noch manegen vinden.
Gudr. 652, 4 so muget ir mich tvol vrägen; 721, 2 mafi mohte
dax tvol hoeren.
4*
52 KAHL
Walth. 18^® da mugent ir alle schouwen wol ein vmnder ht
Konr. Gold. schm. 415 dax nian erkennen 7nac da hl.
Nie. Jer. 6, 136 als nian da mac schoutvin; 52, 14.
3) mac = ich habe recht, es ist mir erlaubt.
Wol fr. Parz. 48, 3 si mohtex wol mit eren tnon.
Nib. 63, 3 gewant dax also stolze recken mit eren mügefi trafen;
102, 9 dax 7nugt ir wol mit ern tuon; 673, 4 si mac mit eren
mi?inen des S. lip; usw.
Frid. 52, 17 der mac mit eren werden alt.
Berth. 902, 1 (Wackern. leseb.) swer da sprichet, ex müge dehein
eman bi slner hüsfrotven geligen äne koubetsünde usw. (vgl. Eöt-
teken s. 117).
d) mac mit nicht-persönlichem Subjekte.
Über den nicht- persönlichen gebrauch von mtigen ist oben zum
ahd. bereits das nötige bemerkt worden. Ich führe aus meiner bei-
spielsamlung nur belege aus früh-mhd. denkmälem an, um zu zeigen,
dass man schon frühzeitig im mhd. kein bedenken getragen hat, sub-
stantiva der mannigfachsten art, concreta und abstracta, endlich auch
ex zu Subjekten von mugen zu machen.
Will. 27, 3 die doma; 43, 12 tuba; 55, 9 saeeularis actio; 107, 11.
Annol. 605 predigi.
Hpts Hl. 27, 5 unstr samet wesi?i; 116, 31 diu sele.
Heinr. v. M. Er. 87 rät; 830 olbende; 973 otige; Pr. 15 hunde;
155 tivel
Roth. 654 ros; 1859 mantele; 4908 vöxe.
M. F. 7" herxe; 42 «^ staete; 43«» htwte; 53 1 wän; 81* staete;
83^^ Winter; 87^ tot; 113 ^ tier; 119^^ glas; 1381» saelde; 166i»
tcunder; 188^® bluomen schin.
Eneit 1963. 2110. 4296 rät; 7018 tom; 11222 brief; 12097 ros.
Über das impersonelle ex rruic c. int ist wenig zu bemerken;
es ist seit Williram in einer grossen anzahl von stellen zu belegen.
Wie im ahd. zeichnen sich auch im mhd. die Infinitive, die adverbial
zu ex mojc hinzutreten, durch eine gewisse algemeinheit und darum
auch unbestimtheit ihres Inhaltes aus; solche Infinitive sind werden^
sin, geschehen, gän, irgän usw. Von einer aufzählung von beispie-
len für diese ungemein häufig vorkommende ausdrucksweise glaube
ich füglich abstehen zu dürfen; sie bietet nur das eine interesse, dass
sie uns mugen auf einer sehr niedrigen stufe seiner verbale fonctions-
fähigkeit zeigt
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 53
e) mac c. inf. = verbum finitum.
Wie im ahd., so lassen sich auch im mhd. eine reihe von fallen
beobachten, in denen mugen^ eigener bedeutung fast ganz baar, pleo-
nastisch und das einfache verbum umschreibend, zum Infinitiv hin-
zugefügt wird: dieser gebrauch lässt mugeii vollends als hülfsverbum
erscheinen. Oft dient mugen hier dem ausdrucke der gemilderten
behauptung; die zuversichtlichkeit, welche in den indicativformen sich
ausspricht, wird dadurch gemildert, dass man die handlung aus der
direkten Wirklichkeit in die möglichkeit hinausschiebt: dies geschieht
dadurch, dass man das einfache verbum durch mcic c. inf umschreibt
Es ist klar, dass mugen in dieser anwendung jenem mugen sehr nahe
komt, welches im verein mit dem abhängigen Infinitiv den potentialis
ersezt; es hält oft schwer zu entscheiden, ob ein solches mac c. inf. n\ir
die geltung des einfachen verb. fin. hat ober ob es den potential vertritt
Heinr. v. M. Er. 216 der in der werlt 7iiht einen esel mohte haben;
480 V071 de?n geinäinen Uhene mag ex einen besunderen fiamen
tvol haben,
Koth. 2217 der diu genöx mohte sin; 2482 her mach wole unse
vatir sin; 2588. 2628 dö mohter vunfxic düsint haven,
M. F. 8 2® des ich niht mohte hdn noch niemer mac getvinn^en; 53 ^^
wax mac dax sin, dax diu werlt heixxet minne.
Wo 1fr. Parz. 53, 30 den xins von stnen landen, swax der gelten
7noht ein jdr; 86, 15 von detn sol er ledic stn, mac mtn her Br.
ledic stn von diner haiit (nach Erbe P.-Br.V, 36 = fut); 123, 11
ir mugt tvol sin von ritters art; 123, 21. 326, 17 usw.; Wilh.
98, 8 si mohtenx ungerne tuan.
G. Trist 18* schoeniu vrouwe, der ieglichiu mohte sin von schoene
ein rickiu künegtn,
U. Trist 573^* du mäht wol höhe vröude haben.
Nib. 109, 3 ich wil an iu erttvi?igen, swax ir muget hdn; 118, 2
er mohte Hagenen swestersun ml wol sin; 393, 2. 995, 1. 1427, 3.
83, 2 sin im die herren künde AB (mag er sie bekennen CD);
961, 2 so vememet selbe A (so muget ir selbe hoerenB] ir milget
tvol selbe hoeren C); 2212, 3 dax moht man kiesen (erchox manxC).
Gudr. 401, 2 mac er haben kröne oder hat er eigen Land (vgL
Martins anm.); 429, 1 die sie mohten hän,
Frid. 127, 2 swä nuxxe scheint diu kindeliny dd mac des tönes
Uhte sin; 143, 1 ; 95, 4 für durst tnac niht bexxers sin dan tvasser.
Konr. Eng. 294 su^enn ich des goldes niht mac hän; 543 die tvtle
dax ich mac geleben.
54 KAHL
Sachsp. I, 17, 1 aUe de sik geltke nä io der sibbe gestuppen mögen.
Bon. 3, 44 die rede mokt ex vil käme hän.
Nie. Jer. 15, 124 der besiin die er mohle hän; 20, 123.
f) mac c. inf. ersezt den conjunctiv.
Auf die beziehungen, welche zwischen mugen und dem conjunc-
tiv obwalten, habe ich schon oben bei gelegenheit des ahd. hingewiesen.
Im ein&chen satz vertritt mdc c. inf. meist den potentialis oder
den Optativ.
1) mac c. inf. = potentialis.
Vgl. hierzu: Holtheuer Zs. f. d. ph. erg. s. 153.
Koth. 743 die mach wole wesen herre; 840 von wannen mac dix
Volk sin?
M. F. 85** mac si hoeren, waz ich meine; 104 ^ 119^^.
Hartm. Er. 3816 waz mac ich sprechen me; 7970 tvaz mac ich tu
mere sagen. (Weitere beispiele bei v. Monsterberg 1. 1. s. 49).
Wolfr. Parz. 475, 20 waz rätes möht ich dir nu Uion? Tit 54, 1.
G. Trist 682^ diz mugen wol guote Hute sin.
Nib. 82, 2 rieh unde küene moht er vil wol sin; 1690, 4 er mac
wol sin ein recke guot
Gudr. 988, 4 er mac sich ir wol geliehen; 1207, 4. 1271, 3.
Walth. 72^5 der mac ivol heizen friundes gebe.
Frid. 137, 17 daz mac tvol shi ein heilic ztt.
Berth. I, 44, 20 tver mac reht haben? (vgl Rötteken s. 117).
2) mac c. inf. = optativus.
Holtheuer 1. L s. 148; dortselbst beispiele aus Hartm. Iw.; Röt-
teken s. 27.
M. F. 127*7 ^^200 si sich doch miner rede versinnen; 5 ^^. 19 ^ 160*^
Wolfr. 1. 7, 37 mäht du troesten min geinüete; Tit 2, 1 nü>ht ich
getragen wdpen.
G. Trist 265* m^ht ich der rede getvis s^in!
U. Trist 512*7 möhtestü 7nir ze tröste kmnen.
Gudr. 227, 1 möhte daz ges^iii; 1432, 4 möht ich mit den vinden
gestriten.
Walth. 39* möhte ich versläfen des vnnters ztt.
Berth. I, 137, 12 nu mac dir got vil tvol vergelten.
3) mag c. inf. » adhortativ.
Walth. 51 ^'^ muget ir schouwen; 62^
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 55
4) mac c. inf. in conditionalsätzen
dient dazu, entweder „den inhalt des fragesatzes noch mehr in das
gebiet des ungewissen, bedingten hineinzuziehen'^ (vgl. Holtheuer
s. 167) oder die un Wahrscheinlichkeit und irrealität des bedingungs-
satzes noch schärfer auszudrücken, als das durch den einfachen con-
junctiv möglich ist. Beispiele hierfür sind:
M. F. 63^ möht ich enverben mit fröiden ir hulde,
Wolfr. Parz. 46, 10 möht ex mit shien hulden sin; 420, 13 ich möht
mit eren empfähen min lant; vgl. Erbe über die conditionalsätze
bei Wolfram v. E.: P.-Br. V, 1 fg.
G. Trist 2001* und mohte sie dax tvixxen; 333 ^^ 3582».
Nib. 112, 2 ex enmü^e von dinefi eilen din lant den fride hän,
ich tvils alles walten; 467, 2.
Klage 65 ob si möhte sin ein man,
TValth. 95 8® möht ex mit liebes hulden si?i; 125^ möht ich die lie-
ben reise gevaren über se.
Fr id. 17, 9 oi alle seien möhten sin in einer haut, s(/n künde ir
schin nieman grifen noch gesehen; 73, 20 möht ich wol mtnen
willen häiiy ich wolle dem heiser 'x riche län.
5) mugen im indirekten fragesatze.
M. F. 123^* nü rätefit liebe frowen, wax ich singefi müge.
U. Trist. 558^1 wer er wesen möhte.
Nib. 393, 2 tver die unkunden reken mügen sin.
Es wird sich empfehlen, die Vertretung des conj. durch mugen
noch einmal mit systematischer volständigkeit und mit benutzung des
gesamten Stellenmaterials zu behandeln; bis jezt liegen in den arbeiten
von Holthener nnd Erbe nur bescheidene ansätze hierzu vor.
g) mac c. int = futurum.
Über den grund, der mac c. inf. und das futurum zusammen-
führte, wurde bereits oben gesprochen. Es folgen einige beispiele.
G. Trist 214*^ ir muget noch wol geleben den tac.
Nib. 113, 2 sweder unser einer am andern mac gesigen; 234, 3
dax ex Liudgere mag immer tvesen leit; 639, 3. 1407, 3 ir mu-
get harte tvol genesen; 1865, 1.
Gadr. 268, 1 wer mac wis dax geUmben.
Walth« 49, 29 wax mach ich nu sagen mS: so lesen Wacker-
nftgel und Bartsch; Lachmann liest an der angegebenen stelle
>ifen hfmdschnften sol; hiermit vergleicht Wilmanns
56 KAHL
Ulr. V. Liecht 201 ^ waz sol ich iu sagen mt Die vertauschung
von sol mit dem futuralen mac lässt sich auch sonst in den hand-
schriften beobachten: vgl. u. a. Hartm. Iw. 135 do mohter oh
Ad (da soldestu auch a; do inohie ouch ir BD).
Frid. 120, 1 tvil er in allen angesigen, er rnac wol ein halp under-
ligen.
Berth. 877, 21 (Wackern. leseb.) diu e tvart oder iemer mir eht wer-
den niac; 890, 38 daz du nie würde ?wch niemer werden mäht
Wir beenden hiermit unsere darstellung der syntax des mhd.
niugen; wir konten uns in derselben durchweg kürzer fassen als in
den übrigen teilen unserer arbeit, da wir die principiellen fragen für
die behandlung des mhd. mugen schon bei gelegenheit des ahd. erör-
tert hatten; es galt nur unter die dort aufgestelten kategorien, welche
wir mit geringen ändenmgen beibehalten durften, die beispiele aus
dem mhd. einzuordnen. Auf volständigkeit in der herbeischaffung der
belege musten wir, um dem vorwürfe alzu grosser ausführlichkeit zu
entgehen, verzichten; jedoch werden die beispiele, die wir beigebracht
haben, in genügender weise zum Verständnisse der von uns besproche-
nen syntaktischen erscheinungen beigetragen haben.
Wir schliessen diesen abschnitt unserer Untersuchungen mit einem
kurzen rückblicke auf die geschichte des altdeutschen mögen.
Schon an dem got. magan traten uns zwei begriffe entgegen:
der der körperlichen kraft und der der möglichkeit; während der
ganzen altdeutschen zeit gehen diese beiden bedeutungen von mögen
neben einander her, so zwar, dass mugen = jyosse die überhand gewint,
mugen = valere in den hintergrund tritt Die nhd. spräche kent
mögen in der bodeutung „körperlich kräftig sein'^ kaum mehr; können
und das kompositum „vermögen" teilen sich in die functionen des
alten muge^i = valere, Mugen == posse begint bereits im ahd. auf
der einen seite seinen logischen, begriflichen Inhalt mehr und mehr
aufzugeben und in der breiten gebrauchssphäre eines verbum auxiliare
sich zu verlieren, auf der anderen seite einige bedeutunffsnüancen aus-
zubilden, welche uns den grundbegriff der möglichkeit in verschiedenem
lichte zeigen. Daneben endlich erlangt mugen die fähigkeit modale
beziehungen auszudrücken, den conj. und das fut zu umschreiben.
Der verwitterungsprocess, der sich im ahd. an der bedeutung von
mugen vollzogen und der 7nugen zur geltung eines hülfisverbums her-
abgedrückt hat, dauert auch im mhd. stetig fort Zwar bewahrt sich
mugen noch nach einigen richtungen hin seine verbale kraft, die sich
vor allem auch in ein^r begriflich genau ftssbaien bedeatung kundgibt
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 57
Im algemeinen aber ist muyeii seines sinlichen vorstelluagsinhaltes
beraubt und kann nur dann im Satzgefüge wirksam auftreten, wenn es
von einem Infinitive unterstüzt wird.
Das nhd. (vgl. DWb. VI, 2449) kann uns zeigen, welcher man-
nigCaltigkeit von an Wendungen und bedeutungen mögen gerecht zu wer-
den im Stande ist Die vielgestaltigkeit des nhd. mögen ist aber zum
überwiegenden teile durch den umstand erkauft, dass dem Zutritte des
infinitivs zu mögen keine grenzen gesezt sind: infinitive der verschie-
densten art werden von mögen abhängig gemacht und prägen dem
inhaltlosen mögen bald diese bald jene bedeutung auf; nur an wenigen
und schon stark verwischten spuren wird offenbar, dass auch das hülfs-
verbum mögen einst eine selbständige, sinlich kräftige bedeutung gehabt
hat, wie sie uns das got 7nagan = lax^uv noch zeigt.
§ 9. Einzelheiten aus der syntax von kSnnen und mSgen Im
altdentsehen. Nachträge.
In diesem schlussparagi-aphen sollen noch einige punkte bespro-
chen werden, die bisher entweder übersehen worden sind oder deshalb
mit absieht übergangen wurden, weil sie können und mögen betrafen
und darum in der von uns gewählten anordnung nur schlecht platz
finden konten.
1) Können und mögen in nachsätzcn nach positiven
comparativen und Superlativen.
Bock hat (Q. F. 27, 15) über die tatsache berichtet, dass können
und mögen im mhd. besonders gern in nachsätzen nach positiven com-
parativen und Superlativen da gesezt werden, wo ims das einfache
verbum in indicativ- oder konjunctivformen zu genügen scheint: z. b.
Nib. 128, 2 mere danne ich iu ka?i gesagen; Hpts Hl. 30, 25 hdheste
rvunne die man gehabiii mach, Bock hat richtig gesehen, dass hier
eine Steigerung des gedankens vorliegt: die Verneinung der Wirklichkeit,
welche in jenen nachsätzen zum ausdrucke komt, wird durch den Zu-
satz von können oder mögen gleichsam für alle Zeiten ausgesprochen.
„Was niemals gewesen ist und was niemals sein wird, wird in der Vor-
stellung leicht ZU einem, was nicht sein kann und nicht wird sein
können, was nirgends ist, zu einem, was nicht sein kann, d. h. zu
einem unmöglichen.'^ — Beispiele findet man in genügender zahl bei
Bock 8. 16; aus den mhd. epen sind uns formein wie Roth. 1336
aUer beste die man iergin mochte Jmven durchaus geläufig.
58 KAHL
2) Der inf. praet nach können und mögen.
Die deutsche spräche hat nicht die fahigkeit besessen, einen Infi-
nitiv der Vergangenheit zu bilden; sie muste daher, wenn sie nidit
etwa dem praesentischen infinitivo die Vertretung des praeteritalen über-
lassen wolte — wie dies im ahd. noch durchweg geschieht, vgl Grimm
Gr. IV, 170 — zur Umschreibung ihre Zuflucht nehmen. Diese nun
wird so volzogen, dass der infinitiv „haben*' zu dem part praes. des
verbums hinzugefügt wird, dessen inf. praet. gebildet werden soll; z. b.
Nib. 792, 3 du möhtest gedaget hän.
Solche inf. praet. finden sich a) nach kunnen: M. F. 160 ^*;
175 34; G. Trist. 35«; Wolfr. Parz. 404, 30; Nib. 2098, 2; 2223, 4
künde ABC {moht Ih); Gudr. 1439, 2; 1453, 2.
b) nach mugen: Hpts Hl. 22, 24; Heinr. v. M. Er. 687; Roth.
1583; 1632; M. F. 452»; 140»; 177 2«; Eneit 4667; 5560; 7626;
11226; Wolfr. Parz. 286, 30; 464, 6; 484, 22; 565, 28; Gotfr. Trist
89 3'-*; 388 ^ 428 ^ lobg. 62, 12; Nib. 401, 4B; 792, 2; 1496, 1;
Klage 557; 628; Gudr. 127, 3; Walth. 17^^ 106 7; Konr. Eng.
1480; vgl. auch Grimm Gr. IV, 171.
3) Die prothese der partikel ge- vor den infinitiven nach
können und mögen.
Die forscher, die sich in neuerer zeit mit dem vielumstrittenen
ge- beschäftigt haben (vgl. die litteratur bei Reifferscheid Zs. £ d. ph.
erg. 319 fg., v. Monsterberg Zs. f. d. ph. XVIII, 301), sind darin einig,
dass der verschlag von ge- mit besonderer verliebe bei den infinitiven
eintritt, die von kuimen und mugen abhängig sind. In betreff der
erklärung dieses ge- gehen die ansichten der forscher weit auseinander;
die bisherigen auffassungen hat Reifferscheid 1. c. eingehend bespro-
chen und der reilie nach mit stichhaltigen gründen, wie mir scheint,
als irrig abgewiesen. Seinen eigenen erklärungsversuch hat Reiffer-
scheid noch nicht veröffentlicht; er gedenkt ihn, wie er die gute hatte
mir brieflich mitzuteilen, in seiner demnächst erscheinenden Tristan-
ausgabe vorzulegen. Die neueste Untersuchung über ge- war mir bis
jezt noch nicht zugänglich: Dörfeid Über die function des praefixes
ge- in der composition mit verben. I. ge- bei Ulfilas und Tatian.
V. Monsterberg erklärtere- in folgenderweise (1.L 8.314): Überall
scheint mir das syntaktische ge- dem zwecke eines durch das InteroBse
oder die persönliche beteiligung des Subjektes an der handlang hierroiv
gerufenen nachdrucks zu stehen, die kraft des verbums meilt i
stischer sinlichkeit zusammenfassend.^ Nach einer soigf
KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 59
aller einschlägigen stellen aus Hartmann, aus der sich ergibt, dass ge-
rn der überwiegenden mehrzahl der falle nach kan und mac sich findet,
sagt V. Monsterberg: „Wie man also auch die numerischen tatsachen
zu einander in beziehung setzen mag, immer treten rtidc und kan als
diejenigen hervor, welche für das ge- am Infinitiv am günstigsten sind.
Der grund kann nur in der bedeutung beider verba liegen und deren
verwantschaft mit dem sonst hervortretenden Charakter von ge-,^
Ich kann nicht entscheiden, ob diese annähme, welche v. Monster-
berg für seinen Schriftsteller, Hartmann, wahrscheinlich zu machen ge-
sucht hat, auch sonst geltung beanspruchen darf. Der umstand, dass die
handschriften mhd. sclirifteller oft an denselben stellen den Infinitiv mit
und ohne ge- bieten: z. b. Nib. 129, 3 künde gevolgen AB (chunde
volgen CD)] 259, 2 sehen 7nöhte A (gesehen B)\ 759, 1 gesin AB (stnC)
usw.; falle wie Berth. leseb. 893, 34 er kan an der liute silnde gar
höhe unde gröx unde swaere machen und kan sin selbes sünde gar
schoene und liht gemachen, denen ich aus meiner beispielsamlung
noch manche andere zur seite stellen könte, deuten meines erachtens
darauf hin, dass man in das ge- bisher zu viel „hineingeheimnisf hat,
dass man nach den gründen innerer berechtigung da geforscht hat, wo
vielfach nur äussere Verhältnisse (z. b. verszwang) gewirkt haben. Doch
wage ich es noch nicht, diesem urteile über ge- eine bestimte, alge-
meine formulierung zu geben.
4) Die composita von kunnen und mugen im altdeutschen.
Über die composition von kumtan im got. und alts. haben wir
bereits oben gesprochen.
kunnan hat im ahd. 2 composita:
incunnan = accu^are \
farkunnan = desperare] ^«^«S« ^^ ^^"^ ^V' *!<>• ^^^-
Von dem schwachen verbum kunnen werden gebildet: gakunnSn
desperare; arkunnen eocperiri.
Das mhd. kent zu den schwachen verben erkunnen imd ver-
kunnen nur im particip die starken nebenformen erkunnen und ver-
kunnen: vgl. Mhd. wb. I, 807a; Lachmann zu Nib. 2241, 4. Im
nhd. ist „ verkennen " « „sehr können** nur im schwäbischen nach-
weisbar: Schmid Schwab, wb. s. 323.
Das goi kent von nmgan nur das comp, gamagan: Gal. 5, 6;
im fÜM. W kein comp, von mugan zu belegen.
60 MÜLL£R-FRAÜ£NSTEIN
Das ahd. hat gamagan, tmmagan, ubannagan, famicigan (nur
mit sih) und fnrimagan (Graff II, 609); daneben besteht eine schwache
bildung magen = valere, mit dem comp, gamagin.
Mhd. gemügen findet sich u. a. Gudr. 1190, 1; ubamiac und
vermac sind im mlid. ziemlich selten; erst im nhd. hat der gebrauch
von „vormögen*' grössere ausdehnung angenommen. Die schwachen
verba megincn und gameginen belegt das Mhd. wb. II, 8 a/b nur aus
der Genesis.
Mit dieser nachlese schliessen wir unsere Untersuchungen über
die bedeutungen und den syntaktischen gebrauch von können und
mögen im altdeutschen.
Es war unser bestreben, auf grund eines ausgiebigen stellenmate-
rials die scmasiologischen und syntaktischen eigentümlichkeiten von
kunnen imd mttgefi einer wissenschaftlichen durchforschung zu unter-
ziehen. Wir glaubten, bei der einfachen constatierung imd aufzäblung
der tatsachen nicht stehen bleiben zu dürfen. Dariun gingen wir einer-
seits den momenten nach, die uns auf eine geschichtliche entwickliuig
innerhalb des uns vorliegenden syntaktischen tatbestandes schliessen
lassen und suchten wir anderseits die algemeingültigen logischen und
psychologischen gesetze auf, denen wir einen einfluss auf die gestal-
tung syntaktischer ausdrucksformen zuschrieben.
Unter diesen gesichtspunkton, historisch berichtend und logisch-
psychologisch begründend, versuchten wir die geschichte der bedeutungen
und der syntax von können und mögen im altdeutschen zu schreiben;
vielleicht ist es uns wenigstens in den hauptpunkten geglückt, das ziel
zu erreichen, das wir uns sezten.
DIEDENHOFEN I/LOTHR. WU.HEUI KAHL.
ÜBEE ZIGLEKS ASIATISCHE BANISE.
Um falschen erwartungon vorzubeugen und von vom herein zwi-
schen mir und meinen lesem envünschte klarheit zu verbreiten, erkläre
ich zunächst, dass meine absieht auf den folgenden selten keineswegs
darauf gerichtet ist, die bibliographischen notizen über Ziglers einst
vielgerühmten und später so vielgeschmähten roman um einige neoig-
keiten zu vermehren. Weder bibliographische, noch auch biographische
anliegen 1 möchte ich vorbringen, sondern allein ästhetische.
1) Die ersteren, auch überS^en andeie werke, befriedigen bis jezt sumeiet
L. C!hoIoviu8, die bedeatendetea <*< »^ ranano des 17. jahriumderts (Leip&g 186G)
ZIOLERS ASUTISCHE BANISB 61
Mir hat es als einsamem leser der Asiatischen banise vor mehr
als drei lustren nicht recht gelingen wollen, meine damaligen studen-
tischen freimde von dem eigenartigen genusse, den sie mir schon da
bot, zu überzeugen, und ich legte schliesslich selbst das buch mit einer
gewissen zweideutigen befriedigung aus der band. Jezt hat mir eine
nochmalige gründlichere imd, wie ich hoffe, mit etwas geklärterem
geschmack vorgenonunene lektüre und eine längere beschäftigung mit der
betreffenden litteraturperiode den wünsch geweckt, nicht nur vielleicht
einen oder den andern der eben erwähnten Zweifler von 1869, sondern
auch andere mistrauische gemüter davon zu überzeugen, dass selbst diese
blume unseres litterarigchen irgartens, die in einer besonders wüsten
ecke steht, ihren dufl; hat und trotz ihres grellen farbentones das anse-
hen verlohnt Ich halte es aber für nötig, nicht etwa zum zwecke
einer entschuldigung, sondern um der Wahrheit willen, darauf hinzu-
weisen, dass diese zweite lektüre imd die von mir daran geknüpften
und hier widergegebenen bemerkungen nicht etwa durch Cholevius und
Bobertag angeregt oder nur beeinflusst sind. Beider bücher über den
roman kante ich zwar längst, hatte aber in betreff der Banise mir aus
ihnen nie eine zeUe notiert, ja selbst gerade diese partie vor jähren bei
beiden kaum mehr als überflogen. Die nach dem abschluss meiner
arbeit, und mit absieht erst da, vorgenommene vergleich ung meiner
und ihrer urteile hat mir den grösten genuss gewährt, mich aber nicht
8. 153, und F. Bobertag, Geschichte des romans und der ihm verwanten dichtungs-
gattungen in Deutschland, 1. abteilung, 2. band, 1. hälfte (Breslau 1879) s. 159
und 233, und am volständigston des leztgenanten einleitungVI — YIII zu seiner 1883
erschienenen ausgäbe der Banise, in Kürschners Deutscher national -litteiatur bd. 21.
Andere aufzahlungen finden sich z. b. bei Gödeke, Grundriss zur geschieh te der deut-
schen dichtung, und JÖrdens, Lexikon deutscher dichter. Biographisch ist für alle
die genanten und für die später zu nennenden Schriften, die sich mit Zigler und
seiner Banise beschäftigen, eine hauptquelle, die aber nicht reichlich fliesst, unver-
kenbar. Die hauptpunkte sind folgende: Heinrich Anshelm von Zigler und Klip-
haosen ist geboren den 6. Januar 1663 (Cholevius und Bobertag fälschlich 1653)
zu Badmeritz südlich von Görlitz in der Oberlausitz, besuchte drei jahi'e lang das
gymnasiqm zu Görlitz, dann 1680 — 84 die Universität Frankfurt an der Oder, wo
«r sich neben seinem fachstudium, der Jurisprudenz, besonders mit der dichtkunst
beechiftigte. Nach dem tode des vaters 1684 hat er sich zumeist in der nahe von
T^aipiig aufgehalten. Er widmete sich der Verwaltung des ihm zugefallenen ritter-
gütea FrobBthain und lebte als reicher unabhängiger edelmann ganz seinen neigungen,
die, weit ernster als die der kavaliere seiner zeit, sich auf Wissenschaft und littera-
tar TJohtetoi. Ansser Probsthain, das er später verkaufte, hat er noch die guter
JpedsMIii AKkdtig und liebertwolkwitz besessen, daneben war er stiftsrat von Wur-
am r. elvb Mh, schon am 8. September 1697.
62 Mt5LLER - FRAUENSTEIN
ZU einer ändening des von mir niedergeschriebenen bewogen. In die-
ser methode der arbeit liegt der grund — und deshalb erwähne ich
den umstand — , dass ich die auseinandersetzungen in die anmerkun-
gen verweise und dass ich, ausgenommen natürlich, was A. Schlossar
und den von ihm veröffentlichten scenenentwurf der hauptaktion der
Siegenden Unschuld in der Persohn der Asiatischen Banise^ betrift,
auf die ursprünglichkeit des im text gegebenen gewicht lege.
Die europäische berühmtheit unseres buches, ^Asiatische Banise
oder blutiges doch muthiges Pegu'^, seine beliebtheit in unserem vater-
lande, dessen lesendes publikum sich mehr als siebzig jähre lang an
ihm weidete und von 1688 bis 1766 nicht weniger als zehn neudrucke
veranlasste 2, müssen schon an und für sich des litterar- und im alge-
meinen des kulturhistorikers aufmerksamkeit erwecken. Wirft doch
ein solches werk licht auf den geistigen zustand nicht nur des Ver-
fassers, sondern auch der lese weit der zeit, und muss doch bei einem
so seltenen romanerfolge die frage nicht etwa so gestelt werden: Was
wagte der Verfasser seinem publikum zu bieten, sondern was verlangte
es selbst, worin liegen im einzelnen die gründe, dass gerade diese
dichtergabe so ausserordentlichen jubcl erregte? Das ende des 17. und
der anfang des 18. jahrhimderts haben ein so unzii'oifelhaft klares urteil
abgegeben, dass ich Zeugnisse dafür im besonderen nicht anzuführen
brauche; Gottsched konte noch 1733 in seinen „Beyträgen zur Criti-
schen Historie der Deutschen Sprache" usw. 6. stück s. 274 sagen:
Seit dem erscheinen der Banise habe sich kein einziger mensch daran
gemacht und die fehler nachgewiesen (vgl. auch: Nöth. Vorrath usw.
284, 286, 291, 293).
1) Osterreichischo kultur- und littcratuibilder mit besonderer berückBichtigung
der Steiermark (Wien 1879) s. Co fg.
2) Es gibt ferner eine fortsetzung von dem Schlesier J. G. Hamann, welche
mindestens schon 1721 existierte, eine opombearbeitung von Joachim Becoau 1710,
ein trauerspiel von Grimm (Cholevius 153 und Bobertag, Gesch. d. r. 233 und
noch in der einlcitung zur ausga])e d. B. VI nennen Friedrich Wilhelm Grimm
und die zahl 1733, Schlossar dagegen s. 69 und Seuffert in seinem „Maler Mül-
ler" s. 233 den erst 1807 verstorbenen gothaischen minister Fr. Melchior v. Grimm
und die Jahreszahl 1743; daneben klingt es außüllig, wenn E. Schmidt Schnorrs
Archiv f. L IX, 1880 sagt: Grimms Banise kenne jeder, sie sei eine jugendsfindeX
mehrere nachahmungen : Deutsche Banise 1752, Engelländische Banise, priniessin yoa
Sussex 1754, Ägyptische Banise 1759, und eine umarbeitong in eine altpeiBiadhe
novoUe: Der hohe aussprach oder Ghires und Eatime von dem maier Müller,
welche zuerst 1825 in den ,BheinUüttijea' enohifln nnd die auBfühnmg euies top
demselben in seinar jagend begomMan npemtoitiM in AkonndzuMm dantelt
ZIOLERS ASIATISCHE 6ANISE 63
Die asiatische Banise repräsentiert den charakteristischen roman-
stil jener tage neben Daniel von Lohensteins Arminius und Thus-
nelda am besten; diesem lezteren werke allein wurde es nachgesezt,
aber es gefiel wol algemeiner — wie es uns noch heute mehr gefält, als
dieser ri^enroman — wurde tatsächlich öfter gelesen, infolge seiner ver-
hältnismässigen kürze und wegen des zurücktretens der aufdringlichen
belehrenden partien, die sicherlich schon vor 190 jähren die lektüre
des Lohensteinischen buches erschwerten, wenn der Verfasser auch die
beste absieht dabei verfolgte, nämlich „diejenigen auch wider ihren
Vorsatz gelehrt, klug und tugendhaft zu machen, welche in dem ge-
dichte nichts als verliebte eitelkeiten suchen würden.''
Ein rückschlag erfolgte, wie überhaupt gegen die zweite schle-
sische schule, so auch gegen Ziglers hauptroman durch Gottsched und
daneben durch die Schweizer. Sie stellen den schwulst, die Unnatur
der lyrik, epik und dramatik der Hoffimannswaldauischen anhänger
zuerst an den pranger, und dabei ist es, um es kurz zu sagen, im
ganzen auch bis heute geblieben. Aber es hat doch lang gewährt, ehe
sich das lesende Deutschland von der Banise abwendete. Bekantlich
lässt noch Goethe in dem 6. kapitel des 1. buches von „Wilhelm
Meisters lehrjahren" bei der so reizend geschriebenen erzählung Wil-
helms von seinen ersten theatralischen versuchen auch Chaumigrem,
eine hauptfigur in unserem roman, mit nennen: „Da muste nun könig
Saul in seinem schwarzen samtkleide den Chaumigrem, Cato und Da-
rius spielen." Als zum text verwendete bücher nent er „die Deutsche
Schaubühne und verschiedene italienisch -deutsche opem." Man wird
also nicht wol schliessen dürfen, dass der junge Goethe, der ja
bekantlich in diesen partien des Wilhelm Meister seine eigenen jugend-
erinnerungen erzählt, den opemtext von J. Beccau oder den roman
selbst, sondern dass er irgend eine dramatische bearbeitung, sei es
die von Grimm oder eine mehr volkstümliche zu seinem Puppenspiele
benuzt hat Das fiele also in die zeit um 1755 und stimmte durch-
aus mit den in den oben citierten nachahmungen von 1752 — 1759
liegenden beweisen für das Interesse, welches in weitesten kreisen,
speziell am anfang der zweiten häUte des vorigen Jahrhunderts unse-
ler Banise en1;gegengebracht wurde. Wissen wir doch auch, dass
1753 noch zwei und 1764 — 66 noch eine neue aufläge des buches
nOiig waren, und femer, dass ausser der von A. Schlossar besproche-
nen «DflBhnmg der hauptaktion, welche 1722 durch die Bruniussche
fliioa>«Mn^olKhaft in Graz in Steiermark vor sich gieng, noch zwischen
64 MÜLLER -FRAUENSTEIN
1740 und 1750 die bekaute Schucbscbe scbauspielertruppe „die Banize^
aufführtet
Doch für die litteraturgcschichte war seit Gottsched das urteil
gesprochen-, Wol haben einzelne richtungen und einzelne Vorkämpfer
im vorigen und in diesem Jahrhundert auf die starke belebung der
Phantasie und zugleich des Patriotismus, auf die einführung neuer stofie
und kräftigerer plastischer ausdrücke in unsere litteratur, also auf eine
gewisse fördorung derselben in algemein ästhetischer, inhaltlicher und
formeller hinsieht hingewiesen, welche von der sogenanten zweiten
schlesischen schule ausgieng. Die tendenzen der Schweizer wie der
romantiker zeigen deutliche berührungspunkte, aber wie wenig falt dies
im grossen und ganzen ins gewicht! An eine regelrechte „rettung"
hat bis jezt niemand gedacht und wird wol auch nicht so leicht jemand
denken, schiefer anschauungen sind aber ziemlich viele zu bekämpfen.
Für meinen zweck reicht es aus, bevor ich meine eindrücke und
die darauf gegrimdeten urteile widergebe, nur einige wenige kritiken in
den gangbai-sten litteraturgeschichten über die Banise einander gegen-
überaustellen; gar manche, fürchte ich, sind geschrieben, ohne genaue
kentnis des buches, nur nach einem kurzen überfliegen oder selbst auf
die autorität anderer litterarhistoriker hin^. Da spricht z. b. Otto Bo-
quctte (I, 390) von der gelehrten spräche, in der Zigler Lohenstein
nachahme. Kurz (II, 434) nent das werk den unkünstleiischesten imd
geschmacklosesten roman der zeit" Scherr behauptet wenigstens (U,
187), es repräsentiere volständig den wunderlichen romanstil jener zeit,
Vilmar (369) findet, Arminius und Thusnelda habe einen weit besseren
Stil als die Banise. Sehr hart urteilt von den früheren Wachler (EL, 78).
Im Sinnenkitzel, sagt er, wisse Zigler seiner meister kostbarkeit und Schlüpf-
rigkeit zu erreichen, durch umiatürliche Übertreibungen und erfinderische
grausamkeit sie zu übertrefien. Obendrein habe er noch die undeut-
sche vcrkehriheit des vornehmen geselschaflstoncs mit lüderlicher sprach-
mengerei bekundet*. Die Banise sei das erzeugnis zügellos wilder, im
erklügeln schwülstiger gefühlo oder Vorstellungen und ausdrücke dafür
bis zur erschöpfung juigestrengter einbildungskraft; im erstreben des
1) Tlieatr. joumal f. Deutschland 1777, I, 64.
2) Eine frühere, aber weniger wichtige kritik über die ganze romangattang
fiudct sich in Bodmcrs „Discoursen der Mahler '^ teil UI, s. 100.
3) Menzels litteraturgcschichte stelt Chdevius in seiner vorrodo an den pranger.
4) Das ist wol die ungerechteBte aller beaohnldigimgen. Der vergldch Ziglers
mit seinen quellen, besonden mit RvioiMii bewmt angenfUlig, wie er deren fremd-
irorta duxoh deutnlie er
ZIOLERS ASIATISCHE BANISE 65
neuen, ungeheuren, was staunen und grausen erregen soll, verspotte
sie die gesetze der natur und sitsamkeit und sinke oft matt zur gemein-
heit herunter. Ganz anders klingen Scherers, des neuesten gewichtigen
kritikers, werte (379); er stelt die Banise über Arminius in betreff der
effektvollen fortschreitenden handlung, erklärt den stoff für geschickt
verändert und abgerundet und rühmt, hier finde sich keine gelehrsam-
keit, keine verborgene Weisheit, dafür aber die richtigen romanfiguren.
Man sieht schon aus dieser blumeniese, die beliebig vergrössert
werden könte, dass es nötig ist, unbeeinflusst von früheren äusserun-
gen, sich eine eigene meinung zu bilden. Die neueste handliche aus-
gäbe der Banise (siehe oben) ladet dazu ein, nach dieser eitlere ich
als nach dem besten bisherigen drucke, obgleich der herausgeber die-
sen nicht nach einer der ersten auflagen (1688 und 1690), sondern
nach einer von den zwei aus dem jähre 1707 stammenden hat herstel-
len müssen.
Ich gebe zunächst eine gedrängte Inhaltsangabe des werkest Ba-
lacin ist der zweite söhn des königs Dacosem von Ava in Hinterindien,
Banise die tochter Xemindos, des kaisers von Pegu, des nefifen jenes
Dacosem. Die beiden hauptpersonen stehen also im Verhältnis von
onkel und nichte, doch wird gerade diese verwantschaftliche Stellung gar
nicht berührt, vielmehr nur die tatsache, dass Dacosem seinen neffen als
kaiser nicht anerkent, ihm den lehnseid weigert und somit die beiden
höfe in erbitterter feindschaft einander gegenüberstehen, zumal Dacosem
das land von Banisens vater gerade für seinen zweiten söhn Balacin
erobern will. Ein Überläufer von Pegu, der sich in Ava aufhält, ist
Chaumigrem aus Brama, der an dem hofe Dacosems sehr bald einen
ganz ausserordentlichen einfluss erhält, besonders dadurch, dass Xemin-
dos einfaU in Ava, bei dem.Balacins älterer bruder getötet wird, durch
Chaumigrems bruder Xenimbrun zum stilstand gebracht wird. Auch
dieser falt nämlich von Xemindo ab und bedroht Pegu, so dass der
bis dahin siegreiche kaiser sich gegen ihn wenden muss. Lezterer
besiegt und tötet jenen zwar, doch hat dies nur die folge, dass nun
der viel gefahrlichere Chaumigrem an des bruders stelle herr von Brama
wird und sein ehrgeiz eine weit gewaltigere kriegsflamme, die ganz
Hinterindien erfasst, entzündet Er erobert zuerst Martaban, dessen
könig ein Schwiegersohn Xemindos ist, vertilgt unter den grösten grau-
1) Andere Inhaltsangaben bei Cholevius s. 154 — 162, Bobertag s. 160 — 176
und im kürzesten, aber recht geschickt bei Schlossar s. 84 — 87. Ich gebe oben
smiäolist nur die hanpthandlung nnd füge auf den folgenden seiten minder wichtige
dodi wissenswerte partien an.
F. DIXITSOHB PHILOLOGIE. BD. XXH. 5
66 MÜLLEB-FRAUENSTEIK
samkeiten das ganze dortige fürstenhaus und bedroht endlich Pegu
selbst Gegen ihn erfleht jezt Xemindo seines onkels Dacosem von Ava
hilfe und zwar durch dessen söhn Balacin, welcher vor Chaumigrems
einfluss frülier hat aus Ava weichen müssen, in tiefetem incognito nach
Pegu gegangen ist und durch alle möglichen heldentaten Xemindos und
vor allem seiner tochter Banise, einer gefeierten Schönheit, liebe gewon-
nen hat Balacin wird also mit günstigen anerbietungen von Pegu zu
seinem vater geschickt, richtet aber nichts aus, sondern muss zwei
monate lang bei seinem vater unter strenger bewachung aushalten,
während welcher zeit Chaumigrem Pegu einnimt, den kaiser Xemindo
in unwürdiger weise tötet und auch Banise zu ermorden befiehlt
Darauf eilt Balacin, der jezt freigelassen wird, nach Pegu, gelangt nach
den mannigfaltigsten abenteuern in Talemons, des kaiserlichen Schatz-
meisters, eines früher gewonnenen freundes, schloss und hört hier, als
er verwundet an das krankenlager gefesselt ist, sowol dass Banise durch
das mitleid des oberhauptmanns von Chaumigrems leibwache Abaxar
gerettet ist und versteckt gehalten wird, als dass sein vater plötzlich
gestorben und ihm damit Ava und zugleich durch den tod des dor-
tigen königs Aracan zugefallen ist. Er hat also nun die macht, mit
Chaumigrem ofien in die schranken zu treten, untemimt aber, durch
die Verschlimmerung von Banisens läge dazu gedrängt, einen versuch
sie ans Pegu zu entführen. Der tyrann hat nämlich, nachdem er sich
auch des landes Prom bemächtigt und die dortige königin getötet, von
Abaxars eigenmächtigem handeln kentnis erhalten, Banise vor sich
fuhren lassen und, von ihrer Schönheit hingerissen, ihr eine bedenkzeit
von sechs tagen gegeben, nach deren ablauf sie entweder sich mit ihm
verbinden oder den tod erleiden soll. Durch Talemons söhn Ponnedro,
den „oberhofmeister des kaiserlichen frauenzimmers", wird Balacin,
der sich als portugiesischer händler verkleidet, eine Zusammenkunft;
mit Banise ermöglicht, bei der er sie beredet, Chaumigrem einen Schlaf-
trunk einzugeben. Dieser tut seine Schuldigkeit, die liebenden entflie-
hen glücklich aus der Stadt, verirren sich aber, und Banise wird mit
des prinzen diener Scandor eingeholt und zurückgebracht Zu ihrem
glücke folgt der noch immer verliebte Chaumigrem dem rate des ober-
sten priesters, desKolim, welcher bei der gefesselten prinzessin anblick
ebenfals von leidenschaft zu ihr erfasst worden ist und sie für sich
gewinnen will, und bewilligt ihr eine sechsmonatliche trauerzeit in des
Bolim gewahrsam; Scandor, den er frei lässt, gibt dem fest verzweifel-
ten Balacin davon künde. Dieser rüstet in Aracan zum kriege und
tritt Ava seiner Schwester Higvanama ab, während Chaumigrem Siam
ZIGLERS ASIATISCHE BANISE 67
und dessen hauptstadt Odia erobert Bei diesem zuge wird Abaxar,
der in Chaumigrems vertrauen geblieben ist, von den Siamesen gefan-
gen, lernt dabei die siamesische prinzessin Fylane kennen und lieben,
besteht für sie einen Zweikampf und wird nach der einnähme der stadt
ihr und ihres verwundeten, heldenmütigen bruders Nherandi retter und
gefangen Wärter. Auf dem rückraarsche von Odia trift Chaumigrems
beer in einer furchtbaren schlacht am passe Abdiara mit Balacin zusam-
men und wird bis auf klägliche trümmer, die sich nach Pegu retten,
vernichtet Um diese Stadt zieht sich nun der krieg zusammen; ausser
Balacin belagert auch prinz Zarang von Tangu dieselbe, ein unglück-
licher liebhaber Banisens, der gelegenheit gehabt hat, leztere in des
Rolim gewahrsam widerzusehen, aber ebenso wie der zudringliche Rolim
selbst von ihr abgewiesen worden ist Auch der siamesische prinz
Nherandi, der seine freiheit wider gewonnen und sein heimatsland von
den zurückgelassenen truppen Chaumigrems befreit hat, komt Balacin
zu hilfe, endlich noch des lezteren Schwester und Nherandis verlobte,
Higvanama von Ava. Diese jedoch fält unterwegs in die bände eines
Chaumigrem zuziehenden heeres, wird aber glücklicherweise kurz darauf
von ihrem bräutigam wider befreit Trotz alledem scheint der gefan-
genen Banise Schicksal besiegelt Chaumigrem hat mehr und mehr
seine leidenschaft für sie überwunden, und als Banise den Rolim, wel-
cher ihr gewalt antun will, niedersticht, befiehlt er, sie nach 21 tagen
dem kriegsgotte Carcovita zu opfern. Die nachricht davon bringt der
wider einmal gefangene und ausgewechselte Scandor seinem herm, und,
während die Stadt aufe heftigste belagert wird, schmiedet dieser nun
mit dem immer noch als Chaumigrems leibwächter in dessen unmit-
telbarer nähe weilenden Abaxar und einem von dem tyrannen belei-
digten general Martong den entscheidenden plan. Vorher ist auch sein
nebenbuhler Zarang durch die von ihm früher verschmähte prinzes-
sin von Savaady, die in der Verkleidung der Banise zu ihm komt
und plötzlich sein herz gewint, zum abzuge vermocht und das feld
zwischen den hauptpersonen völlig frei geworden. Balacin und sein
getreuer Scandor machen sich unkentlich, gelangen in die stadt Pegu
und erfahren von Abaxar die einzelheiten des rettimgsplanes. Lezterer
bewirkt bei dem neuen Rolim die aufnähme Balacins unter die opfer-
priester, und diesem gerade als dem jüngsten wird der auttrag, Banise
zu töten. Die unglückliche prinzessin ist ohne jede ahnung von diesen
massnahmen, sie komponiert eine trauerarie, die bei der ceremonie
gesungen wird, imd hält in dem tempel des kriegsgottes vor dem ver-
sammelten hofe Chaumigrems und der priesterschaft eine grosse trauer-
5*
68 MÜLLER -FRAUENSTKW
und abschiedsrede. Während sie aber mit gesclilossenen äugen vor
dem altare kniet, macht sich der vor ihr stehende opferpriester plötz-
lich als Balacin kentlich, ersticht den auf ihn losstürmenden Chaumi-
grem, und ein von Abaxar und Martong geleiteter aufetand wirft des-
sen anhänger im tempel nieder; Nherandi erstürmt inzwischen die stadt
Algemeine freude herscht ob der glücklichen wendung, sie wird noch
dadurch erhöht, dass Abaxar sich als prinz Palekin von Prom ausweist
und Talemon die von ihm verborgenen schätze von Banisens vater dem
neuen herscher ausliefert Die hochzeiten, nämlich die von Balacin,
Nherandi und Palakin mit den zu ihnen gehörigen Prinzessinnen, bie-
ten zu Schaustellungen jeder art anlass, von denen ein poetischer wet-
streit zwischen Venus und Mars und das Schauspiel: Die handlung der
listigen räche oder der tapfere Heraclius die glänzendsten sind, und
unter den zärtlichsten freundschaftsbetouerungen nehmen Balacin, der
kaiser von Pegu und Aracan, Nherandi, der könig von Siam, und
Palekin, der könig von Prom und dem ihm geschenkten Ava, mit ihren
ehehälften abschied von einander.
Dies der Inhalt. Die Verteilung des Stoffes in die drei, nicht
weiter in kapitel oder sonstige unterteile zerlegten bücher geschieht in
folgender weise: Das erste buch ist fast ganz mit erzählungen am kran-
kenlager des verkleideten prinzen Balacin auf Talemons schloss erfült
Ziemlich alles, was vor desselben zweitem erscheinen vor Pegu, also
vor seinem aufenthalte bei Talemon, und vor dem unglücklichen flucht-
versuch, geschehen ist, wird hier von seinem diencr Scandor (s. 38 —
86 und 95 — 171) vor den obren des alten Talemon, seines zu besuch
anwesenden sohnes Ponnedro undAbaxars, der lezteren begleitet, berich-
tet Der prinz muss seine und seiner Schwester Higvanama lebens-
und leidens- und seine und Banisens liebesgeschichte geduldig mit
anhören, auch Talemon, selbst Ponnedro haben, wenigstens von dem
zweiten teile, längst genaue kentnis, nur Abaxar scheint lauter neuig-
keiten zu erfahren. Der bericht ist ausserdem insofern recht unglaub-
würdig, als der diener nicht nur seines herrn werte und handlungen
mit gröster epischer breite angibt, sondern auch seine und anderer
gedanken, ganz wie es der dichter direkt tun würde, erzählt Am
auffalligsten aber sind die darein geflochtenen briefe und gedichte, die
einerseits zum teil dem Scandor kaum bekant, anderseits seinem
gedächtnis in dem getreuen Wortlaut unmöglich so eingeprägt sein
können. Ein einziger vers nämlich s. 45 stamt aus seinem eigenen
gehim, dann folgt s. 48 eine liebesarie der prinzessin Higvanama, ein
vers Chaumigrems (s. 52) , ein brief des lezteren an jene (55), ein hnet
ZIQLEBS ASIATISCHE BANISE 69
und gedieht Nlierandis an dieselbe (63— 65), ein gefälschtes schreiben
und gedieht desselben an die gleiche pei-son (72. 73), drei schreiben
Chaumigrems an Balaein und dessen vater (81 — 83). In der zweiten
hälfte von Scandors erzählung findet sich der wichtige orakelvers (100),
welcher Balaein zuerst nach Pegu weist und ihm sein ganzes Schicksal
voraussagt, welchen man also nicht wol anfechten kann, aber auch ein
unsagbar geschmackloses lied der piinzessin von Savaady (116. 117),
die lange erzählung des flüchtlings aus Martaban, der dem versammel-
ten hofe in Pegu Chaumigrems greueltaten daselbst, und zwar auch in
erster person berichtet (138—146), ein längeres liebesgedicht Balacins
in Alexandrinern (162. 163) und eine ebensolche antwort Banisens
(164). Die vom dichter direkt gegebene handlung im ersten buche
besteht nur in Balacins ankunft vor Pegu, seiner Verwundung durch
Bramaner, seiner glückliehen aufiiahme in Talemons schloss, dem allein
er sein incognito enthült, und seinem achttägigen, durch den heilungs-
process veranlassten aufenthalte daselbst. Er wird hier durch die trotz
seines incognitos in ihn verliebte tochter des Talemon, Lorangy, und
deren Stiefmutter Hassana in fatale läge gebracht, aber durch die
ankunft seines diencrs Scandor erfreut, welcher ihm zwei briefe, die
auch wörtlich abgedruckt sind, überreicht und darin die künde von
seines vaters in Ava tod und von seiner wähl zum konig von Aracan
bringt. Sonst ist im ersten buche noch der umstand wichtig, dass
Abaxar mit Balaein bekant wird und abneigung gegen seinen hon'n,
Chaumigrem, verrät; er deutet jedoch noch mit keinem werte an, dass
er die für tot gehaltene Banise gerettet hat.
Ist nun die composition des ganzen ersten buches überhaupt schon
sehr sehwei-fällig, der kunstgriff, dass die vorgescliichte breit erzählt
wird, besonders deshalb ungeschickt, weil es vor zumeist längst in die-
selbe eingeweihten geschieht, so muss man sich noch mehr über die
naivetät wundern, mit der der dichter in person Scandors ab ovo anfängt,
während doch der unglückliche prinz nach einem erlösenden werte über
Banisens Schicksal schmachtet. Einige stellen könten darauf hinweisen,
dass Zigler die unwahi'heit, die in den langen erzählungen gerade vor
diesen personen Hegt, selbst fühlt. Der prinz verrät öfters seine teil-
nähme in höherem gi*ade, als Abaxar vorstehen kann; so heisst es, als
sein erster abschied von seiner verlobten berichtet wird, s. 169: „Hier
wendete sich der Printz um, und hätte sich in sothaner schmertzücher
erinnerung fast verrathen, indem er seinen äugen nicht mehr zu gebie-
ten vermochte, dannenhero Scandor seine erzehlung möglichst verkürtzte
und sie durch folgende werte endigte.'' Man vergegenwärtige sich nur
70 JIÜLLER - FRAÜEN8TEIN
die Situation: die einzige persönlichkeit auf gottes weiter erde, die den
prinzen beruhigen könte, sizt an seinem lager, nämlich Abaxar, aber
dieser wird von keiner seite gefragt, ob er den befehl Chaumigrems,
von dem alle wissen, Banise zu töten, ausgeführt habe.
Dies geschieht erst am anfange des zweiten buches. Darin wird
zunächst die dürftige, selbständige nebenhandlung des ersten zu ende
geführt, Lorangy bekomt einen mann, aber nicht den prinzen, der in
der grösten Verlegenheit zu einem nächtlichen besuche von Seiten sei-
ner Verehrerin seine Zustimmung gegeben hat, sondern den untergescho-
benen Scandor, der weder von Lorangy noch von deren mutter im
dunkel der nacht erkant und sogar schleunigst mit ersterer feierlich
verheiratet Avird, ehe das tageslicht den irtum aufholt. Dies ist eine
der ergötzlichsten partiecn des buches, sie erfült einen künstlerischen
zweck, nämlich mitten in die tragische Spannung ein ablenkendes
moment einzufügen, ähnlich, um kleines mit grossem zu vergleichen,
wie die scenen zwischen Francisca, Just und Werner in Minna von
Barnhelm den abschluss der haupthandlung zwar verzögern und doch
woltuend wirken. Eingeschoben ist gerade der traurige schluss der
Vorgeschichte, die Talemon (s. 181 — 205) übernimt, da er natürlich am
besten von dem „Tod und Untergang des unglückseligen Käysers Xe-
mindo samt dessen Printzen und gantzem Keich" bericht erstatten kann.
Er erzählt in durchaus motivierter weise die einzelheiten, die Balacin
und Scandor unbekant sein müssen, im ganzen einfach und natürlich;
nur ein einziges mal flicht er einen brief der königin von Prom an
Chaumigrem (199, 200) ein.
Damit ist die exposition zu ende geführt; wir stehen aber auch
so ziemlich in der mitte des ganzen romans. Gerade als Abaxar Bala-
cins incognito durchschaut, als er andeutet, dass er Banise gerettet
habe, und als er jenem seinen beistand schwört, wird er verhaftet, um
Chaumigrem über die Schonung der prinzessin rede zu stehen, und
nun wird der natürliche gang der erzählung nicht mehr unterbrochen.
Von der composition dieser zweiten hälfte ist nicht viel mehr zu sagen.
Schon das zweite buch, das die läge der heldin sonst nur schlimmer
werden lässt, gibt den anfang der peripetie in der seclismonatlichen
frist, Avelche Banise gestelt wird, und in Balacins rüstungen zu ihrer
befreiung; als untergeordnetes moment kommen die grossen Verluste
hinzu, welche Chaumigrem vor Odia erleidet
Das dritte buch steigert die gefahr aufs höchste und gibt ein
schier unglaublich gutes enda
ZiaLEBS ASIATISCHE BAIQSE 71
Von anfang an balanciert also das Schicksal Banisens auf der
schärfe des Schwertes; sie ist, wie alle glauben, auf Chaumigrems befehl
getötet, nur der urplötzliche eindruck ihrer Schönheit auf den zum
mörder bestirnten Abaxar hat sie gerettet Nachdem dies am selben
tage sowol ihrem verlobten als Chaumigrem bekant geworden, gerät
sie wenigstens insofern in immer grössere gefahr, als nicht nur ihr
leben, sondern auch ihre tugend fortwährend bedroht wird. Die angriffe
darauf abzuwehren gelingt ihr allein, ihr leben wird gerettet, als sie
es um ihrer keuscheit und treue willen in die schanze geschlagen hat,
von ihrem verlobten, wobei man sich nur wundern muss, dass ihr
widerstand ihr nicht vorher den tod oder schände zugezogen hat
Ein wort muss an dieser stelle noch den Übergängen und sprän-
gen der erzählung in der zweiten hälfte des romans gewidmet werden.
Sie sind meist nicht gewaltsamer als in vielen neueren büchem der-
selben poetischen gattung; die phrasen jedoch, die dabei verwendet wer-
den, sind komisch genug, um angedeutet zu werden. Einfach klingt
noch eine der ersten: „Wir wenden unsere äugen von — zu" (218).
Dann aber (280) „verlassen wir auf kurtze zeit das waffen-bemühete
Aracan und schicken die feder nach Pegu." Natürlicher wider klingt
der satz (294): „Hier wollen wir die bedrängten Siammer in blut und
darapff verlassen nnd nach Pegu eilen, um die einsame princeßin in
ihrem tempel zu besuchen." Nach den von ihr abgeschlagenen „heff-
tigen zwey liebes -stürmen wollen wir sie wider ruhen lassen und mit
unserer feder einen rück-flug nach dem lager vor Odia nehmen" (306).
Von da „lauffen wir wider zurücke nach Siam" selbst (311) und „las-
sen dann unsere feder abermahls zum überläuffer werden, welcher sich
aus der Stadt in das feindeslager begiebt" (324). Femer heisst es:
„Wir wollen diese zwey Löwen (Balacin imd Zarang) den Tyger (Chau-
migrem) bestreiten lassen und uns nach dem Printzen Nherandi um-
sehen, wo dieser in solcher unruhe geblieben sey (350)?" „Wir wollen
Higvanama auff dem wege verlassen und sie bald in ketten und ban-
den finden: nachdem wir zuvor die Peguanischen mauern übersprungen
und den verliebten zustand des Chaumigrems und Kolims betrachtet
haben" (352) und über dieselben Mauern „tlmn wir wider einen flug
zurück" (364). Noch lebhafter sind die Übergänge: „Doch, grossmüthige
Bügvanama, lasse nur die gedult das geistespflaster werden, und wisse,
dass du in kurtzem das verhängniß loben und rühmen wirst" (366)
oder „Und will ich hier der feder ein stillschweigen aufferlegen, weil
sie, alle vergnügongen, freundschaffts- küsse und hertzliche werte vor-
zustellen, nur ihre unvermögenheit verrathen würde" (373). Oder
72 MÜLLBB- FRAUENSTEIN
endlich: „Wir lassen hier den vergnügten Zarang den Savaadischen
gürtel lösen, und verfügen uns wider in das Aracanische lager vor
Pegu, woselbst wir statt lieblicher küsse donnernde cArthauen spielen,
und statt der myrthen die mauern von Pegu mit blutigen cypressen
umgeben schauen" (382). Neben derartigen Übergangsphrasen treten
die falle, wo einfach von etwas neuem „kurtzer bericht abgestattet"
oder mit einem „inzwischen" und dergleichen abgeleitet wird, völlig
zorück.
Wir können den abschnitt, der die composition des werkes behan-
delt, nicht schliessen, ohne auf noch einige andere augenfällige unwahr-
scheinlichkeiten der handlung ausser den schon erwähnten hingewiesen
zu haben. Die geschraubte Situation, die auf der ununterbrochen fort-
dauernden lebensgefahr der heldin beruht, ist uns am empfindlichsten,
sie ist aber gerade ein hauptmittel des autors, die Spannung zu erhöhen
und könte noch heute gerade wie damals das glück des Schriftstellers
machen. Er ist unerschöpflich im aufspüren neuer gründe, um Ver-
zögerungen für den eintritt der katastrophe herbeizuführen, ganz wie
Sue oder Dumas. Oft werden tage oder wochen oder monate im vor-
aus bestimt, wo irgend etwas eintreten soll, in der Zwischenzeit sucht
er es dann so zu arrangieren, dass alles, was er zur abwendung des
Unheils eintreten lassen will, nicht zu unwahrscheinlich erscheint
Trotzdem glaube ich nicht, dass gerade die als glanzpunkt gedachte
lösung im tempel des kriegsgottes mit der rede Banisens und dem tode
Chaumigrems von den Zeitgenossen so gar anders gefunden worden ist
als von heutigen lesem. Die rede mag ihrem geschmack entsprochen
haben ^, während sie uns unbeschreiblich geschmacklos dünkt in ihrer
schulmässigen rhetorik, mit ihrer kühlen Überlegung und Phrasendre-
scherei. Aber dass die ihr folgende befreiung nicht so geschickt und
spannend wie andere partien, zu tumultuös erfolgt, wird wol auch
einem oder dem andern der ersten Verehrer des buches aufgefallen
sein*.
Ein einziges mal kann es scheinen, als ob Zigler etwaigen ein-
wendungen gegen die fabel entgegentreten wolte. S. 318 sagt er: „Zu
1) Cholevius s. 169 zergliedert sie ganz correkt, fiodet sie ebenfals ^ pedan-
tisch uad unnatürlich, trotzdem sie sicher unzählige heisso thränon heivorgelockt
habe.*'
3) Bobertag s. 220 sagt ganz richtig, „es mangele die fähigkoit, die bedeutsam-
sten Situationen klar zu erkennen und von weniger wichtigem zu unterscheiden, auch
die kunst, dann eine wirkungsvollere und mehr als sonst spannende darstellung anzu-
wenden. **
ZIQLERS ASIATISCHE BANISE 73
verwunden! ist es, wie sich ein väterliches hertze durch fremdes fleisch
sein eigenes geblüte könne lassen verhasst machen: Allein hier muste
die Verwunderung den finger auflf den mund legen, weil öfifters, ob
zwar ein ehrlicher, doch unordentlicher begierdens rauch die flamme
natürlicher liebe ersticket" Ich muss aber betonen, dass es z. b. den
Charakterzügen, die der dichter den personen verleiht und die später
besprochen werden sollen, nicht recht entspricht, wenn der mordgie-
rige, von Banise in jeder weise zurückgestossene oder überlistete Chau-
migrem dieser so oft bedenkzeit gibt, auch, nachdem seine leidenschaft
schon erkaltet ist, die räche verschiebt (s. besonders s. 352, 354, 363),
ferner wenn der jugendlich leidenschaftliche imd ritterliche Balacin die
zweite herausforderung durch den prinzen Zarang, als sie zusammen
Pegu belagern, nicht annimt, oder wenn der leztere so schnell der ihn
überlistenden prinzessin von Savaady die täuschung verzeiht und sie
sogar heiratet, oder wenn Scandor, eigentlich nur um seinem herrn
das geschehene melden zu können, von Chaimiigrem nach dem flucht-
versuche ohne sti'afe entlassen, oder endlich wenn Abaxar von diesem
nach dem flagrantesten ungehorsam in seiner hohen würde gelassen
wird. Das sind schwächen, die sicher auch nach dem ersten erscheinen
des Werkes empfunden worden sind.
Anders steht es mit einigen andern punkten. Der unglückliche
vater Banisens, der kaiser Xemindo, lässt sich auf dem richtplatze
(s. 195) mit einem Portugiesen in ein gespräch ein, und unter andern
Worten diese fallen: „Ich muss gestehen, wenn es gott gefiele, möchte
ich itzo noch eine stunde leben, um zu bekennen die vortrefligkeit des
glaubens, welchem ihr andern zugetan seyd." Diese löbliche gesinnung
erscheint uns selbst bei dem etwas schwachmütigen kaiser von Pegu
so völlig unvermittelt, dass wir an ihrer echtheit zweifeln müssen; auf
die leser vor 200 jähren, die mehr als wir von den erfolgen der
jesuitischen mission gerade in Ostasien hörten, mag sie wol besonders
erbaulich gewirkt haben. Auch der uns wunderlich vorkommende
schluss der hochzeitsfeierlichkeiten, das Zwiegespräch zwischen Mars
und Venus und das von Portugiesen aufgeführte theatei-stück, wird in
jener zeit einen entgegengesezten eindruck gemacht haben. Uns will
der von Zigler „aus dem italiänischen übersezte" und getrent von der
Banise schon einmal, ein jähr vor deren erscheinen gedruckte „tapffere
Heraclius'', auch wenn Portugiesen ihn vor dem jungen kaiserpaare in
Pegu aufführen, gar nicht nach Hinterindien gehören. Die gelehrten
anspielungen daiin auf alte mythologie und geschichte fallen uns als
vor diesen zuschauem in so hohem masse unmotiviert auf, dass wir
74 MÜLLEB-FBAVEKSTEIN
bei dieser gelegenheit erst recht deutlich empfinden, wie rein der eigent-
liche roman sonst von allem solchen krimskrams ist
Man würde jedoch, meine ich, sehr unrecht tun, wenn man die-
ses angehängte theaterstück, obgleich es dem Inhalte nach eine gewisse
ähnlichkeit mit dem roman nicht verleugnet, als organisch mit dem
ganzen verbunden beurteilen wolte. Das titelblatt sagt es ganz offen:
„Diesem füget sich bey eine theatralische handlimg." Der dichter hatte
die absieht, das stück, auf das er jedenfals nicht wenig stolz war und
das nicht besser und nicht schlechter ist als die durchschnitswaare der
zweiten schlesischen schule, noch bekanter zu machen, indem er es
dem gefolge der asiatischen Banise einverleibte; der kunstgnff war ein-
fach genug und hat jedesfals seine Wirkung getan. Eine entschul-
digung kann aber auch vom künstlerischen Standpunkte insofern gefun-
den werden, als, wie schon angedeutet, ein parallelismus zwischen dem
roman und dem stücke existiert Phocas entspricht in manchem Chau-
migrem, Heraclius hat die züge Balacins, Theodosia die Banisens,
Mauritius gleicht dem unglücklichen Xemindo, das zweite liebespaar
Honoria und Siron könte mit Higvanama und Nherandi zusammen-
gestelt werden. Der kern der fabel ist allerdings insofern ein anderer,
als der tyrann sich ausser in die zwei genanten Prinzessinnen vor
allem in den als weib verkleideten Heraclius verliebt; der leztere aber
hat doch ebenso wie Balacin die ihm entrissene braut zu befreien und
einen gestürzten k aiser zu rächen. Die mittel sind die gleichen: Ver-
kleidung und plötzlicher Überfall des im augenblick wehrlosen gewalt-
habers, Unterstützung des kühnen angreifers durch von aussen eindrin-
gende freunde, welche die leib wache unschädlich machend Es haben
also äussere gründe in erster, nicht unbedeutende innere in zweiter linie
den dichter zu dieser nochmaligen benutzung eines fiüheren Werkes
verführt; der hauptfehler dabei liegt in der Verwendung vor einem
publikum (in Pegu), das wohl für die sache, nicht aber für die namen
Interesse haben konte. Es ist dies jedoch ein fehler, den Zigler in
weit geringerem umfange begeht als alle romanschriftsteller, die mit
ihm zugleich arbeiteten.
Wir kommen nun zu der hauptfrage in betreff der dichterkraft
Ziglers: Wie viel von dem roman ist seiner eigenen phantasie ent-
sprungen, wie viel hat er benuzt oder abgeschrieben? Der einzige
kritiker, welcher bisher Ziglers angaben über seine quellen (in der vor-
1) Ich nehme also an , dass Zigler in betreff der composition seines romans in
etwas von diesem seinem dramatischen werke, das er als aus dem italiänischen
übersezt ein jähr früher veröffentlichte, abhängig war.
ZIQLERS ASIATISCHE BANISE 75
rede) geprüft hat, ist Bobertag s. 176 — 179. Mich befriedigten dessen
resultate nicht volständig, ich gebe deshalb hier die meinigen. Sie
beruhen auf der genauen iektüre und vergleichung der beiden von
Zigler genanten werke: Gasparo Balbi, viaggio dell' Indie orientali,
Venedig 1590, und Erasmus Francisci, Ost- und Westindischer, wie
auch Sinesischer Lust- und Stats-Garten, Nürnberg, 1668, zwei wie
in der grosse, so in plan und ziel völlig verschiedene bücher, von
denen jedoch das zweite das erste benuzt Balbi war venetianischer
Juwelier und reiste seines geschäftes wegen 1579 — 88 im Orient umher,
in Syrien, Mesopotamien, Vorder- und Hinterindien. Da sein buch
in der hauptsache vom kaufmännischen Standpunkte geschrieben ist und
alles, was für den handel seiner Vaterstadt von vorteil und interesse
sein kann, in erster linie zusammenträgt, so bringt es nur wenige eth-
nographische oder geographische specialitäten. Über geschichtliche stoffe
ist es ausführlicher in den kapiteln 35 und 37; hier teilt es mit, was
gerade damals in Hinterindien politisch wichtiges geschah. Was Balbi
selbst davon sah oder von Portugiesen daselbst hörte, bringt er als
neue zeitung aus Pegu nach Venedig.
Von seinem werke gab es eine lateinische und eine deutsche Über-
setzung, die erste 1606, die zweite 1605 in Frankfurt erschienen; es
ist mir aber wahrscheinlicher, dass Zigler das original selbst benuzt
hat, da er meist den italienischen text wörtlich überträgt Dies geschieht
an folgenden stellen:
Balbi blatt 100 == Zigler seite 347, die beschreibung von Pegu;
B. 101 und 102' = Z. 347, die krokodile und die bürg ebenda; B.llO**
= Z. 281, über den könig des weissen elefanten; B. 111 und 112 =
Z. 281 und 282 über die bewafnung und ausrüstung des heeres, die
fehlende artiUerie usw.; B. 118' = Z. 132 und 133 über das schöne
schiff des königs von Pegu; B. 118** und 119' = Z. 133, der aufzug
ebendesselben; B. 122 = Z. 135, das schifsfest Sapan Donou. Aus
dem 17. kapitel sind ferner wol noch die festlichkeiten bei dem tode
eines königs von Pegu und die stelle über die gebrauche der priester
benuzt, endlich ist ganz wörtlich das 36. kapitel, die elefantenjagd, =
Zigler 282 fg.
Das alles sind züge, die unser dichter nur zur ausschmückung
der fi^el entlehnt; diese selbst aber hat er bis auf einen nebenpunkt
nicht nach Balbi entworfen. Derselbe erlebte nämlich den krieg ZAvi-
schen Ava und Pegu, welcher bei Zigler ganz im anfange von Scan-
dor erzahlt wird. Hier heissen die fürsten Dacosem und Xemindo,
Balbi nent keine namen, berichtet überhaupt den hergang ganz trocken
76 MÜLLEB-FBAUENSTEIN
und hängt die geschieh te eines zweiten, aber verunglückten feldzuges
gegen Siion (nach Francisci 1509 = Sion = Siam = Odia) an, wel-
chen Zigler nicht benuzt. Mit wie freier phantasie der leztere gerade
diese für uns wichtigste stelle verwendet, ergibt folgende Zusammen-
stellung. Bei Balbi wie bei Zigler huldigt der könig von Ava dem
von Pegu, seinem nefifen, nicht, gibt ihm keine geschenke und hindert
den handelsverkehr zwischen beiden ländern; den umstand benuzt Zig-
ler nicht, dass der von Pegu deshalb abgeschickte gesante von jenem
ermordet wird. Vor dem feldzuge richtet der könig von Pegu aus
furcht vor verrat 4000 personen hin, die vornehmsten seiner unter-
thanen mit ihren familien bis herab auf die Säuglinge; Zigler lässt
dagegen Xemindo von ehrgeizigen unterthanen, Xeminbrun und Chau-
migrem, wirklich verraten werden. Auch die erkrankung dos königs
an den blättern benuzt er nicht In der entscheidungsschlacht kämpfen
ferner bei Balbi beide könige selbst mit einander; der Peguaner tötet
den von Ava, bei Zigler nur dessen ältesten söhn, so dass nun dem
jüngeren, Balacin, die thronfolge zufalt. Von einzelheiten sind bei
dieser scene mehrere bezeichnende mit herübergenommen, z. b. das
Schwert des Peguaners, welches ihm von dem portugiesischen vicekönig
Luigi di Taida verehrt worden ist, ferner die verletzimg und wut sei-
nes elefanten. Man sieht, das sind alles einzelne, wenige zügo von
bestirntem Charakter, gewisse härten werden gemildert; der ausgang
aber ist ein völlig verschiedener. Während bei Balbi die feindliche
armee sich ergibt, Ava geschleift und seine einwohnerschaft in die Wild-
nis hinausgejagt wird, lässt Zigler hier Xeminbruns abfall eintreten und
Pegu, ohne Ava selbst anzugreifen, sich gegen diesen wenden. Nur
den umstand, dass der grosse schätz von Ava nicht aufgefunden wird,
beutet er später in Pegu, gegen Chaumigrem, aus, und wörtlich nimt
er die rührende stelle herüber, wo der elefant des gefallenen königs
(oder kronprinzen) von Ava bei dem siegeseinzuge in Pegu weint und
14 tage lang keine nahrung zu sich nimt. Aus dem nun folgenden
feldzuge gegen Siam oder Odia könte unseren dichter höchstens die
notiz angeregt haben, dass der vater des königs von Pegu früher mit
800000 mann die stadt eroberte; er lässt, wenn auch nicht durch
Xemindo, so doch durch Chaumigrem dasselbe ziel erreichen.
Also nur für eine nebcnhandlung, den krieg Xemindos gegen
Dacosem, hat Zigler hie und da züge aus Balbi benuzt, etwas mehr
zur künstlerischen ausschmückung der Verhältnisse von Stadt und hof
in Pegu. Der kern der fabel, die Schicksale Banisens, Balacins, Chau-
migrems, ist bei Balbi mit keiner silbe gestreift
ZTOLERS ASIATISCHE BANISE 77
Solte Francisci dafür die quelle gewesen sein? Jedesfals, das
merken wir bald, ist dessen dickleibiges buch aus ungemein vielen
älteren kompiliert und eine bequeme fundgrube für kuriose nacbrich-
ten aus Ost- und Westindien nicht nur, sondern aus allen ländem
und Zeiten. Es erzählt nicht nur zwei, sondern eine ganze menge
kriege in Hinterindien, es führt auch mehrere personen deutlich vor,
aber von der hauptfabel Ziglers ist auch hier nur wenig zu entdecken.
Von Seite 1530 an, im dritten teile, wird es für uns wichtig. In dem
Vorgespräch zwischen Floris Angelott und Sinnebald erinnert dagegen
nur der gedankenaustausch über liebe und frauen in etwas an entspre-
chende partien bei Zigler, ist aber nicht wörtlich benuzt. Aus dem
ersten buche femer ist das kraut dutroa, mit dem Banise Chaumigrem
einschläfert, sonst aber, gerade wie aus dem zweiten, nur weniges zur
naturgeschichtlichen Schilderung des landes entlehnt. Balbi endlich,
nicht Francisci 1518 — 29, liegt den entsprechenden Ziglersehen seiten
über Pegu zu gründe, wie schon angegeben. Auch die geographische
beschreibung Slams oder Odias (Fr. 1509, Z. 290) ist nicht wörtlich,
der anlass zum kriege zwischen Siam imd Pegu sachlich wol gleich,
in der form anders erzählt, die zustände in Siam erscheinen in einem
anderen lichte, der ganze feldzug ist bei Francisci 1510 sehr kurz,
nach Cäsar Fridericus, behandelt Wir ersehen daraus als faktische
ergänzung zu Balbi, dass im jähre 1567 ein könig von Pegu 29 monate
lang Odia mit 1400000 mann, zu denen noch 500000 mann zuzug
gekommen seien, belagert und endlich durch verrat genommen haben
soll; der überwimdene könig, so heisst es kurz, habe gift genommen.
Bei Zigler ist aus diesen wenigen Sätzen der grossartige kämpf um
Odia geworden, den Chaumigrem schliesslich trotz Nherandis verzwei-
felter Verteidigung siegreich beendet, während der könig Higvero mit
seiner gattin sich vergiftet (s. 284 — 294, 306 — 330). Balbi dagegen
verweilt, wie oben gesagt, länger bei dem zu seiner zeit, also etwa
15 jähre später, erfolgten verunglückten angriff des sohnes jenes königs
von Pegu auf Odia.
Fast wörtlich gleich lautet zuerst die algemeine Schilderung des
festes des kriegsgottes (Z. 364, Fr. 1523), welche nach Yincent le Blanc
entworfen ist, ebenso die krönung in Pegu (Z. 404 fg. = Fr. 1525 fg.),
nur dass Zigler viel kürzt und anderseits die schöne rede des Rolim
Korangerim durchaus selbständig dazusezt Wie die nach Balbi gefer-
tigte erzählung des peguanisch-avanischen krieges bei Zigler durch den
erzähler Scandor eine völlig andere farbung erhielt, so flicht hier unser
dichter geschickt seine eigenen politischen ansichten ein, überträgt
78
itÜLuCR -FutnRauiH
ausserdem gewisse handliingeu auf ganz ändert' personen. In den
vordorgnmd für den gang der kriegsereignisse in unserem romaoe
tritt Francisoi erst s. 1530 fg., von wo an er den PuriugicseD Fenumd
Meiidez I'intu und Botorus benuzt, uni die kriege eines königs tob
Brama mit den andern hinterindisclien Kirsten zn Pintos lobzeiten m
erzählen. Der könig ist nicht genant, sein obertVIdherr nur heiast
Xemiubrnu; bei Zigler bilden lezterer und Chaumigrem ein wtlrdigM
brüderpaar, von dem der erstgenante bald verschwindet, und alles, w»
nach Francisci der könig selbst ausführte, komt hier auf ChaomigrctBB
rechnung selbst Bei Fr. zieht der könig zuerst gegen Martabon, des-
sen könig Cambaiuba von beiden Schriftstellern den gleichen nameo
erhält, bei Fr. aber kapituliert, bei 51. ritterlich kämpft. Eine geuiumv
verglüichnng der betreffenden seilen, Fr. 1530 — 1535, Z. 138 — H6,
ergibt die völlige Selbständigkeit unseres dichters. Francisci eREfthlt aus-
führlich von Unterhandlungen, Zigler läset durch einen entronnenen Mar-
tahaner lebendig und anschaulich die belagerung und eretürmung berichten.
Die folgende massenhinrichtung dagegen ist zwar nicht ganz, aber in vie-
len ausdrücken wörtlicii und der sacbe nach bei beiden gleich {Fr. 1533
— 1538, Z. 141 — 146). Bei Fraucisci rückt der Brama nun sofort vor
Prom, und dessen belagerung und erstürnumg hat Zigler, wenn audi
in anderem zusammenhange, beinahe gleichlautend mit Jenem, beson-
dere bezieht sich dies auf den brief der königin (Z. 199 — 205, Fr. I&36
— 1541). AUerdings fehlen bei dem älteren autor alle beziehungüu aol
Abaxar, welche persönlichkeit durchaus Zigk-i's ei-findung ist; geschickte
abkürzungen, ersetzung von fremdworten durch deutsche und nicht
recht nach Asien passender durch gescliicktere fallen ferner dabei anC
Ganz selbständig ist in unserem buche die ausmalung eines groasea
Rusfalles, welche mir, nouh ehe ich mit Fraucisci vergleichen koobs
wegen ihres plastischen ausdruck» besondere gelungen erschien. Der
leztere lässt an dieser stelle den könig von Brama verwundet und Si'-
nlmbrun getötet, Zigler ähnlich Chaumigrem von einer lanze verlezt
und dessen obersten feldherm niedergehauen werden.
Alle bei Fraucisci 1541 — 62 folgenden ereignisse hat Zigler ntdit
benuzt, der name des milchbruders des bramanischen fürsten, n'^TW^i'^^
Chatmiigrem, komt aber hier, s. 1561, zum ersten male vor. Smlaim
ist für den wirklich historischeu hintergrund daran.': die annierkuog
8. 1557 von Wichtigkeit, in der es heisst; Pinto sei bei der btdagcmne
von Prom ohngeßlhr im jähr« 1540 zugegen gewesen, sohon i
aber habe derselbe könig von Brama Pegu bezwungen. Daiin 1
sich Francisci e. 1562 zu dem zweiten, aber unglücklicli^ i
ZIGLEBS ASIATISCHE BANISE 79
Slam, welchen die eine seiner quellen, Boterus, ins jähr 1570 sezt,
während er in die zeit von- Balbis aufenthalt fält Ähnlich ist hier
nur bei Zigler s. 284 fg. die figur der königin, »die sich durch ver-
brecherische taten hervortut, dagegen fehlen bei Fr. Nherandi, Fylane,
natürlich auch Abaxar und die schreckensscenen und zwistigkeiten in
Odia, gerade wie bei der ersten belagerung. Die einzelbeiten führt
unser roman ganz selbständig aus, die lebendigsten kampfecenen haben
bei Fr. kein analogon. Die mannigfaltigkeit derselben ist aber in der
Banise geradezu bewundernswert: eine schlacht vor der einschliessung,
grossartige arbeiten, den fluss abzudämmen, ausfälle bei tag und bei
nacht, stürme in sehr verschiedener art und weise. Den abzug vor
Siam veranlasst nun bei Francisci s. 1564 der abfall des Xemindo in
Pegu von dem könige von Brama, welch lezterem diese Stadt Untertan
ist Dieser Xemindo wird, wie bei Zigler, dargestelt: gutherzig, mild
und höflich, er wird bei beiden in einer schlacht geschlagen, Pegu
ergibt sich (Fr. 1565). Trozdem fält auch Martaban ab und ausserdem
der Xemin von Satan (1566); ja lezterer überrascht den Brama und
bringt ihn um. Der milchbruder des getöteten jedoch, Chaumigrem,
rettet sich mit dem grossen schätze (1567) nach seiner geburtsstadt
Tangu, während Xemin von Satan als könig in Pegu gekrönt wird.
Gleich seinem Vorgänger verfahrt er aber tyrannisch gegen die Unter-
tanen, wird von dem widerauftauchenden Xemindo, der sich aus jener
imglücklichen schlacht gerettet hat, belagert und falt bei einem gefeeht
vor seiner residenz. Xemindo ist nun 3^2 jähre lang ein friedlicher
und gerechter herscher in dem viel umstrittenen Pegu, dann wird er
in einer bei Francisci ausführlich beschriebenen, bei Zigler nur erwähn-
ten schlacht von Chaumigrem überwunden. Der leztere will nach Fran-
cisci (1576) die Stadt schonen, erscheint hierbei in gutem lichte, da
er sogar deswegen einem aufruhr entgegentritt, und zieht in Pegu ein
(1577). Erst von hier an benuzt Zigler die vorläge wider mehr (187
— 198), und dies ist überhaupt die wichtigste entlehnung, die sich bei
ihm findet Sie betrift Chaumigrems einmarsch und sein Strafgericht
über den gefangenen Xemindo. Durch den erzähler Talemon wird aber
in der Banise die prinzessin selbst mehr in den Vordergrund geschoben
und Chaumigrems Charakter verschlechtert Klagen über die Vergäng-
lichkeit des glucks treten dazu, eine hässliche scene, in der Xemindo
Toa dnem Portugiesen verhöhnt wird, falt weg. Dagegen sind die
partiell, in denen er von Chaumigrem verspottet, dann zum richtplatz
geoddept, Ton seiner tochter mit wasser erquickt, von dem henker
ft vnd endlich getötet wird, ganz gleich. Zigler entlehnte
80 MÜLLER -FRAUENSTKIN
dieser schon bei Francisci hochdramatischen scene z. b. auch die werte,
in denen Xemindo den wünsch ausspricht, Christ zu werden, und sezt
da nur die strafe hinzu, welche der henker von einem unbekanten
erfahrt Wörtlich benuzt sind von unserem dichter mehrere sätzo auf
s. 187 und 188, die Seiten 189 und 190 und endlich 193—198. Auf
s. 191 ist nur die scene zwischen dem könige und seiner tochter wört-
lich gleichlautend bis auf den sclüuss. Dieser aber ist für unsere febel
gerade durchaus die hauptsache, Francisci s. 1578 nent keinen namen
für die tochter; sie ist die verlobte des prinzen von Nautir, eines prin-
zen von Ava, und wird (s. 1579) „auf dem Rucken ihres Vatters, den
sie umhalse te, erwürgt" Da ist also nur der umstand, dass ein söhn
des königs von Ava als bräutigam der tochter des Xemindo genant
wird, von Zigler beibehalten. Alles andere, was er von diesen beiden
personen zu erzählen weiss, und das ist doch der inhalt seines buches,
ist produkt seiner frei waltenden dichterkraft: Vergleichen wir weiter,
so ergibt sich folgendes: Die beiden anderen liebespaare existieren in
den quellen gar nicht, Scandor und Talemon ebensowenig. Der vater
Banisens wird aus einem von vielen Usurpatoren zu einem grossen
kaiser umgewandelt, dem der grössto teil Hinterindiens von rechts-
wegen gehört Chaumigrcm dagegen wird aus dem bruder des grossen
königs von Brama, der diesem nachfolgt, zu einem emporkömling, auf
den fast alle kriege und die verwin-ung in Ava, Martaban, Prom, Siam
und Pegu zurückzuführen sind. Er wächst dadurch, dass ihm seines
bniders taten mit übertragen werden , zu einem Napoleon Hinterindiens
empor, zu einer grossartigen, wenn auch für imseren geschmack zu
grell gezeichneten persönlichkeit Eine kunstvolle Steigerung seiner
erfolge ist bewirkt, indem feldzüge aus dem jähre 1540 bis 1585, von
Pintos bis Balbis anwesenheit in Asien, ihm beigelegt sind, und mit
dem grössten siege, der eroberung Slams, der höhepunkt erreicht wird.
Wenn wir Francisci und Balbi verbinden, so sehen wir: Es tritt erst
unter einem seiner nachfolger, welcher zwar Ava bestraft, aber vor
dem abgefallenen Siam abziehen muss, in Wirklichkeit eine art rück-
schlag ein, bei Zigler erreicht ihn selbst eine fiirchtbare nemesis. So
ist in wirklich kühner weise aus den verschiedensten bausteinen ein
gewaltiges, einheitliches gebäude aufgeführt, vor dem man nicht daran
erinnert wird, aus welchen Steinbrüchen das material herbeigeholt ist
Und was die hauptsache, eine einzige wichtigere scene hat Zigler
nicht selbst entworfen, diese hat er aber mit redit wörtlich benozt, sonst
betreffen alle enüehnmigea nur -nfibanhaiidlimgeia oder sind smr ilieto-
rischen aasschinfldning a herftbeigeQommen.
ZIOLKBS ASIATISCHE BANISE 81
Dieses resultat meiner vergleichung der beiden hauptquellen mit
dem romane selbst enthebt mich, so hofiTe ich, derselben arbeit in
betreff der noch ausserdem von Zigler selbst genanten buchen „Saa-
rens und Schultzens Keisebeschreibungen, Kogeri Heydenthum, Eossens
Religionen." Auf sie führe ich die meisten bilder religiösen Inhalts,
die processionen und einzüge, die tempel- und Städtebeschreibungen
zurück; für die fabel selbst kann ich nach den bei Balbi und Francisci
gefundenen ergebnissen nichts dergleichen annehmen. In betreff der
Personennamen kann ich nur zwei untergeordnete tatsachen noch anfüh-
ren: An Balacin erinnert der bei Balbi 94' angeführte ort Balatin in
der nähe von Pegu, und Nherandi glaube ich als historische person
annehmen zu müssen, da das Handbuch der geographie und Statistik
von Stein -Hörschelmann H, 3 s. 452 als „befreier Slams von Pegu und
mehrer des reichs" einen P'hra Nera' von 1564 — 1593 nent Das
stimt der sache nach ganz zu der von Balbi und Francisci erwähnten,
unglücklichen, zweiten belagerung Odias durch die Bramaner und Pe-
guaner.
Man erlaube mir nur noch einige wenige bemerkungen über den
eindruck, welchen die von Zigler benuzten, nach den eben gepflogenen
Untersuchungen allein ins gewicht fallenden entlehnungen zur lokal-
färb ung usw. auf den leser machen. Wer unbefangen vergleicht, wird
gestehen, Zigler versezt tatsächlich mehr als irgend einer seiner zeit-
genössischen zunftgenossen in die zeit und an den ort, wohin er die
fabel nun einmal verlegt hat Schlossar geht mir zwar zu weit, wenn
er sagt (s. 69): Zigler schildere an der band ethnographischer und
naturhistorischer werke das leben und treiben, die üppige Vegetation,
die orientalische pracht an den königshöfen dieser länder, er zeige die
kriegfülirung, die sitten und gebrauche der Asiaten. Ich werde im
folgenden zeigen, in wie weit das berechtigt ist, in wie weit nicht,
doch in gewisser hinsieht bleibt allerdings, das ist auch meine ansieht,
von anfang bis zu ende das Hinterindien vor unseren äugen, welches
in der zweiten hälfte des 16. Jahrhunderts durch gewaltige erschütte-
ruDgen bewegt wurde ^. Die Portugiesen sind geschickt verwertet, sie
1) Auoli Cholevius s. 152 sagt, die Banise verdiene allein einigermassen dou
ntmeii ttnes ethnographischen romans. Zwar seien die fürsten und Prinzessinnen wie
die enropSisohen, Hinterindien sei nicht geogi*aphisch oder malerisch beschrieben
(JIJL 166), doch es seien darin revolutionen und kriege beuuzt, welche wirklich am
4ät 16. jahriianderts dort sich ereignet hätten. Bobertag s. 227 — 229 nent die
nicht, nimt sie also auch nicht aus, was er einigermassen hätte tun
er von allen diesen histoiisch - galanten (wie Cholevius) oder heroisch -
*-. mCUTSCUK PUILOLOGIK. BD. XXII. 0
handeln in den verscbiedensten städten mit europäischen waart^n. lavit-
reu zwischen den parteien hin und har, lehren die bessere benutzung
der geschiitzo und f;;eben durch ihren anschluss an du8 gute princip,
durch die Unterstützung Balaoins, zwar nicht den ausKchlag in der
fabel, spielen aber wenigstens eine auch uns Europäer befriedigende
angemessene rolle.
Ich finde in den geographischen und naturhistorischen excursen,
in den beschroibungen von tempeln iind religiösen ceremunien, von
einstigen und Schaustellungen, so wie sie die Banise bringt, nidita
unser gefiihl in höberom masse störendes, als wenn Ebers in seinen
ägyptischen romanen die antiquarischen kentniase benuzt, die ihm g'Nsdt
Über das Fharaonenland zn goboto stehen. Zigler beutet dabei seioe
quelle sorfaltig aus, er zieht aber die gelegenheit nicht sozusagen b«i
: den haaren herbei. Er ist wol breit und verweilt mit Vorliebe boi
dem grtisslichen und seltsamen, aber dafür kann um ebenso der g6-
schmack seines publikums entschuldigen , wie es der heutige tut, wenn
in den berühmten novellen Heyses und anderer ungewöhnliche, krank-
hafte, ja selbst den unbeteiligten Zuschauer nervös erregende und pei-
nigende seelenzustündo im Vordergründe stehen. Ich kann darum
unmöglich in so pharisäischer weise den epischen dichter tadeln, wie
es wol sonst geschehen ist, wenn er seine hauptorzälilung in langsarao-
res tempo fallen tasst, sobald Balacin zu dem tempel von Pandior
komt (s. 96 fg,), oder sobald er das schiffest 8apan Dunon mit begeht
(131 lg,), oder an der tatel des kaisors von I'egu teilnimt (137). Mau
glaube sodann nicht, doss Balacin hierbei nur oinen müssigen zusciiau«r
spiele; es ist vielmehr bewegung und handlung genug in diesen episo-
den, und die charakterzelcbnung gewint dabei neben der lokalfarbung.
Nicht viel anders steht es um Chaumigrems einzug in das besiegte
Pegu (IS7 fg.), die binrichtung Xemindos (193 fg.), Higvonamas krö-
nung in Ava (275), die ihres bruders in Pegu (404 fg.) u. a. Üna
muss es natürlich eimüden, wenn die paradestücke sich mehren; dCT
„curiöse" sinn der leser vor 200 jahi-eu aber schöpfte, wie ja algemeio
anerkant ist, mit vei;gnügen die belehrung, wie sie ihm weiter iii dom
bilde von der beerdigung der prinzessin Salagramnia (312 fg.) und ihres
f;al<uiten (wie er selbst sie oont) lomanen sagt: Die dorsteUung von i
gaogeaer Seiten bei beetimtea Völkern, iJL-reiL trouu and onachauli^kett B
orfnrdcrnis de« historiachen romans sei, fehle gatit und gar, sie m
storiscli, zerbilder. — Auf die Verwendung der Portugiesen wdst BUoh C
a. 161 hin. — Ziglor si'Ibst «igt in-a«inor vorrede (s. 8): »Der innholt g
Dkohr omnt I!i>il')i'ihchon BeHchrolViinK, al» Helden -Gediuht'.'.''
ZIOLERS ASUTI8CH£ BANISK 83
Vaters, des königs Higvero von Slam (313 fg.), von der bestattung des
alten und der wähl des neuen Rolim (355 fg.) geboten wurde. Wenn
bei allen genanten gemälden in erster linie die entfaltete pracht die
Phantasie der leser erregen soll, so ist es mehr auf die thränendrüsen
abgesehen bei der Schilderung der feuerprobe in Siam (318) und der
menschenopfer in Pegu (363 fg.), Schilderungen, bei denen von Ziglers
Seite nicht viel erfanden ist; mich haben sie neben den genanten quel-
len öfter an Olearius moskowitische reise erinnert Diese partieen,
besonders die lezte, gerade wie die geographischen und naturhisto-
rischen, sind es allein, welche er wörtlich aus den quellen entlehnt
hat Die beschreibung von Odia (= Ajuthia von 1350 — 1766 haupt-
stadt von Siam) s. 290 und die von Pegu (347) könte von einem Ho-
mann aus Nürnberg geschrieben und seinem atlas in derselben weise
einverleibt sein, wie dies bei Isfahan und Täbris oder Kars und Erze-
rum geschieht; so sachlich und einfach sind sie. Denselben eindruck
macht die elefantenjagd (282 — 284) und der krokodilfang (373); die
wahren quellen habe ich ja oben genant
Man sieht, unendlich viel beiwerk hält Zigler für nötig, um geist
und gemüt der leser zu befriedigen; das zuviel stumpft unseren, der
heutigen generation genuss ab. Die angewanten mittel an und für
sich sind aber nicht falsch. Wie anders muss uns dagegen in Lohen-
steins Arminius die verhülte erzählung der ganzen habsburgischen
geschichte, die bezugnahme auf Ludwig XIV., auf Gustav Adolf usw.
erscheinen! Zigler falt es doch nicht ein, wie seinem gefeierten vor-
bilde, aus allen zeiten und den verschiedensten örtlichkeiten, besonders
in den gesprächen, die beispiele, vor allem anekdotenhafte, zu entleh-
nen. Er bleibt im ganzen doch im 16. Jahrhundert, und da ihm die
frühere lünterindische geschichte natürlich unbekant ist, so kann er
auch nicht altertum und mittelalter immer in die neue zeit mengen,
wie es Lohenstein umgekehrt tut Dazu komt, dass, wenn Zigler in
die Banise auch vieles hineinbringt, was nicht unbedingt zur haupt-
handlung gehört, «dieses sich doch weit natürlicher mit derselben ver-
bindet als im Arminius^.
1) Bobertag s. 218 fg. sagt: Ziglem könne eine weit leichtere bürde von gelehr-
samkeit wol ebenso vor Überladung mit gelehrtem kram bewahrt haben wie richtiger
takt, obwol, ganz objektiv genommen, der Banise dieser mangel als ein nicht ganz
unbedeutender vorteil anzui-echnen sei. Das „obwol" scheint mir nicht gerecht Zig-
ler wird überall als ein ausserordentlicher Vielleser genant, auch Bobertag einleitungVI
sagt, er habe durch viele stubenarbeit seiner gosundheit geschadet, da ist doch die
„weit leichtere bürde au gelehrsamkeit " mindestens unerwartet. Wenn es dann
s. 219 anmerkung weiter heisst: „Zu beachten dürfte sein, dass Zigler in seinen spä-
6*
84 itCller-fraürnst&d?
In den entsprechenden zoitverhältnissen bleiben wir bei Zigler
im ganzen immer; in betreff der örtlichkeit nimt er nun freilich gar
manches aus seinem vaterlande mit an die ufer der Irawaddi und des
Menam. Das bezieht sich vor allem auf die formen, unter denen die
menschen mit einander verkehren^. Das ganze gebiet des geselligen
und auch des politischen Verkehrs kann Ziegler nur nach den deut-
schen oder den europäischen regeln seiner zeit darstellen; er will die-
selben, wie es scheint, geradezu seinen lesem in reinster form vor
äugen führen. In dieser bezielmng schiesst Schlossars oben angege-
benes urteil über das ziel hinaus.
Dass die liebenden in dem tone Lohonsteins mit einander reden,
ist etwas, woran man sich bei der menge solcher gespräche noch am
ersten zu gewöhnen im stände ist; dass die schönlieiten sich alle durch
ungemein weisse haut auszeichnen, so dass man die einzelnen äderchen
blau durchschimmern sieht, ist schon verdächtiger; der feierliche curial-
stil aber, der hie und da zu tage tritt, macht einen fast noch komi-
scheren eindruck. Kein titel wird uns geschenkt bei den adressen der
briefo und bei den anreden; an anderen stellen möchte man sich in
deutsche ständeversamlungen oder synoden versezt wähnen. Ich eitlere
nur die anrede Korangerims an Balacin, als diesem in Aracan gehul-
digt worden ist (278): „Grossmächtigster König von Aracan, Tipara,
Chacomas, Jangoma und Bengalen, Herr von Pegu! Wir in tiefster
unterthänigkeit treuergebenste stände und unterthanen dieses Reiches,
statten gegen Ew. Königl. Majest. demüthigst-gehorsamen danck ab,
nicht sowol vor die bereits gnädigst- erwiesene Reichs -Väterliche Vor-
sorge in erhalt- und Verbesserung unserer grund-gesetze und daher-
sprossenden heiligen gerech tigkeit: sondern auch vor itztermeldte höchst-
rühmliche Sorgfalt" usw.
Sind alle diese äusserlichkeiten aufs strengste nach occidentalem
teron werken die kuriosität seiner Zeitgenossen reichlicli entschädigt hat*, so kann
ich (las nicht als einen makel auffassen. Gerade dass er den ^ssen, ersten roman
frei hält von dem ballast, ist und bleibt ein beweis für seinen künstlerischen ver-
stand; andere, ausser vielloich Philipp von Zesen, haben ihn nicht Wem fSilt es
ein, aus der späteren verballhomisierung vonTassos hauptwerk, obgleich er sie selbst
voinahm, einen algenieineren ungünstigen schluss zu ziehen? Und die Verschlech-
terung eines trefliclien Werkes ist doch noch viel schlimmer.
1) Darauf beziehen sich die algemeinen tadelsäussoningen unserer kritiker am
meisten. Die richtige erklärung gibt Cholevius 8. 169: „Man war gewohnt aus den
romanen die feineren Umgangssitten, geselschaftliche redcweiso und sogar den aas-
druck d<M* empündungen zu cntnehmon.*^
ZIGLEIIS ASIATISCHE BANISK 85
muster ausgeführt, so mischt Zigler Europäisches und Asiatisches mehr,
sobald er kriegsereignisse berichtete
"Über die militärischen gemälde, die er gibt, wäre ein besonderer
excurs nicht uninteressant; sie nehmen einen sehr grossen teil des
romanes ein, und ich halte einige davon für die am besten gelungenen
abschnitte, gerade wie die gespräche über liebe und ehe, die sich an
verschiedenen stellen finden. Hier beschränke ich mich auf nur wenige
bemerkungen. Lebendig und übersichtlich, das muss jeder zugeben,
sind die Schlachtschilderungen sämtlich. Kürzer, und darin sehe ich
keinen nachteil, sprechen Scandor und Talemon über die kriege; wo
der dichter selbst redet, geht er in alle möglichen details ein.
Die zahlen mögen wol zumeist aus Balbis buche genommen sein,
sie klingen am meisten orientalisch. Ich verweise der kürze wegen
auf die Seiten 139 fg., 182 fg., 193, 199 fg., 281, 289, 291, 308, 336,
345 fg., und eitlere nur die truppenzahl von Chaumigroms armeen:
vor Martaban führt er 400000, vor Pegu 900000, vor Prom 700000
und vor Slams hauptstadt, Odia, 1200000 mann (Balbi hat da 1^^
millionen).
Diese beispiele, denke ich, beweisen genug. Der dreissigjährige
krieg mit seinen vergleichsweise kleinen beeren schwebt da nicht als
muster vor: hatte doch Gustav Adolf bei Lützen nur 14000 und Wallenstein
vor Pappenheims eintreffen 12000 mann. Xerxes, Dschingiskhan und
Tamerlan bringen in ihren ungeheuren reichen nicht mehr bewafnete
zusammen als diese hinterindischen fürsten, in Europa haben das 16.
und 17. Jahrhundert nur in den türkisch -tatarischen kriegen annähernde
zahlen. Noch mehr glaube ich in den einzelheiten der kämpfe anklänge
an die Türken-, weniger an die französischen eroberungskriege unter
Ludwig XIV. finden zu müssen, die elefanten spielen mehr eine halb
komische rolle. Beides sieht man vor allem in der grossen schlacht
am passe Abdiara (337 — 343), die neben den kämpfen um Prom (202
— 205) und um Odia (287 — 330) den glanzpunkt in militärischer hin-
sieht bildet Balacin hat sich durch Verräter in seiner Umgebung abhal-
ten lassen, Pegu in seines feindes ab Wesenheit anzugreifen und muss
diesen trotz dessen doppelter Übermacht aus einer günstigen Stellung
herausschlagen. Vorher führt Scandor ein kühnes reiterstückchen aus,
1) Schlossar s. 69 behauptet auch hier etwas zu viel, weDn er sagt: Zigler
zeige die kriegsfübrung der Asiaten. Cholevius s. 162 criiinert mir zu einseitig an
die fieser, welchen die schrecken des dreissigjährigen krieges in erinnerung gewesen
seien.^ Ich würde lieber sagen: der Türken- und daneben der raubkriego.
Sfi Kßl. ^^
indem er :^50 mit piilver imd 50 mit gold beladoue wogen anQJI^H
Tielleicht eine erinnerung an eine tat aus Ziglere zeit Der hftii^^
schlag trift das feindliche beer infolge des aiifiliegens einer iingoiieurea
mine, die an die riesigen türkiBchen arbeiten Ühutichor art vor Wien
1683 erinnert. 600 schritt lang, l'iO breit, 3 eilen tief wird sie ange-
legt und mit den 250 Wagenladungen pulver gefillt Entfemungsmar-
ken, eventuell brustwehren sind ausserdem für die von Portugiesen
bediente artillerie angebracht Die feinde rücken in form eines riesigen
halbkreises heran, dessen mitte von auserlesenen, um Chaumigroin
geschaarten Bramanen gebildet ist, während die vorgeschobenen Qügel.
aus der reiterei und den elefanten (diesen auf der rechten seile) beste-
hend, das aracanische heer zu umzingcbi streben. Balacin muss des-
halb schleunigst seine flügel ausdehnen, die mitte bildet einen nach
vom ziigespizten kegel. Während aber in einer ähnlichen Stellung die
Römer bei Cannä Kannibal erlagen, vernichtet hier die artillerie und
die grosse mine den ganzen feindlichen linken flügel. Schou die bano-
nenkugeln tun den elefanten grossen schaden, denn, „wenn so eine
hauptpille ein solches tier schnellete, so Uess es sich nicht melir regie-
ren, sondern kehrte mit gi-öster ungestüm zurücke, und begab sich ins
freye feld, da es niederfiel und starb." Als aber „mit eiui.'m entseti-
licben knallen und donnerschlag" das pulver explodiert, da „sähe man
mit erschrecklicher Verwunderung die imgeheuren elefanten in der lullt
fliegen, welche nebst denen steinen und anderer rüstung nicht wider
an ihren ort, sondern auff ihr eigen volck zarücko fielen, und deren
sehr viel erschlugen." Dieses ereignis „schlug dem Chaumigrem den
bereits in bänden habenden sieg aus der faust" Die art, wie Chau-
migrem seine leute immer und immer wider gegen die mauern von
Prom oder Odia wirft, mahnt an Solimans oder Kara Mustafas verfidi-
ren in den festungskämpfen an der Donau. Unser dichter benuHe
dabei mit nicht unglücklichem griffe umstände, welche zu dem gesamt-
bildo passeu, mit entschieden glücklicherem, als wenn Lohenstein erin-
nerungen aus dem 17. Jahrhundert in die zeit von Christi geburt Iritgt
In den einzelheiten sind verhältnismässig nur nocli wenige ganz
unpassende europäische reminiscenzen zu tadeln. Dabei denke
ich z. b. au das wunderliche grundgesetz in Aracan (s. 277), dass der
könig stets seine schwoster ehelichen muss: „Ursache, weil Adams söhn
auch seine scbwester zum weibe genommen habe." Das ist wol von
demselben Standpunkte zu beurteilen wie die oben berührte Sehnsucht
des Semindo, in der todesstunde zum christentume überzutreten. Nodi
mehr verrät sich der Europäer, wenn er Scandor erzählen lasst (s. lOSL
ZIOLKRS ASIATISCHE BANISE 87
sie hätten sich „nach morgenländischer art aufF kostbare teppichte" zur
tafel niedergesezt, oder wenn ebenderselbe von wunderbaren bäumen
erzählt, die „ein gelehrter Europäer" beschreibe (52). Zu den wenigen
gelehrten anspielungen gehört z. b., wenn Hassana einmal die tochter
warnt: „der flüchtige Mercur ist öfiTters denen männem ins hertze
geprägt" (87), wenn die sirenen, Venus, Diana genant werden (67,
295) und wenn Banise, als die Verfolger sie bald eingeholt haben,
wünscht „in einen lorbeerbaum, gleich der Daphne", verwandelt zu wer-
den (263).
Sonst muss der unbefangene beurteiler zugeben, dass z. b. in
betreff der pflanzen- und tierweit, der kleidung und der materiellen
Seite des lebens, aber auch in betreff der religion der dichter sein mög-
lichstes tut, um eine lokalfärbung über das ganze zu verbreiten.
Selbst mexikanische bäume versezt Zigler in die königlichen lustgäiien
von Ava, und zwar mit genügender motivierung, sie üben dort auf
Chaumigrem, der sie und ihre eigen tümlichkeiten nicht kent, eine belu-
stigende Wirkung aus. Bei der ceremonie der nächtlichen Vermählung
Scandors und Lorangys wird holz von einem bäume rawasitton, wie
stets beim abschlusse von eben, verwendet (213), auch das kraut
dutroa, aus dem Banise den Schlaftrunk bereitet, wird (in einer gelehr-
ten anmerkung) genau beschrieben (259). Die eigentümlichkeiten cha-
rakteristischer tiere, der krokodile und elefanten, sind nicht ohne
geschick benuzt (133, 183, 282 fg., 374). Sowol Balacin als Banise
beobachten wir, wenn sie sich ankleiden; das kostbare kaiserschiflf
Xemindos, erinnernd an die prachtwerke der Ptolemäerzeit, wird von
Scandor ausführlich behandelt (132).
Auf die rituellen und ceremoniellen kunstausdrücke mit den dazu
gehörigen erklärungen kann ich hier nur hinweisen, sie sind sehr zahl-
reich, werden im grossen und ganzen aber mit mässigung ausgebeutet
Von den tempelbeschreibungen sind die des tempels Apalitä (97) und
Carcovitä (387) hervorzuheben. Wenn auch Scandor hie und da ein-
mal vom teufel spricht (z. b. 97), kann doch von einem stärkeren her-
einragen europäischer religiöser Vorstellungen nicht die rede sein. Die
grosse „trauer- und abschiedsrede der sterbenden Banise" ist die wich-
tigste ausnähme; in ihr ist vom schoss der gnaden, vom ewigen leben
neben der „Niba" die rede, und manche sätze klingen, als hätten sie
ganz in die christlichen grabreden vor 200 jähren gepasst, wie etwa
der folgende: „Du himmlische Gottheit aber lass dir meinen geist zu
zu geheiligter band befohlen seyn, und lasse ihn statt jetziger gallo die
süsse himmelskost schmecken." Diese rede ist aber, anders darf mau
88 MÜLLER - FRAUENSTKIN
sie nicht auffassen, ein paradestück, gerade so wie die dialogc über
ehe und liebe, nur dass die lezteren, weil algemein menschliche Ver-
hältnisse behandelnd und viel besser motiviert als jene, geist und gemüt
weit mehr ansprechen.
An solchen stellen tritt Zigler wie die anderen epischen und
dramatischen dichter seiner zeit ganz aus dem von ihm entworfenen
künstlerischen rahmen heraus und wendet sich nur als Zeitgenosse durch
den mund der von ihm erfundenen personcn an seine leser. Was diese
lezteren als feinen geschmack und beweis grosser belesenheit anzu-
sehen pflegen, das allein ist ihm dann die richtschnur. Tun das aber
nicht auch viele unserer dichter? Lassen sie nicht auch der eine
seine lieblingshelden sämtlich rein pessimistisch, der andere rein dar-
winistisch, der dritte fast nur mystisch sprechen? Geben sie vor allem
nicht oft genug allen ihren figuren eine ganz gleich tiefe bildung, so
dass die funkensprühenden citate und geistreichen Sentenzen in ihrem
mimdc sich förmlich jagen? ^ Hört man nicht z. b. in dem sonst so
interessanten romane W. Jordans „Die Sebalds" auch recht oft mehr
den dichter als seine geschöpfe reden? Tritt da die absieht, zu beleh-
ren, der wünsch, die eigenen ideen vom schönen und wahren anderen
einzuimpfen, nicht eben so deutlich hervor? Wir lernen nur bei Jor-
dan wirklich, wir, die leser des zum ende sich neigenden 19. Jahrhun-
derts, während uns Ziglers einstmals ganz ebensolchen einfluss übende
gedanken in dieser weise nicht mehr berühren können. Dass diese art
von romanen noch heute das beste publikum findet, kann niemand
leugnen; man muss es wol noch unterscheiden von demjenigen, das
sich an den zalillosen familienzeitschriften eine gute tut Aber es ist
doch ein gewaltiger fortschritt gemacht insofern, als auch für die rei-
neren ästhetischen ansprüche gesorgt wird.
Der kreis der feinschmecker ist stets ein kleiner: Kotzebue und
Iffland boherschten die bühne, als Goethes und Schillers meisterwerke
das licht der weit schon erblickt hatten. Auf unser thema ange-
wendet, heisst das: Auch der Banise popularität beruhte ihrer zeit
auf dem entgegenkommen gegen die wünsche des publikums, doch
zeigt sie noch immer ein grösseres geschick in betreff der composition
1) Cholovius s. 1C8 spricht von einem „wahren fouerwerke im aifekte*^ bei
Zigler und von dem streiken f^eistreich zu sein (167). Auch Erich Schmidt a. a. a
nent ihn, allerdings nur in bezug auf die figuren und Verwickelungen, einen «vir-
tuoscn, freilich einen coulissenreis8er> Gottsched drückt sich, wundeilich genng,
so aus: Zigler sei selbst ganz asiatisch geworden, nämlich im hoohtnibeiideii md
gekünstelten ausdruck.
ZIGLEBS ASIATISCHE BANISE 80
und der lokalfarbung, eine selbständigere phantasie wie die anderen
romane ihrer zeit^. Noch heute können wir uns an ihr über gewisse
finessen in dieser beziehung freuen, die nicht zufällig, nicht aus den
quellen entnommen, sondern vom dichter erfunden und wol überlegt
sind*. So erscheint mir z. b. das meiste, was mit Balacins incognito
zusammenhängt, reiflich erwogen. Wie der alte Talemon zuerst ihn
durchschaut und gerade dieser umstand beide zu freunden macht, den
falschen Pantoja von Tenasserim und den reichsschatzmeister von Pegu,
wie dann der andere in fremder maske auftretende prinz, Pseudo-
Abaxar, mit ihm in Verbindung gebracht wird, wie der erste in seiner
leidenschaftlichkeit mehrmals in gefahr komt sich zu verraten, und wie
er endlich (s. 206) auch Abaxar gegenüber seinen angenommenen
namen aufgibt: das ist alles gut begründet und mit wahrscheinlichen
umständen umkleidet Balacin wird uns auf der ersten seite sofort in
seiner wahren natur vorgestelt, sein gegenbild ist in dieser beziehung
Abaxar, dessen wirklicher Charakter erst ganz zum schluss enthült wird.
Und es ist gar nicht uninteressant, die kunstgriffe zu verfolgen, mit
denen der dichter auf diesem zweiten wege operiert, auf welchem er
nicht nur mit Balacin und den anderen personen, sondern auch mit
dem bis in die lezten selten hinein im unklaren gelassenen leser ver-
stecken spielt Die anspielungen, die auf Abaxars anderen stand deu-
1) Cholevius vortrefliches buch benuzt in seiner lesenswerten einleitung über
die Amadisbücher, die nachbildung des griechischen romanes und über den neueren
historischen roman die Banise weniger als alle die anderen von ihm besprochenen
werke (von Zesen, Bucholtz, A. Ulrich v. Braunschweig und Lohenstein), um aus
ihr algemeine bemerkungen abzuleiten. Damit wil ich keinen Vorwurf aussprechen,
ich finde vielmehr eine indirekte bestätigung darin, dass ihm wu'klich in den übrigen
mehr algemeine charakteristische kenzcichcn auffielen: jedesfals ist absolut keine
absieht darin zu vermuten. Die Banise ist im Stoffe selbst, wie ja auch Cholevius
andeutet, und in gewissen seiten der ausführung, der „mache**, ein originelleres
werk, hat tatsächlich nicht so viel gemeinsam mit den anderen als diese imter ein-
ander. In der cinzelbesprechung verwendet Cholevius auf die afrikanische Sofonisbe
24 (ohne die proben aus dem roman), auf Ibrahim und Isabolla 15, die adriatische
Rosemund 5, Assenat 17, Simsen 17, Hercules und Valisca 15, Herculiscus und
Herculadisla 8, Aramena 39, Octavia 66, Arminius und Thusnelda 81 seiten, auf
die Banise nur 16. Dadurch wird die leztere unter die noch am meisten zuriicktre-
tenden romane in Cholevius werk eingereiht. Ich finde m dieser eigentümlichkeit
des lezteren eine hinreichende entschuldigung, um mich noch einmal ausführlich mit
der Banise zu beschäftigen, zumal auch Cholevius monographien über die einzelneu
romane verlangt.
2) Ich lese aus Scherers werten (s. 379) eine ähnliche Stimmung heraus und
freue mioh der Übereinstimmung mit dessen von mir an anderem orte gebührend
g0w1lidigtem werke.
00 KDLLBB'FUUBNBTBI»
tpn (z. b. s. 27, 28, 36, 37, 206), kommen natürlich und iiiigesucht
heraus. Eutscliieden dramatisch belebt und spannend ist die scene
(206), wo Talemon seine erzäblung vom Untergänge Proms beeodpt hat
und Abaxar von ihm angeredet wird. Wir und aile anwesenden wis-
sen nicht, in welch nahem Verhältnisse der leztere x.u diceem Staate
und dessen ermordeten oberhäoptom steht, Ein unheimliches Streiflicht
fält nur auf die Situation durch seine unerwarteten worte: „ich erkenn«
die sonder- imd wunderbaren gorichto der strengen gotlheit satsam iui
Untergang des königreichs Prora. Idi beseuffze der königin tod, und
beweine des priutzon fall: die götter werden es künftig zu schicken
wissen, dass dieses uhr-alte stamm-reich wider durcli einen recht-
mässigen thron -besitzer dermahleinst beherrschet werde." Dass er selbst
dieser racher ,ist, das enthült er nicht, komt auch nicht dazu, von
seiner für die fabel wichtigsten Handlung, der rottung Banisens , genaue-
res zu berichten. Ealacin aber verrät sich, als in diesem augenblicke
Cliaumigrems schwgen gemeldet werden, und so weiss Abaxar seiaor
familie schrecklichen tod und dazu die nähe des rächera, seines natür-
lichen bundesgenosseu, ehe er in ketten vor Chaumigrem gebracht wird.
So stehen für die wissenden in wirklich packender gegenilberstellung
zwei an charakter und lebensgang so ähnliche und doch wider so ver-
schiedene personen vor uns, die von nun an ein und dasselbe ziel
hand in band erstreben werden. Aber auch schon die art, wie Abaxar
eingeführt und durch Soandors und TaJemons erzählungen mehr und
mehr auf Balacins seite gezogen wird, ist geschickt. In der deutlich
ausgesprochenen, wenn auch ain Schlüsse des romans erst klar moti-
vierten absieht dos verkleideten prinzen von Prom nämlich, zu dem
prinzen von Ava überzugehen, wenn er „eine oder die andere ange-
nehme nachricht" von dem leben desselben vernehme, Hegt die künst-
lerische begründung der langen berichte an Balacins krankenlagor; ein
wichtiges Werkzeug wird durch sie für die gute sache endgiltig gewon-
nen. Dies entschuldigt den schon oben verurteilten ankünstleriscbcn
bau des ersten buches doch in etwas.
Ehe wir nun definitiv von der äusseren architektur des romaits
zu sehier inneren ausschmUckuag übergehen, ist es wol am platze, den
andeutungon und ausblicken des autors auf das, was später
kommen soll, einige worte zu widmen, Sie zeigen die mache am
deutlichsten, die kunst, den leser zu spannen, manchmal selbst auf die
folter zu spannen. So wissen wir im gründe noch gar nichts, VS]^
dass ein verkleideter priiiz Balacin auf seines alten freundes lUOB^H
schlosE eine icuQucht gefunden hat, und echun wird uiis % fttJ^^|
ZIGLERS ASIATISCHE BANISE Ol
träum des ersteren aufgetischt, worin er seine Banise von olefanten
umgeben sieht, mit ihr aus deren mitte in die luft gehoben, da oben
durch eine flamme von ihr getrent und schliesslich durch einen von
krokodilen wimmelnden breiten fluss völlig abgeschnitten wird. Aus
Scandors erzählung gehört sodann hieher das traumbild, welches dem
prinzen vor dem tempel Apalitä zum ersten male die schöne Banise
vor äugen führt (99) und der vielsagende orakelspruch (100):
Zeug hin, betrübter Printz, dir winket Pegu zu,
Errette deinen feind aus seines feindes bänden:
Es wird ein fremdes bild so aug als liebe blenden:
Doch endlich findet man die eingebildte ruh.
Schau! dein Vergnügen liegt in schrecken, furcht und ketten:
Drey cronen müssen erst die vierdte crone retten.
Das opffer crönet dich als einen Talipu.
Die höhepunkte der ganzen fabel sind in diesen sieben Alexandrinern
angedeutet, im zweiten Xemindos rettung aus meuchlerhand , im drit-
ten die erste Verlobung mit der prinzessin von Savaady, im vierten die
zweite, nämlich mit Banise, im fünften deren gefahr, im sechsten die
belagerung von Pegu und im siebenten die opferscene. Zweimal ist
späterhin die erinnerung an diese rätselhaften werte von ausschlag-
gebender bedeutung; das erste mal aber denkt Scandor (240) mehr an
die von dem priester des orakels mitgegebenen schachteln voll verstel-
lender salbe und rät zu dem unglücklichen entführungsversuch, das
zweite mal (384), als alle zeilen bis auf die lezte sich bewahrheitet
haben, ermutigt diese erwägung den prinzen zu dem gewagten schritte,
sich unter die opferpriester in Pegu aufnehmen zu lassen. So schwebt
über dem ganzen verlauf der dinge ein höherer wille, vor dem die
irrenden menschen sämtlich sich beugen müssen, der die von Balacins
vater gewünschte herschaft des sohnes über Pegu auf ganz anderem
wege herbeiführt, als Dacosem geplant hat, und der dem guten prin-
cipe zum siege verhilft i. Weniger hervortretend, doch deutlich genug
sind drei andere omina (161 und 150). Als nämlich Banise und Bala-
cin von Xemindo verlobt werden und erstere des vaters band küsst,
1) Schon Cholevius und Bobertag betonen, dass die ganze gattung der heroisch -
galanten romane dann die Amadis-romane übertreffe, dass sie doch wenigstens vor-
suchen, ein sitliches interesse im romane zur geltuog zu bringen. In der Banise,
das geht wol aus meiner darstellung hervor, siegen Unterordnung unter die geböte
der gotter und strenge sitlichkeit. Das ist allerdings nicht in derselben weise eine
tendenZf wie sie der maier Müller in seiner novelle verfolgt: kämpf für die men-
fldieiiieohte, gegen das conventionclie (Seuffert s. 238), sondern es ist mehr.
02 MÜLLER -FRAUENSTEIN, ZIGLERS ASUTISCHE BANISE
^schiesseii ihr unversehens drey blutstropflfen aus der nasen auf des
Käysers rock**. Gewiss ein unheimliches Vorzeichen, das nicht nur
damals ,,sothane angenehme zusammenkunfiFt zu des Printzen hohem
miss vergnügen desto eher geendigt", sondern auch manchen leser mit
den schlimsten ahnungen erfiilt haben mag, zumal wenn man sich des
„entsetzlichen c^met- Sterns'' erinnert, der an heiterem himmel plötz-
lich über Pegu erscheint, und des umstandes, dass des kaisers pferd
auf ebener erde beim schritreiten vor P^us toren stürzt
In den kontouren des ganzen litterarischen gebäudes und in sei-
ner äusserlichen ausschmückung ist, wie aus vorstehendem wol erhelt,
sorgfaltige Überlegung, ja raffinement nicht zu verkennen. Die ange-
wendeten mittel werden zwar übertrieben, sind zumeist aber nicht
falsche Besondere hervorhebung verdient die mühe, die der lokalfar-
bung gewidmet ist; auch die Verzahnung der verschiedenen ineinander
greifenden handlungen kann als nicht ungeschickt bezeichnet werden.
Nur über die anläge des ersten buches, über einige gewaltsame Über-
gänge in den späteren teilen, über die anfügung des „tapferen Hera-
klius** und über die töne, welche im geselligen verkehr angeschlagen
sind, können wir uns nicht hinwegsetzen.
1) Bobertag, Gesch. d. romans I, 2, 1 gibt s. 203 — 263 eine besprechung
der litteraturgruppo, zu der die Banise gehört, mit einer ganzen reihe treffender
bemerk ongen, zu denen ich mich liier nicht genötigt sehe weitere zusätze zu machen.
Von s. 213 an In^pricht er die künstlerische behaudlung, plan oder disposition dieser
werke, nämlich die aufeinanderfolge der einzelnen teile der erzahlung, die ait der
nicht eigentliih erzählenden elcmente und das grössenverhältnis der einzelnen teile.
Die Banise. sagt er 210 fg.. verfahrt nach der auch von Haupt ausdrücklich auf-
gestelten reg»»l, wonach dt*r r\>man denselbt>n gesetzen wie das heldengedicht zu
gehon'hen hat. So hätten Ziglers und Zesens romane nicht nur einen massigen
unifang. sondern aurh festere innere gliederung und grossen? einheitliche geschlos-
sonheit als die anderen: sie verfülu\»n nach den hingst aus Homer und Virgü gezo-
g^^nen reir»»ln: der anfang müsse mitten in die bi»wegung hinein, einzelne teile würden,
weil nachzuholen, den aufhi'tenden personen in den mund gelegt, die hauptpersonen
triiten nicht zu s|Kit auf und nicht zu zeitig ab. Die anderen grosseren romane ver-
fuhren mehr nach den werken der historiker. Unepischer noch sei die Verwendung
der neU»nsachen: die K»schreibung . die mitteilung gelehrter kentnisse kennen kein
mass, keine bi*schränkende rücksicht. In betreff des griVssenverfailtnisses der teile
Sin anzuerkennen, dass die l>edeutendsten werke anfang, mitte und ende gleichmässig
ausführten: sie enthielten weniger phantastisches und wunderbares wie die früheren
erzählenden unterhaltunp>schnf^en, al»er Ivwiesen Verschwendung mit ereignissen.
S. 230 wider sagt er freilich rund heraus: Kein künstlerischer bau, das menschliche
leben und die Charaktere seien nicht wahr.
(Fortsetzung folgt.)
93
EINE QUELLE DES SIMPLICISSIMUS.
Dass der „Abentouerliche Simplicissimus" von Job. Jacob Chri-
stofFel von Grimmelsbausen im algemeinen in der durcb Diego Hurtado
de Mendoza begründeten, durch Mateo Aleman, Vicente Espinel u. a.
weiter ausgebildeten litterarischen tradition des „picarischen romanes"
steht, ist eine bekante tatsache. Auf ein bestirntes werk dieser ge-
schmaksrichtung jedoch als muster hinzuweisen, ist noch nicht versucht
worden.
Durch prof. Jakob Minor angeregt unternahm ich es, das Verhält-
nis des „Simplicissimus*' zu einem seinerzeit algemein gelesenen und
bewunderten romane von Mateo Aleman, dem „Guzman von Alfarache" ^,
wie wir ihn der kürze halber bezeichnen wollen, zu untersuchen.
Dabei ergab sich folgendes:
Im jähre 1616 erschien zu München von dem durch seine Über-
setzungen der Schriften Guevaras, des hofpredigers Karl V., bekanten
Jesuiten Aegidius Albertinus^ eine bearbeitung des „Guzman von Alfa-
rache", die der gepflogenheit jener zeit gemäss den langatmigen titel
führt: „Der Landstörtzer Gusman von Alfarache oder Picaro genannt,
dessen wunderbarliches, abenthewrlichs und possirlichs Leben, was ge-
stallt er schier alle Ort der Welt durchlofiPen, allerhand Stand, Dienst
und Aembter versucht, viel Guts und Böses begangen und außgestan-
den, jetzt Reich, bald Arm, und widerumb Reich und gar Elendig
worden, doch letztlichen sich bekehrt hat, hierin beschrieben wird
Durch Aegidium Albertinum, Fürstl. Durchl. in Baym Secretarium, theils
aus dem Spanischen verteutscht, theils gemehrt und gebessert. Erst-
lich Gedruckt zu München, durch Nicolaum Heniicum. Anno MDCXVI."
8 jähre später gab ein sonst unbekantcr autor, der sich auf dem titel
den poetischen namen Martinus Frewdenhold beilegt, zu Frankfurt am
Mayn eine fortsetzung zu diesem werke heraus, die sich als eine
ziemlich unbeholfene nachahmung darstelt und als „dritter teil" gel-
ten will 3.
1) "Vida y hechos dol Picaro Guzman do Alfarache. Atalaya de la vida hu-
mana por Mateo Aleman.
2) Nicht „Albertini'^, wie ihn Titman in der einl. zu seiner ausg. des Simpl. nent.
3) „Der Landstörtzer Gusman von Alfarache, oder Picaro, genant Dritter Theil,
Darinnen seine Reyß nach Jerusalem in die Türekey, vnd Morgenländer, auch wie
£r von den Türeken gefangen, widerumb erledigt, die Indianischen Landtschaiften
besuchet, vnd in Teutschlandt selbst alle Stätte durchwandert, auch allerhand vndcr-
schiodliche Dienste, vnd Ilandworck versuch(>t, vnd bald zu grossem Reichthumb auff-
Ö4 VOK PATER
Die bearbeitung des Albertinus sowol, wie die foitsetzung zeich-
nen sich — nicht gerade zu ihrem vorteil — durch eine grosse zahl
von excursen oder, wie der Verfasser mit dem Spanier sagt, „discur-
sen^^ aus, die zusammengenommen nahezu die hälfte des ganzen Wer-
kes ausmachen und zur eigentlichen handlung nur in einer sehr locke-
ren, nicht selten aber auch in gar keiner beziehung stehen. Und diese
gerade sind es, die den ausgangspunkt unserer betrachtung bilden müs-
sen. 11, 356 komt der held des romanes, Guzmann, in den dienst eines
Junkers und „discuriert'^ auf dem wege mit diesem drei lange kapitel
hindurch über adel und edelleute (s. 357): „Was den Adel und Edelleut
belanget, Gepietender Juncker, welche jederzeit und billich bey allen
Völckem in grossen Ehren gehalten worden, befinden wir, daß der-
selbige auch von vielen wird mißbrauchet, Indem auch viel gemeine,
und geringes Standspersohnen gefunden werden, welche, wann sie so
viel zusammen geraspelt und geschachert, daß sie drey Hel-
ler im Beutel und ein Seyden Kleid, beneben einem federbusch
auflr dem Hut tragen können, mitgewaldt Rittermässige Herren wol-
len seyn, kauffen Adels BrieflT^, und stutzen so Adelich in [358] den
Städten umbher, daß man genug von ihnen hat zu sagen, und mit fin-
gern nachdeutet, welchs jhnen doch nicht zu Ehren, sondern zu mehrer
Schmach und Schande gereichet, dann da weiß man nichts mehr zu
erzehlen, als daß jhr Großvatter, auch wohl jhr Vatter, Tag-
IShner und Lasttriger, ihre Vätter Beerstecher, jhre Brüder
Bfittel, jhre Schwestern Huren, jhre Mutter Hurenwürthin
gewesen. In summa, jhr gantzes Geschlecht dermassen besu-
delt und befleckt, und sie selbst so Schwartz, als wann sie
jetzo auß der raucherischen Werckstatt des lahmen Vulcani dem Bronti
und Stetopi als jhren rechten Brfidem entlauffen weren."
gosüep^n. bald widonunb in höchste Armuth gcrahten, anßfühilichen beschrieben
wird. Beneben anmüthiger vnd eygenüicher Besehreibong der Morgenländer, deB H.
Lands vnd der Indianischen Insulen, auch vieler artigen henüchen Diseursea, vnd
ErinnerungeD. AuO dem S|tanischen Original erstmals an jetzo vertentscht durch Mar-
tinum Fiewdenhold. Getruckt zu Franckfurt am Mayn, Im Jahr MDCXXVI.* 8.
Iq der folge soll die bezeichnung I für die bearbeitung der Albertinus, II für die fort-
Stützung des Fiewdenhold gelten.
1> Vgl. Mosohen>sch, Weltwosen: ^. . . . hat kaum so viel im Sickel ge-
habt, daß er den Adelhrieff bezahlen und einen Stall mit Gunst in melden kauflfen
können: sich doch ungeachtet aller ehrbarkeit nicht mehr Metzger, nicht mehr Wag-
ner etc. . . . sondern Herren von Metzegem, Herren von Wagenem etc. . . . will titu-
lirot etc. . . . haben, damit er under die Altgebome vom AdeU under die alte Ritter-
schaft nicht nur gerechnet si^ern auch denselbigi^n gar möi*hte voigeiogen werden.*
ZUM SIMPUCISSIMUS 95
Diese stelle greift Grimmeishausen heraus und stelt sie wirkungs-
voll an den anfang seines werkes, dorthin, wo der erzähler von seiner
eigenen abstammung berichtet:
„Es eröffliet sich zu dieser unserer Zeit (von welcher man glau-
bet, daß es die letzte sey) unter geringen Leuten eine Sucht, in deren
die Patienten, wan sie daran kranck ligen, und soviel zusammen
geraspelt und erschachert haben, daß sie neben ein paar Hel-
lern im Beutel, ein närrisches Kleid auff die neue Mode, mit
tausenderley seidenen Bändern, antragen können, oder sonst etwan
durch Glücksfall mannhafft und bekant worden, gleich Kittermässige
Herren, und Adeliche Personen von uhraltem Gesclüecht, seyn wol-
len; da sich doch oflft befindet, daß ihre Vor-Eltern Taglöhner,
Karchelzieher und Lastträger: ihre Vettern Eseltreiber: ihre Brü-
der Büttel und Schergen: ihre Schwestern Huren: ihre Mütter
Kupplerinnen, oder gar Hexen: und in Summa, ihr gantzes Ge-
schlecht von allen 32. Anichen her, also besudelt und befleckt
gewesen, als deß Zuckerbasteis Zunfft zu Prag^ immer seyn mögen;
ja sie, diese neue Nobilisten, seynd offt selbst so schwartz, als
wan sie in Guinea geboren und erzogen wären worden."
Im weiteren verlaufe führt Simplicissimus einen ironisch gehal-
tenen, mit einer gewissen behaglichkeit in alle details sich ergehenden
vergleich zwischen dem bauernhofe seines „Knän'' und einem fürst-
lidien palaste durch und fährt I, 7 fort: „Anstat der Pagen, La-
queyen und Stallknechte hatte er Schaf, Böcke und Sau, jedes
fein ordentlich in seine natürliche Liberey gekleidet, welche mir auch
offt aufif der Waid aufgewartet, biß ich sie heimgetrieben; die Rüst-
oder Harnisch -Kammer war mit Pflügen, Karsten, Aexten, Hauen,
Schaufeln, Mist- und Heugabeln genugsam versehen, mit welchen
Waffen er sich täglich übete; dan hacken imd reuthen wai* seine
disciplina militaris, wie bey den alten Römern zu Friedens -Zeiten,
Ochsen anspannen, war sein Hauptmannschafftliches Commando,
Mistauß führen, sein Fortification-wesen, und Ackern sein Feldzug,
Stall -außmisten aber, seine Adeliche Kurtzweile, und Tumierspiel;
Hiermit bestritte er die gantze Weltkugel, soweit er reichen konnte,
und jagte ihr damit alle Emden eine reiche Beute ab"*.
1) Die figm* des „Zuckorbastel**, des Oberhauptes der Prager gauoerzunft, ist nach
Roinh. Köhler (Gosches archiv I, 295 fg.) der Ulenhartschen bearbeitung einer novello
des Cervantes „Rinconete nnd Cortadillo'^ entnommen und nichts als eine Übertragung
des Seif er Monipodio, des obersten der Sovillaer gaunerzunft, in deutsches kostüm.
2) Vgl. auch Moscherosch, Weltwcsen „. . . und doch muß der beste Adel
leiden, und hören, daß sein aller eretor UiiUiuhcrr ein Ertzbauer, ein rechter Schaff-
96 VON PATER
Dagegen halte man, was Guzman 11 , 359 weiter in seinem „dis-
curse'^ vorbringt: „... imd müssen leyden, das man jhnen an allen
Enden auch wol ins Angesicht darif sagen, daß eine Bawren Hütte
sey jhr Pallast gewesen, darinn sie geboren und erzogen, die Stätte,
da sie gewohnet, oder von denen sie sich schreiben, also beschaffen,
daß wann man über die Mawren springet, die Zeune krachen, jhre
Gfitter offiermals ein gemein Feldt, darauff sie sich kümmerlich erhal-
ten, jhre behengte Kammern und Gemach, ein stinckendes und berauch-
tes Loch, da man weder Sonn noch Mond recht gesehen: jhre Die-
ner und Lackeyen, Schafe, B6cke oder Siwe, deren sie gehüttet,
der Pflug jhre Ritterliche Wehren, darin sie sich gefibet, daß
Kühe melcken, ist jhre kurtzweil, Gräben außwerffen, jhre disciplina
militaris, Esel treiben oder Mist auff Bereu tragen, oder am Karch
ziehen, jhre Hauptmanschafft gewesen, und was deß dings mehr
ist, dessen sie sich zum h6clisten müssen schämen, wann es jhnen zu
hindertreibung jhres Übermuths vorgewoiifen wird.*'
Dieser discurs vom adel scheint Grimmeishausen so sehr gefallen
zu haben, dass er ihn auch noch an einer anderen stelle, im 17. kap.
dc^ L buches zweimal ausnüzt:
Simpl. L 57. Guzmao II, 368 fg.
Ji^auiies de Platoa will außtrücklich, Und wil Johannes de Platea außdrück-
dali man in Bestallung der Aemter dem lieh . daß mann in bestellong der Emptcr,
Adel den Vorzug lassen, und die Edel- dem Adel allezeit den Vorzug lassen und
leute den PlelH\jis schlecht soll vorziehen ; sie den plebeis schlecht sol voraehen, wie
ja solches ist in allen Rechten brüu<.'h- solches auch in allen Rechten bräuchlich:
lieh, und wird in heiliger Schriift iK'ste- auch in heiliger Schlifft bestettiget wirt
tiget. dan Bi'ata terni, ciyus Kex nohilis .... (s.359). Also lieset man auch in dem
<'st. sagi't Syrach cap. 10 welches ein Büchlein Syrach cap. 10 ßcata terra, cu-
h»*rrlich Zeugnüß ist des Vorzugs, so dem ins Rex nohilis est: wol demLandt, des-
Adel gebühret. sen König Edel ist: welches auch ein
Zeugnuß ist des Vorzugs, so dem Adel
m dem weltlichen Regiment geb&hret
Simplii'issimus I, 57. Guzman II, 370.
Seneca Siigi't: Halnn hoc proprium ge- Dalier dann dieser Spruch Senccae wol lu
m^rosus animus, «ju^hI concitatur ad ho- bt^denckeu. da er sagt : Habet hoc proprium
nesta, iV' neminem excelsi Ingenii Virum generosus animus, quod concitatur ad ho-
humilia delectant vV sordida. "Welches nt^sta, & neminem excelsi Ingenii virum
auch Faustus Poota in diesem Dysticho himiilia delectant & sordida. Das ist:
exprimii>»t hat: weUhes auch Faustus Poeta in nachfolgen
Si te rusticitas vilem geuuisset agn^stis, dem dü^ticho gar wol exprimirt hat
Nobilitas animi non foret ista tui. Si te rusticitas vilem genuisset agrestis
Nobilitas animi non foret ista tui.
und Kuhhirt, und der sich dazu so wohl gehalten hat, dal) er auß Statt und T.dnd
ist venK-iescu wurden, nemlich Adam.**
ZUM BIHPLICI88IMUS 97
I, 116 macht Simplicius dieselbe walirnehmimg wie Guzman I, 52:
Simpl. Guzman.
Seithcro hab ich dor Sache vielmals Damals sähe und erkento ich, daß
nachgedacht, und bin der Moynung wor- die Vnroinigkeiten , welche in dergleichen
den, daß solche Excrementa, die einem accidentiis und Zuständen gefeilt und aus-
aus Angst und Schrecken entgehen, viel geworfen werden, viel übler schmeckten,
üblem Geruch von sich geben als wan weder andere ordinariae, die Philosophi
einer eine starke Purgation eingenommen. irnd Sophisten aber, werden die ey gent-
liche Vrsachen dessen wol wissen zu
inquiriren und zu erforschen.
II, 410 will sich Guzman einer geselschaft von gauklem und
tänzem anschliessen. Diese gelegenheit, die nur zu diesem zwecke
herbeigeführt zu sein scheint, benuzt der Verfasser sogleich, seine
gelehrsamkeit auszukramen. Er gibt uns eine mit zahllosen stellen aus
antiken autoren und kirchenvätem belegte geschichte des tanzes und
ergeht sich schliesslich in eine endlose polemik gegen die unsitlichkei-
ten, wie sie bei den tanzunterhaltungen vorkamen, ein thema, das
deutsche prediger vom 15. bis tief ins 18. Jahrhundert hinein unzälilige
male behandelt haben. Auch an einer anderen stelle eifert er: „Ja da
verleurt man manchs [344] par, welche sich in einem heimlichen
Winckel verkriechen, allda sie gewißlich kein Pater noster betten, es
komme sie dann eine sonderliche Andacht an.^'
Simplicissimus ist auch kein freund des tanzes, wie er lU, 342
versichert: „Anstat des Tantzens, dem ich nie bin hold worden, wiese
ich die Gerade meines Leibes, wan ich mit meinem Kürschner föchte",
aber an stelle der langen abstrakten predigt orzält er ims, als wäre er
dabei gewesen, mit derbem realismus die ergötzliche geschichte „Wie
sich ein Oänser und eine Gänsin gepaaret" [buch II kap. 1] und knüpft
nur am Schlüsse gewissermassen in parenthese 119 die bemerk ung daran:
„Günstiger Leser, ich erzehle diese Geschichte nicht darum, damit er
viel darüber lachen solle, sondern damit meine Histori gant^ sey, und
der Leser zu Gemüt führe, was vor ehrbahre fruchte von dem Tantzen
zugewarten seyn [120]. Diß halte ich einmal vor gewiß, daß bey den
Täntzen mancher Eauff gemacht wird, dessen sich hernach
eine ganze Freundschafft zu schämen hat^^ Dieser lezte satz,
der in der tat auch mit dem unmittelbar vorhergehenden in keiner sti-
listischen Verbindung steht, ist wider wörtlich aus „Guzman" II, 413
entlehnt Es heisst dort: „. . imd wann gleich und gleich zusammen
kommen, wird mancher unehrlicher Kauff gemacht, dessen
sich hernach eine gantze Freundtschaft schämen muß."
ZEITSCHRIFT F. DKUTSCUB PU1L0I.0OIE. BD. XXII. 7
98 VON PAYEB
In cap. XIV des ersten, von Albertinus herrührenden teiles wird
Guzmau, fremd in den Strassen Genuas umherirrend, von einem ehr-
würdig aussehenden manne, der seinen vater gekant zu haben behaup-
tet, gastlich aufgenommen. Während er des nachts in einem weichen
und reinlichen bette, wie er es seiner tage nicht gehabt, behaglich die
müden glieder streckt, stürzen vier als teufel vermumte männer ins
Zimmer, reissen ihn aus den federn, legen ihn, der vergebens alle hei-
ligen anruft, auf einen „kotzen" und prellen ihn derartig, dass er die
bcs^innung zugleich mit der „vis retinendi'' verliert ^ Zu sich gekom-
men sucht er die Verunreinigung, die er angerichtet, tunlichst zu ver-
bergen und schleicht im morgengrauen aus dem hause, in dem man
ihm so übel mitgespielt.
Simplicius wird II, 134 in derselben weise mishandelt Aber
während im „Guzman" die gesclüchte ohne Zusammenhang mit dem
vorhergehenden und olme bezug auf das folgende, bloss um ihrer selbst
willen dasteht, hat sie hier in der absieht des Schriftstellers eine ganz
bestimte aufgäbe zu erfüllen: Simplicius soll dadurch seines Verstandes
beraubt und in seinem bewusstsein in ein kalb verwandelt werden, ein
streich, von dem sich der Veranstalter manchen spass verspricht Sim-
plicius, schon vorher von dem pfarrer gewarnt, macht gute miene zum
bösen spiel, und im selben augenblicke, wie er als „kalb** in die runde
tritt, die sich um den tisch des obersten versammelt hat, ist auch die
absieht des Verfassers klar: der narr betrachtet nun die geselschaft mit
den äugen eines tieres, als solchem können ihm daher albemheiten und
unnatürlich keiten auftauen, in denen menschen gar nichts besonderes
erblicken können, weil sie dieselben eben dadurch, dass sie menschen
sind, gewissormassen mit der muttermilcli eingesogen liabea. So dient
hier der streich niu" dazu, der Siitire einen besonderen nachdruck zu
vorleihen.
Fernere anlehnungen, die, an sich von geringerer bedeutung, nur
im gofolge der früher erwähnten ins gewicht fallen, sind folgende:
Simpl. IV, 455 erzählt Olivier, wie er des naclits die Strassen
durchstreifte um vorübergehenden die mäntel zu entreissen, und
wie er, dabei ertapt, nur mit not dem galgen entrint Wegen
desselben verbn.vheus wird Guzman I, 372 zum galgen verurteilt
1' Dieser >1';Vns svhoiut sich in Sivinieu einer Ivsondeivn beliebtheit zu erfreuen:
D'.r. i^uix. t»^ I. tril oap. 17 wird in der sehenke mit Sancho Pansa derselbe uofng
otr:-*Ven. Die vier tvufels:;\r\vu . die den olinungslosen äberfallen und erschrecken,
erscheinen auoh im «Man^^s Obrv^con* von Viccnte £s|4nel. übersezt von Ludwig
Tuek «Brv*$ldu 1S27) 1. W. s. 15Ö.
ZUM SIMPLICISSIMU9 99
und in anbetracht seiner Jugend zur galeere begnadigt Diese art
des raubes ist nur bei den weiten wallenden gewändern der Süd-
länder denkbar: sclion aus dem alten Athen haben wir künde, dass
es leute gab, die im dunkel der nacht zwischen den langen mauern
dasselbe gewerbe übten. Die Griechen nanten es honodweiv, und es
muss eines der verachtetsten verbrechen gewesen sein, denn es wurde
mit seelenverkäuferei und tempelraub auf eine stufe gestelt und mit
dem tode bestrafte
Der präceptor, der sich mit den ihm anvertrauten Zöglingen des
nachts in den Strassen herumtreibt bis der eine bei einer balgerei
erstochen und die übrige geselschaft von der polizei eingezogen wird,
ist gleichfals aus Guzman I cap. XXIX entlehnt.
Nachdem Guzman seine dreijährige galeerenstrafe überstanden hat,
begibt er sich — so begint die fortsetzung des Frewdenhold — auf
eine pilgerfahrt nach dem heiligen lande. Er wird dabei nach Alexan-
drien verschlagen und fährt den Nil hinauf nach Cairo. Dort fält ihm
auf, dass man hühnereier in Öfen künstlich ausbrütet Auf einem aus-
flug nach der totenstadt gerät er in die gefangenschaft der Türken:
lauter züge, die sich im VI. buche des „ Simplicissimus" wider finden.
Alle die erwähnten stellen zusammengenommen lassen meines
erachtens kaum einen zweifei aufkommen, dass jene bearbeitung des
„Guzman'' von Aegidius Albertinus mit der fortsetzung des Martinus
Frewdenhold Grimmeishausen bei der abfassung des „Simplicissimus"
vorgelegen hat
WIEN, IM OKTOBER 1888. RUDOLF VON PAYER.
ZUM TELLENSCHUSS.
E. L. ßochholz hat in seinem treflichcn werke: „Teil und Gess-
1er in sage und geschieh te" nachgewiesen, dass lange vorher, ehe eine
Schweiz war, die sage, welche das schiessen eines apfels vom haupte
einer geliebten pereon als Charakteristiken grösster schützenkunst hin-
stelt, schon unter Völkern verbreitet gewesen ist, die sich heute räum-
lich ungemein ferne stehen. Die Übereinstimmung mythischer sagen
1) Xenophon, Coin.I, 2, 46. Über das stehlen des mantels bemerkt Tieck zu
Marcos Obregon, I. bd., cap. 3: „Das stehlen des mantels war damals etwas sehr
gewöhnliches in Madrid. Eine gewisse art der diebo legte sich vorzüglich auf diese
rSuberei, zu welcher Schnelligkeit und goschicklichkeit ex-forderlich war.^
7*
100 VON WLISLOCD
bei den verschiedensten Völkern mag oft überraschen, aber sie erklärt
sich gar einfach. „Je weiter man in der zeit zurückgeht, um so mehr
nimt die Verschiedenheit der Völker imd stamme ab, um so grösser
muss auch die Übereinstimmung aller in dem punkte der sagen gewe-
sen sein." Als kleinen beitrag hiefür will ich aus Siebenbürgen einige
unedierte sagen und märchen mitteilen, die die weitverbreitete mythe
vom apfelschuss bis auf den heutigen tag bewahrt haben.
Ein unediertes märchen der transsilvanischen Rumänen lautet in
genauer Übersetzung also:
Seharfaug, Schnellauf, Trefweit.
Es lebte einmal eine arme alte frau, die hatte drei grosse söhne,
von denen ein jeder eine trefliche eigenschaft besass. Den ältesten
nante man Scharfaug, weil er ein so scharfes äuge hatte, dass er
drei meilen weit alles deutlich sehen konte; den mitleren nante man
Schnellauf, weil er so schnell laufen konte, dass, ehe man sagte:
„bleib gesund "*, er schon drei meilen zurückgelegt hatte und wider
andere drei meilen, ehe man ein „lebewol" sprach*; und den jüngsten,
den nante man Trefweit, weil sein schuss auf drei meilen weit sicher
traf. — Als ihre mutter starb, machten sich die drei brüder auf den
weg, um in der grossen weit ihr glück zu versuchen. Einmal sassen
sie am rande eines waldes, als Scharfaug in weiter ferne einen hinken-
den wolf erblickte. Er rief: „Seht, dort am rande jenes waldes komt
ein wolf hinkend einher!'* Doch kaum hatte er diese werte gesprochen,
so kam schon Schnellauf mit dem wolfe zurück. Die brüder verban-
den den wehen fiiss des wolfos, der ihnen von nun an wie ein hund
üWralhin nachfolgte. So kamen sie denn einmal in eine Stadt, wo
ein niäohtigor ki^nig wohnte, der eine wunderschöne tochter besass,
die alvr nur den heiraten wolte, der sie im wetlauf besi^. Sie war
eine ausson^nlontlich schnelle läuferin und hatte schon viele bewerber
im wotlauf besiegt und hinrichten lassen. Als nun die drei brüder
hioviui künde erhielten, unternahm es sofort Schnellauf mit der königs-
toohter um die wotto zu laufen. Doch ehe sie den lauf begannen,
sprach die königstvvhter also zu Sohnellauf: „Drei meilen weit werden
wir laufen und wenn du vor mir das ziel erreichst, so will ich deine
frau wonlon! Dvvh ehe wir den lauf noch bt^innen^ schenke ich dir
schon den trauring!** Und sie gab ihm einen ring mit einem pradit-
volleii stein, den Sohnollauf zu seinem unglück sofort an den finger
n Zu dU^^or wondiing v^d. moinon au^tx: ^Zu iieii(eneekiscli«i Tolksüedeni*
^in dor Zoit!>ohnft f. vorgt. littonitUTp^sch. u. ivaaissance-üttmmr X.F. ImLI s.3^).
ZUM TELLENSCHÜSS 101
zog; denn der stein im ring hatte die kraft jeden, der ihn am finger
trug, nach kurzer zeit einzuschläfern. Und so geschah es auch Schnel-
lauf. Kaum hatte der wetlauf begonnen und Schnellauf bereits zwei
meilen zurückgelegt, da fiel er, in tiefen schlaf gesunken, wie tot zu
boden. Dies bemerkte aber noch rechtzeitig Scharfaug und sagte zu
seinem bruder Trefweit: „0 wehe! unser bruder ist bezaubert worden
und liegt nun zwei meilen weit von hier in tiefem schlaf, auf den
boden gestreckt Der ring, den ihm die königstochter geschenkt hat,
muss ein zauberring sein!" — «Das werden wir gleich sehen!'' ver-
sezte Trefweit, „zeig mir nur die richtung, in welcher unser bruder
liegt" Und als ihm Scharfaug die richtung anwies, schoss er seine
flinte ab und von der kugel getroffen fiel der zauberring zersplittert
vom finger Schnellaufs. Dieser erwachte sofort und legte wie der blitz
die lezte meile zurück. Lange nachher kam die schnelfüssige königs-
tochter am ziele an. Sie forschte sogleich nach dem ringe und Schnel-
lauf erzählte ihr nun, dass wahrscheinlich sein bruder Scharfaug ihn
schlafend bemerkt habe, worauf dann sein jüngster bruder ihm den
ring vom finger geschossen habe. Da rief erzürnt die königstochter:
„Gut, ich will dein weib werden, aber weil ihr mich betrogen habt,
so muss dein bruder Trefweit mir noch einmal seine kunst zeigen;
gelingt ihm die aufgäbe nicht, so lass ich ihn und deinen bruder
Scharfaug hinrichten!" Und sie befestigte einen ring oben auf dem
hanpte Scharfaugs, stelte ihn dann vor Schnellauf, auf dessen haupt sie
eine kartoffel legte und hiess nun Trefweit von hundert schritt weite
durch den ring die kartoffel vom haupte seines bruders zu schiessen.
Da begann der wolf zu heulen und wolte auf die königstochter los-
springen, aber Trefweit besänftigte ihn und sprach: „Warte, bis dass
mir der schuss mislungen ist!" Und er nahm die flinte zur band und
schoss. Durch den ring hindurch drang die kugel in die kartoffel und
riss sie mit sich fort. Nun muste die königstochter Schnellauf heiraten
und die drei bruder lebten glücklich bis an ihr seliges ende. Sie
machten das reich des königs gross und mächtig, denn jedermann
fürchtete sich vor ihnen und als sie starben, weinten alle leute im
lande und glaubten lange zeit nicht an den tod der bruder, sondern
dachten bei sich, dass sie sich vielleicht gekränkt aus dem lande ent-
fernt hätten und einmal noch zurückkehren würden. So gerne hatten
die leute diese drei bruder —
Dies das märchen der Bumänen, das sich im grossen und gan-
zen mit der italienischen NovcUa dell Fortunato, welche 1869 zu Li-
vomo von Giov. Papanti nach einem drucke aus dem fünfzehnten jähr-
102 VON WUSLOCÜ
hundert hcmusgegcben worden ist, deckt Auch im märchen bei Grimm,
K.-M. nr. 71; Ey, Harzniärchenbuch s. 116, und im märchen „Belle-
Belle OH le Chevalier ForUine^^ von der gräfin d'Aulnoy, „kernt ein
wetlauf mit einer königstochter vor, wobei der läufor einschläft, aber
durch einen schuss oder wurf noch zeitig genug erweckt wird, um vor
der Prinzessin das ziel zu erreichen" (s. Roch holz a. a. o. s. 44 und
vgl. R. Köhlers schätzbare niitteilungen 1872 in Brockhaus Kritischen
anzeigen). Was den von obigen märchen abweichenden zug vom ein-
schläfernden zauberring betritt, so ist das rumänische märchen am
nächsten verwant mit Basiles Pontamerone III, 8. wo „der läufer Fur-
golo (blitz) durch einen ring mit einem zauberstein festgemacht wird,
bis der armbrustschützo Cecadiritto (Trifgut) ihm den magischen stein
vom fingerring schiesst" Zum schuss durch einen ring nach der kar-
tofTel (also einem „erdapfel", s. Rochholz a. a. o. s. 41) ist zu verglei-
chen der schuss des mythischen Serbenholden Milosch, der um die
lateinerbraut in der veste Ledjan werbend, dieselbe dadurch gewint,
dass sein pfeilschuss durch einen ring tritt und den apfel dahinter
von der lanzenspitze herabschiesst (Gerhard, Serbische volksl. I, s. 148).
In den meisten der hierhergehörigen sagen hält der schütze noch
einen pfeil bereit, den er im falle eines mislingens demjenigen zuzu-
senden gedenkt, der ihn zu dem verhängnisvollen schusse zwang. Ob-
wol im nimänischen märchen das bereithalten eines zweiten pfeiles
(kugel) nicht erwähnt wird, so ist doch nicht undeutlich darauf ange-
spielt, indem Trefweit zum wolfo spricht: „Warte, bis dass mir der
schuss mislungen ist!" Was nun den wolf anbelangt, der in diesem
märchen — wenigstens in der vorliegenden gestalt — sozusagen gar
keine rolle spielt — so erlaube ich mir an die holsteinische sage von
Henning Wulf zu erinnern (Rochholz, a.a.O. s. 38; MüUenhoff, Schles-
wig-Holstein, sagen nr. 66 und Jahrbücher von Schleswig-Holstein 1860
III, 3 s. 444). Dass nach den werten des märchens die drei brüder
im glauben der leute noch fortleben, ist ebenfals ein alter zug, den
wir in der sage von den drei Teilen am Rütli, den drei zauberschlä-
fern im Axenberge u. m. a. widerfinden (s. Rochholz a. a. o. s. 125 fgg.)
Wichtiger noch, sowol für die vergleichende sagenkunde als auch
für die fortbildung und Verbreitung der Tellengeschichte, ist eine sagen-
hafte erzählung der Bulgaren, die als gärtner und feldbauem im Süd-
westen Siebenbürgens wohnen. „Wenn Eutych Kopp, Oesch.-b]ätter 2,
362 die auffallende ähnlichkeit erkant hat, welche zwischen Saxos Toko-
geschichte und der Tellengeschichte der Schweizerchronisten in anläge
und darstellung der eizälten begebenheit besteht; und wenn wir da
ZUM TELLENSGIIUSS 103
auf beiden selten dieselbe sage mit denselben haupt- und Wendepunk-
ten haben", so gilt dies auch — mutatis mutandis — mehr oder weni-
ger von der bulgarischen erzähhmg, wenn wir dieselbe mit der däni-
schen Tokogeschichte und der Schweizer Tellengeschichte vergleichen.
„Den waghalsigen apfelschuss nach des kindes haupte; den aufgestelten
stecken; die Zuversicht und geschicklichkeit des vaters; das bereithal-
ten mehrerer geschosse von seite des schützen und dessen freies wort
an den dränger; das fallen des drängers durch des schützen hand",
alle diese haupt- und Wendepunkte der erwähnten beiden geschichten
lassen sich auch in der bulgarischen erzähl ung genau nachweisen. Wenn
ihr auch der historisch -gefärbte schluss (empörung der Dänen, herzog
Parricida) abgeht, so dreht sie sich doch auch um eine geschichtlich
nachweisbare person. Digenis, der bulgarische trefschütze ist meiner
ansieht nach derselbe, der auch in den neugriechischen Volksliedern
vorkomL Schon seit langer zeit besass man neugriechische Volkslieder,
in denen von einem wunderbaren beiden, namens Digenis, die rede
ist (vgl. z. b. Passo^, Popularia carmina Graeciae recentioris nr. 430.
491. 516; Sakellarios, Cyprische volksl. nr. 4. 17; Legrand, Recueil de
Chansons populaires grecques III, nr. 87 — 90), ohne dass man mit
diesem Digenis viel anzufangen wüste, bis endlich zu anfang des vori-
gen decenniums in Trapezunt ein daselbst vor einnähme der Stadt durch
die Türken (1462), vielleicht schon im 10. Jahrhundert verfasstes hel-
dengedicht von mehr als dreitausend politischen versen entdeckt wurde,
das von einem gewissen Basilios Digenis Akritas handelt, dem söhne
eines Emirs von Edessa, namens Ali, und einer tochter des griechi
sehen stratarchen Andronikos Dukas. Er hiess Digenis (diyevijgiy von
zweifacher abstammung) wegen seiner arabisch -giiechischen eitern und
Akritas als grenzwächter gegen die muselmänner am Euphrat (als
eine art grenzwächter tritt er auch in der bulgarischen erzählung
auf); er hiess auch Porphyrios, bei den Persern Farfurius; sein
eigentlicher name scheint aber Panthirios oder Panthir, und er
derselbe feldherr gewesen zu sein, welcher nach dem Zeugnisse Nestors
im jähre 941 die flotte des russischen fürsten Igor vernichtete. Er
war mit dem griechischen kaiser Komanos Lekapenos verwant und
Oberbefehlshaber der asiatischen provinzen. Das erwähnte gedieht nun
ist seitdem von Konstantin Sathas und Legrand herausgegeben worden
(Les Exploits de Digönis Akritas, 6pop6e byzantine du X. siöcle publi6o
pour la premiöre fois d'aprös le manuscrit unique de Tröbizonde. Pa-
ris 1875). Der Sagenkreis des Digenis ist übrigens auch nach Russ-
land voi^gedrungen, woselbst in einer handschrift des 14. — 15. jahrh.
104 VON WLISLOCKI
ein heldengedicht über Deugenius Äkritas vorhanden ist (s. A. Wesse-
lofsky in der Russischen revue, Petersburg 1875. IV. jahrg. 8.379fgg.):
„Bruchstücke des byzantinischen epos in russischer fassung" und Alfred
Rambaud, La Russie epique, Paris 1876, s. 421 fgg. „L'Epopöe n6o-
grecque Digenis Akritas"; vgl. auch Felix Liebrecht, Zur Volks-
kunde s. 202).
Die genaue deutsche Übersetzung dieser bulgarischen sage — so
wie ich dieselbe 1887 im Originaltext aufgezeichnet habe — lautet also:
Der schuss des edlen Digenis.
Einst lebte. am klaren wasser der Donau ein gewaltiger held, der
mit seiner frau, einer guten Stia^ einen söhn zeugte, dem er den
namen Digenis gab und zu dessen paten er sich den grossen könig
von Buda erbat. — Als Digenis sein zwanzigstes jähr erreicht hatte
schickte ihn sein vater hinauf in die bürg von Buda, damit er seinem
paten zeige, was er gelernt habe. Und über Digenis künste hatte der
könig und seine leute guten grund zu staunen; denn Digenis konte
schwimmen wie ein fisch, er konte besser laufen als das beste reit-
pferd des königs, springen konte er wie das reh der gebirge und steine
von einem berge auf den andern schleudern, die sechs pferde von der
stelle zu rühren nicht im stände waren. Aber erst schiessen! das ver-
stand er wie kein mensch auf erden. Auf eine halbe meile weit schoss
er den allerkleinsten apfel, auf einen stock gesteckt, auf den ersten
schuss herab. Über diese seine künste wunderte sich gar sehr der
könig von Buda und sprach zum edlen Digenis also: „Du bist noch
jung an jahrcn, aber du kanst doch mehr, als zehntausend hundert-
jährige greise! du bist noch zu jung, um heiraten zu können; darum
sende ich dich hinaus in meine bürg im gebirge; dort solst du als
kapitän (capitano) den Türkon schrecken einjagen; nach fünf jähren aber
will ich dir meine einzige tochter zur frau geben !*^ Gar traurig zog
der edle Digenis hinauf in das gebirge, in die bürg, um dort die Tür-
ken abzuwehren; gar traurig war er, denn er hatte eine Jungfrau lieb,
die or doinniU'hst auch heiraten weite; nun aber solte er nach fünf
jaliron des königs von Buda tochtcT zur frau nehmen! Was tat nun
d(»r (»dio Digenis? Mitten auf dem wege kehrte er um und ritt zu
I) still, amh .Imhi j;onjint, sind wnldnymphen in jugendlicher frauengestalt
Kk \i'ih\ Im »so und K»to Stiu; dio l»ösi«n lobon an Aussen und soon; sie haben ein
liujf^os luuir, da« mo dtMi Hirh r.\\ ihnon vorin-ondon menschen über das haapt wer-
fon, um dünn di«« darin vorNtrit^kton im wasser zu ersäufen; die guten hingegen
crzotigen mit irdinrlion mlüui(«rn kindor, aus denen gewöhnlich grosse helden werden.
ZUM TELLENSCHUSS 105
seiner geliebten, die er heiratete. Nun zog er mit seiner jungen frau
in die ferne bürg im gebirge. Durch seine künste wurde er gar bald
der schrecken der Türken. Als fünf jähre um waren schickte der könig
von Buda dem edlen Digenis einen grossen brief mit einem grossen
Siegel, damit er nach Buda komme und seine einzige tochter heirate-
Der edle Digenis bestieg also sein ross, sezte sein vieijähriges söhnlein
vor sich hinauf und ritt zum könig von Buda. Als er dort ankam,
sprach er also: „Herr könig, euere tochter kann ich nicht heiraten,
denn ich habe mir schon vor fünf jähren ein weib genommen! Hier
ist mein vierjähriges söhnlein!" Da ergrimte der könig von Buda und
sprach: „Du hast wie ein weib gehandelt und verdienst von den pfer-
den zertreten zu werden ^1 Doch ich will dein leben schonen, weil ich
ja dein pate bin, aber du musst einen goldenen apfel vom haüpte dei-
nes kindes auf den ersten schuss herabschiessen ! Verfehlst du das ziel,
so musst du sterben!" Und sie führten den edlen Digenis samt sei-
nem söhne hinaus in das freie feld und legten dem knäblein einen gol-
denen apfel aufs haupt. Dreihundert schritte vom söhne entfernt stand
der edle Digenis und lud beide laufe seiner langröhrigen flinte. Er
sezte an und schoss. Der goldene apfel flog weithin auf die erde. Das
söhnlein stand unversehrt da. Grimmig sprach hierauf der könig von
Buda: „Du bist ein treflicher schütze, Digenis! Sage mir aber wozu
hast du beide laufe deiner flinte geladen? Du durftest ja — hätte der
erste schuss gefehlt — zum zweiten mal nicht schiessen?" Da hob
Digenis seinen knaben auf den arm und sprach: „Hätte die kugel des
einen laufes nicht den goldenen apfel, sondern mein kind getroffen,
dann hätte die kugel des zweiten laufes dein hundeherz gewiss nicht
verfehlt!" Und wie der Sturmwind flog er über die haide hinauf in
das gebirge, wo er in einer höhle rast hielt. Müde schlief er ein und
als ihn sein weinendes söhnchen aufweckte, da sah er, dass draussen
vor der höhle der könig mit hundert seiner leute stand. Der edle
Digenis besann sich nicht lange, sondern schoss seine beiden laufe ab.
Der könig von Buda und sein ältester söhn fielen tot zu boden. Da
begann ein kämpf, wie ihn nicht sobald ein mann gesehen hat Als
die sonne den himmelsrand küsste, da lag der könig von Buda, dessen
sehn und die hundert männer tot auf dem boden; der edle Digenis
aber zog mit seinem söhnchen heim zu seiner frau und dann ver-
liessen die drei für immer das land und wurden nimmer gesehen
Dies die bulgarische sage, deren held wol geschichtlich ist; der
apfelschuss aber ist mythisch und dem vertrag des ereignisses bloss
1) Ygl. liebrecht, Zur Volkskunde (s. 296: Eine alte todesstrafe).
106 VON WUSLOCKI
angewachsen aus älterer Überlieferung, die bislang unbekant ist (vgl
Grimm, Myth. 354). Lezteres (freilich olme geschichtlichen hintergnind)
gilt auch von der sagenhaften erzählung der Szekler, die ich im jähre
1879 im Häromsz6ker komitate (Südosten Siebenbürgens) im ungarischen
Originaltexte aufgezeichnet habe und zwar in drei Varianten, von denen
ich hier die volständigste und bedeutungsvolste in genauer Verdeut-
schung mitzuteilen mir erlaube.
Tschalo Pischta.^
Es war einmal dort, wo er nicht war, dort, wo man die lause
und flöhe mit goldenen hufeisen versieht, dort war also einmal ein
mann, dem hinterliess seine frau, als sie starb, ein zehnjähriges söhn-
chen. Der mann war so arm wie eine kirchenmaus und konte sich
kaum das tägliche brot verschaffen. Da dachte bei sich der arme mann:
du gehst mit deinem söhnchen in die weite weit! vielleicht kanst du
anderswo dein brot dir leichter verdienen! — Und der arme mann
buk sicli aus seinem lezten mehle einen aschenkuchen, steckte densel-
ben in seinen raantelsack und zog nun mit seinem söhnchen, das man
Tschalo Pischta nante, in die weite weit hinaus. Sie erreichten gar
bald einen grossen wald und legten sich ermüdet unter einem grossen
eichbaum nieder. Der vater schlief gar bald ein, während Tschalo
Pischta dem gesange der vögel und dem gesumme der käfer zuhörte.
Da lief ein manschen heran und sprach also zu Pischta: „Lieber knabe,
ich habe zuhause acht kinder zu ernähren und habe heute noch kein
krümchen esbaros gefunden. Du hast in deinem mantelsack einen gan-
zen aschenkuchen; gib mir ein wenig davon, damit ich es zu meinen
kindem trage und ich will es dir belohnen!*' Tschalo Pischta brach
ein Stückchen vom aschenkuchen ab und warf es dem manschen zu,
das nun also zu ihm sprach: „Reiss mir ein barthärchen aus und be-
wahre es gut; wenn du in not bist, so speie es an und ich werde dir
zu hilfe eilen, dann stich mir in das linke pfotchen und sauge einen
tropfen blut daraus, du wirst dadurch so stark werden, dass du zent-
nerschwere steine von einem berge auf den andern wirst werfen kön-
nen!'' Als Tschalo Pischta das härchen herausgezogen und einen tropfen
blut ausgesogen hatte, lief das niäuschen davon. Als sein vater
er^vachte, erzählte ihm Tschalo Pischta nichts, sondern behielt das
geheimnis für sich. Nun zogen sie wider weiter in die weit, von einem
1) IMsilita = donünutiv von Istvan (Stefan). Im Ungarischen wird der tauf-
nanie dorn familiennamen naohgesozt
ZUM TELLENSCHUSS 107
ort zum andern, bald arbeitend, bald bettelnd, — so wie es eben
gieng. Nun kamen sie einmal auf einen hohen berg und der vater
legte sich nieder und schlief. Tschalo Pischta konte aber nicht schla-
fen, sondern stieg den hohen 1)erg hinan und wolto sich in der umge-
gend ein wenig umsehen. Da kam er an eine höhle, deren eingang
mit einer goldenen türo verschlossen war. Der junge versuchte die
türa zu öfnen, da es ihm aber nicht gelang, so nahm er einen zent-
nerschweren stein und warf ihn solcher wucht an die türe, dass die-
selbe klirrend aufsprang. Himmel und erde erzitterten und aus der
höhle sprang eine nachtschwarze hexe hervor und rief: „Nun sollst du
dein leben lassen, junger bursche, wenn du nicht so weit deine steine
schleuderst, als ich schiessen kann!" Und sie nahm eine flinte hervor
und schoss vom nächsten berge einen raben herab; Tschalo Pischta
aber nahm einen zentnerschweren stein und warf ihn auf den nächsten
berg, imd erschlug damit einen wolf, der grade über den berg laufen
weite. Da nahm er einen zweiten stein und ehe sich die hexe versah,
erschlug er sie. Die flinte steckte er in seinen mantelsack und kehrte
zu seinem vater zurück, dem er von seinem abenteuer gar nichts
erzählte.
Vater und söhn zogen nun weiter in die weit und kamen end-
lich in eine wüste, die kein ende nehmen wolte. Tagelang wanderten
sie herum, ohne das ende der wüste erreichen zu können und waren
nun nahe daran, vor hunger zu sterben. Da untersuchte der vater
einmal den mantelsack seines sohnes und fand darin die zauberflinte.
„Woher hast du diese flinte?" fragte er seinen Pischta. Dieser ver-
sezte darauf: „Von einer hexe! Aber was nüzt sie uns jezt, wenn wir
nichts zu schiessen haben! Möchte die flinte uns doch zu einem bra-
ten verhelfen!" Kaum hatte er diese werte ausgesprochen, da flog die
flinte durch die luft weit weg und kehrte in kurzer zeit mit einem
erschossenen rehe zurück. Nun hatten sie zu essen und lebten ohne
sorge und kummer, denn sobald sie fleisch brauchten, schickten sie die
flinte auf die jagd, die dann stets mit einem erschossenen wilde zurück-
kehrte. — Nach dreissig tagen erreichten sie endlich das ende der
wüste, wo ein siebenköpfiger drache den ausgang bewachte und ihnen
den weg versperte. Da schleuderte Tschalo Pischta sieben mächtige
felsblöcke auf den drachen und erschlug ihn. Sie zogen nun ungehin-
dert weiter und erreichten gar bald eine grosse Stadt, wo ein sehr
grausamer könig wohnte. Die leute empfiengen die beiden wanderer
mit grossen ehrenbezeugungen, gaben ihnen die besten speisen und
getränke und führten sie in ein schönes haus, wo sie von nun an woh«
108 VON wusLOcn
nen soltcn. Sie fragten erstaunt die leute, was alle diese ehrenbezeu-
gungen zu bedeuten haben? Da erzählten ihnen die lente, dass ihr
grausamer könig den drachen am ausgang der wüste gehalten und
jeden tag ihm einen menschen zu fressen gegeben habe. Nun seien
sie durch Tschalo Pischta von diesem ungeheuer befreit worden und
weiten von nun an für alle bedürfhisse des vaters und des sohnes sor-
gen. — Doch nicht lang dauerte ihr vergnügtes leben, denn als der
könig erfuhr, dass Tschalo Pichta seinen siebenköpfigen drachen erschla-
gen habe, da liess er vater und söhn zu sich führen und sprach also
zum knaben: „Du bist an jähren noch ein Mnd, an stärke und kraft
aber ein riese! Nun, wenn du mit felsblöcken spielen kanst, so wirst
auch ein guter schütze sein! "Weil du meinen drachen erschlagen hast,
so will ich dich und deinen vater an einen ort setzen, wo ihr weder
sonne noch mond zu sehen bekomt, wenn du vom haupte deines
vaters nicht einen goldenen apfel auf tausend schritte weit, herab-
schiesst" Und er legte dem vater einen goldenen apfel aufe haupt und
hiess nun den jungen zu schiessen. Auf tausend schritte entfemung
schoss Tschalo Pischta und der apfel fiel vom haupte des vaters. Da
sprach der könig also zum knaben: „Du hast den apfel getroffen und
ich will euere strafe auch lindem! Ihr solt die sonne und den mond
sehen können, aber ich will euch in einem netze für euer ganzes leben
gefangen halten!" Er rief seine diener herbei und liess die beiden in
ein starkes stricknetz werfen, das am tore des königshauses befestigt
wurde. Yiele tage und nachte sassen schon die beiden im netze ge&n-
gen, ohne von den leuten befreit zu werden, die sich vor dem zom
und der grausamkeit ihres königs fürchteten. Da erinnerte sich eines
tages Tschalo Pischta des barthärchens, das er einst dem manschen
herausgerissen hatte. Schnell nahm er es hervor und spie es an. Da
liefen im nu viele tausend mause heran und frassen das ganze netz
auf, worauf sie ins haus des königs drangen und denselben samt haut
und haaren verzehrten, worauf sie wider verschwanden ^ Die leute
machten nun den Tschalo Pischta zu ihrem könig, der in glück und
Zufriedenheit bis an sein seliges ende lebte
Dies ungarische märchen gehört in den kreis derjenigen erzählun-
gen, in welchen von trefschüssen berichtet wird, die nicht allein daidi
des schützen kunst, sondern mehr durch das magische vermögen seiner
Zauberflinte gelingen (s. Rochholz a. a. o. s. 44 fgg.). Der zug von der
1) Durch diesen zug gehört obiges märchen auch znr märchenreihe vom
^Mäusoturm.'' S. meinen aufsatz: «Die mäuseturmsage in Siebenbürgen'^ (Oermania
N. reihe XX s. 432 fgg.) wo ich dies märuhen nicht angezogen habe.
ZUM TELLENSCHÜSS 109
selbstjagenden flinte findet sich auch in der Kalewala (15, 371 nach Schief-
ners Übersetzung), wo des finnischen Wäinämöinens bogen von selbst
zu walde aufs weidwerk geht; nach dem altfranzösischen roman des
Huon von Bordeaux „bedient sich der jagende elbenkönig Oberon eines
pfeiles, an dem augenblicklich, wann es der eigner will, jegliches wild
steckt" (Vgl. auch die sage von Orvaroddr; Weinhold, Altnord, leben
205; Rochholz a. a. o. s. 45.) Ein ähnlicher zug findet sich auch in
einem unedierten rumänischen märchen meiner samlung vor, in wel-
chem drei Waisenkinder eine flinte besitzen, die ihnen das wild aus
dem walde holt Am nächsten verwant ist das vorstehende ungarische
märchen mit den betreffenden finnisch -lappischen erzählungen (s. Roch-
holz a. a. 0. s. 88 fgg.), in denen das hauptmotiv ebenfals in die Wir-
kung des Zaubers verlegt wird; ebenso ein gemeinschaftlicher zug der
finnisch-lappischen erzählungen und des ungarischen märchens ist die
„Verwechslung vom objekt ins Subjekt", indem auch hier der söhn
den apfel vom haupte des vaters schiesst Zu den steinwürfen
wäre noch zu vergleichen die Töllussage der Inselschweden (Rochholz
a. a 0. s. 83 fgg.).
Schliesslich will ich mir mit bezug auf das mitgeteilte ungarische
märchen eine bemerkung erlauben. Rochholz sagt (s. 92) in seinen
schäzbaren bemerkungen mit bezug auf die betreffenden finnisch -lap-
pischen erzählungen: „Einwirkungen durch die schwedisch- dänische
sage haben dabei unleugbar statgehabt." Ich erlaube mir dagegen zu
bemerken, dass grade die züge, welche den finnisch -lappischen erzäh-
lungen und dem ungarischen märchen gemeinsam sind, sich in den
schwedischen und dänischen relationen nicht vorfinden (schuss des soh-
nes, Zauberflinte).
Der nächste und lezte schritt führt uns zu den blinden trefechützen.
Es lassen sich in diesem sagen- und erzählungskreise überhaupt drei
abteilungen aufstellen und zwar 1. trefschützen mit gewöhnlicher waffe,
2. trefechützen mit zauberwaffen, und 3. blinde trefschützen. Eine Ver-
einigung der beiden lezten abteilungen (zauberwaffe im besitze eines
blinden schützen) findet sich im märchen der Bukovinaer Armenier
vor, das ich aus der handschriftlichen samlung meines freundes, des
Mechitaristenpriesters dr. Wertlianesz Jakudjian hier in deutscher Über-
setzung mitteilen will.
Der blinde kSnlgssohn.
Vor vielen tausend jähren lebte im osten ein mächtiger, reicher
könig, der sein ganzes leben hindurch von glück und erfolg in allen
110 VON WUSLOCn
seinen taten begleitet war. Da kam einmal ein weiser mann zu ihm
und bettelte um speise und trank. Da sprach der könig zu ihm: ^Du
bist ein weiser mann, dessen ruf sich in sieben reichen verbreitet hat,
imd dennoch kanst du von dir nicht sagen, dass du glücklieh bist!
Ich dagegen habe nicht den tausendsten teil deines Verstandes und bin
doch der glücklichste mann der erde!'' Lächelnd versezte hierauf der
weise: ,, Erinnere dich, o könig, deiner worte, wenn du einmal im
Unglück bist!*^ Und ohne eine gäbe anzunehmen, entfernte sich der
weise mann. — Die zeit vergieng und es drehte sich das rad des
scliicksals und der reiche, mächtige könig ward elend und unglücklich.
Ein anderer könig brach in sein land ein, besiegte ihn und liess ihn
in den kerker werfen; seinen einzigen söhn aber liess er blenden und
jagte ihn aus dem lande. Da rief der imglückliche vater und könig:
„0 weiser mann, wie schmerzvoll erinnere ich mich meiner worte, die
ich einst zu dir gesprochen!^ Da erschien wie aus der erde hervor-
gewachsen der weise mann und sprach zum könig: „Hast du mut
gehabt, dich einst für den glücklichsten mann der erde zu halten, so
habe auch mut jezt dein unglück zu ertragen.^ Hierauf verschwand
der weise. — Der blinde königssohn wanderte in begleitung eines hun-
des, der ihn führte, von dorf zu dorf, von Stadt zu Stadt und bettelte
um milde gaben. Du kam er einmal in eine wüste, wo ihm der weise
mann erschien und also zu ihm sprach: „Du erträgst dein unglück
still und geduldig und hast dein gottvertrauen nicht verloren. Wahr-
lich, deines bauens und Vertrauens grund ist gott allein und darum
will ich dir helfen. Hier gebe ich dir einen lebendigen goldpfeil, der
dahin tliogt, wohin du ihn eben liinwünschst und da alles tötet, so du
es haben willst. Morgen wird der könig ein festschiessen veranstalten,
an dem auch du teil nehmen solst; alles andere wird sich schon zum
besten wenden. Ich bin der heilige Joseph, der dich und deinen vater
besi'hützen und schirmen will vor unglück und leid! Darum gebe ich
dir hier auch eine salbe, mit der du deine äugen übermoigen einreiben
solst, damit du wider sehend werdest! Moigen solst du noch blind
am fostsohiessen teil nehmen!** Mit diesen werten gab der heilige Joseph
d^m blinden kiuiigssohn den goUipfeil und die salbe und verschwand.
Oottvertnuien und frohe Zuversicht im herzen machte sich der
königssohn auf den weg in die sUidt seines feindes. Unerkant nahm
er zum gi^läohter der leute teil an dem festschiessen. Doch als sein
poKlpfoil als erster durch einen goldenen ring, der als ziel auf einer
stang^^ aufgi^telt war, flog — da lachten die leute nimmer. Dreiund-
dn'issignial scIk^ss der blinde königssi>hn und dreiunddreissigmal flog
ZUM TEXLENSOHÜSS 111
sein pfeil durch den goldenen ring und kehrte stets ungesehen zu ihm
zurück. Da rief der heidnische könig seinen leuteu zu: „Bringt mir
den gefangenen könig hervor! Der blinde soll ihm vom haupte einige
äpfel herabschiessen! Wenigstens hat er dabei eine grosse angst aus-
zustehen!" Und sie brachten aus dem kerker den gefangenen könig
hervor, stelten auf sein haupt einen apfel und hiessen den blinden
schiessen. Der königssohn schoss und der apfel fiel zur erde. Drei-
unddreissig äpfel schoss er nach einander vom haupte seines vaters.
Da flog aber der lebendige goldpfeil auf den heidnischen könig und
dessen leute und tötete sie alle. Da befreiten die leute den könig, der
nun mit seinem wider sehend gewordenen söhne in steter gottergebung
lebte und bis an sein ende weise regierte
Dies die armenische erzähl ung, die gleich den meisten armenischen
Volksüberlieferungen einen legendenhaften anflug hat Trotzdem lässt
es sich nicht verkennen, dass auch sie die hauptzüge der Tellsage
(schuss nach dem haupte eines geliebten wesens, Stange, apfel) aufzu-
weisen hat. Durch den schuss des söhn es (also auch hier Verwechs-
lung vom Objekt ins Subjekt) und die gefangenschaft lehnt sie sich auch
an die mitgeteilte ungarische erzälüung; den zug vom lebendigen gold-
pfeil finden wir auch in den tatarischen heldensagen, wo Katai-Chan
einen goldpfeil besizt, der lebend ist, über sieben länder fliegt und da
alles tötet und schliesslich zum schützen zurückkehrt i. Abgesehen vom
eingang, der sich an die sage von Crösus anlehnt, lässt sieh bei die-
ser erzählung — trotz ihres christlich -legendenhaften anfluges — der
orientalische Ursprung nicht ableugnen. Diese armenische gestaltung
der sage vom apfelschusse scheint auch Th. Benfeys ansieht (in den
Oöttinger anzeigen 1861, s. 677) zu bestätigen, derzufolge schwerlich
daran zu denken sei, dass die ursprüngliche sage der Orient vom occi-
dent empfangen habe, sondern wahrscheinlicher das umgekehrte anzu-
nehmen sei. Hiefür spricht auch mit schlagenden gründen das mär-
chen der transsilvanischen zeltzigeuner, das ich im jähre 1883 während
einer mehrmonatlichen Wanderung mit einer zigeunertruppe aufgezeich-
net habe.
Der Originaltext dieses unedierten märchens lautet also:
Trln godjIÄvere p^rälä.*
Tekvär dvnäs trin ppräld, ke kämena andre Urne ihe jiäl te
leskre bdft the drdkel. Diires yon andre Urne jidfiend te fiikai yon
1) Castron, Die Altai-vöIker (1857) s. 215.
2) Was dio Orthographie anbelangt, so entspricht c dem deutchon tsch, p =
112 VON WU8L0CEI
dräkenä hdpt Akor jiänenä yekvdr pdl bare päüi ie akänd yek väsh
leske yek ruk besMveläs te yoii penenä, the odoy pdpäle även pdl yek
bersh, Te yon jidneud upro pro leskro drmn.
0 legtemeder triii pfrdlefigr^ buter dveläs dndro bdro ihdgdr,
kdske trin legshukdreder raklyiyd, dvnds, ke cdk trin pprdlen käme-
nd, ke may bdre the kerdndsK Atwici gindelds legtemeder: O bersh
cdces mayd ndcilyds te me sikdrdyom the gdrdvel; m're pfrdia
tdldn so sikdrend. Tdldn d?nende dvnd trin rdklyiyd thägdreskro!
Käde gmdinelds o legteimeder te jidnelds kiyd pdiÜ leskre pfrdlen
the drdkel Te yon dvend biso te pefiend, so dndre Urne the sikär-
dyeiids^. 0 legp^ureder sikdrdyehds the ndsel te sdr bdrvdl näse-
las; 0 duyto yek genddlos kerelds, kdy sdkofeles yon dikhenä te o
trito sikdrelds the gdrdvel te legdureder gdrdvelds sdr yek driklo the
tirdl jdnelds, Akor trin p^rdld petiend hoy yon trin rdklyiyen thägd-
reskro kdmend te jidnend kiyd thdgdreske te kiyd leske penenä: „Bdro
rdyeyd! Amen kämen tire rdklyiyen! Pen niende, so dmen the
keren?^' Te o thdgdr penelds: „Ldcesf Ko inWe legpfureder rdklyd
romfli M, ddä sikeder the jidsel sdr yoy!" Akor peneläs o legpfure-
der: „Me kämdv the ndsel! ^^ Te yov näseläs legp^reder räklydhä
thägdreskro dndre trin stdcie te dvelds hdmdrdb dndre dopds. Akor
peneläs o thdgdr: y,Ldces! m're legp^ureder rdklyi hin tute; uvd cdk
dtnnci hin lä tute, kdnd Vre p^rdlä m're dvre rdklyiyen Üerdy^*,
dnddkode m're rdklyiyd kämen cdk trin pgrdlefi! Nosd, m're duyie
rdklyi kdde gdrddyol, hoy üiko lä dikhel! Ko kdmel lä the drdkel?^'
Akor peneläs o duyto trin p^rdleiigrä: „Me drdkäv läf" Te dvrijiä-
las te leskre genddlos dvrilelds. Akor dikheläs rdklyd thägdreskro an-
dro per yekd bdre gurunidkri, Yov peneläs thägdreske te ddä pene-
to; yyLäccs! m're duyte rdklyi hin tute; uvd cdk dtunci hin lä tuie,
kdnd fro legtemeder pcrdl m're legtemeder rdklyd fierdyds, dndakode
mVe rdklyiyd kdmen cdk trin pfrdlen! Xosd, upro pro shero m're
legtemeder rdklydkri hin yek somndkuno bdl: tumdro legtemeder pfrdl
the telegdrel les: te tdldlel dver bdl, dkor turnen meren/" Akor o leg-
temeder leskre pushkd Idiclds te dndre tripi stdcie sommäkuno bdl
shereskfv legtemeder rdklydkri telegdrelds, Atunci sdhmethdfieste voyd
te voyipen drnds te e trin godyiävere pfrdlä dtunci jidenä andre bdre
bdct leskre shukdre pvmiiiyeptsd
ek, j = (isek . fi = nj\ sh = sck , y = j {s, meine , Sprache der tnmsBflvaniacliea
ripeunor'' s. 3).
l\ 3. iil. imi»f. i\>i\j. 2) 3. pl. plusq. eoiy.
3) 3. pl. |HMf. iud.
ZUM TElLttNäCmii^S 113
In genauer Verdeutschung lautet dies märchen der Siebenbürger
zeltzigeuner also:
Die drei klugen brfider.^
Es waren einmal drei brüder, die beschlossen in die weit zu
gehen und ihr glück zu suchen. Lange zeit zogen sie in der weit
herum und ÜEUiden nirgends ihr glück. Da kamen sie einmal an einen
grossen see und da pflanzte jeder von ihnen für sich einen bäum und
sie versprachen einander, dass sie sich nach einem jähre hier wider
treffen weiten. Und nun zog jeder seines weges.
Der jüngste der drei brüder kam nach langer zeit zu einem
könige, der drei wunderschöne töchter hatte, die aber nur drei brüder
heiraten wolten, die etwas aussergewöhnliches leisten könten. Da dachte
bei sich der jüngste: das jähr ist bald um und ich habe schiessen
gelernt, meine brüder werden ja auch etwas gelernt haben! Vielleicht
können wir uns die drei königstöchter erwerben! So dachte der jüngste
und gieng an den see, um seine brüder zu treffen. Und sie kamen
denn auch und erzählten eiaander, was sie in der weit gelernt hätten.
Der älteste hatte laufen gelernt und konte laufen wie der wind; der
zweite hatte einen Spiegel machen gelernt, in dem man alles sehen
konte und der dritte, der hatte schiessen gelernt und konte so weit
schiessen, als ein vogel zu fliegen im stände war. Da beschlossen die
drei brüder um die drei königstöchter zu werben und giengen hin zum
könig und sprachen also zu ihm: „Grosser herr! wir wollen deine töch-
ter heiraten! Sag uns was wir tun sollen?" Und der könig sprach:
„Gut! Wer von euch meine älteste tochter zur frau haben will, der
miiss schneller als sie laufen können !^^ Da versezte der älteste: „Ich
will laufen!" Und er lief mit der ältesten königstöchter drei meilen
weit und kam um die hälfte der zeit früher an. Da sprach der könig:
„Gut! du hast meine älteste tochter gewonnen, aber nur dann bekomst
du sie zur frau, wenn auch deine brüder meine beiden andern töchter
gewinnen, denn meine töchter wollen nur drei brüder zu männem
haben! Nun also, meine zweite tochter kann sich so verbergen, dass
sie niemand sieht! Wer will sie suchen?" Da sagte der zweite der
drei brüder: „Ich suche sie!" Und er gieng hinaus und nahm seinen
Spiegel hervor. Da sah er die königstöchter im bauche einer grossen
kuh. Er sagte es dem könige und dieser sprach: „Gut! du hast meine
1) Vgl. auch das märchen der zigeuncr: ^Die vier bösen brüder'^ in meinem
aufsatz: „Märchen des Siddhi-Kür in Siebenbürgen'^ (in der Zeitschr. d. deutsch,
morgonländischen geselschaft '^ bd. "^TJ 8. 448 fgg.). Hier fehlt jedoch der treff-
schuss.
zutschrift f. deutsche Philologie, bu. xxii. 8
114 VON WUSLOCKI, ZFM TRLLKNSCHUSS
zweite tochter gewonnen, aber nur dann bekomst du sie zur frau, wenn
auch dein jüngster bruder meine jüngste tochter gewint, denn meine
töchter wollen nur drei brüder zu männern haben! Nun also, meine
tochter hat auf dem haupte ein goldenes haar; euer jüngster bruder
soll es herabschiessen; trift er aber ein anderes haar, so müsst ihr alle
drei sterben." Da nahm der jüngste seine flinte hervor und schoss auf
drei meilen weit das goldene haar vom haupte der jüngsten königs-
tochter. Nun war überall freude und jubel und die drei klugen brüder
lebten von nun an mit ihren schönen frauen in grossem glück
Dies das märchen der transsilvanischen zeltzigeuner, das in bezug
auf die künste der brüder einige ähnlichkeit mit der fünften erzählung
des sanscrit-romans Vetala-pantscha-Vintschati hat, wo ebenfals drei
Brahmanen durch ihre künste die töchter des ministers Haridasa erwer-
ben. Der bedeutendste zug dieses märchens aber ist: das verkrie-
chen in den bauch einer kuh und das goldene haar auf dem
haupte. Dieser zug enthält zweifelsohne eine reminiscenz an den alt-
indischen Sonnenmythus und ich erlaube mir hiebei nur folgendes
anzuführen: „Die begleiter der beiden indischen äthergottheiten Indra
und Rudra sind die Ribhus, deren name im indischen selbst als Son-
nenstrahlen übersezt ist und die zugleich trefliche bogenschützen sind.
Aus ihrer schaar ragen drei brüder durch ihre taten besonders hervor:
Ribhus, Vibhva und Vayas (Rochholz a. a. o. s. 140). Sie entsprechen
aber, wie Adalb. Kuhn in seiner zeitschr. (IV, 95 fg. 110 fg.) nachge-
wiesen hat, genau jenen drei von der germanischen mythe gefeierten
brüdem: Völundr, dem kunstschmied; Slagfi|)r, dem beflügelten pfeil^
und Egill, der schaifdurchdringenden pfeilspitze. Dem kunstschmied^
ViSlundr entspricht im zigeunerischen märchen der bruder mit dem Spie-
gel, dem Slagfi{)r der schnellaufende bruder und dem Egill der jüngste^
der das goldene haar herabschiesst Und somit liefert auch dies mär—
chen den beweis, dass der goldhort einer ursprünglichen mythe oft in
tausend blätter und blätchen verarbeitet und weit und breit hin ver-
streut wird, und wir können daher unsere ansieht entschieden dahin
neigen, dass die sage vom Tellenschuss zum mindesten in ihren anfang-
lichen keimen als gemeingut des arischen stanmies zu betrachten ist
MÜHLBACH (siKBKNBrROKN). HEINRICH V. WIJSLOCKJ.
^^^^gi~ LTITERATUK.
^Kltdeiitsche predig teu. Herausgegeben vid Anton ScbBnlwcb, Zweiter
■ band: tcxts. Graz. Vt>rlagsbu<ililian(Uuug Styrio. 188S. XI und 32S s. 9 m.
1^ Der zweite band der iu dieser xeitschr. XIX, 4S6 fgg. bcsprochoneD predigten
bringt ztun entteo male volständig die aus Oberaltaoh stammende predigtsaiulnag,
nelubp Itereils K. Roth in den „Predigten des 12. und 13. jalirhun Jerfs " zur ver-
gitüchuiig suiner Kegensburger brucbstüeke stellenweise beiiuigezogOQ, und übor die
IU Deuestt?r zeit A. Liuseimiayer in seiner „Geschiühte der predigt in Deutschland"
^huidolt liat Die loser werden es dem berau8gel)er sicher danl wissen, dii.s8 er
mit. diesem bände von seinen) urspriingüehon plane abgewichen ist, dass er, ehe er
u die untersnchong über die entstehung und den Zusammenhang der iUtorn prcdigt-
aiiilongeu geht, sogar erst noch einon dritten band etsuheinen lasaoo wird, in wel-
chem er die ehenfuls noch vor Berthold fallenden predigten des priesters Konrad
nubuteileu gedenkt.
läeböDbaidi hat sieh aiier auch in anderer l>oziehaug von seinem ursprünglichen
plue abgewant. Er hat eu u&mlich Mr seine oberste ptlicht eraohtet, in den beige-
pjt^npu erklÄnmgen genauer und ausführlicher als es bisher gesuhehen die mimittcl-
Wo ijuellen der verschiedenen predigten zu ermitteln und festzustellen. Dadurch
^eint allerdings fnr einen grossen teil des textes die einem glossar sonst znfaUeode
»iifgahe der erklfirung dieses und jenes Wortes Überflüssig gewotdeo zusein, voraus-
^^zt dass der leser des deutschen textes die mühe nicht scheut, die lateinisL'he
IQulle Qberall zugleich mit za studieren. Indessen lässt sieh nicht in abrede stellen,
''■»s die lektüre durch dos fortwährende suchen in den latoinischeo quolleuaiigabeu
"■ütdeatens sehr aufgehalten wird. Auch finden sich nicht wenig stellen, in denen
^^ suchende durch das, was ihm die lateinischen auszüge bieten, nicht befriedigt
«ird; und ^riule da ist es meist für den leser von interesso zu wissen, welches die
'uRoBsung des herausgebers gewesen sei. Aus diesen gründen wird man das erklä-
'i'ode Wörterverzeichnis in dem vorliegenden baude ungern vermissen.
Was die behandlung des textes hotrifl, der trotz der von alter liaud schon
gcbtacbten kerrokttirGn noch eine menge sehrojbfebler und Undomugen euthlUt und
'^ütou sprachformen nach wol kaum noch dem 13. Jahrhundert angehört, so ist hier
"1 gleicher weise wie iu dorn ersten bände bei den Leipziger predigten „die üborüe-
EeruDg der handschrift möglichst getreu widergegeben und vou ihr nur abgewichen,
^ Tgtu offenbare fehler Vortagen." Dabei sind die Überbleibsel zweier anderer noeh
tetn 12. jalirhundert angehörender handscliriflan beoiizt und, nra dem leser ihrever-
gieiijnuig zu ennöglicheu, in den Varianten wider abgedruckt worden: uHmlieh die
''Ws von ILBoth herausgegebenen Kegeusburger bmchstücke, über welche K. lAch-
"^■»u seiner zeit ein so absprechendes urteil flillon zu müssen glaubte (vgl. seine
'^U'KU'kuug snm Iwein 4194) und das von Hoffmann in seine fundgmben I, 118-^' 70
'^■>gi-mihte fragment, Beide waren für die hier voröffentliebto samlung schon darum
'"''* huhem werte, weil aus ihnen uinviderloglich hervoi'gcht, dass dieselbe noch im
>~- jthrlinndert entstanden ist.
Wie bei der besprcchung des ersten bandes, so werde ich nuu auch hier auf
I "<"£■> Ktellou des textes näher eingehen, in denen ich von der anfTossung des her-
ta '"^Urs abwuiclion zu müssen glaube.
H 5, 4 heisst es im text nach der lis.; iltu liiliff luopersichl diu den jueneeken
H ^'^ kiitut füert unde minniieret irdischen diticli — — hier gibt minnacrel =
I ^'
116 BBCH
minnert keinen sinn; wahrscheinlich ist unmaeret oder im unmaeret (=ihm gleich-
gültig, verächtlich erscheinen Iftsst, verleidet) zn lesen, vgl. v. d. Hagens Germania 8,
295, 14d du hetestin (iis) dax valsche leben geleidet und gestcaereij so teaer ex
in geunmaeret,
8, 10 ist überliefert diu bexeicheni xtcaier laeut; sicher hat der Schreiber
nach xtcaier ein wert übersehen; Schönbach ergänzt hande; eher scheint mir lei[e]
aasgefallen zu sein, wegen der ähnlichkeit der darauf folgenden silbe.
19, 8 der stnen hiligen sun hin xe erd hat gebaut; xe ist zosatz des heraus-
gebers; statt hin xe erd, was ich in mhd. Schriften des 12. — 13. Jahrhunderts sonst
nicht gefunden habe, war wol besser her in erd (h* in erd) zu setzen; so heisst es
54, 40 dat er ton himel her in erd ehom; Fundgr. I, 90, 9 an disem tage sant er
sinen einborn »un her in erde; St Trudberter H. lied 8ü, 11 got tcas rone hitnile
ehomenie her in erde; Deutsche gedd. ed. Diemer 349, 25 der de* tages ekom her
nerde: Anegenge 8, 72 ton den drin gesant wart hern erde ein rart; K. v. Hei-
mesfurt in M. Himmelfahrt 848 do du durch uns in erde kaeme. Ausser diesen
beispielen finde ich nur xuo der erde im Iwein 3942; xer erden bei Walther 8, 33;
in H. v. Veldekes Eneide 7722 ist xu erden komen nach den Varianten = ans land
kommen. Nur bei Williraiu ed. Seem. 19, 3: hera xeerdon.
19, 24 fgg. heisst es: Unser herre sant Stephan der ist ron rehi geeret
da xe hiwel , tcan der ander meins t rehi ins ritter, die wider des tiufels
schar rächten u/ui taegelich rechtent, an der heiligen schar uax er raner, trau
der nach urisers herien marter der erst martraer tcax; hier wird vor tnins trech-
tins ritter das wort schar vom Schreiber ausgelassen sein; in der vorläge hiess es
vrahrscheiulich : wand er an der schar tutns trehtlns ritter; auch gegen ende ist
wol wand er für wan *ier zu schreiben.
28, 10 wie aber dax chomen macht dax si des chineUs missen mochten dax
si mit rliie lugen — ; der herausgebor fügt noch nihi e vor missen hinzu^ was
dun.*h den zusanmionhang durchaus nicht notwendig gefordert wird; die deutschen
Worte sind ohne diesen zusatz volkommen entsprechend der lateinischen quelle (s. 203)
forte Morrt aliquem^ quomodo Jesus tanta diligetttia a parentibus nutritus Ulis
nescientibus in Jerusalem possit remanert.
30, IS dal si chunden an dem st im gesehen ist überiiefert, Schönhach schreibt
dafür gestim sehen: die ül^rlieferung lasst sich möglicher weise halten, wenn man
ins aufte fas^t Sumerl. 2, 39 astrum, stime: Graffs Sprachsch. VI, 723 sibtmstimi;
Suchenwirt IV, 327 sibeftstirn (:schrim): \-gl. auch Haupt zu Erec 1969.
42, 11 HU sehen wir wie getan l^ixerunge wir Christen da ro» nemen und
sehen ^ dai wir christenlichen namen an christeHlicMeu werek ihi haben; in der
hauds^'hrift steht aWr wir etteliehen namen: darnach k^te man wol mit näherem
ans<'hlu:>s an die Überlieferung eitel tchen pm men dafür \*ermuten ^= leeren, blossen
namen; vgl. s. 77, 4 und 2l>, wo itteler neben eiteler überliefert ist.
37, S l\tulus der wxms ein aechler der christenJkeit e denne er ron der Juden-
schtfi bechert wunle: sk> lautet der text nach der überiieferung; man begreüt nicht,
warum der schreilvr sich hier geirt haben Si>ll. und warum der heiaosgeber heiden'
scht'ft für juden^cheft setceu zu müs&>en geglaubt hat; etwas anderes ist es doch
wenn e:^ 41, 2v> heiss>t: aiser hagtien bexeicheni alle die die ron der kaidensehefl
bechert sint,
A\ 37 do diu sat wachsen begung^ do ckos man dax unekraut usw.; so lau-
tet der text luu^h der haudschrift; der hemusg^ber hat begung in begunde ge&ndert,
ÜBKH SCHÖNBACH, ALTD. PKEDIQTICN. II 117
es also für eineD Schreibfehler angesehen. Ein solcher braucht aber hier nicht vor-
zuliegen; man kann das wort mit gutem rechte auch für eine dialektische form des
Schreibers oder seiner vorläge ansehen; gerade hegung findet sich noch an einigen
andern stellen, nicht blos bei md. Schriftstellern, sondern auch bei oberdeutschen,
und zwar in ziemlich früher zeit, so zweimal in den Augsburger bruchstücken von
Wemhers Marienleben in der Germania 7, 323, 320 diu rorhie begunge si ane gen
und 322 dd sie begunge warten; dazu die beispiele aus Otacker bei AVoinhold Bair.
gramm. §171; vgl. dessen Alem. gramm. § 180.
51, 10 swer der ist der nach richtuom wirret y des hertx, hat manige stund
erdenehei tag und naht wie er iht getcinne mit reht; auffällig ist hier zuvörderst
manige stund neben tag wui naht, noch auffälliger aber das participium erdenchet
statt erddht^ ja für das 12. und 13. Jahrhundert gradezu undenkbar. Vergleicht man
aber die in den lateinischen anmerkungen vom herausgeber angezogene stelle aus
Haymo (s. 219): diuitiae Spinae sunt, quia sicut Spinae suis punctionibus cor-
pus laniant et eruentant und femer quanio magis acquisitae fuerint, tanto magis
in aequisitianetn animum possessoris accendufit: dann ist das rechte unschwer
gefunden. Es muss offenbar heissen: des herxe hat manige stungfe], erdenchet tag
und naht usw. Fast ebenso drückt sich der prediger auf s. 140, 8 und 11 aus: die
dorn und die hagendom die bexaichent die stunge und diu angele; dein vleisch,
dein leip, der gebirt dir stunge und angel der sünten. Über die Verwechslung von
stungen mit stunden seitens des Schreibers vgl. Haupts anmerkung zu Neidhart 62, 22;
ebenso das Gneistli in Lassbergs LS. III, 48, 855 ob er mit stunt des willen kunt,
diu sei wirt üf den tot verumnt, wo nach meinem dafürhalten stu7ic oder stung
gelesen werden muss. Das wort findet sich auch noch mehrere male im J. Titurel,
so 3777, 4 dax kund vil höhe vreude von im sicenden und starke jdmer stunge
f eider xuo dem herxen fiähen senden; 5091, 2 dd müexen jdmer s stunge (: sprtinge)
triben dar; 5202, 3 in angeheilter wunden »merxen stunge (: ordenunge); 5360, 4
hix dax in jdmer stungen {=jdmers stunge in Pfeiffers Üb. 117, 41) begreif; 4274,1
hie icdlent niht beliben die jdmer gebenden stungen (: den jungen). Die zulezt
aDgeführte stelle ist zugleich die einzige, welche ein schwaches femininum stunge
gewährt, wie es bei Lexer II, 1269 angesezt ist; das beispiel aus J. Tit. 1727 ist
dort aus versehen zum belege des schwachen pluralis herangezogen, es enthält viel-
mehr den substantivierten infinitiv: so wil ich dem reinen süexen jungefh
niht harte wtxen, dax der minne stungen irn ktimmer gap. Die sonst auftretenden
plurale stunge könten wol auf einen Singular stunc, m. zurückgehen.
52, 14 dax er uns in diseni leib bis staetig xe stnem dienst; gemeint ist
bistaetige oder bestaetige.
54^ 24 er ruofl iemer und mer, lies ie mir und mir.
51, 37 ich han eu die götlicheti tougen geoffent, ich han eu den sin uf ge-
tan, dax ir die hiligen sehrift verstet, dax der menig und ander nieman verlax-
xen ist; hiervon kann man der lezten zoile schwerlich einen passenden sinn abgewin-
nen; was gesagt worden solte, errät man aber aus dem zusammenhange; vermutlich
hiess es in der vorläge: dax der menig noch afider ieman verläxen ist. Vertaten
hier = anheimgeben, gestatten wie im Roland 260, 20; 269, 18; Hartm. v. Aue 1.
büchl. 47.
55, 16 fg. der gelatib der mit rechten werchen gexirt ist, diu erlüchtent den
menschen, diu behaUent in xe detn etcigen leib; die Verwirrung, welche hier der
Schreiber geschaffen hat, rührt, wie man aus dem darunter abgedruckten Hoffmann-
118 BECH
scheu bmrhstück ersieht, daher, dass er das iu seiner vorläge stehende diu gelouhe
in der gelaub änderte, gleichwol aber in seiner gedankenlosigkeit die darauf bezüg-
lichen relativa diu — diu im folgenden stehen liess, sie vielmehr auf icerehe bezog
und domgomäss erlüchtent — behaUent schrieb statt erlüJUet — behaltet. Auf glei-
cher gedankenlosigkeit beruhen die Verwirrungen, welche an andern stellen dem leeer
das Verständnis des textes erschweren. So s. 50, 2 — 4: ir ist vü die den hüigen
gelaubeti enpfattgen habetii, die sint geladet; die st arer behaUent mit den wer-
eben, der ist leider vil wen ich; auch hier hatte der Schreiber in seiner voilage
die — geloiibe, wie das aus Unachtsamkeit von ihm stehen gelassene si (vor aver)
statt in beweist Derselbe fall ist 152, 30 dax, ist diu heidensehaft die den heili-
gen gelauben enphangcn habent und si mit guten werchen erfuUeiä; auch hier hat
dieselbe band si stehen gelassen ohne zu bedenken, dass sie kurz vorher deft gelau-
ben für die geloube geschrieben hatte. Endlich 137, 20 lautet nach der handschrift:
dennoch was ir gelaube nicht so dunhaechtig also si seit wart, an welcher stelle
der herausgcber das ihm auffallige si in er geändert hat, in der Voraussetzung,
dass dem Schreiber das veraltete diu geloube nicht mehr geläufig war. Diese beob-
achtung verhilft schliesslich noch zur Verbesserung einer andern stelle. Ich meine
s. 63, 37 fg. da (in der erzählung von der heilung der besessenen Matth. 15, 21 fg.)
iaigt uns unser traeclUiny dax wir unser freunt und atuler guter laeut geniexxen,
dax wir selb des niht wirdich sein, das er uns erhör , danne dax wir der rehten
gefiiexxen. Offenbar stand in dem vom schreibor benuztcn exemplar noch gelaube
oder gelouben nach der rehten; ohne ein solches wort hätte der text keinen rechten
sinn. Auch leitet darauf das gleich folgende : nu schule wir die genad unsers herren
an rfiffeuy dax er uns rechten gelauben — — ruch xe geben. Im 13. Jahrhundert
war, wie die beispiele in den mhd. Wörterbüchern zeigen, diu geloube bereits veral-
tet imd nicht mehr in gebrauch; vgl. noch Diemcr Deutsch, gedd. 12, 20 und die
anm. dazu; Trudberter H. lied 18, 11; 27, 26; Diut. I, 282»»; LQ, 494; am längsten
hat es sich wol erhalten in der formel xe gelaube y vgl. Jänicke zu Biterolf 1614.
65, 24 swenn sich der vofi den genaden und con der barmung des alm.
gotes enchert und dax, bedencht, dax er alles gutes entsetxet ist; zu enchert ist
unten in den vaiianten vermerkt: ^enchert aus enehent gebessert" Soltc der cor-
rektor sieh nicht versehen, vielmehr erehent gemeint haben? Denn darauf führt die
quelle, welche hier der prediger übersezte, Pseudo-Beda, den der herausgeber s. 229
citiert: qui cum se instinctn et misericordia Iki eognoscit omni bona destitutnm.
Überdies ist encheren eine rein mitteldeutsche form, die man dem Schreiber der
handschrift nicht zumuten darf; für das im Mhd. wörterb. I, 798**, 14 dem Wigalois
beigelegte enkarte (4386 ed. IV>neke) hat schon Pfeiffer in seiner anmerkung zu 115,2
die richtige lesart engarte gosezt
73, 1 dar xuo erweiter im ein gerelliges wixCy da unser peint, dax vlaisehy
und die fünf sinne dar an gechrutxet wurden; hier konte das sinstörendc da
entsprechend dem Kegensburgor bruchstück in dax geändert werden, wie es der
Zusammenhang verlangt
80, 2 iedoch wolt er dax wir die gehugede der selben herett marteraer tae-
gel ich emtxigen; das offenbar von dem gedankenlosen Schreiber herrührende mar-
teraer muste hier sowie in z. 4 in marter oder in martgr (so in dem Rcgensburger
bruchstück) gebessert worden; vgl. 151, 20.
81, 12 da aber erfüll wart diu xit dax von got gearnet wax xe der urlo-
sung des menschen. Für gearnet hat Schönbach getennet in den text gesezt Aber
ÜBER SCHÖNBACH, ALTD. PBEDlüTEN. n 119
es ist doi'h noch fraglich, ob nicht gearnel alt» dialektische form für f/eornety geornt
= geordent zu nehmen ist, wie sie in ganz gleichem sinne auf s. 173, 21 wider
erscheint: der seligen sei die da geornt sint xe dem ewigen leben, wo der heraus-
geber wie mir scheint ohne not geordent hat drucken lassen. Allerdings heisst es
81, 18 die xuo dem ewigen leibe geordent sint; doch vgl. die beispiole von geornt
bei Leser II, 160. Überdies wird es zu anfang statt diu xit heissen müssen dax xit.
83, 13 merch wir den ruf und beeher wir uns, so sin wir saelieh; verun-
rucken wirx, so sein wir unsaeli^h. Überliefert ist aber verunrucheleti statt rer-
unruchen; imd das brauchte nach meinem dafürhalten nicht aus dem texte entfei*nt
zu werden. Auch auf s. 126, 37 hat die handschrift: so schidn wir unser swnt
nicht rerunrucMn, wo der herausgeber ebenfals vemnruchen gesezt hat. Man vgl.
Graff Interlin. 5, s. 463, z. 5 von imten: dax cit wir verrtiockelen (negligimus) riu-
icines (poenitetuli) ; aus den Glossae Herrodianae (?) citierto Graff Sprachsch. II, 381
rirriMcJielofh wir die; ferner Mai'garetha Ebner ed. Strauch 83, 2 ich konv aines
tages in groxxes laii viines täglicheti unruochels = unruochelennes ; vgl. Zarnckes
LJterar. centralbl. 1882, sp. 184.
103, 8 so er (= unser nmot) wider eheren beginnet voth wertlichen ditigen, enhab
irir nicht detm dax wir für in legen der geistlichen füre; mir scheint hier denn
= danne an einen falschen platz gerückt, es gehört vielmehr vor niht; andererseits
fragt sichs, ob der herausgeber das richtige getroffen habe, wenn er fuore hier ein-
sezt für das in der handschrift überlieferte; da steht brunne, und über b istF gesezt.
Frunne aber könto die dem schrei bor mundrochtere, dialektische form für fruonde^
ahd. fruonda, mhd. pfrüende sein. Zur Übersetzung des in der lat quelle s. 258
vorkommenden coelestis alimonia wäre das wort wol ebenso geeignet als fuore. Aus
md. gegenden stammen die bei Diefenb. s. v. prebenda 450^ verzeichneten fonnen
pron, prune, prin; Lexer 11, 264 bringt aus einem weistum der Wetterau pfrun;
in dem Urkundenb. von Arnstadt ed. Burkhardt s. 415 tnft man phrune und pffrune
dafür (a. 1493); sonst ist der Übergang von nd in nn auch auf oberdeutschem Sprach-
gebiete zu finden bei Weinhold Bair. gr. s. 177 und Alem. gr. s. 147, wo aus Seb.
Brants Narrensch. 30, 1. 22 citiert wird der reim pfrän:tän,
104, 20 a4so dax brot an der Wirtschaft übertriffet alle ander spise, also
übertriffet diu hilig niinne alle ander tugent; die werte alle ander spise sind vom
herausgeber ergänzt, um siim in den satz zu bringen. Man kann ihrer aber entbeh-
ren, wenn man arider Wirtschaft schreibt für an der w.; hier wie öfter bedeutet
Wirtschaft das was bei der bewirtung dargeboten wird, das gericht, vgl. 121, 20 ir
deheiner miner Wirtschaft enbixet = gustabit coetium meanv; Erec 8361; 8646;
Parz. 1947; v. d. Hagens Germania 8, 301, 289.
119, 23 dax st deheinen wix möhten dar chomen; die handschrift hat hier
aber gewix für wix; ich kann das nicht für einen Schreibfehler halten in anbetracht
der stellen, die M. Haupt zum Erec 2169 über gewis gesammelt hat; füge hinzu
Wolfr. Willeh. 123, 28 K.; Ges. Abenteuer HI, 369, 480; Wiener Stadtrechtsb. ed.
Schuster art 93 munich — geweis; ai*t 113 mortes geweis; Schmeller- Frommann
II, 1024.
12, 30 die hüigen patriarchen die miner laetä pflageti; für miner laeut
erwartet man nach dem zusammenhange mines Herren (oder mhies trehtins) laut
wie z. 39 und s. 13, 3.
119, 33 do er sack welick genad er verworcht ket, welkiu witx (d. i. wtxe,
mpplieia) er gea/rweit ket; gearweit im sinne von erarbeitet, erworben, verschuldet
120 BiSGU, ÜBER 8CHÖNBACU, ALTD. rilEDIOTBN. U
ist mir im mhd. nicht vorgekommon ; wahrschoinlich hatte die vorläge gearnet oder
geaniot.
121 , 4 da hab tcir an tcie un^er herre sinen jungem ein gelieknüsse sagt
usw.; hier wird der Schreiber gelesen nach kah wir an ausgelassen haben, wie es
schon in der vorhergehenden zeile steht; vgl. 124, 9.
126, 13 die naehicetUeti die er pitet sich fraetien ist ohne not wie mir scheint
in pitet dax si sich fraeuen verändert. Biten mit dem infinitiv nach Grimm Gr. IV,
99 und 118; Diemers Wörterb. zu Genesis und Exodus s. 93.
131, 16 do die ungelaubigen judeti sich seihen des gotes rieh verteilten; der
horausgebor hat hier riches drucken lassen für rieh; an einer andern stelle, s. 139,
39, hat or die Überlieferung unangetastet gelassen: die sint des gotes riehe vil
gncis; vgl. dagegen über den abfall des genetivischen -.s die beispiele bei Weinhold
Ifhd. gramm.', §448 und 4.54; Eoethes anmerkungen zu Boinmar v. Zw. 118, 8;
187, 6; 225, 4; 231, 2.
135, 22 ix icas groxe menig mit unsenn herrefi = „magna turha^^; der
herausgebor hat noch ein vor groxe gesezt. Ich glaube, dass dieses überflüssig war
nach dem sonstigen Sprachgebrauch zu urteilen, vgl. Diemer, Genes, u. Exod. 160, 4;
Nib. 1804, 1; öfter iindot sich so grox volc, grox werlt und ähnliche ausdrücke, in
denen ein gespart ist. Dagegen meine ich war ein kaum zu entbehren s. 122, 15:
er het ein irip genomen, wo die handschnft ein ausgelassen hat.
145, 7 unser herre in dax iemptum gie und die unreincheit dar xätet; ich
verstehe hier xuoiuon nicht; es muss hier wol üxtet heissen.
145, 9 die tauben und tisch mit dem schatx die die ralschar inne heten, die
stiexer umh; gemeint ist Matth. 21, 12 fg. et metisas numulariorum et eathedras
rendentiuM columbas erertity worauf in den anmerkxmgen hätte verwiesen werden
sollen. Dor vorhergehende satz unseres textes schliesst nun aber mit den werten:
und slug da mit aus sinem haus atle die die da chauften und verehauften; man
hat also auch die werte die taube» zu dem vorhergehenden satze zu ziehen, den
punkt davor zu tilgen; es kann nicht heissen die taui>efi stiex er tunbe,
147, 17 em fand sines datx im nicht, lies des sines wie z. 19, 26 u. 34.
151, 16 (/<i; si getaubich ^mrden und gotes dieten u^trden; für gotes dieien
steht in dor handsohrift zu lesen got dieten; das kann auch aus got dienende oder
diente verderbt sein.
156, 3 ist ülK»rliofert : «» er \e dem ju99gistefi tag urteil chumet; im text ist
tag g^'tilgt; es hoisst aln^ z. b. in den Fundgruben I, 80, 15 so si em dem junge-
sten tage chomrn uns xerteilen und 111, 10 ^) er an dem jungisten tage ehumet
Uf9s xrtieilen: elH>ü darnach lii^^^^ sieh auch hier verbessern oder vielleicht bloss
urtrilrn (intinitiv) für urteil sohnnbon.
l(>2, %ft> dax er seins Hutes in sin genad getriset het: der genetiv hier nötigt
grKisrt hat mit risitarit zu ülx^rsetion; dann muss es aber heissen in siner gendde.
167, 15 nie man ist der rtm sf9^r ehrafl und ron sinen geurerften antlox
siurr sunde rru^^u müg: dio handsohrift Wotet jedoch ron sinen geraerehien, ^jO«
ist mditMl"; dor ulwUoforuuj: ontspnvhendor ist daher wohl gewurckten; über die-
st>s dorn rJ. jalirhundort dun^haus nioht ungeläufige wert = opus, factum^ meritum
vjrl i^imflf K 975; Ix^xor Ul, *W »nv
I7l\ 15 und miuHteH den at^ptaehtigen got und liexem die unmaeriseken
giriseheit: das woil unmaerisek ist SH> \ioJ ich wois^i dem 12. bis 14. Jahrhundert
uuWkant; loh \ormuto, dass hior ein Verderbnis vortiegt« und lese deshalb: die
/
ALTUOK, ÜBKR TRAUBE, KAROL. DICUTUNGKN 121
unmaeren (oder unreirwn) schaixgirisclieU oder besser aehcUxgiricheit = philargy^
riae mahmi wie es in der lateinischen quelle s. 309 heisst; vgl. sehaxgir und schax-
girie bei Lexer ü, 676; Schönbach Predd. I, 121, 20; GrafflV, 229 scaxgirida und
aeax^ridi,
ZEITZ, NOVEMBER 1888. FEDOR BEGH.
Earolingische dichtungen untersucht von Lndwig: Traube. Berlin, Weid-
mann. 1888. gr. 8. Vm und 162 s. 5 m.
Die vorliegende arbeit bildet das 1. heft der „Schriffcen zur germanischen phi-
lologie'^, herausgegeben von Max Roediger, welche in zwandosen heften erscheinen
sollen und Untersuchungen aus dem gesamtgebiete der germlnischen philologie, ein-
schliesslich also der englischen und nordischen, auch solche über neuere litteratur,
femer texte und zusammenfassende darstellungen enthalten wei*den.
Es könte auf den ersten blick erscheinen, als ob kritische Untersuchungen über
lateinische dichtungen ausserhalb des kreises der vom herausgeber geplanten Veröf-
fentlichungen lägen, allein die poetische litteratur der Earolingerzeit ist znm grösten
teile erwachsen auf dem boden des ^linkischen reiches, gepflegt und genährt von
dem grossen GermanenfiLrsten , der als „Europas erhabener leuchtturm'^ von den Sän-
gern seiner zeit gepriesen wird, nud sie zählt unter ihren Vertretern zahlreiche dichter
germanischer abstammung; daher verdienen die karolingischen dichtungen trotz ihres
fremden gewandes in der geschichte der deutschen litteratur berücksichtigt zu wor-
den. Diese poetischen erzeugnisse , welche früher nur in mangelhaften einzelausgaben
abgedruckt waren, sind durch E. Dümmlers mustergiltige ausgäbe, fortgesezt von
L. Traube, der Wissenschaft ei'st recht zugänglich geworden. Doch bieten diese
^albentes campi*^ der weiteren forschung noch ein grosses gebiet, und wir begrüssen
daher die arbeit Traubes mit besonderer freude, zumal der Verfasser sich durch eine
gründliche litteraturkentnis , grosse Sorgfalt der forschung und scharfsinnige beweis-
fohrung auszeichnet.
Es sei uns im folgenden gestattet, ohne hier auf einzelheiten einzugehen, die
wichtigsten ergebnisse der Untersuchungen in kürze darzulegen.
Nachdem der Verfasser in einem Vorworte das Verhältnis der philologie zur
geschichtswissensohaft berührt hat, beschäftigt er sich im ersten teile seines Werkes
mit dem Angelsachsen Aedelwulf, einem weniger mit darstellendem talent als mit
poetischem gefühle begabten dichter, von dem wir ein gedieht über die äbte eines
gewissen angelsächsischen klosters besitzen, zulezt herausgegeben von E. Dümmler
im ersten bände der Poetae Carolini (P. C.) s. 582 fgg.
Über den namen und die genauere läge des besungenen, unter könig Osred
(705 — 716) von dem füi-sten Eanmund gestifteten klosters ist uns nichts bekant,
doch beweist Traube an der band des gedichtes, dass es in der nähe des berühmten
lindisfame auf einer insel gelegen haben müsse. Nachdem Aedelwulf in seiner dich-
tung, die er einem bischof Ecgberht widmete, die geschichte des klosters bis zum
tode des 6. abtes Wulfsig besungen hat, geht er zur erzählung seiner eigenen erleb-
nisse über, ohne des zur zeit der abfassung seines gedichtes regierenden abtes in
irgend einer weise lobend zu gedenken, aus dem einfachen gründe, weil Aedelwulf,
der unter Wulfsig in das kloster eintrat und nur in einer einzigen handschrift des 13.
Jahrhunderts als lindisfamensis monachus bezeichnet wird, — selbst dieser abt war,
aber nicht der 7., sondern der 8. in der reihe der äbte. Sein Vorgänger muss eben
jener bischof Ecgberht gewesen sein, für den eine dichterische verherlichung seines
122 ALTHOF
Stiftes, ai) das ihn verwantsohaftliclic und fi*cuDdschaftliuhe baude knüpften, eine sehr
wilkomineno gäbe sein nuistc. Die nahe beziehung, in der Ecgborht zu dem kloster
Aedelwulfs stand, wii-d auch durch die richtig gedeutete Überschrift und den eingang
von kap. I bezeugt. Dass dieser Ecgberht nüt dem bischof Ecgberht von lindisfame
identisch ist, der von 803 — 821 i-egierto, ist wol unzweifelhaft, und wahrscheinlich
ist unser gcdiclit bald nach dem 11. juni 803, dem tage der weihe £cgborht8, von
dem neuen ahte Aedelwulf als ein abschiedsgruss an den scheidenden freund und
Vorgänger gedichtet. Dies wüi'de auch zur genüge erklären, warum der dichter uns
weder den namen des klosters uent noch dessen äussere Verhältnisse schildert, die
ja dem empfänger der schiift bekaut waren.
Die annähme, d4^ Aedelwulf ausser dieser dichtung früher in einem gedichte
seinen lehrer, den presbyter und lector Ilyglac; und andere fromme Angelsachsen
besungen habe, wie man bisher annahm (vgl. T. C. 1, 582), weist Traube als ein
misvcrständnis nach, denn, wie er s. 13 — 18 zeigt, bezieht sich die angäbe des
dichters kap. XVI, v. 3fgg.:
„de quo iam dudum perstrinxi pauca relatu,
Anglorum de gente pios dum carmine quosdam
jam cecini
nur auf eine vorhergehende stelle des nämlichen gedichtes kap. XV, 27 fgg.
Wie alle seine Zeitgenossen benuzte auch Aedelwulf lleissig die werke anderer
dichter. So führt Trauk^ besonders stellen an, welche aus Aldhelm herübergenom-
men sind (s. 19 — 21); ebenso ist Ikdas gedieht auf Cudberht und t'yprians carmen
de hcptateucho benuzt. Alcuins umfangreichste dichtung ^de sanctis Euboriccnsiü
ecclesiae" aber, welche dem gedichte Aedelwulfs zeitlich und inhaltlich am nächsten
stand, ist lezterem mehr vorbild bei der komposition gewesen als im einzelnen von
ihm nachgeahmt woixlen.
Die drei handschrifteii des gedichtes, die liondoner (L), die Oxforder (0) und
die jüngste Cambridger (('), haben einzelne versehen und zahlreiche falsche lesarten
mit einander gemein, für welche Traube s. 27 — 30 verbessei;ungen in voi*schlag bringt.
Alle drei gehen schliesslich auf eine in angelsäc^hsischer schrift geschriebene, lücken-
hafte, nicht sehr getreue abschritt x zuriick, und zwar muss diese L unmittelbar
vorgelegen haben und getreu copiert sein, während sonderle.sarten in 0 und C deren
abstammung von einer aljschrift von x dartun. Auf grund der handschriftenverglei-
chung gibt Traube dann s. 32 — 3G zahlreiche , meist annehmbare berichtigungen des
textes und schliesslich einige verbesserte interpunktionen.
Im anhange zu Aedelwulf s. 38 — 45 findet man die nachrichten über den ge-
nanten bischof E<;gl)erht von Lindisfame und die zeit der ersten Zerstörung des klo-
sters zusammengestelt , sowie den narhweis, dass der oben erwähnte lector (Vorsänger)
Hyglac nicht ein Schriftsteller war, zu dem man ihn hat stempeln wollen. In einem
dritten kapitel zeigt Traube, dass Aldhelm kap. VIII und IX nicht etwa, wie Ebert
in seiner litteraturgeschicht(> behauptet, ein ganzes bilden und sich auf die einweihung
einer von der angelsächsischen königstochter Bugge erbauten kirche imd die in der-
sellK>n Iwlindlichen altän^ l>eziehen, sondern aus vier verschiedenen gedichten beste-
hen, IX 1, VIII, IK 2—13 und IX 14, die noch dazu nicht einmal für dieselbe
kirche bestirnt gewesi^i sind.
Der zweiti> teil der untoi'suchungen behandelt die interpolation und recension
in Alchuines (so srhrieb er sich selbst) und Angilberts gedichten. Da die beiden
hfmdschriftou der «vei-sus de sanctis Euboricensis ecclesiae'' augenscheinliGh verloren
ÜBER TRAUBE, KABOL. DICHTUNGEN 123
sind, haben wir uns möglichst an die oditio princoi)s vom jähre KiDl zu halten und
demgemäss in einigen fällen (s. 47) statt der ändemngen Dümmlers die lesarten
Th. Gales widerherzustellen. In verschiedenen anderen godichten Alkuins haben die
metrischen und grammatischen vei'stösse des yei*fassei*s häufig anlass zu absichtlichen
änderungen gegeben, die wol kaum auf eine spätere i-edaktion des dichtors zurück-
zuführen sein dürften. Besonders stark inter[)oliert ist die Alenc^oner handschrift der
vita "Willibrordi.
Eine eigentümliche falschung aber hat sich der cod. rogin. 2078 s. IX/X zu
schulden kommen lassen: er hat Angilbert, dem karolingischen Homer, einen betiilcht-
liehen teil seines geistigen gutes gestohlen, welchen Ti'aubes Untersuchung seinem
rechtmässigen eigentümer wider zurückgegeben hat. Die genante samlung karolin-
gischer dichtungen enthält u.a. 32 nummcm, welche P.C.I, 413 fgg. als Bornowini
episcopi carmina abgedruckt sind. Von diesen bilden die nummem VI — XXVI
samt dem von Dümmler unter Angilbert V, i abgedruckten, von Traube als Bemowin
Via bezeichneten gedichte eine besondere gruppe, bestehend aus titeln, orationon und
einem cpitaph, welche teils als aki-o-, meso- und telosticha den namen des dichters
Angilbert bewahrt haben, teils durch fortlassung der eigennamen oder ei'satz dersel-
ben durch ein „ilT.*' zu blossen fonneln geworden sind oder endlich an stelle des
ursprünglichen verfassemamens den eines Bemowinus haben. Diesen Beraowin, der
von Angilbert nirgends erwähnt wird, hielt Dümmler für emen uns nicht näher
bokanten freund des dichters, der freilich ein seltener freund gewesen wäi*o, da er
nicht müde wurde, in kimstvoU geformten poetischen Spielereien den beistand des
himmels für seinen lieben Angilbert zu erflehen statt für sein eigenes heil zu beten.
Jene gedichte, deren wertvolstes das nach dem muster Alkuins (CXXIII) gedichtete
epitaph ist, sind aber, wie Traube unzweifelhaft klai* stelt, dichtungen Angilberts,
dessen eigener namo so wol wie der dos Schutzpatrons seines klosters Centula, des
heiligen Richarius, auch überall für den des Bernowinus, bezw. für ^ilt.'^ eingefügt
werden kann, während es Bemowin nicht immer gelingt, „seinen ruhmestitel ins
metrum zu zwängen.^
Auch von den 0 versen der nr. XXV III, in der handschrift als „versus Ber-
nowini episcopi ad crucem'' bezeichnet, weist Traube 7 dem Angilbert zu, während
er die zwei übrig bleibenden dem „dichter** Bemowin lässt. Dieser ist höchstwahr-
scheinlich der erzbischof Bernoin oder Barnoin von Vienne (fli). Januar 899), erbauer
eines armenspitals daselbst, für den man die inschriftcn von St. Kiquier und Angil-
berts orationen, so wenig sie auch passten, umzuarbeiten vorsuchte.
Die dichtungen Alkuins sind, wie gesagt, ebenfals vielfach wilkürlich umge-
staltet worden. Einen grossen teil derselben, 272 nummem, veröffentlichte Querce-
tanus im jähre 1617 nach einer leider nicht mehr vorhandenen reichhaltigen, doch
nicht fehlerfreien handschrift aus St. Bertin. Ausseixiem haben wir zum teil noch
fehlerhaftere sonderüberliefemngen. Leztere gehen auf die einzolexemplare des dich-
ters zurück, während die korrektere samlung bereits in den gedieh ten dos Hra>)anus
Maorus vielfach benuzt ist Traube entwirft uns ein bild von den Verhältnissen der
Überlieferung an dem beispiele des gedichtes „de clade Lindisfamensis monasterii^,
gibt 8.62 — 67 eine genaue Charakteristik des nur dui*ch lesefehler eines ungebildeten
Schreibers entstelten codex H (arleianus) ms. 3685 s. XV, welcher die einzelüberlie-
ferung der dichtung darstelt, um sodann s. 69 — 108 die Überlieferung von II dem
texte der samlung des Quercetanus imd den Zeugnissen Ilrabans in tabellarischer
Übersicht einander gegenüberzustellen. Das ergebnis der Untersuchung ist, dass H
124 ALTHOF
sowol wie dio handschrift, welche dem samler und rocensor der Alkuinschen gedichte
vorlag, auf ein und dieselbe absclirift der ersten fiassung der genanten dichtung
zurückgehen; dass diese aus der ersten hallte des 9. Jahrhunderts stammende reoen-
sion, deren abschrift die verlorene handschrift aus St. Bertin bot, von Hraban beim
citieren benuzt sein muss, zugleich aber von ihm nach einer anderen abschrift der
dichtung der text der reccnsion corrigiert wurde, während andere abweichungen in
den citaten auf Hraban selbst zurückzuführen sind.
Unter den frühesten rhjrthmischen gedichten der EaroUngerzeit haben die blan-
des Mediolanensis civitatis* (P. C. I, 24) und die „laudes Veronensis civitatis" (P. C.
I, 118) nach form und inhalt viele ähnlichkeit mit einander. Beide gehören zu den
trochäischen fünfzehnsilbem mit silbenvorschlag und haben in darstellungsweise und
einzehicn Wendungen manches gemeinsam; beide enthalten eine topographisclie be-
Schreibung der genanten städte, berichten von den hervorragendsten bauten dersel-
ben, sowie den reliquien der heiligen und enthalten einige geschichtliche nachrichten.
Da der erste der beiden rhythmon bald nach 738 verfasst ist, der zweite jedoch erst
c. 810, wie Traube s. 114 — 115 zeigt, können die berührten ahnlichkeiten nicht
durch die gemeinsamkeit des Verfassers erklärt werden, während Dümmlers u. a.
Vermutung, dass der Veronesor rhythmus eine nachahmung des Mailänder sei, mög-
licherweise das richtige trift Doch gibt uns Traube s. 115 fgg. noch eine andere
erklärimg. Er hält den Veroneser rhythmus für eine begleitende erläuterung des
alten Stadtplanes, der sich, unmittelbar mit dem gedichte verbunden, in der jezt
verlorenen handschrift des klosters Lobbes befand (vgl. P. C. I, 118), und ebenso
das zweite topographische gedieht für die beschreibung eines Mailänder Stadtplanes.
Das gemeinsame vorbild beider plane und beider rhythmen sucht er in einem Karo-
lingischen Stadtplane Roms und einer mit demselben verbunden gewesenen rhyth-
mischen erklärung. S. 119 — 129 folgt dann ein sorgfältig verbesserter abdruck beider
gedichte mit anmorkungen.
Im anhange zu diesen topographischen rhythmen handelt Traube von den bei
Jaifc, Bibl. in, s. 38 fgg. abgedruckten angelsächsischen rhythmen, deren erster von
einem unbekaut<»u Verfasser an Aldliolm gerichtet ist, auf dessen namen das wort
„cassos** in v. 1 anspielt (Aldhelm = ,cassis priscus''). Nr. II bei Jaffo ist das in
dem briofo Aodelwalds an Aldhelm (ep. 5, s. 37) als anläge erwähnte und für "Wyn-
fried bostimte gedieht „de transmarini itineris i)eregiinatione'', dessen verlust Jaflfo in
seiner anmerkung s. 37 lM»klagt. Da uns von beziehungen des heil. Bonifatius zu Ald-
helm sonst nichts b<»kant ist, dürfte gedachter Wynfried mit ersterem schwerlich iden-
tisch sein; vielleicht ist aber auch Winfried verlesen ausWihtfried, dem namen eines
Schülers vcm Aldhelm. Über nr. III lässt sich nichts bestimtes sagen; IV ist ein
gedieht Ai»delwald8 an Aldhelm, V die antwort darauf. Dieser Aedelwald ist nach
Traul)o si(h(M* ein laits viellei(^ht der von 716 — 757 regierende könig, jedenfals aber
verschieden von dem geistlichen Verfasser der nr. I. S. 133 — 135 stelt Traube einige
vom hemuHgt»lH»r gelinderte schnnbungen in den 5 rhythmen wider her und fugt
daran eine verb(*HHeruiig von str. 24 und 25 der „versus de Aquilegia numquam
i-esUuramla •* (1*. ('. II, s. 150 fgg.).
\)vr vioHe und li»/.t»» t(»il der Untersuchungen ist den rhythmischen fünfsilbem
mit tn«'häiMch(»in HchlusHO gi'widmct, den ^vci-sus |)erextensi*' des gnunmatikerB Ver-
giliuH, d(»n«n erkliiniiig so gnissi^ Schwierigkeit bot Sehr frühe rhythmen dieser art
liegen in iUm\ kürzlich durch K. Hoiulurand in Paris volständig veröffentlichten, im
jähre H-t3 vo!huid<»it»fi fürMtenspiegel der Dhuoda vor. Die drei s. 141 — 149 abge-
ÜBER TRAUBE, KAROL. DICHTUNGEN 125
drackten gedichte sind verschieden gebaut und bestehen aus Strophen zu 4 bezw. 7
nnd 6 zeilen ~ v> ^ _ ^ oder w _ ^ ^ w; Silbenzuschlag ist, dem Charakter volks-
mässiger dichtung entsprechend, zugelassen, auch der schluss bisweilen unrein gebil-
det (Siebensilber), der 5. vers der Strophen in nr. III ist stets viersilbig. Es finden
sich in allen drei gedichten spuren von reim, der hiatus ist gestattet, von elision
ist in ihnen nirgends, von synizesis dagegen wie in vielen rhythmen oft gebrauch
gemacht
Im anschluss an diese fünfsilber untersucht der Verfasser das zuerst von
Dümmler (P. C. n, s. 118) veröffentlichte „carmen ad Agobardum archiepiscopum
missum*^, ein nicht unbedeutendes gedieht über das jüngste gericht, dessen Strophen
der sapphischen nachgebildet scheinen. Doch hält Traube diese nachahmung für keine
unmittelbare, vielmehr weist die zweite hälfte der drei ersten verszeilen, die stets
w^w^.w gebaut ist und die widerholung der ersten fünfsilbigen hfilfte mit silben-
verschlag darstelt, auf einen Zusammenhang mit den rhythmischen fünfsilbern.
Die anfangsbuchstaben der Strophen 1 — 11 des gedichtes bilden die werte
AGOBAfiDO PAX, die der ersten 14 Strophen nach Traubes* Verbesserung A. P. SET.
Nach Dümmlers ansieht war dieser Agobard, erzbischof von Lyon von 816 — 840,
der empfänger des gedichtes, während uns Angilberts beispiel zeigt, dass die akro-
sticha den namen des dichters zu überliefern pflegen. Str. 12 und 13 stelt Traube
die lesart der einzigen Pariser handschrift wider her und gewint so ohne zwang rich-
tige verse mit einer lücke am ende von str. 12, 2. In dieser lücke muss der name
des empfängers gestanden haben, den man wie in den besprochenen gedichten Angil-
berts fortliess, um dem gedichte seine persönlichen beziehungen zu nehmen und das-
selbe als formel benutzen zu können. Derjenige aber, dem Agobard seine dichtung
übersante, den er in seinem leiden um rat fragte, war höchst wahrscheinlich erz-
bischof Leidrad von Lyon, des dichters Vorgänger im amte, so dass der s. 152 fgg.
abgedruckte rhythmus vor dem 28. december 816 verfasst sein muss.
Dies der hauptinhalt der ergebnisreichen und ani*egenden Untersuchungen
Tranbes, die aufs neue beweisen, wie sehr der Verfasser geeignet ist, das werk des
meisters, die herausgäbe der karolingischen dichtungen, zu ende zu führen.
Im anhange findet man eine Zusammenstellung der besprochenen dichterstol-
len, sowie ein bei der fülle des gebotenen Stoffes wilkommenes sachvei*zeichnis.
Die darstellungsweise Traubes ist etwas manierieii und entbehrt bisweilen der
wünschenswerten durchsichtigkeit, ein umstand, zu dem auch die aufnähme zahl-
reicher, nicht immer durch besondere schrift oder anführungszeichen hervorgehobener
citate in den text, sowie die spärliche anwendung der interpunktionszeichcn beigetra-
gen hat.
Die ausstattung des heftes ist eine sehr gute. Die mode, die grossen buch-
staben beim beginn der einzelnen sätzc mit kleinen zu vertauschen und so den punkt,
das wichtigste, aber imscheinbarste schriftzeichen seines merksteines zu berauben,
können wir nicht zur nachahmung empfohlen.
HANM. MÜNDEN, Di OKTOBER 1888. HKRMANN ALTHOF.
Diedrich von dem Werder. Ein beitrag zur deutschen litteraturge-
schichte des siebzehnten Jahrhunderts. Von dr. G.Wltkowski. Leipzig,
Veit und comp. 1887. 144 s. 8. 4 m.
Der deutsche dichter, welcher, dreizehn jähre älter als Opitz, ähnliche bahnen
wie dieser verfolgte, der es nicht ohne erfolg unternahm, Tasso und Ariost zu über-
12ß ROBFÄTAO
setzen, iUm* oiue hoiTorragonde , ja, man kann sagen, die erste rolle in der Fracht-
briugoudün gosolsohaft während der ersten jalirzehnte ihres bestehens spielte, hatte
sohon ohor die bt^achtung verdient, welche ihm jezt erst durch den Verfasser der
vorlieg^Midon srhrift zuteil geworden ist.
Nai*h dtT Einleitung und einer dankenswerten abhandlung über Tobias Hüeb-
nor, welcher Werders Vorgänger in mehrfacher beziehung genant werden muss, folgt
die Im^raphio, darauf die bibliograplüo , femer ,, Werder und die Fruchtbringende
gesolschaft", , Worder und Opitz*, , Werdens Übersetzungen", „Werders eigene werke",
der Si*hluss fasst urteile über den dichter zusammen und gibt dessen Würdigung nach
des Verfassers ei^vner ansieht.
Nach dem eben gesagten muss die wähl des themas gelobt werden, ob^eich
dit^ Schwierigkeit der aufgäbe es mit sich gebracht zu haben scheint, dass sie nicht
in allen teilen der arbeit gleichmässig gelöst worden ist Im ganzen wird ein unpar-
timsoher Unirteiler dem buche seine anerkennung auszusprechen haben, weil es unsere
kentuis der litti'ratur des XVII. Jahrhunderts in vielen einzelheiten durch meist vol-
kommen erwies^^'ne ergi'bnisso bervichert \md aufklart sowie zum ersten male ein
g^^fsamtlnld einer immerhin bedeutenden und interessanten schriflstellerischen Persön-
lichkeit liefert. l>as verdienst der biographischen und bibliographischen angaben Wit-
kowskis springt K'i einer vergleiohuug mit dem, was bereits vorliegt, zu deutlich in
di<« au^nu als dass darüU^r mvh et>\'as zu sagen wäre. Vielleicht wird hie und da
g^^le^'ntlieh u^Hrh etwa>, das nachzutragen i^t. zu tage kommen, die hauptsaehen
sind sicher erschöpft. '
Was Witkt>u-skis ^^samtauCEassung des litterarisohen lebens jener zeit anlangt
s^^ ist luxup^U^n, dass hiebei die Subjektivität des betrachters eine grosse und keines-
wt'^rs cuir unU^iwhtigte n>Ue s|)ielt. Hieiiuk'h werde ich nicht misverstanden wer-
den, vi-vnn uh i:estebt«, in der vorliegenden arbeit öfter die sohäife der beleuchtong
lu xemiiSM'u, welche denn dvvh zum Verständnis des litterarischen fortsohrittes einer
!Uti\>Q eU'us^^ nv^ ist wie die objektive und WUige beoiteilung der erscheinongen
aus ihrvr lei: henus. Namentlich in der wünügung der Fruchtbiingeiiden geselschaft
4>^h.t r/.:r Witkowsk:. wie mich dünkt, duivh Barthold und Krause beeinflusst, nicht
>charf cv^ui: vor — - not;i bene für einen httenirhistoriker, der durchmns den zusam-
niTtiKmc d«T t^xvh^n lu) aui>' behaltx^ und den forts^rhiitt de$ ge^ivhmackes in den
kktaefvc und ^tvv>s«i^;\':i ^mipivu i^vtischer erxtMiicnisä^, die er b^ecraehtet. stets prü-
fen ^^L l>as auf >«x^:^ 4t> a^^^i«^^ kann xins schwerlich überzeugen, dass die gesel-
<v-i;jA u^sjb.hlvh (^wiis aiKicTv^ ^-ar als ein littenturvenein. £s war eben die korz-
NX'iiUiiitx: ucsi k:c,fu»».>e; Ott hvvho^K^rvnen mitdieder <ohald. wenn sie meinten,
ifcss SÄ »::■.• sa.i::- A::'.^rs a:uLrt*ifer. kv'RU^r., denn ihr\^ Krstr«l>usi:efi kv^ten sie ein-
J5C Ta:.v^ jC-.ir. :r, itr l:nenn:r. d, h. m M:hniVs;«:&hscfcen o^ier {<^tis<'licn enceug-
*»*•:.. d»;- cscrsf,!* «uwr., ivl^eu n;jit>hec:. UBri >» baKrc e> aach wirklich nur
ax.: iji-t«' m\c>*f ^-tac.. ^^"•:^c^ M l^^^^rs W;:kv^w^l: >*<l^r ein K»>;«el« wie wenig man
^,i :z. .j*\ j.* 'S, ia^j. i»c k m->tx>crd; ;;j >;e: sfsrftchrväi^'ci K?££<%!^ In der höfischen
v.tt-i.^sji^s.c. m-Tc. «> ixr. "ta.t v.-./r,: Uvat j^«\xn >«r. ä^^ s&an üt^rlianpt dentsch
>ao*«-*i. i.*; 4M* ir^^-s- V,-rT\-x;vir>i>i:t\'c. Ursi'ir,>H'h, ^.r. rur.rirtü: -ieutHrher sitte,
Win. <-j^.ui;. ^^*t>t,i:,r ja^j. "^>^'i.^ £>; k,*;»;- r^xie. ot5».i.«rtj^ i:«x v:€i tiner deutsch*
iJb£Kdr.kKCL 7«.'i.':r.i >^ .«CL :^^ju: tx-: >.>r a;;:nuih:ix* :t. i:^ j?t*^*sciia^ nk-ht aaf littera-
r!s.K ^\ci'fcc.-<i:' sÄi.. >s '»j;»: ,-a> r-Kt *JK*h«r^i, am aljMwvc^Citen war €s» ein
>«*«IClf*t. «WCkYlLIXJw 4*:^W^ 0>ttlV*.^t «v^vK-c k««^:.
Pitm wmtfmBKi. munptii. t. i
127
Man wiitl jn zugeben, dnsH dio ergebnislosigkeit dieses troibeus uiclit dem mora-
Guhen Charakter der einzelneD znr laut fält, BOndern den traurigen vi^rhOlttiisäPii , aber
Bdnrprseits nah "s dodb tnänncr wie Moaclieroscli und Grimmelshauscii , welche die
achou 8u klar und richtig ansahen und ihre nieinung so deutlich aaidrikkten, da.ss
I in vergluich mit ihoeu die deutsche gesiunung uod die natioaalou beKtrebuagen der
wi vom |)alRieiiiirdcn uns Hehr wenig imponieren kümieD.
Doch genug von diesen dingen, üher die ehen, um in der spräche des XVII.
Jikrhauderb' zu icden, „unterschiedene opiniones fallen" können, and kommen wir
n ohjektiveu bomerkungou. Da kann nun zimüohst die nicht unterdrückt wurden,
er stioat wol untirrnchtcte verfas.'jor für den aozuiugen pbilologiächen teil seioer
e kaum genügend vorbereitet erscheint Son^t wikrden etliche nüsväiständniHse
■At vo^ekonimen sein, weloh" in seiner arbeit auf recht störende weise auffallen.
' (^1. s. 75) bedeutet nie und also auch nicht in Werden! Tasso XI, 30, 0
.i^siascci'', soDderu ^warten, verharren." Was hatten denn die lente auch auf der
ir in beisaenl' Werder selbst oder seiuem freunde muss das schon hall) veraltete
imt bedenUioh gewoi'den sein, denn er ändert die stelle in B. „Sie entweifh" ist
■Uta wimiger tia eine entstellung von ^entweicht" aus reimnot, sondern ebrlichsK,
"s noch ziemlich gebräuchliches prStorituni frir „entwich", was übrigens auch
te nuammonhang fordert {s, 77, im Tasso VI, 59, 1). Noch manches möchten wir
lUm wünschen; es fehlen gestchtspunkto, die oin pliüologo sehr vermiiist, wie ?.. b.
'fc frage nach etwaigen dialektischen eigentümtichkeiten in wortu'uhl und formen.
ID die Schreibung seines Vornamens beweist, dass Werder an dialektfonnen festhielt,
■uoe darauf gt^richtete uutersuchtmg würde nicht ohne nrgobnisse geblieben sein,
itngew&hnliclie worto" (s. 75) ist keine rechte kategorie, es müssen doch wenig-
8 damals und jezt ungowiJhuhcbe geschieden werden. „Sctununtzeln" wtrde zu
«r von iKiiden klassen gehören. Dass der dichter „kart" fü.r ^kehrte", „drang*
*f idrang", ,scbeusst* für „achiessf u. dgl. mehr (s. 77) sagt, „um seiner spräche
'S fülle zu verleihen", ist eine annähme, welche im lichfe der historischen gram-
'Uä gerad^iu komisch erscheint Hat denn der Verfasser ili>.'se formen sonst nie
* Uteren büchem gelesen V
Wir hoffen, dasa das angeführte genügen wird, um Witkowski zu übetKeagen,
■ ^wK niaii auch zur beurteilung der spräche des XVII. jalirhunderts die germnnisohe
l^il-ikigie herbeiziehen mus.s, um nicht auf bedeukhcho abwöge zu geraten. Uninit-
'^bu- Qg,^ ^Q ausfühningen , die uns nicht gebdlen wollen, gibt er noch s.TS eine
""^kdanenswerte probe seines scharfeins, und ich freue mich, dio richtigkeit seiner
PUutung lictitStigoa zu könni'n. Die ausgäbe des Tasso Lyon 1581 in 16°, welche
^owaJu als vorläge Werders vormutet, aber uieht erreiehen kante, liegt mir vor,
hier steht XVI, 20, 4
Ai ministri d'Amor minietro eletto.
der hiesigen stadtbifaliothck, welche überhaupt an dcrgleielien sei-
'ich ist, und hat die Signatur N 1919. Ich habe die übrigen bei die-
'011 Witkowski {s. 78fgg.) angemerklen stellen verglichen, dos eigcb-
: die ausgitbe enthalt gegen Witkowskis Vermutung dio Strophen XI,
in, 1 steht RftTia — IX, 90. 3 Corcutte — I, 54, 5 Kuggi.T di Bnl-
, 74, 1 Enrico e Iterongario ^ V, -18, 1 t'ilicla — Vm, (i!t, 4 atoht
^s buch gehört
'**»l>eitou sehr w
'' gelegen hcit \
»«• i« Hgndm
u Tile, das citat ti
ichtig s
- XVll, 5,
i - XVII, CS. 7
- 70, 5 Altiiio — 111, «1, 3 vermigtia la sovravesta — XU, «9, 2 virfe —
' 75.' 1 guMi.'.i — IX. 92, 8 grau Madre -
' XI, 28,5 {30,5) lautet:
128 NACHRICHTRN
Cosi dicean; ma für le voci intese.
Xin, 48, 7 moss falsch citiert sein, vielleicht ist v. 5 derselben Strophe gemeiat:
Pur vi passai: che ne Tinceudio m' arse.
Durch das eben beigebrachte wird Witkowskis vormutong nach meiner ansieht nichts
weniger als entkräftet Die auslassung von XI, 8 und 9 erklärt sich leicht Wit-
kowski meint, Werder würde diese Strophen schon wegen ihres religiösen inhalts
übersezt haben, er hat sie aber grade deswegen weggelassen, denn er war Protestant
Aus demselben gründe halte ich es, beiläufig gesagt, für unmöglich, dass Werder
den tag Leo des Grossen als den „tag der allergrössesten '^ bezeichnet habe (s. 62,
anm. 3).
Dass Opitz „noch weit weniger'^ als Lohenstein imstande gewesen sei,
dichterisch grosses zu leisten, bestreite wenigstens ich, wenn sonst niemand, wie
Witkowski meint Lohenstein ist so wenig wie Opitz poetisch begabt, eher noch
weniger, ausserdem aber hat er viel weniger geschmack und takt, den man Opitz
durchaus nicht absprechen kann (s. 59).
Die Schlussredaktion des buches scheint etwas flüchtig bewerkstelligt zu sein.
S. 27 ist der satz ,. Landgraf Moritz hatte usw.*^ unklar. Es soll wol statt „Evange-
lischen*^ heissen „Lutherischen*^, wenigstens ist dies das geschichtlich richtige. S. 52
heisst es „Werder — entschied in vielen fragen mit scharfsinniger begründung'^, das
folgende beispiel beweist das gegenteiL Es hätte das s. 54 angeführte an diese stelle
gehört
BRESLAU, JUU 1888. FEUX BOBCRTAG.
Die Edda. Deutsch von Wilhelm Jordan. Frankfurt a.M. W. Jordans selbst-
veriag. 1889. 8. IV, 534 s. 5 m.
Da die „gelehrten^ aumeriLungen, die der Übersetzer seinem buche beigegeben
hat, bei dem uneingeweihten die meinung erwecken könnten, als ergreife hier em
genauer kenner des altnordischen das wort, so sei kurz bemerkt, dass wir es mit
der arbeit eines dilettanten zu tun haben, für den die wissenschaftliche forsohong
der lezten dreissig jahro |nicht vorhanden ist Von der technik der alten allitera-
tionspoesie hat Jordan keine ahnung; geradezu belustigend wirken die verse, die er
(s. 407) ans der einleitenden prosa zu Gu{)r. I zurechtgeschnitten hat Was treue
und gewissenhaftigkeit anbetrift, steht diese Eddaübeisetzung hinter der Simrockschen
ganz erheblich zurück, die Jordan übrigens nur in einer älteren aufläge gekant hat,
daher es ihm begegnet, dass er fehler seines Vorgängers bekämpft, die dieser selber
schon berichtigt hatte. Eine höheren anfordcrungen genügende Verdeutschung der
Edda bleibt also immer noch ein fronmier wünsch, bis ein meister sich findet, der
mit genauester sprach- und sachkentnis dichterischen geist und ein ausgebildetes
formtalent verbindet. H. G.
NACHRICHTEX.
Am 31. Januar 1889 starb zu Oxford nach längerer krankheit der bekante
lexikogra^th und hcruusgilH'r altnordischer littenturwerke. dr. Oudbrand Yigfüs-
son, (i8 jähre alt.
Halle &. S.. BacäOnickerai dw W
UNTERSUCHUNGEN ZUR SNORRA-EDDA.
I.
Der sogenanto zweite grammatlselie traktat der Snorra-Edda.
Während wir bei keinem anderen germanischen stamme eine
grammatische behandiung der heimischen spräche im mittelaiter nach-
weisen können — denn die „grammatica patrii sermonis", die auf ver-
anlassung Karls des Grossen in angriff genommen wurde (Einhardi vita
Karoli c. 29), ist höchst wahrscheinlich gar nicht zustande gekommen — ,
finden wir in dem fernen Island , dessen bewohner auf geistigem gebiete
in mancher beziehung den Zeitgenossen vorausgeeilt sind, mehrere
abhandlungen über die heimische spräche. Dieselben waren bis in die
jüngste zeit meist verkant oder wenig benuzt ^; erst unser gramma-
tisches geschlecht hat sie hervorgezogen und ist bemüht gewesen, sie
in das rechte licht zu setzen.
Die erste gründliche arbeit über die grammatische tätigkeit der
alten Isländer waren Björn Magnussen Olsens trefliche Untersuchungen
über die runen in der altisländischen litteratur^. Die wichtigsten ergeb-
nisse nahm dann der Verfasser in die einleitung zu seiner ausgäbe der
3. und 4. abhandlung auf^, und die herausgeber der beiden ersten,
V. Dahlerup und Finnur Jönsson, bauten auf seinen resultaten im gan-
zen weiter*. Während aber V. Dahlerup die älteste grammatische arbeit
noclunals scharf ins äuge fasst und ihre bedeutung namentlich für die
isländische schrift etwas andei-s und zweifelsohne richtiger darlegt,
geht Finnur Jönsson gerade über die hauptfragen zu schnell hinweg
und prüft weder die abhandlung auf ihren bau hin, noch untersucht
er den Zusammenhang ihrer Überlieferung; er hält sich zu sehr an
1) Am meisten hat sie zweifelsohne A. Holtzmann zu würdigen gewust, der
in seiner altdeutschen grammatik die erste abhandlung volständig und die zweite
wenigstens teilweise übersezt (I. s. 55 — 66).
2) Runeme i den oldislandske Literatur vod 6. M. 0. Kbh. 1883.
3) Den tre^jo og fjfl)rde grammatiske afhandling i Snorrcs Edda. Kbh. 1884.
4) Den ferste og anden grammatiske afhandling i Snorrcs Edda. Kbh. 1886.
ZKnSCBVm f. DSUTSCUE pmLO]X)QIE. BD. XXII. 9
130 MOGK
Hjrirn (')lson, der den kleinen entwurf nur gelegentlich berührte, ihn
al)(M* nicht in den bereich seiner eigentlichen forschungen hineinzog.
DaluT konit es, dass trotz der neuen ausgäbe auch heute noch die
r(H'ht(» Würdigung dieses sogenanten „zweiten traktates'' fehlt ^ Man
sh4t d(Miselben durclnveg im hinblick auf seine jüngere und verderbte
Überlieferung neben den wahrhaft bedeutenden orthographischen neue-
rungsvei-such aus der ersten hälfto des 12. Jahrhunderts und neben die
mehr h\ut- und sprachgeschichtliche abhandlung des Olaf pordarson:
im vergleich mit diesen muss allerdings seine wagschale bedeutend
steigen. Aber ich meine, es ist ein grosser unterschied, ob man eine
orthographische oder sprachliche abhandhmg vor sich hat, die auf die
zeitgiMiossen bestimmend einwirken soll, oder bemerkungen über die
bestehenden buchstaben oder laute, die nur zu einem bestirnten
zwecke, im hinblick auf ein bestimtes werk geschrieben sind. Jene
kann man mit gutem rechte ,, grammatische traktate** nennen, diese
nimmernu»hr. Es liu^t sich auch auf keinen fidl an diese derselbe
massstab legen wie an jene. Man hat dies aber bisher durchweg
gi^an unil dadurv*h die bemerkungen zu dem isländischen alphabete
aus dem anfangi^ di^ 13. Jahrhunderts volständig verkant Sie verdie —
neu in ihivr ui^sprünglichen fassung überhaupt nicht den namen einest
gnunmatischen traktuti^, sondern sie siiul mit dem namen zu bezeich -
neu, der i\\\w\\ von haus aus nach dem willen ihres Verfassers gehörtrr
niünlich als die spnichliche einleitung zum Hattatal. Dass sie in di—
g\^clschat> der granunatisi^ien abhandlungi'u gelangt sind, verdanke)^
wir dt^msellvn untahigxMi bcarboitor di^s Snorris^^'hen werkes, der auc
dit^ iibrigxMi teile der Kdda auseinander riss und nach eignem gutdün
ken wider .Tus;unn\enleimte, l'm daher die bemerkungen zu verstehe
miisson wir sie \i>r allem aus dem /us:immeuhange herausreissen, ii
welchem n\an sie :\x betrachten ptU^. Es ist aus diesem grund
gx^K^ton, t\ivhn\als auf dit* üborlit^fonuig einzugehen und die folgen, di
daraus erwachsen, ins aucx' ru fa^^en, wenn^rleich Finuur Jonsson i
der uKrUeferuncsfia^^ s\*hen in^ c^iixen d;ui richn5^^ betroffen hat.-
; 1\*. :.>;;.\: ,.:\c". viv \\:.V.v.i>T.n fr^vr. üKt a:-" .iVr.12 i;ur.ir, nümlich ül^:
.' "iv Ivx» ;.!;;:<, .v: \^ txv'rv- r " o*v.v:v, V^iv.n ;v./>A:r.^ »r.Mrh^ ^^raohtens sohr nahe
;' Vn >t v.„ rK\x,.'A, j^, r.v.: \Xv:.V •. VhA:v.;VA::: M:lr*v: F. J. noch an do
A*.:.' . A.iUvv,.:^ .;, V ! A -.Iv. '.r/v v^ .-h.;/; ;nv,>^ ".^o^^:, Nji;h.:-,r.: »r >*"hritt für sohrit
,.. ,:x\, v,r. ^•. v;./: •.,;, ..^sv ,;,,x k,. •, v ;av>— ^ ol.o ;::si r«'rV..ho 154 leinl. s. XV
.;v., v,r, v.v.j -: .,.{ .:- -..: aN ^\\ .^v .* lo x Vv^i^: . Auf 'i^:^ fL^ä>!>Q <kr nt^nci
TOiEBSCcnufTOW irR stf. RnDA I 131
ÄUcs, was die Isländer über üire scbrift und sprafiio gesdii'icbcn
liaben, ist in der alten Eildnhundschrift cod. AM. 242 fol,, dem codex
WorniianuB, der aus der mitte dos 14. Jahrhunderts stamt, aufbewahrt-'
I)iT Schreiber oder vielmehr bearbeiter dieser handschrift boniitzto bei
seiner arbeit mehrere werke, deren bedeutendstes die wdl von l)laf |HJril-
atsoii herrührende fassunji; der Edda war, und vereinigte diese zii
einem ^ranzen, das er durch eigene arbeiten erweiterte, mit vorrede ver-
1 und in seinen einzelnen teilen nicht selten verwässerte. Nach
■Btr^bjöm Egilssons Vermutung^ soll Berg Sokkason, der freund des
chof Laurentiiis nnd abt des Benediktinerklosters zu MunkafiverA
diesL^n codex zusammengestelt haben, eine annähme, die anklang geliin-
len hnL* Ich sehe nicht recht ein, dass diesdbe irgend welche ft«to
*tüt!en liabe. Die aaga des bischufa Laurontius gibt uns ein ziemlich
genaues bild von dem charakter und der tätigkeit des Borg; wir eifali-
twi, dass derselbe mit eiserner festigkeit auf die beobachtung der klo-
Bjlterreeeln sah {Bisk. s, I, 840. 850), wir hören, dass er ein vorzüg-
iher Sänger und tüchtiger rodner und prediger gewesen sei, wir lesen
üs er die geschichtcn der heiligen männor vortreflich ins ishin-
■ßcbe übersezt habe (Bisk. s. I, 832. 891)*, aber nirgends ert!ahren wir
Was darüber, dass er sich auch eingehender mit heimischer litteratur
Jcliäftigt habe oder dass er ein dichter gewesen sei, während doch
wol für lien üborarboiteton te.tt, uiclit nbor für <lon urBpriiti[;li<;bcu goltiuig
^bcn.
1) Dos kli'iue Btttcl:, dos Ü^oni OlHcn als anhaog iu seiner ausgal« dor 3. und
b abhoniUiiDg (m. i^li fgg.) nacii i^nd. AM. D2I. 4° hat abdrucken lassen, ist oino eiu-
Seho iötcrlinearverHion der lalomiachen conjugatinn. Zur zoit ungodruftte roimo über
*" iBlfindischcii liucbstnbon ont.hält der cod. AM. 415. 4" (vgl. O. Htorm, Islandske Ann-
ftlcr iudtil 1578 B.VIIt.
2) S11.E. AM. U H. 190 aain. 1.
3) Vgl K. MüUenhüff DAK. V, 208. 230. Ich selbst lia1» lange aoit dio
MsicLt gtitoilt, bin aber nach gründlichem durohleaon der Laui'ontiussaga, uiisoi'sr
>>>uptqiieUe ülwr B«rg SoUason, gauz davon abgekoinjacn , da üieli aus ivv snga ein
*iild von dar tstigtoit aller miinner aus Laurentius zeit entworfen lüsst, dio der vev-
'»ssi-r iu aeioor CTKÜhlung charakterisiort.
4) In gloicbem sinne d. b. im binblick auf die missienstätigkeit ilires holden
"'wranEte BoiT! "'"''' di*' tUafssaga Tryggvasonar des inönchs Odd von fingojrrir. Ob
™ Biisfülirliebo rosBttng im cod. Oolin. 1 fol. lArwidasen, FÖrtw:kning ofver kgl.
~~ '^^thrkels i Stockbolni isl. hss. s. 3}, die luia Bergs überaetxuDg der Ölafsängn
^J^">(ät (Öbifeaaga Tryggvasonar, er ßergr dboti maraäi), dio nraprüngliche arbeit
»btM ist, oder ob diese vorliegende nicht vielmehr auf eine kürzore faasong Bergs
irago ich nicbt zu eutscbeidou, zumal wir noch ktiinun abdruek des cod.
*"• fol, 1 büEitw.'n.
132 MOOS
die Ijaurentiussaga von mehreren anderen männem, vor allem vom Lau-
rentius selbst ganz ausdrücklich hervorhebt, dass sie vorzügliche „ver-
sificatores" gewesen seien (Bisk. s. I, 794. 800 u. ö.). Beides muss
aber bei dem Verfasser der vierten abhandlung, der mit dem Schreiber
der ganzen handschrift zusammenfalt, vorausgesezt werden. Da sich
nun diese Voraussetzungen auf Berg nicht anwenden lassen, halte ich
Egilssons annähme mindestens für wenig wahrscheinlich. Dagegen finden
sie sich bei einem andern manne derselben zeit, und diesen möchte
ich mit ziemlicher bestimtlieit als den urheber des cod. AM. 242 anneh-
men: es ist bruder Ärni, der natürliche söhn des bischofe Lauren-
tius. Zunächst ist die handschrift in bezug auf die schrift eine der
vorzüglichsten aller handschriften, die wir besitzen, vielleicht die beste
aus dem 14. Jahrhunderte (vgl. das facs. nr. 11 in Sn. E. III). Fer-
ner weist die geschichte des codex und seiner abschrift AM. 756. 4®
darauf hin, dass derselbe im nördlichen Island geschrieben ist, wie
auch 0. Vigfdsson ihn nach dem kloster pingeyrir verl^^. Weiter:
alles, was wir beim Schreiber des codex voraussetzen müssen, was wir
aber nicht bei Berg fanden, haben wir bei Ami.
Bruder Ärni, wie ihn die anualen und die lAurentiussaga stets
nennen, war der uneheliche söhn des Laurentius mit der ]^urld Änia-
dottir (Bisk. s. I, 807). Für ihn sorgte der vater nach kräften. Auf
Lauivntius' betreiben hin wurde er nach dem Lögmannsann&ll, dem ich
hierin folge (Storni, Isl. annal. s. 266) 1317 vom abte Gudmund als
Benediktinerniönch des klosters J)ingeyrir aufgenommen (Bs. I, 832).
Als I^aurentius 1324 zum bischof von Hölar geweiht war, ruft er auch
den Ärni nach dem bischofsitze, wo er neben Olaf Hjaltason, dem lehrer
in der gnunmatik, und Vallyof, dem leiter des geistlichen gesanges, an
der vom neuen bischof begründeten schule als lehrer tatig war (Bs. I,
846). Von hier aus begleitete er seinen vater widerholt auf visitatiousreisen
(Bs. 1, 851). Damals sante ihn auch Laurentius nach Sk&laholt zum
biscliof Jon, der ihn zum priester weihte (Bs.1, 850). Anfangs gehörte
er zu den tn^tlichsten klerikern (Bs. I, 832. 850), später gab er sich
jedoi'h zuwrilon der giMuisssuoht hin, die ihn einst nach einem zu
fix>hlich verbracht(»n julfi^ste auf das knmkenhiger warf. Dadurch berei-
tete er stMuem vater liauivntius ärgemis, der ihn nun unter ernsten
1) Corp. |M>ot. bor. l s. XLV, dooli irt Vigfiisson , wenn er sagt, dass sich im
cotl. W. voi-wo ili»s bruil««i"s Ami i'ititMl fiinvion. Nur das dor handschrift beigefügte
^loiolmltrip» fni^Mni-nt NVl». ontliult oino visa Amis (^Sn. E. II, 500) und scheint noch
niohr oiitlmlton Kti )m)M«n (vgl. l^utVisstHida in Sn. R 11, 032). Dies scheint von
oiuoni .silitiliM' doN Ami /.u soiii^ Mohor uioht von ihm selbst.
UNTERSUCHUNQEN ZUR SN. EDDA I 133
ermahnnngen nach dem klostcr pingoyiir zuriicksanto, damit er hier
sparsam sei, nnterrichte und schreibe (Bs. I, 873. 913). — Von Ärnis
b^^bung scheint sein vater nicht viel gehalten zu haben, da er seine
band von jeder beforderung des sohnes fem hält, und da er ihm stets,
mag er ihn als lehrer oder zu einer Sendung verwenden, tüchtige män-
ncr zur seite stelt Dieser Ämi, berichtet nun die Lauren tiussaga, sei
ein vorzüglicher Schreiber und dichter gewesen ^ Dies stimt aber vor-
züglich zum Schreiber des Worm. Als lehrer bedurfte femer Ärni
einer grammatica und ars poetica, da er hierin seine schüler zu unter-
richten hatte. So mag unsere handschrift zu bestimtem pädagogischen
zwecke entstanden sein: sie war ein werk für heimische spräche und
poesie. Denn die muttersprache (möäurtunga) hielt Laurentius für die
alleinige vermitlerin zwischen geistlichkeit und volk (Bs. I, 861 fg.);
daher wird er auch den Unterricht in dieser gefördert haben. Uns
wird jezt auch die belesenheit des Schreibers in den lateinischen gram-
matikera verständlich: er verdankte hierin seine kentnisse seinem col-
legen Olaf Hjaltason, den Laurentius eingesezt hatte „at kenim gram-
maticam" d. i. lateinische grammatik (Bs. I, 846). Zu diesen äusseren
gründen, die für Ärais Verfasserschaft sprechen, treten aber auch innere.
Der Schreiber muss natürlich das Hättatal gekaut haben. Aber er scheint
dasselbe auch gründlich studiert und sich zum vorbild genommen zu
haben: in der vierten abhandlung sind nicht nur Strophen aus Hättatal
citiert, sondern auch widerholt die künstlichsten formen nachgeahmt
Nun sind aber unter bruder Amis namen eine visa und zweimal je
zwei halbverse erhalten: beide zeigen offenbar kentnis von Snorris
niustorha)ttir imHättatal. Sn. E. 11, 500 findep wir in allen vier unge-
raden halbversen den ersten studill (auf hochtoniger silbe) unmittelbar
vor dem zweiten, den das lezte wort und die erste silbe des dritten
fusses des halbverses enthält, gerade so, wie es Snorri beim refhvarfa-
brudir (Hättat v. 23; Möbius 11, s. 12) offenbar angestrebt hat; die bei-
den andern halbverspaare (Sn. E. 11, 632) dagegen sind nach dem ganz
seltenen grossen stuf (Hättat. v. 51) gedichtet, der in der alten poesie
sonst einzig dasteht — So laufen alle fdden, die uns der cod. AM. 242
betrefe seines Verfassers gewährt, in Ämi zusammen; der samler- imd
schreiberfleiss seines vaters Laurentius und dessen oheim pörarin kaggi
(Bs. I, 790) können diese annähme nur stützen, da sie den weg zu
zeigen scheinen, wie Arni in den besitz seiner vorlagen kam. Welches
1) Bs. I, 832: rarä Jiann hinn frainasti klerkr ok skrifari haräla scnni-
ligr ok versificator; ebd. I, 850: Var broäir Ami hinn hexti klerkr ok rersi/tcator
ok kenndi mqrgum klerhim.
1:M mogk
(Ii(^s(> ^owesoii sind, diis dürfon wir nach den neuesten forschungen als
foststohond ansehen.
Die eigentliche Edda kernt für uns hier nicht in betracht; uns
berühren nur die grammatischen arbeiten, die in ihrer gesamtbeit im
zweiten bände der aniamagna^anischen Snorra Edda (s. 1 — 249) und
kritischer von dem Samfund usw. 1884 — 86 herausgegeben sind. Von
diesen abhandhingen ist das älteste stück ein auszug aus dem runen-
alplmbete des pörodd Cramlason und Ari (c. 1100), den Olaf {kSrdarson
im ersten teile seiner abhandUing aufgenommen hat Auf diese folgt
der zeit nach der traktat eines unbekanten Verfassers, der um 1140
entstanden ist (I): sein Verfasser verändert das lateinische aiphabet sei-
ner heimat, indem er unnütze buchstaben ausmerzt und neue einführt;
er befivit die isländische schrift vom joche der ungenügenden latei-
nischen und schalt so eine mehr nationale schrift Sein werk ist in
jinler weise hervorragend und beherscht die ganze folgende zeit, die
zeit, aus der die ältesten isländischen handschriften stammen. — Hierauf
foli^Ml die aus ihrem zusammenhiuige losgerissenen einleitenden bemer-
kmiirini über die spmche zum Hättatal in einer kaum wider zu erken-
nenden gestalt (in. Zeitlich Si*hliessen sich dann die arbeiten Olaf p6rA —
arsons über die buchstitWn und die rhetorischen figuren an (III). Dicm
le:^ter\M\ erweitert nun der schnnber der handsohrift durch eigene for — '
schuusr, indem er zugleich die meisten figuren durch eigene diehtun^^
ht^legt {\\): allen dii^^n arbeiten fügt er schliesslich ein gemeinsamess"
verwort l^inzu.
AVährv^nd man sich mit dem, was die forsohung unserer tag^^
Mrx^fe der l., IIL und IV, abhandlim? s^^fimden hat, bescheiden^
kann, wissen wir ülvr die sv^o>n. IL abhandlunsr nicht viel mehr"^
als was wir sv*hvni früher wüsten; etwas tiefer in das wesen und den::*
r\\\^\*k dorscllvu cinrudrinsreu Ivabsiohtiü^Hi die vorliegenden unter-*^
suchutueu \
l- Oio überarbeitete cestalt und die ursprünclichere fassungrS
P:o S'^o tuiritv* r^unti^* i:nuuttiaris\.*he abhandtuni: der ^norra-Edda-^
w:o >:o luvh vlio ;üri>te aus^r^iW Iwr^Hohuet, oJer die einleitiuag zunc^^
H.i:«ir.il. w:c .ch vlor uurcrvuvhuivc vv^n:r\^itvud dietselbe nennen mochte-*^
->: uv.s VA -'Wvi. p->:a':v»; ulvr^ietert: ei:uT iirspruacüoher«! und einei^
;i\i-%:cvf.^c\t:. vi:; -jr.o Kttur: hat. Wie Ruui isi norden die spatere^
TJNTEILSUCIIUNUKN ZUK SN. EDDA I 135
fassiiDg als dio ursprüngliche ansah, zeigen die verechiedenen ausgaben
der Snorra-Edda, G. Vigfüssons verächtliche aussprüche über dio ältere,
reinere gestalte zur genüge, und dass man auch in Deutschland dieser
ansieht folgte, beweisen Holtzmanns bemerkungen in seiner althd. gram-
matik (I, 65 fg.) oder Möbius' werte zum Hättafcil (I, 18). Das war die
herschende ansieht, als ich Beitr. VI, 5362 j^g gegentoil behauptete
und andeutete, dass die jüngere gestalt überarbeitet sei und dass sich
die quellen des Überarbeiters nachweisen lassen. Zu ähnlichem resul-
tate kam bald darauf Müllenhoff (DAK. s. 167 anm.) und später F. Jöns-
son (ausg. der ü. abh. s. XVI fgg.).
Die älteste und relativ reinste gestalt unserer abhandlung ist
erhalten im
cod, Upsal coli. Ddagard. no. IL
Es ist derselbe codex, welcher die ganze Edda und was mit diesem
hausbuche Snoms in engstem zusammenhange steht, in seiner relativ
ursprünglichsten gestalt enthält. Hier findet sich die abhandhing auf
den SS. 88 — 91, fült also gerade 2bll. Vor ihr befinden sich die Skdld-
skaparmäl, nach ihr ein entwurf des Hättatals, welcher die anfange und
die namen der 36 (ausschliesslich der 35.) ersten vlsur des gedichtes
enthält Dieser fült gerade s. 92 und 93 der handschrift, und an ihn
schliesst sich unmittelbar das commentierte Hi'ittatal. Einen buchsta-
bengetreuen abdruck dieser fassung der abhandlung haben wir im zwei-
ten bände der amamagnäanischen Edda (AM. 11 , 364 — 69) und in der
«usgabe von Finnur Jönsson (F. J. s. 56 — 61). Zwei figuren sind der
iibhandlung beigegeben; diese sollen die werte der abhandlung veran-
schaulichen. — Ob wir in dieser fassung die ursprünglichste gestalt
haben, wird sich weiter unten zeigen. Auf alle fälle ist ihre vorläge,
von der unsere handschrift eine flüchtige abschritt ist, in der zweiten
fassung unmittelbar oder mittelbar benuzt, nämlich im cod. Wormianus,
dem cod. AM, fol 242.
Hier befindet sich die abhandlung bl. 40' fgg., wo sie auf der 6. zeilo
begint. Sie steht zwischen dem 1. und 3. grammatischen traktate. Dass
1) Nachdem G. Vigfüsson schon Sturl. I, LXXXI dio alte fassung an abrUhj-
mcnt of the second Skalda Trcatisc gouant hat, äussert er sich im Cpb. I, XLVll:
a few bits of the Anonymoiis Grammarinn's work, icith imperfcct broken tcrt,
but irith the Table s refcrrcd to in „TF*S but iiot copied therey being probably
missiny in his original. Von Vigfiisson freilich war nicht zu hoffen , dass er in den
fragen über dio Überlieferung der Edda jemals den klarsten nachweisen beistimmen
würde; ihm war der AVormianus das a und gj, dem alles zum opfer fallen muste.
2) Daselbst ist z. 5 AM. II, 44 (st. 74) zu lesen.
13G MOOK
sie nach dem willen des aufzciclmers nicht unmittelbar an den
1. anschlicssen soll, beweist der umstand, dass sich vor ihr ein freier
räum von sechs zeilen befindet Dagegen hat sie der Schreiber als
grammatische arbeit aufgefasst und auch äusserlich den inneren Zusam-
menhang zwischen der 1. abhandlung und ihr angedeutet: während er
bei zwei abschnitten der handschrift, die inhaltlich von einander ver-
schieden sind, den zweiten mit einer grossen, 3 zeilen umfassenden
initiale beginnen lässt, ist hier beim beginn der abhandlung nur räum
für eine kleine, zweizeilige gelassen. An unsere abhandlung schliesst
sich dann unmittelbar der traktat des Olaf pördarson an.
Diese fassung der abhandlung ist nun auf der einen seite angcfült
teils mit ganz unangebrachter theologischer gelehrsamkeit, teils mit stel-
len aus dem ersten grammatischen traktate, teils mit stellen, welche
scheinbar ganz in der luft hängen, — alles dies hat die fassung im cod.
Ups. nicht. Auf der andern seite aber entbehrt der cod. Worm. der
figuren der Upsalaer handschrift, auf welche er sich selbst zu wider-
holtcn malen beruft.
Das alte ist zerrissen und neu zusammengeflickt, imd zwar, wie
schon eine einfache lektüre beider fassungen lehrt, von einem geist-
lichen, der kein besonders grosses talent besessen haben kann, wie es
sich ja beim bruder i.mi zeigte. Welten und müsten wir von dieser
fassung ausgehen, wir würden nie unsere abhandlung verstehen kön-
nen; sie ist verwirt und verwirrend. Ganz anders steht es bei der älte-
ren fassung. Hier ist alles vom anfang bis zum ende rein sachlich,
logisch durchdacht und scharf gegliedert, wenn wir von dem abschnitte
absehen, der später besonders ins äuge zu fassen ist
In der auch den andern teilen der Edda eignen katechetischen
weise begint der Verfasser mit den drei arten des tones, nämlich:
1) des tones lebloser gegenstände und zwar a. solcher, die von
selbst tönen (luft, wasser),
und b. solcher, die durch die menschen zum tönen gebracht
werden (stein, wafFen); es folgen:
2) die laute der tiere (a. der vögel, b. der landticre, c. der was-
sertiere),
3) die laute des menschen.
Die entwicklung ist volständig klar und durchsichtig. Der dritte punkt
— und dies führt zugleich von der einleitung zum eigentlichen thema —
gibt veranlassung, die organc, mit denen die menschliche spräche her-
vorgebracht wird, anzuführen und das bild zu gebrauchen, wie mund
und zunge einem Spielplatz gleichen, auf dem die einzelnen buch-
UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I 137
Stäben* mit einander spielen. An diese bcmerkung reiht der Verfasser
unmittelbar einen zweiten vergleich : die spräche gleicht der auf der sim-
plionie heiTorgebrachten musik; wie diese durch das zusammenwirken
von taste und saite hervorgebracht wird, so erzeugt das vorbinden
von consonant und vocal die menschliche spräche. Beide vergleiche
werden dann durch figuren veranschaulicht, welchen eine eingehendere
erklärung folgt Wie nun das häkchen der taste und die saite zusam-
niengreifen (henda) müssen, um den ton hervorzubringen, so müssen
sich auch consonant und vokal verbinden, um den einfachsten klang
der spräche und poesie zu erzeugen, imd diese Verbindung ist die
liending. Mit dieser sind wir unwilkürlich zu dem grundpfeiler der
skaldonmetrik gefülirt und wir verstehen, weshalb unsere abhandlung
sich unmittelbar vor dem Ht^ttatal, diesem sammelgedichte altislän-
discher versarten, befindet: sie ist die naturgemässe einleitung zu dem-
selben.
Anders liegt die sache in der zweiten fassung der abhandlung.
Hier ist dieselbe aus ihrem zusammenhange losgerissen und bildet ein
in sich abgeschlossenes ganze, das sich nur durch die ähnlichkeit des
inhalts mit dem vorhergehenden und folgenden ganz oberflächlich
berührt Indem dies aber vom Hättatal losgetrent wurde, bedurfte es
einer volständigen Umarbeitung. Dies sah selbst ein so wenig begabter
bearbeiter wie Ämi ein. Allein wohin wir auch blicken mögen, überall
sezt diese neue arbeit die alte voraus, jene selbst ist ein ziemlich kläg-
liches werk, nur zu oft ohne einsieht und Überlegung niedergeschrie-
ben. Man vergleiche gleich den eigentlichen eingang, den anfang von
cap. 2 (AM. n, 46. FJ. 50*2 fgg.): JST^ hafa pesser luter^ hlioä, su-
mer rqdd ok sumer mal, sein sagt var. Die lezten werte (sein sagt
rar) sind volständig unverständlich, da vorher kein wort von dem
gesagt ist, was hier angedeutet wird. Nun hiess es aber in der
ursprünglichen fassung (AM. 11, 364, 4 fgg. FJ. 56*^ fgg.):
Ell pripja hlioäs grein er sii, sem memiinir hava; pat heiter
hlioä ok rodd ok mal,
1) Ich gebraucho dies wort im anschlass ao das stafir des textcs.
2) Dio norwegischon oigentümlichkciton , dio wir mehrfach im cod. W finden,
crkläroD sich ebenfals aas der annähme, dass Ämi der sclircibor sei. Ann stamte
aas dem westlichen Norwegen, wo Ijaurontius seine matter I^urid kennen gelernt
hatte. In der altertümlichen kirche von Borgund, die noch heute den wanderer zum
besuche ladet (Du Chaillu, Im lande der mittemachtssonne I, 417), ist er getaaft;
in den anmutigen gefilden dieser gegend hat er seine erste Jugend verlebt (Bs. I,
807. 820).
i:i8 MOGK
VorluT sind hier dio goräiischo der elementc, dio stimmen der tiere
orwähnt. Sachgemäss geht der Verfasser nun zur spräche der men-
srluMi über. Diese ganze entwicklung hatte der Überarbeiter vor äugen,
als er jene worto schrieb, und da er nicht weiter darüber nach-
(hiclite, dass bei ihm erst folgen solte, was er in seiner vorläge gelesen
hatte, so fügte er jenes an und für sich ganz sinlose sem sagt rar
hinzu.
Forner heisst es (AM. II, 48^^fgg.; FJ. 51^^): / fyrsia hring
vru fiorrr stafer Es ist also von den spielplatzringon die rede,
von denen vorher gesagt ist: ok V hringar eni um pa stafi siegner edä
s'icitrr i maaL^ lueitL Die ganze stelle ist uns widerum volständig dun-
kel; wenn wir die Hgur im cod. U nicht hätten, wüsten wir gar nichts
mit ilir anzutangen. Sie sezt diese voraus und weist demnach schla-
ginid auf den vorrang von U hin. Ja am Schlüsse dieses abschnittes
k(*>iuion wir noch deutlich sehen, dass der Überarbeiter jenen ring vor
sicli gehabt hat, sonst könte er niclit sagen (AM. 52, 6. FJ. 52**^):
TitUir cru her sra rttadar sau i qdntm riixluetiiy da doch weder vor-
her uivlx nachher der //7/(ir erwähiumg getan wird. Auch das ganze
tlinfte kapitel (AM. II, 5G fgg. FJ. 53-- fs^.) sezt die zweite figur des
ihhI. r (AM. s. olK^. JF. 57) voraus und wird erst durch sie über-
haupt vorstiüuUioh.
Zum glück hat der überarWiter so ungeschickt gearbeitet, dass
i^ uns nicht schwer fallen kann, selbst ohne hülfe der kürzeren fas-
suui: den ivhtcn alten kern henuiszus^^hülen.
Ich tinde in der arlvit eine dreifeche quelle des Schreibers und
rwar:
U den konu welcher, vvni einigen nüsverständnis^m abgesehen,
iicmlivli :uit der kürrcrv^u f;issun;: üborvinstimt.
L*> iuteav^Uuionou, die ,^us dorn 1. tmkiate Äb;^?schrieben sind.
i^i K^«tcrkuno.n\ dc^ üK^nirtvitt^rs nÄmentiich am ein:jani:e und
s^'hlu>^\ welche durcli^^tv lUvnichsw.isheit enthalten und 3:u den
sf»mch>.v'!icu lvluo^kuu;^n^ jxis^cu wie dio &ust auts aage.
Ar.: kUrs:cu «ciiTt punit :?, dAS5> in d-^r ausfuhrlichen fiissung
utts^*rvT abhciudluu^ ctuc uN^n^rly i^H^dc h.*rul t;*::^ i^?wet?en ist Dass
der l. tmir^i: \u\ früher a*s dio *:irc^^ ;:^>>:»:: d-.^ ^J;c^ turnten zweiten
• >. > —
cu^i^^iridcc. *<:, s^ti: uttu-^^^sr.^c^sCioh tv^:. IViie >rini::in!i in versehie-
dcticr. sciicicr. ^^ort>,o:i uKr^^.u, o.v,v.^ ;;K'r:i:i>:i=:r::"^n^ i>t so gnxss^
viLfeÄi sie stvÄ u;;r j^-> .^ViSvhri:^ viv^^ cauu aus vi^^ci AÄC-:ni tckliren lüsst
UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. KDDA I 139
(AM. n, 52, 5. FJ. 52 2»): dazu aus dem 1. trakt. (AM. II,
Jiefer iituU eklci einkar eitli iil 38 2. VD. IS^^):
stafSy heUdr er kann til shjringar Titnil liefer emi elclä eäli til stafs,
ritx. eiin haim er J)o til skyndingar
ritx. (natürlich ist dies die einzig
richtige lesart).
Veranlassung, jene bemcrkiing einzufügen, gab das titlar ero sva
ritapir her sem i opmm ritxhcctti (AM. II, 367, g. FJ. 59 2^). Mit
diesen werten schloss regelrecht die erklärung der figur; ein weiteres
eingehen auf die titlar war nicht bezweckt, ja wäre überhaupt unan-
gebracht gewesen. Allein der schreibselige Überarbeiter ist noch nicht
mit jener bemerkimg zufrieden, dass die titlar eigentlich gar keine
biichstaben sind, er muss uns auch noch die etymologie des wortes
titidl geben, natürlich auch nur aus dem 1. traktate.
(AM. n, 38 ". VD. 13 1«.) (AM. II, 52, 4. FJ. 52 »o):
Titan heitir sol, en pada?i af er Sol heiter Titan, heiter paäan af
niinkat pat iiafn, er titulus er a tituhis i latimi, er ver kollum
latinu; titull kveäum ver pat er titiil, pat er sem litil sol, pviat
sem Ktil sol se, pinat sva sevi sol sva sein sol lysir heim allan, sva
lysir pars aar var myrkt, pa lysir lysir titull orä rett ritin,
sva titull bok, ef fyr er ritinn.
Nach diesem isidorischen erklärungsversuche, welcher sich in der
ersten abhandlung mitten in der erklämng der einzelnen buchstaben
befindet, fahrt der Verfasser von 1 mit der darstollung der einzelnen
buchstaben fort Das veranlasste auch den Überarbeiter der zweiten
abhandlung nochmals zu den buchstaben zurückzukehi*en. Er übersah
dabei ganz, dass er etwas zu pergament brachte, was er schon (AM.
n, 48. FJ. 51) im grossen und ganzen gesagt hatte. Bei dieser gelo-
genhoit fügt er noch eine bemerk ung über x und x (AM. 11, 54 ^.
FJ. 53*) hinzu und zwar widerum aus der 1. abhandlung (AM. II, 343
FJ. 129), ohne auch nur daran zu denken, dass sich diese nicht recht
in einklang mit seinen früheren werten bringen lässt
Es folgt ein neuer abschnitt, der abermals wörtlich aus der
1. abhandlung genommen ist
(AM. n, 30 1«. VD. 10 12.) (AM. II, 54 i«. FJ. 53 \)
Enn fyr pvi nu, at surnir sam- Enn fyrer px'i nu^ at stutier sam-
hUoäendr hafa sin Ukneski ok nafn hliodendr hafa sitt lilmeski ok nafn
ok iartein, en surnir hafa hofud- ok iartein, enn sumer Jiafa hofud-
stafs Ukneski ok fiafn ok iartein, stafs Ukneski ok skipat stqfum,
140 MOQK
en siimir hafa hqftidsiafs liknesld enn siimer i 7iafni ok aukit at-
ok skipat stqfum sumra i nafni kvceäi bceäi nafns ok iarieinoTj
ok aukit atla*cedi bcedi nafns ok enn siimer haUda likneski sinu ok
mrieinaVy en sumir haUda liknesld er po minnkat atkvcedi nafns
s^inu, ok er po minnkat atkvcedi peira ok tartein su, er ßeir skulu
jiafns peira, ok iartdji su, er peir bera i malinu peiri lik er i 7iafn'
shdo hafa i mälinu, skal peiri inu verdr; pa skal nu syna leiin
lik er i nafninu verda, pa skal bcedi likneski peira ok sva nqfn
nu syna leita bcedi lilcneski peira fyrer ofan ritud, at yfcr peim
ok st^a nofn fyr ofan ritin , at megi nu allt saman Uta er aaähr
yfir pat 7negi nu aUt samari Uta, var sundr latisUga um rcett
er adr var sundr lauslega um rcett.
Hierauf folgt in beiden abhandlungen das grosse und kleine
alphabot, in IL wie der hcrausgeber in AM. ganz richtig hervorhobt
,,non sine confusione.*'
Der vergleich der oben angeführten stellen bedarf wol keines
kommentars, um die herübemahme des Überarbeiters aus der ersten
abhandlung als tatsache hinzustellen. Schauen wir jezt auf die beiden
andern teile des überarbeiteten textes, auf den eigentlichen kern und
die theologischen bemerkungen des Verfassers. Auf den ersten blick
tritt uns hier ein auffallender gegensatz vor die äugen. Auf den kla-
ren, logisch strengen gedankengang der ursprünglichen fassung in U
machte ich schon aufmerksam; diese gedanken hat der Überarbeiter im
ganzen beibehalten. Wo sich ü mit W deckt, ist alJes rein sachlich,
die spräche ist edel, aber ohne jeden rhetorischen schmuck. Von einem
hinweis auf gott finden wir keine spur. Ganz anders der eingang und
der schluss der Überarbeitung. Bemerkungen ohne allen inhalt, Unklar-
heit, tautologien und rhetorische Wendungen, in denen der dichter sich
nicht verleugnet (man vgl. die bindungen skrfjddr ok pr^ddr, neyti ^*
njötiy limir ok lidir)^ eine breite, oft widerliche spräche, die öftere veir-
bindung coordinierter sätze durch eda statt okj dabei stete seufzer ^^
gott und zum Schlüsse das grosse halleluja auf den dreieinigen goti,
das ist das machwerk unsers Überarbeiters, durch welches er sich u^^s
zur genüge als einen wol gläubigen aber ziemlich beschränkten klerik^^
vorstelt Seine eigenen werte mögen zeigen, wes geistes kind er w^"'-
(AM. II, 44. FJ. 50.)
Nu fyrer pvi, at madrinn se skynsamlcgnm anda skryddr ^
pryddr, pd skilr hann ok greiner allra luti giqrr ok gl<^ggra, en anf^^^
kykvendi, pa neyti ok Jiioti pess lans med gudi, hiarta mannx k^^^'
ner allz ok vid hiartat liggr bcedi barki ok velendi ok andblasf^^^
UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I 141
dtäar renna par upp ok rcetaz bceäi pcer ceäar, er bera vind eäa
Ikstr, bloä eäa lioä, ok a annän veg horfa pcer sva, at pcer nuetax
xüS tungu rcetr meä pvi hverr er parf; renn ok rqdd upp fyrer hveriu
orfi. parf ok med oräi hveriu prior pessar greiner: minni ok vit ok
Ailrdng; minni at muna oräa aikvcedi, vit at hugsa hvat kann vill
nuekt, skilfdng til pess, hvat i byr oräunu?n.
Und weiter heisst es am schlösse:
(AM. n, 58. PJ. 54 10).
Osanna, seger hon (tungan), pat pydiz a vaara tungu sva: grced
Pu oss. En7i pat er a ebresku mcelt, ok stakk hana natturan til pess
fyrer pvi at hofi var fyrst ok gekk pa um aUan heim, pangat til er
ffiiä skipti peiyn, — Nu seffir par til, at henni potti hann vera styri-
fnodrinn, er hann sJcapadi hana ok af kristx nafni er kristnin koU-
tt^. Ver^ er kristner erum, koUum hann hofud vddrt, enn ver hans
Utner ok lidir, ok hans sonr er sa, er Jiann sejidi hingat i heim, ok
w er vddrr fader, en ver hans bqm, Var ok faderinn vcenligr til at
9homa sinum bqrnum sva sern bext gegndi; var pi ordit or messunni
W tekit, at hann vissi hverr lofsongr honum potti mestr framm fluttr
P^^sa heims vid sik sialfan, er par ok vaar hialp oü i folgin, er um
^^*w« pisl er rcett ok saar, er hann poldi a krossiiiwn helga er or rann
"<^t blöd ok vatn, ok i pi erum ver skirdir, er rett truum a abnattk-
^^ gud. Ok pat hans hoüd ok blöd, er i messunni er framm flutt,
^ vart famest, pa er ver forum af pessum lunmi, Nu skal pat vaan
^oar at vcetta pess at sva fremi farix oss vel, er sva verdr sem härm
'^fer fyrer sied, at bcedi se at hann er i fqr med oss ok ver med
'^^^um, pa er ver forum heim til fodurleifdar vaarar; ok pa er hann
'^^fer sHpt sinu Udi sier til hregri hmidar epter domsdag, pa skulum
^^^ hefja upp alleluia fyrer pvi at pat er cigi iardneska sqngr; syngin
-^tta pa aller sanuin tiu fylki guds engla ok maiuui, pa er almattigr
9u^ ferr medr sina ferd heim i himinrikis dyrd ok skulum pa una
* ^fellu sva at aUdri skal epter verda 7ned gudi almatkum par sem
^nn er €8 ok ce med fear ok syni ok helgum anda, sa er Ufer ok
^fer einn gud of aUar aUder veraUda. amen.
Die aogef (igten stellen glaube ich genügen, um mein urteil über
^ou Überarbeiter zu rechtfertigen. Hervorgehoben sei nur noch, dass
^ie bemerkungen über das Ösanna und das Alleluja aus Isidor (Orig.
^I| k. 19) geschöpft sind, alles andere ist zweifelsohne mach werk des
wenirbeiters selbst. Von all dieser theologischen Weisheit hat die kür-
zere fiissung in ü kein wort Wenn wir nun auf der einen seite die
^ tatsaehe erwiesene herübernalmic aus der ersten abhandlung im
142 MOQK
auge behalten, dazu die volständige verscliiedenhcit auch der anderen
stücke, auf der anderen seite aber hervorheben müssen, dass von allen
diesen die fassung im cod. Ups. nichts hat, so glaube ich, liegt es auf
der band, wo der ursprüngliche text unserer abhandlung zu suchen
ist Auf diesen werden wir aber auch geführt, wenn wir endlich noch
den kern in der ausführlichen fassung mit der kürzeren vergleichen.
Bereits die oben betonte tatsache, dass die fassung in W die in
U voraussezt, muss uns für leztcrc handschrift einnehmen; weitere oft
ganz widersinnige auffassungen und änderungen nötigen uns für immer
mit der ausführlichen fassung zu brechen.^
AM. n, 48 7. FJ. 51 12 heisst es in W:
Äfudrifui er leikvoUr ordarma, en tungan styrid,
U hat nur:
Mvprinn ok Uingan er leikvoUr orpanna,
Lezteres ist das allein richtige. Der Überarbeiter von W ist ganz aus
dem bilde gefallen, indem er auf den Spielplatz auf einmal das schife-
steuor bringt, denn nur dieses bedeutet st^ri. Doch selbst angenom-
men, styri sei an unserer stelle das holz, mit dem man den spielball
zu schlagen pflegte, das knatttrö oder die knattgiMra, wie es einmal
in der Grettissaga (s. 27 ^^) heisst, so zeigt doch der ganze Zusammen-
hang, dass dies hier unangebracht wäre: Auf der zunge spielen die
feststehenden „buchstaben" gerade so wie auf den lippen, und der
gaumen ist nicht weniger tätig als diese beiden teile unserer sprach-
workzeuge.
Nach der ei-ston figur (AM. s. 367. FJ. 57), welche sich ja nur
in U befindet, auf die sich aber der text beider fassungen beruft, heisst
es in W (AM. 48^. FJ. 51 1»):
7 fyrsta hriug eru fwrer stafer, er heiia hofiiästafiry pa ^na Hl
ei?tskis atmars vyia, eint rem npphaf ok fyrer oärum stqfwm p, r
(so heisst es natürlich für das handschriftliche y). h. q.
In U dagegen haben wir (AM. 366 i. FJ. 58 i):
/ fyrsta hriiiy ero IUI stafir; pa ma iil e?iskis annars 7iyta en
Vera fyrer olrum stoftint —
Aus vei-seJH^n liutti» nun der ursprüngliche aufzeichner oder der
Schreiber d<»r vorhige von U die an dieser stelle notwendigen buch-
1) l<h kaiii) inirh hi<T otwns kürzer fassen, iudem ich auf die gründliche
iK'lKMU'inaiulrrstollmip: v«m V, .IniiKHon s. XVI fj^^. verweise. Es sind hier hauptsäch-
lich <lio htnllrn tuMauH^n^rifTon^ dio K. .). nirbt l>orührt oder, die ich anders aufzufas-
sen p>zwunK««n liin.
f rUTEBBITOBUNOW «ÜR SH. ECDA T M3
PÄben p. P. h. q weggelassen und sie untui- dorn ninenzekhen f an
4en rand goBchrieben. In dem una erhaltenen cod. U sind sie aber
felscli eingetragen und eine zeile zu tief gekummen (ein recht clmrak-
I teriatisches beispiel fiir den flüchtigen und gedankenlosen Schreiber von
LH!). Dabei hat der Schreiber von U niebt nnterlassen, in seiner fnbr-
■ lisaigeD weise auch das f mit in den text aufzunelimen. Auf stofum
■ iffliss also folgen: p. v. h. q. Dies gibt allein sinn und recht guten
sinn. Die note zu AM. II, Stiö: „p, h, q ad prinium, f ad secun-
JuiH, y ad tertiura circulum pertinet" ist ohne sinn, Dass die rune hier
nicht am platze und einfach dui-cb jenes schreiberverseben in den text
gekommen ist, üegt auf der band. "Wie aber dieses zeichen gebraucht
. wurde, um versäumtes nachzuholen, zeigt z. b. die Konungsbiik der
L Orägis [Grdijds III. Sfißker, som fimlrs i AM. 351 fg. usw. s. 483). Und
^M£8 man ^ — ao hat die handscbritt — nicht als bilabiale tünende
r^Kms autTasste, ist nicht recht veratändlicb, da ja diese Schreibweise
füf I' in den isländischen Handschriften ziemlich oft vorkomt (vgl, z. b.
ß'slason, Um fruraparta s. 61 fgg-).^ Prüfen wir nun aber die stelle
*uf ihren Inhalt hin. Nach W sollen sich h, v, p, q nur im anlaut
ood vor anderen buchstaben finden. Das ist unrichtig, denn in allen
''WdscJiriften können wir ?? und q — ^bleibe zunächst noch bei seile —
Lwch im inlaute finden, [Oislason a. a. o. s. 61 fgg. S2 fgg). Es kann allein
Bpch U heissen: p, k, v, q finden sich nur vor andei-on buchstaben,
H^h. sie kommen nie im auslaut vor.* Dass aber der üherarbeiter von
Bp gerade auf das vera iipphaf einzig und allein den ton gelegt hat,
■Oweist das folgende, denn er bringt durch diese auffassung einen zwei-
Md Unsinn in seine arbeit, der sich auch in den folgenden teilen soi-
Hbt übenirbeitung widerfindet. Da nämlich unser kleriker von der
^fcnahme ausgicng, dass jene laute nur im anlaute vorkommen, bczeiclinet
B m als hqfmhlafir (er fietla hofadslafir AM. II, 48 >». FJ. 51 '^).
Hnid als er nach einer stelle aus dem 1. traktate (AM. II, 52i. FJ. 53>)
Bm sich selbst abschi-eibt, widerholt er diese auffassung, die er höchst
^•hrscheinlicb aus der 1. abhandlung erschloss, ohne dabei zu nier-
Hki, dass kqfiKtslaff in dieser eine ganz andere bedeiitung hat. Hier
WP^ DÄmlich das Wort duR'hweg die bedeutimg „majuskel." Der über-
^P^ter wirft also den buchstaben, der nicht im auslaut stehen darf,
^P Uem zusammen, der nur im anlaut vorkomt, er vermischt weiter
^B I) VgL da^a Fiunur JÖDsaoa (s. Ol fg.)> <ler sich älinUch ausspricht.
^H 2) Brenner betont ebeafnis (n. a. o. s. 275), dass unsere stolle auf nichts andc-
^VblndeotH, als auf dio imflihigkeit dieser rior baehstabfn ,im wurt- (und silbou-)
^Pl«Uti)* KU stehvn.
144 HOOK
konsonant im anlaut und majuskel — gßnug Zeugnis, dass er sei
für die einfiiclisten dinge wenig Verständnis hatte. ^
AM. n, 50 1^. FJ. 52 s heisst es: a i o y, pesser giora eh
saman mqrg orä, efin skamt mal giqra peir sialfir. — Die vier vok
a, i, 0, y fehlen in ü, mit vollem rechte, denn:
1) alle vokale — pesser geht auf die laute im dritten ringe ^
figur — können ein wort ausmachen, nicht nur jene vier;
2) W komt mit sich selbst in Widerspruch, da es später wie U ai
y, ^, ey (ei) unter den beispielen anführt
Das widersinnige af hneigingtim (AM. II, 52 ^ FJ. 52 ^') in
ist schon von Rask nach U verbessert
Dass AM. II, 525. pj. 52 is überaU die einfache majuskel für
verdoplung steht, ist auch nicht richtig, wie widerum die figur i
jede handschrift aus dem 13. Jahrhundert zur genüge zeigen. U hat
vonloplungen richtig.
So zeigt sich fast an allen stellen, wo die frage an uns her
tritt: welche fassung enthält das richtige? dass U nicht nur die ri
tigo, sondern überhaupt die einzig mögliche lesart bietet. So lai
man aber dies nicht erkant hat, wird man weder dem Verfasser auf
spur kommen, noch die bedeutung der abhandhing begreifen. "^
müssen dieselbe volständig aus der gemeinschaft der grammatiscl
abhandUingon, in die sie nur der mönch von j^ingeyrir gebracht hat, 1
trennen und sie mit ü als teil des werkes betrachten, dem sie all
angehört, der eigi^ntliohen Edda.
n Fiunur Jonss(>n nimt dio losart von W in den tcxt auf (s. 63"), jedei
im lüiiUliok auf dio umiirstafir ((ftö*)« d. i. dio konsonxinten, die nicht im anl
stohon diirfiMK U^fmUiafir komt in der nordischen spräche in zwiefacher bedeut
vor: im ersten );ramm«tisi'hen traktato als majuskel und in Snonris Battatal
hauptstah di^si halhvers|Miar\'s« der in der skaldi^ndichtung den zweiten halb
U^nt und d\Hi stahrtnm der Mden versliiüfton Whers^*ht; nach ihm richten sich
j(/M(t/*ir (Mtdnus« Huttat. 11, l ** ^¥<^ Ini einen wie andern üiUe haben wir spn
lieh nehti)^^ tusanuuens^'tiiungtnK denn k^fmt- als erster teil der composita bezc
net StAvol die rftvuuliehe jnx^ssi* als auch die hervorragende Stellung, die der z^
teil der xusammeiisetJiuii): in S(>iner gattung einnimt. Andei^ stände es mit der er
nuii; d«v< ky^/nd^Uifr \\\ der voriiei^K^nden al^andlum:, selbst wenn wir das ^
üln^rs^^tten Konten .buchstalv, der nur in» anlauu^ votiomt.* Dann konte einer
vier IniehstaUn» d^n^h nur Av»/Vntv/*i/V der buv'hstaben des wertes sein, an dö
spitjie er st^^ht. Wt jinlivt ändert^ wert hstti* einen andern ki^fitdftafir and wie
buohstaU'U UM>H'hti^9 mud, an der siutx«'' eim>cii wx^rt» zu stehen, so viel wireo a
U»tvvUli4;l, Av/WttsM/M' i^Mwint tu >Ävrvk^K
UNTERSUCHUNOEN ZUR SX. EDDA I 145
Der Verfasser der abhandlung und ihre bedeutung.
Das sicherste zeugnis, dass das ganze corpus eddicum von Snorri
Sturluson oder wenigstens unter dessen ieitung verfasst ist, ist unzwei-
felhaft die älteste Überlieferung selbst; es sind die schon oft citierten
werte, welche an der spitze der Upsalaer handschrift stehen und vom
Schreiber des codex oder wol eher von dem seiner vorläge herrühren:
Bök pessi heitir Edda, Hana hefir samanmtta Snorri Sturluson
epiir peim h^tti, seni Mr er skipai: er fyrst frd dsum oh Ymi,
parmest Skäldskaparmdl ok heiti margra hliita, sUtast Hdtfntnl,
er Snorri hefir ort um Ildkon konuny ok Skala hertoga.
Dies unzweideutige zeugnis konte man nur über die achsel ansehen,
so lange man annahm, dass die interpolierte gestalt der Edda die
ursprüngliche sei. In Deutschland dürfte wol jezt die irrigkeit dieser
aJinahme bei allen feststehen, die sich eingehender mit Eddakritik
beschäftigt haben. Für Skäldskapamial hat es Müllenhoff (DAK. V,
s- 177 fgg.) zur genüge gezeigt, nachdem ich bei Gylfaginning (PB.
Beitr. VI, 499 fgg.) und Hattatal zu gleichem resultate gelangt war
(Zs. f. d. phiL Xm, 238 fgg.). Was sich für diese drei hauptteile der
Edda ergab, zeigte aber auch die eben durchgeführte Untersuchung für
den abschnitt, den man als grammatischen traktat aufzufassen pflegt.
^uu weiss aber der cod. ü nur von jenen drei hauptteilen der Edda,
^*^ss sie Snorri zum Verfasser haben; von den sprachlichen erörterun-
ff^u erwähnt er nichts. Dass diese aber nicht besonders hervorgehoben
^^^d, hat bei näherer betrachtung seinen guten grund.
Abgesehen davon, dass der Schreiber der Überschrift, wer er auch
S^ Wesen sein mag, jene wenigen seiten leicht als nebensächlich über-
sahen konte, scheint er dieselben gar nicht als abgeschlossenes ganze
^^tfgefasst zif haben, sondern als teil desHättatals, der zu diesem ebenso
^^höre, wie der formäli zur Gylfaginning, oder die erzähl ung von dem
^Sttergelage beiiEgir zu den Skäldskaparmäl. In diesem falle brauchte
^1" aber jener sprachlichen erörterungen ebensowenig erwähnung zu
tlin, wie dieser einleitenden bemerkungen oder erzählungen. Dass aber
0er kern dieser kapitel denselben mann zum Verfasser hat wie die
Qbrige Edda, l^n verschiedene erwägungen mindestens sehi* nahe.
Alle teile der Edda, welche mit ziemlicher bestimtheit Snorri zu-
geschrieben werden, beginnen in katechetischer form; dass dieselbe
nicht bis zum Schlüsse durchgeführt ist, beweist wie so vieles andere,
dass Snorri sein hauptwerk in unfertigem zustande hinterliess. Dem
entsprechend beginnen auch unsere kapitel mit <ler frage: hvai er
ZKITOCHHIKT F. DBÜTSOHK PHILOLOOTR. BD. XXII. 10
140 MÖGE
hljödsfft'ein? die antwort und die weiteren fragen und antworten ent-
sprechen ganz dem eingang des Hättatals^
Femer zeigen die wenigen Seiten, soweit wir sie mit ziemlicher
bestimtlieit dem Snorri zuschreiben können, dieselbe klarheit im aus-
druck und dieselbe. beherschung der muttersprach e. Ellipsen, die uns in
den übrigen teilen der Edda so oft entgegentreten, wie svä ok, sem her
u. dgl., finden wir auch hier. Ein weiterer umstand komt hinzu. Man
hat es auffallig gefunden , dass unsere bemerkungen so weit ausholen und
mit dem einfachen naturlaute beginnen. Aber gerade das ist, was ganz
entschieden für Snorris Verfasserschaft spriclit Alle seine werke begin-
nen ab ovo: die Heimskringla, wie schon der narae sagt, mit dem
erdkreise und führt dann mit den aus Asien eingewanderten äsen hin-
über zur geschichte des skandinavischen nordens; die Gylfaginning mit
der Schöpfung von himmel und erde; auch hier führen die wanderungs-
sagen hinüber zu der götterlehre der alten nordländer; die Skäldskapar-
mäl beginnen mit einem gelage, das der meeniese -^gir gemeinsam
mit den göttern hält, und hierbei ist es der späte dichtergott Bragi
selbst, der jenen in die geheimnisse dichterischer Umschreibungen und^
ausdrücke einführt Auf ähnliche weise beginnen die vorliegendeiM.
bemerkiuigen mit dem einfachsten tone der demente, gehen dann zunm.
laute der tiere über und von diesem auf den laut der menschen, deMr
der einfachste bestandteil seiner spräche und dadurch auch seiner dicht —
kunst ist
Nicht ohne bedeutung ist auch die benutzung der abhandhmgj"
und die art derselben durch Olaf pördarson, dem lieblingsneflfen de^*
grossen forschers, der in Snorris sinne die wissenschaftlichen plane de^s^
oheims fortsezte. Dieser hat ausser anderem auch unsere abhandlun^
benuzt Es heisst doch den Sachverhalt geradezu auf den Jcopf steller
wenn man ohne triftigen grund die zweite abhandlung gleichsam eii
echo der dritten nent
1) Mülionhoff (a.a.O. s. 167 anm.) sagt: „durch die frage hta erd hliMsgreiff ^
mit dor antwort frenn hrer schoiut allordings der anfang in u der katochetisclie «^
form dor Edda ango|>asst zu soin.*^ Diese auffa.ssuug ist mir nicht recht vorstäudlict» -
Nach prenn gehört natürlich ein puukt und nach hrer ein fragezcichen, sodass wi"*"
hier denselbou eingang wie im Hattatal haben: Hrat er seininy fuittaY frenn. Hrer" ^
tala ok- yrein. \\\mn die katechotisohe form nicht foi-tgeführt wird, so kann di(
diH^li nielit die unurspningliehkeit erweisen, denn auch in Skm. und dem comment
zum Hattat. ist sie nicht l»i8 zum ende durchgeführt Ja die katechetische for^'^^
weiter zu fühn»n, wiiw nicht einmal angebracht gewesen, da die ausführung ül
die divi arten des lautes elH»n ilie antwort auf die zweite frag<* ist.
UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I 147
Es steht zunächst fest, dass II und III' (d. i. der grammatische
teil von III) auffallende Übereinstimmungen haben, die nur aus gegen-
seitiger oder gemeinsamer entlehnung sich erklären lassen. Ich komme
\\XTZ auf diese zu sprechen, da sie auch für Snorris bemerkungen (11)
nicht ohne Interesse sind.
Wie n mit der frage begint: Was gibt es für arten des lautes?
so geht auch Olaf vom laute, kljöd, aus (AUt er hljöd, pat er tim
hikrefidis eyru 7nd skilja Björn Olsen s. 33 2), und die Überschrift in
der ursprünglichen fassung, in der handschrift AM. 748. 4®, lautet:
dt grehia fdjöä. Als laut fasst 6M demnach alles, was man mit den
ohi^n wahrnehmen kann. Ganz dasselbe versteht ja auch der Verfasser
von n unter hljöit Dann geht Olaf auf den verschiedenen Ursprung
rfes tones ein und zwar zunächst auf den ton lebloser gegenstände.
Br unterscheidet dabei bewegliche und unbewegliche dinge, die töne
eizeugen; zu ersteren rechnet er wind und wasser, zu lezteren steine,
wetalle und saiten, die durch berührung mit anderen gegenständen
^uien ton hervorbringen (s. 34). Dazu vergleiche man die werte in 11:
P^i er ein greift hljöds, er Pytr veär eäa vatn eäa srer eäa lyjqrg e(ta
)P^^ eäa grjöt hrynr. Dann wird auch hier weiter erzählt von dem
tone, er malmamir gera und endlich: pat gern hqrpurnar. Wir
s^hen also dort wie hier ganz dieselbe gliederung.
Die zweite art des tones bringen die lebenden wesen hervor. In
beiden abhandlungen folgt dies auf jenes.
IX. (AM. n, 36410. FJ. 62 "). III. (AM. II, 64. B. 0. 35 »i).
^^nur hljöäs grein er sü, sern Af Ufaiidi hlntnm peim, er skyn
f^^Qlarnir gera eäa dyrin ok sa hafa, veiär ammt hljöä, pat er
Mf^ivindi; pat heitir rqdd. rqdd heitir.
Während darauf aber II in der darlegung der stimmen der tiere
fortfährt, knüpft der Verfasser von III* nach einigen bemerkungen über
<lie Sprachorgane, die ebenfals II entnommen sind, die erklärung der
flVox" nach Priscianus an (35 3* fgg.). Hierdurch ist auf eüimal Olaf
zu der spräche und durch diese zur schritt geführt; er gibt erklärun-
^^ beider nach seiner lateinischen quelle; wie er so plötzlich zu die-
^^ gekommen ist, geht aus dem inneren zusammenhange nicht her-
^^^\ sie erklären sich nur aus dem Wechsel der quellen. Mit Priscianus
^^ er auch zu dem stafr gekommen, dem buchstaben, als dem klein-
^öJX gliede der spräche und dem grundpfeiler aller dichtung^ Ganz
1) Dass Olaf wie Snorri den gospi^ochcnon laut und das fresclniehonp zeichen
^'Umonwirft, darf uns nicht wunder nelimen.
10*
148 MOOK
anders in II. Auf den laut der tiere, der hljoä und rqdd zugleich ist,
folgt die spräche der menschen, die in sich hljöä ok rqdd ok mal ver-
einigt; die unzertreniichen begleiter dieser sind gedächtnis und ver-
stand.
Wir sehen also, dass nicht nur 11 und III gleichen ausgangspunkt
haben, sondern dass sie auch ein bedeutendes stück neben einander
marschieren, und zwar so lange dem Olaf seine lateinischen quellen
keinen stoff gewähren. Schon hierin liegt, dass U auf keinen üeüI III
benuzt haben kann: dort geht die klare entwicklung ununterbrochen
fort bis zum ende; der einmal entworfene gedanke wird durchgeführt
Hier dagegen wird er abgerissen und ein neuer angeknüpft Aber
die beiden arbeiten II und III haben wol auch nicht eine gemeinsame
quelle gehabt Wäre dies der fall, so müste sich diese mit 11 im hin-
blick auf dessen logische entwicklung decken. Ich kann aber beim
besten willen nichts ünden, was diese annähme stützen könte. Kein
wort spricht dafür, dass in II ein alter lateinischer grammatiker benuzt
sei. Björn (Msen hat dies wol behauptet (Om Buneme s. 70), aber mit
keinem worte zu beweisen gesucht Auch für eine gemeinsame islän-
dische quelle lässt sich nichts vorbringen. Dass hljöäsgrmi im ein-
gtuige von III^ also in den teilen, die im ganzen mit II übereinstim-
men, in derselben bedeutung vorkomt wie in 11, während es in den
späteren abschnitten das Priscianische icNor widergibt, dass Olaf /üjäd-
stafr ebenfals im eingange einmal als heimischen ausdruck für vokal
gebraucht, während wir sonst bei ihm als Übersetzung des lateinischen
„vocalis*^ raddarstafr und der „consonans^ liamhljwlafidi finden, beweist
diK^h wahrlich nicht, dass die Übereinstimmung aus gemeinsamer vor-
hige sbunmon niuss*. Wanun soll sie der Verfasser von UI nicht auch
aus II halH'n nehmen können? In II sind die einmal gewälilten gram-
matischen ausdrücke bis zum ende gleich, sodass auch von dieser seite
die abhandlung ihriMi einheitlichen Charakter bewahrt — Dagegen
spricht alles dafür, dass II von i.Maf in III' benuzt worden ist: im
anfangi^ folgt die einloitung von III' II treulichst, sobald aber mit der
erklärung der spräche die lateinische quelle da ist, springt der Verfas-
ser von II ab und folgt dit^ser fast ausschliesslich, abgesehen von den
n /»##«<i<5/i\ das Hjiini (.>Ison olnMifals für soiut' ansieht anführt, beweist eben-
Koweiii^. !n !11 Ihult^t si»*h stets /«min^/i* iKler das griei^h. diphthongos der vorläge.
Nur einmal (s, 47^) heisst es: (itrtir hilla fctnn siaf fiipJ$tkonffon, ßai er tri'
kijöitr «I HornrtM /««»lyf«. l^ies»^ >telle ist al»er eine einfache übersetzong von Pri-
vrinns (1 (\rHM: IMphthonp aiitem dieuntur« t|u«Hi binos phthongos, hoc est voces,
i^mipivheiiduiit.
UNTERSÜCHUNOKN ZUR SN. EDDA I 149
abschnitten über die runon, wo er andere quellen ausschreibt. Die
zweite abhandlung ist in ihrer ursprünglichen gestalt ein einheitliches
werk vom anfang bis zum ende, (3lafe ein zusammengetragenes; jenes
entspricht seinem Charakter nach ganz der Edda in ihrer ursprünglichen
gostalt, dieses ganz dem überarbeiteten texte, jenes hat nationalen,
dieses humanistischen anstrich. Ich trage daher kein bedenken in II
die quelle des ersten teiles der (3lafschen abhandlung zu finden und
hierauf einige weitere Schlüsse zu bauen.
Fragen wir uns, wie hat Olaf seine aufgäbe im ersten teile seiner
sprachlichen abhandlung gefasst und was muss infolge dessen seine
ansieht über II gewesen sein? Hierüber kann nach seinen eigenen
Worten, wie sie im 5. kapitel (BO. s. 51) vorliegen, kein zweifei her-
schen: durch die Verbindung gleicher consonanten mit gleichen oder ver-
schiedenen vokalen in je zwei Wörtern entsteht die hendiny^ d. i. der
reim (binnenreim); ihm ist also die ganze abhandlung über die buch-
staben der Wegweiser zum Verständnis der dichtkunst, über die er im
zweiten teile seiner abhandlung (IIP) Untersuchungen anstelt. Das
metrische berührt er dabei nur ganz oberflächlich, weil es schon im
HÄttatal und dem commentar dazu genügend erörtert war^; ihm kam
es mehr auf die dichterische spräche, die poetischen figuren u. dgl. an,
die einzige seite der dichtkunst, die Snorri in seiner Edda nicht behan-
delt hatte, und so solte seine abhandlung diese gewissemiassen ver-
volständigen. Da nun Olaf sprachliche und grammatische darlegungen als
Vorstufe der metrischen für nötig erachtete, da er weiter sich fast überall
bei seinen arbeiten Snorri zum vorbild nahm, da ferner von ihm II
offenbar benuzt ist, so liegt der schluss nahe, dass er auch hierin sei-
nem vorbilde folgte. Er fasste die dem Hättatal vorangehenden kapitel
als einleitung zu diesem, und nach alle dem, was wir über das Ver-
hältnis von Snorri und Olaf wissen, sind wir zur annähme berechtigt,
dass er diese aufTassung Snorris eigner porson verdankte.
Zu all diesen inneren gründen, die dafür sprechen, dass Snorri
der Verfasser jener einleitenden kapitel ist, tritt ein äusserer, der uns
zugleich aufklärt, wie dieselben entstanden sein mögen.
Die kapitel haben in der alten Upsalaer handschrift die Über-
schrift: her seffir af setningo hatta lyckilsins (Sn. E. II, 364). Finnur
Jönsson verwirft dieselbe. Overskrifteii kann ikke vcere rigtig (s. 87) —
1) Vgl. Sn. E. II, 148. B. 0. s. 96: petta k(^Uum rer ad/ilJi4*ndifigar i skdld-
skap ok taka af ßessi figüru upphaf ßeir hfettir, er vieä hendingutn cm saman
settir, ok hreytix ßat d marga vcga, sein finnax man l pci hdttatah\ er Snorri
hefir ort.
150 MOOK
und dann folgt eine erklärung, dio meines erachtens ganz haltlos ist
Von seinem Standpunkte aus kaim sie allerdings nicht richtig sein,
aber schon der umstand, dass doch sonst in U die Überschriften richtig
sind, hätten die frage nahe legen sollen, ob der folgende Inhalt mit der
Überschrift sich doch nicht zusammenbringen lässt. Gewiss findet sich
in den kapiteln kein wort über die hcettir, aber unmittelbar nach
ihnen, ohne irgend eine Überschrift oder ein zeichen, dass hier ein
neuer abschnitt anhebt, folgen die anfange der ersten 36 visur des
HÄttatals mit den namen der einzelnen hcetiir (abgedruckt Sn. E. II,
369 fgg.)i ^in imistand, der nicht übersehen werden darf.
Wir wissen, dass das gedieht Hättatal zunächst als ein „von sei-
nem commentare unabhängiges und durchaus selbständiges werk*' (Mö-
bius, HÄttat I, 19) um das jähr 1222 entstanden ist Der comnientar
ist zweifelsohne später und nur zum geringen teile von Snorri selbst
verfasst Wenn wir nun hier die stophenanfange noch ohne commentar
und nur mit aufzeichnung der namen der einzelnen hcettir haben, so
muss diese niederschrift vor die entstehungszeit des commentars fallen^
ja ich glaube, dass sie der erste entwurf zu diesem ist Wir wissen,
dass Snorri abs^^hnitte der Edda nicht selbst aufgezeichnet, sondern
unter seiner leituns: hat niederschreiben lassen *. Das scheint auch hier
der fall gewesen zu sein. Snorri hatte einem seiner schaler den plan
über die erkläning des HÄttatals entworfen und den eingang, einige
bomerkungen über laute und die spräche als den gnindpfeiler aller dich-
tung, selbst ausgeftihrt. Dies solte der sehüler weiter spinnen und dann
zum ovmimentar des gedichtes übergehen. Lezteren wusste aber der
be«rboiter nicht recht anzufa^en und so b€^ügte er sich anfangs mit
aufzeichnung der strv>phenanfange und der namen der htetiir, bis ihm
der meister den weg weiter wie^ Und wie die ganze Upsalaer band-
s^*hrift eigentlich mehr ein Sammelwerk bald mehr bald weniger aus-
geführter entwürfe ist als ein zusammenhängendes ganze, so fiind auch
dieser en>ti^ entwurf aufnähme, der jetlenfiüs eine ganz andere gestalt
erhalten hätte, wenn Snorri die lezte band an das grosse werk seines
lebens gelebt hätte.
HaKui wir s^» in grv^ssen umrissen ilie entstehungsgesehichte der
einleit^^nden k^pitel div i\nnmentars zum IIättat;il zu entwerfen ver-
sucht, sv> trin als woiterv^ t'nigx* an uns hemn: L*s?t sich in luiserer
&SSUUÄ: eine dopivlre arbeirsw ois^^ orwois<*n> Ich glaube, diese frage
b^^)ahon ru iuü:>s^"n.
l- V^:. x X AU.h iv u;vr>i^■^!•.r> :a AM. TiS ■<:•. K IL 4'JS': — fri sem fyn'r
UNTERSUCHUNGEN ZUH SN. EDDA I 151
Die erklärung der viereckigen figur (nr. II) zertalt offenbar in zwei
teile, deren zweiter von den worten Hör stmida (AM. II, 369'-* fgg.,
FJ. 65, 27 fgg.) bis zum ende geht Finnur Jönsson hat den ganzen
abschnitt eingeklammert und ihn als späteren zusatz imd als eine wider-
gabe des ersten teiles bezeichnet (s. 96). Dagegen hebt auch Brenner
(a. a. 0. s. 280) mit vollem rechte hervor, dass man das vielmehr vom
ersten teile anzunehmen berechtigt sei, da der zweite ein ungleich kla-
reres biid als der erste gebe. Wenn wir beide teile ganz vorurteilsfrei
lesen, so werden wir sofort erkennen, dass beide dasselbe sagen, dass
beide eine erklärung der figur geben; in beiden teilen werden die con-
sonanten mit tasten, die vokale mit densaiten der simphonie verglichen,
in beiden ist von einem reissen und stossen der saite durch die tasten
die rede. Nur ist der zweite sofort volständig klar, während der erste
an verschiedenen stellen rechtes kopfzerbrechen macht. — Das erste wort
des zweiten teiles ist Mr, Dies weist auf einen ganz bestimten punkt
hin, und dieser kann nur die buchstabontabelle sein. Dieser rauss
sich femer unmittelbar vorher befinden, und selbst die offenbar gesuch-
ten flickworte am Schlüsse des eisten teiles (seni nü er ritat dar i
siafa seininginni) ändern an diesem logischen zwange nichts. Dem-
nach gehört der zweite teil von haus aus unmittelbar nach der figur:
mit seiner hülfe wird uns erst der erste verständlich. Dieselben män-
gel, die der erste teil der erklärung der viereckigen figur hat, zeigt
aber auch die erklärung der ersten figur. Diese beiden abschnitte sind
es, die allein in der ganzen abhandlung Schwierigkeiten bereiten, und
die prüfung wird zeigen, dass ihr Verfasser weder ein klares bild von
seinem spiele gab noch von der simphonie hatte. Nun schliesst der
teil, der von den lauten und der spräche im algemeinen handelt, mit
den Worten: Mitärinyi ok tungan er leikvqllr ordanna. Apeim velli eru
rdstir siafir peir, er 7näl aüt yera, ok Jiendir mälit prisa svd til at
jafna sem hqrpustreiigir eda eru IpUr lyklar t simphonie. Hier ist
wo! der mund mit dem spielplatze der woi*te verglichen, aber ein ver-
gleich des Spieles der buchstaben untereinander, sodass daraus die
werte oder silben entstehen, ist nicht angedeutet, sondern ausschliess-
lich der vergleich der spräche mit der musik der simphonie. Knüpfen
wir nun an diesen schluss unmittelbar die quadratische figur und daran
die zweite erklärung derselben, so haben wir einen zwar kurzen aber
klaren abriss über den laut, die stimme und die spräche, deren kleinster
teil der „buchstabe" und die hending, d. i. die Vereinigung von min-
destens einem vokale und einem consonanten ist. Geschrieben aber ist
derselbe im hinblick auf die hending, wie ihn auch Olaf pördai*son
152 MOGK
aiifgefasst hat, und ist somit berechtigt, als die einleitung zum com-
montar des Hattatals bezeichnet zu werden, der in seinem eingange
die«e darlegung voraussezt^ Und diesen ent>vurf dem Snorri abzu-
sprechen, liegt nicht der geringste grund voi:.
In dieser gestait mag Snorri seinem scbüler den eingang zum
commentar des Hattatals übergeben haben, vielleicht mit der bcstim-
mung denselben zu erweitem, wo er es nötig erachte. Schon die bemer-
kung über die fähigkeiten der vögel mag auf dieses rechnung zu schrei-
ben sein. Vor allem aber fühlte er sich durch den l^kvqllr orßanrta
veranlasst, zu dem schon von Snorri niedergeschriebenen vergleiche
einen zweiten zu entwerfen und mit ziemlicher Unklarheit auf kreis-
rundem spielplatze — eine form, zu der wol der mund veranlassung
gab — die ^buchstaben^ untereinander ball spielen zu lassen. Etwas
abseits vom wege ist es um des Vergleichs willen geboten, einen blick
auf die altnordischen baispiele zu werfen, die heute längst vergessen
sind, aber im mittelalter eine bedeutende rolle gespielt haben ähnlich
wie die ritterturniere auf deutschem und romanischem boden.
Fast in allen bezirken Islands, vielleicht auch in Norw^n, be-
fand sich ein leikvqllr, ein Spielplatz, auf dem die balspiele statzufinden
pflegton-. Diese hiessen nach dem balle, der aller Wahrscheinlichkeit
nach aus holz war, knattleikar. In der regel fanden dieselben zur zeit
dos herbstes ixior winters statt *\ Der IcikroUr war meist das eis des
meorbusons der gi^^nd oder eines binnensees*. Die tage des Spieles
waren algi»meine festtago; aus der ganzen gegend strömten die leute
herbei *\ von den hügeln lun strande schaute das weibliche geschleclit
zu und verfolgte mit regem Interesse das spielt
Bc^nnon nach den nötigen Vorbereitungen die spiele, so teilten
sich zunächst die spielenden in zwei parteien: gewöhnlich war dabei
1^ llHttat. (Mob.) !K 1 **: ^afastttiit*^ pcrir »mU aW, eu Mjodsgrtin er ßat,
ai hofh srtM^ftofttr usw. M-hoint uninittollmr an die s«i*h1osswortc dos ciDganges anzu-
sohlh^ti^on. Vgl. aurh Mohius' U^morkunp^n xu 11. 41. Ohoe hier näher darauf
oinzup^hou, soi uur anpvUnitot. dass ich auch den ersten entwurf des commentars
für Snorris arheit haltt».
1^) Vas. IL s. 407»**.
3> Fs. (I|i '»: (I finu ktiHst^imri: oM. 80-*. Eyrh. s, TT"». Eg. s. (Rkv. 185«»
77*': ci ^mirrnhtm rrtn\
i\ (y\x\\\^ s. 4:>'*: CI Ihii'skjaßantor K<i: Tinnt. §^27*": «i Midßardarratni;
Gisl, s, '^i*: II fji^'t^ f^ifi, rr StftJ^*r» kn'tir: Vij:l, s.t>7**: a EfJMtjt^m.
M Fs.f>T»", lAxd. s. ilSl>>\ UXP*. Kc J^-^^" tt- ^^ft-
i^) Fs, St»"-*: stttfi LotfHr nti ol Ät»r/ff« «i frikinH, Valjfrr^r sat 9tpp # brekk-
UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I 153
die heimat der betreffenden ausschlag gebend, indem die bewohner der
einzelnen gegenden zusammen standen i. Alsdann wurde einer gewählt,
der die spiele zu leiten und wol auch den einzelnen parteien und
Spielern ihren platz anzuweisen hatte; es war der fyrinnaär, der
obmann^. Die Spieler der einzelnen parteien standen abteilungsweise
oder allein hinter einander 3. Beim spiele selbst kam es hauptsächlich
aiif stärke (afl) und gewantheit an*, wie auch diese eigenschaften der
fyrirfnaär in vollem masse besitzen musste. Spielzeug waren der ball
(knattr oder bqllr Eg. s. 78 3) und das balscheit^, das beide parteien
gemeinsam besassen^.
"Weniger klar lässt sich der hergang des spioles selbst aus den
quellen erkennen. Fest steht zunächst, dass unmittelbar beim spiele
von jeder partei nur einer tätig war, und diese beiden hatten den
ihnen vom fyrirniadr bestimten platz 7. Die beiden partner standen in
gewisser entfernung voneinander; der eine schlug mit dem baischeite
den ball^, der andere hatte die aufgäbe, ihn aufzufangen. In jener
tätigkeit zeigte sich die stärke, in dieser die gewantheit War der ball
vom gegner aufgefangen, so schlug er ihn zurück, nachdem der erste
Spieler ihm wol das balscheit gegeben hatte. Bei dem schlage kam es
aber auch darauf an, den ball gerade an den ort zu werfen, wo der
g^ner stand (er fyrir verär Sturl. I, 352^*). War dagegen der ball
über den Zielpunkt hin weggeflogen, so bemühten sich beide parteien
in ihrer gesamtheit den ball zu erlangen; es entstand ein rennen und
streiten um seinen besitz, denn derjenige, der den ball erlangt hatte,
1) Grott. 8.27»»fgg. Vigl. s.67*«fgg. Hardai^;. (Isl. s. II) 70". Fms. III, 18(5.
(Ich trago kein bodenkeii, auch die mythischen sagas mit heranzuziehen, da die hier
eingellochtonen spiele doch nur in der Wirklichkeit iliro wurzel haben.)
2) Gull]). 8. 45*^: pdr fyrir suwuin porskafjqrä geräu p&ri at fyrirmnnni
fyrir (irleiks sakir ok allrar algjqrri; en vcsto/nmenn vildu ßat ekki . . . Laxd.
s. 196» HaUr beüisk fyrir.
3) Fms. ni, 186** ßeir (porstciun ok Fullstcrkr) snc^rudu ai Frosta; Pviat
kappamir stödu fretnstir riä hvomivcggja bckkinn.
4) Es. 60". Laxd. s.l96'». Fas.m, 529" u. oft.
5) Der gewöhnliche namo ist hiaittre (Gisl. s. 32„. Eg. s. 77*». Fas. U, 407".
Fas.IlI, 264* u. oft). Grett. s.27" findet sich dafür knaitgildra.
6) Eg. 8.78': Grimr Imfäi heut bqllinn ok rak undan, en adrir sveinarnir
söttu eptir, Sturl. I, 352**. Fas. in, 262 fgg., wo sich das paarweise spielen, das
vom besitz des balles und balschcitcs abhängig ist, recht klar zeigt.
7) Eg. 8.77*®: Egil gegen Grimr; Grett. s. 27*^: Grettir gegen Audun; Gisl.
s. 26": Gisli gegen forgrim u. oft.
8) Der ausdruck dafür ist slfl hiqttinn z. b. Vigl. s. 68**^ u. (*». ; ald km^ttinn
üt fyrir ehm. =■ den ball über jemand hinausschlagen.
154 MOGK
kam jezt ans spieP. Hierbei konto auch derjenige, der den ball nicht
aufgefangen hatte, seinen fehler wider gut machen; erwarb er den ball
nicht, so galt er für besiegt Nur so erklärt sich der zom, den der
an den tag legt, über den der ball hinweg geflogen ist 2. Hieraus
erklären sich auch die raufereien, die beim balspiel vorkamen und die
nicht selten mit Verwundungen, ja mit dem tode endeten ^ Waren die
gegner sich gewachsen, so spielten sie wol so lange, bis der fyrir^
niaär ein anderes paar bestimte. — So überliefern uns die altnordischen
quellen das balspieH. Wenn mit diesem die spräche vorglichen wird,
so sind es zwei punkte, die als verglcichungspunkte angesehen wei'den
müssen:
1) die gruppierung in zwei parteien, von welchen jedoch stets nur
je einer spielte;
2) die kraftprobe beim schlagen und die gcwantheit beim treflFen
des Zieles und beim auffangen des balles.
Beides glaubte der aufzeichner des Vergleiches in der spräche
widerzulinden. So entwarf er den kreisrunden leikvqllr, auf den er die
buchstaben gruppenweise eintrug, indem er sie in fünf parteien schied
nämlich:
1) die consonanten, die nur vor vokalen stehen dürfen;
2) die consonanten, die so wol vor als nach vokalen stehen;
3) die vokale;
4) die doppelconsonanten;
1) G(^ngu llrolfss. (Fas. 111) 8.264": fter Hrölfr tidt hiettinutn; kann grtpr
knatttrcit af Kraki . . . Ebd.: Hrafn Mjop eplir htcttitnim; Eg. s. 78': Grimr hafdi
fni hent bi^llhin ok rak ttfidan, en adrir sreinarnir soHu eptir, Gisl. s. 2(3 **:
hrfir Poryrimr ekkt rid: fddi Gisli hann ok bar lit hK^itinn. Pd viU Oisli taka
hif^ttinn , en poryrimr hcldr honum ok Uptr hann ckki fri nd.
2) Vi^'l. s. 1)8*'*: J>at rar einn fhnay at Vujlnndr slo hiqttinn tit fyrir Jt^klL
Ji^kuH reiddix pd ok (6k htf^tttinn, er hann nddi, ok setti franum i andlit d Vig-
linidi ard at ofan hijnp hninin. — I^oretoiuss. (Faü. II) 407*: J5a/ bar til, at ßörir
sefti nidr kn\tttinn ard hart, at hann sti^kk yfir Olaf ok kam fjarri niär; Olafr
reiddix pd ok pötti porir tjera leik til sin; sotti hann pd km^ttinn, en er hann
kofft aptr .... ,sl6 pd med hiatttrenu til pöri^ .... Ebenso Grett s. 27. Eg. 8. 77.
3) Das lH\sto iHÜKpiol gibt dio G^ngu-llivlfss, (Fas. UI) 262: hrundu peir
iMi^nnnnt ok feldn hardliga, en »hign snnta; at kreldi rdru Prir /ta9idbrotnir , en
tftartjir Inmdir eda meiddir.
4) Voll allon spiclon auf f^'rmalusch('m gobiote schciot das kugelwerfen in den
mai'S('hliU)d<Tn , dos cbonfiils auf dorn oiso der grüben und moräste statfindet, mit
doni n<»nlisrlu»ii l»«l>pit»li^ iWo ghissto ahnlichkoit zu hal>ou. (Vgl. Fischer, Beschrei-
bung dor \ory.iigli«'liston volksfcnto 11, 8. 47 fgg. Wien 1799.)
UNTKRSUaiUNÜKN ZUR SN. EDDA 1 155
5) die consonanten, die nur nach vokalen stehen dürfen, denen
sieh die abkürzungen anschlössen, weil auch die sich nie im
anfang eines wortes finden.
Jeder „buchstabe" solte einen zum spiele berechtigten darstellen:
die spielpaare geben die kleinste lautverbindung in der spräche. Wie
wir nun beim baispiele nie mehr als zwei parteien nachweisen können,
so fallen im gründe genommen auch diese fünf parteien in zwei zu-
sammen, nämlich in vokale und konsonanten. Von lezteren sind aber
nicht alle zum spiel volberechtigt; vier sind nur zum wurf (h, q, v, p),
vier andere nur zum fange da fd, Xy c, x). Lezteren mögen sich
wol auch die consonantenverdoplungen angeschlossen haben. Dass es
solche halbberechtigte auch beim spiele gegeben habe, lässt sich aus
keiner einzigen stelle unserer quellen schliessen. Der Vorgang beim
spiele der spräche selbst ist klar: spielt a mit 6, so entsteht in der
spräche, wenn a wirft und b fangt die lautverbindung ab, wirft dage-
gegen b und fangt a, so haben wir ba. — Aus solchen lautverbindun-
gen besteht die ganze spräche.
Im grossen und ganzen ist also der vergleich nicht als verfehlt
anzusehen, im einzelnen dagegen ist manches nicht zutreffend. Lezte-
res ist nun zum nicht geringen teil dadurch veranlasst, dass in der
figur sowol wie in der beschreibung derselben der buchstabe mit dem
laute zusammengeworfen ist, d. h. dass der Verfasser des Vergleiches fast
nur über schriftzeichen handelte und diese vor äugen hatte, während
er dem zwecke der arbeit entsprechend, sich über laute äussern solte.
Und hierin unterscheidet sich dieser vergleich vor allem von dem zwei-
ten, wo die spräche mit der musik der simphonie vergHchen wird, und
den ich für den älteren, allein von Snorri herrührenden halte. Hier
ist alles nur laut, und auf den laut komt es nur bei der hendiny an.
Brenner hat auch den vergleich der spräche mit dem spiele als
rein lautlichen (sprachlichen) erklären wollen und alles, was sich auf
die Schrift bezieht, als randbemerkung u. dgl. bezeichnet (a. a. o. s. 275
fgg.). Das ist ihm offenbar nicht gelungen, denn fast aus jeder zeile
spricht es, dass der Verfasser des Vergleiches wirklich auch schreiber-
regeln hat geben wollen. Man vergleiche: bei den vokalen: ok skal
»vd rita; bei den Umingar: ok skal svd Hia; bei denselben: h4r ertc
iveir hljödsstafir samanltindir ; bei den lausaklofar: skal svd rita, stafir
svd ritadir, ebd.: en fyrir ritshdttar sakir er pessa stafi öha^gt
saman at binda; bei den langen vokalen: en ef sk^rt skal rita, pd
skal draga yfir paun staflnn u. oft Im hinblick hierauf liegt auch
kein grund vor, die werte: Lofat er pat l ntskwiti at rita aflimingum
156 MOGK
oder die bemerkung über die titlar am Schlüsse des Vergleichs wie in
der figur als späteres machwcrk zu erklären. Wir haben in unserem
vergleiche wirklich eine unklare Vermischung von lautlichen bemer-
kungen und graphischen Vorschriften. Eine solche ist aber von einem
manne wie Snorri nicht anzunehmen. Ergab sich nun aus inneren wie
äusseren gründen der ursprüngliche vergleich der spräche mit der sim-
phonie gegenüber dem vergleiche mit dem spiele als der firühere und
reine, so sind wir zu dem Schlüsse berechtigt, dass er in dem jüngeren
vergleiche benuzt ist; jener diente dem interpolator zum vorbilde, nur
war OF von diesem nicht richtig verstanden, und so entstand dies
unklare gemisch von bemerkungen über die spräche und von graphi-
schen Vorschriften.
Was sich uns aber hier für den ersten vergleich ergibt, zeigt
sich auch beim späteren, in der handschrift zuerst aufgezeichneten teile
des zweiten Vergleiches. Snorri vergleicht die spräche mit den tönen
der simphonio. Zum besseren Verständnis gehört ein klares bild über
dies instniment Leider besitzen wir gerade aus der zeit, in welcher
der vergleich entstanden ist, keine einzige darstellung desselben. (Rühl-
mann, Die geschichte der bogeninstrumente s. 70.) Die simphonie
oder das organistrum, die noch in der radleier des Savoyardenknaben
fortlebt, war inf mittelalter ein weitverbreitetes und beliebtes instru-
mcnt. Über einen kjistenartigen unterbau, der von haus aus wol länglich
viereckig*, später geschweift war, ist die saite gespant, die durch ein
rad, das eine kurbel bewegt, in Schwingungen versezt wird. Auf dem
oberen teile des kastens sind femer tasten (claves) angebracht*, und
auf diesen grifhölzem finden sich schon in alter zeit buchstabcn zur
bezeichnung der einzelnen töne-^ Diese tasten wurden an die saite
angedrückt. Indem nun zu gleicher zeit das rad in bewegung gesezt
wurde, entstanden die verschiedenen töne. In der regel spielten zwei
pei*soncn das instrument: die eine drehte das rad, die andere drückte
die tasten (Schult/., Höf. leb. I, 431 und 452). Nun kennen wir aber eine
simphonie, wenn auch aus etwas späterer zeit, die tasten besass, die
1) Vf^l. dio musikalischo abhandlung l)ci Odo von Clugny nach dem cod. Par.
7*J11 (hv'\ Ocrbort, Scnpt. cccl. do imis. I, 252): Lignum qiindraium in modum
rapanr et inU^ convnrum in mmium eifharar, super quod posita charda sonat,
2) Kh ontstoht i'in volHtütidig uiiorkIäiii<>hc8 bild, wenn nian, wie algemein«
lyklar mit. sihlüsscl widtT^'ibt. lyklar ist das lat. claves, und dies können bei der
Kim|ihnni() nur tast«*n sein.
IJ) Vgl. o«|(> von Clugnys lH»inorkungon in der kleinen abhandlung: Quomodn
oriiaiuHh'tini funistrtttititr iiarli dvm cod. Vind. bei Oerbeii; I, 302. S. auch dio abbil-
dung in UühlniannK athiH taf. 5 iig. 1.
ÜNTKRSUCHUNOKX ZÜH f\S. KDDA 1 157
sich nach innen schieben, folglicli auch nach aussen zurückbewegen
lassen. In „dem Innern zugespizten teile" der taste befand sich ein
häkchen, welches an die saite andrückte, oder, wenn man die taste
zurückzog, sie riss. Bei dieser simphonie spielen bereits ober- und
Untertasten mit halben tönen eine rolle. (Büblmann a. a. o. s. 83.) Der
Spieler sass vor dem instrumente; um die gewünschten töne zu haben,
musste er entweder die taste nach innen schieben oder sie zurück-
ziehen.
Ein solches instrument muss Snorri im gedächtnis gehabt haben,
als er mit seinen tönen die spräche verglich. Wenn sich auf. Island
auch dasselbe^ nicht nachweisen lässt, so kann es Snorri doch sehr
wol am norwegischen königshofe kennen gelernt haben, denn hier
kante man es offenbar (vgl. FMS. VII, 97 i». Strengl. 1^ u. oft). —
Der vergleich ist ebenso klar wie einfach. Die eine klangsaite, die das
OTganistrum von haus aus besizt, hatte sich Snorri in seiner Idealfigur
vervielfacht gedacht, und nach allen selten sich die tasten hin- und
zuruckbewegen lassen. Sizt der Spieler nun vor den tasten, so ent-
steht, wenn er die 6-taste an die a-saite andrückt, der klang ba, zieht
er dagegen die fe-taste zurück, so entsteht der klang ab, weil durch
jene tätigkeit die consonantentaste nach dem vokale hin, durch diese
von ihm weg bewegt wird. Somit ist das bild im hinblick auf die
ersten zwölf consonanten ziemlich einfach. Ob wir nun auch instru-
mente gehabt haben, wo das tastenhäkchen die saite nur durch schie-
ben oder durch zurückziehen traf, vermag ich nicht zu sagen; gefunden
habe ich darüber nirgends etwas, wenn nicht vielleicht die ober- und
untertöne die band zu dem vergleiche geboten haben.
Dieser vergleich ist demjenigen, der sich über Snorris manuscript
gemacht hat, offenbar nicht ganz klar, jedenfals weü er nie ein solches
instrument gesehen hatte. Denn sonst konte er nicht die ziemlich unkla-
ren eingangsworte bringen (Stafasebmig sjd, sem h4r er ritut, ei^ svd
seit tu möls, sein lyldar til hljöds i müsikd) und behaupten, dass sich
zu beiden selten der vokalsaite tasten befänden. Nur soweit sich die-
ser au&eichner streng an den zweiten teil hält, ist er klar; sonst weiss
er nicht viel vernünftiges zu sagen. Der erste teil des zweiten Ver-
gleichs stelt sich also in jeder weise zu dem ersten vergleiche und
kann nur aus einer feder geflossen sein.
Nach diesen erörterungen ergibt sich:
1) Der plan des teiles der SE., den man bisher algemein als eine
grammatische abhandlung aufgefasst hat, rührt von Snoni her.
Dieser hatte ihn als einleitung für seinen commentar zum Hat-
1.^8 MOOK
tatal bestirnt. Er solte bemerkungen über den ton und den laut,
namentlich den der menschen, enthalten. Leztere führten zur
menschlichen spräche, deren kleinster bestandteil „der gespro-
chene stafr" ist Durch die Vereinigung zweier stafir, und zwar
eines vokales und eines consonanten, entsteht aber das kleinste
ganze in der spräche, und dies ist die stafasetning, von der es
im Hättatal heisst: Stafasetning gerir mal cUlt (Ht 1*^.) Die
stafasetning ist aber auch die grundlage aller dichtung^
2) Von Snorri rührte her:
a) Die algemeinen bemerkungen (meine ausg. s. 159^ — 160^) mit
ausnähme einer randbemerkung (159 **~*^). *
ß) ¥igv\T U.
y) Der zweite teil der erklärung dieser figur (s. 164 *~^^).
3) Zu dieser einleitung fügte ein späterer bearbeiter, vielleicht ein
Schüler Snorris:
a) Figur I.
ß) Die erklärung dieser figur (s. 1605—1621*).
y) Den ei-sten teil der erklärung der zweiten figur (s. 162 1*
1643).
Bei seinen erklärungen der figuren legte er die erklärung Sn
ris von II zu gründe, brachte aber ausserdem allerlei schreiberrege^^
an, die gnr nicht hineingehören, die weder die spräche oder scb
unuindorn wollen noch können, da sie weiter nichts sind als eine tr
bung der klaren gedanken Snorris. Ich vermag deshalb auch cE
nicht in ihnen zu finden, was Brenner aus ihnen herausliest (a. a.
s. 275); ebensowenig wie zu grammatischen zwecken, ebensowenig si
sie auch zu metrischen zwecken geschaffen. Es sind unfähige bem^
kungtni di^sselben mannes, der auch einen grossen teil des comment»
vom IlÄttatal auf seinem gewissen hat und der von Möbius (H6tt
s, 1^5 fgg.) so richtig gezeichnet ist
\) Dio «MiiEij:»^ ansirht, dio bisher über den Verfasser gomacht worden ist,
OS \\Wx nllon «wcifol , diiss ilorsolU^ ein goÜ5tliohor soi (Björn Olsen a. a. o. s. XX^^
und im ansohluss \\\\ ihn Finnur «lonsstm a. a. o. s. XXX). Auch nicht ein w
sjuioht it) dor ui'spniu^'liobou p*st;dt für dou gi^istliohen. Hier hat wider einmal cJ
Nohr»»ilH»r d«\s Wonuiuiius soiii wosou gi>trielH>n, und das einfache durchlesen des tc^
tos wiixl dio unsii'ht t.\\x pniüj^^ wid<»rloji^m.
UXTKRSUCHUNÜKN ZUR SN. EDDA I 159
Der text.
Hvat er hljödsgrein? frenn.
Hver? j^at er ein grein hljöds, er pytr vedr eda vatn eda
s^r eda bj(jrg eda JQrd eda grjot hrynr; petta liljöd heitir gn>^r ok
Vrymr ok dunur ok dynr. Svd fat hljöd, er malmamir gera eda
manna pyssinn; pat heitir ok gnj'r ok glymr ok hljömr. Svii {)at 5
ok, er vidir brotna eda vipnin mcotaz, petta heita brak eda brestir
eda enn, sem adr er ritat Allt eru potta vitlaust hljod. En hör
um framm er pat hijöd, er stafina eina skortir tii mäisins; pat gera
hqrpumar ok enn helldr hin meiri SQngfoörin, en pat heitir sQngr.
Onnur hljödsgrein er sü, sera füglarnir gera eda dyrin ok s^- 10
tyqvindin. J^at heitir rQdd. En p^r raddir heita & marga lund:
fuglamir syngja ok gjalla ok klaka, ok enn med ymsum hättum, ok
D<jfnum. [K^inmistnm eru greind ymsa vega dyra nqfniii, ok
hinnu menn skyn, hvat kyqxdndin pykigaz Imida med vtqrgum
^nt€7n lätumj S^kyqvindin Wasa eda gella. AUar pessar raddir 15
^rii niJQk skynlausar at viti flestra manna.
En pridja hljödsgrOin er sü, sem menninir hafa: pat heitir
'*lj^tt ok rqdd ok mal. Mälit geriz af bl^strinum ok tungubragdinu
viil tenn ok göma ok skipan varranna. En hverju ordinu fylgir
'^iruiit ok vitit; minnit parf til pess at muna atkv^di ordanna, en 20
vitit ok skihiingina til pess, at hann muni at m^la pau ordin, er
hann vill. Ef madr f^r snilld m&lsins, pä parf par til vitit ok ord-
fr^^di ok fyrir^tlan, ok pat mJQk, at hoügt s6 tungubragdit Ef tennr-
^^ai* eru skqrpöttar, ok missir tungan par, pat lytir mälit Svd ok
^f tungan er ofmikil, pa er mälit blest; nü er hon oflltil, pÄ er sd 25
tolgömr. ^t kann ok spilla mälinu, ef varramar eru eigi heilar.
Die Orthographie schliesst sieh im ganzen an das auf der buchstabentafel ont-
^oi-fene aiphabet an. Nur <r habe ich noch zu den schon vorhandenen buchstaben
genommen, da ich den Übergang ce > €e aus dem anfang dos 13. Jahrhunderts nicht
^«^bweisen kann. Snorri reimt stets a : a? (Hattat. 13®. 31 ^ 64*. 81) und fe : a
U7« 28®. 50*); nur 68* reimt mar^ ßqlsnoerda, Seite demnach schon schwanken
'^gönnen haben? — 2. pat. Es liegt kein grund vor, von der handschrift abzu-
^eichen und Su zu schreiben, da die attraktion des pronomens an das prädikat.
'^Oftien durchaus nicht nötig ist. Vgl. Comment. z. Hattat.: pat er kenning 3*®,
^ ^^ aannkenning 4** **, Pat er stuänhig 4*', Petta er dröttkreedr hdttr 3', Pat
^'^ tolf stafir 1** u. oft. — 6. brottm eda gnesta W. — 13 fgg. hat wol
^rxlngiich am rande gestanden. Das zeichen, welches andeutet, woliin es gehöre,
Jf® <ler abschroiber für 2 == ok, das sich in der handschiift vor kunmistum befindet. —
24 #
. ^Ungan Par die einzig mögliche losai^t; tanngardar W und nach ihm FJ. lässt
^^ 'Weder sprachlich noch inhaltlicli erklären.
160 MOOZ
SlnArinn ok tun^n er leikrtjllr ontanna. k ^im velli em
reistir stafir l>eir, er m&l allt gero, ok headir ro&lit fmsa bv6 dl it
jafha sem hijrpustrengir eda em l^stir lyklar I simpbönfa
Figur I.
I fyrsia hring em fjörvr slafr; Jut md Hl ensläu c
n^ta, fiii rem fijr qdnim Htqfmn: p. v. h. q. I oßnnn krhig er»
stafir XII, pelr scm heita mühtafir; hvcrr J>eha mä vera hftti
fyrir ok epiir i malimi, eii e}igi peii-a gerir mal af »jälfum »ir:
0. Xn so W; U XI, wns zurdllig auch mit der figur !«timt. da hier im cvc
tnti krcixp k fohlt. Ich seho kc-inen gnind <^in, dicRon biichHtabpii mit F. J. aiis>
meraen, da er oicht allein im rolg(>iideD in boidea hflndschrifton übcriicfort int, i**^
dem dft aunh die zweite ßgur ihn in dein dem swoitcn ringe eittsprecheoden obp''
teile der tnfel lint.
ÜKTERSUCHÜNQEN ZUR SN. EDDA 1 161
b. rf. f. g. k, l. m. n. p, r. s, t En nqfn peira era h6r seit eptir
hljöäi peira, T ptidja hrhig eru tölf stafir, er hljöästafir lieita,
jpe-sr.Äi grein er J^eira stafa: fyrst heita stafir ok skal svä ritu: a, e,
/. o. V. y. Qnnur grein er sü, er heita llmingar, ok skal svä rita:
r9*. Ol, c^; pessir eru prtr; her eric tveir hljöästafir sainanU^näir, 5
pt-^t at pessi stafrinn hefir hvern hlut af hljöäi himia, er Juiiin er
fxf €jerr. En priäja grein er pat, er heita lausaklofar, ok skal svä
ritcL : ey. ei. pessir eni tveir stafir svä ritaäir, at rita bäda stafi
ö&9'€^ytta ok gor einn af, pvi at hann tekr Mjöä hiniia beggja, e?i
///*• ritshdttar sakir er pessa stafi öh(je{/t saman at binda. Nu e?^ 10
e^n.?2. tölfti stafr, er skiptingr heitir; pat er i. pat er r4ttr hljöd-
^t€M.fr, ef mälstafr er fyrir Jionurn ok eptir honum, i sanistqfunni;
cif nf hljöästafr er nest eptir hmmm, pä skiptix Imnn i niälstaf,
ok gerax pä af honum t)iqrg füll ord, svä sem er ja eda jqrä eSa
/^^-,- ok enn svä, ef mälstafr stendr fyrir homim, en hljöästafr n/ist 15
^J^iir, svä sem h4r er: bjqrn eäa björ eda hjqrg. Onniir slcipting
Ä/i/«^ er pat, at hann s4 laiisakhfi, svä sem peir, er ädr eru ritadir.
^e-sf^s/r stafir einir saman gera mqrg fuUord, en skamt 7näl gera
P^i^' själfir. Ef a gerir lieilt ord, pä viex svä, sem pü nefnir: yfir,
ey*. i, pat sem: fyrir immn, en o eda v pau skijita um ordunmn, svä 20
«^?/^ er: satt edä vsatt Menri kalla einn vid y, en ce pat er vein-
^*>^ , eil ey heitir pat land, sem sjör eda vat7i feUr mnhverfis, pat
^^ kaUat ok ey eda ce, er aUlri prytr, Hljödstafir hafa ok tvejina
O^cin, at peir s6 styttir eda dregnir; en ef skyrt skal Hta, pä skal
^Ircäga yfir pann stafinn^ er seint skal leida, sem Mr: „ä pvi äri, 25
«ey/^ AH var foeddr^^ ok „pat er i minu minni^ Optliga skipta orda
le/dFi/ijrar qllu mäli, hvärt enn sajni hljöästafr er leiddr seint eda
^k/ölt, Lofat er pat i ritshptti^ at rita af limingnm helldr a-lykkju
5. prtr: ü liest tveir; der Schreiber hat wol die folgende ij schon im äuge
gehabt W hat ebenfals: ßesser ßrir »tafer. — 8. in der lis. ist nach tveir (II)
^in loch; dann folgt: svd rita at rita; im hin blick hierauf bin ich W gefolgt stafer
f^ fitaäer. Vielleicht ist besser mit F. J. zu schreiben: ok skal svä rita, at rita;
*®*^ kabe die lesart im hinblick auf das parallele gerr nicht aufgenommen, zumal
•uch ^jgg luibestimte man sehr selten und meist nur bei dichtem durch den plunü
^<iergegebeo wird (vgl. Lund, Oldn. Ordföjnl. § 10 4» anm. 4. § 203, 16 anm.) —
^- ok etm svä lljqrg gehört zweifelsohne nach jor; hierher passt es allein,
JJ^h ritadir (z. 17), wo es in der hs. steht, gibt es keinen sinn: es war eine i*and-
~^**i^ung und wurde vom abschreiber an falscher stelle eingefügt. — enn in der
^ zerfressen. — 18. pessir stafir stelt alle vokale in gegensatz zu den consonan-
^*^ — 23. ok f. U; so nach W. F. J.: ok kallaf. ~ 26. Nach ok fügt W noch
^^ er ertud hann. — 28. U: en af lyckio . . dem Schreiber hat das folgende en
'^U TorgOBohwebi Dieselbe änderung hat auch F. J.
^nBORBIR F. DKUTSCHB PHILOLOOIE. BD. XZH. 11
162 MOOK
en füllt a, ok er pd svd ^, q. I fjönta hring eru tölf stafir $vä
riiadir: «,.^.R:6.R.a.C).D.»'. K.5J. pessir stafir gera ekki
annatj en metm vilja liafa pd fyrir ritshdttar sakir, ok er seiir
hverr peira einn fyrir tvd mdktafi, pvi at sum ord eSa nqfn
emlax i svd fast atkvpäi, at engl indlstafr ftr einn bority svd
sem er: hqll eäa fjall eda kross eäa hross, framm, hramm. Nu parf
annaÜivdrt at rita tysvar einn mdlstaf, eäa lata sir Uka pannig at
rita, I finita hring eru ritaäirpeir prir stafir, er kallaäir eru undir-
stafir: ä. x. x; pessum stqfuni ind viä engem staf koma, nema pat
si^ eptir hljödstaf l hverri sdvistqfu. Enn fjöräi stafr er c, ok hafa
suniir nienn pann ritshdtt, at setja kann fyrir k; en hitt eifia er
r^tt hans hljöit at vera sem adrir undirstafir i ejida samst/^fu.
Titlar eru svd ritaäir li^r, sefn i qitrum ritshftti.
Stafasetning sjd, sem hör er rituty er svd sett til mdls, sem 3—
lyklar til hljöds l mtisikd, ok regur fylgja hljödstqfum svd, sem peir
lyklar vuilstqfutn. Mdlstafir eru ritadir med hverri regu bedi fyrir
ok eptir, ok gera peir mal af hendingum peim, senh peir hafa vid
hljtUtstafina fyrir ok eptir, Kqllnm vor pat lykla] sem peir eru
i fastir, ok eru hör svd settir i spaeionne, sepn lyklar i simphötife, ^^
ok sbil pi'im kippa eda lirinda, ok drepa svd regustrengiim, ok
tekr pd pat hljod, sem pu villt haft hafa. pe^sar hendingar eru
5, M^»/>i: lir, samsit^fu wol das richtige. — G. « nach W eiigänzt, fehlt inU. "
10. st^fum vorlH\sscrt nach K.J. U: staf, — 12. naoh at ein loch in der hs. se^^
haN^ ioh gi^s^^hriolnMi uarh oiiior StCK'kholmer (uipierhandschnit« deren schreil)cr ^^
hs. ncK*h in Ivssi^ix^m zustande vor sieh hatte; hafn F. J. — /y**"- k schreibe 'w^^ -^
die hs. Xy d. i. k\mMui^ wie auch die herausgelvr liaben. Allein das gibt keii::*-^
sinn; der t\üoht^^^* aUs^'hreilvr konte sehr leicht hieranf kommen. Oder hat xm^^-^
leicht urspninglich k ftta y {l\ r, y) da^^tanden: — Die folgende figur ist wie
riu^gur in der handschrift ziemlich Hüchtig; lH>ide mussten in übereinstimmi^'
mit dem text j^^bracht wenien. — 15 fgg. o^hört nach fig. 2. — 16. ♦ fp-
in V; es muss unUsiingt hier stehen; vgl auch F. J. Sw 93. — rt^a ist dasse^ '
wie rty«i FMS XK 441 u. (i. Pas \\>^rt ist s^mst nirgends im nonüschen belegt; ^
ist ahd. #*#i/''» *^^^* ''V**' ''^V* ~ ^""*^ r^'i^«> ^Schade, Altd. wb.*713) und bezeich«-**
hier wol die iu>tnuuou(saiteu ^rtyMcfrivMj/i», denen der v^Tfasser nach den V^^
mir stark p^yeichneten liuieu den namen gab. — fitir i^kiar mätst^fam, ü XM^*
F. J. nur /r#V l^Unm: mir iNt tiie stelle so dunkel. IVr s^^hreiber sprang nach / %r<^
I^Uar auf die endung >oi\ woh^^fHw üIht. — IS, fitim so verindert mit F. •^
hs,: /r#V#, IS. *i>;,t; in der hs. nur m» mvh tu les^'ti. — 20, hs. oik eru p^^'
ktr JNM *r/l#V her ww • s^hu^ionc *r»» , . » . — i»2. Nach kafa will Brauner (a. a- ^
CNTBRSUCIIIINOEN ZUR SS. I
Figur IL
-
^
'
-
-
1
-
'
-
'-
-
i
"-
e
t
*,
l
h
4
h
h
h
ll
b
1,
h
b
b
ll
b
b
ll
b
ll
b
l,
b
4
d
ti
rf
"
d
d
d
ll
tl
ll
d
"
ll
d
ll
d
d
d
J
d
d
d
f
f
/
f
f
f
f
f
f
f
f
(
f
f
f
f
f
f
f_
>J
11
f
a
9
k
3
k
1
1
.1
S
9
!l
9
'J
t!
11
f
ü
n
!l
.1
U
'.1
<l
k
l-
k
i
k
k
k
k
l
k
k
k
k
k
k
k
k
k
k
l
l
l
l
l
l
l
l
l
l
l
l
l
1
1
l
1
i
l
1
m
m
m
tu
in
m
m
Vi
m
■m
m
m
»
m
m
in
m
m
m
in
in
r
n
„
n
II
n
n
,1
■31
,1
11
,1
n
tl
■n
n
n
n
„
„
n
„
P
V
1>
P
P
P
P
P
P
1<
P
P
P
P
P
P
p
P
r
V
p
r
P
r
r
r
r
r
r
r
r
^
r
t
r
r
T
r
r
r
r
tt
s
s
«
s
s
»
8
a
,
.
s
3
i
*
s
s
s
s
s
s
t
t
i
'
l
t
'
1
(
1
1
t
t
l
t
(
1
(
t
1
t
t
I'
<1
<f
a
3
,t
d
n
d
.J
d
d
P
t
/•
-
/'
1>
l
P
V
h
c
V
h
-t
t
x
I'
*
i
,
X
%
■X
ll
X
c
r
t
h
l
V
ll
n
i-
V
h
c
h
C
1'
h
f
1
h
C
c
h
^
.
X
T
X
X
<l
X
<l
J
1
X
1
X
7
X
^
1
1
'1
'1
'1
164 MOQK
eigi meiri eii ptßr, sem fyir eni ritadar, ok hinar minxtu peira,
sein stafat 86 Hl, pvi at Mr er i heiiding ei^ni Mjödsiafr ok einn
niälstafry ok gerlr svd margar hendingar, sem nü er ritat dar i
stafasetninginni.
H6r standa um pvert blad XI hljqdstafir, en um endilangt 5=5
blad y^ mälstafir; eru peir svä settir, sem lyklar i simphönle, en
hljöctstafir sem strengir. Mälstafir eru Xu peir sem b^di hafia hljöd,
hvärt sem kipt er eda hrundit lyklinum, en VIII peir, er sfdarr
eru ritadir, hafa hälft hljöd vid hina: sumir taka hljod, er pü kippir
at I)6r, sumir, er pü hrindir frä J)6r. L C
pessir hliodstafir standa um J)vert: o. e. i, o. y, u, p. q. m\
ei. ey. pessir eru XII mälstafir: b. d. f, g, k. l 7n. n. p. r. s. t.
pessir eru mälstafir ok hafa hälft hljöd vid hina: ä, p, %, v. c, h. x, q,
8. 279) dcQ satz ok gerir . . i stafasetninginni. (164*); ich sehe den gmnd nicbfr
recht ein, weshalb er von der Überlieferung abweichen will.
1. eigi meiri y U nur: meiri y F. J. minni. Der Schreiber hat nur aus ver-
sehen das abgekürzte eigi weggelassen. Die stelle will sagen: obgleich in der zwei-
ten figur vielmehr buchstaben stehen als in der ersten, so sind doch die hendingar
nicht zahlreicher. — 5. Her bis zum Schlüsse spätere intorpolation. F. J.
Übersetzung.
Wie viel verschiedene arten des tones gibt es? Drei. Welche?
Das ist die eine art des tones, wenn der wind pfeift oder das wasser
oder das meer rauscht, oder die berge oder das erdreich oder gestein
dröhnt; solche töne heissen getöse, geräusch, gedonner, lärm. Hierher
gehören auch die töne, die die metalle von sich geben oder die entste-
hen im kämpfe der männer; diese heissen ebenfals getöse und klang und
lärm. So auch, wenn bäume brechen, oder wafifen aneinander schla-
gen; das heisst gekrach oder gerassei, oder auch wie es früher bezeich-
net ist Alle diese töne entstehen, ohne dass dabei irgend welcher
verstand im spiele ist Hierher gehört nun weiter auch der ton, wel-
chem der buchstabe allein zur rede mangelt; diesen erzeugen die har-
fen und noch mehr die grösseren musikinstrumente: dieses heisst musik.
Eine andere art des tones ist der der vögel und der tiere auf
dem lande und im wasser. Dieser heisst stimme. Diese stimmen wer-
den aber auf verschiednerlei weise bezeichnet: die vögel singen, kräch-
zen und kreischen und geben noch andere töne von sich, die anders
bezeichnet werden. [Nach ihrem vermögen sind die namen der t^pre
80 mannichfaeh entstanden, denn die menschen wissen bescheid, was
die lebenden wesen mit ihren vielen gewohnheiten anzudeuten schei-
UNTERSUCH UNOKN ZUK SX. EDDA I 165
nen.] Dio tiere im meero blasen oder schnauben. Alle diese stimmen
entspringen geringer vemunft im vergleiche zum verstände der meisten
menschen.
Die dritte art des tones ist der der menschen: hier vereinen sich
laut, stimme und spräche. Die spräche entsteht durch das herausbla-
sen der lufk, durch die bewegung der zunge an zahne und gaumen
vind durch das öfhen und schliessen der lippen. Aber jedes wort steht
niit dem gedächtnisse und verstände in engstem zusammenhange; das
Gedächtnis ist nötig, damit die ausspräche der Wörter immer gegen-
wärtig ist, verstand und Urteilskraft, damit man jederzeit weiss dio
wox^ hervorzubringen, welche man haben will. Ist einer beredt, so
bedarf er ausser dem verstände auch gewantheit im ausdrucke, schlag-
fertigkeit imd vor allem leichtigkeit der zunge. Wenn dio zahne abge-
brochen sind, und die ziuige infolgedessen ihr ziel verfehlt, so klingt
die spräche hässlich. So auch, wenn die zunge zu gross ist; dann lis-
pelt der sprechende; ist sie dagegen zu klein, so murmelt er. Auch
wenn die lippen in nicht ganz normalem zustande sind, kann der
spx^iche abbruch geschehen.'
Der mund und die zimge sind der Spielplatz der werte. Auf
diesem plane sind die buchstaben aufgerichtet, die die ganze spräche
ausmachen, und es greift die spräche bald diesen bald jenen buchstaben
h^Taus (um sie zusammenwirken zu lassen), gerade so als wären es
saiten oder die befestigten tasten in der simphonie.
(Figur L
Im ersten ringe haben ^vir vier buchstaben; diese darf man nur vor
andern buchstaben gebrauchen: p. v, h. q. Im zweiten ringe befinden
sich zwölf buchstaben; diese heissen consonanten. Jeder von ihnen
kann sowol am anfang als am ende eines wertes stehen, aber keiner
macht ein wort für sich aus: b. d. f. g. k. L m. n, p. r. s. t Ihre
namen sind hier gesezt nach ihrem lautlichen zeichen. Im dritten ringe
sind zwölf buchstaben, die vokale heissen. Unter diesen ist folgender
unterschied: Die ersten heissen vokale (? stafir) schlechthin und sie
sind so zu schreiben: a. e. «. o. v, y. Die zweite art heisst verschmol-
zene buchstaben und diese soll man so schreiben: ce. cn, Gy. Dies
sind drei; hier sind je zwei vokale verschmolzen, sodass diese buch-
staben einen teil von den lauten haben, aus denen sie gebildet sind.
Die dritte art sind die diphthonge und diese soll man so schreiben:
ey. ei. Diese beiden buchstaben sind so geschrieben, dass man ihre
beiden teile unverändert niederschreibt und daraus einen macht, der
I." -.
ii r
■■.< ■ -
1.1.»^^
■ '» •
.T
.//«•#
^ I •
AÜ'M-
////
r.' f. '
• ■ # '
..", ; '• ■ .' r/' j ///,// i.<\*v JfiH •.•«.l»>r kn:*j^s, hrns^
/ '.* Uli i! / I • /.»' i'i« ii 'i'!' I ." fi /'i fj' ^jii"iii''ii. Ulli .S" ZU schr«?iboii.
In 'I' II f'Mil»' n iMi." jii'l 'Im- ))tir)i t^ifi^n f'iniretrairon, welch
intiln ht/n )■• i « n /•! )i lin' li hilnii. »Im* iii'-lit JIM anlaut sti?hoii dür*'
* lt. ' ■,! .1 ! ' t ■ t
1 I -1 l-|i|ii'
• i|" t.i II I i ■' 'iM nlf' I
t(i-l Mii' I ■• .1 V. I • li li r
I >| I ■.! Ii i|i
- 'I ' n I'. II
Uli' t. / /■ l.iffihnjr liiifir am ti"eu>ti'n widtM'
ih Ihhuh t inin lllfi'u rsf fafiahiliti. — BiVtl"
UNTEBSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I 167
fen): et x, x. Diese buchstaben können nur mit einem andern in ver-
bindimg gebracht werden, wenn in einer silbe ihnen ein vokal unmit-
telbar vorangeht. Der vierte buchstabo ist c, den manche leute als
graphisches zeichen für k gebrauchen; aber das allein ist sein wahrer
Avert, dass er wie die andern undirstafir (nur) am ende der silbe ste-
hen darf.
Die abkürzungen sind hier geschrieben wie man sie auch sonst
zu schreiben pflegt)
Figur IL
(Die buchstaben tabelle, die hier aufgezeichnet ist, ist so mit der
Sprache in Verbindung gebracht, wie die tasten mit dem musikalischen
tone; und wie die linien (d. i. saiten) den vokalen, so gleichen die tasten
den consonanten. Consonanten stehen sowol vor als hinter jeder (vokal-)
linie, und sie erzeugen die spräche durch ihr zusammentreffen mit die-
sen, je nachdem sie vor oder nach dem vokale stehen. Wir nennen
das tasten, worin sie stehen (d. i. die kleinen viereckigen kästchen der
^fel), und sie sind hier auf dem felde gerade so gesezt, wie die tasten
■
^*^ der simphonie, und man muss sie reissen oder stossen, und dadurch
^i^ liniensaiten schwingen lassen, und man bekomt so den ton, welchen
^"^^n gehabt haben will. — Dieser Vereinigungen (d. i. von vokal und
^^xisonant) sind hier nicht mehr als die, von denen oben geschrieben ist,
^*>Xd die kleinsten von denen, die sich zu einer silbe verbinden lassen,
^■-^Bn hier ist in der Vereinigung nur ein vokal und ein consonant.
"•^ gibt so viel Vereinigungen, wie viel oben auf der buchstabentabelle
^^rzeichnet sind.)
Hier stehen auf dem blatte oben von links nach rechts elf vokale,
^V)er von oben nach unten zwanzig consonanten. Leztere sind so gesezt,
^^"^ie die tasten in der simphonie, aber die vokale wie die saiten. Zwölf
Konsonanten geben ton, mag mau die tasten (häkchen) reissen oder
^tossen, während die andern acht, die zulezt geschrieben sind, nur
^inen halben ton im vergleich zu jenen haben: die einen nämlich tönen,
"^enn du sie zu dir ziehst, die andern, wenn du sie von dir stösst —
l?olgende vokale stehen oben von links nach rechts: a. c, i. o. u. y, f.
9. av. ei. ey. Dies sind die zwölf consonanten: b. d, f, g, k. l m, w.
y. r. s. t Halben ton im vergleiche zu diesen haben folgende conso-
nanten: ct. p. X. V, c, /i, X. q,
LEIl»ZKt. E. MOOK.
1Ö8 MÜLLEH-i*KAUEXöTJtr^'
ÜBER ZIGLEES ASIATISCHE BANISE.
(Fortsetzung und schluss.)
Wenden wir uns nun dem inneren ausbau zu. Einige alg^^
meine bemerkimgen mögen da vorausgehen. In betreff der kunstmitt^^^^i
welche dem erzähler als solchem zu geböte stehen, ist Zigler durcl
aus nicht zaghaft Nicht emsilich zu bezweifeln ist, dass er von di
lateinisch -griechischen schulgelehrsamkeit seiner zeit ganz bedeatend<
gebrauch gemacht hat; dagegen ist mir zweifelhaft, ob er die poetik<
und rhetoriken der französischen Jesuiten seines Jahrhunderts Studie,
hat^. An imd für sich ist dies zwar, da er ja so viel gelesen
nicht unwahrscheinlich; meine bemühungen, mehr positives, als Bebe:
tag in dieser beziehimg gefanden hat, beizubringen, sind aber erfolg
los gewesen. Von zwei gerade in dieser zeit erschienenen rhetorik^ :«=^ ^
kann ich allerdings ganz deutlich beweisen, dass sie ohne einfiuss kcM- '^
Zigler gewesen sind. Bernard Lamys rhetorik widerspricht mit ihre:
regeln über die anwendung der tropen und tiguren und über den
seiner methode schnurstracks; es weht ein völlig anderer geist in bei-
den büchem. Auch die Sentiments sui* les lettres et sur rhistoire av(
des scrupules sur le stile (Paris 1683), ein geistreich und gewan.'
geschriebenes werkchen, entspricht in seinen anweisungen unserein^
geschmacke weit mehr als dem der zweiten schlesischen schule. Schärft
und kürze des ausdrucks, Vermeidung von Sprichwörtern, charakte-
ristische walil der werte je nach der sprechenden person, mass in lob
und tadel wird da gefordert Den alten schwerfalligen romanen stelt
es die novoUcn gegenüber und begründet die abneigung gegen erstere
mit ihrer länge, ihivr mischung von vielen verschiedenartigen geschieh-
ten, ihrer masse handelnder personen, der altertümlichkeit ihrer Stoffe,
der schwei-fiilligkeit ihres baues, ihrer un Wahrscheinlichkeit und ihrem
überuulss. Man sieht, das sind alles aussetzungen, die auch die Banise
treffen.
No«*h ein anderer umstand hat mich von dem glauben abgeführt,
dass Zigler sii»h auf französische regeln direkt stütze. Nahe lag der
verdacht, den freilich vor mir niemand ausgesprochen hat, dass die
zahlnnchen, zur rhetorischen aussi*hmückung eingeflochtenen briefe nach
fnwizösisi'ht^i mustern entworfen seien. loh habe mich deshalb die mühe
nicht venlriesson lassen, alle damaligen französischen brie&teller, die
mir erivichbar waren, gmiau zu verirleiohen : Pielat, Le secretaire in-
1) Vgl. K. Schmidt in lSclmorrj> Aivhiv II, ISSO.
vjjucu (Lyon I67'J und ltiS3), desselben Secretairo noiivoan (Amster-
dam 167JI), femer Kiche-Source, La bousole du partait secretairo (Paris
1S80), auch (Quinet), Nouveau recüeü de lettres et billets galandos
iParis 1(J80). Aus ihnen allen hat Zigler keinen buchstaben entnom-
men. Es wäre höclistens nicht unmöglich, dass er eiaige winke der
Sousole befolgt hätte. Wir suchen deshalb direkt aus der Banisc selbst
<lie rhetorischen grundsätzo Ziglers herauszidesen.
Sie sind gar nii;ht so unbedeutend. Er geht sofort in medias res,
WÄt an einem passenden punkte ein, baut, wenn auch in groben fur-
iDon, dix'h nach einem einheitlichen plane, gibt episoden und digres-
sianen, lässt pai-allelo handlungen und in gewissem sinne auch parallele
Charaktere vor uns erscheinen, stelt rührendes und komisches in manch-
niai nicht ungeschickter, zumeist freilich uns wenig anmutender weise
oebcm einander, versucht direkt und indirekt zu charakterisieren, wenn
Ufts die dafür aufgewant^'u mittel audi nicht selten recht wunderlich
vörtonmien mögen, und hält die Charaktere im grossen und gauzen
eatschieden fest Er erhöht die Spannung durch algemeine andoutun-
gen, die im voraus beruhigen oder erschrecken, und zwar thut er dies
^*aisam, nicht im Übermasse, ivie es seine zunftgenossen sonst woi zu
'im pflegen, er verwickelt und entwirt, wenn auch hio und da etwas
(."»■waltsam, doch im algemeuien nicht durch geradezu unglaubliche
erÜBdungen, strebt einen bestirnten lokalton wenigstens an, wenn er
luch oft genug aus dem lande, in dem die handlung spielt, wider her-
OTiafaU, und versteht den fortschritt der ereignisse zu steigern, wenn
uucli gerade die höhepunkte uns die mäugel seiner dichtiing, die gren-
isen seiner kraft am deutHchsten zeigen. Vor allem aber hat er doch
figuren gesciiatfen, denen das Interesse gewalirt bleibt, dankbare gestal-
ten fUr den ronian seiner und überhaupt jeder zeit, und zwar nicht in
^' grosser onzahl und nicht so bunt durch einander laufend, doss sie
*uf einander drücken oder sonst einander schädigen'.
1) Schorere urteil Ilbdu idi daiiu wol alloin mit zu hiUe rufoB. In botreff der
""^lUktei-e kann K. Sclunidt , boim Ixuttcn willt-n ieina iinjiviJualisienmg in Banise,
^"»«-■iii, Chaniiiigrem, Rolini iindeu", <iio tiguran und verwicklangon seien vielmehr
"" *uiieBttitheB tTpisL'h. (-Iiulevius s. 164 meiüt, alk' figuren glichen einander, die
^**o hier, iüb schlecht*» dort, uitr in den' sthiuksaJon seit-ii einige hervortretend.
_. ™nig, der überhaupt nicht gnr viel von chÄrakteristit wis»eu will, ai^ s. 223,
*'eli>i- leiHi« etn'os mehr darin &ls Bui.holtz und Lohensteiu, tadelt aber nucb, dass
^^ tugundbelden wie die btisewiuhter ^''''strakt folgerichtig '', „geuau nach der iuatruk-
'^''■' «Ann. Ich finde das doch nicht so absolut: Cbauniigrom macht versuche, bes-
** £u orscheincD (210, 230, 330, 361], Balacin lernt en^t regieren und suheint mit
'*** imto SU wachsen, Bcandor hebt üich doch auch etwas. Eine eutwiuklung der
170 SIÜLLER-FRAÜENSTEIN
Dio engclschöne und ongelreiDO Banise und ihr tapferer u
getreuer Balacin sind das liebespaar par excellence, neben welches zi
andere von ähnlicher treue, wenn auch in abgeschwächten lichttöi
treten: Balacins Schwester Higvanama und Nherandi von Siam, <
lezteren Schwester Fylane und Palakin von Prom. Ihrer aller glü*
liehe Vereinigung nach Überwindung der grössten hindemisse ist <
ziel, dem der dichter zustrebt Zwei andere liebespaare von geringe
bedoutung bilden eine art zweiter gruppe, die das gemeinsame l
dass die weiblichen glieder derselben die männlichen erobern, so wei
die lezteren zuerst dieses Schicksal für begehrenswert halten, und d
dadurch die beiden hauptpersonon, denen hier Lorangy, dort Zaw
nachstellen, luft erhalten. Ein tiefgreifender unterschied liegt aber dai
dass Seandor, Balacins Paladin, im gründe doch die seinem he:
nachlaufende Lorangy übertnimpft und so zu einer seinem charah
durchaus entsproohenden höchst komischen lösung anlass gibt ]
prinz Zarang von Tangu dagegen, welcher um Banisens willen
grössten anstrengungon macht und deshalb sich einmal zu feigen v
hinterlistigen streichen hergibt, dann wider in frauenkleidung in c
tempol der prinzessin dringt, endlich neben Balacin, aber nicht
freund, sondern nebenbuhler, Pegu belagert, um Banise zu befrei
dieser Zarang dagegen, sage ich, wird von der ilim ewig getrei
Prinzessin von Savaady ganz regt^recht überrumpelt und nimt cii
völligen noigungs- und damit charakterwechsel vor, um sich ih
gviungonen list doch endlich zu freuen.
Auf der siegenden, nach unerhörten gefahren endlich triumpl
rendon stnte stehen sixlann noch in zweiter linie der alte Talemon i
Hassana, rA>rangys eitern, deren brudor Ponnedn», der „obcrhoflFmeii
üIht das fnuienzimnuT des käysers Chaumigrem*^, ferner die feldher
Padukko, Mangt>stan, der überlauter Martong und endlich der wi
Koningorim, welohor als neuer Kolim d. i. als Oberhaupt der hierarc
Si*hlii^ioh die khuumg di^ liebt^paaros ausführt.
(lOgonübiT diesen personon steht nun in allerereter linie
Wüterich Chaumignnu, der zuerst Higvanama, sodann Banise verfo
dann der nlw Rolini von Pegu, welcher neben seinem herm Banis
ihanikton» bat Ziarlor ft\*üich kaum orstn^bt. Hiohtis: ist zweifellos BoWrtags
-*:?4: ^PiT haupifehler sei, dass liioj^o horvnsvh - gal;uitoQ Sihnftstcller oharaktore sc
derlou, dio >ie im loWu iii.ht trafen*, woiui^itons in dem sinne, als sie übertreii
KNm^>o unt\»rs\hr\nlv ich s«nn urtei!: itrimmelshausen stehe in betrvfif der mensch
dATstellung weil hoher. Tri'iidem kann ieh das wei: werfende wert von dem ,[
liächon UDwert* dn^T lextM auf dio Uauis« weni^tens nicht mit beziehen.
ZIGLERS ASIATISCHE BANISE 171
besitz erstrebt; von ihnen erleidet der erste durch Balacin, der zweite
duxch die heldin selbst den tod. Neben ihnen wären als einzige, noch
etr^as charakterisierte nebenpersonen des ersteren bruder Xeminbrun
und der feldherr Soudras zu nennen.
Eine ganz eigentümlich grosse zahl schlechter väter und mütter
bew^ sich sodann mehr im hintergrunde der fabel, für die Verwicke-
lungen sind sie jedoch gerade von höchster bedeutung. So in Ava
Balacins und Higvanamas vater Dacosem, der die schlänge Chaumigrem
grosszieht und seinetwegen die eigenen kinder von sich stösst, ebenso
in Odia der vater Nherandis und Fylanes, Higvcro, welcher seiner
zweiten frau, jener beiden Stiefmutter, seine liebe zu den kindern erster
ehe opfert, femer in Prom Palekins vater und Stiefmutter, die genau
ebenso handeln, so dass der söhn unter dem namen Abaxar sein glück
in der fremde sucht, endlich Scandors vater, der den söhn einer sieb-
zehnjährigen Stiefmutter wegen davon jagt Die euizigon guten eitern
sind im gründe nur diejenigen Banisens, deren vater Xemindo in dem
besten lichte erscheint, und Lorangys, deren pflegemutter Hassana doch
inirner, wenn auch auf einem ungewöhnlichen wege, das glück dersel-
bon erstrebt, während Talemon als vater gleichgiltiger erscheint Von
den älteren frauen in unserem roman ist im ganzen also nicht viel
ff^tes zu berichten, die sticfinütter erscheinen besonders von ihrer
^'^schreckendsten seite, wie sie nur immer die Volksmärchen darstellen
Toxinen. Ein paar werte müssen aber im besonderen noch der oben
^^"Vrähnten Hassana und einer anderen duenna, Banisens hofdame Es-
^"^^ja gewidmet werden. Sie repräsentieren die intriguensucht der frauen
^^itleren alters, sind zu liebesafifairen trotz ihrer Verheiratung auch
^^Ibst noch geneigt, beide aber werden vom dichter mit überlegenem
^'^^Unor behandelt Eswara, des oberelephantenwärters von Pegu abstos-
^^nde gattin, stelt dem edlen Scandor selbst nach, Hassana aber erhält
^Hn sehr wider ihren willen zum Schwiegersöhne, da er sich für seinen
^^rm opfert und unter dessen namen sich zu einer ehe nötigen lässt,
^e ihm bei lichte besehen gar nicht so imeben dünkt
Die beiden hauptpersonen nun sind für unseren geschmack
^U rosenrot gekleidet Was ich an mangeln, die der dichter beabsich-
tigt haben kann, entdeckt habe, belauft sich bei Balacin darauf, dass
dieser einmal sich durch bestochene ratgeber abhalten lässt, in seines
feindeB abwesenheit gleich nach Pegu zu ziehen und Banise zu befreien,
sodann dass er nach der ersten befreiung der Banise mit ihr sich ver-
irt, obgleich er für die flucht alles vorher genau bestimt hat und wahr-
haftig zeit genug und vor allem gnmd genug zum erkunden des weges
172 MÜLLER - FRAÜENSTEIN
gehabt hätte, und dass er dabei schliesslich vorausreitet und sei
braut in feindeshand fidlen lässt, ohne einen versuch zu ihrer reitu
zu machen. Es sieht aber nicht aus, als ob das in des dichters auf
flecken auf des prinzen charakterbilde sein selten, obgleich doch be
male die gefahren und seelenqualen seiner verlobten dadurch verläng
und gesteigert werden. Zigler gibt ihm zwar eine art jugendlicl
Unbesonnenheit, lässt um schnell verzweifeln, Selbstmordversuche mach
aber er meint zweifelsohne das ideal eines jungen forsten in Bala
gezeichnet zu haben. Uns könte wol noch mancher andere punkt
ihm aufiGdlen, im handeln und im sprechen, doch sie erklären s
leicht aus dem anderen geschmack, der anderen zeitrichtung, sind ai
unbedeutend. Banise ist vom dichter entschieden noch vorteilhaJ
entworfen, engelrein an geist und körper, von heroischer willensstär]
aber an dem bilde der frau fallen uns doch gewisse züge noch m<
auf, die selbst vor 200 jähren nicht algemein unangefochten vor <
schönen leserinnen äugen durchpassiert sein mögen. So wenn Ban
in schimpfreden, wie sie heute nur das gröbste hökerweib braud
würde, allerdings in fürchterlichen Situationen, ausbricht, so wenn sie <
Kolim, den hohenpriester, um ihre ehre zu retten, mit dem deiche ersti(
Die frauen, das ist meine empfindung, hat Zigler überhaupt i
mehr energie im reden und handeln, um es mild auszudrücken, a
gestattet, als uns angenehm sein kann. Ich will da nicht seine eigt
Schaft als Junggeselle mit zur erklärung benutzen, wenn schon die v
liebe, mit der in den gesprächen über liebe und ehe abschreckei
beobachtungen angebracht sind, dazu verführen könte. Ich will ai
nicht bei den älteren frauen, die in die handlung eingreifen imd
ich schon erwähnt habe, länger verweilen; von deren untreue, eventc
ihren zotenhaften reden, soll später gesprochen werden; Eswara u
Hassana sind dafür typisch. Jedesfals kent der dichter aber seine z«
Die fleckenlose tugend Banisens und ihrer späteren Schwägerin Hig-
nama hält er jedoch als die edelste eigenschaft derselben fest, dui
ihr und der dritten prinzessin, Fylanc, verhalten werden im grur
die pessimistischen anschauungen, welche Scandor spcciell zur seh
trägt, lügen gestraft. Doch sanfte, liebliche figuren sind diese dann
ganz und gar nicht, sie gleichen viel mehr aniazonen, sind eine
mannweiber nach dem muster der Dido und Semiramis. Schwa(
nerven suchen wir vergebens, im hass imd in der liebe beweisen <
frauen sich als starke naturen.
Sind wir nun berechtigt, diese eigentümlichkeit niu* aus der rü(
sieht auf den geschmack der deutschen leseweit vor 200 jähren
ZIOLERS ASIATISCHE BANISR 173
erklären, oder können wir auch darin eine höhere hünstlerische Über-
legung suchen? Uns erscheinen diese frauen sicher weit mehr als
Asiatinnen denn Europäerinnen; aber die briefe der pfalzischen tugend-
^wächterin am hofe Ludwigs XIV., der herzogin Elisabeth Charlotte
von Orleans, welche durchaus in die zeit der Banise fallen, geben
uns allein schon den massstab, wie die damaligen deutschen Prinzes-
sinnen sich auszudrücken wüsten. Zwischen jenen tagen und der
gegenwart liegt das Jahrhundert der Sentimentalität, über die wogen
der Pamela- und Werther- Schwärmerei müssen wir hinüberblicken zu
dem öden strande deutscher verrohung, den der dreissigjährige krieg
hinterlassen hatte. Das berücksichtige man für das folgende.
Als Banise zum ersten male vor Chaumigrem geführt wird (231),
tritt sie noch ziemlich zahm auf, sie sucht sich durch „heStigste zom-
blieie" ihm verhasst zu machen und durch „viele scheltworte" ihn zur
volziehung des todesurteüs zu bewegen. „Blutbegieriger tyrann", „ver-
rätoT meines Vaterlandes", „henker meiner freunde, mörder meiner lan-
des-leute, bluthund" sind die titel, welche sie ihm zuruft Stärker
schon sind die ausdrücke, die sie nach dem verunglückten fluchtver-
suot vor ihrem peiniger gebraucht (266). Am höchsten steigt aber
wio natürlich ihr zorn, als der Rolim ihr gewalt antun will; die wen-
du-ügen, in denen sie ihrem gepressten herzen da luft macht, sind die
^^ri^ssesten, welche ihrem schönen munde entströmen, sie würden heute
^^x* in den dichtungen Zolas und seiner schule denkbar sein (353).
«Soliäme dich ins hertz, du alter stinckender geilheits-bock! Sollen
di^ götter durch deine unzüchtige scheinheiligkeit dermassen beleidiget
^^X'den? 0 so schlage doch der blitz deinen grauen schedel entzwey!"
^^d als sie von den reichsräten an des Rolim leiche gefunden wird,
l>ö>^egt sie sich in ganz ähnlichen ausdrücken (354).
Dieselben lippen aber, die sich durch solche zügellose reden ent-
^^ihen, können auch wider, wenn ein listiger anschlag durchgesezt
^^:»den soll, kokette und verführerische werte genug finden. So bei
"^1:1 Vorbereitungen zu dem verunglückenden fluchtversuch. Banise ist
®^^n erst vom Selbstmord abgehalten worden; in dem augenblick, wo
^^ den dolch in ihre entblöste brüst stossen will, tritt Ponnedro ins
^^^^^^omer und entreisst ihr die waflFe (233). Er sagt ihr: „Wo erd und
^^lle nicht vermag, kann bloss die list eines frauenzimmers auch selbst
^i^ unmögligkeit überwinden.'' Sie solle sich gegen Chaumigrem der-
^Msen anstellen, dass er mehr Ursache zur liebe als zur grausamkeit
*^ben möge/' Und als nun der tyrann zu ihr tritt, während Balaein
174 MÜLLER -FIUÜENSniN
hinter einer tapete versteckt ist, richtet sie an jenen die verfänglich
Worte: „AVo in dieser weit (245) noch etwas zu finden wäre, wen
ein gefesseltes frauenzimmer einen solchen Monarchen, welchem c
Vergnügung selbst zu fusse fallt, vergnügen könne, so wüste ich do
nicht, worinnen solche erfüllung beruhen solte?" Im weiteren verla
des gespräches weiss sie so doppeldeutig zu sprechen, dass es ihr
brautigam hinter der tapete bald heiss bald kalt überläuft; sie geht
weit zu gestehen: „Ein verborgener trieb entzündet mich, und e
innerlicher zug heisset mich lieben, das kan ich nicht läugnen.'^ S
weiss ihn« natürlich nur um zeit zu gewinnen, zu einer standesgema
sen Verheiratung zu bereden, dann solte ,,dem kayser die ersten ros(
ihrer liebe zu sameln mit freuden erlaubet sevn.** Und als der vc
liebte tj'rami eilfertig darauf eingeht, verlängert sie die unterredui
«mit veistelten liebesgeberden'^, nent ihn „mein schätz, mein augei
trost*^ und beichtet ihm, dass ihr „entflammtes hertze ganz entzüc
den Weyrauch beliebter g^en- liebe auf den altar seiner seelen strei
und sich diese glut in ihr nicht länger verbergen lasse.*^ „Sie schl
get zu mund und äugen heraus, weil mein geist von lust und lie
^eiclisam übei^^hwemmet wird/ ^Eben diese flanunen quälen me
hertze, und ich bin nicht weniger begierig unsere liebe vollkomm
zu machen.** Drei tsige frist bis zur Vermählung sind das resultat di
s»?s gespräches, und als der abend gekommen, an dem „das Tali** v
sich geben solK lässt sie sogar Chaumigrem wissen, dass ihm no
vor der engervn Verbindung ihr zimmer offen stehe. Damit ist c
gelogenheit zur flucht ermi^licht; kaum ist der verliebte bei ihr ei
getreten, so wei:si sie ihivn wundertronk anzubringen und entflie
Alle diot?e ^>ivnon sind aber, das nuiss zu Ziglers ehre gesagt werd<
nicht weiter siulioh au:>gemalt, Chaumigrem bringt es in summa 1
zu einem einzigen handku>;so, und auch seine wone halten sich h
in gx^bührvnden sohmuken.
Baiiis^^ns benelmieu ^"gen den Kolim und gegen Chaumign
können wir nach den irogelvnen Knspieien kaiun anders als extrai
£:;uu nennen: darauf IvjLiehon siv*^ meine worte« wenn ich sie amas
nenliaft linde. Die Jkümvkliohe uce, in die sie durch jene gebnu
ist. iHits>ohuMigte sie violleioh; vor 200 jahiv-n, heute urteilen wir stK
J^Y. lit^^n ihivn tHwas >iioiohher£ip>n vaier und gegen üiien hü
tigaiu, lilvriuiu)^ «v^hx alle anderen ivrsinien, mit denen sie rasa
nHHithft, Ä^il^ o>^"n den sudringliohet) priozon von Tangu, ist u
bleibe sie *iie *\lle und f^nni^'bildoto %ianie der vonielunen weit, an
ZIGLERS ASIATISCHE BANISE 175
nach unseren begriffen. Ihre briefe und gedichtet zeichnen sich vor-
teilhaft durch kürze und nicht gar zu übertriebenen schwulst aus. Ich
nenne als probe das antwortslied auf Balacins erstes liebesgedicht nach
der Verlobung; mir wiU es von allen das annehmbarste scheinen (164).
Auch in den scenen vorher, als Balacin seine liebe erklärt, spielt sie
eine natürliche und wirklich liebenswürdige rolle, ihre klarheit sticht
nach unserem geschmacke woltuend ab gegen die schwülstigen, unsäg-
licli breiten sätze, die Zigler dem prinzen in den mund legt und mit
denen er sicher einen glanzpunkt seines werkes geschaffen zu haben
glaubt
Ist demnach bei dem ersten und wichtigsten liebespaare unseres
baches der männliche Vertreter neben seiner partnerin etwas schwächer
gehalten, so ist bei dem zweiten das Verhältnis umgekehrt Der prinz
^lierandi hat dieselben höfischen tugenden wie Balacin, seine persön-
liche tapferkeit tritt in den schlachten aber mehr hervor als bei jenem.
Jähzornig ist er auch, so wenn er dem bramanischen gesanten den
ic>j>f abschlägt (287), aber im ganzen erscheint er schon gereifter als
Söin Schwager. Dessen Schwester dagegen, seine braut, hat insofern
®iö.e gewisse familienähnlichkeit mit dem bruder, als sie zu unbeson-
'iöx^en streichen neigt So schon gegen Chaumigrem und vor allem
*^öi ihrem anmarsch vor Pegu. Eine tagereise davon überlegt sie „mit
^Vi^send freuden, wie sie durch eine Verstellung das Aracanische lager
^^^'Schrecken imd sich hernach mit beliebter anmut zu erkennen geben
^^^Itö.^ Sie macht also halt, um am andern tag den bruder zu über-
^^^^chen, und — lässt sich von Soudras überfallen und gefangen neh-
^^^n. Gegen ihren bruder und ihren bräutigam verrät sie jedoch ganz
^^^Äselben treflichen gesinnungen wie Banise; sie gleicht ihr aber auch
verhalten gegen Chaumigrem, der ihr von dem bösen vater Daco-
au%ezwungen werden soll. Sie durchschaut seine lügen, weiss
^icih vor ihm zu verstellen und listig seinen anschlagen zu begegnen,
^'t^ndhaft weist sie alle Versuchungen zurück. Auch ihre reden lassen
^^hliesslich an deutlichkeit dem zudringlichen heuchler gegenüber nichts
^U wünschen übrig, nur dass sie weniger robuste ausdrücke als Banise
"Wählt „Hochmütige einfalt", sagt sie (s. 78), „ich als eine freygebohme
königliche Princeßin soll mich zwingen lassen, einen sclaven der laster
2a lieben? Unverschämter graff, schämet euch in euer hertze" usw.
Am meisten lässt sie sich einmal gegen Scandor gehen (53), als dieser,
ohne den Zusammenhang zu ahnen, sich zum Überbringer eines briefes
1) Selbst Wachler räumt ein, dass unter den eingeschalteten godichten meh-
iBxe lyrischen geist und tiefes gofühl veiTaten.
1 70 MÜLLER - FRAUKNSTEIN
von Chaumigrem hei^gegeben hat Sie speit das schreiben an,
OS zur erde, tritt es mit fiissen und redet den unglücklichen boten mi^
den freundlichen werten an: „Und du, verfluchter hund, dar&t dht^
unterfangen, mir von einer ewigverbanten person solche sadien einzx —
händigen, welche würdig wären, mit dem hencker beantwortet zu wer — '
den. Hiervon solte gewiß an dir der anfang gemacht werden, wencP-
ich nicht des Printzen (Balacin) verschonte. Inmittelst lasse dich nichts
gelüsten, vor meinem angesicht mehr zu erscheinen, sonsten soll dein
kopff auff dem nunpffe wackeln.^ Auch sie hat einmal Selbstmord-
gedanken, doch bewegt sich ihr Schicksal glücklicherweise in weniger
extremen bahnen als das ihrer Schwägerin, wenn ihr auch bei ihrer
gefangennalune gelegenheit geboten wird (s.368), „sich aller weiblichen
natur zuwider als eine ungemeine heldin zu beweisen^ imd tapfer in
die feinde einzuhauen. Das gedieht, das ihr in den mund gel^ wird,
ist gezierter als das Banisens (s. 48), doch nicht so schlimm wie man-
ches andere, die scene des widersehens mit Nherandi (370) recht leben-
dig und anmutend ausgeführt. Diese leztere partie und der bericht
von der briefeendung ihres geliebten, welche ihr bruder mit einem
ki>8tbaren goldenen Schmuckkästchen (s. 62 — 66) überbringt, sind die-
jenigen stellen, in welchen Higvanamas Schönheit und anmut am mei-
sten zur geltung kommen. Sie gibt da Banisen kaum etwus nach.
Das dritte liebespaar endlich, Abaxar oder Palekin von Prom
und FN'lane, Nherandis Schwester, unterscheidet sich scharfer von den
beitlen ersten als diese unter einander. Abaxar ist von den prinzen
im gründe der festeste oliarakter. Durch harte schicksalsschlage gestählt,
voll suvei^oht auf seine, voll mistrauen g^:en fremde kraft, vermag
er xu si'hweigen wie das grab, von langer band her anschlage zu
s^'hmitHlen und mit unvenirossener geduld sie durehznführeiL Wie eine
art Si'hwHTKen raohegeiste« steht er neben Chaumigrem, an Teja erin-
nernd nelnni dem Aohilleus-Totila ähnlichen Balacin. Ein mal auf dem
rtvhten arme, das wie ein sehwert gestaltet ist, hat gleich bei seiner
gi^burt ^ganti Asien "^ auf ihn aufmerksam gemadit Eine böse Stief-
mutter aber, die ihrem eigenen söhne die herscfaift zuwenden will,
hat ihn dem herzeji de^ vaters entfrvmdet und durch Vergiftungsver-
suche xur Huoht g^^riebiHU Fünf jähre weilt er dann in Martaban
iiux^niti^ als grat; Chaumigrem, ge^^n den er zu»^ t^^r gekämpft
hat, >vinl auf ihn aufmerksam und hebt ihn, den gefiuigoieQ, nach
und nach iu\mor hv^her, s^> da:^ er aik^^^hlaggebend in Ranjapfii^ Schick-
sal oingnMix'n kann. Kr, Talonion und daneben Scandor sind die über-
legten ratgx'U^r, die tialaoin Un der uumC^ofa scheineiidea befreiung
i AaunBDBB BunsR
frier prinzt«8in zur band gehen, ev gibt die entechpidenden nachrichteii,
zugclt das leidenschaftliciie ungentüni und weiss alles zum besten zu
wendva. Mit Fylane hat ihn bei der belngerung von Odia eine merk-
würdige Verkettung von itmstaudon zusianiinengefülirt. Bei einem stürme
ist er der erste auf der mauer, pflanzt selbst eine Peguanische fahne
auf, wird aber abgeschiiititu und gefangen genommen. Nun stirbt die
jüngste pmizessin von Siam, ihre stiefecbwester Fylane wird von der
bilst:ii Stiefmutter beschuldigt, sie vergiftet zu haben, ein vei-schmähter
licbhaber schürt das feuor, und Fylane muss tue flaniinenprobe erlei-
den. Von schmen: und aeeleniiual überwältigt, gesteht sie, was man
Villi ilir verlangt, und wird zur Verbrennung verurteilt Der Stiefmut-
ter ruft sie die entrüsteten worte zu: „Ha, blut-gierige bestie! du bist
iw«r eine henckerin meines leibes, aber doch uoch viel zu vteuig,
meinen willen zu zwingen oder mein gemütlie zn beherrschen. Die
«schreckliehe schlänge des höllischen rauch-bauses wird deine dräunng
»u dir erfüllen und ditli statt meines vaters mit schwartzen gei-
stern vermählen.'' Dem vator gegenüber bleibt sie eine gute toch-
"jr, sie sagt zu ihm: „Ob ich zwar von aller weit verlassen bin, und
■Dir deijenige, welcher mir das leben gegeben, statt dessen den tod
?©^väliret: so will ich doch auch sterbende die vaterliche band küssen,
iin<J die kindliche liebe nicht im geringsten beleidigen. Ihm, wei-the-
stt*!- Herr Vater, wünsche ich, dass die gütter diese that vei-gessen,
i"i»«l die räche von dessen liaupt abwenden wollen, loh sterbe als ein
ut»5Mhiildig gobursames kind." Von dem abwesenden bruder endlich
niiTit sie mit den worten abschied: „Dir, allerliebster bruder Nherandi,
iler ilti noch meinen tod erst mit innigstem Jammer erfahren solst,
»«eo ich die letzte gute nacht, und schicke dir durch die luffl den
letssten abschieds-kuli" {320 tgg.).
Wie andere — und wir fügen hinzu, wie viel schüner — stelt
"'gfor hier eine ähnliche sceno des nbsc:hieds von der weit dar als spä-
•ötiiin bei Banisena opfening! Ich muss auch hier wider auf die man-
"'Rfitltigkeit der mittel hinweisen, die ihm bei der Zeichnung ähnlicher
'^^Uiitionen wie ähnlicher Charaktere zu geböte stehen; ein dichter nie-
'l^rer gattung findet sieber nicht so leicht die kraft zu solch gofabr-
*-''*Oii expcrimenton.
Doch kehren wir zu dem trauerspiele in Odia zurück. Dem
**öf presst der rührende anblick schliesslich Iriinen aus, sein schmerz
_/7**^ht sich Inft in den worten: „Ach! wolton die Gütter, ea unterstünde
IPp'* jemand deine unscbuld zu behaupten, so wolte ich leicht zum
^py«ll zu bewegen seyn." Und Abaxar, der in ketten und banden in
I *C«StHHm 7, Df.üTSCHE PHIUILOnlE. BU. XSII. 12
178 XÜLLKR-FRAUEirSTKIN
der nälie steht, hört diesen seufzer, er ist von der Schönheit Fylanes
betroffen, von ihrem Schicksal erschüttert, und erbietet sich, nur mit
Schild und stab bewafhet, gegen jeden, er sei bewafhet, wie er wolle
für sie zu kämpfen. Trotz aller hinterlist der königin, die ihm einen
möglichst dünnen schild hat reichen lassen, besiegt er den gegen ihn
anstürmenden günstling derselben und errettet die Schwester Nherandis
vom tode. Der leztere aber erscheint gerade noch zur rechten zeit aul
dem platze, um weiteres unheil abzuwehren, Abaxar und Fylane untei
seinen schütz zu nehmen und vater und Stiefmutter mit der gebühren-
den strafrede zu brandmarken. Dass die zeit des gemeinsamen gewahr-
sams von Abaxar wol angewendet wird, um Fylanens herz zu gewin-
nen, versteht sich von selbst, der dichter ist aber auch so klug, was
Lohenstein kaum getan haben würde, sich darüber kurz zu fassen und
seine kürze vor dem geneigten leser durch die schalkhafte bemerkung
zu begründen: „Er werde wol selbst wissen, was er vor werte in der-
gleichen begebenheit gebrauchen wolte.'' Die weitere entwickelung dei
dinge ist in der inhaltsübersicht erzählt
Ich glaube kaum fehl zu gehen, wenn ich am Schlüsse der neben-
einanderstellung der drei fürstlichen liebespaare es offen ausspreche
dass die geschwister Nherandi und Fylane, dazu Abaxar noch heute
recht dankbare romanfiguren darstellen würden, dass aberBalacin, seine
Schwester Higvanama und seine braut Banise weit mehr fremdartige
uns nicht voll befriedigende züge tragen. Fylane ist weiblicher, Nhe-
randi und Abaxar sind männlicher nach den modernen begriffen ab
die anderen drei personen. Da sie nicht in allererster linie stehen
hat der dichter an ihnen nicht so viel zu potenzieren für nötig gehal-
ten als bei den gliedern des Avanischen und Peguanischen hofes, die
lezteren leiden unter der wucht sowol der ihnen beigelegten heroisch -
galanten eigenschaften als der ihnen zudiktierten erlebuisse. Für du
figuren ersten ranges haben wir heute einen andern massstab. Die
klarheit der seelischen Vorgänge ist bei Zigler zwar nicht verwischt
diese selbst sind aber unangenehm übertrieben. In anderer weise die
hauptpersonen interessanter zu machen war der dichter unfähig. £i
kann wol die ähnlichen gestalten ziemlich lebhaft von einander unter-
scheiden, in paralleten handlungon eine unterscheidende gruppierun^
und ausdrucksweise anwenden, aber anders als durch Übertreibung das
zu heben, was zu allermeist hervortreten muss, dazu reicht seine krafl
nicht aus. Er kann in eine persönlichkeit, die er geschaffen, nicht tie-
fer eindringen, sondern vermag nur die färben dicker aufzutragen; uns
ist die grössere psychologische feinheit in der Zeichnung der massstab
ZI0LER9 ASIATISCHE BANISE 179
fiir d^ grössere oder geringere Interesse, das die personen uns abge-
Wönen. Dazu kam noch ein anderer, wichtiger grund. In die schick-
sa/e Ifherandis, Fylanens, auch Abaxars sind wir im gründe doch
genauer, wenn auch auf viel geringerem räume, eingeweiht als in die
der drei partner. An den seelenqualen und körperlichen leiden der
lezteren gehen wir mit fast geringerer teilnähme vorüber; wir fragen
uns eher: Warum komt der dichter dazu, immer mehr und mehr Jam-
mer aufzuhäufen auf die vortreflichsten aller menschen? Der begriff
der tragischen schuld fehlt gänzlich. Man sieht aber auch den grund
der Vorliebe des alten Dacosem für den grundliässlichen feigling Chau-
migrom, unter der Balacin und Higvanama, schliesslich auch Banise
leiden, viel weniger ein, als warum der alte könig von Siam oder der
von t*rom, die sonst auch wie zwei — mit respekt zu sagen — alte
esel Erscheinen, ihre kinder so schlecht behandeln. Da spielt wenig-
stens eine sicher recht hübsche zweite frau die rolle, welche hier einer
wahren misgeburt zufalt
Doch wir gehen über zu den nebenpersonen. Da ist nun zunächst
figur Scandors mit unleugbarem geschick entworfen und ausge-
führt i. Er behält stets seine frische leichtlebige manier bei, ist dabei
^^^ scharfem blicke begabt, gibt mehrmals den einzig guten rat und
"^rt entscheidende Wendungen herbei; er opfert sich als treuer diener
^^^ht nur ein-, sondern mehrmal, in den schlimsten momenten steht
*hni seine menschenkentnis und ein gewisser, halb höfischer, halb bäu-
^scher humor bei. So windet er sich aalglatt durch alle verwicklun-
1) Sclierer nent ihn einen „humoristischen diener" neben dem tapferen lieb-
^iaber^ der edlen, duldenden prinzessin und dorn schrecklichen tyrannon, Schcrr
'»^^tie art von hanswurst zur vorsichtigen ab wehr alzugrosser schmerzen.'' Cholevius
^ I64 sagt: „es verdiene der versuch, inScandor eine besondere individualität aufzu-
stolle^^ beachtung. Sein stand erlaubte ihm ein munteres, witziges wesen. Der
'^^al gestirnte hen* bewege sich meist in tragischen Situationen, neben ihm stehe der
^^^pimchsloso, lebenslustige, leichtblütige, treue diener. Bisweilen seien seine scherz-
^^u etwas ungelenk, sein witz g»?]ie nicht über die gewöhnlichsten spässe liin-
^*^ (?!)." Als bcispiele führt er an das gcspräch, worin Balacin Scandor zurodet eine
/^^ 2u nehmen, dann die scene, in welcher leztcror als verkleideter portugiesischer
^*i<ller die hofdamen in Pegu an der naso herumführt, und drittens die antworten,
^*cl^e er nach seiner ersten gefangennähme Chaumigrom gibt. Von diesen scheint
**" das erste gar nicht zu passen, die beidon anderen eher. Bobortag s. 254 macht
S^ßon Gottscheds tadel, Scandor sei zu sehr hanswurst, geltend, dass, wo alles sehr
^^^ gemalt wird, auch die derbheit des humors nicht alzusehr absticht Sonst hält
-^ ^fassen ausstollungen gegen die Charaktere fest; diese wichen von der wahren
^^^^liafifenheit der zeit, in welcher sie sich befinden, ab. Er lobt es auch, dass Gott-
^^<i seineD tadel nicht ausdehne auf die couscquenz der Charaktere an sich selber.
12*
180 MÜLLER -FRAUENSTEIN
gen hindurch, an den Sklaven in der alten komödie, an die kammer-
kätzchen des älteren französischen lustspieles erinnernd, erntet dabei
die hand und das vermögen eines vornehmen jungen mädchens, dasL
von einer halb wahnwitzigen liebesraserei zu seinem herm erfüllt ist^
und steht am schluss als festeste säule des neugegriindeten hinterindi —
sehen reiches neben dem throne der unvergleichlichen Banise und ihre^
Balacin, in alles, was diese beiden hauptpersonen betrift, wie* niemand
sonst eingeweiht und ihi'es Vertrauens in jeder hinsieht wert Er stanzet:
übrigens aus einem alten adeligen geschlechte von Ava. Licht und
schatten, Idealität und realität sind bei diesem charakterbilde in glei—
eher weise zur geltung gekommen. Ein liebenswürdiger Schwerenöter,
über dem der himmel öfter einzustüi*zen droht, dem aber schliesslicb
alles gut ausfallen muss, steht da vor uns, wie wir ihn uns gern in.
die zeit denken, wo höfische gewantheit und selbstlose Unterwürfigkeit
unter eines fürsten gebot und Interessen das höchste äussere glück ver-
anlassten. Der alte Talemon ist zu dem jugendlich -kecken Scandox-
ein in etwas matteren, aber ebenfals anziehenden färben ausgeführtes
gegenbild; er ist von derselben treue im grauen haar wie Scandor im
braunen, aber seine frische ist nicht nui* infolge der schicksalsschlägp^
und des alters, sondern auch der erfahrungen, die er in der ehe g^^
macht, unmöglich geworden. Er, der im verlaufe des romans zuitmi
Schwiegervater Scandors wird, hat durch seine frau, für die der auto^
nur sehr grelle und unangenehme färben auf der palette im verrat häl "Ä?
von einer und zwar der schönsten seite des lebens, von den fireude-
der familie, offenbar nur sehr schwache Vorstellungen bekommen. Sca
dor bringt ganz eben solche schon vor seiner ehe mit, er spricl^ ^
witzige und weltkluge ideen über die frauen und die liebe aus, uuc^
nach der art, wie er mit seiner zukünftigen Schwiegermutter imd frau
im ersten und zweiten buche umspringt, wird man hoffen können, ei
werde das alte Sprichwort: „Die ersten jähre der ehe sind die lezte
der erziehung" wie an sich selbst so vor allem an seiner Lorangy^^
wahrmachen, an der Schwiegermutter Hassana scheint allerdings hopfen^
und malz verloren.
Scandors abenteuer sind zahllos, seine reden geradezu gespickt
mit den fruchten von Ziglers lesewut, aber ich kann nicht sagen, dass
die contouren der persönlichkeit dadurch verwischt wären. Alles hat
vielmehr ein bestimtes gepräge, was mit Scandor zusanunenhängt; seine
unverwüstliche spotlust, die aber nur selten verletzend wirkt, geht
hand in hand mit einem gesunden menschenverstand. Wie für seine
lose zunge diese beiden grundzüge massgebend sind, so ist für seine*
' HQ1.KR9 iBIATISCHE BAKIBE !8I
handliingswcLse der vorteil seines lionii alloin bestimmend. Er spielt
den Don Juan nnr in dessen interosse, um seinetwillen verheiratet er
sich mit Lorangy, um seinetwillen hat er vorher der alten Eswara den
liof f^mafht und ist dabei, da er von deren gatten in ihrem zimmer
überrascht wird, in eine ziemlich fatale Situation geraten. Diese bei-
den novellenartigen episodeu sind ganz in der art des Decanierou oder
der Canterbury Tales gehalten, nur dass sie weit reinlicher vcrlaulon
und weit mehr die lach- als die sinnonlust erregen. Seinen humor
verliert Scandor weder, als er unter der „oberdecke" noch als er unter
dem „teppich" versteckt liegt, weder als die intriguantin Kassana noch
uls des oberelephantenwärtei-s hiindchen ihn anbelt. Das eine mal muss
die überkluge mutter erkennen, dass sie den diener statt des herrn
zum Schwiegersohne gepresst hat, das andere mal bleibt der unnötig
eifersüchtige gälte in dem teppich zu einem ballen eingeschnürt auf
dem schlachtt'elde liegen. Amüsant ist Scandor doch auch als verklei-
deter portugiesischer handler in Pegii bei des tyrannen Chauniigrem
I tfraucnüimmer" (253 tgg.). Er preist „point d'Espague an (wie Bober-
'»g meint, wnl eine art spitze), das von Pariß aus Sachsen kömmt und
denaassen wohl genäht, daß man Höhe darinne fangen könte", ferner
ntreffliche saphire, womit man sich ein gehäßiges gemüthe verbinden
''m", endlich ein „köstliches schmincköhl", dessen beschreibung er in
•■inem buche von seiner grossmutter- Schwester- sohuestochter gelosen
"ftbo. Zweimal tritt er als gefangener vor Chaumigrems äugen. Das
^ Beste mal mit einem wahren galgenhumor; da berichtet er dem wüte-
^B^h, sein herr sei heute „auff der post vorbeygegangen" und habe ihn
HPSt dem feüeisen (der wider eingetangenen Batiise) ziirückgolassen,
it»oh das zweite mal sieht Chaumigren ihn sehr unkluger weise wegen
spXT^er lustigen einfalle nur als einen narren an. Von seiner militü-
"^'lilien lanfbuhn ist schon kurz berichtet; ganz zu dem charakterbilde
P**SBt nun die leichte art, mit der er über seine tapferen taten hinweg-
S'^Ht Er rettet z. b. in der ersten schiacht Balacin das leben (39 fg.),
'^'■»'d dabei verwundet, aber dann in die algemeine flucht mit ver-
"■»c-keK imd berichtet das mit den Worten: „Jeder fragte seine füsse
'^'*i rat und eilte, dass er nicht wusste, ob feind oder freund hinter
™|**»i war." Er erwartet deshalb „mit einem schimpfl'Üchon lufllarreste
|K^«get", d. h. gehenkt zu werden und beschliesst „auch im todo eine
^^^Vnassen hoho mine blicken zu lassen, daß ihn jedweder fremder vor
^^P*ien TTnter-Feld-Herm angesehen und respcctiren müstc." und vim
^^^Iner Stimmung vor diesem seinem ersten treßen legten die naiven
^F'Cirto am geständnis ab: „Hier verließ mich die Courage auff einmahl.
182 MtLLRR - FRAUEN8TRIK
daß ich auf der stelle umkehrte und mich zur bagage begeben woli
Zur rede gesezt, stösst er die in der eile ersonnene entschuldigung h
vor: „er wolle nur den muster-schreiber sein testament au&etzen 1
son, weil er doch wol einsehe, es müsse gestorben sein." Und als <
befehl, sich auf tausend schritte zurückzuziehen, komt, freut er s
herzlich, „in meynung, es würde so bis in Ava hinein währen, da
denn gewiß nicht der letzte zum thore wolte gewesen seyn." Gj
charakteristisch ist da wider der zusatz: „und freute ich mich seh
wie mich meine liebe mutter aus dem gefährlichen kriege so sehnl
empfangen würde." Diese liebe mutter ist die junge dame von si
zehn Jahren, die den alten vater beherscht und den stie&ohn verfc
hat Ganz bezeichnend ist dann seine weitere erzählung: Bei d
„entsetzlichen Wort: Setzt euch, schließt die glieder, macht daß gew<
fertig! fragte ich meinen Printzen gantz ängstlich: Gnädiger Herr, s
len wir auch feuorgeben?" während seine abteUung doch nichts als spie
und Säbel hatte. So treibt er es am anfange seiner militärischen la
bahn, so bleibt er bis ans ende, der spassmacher par cxcellonce, <
dem tode unzählige male lachend ins äuge schaut
Gerade die nach Gottscheds ausdruck „übel angebrachte" pers
des Scandor fesselt, zumal sie nie aus der rolle fält, uns dergcst
dass selbst die langatmigen erzähl ungen des ersten buchcs, die ihm
den mund gelegt werden, durch die art des Vortrages einigermas:
erträglich werden.
Über die anderen nebenpersonen ist es kaum nötig, uns des ¥
teren zu verbreiten, zumal schon von allen die hauptzüge angegel
sind. Dagegen verlangen Chaumigrem und der Rolim, welche •
böse princip darstellen, noch eine kurze betrachtung. Bei ihnen t
dasselbe zu wie bei Banise und Balacin; wie diese zu rosenrot,
schauen jene zu kohlschwarz aus. Der fluch der lächerlichkcit ha
trotz aller grausamkeit an dem „Ertztyrannen"; persönliche feigb
ungeschickte manieren, grobe redewendungen kommen zu einem üb
sätlichen blutdurst und unbezähmbaren ehrgeize hinzu, um den mi
möglichst verächtlich zu machen. Überall holt er sich deshalb ai
körbe. In Martaban hat er von nicht weniger als drei vornehmen fir
lein, die er später henken lässt, abschlägigen beschoid erhalten (145),
Ava wUl die prinzessin Higvanama, in Pegu Banise nichts von i
wissen. Die gedichte und briefe, die er verfasst, sind die allerkoi
schesten (z.b. 55, 72, 73)^; es ist kaum anzunehmen, dass Zigler da
1) In dorn enten, an ffigramana goriohtetea briefo spricht er vom ,lieiü
iKtai^ «od '■ 'HoUn Sitx: ,Eb reisset mich höfitig
ZI0LER8 ASIATISCHE BANISE 183
oi3Jiie absieht verfahren hätte, und ich sehe deshalb im besonderen die
g^3>^chte mit etwas günstigeren äugen an als die meisten sonstigen kriti-
k^^:»; sie sind dem dichter ein kunstmittel zur Charakterisierung und zwar
emsM:y^ mittel von durchaus ungewöhnlicher art Am meisten tritt dies her-
v^:>:i:, ausser bei dem von Chaumigrem verfertigten und unter Nherandis
DCÄ^^Mke abgeschickten sterbelied, bei Scandors ,,nacht-liedgen'' (209) mit
de^Äii anfang: „Hier kömt Scandor, der Götter affenspieP'; dasselbe ent-
sp^xicht durchaus der manier seiner ungebundenen reden. In der ersten
s(3]3lacht spielt der spätere kaiser geradezu den Horribilicribrifax. Er
h.sL± den Oberbefehl geführt, Dacosems, des ältesten prinzen von Ava
to<3 verschuldet und als erster flüchtigen fusses die schützenden mauern
angesucht Während aber Scandor sich zu den versen aufschwingt:
Ihr Götter! soll ich unverhofft
Mein leben schliessen in der lufft;
So soll mich dieser tod nicht kränckön,
Lasst Chaumigrem nur bey mir hencken,
g"ibt der leztere eine darstellung seiner heldentaten (s. 77), wie sie Gry-
phixxs seinen beiden Bramarbas auch hätte in den mund legen können.
A^xxch die folgenden schlachten finden den miles gloriosus stets ebenso
*^rf dem gesichertsten posten, nur vor Prom wird er bei einem nächt-
liolien Überfall verwundet Von dem Eolim endlich ist kaum mehr zu
n, als dass er überall der lüsterne, herschsüchtige bleibt bis
tode.
Solchergestalt sind die Charaktere, welche der dichter entworfen
^^t- Mit welchen mittein nun führt er sie uns vor äugen?
Wenn ich von meinen eindrücken auf die anderer schliessen darf,
^^ gelangen wir zu dem scheinbar seltsamen resultat, dass alle die per-
^^ix^n, von denen er äusserlich und innerlich ein beschreibendes
^^ entwirft, vor unserem geistigen augo es absolut nicht zu einem
klaren konterfei bringen können. So Banise selbst, Balacin, Hig-
ama, am ersten noch Chaumigrem oder etwa Lorangy. Dagegen
en figuren wie Scandor, Talemon, die er nur indirekt, in ihren
^n und handlungen charakterisiert, ganz bestimte gesichtszüge auch
meiner phantasie an. Ich meine, man erkent daraus, wie in sol-
romanhelden gleich den leztgenanten nicht nur das algemoine,
am auch das besondere von dem dichter wirklich gut getroffen
^^Ifden ist, mag ich mir nun Scandor oder Talemon in der kleidung
^^Iwn sohenckel, wobey sich auch ein durch fall befindet; allein ihre huld kann
heilen, und allen schmertzen vertreiben**; er unterzeichnet: „doro liebenswür-
Ch.*
1 84 MÜLLER - FRAU£NSTRIN
und mit dem bart- und haarschnitt des 17. Jahrhunderts oder unsere]
zeit vorstellen. Auch in dieser beziehung scheint mir Zigler etwas
höher als seine zeitgenössischen rivalen zu stehen. Während er aussen
zustände, ich meine in der natur und geselschaft, gern beschreibt, ist
er damit sparsamer bei personen; das tut er vielleicht doch mit absieht
Denn es sind, wie die nachfolgende aufzählung ergibt, doch nicht
wenige, die nicht direkt geschildert werden, deren äusseres und inne-
res bUd wir vielmehr selbst construieren aus ihren eigenen reden und
handlungen oder aus den urteilen anderer über sie. Wie sich Zigler
eine besonders schöne und eine besonders hässliche frau, wie er sich
den „Feuerbrand Hinterindiens" äusserlich vorstelt, kann er allerdings
sich nicht versagen auszumalen; auch für eine mittelmässige Schönheit^
wie es doch neben Banise und Higvanama die prinzessin von Savaady
oder Tjorangy sein sollen, gibt er eine beschreibung, sonst ist nur Ba-
lacins portrait noch schärfer gezeichnet; damit sind wir in betreff der
direkten Schilderungen seiner romanfiguren am endo.
Vergleichen wir jezt die einzelheiten. Des hauptheldeii bild wird
sehr bald entworfen (22), Lorangys blinde Verliebtheit soll dadurch ver-
ständlich werden. Dazu erhalten wir bei gelegenheit des schifefestes
Sapan Donon in Pegu eine darstellung seiner paradekleidung (131)
Für seine heroisch -galanten inneren eigenschaften geben zeugnis seine
tapferen taten und seine liebesreden vor Banisen. Die lezteren sind am
meisten charakteristisch für den dichter des 17. Jahrhunderts; als probe
benutze ich die kostbare liebeserklärung, durch welche die prinzcssic
gewonnen und Balacins incognito aufgegeben wird (159): „So breche
demnach die kette meiner schwachen zunge, und bekenne aus inner-
stem gründe seines hertzens, dass Balacin, Printz von Ava, bereits mit
dem einen fusse das grab berühre, wo ihn nicht die überirdische leut-
Seligkeit der himmlischen Banisen vom todo errettet Denn wie die
Sonne auch abwesende würcket, und man den unsichtbaren Göttern die
meisten opffer gewähret; also schwere ich, daß mich dero Schönheit
auch in der ferne venvundet, und die strahlen ihrer tugend entzündet
haben. Die begierden haben durch dero hohes lob auch von weiter
als ein zundcr glut gefangen, welche aber nunmehro durch den blit?
gegenwärtiger kraflft vollkommene flammen zeigen. Hemmet sie nur
nicht, unvergleichliche Banise, diese brunst, und lasset die brennende
Sonne sich nicht in ein güldenes licht süsser gegenhuld verwandeln
so muß Balacin zu ascho werden. Ich erkühne mich nunmehro unge-
scheut zu sagen: Ich bin verliebt. Banise ist die Sonne, ich ihre wende
sie ist mein nord-stem, ich ihr magnet Schönste Vollkommenheit
ZIOLKBS A8UTISCHE BANISE 185
mein glüendes hertz zündet ihr den Weyrauch reinester liebe an, und
ich schwere auch mein getreues leben aufzuopffem. Weil nun der
Götter tempel dem offen stehet, welcher sie zu verehren suchet: so
eröfl&ie sie demnach ihr himmlisches heiligthum der soelen, und ver-
schmähe nicht das flammende opffer ihres ewig gewiedmeten Balacins.''
Neben dieses nonplusultra von geschmacklosigkeit in unserem sinne
und von feiner redeweise nach der anschauung unserer voreitern vor
200 Jahren muss man die kernigen werte halten, mit denen derselbe
mann seine feldherren vor der schlacht von Abdiara anfeuert; sie klin-
gen an livianische reden an (s. 340).
Banise tritt in den vei*schiedensten seelenzuständen auf, einmal
schamhaft errötend bei der Verlobung ihres paladins, ein andres mal
leichenblass zu dem gefesselten vater hinschreitend, um ihm vor dem
tode ein glas wasser zur labe zu bringen, dann wider mit geschwun-
genem dolche an des Rolim leiche oder mit wankenden knien vor dem
opferaltare. Ihre äussere erscheinung wird von Scandor ausführlich
beschrieben (s. 126). Schwarze äugen, hochblondes lockenhaar, ein etwas
aufgeworfener mund sind nach Ziglers phantasie die wichtigsten athi-
bixte dieses ideals weiblicher Schönheit. Können wir es dem edlen
Balacin verdenken, wenn sein ganzes wesen sich umwandelt, sobald
diese Schönheit sich ihm zugeneigt hat? Scandor malt gar nicht übel,
^'©nn auch vielleicht etwas spöttisch, seinen zustand aus (s. 161 fg.).
B^i der abschiedsscene (s. 166) sehen wir Banise „auflf einem stule in
solcher erbärmlichen gestalt vor uns sitzen, daß die unbarmherzigkeit
sölbst zu einigem mitleiden hätte müssen beweget werden. Die schö-
^^n haare waren zu felde geschlagen, ein dunkel-gelber atlaß verhüllte
^^n schönen leib, und gab zugleich die innerste traurigkeit ihres her-
^iis zu erkennen. Die häufiBgen thränen schienen einen theil der
Vorigen anmuth weggeschwemmet zu haben, und das englische haupt
^ar von der lincken band als einer marmor-seule unterstützet" Die
^^hrenden trennungsklagen schliessen die „beweglichen werte'' Bani-
^^s: ,,So fahret wohl, mein Printz, mein Engel, mein Leben, fahret
^ohl! imd bedenket, dass ihr etwas hinter euch gelassen, welches sich
^^^Tch langes abseyn selbst verzehren würde. Fahre wohl, liebster
^^atz, den mich die liebe du zu nennen zwinget! Fahre wohl, weU
^ doch muß geschieden seyn. Die Götter führen und begleiten dich!
^ müsse lauter Sicherheit auf allen wegen wachsen, wo du nur dei-
^^U matten fuß hinsetzen wirst! Wo du dein Haupt hinlegest, da
^^^Bchatte dich der Götter Schutz! Ja es müssen alle deine tritte zu
^^n werden! Fahre wohl!'' Eine sin lieber gehaltene beschreibung
186 NÜLLEB- FRAUENSTEIN
von Banisens körperreizen, die aus des Rolim munde komt, hebe i
für eine spätere gelegenheit auf und erinnere hier nur noch an (
stelle, die uns Banise vor dem opferaltare zeigt (s. 388).
Yen dem prinzen Nherandi erinnere ich mich nicht, wie seh
oben angedeutet, eine direkte Schilderung durch den dichter gelesen
haben. Der eindruck, den er auf die holdselige Higvanama genuu
hat, und seine tapferen taten sprechen lebendig für ihn. Dagegen erb
ten wir von seiner braut durch Scandor ein bild, das ein ande
Schönheitsideal als das der Banise darstelt (s. 49). „Sie war eil
anständigen länge, sehr wohl gewachsen, ihr haupt war mit kol
schwartzen natürlichen locken bedecket usw." Später finden wir sie
garten, wo sie von ihrem bruder mit Nherandis brief angesucht w.
(s. 62). Sie bewilkomnet ihn „mit einem dermassen anmutigen kussn
dass Scandor noch bei dem berichte „durch blosses gedencken der mu
voll Wasser läufiPL" Bei Fylane und Abaxar verhelfen uns nur <
eindruck, den sie auf einander und auf andere machen, imd ihr v
halten in den schicksalsschlägen, die sie treSen, zu einem deutlict
bilde, direkte beschreibungen von ihnen gibt Zigler nicht Das glei(
gilt von Scandor und Talemon; der leztere lässt einmal eine bemerkv
fallen, die sein vorleben beleuchtet Er sagt nämlich (s. 88): „Die G
ter haben die Sünden meiner Jugend durch meine itzige ehe geroche
Von seiner frau Hassana hören wir ebenfals nur auf indirektem we
alles ist aber auch darnach angetan, des ehegatten urteil zu bestätig
Sie liebt den trunk, ist neugierig und herschsüchtig, plump, ja roh
reden und handeln. „Einfaltiger mensch, der gewiß sehr jung aus <
liebes -schule entlauffen ist", so redet sie dem verkleideten prinzen
gewissen, als dieser ihre deutlichen anspielungen nicht verstehen i
(s.29); „fremde lumpon-hunde" ist ein anderer ehrentitel für die un,
betonen gaste (s. 86); sie denkt sogar daran (s. 87), „nach hofe zu la
fen und ihren alten zu verrathen, daß er verdächtige fremdlinge ausi
beherberget", und fügt die herzlosen werte hinzu: „Hierdurch räi
ich meine schmach, und kan mit gelegenheit auch meines alten
werden." Das stimt nun ganz zu dem, was wir aus ihrem und ih
ptlegetochter munde von ihrer Vergangenheit hören. Erstere erinn
sie: „Sie weiß ja selbst, wie starck das süsse gift der liebe sey, u
hat deren wün*,kung so wohl gegen den bewußten Hof-Juncker
auch den Portugisischen cammer-diener sattsam empfunden." Di'
anspielung bringt die mutter zu dem geständnis, dass sie sich „dui
das süße andencken voriger liebe gantz verjüngt befinde", aber sie fi
den stossseufzer hinzu: „Ich bin zum höchsten leidwesen mehr
ZI6LEBS ASIATISCHE BANISE 187
sechsmahl dergestalt angelauffen, daß man mit mir wie mit einem ver-
salzenen brey umgegangen, welchen jeder, wenn er ein paar löfFel
davon genossen, stehen lassen" (s. 88). Die pflegetochter Lorangy steht
entschieden trotz der komischen rolle, welche sie spielt, etwas höher.
Als die mutter ihr „eine nothwendige regul" (nämlich spröde zu tun)
für „uns frauenzimmer, welches profeßion von der liebe zu machen
suchet", geben will, antwortet sie: „Ich begehre keine profeßion von
der liebe zu machen, welches sonst gar eine verdächtige art zu reden
ist*', aber sie fügt hinzu: „Dieser junge fremdling, er sey, wer er sey,
hat mich dermassen verwundet, daß ich fürchte, wo nicht das pfiaster
ehlicher liebe darauff geleget wird, es dörfifte auf eine verbotene cur
naus lauflfen." Und auch sie bricht, als der prinz sich immer einfal-
%er stelt, in die werte aus: „Alberes geschöpflfe, wie hat sich doch
Schönheit mit einfalt so imrecht vermählen können? Ich liebe euch,
öud begehre, wiederum von euch geliebet zu werden'' (s. 22). Ihr
äusseres malt der dichter folgendermassen: „Sie war sonst von gemei-
^^^ Schönheit, mehr lang und starck, als wohl gewachsen, blasser färbe,
verliebter äugen, etwa 24. jähr alt, und endlich einer standes-gleichen
Hebe noch wohl würdig: Ausser, daß man einigen mangel, des sonst
dem frauenzimmer anständigen Verstandes, an ihr verspührte: indem
^Jö die flammen ihrer begiorde durchaus nicht verbergen, noch sich in
*U-2u hefitiger liebes -bezeugung mäßigen kunte"; sie selbst zählt ihre
^i^e ähnlich auf (s. 91 u. 92). Man merkt die doppelte absieht Ziglers,
eianaal Balacin als unwiderstehlich und vor allem als treu darzustellen,
^d«inn gegen die tugendheldinnen Banise, Higvanama, Fylane einen
koiitrast zu schaffen.
Ebenso übertrieben, wie dies leztere hier geschieht, falt aus dem-
^''V^en gründe die beschreibung Eswaras durch Scandor aus (s. 122.
^^S). Die holde dame ist später ungeschickt genug, Banisens verhält-
^^ zu Balacin, das sie zuerst unterstüzt hat, dadurch entgegen zu
*^^^iten, dass sie den prinzen von Tangu verkleidet in den tempel,
^^^n die prinzessin verborgen gehalten wird, herein lässt; sie wird
"'VTMh den Rolim entlarvt, und, indem sie durch fremden tritt die hei-
"s-^eit des tempels entweihet, jämmerlich gesäbelt" (s. 306). Dieser
P^^^^z Zarang von Tangu nun und die energische prinzessin von Savaady
^^^en im ganzen ebenfals mehr indirekt charakterisiert; von lezterer
^^^Mlten wir jedoch aus Balacins, von ersterem aus Banisens munde
^*^^X leidliches äusseres bild.
Als dem prinzen von Ava zuerst die prinzessin von Savaady ver-
^^t worden ist, klagt er: „Ist dieses die vorgestellte Schönheit, die ihr,
168 HOL
betriiglicilp Oftttcr, mir im ti-aiiin zu zeigen, nk'ht aljL-r im 1
zustollon vennöget':' Ist dieses die sfliönc tocbter des Königs 3
von dero übeiirdiai'hcn Schönheit das gerüchte fast gante Asien bvgiorii;
geoiaclit hat, sie zu sehen? 0 su darff sich mettif^ ScJiwester vor
beglückt achten, daß sie dieser gar gerne den lorbeer aiis der band
reisset" Scandor wirft dazwischen; er müsse duch gestehen, da« dien
Prinzessin „«einer Einfalt nach noch recht liebenswürdig spy." Dec
prinz aber antwortet, „Sie ist mir ein schatten gegen jenem trsume«
Denn wie jener «labaäterno stii-ne durch die lichten lucken nni eJB
grosses erhaben ward: also mißfallen mir an dieser nicht wenig dbe
rrtthlieh scheinenden haare, welche nielit selten einen bßgen sinn ver-
rathen. Und wie jenes angosichte diii-ch eine runde gcstalt seine «mia^
tliigü vüllkommenhcit darstellet«: also überschreitot dieses dnrch eini^
länge die gritntzen der Schönheit, üire äugen sind zwar mehr schw&rta
als blau, jedoch sind sie nur wie ausgelöschte kühlen, bei donen äch
kein schwefel der liebe entzünden kan. Ihre lip]ien sind KWar coral-
len, doch ohne magnet, und ihre wangcn ein mit rosen alUoliäiifi^
überstreutes feld. In summa, es mißßUlt mir etwas an ihr, welchee
ich selber nicht vorstehe, noch sagen kan." Trotz der gesi^hmackloscr
spräche, in der Balacin sich ausdrückt, mlissen wir doch die deutUch-
keit anerkennen, mit der der unterschied zwischen den beiden weib-
lichen Schönheiten angegeben ist. Der prinz von Tangu dagegen, dem
die Savaadysche königstochter nnTerbrüchlich treu bleibt, wird vDfl
Zigler im gründe mit viel weniger günstigen tarben «usgcmalt; er iai
auch ein wesentlich zum bösen geneigter eharokter, kunisch, ohne
selbstbeherstOiung, nur seinen neigungen nachlebend, ohne die wildhtöt
itnd bosartigkeit Chaumigrems, aber in sinneslust, tölpischer gebenlc
und derben reden ihm nachstrebend. So kann man es der tugtmd-
reichen Bauise nicht verdenken, wenn sie dem vater erklUrt: „Ich bitte
mich eher zu einem opffer als zu einer braut des !(orangs ku bestel-
len, ich will eher seinen sebcl als seine lippen küssen, weil mich dei
tod mehr als sein purpur ergötzen soll. Erwegen E. M. doch, ob die-
Bflr zu lieben sey, welcher sich gleich denen bestion fast stündlich in
iii^ten Lastern besudelt, und seine bruust täglich durch frischen Wech-
sel KU kühlen trachtet Seine hochmuth verwandelt sich üften in
grobheit und kan hierdurch auch der gemeinsten Seelen einen ecke)
erwecken. " Doch hat der dichter ein einsehen und lässt das zieinlicfa
\inü)inlichn paar zum Schlüsse „lange jähre in größter zufriedonhoit und
Vergnügung beysammen leben imd unterschiedene tapffere zengen ihrw
liebe erzielen."
ZIOLERS ASIATISCHR BANISE 189
Wie Banisc vom dichter dazu ausersehen ist, von diesem lieb-
baber im gespräche ein bild zu entwerfen, so auch von dem zudring-
lichsten aller ihrer Verehrer, dem Rolim. Sie antwortet ihm einmal
auf seine verliebten reden: „Es sey nun, alt^r Vater, eure liebe ernst
oder schertz, verboten oder erlaubet, so werdet ihr euch doch wold zu
bescheiden wissen, daß derjenige, welcher sein beschneytes haupt noch
mit Venus- myrthen zu bekräntzen suchet, nur feuer in den schnee
und im winter rosen suchet Und wie sich ein bleyerner liebespfeil
der alten gar nicht nach dem güldenen ziel grünender Jugend richten
lässt; also weiß ich nicht ob ich zu viel rede wenn ich sage: es ver-
diene meine Jugend ein grösseres mitleiden, als daß man sie mit einem
nach dem grabe scluneckenden küsse qvälen wolte" (s. 299). Es bleibt
uns nur noch übrig, die kunstgrifife des dichters zu verzeichnen,
durch die er Chaumigrems persönlichkeit lebendig vor unser äuge zu
bringen sucht. Scandor lässt seiner laune in der Schilderung (s. 50)
freien lauf, er schliesst mit den werten: „In summa, es war ein recht
crocodil der liebe und eine mißgeburt der aflfection."
Von seinen eigenschaften als oberfeldherr erhalten wir den besten
begriff beim lezten stürm auf Odia: da hält er eine kräftige kurze
rede, wie sie etwa Attila auf den katalaunischen gefilden gehalten haben
J^öute, und sezt bei dem stürm alles daran, den sieg zu erringen (s. 326).
I^ seinen lezten augenblicken, als Balacin ihn mit deto für Banise
bäumten strick zu boden gerissen und mit dem scharfen opfersteine
emen tötlichen stoss in die linke brüst versezt hat, bietet er einen
grässlichen anblick; brüllend wälzt er sich in seinem blute, und muss
»mit ach und weh seinen schwartzen geist der flammenden Hölle zu-
schicken ** (8. 396).
Auch diesen abschnitt können wir mit dem facit schliessen, dass
^ die Übertreibung in ei-ster linie ist, welche uns diese bilder so fremd-
^''ög erscheinen lässt, dass die art aber, wie der dichter alles arran-
S*^it, wie er den von ihm ersonnenen figuren leben einzuhauchen,
l^^isch und blut beizulegen sich bemühet, ganz und gar nicht ungeschickt
^*> vielmehr bedeutendes kunstverständnis verrät Unser lezter teil
^^^ die geschmacksänderung, welche seit 200 jähren in Deutschland
^^^^egangen ist, noch deutlicher nachweisen, er befasst sich mit der
^P^'ache und der gefühlsweit im algemeinen, soweit sie sich in
^^^tem roman luft macht Der schwulst der sogenanten zweiten
^^^lesischen schule erhält hier also in höherem masse als bisher seine
^löuchtung, wenn schon die ungeheuerlichen zahlen, die unnatur in
^^ gefühlen der verwanten, die Übertreibungen in den äusserungen
190 MÜLLKR-FRAUKNSTKIN
des hasses wie der liebe, die häufung sdilechter und guter taten dnrd
die träger des schlechten und guten princips dem nicht fern stehen
was uns noch zu behandeln bleibt^.
Wie die Vertreterinnen des schwachen geschlechts sich in unseren
romane durch starke nerven auszeichnen, so sezt dies der dichter aad
bei seinen schönen leserinnen voraus. Es kann sich eine situatioi
schon recht grässlich anlassen, er muss noch neue momente dazu tra
gen, welche die neigung für das wunderbare, das phantastische, da
unerwartete noch mehr befriedigen — wir würden heute sagen, welch
diese neigung geradezu ad absurdum führen. Oleich der anfang bie
tet dafür ein klassisches beispiel. Balacin komt infolge eines briefe
von Talemon ganz allein in die umgegend von Pegu, ohne hilfe ßi:
Banise mitzubringen, die er ausserdem für verloren halten muss
Da wird er von drei Bramanem überfallen und in die linke schulte
verwundet, doch tötet er zwei der angreifer, den dritten verjagt ei
Er falt in Ohnmacht, kommt wider zu sich und kriecht auf allen vie
ren das ufer des flusses hinunter, wo er unter baumwur:S:eln eine aus
gewaschene höhle entdeckt Die leichen der zwei getöteten werdei
über ihn hinweg auf den sand geworfen, die nähe der feinde un<
eigene ermattung nötigen ihn versteckt zu bleiben. Er schläft bis zun
späten abend, der mond beleuchtet „mit vollem glänze das silber de
rauschenden flusses." Der schmerz der wunde und der nagende hun
ger (er hat seit zwei tagen nichts gegossen) wecken den prinzen, e
sieht im nächtlichen Zwielicht die zwei leichen, ausserdem aber nocl
eine ganze anzahl anderer angeschwemter körper, welche Chaumigren
zwei Wochen vorher in den fluss hat werfen lassen. Wenn er um siel
greift, erfasst er bald eine eiskalte band, bald einen köpf voll haar
und andere bereits vermoderte menschliche glieder; darum kriecht e
1) Boborta^ l)otont mit recht s. 210 fg., dasR im stile grosse fortschritte bi
daliin soit Luther gemacht wonion seien, grössoix) als je in Deutschland. Von Opit
bis liohenstoiu sei die grammatik immer i'ogelrcchter und konsequenter, die sprach
mongerei immer geringer geworden, dem stil habe man durch den satzbau und figa
nn\ eine ruhige würde verliehen. Am weitesten sei man (212) darin gekommen
dem gedank(*n einen klaren und präoisen ausdruck zu geben. Unklarheiten seien seh
wenige vorhanden, neu<>rc novellisten könten sich daran ein muster nehmen. De
seil willst sei fn)ili<;h zuzugel>en, aber es güb<> heute doch auch it)cht viel. Er defi
niert ihn (21.'{) als „jedes den guten geschmack verletzende zuviel des sprachlicbei
ausdnu^kH im verhiiltiiis zu dem, was ausgedrückt werden soU.*^ Die bewunderon^
für (niri(")H(« gi*lolirNamk<Mt und d(»r mangel einer reinen Umgangssprache seien vo'
alh*m daran H<*huld. I<*h stütze hinzu, unsere heutige salonsprache hat noch bSss
liehen* mUngt^l.
ZTQLKRS ASIATISCHE BANISR 191
iieber aus der höhle heraus, wird nun aber von einem herabspringen-
den tiger erschreckt, der die leichen gewittert hat. Diesem schlägt er
die rechte tatze ab, und nun erst sind die nächsten gefahren glücklich
überwunden. Talemons stimme, die er jedoch nicht erkent, klingt
plötzlich an sein ohr, und in dessen schloss findet er pflege und schütz.
Aber er nent zuerst aus vorsieht seinen namen nicht, weiss auch nicht,
wo er sich befindet, und wird in ein finsteres gemach geführt, das
„gantz schwartz zu sein schiene.^ Er öfnet das fenster und sieht einen
steilen felsen hinimter, „dessen thal voller bäume und sträucher stund,
darinnen einige wölflFe entsetzlich beuleten, welche unangenehme music
etliche eulen mit ihrem sterbegeschrey vermehreten, daß unserem Prin-
tzen die haare zu berge stunden, und nicht anders vemieynte, er wäre
aus einer mördergrube ins grab geratlien." Wahrhaftig ein nacht-
gemälde ä 1^ Höllen -Breughel, so dass wir erleichtert aufatmen, als
man sich nach zwei stunden wider um ihn kümmert, ein alter mann
nüt einer lateme in das zimmer tritt und Balacin und Talemon sich
ia die arme s\nken (s. 10 — 18).
Ein anderes meisterstück Ziglerscher nervenerprobung ist der
l^richt von Martabans Zerstörung (s. 141 — 146). Nach einem furcht-
baren „wüten, würgen und niederhauen" wird die Stadt dem erdboden
gleich gemacht und über die wenigen gefangenen gericht gehalten ^
3000 mann mit spiessen und musketen führen „140 kem-schöne wei-
"^•bilder*^, jedesmal vier und vier zusammengebunden, mitten drin
^^e königin zwischen ihren vier kindem, herbei. „Ihre gesiebter waren
*lle dermassen schöne, daß sie unter den abscheulichen haufFen ihrer
^hrer und henckers- knechte wie die sonnen -strahlen unter den schwar-
^ön wolcken hervorleuchteten. Man erblickte an ihnen das zarteste
^^sen, und spielten die vor angst erblasseten rosen ihrer wangen noch
^^t solcher anmuth, daß auch die steine hierdurch hätten sollen erwei-
p»^et werden, angesehen alle zwischen funflFzehen und fünff und zwantzig
Jähren ihrer Jugend mit einer schmertzlichen todes-art verwechseln
'^^^sten. Dieser vor äugen stehende schmähliche tod und erbärmliche
^^^illigkeit pressete einen seufftzer und zetter-geschrey nach dem andern
. ^^^ns, worbey diese schwache doch holdseelige creaturen fast jedesmal
j^ ^ine Ohnmacht fielen. Ob nun zwar viel andere weiber, welche
*^^en das geleite gaben, ihnen allerhand stärckungen und confect rei-
^eten, so kunten und weiten sie doch nichts kosten, sintemahl die
^^t^rkeit des todes alle Süßigkeit in wermuth verwandelte. ** Dann
1) Abaxar, der sich doch auch darunter befindet, wird dabei nicht erwähnt.
1 92 MÜLLER - PRAÜRNSTRIN
folgen sechzig traucrlitaneien singende priester und vierhundert kl(
kinder, „welche in einer langen reyhe daher liefFen: Diese waren un
Werts des leibes gantz bloß, hatten stricke um ilire halßgen und we
brennende wachskeitzen in iliren bänden.^ Dann komt die Bramanic
wache, ein trupp von hundert elephanten und noch so viel andi
volk, dass Zigler zweitausend reiter, zehntausend mann fussvolk
zweihundert elephanten zählt An zwanzig galgen werden je sie
von den frauen und zwar an den füssen aufgehängt, „weswegen
denn unter schmertzlichom seuiTtzen erst in einer stunde in ihrem b
erstickt waren.** Ein rührender abschied von der königin ist vorl
gefangen, ein noch traurigerer der lezteren von ihren kindem fi
dann bricht ihr das herz, sie sinkt tot nieder, wird aber schleun
noch an dem einundzwanzigsten galgen mit ihren vier kindem
vier hofdamen aufgeknüpft. Dem gefangenen könige aber wird in
folgenden nac*ht ein schwerer stein an den hals gehängt und er m
mit se<*hzig vornehmen herren ins tiefe meer geworfen.
Ähnlich raffiniert ist die beschreibung von Xemindos hinricht
(s. 189—198), von Proms und Odias Zerstörung (s. 202 — 205, 32;
330) u. a. Mit einer wahren henkerslust ist z. b. die ungerechte bes
fiing aller der Vergiftung der prinzessin von Odia angeklagten i
geführt (s.31o. 316).
Wie das grässliche, so ist auch das komische in mehreren
dem bis zur Verletzung aller heute geltenden künstlerischen gren
übertrieben, am wunderlichsten ist die mischung von komis(*hem i
gefühlvollem, die an einigen stellen hervortritt Dies gilt z. b. für
soene, wo der kaiser Xemindo seine tochter in einem zimmer al
lässt und ihr befiehlt; den tapeten desselben, die sie zu zeugen il
liebe angerufen hat, gütige antwort zu erteilen. Hinter den tap(
aber steht Balacin, was Bimise nicht weiss (s. 156 fg.). Chaumigi
führt in seiner Verliebtheit die wunderlichsten streiche aus (s. 48
Er hört Higvanaiua im garten eine schmachtende liebesarie sin^
springt plötzlich her\'or und schreit aus vollem halse: Chaumigrem s
sich ein, ,, lachte auch hieraufT mit vollem Halse dermassen, als ol
die artigste sache voi'gebracht hätte. ** Er blizt natürlich gründlich
i.st abi^r so fi*st von dem eindruck überzeugt, den er gemacht hat, c
er die verschiiMlensten bäume nach einander umarmt, im glauben,
gi^giMisüuid seiner liebe in den lurmen zu halten; der eine dieser bau
sticht, «ler ändert^ stösst ihn auf die empfindlichste weise. Später näl
er sich ihr mit soU'her ehriTbietung, djiss es siiieint, ^als ob er .
der nast» an die enle gi'wachsiMi wäre, weil jedweder siiiritt mit ei
kioutRO ASIAUHCHR banisr
I6fl
liel'i>n noigUD^ begleitet wurde." Die übrigen komisciieii partien, Soan-
■ tor boi Kswara (s. 131) und bei Lorangy (a.210fg.)i ttic enthülluug des
i und Lomngy gespiolten betrugs (s. 215), das wideraeiiea Nhe-
inndis uud Higvanamas (s. 370 ig.) und Dndlicli das Zarangs und der
(rinsessin von tiavaady sind weniger übertrieben und entBp^ec^hen niehi"
■Jmseren begriffen von dem, was spasshaft wirkt
Ich füge hier nun noch mehrere beispiele dafür an, wie die ver-
lirfiieiiGnou gofilhie nacb des dichtei-s darstcllung sieh üussern und in
■■Kelclifn sich gesehniacklosigkcit und kraft oft in wunderlichster weise
I reitinden. Die oft filierten ersten dreizehn zeiien des ersten buclies,
in denen Balacin blitz, douner und' hagel auf Chaiunigrems residcnz
hiTabwünscIit, kann ich als bckant voraussetzen. Wätu-end sich iu
iluiei) nur der sehnliche wunHcli nach räche ausspricht, ist die aussc-
iiug sKiiies sehnierzes über Baniseus wahrscheinlichen tod in der regel
Mit einem selbstraonivorsueh verbunden, der von den umsteheuden ver-
'unücrl wird. Das entzücken über den traiun, in weldiem er sie zuerst
^Wellen, macht sich in den wurten Inft (s, 99. 100): „Ach himmei, was
'*"* eine überirdische Schönheit hat sich denen gemüths-augen im
^Bhlgfie vorgostellet 1 Ihr blosses anschauen hat mich entgeistert, und
andencken setzet meine seole in empfindlicliste flammen. Ich
F*äi^ore, dieses bild soll mir nimmermehr aus meinem hertzen geris-
**"* werden. Ich will alle ecken der weit durclireisen , und die schön-
'"^it suchen. Bin ich hierinueu unglücklich, so will ich sie doch im
^liminel anü-effon." Als sie dann durch ihn von dem verfolgenden
I*»U)er gerettfit worden ist und zum ersten male „ihre rosenlippen "
S^Öfnet hat, werfen ihn „ihre zucker-worte zu der erden, dass er mit
^ö verliebtesten geberden den säum ihitjs rocke« kUste" (s. 120). Bei
™*" künde vun Chaumigrems greuoltaten in Martaban rät er „statt
""^riger thrUnon das schwartze blut der feinde zu vorgiosson und nicht
^^r ?.a ruhen, biß des mörders köpf in einem niöi-sel zerstoßen und
oie verhasstßu ansüfftor dieser mordthat denen entseelten ein blutiges
™'-"li-i)pffer seyn mögen." Und als der schmerzerfiilte kaiaer Xemiudo
''"»1 antwortet: „Hierdurch muß auch ein ambos, geschweige ein
"'^lischlicbes hertze, gekrümmet und weich gemacht werden, wo der
"**Kl(icks-hauiraer so gar harte hinsdilägt", entgegnet er: „Die glut der
"•^lie kau alles wieder gerade machen, und diese wunden können nicht
***<]ers denn mit dem blute des tjrannen gcheilet werden. Ich schwere
'^** bey der ewigen Gottheit, daß, wo mir nicht durch einen fall das
'*-V>(jn verkürtzet wird, ich demiahleinst noch mit eigner band die giau-
^'^Hiate räche von diesem fi-auen-mörder nehmen will" (s. 147). Seine
194 IfÜLLXR-PRAUKNSTBIK
freude über einen brief von Banisens band zeigt er, indem er die a
Schrift inbrünstig küsst und sagt: ^Ach angenehmste zeilen, dei
sehrifft nicht irrdische äugen, sondern sonnen zu lesen würdig sii
Wohlan, es sey gewagt, ich erbreche den briefF, um bey diesem zucl
der galle nicht zu entwöhnen.^ Und als er nun gelesen, dass sie b:
nen vier tagen sterben soll, ruft er aus: „Wehe mir, die zeit ist
kurtz, und ich bin verlohren. Ach! so ist denn kein beständiger sc
nenschein mehr zu hofPen, und muß ein jeder stem zum cometen wi
den? Zwar derjenige solte sich wohl vor keinem ungewitter mc
furchten, welchen der ungütige himmel schon öffters durch harte blii
verhehret und betrübet hat Allein wo er zugleich mit den keul
seines zoms spielet, da mu8 auch der festeste grund erzittern'' (s. 23
Sehen wir auf der anderen seite, wie Banisens gefühle (aust
den oben besprochenen extremen fallen) sich äussern. Als sie in eine
Selbstgespräche zum ersten male ihre neigung verraten hat, und Ba
ein, der alles gehört, zu ihr tritt, tut sie einen lauten schrei und läi
nach dem fenster. „Als nun schrecken und schäm die schöne purpi
färbe ihrer wangen um ein grosses vermehrte, und ein anmuthig
zeugniß ihrer züchtigen schamhaiftigkeit gegeben, oder vielmehr anj
deutet hatten, daß der Printz noch dermaleins ihre Vollkommenheit u
keusches herize als die edelsten schätze der triumphirenden natur i
lieb- imd leibeigen besitzen würde, also war mein Printz (so erzä
Scandor) eine gute weile mit seinen äugen an den ihrigen gehefF
verblieben, deren magnet als zwey heUfimkelnde nord-steme ihn gai
an sich gezogen hatten" (s. 157). Die freude über Balacins ersten r
tungsplan entlockt ihr die werte: „Nun schmeltzet mein hertze, u
die seele krieget flügel, ja ich vergöttere mich gantz, daß ich mein
Printzen, meinen Schutz -Engel, so nalie wissen soll" (s. 236). „1
folge, wo man mich hinführet Ich will mit ihm die verbrannten mc
reu besuchen, ja auch die kalten nord-länder, wo sich die weiss
baren auffhalten, nicht ausschlagen, denn solte mich gleich der himn
zu ihrer kost versehen haben, so würde ich doch viel sanfter in s
nem schoß sterben, als hier in verhaßtem purpur leben" (s. 257). Ihr
zom gegen den prinzen Zarang, als dieser sie im tempel mit den sehn
desten antragen verfolgt, drückt sie einmal in dem energischen sal
aus: „Wenn ich Göttin wäre, so weite ich blitz und bley auff eu
Verwegenheit regnen lassen, und das imzüchtige hertze in tausend stüc
zerreissen" (8.306). Die freude über ihre rettung endlich lässt sie v
dem opferaltar zu des prinzen füssen niedersinken und mit „schwach
und beweglichster stimme" ihren dank sagen (s. 379 fg.).
ZtOLKRS ASlATlSGttR BANlSK 105
Auch in Higvanamas antlitz sehen wir übrigens einmal wegen
eines briefes von Nherandi eine „solche bestürtzung und freude" sich
verbreiten, „daß die färbe der wangen sich nach der stirn zogen, und
also dem gantzen gesiebte eine angenehme röthe verursachte" (s. 63).
Ihr schöner mund drückt unzählige küsse auf das „glückselige blat."
Der erste abschied ihres bruders zieht ihr eine Ohnmacht zu, und sie
bricht dann in die klage aus: „Unglückliche Higvanama, so solst du
nun die andere hoUfte meines hertzens voUend verlieren, nachdem du
das eine theil (Nherandi) fast zwey jähre entbehren müssen. Soll ich
den, welcher nicht mein bruder, sondern mehr als mein vater gewesen,
von mir scheiden lassen? "Worzu nützet mir denn mein leben? Grau-
samer vater, sind denn alle wolcken leer, und heget ihre finstemiß
keinen blitz mehr in sich, solche greuelthat zu rächen?" (s. 85). Sie
beschliesst durch einen dolchstich ihrer bedrängten seele luft zu machen,
ndaß sie ungescheut um ihren liebsten Nherandi und werthesten Bala-
ciri schweben möge", was der leztere natürlich hindert In der gefan-
genschaft des Soudras sehen wir „die armselige Königin gebunden,
Solche vor wenig tagen ein grosses reich beherrschte, und noch vor
etliohen stunden hunderttausend köpflfe zu ihrem winck stehen hatte.
Ja die sich nicht sattsam an der süssen hoflfnung vergnügen kunte,
^öiin sie ihren liebsten bruder mit einem schwesterlichen hertz- getreuen
kii^sse umfassen würde, die muß sich jetzt als sclavin in die arme ihres
feirtdes werfien, und die prächtige last, will sagen, silberne fessel, küs-
sen« (s. 366).
Nach ihrer befreiung durch den verlobten endlich heisst es: „Die
^^it erlaubte ihnen sattsam, eine verliebte erinnerung des vergangenen
leid- und freudenwechsels gegen einander anzustellen, und sich nach
^^x*2ogenem ungewitter an der liebes -sonne, wie keusch -entflammte
pft^en, wiederum zu wärmen und zu ergötzen" (s. 372).
Als gegenbild hierzu führen wir Lorangy an. Sie begibt sich
^- t. einmal mit ihrer mutter so „eylends" aus dem zimmer Balacins
^^d „schmeißt" die tür mit solchem ungestüm hinter sich zu, dass
^igler wünscht, „es hätten damahls aller bösen weiber köpfife darzwi-
^hen gestecket" (s. 30). Ihre haupteigenschaft bleibt aber die verliebt-
*^^it, die bezeichnendste stelle dafür findet sich s. 91 — 94. Da bricht
"Manchmal eine glut der spräche hervor, die an das hohe lied Salomo-
^^ oder an Venus und Adonis, den Shakespeare zugeschriebenen sonet-
*^^fcranz, erinnern könte.
Des prinzen Zarang liebesseufeer klingen bei weitem unschöner,
^^*ie mildesten ausdrücke vor Banisen sind folgende: „Unempfindlichste
13*
1 06 MiJLLKR - FRAÜRNSTRIN
Princeßin! so können denn auch die zelten und das Unglück,
sonsten ertzt und marnior bezwingen, ihr hei-tze nicht entsteiner
denn meine liebe so gar verhaßt, daß sie nur jederzeit mit vei
tem ohr und stählernem gemüthe soll angenommen werden?" (s
Zu seiner sinlichen natur aber passt es schliesslich, dass er der
zessin von Savaady sich zuneigt, als er sie „in beweglicher gesb
sich knien sähe, die Alabaster- haut der eröffneten brüst betrachte
einer sonderbahren anmuth in dem gewiß liebenswürdigen wang(
gewahr wurde" (s. 381). Das stimt zu des Rolim reden, der,
Banise gesehen, Chaumigrem warnt: „Durch das anschauen beher
die schwachen weibsbilder die stärcksten männer, ihr flehen und
sind geböte, ihre thränen wilde wasser, welche den dämm des
Vorsatzes durchdringen, und ihre seuffzer sind stuiTnwinde, denei
der unbeweglichste Colossus nicht widerstehen kan" (s. 228).
bald verspricht der alte sünder dem kaiser, Banise „die liebes-
erwünscht einzubringen. Angesehen sie nur noch ein kind is
noch in schalen stecket, und ein bäum, auf welchem der kützel
nie geblühet hat Ich will ihr aber schon durch süsse lehren die
pen aufthun" (s. 267). Er begint dies mit den werten: „Ich k
hier als eine biene, welche klee suchet, und vor ihi-en Käyser \
dessen mund so sehr nach ihr lechset Der blitz ihrer äugen h
entzündet, und ich sehe selbst, wie anmuthig der scharlaeh
mund und der purpur ihre wangen decket. Hier brennet lebe
Schnee, imd dort quillt zinober. Und diese Schönheit ist w
einen Käyser zu vergnügen" (s. 268). Er meldet das resultat s
herm mit dem trost: „Holtz, das bald feuer fängt, hält nicht
kohlen. Der hundsstern, welcher fast die halbe weit durch hitz
zehret, hat nicht lange frist zu brennen." Aber der trostlose si
„Die seiffe der Verachtung ist zu wenig, ihr bildniß aus meinen
zen zu tilgen" (s. 271). Und der ungetreue böte seufzt bald i
„Princessin, ich liebe sie, und wo die rose ihres Wohlstandes l
soll, so wisse sie, daß solche auff den grund meiner liebe
gepfiantzet werden. Ich lodere, ich brenne, ich sterbe: wo nicl
unvergleichliche Schönheit denjenigen in ihre arme nimmt, welcl
magnetischer weise an sich zeucht" (s. 296).
Die anmenge Aetorischer figuren und Wendungen, welche
die ToigefOhrten beispiele aufweisen, wird wo möglich noch gesi
in Ghanmigrems munde. So wenn er dem könig Dacosem klagt:
Tnmnwgffrht Higvaiiama ist die feindin meiner ruhe, in ihren
und leben. Oroßmächtigster König und Herr
ZIOLEllS ASIATISCHK BAMSE 197
g^eniesse unwürdigst dero überflüßige gnade; allein ohne der Princeßin
g-ULOst ist mir dieser Zucker nur galle, und dero versagte huld wird
mich bald aus I. M. äugen rücken" (8.61). Zu Banise sagt er einmal:
,, Wi© so betrübt, meine Schöne, wenn werden uns die benetzten wan-
gon. trockene rosen und die tiaurigen äugen fröhliche sonnen gewäh-
ren.?*' Und weiter: „Mit einem werte, Chaumigrem brennet und erkie-
set Banisens liebe zur kühlung seiner flammen." „In meiner seele
herrschet brunst und flamme, welcher allen haß nunmehro verzehret
ha. !;.'•• Als aber Banise ausweichend ihre eigenen reize herabgesezt hat
in. dem satze: „Einem solchen Herrn müssen gestirnte kertzen und
nioht schlechte irr- lichter zu bette leuchten", schwingt er sich zu dem
vorgleiche auf: „Ich erkenne mehr als zu wohl, wie der fruchtreiche
horbst ihre brüst und der anmuthige frühling ihre lippen beseelet Weil
sioh auch der sommer in völliger pracht auf der rosen -wangen zeiget:
^^'iö kan doch der verdrießliche winter im hertzen wohnen" (s. 244 — 46).
^^a.ch dem verunglückten fluchtversuch strömt seine leidenschaft noch
•
irnmer in den sätzen hervor: „Ach, grausame Banise! welche ein Ari-
^'^^spischer wolff mit gifll und blute muß gesäuget haben. Ihr kaltes
hertze muß auch das eyß aus Zembla (Nowaja-Semlja) übertreffen, weil
^^^in heisses bitten weder vormahls, noch mein flammendes begehren
j^tzvind zu schmeltzcn vermochte" (s. 267). Besser stehen dem wüte-
^^<^li alle die färben zu gesiebte, mit denen sein blutdurst und seine
^^ütenden zornesäusserungen ausgemalt werden. So, wenn er sagt:
'n^ix meynen, daß, wo unsere wolfarthslilien am besten blühen sollen,
'^^n nothwendig die felder mit des feindes blute düngen, und wo wir
^user Reich befestigen wollen, man die stufFen zum throne durch feind-
üclxe leichen bauen müsse" (s. 219). Ponnedro wider drückt seine
^^sicht über die Verbindung von Chaumigrems liebesraserei mit seiner
^^iistigen natur in dem geschmackvollen satze aus: „Die durchdrin-
gende Schönheit der Princeßin hat auch dieses tygerhertz bezwungen,
^annenhero er von dem gifll eingesogener liebe fast zu börsten ver-
"^eynet" (s. 238). Im zom schreit Chaumigrem: „Wo ist die bestie,
^^ ist der ortz-verräther?" und lässt „seinen grimm durch folgende
^'^'^orte und grausamen befehl ausdünsten: Daß nicht alsobald tausend
"öixcker erscheinen und dir verfluchten hund den verdammten lohn
^urch pech und schwefel ertheilen. Darffst du vermaledeyter erdwurm
^*^h dessen unterstehen, dem strengen befehl unserer geheiligten Maje-
f^^ boßhaflBig zu widerstreben?" (226. 227). Oder als Banise entwichen
^' ^ Blitz, brand, schwefel, bley und hundert hencker sollen diese
1 98 MÜLLER - FRAUENSTEIN
Schmach rächen, und ihr alle solt es mit euren halsen bezahlen, d^^^^^^fi
ihr dieses höllen-kind entreissen lassen" (s. 261).
Doch führen wir schliesslich noch etwas weniger scharfrichte^ m:-
massige Wendungen an! Scandor und Talemon sollen uns unter c^B^ me
leidlich civilisierten menschen zurückführen. Der alte reichsschatzm^^?^J-
ster des kaisers von Pegu bricht bei dem bcricht von dessen gang zi m -mn
hinrichtungsqlatz in die khige aus: „0 wunderliches verhängiiiß! o v^:^ x-
ändorliches glück! 0 spiegelglattes eiß der hen-schaft! da sich «li :ie
crone in einen cypressen-krantz und das scepter in einen blutig" ^=^n
mörder-stahl verwandelt. Hier sehen wir, wie vergebens wir arK'Mie
menschen bemüliet sind, wenn wir uns unterstehen, den Schluß zu im«'-^i-
den, welchen das verhängniß in das himmels-buch mit solchen zief&^'■:• i^,
welche nur die Götter vorstehen, eingeschrieben hat" (s. 195). Scancl ^or
auf der anderen seito wird nie so sentimental. Selbst als er mit Bä m"^»i-
sen von den verfolgenden Bramanern eingeholt wird, lässt er einfiÄ^^l»
sein pferd laufen, sezt sich neben die prinzessin, deren ross gestüL«. ^t
ist, auf die baumwurzeln und sagt ihr: „Ich kan mir nicht weiter hc:* ^f-
fen. liier wollen wir sitzen bleiben, und uns vor zwey hasen ai^T^-S-
geben: weil es nun im gehege ist, so werden sie uns wohl ungebrül»- ^^
lassen" (s. 263). Seine Verwunderung, als er in Talemons schien fi^=^
plötzlich seinen verwundeten herrn findet, macht sich in dem dra^iS'Ä'i-
schen ausrufe luft: „0 ihr Götter, errettet mich von diesem zaubc-* -■""
orte. Talemon, ihr alter hexen-meister, ihr verblendet meine aiuge:
Er will „zur thür hinaus reissen", wird aber von dem schlosshei'J
zurückgehidten und komt schliesslich „mit zitterndem fusse" an cl
bett d(^s prinzcn (s. 30). Den höchsten grad seiner ergebenheit gog"<— ^"
diesen spricht er in den worten aus: „Wo einige treue gegen einen s==^»
grossen Herrn durch eine geringe heyrath kan bewiesen werden, 2==^^
weite ich mich wol unterfangen, das älteste, heßlichste, boßhaffiig^^'^^
und ärmste weib in gantz Asien aufiTzusuchen, und mich dadurch ^^^^^
Göttern so weit angenehm zu machen, daß sie nach diesem leben
ner gewiß verschonen würden, weil ich die hölle sattsam aufF ord^"*^
gehabt hätte" (s. 179). Das ist doch bald so hoch geschworen, wie ^^
Banise mit dem gelübde ihren Balacin zu den mehren wie zu d^^
eskimos zu begleiten tut.
Ich habe auf den lezten seifen eine ganze auswahl von Empß-'^'
dungs- und wunschäusserungen nach Ziglers manier zusammengest^'''t
und zwar mit m('>glichsfer Vermeidung der für die einzelnen individi»*'*
charakteristischen stellen. Sie geben den typus ab, wie sich frei»^^
und entzücken, kummer und schmerz, zorn und rachedurst, eingeben-
Iieit lind liebe nach unseres Schriftstellers meinuiig luft machen sollen.
Wir verlangen heute mehr einfachheit und klarheit des ausdrucks, eine
gi^seere mässigung des gefühls, wenn wir einen einigermassen wol-
tuenden eindrnck gentessen wuUen- Nicht nur äussenmgen der men-
acbeii werden aber in aolchen rhetoriHch autgepuzten salzen widergege-
ben, es ist vielmehr so ziemlich alles in diesem tone gehalten. Die
twriichtigte „lieblich keif des ausdrucks verbietet es, natürlich und ein-
hcti KU sprechen; blumige Umschreibungen begegnen uns auf schritt
nnd tritt. Bei einem Sonnenaufgang z. b. benuzt der dichter die Wen-
dung: „Das luigenehme welt-aiige machte artige Vorstellungen in dem
apringenden wusser eines in don Garten stehenden kunst-brimneos"
(3. 19), oder „Nuninehro brach das betrübte licht an" (s. 166), oder
«das grosso woltauge hatte kaum das blutige feld bestj-ahlet'" (s. 372);
l*i einem untergange heisst es: „Die Sonne begiint« bereits einen theil
ilirer strahlen in die see zu verbergen, als die Glut der Lorangj- erst
fachte flammen fieng'' (s. 207). Von den unzahligen tropen, die für
Wegsereignisse verwendet werden, eitlere ich nur die eine stelle: „Sie
»erltibten ihren rühm mit rothen buchstaben denen mauern ein. Das
l»schütze musto tag und nacht blitzen, die unbeweglichen mauern zu
''»^wcgen, daß sie dot-h einen freyen eintritt erlauben weiten" {s. 382).
'" der frieden sprokiamation am Schlüsse komt der satz vor: „Heute
'"^ll«ti si<'h alle sebel in pflugschaaren , die spiese in eggen und die
Iimt7,en in weinplahle verkehren" (s. 399). Das klingt gar nicht übel,
'"'H liofFe überhaupt, dass schon in dem bis jezt gegebenen manch scho-
"0*4 hild, manch gut gewählter ausdruck neben den übertriebenen und
''»rloldten aufgefallen sein wird. Am cmptindlichsten berühren uns
"»iriier die rohen freuden- oder zomesaushrüche. So wenn z. b. von
'lEirn „angenehmen und herrlichen anblick" geredet wird, den Xemin-
''*"\JI18 auf eine lanze gestecktes haupt bietet (s. 183), oder wenn Xemindo
"^sf dem schaffot einige freudentränen vergiesst, weil der ihn misshan-
delndo henker von einem der umstehenden mit einem wurfspiess „durch
^nü durch gerannt wird" (s. 19ß).
So unangenehm femer das kapitel, so kann Ich doch der vol-
*'tÄndigkeit wegen nicht ganz an den ^zotenhaften stellen vorbei-
B^hon, wenn sie uns auch entschieden seltener als bei anderen achrift-
stoilern der zeit begegnen und von dem damaligen publikum wol kaum
*'8 smlen empfunden worden sind. Ich rechne hierher sclion einige
'" 'indercm Zusammenhang gegebenen reden über imd von Hassana
'^ *<7. 88) und alle anderen stellen, in denen frivole worte über ehe-
'^uli laut werden. Mit wenigen aiisualimea linden sie sicii In Scaadon
*J00 MÜLLER -FKAUENSTELV
munde, z. b. s. 45, 178. Als Eswara den losen Paladin in ihrer wt^»
nung versteckt hat, stürmt ihr „guter Mann" mit ähnlichen Worten 5-^
türe herein (s. 180). Am unzüchtigsten redet Zarang und zwar dir"ic?*lkt
Banisen ins gesicht, als sie ihm erklärt, sie sei bereits so gut als v"<_?-r-
mählt (s. 305). Der Rolim braucht wenige rainuten vorher etwas w&Äi'Äi-
ger schlimme bilder bei seinen Zudringlichkeiten (s. 299), dagegen ni.i.v.ss
uns seine aufzählung von Banisens reizen, durch die er ihr seine ^''^jdI-
ligo Unfähigkeit, ihnen zu widerstehen, erklären will, geradezu anwidc^r jn
(s. 295). Den schluss dieser wenig anmutenden aufzählung bilde «fÄie
lose redensart, welche Sc^ndor nach seiner rettung durch Taleco «->n
braucht: „Ich bcgunte schon wie die hechte auf dem rücken zu schwi zäu-
men: welches dann meinen glauben bestärckte, daß ich kein fraiac_^n-
zimmer sey, als welches von der schamhafftigen natur bey dergleirlm. ^n
nassen fällen dazu versehen, daß sie jederzeit dem wasser den ford^c.T-
tlieil des leibes gönnen, und auf dem gesiebte schwinunen müsso»:»'*
(s. 31).
Es ist dies aber tatsächlich, so weit ich es habe kontrollicr^^'n
können, alles, was in betrefF dieses punktes in der Baniso vorkor» ^^"
die „erstlinge der blumen", „die blumen der Schönheit" werden all<^'''"
dings noch hie und da als wünschenswert citiert, aber eben nur citic*rf.
Am Schlüsse bogleiten wir die drei jungen ehepaare in ihre ruhezelt^'-
„Worinnen die mit so vielen dornen bißher verwahrten rosen mit gn»^
ter Vergnügung gebrochen, und alles ungemach mit einem süssen acli-
geschroy der leidenden Princoßinnen erwünscht geendiget wurde" (s.40 '•
408). Dieser ausdruck und des Rolims beschreib ung von Baniso
schmecken wol am meisten nach lüsternheit; uns sind derartige stell«^^
unerträglich, sie können ein buch ungeniessbar machen. Bedenken wi^
aber, wie zahm alles dies, mit anderen sowol epischen als lyrischc^*^
si^liiideningen anderer schriftsteiler jener zeit verglichen, erscheint, cri^**'
nern wir uns, dass die Wielandsche muse weit sinlichere ergttsse h^^
vorgebracht, dass selbst das publikum unseres Jahrhunderts Claure?»^^
vei-schlungen hat und heutzutage Zolas bücher in den vornehmst*:? '""^
boudoirs liegen, dann wird unser tiulel verstummen.
Doch verlassen wir dieses gebiet und wenden wir uns den int^^^
ressantcsten und algemeinsten redewendungen zu, den sprichwör*^*^
liehen sätzen, deren ich eine ganz ausserordentliche zahl in der Bani^*^
annehmen zu müssen ghiub(\ Es ist mir unmöglich, sie hier auß*^*^
zählen, einige sind schon früher mit untergelaufen, ihre benutzung ^^^
allen dingen durch Scandor liefert mir aber einen weiteren beweis
die nicht unglückliche Charakterzeichnung, die ihm durch den dicb*^^
tu teil gewordoll iat. \/inta seines schlnges worden stets und libcrall
tiae Vorliebe fiir die kurzoii, scheinbar jede weitere einwendung ans-
ScUiessenden Sentenzen verraten. Von den anderen personon, welolie
äergleiehen nusdrücke brauchen, nenne ich nur die folgenden: Bunisens
^nze lebensanschauung könte man in ihren woiten sehen: „Sturm,
nnglrlßk und hertzeleid ist die beste lust der tugend, angst ist ihre
matter, und elend ihre amrae" (s. 2ti9). Higvanama sieht ihr zur seite
mit dem satze: „Wo einmahl reine liebe durch den tod betrübet wird,
da ist die kouschheit der beste Schatz in der Welt, und alle liebe ist
«l^^dAnn nur ein irrwisch, dessen glantz von unreinen seelen cntsprin-
RL't"' (s. 45). Und in demselben gespräehe brnuclit sie noch die weis-
heitsregeln: „Wohl dem, welcher seine klugheit in dem sarge suchet,
und das Oold seines Verstandes auff den probierstein der Sterblichkeit
stroichcL" „Wu hertz und lufit trübe ist, da wird sonne und brunst
•Janckel.'' Chaumigrem dagegen redet ihr zu: „Lasse sie die todten
ihre todten begraben." Der alte Talemun tlicht einmal die benierkung
''in; „CJcdiilt ist die lincke haud der tapHcrkeit"; und später: „Alle
»erachtung bringt Sicherheit, Sicherheit gefahr und diese den tod"
(s- 203). fjeiu söhn l'onnedro liilft sich im gespräcb mit Chaumigrem
iiQci später Baniso ebenfals öfter mit dergleichen Wendungen: „Wenn
*if->i grosso berren rauffen, müssen die unterthanen ihre liaare darüu
hoi-gebon, und wenn gecrönte haupter niisso aufbeissen, so muß es mit
'Jen Zähnen der unterthanen geschehen" (s. 222); ferner: „Wo die getahr
^*x pferde sitxet, da mtill guter rath freylich nicht auf steltzeu gehen"
(*- 235). „Das glücke ist rund", und „wir würden nur pfeiler in die
i**^« bauen, und boy der nattor gunst suchen" (s. 238, 239). „Alle
ffeycr, narren und trunckene sind reich" meint Balaciu mit deutlicher
»nftpieliing einmal zu Scandor (s. 32). Der satz; „E3iuo Krone ohne
Bani-se ist mir eine gesaltzeno speise ohne tranck" (s, 35) belegt seine
"nverbriiehiiche treue gegen die braut wie der andere: „Wo das garn
^^r liebe nicht aus reiner Unschuldsseide gesponnen wird, da fressen
S'uh unfehlbar die motten des unglüclts ein" (s. 91). Die bei weitem
•"Pi«ten in unserem buche angebrachten Sprichwörter best^hüftigen sich
"lit der liebe. Scandor und zuerst auch der Rolim sind in dieser
"''«ichung unerschöpflich in Unglücksweissagungen, Wie ein priamel
*^'ttgt des lezteren maluiung: „Die liebe ist eine tantasie und ein unge-
'•'«ser zweck. Sie ist blind und dennoch sieht sie schärffer als ein
""-'hs, Sie bauet ihren thron in dem hortzen, und ist doch ein unbe-
'»'^iffliches wesen. Ein vogc-l siebet den leim und die mücke das licht,
"'^nngch lässt sich jener kirren und diese verbrennet sich selber, das
202 MÜLLEB-FfUCENSTEIN
schnelle rehe scheuet das garn, uod der Schiffer kennet die fahrt d
ancker- losen see: doch kan jenes das sehen nicht klug, noch die»
die gefahr verzagt machen" (s. 265). Scandors erstes Sprichwort l
algemeinen Inhalt: ,,Wer geld hat, kan leicht schätze suchen, und vi
viel hunde hat, kann leicht hasen fangen" (s. 36). Dann aber heii
es: „Wo die liebe raset, da strauchelt der verstand, ja der klügi
mann wird zum narren" (s. 75), und der anfang des zweiten bucti
mit seinem acht selten langen gespräch zwischen dem prinzen und s*
nem diener liefert hierhei^hörige beispiele in hülle und füllet
Aus anderen gesprächen über das wesen der liebe, z. b. z wisch
Balacin und seiner schwestor (s. 66 fg.) oder zwischen Banise und d(
Kolim (s. 295 fg.), füge ich noch an: „das frauenzimmer und die lie
ist ein zartos wescn", „die liebe ist eine Schwachheit des gemüthei
„bei den rosen sind dornen", „die einfältige Wahrheit ist die best
„Schön und fromm seyn stehet selten bey einander."
An heutige Wendungen klingen endlich auch die beiden redei
arten (s. 114) an: „Unter der rose", wofür wir gewöhnlich den lat
nischcn ausdruck brauchen, und „er hat sich unsterblich verliebt",
stelle unseres „sterblich verliebt"
Ich schliesso diesen abschnitt mit den unzweideutigen seite
blicken und anspielungen auf Europa und dessen Verhältnisse \
zweihundert jähren; aus allen spricht ein etwas verbittertes gemüt oc
wenigstens die melancholische Stimmung des pessimistischen einsiedle
Schon die werte Higvanamas sind wol mehr auf Europa als Asien
beziehen: (s. 67) „Froylich ist es zu beklagen, ja mit blutigen thrän
zu beweinen, daß unser Asiatis(».hos frauenzimmcr fast mehr comet
als Sterne blicken lasset; da eine bereits durch das band der lie
gebundene Venus den Wechsel dermassen liebet, dass ööters <
sämtlichen plancten nicht genugsam sind, sie durch ihren oinfl
zu stillen. Und brennet ja noch wo ein reines licht, welches sj
keine lasterwolcke will schwärtzen lassen, so heissen dessen stral
einfaltig" usw. Auch über die geschwisterliebe der zeit hören ^
klagen, und zwar aus Scandors munde: „Als welche itziger zeit d
massen erfroren, daß fremde personen ihre liebe viel liitziger
brüder und Schwestern erzeigen, ja wo heutiges tages drey geschwis
sind, so bemühet sich das dritte, wie es die anderen zwey in eim
1) Bolwrta^ oriniiert mit vollem rechte daran, dass hier eine sehr ausführli<
Variation vorliege eines seit dem mittelaltor in der faceticn- und populär -moraliscl
littoratur in Deutschland hosoudors seit der Verdeutschung der schrift Petrarcas v
glücklichen und unglücklichen leben beliebton gedankens.
ZIGLERS ASIATISCHE 6ANISE 203
der hetzen möge" (s. 84). Ein hübsches pendant zu dem oben gege-
benen ausdruck Banisens, dass die liebe sie zwinge Balacin „Du" zu
heissen, finden wir in Scandors werten: „Eine Jungfer, oder fräulein,
wxG sie heutiges tages wollen getaufft sein" (s. 376). Eine „grund-
reg-iil der heutigen weit", die er zwei selten später gibt, klingt ganz,
als ob sie auf unsere heutigen junggesßUen gemünzt wäre: „Ein pfund
g^old muß im heyrathen einen centner tngend überwiegen." Zahlreich
sind auch die sätze, in denen ein licht auf die politischen anschau-
ungen Ziglers fält Er lässt Scandor sagen, dass er sich vor der
?, gemeinen Hof-pest ungemessener einbildung" gehütet habe (s. 46) und
Tailemon einmal klagen, über „den wanckenden pöbel, wie wenig sich
Äxif" dero beständige treue zu verlassen sey" (s. 188); der ßolim sagt
Äi-tf der anderen seite Chaumigrem ins gosicht: „Alle herrschafften,
darinnen man allzu viel schärfte brauchet, bestehen nicht lange. Wo
r^öoht ist, da muß auch gnade seyn: diese beyden zieren einen monar-
ehen, wie sonne und mond den blauen himniel, und hierdurch kann
^»* nur den Göttern am nechsten kommen. Ein Regente ist auch an
^^ gesetze gebunden, daß er nicht allenthalben frey zu verfahren hat
I^^-tio Status aber ist hingegen die verdammte rathgeberin, daß man
^'^<ier vater noch mutter, weder kinder noch geschwister, weder treu
rioch glauben, weder göttliches noch weltliches gesetze verschont, son-
^öixi durch list, falschheit, und tyranney alle rechte unterdrucket, die
^^uterthanen ins elend stürtzot, sich aber selbst erschreckliches ende auf
d^ü halß zeucht" (s. 224 fg.). Kurz vorher hat er dem kaiser klug
Sollten, „weder eine durchgehende dienstbarkeit, viel weniger eine
völlige freyheit einzuführen." Das alles ist aber so wenig nach dessem
herben, dass dieser losbricht: „Vermaledeyet sey das gesetze, welches
^ö macht eines freyen Königs einzuschrencken sich bemühet Ratio
^te.toi8 ist die eintzige richtschnur grosser Herren, und hat die gerech-
^*&teit zur stieflP- Schwester." In erfreulichem gegensatze dazu stehen
^i^ grundsätze, mit denen Balacin die regierung antritt Seine herolde
proklamieren sie in den noch von blut rauchenden Strassen Pegus, fast
^Is ständen sie nach dem dreissigjährigen kriege in Deutschland (s. 399).
Dazu hält der ehrwürdige neue Rolim Korangerim, der sich schon frü-
**©r durch kluge ratschlage hervorgetan hat, bei der kaiserkrönung eine
S^^^ vortrefliche rede an den dem namen nach „gewählten" fürsten
(8-404—6), wert, dass sie ganz hier abgedruckt würde. Er warnt ihn
^^r begünstigungen, vor zorn (denn „der Zorn ist eine motte, w^elcho
^^ purpur verderbet"), vor neid, vor unbesonnenen reden (denn „der
'^^ten woiie sollen, weil sie von jedem erwogen werden, zuförderst
204 MÜLLER - FRAUENSTEIN
wohl auf clor wage-schalo der bedach tsamkeit abgewogen seyn)." Der
beschränkte räum verbietet leider eine ausführlichere analyse dieses
oratorischen meisterstücks.
Diese hier ausgesprochenen staatsmännischen wcisheitsregeln, die
sich zweifelsohne über die praxis der politik des länderschachers erhe-
ben, wie' sie das Europa Ludwig XIV. trieb und wie sie unser buch
im verschenken und vertauschen der einzelnen hinterindischen gebiete
auch zeigt, erhalten nun dadurch einen besonderen beigeschmack, dass
Ziglcr sein werk dem kronprinzen Johann Georg von Sachsen gewid-
met hat, dem söhne Johann Georg III., des bekanten „sächsischen
Mars", demselben, der später als der vierte seines namens zur r^e-
rung kam, leider aber durch einen plötzlichen tod alle auf ihn gcseztcn
hofnungon zu nichte machte und August dem starken, dem gegncr
Karls XII. von Schweden, den thron hinterliess. Diesem Johann Geoi^
ist das dedicationsgedicht gewidmet, welches dem werke vorangeht.
Darauf weiter einzugehen hiesse die gediild des lesers ermüden. Cha-
rakteristisches findet sich absolut nicht darin. Nur möchte ich darauf
hinweisen, dass in ihm wie in der vorrede an den „nach Standes- Ge-
bühr Geehrten Ijeser" Zigler sich nicht wie in der Banise selbst vor
fremdwörtern und gelehrten anspielungen hütet, sondern vielmehr seine
feine bildung darin auch von dieser seite möglichst zeigte Er citiert,
wenn ich recht gezählt habe, in den 132 Zeilen des gedichts jedoch
noch nicht 20 namen, ist auch darin also nicht so unmässig wie andere
Zeitgenossen; die übertriebene devotion und sklavenhafte Unterwürfig-
keit ist uns unangenehmer. Von dem anfange der vorrede: „Endlich
erkühnet sich meine Asiatische Banise, als eine unzeitige frncht seich-
ter lippen, unter der presse hervorzuwagen, und sich auf den Schau-
platz der schrifit- eckein weit vorzustellen" urteilt schon Gottsched genau
so wie wir. Von algeineinerem Interesse ist dagegen die polemik Zig-
lers gegen die „vielen nicht günstigen, welche nicht ermangeln worden,
diese blätter durch alle Praedicamenta durchzuziehen", „gegen die
Catonianische meynung, ob wären die Komaineu schlechter dings unnütze
schrifflen"'-. „Denen ungegründeten hassern der HeldenschriflPten , und
andern übel -gesinnten" rät er dienstfreundlich „dieses Geringfügige
werkgen, welches sich nur als eine unwürdige aufwärterin der heutig-
vortreftlichen Romainen aufgeführet, bey seite zu legen, und ein nütz-
1) Auch Cholcvius s. 1G9 moiüt: ^iri der vorrodo drücke er sich wie die kava-
liere der zeit aus. ))rauche französisch und latciniscli.'*
2) BolK»rtag s. 240 fj;. gibt eine ergötzliche [»rohe solchen energischen tadeis
gegen die gattung der heldooromano aus jener zeit in extenso.
ZIQLERS ASIATISCHE BAMSE 205
licher buch nach seiner Caprice zu ergreiflfen, aus welchem er beweisen
könne: Dicatur in eo, quod non dictum sit prius." „Denen übel deu-
tenden Momis und Zoilis" sezt er schliesslich „wolbedächtig" den Wahl-
spruch des hüsenbandordens entgegen: Honni soit, qui mal y pense.
Die art also, wie er mit diesen gegnern umspringt, beweist deut-
lich, dass er sich seines publikums durchaus sicher fülilt; er lebt der
angenehmen hofhung, dass sich „viele honette Gemüther finden wer-
den, die dieses sein wohlmeynendes unterfangen mehr loben als schel-
ten"; er steigt nirgends von einer souveränen Verachtung der gegner
herunter. Doch lässt er seine „Indianische Princeßin ganz gerne beken-
nen, daß sie keinen locum in denen Actis Eruditorum meritire, ange-
sehen sie sich nur in einem schlechten deutschen kleide, nicht aber im
hämisch, wodurch sie einige begierde zu fechten andeuten möchte,
f vorstellet" Er versichert ferner, er habe sich „möglichst beflissen,
alle unartige und ärgerliche rodens -arten äusserst zu meyden, auch
niemanden mit fleiß zu touchiren, es sey denn, daß sich jemand getrof-
fen fände, da er versichere, es sey von ungefehr geschehen." Über
^ine spräche endlich urteilt er — in dem ersten teile sicher mit recht,
^D dem zweiten zu unserer grossen Verwunderung — , er hoffe „des
S^yli und eingestreueten BarbarLsmi wegen pardonniret" zu werden,
^^nn er sage, er habe den eigentlichen endzweck der romane, die
^^utsche spräche zu heben, nicht so genau beobachtet; der inhalt
g'oiche mehr einer historischen beschreibung als einem heldengedichte.
^^s, meine ich, können wir im gründe, wenn wir andere werke der
2^it zur vergleichung herbeiziehen, zugeben. Dagegen klingt es heute
?^i^dezu komisch, wenn er vorgibt, er habe nicht „durch vergebene
l^^riiühung die armuth seiner zunge verrathen, sondern sich durch-
S^Uends einer leichten und gewöhnlichen redensart bedienen wollen."
^^minius und Thusnelda von Lohenstein werde in betreff der volkom-
J^enheit der spräche den leser mehr befriedigen.
Als eine aii probe von manchen im vorstehenden, besonders im
^*^ten teile gefälten urteilen kann uns ein vergleich dienen, den wir
^'Wischen unserem roman und dem von Schlossar mitgeteilten scenen-
^"f^twurf einer dem roman nachgebildeten dramatischen boarbeitung zum
^Uusse ziehen wollen. Dieser anhang scheint mir berechtigt, da von
'^^Bhreren kriükem betont wird^, Zigler habe vom drama gelernt, da
ferner die verschiedenen Umarbeitungen zur oper und zum Schauspiel
1) Wörtlich so E. Schmidt a. a. o. ('holevius und Bobci-tag berühren sieb in
**U^ii urteilen darüber insofern, als sie die afFektvollon stielen für besondei-s gelungen
d <jie Umarbeitung des Stoffes für lobenswert und effektvoll erkläi'en.
'Jiß} MthiLER - FRAÜENSTMK
diesen schluss sehr nahe legen und schon wenige Jahrzehnte nach dem
eischeinen der roman dramatisiert worden ist. Das älteste zeugnis
dafür hat nun Schlossar mitgeteilt (a. a. o.); er hat ein blatt in die
hand bekommen, wie es die pfälzische hofkomödiantengeselschaft des
Joseph Heinrich Brunius in Graz 1722 an die angesehenen besu-
eher ihrer Vorstellungen verteilte und auf dem der inhalt des Stückes
scenisch skizziert ist Genauer gesagt, umfasst das ganze vier blätter,
voran geht ein dedikationsgedicht. Die „unterredenden Persohnen"
sind: Baniso, kaiserliche prinzessin von Pegu, Balacin, prinz von Ave,
Ximindo, kaiser von Pegu, Ximin, dessen prinz, Savadi, eine vertrie-
bene Prinzessin, Zorang, prinz vonTangu, Talemon, reichsschatzmeister
von Pegu, Chaumigrem, tyrann, hernach kaiser von Pegu, Abaxar,
Mortang, dessen generale, ßolim, oberpriester, Hans Wurst, Balacins
lustiger diener, ein Courier von Marteban, ein hauptmann des prinzen
Zorang.
Das stück zerfalt in fünf actus, der erste und zweite zu je 8,
der dritte und vierte zu je 11, der fünfte zu 4 scenen. Schlossar
begnügt sich nun s. 95 an seine interessante mitteilung nur wenige
algemeine folgerungen anzuknüpfen. Die art der anordnung und der
einreihung in den dnimatischen rahmen sei sehr geschickt aus dem
roman herausgenommen. Nur die hauptpei-sonen würden hervorgeho-
ben, jedoch selbst einige nebenepi^oden berücksichtigt, z. b. das Ver-
hältnis von Zorang und der prinzessin von Savaady. Talemons Ver-
hältnis zu Balacin sei zu wenig ausgeführt. Die scenenordnung findet
er sehr sachgemäss, zum schluss sehr spannend, den abschluss rasch
und gewant herbeigeführt. Alzu grässliche scenen gäbe es bis zum
Schlüsse nicht, die vielen blutigen ereignisse, von denen der roman
überfült sei, würden in der darstellung nicht berührt
Der wert des Scblossarschen aufeatzes beruht in dem wörtlichen
abdruck des sccnenentwurfes, den ich hier als zu umfangreich nicht
nochmals hersetzen kann. Von der spräche des eigentlichen Stückes
erhalten wir dabei freilich nur einen geringen begriflP, man wird aber
wol nicht fehl gehen, wenn man annimt, dass Balacin und Banise
wenigstens die schöne spräche wie im romane gesprochen haben mögen
und dass auch Scandor, der hier zum Hanswurst degradiert ist, sich
vielfach angelehnt haben mag an seine reden in dem Ziglerschen werk;
wie er sich schon darin manche scherzrede erlauben darf, ohne Balacin
zu beleidigen, so wird er auch hier seine possen so ungeniert wie mög-
lich getrieben haben. Der titel lautet: „Einer Hochlöblichen | In Ost
Regierung | und HofF-Cammer | Wird | Zur Allerunterthänigsten Pflicht
ZIGLERS A8IAT1SCH1B BANISE 207
und Schuld Bezeigung | eine Sehens-würdige und vortrefliche Haupt-
Action I Betitult: | Die Siegende | Unschuld | In der Persohn der
Asiatischen | Banise | von Johann Heinrich Bmnius, Churfürstlich- |
Pfältzischen Hof-Commoedianten-Principalen | Mit bey sich habender
Hoch- Ten tscher Corapagnie | TJnterthänigste-Gehorsambst oflFerirt und
dedicirt | Grätz, gedruckt bez den Widmannstätterischen Erben. 1722."
Auf diese „vortreffliche Haubt-Action folget ein Ballett und Extra-
Lustige Nach-Comödie.''
Ein vergleich mit dem roman ergibt nun folgendes: Als devise,
gewissennassen als richtschnur auch für die hörer, wonach sie ihre
erwartungen zu bestimmen haben, stehen am anfange der orakelspruch
und der träum Balacins, die in nuce die ganze folgende handlung ent-
halten. Dann folgen seine ersten heldentaten in Pegu, durch die er
aller äugen auf sich lenkt. Der zweite akt bringt die belohnung dafür,
die Verlobung mit Banise, aber auch das herannahen der Verwicklung
in Chaumigrems sieg über Martaban. Der dritte führt diese selbst her-
bei in dem Untergang des kaisertums von Pegu und in der gnaden-
frist, welche Chaumigrem der wider seinen willen geretteten, ihn sodann
aber zur heftigsten liebe entflanmienden Banise stelt. Die grosse der
gefiJir wird auch dadurch bewiesen, dass beide liebende, Balacin in
der 8., Banise in der 11. scene Selbstmordversuche machen. Der vierte
steigert die Verwicklung durch den unglücklichen fluchtversuch beider,
Chaumigrems bestimt ausgesprochene absieht, die prinzessin hinrichten
zu lassen, wenn sie ihn nicht erhöre, und ihre Überlieferung in die
band des Rolim. Der fünfte akt begint mit des lezteren ermordung
durch Banise, führt die Spannung in der tempelscene zur höchsten
böhe, indem der als Bolim verkleidete Balacin Banise töten soll, und
enthält in der lezten scene die schnelle peripetie in Chaumigrems tod
durch Balacins band und in dem „hellen freudengeschrei, welches den
Heldenmüthigen Printzen Balacin mit seiner unvergleichlichen Banise
vor wahre Beherrscher deß Kayserthums Pegu erkläret, wobey die Liebe
diese zwey gequälte Hertzen mit Ehelicher liebe zu deß gantzen ßei-
cbes Vergnügung entzückt verknüpfet." Balacins rivalität mit dem
prinzen Zorang (im roman Zarang) wird mit als Spannung erwecken-
des momeut benuzt, sie wird in der 5. scene des ersten aktes begrün-
det, führt zu des lezteren vergeblicher Werbung in der 8. imd zu des-
sen duell mit Balacin in der 5. scene des zweiten aktes. Sie erfahrt
aber, wenigstens in dem vorliegenden scenenentwurf , keinen versöhnen-
den abschluss durch die endliche Verbindung Zorangs mit der prinzessin
Savadi (so hier statt Savaady). Vielmehr sind diese zwei leztgenanten
208 MÜLLER -FIUUENSTEIN
personen zwar genau so wie in der ersten hälfte des romans neben
einander gesielt, der prinz liebt Banise, die prinzessin verzehrt sidi ift
Sehnsucht nach ihm, der gegensatz wird aber im stücke noch verschärft,
da hier der prinz Zorang durch Balacin in einem duell regelrecht über-
wunden wird (2. akt 5. und 6. scene), während das im roman nur*
einem von ihm geschickten stelvertreter passiert, und dann doch wol,
wie in der 5. scene angedeutet, zu Chaumigrem übergeht, ohne wider*
erwähnt zu werden. Von der gemeinsamen belagerung Pegus durclm
Balacin und den prinzen Zorang, von dessen täuschung durch die ihn.
liebende prinzessin und schliesslicher Versöhnung und Vermahlung mit
ihr ist keine rede. So wie hier beider nebenfiguren Schicksal nicht
zu einem wenn auch nur notdürftig motivierten abschlusse komt, so
wenig ist der prinzessin von Savjiady Verhältnis zu Balacin zu verste-
hen. Von ihrer durch den kaiser von Pegu zu allererst proklamierten.
Verlobung ist keine andeutung gegeben, doch besizt Balacin ein bildnis
von ihr wie im roman und gerät deshalb mit dem verschmäheten lieb-
haber derselben, Banisens bruder Ximin, in einen Zweikampf, den die
prinzessin von Savaady wie bei Zigler durch ihr dazwischentreten uad
die wegnähme des „Contrefait" endigt (I, 7). Später wird sie nur nocli
einmal erwähnt, da Banise ihr in der 3. scene des 4. aktes „ihre sorg'e
wegen der treue ilires prinzen" entdeckt.
Die Verwirrung also, welche der licbesgott durch die ungleiöli
verteilten neigungen im roman anrichtet und die mich an Shakespeares
sommernachtstraum erinnert^, scheint, wenigstens nach der erhaltenen
inhaltsangabe des dramas, in diesem nicht so gut benuzt; zwei per-
sonen fallen sozusagen ohne rettung ins wasser.
Dagegen kann ich nicht finden, dass, wie Schlossar sagt, Tale-
mens Stellung zu Balacin im drama „weniger ausgeführt sei." Es sind
vielmehr alle hauptmomente ganz deutlich benuzt: Talemon will von
dem Hanswurst (=Scandor) Balacins herkunft erfahren, erhält auskunA
von lezterem selbst uud schwört ihm daim ewige treue (I, 6). Er
ladet ilm dann zur kaiserlichen tafel und nimt an dieser wol selbst
auch teil (II, 3 — 5). Er wird von Chaumigrem gefangen genommen
(III, 1), verrät diesem „etliche schätze" (wie im roman), wird dadurch
frei, kann aber Balacin über Banisens Schicksal nicht beruhigen (Ifli
5. G), gerade so wie bei Zigler. Dann hält er den prinzen vom Selbst-
mord zurück (III, 8) und ebenso die inzwischen in sein gewahrsai*^
gebrachte Banise (III, 11). Hier ist in ganz geschickter weise Tale-
1) Bobertag vergleicht sie mit der liebes Verwirrung in „Diana*' von HarsdörflF^^*
2I0LKBS ASIATISCHE BAllISE 20d
*
tkions söhn Ponnedro durch den vater ersezt, und dieser wächst dadurch
liur an bedeutung. So ist es auch im vierten akte, wo Talemon (nicht
3?onnedro) Banisens briefe dem auch im drama offenbar in Talemons
sK^hiosse sich versteckt aufhaltenden Balacin überbringt, lezteren ermu-
tigt, indem er die werte des Orakelspruches als zumeist in erfüllung
gegangen erklärt, Banisen den fluchtplan mitteilt und Balacin die zu-
fiRammenkunft vor der flucht ermöglicht Wenn er dann in der 7. scene
oiischeint, „begierig, ob der anschlag gelungen'', von dem erwachenden
CAaumigrem erfährt, dass Banise ihn überlistet hat, und nun bemerkt
, „ertheilet Befehl, selbe geschwinde zur Straffe aufzusuchen", so ist
einmal bei der grammatikalischen Unsicherheit des scenenentwurfs
ttooh nicht ausgemacht, ob wirklich Talemon, nicht Chaumigrem damit
aT^rrteint ist, jedenfals aber darf kein böswilliger und verräterischer
*i:isc?hlag Talemons darin gesehen werden. Das beweisen die gleich
folgenden ersten scenen des fünften aktes, wo Talemon an des ermor-
^^t:^n Rolim stelle gesezt wird (offenbar nur, um nicht noch eine neue
^öl^enfigur einführen zu müssen) und mit Abaxar den ganzen rettungs-
PWxi entwirft. Talemon beredet Chaumigrem dem „verstelten " Balacin
^^i der Opferung Banisens die würde des Rolim zu übertragen, er ist
^Iso auch im drama durchaus der hebel in der peripetie.
Mein eindruck ist also: Talemon spielt auf der bühne eine noch
^>^88ere figur als im roman, seine schwäche gegen frau und tochter fält
^eg, da diese selbst nicht benuzt werden und er wird auch durch die
Verschmelzung mit seinem söhne Ponnedro bedeutender; alle handlun-
gen nicht nur, die im romane ihm beigelegt werden, sondern noch
einige dazu werden im drama auf sein konto geschrieben. Eher könte
Abaxar etwas zurückgesezt werden. Fallen doch seine ganze liebes-
geschichte, seine taten in Odia und seine eigenschaft als verkleideter
prinz w^! Er ist und bleibt nur der lebensretter Banisens, wird von
Gtiaamigrem deshalb vorgefordert, spielt aber mit Talemon bei der
opferscene wider neben Balacin die entscheidende rolle. Scandor ist
weit in den hintergrund gerückt, was die hauptfäden der Verwickelung
betrift; gewonnen hat nicht seine Stellung als treuer, aufopferungs-
fShiger vasall, sondern nur seine Wirkung auf die lachmuskeln der
hörer. Er heisst „Hannß -Wurst '^ oder Hans Wurst, ist Balacins die-
ner und narr und greift in den gang der handlung eigentlich nur ein,
indem er Balacins sieg über den prinzen Zorang meldet (11, 6), seinem
herm die zwei briefe überbringt, in welchen der tod von dessen vater
und die wähl zum herscher in Aracan gemeldet wird (IT, 2), Banise
auf ihrer unglücklichen flucht, die er geraten, begleitet und mit ihr
ZEIT8CHBIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXU. 14
2 1 0 MtiLLKR - PRA ÜKN8TKIN
gefangen genommen wird (IV, 9. 10) und endlich, als oflBzior verklt
det, den lezten briet" trägt, welcher den rettungsplan mitteilt Das i^ast
doch recht wenig, wenn wir daneben halten, was der Ziglerschc Scä
dor leistet; die mitgeteilten handlungen stimmen aber bisher mit di
roman überein. Sonst parodiert er die grossen ereignisse, die 8i<Lrli
abspielen, ahmt wie ein elown speciell seines herm heldentaten ix
komischer weise nach und bekämpft mit seinen riarrenspossen die em&'fce
Stimmung, welche die Zuschauer beschleichen könt«. Er erzählt z. "b.
mn anfange des Stückes nach seinem herrn auch seinen träum, „i
vi(Tet sich" bei dem kämpf der zweiten scene auf einen bäum, vn
rend So^ndor im roman an dieser stelle seinen herrn aus dem gedrän/^ie
herausliaut, imd hat in der vierten „seine Lustbarkeit" mit dem tot^n
löwen (im roman panther), vor dem Banise durch Balacin geretfc^et
worden ist. Im ei*sten auftritt des zweiten aufzuges ist offenbar djBa&
von uns oben besprochene gespräch über die liebe benuzt, da es heis&tt:
„Balacin und Hannß-Wurst haben eine curieuse Unterredung über dj»^
Liebe, worüber beyde entschlaffen", im dritten akt eilt er seinen herr"^
zu retton, nachdem TalcMUim das eben schon getan, und in der allc«^*
lezten scene maciit sein ,,arthiger Hochzeit -Wunsch der Action ei-^''
lustiges Ende."
Von kleineren wirksamen oder doch auffallenden zügen des romans^
die im dnima Verwendung linden, ist zuerst zu er^vähnen, dass Bani-'
sens vater Ximindo vor seiner strangulierung sich plötzlich zum chri-
stentume beki'ut Sodann wiixl auch der rührende umstand verwendet,
dass Iknise den gefesselten vater mit einem trunk wasser zu labea
komt Eine spannende scene muss wol ferner die 6. des vierten aktes
gewesen sein, avo Banise ,, unter schmeichelnden Liebkosungen dem
verliebton Tyi-anneu den vergift'ten Schlaf- Trunck überreichet und nach
dem er entsohlatteu, ihre Kleyder mit den seinigen wechselt^ und in
ähnlicher weise die 1. dt»s fünften aktes, „wo der in die Banise ent-
bnuHite Rolim bey selber mit Gewalt die Kühhmg seiner Flanunen
suchet, die er aber von der höchst- beleydigten Printzessin mit einem
tödlichen Stii*h erhaltet" Vor allem aber natürlich die lezte scene,
wo „die Si'hlaclitung der Banise" volzogen werden soll und diese „mit
erbiinnliclien Worten der Welt Athen sjiget", und wo Chaumigrem
st»lbst band an sie legen will, von Bidacin jt»dooh „mit einem Strick
erwürget" winl.
Hiis dramatunrische geschick des bearbeiters können wir ausser
in diesen zügon am meisten erkennen in den w^lassungen und sce-
uisi'iien Veränderungen. Das stück führt, wenn wir nach dem inhalt
RE 211
auf (ieu ort der handlungen schliessen wollen, uach art der engliscUeu
Stacke nach einamier au eine ganze anzahl vei-schiodeuer örtlichkeiten;
ea ist weit entfernt von einer einbeit des orts, ebenso wie der zeit
Dagegen ist die einheit der Handlung, wie schon die orakel- und trauni-
scene des ajif&nges beweist , im ganzen wirklich mit geschick bewahrt
Wir stehen zuerst vor dem tenipel bei Pandior an der grenze
von Äva und Pegu, werden in der 2. scene in einen wald bei Pegu
TBTsezt, die 3. — 5. sind zu denken in einem garten des hofes, die
6.-8. können wol auch darin gespielt werden. Der zweite akt begint
vielleicht an derselben ürtliuhkeit, wo der schluss des vorhergehenden
w Bich gieng, die 4. — 8. scene ist jedoch in die kaiserlichen gemacher
TeriegL Im dritten, vierten und fünften akte sind jedesmal wenigstens
verschiedene scJiauplätze anzunehmen. Die zeit der Handlung ist
lermindestens nach vielen monaten zu berechnen. Ist doch von einer
^lichte kaum eine rede, sondern das stück begint einige zeit,
die beiden Hauptpersonen sich das erste mal gesehen haben, und
'Srfolgt durchaus gemessen seinen gang, indem diese sicJi kennen und
lernen, verlobt, dann getrent und endlich nach langer not wider
ymiat werden. Ein dunkler punkt in betreff der haupthandlung bleibt
t b., wo Balucin bei Chaumigrenis sieg über Pegu steckt; kein wort
.in der scenen Übersicht gibt dafür eine erkiärung, doch bot der roman
'Üch dafür fingerzeige genug. Völlig unbenuzt sind die verhält-
des hofes von Äva, Higvanama und NHerandi von Odia, ebenso
Balacins kriegerische Heldentaten. Die einzige scHlachtscene über-
ipt, welche das stück bieten konte, ist am beginn des dritten aktes,
Chaumigrem die Pegiianer überwindet; die 3. des fünften aktes
ilt wenigstens deutlich in dem lager Balacins vor Pegu, hat aber
Hanswurst allein als akteur. Den seelischen kämpfen wird, gewiss
it zum nachteil des Stückes, ein weit grösseres feld eingeräumt
Der bau des Stückes ist zweifellos wirksam, wenn auch die expo-
ion ziemlich dürftig gewraen sein mag. Der erste akt gibt das ver-
idnis der personen, und zwar nicht in langen monologen oder
P*altsam orientierenden gesprächen, wozu der roman recht wol hätte
'■firßhren küunen, sondern in flott sich ablösenden Handlungen. FreJ-
"oh tonit es darauf an, wie viel von den nebenhandlungen des roniaos
"'cbt doch noch angedeutet worden ist, ohne dass der scenenontwurf
■Urauf rucksiebt nimt, der leztere gibt aber keinen anlass dergleichen
'^ vermuten. Der zweite akt wirft auf das junge glück der liebenden
''"0 ürsten schatten, lässt aber in der jedenfals mögüchst grausigen
'"Steuerzahlung, die „mit jedermanns Bestürtzung burichtet, wie Chau-
14*
212 MÜLLSR-FRAÜENSTKIN
migrems Tyranney den Königlichen Stamm von Martabana außgerottet^,
die grosse der gefahr schon ahnen. Die ersten zwei akte, wir können
auch sagen, die exposition ist also klar und anregend, die Verwicklung
und lösung aber in noch besserer Steigerung, als sie der roman durch-
führt mit seinen dazwischen geschobenen kriegswechselfallen und neben*
abenteuern. Niemand wird im drama den wegfall der liebespaare
Higvanama-Nherandi und Fylane-Abaxar, auch Lorangy-Scandor be-
dauern, niemand die schlachten von Prom, Odia, am passe Abdiara und
schliesslich von Pegu, die prunkscenen und Schaustellungen der si^ges-
einzüge, der prinzlichen und königlichen beerdigungen, der bestattnng
des alten und der wähl des neuen Bolim vermissen. Zu deigleichen
fehlten wohl auch die scenischen mittel. Die einzigen mit grösserem
pomp ausgeschmückten und an spektakel reicheren auftritte in dem
stücke können ausser den siegen Balacins über die meuchelmörder und
den löwen in der 2. und 4. scene des ersten aktes nur sein im zweiten
akte die königliche tafel (4. scene), im dritten Chaumigrems sieg nnd
des kaisers Xemindo hinrichtung (1. und 10. scene) und im fünften
natürlich die krönung des gebäudes, die grosse schlussscene. Auf der
bühne selbst sterben ausser jenen meuchlern und dem löwen nur
Xemindo, der Rolim und Chaumigrem, ein zwei- und ein „säbel-
kämpf" (I, 7 und 11, 5) und zwei Selbstmordversuche kommen sonst
noch vor; das ist in anbetracht der Verhältnisse, im vergleich mit den
dramen der schlesischen schule, so schlimm es schon aussehen mag,
für eine hauptaktion doch nicht zu arg. Man vergleiche nur die
zahl der nervenerschüttemden auftritte im romane damit und berüA-
sichtige den umstand, dass schon der albekante name Chaumigren^
den Zuschauer auf gi-ässliche scenen, grausamkeit und mord vorberdtwi
muste.
Weniger berauschende kunstmittel, die dem durch Lohenstein und
genossen verwöhnten freieren publikum der zeit kaum so sehr impo-'
niert haben werden, möchten etwa sein: der träum Balacins in der 1--»
der der Banise in der 3. scene (sie träumt „ihres vaters ungltick") uni
die zweimalige Verkleidung Balacins, einmal beim Stelldichein vor der
flucht als portugiesischer kaufmann (IV, 5) und dann als Rolim (V, 4)-
Auch fehlt es nicht an zarteren partien, so wenn der prinz Zonsg
„bey Banise um Liebe anhält", Balacin und Hanswurst sich einen gan-
zen auftritt über die liebe unterhalten, Banise dem schlafenden Balicii^
das bild seiner Schwester von der brüst nimt, ebendieselbe von ihre^
Verlobung mit Balacin „verblümbter Weise verständiget, und artig"»
doch (!) vergnügt" mit ihm verbunden wird, oder wenn sie sich w^ge**
ZIGLEBS ASUTISCHB BANISE 213
der treue des beiden bei der prinzessin von Savaady rats erholt und
encllich zu ihrem „höchsten Vergnügen" von ihm besucht wird.
Ich meine, die sonst in der litteratur völlig unbekante figur des
Verfassers dieser hauptaktion, vielleicht J. H. Brunius selbst, spielt
gar keine so ungünstige rolle imd die hochdeutsche hofschauspieler-
gesolschaft wird mit dem stücke in Graz im jähre 1722 volle häuser
erzielt haben. Der schluss aber, der nun wol auch zu ziehen erlaubt
ist, kann nicht anders lauten, als dass die „Asiatische Banise" durch
diese dramatische bearbeitung indirekt in unserer Wertschätzung nur
gehoben wird. Mit ausnähme einiger streiche des Hanswurstes und
der Verschmelzung Ponnedros und seines vaters in eine pereon hat der
draxnatiker nichts zu verändern oder hinzuzufügen gebraucht
Und so nehme ich abschied von dem beliebtesten romane jener
zeit, mit dem wünsche, dass Ziglers hofnung sich auch an diesem ihm
gewidmeten aufeatze erfüllen möge, dass sich nämlich „honette gemüter
finden werden, die dieses mein wohlmeynendes unter&ngen mehr loben
als schelten, und aus dem willen erkennen werden: was ich mir
wünschte, in der That würcklich zu leisten.'^
HANNOVER. G. MÜLLER- FRAUENSTEIN.
GUDBRAXBUR VIÖFÜSSON.
Am 31. Januar L j. starb in Oxford nach langem krankenlager dr. Gud-
bran^^fYfgf^ggOQ^ einer der tätigsten arbeiter auf dem gebiete der altnordischen
pbilologie. Als der älteste seiner deutschen freunde wage ich es, in dieser Zeitschrift
^^^ einen nachruf zu widmen, da ein wissenschaftlich berufenerer, Theodor Möbius,
*ei<löx durch krankheit verhindert ist dieses seineraeits zu tun.
Oudbrandur war am 13. märz 1827 geboren; es ist demnach ein irtum, wenn
^^ «nglischefi biographisches Wörterbuch (Men of the time; 1887) das jähr 1830,
^^ wenn ein dänisches blatt umgekehrt das jähr 1821 als sein geburtsjahr angibt
'^^ sein gebortsort wird von glaubhafter seito her der Hof Frakkanes auf der Sku^s-
r^^tid genant; eine zeit lang wohnte sein vater aber auch im Galtardale auf der
.^^^trönd, dann imFagridale und anderwärts in der landschaftSaurbaBr, und gerade
^^^"Xom ist die angäbe des geburtsortes nicht völlig sicher, wenn auch feststeht, dass
^^^elbe der Dalas^la in Westisland angehörte. Das geschlecht Gudbrands war ein
^^^^ angesehenes. Er stamte im geraden mannsstamme von Porkell Hallgrimsson
, > dnem bnider des priesters Porläkr, des vaters des vielgefeierten bischofs Gud-
^5^^!)idar von Hölar (tl627) und führte andererseits auch durch seine ururgrossmutter
^^Iga sdnen stambaum auf denselben bischof zurück, indem deren vater, Magnus
4^m88on, des bischofs urenkel war. Ich erwähne dieses umstandes teils darum,
^11 durch B. Gudbrand Porl4ksson der name in das geschlecht gekommen war,
^%lchai der verstorbene nach dem bruder seines gross vaters, dem apotheker Gud-
214 MAVBER
brandur Vigfüsson zu Nes Im R«>ykjavik (f 1822) trag, toils aber, und hauptsäcl^^.
lieh, woil der verstorbene nach isländischem brauche auf seine abstammung grosse i
wert legte. Auch auf seine abkunft aus dem Wostlande tat sich dieser viel zu gut:^
und fülirt*? mit Vorliebe den alten spnich an, nach welchem die Nordländer edellei^^
(hofmenn), die Ostländer bauoru (bumonu), die Südländer krämer (mangarar), <^i
AVestländer gelehrte (visindamenn) sein sollen.
Nicht iK'i seinem vater, Vigfüs Gislason, welcher neben seiner landwirtscb ^^1
auch noch die kunst eines silherschmiedes ausübte, in welcher sich später ein
rer söhn doüisolbou, der archaeologe iSigurdur in Beykjavik, auszeichnete, sondern
einer Schwester seines grossvaters, Katrin Vi^füssdottir, genoss Gudbrandur sei
erste erziohung. Zu Kleifar im Gilsfjördur aufgewachsen, erhielt derselbe seizie?]
ersten Unterricht durch sera Halldorr Jönsson, den späteren pfarrer in Tröllatun^
(+ 1888), und später durch sera l^orkell Eyjolfsson, den jetzigen pfarrer zu Stada
stadur, dessen vater ein bruder der mutter Gudbrands, Halldora Gisladottir, ^-ar
Damals war sora Verkeil hauslehrer bei dem landesphysikus Jon Thorsteinsson ii
Koykjavik, und zwei jähre lang unterrichtete er Gudbrand, der ihm sowol als söra
Halldorr zoitlebtnis dankbar und anhänglich blieb; dem sehne des ersteren, dr. Jon
T*orkelsson in Ko|>enhagi^n, dem Verfasser der tn*tlichen schrift ^Om digtningen j>5
Island i det IT», og 16. ärhundrede" (1888), verdanke ich einen guten teil der fCir
diesen nachruf beuüzten angaben. — Am 15. juli 1844 wurde Gudbrandur in di«
gelehrte schule zu Bessastadir aufgenommen, mit welcher er im jähre 1846 na«.*^*
Reykjavik umzog, und wokhe er im juli 1849 mit der erst»»n note al>solvierte. Beo-
tor Sveinbjfiru Egilsson und dr. Ilallgriinur Schoving wareu hier seine lehrer gewesen,
und aui'h ihnen bewahrte er stets ein dankbares andenken. N«)ch in demselben jah rc
K^zog er die Universität in KojHMihagen, wo er sith, nachdem er die gewöhulicheo
Prüfungen (das examen aitium, phili>lngicum et philosophicum) mit bestem erfolg«'
bestanden hatte , sofort ausschliesslich auf das Studium der altnordischen spräche und
litteratur verlegte, und wo er im august des jahres 1856 zum zweiten sti[)endiate0
der amam,'\gn:vischen Stiftung eniant wurde, von welcher funktion er erst am
1. Januar IStV enthoben wunie. nachdem er K^reits seit dem december 1864 nach
England gegangi^n war, während den sti|>endiaten stiftungsmässig die Verpflichtung
zum ständigen aufeuthalt in Ko|)onhagen obliegt.
In die erste zeit seines sti)Hmdiatentums Hut der Wginn meiner bekantschift
mit Gudbrand. Mit Studien ülvr isländische rechtsgesi'hichte beschäftigt, hatte ich
mich eiitst blossen die insel selbst zu lH?suchen, um mich mit deren toi>ographic und
wirtsehafllichen zuständen näher lH>kant zu machen; ein längerer besuch in Kopen-
hagen solte mir abtT ,nls vorlvreitung für die reise dienen, und mir zumal eine vor-
läuligi^ Orientierung üN?r die Verhältnisse Islands und die nötige fertigkeit in der islin-
disohen spräche verschaffen. So kam ich im herbste des jahres 1857 nmeh Kopenhagen.
Durch Jon Sigunlsson, mit welchem ich schon früher in brieflichem verkehre
gestanden hatte, wurde mir Gudbrandur als lehrer empfohlen, tmd teils in folge die-
s«^ umstaiidos. teils aber auch dadurvh, da.ss ich vermöce meiner wissenschaftlichen
zwecke mich überhaupt vorwiegend auf den verkehr mit Isländern angewiesen sah,
tra^'n wir uns bald näher. Als ich sodann im frültjahre 1858 über Kopenhagen nach
Island i^'iste, traf i<.'h nicht nur dort vor meiner einschiffong wider mit ihm zosaffi'
men, sondern wir konten auch, da er gleichfals seine heimat zu besuchen gedachte,
ein steldichein in dieser verabreden. Wirklich trafen wir uns am 14. aognst in Holt
in der landsohaft SaurKer. und durchstreiften nun 14 tage lang teils zu pferd. teils
215
boleu die ösUicJien guslado und ioseln deB wnnderschÖQOQ üiviili^britiir. Am
sugast treoten wir uns in Ujiirilarholt im Laxärdalo; aber schon am 1. Oktober
traJea wir uns uidor ia Bey^avik, von wo aus wir reiohlich. zwei wocbcn spater
ubt*r BBssastadir imd Oardat nach dem Hafnaljörfnr ritten, nm von hier aus am
. unsere rüokreise iilwr die Fteräer uod Stibottland Dach Eopcnhagea luizu-
Ucten, Das längere enge ;iusammeuieben auf der reiso und der vielfache g;edankon-
lostauscb, KU welchem dasselbe gelegeuhcit bot, befestigte solbstverstündlich unsttro
bBiiehnngen zu einander sehr erheblich; ein reger brieflioher verkehr wunle in den
»aohstfolgeaden Jahren unter uns aufrecht erhalten, durch gameinsame wiasonsohaft-
e lestrebungon vielfach hefordBii;, und zweimal erhielt ich während dieser zeit
flkgon besuche Gudbrands hier in Münolteo (185ä und 1803).
Wahrend der leit seines Kopenhageuer sufenthaltes entfaltete Guübrandur eine
LT lebhafte litterarische tätigkeit Dieselbe beganu, soviel mir hekant ist, mit zwei
1 gleichzeitig ersohieneneo arbeiten, nümliuh dem boriohte über eine reise
■oh Norwugen, welche er im jahiu 1854 auf Veranlassung profeaaor C. R. Ungers
immeu hatte (Sf feiagsiit, bd. XV, s. I~S3i 1855), und einer eingehenden
Dillcing über die Chronologie der islUiidiachen sagenzeit (im zweiten hefte des
Ib til sögu lahuids og islenaltra bokmeota, bd. I, s. 185 — 502; 1855); leKtoi'es eine
ibeit von grundlegender bedentung, in welcher deren Verfasser volauf gelegenheit
■ul, towol seine volkommene herschaft über die gesamte ifiländische sageDlitteratur,
■ MUh seinen ungowobnlichen Scharfsinn in der doutung und combitiierung ihrer
'^pben EU «eigen. Bald folgte eine reihe anderer aufsiitxo in den N^ feingarit, ^h
*ren mitredakteur Ouabraudur auch in den jähren 1858— 64 wirkte; so eine nbhand-
Jaag über die isländische laut- und llexienslehre i^bd. XTU, s. 117— 66; 18ÖT), eine
_ raihe Ton sehr beachtenswerten bomerkungcn über einzelne IslendinKssögur und deren
»usgahcn (bd. XVm, s, 154-68, 1858; XJX, s. 128-36, 185!); XXI, a. 118—27
ä— 36, 1861); sowie über Ungera ausgäbe der Stjöm Cbd.XXHI. s. 132—61,
, femer eine beschreibimg der ersten reise Gudbrands nach Deutschland (hd. XX,
~H3, 1860), und ein aufsatz über die mrtst'haftliohen zustände Islands in der
, welcher duruh eine schrift des norwegischen holanikers Schübeier veranlasst
>'(bd. XXUI, 8. 109—26; 1863). An diese kleberen arbeiten reihte sieh sodann
1 anzahl sehr verdionstUcher ausgaben von quellenwerkon an. Dahin
It der erste band der Biskupasögur {1656 — 58), sowie das erste heft ihi'es zwei-
k bandes (1802), welche Oudbroudur, xum teil gomeinsam mit Jon Sigurdsson,
iongte; die ausgäbe derBArdar sagaSueefoUsass, Viglundor saga, I'^rdar saga hredu,
t Dtaunuvitrauir und desVölsa [rättr, welche die NordiskeOldskrifter, heft XXVH
. und die FoTusogur, Vntnsdicla, Hollfredar saga, Flöomanna saga, welche
fbrandur mit Th. Möbiua zusammen herausgab (>)eide 1860), sowie die Eyrb^rggja
^» (1864); endlich wurde jezt von ihm, im vereine mit profeasor Unger, die gewal-
^^ ausgäbe der Flateyjaibök begonnen, welche freilich erst in etwas spütoror zeit
*-'*tm abscliloss gelangle (1800 — 08)- (tleichzeitig beteiligte sich Gudbrandur aber
1 hüllrdub an fremden arbeiten. Als es galt, Sveinbjöm Egilssons Lexicon poe-
1 aati<|uae ÜDguae septeutrionalis herauszugeben, besorgte er mit dem rector
l Kirkelaion in Reykjavik die re\-ision des inanusoriptes. An der horausgabu voa
i islenzkar ^edsögur og Eeüntj-ri I,1S<!2 — 64) war er uelion mir beteiligt,
1 liefalte (ür dieses werk neben manchen anderen wertvolleu beitragen zumal auch
I lehrreiche vurrede. Bei der herausgäbe seber uborsetstmg der Njäla
Ml) a&eate siub G. W. Dasent seiner Unterstützung; mir aber lieferte er mr
216 MAURER
l>oarlMutun^ dos ailikols Gragus in der Algomeinen oncyklopaedie der Wissenschaften
und künsto (1864) dio wertvolsten mittcilungen. Eine Zeitlang (1861—62) redigierte
er üln^rdios dio Zeitschrift Skimir, und korrespondierte zugleich für isländische bUt-
tor, zumal dou I^jodolfur. Eine wcndung aber ergab sich in bezug auf seine littera-
risi'he täti^keit durch seine Übersiedelung nach England, deren oben bereits gelegent-
lich gedacht wunie.
Es war niii eiginitümliehcr anlass, welcher Gudbrand nach England führte.
Ein sehr vennöglieher junger Engländer, Richard Cloasby, welcher geschmack an
philologisdien Studien gefunden und hier in München unter Andreas SchmellerB lei-
tung sich tüchtig in dio gormanischo Sprachforschung eingearbeitet hatte, war später
nach Kopenhagen gegangen und hatte doit die ausarbeitung eines altnordischen Wör-
terbuches in die band genommen. Schon im wintor 1839 — 40 war der plan hierzu
entworfen und im folgenden frühling mit der ausführung begonnen worden. Da für
die dichtei*sprache SveinbjÖm Egilsson bereits ein Wörterbuch nahezu fertig gcstelt
hatte, für de.^sen lierausgal>c es nur an mittein zu fehlen schien, beschloss Cleasby
hiezu einen Ivitrag zu leisten, seint* eigene arbeit dagegen auf die prosasprache zu
beschränken. Mehrere junge Isländer, darunter zumal Konhid Gislason und Bryn-
jölfr Tetursson, wunlen zu dieser lierangezogen ; aber am 6. Oktober 1847 starb
rieasby in KoiHMihagen. ohne dass sein Wörterbuch, von welchem bereits einige
U^gt^n pn>bewcise gesezt worden wari»n. vollendet worden wäre. Mit anerkennens-
werter pietät und opferwiIIigkt»it suchten st^ne angehörigen das werk in Kopenhagen
nach dem ui'sprüuglichen piano vollenden zu lassen; als die arbeit aber immer nicht
vorangi*hen weite und i\{xA\ im jähre 1SÖ4 statt eines fertigen mauuscriptes nur
neue gt^ldft^rilerungini einliefen, verloren sie enillich die geduld: das material wurde
von ihnen, >o wie es lag, nach England abi^»foniert und nunmehr einem englischen
fach mann, li. W. Oast^ut. zur weiten^u behaudluug üln^rgebon. In der meinong. es
mit einem nahezu druckfenigen mauuscript zu tun zu haben, sezte sich dieser bchufi»
der veri>lTeuTlichung sofort mit den delegierten der Claivndon Press in Oxford in Ver-
bindung. Widerum wurde eine pr^^lv gost^zt. aber l«ld wurde man sich über den
völlig ung^^nugenden .^^ustand der vorarlnMten klar, und es blieb die sache ein volles
jahr/ehnt liepMi. bis Djvk'ut endlich im jaht» 1S64 neuerdings mit den delegierten
in xinterhandlunpMi tnu, in f«^lg\^ den^i dir^» sich zu einer verwilligung verstanden,
um die hülfe t*ines islän.iischen philologen zur fertigstellung des Wörterbuches zu
gt»winnen. ruidbrandur wunio seferi als helfor gewählt, und siedelte noch im laufe
des^elUii jahivs navh England ulvr. Da Pasent durx'h anderweitige aufgaben völlig
in auspniv^h t:\MiemmtMi war, i\A ihm die arlvit s*.^ zu sagen allein zu. und als das
\*erterbuch m vien jahnm l Sr»l» — 74 er^ichien »An Kvlacdic-English Diotionary, based
en the M> iVlUvtiens cf tl.e laie Kivharvi CI',^asby, ezüarged and oompleted by Gud-
bwnd Vijifussen M V.^, kente pAscnt ,i:n Sv*hluÄio ein?*s ihm vorgesezten lebensabris-
M>s i'l»Msl>\> nr.t tV.j; u!;d tvrht aus>pr>vhcv.: «Tho Pi.'tienarj- as it now Stands is fiu-
iv.xMv the Wv^tk v'f V;j;!fus>on thaii of OIv^Aslv." Es ist d!-,*<e arbt*it. welche Gud-
b:^nds i\,ie.\o:s wllcuht .-i'.v, lvVa:.tcs:o:*. ^.vv.ah: hat. Das friher nahezu einzige
hc.Usv.v.tti't. »i.is \.M) KasW *.-.'r,-iiiSj:x»j:\'K:".- ;>*.i:;.i:>;he wörtert^uch Björn Halidüresoa«
vlSir, WA! d'.ir\V. s;c nrt c::*c-v. iv..tlc ar.T :,:.-. r: , *.;i:i au.'h über die ziemlich gleich-
st". ;i^ T-.v.*',;r's»v.r:i \\.»i!c:lv.:'::or v.r..i j:V'>.v.\r.^r. v:- Eir.kur Jonsson <1^^)< Th. Mö-
l'iUN .IS*"m*» i;'\d } V'.:!;r.ci , ISvi' ^7^ war w--: h::ji-sc..ci2£vn. wenn sich auch
i:uh? \ c: KC!*.s',*'a !.v*n:, ,;.i.vi c^iv:; .ior. >v*:;'.us{S i.> w^rk-^s hin einige ermüdong des
\crr,-wv>x*rN Mvh IvnjcrllvAi inao:*.:. ors! .i:e :ni 0Tv^.'hT*i-T»c l^^criffene zweite aosgabe
OUDBRANDÜR VIGFUSSON 217
des Fritaierschen Wörterbuches wird der arbeit Gudbrands mit erfolg den rang strei-
tig machen können.
In England blieb Oadbrandur fortan wohnhaft. Von London, wo er anfangs
seinen anfenthalt genommen hatte, siedelte er im jähre 1866 nach Oxford über. Im
jähre 1871 emante ihn die dortige Universität honoris causa zum master of arts, und
übertrug ihm später auch eine professur, weiche er bis an sein ende bekleidete.
Gelegentlich des Jubiläums der Universität üpsala wurde er honoris causa zum doc-
tor der philosophie promoviert (1877), aus welchem anlasse auch in der festschrift
der Universität eine kurze lebensbeschreibung desselben eingerückt wurde (XJpsala
universitets fyrahundraärs Jubelfest, s. 368 — 69; Stockholm, 1879). Seit dem jähre
1873 gehörte er unserer akademio der Wissenschaften als correspondiereudes mitglied
an, und im jähre 1885 wurde ihm der Danebrogsorden von der dänischen regierung
verliehen. Unermüdlich arbeitete er inzwischen in seinem berufe weiter. Noch wäh-
rend seiner beschäfHgung mit dem wörterbuche entstanden einige kleinere abband-
Inngen: „On the word runhenda or rimhenda*^, dann „Some remarks upon the use
of the reflexive pronoun in Icelandic'^, welche die Transactions of the philol. society,
1865. n, 8.200—207, und 1866. I, 8.80—123 brachten. Nach der erledigupg jener
umfangreichen arbeit erschien sodann eine sehr verdienstliche ausgäbe der Sturlünga
(1878), welcher noch eine reihe weiterer quellenschriften , sowie eine ausführliche
und vielfach belehrende litterargoschichtliche einleitung beigegeben sind. Mit Fr. York
Powell zusammen gab femer Gudbrandur einen „Icelandic prose reader*^ heraus
(1879), welcher nicht nur wegen der zugäbe einer kurzen grammatik und eines glos-
sars beachtenswert ist, sondern auch darum, weil einzelne der mitgeteilten quellen-
stüoke auf grund wertvoller handschriften selbstständig bearbeitet erscheinen. Eben-
fals im verein mit Fr. York Powell veröffentlichte Gudbrandur sodann das Corpus
poeticum boreale (1883), welches in zwei bänden nicht nur die alten dichtungen des
nordens in text und Übersetzung, dann mit erläuternden bemerkungen versehen bringt,
sondern auch in einer litterargeschichtlichcn einleitung und einer reihe von excursen
nicht wenige materien einer selbständigen behandlung unterzieht. Mit demselben
freunde gab er auch gelegentlich der centenarfeier für J. Grimm eine festschrift her-
aus unter dem titel: „Grimm centenary. Sigfred-Arminius and other Papers*^ (1886).
Als ein bestandteü der ofßciellen samlung der „Renim Britannicarum medü aevi
scriptores'^ erschienen endlich seine „Icelandic sagas and other historical documents
relating to the Settlements and descents of the Northmen on the British Isles*^ (1887),
deren zwei bände neben einer reihe von auszügeu aus verschiedenen quellenschriften
volständige ausgaben der Orkneyiuga saga und der Magnüss saga Eyji^arls, der Häk-
onar saga gamla und, soweit sie reicht, der Magnüss saga lagabootis, sowie die bis-
her noch unedierte Dunstanus saga bringen. Neben diesen eigenen arbeiten forderte
Gudbrandur nach wie vor fremde Unternehmungen. Dasent z. b. unterstüzte er bei
seiner Übersetzung der Gisla saga Süi*ssonar (1866), und Sir Edmimd Head bei seiner
Übertragung der Yigaglüma (1866); zur zweiten ausgäbe der Analecta Norroena von
Th. Möbius lieferte er, nachdem er schon für die erste (1859) die I'orsteins saga Sidu-
hallssonar und den Draumr I'orsteins Siduhallssonar, sowie stücke der Hallfredar saga
vandrsodaskalds beigesteuert hatte, zwei stücke aus der Hauksb6k und ein kleines
stück „um Beda prest*^ (1877) ; mir selber endlich teilte er nicht nur mehrfache sehr
erhebliche notizen zur Verwertung in meiner abhandlung „Über die ausdrücke alt-
nordische, altnorwegische und isländische spräche '^ mit (1867), sondern ihm ver-
danke ioh auch die abschrift der Skida-rima, nach welcher ich dieses eigentümliche
218 MAURER
godicht im jähre 1869 herausgab. Auch au yerschiedenon Zeitschriften arbeitete 6ad-
brandur uoch mit, wie er denn z. b. noch mehrere jahi'e lang regelmässiger cone-
spondent des „I'jodolfr'^ blieb, und auch gelegentlich in die „ Times ^ schrieb,—
correspondenzen , die ihn gelegentlich in rocht widerwärtige Streitigkeiten Terwickelteo,
wie z. b. die controverse über die neue isländische bibelübersotzung, dann über die
hülfebedürftigkeit Islands während des notjahres 1882 — 83. Von wissenschaftlicher
bedeutung sind zumal seine beitrage für die „Academy'^ und für die ,,£nglish histo-
rical reviow" ; in der erstoren erschien auch die lezte arbeit, welche er, soviel mir
bekant, veröffentlichte, nämlich ein nekrolog für Jon Arnason. Ein grösseres werk,
an welchem er, widerum mit Fr. York Powell zusammen, arbeitete, und welches
die älteren isländischen sagen samt der Islendingabok , Landnama, Kristni saga, den
älteren Biskupa sögur und den auf Amerika bezüglichen quollen umfassen soll, ist
im drucke bereits weit vorgeschritten und dessen baldige Vollendung gesichert
Während der ersten zeit seines aufenthaltos in England sezte Gudbrandur den
brieflichen verkehr mit mir noch sehr eifrig fort, und zumal gab die ai'beit an m-
nem wörterbuche zu einem regen godankcnaustauscho anlass, da er zumal über
juristische terminologie gorn mit mir rücksprache zu nehmen pflegte. Im Jahre 1874
war er auch noch einmal längere zeit bei mir zu besuch; almählich aber wurde die
correspondenz eine lässigere, teils wol weil der gang unserer Studien immer weiter
auseinander führte, und weil für mich mit Gudbrands entfortiung von Kopenhagen
die möglichkeit wegflel, seine hülfe bezüglich der dort aufbewahrton handschriften in
anspruch zu nehmen, teils aber auch weil das zunolimendo alter uns beide träger im
schreiben machte. Doch wechselten wir noch aljährlich einige briefe, am 18. Januar
1. j. aber liess er mii- durch herm Fr. York Powell mitteilen, dass er schwer krank
liege, und ein brief, welchen ich daraufhin abgehen lioss, gehörte zu dem lezten,
was er lesen konto. Ein langwieriges, aber zum glück wenig schmerzhaftes krebs-
leiden, welches, vom magen ausgehend, auch die leber ergriff, machte seinem leben
ein ende. Englische freunde, vorab der trefliche Fr. York Powell, haben ihn treu-
lich gepflegt bis an sein endo, und ihn auch in würdigster weise zum grabe geleitet,
in welchem er nun von einem leben voller mühe und arbeit in fremdem lande ausruht
SoU zum Schlüsse noch etwas über Oudbrands wissenschaftliche bedeutung
gesagt werden, so hält es schwer, licht und schatten richtig zu verteilen. Gud-
brandur war ein ganz ungewöhnlich begabter mann, von raschester fassungsgabe und
unermüdlichem fleisse. Seine fertigkeit im lesen und in der beurteilung von hand-
schriften war eine ganz ausserordentliche ; die verloschenste schrift vermochte er noch
zu entziffern, und wochenlang konte er von morgens bis abends abschreiben ohne
dass seine äugen ermüdeten. Rasch wusste er sich auch in den filiationsverhältnis-
sen der handschriften zurechtzuflnden, und von hier aus für seine quellenausgaben
stets den richtigen text zu wählen und die nötigen Varianten auszulesen. Seine aus-
gebroitete bekantschaft mit der gesamten, gedruckten und ungedruckten litteratur
seiner heimat liess ihn überdies im vereine mit seinem bewunderungswürdigen gedächt-
nisso stets alle beziehungen gegenwärtig haben, die ihm für die erledigung irgend
einer aufgäbe von nutzen sein konten, imd eine seltene kombinationsgabe gestattete
ihm aus dem reichen materiale die überraschendsten Schlüsse zu ziehen. Aber aller-
dings standen diesen glänzenden eigenschaften auch wider schwache Seiten gegenüber,
welche die ungetriibte entfaltung jener ersteren mehi-fach behinderten. Die flüchtige
band, mit welcher Gudbrandur seine handschriften copierte, war manchmal eine i^
flüchtige, sodass nicht immer die lesart der handschrift in seinen ausgaben ganz vet-
OUDBRANDUR VIGKUSSON 219
Ussig widergegeben ist. Sein vortrefliches gedächtnis verleitete ihn zuweilen zu
alzngrossem yertratien auf dasselbe; er citicrtc vielfach aus dem köpfe, und konte
dann hin und wider auch wol ein ungenaues, oder selbst ein geradezu falsches
citat mit unterlaufen. Seine rasche combinationsgabe verführte ihn manchmal auch
i«rol zu recht seltsamen ergebnissen, die zufolge seiner ungewöhnlich schneUon art
zu arbeiten keiner hinreichend bedächtigen nachprüfung unterzogen zu werden pfleg-
ten. Ein an sich sehr anerkennenswertes streben nach Originalität liess ihn über-
blies fremde arbeiten oft nicht beachten, oder selbst ganz ungerechtfertigter weise
misachten, zumal wenn sie irgendwie störend in seine eigenen HebUngsansichten ein-
griffen. Alle diese Schattenseiten seiner art zu arbeiten machen sich aber in Gud-
l>rands späteren Schriften weit mehr fühlbar als in seinen früheren. Seine Übersie-
delung nach England riss ihn los von dem natürlichen boden seiner tätigkeit. Fortan
fehlte ihm der tagtägliche zutritt zu den handschriften der Arnamagnaeana und der
grossen königlichen bibliothek, und damit die möglichkeit der benützung dieser hand-
schriften beim lesen von korrokturon, durch welche alle flüchtigkeiten von abschrif-
ten verbessert werden konten; es fehlte ferner der leichte Zugang zu den roichen
bücherschätzen, welcher vordem die richtigstellung von citaten jeden augenblick
ermöglicht hatte. Nicht minder bedenklich wirkte aber auch die trennung von einem
kreise gleichstrebendcr landsleute, imd zumal das wegfallen des zügelnden einfiusses
des treflichen Jon Sigurdsson, dessen eminente Verständigkeit verbunden mit dem
unbegrenzten ansehen, dessen er sich bei allen seinen landsleuten erfreute, gar man-
cherlei extravaganzen zurückzudrängen wüste, zu denen gerade die begabtesten sei-
ner jüngeren Schutzbefohlenen sich hinreissen zu lassen geneigt sein mochten. Es
konte nicht ausbleiben, dass Gudbrands absprechendes auftreten und die zuweilen
recht wükürliche behandluog der quellen in seinen späteren Schriften manche scharfe
Zurückweisung zu erfahren hatte, mochte solche nun in feinerer form wie von Ed.
Sievers (Paul und Braune X, s. 209 u. fg.) und Magnus Stephouson (Timarit hins
islenzka bokmentafelags, V, s. 145 — 80), oder in derberer, wie von Theod. "Wisen
(Arkiv f. nord. fil. in, s. 202, anm. 2) und Jul. HofFory (Göttinger gelehrte anzeigen, 1888,
8.153 u. fg.; jezt auch in dessen Eddastudien I, s. 87—142) erfolgen; aber gegenüber
solchen auswüchsen seiner unendlich originellen, wenn auch alzu wenig methodisch
geschulten natur wird man nie vergossen dürfen, wie unsäglich viel wir dem unermüd-
Uchen fleisse und dem seltenen schai'fsinn des manues verdanken, der überdies in
seinem persönlichen auftreten von der liebenswürdigsten anspruchslosigkeit und einer
nahezu kindlichen naivität wai*. Ich persönlich und mancher andere mit mir werden
nie des dankes vergessen, den ich ihm für gar manche wissenschaftliche förderung
und für nicht wenige vergnügte stunden des Zusammenseins schulde; möchte dieser
rasch hingeworfene nachruf ein sprechender ausdruck der Wertschätzung sein, welche
ich dem teueren geschiedenen zolle!
HÜNCHEN, IS. MÄRZ 1889. K. IfAUBER.
MISCELLEN UND UTTERATUE.
Poetik. Von Wilhelm Scherer. Berlin, Weidmannsche Buchhandlung. 1888.
Xn und 303 s. 8.
Die einbildungskraft des dichters. Bausteine für eine poetik. Yon
Wilhelm Dilthey. (PhUosophische aufsätze, Eduard Zeller zum fünfzigjährigen
doctor -Jubiläum gewidmet, Leipzig 1887, s. 302—482.)
220 ELLINQEB
Handbuch dor pootik. Eine kritisch-historische darstelluDg der theo-
rio dor dichtkunst von Hermann Baomgart. Stattgart, Cottasohe bach-
handlang. 1887. XJI and 734 s. 8.
Poetik, rhctorik and Stilistik. Akademische vorlesangen tod Wilhelm
AVackernagol. Herausgegeben von Ludwig Sieber. 2. aufl. Halle a. S.,
Verlag der buchhandlung nos waisenhaases. 1888. XU and 597 s. 8.
Poesie and prosa, ihre arten and formen, von J. Methner. Halle a. 8.,
Verlag der buohhandlaog dos waisenhaases. 1889. XH and 330 s. 8.
Man darf es als eine angemein orfroaliche tatsache betrachten, dass jezt von ^-w-
so verschiedenen Seiten vcrsache gemacht werden, umfassende lehrsysteme der *^^
poetik aufzustoUon. Niemand hat dringendere Veranlassung, die förderang dieser -^«^
Studien zu wünschen, als der litterarhistoriker. Denn bei jeder litterarhistorischen .mim ^^i
arbeit, sofern sie sich nicht auf diejenigen gebiete bezog, auf denen die philologie
den begriff philologie im engeren sinne des wertes genommen — feste normen gescfaaf "^^f
fen hatte, empfand man, wie wenig aus der bisherigen spekulativen ästhetik 80woLE<=> o
für den dichter als für den forscher zu gewinnen ist. Immer mehr und mehr muster^^c^ot
sich einem jeden, der scheu wolte, die Überzeugung aufdrängen, dass es verfehlt iaigj^^dsi
auf metaphysü^cher gnindlage ein System dor poetik aufbauen zu wollen, dass eo^^^oi
vielmehr vorsucht werden muss, ein System der poetik aufzustellen, in welchem dic^M* Jli<
gesamte litterarische Produktion untersucht und klassificiert würde und in welchemr^rK 'sn
man auf grund dieser umfassenden durch forschung und klassifikation innerhalb gewis — s^ja
si^r gn'nzen zu l>ostimten nennen und gesetzen gelangen könte.
£inc solche aufgäbe zu K>sen, war sicher niemand geeigneter als Soherer. Un(S^^
mit tiefer trauor muss es uns erfüllen, dass es ihm nicht vergönt war, diese auf — -'
gäbe volstäiidig durchzuführen. Si*herer fühlte schon lange das unmittelbaie bedüif-
nis na^*h einer vergleichenden, empirischen poetik, und nach dem abechlnss seiner^
Utteniturgi'schichto ting er an einen entwurf aufzustellen, den er einer v<
zu gründe legte. W'än' es ilm\ möglich gewesen, die Vorlesung mehrere male
haiton, si> hätte er U^m mehrmaligen duivharbeiten des gleichen Stoffes gewiss noch,
oinschneidcude Veränderungen vorgenommen; das gleiche wäre sicher von der aos-
arU^itun}; der für die ven^ffentbchung Wstimten form der fall gewesen. Was uns
jezt vorliegt, ist ein erster entwurf und ist als solcher zu beurteilen. ICt tiefer
Wehmut habi^ ich diese blättor duix'hgeUnik^n, denn bei jeder seile stieg die herliche
|)orsönlichkeit des uuvci^'sslichen, teuren mannes vor meinem äuge empor und jede
zoile rief mir aufs neue mit schmerzliihor gewalt ins godächtnis, was wir besessen
haK^n und w,^ uns nun unwiderbringlich verloivn ist. Ich moste mich erst nach
mehnnaligi'm It^ion l^^waltsam von diesem iK'Rk^nlichen eindracke, den das bnch auf
mich mdU'hte, Ivfreien und glauU' jezt wol im stände zu sein, unparteiisch nber die
müngvl mu\ vorni*;t* des entwurfes nvhonsi^'haf^ ablegen zu können.
AVelcho svhwiohcleiten sich der lösung der aufgaben, die hier zu erledigen
sind, euto*};>*«^toU«»n . ergibt sich deich Um dorn versuche Soherer?. den umfang des
gt*bieu*s, wol.hcs :u durv*hfersK*hcn ist, festzustellen. S^'hervr steh folgende bdden
Sätze auf: l. nicht alle |KVsie ist kunstmä^ig^' anwendanc der spräche. 2. nidit
alle künstln ;l^sll^' Anwcnduu«: der spräche ist |yv:üe. IV'm zweiten dieser sitze ist
iweifellxvi *uch dann rurustiMuwen, wenn n\an, wie Sohervr. alle pnwaischen reime-
men dt\< stvhiohiucn u«,i s^cV;chnten Jahrhunderts lur poosie n?ohnet; denn manche
anw\Hiduu):\ni der kuustr.uvvij^ni txhIc» wie i, K viio pTv>Ügt, die rede n. ä. wird man
gt^wiÄfi mcht für d:c iwsic lu ansprach nehmen, ob6\*hon t* selW?tverstiiidlich nicht
ÜBER SCHRIFTEN ZUR DEUTSCHEN POETIK 221
ausgeschlossen ist, dass beispielsweise die predigt poetischen Charakter annimt, ja gera-
dezu sich der poetischen form bedient, wie in der Bamberger predigt. Eine andre frage
ist dagegen, ob der zweite satz, so wie ihn Scherer formuliert, als richtig anzuerken-
ist Scherer sucht ihn damit zu beweisen, dass er das ausdenken eines ballets, also
Ciiner zusammenhängenden dramatischen handlung, bei welcher nicht gesprochen wird,
für einen akt poetischer eriindung erklärt. «^^ kunstwork entsteht erst, wenn
Bigiert wird, und das geschieht ohne spräche. Wenn vollends einer eine solbsterfun-
dene pantomime aufführt, nach seinen eigenen gedanken, nach seiner eigenen erfin-
düng, — so braucht er die spräche überhaupt nicht; und dennoch kann dies ein
dichterisches kunstwerk sein. Es gibt also aktion, tanz, gebärdenspiel ohne spräche,
wobei gleichwol ein poetisches kunstwork entsteht. '^ Ich glaube nicht, dass diese
folgerungen, so wie sie hier gezogen werden, überall richtig sind. Das ausdenken
eines ballets kann man doch kaum einen akt poetischer erfindung nennen. Es ist
nur ein akt kunstmässiger erfindung, nichts anderes, als wenn der maier ein grösse-
i-es bild entwirft und die einzelnen gestalten im geist gruppiert Zu einem poeti-
schen kunstwerk wird ein solches ballet erst, wenn das wort zu hilfe genommen
^^ird, um den einzelnen personen ihre Stellungen oder ihre funktionen anzuweisen;
so wird man gei^iss nicht anstehen, Heines tanzpoem vom doktor Faust als eine art
^on poetischem kunstwerk anzuerkennen. Aher diesen fall schliesst Scherer aus-
drücklich aus. — Auch Scherers beziehung auf die oper ist nicht völlig zutreffend,
sondern es wird durch dieselbe weiter nichts bewiesen, als dieses, dass wir es hier
-nicht mit einem rein poetischen, sondern mit einem gemischten, poetisch -musika-
lischen kunstwerk zu tun haben; und dass die oper erst dann vollendetes kunstwerk
wrird, wenn die musik zum werte hinzutiitt, trägt zum beweise jenes satzes nichts
bei. — Der satz kann daher, so wie er hier formuliert wird, nicht anerkant werden
und nur wenn man die Verhältnisse, die hier angedeutet sind, rein historisch eifasst,
kann man zu einer hchtigeu präcisierung desselben gelangen, die etwa folgender-
massen lauten würde: In den ältesten zeiteu erscheint die poesie niemals allein als
kunstmässige anwendung der spiuche, sondern sie ist immer verbunden mit tanz und
musik, ja es kann zuweilen vorkommen, dass, wie beim taubstummen die Zeichen-
sprache die wirkliche spräche ersezt, die pantomime geradezu als mittel des poetisch -
dramatischen ausdrucks dienen muss, weil die spräche selbst dazu noch nicht im
stände ist. Erst almählich lösen sich die einzelnen künste, poesie, musik und tanz
aus ihrer Verbindung los.
Einen ähnlichen satz stelt Scheror später auch auf (s. 16), indem er die ein-
zelnen ablösungsakte genauer präcisiert. Er führt die ältesten formen der poesie auf,
wie wir sie heute noch bei den naturvölkern finden: chorlied: Sprichwort, mährchen.
Das chorlied erscheint in den ältesten Zeiten und auch heute noch bei den naturvöl-
kern, zum teil auch noch bei uns, wie wir es bei den bauem und den kindem
beobachten können, mit dem tanz verbunden. Zunächst hat dann die ablösung vom
tanz statgefunden; indem dann das chorlied zum einzeUied wird, erfolgt langsam
auch die ablösung von der musik. Rechnet Scherer nun alle gebundene rede zum
forschungsgebiete der poetik, so erhebt sich die frage, was von der ungebundenen
rede hinzuzurechnen ist. Von den für die älteste zeit anzunehmenden formen der
poesie erscheint seit sehr früher zeit das mährchen in ungebundener rede, für die
anderen gattungen aber überwiegt die poetische form, so dass dieselbe in der älteren
litteratur aller Völker auch für den A^isseuschaftüchen vertrag, die inschrift, wol auch
für die politische rede verwendet wird. Almählich aber — vortrefliche beispiele
222 ELLINOER
bietet für diesen Vorgang die deutsche litterator des fünfzehnten und sechzehntexii
jahrhundei*ts — wird für einzelne gattungen die gebundene rede von der ungebi
denen abgelöst.
Für alle formen ungebundener kunstmässiger rede, soweit sie nicht von voi
herein ihre beziehung auf die poesie ausschliessen, wäre auch die gebundene foi
möglich, z. b. für roman, novelle, mährchen, fabel; ja sie ist häufig auch dafür y^:v.
wendet worden. So stehen diese formen in der unmittelbarsten verwantschaft zu d^^n
formen der gebundenen rede, z. b. der roman zum epos, die novelle zur poetisch ^ji
erzählung. Demnach kann man der abgrenzung des gebiets der poetik, wie Schepe/
sie s. 32 gibt, wol zustimmen: die poetik ist vorzugsweise die lehre von der gebcm-
denen rede; ausserdem aber von einigen an Wendungen der ungebundenen, welche mit
den auwendungen der gebundeneu in naher verwantschaft stehen.
Mit vollem recht stelt Scherer an den anfang seiner Untersuchungen die frage
nach der entstehung der poesie. Um den dichterischen prozess volständig beschrei-
ben, um die allen dichtem gemeinsamen züge sammeln zu können und dergestalt zu
einem richtigen gesamtbildo vorzudringen, dürfen wir nicht bei den dichterischen
erzeugnisscn hochentwickelter kulturopochen stehen bleiben*, wie etwa bei der litte-
ratur der Griechen seit den homerischen gesängen, sondern wir müssen versuchen,
uns auf gruud der poetischen gebilde der naturvölkor, die zu einem solchen zwecke
freüich erst einer umfassenden klassifikation unterworfen werden müste, die ersten
Stadien der entwicklung der poesie überhaupt zu vergegenwärtigen. Erst wenn wir
so zu den „urzellen, den primären, einfachen lebensformen der poesie*^ aufgestiegen
sind, ist es möglich, eine volkommen ausreichende beschreibung der dichterischen
Organisation zu geben. Die herlichen hinweise, die Herder in dieser beziehung gege-
ben hat, sind ein Jahrhundert lang fast unbeachtet geblieben oder wenigstens doch
nicht in ihrer ganzen fruchtbarkeit erkant worden. Also die frage nach der entste-
hung der poesie ist eine kardinalfrage der poetik und mit recht verlangt Scherer,
dass sie zunächst gestelt und beantwortet werde. Ob diese frage in dem vorliegen-
den entwurf nun auch schon gelöst ist? Ich glaube nicht. Es ist notwendig, hier
die bemerkungen folgen zu lassen, in denen Schcrer die rcsultate seiner Untersuchun-
gen über die entstehung der poesie zusammenfasst. „Die poesie'^, sagt er, „entspringt
aus dem ausdrucke des Vergnügens durch springen, jubeln, lachen. Der ursprüng-
liche gegenständ ist vermutlich erotischer natur, doch sind vielerlei gegenstände
möglich. Der poetische erfinder schlägt ein fest vor, wobei eine angenehme, ver-
gnügliche Vorstellung geweckt wird durch symbolische handlungen, mit denen sie
durch werte ausdrücklich assocüert wird, und wo eine weitere Verbindung mit den
alten ausdrücken des Vergnügens, mit springen und singen statfindet. Springen und
singen sind von alters her mit vergnügen assocüert und dadurch geeignet, Vorstel-
lungen des Vergnügens hervorzurufen.'' Durch die analyse der momente, die wir
bei einem von Scherer herbeigezogenen, mit tanz verbundenen austi-alischen chorlied
1) Sehr richtig äussert Dilthey über diesen ponkt, a. a. u. s. 339: ,,das wosen und die fanktioii
der kunst können nicht mit der idealistischen ästhotik an dem höchsten ideal derselben, das wir heute
zu fassen im stände sind, erkant werden. Die meisten theorieen der listigen weit ans der zeit der
deutschen Spekulation zeigen diesen fehler. Was sich unter den grünstigsten bodingungen entwickdt hat,
darf nicht als antrieb in die ganze reihe von orscheinuug^n verlegt werden, in denen dieser lebenskreis
sich entfaltete. Die kunst ist überall, wo etwas, sei es in tönen oder einem festeren material, hin-
ge»telt wird, das weder der orkentnis des wirklichen dienen noch selbst in Wirklichkeit ttbergeführt
den soU, sondern fUr sich das interesse des anschauenden befriedigt.**
r
ÜBER SCHRIFTKN ZUR DRUTSCHKN POKTIK 223
f>ool>achten können, versucht Scherer zu beweisen, dass es sich „immer um ein
vergnügen handelt, um die weckimg angenehmer tätigkeiten und Vorstellungen auf
ein^ angenehme weise. Für die angenehme weise tritt schon als charakteristisch
faei^'v^or: das vergnügen der vergleichung zwischen einem dargestelten gegenständ und
dessen darstellnng. Die darstellung ist auswählend, andeutend, symbolisch; keine
vol^-tändige nachbildung.'*
Ich habe an diesen darlegungen zweierlei auszusetzen. Einmal sind die nlge-
^^^^inen reflexionen, auf denen Schorer zu diesen resultaten gelangt, nicht völlig ein-
l^o^cülitend und zwingend und zum andern gründet sich dies ergebnis auf ein zu
g'eirijages historisches material. Dem einen australischen liedchen, an dem Scherer
*^^i«^« theorie dartut, Hessen sich viele erzeugnisse der naturpoesie entgegenstellen,
^u. deoen die theorie eben nicht passt. Gewiss ist das vergnügen für die entstehung
^^*~ poesie ein wichtiges moment, aber es ist keineswegs das einzige: der schauer
^^^^^ der gottheit, die furcht, die trauer sind ganz in dem gleichen masse herbeizu-
^^^i^^n. Fals ich auf grund meiner geringen kontnis der naturpoesie eine Vermutung
^^^^^^K" die entstehung der poesie geben solte, so müste sie folgendermassen lauten:
^^^ poesie entsteht überall da, wo ein erlebnis aus dem kreise gewisser seelenstim-
igen — sie sind soeben angegeben: schauer vor der gottheit (kultushandlung),
iht (vor bösen göttem; Waitz führt ähnliche lieder auf), trauer (um den toten hel-
_ *^^*, weiter wäre auch hass und zom hinzuzurechnen (kämpf gegen die feinde) —
^**^^ dafür besonders empfängliche seele in lobhafte erregung versezt. Die erregung
^^^ die quelle aller poesie, wie wir das heute noch an kindem und eingebildeten
ren sehen können, die in furcht und aufregung dinge hören und sehen, die
it vorhanden sind oder die in dieser Stimmung das, was sie wirklich gesehen
»en, bis ins ungeheure vergrössern. Es ist dieselbe kraft, die im dichter wirk-
^ ist, wenn ein erlebnis, an dem ein anderer mensch gar nichts aussergewöhn-
'^^^^es finden würde, so in seine seele fält, dass er fühlt: hier sind die grundlinien
'^ einem kunstwerk gegeben. Der dichterische prozess wird also in den frühsten
^^'ten kaum anders gewesen sein, als in unserer zeit. Nur sind zweifellos die kreise
^^1 enger gewesen, aus denen ein erlebnis die dichterische Stimmung zu wecken im
,^^jide war. Und ich halte es für möglich , diese kreise bis zu einer gewissen genauig-
^^it auf gnmd der naturpoesie zu bestimmen; denn dass sie mit den oben gegebenen
^^^tientungen nicht erschöpft sind, liegt auf der band.
Darin, dass Scherer den Ursprung der poesie allein im vergnügen sieht, liegt
^^r gnind für die tatsaohe, dass ihm die ableitung des Vergnügens an tragischen
1) Auf diosen pnnkt weist Schorer allenlin^ hin , aber er betont nur einen teil der fragen , die
^^bei in betracht kommen. S. 97 : „ Kino gewiss alte gattung dor poesie sind die klageliedor um einen
^fallenoi hftnptling, holden, geliebten, angehörigen. Solche lieder fallen zum teü unter abschnitt 1,
Wo davon die rede ist, dass aussprechen, mitteilen der trauer von der empfindung des schmerzes abzieht
^d dass in dem aussprechen des traurigen und schmendichen orfahrungsmOssig ein trost liegt, vgl. auch
Unten s. 224, wo auch auf das tröstende hingewiesen wird , das in dor toilnahmo anderer an dem eigenen
fichmene liegt]. Aber ausserdem ist dor fost- und trauerpomp, ja der trauerschmaus ein vergnttgungs-
ffioment. Femer fand schon Aristoteles in den klagegesängen als ein element des Vergnügens : die erin-
nerong an den toten und die vergegenwärtignng dessen , was er getan und wie ers getan ; also alles prei-
MB das toten erweckt eine angenehme Vorstellung. Analogos können wir noch heut erfahren. Müllenhoff
nhiieb mir: „des tod ist der treueste freund des menschen, weil er erst das volkommene bild der Per-
sönlichkeit gibt." Endlich sind die ü-auergesänge vielfach verbunden mit dem kultus der abgeschiedenen
Seelen, mit manen - kultus ; diese» beruht darauf, dass die seele fortlebt, und das iied soll den toten
geneigt machen , soine kraft oder seinen willen zu schaden oinzuschränkon ; es dient also zur bes&nftigung
(f
224 KLUNGBR
gegenständen so grosse Schwierigkeiten bereitet. Wenn die poesie zunächst bloes «l
aasdruck des Vergnügens ist, dann ist es allerdings unbegreiflich, wie der rnensd
dazu gekommen sein soll, am unangenehmen oder an der darstellung desselben frend«
zu finden. Sehen wir aber von der Voraussetzung Scherers ab, so bietet das intereaM
des menschen (auf niedriger kulturstufe) an unangenehmen gegenständen kein alza-
schwieriges problem. Dilthey hat mit recht auf das bedürfhis der menschlicha
natur nach mächtigen, wenn auch mit starker unlust verbundenen erregungen, wd*
ches nicht auf die erzeugung eines maximums von lust zurückgeführt werden kaiiD
hingewiesen. Die frage, wodurch dasselbe entsteht und wie diese eigenschaft dei
Organismus zu erklären ist, hat meines erachtcns der physiolog und psychophyaike:
zu lösen, die rein empirischen gründe, die Schorer anführt, reichen entschieden nich
aus, obgleich einzelne derselben für die weitere ausbildung des Vergnügens an tn-
gischen gegenständen sicherlich in betracht gezogen werden müssen, so z. b. di<
erleichterung', die der mensch durch das aussprechen des Schmerzes, der ihn drückt
empfindet
Ich habe damit die punkte bezeichnet, bei denen ich glaube, dass sich dif
grundanschauungen, von denen Scherer ausgegangen ist, nicht halten lassen. Trotz*
dem sind aber auch in diesen abschnitten des buches auf schritt und tritt die fein«
sten beobachtungen zu finden, an welche diejenigen, die die Wissenschaft der poe
tik weiter ausbauen wollen, beständig anzuknüpfen haben werden (man vergleichi
namentlich die ausführ ungen in dem abschnitte über die entstehung der poesie übei
die Vorbereitungsstufen für tanz und chorlied sowie über die associationsvorgänge un(
das symbolische in der älteren dichtung). — Muste ich aber in den angeführtei
abschnitten gegen die grundanschauungen und die hauptresultate Scherers polemisie
ron, so kann ich um so freudiger anerkennen, dass in allen übrigen partieen den
buches Scherer bei den fragen, die er behandelt, zu einer befriedigenden lösun]
gelangt oder einer solchen mindestens doch sehr nahe gekommen ist Alle die«
abschnitte bieten die reichste belehrung und eine fülle der anregung, namentlich fü
den litterarhistoriker. Es ist damit selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass aucl
die in den si)ätoren partieen niedergelegten anschauungen nicht noch mancher berich
tigung und ergänzung bedürfen; das ist bei einem ersten entwurf, wie wir ihn vo;
uns haben, unvermeidlich. Aber der belebenden kraft dieser gedanken wird sich »
leicht kein einsichtiger entziehen können. Über den wert der poesie stelt Schere:
vortrefliche beobachtungen zusammen. £r behandelt zunächst den tauschwert de
poesie, wobei er diejenigen mächte, welche für die jeweilige fixierung dieses wertes
in frage kommen, sowie dio bodinguugen, unter denen diese faktoren segonsreicl
oder unheilvoll wirken, volkommen richtig und scharf bezeichnet; er führt dei
unterschied zwischtMi kunst- und Volksdichtung im wesentUchen auf den unterschiec
zwischen goschriebeuor und ungi>schriebener poesie zurück und er betrachtet dam
dun^haus als un]>arteiisuher l)eobachter und mit gerechter abwägung den idealei
wert der poesie und die frage nach der sitlichen Wirkung derselben. Hieran schliess
sich ein«« in ihrer knaphoit glänzende darstellung und Vertiefung von LachmaDDi
theori«H>n, dooh winl nicht bloss die Itoteiligung mehrerer dichter an einem weri
in lietracht gezogen, m)udorn uurh auf stilunterschiede hingewiesen, die sich be
werk«m geltend niarlum, welche von einem dichter herrühren und zwar in den
fall, dasH die arlnnt, nit^hrfarh unterbrochen, sich auf verschiedene epochcn sein«
lekH^ns vert^nlt. liei dorn ersten punkte ist sehr richtig auf das Volkslied des sech-
zehnten Jahrhunderts hingi*wipsi«n; eine eindringendere Untersuchung der volksliedei
ÜBER SCHRIFTEN ZUR DEUTSCHEN POETIK 225
nAcli ihrer ztisammonzetzung, nach der frago dos hincinlragons von stellen dos einen
Volksliedes in ein anderes, das etwa im stofF oder in der Situation analoge Vorgänge
bietest, würde noch wichtige beitrage zu diesem kapitel liefoni. Weiter wird eine
iintoT-suchimg über die schaffenden soelenkräfte begonnen; die pliantasie führt Scheror
im mresentlichen auf reproduktion zurück; die aufgalx), welche bei der künstlerischen
arlioit: dem verstände, der die phantasie zu beherschen hat, ohne dass er sich an
ihi-e stelle drängen darf, wird gokenzeichnot — schön sagt Scherer s. 16C: „Ein samen
fölt z und es entspriosst sofort ein ganzes blumenbeot, aus dem der dichter die wähl
liat, zu pflücken was ihm beliebt. Das blumenbeot liefert die phantasie; bei der
aus'^vahl des pllückens muss der verstand helfen" — und die verschiedenen methoden,
deren sich die phantasie bei der Umwandlung der in der erinnerung aufbewahrten
tats3olieii bedient, kurz charakterisiert. Dio verwantschaft der künstlerischen anlagen
mit den dispositionen zu abnormen geistigen zustünden behandelt ein besonderer
absclmitt. In den ausführungen über die einteilungcn der dichter weixien die bis-
liorlgen klassifikationsversuche kritisiert, insbesondere Schillere einteilung in naive
un<l Sentimentalische dichter, welche im wesentlichen zunickgewiesen wird. „Es
sind , sagt Scherer s. 183 fgg., sehr mannigfaltige ointeilungen der dichter möglich —
dio sil)stufungon sind einerseits so mannigfaltig wie dio Charaktere der individuen
üb^rliaupt, andererseits gibt die ganze poctik in allen ihren teilen motivo und gesichts-
punVt*» an die band für Verschiedenheiten , weil da ganz vorschiedene methoden mög-
bcli sind. Die Charakteristik eines dichters zu entwerfen, ist daher ausserordentlich
seil >v er. Aus all solchen eigentümlichkeitcn , sofern sie in den werken der dich-
ter sich ausprägen, sezt sich der persönliche stU zusammen. — Eins aber gehört
liierlier, in den Zusammenhang dieses kapitels, ein unterschied in der produk-
tions'woiso der dichter, ob ohne rücksicht auf publikum oder mit nicksicht auf
Publikum.*
Damit hat Schorer einem gedanken ausdruck gegeben, der meines wissens in
der ^bisherigen poetik und Usthetik noch niemals aufgetaucht und der doch von ganz
ftusserordentlichor fruchtbarkeit ist. Dass er uns so solbstverständlich erscheint,
"^^"oist nur, dass er durchaus zutreffend ist, aber nicht etwa, dass seine aufstellung
unnötig wäre. In welcher weise der hörer- oder loserkreis, mit einem werte das
Publikum^ auf den dichter wirkt, ihn beeinflusst, ihn zu Zugeständnissen nötigt, ist
®*Oo frage, die erwogen werden muss imd die bei der betrachtung fast jedes littera-
V^'^öTkes von höchster Wichtigkeit ist Die vortreflichsten belege bietet dafür wider
*^ geschichtc unsror eignen dichtung, bei deren betrachtung der historiker auf
^^**Titt und tritt auf die wechselnde Zusammensetzung dos publikums rücksicht zu
'^«hirten hat; man sehe sich nur das zwölfte und dreizehnte, das fünfzehnte und sech-
***^te, das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert nach dieser richtung hin an. Wir
. ^^^Sen die litteraiischen gegensätzo der Zeitalter viel besser, wenn wir etwa das
^^^licho publikum um die wende dos zwölfton und dreizehnten Jahrhunderts, das
^*^ liedem Beinmars und Walthei-s lauschte und für das Heinrich von Veldoke und
, ^-^^wun dichteten, vergleichen mit dem bürgerlichen publikum des sechzehnten jahr-
^^^«rts, das sich an den wüsten zoten Michael Lindeners und Jakob Freys crgözto,
/^^ docli noch innerliche kraft genug besass, die Schriften Luthers imd seiner mit-
.^^iter voU und ganz auf sich wirken zu lassen. — Ähnlich wie die gosetze, die
^^ for die fonktionen der schaffenden soelenkräfte aufstellen lassen, sucht Scherer
^*^ «och die gosetze für die geniessenden soelenkräfte zu ermitteln, d. h. die bedin-
^^*Sen, unter denen ein dichterisches werk auf den loser oder hörer einen bestirnten
F. DEUTSCHE PHILOLOOnC. BD. XXII. 1^
226 KLUNOER
Ixiabsichtigton cindruck auszuüben im stnndo ist. Zum teil schliosst or sich dat^tf?!
den aufstollungcn von Fechner an.
Aus den beiden Iczten abschnitten, welche die stoffo, die innere und d.«^
äussere form behandeln, kann hier nur das wichtigste herausgegriffen weiden. Sch.^'
rer versucht die motive* zu klassifizieren, welche dem dichter zu goboto stehen; w^^^
er bietet, sind selbstverständlich nur die grundzüge einer algemeinen motivenlehi ■^"'
welche noch im einzelnen ausgebaut werden müste. Wie in der betrachtang ül
den wort der poesie, verhält sich Scherer auch in der darstellang der wii
welche die Stoffe hervorbringen, grundsätzlich als unparteiischer boobachter.
begnügt sich damit zu beschreiben, will aber keine gesctzo aufstellen. Dennoc
gelangt er zu einer bestimten Wertunterscheidung der klassen der v^irkungen, welcl
im wesoiitlichon darauf hinaushiuft, dass derjenigen poesie, welche edle gefuhl
anregt, ein höherer wert zuzuschreiben ist, als eine poesie, welche sich
begnügt, auf die niederen triebe zu wirken. „Ich sage nicht, bemerkt Scheror s.
die poesie soll hohe gefühle anregen, sondern ich sage dem dichter: wilst du di
anerkennung der edlen, so zeige dich edel. Genügt es dir z. b. die niedere tierisch
sinlichkeit der meuschen anzuregen, so tue es. Aber sei darauf gefasst, dass di.
menschen dich I>etrachten als ein Werkzeug niedriger lüste und dich nicht höh«
achten als eine käufliche schöne. Dies gesetz berulit auf unserem anteil: wir dehne
die Wirkung des steffes auf den auter aus. Wir denken uns in die Situation
hinein; führt uns der dichter durch kloaken, so stinkts oben und wir fühlen
beschmuzt, wenn wir auch für die technik bewunderung haben. £r sagt: „Ich
nur wahr sein.*^ Nun denn, das ist ein ehernes gesetz: wenn etwas angeregt wü
was wir selbst verachten, dann dehnt sich dies gefuhl aus auf den, von dem jcn..
anregung ausgeht. Da lülft all sein reden nicht, wenn er uns hässliches voi
Der dichter hat danach die wähl. Der weise dichter wird mindestens die gegei
stände in kontrast bringen und so unsem blick auf die tetalität lenken.*^ —
abschnitt: Innero fonn untei'scheidet bei der behandlung der steffe zwischen objeld
tiver behandlung (die Unterabteilungen sind aus Scherers litteraturgcschichte bekanb^ '
naturalismus, idoalismus, typischer realismus) und subjektiver darsteliung (die gafc —
tuugen derselben sind: humoristisch; satirisch; elegisch; idyllisch). — In dei
abschnitt: Äussere form liegt der hauptnachdruck auf den betrachtungen über di«
gnmdformen der darsteliung, während die bemerkungen über komposition, sprach-
und metrik etwas obenhin behandelt werden musten. Von den Unterabteilungen d(
abschnittos über die grundformen der darsteliung sei namentlich das stück: die
der rede hervorgeliol)en ; die dort gegebenen einteilungen werden sich nament
1) Sohr richtig sm^t Schoror s. 212: „Das hanptmotiv wird zawoilon idee genant. Mit
Wort ist oin nirchtbaror unrup; irctriobon wonlon. Ich mOchte vurschlagon , den aasdmck Adlon n
xrir sntcon (Infllr KtofT, tlu>ina, votwurf, hauptmotiv. Wir lioluüton don ausdmck höchstens bei lOr
tiofitiinto »,niipp<* von workon : für «lio Uassorlicho oinhoit eines godiehts , die durch ein Fahol* dooet enl
Htoht, wio (lo4^tho von dor id(M> do^t Faust spricht. Da indessen deutsche dichter des 19. |
unter dorn oinflu^s einer JLsthetik stAnd«*n , welche überall von ideen sprach nnd daranter gern
s&tzo verhtand , di<» sich in den dan?est('Iten fllllen verwirklichen, so muss man fttr die bemtiiliing
eher werki« auch ntit dor llMthotik ihrer autoren, d. h. mit den llsthotischon ansichten dieeer
und ihn*r ilMtliotisihon tonninolo^io rechnen. Wenn ich freilich ein<m volständigen roman um aolc^
,Jdee" willen U>Hen hhU , ilann saire ich mir: t.int de bruit pour une Omelette! Die
lidienM winl dn 7U oinor Inbol deirnMliort. Wo man an die grossen weltdiditer herantritt: ^^»u, ,
spean*, (i(M>tho, da haitdolt os sich um mehr als eine solche idee. Stoffo, motive bietet das
deH AchilliMis zu AKamenimm , ulM>r nicht einen einzelnen moralsatz."
ÜBKR 8CBRIFTEN ZUR DEUTSCHEN POETIK 227
wie Scheror bereits mohrfach liorvorgohobon hat, für eine bessere klassifikation der
lyi-ik vortreflich verwerten lassen.
Soll ich nun den gesamteindruck formulieren, den das buch l)oi kühler abwä-
gixng auf mich hervorbringt, so meine ich: es ist unbestreitbar, dass Scheror das
unvorgleichliche verdienst gebührt, zum ersten male die grundsätzo einer verglei-
cH enden empirischen poetik fest formuliert zu haben. Keine legislative, sondern
eine descriptive poetik! Beschreibung der vorhandenen und möglichen formen der
Produktion. Keine subjektiven urteile über wertunterschiedo, — urteile, die bloss
die porsönlichon anschauungen des fisthetikers widerspiegeln — sondern nur bestim-
muiigen, wie sie sich mit der beschreibung des vorhandenen als unmittelbare resul-
tato ergeben. Eine poesio, die auf die edelsten menschen aller zeiten gewirkt hat,
^ird gewiss einen höheren wert für sich in anspruch nehmen dürfen als irgend eine
andere: das ist ein Werturteil, wie es unmittelbar aus der betrachtung der vorhan-
denen arten und formen der Produktion und ihrer Wirkungen hervorgeht; vor weiter-
gelicndcn bestimmungen hat sich die poetik zu hüten.
Das auf dieser grundlage aufgebaute gebäude ist gewiss nicht flecken- und
feHlerlos. Das liegt nicht allein an der ungleichen Verteilung des Stoffes, >velche
dnrch die Zufälligkeit der entstehung bedingt ist, sondern es ist vor allem darin
^K^ündct, dass die schwierigen problcme, die hier aufgestelt worden sind, sich
Dicht auf den ersten wurf lösen lassen. Es ist Scherer meines erachtens nicht golun-
S^ö, die quelle der schöpferischen kraft zu bestimmen, weil er eine der mächte,
w'olcb.e diese quelle zum fliesson bringen, verwechselte mit der quelle selbst. Auf
dieser unrichtigen Voraussetzung ist noch eine reihe von Schlüssen aufgebaut, die
mit der Voraussetzung hinfällig werden. Ferner ist es nicht zu Ixjstreiten, dass aus
einem zu geringen oder zu beschränkten materiale oft zu weit gehende Schlüsse
S^zogcn und venügemeinerungen von einzelfällen vorgenommen werden, die nicht zu
billigen sind. Alle diese mängel aber verschwinden vor den grossen Vorzügen des
Entwurfs, vor der anregenden und belebenden kraft, die von ihm aasgeht. Für
^*o geschichto dieser Wissenschaft wird Scherers poetik ein markstein sein; für
Sclierers freunde ist das buch ein neues abbild der herlichen persönlichkeit, die es
geschaffen.
Eine vortrefliche orgänzung hat Scherers poetik in der abhandlung Diltheys
gefunden, die als ein überaus wertvoller beitrag zu einer vergleichenden poetik zu
bezeichnen ist. Mit Scherer ist Dilthey davon überzeugt, dass die bisherige speku-
^vo ästhetik die fühlung sowol mit der dichterischen Produktion als mit der litte-
nitargeschichto verloren hat, mit Scherer teilt er den Widerwillen gegen eine ledig-
lich legislative poetik. Von der dichterischen individualität geht Dilthey aus und
durch die beschreibung der Organisation des dichters sucht er algemeine normen für
^ dichterische schaffen zu gewinnen. Er will nicht, wie die idealistische ästhetik,
dem dichter wilkürliche schranken setzen und nicht den törichten versuch machen,
^ poetische Schöpferkraft einzudämmen, sondern er sucht durch eine betrachtung
'*®f vorhandenen erscheinungsformen der poesie und durch eine beschreibung der natur
^^ dichters zu gesetzen zu gelangen, die im stände sind, dem dichter eine leitung,
J*®*** Htterarhistoriker feste ausgangspimkte für die beurteilung zu gewähren. „Das
."^^1 sagt er s. 415, verlangt gebieterisch eine leitung durch den gedanken; kann
^® solche auf metaphysischem wege nicht hergestelt werden, so sucht es einen
T^orn festen ponkt Dürfen wir diesen nicht mit der veralteten poetischen technik
^Qq meisterbildem einer klassischen epoche suchen, dann bleibt nur übrig, in der
15*
228 RLUNQER
tiefe (lor inonschlichon nahir solbor und in dem zusammcuhang des gcschichtlif^ht^D
Ichons solche geschichtlichen nac^hfoi'schungen anziustellen.**
Von diesem Standpunkt aus hat Dilthey zunächst die elementare funVtion des
diclitei-s darzustellen und deren gi*undlage zu ermitteln gesucht. Er findet, dass
diese Funktion bt^dingt ist durch die grössere energie gewisser seelischer Vorgänge:
der dichter unters(^heidet sich von anderen menschen zunächst durch die Intensität
und gonauigkeit der wahrnehmungsbilder, die mannichfaltigkeit derselben und
das interesse, das sie begleitet. Er unterscheidet sich alsdann durch die klarheit
der Zeichnung, die stärke der empfindung und die energie der projektion, welche
seinen erinnerungsbildern und den gebilden aus ihnen eigen sind. Mehr noch ^
unterseh« *idet er sich durch die kraft, mit welcher seelische zustände, sellist-
erfunden«\ an anderen aufgefasste, folgerecht ganze ]x}gol)enheiten und Charaktere, _^ ^
wie sie in der Verknüpfung solcher zustände bestehen, von ihm nachgebildet werden.^ ^
der dichter unterscheidet sich auch durch die energische beseel nng der bilde^E^
und die so entstehende befriedigung in einer von gefühlen gesättigten anschauuujT'
Aus alle dem ergibt sich, dass die grossen diclitor von einem unwiderstehliche!
dränge vorangetrieben werden, erlebnis irgend einer mächtigen art, das ihrer nat
gemilss ist, zu erfahren, zu wid(Mholen und in sich zu sammeln. Der dichter untei
scheidet sich endlicih dadurch, dass sit^h in ihm die bilder und deren verbhidungi*
frei über die grenzen des wirklichen hinaus entfalten. Er Schaft situationei
gestalten un<l Schicksale, welche diese Wirklichkeit überschreiten. (S. 341 — 349.)
Um zu bestirnten normen für <las dichterische schaffen zu gelangen, versucl
nun Dilthey eine psychologische erkläning des dichterischen Schaffens zu geben,
ich ülM»r diesen umfangreiclien teil der arbeit meine meinung sagen — so weit i(
als laie bei der l)eurteilung rein psychologischer fragen dazu im stände bin —
muss ich auch hier anerkennen, da.ss die Untersuchung im ganzen mir ungemei
fördernd für eine erkentnis des wesens dtjr poesie erscheint'. Dilthey sucht zu ze '^*
gen , auf welche weise die bilder in der seele des dichters entstehen und fostgchalt«^ "
werden, wie das kunstwerk sich aus Wahrnehmungen zusammen.sczt und diese eii
drücke durch ausschaltung von b(»standteilen, durch Steigerung und minderung so^
dur«ih ergänzung verändert und umgebildet woi^den. So sehr ich im prinzip mit det
Verfasser einvorstanden bin, so kann ich in mehn»ren einzelnen fragen dieser untei
suchung jedoch nicht mit ihm übereinstimmen — der mir für diese bosprechung z -'*
gelK)te stehende räum verbietet es mir leider, mich im einzelnen mit dem verfasscT:^^^^
auseinanderzusetzen. Auch vermag ich bei mehreren punkten den faden nicht au^^ ^'
zufinden, der von hier aus zu dem lezten teile der abhandlung hinüberführt
Diestir ti*il, in welchem der Verfasser eine theorie der poetischen technik, wi
sie auf der entwickelten i)sychologischen grundlegung aufgeliaut werden kann, z
skizzieren vei"sucht, v(Tdient ganz besonderes lob und sei allen litterarhistorikem z
eindiinglichem Studium empfohlen. Es ist an dieser stelle unmöglich auf alle di
«»inzelnen fi-inen lM»merkungen und fruchtbaren gedanken einzugehen. "Wie Schere::::^^^^'
das Publikum und dessen l>edeutuug für die entwicklung der i)oesio als eine wichtij^^*^
lehre der poetik lH>zeiclinet und der lehre vom publikum demzufolge eine ausfahrlicl^^^^**
darstellung gewidmet hat, so analysiert Dilthey den eiudruck, den das dichtoriscL^^-*^
kunstwerk auf die se«»le ties lesors oder hörers her>'orruft imd bezeichnet mit rect::^^^*
1) Namoiitlich si'i d.i1>oi auf <Iio schöne nntorsuchnn^ üticr ilio gofUhlftkruse nnd die m
ffich orKot>on(lon ilnthotisrhoii olomontAnroflOtzo vonricson : vcl. Iiosnndcn« r. 2ßß ffr. and s. 971 %.
ÜBER SCHRIFTEN ZUR DEUTSCHEN POETIK 229
diesen Vorgang als einen mit dem dichterischen schaffen verwanten prozess. Rich-
tiger als Scherer sieht er meines erachtens in der frage nach der entstehung der
poesie*. Dagegen stimt er mit Scherer überein in der abweisung des unfugs, den
man mit dem wort: ideo getrieben und in der bezeiclmung der betrachtmigsweise,
dio an die stelle der soeben genanten zu treten hat. ^ Jodes lebendige werk grösse-
ren lunfangs hat seinen stoff in einem erlebten, tatsächlichen und drückt in lezter
Instanz nur erlebtes, gefühlsmässig umgestaltet und veralgemeinert, aus. Dalior darf
in der dichtung keine idee gesucht werden." S. 437. „An dem stoff der Wirklichkeit
wixxi durch den dichterischen Vorgang ein lobens Verhältnis in seiner bodeutsamkeit
aofjgeCasst; was so entsteht, ist eine triebkraft, durch welche transformation in das
poetisch bewegende erwii'kt wird. Das lebensverhältnis, so erfasst, gefühlt, voralgo-
meinort und dadurch Wirkungskraft dieser art geworden, wird motiv genant In einer
grösseren dichtung wirkt eine anzahl von motiven zusammen. Unter ihnen muss ein
hcrscbendes die triebkraft haben, die einheit der ganzen dichtung herzustellen. Dio
^äW möglicher motivo ist begrenzt, und es ist eine aufgäbe der vergleichenden lit-
töJ^t Urgeschichte, die entwicklung der einzelnen motivo darzustellen.'^
Ich musto bei den beiden arbeiten länger verweilen, weil sie von ganz neuen
g*^s^ichtspunktcn aus eine betrachtungsweise in der poetik anstreben, deren ungemeine
fruchtbarkeit sich schon jezt erkennen lässt, von tag zu tag aber immer mehr her-
^^t^reton wird, zumal wenn noch mehr arbeiter ihre kräfto dem ausbau der wissen-
*^«aft widmen werden. Dio ausgangspunkte der beiden forscher sind nicht miteinan-
^^^ identisch, ebensowenig ist es ihre methode; dennoch kann man beide betrach-
^^gsweisen leicht mit einander vereinigen, wie sich schon daraus ergibt, dass Sche-
'^*' und Dilthey vielfach zu den gleichen i*esultaten gekommen sind.
Begründeten diese beiden Schriften eine ganz neue auffassung der poetik, so
^^dcln die drei anderen bücher, die uns hier beschäftigen, im wesentlichen in den
^nen der traditionellen ästhetik. Die Vorzüge wie die mäugel des lehrbuchos von
^▼"ackernagel, das jezt in zweiter aufläge vorliegt, sind algemoin bekant Die lezte-
^n ergeben sich aus der wilkürlichen konstruktion und der damit zusammenhängen-
^f^n, sehr häufig sich geltend machenden, einseitigkeit der ästhetischen betrachtung.
-Oie Vorzüge dagegen beruhen auf der glänzenden beherschung des litterarhistorischen
Materials sowie darauf, dass das werk namentlich in den abschnitton über rhetorik
Hnd Stilistik unstreitig ungleich geistreicher und anregender ist als irgend ein anderes
t^n vielen freunden, die das buch sich boi*eits gewonnen, wird daher auch die vor-
Uogende, sorgfältig revidierte ausgäbe eine wilkommene gäbe sein.
"Weit schwieriger ist es, dem anderen werke gorecht zu werden, der umfang-
l^eichen poetik von Baumgart. Mit anzuerkennendem grossen fleisse hat der Verfas-
ser den versuch gemacht, ein umfangreiches lehrsystem der poetik aufzustellen, und
1) S. 434t : Das erlebnis ist gnmdlago der poesio , und so zeigt die niedrigste civilisation überall
«iJe dichtung mit primären mUchtigen formen dos crlebuisses verbimdon; solche sind kultushandlang,
f«ste»fireade , tanz, übergehend in paiitomime, gedächtnis der stammesahnen ; hier sind schon licd, opos
Xtnd dnuna in der wnrzel gotrent. — Da mAchtige orrogongen der soole, sofern sie nicht zu 'willenshand-
Ivingca führen, sich in laut und geberdo, in der Terbindung von sang und dichtung ftnssom, so finden
'«rir bei den naturvOIkexn dio dichtung an kultushandlungon und fostfreude, an tanz und spiel gebunden.
X>er Zusammenhang der poesie mit dem mythos und religiösen kultus, mit dem glänz der feste und dos
«piob, mit MfaOner, heiterer gosolligkeit ist daher psychologisch begründet, in den ersten anfangen der
civilisation sichtbar imd er geht dann durch die ganze litteraturgeschichte.
230 ELUNGER, ÜB^ SCHRÜTEN ZUR DEUTSCHEN POETIK
in ausführlichen abschnitten hat er die einzelnen dichtungsgattungen behandelt Ist.
es im \vescntlichen die metaphysische grundlage, auf welohor Baamgart sein bixch.
aun)aut, so kann man ihm doch andrüi*seits das Zeugnis nicht versagen, dass er sicVi
eine gründliche kcntuis der littcratur angeeignet hat, obgleich er bei der Terwcrt-^Mig
des litterarhistorischeu materials im urteil zuweilen mit grosser wilküilichkeit ^"or-
geht (man vgl. z. b. s. 55 fg. die ganz ungerechte beurteilung von Bürgers Lenr>;r%3).
Auch finden sich im einzclniiu recht interessante imtersuchungen , die manches SLW^Txy-
gendo bieten. Aber trotz aller dieser anzuerkennenden Vorzüge dos buches muss ioh
betonen, dass meiner meinung nach die grundlegung des Verfassers sich nicht haltoa
lässt Denversuch, die aristotelische katharsis, deren auslegimg durch Jakob Berm&^'s
überaus ausführlich, aber doch nicht überzeugend, bekämpft; wird, auch auf andc?jro
gattungen der poesio zu übertragen, kann ich niclit für glücklich holten, wiv ^^s
denn überhaupt etwas sehr mislichos ist, heutzutage noch den aufbau einer poetik »sof
wesentlich aristotelLscher grundlage zu vorsuchen. Dazu komt dos Verfassers noignr:"'^^
zum schematisieren, die ihn auch da nicht verlässt, wo nur eine rein historisc^^^^
betrachtung am platze wäre ; so werden z. b. für den unterschied zwischen romanze
ballado üsthetLsche gründe ins feld geführt. Alles in allem: Baumgarts poetik wi
niemand das zcugnis versagen, dass sie ein mit liebe zur sache gearbeitetes fleissi^
bucli ist, aber im Verhältnis zu dem umfang des buches sind die neuen aufschlüss^^^
die man erhält, nicht eben zahlreich.
Das bucli von Methner zeichnet sich durch seine klare und anschauliche dar
Stellung aus. Es beruht seiner gesamtauffassuug nach auf den anschauungen der tra — '"^^^a
ditionellen ästhetik, wie denn der versuch, einen unterschied zwischen ballade udÄ--^
romanze duich aufzeigung ilia»s inhaltlich verechiedenen wesens darzutun, auch hier^ ^\^\
widerkehrt. (S. 74.) Aber der Verfasser hat der geschichte unsrcr dichtuug eingehendem^ "^
Studien zugewant und wenn auch einzelne ansichten, die er vorträgt, irrig oder ver '^^
altet sind (man vgl. z. b. s. 202, wo volksschauspiel und haupt- und Staatsaktionen ''^'^ "
für zwei verschiedene dinge gehalten werden), andre von einseitigen gosichtspunkten .^-* "^^
ausgehen (man vgl. z. b. s. 112, wo Rabener den satiiikern des lö. Jahrhunderts*:^'*^
gegenüber sehr ungerecht beurteilt wird), so entwirft er doch meist richtige und-Ä-^-*^
ansprechende bilder von der cntwicklung unsrer poesie. Dio thoorie der gattungen .tf^^ ^'
der rede, die der Verfasser auf dieser grundlage aufbaut, legt zuweilen allerdings^^'^?^
recht wilkürliche ma.ssstäbe an dio dinge, aber vor dem verlieren iu alzu entlegene
gebiete der Spekulation schüzt ihn die klare, übersichtliche eintcilung, deren wei
überhaupt uicht zu gering anzuschlagen ist. Man niag an den einteilungen & 117fg^£^^
(vgl. auch s. 88 fg.) im einzelnen manches auszusetzen haben, im ganzen werdoitf^v ^^'
solche aufstellungen immer fördernd und klärend wirken. Auch sonst findet sich^ ^ ^^
manches anregende und da der Verfasser auch dio metrik mitbehandelt, so wird
cmpfohlenswertho buch namentlich Schulmännern von besonderem nutzen sein.
BEUUN, IM DEZEMBER 1888. UEOBa KLLIKOfiB.
Johann Elias Schlegel von fingen Wolff. Berlin, vorlag von Bobert Oppen-
heim. 1889. 8. 4 m.
Ehe wir uns zur besprechuug des Inhalts wenden, müssen wir in beeng an:
form und anläge der schrift einige bedenken äussern.
Es scheint, als ob der Verfasser sich auch an weitere kreiao wenden
Die darstellung bewegt sich, wie bei einem vertrag, durch die 183 selten ohn^
231
nihepunkt und ohue Joutlic:bo gliedoi'ung; tler toxt ist liuruh /.abk'U uutui'brochcu,
(üo aal die aniiierkuiigeu am KuhliiüH Abu hxuihea lunweisi-'u. Wer die Echrift etutlie-
ren und nachprüToD will, dum ist dadurch soino aufgäbe aehr eraubwerL Auf der
■ndern seit» ist das thoma dwh auvli nicht voq dor art, dass i?tue m aaBfuluüube
dantelluiig auf das interesBö eines gröBsoren publikuma rechnen könto.
In äaoc mobr jwpulärou darstcUuiig hätte z. b. auf dio ansubaulivhe Schilderung
von SchuJpforte, Leipzig und Kopenhagen mohr Sorgfalt verwendet werdeu müssen.
nnd vor allen dingeo wäre diu vergleicbung mit Schlegeb Vorgängern zur richtigou
Würdigung seiner Verdienste unbedingt netig gewesen. Wer mit dem gegenständ
liorvits vertTHUt ist, wii'd andreiwitu finden, daas bei bespreehung der wirksitmkoit
J. & Öchlegels auf dum theoretisuhcii gebiet hekaiite dinge £u auuFnbrlieh widerhoit
werden,
Indess hat der Verfasser doch aueh manebes neue und tieacbtousworte vorge-
bmuht, naiueutiich da, wo er die pootiauheu werke J. E. Scblegebi besprieht. Bei
Orest und Pyladee weist er mit raoht darauf hin, dasa oinselne ünderungen , die
SoUegel in modern- h um aiioni sinne mit dein überlioferten steffe vornahm, eine gewisse
vorwantschall mit Goetlies Umgestaltung der liiliigeoiensago zeigen. Baas jedoeh
S<^iogeI» tragödio direkt die aufmorksanikeit UooUios auf diesen steif hingelenkt hüben
**U — „ähnlich wie Suhlegels llerniaun den ausgaugspunkt bildet, von welchem
Qoethe zum Ooetz geführt wurde", ist gewiss nieht unzuuebmeu.
Für die bcurtoilimg der Dido hat WoIS nicht dun richtigen gesichtspunkt
£^''u«jden. Er leitet das drania direkt von dem VergUsuhon opos her, wäliroud Schle-
P"' «Itonliar auch die ti-ogödie Didon von Lefnuio de Pompigoan (1734) bonuzt hat
"<**l-iijh hat, so viel ich weiss, weder Schlegel selbst noch ii'gend einer der spätmiin
"'"Sraphen auf diesen zusammonliang aufmerksam gemocht Aus der ftan»>sischun
"^K'Jdio Jiat Schlegel einen zug entlehnt, den Wolff als eine glückliclie nenerung
™' *'*^t, dnss nHuUich der dichter den Aencas auf dor ilucht noch don angriff des lliarba«
iur~iÄuksuhlagou üos^ und so die kriogerische ehro des holden zugleich mit seinur
«"G^»3cn dichterischen ehre gerottet habe. Auch ist es auf die französische trogödie
*'''~*i.ckzuführen, wenn köoig Hiarbas als gesanliir vor Dido erschoiot, und sieh
™»«a erst im lauf dos gesprächs su erkennen gibt Ebenso bietet, wie ich meine,
ih^c- vergloieb mit Iicfranc de Pompignan dio beste erkliirung für eine xtelle, die
"*^lS lüs oino entluluiung aus Bhakesgieare auffassen mochto. üidu glaubt don sohat-
'^^ ihn» gomahls Sicbaeus zu erblicken (akt IV sc. 5); sie ruft ihrer Schwester zu:
Ach Schwester! ioh orselirocke
0 anbliek! siehst du niuhts dort in
Was siebst du? fasse dich. Trau nicht auf dem gesiebt,
Denn deine furcht allein botriegt dor äugen licht
Dido.
Noiu, nein! Ich sobe selbst den mir bokanton schatten!
Ich sehe dio gestalt des sonst goliebtoo galten!
Ich sehe seinen nuind, und sein so schönes haar!
Ich sehe seine stiru, und dieses augenpaarl usw.
Diese stelle vergleicht Wulff mit Hamlet akt III sc. 4, wo im solihü^gomauh der
f^'ein der goist des alten Hamlet bloss dem sehne, nicht ober der gomablüi siebt-
^ <3rgcheiDt. Atier bei Schlegel handolt es sich gar nicht, wie bei Shakespeare um
232 CREIZENACH
oino wirkliche geistorcrechcinung; das trugbild, das der krankhaft gesteigerten phan-
ta>siu Didos vorschwebt, ist nichts aus ein rhetorisches eifektmittel ini sinne der tra-
gödie dos klassischen stils und es wäre nicht schwer, anderwärts ähnliche stellen
nachzuweisen. Die Schlogelschen woito enthalten eine schwache nachahmung des
anCangs des fünften aktos bei liofranc de Pompignan. Die scene spielt hier zur
uachtzeit; Dido stürzt auf die bühno; sie glaubt sich vom geiste des Sichaeus ver-
folgt und ruft uin hülfe: ihre Schwester erscheint und beruhigt die königin, die noch
immer im fieberwahu das gcspenst zu sehen glaubt
Schlegel hat, wie sein bruder Johann Heinrich berichtet, die Dido noch in
Schulpforto im jähre 1739 geschrieben. Wir müsten demnach annehmen, dass die
novität des französischen theaters ziemlich rasch bis in die sächsische klosterschule
vorgedmngcn sei. Die Dido erschien indoss erst 1744 im fünften teil der Deutschen
Schaubühne. Damals wurde das trauerspicl „ gröstenteils in seiner ursprünglichen
gestalt dem drucke übergeben, der lezte aufzug ausgenommen.*^ Von diesem lezten
aufzug teilt Johann Heinrich in der ausgäbe der werke seines bruders bd. I s. 71 fgg.
den ursprünglichen plan mit und riilunt die teilnähme des Aeneas am kämpf gegen
Hiarbas als eine besonders glückliche neuerung. Nun könto man auf den gedauken
kommen, dass Schlegel erat nach seinen schuljaliren die französische tragödio kennen
lernte und daraus manches bei der Umarbeitung seines ontwurfs verwertete. Indess
stimmen auch wichtige sconen in den fiühem akten, so namentlich die scime zwi-
schen Dido und Jai'bas und die geistersceno mit Lefrauc de Pompignan übercin und
wenn diese scenen gloichfals erst in der Umarbeitung hinzugekommen wären, dann
hätte Johaim Heinrich gewiss nicht die oben augeführten worte gebraucht.
Noch ein mnstand darf nicht uiienvähnt bleiben. Die französischen litterar-
historiker haben l>ercits bemerkt, dass die erschcinung des Jarbas unter der maske
eines gesanten von Lefranc de Pompignan der Didone abbandonata dss Metastasio
(1724) entlehnt wurde. Indoss findet sich bei Metastasio ausseixiem auch der kämpf
zwischen Aeucas und Jarbas. Die scene, in welcher Dido ihren ersten gemahl zu
erblicken glaubt, konte der französische tragiker noch nicht in der italienischen oiier
finden. Völlige Sicherheit über das Verhältnis der dixji Didodramen zu einander würde
freilich nur durch eine bis ins einzelne gellende Untersuchung zu eiTeichen sein.
Schlegels Trojanerinnen sind merkwürdig als chai'akteristisches beispiel für eine
im vorigen jahrhundeit sich volziehende boweguiig des deutschen geistes. Wir sehen
den dichter hier über die französische renaissancepoesie hinweg auf die muster des
griechischen altcrtums zurückgreifen. Es wäre noch zu imtei'suchen , ob er dazu
nicht vielleicht durch Brumoys einllussreiches werk über das griechische theater
(Theatre des Grecs, 1730) veranla.sst war.
Für (Iw beurtoilung des Arminias ist in den oft citierten werten Goethes der
massgebi*nde gesichtspunkt enthalten. In seinem beri('ht über die bühnonschicksalc
tles Arminius konit Wolff auch auf die französische bearbeitung zu sprechen, „ßau-
viii üborsezte das stü(,*k 17ü9 frei ins französische unter dem titel „Anninius'', 1773
französierte er es noch mehr, und so wurde die tragödio als ^Les Clierus<iues *" in
Paris nicht nur gedruckt, sondern auch aufgeführt.* Als seine fiuelle für diese nach-
richten citiert er S<^hmid, Chronologie des deutschen tlieaters. Er hätte sich nach
einem bessern gewährsmanne umsehen sollen. Freilich weiss auch Süj)lle übiT die
Schicksale des Arminius auf dem französischen theater nicht viel zu sagen, obwol
er in seiner geschichte des deutscheu kultureinilusses auf Frankreich bd. 1 s. 170
Bauvins Verhältnis zu Schlegel und die verschiedenen ausgaljcn seiner übersctzuug
ÜBER WOLFF, JOH. EL. SCHLEGEL 233
bespricht Hinsichtlich der bühnendarstelluag beschränkt er sich auf die werte ^nach
aa^abe von Jördens soll Arminias im Jahre 1773 in Paris zui* aufführung gekommen
seitx.*^ Und doch besitzen wir über diese Pariser aufführung einen höchst merkwür-
digen, eingehenden boricht von dem alten Gottschedianer Grimm , der wol eine wider-
gal>e an dieser stelle verdient. Grimm schreibt aus Paris unter dem 1. okt. 1772 (Cor-
rcsf ondanco littorairo ed. Tourneux bd. X s. 67 fg.): ^Lo theutre anglais n'est pas le
sexxl oü nos poetes cherchont aujourd'hui leurs sujots; ils viennent de faire le memo
houJDoar au theutre allemand, et Ton a donne, le 26 du mois dernier sur le theutre
do la Comodie Fran^aise, la premiere representation des Cherusques, tragedie neu-
volle, imiteo du theatre allemand. C'cst le siget d'Arminius, traito en Allemagne
par feu M. Schlegel; c'est la defaite doYarus: c'est par consequent un siget national
en Allemagne. La piece de M. Schlegel est imprimoe depuis environ trente ans.
Je crois Tavoir luo dans ma jeunesse, maLs je ne me la rappelle plus en aucune
maniore; je n'en pourrai donc pailer que d'apres l'esquisse franyaise. Un vieux
bonhomme de soixante ans, appele Bauviu, pauvre comme un rat d'eglise ou
commo un poöto, ce qui est synonyme, s'est avise un peu tard de prendre
le melier de faiseur de tragedies. II a choisi colle de M. Schlegel, et Ta
ajustoo tant bien quo mal au Theatre -Frany^. II en a fait la lecture aux
Coniediens, qui Tont re^ue; mais tardant longtemps u la jouer, le pauvre auteur,
presse par la faim, l'a fait imprimer. Elle parut en 1769, et ne fit aucune Sen-
sation. Alors los Comediens rosolurent, je crois, de ne la point jouer du tout,
et Ton pretend qu'ils ne se sont depaitis de cette resolution que parco que l'au-
teur a eu le bonheur d'interesser M^o la daupliino en sa faveur. Getto charmante
et au(^uste princesse a esdge que la piece fut jouee, et Ton a oboi. Mais los acteurs
ctaieot si porsuades qu*ello n'irait pas jusqu'u la fin qu'ils ne s'etaient pas donne la
P^uio de Tapprendro. Je n'ai jamais vu piece aussi mal jouee. M^o Dumesnil, qui
est presque toujours mauvaiso, quand eile n'est pas sublime, et qui commence ä etre
^'^'^nicnt sublime, fut dotestable ce jour-lu. Elle jouait le röle d' Adelinde, princesse
cheruijquo, mero de Thusnelde et de Sigismond. Thusnolde etait ropresentee par
Mmo "Vestris. Brizard etait chargo du role de Sogismar, prince chorusque, pere
dArminius, joue par Mole. Los autres rOlos etaient remplis par des acteurs si mau-
^^8, que jamais la patience du public ne fut mise u plus forte epreuve. La picco
P*^iUia en etre^la victime; mais enfin, apres avoir coui'u les plus grands risques, eile
®^t 1^ bonheur de resister ä tous les dangers et de reussir. L'auteur fut appele u
^^o^^ls cris. U ne put ou ne voulut pas paraitre le premier jour: le pauvre homme
J^avait^pas peut-etro d'habit pour so montrer; mais ü la seconde representation, il
^^ appele de nouveau, et vint faire sa revcrence au public. On conto quo les otats
^-Äxtois (rautour est de ce pays-lä) lui ont promis de lui faire une pension, sup-
P^*^ que sa piece ait trois representations. Si cela est, la pension est doja gagnee.
f*^» quel bizarre et ridicule caprice de la part d'un corps aussi respectable que les
^ts d'uno province d'attacher un bienfait, apparemment jugo necessaire et bien
I *aoo , au succes d'une piece de theatie ! Qu'a de commun le besoin d'un \ieillard
^ ^oixanto ans avec une bonne ou mauvaiso ti'agedie? Quoiqu'il en seit de la verito
<i.« la faussete de ce conto, il etait si bien ctabli dans le public (lu'il faut conve-
'^ ^n'ü influa sensiblement sur le succes de la tragedie. Mais apres l'avoir applau-
® ^n theatre, on on a dit beaucoup de mal dans le monde. Gu l'a trouvoe froide
^Unuyoüse; mais on n'a pas asscz considcro combien le mauvais jeu des acteurs
^ fait tort Gn commence u cn pailer aujourd'hui avec un peu plus d'estime ou
234 CREIZENACH
inoins de dönign^mont; ce qui me fait presumer que les comedieos, qui ne s*
daioDt (Kis a i-o suci^s. la jouent avcc uu ix>u plus de soin.
Coniino la pioco de M. Bauvio est imprimee depuis trois ans, je me suis
l^nso d*OD fairo ici uuo analyse en forme. Les changemoDts qu il y a £uts po
romettro au thoatrc nc sont pas bion considerablcs, et se trouvenmt en tout
bicntöt daus uno nouvelle edition qu'il ne manquera ]>as d'en faire apres V
SU1.XVS, quelle viont d'avoir au theatre.""
AVir orfahn^n ab^ auch aus diesem bericht, dass Marie Antoinette es war, die
die aufTührung der deutsehen tragödie in Paris durehsezte.
Mit der tragödie Canut hat Sehlegel nach seiner Übersiedelung nach DaneiHraart
einen glücklichen griff in die geschichte seines adoptivvaterlandes getan. Mit r^E^cht
hat AVolff dii^sem drama eine In^sonders ausführliche behandlung zu teil werden las-
sen. Er Aveist auf eine l^earbeitung hin. die 1780, vierunddn?issig jähre nach <joid
erscheinen des Si^hlegelschen dranias giMiruckt wurde, also zu einer zeit, da &c-Jion
der Alexandriner auf der bühne durch die prosa verdrängt war. Wolff will dar^ao,
wie in diex.'r [mtsaautlosuug eine fülle von dramatischem leben entfesselt iRiutle,
das in der engl«egrenzten form des Alexandriners verl»orgon geblieben ^"ar. Es
wäre sehr wünschenswert gewmk^n, wenn er diese intervssante beobachtong durch
nnchlichere Knspiele Wiegt hätte. Unter den urteilen der Zeitgenossen registriert
WolfT auch eine stelle aus Li^ssings dramatunnscher corres|M>ndenz mit Nicolai-
Inde^ hat lA^s>ins: si*in eindringendes Studium des Schlegi*ls^-hen meisterwerkes Äii.*^"b
anderwärts lvwiosi»n. In dem entwurf: ,Der Schauspieler. Ein werk worinnen <^^
grundsätie der ganzen köq«erlichen l»erodsamkeit entwickelt wenien.* Hempel bd. X 1
s. SoOfjx. hat er oinici» >tellen in den rx^llen des Canut und des Ulfo im hinblick ^^
dit^ umleitenden gi*sten ausführlich l«otrachtet. Und ausseniem hegte er iirsprüi*^'
lieh die ab^i'.ht, in der dnuuatuqne den Canut eingehend zu behandeln. Im sche^^oa
;ur fortM^iuuj: ^IK^mjvl M. XXs.t>4l»> notiert er .l*L Canut« Schlegels Hang, do»^**
>tica facta ;u wählen, lluni p. 211 N. JSÖ. Mittwochs den 23. September.* "^ "^
keine andon.* notir des weni:: Km^hteten Mhenias — abI^?sohen vielleicht von nr. t:^«
wo Iji^Nsmc eine untersuch uiic ulvr den eher in der tnu«ödie in aussieht stell '
Ijfcsst ur.> das j.the abbrvvhen der dramaruTpe mehr K>iauem. Gewiss würde L^-*^'
>ini hier ovianicn entwickelt haK'n. die i^in nt^ues licht auf Minna von Bamb«^*-^
*
fallen Ik^^üs^n utid die !s:ch Wv*l auvh nüt den o^iankeniv-ihen Ki^rnhrt hätten, doT"*-
welche VnX'thc Xv»:: llcmui:n dem Ohen;>ker auf döti von Beriichingen hinübergel^^**
tel wur,:i\
i'iinut ^Ä-ar. cMiSv^ u:e llemiaaa Ktoit^ 174S auf dem re|«ertoire der Sei»*-**
m*r.iaR:i>cbon tmvjv ::; Fr;iu;kfurt am Mai::.
E:!vr* frech: Ivarxn; c.^chTspur.kt ha: siv h W..!f entcehen lass^m. Er hätte 2^^^'
iXHj syj,c::. w:o Svhlcot^-s :rac.>vhe viik::.-?., d>.^ K^kar.üivh von fran nt Goethe ^^
niu>:*T ii'^ >t'-".:Vr, \;'rC;i''tt^:: >::!> ancv^fuhr: u:ri, s:.b auscimt. wenn man sie Of^^
dT^n -.'.a.'hw-rii^: iV^:^<ht\is und soii^r ar.hjicp.*:, d^r l\t2t.^hol, Grimm, Quistt^^T*
usw. \-.:,r:-! ^^:- l\;t\h o::v Sx^.ho ^vt r.uS. tsTi Ilür,: »:ri -i.v Wdeutung Schleg'ß^-*^
ais sii'^ h;'rx,':rjLr.::.i^r.^r. ^i.•.;^-.^.o:; :rai'.kcrs d-.r .Ias^i:i^^:-ch■:tl riv*htuiig wol ^^
lx\ K>;T\\>:.;r^ vU'i 'u^rvj^u^ic VcTr.r: i;: x-^-^a^jt^r et- pe4«-'t, dem er bcr?"^
fniV : r ;^,r, : v .:r •.* p;' r. .: , > >: /, .v. ,:r*. c - « *. ^t r,^ i : h *:. M a:>:>.i-x^ > :c *^ai . was er hier ^^^
%:Tri>.:.j;«v.*: S.M-.V''^ •-"^>-- *^i- >:ivv.i>^ Iritik.r >,"»>o res: i:H» d<* ScMegelscK*^"
c\^xvrs»:>,v.>:,K',> \ ,^:i.:- :*.*:: . ;>5 ivwiss K:\vh:Ä IX« vv;« Letssäng so schrei
r getadelten ,geäcbiiftigfn miissiggäDget''' rühmt Wolff alh das onte doutüche aitteu-
Inntspiel, doch köote man diese meiiiuug erst daim zur diakitasiou stellen, neun smvb
die soustigcn ansätxo zum sittnnluBtspid iu jeuor seit gL-nauer ins aoge gcfasst
wiirdtiu. Zu aum. 126 ist xu bemerken, doss ühuliuhe stoheude rodouBarten dorLei|i-
xigcrinDen auch in Mcoantes satirisehem romon (Deutsuhe □ationnUittcratur bd. 37
8, 480) angnführt werden. Ebenso wie den gesuhäftigon müsaiggäuger, nimt Wolff
Aai;]) das lotenge.sprUuh Dcmokrit gegen Lt-ssiag in Hehutz, Lessing hat bekaot-
üfh (Dtamaturgio st XVII) nicht undeutlich du ruh blicken lassen, dass er es für
p^nterei hält, wonn Suhlegel vun Regiiards vcrstüHseu gegen die historische wahi-
svhflinliuhkeit bu viel aul'bubeuä macht. Im wcsuntlicheD wird dech wol Lostung
rfKht behalten. Allerdings ist oh daukonHwort, dass Wolff auf don ZuBaoimenhang
tiinweist, der zwischen dem toteiLgespriich und dem Suhlegotschon lustspiolfragment
,dJo drei Philosophen" bestobt. Hier bat der dichter sich lemüht, Plato, Diogenes
"od Anstipp mit treuerer fcBUmltung des historiHchon kolorits in eine laatapiclintri-
gao XU verwoben. Eine mossgobendu bedcutung in der gotieblchtä des IiisteriBchcD
'uBtepiels dort Schlegel deshalb alwr doch nicht beanspruchen; unter seinen vorgän-
ptm auF diesem gebiet musto t'or allen dingen auch noch Boursnult berücksicb-
Ugt worden. Wenn s. 108 Leasings jugendfronnd Mylius (+ ll'ii) mit dein heraus-
gebcir dea komischen tlieaters der Deutschen (1783) verwechselt wird, so ist daK fn-i-
licfti. ob starkes stüek.
Zu der ansprechenden eharattcristik der anakroontischou lioder und criählun-
£?>» Schlegels wäre eu bemerken, dass kaffoe als ein gotiünk, das zur poosie begei-
^tc^ kann, schon von Neukircfa iu den AnTangsgründen der reinen teubichen iioeaio
M"wahnt wird {vgl. HiWebraud im deutschen Wörterbuch IV, 21). Nachdem die
_tofc«kBpooMie in Hoffmaon von Fallerslebon einen gosehJchtschroiber gefunden hat,
I vielloieht auch oininal der taffee in der deutschen dicbtung im Kusammenlumg
tolltet werden.
_ Das hauptgewiuht legt WollT mit iwht auf Schlegels Wirksamkeit als theore-
^tttor und kriliker. Sein respektvoll diplomatisches vorhiiltuiH »u Gottsched ist duruh-
treSbnd chiirakterisiert. Daüs t^hlegel kein gewöhnlicher Gottachedianer sei,
F**aoten dio gognot sehr bald: Pyra im Erweis dass die Oottachedjanischo secte den
|j*®chfnack verderbe s. 10-1, behandelt ihn sehr höflich, auch die Neuborin suchte
]"** KU sich horüborzuziohen. Dnnzols ansieht von Oottsehod als dem scböpfer der
•"^ uiner deutschen uatiotiallittoratur hat Wolil ku sehr auf treu und glauben
Für Sühlegchi anfüge war auch noch dor auDtatx von Puter über die
> der jKtesie an den fürstenschulen (Mitteilungen des voreing f. d. gosch. d. stadt
1 bd. I hcft 3) zu berücksichtigen.
Don ergobnissen Antoniowiczs über die französisehon quellen Schlegels stimt
^yUt im wesentlichen bei. Gewia mit recht, denn was inzwischen Braitmoier in
^'ST GoBchichlo der poetischen theorie usw. (L I, Frauonfeld 1888) gegen diese
'^(iüsohe einwirkung vorbringt, ist wenig überzeugend. Dass Schlegel sich schon
**«otJg in der französischen litteratnr umsah, Iwweist seine bokantschaft mit Lefrooc
XNnnpignan. Schlegels ansuchten über dos material der nachahmung in dor iwosio
mit Vatrys theorie so nahe verwant, dass man wol den gedanken einer entleh-
I Seiten Schlegels festhalten darf. Anders steht es Avilich mit Schlegels
*^*%iiptuog, derjenige, welcher nachahmt, müsse „sich nach don Vorstellungen derer
"»i.;
die das bild vergnügen snll.„ 7. Wir haben :
1 Hipiwlyt, kurz ganz i
Zeiten <
gemacht, welche
rieics \
\
236 VOIGT
dem W0S6D der grossen unserer zeit halben und nur in alte nameo gekleidet 8in<^J^
In diesem falle ist es entschieden zu weit hergeholt, wenn Antoniowicz oioen z\
menhang mit Fraguiors Retloxions sur les dioux d'Homere annimt. Braitmoier
gewiss das richtige getroffen, wenn er auf die verwantschaft mit der Broitioger8Gt=3fiii
theorie hinweist. Auch sonst sind in Braitmeiors darstellung einige wichtige puni
besser hervorgehoben, so namentlich die Übereinstimmung Schlegels mit Lessing
der beurteilung dos Philoctet (vgl. Braitmoier s. 252). Zu dem ^schreiben von erri«
tung eines thcaters in Kopenhagen'^ wäre noch zu bemerken, dass bereits Gottscl
in der deutsclion Schaubühne t. 11 s. 22 auf dio notwondigkeit einer tantieme für
dramatischen scliriftsteller hingewiesen hatte.
Der Verfasser war in der läge, ungedrucktes briefliches matorial für se^ Joe
arbeit zu benützen. Ausserdem hat er zum ersten male eine handschriftliche sam^Mn-
lung von godiclitcii des vators Scldegel herangezogen und dadurch mancherlei hübsci^^c^
Züge für die Schilderung des elterlichen hauscs und der ersten jugendeindrü^rlo
gewonnen.
KKAKAU, IM FEOR. 1880. WILHELM CBKIZKNACH.
Friedrieh Lauchert, Geschichte dos physiologus. Mit zwei textbeilagen.
Strassburg, Karl J. Trübner. 1889. 8. XIII und 313 Seiten. 7 m.
Nachdem uns J. V. Carus in seiner ücschichte der zoologio 1872 aus der foder des
dr. Hügel eine geschichte des physiologus in aussieht gestolt hatte, empfangen wir nun
durch Friedrich Lauchert das orwaileto buch, welches bei der Wichtigkeit dos phy-
siologus für die geschichte der Zoologie, der fabel und des ticrschwauks, dos Sprich-
worts und dos opimythions, der ticrbildlichen typen in litteratur und kunst, wie des
Stifts- und klostei*schul Wesens von vorn herein auf algcmoines Interesse anspruch
erheben darf. Wir werden zu prüfen haben, wie weit die gcspanten crwartungen,
mit denen wir das werk in die band nelimeu, in ihm erfült werden.
I. Der erste teil (s. 1 — 109) bietet 1. oino Vorgeschichte, 2. inhaltsüborsicht
und quellennachweis der ui*sprünglichen 49 stücke sowio einiger späterer anhängscl,
3. entstehuug, 4. Überlieferung des griechischen tcxtes, 5. patiistische Zeugnisse der
jütereu zeit, G. l>esprechung der alten Übersetzungen, nämlich des aethiopischon, des
armenischen, der syrischen, des arabischen textes, 7. luid 8. der lateinischen Ver-
sionen, 9. und 10. des physiologus in mittelgriechischen tiorbücheru und in der natur-
goschichto des mittelalters, 11. eine vergleichendo übcreicht der verschiedenen anord-
nungen.
II. Der zweite teil (s. 110 — 228) eroi-tert 1. die Übersetzungen und boarbei-
tungen des physiologus in der germanischen und romanischen litteratur, 2. und 3.
die Verbreitung der physiologus -typen in di<;htung und kunst des mittelalters, sowie
4. die lezten nach Wirkungen des physiologus bis in die neue und neuesto zeit.
III. Im anhang wird der toxt des griechischen wie des jungem deutschen
physiologus (s. 229 — 299) nebst nachtrügen und register gclfoten.
Man sieht, das buch bringt vielerlei. Je mehr man sich aki* hincinliest,
desto deutlicher erkcnt man, dass man es hier nicht mit einer eigentlichen forschunj^
zu tun hat, die, unbefriedigt von dem vorgefundenen stände der erkentnis, selbstiin-
dig und kühn nach allen richtungen hin den gegenständ zu ergründen und aus
umfassender samluiig unbonuzten quellonmaterials und eindringender durchdenkung
desselben neue aufschlüsse zu gewinnen strebt, sondern mit einer kritischen Zusam-
menstellung der an den vei*schiedcnstcn , oft schwor zugänglichen oiten zerstreuten
ÜBER LAUCHKRT, PHYSIOLOOUS 237
bisherigen orgobnisse der physiologus-forschung, die, weil im ganzen mit sachkent-
nis und besonnenem urteil durchgeführt, für den fernereteh enden ebenso lehrreich
und wilkommen ist wie sie die erwartungeu des keimers in der hauptsaclie unbefrie-
digt lassen wird. Der wert der einzelnen abschnitte ist somit, je nach dem grade
wie vorarbeiten vorliegen und dem Verfasser bekant bez. zugänglich waren, ein sehr
verschiedener: recht interessant ist I, 2 — 5 und II, 2, wenig gehaltvoll ist IT, 3,
die übrigen stücke halten eine gewisse mitte inne.
Gehen wir nun die einzelnen kapitel durch, um auf lücken und mängel auf-
merksam zu machen.
S. 77 fgg. vermisst man die wichtige stelle Augustins über die fulica (in Psalm,
cm, 17): Intelligimtis petram esse idaneatn fulieae domuvi, niisquam fortiiis et
ßmiius hahitat quam in petra. In quali petra? In mari constidUa. Eist tun-
litur fluctibuSf frangit tarnen flnHuSf non frangitur: hoc habet niagnum petra in
narr constituta .... Ergo fulieae damns et fortis est et humilis, Non habet
lomum fulica in excelsis; nihil illa domo firmius et nihil humilius. In cedris qui-
fern nidificant passeres, jyropter praesentem necessitatem : sed peiram illatn habent
fucetn, qnae fluctibus tunditur et non frangitur, — Zu s. G8 — 79 konte die fleis-
igo monographie von Feiner „Vom Phoenix in den Schriften der väter** (München,
*rogr. des Ludwigs -gymn. 1840/00) benuzt werden. — S. 80. Das programm von
C. Ahrens (Ploen 1885) konte der Verfasser nicht zu gesiebt bekommen, obwol ein
chrciben an die gymnasial -direktion vermutlich hingei-eicht hätte, ein oxomplar des-
dben zu seinem eigontum zu machen. Es ist eine sehr lesenswerte studio, die
licht bloss überzeugend nachweist, dass das syrische tierbuch des Brit. museums aus
ler herm Lauchert unbekant gebliebenen handschrift Ind. ofllce Ms. Syr. n. 9 abiftamt,
sondern auch überhaupt eine eingehendere Untersuchung über die quellen des phy-
(iologus enthalt.
S. 88 — 94 werden nach dem einleuchtenden beweise, dass die erste lateinische
ibersetzung des physiologus bereits vor 431 verfasst sein muss, die beiden bekanten
lauptübertragungon angegeben, nämlich die durch die lis. 10074 von Brüssel und
233 von Bern reprilsentierte klasso AB und die durch die Bemer hs. 318 vertretene
klasse C, somit die geschieh to des lateinischen prosatextos mit dem 10. Jahrhundert
abgeschlossen. Da es nun die lateinischen fassungen waren, welche diese tierbilder
dorn abendlande übermittelten, da der hauptoinfluss des physiologus auf die abond-
ländische litteratur und kunst in die zeit vom 10. — 14. Jahrhundert fält, da endlich
gerade derartige litterarische produkte den mannigfachsten orweiterungen (auch Vin-
cenz von Beauvais Spec. natur. XX, 172 de testudine benuzt einen erweiterten phy-
suologus) und Verkürzungen, sowie sonstigen änderungen in reihenfolge, verlauf der
Handlung und ausdeutimg ausgesezt sind, so wäre es die pflicht des Verfassers gewe-
sen, etwa in der weise, wie es Oesterley für die Gesta Romanorum getan, die
geschieh te des textes durch das ganze mittelalter zu verfolgen, also womöglich die
sämtlichen erhaltenen handschriften aufzuspüren, sie auf ihre spezifischen eigentüm-
lichkciten hin zu untersuchen oder durch die allezeit bewährte liebenswürdigkeit der
bibliothekare untersuchen zu lassen und so die handschriftliche Überlieferung des
lateinischen physiologus während des mittelalters auf bestirnte grundtypen zurückzu-
führen. Nur so hätten wir über die Schicksale der ph.- texte von jahrhimdert zu
jahrhimdei*t volles licht erhalten, nur so hätte sich auch jedesmal die lateinische
quelle der volkssprachlichen bearbeitungen nachweisen lassen, für deren abweich un-
gon von AB und C der Verfasser wol eine in diesen punkten bereits modificierte
238 VOIGT
latoinischo vorläge vermutet (s. 126 anm. 1, 131 anm. 1, 133 anm. 1, 138 z. 9— 1£
140 z. 17 fg.), aber eben leider nicht anzugeben vermag. £r weist wo! auf die
M. F. Mann (Anglia VIT, 445 fg.) genanten Handschriften hin, hat aber noch nie!
einmal die ihm so bequem erreichbaren Münchener verglichen, geschweige denn
er die gerade in dieser hinsieht so zuverlässigen handschriftenkataloge daranfl^ma
durchgesehen hätte. Ich habe mir von physiologus-handschriften seiner zeit notie:
Angers 294 — Avranches 28 — BriLssel 8340 — Douai 073 — ifcpmal 48 und 58
Gent IG — Kopenhagen 1634 (Kl. lat denkm. s. 6) — ITiddlehill 4725 (Jahn und
bode Neue jalirb. suppl. VIU, 1842 s. 448) — Oxford cod. Bodl. misc. lat 247 (wozu
der katalog auf den druck bei Hugo de S.Victore Venedig 1588 11, 189 hinweist) —
Paris Bibl. Nat. 3638 a, 4931c, 8564 (?), 10448, 11207 — Pommerafolden 2913 nod
2917, und aus der ältesten zeit Bern 611 (fol. 116»»— 138»») s. VIII/IX, Oxford ood.
Bodl. misc. lat 129 s. IX und Wolfenbüttel cod. Gud. 148 s. X, welch lezterer, wie
aus einer mir von W. Scherer gtitigst überlassenen abschrift zweifellos hervorgeht,
zur klasse C gehört, ebenso wie das Toletaner fragment bei Isidor od. Arevali JY,
521. Auf diesem wego hätten wir auch, was wir in dem vorliegenden buche rocht
vennisscn, einen stambaum der gesamten physiologus-recensionen erhalten.
S. 95. Bei der hohen Wichtigkeit Gregors des Grossen für die litteratur des
mittelalters üWrhaupt wie für die Verbreitung der physiologischen allegorik insbesoa-
dero war es wünschenswert, die bei ihm vorfindlichen physiologus- spuren sorgfiüti^
und erschöpfend zusammenzustellen. Hier mag nur zu dem dritten zugo der schlang
(Ph. 11«") auf Hom. in Euang. II, 32, 2 hingewiesen werden: Xüiil maligni spirUu^
in hoc vmfuio proprium possident. Nudi ergo cum nudis luetari debemus. }sar99-
8% msiitus quisquam cum nudo luctatur, cittus ad terram deieitur, quia habet
Wide teneatur. Quid enim smU tcrrctm omnia nisi quaedam corporis indumerUa ^
Qui ergo contra dialtolum ad certamen propcrat, uesti^nenia abiciat, ne suceum^
hat. — S. 97 anm. 3. Zu dem verse Ph. Theob. 146 Dicitur a Pkysio-, cum doe^
inde, -logo bemerkt der verfassen ,, Solche abgeschmackte worttrennungon komm^«*
bekautlieh in der lateioischen poesie des mittelalters nicht selten vor; ich erinncr*^
an den schönen vers beiRabelaisPautag.il, 41: Deficiente pecu- deficit omne -uto- **
Verfasser besizt eine viel zu dürftige kentuis der mlat. dichtung, als dass ihm el«^
recht zu einem solchen urteil zustände. Von vereinzelten Spielereien abgesehen, wt^^
sie allen epigonenlitteraturen oi^en sind , finden sich derartige Worttrennungen i ^^
ihr nur in ganz seltenen fällen zwingender prosodischer notlage. Je mehr sich heiC^
Lauohert mit diesem zweige der litteratur beschäftigt, desto mehr wird er sei**
^bekantlich*^ und sein ^nicht selten* einzuschränken lernen. — S. 98. Der zug,
die hirsche l)eim durchschwimmen eines flusses eine linie bilden und zwar so,
immer der hintermaim seinen köpf auf den rücken des Vordermanns legt, geht nicb^
auf Gregor zurück, sondeni findet sich schon bei Plinius VIII, 50 und dann wide«
holt l>oi Augustin, vgl. in Psalm. XU, 4, CXXIX, 4, I)e diuersis quaest IJÜCI, 1. --^
S. 98. Der al»schnitt von der spinne in Theobalds ph^'siologus beruht auf den (ii»^
stellen wie JobVIÜ, 14, IsaiasLIX, 5 fg. von ihm und seinen vorgangem entwickele
ten) ausführungen Gregors Mor. VIII, 44: Bcmc hyptycritarum fiducia araneantrß^
telis similis dicitur, quia omne, quod ad obtinendam gloriam exsudanty uenit^
uitae mortalis dissipat . . . Aratuiarum tela studiose texitur, sed subito flatu diss*'
patur. — S. 99. Das hier citierte tierbuch der Leipziger Universitätsbibliothek i^
identisch mit der U^reits aus dem XII. Jahrhundert stammenden versification tod
Isidor, die den titel führt: Xature aftimalium extracte de Ysidoro (ine. Katur^^
0nCB LAÜCHIBT, PSTUOUMim 839
nari-is animalin »wit rcdimila. Tiujur limx morrs hiU reditmre slude] und aucli
im cod. Bern. 40a a. Xll/Xlil f. 1 — 38" sowie in Av.r stiftsbiblioUiet St. Hurian au
Uni im cod. ICC f. 272'— 307* erhalten ist,. Weshalb der Verfasser betrcfa des
iDdfTvi) Thicrfelderschen hinweiees auf den Brcslaaor pliyaiologus oicbt oiuo anfrago
nn dio ilorugo imivereitätsbibliothek oder an Rudolf Peiper, die siclior auf das lic-
buuwürdigHte beantwortet worden wäre, zu richten für gut befunden hat, ist nns bei
dem ADtor einer ^Gesehichto des physiologus* ebenso wenig erklärlich n*Jo so nionuhe
udere uuterlasKimgasUnde des huchcs.
8. 124. Dio lehre von den sieben oigonschafton der taubo braucht nicht aus
ilüx. Noiibam Do nat. ivr. s. 100 ttntnommen zu sein, findet sich \ielmebr in der
(«Uristik sehr häufig (Boda bei Migno XCIV, ö2, Hrab. Maur. zu Matth. III, IC,
Hnpiio Hoin. dp temp. 16, Gunrricus Abliw Sernio VI de piirificntinne und sonst)
anil War um die inittu des XIII. jalirhunderts gewiss liingst ein geinciugut der
getnl(l<^taD geworden. — S, 134. Bei der symbolischen ansdeutting des hahos falt
DS auf, dass der Verfasser uiuht das im mitti^lalter so sehr beliebte gedieht MttUi
««' presliileri, qui iynorant giiare (gedruckt z. b. Serap. I, 107 fgt;.) zur vorgloi-
chniie hernnuieht. Auch Marbods lapidarius kent er s. 136 nicht. — 8. 139 unton.
Der hier hervorgehobene neue zug in der faliel von der orwockung des Jungou lüwen
g**' gewiss auf Guang. Job. XI, 43 zui'iiok. — S. 140. Die aiialegung der viper-
cigonschaft. auf den neid ist ganD iin sinoo des im inittolaltcr vielbezeugtfn sprich-
«orts, dass neid zuerst den eignen herra fresso, dorchgefülirt, vgl. meine nachweise
*" ^ecunda Ratia I, 795. — S. 142. Von den beiden neuen zügon des raben beruht
''*'' «Weite auf dem simchwort Comix eorniei ociilog tum effbdil (vgl. auch Georges
'■ "- fnTBij-); der erste ist von Isidor (auch Sont m, 43, 5) aus Gregor übornom-
""■*: Mor. XXX, 9, 33 Esl adhiic ntiud, quod de eorwa moraliter possit haeUigi.
""Itt nmngtie pullis, tU fertur, rseam jikne jiracbere ditaimutat , priusquam
/''"'n^seeiulo nigrfseant , ejj$qHfi inedia afftri patitur, quoadiuque in Ulis per pen-
""""^tm ni^edimm aua »imilitudo uidetUur. Qui liue illueque uagantur in nido
^'tionim exprluitt apurto ort subaülium- AI cuin nigreseere coeperint, lanlo ria
P*^**^^ida alinunta nriUntius requiril, quaiita iUoa alere diutiu» distutil. —
°- 1^43 onm. C, Der hier aus Isidor bezeugte aberglaube wird schon von PUnius VITT,
--1 34 uud Sorvius zu Voi'g. Eolog. IX, 54 sowie in wortgeoauer überoinstimmnnB
^''O Ambrusius Hexaem. VI, 4 üherhofort: Lupus ai prior liumitKm uirlrril, uocem
*^pit, ti despitit enm tanqaam uicior uoeia ablatar. hU'm ai at praeuiaum a<m-
"'^^i I deponcl fcraciam, nim polest eurrere, — S. 148 z. 2 fg. Dieses glcichnis
*nonort na einen lieblingsgcdonken des Petrus Chrj'sologus: Sol langil sterPora, tum
*'"ntn atereoribua inquinalur (Sermo 3,") und 04).
8. 158. Bei der hier atigezogeoen stello dos ags. Crist darf moo sohwerlich
■n den Phoenix denken, sondern an den vogel überhaupt (nach Sap. V, 10) und wenn
•" ohien bostiniton, dann an den adler (nach Prouorb. XXX, 18, woiier aui'h die
'"ofte Mgenschalt der sciilange bei Hugo von Lau genstein, die s. 174 angegeben wird,
"* stammen scheint). Die spricbwörtlichkeit derartiger stellen erhellt aus Fecunda
^'m I, 320, 524. — Auch die stelle aus der predigt Aeltrics ist schwerlich direkt
"'S (ic,^ phys. entnommen; dieser gegenwtz der goselligfrohen tauben und der oiti-
'*'''^o, beschaulichen turtellaube wird üburaus häufig, zumal zu Lucas ü, 24, von
_" lon^lienTfilem hervorgehoben, vgl. meine nachwoiso zn Fecuuda Ratis I, 951,
'* Über deu s. ICO, z. 7—0 angeführten zug zu I, 230. — Elx-iiso zweifelhaft ist
" "»»Ir, ob die auf Greg. Mor. XX, 22, 48 luinictgebendo syniliolik di-r rechten und
240 VOIGT
lioken altarseite (s. lOß oben) mit der Charadrius-fabel zusammenhängt — S. 167-
Durch eine anmerkung der spanischen Übersetzung von Ticknors litteraturgescbichto
wird der Verfasser auf die Madrider handschrift des libro de los Enxemplos, in dp»r
stücke vom Antholops, Hydms und Einhorn vorkämen, aufmerksam gemacht; im
nachtrag s. 300 fgg. wird aus dem in jener handschnft entlialtenen katzcnbache ,da*»
bislier noch gar nicht als solches erkanto bruchstück einer spanischen physiologns—
bearbeitung", bestehend aus Autholops, Hydnis und Vulpes (die einhom&bel de«
katzeubuchs ist nämlich nicht physiologisch, sondern aus dem Barlaam des Joann?^
Damascenus entnommen, vgl. Zs. f. d. a. XXTII, 298) mitgeteilt Joder sachkundi^^
Icser schüttelt den köpf, denn es handelt sich um nichts weniger als um etwas nene^-y
nur um die spanische Übersetzung des Odo de Ciringtonia, die bereits 1865 vo^«»
H. Knust in I^mckes Jahrbuch für romau. und engl, litt VI, 1 — 42, 119—14^
publiciert ist, deren lateinisches original, von teilabdrücken abgesehen, 18G8 vo«*
H. Oesterley bei Lemcke IX, 121 — 154 sowie 1884 von Her\ipux, lies Fabulistc»«*
latins II, 587 — 713 horausgogebt;n ist, dessen quollen, auch den physiologische «»
anteil, ich in der Zs. f. d. a. XXIII, 283 — 307 aufzuzeigen versucht habe; v^X-
ferner meine nachweise in den Kl. lat. denkm. s. 36 — 51, Zs. f. d. a. XXII, 387 f^--i
Oesterley \m Lemcke XII, 129 — 154 und Gcsta Rom. s. 239 und 252, Hervieux X^
044 — 680. "Wenn man vorwundert nach dem gründe fragt, wie es kam, da.ss ei«i
in den jüngst voi*flossenen jahrzt?hnten so vielfach behandelter thiersymboliker der"*^
Verfasser unbekant bleil)en konte, so ist die antwort: alles was nicht ausdrückhc?^
die finna „Physiologus** trägt, lä.sst er bei seite; dass der physiologus nur ein gli^^
in der ausgedehnten reihe der mittelalterlichen tiei-dichtungen ist und dass eir»^
geschichte dieses gliodes nur in dem masse gelingen kann, als man die übrige?»
glieder kent und vergleichend im äuge l)ehält, das hat er sich, wie wir unten nocrli
deutlicher sehen werden, nicht genügend klar gemacht — S. 174. Des igels boshcit i^t
nicht sowol aus dem physiologus, als vielmehr aus der sprichwörtlich gewordenen (vgrl-
zu Fee. Ratis I, 1502 und Gloss. Jun. 400) stelle Gregors Mor. XXXIII, 29 zu erkläre^«»-
Zu II, 3, der Symbolik des physiologus in der christlichen kunst, wird jedc^r
leser sich leicht ergünzungen machen können, z. b A. de Rochambeau, Priourc cl<^
C'ourtoze et ses j)eintures murali»s du XIP sicclo, Paris 1874, Hammann, Briqti<?«
Suissos omees de bas-reliefs du XIIP siede, Genf 1869, Aus*m Weerth, Kuns*^-
denkmäler des christlichen niittolalters aus den Rheinlanden, meine nachweise ä'*
Ecbasis s. 57 nro 4. Die dürfligkoit seiner mitteilungen in diesem abschnitt entschi J-
digt der Verfasser s. VI damit, dass kuustgoschichte nicht seine sache sei. Das sie^>*
man allerdings, und niemand wird von ihm eine geschichte der tierbildnerei im mi*'
tolaltor verlangen. Was man aber von ihm verlangen miLss, ist die fordcrung, dus^
wenn er einmal eine geschichte des physiologus schreiben will, sich ebenso wie ^^
in theologischen fragen die übemus wertvollen informationen des herrn professor Fri*^
drich eingehet hat, sich auch auf dem archäologischen gebiete einen sachkundig^?"
ratgeber sucht und nach dessen Weisungen die kunst^eschichtliche litteratur für s^^'
neu besonderen zweck gründlich ausbeutet. In dem augenblick wo wir uns eine wis-
senschaftliche aufgäbe wählen, sind wir frei; haben wir sie aber gewählt, so siD^
wir ihr sklave geworden.
So viel zu den kapiteln , die das buch enthält Al>er wir vermissen doch ai»<^"
andererseits manches kapitel. So z. b. eine klarlegung der wege, auf denen die ti*-*''
geschichtlichen züge des physiologiLS aus den engeren kreisen der geistlichen %Jt.^
gelehrten in die weiteren schichten der gebildeten und in das volk ül)erhaupt Cf^'
ÜBER LAÜCHKRT, FH7SI0L0OU8 241
gedrangen sind. Hier war auf spiellcute und dichter, stein motze und holzschnitzer,
auf dio predigt und namentlich auf den Schulunterricht hinzuweisen. Specht, geschichte
des iinterrichtHwesens in Deutschland s. 148 fg., sezt auseinander, dass in der geo-
metrie -Station des quadriviums vorzugsweise goographie vorgetragen sei, und manche
anzeichen wiesen darauf hin, dass sich damit ein naturgoschichtlicher Unterricht auf
gmnd von Isidor, Hraban und dem physiologus verbunden habe. Man darf hinzu-
Higeii, dass zumal seit der abfassung von Thcobalds physiologus und je mehr dieses
büchlein sich verbreitete, der physiologische Unterricht in die trivialstufe hinabstieg
und dass man dasselbe schon in den untersten klassen neben Cato, Avian u. a. um
so lieber las, als man daran bequem die einführung in die metrik anschliessen
konte. Sowol Eberhard von Bethune (Ijaborintus III, 87 fg.) wie Hugo von Trimberg
(Registrum 688, 746 — 749) bezeugen den physiologus als Schulbuch, und lezterer
nont ausdrücklich Theobalds dichtung unter jenen elementarbüchera , qui in sUulio
eurrf^fU puerorum (690); in dem Wessobrunnor katalog vom jähre 1227 (Sorap. II,
258) \rird der physiologus unter den libri scolaMici aufgeführt, und in dem von abt
Frowin (1131 — 78) abgefassten Verzeichnis der Engolberger büchersamlung erscheint
als selbständige gruppe eine mit dem physiologus beginnende Schriftenreihe (Liber
^ ncUura bestmrum — Äuianus (bis) — Auianus nomis — Fabule poetarum —
A^oww« Cato — Expositw fahularum — Cato)j die, wie E.G.Vogel (Serap. X, 121)
nchtig mutmasst, eine besondere, von den übrigen handschriften des stiftes abge-
^^oigte Schulbibliothek bildeten. Wer überhaupt einige bekantschaft mit den hand-
schriftenkatalogen besizt, der weiss, wie ungemein oft sich misccllaneonbändo finden,
^ denen Cato, Theodul und der physiologus vereinigt sind, dermassen, dass man,
wenn das Verzeichnis der einzelnen Schriften des sammelbandes mit Cato begint, mit
^^'^ger Sicherheit annehmen darf, nun werde auch der physiologus folgen. Diese
t'^'iÄgogische Seite des physiologus verdiente es wol in einem besonderen abschnitte
»^leuchtet «u werden.
Ebenso muste auch die einwirkung des physiologus auf die fabelbücher des
"Mittelalters, namentlich auf die Phaedrus - Romulusfamilie , zu der auch Johannes de
öchopeya gehört, sowie auf Cyrillus von Guidono \ind ganz besonders auf die sich
'^^ Reinhart und Isengrim gruppierenden tierschwänke dargetan werden , die der ver-
7®^<if 8. 201, 205 mit einer gelcgentlichon notiz abfertigt. Denn gerade hier zeigt
s*cli (Ue schöpferische Verwertung der vom physiologus empfangenen anregungon
**^^h die mittelalterliche poesie. Wie merkwürdige fortbildungen der physiologus -
^^"^^^hichten bietet Cyrillus! Wie meisterhaft gestaltet Nivai-d von Gent das motiv
^'^^ Scheintod des fuchses in seinem ersten schwanke! Wie deutlich spiegelt die
^^^>asi8 in ihrer darstellung von igel und fulica und vollends von parder (panther)
^^ einhom den einfluss des physiologus auf die fabulation des frühen mittelaltcrs
^^Oi*! Aber freilich, von allen diesen dichtungen hat der Verfasser keine kentnis,
T^^dem er (s. VI) germanist ist und trotzdem gerade die germanistische litteratur
^^ lezten Jahrzehnte aus diesem kreise so manche publikation, so manche unter-
^ ^Hting zu tage gefördert hat, aus der er sowol überhaupt wie für diesen bcson-
^ ^^O zweck etwas hätte lernen können. Wenn die fortgesezte bildung neuer special-
-T^^^or dem Verfasser einer geschichte dos physiologus das recht gibt, die ganze
|. ^^1- und tierschwank -bewegung der lezten zwanzig jähre zu ignorieren, dann frei-
^^ liört aller Zusammenhang der Wissenschaft auf.
Wir brechen hier unsere besproohung des buches ab und verzichten auf eine
'^^ Prüfung der toxtbeilagen. In summa: Wir wollen genügsamen seelen den genuss
^lOtSCmnFT F. DRUTSCHE nilLOLOOIK. BD. XXII. 16
242 KINZRL
des Werkes uicht verküniniem. Es reicht im algcmoinen zur orientiening für d
weit(ti«n kreis der litteraturfreunde lün, deiin es gibt noch gar viele, die vom p]
siologuH kaum mehr als eine leere gedächtnisnotiz im köpfe haben; für diese ist <
werk volständig au8rei(?hend , und wir wären die lezten, die darüber murren würd
weim dantli dasselbe ein wichtiges glied des mittelalterlichen geisteslebens algcmei
l>ekaiit und gewürdigt würde. In diesem sinne wünschen wir ihm alles glück. iW.
nel)en di(>ser aussengemeinde gibt es noch eine kleine, anspruchsvollere innengemeiv
und in deren geiste glauben wir das urteil fallen zu müssen: das buch hat eix
intt^ressanto und lehrreiche kapitel; im algemeinen indessen fehlt es dem verfa^
zu einer befriedigenden lösung seiner aufgäbe ton dem ernste eindringender forscl:^!
wie an umfassender gelehrsamkeit Eine wirkliche geschichte des physiologus j
noch geschrieben werden.
Die ausstattung ist gut; druckfehler begegnen nur ganz vereinzelt: lies ä. :
z. 27 rhetorisch y s. 83, z. 28 martmis; die citatt» hätten sich durch kursivdruck V4
texte abheben sollen.
BEKUN, DKJv 10. MÄRZ 1889. ERNST VOIGT.
König Tirol, Winsbeke und Winsbekin herausgegeben von Albert Lelta
mann. [A. u. d. t Altd. textbibliothek herausg. von U. Paul nr. 9.] Hall
Niemeyer 1888. CO s. 8. 0,80 m.
Der hauptwert des büchleins l)esteht in der neuen textrovision des Winsl»eke
imd der Winsbekin, welchen gedichten I^'itzmann eingehende Untersuchungen i
Paul -Braune Beitr. 13, 248 — 277 gewidmet hat. Er gibt dort zuerst eine coUatic
und Untersuchung der Kolmarcr handschrift (k), welche Haupt nicht benuzt ha
Ix'handelt die frage nach dem dichter, dem Verhältnis der handschriften, über di
sich Haupt nur ganz kurz ausgesprochen hatte, der echtheit der Strophen in beide
gedichten und endlich die bezieh ung zum Wigalois, wel(!he er in abrede stelt D
resultate sind in der einleitung zur ausgäbe mitgeteilt Das verfahren, welches d*
verfa.sser hier wie dort in der äusseren einrichtung eingeschlagen, können vdr uicl
billigen. Der text erscheint ohne kritische amuerkungen; es mag das in der einricl
tung der samlung liegen, ist aber immer aufs neue zu bedauern. Denn das variai
ten- Verzeichnis in der einleitung s. 13 — IG bietet dafür keinen ersatz. Ich wüste *
uicht anders zu benutzen, als dass ich es mir in den text übertrüge, halte ab
schon seine anläge für falsch. Ebenso nämlich wie Leitzmann in seiner abhandlui
die Varianten der Kolmarer handschrift zu Haupts texte gab, statt zur handschrift
(Berliner XilH>lungenhandschrifl, gedruckt in v. d. Hagens Germania. Abdruck vi
licitzmann als genau Ix'funden), so teilte er auch in der einleitung die abweichungi
von Haupts texte mit mid Haupts Icsarten hinter dem glcichheitszeichen. Er beleh
uns nicht einmal über die Zuverlässigkeit dieser Icsarten oder darüber, ob Haup
angaben ausivichend sind, kurz er fordert uns nach dieser richtung in keiner weis
AVir müssen fortan Haupts ausgäbe neben seiner benutzen und uns die Varianten d
handschrift k Wi Haupt eintragi^n. Wem ist damit gedient'? Gelehrten und stadi
riMiden wenig, bleibim die „weiteren kreise*, denen nach dem Vorwort der verfas»
«durch diese neuausgabe eins der vorzüglicheren godichtc des mittelaitcrs sugan^(
zu macheu** hoft
flsm TinoL iiin> wimBna bd. ixmaum
243
Dio resultato der cinloitung sind kurz folgende. Wüliroud llauiit B (Woin-
i;artuor lic<derhaiidHdirilt) zu grundu legte, weil die uidern ,itu ganzen die über-
lieroruDg, der Juno folgt, willfürlioh verändern (Haupt b. TII), gründet Lcitzmann
sfiiueij text auf J, welche bacdstihrift mit B und C (Paiisur ha.) dersellwn älteren
grup|ir' angehörend den verhiUttiüniüitsig reinsten vmd beuten toxt bietot Die stri>|>lieu-
UbJuug int glücklicher WHise tUeBslbe geblieben wie bei Hanpt, da er hierbei echthtnt
BHd unechthoit der stnipbon nicht berücksiehtigt. Im Wiuabuken woiileu drei ver-
hsner anguniimmen: atr. 1— 5ti (wie Haupt), 57—64, C5— 80. Der erste teil wird
d^ot ritter vun Winsbaoh zugeHchricbon, der urkundliche naehweis seines geaahlechts
Hin niniga aagnhon vermehrt, dagogon dor von Haopt vermutete Hermanuus de Wiu-
(ksbjuilt (oanonicus und spUter archidiaconuN 1228 — 12üij) als Verfasser abgewiesen.
Ilio (gründe hierrür sind zwar besteclieiid , aber docli uieht nureichond. Denn für dio
igewohnlicbe datierung des gediehts, nach der es, gewiss mit recht, uugefiihr in die
nrato haifte des iweiten deuonniums des 13, jahihmiderta geaezt wird", bringt der
TPrfasser nichts liei.
Noch unangenekiner moebt sich Uns verfahren Leitzinanns in der auf wünsch
raius dorn bücblein lieigofügteii ausgäbe der didaktischen teile des König Tirol tülil-
^- Kr gibt an, doas er l«i herstellung des textes ans der einzigen (Pariser liedcr')
hwitlfjv-hrift möglichst konservativ verfahren sei und es vorgezogen habe, an manchen
stuUfn kicinoro anstüsso stehen zu lassen statt wonig plausible konjoktnren anfEuneh-
meo, Wenn er doch diese stellen wenigstens bezeichnet oder die losarten in dor
Miioitung volständig gegeben hätte! Aber es ist kein grundsatB bu erkennen, nacli
■®'*'lip[n er verfahren. Wir sind der ansieht, dass in liineni so kleinen werke, das
"1'^ auf vier blAtter dnicbon kann, entweder alle oder keine Varianten zu geben
""**- Und wazu dos gedieht tu hochdeutscho formen umschreiben, wenn dio mitlol-
''^tscbc herfcunft durch die Überlieferung genügend bezeugt ist? Sieht denn ewt-
^'*^},l : haelil cfwa besser aus als impferlU : hwhl? Ich meine, darüber sollen wir
-** naehgnido hinaus sein. Also einige beisptele für die unsicberiieit des verfah-
™J*^ : «^8« UHrdf-fUrhe für als icirdektkh 5, 6 ist verzeichnet; hottbel für ßioubt 5, 7,
'•**« für leigen 6, 4 fehlt. Ebooso fehlt im Verzeichnis u. a. 13, 4 rainach tagt.
''■• f) «riM. 13, 6 die. 13, 7 dia. 13, 3 ist das in der handschrift fehlende aihif-
'^**t als solches bezeichnet, usw. usw. Kurz, wer wissen will, wie das gedieht
'^'^^ «-liefert ist, der rnoBs doch widor Müllenholts apracbprobun aufschlagen. Warum
^■»t denn im toxt 20, 2 xirS und aibcntie sprach die werlt hat, iu der band-
"^'^^ilt rfi'ii; 35, 3 die hahent sieh gegen dir geslerkt für gen; 36, 0 06 (Ais niht
■"•«JWrrt/Ml föv Am!*
Über die sti'ophe verweist uns der Verfasser alzu kurz aaf Scherer D. stud.
'• OO anm., wo nicht viel iiesondroa zu holen ist. Ist wirtlich die waiao iu dem
'^^«Igedicltt einige male weiblich, wBhrend die meisten stumpf ausgehen, auch dio
*•*»!« 5, 0, wo Leitzmaun itirdccliöhf. fiir dos bandsehriftüclie wirdeclich und 20, 0
*'■* IT herre für her achriebV Von 34 atrophen haben 20 männliche woise, jodo mit
' «»•■biingoü, bleiben nur
I, 6 dax man si in den landen
18 rofi siferlen iii/er die sehille
31 daxs ungclmiben druhten
24 »lö krdne gein in neiget.
Im lehrgcdicht ist die sacho giuiz anders. Auch alle übrigen verse haben
«tluii
»l'fen
and doch hat dor verlasser in str. ]
, 5. 7 mrungen : druugen für
244 BUCHIRR
klungen : swungen der handschrift in den reim gesezt Über all diese fragen ist
kein woi-t verloren. Sie sind dem leser zu beantworten überlassen.
Zum König Tirol bemerken wir ausserdem noch folgendes:
29, 6 fehlt xe, tumieren dax ist ritterlich:
80 hcprt xuo xe strtte dringen,
ich verstehe: waffenübung ist einem rittcr nötig, aber er muss sie auch im cmstfall
bewähren.
36, 7 lies: dax dich heider schade gexemej für: dax sich heider schade ge-
xeme. licitzmann fügt nach sich ein ir. Der sinn ist: tragen deine leute einande:
hass und sind sie nicht zu vei-söhnen, so stehe dem bei, der im recht ist, sons
wenn du die sache nicht einrichtest, wider in Ordnung biingst, glauben sie, dass di
beider schade recht sei.
38, 5 hat die handschiift:
swanne dir der gemde ktiml)er klagei,
wirt im dm helfe danne versaget j
5 ein trahtu von stnem herx4^i gät,
du klebt an der stinie dtn,
swenne got an stme gerihte stut,
liCitzmann liest trahen und stelt ohne not vers 6 um: der klebet an dtner sti\
Gemeint ist vermutlich ein trahty seufzer, der vom herzen geht; denn tränen geh
von den äugen. In vers 6 ist nach diu vermutlich schult au.sgefallen; vgl. 40,
stn schulde an diner stime klebet,
41, 2. 3 handschrift lugcy lies lüge, Leitzmann liegen,
9, 5 jappestlft, das aus 43, 4 entlehnt ist:
diu strafe ist vipemutem giß
und snidet als dax jappestift.
setzen das Mhd. wb. und Lexer als „fussangel*' (?) an. Den grund hierfür sehe ■
nicht. Stift heisst dorn, wozu 9, 5 pr tritet in jaj)pestift gut passt. jappe w&
ich allerdings nicht zu erklären. Steckt ein pflauzennamo darin?
FRIEDKNAU, DECBR. 1888. KARL KTNZFX.
Gaston Paris, La litterature fran^aise au moyon age. Paiis, librairieHach^^'*'*^
et c'«, 1888. VII, 292 s. kl. 8. 2,50 fr.
Von allen, die sich mit dem mittelaltcr beschäftigen, ist das fehlen einer üb»^-^*"*
sichtlichen darstellung der altfranzösischeu litteratur seit lange schmerzlich empfi-*-**"
den worden, und so wird das vorliegende werk alseitig mit freuden begrüsst werd^^**^
dessen Verfasser durch abhandlungen von tief einschneidender bedeutung seine g»
petenz auf diesem gebiete widerholt daigelegt hat und nüt rocht für einen der ers
kenncr desselben gilt.
Zwar ist dieses werk nicht eigentlich eine litteraturgeschichte, die auf chro
logischer grundlage das almähliche heranwachsen und grosswerden der litteratur ^
den vorachiedeneu landschaften zeigt. Eine solche wird erst möglich sein, w^^^,
die wichtigsten texte in kiitischen ausgaben vorliegen, wovon wir zur zeit noch W^^^
entfernt sind, und wenn der boden weiterhin durch spezialimtersuchungen für c^^
weg des litterarhistonkers urbar gemacht worden ist. Einstweilen liess sich nur - **
ÜBER O. PARIS, LITT. FRAN^. Aü MOTEN ACE 245
Skizze geben, die alles wichtige kurz verzeichnet und ihm seinen platz anweist, aber
nur solche werke eingehender behandelt, die für die weitere ontwioklung der abend-
lüDdischen litteratoren bestimmend gewesen sind.
Nur wer die mittelalterlichen litteraturen so beherscht wie Gaston Paris, war
im Stande auf so kleinem räum in gedrängtester dai-stellung so reiche belehmng zu
geben. Ist das buch auch mehr für das grosse publikum der lernenden als für den
kleinen kreis der fachgelohrten bestirnt, so werden doch auch die lezteren an keinem
abschnitt vorübergehen, ohne über neue tatsachen aufklänmg zu erhalten oder neue
ausblicke zu gewinnen, wobei auch die, welche der ütt«ratur im engern sinne ferner
stehen, wie der historiker, der Jurist, der theologe, nicht leer ausgehen. Insbeson-
dere wird der germanist, der so viele spuren des deutscheu altertums in das fran-
zösische hinein verfolgen muss, das bucli als ein wichtiges handbuch bei seinen Stu-
dien stets gegenwärtig haben müssen.
Von grossem nutzen sind die am schluss gegebenen litteratumachweise, die
nach einem eigentümlichen prinzipe ausgewählt siod. In der regel wii"d nur das werk
zitiert, in welchem über die betreffende frage zulezt gehandelt wurde, und welches
^"^t-weder die einschlägige litteratur verzeichnet, oder doch weitere nachweise gibt,
^^elche zur Orientierung über diese führen.
Abweichende ansichten über einzelne punkte auseinander zu setzen ist hier
'*icht der ort. Nur eine frage von algemeiuer bedeutung möchte ich hier aufwerfen,
öicht tun dem Verfasser einen Vorwurf zu machon, sondern um sie für die zukunft
seiner erwägung zu empfehlen. Die französischen gelehrten haben sich daran gewöhnt
d-as provenzalische als ein von dem französischen ganz unabhängiges, selbständiges
gt^biet zu betrachten. Gehört nicht das provenzalische ebenso zu dem nordfranzö-
^^^s<5hen wie das niederdeutsche zum hochdeutschen, wie das galloitalische zum ita-
liänisehen? Wir alle wissen Gasi)ary dafür dank, dass er in seinem klassischen
^'^^'ke die galloitalische ütteratur des 13. Jahrhunderts mitbehandelt hat, und so solte
*ucli die provenzalische litteratur nur als ein dialektisch abweichender zweig der alt-
'^^nzösischen aufgefasst weixlen.
Doch es wäre undankbar, von dem Verfasser etwas anderes zu verlangen als
^^ hat geben wollen, und so sei das schöne werk, dessen reicher gehalt zu dem
^®*"*Dgen umfang in keinem Verhältnis steht, allen forschem auf dem gebiete des
''^^^elalters aufs wärmste empfohlen.
UALLK. UERMANN SUCHIER.
^^'igrwigr €U)lther, Die sage von Tristan und Isolde. Studie über ihre
Entstehung und entwicklung im mittelalter. München; Kaiser. 1887.
"^in, 124 8. 8. 3,20 m.
Man unterscheidet seit langem zwei hauptversionen der Tristansage, die des
J^^l und die des Thomas. Die frage nach der Thomasversion ist durch die arbei-
^ ^elbings, Vetters und Röttigers in allen hauptpunkten als erledigt zu betrachten.
® Äerolversion hat der veif asser in diesem büchlein einer eingehenden wüixligung
^/^^'iogen und zu diesem behufe das bisher ungeordnet daliegende material zu sich-
^ unternommen. Dabei muste natürlich die frage nach der entstehung der sage
.^*t:ermig finden. Verfasser handelt in drei abschnitten über den stoff und den
^^•^•t der Tristansago, über die spielmannsversion und über die höfische version,
24() KERGKHOFF, ÜBER GOLTHER, TRISTAN U. ISOLDE
das Tbomasgodiclit. An verscbiodonen orten waren schon über den stoff der sago,
violf> troff(»ndo bemorkungen gemacht und viele episoden als dem mittelalteriiclieii
noYollon- und märcht»nschatz entnommen nachgewiesen worden. All das stelt nun
der Verfasser im ereten teil geordnet zusammen. Aus seinen ausfühnmgeD ergibt
sich, dass sich weder aus den keltischen namen der sage, noch aus den wecügen
halbgeschichtlichen angaben, noch aus der kymrischen oder bretonischen sagen iilnsr-
lioferung eine keltische Tristansago als urform orschliessen lässt. Vielmehr Lassen
sich fa^t all(» episoden — und die Tristansago sezt sich aus lauter lose verbundenen
episixlen zusanmien — als solche nachweisen, die dem mittelalterlichen, seinem
ui'sprunge nach in den Orient zurii<'kreichenden novellen- und märchenschatz ent-
nommen sind.
Der zweite teil der arl>eit, der kern derselten, bescbäftigt sich mit der Berol-
vorsioii. Verfasser weist nach, dass die sogeuanten Berolfragmente Überreste von
Spielmannsdichtungen, nicht aber U>ile eines grösseren godichtes seien, dass man sJso
nicht von einer vei-sion des dichters Borol, sondern nur von einer spielmannsversion
nnien dürfe.
Der lezte al>schnitt führt im anschluss an Kölbing aus, dass in den fran^ö-
siscbeu fragmenten des Tliomasgedichtes , in der englischen und nordischen fassiiDg
und Un Gottfriinl von Strassburg verschiedeno redaktionen einer und derselben böfi-
schen Version vorliegen. Anhangsweise folgt noch ein überblick über die nordiscl^^"
bi»arln.'itungiMi der Tristansage in Norwegen, Island, Dünemark und auf den FaenK-^T*-
Man winl dem verfa.sMM' für seine interessanten Zusammenstellungen nur d»«^*^'
Imr sein können. Störend wirkt in dem vortragi* die vielfache widerfaoluug desjjen-^*'*
gi^lankens, eine gi»wisse bnnto des ausdrucks (Ursprung und entstehung der s^^
s. IV. älte>te urform s. V2)^ die häufige anwendung völlig entbehrlicher frcmdwör^^*^
iwie tangieivn. transferien'u), die ungleirhmässige handhabung der Orthographie (cV'"'
risrh s. 7, kymrisch s. VI; cyclen s. 33, cyklisch s. 3(> u. a.) und endlich die si*^*^'
giniaut» büchorcitato in den zu.sammenhaug einzufügen, statt sie in die anmerkuog ^^
vorweisen.
muiUN. oKTintKij 1^*^. r. kerckhoff.
Otto Lflnlncr« Die natur, ihre auffassung und poetische Verwendung *
der altuermanisohen und mittelhov-hdeutschen epik bis zum a '^^
Nchluss der Mütesoit, Zürich, Frio^lrich Schulthv>ss, ISSO. III u. 313 s. ^'
•l nu
Wer die n*>to der aligi^rmanisohen jHVsio aufmei^sam lie5>t, mit sinn für d^^^
lolvn und mit gt'fuhl f\ir die Schönheit, winl sich dunih den frischen hauch an^^^'
mutet ftihleu, der jileich dem o^nioh neu i^*bnx*henen KMens aus den worten u'^
>ers*M\ ;ustn>!nt, r»Ai\£ lv>onders xeiohnen sich die ang^^lsachsisohen dichtung*^
dAviurv^b AUS. Danllvir psienke iv^h n\\h mimer di^ erstt»n lesens von J. Grimi^-^^
einbntun»; su AuNlnsis und Kiene, und der fn^ude, die ich an den dichtangcn d*^
Rveterbuvhes hatu^ aK i^ b sie ruerst sTudx^rte. Spricht >:rh auch darin eine reicK^"
KyabuMj: der emr einen duhter au>, so rei^: d^vh sohlen die formelhaftigkeit ^'^^
KUer und »enduujivn. und der M*bmwv Von vier. K'iwv^rter, di-.^<*r uieders^^hläge poo^-^'
s^^ht^i Si'hatTon>, dANS eu\e \sH^!isv'he njvhe AuiiistATtuRi: des iranzen Tolkes daduT«^
K^seuj:? >xsrvi. Die lv>\'bArti>iunj; nut der jwtiM,"'hen s|»nK*he ucsers alteitnms,
JA, \>)e die heldensA^x', m xleu c(uscheu duhiuni^^n i^'c^ dmxehnten jihri»uidciti> naf^-
K. WEINHOLD, ÜBER LÜNINO, DIB NATUR USW. 247
l[IiDgt, gewährt den grösten lohn schon dadurch, dass man die einsieht in die weise
geii^ixit, wie die Wahrnehmungen und erfahrungon durch die reihen der Jahrhunderte
von der germanischeu Volksseele verarbeitet worden sind.
Im vorliegenden buche hat sich herr 0. Lüning die aufgäbe gestelt, auf dem
angedeuteten wege „die auffassuog und vei'wendung^ der natur in der epik bis 1230
eti^'a. darzulegen. Der „ iudex '^ (!) zerlegt den stoff in drei sehr ungleiche teile:
I. Ü liersichtsbild der gesamten natur in germanischer poesie. A. Die unorganische
natur: 1. licht. 2. die elemeute. B. Die organische natur: 1. pflaozenreich. 2. tier-
leicb. C. Verbindung der organischen und unorganischen natur: die landschaft, das
lokal (!). — II. Ästhetische betrachtung. A. Das verhalten des menschen zur natur,
ihre einwirkung auf sein gemüt. B. Die einwirkung des menschen auf die natur. —
QI. Besondere eigenschafton der germanischen naturanschauung.
Diese eiuteilung ist gemacht, nachdem das buch fertig war. Sie ist schwerfäl-
lig gleich dem ganzen titol des buches und in manchen punkten unverständlich (so
bei II. B. und bei IH. im ganzen). Aber man muss nicht nach ihr das buch selbst
beurteilen. Abgesehen von den erforderlichen sprachkentnissen hat der Verfasser
poetischen sinn imd gefüge empfindbarkeit genug, um den alten dichtungen nachzu-
fühlea und sich in ihren lebenskreis zu versetzen. Er versteht die Stimmungen, er
begreift die daraus entspringenden gedankcn, und legt an der grossen samlung dich-
terischer stellen der Skandinavier, Angelsachsen, Nieder- und Hochdeutschen dar,
was die Germanen in der natur sahen und was aus der natur in sie hineinwirkte,
ßei manchen Verschiedenheiten im einzelnen erhelt doch der einheitliche grundzug
<J®r germanischen Völker auch in dieser hinsieht Sie schauten aus dem inuem her-
aus auf das äussere und beseelten selbst das unbelebte ding, so wie die natur im
g^^ssen, nach dem bilde und wesen des einzelnen menschen.
Indem der herr Verfasser den angelsächsischen und nordischen stellen Über-
setzungen beigegel)en hat, wird auch ein weiterer leserkrcis aus dem buche genuss
^nd belehrung schöpfen können.
BRKSLAU. K. WEIMHOLD.
^Uihold Beeker, Wahrheit und dichtung in Ulrich von Lichtensteins
^rauendienst Halle, Max Niemeyer. 1888. 110 s. 8. 2 m.
Herr R. Becker, der Verfasser des buches „Der altheimische minnesang",
^®gt Unter obigem titel eine arbeit über Ulrichs von Lichtonstein frauendienst vor.
^^ g^ht von dem satze aus, die kultur unsers mittelalters sei keine internationale
^®^ genauer keino romauisierende gewesen. Man könne wol von einer romanisieren-
^®^ ü.bennalung des ritterlichen lebens durch die dichter sprechen, in Wahrheit aber
^* ^ eigentümlich deutsch gewesen. Die tumiere waren durchaus nicht nachbildun-
S^ der französischen. Das minnelied war kein absenker des provenzalischen. Der
"^^©udienst sei durchaus nicht nach den höfischen e^ien und den lebensbeschreibun-
8^ der troubadours zu denken, sondern war eine mit sinlichkeit gepaarte tiefgefühlte
^•^JJöderung des geistigen adels der gebildeten frau (s. 7 zu lesen). Auf verheiratete
^^^"1, wie behauptet werde, sei der dienst durchaus nicht beschi'änkt gewesen, am
^eniga^n worden frauen den mädchen vorgezogen. — Nach dieser einleitung geht
^®^ herr Verfasser an die prüfung des gedichts Ulrichs, weil dasselbe der einzige
**^**ieiitische bericht vom deutschen minneleben jener zeit ist, und meint durch die
^^^lumenhangonde kritik desselben jene ansichten stützen zu können. In sechs
248 WEINHOLD, ÜBiSR BEOKEH, ULRICH Y. UCHTEN8TKIN
abschDittcQ untersucht herr Becker nun den Inhalt des godichts auf Wahrheit anc?
dichtung und scbliesst mit einem kapitel ^Rückblick uod folgerangen. '^ Er nent di.^«c^
erzählung Ulrichs im grossen und ganzen ein märchen, ^das nur wegen der ermiis. —
denden brcntc und oft spürbaren nachlässigkeit der darstellung*^ noch von keine 'xnr^
vor ihm nacligoprüft und deshalb so hingo für glaubwürdig gehalten worden sei. '^*' ^
ein auss])ruch, für den sich einige herron bedanken mögen. Er solbat lässt Bi^^rl:»
recht breit und ermüdend und mit wunderlich(^n l)emerkungett, woloho die von k*_«i.—
nem menschen geläugneto Verschiedenheit der menschen im raittolalter lK.»trc?«ffVE?»ia
(s. 104 fgg.) darüber aus, dass herr von lichtenstein, ein grand seigneur, die geg(^^:m-
wart hochgemut geniessen und sich und andre l)elustigen und zerstreuen wolto, inde^ m.^^
er von dem ritterlieheu leben, wie er es kante (also doch kein märchen?) ein rofiis^.K2-
tisch und humoristiscli gesteigertes bild entwarf. Ich kann nicht sagen, dass h^zr^wT
Becker mi<^h durch die form seines voiirags hochgemut gestirnt und durch den iah «saJ-t
irgend b<;lehrt hätte. Das wahre in seinen aiisichten bezweifelt kein ver8tändi@^<j?r
mensch, und ich fürclite, dass auch seine verheissene schrift über den frauendieim £»t:,
mit dem er sich von den deuts<?hen Studien verabschieden will, etwas bringen wcncJi.*:'-
das neu und richtig zugleich sei. Über Ulrichs von lichtenstein frauendienst fc» «>*
hen' Schönbach laugst gesagt, was nach den hnuptpunkten sich sagen lösst, im-X3^
wolweislich darauf verzichtet, in einer dichterisi.'hen lel>ensschilderung des 13.
hundeiis Wahrheit und dichtung im einzelnen scheiden zu wollen.
URESLAU. K. WKINHOU).
Borries, Emil you, Das erste stadium des /-umlauts im germanisch^ ""
Strassburger dissertation. Strassburg, Heitz 1887. 82 s. 8. 1,50 m.
Nach einer langatmigen einleitung (s. 3 — 14) üIhm* ^die n%;uen theorieen iil^
den idg. voealismus, speziell soweit sie germanisches e bctrefFen**, behandelt der v*^'
fasser 1. ^Weitor<mt\vickelung v<»n germanischem e zu * nach Ijeffler; prüfung ci
von ihm gewoimenen ergtilmissc** (s. 15 — 72), 11. «Erklärung des Vorgangs** (s. 73
77), 111. ^Zeitbestimmung'' (s. 78 — 81). Der Schwerpunkt der arl»eit liegt in de
ei*sten abs(.'hnitt. Ks wäre in der tat ganz nützlich einmal in zusammenfassend
weise den tat}»estand darzulegen, der für die entseheidung der frage in betrac
komt, unter welchen bodingungen im urgerm. ein e, unter welchen ein i gesproch^*^
wunle, und vor allem wäre es nützlich die Chronologie des lautwandcls e r> i fii
die einzelnen hierbei in frage stehenden punkte zu bestimmen. Natürlich müsto auc
die geschichto des idg. / mit behandelt und eine erkliüung des noch unerklärtem^
wechseis von e luid /, besonders im ahd., vei"sucht weixlen. Auch die beantwortuii^
der fnige, unter welchen bedingungen im urgerm. ein it, unter welchen ein o gi*spiv
eben wunb^, wäre bi'i einer derartigen untei'suchung nicht zu umgehen. Man niüst^
auf zwei viM-schiedenen wegiai vorgehen: einmal wären die einzelnen genn. spracheO
auf das material hin zu untersuchen, welches sie bieten, zum andern die ältostcii
eigennamen. Die arln^it von v. Borries erfült in keiner weise die anfordcrungen.
welche man bere<htigterwcise an dieselbe stellen muss. v. Borries hat sich darauf
beschränkt zu untersuchen, «ob und wie weit der vokalismus des althochdeut^cheti
die theorie, die liCif 1er hauptsächlich für das gebiet des altnordischen erwiesen hat, stüzt
oder nicht", und wi(j er .statt aller genn. sj>rachen nur das ahd. herbeigez(>geu hat,
so hat er statt aller für den lautwandel c 7> t in betracht kommend(*n iälle nur doii
fall untei'sucht, dass in der folgenden silbe ein als vokal oder als konsonant fuugic
SB, ÜBE« Toit BOimm, I-VMLAVJ
i nndes i' stand. Die abbandlong ^
kleiner loil desseQ, was ibr titel
. BorriBS ist nlm ilitcm iiibalt i
;ht,
verspntl
Aber Buch dieser klsiue teil ist angeriügeod. v. Borries tpilt seinen stoS
ein nai'h solchen nillen, in denen e vor i oder j der folgenden gilbe zu » gewan-
delt ist, und imch solthou, in donon e gobliolrau ist. Ohne auf oinKelbeiton wei-
ter einzugehen, verzeiühne ich das urgebnia, An dtMn wol niemand bis her gunwei-
Tult hnt, dasK 1 ein(;etreton int ,vor den ondungou -is, -ist nnd -il der 2. 3. sg.
priU. ind. ablaiitendef verba 1. und 2. klasse", in den , nominal bildungon der sub-
"üuitiva der /- deklinatiou ". in den hauptwortern „mit di'U Suffixen -ja, -it. 'ing.
-nla"^, in den fligensoliaftawortem nut den Suffixen -ja, -ig, -in, -int, -il, in den
witw-ortern uuf -jan und, fügen wir den von v, Borries nur als wahrscheioUoh hin-
gCätolten fall hinzu, in den steigerungsfonnen der eigeusohaRBWÜrtor auf ■«'rund -iat.
Der neiiw, woleher auf die «ustübrliche sauilung von beispielen (h. 17 — 51)) verwant
wordea ist, ist aneriicnnenswert. -• Das i von ahd. i»l und mit (s. 69) eridüit sich
wie Ucis von ih und mih aus der uubetoutheit im satxe; das in botontor silbe laut-
ew^tKliehe c zeigt an. ags. merr'.
Sehr gchwnch ist die unlersuchung der fidle, in welohen i^ vor i oder j der
'"'senden silbe geblieben sein solL Es gibt nur einen derartigen fall, für welchen
'"K^i'ni. erhaJtung des e trotz eines scheinbar folgenden i zuzugeben ist, nümlich
v'enQ die DSchste silbe im idg. auf wortstMiesseudos -e auslautete. Hier nehme ich mit
*'ev»srs, Paul u. Braunes Bcitr. V, lÜO fgjj. und 155 und AgB, gramm.', g 131 an, dass
"^ in urgerm, zoit abgefallen iut, ohne seinen dnfluss auf die voraufgebende silbe xn
•URseru, d. h. bevor der lautwandel e >■ * eingetreten war. Beispiele: au. ags. m«
<^ "dg. 'nie-ye, as. ahd. «oh (audemfals wäre 'jailii zu erwarten) <; idg. nu-qe,
■BS. piah (audornfals wäre 'pirh zu erwarten, vgl. ytnb <; idg. mbhi (li^ifi)) <: idg.
'i^t~ijf oder 'töu-nr., der votativ sing, der maskulinen o-atfinime, die 3. sg. perf.,
■"** 2. sing, imperativi der starken Zeitwörter (urgerm. 'her, 'leoi ubw.). Iah hoffe
"■Xir dies [losotz an anderer stelle ausführlicher zu handeln. Diese falle sbd von
'- ftoi-rie» nicht in betraeht gezügen wcjrdnii. Wol aVior behandelt derselbe einen ähnlichen
'*!'. Dämlii-b dio crhaltung des e. neun in der folgenden ailbe ein e steht, für das
^'^^ später t erscheint; z. b. in den obli'tuen knsus der schwachen deklination im
">d. Man kann v. Borries von seinem Standpunkt aus keinen Vorwurf daraus mauhen,
*[*>!*> et auf die erklttrung dieses merkwürdigen e sich nioht oinlfisst, sich vielmehr
I *^4teh dauüt begnügt zu sagen, <lieser fall komme gar nicht in botracht, da hier kein
***■» «' Toriiege; i, nieht e, bewirke den germ. t-umlaut von idg. e zu i. Aber
™*Une sagt mit recht in seineu und Paula Boitr. IV, 556, unursprüngliiihkoit dos
'*** gebe ooeh keine anareichende crklOrung für den mangel des umlauts. Dazu
''^Rit, dass wir ja umgelauteto formen wie nhd. ktni» haben. Durch einwirknug von
^""ö, penm wird mwi das c von prren, perin nii^ht erklären wollen. Es bleibt also
y
it n gUublieli, itia An ■ i
... jBcfannieu die furm tk, ik oobdii
l^^y^reo, Uil dum ansdiacli pnllus (Burg, Dia
Twunnm- Aach vflra luich ikhd. oAn
.gti iiom. 'rk i
I i<iJi«iiDil urgerm. i
250 BREMER
dabei: es lagen im ahd. neben einander zwei gleichberechtigte endungen, oberd. -i
und fränk. -cnj von denen nur die ei*stero nmlautwirkende kraft hatte. Ich Im
geneigt anzunehmen, dass hier vielleicht der alte idg. accent noch eine spur sein«
Wirksamkeit hinterlassen hat. dass nämlich idg. e nur in idg. unbetonter silbe 3
germ. i geworden ist, dagegen in idg. betonter silbe germ. als e erhalten blk
gleichviel ob die silbe nach germanischer betonuugsweisc betont oder onbetoi
war. Danach würde ein idg. genitiv auf -cfws * einen ahd. gen. auf -in ergeben , e
idg. genitiv auf -cnos einen ahd. auf -cn. Von diesen beiden ursprünglich neb<
einander liegenden formen, hätte dann je eine im oberdeutschen und im fränkischi
die horechaft erworben. — Unter derselben Überschrift „ Das * der endung ist jung
behandelt v. Bornes mit unrecht beispiole wie uuehsil neben uuehsaly legir neb<
l€{far. Hier ist das i natürlich eben so alt wie das a, weil der alte idg. abla
-el-ol-l-y -er-or-r- vorliegt. Die sufßxo -i7, -ir wirkton an und für sich nmlaut, w
unser wedel <. alid. utiedil (neben uuadal) zeigt. Dass zufällig unter den wenig«
ahd. belegen für altes e in der stamsilbe sich keiner findet, der stamhaftes i aa
wiese, verschlägt nichts; hier liegt analogiebildung nach den formen auf -0/, -arvc
also leyir für lautgesetzliches *ligir nach dem vorbild von hgar.
Der wichtigste abschnitt des buches, weil dieser allein etwas neues bringt, i
das kapitel ül)er „konsonantische hindeniisse des wandeis von e zu t** (s. 66 — 7S
Hier sucht v. Borries nachzuweisen, dass bestimto gruppen von konsonanten, ui
zwar „r- Verbindungen'* und hh — nicht mit Loffler auch / -f- kons. — , den t-un
laut von e zu * gohindeit hätten'. Er operiert widorum ausschliesslich mit ah
material. Da ich den ausführungen von v. Bornes nicht beizutreten vermag, bin it
es der arl)eit schuldig, auf die einzelnen beispiele einzugehen: llrherxi, uuidarperi
und die meisten beispiele Lefflers Ix^weison nach v. Borries selbst nichts. Skenm
(Gl. 1, 57, 84) kann neben dem skirnieo der andern handschriften nichts beweise
Miltherxi und armhcrxkh hal)en wie urhcrxi ihr c von herxa bekommen; das lau
gesetzliche i zeigt urhirxL Erdin, mitercrdisc können mit ihrem e gegenüber irdl
irdisk nur durch anlohnung an erda erklärt worden. FerrUk hat sich an fer ang
lehnt, duucrfig an duuerf, mittifcrhjan an mittiferhen mUtiferhöny blechin i
bleh. Damit sind in der tat alle l)eispiele erschöpft, auf welche v. Borries sein lau
gesctz gründet, dass „die r- und wahrscheinlich die //-Verbindungen'' den wand
von e zu i im ahd. gehindert hätten. Und daiauf hin führt v. Borries dies angeblid
lautgesetz im verein mit der goi brochung ohne weiteres auf ein urgerm. gosetz v(
umlauthinderndtT kraft des r und h zurück!
Völlig ungenügend ist zum schluss die Zeitbestimmung dos lautwandels e >
behandelt, v. Borrics kent kein anderes beweismittel als einerseits die namon SegesU
SfginmndttSy Regiments, andrerseits die tatsache, dass der lautwandel vor das vok
lische auslautsgesetz zu stellen ist; als terminus ad (juem gewint v. Borries so Seh
rors gotische periodo (150 — 450) und er verlegt den lautwandel c >• i in das 2. od-
3. Jahrhundert. Wir haben tatsächlich ein grösseres material. Das erste % in de
1) 'Otos neben -eitos künto als spÄtidg. O urgerm.) angloichong aus uridg. -cnos, -emm {Sa
fioro^j noifttyo^) angesehen werden.
2) Übrigens wäre, die berech tigong des e zugegeben, es noch die frage, ob dieses e niokt «
sokundUr widcnun aus i entstanden wttre. Die sache Ifige dann ebenso wie beim got. ai vor k vmi
von welchem man aucli nicht mit v. Borries, s. 70 ohne weiteres sagen darf, es sei in ihm das tlto ifig.
erhalten; die aliremcine Wahrscheinlichkeit spricht vielmehr dafür, da&s of ent aof goUaaütem koAn f
germ. i (<C idg. c) eingetreten ist.
ÜBER VON DORRIES, /- UMLAUT 251
stamme sigix- beweist, dass e zu / früher in unbetonter silbo gewandelt als in beton-
ter lungelautet worden ist. Dazu stimmen namen wie Seghtnindus. Die ältesten eigen-
namen erhellen aber noch deutlicher die geschichte des e > /: 1) Durch die bank wird
» geschrieben vor gutturalem nasal (von Caesai*s TkiUngi abgesehn) Aeningia Plin.IV, 96
Ir9f^€tCFones oder Ingvaeonc^ Plin.IV, 96. 99, Tac. Germ. 2, Ingmomerus Tac. Ann.
I, CO, Reudigtii Tac. Germ. 40, Marsigni Tac. Germ. 43, ^aßah'yyoi Ptol. II, 11, 11,
^VA^';'«* Ptol. II, 11, 18. 19, MaQovivyoiVtQ\A\, 11, 22. 24, Lacriwr/c« Jul. Cap. 22,
^f€<xQiyyoi, Dio Cass. LXXl, 12, LXXVIII, 27, Uaiiyym Dio Ciiss.LXXI, 12. Der
naine Teiieteri ist keltisch. Die älteste stufe des lautwandels e '> i ist also die von
en^ Z> ing. Dazu stimt der gemoingenn. übei-tritt von zeitwörteni wie pcihan, prei-
hriPi aus der c- in die /-mhe, der den Schwund des ng vor h und den diesem voraus-
gegangenen lautwandcl e^tg >. ing zur Voraussetzung hat; ng vor h ist schon im 1. jahr-
liujidert n. Chr. geschwunden, wie Äctumerus (vgl. ags. Ohthere) zeigt*. — 2) Die
z'wreite stufe war der lautwechsel c > t in unbetonter silbe, der im 1. jahrh. n. Chr. ein-
trat- Beispiele Iure: .ßri<<*/crt sehr oft, Bastcrnae oft, GubemiVYm. IV, 106, Ougemi
Tao. Hist.IV,26. Ann. V, 16. 18, ^li/s/cmFia Plin. 1 V, 97, Cunnencfatiesmn.W, 101
nel>oii Caninefates Vell. Pat. II, 105, Canninefates Tac. Ann. IV, 73. XI, 18.
Hitst. IV, 15. 16. 19, Oandestrius Tac. Ann. II, 88, Segestes Vell. Pat. II, 118,
Tao. Ann. I, 55. 57. 59. 71, -l>;'^'c;ri/? Strabou VII, 291. 292, Vetiedi oder Vcncdae
I*liii. IV, 97, Vcneti Tac. Gorm. 46, Ovtvt^ai Ptol. HI, 5, 19. 20. 21. Die beispiele
fiir »- sind zahlreicher: Scgimerus Tac. Ann. I, 71, Sigimcrus Vell. Pat. II, 118,
^^^^'''^itiiyog Strabon VII, 292, ^ijyifHQog Dio Cass. LVI, 19, Scgimumlii^ Tac. Ann.
I, Ö7, ZiytfAoOvioq StralwnVn, 292; VamliU Plin.IV, 99, Vandilii Tac. Germ. 2,
^"*i>^ihi8 Tac. Ann. U, 63, Vistila Plin. IV, 81. 97. 100; Mnnivii Tac. Germ. 43;
J^^^^ümnes Pomp. Mola Ml, 32, Plin.IV, 99, Tac. Germ. 2, XtuStivoi Ptol. U, 11,
:io, €harini Plin. IV, 99, Ilelinium Plin. IV, 101, Canninefates Tac. Ann. IV, 73.
XI, 18, 2:{ßivoi Strabon VII, 290, 2:h&^vo{ Ptol. H, 11, 14, 2:ovSivoC Ptol. D,
11 , 25, Varini Tac. Germ. 40; Äliso Vell. Pat. II, 120, 'EXiocüj' Dio Cass. LIV, 33,
A//*»j„j, Pomp. Mela IH, 30, Plin. IV, 100, Amisia Tac. Ann. I, 60. 03 11, 8. 23,
'^M^^tog, 'j4fiia(u Ptol.U, 11, 5. 11. Vm, 6, 3, Hclisii Tac. Germ. 43, LlLsiaciso
'J^a^^- Ann. II, 16; NarisH Tac. Gorm. 42, OvuoiajoC Ptol. II, 11, 23, NaQiaicu Dio
v^ass. LXXI, 21, Varistae Jul. Cap. 22; Gambrivli Tac. Germ. 2, nt/naßoi'ovioi
Straljon VII, 291. — 3) Ei*st nachdem c in unbetonter silbe zu l geworden war,
Koute dieses * ein e der voraufgehenden silbe zu i umlauten. Die einzigen sichern
^i»piele für * sind Hülerianes Plin. IV, 96 und Sigimerm VeU. Pat. ü, 118 und
wahrscheinlich Zfßivoi Strabon VII, 290-; VibiUus Tac. Ann. D, 63 und 2:a(yyiu
^^-*- H, 11, 18. 19 mit idg. e oder ^? Vgl. auch in unbetonter silbe Canninefates^
^*uiHi{^ VilnliuSj Ilelinium , Amisia ^ Hclisii, Gafnbrivii. Sonst steht immer c
^'^f »(c) der folgenden silbe: Hcliniiun Plin. IV, 101, Uelisii Tac. Germ. 43, Her-
^l^''^oyies Pomp. Melam, 32, Plin.IV, 99, Tac. Germ. 2, Segestcs Vell. Pat. 11, 118,
^^- Axin.I,55.57.59. 71, .2'f}'*aTi?? Strabon Vn, 291. 292, ^^(//wer?/« Tac. Ann. I, 71,
. 1) Wäre damals noch nasal vokal goüiproi'hon worden, so würdon dio Römor, die in ihrem ni^aa
'^^^««Üvokai durch en widergabon, ^Anctumtnts goschriobon haben.
2) Ich vennate, diass^tßivot und 2^^jnyo}yeg boi Strabon dasselbe volk bezeichnen, indem beide
'^MVmiieii sich yereinigon unter einem stamabstnfendon gorm. *Stmin-, •Ätiin-, daraus sptttor
, amm- > *Sibn-; vgl. Dulgubini Tac. (ierm. ;U neben .1oiXyoifiyi(U l*tol. II, 11, 17. Zi'/it-
"wki DtUgubud eine (germ. oder römische?) kontaminationsbildung aus lautgosetzlichcn -inin- und
Dii Mtto abiautsstafo -an zeigt /) Zr,fiuru vXi, rtol. II, 11. 7.
•A£.
252 BREMER, thlER VON RORRftlS, /-niLAÜT
2:fyifttjoo:; Stni>K)n VII, 292, ^ly/ZiKoo; Dio Cass. LVl, 19, Segimundus
Ann. 1, 57, ^f/tuof-iTo^ Stralton VII, 291, Ziifi^kayxo^ Strabon VII, 292,
oder Vemdae Plin. IV, 97, IWiW# Tac. Germ. 46, Oitvaat Ptol. III, 5, 19. 20. 21.
4) Otogen au$gang des 1. Jahrhunderts n.Chr. ist endlich der lautwechsel von e
vor ti -\- kons, anzusetzen. Zur zeit der feldzügc des Dmsus und <vennanicii8 hal^e»^
die Römer jetlenfals kennen gelernt die namen: Feuui Tac. rierm. 46 (bestätigt dmroli
Jonlanis Fcnnae)^ Semnoues m^u. Anc. 2»>, Vell. Pat II, 106, Tac. Germ. 39, A.nn.
11, 45, -l>>iit»w*, Strabon Vll, 290, 2>>iror*,' Ptol. II, 11, 15. 18, Dio Cass. LXVI, o.
LXXI, 20, Mnliorcfnitts Tac. Ann. II, 25. Baduhenna Tac. Ann. IV, 73 wird kel-
tisi'h sein (vgl. Arduenna. Xehalcnnia usw.). Das neue i finde ich in drei nameo
spätori'n Ursprungs: Brinno Tac. H ist. IV, 15, Ivrortoyoi PtoL II, 11, 9 und in
4*11101 l^ol. in , 5, 2i). Der nanie Cunhri ist keltisch. — Natürlich ist der in frage
stehende lautwandel nicht zu gleicher zeit auf dem ganzen gcnn. Sprachgebiet durch-
gedrungen, sondern hat, von einem punkte ausgehend, erst almählich fuss geCisst.
Wir dürfen vennuten, dass diest^r ausgangspunkt die deutsche nordseeküste gewesen
ist, weil im anglo - friesischen der lautwand»^! c '> i am weitesten gegangen ist, hier*
auch vor einfachem nasal erscheinend.
Eine physiologische erkLärung des Vorganges <v. Borries, s. 73 — 77) wird mm-w»
mit Sicherheit erst dann wagen kimnen, wenn man festgestelt hat, ob das verhiltnÄs
des gorm. o zum w ein dem von e zu i homogenes ist oder nicht. Im bejahungs»— "
falle war das treibende momeut eine von\jirtshewegung der hinterzonge, im vorne «-^
nungbf;üle eine veri>reitening ders^'lben , offenbar der indiflferenzlage entsprei-hen«" *-
weil auch die un>»etonten silben davon l»etroflfen wurden. Da der zeit nach die eii—^'
zelnen. zu unterscheidenden stufen ni«ht weit von einander liegen, wird man kau^f^
versvhic'ionc pbysiol«">gisi'he triebkräfte annehmen dürf»^n für den lantwandel in unb«E^==^'
tenter silK^. vi»r na.sil und ver i d'^r f'»li:end»^n sill-».'.
<TR.\LSr.NP. Jo. MÄRZ l^^V. OTTO BREMKR.
ZU DER FRAGE NACH DER ENT^TEHUNGSZEIT DES
LUTHERUEDES.
>h
In der Z-itSfhrift für kinhlioh»* \vis<'»ns'haft und kin.'Wich« leben, bd.
s. I^,» fciT. hat Knaaok«' di«.- von S.hn»^id» r frühr-r auf^^telte ansieht, dass M. Luthe-*^-
s»Mn \i*^\: Kin f^^to bur^r i>T uriM^r p^tt im jähr 1527 Vn>im herannahen der pest gedi
tet h,-i>-:*. zu »TWiis^'n g'-<U'. liT. I»'T n.i-.hw.is durch das von ihm aufgefunden
p^saniil'U'h >«. heiut mir kcinoswecs gx^vilü'. kt. Kn.iavke hat denselben noch dadurcL
zu >tutz*^n ^e>U\hT. d;\>> er di«^ >T»lleu in LuTh"r> gleiohzeitig*?n briefen anführtt-^ **'
auf die si.h'»a Sv-hüri-ler aufmerks,n!ii ^t ma-bt hat und aus denen eine nierkwürdij^^^^^^
ül vrein Stirn nnmi: mit dem gt^i:\nkeninha!t und dorn Wortlaut des liedes hen'orgehe- "''^^
M'll. .Nachdem Liuh-.T-, >A:r S-hr^oidor', -in die>^m briofe lan Amsdorff 1. no' ^*
1527» Jr-m fri^unde steine L^o c*s«hi!dvn. :?^'- hrie>-n hat. wie er füivhten muss fi^^^''
s«Mn weiV-, das iu ■iioc! K-^^n ;•■:• ihT>T entbir.di;r:i: ♦■nTJre;^■*ns^»he, für sein kind, <^ ^^
s<!t 3 TA^-.!! IravA da^T,i«^i^! !:•;?:, >ih!u^->t ir m:T ien w-nen: so cibt es dnus^^-^^B
kam}f und driiiucr. s.hrvvlti:. aKr i'l.rl>tus suvhc: ucs brim. Unser einiger trcj>a»A
KLLINQKR, KNTSTRHÜNGSZEIT DES LTTTHRRLIfEDEH 253
den wir der wut des teufels eDtgegonstollen , ist der, dass wir das wort gottes
haben, welches die seelen errettet, wenn er auch den leib vei*schUngt. Betet für
uns, dass wir die hand gottes wacker ertragen, und die macht und list des teu-
fels üborwioden, sei es durch tod oder leben. Amen. Zu Wittenberg, am tage
aller heiligen, am zehnten Jahrestage des sieges über den ablasskram, dessen ange-
deukon wir zu dieser stunde wol getröstet durch einen trunk feiern." Vgl. dazu
noch Köstlin, 2. auil. bd. II s. 660.
Ich will dazu nur bemerken, dass alle diese scheinbaren Übereinstimmungen
für die abfassungszeit des licdes gar nichts beweisen. Denn seit Luther zu der
Überzeugung gekommen war, dass er den kämpf gegen das papsttum aufnehmen
müsse, bewegten ihn die gedankcn, die dem liede zu gründe liegen und er gab den-
selbeu in briefen und Schriften ausdnick, mehr oder weniger dem Wortlaut des hedes
sich nähernd. Und grade der stärkste anklang an den worÜaut des licdes fmdet sich
in einer sehr frühen schrift; da die Übereinstimmung, soviel ich weiss, noch nicht
bemerkt worden ist, so sei hier kurz darauf hingewiesen. £s handelt sich um die
derbe abführung, die Luther dem bischof von Stolpe wegen seines mehr „tolpischen
^ stolpischen '^ zetteis angedeihon liess. (Doctor Martinus Luthers antwort auff die
^zedel so unter des Ofücials tzu Stolpen sigel ist aussgangen. Lezte seite): Nimpstu
^iT den leip und die eher, du wirst mir Christum bleiben lassen. In
diesen werten tritt die Übereinstimmung mit der lezten strophe des Lutherliedes so
aofHillig hervor wie in keiner anderen stelle. Dennoch aber wäre es sehr töricht,
^enn man daraus folgern weite, das lied sei im jähre 1519 gedichtet worden.
BERLIN. O. ELLINGER.
ABWEIHEN.
Es ist die frage, ob man in Goethes „Götter, holden und Wieland " lesen soll;
^uast: mit deinem verzehrenden schwort abgewei/iot ihre haare?* oder: „ abgo-
wedcfcöt ihre haare?*
Die ausgaben und ausleger schwanken in der bedenklichsten weise. Während
^'^*^ ^^mays djOn, 398 und von Strehlke in den 8. band der Hempelschen ausgäbe
""/^**Soweidet * aufgenommen ist, auch K. J. Schröer (Deutsche nationalhtt. 87. Goethe
^ 393) so schreibt und „abgeweihet** für unverständlich erklärt, hatGödeke „abge-
^^■^ot" in den text gesezt, was auch v. Löper in einer anmerkning zu „Dichtung
^^ Wahrheit*, z. 4. teil buch 16 verteidigt. Grimm hat dem in der ganzen littera-
v^ Vereinzelt dastehenden werte keinen platz in seinem Wörterbuch gegönt, während
^^"^^^rs in dem seinigen sich für „abgeweihet** entschieden hat. Nicht anders steht
'^it den ältesten dnicken und aiLsgalxin der farce, die noch zu Goethes lebzeiten
ß^ma^ht sind.
_ Die ältesten diiicke und nachdrucke, darunter auch ein solcher auf der königl.
^^iothek zu Berlin von 1774, haben „ abgeweidet **, die ausgäbe lezter hand jedoch
^^t^ sowol die in sedez 33, 283 als auch die in oktav, „abgeweiAet.'^
Was tun? Zunächst muss man bedenken, dass weder jene ältesten drucke
. ^^)i die lezte zu des dichters lebzeiten gemachte ausgäbe in kritischer hinsieht hier
S^Hd welches gewicht haben können. Es ist ja bekant, wie ohne Goethes eigent-
/^^n willen die farce von Lenz in Strassburg, jedenfals ohne jede korrektur von
?f**^ii des dichters, zum drucke plötzlich gegeben wurde. Aber ebenso liess ja Goe-
^^ bei widerstrebend die aufnähme des Stückes in seine werke durch Eckermann
254 MORSCH. ABWEIHEN
geschehen, das ,, abj^eweihet - ist also hier entschieden nicht auf des dichters eigen-
sten willen zurückzuführen. Beweisen diese beiden lt»sarten also gar nichts, so
lieweLst ein anderer umstand desto mehr. Wir hal^n die lezteo spuren einer Hand-
schrift der fan^ ]>ekantlich bei Wagner, Briefe an und von Merck (Darmstadt 1838)
auf welche die herausg».'ber natürlich schon aufinerk-sam geworden sind ; die bcdeutuug
dieses hier verborgenen indirekten Zeugnisses scheinen sie jedoch noch nicht genug
gewürdigt zu haben. S. 42 daselb.«>t lesen wir: 2) Götter, beiden und Wieland, sehr
rein von Goethe selbst geschrielien. Nun folgt eine anzahl von Varianten dieser
dem herausgel»er der briefe vorliegenden, offenbar aus Mercks nachlass stammenden
handschrift <joethes, welche gewonnen sind durch eine vergleichung der handschrifl
mit der ausgäbe lezter band IG**, bd. 33. Während nun eine anzahl von abweichungen
beider augemerkt sind, hat der herausgeber, der, wie die beigefügten Seitenzahlen
der ausgäbe lezter band l>eweiseu, sorgfaltig und richtig vergUchen, l)t»i der fraglichen
stelle nichts angemerkt, obgleich die ausgäbe lezter band «abgeweihet^ bietet. Folg-
lich las er in der handschrift Goethes ebenfals ^abgeweihet**
Ist durch diesen allerdings indirekten schluss „abweiAen* handschriftHch ziem-
lich sicher gestelt, so spnx'ben sprachliche und sachliche gründe noch mehr dafür.
Die Goetliische spräche der damaligen zeit ist sehr kühn, durch homerische Wendun-
gen und pindarischen schwung l>eeinllusst. Jene ganze stelle in ,G. H. u. W.*^, in
welcher der inhalt mancher scenen aus des Euripides Alkestis widergegeben wird,
ist im tone der Goethischen öden, ,» Schwager Kronos'' u. a. gehalten. Kurz vor
unserer stelle findet sich „eingleichen-, ein wort, das zwar nicht so kühn, aber
ebeufaLs ohne l^eispiel in der litteratur ist.* Aber auch in den Briefen an frau v. Stein
1-, 17G vom juli 1770 lesen wir ja: «geweiht und abgeschnittne haare '^ (vgl. Werke
Wabrh. u. Dicht. IV, 10 s. 035 (G<>edeke), wo Sanders Ergiiuzungswörterbuoh d. d.
Sprache 1S85 s. 021 .abgewfht" für einen di-uckfehler statt « abgeweiht '^ mit n?cht
ansieht), und in der Iphigenie C. und D. s. ,3.'). v. <)00 bei Bachtold: „wenn die prie-
sterin sehon unsre locken weihend abziLSch neiden die band erhebt" — Gleich
«abweihen- steht ebenso vereinzelt «wegweihen-, Werther 1, 0. juli. — Wenn sich
nun gerade «abweihen- nicht mehr belegen lässt, so geht doch aus den angeführten
stellen her\or, dass dem dichter jener Vorgang, um den es sich hier handelt, bekant
war. Elie die opfertirre geschlachtet wurden, ^iirde ihnen ein büschel haare von der
stini abgi^schnitten und diese haare ins feuer geworfen, womit sie dem tode ver-
fallen waren. Vgl. Schömann gr. staatsalt. 11, s. 240. In der vorbildlichen stelle bei
Euripides Alk. v. 74: brov rocT* ^;2fo> xoktu; «;i-i'aj| tox/« wird der todesgott mit
einem opferer verglichen, der mit seinem Schwerte erst demjenigen einige haare vom J
haupte schneidet, der ihm verfallen ist; die eigentliche opferungsceremonie wird in
der Iphigenie mit den citierten werten bezeichnet, während in dem briefe an fraa
V. Stein das wort gleich dem folgenden « abschneiden " mit der Wirkung des wertlos-
und nichtigmacheus gebraucht ist; im gewöhnlichen sinne von geweihten, d. h. hei-
ligen haaren |«isst es gar nicht in den Zusammenhang. Diesen Vorgang konte det^
dichter aus der Uias oder Odyssee oder sonst woher gelernt haben.
Die lesart «abgeweihef scheint demnach nun handschriftlich, sprachlich \xsx^
sachlich genügend Wfestigt und erklärt zu sein; «ab weihen* bekomt holTentlich ^\t\.
mal seinen dauernden platz in dem Sprachschatze der deutschen Wörterbücher.
BEKUN. II. >|ORSCa.
1« Vtl. üarül-or Sju>-iors Ktv. -wtN li^» >. "i>'.
[
KLLINQER, DBS MÄDCHENS KLAOR 255
DES MÄDCHENS KLAGE.
Soviel ich woLss, hat Jiian noch nicht beobachtet, dass Schillers lied Des niäd-
cheos klage ersichtlich unter dem einflusse eines Stückes aus Herders Volksliedern
steht und aller Wahrscheinlichkeit nach von demselben angeregt worden ist. Volks-
licKler, bd. II s. 18 ( Suphan - Redlich , bd. XXV s. 3-43): Das müdchen am ufer.
lünglisch.
Im säuselnden winde, am murmelnden bach
Sass IJla auf blumen und weinet' und sprach:
,Wa« blüht ihr, ihr blumen? was säuselst du west?
Was murmelst du ström, der mich murmelnd verlässt?
Mein lieber, er blühte am herzen mir hier,
"War fnsch wie die welle, war lieblicher mir
Als zophyr; o zephyr, wo flohest du hin?
0 blume der liebe, du mustest verblühn!"
Vom busen, vom herzen riss ab sie den strauss.
Und seufzet und weinet die seele sich aus.
"Was weinst in die welle? Was seufzest in wind?
0 mädchen, wind, welle und leben zerrint.
Der ström komt nicht wider, der wostwind vor weht.
Die blume verwelket, die Jugend vergeht.
Gib mädchen, die blume dem ströme, dem west;
Es i.st ja nicht liebe, wenn liebe verlässt.
Noch ein anderes lied aus Herders Volksliedern (Suphan- Redlich, bd. XXV,
s. lt>0) ^arf herbeigezogen werden:
Die seo war wild im heulen
Der stürm, er stöhnt mit .müh,
Da sa.ss das mädchen weinend.
Am harten feLs sass sie,
Weit über meeres brüllen
Warf Seufzer sie und blick;
Nicht konts ihr soufzer stillen,
Der matt ihr kam zurück.
Hier beweint das mädchen ihren geliebten, der zur see gegangen und den
sie tog ,jQj ^ vergeblich erwartet; da spülen die wellen seinen leichnam heran und
«ötsoolt sinkt das mädchen über ihn hin.
Bei beiden gedichten, namentlich aber bei dem ersten, erkennen wir genau,
^^ Schiller sich an dieselben anlehnte. Nicht allein in der ganzen anläge des godich-
. ^^ sich eine auffallende ähnlichkeit, auch im einzelnen können wir die abhängig-
^^t, Schillers von den englischen liedem beobachten.
BSRUN. ü. KLUNGKK.
250 NACHRICHTEN
NACHRICHTEN.
T)r. Otto Bremer in Halle l>eabsichtigt eine ^samlung von gramnii^-
tiken deutscher mundartcn" herauszugeben, deren vertag die firina Breitkopf
und Härtel in Leipzig übernommen hat. Das unternehmen wird eine von dem lior-
ausgeber verfasste, für die l)edürfnisse der dialektforschung l)erechneto, kurze ,,deuit-
Rche phonetik'^ erüfnen; als erster band der samlung ist eine darstellung der mao<l'
art von Mühlhoim an der Ruhr von dr. Maurmann angekündigt.
Ein wichtiges hilfsmittcl für das Studium der ffloröischon spracho aim d
litte rat ur ist kürzlich in der handschrift vollendet und soll demnächst der grosse*«
königl. bibliothek in Kopenhagen übergeben werden, nämlich die von Svend Grund ^'
vig begonnene (vgl. Aarboger 1882, s. 357 fgg.) und von dem archivsocrctär Jorg^ «
Bloch fortgeführte samlung fieröischer lieder nebst dazu gehörigem (auf grund
samlungcn von Svabo und Mohr ausgearl)eiteten) Wörterbuch. Die erstere uml
10 (luaiibände, das leztere 3 foliant^^n. Die arbeit ist auf kosten der gräflich Hjelor»-
stj(»rnc-Kosenkronschen Stiftung ausgeführt woi-don; sie winl wegen dos grossen umfax:»-
ges und d(^s beschränkten intoressentenkroisos durch den druck leider nicht ven^^'
fentlicht werden.
Die enthüllung dos Walther-denkmals in Bozen wird am 15. septbr. d. J
statfinden. Der obmanu des comites, herr gutsbesitzer Andr. Kirchebner, la<l
alle Verehrer dos dichters zur teilnähme an der feierlichkeit ein.
Die DLZ (1889, nr. 15) meldet, dass von dr. Konrad Zwierzina in ein*
dem 15. Jahrhundert angehörigen handschrift des Konstanzer Stadtarchivs Wetzo^'
Margaretha und der volständige Gregorius Ilartnianns in einer bisher unbekant^^^
recension aufgefunden sind. Das orstgenanto gedieht, in welchem der Verfasser si^^^
nent, ist mit dem fragmentaiiscli überlieferten werke, das Bai*ts(?h (Germanist, «t
dien I, 1 fg.) als „Wetzeis lieilige Margarethe" veröffentlichte, nicht identisch. Ei"
ausgalK) beider dichtungen steht bevor.
Der oi-deutliche professor, geh. rat dr. Karl "NVeinhold in Breslau wurde an d»'
Universität Berlin l)erufen, der aussoroi-dontliche professor dr. Edw. Schröder i«*
Berlin zum ordentlich(?n professor an der Universität Marburg omant.
An der Universität liiüpzig habilitierte sich dr. Eugen Mogk für nordisch^
Philologie, an der Universität Heidelberg dr. Ilerm. Wunderlich für deutsch^
Sprache und litteratur. An diesell)e ho(;hschule ist dr. Max freiherr von Wald-*
borg (l)isher aussoroixl. prof. in Czcmowitz) als docent ülKTg^'siedelt.
Hallo a. 8., Buehdnickcrei dos WttisonhaustMt.
DIE ALAISIAGEN BEDE UND FIMMILENE.
Seit E. Hübner in der Westdeutschen Zeitschrift für geschieh te
und kunst 3, 120 fgg. über zwei zu Housesteads (Borcovicium) am
Hadrianswall im november 1883 gefundene sandsteinaltäre berichtet
hatte, welche unter kaiser Severus Alexander in römischen diensten
stellende Germanen aus der landschaft Twente ,, Marti Thingso et
diiabus alaesiagis Bede et Fimmilene" gesezt haben, durfte man
ä-iif eine äusserung der germanisten über diese bisher unbekanten
*c*\itschen gerichtsgottheiten gespant sein. Das erste wort sprach
W^. Scherer. Schon am 24. mai 1884 las er vor der Berliner aka-
i^mie über „Mars Thingsus" und, als ihn inzwischen R Heinzel auf
4as friesische Bod- und Fimelthing aufmerksam gemacht hatte, am
-ö- mai desselben jahres über die alaisiagennamen Bede und Fimmi-
teiie 1, Seine erklärung dos wortes „ alaisiagis " bezeichnete er freilich
J^^ix- als notbehelf. Jezt hat auch Karl Weinhold in dieser zeit-
s^^lir-ift 21, 1 fgg. über „Tius Things*^ gehandelt und dabei auch die
^^isiagen besprochen. Tliingsus und Bede deutet er wie Scherer,
^i^Xiinilene und die alaisiagen abweichend. Aber auch er gibt seine
^^tläning des Wortes „alaisiagis'' ausdrücklich nur für einen fraglichen
^^^K*such aus.
Mir scheinen durch die bis jezt vorliegenden erklärungsvcrsuche
^^^Vit nur die alaisiagen, sondern auch die namon Bede und Fim-
'^i-lene noch nicht sicher gedeutet und daher auch das wesen dieser
S'^ttheiten noch nicht genügend erkant zu sein; und da ich durch eine
^^^t^rsuchung, die einen anderen ausgang als die bisherigen naiim, zu
^'^^bnissen gelangte, die mir sicher zu sein schienen, so wage ich,
^^C5li zwei so gewichtigen stimmen auch mich über jene gerichtsgott-
*^^it:en vernehmen zu lassen. Ich glaubte mich nämlich, weil spi-ache,
^^^^ht und religion der Deutschen zu kaiser Alexanders zeit bei allen
1) Der erste vertrag erschien in den Sitzungsberichten der Berl. akad., jahrg.
1, 8. 571 fgg. Über den zweiten vertrag vgl. Scherers brief an Hühner in der
^«atdeotach. stschr. f. gesch. xl kunst 3, 292.
Zmncinan f. diutschs Fmi.oi.ooiK. bd. xxu. 17
258 JAEKEL
gemcinsamkeiten ihr wirkliches leben doch nur im recht, der sprach
und religion der einzelnen stamme hatten, bei einem Tersuche, di
namen „alaesiagis**, „Bede*^, „Fimmilene" zu deuten, zunächst an di
spräche und den vorstellungskreis nur eines Stammes wenden zu düi
fen. Es konte dann aber, da jene altäre laut ihrer inschrifton vo
angehörigen des friesischen cuneus errichtet worden sind und da di
beiden alaesiagennamen unverkenbar auf die friesische untorschei
düng zwischen Bod- und Fimelthing hinweisen, nur der friesisch
stamm in frage kommen. Daher unternehme ich es hier, die name
jener gottheiten aus der denkweise und spräche der Friesen zi
erklären.
Ein starkes bewustsein von der heiligkeit des rechtes hat vo
jeher in dem Charakter des friesisch -chaukis(*hen Stammes den grundzu
gebildet Von seinem lebhaften interesse für recht und gericht zeug
es, dass die gesamte friesische litteratur des mittelalters lediglich au
rechtsaufzeichnungen besteht, und dass die sage bei diesen stäm
men nur da erscheint, wo es den ui-sprung rechtlicher einrichtungE
zu erklären gilt, oder wo sie gestalten, die in das rechtsleben d
Volkes eingegriffen haben, umranken kann. Nach aussen bekundet si«
derselbe sinn in einer früh beobachteten abneigung gegen angrifskrie^
und in einer rücksichtslosen ontS(*hlossenheit und zähen ausdauer, ss
bald es sich um abwehr von re(4itsverletzungen handelt
Schon Tacitus hat von diesem frieilfertigen, gesetzlichen sinne d_
friesisch -(*haukisi»hen Völker künde gehabt Er sc»hildert Germ. 35 M
Chauken als einen ^populus iuter Germauos nobilissimus quique magi'
tudinem suam malit iustitia tueri. sine cupiditate, sine imputenta
quieti secn^tique nulla provocant bella, nullis raptibus aut latnxr
niis populantur. id pr.Rvipuum virtutis ac virium argumentum es
quod ut superiores jigant non per iniurias assequuntur. prompt"
tarnen omnibus arma ac, si n^s pos(*at, exercitus.*' Die gesc*hich.
hat gezeigt, dass diese Charakteristik richtig ist Die erhebung d-
Friesen gegen die Rönierhersi-haft im Jahn» 28 nach Chr., welche zuer"
(Tacit ann. 4, 74) den friesischen namen unter den Germanen berühm
gi»macht hat, war lediglich ein kämpf für das verlezte positive reolT
Sie liatten sich 12 vor Chr. — mit einer für einen deutschen stam:3
auffallenden iK^reitwilligkeit — zum anschluss an Drusus und zu ein*
geringfiigigi^n abgäbe an die R('>mer verstanden. Als aber der ri'»miscl '
präfekt die abgäbe wilkürlich erhölite, erhob sich das volk für d^
gi^kriinkte reicht und warf die fn^mdherscliaft siegreich ab. Demselben
eintreten ßlr das gekränkte recht entsprang im mittelalter der öOOjährig
BEDE UND FDfMILENE 259
Itanxpf um die friesische freiheit^. Derselbe geist weht im niederlän-
cHscheii fireiheitskampfe wie in den ostfriesisehen Ständekämpfen, und
«r lebt noch heute im anwohner der nordsee, der mit Zähigkeit am
ierg^brachten rechte hängt.
Woher der friesisch -chaukische stamm diesen sinn hat, ist klar:
diG Batur seiner Wohnsitze hat ihn geweckt und dauernd frisch
erhalten. Auf dem tiefliegenden, flachen und schmalen küstenstreif,
dessen dünenwall lange vor dem beginn unserer Zeitrechnung zerbröckelt
w^ar, konte der Ingävone nur auf warften, wie noch heute der bewoh-
ner der deichlosen nordfriesischen ballig, und später unter dem schütze
<le>r deiche seine hütte bauen. Warften- und deichbau sezt aber com-
munale Vereinigungen voraus und ruft eine fülle rechtlicher Verhält-
nisse ins leben, ohne deren sorgsame conservierung solche Wasserbauten
nicht dauern können. Nur wer sich vergegenwärtigt, dass dem Friesen
und Ghauken die möglichkeit der existenz überhaupt von jeher an
seinen deichen und warften hieng, wird den ingävonischen geist fried-
fertiger rechtlichkeit ganz begreifen. Um den grund seiner wogenum-
sp tuten armseligen hütte (Plinius N. H. XVI, 1) vor beschädigung zu
liiiten und fest zu erhalten, muste er mit den nachbarvölkem und
innerhalb der gemeinde auf dem friedlichen wege des rechtes und
der billigkeit auszukommen suchen. So hat dem Ingävonen die natur
öell>fit, von der er sich ganz besonders abhängig fühlte, die tiefe ehr-
fuxxsht vor recht und gesetz anerzogen.
Im zusammenhange mit diesen erwägungen ist es mir von jeher
bedeutsam erschienen, dass die Ghauken als ihren hauptgott, dessen
^^gesehenstes heiligtum sich auf Helgoland befand, den dem gericht
"^o i-sitzenden, streit schlichtenden Forsite verehrten, den die
spatere nordische mythologie zum söhne des licht- und gerichtsgottes
Balder machte*. Es lag die annähme nahe, dass auch der hauptgott
der [Priesen ein gerichtsgott gewesen sein müsse. Da ich nun aus
Ortsnamen und gebrauchen, sowie daraus, dass gerade die ältesten kirchen
der Friesen dem Schwertträger Michael geweiht sind, schliessen muste,
1) Diese meine ansieht von den freiheitskämpfen der Friesen weicht von dem
'^^tate der forschungen Karls von Richthofen ab , wie er es in den ersten drei bfin-
®*^ Beiner XJntersuchnngen über friesische rechtsgeschichte (Berlin, 1880—82), bei
^'^ii druck ich ihm zur seito stehen durfte, dargelegt hat. Die ausführliche begrün-
J^^^S meiner meinung wird meine demnächst erscheinende Geschichte der friesischen
°^^*^t bringen.
^^ 2) Weinhold a. a. o. s. 14 fg., Scherer a. a. o. s. 576, v. Richthofen Unters. II,
^ 'gg. 434 fgg. , Grimm Myth. 190 fgg.
17*
260 JAEBXL
dass der hauptgott dieses Stammes Tius gewesen, so blieb Dur d
yermutoDg übrig, dass diese alte arisch -germanische himmelsgotttu
auf friesischem boden die züge des gerichtsgottes angenomm^i hat
Diese Vermutung wurde mir durch die inschriften der beid*
votivaltäre von Borcovicium zur gewissheit Die eine lautet: D<
Marti Thingso et duabus alaesiagis Bede et Fimmilene
n(umini) Aug(usti) Germ(ani) cives Tuihanti v{otum) 8{olv
runt) l(ibentes) m(erito); die andere: Deo Marti et duabus ala
siagis et n(umini) Aug(usti) 6er(mani) cives Tuihanti cud
Frisiorum Ver... Ser... Alexandriani votum solverunt libe
t[es] m(erito). Scliliesslich begegnet der name ,,Tingsus'' noch s
einem dritten steine, der in Cumberland gefunden wurde und (
inschrift trägt: Deo Belatucadro a muro sivi Tus Tingso (
cuneum [Fr]is[iorum Ger]manorum^
Die landschaft Twente, aus der diejenigen angehörigen des c
neus Frisiorum, welche die beiden altäre errichtet haben, stamü
muss ebenso wie die Drente, nach ausweis der ältesten Ortsnamen u
nach andeutungen der friesischen sage, einst von Friesen besezt gewes
sein, die dann von osten her vielfaich von den Sachsen eingeschräi
und endlich von Süden her durch chamavische Franken verdrängt u
überflutet wurden. Die Lex Francorum Chaniavorum zeigt, wie eng si
dort das leben der drei stamme berührte. Zu kaiser Alexanders z
war der friesische stamm oflTenbar noch im alleinbesitz jener stric
und so erklärt es sich, dass die von den Römern ausgehobenen ^ci^
Tuihanti** in den cuneus Frisiorum eingestelt wunlen. Die damal:
spräche der Twenter war also friesisch.
Die deutsche form des namens Thingsus, welche friesis
^Things*' lauten wünle, wird von Scheror und Weinhold von d
adjei^tivstamm thiNgsa- hergeleitet, der mittelst des secundärsuffi:
-«-, welches adjoctiva und appellativa bildet, die in irgend einer bez
hung zum gnindworte stehen (Zimmer, QF. 13, 214 fg.), aus dem n^
tralstamme thhtysa- abgeleitet ist Dieser neutralstamm liegt im lan^
banlisi»hen thinx (Edictus Rothari 171 fgg.) vor, welches rechtsgesch
gerichtliche handlung be<leutet Ist diese ableitung richtig, so kn
Things nicht mit Si^lien^r (s. 574) als volksversamlungsgott, s<
dem nur als gi>tt der rechtshandlungen, also nur mit Weinhold (s-
als gerichtsgott gedeutet wenlen.
1) Ich gi^bo die Hübiiersoho losuiig aus der Wostd. ztschr. 3, 120. Di«
ins^'hrifk ist K)ihomons opigr. III, iir. 8r> aus Bnuv T^iiiidarium soptontrionalo nr. ^
mitgeteilt Eine genaue Ueschroibung der altäre gibt auch Weinhold a. a. o. s. 2 '
BEDE UND FIMMILENE 261
Diese grammatische erklärung des namens „Things" wäre ohne
weiteres anzunehmen, wenn jene altäre von einem ostgermanischen
stamme errichtet worden wären. Da sie aber von Friesen gesezt wur-
den , so ist doch zu bedenken, dass der Friese, dessen gerichtssprache
wir sehr genau kennen, nichts von einem ncutralstamme tJmigsa- weiss,
lind dass er das, was der Langobarde durch thinx bezeichnete, thinyaih
(v- Hichth., Fries, wb. 1073) nante. Wolte man nun aber den namen
dos friesischen Things von dem adjectivstamm thinga- herleiten, der
sich, mittelst des secimdärsuflixes -a- aus dem gemoingerm. neutral-
sta-mm thinga- „volksversamlung" gebildet habe, so würde man ein-
^weMxden können, dass im Friesischen wie in allen westgerm. sprachen
AsL^ consonan tische auslautgesetz das auslautsende s sehr früh entfernt
li£i.l>e. Es fragt sich aber noch, ob diese cntfemung des auslautenden
-« im Friesischen bereits im anfange des 3. Jahrhunderts durchgeführt
^wrar. Zur zeit des Tacitus war dies, wie der von ihm (Ann. 13, 54)
überlieferte friesische königsname „Malorix'' zeigt, noch nicht der
fall; und wenn in der angeführten 3. Inschrift „Tus Tingso" als
tlatiT von „Tus Tingsus" betrachtet werden soll^, so ist ja durch den
nonninativ Tus (für „Tius") das auslautende -s für die zeit unserer
insohriften nachgewiesen. So lange also nicht für das 3. Jahrhundert
der Wegfall des auslautenden -ä nachgewiesen ist, könte man immer-
hin „Things" vom stamme thinga- leiten. Aus dem friesischen nomi-
nativ „Things" hätte sich dann der römische Steinmetz sein „Thingsus"
zurechtgemacht und weiter deklinierend den dativ „Thingso" gebildet.
Das richtige ist, dass thiiuj ursprünglich thiiigis things lautete, von
dem „Things" durch das a-suffix gebildet wurde. Der friesische name
«Things" bedeutet also volksversamlungsgott
Mit recht haben Scherer und Weinhold das wort „Thingso" auf
unseren inschrifton als adjectivischos attribut zu Mars, nicht als Sub-
stantiv gefasst; und da Mars die interpretatio romana des Tius ist, so
"Füssen die Friesen den gott joner altäre als Tius Things bezeichnet
'^ÄOen, wobei aber immer vorausgesezt ist, dass das auslautende -s im
^' Jahrhundert noch vorhanden war.
Über das wesen dieses gottes haben Scherer und Weinhold ein-
sehend gehandelt Wir wei-dcn nach der besprechung der alaisiagen
lioch einiges über die beinamon beibringen, die Tius bei Friesen und
Chauken führte.
Das inschriftlicho „alaisiagis" oder „alaesiagis" zerlegte Sche-
^^ (s. 579) in „al-aisia-gis" und meinte, es könte zur not erklärt wer-
1) Vgl. dazu Schcrer a. a. o. s. 575.
262 JAKKEL
den als die „algeehrten^, wenn man aus dem einen ahd. Sredtn in de
Gl. Ker. 109, 36 auf ein germ. aizjd- „die ehre'' schliessen dürfi
Diese deutung befriedigt nicht. In sprachlicher hinsiebt ist es doc
bedenklich, aus dem nur einmal vorkommenden ereom erst das wo
zu erschliessen, von dem „ alaisiagis " abgeleitet sein soll. Nach d
sachlichen seite aber ist mit der bedeutung ^den algeehrten** nich
gewonnen, denn dieser farblosen bezeichnung fehlt jede beziehung
recht und gericht; und doch ist es ganz unwahrscheinlich, dass, wä
rend die beziehung des hauptgottes zum gericht in einem besonder^^
beinamcn klar zum ausdruck gebracht ist, die bezeichnung der beid
ihn als gerichtsgott begleitenden, tiefer stehenden wesen mit keia.
sUbe auf eine gerichtliche function hindeuten solte.
So ersezte Weinhold die Scherersche deutung durch eine ungleich S
ansprechendere. Er nahm die zweite silbe für ai (ae) „gesetz** aim.^
gewann damit die beziehung zum recht. Dann schlug er vor, „siagi^ *
in „sagiis** zu ändern, und übersezte das so erhaltene „alaisagüs^ od^^r
„alacsagüs" durch „den grossen gesetzsprecherinnen." Bekantlich wix^
der friesische gesetzsprecher (ä^ega) nach der friesischen sage (v. Riclx*-
hofen, Unters. 11, 459 fgg.) durch unmittelbare belehrung eines gottes (i
in dem Weüihold richtig den Tius Things erkante, in die kentnis
rechts eingeweiht, sodass er als diener und priester des Tius aufgefas^*=3t
werden kann, zumal der Zusammenhang zwischen dem gesetzspreche :^"
amt und dem priestertum in mehreren älteren deutschen benennung^^'^
für richterliche beamte klar angedeutet ist So erklärt denn Weinho^B-^
(s. 12) die „ alaisiagae " oder, wie er ändert, „ alaisagiae " für solcl"^*®
gesctzsprocherinnen , *aüagjon^y „die des grossen gerichtsgottes Tii-^*^
Tiggs gehilfinnen sind, gleich wie der *aüagja neben dem richter stan ^^
lun den urteilenden männem der gerichtsgemeinde das göttliche recÄ^^^
zu lehren"; kurz, die beiden alaisiagen sind ihm die göttlicb^^ ^
Vorbilder der asegen.
Gegen diese ungemein ansprechende auffassung der alaisiagen t^^-^^
Vorbilder der asegen lässt sich sachlich nichts einwenden. Was <i- ^^
sprachliche seite betrift, so wird zugegeben werden müssen, dass ^*°
der zweiten silbe das wort ai (ae) „gesetz" vorliegt, aber „siagis*^ ^^^
„sagiis" zu ändern scheint mir nicht möglich, da beide inschrift^^ "^
die, wie die form „alacsiagis" neben „alaisiagis" zeigt, in ihrer ortl»-^
graphie nicht von einander abhängen, „siagis'' haben. Ich lege dal"* *^
für meine deutung das inschriftliche „alaisiagis" zu gründe, das i^^^
versuchen will aus dem vorstellungskreise und der spräche der Frio^^^"
zu erklären.
BEDE UND FIMMTLENE 263
Auch der Friese brachte seinen gesetzsprecher, den äsega, in die
CDffste beziehung zum priester. Die 3. unter den siebzehn algemeinen
iüroD verlangt vom äsega, der alles recht zu wissen hat (tenetur
scire omnia iura), dass er gerecht und unparteiisch urteile, „quia
asega significat sacerdotem, et ipsi sunt oculi ecclesiae et debent
iuvare et viam ostendere, qui se ipsos non possimt iuvare'' (v. Riclit-
iiofen, Unters. I, 34, Fries, rechtsqu. 4 fgg.). In diesen werten ist die
Vorstellung, die sich der Friese von seinem asega machte, klar ausge-
sprochen: äsega und priester, ursprünglich identisch, sind die äugen
dox" Christenheit; alle übrigen sind blind und können daher den rech-
ton weg nicht finden. Darum müssen sie von den sehenden, dem
ä^og-a und dem priester, untei-stüzt und zurechtgewiesen werden. Den
sohärfsten ausdruck hat dieser friesischen aufEassung der sehr alte
Rllstringer text der küre gegeben. Wenn der äsega, heisst es hier,
sioh bestechen lässt und dessen überführt wird, „sa ne hach hi nenne
<ioixx mar to delande, thruch thet thi asega thi biteknath thene
pre Store; hwande hia send siande, and liia skilun wesa agon there
holiga kci-stenede; hia skilun helpa alle tham ther hiam selvon nauwet
l^t>Ipa ne mugun" (v.Richthofen, Fries, rechtsqu. 7, 19). Der Fliese legt,
^^io man sieht, alles gewicht auf das sehen des rechtes; und das konte
^iobit anders sein, da der friesische äsega nur gefragt \md besonders
Ä^^igefordert das recht wies, nicht, wie der isländische l(jgs(jgumadr,
^^^g'olmässig vortrage über das gesetz, die iQgsaga, hielt. Der gesetzes-
^ o xr trag, die *aüaga, tiat dem Fliesen in der Vorstellung vom äsega
^^l^tändig hinter das schauen, d. i. wissen des rechtes, die *aisia\
Äviirlick. Wenn also in den beiden alaesiagen die göttlichen Vorbilder
O-or äsegen zu erblicken sind, so müssen unter ihnen nach friesischer
^^ffiassung göttinnen gedacht werden, denen die *ai-siu in volkom-
^^onem grade und dauernd eignet, also nicht „gesetzsprecheriunen",
sondern „gesotzsoherinnen." Daher kann das wort meines orachtens
nur aus al, dem zur Verstärkung des wortbegrifis vorgesezten adjec-
tAvum, und *aisi<ig- zusammengesezt und lezteres von *aisia „gesetz-
sehoa", „gesetzeskunde" durch das adjectivsuffix -(/a (Kluge, Stam-
"^Mungslehre §§ 202 u. 207) gebildet sein, sodass also *aisia(/- „mit
"®öi recht-sehen, der gesetzeskunde behaftet^ und alaisioffis
n^eix erhabenen rechtseherinnen'' bedeutet Die alaisiagen sind
^^ die gehilfinnen des friesischen hauptgottes Tius Things, welche das
1) Vgl. y. Richthofcn, Altfrics. wöi-terb. s. 1010 unter sia und dio dorn sub-
^^tiv *9ia analoge bildung kcra (gehör, hören) s. 810.
264 JAKKEL
gesetz schauen und daher stets und volkommen wissen, die erh
benen gesetzseherinnen, und damit das echte vorbild der friesisch
Ssegen.
Was bedeuten nun die namen der beiden gesetzseherinnen?
Die Bede fasste Scherer als „die personificierte bitte, d. h. au
gebot, befehl''; „zum bodthing habe bei den Friesen eine ladung (be
„bitte'', später bod „gebot") statgefunden'' (Mars Thingsus s. 5'
Westd. ztschr. 3, 292). Weinhold sezt Bede = Beda und identifici
diese Beda mit ahd. Biota (fränk. Bio da, Förstemann, Altd. namei
I, 265). So erhält er die bedeutung „die gebietende, zum ding f
demde.'' Dieser deutung, die auf der annähme, dass Beda = Be
sei, ruht, steht ein schweres sachliches bedenken entgegen. Vom lad
zum Thing spricht nämlich keine friesische rechtequelle, wenn sie (
teile des friesischen thinga (placitare) aufzählt Deren gibt es ledigli
zwei: die Verhandlung (duorum allegationes, twira tale) und c
urteil des äsega (asega-iudicium, asega-dom, Richth., Unterss.!,.?
Fries, rechtsqu. 26 fg.). Solto also eine göttin des gerichts von etm
den namen haben, was gar nicht zum gerichte gehörte und, fals
vorkam, für den begriff des gerichtes unwesentlich war? Zum lad
hätte es überdies keiner besonderen gesetzeskunde bedurft, sodass
mir nicht denkbar scheint, dass die erhabene rechtseherin davon ihr
namen erhalten haben solte.
Was Scherer und Weinhold zu ihren erklärungen veranlasst h
war die unzweifelhaft richtige bemerkung Heinzeis, dass die nam
Bede und Fimmilene auf die friesische Unterscheidung zwischen bo
und fimelthing hinweisen. Nun bezeichnet aber „bodthing**, welcl
„gebotenes Thing'' bedeuten soll, öfters gerade das „ ungebotene " ^
rieht (Grimm, RA. 827). Man wird also zugeben müssen, dass das w»
„bodthing" entweder überhaupt nicht oder wenigsens nicht ursprüi
lieh „gebotenes Thing" bedeutet haben kann. Von diesem woi
kann man nicht bei der deutung des alaisiagennamens Bede ausgehe
aber sachlich stehen „Bede" und „bodthing" im engsten zusanunc
hange, und aus der sache werden sich weiter unten beide wo;
erklären.
Mehr Schwierigkeiten als Bede machte den beiden gelehrten c
name Fimmilene. Scherer (s. 579) erklärte mm für eine imorganisc
Verdoppelung, sezte dann got *Flmilo an und weite das wort an das al
fmir „gewant", „gesclückt" anknüpfen. „Dem befehl", sagt er, „stün
dergestalt die geschickte ausführung gegenüber, und die beiden algeel
ten oder ehre besitzenden und daher ehre verleihenden wSrea
BEDE UND FIMMILENE 265
nic^ht Walküren, aber göttinnen oder genien der disciplin, welche den
Things sehr passend begleiten würden: ehre wird durch den
►ckmässigen befehl und dessen geschickte ausführung erworben''
(s. 580). In dem vortrage vom 29. mai wies er dann noch besonders
avif das fimelthing als das bewegliche gericht der Friesen hin (Westd.
ztsc^hr. 3, 293). Dafür, dass mm eine unorganische Verdoppelung ist,
spräche allerdings, dass das wort fimelthing im friesischen schulzen-
reoht mit einfachem m geschrieben ist; doch ist der text desselben so
inajugelhaft überliefert, dass darauf nicht viel zu geben ist Wichtiger
Boti^int mir, dass die mit jenem alaisiagennamen zusammengesezten
Ortsnamen, über die unten zu handeln ist, auch nur ein m haben,
deshalb halte ich ebenfals mm für eine unorganische Verdoppelung.
\T die deutung Scherers halte ich trotzdem für unrichtig. Denn der
blassen bedeutung „die geschickte'' fehlt ja die beziehung zum gericht,
wie gewunden ist der weg, auf dem Scherer dieselbe mit dem
smeinen begriff „die algeehrten" in Verbindung bringt!
Weinhold, der diese crklärung mit recht verwirft, leitet aus Fim-
**^ilene einen nominativ Fimmila ab. Er fasst das inschriftliche „Fim-
^^ilcjne" ebenso wie „Bede" als lat dativ. Es ist aber schwer glaub-
liclx , dass eine römische Inschrift aus dem anfange des 3. Jahrhunderts,
dio sonst die korrekten endungon hat, gerade bei diesen zwei Wörtern
der endung as ein e gesezt haben solto. Es scheint vielmehr
'i diesen beiden namen die lateinische flexion unterblieben zu sein,
dieselben im nominativ „Bede" und „Fimmilene" gelautet haben
'^^örxlen. Dom würde nun freilich die von Weinhold nach Wackemagel
^^S'^führto regel widersprochen, dass „im ersten halbjahrtausend des
xt\i"ttelalters" bei der deklination deutscher namen, welche schwache
^^minina (nom. -a) sind, die casus obliqui nicht selten durch verbin-
dixng eines ableitenden an mit den endungen der lateinischen deklina-
tion hergestelt werden^, sodass also der nominativ von „Fimmilene",
^©lohes für „Fimmilane" stehe, „Fimmila" sei. Nun hat aber Wacker-
^agel jene regel aus beispielen dos 5. bis 8. Jahrhunderts abgezogen,
^® kann also streng genommen erst seit dem 5. Jahrhundert zu gelten
"^oiuien haben. Dass sie zu kaiser Alexanders zeit nicht galt, lehrt
^*>erdie8 die neben „Fimmilene" stehende form „Bede." Warum hieb
1) Wackernagel, Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden s. 43; bestäti-
°***K ÜEUid er bei d'Arbois do Jubainville ifetude sur la declinaisou des noms propres
^^ la langae franque ä l'epoque mcrovingienne s. 44 fgg. und Fr. Bluhme Gens Lan-
beft 2, 8. 29.
266 JAEEEL
denn der Steinmetz nicht auch „Bedene"? Aus keinem anderen grund
als weil seine friesischen auftraggeber die eine alaisiage eben Bed
die andere Fimmilene nanten.
Weinhold hält nun (s. 13 fg.) „Finmiila" für eine doppelt
koristische namenform, die von Frithumod ,,die friedebegehrend
oder von Frithumund „die friedeschützerin" ebenso gebildet sei,
die friesischen namen Temmel, Gummel, wie die kosenamen Kemmu^T
Cuffolo, Oppila, Hibbelo und andere. „Der name Frithumund sei
eine rechtsgöttin, welche durch ihre belehrung Streitsachen zum e
liehen aus trag bringt, wol geeignet" Bedenklich ist hierbei, d
weder Frithumod noch Frithumund den Friesen geläufige frauennam<^jn
waren, dass das femin. „Fimme", von dem „Fimmila'' abgeleitet sei:»
soll, sich nicht belegen lässt und dass die drei durchgangsforme*-»
Feddma, Ferdma, Fredma auch nur erschlossen sind, dass sich als?
nirgends ein fester anhält bietet Von den angeführten analoga sin
die Salzburger namen des 9. Jahrhunderts Kemmulo und Cuffol^^ ^
nach Stark (Kosenamen der Germanen 143) vielleicht keltisch, Hibbel*^^
begegnet erst im 14., Temmel und Gummel erst im 17. Jahrhundert^
Auch das masc. „Fimme", „Femme*' ist erst seit dem 17. jahrhundcr — '^^
nachweisbar. Soltc sich also ein name „Frithumund" auf friesischenr:^^
boden zum kosenamen umgebildet haben, so hätte er im 17. jähr— '^
hundert erst bis zu „Femma" gelangt sein können, aus dem sick^^
dann erst „Fimma" und „Kmmila" hätte bilden müssen. Der alai^-Ä-^
siagennamc „Fimmila" ist aber schon im anfang des 3. Jahrhunderts? ^
fertig. Dazu scheint mir die bedeutung „friedeschützerin" noch zilm' ^
algemein zu sein, da sie keinen liinweis auf eine specielle gerich
liehe tätigkeit enthält, wodurch doch erst das Verhältnis der Bede zu
Fimmilene klar würde. „ Friedeschützend " konte jede gerichtsgottheZ: -^ii
genant werden, Things und Bede ebenso gut wie Fimmilene. Schli
lieh ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass die Friesen eine götti
zumal eine gerichtsgöttin, mit einem doppelt hypokoristischen nam€=— fl
angeredet haben selten.
Es bleibt somit von den bisherigen versuchen, die beiden alik- i-
siagennamen zu deuten, als gimz sicher nur Heinzeis bemerkuc».^
bestehen, dass sie auf das friesische bod- und fimelthing hinweise»^-
Das gegenseitige Verhältnis dieser beiden thingarten muss also zl^*
nächst ins äuge gefasst werden. Vom bod- und fimeltliing spriclr^*
unter den zahlreichen friesischen rechtsiiufzeichnungen nur eine, da^-^
sogenante westerlauwersehe sehulzenrecht, welches in Mittelfrieslan ^-^
dem ältesten sitze des Stammes, im 11. jalirhundert abgefEisst word^-*^
^i,
■ > .
BEDE UND FIMMILENR 267
isti. Hier heisst es in § 25, dass die Sachen, welche ini bodthing
nicht zu ende gebracht werden konten, im fimelthing zu ende zu
bringen seien, und in § 29, dass diejenigen, welche bod- und fi-
melthing gehalten haben, nachher in demselben jähre nicht noch des
königs bann zahlen dürfen (v. Richthofen, Pries, rechtsqu. 391). Es han-
delt sich hier um das vom königlichen grafen alle vier jähre unter
Jrönigsbann gehaltene bod- und fimelthing. Das aber dürfen wir
wol auch für die vorfränkische heidnische zeit, in der einheimische
Jtöiiigo über den Friesenstamm herschten, aus dem schulzcnrecht ent-
nohmen, dass das fimelthing nach dem bodthing statfand, und dass
diG im bodthing nicht zu ende geführten Sachen im fimeltlüng zum
au3trag gebracht wurden. Nach § 25 liegt nur die gewöhnliche nacht-
frxst; zwischen beiden thingarten, sodass sich wol in Wirklichkeit manch-
^^«.1 bod- und fimelthing zu einer einzigen gerichtsverhandlung gestal-
ten ton, von welcher die ersten etmele — etmel (v. Bichthofen, Altfries, wb.
^^2 , 918) hiess den Friesen der für das gerichthalten bestimte natür-
^i^^li« tag, die frist von sonnenauf- bis Sonnenuntergang — das bod-
^fa- i ^g) das lezte oder die lezten etmele das fimelthing bildeten,
den zwei stücken, die der Friese bei jedem gerichtlichen verfah-
unterschied, der Verhandlung der beiden streitenden parteicn (duo-
allegationes, twira tale) und dem die bussen festsetzenden urteile
äsega (äsega-iudicium, äsega-dom) fiel also dem bodthing das
, der „rechtsstreit", dem fimelthing die foi-tsetzimg desselben
das urteil oder nur das urteil zu. Verhandelt konte sonach in
clen thingarten werden, aber das ursprüngliche und daher für die
'cihristliche zeit die regel wird wol gewesen sein, dass im fimel-
*^ ^Äg das urteil gofält, im bodthing der streit geführt wurde,
^iier muss man von vom herein erwarten, dass in dem namen der
^^^^•^^iage „Bede" als der patronin des bodthings, eine hindeutung auf
gerichtsstreit, in dem namen der alaesiage Fimmilene, als der
nin des fimelthings, eine hindeutung auf das die bussen aus-
^I^ riechende urteil sich findet.
„Bede" bedeutet nun aber nicht kämpf, es fragt sich daher, ob
^ name vielleicht früher anders gelautet hat Dies ist in der tat der
^^H. Eine stelle in dem berichte des Tacitus (Ann. 4, 73) von der
^^esischen erhebung des jahres 28 schliesst über die ältere form des
ens der alaesiage Bede jeden zweifei aus. Er erzählt hier, dass
i
1) Es kent ooch nicht die im 11. Jahrhundert in FriCvSland sich verbreitende
^^^^Jrkrechnung! Vgl. meine abhandlung über das frics. pfund und die fries. mark in
^öT Berliner ztschr. für numism. Xu, 144 fgg.
268 JAEKKL
der römische feldherr, als er nach einer verlustvollen schlacht das fri
sische land zu räumen begann, von Überläufern erfuhr, dass die Fri
sen 900 Römer ,,apud lucum quem Baduhennae vocant^ vemidi
hätten. Der name dieser friesischen göttin gehört, wie sein zweit
bestandteil -hcnna zeigt, der form nach zu den namen der f
nimisch- germanischen inschriften aus dem Bheinlande so häufig gen«
ten matronen, wie Albia-henae (Brambach C. I. Rhen. 551 — 55
Alhia-henae (a. a. o. 1722 add.), Nersi-henae (626), Ve,sunia-h
nae (542, 580 — 584), Gesa-hena (330, 617), Ettera-henae (5:
617) oder Etra-ienae (616), Cesa-ienao (613, 616), Aumen
ienae (343), und zu namen wie Nehal-cnnia (24, 27 — 30, 32
44), und zu dem auf unserem votivaltar genanten Fimmil-ei
Diese inschriftlich erhaltenen namenformen beweisen, 1) dass das
und die Verdoppelung des ii im namen Baduhenna unorganisch, n
vom römischen munde eingeschoben ist, und 2) dass, wie schon Mi
lenhoff (Ztschr. f. d. a. 9, 241) gezeigt hat, der name nicht coi
poniert ist, das -henna also gar nichts bedeutet Er muss zu (]
Taeitus zeit „Badu-ene'' oder friesisch geschrieben „Badwene^ gela
tet haben. Da nach einem friesischen lautwandlungsgesetze a zu
wurde, und da das wie das englische tv gesprochene iv hinter
leicht ausfallen konte, wandelte sich „Badweno^ zu „Bedenc'^, das si
dann zu Bede verkür/te, wie „Fimilene" zu „Fimilc.'* Da nun -c
nur das germ. femin. suflfix iiii (aus -injö-) sein kann (Kluge, Sta
bildungslehro § 41), so hiess die alaisiage vor Taeitus zeit „Baiiuin
oder „Badwino" und die andere alaisiage „Fimilino.'' „Badwin
ist nun das femin. zu altfr. *lxidwa = ags. badva (pugil) = alid. pai
und dieses ist von badu gebildet, welches auch im friesischen eigc
namen Badu-nät vorliegt (Crecelius, Collectae ad äugend, nomini
propr. Saxonicorum et Frisiomm scientiam I, 19, 21, 22, 24, 25); u
das altfr. badu = got *badu = ahd. i)atu (neben i)ata) == ags. bea
= altn. Itqd bedeutet streit (pugna)^ Die alaisiage Badwine od
Bede ist also die kämpferin (pugnatrix). Als dienerin des ^
richtsgottes ist sie daher die über dem gorichtsstreite waltende u
darum die patronin desjenigen things, dessen gegenständ der gericht
streit ist. Und da der äsega vermöge seiner kentnis des gericl
liehen streitverfahrens imd der belehrung, die er darüber gibt, d
geistige lenker des Streites im bodthing ist, so ist sein göttliches v<
bild, die alaisiage Bede, die göttliche Personifikation der rechtskunr
1) Vgl. J. Grimm, D. G. U-, 423, 460, 537.
BKDE UND FIMMILENK 269
die das beweisverfaliren im streitding, also den streit überhaupt, leitet
Diese Wortbedeutung stimt somit genau zu der tätigkeit, die wir von
vorn herein der Bede als der idealen leiterin des bodthings beilegen
musten.
Jezt dürfte sich das rätsei, welches der name „bodthing" auf-
gibt, lösen. J. Grimm (B.A. 827) erklärte die auffallende erscheinung,
da»« an einigen orten gerade das ungebotne gericht bodthing genant
^ixxi, durch die annähme, dass entweder hier bot das ein für allemal
Äög-esagte gericht bedeute, oder dass auch den algemeinen volksgerich-
teci hin und wider eine Verkündigung vorausgieng, ohne welche sie
aus^gesezt und unbesucht geblieben wären, wie namentlich in Friesland.
Die^se erklärung können wir im anschluss an das oben ausgeführte
diiÄ^cjh eine einfachere ersetzen. Wie dem alaisiagennamen Fimiline
i^&s. fimelthing antwortet, so muss dem alaisiagennamen Badwine
od^x Bede ein baduthing oder bedthing entsprochen haben. Das
wcurt bedthing muss nun der Friese, als das wort badu (kämpf) seiner
8p»*:^he verloren gegangen und die alaisiagen mit dem heidentum ver-
s<*lx^vunden waren, nicht mehr im stände gewesen sein richtig zu deu-
teln - er konte es nur als „gebotenes thing" fassen, was bedthing
ja säuch bedeuten konte. In Mittelfriesland wurde übrigens in späterer
zeit aus dem werte bedthing oder bedding nach einem rein laut-
ni ^ chanischen gesetze bodding oder bodthing. Aber dieses im We-
stc^x-lauwerschen schulzenrechte neben dem fimelthing genante bodthing
ha-t mit dem „gebotenen" gerichto ursprünglich nichts zu tun, sondern
^ ^ar eigentlich ein bedthing, d. i. ein badu-thing „streitgerichf
^i^rscheinlich sind auch gar manche bodthinge anderer deutscher
gög^nden alte baduthinge.
Den namenformen Bede, Bedene, Badwine entsprechen die
formen Fimile, Fimilene, Fimiline. Es muss nun Fimiline das
°^t dem Suffix int gebildete femin. zu dem mascul. *fimil sein. In
"*©som *fimil aber muss, wie wir sahen, eine hindeutung auf das die
"^88en festsetzende urteil liegen. Daher kann das wort fimil
^^r, wie es später heisst, fimel nur von der wurzel, die in altfr.
^^e, später ferne (v. Richthofen, Altfr. wörterb. 732) = got *fifna = mhd.
^^^le (Verurteilung, busse, 7coivf], poena) vorliegt^, durch das suffix
**^ gebildet sein, welches intensive nom.-agent bildet und nament-
^^^ in den bezeichnungen gerichtlicher beamten erscheint (Kluge,
1) An einen Zusammenhang zwischen firaolthing und femo dachte schon
" ^Hmm, R. A. S3S. Wegen feine vgl. Grimm, J). W. IIT, 1510 und Schmeller,
- ^. I, 718.
270 JAKKEL
Stambildungslehre § 18), wie in ags. pengel = an. pengell, ags. fen-
gel, strengel, ags. bydel, ahd. biitil, ahd. weibil, dwefigü usw. Das
masc. *fimil bedeutet also „der strafende*^ (ultor) und Fimiline
„die strafende'^, „die rächerin'' (ultrix). Sie ist das göttliche
Vorbild des asega in demjenigen gerichte, in welchem er die bussea
findet, also als „fimiP fungiert, die göttliche Personifikation der
gesetzeskunde, vermöge deren der äsega ein gerechtes bussurteil zn.
weisen vermag.
Wie mit dem walten der Badwine das gericht der Friesen anhobt-»
so erreichte es mit dem walten der Fimiline sein ende. Denn mi^
dem „rechtsstreit" begann, mit der „bussauflegung*' schloss das gerichfc-"
liehe verfahren der Friesen. Beide teile desselben stehen nach
glauben des volkes unter dem walten besonderer gottheiten, der erha.
benen gesetzseherinnen.
Der angeführten stelle des Tacitus verdanken wir die künde,
der alaisiage Badwine im Friesenlande ein hain (lucus, altfr. U
geheiligt war. Dies allein würde uns schon berechtigen, von der ande
ren alaisiage dasselbe anzunehmen; und erinnert man sich an
Germ. 9 „lucos ac nemora consecrant deorumque nominibus appellan^^^
secretuni illud quod sola reverentia vident^, so wird man es für wahi
scheinlich halten, dass auch die friesischen Tius-heiligtümer ursprüi
lieh in hainen bestanden haben, was durch mehrere friesische Ortsname-
bestätigt wird.
Wo das haupthciligtum des friesischen Thius Things h
ist zwar nicht überliefert; doch kann meines erachtens kein zweifr
darüber obwalten, dass es sich am Flistrome in Alm um oder Alm<
num befunden hat, einem dorfe, das 1580 in den stadtwall der an di
Zuidersee gelegenen stadt Harlingen eingeschlossen wurde. Seine de:
Schwertträger Michael geweihte kirche war eine der ältesten, vielleic'
die älteste im friesischen stamlande (v. Richthofen, Unterss. II, 236 ^-)-
Sie stand in nalier beziehung zu der ebenfals dem schwertträg^^^
Michael geweihten, schon im 8. Jahrhundert vorhandenen Friesec^»"
kirche zu Rom, wie aus der friesischen Magnussage hervoigetmt-
Nach dieser wurden die Friesen zu Rom von Karl dem Grossen
Leo III. mit Vorrechten und freiheiten begabt und die ihnen darüb
ausgestclte Urkunde, welche das gesamte friesische rocht enthie?^'^*'
von dem fahnenträger der Friesen Magnus nach Almenu
gebracht und in der dortigen Michaeliskirche niedergelegte Die recta.
1) Ausführlicheres über die sage gibt v. Richthofen Unters. II, 235 fgg.,
aber ihren sinn nicht erkaut hat.
BRDR UND FIMMILENE 271
gesetze des Stammes wurden also unter die obhut des Schwert-
trägers Michael zu Almonum gestelt, woraus mit Sicherheit zu
sebliessen ist, dass in heidnischer zeit der das recht und die gesetze
des friesischen Stammes hütende Schwertträger Tius Thin^ seinen
Viauptsitz zu Almen um hatte.
Dass diese deutung der Magnussage richtig ist, beweist auch der
name Almenum. „Almenum^, seit dem 13. Jahrhundert zu „Almum"
zusammengezogen (v. Richthofen II, 235 anm. 2), ist aus „ Almeginum*^ und
dieses aus „Al-magin-hem^ entstanden. Der Ortsname bedeutet also
^Heim des Almächtigen." Dadurch ist erwiesen, dass Tius der
Al-magin fis, d. i. der hauptgott, der Priesen gewesen ist Dadurch
ist femer erwiesen, dass niemand andere als der in Almenum thronende
„Al-magin" selbst der friesische fahnenträger „Magnus" ist, der
»ach der friesischen sage die gesetze der Friesen nach Almenum bringt
-Dann aber ist klar, dass, wie der Magnus der sage fahnenträger und
g^setzeshüter in einer person ist, so auch der friesische hauptgott Tius
*ls heerführer und gesetzeshort zu fassen ist, mit anderen wer-
ten, dass den Friesen ilir hauptgott gott des krieges und gott des
^öohtes zugleich war. Vermöge dieser doppelnatur ist er Schützer
^^J>^<i leiter sowol des heeres als der volksversamlung.
Wo der von Tacitus erwähnte lucus Baduhennae lag, ist eben-
^alsi nicht überliefert, doch muss er östlich vom Flistrom gesucht
'vrox^en. Denn der aufstand von 28 n. Chr. brach in der nähe des
^xnischen kastels Flevum aus (Ann. IV, 72), welches am Flistrom
^^S", und- der römische feldherr erfuhr, als er von hier nach einer
^^glücklichen schlacht den abzug begann, dass 900 Kömer bei jenem
*^^iii erschlagen worden seien. Die art, wie Tacitus seine angäbe über
^öxx ort des gemetzeis macht, deutet darauf hin, dass dieser Badwine-
*^^ii ganz besonders bekant war. Da er femer schon zu Tacitus zeit
^ittc ortsbezeichnung abgab, liegt der gedanke nahe, dass er in einem
^'^e zu suchen ist, dessen heutiger name aus „Badwine'' und „10"
S^Viildet sein könte. Daher möchte ich glauben, dass er an der uralten,
"Eiligen gerichtsstätte Bafflo, dem mittolpunkt des friesischen landes
^Mrischen Laubach und Ems gelegen war. Sie hiess noch im 11. und
12. Jahrhundert Bathlon imdBaflon (Crecelius 12, 15, 16, 19, 31), zwei
^*^J^en, die sich nur aus "Badwlon" oder „Badulon*' erklären .lassen.
Es gibt im westerlauwerschen Friesland keinen oi'tsnamen, der
y^H dem alaisiagennamen Fimiline gebildet wäre, wol aber vermag
Ich 2wei derartige Ortsnamen aus dem ostlauwerschen Friesland aufzu-
Im MDormerliuide, al»o niif altchiiuliisßlioiii b<i<leii, «-Kvnsi r
von Ijecr, Tcrzeidiiieii ältere karten eiu Örtdiea Finiol, das bureite t
dem ältesten, im 10. und 11. jalirliiiridort ziisanunouge&chriebeJien gttte
Verzeichnis der abtei Werden begegnet, die in Ostfriesland ,in Fin
lun" ein kleines ai-kei-stliok besiiss (Creceliiis 23). Der unme I
nur aus „Fimile" und „lö" deuten.
Ein andci'ee Fiiiiel liegt bei Termnnten im Flvelgauer Oldarai*«
hart am Dollart Ks wird in einem zeugeaverhür von 15R5 g6nan'%^
wo aiisgesu^ ist, .dat anno 1525 de nye Knmmerdyck van Fimi>l ik.^
derSwaghe (Schwage, jttzt vom Dolbirt überflutet, v. RJchHiofen 11, 87S)
gemaeckt is" (Driessen, Mon. Oroning. a 446).
Ks ist eine bisher nnbekante tatäache, dass die heidnisi'lieu Fri^?-
aen nicht nur nach de» beiden alaisiagen BadwiJie und Kimiline, snma-
deni auch nach ihrem hauptgotte seJlist eine thingai-t henant babosi,
imd zwar die höchste geriehtaversamlung, das gericllt, welohL>» die
volküversamlung bildete, also das lind-thing. Die aamun eiui^^r
friesisclier gerichtsstiitten beweisen dies und lehren uns noch otm^c^
beinanien des Tius kennen.
Im ostfriesischen Over!e<lingprlundo nent das älteste 'Word«»^«'
regirtter widerholt einen ort „Badunathashom", der in dem oSc-h^t;-
ältesten register „Badanasthorp" heiast (Crecelius 13, 21, 22, 24, 25). N'ijx
in diesem ortsnaraen ist der sonst nirgends begegnende namo Badun *!■ *
„ kampfgonoss " erhalten, neben dem namcii „Badnhenna* der ciiizi^*^
beweis, das» die frieRiscbe spräche einst das wort l>ailit für irtreit, kaiisp'
kante. Der ortsnamo ist in keinem der heutigen ku erkennen; d»«-''^
ist die läge des ortea gesichert, da er in dem regislor zwischen Dri ^^^
ver und (ieidnn, d. i. Ihrhove, ein anderes mal mit Frithunatiitislhorl*
bei Ihrhove genant winl. Er lag also, wie das el)enfala vuim'hwundi?»**^'
Fritlmnatha.sthorp, bei Ihrhove, und zwar an der stelle des heutig^^"
TjiicJien. !n diest^m Badunathasliem liioss noch im 10. und 11. jat»*
hundert eine lokalitnt Tiuding und hientacb ein stllck der feldma-*"*
Tillding tiochi (Crecelius 25). Da „Tinding" 'kein friesis<^hes poitnia^^"
niikoo sein kann — denn „Tiud'' ist weder ein friesischer linmc
der teil eines solchen — , kann das wort nur als Tiu-ding „Tiu-^
rieht" erklärt werden. Dieser friesische flurname besagt also dnssall
wie der. dänische ortsname Tyrsting und dur jütische gauname Ty t^"
thing oder Tyrsting. Schon Finn Sfagiitisson hat (Lex. niylhul 7&^^
dieses Tyrsting richtig als „Tyris forum" erklärt
Wurde aber in Üadunathashom ein Tiu-thing gehalten, bi-fiix>^
sii'li also daselbst auch ein heiligtuni des Tiui^, so war Dtuluuntliw-Iiei** ,
*t1i
BEDB UND niOOLENE 273
das heim des Tius selbst, d. i. Badunät ,,der kampfgenoss ^ ist Tius
selbst In „Badunät^ wird man demnach den namen zu sehen haben,
den Tius als kriegsgott der Chauken und Friesen führte. Er erin-
nert an den Saxnöt „schwertgenoss'' der Sachsen, den Saxneät der
Angelsachsen. Da „Badunät" name eines heidnischen gottes war, wird
es erklärlich, dass der so oft genante, sehr ansehnliche ort Badunathas-
hem nicht mehr zu finden ist. Die christlichen priester werden ihn
umgetauft haben. „Badunäf bezeichnete die kriegerische seite des
Tius, wie „Things" die gerichtliche. Offenbar erschöpfen die gericht-
lichen fiinktionen nicht die friedliche tätigkeit Tius; es kann also
„Things*^ nicht als der volle gegensatz von Badunät angesehen werden.
Dem „Badimät" entspricht genau genommen nur ein „Frithunät*'
Nun lag neben Badunathashem ein ort Frithunathasthorp; es wohn-
ten hier also wirklich Badunät und Frithünät neben einander. Drängt
sieh da nicht die Vermutung auf, dass Tius hier zwei heiligttimer
neben einander hatte und er in dem einen als kriegsgott „Badunät",
ini dem andern als friedensgott „Frithünät" verehrt wurde? Frithu-
nathasthorp lässt sich heute ebensowenig finden wie Badunathashem;
öS mag in christlicher zeit ebenfals imigetauft worden sein, weil Fii-
thunät der name eines heidnischen gottes war.
Das Tiu-thing in Badunathashem steht nicht vereinzelt. Nach
4^m nächstältesten Werdener register besass das kloster einkünfte in
Eitlem Mesischen orte Tiudingi „am Tiu-goricht" (Crecelius 12 und 16).
J-*iese ansiedelung am Tiugericht liegt im Hunsegau, und zwar im heu-
|*^6©ix orte Leens in der Marne; sie besteht aus zwei wierden, die noch
^'^ diesem Jahrhundert „Tiunster wierden" und „Tiunster-warve"
S^iiant wurden, jezt aber als „Leensterwiorde" zusanmiengefasst wer-
^^ni Sie gehören zu Leens, dem alten „forum Lidonse", der alten
*^^upt- und gerichtsstätte der Marne (v. Bichthofen 11, 844), wo das liud-
^'^ing dieser landschaft gehalten wurde. Jenes register nent wol Tiu-
**i*^gi, nicht aber Lidenge, weil eben Tiudingi und Lidengo einen und
^^Uaelben ort bezeichnen. Hier liegt also die Identität von liud-
••hiiig und Tiu-thing zu tage.
Da Tius den Friesen hauptgott, der almagin es oder es yuox*
^^^3C^ war, bezeichneten sie das Tiu-thing auch als fis-thing. Die-
^*^ namen trug z. b. die gerichtsstätte des Middogsterlandes, welche
^^H5h im 14. Jahrhundert „fisdingimi" und „fisding", heute Besinge
1) V|^ van dor Aa, Aardrijkskundig Woordenboek der Nederlande unter
iHda.<'
FHILOLOOne. BD. xxu. 18
274
(t. Richthofen 11, 796) heis8t sodass als cursprüngliehe friesische namenfonn
tis-thiiigi ^am £sthing^ anznsetzen ist Ein £lsthing warde anch beim
dorfe Eisinghusen im Emsigeriande gehalten. Der ort heisst nodi
im 15. Jahrhundert ^flsing-hasum*^ (v. Richthofen II, 1164). Dass dies
aus ^flsthing-hasam^ ^bei den hausem des listhing ^ entstanden ist
folgt auch daraus, dass der ort im ältesten Werdener register noch
den namen Tius-hem (Crecelius 12) fuhrt, dort also ein Tiusheiligtum
stand, an dem ein Tiu- oder £sthing gehalten wurde. In christlicher
zeit wurde der name „Tiushem^ durch den weniger heidnisch klingen-
den „ftsthing-husum*^ verdrängt
Bei der alten heiligen gerichtsstätte Bafflo liegt ein Örtchen Saxum,
ein zweites Saxum liegt bei dem £s-thing des Middogsterlandes nod
ein drittes Saxum befand sich neben der jezt vom Dollart überfluteten
reiderländischen gerichtsstätte Bedding-hem (v. Bichthofen 11, 1191)^
Im westerlauwerschen und ostemsischen Friesland gibt es keinen der-
artigen Ortsnamen. Jener name „ Saxum '^ heisst in der ältesten fonn
Saxinghem (Crecelius 12, 14, 18; Dronke, Tradd.Fuld. s.48). Daduick
ist es ausgeschlossen, bei dem Ortsnamen an den volksnamen derSadh
sen zu denken. Mir scheint nun auch dieser Saxing, der sein heim
an friesischen gerichtsstätten hat, Tius zu sein, und ich halte den
friesischen Saxing somit für einen und denselben gott wie den säch-
sischen Saxnot, den angelsächsischen Saxnedt Tius als steinschwert-
oder Steinbeil träger war ja dem heidnischen Friesen eine geläufige Vorstel-
lung, wie die schöne sage vom Ursprünge des friesischen rechtes be-
weist Ihre älteste fassung, die westerlauwcrsche, lässt den Tius als
$ls mit goldenem beil (fries. axe = got aquizi) auf der schulter
auftreten (v. Bichthofen II, 462). Er hiess daher den Mittelfriesen Axing
und seine wohnstätte Axenc-hove, Axing-hove oder Axingi, heute
Aaxens im Westergau südlich von Bolsward (v. Bichthofen 11, 430).
Auffallender weise finden sich im östlichsten Friesland keine
gerichtsstätten, deren namen mit „Fimile", „Bede'^ oder „Tius*^ zusanh
mengesezt wären. Hier tiugen die gerichtsstätten ganz andere bezeich-
nungon. Lehrreich sind hierfür die namen dreier neben einander H^
genden gerichtsstätten des Brokmerlandes: Barstedc, Bangstede und
Ochtelbuhr, oder, wie sie im 15. jahrhunderi heissen (v. Bichthofen H,
1170, 1207, 1208), Berstedo, Bangkstede und öchtleburen. Ber-
stede ist aus Lere „klage, Vorgericht'', Bankstcde aus ba?iky henk „bank*
und siede „statte^ componiert. Dass diese „ bankstätte "^ und ,,klage-
stätte" gerichtsstätten waren, folgt aus § 178 des Brokmer briefe^*
thisse benettie (mordklage) skel tmi dua nper bere and iiper beni^
BEDE WfD füCHlLENB 275
ßichthofen, Pries, rechtsqu. 176, 27). Bangstede hat hiemach seinen
len offenbar von der gorichtsbank. Das wort bere, bare „klage",
dem Berstede seinen namen führt, hängt nicht, wie von Richt-
?n (Altfries, wörterb. 618) glaubte, mit ahd. bar, parön zusammen,
dem gehört zum altn. berja, ags. berjan „schlagen, kämpfen'^ (Rck,
gleich, wb. der indogei-m. sprachen I^, 695), imd dadurch ist eiwie-
, dass das friesische bere, bare ursprünglich den rechtsstreit, „Boro"
r „Berstede'' die Streitgerichts- oder bedthings- statte bezeichnete,
irend wir dann in Bangstede die entsprechende fimelthingstätte zu
3n haben.
Der ort öchtle-buren lag, wie sein name besagt, an einem
t-hain. Da ein ostfriesisches öcht des 15. Jahrhunderts auf ein
res Acht zurückweist, und da die gerichtsversamlung des ganzen
kmerlandes, also das Brokmer liud-thing 'fnene acht heisst, ist
;cr Ächt-hain neben der bed- und fimelthingstätte der Brokmer
beachten. Dass wir es hier nicht unmittelbar mit acht „gerichts-
samlung'', sondern mit einem eigennamen Acht, öcht zu tun
en, lehrt der name des dorfes öchtersum^ (bei Esens im Harlinger-
ie). Der ort heisst noch 1426 öchtsem (v. Richthofen II, 1214),
1. öchtcs-hem „Heim des Ächf (Öcht). Derselbe Acht begegnet
Mittelfriosland: in der nähe von Almenum liegt Ächlum, in älterer
aensform Ächtelum (v. Richthofen II, 590), aus welchem das bekante
stum von 1559 stamt (v.Richtliofen, Fries, rechtsqu. 506). Einzwei-
Achtelum, heute Echtelen oder Echten (v. Richthofen II, 725), liegt
mittelfriesischen Lemsterland.
Wer ist nun dieser Acht oder Ächte, dem die Friesen bei den
ichtsstätten haine heiligten? Der name ist von äht „Verfolgung*'
Udet imd gehört mit dem ags. öht-here und dem bekanten Ac-
aerus (Tac. ann. 11, 16) = ahd. Ähtumer „durch die Verfolgung
feindes berühmt" zusammen (vgl. lOuge, Etym. wörterb. unter
f und Paul und Braune, Beiträge 11 s. 2). Achte bedeutet also
r verfolgen" Ich glaube nun, dass Achte ein beiname des Tius
^ der ihn als Verfolger im kriege und im gericht bezeichnen
ö, und dass sich diese identität von Ächte und Tius genau bewei-
lässt Wenn nämlich Ächte ein beiname des Tius war, wie
ing, Axing, Badunät, Frithunät, Things, Forsite, so hätten die
uken ihre vornehmste insel Forsetisland, wie Helgoland im 7.
1) ^ Ochtersum " entstand aus „Ochtesuni'' durch die ostfriosischo epenthese
^y durch welche in derselben gegcnd „Ditsum'' zu ^Dirtsum*', „Oldesum* zu
^•rwnii*, gOrimesum'^ zu „Grimersum**, „Loppesum" zu ^Loppersuin** wurde.
18*
276 JABKXL, BKDB UND IIMMILKNB
und 8. Jahrhundert noch heisst, auch nach dem Achte, also ^Icht-
land^, ,, Achtinsel ^ nennen können. Da insel altfr. avia heisst, hätte
eine „Achtinsel^ friesisch als „Achtavia^ bezeichnet werden müssen;
und so hat die insel wirklich zu Flinius zeit noch geheissen. Denn
er nennt (IV, 27) als „insulae nobilissimae^ an der chaukischen koste
von west nach ost „Burcana" (Borkum), „Austeravia** (Astereinde,
V. Richthofen n, 1230) und „Actavia.'' „Actavia*' ist aber, wie schon
Müllenhoff (Ztschr. f. d. a. 9, 224) gezeigt hat, die römische schr^
bung für germanisches „Achtavia." Somit ist das Actavia des Flinius
das spätere Forsetisland, das heutige Helgoland.
Dadurch ist nun erwiesen, dass in „Forsite*' ein jüngerer bei-
name des Tius vorliegt als in „Achte.'' Dazu stimt, dass sich „Achte*
als epitheton ebenso gut für den kriegsgott wie für den gerichtsgott
eignet, während „Forsite" und „Things" nur für den gerichtsgott passt
Man wird sich also wol die beinamen, welche Tius bei Friesen und
Chauken führte, in folgender reihenfolge entstanden zu denken hab^:
Als gott des krieges und des öffentlichen lebens, wie es sich in den
Volks- und gerichtsversamlungen abspielte, erhielt Tius den beinamen
Achte (persecutor). Sein sinbild war das steinschwert {sax) oder das
heil (axe)^ und darum heisst er von alters her der Schwertträger
(Saxing) oder beilträger (Axing). Indem er sich dann zum kri^-
imd friedensgott differenzierte, entstanden die beinamen Badun&t
„ kampfgenoss" und Frithunät „friedensgenoss." Aus den functionen
des Frithunät hob dann erst das friesische Things, das chaukische For-
site die wichtigste, schütz und leitung der gerichtsversamlung, beson-
ders hervor. Dass aber Achtavia in „ Forsetisland " imigetaufk wurde,
beweist ebenso wie das „Things" jener votivaltäre von Borcoviciumt
dass den Ingävonen ihr hauptgott Tius schon in sehr früher zeit in
erster linie gerichtsgott war.
Für die rechtsaltertümer ist durch unsere Untersuchung festgestelt,
dass es zur heidnischen zeit bei Friesen und Chauken drei thing-
arten gegeben hat, von denen jede unter dem walten einer besonderen
gottheit („velut deo imperante" Tac. Germ. 7) und, wie ich an anderer
stelle zeigen werde, an ihrer besonderen statte abgehalten wurde, twd
zwar:
1) das liud-thing oder die mene acht unter dem schütz und
der leitung des Tius selbst, daher auch Tiu-thing oder fis-thing
genant; es war identisch mit dem liudwarf (conventus populi), der
volksversamlung. An der liudthingstätte befand sich das dem K"^
geweihte hauptheiligtum des liud.
FIF£R, ZU NOTKXRS RHETORIK 277
2) das baduthing (bedthing) ^streitgericht", gehalten auf der
berstede ^streitstätte'^ am heiligtom der alaisiage Badwine oder
Bede „der kämpferin (pagnatrix)**, die über dieser thingart waltet
3) das f im elthing, beschüzt und geleitet von der alaisiage
Fimiline „der rächerin (ultrix)'', deren heiligtum sich auf der gerichts-
Stätte befindet
Der dreizahl der gerichtsgottheiten entspricht die dreizahl der
gerichte und die dreizahl der gerichtsstätten.
BRESLAU, DEN 20. FEBR. 1889. HUGO JAEKEL.
ZU NOTKEES EHETOEIK.
Auf die nachricht Trautes von dem Vorhandensein einer fort-
säxung der rhetorik (Ztschr. f, d, altert XXXII, s. 388) wante ich
ffdch an die königüctie bibliothek xti Brüssel und erhielt ausser der
unten folgenden, diplomatisch genauen abschrift des in betracht kom-
fnenden Stückes (nur die compendien sind aufgelöst, die mangelhafte
interpunktian aber beibefudten) folgende nachrichten über die hand-
Schrift, welche die angaben Traubes a. a. o. ergänzen. Ich verweise
daxu auf die beschreibung der handschrift im ersten bände meiner
ifotkerausgabe s. XII fgg.
Der binio, blatt 74 — 76, dessen lextes blatt weggeschnitten ist,
tnihält auf blatt 75 ein bruchstück eines brisfes des grammatikers
Päuli^ius von Aquilga und einen (volstäfuUgen?) brief ebendesselben.
-BfaW 76 ist Uniiert und zum schreiben hergerichtet, aber völlig unbe-
^obrieben. Auf blatt 77 und den folgenden stehen dann brief e des
Sidonius ApoUinaris, Nur auf blatt 74 befindet sich der schtuss von
Noikers rhetorik, und zwar knüpft derselbe an das von s. 65^ b
^f s. LXXXIX meiner ausgäbe abgedruckte an. Der lezte satz laur
^ daselbst (unter aufnähme von Traubes berichügungen) vde folgt:
Patronomicum est quod a propriis nominibus patrum tantum-
Jfiodo deriuatur (sed unterstrichen) Secundum grecam fonnam id est
S^^^cam terminationem ut eacides quod significat ^aci filius vel nepos
^Pparet ex hac diffinitione omnia patronomica ad aliquid
Hier sext das unten folgeffide stück ein. Die schrift des blaues 74
**^ iehr klein. Besonders ist der untere teil der kolumne 74 ^, a durch
^^^ten sehr verdorben. Die schrift ist auch sonst oft schwer les-
w> daher konte trotz aller müJie an einigen stellen der zusammen-
•^y nicht mit Sicherheit festgestelt werden.
278 PIFKB
[G 74^^ a] dici. Namque siciit filius patris est filius. et nepos est aui
nepos. ita eatides (sie) quod utrumque significat necessario ad utrumque
refertur Oportet autem oppositum ei nomen quod communiter patrem
et auum significat genus esse sicut et omne patronomicum {cod,:
pat'nomicum) communem intellectum habens filii et nepotis genus est
POSSESS
Possessiua. diuersas habent terminationes que numerand^ sunt Sunt
enim plus quam XX** in acus ut cipriacus (cod, add. I) ager .i. cipriorum
ager In icus ut ecclesiasticus seruus .1. Qcclesi^ scruus In icus ut
libycus (cod. ly.bycus) ager .i. ager eorum qui in libia sunt Has ter-
minationes a greeis suscepimus in us puram desinunt possessiua tarn
greca quam latiria In eus breui .e. ut cesareus miles. miles cesaris In
eus producta .e. (cod. e) ut achilleus armiger, armiger. achilUs in ius .1.
(cod, ide) correpta ut marcius ensis ensis martis In ius . i . producta ut
chius ager. uel chium uinum . i . ager uel lünum eorum qui in chic sunt
insula In ous o producta ut eous nuncius. nuntius eois (cod. eo??, vgl
uinum eorum auf voriger xeile) et fit simile diriuatiuum primitiuo
In eus ut hilius comes comes hile^ In oeus ut eub^us habitus habitos
eorum qui incolunt euboeam insulam In iuus ut furtiuus equus fiiris
equus In rius ut pretorius excrcitus exercitus pretoris Proprio latino-
rum sunt In anus ut humanus ritus ritus hominum In enus ut alie-
nus mos aliorum mos In inus (cod. ius) .i. longa in femininus (cod, i
femino) cultus cultus feminarum In ius i. breui ut pristinus qui est
priorum uel prisconmi uel qui est prioris tcmporis In unus ut tribu-
nus qui magister tribus est In Inus ut populnus non de arbore sed
qui populi est In rnus ut patemus qui patris In is ut hostilis qui
hostium (cod, hostilium) est In er ut equester qui equitum est Ergo
possessiue significationis (cod. significatiois) nomina ad aliquid dici
prius (cod. pritis) dictum est. (cod. ?) quae autem sola forma possessiua
dicuntur in diuersis sunt significationibus Simt enim quedam gentilia
ut romanus ciuis (cod. eui9) de quibus dictum est supra alia sunt (hier
ist getilgt: propria ut iulianus quintilianus de bis quoque dictum) pa-
tronomicorum loco posita. ut cmilianus scipio uel ocdauianus cesar ut
dictimi est supra alia sunt propria ut iulianus quintilianus de bis quo-
que dictum est Alia sunt agnomina ut affiricanus. persicus getulicu^^
creticus et h^c propria sunt Alia sunt materiam significantia ut ferreus^
a ferro factus. similiter aureus (das erste u iibergeschr.) argenteus fBCtiL:as
marmorcus. ligneus. qucrneus. oleaginus. faginus Ergo quia ferreus Ci-t
marmorcus. inde fit non quis. uel qualis sit demonstrant ideo substarm-
ti^ qualitati et quantitati huius modi sunt dissimilia Uidentur ante
zu NOTEEBS RHETOBIK 279
aliquid esse et relatiu^ dici ad ablatiuos primitiuorum sicut et posses-
siua ad genitiuos primitiuorum. Inuicem enim se construunt (oder
constituunt?) atque tollunt Si est de ferro, est ferreus et si est ferreus.
est de ferro Et forte melius est ad septimum casum ea referri ut sicut
sensu sensatum est ita ferro uel marmore fit ferreum {das zweite e mit
häkchen übergeschr.) uel marmoreum Et differunt quia ferro uel de ferro
materiara ferreus autem uel ferrea ferreum materialem rem significat
Si quis autem huius modi relationem quasi ab aristotile non inuentam
recusat suscipere meminerit ipsum diffiniendo dicere relatiua esse; que
modo Übet predicantur ad aliud Uel si non aquieuerit meliorem ratio-
nem reddat ut sequamur eum A disciplinis uero dicta ut socraticus
platonius. c. socratis sectator uel platonis. uel a professionibus ut mecha-
nicus. medicus grammaticus .i. harum arcium studiosi qualitatem
plane et scientiam significant Similiter ab officiis dicta ut mercenarius
tabellarius .i. qui tabulas patrum imaginibus depictas. nobilibus rom^
antetulit Item cerarius. hostiarius. argentarius erarius uel a dignitati-
bus ut questorius. prefectorius. i. dignus questura. prefectura. pretura.
qualitatis sunt Alia dicta ab Ms in (in fehlt) quibus sunt ut planta-
rium quod est in planta. mensorium quod est in mensa. motorium
quod est in motu, palmarium quod est in palma diuersorum gen-
enrm species sunt Nam plantarium calciamentum est uelud simpli-
citer dicam aliquod genus indumenti dialectice autem dicere aliqua
species indumenti mensorium species est uelamenti (von mensorium
^ mit \' am rande Tiachgetragen, ob von anderer hand?) Menso-
•
fi^m species est instrumenti ut est illud quo terrentur aues in uineis
Paltnarium quod est in palma hoc est in laude Ut uictoria (cod.
^etoria) Corporale namque palmarium quod in palma est ut bacu-
'ßs et sceptrum species gestaminum est Incorporale autem palmarium
(^^(^. palmarum) quod in laude est qualitatem significat quia palmarium
(cod, palmarum) quasi laudabile esse intelligitur et eiusdem cathegori^
®8t: Nam ut liuius scribit in X° libro ab urbe condita (Liv. X, 47)
q^ando triumphatum est a sabinis Lustrum rom^ conditum est a
liicio cornelio aruina consule et eodem anno ob res bene gestas uic-
^Tes coronati spectabant ludos sibi editos. et tum (cod, tu) primum
^^r^nskto egregio more palm^ dat^ sunt in manibus eorum Inde ortum
^t ut a gestamine palm^ ipsa manus gerens siue uictoria (darnach
^ -e. durch punkte getilgt) palma dicatur et quod triumphale est uel
<luod in laude est palmarium (cod, palmarum) dicatur Alia significant
^® quibus sunt ut frumentaria lex de ifrumento. agraria de agris num-
''^Äria de nummis Lex ergo secundum ciceronem species iustiti^ est
280 npn
eius iterum species sunt plautina Cornelia et ceter^ de axtcboril
eoram uocitatQ {cod, iDcitatQ) quarum partes sunt fnimentaria agra
nnmmaiia et qualitates sunt Alia dicta ex bis quQ continent nt nina:
cella que habet uinum. armarium in quo sunt arma posita Sic mo
rium. (oocL mälariü) auiarium uiridarium {cod. uiiidianim) rosarii
«
Ergo cella uel offidna substantiQ sunt et species edifidi Cella iti
babet species armarium et uinarium (cod, uinariä) Offidna uero spec
babet molendinum. pistrinum {cod, pristinum) refectorium et talia S<
tum namque ea pars terr^ dicta est que sepe circumdata est unde
dicitur. ut sunt borti (b mit häkchen vor ort! vorgeschrieben) et uic
propterea partes sunt terr^ borti quibus nomen est molarium auiarii
uiridiarium rosarium ubi berb^. et flores et aues nutriuntur et substi
tiam signiücant Alia sunt a temporibus ut diumus noctumus. bestemi
hibemus Alia sunt a locis ut extemus internus Igitur de temporalib
et localibus diligenter uidendum [O 74^, b] est cui predicamento (ve
tcischt) asscribenda sint Et sciendum quod sicut (sicut? übergeschr.) unii
catbegori^ sunt magnus et magnitudo sapiens et sapientia .i. quan
et quantitas. qualia et qualitates ita unius catbegori^ a presciano nom
nantur esse ipse locus et ipsum tempus atque ea quQ ab bis dicunti
localia et temporalia ut a loco internus extemus a tempore {cod, temi
bodiemus hestemus matutinus uespertinus Hoc apparet in priorib
ubi ille de loco exemplum dare non potuit et localia posuit ut longi
quus propinquus sicut et bini et temi numerum simplidter non sigi
ficant sed numoralia sunt i. substanÜQ numerat^ ut bini bomin
gemini {cod. gemni) fratres temi lapides Discretio tarnen est in bis q
localia ille confuse vocat Nam aduerbia sursvm deorsum supra in£
intra extra (extra am ra7ide mit • : nachgetragen.; van anderer hana
ubi significant sed et locum ipsvm uidentur significare imde supera
et infemus internus et extemus quQ inde tracta {das erste t undeu
lieh) sunt forsitan duarum sunt catbegoriamm quantitatis et ubi. Yrl
nus autem et oppidanus et rusticanus et palatinus et capitolinus
querlinus {cod. q'lin9; » esquilinus?) que similiter a locis dicta ij.
docuit non quantitatis sunt sed ubi significant {cod. significam9) Nam
opido {sie) ubi tantvm significat Oppidanus autem. id est qui in oppi
babitat ubi et personam {cod. persona) scilicet in loco et locatum in lo
significat Et si hoc ratione constabit {cod, 9tabit) quia nihil temere f
mandum est nomina ad sex cathegorias extenduntur Et si bestemi
hodiemus et similia temporum. nomina aliquis forte plus potent i
quando trahere quam ad quantitatem. YIT*" sunt catbegori^ in qc
bus nomina inueniuntur Sed de bis dubitare non est utile ut aristol
zu NOTKKRS RHETORIK 281
les ait Alia a dignitatibus siue officiis ut tribunus antesignanus Antea
quoque de hac significatione dictum est a prisciano sed non in hac
terminatione Bomiilus exercitvm suum in tres partes diuisit et quos
eis prefecit a tribus partibus tribunos uocitauit Postea quoque tribuni
in ciuitate usque ad nouenarium numerum creuerunt et creati sunt
non solum militum sed et plebis tribuni et grece chiliarchi {das zweite
1 übergeschr.) dicuntur eo quod mille presunt {cod. psit) Ergo dignitatis
que sunt {cocL fragexeichen) ad aliquid pleraque sunt dicta ut rex regni
sui rex est et regnum regis est regnum Dux quoque comitum dux est
et comites ducis sunt comites et qu^stor questu quQStor est quQStus
nero questoris qu^stus est {cod, ^) et prepositus subpositis prepositus
est. et subpositi prepositis subpositi sunt et prefectus suffectis prefectus
esfL suffecti autem prefecto suffecti sunt quamuis in usu habemus suf-
fectos successores dicere Si autem uolumus prefecto oppositum dare
prefecturam suam. ut piefectura prefecti sit prefectura et prefectus pre-
fecture su^ prefectus sit oportet intelligere quia suffecti prefecto ipsi
sunt eins prefectura Eodem modo consul dictator pretor presidens {cod.
psens) presul tribunus. ad consulatum dictaturam preturam presidatum
presulatvm tribunatum relatiuQ atque reciprocQ dicuntur Antesignanus
®st qui uexillum portat ante exercitum et qui soquuntur {cod, sequn-
^^^^) eum signisequi sunt et inuicem conuertuntur Alia a generibus ut
öiasculinus femininus Si quid simile {cod. sime) mascule et femin^ mas-
cuJixixmi et femininum dicimus possessiue dicimus siue de exterioribus
^t ixiasculinus et femininus amictus siue de interioribus ut masculinus
®^ femininus color uel masculinum genus (genus übergeschr,, von ande-
h^md?) et femininum Si cui uidetur de solis exterioribus possessio-
dici sciat ad similitudinem exteriorum interiora predicari et sicut
^^^^ixiinum dicitur opus opus femin^ ita quoque femininum genus genus
femixj^ uel feminarum dicitur et ut supra dictum est ad aliquid dicitur
^^ quis autem interrogat qualem animum habet ille et respondetur
**ö^xxiiiinum femin^ similem intelligimus et qualitatis est Sic semper
®j^ significatione predicamentum intellegitur Alia sunt ex mutis anima-
lipix^ ut passerinus ansorinus coruinus ceruinus An ista possessive non
^^vintur quia nesciunt possidere muta animalia? Non utique minus
^ Ulis quam de rationabilibus possessiua fit predicatio quid est enim
^^J^iiina uox uox. corui Si uero dicitur ceruina pellis manente {lies
'^^^^ilet in?) ceruo {daxu mit verweisungsxeichen am unteren rande der
*', von anderer hand? steht: congru^ uidetur intellegi {cod. intelgi)
oearui quod non manet in {cocL non manenit mante, das texte wort
^*'**^ strich darunter getilgt) ceruo) de exuuiis hoc dicitur secundum
282 PIPER
prioris tomporis consiietiidinem hoc dicitur Alia sunt a persona (? die
abschrlft Iw^t femina) iit libertinus egenus possessiue dicitur libertinus. i
filius liberti egenus qualitatem significat ut qualis est? egenus est Alia a
materia ex qua constant ut humanus terrenus de humo et de terra &ctus
Hqc ad substantiam et quantitatem et ad alias cathegorias nuUam habent
similitudinem nisi ad qualitatem et ad aliquid Si enim interrogauero
(cod. interragauero) qualis est forte non est incongruum dicere humanus
est quod aliquando inteUegitur misericors est Si materiam requiro nun-
quam dico qualis est sed potius imde factus est aduerbialiter interrogo
et respondotur de humo de terra quia non est inuentum nomen inter-
rogatiuum materi^ cui reddatur marmoreus lapidevs propterea noc qua-
litatis sunt ista quantum conici datur Sunt ergo relatiue et ad aliquid
dicta ut ostendimus supra Comparatiua superlatiua diminutiua planis-
sime ad aliquid predicantur et sunt specics oius Nam potentibus poten-
tior est • et potentium potentissimus est ita ad positiuum uterque
respondet gradus comparatiuus et superlatiuus quia quamuis potentibus
minus tamen potentibus potentior dicitur. eodem modo regulus ad regem
paruus rex ad magnum regem comparatiue dicitur Denominatiiia uero
et uerbalia et omnia similiter nomina omnesque dictiones quantum ad
generalissima genera decem tantum significationes habere (dictum
est?) Quantum autem ad genera eorum subaltema et species et indiuidua
et partes generum et partes specienim et indiiiiduonim innumerabiles
et incomparabiles esse quis dubitet? InteUegitur enim quando dicitur
Caput esse goneris [O 74 ^\ a] quia animal genus et totum
quiddam est et quando dicitur caput hominis inteUegitur pars totius
indiuidui quod non solum inteUegitur sicut genus et species sed occu-
lis ccrnitui- Ergo denominatiuorum et uerbalium uarias significationes
prescianus in diuersis torminationibus ostendere conatus est primo per
uocales deinde per consonantes In ia quedam desinunt ut duritia iusti-
tia sapientia quo quia quaütates sunt quales faciunt durum iustrm
sapientem Sed durus naturalem potentiam iustus. et sapiens habitum
designant In a consonante antecedente. ut a cantu cantüena Dicimus
tamen cantum ipsum inuentum Carmen quod scientia tenetur et a
docento discitur cantacio et cantilena ipsius est cantus depromptio et
cantiitio cantorem facit cantilena taU deficit nomine Sic et lux et lumen
dum idem significent a luce fit lucidus a lumine non est inuentum
([uale nomen Nam et uirtus manifeste est qualitas et ex ea quäle
nomen est dissimili uoce studiosus Contra autem innen ti sunt quales
sine qualitatis nomine ut palestricator qui dicitur non exercicio (cod.
exercicicio) sed corporis habitu. Nee in cathegoriis ipse docet aristo-
zu NOTXKBS BHETOBIK 283
tiles In e ut cubo cubile sedeo sedile Cubile edificii {cod. edifieies, es
tinterpunktiert, i übergeschr) species est aliquando autem pars domus
est Sedile autem domestic^ {cod. domesthc^) supellectilis species et ideo
substantiam signifieant Cubile edificium et sedile domesticam suppel-
lectilem quam substantialia habcnt In i ut frugi nihili id est abstinens
et uilis qUQ adiectiua sunt Si autem a fnix nominatiuo (cod. nomina
natiuc) datiuus est frugi quis dubitat substantiam esse, fruges et spe-
ciem gemiinis? Et niehili a nominatiuo {cod. noiao) niehilum qui com-
positus est a non et hiliun negatiuiun esse illius simplicis nominis.
liilum. quod olim in usu erat aliquantulum significans substanti^ Om-
iiia autem negatiua quantitatis sunt et partes orationis ut nemo nuUus
nusquam numquam nequaquam et similia In u ut tono (cod. ono)
tonitru Quid est tonitru? nisi tembilis sonitus disciurentis uenti in
nubibus et conantis erumpere Ergo (r übcrg.) tonitru nomen est de sono
uocis factiun sicut et eins primitiuum (cod. primitiü) uerbum tono Et
sie uox est aer ictus tonitru similiter est aer ictus. aer namque sub-
stantia est vox quoque et tonitru quid sunt aliud? partes enim sunt
ipsius elementi. In al ut a ceruice ceruical a tribuno tribunal Cer-
uical torus capitale culcita fulcimenta sunt fulcimentum autem sicut
uestimentum et indumentum et operimentum substantiam signifieant
qiiamuis et ad aliquid dicuntur {am rmide von derselben Jtand: pro-
batio) Guius est enim opperimentum uestimentum indumentum nisi
opert^ uestitQ indut^ rei? Item quo indutus opertus uestitus nisi indu-
mento operimento uestimento dicitur? tribunal uero et solium et cathe-
dram et subsellium et tripodas communi nomine sedem dicimus Sedes
autem et mensQ et lecti et candelabra (cod. candelebra) et eiusmodi
quibus utimur in domo utensilia communiter dicuntur De his quoque
suppellectilem dicimus quia nemo dubitat substantias esse In il ut uigilo
uigiL pugilus pugil Vigil est cid inest naturalis {cod. nat'alis) seu exer-
citata uigilantia/ aliter vnde ad duas qualitatis species pertinere uide-
tur habitiun et naturalem potentiam similiter et pugil/ unde et liec natu-
ralis potentiQ qualitas dicitur Pugil uero aliquando exercitio aliquando
quoque naturali (cod. nat'rali) potentia dicitur et ideo ad duas species
qualitatis suscipitur In ul ut exulo exul presulo presul Exul extra solum
est et ubi significat Presul dignitatis nomen est significat enim magi-
ster uel episcopus qu^ quia ad aliquid sunt dicta presul (ad feJdt) ali-
quid dicitur ut superius commemoratum est In am ut nequis nequam
Hoc adiectiuum est In um ut oliua oliuetum rosa rosetum. tendo ten-
torium sto stabulum. presideo presidium Orti sunt rosetum et oliuetum.
i. partes (te übergeschr.) terrq in quibus multitudo rosanun et oliuarum
284 TiPWB,
innen iuntiir. Tentorium uero togimentum est sicut et tuguriiim! Vesti-
menta (datiiber steht d als zeichen für eine randbenierkung , diese sieht
unten mit demselben xeichen: (Domus quoque et cetera habitacula
nonne sunt tegumenta? von anderer hand?) quoque et (in durch strich
darunter getilgt) operimenta et indumenta quid sunt nisi tegumenta?
Tegumenta uero defensaciila sunt Defensacula uero siue sint opificialia
ut murus et propugnaculum siue naturalia ut montes et siluQ corpora-
lia sint Non minus tarnen et ad aliquid sunt dicta tegumenta. et
defensacula sicut operimenta et indumenta. Stabulum edificium est
dictum est prius presidium munitus locus, uel exercitus derelictus in
prouincia ut presidendo et armis eam muniendo tutam eam ab hosti-
bus faciat ut romana presidia per totimi pene orbem disposita quon-
dam fiierant ad comprimendos statim primos motus prouinciarum. ne
crescendo maiora damna rei p. {d, i, publicae) infcrrent Si tarnen est
presidium est et subsidium (ad auferenda durch strich darunter
getilgt) et ad aliquid sunt DifiFerunt autem quia presidium est ad ca-
uenda mala subsidium ad auferenda uel louanda mala Item presidium
contra futura mala auxilium et subsidium contra presentia mala ita ut
auxiliiun sit ab alienis uel extraneis subsidium uero quod postoa
superuenit In ar ut lacus lacunar. calx calcar cedo cesar Si lacunar
locus (lacus?) et receptaculum aquarum dicitur de terra utique hoc
dicitur. ipsa enim locus est et receptaculimi aquanmi Ergo lacunar est
pars terre pars totius indiuidui elementi Quando autem lucemam aut
laquoar significat similiter corpus est Calcar uero instrumentiim est
equcstre ut et lupar et strigiles Illigatur nanique calcaneo ad stimu-
landos equos Instrumenta autem siue domestica siue rustica siue naua-
lia siue equestria siue bellica corporalia sunt Cesar aliquando proprium
aliquando appellatiuum semper substantiam significat In er ut eques
equester macies macer Equester est possessiuum macer adiectiuum In
or ut senatus Senator amo amator Senator nomen est dignitatis et
quäle significat Quq uero dignitatem simul et officium significant (cant
undeutlich) ut dictator magis ad aliquid sunt Amator plane affectionem
qu^ est prima species qualitatis et passionem que est tertia species
significat In ur ut sano uel saturo satur murmuro murmur Satur qua-
lis est murmur qualitas est secundiun quam quales dicimur. id est
murmuratores (tores über unterpunktiertem tiones übergeschr.) In us
{lies as) ut primus primas optimus optimas. ciuis ciuitas probus probitas
arpinum arpinas primas et optimas [O 74 ^, b] nomina dignitatum sunt
idem honorabilLs et electus de quibus quales dicimur, ciuitas substan-
tia est ut oppida et urbes. et municipia. et omnes structur^ probitas
zu NOTKBRS RHETORIK 285
qoalitatis est arpinas patrium {cod, patriu) est es correpta pes pedes
equus eques teges. pedites et equites et sagittarii et uelites (cod. ueli-
tres) nomina sunt militum non propria sed specialia et ab acta qiiales
dicuntur Es producta pauper pauperies acer acies sepio sepes struo
strues sterno strages pauperies qualitas est qualem facit pauperem Acies
acut^ rei acies dicitur non minus tarnen et qualem facit acutum Sepes
septQ rei sepes est relatiu^ enim predicatur Eodem modo strues et
strages. structe et strate rei dicuntur et eiusdem sunt predicamenti In
is ^des edilis rex regalis. amo amabilis penetro penetrabilis atlicne
atlieniensis sicilia siciliensis Edilis nomen officii et dignitatis est Bome
D^mque edium curam qui gerebat edilis dictus est Edilitate uero edilis
est edüitas autem edilis est Et quia edilitas qualem quoque facit edi-
lora duplex fit edilis. predicatio qualitatiua atque reciproca Regalis pos-
sessiuum est amabilis naturalem potentiam ostendit quia amabilis ille
est qui alios potenter trahit ad amorem sui penetrabilis naturalem im-
potentiam ostendit quia facilo ponetratur. Atheniensis patrium est sicilien-
sis gentile De bis dictum est Os ut {cod. et) lepidus (cod, lepus) lepos
custodio custos lepos est eloquentia et qualitas facit enim lepidum Gustos
qua.lis est et ad aliquid facit enim custodia custodem utraque tamen
custos et custodia custodit^ rei rcciproce dicuntur Vs diuersis conso-
öÄivtibus ante positis saxvm saxosus spuma spumosus uito uitabundus
^^ «^ participiis uersus saltus quando quarte sunt declinationis Et ab
*^u.^rbiis supra uel super superus ab infra inferus extra externus hodie
'^^^iiemus Saxosus et spumosus id est plenus saxis et plenus spuma
l^^^'lia sunt sicut et formosus vitabundus quod intellegitur similis
^^^^^.xiti comparatiue dicitur et ut similis simili similis est ita et uita-
^^^^^dus uitabundo est Supervs et inferus externus hodiemus localia et
^*^cij)oralia ante sunt dicta In x fiu- furax capio capax audeo audax
^^**t:o uertex furax capax audax qualia sunt üertex uero partem cor-
P^^is significat In duas consonantes picenum picens quod gentile est
^^^Vutum tiburs. quod patrium est prius dictum est His addidi que in
^^Ostionem uenerunt Montes quid sunt nisi eminentes terre? Et ual-
^^^ nisi humiles terr^? et campi nisi plane terr^? et specus et putei et
t^ et similia. nisi cauate terr^? Et ill^ tcrr^ partes terr^ sunt Fora-
autem quia ad plura uadit forate {vor forate ist i durch purikt
^^^'^"^nier getilgt) rei est. Longitudo latitudo et altitudo et magnitudo
^ «mplitudo et sublimitas et profundum et similia quantitates sunt
^^^unt enim longum latum altum magnum amplum sublimem profiin-
^^***l Et he quantitates infinite sunt et comparatiue dicuntur Et sicut
^**8U8 ad breuem dicitur. ita et longitudo ad breuitatem comparatiue
28G PIPEB, Zü NOTKERS BHETOBIE
(licitiir et in cetoris eodem modo {cod. mo) Spacium quoque et inter
sti(4um et interuallum. et intercapedo et rima et hiatas et similia
aliquid sunt et pone ununi sunt Quid est spacium uel unde dict
est? A patendo (t über unterpimktiertcm n) enim dictum est et omnisE
res panda uel patula spacio patet/ nihil est spacium nisi quod est i
medio pande et patule rei Vndo otiani quod in medio temporum est poi
similitudincm spa<Mum dicitur Ergo spacium protractio loci uel tempori
id est modiot^is locorum uel temporum infinita Sic et interuallum quod
est inter uallos Quomodo enim antiquitus castra (cod. Castro) fiebani
fossa circuni ducta est cuius egcsta humus interius missa aggerei
(vorher aggrcgö unferstn'elieN) fecit super quem agerem (sie) ualli 'n
est sudes fingebantur per circuitum ut essent quasi murus intrinsecu
positus et non timercnt hostium incursionem et que intra illos uallofe^
distantia uidebatur interuallum dictum est Talis est rima et hiatus==
Rima uero quasi a ramo dicta est unde et uerbum dicitur. diriin<
(juasi duos ramos facio Quando enim que coniuncta erant aut conti-
nua dirimunt so rima est et hiatus Ergo rima et lüatus medietas diri-
mentium se. Int(*rsticium spacium interstans intercapedo (das xteeite
iÜHT intferpinikfierfem i) locus capiens medietatem duorum corporui
Nam in bis omnibus nihil nisi medietatem inuenio aut locorum au'
temporum et ideo a<l aliquid sunt Spacium ut dictum est pande re
uel patule rei spacium est et ipsji res panda uel patula id est qu4
patet spacio patet Kima diremtorum est et dirempta rima. dirempl
sunt Hiatus Inantium est et hiantia hiatu hiant Intersticium circunL
stantium et circumstantia intersticium circumstant Intercapedo intei^ — "
ceptorum est et inten^t^pta intercapedine intercepta sunt Quid antei
iNt distantia? separatio alterius ab altero et ad aliquid est Sicut enii
s(»paratit> (»st separat»^ hm sie et distantia distantis rei et distans
distantia distat Item ([uid ist uia? forte uia est quantitas. quia uidett»^
esse linea que tlucit de loco ad Uvum Nam et latitudo que
in uia ciiva illani lineam est et ipsa non habet latitudinem sed lonj
ttidineni sine latitinlinc Inuisibilis etiam i^t uia enim que uidetur no ": "
t^st ipsa linca scd contricio et su|K»i1ioiei demolicio ex uestigiorum inm^^^"
pn»ssiont* facta Iteni quid est tacits? Species et forma in coipore ff= ^^
ideo qiialitas K)\\u\ t^t uultusV instabilitas et commutatio que oemiU ^ ^
in (nni, \\\) facio V.Vixo facios ad fonnani uultus ad eflFectionem pertin^L-=- ^
qut» sjHvies sunt qualitatis.; Hvjc cum scripta uides scriptorem qui po'
ridiv, Sio quod non potui rusticus ut nolui. Ac tu comple re.
ine deiM^t utit|Uo llon\
M.IVNV. P. pn>ER.
287
ÜBEE DEN BlLDUNGSGiLNG DER GEAL- UND PAEZI-
TJ^JL-DICHTUNG IN FEANKEEICH UND DEUTSCHLAND.
So lange die schätze der fi-anzösischen bibliotheken in botroflF der
hier einschlagenden litteratur in Deutschland nocli unbekant oder nur
dein nanien nach und nach unzulänglichen notizen bekant waren, moch-
ten die versuche zulässig und berechtigt erscheinen, auf grund der
mysteriösen angaben Wolframs von Esclienbach über die quellen seines
gedichts: über Flegetanis, der in den stemen vom gral las, über das
arabische manuscript von Toledo und die chronik von Anjou, welcher
sein vordichter, Guiot von Provenze gefolgt sei, nach dem urquell der
tiefsinnigen sage vom gral in Spanien zu suchen und nach Görres bei-
spiel in Hindostan und Indien, oder in der Kaaba zu Mekka die erste
wnrzel dieser sage zu entdecken. Seitdem aber der in halt der hierher-
geliörigen litteraturwerke uns deutlicher teils in mehr oder minder
^'-•^sfvihrlichen auszügen, teils in volständigem abdruck vorliegt, ist
^ö aufgäbe: sich nicht mehr in kühne probleme, phantastische hypo-
tiiesen und gewagte, wenn auch geistreiche kombinationen zu verlie-
^^^ ^ sondern lediglich die betreffenden Schriftwerke nach ihrem Inhalt
^^^ zeugen zu vernehmen und so den gang und fortschritt der sage
^^^^fonweise zu verfolgen. Auf diesem wegc sind daher Zamcke (Paul
^- IBraune, Beiträge usw. III, Halle 1876, s. 304) und Birch-Hirsch-
^'öld (Die sage vom gral, Leipzig, Vogel, 1877) zu dem resultat gelangt,
^^5äs eigentlich von einer sage, d. h. einer im volksmund und volks-
S*^^xxl)en fortlebenden und je nach den zeiten etwa gewandelten tradi-
*'*^Jx nicht die rede sein könne, sondern nur von einer diclitung,
^^^lohe aber zugleich das algemeinste Interesse erregte, und die ver-
f^^^i^ensten dichter ansponite, deren Inhalt weiter zu führen und ihn
^^^ geschmacke der zeit auszubauen. Und als diesen ersten dichter
^^A^ssen wir Robert de Boron erkennen, der selbst versichert, dass
'^^ol:! kein sterblicher vor ihm über den gral geschrieben habe, was
^^oli durch die bisher aufgedeckte litteratur des abendlandes bestätigt
^j^^cj. Und da auch in der Überdichtung der Historia regum Britan-
*^^> des Gotfried von Monmouth dun^h Wace, der unmöglich nach
^^^^>^cr art der behandlung dieses werks den gral hätte übergehen kön-
^^*>^ , wenn er spuren davon darin oder anderswoher entdeckt hätte,
^^lits vom gral zu finden ist, so ist als feststehend anzunehmen, dass
^tw^ bis zum jähre 1150 oder 1160, da er schrieb, Borons werk: „le
*^*^it Graal" der dichterische stamm und anfangspunkt der gralgeschich-
288 SAN MABTB
ten ist, aiis dem vorzugsweise Crestiens „Conte du Graal*, und ii
überraschender mannigfaltigkeit und in kurzen fristen dessen fortsetzui
gen und die weiteren gralromane emporschössen.
Wesentliche beitrage zur deutlicheren überschau der tätigkeit d<
französischen dichter liefert das unten bezeichnete verdienstvolle wer^"
Schürbachs ^ Die umfangreiche fortsetzung, welche im 14. jahiiiai
dert die elsässischen dichter Claus Wisse und Philipp Colin dem
sterwork Wolft'ams von Eschenbach einfügten, wird hier zum ersten mtkl
vcröfFentlicht „Gehört auch das ergänzungswerk (bemerkt der herai
geber) in die verfalzeit der ritterlichen poesic, so beansprucht es dcx?
als ein nicht unwesentliches glied in der kette der dichtungen
Artus tafeirunde und dem grale und als wertvolle quelle für rl» e
geschichte des elsässischen dialekts im mittelalter ein besonderes inte^Kz:-
essc.'' — Über diesen lezteren punkt hat sich der herausgeber s. XLa^KI
einen besonderen ausführlichen aufsatz, der sich auch auf die dicht;«
rische tätigkeit und befahigung von Wisse und Colin erstrecken wLx"
zur mitteilung in den „ Strassburger Studien" vorbehalten, der dalm^^^r
abzuwarten ist, und die philologische betrachtung des werkes in dies^^^^r
anzeige ausschliesst. Dagegen trägt die wörtliche Übersetzung der fni.i
zösischen dichtung so manches licht in jenes noch immer nicht n
ständig aufgeklärte littcraturgebict, dass es sich lohnt, dieser ^heii
rung", wie Colin sagen würde, sofort gründlicher nachzugehen, u'
vielleicht zu weiteren speziellen forschungen neue wege zu bahne]
oder wenigstens anregung dazu zu geben. Als ein besonderer glücke
fall ist es anzusehen, dass wir in dem prächtigen Donaueschinger
dex, den der herausgeber ausfülirlicli beschreibt, und dem schon Victc::^^^'* •
V. Scheffel, als er der Donaueschinger bibliothek vorstand, eine beact^^"
tungswerte Schilderung (Hdschr. altdeutscher dichtungen der fürstliche ^
Fürstenbergschen hofbibliothek zu Donaueschingen. Stuttgart, 1859.
S. 15 — 18) widmete, die von Barak in seinem Verzeichnis der han^
Schriften dieser bibliothek (Tübingen, 1865, 8. S. 88 — 93) weiter ve]
wertet ward, die Originalhandschrift der dichterischen überset^^
der französischen fortsetzungen von Crestiens Conte du Gnud besitzer""^^^'
wie sie aus dem scriptorio derselben hervorgieng. Die darin
fügten persönli(^hen bemerkungen geben ein deutliches bild von der en^
1) Parcifal von Claus Wisse und Philipp Colin (1331 — 1336).
zung der dichtung "Wolframs v. Eschenbach. Zum ersten male herausgegeben vf^^
Karl Schorbach. Strassburg, Trübncr; London, Trübner & Cp. 1888. (Zuglei«^^
fünfter band der Elsässischen litteraturdonkmäler usw. von E. Martin und £. Schmiöt: - ./
i
BILDUNOSOANO DER aRALDICHTUNO 289
long derartiger werke, das als spezielles beispiel auch für andere
liehe flUle wird gelten dürfen.
Ulrich von Bappoltstein, aus dem mächtigen und zahlreichen
relsassischen adelsgeschlecht der Bappoltsteiner, beauftragte einen in
lem gewerbe zurückgekommenen goldschmied Philipp Colin, und
m gleichfals einer goldschmiedsfamilie angehörigen Claus Wisse,
der poetischen Übersetzung der fortsetzungen des romans Conte du
ä1 des Crestien de Troies aus dem französischen ins deutsche, und
te ihnen dazu zwei Schreiber, namens Henselin und von Onheim
dlsposition, welche ihre arbeit auch beide in ihrer erkenbar ver-
ledenen handschrift zu stände brachten. Da damals im Elsass die
tsche spräche noch die herschende war, und sie französisch nicht
standen, wurde ihnen als dolmetscher ein Jude, Samson Pine zur
fe gegeben,
Sp. 854, 28: der het sine xit oiich wol bewant,
an dirre oventure.
er tet unx die stilre:
wax wir xuo rimen hant bereit,
do het er u?ix dax tücksch geseit
von den oventurefi allen gar.
ich tvünsche, dax er ivol gevar
als ein Jude noch sinre e.
er enbegerte anders nüt nie,
scheint also hausoffiziant des herm Ulrich (etwa sein finanzier)
0^esen zu sein, und deshalb ohne besonderen lohn geholfen zu haben.
'S bestärkt die auch vom herausgeber geteilte Vermutung, dass die
htung auch an dessen wohnsitz, auf dem Gross -Rappoltsteiner schloss
srtigt worden, jezt S. Ulrichsburg, „dessen mächtige ruinen noch
ite auf das freundliche Städtchen Rappoltsweiler herabblicken, und
Wahrzeichen sind für das an naturschönheiten so reiche elsässische
d.** — Fünf jähre, von 1331 bis 1336, ist daran gearbeitet, wie
6 beischriften der Schreiber ersichtlich, und Colin berechnet die kosten
seinem Schlussbriefe an den herm Ulrich auf 200 pfund, die er
och nicht zu hoch achtet, da ein ritterlicher minner eine solche
Dme wol in kurzer stunde ati eime orse verstichet.
Sp. 854, 44: fiu bin ich sicher unde wer
unser kost si angeleit bax.
an alle frowen xühe ich dax
CtTSCHRIFT F. DEUTSCHE FinLOLOGIE. BD. XXn. 19
200 SAN MARIE
tmd an rehte minnerv,
die von discn hildere
iverdent rehter minnr
und wonn aiicli das in der diehtunf>: i:
/-cit niclit mehr entspricht und zur uarh.j!
kosteuaufvvand doch, dass wir nach i
unsem chmk und pi^is für das geschal'
den Riippoltsteiner nachrufen können,
grafen Götze v. Eiirstenberg, im I
namen Herzelaudo (französiert L<»v
bornes töchterchen ebenfals Herzoh»'.
dige urkundlich nicht verfolgburc
Farcifalhandschrift wider in dfMi
berg, dem Herzelaude angehörte
beweis liefeii, wie in beiden Ip
liebe zur deutschen litteratur.
epos heimisch war/
Die sonstigen notizt^n
nen und &milien sind i
und dürften voriäufig wV
tem abgelegten proben
der gewantere in sei?^
anevang oder prolotr
yerse einfisu^ und <
mit dem yeismas^
das — ieso —
dem franzSsiscl
eigne bemerkt-
Q b^benf
1 06 mit
JB sie
1. •••
1"
BILDUNG so ANO DER ORALDICHTÜNO 291
absfnche, zasätze und änderungen gewissermassen neu redigieren, um
die abweichungen und Widersprüche nach möglichkeit zu beseitigen,
die sich aus den fortsotzungen ergaben, was ihnen jedoch nicht vol-
ständig gelang. Dass diese redaktion gleichwol mit grosser aufmerk-
samkeit auch bis ins kleine des textes gieng, zeigt die Verbesserung
des fehlreimes Wolframs P. 46, 1, 2. BaxaU^ — wip durch einschie-
bung zweier zeilen:
gant har, min herre Bazalig,
trettent an der seiden stig,
ir süUent küssen min taip
die mir liep ist als der Itp.
Sämtliche zusätze und änderungen an Wolframs texte hat der heraus-
geber sorgfaltig s. XLVI bis LVI verzeichnet Aus der vergleichung
niit Lachmanns kritischer ausgäbe des Parzival ist ersichüich, dass
ihnen eine gute handschrift zu geböte stand, die sie sehr sauber kopier-
*ön. Der französische codex scheint auch die im 13. Jahrhundert dem
^erke Crestiens vorgesezte, auch im Pariser druck von 1530 widorholte
*^d nur im Monsser manuscript handschriftlich erhaltene „Elucidation
^sw.** enthalten zu haben, deren erste 474 zeilen (Potvin, 11, s. 1 — 17)
dem Wisse das material zu seinem 504 verse langen Prodromus oder
^^^^fang gaben mit der Überschrift:
„ So hebet kie an der prologiis van Parcifal, der us tvelscliem xuo
iiischem ist gemäht, unde vohet hie sine kintkeit an",
^^X" hinter unserm P. 112, 11, 12 eingeschoben ward, nachdem nach
*^- 112, 10 die rote Überschrift gemacht wurde:
y,Hie ist künig Oamuretes buoch ics, der Pardfales vatter tvas/^
^^ Colin bemerkt, dass Wisse schon ein jähr vor ihm an der hand-
®^hrtft gearbeitet, und dieser am schluss des vierten buches unsers
"^i^val (L 223, 30) in 18 versen eine bitte um lohn seiner arbeit an
^le^^m buche einschiebt, so scheint Wisse zu dieser zeit ausgeschie-
*^^ix zu sein und Collin das werk allein fortgeführt zu haben. Da Col-
^"^ am schluss seines briefes an Ulrich auch die bitte um lohn aus-
^P^cht, so ist nicht anzunehmen, dass auch die erstere von ihm sei.
Ein zweites exemplar der Übersetzung von Wisse und Colin bil-
r^^^ die von H. v. d. Hagen (Briefe in die heimat, II, 304) in der
^^cmaüschen bibliothek zu Kom i. j. 1816 entdeckte handschrift, aus
^Icdier A. V. Keller in seiner ßomvart (Mannheim, 1844) anfang und
^« und die kapitelüberschriften mitteilte, und die auch Schorbach
19*
202 SAN HARTE
teilweise verglichen, und als eine abschrift der Donaueschinger band
Schrift erkant hat, worin aber durch die abschreiber der oberelsasae
dialekt sehr verwischt ist Von besonderem wert war es jedoch, das
aus ihr die durch das fehlen zweier blätter in lezterer handschrift enl
standene lückc ergänzt werden kontc. Am schluss des vierzehnte
buches unsers Parzival folgt in der Originalhandschrift eine von Heu
selins genossen rot geschriebene prosanotiz, welche den Übergang de
Wolfranischen textes zur fortsetzung durch unsere Übersetzer vermit
teln soll (s. XIIl), deren leztor teil lautet: ,yNu gesivyen tcir kam
Artuses hie und sagent von kern Oawane, wie der xuom ersten mol
xuome grole kam, tnid ist anch dax. von iceische xuo tüxsehe brahi
des sin me ist danne der tüxsehe Parxefal, der nu tätige getihtet isi
und alles dax hie nach geschriben stat, das ist ouch Parxefal und is
wn welsche xno tüxsehe brahi iuid volletihtet und xuo ende brahi
Ihs gesehaeh do men xalte von goex gebürte drixehunderi jor un\
drisxig jor in deme sehsten jore'^- wodurch das alter der band
Schrift imzweifelhaft festgostelt wird. Nach von Kellers bemerkung ifi
diese beischrift als Überschrift und titel des casanatischen co
dex n>t gesehrieben, wörtlich widerholt, und da der text begint: „hi
im xorn iw* dannen schiet Gairan*', so ist zu entnehmen, dass \i
diesem iHxlex Wisses Prodromus nicht mitenthalten war. — Das vor
honuisgi^bor angofiigte namenrt^ister ist ein hi)chst wilkommener un
dankl)ar anzuerkennender leitfoden durch die iigänge dieser aventürer
Wildnis. IX^r text ist in zwei spalten von einigen vierzig versen ai
jeder oktavseite gedruckt« daher nach spaltenzahl zu citieren ist
Si) viel über das deutsche manusoript Bevor ich aber auf dei
oben bozoiohneten wege weiter gehe zur botrachtung des zum grund
lit^^ndeu fmnzi^isohen oinlex, befinde ich mich in derselben notlag
wie Scholl bei Ä>iner ausgäbe von Heinrichs von dem Türlin Krön
(Stutt^nirt. litt- veivin, 1S52. s. XV), wie Kochat bei seiner litten
rischon abhandlung über das Bomer ms. des Parzival (Zürich. Kies
liug, ISW, s. XU imd wie Biroh-Hirschfeid in seiner gralsagi
zuvor eine übersieht dosi inhalts des franzC^sohen cediohrs «reben i
mü:i^^n« da ohne de^f^ni nähere kentnis s^nne lim^rirfei>:orisehe bedei
tuiu: nicht i^^wür\li£:t, und die daraus ru xiohenden folirerunc^n nid
versiJüldlich worden können. Zwarfoioh winl es cowi>s auch vielen wi
kommen ^nn, wenn ihnen iladun* die \v:>t5ind:i^^ ei^ne lesuns d<
:^69S4 voRJO dor umdiehtung >Ävnipa^nis n^i;woi>^^ ersjvÄrt worden kani
zumal dar^m der ixHHiÄ*o j^^uiv^ nk^ii durv^xi^iir.c Krrri-xiiirun^ finde
moehto.
BILDUNGSGANG DEB ORALDICHTUNG 203
Gedrftngto Inhaltsangabe.
L. 730, 23: Oäwän wit die gesellen sin
nämen urloup,
Spalte 1. Gawan scheidet im zome von Joflanze, um den blu-
tenden Speer zu suchen, doch ivüst er nüi, mi welcher steile (1, 16).
Er gelangt zu einer schönen bürg auf hohem feken, wo er ehrenvoll
und gastlich von dem kranken auf prächtigem bette gelagerten wirte
empfangen wird. Er sezt sich zu ihm, die tafeln werden aufgeschlagen
für eine zahlreiche ritterschaft, und eine bahre wird vorgetragen, auf
der unter reichen decken ein leichnam liegt, und obenauf ein zerbroche-
nes Schwert, das dem wirte von siner megin einer durch liebe tifid
früntlieh art gesant war (6, 42). Dann wurde eine goldne patene, der
blutende speer und von einer heftig weinenden jungftau der gral im
saale herumgetragen, und nach deren abgang Gawan das schwort mit
dem ersuchen vorgelegt, die stücke zusammen zu setzen. Es gelingt
ihm jedoch nicht, und auf seine eifrige nachfrage, was dies alles
bedeute, erklärt ihm der wirt, er sei noch nicht reif, die geheimnisse
dieser dinge zu erfahren.
her Qawan nam der rede war
und horchete so vil an sine tvort,
dax er uf der iovelen ort
entsUef, dax sage ich sunder lug (7, 44 fg.).
So durchschlief er die ganze nacht, und fand sich am morgen unter
einer eiche liegend, ross und wafFen neben sich, aber die bürg ent-
schwunden. Mit leide grimmig was sin xom (8, 20). Er wafnet sich
^d reitet weiter.
Sp. 8. Hie stritet her Qawan ynit Dgnasdanres.
Gawan begegnet einer dame mit einem ritter, der, als Gawan
^^h nent, ihn des mordes seines vaters bezüchtigt. Nach hartem unent-
schiedenem kämpfe verabreden sie dessen fortsetzung am hofe des
Königs von Kavalun. Dort angekommen, fordert ihn der mächtige
*^pe Gynganbertil auf, den ihm früher zugesagten streit sofort mit
^*ii auszufechten.
Sp. 13. Hie sprechent xwene Qawan kämpf ex an xuo Kavalun.
Der könig von Eavalun beruft einen rat der barone, welcher ent-
^heidet, dass Gawan mit beiden kämpfem zugleich fechten soll. Ein
i^ker benachrichtigt Artus von dem ungerechten spruch, dieser eilt
*^^rbei und stiftet Versöhnung, indem er dem einen seine nichte Tanate
^nd dem andern deren muhme Ciarate zur ehe gibt Der könig von
204 SAN HARTE
Kavalun iind andi-e forsten geben ihm ihr land zu lehn; nur ein
Brun von Mieland weigert sich und scheidet vom hofe.
Sp. 21. Hie teil künig Artus Brun von Meilan bdigen.
Artus zieht deshalb mit vielen namentlich genanten fürsten u^^'^^
rittem und grosser heeresmacht gegen die feste bürg und Stadt M^^^
laut, die hart belagert, doch tapfer verteidigt wird. Bei einem glüc--^ — ^'
liehen ausfall zur verproviantierung wird Gawan so schwer verwund^^®^
dass er erst nach 14 wochen wider sein liebes ross Gringalet besteig^^sn
kann. Er trent sich vom beere, um andern abenteuern nachzugehn.
Sp. 33. Hie kämet her Oawan xuo BrandaUns swester ttf^^Bd
tvürt viit Brandalin vehiende.
In schöner Waldgegend, unter lieblichem vogelgesang hinreitei^^d
findet Gawan am dritten tage unter einer eiche ein prächtiges zeit wm f-
geschlagen, in welchem auf einem ruhebett ein schönes mädchen schlfi^R
Auf seinen gruss, und da er sich als Gawan zu erkennen gibt, biet-^^
sie ihm ihre minne an, und unter freude und lachen erwarp er gexcim-
gcfiliche der minnen spil (37, 26).
Sp. 37, 29: ir megede nam verlor sü sam;
juncfroive und liep heisset nu ir fiam.
Nachdem er versprochen, sie einzuholen, reitet er weiter. BiiJi^d
kam ihr vater zu ihr in das zeit, dem sie das ereignis bekont, und d.
nun wütend Gawan nacheilt, aber im kämpfe von Gawan tötlicb
wundet wird. Ebenso komt der bruder der entehrten, Bran von
nachgerant, findet den vater tot und ficht mit Oawan, bis beide si
ohnmächtig fühlen und die fortsetzung des kampfes vertagen,
erschöpft kehrt Gawan zu Artus nach Mielant zurück, und heilt
monate an seinen wunden. Brandalins Schwester Aclervis {sa seror
der vis, ihr wirklicher name ist nach sp. 255, 12 Gylorette) a
genas eines söhnchens. Die Stadt Mielant ergab sich endlich:
nahm sie in besitz und verteilte das land an seine vasallen. Au
Brun erhielt sein teil.
Sp. 45. Hie vohei Karados buoch an.
Als Artus im ersten jähre vor Mielant lag, gab er seine
Isevo von Karoes dem könig Karode von Nantes ziur die. Ein zau
kundiger rittor Elyafres schiebt jedoch dem Karode eine fialsche Ise
unter und schläft selber bei der echten, die von ihm ein kind empfieO;
das Karadot genant und als Karades söhn an Artus hofe erzogen w
Bei seiner festlichen schwertleite kam ein ritter und fordert, man aol
ihm den köpf abschlagen: er werde übers jähr wider kommen nn
den gleichen schlag an dem schlagenden erwidern.
BILDUNGSGANG DEB ORALDICHTÜNG 295
Sp. 51. Hie öget Elyafres sine xouverie.
Als alle andern zögern haut Caradot dem Elya&es den köpf ab,
dieser sieh doch sogleich wider au&ezt und mit dem versprechen
al^g-eht, übers jähr an Caradot das gleiche zu tun.
Sp. 54. Hie bevindet Karaelos, dax Elyafres sin vatter was^ und
tuowid er doch künig Karade sun sin.
Nach einem jähre, zu pfingsten kam Elyafres wider zum entsetzen
des hofes zu Artus, schlug aber nicht dem Earados den köpf ab, son-
dern vertraute ihm allein das geheimnis seiner geburt, worüber Kara-
dos empört die ehre seiner mutter rächen will. Jener entflieht eilig,
und Earados eilt zu seinen eitern nach Nantes und erzählt, was ge-
schehen. Der könig Earode spert erzürnt seine gemahlin in einen
festen türm, wo sie jedoch der Zauberer heimlich oft zu besuchen
weiss, und sie herlich und in freuden leben. Earadot geht nun nach
Karlowe zum pfingstfest an Artus hof auf ritterschaft. Dazu erscheint
aach Eadors von Eomwale mit seiner schönen Schwester Gyngeniers.
Fnterw^ begegnet ihnen jedoch Alardins vom see, der um die Schwe-
ster schon lange vergeblich warb, und sie jezt fordert. Im kämpf des-
hall) unterliegt Eadors, doch während Alardins die Schwester mit gewalt
fortfuhren will, komt Earados ihr zu hülfe, Alardin muss sich orge-
ben, und sie führen den verwundeten Eadors mit sich fort
Sp. 67. Hie kumt Karados xuo Alardins gexeU, das zauberisch
göschmückt auf einer schönen wieso prangt, und worin junker und
niägde fröhlich tanzen und musizieren. Sie werden von Alardins
Schwester, die von dem pavelune ward genant, aufe beste empfangen.
J^i© drei ritter, Eadors, Alardin und Earados schwören sich freund-
schaft und wollen zu einem feste an Artus hof nach Earliun sich auf-
^^acheiL
Sp. 73. Hie hmnment Karados und Alardin und Kadors xuo
^^^etn tumei xu künig Artus hof , mit im stvestem beiden.
Sie rüsten sich prächtig zum tumier, in welchem die könige Bis
^oti Qales und Eadvalan von Irland um die schöne Gyngenor kämpfen
^^llen, die aber beide verschmäht Alardin erbietet sich zu ihrem
^^pen, und sie gibt ihm einen ärmel ihres kleides, den er als klei-
^^^ an seine lanze befestigt Sie ist Artus niftel, Schwester Gawans,
^^hter des Gramoflan imd der Ttonia. Ein harter langer kämpf
I^BUit, in dem auch Eador die aufinerksamkeit der schönen Tden,
^^ans niftel, erregt Alardin schickt ihn mit einem ersiegten rosse
^ Gyngenor, die Ydens neigung zu Eador unterstüzt Sie gab an
lor eine lanze, und dieser sante ihr auch ein erbeutetes ross. Der
296 SAN HARTE
kämpf wird immer algemeiner: Twein, Sagremors, Parzival, Keye,
Ywon beteiligen sich. Endlich sind Bis und Eadvalan überwunden,
Parzival gibt seine besiegten an die Jungfrau von Pavelune, Endlich
tritt ruhe ein und Karados macht sich dem Gawan, zu dessen freude,
als den söhn Tsewens bekant Artus gibt seine niftel Gyngenor dem
Alardin, die schöne Yden dem Eador, und die von Favelune einem
hochgebomen ritter zur ehe, efes name sol verborgen sin. Alle ziehen
heim, ich muox ?iu ander mere sagen,
Sp. 109. Hie het der turnet ein ende, und vnl von Karados
muoter sagen.
Die gefangene Ysewe sezte die buhlschaft mit Elyavres fort, der
sie mit Zauberkünsten, musik und tanz unterhielt Dem dichter tut es
leid, dergleichen über ein weib berichten zu müssen. Endlich gelingt
es Karados, den Zauberer in dem türme, der Büffby (daz heixxei hoch-
fart) noch im lande genant wird, einzufangen, den könig Earode wü-
tend will schinden lassen, und zum schimpfe mit einer jagdhündin,
einer lenne (scortum) und einer futschen (ungezähmtes fohlen?) zusam-
monspert Auf Karados bitten, und nachdem jener geschworen, nie
widerzukehren, wird er jedoch entlassen; als er aber der königin gesagt,
wie er gemishandelt worden, fordert sie, räche an Karados zu nehmen;
Elyavres weigert sich jedoch, da der ja sein söhn sei. Sie beschliessen,
ihm zwar nicht den tod zu geben, aber ein anderes leid zu bereiten.
Sp. 115. Hie machet Elyavres und Karados muoter, dax Kara-
dos 7nit eime slange7i ward bekürnbert,
Elyavres sezt eine schlänge in ein kästchen, das Karados öfhen
soll, wenn er zu seiner mutter komt. Bei seiner öfhung aber windet
die schlänge sich so fest um seinen arm, dass keine menschliche kunst
sie zu entfernen vermag. Nach langer vergeblicher kur sucht er heim-
lich entfliehend bei einem einsiedler in dessen kapeile Zuflucht Artus,
so wie Kador von Kornaval mit Gyngenior eilen nach Nantes auf die
nachricht seines verschwindens, während Karados, geistig ganz nieder-
gebeugt, ein einsiedlergewand angelegt hat, um unerkant zu bleiben.
Kador lässt ganz Europa nach ihm durchsuchen, doch lange vergebens.
Karados besuchte öfters noch eine andere kapello zum gottesdienst bei
deren mönchen, und hier entdeckt den verlornen endlich Kador zu
seiner grossen freude.
Sp. 142. Hie het Kador Karadosse^i funden,
Sp. 150. Hie erlöset Oynge^ner ir Uep Karados von dem slan-
gen, der sich umbe sinen arm getvwiden het.
p BiLDüKosatni} DBB aiui,wcim»Q 297
I UnUr beschwürang imd segen der klosterleutf wird die schlänge
I getötet, beisst aber vorher der über sie geb'eugton Gyngeiiier eine brust-
I waree ab. Dio schlänge hat einen teil des armes verzehrt, deswegen
I faiess Kanidot hinfort Briebraa [khiuarm). Arm imd bnist werden
I bald geheilt, und alle lande &euen sich der widerkehr Karadots und
I geiner geliebten. Der ungetreuen königin wird verziehen und Artus
I bereitet die vemmblung KaradotK mit Gyngenier. Bald stirbt der könig
I £ador und Artus verleiht dem Eoradot dessen reich. Er ward
\ ein künit/ her,
biderfie, mute, kurteia;
ffollc xe dienende er sieh fids.
Sp. IßO. Ilic kumet Imnig Karados mi Alaidin in .tinc biirij.
Auf einem jagdzugo, der durch ungowitter gestört wii'd, komt
das junge ehepaar zu einer herli('h gelegenen bürg und wird von AJar-
din höchst gastlich empfangen. Am andern morgen schenkt dieser ein
Lvon seinem schild gebrochenes goldnes platcben dem Karadot, dae an
l^io stelle der von der schlänge abgobissnen brustwarzo gelegt, diese
Freudig ziehen sie heim; die goldne warze verwächst mit dem
fleische, doch verbietet Karadot der Gyngenier, sie irgend wem sehen
lassen, sondern stets mit einem tuch zu verhüllen. — Da entbietet
rtus die beglückton zu einem feste nach Karliun.
Sp. 165. Di% ist die aventüre vomrne liorite, so mau vasscr
rill schütte, der wart zuo guten leine.
Bei dem feste schenkt ein stolzer ritter dem köuig Artus ein
rächtiges trinkhorn mit goid und elfenbein, doch mit dem bemerken:
teer dar ux trinket sunder utm,
het im sin Uep untrUwe getan
oder sin etich ivip,
der win begüsset sinen lip.
Die königin warnt lebhaft Artus ihren gemahl, den versuch au machen;
doch er wagt es und vergiesst richtig das getränk. Gawan, Ywein,
Keie, allen rittem des hofes geschieht das gleiche. Algemeines geläch-
■ter! Nur Karadot gelingt es, und deshalb fasst dio königin grossen hass
Rgegen Gyngenier: das hörn wird bonet genant. Nach drei tagen endet
Kdas fest Karadot bleibt am hofe; seine gemahlin sendet er nach hause.
■ Sp. 169. Hie hat Karadas buoch ein eiuie, und u-il sagen von
mteünig Artus, wie er hem Oyftet erlösen icil, der get>angcn lange uf
Wjtastel Orgelus lag.
m Auf einem pfingstfest zu Kamant bemerkt Artus mit zom und
Isiimut, dass Gytlet, ein tapferer tafelrunder, fehle, der beim feldzuge,
298 SAN MABIB
den die ritter auf eigne band ohne seine fiihrung getan, gefangen und
von ihnen im stich gelassen sei. Mit fiinfisehn auserwählten bricht er
auf, denselben zu befreien. Auf einer wiese rastend, wird Eeie auf
nahrung ausgeschickt, der zu einer bürg gewiesen wird, wo er in der
küche einen zwerg, einen pfau bratend, findet, den er verlangt, jener
doch verweigert und deshalb geschlagen wird. Da tritt ein statlicher
ritter hinzu.
Sp. 182. Hie toart Kein geslagefi mit eime gebrotenen pfowen.
Erzürnt schlägt der ritter mit dem bratspiess samt pCau auf Kein
los, und andre knechte jagen ihn zur bürg hinaus. Auf diesen bericht
an Artus begibt sich Oawan in die bürg, und der herr derselben nimt
alle gastlich in herberge. Es ist Ydiers der schöne. Artus lehnt des-
sen angebotene begleitung ab. Weiter gelangen sie zu einem hause und
kirchhofe, wo an 100 klausner sassen imd speisten; dabei ist ein wun-
derschöner garten, dessen geheimnis der dichter hier noch verschweigen
will. Kach zwei tagen reiten sie weiter und kommen zu einer stadt
und bürg, die herlich geschmückt war. Im saale des Schlosses finden
sie voll gedeckte tafeln, aber niemand empfangt sia Gleichwol neh-
men sie platz daran.
Sp. 191. Hie kam ku7iig Artus xuo Lis von ungeschihty kern
BrmideUns btirg.
Plötzlich springt Gawan auf, wapnet sich und sezt sich wider,
indem er durch eine tür in einer kammer den schild des Bran de Lis
bemerkt und erkent, wo er sich befindet. Er erzählt das aben teuer
sp. 33, und als endUch Bran de lis selbst erscheint, bereiten sie sich,
den damals verabredeten kämpf auszufechten.
Sp. 211. Hie veht mit einander her Oawan unde her Bran von Lis.
Beide kämpfen mit äusserster wut Da wirft sich Braus Schwe-
ster mit ihrem und Gawans fünjQährigen söhnchen zwischen die auf
den tod erschöpften, imd Artus bringt die verzeihimg imd Versöhnung
zu stände.
Sp. 222. Hie kumet künig Artiis für kastei Orgalus.
Bran zieht mit Artus gen Orgalus und lagert sich vor der bürg.
Es wird in einzelkämpfen gestritten. Der burgherr (er heisst der reiche
soldenier) wird endlich von Gawan besiegt und gibt den gefiEuigenen
Gyflet (sp. 169) frei.
Sp. 250. Hie vert künig Artus tvider hein von kastei Orgabiz,
U7id het sinen tvillefn voUetidet gar.
Heimgekehrt finden sie in der bürg Lis grossen Jammer, da der
kleine söhn Gawans, als er vor der Stadt spielte, war gestohlen wer-
BILDUNOSOANO DER ORALDICHTUNG 299
den. Bei dem kloster Ormias schlagen sie ein lager auf, und gehen
in Terschiedenen häufen nach dem knaben auf die suche. Oawans lieb
Gyrolette, die mutter des kindes, und sein gefolge will vier wochen
dort ihrer rückkehr harren. Da reitet ohne gruss ein ritter vorbei, den
sie will kennen lernen. Gawan gelingt es, den sich weigernden in
gute zu ihr zu führen, nachdem ihn Eeye hatte dazu zwingen wollen,
doch abgestochen wurde.
Sp. 259. Hie taiirt ein ritter erschossen in Oatvmis geleite.
Bevor sie zum lager gelangen, tötet ein gabelet den ritter, der
sterbend Gawanen bittet, seine rüstung anzulegen, und auf seinem
rosse fortzureiten: das wisse den weg dahin, wohin er die künde des
geschehenen bringen soll. Demnach reitet Gawan so gerüstet in der
nacht bei grausigem unwetter durch den wald, und als er in einer
kapelle ruhe und schütz sucht, fährt durch ein fenster hinter dem altare
eine schreckliche schwarze band, löscht die brennenden kerzen aus und
eine grauenvoll klagende stimme lässt sich hören.
es tvax dex groles heimUchkeit
m
im geschiht 2ve unde leit
dem, der do von sagen unl,
tmz es sin sol uf dax xiL
Qawan eilt erschreckt weiter und überlässt die zügel dem rosse.
Sp. 264. Hie kumet her Oawan xuo dem grol xiio dem ande-
ren mole.
Das ross trägt Gawanen in einen herlichen baumgarten und zu
gebäudcn, deren bewohner ihn als ihren gebieter, den erschossnen rit-
ter, begrüssen, da er dessen ross und rüstung führt. Als bei seiner
umkleidimg sie ihren irtum erkennen, ziehen sich alle zurück. Stutzig
darüber geht Gawan in den grossen saal. Da steht eine bahre mit der
prächtig geschmückten leiche eines ritters, von brennenden kerzen
umgeben. Auf der leiche lag ein zerbrochenes schwort Ein pfafiFe
komt mit einem silbernen kreuze, und eine grosse schaar domherren,
die sich um die bahre aufstellen und vigilie singen. Nach ihrem
abgange blieb noch viel volks zurück im saale. Darauf ward eine tafel
gedeckt und ein statlicher mann mit scepter und kröne trat ein, und
nahm mit Gawan an derselben platz. Das gleiche tat die ritterschaft.
Der gral fuQf snelleclich har und dar
für die tische alle gar
und versah alle reichlich mit speise und trank. Als die tafel aufgeho-
ben war und sich alle entfernt hatten, bemerkt Gawan am ende der
300 SAN HARTE
tafol einen in silbernem gefass aufgestolten speer, von dessen spmtsse
blut in das gefass floss, aus dem es einen weiteren abfluss in ein gol ei-
nes gofäss hatte. Da kam der herr wider mit dem zerbrochnen 8chw<3K-te
imd forderte ihn auf, es zusammen zu setzen, was ihm jedoch
gelang. Es gehörte dem vorher erschossnen ritter. Da sagt der ho]
er sei der rechte nicht, der dazu berufen, und solle wider komnoi
wenn er beweisen könne, dass er der tapferste ritter der weit sei.
Oawans frage nach dem allen, was er gesehen und was gescheh^xi,
erklärt ihm der herr: mit dem Speere habe Longinus Christi sem 'te
durchstochen, doch als er die geschichte des Schwertes begint, schl^Ül
Gawan fest ein. Wie beim ersten besuch findet er sich am morg-'^n
auf dem anger unter einer eiche, die bürg verschwunden, ross und w^i^-
fen neben sich, und mit dem vorsatz, femer durch rittertaten sich d<»
grals würdig zu machen, reitet er weiter. Der dichter sagt: er mii^s-se
die materie kurz fassen, und daher dürfe er nicht erzählen, wer d^^n
söhn Gawans stahl, ihn erzog und zum ritter machte; es geschah
vofi der megede tvunnesam
die in xuo gesinde 7mm.
Sp. 276. Hie seit er von kern Gaivaiis siui und toie in sin c^^^^^^"
tcr ranf, her Gawan,
Diese Jungfrau reitet eines tages fem zu einem an einer f^^^
bologonen schön eingerichteten zeit, auf dem wege dahin sticht <=J^^
jungi\ starke, doch in der wafFenführung noch unerfahrae kämpe nt^^^
einander zwei ritter nieder. Da er noch keinen toten gesehen, "ix "^
die toten ihm nicht rede stehn, sagt er: so schlaft denn! und lässt ^*®
liegen. Als Gawan darauf die fürt durchreitet, ficht er auch die?^^^^*^
an, der indess seine kraft wie sein Ungeschick erkent und nach dl^^*^"^
nnmon fragt Freudig erkennen sie sich, und Gawan stelt sich e::=====^^^
Jungfrau zur Verfügung. Der französisclie Verfasser scheint diese wei .
orÄÄhlto episode von anders woher hier eingefügt zu haben, denn -■■ ^®
Übersetzer saigtm sp. 284, 15:
UH han ich üch geion bekant
irie her Oafran sinen snn tnni
und oneh die junefrotre sin^
und »eitor winl sjv 287, 3 widerholt:
hir het dox mer ein riwfc gar
n>w hern tiaicans ^ni Mx har
naohdeni noch erzählt wonlen, wie Gawan jene beide nach Brittann^ ^
führt, wo Artus zwei monate zu Karlaun still gelegen, und sie
fnnulen ompfan^Mi worden. Im fteudengewimmel stiehlt ein
BiLDüHosoAira nn qruioohxdiw
litter Gawans ross und waffen. Dem Ywon wird Gawans soliii in fer-
' nete zucht gegebeu.
Sp. 287. Hie vahet die oventür an vmnme swan, lier den loten
ritler brohte uffeii deni mer in eime schiffe xuo Olomorgan.
Id schwüler gewitteniacht iiacli regeo, blitz und donner gebt Ar-
ns in eine Inube am nieere; da zieht an silberner kette ein sf^bwaii
tfn hell erleuchtetes schiff hei-au, worin ein schöner prächtig geschmück-
ritter liegt, dessen brüst jedoch von einer lanze durchbohrt ist. Er
: den leicbnam in die laubo bringen und findet in der tasche des
ters einen briet", worin er los: ,,diesor tote war auch ein köuig, der
»or seinem ende könig Artus bat, dass er seinen leicbnam in seinem
llaste ausstolle, bis ein ritter ihm den speerschaft aus der brüst ziehe,
ler aber mit demselben eisen seinen mürder erstechen müsse. Geschieht
Hos nicht innerhalb jaliresfrist, so möge man ihn begraben. Bis dahin
irerde er nicht verwesen. Goschiehts, so werde man am hofe erfah-
, wer er war, und wie er ungerecht getötet worden." Unter gros-
i geschrei und flügelschlag schwamm der schwan mit dem schifleiu
iBvoii. Wegen der unbesttmtlieit des briefes kann sich kein ritter eut-
en, den stahl aus der brüst zu ziehen, und so blieb der tute
saal aufgestelt stehen.
Sp. 294. Hie seil er, wie Qaheries gescheitdet wart in dem
garten.
Gaheries war ausgeritten, seinen bruder Oawan zu suchen, und
gelangt zu einer prächtigen bürg. Da sich niemand blicken lässt, rei-
tet er in den saal und weiter in eine kammer mit drei herlichen bet-
ten. Hier bindet er sein pferd an, legt die waffen ab und geht weiter
in eine zweite kammer mit zwei betten und in eine dritte mit einem
bette, alle in pracht hergerichtet Zulezt blickt er in einen park, in
welchem zwei zelte stehen. Da keine tur daliin führt, springt er durch
ein grosses fenster hinein und findet in dem einen zeit eine Jungfrau,
die einen wunden ritter pflegt, der in dem bette in den armen eines
I Junkers ruht. Zornig befiehlt der wunde ritter, den dreisten eindring-
1 ling wegzuschaffen. Ein bewafneter zwergritter greift ihn an; Gaheriee
Ijc^ die ihm nachgetragenen waflen an, doch wird er arg niedergest^hla-
[en und muss unter harten beschimpfungen und bittersten sputreden
■die bürg verlassen. An Artus hof gekommen klagt er sein leid, zieht
Itfea sperschaft aus der brüst des toten rittei's, befestigt das eisen an
leiner starken lanze, und wulbewafnet kehrt er v.\i der bürg zurück,
I die ihm angetane schmach zu rächen; ihn empfangt ein bewafneter
302 SAN KARTE
zwerg, in der gr()sse, als ob ein äffe auf einem Jagdhund ritte, Aeok^ er
aber tötet
Sp. 308. Hie richet Gahen'es sin lasier.
Im zorn über den getöteten zwerg wafnet sich der wunde li^zrii^ieT
wird aber im kämpfe niedergestochen. Da komt die Jungfrau erfr^3Eit,
dass der durch den schwan zu Artus gebrachte tote ritter durch m^^Ms-
selbe eisen gerächt sei, das ihrem geliebten den tod gab. Beide la^ss^^n
die toten liegen und reiten hinweg, bis sie am abend in einer scliiiin
im meere auf einer insel gelegenen bürg gastliche aufnähme find^^-
Oaheries wird schlafend in das schiff des schwans gebracht und ^ ^^
Jungfrau fährt damit nach Glamorgan, wo Oaheries mit grosser freu^^^^
begrüsst wird. Die Jungfrau erbittet nun von Artus die leiche des je-^^
gerächten königs Brangemor, um ihn seiner mutter Brangebart wid^^^^
zuzuführen. Sein vater Oingamors jagte ein schwein, das aber ei
fee war, die nach ihrer Verwandlung er zur ehe nahm, und die ih
den söhn Brangemor gebar. Artus lässt sie mit seinem sogen ziehn.
Sp. 314. Hie nirnet die oventür ein ende vomme stvan, de^^^^^
den toten ritter brohte uffe dem iner in eime schiffe ztio Olof^iorgan-'^^^
und wil nu sagen von Parxifale wid kumet xuo der bürge xuo den^^^^^
fk>nie, und ist die erste oventür, die er Inyie in dem iceischen buoche'^^^
dax xe tusche broht ist, [Berner ms. ed. Rochat, Perceval li Galoi
Zürich, Kiessling. 1855. § 1 u. 2.]
nu seit uns dis mere kürxlichj
dax des selben tages fuegete sieh,
uf eine mittewuche ex geriet,
dax Parxifai sich do schiet
von künig Artuse xtw Joflanx,
do er gestreit mit Oawan und Orafnolanx.
ouch sag ich üeh, dax er xehant
reit durch manig frömede laut
dar xuo vant er ouch xwor,
dax sollepit ir missen fürwor,
vmnig oventür stcer,
die uüt sint geschribcfi her.
Viele tage ritt er durch fremdes land, bis er zu einer festen bu
gelangte, an deren tore ein elfenbeinernes hörn hing. Da sich ni
mand sehen lässt, so bläst er das hom dreimal so gewaltig, dass di'
bui^ erdröhnt Endlieh komt der burgherr, könig von Nurasch un
Irland, reich gewapnot mit gefolge und volk heraus, rent
scharf an, winl aber geworfen und ergibt sich, als er Parzivals
BILDT7NG80ANQ DEB ORALDICHTÜNO 303
hört, der für den besten ritter der weit gilt Und dieser schickt ihn
zu .Artus. — Parzival hört von einer wunderbaren säule auf ^dem lei-
digen berge (mons dolorostis)^ an welcher nur der beste ritter sein
pferd anbinden kann, und wendet sich dahin. Als Artus vemimt, dass
Pai-2siTal nicht eher zurückkehren werde, als bis er die blutende lanze
g'efonden habe, bricht er mit dem hofe auf, ihn zu suchen.
Sp. 322. Hie kumet Pandfal xuo der jungfrowen, die dax scliof-
X'€y9,^^lge8tein hefte, dax van im selber spiüe, [Bern. ms. § 3.]
Parzival gelangt zu der stelle, wo er einst den reichen fischer
am see fischend fand, und gedenkt, wie er von dort zur gralbui^g
gekommen. Weiter sieht er eine herliche bürg jenseit eines breiten
w^assers, und eine schöne magd ist bereit, in einem kleinen schiffe ihn
^l>ei^usetzen. Doch arbeitendes volk jenseit warnt ihn, da sie ihn
eirtränken wolle, und bringt ihn selbst sicher an das andre ufer. Er
S^ht in die bürg, bindet sein pferd im hofe an, legt schild und lanze
*l>, und betritt einen prächtigen saal, worin ein reich geschmücktes
t^^tte angeschlagen steht Da öfhet sich die ttir einer schönen gewölb-
tem kemenate; darin auf einem tisch ein wundervolles Schachbrett:
[Bern. ms. § 4. R Boron, nach Birch-Hirschfelds auszage:
„die sage vom gral", Leipzig, Vogel 1877 s. 173.]
®^ tut einen zug, es wird unsichtbar dagegengespielt, Parzival verliert
stets die partien, und zornig darüber will er das Schachbrett in den
teich unter dem fenster werfen: da warnt ihn aussen ein schönes mäd-
^^^n, zu dem, als sie in den saal komt, Parzival in minne entbrent;
^^oli wehrt sie ihn ab mit dem versprechen, ihm minnelohn zu gewäh-
y wenn er den weissen hirsch jage und ihr dessen köpf bringe;
»n kleinen bracken wolle sie ihm dazu mitgeben. — Nachdem er
hirsch erlegt und ihm den köpf abgeschnitten, komt eine Jungfrau
S'öiritten, die den kleinen bracken einfangt und ihn nicht eher heraus-
»en will, als bis er mit dem ritter im grabgewölbe werde gefochten
>en.
Sp. 330. [Bern, ms. § 5. — K. Boron s. 173.1 ^*^ '^^i P^^'
mit dem rittere, der imme gewelbe beslossen was.
Das gewölbe war eine massive klause, und seit fünf jähren hat
^^^ ritter seiner geliebten gelobt, dasselbe nicht eher zu verlassen, als
^^^^ der kämpe gekommen, der ihn besiege. Seine geliebte ernährt und
^^ncht ihn darin. Auf Parzivals aufforderung komt er auf einem rosse
^arz gerüstet Heraus, doch während des kampfes beider komt ein
^3ider ritter vorbei, der bracken und hirschkopf stiehlt und damit
^V-on reitet Der schwarze ritter fühlt sich besiegt und flüchtet in
' 301 SAN MiRTR
ciiiK gfiwiilbi?, wohin ihm Parzivnl nicht folgen kann
nun dem rituber nach, indem er sich von dor Jungfrau tront, dlft 1
di>n uanien süwol des schwarzen rittors als des brackßndJebeH zu i
neu verweigert.
Sp. 338. Hie himet Parxifal in eine bürg, do er etneii i
shtog, imil vaht mit dem iierren. [Bern, ms. § 6.J
Parzival komt zu dem schloas Brunemuns, ohno jedoch
bcwohiior zu crhiicVea, Er geht durch den saal in den garten, wo
am bninneii unter schönen biitimeu ein zeit »tobt, worin oinc Jungfrau
ain bette des ritters Abrioris von BruneniunB sizt Vor dem zvlt falt ^
ihn ein lüwc an, den er tütet Zornig springt der ritter auf, wapnet:»^
sich, miiss sich nacli scharfem kämpf ergeben und sicli mit der jni^ ^q
frau zw Artus begeben, der ihn erfreut zum tafelrundiitter crocnt. J^^^|
Sp. 350. Hie virulet I^riiftd einen toten ritter, dor wtx ^'^^^^^
iien. (Bern. ms. § 7. H. Bornn s. 172.] ^^H
Der ritter heisst Odinas [im Bemer ms. Odininns], Pantiral l^^^f
stet seine klagende geliebte und reitet weiter. ^^^H
Sp. 3.')!. Hie kumei füriifal luo eime me», uml uürt mit ^^^^
vehtende. [Bern, ms, § 8.] ^^^^
In einem schiinen festen schlösse betritt Parzival den saal, <M^^H
kdne seele lUsst sich sehn. Eine wolbcaezte tafel steht da, und wSB^^
rend er sich daran stürkt, tritt eine bleiche, ahgeharmto jungfVnu ic"^
ärmlicher kleidung herein, die der riese schon zwei und ein hdbo^S
jähr gefangen hält, da sie seinem willen sich nicht orgeben will, i^c?
fleht ihn zu fliehen, denn, komme der riese, so sei er des todos. Ir» I
der tat erec.heint er, st^hlügt mit der keule Par/ivals ross tot, wird atK-«~ J
Ton Parzival getötet. Nach guter nacht nistet sich dieser neu, nimC^ 1
ein schönes schwarzes streitross, das der riese vor zwei monateu einens- I
ritter abgenommen und im keller geborgen hatte, und reitet »einc^^ I
weges, indem er die Jungfrau als herrin der bürg zurücklässt. M
Sp. 359. Hie wirt l'arcifal vehtenile mit eime ritter, lier Awof^fl
rines wassers , . dax nieman drinne truhte. [Bern. ms. § 9, — ^S^-*^!
auch R. Boron, B.-Hirschf. s. 174 mit einigen abweichnngen.] ^|
Parzival komt an eine fürt und sieht jenseit de« «asscn; inn^H
schönes zeit aufgeschlagen, bei welchem ein silbenier schitd, eine weise^^f
lanze und ein weisses pferd steht. Ais er sein ross in d<T fürt gv-tTknkt-^^l
rüstet sicIi beim zeit der „weisse ritter" zum kämpf, wird aber boBtei;l^^|
und muss sich Artus gefangen geben. Während gütlicher iil'<'i]i;ii h^^|
tung erzlihlt ihm der weisse ritter, er sei der hUti^^r dur rniijix tmJ^H
((jiid uinottrettje). Zehn mildchen von zwanzig Jahren wulmtiii fm^^H
BILDTJNOSOANO DKR GRALDICHTUNO 305
iii:i.t;er den bäumen; da kam mancher held und wohnte wol 6 monat
böi den mädchen, und wenn andre ritter kamen, die in der fürt ihre
rosse getränkt hatten, wurden sie erschlagen, die siegenden aber wur-
den brüderlich aufgenommen. Als die mägde scheiden selten, schrie-
bexx sie mit goldnen buchstaben in den marmorstein beim zeit: wenn
ein ritter sieben jähre die fürt hüte, so werde er den höchsten preis
begagen. — Dies habe er unternommen, doch folge er nun seinem
bedfehle. Auch er wird von Artus freudig in die tafeirunde aufge-
noxnmen.
Sp. 364. Hie imirt Parxifal vehtende mit hem Oawans suUy
cfey» er kette von heni Brandelins swester, der hies der schöne uner-
kannte, [Bern. ms. § 10.]
Zwei Wochen reitet Parzival durch dichten, von wild aller art
reich belebten wald, vergebens herberge suchend. Endlich trift er eine
einsam auf einem marmorblock sitzende Jungfrau im walde, die so
schön wie eine göttin ihn fast gereizt hätte, sie um ihre minne zu bit-
ten. Da komt ein ritter, der ihm verbietet, bei der Jungfrau zu ver-
weilen.
[Bern. ms. § 11.] Nach scharfem anrennen nent Parzival seinen
Barnen; da gibt der ritter sich als „den schönen unbekanten^, Gawans
Sohn, zu erkennen, und höchst erfreut reiten alle drei zu einem wol-
i angesessenen fischer, der sie aufhimt und festlich bewirtet Er hiess
Elyadus, sein vater Elydus; der war herr des landes. Seine frau ward
vor zwei jähren begraben. Am andern morgen reiten sie weiter, das
P^ar zu Artus nach Lunders imd Kantorbille, Parzival auf eignem
w-ege.
Sp. 371. Hie kunt Parxifal xuo dem andern mole xuo sinem
^^^a>e Kundewiramurs xe Belrepere. [Bern. ms. § 12. Das ms. hat
^ö französischen namen Augingeren, Clamadieu imd Blancheflors.]
Parzival komt in eine schöngebaute, stark bevölkerte und befestigte
Stadt mit zwanzig klöstern und vielen kirchen imd türmen; er reitet
^ das schloss imd wird von einer jimgfrau mit prächtigem gefolge
^'^pfangen. Sie findet, dass der gast die gröste ähnlichkeit mit dem
^^eger des Kingrun und Klamide habe. Er gibt sich zu erkennen.
grosse freude überall. Das volk drängt auf die Vermählung beider.
^^ besucht Parzival heimlich in der nacht (nachahmung vom besuch
^* Chreetiens), sie wechseln tausend küsse, doch das beilager wird
^^^t Yolzogen. Vergebens ist alles bitten, dass Parzival länger als zwei
jfifc^ verweile. Tüchtig und schön ausgerüstet, auf rotem schilde einen
^^^HBnuen löw^ führend, reitet er unter dem versprechen baldiger
r. DEUTSCHE PHILOLOOIK. BD. XXH. 20
306 SAN HARTE
widerkehr und mit dem schwur, nirgend in einer herberge länger al&
eine nacht zu weilen, wider ins weite, bis er den hirschkopf uucai
bracken widergefunden und die geheimnisse des grals erforscht habe.
Sp. 386. Hie würt vehtende Parxifal mit ein^ rittere, der Ue^
der schöne Böse, [Bern. ms. § 13. R Boron s. 174. Er hiess t
Beaus Mavais.]
In dichtem waldo begegnet ihm auf schönem zeiter in seidneaa*
kleidom nach komwälscher tracht ein wunderhässliches weib (ähnlicrr:
der Kimdrie beschrieben), welchem ein statlicher ritter folgt FarziT,^
muss über den anblick lachen, worauf der ritter ihn anrent, ab^
besiegt, sich ergeben und an Artus hof gehen muss. Er wird d^
schöne Böse genant, söhn des grafen von Galphage {fix al conte ^
Olavoie)\ sie heisst Rosete.
Sp. 386, 33: Sil was glich einre tüvelin.
Zu Kavelun werden beide mit ehren empfangen, nachdem Kaje
für seinen spott hinter den sattel geworfen ward. Später wurde die
frau immer mehr schön und weidlich, dass sie algemeine bewunderang
erregte;
Sp. 394, 7: inenweis oh sü von feinen kam.
Sp. 394. Ilie kumet Parxifal xuo mier mtioter wonutige und
bevindet, dax er eine swester het [Bern. ms. § 14. — R Boron
s. 173.]
Parzival muss im walde ohne herberge übernachten; dann sieht
er den bäum, unter welchem ihm einst ein ritter beschied, dass Artus
ihn zum ritter machen könne. Er erkent seine heimat, das mütterliche
haus und wird auch von einem alten knechte wider erkant Eine
Jungfrau, seine schwoster, teilt ihm mit, wie seine mutter im schmerz
über seine ausfahrt gestorben. Rührend ist die widererkennimg der
geschwister geschildert Parzival will den hier in der nähe wohnenden
einsiedler sehn, um ihm zu beichten.
Sp. 399. Hie würt Parxefal vehtende mit eime ritter, der i^
si'tie swester wolle netueti. [Bern. ms. §15. — R Boron s. 173. 174]
Parzival, treflich gerüstet, reitet mit der Schwester ab. Bsl^
begegnet ihnen ein ritter, der seine Schwester rauben will, doch wiX^
er im kämpf niedergestochen und Parzival führt dessen ross mit sieb--
Sp. 400, 29: iewederre helle eins löwen muot
wnd worenl kec sam xwei toilde smn.
Der eremit, der Parzival nicht wider erkent, führt die geechwi»*^
in die kapelle zum grabe ihrer mutter. Pandnd enlfalt Uel
6ItDUKGSGANG DRft GRALDtCHTÜKG 307
ne abenteuer. Der einsiedler tadelt, dass er den ritter getötet, des-
1 ro8s er mit sicli führt Sie werden in der klause gut geherbergt
d verpflegt Ein engel bringt ihnen die speisen. Parzival bittet
Lügend um aufklärung über den gral und blutenden speer. Nach
iger erbaulicher predigt reiten die geschwister nach hause. Am
dem morgen bricht Parzival unter wehklagen der Schwester wider
f , den gral zu suchen.
Sp. 409. Hie kfint Parxifal xuo der megede bürg, [Bern. ms.
16.]
Drei tage durch wüsten wald, ohne herberge zu finden, irrend,
)mt er endlich zu einer herlichen bürg, deren tor, als er eingeritten,
ch schliesst Kein mensch lässt sich sehen. Vor dem saale steht auf
Ler vergoldeten Säulen eine tafel mit angekettetem hammer. Dreimal
3hlägt er darauf, dass die bürg erdröhnt Da zeigt sich ein mädchen,
as ihm jedoch auf seine bitte um herberge nicht rede steht Widerum
chlägt er an die tafel, dass man es zwei meilen weit hören kann, und
Jigst^oll komt nun ein andres mädchen, das ihn der herrin zu mei-
len verspricht: denn würde er zum dritten male auf die tafel schlagen,
50 müste die bürg in trümmer stürzen. Im glänzenden saale, von
lundert schönen Jungfrauen umgeben, empfangt ihn die herrin; da
»hwand ihm sein zom und sein hunger, und er fühlte sich wie im
?aradiese. Burg und schloss werden nur von Jungfrauen edler geschlech-
»r bewohnt, und sind von ihnen ohne die hülfe von maurem und
rteinmetzen erbaut. Fahrende ritter werden zur herberge aufgenom-
nen; wer das haus menschenleer findet, sich ängstigt, dass sich das
or hinter ihm geschlossen und nicht auf die tafel schlägt, der findet
iiorgens das tor offen und kann fortreiten. Wer aber mutig dreimal
trf die tafel geschlagen, der wird köstlich bewirtet und erhält eine
'Mächtige Schlafstätte. So gieng Parzival, nachdem er seine abenteuer
^en damen erzählt hat, zur ruhe. Doch am andern morgen bei schon
lochstehender sonne erwachend, findet er sich unter einer eiche, wap-
lung und ross* neben sich, die bürg verschwunden, nirgend menschen-
pur; verwundert spricht er:
Sp. 422, 24 Ich wene uf mine jungeste vart
Dax Sil gefenet sint aJle gar,
Sp. 422. Hie kunt Parxifal, da er sin hirxhoubet wider vi7idei
••tf dose breckelin, dax er lange gesiu)chet kette, und nnirt mit eime
dßrwmbe vehtefide, der kies Oarsalas, [Bern. ms. § 17. —
B^ron 8. 176.]
20*
Nach laiigem waldritl. komt Parzival zu einfin Hcliönen grossen
plan, Hill' dem ein mäclitiger bäum steht, unter dessen schatten wtil
tausend ritter plalz hätten, und daneben ein grosses prächtig!« zeit,
nebst zwei kleinen. In einem derselben steht ein herlich geschmück-
t-es bette und eine Jungfrau begrüsst ihn niit der Verkündigung seines
nahen A-urderbens. Ära bäume hangt der köpf dea erlegten jcwölfenden,
doch fehlt das bräcklein. Da wird unter hörnerschall ein (odmtlder
hirsch von dem hündchen lierangetriebi?n, luid ein folgender ritt«r tjjtel
den hirsch. Pawival fordert von ihm hirachkopf und bracken, unJ d»
er beides weigert, kämpfen sie; jener wird besiegt und verpflidiW,
sich mit seiner dame an Äitns hofe zu gestellen. Der ritter \\eitst
Oorsalas, sehn des herzogs von Genelogen iand, sein lieb TnschaiiK <Üe
ehre. Parzival will von ihm das nähere über die buig und die Jung-
frau, die ihm den bracken gegeben, erfahren; jener weiss das nicht;
dann fragt er nach dem schwai'zen ritter im grabgewölbe. Der riKo
erzählt ihm dessen geschlchte (so gleichfals in Bern. raK. § 17 mit
dem zusatK: „hier endet seine geechichte, die ich euch wort für worl
treu erzählt habe.") Parzival übernachtet gut bewirtet und reitet y»-
■ gnügt mit hirscbkopf und bracken beladen morgens ab.
seine geliebte werden von Artus zu Karleun mit ehren empft
Sp. 439, Hu- kunl l'arcifai xiio der juncfrowm, die
mul kch, d<r in fuorte über die gleaine hruyge, mul soUe in will*
««0 dem grole, und der seüien naht sack er in in deni icaltk iwi
ungeschifUe und dax er« tiüt enwüste. [Bern. ms. § 18,|
Parzival betfit inbrünstig zu gott, dass er das schloes mit «teio
schacltbrett und die dame, die ihm das britckelin übergeben, widet
finde. Nach einiger zeit komt ihm ein schön mit reitzeug gescIiBlüdl"
tes, blendend weisses maultier entgegen gelaufen, dem eine 8Ch<>ofi
festlich geputzte dame folgt Diese boeteigt es, nnd obwol sie •
abwehren will, reiten beide bis in die nacht hinein mitsammen weitsr-
Da eilt sie voraus und Parzival riift sie vergebens zurück. Piötilirfi
erholt sich die nacht duinih kerzen mit hellem schein, bald aber tbl^
ein ungowitter mit strömendem regen. Der held muss im walde Übci"
nachten, doch andern tages um mittag findet er die dame, die ihn »<*•
lassen, unter einem bäume rastend und sie erklärt ihm. dass sie iiuei"
geliebten Briina (im Bern. ms. heisst er linins saus pitie) gelobt, '''*
zu seiner widerkehr in keiner geselschatt eines manaes zu seia. I"*
nächtliche erhellung des waldes habe der gral hervorgebracht, wälu«^
der hier nahe wohnende hscherkdnig sich der nacht im Ireiea eriiW*^
Er will mehr vom gral und dem blutenden Speer wisseu, doch erwjd***
sie, dass darilber nur ein bewährter priester sprechen kiinne. Weiter
reitend kommen beide in ein taJ, wo eine jimgfrau sie im zeit unter
tiänmen gastfreundlich bewirtet; er erzählt ihr seine fahrt um den
hirschfcopf und bracken, und auf sein begehr, zum gralkönig zu gelan-
gBQ, gibt sie ilim ihr weisses maultior nebst einem ring, durch den
la" 63 werde richtig lenken können, und das ihn auf der gläsernen
brücke sicher über ein grosses wasser führen werde; doch soll er ihr
ounltier und ring widerbringen. So reitet er auf dem maulüer mit
seinem ross, hirschkopf und bracken ab, übernachtet im waldc und
gelaugt glücklich über die gläserne brücke.
1. 456. Hie lamt Parxifal tiio eime rittere, der hies Brios, der
misete über die hohe bntuke, do nietnan niähte über körnen, ufid
^atg nuicant futlber ins arisser, unde seite titi auch von dem grossen
iunuig, der sich samniente vor der bürge Orgelus. [Bern, ms. ^ 19.]
Er begegnet dem edlen ritter Brios von dem gebogenen walde,
on den inseln" genant, im schonen jagdkleide mit einem hom
elfcnbein und habicht. Auf wechselseitigen frommen morgengruss
tht ihn Brios, zunächst bei ihm sich zu erfrischen, führt ihn ins
zu frau und lochtor, welche leztere einen grossen eindrnck auf
ftiRUTal macht, doch von mlnno noch nichts wissen will. Nach eraäh-
long seineii hirsclikopf-abenteuers nimt er den verschlag an, an dem
toiier teilzunehmen, das Artus jenseits des flusses beim schlösse Orge-
Ins ausgeschrieben hat Doch mnss er dabei eine zauberbrücke passie-
fen, die nur bis in die hälfte des wassers reicht, und über die ihm
Bne lange geschichte erzäiilt wird. Andern tags machen beide ritter
sich auf, Parzival unter zurücklassung des hirschkopfs uud brackena,
und in vortreflicher rüstung. Brios bleibt zurück, als Parzival die brücke
betritt, doch sobald er an deren ende in der mitte des breiten brau-
«nulen Stromes angelangt ist, löst sie sich behend vom lande los imd
scbwingt sich über die andre hälfte des wassers zum jenseitigen ufer,
^ Parzival sicher betritt. Damit ist erwiesen, dass Parzival der beste
fitter der weit ist — Artus mit allen tatelrundem ist bereits bei der
burg Orgelus versammelt und ordnet die parteien. Als gegenpart steht
könig Auguses mit den Irländern, und diesen schloss sich Parzival an,
er gegen die tafelrunder unerkant kämpfen wolte. Der vorschnell
eifrige Kete wird zuerst abgestochen und muss den Iwhn dos hofes
"^f^ren. Nach \-ielen siegreichen kämpfen kehrt Parzival über die
"^cke in gleicher weise, wie er gekommen, zu Brios zurück, der ihn
"^^rtet und beide übernachten in der behausung des neffen Bries,
^tteg einsiedlers. Am andern tage widerholt sich der gleiche waffen-
310 SAN MABTE
tanz, und Artus misvergnügt schickt Gawan aus, zu erkunden, wer
der stets sieghafte ritter sei. Umsonst. Abends zieht sich der held
wider zurück, übernachtet bei Brios und zieht mit hirschkopf, bracken
und weissem maultier seines weges weiter.
Sp. 485. Hie kummet Parxifcd zvo eime sarke, do ein ritier
inne lag, und der ritter betroug in darin mit sinre bosheit [Bern,
ms. § 20.]
Bald fand er im walde unter einem bäume ein kreuz, darunter
einen marmorsarg. Eine stimme rief unter dem stein um hülfe. Als
Parzival den stein aufhob, sprang ein statlicher ritter heraus, der den
beiden in den sarg und über diesen den stein warf.
Sp. 486. Hie ivurt Parx^fal erlöset uz dem sarke. [Bern. ms.
§20.]
Der tückische ritter versucht, auf dem ross und auf dem maol-
tier davon zu reiten, doch beide sind nicht von der stelle zu bringen.
Er vermutet Zauberei, lässt Parzival aus dem sarge imd springt selbst
wider hinein imd ruft nur noch: am ende des jahres werde Parzival
erfahren, wer er sei. Dieser reitet ab und findet bald im walde eine
schön gezierte Jungfrau, die den ring und jdas maultier als das ihrige
ihm abfordert, und fragt, ob er beim gral gewesen und seine wunder
gesehn habe? was er verneint, dagegen seine abenteuer erzählt Er gibt
ihr ring und maultier, womit sie wegreitet, er übernachtet im walde
imd betet recht inbrünstig zu gott, dass er ihn doch endlich zum
fischerkönig oder zur mägdeburg führe. Da antwortet ihm hoch aus
dem bäume eine stimme: das bräcklein werde ihn führen! Bellend
läuft es voran, er eilt freudig ihm nach.
Sp. 492. Hie kiint Parxifal wider xuo der jungfrowen, do er
das riebe schofxovel- gesteine 2md bret vant und die im lech im
braeken. [Bern. ms. § 21.]
Das bräckelein führt den beiden in eine ansehnliche bürg; im saale
steht ein prächtiges bett, auf dem das Schachbrett liegt Eine schönge-
schmückte Jungfrau, der das hündchen freudig entgegenspringt, begrüsst
ihn freundlich; er überreicht ihr den hirschkopf, erzählt seine abenteuer,
bittet nun aber um crfüllung ihres gelübdes, das sie ihm bei der aus-
fahrt gegeben: gewähning der rainne. Mit vielen küssen fält sie ihm
um den hals und erklärt ihm ihre hingebung. Sie setzen sich auf das
bette neben das Schachbrett, über welches sie auf seine bitte ihm aus-
kimft gibt: einst war hier' eine wunderschöne zauberkundige magd:
diese fand die fee Morgano auf einer wiese mit einem ritter schach
spielend; als sie näher trat, bot ihr Morgane ihr schachbret an zum
BILDÜNGSOANO DEB QBAIJ)IOHTÜNQ 311
geschenk; es war zu Lunders uf der Tamiise gemacht Als gegen-
gescheDk gab sie Morgane dieses Schachbrett, das von selbst spielte,
wenn ein ehrbarer mann * oder solches weib oder Jungfrau das gegen-
spiel übernahm. Als sie an könig Brandigans hofe war, kam auch
Morgane dahin, nahm sie auf zwölf jähre mit sich, und schenkte ihr
das Schachbrett zurück, wonächst sie vor acht jähren sich diese schöne
borg erbaut habe. — Kitter und damen versammeln sich zu festlicher
abendtafel, dann wird Parzival schön im saal gebettet und nachts kam
die burgherrin zu ihm und löste ihr gelöbnis. Andern tags reitet Par-
zival wider auf die gralsuche mit dem versprechen, wider zu kommen.
Sie begleitet ihn bis an ein wasser, wo ein scliiff an einer eiche unter
schloss lag.' Sie schliesst es auf, und das schiflein bringt ross und
reiter hinüber imd kehrt dann von selbst zurück. Er verfolgt die ihm
gewiesene Strasse zum fischerkönig.
Sp. 506. Hie vindet Parxifal einen ritter, der an den fuexxen
hieng an einem boume, den er erloste, der Bagumades kies, [Bern,
ms. § 22.]
Keie hatte ihn so grausam behandelt und mit drei rittem angefal-
len, als sie vom leidigen berge kamen, wo sie vergeblich versucht hat-
ten, ihre rosse an die marmorsäule zu binden, was nur dem besten
ritter der weit gelingen kann. Bagumades, nun befreit, reitet zu Artus,
um Keie zur rechenschaft zu fordern, Parzival zur säule auf dem mons
dokmreiix, um zu versuchen, ob er der beste ritter sei.
Sp. 513. Hie kämmet Bagimuxdes xuo küni^i Artus und vmrt
^^tende mit Keygin.
Artus imd die königin schlichten den kämpf, in dem Keye zu
unterliegen droht, in gute, und da Bagumades den gruss von Parzival
gebracht, machen alle tafelrunder sich auf, ihn zu suchen, Gawan,
^^on, Lanselot usw. Der dichter will jedoch nur von Gawan erzäh-
len, — Hier bricht das Berner ms. ab und schliesst sich erst sp. 582
^der an. — Gawan übernachtet bei einem einsiedler im walde, dann
keiut er bald zu einer bürg, vor der an einem bäume bei einem brun-
^^^ ein silberner schild hing, dessen wappen ein schwarzer klimmen-
^^^ löwe ist
(Schluss folgt.)
312
EIN QUODLIBET.
Die handschrift cgm 270 der kgl hof- und Staatsbibliothek in
Münchcpi aus dem 15. jh, (catcUogus V 1, s, 31J, in welcher auch die
17 gedichte Heinrich Kaufringers aufbewahrt sind, enthält bl, 73*^ bis
76*" nachfolgendes qiiodlibet (^ditz haist ain geplerr", v. 161), das ^ich
durch eine fülle eingestreuter spf^iehwörter und sprichwörtlicher redens-
arten ausxeichiiet Die anmerkungen geben die lesarten aus cgm 379;
in dieser hs, steht das gedieht bl 36^ bis 39^.
bl. 73* Ain ander guot sprach.
Wer on guot wil witzig sein ♦
Vnd on schiff fert über rein
Der möcht ertrincken wol
Durch des reiches stet on zol
5 Niemant thar gefarrn
Was die Chargen mügend ersparen
Das wirt den nülten zuo tail
bl. 73** Auß past macht man sail
Oder guote raffen reff
10 Gipt ainer seinem chneht ain treflf
Vmb schneid er sol nit zürnen
Für die feind sol man turnen
Die zun die da geachtert sind
Mit ruoten sol man slahen chind
15 Die vmb wöUent zäunen
In müllen fint man wannen
In dem wein hauß die maüß
Ze chirchen vnd zuo straß
Sicht man schöne frawen
20 In weiden muoß man hawen
Holtz das man da prennen wil
Wer wolfail hin gipt vnd lange zil
Der verkauft wol was er haut
Er mag sein aber verderben drat
25 Von spils uegen der gewin ist ciain
Überschrift fehlt in cgm 379. 1 an so st^ts. 5 niema. gefaren. 6 kai^.
7 zü so stets. 9 gütu haffenref. 10 sin. 12 viend. 14 rautted. slaschen.
15 vmb red wellen. 17 maft. 18 kirche vgl, Mi 6. 19 Sich sich. 22 hin
go tzil. 23 hat
EULINO, QUODUBKT 313
Zwen glich hert stain
Malend seltten slechtes mel
Wer haut ain guot bockfei
Der ist zwair stiffel gewiß
30 Wer rieh ist man spricht er ist gewis
Niemant waiß ob das ist
Auff die acker fort man mist
Der si gern getunget haut
Der pader ainen siechen laut
35 Zum linggen arm zuo dem miltz
Wer haut zwen schuoch mit filtz
Die sint den winter warm
Die frawen spinent gam
bl. 74* Aine pessers dann die ander
40 Tuch fürt man auß flandem
Wer das chaüffet der muoß phenning han
Wer übel vnd guot chan uerstan
Tuet er vnrecht man sol jn strauffen
Wer schreit on not waüffen
45 Der pringt die leüt zuo samen
Wenne man sieht schöne samen
So ehumpt gern ain guot jar
Ich waiß wol wer nit hat har
Der ist sicher ehal
50 Wer chom hab der mal
Die weil die päch sind groß
Weren meiniu pfant loß
So wölt ich frölieh sein
Ich waiß wol das der wein
55 Macht vngeraten leüt
Zuo fasnacht sieht man prüt
Mer dann durch das jar lanck
Von üeb schaiden ist ain swerer ganck
Also gat das jar da hin
60 Wer vast zert on gewin
Dem wirt die täsche 1er
Ich waiß wol es ist swerr
26 gleych. 30 sprich. 34 bador. 35 langen, auff dem m. 40 füret.
fluider. 41 koft 43 solt. 48 hat hat 53 wolt froUch. 55 lüt
50 get
314 EÜLINO
Das niemant erheben mag noch chan
Wer des winters one ban
65 Vber weld muoß reitten
Der sol des tags erbaitten
Leüg ich so wil ich swigen
bl. 74** Wer beginnet seigen
Dem ist ettwas prosten
70 Wer badet one ehesten
Der schempt sich uil
Wer vor dem pem uischen wii
Der mag sein arbait verliessen
Wer pöß gelt nit chan chiessen
75 Der verdruißet seiner zeit
Wer py ainer frawen leit
Vnd jr nicht gelieben mag
Der wölt gern es war tag
Liegens sol sich niemant gewenen
80 Siechtag tuet wee den zen
Auch ich die leut hör sagen
Wer vnrechts vil muß haben
Ich wen es tue jm wee
Czuo sumer pluomen vnd kle
85 Sicht man auff den haiden
Wem sein lieb wirt laiden
Des liebung ist gar enzwai
Laichnuß ist manger lay
Dar vmb ist mir geschechen laid
90 Wer zuo dem augsten wenig schneit
Der tarff dest minder traschen
Frawen mussent waschen
Das lauß wir aber sleiffen
Chül morgen pringent reififen
95 Sehne choment nach ehalten winden
Der baupst mag enpinden
63 noch chan fehlt. 66 orbiton. 67 Lieg. 68 eigen. 70 fehlt ganz.
75 verdrwßet 76 bey. 77 geminnen; in cgm270 steht gelieben von jüngerer hand
in rasur, vgl. über dieses in cgm 270 geübte verfahren Heinrich Kaufringer hg,
von Euling. s. IL 79 Liegents. wennen. 81 Als ich. her. 82 muß ver-
tragen. 83 tu. 86 Der sein. 88 menger. 89 mir fMi. 90
93 slyffen. 95 kompt
QUOOUBET 315
Den sundem wil er haben rw
bl. 75* Wann der mon ist new
So mag sich das wetter uerstossen
100 Chuglen vnd possen
Macht vngeraüten leüt
Wer hacket oder reut
Dem wirt sein prot saür
Arn wolflF vnd ain pawr
105 Werdent ain ander selten hold
Das da gleist ist nit alles gold
Wenn es ist auch mess
Ain schmid in seiner ess
Sol haben guten chol
110 New pesm cheren wol
Paß dann si werdent alt
Altu wip sind ehalt
Dar zu pringet si jr alter
Ich wen wenn ain malter
115 Mer dann ain pfünt gelten sol
Es sey armen leüten nit wol
Pöß offen werdent riechen
Gern lapt man die siechen
Wie gern sung ain man
120 Ir wissend wol wer lützel chan
Der haut gesungen schier
Ich waiß wol dry vnd vier
Ist siben hewr als fert
Wer Pfenning hat der ist wert
125 Disser weit lauflF nieman
Ains mals gesagen chan
bl. 75** Vnd wie ieder sei gemuot
Der pfafF aischt nicht das guot
Die weil das öppfifer mag wem
130 Ich waiß wol er wölt gern
Das es lange wert
Er mag fallen hiur als fert
Wer hoch wil steigen
98 man. nuw. 100 Kichlen. 101 Mach. 105 an ainander. 106 als.
107 och. 109 guten fMt. 110 pesen. 112 weip. 116 nit fehlt. 119 Wy
gemen so mag ain man. 122 oder vior. 123 vart. 130 weit 131 wart.
316 EUUNO
Hern sol man naigen
135 So si piettend jm gruoß
Thören essent gern muoß
Ymb alle sach ist mir nit chund
Doch waiß ich wol den alten hond
Ist pöß leren die pand
140 On pfening vnd on pfand
Niemant zuo dem wein sol gan
Der sich chimiers wöl erlaun
Am süntag söl wir feirren
Pfaffen vnd geyrren
145 Sind der leüt schaden fro
Gern print das stro
So es nahent leit py dem fewr
Jr wissent wol das hewr
Die mäntel gand für die rock
150 Gaiß vnd auch pöck
Tragent lützel guotter wollen
Wem der sack nit wil follen
Der sol jn halb verpinden
Garn sol man winden
155 Oder es wird sicher verworren
So die schwin beginnen kerren
bl. 76' Dar zuo tribt si des hungers not
Wer hewr stirbt der ist tod
Vnd ist sin piß jar vbrig worden
160 Es ist ain herter orden
Ditz haist ain geplerr
Vnd chompt der uogel jn das flerr
Er wirt uilleicht geuangen
Wer zuo jungst chompt gegangen
165 Der haut versaümpt den ersten trunk
Alt leüt sint nicht Jungk
Doch haut ain gans ainen langen kragen
Ich möcht zu vil sagen
Da uon sprich ich ain wort
170 Churtz red war ist ain hört
134 g<cneigeD. 142 orlan. 143 vyren — gyreo. 147 bey dem
fürr. 140 geoU. 155 i>icher fehlt, 156 swein. 162 lerr. 167 min.
LÜGENDICHTUNG 317
Wer pald lauflF dem ist gaüch
Her auff da trunk ain prediger nach.
171 löff. 172 Hör.
EINE LÜGENDICHTUNG.
Deni Verzeichnis ynhd, liigenstü'Cke bei Müller -Fraureuth, di^^ deut-
schen lügendichttingen s, 12, 13 füge wh hinxu „Spruch das alles in
der Pelt gut gehet" vom Schnepperer aus der hs, des gernmnischen
niuseums zu Nürnberg nr, 5339^, vgl Anzeiger f. ku7ide d. d, vorx,
1859 j 9 — 12, Bei Ooedeke I, 329 fehlt das stüek, trotzdem es vo7i
Wendeler in seinen Studien über Hmis Rosenplüt erwähnt war. Die
angeführte Überschrift rührt i^on jüngerer hand her,
bl. 410** Ich sollt von hübscher abenteür
Sagen darzu dorft ich wol steür
Ob ich zusamen ein gedieht
Kunt bringen aus gar hofelicher geschieht
5 Ein schweiczer spiß ein helnparten
Die tanczten jn einem hopffengarten
Eins Storchs pein vnd eins hasenfuß
Die pfiffen auf zum tancz gar suß
Die würfPel fürten den reyen clug
10 Dapei was heinczlein meyers pflüg
Der sas in einer alten taschen
Vnd schmidet ser an einer flaschen
Was grosser kunst er daraus droit
Die flasch was drei messig weit
15 Er schopffl; gancz vnd gar darein
Das mer die timaw vnd den rein
In aller weit wassers zuran
Ein muck verschlant ein starcken man
Ein feür in wasser nie erlasch
20 Der pfarrer seinen meßner trasch
Der paursman sictzt wol vnd eben
bl. 411' Der darft kein güllt noch zehent geben
Ich sach den dittrich von Bern den recken
Rennen scharpf auf einen heüschrecken
25 Ich wil euch neue mer hie sagen
318 KUUNQ
Die schweiczer hatt er all erschlagen
Der edel fürst von osterreich
Siezt in dem schweiczer land gleich
Vnd hat gewiinnen mit dem schwort
30 Als er vor lang hat begert
Ich sag euch das fursten vnd herren
Der Juden schecz nit mer begem
Sie haben gemacht gut Md vnd gleit
Vnd haben vertriben weit vnd preit
35 Die rauber gancz aus jrem land
Das vnrecht thut den forsten and
Es sein alle straß gar fridlich worden
Vnd yderman hellt recht sein orden
Eeprecher vnd meinayd schweren
40 Das vindt man auch nu nymermer
Die wellt ist worden schlecht
Richter vnd schopfiFen die sprechen recht
bl. 411** Vnd vrteilt yderman nach seinem synn
So ist gerechtikeit erschinn
45 In allen landen weit vnd preit
Hat man die vnrecht au%egeit
Die prister halten sich wirdigkleich
Sie schlagen gancz aus alle reich
Es wil einer nit mer haben dann ein pfiründt
50 Sie haben sich alle mit got versunt
HofEjEtrt vnkeüsch geitikeit ser
Das sieht man nymant treiben mer
Man most sich aller symonei
Alle Wasser vnd weld sein worden frei
55 Wann fursten vnd herren thun als wol
Vnd nemen nit steür noch zol
Der Pfenning ist worden vnwert
Das nymant mer vnrechts begert
Die weit die fleißt sich aller tugent
60 Vnd guter ding jn aller Jugent
Die Jungen die haben die alten lip
Darumb ich in gros lob hie gib
26fgg. über die satire in der lügendichtung vgl, MUÜer-Fraureulh 9,22 f gg.
39. 40 schwerer Die? 49 vgL Germania 33 (1888) 8.164.
LÜOENDICHTXTNO 319
Die kindt volgen vater vnd muter schon
bl. 412' Nymandt dem andern arges gon
65 Nymant tregt mer neid vnd has
Geen dem andern ich sag euch das
Die Juden wollen sich gancz bekem
Vnd nymmt keiner kein wücher mer
Sie sein all getauft zu der cristenheit
70 Jr sund ist in worden leit
Des habens alle ein guten willen
Ein muck ving mit einem grillen
Starcker wolff drei on wer
Ein schwarczer storch pädt sich ser
75 In einem sperckennest gros
Ein plinter zu dem zil schos
Ein zwifalter aus clugen wiczen
Sang mit einem stigliczen
Vmb hundert eleu egerigs tuchß
80 Ein henn die laß mit einem fuchß
Eüe vor das sag ich euch für war
Ich was gar nahent hundert Jar
Ein gewaltiger pabst in schottenlant
Ich gabs mit willen auf zuhant
bl.412'* 85 Do hett ich alles das ich wollt
An dem weg do lag das silber vnd das golt
Gleich sam die grossen quaderstein
Das was mir alles gar gemein
Do stund ein prunn der was guldin
90 Daraus flos der aller peßt wein
Ein reiche kuch stund auch dapei
Vnd die was yderman frei
Da gieng ich auch ein als ich solt
Vnd asß vnd tranck do was ich wolt
95 Ich schlug es aus vnd wolts nit han
Da sprach zu mir frau vnd man
Ich wer nicht weis das ichs ausschlug
Solch herren leben gar gefug
Ich sag ein grossen mülstein
100 Da fügen in lüften gemein
85 Igg. pgL Müller ' Fraureuth s. 14 fgy.
320 KÜURGh, LÜOKNDICHTUNO
Ich sag einen paumen der trug
Die allerpeeten semel gut vnd clug
Der do in einem weyer hing
Der lauter da mit milich ging
105 Darein vihi die semel herab
bl. 413' Ein loflFel man yderman gab
Zu essen genug semel vnd milch
Ein weber macht guten zwilich
Aus einer alten decken schon
110 Ich sag den tum zu babilon
In eines kramers korb verspert
Ein äff mach hübsch gefert
Auf einer lauten hofenleich
Vor Komischen keisem reich
115 Da kund er alle seitenspill
Ein toter Jud der gerbet vil
Schweiner feil zu einem pelcz
Ich sag aus einer mucken schmelcz
Das peßt schmalcz wol drey zentner
120 Des molers pensei trug gar schwer
An einem schneckenkorb gros
Ein frosch zu einem storchnest schos
Es vellt neür vmb zwu ackerleng
Er hetts sust troffen sein weit sein eng
125 Mit einem alten videlbogen
Ob ymant Sprech ich hett gelogen
bl. 413** Ich hab nit brif noch sigel dapei
Wie es das ewangelio sei
Damit ich die kunst bewer
130 Das ist nit war vnd ist kein mer
Sagt vns der schnepperer.
126 fgg. vgl. Fsp. 1138.
miDKSHEIM. K. EmJKO.
321
ZUM PASSIONAL.
1. Dresdner bruchstficke aus dem passional K.
Ausser den beiden von 0. Meltzer (Germ. 18, 355 fg.) und E. Wör-
(Ztschr. f. d. ph. 8, 63 fg.) veröffentlichten bruchstücken des Pas-
ais besizt die kgl. bibliothek zu Dresden noch zwei andere, die wie
Wörnersche bruchstück dem dritten von Köpke (Quedlinburg und
»zig 1852) herausgegebenen buche des Passionais (Passional K.) ange-
sn. Über diese beiden noch nicht veröffentlichten bruchstücke, auf
3he mich mein freund kustos dr. H. A. lier aufinerksam machte,
im folgenden berichtet werden.
1) Zwei pergamentstreifen, welche zusammen ein wagerecht durch-
littenes doppelblatt darstellen, das ehemals den inneren teil eines
bemio gebildet hat und dessen Seiten 207 müL hoch und 173 mill.
t sind. Dr. H. A. lier fand diese pergamentstreifen im inneren
cen eines aus der ölser privatbibliothek des verstorbenen herzogs
Braunschweig stammenden und von da in den besitz der Dresdner
bibliothek übergegangenen buches (Helius Eobanus Hessus, He-
um ChnstiaDarum epistolae. lipizk per Melchiorem Lotter. 1514. 4®).
232 verszeilen, welche das bruchstück enthält und welche bei
>ke den versen 139, 29 — 141, 68 entsprechen, sind so verteilt, dass
. auf jeder der 4 selten 2 spalten zu je 29 versen befinden. Das
e blatt ist am seitenrande verschnitten, sodass von bl. 1' sp. 2 die
äausgänge und von bl. 1** sp. 1 die versanfange fehlen. Es fehlen
ach die ausgänge der verse Köpke 139, 58 — 86 und die anfange
verse Köpke 139, 87 — 140, 19. Die schriftzüge sind zwar nicht
ade schön und regelmässig, zeichnen sich aber durch deuüichkeit
. Andere als die bokanten abkürzungen süid nicht verwendet Die
chnitte sind durch grosse bunte initialen bezeichnet; so begint 139,47
einem blauen N, 140, 33 mit eüiem roten P und 140, 89 mit
3m blauen D. An einzelnen stellen hat die schrift durch kleine
:ier, noch mehr durch falzung des pergaments und aufgestrichenen
n gelitten.
In dem folgenden Varianten Verzeichnis, bei welchem ich auf die
1 orthographischen imterschiede keine rücksicht genommen habe,
«ichnen die worte vor dem strich die lesarten des Köpkeschen tex-
die hinter dem strich die unseres bruchstücks.
13 9j 29. an mi ungemutec genuc \ er was vnmvtic gnvk 31. im \
33. korbe \ knehte 34. ei7i brot \ dax broi 36. geweft ein ftein
r. DEUTSCHE PinLOLOOIE. BD. X2UI. 21
323
fo feharf | gKU)p.fen ein fiein arharf 3 7. gefen | gfj'ehen 3S gtfc
gefehehn 41. hie | da 51. futn \ fvÜen S3- fit \ fint 61. (Ma | «R
02. im I do 69. i« | vor 72. die ßlde alle | da falle tr alle TU. d^m^
an I die fie an 79. kiifcn | «... 80. ufm | hife 96. hetni gentw^
...77U9 heten
140, 2. kfninen \ ar-Meii. 9. in die fchalf- \ dir frhal 10. -^i^t
lait \ M tal U. feibe fchale j . . . r läge 12. felhen male \ ...c tam^ft
18. gutÜch I liehen 26. auch rerfiimfftu da% \ orh oh dv v'fovm^^/t
daz 27. wHrdcft | wvrdeft 51. ftmx er ntnhte Italien \ ftrat er 9w^t
an df ftvnde 52. fint ifh han enlfafien | fit ich hart enphrrm^^
64. brgin \ geuin 71. fchifhrwhe I fehifhmehik 74. uf tU'm \ vff*
83. arme?! | arme 84. erlxirmen \ erbarme 86. befle \ beflex . (rt^^r \
an trf-k 87. bereit \ gereit 88. in barmeherUkeit | in die barttih'xi-
keit 93. da \ hin da
141, 5. man | menfehe 10. dax in fime gehete \ dax tUeii in fin^
gebeie 18. /p/Wfts | leidie 10. fit veriaeh \ fint iach 23. ttibe | krrcr
28. zu im alfm \ alfvx xv im 29. Petre | peter 30. du haß getcal-
net I fft ftafi geweint 31. um \ rmbe 37. «loa mir \ mir n-as 39.
kable ir teil | kelle ir not 40. gut | guter 43. prttieter | prrftf f*"
48. fine, | fin 49. an fulcke \ vf folehe 51. vor den ha/ndeti \ tu da*
hentlf 53. rieher der imie \ richer mae 35. treit \ v'treit. 32. lUi \
dax 67. gefterheti \ erfterhen.
2) Ein perg:ainenMoppelbIatt, jezt mit einem papiereinbande tpt^
sehen. Es trägt die beüeichnung Msc^. Drped. M 177 und die acqui».—
nr. 1789* 1243. Dem handschrifteukatalng zufolge iat es ein geschenfc
von fräulein Louise von Olivier in Dresden. Die blätter sind 238 nüH-
hoch und 179 mill. breit. Die aeiten bieten den text in je 2 spalttÄ»
mit je 42 verszeilen. Eine ausnähme macht die zweite »palte v»«»
bl. 1\ welche nnr 41 verszeileo hat, da ihre lezte zeile nnbcHchriebe«
ist Das ganze fragment enthält somit 235 verszcilen, und diese ea*"
sprechen bei Köpke den versen 581, 58—583. 3Ö und 586, 81—588, &'2
Es fehlen dazwischen 336 verszeilen, d. h. ein doppelblatt mit 8 sp*^'
ten zu je 42 zetlen. Das hier fehlende doppelblatt war demnacti d**
oberete einer läge, deren zweites unser bnichstück darstelt. Die sdir**
hW mit der des hruchstiicks 1 nielit; wenig ähnltehkeit, doch ist «1**^
selbe ein wenig kleiner, gedrängter und zum teil eher noch ett*"^
ungleichmaäsiger als dort. Bunte tinte ist reichlich verwendet H**^
initialen finden sich bei v. 1 des bei Köpfce (s. 5^2) mit 69 Ute ^^~*\
ckei dax bt/ch von aUen seien überschriebenen kiqiitets (U) ond *^*
5ST, 45 (Z), blaue initialen bei 582, fi9. 47 (Ti> ..^-i f.'^'J a (1
ZUM PASSIONAL 323
•
en stehen also (wie dies auch bei bruchst 1 der fall ist) an densel-
stellen, wo die dem Köpkeschen text zu gründe liegende hand-
rift solche hat. Ausserdem sind vor einzelne verse, aber ohne regei-
sige Zwischenräume, abwechselnd rote und blaue zierzeichen ( )
lalt und am ende kürzerer verse hin und wider horizontale rote
rstriche. Die handschrift, welcher unser bruchstück entstamt, hatte
ler unter dem oberen rande der seiten die kapitelüberschriften in
T färbe. Davon sind in unserem bruchstück folgende werte erhal-
auf bl. 1' — heyligen — — iac — ; bL 1** — von — — aller — ;
2* — Seim — - iae—\ bl. 2** —v(m— —dOer—, Auf bl. 1'
Bn stehen von einer hand des 17. Jahrhunderts quer, zum teil über
text werte geschrieben, von denen mir nur folgendes leserlich
•: Anno 48 Wcdpurgis 1648 WcUpurgis 48.
Lesarten:
581, 59, obe tifchen die wol axen \ ob den tifchen vnd axen
da I do 62, gewac \ ml genvc 65, zun \ %e 67, enheten \ heten
mochte \ mohteti 82, vninde \ vrevde 84, von in gewant \ an hi
■ant 85, wand fi getmwe vrunt haben \ wan fie gnvc vr. h.
hie I da 93. woUent \ wellen
582, 4, feie \ feien 9, zu gefiaden \ zegenade 10, ire \ ir 16,
n do I man vns 19, und doch nihi uf \ vnde idoch vf 24, alt-
ere I aÜen vceter 25, zwei f boten, merterere \ zwelfpoten martercerc
582, 69, 6, ful wir \ fvlt ir 12. OdiUo \ odilo 13. tvit \ tuite
feltzene | felifenez 16. lit \ Ugt fchone \ fchoner 22. Odilio \
lo 26, fchrient \ fchrirefi 32. ifi ir \ ir ift 35. behaiden \ hol-
'' 50. kalt I kelde 52. ieglich | igUch 55. fchone \ fchonez 58.
xen I ende ,
583, 1. nicht hie \ hi^e niht 3, anic \ cmiic 4, undertanic | vn-
t€enic 17, im | in 19. geborget \ verborget 25, fehlere \ fchire
vor I vofi 30, u^rt fchiere \ fchire wirt 31 lange \ alle 36. im,
ij fwem I im fweni
586, 89. bume7ide \ brennende 92. bifuz \ bift dv 93. binx \
ex 94, gehbete himen \ gelobte zekvmen 97. 98, \ 98. 97.
587, 12. bunte werc \ bvntiverc 14. teil auch alzu fere \ teil al
ere 15. an valfche \ anvalfch 20. als des der \ als der 31. getvt-
>* I gewifchen 33. fnellekeiie \ fnellicheit 36. an allen \ allen
• Zum dritten machet \ Zein drittem male machet 49. unferme \
rem 58. rufet | rufen 64. behielt \ befchieU 67. traf unz vur
* M I hrU vntx vffen tot 75. gruben in die \ gruben in in die
21*
324 F. SCHBOBDXR, ZUlf PA8SI0NAL
80. doch I do 86. fprechet \ fjprichet 87. felemeffe \ felenmeffe 97.
mines \ mins
588, 5. 6.\ 6. 5 9. fo \ fus 10. vil \ wol vü 15. in \ fie
18. in brachte \ brahte in 20. zu fiaten \ wol xeftaten 30. felben \
felbe 32. ieglich \ igUch 33. wand \ vnd 36. wand \ vnd 48. feie '
feien.
Noch will ich bemerken, dass keines der beiden bruchstüc^e,
welche den schriftzügen nach in das ende des 13. oder den anfang des
14. Jahrhunderts zu setzen sind, so viel ich aus den beschreibun^^e*-!!
der herausgeber habe ersehen können, einer der bis jezt durch bmoti-
stücke bekant gewordenen handschriften angehört
DRESDEN. ALFRED NEUMANN.
2. Cleyisehes bmehstttck.
Zu der aufzählung der handschriften des Alten passionale^
bei K. Oödeke: Deutsche dichtung im mittelalter s. 209^ ist hinzuzu-
fügen, dass sich ein, wahrscheinlich dem 15. Jahrhundert angehöriges,
bruchstück aus dem zweiten teile des Passionales in dem archiv der
pfarkirche zu Cleve befindet. R Schölten: „Die Stadt Cleve" 8.449
erwähnt dasselbe kurz als „Fragment eines liedes von sente Jacob.^ Es
ist ein halber pergamentbogen in 4^ gefalten, mit doppelcolumnen jede
zu 35 Zeilen, im ganzen 280 verse, welche einen teil der legende des
apostels Jacobus des älteren behandeln (= K. A. Hahn, Altes passional
s. 220 V. 73 — 223 v. 66). Am köpfe der einzelnen Seiten steht mit
roten buchstaben „Von Sente Jacob aplo", ebenfals rot oder blau gemalt
sind die einfachen initialen. — Im jähre 1574 hat der bogen, der läng«
nach gefalten, als Umschlag zu einer rechnimg über verausgabte ahno-
sen gedient, da sich am rande der vermerk findet: „ratio expensa^
eleemosinae de anno LXXUU" und darunter von zweiter band „usque
1575. H." Ausserdem bezeichnen löcher die stelle, wo die rechnuag
eingeheftet war. — Im text stimt das bruchstück mit dem texte Haha^i
die geringen abweichungen betreffen nur die Schreibung, in welcher 3*
Hahn nach seinen eigenen werten (vgl. seine vorrede) nicht immer coö-
sequent gewesen ist. Wände und vfide ist regelmässig wäi und i^^**
s. 220 v. 73 liest man truch; s. 221 v. 1 und 10 kunfcglne; 14 ^^^
betaue; 45 engil; 46 hengil; 48 gewaldes; 56 und 222, 14 vnmax^^^'
Ja
1) Dass für grosse partion des passionales die legenda aarea dos Jacoba^
Voragiue die quelle ist, erwähnt Gödeke nicht Und doch ist die übereinstimii»*^*^
stellenweise, z. b. in der legende von St. Jacob, eine fast wörtliche.
FIBT8CH, OBSRD. GL0B8AB Zu LUTHSBS BIBBL 325
222, 19 starc; 33 giel; 41 heis; 45 ungeuucher; 50 maniehveldiche;
60 berch; 85 getet vf in nach („v/*" ist durchgestrichen); 223, 34
ploech; 35 gelach; 49 erkani; 51 5wn m eiw des do wart (j,do^' steht
über der zeile); 61 sich do an in versach; 62 truchen; 63 vuchen;
64 starke tränke.
Es wäre interessant zu erfahren, ob unser fragment ursprünglich
vielleicht zu einer noch existierenden handschrift gehört habe.
CLEVE, 14. JUNI 1888. P. SCHROEDKR.
EIN UNBEKANTES OBEEDEUTSCHES GLOSSAE ZU
LUTHEKS BIBELÜBEESETZUNG.
Während das kleine glossar, welches zuerst Adam Petri seinen
beiden im märz 1523 erschienenen nachdrucken von Luthers Neuem
testament (der eine in 2^, der andere in 8^) beigab, längst die aufmerk-
samkeit auf sich gezogen hat, indem es bereits 1859 von R v. Raumer
in Frommanns Deutschen mundarten (VI, 39 fg.) algomein zugänglich
gemacht und in neuerer zeit mehrfach ausführlich besprochen worden
ist (H. Kückert, Gesch. d. nhd. Schriftsprache II, 92 — 108; Kluge,
r. von Luther bis Lessing, 83 — 91; Socin, Schriftsprache und dialekte im
deutschen, 236 — 45), ist ein anderes ähnliches, aber viel weniger
umfängliches glossar bisher fast völlig unbeachtet geblieben. Allerdings
erwähnt Panzer, Entwurf einer gesch. der bibeltibersetzung M. Luthers
(1783), 8. 177, dass der nachdruck, welchen Thoman Wolf in Basel
j 1523 von dem 1. teile des Alten testaments veranstaltete „die erklärung
\ einiger (für die Schweizer) schweren Wörter" enthalte und Mezger,
Gösch, d. deutschen bibelübersetzungen in der schweizerisch -reformir-
*^ii kirche (1876), s. 48 sagt bei besprechung desselben nachdruckes,
^©tn texte folge die erklärung von Wörtern, die dem Schweizerleser
^^verständlich waren. Socin ist diese leztere bemerkung nicht entgan-
S^H, er findet sich aber mit ihr durch die frage ab (s. 245, anm.),
^^ damit vielleicht die randglosson zur erläuterung wichtiger stellen
S^Hieint seien, über welche er s. 246, anm. aus einem Petrischen
^^^*Ucke mitteilungen macht Es düifte daher nicht unwilkommen sein,
^^nn ich aus dem einzigen exemplar des betreffenden druckes, das
'^^^Ar bei meinen bibliographischen vorarbeiten für die herausgäbe von
^Uthers bibelübersetzung zu gesicht gekommen ist (in Stuttgart), das
Slossar hier wörtlich zum abdruck bringe. Dasselbe ist mit einigen
326 PIETSGH
aus Petris glossar (bez. aus der widerholung desselben in dem Strass-
burger nachdruck von 1524) stammenden Zusätzen ferner enthalten in
dem am an&ng und ende unvolständigen exemplar eines nachdruckes
des ersten teiles des Alten testaments, das sich in Wolfenbüttel befindet
(höchst wahrscheinlich die von Panzer a. a. o. s. 180 beschriebene aus-
gäbe. Colmar, Amandus Farkal 1524). Die zusätze bez. abweichungen
der lezteren ausgäbe sind unten durch kursivschrift kentlich gemacht
Die Wörter, welche sich auch bei Petri finden — in Wolfs glossar sind
es nur 5 — habe ich mit * bezeichnet und etwaige kleine abweichungen
von Petri angemerkt Auch auf die von Kluge, Von Luther bis Les-
sing, s. 78 fg. gegebene konkordanz der bibelübersetzungen des 16. jahr-
himderts habe ich verwiesen, wo sie sich mit omserem glossar berührt
und einige weitere bemerkungen hinzugefügt, wo mir solche wünschens-
wert schienen oder mir möglich waren. Unsere kentnis der in Ale-
mannion nicht verständlichen werte Luthers erhält durch Wolfs glossar
einige nicht unwesentliche bereicherungen, ebenso natürlich auch die
liste der durch Luther gemeindeutsch gewordenen Wörter, die zulezt
Francke, Grundzüge der Schriftsprache Luthers (1888), s. 112 au%e-
stelt hat
Das glossar steht sowol in der Wolfechen ausgäbe wie auch in
der wahrscheinlich Farkalschen unmittelbar hinter dem bibeltexte.
Dem L&ser.
Nach dem mal nit im teutschen als im Latin alle dinge mit eyn-
nerley wortten genennet werden/ haben wyr etliche nach vylerlcy
sprach hie angezeyget/ auff das nitt yemandt im l&sen vast behindert
werde der solche wortt in seiner sprach nit erkündet hette/ geheb
dich wol.
A.
Alle / oder all / l&r / 6d / verzeret / schwach.
Arm forderst vierteyl.
AufFrafien von der erden aufifeamlen.
* Anfurt der schiff anlenduiig.
B.
5 Boythüns wartens zur zeit irer krankheyt
Bersten zerspringen.
Brüsten brüst vnd stercke gewynnen.
Byenen immen / byen [byenen],
Blachon sunder hügel / eben velt
10 * Bange engstig / arigst
OBKRD. GLOSSAR ZU LUTHERS BIBEL
327
C.
Canincben
Cünykel.
D.
bla8en z&r gedechtnuß.
E.
wider willen haben / verschmehen. [verschtne-
Denckblasen
Eckeln
hen fehlt]
Eckel
walgnng / wider will.
15 *Eyffer
ernst,
F
verzagt / erschrocken.
Feyg
Früelinge
der ersten zeyt
Freybock
denn man frey ließ lanflFen.
*F&1
mangel / bresten.
20 Fittichen
Srtter an klevdem / flügel.
6.
Korn 1 fnucht
* Oetreyde
* Oefeß
geschirr.
Gered
allerley geschirre vnd haußradt
Geschosset
ehern gewannen.
25 Gemang
gemist / zweyerley.
Grütz
grieß muß.
Gedeyen golt
geleüttert / klar / fyn [fein] golt.
Gemeyn
nützbar / lesen vnd zftbereyten.
* Grentze
ende /dar ein lant keret. [statt dessen: gegnej
vmbkreiß].
H.
30 * Hügel
gipffei 1 bühel.
Hayn
ein vynster walt
Halliar
Jubel iar.
Hockericht
der ein hoger hat
Hundgelt
das man gebonn sollt / die erste gebürt.
eins hunß zül6son.
K.
keyn eeweib.
35 Kebsweyb
Kolcko
cystem.
Knotten
bellen.
Kelter
trott / weinpreß.
Kiemchtig
steynig / rüch von steynen.
40 Erygot
ergreyfft / vahet.
328
PDET80H
* Lippen
* Lencken
»
Mevlich
lefftzen.
vml)keren.
gemach.
M.
P.
Paucken
tninimen.
45 Pfeben
Pobel [Piibd]
erd&pffel.
klein geacht volck.
Quyd
Q.
on / abkomen.
R
Begot
Band
braucht euch / webt / vnd werbt [tcerbent]
end / ftrtter vmbher.
50 Schulter
S.
achsel.
StuflFen
Schliff
Staffel / steyg.
Wasser rhflr.
Schicht
Schneützen
55 * Schwelger
seyte.
abbroch /bützer;
; Schlemmer / füller.
Toben
Turstiglich
* TSpffen
Tappen
T.
grymmig / zornig sein,
mit freyem müt / vnuerzagt
hauen [haffenj
füeß wie hende.
V.
abgesmidert
Verdachter.
60 Vßgerottet
Verloumbdcr
Vngeheure
vngeschickt
W.
Wancketen
Wase
waren wanckelmütig.
base.
65 Wansynnig
cngstig / nit wissen wo auß.
rr
*Zige
Zehenden
z.
geyß.
ein m&ßlin als' ob mir [tcir] sprechen j vyr
Züchter
tzel [viertxel],
der auß golübd ein strengs leben füret
OBEKD. GLOSSAR ZU LUTHEBS BIBRL 329
Darauf folgt:
Anzeygung wo diso nach folgende Ebreische vn auch ettliche
andere wftrtter verteutscht vnd außgelegt werden / nach Ordnung des
Alphabeths.
cL A. ein register über die in den ghssen besprochenen worte, yneist
nur das xu erklärende wort und die Seitenzahl dabei; leztere fehlt
jedoch xuiveilen, x. b. bei Bethlehem und es ist dafür die erkläning
selbst gegeben: eynn hauß des brots / alls ob man spreche brot-
hausen.
Anmerknngren.
1. Gemeint ist die bekante, wie es scheint, vor Luther in der litterator nicht
nachweisbare prädikative Verwendung von alle in der bedeutung ^xu ende gebracht.**'
Hier ist offenbar besonders an 4. Mose 14, 33 gedacht: his dns ewre leihe alle wer-
den in der leüsten, denn an einer andern stelle des pentateuchs, wo die späteren
ausgaben von Luthers Übersetzung auch diesen ausdruck aufweisen (1. Mose 15, 16),
haben die älteren drucke: die missetat der Ammonifer ist tioch nicht gar hie.
2. Es ist natürUch nur die besondere bedeutung gemeint, in welcher Luther
das wort arm 5. Mose 18, 3 gebraucht: den arm vnd beide backen vnd den watist
[der ochsen und sehafej.
* 3. 4. Mose 19, 9. Soweit raff&ti vor Luther überhaupt im oberd. vorkomt,
scheint die bedeutung rupfen und die umgelauteto form reffen vorzuhorschen. Ver-
breiteter ist oberd. das von derselben wurzel stammende, mit raffen gleichbedeutende
raspdn -en (&xxs *rafspdn).
4. 1. Mose 49, 13; 5. Mose 1,7 = landungsstelle , hafen. Auch im Neuen
testament mehrfach. Vor Luther nicht nachgewiesen. Die belege, die Gr. wtb. 1, 335
fg. für das spätere vorkommen des wertes gegeben werden, zeigen dasselbe nur bei
Schriftstellern md. und nd. horkunft, mit einziger ausnähme einer stelle in Seb.
Francks weltbuch. Unmittelbar von Luther hat wol Erasmus Alberus das wort; er
führt es (Nov. dictionarii genus zij') neben srhifflend als deutsche cntsprechung von
portus, navale, statio auf. Lezteror beleg fehlt in Gr. wtb.
5. 3. Mose 15, 25. 26: xttr xeit yhrs beythuns, wofür später: x. x. jrer
abs(ynderu7ig. Die im glossar gegebene erklärung bezieht sich auf den Zusammen-
hang der stelle, an der vom blutfluss der frauen die rede ist. Das verbum bei tun
belegt Gr. wtb. noch zweimal aus Luthers Schriften, es bedeutet: bei seite tun,
abschaffen i entfernen. Vgl. beilegen, das in der bedeutung „6ei seile legen, besei-
tigen'*^ ebenfals zuerst bei Luther begegnet. Lexer belegt bituon btlegen nur = hin-
xutun, -legen. Vgl. noch 3. Mose 15, 19: die sol sieben tag bei seit gethan werden
fseyfi), und auch 15, 20 haben die älteren ausgaben: so lange sie beyseit gethan
ist, wofür ztdezt: so lange sie yhrc xeit hat.
6. Vgl. Kluge, s. 78: Luthere bersten : brechen Eck u. Zürich, bibcl. Man
sieht, dass bresten, die oberd. form des Lutherschen berstefi, in der bedeutung frangi
auch oberd. nicht mehr üblich war. Es würde wol sonst hier, wie nachher 64 , auch
nur die md. lautform durch die oberd. orsezt worden sein. Stalder belegt bresten
nur in der bedeutung ^gebrechen"' und „in himmer leben.'*'
7. 4. Mose 23, 24 haben die älteren drucke: Sihe das volck wird aufsteJien
tcic ein jufiger leice riid wird sich brüsten ivie ein lewe . . ., wofür später ... wird
»ich erhdicn te. «. /. gesaxt ist. Din belsgi^ wulcho Laxer nnil Or. wtb. für krünlim
geben, sclioirien ta mgen, das das» dtu wart auch in der Bi-hwotz nicht unlxikiol
war. Stalder belogt ee in der bodoutung „sich mit aller Ipibeski'aft Hteinmen.'
9. Es war bei dem plur, bymm (5. Mose 1 , 44) wul uuf die form, ■ntüAt
anstössig (^rsubieo, Ul'ri verrossor des gloBsare war neben imme nur hie, plnr. hin
oder allonfals hin{r), pl. bi»e(n) geläufig. Die von Luther gebranchto and in Üt
Bchriftsprache übergegangene fomi hiene ist im hinblick auf die, 3o\-i8l ii-li uho Ui
Luther dncuhstehcnde Schreibung luit ie wol nicht nie Weigand uod Klage aiuu'h-
moD, :=■ mh(L bitte kü setzen, sondem vtrhilft sich in b-ie wie noui. 'birrie : kirr^.
Der hergang war wol der, dass bic pl. biet*, bire pl. bir(e)n in diti onalogie na
krSne pl. krön t. krönen; atime pL stim f. »tirtten; dirne pl. rficr« f. diemtn mw.
antraten und so die siug. hienc hime erhielten, zu denen die plur, hioi htm oder
[mit der bevorzugang, welche seit dem 15/16. jahrhuDdeit den durch lautliche Wand-
lung nicht gutnibten llsxionsfurmen in der schritt zu teil wint) bümen bimm
lauteten.
9. Vgl. Kluge, s. 78: Luthers Blachfuld: Flaohftld, flache*, «Am« feid i
den anderen Übersetzungen. Blacheti in bozug auf 5. Mose 4, 49; II, 30, ifo lüe
SltercD ausgaben ytin (auf) dem blai'heit feid haben (später: dem blaehfeUi),
schliesslich md. (ud.J ist übrigens die furin Uadt nicht*
10. Vgl. Petri; bang : engstiij, xnrnng, •;edrfng: Strassh. naehdr. i
angst xteang gfdreng. Kluge, s. 78: Luthers Imng : trang angal belribt t
in den anderen nbersotzimgcn,
11. Luthers md. (nd.) form mit a ist die cberd. allein geltonde
gegenübergoetalt. Vgl, HUdebraad in Gr. wtli. 5, 1(11. 1705.
12 Imzieht sich auf 3. Mose 23. 24, wci die ersten drucke haben: noU j
hügligen feyr dft denckblateiw h«be.it. SpAter hat Luther dafür: dt» A/owiM il
gtdtehtnU gesozt, also ganz entsprechend der in unserm glossar g
sich ausgedrüiukt,
13. 14. Vgl. Kluge, s. 78; Luthers Eekei; grmfl, grauen, abaokeu,
wueillen, rrrdrueg in den anderen übeisotzungon. Diese fülle von er^tzwßrlern.
die durch unser glessar uecb um einige vermehrt wird, zeigt die völlige freiudheit
des Lutberecheo wertes im oberdeutschen jener zeit. Walgwug ist das wort, dos
Loxer als aiUgiirtge (traigcrunge iculgerunge) r= tmtisea aus Diofb. gl. u. nov. gL bringt
li In gmsena nnd gutvin tchsinl LoUioi in minor orüioimplue du gaohiditllglie nnUÜUitt
Yon ie und i Iruti mmnchar teiseluobiinvini im PiiuBlnpn twwiihrt m hk
den l>nt dH i dnrftslte, 'Wontgivior» ist vol uüireadi boi Luthor it
trflfldücbüicli i pthübtt- SiiriBl iurt man dodt «ul wu
<}. KidiBelii iu »man BoitnUeo i. gwrh. d. itoutwheu rachtsdireibiup il^W), >. 113— 11
Tlhnnd ans des dDrRigsn uskbMi . wolrhe FCul Fnncka in m<1iihu OnrndfU^mi
1188X1, ; IS, 1 ud ;ai iniii'hl, ein iiRch nnr nnisfllilBE bild «ich nicht ^vm
Mm idar nnm. ig. iit bsleirt Sir, 11 , S, aonR ntu plur. Umml nicht — btne, beitutft n| j
*. Rieht. 14, 9), wo bitn doch fflwuA Ale gtoL jilnr.
TWbinduim; nlulrofi luit , wIhroiLd d» salbbtSodi^ Aulnt. ucli
it I, 378 so, die rnnn Inme lade sicll in dsn predl^nnJiriL'iD n«K.S,fl
ina ■mfulKrfnnn lbI dort ahn nicht lAleirt , vialmalir tinr piiimitonn
!. IS. IT. 3T, dueben Mnmitnrt« 3, bimkorb «. 11. in. Hin tduru
lonn |,-iHrH<] HIB dum Vilbidm v. OEtsrraidi dn Juhniiu r. Wiinljnri;, alni aioi
Au Lalhan idmftun liehyt Dieb nur dnn plur. bym dtiiI du hnnipi». Inrn^nwi
|Z) l^bar tlöck und flacK y^. >«t 8. Bbbeb, Pud-tlrwinB 13, 411 Ig.
OBKRO. GLOSSAR ZU LUTHERS BIBEL 331
15 ebenso in Petris glossar.
16. Das wort feig war oberd. wenigstens in der bedeutung y^furchtsam'^ nnbe-
kant, in welcher Luther es gebrauchte. Höchstens kante man es so in Baiern (vgl.
Lexer unter veige und überveigen; Schmeller I', 695/6). Im alem. hat sich, soweit
das wort überhaupt erhalten blieb (es fehlt bei Frisius u. Maaler), aus der ursprüng-
lichen bedeutung j^detn tode verfallen "' vielmehr die entgegengesezto bedeutung j,keck,
unverschämt*^ entwickelt. Diese ist bei Dasypodius verzeichnet, und auch die übrigen
belege für dieselbe, welche Grimms wtb. bietet, sind wesentlich alem., besonders
elsässisch. Das Schweiz, idiotikon I, 685 gibt sie auch; das figheit mit der nhd.
bedeutung, das ebenda angemerkt wird, ist doch klärlich aus der Schriftsprache ent-
nommen und in der lautform falsch alemannisiert. Dass aus der bedeutung y^deta
tode verfallen^ sich einerseits die bedeutung j^furchtsam"'^ andrerseits y^keck, unver-
schämt*^ entwickeln konte, wird klar, wenn man die verschiedene Wirkung erwägt,
welche das bewustsein der bestimmung zum tode auf den einzelnen menschen her-
vorbringen kann: es kann ihn entweder niederdrücken oder ihn jede rücksicht abwer-
fen lassen.
17 bezieht sich auf 1. Mose 30, 41. 42: wenn aber der laufft der früeltnge
herde war legte er diese stehe in die rinnen für die atigen der herde, das sie vber
defi stehen empfiengen. Aber in der spetlinger laufft leget er sie nicht hinein.
Also wurden die spetlinge des Labans y aber die frädinge des Jacobs. Es sind die
früh im jähre gebomen lämmer im gegensatz zu den später gebornen gemeint, die
in unserem glossar gegebene erklärung also ziemlich ungenügend. Das wort ist wol
von Luther gebildet, er hat es sonst noch einmal als synonym von „erstling'', (s.
Dietz u. d. w.) ; in der bedeutung „ frühxeit des jahres ** findet es sich nur in der
Hauspostille, für deren spräche Luther ja nur sehr bedingungsweise verantwortlich
ist (Köstlin U', 301). Sonst sagt Luther lenx.
18. 3. Mose 16, 8. 10. 26 in den älteren ausgaben, später: der ledige bock,
d. i. der bock, den am versöhnungstage die Juden frei in die wüste laufen Hessen.
19. Petri gibt feil: nachlesigkeitj versümnifs; fale: missetat, sünde; fal:
fnangel^ gebresten. Hier liegt wol ein versehen vor. Luther scheint im gebrauch der
form feil durchaus fest gewesen zu sein, wie komt Petri dazu fale (das nicht wie
Socin s. 239 meint, form des plur. zu sein braucht, s. Lexer u. d. wt.) als Luthersche
form daneben aufzuführen? Es ist mir nicht unwahrscheinlich, dass fale nüt als
erklärung für feil stehen solte, dass es aber in folge seines anlautenden f imter die
zu erklärenden Wörter geriet. Demnach würden die folgenden missetat, sünde eben-
fials als Synonyma von feil zu nehmen sein. Diese passen jedoch nicht wol als
solche zu feü, sehr gut aber zu dem folgenden falj wenn die erklärung im hinblick
auf Rom. 11, 11. 12 gegeben wurde, wo fal = ntt^anitafia (Vulg.: delictum) steht
Für die annähme, dass fale als intorpretamentum nicht als lemma aufzufassen ist,
spricht auch der umstand, dass vaele vael, wie die belege bei Lexer u. Gr. wtb.
3, 1419 zeigen, in Oberdeutschland wol bekant war, auch Maaler kent es. Dem-
nach wäre so herzustellen:
feil: nachlesigkeit versümnifs fale mangel gebresten
fal: missetat sünde.
Der verfertiger unseres glossars weite nun offenbar das im pentateuch mehrfach begeg-
nende feü erklären, er fand in dem ihm sicher vorliegenden Petrischen Verzeichnis
bei feü eine für die betreffenden stellen (einen feil haben; an dem (k)ein feil ist)
gar Dioht passende bedeutung, dagegen eine solche bei fal, diese nahm er auf und
332 PDSTSGH
sezte vielloicht ans blossem versehen statt feil das ihm gel&afige fal als lemnc^
dazu.
20. Die erste der beiden erklämngen geht auf 4. Mose 15, 38; 5. Mose 22, ^^.'^V
die zweite, die gewöhnliche bedeutung enthaltend, geht aof stellen wie 1. Mose?, 14
Für das oberd. war die lautform durch das md. t der stamsilbe fremdartig.
21. 22 ebenso in Petris gloss. Zu 22 vgl. noch Kluge, s. 79, der die ezsetzu.^^
von gefäss durch geschirr aus allen verglichenen Übersetzungen nachweist
23. In der bedeutung, die hier im hinbhck auf 2. Mose 27, 3; 35, 13 u «s
gegeben wird, Ist das überhaupt md. beliebte wort nur aus md. denkm. zu belei f(
Die md. lautform licss es in Basel noch fremdartiger erscheinen.
24 meint 2. Mose 9, 31: denn die geraten hatte geschoseet. Das verbizziDu
eehoxxen = schösse treiben, keimen usw. scheint md. (und bair. SohmeUerll*, 4~ 71
25. Gemeint ist zweifellos 3. Mose 19, 19, wo die älteren drucke mit gern ai
kom bieten für das spätere „mV/ maneherley samen.^ Oemangkom ist eine zus — ^am
mensetzung, die Hildebrand in Gr. wtb. IV, 1, 2, 3164 als thüringisch (beeon^zizier
aus Erfurt) nachweist So kann das vorkommen dieses ausdruckes bei Luther, ibp^ei-
ches Hildebrand entgangen, nicht befremden. Der verfertiger unseres glossars narnJun
gemang für ein a^j . , während es das a. a. o. von Hildebrand ebenfals mit rBichli(^ Jbeo
belegen nachgewiesene md. subst gemang = gomenge, misch ung ist VgL die gle j<1i-
fals thüring. Zusammensetzungen gemangfutter, gemangfische.
26. 3. Mose 23, 14, wo die älteren ausgaben: kein brot noch kuehen rt^^ck
grätx haben statt des späteren: kein new brot noch sangen noch kam,
27. 4. Mose 8, 4, wo die erste ausgäbe gedeyen gold hat, von der zwei ton
an: tichte g. Ebenso ist auch 4. Mose 10, 1 das anfängliche vofi gedeyem silhtr
in der zweiton ausgäbe durch von tiehtem s, ersezt Das adj. gedeihe, welches hier
vorliegt (Gr. wtb. 4, 1, 1, 1984. 2021) war örtlich und social (bergmannswort und
wol daher Luther geläufig) so beschränkt, dass die un Verständlichkeit desselben in
Basel nur natürlich ist. Auch die anwcndung des seit dem ahd. in a(yekti\'ischem
gebrauch befindlichen prtc. gedigen auf die erze dürfte damals oberd. nicht vorhan-
den gewesen sein.
28. Die an sich nicht wol verständliche orklärung ist offenbar mit beziehung
auf 5. Mose 20, 6 gegeben: Welcher einen fceinberg gepflantxet hat md hat j*
noch nicht gemein gemacht, der gehe hin vnd bleibe da Iteime, das er nicht t'
kriege sterbe vnd ein ander ma^^he jn gemeine.
29. Die erklärung, die das Wolfscho glossar von gretiixe gibt, ist solbsti
dig, dagegen hat der Colmarer (?) druck die in Petris glossar und den widerholun
desselben befindlichen erklärungsworte. Kluge, s. 79 weist als ersatzworte für^rf
aus den andern Übersetzungen y^gegend'*' und j^landmark^ nach.
30. Dieselbe erklärung gibt Petri und seine nachfolger. Kluge, s. 79: /
und hnhel.
31. hagen war wol nicht bloss in der md. form hain in Oberdeutsc
unbekant, sondern hier überhaupt aus der lebendigen spräche geschwunden. £
dafür hag.
32. Die bekante jedenfals von Luther herrührende bezeichnung des if
sehen Jubeljahrs, das durch den hall der posaunen verkündet wurde. Hau
"-- *^5. 10. 11.
OBEBD. 0L03SAB Zu LUTHEBS BIBEL 333
35. Kebse ist dem alem. wol nicht eigentlich fremd, wenigstens lässt es sich
hd. ans alem. dkm. (z. b. aus Notker) belegen. Die verdontlichende zusammen-
zung kebstceib ist schon vor Luther vorhanden, scheint aber nach den belegen
Lexer mehr md. Diese war es also vielleicht, die anstoss gab; möglich auch,
\s kebse sich überhaupt aus dem gebrauch oder wenigstens aus dem gebrauch der
»ildeteren verloren hatte.
36. 3. Mose 11, 26. Ein echt nd. (md.) wort s. Gr. wtb. 5, 1613.
37. 2. Mose 9, 31. Auch hier gab wol einerseits die lautform (oberd. ist
ide, vgl. knödel) anstoss, andrerseits und besonders aber die Verwendung des wor-
zur bezeichnung der Samenkapseln des flachses.
38. Vgl. Kluge, 8.79: Luthers Ä»//er; trotty torekel in den andern übersetzun-
i ausser bei Eck, der kelier beibehält Vgl auch Kluge, wtb. u. d. w.
39. Ygl. 5. Mose 21, 4: in einen kiesiehten grufid. Dem zusammensteller
{ glossars ist hier sonderbarer weise die alem. form des adj. in die feder gekom-
n, vgl. Gr. wtb. 5, 698, c). Nahm er es nur auf wegen des ie f. i?
40. Oberd. war nur kriegen schw. bekant und nur die bedeutungen „sich
strengen, streiten*^, nicht aber „erlangen, ergreifen.*^ Das eigentliche alem. kent
tere bedeutung auch heute noch nicht. Gr. wtb. 5, 2235. Seiler, Basler mda. sagt,
)s kriege = erhalten in Baselstadt neben beko gebraucht werde, in Baselland dage-
1 fast gar nicht. Es ist also deutlich ein nur durch die Schriftsprache teilweise
gebürgertes wort.
41. Ebenso in Petris glossar; vgl. noch Kluge, s. 80: Luthers lippe : lefxe in
1 andern Übersetzungen.
42. Petris glossar gibt als zweites crsatzwort mnbwenden.
43. 1. Mose 33, 14: ich teil ineUich hinnaek treiben. Luther scheint das
rt ausser an dieser stelle, wo es in allen ausgaben sich findet, nur noch 2. Mose
, 30 gebraucht zu haben, wo es in den späteren ausgaben durch y^ einzeln nach
lander"' ersezt ist. Heyne führt Gr. wtb. 6, 1456 noch zwei belege aus Luther
, wo aber metilich steht. Das wort war also Luther wol nicht eigentlich geläufig,
fiefilig scheint bei Luther gar nicht vorzukommen. Luther gebraucht andere
^drücke für diesen begriff, z. b. 7nit der weile Weish. 12, 8. Sicher aber war
glich melich md. sprachgui
44. Die belege für püke patüce aus älterer zeit weisen allerdings wol mehr
' Mitteldeutschland und Baiem als auf das verbreitungsigebiet dieses in seinem
iprung dunklen woiles hin.
45. 4. Mose 11, 5. pfebe(n) ist weniger md. als vielmehr wesentlich bair.,
enfals von beschränktem Verbreitungsgebiet
46. Das lehnwort war in seiner alten form gewiss auch in Alemannien üblich,
) die mhd. belege zeigen, anstoss gab also wol die form mit &, vielleicht auch die
abgedrückte bedeutung. Auch Petris glossar hat Pubelvolek: Jieglos nnnütx volck
1 Kluge, s. 80 weist nach, dass Eck dafür Pöfei oder gemeines volck y die anderen
L lezteren ausdruck gebrauchen.
47. 1. Mose 24, 8. 41 : des egdes quit.
48. regen scheint zwar md. häufiger als oberd., doch ist es dem lezteren
neswegs fremd. Also handelt es sich hier wol widerum nur um die besondere
rweadang dieses verbums in Luthers Übersetzung. I.Mose 8, 17; 9, 7 steht: reget
ik ttitff €rdenf dies erschien dem Alemannen zu blass, zu wenig ausdrückend.
334 rasTRCH
Das jfbratteht eueh'^ ist Datürlich = mhd. brouchet iueh d. i. biegt euch, nicht
mhd. hrüchel iuch.
49. rand findet sich in den älteren drucken der 5 bücher Mose, so Tid icl
sehe, an folgenden stellen: am rcmde des wassers 2. Mose 2, 5; an eines jglicl
ieppiehs rand 2. Mose 26, 11; an jgliehen teppich am rand 2. Mose 36, 17;
hefften sie an die xwo ander ecken des schiltlins an seinen rand 2. Mose 39, lÖ^
An allen diesen stellen, ausser an der ersten hat Luther später ort für rand gese^^
In der erklärung unseres glossars ist örter natürlich in der bedeutong ,» endpimkto •>-
zu nehmen , nicht als loci. — Dass rand ia seiner nhd. bedeutung damals in Bas^f
unverständlich war, ist begreiflich, dieselbe ist jedenfals md. Ursprungs.
50. Unbekantschaft mit dem werte sehtdter ist kaum anzunehmen. Wüsto
man genau, welche besondere stelle des pentateuchs der Verfasser des glossars
äuge hatte, so liesse sich vielleicht bestimmen, wonm derselbe anstoss nahm,
wort ist sohl* oft gebraucht zur bezeichnung des vorderbugs der opferäere (2. ICoso
9, 22; 3. Mose?, 32 u. ö.; auch in der zusanmiensetzung hebeschtUder 2. Mose 9, 27;
3. Mose 10, 14 u. ö.), ausserdem, so viel ich sehe, von der menschlichen schultez'
nur 2. Mose 28, 12: auf seinen beiden schtddem tragen; 5. Mose 33, 12: vnd ttini
zwischen seitien schuldem wohnen. Wie weit Luther selbst schulder und achte'S
unterscheidet oder synonym gebraucht, vermag ich nicht festzustellen. Dietz {xLadt--
sei) behauptet, dass Luther beide im algemeinen als gleichbedeutend verwende. Da^
scheint z. b. 2. Mose 28, 7. 12. 23 zu bestätigen, wo in den späteren ausgaben aehs^^
und Schulter gleichbedeutend gebraucht scheinen. Dass aber Luther doch eine*»
unterschied kante, wenn er ihm auch, wie uns heutigen, nicht immer zweifellos khu^*
vorschwebte, zeigt die auch von Dietz beigebrachte stelle Hieb 31, 22: so fatX^^
meine schulder von der achseln.
51. 2. Mose 20, 26: auff stuffen. Vgl. Kluge, s. 87, der für Luthers stufe -^
Staffel (stapf cl) in den anderen Übersetzungen nachweist Das fem. stufe dürfte wc^J^
md. sein. Ein fem. stuofa wird für das ahd. angesozt (Weigand, Schade, Kluge) ^
auf grund von slegon stuofa : gradus scalariun in Notkers Boethius (Piper I, 10, 31V-r
wo aber stuofa ebenso wol als n. plur. von stuof m. genommen werden kann (plur^
erfordert der Zusammenhang). Ferner führt Graff 6 , 658 an steora uel ostersttwplu^
als bezeichnung einer ostfränkischen abgäbe. Auch hier ist plur. von stuof wol deok- —
bar, andemfals hat man hier einen md. belog für das fem. Für mhd. stuof e gib*^^
Lexer 3 belege, davon ist einer md. (Frauenlob), die beiden andern in der Kolmare^*
liederhandschrift sind nicht beweisend: dis fuich ane nwfen \ in riuwe stuofen \ du
wil ich Bai'tsch 6, 327; iix der sünden stiwf (: gcsckuof) 7, 15.
52 mehrfach in den 5 büchern Mose. Vgl. auch schilfmer. Das wort schein*
allerdings oberd. nicht grade häufig zu sein, wenn auch nicht ganz zu fehlen.
53. Schicht komt, so viel ich sehe, nur 3. Mose 24, 6 vor: md soll sh
legen je secJis auff eine schicht auff den feinen tisch für dem Herrn ^ vgl. ausser-
dem 1. Mose 6, 16: Das vnterteyl soltu xweischichtig md dreyschichtig machen ii
den älteren drucken, wofür später: Vnd sol drey boden haben , einen unten j
andern in der mitte y den dritten in der holte. — Vgl. Kluge, s. 80: in schichten
in rotten Eck (geht auf Mc. 6, 40; \jQ. 9, 14). — Das merkwürdige wort, das Luth(=** "''
wol aus der bergmannssprache geläufig war, ist vor ihm, wie die belege bei Lexer-" t
lehren, wesentlich nur im md. verbreitet.
54. 4. Mose 4, 9: den leuchter des Hechts vnd seine lampen mii seine^^
schneutxen vfid tiepffen. Ahbrech(e) = lichtschere ist auch sonst in glossaM?"*
OBESD. GLOSSAR Zu LUTHERS BIBEL 335
eisbar (s. Lexer) und noch heute in der Schweiz gebraucht; biUnsr = putzer.
» scheint wesentlich oberd.
55. Vgl. bei Petri: schwelgerei: überfluss in essen vnd trtncken. Diese
auch oberd. vorkommenden bildungen waren also in Basel unbekant.
56. Da toben in Alemannien gewiss nicht unbekant war, kann sich diese
kung nur auf eine besondere Verwendung des wertes beziehen. Es wird wol
je 15, 14 gemeint sein. Da das die volker hareten, töteten sie, angst kam
tilister an lautet dieser vers in den ältesten ausgaben, später hat Luther für
*; erbehetefi gesozt. Die erklärung grymmig^ zornig sein ist wol nach der
a gemacht, wo der vers lautet: Äscenderunt populi et irati sunt; dolores
'^ertini hahiiatores Philisthiim,
57. 1. Mose 34, 25. turst nebst seinen ableitungen scheint hauptsächlich
md md. verbreitet gewesen zu sein, wogegen geturst usw. auch alem. vorkom-
geturstecliehe z. b. bei Nie. v. Basel und Closener.
58. Petri hat topferen: erden geschir; Kluge, s. 81 erwähnt die Vertretung
utherschen topf, topf er durch hafeti, hafner in den anderen Übersetzungen.
59. 3. Mose 11, 27: alles wa^ auf tappen gehet {quae incedunt quadrupedia
. Das seltene wort von Lexer nur als tdpe belegt.
60. Petri hat ausgerottet: von der rott abgesündert, außgerüt, die Strassbur-
id Nürnberger ausgaben lassen das leztere wort fehlen, der Kolmarer glossen-
tiger Hess auch von der rott weg imd so kam die etwas wunderliche widergabe
Tusgerottet"' durch abgemndert zu stände. DiePetrische etjrmologie zeigt, dass
id. rotten als nebenform von röten nicht empfunden wurde.
61. verleumden -er ist in der tat md. Das subst. verdachter scheint sonst
belegt.
62. 3. Mose 21, 18: er sey blind , lahm, 7nit einer scheußliehen nasen, mit
eicrem gelid (später: m. e. seltxamen nasen, m. vngewanliehem p.); 3. Mose
3: ein ochsen oder seliaf, da^ vngeßiewre gelid oder kein sehwantx hat (spä-
l. ungewonlich g. oder icandelbar gelid fiat). Fremd erschien dem Verfasser
lossars violleicht nicht sowol das wort selbst als die Verwendung in der blassen
tung deformis.
63. 2. Mose 20, 18 heiSvSt es in den älteren drucken: vnd alles volck saJte
onner und blix . . . vTui furcht sich vnd wancketen, wofür später: vnd alles
. . . Da sis aber solches saften flohen sie. Der Verfasser des glossars hielt
im gewiss bekante wort wanken wol nur nicht für passend an dieser stelle,
einzigen, an der es sich findet), vielleicht im hinblick auf das pavore concussi
ulgata.
64. 3. Mose 18, 14. Luther hat die md. form wase in allen ausgaben fest-
:en.
65. Während das subst. wansin 5. Mose 28, 28 in allen ausgaben steht, ist
innig 5. Mose 28, 34 später von Luther durch rtisinnig ersezt worden. Vor
»r ist wansinn -ig nicht nachweisbai', Weigand gibt als ältesten ort des vor-
lens sogar das Nov. dict. gonus dos Erasm. Alberus an.
66. Vgl. bei Petri xiegenfell: geyßfell, kitxenfel; Kluge, s. 82 Luthers *te-
ek: geißbock bei Eck und in der Züricherbibel.
67. Es scheint in den 5 büchem Mose allerdings nur diese form xehenden
(.; n. a. pl.) vorzukommen, daher hier angesezt. Die erklärung soll nicht den
336 FIÜNKEL
begriff von xehenie geben, sondern denselben durch eine ähnliche bildung der hei-
mischen spräche nahe bringen. Dass dies nötig erschien, ist allerdings auffiülig.
68. Mit xuchter hat Luther in den älteren ausgaben den nax4r widergegeben
4. Mose 6, 13. 18. 19. 20. 21, später hat er dafür Verlobter eingesezt An diesen
stellen haben die älteren ausgaben auch xiwht statt des späteren geUibd.
Zu broüiausen vgl. die von Dietz I, 349* angeführte Übersetzung Luthent:
hroüiaws; hier ist dies sehr hübsch in einen deutschen Ortsnamen umgewandelt.
Bemorkensweit Ist, dass in den erklärungen dieses glossars (ebenso wie auch
in dem dos Potrischen) der vokalismus der gemoinsprache herscht, ausgenommen
fyn 27.
GREI1''SWALD. P. PIET8CH.
UM STÄDTE A\rEEBEN UND VEEWANTES IN DER
DEUTSCHEN DICHTUNG DES 16. UND 17. JAHEHUN-
DEKTS, NEBST PAEALLELEN AUS DEM 18. UND 19.
I.
Reinhold Köhler, der um die samlung und vergleichung von ver-
wanton zügen in sage und diehtung hochverdiente gelelirte, hat wol zuerst
eine grössere anzahl von stellen, welche die eigentümliche betrachtung
einer Stadt als braut des sie begehrenden zum ausdruck bringen, zu-
sammengetragen und nach gewissen unterscheidenden gesichtspunkten
rubrizierte Er hat auch diese eigentümliche gattung halbdramatischer
gelegenheitspoesie in ihrer verschiedenartigen bedeutung soweit geken-
zeichnet, dass für einige nachtrage auf seine ausführungen verwiesen
sein mag.
Zunächst berichtige und ergänze ich seine mitteilung über ein
gedieht, das ihm nicht selbst zugänglich war. Es fülut folgenden genau
kopierten titeP: „Bulschafft der sich reprc^sentierenden Eidtgenössischen
Dam, welche ein. Hochloblichen Eidtgenoschatt ihre Horzensgedanken
in treuen eröffnet, mit Vermelden, dass sie Ihr verlobte tragende Jung-
frauschaft gegen allen ihren aussländischen Buhlen rein behalten, sich
1) Archiv für Utteraturgeschichte I (1870), s. 228 — 251. Vor ihm gaben hinweise
Soltau, 100 deutscht? histor. Volkslieder (183(3) 8. 509 und Hildebrand in seiner daran
angeschlossenen 2. samlung von 100 liedem (18.56) s. 93 imd 372; einen weiteren
beleg veröffentlichte J. M. "Wagner, Archiv f. d. gcschichto deutscher spräche und
diehtung 1 (1873) s. 160, im anschlusse an Köhler.
2) Derselbe beruht ebenso wie die sonstigen angalven auf dem (1886) im antiqua-
rischen katalog nr. liX von H. (ieorg in Basel untt^r nr. 336 verzeichneten exemplar,
von welchem ich seinerzeit einsieht nehmen Hess; über den gegenwärtigen verV»h?ib
dessiüben ist mir nichts In^kant Köhler a. a. o. s. 240 stüzt sich auf Weller, A ana-
len 1, 189 nr. 1020.
UM STÄDTE WKRBKN 337
in Ehestand nit einlaf^sen, sondern by ihrem bis dahin tragenden Kranz
ihr Leib, Ehr, Gut und Blut aufsetzen, darbey leben und sterben
wolle. Kan nebet diesen aussgesetzten Melodeyen, nach gesungen wer-
den in folgenden. Es ist das Heil uns kommen her — Auch in der
Melodey d. Buhlschaft zu Brysach, zu 4 Stimmen aussgesetzt. Wie
gut es gemeint mit dem Vatterland. ... Alles nach dieser Landen Redens-
art In Verlegung Caspar Wurmanns, von Wisendangen, Im Jar 1676.''
In duodezformat enthält das gedieht 7 blätter mit der zueignungsschrift,
1 leeres blatt und 56 selten text In lezteren sind noten in vierstim-
migem satz eingedruckt. Ich gebe hier den anfang der anrede:
Ich bin die Dam der Eidtgnoschaft,
Ich muss mich präsentiren,
Ich trag noch rein mein Jimgfrauschaft,
Das thut mein Kranz schön zieren.
Eidtgnoss halt steiff zu meinen Kranz,
Der blühet schön und ist noch ganz.
Kein blum lass ich drauss zehren.
Zu bemerken ist noch, dass die in dem titel angezogene „Brey sacher
buhlschaft " das landläufigste dieser um die mitte des 17. Jahrhunderts
zahlreichen lieder gewesen zu sein scheint, wie aus der längeren reihe
von fassungen, die Köhler s. 237 fgg. bespricht, und obigem hin weis
entnommen werden darf.
Zwei Personifikationen der Schweiz, welche auf einem ähnlichen
allegorischen gedanken beruhen, bieten die dichtungen zweier nach
lebenszeit, anschauungsweise und künstlerischem vermögen grundver-
schiedenen schriftsteiler. Während nun aber Pamphilus 6engenba(*h
in seinem nach Goedeke^ schon um 1514 geschriebenen dramolet „Der
alt Eydgnoss" das sinbildlich durch einen alten Schweizer vorgestelte
land von selten verschiedener auswärtiger mächte umwerben lässt, hat
Johann Caspar Weissenbach in seinem 1673 zu Zug gedruckten volks-
schauspiel in versen „ Eydgenossisches Contrafeth AufF- vnnd Abneni-
mendor Jungfrawen Helvetiae, von gesammter Burgerschaftt löbl. Stadt
Zug durch öffentliche Exhibition den 14. vnd 15. Sept. Anno 1672
vorgestellt. — Der Ander Theil, Das ist Abnemmende Helvetia''^ wirk-
1) Pamphilus Gengonbach, horausgogebeu von Karl Goedeko (Hannover 1856)
9. 543 fgg. Abdruck des gedichts ebenda s. 12 fgg. Vielleicht hat sich gerade auf
Schweizer boden die eigentliche idee der eigenartigen anschauung in dem von Roch-
holtz, Alemannisches kinderlied und kinderspiel aus der Schweiz (I^eipz. 1857) s. 410 fg.
besprochenen fangspiol ^Das thürmloin*' erhalten, wie ich leztercs ausdeuten möclite.
2) ^Zu Zug gedruckt Bey Jacob Ammon Tm Jalir 1673.*'
ZKlWCmüFT F. DKUTSCIIE PHILOLOOIB. RD. XXH. 22
338 FRÄNKKL
lieh sein Vaterland als von feinden bedrängte Jungfrau auf die bübne
gebracht. Der gang der handlung hält zwar diese symbolisierung auf-
recht, bietet aber für unser thoma nichts bemerkenswertes, so dass ich
auf die analyse des litterarhistorikers, der wol zuerst näher auf dieses
stück eingieng, W. Menzels ^ verweisen kann.
Ein deutlicheres beispiel aus dem reformationszeitalter liefert erst
ein glücklicher fund, welchen Rudolf Gren6e vor einigen jähren machte.
Dieser berichtete über denselben, einen meistergesang von Hans Sachs,
im Correspondenten von und für Berlin (decbr. 1885) wie folgt:
„Das gedieht, welches ganz zweifellos von Hans Sachsens eigener
band geschrieben ist, steht auf sechs ungewöhnlich hohen, aber schma-
len folioseiten und enthält dreihundert verse. Die Überschrift lautet:
„Klagsprucli der Stat Nürnberg ob der Unpillichen Schweren
pelegenmg MarkgrafF Albrechts Anno 1552.''
Datiert ist die handschrift vom 16. juni 1552, also wenige tage vor
dem friedensschluss, welcher jener grausamen belagerung endlich ein
ende machte. Das gedieht ist ein gespräch, welches zwischen Nürn-
berg (als „fräulein'' bezeichnet) und dem dichter gehalten wird, und
das „fräulein" schliesst es mit der hofnung, dass gott endlich die stadt
erlösen möge —
„Dass ich wider zunehm und wachs.
Das wünscht von Nürenborg Hans Sachs."
Ich füge noch hinzu, dass in des dichters eigenhändig geschrie-
benem gencralregister, welches sich in Zwickau befindet, ein gedieht
unter dorn titel ,, Klagspruch der stadt Nürnberg" verzeichnet sU^ht,
und zwar mit hinweis auf das siebente spruchbuch. Dieses siebente
von den 18 handschriftlichen spruchbüchern des dichters ist aber, >\ie
noch andere, bis jezt nicht ans licht gekommen, imd auch dieses
gcMÜcht sowie alle auf den markgrafen bezüglichen wurden nicht in den
druck gegeben. Die nun aufgefundene aparte handschrift des gediclits
ist von Hans Sachs einem freunde am 3. februar 1553 verehrt worden
wie einige Zeilen auf der lezten seite, leider ohne Unterschrift, uns
benachrichtigen."
In den weiteren Sätzen dieser vom 18. dezember 1885 datierten
mittoilung spricht Gen6e nur noch von dem sclücksale des manuscripts
soweit dasselbe nachweisbar*^, berührt aber die Zugehörigkeit des gtnlicb-
1) (^lescliic^hto der dcutsohon dicht.ung (Stuttg. 1859) II, s. 41G.
2) \S'M) gdangtc os mit vielen anderen aus dem y)esitze dos prpussischon
gcneralpostmeisters von Naglt^r in die Berliner kgl. bibliothek.
I
tes zu einer ganzen klasse von iniialtsvtTwantfin mit keinem wortt?, so
dass ihm dieselbe nnbekant zu sein si^heint. Und doch hat gorade
dieses eine hervorragende bedeutung als deutliches zeugnis dafür, dass
schon um die mitte des 16. Jahrhunderts dieser von Schack' in spa-
nischen romaazen vor 1550 nachgewiesene und auf orientalische Vor-
bilder- zurückgeführte stoff auch in Deutsehland gäng und gäbe war.
Denn nach verschiedeneu ausdrücken, welche in dieser zeit bei der
Schilderung entsprechender Situationen gebraucht werden, ist der rück-
schluss gestattet. Man betrachte dazu folgende beliebig gewählte boi-
spiele:
In einem 1542 anonym gednickteni" „Lustig Gespräch der Teufel
und etlicher Kriegsleute von der Flucht des grossen Scharrhansen Her-
zogen Heinrichs von Braunschweig" heisst es vers 72 fgg.:
Die zwo erlich stet Braunschweig und Goslar
Solten für im stehen grosse gefar.
Die wolt er der massen treiben und zwingen,
Dass sie im müsten seins gefallens ein liedlin singen.
Es würde im niemant dürfen weren,
Er wolt sich auch an ir mit verwanten nicht keren.
Ganz genau entspiicht diesen Worten eine stelle in einem inhaltlich eng
damit zusammengehörigen „Bekentniss und Clag Herzog Heinriciis von
Braiinschweig des Jüngern"* v. 155 fgg.:
An den beiden steten im reich
Goslar und Braunschweig zugleich.
Die selben auf das hortst bedrengt.
Aber das mich am sersten krenkt: ^—
Ich hab sie nicht können zwingen wie ich gewolt, ^H
Wie säur ich mich dagegen gestalt. ^H
1) Poesie und kimst der Ai'alier in Spanien und Sicilicn (18ör>) 11, f>. IIT.
2) Eines dcrwlbon, bei Mirchnndj Historia SeldRohucliidBruiD ed. Vullera IC,
wo es von eiiiem forsten, der seine resideuz Torlfisst, heisst: ,er hefl«ta der gattin
Am mioben oint^ drcifocbo chescboidnng an dco tiavm ihres schleiois", bosizt bei
Bomer (Od. 13. 3SS; □. 16, 100) eine merkwürdige paraUeb b dem ^Teoftn hQÜ
n^tftvti („Stirnband') iiVic." Vgl. I^ llöderlpin, HnmeriBt'hes gloBsarium ur, 739,
Ameis und Dimtier zn v. 388, nuuh bymn. Cerer. 151 xq^iffiya mJJ.qoc' (pbenso
Haaiod donls "Hp. 105). Fr. Kummer, Tarqnin (Lpz. 1888) IV, 2 (b. 101): ,Ioh
brach der zinnen juugMulicheu kränz."
3) Schade, Satiren und ])a.squiUe aus der refartiintionKioit I. s. .ri4 u. 2\1.
4) Sehade n. a. e. s. 08 und 2L>0.
&J Schade o. a. o. s. 77 und 222,
22* ^
340 PRÄNKEL
Eine dritte stelle aus derselben Situation, in „Bruder Veits Landsknechts
im Lager vor Wolfenbtittel treuliche Warnung*'* v. 25 %.:
Dadurch er der armen stete Goslar und Bratmschweig
Vermeint mechtig und ir herr zu sein zu gleich
berührt sich eng mit v. 45 in „Ein new Lied vom Türeken usw., Näm-
berg durch Christoff Gutknecht" (1529?)^, wo dem Wien belagernden
„Türk'* zugerufen wird: „der stat soltu nicht gweltig sein.*' Man über-
sehe nicht den doppelsinn des „mechtig (gweltig) sein**, was hier wol
ähnliches bedeutet als unser „vergewaltigen" und des „herr sein** «=
„vermählt, gatte sein."^ Schliesslich erwähne ich noch einige stelle
aus dem berühmten landsknechtliede von der „Pavier schlacht"^.
heisst da v. 4 „von dem könig aus Prankreich":
Mailant das wolt er zwingen
und v. 9 fg.: Er zug für ein stat, die heisst Mailant,
die selbig tet er zwingen,
wozu man die oben angefülirte kongruente wendung bezüglich Gosla«: ^
vergleiche. Ganz deutlich ist die anthropomorphische auffassung i ^*
V. 70 desselben liedes, wo erzählt ist, dass das belagerungsheer \e^ '
stärkt worden:
Pauia tet sich des freuen.
Dem lezteren ausdrucke begegnen wir in einem anderen zeitg^?^
nössischen liede wieder, dem 1552 von Prankfurt aus verbreiteten fli^»--
gendcn blatte „Von der belagerung der Stadt Prankfurt", welches AminM^
und Brentano — wahrscheinlich aus „Der Weit -berühmten usw. Har»--
dels- Stadt Frankfurt am Main Chronica. Durch A. A. v. Lersner. 170(> "*
s. 8S8 — in „Des knaben wunderhom II, 336" angenommen habe«:»^-
Ich setze die dritte Strophe daraus ganz hierher, da die bezüghciim^
anschauung durch dieselbe durchgeht:
• Stadt Prankfurt an dem Maine!
Dein lob ist weit und breit.
Treu, elu* und glauben reine.
Mannliche redlichkeit
Hast du mit deinem blute
1) Abgedruckt bei Körner, Historische Volkslieder aus dem 16. und 17. jalHf'
hundert (Stuttg. 1840) s. 150.
2) Über mhd. gcicalt für ,,dio rechte eines ehegemahls oder begünstigten li^*''
liabers'' vgl. Ulil, Unechü^s l)ei Neifen (Paderb. 1888) s. 31.
3) Abgedruckt bei Soltau, Eiuhuudert historische Volkslieder* (Loipi. 1845)
s. 287 fg.
UM STiLDTE WERBEN 341
Erhalten ritterlich.
Vertrau dem herm du gute,
Er hilft unschuldgem blute,
Dess sollst du freuen dich,
erkent, dass hier das Verhältnis der belagerten fostung zu ihren
ängem ganz ähnlich wie in den bisher beigebrachten belegen ge-
t ist. Vcrwante betrachtungsweise kehrt in mannigfacher modelung
eformationszeitalter wider. Man vergleiche z. b. das von H. Fischer,
lan. 23, 57 fg. mitgeteilte „historische lied des XVI. Jahrhunderts "*,
i. a. folgende verse vorkommen:
Venedig, sych dich eben für
Dein hochmfit würt gestilt, glaub mir
Dein geyt, vü üppig eytel eer
Mag nit vertragen bliben mer.
orhin heisst es von der trotzigen stadt, die gowissermasscn unter
bilde einer spröden kokette erscheint:
Bapst, keyser darzu achtest klein,
In eygnem gwalt vertröst allein.
Venedig, sych dich eben für.
Dafi dir die straff ligt vor der thür,
Durch keyser Maximilian.
Man möchte gewiss auch anderwärts in der litteratur des 16. jalir-
erts noch beispiele auftreiben können. Aber mir komt es nur
if an, aus der volksmässigen anwendung dieser metonymio ihre
Luchlichkeit in der in frage stehenden periodo zu erweisen, zum
^sten, dass sie gleichsam in der luft lag, wenn auch nicht viele
e von der handgreiflichkeit des Sachsischen vorliegen.
Jedoch stehen neben diesen Zeugnissen für die gemeinverständ-
anschauung des „um städte werben" eine reihe von verschieden-
en Wendungen, welche denselben grundgedanken in weniger aus-
gter form widerzugeben versuchen. Auch hier gebührt einer stelle
lans Sachs zeitlich die führung. Ich meine die allegorische deu-
der ^4 fräulein'', welche Nürnbergs kraft und stärke sinbildlich
•rpern sollen, in dem als ein kabinetsstück sinniger und poesie-
»ssener didaktik bekanten lobspruch der stadt Nürnberg^. Vom
le edelster Vaterlandsliebe verklärt, ersteht hier ein farbenbuntes
Ide der phantasie, welches in dem alten gcdanken fusst, dass der
einer in ihrer macht- imd glanzfülle allen anfechtungen siegreich
1) Gedichte, buchl, t.4, bl.404. Vgl. v.2ü5fgg., 285 fgg., 289, 300fgg.usw.
342 FBÄNKEL
gewachsenen stadt der frischen und reinen blute unberührter Jungfräu-
lichkeit vergleichbar sei. Weisheit, gerechtigkeit, Wahrheit und starke
sind die „4 fräulein", deren gleichsam unverlezte keuschheit Nüm^
bergs schütz und schirm bedeutet
Man fühlt sich unwilkürlich an die vollere ausgestaltung dies^^
gedankens erinnert, wie wir ihn in andern nummem dieses stofkreis^:^
finden, so in dem „Halt dich Magdeburg" betitelten „Flugblatt aus de^^
reformationszeit", welches Arnim und Brentano in „Des knaben wixix^
derhorn" (1. ausg. 11, 102) zum abdruck brachten. Ich führe als clx^,^
rakteristisch nur Strophe 5 — 7 an:
So will ich nicht verzagen,
Ich armes mägdelein,
Christum will ich es klagen.
Der wird mein schutzherr sein.
Magdeburg bin ich genennet.
Ganz frei und wohl bekannt.
Ich trau auf Christ vom himmel.
Mir hilft seine gewaltige band.
Die mittel will ich brauchen.
Die mich mein bräutgam lehrt,
Vor diesem beschomen häufen
Bin ich noch unversehrt ^
Die sprechende stadt weist also die umwerbungen ihrer feinde schro»*
zurück, indem sie sich gewissermassen auf ein Verlöbnis mit Christ»^
beruft Hierdurch ist aber nicht bloss die reichhaltige anzahl der voi
Köhler zusammengestelten lieder dieser art, welche sich auf Magde-
burg beziehen, um eins vermehrt 2, sondern zugleich erwiesen, dass di«
belagerung der stadt durch Tilly vom jähre 1629 keinesw^ di^^
erste ist, welche zu einem solchen gedichte angeregt hat Es verdien. ^
hierbei noch angemerkt zu werden, dass das in „Des knaben wunder
hörn'' unmittelbar folgende gedieht „Die Magdeburger fehde^^, welcher"===^
1) Allerdings ist in dieser hochdeutschen fassuiig manches etwas cntstA-"*i
mau vergleiche die niederdeutsche bei Uhland 1, 554 und v. Lilioncron IV, 515.
2) „Tilly nach der schlacht bei Breitenfeld ", ein auf lU'kundliches matei a*
gevStüzter aufsatz (Schnorrs v. Carolsfeld?) im Aroh. f. lit.-gesch. VI, 53—85 hic*^^^
viele fälle für Magdeburg, aber ohne das typische des werbens zu streifen.
3) Quelle ist „Cyriacus S|»angen bergs Chronik von Aschei-sleben. Eislebenl^*"--
Petri." Das gedieht steht Des knaben wunderhorn II', 106.
UM STÄDTE WEBBEN 343
ch ins dritte viertel des 16. Jahrhunderts gehört, zwar diese anschauung
3ht gerade heraus ausspricht, aber doch in mannigfachen anklängen
3 anlehnung an das vorhergenante gedieht aufweist^; in Strophe 11
d 12 bricht die Personifizierung der Stadt, allerdings unter einem
vas andersartigen bilde, ganz deutlich durch. Auch bleibe nicht
erwähnt, dass die von Köhler a. a. o. s. 231 mehrfach belegte auf-
sung der Werbung als einer aufforderung zum tanz sich in der gan-
i gattung öfters widerholt; ich erinnere an die geschickte einflochtung
ses motivs in einem neueren aber nicht minder volksmässigen bei-
ol, „Die befreiung Wiens ''^ strophe 17:
Es tönt so froh und tönt so hell,
Als ging's zu tanz und wein.
tiler a. a, 0. s. 231 (und anm.) wies schon auf diesen zug hin.
Wie verbreitet jene Übertragung aus dem sozialen leben auf die
itebelagerung schon im 16. Jahrhundert gewesen sein muss, erhelt
' der anzahl verschiedener fassungen des „Halt dich Magdeburg",
heute noch nachweisbar sind. Die geläufigste ist freilich wol erst um
mitte des 17. Jahrhunderts, anscheinend infolge der belagerung von
-9 — 31, endgiltig fixiert worden. So liegt sie uns im Venus-gärt-
fi (Hamburg 1659) s. 55 — 57 vor, und bei Uhland, Alte hoch- und
iilordeutsche Volkslieder I, 1, 553 ist aus einem mundaitlichen lie-
^T}uche eine woi-tgetreue plattdeutsche Übersetzung derselben mitgeteilt.
>€r wir kennen auch eine in einzelheiten stark abweichende nieder-
Xrift als fliegendes blatt, welche, enthalten in „Zwey schöne lieder,
^ erste der christlichen Stadt Magdeburgk zu ehren gestellt, durch
L Im thon Es wolt ein jegcr jagen 1551"*, reichlich hundert jähre
•-her abgeschlossen war. Ähnlich wie oben bei Hans Sachs, ist hier
»1 „drei jungfräulein^ die rede, welche auf dem Magdeburger stiidt-
:'e für drei fremde fürsten „rautenkränzelein'^ winden. Auf derselben
de bewegen sich die verschiedenen synonymen ausdrücke in der
lagdeburger fehde.^ Neben andern gedenke ich nur der werte in der
. Strophe:
Magdeburg, du bist ein wilder arn.
Dein flügel sind unverhauen
s einer geharnischten ab^vehr an die belagernden fürsten, welche auf
aem sehr nahestehenden vergleiche ruht.
1) Z. b. das bezeichnende „es kommen (viel) fremde gaste** in den ersten
t)phen.
2) Aus dem sog. Festkalender z. b. l)€i Echtenneyor, Auswahl deutscher
dichte, 29. autl., s. 87 fg.
344 f&Inksl
In anziehender weise ist zugleich in „Halt dich Magdeburg*^ das
alte gleichnis, dass Christus der kirche verlebter, der gläubigen und
frommen geliebter sei, für die beziehung der gottheit zu der glaubeus-
mutigen Stadt verwertet Die hymnenlitteratur und kirchliche lieder-
dichtung der nachreformatorischen Jahrhunderte weist eine ganze reihe
von stellen auf, welche Christus als bräutigam der Stadt Jerusalem^
bezeichnen und zwar, was für uns das massgebende ist, als friedlichen
eroberer im sinne der religiösen legende oder als schlachlgewaltigi'n
kriegsfürsten im altgermanischen stile des Heliand. Bloss einige pro-
ben mögen die vielseitige ausbeutung dieses halbmystischen phantasie-
bildes, welches die ältere christliche dogmatik in ihrem dränge nach
sinlicher greifbarkeit des göttlichen geschaffen hatte, mehr andeuten als
sicher beweisen.
Zunächst ein beispiel noch aus dem 16. Jahrhundert Rambachs
Anthologie christlicher gesänge II, 218, auch Schuppii Schriften s. 277
verzeichnen das im modernen protestantischen kirchengesang wider in
aufnaJime gekonmiene lied „Von den klugen Jungfrauen" aus „Frewden
Spiegel dess ewigen lebens. Durch Philippum Nicolai. Frankfurt 1599."
In betracht komt sti'ophe 1:
Wachet auf, ruft uns die stimme ^
Der Wächter sehr hoch auf der zinne.
Wach auf, du Stadt Jerusalem,
Mitternacht heisst diese stunde,
Sie rufen uns mit hellem munde:
^Wolan, der bräutigam komt,
Steht auf, die lampen nehmt!
Halleluja!
Macht euch bereit
Zu der hochzeit,
Ihr müsset ihm entgegen gohn!**
Nur um für die spätere zeit die fortdauer dieser belebenden dar-
stellungsweise zu belegen, ziehe ich die betreffenden zeilen aus ciuom
seltsamen hymnus aus, der als „Anmutiger blumen krieg aus dem gar-
1) Wackeniagol, Poetik, rhotoiUc und Stilistik s. 398 bespricht als typü^^hft
„l>ois|üol allegorischer porsoiiifikatiou" Ilcsckiel 16, „wo Jerusidoni ab? weih erscheint
und die ganze geschichto der Stadt und des volkes in der lebensgoschiehte ^(^
einen weibes auschaulii;h concentriert wird.*^
*J) Klopstoek liefert eine nach seiner gewohnten oruouerungsart (siehe Muiicktr.
K. (.1. Kh^pstoek, Stuttg. 1888, s. 307 und 311 fg.) vorgenommene umarl>eitung -1^»'
geistlicJu' aufersteh ung** : Simitl. werke 1823, 111 s. 89.
UM STÄDTE WERBEN 345
ten der gemeinde gottes, ans licht gegeben im jähre 1712" in Des
knaben wunderhorn ^UI, 206 fgg. neu gedruckt ^st.
In nr. 3, die den Untertitel „Triimiph des erwählten volkes" führt,
lautet str. 1:
Auf triumph, es komt die stunde,
Da sich Zion, die geliebte, die betrübte hocherfreut,
Babel aber geht zu gründe,
Dass sie kläglich über jammor über angst und kummer schreit
Str. 2:
Diese dime hat beflecket
Ihr geschenktes, schön geschmücktes jungfräuliches ehrenkleid
Und mit schmach und höhn bedecket.
Die dem lamme auf die hochzeit ist zum weibe zubereit.
Str. 3:
Stolze dime, nicht verweile,
Die da auf den vielen, vielen, vielen grossen wassern sizt
Und mit angeln und am seile
Ganze Völker zu sich ziehet und in schnöder brunst orhizt.^
Str. 5:
Auf dem lande, in den städten
Hat die dime mit dem becher alle beiden toll gemacht,
Sie stolzieren in den ketten,
Haben sie als schicksalsgöttin, sich als götzen hoch gemacht
Str. 11:
0 wie gross ist deine wonne.
Schönstes Zion, es ist kommen dein erwünschtes hochzeitsfest.
Da sich Jesus, deine sonne
Der dich krönet, deinen bräutigam, deinen könig nennen lässt
Endlich str. 12, einen volkommenen abschluss bietend:
Nach der hochzeit wird die nymphe^
Aus dem hause ihrer mutter in des vaters haus geführt.
Die mit ewigem triumphe
In der kröne ihrer hochzeit, ewig, ewig triumphiert
Das merkwürdige stück läsßt trotz der vielfachen dunkelheiten im
^^^elausdmck, die durch die verzwickte interpunktion , in der es hier
^^^äss dem original belassen ist, noch gesteigert werden, dieselbe
1) Nach der Offenbarung Johann. 17, 1: die grosse hure Babylon.
^. 2) Mit hinbliok aiif vöfAiprj „die nou vermählte'' (Homer II. 3, 130 u. ö.)? Ähn-
^** «braat*^ für Junge frau** (vgl. Hildobrandslied v. 21).
346 FBÄNKEL
gegenüberstellung wie in den vorgeführten „weltlichen*' fallen durct^^
scheinen, ja man möchte fast sagen, es sezt die bekantschaft mit d:
sen und ihre üblichkeit voraus. Das geht auch aus einigen parallel ^>
in nr. 20 desselben cyklus, dessen nr. 3 wir soeben in bruchstüct^M-i
kennen lernten, hervor. Dieselbe, „Hochzeit*' betitelt^, nähert sich nciit
einigen anklängen namentlich dem liede „von den klugen jungfrauex^.-
Ich hebe heraus aus str. 1:
Es hat sich aufgemachet
Der bräutigam mit prachi
und stelle daneben aus str. 2:
Die Wächter Zions schreien.
Der bräutigam ist nah.
Str. 3 bringt sodann die völlig dazu stimmenden verse:
Die ttir ist aufgeschlossen ^
Die hochzeit ist bereit,
Auf, auf ihr reichsgenossen.
Der bräutgam ist nicht weit
Auch die 6. strophc gehört hierher:
Begegnet ihm auf erden,
Ihr, die ihr Zion liebt.
Mit freudigen gcbcnlen
Und seid nicht mehr betrübt!
Es sind die fi-eudcnstimden
Gekommen und der braut
Wird, weil sie überwunden,
Die kröne nun vortraut.
Wie scharf das gegenüber des siegreichen eroberers und ^^^^
bezwungenen bräutliehen stadt zu fassen ist, zeigen die beiden er»*^*^
Zeilen der nächsten strophe ganz deutlich:
Hier sind die siegespalmen.
Hier ist das weisse kleid
und nachdem dieser gegensatz noch mit reichen färben ausgemalt
bringt die 8. strophe den würdig ausklingenden schluss:
Hier ist die stadt der freuden,
Jerusalem der ort.
1) Dos koabon wunderhom *III, 229 u. ö.
2) Ganz realistisch zu donken, wie Christas nach den evangelien k
einzieht.
i
UM STÄDTE WERBEN 347
Wo die erlösten weiden,
Hier ist die sichre pfort,
Hier sind die goldnen gassen,
Hier ist das hochzeitmahl,
Hier soll sich niederlassen
Die braut im rosental.
jvaltet auch in dem die eigentümliche dichtung abschliessen-
imph der erwählten seele'' derselbe gedanke vor, indem „der
;t aus der schlacht komt**, des „höllischen tyrannen raubschloss
stört", so dass — wenn man die mystisch verklausulierten
auslegen darf — „seine teur erlöste braut" nun unbehelligt ist.
einige versvante züge aus neueren kirchenliedern gleich hier
i, sei Gellerts abgeblasstes
Dein könig, Zion, komt zu dir
s liedes „Dies ist der tag, den gott gemacht"), Friedrich Sach-
Ä.ltenburger hofpredigers
Dein könig komt zu dir.
Du Stadt des felsengrundes.
Noch bist du seine stadt.
Mach ihm die tore weit!
id 2 (los liedes „Thu auf die heil'gen pforten") und etwa noch
Drts friedvolles adventslied:
Dein könig komt in stiller grosse
Sanftmütig, ohne kriegsgetöse,
Empfang ihn froh, Jerusalem
Lim die Versicherung, dass die ausgedehnte pflege dieser an-
durch die kirchliche liederdichtung schon allein aus den Luthe-
jesangbüchern viele beispiele herausgreifen licss, durchaus
zu machen.
iren wir zu der chronologischen reihenfolge der besprochenen
zurück, so finden wir als erstes im 17. Jahrhundert unter den
licht berücksichtigten das lied auf die schlacht bei Leipzig,
Ulf tlugblättom in melirfacli stark variierter fassung überliefert
3 längere, noch von 1631 datiert, steht in Des knaben wun-
^n, 93, bei Talvj, Versuch einer geschichtlichen Charakteristik
;lieder gennanischer nationen (1840) s. 442 und sonst öfters
5t, eine andere unter gleicher Überschrift findet sich knapp
348 FRÄNKKL
zusammcngcschnitten in Des knaben wunderhom an jenes angeschlos-
sen oder in erweiterter gestalt als „Der päpstischen armee unter dess
alten corporals general graffen von Tylli commando zugk vnd flucht
1631" auf einem flugblatt, welches z. b. in der Meusebachschen sam-
lung enthalten war, auch verschiedentlich veröffentlicht worden ist^
Wenn man annimt (wogegen kaum ein erheblicher einwand mög-
lich ist), dass der eingang, wenn nicht ein grösserer abschnitt dieses
gedichts in der erstgenanten beai'beitung der Stadt Leipzig in den mund
gelegt ist, so darf z. b. die 1. Strophe ohne weiteres als beleg für die
Aktion eines liebesverhältnisses zwischen Leipzig und Gustav Adolf gel-
ten. Sie lautet nämlich:
Ich hab den Schweden mit äugen gesehn
Er tut mir wol gefallen;
Geliebt mir in dem herzen mein
Vor andern königen allen.
Gegen den schluss bekommen die kaiserlichen feldherm den beliebten
moralischen rippenstoss. Während sonst meist Tillys Charakter unA^
geschick die Zielscheibe der protestantischen pamphletisten bildet, Is'äe
es hier neben diesem auf den wilden reitergeneral Holk abgesehec^
Charakteristisch ist namentlich die apostrophe der flüchtigen „Krab»—
ten'' und „welschen brüder'' str. 11:
„Ade, Leipzig, behalt dein mahlzeit,
Zu dir komm ich nicht wider",
und zwar ist dieser gefühlsausbruch aus der vorangehenden stroplie z "^
erklären, wo Holks krankheit durch vergiftetes confekt, das er von de*^
Stadt Leipzig erhalten, erzeugt sei. Diese merkwürdige motivierun^
ist aber in den gedichten jener zeit eine sehr gebräuchliche, wen ti
schimpflicher abzug eines belagercrs geschildert werden soll* BeispieJ!^-
weise sei hingewiesen auf K. Köhler, Archiv für litteraturgeschichte X
245 (auch 241 und 243), besonders auf Freih. v. Ditfurth, 52 unpe-
drucktc balladen des 16., 17., 18. Jahrhunderts (Stuttg. 1874) s. \U
(aus dem jähre 1704) sowie Freih. v. Ditfiuth, 110 volks- und gesel-
schaftslieder des 16., 17., 18. jahrhiinderti> (Stuttg. 1875) s. 37 (schlaoht
bei Patras 1687) und s. 97 (belagerung der vestung Rottenberg 1744.
1 > Z. b. in dor von li. Erk besorgten neuausgabc von Des knaben wunder-
hom: L. A.s von Arnim sämtl. werke N. A. 18.')7, XII, 93 fgg.
2) l>io «M'klärung bieten die verse «Ihr red war usw.*" bei Opel und Cota«
Der dreisi>igjährigc krieg (1802) s. 258,
UM STÄDTE WERDEN 349
Gleichfals in jene zeit falt die entstehung des gelegenlieitsgedich-
tes „Wallenstein vor Nürnberg" \ in dem am ende
^Die burger schrien und sungen überlaut:
„Gelt, Wallenstein, du hast die braut?
Geh, putz dein gesehen drauss!*'*'
Nach dem inhalte zu folgern, muss wenigstens ein und demsel-
ben jähre der spotdialog „Tilly und der lange Fritz "^ angehören, wo
dem Tilly als grund seiner erbärmlichen läge entgegengeschleudert wird :
„Weil hast die magd geschändet.
Ins elend auch gesendet,
also Magdeburgs grausame Zerstörung.
Über das interessanteste gedieht des 17. Jahrhunderts, welches
unser thema behandelt, ist man bis jezt noch nicht ins klare gekom-
^^öH- Es ist widerum auf die belagerung Magdeburgs bezüglich und
zAvar die von Tilly 1631 mit erfolg durchgeführte. Unter den vielen
wummern, die sich diesen dankbaren stoff zum Vorwurf gewählt haben,
stelt es Köhler s. 249 an lezte stelle. Aus seiner angäbe (s. 250), dass
dasselbe gedieht in deutscher Übertragung — das original ist lateinisch
^bgefesst — nach einem druck von 1632 bei Opel und Cohn, Der
^r-eissigjährige ki-ieg (Halle 1862) s. 220 tgg.« mitgeteilt ist, ergibt
^ioh seine Identität mit einem neuerdings von Witkowski^ eingehend
^^spxochenen gedichte Werders. Ich teile dessen ausführungen nebst
^©n bei ihm herausgehobenen proben mit, indem ich noch seine notiz
*^ der bibliographie der Werderschen schritten vorausschicke, dass das-
^^'^be stück* „mit moderner Orthographie'' an der angegebenen stelle
^^^*^*-Cohns zu finden sei:
„Weit weniger als die nachbildung der bussspalmen ist Werder
^^^ „Trawerlied vber die klägliche Zerstörung der löblichen vnd vhr-
^^^^^n Stadt Magdeburg" gelungen, welches denselben angehängt ist.
^■^ lied schildert die Überwältigung einer Jungfrau (das wappen Mag-
^^virgs) durch einen alten Wüstling. Unter anderm finden sich darin
^^S^nde, fast komische verse:
1) Ditfurth, 52 balladon usw. s. 172.
2) Ebd. s. 168; dieses wie das vorige nach handschriftlicher Überlieferung
^^- 3m).
3) Diederich von dem Werder. Ein beitrag zur deutschen htteraturgeschichte
^^*^ 17. Jahrhunderts (Leipzig 1887) s. 124 fg.
4) Exemplare desselben^ 1632 in Leipzig bei Elias Rohefold gedruckt, finden
^^^ nach Witkowski in Dresden und Göttingen.
350 FRÄNKEL
Der himmel selbst erschrickt. Gottloser bulen knecht,
Es weren ja für dich die drey höll huren ^ recht,
Ilir bräutigam zu seyn. Mit solchem brand vnd morden
Ist auch des Plutons weib selbst nicht geraubet worden.
Du ALTER KAHLKOPF, du verdientest, dass das schiff
Charontis mit dir stracks in seinen abgrund lieff.
Die allegorie von der Jungfrau und dem alten liebhaber ist im.<:>ch
weiter geführt; dann redet der dichter die gefallenen an:
Ihr bürger aber all', ihr männer, vnd ihr frawen,
Ihr kinder, knäbelein, ihr jüngUng und jungfrawen,
Du kecke kriegesschaar: Vnd du o edler Heldt,
Der du ihr wärest gleich als hertzog fürgestellt,
Olantz aller Tapferkeit 2, vnd sonne des Vorstandes
Ruht iTihot in der asch' hier ewres Vaterlandes
Ja ruhet süss vnd sanflH;, kein todt ist ewer todt^:
Ein leben ist er euch, ein leben auch in gott.
Ein leben voller ehr, ein leben voller leben:
Ihr vberwunden habt: ihr werdet euch erheben,
Hoch vber das gestim, es wird nach unsrer zeit
Auch werden ewer lob vnsterblich aussgebreit
Zum schluss ermahnt der dichter die überlebenden, auszuharre:^
und den mut nicht sinken zu lassen. Das ganze „trauerlied'' ist dcr^
besungenen gegenständes nicht würdig; denn von dem furchtbar^^
schmerz, der die ganze protestantische weit nach dem falle Magdeburg-^^
bewegte, ist sehr wenig darin zu spüren. Dasselbe bild von der
schändeten Jungfrau benuzte Opitz zu einem epigramm, welches zuers-
bei Neumoister'* abgedruckt ist und ebenso wie Werders gedieht beweii
1) loh glaube, da.ss hierbei der stille gegonsatz vorschwebt, welchen das obc'
besprochene flugblatt ^Halt dich, Magdeburg^ so ausprägt (str. 16):
Zu Magdeburg auf dem thore,
Da sitzen drei jungfräulein,
Die machen alle morgen
Drei rautenkränzelein.
Bestirnt sind diesellwn nac^h den folgenden versen für „herzog Hansen*, graf Albrecl
von Mausfeld und einen noch unbekanten retter. Die „höllhuron*' sind Babylot ^'
Jerusalem, Ephraim.
2) Gemeint ist, was W. nicht angemerkt hat, der von Gustav Adolf entsant
kommaiidant der stadt, obei*st Dietrich Falkonberg.
3) Diese und die folgende wendung erinnern an ähnliche antike im Stile
bekanten Tyrtäos nachgo))ildeton vorse dos Horaz.
4) Specimen dissertationis IlLstorico-Criticao de Poetis C^emumicMl h^fos
culi pi-accipuis (2. aufl.) 1708 s. 70 fg. Vgl. Strehlko, M. Opitz 8. IWi
UM STÄDTE WEBBEN 351
«renig die poesie damals den gefühlen über wirklich erschütternde
aisse ausdruck zu geben vermocjhte."
Soweit Witkowski, dessen darstellung ich in extenso gegeben
weil es mir notwendig schien, bei der berichtigung des tatbestan-
ien sachkundigsten sprechen zu lassen. Man gelangt aber erst zur
m feststellung, wenn man seine notizen mit denen Köhlers ver-
llzt Dieses ergebnis, dass jenes lateinische gedieht bei Köhler
9 fg. und das Werdersche zusammenzufassen sind, blieb bei Wit-
ü jedenfals nur deshalb aus, weil ihm leider die bemerkungen
ü Vorgängers entgangen zu sein scheinen. Dies geht auch überdies
seiner nichtberücksichtigung von Köhlers auslassung über das
ische gedieht (s. 247) hervor.
Da es sich, um die genetische entwicklung zu veranschaulichen,
hieden empfiehlt, einfach die chronologische reihenfolge inne zu
1, so schliesse ich jczt einen hinweis auf die wol nicht unbeträcht-
litteratiu- an, welche den fall Strassburgs betrift und meist noch
ahr 1681 oder die unmittelbar folgenden falt. Ich halte mich
an die knappen worte Scherers ^, die allerdings nicht in hinblick
3ine litterarhistorische Verwendung niedergeschrieben, die sache
lein betrachten. .jDie populäre littemtur hatte sich des gegenstan-
wie selten in jenen zeiten geschah, mit eifer bemächtigt Das
lied erhebt sich in allen möglichen klageweisen, schon vor der
trophe in Warnungen, nachlier in bitterem unmut. Aber auch an
m gegen Strassburg fehlt es nicht, aus denen man ersieht, dass
ueinung sehr rasch verbreitet wurde, es sei verrat im spiel gewe-
und die Strassburger müsten nun ihre untreue am reiche büssen.
„lezter reichs- abschied von der mutter, dem römischen reich, an
snterbte tochter, nun französischen stadt Strassburg*' geissei t die
)sigkeit der grenzstadt, welche ihr unglück selbst vorschuldet hätte.
beachtenswert ist, dass selbst Leibnitz in den zahlreichen latei-
en und deutschen gedieh ten, zu denen ihn das ereignis gestimt
, einer gleichen auffassung vorzugsweise räum gibt:
„Pfuy Strassburg, schäme dich
.. musst mit vielen scherzen
Vei-spotten lassen dich zu deiner pein und last*'
Alle genanten Stimmungselemente fliessen iu der herben abfer-
g an die alte reichsstadt zusammen, welche noch ins jähr 1681
1) Lorenz und Scherer, Geschichte dos Elsasses II, 130 fg. S. 258 heisst es
jähre 1870: ^Alle Stadien einer regelrechten belagerung solte die unglückliche
;, die siebenhundertjährigii jungfräuliche festung erdulden. '^
352 KRANKEL
falt und von Ditfurth^ aus „Cod. germ. s. 136 — 137" der staatsbibL
tliek zu München herausgegeben ist Strophe 8 darin gibt den
des gedankens:
Ein Jungfrau wärest du,
Hast g'habt den edlen namen;
Pfui, pftii! jezt musst dich schämen!
Scham dich, truck d' äugen zu.
Und ruf: o weh, o weh!
Hab d' jungfrauschaft verloren.
Bin Absalon geboren —
Die untreu nun versteh!
Für diese scharfe Strafpredigt an die — wie (oben s. 344 fg.) Babylon —
zur dirne erniedrigte Stadt empfangen wir in der übernächsten strop^i^
folgende erklärung, welche das gleichnis in das richtige licht rückt:
Dir war das prädikat,
Dass vor viel hundert jähren.
In schweren kricgsgefahren.
Kein feind dich zwungen hat
In den übrigen teilen des 20 Strophen langen gedichtes treten fast al l ^
die Wendungen auf, die wir in den bisher mitgeteilten Schilderungen*
derselben Situation beobachten. Str. 6 flicht den anscheinend stereotj" 'W
gebrauchten ausruf: „Pfui, Strassburg, schäme dich** ein und d§ ^
Schlusszeilen der 3. und 4. Strophe:
Das Teutschland lacht von herzen
Zu deinen grossen schmerzen.
Hast selbst g'macht dir pein
beziehentlich:
Das reich dich gar nicht kennet,
Lacht nur zu deinem spott
erinnern so auffiillig an Tjcibnitzs obige verse, dass ein abhängigkei
Verhältnis auf einer seitc wol in frage gezogen werden könte, sei
nun nur dunkele oder unbewuste reminiscenz beim kunstdichter od
zustutzung für den geschmack des gemeinen mannes durch dou volk
mund. Zugegeben sei, dass die gebrauchten ausdrücke bei der
und gäbe gewordenen vergleichsart beiden nicht zu fem lagen'.
1) 110 Volks- und geselschaftslieder usw. (Stuttg. 1875) a. 29 — 35.
2) Von bomorkonsworten anklängen seien nocli erwähnt: aus str. 1: ,Aber <Jo
findest kein mann, Der jczt, da du musst leiden, Mit dir sich schwarz will Udden *
vgl. mit den oben s. 346 besprochenen versen „Hier ist das weisse kleid* (dort ^^
die Werbung einen glücklichen ausgang genommen); die werte der iweita atroph
)
UM STÄDTE WKRBEN 353
hatte Strassburg hier in den Vordergrund gestelt, obwol einige
;eschichtliche lieder dieser zeit auf ereignisse sich beziehen,
nehrere jähre älter sind. Aber sein fall ist der bekanteste,
irolksttimlicliste und daher auch vielbesungenste stoff aus den
igen gedichten unserer gattung.
►SS im vorbeigehen erwähne ich das bei Ditfurth a. a. o. s. 18
te „Gespräch zwischen England und Ruyter (1667)." Dasselbe
anzes mit den oben s. 337 behandelten Personifikationen der
und den weiterhin zu erwähnenden Deutsclüands in parallele
i; im einzelnen gehören etwa v. 29 fg.
„Holland hat mich stark turbieret,
Ist mein meister worden sehr"
chfals ein ausruf Englands — v. 16 —
Dürft mich legen bald ins grab
den lezteren eigentümlichen gedanken erinnert der eingang
Ditfurth s. 24 „Belagerung Rheinfelds" (1678) überschriebenen
Liebste gräfin an dem Rhin,
Allarm, allarm! es steht dahin,
Dass ihr vielleicht seyd bald ein leicht,^
Noch darzu schandlich begraben.
Str. 2 wird dem general Stahremberg das lob zuerteilt, dass
)iten „diese gräfin treulich z' schützen" bereit gewesen:
„Die nicht redlich, durch die büxen
Liess wie d' finken bürsen* fort —
Schöne lehr, jezt liegt er dort!"
i str. 10 die bedrängte festung aber ausruft:
Meine burger, treue kinder,
Meiner feinde überwinder,
Halt's femer treu, steht mir fest bei!
Nicht wie Freiburg tut mich lassen.
Drum ganz Teutschland tut sie hassen
don g'walt genommen '^ erläutern nebst den voraufgehenden ^Hast lang
ruzt*^ die oben s. 341 abgedruckten verse auf Venedig in ebenso wilkom-
ise wie die folgenden ^(Der dir) die federn wol gestuzt usw.** die auf Mag-
Dein flügel sind un verhauen.**
S. Grimm, Deutsches Wörterbuch VI, 612.
Die bei Grimm, Deutsches Wörterbuch IT, 549 fg. und 555 fg. gegebenen
ncklungen passend?
OR r. DEUTSCHE FHILOI.0OIE. BD. ZXn. 23
354 FRÜinoEL
so weist sie damit auf die Vorgänge hin, welche die oben s. 337
erwähnte Freiburger bulschaft behandelt
Inhaltlich gehört in diesen Zusammenhang die ,,Schlacht bei Mal-
plaquet" (Ditfurth a. a. o. s. 61), wennschon ins 18. Jahrhundert (1709)
fallend, wo die 5. strophe anhebt:
„Eugenius geht izt nach Mons,
So ihn erwählet zum gespons."
Aus dem 18. Jahrhundert hatte Köhler das lied auf die belag^
rung von Lille (1708) aus „Des knaben wundorhom*' IT, 100, die
berühmte umdichtung desselben auf die von Belgrad und eine „Unter-
redung zwischen dem könige und der stadt Breslau imd den Oestrei-
ehern, so bey der lezten Übergabe den 19. dec. 1758 geschehen^ in
den bereich seiner betrachtung gezogen. Was ich als ergänziuig dazu
bieten kann, ist folgendes. Zmiächst eine anscheinend veralgemeinerte
Personifizierung, der ich zu meinem bedauern nicht weiter nachspüren
konte, weil mir meine quelle, eine recht ungenaue notiz H. Pröhles,
bloss geringen anhält bot und mir auch erkimdigungen nicht die
gewünschte kentnis zutrugen. Es heisst bei Pröhle^: „Die büigerUche
politische Volksdichtung aus der zeit des siebenjährigen krieges tritt
nicht selten in der form der poetischen prosa auf. Mit ausge-
zeichnetem humor finden wii* die kämpfe zwischen Friedrich und Maria
Theresia als dorfgeschichte aus dem dorfe Grossenhagen dargestelt
Deutschland wird als krankes frauenzimmer abgemalt (!), dem eine
reihe von uneinigen ärzten an verschiedenen stellen zur ader lässt**
Ganz bestirnte nachricliten gab Köhler schon über das Breslauer
werbegedicht. Zur crgänzung bringe ich über dasselbe noch die äusse-
rungen K. Janickes^, der aucli ein andres stück, gleichfals dem sieben-
jährigen kriege angehörig, bespricht, welches einer an die von Köhler
berührten gedieh tc des 17. Jahrhunderts anklingenden Stimmung aus-
druck verleiht „Das beruht auf alter Überlieferung, die eroberang
einer stadt mit dem werben mn eine Jungfrau darzustellen. So klagt
die Stadt Breslau dem könig:
0 preussischer kriegheld, was thust du denn gedenken,
Dass du mich in die Lieb wüst ganz und gar versenken.
Für eine Jungfrau rein galt ich so lange zeit.
Es hat mich niemals noch ein heldenmut erbeut
1) Friedrich der Grosso und dio deutsche litteratur (BerÜn 1872) 8. 49 fg.
2) Das deutsche kriegslied. £ioe litterarhistorische studio (Berlin 1871) s. 37.
DM BTXDTE WKBBBM
356
Nicht immer bringt freien glück: schlimm ists, wenn eiu mäch-
tiger nebenbuhler den Hcboii sicher geglaubten besitz der geliebten uns
wider entwindet. Darum seufzt der marschaU von Coutades:
Ha ha ha! Ich anner manu,
^k Ach, y/ae mU ich fangen an?
^^ Hab eine jung&au mir genommen,
^^ Bin mit ihr ins nnglück kommen —
^^ Ea ha ha! Ich armer mann,
^K Ach, was sol] ich fangen au?
^^^^^v^ Minden, diese stolze magd.
^^^^^^V Nach der ich so lang getracht',
^^^^^^F Die hat dieser Ferdinande
^^^^^^ Abgejagt mir ganz mechante —
* Ha ha ha! leb armer mann,
Ach, was soll ich fangen an?"
Ans dem ende des Jahrhunderts gibt es ein verwantes, mir aber
Icht ganz zugänglich gewesenes „Lied auf die belagerung von Lan-
»1 (sept 1793), das mehrfach reminiscenzen aus älteren Hedem ver-
It"'. Die mir bekanten zwei Strophen enthalten freilich nichts dem-
itsprechendes.
Der zeitlichen roihonfolge gemäss habe ich jezt auf die dramatische
Wertung der umkehrung unseres godankcns aufmerksam zu machen,
«Iche Schiller in Maria Stuart 2. aufzug 1. auftritt unternommen hat
Dio französische brautwerbung'^ bei der königin Elisabet wird daselbst
i einem sinbildlicben kriegsspiel geschildert, bei welchem 12 rittet
BTselben „die keusche festung der Schönheit" gegen den ansturra des
ärlangens, repräsentiert durch dio cavaüere des herzogs von Atyou,
figroieh verteidigen. Düntzers kommentar* entnehrae ich, dass ver-
iliiedene englische historiker hier Schiller eine volkommen ausgebil-
Bto vorläge bieten kunten, von Zeitgenossen jener aiifführuug z. b.
Filliam Cambden im 1. teile seiner „Annales rerum Anglicarum et
Übemicanim regnante Eüzabetha" (1615) sowie der von diesem direkt
ispirierte de Thou (Thuanus), „historiaruin sui tomporis CXXV." Auch
Woegel borichtet in seiner stofreiehen „Geschichte des grotesk-komi-
len " " nach augenzeugen ähnliche einzelheiten über die testlichkeiten
1) Jauicke a. a. o. s. 43.
2) SchiUers Maria Stuart. Erläutert. (3. oufl. 1878} s. 136 %. Düntzere hin-
s s. 137 note 2, dass hier die umkohniug dos verhiiltnisaes vorüega, war mir bei
oben gej^l)enGU ausfühmugca uiibekaut.
3) In der ueuoii bcai-boitung von EbeUng {4. aufl. Letiii, 1887) s. 272 nnd 2C0.
23*
356 FRÄNKEL
am damaligen britischen hofe, die „einen seltsamen mythologischen
ansti-ich'' trugen. Während wir nun zwar in Deutschland für dieselbe
zeit die darstellung einer belagerung unter der allegorie einer braut-
Werbung nachzuweisen imstande sind, scheint es als ob wir auf eng-
lischem^ und dem dieses geistig so vielfach befiiichtenden französischen
gebiete poetischer formelbildung jene anschauung wenigstens bis zur
mitte des 15. Jahrhunderts zurückverfolgen können. Indem ich die
zahlreichen ähnlichen aufführungen bei gelegenheit von hochzeiten und
anderen durch ausgedehnte beiziehung der repräsentativen künste ver-
edelten festen 2 übergehe, führe ich nur den mir bekanten ältesten fall
unserer symbolisierung an. Er findet sich bei Enguerrand de Mon-
strelet, Chroniques^ HE, 101, wo die erzählung folgendes mitteilt Als
Ludwig XL von Frankreich 1463 in Toumay einzog, kam über dem tor
auf einer maschine die schönste Jungfrau der stadt herunter und wäh-
rend sie sich vor dem könige verneigte, lüftete sie ihr gewand am
busen, sodass ein daselbst liegendes künstliches herz sichtbar wurde.
Dasselbe spaltete sich und liess eine grosse lilie aus gold emporsteigen,
welche das mädchen mit den Worten überreichte: „Sire, so wie ich
eine Jungfrau bin, so auch diese stadt; denn noch nie ist sie erobert
worden, und nie hat sie sich gegen die könige von Frankreich empört:
es trägt nämlich jeder einwohner unserer stadt eine lilie im herzen.*^
Dass hier derselbe grundgedanke vorschwebt, liegt auf der band; dass
er sich schon in den alten darstellungen des mitgeteilten Vorganges
findet, beweist die behandlung in der weitläufigen „Histoire de Lovys XL
roy de JVance: et des clioses memorables advenves de son regne,
depuis Tan 1460 jusquos ä 1483. Escritte par vn greffier de Thostel
de ville de Paris. 1620.^ Meines erachtens liegt dieselbe anschauung
auch der repräsentation nackter Jungfrauen beim einzuge Ludwigs XI.
1) Vcrwanten grundziig zeigt z. b. Das schloss der beharlichkeit, eioe mora-
lität ans dem ausgehenden 15. Jahrhundert (vgl. CJollier, History of engl. dram. poe-
trj' II, 278).
2) Einige besondere frappante beispiele seien genant. „Bei der Vermählung
der Lsabella von Baiem mit könig Karl VI. sali man ein Zwischenspiel, das die
eroberung von Troja dai-stelte** (FIoegel-El)eling a.a.O. s. 268), bei der Heinrichs IV.
mit Margarotha von Valois hatte man vor den Tuilerien 2 Schlösser (paradies und
hülle) gebaut, welche eine partei von rittem unter dem könige von Navarra und eine
unter dem lierzog von Anjou gegen einander schützen musten. Nachdem der orsti*
den lezteren besiegt, erfolgte das signal zur Paiiser bluthochzoit (Recreations histih
riques I, 2G1 — 274). Vgl. auch Christine de Pizan Vie de Charles V., ni eh. 41
(s. Koch, lieben und werke der Chr. d. P., Goslar 1885, s. Gl fg.).
3) Avec notes biographiques par Buchen. Paris 1836.
UM STÄDTE WEBBEN 357
in Paris 1461 zu gründe, von welcher F. Liebrecht Germania 33, 249
spricht
Aber auch auf deutschem boden ist diese umkehrung fürs 16. Jahr-
hundert gesichert, wennschon leider die beiden lieder, welche ich dafür
anführen will, nicht bestimt datierbar sind. Doch scheinen sie mir
beide im 16. Jahrhundert entstanden, im 17. modifiziert und umgedich-
tet zu sein. In der vorliegenden gestalt ist jedenfals die „bela-
gerung" älter, welche v. Ditfurth, 52 ungedruckte balladen des 16., 17.
und 18. Jahrhunderts (Stuttg. 1874) s. 14 fgg. mit. der qucUennotiz
(s. IX) „Altes geschr. liederbuch aus der gegend von Würzburg**
gedruckt hat Der sehr geschickt gebaute — wie alle stücke dieses
stofkieises sti-ophisch gegliederte — dialog lässt sich erst wie ein ein-
facher liebeszank an, als plötzlich, doch innerlich keineswegs unver-
mittelt (genau beim mittelsten verse!) das mädchen ihre scharfe replik
mit den werten:
Dass ein erbarmen möcht!
G'schwind kommen, eingenommen
Die veste ohn' reste:
Das wäre mir fein doli!
kiirz abschneidet Der so in seiner hofnung auf friedliche Übergabe
getäuschte liebhaber geht jedoch ohne bangen darauf ein und erwidert:
So muss es denn belagert soyn.
Wie klärlich ihr es also wolt:
Konstabier, stucken gross und klein
Ruckt her mm mit gewalt —
Ruckt her nun, ruckt her nun.
Ruckt her nun mit gewalt!
Lasst summen die Bommen^,
Stuck knallen und schallen,
Bresch muss geschossen seyn!
Den ausgang der belagerung erzählen die beiden übrigen Strophen mit
den reden des paares recht nett:
„ „Ach weh ! ich steh in grosser not,
Es stürmet auf mich alzuschr,
All meine schanzen seyn zum spott.
Der feind bedrangt mich schwer —
Bedrangt mich, bedrangt mich.
Der feind bedrangt mich schwer.
1) Bojiime, f. tympanum, nd. buogc: Orimm, D. wb. LI, 236.
358 FBÄMKBL
Werd müssen schwer büssen,
Oder schlagen schamaden,
Die vestung geben her.^**
„Was seh ich drüben auf dem türm?
Ein weisses fähndiein weht aldort
Victori schreit! Braucht's mehr kein stürm,
Man öfiiet schon die pfort —
Man ö&et, man öfaet,
Man öfiiet schon die pfort
0 schönste, angenehmste,
Hie lieget besieget
Eur knecht von einem wort!
Die zweite nummer, welche in betracht komt, ist ein ^galantes
dreissigjähriges kiiegslied" in Des knaben wunderhom ^11, 344, leider
auch in der von L. Erk besorgten neuausgabe desselben ^ ohne quel-
lenangabe gelassen und nicht einmal ungefähr datiert
Die ersten beiden Strophen lauten wie folgt:
Amor, erheb dich edler held!
Begebe dich mit mir ins feld,
Frisch auf!
Mein liebchen ist gerüst!
Als ob sie mit mir streiten müsst,
Sie hat nichts guts im sinn.
Jezt zieh ich wider die ins feld
Die mir die liebst ist in der Welt,
Frisch auf!
Gott weiss, ich bin bereit
Mit ihr zu leben ohne streit.
Wenn sie nur selber wolt
Deutlichsten ausdruck gewint das bild aber erst in der 4. strt>phe
in den werten:
Ihr leib von gott war schön bereit
Die festung ist, dämm ich streit
Frisch auf!
Ihr zarte brüstelein
1) L. Achims von Arnim sämtliche werke. Neue aosg. 1857, 12, 358.
X7M STÄDTE WEBBEN 350
Zwei mächtige basteien sein^
Worauf sie sich verlässt
Die folgenden Strophen führen die bewaftiung der geliebten im
einzelnen aus, doch in einem stile, welcher die niederschrift des gedichts
geraume zeit vor dem aufkommen der widerlichen manier der jüngeren
Schlesier zur gewissheit macht Dabei ist diese kleinmalerei nicht
übertrieben realistisch, hält sich namentlich — in jener periodo beson-
ders anerkennenswert — von offenen oder verhülten obscönitäten fem
und entbehrt doch nicht eines gewissen schalkhaften humors.
Str. 5: Ihr fahnlein ist der Übermut,
Damit sie mich verachten tut
Frisch auf!
Ihr zarter roter mund
Ist spiess und schwort, so mich verwundt
Ja öfters bis in tod.
Str. 6: Trabanten, fussknecht, reiterei
Sind ungnad, falschheit, tyrannei.
Frisch auf!
Ihr klare äugelein,
Die sind zwei feuerkügelein.
Damit sie mich verblendt
Str. 7: So gott mir gönnet glück und preis,
Dass ich das fahnlein nioderreiss,
Frisch auf!
Ich hoff' damit zu sieg'n
Herzlieb, du musst doch unterliegen
Und geben mir den preis.
Str. 9: Denn nimmer hast du die gewalt,
Dass sich dein list gen mir erhalt.
Frisch auf!
Geliebt dir frömmigkeit,
' Kunst, tugend, ehr, so wird der streit
Durch mich gewonnen sein.
Zum lezten male tritt das bild in der vorlezten, 11. strophe, hervor,
wo der liebhaber warnend ruft:
1) Dieser vergleich, vielleicht durch eine falsche deutung von ^brustwehr''
entstanden, findet sich auch sonst; vgl. Köhler a. a. o. s. 230 str. 8 bastiouen. Vgl.
na^td als schi&wand.
360 FBÄNKEL
Ein wenig denke nach, mein schätz,
Eh du komst auf den musterplatz,
0 weh!
Keliren wir nach dieser längeren abschweifung, zu welcher uns
die herangezogene Schillersche scene veranlassung bot, zu der zeitlichen
Ordnung der Zeugnisse zurück.
Von den vier grossen liedmeistem imter der dichterschaar der
freiheitskriege fiel Th. Körner viel zu früh unter feindlichen kugeln,
um schon die belagerung zu erobernder städte ins äuge fassen zu kön-
nen, während E. M. Arndt sich bald seiner knorrigen leidenschaft, bald
seinem angeborenen hausbackenen und volksmässig trivialen tone mit
der neigimg zu einer gewissen algemeinheit und sprichwortähnlichen
redeweise überliess. Daher finden sich nur bei Schonkendorf und bei
Rückert belege für das „um städte werben." Von den erzeugnissen
des ersteren komt für die algemeinere fassung des gedankens besonders
das weihelied „Seiner hcrrin'' (1814) in betracht, wo er sein herz ^in
liebesglut und andacht" für sein „heiliges*', sein „deutsches reich*
entbrennen lässt^. Bei gegebener gelegenheit arbeitet seine phant^e
auf dem boden der oben für das Strassburg des 17. Jahrhunderts vor-
geführten anschauung, z. b. wenn er in seinem von echt patriotischer
begeisterung getragenen gedichte „ Die . deutschen städte " strophe 32
das verlorene Strassburg mit folgenden worten apostrophiert:
Dann wollen wir erlösen
Die Schwester fi*omm und fein
Aus der gewalt der bösen,
Die starke bürg am Rhein.
Meist aber nimt das grosse gesamtvaterland — wie ja auch
16. Jahrhundert öfters — die stelle ein, welche sonst der einzelnem ä:
Stadt angewiesen ist*^. Nachdem der dichter gefragt hat, wie lang:*
„Der stuhl Karls des Grossen" noch leer stehen solle, ruft er aus:
Ach, die Sehnsucht wird so laut!
Wolt ihr keinen kaiser küren?
1) Vgl. F. J. Schei-or, Die kaiseridee dos deutschen volkos in Liedern seiner
dichter seit dem jähre 1806: Jahresbericht des Laurentianuni Arnsberg 1879 s. XVJJ-
2) Eine verwaute Stimmung atmen die verse:
Wer dich nur schauet, muss entbrennen
In liebesglut und andacht gleich;
So lass mich deinen namen nennen,
Mein heiliges, mein deutsches reich!
Eine Übertragung aufs religiöse gebiet biotot sein weih nach tblied , Brich an du* str.-
UM äTÄiiT£ wi<:rüen 361
Komt kein ritter heimzuführen
Deutschland die verlassene braut? ^
Schenkendorfe genösse und mitstreiter, Friedrich Rückert, hat diese
veise richtig als besonders charakteristich für die tendenz seiner lyrik
in die knappen zeilen seines nachrufs verwoben, wo es heisst:
Das ist der Schenkendorf, der Max,
Der sang von reich und kaiser,
Der liess die sohnsucht rufen laut,
Dass Deutschland ihn, die verlassene braut, ^
Nent ihren kaiserherold.
-A^ixf Rückerts eigenes gedieht „Brauttanz der Stadt Paris" hat schon
Köhler s. 250 als auf das einzige ihm bekante dieser art aus dem
19- Jahrhundert hingewiesen. Zur ergänzimg seiner angaben setze ich
die bezeichnendste stelle nebst dem bei Köhler übergangenen fund-
ort her:
Wir mit hunderttausend lanzen
Wollen dir den brauttanz tanzen.
Rückert, Gedichte, auswahl von 1841 s. 153.
Unsere weiteren nachtrage betreffen poetische äusserungen einer
zeit, welche erst nach Köhlers Veröffentlichung liegt, nämlich des
deutsch-französischen krieges^. Für unsere samlung quilt in der rei-
chen liederpoesie dieses grossen jahres ein so unerschöpflicher bom,
da^s ich mich auf eine auswahl des bemerkenswertesten beschrän-
^^xi muss.
Ein stilvolles poem W. Jensens eröfne den reigen um deswillen,
^^il es dieselbe allegorie zu gi-unde legt, die wir oben bei Rückert
^^Hncn lernten. In diesem, welches in der von Franz Lipperheide
'herausgegebenen und verlegten samlung „Lieder zu schütz und trutz"*
li^eferung 11 s. 65 abgedruckt ist, stehen die scharfen werte:
'^^nn nun der eisenring sich schliesst rund um die zweimillionenstadt,
^^tetia, du lautes kind Lätitias, wen klagst du an?
^i^ lüge, die am busen du genährt, der du halleluja
'^^ tausend von altären sangst — sie klage an Lutetia!
1) Gedichte, Stuttg. und Tüb. 1815, s. 184.
. 2) Vgl Obermann, Die kriegsdichtuug der jähre 1870 und 1871. Progr. Zoitss
^^, 8.5^., 17 fg., 21 fg.; zu den ähnlichen regungen vor 1870 s. Koch, Die sage
^ r Riedriob, Progr. Grimma 1880, s. 18 — 31.
362 FRÄNKEL
Und klage an den hohlen prunk, den deiner eitelkeit du dankst,
Und klage an der wollust trunk, den du zur tiefeten hefe trankst,
Die feilheit, die dein mark entnervt, die sich zum götzenbild ersah
Die trinität: gold, macht und rang — sie klage an, Lutetia!
Widerum haftete das nationale interesse an Strassburg^, widerum
mischte sich ein schmerzliches gefühl in den anruf, aber diesmal lei-
tete die klage doch ein anderer ton. A. a. o. 10, s. 15 heisst es:
Vergiss der tage, da um bürg und wall
Des Siegers schaaren, dich bedrängend, lagen;
Vergiss — irnd wär's auch schwer — der wunden all',
Die, ach, der sieger schmerzlich dir geschlagen,
Da er, den Wälschen das geraubte gut
Entreissend, um dich warb mit seinem blut
Im wesentlichen fesselt aber die widerherstellung des reiches d^:z?r
alten kaiserherlichkeit die sänger und so bewegt sich die bewuss ^^e
Personifikation meist in demselben kreise wie bei Schenkendorf. WiJ-
helm Jensens gedankenreichtum fand in der alten prophezeiung
„Es wird ein kaiscr
Auf's neu' um Germania frei'n.
Wenn zum leztenmaJe die Türken
Ihre rosse tränken im Rhein!"
das dankbare motiv zu folgender in seiner weise derb pointierten ulb^
führung^:
Gen Osten mit schwirrender geissei
Treibt die Völker ein Tamerlan,
Und siehe, an seine fersen.
Da heften die Turkos sich an.
So winket erfüllung dem werte —
Schon blitzen die Schwerter zum streich,
Zimi werben schon reitet der kaiser!
Steig auf, du heiliges reich!
und ebenso wird in die neubelebte volkssage vom alten kaiser Barh^
rossii im Kyffhäuser zurückgegriffen, wenn ein dichter' denselben sei
dienerschaft anrufen lässt:
1) Ein sachkundiger, Janicke (Das deutsche kriegslicd usw.) s. 96, sagt:
der alten nMchsstadt mit ihrem ehrwürdigen münstor und grossen historischen ei
nerungen, wante sich die dichtung mit ausgesuchter Vorliebe zu."
2) Lieder aus dem jähre 1870 (Berlin, Lipperheide 1871) s. 12. Über den
gründe liegenden Volksglauben s. Koch a. a. 0. s. 17 anm. 39.
3) Die angezogene stelle ist mir nur aus Janicko s. 104 bekant
t»—
e
UM STÄDTE WKRBKN 363
Auf, Zwerge, legt mir den purpur tun,
Und helft meinen hart mir stutzen,
Zu Deutschlands hochzeitsfeier muss
Der greise kaiser sich putzen. —
mit ist denn endgiltig die frage beantwortet worden, welche Ema-
3l GeibeP ausgerufen hatte:
Deutschland, die schön geschmückte braut,
Schon schläft sie leis' und leiser.
Wann weckst du sie mit trompetenlaut.
Wann führst du sie heim, mein kaiser?
Wie tief aber dieser sinnige vergleich in das bewustsoin des
tschen dichtergemütes eingedrungen war, mögen zwei proben bewei-
, welche ich Uhland und Scheffel, diesen beiden berufensten ver-
orn der neueren volkstümlichen kunstdichtung, entnehme. In dem
A. von Keller, Uhland als dramatiker (1877) herausgegebenen frag-
it Konradin ruft (s. 325) der titclheld, welcher ausgezogen ist, um
L väterliches erbe widerzuerobem, und eben an der seeküste vor
-pel gelandet:
Apulscher boden, freudig sei gegrüsst!
0 erde, die du dem gelandeten
Noch unterm fusse wankst, ich fasse dich
Inbrünstig wie der bräutigam die braut.
^h Scheffel fand keinen passenderen ausdruck für das innige ver-
nis, welches ihn zeit seines lebens mit der alten musenstadt am
kar verband als den sinbildlichen vergleich mit der heiligsten ver-
iung zweier menschen, wenn er in dem bekanten studentenliede
Heidelberg du feine- str. 3 und 4 natur und herz in diesem hoch-
Lhlo zusammenstimmen lässt:
Und komt aus lindem süden
Der frühling übers land.
So webt er dir aus bluten
Ein schimmernd brautgewand.
1) Heroldsrufe» (1871) s. 44 und hieraus Gresanimelte werke (1883) 11, 12 (als
Ki des Alton im Bart"), mit vorschiedonen abweichungon bei Enslin, Die lieder-
»io des deutsch -französischen kriegs (Berl. 1871) s. 146. Über Geibels Verhältnis
lieaem gedankon s. Strodtmann , Dichterprofilo I, 85 fgg. Vgl. Koch a. a. 0. s. 28
U 73.
2) Der trompeter von Säkkingcn (4. und folgende auflagen) s. 39.
364 FBÄNKBL, UM »TÄDTK MTERBEN
Auch mir stehst du geschrieben
Ins herz gleich einer braute
Es klingt wie junges lieben
Dein name mir so traut
Dass aber das alte gleichnis bis mitten in unsere tage hinein
fortlebt, beweisen die — freilich weder inhaltlich noch formell achtung-
gebietenden — verse, mit denen das „Neue Münchener tagblatt** vom
30. September 1888 sein „Wilkommen kaiser Wilhelm DL'' darbrachte.
Ich hebe hier nur die verse hervor, mit denen „Monachia'' aufgerufen
wurde, sich zum einzuge des friedlichen eroberers würdig vorzu-
bereiten :
Wie die braut sollst du dich schmücken,
Den ersehnten zu empfangen.
Und dein schöner leib soll herlich
Wie im diamantkleid prangen.
Mit dieser versöhnlichen Verwendung des vielgebrauchten gedan-
kens schliesse ich meine unter den bänden unerwartet angeschwollene
nachlese zu R. Köhlers reichhaltigen mitteilungen. Wenn ich es unter-
liess, eine volkommcn sachgemässe anordnung zu versuchen, so hat
dies seine ui-sache einmal in der nicht überall möglichen durchführ-
barkeit einer solchen; andrerseits brachte mich von einer kurz uniris-
senen entwickelungsgeschichte des stofiFes die hofnung ab, dass durch
die hier gegebene anregung andere über ausgiebigere hil&mittel ver-
fügende zum sammeln von belegen dieser für die litteratur- und kul-
turgeschichte wie für die poetik interessanten ausdrucksweise, welche
fast auf allen stufen volkstümlichen und künstlerischen dichtungsstils
nachweisbar ist, veranlasst werden mögen. Der der deutschen lyrik
eigentümliche zug sinlic^her vermenschlichung lebloser gegenstände prägt
sich hier besonders deutlich aus.
LEIPZIG. LUDWIG FRÄKKEL.
LITTEEATUE.
Edda Hnorra Storlufionar. Tomus tertius. Sumptibus legati arnamag-
ii»)aQi. Havniae 1880—87 CXIX, 870 ss. 8. Accedunt tabolae lithographicae
quinque. 10 kr. = 11,28 m.
Dio grosse arnainagnäische ausgäbe der Snorra-Edda liegt jezt YoUendet
vor. Vom dritten baodc, der dio arboit abschlics.sen solte, ersohien die osta bilfla
im jabi*o 1880 kurz nacb Jou Sigurdssons todc, der in den lesten jabnn
»
■ MODI, fian m. nnu m 3K
dun warte sich nicht in ili>in manw widmen konto, rlaas er es noch hfitte z\i eiopni
An befriedigondeo abschluüs hritigen köiiDen, Finour JünxsuD hat das werk im goisic
seinvT Tnr^iger uiitl mit tJigurilssoDH rornrbeiteu in lobenswert conservativer weise
vollendet Wdl haheo Hluh mt iluni urHcheinEsn den ersten l>andes die ansiuhten
über die Kddn, uomuntUcli über dtti lmud»obrif[eii und deren wert, volständig ver-
whoben, allein die älteren bSnde waren auf den alten aoschaauugOD oufgebaut, beim
texte war der cod. reg. zu gründe gelegt und In dienern sinne niiLste nach dnr
Hclitnss tibgefasst sein; es calt t^inon alten bau zu vollenden, nicht al>er dIeKen zn
modeiniclcmu. Deshalb moste F. Jönsson van Reinem stajxlpimkte aus von <len
itersQobuugon abstand nehmcm.
in der mitte der vierziger jsbre die aniainagnäischo uommissiun den
boschliuts bsste, die Snonit-Eklda herauKzugeben. üb(^rtruß sie die arbeit Jün Sigunls-
fion und Sveinbjiim Ggilason; jenem fiel die aufgäbe zu, das handauhriftliche material
KU Kajnnietn und zu ordnen, diesem, eine lateinische Übersetzung anzufertigen und
innen koiiimentar zu den skaldonstrophen herzustellen. Ee waren noch nicht einmal
alle memliranon fragmente bokant, alfs Sigurdsson an seine aufgäbe giong, denn in
ilerBelben versanilung, in der ülwr den fertigen ersten band des Werkes beriohtPt
wird, wird zum ersten male das ncugefundene frogmeut 1 eß fol. erwähnt, das doch
für die Eddakrltik so wi<;htig ist (Änt. Tiditk. 184(;/48 e. 131. 105). Eine nnter-
suchnng über das handschiiftenverhältnis, wie wir sie heutzutage verlangen, war der
aut^alie nicht vorangegangen: man legte den ältesten und relativ rolständigsten codex
dieselben zu gründe. Auf dieser baais sulte das ganze werk In zwei starken oktav-
bttnden erecheiiien; der erste solto die eigentliche Edda nach dem cod. reg. mit lat»L-
DEteher übetsetzang und kritischem apimrate, der zweite die gnun inatischen ahhaud-
limgen, abdruck der Ups. bandschrift, das fragmcnt AM. T4S. 4°, den commeiitar der
visnr und was sonst noch im engsten Zusammenhang mit der Edda steht, enthalten.
SohoD lä4S konle der erste band eraohoinen. Einige jähre später, imfebruarl65I, war
Aueh der zweite ziemlich vollendet, der im folgenden jähre ersohien. üuteniessen
hatte sich herausgestelt, dass das angehiiufta material noch einen dritten erheische
[Ant 'Fidskr. 1841l/.'il s. IUI): er solle den Egilssonschen kommentar, regier und
üinleitung bringen und in 2—3 jähren vollendet sein (a.a. o. s. 217). Die aufnähme
des Skäldatal vorlangte jodoch eingehende Untersuchungen über die einzelnen dieli-
ter, andere Interessen der amamagnSanischen commissien traten in den Vordergrund,
J. tjigurdsson, auf Ueäsen suhultem jczt die arbeit ailoin lag, war auf anderen gebie-
ten in anspruch genommen, und hu verschob sich denn die Vollendung von Jahr
zu jähr, uod als Signrdsson im dezetnber 1879 starb, war das Skuldatol ori<t zum
kMnsten teil (bis HallfreA) in der ausfübrung vollendet und gedruckt. Dieser teil
wurde als halbband mit fünf vorzüglichen facsimilia 1880 von der arnamagn. eum-
mission hermisgegeben. In den folgenden jähren hat die Eddaforachung gewal-
tige fortsohritte gemacht: der vernachlässigte Ujisalaer codex ist als hausbuch der
Snorrischen famihe anerkant und dadurch da» ganze handscbriftenverhältnls umge-
kehrt worden, HAttatal ist in neuerer besserer gestalt erachienen, GuÄmundr tor-
l&ksflon hat in sorgfiiltig gewissenhafter, Oudbrandr Vigfusson in leichtfertig genialer
weist* der akaldendichtung eine gesahichto gosohaffeu. Soweit es angieng bat nun
Finnur Jonsson mit beuatzung der neueren arbeiten diesen faden zu ende gespon-
nen: er hat da'^ Sküldatal vollcudet, eine genaue bcHchreibung und Zusammenstellung
der 1inud9chrifto[i als piüfatio gegebou und durch den index generalis die bcnutzung
dar Borirra Edda ungleich gegen früher erleichtert. Es ist schwer, einen alten, ja
verBltcten hau nach der voracbriß oDorkontor meiüler lu voUeotlAn; mMs wird «b>
sicbtsloso Vritili, die nicht auf dorn gugobenon wciIrt xu dünken n^niug, an dorn
sohlosssteiD zu mäkolo haben.
Der Inhalt des jüugst ToUemleten 3. bandeä ist Dkiuuiigfkltig: in dir pial^lnn-
lieii aufKühliuig der baudacliriftcn der 8u. Edda eiitliiilt t-r eiot-n beJtra); tur Utiji!kvt(
ielündiacher gelebrsamkcit naniantlich im 17. jahrhiDilert, duiuh die b^lubung den
toten SkAldntal einen wichtigen und budoutcndon beitrag zur aerwegisob-iitlilndiiichiiii
litteraturgesrhichtn, in dum Index geuemlis ein niclit uti unterscbätiimdciB hilfiuniitid
bei mythologischen und ku1turhiiitoriHi!h(<n arbeiten, in dar aufliisung dnr skaJdAD-
Strophen hilfamitU'! /.um vergtSndnis einer roilie subwioriger skaldeustfllon. Sohnii
oft war iob genötigt, das baeh zur- band ku nehmen und am rat eq fra^u. und ioh
gsBtohe unumwunden xu, daas idi es last nur mit dum getuhle des daiike« gii^ici
die verfnsser aus den hfinden gelegt habe. Baas ich in vielen ponktan ■adunr
Cmsiuht Ino, kann diesen dank nicht achmglem: das ganze werk ist der bodaa, ntf
dem allein alle nenereu arbeiten über die Su. Edda entstehen kontan.
Um die bodeutang und den wert der Snorra Edda zu vorslahan. ist es oi^ttg,
sich in diu leit zu versetzen, in wolohsr das werk entxtauden ist. Eh dHrf wol k«i>
nom Zweifel niuhr unterliegen, da»s dasselbe zu tjnorris zeit und zora grüsaten toil
von diesem selbst aufgexeiubnet, dass niRO seine ontstehungszeit die ente hAlftw dnt
13. Jahrhunderts ist Der ganze norden war christlich; die alte skaldendichtnnK war
im 12. Jahrhundert in verfall geraten und in di:n gedicbteo der bedeutendsten dicli-
ter wie des BJaroi Kolbeinsson weht schon ein anderer ^ug. Schon hatte man begmi-
asa io den nafDa)>ulur dem geUäobtuLSso unter diu anno zu greifen, um das vi«-
stJlndDis für die alten weisen aufzufrischen, denn dieses Gnng immei' mehr aa n
sinken uud die lebendigen kenniiigar der otton skalden waren zum nicht gerinfinn
teil mi verstund! idio phntse geworden, wie sich überhaupt ein almälitiches schwindnn
der alten kenningor aus dem kreise lieidnisuber mytben und noidiscber gerraanisabor
heldensage wahruebmen lüsat In soluher zeit trat Snorri auf, linrangebiidet aaf diTOi
gehöfle XU Oddi in der histonsohcn schule des alten Smmund, von bans aus ein»
kouservativo natur, ein kritisch genialer geist, der den verfall der alten diuhtiuiK
und seine uiKachen wol orkante. Schon in früher Jugend befasste er stuli mit dkli-
terischen versuchen, mehr nachahmend, als frei Bobaffend, doch üIh-t oUus nach*
denkend, alles erwagend. Da mag ihm dann manches aus alter gättervoratwllnog
und sage dunkel gewesen sein, und so kam er dazu alles zu sammein, was er sum
Verständnis der alten diclitung auftreiben konle, um dadurch den zoitgeuossen wider
Verständnis für die oft gohnmebten leeren woilf und weisen zu rorschafl'Dn; «
fühlte, dass nnr auf diese weise eine neubolobung der dichtkunst möglich sei, mid
so entstand der entwurf seines handbuches für skalden, sütne Edda, d. fa. pcMft,
wie schon P. E. Uüller ("über die ächtheit der Asonlfbre s. 70) n. a. und in jüngM«
zeit vor allen E. Oislason (Aarb. 1864 s. 143 fgg.) das weit neblig gedeutet luboB.
Suorri mag daHndbo tnnlUihst für seine Umgebung 1«stimt liabeu, der er ja Jadanät
goisti||!9r ratfeber uud beistand war. Und dass seine saat nicht attf unUhiohlbtron
bodcn fiel, aeigt vor allem sein viel schaffender neffe Storla fordarson, denwn "biA-
torischo vialseitigkoit sich ebensowenig ohne Snonin thoon<t)scho werke bs^rafcn
llisEt wie Uoethaa ftüluMt ohne kentnis der stürm- und ilrnngpitiode. SturiM
gedichtr sind der pnditische erfolg von Snonts Edda. Diese tatsache erkauten ibs
Zeitgenossen ungleiub klarer lüs lit-ut« unsere gelehrten die bedeuluug der Bdda
Tcrstulien. Dwhalh arbfitatt- man sin zu einem synti-matisuhen handbuclio lun, tel
ÜBER SN. EDDA m 367
nach dem subjektiven ermessen der einzelnen boarbeiter von der vorläge wegliess
oder neues, ergänzendes hinzufügte. So haben wir eigentlich fast so viel Edden,
wie wir handschriften haben. Nur legte man nicht Snorris entwurf zu gründe,
sondern das von einem seiner schüler ausgearbeitete werk. Dieses blieb lange zeit
auf Mand der kanon der dichter, wie die kenningar Eddu regia, Eddu listar
u. dgL (Cpb. I, XXVI fg.) zeigen. Zwischen dem Snorrischen original und dem über-
arbeiteten texte ist aber ein bedeutender unterschied. Auch nicht annähernd besass
der Verfasser dos lezteren den kritischen scharfen geist Snorris. Das werk erhielt
zwar äusserlich rundung, aber innerlich wurde es verwässert, auseinandergerissen,
an vielen stellen misverstanden. Durch aufdeckung dieser tatsache allein ist es mög-
lich, die geschichte der Edda und ihre Überlieferung zu verstehen. Zum glück
genügen die erhaltenen handschriften, dass wir die ganze entwicklung klar verfolgen
können. Snorris entwurf ist uns ja wenn auch in einer flüchtigen, oft sinlosen
abschrift erhalten; es ist dies die Ups. handschrift der Delag. samlung nr. 11, die
mit ausnähme des erweiterten skaldatals sich blatt für blatt auf Snoiii zurückführen
lässt Die Überarbeitungen, wie sie namentlich im cod. Worm. (AM. 242 fg.) und
cod. reg. (2367. 4^) erhalten sind, haben nur secundären wert, die nicht selten Snor-
ris klarer denkungswoise mythologischen und sachlichen unsinn unterschieben, den
wir freilich selbst in gelehrten arbeiten noch heutzutage nicht selten als lauteres
gold altgermanischen götterglaubens aufgetischt finden. Diese tatsachen in der
geschichte der Eddaüberlieferung sind nun, wie schon in Rasks ausgäbe, auch in
der amamagn. geradezu auf den köpf gestelt: man gab die jüngere Überarbeitung
als xu'sprüngliche Edda heraus und druckte nur, mehr des materials als des wertes
wegen, ^iaa eigenÜiche werk als ein verdorbenes und verschnittenes litteral ab. An
diesem von Egilsson und Sigurdsson vorgeschriebenen wenn auch falschen wego
liess sich nichts ändern. Dagegen war zu erwarten, dass F. Jonsson vielleicht am
schluss seiner einleitung betrefs der handschriften entweder über das neuerwicsene
redaktionsverhältnis der Edden kurz berichtete oder dies widerlegte und die alte auf-
fassung als die richtige erhärtete. Von keiner soite hat sich bis heute gegen die
von Müllenhoff und mir verteidigte ansieht Widerspruch erhoben; ja sie darf wol
jezt von allen als tatsache angesehen werden, die in eddischeu dingen urteil und
kentnisse besitzen. Statt dessen lässt sich F. Jonsson auf das Verhältnis der hand-
schriften und redaktionen unter einander überhaupt nicht ein; er berichtet über die
geschichte der einzelnen handschriften, gibt nach bekanteu mustern ein Verzeichnis,
wie die einzelnen laute in jedem codex, namentlich im reg., widergegeben wer-
den und fügt dazu ein algemeines urteil über die handschrift, aus dem wir gerade
soviel erfahren, wie wir schon nach erscheinen des zweiten bandes wüsten. So
heisst es über den cod. reg., über dessen geschichte wir manchen neuen und schö-
nen au&chluss erhalten (s. XLY): „Quamquam codex varüs ex causis reprehendi
potest, tamen pretiosissimus et summa reverentia dignus*^; es folgt darauf, wie er
allein den OrottasQngr, die Jomsvikingadrapa des Bjami Kolbeinsson, das Malshätta-
kvsedi und noch vieles andere enthalte. Die Jomsvikingadrapa und das M^h^tta-
kvaedi sind anhängsei, die mit der Edda überhaupt nichts zu tun haben; vom Grot-
tasQngr hat die dem reg. vcrwante aber entschieden bessere handschrift AM. 748. 4^^
nur die erste visa; das ganze gedieht ist also nur vom Schreiber des reg. aufge-
1) In der ausgäbe als AM. I. eß. foL bezeichnet, das nach der nenordnong der amamagn. nu».
aof dem richtigen platz gokommon ist (Kalond , Katalog ovor den amam. handskrs. I. h. s. 5).
368 MooK
nommcn worden; die zusätze, die aber sonst der reg. hat, wie der ganze abschnitt
aus der Nibolongensago u. dgl. , erweisen sich bei nur oberflächlicher prüfung bald
als späterer Zuwachs. So spricht vom eddischen Standpunkte aus die fülle seines
inhalts nicht für, sondern gegen die gute der handschrift. — Roiner und ursprüng-
licher, wenn auch jünger, steht in dieser beziehung der cod. Worm. da. Über diese
handschrift fält F. Jonsson überhaupt kein urteil, obgleich dieselbe von einer reihe
nordischer gelehrten als die beste bezeichnet wird (vgl. u. a. Vigfusson Sturl. I, LXXXI.
Cpb. I, XlilV). Es wäre demnach nicht nur dieses, sondern auch ein Verzeichnis
der stellen erwünscht gewesen, die in der handschrift vom cod. reg. abweichen,
sich aber nicht in der od. AM. finden. Es mag ein solches hier folgen; wenn
ich dabei auch rein graphische abweichuiigcn mit verzeichne, so sollen diese zni
Charakterisierung der Schreibweise des cod. dienen. Ich lege dabei die ed. AM. zn
gründe.
AM. 4a: fvrärlcghn; — 10g vandlegha. — 14, }iofx. — 16* hugh, — 16*
dagh. — 20' manndom leghrm. — 24^ draldix. — 26 j fehlt „godr ok.** — 28*
sem nv h. — 30* * noreg ok svipiod i danmork ok seixland. — 34* t mot; —
34* f. srä; — 36** huit; — 42* fylldix; — 46* ^ vox vtuRr rinsiH hetidi; —
46" steinana; — 48, steht rpp im cod.; — 50' gafu ataä; — 50^ kHn\loü; —
52, metinerniT\ — 54* er kollod er; — 54* a iordv; — j5t, /ra4a, Pctda fast stets
im cod. ; dsgl. hat mikill in den synkopierten formen ck, im dat sg. und pl. myeklu,
mycklum; — 78** er himinbiorg keita; — 82*® vordtnn; — 82** f. ek; — 82"
vindltö (d. i. Vindlioni oder Vindlion); — 84 ^ herianu; — 86* alfodr; — 86,
af Palm atbrrd (so hat die handschrift yna auch das von ihr abgeschriebene fragm.
AM. 756 zeigt); — 88* hat im cod. tu sinar gestanden, wie auch AM. 756 hat; —
92" of giarfa sali; — 98** i mvnn hans; — 106® ßreskolldr; — 110, Pa «egir; —
112* hat W ursprünglich skvlo rer niega; mega ist zwar durchstrichen, aber
erst von späterer band. Daher steht es in AM. 756; — 112* ~* ^ leggi <rifn
ydar; — 112^ i mnnninn; — 116® allfqdr (nicht allfodry was in W gar nicht vor-
komt);— 116** und 130** dyra; — 118** trUdar (hätte der Schreiber tcUdar schrei-
beu woUon, so hätte er talldar geschrieben; auch 120® hat die handschrift taUkif
wie r luid r); — 122* Pa «egir freyr; — 124, niannfiqldifm; I3O5 tnannfioläi;-
124e at (PI ma;— 124, at aptni; — 128® alfodr;— 130^ Pa segii har;— 130»*
fn'orrm trgrm; — 136g smidat sem rant rar; — 136, gallt h&an Pa; — 138*
lofty wie überhaupt fast stets für i)t : ft steht; so gaftiy eftra 142g u. dgl.;— 140"
sakir\ — 140** ramwr; — 142* ef Per kpfinrt; — 142,, son bonda; — 142,
draldix; — 142^ tal4i; — 146* rahiar sa madr stod vpp skiott; — 146'*»
braut; — 146,, lagda a bak «or, gekk fyr vm daginn ok steeg hrlld storr; -
148* Inrsar; — 148*® dmiar; — 148** iidi; — 148, rm vangann; — 148, fr^-
ar; — 150^ framan ril mids dags; — 150, vnlliom spalanna; — 152* Pri mrf^
komv; — 152** moti L; ebenso 154^; — 154, prceyta vm drykkjr; — 156*«^
Äva; — 156* pikk-i; — 156** cei; — 156, erendit; — 156, stikül; — 156,^
ßiinr fyrva sinnt; — 158® f. md kann; — 158® feng\i\ — 160 ,0 ok bad; — 16Öj
pcgvix er dagadi; — 162* brott; — 162* hremreg; — 162* rsavnd; — 162** Z'
hrfd'w; — 102, f. ok; — 162, pialra (wie meist); — 164,^ uordii; — 166, /•*•
semd; — 168® ^orr brott; — 168** til sioßr; — 172® Pa «egir haar; - 17*2*
dr<eymdi; — 174® a/ t'\\ risan; — 180** eretidi sin; — 180** hoti «egir *va; ^
182* f lagsliki; — 182*® Enu kastadi; — 182** skildi: — 182, nidr millm
steina; — 184, f. pd: — 184, landskiapta; — 186® sakir-, — 186** AoWrm; -
ÜBER SN. EDDA m 369
>k er hinu ttedri kioptr a wrär eti hinn efri riä himin; — 190" fefirisrlf
h AM. 756); — 192„ ed alldfia tre; — 194* begint in W mit Hrymr wio
litelanfängen eino neue zeile, gerade so wi^ in 756 und auch in r. Des-
Q lässt der cod. für die initiale freien räum. Auch die folgenden visuraufaugo
i "W und 756 durch majuskel hervorgehoben, was sonst in der handschrift
er fall ist; — 198^ /a «rarar pridi; — 208® Ipt^rm (nur hier und 2583 P
ut in der hs.); — 208^ ok annat sinn; — 210* Ix^gtma; — 210'^ griot; —
pmg; — 212* pinslom; — 212* hrmddr; — 212 '», 212^ ^esir; — 212„ vm
i, — 218 g Bragi «egir; — 2208 b^lf^erkr; — 220 3 ai ßmr skvlv freista; —
i; — 222"» kann ich auch in W nur lia lesen; — 222« f. ßd; — 224*^ ard-
— 224*0 hofctskaaUlin;— 226^ of ragnarqkk; — 226" hofdi en drefna; —
[küles; — 226, at ßa arkrßorr; — 228* vid ragtiarf^kk; — 228, ^ gvdanna; —
!8* ektare ßa . . . bis 228 , . . . kann drap konnuginn ist von einem anderen
er geschrieben, der durchweg die laugen vokale durch accent bezeichnet; —
ila; — 2283 värgr; — 228^ ßyrmdi; — 228^ hroit; — 232»« Ivaiiga"
— 234,0 vm k.; — 234, f. enn; — 2389 wr/w, was 756 als mins gelesen
— 240® frceyüi d. i. freyju; — 240^ gpd; — 244' ßafdan ist nach der
weise des cod. ßefdan (vgl. AM. 757), nicht ßafdan; — 246 g vni kvced; —
ilisar vagr (nicht vaagrf); — 248 5 f. sem hann kvad; — 250* os; —
?d fiardar; — 252* f. svd und kvad; — 252 »« f. nü; — 252»' f. segir; —
mgord; — 254'^ kvasslegnm; — 258" niox; — 258»'' nur ; ok enn; —
tayptir starkeßi; — 262* gtdrvn; — 262** Äor gete ßess er skndi; — 262,, of
i he fr; — 262 8 /«nn er k.; — 262, grllhihvsta; — 264 g eda rord guda; —
ok bana ok dolg; — 266»* gvdanna; — 266" tofta; — 2Qß^ iqrmvmja'ndx; —
eirradar; — 268** gvdanna; — 268,, faurbavta m/^g vdari; — 270, frceiv; —
a segir hrugyiir; — 272^ hUeypdi; — 272^ von af ßor er rpngmv leti; —
griotrna go'rda; — 274® rm qxl; — 276» sva at f(Ptr hans lagv a halst
— 276 ,„ W hat: enn ^igi sy^ni smvm; — 276 « broti; — 278» ok giordi
af; — 284® rer/ /at; — 284»' flavg mitt sinn; — 284»* sakir; — 284»*
7g; — 284»« leit moti; — 284« fiefdi farid; — 284^ ffetniv; — 286" f.
286»* ßa ox hofi «va at vppi bravt a oxl Äonv/w. ßa qwSLd /rann ßetta; —
k sai ßorr ßar; — 288 , ßa l<etr; — 288« endilangri hqll; — 288 g geirr-
— 298»® tM<?; — 298^ fv^mgengv; — 300* bra^olir; — 302» r/w/ir; —
versv; — 304, f. Ä/ww; — 306' galla ist im cod. ganz unsicher. Nach g
t sich im pergamente ein loch; die endung aber ist mehr ia als la; — 308'
dar; — 308 ** fetmcila: — 310' dr^i; — 310,0 loddi; — 310« frodgum ist
Qsicher; die abkürzung nach f kann ro sein, doch scheint nach dieser ein g
en zu haben; für d ist kein räum da. Zwischen g (V) und v ist über den
iben om loch; — 310, of roni; — 312* fcera; — 3128 varv (wie 756); —
314« fehlt ursprünglich in W und 756; es befindet sich in beiden codd. ein
aum, den in W der Schreiber der 2. papiereinlage (Sven Jonas?) nach cod. r.
eben hat. Diese Strophen auch im Variantenapparate mit AV zu bezeichnen
tathaft; — 314, Hcqxsv (wie 756); — 318« 5va seni bragi ^vad; — 320**
i; — 320,, ok golf; — 320^, sior dyranna; — 3206, 322,^ JuxUfrodr; —
ver^p; — 324® sva «cm Refr gvad; — 326« kiapta; — 326« snegrmid; —
jT longv; — 330* kann ich auch in W nur hrind lesen; das d hat zwar
nen Schnörkel, aber dieser ist schwerlich die abkürzung von ir\ leztere geht
m der rechten seite nach links; jener (/-schwänz, den die handschrift oft hat,
(CSRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXn. 24
\
370 MOOE
geht nach rechts; — 330», 332*- *, 334* u. oft. hreisv; — 330, kana ich nur lesen
rm htios vin, so hat auch ganz deutlich 756; — 334" had* (d. L er), wie auch
756: had er; — 340* fyrir dyrtim; — 340* lund; — 340" lavfcBygiar (so luch
756); — 342' ßar ril enn smi4rtnu; — 342^, 344" alldregi; — 344, fyrir krtm-
Pussrm ok d^mdr nt (so auch 756); — 344^ Tak ßv; — 346" vü skioU; —
346*^ sofft fyrr rar sagt; — 346 ^'^ f. nicht murgr, sondern of; — 348 ^ WhatA^tt,
nicht Nylt; y ist aber in der handschrift y, nielU j?;* — 392^ h4Pyrda ek; — 396 U.
• störir wie in U; — 396, Tokr ßa ok elldinn; — 396g f. ßeim; — 398' (U hringn-
rm; — 398" ok ßa reik; — 398" skildvx; — 400 ** sa er hqlgi er nefndr; —
400'* //ann rar fadix; — 400 *' /yr svold; — 402" ßmgskaalvm; — 404^» iofrr
(so auch 756); — 410* rid allxkyns; — 410, vm viiaäar rist; — 412* framm; —
412" f. er; — 414, sceng; — 416® ein radinn; — 418" hyrtvfmrm (so auch
756);— A20^Afornnn skiUdi; — 420, drifr ok rotv;— 424« hirggvx; — 424 ^W
hrcgynird'iry das zweite r ist über d(^r zeile, aber es iK^findet sich unten ein strich,
welcher andeutet, dass das r nur eingeschrieben, nicht aber kürzung für ar sein
soll. Als leztere hat es fi^ilich schon der Schreiber von AM. 756 aofgefasst; —
4249 ^^ ^^'* ''^^ riiad; — 424, sa er frcpiv (so auch 756); — 426" vm. rtiya; —
430" Spiot er ortn kalladr; — 432* rid strengia; — 432" el eda vapn hiadninga
elUir eda render; — 432 y ok dottir hans brott tekinu; — 432, ßar rar /yr Minn
wod sitt lid; — 434- Hogni sraradi strt (so auch 756); d. i, sttät; — 434' f.
ßeir; — 434« Sca ok; — 436'' bfeti ßrvdr; — 436, hat W ursprünglich at\ di»
ist aber unterpunktiert und of darüber geschrieben; — 438* nach reidtar hat V
noch w.; — 438 j Her er ok b(edi; — 440" Hpqtsv skal skip kerma; — 440'*
ofridr; — 442*° slod sior; — 442" redr lidi (die note in AM. ist unklar);— 446'*
//rerw reg skdl kenua kr ist; — 446 ^ rammr; — 448" ervci; — 450* girkia; —
45O7 fnatmanua; — 452*^ rar ritat; — 452" landsteki; — 452" rord landx folks; —
454^ folkstiora; — 456" havlldar; — 456'** hafa /wed ser ril fylgdar; — 456,*
dantftork; — 456, Äonung/; — 458'' opt; — 460" 8^; — 462, ok enn ^vad Atni»
rm ßor/hiu iarl; 606« ßat er; — 606, orda fiolda; — 608* fyüa ok fegrm
trtddl; — 608' ßat err; — 608* dragax framtn; — 608« i qdrv ordi ok kitur
fiorda srm her er; — 608" hness; — 608, ^ her crv allar; — 610* mtnat; —
610''' ok hinr fiorda; — 610" ordit; — 610** dettJtent ok dvnkefU ok #wed »i#-
rrrm; — 610,, fyrsta ok; — 610, ör afiarri; — 610, f. leyfi er ßat, — 610, 0*
ü
lidhemlitiyax. Siacuda at hafra; — 612- viij. at ueyta; — 612^ Tivnda efrist;-^
612« f. srd; — 612** rda sia fda .sa; — 612" at er e. (d. i. eda) enn at ma
hafra; — 612, ringiord; — 612, / egrewli; — 614* hendinga; — 614* ymsvm;-^
6I42 XVIffi.vlt;— 614« fi*\;— 614*^ tra maal;— 616N;r;— 616, Ptndrcrfrs:"
618* f. efi; — 618'-^ ok hid ßridia; — 618^ hefr; — 618^ rennUyr; -
620* / hittr sidaxta; - 620'' f. hättretiu^ ebiMiso vor den folgenden visur; —
622" / ßv\m hiPtti, — 622' ßar ord er olikext; — 622" ok erv her af ff^
sitfti ord; — ()22, rerr *v/'/ir oiikt er at scekia ok rerw»; — 624* f. ok srd; —
624 ■• iord er laud: — 624» ef saa /"err; — 624* saa flytr da brart; — 634*
ßat err lios ord; — ()24 "* sdd drtif'ir srndr er skilr e.n sdd fylkir er saffuii; —
624**- f. ßat; — 624'- f. ok enn (vgl. U); — 624" f. i; — 624** f. ßai; -
1)24^ ras'n hin hvildr; — 624^ hid VIII riscord; — 624^ f. ntalt; — 624, f.
ßd; — 624, siks ylod er gull; sickir grllx er madr; — 624^ haf; — 626'
1) Dio vMriuito» der eingofUi^tMi papioiUlttor sind nicht «agogeben.
i
371
— 626» (f. ok) fiav ere li-enn i htfirir
:,- — 626, tahs; — 626, I setta nriti er
■ 628' (. e*.; — 62Ö' f. Ot; — C26' f.
^it er m»Ar (wie U); — 626" voakat;
tisBordi^ — 626, (f. ok) slitvar dvl utlai
av» (wie tl); — 628* nl kalla ai blo4; -
at; — 628" fr^nSr; — 628, daila; — 628, f. svä; ~ 630' l er svä; — 630'
fraatm: — 030" i hrerw orüt — 632, ok hine fiorda: — 632, ok «■ ein »nni-
alafi i milli ok hkax: — 634' i hinr fyrula: — 034" ok oräa lengä: — 634'*
gda fr helidr fyr; — 634, firdtim: — 636° PVss; — 63ß„ friti» bleika; — 636,
etn; — 636, S'eiHä; — 636, {f. upp) anat vistwd; — 638' f. w»; — Ü38" mA
toffit: — 638* vegrakkr;— Ö38" styria;— 638^ i wt//rm Pelra.— Q4ß* gr/r: —
640, »■ i/dmokfiorOa v.;— 642, i«» «iWa;— 642, mmirm: — 644' oi «ton*»; —
644' baaOar; — 646' roato (wie U); — 646'' «" ?(frp ok IIU. r. o. ok aekil; —
646" »em fnanarxt: — 646" (X en bar: — 646, skialfhenda moit adal/ictulitigriu
bid pridia p. o. i liiyamia kelmingi: — 648* framdi%; — 648" Aer erp prennar
aäalhnulitigta ; — 648"' fmu; — 648" »amttafa (vgl. Xi); — 648, Aar er; —
650, her »kiptir litftCi; — 650, hliodfylUttg\n\ (wie U); — 652'" drotikeedine ; —
654, a-ikkrja (wie U); — 654, grotlp; — 654, kann fröda-, — 656' » ßUaaUken-
din^:~ 656* /at er «igi r«((;— 656,„ ««/ (Tor(:— 656, kurndi se ort eplir (t.ok)
tr pa; — 6Ö65 kliengr; — 656, fqr; — 658» pi d. i. j6o«; — 658" (»7 hending
«r; — 658, vellbroti (wie Ü); — 660,o f. setn; — 660,_, audi aad» i gvlH; —
882" Aer er 1 A««p .(«j, pmp ortf»; — 664" Aar err qlt vt'sv ord styfd, pesair
ktUüt greindir i Pria sladi; — 664" annan: — 664" ok er pat haalaftjU: —
664, geisa: — 666, fom skaaldin bafta; — 666, samt nl haattafqUcm : — 666,
£M bis luetti f. iin uml.; — 668' zwischoo kvitan imd /ryni bt ein freier räum
TOn o. 20 cm; — 668' i a-e/ü (wie ü); — 668' oiirfo tinr (wie U); — 668" iarU
megin (wie U); — 663' luiatkyaa: — 668" u. oft. droUkeadt; — 670" yaf max-
jran rfuj rat;j«; — 670" kaattitysa; — 670" ok ridhendnr; — 672" ahiatlda; —
672, Nr i-rr peAr htetUr: — 672, kimlal»^; — 674* glyggi: — 674,, /?r; —
674, eeg rm; — 674, Are^i Uggi; — 676' pndgagh; — 676' gngta; — 676"
driftrm; — 6T6„ £VtQ or Qffrv oi Amv ^onfo nuäf dfata; ~ 676, »Iqkkr^: —
678' Act- ptf Pit; samsf^fur » r. 0. bbii hendingar ok elafa shipli »em i krgfihenih
(«Um alldem fehlt); — 678,, r?*i»ni.- — 678, lUt; — 680' nyddi aserdmt (bo ver-
mag tob nur im cod. xa lesen; erst eine jüngere liaiid scheint etwaa verbessert ku
luibeu); — 680' f. krerjUi — 680" f. AiW; — 680» f. Pat; — 680, orla ok; —
680, alfr&inos, vU»ng; — 682' öm er /at /ram»; — 682« M- err Aer; — 682" f.
tä: — ü82„ f. er; — 684' ok Uij; ~ 684' f. *pö; — 684' «ein i ^Uertedtna.
itaUi. — 684' (TP (ly. janisfqfvr rc-Z/ar; — 684» f. ein; — 684" fioUnn (was nor
g^ltam/t sein kann); — 684, ona( o4 AiÄ tiy*. v. 0. -, — 684, hofrtttafinü-, —
684, rm »««(('; — 686 ' Aer er sio/Aaudiog 1 fyrsla; — 686' f. hatti; — 686» titg-
btffi (vgl. liigtiKflt); — 686" r. enp; — 688' Aer er t /V"(tf; — 688' f. mw; —
888° oi /iMf fiorda; — 688' fwfaj; — 690* oh tr/er: — 690, bivd httrdr: —
69üi r. A<eflt": — 692' i hhir fynta ok pridia ü. o. ßo al v. ot; — 692» f. env: —
692'* ok »tyfd «I fyrri: ~- 694* lyplax Jena oflidi: — 694" vi »amitiilur ok aigi
rangt Poat; — 694, blaeegg; — 696* * risv ordi Axarii) ok n adalhending: —
686' hueßtan — 696' wUlrandiT (d. i. üüt.. wie bei Mi) — 696" hranngardü —
090. rvnhaufit vrr kalladir; — 698, ena qnnvr Mna gidarra htlnaag; —
Wir sehen aus diesem verzeichnia, daas namentlich Hättatal bei angäbe der
lostrton von W in der AU. ausgäbe schleL>ht weggekommen ist. Viele dieser les-
«teo hat natürlich sahen Möhius in seiner ausgäbe dieses teiles dar Edda cur gsl-
24'
372 MOOK
timg gebracht. Im anschluss au dieses Verzeichnis sei oiuc andere unrichtige angäbe
wie der hei-ausgober der ed. AM. so auch Finnur Jönssons berichtigt Ich hatte
schon mehrfach gelegenheit, auf das engste Verhältnis zwischen W und den frag-
montcn AM. 756. 4° hinzuweisen. Das räumt auch F. Jönsson ein; gleichwol reisst
es ihn zu der bemerkung hin (s. LXXX): „sed persaepe lectiones secundum id aut
corrigi aut con-oborari possunf Das ist nicht richtig, denn AM. 756 ist weiter
nichts als eine ganz flüchtigo abschrift von W. Wer diese zwei handschrilten neben
einander vergHchen hat, kann keinen augenblick daran zweifeln. Ich überzeogtfe
s. z. prof. Gislason durch einige schlagende beispiele und glaubte, dass infolge sei-
ner bemerkung (Njala II, s. 287^255)) (üe sache als abgetan anzusehen sei; da dies
nicht der fall ist, sehe ich mich genötigt hier den beweis anzutreten.
Zunächst stimmen in der ganzen einteilung die fragmonto mit dem cod. W über-
ein: wo diese hs. einen neuen abschnitt begint, begint ihn auch 756; nicht in einem
punkte weicht lezteres ab. Dazu einiges andere. AM. I, 64*® scheint der Schreiber
von W erst aus vorsehen nkegia geschrieben zu haben, hat aber dann selbst das^
in p verbessert; 756 las g imd gab es infolgedessen als skeggia wider. — 68* trent
756 YG drasils; in \V endigt nach YG die zeile, daher der irtum. — 72* steht in
W ziemlich hoch hinter hifroDst ein fragezeichen ; dies sah 756 als abkürzung an
und gab es deshalb mit bifrawftum wider. — 86 g schreibt W hertUf^, was der
Schreiber von 756 als berat gr las. — 88*' geben beide handschriften die vierzig auf
ganz gleiche weise wider x^. — 90* macht 756 nach W denselben Schreibfehler
bergriaa f. hergrisar. — 98 findet sich . ganz aussergewöhnlich vor cap. 26 ein
freier räum von c. 15 mm; dei^solbo findet sich auch in 756. — 102* schreiben beidf
handschriften m(>g niv cm etn (do])pelt). — llO^ Ist in W in digrleiks das erste »
einem a sehr ähnlich, daher die Verlesung daleiks. — 112* hat W von haus aus
8k\'\o f'er megaj erst der Schreiber der randnote hat mega rot durchstrichen, daher
findet es sich 756. — 192jj haben beide handschriften ed cUldna tre. — 198* die»
verschreibung unur (f. / mar) in 756 kann nur auf W zurückgehen, da hier das ^
ganz mit nt in /war verbunden ist*; der strich über i, der mehr horizontal als schräg^
geht, wurde vom Schreiber von 756 für abkürzungsstrich über den ersten beider»
grundstricheii angesehen. — 202 ^ findet sich in W zweimal vingnis, erst spätere»
band hat das einemal durchstrichen. Daher Lst das wort in 756 doppelt Dasselbe
gilt 204 5 von den weiten sicr hauii ßa at /«mn steiidxxr uti a sletttim velli, dereu
widerholung in W auch erst später durchstiichen ist Auch 320^ Rad — siitoi^
zcngt denselben fall. — 238 ^ schreiben beide handschriften für bqlva: bolfa. — Per
schluss der llaustl(^ng (.'U2, — 314^) fehlt in W; er ist erst vom Schreiber der zwei-
ten papien^inlage später nachgetragen. Urepriinglich hat die handschrift fünf Zeilen
freien räum. Auch 756 geht nicht weiter als W und lässt ebenÜals einen fr««D
räum von c. 4 Zeilen, der im hinbhck auf die Schreibweise der handschrift dem von
W entspricht. — 324 findet sicrh in W nach bar(eyiar skalld ein freier räum von
.50 — 60 mm; in 756 findet sich eine zeile unbeschrieben. Diese beispiele mögen zei-
gen, dass der Schreiber von 756 den cod. W auf ganz liederliche weise, ohne ihn
zu verstehen, abgeschrieben hat; für die Eddakritik ist das fragment volstindig
ll Es bedürfto oininal der untorsachung , wie weit die prftpos. daroh iwutchlngs an das fo^«*'*
Bukst, oder pronom. ihren charaktor als selbständiges wort verloren hat. Sicher xeigen die «iten hMA*
Schriften im norxUscIien un/fthligo )>eL»piolo, wo praop. and nomon zusanunengeschneben sind. DtJi^
scheinen ursprünglich lange praopos. infolge des wort- oder satzaccentos aadi ihre IlDge vetlmrao n
haben.
i
ÜBEB SN. SDDA m 373
wertlos. Dagegen stimme ich mit Fimiur Jonsson betrofs des abfassungsoiies übor-
ein: alles weist darauf hin, dass der cod. 756 im norden entstanden ist, vielleicht
auf Veranlassung des gesetzsprechers Jon Sigmundarson, in dessen händen sich im
ausgang des 15. Jahrhunderts der cod. W befand.
Über den umfang, den einst der cod. W gehabt hat, horscht noch Unklarheit.
Bekantlich fehlt demselben ursprünglich die ganze episode aus der Nibelungeusage
and die erzahlung von könig Frodi, ferner der ganze schluss der Skaldskaparmal
von denUkend heiti an (I, 464), der anfang des Hattatal und der schluss desselben.^
Diese abschnitte sind durch papierblätter, deren inhalt teils dorn cod. reg, teils dem
Qod. Svarf. entnommen ist, ergänzt. Dass die episoden aus der heldensage ursprüng-
lich nicht im cod. gestanden haben , darf wol als sicher gelten. Aber auch der zweite
teil der Skaldskaparmal hat zweifelsohne nicht in der handschrift gestanden: Bl. 35
»chliesst mit den beispielen der keuningar; es beginnen mit bl. 36 die grammatischen
abhandlangen, die 19 bl. füllen. Alsdann folgt die papiereinlage des Svein Jonsson;
oach dieser der erhaltene teil des Hattatal. Dieser fült 6 pergamentblätter; der feh-
lende schluss ist ungefähr gleichen anfangs wie der fehlende anfang. Demnach scheint
BUlttatal ursprünglich auf einer läge von 8 bl. gestanden zu haben , von der das erste
and lezte blatt verloren gegangen ist.
Blicken wir nun aber auf cod. U, wo der zweite gramm. traktat unmittelbar
vor Hattatal steht, so wird es wahrscheinlich, dass die traktate auch in W ursprüng-
lich vor Hattatal gestanden haben, und dass nur durch Svein Jonsson durch den
einschub der papierblätter diese trennung erfolgt ist. Eine andere frage ist, ob die
ükend heiti vielleicht von haus aus vor den traktaten gestanden haben; diese aber
wird sich nicht entscheiden lassen. Solche und ähnliche dinge, welche für die text-
kritik nicht unwichtig sind, lassen sich aus den bemerkungon über W (namentlich
ien ö. XLVn fgg.) nicht recht erkennen. Es sei daher hier noch kurz über die ein-
lil ung von W gesprochen und einiges, was ich bei F. Jonsson vermisse.
Der schön und deutlich geschriebene codex enthält 32 zeilen auf der seite.
jrosse initialen führen die hauptabschnitte ein. Bei kleinen abschnitten findet sich
for die initiale ein kleinerer rechteckiger freier räum. Die eingestreuten Strophen
beben sich nicht von der prosa hervor. Schliesst ein teil eines wertes die zeile, so
leutet ein querstrich ( — ) an, dass das wort noch nicht zu endo ist. — Der codex
besteht aus lagen zu je 8 bl. Die erste seite ist uubeschrieben ; unten stehen die
irorte: Olai Wormii
Dono Amgrimi jonae
Islandi.
Der obere teil der bl. 19 — 22, 27 — 30, 34 — 36 ist sehr zerfressen. Es folgen:
Praefatio — bl. 4**,^.
Gylfaginning 4\o — 20%,.
Bragara'dur 20\ — 22»»„.
Eptirmal 22 \— 22 V
Skaldskm. 22^^,—Zb\^.
Von bl. 27** sind nur 4 zeilen beschriel)en ; sie enthalten dou schluss der forsdrapa
les Eilifr Gudrunarson. Der übrige teil der seite ist unbeschrieben. Zwischen bl. 30
und 31 finden sich 6 papierblätter, die die episode aus der heldensage nach dem
ood. Sparf. enthalten. Vom lozteo blatte sind nur 3*/, zeilen beschrieben. Ein f,
das sich auf der ersten zeile derselben und (»ergamentbl. 31*,o findet, deutet an,
374 MOGK
dass dio blätter hierher gehören. Die ganze episodo fehlt also von haus aas der
handschrift.
Die gramm. abhandlungon I und II 36*, — 41 ^7. Diese schliesscn sich
unmittelbar an das vorhergehonde an. Erst die dritte abhandlung leitet eine grosse,
schön verzierte initiale ein. Dadurch gibt der Schreiber zu erkennen, dass hier ein
neuer hauptabschnitt bcgint, der ursprünglich nicht zum werke gehört. Ausserdem
ist vor dem zweiten traktate ein unbeschriebener räum von 6 zeileo.
Grammat. abhandlungen III mid IV 41**8 — 54*3,. Bl. 54** ist ursprünglich
unbeschrieben; eine junge band hat Marieulieder und andere gedichte frommen inhaltes
darauf aufgezeichnet. Es folgen 9 papierblätter mit der Überschrift: cfe »ynonymis
aijnplicibus.
Sie enthalten die ükend heiti, die fornn^fn und den anfang vom H4ttatal und
sind eine abschrift aus dem cod. reg. Alsdann folgt im cod. eine läge von 6 bL,
die höchst wahrscheinlich aber einst 8 hl. enthielt. Das erste und lezte, aofEuig und
schluss, sind verloren gegangen. Diese läge hat wol einzig und allein H4ttatal ent-
halten. Zwei papierblätter schliessen sich hier an, von denen das erste den schluss
des Hattatal nach cod. Svarf. enthält, während das zweite unbeschrieben ist Das
folgende pergameutblatt enthält die RigsmiU; das gedieht begint mit grosser schöner
initiale, der schluss fehlt bekantlich. Fünf weitere leere papierblätter deuten den
umfang des felilendon an; sie sind vom schreibor der episode aus der Niflungensage
eingefügt, wie der Wasserdruck zeigt. Zum Schlüsse folgen noch zwei pergament-
blätter (abgedruckt Sn. E. II, 495 fgg.), dio wol das 3. und 6. blatt einer läge aus-
gemacht haben. Die lezte seito, ursprünglich unbeschrieben, enthält von junger
haud lobgodichto auf die jungfmu Maria.
Doch ich verlasse die einleitenden bemcrkungen über die handschriften, um
noch kurz \m dem hauptinhalte des 3. bandes zu verweilen, bei dem commcntar
zum Skaldatal. Es ist noch kein Jahrzehnt vergangen, wo man sich die berichte
über leben und gedieht« der einzelnen skaldcn in den quellen mühselig zusammen-
suchen muste. Selbst Keysers litteraturgoschichte gab wenig, N. M. Petersens so
gut wie gar nichts. Heute besitzen wir nicht weniger aLs drei werke, aus denen
wir zur genüge belehrung über die skalden und ihre werke schöpfen können.
Gudbr. Vigfüsson gibt im Cpl). vor den gedichten eines jeden skalden einen lebcns-
abriss des dichtei-s, geistreich, mit vielen kühnen, wenn auch oft unhaltbaren
einfallen, die um so schwerer controlierbar sind, als rurgend die quellen angegeben
sind, aus denen er die positiven tatsachen geschöpft hat. Infolgedessen ist das
werk zu wissenschaftlichen zwecken unbrauchbar. — Für das Samfund t udg. af
g. n. lit. gab femcM* Gudmundr forläksson sein buch: „Udsigt ovor de norsk-
islandske skjalde fra 9. til 14. Irhundrede^ heraus: es gibt in kurzen ansprechen-
den biographien, denen nirgends die quellen fehlen, einen überblick über die
gesamte skalden<iichtuiig und ist für viele skalden unser einziger gewissenhafte
Wegweiser. Während aber diese Schrift eine grössere zahl von skalden behanddt
vertieft sich der commcntar zum Skaldatal ungleich mehr in das leben und ▼i^
ken der einzelnen dichter. Das alte Skaldatal, das in handschriften der beiden
hauptwerke Snoiris, der Heimskringla und Edda, erhalten war, hatte die dichta
vorgeschrieben, deren lebeiLslauf aufzunehmen war: das grosse gebiet war «lÜick
und örtlich beschränkt, örtlich, indem nur dichter aufoahme fanden, die an oo^
dischen königshöfen geweilt hatten, zeitlich, indem es in der erweitaitea pt/Odi^ I
Upsalaer handschrift mit der zweiten hälfte des 13. jahriumdMtn dbnUiaMt l^ |
ÜBIR BH. IDDA HI 376
) kein bodenkeu, das alte SkiUdatal ohce seine epätenin lüaätzo Snorri in seinem
biien umCange zuzuschreiben. Mogliüii, dasa os ihm eine kritiaohe Vorarbeit za
a gioeseD gescliiohts werke war. Lassen sich doch Tast alle skalden, die hier
^läfalt sind, in Snorria hauptwerken , der Edda uadHeimsknugla, widerfinden, ja
I kleineren zügen zeigt (las Skäldatal mit diosen Übereinstimmung: ßuorri
hte die sagt'Dgestalt Starkada {Heimskr. 20. 22), or kent Bagnai' iodhrok als diuh-
I. E. I, 666), er weise, wie köoig Eystein seinen hund Säur über dio einwoh-
0 PrÄndheim aezte (Heiraskr. 90. 391); was das Skdldatal von fjödöU (iir. 40)
|t, deckt sich fast wortlich mit dem eingangs der Heimskiiogla (s. I), ebenso das,
1 Eyvinda Hdleygjatal berichtet (nr. 158. Hskr. 1 "). Wie aber Snorris
Atere Zusätze erhielt, so scheint dieser selbst ein bereits aufgezeichnetes
pldatol beuuzt zu haben, das sich wol in Stemunds besitz befundou haben mag. Ich
e dies aus der reihe der skalden, von denen wir weiter nichts erfahren, als dsss
I dieaeo oder jenen fürsten besungen haben. Hätte ^norri aus der lebendigen tra-
a gesohoplt, so würde er gewiss auch von ihnen atroiihen orfaliren haben, die
I dann quelle seiner historischen werke geworden wären. Auf alle fälle besteht
sehen dem SkiUdatal und Snorris werken ein innerer lusammonhang, und zur
It dieser jenes zu benutzen und umgekehrt wäre eine daukbare uud gewiss loh-
ide aufgäbe.
iiSG nicht, wem die fruchtbare idee gehört, den toten nanien des alten
Sldatols lebensvolle biegraphien der einzelnen dichter zuzufügen, ob Sigurdssou oder
Jedenfalls verdient sie volle anerkennung und die vollendete tatsauhe ist
t schönste grundstein zu einem corpus scatdicuin. Die zusammonstellungea über
k dichter sind reiu philologischer natur. Ihre virfassor geben das tatsSchliche aus
k quellen und bauen mit diesem einen soliden lebenaabriaa der einzelnen dichter auf
iBproohondo nacbrichten werden kritisch beleuivhtot und das für und wider ein-
k aber klar dargelegt Dabei war freilich die arbeit des bearbeiters des lezten
B eine umfassendere und weitgehendere als bei der bearbeitung des ersten halb-
Als dieser bearbeitet wurde, fand man noch nichts ähnliches vor, man hatt«
I keine falschen ansichten zu bekämpfen, sondern einfach aufzubauen. Der bear-
r des üweiteo halbbaudes hatte dagegen bereits Oudm. I'orliikssons Ddsigt uud
t Cpb. in hSndeo, mit deren verfastwm er sich <)fters auseinaudefsetzeu muate.
iweifelsohno hat er dies mit ebensoviel goschick als scharfsiim getan und
parch manchen eingonistcten fehler Itesoitigt, Dagegen hätte für die geschichte der
Idendichtung, für eine Schilderung ihi'es alniahlichen ao&teigens und Ihres verfals
1 mehr getan werden können- Die philologtsche gruudlichkeit hätte mit dem fei-
I beobaehlungsfiian eines V. Rydberg gepaart worden müssen, und wir sind über-
, dass dadurch die skaldendichtung erst auf die stufe gehoben worden wäre,
1 gehört. Von den drei höhenpunkten eines £gO, Sighvat, Sturla ^örd-
. lÜBst sich dos weite fold sebön und klar überblicken. So sehr es auch
^t, aa einzelnen gestalten die arbeitswoise der Verfasser zu zeigen, so musa ioh
1 doch mit beaprechung nur ebiger stellen begnügen.
Über die sogongestalten Starkads und ki^nig Ragnan) heischen heutzutage
und zweifebobne richtigere ansichten. Nachdem bereits S. Orundtvig Slarkad
B poetische crscheinung, al» das hcldenideal der nordischen wikmgerzeit auf-
1 hatte (Udsigt s. 67 tgg.), ist von Müllenhoff bis ins kleinste ein bild dieser
1 holdeodichtung entworfen worden (DAK. V, 301 fgg-). Auch Bagnars dichtong
t BÜom die Krukumäl wird man nach G, Stomis überzeugendem nachweis als
376 MOGK
oin spätes orzeugnis aus dem onde des 13. jahrhundoi-ts ansehen (Ragnar lodbiok
usw. s. 117). Anders steht es mit Bragi Boddason, den die einen für eine histo-
rische gostalt ansehen , andere dagegen in das beroich der sage bringen. Für lezte-
ros lässt sich aber nicht die geringste stütze bringen, denn was E. Jessen (t}ber die
Eddalieder s. 21) dafür vorbringt, ist volständig haltlos und zur genüge von G.Stonn
(Uist. Tidrkr. 111, s. 72 fgg.) widerlegt worden. Bragis name^ sowol als auch die
gouealogio, die wir aus der Landn. und Egilssaga entnehmen können, haben durchaus
nichts unglaubwürdiges, und während die sagengestalten eines Ragnar, Starkad u. a.
über den ganzen norden verbreitet sind, beschränken sich unsere quellen über Bragi
auf die wenigqn norwegisch -isländischen werke.
Etwas anderes ist es, wie Bugge annimt (Ztschr. f. d. ph. VII, 389), dass di«;
person wol historisch, die unter seinem namen überliefeiten godichto dagegen sinte-
ren Ursprungs sind. Die frage hart bis heute noch der lösung. Jedenfals spricht das
geschichtliche über Bragi, das uns die quellen an die band geben, nicht dagegen.
Es darf jezt als ausgemacht gelten, dass die sagengestalt des Ragnar lodbrok in dem
könige Roginfridus der Lorscher annalen, der 814 nach kurzer herschaffc fiel, ihren
historischen hintergrund hat. Von Bragi stamte in dritter linie der herse ArinbJQrn,
der nach der Egilssaga (c. 41) etwas älter als Egil war, also ungefähr 900 geboren
sein muss. Rochnet man das durchschnitsalter der mutter und grossmutter 35 jähre,
so kommen wir auf das jähr 830, m dem Astrid, Bragis tochter, geboren sein
müsto. Das weihgoschenk , das ihm Ragnar spendet, zeigt Bragi als rüstigen, taten-
dui*stigon mann. Es spricht also nichts dagegen, wenn wir sein leben zwischen die
jähre 780 — 850 legen. Vigfüssons Verschiebung (835 — 900 Cpb. ü, 2) ist ganz unbe-
gründet.
Das todcsjahr von Gunnlaugr ormstunga (s. 323) habe ich in meiner ausgäbe um
ein jähr verschoben (auf 1009. s. XX). Hierzu sei noch bemerkt, dass der algemein
horschenden ansieht, d sumar bedeute nur „in diesem sommer'', Laxd. s. 104, 17
widerspricht, was auch die herausgeber ganz richtig mit in proxima aestaie wider-
gebcn. — Unter nr. 23 werden Gizur svaiti und Gizur gullbra als eine person auf-
gefasst. Schon der alt<^ Einarson trente sie und Möbius und torUksson sind ihm
gefolgt. Aucrh Finnur Jonsson sucht die wenig erwiesene identifizierung wider auf-
zuheben (s. 541). Zeitlich liesse sich ja gegen dieselbe nichts einwenden: Hjalti
Skeggjason kernt 1017 mit Gizur svai^ti am hofe des Schwedenkönigs Olaf zusammen
(Hskr. s. 273), Gizur gullbni aber fält in der Schlacht bei Stiklastadir (1030. Hskr-
491). Dagegen werden die beiden personen überall in den quellen auseinandergehal-
ten: jenen finden wir nur im gefolge des Schwedenkönigs, diesen bei Olaf dem hei-
ligen. Und wenn es selbst Ottar dem schwarzen nur durch vermitlung seines oheiins
Sighvat gelang, gnade bei Olaf zu erlangen, so ist es wenig wahrscheinlich, dass
Gizur svai-ti, der doch am Schwedenhofe in gleichem Verhältnisse zu Olaf dem hei-
ligen gestanden hatte, wie Ottar, eine solche rolle gespielt haben würde, wie Gizir
gulbra in der tat gesjiielt hat (Hskr. s. 475^. Dazu widerspricht meines erachtens
1) Einen anderen »skulden Bragi Hallsson lernen wir als dichter unter könig Sroxrir und seüita
Hohu Ilakon kennen (Skt. nr. 1.S2. 138) ; ein weiterer Bragi Hallsson erlag der grossen epidemie in N^^'
wogen 1.302 (Fth. aiuial. s. a.). Der name scheint überhaupt norwegisch , nicht isländisch gowe»«» ^
S4>in und deshalb mi'Khte ich den jüngeren skalden Bragi (s. 652) auch für einen Norweger halten, i^
vator des alten Bragi uont das Skt. Boddi. Dies für Boudi za erklären (s. 907 anm. 7) ist ab«' un^tit-
haft, da diu a.'sSLmulatiuii nd 3> dd iui norwegischen nicht vorkamt.
i
Obmu bk. sdju iu 377
auch dei luune. Qizur dos schwarzen buiaame kaua doob wol nur auf ilio scliwnrzo
&rbe Beiner ha&re gehea. Er iiiag denB^lbea in der uiagebtmg vou üjalti, vjelleiulit
Ton dieaem gelbst, erhalten balwu zuni iititcrschiede vou Qjaitia aubwiegervater Qiior
dem weJBseu. Für den beinaineD des jüngeren Gixar stelt man die eigeutliuhe roim
des GoIlbrdrBtidd auf imd nimt od, dos» er ihn aach einem gediclite erholten b&tto,
das er auf ein madchen mit goldblonden augenbraueii gedichtet habe (a. 334). Alleio
dem widerspricht die ülwrlieferung. Die Hskr. Buhi'eibt a\it yullbrä (475". 491").
Ebenao das SlcaJdatal, wo olmo Krund »"iter 62 Guldbnirekaid horgoslelt ist: Ä bat
jfuUbrd, B ist an der entscLoidenden stelle zerfrossen. Die grosse OlaTHsaga (1853)
Bcbrdbt ebeDfals nur guilbrd (200,,. 217,). In der Flb. findet sieh Immer gvü-
brdrfoatri (Flb. n, 226. 340. 353. 355). nur einmal gullhrdrakäld (fl, 31Ö). In
der OH. s. der PMS. findet sich ^».(^6™ (Thomak. V, a. ö6. AM. 325, s. 80. cod.
Holm. 2, s. 30)i FMS. Y, 203 haben wir giülbrdrfostri, ». 80 haben es faat ebenfals
tälQ bandsuhrifteu, nur AM, 325 hat gidlbrdraMld. Entscheidend iHt die stelle
FM8. V, 56, wo sicher zu leseii ist: guilbrd, föatri HofgarSa-Refs, wie die Tho-
Eoassk. bat Hier liegt dar Schlüssel: Oizur war der pflegevater Hofgarda-Refs,
Die Überlieferung erhärtet guilbrd als einzig echten heiuamen. Hierzu trat noch
fögtri Hofgaräa-Reß; aus mis Verständnis aber zog man föatri zu gtdlbrd, liess
Hofgarila- Refn bei Seite und so entstand gulüträrfoetri , das erst in den jüngsten
([BeUen in gutlbrdrakdld umgeändert wurde. Demnach iiiess Gizur sellist „goldbraue",
dn oome, den er nur von der helblouden färbe seiner augenbraueu gebäht haben
kann: diese aber schiiesseu echwaraes haupthaar aus. — Dagegen musa man Jon
Sgordsson recht geben, wenn er den HallbJQi'n hali (s.3T3), den das Skt auf
Koüt Eiriksson (f 1105) und Sverrir (tl202) lühgediehte verfassen lässt, von
Hallhjqm hali, der auf forleif jai'laskald (t9ß4) dichtete, ti'enl. forläksson will
beide identifizieren (s. 145). Wol erfahren wir, dsRS der leztere lobgedichte auf für-
sten gedichtet habe (Ftb. I, 215), allein dies mnsa in der seit knrz nach I'orleifs
tode gewesen sein. Nachdem die Flb. von lezterem berichtet hat, ßihrt sie fort:
So madr bio ßa a ptttgeelH er PorkeU liel tisw. Dies fid kann nur auf die ;ieit
gehen, wo l'orleif starb. Und nach der episode von HollbJQrn fährt unmittelbur
mschliessond dieselbe quelle fort: &* /ro brirdrum Porleifs er pal al mgia . .
(Ftb. I, 214/15). Der erzähtung wünle das ganze Verständnis geraubt werden, wol-
len wir sie zeiüich um einomholb Jahrhundert versuhieben, — So liessen sich auch
zum eralon teile dos vorliegenden bandcs noch eine reihe bemerkungen machen, die
der einzelforschuDg noch bedürfen. Dasselbe gilt auch von der arbeit Finnur Jöns-
sODs. Ein Vorzug lezterer Lst, dass er namentlich auf die eomposition der grösseren
gedichte eingeht and von manchem eine kurze, klare Inhaltsangabe gibt. Eine guize
reihe niuht genügend oder gar nicht erwiesener bobnuptuiigen, namentlich Vigfüssous
und IVirÜikssDns, weist er mit gutem recht zurück. Gegen lezteren scheint er
in einigen pmikten freilich zu weit zu gehen. Man wird sieh zweifelsohne auf
F. J6nSBons seito stellen, wenn er z. b. jene für unsere heldensago so wichtige visa
Oeiali slendr tit grundttr
(FM8.V, 234. Ftb, m, 244) dem torfinn munr zuschreibt, wahrend tormöd Kol-
farünftrsk&ld kein anrecht auf sie hat Dagegen kann ich nicht billigen, weim
F. Jöusson (s. M^) mit Jon Sigurdsson (s, 209) die beiden halbstrophen der Sn. E.
f5p/ kemr (aol) jar/tar leiptra (So, E. I, 232)
nnd par eiga vir ceiyar (Sn, £. I, 210j
378 HOLSTEIN
als zwei eine visa bildende halbstrophon ansieht Gewiss wird niemand leugnen, diss
in einem godichte alhent gestattet ist. Dass aber in einer visa die erste hälfte ganz
regelmässiges drottkvfett, die zweite aber durchweg alhent haben kann, ist zum min-
desten wenig wahrscheinlich.
Neben dem litterarhistorischen werte des vorliegenden teiles möchte ich aber
auch noch den philologischen hervorheben. Nicht wenige skaldenstellen habou ^
F. Jonsson zu textkritischen bemerkungon veranlasst und so erscheinen ziemlich _^
viele in neuem lichte. Es lockt, auch von dieser seite auf das werk noch einzu-
gehen, doch ich werde bald anderen orts dazu gelegenheit finden.
Ich scheide von dem vorliegenden bände der Edda mit der Überzeugung, da.ssj^^g
er, wie schon der erste teil auch in seiner ganzen gestalt die grundlage zu eincr^r «r
neuen aera der skaldcndichtung wird : was wir im Cpb. für alle dichter erwarte^ -^^t
hatten, das besitzen wir im vorliegenden w^erke von einem grossen teile derselbon^rr^a,
Vertiefung in die einzelnen teile dos ganzen, das sei der dank, den wir in erste -^^—^r
linie dem verstorbenen Jon Sigurdsson, aber zum nicht geringen teile auch riniiii^ m
Jonsson schuldig sind.
LEIPZIG, IM SEPT. 1888. E. MOOK.
(•
Lndwig TVirth, Die ostor- und passionsspiole bis zum XYI. jahrhundcr -
Beiträge zur geschichte des deutschen dramas. Halle a. S., Max Ni^
meyer. 1889. VIII u. 351 s. 8. 10 m.
Die Wahrnehmung, dass seit einer reihe von jähren sich für die ältere geschieh -^«te
des deutscheu dramas eine erhebliche teilnähme gezeigt hat, muss jeden litteratu — ^Kir-
freund mit freude erfüllen. War doch seit Hoffinann von Fallendeben und Mo^ *"<^
lange zeit die kentnis dieses wichtigen littoraturzweiges auf einige bedeutendere geii^ ^^"
liehe spiele des mittelaltors beschränkt und fast jeder versuch einer geschichthchei^' -<^"
entwicklung des geistlichen dramas ruhte auf den forschungen jener beiden führe:^':**^''-
Inzwischen waren wider einige spiele durch den druck teils volständig, teils brucC "^'i"
stückweise bekant geworden, al)er zu einer streng philologischen behandlung d .-ÄitT
dramen kam es noch nicht. Erst nachdem Schönbach und Milchsack eine kritis«^ '^'^
gesichtete, auf der vergleichung der einzelnen stücke unter einander beruhen^ ^^
Untersuchung über die Manenklagen einerseits und über die lateinischen osterfeie '^^
anderseits mit überzeugender Sicherheit angestelt hatten, nachdem femer Milchsa^^* ^^
in seiner ausgäbe des Egcrer und Heidelberger passionsspieles das verwantschaftlicl^^^*^
Verhältnis derselben zu älteren spielen mit lobenswerter Sorgfalt erschlossen hattrrrrro,
konte der aufbau einer geschichte des mittelalterlichen dramas geplant werden. D^^*^*^
herausgäbe der Eilauer spiele durch Kimimer, sowie Wackemells Untersuchung üb-^*''
die ältesten Tiroler passionäSi>iele haben sodann ein neues lehrreiches material an d.«^^'
licht gezogen und neuerdings hat Lange die Untersuchung über die lateinisch tz^^n
osterfeiem in einer geradezu ül>erraschenden weise gefördert Denn während Milc^^"
sack nur 28 osterfeiem kante, fand Lange nicht weniger als 224, wovon auf Doutscto"
land 159 kommen.
Auf ein so wolgeorduetes und vorbereitetes material gestüzt hat es L. Wirtii
untemommen, die entstehung und entwicklung der oster- und passionsspiele bis zoid
auftreten des gelehrtendramas darzulegen. Es ist dies in einer weise geeobeheo,
welche unsere gerechte be wunderung herausfordert, da der Verfasser zeigt, dass tf
ÜBEB WIBIU, 08IEB- UND FASSIONSSPIKLB 379
den kaum übersehbaren 8to£f nicht nur yöUig beherscht, sondern auch streng wissen-
schaftlich zu gliedern und zu verarbeiten versteht. Unter diesen umständen und bei
seiner vortreflichen kentnis der andern mittelalterlichen dichtungen ist es ihm gelun-
gen, ein grundlegendes werk zu schaffen, das uns den reichtum der dramatischen
poesie des mittelalters erschliesst und die Stellung erkennen lässt, welche das geist-
liche spiel in der deutschen htteratur einzunehmen berufen war.
Nachdem der Verfasser in der einleitung die ostorfeiem kurz besprochen hat,
führt er die einzelnen auftritte auf, welche die beiden gruppen, in die die osterspiele
nach anläge und inhalt zerfallen, darbieten. Für die erste gruppe werden 7, für die
zweite ebenfals 7 auftritte festgestolt, deren entstehung und schritweise Weiterent-
wicklung sorgfältig nachgewiesen werden. £s folgt dann eine eingehende betrachtung
der anläge der passionsspiele und ähnlicher spiele, wobei eine auf Tischendorfs
Synopsis evangelica (5. aufl. Leipzig 1884) ruhende chronologische roihenfolge der
scenen — es sind deren 49 — aufgestelt wird, welche eine genaue Übersicht über
ihre Verwertung in den verschiedenen spielen gewährt. £s lässt sich erkennen, dass
die umfangreichsten spiele, nämlich das Heidelberger spiel, die Frankfurter dirigier-
rolle und das Alsfelder spiel, fast den ganzen biblischen stoff bearbeiten. Nimt man
dazu die präfiguititionen des Heidelberger passionsspieles, welche der Verfasser zu
erwähnen keinen anlass hatte, so wird man zugeben müssen, dass dieses spiel inhalt-
lich den ersten platz in der litteratur des geistlichen dramas verdient.
An die betrachtung der anläge der passionsspiele schliesst der Verfasser bemer-
kungen über die entstehung derselben. Sodann folgt eine sehr lehrreiche Untersuchung
über die grundlage und die quollen der osterspiele. Der Verfasser verirrt hinsichtlich
der ersten gruppe so, dass er die am häufigsten vorkommenden versikel zusammen-
stelt, um erkennen zu lassen, dass die Übereinstimmung der geistlichen spiele auf der
benutzung derselben schriftlichen vorlagen und quellen, nicht auf mündlicher tradi-
tion beruht und dass die dichterische tätigkeit der Verfasser eine sehr verschieden-
artige gewesen ist, indem sie ihre quellen entweder wörtlich benutzen oder umarbei-
ten und überarbeiten. Als ergebnis wird festgestclt, dass die zahlreichen hymnen
und klagegesänge aus den Marien- und Magdalenenklagen heiübergenommen sind,
dass dagegen für den übrigen text zahlreiche ostergesänge , femer Walter von Rhei-
nans Marienloben, für einzelne stellen auch Martina, passional und erlösung gedient
haben. Als grundlage für die erste gruppe kann der Trierer ludus gelten, daneben
haben aber auch >iele fassungen des Innsbrucker und Wiener ostorspieles weite Ver-
breitung gefunden (s. 69). Auch auf die zweite gruppe der nach inhalt, spräche und
Charakter von der ersten bedeutend abweichenden osterspiele dehnt der Verfasser
seine Untersuchungen aus und gelangt zu dem ergebnis, dass das Innsbrucker und
das Wiener osterspiel als typus und grundlage derselben zu betrachten sind. Die
quelle für den 3. und 6. auftritt sind geistliche dichtungen wie Urstendo, Martina,
passional u. a., für den lezteron auch die erlösung. Die übrigen scenen sind teils
geistlichen, teUs weltlichen dichtungen entnommen. Interessant sind besonders die
anchweise von der Übereinstimmung mit manchen Jastnachtspiolen , zumal mit dem
Neithartspiele, so dass man eine wechselseitige beeinflussung der fastnachtspiele und
der geistlichen spiele anzunehmen berechtigt ist.
Der Verfasser zeigt in diesem abschnitte eine grosse Vertrautheit mit den
schätzen der poetischen litteratur des mittelalters, wie man auch das sorgfältige Stu-
dium der 18 spiele rühmen muss, das er in dem folgenden abschnitt zu erkennen
gibt Hier bespricht er das Verhältnis der von ihm berücksichtigten 18 spiele zu
380 HOLSTKIN
einander und gibt ihre besonderen quellen an, wobei eine sorgfSltige Charakteristik
jedes einzelnen spicles gegeben wird. Für die ältesten spiele wird mit recht ein ver-
loren gegangenes spiel als gemeinsame quelle angenommen. Dem Verfasser erscheint
das Bedentiner osterspiel „wegen der frischen, volkstümlichen, humoristisch -sati-
rischen darstellung, der niederdeutschen lokalfärbung, der gelungenen Charakteristik
der hauptpcrsonen , der ebenso eigentümlichen wie glücklichen erweiterung mancher
sconen'^ als das beste aller ostcrspiele. Von der ein Wirkung der MagdaleDenscenou
des Benediktbeurer passionsspieles auf die anläge anderer spiele sind auch wir über-
zeugt, aber wir hätten gewünscht, dass der Verfasser statt des Hof&nannschen textes
den der Carmina burana in der Oesterleysohen ausgäbe zu gründe gelegt hätte.
Ebenso wichtig für die ontwicklung der geistlichen spiele erscheint uns das Wiener
passionsspiol. Was die Frankfartor dirigiorrolle betrift, so darf üire entstehung ohne
bedenken um das jähr 1350 angesozt werden, da der kanonikus Baldemar von Peter-
weil, der 1382 als verstorben erwähnt wird und von dessen charakteristischer hand-
schrift zahlreiche manuscripte im archiv zu Frankfurt vorhanden sind, an ihr Ver-
besserungen vorgenommen und an den rand bemerkungen geschrieben hat, und zwar
nach dem duktus dieser bemerkungen zu scMiessen, in seiner früheren lebenszeit
Mancherlei für die geschichte des mittelalterlichen dramas wichtigen ei^gebnisse vrird
die in aussieht stehende Veröffentlichung des Frankfurter passionsspieles von 1491^,
das sich handschriftlich im Stadtarchiv zu Frankfurt befindet, zu tage fordern. Es
ist, wie mir herr dr. Froning schreibt, eine kopie von der band des gericht8chreibers-«r
Johannes Cromer. „Aus der Übereinstimmung der versanfänge lässt sich in vieleoH. m u
fallen schliessen, dass das jüngere spiel auf dem älteren beruht; nur ist das jüngertsi.^ ':Te
unendlich viel dramatischer und hat viele wenig dramatische episoden des ältcreiKrrx ^sn
gestrichen; auch fehlen die im älteren spiele so häufigen, aber doch sehr undrama — .Mzsa-
tischen chÖi*e in dem jüngeren fast ganz.''
Dem fünften abschnitte fügt der Verfasser eine graphische darstellung dee*'*?^^ ^-
abhängigkeits Verhältnisses der sämtlichen spiele bei, aus welcher hervorgeht, dass^s-=s.-i^
die osterspiole sich vom Rhein (Trierer ludus) durch Mitteldeutschland verbreiten mz^ -Q
Von hier geht ein zweig nach Österreich (Innsbruck, Wien, Storzing), ein anderec "'t:*'^^
durch Böhmen ebenfaLs dahin, sogar bis nach Ungarn (Erlau), ein anderer nachdfl^ *-"^
dem norden (Wolfenbüttel, Redentin). Die passionsspiele gehen von Süddoutseh- -ätÄ-
land (Benediktbeuren) und der Schweiz (St. Gallen) aus, verbreiten sich dann nacHf "=-'*
Österreich (Wien, Sterzing, Erlau) und Mitteldeutschland (Donaueschingen, Frank— ^3^'"
furter dirigierrolle, Friedberg, Alsfeld), wo sie mit den osterspielen zusammen —
treffen.
Der sechste abschnitt beschäftigt sich mit dem stil der geistlichen spiele,
wird zunächst wahrscheinlich gemacht, dass die weltlichen demente, welche di€^
geistlichen spiele enthalten, durch die Spielleute, die clerici vagantes und ähnlichc^^
leute in dieselbe gelaugt sind. Leztere waren teilweise Schauspieler von beruf, sic^
wurden zuerst von den geistlichen als miispieler zugelassen; als jedoch die weltlichen,
demente hinzutraten, wurden die spiele aus der kirche verbaut, die geistlicheo
musten auf die mitwirkung verzichten und das aus der kirche vertriebene drama
geriet nun ausschliesslich in die bände der spielleute. Im einzelnen weist nun der
Verfasser an den sprachlichen, stilistischen und sonstigen eigentümlichkeiten der ver-
schiedenen spiele den einfiuss der Spielmannsdichtung nach, so zunächst in allen
scenen, in denen Pilatus und seine ritter auftreten, in den krämerscenen, in den
teufelsspieleu und in den Maria -Magdalenenscenen. Der nachweis wird in
ÜBER WIRTH, OSTER- X7ND PASSIONSSPIELE 381
Überaus sorgfältigen tmtersuchung über die quellen, ans denen die dichter der oster-
spiele and der fastnachtspiele geschöpft haben, und über die art der benutzung der
vorlagen durch die Verfasser der verschiedenen spiele geführt. Diese Untersuchung
erstreckt sich auch auf die passionsspiele, welche grossenteils auf grundlagian der
epischen dichtung beruhen. Mit einer bewundernswerten Sicherheit, einer folge
überaus grtindlicher komparativer Studien, kann der Verfasser die tatsache feststellen,
dass sich das Benediktbeurer und das Wiener passionsspiol als produkte der spiel-
mannspoesie erweisen und dass die Verfasser der grossen passionsspiele ihre vorläge
in sehr vielen fällen wörtlich abgeschrieben haben. Derartiger hochwichtiger ergeb-
nisse hatten die bisherigen forschungen über die entwicklungsgeschichte der drama-
tischen poesie des mittelalters sich noch nicht zu erfreuen, und wir können dem
Verfasser nicht dankbar genug sein, dass er sich der grossen mühe unterzogen hat,
ein werk zu schaffen, dessen Zustandekommen nur durch die anwendung des ern-
stesten und gewissenhaftesten fleissos möglich war.
Als „anhang'' (s. 235 — 343) bringt der Verfasser die belege zu den geistiiohen
spielen, durch welche das Verhältnis der einzelnen spiele zu einander klar gelegt
wird. Der Verfasser begint hier mit der markierten Scheidung zwischen oster- und
passionsspielen (A. osterspielo), ohne dieselbe bei den mit dem Benediktbeurer spiel
(s. 278) beginnenden passionsspielen durch den vermerk: B. passionsspiele kentlich
zu machen. Auch dieser abschnitt, der das scenarium jedes der 18 spiele nebst den
nachweisen der Übereinstimmungen mit dem scenarium anderer spiele enthält, lässt
uns auf jeder seite den hohen wert des Wirthschen buches erkennen.
In dem am Schlüsse befindlichen littcratuiiiachweis vermissen wir Fronings
wertvolle kleine schrift Zur geschichte und beurteilung der geistlichen spiele (Frank-
furt a. M. 1884), Milchsacks recension der Kummerschen ausgäbe der Erlauer spiele
(Litteraturblatt f. gei*m. u. rom. philologie 4, 171 — 174), Scherers besprechung der
Milchsackschen Oster- und passionsspiele (Deutsche litteraturzeitung 1881, 50), fer-
ner die erwähnuug dos Lambacher passionsspieles (Progr. Kremsmünster 1883). Die
berichtigungen, die der Verfasser auf s. 350 und 351 verzeichnet, lassen sich noch
um das doppelte vermehren; es sind meist druckfehler, die sich jeder leser selbst
verbessern kann. Doch möchte ich folgende wichtigere hier anführen. £s ist zu
lesen: s. 123 z. 8 v. u. von vom, s. 139 z. 10 Mono U, s. 146 z. 17 brauchbarer,
s. 147 ostensiones und Intendant, s. 161 Herodias, s. 191 und 193 Einbecker sünden-
Call (unter wegfall des kommas), s. 204 und 205 Wackemagel st. Grimm, s. 212 z. 11
jenes gedichtes konte ich nicht habhaft werden, s. 235 Hoffmann st Mone, s. 238
Pasche, s. 305 mane nobiscum, s. 345 Pfeiffer, s. 346 unter Krolewiz: lösch st Sich,
s. 350: zu s. 53 z. 3 oben st. unten.
WILHELMSHAVEN. HUGO HOLSTEIN.
Friedlieh Nieolais kleyner feyner almanach 1777 und 17 78. Erster und
zweiter Jahrgang. Herausgegeben von €^rg Ellingrer. Berlin, gebrü-
der Paetel. 1888. XXXVI, 64 und XU, 86 s. 8. 6 m. — Auch u. d. t: Ber-
liner neudrucke. Herausgegeben von prof. dr. Ludwig Geiger, prof. dr.
B. A. Wagner und dr. Georg Ellinger, 1. und 2. band.
Das neue unternehmen, das hier glücklich und passend durch Ellingers
emeuerang der Nicolaischen volksliodersamlung eröfnet wird, soll vergriffene ältere
382 BOLTR
werke aus dem litteraturlelKJo der mark Braüdenburg, wie N. Peuckere gediehte,
Schmidt von Wemouchen u. a. algemein zugänglich machen.
Die beiden zierlichen bcöndchcn des ^kleynen feynen almanachs vol schönerr
echterr liblicherr volckslieder", welche von den zahlreichen seither aufgetretenen
samleni auf diesem gebiete floissig ausgeuuzt worden, sind bereits so selten, dass
man nur mit grosser mühe eines cxemplars habhaft worden kann, und so wird der
vorliegende abdruck vielen freunden der volkspoesio eine wilkommene gäbe sein,
zumal da der herausgeber den text sorgfältig revidiert und mit einer gut orieutiereo-
den einleitung voi"sehcn hat.
Seitdem Herder in den Fragmenten über die neuere deutsche litteratur und in
den Blättern von deutscher ail und kunst die junge dichtergeneration auf die wider-
belebung des deutschen Volksliedes hingewiesen und den wünsch ausgesprochen hatte,
es möge ein deutscher Percy aufstehen, welcher die verstreuten reste desselben im
Elsass, in der Schweiz, in Franken, Tirol und Schwaben samle, waren manche die-
ser mahnung gefolgt. Besonders aber widerholte Bürger im Deutschen museum 177G
mit driuglichkeit Herders klag*>n über die gelehrte Vorbildung seiner zeit und ver-
langte, dass die dichter sich in ihren balladen das Volkslied ziun muster nehmen,
und ihre Wirkung nicht auf wenige gebildete, sondern auf das ganze volk berechnen^z^v u
selten. Diese forderungen und der et^'as übei-schwängliche ton in Bürgers aufsatzc^^ ^c
gaben dem Berliner kunstrichter Nicolai den plan ein, in der maske eines deutscheoc:^^ -^q
Percy aufzutreten und die widorbelebuiig der volkspoesie mit denselben parodistischeirzH^ ^sin
mittein lächerlicih zu machen, die er kurz zuvor (1775) in den Freuden des jongec:^ «^n
AVerthers gegen Goethe verwant hatte. Auf Herder brauchte er keine rücksich*' -«zÄTit
mehr zu nehmen, da seine Verbindung mit ihm gelöst war. Längst wol hatte e: <e^ er
mit dem nüchternen beobachtucgstalente und dem sammelfleisse, welcher sein^-M-v na
Beschreibung einer reise durch Deutschland oder seine Beschreibung von Berlin un<»-ÄZ«in*!
Potsdam kenzeichnet, auf fliegende blätter und alte liederbüchlein geachtet, abe'-:::^^-^^'
darin nur curiosa erblickt, denen kein moralischer nutzen und keine fÖrderung de^^ ^^^
dichtkunst innewohne. „Wenn man solche Volkslieder im original ansieht^, schrief -^e:^ i^'l
er an Gebier, „so erkent man deutlich die torheit derjenigen, welche der weit w&bs^-ss^^sss-
machen wollen, als ob aus den schrecklichsten hecholträgerliedem der wahre zaube •^i^"*^'"
der dichtkunst oder gar der geist der nationen ausfindig gemacht werden könne.' — '^^•''
Von seinen l^ekanten, wie Lessing und Justus Moser, erbat er sich beitrage um
äusserte sioh dem crstereu gegenüber auch offenherzig genug über die von
befolgte methode: mit heimlichem vergnügen habe er einige schöne stuoke Euer8^e=ä*t
ans licht gebracht, al)er wisseotlich einige recht plumpe darunter gesezt, damit
anschauend sehe, dass wahrhaftig nicht alle Volkslieder des abschreibens wert sim
Eän zweites mittel der parodie ist die absichüich verzerte und überladene schreib- —
weise, mit welcher er die lilstigen konsonantenhäufungen des 16. Jahrhunderts über —
bietet. Auch gieng er mit seinen vorlagen oft recht eigenmächtig um. Deutliche:^
noch zieht er in der vorrede, welche er einem handwerksgenossen des verachtetec^
meistersängers Hans Sachs, dem schuster Daniel Seuberlich tzu Ritzmück an deT
£lbe, in den mund legt, gegen die originalgenies zu felde; aber seine parodie des
Bürgerscheu aufsat7.cs geht plötzlich in einen ungeschickten direkten angriff vom
moralisierenden standpimkte aus über. Der erfolg des Unternehmens war kaum der
von Nicolai crhofte. Seine freunde begnügten sich mit einigen ausweichenden kom-
plimenten oder sprachen ihre misbüligung über die satire, in welcher trefikshet and
geringes in gleicher weise verurteilt wurde, aus: so Merck, Boie,
ÜBER NICOLAI, ALMAKACH KD. ELLINGER 383
beschränkte sich darauf, in einigen Strophen des gediohts Europa 1777 mehrere äusse-
rungen der vorrede zurückzuweisen (vgl. Strodtmann, Briefe von und an Bürger 1,
381 fg.). Zwei anonym gebliebene autoren veranstalteten, wie Ellinger zuerst nach-
weist, einen ironisch gemeinten nachdruck des Almanachs und eine nachahmung:
„Ausbund schöner weltlicher lieder für bauers- und handwerksleute '^f Reutlingen,
3. j. Heixler endlich nante den Almanach Nicolais eine schüssel voll schlämm, auf-
i^ctragen, damit die nation ja nicht zu etwas besserem lust bekomme, und unter-
aahm es 1778, in seinen „ VolksÜedern * das gold aus dem schätze der deutschen
volkspoesie zu heben und dem publikum aufzuzeigen.
Schon Lossing vermisste ein Verzeichnis der von Nicolai benuzten drucke und
handschriften ; EUinger hat in einem anhange (2, 61—80) einen solchen quellennach-
weis für die meisten der 64 lieder geliefert Danach sind 20 nummem aus den drei
teilen der Bergkreyon (Goedeke, Grundriss* 2, 28. 40 fg.) entlohnt, andre entnahm
der samler fliegenden blättern des 18. Jahrhunderts und den ihm von Moser und
Steinbart zugesanton aufzeichnungen aus dem volksmunde; zwei stücke des zweiten
bandes sind dichtungen Simon Dachs, welche in Heinrich Alberts Arien stehen. Zu
dem 2, 82 mitgeteilten „Vierlander baurUedlein ** : „0 moder, o moder, min kucken
is dod'^ sind die nachweise bei H. Frischbior, Preussische volksreime und volksspiele
(1867) s. 18 fg. zu vergleichen. In dem 1669 angelegten hederbuche des Leipziger
Studenten C'hristian Clodius (Berliner mscr. gemi. oct 231 s. 4) steht eine andere
fassung nebst melodie:
Hey mutter, der finck ist todt
Hätt ihr den fincken zu trincken gegeben.
So were der fincke geblieben am leben.
Der Sorgfalt des herausgebers entspricht die hübsche ausstattung, welche die
Verlagshandlung dem werkchen hat angedeihon lassen. Der hohe preis wird freilich
der Verbreitung im wego stehen. Dass die seiteuzalilen des originaldrucks nicht
angegeben sind und das von Chodowiecki gestochene titelbildchen nicht widerholt ist,
wird man leicht vorschmerzen; bedauerlich aber ist das fehlen der teilweise von
Beichardt komponierten melodien, um so mehr, als weder auf Erks (Die deutschen
Volkslieder 2, heft3 s. 14) bemorkungen über dieselben noch auf spätere abdrücke in
Kietzschmers und Zuccalmaglios samlung, in Erks Deutschem liederschatz u. a. hin-
gewiesen wird.
BEKLIN. JOHANNES BOLTK.
Eine lausavlsa des Hrömundr haltl^
die in der Landnäma (Isl. sögur I', 162) und in der Flateyjarbok (I, 413) verderbt
überliefert ist, lässt sich folgendermassen herstellen:
Ne j^vi di^gri daupi RceAd *k litt, [)6t letAd
&raug flatvallar hauga h'^TQndr He{>ins fi^jar
— buumsk vi{) Ilm&r }almil — (&{)r vas \ita^T "ftum
äßr no gser vas raj^inn. a^r) vi[> rau{>a skit^ldn.
1 Varat mer i dag daudi codd. edd, 2 draugr codd, edd. (eine hs. der Landnäma
drougar). 3 41mar jalmi eifie hs. der Ldn. 4 vas] of codd. edd. 6 litvordr einige
h98. der Ldn. uitiar Mb. 7 oss var adr (adr var oss Mb.) of markadr codd. edd.;
Ümn. yar &0ü[ of vitadr Jon Porkelsson.
384 NAOHRICRTEN
Zur ersten zeile, die iu den lies. hendingcUaus ist, vgl. SkimiamQl 13': einu
dagri vqrumk aldr of skapapr. Z. 7 hat in den hss. ebenfals keinen silbenreim.
Die von Jon l^orkelsson vorgeschlagene coi^'ectur enthält zwei metrische fehler, die
durch die von mir vorgenommene imistellung entfernt sind. Ob die oonjectnr du
richtige trifk, ist natürlich ganz unsicher: die Verderbnis liesse sich allenfals auf dem
wege der mündlichen tradition, schwerlich auf dem der schriftlichen erklären. H. G.
Zu zeitschr. XTOT, 93.
Zu dem aufsatze: Eine quelle des Simplicissimus (oben s. 03 fgg.) macht mich
herr dr. F. Bobertag dai'auf aufmerksam, dass er bereits in seiner Geschichte des
romans (IIa, 27. 64 fgg. 93) über die benutzung des Gusman von Alferache durch
Grimmolshausen gehandelt hat. H. G.
NACHRICHTEN.
Der verein für Hamburgische geschichte bestirnt einen preis von 1000 mark
für den besten bis zum 1. mai 1892 im mauuscript eingereichten beitrag zur kentais
des anteils Hamburgs an der entwickelung der deutschen litteratur
während der ersten halte des 18. Jahrhunderts. Nähere auskunft erteilt der
erste Vorsteher des Vereins, dr. Th. Seh rader, Hamburg, Eilbeck, Hinter der Land-
wehr 6/7.
Die XL. vorsamlung deutscher philologen und Schulmänner wird
vom 2. bis zum 5. Oktober 1889 in Görlitz abgehalten werden. Die vorbereitenden
geschäfte für die germanisch -romanische sectiou haben professor dr. 0. Erdmann
imd professor dr. Gaspary in Breslau übernommen.
Professor dr. Fr. Vogt in Kiel wurde als nachfolger K. Weinholds an die
Universität Breslau berufen.
Au der Universität Leipzig habilitierte sich dr. W. Streitberg für germanische
Philologie.
Am 28. april d. j. verstarb zu Gotha hofrat prof. dr. Karl Regel (geb. 21. mai
1817). Die Zeitschrift betrauert in dem dahingeschiedenen, der das druckfertige
manuscript einer ausgäbe des Wilhelm von Österreich von Johann von Würzbuiig
hinterlässt, einen ihrer ältesten mitaibeiter.
Am 5. juli starb zu Berlin der litterarhistoriker Wendelin frei herr von
Maltzahn (geb. 10. mai 1815).
S. 128, z. 1 V. u. lies statt 68: nahezu 62.
Hallo a. S. , ßuchdruckerol dos Waisenhauses.
ZWEI VEESVEESETZUNGEN IM BEOWULF.
901 — 915. Zu anfang dieses abschnittes wird ebenso unvennutet
^on Sigmund zu Heremod übergegangen, wie mit seinem Schlüsse
ganz unerwartet wider auf Beowulf, von dem vor Sigmund die rede
^war, zurückgesprungen wird. Ferner bleibt das syntaktische Verhältnis
zwischen 901 und den vorhergehenden versen durchaus unklar. Diese,
die sich auf Sigmund beziehen, lauten nämlich:
898 8e wces mreccena tvtde mch'ost
ofer werpeöde mt^endra hleö
eUencU^dum: he p^es äron ääh.
IDann folgt unser abschnitt:
901 Siääan HeremMes hild sweärode,
earfoä ond eilen usw.
Man hat diese Schwierigkeiten zu heben gesucht, indem man
heremod appellativ nahm. Dies ist zuerst von Kieger in seinem lese-
buche (s. 64 und s. 281) geschehen und im anschluss an ihn von Holtz-
mann (Germania Vin, 491 fg.) weiter begründet worden. Unabhängig
von beiden hat diesen gedanken neuerdings Heinzel in Steinmeyers
Anzeiger X, 228 (vgl. jezt auch ebenda XV, 160 fg.) erfasst^. Und
er erscheint im ersten moment wirklich verlockend. Denn nun würde
sich auch unser abschnitt auf Sigmund beziehen und sidäan schlösse
sich aufs schönste an das vorhergehende, da es den bericht über ein
späteres unglückliches abenteuer Sigmunds einleiten würde, nachdem
vorher von einem früheren glücklichen dieses beiden erzählt war. Ja
es scheint, als ob auch der alte Schreiber, der das von Cosijn (Beitr.
Vni, 568) richtig widerhergestelte dran ädh in txr ofiMh wandelte,
auf die seite dieser aufifassung träte. Wenigstens erholte von hier aus
der zweck dieser änderung, die gewiss nicht unabsichtlich geschah,
wie der so entstandene gegensatz cer — siädan zu beweisen scheint.
Gleichwol kommen wir auf diesem wege nicht weit Denn schon mit
den folgenden weiter unten (s. 387) citierten versen geraten wir in die
brüche. Sie lassen sich auf keinen andern als auf Heremod beziehen.
1) Auch Kömer, Kölbings Engl, studion I, 494 erwägt (»inen ähnlichen ge-
dtnkon.
P. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXU. 25
386 JOSEPH
Heinzel freilich weiss sie für seine annähme zu retten, indem er sie
als algemeine betrachtung ansieht. Aber widerspricht dem nicht allein
edel Seyklin-^a 913? Dass herefnöd sonst nirgends als adjektiv vor-
komt, sondern immer nur als name auftritt, davon darf man füglich
absehen. Aber sehr entschieden muss darauf hingewiesen werden,
dass das wort auch im Beowulf als name erscheint imd zwar an einer
stelle, die unverkenbare anklänge au unsere hat Hieimit bleibt deim
auch an dieser der name zweifellos gesichert, und jeder erklärungsver-
such, der die appellative bedeutimg des wertes zu gründe legt, ist ein.
für allemal zurückzuweisen.
Es erhebt sich also nunmehr die frage, wie die Unebenheiten
die in syntaktischer beziehung wie im gedankengang durch das auf-T
treten Heremods entstehen, zu erklären sind. Bevor wir aber hierübe -^^^r
zu einer entscheidung kommen können, müssen wir unsem abschnit" ^^MX,
gesondert von seiner Umgebung, in seinem Zusammenhang in sieltf^ -h^
betrachten. Dieser versuch ist schon oft unternommen wonlen, uir.^n.
gehender von: Holtzmann, Germania VIH, 491 fg.; MüUenhofF, Zei ^^It-
schrift für deutsch, altert. XIV, 202, Beovulf, s. 50 fg. (119 fg.); Köl^ ^li-
ier, Zeitschr. f. d. phil. II, 315 fgg.; Homburg, Die composition d» Mn'>
Beowulf, s. 22 fg.; Dederich, Historische und geographische studio ^en
zum ags. Beowulf liede, s. 207 fgg.; Körner, Kölbings Englische studi*' ^eii
I, 492 fgg.; Möller, Das altenglische volksepos in der ursprünglich -^len
strophischen form, 100 fgg.; Heinzel, Anzeiger f. d. alt. u. litt. X, 2*^:^^ 2S.
XV, 160 fg.; Bugge, Beiträge XU, 39 fgg. Ich vermag keinem ci^der
bisherigen foi-scher in jedem punkte betzutreten. Die verse 902** fgp^ -g.:
M mid Eotenum wearä
on feömla ^eiveabl forit forMcen,
RtiMe forsended
fiusse ich übereinstimmend mit Bugge, indem ich ebenfals von r^iid
Eotenum zunächst absehe: „Heremod wurde durch verrat in die ge\^^aft
der teufel gegeben, schnell zur hölle entsendet." Ähnlich hatte sctioü
Heinzel, Anzeiger X, 228 diese worte erkläit Daim folgt (mit Buif-
ges interpunktioii):
904 hine sorhimjlmas
lentcde fö lan^e, hv Ins leödum weard,
eaUfiDf cppelhi^um tö (ddorceare.
Bugge behauptet, dass der erste dieser beiden sätze sich auf das tun
und treiben Heremods in diesem leben bezogen und einen synonymen
gedanken zum zweiten satz enthalten haben müsse. Zu diesem zweck
VKRSVERSETZÜNQEN IM BEOWULP 387
schlägt er vor hine sorhwybiias in sorhivylma hritie zu ändern und
übersezt dann: „durch den griff der verzehrenden sorge lähmte Heremod
(das voik) zu lange (als dass es länger geduldet werden konte).'' Die
ausdrucksweise für diesen gedanken wird niemand glücklich finden;
auch vom syntaktischen Standpunkte erschiene sie auffallig. Ich sehe
nicht ein, warum man den satz, den Bugge mit so kühner conjektur
bedenkt, nicht auf das leben im jenseits beziehen soll. Nachdem erzählt
ist, dass Heremod in die höUe verdamt ist, wird nun von den quälen
gesprochen, die er dort erleidet. Dasselbe geschieht ja auch in der
andern Heremodstelle und hine sorkivylmas lemede (oder mit MüUen-
hoff lemedon) tu lan^e in diesem simie ^iirde hier dem entsprechen,
"was dort mit dredmleäs ^ebdd . . leödbealo lon^sujn (1720) ausgedrückt
ist sorhurylm zur bezeichnung von höllenpein findet sich auch Güd-
läc 1046.
In diesem Zusammenhang erhalten denn die nun folgenden vorse
S07 — 913, die schon sehr verschiedenen Vermutungen räum gegeben
iiaben, ein neues licht:
Swylec oft bemeam (^jran mcelum,
siviäfe9'hpes siä miotor ceorl rfioni^y
sepe htm bealwa tö böte ^elyfde,
910 p(P.t pect äeödnes bearn ^epeön scolde,
ffedercppelum 07ifm, foh ^eheuldav,
hof'd ond hleöbiirh, luelepa rlce,
edel 8cyldvn{/a.
Bugge, der am ausführlichsten über diese stelle handelt, übersezt: „so
betrauerte oft in früheren zeiten des kühnen gang (sid) manch weiser
manu, der bei ihm abhilfe des Übels hofte, (der es hofte,) dass des
königs söhn gedeihen solte, empfangen des vaters adel und das volk
verteidigen, den hört und die schirmburg, der beiden reich, den orb-
sitz der Schildinge.'' Bugge will aus diesen verscn einen gegensatz
zum vorhergehenden teile herauslesen, insofern als mit cetran ^nceluyn
von früheren zeiten aus dem leben Heremods gesprochen werde, wäh-
rend vorher von späteren die rede gewesen sei. Die verse sollen
besagen, dass Heremod nicht blos in späterer zeit, sondern bereits in
seiner Jugend seinem volk anlass zur klage wurde. Und zwar dadurch,
dass er eine kriegsfahii; in die fremde untemalim, anstatt zu hause
seine hei-scherpflicht zu üben und seinem bedrängten volk erhofte i-et-
tung zu gewähren. Hiergegen nun ist einzuwenden, dass dieser gegen-
satz doch äusserst matt und nicht geeignet ist, das an dieser stelle so
unerwartete zurückgreifen auf ein Jugendabenteuer Heremods zu i*echt-
25*
fertigen. Ferner aber würde auf das ubcnteuer mit fjaiiz unveretäml-
licher kürze bezug geTiommeii seiu. Eine solche aber wäi-e hier um
80 weniger angebrat-tit , als man aus der andern Heremt'dstelto
nien zu müssen glaubt, daBs Hercmod in seinen jungen jtüiren el
ilio hofnungeu seines volkes geweckt als getauscht habe; vgl, b«;soo(Ici^^
1716 fg^., wo gesagt wird, dass er schliesslich traurig enden tnuBte:
äeähpe hine im'hli^ jod ture^cm}^ unjunmn,
eafepmn staple, ofer eaÜe vten
forä ^efremedc.
Ich halte für Bugges gruiidfehlor seine autfassung von sid. Und dti
wort scheint mir auch von allen übrigen forschem iiiieverstainien i>di
ungenügend erklärt zu sein; Simrock, Grein, Köhler geben es mit ^loi:
geschiok" wider, was nur als iiotbehelf erscheinen kann, siä heisst hi -^t
„gang.'* Aber es ist an dieser stelle nicht mehr plötzlitih von eiiu;» m
neuen gang aus Heremode leben die rede, sondern es wird offeuWair
sein im ganzen vorhergehenden teil behandelter gang ins jenseits, k^3I1
hcimgang, sein tod mit jenem werte bezeichnet. Aber wie kont» A.«r
tod eines so veihassten herschers „manchem weisen mann" geg^n>
stand des jamraera sein? Das beantworten ÜO!) fgg. Mit rt-cht bvh>ts.p-
tet Körner, Engl. stud. I, 493, dass die verse 910 fgg. sich auf jeman-
den beziehen müsten, der die herschaft noch nicht angetreten haK>e;
also nicht auf Heremod selber gehen könten, von dem 1719 fg. raif
den werten naüas beä^as ^eaf Denum eefter dorne die auaübung <Jei
königtums klai' berichtet wird. Demnach bleibt nichts Übrig, als unter
äeödnes beam 910 den zur nachfolge bestirnten söhn Uercmudü, d«i
er in der heimat znrücklässt, zu verstehen. Und ans unsem Terw»
dürt'en wir also entnehmen, dass in folge von Heremods plützlicheiD
tode feinde in sein land fielen, seinen unmündigen söhn des throin*
beraubten und so der alten dynaetie ein ende machten. Hierzu nun
stimt treäich, dass Heremod in den angelsächsischen königsUsteD all
leztes glied genant wird; vgl. MüllenhofF, Beovidf, s, 5 und 50 fe.
Die feinde aber, die nach Heremods tod in sein land einfielen, weiden
dieselben gewesen sein, die er eben bekriegt hatte imd bei denen CT
um seine kampfestücbtigkeit gekommen war, d. h. besiegt wurde iin^
fiel. Hierfür nun passt kein anderes votk besser als ein benachburt«
und daher ist mir nicht mehr zweifelhaft, dass uuter den mtentw Wä
nicht mit Bugge „rieseQ'', sondern vielmehr das volk der JUten m
verstehen ist Nach alle<lcm übersetzen wir die veree 907 — 913 nun
folgendonnasseti : „Ebenso beklagte oft in vergangenen Zeilen den hin-
gaug deti kntftrautigen mancli weiser manu, der sich durcb ihn
vumvBasKTzuiwMt M bbowoij' 389
iglttiiht hatte vor den Übeln (die nach seinem tode eintraten), erwar-
tet hatte, dassj dieses königs söhn gedeihen sulte, empfangen die väter-
liche würde, herschon über das volk, den hört und die sohirmburg,
der helden reich, den erbsitz der Schildinge/
^L Es blieb bisher der satz unberücksichtigt, an den »ich die eben
^Rbersezten verse anttchliessen:
H 905 iie his leädum wearä
^1 eallum eepeUn^um tö aUlorceare.
^pV^jr sind erst jezt in der läge, diesen werten ihre richtige beziehung
■ HO geben. Ich mache vor Ae 905 eine starke interpunktion und über-
setze dann: ^Er vrard seinem volke, alten edeüngen zum homenskum-
mer, nämlich durch sein leben: Ebenso beklagte andrerseits seinen
tod manch weiser mann" usw. Die verse 913" — 915 endlich bedür-
fen in bezug auf ihren Zusammenhang keiner weiteren besprochung,
Ist somit der abschnitt in sich zur befriedigung erörtert, so dür-
fen wir nunmehr sein Verhältnis zu den unigobcn<lcn versen betrach-
ten. Hier nun ist durch den glückliehen gedanken ton Brinks', das»
yOl direkt mit 861 zu verbinden sei, ein neuer Ausgangspunkt gege-
ben. Mir ist nicht im mindesten zweifelhaft, dass ten Brink mit die-
ser Verbindung den ursprünglichen Zusammenhang richtig wlderher-
gestelt hat Denn nun finden sich, wie es der scliluss unsros abschnitte
verlangt, Beowulf ujid Heremod unmittelbar nebeneinandei^estolt. Und
beide zugleich im vortreflichsten gcgensatz: Beo^vulf, der herbeieilt,
^mu den Dänen in ihrer bedräugnis beizustehen; Heremod, der wegzieht
. sie so iu bedrängnis zurücklässt. Endlich schlicsseo sich auch
utaktisch unsre verse in ihrer neuen Stellung aufs beste an: „Beowulf
r der beste kriegsmann auf erden, seit Heremod seinen kampfesruhm
ingebüsst hatte." Jezt aber erhebt sich die fi'age, auf welche weise
; unser abschnitt von seinem alten platz getrent? Wie haben wii' es
1 erklären, dass zwischen die verse 861 und 901 der passus 862 —
' getreten ist? Ten Brink benuzt hier seine Variantentheorie. Er
mt an, dass in diesem zweiton MüilenhoH'schen liede, in dem wir
befinden, von einem ordner zwei Versionen contaminiert seien,
s volatandige C, die den grundstock abgegeben habe, und eine
ivolstandige D, die daneben benuzt sei. Dieser leztern Version ent-
mme der passus 862 — 900. 901 sei von Stil getrent, indem der
Iner das D-stück dazwischen geschoben habe. Ten Brink weist in
Vorbemerkungen (s. 4 fg.) auf diese stelle besondei-s hin, weil
1} Beowulf, ijuollou und forsehuiigeii 62 (Sti'assbiu^ 1
300 JOSEPH
hier die Verhältnisse so augenfällig lägen, dass sich die richtigkeit sei-
nes Verfahrens für jedennann ergeben müsse. Ich will an diesem
platze nicht algemeine Stellung zu ten Brinks Variantentheorie nehmen.
Aber ich glaube, dass er keine günstige stelle ausgewählt hat, um
zweifelnde zu bekehren. Denn was müssen wir nun annehmen? Der
Ordner rcisst ein Satzgefüge mittenauseinander, trent ohne weiteres
einen nebensatz von seinem hauptsatz, um einen zusammenhängenden
complex von 39 versen daz wischenzuschieben: unbekümmert, in wel-
ches syntaktische Verhältnis nun der losgelöste nebensatz gerät; unbe-
kümmert, wie es nun um die beziehung der pronomina im abgetrenton
teil steht; unbekümmert endlich um alle gedankensprünge, die entste-
hen! Ist das wirklich so selbstverständlich? Ist es vor allem selbst-
verständlich von einem mann, der doch gelegentlich durch kleine
änderungeu seine arbeit zu verdecken bemüht ist, der im ganzen w«>l-
bedacht und recht geschickt vorfährt, nicht selten so raffiniert, dass es
in der reihe gelehrter, scharfsinniger, gewissenhafter forscher erst ten
Brinks bedurfte, um die fremde band hcrauszuerkennen? Demgegen-
über möchte ich mm ein mittel voi-schlagen, dem man wenigstens die
einfachhcit nicht absprechen wird. Ich nehme nur eine kleine Umstel-
lung vor, indem ich die vorse 900 — 915 heraushebe und nach 8(U
einsetze, also folgenden toxt aufstelle:
D(7^r u'ces Beöirnlfe.s
nuprdo vmncd: mo/a^ oft ^eauced,
Jxette siUt ne tiorä he scem Ureömnn
ofcr cormen^rutid öpcr ndmi'^
ander svc^les he^on^ selra ucere,
861 rotuUuebbendra rice.s wyräray
901 siddan Ilercmödes hild stvatrode,
carfod oml eilen. He mid Eoicnum irexird
on feönda yiveald ford fmidce?i,
s?inde forsemied: hine sorhwylmas
905 lemedon tu lan^e. He Jus Icödiim tveard
eallum cepelin^um tö oMorceare:
sirylce oft bemearn cerran maium
sivtdferhpes sid s^iotor ceorl ynoni^,
sepe hhn healwa tö Mte ^elyfde,
910 pect pect deödnes hearn ^epeön aeoldcj
fa'dcrcepelum onfön, folc "^eheiüdan,
hord ond hieöharh, hrelepa rice,
edel Scyldin^a, He pcer ccdluvi weard,
TEBSVERSETZÜNGSN IM BEOWULF 391
7tue'^ Hi^eldces maniia cynne,
915 fre&ndum ^efce^ra: hine fyreii onwdd,
862 Ne hie hüru witiedrihteti iviht }ie lo^oji,
^Uedne Hrdä^dr, ac pcet wces jöd cyninj.
Hivtlmn heaporöfe hledpan Utoiiy
865 cni ^eflit faran fealwe ^inearas
äct*r Mm foldwe^as fernere pähton^
cystum ciläe; hwilum (nfnin^es Pe^n,
-guma ^ilphkeden, -gidda ^emy^idi^y
sede ealfela eald^ese^ena
870 'wam ^enmnde, ward Oper fand
söde ^ebufulen: secg eft on^an
sid Beöivulfes snyttnim styrian
ond an sped ivrecan spei gerade,
irordiim tvrixlan, tvelhivyh '^ecwced,
875 pa4 hil frani Si^etnunde sec^an hi)rde
ellendceduvi, unciipes fela,
Wcclsin^es ^emn, Wide &fäas,
pdrapc ^umena beani ^earwe iietviaton,
frehäe ond fyrena^ biltan Fitela viid hine,
880 ponne hJß sivuhes hivcet scc^an wolde
edm kis nefan, swa hie d irceron
fct nida ^ehtvdm nifdgesteallafi.
Hcefdon ealfela eote?ia cynnes
su'cordum "^esa-^ed. Si'^evnunde ^csprong
885 fofler dedd-d/e'^e dom nnlyiel,
aypdan wiy^ fieard wyrm dcwcaldr,
hordes hyrde: he under hdryic stdn^
(epelimjes hearn dna ^encdde
frerne dicde: ne ira^ him Fitela mid;
890 htrrepre him ^escelde, dcet pcet stvurd ptuinrM
irrretliene wyrm, pcet hit mi wealie ccLstöd,
dryktUc iren: draca mordre siceaU,
Ilcefde dglceca eine ^egongen,
pcet he hedlüiorde^ brücan inöste
895 selfes dorne ; .sa'bdt ^ehivd,
beer on beann scipes beorhte fra'twa
Wfches eafera: uynn hdte meaU,
Se ircvs wreccenn mlde mcerost
ofer wefpeöde, tvigendra hleö
392 JOSEPH
900 eUendcedum: he J>eB8 dron däh,
916 Hzvilum fiitende fealwe strcete
niearmn mcbUm,
In der obigen Ordnung treten also an drei stellen neue Verbin-
dungen ein: zwischen 861 und 901, zwischen 915 und 862 und zwi-
schen 900 und 916. Dass 901 an 861 den besten und einzigen
anschluss findet, ist schon besprochen. 862 fg. aber gewinnen in ihrer
jetzigen Stellung eine ganz eigene bedeutung. Denn nachdem Beowulf
eben auf kosten eines vergangenen Dänenkönigs gelobt ist, erscheint
das kompliment für den gegenwärtigen herscher als nicht übel berech-
net 916 endlich folgt auf 900 ebenso gut wie auf 915. Sehen wir
uns nun den grossen Zusammenhang an! Auch hier fügt sieh alles
nach schönstem wünsch. Auf Beowulfe treflichkeit falt von zwei ver-
schiedenen punkten aus licht: einmal, indem er sich im gegensatz zu
einem besonders berüchtigten beiden — Heremod — befindet; und
darauf, indem er in gleiche Stellung mit einem besonders berühmten
beiden — Sigmund — tritt!
Die richtigkeit unsrer Ordnung erhält nun aber noch aus einer
stelle, an deren erklärung man sich bisher vergeblich versucht hat,
wilkommene bestätigung. Es handelt sich um die verse, mit denen
zum zweiten lobe Beowulfs übergeleitet wird, 870 fgg.
Word Oper faivd,
söde •gebunden: sec^ eft mi^an
s^iä Beöundfes snyttnim styrian.
Was sollen wir in der überlieferten Ordnung mit dem wort aper 870
anfangen, das hier ebenso unverständlich erscheint, wie das dann fol-
gende eß? Heyne bemerkt im glossar unter fifidan: „er fand andre worte,
d. h. er ging zu einer andern erzählung über." In seinem texte war
vorher gesagt, dass Beowulf gepriesen wurde und hier wird wider gesagt,
dass Beowulf gepriesen wurde. Wie kann man da von einer „andern**
erzählung reden? Man hat sich denn auch fast algemein durch ände-
rung des textes hier zu helfen gesucht So Rieger, Ztschr. f. d. phiL
in, 390. Er übersezt ward öper fand söde gebunden „ein wort fand
das andre, richtig gebunden'', und ändert, diesen satz in parenthese
stellend, das folgende sec^ in sec^an. Bugge, Ztschr. f. d. phil.IV, 203
schliesst sich ihm an. Grein ändert ward öper in wardhlcöper und
ihm folgt u. a. Holder in seiner ausgäbe. Bei ten Brink falt der
anstoss weg, indem er 870** — 874' als eine Interpolation innerhalb
der Version D ansieht. In unserm Zusammenhang nun bedürfen wir
keiner änderung noch irgend einer deutelei. Die verse sind auf den
ersten blick verständlich: die „andre" rede, mit der hier der Bän-
ger das lob Beciwiilfs wideraufnimt, ist die zusammensteUiing mit
Sigmund, welche er der eben vorangegaugenen mit Heremod fol-
Bei so alseitiger ziisatnmenstimmun^ rauss die frage, wie die
Umstellung der besprochenen beiden vorNgriippen «ii erklären ist, als
eine nebensächliche erscheinen. Dass Verderbnisse dieser art in alten
hnndschriftfiii vorkuramen, ist eine widerholentlich belegte tatsache. Ich
gestatt« mir auf einen fall hini'.uweisen , den ich selbst in Konrads von
Würzburgs Klage der kunst' auHecken konte. Hier liess sich auch
mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die entstehung der Verderbnis zeigen.
Man darf wo! auch in unsonu tall annehmen, dass ein schreiber die
Kfitelle an ihrem richtigen plat:« vei^ga^s, an einem späteren nachholte
■Hod dadni-eh verursachte, dass ein neuer schreiber sie falsch eiosezte.
^P Ich glaube, dass erst mit der obigen herstollung unsers textes
"die richtige grundlage für die höhere kritik, d. h. für die betrachtung
der inuem geschichte dieses teils gegeben ist, Dass aber eine solche
betrachtung hier wie im Boowulf überhaupt am platz ist, dass wir in
diesem gedieht kein einheitliches werk vor uns haben, das meine ich
nach den arbeiten Müllenhoffs, MöUers und ten Briuks imbedenklich
annehmen zu dürfen. Heinzel, der in seiner reccnsion von ten Brinks
buch^ einen entgegengesezten Standpunkt vertritt, hat mich in keiner
weise überzeugt Gewiss wii-d jeder philologe der von ihm s. 181
erhobenen forderung zustimmen , dass man jedes dichterische werk nach
seinem eigenen massstab beurteilen müsse. Aber ich behaupte, dass
er sich leider selber gegen diesen grundsatz versündigt hat, indem
er zur erklärung des Beowulf ein material heranzieht, dits durchaus
QOgleichartig in sich ist.
1404 — 1407. Diese verse stehen ebenfals in Müllenhoffs zwei-
tem liede. Grendels mutter hat in der nacht einen genossen des königs
Hrodgar, Äschere, hinwoggeschleppt Beowulf tröstet den klagenden
könig mit dem vei-sprechen , die feindin in ihrem verborgenen Schlupf-
winkel aufzusuchen. Und so macht man sich sofort auf den wog:
pä totes Hröd^dre }iors ^ebceted,
1400 /iwj ipumlenfeaz: wisa fengel
^ealol/'c je/jjde, ^tmfepa stöp
1) Quelldci and forsuhungiin 54, s. 4 uod s. 81!.
2) AoMigur tili' deutsch, alt. u. doutscho litt. XV, 153 fgg.
394 JOSEPH
litifUuehbmidra, Ldstas wchvn
rcfter waldsivapimi ivtde •^espic,
3a?ig ofer ^rundas, -^c^nuni för
1405 ofcr viyrcan 7nör, ma^ope^7ia beer
pone selestan sdwolledsne,
pdrape mid Hröä^dre häm eahtode.
Ofereöde pä cepeUn^a beam
stedp stdnhliäo, sti^e fiearwc,
1410 en^e dnpadaSy micüd ^elddy
7ieowle ruessas, nicarhüsa fcla.
Die gespert gedruckten verso fallen völlig aus dem zusammei
hang, da sie einen ini gange der begebenheiten bereits erledigten m o-
nient noch einmal in seinem geschehen hinstellen. Bugge (Beiträ^ssre
12, 94) sezt daher, indem er einen gedanken von Sievers (Beiträge 9,
140) aufnimt, hinter 1403 ein komma, fasst ^an^ 1404 als substant=:iv
und ergänzt vor dem zweiten halbvei-s 1404 hivcer hcö. Ihm stir^- nt
ten Brink (s. 77) zu. 1402 — 1408 würden also nun besagen: „l nc
spuren waren längs den waldstegen weithin zu sehen, der gang ül K?r
die gefilde', wo sie hinweg gefahren war über das moor und den best- - en
der ritter seelenlos getragen hatte, derer die mit Hrodgar die hein— lat
berieten.^' Abgesehen von dem schleppenden und nachhinkenden re la-
tivgefüge, das wir so erhalten, so ordnen sich die verse für den aw^ uf-
merksamen leser Jiuch jezt noch keineswegs ein. Denn betrachten \'^— vir
die unmittelbar folgenden vei-se 1408 — 1411, so erscheint für die lai »d-
schaft, die hier geschildert wird, doch gerade die imüborsichtlichk-H^cit
charakteristisch. Wir sollen sehen, wie mühsam sich Beowulf
weg dun^h verborgene jrfade, in fortwährendem auf und ab suci
muss, ehe er an sein ziel gelangt Wie passt nun dazu die einganj
bemerkung, dass die spuren des Ungeheuers weithin bis zimi endpui
- denn dieser liegt doch beim moor — zu überblicken waren? V
ähnlic^hen erwägungen ist vermutlich auch ten Brink ausgegang^
wenn er s. 77 von unsern versen sagt: „die stelle .gehört auf keii
fall zum kern von C."* In der tat, wir würden nicht das gering ste
vermissen, wenn wir sie ganz wegliessen. Vielmehr würde dann ^^
durchaus folgerichtiger weise zuei^st vom wald, darauf vom wil(^Ä^fl
gebirge und mit 1412 fgg. von dem getilde gesprochen, das zum m^?^*'*«
dem behausungsort des Ungeheuers, führt.
liiissen wir aber nun einmal unsern blick auf denjenigen teil des
gedichts hinübergleiten, an dem die eben von uns ausgeschiedeo^i?
VERSYERSETZUNGEN Ol BEOWÜLF 395
verse zeitlich am platze wären ^ auf die verse, die uns Grendels mutter
in der ausführung ihrer untat zeigen *:
1280 J>ä äcer sära weard
edhwyrft eorlum, sipäan infie feaih
1282 5refidies mödor. Nces se ^ryre hcssa:
1294 Hrade heo cepelm^a dmie hrefde
f(estc hefan^e?iy pd lieö tö fenne ^a?i^.
Sc ivces Ilröp^äre hcelepa leöfost
on jestäes häd he scbni ticeönum,
rice raudivi^a, ponede lieö mi neste dbredt,
blredfce^ine beai^n: nce^ Iköwulf d<er.
Nachdem mit den werten pd h^ö tö fenne ^an^ 1295 bereits der
abzng des Ungeheuers beschrieben ist, erscheint es nicht passend, dass
der dichter hinterher ganz nebenbei in einem relativsatz noch ein neues
moment des raubes bringt, nämlich mit den werten ponede heö on
rresfe dbredt 1298. Ten Brink ändert daher tö fenne in 07i flettc.
Hierdurch wird die chronologische folge der begebenheiten in sehr
hübscher weisse gewahrt. Indessen es ergibt sich eine andre Schwie-
rigkeit, die ten Brink sofort zu einer weiteren hypothese nötigt: „Zwi-
schen 1298 und 1299 dürften dann eine oder mehrere Zeilen ausgefal-
len sein, wenn nicht der alte dichter über der Charakteristik Äscheres
und dem Übergang zu Beowulf (Jrcndels mutter vergessen, d. h. ihren
abgang zu erwähnen unterlassen hat.'' (S. 75 fg.)
Ich meine, die vei"se 1296 — 1298 tragen zu deutlich den Cha-
rakter eines nachträglichen einschubs, als dass hier besser ungsversuche
zum ziel führen könten. Scheidet man sie nun aber wirklich aus, so
ergibt sich ein merkwürdiger fall, der einzig innerhalb des Beowulf
dasteht Denn wenn sich sonst nach herauslösung fremder olemento
die zusammenrückenden teile ohne weiteres oder doch nach leiser
änderung aneinander schliessen, so bleibt hier syntaktisch sowol wie
inhaltlich eine klaffende lücke. Aber, ich glaube, es gibt eine sehr
einfache erklärung dafür: die klaffende lücke fand eben ein Schreiber
vor, und er suchte sie durch die verse, die wir jezt an ihrer stelle
sehen, in seiner weise auszufüllen.
Hatte dieser mann es aber wirklich nötig, seine eigenen kräfte
zu versuchen? Vergessen wir seine verse! Erinnern wir uns jener
früheren, die uns an ihrer stelle so widerspruchsvoll und entbehrlich
1) 1280—1294 natli ien Briuks, wio ich glauhc, glücklicher hci-stolluiig des
textcs (s. 75).
erschieneD! Nehmen wir sie von ihrem ulten plat?, und setzet)
mit zwei kleinen anrfenuigen hier in unsre otho stelle ein,
wir also:
Hraäe heö eepeUn^a dnne luefdtt
1295 fffste befangen: pd kc6 tö fenve oft
1404 3«W3 fstnjj ofer gnimias, gcjWMi« fdr
ofer viyrcan vi&r, majopefftm beer
poiie s^ksian sdwoUe4sne
1407 pdrapc mid Hröd^dre Mm cahlode,
1209 blt^fresUie beorn: min Bcöwulf liair,
so haben wir auch hier oioo tadellos fortuch reiten de und geschlo*
erzahliing, in der in knapper iind der Situation angeniesäener weit» di
abgang von (Jrendela mutter geschildert wird.
Ich zweifle demnach nicht, dass die versc 1404 ^ 1407
ursprüngliche Stellung zwischen 1295 und 1299 Iiattnn.
Hier nun sehen wir eine kleine gruppe von vier vorsen um me^
als hundert' verse von ihrer ursprünglichen befitimmung gutrtint. ■
erscheint die trage wol berechtigt, wie eine solche Verderbnis ('Otstand
sei. Ich gedenke bei andrer gelegenheit nachzuweisen, dass üwischen d^
jetzigen und trüberen platze unsrer verse eine bedeutende inteipo-
toriscbe tatigkeit statgefunden hat, und dasü nur folgende toilo
ursprünglich anzuerkennen sind:
1311-1313. 1816 — 1334. 1341-1344. 13S3 — 1385. I:
1394. 1399—1403.
Im ganzen 39 verse'. Und mehr waren auch nicht vorhanden
xeit. als die Umstellung der vei'se geschah. So kontc denn
durchaus innerhalb einer und derselben seile vor steh gehen und t-
liert damit ihren auffälligen Charakter. "Wir dürfen vielmehr nun ii^ '"-
liches vrie vorher annehmen. Ja diesmal sind wir in der Ugu, e—^"»
bestirntere Vorstellungen zu bilden.
Zunächst können wir schliessen, dass der schreiber, dor die a- ^"s-
latisimgssünde begieng, seine verse nicht absezte, sondern fnrtlanfi:^'"''
schrieb. So wenigstena erklärte sich, dass die lücke nicht nacU si'hlL**i
sondern nach dem erst«n worto eines verses eingetreten ist. Dii^^^^*
erste wort aber, nämlich ^anj, ist nach unsrer einordnung dop(>^'
vorhanden, indem es auch am olngaiig der umgesleltcn verse steht, *"
dass wir es hier streichen muston. Liegt es da nicht nahe, in
1) Idi buinerke,
hitidcr lusc.
t hirafer VSit uiit Bu^'O (ßcitrü^ V2, ißl
TRBHV KUHEHUNBID' IH BBOWüLF
397
weiten jöMj nur ein merkwort zu sehen? Einen hinweis, mit dem
der Schreiber andeuten wolte, hinter welches wort im texte die fol-
gende stelle einzuschalten sei? So wilrde uns also in dem zweiteu
jatij noch ein sehr bestirntes anzeichen dafür vorliegen, dass die verse
in einer fi'üheren handschrift an einer von ihrem eigentlichen platz
entfernten stelle nachgetragen wai-en. Aber noch mehr! Es ivürde
sich ungleich aufklären, warum die nachgetragenen verse später falsch
eingesezt wurden. Wie leicht nämlich konte ein neuer Schreiber über-
sehen, dass jawj nur merkwort sei, und es so zum texte selber rech-
nen! Und nun freilich lag für die einsetzung der verse jeder platz
näher, als gerade der richtige! Nehmen wir an, dass die veree am
schluBs der seite nachgetragen waren, so beliess der Schreiber sie- viel-
leicht da, bezog sie an der stelle, wo er sie ziiiallig fand, in den text
ein. Aber wahrscheinlicher ist mir, dass er mit guter Überlegung
verfulu', als er die vei'se an ihren jetzigen platz rückte. Denn nach-
dem der richtige ausgeschlossen war, wo konten sie wol passender imter-
gebracht werden? Hier fügten sie sich am leichtesten ein und erfül-
len zugleich in befriedigender weise eine erwartung, die, wenn man
den grossen Zusammenhang nicht beachtete, durch 1390 fg.* angeregt
werden konte. Wie geschickt aber der Schreiber diesen platz gewählt
hat, erhelt wol am besten daraus, dass kein forscher bis auf tcu Brink
hsBere verse an ihrer stelle beanstandet hat
^ Um unsre neuordiuing zu ermöglichen, bedurfte es mit dem
Srorte efl 1295 noch einer kleinen nachbesserung. Ich hoffe, dass
die^r umstand der vorgetragenen Vermutung nichts an gewähr neh-
nieu wird.
STRASSBURO, TONI 1889. EDOES JOSETB.
LIEDERHAm)SCHRIFTEN DBS IG. UND 17. JAHE-
HUM)EETS.
DAS LIEDERBUt-'H DER HERZOGIN AMAUA VON CLEVE.
IDüand verxet'eknel unter den qtielleit seiner volksliedersafrUung
\844 s. 974) ein im 16. jahrhurulcri enMatidertes liederfriteh <ler her-
II lauten nfimlich:
ÄT^a riecs irmrd! Alan i
5rendUs mätan zaus si
eilwiianf
398 BOLTB
xogin Amtnelia zu Cleve, aus d^m er siehmi nmnmern (55, 65. 79h.
80. 81, 194, 312) entuonimeii Jiat, Seitlier hat, soweit ich sehe, nie-
ma9id sich um dasselbe bekümmert; nur Böhme u^derhoÜ in seinetn
Altdeutschen liederbuch (1877 s, 774) die kurze notix Uhlauds, Eim
eingehendere nachricht imrd daher an dieser stelle, hoffe ich, nicht
umvilkommen sein.
Die miginalhandschrift gieng wm 1824 ans dem besitze der
antiquare Ooldschmidt und Wimpfen in Frankfurt a, M, in den des
dortigen arztes dr, Georg Kloss über und wurde später von ihm
fiaeh Englarul ro'kauß. Wahrscheinlich befindet sie sich dort ?wch
im 2)rivatbesitz ; im Britischen mtiseum ist es mir wenigstens nicht
gelungen sie zu entdecken. Unsere kentnis beruht somit allein auf
einer abschrift, welche Kloss 1825 von einem schyieidergesellen Jacob
Lepper anfertigen Hess und welche auch Uhland benuxte, Sie gehört
jezt der stadtbibUotfiek zu Frankfurt a. ALK Der kopist luit seine
vorläge offenbar ohne Verständnis, aber sauher u?id sorgfältig nach-
gemalt. Leicht erklärliche Icsefehler sind f für f, dan für dair, heuen
für lieuen, I für A u, a, „Einige gedichtet', bemerkt Kloss am
15, sept 1841, „tvaren so sorgfältig mit dinte ausgeWsctil , dass sie
nicht mehr zu entziffern waren!' Im ganzen enthält die abschrift
33 lieder geistlichen uiul weltlichen inhalts; die nummerierufig rührt
vielleicht erst von Kloss h^r, da nr. 20 und 21 zusammen ein lied
bilden luid zweimal fälschlich zwei oder drei verschiedene lieder unter
derselben nnmmer (22 und 28) zusammengefasst worden situl.
Auf die ursprüngliehe besitz eriii und samlerin weist die hinter
nr. 27 stehende Unterschrift: „AmmeUga geboren hertxzieliejpi xo cleve
jullgeh und berg.^^ Die folgenden lieder 28 — 31 umrdeti sicherlich
erst später von einem andern Schreiber an fgex dehnet, tcelcher durch
seine wunderliche häufung der ko)isonante)i, nie ss, ff, tz im aulaitt,
td statt il, und andere orthographische eigcntümlichkeiten auffiiU:
rielleieht ist sein name in den unter nr. 30 stehe^ulen lettern „iL IL
i?." verborgen. Die prinxcssin Amalie^ war ah die jüngste tochtcr
des herAogs Johanu LIL. von Jülich- Cleve- Berg am 14. nov. 1517
geboren utul lebte nach deui 1539 erfolgten tode ihres vaters am hofe
ihres bruders, des hcrxogs Wilfuim (1516 — 1592), Z7i Cleve, iJüssd-
1) ,, Lieflerbuch der Ammellya gehornen herzog in xuClerc, Jülich und Btnf,
Abschrift des Originals gemacht -im Jahr lS2i).*'' 24 IL fol.
2) Herr professor dr. ]V. Crecelins in Klberfeld hat die gute gehabt, wir
einige nach ir eise über diese fürst in xu geben.
LIEDERBUCH DER HERZOOm AMALIA VON OLBYE 399
ensherg, Burg und amlerwmis. Sie blieb mivertmhlt und
' XU ihrem ende (1. mlirx 1586) an deni protestantisehen
? fest, ude sie auch die iöchter ihres bruders, der si^h den
^esinte7i in die arme geivorfen hatte, betvog, der reformierten
*u XU bleiben, Eiiiigermassen auffällig ist es dalwr, dass
n fünf geistliehen liedern unsrer handschrift (nr, 1. 3, 6, 19
*eh auch ein gebet an Maria befindet. Die 27 übrigen num-
ul sämtlich liebeslieder ; ihr thema ist nieist das scheiden und
seltener die Mrte der spröden ayigebeteten; viermal (nr. 8, 9.
begegnet die seit dem e^'wacfien der ritterlichen miwiepoesie
form des tageliedes. Der text xeigt xalilreiehe Verderbnisse^
cken nur ein teil dem modernen abschreiber xur last fallen
Sicht bloss ist metrum und reim öfter stark veniac/Uässigt,
teh die spraclw ein veruildertes getnisch von niederrheiniscliem
hdeut^chem dialeJct. Wenn nun Uhland in den von ihm aus-
n nmnmern einen glatten, lesbaren text herzustellen suchte^
es der herausgeljcr der luwhfolgenden stiieke für seitie aufgäbe,
'die überliefening selber vorzulegen und nur in den fiotiven-
^ällen von ihr abzuweichen. MeJfrfaeh bleibt der sinn freilieh
vkel lind muss durch weitere textbessern ngoi widerhergesteU
Zwischen den liedern siml, wie häufig in liederbüchern jener
've rcimsprüehe eingetragen, so bl. la:
Heit jch mich vor vei-suncn,
des ich mich na verean,
jch eil heid iie begonon,
des jch begunen han.
Ich qiiaem gegan[g]en in eyn lant,
jch vaint gescriveii aen dei want:
Wait dich neit annegeit,
dat la stan, da et steit
Veil gejaget und wenich gevangen,
veil gehoyrt und wennich vei-standen,
veil geseyn und wennich meircket,
dat seint ael verlaren wercken.
Bl, 18a Stede und stylle
dat ist myn wylle.
mag nun ein inhaltsverxeichnis der liedermmlung folgen und
ich eine uuswahl von 14 noch nnbekanten nummern anscfdiessen.
400 BOLTS
L Bl. 2a Want alle dyngen an gade st^ent,
des Süllen wyr vnß besynnen.
13 str, XU 12 Zeilen, — Unten nr. I: WeiknachtsKed,
2. Bl. 3 h Idt loufet alltzomaile
die leufergyn yn dat gras.
3 str. XU 8 X, — Uhlandf Volkslieder nr. 65. Abschied vofi
liebsten.
3. Bl. 4h Mit diesen nuwen jare
so wirt vns offenbaire.
12 str. XU 4 X. Neujahrslied. — Vgl. Wackemagel, Das deutsche fc=5a>-
chenlied 3, 917 nr. 1090. Bäumker, Das kathoUsche deutsche kirch^^^f.
Med 1, 356 und Vierteljahrsschrift für musikwissenschaft 4, ^-^J.
Hoff mann vmi FaUersleben, Niederländische geistliche Ueder 1^S54
nr. 1 — 2. Hölsc/ier, Nd. geistliche lieder und sprUche aus depn Mw^dn-
sterlande 1854 s. 27.
4. Bl. 5a Ortliches ort, myn einiges wordt,
eyne crone bouen allen wyfen.
4 str. XU 8 X. — U7iien nr. V: Liehesglück. Eine gleichfals v^ier-
strophige fassu7ig „Artlicher hört, du min einigs ein, ein krön ob allen
wiben" 7?iit dreistimmiger tnelodic liegt hsl. in Basel (F VI 26 nr. 8).
5. Bl. 5 b In liefden ist myr my[n] hertz verbrant
nae eynem vreuwelyngh stoultz.
10 str. XU 8 X. — Unten nr. XIII: Die ungetreue.
6. Bl. 6 b Myt gantzem ellendigem hertzen
klage ich, klage ich myn sunden groys.
8 str. XU 9 X. — Unten nr. II: Oebet an Maria. Zu gnaide Hegt
eine in fliegenden blättern verbreitete weltliche tageweise:
Mit gantzem elenden hertzen
Klag ich mein schweres layd.
Ich ste in sorgen vnd schmertzen:
Ach wechter, gib mir beschaydt!
Hilff mir die sach besynnen,
Das ichs f^ch weyslich an,
Das ich mit lieb sey drinnen,
Das mein niemants werdt innen;
Trewlich wil ich dir Ionen. (8 str.)
Die Berliner bibliothek besixt vier drucke des 16, Jahrhunderts in ol*»*'
(Yd 8917. 8986. 8991. 8992) und einen in foUo (Yd 7801, 49),
Au4ih ei?ie ebenda befindliche liederhafidschrift aus der ersten kalßt
LIEDERBUCH DER HEBZOGIN AMALIA VON CLEVB 401
des 16. Jahrhunderts (Mscr, germ, quart 718, hl 10b) enthält das Ued,
ebenso Cod, palat germ. 343 (jext 171) bl, 49a.
7. BL 7a Ade, myt leyde
ich van dyr scheide.
5 str, XU 9 X. Liebeslied. — Vgl. Oeglins liederbuch 1512 nr. 18.
Ott, Lieder 1534 nr. 3. Schnieltxl, Quodlibets 1544 nr. 7. Frank-
furter liede^'buch 1582 (nendruck von Bergmann. Stuttgart 1845)
nr. 177. Cod. palat. germ. 343 (jext 171) bl. 58b. Berliner Ueder-
handschrift von 1568 (Mscr. germ. fol. 752) nr. 102. Mscr. germ.
oct. 237^ bl 4a. Tschudis liederbuch (St. Oaüener cod. 463). Hoff-
mann, Oeselschaftslieder^ nr. 154 (nur eine str.). Eine melodie in
Afnerljoclis liederbuch (Basel F IX 22) bl 42a.
8. Bl 7b Der morgens steme der hait sich uf gedrongen;
wie lüde, wie lüde dat vns die fogel sangen.
9 str. XU 4 X. Tagelied. — Uhland nr. 79b. Vgl Niederdeutsche
Volkslieder (Hamburg 1883) 7ir. 57. Böhtne, Altdeutsches liederbuch
nr. 108. R. Eitner, Das deutsche lied des 15. und 16. jhs 2, 173
(1880). Bartsch, Oesamfnelte vortrüge u?id aufsätxe 1883 s. 294 fg.
OeistUehe umdichtung bei Wackeniagel, Das deutsche kirc/ienlied 3,
689 nr. 797.
9. Bl 8a Es daget wonencklichen,
waile schynet der heller dach.
3 str. XU 9 X. Unten nr. VI: Tagelied. — Die anfangsxeile kehrt
ft/iufig in gleichartige?^ liedern und deren geistlichen umdichtungen
linder, x. b. bei Wackemagel, Dasr deutsche kirchenlied 2, 535 nr. 709:
„Es taget minnecliche die sunn der gnaden vol."
10. Bl. 8a Ayn bueler moyß [s]ich lyden vyll,
des byn ich ynnen worden.
7 str. XU 8 X. — Unten nr. XIV: Loos des buMers. Auch in der
Berliner liederhandschrift von 1568 (Mscr. germ. fol 752) nr. 123
(str. 1 — 4. 6. 7. 5).
11. Bl. 9 a Uis gantzen we klaget sich eyn hylt
yn stre[n]ger hode verborgen.
10 str. XU 9 X. Wäehterlied. — Böhme nr. 111 naeh O. Forster 1549, 3
nr. 13. Noch eine Darmstädter hs. (Monatshefte für musikgeschichte
20, 71) ist bcnuxt bei Arnim und Brentano, Des hmben ivunderluyrn
1, 284. 554. In Berlin (Yd 8925. 8929. 8930) drei cinxeUlrueke:
Nürnberg bei K. Hergotin und F. Outknecht und Magdeburg bei
P. Kempff. Berliner mscr. germ. qu. 718 nr. 8. Eitfier, Das deut-
F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXU. 26
402 BOLTB
sehe tied 1, 39 nr. 143, Eine geistliche parodie bei Wackemagel 2,
929 nr. 1156. Bäumker 1, 254 nr. 10. 2, 362 nr. 413.
12. Bl 10a Der wechter der bließ an den dach
up hoger zynnen, dair er lach.
7 str. %u 6 X. WächterUed. — Frankfurter liederbuch 1582 nr. 155.
P. V. d. Aelsty Blum vnd Außbundt 1602 nr. 109. Görres, AUteut-
sehe Volks- und meisterlieder s. 115. Niederrheinisches liederbuch von
1574 (Berliner niscr. germ. qu. 716) nr. 39. — Vgl. Uhkmd nr. 80.
Böhme nr. 102 a. b. Yxems liederbuch (Berliner mser. germ. fol 753.
1575 im Oldenburgisehen oder Osnabrückischen angelegt; vgl BoUe,
Altpreussische monatssehriß 25, 333) nr. 54. Nd Volkslieder 1883
nr. 115.
13. BllOb Wuelde got, dat idt geschede
zu diesem nuwen jair.
3 str. XU 8 X. Unten nr. III: lAebeswerbuyig.
14. Bl. IIa Wat wyrt es doch des wonders noch.
7 str. XU 8 X. Liebesklage. — Frankfurter liederbuch 1582 nr. 21.
P. V. d. Aelst 1602 nr. 176. Mit L. Senfls melodie in Otts tiedem
1534 nr. 45—46 mid bei O. Forster, Liedlein 1 (1539) nr. 24 und
5 (1556) nr. 51. J. Bdner, Lieder 1581 nr. 26. Fl blatt Nürn-
berg F> Outknecht (Berlin Yd 9637) und o. o. (Ye 209). Cod. palat
germ. 343 (jext 171) bl. 135a. Tschudi^ liederbuch (St. OaUen 463)
78. Melodie in der Baseler Uederhs. von 1560 (F X 17—20) nr. 26.
Nd. auf einem fl. bl. der Berliner bibliothek (Ye 437). — Geistliche
umdichtungen bei Wackernagel 2, 1077 nr. 1309. 3, 780 nr. 920.
4, 77 nr.l31. Eine parodie in Rotenbuchers Bergkreyen 1551 nr.19:
j^WsLS wird es doch des trinckens noch."
15. Bl. IIb Die eirste freud, die ich ye gewan,
ys mir zo truren kamen.
5 str. XU 7 X. Liebeslied. — Uhland nr. 194 gibt auffallenderweise
nur die beiden texten Strophen: „Och meetgen, wat hait dyr der rocken
gedayn"; vgl. Eitner 1, 57 nr. 269. Das volständige lied hochdeutsch
nach ciiietn fl. bl. (Yd 9293) bei Böhme nr. 209. P. v. d. Aehst 1602
nr. 170. Cod. palat. germ. 109 (jext 66) bl. 105b. Nid. in einer
Weimarer hs. von 1537: Weimarisehes jahrlmch 1, 103 nr.8. — Eine
geistliche parodie bei Wackernagel 2, 1049 nr. 1285.
16. Bl. 12 b Aen dich kan ich niet freuwen mich.
3 str. XU 8 X. LiebesUed. — Frankfurter liederbidcJi 1582 wr. 34.
Fl. bl. Nürnberg, V. Neuber (Berlin Yd 9911). Züricher liederhand-
schrift O 438 bl. 411b.
UEDKRBÜCH DER HERZOGIN AMAUA VON CLEYE 403
17. BL 13a Och scheyden brengt myr swer
vnd macht mich gantz traurigklich.
3 str, zu 8 X, — Unten nr, VII: Auf imdersehetu Auch nd. in einem
ß. bl Vur hübsche lede, Wulffenbütiel by Conrad Hom (Yd 8719) :
„Nu scheiden bringet my swer."
18. Bl. 13b Myn gemuedt vnd pluedt
ist gantz entzynt
5 str. XU 9 X. — Frankfurter liedef'buch 1582 nr, 63. Oedrucktcs
foKoblatt des 16. jahrh. (Berlin Yd 7801, 44) und oktavdruck: Nürn-
berg, O. Wächter (Yd 9483). Harnisch, Liedlein 1588 nr. 15. Wei-
marer handschrifi van 1537 (Weimarisches Jahrbuch 1, 105). Yxems
liederhandschrift von 1575 (Berliner mscr. germ. fol 753) nr. 25,
vgl. 146. Nd. auf einem fl. bl der Berliner bibliothek (Ye 437). —
Eine geistliche umdichlmig von H. Knaust bei Wackernagel 4, 776
nr. 1150.
19. Bl 14 a Christe, du byst dach vnd dat lycht
7 str. xu 4 X. Abendlied, nach dem lat. hymnus des Ambrosius:
„Christe, qui lux es et dies." — Wackernagel 2, nr. 563. 1096.
Bäumker 2, 246 nr. 246. Hoffmann, Nid. geistliche lieder nr. 113.
Balte, Ztschr. f d. phil 21, 138 nr. 65.
20 — 21. Bl 14 b Idt laich eyn armer sünder vnd slieff.
Beide nummem sirul fälsclüich vmi eina^nder getrent; sie bilden xu-
Summen eine besondre Überlieferung der grossen tageweise Peters von
Arberg: „0 starker gott, al imser not", tvelche Bartsch in der 0er-
mania 25, 210 — 229 besprochen hat. Vgl. noch Bäumker 1, 451
nr. 200. Die fünf straphefi van nr. 20 hat Uhland als nr. 312 sei-
ner Volkslieder abgedruckt und da?iach Wackernagel 2, 333 nr. 501
widerholt. Nr. 21 enthält nicht nur die verse 17 — 50. 63 — 68. 55 fg.
61 fg. von Bartschs rekonstruktian (Oerm. 25, 221) , sondern nocJi
Weitere 17 verse, welche in den aiidem f absangen feJilen.
22. Bl 16a In freuden byn ich gantz geletz,
die woyle ich vmmer scheyden moyß.
S str. xu 8 X. — Unten nr. VIII: Abschied.
22a. Bl 16 b Ich hadt mich vnderwonden,
wolde dienen eyme vreuwelyn fyn.
5 sir. xu 8 X. — Unten nr. XII: Der ungeschickte liebhaber. Auch
€Xuf verschiedenen fliegenden bUittem des 16. jahrh. in oktav (Berlin
Td 7821, 34. 9552) und folio (Yd 7801, 32) erhaltest. Die erste
atrophe stimt überein mit dem Antwei'pener liederbuche 1544 (neudruck
26*
404 BOLTR
va?i Hoffmann von FaUersleben 1855) nr, 103. Eine fnelodie „Ich
hett mich vnterwunden^ steht in der Kopenhagener Uederhandschrift des
Petrus Fabridus (Nd. Jahrbuch 13, 55) nr, 182. — Versehiedefi davon
ist das lied „Ich het mir fürgenommen zu dienen stetiglich" bei Böhme
nr. 215.
23. Bl. 17a Nu hayn ich alle myn tage gehoyrt
3 str. XU 8 X. — Böhme nr. 265 nach einem gedruckten foliobkitie
(Berlin Yd 7801, 60): „So hab ich all mein tag gehört ** Gassen-
hatverlin 1535 nr. 27. Frankfurter liederbuch 1582 nr. 45. Ebeti-
reutters handschrift von 1530 (Berliner niscr. germ. fol. 488) nr. 145.
Berliner Uederhandschrift von 1568 (mscr. germ. fol. 752) nr. 15. Mscr.
germ. qu. 718 bl. 18b. Ein Baseler liederbuch von 1560 (F. X. 17—
20) nr. 66 bietet auch eine vierstimmige mehdie.
24. Bl. 17 b Ach got, wat sali ich syngen,
kurtzwyle ist myr woyrden duyre.
11 str. XU 8 X. — Unten 7ir. IX: Trennungsschmerx. Fast alle stKc-
phen kehren auch in andern Volksliedern derselben xeit ivider. Str. i,
2, 4 und 6 sind enthalten in der Berliner Uederhandschrift von 15 ^S
(Mscr. germ. fol. 752) nr. 56. Str. 1 begegnet bei Oörres, Altteutsc*he
Volks- und meisterlieder s. 71. Zu str. 3 vgl. Uliland nr. 81, 4 t^/?^
88, 6. Zu Str. 6, 5 und 11 Uhla?ul nr. 86, 4. Zu str. 9 Uhic^i^^
nr. 76, 11-^12 U7id 80, 4. Einen in Zwickau (XXX, F, 20) t^^'
findlichen einxcldruck (12 str.) habe ich nicht vergleichen können.
25. Bl. 18 b Ich byn durch frauwen wyllen
gereden so menche dach.
5 Str. XU 9 X. — Tagelied. Uhlaiid nr. 81. Böhme nr. 121. Oör'^'^^^
s. 126. Bergkreyen 1536 nr. 45. Frankfurter liederbuch 1582 nr. 1 ^^'
In Berlin vier fliegende blätter aus Nürnberger (Yd 9565. 9566. 95^ *^/
und Strassburger presseii (Yd 7850, 16), Yxems liederhatidscb ß^^ ß
von 1575 (Berliner m.^cr. germ. fol. 753) nr. 129. Niederdeuts^^^^^'
Volkslieder 1883 nr. 36. Antwerpener liederbuch 1544 nr. 102.
26. Bl. 19a Wach vff, myn ort, vernym myn wort
7 str. XU 7 X. - Böhme nr. 105. Bergkreyen 1536 nr. 38. Fran^'
furter liederbuch 1582 nr. 23 und 202. P. v. d. Aelst 1602 nr. l5^
Fliegende blätter: Nürnberg, V. Newber (Berlin Yd 9004. 90U) uri^
0. o. in folio (Yd 7801, 67) und im Mscr. germ. quart 718, bl 19^
Yxems Uederhandschrift (mscr. germ. fol 753) nr. 97. Ähnlich Fof^
ster, Liedlein 3 (1552) nr. 6. Niederdeutsche Volkslieder 1883 nr. 62-
— Geistliche parodien bei Wackenmgel 2, 1011 nr. 1249 und 4, 740
nr. 1093.
UEDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON CLKVR 405
27, Bl 20a Betrübt ist mir hertz, moydt vnd syn
wol heuer zu diessem neuem jaren.
3 str. XU 6 X, — Unten nr, XI: An die entfernte geliebte,
28, Bl 20h Wa sali ych hyn, wa ssal jch her,
wa sali ych mych hyn kheren.
10 str, XU 8 X, — Frankfurter liederbtich 1582 nr, 82, Einxeldruck
Nürnberg bei V, Neuber (4 str. Berlin Te 36), Yxems liederhand-
Schrift von 1575 (Mscr, germ, fol, 753) nr, 68, Berliner liederhmtd-
Schrift van 1568 (Mscr, germ, fol 752) nr, 94, Cod, paktt, germ, 343
(jext 171) bl 14 b. — Ein andres üed mit gleichem anfange bei Hoff-
mann, Geselschaftslieder ^ nr, 384.
28a. Bl 20b Eyn bloymellyn dat heyst meytden,
dat krencket mych so hart
3 str. xu 7 X, — Eine bessere Überlieferung bei Oörres s, 88 7iach
Cod. palaL germ, 343, bl 102a.
28b, Bl 21a Ffyl vngeluyckß yst vff ertden,
da fiPiir mych got behoedt
3 str. XU 8 X, — Beständige li-ebe. Bei Oörres s, 95 nach Cod. palat,
geryn. 343^ bl 79b. Oeorg von Helmstorffs Uederlmch von 1568 (Ber-
liner ms, germ. qu. 402) teil 3, bl. 40 b, Auch in einem einxeldrucke
„Nürnberg durch Valentin Fuhrmann'^ (Berlin Yd 7850, 27) mit
xivei iveiteren Strophen,
29. Bl, 21b Ich hoff, mir solsz gelingen,
ich weiß mir ein edels blodt
6 str. XU 7 X, — Unten nr. IV: Preis der liebsten. Vgl. xu str. 3
— 4 Böhme nr. 131, 3. Zu str. 5,1—2 Böh^ne nr. 260a, 4.
30. Bl 22a Ich hadt myr vsserwellet
tzo dem mey eyn bluemelleyn.
3 str. XU 8 X, — IDiland nr, 55, — Eine geistliche umdiehtiing bei
Wackemagel 2, 921 nr. 1147.
31. Bl 22b Pfryssch ffroyllich wyllen wyr ssyngen
yntgen dyssen koyllen mey.
7 str. xu 8 X. — Unten nr. X: Rosenkranx xum abschiede. Über
die bedeutungsvollen blumen des kranxes (str. 3 — 4) vgl. Uhland, Volks-
lieder nr, 54 — 55 und Schriften xur geschichte der dichtung und sage
3, 437, 582, Niederdeutsche Volkslieder nr. 130. Für die strophen
3 — 5 vemwg ich eine bessere Überlieferung aus einer nieder rheinischen
Uederhandschrift (Berliner mscr. germ. quart. 612 bl. 30a) anzuführen.
406 BOLTE
I. Wellmachtslied.
Nr. 1.
[Bl. 2 a] 1. Want alle dyngen an gade staent,
des Süllen wyr vnß besynnen.
als die propheten gesprochen haynt,
eyne jonflFrauwe sali gewynnen
yn rechter kuyssheyt eyn kyndelyn,
deme hemell vnd erde beuolhen saln syn,
deme süllen wir alletzyt vnderdienich syn,
got sali vnß mystroest wenden.
Vns ist geboem eyn kyndelyn
van eyner maget, die is so fynn,
Maria hyschet die lieue moder synn:
yere loff en hait geyn ende.
2. Dat got die minshcit an sich nam,
dat dicde hy vnß zu troesto.
eyn engel viß deme hemel qvam,
hy grueßet die magot siere schoyne,
hy spraich: Got gruetze dich der gnaden voll,
der here van dyr geboiren wyll syn,
want aller genadon bys dw voll.
Got sali vns nivstroest wenden.
3. Maria schreckde sich dair van:
Wie wulde dat got gewyllen,
dat ich e\Ti kvnt all sonder man
' all gegen naturo solde gewynnen ?
Der ongel spraich: üat kyndt dw draigts
van deme hylgen geyst, und dw blyffs maigt,
dat ys dat beste, dat men mach vynden.
Got sali vnß mvstrovst wenden.
4. Keyser Augustus was hy genant,
hy geboide geweldincklichen
dat eyn yeder minsche durch alle syn laut
den offer soulde brengen zu deme riche.
Der aide Joseph gewann yn die schair,
hv brachte Mariam mvt eme dair
1, 1 godü ha. — 1, 0 Ixjiiüthcii san — 1, 0 — 12 nicht ui der hs. erst mich
8t r. .7, ist aber als rcfrain narh jeder strophe xn iciderholcfi. — 1,'12 soyu —
2, 3 ge^am — 2, 7 des voll -4,4 rieht
LIEDERBUCH DER HERZOGIN ABIAUA VON CLEYE 407
ZU Bethlehem, dair sy yeres kyndtz [gebar?].
Got sali vnß mystroest wenden.
[2 b] 5. Wylt ir nu wissen, wer er sy,
der yn der krybben lyget gebenden?
Jesus Cristus der namen dry,
syn troest halt uns entbunden.
Die engelen songen und waren fro:
Oleria in excelsis deo.
Die heyrden rieffen ynt offenbair:
Unsere leydtz synt wyr entbonden.
6. Des achten dages qwamen [se] dair
all nae der juedischer seeden;
dat kynt wart yn den tempell braicht,
dair wart sich Jesus besneden.
die engelen songen mit suessem sanck:
Jesus Cristus wirt dat kynt genant,
dair van so wirdt der duffel geschaut,
als sy dat kyndt suert [?] nennen.
7. Des woirden die hyllige dry konynck gewair,
sy hoyrten van dem lieuen kyndtgen sagen,
golt, mirre und [wirouch] brachten sy dair,
eynem offer deme kyndtgen zo dragen.
die hem warn sierre balde bereydt,
ein Sterne viß Orienten sy dair geleyt,
sy kneden vur der maget gemeydt,
Jesus boede den konyngen syne hende.
8. Wer nw wyll treden yn den kränz
und speien myt deme lieuen kynde,
der moyß yn synem hertzen dragen
gedoult und suesse mynne
und oeuerdenken alle syne mysdait,
die hy syn leuen begangen halt,
und bydden dat kyndt und auch die lieue maget,
dat sy eme syne sunden vertzye.
9. Wer nw dat kyndgen wylt baden
und baden yn der wonen,
5, 1 mi — 5, 4 han — 5, 6 goloiia — 5, 8 heydtz — 7, 8 deme kyndt-
gen — 8, 1 kraeme — 8, 6 sy
406 HOLTE
der en mach so druefich nyet gesyn,
syn liertz en moysz eme groenen.
Moicht ich des kyndes syn diener syn,
vnd weschschen eyne syne doichelchyn
vnd drugen sy yn deme sonne schyn,
so hette myn truren eyn ende.
[3 a] 10. Köninck Herodes wart kont gedayn,
so wie eyn köny[n]ck woere geboeren,
hy dede die kynder alle erslayn,
wat onder drj'^n jarn was gebom.
eyn engel van bouen braicht die mere
zu Marien und Joseph dem besnedere:
Far up dar hyn yn Egypten lant
all uyß der falscher bueser hant!
11. Dat kyndt wart yn den tempell braicht
all nae der juedischer sieden,
dat kynt nam Simeon up synen ann,
der vurmails blynt war gewoyrden.
syn alder was waill vonfFhundert jair,
syne ougen woirden ome weder klair,
do hy dat kynt sagh offen bair:
Wat hayn ich yn mynen henden?
12. Got vater, gott sonn, got hylyger geyst,
dat sint drj'e hylyge namen,
houcn sich up zu der rechter handt
der hellen portzon zu samen.
sy gaeuen der hellen portzen eynen stoysz,
dat sy an allen enden entflovssz
vnd last den zu der rechter handt,
verloeste so mennich duyrbar pandi
13. Nim alle dyngen sint volnbraich[t],
als VHS die wysen sagen,
wie die prophcten gesprochen haynt
yn den prophcten dagcn;
dat liait vnsz Maria all verfoult,
hait vns evn kvnt braicht aene schoult,
9, 7 sonne klaire sohyn — 10, 3 sy deck die
LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON CLETE 409
deme sullen wyr alle wesen hoult
Got sali vnz mistroest wenden.
Vns ist gebom
nae yedem verss.
n. Gebet an Maria.
Nr. 6.
[6 b] 1. Myt gantzem ellendigem hertzen
klage ich, klage ich myn sunden groys,
ich stain yn sorgen und vriesen [L smertzen?]
all vnr den gryselichen doyt
hylfif mir, Maria du reyne,
und stae mir by yn myner noyt,
dat ich myne sunde mach beweynen
die groysse myt den kleyne[nj,
ye rayr an kompt der gryselycher doyt
2. Maria du kayserin [reyne],
du byst alleyne myn zuuerlais;
bydde vur mich dyn kyndelin kleyne,
dat hy myne sele wylle ontfangen,
du byst eyne maget schone
all yn des hemmeis trone,
bydde vur mich dynen sone,
dat ich by inn kome
all zu des hemels trone,
dair syngen die engelen schone.
3. Maria, du byst eyne kuysche reyne,
du byst all yn dem hertze myn,
mach ich geyn troyst an dyr gewynnen,
so bricht dat eynige hertze myn.
du byst so goder-turn [/. maueren?]
men vant nye dyns gelichs
du bys eyne moder des heren,
wyls vns yn duegeden lieren,
so sint wyr hemaemaels verblydet.
4. Maria, ich bydden vmb genaiden,
als eyn armer sunder groyss;
wyls mynre seien stain zu staden,
1, 6 stoe — 2, 1 keyseijniia
410 BOLTK
als myr ankumpt der bytter doyt
Kom mir doch dan zu hulve
yn myner meister noyt,
wyls mich doch bewam
all vür die helssche scharen
vnd fiieren sy all yn des hemels trona
5. ^Ach mynsche, ich hueren [dyn?] klagen,
Ich will, ich wyll gelouen dir,
eyn dinck wyll ich dyr sagen,
imd dat behalt und do nae mvr:
ganck hcymelich zu Caluarien
all vmb den berch hoge,
wyls dyne Sünden dar bekennen;
got sali dyner seien ontfarmen
und fiieren sy jn des hemels trone.*'
6. Maria, ich stain in sorgen;
myne Sünden sint so menichfalt,
der doit wylt nyet borgen,
hy en spart noch jonck noch alt;
myne sele die ist beladen
mit Sünden also groiß;
stae du myr zu stadon,
mich dünckt, ich sv verraiden
all myt der ewyger pynen so groiss.
7. ^Ach mvnsche, wvls nvet mvstroestich svn,
die bar[mlhertzicheit ist so groyß;
wylt dyne sele van sünden genyesen,
so steis du fir vyß aller noit
got ist so goder lieren
myt grosser barmhertzigkeit,
hy wyll dyne [7 a] sele visiteren
mit menoher schöner maueren
jill jn der ewicheit*'
8. 0 here, wyls mir vergeuen
all myn vndanckberheit,
dat ich havn bedrieuen!
och alle myne sunden synt mir leyt,
jch bydt all vmb genaide
C, 3 dort — 7, 3 solc — 8, 3 och dat
LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMAUA VON CLEYB 411
als eyn anner sunder groyB,
laB mich doch nyet [syn] yerlom;
du hais mich vißerkom,
verloist myt dynem bytteren doyt
in. Llebeswerbung.
Nr. 13.
[10b] 1. Wuelde got, dat idt geschede
zu -diesem nuwen jair,
das mich myn schönes lieff anesiege
myt yei-en äugen klare:
ere angesicht erfreuwet mich,
dar zu ere freuntlich laichen;
es gesche, wes geschiehen sali,
sy kan waile fruntlich machen.
2. Nw halt dich vast und stede,
das wyll ich van dyr haben;
off eyner queme, dich dar vmb bede,
kere dich nyet an syn sagen.
Ich wyll mich leytz ergötzen,
aber hy sali waile weder komen:
es geschie, wes geschiene sali,
das hayn ich wail vemomen.
3. Ade, ade zu guder nacht,
wyr tzwey wyr moissen scheyden;
wanne fuyr und stnie by eynandom lieget,
balde das ys verbrennet.
„Fair hyn, fair hyn, die straeß ist weydt,
fair [hyn] yn frembden landen,
suelcher boilschafft darflf ich neyt,
die mich brenget zo schänden."
IV. Preis der liebsten.
Nr. 29.
1. Ich hoff, mir solsz gelingen,
ich weisz mir ein edels blodt,
sy goleibt mir vor allen dingen,
1, 4 äugen yere — 2, 1 galt dich stedo und vast — 2, 3 jarvimb — 2, 8
enomi« — 3, 7 boitschafiFt
412 BOLTB
ein heubsz braunsz medlein goedt
Ich dein ir altzeidt garen,
ich hoff, sy soll mir werden:
sy erfrewt mir mein hertz in leib".
2. Ich bin ir holdt gewesen
vorwar ein langer tzeidt,
von aller weldt erlesen
hadt sy mir mein hertz erfrewt,
es lebt kein mensch vflf erden,
die mir so leib mach werden:
die warheidt mosz ich sagen.
3. Sy hadt ein braun krausz hare,
darzu zwey klare eagelein,
sy heissen [?] hin vnd herre
woU durch das jonge hertze mein;
darzu zwey heubscho wangen,
nach ir drach ich verlangen
in meines hertzen grund.
4. Sy hadt ein leib gleich einem hermelin,
darzu szwey ermelein szmall
mocht ich soy in drugtten umfanggen,
die hertz allerliebste mein!
sey ist mildt vnd dugentlichg,
dazu heubsz vnd seufiferlichg,
ir langer ßerdt ir woll.
5. Sey lägh [wol] vff der szynnen
vnd sagh szu dem finster herausz;
sy swengck sich gegen mir hervmmer,
sey vmfeinge mich mit irren ermelein weysz:
Wan widtu witterum kommen,
du heubsche vnd vill frome?
Hertzleib, in kortzer frist
6. Hertzleib, du dorst mich baldt fragen,
wan ich wittrum kommen soll [l. bei dir sol sein].
Ich mach mich baldt herummer
woll zu dem jongen hertzen dein,
vff das der klefifer nit erfare;
1, 5 grene — 1, 7 erswore — 2, 4 erewert — 3, 2 engeldn Uare — 31,6 noch
LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMAUA TON CLBVB 413
es koest mir leib ynd leben,
darzu mein getraues hertz.
y. Liebesglftck.
Nr. 4.
[5a] 1. ArÜicher hört, myn eyniges wordt,
eyne crone bouen allen wyfen,
du hais erloist dat hertze myn,
ich wyll dyr stedich blyuen.
In jamers dall hayn ich geyn sali,
dat sy mir doet Ionen;
sy ist die rechte, ich byn yere knechte,
bis dat sy myr doet lonenn.
2. Ein edell kruydt halt sy gebuwt,
dat steyt yn yerem garden,
eyn edell gedieht hait sy an mir erdicht,
sy schantz vf allen karten.
Die schantz was groyss, dae myt sy mich vmsloys
myt synnen und euch mit wytzen;
sy drückt mich myt lust an yeres hertzen brost:
Halt frunt, du machs mich suure.
3. Eyn vreuwelyn fyn ist by myr gesyn
gar hoymlich uff ein oirde;
dat wer myr leit, dat is emantz wyst,
off dat idt queme zu woerde.
Des briecht [?] nur pyn deme jongen hertzen myn,
das machs du, frauwe, geleufen.
Sy dreget tzwy brostgen, die synt wyss,
dair zu twey bruner ougen.
4. Ach paradijs, myn hoichster ort,
waer vyndt men dynes geliehen!
ich lofen dich als eyne klaire sonne,
eyn keyseryn so riche.
Die werde guede, dat sy mir got behuede
vur allen falschen zongen!
Dyt lietgen ist gemacht zu duysent goider nacht,
jn yerem dienst gesongen.
1, 1 Ortliches ort — 1,2 wyseo — 2, 1 sy an mir erdicht — 2, 5 vnsloys —
2, 6 ßynre — 3, 5 pyne — 4, 2 eynes
414 BOLTB
Tl. Tagelied.
Nr. 9.
[8 a] 1. Es daget wonencklichen,
waile schjrnet der heller dach,
van yere so moys ich wichen,
das ist mynes hertzen eyno klaige.
Sali ich nu van dyr scheyden
all van der lieistcn zart,
so geschaich myr nye so leyde,
Sprech ich by mynem eyde,
vurwair sy ließt myr hart
2. Ich hayn es myr gantz vermessen,
ich will de geyno lieuer nyet hayn;
noch halt mich die lieffdo besessen,
du goider [?J geselle schone,
ich hayn mich dyr ergeuen
jn rechter stedichheit,
nae dynem wyllen zu leuen,
nochtant so moys [ich] steruen;
ist dat nyt jamer groyss?
3. „Geselle, du darflfe nyet sorgen,
du hais dat hertze myn,
waile schynet der lichter helle morgen,
zu eyner vynstem in,
der vns tzwey [hat] vcrdrj^uen
van vnsorm vreuwden spyll:
0 we mich armes wyuen,
dat hertz yn mynem lyuen
dat lydet kommers vyll."
TU. Auf widcrsehcii.
Nr. 17.
[13 a] 1. Och scheyden brengt myr swer
und macht mich traurigklich,
dat ich nw sali van der,
die offt erfreuwet mich:
myt lieff und euch myt schertzen
Yil. Mit B hcxeichne ich die ahtceichungefi eines xu ,,WulffeHbiiiiei
Conrad Ilorn^' gedruckten fl, blattes (Berlin Yd 8719), 1, 2 A: mich ganx tnmrigkli
LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMAUA VON CLEVE 416
halt sy myn gemuet bewarrt;
yrst werd ich kranck yan hertzen,
so ich gedenck der hynne&rt
2. Vnfall durch synen nyt
hait senlich ciag erdacht,
vnd ouch durch cieglich tzyt
dat scheyden wirt vollenbraicht,
dar durch ich haefif groyß smertzen
und ist laek durch [L raet duir] by mir,
dat jch die zart moyß myden:
hylfif Glück, dat clag ich dyr.
3. Kom myr myt troyst zu steur,
bedenck des scheydens end,
vyll körtzweyll wyrt mir deur,
so ich [mich] van hynnen wend.
Myt wissen moys [ich] scheyden,
doch blyflft dz hertze by dyr:
Glück, schaff die tzyt myt freuden,
hylff vns zosamen schier!
1, 6 -B: myn junge hert — 1, 8 -B: der varth — 2, 2 A: semlich clag;
)lche klage — 2, 3 -B: Vnd schicket de klegolike tidt — 2, 6 -B: vnd ys
wilich my — 2, 7 5: de schönsten — 2, 8 ^: o golücke — 3, 1 jB: Gelücke
— 3, 5 jB: mit wesenden moth ick — 3, 6 ^: dat junge herte by er.
Yin. AbscUed.
Nr. 22.
[16 a] 1. In freuden byn ich gantz geletz,
die weyl ich vmmer scheyden moyß,
ich en weyß doch nyet, dat mich ergetz,
dan dat ich byn yn lyden groyß;
dat ich zo freuden hayn erweit,
dat moiß ich myden und fayr dair hyn:
zo eilend werde ich gantz seit,
so lange bys ich dich weder sieben.
2. 0 werder vrunt, nw halt [dich] yn hoide,
dat ich [/. idt?] dem kleffer nyet en werde [schyn]!
ich frücht, hy wende myrs nyet zo goide,
dat haue haue [?] weder moit noch syn.
Got weiß, dat ich geynen wandell beger,
1, 2 woyle — 2, 3 hy werde
416 BOLTB
mach ich dem kleffer verholen syn,
in rechter deucht nae dyner beghert;
so bys du doch geweldich myn.
3. Wyls doch myt truwen herden [?] wort,
lais felden sien, nyet schrecke dich,
du byst myn aller hoichster ort;
wan dw myt truwen meynes mich,
so iß dyr als myr yn aller swere
durch wont myn hertz myt scheydens pyn.
Gedenck, wie gerne ich by dyr were:
so en mach idt leyder nyet gesyn.
2, 8 myner — 3, 8 on mach ich
IX. Trcnimiigsschiiicrz.
Nr. 24.
[17 b] 1. Ach got, wat sali ich syngen,
kurtzwyle ist myr woyrden duyre,
vür zyden gynck ich spryngen,
dat bues ich allet hude [/. huyr];
myt groyssem suchten swere
vortzer ich menchen dach,
vnfall ist myn gefere,
wie waile ichs nyemantz clag.
2. Licff hauen und zu mvden
ist myr eyn swere boeB,
dat schaff der kleffer nyden,
dat ich dich myden moeß,
dat ich dich hayn verlorn
so gantz vnd euer all,
so byn i(Ji, lieff, dyn eygen
vnd nym du yß myner gewar.
3. Hy nam sy by den henden
by yerer sclme wysser haut,
hy foyert sy also veme
wallen durch den groenen walt,
dair laigen die tzwey by oynandern,
kurtzwyle wart yn neyt lanck:
1, 7 my — 1,8 clage — 2, 2 ey swe — 2, 3 klelfer mbmb — 2, 6 i
Berliner' Mg f 752: verlassen — 2, 8 ebenda: gleab mir Hl
LIBDKRBÜCH DER HKRaCOOIN AMALIA VON CLBVB 417
Hertzlieff, ich moyß mich scheyden,
so gayr aene myiien danck.
4. So haistu mych gefangen,
dat jonge hertze myn,
nae dyr dragen ich groyß verlangen,
du tzartes jonfifreuwelingh,
dyn mondlyn roit zo myden
is myr eyne swaere boeß,
des trure ich wynter und somer,
dat ich dych myden moess.
5. Der meye der is vergangen,
die lufft die weht vns kalt,
myr ligt in myne sinne
eyn jonffreuweling, ys waill gestalt
Here got, muecht ich yr stediger
und truwe diener syn,
vnd off ich yere gefeie,
ere eygen wulde ich syn.
6. Ich sali und moyß mich scheyden,
ys kan nyet anders syn,
dat brenget myr jB^oyß lyden,
ist myr eyne swere pyn.
Och scheyden, vmer scheyden,
[18a] und wer hait dich erdacht?
du hais myn jonges hertzen
[in] groyß truren gebraicht
7. Vur zyden scheyn myr die sonne,
es wyll aber nimmer syn,
so byn ich nw verdrongen
van der aller lieffeten myn,
der regen doet vns netzen
kalt weyet vns der wynt,
du hais mich ofiPt erfreuwet,
du vysserweldes kynt
8. Nu gesogen dich got, myn freuwelen,
du hertzes jonflferlyngh,
4, 1 imBerlitier Mgf7o2: Du hast mir vmbfangon — 4, 5 ich {statt roit) —
pjiie — 6, 7 my — 6, 8 tm Berliner Mgf 752: auß freudenn in traurenn
lit-« 7, 3 verdrogen
raiLOLoeiB. BD. xzn. 27
418 BOLfl
du machs mich armer reuwen
bys vp dat ende myn.
Wie waile da daist mich verachten,
dyn [l du] weyblichs byldt so werdt,
ich wünsch dyr eyn fruntlich laichen
und wat dyn hertz beghert
9. Wat zeuch sy vis den henden?
van goulde eyn ryngelchyn.:
Nym du es, du hupscher bresser,
draich du es durch den wyllen myn.
Wat sali myr, lieff, dyn syluer,
dar zo dyn roydes goult?
Moeß ich es doch nyet dragen
vur hübschen fireuwelyn stoltz!
10. Noch wyll ich nyet vertzagen
vnd wyll nyet auelaen.
Der hencker mueß jnn plaegen,
der mich beloegen hayt
myt syner fidscher zongen,
und dat ich weinich acht
Dat sy dyr, fynes lieflF, gesongen
ade zo goder nacht
11. Och scheyden, hertzlich scheyden,
vnd wer hait dich erdaicht?
du hais myn jonges hertze
in groysses tniren gebraicht
Dat ich [mynj lieff sali myden,
dat krenket das hertze myn:
du moyss myr vys mynem hertzen
und nimmermehr dair inn.
9, 5 syn — 10, 5 falcher — 11, 2 ordicht
X. Rosenkranz zum abschiede.
Nr. 31.
[22 b] 1. Ffiryssch ffroyllych wyllen wyr ssyngen
ynigen dyssen koyllen mey;
wan ych de bloemger ssyen sspryngen,
SSO hat myn troyren eyn endt
Den vnmoyt, den ych draggen,
den draggen ych gar heymlych
LIKDEBBÜGR DEB HERZOGIN AMALU VON CLEVB ^ 419
van mynem steytdygen boyllen,
dar na verlanget myeh.
2. [Du] hast myr myn hertz durchtzochgen
SSO gar wens vfif den gront,
dat ych dych, hertzleyflf, moysz mytden:
boeyt myr dyn roytden mondt!
Dyn boyigen wyr ych gern;
mach esz alsso neyt ssyn?
dyn clairer schyn erffroewedt
dat [jonge] hertze myn.
3. Wolt du mych, hertzleyfF, ergötzen,
SSO mach myr eyn[en] krantz;
dar an ssal du myr ssetzen
vii roessger algar gantz,
de ych dyr, hertzleyff, wyl nenen
SSO gantz myt vnderscheyt,
2, 1 hat — 2, 4 coytder — 2, 7 schynen — Str, 3 — 5 begegnen in bes-
gestalt in einem 1574 am Niederrhein angelegten liederhucke (Berliner mser,
. quart 612 nr, 15), und xwar hier xu dem liede ,Ich weiss mir einen gart-
' gehörig:
2. Hertzlieb, wilta mich nicht verlaessenn,
mach mir ein krentzlein daruonn;
darzu [so] soltu faessenn
sieben roeslein, seindt wollgethoenn,
die ich dir, hertzlieb, wil nennenn
80 gar mit ynterscheydt:
wolt ir sey recht erkennonn,
mein hertz ist euch bereidt
3. Er, lieb, traw vnde stedicheit,
das seindt der roeselein vier,
je lennger ie lieber vnnd vergift meiner nicht,
die staendt euch [/. auch?] woU darbey,
ein kraut heist wolgemuedth,
wolgomuedt das erfrewet das hertze meinn;
das seindt die roeselein siebenn:
hertzlieb, gedenck an das krentzleinn!
4. Ein kraut das heist vntraw,
das setzet mir nicht darbey
vm aller trawenn willen,
die ir versprechet mir.
got goff dem kleffer leiden,
darzu groes vnngefall,
der mich vnnd dich vnns beidenn
nicht scheiden soll.
27»
420 « BOLTI
dat du mych, hertzleyff, erkenest:
myn hertz yst dyr bereyt
4. Trow, leyflBt [vnd] steytdygeyt
dat ssynt der roessger dry;
we lange[r vnd] we leyffer,
dat steyt gans wayl dar by,
dat du es vff dysser ertden
geyn lyffer haffsz dan mych,
dat ssynt de roessger all vii:
mocht ych dat krenssgen dragen.
5. Eyn kroeytgen, dat heysscht vnwyllen,
dat ssetz myr neyt dar an,
dat deyt myr myn hertz sseyr qwellen,
yt en kan ysz neyt gelan.
mych duynckt, du hafi&z onsz geredt
wayl ouf dem hertzen myn
der yst ein kleflfer
yn der wylt verdryssen mych.
6. Ssolt myr eyn kroytgen bekleyffen,
mach esz neyt bleyfifen stayn;
ssol mych eyn kleffer verdryffen,
de yar reyt ga yn [?]
Gott geff dem kleffer dat lytden,
vnd ym moysz wertden we,
all beyt ssyn ougen blyntden,
SSO [en] sseyt er esz nimer me.
7. Dar an ssolt yr gedencken,
yr hübsstz yongffraweleyn feyn:
dem de leyffen doet kerencken,
ssyn droyren hat geyn endt
Myn loyff hat myr vntrow gedayn,
dar vmb troyr ych dach vnd nacht;
eyn ändert [leyff] moysz ych keyssen,
dartzo hat er mych bracht
XI. An die entfernte geliebte.
Nr. 27.
[20a] 1. Betrübt ist mir hertz, moydt vnd syn
wol heuer zu dlessem neuem jaren:
1, 2 wol he heuer
UKDERBÜCH DER HERZOGIN AMAUA VON CUCVB 421
noch drecht mich stet mein hoffonge hem [?]
vnd darffe nyet oflfenbajrren,
das ich so hart betrübet werd
in heimmelycher leib verborgen.
2. Das ich dich, veins [liefi], mydenn mus,
brengt myr heimmeliche smertzenn,
ist mynem hertzen eyn sweire bus
vnd krenckt mych fast von hertzen;
so leb ych doch der hoffonge noch,
mein trouren weyrt sich wenden.
3. Ich wayrt der tzit, do er wieder geit
mein gemoit mit allen freiten
vnd mir macht gesunt myn hertz verwunt,
heylff vnß zo samen beyde.
tzo dyr, myn gedacht, ade tzo goder nacht,
van dyr moyss ych mych ytzund scheiden.
2, 1 minlenn — 3, 1 tzu — 3, 3 verweynt — 3, 5 geacht — 3, 6 ytzons
XII. Der ungeschickte liebhaber.
Nr. 22a.
[16 b] 1. Ich hadt mich vnderwonden,
wolde dienen eyme vreuwelyn fyn:
sy snyt myr dieffe wonden
dem jongen hertzen myn.
Wulde glück, müecht jch yere dienen,
jr stedyger diener syn,
vnd were es ere gefeilig,
yere eygen woulde ich syn.
2. Ich was eirst zo yr komen,
verswonden was myr myne rede,
ich wart zo eynem stomen,
als ichs vemomen hett:
ich dnrfft nyet vmb sy werfen,
idt was alleyne my[n] schoult
vyll lieuer wulde ich steruen,
ye ich verluyr yr hulde.
3. Wie sali ich mich dair inne schicken,
wie sali ichs grj^en an?
ich hay[n] ja gar geyn glück[ej,
ich byn eyn trurich man.
422 BOLTB
Fynes liefF, laiB dich erbarmen
m7[n] kommer vnd groys noyt:
mueft jch dich farn laissen,
lieuer were myr der doyt
4. Dae gafif ym nw die reyne
gar yyle fronüich küB;
dat yreulyn fienge an zo weynen
vnd ßmückt yn an yr brüst:
Fynes lieff, laiß dich erbarmen
my[n] komer und groys noyt!
ich wyll dich nyet begeuen,
schaf[t] lieff dyn mun[d]lyn royt
6. Dyt liedt das ist gesungen
vys trur[ic]lichen mut;
vnfidl halt mich verdrongen,
ich hoff, es werde noch goyt
Ich wyll der zyt erwarten
bys vff die seine stondt,
moyft ich dich fam lalssen,
so spar dich got gesondt!
Str. 4 lautet im Berliner mser. germ. quart 708:
So gab sy ym ain segen
Mit ainem fraintlichen kaß.
Sy sprach: Qot sol sein pflegen,
Ynd schmückt in an ir bnist.
Die weil ich hab das leben,
Red ich zu disser stund,
Wil ich dich nit auffgeben.
Schafft, lieb, dein roter mund.
4, 1 myne — 4, 2 gar ky frutlich — 5, 2 munde
XIII. Die ungetreue.
Nr. 5.
[5 b] 1. In liefden ist myr myn hertz verbrant
nae eynem vreuwelyngh stoultz,
sy leuet myr zu aller zyt
recht wie dat fuyre dem houltze.
Ich hain yere gedient vff golden woene,
recht als ich byllich konde.
1, 1 my
LIKDRRBUCH DER HERZOGIN AMAUA VON GLBVE 423
Wat hylflft yere, dat sy mich verkuyst
och sonder alle schoiüt!
2. ^Geselle, des seluen geliehen
klagen ich ofFenbair
dem armen als dem riehen,
du wils darum nyt layn:
myt der eleu du myr vismyst,
mess ich dir widder vm.
in der alder truwen du dyck vergyss,
du myrcks waile, wie ich des meyne."
3. Zart frauwe, wyls du nyet zürnen dich,
dat ich dyr sagen moes:
mych leues bürde [?]
dair vfF myn truwe . . .
du hays dyn hertze gedeylet
eyme hie, deme andern dae:
fFair hyn myt kleynen heyle,
schaff äff haue du zu lone.
4. „[Fare] ich nyet, so moysz ich gain,
dat myrcko, du knaue stoultz;
und sytze ich nyet, so moysz ich stayn:
schaff äff zu dieser stondt
dat gyfife du myr zu lone
ind drages uff mir dinen hass,
du sages myr wairlich schone:
got geue dyr, ich weys waile was."
5. Sage fraue, du kans vyll spytyger werdt
vnd dragen oeuermoyt,
dat federen splyssen hais gelert
und speien vnder dem hoide,
du kans wail ryncken giessen
und sagen seiden waere:
der dyr . . weirlich zu lieffe,
du drieues ys noch eyn hawe [l jaere?].
6. „Geselle, an dynen äugen
suyt men, wat an dir ist:
1, 7 verknyst — 2, 8 wade — 4, 3 stayne — 4, 4 off — 5, 3 gehört —
suyt wie
424 BOLIK
du hais er yill bedrogen
myt dyner valscher lyst,
du hais inyr vyU gesongen
wys geboden und s
des hayn ich dich befonden
vf eyne falen perde.**
7. Zart vrauwe, ir kunt den mantell schicken
• gegen regen und gegen wynt
Yan syden machts du myr snure,
dair gime ich henffen vyndt
Du hais es dich vermessen,
du kans waile spalden wynt,
du machs mir des gar behende
myt sneden [L seenden] äugen blynt
[6a] 8. '„Geselle, aen allen hoffen
[duj dienst uff losen waen:
fair hyn, die dure steyt offen,
ich wyll dich neyt langer haen.
Du hais der kamern also vyll
in dynem jongen hertzen,
dat ich dyr neyt geleufen kan
aene schympo und euch aene schertzen."
9. Eyn ander hayt mich verdrongen,
des byn ich weirlich fro;
myr ist gar wail erlongen,
sy hait eynen andern deren.
N. spraich, sy künde schaffen,
wie sy sich hauen wyll,
der narren vnd der äffen
hait sy gemachet vyll.
10. „Nu siet, ir schone jonfirauwen,
sydt ir yn stediger hode;
hv kan sich vruntlich machen
und dryuen wanckelen moyt
Hy hait ir fyll gefangen,
an synem narren seyle,
ich byn eme kome entgangen
got geue myr gelück und heyle."*
6, 7 besonden — 7, 4 vynde — 10, 3 vrmitlich
LIEDERBUCH DER HERZOGIN A3IALIA TON CLEYX 425
XIY. Loos des bulüers.
Nr. 10.
[8 a] 1. Ayn bueler moyß sich lyden vyll,
des byn ich ynnen worden:
des dages dryfPt hy aflFen spyll
und fiiyrt carthusers orden,
die gantze nacht hy oeuer braicht
myt krysschen und [myt] syngen,
in hageil und snehe deyt hy im wehe,
hy hofft, im stille erlyngen.
2. Wan hy des morgens vrue vp steyt,
duet hy sich snell anlegen,
hy wardt, wann sy zo kyrchen geyt,
dat hy yere kome entgegen.
Wan sy yn anblyckt, syn hertz erschreckt,
eyn woirt kan hy neyt gehen,
so gruytz sy yn und geyt vorhyn,
nae yere duet hy vmbsiene.
[8 b] 3. So geyt hy vp und wyder aflf,
dat duet sy balde vememen,
syn hertz ist im der vreuden voll,
wanne hy heymlich sali komen:
vp eyne stont, die sy im gont,
gar schöyn deyt hy sich mutzen,
hy leufEt steytz vmb, sueckt renck und krum
myt gaffen vnd myt gucken.
4. Wanne hy dan zu der Uefster kumpt,
syn truren ist im vergangen.
Sy spricht: Ir syt hupsch und gelat;
myt em kan sy woU prangen,
vnd lagt yn an, als sy waill kan
Mit B bexeichne ich einige au>s dem Berliner mscr. germ. fol, 762 entlehn-
Varianten. — 1, 1 ich — 1, 2 yn den — 1, 4 cathusers — 1,5 — 1 B\
itt I mitt pfciffen, dantzon vnnd singen, | im thutt nitt woo roiff, regen oder
ehe — 1,7 sucht deyt — 2, 7 sy gruytz — 2, 8 7i: ohr darff nitt wieder
sehen — 3, 1 i^: Ehr geitt ihr na^jh vnnd nymbtt jror whar — 3, 3 im vyll der
den — B: ist foU der froudcm gar — 3, 4 B\ ohr \m sei sali -■ 3, 5 B: sei
. im ein stundtt — 3, 0 //: Hi<:h /«»renn -- 3, 7 fg. B\ Khr godoncktt ahn jr,
zeittwirt jm schwer, | für di« thur komptt ohr hofflorenn — 4, A B: kallenn —
B: sei sichtt in an
426 BOLTE, UKDESBÜCH DER HERZOGIN AMAUA TON CLXVB
eyn gecken narren oeuen.
Hy spricht zu yr: Hertze beger,
eyn schätz bouen allen wyuen!
5. Ich byn uch, jonffirauwe, van hertzen hoult,
nyet me kan ich gesagen;
wanne mir vre lieffden nyet werden ensoldt,
van leyde muest ich vertzagen.
dan nympt sy vur eyn euentuir,
dair myt dat hy geit drafen,
macht im eyn krantz: die lieifde sy [?] gantz,
vnd wardet eynes andern knauen.
6. Och bueler, du vyll armes dier,
wane wult du wysheit plegen?
Sy spricht, sy hait geyne gonst zu dyr,
dar vmb lais vnderwegen.
Geleuve myr, du byst zu aller fryst
eyn mertyrer hie uff erden,
du maches dyr pyn durch lieffden schyn,
dair dyr geyne lieffde mach werden.
7. Lais äff, lays äff, du armer gouch,
sulchs boelschaft darffs du nyet suechen:
dat fiiyr dat lesch, byst dich der rauch,
du schaffs nyet yn der kuchen.
Sueohe anders wae, gayne lieffden ist dae,
die dir mach wederfaren,
dyn lieffde und gonst ist gar vmb sunst,
dyne arbeit machs du wail sparen.
4, 6 B: jn gecken vnd narren weise — 5, 3 soldo — 5, 5 euen mir —
5, 6 daet myt — 5, 5 fg. 5: so nympt sei vorhin einen andern holen, | mitt dem
goitt sei heim hrassen — 5. 7 und macht im eyne — 5: ist gantz — 5, 8 5: sei
wartt auflf ander — 6, 2 wyscheit — 6, ^ 5: forwar sie onhatt kein liebde —
6, 5 B: glaub mir dei(J, du bist jn aller weiß — 6,6 mertyter he; B: mertler —
6, 7 schyng — B: dir schwer vmb liebde scheir— 7, 2 boetschaft — 7, 5 J5: frei«
anders — 7, 8 B: drumb magstu es.
BERIJN. JOHANNES BOLTE.
JBEE DEN BIIDUNGSGANG DEE GEAL- UM) PAEZI-
FAl-DICHTUNO IN KBÄNKEBICH UKD DBUTSCHLAm).
(Schluss.)
Sp. 531. Hie kummei her Omvan xuo dem kleinen ritter, der
wunderlichen schilt hette.
Am brunaen dabei sass eine schöne, prächtig gekleidete Jungfrau,
die mit elfenbeinernem kämm ihr goldig glänzendes haar strich, und
ihn freundlich begrüsst, als er seinen namen nent. Alsbald kernt auf
falbem ross ein kleiner wunderschöner ritter, prächtig gekleidet imd
ungewafnet, in der grosse eines fünQährigen knabeu hergeritten, und
ladet Gawan zu seinem schloss ein. Die dame ist seine Schwester,
und beide sind sonst verwantenlos. Den schild kann nur der treuste,
froraste, tapferste held, der zugleich die treuste geliebte hat, erstreiten,
fünfhundert hat der kleine ritter bereits besiegt, die den versuch
Während sie im schlösse gastlich tafeln, bringt ein knappe auf
warzem ross einen gruss von Tdiern, söhn des königs Nuwes, der
ein grosses tumier angesezt hat, zu dem auch Artus und die tatelrun-
dor kommen werden, und wohin auch der schild des kleinen ritters
gebracht werden möge, um darum zu kämpfen; dazu möge er sich
beim roten kreuz einfinden. Nach der tafel begeben sie sich in eine
laube mit schöner aussieht und worin ein prächtiges bette steht. Der
kleine ritter reitet gerüstet liinab, um den schild zu hüten. Darauf
erklärt seine Schwester Tanreie dem Gawan ihre liebe, und dieser hoch
entzückt ijewan die blttome von irme reinen inngetliuyme. Der kleine
ritter kehrt abends ohne abenteuer zurück und Tanreie ist sehr erzürnt,
dass der kleine ritter neben Gawans hette schlafen will. Beide reiten
früh morgens mit dem schilde ab, und lassen die dame schlafen.
. Nach Übernachtung bei einem ritter nehmen sie rast, wo Artus
■bit 3000 rittem lagert, und senden den schild an Idiers, dass er ihn
Mn Artus als kampfpreis überreiche. Kaye nimt ihn zur Verteidigung
auf, wird aber vom kleinen ritter klafterweit hinter das ross abgesto-
chen. Darauf gleichfals Gawaus bruder Mordret von Idiers. Zulezt
will keiner mehr den schild zur Verteidigung auliiehmen, Idiers zieht
sich mit Gawan und dem kleinen ritter in deren zelte zurück, denn
Oawan wolte unerkant bleiben; sie nahmen den silberschild mit sich
und Hessen sichs wol sein bei tafel mit speise und trank. Artus tafelt
Beinern lager und zürnt, dass niemand den kleinen zwei^ erkant
besiegt habe. Gawan ritt mit dem kleinen ritter heim, beide
428 8AN XARTB
schlafen wider beisammen zum leidwesen der Tanreie. Am andern
morgen verabschiedet sich Gawan, während die Jungfrau sich in lange,
bittere klagen über seine treulosigkeit ergiesst Er übernachtet dem-
nächst bei einem ehrbaren ritter.
Sp. 561. Hie vindet Oawan den verdohien^ ritter, dem er sins
liebes vnder half.
Beim weiterritt trift Gawan auf einen ritter, der träimierisch und
tie&innig dahin trabt Ein anderer ritter hat ihm seine geliebte abge-
fochten. Bald finden sie dieselbe in einem zelte, aber zugleich auch
den feindlichen ritter, der, von Gawan besiegt, die Jungfrau an den
verdohten zurückgibt, und Gawan zur nacht einladet Er heisst Brun
und muss sich bei Artus zu Eavalun gestellen. An einem kreuzweg
lenkt das beglückte liebespaar ab nach der schwarzen kapeile, und
Gawan sezt seinen weg allein fort
Sp. 572. Hie vindet Oawan sinen sun OingelenSy den er hefte
v(m hern Brandelins swester.
Nachdem sich beide freudig erkant, macht der söhn Gawan bekant,
dass Artus ihn um beistand gegen den könig Gatras ersuche, der sein
land mit feuer und schwert verwüste. Gawan teilt dem söhn seine
sp. 259 und 264 oben erzählten abenteuer mit
Sp. 579. Hie vert künig Artus mit sime her uf künig Kairos
von Resesse.
Artus zieht mit grosser heeresmacht zu felde. Nach viertehalb
monate langer belageniDg ergibt sich Katras, und nimt sein land von
Artus zu lehn. Gawan blieb bei Artus.
Sp. 582, 11: uns enseit dis mere von imme nüt me
nUy tvie ex joch hamoeh erge.
Sp. 582. Nu mil er von Par^efale sagen, une er ein bilde in
eins kijides tvise vant und mit im rette uf einem bäume und vnsete
in xuo dem leidigen berge. [Bern. ms. § 23, zum teil lückenhaft]
Sp. 582, 11: ich uril üch t^mi Parxifalen sagen,
hörent irs gerne vnd lontz üch wol behagen.
Walther von Dunsin dise rede rei,
der dise ystorie vollebroht het.
er sprichet, dax Parxefal wolgemuot
1) perrfoÄ/, vgl. sp.608, 23. 738,45. 739,29. 741,26.
803, 11: wart sere cerdoht gar:
er veryax sin selbes sunder sin dank.
610, 8: Parxefal wart so sere rerdoht,
dax er enioüste mit tuon fcas.
■ BtLDUMOaOASO »RR OSALDICHTÜNO 439
■'Vierzehn tage lang, seitdem er Bagiiraedes von dem bäume befreit
■hatte, an dem er mit den beioen aufgehängt war [s. sp. 506], iimher-
Ijitt, als er im walde ein schön gekleidetes, etwa 5 jähre altes kind,
leinen apfel in der band, hoch im bäume ersah. Er fragt nach dem
Igral, doch wiQ das kind darauf nicht eingehii, und sagt nur, er werde
Imorgen zur saule auf dem leidigen berge kommen und dort weiteres
rhören. Darauf stieg es im bäume immer höher und höher, bis es
verschwand. Parzival übernachtet im hause eines eiiisiedlers und
erreicht am andere tage den leidigen berg, von dem eine Jungfrau
herabkomt, die ihn warnt. Ihr ritter sei hier wahnsinnig geworden
und irre hier im walde herum; sie suche ihn, doch lehnt er ab, ihr
darin zu helfen.
Sp. 586. Hie vert Paraefal xno der sul uf den leidigen berg
I tmd geschach im gros oventäre. [Bern. ms. § 23.]
Auf dem leidigen berge fand er eine, wol einen bogenschues
lohe, reich vergoldete kupferne saule, um welche fünfzehn kreuze
mden, die je fünf rot, weiss und blau gefäibt, und jedes wol funf-
»hn klafter hoch waren. Mit goldner ijischrift stand auf einer mar-
nortafel lateinisch unter einem ringe geschrieben: dass nur der beste
■zitter hier sein ross anbinden könne. Parzival konte sie zwar nicht
■lesen, doch hatte der ritter, der ihn in das grab stiess [sp. 485 und
■486], den Inhalt gesagt. Er steigt ab, lehnt Schild und lanze an die
VsKole und bindet sein ross fest an den ring. Da komt auf einem
' weissen maultier die wunderschöne Jungfrau vom leidigen berge, die
ihr schloss hinter dem berge hat, begrüsst ihn freundlich, streichelt
sein ross und ladet ilin in ihr zeit ein, das sie seit vierzehn tagen
hier aufgeschlagen hat, um abzuwarten, wie djis abenteuer ablaufen
wird, das die tafelrunder Uawan, Gyüet, Dos söhn, Ywon, Lanselet
und Sagremor bestehen wollen und die sie bewirten werde. Viele
mägde und knechte befinden sich bereits bei dem zelte.
Sp. 591. Hie Jiörent von kiinig Artus gebürte sagen. [Beru.
ras. § 23.]
Sie erzählt dem beiden von Artus geburt, über den von einer
I «eisen frau und Merlin, dem weissager des königs Uterpandragon,
I grosses prophezeihet worden. Da Uter wissen wolte, wie er den besten
I ritter erkennen könne, zauberte Merlin jene saule mit den 15 kreuzen
Wnnd dem ringe zum anbinden der rosse zur prüfung. Merlin gieng
K.vom hofe zu ihrer (der erzahierin) mutter, und da ward Merlin ihr
■nter. Auf ihre frage, wer ihn hergewiesen, einzahlt Parzival ihr das
ubenteuer sp. 486 mit dem ritter aus dem grabe. Die Jungfrau erklärt
den lezteren für einen sohändlictien räuber, den er hätte töten i
Sie führt Parzival auf den weg zur gi-alsburg, duch die sdrm
gewitt«r begleiten ihn am tage, während die schünheit der folg
nacht ihn entzückt
Sp. 598. Hi^ vindel Parxefal einen boum, der vol Ifürr
kerxen wax. [Bern. ms. § 24.J
Da sah er einen bäum mit tausenden brennender kersen,
je näher er kam, desto mehr verschwand die erleuchtung, und er k*m
an eine nur mit einem licht erleuchtete schöne kapeile, in der auf dem
altare ein erschlHgener ritter unter prächtigen decken lag. Da ergieng
ein blitz mit fürchterlichem donnerschlag, und eine bis zum ellesbogen
schwarze band löschte das licht aus und Parzival verliess unter from-
men gebeten die kapeUe. Darauf begegnen ihm Jäger des fiscberkönigs
und eine Jungfrau zu pferde, die ihm bestätigen, dass er auf dan
rechten wege zum gral sei, doch verweigert die dame, ihm auskuoll
über das kind auf dem bäume und das abenteuer in der kapelle zu
geben.
Sp. 602. Hie kummet Parxefal «wo rfer« anderen niole xvo dem
grok. [Bern. ms. § 24 mit dem schluss: drei tage nach der kröoimg
Parzivals »um gralkönig starb der fischerkönig und wurde zu grabe
getragen. — R. Boron s. 176 — 178.]
Endlich komt der held zur gmlbiirg und wird in dem prächtig
geschmückten saale vom könig, der auf einem ruhebett sass, gastlich
empfangen und genötigt, neben ihm platz zu nehmen. Parzival fragt
eifrig nach der bedeutung seiner erlebten abenteuer. dem kindo auf
dem bäume, dem bäume mit den kerzen, der kapello mit dem toten
ritter. Doch der kiinig vertröstet ihn bis nach der lafel. Bei dei^!-
ben ward der gral, die blutende lanze von schönen Jungfrauen, das
zerbrochne schwert von einem junker, der es auf den tisch vor dem
könig niederlegt, herumgetragen. Parzival weiss nicht, was er zaeret
fragen soll, so sehr ward er verdoM [sp. (510, 8]. Der könig erklärt
ihm: das kind habe sich mit ihm nicht befassen können, da er an
einer grossen sünde noch zu tragen habe. Gott habe den menschen
aufrecht erschaffen, damit er hoch und frei um sich sehe, und di«
seele nach dem himmel richte, was er bisher nie getan. Das kind l
in den himmcl gestiegen, and sei ihm die Weisung damit {
gleichfals daliin zu streben. Über den bäum mit den kerzen i
kapelle mit dem toten ritter wolle er nach tische weiter reden. .
sival bittet, ihm das rätsei <
Ainfortas entgehet: wer die
gebrochenen Schwertes zu IdseoJ
stücke zusammeofUgen könne,
BILDX7N0SGAN0 DEB ORALDICHTÜNQ 431
beste ritter der weit, doch müsse er zugleich voll gottesfurcht sein und
die kirche ehren. Er möge versuchen, die stücke zusammen zu fügen.
Hernach werde er ihm vom gral und dem blutenden speer erzählen.
Parzival sezt das schwert zusammen, dass es wurde
Sp. 609, 31: 80 schöne unde so gantx,
frischy reine und gesJaht,
cUse dez tagex, da ex wart gemäht ....
610, 13: der künig such in an unde wart fro.
mit armen umbeviepig er in do,
aJse ein tugenihaft man tuot
er sprach: lieber herre guot,
über dis hus sint gewaltig hie
und über alles, dax ich gewan ie,
one alle tviderrede dekeine
und tail üch lieber haben eine,
denne keinen 7nan der nu lebendig ist.
Darauf wickelt der knappe das schwert in einen zindel und trägt es
fort; der könig aber sprach
Sp. 610, 32: essent, schönre herre, wolgemuot,
dax üch got durch alles sin guot
grosse ere geben welle
unde behuote üch vor der helle.
(Hier begint Manossiers fortsetzung, s. B.-Hirschf. 1. c. s. 99.)
Als sie weiter tafeln, wird der gral, der blutende speer und die
patena nochmals herumgetragen, und als sie sich wider entfernt hatten,
begann der könig seine erläuterung: Mit dem speer habe Longinus die
Seite Christi durchbohrt, der gral sei „der kelch'^, in dem das heilige
blut aufgefangen. Joseph brachte ihn her, als ihm Yespasianus aus dem
kerker half, da er nach Judäa gefahren, um die untat der Juden zu
rächen, und wo Joseph das evangelium predigte. Mit seiner gemeinde
zog er in die Stadt Saresse, und gieng mit ihr in den sonnentempel.
Der könig des landes wurde hart von den Ägyptern bedrängt, und war
alt und schwach geworden. Joseph heftet ihm ein rotes kreuz auf den
Schild, mit dem er und sein volk gegen die feinde ziehn und siegreich
zurückkehren. Da liess sich Avaluk, der könig, mit seinem volke tau-
fen, und nante sich Modrens, desgleichen sein schwager Salafes, der
fortan Natigon hiess. Joseph zog mit dem gral und seiner gemeinde,
überall das Christentum verbreitend weiter und her in dieses land, und
der gral blieb hier, als er starb. Er, Ämf'ortiis', glaube, er
nachkomme; die Jungfrau, die den gral trug, sei seine tocbtfl
andre mit der patene dio des königB Gouns, seines brudeis. Mit den
ficbwertc sei der tütlicbste scblag geschehen; denn als sein bruder auf
der bürg Kintagüt von Epinogres belagert ward, nahm sich der neffe
des Epinogres die waffen eines tuten ritters von Gouiis, schlich sieh
damit au ihn, und spaltete ihm mit dem sc-hwert das haupt. Bei die-
sem leidigen schlage zerbrach das schwert Jener warf den andern
teil weg und entfloh. Der leichnam und die schwertetücke wurden auf
die bürg gebracht, und meine nichte sagte: wer das schwert wider
heistetle, der solle damit i-ache an dem mörder nehmen. — PaREinl
hört andächtig und teiluehmend zu und bittet um das schwert zum
rachezug gegen den neffen des Aspauogree, den herm vom roten türme,
den „unsinnigen" Partinias, dessen krait er nicht fürchte. FarziTal
lässt nicht nach mit fragen über den bäum mit den lichtem. Es ist
der goukdbaum, da sich die feen vereammeln, welche die loute betra-
gen, die nicht den glauben haben. Da sie verschwanden, als ihr nah-
tet, soU das bedeuten, dass ihr den zaubern dieses landes ein ende
bereiten werdet Den bäum wird niemand wider finden. Die kapcUo
aber stiftete Blanschemore von Kornuwale, die mutter des Asspynogres,
welche nonne in der kapelle wurde. Als sie starb, sciilug er ihr das
haupt ab und begrub sie unter dem altar der kapelle. Seitdem wanJ
fast täglich ein ritter von der schwarzen band unter donuerschlägen
getötet; wol schon an 5000 fanden so ihr ende. Wer aber mit der
schwarzen band kämpfen wolle, der nehme die weisse fahne, die tu
der kapelle steht, und vom teufel behütet wird, und setze sie in di«
Weihwasserbecken, besprenge damit die ganze kapelle, altar und Icicfae,
und gott im himmel werde ferneres unheil verhüten. Der kämp&r
müsse aber sehr tapfer sein. — Endlich gehn sie im prächtigsten >in^
mer schlafen; das bette Parzivals wird weitläuftig beschrieben. Doch
Parzival steht schon in der frühe auf, und rüstet sich besten« zur aiiB-
fehrt Vergebens bittet ihn Arafortas, wenigstens noch einen tag n
bleiben.
Sp. 625. Hie i>indei Parxefal Sagremors und iierdent sü xwene
mit xeherien vekteruk.
Sieben meilen von der lierberge trift Par/ival auf Sagromors, "Ipr
einen elenden klopper reitet, da ihm, als er nacht» im wolde schüaC
sein ross diebisch mit diesem klepper vertauscht ward. Gnisi
I) Im fttinzösisolion tatt wird der nanic Brnn st^hn.
BILDUNGSGANG DER GRALDICHTUNG 433
dass sie sich gefunden! Da kommen zehn ritter feindlich hervor-
gesprengt; der erste reitet den schönen Morel des Sagremors, und hat
eine Jungfrau vor sich auf dem rosse, die nach hilfe und befreiung
schreit. Im ungetümsten kämpfe erschlägt Parzival fünf ritter; Sagre-
mors verfolgt die übrigen auf seinem rosse. Auch die lezten zwei
werden niedergemacht, doch Parzival ist schwer am knie verwundet
Dennoch führt er auf seinem rosse die dame auf ihre birg, vor der
eine bewafnete schaar ihnen entgegen komt, ihre herrin zu suchen.
Freudig empfangen, glänzend untergebracht und von einem arzt ver-
bunden, muss der held einen monat dort in ihrer pflege verbleiben.
Sp. 639. Hie jaget Sagremors eime ritter noch, der im sin ros
heite genamen, unde wilrt mit im vehteiide in sinre eighien bürge.
Der verfolgte floh in sein festes haus. Sagremors ihm nach! Der
bauer am tor liess das falgatter nieder, und er muss mit den vorhan-
denen bewohnem kämpfen, bis er sie sämtlich getötet hat Nun bewir-
tet der um gnade bittende torwart ihn mit reichlichem nachtmahl und
wolgerüstet reitet er wider auf seinem mutigen Morel in den wald zu
der gestrigen walstatt, wo die leichen der zehn ritter lagen. Bald fand
er auch eine bürg, die sich im kriege zu befinden schien.
Sp. 648. Hie kummet Sagremors xuo der megde bürg und wärt
mit eime ritter vehtende, der hies Talides.
Den willig eingelassnen belehrt eine alte dame, dies sei die
mägdeburg; darin seien siebenhundert Jungfrauen, alle von edlem ge-
schlecht, und dazu ein schüler und ein kaplan. Ein mächtiger ritter,
Talides, fordre eine zur geliebten, die sich aber weigere, ihm zu fol-
gen, weshalb er jezt die bürg bekriege. Artus sei um beistand gebe-
ten. Ein Junker, bruder der geliebten, der die Schwester lieber tot
sähe, ehe Talides sie erhalte, hat erkundet, dass Talides mit dem beere
morgen anrücken werde. Sagremors sendet diesem eine Jungfrau mit
der forderung zum kämpf entgegen; siege er nicht, so müsse er den
mägden urfehde schwören. Talides wird im kämpfe besiegt und muss
sich der alten dame als gefangener stellen, die doch gerührt ihm die
geliebte übergibt Algemeine freude und andern tages brautlauf und
heimzug, während Sagremors auf seinem schwarzen ross Morel andern
abenteuern nachreitet
Sp. 662. Hie vindet Sagremors xivene rittere, die eine jung-
frowe woltent geschendet han mit den er vehtende wart.
Er erschlägt beide Übeltäter, und die Jungfrau führt ihn in ihr
väterlicheB schloss, und unter beistand ihres bruders und vaters ver-
weilt er sechs wochen dort zur heilung seiner wunden.
r. DKUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 28
434 8Alf XASTS
Sp. 672, 1. dex gesivigen tüir nti, tvie ex umbe in Kt,
bitx dax ex nu tvürt xit
eins anders sollen wir an fon
von künig Artus öhein, hem Oawan,
alse ich ex in der ystorien vant;
anders tuon ich ex üch nüt bekant
m
Sp. 672. Bie kuvimet die juncfrowe xtw hem Gawan, die rf«
ritiers sivester tvaXy der bi dem gexelt erschossen wart in hern Oatcam
geleite. (S. Sp. 259 oben.)
Als Oawan eines tages sich im saale mit Artus und der königin
befand, komt schön geschmückt auf einem maultier eine Jungfrau gerit-
ten, und teilt unter wehklagen mit, dass sie die Schwester des hier
meuchlings getöteten ritters sei, und klagt Gawan an, dass er nicht
zum gralkönig gekommen, der ihm alle geheimnisse würde entdeckt
haben, und dass er ihrem bruder das geleit gebrochen habe. Er solle
die Waffen des toten nehmen und ihr folgen, denn sie sei in grosser
gefahr. Seine Sünden hätten ihn einschlafen lassen, als der könig ihm
vom gral und blutender lanze erzählte. — Beide reiten sofort ab,
übernachten in einer befreundeten bürg, die zweite nacht ohne Spei-
sung im freien walde, den dritten tag herbergen sie unter gastlichem
empfang in einem zeit bei zwei rittern und zwei Jungfrauen, und dann
wider auf der bürg eines würdigen ritters.
Sp. 680. Hie kämmet her Gawan xuo einem füre^ do wolle man
eine jungfroive inne verderbet han mit unrehte.
Weiter reitend sehn sie am rande eines waldes, wie zwei knechte
eine bis aufs hemde entkleidete jungftuu in ein feuer werfen wollen.
Aber an 20 ritter und eine menge volks, an 2000, waren auch da; ein
ritter erklärt, sie habe ihren bruder ermordet, um seine herschaft allein
zu besitzen, das volk aber erklärt das für lüge, und fordert ihre frei-
lassung, denn der wilde Dodinas habe ihn erschlagen, den sie jezt
gefangen halte. Gawan kämpft mit dem vorgetretenen ritter, stürzt ihn
vom ross ins feuer, aus dem er tot hervorgezogen wird, und mit jubel
des Volks wird die gerettete frei, die Gawan zum dank leib und land
bietet. Statt das anzunehmen lässt dieser den Dodinas, der ihren bru-
der wirklich getötet hat, vorfüliren, und erkent in ihm seinen freund,
landsmann und tafelrundritter, bittet ihn frei, und zieht weiter mit
seiner dame.
Sp. 685. Hie kummet fier Gaivan an einen loaU unde vindei
drie rittere, die gebruoder worent, unde tvürt mit den vekUnde*
»
■«ei
f nn
Sie sind neffen des ins feuer gestürzten ritters und wollen ihn
rächen. Gawan tötet zwei davon, den dritten schickt er besiegt zu der
geretteten Jungfrau, die ihn dankbar aufnimt.
Sp. 689. Hie kutit her Gawan mit einre juncfrotccn in ir
bürg, die in fuorie von küitig Arlus hof, unde würt mit eime hünige
vehtende, der heis Margtms.
Ais G&wan mit seiner begleiteten dame in deren Stadt und bürg
anlangt, werden sie mit klagen empfangen. König Marguns bat sie
liart belagert, weil die fraii seinen söhn Kargrilo als gemahl verschmäht,
indem sie ein ander lieb hatte. Ilir lieb ward aber gefangen, und
üarguns Hess ihn vor ihren äugen hängen; aber von den ihrigen wird
auch Kargrilo gefangen, den sie von einem türm herunterstürzen liess,
er starb. Nun rief sie ihren bruder zu hilfe, der aber in Gawans
ileite durch ein javelot an Artus hof erschossen ward (s. sp. 259),
nnd zwar von Keye, was Gawan jedoch bestreitet. Am morgen reitet
Qawan wolgerüstet dem Marguns entgegen. Dieser unterliegt im kämpf,
moss steten frieden geloben und sieh dem könig Artus als gefangner
,geBtelten. Die Jungfrau bedauert, dass er ihn nicht getötet, und bittet,
er an Keye räche nehmen möge; sie gab ihm dazu ein rotes
inchen mit dem bild eines weissen löwen, an die lanze zu heften,
las er mit Keyes blut färben solle. So reitet Gawan nach Karleun ab,
ährend Marguns gleichfals mit 100 rittern und vielen zeltgeräten sich
Artus auf den weg macht
I. 700. Hie mürt erreiteiide künig Margmis sine sireslcr, und
\rt drumbe vehtcnde mit eime der hies Oogaris.
Als unterwegs Marguns seine zelte aufgeschlagen , komt auf einem
maultier ein hovereht getwcrc geritten und berichtet, dass mit 150 rit-
ten! Gogaris Marguns Schwester Malolohat gewaltsam entführt habe;
Marguns verfolgt ihn sofort. Fünfzig seiner ritter werden erschlagen,
Tzig gefimgen, und fünfzig entfliehen, und die befreite spert den
'Gogaris in einen käfig, in dem er sieben jähre schmacliten muste.
'Itarguns mit dem zunamon: der könig mit den 100 rittern, wird dem-
ifichst von Artus mit ehren empfangen und in die tafeirunde aufge-
nommen.
Nv gesivige ich von im hie.
Sp. 703. Hie kummet her Gawan xuo einer Imrg, und würt mit
'Mitte ritter vehifiide von der bürge, der duffe hovetneister irns.
Nu hiirent von herren Gauan.
Einer buvg nahend, erkent ihn die am fenster sitzende herrin
[«selben, und befiehlt ihrem hofemelster, ihn gefangen zu nehmen,
436 SAN MABTB
da er zu Artus gesinde gehöre, um an ihm Solimag, der ihres vaters
bruder war und an Artus hofe heimtückisch erschossen ward, zu rächen.
Nach kurzem kämpfe wird der hofemeister niedergeworfen und bittet
ebenso, wie seine auf einem maultier herbeieilende nichte, um gnade.
Gawan erkent diese dame als diejenige jungfirau, für die er gegen Mar-
guns gefochten hat Die herrin der bürg mahnt zwar daran, dass ja
Solimag unter Gawans geleit erschossen sei, versöhnt sich jedoch und
nimt Gawan gastlich auf. Die hinzugekommene ist Solimags Schwester
und heisst „die rote Jungfrau **; Solimag hiess „der herr der bürg zu
den felsen.'' Gawan verspricht die anklage gegen Keye als mörder bei
Artus in austrag zu bringen. Gawan legt die waflfen des erschossncn
ritters an und reitet mit der roten Jungfrau zu Artus.
Sp. 710. Hie kwnet her Oawan xuo künig Artus hofe mit einre
jungfrotven unde würt 7nit Keygin vehtende von iren tvegen.
Gawan, der unbekant bleibt, besiegt Keye, doch wird ihm aiif
Artus bitten das leben geschenkt. Gawan bringt die rote Jungfrau zu
der bürg zurück, wo er die waffon entlehnt, und weilt noch 8 tage
dort, während Keye noch zwei monate an seinen wunden zu hei-
len hat
Sp. 717. Hie vindet he?' Oaivan sinen bruoder Agrafens, unde
werdent vehtende mit fünf rittern, do hies einre Patris,
Nach einiger zeit begegnet ihm sein bruder, der ihm zu seiner
beruhigung mitteilt, dass Keye wider genesen, der hof jedoch nicht
wisse, wer ihn besiegt habe. Da kommen fünf ritter, todfeinde des
Agrefens, feindlich angestürmt, doch zwei, Patris von dem berge und
Galien von Kurnewal werden abgestochen und zu Artus geschickt, die
übrigen entfliehen. Artus empfängt sie mit ehren wegen ihres besie-
gers. Bald nachher gehn auch die beiden bruder an den hof zu Artus.
Sp. 722, 9. nu wil ich Oawans hie gedagen
und wil üch von Parxefale sagen
der uf der bürg siech lag dort (sp. 625).
Nach mehreren wochen genesen, bricht Parzival auf, von der
herrin der bürg vortreflich ausgerüstet Das gebrochne schwert nimt
er mit sich.
Sp. 723. Hie kummet Parxefal xuo einre capeüen unde icurt do
mit demme tüfele vehtende und überimidet in.
Parzival sucht einen schmied, der ihm das zerbrochne schwert
herstelle. Ein schweres ungewitter überfält ihn, und er flüchtet in
eine kapeile im walde, dieselbe, in der er vor etwa Jahresfrist geweM
BILDUNOSOANG DER ORALDICHTÜNa 437
(sp. 598). Auf dem altar liegt der tote ritter bei brennender kerze.
"Wie damals verlöschte eine schwarze hand die kerze; er warf seinen
wurfspiess gegen sie, den sie aber auffieng und zerbrach. Da erschien
im fenster bis zum halben gürtel ein feuriges wesen, das ihm einen
zwei klafter langen brand entgegenstreckte, der ihm augenbrauen,
bart und gesiebt verbrante. Mit furchtbarem blitz und donnerschlag
wird die kapeile in brand gesteckt, der teufel erscheint in person und
kämpft mit ihm, seine kreuzigungen, segensprüche und gebete sind
jedoch wirksamer, als sein schwort Der böse weicht zurück, und Par-
zival nimt aus der kapsei das weisse fähnlein, taucht es in Weihwasser
und besprengt überall damit die kapelle. Die leiche auf dem altar ist
ganz schwarz gebraut Das feuer erlischt Er legt das fahnchen wider
an seinen ort. Nach vielen gebeten schläft er bis zum frühen morgen,
der lachend hereinbricht Die kerze brent wider, und er läutet eine
glocke, damit ein priester komme, die leiche des ritters zu begraben.
Mehrere mönche erscheinen, legen den ritter in einen marmornen sarg^
bestatten ihn unter den hohen bäumen des friedhofes, und hängen
seine wafFen an einen bäum, wie auch mit den dreihundert rittem
geschehen, die von der schwarzen hand erschlagen wurden. Doch
unter den angeschriebenen namen derselben befand sich kein tafelrun-
der. Die königin ßlanschamor hatte diese kapelle, deren zauber Par-
zival gebrochen, gestiftet. Bei spärlichem mahle herbergen ihn die
mönche einen tag und eine nacht, und als er auf weitere abenteuer,
um preis und ehre zu gewinnen, abreiten will, ermahnt ihn einer der
„guten männer": wie er damit seine seele verderbe, dass er die men-
schen töte. Parzival erschrickt, geht in sich, bereut seine Sünden, tut
busse und verspricht besserung.
Sp. 738. Hie sticket der tüfel Parxefalen von sime rosse, und
machet sich der tüfel xuo eime rosse, und tvurt dax ritende und
wolte in ertrencket han.
Der teufel, in rittergestalt, sticht ihn ab, und reitet mit seinem
rosse fort Dann komt ein lediges gesatteltes schwarzes ross, das er
einfangt, sich aber mit ihm in tiefes wasser stürzt, aus dem er sich
jedoch mit mühe errettet
Sp. 742. Hie kumtnei der tüfel in eime schiffelin, und het sich
gemachet in Parx^fals wibes geschöpfede.
Während der held sich betend bekreuzt und seiner Sünden gedenkt,
komt eine feurige dreiköpfige gestalt mit leopardenantlitz, feuer schnau-
bend unter donner, blitz und hagel auf ihn zu. Zugleich komt auf
dem wasser ein schifchen mit einer Jungfrau, worauf jene gestalt ver-
438 SAN MABTB
schwand, und diese ihn herzlich als sein weib Kondwiramur anspricht;
sie habe ihn lange gesucht. Bei der tafel im zelte, die ihre leute
bereiten, wird von keinem priester ein segen gesprochen. Sie erzählt,
wie ein grimmiger ritter, Talides von Cafalun, ihr land verheere; sie
bereitet das bette, und als Parzival scherzend bei ihr lag, blickt er
nach seinem an der wand hängenden schwort, das mit dem griff oben
ein kreuz bildet Da bekreuzt er sich und betet, und siehe, plötzUch
schaffen die knechte bett, alles gerät und das zeit in das schiff, das
unter donner und blitz schnell davon schwamm. Nun erkante er des
teufeis list, dankte gott, dass er ihr entrann und betete inbriinstiglicb.
Sp. 747. Hie kumniet ein hotte von gölte in eins biderben man-
nes glichnisse in eime schiffeUn und fiieret Parxefalen von dannan.
Der biedre mann im schiff gibt sich dem holden zu erkennen:
Sp. 748, 13: der oberste vatter von himelrieh,
der do bekert die siinder,
het mich noch iich gesant her
dax ir vmi sorgen werdent erlost.
Folgt mir, ich werde euch zum ziele führen. Zuvor lässt sich Parzi-
val den erfahrnen teufelsspuk erklären. Dann setzen sie über, und aus
der bürg führt ihm ein junker ein schönes weisses streitross und einen
zeiter entgegen. Der jetzige herr dieser bürg heisst Sakur de Laloe,
sein Vorbesitzer Bores. Der gute mann versicheii;, nachdem er das
streitross bestiegen: es werde ihn gewiss zu seinem ziele führen.
Sp. 752. Hie fihtet Parxefal init ei^ieme rittere, der kiesch
ifnme xoL
Parcival verweigert den zoll, sticht ihn vom ross und schickt ihn
zu Artus mit der Weisung —
Sp. 754. Hie knmmet Parxefal xuo Dodineas liep und tcurt bbs
fehlende mit eineyne rittere, der sil emveg fuorte siner angesihte, der
hies Oafyens.
dass er zu pfingsten an den hof kommen werde. Auf einem wiesen-
plan findet er in einem zelte die geliebte des wilden Dodineas, die ihn
entwapnet und freundlich bewirtet. Plötzlich sprengt auf weissem ross
ein ritter daher, reisst die dame auf sein pferd und jagt mit der weh-
klagenden davon. Parzival, ohne eisen wehr (blos)^ nur mit schild,
Schwert und lanze bewafnet, ihm nach, rent ihn nieder, schickt den
besiegten zu Artus, und führt die gerettete auf seinem ross zum zelte
zurück, wo inzwischen der wilde Dodineas heimgekehrt, der ihn bis-
her gesucht hat und nun ihn freudig aufnimt
BtLDÜNGSOANO DSR ORALDICHTÜNG 439
Sp. 763. Hie sendet Parxefals Heb Kundetviramors nach imme,
dax er ir xe helfe kumme.
Arides von Kaffalun verwüstet ihr land; nachdem beim schmid
Tribuet das zerbrochne schwert ganz gemacht und das huflahme pferd
hergestelt ist, eilt er mit der botin nach hause.
Sp. 766. Hie kummet Parxefal xuome dirtten mole xuo sime liebe
Kundewiramors xuo Beh'epere.
Freudig empfangen, besiegt Parzival am andern morgen den Ari-
des, und schickt ihn zu Artus, muss aber tages darauf weiter zum
leidwesen der gattin, um zu pfingsten bei Artus am hofe zu sein.
Inzwischen melden sich beim könige der ritter Menader, der Parzival
den zoll abforderte, dann Gafyens, der die Jungfrau rauben wolte, und
endlich Arides als von Parzival geschickte gefangene, und werden mit
freuden in die tafeirunde aufgenommen.
Sp. 779. Hie vindet Parxefal den xagehaften ritter und wart
sin geselle fünf jar,
Parzival begegnet einem ritter, dessen waffen im sattel neben ihm
samt der lanze hängen, der tiefsinnig (verdoht) schien, und ungewapnet
ritt, weil er nie fechten wolte. Parzival schilt ihn wegen seiner feig-
heit und nötigt ihn, sich kampffertig zu rüsten.
Sp. 781. Hie kummet Parxefal und der xagehafte ritter xuo
xehen rittem, und woltent xwo juncfrowen hau verbrant und werdent
mit in vehtende.
In einem walde finden sie fünf ritter und zwei knechte, die zwei
mädchen im hemde in ein feuer werfen wollen. Parzival eilt ihnen
zu hilfe, der zaghafte tötet in notwehr zwei ritter, Parzival die übri-
gen; die knechte entfliehen, doch verwundet der eine von ihnen Par-
zival mit einem vergifteten pfeile. Die sieger werden von den geret-
teten zu ihrer nahen bürg geführt, wo Parzival von seiner wunde
geheilt werden soll. An drei monate weilt er dort in der pflege der
Jungfrauen und des zaghaften, der hier auch „der schöne ritter'' ge-
nant wird.
Sp. 789, 14: nti hörent von Sagramors fürbaß.
do er dort uf der bürg was,
do men im bot so gros ere
alse were er gesin ein künig here (s. sp. 662).
Als er geheilt, findet er an Artus hofe fast alle tafelrunder ver-
sammelt, die vergebens Parzival gesucht hatten, und Artus ist höchst
misvergnügt, dass dieser nicht erscheint An zwanzig der vorzüglich-
sten gehn von neuem auf die suche, jeder auf besondrer Strasse.
440 »AN MARTS
Sp. 794. Hie vindet Boors sinen bruoder Lionel, den sehs riU
tere fuortent 7icLcket und gebunden und woltent in verderben,
Boors hatte seinen bruder seit zwei jähren nicht gesehn. Da traf
er ihn im walde, wie er grausam gemishandelt und blutig geschlagen
von sechs rittern dahingeführt wird. Während er im begriff ist, diese
scharf anzurennen, hört er das Jammergeschrei einer Jungfrau, die ein
ritter, den noch zehn andere umgaben, entehren wolte. Boors befiehlt
seinen bruder gottes barmherzigkeit und errettet die verfolgte, indem
er den Übeltäter und alle zehn ritter niederstreitet und tötet Dann
eilt er seinem bruder nach. In der nacht den wald durchreitend, trift
er auf eine am wege sitzende Jungfrau, die einen ritter ohne köpf im
schoos hielt. Sie weinte, denn sechs ritter, die einen halbnackten
mann unter rohen mishandlungen mit sich fortschlepten, erschlugen
ihren liebsten, der den armen befreien wolte, und schnitten ihm den
köpf ab. Boors eilt vierzehn tage und nächto ihnen nach.
Sp. 799. Hie Hndet her Oairan Lyonel, den sehs ritter sltw-
gcnt U7id übel handeltent, und wurt her Oaivan mit in vehtende.
von Boorse ich hie lasxen sol,
und sagen von heni Oatvane cluog,
Gawan auf seiner suche nach Parzival, begegnet den sechs rit-
tern und tötet drei davon, die andern entfliehen. Den geretteten Lyo-
nel bringt er in ein haus, wo ihn ärztliche pflege in vierzehn tagen
heilt. Dann reiten sie neu gerüstet zusammen weiter, trennen sich
doch bald, und Boors klagt zu gott, dass sein bruder ihm nicht zu
hilfe gekommen. Nach vierzehn tagen weist ein mann im grauen
kleide ihn zu einem bäum, wo ein toter ritter, namens Lyonel, liege.
Boors findet ihn, und ti*ostlo8 fleht er zu gott lun beistand, macht das
zeichen des segens über die loiche, und siehe, da fuhr der böse teufel
mit freischlicJiem gebrumel, dass die äste an den bäumen zerbrachen,
aus der leiche. Mit gebet und dank zu gott reitet er weiter.
Sp. 804. Hie begegent Boors s^imc bruodere Lyonel ufid tcuri
mit imme vehtende.
Wütend, dass er ihn nicht gerettet, rent Lyonel den bruder nie-
der. Der hinzukommende Kolagrenans will sühne stiften, wird aber
von dem rasenden Lyonel erschlagen. Boors erholt sich, bittet verge-
bens um frieden , und fleht inbrünstig zu gott um Vergebung. Da kam
eine wölke, so dass beide sich nicht sehn konten, und eine stimme
vom himmel rief: dass Boors seinen bruder nicht anrühren dürfe; die
wölke verschwand, und Lyonel lag wie tot am boden. Als er erwacht
BILDX7NGSGANG DER 6BALDICHTX7NG 441
versöhnen sich die brüder, ein mönch hilft den Kolagrenans begraben
und meint: der teufel sei in Lionel gefahren, daher sein wütiger hass
gegen den bruder. Beide trennen sich bald an einem kreuzwege.
Sp. 812. Hie kummet Parxefal unde der schöne ritter sin geselle
xuo einie tumey ivider kilnig Artus rnassenie.
Der gebruodere tvellen tvir svdgen hie,
und sagen tvie es Parxefale ergie.
Nachdem Parzival genesen (sp. 781), gelangt er mit dem „schö-
nen bösen", dem zaghaften ritter zu einer bürg, wo Artus und könig
Bademagun (sp. 506 und 513 hiess er Bagumades) ein grosses turnier
abhalten. Sie halten es für geraten, sich in einem benachbarten klo-
ster einzuquartieren und ungekant sich in die rennen einzumischen.
Ohne das ende abzuwarten, trennen sie sich am nächsten tage und
nennen sich ihre namen. Parzival meint, jener müsse „der schöne
kühne" heissen (der dichter vergisst, dass beide schon sp. 506 bekant-
schaft gemacht haben). Dieser reitet zu Artus, Parzival betet und
beichtet sehr andächtig in einer kapelle, und der einsiedler verpflichtet
ihn, nicht mehr, wie ehemals, an heiligen tagen waffen zu tragen.
Sp. 822. Hie vifidet Parxefal Estoren Lansxeletens bruoder,
und werdent mitteinander vehtende.
Auf einem plane zwischen Schotten und Irland findet Parzival
Estom, der zwei jähre lang irfahrten gemacht Trotzdem er in zer-
hauenen Waffen erscheint, fordert er Parzival zum kämpf, der beide
so ermattet, dass sie erschöpft die nacht friedlich im walde zubringen.
Beide fühlen sich todmatt und wünschen, dass ein priester zu ihrem
sterben komme. Da erhelt sich der wald mit heiterem licht, ein engel
trägt den gral herbei, umschwebt sie viermal, verschwindet in dem
himmel und beide fühlen sich völlig gesund und stark. Sie trennen
sich versöhnt, Estor sucht den bruder Lanzelot, Parzival den Par-
tinias.
Sp. 828. Hie kummet Parxefal xu^ Partinias bürg und tvurt mit
imme vehtende,
Parzival gelangt zu einer sehr festen bürg, mit vier kleinen und
einem grossen, dem roten türm, wo Partinias wohnt, „der d&me heil-
gen künige Anfortas^ so grossen schaden getan. An einer grossen
prachtvollen tanne vor dem roten türme hängt ein mit zwei Jungfrauen
bemalter schild, imd ein knecht belehrt ihn: wer den herab werfe,
der sei des todes und werde hier, wie er sehe, aufgehängt. Parzival
zerixridit den schild, und der knecht ruft den Partinias, der nicht
442 SAN MABTE
an gott glaubt Sie kämpfen, und Parzival schlägt dem Partmias
<ien köpf ab.
Sp. 834. Hie kummet Parxefal xtio känig Anfortasse xuo dem
dritten mole mit Partinias Iwubet, und wurt der känig vomme grok
ge^nt,
Parzival komt endlich mit dem zerbrochnen Schilde und abge-
schnitnen haupte des Partinias zur gralsburg, und als dieses dem Am-
fortas gemeldet wird,
Sp. 835, 17: der künig mit vil frouden gros
sprang uf sine fuesse do xe stunt
und was alxemole gesunt,
frölich und gar wol gemuot
gieng er abe die siege guot,
und begrüsste den beiden mit grosser freude und dank, dass er ihn
von seinem langen leide befreit habe. Der köpf des Partinias wird auf
einen pfähl gesteckt und auf dem höchsten türme ausgestelt Die tafeln
werden aufgeschlagen und dreimal wird der gral, der blutende speer
und die patene feierlich herumgetragen, der gral spendet speise und
trank. Nach der tafel nimt Amfortas den Parzival in eine fenster-
nische und f.agt nach seinem namen und herkunft, und sie erkennen
sich als vcrwante, denn Parzivals mutter war die Schwester des Amfor-
tas, und könig Goun, den Partinias getötet, sein bruder, der später
das „wüste land", Parzivals heimat, verwaltete. Er versichert ihn:
Sp. 839, 3: alles min lafit, des ich geweitig bin,
sol üch eigefiliche undertenig sin,
und muessent xuo künige gecrönet sin
xuo pfingesten, die xe nekest gont in,
dax muos sicherlichen geschehen,
Parzival will aber die kröne nicht annehmen, so lange Amfortas
lebt; er müsse zunächst zu Artus, werde aber sogleich widerkehrea
Amfortas gibt ihm neue herliche wafnung, und so reitet der held ab.
Sp. 840. Hie kummet Parxefal xuo einem burneri und vindei
sehs rittere, mit dai wurt er vehtende.
Auf einem wiesenplane findet Parzival an zwei tannen, zwei lor-
beer- und zwei olivenbäumen je einen schild und speer, jeder von ver-
schiedener färbe, grün, weiss, gelb, violet, zinnoberrot, das sechste
war gemusieret mit allen diesen färben, aufgestelt und lun einen brun-
nen herum sassen sechs ritter fröhlich spielend, und von vier schöneo
Jungfrauen bedient. Es ist der könig Saladres von den insdn mit sei-
nen fünf söhnen: Dinisodres, Menassides, Nactor, Aristes und Qmgat^
BILDÜNGSaANa DER GBALDICHTüNa 443
Parzival sticht alle sechs einen nach dem andern nieder und schickt
sie zu Artus, der sie freudig aufhimt
Sp. 846. Hie kämmet Parxefal xtw sime bruoder utid viirdet
den von geschiht Fervis Anschefin u?id tvurt mit imme vehtende.
Hier schliesst sich Wolframs gedieht B. XV, 734, 1 an und wird
L 769, 28 das abenteuer von Boors und Lyonel (s. oben sp. 794 und
804) kurz widererzählt — Es folgt Wolframs text L 770, 1 bis
L 772, 30, wo Parzival in einem längeren einschub kurz alle seine
abenteuer, die oben sp. 582, 598, 602, 723, 738, 742, 747, 779, 781,
822, 828 und 840 erzählt sind, dem könig Artus mitteilt und bemerkt
der Übersetzer dazu (Schorbach s. T JTT) :
Dax Seite er dem künige gar.
der kies es alles sckriben dar
an ein buock von worte xe wort,
die aventüre wolt er han für ein ort
und wax ieder Htter aventüre seite
hies er ouch sckriben algereite,
der guote künig eren vol,
und hies es gekalten wol
Im buch XVI ist hinter L. 793, 28 rot die beischrift eingefügt
(a. a. 0. LIV):
Hie kummet Parxefal tind sin bruoder Fervis Anschewin und künig
Artus U7id die tafehnmder alle xuo Muntsalfaschs xuo dem grole.
Hinter L 820, 16 folgt ein grosser zusatz von 54 versen, der
die krönung Parzivals erzählt, wobei ihm 14 grosse könige dienen,
\md die gralfeier mit dem festlichen gelage sich täglich einen monat
lang widerholte. Dem könig Artus werden auch die geheimnisse des
grals mitgeteilt, worauf er mit seinem hofe heimzieht
Hinter L. 823, 10 werden noch einige familienangelegenheiten
während Parzivals regieruug angeführt, die Verheiratung zweier muh-
men und der tochter des Amfortas, und die Überlassung seines heimat-
landes an könig Malun. Dann folgt die bemerkung zum schluss (sp. 845):
Hie het der alte Parxifal und der nutve ein etide und wax rede
kie noch geschriben stat, dax het Pßlippes KoUn gemäht,
und folgt der widmungsbrief an den grafen Ulrich von Rappoldstein.
Die casanatische handschrift fasst sich hier kürzer und weist
die geschichten von Loherin und priester Johannes als hier ungehörig
ab. Nach v. Kellers auszug in seiner Bomvart, s. 675 lautet sie abwei-
dMDd von dem & LVI verzeichneten zusatz:
\
444 8AN MARIE
Parxifal bleip aldo für war
gewaUiclich alle sine jar
7nit gemache vnd Übte herlich
tmd Inavet manige vesten sterkUch
sine nachgehur vorchten in gar sere
vnd erboten ime gros ere
sine xwa fnumen beriet er
herli^h nach aller siner ger
dar flach horte er sagen mere
dax Anghfals sin bruder tot teere
dex tnirt er betrübet gar
ican er in lieb hette fürwar
er sante nach de^n künige von Malun xo hant
tmd. beualch ime al sin lant
dex landes vndertcant er sich
künig Mahvn gar frümklich
ouch sage ich tich von Lohelagrin
der tet grosxe vmnder schin
da er sich ritterschaft versan
i7i dex groles dienste er pris geican
er beginc tvunders so tnl
Dax ich nit alles sagen tHl
tvie er xti der herxoginyien gein Brabafit quam
vnd di^ xti einer amyen nam
vnd dar nach tmder xu detn grol*fur also
do vo?i wil ich fiit sagen no
tvan dax wer xti vil
do von ich no sivigefi tvil.
Hie solle Er ig no sprechen usw. folgt Wolframs text L. 826, 28
bis zum schluss 827, 30.
Das französische manuscript, wahrscheinlich doch auch auf kosten
eines reichen geistlichen oder \v^ltlichen hem hergestelt, oder aus einem
kloster hervorgegangen, stelt sich als eine kompilation verschiedner
Schriftstücke dar, die der kompilator notdürftig in Zusammenhang ge-
bracht, und dabei wol manches an den originalstücken geändert, aus-
gelassen oder hinzugefügt hat Crestien hatte die aventüren Parzivals
und Gawans bis zu den festlichkeiten auf Joflanze geführt. Hier füg-
ten sich zunächst die fahrten Gawans, dessen erster besuch beim gral
und andere abenteuer ein, die nur mit Artus, nicht mit dem gral in
beziehung stehn, und von unbekanter band eingeschoben sind. (Sp. 1
445
bis 45.) Dann begint das buch von Carados (sp. 45 — 165), dem uocli
die keiischheitsprobe mit dem übergieasenden becher an Artus hole
angefügt ist, wie ja einer oder der andre dieser höfischen schwanke
fast in allen romauen dieses kreises zur belustigung der leser aufgeführt
wird, und auch in unsemi Jüngern Titnrel (str. 2343) in der wunder-
brücke über die Sibra nicht folüt. Mit sp. 169 endet diese erzähtung
in sich geschlossen und ohne Zusammenhang mit Paraival und gral,
und steh sich als eine ganz selbständige erzähhing dar. Die folgen-
den abschnitte bilden den feldzug Arthurs gegen das schloss Orgalus;
8p. 259 reiht der konipilator Gawans zweiten vergeblichen besuch beim
gral ein, führt ihn auch in den kämpf mit der schwarzen band, den
Parzivai später siegreich bestellt, deren goheininis der dichter aber hier
noch nicht verraten darf. Die abenteuer Gawans und aeines solines
werden als eine besondre geschichte bezeichnet (sp. 287, 3), und dieser
folgt die erzählung von dem schwan mit dem schiff und toten ritter,
welche sp. 314 endet und lediglich wälschen Ursprung verrät Die
Überschrift hier lässt nicht wo! einen zweifei, dass der kompilator nun
ein neues besonderes Schriftstück einfügt, dessen inhalt bis sp. 602,
mit ausscliluss der aventuren sp. 513^579, Gawans fahrten betreffend,
Parzivals gralsuche erzählt, als dessen Verfasser gegen den schluss hin
sp. 582, 19 Walther von Dunsiu genant wird, der aber kein andrer
ist, als der anderswo Oautier de Denet, Oauchier de Doudain oder
Dourdain genante erster fortsetzer Crestiens, und gleichfals wie der
kompilator mit Gawans, dieser mit Parzivals scheiden von Joflanze
begint Eine vergleichung unsers textes mit Rochats auszug des Ber-
ner ms. zeigt, dass dem kompilator Gautiere gedieht im original vor-
gelegen hat, denn kapitel für kapitel mit wenigen ausnahmen stimmen
die Überschriften im Inhalt mit den paragraphen Bochats, und vermute
ich, dass auch diese übereehriften im Berner ms. enthalten sind, wo-
rüber Rochat sich äussern mag. Da aber zugleich sich eine grosse
Übereinstimmung mit dem dritten teil des Boronschen Petit Graal (Par-
zivai) nach Birch-Hirschfelds ausznge ergibt, wie im obigen auszuge
angedeutet ist, so wird erkenbar, dass Gautier diesen gleichfals als
Torarbeit benuzt hat; und in der tat deuten die antiangsworte des Ber-
ner ms., welche Rochat s. 1 mitteilt, auf die dichtungen hin, die ihm
zu Abfassung seines gedichts anregung gegeben haben.
Do roi Artu lairai ata/it,
ket si ores dor en avmit,
le bon conte de Percheval
et le haut liere de greal.
440 UM MAKn
Le bon conte de Percheval ist unzweifelhaft Crestiens gedieht,
fortsetzen will, und le haut Ui're de Greal der Petit Oreal '.
den dieser in seinem ersten and dritten teile mehrnifds hIü In fffunt
estoire dou Qroel bezeichnet, von welchem vur ihm noch kein aterh-
licher geschrieben hat Dabei holt er mehrere avoiitüren nach, die
Crostien übergangen hat, aber bei Borou vorhanden sind. Auf Borona
Merlin geht Gautier nicht ein. Er schtiesst mit Parzivals krQnuDg
nach der geneaung des fischerkönigs. welcher drei tage nach der krw-
nung stirbt, und finde ich tiiemach erwiesen, daes wir in dem Her-
Der ms. die dichtung (Jautiers in ihrer unverlezten ursprünglichkint
besitzen, wodurch der wert jener handschrift für die französische litten-
tor sich steigern dürfte, aber auch in beziehung auf Wolfirams gedidii
nicht unwichtig ist. — Der kompilator des Colinsehen ms. kontti diif-
seo schluss nicht gebrauchen, da er auch noch die fortsetzung Jdaoe»-
siers in seinen codex aufnehmen weite, zn der aber der fischcrkönig
am leben bleiben musste, um auch die noch hinzugedichteten fata Par-
zivals mit zu erleben. Parzival wurde daJier hier nur in folga dor
gelungenen Zusammensetzung des Schwertes gewisserraassen als statbal-
ter eiugesezt, die krönung aber verschoben bis Uanessier, als zweiler
fürtsetzer Crestiens noch seine dichtung vorgetragen hat Die krönung,
wozu auch Artus eingeladen %fird, erfolgt nun, der endliche schliui
wird aber in Colins bearbeitung durch die anbüngung der beiden
leiten bücher von Wolframs Parzival herbeigeführt, und demgemSs
der französische text verlassen. — Die dritte fortsetzung Orestiena Ton
Gerbers bleibt unerwähnt and unberücksichtigt, existierte vieileii'lil
auch noch nicht Mit unrecht schreibt Colin, dass Wolfram dem Cn.-
stien nachgedichtet habe, indem er gauK ignoriert, dass unser i
den provenzalen Eyot als seine quelle angibt, dessen nameu <
im deutschen Parzival Wolframs muss gelesen haben.
Augenscheinlich hatte Robert de Boron es auf ein umfu»
Schriftwerk abgesehen, wozu ihm Gott&ied von Monmoutiia iiistorii
Regum Brittanniae, ein werk, das in kürzester zeit einen weltnif orlao)^
hatte, und von einem grossen teil der geschichtschreiber als wahrt
authentische geschichtc aufgenommen und nachgeschrieben wurde, ma;
anregung gegeben haben. Die bekehrung Englands zum christentim
zu schildern, war ein würdiger Vorwurf, und ebenso war es ein glück-
licher geistreicher gedanke, die ausfiihrung dieses vorwürfe an di« bte .
ins 8, und 9. Jahrhundert zurückroichcndc l^endc von
Arimathia und das ihm anvertraute gefass mit dem blute C
knüpfen, wodurch seiner erzühlung ein populärer, zugleich i
dem Cn.-
er itt|||J
nfusJS^
BILDüNQ8aAN& DEB aBAIiDIOHTXTNO 447
unteignind, im gegensatz zu den zahllosen weltlichen rittergeschichten
der fahrenden sänger, gegeben ward, der noch dadurch gefestigt ward,
dass wirklich bei der eroberung von Cäsarea a. 1101 die berühmte
schale entdeckt ward, welche in der ganzen Christenheit das grösste
au&ehn erregte und für die abendmahlschüssel des heilands gehalten
wurde, wie ebenso bei der einnähme von Antiochien im jähre 1098
die lanze des Longinus gefunden ward, wiewol sie schon einmal Karl
dem Grossen geschenkt und von diesem an Otto I. gelangt war —
ereignisse, die nach 50 bis 60 jähren im volke noch nicht vergessen
sein konten, die daher in seine erzählung hineinzuziehen für den dich-
ter nahe lag. Indem am Schlüsse des ersten abschnitts des Petit St.
Graal dem hüter des heiligen gefässes und seinen genossen die Wei-
sung gegeben ward, fem nach dem westen hinzuziehen und das Chri-
stentum zu verbreiten, und ein himlischer brief ihm die täler von
Avaron (Avalen) anweist, wo sie die gnade gottes und den söhn Alains
des Grossen erwarten sollen, spricht Boron deutlich die absieht aus,
die geschieh te seines heiligtums, des grals, mit den einheimischen
fabeln des Artuskreises zu verbinden; denn im tal Avalen auf einer
insel, auf die nach altwälscher tradition sich der tödlich verwundete
Artus zurückzog, und von wo seine widerkunft zur herstellung seines
reiches erwartet wurde, lag auch das berühmte kl oster Glastemburg,
zu dessen abte im jähre 1126 der dem englischen königshause ver-
wante Heinrich, graf von Blois, emant war, in dessen auftrage
"Wilhelm von Malmesbury um 1135 sein werk De antiquitate ecclesiae
Glasteniensis schrieb, worin nach Zamckes scharfsinniger erörterung
(Paul und Braune, Beiträge DI, 325 fgg.) nach einer späteren Interpo-
lation der apostel Philippus mit seinen genossen die dortige erste
kirche gegründet und das Christentum verbreitet haben soll, worauf
schon lange die regierung der englischen könige den anspruch der
Unabhängigkeit der englischen kirche vom pabst zu Rom gegründet,
ein anspruch, der auch noch im Tridentiner konzil auf grund dieser
fragwürdigen akten behauptet und durchgeführt wurde. Zustatten kam,
dass auch der wälsche klerus im einverständnis mit den fürsten und
häuptlingen des landes im eignen Interesse die Unterwerfung unter den
pabst beharlich verweigerte (s. Lappenberg, Engl, gescliichte I, 136,
141, 182, 248). Den französischen und englischen gelehrten rauss
überlassen bleiben, festzustellen, zu welcher zeit diese Interpolation stat-
gefunden hat; dass sie aber zur zeit, da Boron schrieb, schon vorhan-
den war, zeigt eben seine Verweisung der gralhüter nach diesem angeb-
lich ersten apostolischen kirchensitz, und er fand darin, ebenso wie
Gottfried vou Mnnnioiith ein mittel, eins lebbafte iiitt-r*
werk Bowol der kirchenpulitik des oiiglischoD hol'es und waa
anhängig, als der brittischen nation mit ihren tafelrundrittf m , sn wip
des wuffenfreiidigen adels zu gewinnen. — Ob unter iliescm Alain
dem GroBseni jener Alanus, herzog von Arniorika, der nach Ooltfriedi)
von Monmouth Historia Xu, 12 — 18, die mit Caihvallo vertriebotn'D
Wälschen aiifualmi, und spätor ihnen zur rüekemberung ihres landtsi
bebülflich war, zu verstehen ist, muss ich dahingestelt sein lassen
Die wälschen fahelschreiber liebtön es, die namen hervorragender pw-
sonen ihren tafelrun drittern zu geben, wie z. b. Ovein (Ivain), Oertint
ab Krbin (Erek), Caradoe Briöbras (Caradoc Vreicb-vras, Gottfr. v. Mon-
mouth, Hist. V, 14 nnd anni. 393 und meine Arthiirsage s. 30) itnd
Maglucunus (Mael-giin) des Gottfr. v. Monmouth, der nach do la Vil-
leniarqnes scharfsinniger cntdfickung in den Lanzelot der romane ver-
wandelt wurde*, romane die schon vor Gautier von Crestieu iind andvn
gedichtet waren. Sieht man nn diesem lezteren beispiel, wie mit der
Verwandlung historischer personen in romanhelden iimgesprungeD wijd,
80 dürfte auch die Vermutung nicht woit abliegen, wenn man den in
Borons Merlin eingpführte» beiehtvater der mntter Merlin.«, Blnif«
den permanenten Chronisten dieses ganzen Sagenkreises, mit diMn Hein-
rich grafen von Blois, abt von Glastemburg, durch ein Wortspiel'
in eine sinnige und schmeichlerisclie Verbindung zu briiigen suchte,
indem so die chronik des Blaise, „durch die wir das alles noch wis-
sen", aLs Urkunde des hauses Blois kentlioh gemacht werden äoltc-
Der zweite teil von Borona Petit Set. Graal, Merlin, fad
fest anssohliesslich auf Gottfr. v. Monm. Hist Rag. Britt basiert, hbJ
auch dieser teil entbehrt einer gewissen geistlichen farbiing nicht in der
er/ählung von Merluis gebiirt und seines Ixotz teuflischer treburt uiu-
flussreich guten Verhaltens zu Pendragon und Uter als deren bemlcf
und prophot, luid von Äilhure schwertprobe und feierlichen brtlnnng
auf geheiss Christi — weniger freilich in der erzählung von ArthuR
unehelicher geburL Aus diesem abschnitt Borons scheinen die Mw-
linromane, die von Lanzelot, Tristan, Iwein, Erek und die unzJÜilif;«iL
zusammenhanglosen, zum teil weit über Borons zeit hinausr«icbei)ii(D
abenteuerfahrten ihren abfluss gonommon, oder in ihuen
1) Üter üin a. jneiuu jAi-thorsafe-o", ».30. 31, Bothat L c, i
litirg, avHOh. Eoglanda I, 250 (Dambarg, Purthes. 1S34).
2) S. Saa Mute, Beiträge xur coltisch -germanist^en
bu[g, Bistß. 1847) s. 93.
3) Bloi«, Ut. Blc8at>, Caslellum Blesense. llartinltt. I
1^ 0
BILDÜNOSOANO DER GRALDICHTÜNO 449
melpunkt gefunden zu haben. — Das gebiet dieser erzälilungen liegt
weit ab von der bekehrung Englands zum Christentum und der erfor-
schung des grals und seines heils. Das streben der beiden ist ein rein
weltliches, persönliches nach ehre, waiFenruhm, minneglück, wie das
rittertiim sich das leben mit. den schönsten färben ausmalte, gleich wol
ohne feste Charakterausbildung und klar durchgeführte motive.
In Borons drittem teile, Parzival, tritt jedoch ein neues
wichtiges dement in die dichtung, indem der gral mit seiner beglei-
tung, durch Merlins Stiftung der tafeirunde an Artus hofe abgesondert
wird von dieser, und er, als abendmahlsschüssel und heilige wunder-
tätige reliquie ein selbständiges leben und wirken erhält, während der
sitz an der von Merlin gestifteten dritten tafel nur eine Vorstufe bildet
für den als besten der weit bewährten ritter, welcher bestimt ist den
gral endlich zu finden. Und den bildungsgang dieses erwählten zu
schildern, macht sich der dichter zur neuen aufgäbe. — Von den zwei
ersten teilen des Petit Set. Graal haben wir gesicherte manuscripte,
beim dritten teile, Pai-zival, liegt der verdacht neuerer Interpolationen
vor, und da scheint mir durch das Bemer ms., wie es Colins franzö-
sischer codex mitteilt, und im obigen auszuge markirt ist, einige kon-
trolle geübt Werden zu können, indem die eingemischten kapitel, welche
sich zwar im Berner ms., nicht aber bei Boron finden, als von Gau-
tier neu eingeschoben anzusehen sind; denn jedenfals ist das Berner
ms. jünger als Borons ursprüngliches gedieht. Solcher art sind die
kapitel sp. 322. 338. 351. 364. 371. 409. 439. 456. 485. 486. 492.
506. 582. 586. 591. 598. — Und ist es richtig, dass wir das Bemer
ms. als Gautiers Originalgedicht anerkennen müssen, so werden die im
codex Colin enthaltenen nachtrage und einschiebsei, welche sich nicht
im Bemer ms. und auch nicht bei Boron finden, als vom kompilator
des codex Colin herrührend bezeichnet werden köimen und sehe ich
recht, so gesteht auch der kompilator dies selbst in den zeilen zu:
Sp. 314, 22: dar xuo vant er (Parxival) ouch xwor,
dax soUent ir tvüssen fürwar,
manig oventür swer,
die nüt sint geschrieben her,
d. h. die nicht in Gautiers gedieht, seiner vorläge, geschrieben sind^.
Denn dass diese bemerkung nicht von Gautier und noch weniger von
unsera Übersetzern herrühren kann, sondern nur vom kompilator sei-
nes codex, zeigt der bei Rochat abgedruckte eingang des Bemer ms. —
1) Dies sind die kapitel, sp.ölS. 531. 561. 572. 579.
V. »»aia F1IILOLO0IE. BD. xxu. 29
400 SAN BIABTK
Der schluss des dritten teils, Arthurs kämpf mit Mordred, und sein
verschwinden auf Avalen Rundet sich wider auf Gottfried von Mon-
mouth und ward die quelle zum roman Mort- Arthur.
Robert de Borons schriftstellerperiode wird sehr bestimt begrenzt:
von 1150 oder 1160 nach "Waces Überdichtung von Gottfr. v. Monm.
Historia Reg. Britt, dem Roman de Brut bis zum tode Crestiens de
Troies 1190, der über seinem Conte de Set Graal hinstarb, dem aber
doch Borons gedieht schon einige jähre vorher zu seiner benutzung
muss vorgelegen haben. Auf grund seiner höchst eingehenden ver-
gloichmig der hierher gehörigen Schriftwerke, wie eins auf das andere
sich stüzt und weiter bildet, datiert Birch- Hirschfeld, 1. c. s. 239 — 241
Robert de Boron zwischen 1170 und 1189,
Crestien de Troies um 1189,
Gautier de Doudain zwischen 1190 und 1200,
die Queste du Set Graal 1190 bis 1200, jedoch nach Gautier,
den Grand Set. Greal vor 1204,
Manessiers fortsetzung des Crestien zwischen 1214 und 1220,
Gerbers von Montreuil einschub zwischen Gautier und Manessier,
vor 1225,
Parcival li Gallois in prosa, um 1225, vielleicht auch etwas später.
Wir müssen erstaunen, mit welchem eifer die romanschreiber über
den von R. de Boron angeregten stofF in den nächsten Jahrzehnten
nach Crestiens herfielen, und wie emsig jeder des anderen werk nach-
las, um das material der dichtung zu ergänzen und zu vermehren.
Aus Gautiers angäbe seiner quellen müssen wir schliesscn, dass ihm
nur Borons gedieht und Cretiens Conte du Graal bekant war; auch
fehlen in der bis jezt bekanten littcratur ältere Zeugnisse. Da aber
Crestien das buch zu seinem gedichto geständlich vom grafen von Flan-
dern, Pliilipp von Elsass, und vielleicht ein schon mit Zusätzen
versehenes exomplar erhielt, so muss ich jezt mit walirscheinlichkeit
annehmen, dass dieses buch eben Borons gedieht gewesen, und nicht
das gedieht Guiots von Provins, wie ich früher vermutete. Bonm
selbst hat in seinem dritten teile schon eine ziemliche anzahl von aven-
türen aus dem wälschbretonischen Sagenkreise aufgenommen, auch
gegen den schluss (Birch -Hirschfeld s. 178) nochmals den Merlin auf-
treten und ihn gewissemiasscn den epilog zum ganzen sprechen lassen,
so (liiss es nicht befremden darf, wenn hieraus sich immer neue zusätze
anschlössen, die indoss über die entsteh ung und bedeutung des grals
nicht im geringsten neue aufschlüsse geben, indem alle oben genanten
fortsetzer den gral als abendmahlschüssel und heilige wundertätige reli*
SaDUNGSGANe DSB GRALDIOHTUNO 451
quie, dem gedankenstrom Borons folgend, festhalten, ja das gefass fast
mit dem persönlich herumwandelnden heiland selbst identificieren,
dadurch aber auch dem ringen nach dem gral ein religiöses motiv
unterschieben, das indess eigentlich nur in der figur Parzivals zum
bcstimten ausdruck komt, bei den übrigen beiden jedoch ganz verges-
sen oder sehr in den hintergrund gedrängt ist Ich glaube behaupten
zu dürfen, dass alles, was die altwälsche und altenglische litteratur
seit den jähren 1170 — 80 speziell über den gral überliefert hat,
erst aus Frankreich nach den inseln übertragen ist, und es wird ein
vergebliches bemühen der englischen gelehrten sein, den Ursprung
der sogenanten gralsage auf wälschen oder englischen boden zu ver-
pflanzen, wogegen Crestiens unvollendetes gedieht durch die besondre
hervorhebung der figur Parzivals, als von gott designierten gralfinders,
vermuten lässt, dass er ebenso, wie Gautier, mit der erreichung des
gesteckten Zieles seinen roman habe schliessen wollen. Dieses neuere
material führt daher nicht zur quelle der graldichtung zurück, sondern
ist dichterische fortbildung, bez. entstellung der französischen dichtung,
wenn auch die alten wälschbretonischen sagen, der mons dolorcmis,
das casteüum piiellarufn, die sich schon in Gottfrieds historie finden,
die jagd des weissen hirsches, das selbstspielende Schachbrett, die peit-
schenden Zwerge, die schwarzen männer und riesen, die feen, ver-
wünschten wesen, verzauberten Schlösser usw. mit in die erzählungen
hineingezogen werden.
Vergleichen wir diese französischen graldichtungen mit unserer —
ich darf wol sagen deutschen version der gral- und Parzivaldich-
tung Wolframs, so treten wir in einen ganz andern kreis religiöser
anschauung, können aber den einfluss französischer vemiitlung nicht
verkennen. — Schon die Vorgeschichte bei Wolfram, die Colin sehr
treffend als „das buch Gamui-et" bezeichnet, weist uns mit entschieden-
heit darauf hin. Die begebenheiten bei Patelamunt und Kanvoleis mit
den dort auftretenden personcn haben anspielungen auf andere erzäh-
lungen, die jedenfals in der französischen litteratur vorhanden waren,
und wovon sich spuren auch selbst in der deutschen litteratur finden;
Bötticher in seiner abhandlung (Zeitschr. f. d. phil. XIII, 420 fg.) hat
meines erachtens evident dargetan, dass Wolfram diesen abschnitt nicht
erfunden haben kann, sondern einem roman gefolgt ist, der Gamurets
leben bis zu seinem tode umfasst Dieser teil enthält auch die
schmeichlerische auszeichnung des hauses Anjou, wozu ein deutscher
dichter jener zeit nicht die geringste veranlassung hatte; auch findet
sich keine spur von beziehungen Wolframs zu dem mit dem englischen
29*
TOfTW II er
4« auuuxa
königsbatis« vortrautf/n floiitsdion Weifen Imiiso, dem zu lielie Wfll
wie Zamcko andoiitpt, dieso anspielmig köiino ^maclit haben,
teil enthält nicht dio geringste hindeiitim^ auf dnn gral; «r gonäfrti" der
iiblicbüti anfordcrung an tlic dichter, dass sio aucJi von dun vitrf
des erkomen beide», und wo möglich auch von seinen nadikl^
nachricht gabüii. Da Cresticn in seinem Cunto du Oraal »cbm
Boron darin abwich, dass er den Parzival schon als ritteri&bignil
pen einführt, olino vater nnd mutter mit namen zu nennen, nnd sonÄt
seiiio abstamniung vom wälsohon Alain verwarf, war es einem sinui^
nachdichter — nennen wii- ihn Kyot — nicht schwer, den beiden Ga-
mui'et als würdigen vater Parzivals einzuführen. Eincti wCMjntliiJi
abweichenden Standpunkt von Crestien abpr nahm er b(?i iler Überarbei-
tung von dessen ge<iicht ein, dem er im t«tMiichüchen zwar ziemli**
treu folgte, und daher die öftere Übereinstimmung Wolframs mit Crt^
Btien, aber dem gral den Charakter als abendmaldschüBsel vind reii(|uii>
nalim, somit die foier der me^e ablehnte und ihn zur stimme gott«
machte, die unmittelbar zu seinen erwählten, seiner gemeiiule rpd*(.
welcher er die form einer nach der unubhiui^gkeit vom palwt streben-
den geistlichen brUderschaft gab, und zwar des von ihm in «einer bihk
einzig belobton tempekirdens. dessen nütglieder in Verteidigung des
christlichen glaubensschatzes für ihre Seligkeit kämpfen. — Die alle^
rischen namen imd örtlichkeiten des gral- und zaubergebielos sind
französische; wie soll ein deutscher sio erfunden und in einem deut-
schen gedichte französisch eingefügt haben? — Die scheinbar so m-
sammenhangtus dastehende kon-oktur Trevrezcnts hinsieht» der neutralen
engel zeigt auf einen rein theologischen gelobrtenstrcitpunkt
jener zeit hin (s. meine Parzivalstudien II, 55), auf den Ouiot dim'Ji
die erwähniing in Borons legende von Joseph gekommen soin mi^,
wo am schhiBS erzählt wird, dass Joseph den Vespasian niciit bl«
über die Schöpfung, den sündenlall, gebiirt, leben und sterben dos Iwi-
lands, sondern auch über das Schicksal der neutralen engel bcdehnmg
geben soll (Bireh-Hiridifeld 9. 153), wodurch Vcspasian zum i
tum bekehrt ward: ähnlich wie Trevrezent di^n Farcival boleht
Crestien ziemlich kurz gibt, Guiot aber ansführhcher scheint 1
zu hüben. — Ähnlicher art ist die andre korrektur in TrovreKontal
dass gott und nicht der priester die Bünden zu vergeben vprmijr'f*
Parzivalstudien II, 123, 124), wodurch der mensch in uumittclbiitv
lieziohung zu gott gosezt und dem walirhaft gläubigen narb dem spi-
teren nusdnick der refonnatoren das algomeini- prie*!tertnni erteilt, iBe
priesterlicho abäoUitiun vcnvorfen, und, so hoch auch der ,
3n uiM iKii-
bcdeimmg
1 cJirilt j
KintalHP^
BILDUNGSGANG DER GRALDICHTUNG 453
stand geehrt wurde, ihm der göttliche nimbus genommen wird, zumal
in joner zeit er in seiner Verworfenheit an haupt und gliedern ein
zerbild dessen darstelte, was er eigentlich sein solte, wie Guiot von
Provins in seiner bible (mitgeteilt und übersezt in meinen Parzivalstu-
dien bd. I) es ausführlich nachgewiesen hat. — Die graldichter wissen
nichts von einer schuld des fischerkönigs, wodurch er sein grausames
leiden als strafe verdient habe, er wird vielmehr nur als ein objokt
behandelt, an dem der gral seine wunderkraft zu bewähren hat, wäh-
rend bei Wolfram die blutende lanze, mit welcher jene dichter nichts
anzufangen wissen, als das strafwerkzeug gottes für seine Versündigung
gegen gottes gebot dem Amfortas vorgehalten wird, wie in der häus-
lichen erziehung dem kinde die rute gezeigt wird, um es an seine
Unarten und deren konsequenz zu mahnen. Darum wird auch die
blutende lanze, wie ich gegen Birch- Hirschfeld s. 185 bemerke, dem
gralo vorangeti*agen, weil bei der gralfoier, die Rosenkranz schon 1830
lur eine art agape erkante, vor dem genusse des gralsegens reue und
busse vorhergehen muss, die durch das algemeine wehklagen bei
erscheinung der lanze sich kund geben. Daher ist auch Parzivals
frage: „tvax mir r et clir?^^ nicht blos eine frage teilnehmenden mit-
gcfühls, sondern eine gewissensfrago nach der seelenläuterung des ge-
straften dulders, ob der kranke in wahrer reue seine schuld erkent
und bekent, damit er der gnade gottes wider teilhaftig werde, und auch
in diesem sinne beantwortet Amfortas s. 819, 16 — 820, 4 die frage. —
Ebensowenig legen sie nachdruck auf die unwandelbare eheliche treue
Parzivals, der bei ihnen mehrmals an zärtlichen anwandlungen leidet,
und sich sogar die minne der damc durch den hirschkopf erkauft,
weshalb er auch, je länger je kräftiger zum lleissigen kirchcnbesuch
und sonstigen äusserlichen Übungen angehalten werden muss, der fri-
volen ansieht des weltlichen rittcrtums entsprechend, die bei dem minne-
vergehn Gawans in den versen sp. 37, 29. 30 ihren charakteristischen
ausdruck findet Auch die liebestreue Sigunens lassen sie bei seite,
obwohl ihre gestalt verdunkelt vorübergeht (sp. 350), und die erschei-
nung des Poirefiss entgeht ihnen, da ihnen das buch Gamuret unbekant
geblieben. — Femer frage ich: wie kam Wolfram zur italischen sage
von Virgil und Klinschor, den er dem wälschen Merlin substituiert,
und wie zu den örtlichkeiten in Steiermark, von denen Trevrezent
erzählt? worüber der vielgereiste Kyot sehr wol konte künde eingezogen
haben. — Endlich lassen jene graldichter zur lezten prüfung der Wür-
digkeit Parzivals die höllischen erschein ungen, ja den teufel selbst in
grauenvoller gestalt gegen ihn ins feld ziehen, nach den Vorstellungen
4M
des stiiiupfen Und läufigen vod dorn klcriii« getunlirtun ulii
„nach der pfaffkeit lere:' Wie künstlerisch anschaulich, ja, ich
sagen verklärt erscheinen diese ungeheuer bei Wolfriun in den
die ich als dem reich des bösen ungehörig bezeichnet habe! i
selben stufe, wie jene fi'anzösischen dichter steht anch Alhrocht in
nem Titurel ', der über den gral noch die eccicsie als die liühere macht
aezt Wenn Birch-Hirsohi'old am schluss seintss wortvollen werke* za
dem resultat gelangt, dass Wolfram mit seiner Vorstellung vuni gnli«
ganz vereinsamt dasteht, so möchte ich den ausdnick vielmehr in
originell verwandeln, denn seine religiöse ansieht steht im klaiwi
gogensatze gegen die jener dichter, so wie da» biblische evangdium
der piibstlichen kirchensatzung gegenüber steht
Und in denselben Jahr.^chnten, während jene dichter den grai in
ihrer aufßisaung verherlichten, und Guiot und Woltram an ilireo dicJi-
tungen arbeiteten, während die akademischen kämpfe über A'w wich-
tigsten christlichen glaubenssütze, über die lehre vou der Sündenverge-
bung und der erlösung, vom ablass, der transsubstanliation usw. auf
den kathcdern der huchsehuten und auf den sc'hlüssom der gruttsun,
wie auf den gassen auf das heftigste diskutiert wurden und ihren hübo-
pnnkt erreicht hatten*, in denselben Jahrzehnten wurden schon die
Schwerter geschliffen und die Scheiterhaufen geschichtet, uni die fauii-
dorttausende hinzuschlachten, die von der entsti^^ltcn kirchi'nlchre aaA
der entweihten pries terschaft sich mit abschcu abwanten. Und diiw
tief alle schichten der Christenheit in Frankreich und weiter dl
wogende religiöse aufrogung solte nicht auf einen gt-lchrten, tiflf,
nigen bihelkundigon, der christlichen Wahrheit zugcwuntOD geiat
dcflseu dichtung einen rcflex geworfen haben, wio der franzose
der sich mitten im lande dieser bewegung befand, ihn angedeutet, niid
Wolfram ihn volkommcn verstanden, als sein eigentum sufgenvmmeD
und in meisterhafter form uns widergogoben lint? In ihm glüht ein
funke, der nach drei jahrhundeiten zur hochauf lodernden wclterluiich-
tenden flamme aufschlug, und unsere dichtung hoch über alle jene buk
zur täglichen Unterhaltung gedichteten werke stelt, und ein
ablegt, das wir zum vollen Verständnis und zur Wertschätzung
ben nicht verläugnen dürfen.
1) S. San-Muto: Rtiukhltuke auf diuhlungcii ond sogen d(« <!■
(QnwUinb. Basse, 1872) nr. VII, vergleich Wolframs mit Allireoht la
boEJehung, a. 175-
2) ßouter, Geuuhiuhte il»r aufklüruiii; im miltulaltur. Dd. I, buch
tos JslirhmiJert, Berlia, Hera, 1875.
MAoni^DBa. SAH aiBi^
dttiejw
455
BERICHT ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER DEUTSCH -ROMANISCHEN
SECnON DER XXXX. VERSAMLUNG DEUTSCHER PHILOLOGEN UND
SCHULMÄNNER IN GÖRLITZ.
Erste Sitzung.
1. Nachdem sich am 2. Oktober die soction im saale des rathauses constituiert
hatte, wurde die erste sitzung am 3. Oktober 8V2 uhr eröfnet. In das album haben
sich eingezeichnet: Gaspary, Breslau; 0. Erdmaun, Breslau; Siebs, Breslau; Wolff,
Kiel; Marold, Königsberg; Blau, Leipzig; Weingärtner, Breslau; Wilke, Lauban;
Boetticher, Berlin; Kinzol, Berlin; Brugmann, Leipzig; Uhle, Görlitz; Koschwitz,
Greifswald; G. Stier, Zerbst; Kölbing, Breslau; Ziemer, Colberg; Rost, Schweidnitz;
Wiodemann, GörUtz; Abicht, Liognitz; Fritsche, Stettin; Stomberg, Görlitz. Nach-
dem der erste versitzende, professor Gaspary, die anwesenden begnisst hatte, über-
trug er die leitung der Verhandlungen in voraussieht, dass sich dieselben haupt-
sächlich auf dem gebiete der deutschen philologie bewegen mirden, dem zweiten
versitzenden, professor Erdmann. Zu Schriftführern wurden Siebs xmd Wein-
gärtner gewählt.
2. Er d mann widmet den während der lozten zwei jähre verstorbenen fachge-
nossen werte der erinnorung; in eingehender weise gedenkt er vor allem der Verdienste
von Karl Goedeke, Paul Schütze, Karl Bartsch — dessen teilnähme an den
interessen der philologenversamlung ganz besonders gewürdigt wii*d — , Nikolaus
Delius, Karl Lucao, Karl Elze.
3. Sodann hält Mar old- Königsberg den angekündigten vertrag* „über den aus-
druck des naturgefühls im minnosang und in der Vagantendichtung." Die
Vaganten stehen auf dem boden der lateinischen schulpoesie des mittolalters; von ihrer
gelehrten ausdrucksweise — sie pcrsonificieren die natur, reden vom schoosse und
der Schwangerschaft der erde — finde sich bei den älteren minnosängem keine
spur; erst um die mitte dos XIII. Jahrhunderts seien infolge engerer berührung
zwischen den deutschen sängcm imd den wandernden klerikem jene golehiten de-
mente in den deutschen minnesang eingedrungen. Sie treten uns eret bei Hohonvels,
Nifen und späteren entgegen, deren hcimat — ausser Vrouwenlob und "Wizläv —
Schwaben oder die Schweiz ist, und bei denen sich in der regel beziehungon zum
geistlichen stände nachweisen lassen. Ein weiterer teil des Vortrags behandelt die
Schilderung des winters, der in der Vagantendichtung fast durchweg personificiert
werde, vor allem wo der dichter den kämpf dos winters mit dem sommer im
äuge hat. Diese Vorstellung mag urspiünglich volkstümlich sein, jedoch schon die
lateinische gelehrte dichtung hatte sich ihrer bemächtigt (vgl. z. b. den conflictus
veris et ktemis des Alkuin). Bei den älteren deutschen minnesängem finde sich
hiervon keine spur, und wenn je eine stelle beiVeldeke, Hartman und Walther einen
beleg bieten, so sei zu berücksichtigen, dass bei diesen dichtem kontnis des latei-
nischen und gelehrte büdung vorausgesezt werden müsse. Bei den minnesängern
liege vielmehr das chai'aktcristische der Winterschilderung in der gemütvollen teil-
nähme an den Veränderungen, welche die natur erleidet (der entlaubte wald, das
veränderte bild der haide usw.). Dabei bilden sich gewisse typen aus; doch fehlen —
abgesehen von einigen stellen bei Voldeke — alle physikalischen anzeichen des
winters (kalte nachte, die niediig stehende sonne usw.). Diese sind für die vagan-
tenlieder charakteristisch, während sich die minnesänger auf die innere empfin-
1) [Dieser Vortrag wird domnächst in erweiterter form in der zeitschr. veröffentlicht worden. Red.]
456 SIEBS
duDg beschränken und die wintorklage entweder in einklang mit dem liebesschmen
oder in gegensatz zum liebesglücke stellen. — Eine besondere orörterung verdiene
Nithart. Bei ihm seien die epitheta des winters noch algemciner art, und nur in
den unechten liedem seien solche zu fmdon, denen eine personification zu gründe
liegt. Dass auf Nithai't die Vagantendichtung von einfluss gewesen sei , zeige sich in
häufiger erwähnung physikalischer erschoinungcn, z. b. der winde, dos wettcrs, des
eises (aus der ganzen zahl der miimesängor erwähnen dieses allein der kanzler,
Konrad von Würzburg und ein unechtes lied Nitharts, während sonst nur schuee
und reif genant werden); auffällig sei bei ihm auch die mehrmalige klage, dass die
linde nun keinen schatten gebe: sonst wird der schatten des baumes, der in den
vagantenliodem eine grosse rolle spielt und vermutlich aus der spiolmanusdichtung
herübcrgonommen ist, im minnesang nur an vier stellen erwähnt (Walther 94, 24;
Ulrich von Wintersteteu MSH I, 139; Vi-ouwenlob MSH III, 149; Kon rad von Würz-
burg in, 334). Nach der zeit Nithaits finde ein immer grösserer ausgloich statt
indem die chai'aktoristische art und weise der vaganten sich im minnesang einbüi'^^^ri}
und umgekehrt Was schliesslich die deutschen Strophen der carmiua Burana angehe,
so seien liier die wintersc'iilderungcn durchaus in der terminologie der s|>ätoren niin-
nesänger abgofasst — In der sich anschliessenden debatte erwähnt Kölbing die von
E. Th. Walter (Germ. 34) über den uraprung des minuesangs neueixüngs g^^äusserton
ansichten und weist sodann auf die naturschilderungen im französischen epos und auf
das mittolenglischc epos hin. Hier werde namentlich zu beginn der abschnitte die
wintcrstimmuug in Verhältnis zur liebe gestclt, z. b. im Merlin. — Gaspary bemerkt,
gelehrter einfluss sei in dem doch algcmeineu vorkommen derartiger auffassung der
Jahreszeiten nicht zu erblicken, und belogt diese ansieht durch hinweis auf proveu-
zalischo und älteste italienische dichtungen. — Stier macht auf ein im jähre 18K8
erechienenes Wcrnigoroder festprogramm aufmerksam ^ — Koschwitz ist der ansieht,
die carmina Burana, in denen sich so viele romanische elcmento finden, seien zu
'utemational in ihren motiven, als dass sich für deutsche dichtung sichere 8c}ilü&>e
daraus ziehen Hessen; die personiiicierende auffassung der Jahreszeiten nelmie zeitlich
mehr und mehr zu. — Siebs vermisst in dem vortrage Marolds durchgeheuds die
imtersuchung, inwieweit wir volkstümliche motive zu erkennen haben, und hält
dafür, dass man bei solchen arbeiten nicht füglich die carmina Burana heranziehen,
die volkstümlichen grundlagen des minnesangs aber, wie sie Berger (Ztschr. f. d. i>hil.
XIX, 440 fgg.) unter Verwertung der volksliedersamlungen festsgetelt hal)0, unl)erück-
sichtigt lassen dürfe. — Marold erwidert, das falle nicht in den kreis seiner Unter-
suchungen: er habe von nationalen dementen abgesehen und überhaupt nur zügo
hervorheben wollen, die den gemeinsamen charakter der gelehrten dichtung und des
minnesangs erweisen. — Wolff bemerkt, lenz und liebe hätten von jeher den gegi»n-
stand aller -lyrik gebildet: die Verbindung beider motive sei im wesen des dichteri-
schen processes überhaupt begmndet. Die anakreontik des 18. jahrhundoits und dio
griechische littoratur wcixlen herangezogen. Nur übereinstimmende proben ganz
aussergewöhnlicher naturkdebung seien für abhängigkeit beweisend. — Erdmano
hält eine solche annähme für viel zu weit gehend. Möglichkeit der Originalität sei ja
selbstverständlich, indes hätten wir doch der anhaltspunkte für entlehnung gar viele;
ein sehr wichtiger scheine ihm z. b. in den besprochenen Personifikationen der erde
zu liegen.
1) U. Dreos, Die pootibcho naturbotrachtung in den liedem der deutschen minneslngcr. Wer*
nigerode 1888.
PHILOLOGENVBRSAMLUNG ZU GÖRUTZ 457
4. KiDzel bittet, in weiteren kreisen für das pädagogische untomehmen der
herausgäbe älterer deutscher litteraturdonkmäler nebst Übersetzun-
gen, die ihm und Boetticher obliege, wirken zu wollen. In dieser samlung sollen
41 gedichte Walthers von der Vogel weide erecheinen, denen etwa 20 liodor aus „Des
minnesangs frühling** vorangeschickt worden, um die entwicklungsgeschichto der
lyrik zu veranschaulichen. Der vortragende gibt Übersetzungsproben von 6 liodom
Walthers.
Schluss der Sitzung IO74 ^^'
Zweite Sitzung.
1. Am 4. Oktober wird die sitzung um 87« uhr mit dem vortrage Wolffs „üb er
den stil des Nibelungenliedes'^ eröfnet. Zunächst wiixi angeführt, dass volks- und
kunstdichtung nicht gcgensätze, sondern stufen seien: wenn mau das Hildebrandslied und
ebenso die Nibelungen als volksepen bezeichne, so lasse mau viele grade unberücksich-
tigt Eine ontwicklungsgeschichtliche erklärung müsse auf dem Nibelungenliede fussen.
Volksdichtung sei die poetische gostaltung der im volke fortlebenden sage, so lange
sie von individualität ungetrübt sei. Stilistische cigentümlichkeiten der Volksdichtung
.seien z. b. die typisch gewordene Zusammenstellung paarweise zusammengeordneter
worto (wip unde man)^ ferner parallclismus des satzbaus, gewisse metaphorn u.a.m.
Andere erscheinungen hingegen, die häufig als merkmalo der Volksdichtung angesehen
werden, seien nur elemente der volkstümlichen poosie, nicht der volkspoesie,
und sie seien violüach durch die Spielmannsdichtung hineingekommen, z. b. formel-
hafte Wendungen, sodaim die Superlative ausdnicksweise (tntr efikunde nimmer lie-
ber geschehen)^ die schalkhafte durstellung usw. Im algemeinen tragen nicht nur
einzelne lieder, sondern das ganze gedieht einen höfischen charaktor, und der sei
nicht etwa einem höfischen Überarbeiter zu danken, sondern der geist des ganzen
Werkes sei höfisch. Beweise dafür liegen in der scliildorung höfischen prunkcs, for-
ner in der darstellung des coremoniellen benehmens {liüeäeger vor Hagctie)^ in der
auffassuDg der ethischen begriffe {ere, minne)\ wir finden die ei*st nach dem zweiten
kreuzzuge in Deutschland eingedrungenen demente des ritterwesens (aectitiurej fjoste
U8W.); die alten Charaktere sind gemäss der neuen auffassung umgestaltet (Ilagetie
der vil xierliche degen; PrmMlt dax minnecliche wip) — kurz, die wonigen spu-
ren der volkspoesie seien von höfischer kunst überwuchert. — Sodann wird eröilert,
ob die lieder zum singen gedichtet seien, oder ob wir es mit einem zum lesen
bestirnten Schriftwerke zu tun hätten. Auf gruud stilistischer eigentümiichkeiten wii*d
die lezto ansieht verfochten. Zwai* werde im Nibelungenliede die scenerie der hand-
lung kurz vorgeführt (dö sprungen von dem sedele u. ähnl.); der schall ausführlich
beschrieben {icart der schal so gröXj dax, Wormex diu ril loite dar nach ml Inte
ftdox)^ der sprechende innerhalb derselben rede widerholt eingeführt und nicht selten
dio konstruktion ano xoivoO vonvant; aber es sei stets nur von sagen, nicht von
singen die rede, und subjektive uiieilo, seeleuschildemngen, motivierungen und
Parenthesen seien zahlreich; ebenso komme häufig betonung von äusserlichkeiten,
namentlich der kleidung, vor. Diese lezterwähnten i)unkto seien füi* ein zu lesendes
werk bezeichnend, denn das liod kenne keine begründung und erläuterung, sondern nur
^ä^hen. Wir könten also höchstens von kleineren epischen gedichten reden, die
zosammengeschweisst seien; aber auch das sei nicht anzunehmen, da wir einen inne-
'^ CQsammenhang, eine lückenlos fortlaufende handlung hätten; femer das durch-
&hm^ motiv, dass alle lust in leid ende. Widersprüche, die durch das ganze werk
loufda, atibu aü.'lit atidurs xu beurtüilon iUh lici Bi^liillur (Tinu <.'jirl<iHj irdi-'i
spearo — die seiun durr.h varHcliififono qiicllon erkUrlich. Auoh liobi' :
interpolBtionoD iind priDci|iioII<>Q abäiidcningt-n dur iwhroiW la rochnrm.
allam: wir babon das original oiuas uatiimaleD hofopos vor
uumho britckon xum rnimdon romantiBuhon borepoh fiUiiiiD (m uai
Wulfnuu}. AIh huimat des gudiuhtus bexoiulinet der vurtragatidti Ostontioh; ^
stobuDg seüt er aus utillstlschQQ gründoD uud aunahmu hLstorischor i
luühluDg dea Friedrich Barbarast» mit Beati-ii von Ttargund) vor 1170 an.
Dl der dobatfa! wmidet aiuh zunilühst Boetticlier ge^-po den redoet.
gegensatx oiiios romaiitisitliGn and nationalen hüropoB sei aiiklar uud utslit tu liilUgn:
botepoK SM die iu stulT und rorm von den Franx(isi)ii ontlobutu inodedivblnng, «Ui-
rend die voUssago, von dem Hptolleutan hüfiauh autgopuxt, vorgotrngnn wnrdn. ¥t>
nor hJitton wir im Nlbelungenliodo durchaus koinen oinh^itllchon xtil, sonden im
volksmüsaige stil dor Bpieltnaausixioeie uud dor hüllHcho sül soiou in grossen (lailini
unverwjhmolxon nabonoinander zu linden; auch soion dio roslauhilderunguu usw. dimdi-
aufl nicht zum ganzon vorschmühcn. liuini.Tkunswoi't sei fumor, data kein börutelwi
dichter ausser Wolfram — und dieser aus anderen grändrn] — IgibolungcndichltT
enrühno, wühiiind doch sonst boi-ufuog dos oioon auf don wideren voriieg« (Vrfdoko —
impffte da\ erste rls u.v.a.)- — Dem entgegnet Wulff, er glaube naturlieh nicht, im
(üne stiliBliscIie hotraohtnng allein die Kibolnngonfrage lösen könne. DasB übri^ma der
büfisclie uhurakifir nicht einheitlich durchgofiihrt erauheino — hIko dio vorwutamitltngg
den spielmaDUHmüKsigen , de» volksmässigon und des hÖÜBohoa stilolemoiito» — artUn
sich eben dnroh das ringen noch einem neuen etil, don'h eine iiborgangqwtiHilr.
Boettiohcr lienierkt, der kempunkt der ganzen antonuohung müsse sein, ob vir
überhaupt lieder oiizunehmon bab(^, gleichgültig in weloher abgrenzung und veruW-
tung; und diese bigo wordo durub stilbotrachtuogon nicht gelüsl. — Wnlff borini-
let das. — Sodann wendet sich Kinzel im ansohlusae tui Boettichors aoffnsug
gegen dio zu verwerfende methode, die des vortragenden untersncbung eäiigi'twhUiwn
habe. T^ersolbu hatm sowol bei der botrachtung des volkKtümliuhen boshudM iltf
Nibelungen als aueh bei dor bourteiluug der eiiiheit seinen ausgang von vurgufwMten
meinnngen und deßnitlonen genommen und dos liod au diesem massstabe grmaMfn.
Exompljlicationen von modernen dichtuugon (z. \\. der vergleich mit den widors|>rili:bi!a
im Don Carlos} seien uuzulfisstg. Sodann wird auf griud dogeheuderer bespreohant
des vierten liedes des vortragenden annähme bekiimpft. — Wolff bemerkt, üio hat*
die eng bemessene zeit genutigt, in der form atellenwoigo dot^atiaoh zu votMiniB.
Auch sei seine anoidnuug des steiles dadnrch beeinflusHt, dnss die rusultatv MtH iwaiir
fortlaufenden untorsucbunp über die entwieklungsgesc hiebt» dos opisohon stils hennif
gerissen seien. — Zum vergleiche könne man die bomerisoben epon berauzioboa, Ü*
keine volksiweaie mehr seien; ebenso die slswisoheu hisUjriBchen volkalledier, db aof
der stufe unserer spit^luiannspoosie stunden. — Rost wirft dem vortragenden efatmUt
vor, er sei von vorgefasslon meinnngen ausgegangen, und wendet sieb dann i
IHilnen gegCD die Buffassong gewisser von Wolff als hiiHsch bezeichnülon t
[rieh. hMleh). An hinsehen cinflüssen sei das liod reich, aber man 1
keine liberar)>eltung anzunehmen. — Wolff entgegnet, xierlifh and ■
der holden seien beweiskräftig für die veräusserlichl« beurt^iluug des hol
Uhlo äussert ülier die bedeutungsentwicklung genanter cpithots eine aii
ijiebs mit einigen etymologischen bemrrkungon widorspriclit. — Zum ir
Grdnianu, sclilagworte wie .volkstüniticbe poesie" imd ^Ttatii^naln t
PHIMLOOeWTEHBAMLUKe Zu oßBLITZ
45S
so ächÜD ait' klingen niügen, mit vorsieht anzuwoodea. Die verschiodeiiea imrüeo —
vor allem z. b. das 14, gegon das 'i. und 3. Ued betrachtet — zoigtea kontraste, die
unmö^ch die oinordaQug zu eioom einheitlioben ganzen gestatteten,
2. Erdmann verliest einen ontrag Buettichors, der auf einen antrag H. Stiers
in der [ddagogischeu scction der De^sauor pliilologonverstunlimg im jähre 1884
EQTÜukgreift. Die resoliition wird einstimmig in folgender fassung aDgeiiommen:
.Die doDtsob-romaniscUB Bection des 40. philolugentages Behliesst
auch ihrerseits siuli den bereits 1884 von der pKdagogisobon soution
aufgosteltcn und jüngst in der versamlang rheiuiesher Schulmänner
neobegründetoa forderungen hiasichtlicli der widerhorBtelluiig der mit-
toIhochdoutBcbon lektüre in den oberston klaseon der gymnaKien und
realgymuasioii an, indem sie in den immer hÜuSgar und dringender
lautwordondon äusscrungon dieser art ein unverkenbares zoiuhen oiaeg
unabweisliehon bedürrnissos erblickt,"
3. ErdmauQ berichtet über eine im Iwsitze desdr. Wilhelm ■ Breslau befindliche
swiilung von biiofen »Oä Rninlors nauhlass, dio der vator des jetzigen Inhabers in
Anklani dun;h einen zufall dem verderben entrissen hat. Es sind alles biiefe von
gräSBcrom litterarifichou interosso; Klojigtouk, maier Hoiniiel, Job. Chr. Schmidt,
Gleini, Sucre, Sal. Gessnsr, Moses Mondelasobn, Ebert siud vertreten. Der besibtcr
tereitet die herausgäbe vor.
4. Fritsehe berichtet im anschlusso an diese niitloilnng von dem funde eines
tnsher nur teilweise bekauten Goethebriefes an Karl August sowie über bruchsUicke
eiooB briefwechscls zwischen Friedrich Wilhclni IV, und de la Motte, die sich in
Stettin im besitze des assossor Sohweecker boßndcn.
. Wolff erwähnt denmachst von ihm eu vcrüfientlichende handschriften der
__8a^uer gymnasialbibhothek , unter denen nameotlicb briefe von Emestino Voss an
] aohn Abraham bemerkenswert seien.
I bes|iricht ein manuHcript der Breslaner stadtbibliothok. welches —
motlich nach oiuer handschnft — im jähre ISOG auf der bibliothek des Halliscbcin
s abgeschriebene godiobtu von I.udw. Wiih. Oleini enthält Es sind ,Lie-
t gesungen im jahro 1792", „Zoitgedicbto für wenige leser. Int janner 1801" und
Sohwehserische kriegsticder. 1708." Die beiden ernten samlungen sind im dnick
eracfaienen; die leztgenante ist dem rofercnten nur aus eioer unvolständigi'n hand-
Bchrift bekant, die sich im Oloimstine zu Halberstadt befindet.
7. Nachdem Erdmann einige vorschlage betrufM der wähl der voinitiendcn für
die nächste in München abMihaltende versamhmg gemacht hat, gibt Kiozcl pro-
ben seiner überaetziingeu, indem er woitoro elf üoder Walthere vortriigt
Schluss der Sitzung 11 ubr.
Dritte sitEung.
Am Sonnabend den 5, Oktober wird die siUnng erst um ft'/i "br eröfnet, damit
den mitgliedem gelegenbeit gegeben sei, dem vortrage des dr. Lehmann-Berlin
«ülier den deutschen Unterricht" in der pUdagngisrJien sectinn ancuwobnen.
1. ElrÖftiet wird die Sitzung unter voniitz des prof. Gaspar,v_'mit dem vortrage'
deapref.Koschwitz-Oreifswald ,Übor dio notwendigkeit, bei syntaktisoheu
m prutoliola dw
460 SIBBR
UDtersuchuDgen die lauthistorischua vcräDdorungon nicht unbeachtet zu
lassen.*^ Für das studiura des französischen sei das Verhältnis dor geschriebenen
zur gesprochenen spi-ache von höchster Wichtigkeit Neuerdings haben schulrefonuer
(wie Paul Passy) behauptet, man müsse die gesprochene spräche unterrichten. Not-
wendige Vorbedingung dafür ist uatüriicii die grammatik einer gesprochenen spräche.
Das Verhältnis dor schiift zur ausspräche lässt sich noch am ehesten klarstelleD;
al)er in der erkentnis der quantitütsgesotze, des wort- und satzaccentes, der too-
höhe, des Verhältnisses der gesprochene» zur geschriebenen formenlohrc sind wir
noch weit zurück. Bezüglich dos lezten punktes verweist dor vortragende auf seiue
^Neufranzösische formonk^hre nacli ihrem lautstando. Oppeln 1889. " Die gesprochene
tiexionslehre zu unterrichten — wie reform er es vorgeschlagen haben — sei wol kein«
erleichterung des lornens: da trete in den meisten fällen für die regel der schrütgram-
matik nur eine andere formulierung ein; aus der schulgrammatik konto man doch ba
keiitnis der ausspräche diu regel der lautgi'anmiatik abstrahieren, aber nicht umge-
kehrt. — Betrefs dor abweicrhungen zwischen geschriebener und gesprochener spracht'
in der syntax fehle es an allen vorarbeiten. Die ilexion ist vielfach erloschen, plu-
rale sind meist nicht mehr erhalten, und ueuausgebildete syntaktische mittel vertraten
die alten tU^xionon; auch sind in der gesprochenen spräche die alten konkonlanz-
gesetze fast geschwunden, das imperf. conj. und das porf. histor. existieren fast nur
no<!h in der gebildetonspmclie ; superkompoiiierte formen {jai eu cntcfukt) vertreten
die einfachen u. a. m. Diffeit)nz der gesprochenen und geschriebenen spräche in der
syntax hat es selbstverständlich wie heute so auch früher gegeben: darum muss die
historisclio erforschung der syntax auch die lautsprache ins äuge fassen'. Daraus
erklärt sich oft die aufstellung spitzfindiger gesetze, denen die geschichtliche basis
fehlt. — lautliche Veränderungen können syntiiktischo Umwälzungen bewirken. So
wurden beim Übergang des lateinischen ins romanische formen wie fut I und 11,
conj. imperf. und perf., die ihrer lautlichen gestalt nach zusammenfallen oder unkent-
lich werdtui musten, almählich durch Umschreibungen und neubildungen verdrängt.
Ferner: im frz. des 12. Jahrhunderts vei'stumt« l)ei syntaktischer zusammong^>hörig-
k<üt das flexivischo s vor konsonantischem anlaut (z. b. wo ein adjectiv vor einem
konsonantisch anlautenden Substantiv stand), vor vokalischem anlaut aber und in der
satzpauso, d. h. am Schlüsse eines satzes oder Satzgliedes blieb es hörl>ar. Dadurch
geriet schon früh der gebmuch des ilexivischon s im nom. sing, und den obliquen
ca^us ins schwanken, vermengung des nominativ mit den casus obli<iui trat ein, und
schliesslich ward die casusunters(;heiduug ganz aufgegel>en. Infolgedessen ward daon
die Wortfolge im satze eine strengere, und im mittelfrz. entwickeltt^ sich die dies-
bezüglirhc feste, heute noch geltende regel. Die crhaltung des tt gerade im plur.
beruht wol mit darauf, dass der acc. plur. häufiger in der satzpauso stand als der
nom. sing.; das .v bli«'b dann bis ins 17. jahrhuntlert an dieser stelle lautend. —
Redner geht dann auf das verstummen des U)nloson c näher ein und führt u. a aus.
dass tonloses e nach einem hauptton vokal viel si)äter am schluss des satzes, wo es
unter dem satzton stand, vei-stumt ist, als in andern fiülon: also spätt*r in .,/« nim
fptc j'ai ru€"* als in yj\ii rufe) la mere.^" Sehr oft haben solche erscheinungeu xu
den spitzfindigen schreibgesetzen der grammatiker anlass gegeb«»n: daher die kompli-
cierten ivgeln xxhov pluralisation appellativisch gebi-au(;hter eigermamen, z. b. Cicerons;
hier lautete das .s gar nicht. — Die regel, dass man nu-tctc und nu-pieds^ aber iit€
nur und picdfi nus zu schreiben habe, ist mo<h'm: afrz. heis.st es fw« teste und
teste nucj nur verstumte das c im ersten falle, wo os ja vortonig war, eher. Bei
FHILOLOORNTERSAHLUNa Zu GÖRLITZ 461
afrz. nux piex ist s (x) schon früh verstumt, in pie% nu% hingegen wurde es bis
zum 17. Jahrhundert gesprochen. Der advcrbielle Charakter des voranstehendon nu
L<*t eine fabel, und so steht es auch mit den regeln über demi, »uppose, excepte
usw. — Nfrz. lielas ist unveränderlich; im aft'z. aber brauchte man eh las! oder
eh lasse! {Uisses plur.), je nachdem sich männliche oder weibliche weson dieses aus-
druckes bedienten. Da er stets in der satzpause stand, so verschwand die flexions-
unterscheidung; aber auch im masc. blieb das s fest. So ist auch die moderne regel
über mil und mille (milles) nur durch verstummen des e imd s möglich geworden. —
Sodann weist der vortragende die regel über die konkordanz des part. pei-f. mit dem
Subjekte bei reflexiven verben als eine neue Spitzfindigkeit nach. Dass ferner das
part. perf. bei avoir gerade bei vorangehendem accusativ das e bzw. s aufrecht
erhielt, bei nachstehendem aber verlor, komme dalier, dass im lezton falle das
part. meist an den satzschluss trat, wo sich ja auslautendes e und s am längsten
erhielt. — So werden alte durch frühere lautverhältnisso berechtigte erscheiimngen in
der Schrift festgehalten, aucli nachd(»m sich die lautverhältnisso geändert haben; oder
theoretiker finden in dem aufgeben des alten lautes grund zur aimalune von differen-
zienmgon, welche die spräche nie gekaut hat. Solche erscheinungen finden sich in
allen sprachen, am häufigsten aber natürlich da, wo wie im französischen eine starke
abschleifung flexi vischer laute statgefunden hat. — Erdmann bemerkt hierzu, dass
diesen hochinteressanten nachweisen sich aus der entwickluug des deutschen in
historischer zeit verhältnismässig wenig älmliche falle würden zur seite stellen las-
sen. Doch sei z. b. die moderne Unsicherheit im gebrauche des conjunctivs wol
zum teil aus dem zusammenfallen vieler formen desselben mit den noch im mhd.
von ihnen imterschiedenen formen des indicativs zu erklären. — Gaspary will
die regel über das particip nicht auf lautlichen einfluss zurückgeführt wissen: das
praedicative Verhältnis sei wol noch tiefer empfiuiden worden. Aus dem spani-
schen sei nichts zu ersehen; im italienischen habe eine abschleifung nicht stat-
gefunden. Die i"egel sei ungefähr die des altfranzösischen: unveiiüidert sei das
part. bei voranstellung, veränderlich bei nachstellung. — Koschwitz gibt zu, dass
die erscheinung vielleicht nicht bloss auf lautlichem oinflusse beruhe; wie in den
meisten fällen hätten auch hier gewiss zwei factoren zusammengewirkt. — Brug-
mann weist darauf hin, dass erscheinungen wie die vom vortragenden behandelten
sich auch in den älteren indogennanischen sprachen finden, namentlich auch schon
in der muttersprache des französischen, im latein. Die jüngere sprachentwick-
lung, in der sich der Vorgang schrittweise an der band der Sprachdenkmäler ver-
folgen las.se, werfe hier wie so oft liclit auf die älterc, wo sich der process ganz
oder zum teil in vorhistorischer zeit volzogen hat und es dem foi-scher wilkom-
men sein muss, wenn sich seine deutung durch analoga aus modernen, leichter
überschaubaren Sprachphasen stützen liLsst. ALs beispiele dafür, dass auch bereits
im lateinischen rein lautlicher wandel syntaktische neuenmgen im gefolge hatte, führt
Bnigmanu den locat. sing, auf -F und die 2. pers. plur. auf -ynim an. Dass der
locativ mehr und mehr zu gunsten der ausdnicksweise mit in c. abl. wich, hing
damit zusammen, dass die locativform mit der genitivform zusammenfiel (belli „im
kriege** und „des krieges*). Bei den mit dem lautlichen zusammenfall (F auch im
nom. plur. masc.) zusammenhängenden orthographischen bestimmungen der alten
grammatiker (des Lucilius El für / pingue, T für i teiuie) liefen in ähnlicher weise
Spitzfindigkeiten und wilkürlichkc^iten unter wie in den analogen fälh»n bei den älteren
finmxösiflchen grammatikern. Das imperativische seqiiiminl ist mit J. Wackernagel
dSS KiaBF
als aino imporntivlsch vorwenrlotu inßnitlvroriii anxuarhcn, ilic dnrr grir^h. i
wio Xty^ftfVHi entB|jricht; dos indicativischii nequimim dagoj^oii w&r nodi ■
tung ein noin. ptur. part. med. (entsproobood griocli. fniiftivot and inüfitrat) ■
urapränglinh niohl auf den gobranch iüa 2. pors. boBubriUikt; man aagt» a
»vm-ua, aalU, tunt. Nun batt« der xnsanimeiifBU von
einerseits dass dos imperat. sequiminl sich auf plurnlisi^ho verwi-ndang 1
iu>dnri>r8nitii ilnss dos indicat. gequimin'i mit woglassung der copula nnr i
2, pere. geViranobt wimie; in jenem tallo hatte das indicaU gequimittf d
visclie bueindoxat, in diesem nmgohebrt
2. Da die nächste pbilologenvcrsatnlung in Hfinchnn stAt£iidon s>iU,|
den zu seotionfivorsitzendet) die profeRsoren Konrad Hnriiiaiin »ad Br«
3. Naclidem der TorsitiRnde, prot. flaspary, doii aiivresfiidcn fttr ilir J
tu'u gedankt, scliliefiat or die sitzinig um 10'/^ ubr.
BBiaUV, OKIOBKR 1BB9.
MISCELLEN UND UTTERATTTR.
rundriaa der germaniacbon philo! <
Amira . . . fn. a.) herausgcgehea i
einer taM, StiMsbuiK, Trübnor. 1889.
UennHun Pniil. I. lieferutig. ttt
250 8
Eine lOBammcnfassung dos biähor von der duuLtchen philologie i
unter geGichtspiinktoTi, welche auf ihre weitoron aurgalioo hinweisen wilton, wu
unEweirclbaft erwiiuBuht und dankenswert, wenn suhon für diu geauhichh) unaefw
vissensebaft IiereJts varzügliclio gosaiutdarBtellungon vorlagen und iiisofern Pkü*
unternehmen nicht in gleichem niaxse neues bieten konte wie Oröben gmudriw d«r
niinaniHcben philologie, an welchen «cb der seinige üussorlieh anaohliessL
nie erste lieterung wird fast gaux dnrch die ^adiiishto und diu mctluxlonlahn
der gennaniachun philolugie itnsgufült, welohe Pnul soibst boarUiituI hat Übet da
begriff ttod Eweuk dieser wiKsenHebaft gebt er xir-juliub tasvh hinweg. Kr sdibari
sieb Eunüchst an Böckba deriiiition au, welche als gegenstanil der (ihilologie di<
gesamte ue^scblicbe kultur besnichnet, eine deflnttiun , nadi welolusr iibilulugta und
gi-seh lullte ~ wenn diese ebeuso im woiteslan sinne gefitsiit wird — xuuuninonhllai'
Und tju spricht aouli Faul in dmi crslen algometnen bemerkungon seiner incAbodiii-
luhro nicht vom philolugen, soudem vom bisturiker. FreUich bnsobräakt er Cm*
doch die aufgäbe des pbilolu|{eD, indem ov ihm die beschäftigang mit den apncb-
denkmülem tuweist und daher sprach Wissenschaft und littoratiirwiBKuuH<baR alit di*
nutwendigen Eweigo seiner tjitigkoit ansieht. Vielleiubt lösKt sieh dien.- bi.'ächriiakiipf
noch weiter auf einen einzigen kenipniikt Kuriickfiihron. Ich sehlii»9i> mich dabai ■>
b«morknngen an. welche MüUeaboff mündlich gofiussort Imt and die loli aus dar
erinnerung freilich nur in sehr unvolkommener weise widergeben bann. HQUeohtiS
sielte den Philologen dem hislotitor so gogenfibor, doss or dluMm den »taat, Jen
die puusii' als den mitt;;1puukt seines interosses xuwies. Gi-^nanor wnrden wir4|
mit Tiröhnr (Qrimdriss der romanischen philologie s. 140 n. ■),) ansta
künstleriavh gestaltete rede setzen, nur dass für die ältere luit Widna Ji
fiUt In der tat sind eben die wiKsenachaftlii^heu Geher, die skuh mtl
ÜBZB PAUL, OBÜNDRI88 DER OKBM. PHIL. X 463
hen, metrik, litteraturgeschichto, poetit, sowie die erklärung einzelner dicht- und
Schriftwerke so rocht eigentlich anfgahen der philologie, während dio grammatik auch
von den sprachforschem im engsten sinne, die altertümer von historikem und Juristen
in anspruch genommen worden. Aher das tatsächlich bestehende Verhältnis zunächst
den historikem gegenüber lässt sich auch begriflich rechtfertigen. Die Wissenschaft
der geschichte hat es mit dem geschehenen zu tun; sie will den gang einer entwicke-
lung begreifen und darstellen, und sie bekümmert sich daher um die träger dieser
entwickclung streng genommen nur insofern, als an ihnen diese entwickelung sich
volzieht und erscheint Die philologie dagegen fasst das gewesene ins äuge und
bemüht sich um die kentnis der einzelwcsen, welche sie nach allen Seiten, soweit
die überliefemng es nur gestattet, sich zu vergegenwärtigen strebt. Daher greift die
geschichte weit aiLS, während die philologie sich gern beschränkt Geschichte und
Philologie verhalten sich in der art ihrer arbeit und ihrer erzeugnisse wie maierei
und plastik: jene gibt von einem festen Standpunkte aus eine ansieht, welche über
grosso flächen, auf weite fernen hin sich erstrecken kann, aber immer nur eine seite
des gegenständes vor äugen stelt; diese zeigt uns volfiguren, nach allen Seiten hin
ausgearbeitet, aber hx3ilich so dass diese gegenstände nur für sich oder höclistens mit
wenigen vei*wanten erscheinungen zusammengefasst werden. Müllenhoif sagte, wenn
ich nicht irre: gaschichte stelt dar was die menschen verbindet, und keine Verbin-
dung ist so stark und so weitgreifend als die durch den staat gegebene; philologie
beschäftigt sich mit dem, was den einzelnen auszeichnet, und so eigen ist ihm nichts
als die poesie, die kunst der rede. Äussert sich in der kunst das ganze geistige
vermögen — >\ie es ui*sprünglich durch das verbum können bezeichnet wird, — so
ist unter allen künsten die kunst der rede dazu am meisten befähigt, da sie am
wenigsten an äussere bedingiuigen gebunden ist. Es kaim mm dio frage aufgeworfen
werden, ob und wie die übrigen gegenstände der philologischen forschimg mit jenem
mittelpunkt in Verbindung zu bringen sind. Zunächst die grammatik. Es leuchtet
unmittelbar ein, dass für das Verständnis der poetischen denkmäler auch die volstän-
digste und genaueste kentnis der spräche durchaus nötig ist, dass auch die etymolo-
gie schon der wortbedoutimg wogen ein unentbehrlicher bestandteil der philologischen
grammatik ist. Dio volständige kentnis der spräche erstrebt nun auch die Sprach-
wissenschaft im engeran, besonderen sinne. Aber wideiiun ist ein unterschied zwi-
schen philologie und Sprachwissenschaft vorhanden, der mit jenem, welcher philologie
und historik trent, sich wol vergleichen lässt Die Sprachwissenschaft nent sich
genauer noch dio verigleichende, weil sie mehrere sprachen heranzieht, entweder um
über die geschichtliche, schrifüiche Überlieferung zurück die zusammenhänge der
sprachen zu erforschen oder \\m das wesen der spräche überhaupt zu erkemien. Der
Philologe dagegen will für jedes einzelne dcnkmal auch sprachlich die einzelart fest-
stellen; er will wissen, wie jeder ausdmck, jede Wendung zu verstehen ist, welche
absiebten der Verfasser damit verfolgt, ob er ernst oder ironisch spricht, ob er ruhig
oder leidenschaftlich, gemein oder erhaben sich ausdrückt: alles fragen, welche den
Sprachforscher wenig kümmern werden. Insofern ist auch von der grammatischen
seite her die poesie hauptgcgenstand der philologie, da sie die spräche in der
grösten freiheit und kraft erkennen lässt. Ähnlich steht es nun auch mit den
übrigen feldem, welche die philologie gemeinsam mit anderen Wissenschaften bear-
beitet Jacob Grimm nimt teil an dem auf bau der deutschen rechtsgeschicbte, aber
was ihn besonders beschäftigt, ist die poesie im recht, ist das gebiet der formen und
fonneiiL Alle äussemngen des geistigen Icbens berücksichtigt die philologie, aber mit
dorn liauptaiigmimi'rk itiif dns poettRchc (tls ditA DigiTntiiTnlii'hn der i
puriodeti, der nntbncn. Ulmn sinn für das poetiMclio mng oiiior «in gator i
sohnr, «n gtitor hktnriker odor Jurist sein, alwr n'ui gnler phQologo (•( i
Blicken wir auf imsere meintöi-, die brödor Orimm, LaahmauD, UhUod,
und wer sonst ibii^n beixu^-esitUen ist, m wird uiu iliiüier sinn Für dttt pt^j
sich vieirai^h (sellist wtmii wir von Uhinnd alisiihtj) nudi durch sclbBtltuJige 4
sui;he kundgcgeliuu liat, als das chamkteriätische für ihiv^ wissunRchnftlicba I
prschoinen. Und darin üo)^ schliessliub auch dii> eiKCntlipho lioroclitignjig i
Wissenschaft iun'Thnllt dos geistiKen lobons unserer nation; deit^n ästhotisohe 0
ist wosuntlivb diu auricibo der philologie; den sinn filr poosic soll fäe ausblUKii wd
(vgu orhnltj^o, und dies ilir verdienst ist für uns um nu grösser, als
tmatniitig in einer mt Inbou, in welchur die poetiscliu |irodnkUa& in
begriffen ist und die itntion durch (lolitiscb -sociale Tragon inohr und n»4tr tu M
gouoinmeu wird.
Traten wir »on diesem Standpunkt nos an Paule grundriss h«nn, m^
uns xunücbst als ein mangol crscliuiuun, doKS in tlvr abttiilun;;. widubu dar UtU
geechiehtn gewidmet sst, die doutachc litteratar nur bis num endo de» inittnliltiin
borüoksicfatigt werden soll. Wio ungeitirbt/ertigt diowr nussrhliUH der ueuomn «ü
ist, iteigt sieb schon dann, dsss Paul selbst in der methodenlehre vicUadi auf dir
geeubicbli? dnr noueron Utiemtur und ihre nit'thodp boKUg ujnit,
Pauls uetbodenlchro selbst bringt vieles was wol xa lichirnEigon ist; diu dar-
Stellung ist bei aller Icuapheit r(.<ichhaltig, trolx einer guwiNsen trocknnboit oiadring'
Uub. Die mügliclikeiten, welcbe der forscher bei der entscheidung zwoifelluUler Bllb'
sioli vor augeu halten soll, die fragen, welche in bezng auf jedes uintelno sptwdi-
donkmnl zu stellen sind, werden auafiihrlich aufgcKJthlt nntl nrürb^rt. Kür die apnA-
gesohiclito verweist Paul wesontliitli auf die bebmidiung dos gngoostandos in sndm
fPrindpien.' Für die poetik konit i'r xu foi'derungeu , welche vor ihm schon tob
Sehernr ansgeüprochon wordon sind, wie überhaupt doKsou auregungmi In hral* bodi
vielboh nachgewirkt habun.
Der methodenlehre ist die gesehichtii der germanischen philologi" voraoBRBstriL
Paub behandluug dieses Stoffe» uinit eine niiltelstellung ein Ewiachen dorn bekaolm
buche von B. v. Bamuer und Bglierors Qrimmbiognt|>hie: sie ist wonig<'r nustübrUili
ab jenes, beschränkt sioh aber nicht. so wie diese auf die banpt|iunktc. IKn bb-
gefügte biblingraphie cratrclit eim- gewisse volsljtndigkcit der wiobtjgen sohtiAM;
nachautragen wüste ref-, der allerdings eine genaue nachiirüfung nicht hat aastrikM
kiinnen, nur etwa auf s. 110 Waltei' de i^riy Bireh, Cartularium Haxouluum (Imi-
dun 1885 fgg.) und auf s. 1:^6 die 3. aulU)^ von Jonckbloels Oescbiedi^nis van ti«d«r
laudsi'he lettcrkuude (IBHl — 8t), 6 bdo, der 0, von Peuon bearbeitot). Auf >' M
wäre eine schrin nbor die Nibelun^ren ^■on Oficsr-kc] (Hamburg 179ri) zu erwUinM
gewesen, «i'lehe über die baudsi-liriftlicho gnnidlngo <lei' Myllentchen ausgäbe iiwo»
(los riuhtige bemerkt hat. ein verdienst, welches auf s.63 irrig J.Qrinnn augmJii^
bcn wird: 6. HüUcnholfs auinerknng r.u den kleinen schriflj'U J. Grimms 4, a. 3.
Von den vorschiedenuu abschuitt(?u des diese nufiLÜliluiig veriiindendcn baW
sind die fünf ersten bis mir eigfintlich wissonsehaftiii-'hen begriindung der (
[ihllologie mit guter kentuis und übonieugend behandelt; iiisiienonden
welufae das vorig« jalirbnndert diesen studieu sdienlle, iM su ('ingahend HEnuyiW.
daas auch die liltemrgesi.<hichUiohe arfoncbung ditueii xuitraums sich daditmlt f^'
dMl siebt
ÜBER PAUL, GRXWDRISS DKR GERM. PHIL. I 465
Dagegen tritt leider in den zwei lezten abschnitten die persönliche ansieht des
Verfassers in einer weise hervor, welche der referent nicht ohne widerspmch dnrch-
gehn lassen kann. Immer wider ist es die beurteilung der wissenschaftlichen Ver-
dienste Lachmanns und seiner schale, über welche sich der Zwiespalt erhebt. Aber
wenn Paul s. 150 das parteiwesen als den schlimsten unter den schaden des gegen-
wärtigen betriebes unserer Wissenschaft bezeichnet und dies abzustellen mahnt, so
wird man eine reihe von bemerkungen in seinem buche kaum als dazu dienlich ansehn
können. Wo Lachmann und seine anhänger genant werden, fehlt selten die War-
nungstafel vor ihrer wilkür und autoritätssucht. Selbst in der methodenlehre wählt
Paul, um vor gewissen arten von fehlem zu warnen, seine beispiele so gut wie aus-
schliesslich aus den schriften Lachmanns und der Lachmannschen schule. Boeckh
in seiner Encyclopaedie der klassischen philologie citierte in solchen fallen sich selbst.
Hauptgogenstand der vorwürfe gegen Lachmann ist wider die Nibelungenfrage.
Hier begeht ntm Paul einen allerdings auch schon vor ihm gemachten fehler, indem
er s. 75 und 181 behauptet, dass Lachmann den text von A nur deshalb für den
ursprünglichen erklärt habe, weil dieser zu seiner theorie von der entstehung des
gedichts am besten passte. Wo hat Lachmann das gesagt? Und wenn man ihm
diesen grund unterschieben will, so solte man doch zunächst nicht übersehen, dass
auch solche germanisten, welche Lachmann persönlich nahe gestanden und mit ihm
wol auch über die Nibelungenfrage verhandelt haben, zwar seine liedertheorie abge-
lehnt, aber daran festgehalten haben, dass A den ursprünglichsten text darbiete: so
die briider Qrimm, so Wackemagel, so Wilhelm Müller. Und dass der gemeine text
wirklich interpoliert und überarbeitet ist, das lässt sich auch mit argumenten dartim,
welche nichts mit der liedertheorie zu tun haben. Wenn z. b. in der Strophe, welche
B hinter der str. 432 mehr hat alsA, Siegfried den ger, den er auf Brunhild schleu-
dern will, umkehrt um sie nicht zu vem'unden, dann aber in str. 433 beim anprall
auf die rüstung vom funkensprühen die rede ist, welches nur durch die gerspitze,
nicht aber durch die stange hervorgerufen werden konte, so ist 432, 5 — 8 als inter-
poiation deutlich erkenbar, einerlei ob man die Nibelungen als werk eines oder meh-
rerer dichter ansieht. Doch weiter auf diese viel behandelten fragen einzugehn ist
hier nicht der ort. Nur noch die bemerkung möge gestattet sein, dass mit demsel-
ben rechte, wie man Jjachmann in diesem punkt verdächtigt, auch imigekehrt behaup-
tet werden könte, seine gegner hätten C oder B deshalb bevorzugt, weil diese hand-
schriften ihren theorien besser dienten oder gar weil sie dadurch der Verpflichtung
entgiengen, auch Lachmanns liedertheorie anzuerkennen. In der tat ist es eine starke
stütze für diese, dass die in B und weiterhin in C zu dem bestand von A hinzu-
gekommenen Strophen wesentlich denselben Charakter zeigen wie die von Lachmann
als interpoliert aus dem text von A ausgeschiedenen.
Aber noch schlimmer ist, wie s. 133 und 235 über die liedertheorie selbst
berichtet wird: immer wider hören wir die Verwunderung darüber, wie sich Lach-
manns 20 lieder zu einem ganzen hätten zusammenflnden können. Müllenhoffs schrift
Zur geschichte der Nibelungo not (und deren fortführung insbesondere durch Hen-
ning) hat Paul also volkommen unberücksichtigt gelassen, während doch Müllenhoff
gezeigt hat, dass aus dem ersten teil des gedichts nur das L, lY. und YUI. lied
T^ofthmAnna für Sich bestehn, die übrigen aber als foiisetzungeu mid einleitungen zu
denken Bind. Man lese das YIII. lied und frage sich, ob nicht Siegfrieds tod, der
wiSBen, im 13. jahrhundei-t als lied für sich gesungen wuixle, hier so zusam-
L and abgeschlossen vorgetragen ist, dass liichts als die algemeine kent-
FHILOLOOIB. BD. ZXn. 30
466 MARTm *
nifi der sage, also etwas für die zeit um 1200 volständig sichergesteltea, vorans-
gesezt wird. Endlich ist nicht zu übersehen, dass die von Lachmann angenommene
entwickelung dos Nibelungengedichts aus einzelnen, mit einander verbundenen und
intcrpoliei-ten liodem, in einem andern, litterarisch überlieferten fall ihr volständig
eiiteprechondes gegenstück hat: in der dichtung des jüngeren Titurol, dem die Titurel-
lieder Wolframs zu gnmde hegen.
Überhaupt hat Paul gei-ade Müllenhoffs Schriften nicht richtig beurteilt Er
sagt 8. 97 von der Deutschen altertumskunde Müllenhoffs, dass sie auch vollendet
doch nicht eine volständigo altertumskunde gel)en würde, weil sie ausser den Stam-
mesverhältnissen und gewissen punkten der Urgeschichte doch nur die phantasietätig-
keit der alten Gennanen, ihre götter- und heldensage behandeln solte. Gibt dies*»
bemorkung, die selbst wenn sie zuträfe, nur einen tadel des gewählten titeis enthält,
aucli nm* entfernt eine Vorstellung von dem reichen Inhalte des MüllenhoiTschen Wer-
kes, von der ei-schöpfenden bohandlung, von der geistvollen lösung der allerschwie-
rigsten grundfi-agen unserer Wissenschaft? Ein glück dass dies werk, dass überhaupt
MüUenholTs wissenschaftliche tätigkeit den klassischen philologen bekant und von
ihnen in ihrem werte anerkant ist: die studierenden der germanischen philologie, für
welche Pauls grundriss zunächst bestimt ist, weixlen wonig davon erfahren. Übrigens
wiixl das, was Paul an MüUonhoifs altertumskunde vermisst, doch noch durch die
geplanten fortsetzungon geboten werden, in welche u. a. Müllenhoffs vorlesungsheft
über die Germania aufgenommen werden soll: da werden ja aucjh die natürlichen
lebensbedingungen usw. zur spräche kommen.
Von den Denkmälern Müllenhoffs und Scherera heisst es s. 106 (und nochmals
ganz ähnlich s. 107) dass darin „die kleineren althochdeutschen texte eine nach allen
Seiten hin möglichst erschöpfende behandlung erfuhren, wobei aber die poetischen
zum teil sehr wilkürlich zurecht gemacht wurden.* Also kein wort davon, dass
MüllenhofP hier wichtige gattimgen und selbst einzelne stücke der volkspoosie als
uralt und algemein germanisch nachgewiesen hatte, den liebosgniss, das Sprichwort,
wie er schon fi-üher für das rätsei das ghMche getan; und nur beiläufig und dunkel
wird s. 118 erwähnt, dass MüUenlioffs einleitung zu den Denkmälern die lautform der
, deutschen eigennamen in den ältesten Urkunden zu anhaltspunkten verwertet hatte,
welche die vorher zeitlich und örtlich hin und her versezten ahd. denkmäler jener
zeit fest und sicher zu bestimmen gestatteten.
Auch die persönlichen Verhältnisse verschiedener anliänger der Lachmannschen
richtung sind wemgstens schief dargestelt. Von Wackeniagel heisst es s. 96, er habe
sich in seiner Jugend auf das kümmerlichste durchschlagen müssen. Jeder leser wird
diese andeutung zunächst auf mittellosigkeit der familio l>ezichn, die doch bei andern
gorniaiiisteu, z. b. bei Franz Pfeiffer in viel höherem gi*ade vorhanden und wirksam
gewesen ist. Vielmelir entsprangen die Schwierigkeiten , mit denen Wackemagcl nicht
nur als studcnt, sondern noch weit mehr nach beendigung seiner studien zu kämpfen
hatte, aus der traurigen demagogenriecherei in den zwanziger, dreissiger jähren.
"Weil er als gymnasiast in einem vertraulichen briefe geschrieben hatte, Deutschland
werde wol in die alten herzogtümer geteilt werden müssen, ward er nicht nur sofort
und hart g«»straft, sondern auch später weder in schule noch an Universität noch in
der bibliotheksverwaltung lx)i irgend einer anstellung zugelassen, trotz der besten
empfehlungen seiner lehrer. Der ruf nach Basel war für ihn die rettung und daraus
begi-eift sich die treue, mit welcher er auch später dort blieb trotz der lockendsten
ÜBER PAUL, aBUNBRISS DER OKRM. PHIL. Z 467
anerbietungon der gröston Universitäten; daraas aber auch gewisse urteile seiner lit-
tcraturgeschichte.
Am allerschlinisten aber ist Wilhelm Scherer weggekommen, dessen Charak-
terisierung s. 99 mit den zahlreichen und ersichtlich von herzen gekommenen klagen
an Scherers frühem grabe in schneidendem Widerspruch steht. Zwar was Paul damit
meint, wenn er von Scherer sagt, er habe seine ideale in dem modernen grossstäd-
tischen leben gefunden, das bekent referent nicht zu wissen. Aber wenn es weiter
heisst. Scherer habe einen guten teil seines einflüsses und seines ruhmes feuille-
tonistischer schriftstelleroi zu verdanken, so darf wol gefragt werden, ob gelehrte
wie Miklosich, Mommsen, Zeller etwa dieser begabung Scherers wegen ihm so gün-
stig gestimt waren; das urteil solcher männer wird denn doch wol auch für seinen
rühm und seinen einfluss massgebend gewesen sein. Übrigens ist es bedeutsam für
unser gelchrtenwesen, dass eine leichte, anmutige, eindrucksfähige form in wLssen-
schaftlichen dingen, anstatt zum lobe, vielmehr zum Vorwurf gereichen soll. Der
weiteren bemerkung Pauls, Scherer hal>e absichtlich die psychologische analyse ver-
schmäht und darin liege ein grundmangel seiner behandlungsweiso, steht schon Sche-
rers eigenes wort entgegen (Preuss. jb. XXXI, 482): „Das wesen der geschichte
wird immer lebendige vergegonwärtigung bleiben. Es gilt die psychologischen pro-
zcsse aufzuspüren, welche den taten vergangener epochen zu gründe lagen und diese
nachzuleben.*' Und wenn nach Paul Scherer nicht ein einziges ausgereiftes und
abgeschlossenes wissenschaftliches werk geschaffen haben soll, so widerspricht dem
der hohe wert, den Paul selbst s. 118 Scherei-s buch „Zur geschichte der deutschen
spräche* beimisst; bezeichnet er doch das jähr 1868, in welchem dies buch zum
ersten mal erechien (die 2. aufläge von 1878 ist trotz ihrer teilweisen neubearbeitimg
nirgends ei^wähnt) als den beginn einer neuen periodo in der wissenschaftlichen
behandlimg der deutschen grammatik, der zweiten nach J. Grimms grundlegender
arl)eit Und ebenso übergeht hier Paul — ausser den vielen kleineren arbeiten Sche-
rera, von denen einzelne schon allein ihrem Verfasser einen namen gemacht hätten,
seinem J. Grimm, seiner Litteraturgeschichte des Elsasses usw. — das lezte grosse
iebenswerk Scherere, seine Geschichte der deutschen litteratur. Was er s. 138 von
dieser litteratui'geschichto sagt, die referent nicht ansteht unseren besten historischen
büchem, denen eines Ranke etwa, an die seite zu stellen, ist völlig unzureichend.
Er nent sie nicht einmal da, wo er von den neueren populären darstellungen dos
gegenständes spricht, s. 131: unter diesen ragt nach ihm Vilmars litteraturgeschichte
gleich sehr durch geist und sachkentnis hervor, ein urteil, welches nachzuprüfen
referent aus persönliclien gründen andern überlässt. Wie ganz anders als Paul weiss
ein Franzose Scherers buch und seine wissenschaftliche bedeutung überhaupt zu wür-
digen, Basch in den Annales de TEst I und II (Nancy 1887—89, auch füi* sich
erschienen).
Nur eine stelle aus Pauls kritik der litteratui'geschichte Scherera möge noch
hervorgehoben werden. Er tadelt an dieser, dass darin die hypothesen I^achmanns
und seiner schule als ausgemachte tatsachen behandelt würden, ohne dass in der
regel auch nur angedeutet sei, dass andere auffassungen bestünden. Wie wäivn
solche Andeutungen in einer dai'stellung möglich gewesen, welche auch für andere
leser als die fachgenossen bestirnt war? Die angehängten aumerkungen weisen da,
wo Soherer wirkhch begründete zweifei anerkante, auf diese in reichlichen Ütteratur-
ingltbeii hin.
30*
4m
MlRTtK . DSRH Pin. , OHTJWDMSB DBt OERH. flBI.. 1
lOtwfDlIil^
Aber wichtiger ist das zngi-sländnis, trelclie»! ilei' hcrauitgeber des g
mil der eben (ingeeogonen beraarkuug inKofern macht, als wir mm holTcii
den weiter rolgetidou tt^ilou seine» Werkes nicht bloss seine luiii seiiiitr iiiitBrbeitPT
oQsichtün zu orraliren, BDn<]eni anoh die von ihnen ubweinlieDdeii. Da» wird oainvnt-
lich auf dem gebiet der mctrik sehr erwÜTiHoht sein. Es wird dann hoffentlich i. Ii.
(6r die altgermauische metrik nicht vorschwiegen werden, dass die beobachtau^ei) *un
Sievore über die steUang der zwei hebnngen des halbveraes r.u dun »wei nutwfD<li|^
nebenflilben nicht anvoreinbar sintl mit der nnnaJime, dass die gennanische,
hochdeutschen erhaltene uribnn des balbverseN vier hebimgen onthinlt, vor i
Bohen welchen mindorlietonte silben, Senkungen, stohu abei' am?h fehlen konta
doch eben dieselben l>eobachtnngeu auch auf Otfried anwendbar gewesen,
mand die der hebangen abspricht; und da$s Otfriod zwei von c
über die iieiden andern hinans noch besonders aiisxeii'lintit, hat bereits Ijkrhmann
nnsgesprochen {Kleine schritten 1 , 457).
Von Sievera rübrt min aoch der anfnag des die ergobniase der gemuniscben
Philologie darstellenden tdles her: die runen. Sieven »clilieBBt sich fast dnroliaas an
Wimmer an, Nur sucht er den ursprünglichen sinn des wertes riJna iu ,gunmrm«l,
geheimnisToÜe brsprpt'hnng", während doch der Kusammerihwig mit dem nunliscbpti
raun ^crprolmng" und mit dem griechischen tpii-viiai längst g>?ltend gemacht vrnrdpn
sind, um die bedeutimg n^^c. insbesondere orakolfrage" als diir ültetite zu erweiMw,
welche mit dem von Tftcitoa bnieugten looHgebraui^h der Oerniaiien übereinntimt Die
germanischen buchstAben sind venniitlich zuerst znin loeseii angewendet wordm,
ähnlich wie die latainischea bei den aorlet Praenestinae . aiid wol im onsclilui« au
eine schon früher bestehende rhabdomontte. Weiterliin versucht Sievers die vnr-
wantsohaft von buch und buche zu lösen, wegen der verschiedeueu sUUMhQdaug;
aber so wenig wie diese für die verschiedenen formen von inart eine trennung tn
mehrere etyma begründet, wird sie liier gewicht haben, wo uberdicM dia badw
als frugtfera arbos vortrellieb zu den andcutungen des l^-itu» übei' den mtran-
gebrauch stimt Aucii die in g 10 ausgesprochene moinung, das« din men^ nul
relativ korrekte Überlieferung der alten (eddisohenV) lieder aufzoichnnngen in ntim
voraussotze, hat wenig für sich. Eindringende kritik lüsst diese komktheit suh
gering erscheinen, insbesondere die heroischen lieder sind gerodesu EUsammeogovdf-
felt; und dasä das godachtnis der sfjnger in der alten zeit eine ausserordrafliiAii
menge von atrophen fassen konte, wird beispielsweise durch das, was von dua dal-
den Stilfr in der Hriinskringla Har. hordr. c. ^^ft ci'xählt wird, ülwrEeugeod hde^
Den schluss der lieferuug bildet eine |>ataeugraphischc anluitung viiaW. Andl
lar benrteilung der iu latoiuisoher sobriR vorfasstt>n deiikmülcr nach ihnir tattmiä-
len Seite.
Onndd, ein dcuti<ches spielmannngedicht, mit
kungcn heraasgegebcn von Arnold E. Btrirer.
CXVI u. 102 8. 8. 9 m.
Eine neue ausgäbe de.i Urendel wird jedem wilkummen sein. iW
gewesen ist, äich bei der bonutzung des von der Uageiisuheu tuitoü 'li'
Orten mühselig aus dem Varianten venteiuhuLs zusaraineDsucheu zu imi
war beksul tmd durch Harkensuu irnti-rsui^hungen über das spieltnann
. VBKII OUICNOKI. KU. I
-160
Jii (geteilt,
1 vorgfei-
I dnroliaufi
volstäiidig
I 18TDJ im eiiisslnoB nituligBn-jtwn, dass die \m vuo tlvv Bagon zu gi'uii<ln
R hondschrift (H) die relativ suhloclitei'e, der nur ansnab ms weise und wilbür-
I fiir die texthortitellung mit hornDgeEogene di'uok (D) dio bessere üWliefarung
■rbi«toi HaikcDsee hatte ferner geteigt, dass die gt/meinsame gnindlaee (U) der
EI und D vielÜKti verderbt war und dass die Augsliurger prosa (P) die
iHösung einer von U onabbiüigigen bandscbrirt des gedicbtes ist, welche nicbt set-
rapriinglicbero textgealalt durebbliniten l&jst. Id aUoo wesantJiclieu p\iok-
I stitnt Berget aaf grimd selbständiger und sorgfältiger Dachprufimg mit dieser
ifTaaeuDg übereia, ui)d da boi Bolchem stände der üüerliereruag eine lekonstrakticiu
nnprünglicben fasHung des gediobies nitbt möglioh ist, so erkante er es folge-
als seine aufgäbe, unter »ngrundolegung von D, aber zugleioh unter steter
Äehtigung vüu U, die beiden gemeinKaiue vorläge U kritiscli lierzuätelleo,
■Boben alier zu versuchen, wo P eine handhabe Iwt, „über ü hinaus dem originale
Iher XU kommen. " Lezteres ist mit löbliubor euthaltsamkeit und vorsieht gesehe-
, und alles was im texte nicht auf D oder R »urückgebt, ist durch knraivdruuk
\t gemacht; athetosen sind durah einklanimerung angedeutet. Eine eingehende
äi)ht über den dialekt des drucke« und eine algemeine charakteiiäük der sprooh-
a der durch von der Hagens ausgalie zugänglichen handschrift wird in der oin-
g gegeben. Ebendott sind aus D wie aus H dio kapiteliiberschhften
aur eiiäutenmg der in beiden enthaltenen bilder dienten und dei'e
»igt, daflS auch U schon mit solchen geBchroüokt gewesen sein u
n seinerzeit schon in meiner llorolfausgahe angewendeten grundsützei
M, hatte ich nur noch gewünscht, dass dio Augsburgei' prosa
wäre. Die eingehende bespreohnng ihi-es Verhältnisses zu HU In der ein-
I die oinst^baltuDg nur in ihr erhaltener vermutlich echter ittellen in den
it ja recht dankenswert, aber da eben U rtchon vielfach verderbt, oft auch aus
[ nidit mehr sicher herzustellen ist, so hiltto dem leser diu möglichkoit
^ben werden sollen, überall die {iroaa zu vergleichen.
Bei gedichten wie das vorliegende, wo eine kritische rekonatruktion des Origi-
naltextes unmöglich ist, kaim statt dessen eine sorgfältige Zergliederung der in der
übfrlieferung hHufig verwirten kompOHition über die eatwicklungsgescbichte wenigstens
doH Inhaltes der diuhtung einigen aufschliuw geben. Berger hat diese methode mit
«folg angewendet. Ein femercui sehr wichtiges hilfsmittol für derartige forschungen,
die vorgleiuhuög anderer bearbeitungen desselben Stoffes, war dagegen hier so gut
wie vertagt; nur in den einfachsten grundeloraenteu verwaute traditionon lassen Giuh
berheiziebiiu, die nicht sowol die einzelnen entwicklungsstufen der Oi'ondelsagc und
-diuhtung, als den urkeim, aus dem sie sich entfaltet, erschtieeseo lassen. So Ijewegt
ach soh.'he untereuehung vielfach auf schlüpfrigem boden, und auch wo sie wie hier
mit gosclüuktor band geführt ist, bleiben leicht ihre ergebnisse bestreitbar.
Von entschiedenem, ja im gründe von ontscheidendem ein&usse auf Bergers
■nthssong war Müllenhoffs gehaltvolle ausführuug in der Deutschon altertuniskimdo
1, 33 fgg. Nach ihr bildet bekantlich den kein des inholtes unserer dichtuug die
Mis dinem Jahreszeiten mythus erwachsene sage vom Orendel, der nach weiter seefabrt
schifbruch leidet, mit dem nackten leben davon gekommen in des rieBisehen fischen)
Im dienst tritt, nach lAngerer zeit mit Ises beistand zu seiner gattin heimkehrt und
nachdem er diese von lästigen freiem und sonstigon bedrfingem erlöst hat, erkant
und als gemahl und kenig wieder aufgenommen wird. Wjjhrend mm der spiolmami
im ersten teile seines gedicbtes dio heinikubrsage in die übliche brautfahi-tgeechichto
*"^'
^
470 voui
umgoslallet uti<] mit dem lUiHitheiobarun koslUni iles in luiw^hteuluill geinioiHni htl-
don ilen hoiligcn ro(;k voo Trier in abeotouerlinho vorhindung braotite, lijUfu or im
lozton teile, wDicher nach bekanter spielmanasmanior du hau]>tmotiv variierend wider-
holt, dio alte traditioD voo der belreiuL); der ^attin aus der gowalt der tun ilim
nünim worbendoB deutlicher uud soliHrrer horvortrelen laesea.
Aiiub iia<:ii Bergers auflassiuig eiud diee die gruadolonienlu dnr dichtung. Noi
meint i<r, dass dem sjiieljnimiiu die olto HOgc, aus dc<r diowr nairh Hüllonhoft fitr dea
iweiton teil nut einzelne hostandteile lierausgenommou oder nachgubildet faätt«, wdioi
in zwei vorachiodeiien pootischen versiaDou vorgelegen luibe. Uio eine Mi in dm
orzühlung von Orendele schiriniL-h bis zu seiner anerkenaung aJ^ ]Irid«s köiriglinhiir
gemahl und meister Ises belohnoog benuzt (1. teil), dio andere io dam bcriohtn von
Brides gorangcDfiohaft und bofreiung aaf Uinolts bni^ {2. teil). Geviss ist für diu
ersten t«il durch den angegoboaen abschnitt — wenn wir noch Orondela ausCahrt Und
beimkehr hiazafügeu — ein älterer kL>m, eio quelleomässigBr gnud bestand des inlud-
tes Dnaerer dichtung iu der hauptsavlie Hobtig liostiint. Die gosohidit« de« hiälifm
rockes ist recht äosaerUch damit in verblDdung gebracht; die iirzlihlutig ron de«
fisohera erhobung znm ritter und henog mit den doiauf rolgendeu kKmpren ist angsi-
Hcbeinlich eine wilkürlichc erweiterung des stofTos. Auch für den tweiteu teU vA m
viel klar, da^E die doppelung der eDiililaug von Brides Vergewaltigung und erinMing
niitht uraprüngüeh ist; das zeigt soboii dii* koufuaitm, die durch die zwiebudie bohand*
luDg dessellien inotiveB in dii) übeiliofenuig gekommen ist. Freilinh ist dojnit noob
nicht gt^sagt, ilass dem dichter der alte bestand sebos stoDns in |ioeti8cht«r faMMug
zugegangen Bein müste. Zu boweieon wüi« das nm', wenn sich doch wenigste»
irgend etwas von der alten quelle noch im Wortlaute bt.'ratuUuu liOHse; abi.-r danui ist
gar nicht zu denken. Bergend in den günstigsten faiinm gi:^hiU.ti.^u lUnitollung dei
inbaltua seiner beiden urgodicfato liest »ich ja rocht schön, aber sie entApricbt mria
seiner begnistoiong Tai den gegenständ als dem, was uns die UUtrliererung an iBc
band gibt. Dass die bezüglit^hen abschnitte unseren gediuhtcs teilweise wirklich pjo-
tiseb weit bedeutender sind als das was dorn kern des BtoiTtti nicht anguhört, muM
nicht notwendig aus dei' form, kann auch aus dum inhaltc der aJtim qucUi! bagtän-
det werden. Dass auch in der vorliegenden nbei'Iiofenmg sich hio und da vvrec&i»-
dene schichten noch deutlich von einander abhoben, ist aus siiütersn xuHitnni tuid
Veränderungen, welche das gedieht selbst erfahren hat. urklürhar. Für rniwnhtscJMin-
lieh halte ich es durchaus nicht, dass i
betreffenden iuhaltes bekant war, nur steht u
um ihre existenz wissenschaftlich zu begrönd
Von HüUenLoffe orklfirung der sage alBJahreGzoilenm^thn» WL>iuht Borgtirmit Bwr
(Paul-Braune 13. 1 fgg.) darin ab, dass er die beziohangon derselben auf das meer niuU
für urepHinglioh hält; vielmehr meint er, dose diese ei-st ans eintvr beranflossmig des
Orendelmythus durch den rontan von ApoUonius von Tyms slaminon, der, in r-ini^on
teilen der Odyssee nachgeahmt, zugleich die mchrfooh bemerkten beruh i'ungot nri'
sehen dieaor und dem Orendol vermittelt habe, Dabei soi frL'ilich eine altore,
Odyssee noob näher siebende faasung des romanes vuranszusctzcn ala d
tene. Dio vorwantachaR der Oiftndelaage mit dem yäaios des Odyssous
nicht alt. ESn gmsKor kreis von heimkehi'sflgeii und -inftrchen, welfdiNi I
herbeizieht, kamt gloichf^a uaoh Berger nicht fiir die emchliossung S
licheu gostalt verweilet worden, denn er eatstamt nicht linni hier i
mylhus, sondern er ist spAter aus dem Orient eiug«dn
spielmann eine alte dichtung du
cht genügendes mst«rial XU gehnte.
ÜBER ORENDEL ED. BERGER 471
8. LXXXI). Nach Müllenhoff nötigt „dio nordische Überlieferung (vom Orvandil) und
die nator des mythus" zu der annähme, dass die Orondelsage ursprünglich von der
heimkehr des helden zu seiner gattin gehandelt habe. Dagegen hat Beer a. a. o. dar-
gelegt, dass und aus welchen gründen as unzulässig ist, „die Orvandilüberlieferung
aus der Orendelüberlieferuug oder diese aus jener zu ergänzen**, und aus dem von
ihm und Bei^r herbeigezogenen sagen- und mythenmaterial ergibt sich, dass nach
der natur des mythus das von dem helden befreite oder erkämpfte weibhche wosen
ebcnsowol eine jungfi*au wie seine gattin sein kann und dass diese befreiung nicht
bei des helden rückkehr in seine heimat zu erfolgen braucht. Wenn trotzdem die
beiden jüngeren forscher an MüUonhoffs ansieht festhalten, nach der erst in unserem
gedichte, und zwar erst in der vorliegenden fassung desselben, die heimkehr zur
gattin in die gewinnung der Jungfrau umgewandelt sein soll, so sind sie zur begi*ün-
dung dessen schliesslich doch lediglich auf das gedieht selbst angewiesen. Und in
der tat gibt denn auch nach Beer (a. a. o. s. 110) für diese auffassung der umstand
den ausschlag, dass „1. in der katastrophe vor den toren von Jerusalem Orendel
selbst sich als den einheimischen könig zu erkennen gebe und erkant weixle; und
dass 2. die accessonsche fortsotzung der legendenfassung augenscheinlich ein unab-
hängiges gedieht auf die rückkehr Orendels zu seiner gattin gekaut und benuzt
habe.«*
Was zunächst den zweiten punkt angeht, so ist ja da in unserem gedichte
von einer rückkehr Orendels zu seiner gattin so wenig die rede wie im ersten teile.
Orendel ist wider mit Bride in der fremde; da wird sie ihm von einem beiden ent-
führt; er gelangt in Verkleidung auf dessen bürg, befreit Bride mit eigener lebens-
gefahr und tötet den entführer. Das ist die entfühning und widergcwinnung des
schon einmal erkämpften weibes, wie wir sie als den typischen zweiten teil des
spielmannsgedichtes aus dem Rother und Morolf zur genüge kennen; augenscheinlich
ein bequemes mittel der stoferweiterung, wie sie beliebt wurde, als die spielleute
von der knappen form des epischen liedes zur ausführlicheren epLschen erzählung
übergiengen. Die Übereinstimmung mit dem zweiten teile des Rother geht bis ins
einzelne; im Morolf, wo ja auch der erste teil schon eine widergcwinnung erzählt,
bieten beide teile parallelen. Dem Orendel wird wie dem Rother ausführlich das
Schicksal der geraubten gemahlin berichtet. Der entführer ist ein beide, wie im
Bother und beideraale im Morolf; er heisst Minolt, wie Morolf Sd der vater des
ersten entführers; sein helfershelfer heisst Princian, wie im Morolf der zweite ent-
führer; er ist wie im Rother herscher der wüsten Babilonie, wo ihm 72 könige dienen.
Im Orendel wie im Rother und im ersten teile des Morolf macht sich der gatte mit
einem treuen kampfgenossen und dem beere auf die seefahrt. Nach der landung
wird das beer in einem sicheren versteck untergebracht und mit einer typischen for-
mel fordert Mor. 384, 3. 5, Or. 3346/7 der gefährte den beiden auf hervorzugehen.
Der könig und der begleiter (der könig und zwei begleiter im Rother, einmal der
könig, das andre mal der gefähi-te im Morolf) gehen nun in pilgertracht auf die feind-
liche bürg. Orendel und Ise werden dort wie Morolf zunächst von einem torwärter
freundlich bewirtet und über das ergehen der entführten unterrichtet. Der heidnische
könig hat indessen einen unheilverkündenden träum gehabt: ein falke kam geflogen
und führte ihm die frau übers meer — Rother; ein rabe \md ein adler kamen übera
meer geflogen und brachen die bürg nieder — Orendel. Vor den obren des vor-
geblichen pilgers fragt dann im Orendel wie im Morolf die frau den beiden: „was
würdest du tun, wenn könig Orendel (Salman) hier wäre?* Schliesslich im entschei-
472
(kodoD momeRto ^lit in allen lirei godichten der gatto die veritbilliiiig auf,
ia lebenBgefahr. aber das verliorgcae hoer wird berliei^^rurcti,
heido mit don Boioen gelölet. — Also das ist keine frage, duaa diOHer zweite t
Orendel sicli in dem hergobrachten geleiso der s|>icdinaimBpi>esie buwe^
iaa nun dadnrdi erklUren, dass hier dinJi der spialmaiiD eia ara|)raiiglicli e
digea gediaht von Orcndele hoimkebr beauzt und dasselbe nach dem herkikulii^NB
typus zugesohnitton Iiütte, so uüste mao »ar bc^ünduiig deHB»n naobwoin-n konTuin,
das« dieser zweite teil mit dem ersten ujgentlicb niuht voreinboi' ist — du» ist alw
nidit der bll, vielmehr schliesst ur sich ihm aufs beste an; odrr dnas «t <Io<^ m«-
nem wesen nach ein in sich abgerundetes gaeze bildet ~ auob das trift durchaus
nicht zu; es muste auch sicherlioh, je melir wir vun den mit dou (ibrigisu «irnj-
raanuBgedicIiteu gemeinsamen zügun boseitigeii, um so deutüuber die alte heimkelir-
nzäbluag dur<;hblioken, aber selbst das ist Dicht zu bemerken. Her Kother tap
mehr IwEiehungen derart als der Orendel. Dasa Hotbor gerade iiooh in dem momimt
sieb eiofiudet, wo seine fniu scheu mit eioem andei-n hochseit macht, daoa »r alcli
ihr durch den heimlich zugesteckten ring zu erkenaeu gibt, sind zwei uhsniktitriiih-
sebe motive der beimkebrsage. Trotzdem wird es wol niemand einrallun, den Rotbnr
auf oiu altes gedieht von des beiden rückkeiir zu seiner gattin und jenen HchJuaiited
auf eine besondere, ursprüngliuh sothstiindigo fnssung dieses alten gediehtos corück-
zuführen. Da sich aber im zweitou teile des Ui'ondol nicht einmal solohe benibnui*
gen mit der Traglicben sage lindöii, so haben wir auch hier noch weniger veranlag
Hung zu jener annabnio.
Allerdings glaubt Berger, doss aus un.soror erziiblung noefa spuntn dM ^teit
Verhältnisses durchbUeken, nach welchem Uroudel dgeotlicli der lierr der bürg a^
auf welcher der beide die Bride gefangen hält. Orendel und Jim boren den grebm
pfnrtner, herzog Achille, ein gebet vorrichten, aus welchem hervorgehe, dan vr drat
Orendel treu geblieben sei; er habe ein interesse für ihn und Bride, wmIcImm aidi
nur erkUi«, vcnn Orendel eigeuUich sein herr eei, und in der tst bezeichne dooB
auch Ise V, 340Ü/1 den Aehillo und sii;h selbst abi üwei ritlt<r des Üraunickts. leb
kann dem nicht zustimmen. Der freundliche und hilfreiche pfurtner <id«r kUnmcarf
auf der fremden bürg ist eine typisehe j>orsoo. Ich erinnere an ülurulf ü2<S fgg., aa
den Gramabot Welfd. D. VT, an Hildes kämmerer, der trirb Iloraata und Honup
onnimt, nachdem er sich ganz wie der Aehillf als nere des einen der lieidtm anköui-
linge eDtpu]>t hat. Aus Achilles gebet geht nichts weitur herTor, als da» «r aln
Christ Ist, und dass man ihn aus seinem herzogtum vertrieben hat; splitvr otMm
wir, das.s er jezt schon 75 jabre dem heidniseheu küuige dient; er ist also dtt mdsT
in seiner hoimat noch kann er Orendela dienstmann gewesen sein. Als einoii ohiietM
beschwören ihn denn auch die beiden vorgeblich aus der heidensehalt c
pilger, ihnen zur weiteiTeise zu helfen, und als uhrist nimt er angensuheu
an ihrem wie an Brides, der christliohen königin, Schicksal, deren bofreiiui
Orendel ja vorauBsiohtlich auch dun selbst die A^ibeit briugou wird. Was I
vers 3490 betritt, so iHt o& douh auffällig, doss Achille. niuht seihst sagt,
dienstmann des Urundel, sondern doss Iso ihm lUs uiltteilt (iVA bin
gun ... tö inl rfm der grdwe roc mfn hirf, lies sind wir virfn lUgt
femer Achille den Orendel auch noch dieser inittoilung nicht als hemn I
und daafi dnrch die Erkennung gar nichts an seinem plane geitndert wird, i
mehr nach wie vor zmiichst versuchen will, den Iwiden von dem hoidM i
zur Weiterreise zu erwirken. Nun steht aber r. 'M&i das entwhoii
1 druukp. Sownt nach iler handsobrift als naüii der prosa lautet dor vers
S !■( dtr grdwe roc iiitn here; ich zwoifle ^so nicht, dass or auch urepriiLgÜch so
Im Tolgondea versa bat die baudächii/t ihr daa nprwli ich leol mit era
Mtäriioh uur des reiuies ve^a statt des in D rithttg überlieferten eiogeseit, und
1 der ursprUuylicbi-D loaart sagtu also Isc 7,v. Aühille: ,iub biu dein schwester-
1, der Qraurock ist mein horr, vir beide (die wir liiei' vor dir stehen) idnd snei
riner rittor." So erklÄrt sich der vpriauf des geaiiiHeba wie der weiteren handluag
II& beflte; Orendrl gibt sich eben nicht zu erkennen. Aber weder dem druuk oovb
br prosa pjnügte das. So sobaltote D sein da^ ein (wie es sogar auch nooh den
1 Afliilles Schwester liinaufügte), wahrend P den vors 3400 in ursprüng-
lobiir tonn beibebieLt, ihn aber zusammen mit dem vuriicrgeheuden deui Aohille in
im mnnd legt« nnd diesen sich dann weiter nach dorn verbleib dos graurockes
(iiDdigen lässt, der ihm nun von Iso iu der person seines begleiters vorgostelt wird.
M alao Oreiidel dgentlii:h der berr der bürg sei, folgt ans dieser stelle nicht int
würdu aogar aas ihr nicht einmal folgen, wenn Ise wirklich den AuhiUn
B den dienstmaun Orendolü bezeichnete, du dieser ja konig von Jarusaleni ist. Ja
Unt wenn es rtwlstande, was Müllcohoff annahm und an und rür sieb gann wol
Öglid) ist, dass nach der urspriinglicben darstcllung in diesem suhlussteile Ürendel
id seiner rtii'kkehr nach Jenisalem die Bride in der gewalt der treulosen hüter dus
itiMS findet, so würde ja auch das eine sobr passende form der typischen (ort-
tzimg gewesen sein, und daraus eine stütze für die annähme zu Eimraern, anch
w erste teil des gedichtos habe eigentlich von des beiden rückkehr gebandelt, ist
unöglich. Es bleibt also für die begiiindung jonot aüfstallung nach alledem nur
K inholt des ersten teiles selbst übrig.
Nun ^bt sich aber an der von Beer a. n. o. verwertete)! stelle der grawoek
nneswegs »als einheimischen konig", sondern als könig Orondel von Trier zu orkeo-
n. Darauf bin begrüast ihn Bride als von gott gesendet und freu! sich ibni treulich
Üland geleistet zu haben; die tompelherron aber, die ihn eben noch angi'eifen wol-
lt, empfangen ihn mit obren und setzen ihn auf den thron. Iias alles ündot aus-
icfaende begriindung durch das vorausgegangene. Der graiu'ock hat vor den augon
w jnngfrtiulichon königiu Bride wunder an tapfockoit verrichtot; einen gegnor nach
im andern bat er übornuuden, darunter auch üwoi die sich auf die konigin bofnung
feohleD; kein zweifei, daas er jezt den meisten anspruch auf ihre band bat. Aber
■n hält ihn in semer bäurlacbeu kleidnng für einen knecht und als solchen der
inigin and des thrones für unwürdig. Als Bride ilio nach seinen ersten helden-
ten gefragt hat, ob or der ihr von gott zujii obeberm verheissene könig Orendel
TOD Trier sei, bat er selbst es geUugnet-, als sie ihn trotzdem in dio anun schliesst,
wirft ihr ein riose vor, dass sie seinen knocht küsse. Als sie ihn nach seinen wei-
tBKo mögen mm gomahl oimt und sodann ihre mannen, die tempelbeiTen , ihm treue
i Ifisst, murren diese unter einander: ,wiis kann das füi' ein kÖnig sein, der
:iit8 als einen grauen rock hat, als wenn er aus dem kloster gelaufen wiLre; wir
1 ihm kein» heoffolge leisten." So beabsichtigen sie denn, als Ureudel mit Bri-
1 die mflcbtigsteu gegner widerum überwunden hat, ihrerseits ihn anzu-
Da gibt sich der graurock als konig Orendel von Trier zu erkennen, und
on sie jezt dem königo gegenüber den widerstand auf, der dem
Khto gegolten hatte. Man braucht gar nicht einmal anzunehmen, dass sie davon
i Bride den Ürendel als den ihr hcstimton briiutigam erwartet, aber sehr
i frt sa möglich, duss der dichter dicH verauasc;ite, und dann ist vollends kein
omchtlicli, ivoslialli (.lioudul lU'SJ'i'üuylicIj dnr oin
Nicht dteso HclüuBssceim ist aI§o aufTollig, sondorn Dur joue erste ß>g» ite
Bride an den unkentlichen Oi'endel. Ii«i volcher moh leigt, liosB nie *dd Uuit wel»
und ibo als zuliüartigen gemahl erwarttit, ohne itui jo gueolien 2U haben. Omut 11»
diosu tuQde durah diu gotes stimme gekommcti sei, hält mftii gi^wiss mit recht tat
kein altes sagenoiotiv , und ao wird dcoa ntit Mii11i>uhu(r migutiommen , ilass Bri>ie
uiBprünglich oben den Orendol siihon keat — dass er eigcnüiuh ihr io veiSndefter
geetalt heimkohrondor gatto ist. Aber diese folgoning ist doeU muht» wen
zwingend. AoalDgieen für jene anrodo der Bride in den Urendel f
aoch nicht im entfemleaten an eine solche erklSiiiag zu dookea ist Im Woll
fraj^ Marpalio den beiden, den sie oie gesehen bat, üb er WolfdietncJi ■
land sei; dem bat sie ihre jungfraunschnft aufbewahrt und nur er sei] ihr b
den (Wolfd. D; er soll ihren vater im messerwerfon besiegen Wolfd. B). WuUdie-
trioh verläugnot si<;h, trotzdem teilt sie mit ihm dos lagor, nnd nach U Bchlnidurt
sie das Schwert fort, duroh welches Wolfdietrich sie von sich tmnt« — atlcii tnfpt,
die sich aoeli im Orendel fiodon. Nach Helgakrllia Hjvrvaifssoiiar nedi« Siäv* iboi
namenlosen beiden gleich mit Helgi an und sie weisK was ihm bo8tiint ist; nadi d*f
darstellnng der VijIsnngasagD tragt die bu.i dem todeeschlunimer erweuktc Bryiihilil
ihren befreier sofort, ob er Sigurd Signiunda sehn sei, nnd MällonhofT selbst witnrt
Auf ,dte aaalogii) der Nibolutigensage, woBrünhUd als jungfräuliche köni^n in Oumn
lande herschl und Siegftied bei der ersten begegnung erkent." Was H&lleJihoir
gegen die anwendbarkeit dieser loKtco onalogie einwirft, Talt mit Beota unteraucliuii-
gen. loh denke, ao gut wie diese weisen Jungfrauen konte auch die Bride in dam
holden von vornherein ,don rechtea' ahnen, umsomelir, als er sich schon ror thrm
äugen durch seine waffontAtcn als den treQichsten ausgewiesen hat
Auch Bride ist kein gewöhnliches weih. Sie ist «ne slroitbaro jungtrau von wun-
derbarer stärke; kein mann darf sie berühren. Das sind die einzig wesentlichim ei^mi'
schallen, welche sie im gedichte auszeichnen; »ie bleiben nach der HüllonholTsctiea
hypotheae vüllig unerkUrt; den eharaktor späterer erfindung tragen sie darchans nidit
Die durch das ganze gedieht hin festgehaltene Jungfiioliuhkeit der heldin otna aitt
den eioBuss der Brigittenlegende zurüekzuführen , ist unstaUiaft, da itiuli ennst nir-
gend die leisest« spur eines solchen nachweisen ISsst und der dichter, wenn ur diov
beziehung gesucht hätte, der Bride das prüdikat sante sicher nicht rorenthallea
haben würde. Dieser zug gehöi-te so gut wie Beides Streitbarkeit der alten a
die auch dadurch wider, ebenso wie weiterhin durch das keusche beUag«r fl
trennenden sehwert. durch diu knochtschoft des beiden, die votSnde
gestalt an xiigo der Siogri-iod-Briinhildensage erinnert
So wenig wir demnach zu der Voraussetzung berechtigt sioil,
nnprünglich das verlassene und widergefundone ehewoih gewesen sei,
bildet moh Kr die annähme ein anhält, dass ihr «uf^uthallsurt ursprün^
heimat und somit ibro erworbung mit des beiden heimkebr verlninden t
Im oeton war Orendel verknechtet; im oaten findet er ancli die jungfran.
riezen gowalt behnd ach der held; von riesen hat er noch die Bride zu e
Bride seihst ist riesisober natur, sie besizt nicht nur Jene gewaltige kör)»
fuhrt vor allem auch die typische riesenwalTu. die stange.
hin, dass iler hetd von anfiuig an die Jungfrau im rie.scninnde erwiriit.
wir diese nage auf einen naiurmythus zuriickzuluhron suchen, woxu Ja fci
ÜBER ORENDKL ED. BERGEB 475
des helden ein besseres recht gibt, als es den meisten deutungs versuchen derart zu
gründe liegt, so haben wir doch durchaus keine veranlassung an der ursprünglich-
keit jenes zuges zu zweifeln. In der von Berger herbeigezogenen orzähluug von
MenglQ]) und Svipdagr, welche den jahrzeitmythus besondere deutlich hoiTortreten lässt,
wird der aufenthalt der MenglQ|) als fnirsa-pjopar sjqt bezeichnet (FJQlsvinnsmul 1);
MenglQ]) weilt also zweifellos nicht in Svipdags heimat; sie ist auch nicht seine gattin;
sie ist wie Bride Jungfrau, weilt wie sie im riesenlande und harrt wie sie dort des
ihr bestirnten geliebten. Mit dem MenglQ{)m5rthus steht der von der Ger{)r in enger
beziohung. Und auch Oer|)r wohnt in jQtunheim, ja sie ist eines riesen tochter. Zu
ihrer erwerbung bedarf Skirnir eines besonderen rosses und eines besonderen, den
riesen verderblichen Schwertes — ganz wie Orendel zur gewinnung der Bride. Die
waffc, welche — wenn auch nur mittelbar — den weg zur MenglQJ) bahnt, wird
auch in P^Q^svinnsmäl erwähnt; sie ist in der unterweit gewirkt und befindet sich
in einer mit neun schlossern verwahrten eisernen lade. Das schwort, welches Oren-
del zur bekam pfung des riesen erhält, liegt mannstief unter der erde; dasjenige^
welches zueilst für das erforderliche ausgegeben wird, befindet sich in einer mit di'ei
schlossern gesicherten lade. Auch in der Siegfriedsage gieng der gewinnung der wie
MenglQ]) und Gerj)r von der waberlohe umgebenen Jungfrau die erwerbung des
Schwertes und des rosses voran. Es liegt mir fem, deshalb einen direkten Zusam-
menhang der Orendelsage mit einer dieser traditionen anzunehmen, oder solchen
detailzügen wie den das schwort betreffenden grosses gewicht beizulegen; aber so
viel scheint mir sicher, dass, was sich etwa aus dem iuhalte unseres gedichtes auf
traditionen mythischer art zurückführen lässt, viel eher auf Vorstellungen aus dem
angezogenen kreise, als auf die von Müllenhoff reconstruierte und in der hauptsache
auch von Beer und Berger vorausgesezte form des mythus weist.
Ich glaube nach alledem als den gi-undbestand der Orendelsage die folgenden
drei aus dem Jahreszeitenmythus erwachsenen motive ansehen zu müssen: 1. Orendel
fahrt ins riesenland und gerät dort in knechtschaft; 2. Orendel gewint nach erlangung
von ross und schwort im riesenlande die Jungfrau; 3. Orendel kehrt aus dem riesen-
lande heim. In dieser reihenfolge überlieferte die natürlich nicht mehr mythische,
sondern rein sagenhafte ti-adition jene drei motive auch unseim gedichte. Dass in
lezterem das heimkehrmotiv verschoben und zugleich damit eine vöUige Umwälzung
der alten Überlieferung volzogen sei, ist also bei dieser fassung nicht mehr anzuneh-
men. — Die benutzung der quelle kann auch schi* wol schon an einer frühei'en stelle
unserer dichtung einsetzen, als Berger annimt. Zu den particen wenigstens, welche
|)oetisch enJtschieden über das hinausgehen, was Berger s. C fgg. als den „anteil
des spielmanns*^ zu bestimmen sucht, gehört teilweise auch die erzählung von Oren-
dels entSchliessung und Vorbereitung zur fahrt; vor allem die lebhaft anschauliche
darstollung des aufgebotes an die vasallen v. 287 fgg., die nur in der Überlieferung
sehr entstelt ist^ Ich sehe also keinen grund gegen die annähme, dass mit den
1) Orendel lä&t die herbeigekommenen (je nach ihrem verschiedenen stände) in einzelnen gmp-
pen , ringen, antreten. Sein erster anfruf gilt den königen : S derselben treten mit einem gefolge von je
1000 rittem hervor. Der zweite ruf ergeht an die übrigen vasallen (vers 900/1 müssen ursprünglich an
stelle von 296 gestanden haben) ; and zum zweiten male stelt sich eine schaar , 1000 volständig gewapnete
rittar. Nun moss der dritte ruf erfolgt sein , denn nur auf einen solchen kann sich y. 904/^ do kwid»
er mit alten atnen einnen die hrreti von dem ring nit bringen beziehen. Um dieser vergeblichen laufforde-
ning an den dritten ring nachdmck zu geben , lässt Orendel einen häufen goldener sporon auf den hof
achAtten, und mm springen alsbald die jungen herbei und nehmen dieselben auf. Die goldenen sporen
sind bekantlich zeichen der ritterwürde ; um diesen preis lassim sich also die jungen {degen wird etwa
Versen 11)5 fg. et g/iridifl in dem bttoehn falndj ein »tal ligt tlf tttir MtUrlen {il6] m
dor tat der aus der alten tradition UThöpfeode, nntiirlii.'b über biet so wenig wir; Mnd
getreue bedoht eingeleitet wird. BeKtiglich des weiteren inlialles des aratun toiloi
ptUcfate ioh Berger bei, soweit ea sich um die ungeßLbre begrunzung ilea bcstauUta
der filt6D flberlieferimg bandelt; dass ich sonst auch hier vielfacb von seioer anflu-
Rutig abweiche, folgt suboa aiis den nbon gitgelieDeii auaföbrunt'oii uuil wffil sich uoIm
weiter zeigen. Auf Oreiidels voroüiiguiig mit Bride iiacb gemeinBamei gläukUubei
UberwinduDg der feinde folgte aber naoh meiner ansieht in der alten orzihlung nitiil
allein Ises orsuhoinen und abfinduDg. Kondoro auch die mit »einem beistund bnwert-
»teltigte beimkebr Orendels. Den kei'n des zweiton teilet) auf ein solbetfindiges |edkihl
Eurückzufübreu . fanden wir keine Veranlassung, vielmehr erkauteu wir Ihn als die
typisehe foilsetxuDg des spielmouiisigädicbtes. War subon die quelle tön Milubra,
etwa von der gathiug de» ßotber, so mag sie aueh schon jeueo zweiten tril mit
umhsst haben. Hat der dichter selbst ihn hinzugefügt, so ist sein werk durch spi^
,tere zutaten stark überwuctiert JedenTals liegen hier elemente der diuhtmig oeben
und übereinander, welche nicht gloicben nrsprungeH sind.
Fiir die datierung der qaelle unseres Orendel febU natürlich jeder anholtv Ihc
abtasBungszeit dor origiualfonn Aen leztdren aber ßlt nach Borgers moinnng tim IKIO,
die entstehuug von ü in den aosgong des 13. jahrbunderta. H sl&mt aus dem jobi«
1477, D aus dem jahro 1512; was ipbt die veranla^sang, ü, die näohsto gemeia-
same grondlage der beiden, so weit zurück zu datieren? Noch Berger der umstaiul.
das» U auf reiaigung der reime und auf regelrechten versbau ausgehe. Für dva
orsten pnnkt bringt er 15, für den zweiten 2 belege. Das will schon gegenüber dar
gawaltigen anzabl anregelmfissiger verse und reime, die in V sIebon gebUc'bea afaid,
wenig genug sagen; es verliert aber vollonds alle liedeutong, wenn wir seben, ibm
H in viel ausgedehnterem mas>*e reine reime und regelreclite verso einführt als U.
Was dort im 15. jabrhundort gesubafa. kann doch unmöglich hier die abfassung in
Vi. Jahrhundert beweisen; nichts hindert sie in weit siiätere zeit au ritukon.
Die anfangsgrenzü für die datierung von U wird nin'h Berger durrJt iwiii
seiner meinung nach erst ans U stammende reime beatimi, tai'mr. (st mdne) : «ntAw
und galin (sL ijalint) : sin. Da Berger hier nur das aine beis|>iel für apnkop« dai *
im reime beibringt, so scheint er die zahlreichen woiteron falle dotselhen dem ongi-
nalo EuzuBchreibon. Er berührt diesen punkt denn auch gelegentlich bei dor aulTüb*
mng deqenigen reime, aus weluben er den dialekt dos origiuolN zu beütimnien muhL
Aber eine Zusammenstellung der betreCfendeu falle verroisst man ebenso sehr wta dH
«rörtorung ihrer bcdeulung, leb habe mir 23 reime noUert, welche aiiotope d(8 *
■uuih langer stAnisilbe unbedingt erfcMem, darunter beispiele wie da: ,- fnsl (priUnii-
tum), bereit : kit (prSt), hdl [prät. I : mUaeläi, getetl (pritt.J : gtmeit, fuort <pfiL)
:tluoe, diu müt (subst.) .- »chiU, fr (subst) : Jte, lae : Irae (droufae). Dos iat dutt
sicher uiuht die reiroweise dor zeit um 1160, in weluhe Bürger das original «nl-
Et muste entweder diese datierung fallen lassen, ndur er musto dorgWi-h«) Mmr
der hearboitung (U) zuweisen; keinenfals durften sie ignoriert werden. Ähnlich sttll
M mit den zweisilbigen reimen, welche auf dehnung ulToner stamsilbon wuisen. Am(i
sie scheint Bergur insgesamt dum originale zuzuscbreibeo ; fulgeningon für dio nbtv
Bungazeit desselben wurden aus ihrem hiiuflgen vorkommen nicht gozogun; m II
ÜBEK OBKNDEL BD. BKROER 477
den ohne weitere bemerknngen unter den dialektlichen reimen der einzelnen vokale
ausfuhrt Sie sollen also doch wol auf die rechnung der mitteldeutschen mundart
des gedichtes gesezt werden, während diese erscheinung in gleicher ausdehnung in
keinem gedichte der fraglichen zeit auftritt, auch in keinem mitteldeutschen. Freilich
sind Bergers angahen auch recht unvoLständig. Der reim here : mere komt nicht
allein an den von ihm angeführten 4 stellen vor, sondern auch noch v. 243 und 453.
Ganz übergangen sind here (dominus) : mere 3027. 3288, h^en : mere 2880, ere
(eren):mere 298. 576. 2874, here : geren 3061; geren : werden 2826. 2834. 3124.
3132, genesen : heren 1618, sehen : were 2053. 2303, leben : sterben 1586, tage:
sande 506. Im anschluss an diese erscheinung wären auch reime wie stunden :
frume; komen : Schalunge; ime : Pfenninge zu besprechen gewesen. In manchen
fällen können die betreffenden reime anders, teilweise unter annähme noch jüngerer
sprachformen erklärt werden (z. b. herr : gern, gern: icer(d)n, sen:wer)^ hie und da
mag auch eine andere textherstoUung angezeigt sein; jedenfals bleibt die tatsache
bestehen, dass apokope und dehuung offener stamsilbe in den reimen der dichtung
eine häufige erscheinung ist.
Was an entschieden altertümhchen i*eimen dem gegenüber steht ist wenig
genug. Die reimformel forderöst : tröst 3679 ist im 12. Jahrhundert geprägt, imd
wenn sie auch bekanÜich in den Nibelungen noch gebraucht und Karlmeinet 404, 7
aus Rol. 8, 8 beibehalten ist, so wird sie doch von den rhoinfränkischen fahrenden
schwerlich noch lange nach dem 12. Jahrhundert selbständig angewendet sein. Lez-
teres gilt auch für die v. 3616 von Berger im reime horgestelte form gemarteröt,
während dem umstände, dass in U ausserhalb des reimes die form gebot(e) stand,
keine bedeutung beizumesseu ist, wenn, wie Berger s. XXXIV bemerkt, U in Ober-
deutschland geschrieben war; ebensowenig der schrcibung brimige, brinige. Der
auch von mir Mor. CVIII aufgefülirte reim danndn : Jordan 1680 ist nicht sicher, da
ebensogut wie v. 3135 auch dan gemeint sein kann. Ob v. 346 menigin : Rtti oder
die sonst übliche form menige : Rtne gemeint ist, will ich nicht entscheiden. Reime
welche auf ein flexions-c beschränkt sind, lassen sich nach Berger sonst nur in drei
fallen nachweisen.
Das sind doch überaus spärliche beispiele voltonig gebrauchter endungen für
ein gedieht, dessen reime zum grossen teil nicht neu gebildet sind, sondern aus alt
überlieferten formein stammen. Dass sie nicht geeignet sind, seine abfassung in der
zeit um 1160 wahrscheinlich zu machen, ist wol klar. Es müsten andere, wichtige
umstände dafür in die wage fallen. Nun ist die reimkunst des Orendel sehr unvol-
kommen; die assonanzen sind sehr zahlreich und sehr roh, roher als im Morolf; von
diesem gesichtspunkte aus wird man geneigt sein, die abfassung des Orendel eher
vor als hinter die des Morolf zu verlegen. Lezterer aber, meinte ich, könne nicht
wol vor dem lezten decennium des 12. Jahrhunderts verfasst sein. Berger ist ande-
rer ansieht Er glaubt, dass der kürzere Oswald in die siebziger jähre des 12. Jahr-
hunderts falle, der Morolf vor diese zeit und der Orendel vor den Morolf, also um
1160. Da Berger diese datierung des Oswald als „ziemlich sicher*^ bezeichnet, da
sie, wie ich aus Siegm. Schnitzes disscrtation über die Oswaldlegende (Halle 1888)
ersehe, auch von andern dafür gehalten wird, und da hierbei umstände in betracht
kommen, welche für die beurteilung der litterarhistonschen Stellung der spielmanns-
poesie überhaupt von bedeutung sind, so halte ich es für nötig auf die frage aus-
ffihriioher einzugehen.
478 TOOT
Zur bcgriindung dor Zeitbestimmung dos Oswald boraft Berger sich auf Paul-
Brauno XI, 382. Dort weist er darauf hin, dass der Oswald in die grappe Orendel
Morolf herzog Ernst gehöre, und zwar, wegen seiner verhfiltoismässig grösten reim-
genauigkeit, als leztcr dieser reihe. Der Orendel aber sei viel früher als 1187 ver-
fasst — das solle in der ausgäbe ausgeführt werden; der Morolf falle vor 1190 — das
solle an anderem orte wahrscheinlich gemacht werden. Da wird doch der les«»r
im kreise henimgefühi*t. Es bleibt also der herzog Ernst. Ich mnss mich wundem,
dass Berger bei seiner Vertrautheit mit der spiolmannspoesic noch dem alten heikom-
men folgen kann, welch(»s dieses gedieht mit dem Orendel usw. in eine reihe sezt
Wenn ich dasselbe bei der Schilderung der spielmannsmanier Morolf CXVlll fgg.
ausschloss, so hatte ich meine guten gründe dafür. In der tat hat ja der herzog
Ernst nichts von den doi*t geschild(?rten , so leicht erken baren und so charakteristi-
schen Zügen, nichts von jener an den ül)erlieforten formelvorrat gebundenen daratol-
lung, nichts von den possen oder der plumpen bigotterie, von der ganzen leichtfer-
tigen behandlung des stoflfes, von dem persönlichen hervordriingen des sjiielmanDs,
nichts von der typischen brautfahrt oder entführung. Dass der held in den Orient
komt und dort allerlei abonteuer erlebt, macht doch dies gedieht so wenig wie den
Alexander oder den grafen Rudolf zu einem spielmannsgedichte. Und von vomhen»in
sehen wir es in den gebildetsten kreisen verbreitet. Der angehörigo eim>s der vor-
nehmsten bairischen geschlechter erbittet es sich vor 11 80 von einem abte zur
abschrift. In der zeit, wo an den höfen noch eine edlere geselligkeit gepflegt wurde,
las man dort, so erzählt uns Wernher der gärtiier, den herzog Erast vor. Eine
bearbeitung in lateinischen hexametem wird 1206 dem erzbischof von Magdeburg
gewidmet, eine spätere deutsche erneue mng nimt sich Wolframs manier zum muster.
Ein solches gedieht kann doch unmöglich einen massstab für jene ganz auf den der-
ben geschmack und den l)eschränkten anschauungskreis eines niederen publikums
zugeschnittene und aus ihm erwachsene spielmannspoesie abgeben. Man muss vou
dieser von vornherein einen viel geringeren kunstgrad, eine nel grössere befang»»n-
heit in alt^^n typen und formen en^'arten. Aber welches sind denn nun die kritericD.
die aus dem herzog Ernst für die Zeitbestimmung des Oswald entnommen werden?
Oswald Übertrift an reimgenauigkeit bei weitem den Morolf; näher steht ihm schon
der herzog Ernst, „in dem indessen die assonanzen immer noch zahl-
reicher sind." Die meist tadellose reinheit des reimes im Oswald weist immerhin
(trotz Ungeschick in darstellung und — übrigens wesontli(jh korrektem — versl^an)
schon auf die zeit einer vorgeschrittenen kunstentwickelung. Nun ist
der Ernst in den siebziger jahivn (nach Bartsch zwischen 1173 und 1180) gedichtet
also ist der Oswald — auch in den siebziger jähren verfasst. Für „ziemlich sicher^
kann ich diese Zeitbestimmung nicht halten.
Rödiger hatte Anz. f. d. a. TI, 252 fgg. mundartliche reimformen des Oswald aas
dem alemannischen des 15. Jahrhunderts belegt; er hatte an die assonanzen der von
Sc^hönbach ins 14. Jahrhundert gesezten Cäcilie erinnert, auf die zahlreichen beispiele
für apokojM} und stamsilbendehnung in den reimen des Oswald hingewiesen , und nach
alledem Bartschs annähme, dass für dies gedieht eine vorläge aus dem 12.jahrh. vor-
auszusetzen sei, abgelehnt. Die gründe, welche nun Berger Paul - Braune XI, 370 fgg.
zur stütze von Bartschs ansieht beibringt, sind nicht stichhaltig. Er behauptet 1) os
finde sich im Oswald eine anzahl im 15., ja wol schon seit der mitte des 14. Jahr-
hunderts nicht mehr gebrauchter ausdrücke. Obwol dieser punkt nur die frage nach
einer ülteix^n vorläge des gediehtcs üU»rhaupt. nicht die abfassung derselben im 12.
47B
Jahrhundert botrift, so dnrf doch nicht vprschwipgen worden, daw Bci'görs bohoup-
toDg bei keinem der von üjjii aiifgo führten werte zutrirt. Ek tutid die Tolgendeo: bef/
Twmen v. 20. 1420 als ilickwoit im reim r= fürwahr oder hesondpra: daii Deutsche
wb. belegt es in der ersten bedeutung ans dem ende des 15., in der zwoiten noch
ans dem ende des 16. Jahrhunderts. — gefug ini D. wb. ana dem 15. Jahrhun-
dert benoURt. — missacende belegt Lexer noch sus dem ].■>. Jahrhundert. — aixju-
liant im D. wb. aiis dem 16. jahrh. nachgewiesen. — liw. »under ledn kernt noeh
im aufang dos 16. jahrhundertK vor: Wackomagel Kirchenl. II n. 1314 Btr. 3, 9. —
nugeteipt noüh bot Michel Beheim, Wiener 57, 7. 193, 6. — wiindemeliiere iat
keineswegs ein alt«s wort: Lexer belegt es nur aus einer plusstrophe der Horolf-
handschrift E vom jähre 1470 (hinter str, 125), femer aus der KolocEOer ha. 250, 175
und aus Mone altd. eohausp. 1, 1920 (14. jli,]. — einem angewintwn im D. wh.
reichlich bis ins 17. Jahrhundert belegt; sogar Wiuland gebraucht das wort noch,
— hoiiiseheil 327 ist doch niclita anderes als das eist seit dem 17. jalirhundort
erloschene hübacheil. — sifh undcrteindeti = sich in boaiti setzen 380 wird so noeh
im 10. Jahrhundert gebraucht, z, b. Zimmeriacho eltronik 11*, 422, 37. — geha»
im P. wh. ununterbrochen bb ins 18. jalirhiindert Iwiegt — fritdel ebenda noch
aus dem 15., gemeit noch zahlreich aus dem 16., lusten =^ begehren aus dem IG.,
mit umlaut noch aus dem 18., klar ^ schön bis ins 17. Jahrhundert belegt. —
nd«r komt im 15. jahrh. z. b. in Beheims Wienern, im IG. z. b. in der Zimmerischen
cbronik vor, abei' noch im 18. Jahrb. wurde es nach Fiisch „in gemeinon roden oft
gehört." — wnrfp =z woge bei Frisch aus dorn 15., hei Diefonbach noch ans dem
13. Jahrh. liolegt. — bfileti = zögern im D. wb. bis ins 17. Jahrh. nachgewiesen. —
Alm dieser punkt ist wol abgetan.
2. Die hdschr. 0 des kürzeren Oswald ülierÜerert einen zug dtr sage in ver-
mutlich ursprunglicherer fassung als das lungere gedieht. — Das künle doch nur
beweisen, dass der Verfasser des kürzeren gedichtes seine kontnis der legende aus
einer von dem längeren unabhängigen tradition schöpfte^ auf die form, in welcher
ihm diese zuilosa, können wir daraus gar keinen schlass ziehen.
3. Aus der im übiigon nüchtamen und unbeholfenen darstellung heben sicli
einige stellen durch zarte empfiudung und {wotiaehen auadruck deutlich ab (es wer-
den G kurze versroilien citiort); diese können unmöglich vom Verfasser von WO (d. i.
die uns üborlieferte dichtuug) heiTühren, sie weisen auf einen begabteren dichter. —
Daraus würde notwendig der soldoss zu ziehen sein, dass in WO von der alten dioh-
tang nichts mehr zu erkennen ist als einige ganz unbedeutende trümmer; alles
andere wäre so durchgreifend gdLndert, da^ sich gerade dadurch jene spILrlicheii
reste des alten noch ,deutlich abhoben." Und dabei soll noch auN den reimen die-
ses nach Berger um 1400 verfassten WO -- und zwar nicht etwa aus vereinzelten
altertümlichen erseheinungon, sondern aus dem gesamteharakter sdner reimkunst —
die abfaKsungiJZeit Jener vorauagesezteu alten grandlage, Ja im woiteren verfolge dio
Chronologie der gesamten spielmaunsdiuhtimg bestirnt worden? Berger entzieht hier
seiner oben angeführten datierung selbst allon boden. — Übrigens Ifisst sich auch aus
den betrelTeuden stellen kein schluss auf eine ältere vorläge ziehen. Durch die ont-
lebnungen aus dem Orendel and Uorolf wissen wir schon, dass der dichter seine
erzäblung mit allerlei reminiscenzen ausschmückt So ist die von Berger besondets
berausgeholieno stelle v. 411 fgg. augonsoheinlich einer Jener liebcsgrüs-ie, wie sie
im 15. jahrlinndort vielfach üborUefert sind, vgl. z. b. Hätzlerin s. 77', Fioharda
FtiukT. anihtv IH, 2Ü7; ao haben ihm bei den verseu 137G fgg. augenaübeinlluh
480 vooT
erinnerungen an irgend ein älteres gebot vorgesehwebt, die teilweise gar nicht in den
Zusammenhang passen.
4. Die alliteration hat in volksmässiger redeweise viel zu lange fortgelebt,
um das was wirklich von Bergers unter dieser rubnk gegebener zusammenstellang
nicht auf zufälligem gleichklang des anlautes beruht, zur altersbestimmong verwerten
zu können.
5. Die wenigen harten assonanzen, welche ins 12. Jahrhundert weisen sollen«
(s. 372), fmden z. b. in den roimen der von Rödiger herbeigezogenen Cäcilie aas-
i'eichende parallelen, vgl. reime wie helibet : yexühet , opher : einander, nemen : slux-
xen u. a. Unter den von Berger aufgefühi*ten reimen ist übrigens der aus Osw. 0
entnommene culier : beicaren gewiss als adel-ar : betcam aufzufassen (adel-ar noch
im 16. Jh.). Vers 53 scheint mir horhgeborn (: erkam) 0 dem wolgetan W des
Zusammenhanges wegen vorzuziehen ; jedonfals bietet W mit seinem fcolgetön : irköm
keineswegs einen alten, sondera einen sehr jungen reim, ebenso jung wie die nach
Bartschs angaben in WO gemeinsam überlieferten unbegobit : gelöbit 588, böten (nuii-
tii) ; toten (fecerunt) 849, got : fiot 391. 448. 1328, fwch : ril noch 1076, oeh : htn
noch 1234. Das sind l)esonders dem elsässischeu dialekte des 14/15. Jahrhunderts
gemässe i-eime, wie sie z. b. der Strassburger Morolfdruck einführt (Morolf fortsetzung
71', 10 mos%' : grosx ; 73", 2 h6r:enhor; 73**, 16 sciwn : getan) ^ erscheinungen , die
zusammen mit dem häufigen gebrauche der apokope und stamsilbendehnung der reim-
kunst des gedichtes deutlich genug den chamkter des 14/15. Jahrhunderts aufprägen.
Wenn endlich Berger s. 374 „das fehlen höfischen einflusses und die stärkere
geistliche tendenz*^ betont, so ist beides bei einer dichtung legendarischen inbalt(^
aus dem 14/15. jahrhundei-t ganz in der Ordnung. Andererseits aber waren auch di<*
traditionen der spielmannspoesie in diesem Zeiträume lebendig genug, um sich in dem
gedieh te daneben bemerklich zu machen. Der „spruch vom könig Etzel* z. b. (Kel-
ler, Erzählungen aus altd. hdschr. 1) ist nichts weiter als ein ganz an den alten for-
meln klebendes spielmaunsgedicht, und die berührung der legende mit dieser gattnng
kann der Christophorus B veranschaulichen, den Schöubach , nach Ztschr. f. d. a. 26,83
imten, gewiss mit recht nicht mehr wie früher für ein werk des 12. jahrhun-
dei-ts hält.
Ich denke, wir haben nach dem allen nicht den mindesten grund, den kür-
zei*eu Oswald bis ins 12. Jahrhundert ziuiick zudatieren. Woher auch immer dem
dichter sein stoff zugeflossen sein mag, sein mach werk gehört dem 14/15. jahriiundert
an, und es kann daher für di«> datienmg der spielmannspoesie des 12. Jahrhunderts
gar nicht in betracht kommen. Damit fält denn auch die grenze, welche Bei^r für
die Zeitbestimmung des Orendel und Morolf ziehen wolte.
Aber Berger bringt a. a. o. s. 380 fg. noch einen anderen grund gegen die-
jenigen vor, welche den Orendel und Morolf* bis gegen das ende des 12. Jahrhundert»
hiuabrücken wollen. „Katm man" — so fragt er — „an so später datienmg der
genanten spielmannsgedichte noch ernstlich festhalten, wenn man ihnen die erzeug-
nisse der volkspoesie gegenüber stelt, die uns nach ablauf des Jahrhunderts entgegen-
treten V^ Gewiss nicht, wenn man alle denkmäler der deutschen dichtung in eine
einzige gerade linie rückt, mögen sie nun in Trier oder in Österreich entstanden,
mögen sie l^ei hofe oder an den stiussenecken voi*getragen sein. Aber ich denke
doch, die litteraturgeschichte hat nicht nur mit chronologischen, sondern auch nu*
1) Die s. 380 danebeu erwähnten Rother und Ernst sind doch nicht ^^niMsi liislMr" lo
ÜBER OBBNDIL ED. BEBOEB 481
Landschaftlichen und socialen unterschieden zu rechnen. Jene volksmässige epik vor-
aehmeren Stils, auf welche Berger bezug nimt', sehen wir in Österreich und zwar
in ritterlichen kreisen sich ausbilden. Um 1160 sind uns dort ritterliche trütliei
bezeugt, um dieselbe zeit epische dichtung von Rüdiger und Dietrich von Bern. Dass
üese leztere im stile des Orendel und Morolf gebalten war, wird wol niemand anneh-
men; es würde uns dann nur eine karrikatur der Nibelungensage geblieben sein.
Die beschaffenheit jenes altösterreichischen ritterlichen minnegesanges lernen wir bald
nach jenem ältesten zeugnis in Kümbergs liedem kennen. Dieselbe strophenform,
dieselbe durchdringung volksmässiger und ritterlicher demente wie in ihnen tritt uns
später im Nibelungenlied entgegen; beides muss auch für dessen liedartige grund-
bestandteile Yorausgesezt werden. Minnelied und episches lied haben sich damals in
Österreich neben einander auf nationaler grundlage in den höheren geselschaffcskreisen
entwickelt Wie aber in Baiem schon im 12. Jahrhundert das vorlesen imifänglicher
epischer erzählungen gegenständ der höfischen Unterhaltung geworden war (Eoland,
herzog £mst), so wante sich im ersten decennium des 13. Jahrhunderts auch in
Österreich gleichzeitig mit dem ersten eindringen Hartmannscher imd AVolframscher
epik der höfische geschmack vom epischen liedc der epischen erzählung zu. Dem
direkten einflusse der französischen litteratui* jedoch schon durch die geographische
Lage entrückt, geht man nicht wie in Westdeutschland zur bearbeitung französischer
quellen über, sondern die nationale dichtung bequemt sich dem neuen geschmack
an: die epischen lieder oder liedercyklen werden unter einmischung modern höfischer
elemente zu umfänglichen leseepen verarbeitet, so entsteht bis um 1210 das Nibe-
lungenlied und später unter dessen einfiuss die Gudrun; oder man baut aus einzel-
nen sagenhaften motiven frei combinierte erzählungen gleichen Stiles auf, so entsteht,
gleichfals in unmittelbarer anlehnung an die Nibeluugendichtung die Klage und der
Biterolf. Zunächst auf die bairisch - österreichischen lande beschränkt, breitet sich
diese dichtungsgattung, inzwischen mit elementen niederer volkspoosie versezt, in der
zweiten hälfte des 13. Jahrhunderts auch auf alemannische gebiete aus. Dass sie
jemals auch in den Mosel- und Rboinlanden gepflegt sei, dafür spricht kein einziges
denkmai. Insbesondere aber würde die annähme, dass in diesen ganz von der fran-
zösierenden dichtung beherschten grenzgebieten gleichzeitig mit Nibelungen und Biterolf
ebensolche volksmässig- ritterlichen epen in ausgebildeter kxmstform gedichtet seien,
allen tatsachen widersprechen. Wie sollen wir denn also zu der voraussetzimg
berechtigt sein, dass ebendort in der zunächst vorangehenden zeit die gesamte volks-
poesie sich in einer zu diesem gipfel aufsteigenden hnie bewegt habe? Mögen wir
die abfassung des Orendel und Morolf noch so weit hinaufrücken, soviel ist doch
zweifellos, dass sie, die anerkantermassen erheblich später als der Rother gedichtet
sind, keineswegs auf einer kunsistufe stoben, welche über den Rother hinaus auch
nur von ferne auf die Nibelungen- oder Biterolfgattung zufuhrt, dass sie vielmehr
die ernstere und gediegenere manier des Rotherdichters, der noch um den beifall
vornehmer geschlechter warb, ins niedere fortgebildet haben, augenscheinlich in einer
zeit und in einer gegend, wo die höheren gcselschaftskreise den geschmack an der-
gleichen verloren hatten. Diese gedichte sind eben höchst charakteristische und wert-
volle Vertreter einer niederen volkspoesie, die zu allen Zeiten, wo die gebildeten
stände ihre besondere kunst pflegten, neben dieser existiert hat; die noch an den
alten traditionen haftet, wo die kunstmässige dichtung längst andere wege einschlug;
Ij Der sellmt nichts weniger als sicher datierte , nur in sp&ter Überlieferung erhaltene Laurin
ftr die datiemng anderer dichtungen nicht in betracht kommen.
r. DEUTSCHS PHILOLOGIE. BD. ZZU. 31
482 vooT
und die umsowoniger fühlung mit der knnstpoesie hat, jemehr diese unter fremdem
einflusse steht. Dafis Welo formein, dass stil und kompositionsweise dieser durch den
Orendel und Morolf vortretenou volkspoesio sich auch durch die mittelhochdeutsche
blütepcriode hin in lobendigor Überlieferung fortgepflanzt haben müssen, zeigt ihr
widorauftauchen in dichtungen wie Ortnit, "Wolfdietrich BD und späteren deut-
lich genug. Vielfach berührt sich schon jene niedere Spielmannsdichtung mit
den moderneren volksmässigen gattuDgen. Das wunderbare spielt in ihr eine ähn-
liche rolle wie im Volksmärchen; die formel und verwante stilmittel finden sich in
einer ausdehnung wie nur irgend im volksliede; die mischung von ernster und paro-
distisch-j)Ossünhafter Ixjhandlung des Stoffes erinnert lebhaft an die reste der voiks-
Schauspiele, die wir noch in der puppenkomödie besitzen'; der rein typische Charak-
ter ist ihnen mit allen diesen gattungen gemeinsam. Ich brauche nnr daran za
erinnern, wie lange diese noch heute lebendigen arten der Volksdichtung an d^ alten
Stoffen und stilformen festhalten, wie wenig und wie spät sie durch neue epochen
der kunstdichtung beoinflusst werden, um ein entsprechendes Verhältnis zwischen der
niederen spielmannspoesie und der gleichzeitigen höfischen dichtung einleuchtend zu
machen.
Je mehr nun sclion dieser k()n8er>'ative, ganz vom überlieferten abhängige
Charakter der dichtung der ungebildeten die datierung ihrer einzelneu denkmäler
erschwort, umsomchr beachtung verdient es, wenn sich in ihnen nun doch diese oder
jene spur einer fortgeschrittenen kunstübung zeigt Es kann so gelingen, wenigstens
eine anfangsgrenze für ihre entstehung zu gewinnen. Eine solche spur glaubte ich
im Morolf zu bemerken, wenn der dichter, der sich nur stumpfen reim gestattet
dabei nicht mehr nach alter weise auch das tonlose e im versausgangc zulässt Diese
sehr merkwürdige beschränkung im reimgebrauche tritt sonst in der epischen dich-
tung erst im Nibelungenliede auf, während sie in derselben strophenform bei Küno-
berg noch nicht hci'scht. Von strophischer dichtung der fahrenden lassen sich nur
Hergers Sprüche vergleichen. Herger fand sein brot an den höfen, er geuoss die
gunst hochgestclter adlicher; man darf ci-wartcn . dass er mehr Sorgfalt auf seine dich-
tung verwante als ein spi(dmann vom schlage des Morolfdichtcrs; aber auch er bat
sich der alten freiheit keineswegs entäussort, und seine Sprüche reichen bis geg»
1180. Unter diesen umständen meinte ich den Morolf nicht über das lezte decen-
nium des 12. Jahrhunderts zurückdatieren zu dürfen, umsomchr als von andrer seit«
einer solchen Zeitbestimmung nichts widerspricht, wenn man nur nicht vergisst, wel-
cher dichtungsgattimg der Morolf angehört Berger meint, „solchen nachweisen sei
keine untrügliche beweiskraft beizumessen, zumal wenn es sich um geringe zahlen-
unterschiede handle.^ In den 783 Strophen des Morolf finden sich nur 1 oder 2
sichei-e belege für die hebung des r im versausgangc, in den 28 Strophen Hergeis
finden sich deren 14; dos sind doch wahrhaftig keine „geringen zahlenunterschiede!'
Auch wenn man für den Morolf noch alle stellen in betracht ziehen weite, wo sich
irgend etwa vennut^n liesse, dass der überlieferte text zu ändern sei, um derartige
vorsausgängo herzustellen, so würde doch dort immer nur auf 200, bei Herger auf 4
der in K'tracht zu ziehenden reimpoare ein solcher fall kommen. An der tatsache
losst sich nun oiinnal nicht rütteln, dass im Morolf der stumpfe ausgang abweichend
vom ülteren brauche, in derselben weise wie im Nibelungenliede gesetz ist. Das i>t
1) Dor zuerst von Schoror angedeutete vergleich zwischen spiolmonnsdichtong and pnppc«i<:pMl
liesse sich bis in sehr bemerkenswerte eiiizelheiton durchlühren. £m boispiel gab P. Sditttze, Oeg«o-
wart bd. XXIX s. 314.
aber eioa Bebr wichtige aeuerung, walcho den BpialmaaQ nötigte mit eioem teil der
sonst so zäh festgehaltenen traditionen zu breoben. Beiuhlicb die hAlfte der reime,
welche der Orendel verwendet, wurde beispielsweise für den Morolfdichtar durch die
befolgung dieses geaetzes anbrauchbu*. Auf eine grosse anzabl von be<iiieineD epischen
fonnelu niuste er verzichten, foroiela z. b. wie in aller der gfbare : als ... wäre;
ftihl langer heilen : beraten; . . . gienc gerihle da er .. . tetste; . . . gtenc dräte in
ritt« keimvuUe; hiei- aprini/en : bringen; mit ginnen: bringen : gewinnen i Hl tehiere
er sich hcaaniU m allem ainetn laude; si xvgen üf ir segele *r kiele giengen
ebene; mit bröte und auch mit wine mit raarteger hande aptse; Cornielii femer mit
fekUn : ttieläen. biderbe : widere, ^etexxen : ftTmaxen, säten : pergdxen , froiiiren;
»tJtomce^l, teile : mite usw. Wenn ein spielmaan, dosaen dareteUnng ganz unter der
heisuhafl der epischen formel steht, sieb nller dieser Überlieferungen entäossert, oder
dieselben, wie das in einzelnen fällen vorkomt, nach dem veränderten metrischen
Schema umgestaltet, so ist us doch wol klar, dass es sich da nicht um ein bodeu-
tmigsloses und dem zufall unterworFsDes mehr oder weniger dieser oder jener reim-
form, sondern tun die bewuste dorchführung eines ganz bestirnten metriBohen prin-
«ips handelt. Sicherlich würde sich aber dieser kiinstloso und reimarme dichter
einem solchen nicht unterworfen liaban, wenu es sich nicht, im zusammenhange mit
der fortgeschrittenen spracbentwickelung, zu seiner Kcit schon algemeine geltung
emuigen hatte. Es dürfte demnach wol sein bewenden dabei haben, dasa wir den
Uorolf nicht über das eade des 12. Jahrhunderts zuräoltdatiereo,
Weder der Morolf noch der Oswald luuin demnach zur begründung für Ber-
gers Zeitbestimmung des Orendel dienen. Andrerseits ist anoh der jedenfals betiHcht-
liche zwisoheuraum , welcher den Ürendel vom Rother trent, so wenig wie die abfas-
aong des Hotber selbst auf das jahrzebent anzugeben. So ist denn auch hier kein
irgend sicherer anhält Im Orendel selbst weite bskantlioh E. H. Heyer bestirnte
betiehnngon auf die geschiebte des konigreichs Jerusalem wobmebmen, welche darauf
binfübren wiirJen, dass das gedieht „etwa bald nach den voiMlen vor Akers im
jihTB IIW gedichtet wäre. Seinem versuche, den inhalt unserer dichtung mit ein-
lelhcitcn aus der geschichte Guidos von Lusignan und der Sibylle zu verknüpfen
kann ich, wie ich schon bei anderer gelogenheit äosserte, su wenig wie Harkensee
nnd jezt Berger zuiitimmen. Überhaupt sind, wie ich Berger weiterhin zugebe, die
angaben des gedichtes über das heilige loud meist so konfus und wilkürlich, dass
man hier von voiohorein keine bestimten und EuvorlHsstgen histerischen beziebungen
erwarten darf. Aber gewisse algemeine Vorstellungen von den zustanden in Palästina,
das durcheinander von Christen und heiden in Jerusalem, die feindseligkeit der tem-
pelherreu, die kümpfe um das heilige grab, sein vertust und seine widergewinnung —
das alles sobeint mir auf einen uisohauiingskreis hinzudeuten, wie er sich nicht wol
in den nächsten jähren nach dem zweiten kreuxzuge, sehr gut dagegen in der von
Meyer vermuteten zeit, an und für sieh auch in einer späteren periode, nach 1229,
im abcndlande ausbilden konte. Das wenigstens träft nicht zu, was Berger s. IJX
bemerkt, dass es unerlaubt sei, in der Übergabe Jerusalems an die heiden „umb
einen schätz* (v. 2S95) die oroberung der Stadt durch Saladiu im Jahre 1187 widor-
finden zu wollen. Die sladt wurde ja titsächlieb nicht diiich stürm genommen, son-
deni, ab sie nicht mehr zu lialten war, nach liiugeren verliandliingen durch vertrag
dem Bultan übergeben. Das volk aber warf wirklich dem patriarchen und der ritter-
sdiafl vor, dass sie sohändliuhe Schacherer seien, welche den beiden die heilige Stadt
Terkaoll hatten, wie einst Judas den heiland, vgl. Wilken, Kreuzz. Dl, s. 311 und
31*
nnJiijue Rdretitaalns t
sunt , . . Erant LX m
Andere tMihlugcn in im
aiun, 123. DssB andrerseibi oinem deabk^bqu H|ili>liiitinn zar zdÜ An dril
zages ddr gedanfae au die widergowinnuug des heiligen graboB nahe genug
ballen würde, tun eine Bolcho aof die erzüMung vom varluste dessolbon folgen n
las^eo, ist dooh Bicherlich nicht zu bestreitend Weim uutFol HarkeuBou als Bofn
Orendels seeroise mit der Tahrt einur Im jähre 1147 von Küln aasgeUufnaan ktoai-
fobroi'Hotte vergleiuheo , so köntc es scheineii, als ob sie nunohmea, iU»b «Uip frinW
erinnenuig gerade an dieses oreignis in der scbild«nuig des rlwinisohen spirtmuiii
la cikenaen und damit eine stütze für ihre daticnuig gewonnen sei. Ich niuaa dilw
noch einmal dio schon Mur. CVlll gemachte bemerkung widerhulcn , dass Im jibn
1188 rheinische kreuzbhrer ganx denwlbeo weg wählten; vgl. Anuales Colon- bwe
HGSS XVn, 8. 795 anti. 1188: intenm naves FabricabaDtar per diversu regio»« «t
civitntes in expeditionein , o quihus IV de Colonia niovernnt in qnibua emnt td ]ID
homines. Tarn bii qaam ceteri omues ad III annos victualia copioso liabebant tti^-
Ootfried von C)öln a. a. o. 796: in quadragesima
invicem ooiJolatae vehit oppsnsis iter aequoreiun
ex eis vironun vora pngnatornm X milia et amplii
ben zeit den bei Ürendels zweiter Jemsalenifahrt beschriebenen weg
rheioaufwärts za hude bis Untpjilalicn (Ann. Ckil. mox. a. a. o.) und so k«hrtaii
im noväDübor 1190 vialn kreuzfahrer über Apulioa zarück (a. a. o. s. 79S).
Deutlicher als historische weisen kulturhistorische momente auf dan q
zeit als die von Berger angenommene. So fem dorn dichter natürlich die
hÖÜBcfaer puMie liegen, so ist ihm doch häÜHcbes weaeo keineswegs frmud; m Int
stellenweise si^u in formen auf, welche überhaupt für das IS.jahrhundoTt soiut m^
nicht nachweisbar find. Die moderne rittoiücfae bampfart gilt dem ll'pil^lnuuul mIm
als selbst veraländlich. Jeder nveikarupf bcgint mit dem s|ieer«tei^beu 'idiT er bnaohilBkl
sieh auch gaux darauf; dem siegcr ßlt das ross des überwundenen tu. Daa slMta
findet vor den äugen der dornen statt <854fg.); naehdum Orcndel ftlle g«gneT Mlf 4>
«and gestreckt bat, läi^st er vor der königin »ein rosa hoch aufspringefi (llOB^li
Bio cntbiotot ihm ihro bald und will ilm in ihren die»e»t nehuicin (1152/57. 1161/1^
Das tomier bildet auch einen bestandteil der schwertleil«. Diese wird mit BBäM
Ise bei seiner erhebuug xuiu herzog vorgenemmon und im einxBluini goschMiA
Naclidem ihm ein berKogÜriLeB gewand angelegt ist, wird er in die h. grabtidafAt
geführt und dort erfolgt die unigürtting mit dorn Schwerte. Jeder der ani
beiden gibt ihm einen sclüag an den hals und Ise spricht dab^': ,tcli werde t»
vergelten wenn iüh kHnn," Ilaa ist nicht, wie Borger jneiut, eine eigeni
»Unat niulit nacbweiabare, ,bei Verleihung der herzogswürdo üblich'! cerimom« *', *
iKt xweifelloH der ritierachlag, die («le« gemeint, also Jener «chlag, welchen dar am
ritter r.u erhebr-nde knappe an den hals erhielt unter hinweis auf din mi'-hinifltin(
dcä heilnndu», die er an den ungläubigen rächen soll (SO nach einer iuu.'hricbt Hl
der mitte des 14. jalidiunderts über Wilhelms von Holland schwertleite), inler, aiA
BjAterer darslellung. als den leiten schlag', den er sieh ge&llen lassen sulla. Um
der spielmaim nicht etwa den Oreudel allein, Boodcm gUiich die ganxo Tnrsuünaf
dem Ise die alajia zufügen lüsst, ist hei der <>ekantun vorlicl« dieser pootan dir Umb
prü^lsocnen charakteristiBch genug. Der gebmucli des ritterscfalsgea aber M 1^
Oontsnhlnnd bieber erst seit dem U. johrhimdfrt mit Sicherheit belogt, vgl Brik
V. tichivckeiistein , liittei-wüfdc und rittorsland h. 240 fgg. 245 (gg. Seit diour wÜ
kernt es «uch hüu% vor, dass deutsche, adUuhe sowol wie biLr^i', sich wie nwaiV
Ist' lu JüTUüalem in der gtabeskirche zu rittani vom h. graliu äuhUgun loseon. WA-
f BEB OBEÜDIL BD. BEB6KB 485
tig wäre es zn wissen, ob sich die sitte doch schon aus froherer zeit nachweisen
lässt. Bis dahin scheint mir diese wie manche andere in unserm gedichte za tage
tretende vorstellang spaten orspmnges dringend verdlichtig. Dass dann nach der
weiteren erzählnng die wapnong des neaen ritters erfolgt, entspricht dem bei der
schwertleite herkömlichen brauche. Als er sich aufs pferd schwingt, wird ihm von
Orendel zngemfen, er solle die Christen schonen, nicht aber die beiden (bei dem
nonmehr nach höfischer sitte sich anschliessenden tumier). Die darauf folgenden
Worte 80 teil ich iueh, degen küene, selber iutter »per fiieren müssen auch noch
dem Orendel, nicht, wie Berger will, dem Ise in den mund gelegt werden. Es
gehört mit zn den cerimonien der schwertleite, dass die ältei*en ritter den novizen
solche dienstleistongen erweisen, vgl. Nib. 33, 2 die when keien rehl dax si den
tumben dienden als in was e getan. Es folgt dann das tumier, zu welchem her-
zöge, grafen, ritter und bauem zusammenströmen.
So sehr hat die ritterliche tjost schon den alten reckenm&ssigen kämpf ver-
drängt, dass selbst die riesen gegen alles herkommen nicht zu fuss mit der stange,
sondern zu pferde mit dem speer kämpfen, und einem wird in anbetracht seiner
grosse gar ein elephant statt des streitrosses gegeben. Die rüstung dieses riesen wird
mit gröster ausfiihrlichkeit beschrieben. Das dem elephanten bis auf die füsse rei-
chende gedeeke von silber wix. (d. i. die covertiure), der schmuoküberladene mit
dnem wappen versehene schild und vor allem die helmzier. Zu dieser gehört unter
vielem andern ein bewegliches rad, welches an das des Wigalois erinnert und eine
goldene linde. Leztere ist eines jener blasebalgkunstwerke, welche in der deutschen
dichtung zuerst im Strassburger Alexander durch einen goldenen hirsch vertreten
sind. Die linde erscheint sonst noch im Rosengarten, Grimm 193 fgg., und im Wolf-
dietrich B 807 fgg. 555 fgg. Sie steht dort in einem galten bozw. saale und ist wie
jener hirsch im Alexander mit goldenen röhren durchzogen, welche in hohle vögel
auslaufen; wenn durch einen blasebalg die luft durch die röhren getrieben wird, so
angen die vögel. Eben dies komplicierte kunstwerk trägt nun im Grendel der riose
auf seinem heim, ja er lässt es sogar musicieren, indem er den blasebalg bewegt!
Augenscheinlich doch eine ganz abgeschmackte Übertragung, wie sie sich oi^^t oinstelt,
wo dergleichen motivu in der kunsttradition schon abgenuzt sind, nicht wo sie eben
erst eingang gefunden haben. So wird auch auf den wilden maim, der sich ausser
einer kröne, der linde, dem rade, einem löwcn, drachen, baren und eher auch noch
auf dem helme befindet, ganz gedankenlos die in bezug auf bildlich dargestelte vögel
gebräuchliche formel (Berger zu 981) übertragen: — recht als er lebte und gegen
den lüften strebte. Diese ganze Schilderung kami überdies nur in einer zeit ent-
standen sein, wo das helmzimior sich schon zu reichen und abonttmerlicheu formen
entwickelt hatte, und das war im 12. Jahrhundert sicher noch nicht der fall. Moint?s
erachtens gehört sie mit zu den jüngsten bestandteilen der dichtung, und ich gestehe
nicht zu begi-eifen, wie Berger dies toUe zeug gar der alten, vqu ihm so begeistert
gepriesenen queUe des angeblich um 1160 verfassteu gedichtes zuschreiben kaim
(8. xcvm).
Auch so manche werter liessen sich aufführen , welche in der von Borger ango-
sezten zeit noch nicht belegt sind, teilweise erst sehr viel später auftreten, tuniei
V. 2324 tiitt in der deutschen dichtung zuerst bei Hemrich von Veldoko in einer
noch dazu unsicheren stelle der Eneit 937 und im oberdeutschen Ser>^atius 3332 auf
(die von Berger cingesezte form tumier ist noch weit jünger), banier v. 1692 komt
statt des früher ausschliesslich herschenden va7ie zuerst bei Zatzikhoven, bei Uerbort
486 Yoer
und im Athis vor. fier, was gewiss v. 1878 einzusetzen ist, da H das wort niclit
eingeführt haben würde, wird zuerst bei Heinrich von Morungen und Wolfram
gebraucht Alle drei werte kommen übrigens auch im Morel f vor (zu fier s. Mar.
361 anm.). — kerne figürlich vom beiden zuerst Athis C114 u. anm. — Das später
(auch Osw. WO) im reim so beliebte ftn v. 1245 ist zuerst bei den minnesingem
seit Gotfiied von Neifen gebräuchlich; im höfischen opos tritt es zuerst bei Konrad
von Würzburg auf, im volksepos erst im Ecke, Rosengarten, Wolfdietrich und der
Virginal. Dem gegenüber dürfte man sich für den Orendel auf die ganz vereinzelte
bibelglosso des 10. Jahrhunderts bei Graff finlteho tenere sicherlich nicht berufen.
Auch eben 420. 1603 bildet einen in später zeit beliebten flickreim, hüsere ist zuerst
beim Winsboken, Reinmar von Zwetor und jünge]:en spruchdichtom, in der epä
zuerst im Wolfdietrich D nachgewiesen (Z. f. d. a. 6, 387). ■ vilxgebüre v. 930 ist
erst seit der zweiten hälfte des 13. Jahrhunderts belegt, über art, morgengäben s.
Berger z. 3256. 198. Das erst aus dem 15. Jahrhundert bezeugte nagelnüice hütte
Berger nicht v. 753 ausD in den text setzen sollen, ebensowenig wie das nicht ältere
buolachaft 2429 und lieben = minnen 1888, worüber weiter unten.
Also auch hier fehlt es ebensowenig wie im inhalte und in den reimen der
dichtung an merkmalen, welche über das 12. Jahrhundert hinaus weisen, und es
erhebt sich immer wider die für die Zeitbestimmung des Originals vor allem wichtige
frage, in wie weit uns denn dieses in der vorliegenden Überlieferung überhaupt noih
erhalten ist. Berger meint, das original sei in der Morolfstrophe verfasst gcweseo,
und diese sei erst in ü, also erst in der nächsten vorläge von D und H boseitipt
worden. Er dehnt dabei den begriff der Morolfstrophe dahin aus, dass er unter dieser
„jede fünfzeiligo stropho mit einer waise innerhalb dos zweiten roimpaares*^ versteht
ohne rücksicht auf stumpfen oder klingenden versausgang. Er hätte sogar die gren-
zen noch weiter ziehen müssen; denn da bei einem drittel der fünfzeiligen Strophen,
die er aus dem Orendel nachweist, der zwischen dem lezten rcimpaar stehende vers
mitreimt, so kann man nicht behaupten, dass dieser eine waise sein müsse. Will man
auf diese veränderliche metrische form jene benennung übertragen , so habe ich nichts
dagegen, wenn man nur nicht behauptet, da.s8 diese „Morolfstrophe* die Strophe <kB
Morolf sei. Derartiger freierer fünfzeiligcr Strophen weist nun Berger aus den f»A
4000 versen des C)rendcl im ganzen 17 nach. Es kommen einige ffille hinzu, in
denen eine langzeile mit dreihebigem schlussteil statt der 4. und 5. zeile steht In
andern fällen findet sich die waise auch an anderer stelle, auch ausserhalb der Strophe
oder des reimpaares; weitaus am häufigsten aber ist sie spurlos verschwunden. Sehr
oft ist es auch unmöglich, zwei reimpaaro zu einer strophischen gruppe zusammen-
zufassen: die konstruktion erstreckt sich über einen solchen komplex hinaus; oder,
wenn man zwei reimpaare als eine Strophe auffasst, so bleibt ein drittes isoliert usw.
Hält man nun trotz alledem an der grundlage in fünfzeiligen Strophen fest, so ergibt
sich als notwendige folge die annähme, dass die form des alten gedichtes schon inU
eine ganz durchgreifende wandelung erfahren hat, bei welcher unbedingt auch die
reime die weitestgehenden veriindorungen erleiden musten. Mithin würden auch die
reime des uns allein erreichl>aren U unmöglich ein irgend zuverlässiges bild von der
reimkunst dos Originals gehen können, und eine auf sie gegründete Zeitbestimmung
des lezteren würde alle Sicherheit verlieren , sobald es sich dabei nicht etwa um einzelne
bestirnte altertümlichkeiten, sondcm um die reimkunst als ganzes handelt. Nun
glaube ich zwar, dass die in der überlieferten dichttmg vorliegenden merkmale zur
Voraussetzung der grundform in fünfzeiligen Strophen keineswegs genügend berech-
ÜBER ORENDEL ED. BRRGER 487
tigen. Die zahl der belege ist viel zu gering; das häufige vorkommen von „waisen*',
welche sich in die strophische form nicht eingliedern lassen, spricht vielmehr gegen
als für jene annähme; auf die analoge des dem Orendel sonst so nahe stehenden
Morolf darf man sich nicht berufen, denn die berührungen zwischen Nibelungen und
Klage, zwischen Dietrichs flucht und Rabenschlacht sind noch nähere und doch sind
die einen in Strophen, die anderen in reimpaaren verfasst. Die vom höfischen
gebrauch erheblich abweichende gliederung der reimpaare erklärt sich hier und
anderswo ausreichend in der Lit. cbl. 1876 s. 1371 angedeuteten weise. Aber das
unterliegt auch für mich keinem zweifei, dass die Überlieferung des Orondel sehr
erhebliche Wandlungen erfahren hat, viel erheblichere als die des Morolf. Eine
solche unentwirbare confusion, wie sie beispielsweise am Schlüsse des gedichtes
herscht, wo Durian die Bride in einem atem verrät und errettet (3785 fgg.)^ wo in
der rode dos pilgers die parallelmotive Brides gefangenschaft bei Minolt und Brides
geüangonschafk zu Jerusalem mit einander vermischt werden (3286 fgg.)i femer zahl-
reiche sonstige Verwirrungen, Verstümmelungen, versversetzungen, wie Berger sie
mehrfach nachgewiesen hat — das alles im zusammenhange weiss ich mir nicht
anders zu erklären, als durch die annähme, dass die dichtung zwischen und neben
den schriftlichen aufzoichnungen auch mündlich sich fortpflanzte. Ein solches neben-
einander von schriftlicher und gedächtnismässiger Überlieferung der spielmannsepik
wird uns im eingange des Wolfdietrich C ausdrücklich bezeugt durch die köstlich
anschauliche erzählung, wie die schöne äbtissin zwei meister das Wolfdietrichbuch
auswendig lernen lasst, die dann durch alle lande hin das gedieht singen und sagen.
Und entsprechende Verhältnisse dauern ja unter den geistigen nachkommen der spiel-
leute, unter den puppenspielern bis auf unsere zeit fort.
So erklärt es sich denn auch, dass altes und junges in einer solchen dichtung
zu einer nie ganz wider aufzulösenden mischung verfliesst, dass neben formein und
reimen, welche nachweislich aus dem 12. Jahrhundert stammen, sprachformen und
inhaltliche beziehungen sich finden, welche auf eine spätere zeit weisen. Eine
bestimte datierung des Originals wird danach nicht möglich sein. Aber die gattung,
der dasselbe angehört, wird sich gegen ende des 12. Jahrhunderts ausgebildet haben,
als in Westdeutschland der ältere typus epischer erzählung bei der französierenden
richtung der höheren stände nur von volkssängern niedereter art noch gepflegt und
nach dem geschmack ihres publikums fortgebildet wurde. Gewisse grundanschauungen
unseres gedichtes passen, wie wir sahen, in diese zeit hinein; was sich an altertüm-
lichkeiten findet, lässt sich mit ihr bei einer dichtung dieser art gut vei-einigen. Das
werk höher hinauf zu rücken liegt durchaus kein grund vor.
Mit so unüberwindlichen Schwierigkeiten also die Orendelkritik auch zu kämpfen
hat, an einzelnen stellen scheint doch noch die naht zwischen älteren und jüngeren
bestandteilen erkenbar zu sein. Dass die verso 650/65 ein einschiebsei seien, hatte
ich Lbl 1880 s. 443 bemerkt, und auch Berger bezeichnet sie als solches. Wie ich
aber dort andeutete, hängen mit dieser stelle andere zusammen, welche derselben
Überlieferungsschicht zugewiesen werden müssen. Es wird in jenen versen erzählt,
dass Ise und sein woib dem Orendel eine dreiorhose, grobe rindsledeme schuhe und
einen schiffermantel schenken, während Orondel unmittelbar hinterher doch noch
nackend ist. Eben jene schuhe aber bilden v. 992 — 1010 den gegenständ eines bur-
lesken intermezzos, welches die Schilderung der rossbesteigung in tolster weise unter-
bricht; die verse sind von der ersten interpolation nicht zu trennen. Auf das geschenk
der alten hose bezieht sich dann weiter mit v. 2229/30 und 2247/8 die erzählung.
wie Orendel der Asuboriii tarn dank für Jeup gahe einen toljelmantal Bendet Andi
hier muss natürUch die eine stelle suBatz sein, gobold man die andere als aoldidi
auffaasL Sie bringt denn anch einen ganK wunderlichen widerspruoh in die enU>
lung. lee, der von der Bride löaegeld für seinen kneoht Ürendel arlultnn h«t, giäa
— so wird hier heiiehtet — zu dieaeu und teilt ihm mit, dass er frei mä, OnuM
ist hocherfreut darüber und gibt ihm den erwähnten maotel; Ise Ifthtt tua lUnum
nnd trird daheim von seiner frau empfangen. Und unmittelbar bintarhei geht Ötwu-
del zur Bride, um ibr mitzuteilen, dass er mit Ise als liesscii knccJit übors mmi
gehen müsse! Der interpolator iat hier nicht minder gloichgiltig gegen den susw-
meubong wie au der zuerst hos|irooheDeu atelle. Die grenzen Mines susaUw aU
noch in den gleioblautendun vensen 220TyS. 2231/2 zu erkennen; aaf 2206 tcdgla
niaprünglicb 2233/4 mit der in D noch richtig erhaltenen lesart küaigUt atott kimig.
Die verse 2235/48 rühren dann natürlich, wie angedeutet, von derGelben band ba.
Nach der uisprünglichen darstolluag wüste also Grendel nichts von lae« abli»-
duDg, und so bonte der verbsser die aus der quelle übernommene erulbluug lOt
derselben (vgl. Berger s. LSXITT) v. 2349 fgg. mit seinem auf eigener erfioduttg hwa-
henden berichte von Orendob aliBii-ht mit Ise fortzugehen, Ises rnckberufung, ■räm'
belebnung usw. fortsetzen, ungetiobickt freilich, aber du<;h nicht mit einem iiniiiiihijM
und unerklarbareu Widerspruche, wie er ohne die annähme der Interpolation ihiB Hit
last gelegt werden müate. — Auoh hier ist wider von dos ftschera fraa dw rad*i
und merkwürdigerweise kommen nun überhaupt an allen stellen, wo diMe pmifr-
lichkeit eine rolle spielt, Widersprüche in die erzälilung. Die scbildaruug Ton bM
herlicher bürg 589 fgg. ISast sich, wie Berger zweifellos richtig bemerkt, mit du
sonstigen auftreten Isea nicht vereinigen. Sie loitnt aber Ata erelo emelieinao An
fischerin ein. Der ganze abschnitt ist auch hier wider durch zwei wt-nigstann an
reime gleichlautende verse begrenzt: 628 würde sich gut an 587 ansubtieHHw, mä
damit würde sowol jener Widerspruch als auch die relle der riscliorin fortbllciu —
Nach der schon heeproehenen unsinnigen inteqiolntion 650/CQ tritt Ises weih mmcW
wider bei Orcndeht abschied von den öscherleuten suf, 766/85. Auch hiirr ict ihn
eiufnlirung gleich wider mit einem hereits von Iterger bemerkten widerspruefaii m-
banden: unmittelbar nachdem iJrendel den grauen rtiek dem Iso fUr die vwlaofte
summe abgekauft hat, tiagt di<.>ser: ,du solst den rouk verdienen um mi«b ini
deine meisterin.'' Das weih beschenkt darauf den Grendel mit 3 gülden und t
die« geld opfert denn auch naeh einer nur in P überheferten , aber ron Böge Mv
vorläge Eugewiesenen stelle (hinter v. 825) Ürendt'l am h. grabe. üunittoHMV IV^
her aber (v. 316) bat Orondel ausdrücklich gesagt, dass er gar nii^ts aDd«t«B m,
opfern hat als seinen leib und seine seelo! Auch hier ist also widor die hau
zadiuhters zu erkennen, iu jener nur m P erhaltenen sU'Ue sowol wie b Uw» wnNa
756/85. Als Orendel den lange begehrten rock endlich erhalten hat (T'iü/Sl, mtnAK
er sich nach der ursprüngUchen darstellnng von dannen (78t)), und niemand kenn
ihm folgen 789: ursprünglich wot wegen einer wunderbaren eigensuhaft dos gTM-
rookes, während es jezt so aussieht als wäro vom niongel des gefolges iLo r«dfi. —
Somit bütto sioh denn die ganze roU« der in den übrigen leiluu der crciUlung nicht
erwähnten ßscherin als apütero etfioduDg orwieMon.
Zur annähme einer iuterpoktion Vünte man sich leicht bei der rrzühliuig yo»
der abreise Grendels von Trier v. 335 fgg. veranlasst fühlen. Die scbiAe wiu4oB
bereit gemacht, mit speiäc und trank reichlich beladen: aiu fahren <lie HmmI n
den Rhein abwärts bis an dos Wetarisohe nieer — da werüen die aohille mit k
ÜBIB OBENBIL SD. BEBOEB 489
und 'trank beladen, die heiren gehen auf die schiffe osw. Mit dem wilden wäge,
zu welchem sich Orendel v. 334 begibt, wird der dichter sicher nicht die Mo&(bl,
sondern ebensogut wie v. 250 das meer gemeint haben, und zwar das AVeterische
meer, an welchem denn auch nach der v. 244 — 50 gegebenen darsteUung die 72 schiffe
für die fahrt bereitet wurden. Und so Ifige es denn nahe v. 334 gleich mit v. 349
zu verbinden: dö kerte er gegen dem wilden wäge an dax Weteriscke mer usw.
Aber es ist sehr wol möglich, dass der dazwischen liegende bericht über die art
und weise, wie das beer zum meere kam als nähere ausfühnmg des v. 334 vom
dichter selbst herrührt. Mit den hier erwähnten schiffen werden kleinere flussfahr-
zeuge gemeint sein, von denen sich die reisenden v. 351 auf die Seeschiffe bogeben.
Die arken v. 341 mögen eine art prahm bedeuten oder in barken zu ändern sein:
die am ufer angeketteten flussschiffe werden gelöst.
Gewiss mit recht hat Berger v. 1315/26 als einschiebsol bezeichnet. Es schei-
nen hier verworrene reminiscenzen an eine ausführlichere darstellung des kampfes
in den kurzen bericht der handschrift auf das ungeschickteste eingeschoben zu sein.
Anfang (md ende des Zusatzes ist auch hier wieder durch einen gleichlautenden vers
b^renzi Auch Bergei's Vermutung, dass der oingang bis v. 18 späteren Ursprunges
sei, pflichte ich bei und meine, dass v. 13 — 18 als erklärender zusatz hinter v. 35
beabsichtigt waren. Aber ich will nicht weiter den teilweise noch erkenbaron, teil-
weise verwischten spuren verschiedener schichten in dieser mit der zeit stark ver-
änderten und verderbten dichtung nachgehen und nur noch einige einzelbemerkungen
zu Bergers textherstellung hinzufügen.
Berger bemerkt s. XI ganz richtig, dass D das wort mintie durch liebe ersezt,
was meist eine grössere änderung des tcxtes nach sich zog, und er folgt daher mit
recht V. 196. 924. 1807 der handschrift, welche das wort beibehält Aber es ist nicht
minder klar, dass an anderen stellen so wol I) als auch H, jedes auf seine weise,
das jener zeit schon anstössige wort (vgl. Haupt z. £ngelhard 977; Milchsack Paul-
Braime 5, 288) beseitigte, xmd es war daher auch doit mintie herzustellen. Also wenn
V. 924 im anschluss an H gelesen wird wax ich da mit geioinne dax gib ich iuch
gern xuo minne so muste v. 894 dasselbe reimpaar (nur mit im und al st. iiich
und gern) hergestelt werden aus was ich da mit gewinne (gewumie D) das geb ich
im alles voti mynen {xu lane D) ED. — Vers 1888, wo es sich \im die grausame
drohung eines riesen gegen Orendel und Bride handelt, lässt Borger den bösewicht
doch gewiss nicht passend mit D sagen frouw Briden teil ich von herxen lieben!
H überliefert f. B. w. i. haben xu eigen. Dio mit recht aus P aufgenonunene
unmittelbar vohergeheude zeile lautot will ich al verbrennen; natürlich folgte darauf
f. B. wil ich minnen, und der von I) beziehungsweise H je nach dem bedarf ilires
reimwortes hinzugefügte vers da mag mich ni&mant rofi triben 1), das will ich detn
grawen roc xeigen H war zu streichen. — Femer liest Berger mit D v. 2429 rmn
soll ir mich buolschaft (!) mit iuch laxen gewinnen, v. 3227 7m sollent ir mich
iur liebe laxen gewinnen, v. 3806 nu sollent ir mich iur hnlde laxen geicinfien.
H schreibt an den drei stellen ich miisx fruntscliafft mit uch beginnen, ir süllent und
nu süllent ir früntschafft juit mir begimien. Überall folgt e dax ir harnet von
hinnen. Es ist doch klai*, dass hier überall ein imd dieselbe fonuel nu soll ir
mich minnen zu gründe lag. — Und ebenso ist v. 3454/5 zu lesen der künig wil
si xwingen dax si in solle mijinen st. dax si in solle lieb getcimwfi (so Berger
nach P) bezw. xu wunderlichen dingen (H).
490 VOGT
V. 228 lies opfern dem heiligen grab unsere h$ren wio in derselben for-
mel 267. — V. 232 ist natürlich das in D ganz richtig überlieferte die eehtmm
st die schcene in don text zu setzen. — Die mnstellnng der verse 407 — 12 halte
ich nicht für notwi^ndig, wenn sie sich auch an P anlehnt (vgl. Berger s. XIV fg.);
die aufeinanderfolge der verse 401/4 ist doch unerträglich. — V. 458 doch gewiss
besser nach H also swinde. — 507 ursprünglich dri tage lange? — 666 warum
nicht dannoch? — 973 u. ö. würde ich unbedenklich mit Ettmüllor ein heim
was wol gebouget (gepouwet D, gelaubet H) in den text gesezt haben. Der
bildung eines 8olch(3n verbums aus boue helmspange (Gudr. 519, 3. 1423, 3) stoht
natürli<Jl nichts im woge. Da ak^r das wort sonst nicht gebränchli(;h und auch
boiie nach 1300 nicht mehj* vorzukommen scheint, so erklärt sich die konstviuente
ändonmg in der ül)erlieferung zur genüge. — V. 1205 ist ohne grund umgestelt
DH lautete (1202) der rise kam dö mit flixe. sin gedeeke was von silber tciie
und gieng dem helfafit üf den fuox, so man doch den risen brisen mucx.
Davon hätte sicherlich der erste so gut wie der von Berger ausgeschiedene lezte vers
als inter])olation bezei(;hnet zu werden verdient, und im original reimte dann wixe:
füexe. — 1284 st. mir lies min, wie ja D ganz richtig überliefert. — 1299 wol AI
bottent si ein geriute, da erner ... — 1405: die Zeitangabe einen sumertag I) i^t
richtig, wie aus dem gestern 1474 hervorgeht. — 1446 lies nekeiner slahte man. —
1509: näher liegt nü se mcere wtgant, — 1587: in Übereinstimmung mit 1963 und
2712 muste auch hier, wo ja noch dazu H wesentlich so überliefert, in dem grdictn
roc wil ich ex lifgeben gelesen werden. — 1632: warum denn das richtig überlieferte
md. sas (; ffflr^) hier durch sahs ersetzen? — 1637 war es nicht nötig hin D in
nim (nach P) zu ändern, in dhie hant kann mit se verbunden werden. — 1661 war
vierxehen hundert aus H aufzunehmen, vgl. v. 1543. 1564. — V. 1788 moste ent-
weder hatten oder jungfroutre geschrieben werden. Nac^h v. d. Ilageu hätte auch D
baiten und froutcen. — 1874 führt die Überlieferung auf die schwache form, die
doch hier, im vokativ, ganz angemessen ist. — 1878 1. dar st. das (druckfehler). —
1940/1: hier ^ird wol noch in ü die alte fonnel gestanden haben si steueren im
triuw und eide die Hexen si alle meine y während dieselbe 2530 schon in U geändert
war; vgl. Rother B. 823 de^ swörefi sie ime eide die liexen sie unmeine (so viel-
leicht ursprünglich auch Orcndel 2510. 2520), und mit Iwjseitigung des alten reimes
Dfl. 7184 rfd swuor auch im der balde drlxec eide an der xity die lie er alle meine
Sit. — 2496 nun niüex uns (euch D) niemer leider {layd D) gesehen detme me ister
Isen geschach dö er si bede kamen saeh. Warum Berger hier eine Verderbnis annimt
und die ganz richtig überlieferte hübsche Wendung durch eine an P angelehnte
nüchterne Übertragung ins positive ersezt, verstehe ich nicht. — 2590: die ül»erlie-
ferung führt doch eher auf nit icise getan. — 3148/9 soll wol heissen: sie glaubten,
dass Bride Orendels weib sei, währon<l sie ja tatsächlich nicht sin wip wart. —
3173 mannen: die schwache form erst seit dem 14. Jahrhundert belegt — 3647
und 3653 muste nach einl. XXXVII turteltüb st. turteltoub geschrieben werden. —
(legen die Schreibung Jerusalem vgl. Morolf 1, 1 anm. Wie dort das erste e so ist
in Babilonie, welches formelhaft auf konige menige reimt, gewiss das o als kürze
anzusetzen. — Von dem bestreben waisen herzustellen hat Berger seinen text hin
und wider zu sehr beeinflussen lassen, z. b. wenn er 2383 von einem in D überlie-
ferten, in H fohlenden n'impaaro nur don oinon vors aufnimt, denn auf ein reimpaar
weist hier auch P (wenden : brcngen) vgl. s. XLIX. Aber das sind ausnahmen. Im
ganzen ist der text mit anerkennenswerter besonnenheit und vorsieht hergestelt.
iÜBER OBBNDEL ED. BEBOEB 491
Beiohhaltige, von mnflassender belesenheit zeugende formelsamlungen hat Ber-
ger in den anmerkongen neben mancher dankenswerten notiz gegeben. Zu v. 73 sei
bemerkt, dass die formel in ... den gebt^ren aam er . . . wtere schon im Annoliede
V. 591 begegnet; vgL femer En. 1003 und Behaghels anm., 2731. Über die Über-
tragung auf lebloses s. zu Mor. 688, 4, wo die wendung nach dem strophenschema
umgemodelt wird. — Zu 136 vgl. auch Nib. C Zamcke 49, 4 wä ich die müge nemen
diu mir uni mtme riehe xe frouwen müge xernen und ebenda 50, 3 weihe ir kerre
möhte xeinem wibe nemen diu in xe frouwen iökte uni oueh dem lande mökte
xemen. Zu den beispielen aus der höfischen epik komt Erec 6198 dax ich si xe wibe
neme. mich dunket dax si wol gexeme xe frouwen über min lant, — Zu 288 muss
doch wol D st. HD gelesen werden. — Zu 1207 vgl. Morolf 7, 2. 7, 5 Ed. 282, 5. —
Zu 1402 vgl. Mor. 755, 3. 5. — Zu 1548 und 1842: atd ir din frouw Bride? vgl.
bist du dar inne edeler künig Prineidn? Mor. 765, 4. 741, 4 und anmorkung,
sowie Reinke 6m sint gi dar binnen? Reinke 488. Überall wird mit dieser for-
mel die forderung der freiwilligen gestellung oder der auslioferung eines Übeltäters
eingeleitet. Schröder zu Reinke a. a. o. hat daher unter Verweisung auf Grimm weist
n, 749 mit recht vermutet, dass hier eine rechtliche vorladungsformel zu gründe
Hegt. — Zu 1695 vgl. auch die dri widerkere durch dax her Nib. 205, 1. — Zu
1893 VgL 2700, Mor. 57, 2.— Zu 2351 vgl. noch Kehr. D 447, 9. 484, 25, sowie des
andern morgens fruo gedahte Karl dar xuo Stricker Karl 152, 3; rein formelhaft
besonders mit bereiten, vgl. des morgens vele froe dö gereiden si sich dar toe
En. 1685, darnach des dirten morgens fro so bereydend üch schnellichen dar xS
Karlm. 29, 12, an dem miticJien fftorgen fruo deu künig in berait sich dar xuo
Enenkel, GA U, s. 545, dax si sich bereiden dar xü: he wolde des morgenes vru
Eilh. 3443, dax man sich da bereite xuo: der vürste wolde morgen vruo Mai 81, 20.
— Zu 2455 vgl. auch Genesis Fdgr. 11, 41, 32. 70, 21. — Zu 2478 vgl. auch diu
wile dühte in lanc (: spranc) Gudr. 112, 2 und Martins anm.
Dem urteile, welches der Verfasser in seiner alzu weit ausblickenden vorrede
über die bedeutung seiner forschungen und die Sicherheit ihrer resultate abgibt, kann
ich nicht ganz beipflichten. Aber zweifellos hat er durch seine ausgäbe die grund-
lage gelegt, von welcher in zukunft die Orendelforschung auszugehen hat, und diese
selbst ist durch seine Untersuchungen nicht unwesentlich gefördert.
KIEL. F. VOGT.
Untersuchungen über den satzbau Luthers von dr. Hermann Wunderlieh.
L teil: die pronomin a. München, J. Lindauersche buchhandlung. 1887. 70
und n Seiten. 1,50 m.
Der Verfasser, welcher schon durch seine dissertation : Beiträge zur Syn-
tax des Notkerischen Boethius (Berlin 1883) sich als gründHchen und eifrigen
forscher auf verschiedenen gebieten der historischen syntax bewährt hatte, betritt
mit der vorliegenden arbeit die der aufhellung noch sehr bedürftige Übergangszeit
vom mittelhochdeutschen ins neuhochdeutsche. Er sezt bei dem höhopunkte der
bewegung, bei Luther ein , um von diesem aus zunächst einen überblick nach rückwärts
imd nach vorwärts zu gewinnen. Er hat eine reihe von deutschen b riefen und
originalwerken Luthers, von der auslegung der busspsalmen (1517) und den
berühmten Streitschriften dos Jahres 1520 an bis zu hervorragenden Schriften des
jahi68 1643 eingehend und systematisch auf bestimte syntaktische fragen hin unter-
402 KHDMAIfÜ, ÜBIR WÜNDIBLIOH, LUTUIHS SATZBAV I
Huohf, nicht nalUm auH reicher bolesenheit vergleichende Seitenblicke auf andere
IClfiinhxnjtigo HchriftHtoIlor, namootlich Ulrich von Hütten und Sebastian Brant
worfmid. Von dumm arbeiten veröfTentlichte er in dem oben angegebenen hefte die
iinfi^rHiiohnngen ÜlKfr den f^obmuch dor pronomina.
DioHOH ((nbint iHt cinoH dor roizvolsten der syntax, weil es in den bau des
ninfni^hftn NntxoH wio doH Hatxgofüf^es oinblicke ermöglicht, weil syntaktisches und lexi>
kaÜHf^hoH Mich Ixirühnm und durchkreuzen, weil endlich auch durch die pronominalen
advftrbin, wol^ho xu coi^junctioncn geworden sind, sich weite ausblicke in viele ande-
ren fi'ilo dor Hyntiix on*»fnon. Al>or oben aus diesen gi*ünden ist es hier selbst bei
langwiorigfui und mühtuiinon unt(<rRU(*hungcn nicht immer möglich, klare und dur«:h-
Hrhlii^uido n«HuItato xu g<twinnon, zumal da in der nur almfthlich fortschreitenden
ontwi(*klung illtort« und neuen« rodowoisen sich durchkreuzen, da bei jeder frage,
oft Ihm jtHloni boiHpit^l, vorsohitMlono möglicbkeiten zu erwägen sind, da endlich gerade
iHtim proiiomon nuoh loirht individuolle neigungon imd abweichungen des schriftstel-
Irn« nirh gtdtond maohon (vgl. x. b. AVunderli<»h s. 22. 43). Und gerade beim satz-
gofügo, doHStMi «Mitwioklung Wunderlich besonders am herzen liegt, ^ird man d*>?h
M liUthor oino gt^wisso unlH«holfonheit und ein schwanken zwischen verechieden*>n Vor-
bildern (Muoh dem dor latoinisohon schriftspnu^hc !) oft nicht in abrede stellen kennen.
lU»\vol Wundorlioh stets vorsichtig zu werke geht und jedes beispiel na-h
allen soiton tib\v;i^t, oho er es vonvortet, so ist es ihm dennoch gelungen. V^i rälec
dor von ihm untorsuohton nnioweisi^n sohöne ergebnisse zu gewinnen. L-h cvm«e
iiamoutlioh dio imohwoiso ülvr die Um Luther vorkommende oder in gewissen CLLm
«irhl \orkommoudo auslassung des persönlichen pronomens b^im v-rrt:!::!-
dio jH»hr Ausführlich und nüt soharfsinnig^T Unterscheidung der vers« hie«ienec surr-j--
koiuiou faltorvMi orv^rtort ist s. 11 --K und au mehren^n stell»'n zur errinz'^r^ «i-r
K^richtigui\g d«^ \ou mir in den «Orund£Ügi»n «ler deutschen syntax* darü'tTr Ä?aÄc
diouou Kaim. Ferner holv ich hervor die lehnvichen ehjrterun^en üc»rr ii? plt.-i-
*tischo r/\ f-jc ^ncmm;it!v, accusanv. »^»uotiv»; tifrr. «/<k< s. 27. Ä 31. s /sri-r üe trirto;
tUi dw V ora hUxlcuo n fv^ i mcii de r r c 1 a t i v \ c r b i n • i u u 4 >. o5 f t:^. . jzire r i-fcr 2. ij»
>. I^"^ <Vi;>'lvi'.cu K'isricic \v^ii ;u;fv.j:uiii: d-'s ii-'U^a>atit> ohc«? •rL:v-CT< cr.C';ci-=fi «i-i*-
•»Ixoib, v"«;o X 4S fi:. »i:e K^pr^vhur.^ Ut rvLiriv^itie in -rsv-r z^tT z^rrir^z -»zr^-fL
K>v'«^:crs ^i,\!ilc:x^^crt i^t. H:cr x*:o in oiTÜp::! ändernd >:tl!-f:: i2^c A:-.i !> int:»
iMvh ■AV:'.:s;iieu ;;i l ;;:hcrs ^ir*.«^' ».ii.: rv^.h: i»-ni i<:.ht:^. D'^ir.in»«^ S3»i 'S" i^i-
vW S'i aoR». \*^s*.^.;AU•t•^c. ,^Jk^*ktt*r ö-U^ -^LZ-Srln-c fülrs IriL.i: nrir '^rrv^msfL
•".' V . ;'.*..: jLTH", •*.•: -\v>: \;'-:.- ctc*:. v*^ ir : r"-" Ä'.i>wvv-iilrrt *«»L>cL>:ir»i tum ajc
* • . . - ^ - ■ ^ '^ ^ 1* • _
'. «. '■ v I- > • i • V : - •; ".SC^S * : .'.- l.l: . >.' i-c 3i- Ciiip:':riai-a 4« i 1 »^r
■•*' -7V-^ '«.■•;^-^ ■ c -.c .i*"«^ -: . ■ ii. :~A:C irü t:c, "1 ?tfr äs ^-r »i::-
KSnVKB, ÜBKB MOBSCH, OORBE U. DIB OBIECH. BÜHNKNDIGHTER 493
kimgen, die lange nicht an die durchaus nicht verächtlichen nachweise von Kehre in
oder Yernaloken heranreichen.
Gerade diese Franksche schrift zeigt recht augenfällig, wie erwünscht und ver-
dienstlich die fortführung und Veröffentlichung von Wunderhchs syntaktischen Stu-
dien üher Luther sein würde!
Inzwischen hat Wunderlich in seiner Heidelberger habilitationsschrift: ^Stein-
höwel und das Dekameron. Eine syntaktische Untersuchung*^ (1889. 46 Seiten)
versucht, „syntaktische Untersuchungen in den dienst der algemeinen litteratur-
geschichte zu stellen.*^ Da ihm die autorschaft Steinhöwels für die deutsche Über-
setzung des Dekameron (vgl. Goedeke, Gnmdriss' XI, 368) zweifelhaft ist, so ver-
gleicht er den Sprachgebrauch derselben mit dem in anderen, unzweifelhaft Stcinhö-
welschen werken (zu denen er auch die von Goedeke I, 346 dem Niclas von Wyle
zugeschriebene Übersetzung von Petrarcas Griseldis zieht), um auf diesem wego eine
entscheidung über die autorschaft Steinhöwels zu gewinnen. Da Wunderlich diese
verwickelten Untersuchungen noch nicht abgeschlossen hat, sondern die fortsetzung
in Herrigs archiv veröffentlichen will, so begnüge ich mich hier mit dieser kurzen
erwfihnung der arbeit
KIEL. OSKAR ERDMANN.
Hans Morseh, Goethe und die griechischen bühneudichter. Programm der
kgl. realschule zu Berlin 1888 (progr. nr. 90). 55 s. 4®.
Nachdem das veriiältnis Goethes zu Homer vor wenigen jähren durch Otto Lücke
und die leider mit der italienischen reise abbrechende arbeit Hermann Schrcyers
eingehend dargestelt ist, hat der Verfasser, der schon 1885 Goethes Stellung su Horaz
(in den N. jbb. f. phil. 132, 268 fg.) in sachkundiger weise geschildert hatte, es nun
unternommen, den mannigfachen beziohungen nachzugehen, welche den dichter mit
den griechischen dramatikem verknüpfen.
Er begint mit Goethes auftreten gegen Wielands Alceste, wobei er sehr sorg-
IIQtig überraschende spuren einer direkten, nicht bloss durch Brumoy vermittelten
kentnis des Euripides nachweist; weniger glücklich sucht er Goethes auffassung des
dramas ' gegen Seuffert zu vertreten , er komt dabei über die von Goethe gebrauchten
argumente nirgends hinaus. — In dem Prometheus erkent er neben antiken elemen-
ten mit recht Wertherstimmung, or hÄtta noch bestimtor auf starke rominisccnzen
aus Ossian hinweisen können. Dann wird der einfluss der bcsehäftiguug mitAristo-
phanes auf die Alceste -farce, den Satyros und die Vögel entwickelt. Mit einer
kurzen, aber alles wesentliche berührenden Schilderung der am Weimarer hofe her-
gehenden, durch Wieland, Herder, Villoison genährten liebhaberei für antike littera-
tur geht er zu den dramen des klassischen stils von Iphigenie bis zur Natürlichen
tr)chter über, bei allen, namentlich auch den fragmenten, wird in erster linie die
einwirkung antiker Vorbilder auf die dar Stellung bis in einzelheiten sehr genau
verfolgt, stilistische mittel, auf denen der eigentümliche ton jener dramen beruht,
hervorgehoben und auf ihren urspnmg zurückgeführt; unbefangen werden auch manche
disharmonien zwischen den antiken und modenien dementen in Inhalt und form zu-
gegeben. So hat der Verfasser es auch vorstanden, zur erklärung der Iphigeiüe
mancherlei neues beizubringen, indem er die abgedroschene vergleichung derselben
mit dem gleichnamigen stück d<.>s Eurii)idos bei seite liess und einmal ihr Verhältnis
zum antiken drama überhaupt ins äuge fasst. — Kürzer behandelt der Verfasser die
1) Inzwischen hat darüber auch gesprochen v: 'Wilamowitz, Einleitung in die attische tragoodie
(Eorip. Herakles I), Berlin 1889, s. 234.
494
weiteren beziehungen Goethes zu dem lezteren, die neuen durch Schiller und yor
allem durch Gottfried Hermann gegebenen anregungen, die symbolisierenden dnuneo,
die reconstruction des Phacthon usw. , dagegen werden am Schlüsse noch einmal sehr
genau die anlehnungen der Helena an bestimte soenen und Situationen antiker dra-
men nachgewiesen. Auf Goethes Stellung zur xu&uQaig wolto der verfassor wol nicht
eingehen, weil sie mehr sein Verhältnis zu Aristoteles berührt
Es steckt in der schrift des Verfassers eine fülle von arbeit; er hat nicht bloss
die werke Goethes im weitesten umfang (die briefwechsel und tagebücher eingeschlos-
sen) für seinen zweck durchgearbeitet, sondern beherscht auch die litteratur über
dieselben in einer bei solchen abhandlungcn leider nicht gewöhnlichen weise; ebenso
zeigt er eine umfassende bolesenhoit im griechischen drama.
SOHÜLPFORTR. GUSTAV ERTTNEH.
Indogermanische praosensbildung im germanischen. Ein kapitel veiglei-
chender grammatik von Gustav Bnrgrhaiisen Leipzig, Freytag. 1887. 56 ss. 8. Im.
Der 1886 erschienenen schrift des Verfassers über den indogermanischen per-
fektstamm im germanischon ist eine soh^he über dio praesensbildung gefolgt ^ Auch
in dieser schrift ist es nicht die absieht des Verfassers neues material, neue fragrti
den fachgelehrt4^n vorzulegen. Weim Burghauser sich auch „hie und da in selbstän-
digen aufsti'Uungeu versucht*^ hat, so will er doch im ganzen nur den gegenwärtigen
stand der Wissenschaft in einer zusammenfassenden darstollung des gewählton gegen-
ständes zur anschauung bringen.
Das büchlein eignet sich treflich zum leitfaden für Vorlesungen. Ich möchte
es Noreous allerdings selbständigerem Utkast tili föreläsniugar i urgermansk judlära
zur Seite stellen. Wenn uns noch eine ivihe dei-artigor, je ein hauptkapitel der ver-
gleichenden germ. granimatik In^handelnder einzclschrifteu geschenkt wiixi, so wird
ein künftiger gelehrter dieselben leichter zu einem einheitlichen, nietfesten werke
zusainmonschweissen können, als dies dem dichter der Nibelungen nach Lachmann
mit den eiuzf^lnen liedem gelungen ist. In emiangelung einer ausführlichen germ.
grammatik, die auf der grundlagt^ der idg. Ursprache die gonnanische Sprachgeschichte
aun>aut, ist ein derartiger ausschnitt aus einer solchen, wie er uns in der schrift von
Burghauser vorliegt, mit dank zu b<»grüS8en. Die darstellung ist streng sachlich
gehalten und bietet eine gute Übersicht ül)er die idg. praesensbildung im gonna-
nischen.
Wurzelstämme, reduplizierte stamme und nasalstämme bilden das erste kapi-
ti»l: themavokallose praesenti(»n. Di(< themavokalischen weixlen eingeteilt in solche
ohne wurzelenieiti»ning (c-stiifig»> imperfektpraesentien und tiefstufige aoristpraesen-
tien), in nasal-, j<xl-, inchoativ-, /-praesentien und in kausativa. Wie mau aus
dieser inhaltsangaln) sieht, ist der ausgangspunkt die idg. Ursprache. Die gennanisclic
eintcilung in starke und schwache Zeitwörter konit nicht zu ilirem rechte. Vom idg.
Standpunkte aus aber scheint mir btM den themavokalischen Zeitwörtern doch die
Zweiteilung im Vordergründe zu stehen, welche auch für das germanische reclit wol
praktisch zu verweiten ist, in j)rimäre und in sekundäre oder abgeleitete Zeitwörter.
Nach dieser (Einteilung würden zur h'zteren klasse bei Burghauser freilich nur die
kausativa auf idg. -ejö gehöriMi. Allein es gab im idg. nicht nur denominativa von
c- 0- stummen auf -eJOj sondern auch solche von a- stummen auf -fly'o, von ^i- stam-
men auf -yjö usw.; es gab ferner noch andre, bisher freilich noch nicht genügend
1) Neaenliugs on>chicneu ist: Borghaosor, Germ, nommalflexion , Wien 1888.
ÜBER BT7ROHAÜ8EK, FRABSBNSBILOüNft 495
aufgeklärte klassen sekundärer Zeitwörter von der idg. urzeit her, z. b. eine sekun-
däre klasse nach dem paradigma von lat habSre, got haban, Buiighauser bespricht
nur die kausativa auf -^ö; die allerdings schwierige darstellung der übrigen sekun-
dären Zeitwörter fehlt bis auf die s. 54 fg. gemachten andeutungen ganz und gar.
Und doch ist eine behandlung dieser für die erkontnis der germ. praesensbildung
notwendig. Wie wäre sonst der übertritt von Zeitwörtern wie beben, xittem in die
schwache konjugation zu erklären, wenn ihre lautgesetzHch ererbte, urspriinglich
starke flexion nicht in manchen formen lautlich zusammengefallen wäre mit formen
sekundärer (germ. schwacher) idg. Zeitwörter auf e und ä? Es wäre nützlich gewe-
sen, wenn Burghauser in jedem einzelnen falle, wie er es z. b. s. 11 fg. und 15 tut,
den weg gezeigt hätte, auf welchem ein idg. primäres Zeitwert im germ. schwaoh
geworden. Tatsächlich sind von den idg. praesensklassen die imperfektpraesentien
und die mit nasalinfix die einzigen, welche im germ. rein als stark flektiert erhalten
sind; alle andern klassen, auch die themavokallosen folgen im germ. teils der star-
ken, teils der schwachen koigugation; ja die auf idg. -^wni sind sogar durchweg
schwach geworden. Wünschten wir eine weitgehendere rücksichtnahme auf die ein-
teilung in starke und schwache Zeitwörter und besonders eine eingehendere darstel-
limg der idg. sekundären Zeitwörter, so wüsten wir im übrigen an dem büchlein
keine wesenthche ausstellung zu machen. Wertvoll ist es vor allem durch die
neueren htteraturangaben und durch die reiche beispielsamlung, welche bei jeder
praesensklasse der kurz einführenden darlegung der idg. konjugation folgt; die bei-
spiele sind allen germ. sprachen entnommen. Von einzelheiten möchte ich hier auf
zwei punkte besonders aufmerksam machen:
1. An der auffassung der imperfekt- und aoristpraesentien als gespalten aus
einem einheitlichen, stamabstufonden urtypus (s. 19) bin ich vielleicht selbst schuld
mit meinem Paul und Braunes Beitr. XI, 49 als idg. aufgestelteu paradigma *bero,
^Urrisi. Um so mehr fühle ich mich verpflichtet zu bekennen, dass in dieser
algemeinheit meine aufstellung jedenfals eine irtümliche gewesen ist. Jenes stam-
abstufende paradigma hat für die impeifektpraesentien nicht bestanden und ist einzu-
schränken auf die indische vierte und sechste klasse, die aoristpraesentien. Neben
einem berb, beresi bestand allerdings das aus got. tekan und an. taka zu erschlies-
sende stamabstufende idg. pai*adigma *digo, *daye8t (Beitr. XI, 283). Ob daneben
noch eine dritte, tiefstuflge praesensbildung ohne stamabstufung im idg. bestanden
hat, das will ich hier unentschieden lassen. Die beispiele für die stamabstufende
klasse sind jodenfals sehr zahlreich, auch wenn man von der hierfür besonders lehr-
reichen vergleichung des slawischen und litauischen (Leskien, Archiv für slav. phil. V,
497 fgg.) absieht. Ich erinnere nur an lat. vertö: vortö, gr. jqinoi : tquiko, aind.
svedate : svidyämi usw. Aus dem germ. gehören hierher: 1) abulg. perq : germ.
faran, ags. swelan : ags. forswalan, germ. kweman : germ. koman, an. hwerfa :
an. horfa, aind. kälpate : an. holfa, germ. melkan : an. molka, germ. skeldan :
ahd. skaltan, ht. zengiü : germ. gangan : afrs. gunga\ ags. awefan : an. sofa, an.
drega : germ. dragan, aschwed. grceva (abulg. grebq) : germ. graban, germ. tredan :
germ. trodun, germ. bregdan : wang. ik brüd, (ich stricke), germ. knedan : an. hwäa,
germ. beogan : ags. biigan, germ. kUoban : ags. clüfan, germ. kreopan : plattd. kril-
pen, germ. breowan : mndl. brouwen : mndl. brüwen^, ahd. niuwan : ahd. nü(w)an,
germ. skeoban : germ. sküban, ahd. slio^an : afrs. sltita; got. tekan : an. taka, ahd.
Vgl. hierzu germ. haJSn : ahd. holön, germ. manon : awfrs. movna.
496 BBEBCKB, ÜBBB BÜROBAÜSEB, FRABSENBBILDÜNO
täen : got daddjan; aschwed. sleka (<c *8laikan) : ahd. slihhan, an. streitask : an.
stritask; lat. vädö : germ. wadan; gr. (ptayto : germ. bak(k)an. 2) mit y-verstar-
kiing (aind. IV. klasse): germ. wirkfan : germ. wurkjan, 3) mit oder ohne y-yeistär-
krmg: ahd. helan : germ. kuljan, abolg. meljq : germ. makm, germ. swimman :
an. symjaf got. gairdan : germ. gurdjan, mhd. erwergen : ahd. würgen, gr. ar«v-
^01 ; ags. h^dan, germ. neo^on ; germ. nutjan; ahd. dran ; germ. atjan, geim. 6rÄ-
(2an ; amringisch ^rä^t, föhringisch ^dift braten (•< germ. *brafy'an nach der at-
oder $-koi\jugation); vgl. mit «A;- Verstärkung germ. preskan : an. Pryslga, 4) mit
n-verstärbmg: aschwed. spuBma : geim. spoman, germ. rinnan ; *runnan (Sie-
vers, Beitr. VUl, 83 anm.), ags. swefnan : an. «o/ha. Auf grund dieses wechsds
werden auch einige anomale ablautsverhaltnisse zu erklären sein: ahd. swedan hatte
ursprünglich eine tiofstufige stamform *süd'' neben sich, und diese schuf nach der
analogie von hügan : beogan ein neues Zeitwert seodan,
2. Sehr wichtig ist die s. 46 gegebene erklärung des j in Zeitwörtern wie säen,
wehen usw., welche mich um so mehr ei*freut hat, als ich selbst im gegensatz zu
meinen früheren ausführungon (Paul u. Braunes Beitr. XI, 54 fgg.) auf denselben gedan-
ken gekommen war. Nur darf man wol kaum diese erklärung soweit veralgemeinern,
wie Burghauser es tut. Die zeitwöi-ter, welche ich a. a. o. und s. 275 fgg. besprochen
habe, zerfallen in zwei von alters her völlig getrento Massen, deren Scheidung vom
germ. aus nicht mehr mit Sicherheit möglich ist Als paradigma der einen klasse
hat ahd. säen zu gelten << idg. *8(8^mi (tfjfjii), als paradigma der andern ahd. tden
<: idg. dejö; erstere hatte als idg. wurzelauslaut langen vokal, leztere t; verbala^jek-
tiv dort *8ate-, hier *dtte'. Indem nun erstere klasse im germ. sich der thema-
vokalischen koDJugation anschloss, war der anstoss zur Vermischung beider klassen
gegeben, wenn nach meiner annähme, a. a. o. s. 71, in formen wie ahd. sdit sidi
zwischen d und t ein j lautgesetzlich entwickelte. Nach dem vorbilde von säjit =
tdjit schuf man sau im ahd. zu säju = täju um. Vielleicht — die frage wäre wol
der untei'suchuDg wert — gab es unter den hierhergehörigen Zeitwörtern noch eine
dritte art mit wurzelauslautondem «/, etwa idg. * streu-, und vielleicht ist hier der
ausgangspunkt für das ags. und auch im an. vorauszusetzende w von ags. sdwün^ zu
suchen. Noch natürlicher würde der zusammenfall der verschiedenen klassen sich
im germ. ergeben, wenn unter den auf i auslautenden stammen sich thcmavokallose
befunden hätten, weil dann die 1. und 2. sg. mit der ersten klasse schon in idg. zeit
zusammengefallen sein würde, von der reduplikation abgesehen; denn aus einem
* deimi, ^diisi würde, wie idg. *res •< *reis, *retn <, *reim (lat. rSs, rem) zeigen,
schon in idg. zeit *d?mi, *d^8i geworden sein^ So viel über die Zeitwörter mit
1) Der idg. schwund von i, u nach langem vokal vor bestiinten konsonanten kum, wie ich
glaube, grade für die themavokallose koi^ngation, noch manche aofklärung geben. So würde sich z. b.
Yarti/m gegenüber arnvQo^^ arvo) usw. erklären aus einer wurzol *stäu-, welche einmal wie folgt
flektiert wurden wKre, mit auslnssung der reduplikation: *sfanmi, *8t(Uisi, *stduti, dual und pla-
ral *stü-\ Zu einer zeit, in welcher *dieum und * Q&um zu *diem und *göm (Zrjv, ßOv)
wurden, sagte man auch *sfami für *stäumi, und nach dieser 1. sg. — violleicht auch nach der
analog behandelten 3. sg. ? — konto man (besonders wenn das vorbild der auf t ausgehenden themavukal-
losen Stämme wirkte, bei denen die 1. und 2. sg. der 3. gegenüberstand) den ganzen sing, nniformieien
zu ^stami, *stasi^ * statt. Nach diesem sing, wäre dann noch in idg. zeit im dual und plural a
für ü eingesezt worden, weil man sonst zu ä die tiefstufe a hatte. Ausserhalb des systemzwanera
standen und erhielten daher ihren ursprünglichen vokal aind. 5^/r;/ra; sthdvira, gr. (txaVQOiy OTVta,
OTüXog, ahd. stomcen, ahd. stuxxen, stiiden, ags. studtt, ahd. stüda. In denselben weise
wäre aufzufassen das Verhältnis von idg. *ple- zu *plcu- (Beitr. XI. 278, 9), * ßre- » *C[rrtl-
(278, 12), *stre' zu * Streu- (280, 18).
SRDMANN, ÜBER KLOPSTOGES OBXN IDD. MUNGKEB- PAWEL 497
wnrzelhaftem S, Diejenigen mit idg. ä oder ö sind im germ. in derselben weise flek-
tiert worden. Unter diesen befinden sich primäre, wie an. r6a, ags. röwan, und
sekundäre, mity abgeleitete kausativa zu primären ^-stammen, wie ahd. muoen (zn
abulg. sü-meti). Erstere werden im idg. themavokallos flektiert worden sein, wie
^ISoifAv; denn bei annähme des gegenteils würde z. b. die 2. und 3. sg. *röe8tf *röeti
nach den idg. kontraktionsgesetzen doch zu *rö8t, *röti geworden sein (scheinbar
unthematische formen) und daher das ganze Zeitwert in die unthematische konjuga-
tion herübergezogen haben. Für diese Zeitwörter wäre, nachdem sie im germ. the-
mavokalisch geworden, lautgeschichtliche entstehung des ags.tr aus dem voraufgohen-
den ö möglich. Das deutsche j hätte seinen ursprang in den kausativen auf idg. -e;o.
Auch können hier primäre idg. äi- und (H*- stamme vorgelegen haben.
STRALSUND, 26. MÄRZ 1889. OTTO BREMER.
Friedrich Gottlieb Klopstocks öden. Mit Unterstützung des Klopstock-
vereins zu Quedlinburg herausgegeben von Franz Mnneker und Jaro
Pawel. Zwei bände. Stuttgart, G. J. Göschensche Verlagshandlung. 1889.
Vor etwas über zehn jähren begann em (auch in dieser Zeitschrift XI, 371.
Xn, 286. 380 freudig begrüsster) neuer aufschwung der Klopstockstudien. Angeregt
hauptsächlich durch Michael Bemays sammelten gleichzeitig Richard Hamel und
Franz Muncker mit emsigem fleisse xmd unermüdlichem eifer für die sache das viel-
fach verstreute, teils noch niemals ausgenuzte, teils in Vergessenheit geratene mate-
rial zur volständigen textgeschichte sewio zur sprachlichen, metrischen, litterarhisto-
rischen und ästhetischen Würdigung der Klopstockschen werke; und wenn auch nicht
alle damals ausgesprochenen oder gehegten wünsche volständig erfült worden sind,
namentlich was die übersichtliche Zusammenstellung aller späteren textvoränderun-
gen im „ Messias '^ und die emeuerung der prosaschriften Klopstocks betrift, so ist
doch im verlaufe dieser jähre eine reihe von arbeiten und ausgaben entstanden,
welche die wirkliche kentnis und unbefangene Würdigung Klopstocks in einer vorher
nicht geahnten weise ermöglichen. Richard Hamel liess den drei heften seiner
„Klopstockstudien*^ (Rostock 1879. 1880) die ausgäbe der werke Klopstocks in der
Deutschen nationallitteratur (band 46 — 48, erschienen Stuttgart 1883 fgg.) folgen,
welche zwar nur eine auswahl aus den poetischen werken, diese aber mit sehr beleh-
renden einleitungen und mit knappen, aber gehaltvollen erläuterungen — die drei
ersten gesänge des „ Messias '^ auch mit volständiger angäbe aller losarten und die
„Oden*' mit volständiger Übersicht der entstehungs- and veröfFentlichimgsdaten — in
vorzüglicher ausstattung und mit guten illustrationen dem gebildeten publikum dar-
bot Franz Muncker, welcher in seiner erstlingsschrift „Lessings persönliches und
litterarisches Verhältnis zu Klopstock* erörtert hatte (Frankfurt a/Main 1880), gab im
11. hefte der „Deutschen litteraturdenkmale des 18. Jahrhunderts*' (Heilbronn 1883)
einen genauen abdruck der ersten drei gesänge des Messias nach der ausgäbe von
1748, mit einer einleitung, die namentlich sehr zahlreiche und gut gruppierte litte-
rarische belege für die Wertschätzung des „Messias*' und die von ihm ausgehenden
geschmacksrichtungen darbietet Im jähre 1888 vollendete Muncker sein grosses werk
„Friedrich Gottlieb Klopstock. Geschichte seines lebens und seiner Schriften*' (Stutt-
gart, G. J. Göschensche buchhandlung), in welchem es ihm gelungen ist, nicht nur
den äusseren lebensgang des dichters nach neuer und vorsichtig -kritischer durch -
arbeitung aller zugänglichen quellen in sehr klarer und fesselnder weise darzustellen,
ZErrSOHRIFT P. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 32
496 EBDXANN, ÜBER KL0P8T0CKS ODBN EDD. MÜHCKEB-PAWKL
sondern aach alle werke Klopstoeks — mit eingehender bezugnahme aof YortiafeT
und Zeitgenossen — unbefangen und mit alseitiger erwagong der geschichtlichen
hediiigongen ihres entstehens und wirkens zu würdigen. Schon früher hatte Erich
Schmidt im 39. hefte der «Quellen und forschungen^ (Strassburg 1880) die kontnis
des quellonmaterials zu Klopstoeks jngcndlyrik erheblich erweitert; J. Pawel Kl^»-
stocks öden aus der Leipziger periode kritisch erschöpfend untersucht (Wien ISSÜL
soiftie andere Specialuntersuchungen und -ausgaben veröffentlicht (vgL diese Zeitschrift
Xm, 57. XVII, 341); 0. Lyon Goethes veriiältnis zu Klopstock dargestelt (Leip-
zig 1882).
Diesen arbeiten schliesst sich nun jezt die historisch -kritische ausgäbe sämt-
licher öden Klopstoeks an, zu welcher zwei der genanten Klopstockforscher si^-h
freundschaftlich vereinigton, indem Pawel namentlich die aufisuchung noch unbekant^r
handschrifttfn und einzeldrucke und die konstatierung abweichender lesarten aus ihnou
betrieb, Muncker aber das ganze material sichtete und redigierte, die reihenf.»lge dor
öden bestimte und die angaben über ihre entstehungszoit und ges<.'hichte abfasste.
Die ausgal« enthält also den volständigen abdrut.-k aller (235 1 öden Klopst".ks
mit ausscheidung einiger ihm falschlich beigelegten (vorwort s. Vll), jedoch nicht di-^
gesänge und hymnen aus dem XX. gesange des Messias und den dramen: mit nx-ht
hat es Muncker unterlassen, diese lyrischen stücke aus ihrem zusammenhange bi'szu-
reissen, obwol er z. b. bei der ode «Die gestime*' I. 154 auf die ähnlichkeit taach
ganz gleiche Strophen form ! » derselben mit einem dieser stücke aufmerksam macht.
AngeoTxinet sind die einzelnen öden streng nach der entstehungszeit; diese, elion»:»
wie alle von Klopstock selbst veranlassten drucke sind bei jeder ode unten angegol»?n.
wi>bei die abweichungen von Klopstoeks eigener chronologisclier anordnung. wo diese
irtümlioh war, motiviert werden (vgL auch vorrede I, s. Vlll». Bei d«*n öden -An
Eberf, -Wing<»lf-, .Baidale* sind die ältoten und die jüngsten fassungen w^«
ihrer starken Verschiedenheit voLtändig neben einander abgedruckt: bei allen übrig«
bietet Muncker den text der ausiral-e lezter band, während die abwei«_hungen der
von Klnpstwk gebilligten ausgaben < ausser der wertliDsen von 17S7», der Danustadter
ausgaK' von 1771. der aufirefundenen Originalhandschriften Kbpstocks. der Gleim-
sehen al»schriften und dor von C. F. Cramer ciiierten älteren lesarten unter dem texte
aufgeführt sind. DuR'h diese emsige samlung und sorgfaltige sichtunsr des sehr
umfaugnüchen materiales für die textkritik haben die herausgeber sich ein grosses
verdienst erworl-t^n. Im eigentlichen sinne kritisieren könte ihre arl«it nur jemand,
wol» her dies^^s ir.atorial in gleichem ma?se t-ohcr^ht wie sie selbst, was ich von mir
nicht riihmou kaim. Wo ich ab^r in der läge war eine naohprüfung anstellen zu kei-
nen, da halv ioh den fleiss ur.d die s^jrgfalt der herausgeber vOUig bewährt gefunden.
Die anmerkungen. welche Klopstock selbst in verschiedenen ausgaben zu
Steinen ».^ien uvmacht hat, sind volstäniii: ab|=^?druekt: auf weitere erläutenmgen
abgesehen von den schon erwühn:on ohre!iologis*:hen auga^-rn und erörtenmgen, haben
die heraiisgeivr cöiLiIich vernchte:, S» wei; dit'se er.thaltsanikeit auf der scheu davor
W ruhen ma*:, die eiJ^:Mle subjektive meinuug mit dem oljektxv mitgeteilten lextmate-
ri;il xu vennvng^'n, lvi:rvitV ich sie st*hr wol; eine dem bedürfnis der meisten leser
gcuujii'ude erlaute vuug der Klopst^.rk sehen ode wär\' Ivivht ein l^esonderes werk von
mindestens gleivheiu uniiaiice i:eworu-.'ü. Alvr p?wiss wären alle leser den heraus-
gelvru uvvh daiiklvarer p'weseu, wenn sie a'^is dcKi re::hen schätze ihrer belesenheit
in der KU^pstvH-klittoratur wenigstens liier und da mitteilun^n über die entstehun^-
ges«.'hichte. dio textgvstaltuug, die Würdigung der einzelnen öden in knapp^-r fassuii«:
WITKOWSKI, ÜBEK SCHULTZ, SPRACHQESELSCHAFTEN 499
i
gegobon hätten. Ich meine z. b. solche angaben, wie sie C. F. Gramer (2, 345) bei
der ode ^»Heinrich der Vogler* über die von Klopstook selbst später in abrede gestelte
ursprüngliche bezieh ung auf Friedrich den Grossen macht; oder notizen wie die von
Seume („Mein sommer 1805*^, in der Hempelschen ausgäbe bd. lY, 158) über die
textgestaltung eines vorses in der ode „Die gestime.* Derartige Überlieferungen sind
doch wert erhalten zu werden; und wo könte dieses besser und wirksamer geschehen,
als in der historisch -kritischen ausgäbe?
Doch fem sei es von mir, über solchen wünschen das grosse verdienst ver-
gessen zu wollen, welches sich die herausgeber, sowie alle föi*derer ihrer mühevollen
arbeit, durch diese ausgäbe erworben haben. Die bedoutung der Klopstockschen
öden für unsere poesie hat Muncker im eingange der vorrede gut und würdig cha-
rakterisiert; möchte „ihre nie verwelkende frische und ihre nie ermattende kraft* in
dieser schönen und reichhaltigen ausgäbe auf recht viele leser wirken!
KIEL. OSKAR EBDUANN.
Die bestrebungen der sprachgeselschaften dos XVII. Jahrhunderts für
reinigung der deutschon spräche. Von dr. H. Schultz. Göttingen, Van-
denhoeck & Kuprechts vorlag. 1888. 3 m.
Die Sorgfalt für die reinheit der mutterspracho ist seit einigen jähren zu einer
öffentlichen angelegenheit geworden, für die durch eine überaus kräftige agitation
die teilnähme der weitesten kreise erregt und wach gehalten wird. Es soll hier
nicht erörtert werden, ob dieser weg der richtige ist, um die wünschenswerte Säu-
berung unsrer spräche von einer anzahl entbehrlicher eindringlingo zu erreichen, es
sei nur darauf hingewiesen, dass es uns nicht an historischen beispielon fehlt, wie
wenig dilettantischer eifor auf diesem gebiet zu nützen vormag; denn das siebzehnte
Jahrhundert bietet in seinen besti'ebungen für die sprachrcinigung ein seitenstück zu
der jetzigen bewegung. Offenbar hat dieser umstand die anregung zu einer anzahl
von arbeiten über die geschieh te der sprachgeselschaften gegeben, die in den lezten
Jahren in rascher folge erschienen sind:
Die jüngste derselben ist die oben bezeichnete schrift von Schultz, die man-
ches neue bringt, im ganzen aber doch in bezug auf die kentnis der vorarbeiten und
die ausnützung des materials mängel aufweist. Was soll man z. b. dazu sagen,
dass der Verfasser nicht einmal den titel von Buchners pootik kennt (wie er s. 38
selbst gesteht), die, abgesehen von sämtlichen handbüchem, die litteraturgeschich-
tcn fast ausnahmslos anführen? Wie dürftig sind die als einleitung vorausgeschick-
ton bemerkungen über das eindringen der fremdwörter in die deutsche spräche!
Selbst die am nächsten liegenden ergänzungen würden bei weitem den umfang des
von Schultz angeführten überschreiten. Von wichtigeren vorarbeiten blieben ihm die
folgenden unbekant: Kluge, Von Luther bis Lessing; K. Dissel, Die sprachreinigen-
den bestrebungen im 17. Jahrhundert (Progr. Hamb. 1885); Walter, Über den ein-
fluss des dreissigj ährigen krieges auf die deutsche spräche usw. (Progr. Prag. 1871).
Hätte Schultz seine Vorgänger gekaut, so würde er wol kaum so leichtfertig den
satz (im vorwort) ausgesprochen haben: „Das bisherige urteil über die sprachbewe-
gung des XVII. Jahrhunderts, welches dieselbe als verfehlt, ja lächerlich bezeich-
nete, war durchaus falsch, da es sich nicht auf eine genügende menge von material
stüzte.* Nicht die bewegung an sich war verfehlt, sondern nur die mittel, durch
32*
500 WITK0W8KI
#
welcho maa ihre ziele zu erreichen äuchte, waren ungenügende und falsche, und
nur in dem urteil über diese mittel weicht Schultzs meinung Ton der seiner Tor-
ganger ab.
Der Verfasser steht von vom herein nicht auf dem Standpunkte des leiden-
schaftslos abwägenden geschieh tschreibers, sondern auf dem des lobredners, und
dadurch komt er zu einem urteil über die Fruchtbringende geselschaft (s. 73 fg.).
das von dem bisherigen allerdings wesentlich verschieden ist; aber nicht deshalb,
weil Schultz auf neue und bedeutendere lebenszeugnisse der geselschaft hinweisen
könte, als die früheren, sondern nur weil er den langst bekanten übersetzungs- und
regelwerken entgegen der geltenden, wol begründeten ansieht einen massgebenden
und heilsamen cinfluss auf ihre zeit zuschreibt, während wir doch durchaus nichti
davon wissen, dass sie ausserhalb der geselschaft und der kleinen gleichstrebcndn
genossenschaften irgend welche beachtung gefunden hätten. Haben doch sogar die
eifrigsten mitglieder im schriftliehen verkehr, wo er nicht geselschaftsangelegenheiten
betraf, ohne alle scheu ihre rede aufs reichlichste mit fremden werten dorehsezt, wie
z. b. aus Krauses , Urkunden zur gesokichte der Anhaltischen lande und ihrer for-
sten*^ (Leipzig 1861 — 66) klar herN'orgeht Von einem gegenseitigen anhalten da"
mitglieder unter einander zum gebrauch un vermengter spräche, wie es Schultz {s.65)
für wahrscheinlich hält, dürften nur wenige beispiele aufzufinden sein, zumal da die
meisten der genossen das sinbild des palmbaums mehr für eine zierde, als für em
mal ernsthafter Verpflichtung ansahen.
Bartholds «Geschichte der ftnchtbringenden geselschaft*^ hat, trotz mannig-
facher irtümer im einzelnen, die historische bedeutung des bundes richtig bestirnt
und den grösten teil des Stoffes verarbeitet Wesentliche eigänzungen brachten
Krauses Schriften, von denen Schultz hauptsächlich die lezte, , Ludwig, fürst zu
Anhalt -Köthen*' (Köthen 1877 — 79), zum grössten teil einen schlechten auszug ans
den ftühert*n, benuzt hat Er widerholt die darin enthaltenen angaben über die
schriftstellerischen werke der geselschaftsmitglieder, übergeht aber einige der wichtig-
sten, wie Tobias Hücbners «Erste woche' (Leipzig 1631). Die bemerkungen über
Opitzens Verhältnis zu den .Fruchtbringenden^ und seinen einfluss auf die spräche
sin«i dürftii;; recht merkwürdig ist die ansieht (s. 31), dass Opitz die „unglücksehge
alte mythnlogie"* eingeführt und uns so eine ganze gattung von fremdwörtem zuge-
bracht habe. Bt'i der auf Zählung der geschichtschreiber der Fr. G. (s. 71) hitte auch
das für seine zeit ganz vortrefliche buch von Otto Schulz, «Die sprachgeselschaften
des 17. Jahrhunderts *" (^Berlin 1824) erwähnt werden sollen.
Von den kleineren genossenschaften behandelt Schultz zuerst die Aufrichtige
geselschaft von der Taimen und vermehrt die bisher bekanten tatsachen zur geschichte
derseUten bt^trächtlivh. Die mitglieder werden im einzelnen ausführlich dai^iestelt
(eines, Joh. Heinrich Boeder, ist allerdings übergangen), die Zugehörigkeit von'l^'eckher-
lin und MosohcR^Si^h wird dun.-h neue gründe bestätigt Ein weiteres mitglied wird
in Hans Heinrich S<*hill der Tannengeselschaft zugewiesen, der zugleich als ver&sser
dor sdirifi .Der teutsohen sprach ehren -krantz* (Strassburg 1644), bestimt wird
Aus diosem umfiinin\*i»'hen, von warmer vatoriandsliebe durchwehten buche, das eine
zusanimonstelluQi; des bis dahin gogen die sprachmengerei gesagten enthält, gibt
Schultz dankenswerte nMchliehe auszüsie.
Bin der darstoUung der ^ Deutschgesinten genossenschaft ** hat sich Schultz
leider die gelep^nheit, ein bild Zosons und seiner bestrebungen zu geben (wol die
ÜBES SGHÜLTZ, SFRAOnOBSELSGIUFTKN 501
dankbarste aufgäbe der deutschen litteratargeBcbichte des 17. jal^hunderts), entgehen
lassen. Unter den mitgliedem fehlt das begabteste, Jacob Schwiger, in Schultzs
aofzählong. Die (s. 103) angeführten, die sprachmengerei verspottenden verse stam-
men nicht von Butschky, sondern aus Opitzens „Poeterey^, was zu erwähnen gewe-
sen wäre.
Unter die „gegner der genanten sprachgeselschaften*^, die Schultz im folgen-
den abschnitt bespricht, ist vielleicht auch E. K. Homburg zu rechnen. Wenigstens
scheinen die verse aus dem „Lob des krieges*^ (Schimpff- vnd Emsthaffte Oo.
Jehna 1642. S. E4*), in denen er die neu eingeführten militärischen ausdrücke
anführt, nicht ironisch gemeint zu sein.
Die „Pegnitz-hirten-geselschaft*^ wird, entsprechend ihrer geringen teilnähme
an der Sprachreinigung, nur kurz erwähnt, ebenso Rists läppischer „Eibischer
schwanenorden '^, und die übrigen genossenschaften, von denen wir nicht wissen, ob
sie überhaupt ins leben getreten sind: der „Belorbeerte tauben -orden*^, die „Teutsch-
üebende geselschaft*^, der „Leopolden -orden.*^ Wertvoll sind die zusammoostellun-
gen von Schultz über diese Vereinigungen deshalb, weil sie zeigen, wie das gründen
von sprachgeselschafben schliesslich zum sport wurde, den die unbedeutendsten leute
zu treiben wagten.
In sieben anhängen gibt Schultz exkurse zu seiner arbeit Davon hätte der
über „die gestickte wappen-tapete im geselschaftssaale '^ (der Fr. G.) und der über
Ratichius wol fortbleiben können, auch der über Leibniz gehört nicht in diesen rah-
men. Mit recht ist im anhang I die abhängigkeit Neumarks von Hille betont, die
ioh schon früher (Diederich von dem Werder. Leipzig 1887 s. 22) hervorgehoben
habe. Anhang m und V handeln über die undeutschen vomamen und die Verdeut-
schung von kunstwörtem (d.h. termini technici), anhang YII endlich stelt die „namen-
losen^ (d. h. keinem bestimten Verfasser zuweisbaren) Schriften gegen die sprachmen-
gerei zusammen: die „Deutsche satyre wider alle verderber der deutschen spräche*^,
die „Teutschen Michels*^ und den „Sprach verderber. '^ Am schluss ist ein „Blat-
weiser*^ hinzugefügt, eine bezeichnung, die allerdings in die puristischen bestre-
bongen, denen das buch gewidmet ist, zurückversezt, an deren stelle aber doch
besser das gebräuchlichere und vor allom sinentsprechendere „ inhaltsverzeichnis ^
zu gebrauchen wäre. Das ganze buch zeigt, wie es bei der vorwaltenden ten-
denz selbstverständlich ist, das streben nach absoluter Sprachreinheit; dass diese
aber nicht immer gleichbedeutend mit Sprachschönheit ist, sieht man aus bildungen,
wie „förmlich*^ u. ähnL Auch sonst finden sich eigentümlichkeiton des ausdrucks,
z. b. „beschlagen*^ für „betreffen^ (n^^ leztere kann höchstens das äussere auftre-
ten des „ Palmordens ** beschlagen** in der vorrede, und „modewörtem, welche die
ausrüstung des ritters beschlagen** s. 2). Wozu sollen solche sprachschöpferische
versuche dienen? Sonst ist die darstellung im algemeinen, bis auf einzelne Über-
gänge (s. 55, 65, 72) gewant und gut lesbar.
LMPZIO. G. WITKOWSEL
Berichtiguiig zu zeitschr. XXII, 243. 244.
Kinzels anzeige meiner ausgäbe des könig Tirol in Pauls textbibliothek möchte
ich, indem ich das urteil in den principiellen fragen (einrichtung des kritischen appa-
rats, auswahl dpr Varianten, metrik) den fachgenossen überlasse, nur folgende berich-
502 BERICHTIOUNOBN UN» NACHRIGUTKN
tigungon beifügen. Die vermisste Variante zu 13, 6 steht in meiner vorrede 8. lY.
20, 6 steht nicht, wie Einzel angibt, her, sondern herre in MüllenhofEs abdmck der
handschrifi Ebenso hat die handschrift 41, 2. 3 nicht lugg^ sondern lüg€, gegen
für gefi 35, 3 ist wegen der analogen fälle 18, 2. 26, 6. 7. 30, 6 eingesezt 13, 3
alhie (nicht cursiv gedruckt) und 20, 2 die sind zwei leider stehen gebliebene druck-
fohler.
HALLE, 20. AUGUST 1889. ALBERT LEITZMANN.
Zu zeitschr. XXII, 255.
Durch die freundliche vormitlung des herausgebers dieser Zeitschrift macht
mich herr prof. Eettner darauf aufmerksam, dass die von mir Ztschr. XXII, 255
angegebenen quellen für Schillers Mädchen aus der fremde schon von Boxbeiiger
N. Jahrb. f. phil. und pädag. 1868, U, 10, 485 — 486 angemerkt und nach dessen
Vorgänge auch in den neuen auflagen der kommontare Yiehoffs und Düntzers auf-
geführt sind. Ich hatte leider den nachweis Boxbergers übersehen und konto durch
Zufall bei der niederschrift der miscellen Düntzer nur in der 1. aufläge benutzen.
6. ELUNOEB.
NACHRICHTEN.
Das grabdenkmal für Julius Zacher, ein einfacher sycnit-obellsk mit einem
treflich gelungenen, aus dem atelier von Paul Reiling in Halle hervorgegangenen,
reliefbild des verstorbenen in bronce, ist am 27. okt. d. j. feierlich enthült worden.
Den freunden und schülom Zachers, die in freudiger opferwilligkeit unserem aufrufe
entsprochen und eine würdige ausführung unseres planes ermöglicht haben, sage ich
hierdurch im namen des ausschusses den wärmsten dank.
KIEL, NOV. 1889. H. GERING.
Fünf isländische gelehrte (Hannos I^orsteinsson, Jon I^orkelsson, Oli-
für Davidsson, Pälmi PÄlsson und Vald. Asmundarson) beabsichtigen eine
Zeitschrift für isländische Volkskunde herauszugeben, die den titel „Huld*^ fuhren
soll. Das erste heft wird, fals ein genügender absatz gesichert ist, im frül\jahr 1890
erscheinen. Die einzelnen hefte, von denen jährlich mindestens eins ausgegeben wer-
den soll, sind auf 12 bogen gr. 8 veranschlagt; drei davon werden einen band bilden.
Der preis für ein heft beträgt 2 kr.; annieldungen zum abonnement, die zur abnähme
eines bandes verpflichten, erbittet der buchhändler Sigurdur Kristjinsson in
Reykjavik.
(jeh. rat professor dr. K. Woinhold in Berlin wurde von der phUos.-hist
klasse der kgl. akademie der Wissenschaften in Berlin zum ordentlichen, prof. dr.
K. Maurer in München zum correspondierenden mitgliedo erwählt Die kgL bayr.
akadomio der Wissenschaften emante prof. dr. £. Sieyers in Halle zum correspon-
dierenden mitgliede.
Der ao. professor dr. Oskar Erdmann in Breslau folgte einem rufe an die
Universität Kiel als nachfolger Fr. Vogts; der ao. professor dr. Max Koch in Mar-
burg wurde in gleicher eigenschaft an die Universität Breslau berufen.
NEUE ERSOHEINüNaEN 503
Die privatdoceuten dr. F. Jostes in Münster und dr. W. Streitberg in Leip-
zig sind als ordentliche professoren an die neubegründete Universität Freiburg in der
Schweiz berufen worden.
An der Universität Leipzig habilitierte sich dr. Georg Witkowski für neuere
litteratur; an der deutschen Universität in Prag dr. Adolf Hau ff en für deutsche
Philologie.
Es starben: am 13. december 1889 zu Elberfeld der professor am dortigen
gymnasium, dr. Wilhelm Crecelius (geb. zu Hungen in Hessen am 18. mai 1828),
seit 1871 mitarbeiter unserer Zeitschrift; am 27. december 1889 zu Kopenhagen der
pastor Carl Joakim Brandt (geb. am 15. aug. 1817 zu Nyborg), bokant als her-
ausgeber älterer dänischer litteraturdenkmäler; am 3. Januar 1890 zu Göttiogen der
ordentl. professor der germanischen philologie, dr. Wilhelm Müller (geb. zu Holz-
minden den 27. mai 1812), hochverdient als lexikograph und mytholog.
NEUE EBSCHEINTJNGEN.
Steinmeyer, £., Über einige epitheta der mhd. poosie. Prorectoratsredo
4. novbr. 1889. Erlangen, universitätsbuchdruckerei. 20 s. 4.
An nachweise über die an einem erkenbaren Zeitpunkte beginnende ausbreitung
des attributiven gebrauches von klär, teert, kluoc, gehiure werden weitgreifende
bemorkungen über die mhd. dichtersprache geknüpft.
Müller, W., Briefe der brüder Jacob und Wilhelm Grimm an G. F. Be-
necke 1808 — 1829. Mit anmerkungen herausgegeben. Göttingen , Vandenhoek
und Ruprecht, 1889. 188 s. 8.
Diese briefsamlung gewint durch die mitteilungen beider brüder über den gang
ihrer Studien, sowie durch die vielen zwanglos und frisch ausgesprochenen urteile
über menschen und bücher (z. b. v. d. Hagen s. 17; Lachmanns Z. G. N. N. s. 88;
Horlings syntaktisch -stilistische Studien s. 137; Rabener, Geliert, Gleim, Uz s. 159
u. V. a.) nach vielen Seiten hin hohes interesse. Einleitung, noten und register
des herausgebers erleichtem die benutzung.
Schmitt, F., Über den Ursprung des substantivsatzes mit relativpar-
tikeln im griechischen. Würzburg, A. Staber, 1889. 80 s. 8.
Biese, A«, Das metaphorische in der dichterischen phantasie. Beitrag
zur vergleichenden poetik. Berlin, A. Haack, 1889. 33 s. 8.
Die heiligen Englands. Angelsächsisch und lateinisch herausgegeben
von F. Liebermann. Hannover, Hahnsche buchhandlung, 1889. XX, 23 s. 8.
Odinga, Th,, Das deutsche kirchenlied der Schweiz. Frauenfold, J. Hubers
vorlag, 1889. IV, 137 s. 8. 2 m.
Marcus evangelion Mari Luthers nach der Septemberbibel mit den les-
arten aller Originalausgaben und proben aus den hochdeutschen
nachdrucken des 16. Jahrhunderts herausgegeben von Alexander Beif-
ferscheid. Heilbronn, Gebr. Henninger, 1889. XII, 124 s. 8. 4,20 m.
504
Z. flAGHBBGISTBB
An die mltarbeiter und leser der zeitsclirlft.
Da meine gegenwärtige Stellung mir die pflicht auferlegt hat, meine kräfte
Yorwiegend der nordischen philologie zu widmen, erschien es mir als unabweislicbe
notwendigkeit, von einem teile der redaktionsgeschäfte befreit zu werden. Zu meiner
freude hat sich mein kollege, professor dr. Oskar Erdmann hierselbst, bereit erklärt,
vom nächsten hefte ab in die redaktion der Zeitschrift einzutreten. Die arbeitsteilung
wird im algemeinen in der weise statfinden, dass die aufsätze zur ostgermanischen
und angelsächsischen philologie, zur mythologie und altertumskunde meiner durch-
sieht unterliegen werden, während das übrige, namentlich also alles in das gebiet
des alt-, mittel- und neuhochdeutschen einschlagende, meinem freunde Erdmann
zufält. In der Überzeugung, dass diese einrichtung, durch welche natürlich an dem
überlieferten plan und Charakter der Zeitschrift nichts geändert wird, derselben nur
zum vorteil goreichen werde, bitte ich die mitarbeiter und freunde unsres organs.
ihm auch in zukunft teilnähme und tatkräftige Unterstützung zuzuwenden. Briefe und
manuscripto bitte ich in zukunft entweder an mich oder an hcrm prof. Erdmaon
(Eiol, Lomsenstr. 16) zu richten.
KIEL, JANUAB 1890. HUGO GERING.
I. SACHREGISTER
Akritas siehe Digenis.
Albortinus, Aegidius, seine bearbeitung
von Alcmans Guzman benuzt von Grim-
molshauson im Simplicissimus 93 — 99.
Vgl. diesen, Aleman und Frowdenhold.
Aleman, Mateo, bearbeitung seines Guz-
man von Alfaracho durch Aegid. Alber-
tiuus benuzt in Grimmeishausens Sim-
plicissimus 93 — 99. vgl. diesen, Alber-
tiniis und Frewdenhold.
althochdeutsch, konstruktion von kern
9 — 12. von mugen 37 — 46. absoluter
gebrauch 38. mit objekt 38 fg. mit
dem infinitiv 39 — 46. vgl. grammatik
und Notker.
altsächsisch, konstruktion von can 8 fg.
von ma{fan 36 fg. vgl. grammatik.
A m a 1 i a s , herzogin von de ve , liedcrbuch
397—426. handschrift 398 fg. inhalts-
verzeichnis 399 — 405. weinnachtsliod
406 — 409. gebet an Maria 409 fgg.
lieboswerbung 411. preis der liebsten
411 fgg. liebesglück 413. tagelied414.
auf widersehen 414 fg. abschied 415 fg.
trennungsschnierz 416 fgg. rosenkranz
zum abschiede 418 fgg. au die ent-
fernte geliebte 420 fg. der imgeschicktc
liebhabiT 421 fg. die ungetreue 422 fgg.
Armenisches märchen siehe Schiller.
Ami, bruder, bearbeiter des Eddacodex
AM 242 fol. und Verfasser der 4. ab-
handlung 131 — 134. vgl. Snorra-Edda.
Balbi, Gasparo, quelle für Ziglers Aiöa-
tische banise 75 fg. vgl. diesen.
Blois, Heinrich graf von, in der franzö-
sischen graldichtung Borons 447 ig.
siehe Wolfram.
Boren,- Eobert de, le petit Gral siehe
Crestien und Wolfram.
Brunius, schauspiclcrtruppe des Job. Heinr.,
ihre bearbeitung von Ziglers Asiatischer
banise 206—213. vgl. Zigler.
buch imd buche, verwantschaft 468.
bulgarische märchen und sagen als ana-
logien zum Tellschuss siehe Digenis und
Scniller.
Colin, Philipp, und Claus Wisse, Über-
setzer der französischen graldichtung
289 fgg. 293—311. 427 — 444. siehe
Wolfoun.
Crestiens conte du Graal, seine vorläge
nicht Guiot von Provins, sondern Ro-
bert de Boron 450 fg. siehe Wolfram.
Digenis Akritas (Porphyrius, Farfurius,
Panthirios oder Panthir) held eines bul-
garischen epischen gedichtos 103. eines
bulgarischen märchens 104 fg.
drama. Ziglers Asiatische bamso in der
dramatischen bearbeitung der schauspie-
I. SACHBEGI8IEB
505
leiixuppe des Joh. Heinr. Bnmius 206 —
213. vgl. Zigler. — J. E. Sohlegels
dramen siehe diesen.
Edda, Snorra-, brader Ami bearbeiter
des cod. AM 242 foL und Verfasser der
4. abhandlang 131 — 134. älteste ias-
sung der abluiDdlang 135. ihre vorläge
benuzt im ood. iJi 242 fol. 135 f^.
inhalt der ältesten üassung 136 fg. sie
ist die einleitong zum Hdttatal 137. art
der entstehung und Zusammensetzung
der jüngeren fassung 137 — 144. der
Verfasser der abhandlung u. ihre bedeu-
tung 145 — 158. Verfasser der ursprüng-
lichen abhandlung Soorri 145—50. erklä::
rung der Übereinstimmung zwischen IE u.
in% der arbeit Olaf {)6raarsons 146 —
149. entstehung der doppelten erklä-
rung der figur U 151 — 158. der jün-
gere vergleich der spräche mit dem
isländischen baispiel 152 — 156. der
ältere vergleich (des Snorri) mit der
Symphonie 156 fg. text 159 — 164.
übereetzong 164 fg. erklärung der bei-
den figuren 165 fgg. — über die ent-
stehung der ursprünglichen Snorra-Edda
und der späteren bearbeitung 366 fgg.
Verzeichnis der abweichungen des cod.
"Worm. von cod. reg. 368 — 71. nach-
weis, dass AM 756 eine flüchtige ab-
schrih von W 372 fg. ursprünglicher
umfang und einteilung von W 373 fg.
das Skaldatal 374 fg. Zeitbestimmung
Starkads, königBagnars, Bra^s 375 fg.
todesjahr Gunnlau^ 376. Gizur svarti
und gullbrä nicht identisch 376 fg. des
lezteren beiname 377. Unterscheidung
von zwei HallbJQm hall 377. — Lieder -
Edda, ursprüngliche aufzeichnung der-
selben in runen? 468.
Ernst, herzog, keine Spielmannsdichtung
478. vgl. Orendel.
Farfurius siehe Digenis.
Frandsci, Erasmus, quelle für Ziglers Asia-
tische banise 77 — 80. vgl. (Sescn.
Frewdenhold, Martin, seine fortsetzung
des Alemanschen Guzman de Alfarache
93 — 99. vgl. Aleman, Albertinus und
Grimmelshausen.
Friesen, die: erklärung ihres stark aus-
geprägten reol^tsbewusstseins 258 fgg.
Things gerichts-, nicht volksversam-
lungsgott 260. erklärung der namens-
form 261. alaisiagen = die erhabenen
gesetzseherinnen 261 — 264. doutung
von Bede undFimmilene 264 fgg. bod-
und fimmelthing 266 fg. deutung von
Bede als pugnatrix 267 fg. des bod-
things als stroitgericht 269. von Fim-
milene als ultrix, des fimmelthings als
Strafgericht 269^. hauptheiUgtum des
!nus lliings in Almenum 270 fg, der
lucus Baduhennae in Bafflo 271. Orts-
namen von Fimüine gebildet 271 fg.
liud- und Tiuthing 272 ig, Tip Badu-
nat und Frithunät 272 fg. Es-thing
273 fg. Tiu Saxing 274. sonstige . frie-
sische gerichtsstätten 274. Tiu Ächte
275 fg.
Gautier, Gauchier siehe Walter vonDunsin.
gotisch, bedeutung von kumian 4 fg. kon-
struktion 5 — 8. magan^ bedeutung und
konstruktion 33 — 36.
graldichtung und gralsage siehe Wolfram.
grammatik. können im gotischen 4 — 8.
im altsächsischen 8 fg. im althoch-
deutschen 9 — 12. im mittelhochdeut-
schen 12 — 33. entwicklung der bedeu-
tung von können 13 — 16. — mögen im
got^chen 33 — 36. im altsächsischen
36 fg. im althochdeutschen 37—46.
im mittelhochdeutschen 46 — 57. ein-
zelheiten und nachtrage 57 — 60. vgl.
gotisch, altsächsisch, althochdeutsch,
mittelhochdeutsch. — urgermanische er-
haltung des e trotz scheinbar folgenden i
249. erhaltung des e bei folgendem e,
das erst Sjpäter zu % wird 249 fg. Suf-
fixe -t7, -*r bewirken umlaut 250. kon-
sonantische hindemisse dos wandeis von
e zu i 250. zeit und ausgangspunkt
des lautwandels c >• i 250 fgg. — an-
gebliche Spaltung des indogermanischen
im perfekt- und aoristpraesens aus einem
stamabstufenden urtypus 495. erklä-
rung des j in Zeitwörtern mit wurzel-
haftem g", ö, ö 496 fg. — über die not-
wendigkeit der berücksichtigung laut-
licher Veränderungen bei syntaktischen
Untersuchungen 459 — 62.
Grimmelshausen benuzt im Simplicissimus
des Albertinus bearbeitung von Alemans
Guzman und die fortsetzung des Mar-
tin Frewdenhold 93 — 99.
Herder, zwei stücke der Volkslieder von
einfiuss auf Schillers: Des mädchens
klage 255.
Lachmanns behandlung der Nibelungen-
frage 465 fg.
Lefranc de Pompignan siehe Schlegel.
lügendichtung des Schuepperers aus einer
handschrift des germanischen museums
317—320.
Luther, entstehungszeit des Lutherliedes
252 fg. oberdeutsches glossar zur bibel-
übersetzung in dem Basler nachdrucke
des Thomas Wolf 325 — 336.
märchen. analogien zum Tellschuss in
siebenbürgischen m. 100 — 114.
506
I. 8ACHBE0I8TEB
Metastasios Didone siehe Sclilegel.
minnegesang. ausdmck des natorgefühls
im m. und in der Vagantendichtung
455 fg.
mittelhochdeutsch. A:an> ontwicklung
der bedeutung 13 — 16. absoluter ge-
brauch 16. mit substantivischem Objekt
16—21. mit dem infinitiv 21—33.
mugen 46 — 57. absoluter gebrauch 47 .
mit Objekt 47 fg. mit dem infinitiv 48
— 57. vjl. grammatik.
Morolf, datierung des gedichtes 477. 481
fgg. Morolfstrophe 486 fgg. vgl. Orendel.
MüUenhoff imd Scherer, althochdeutsche
denkmäler 466.
Nibelungenlied, über den stil des N.
457 fg. — Lachmanns behandlung der
Nibelungenfrage 465 fg.
Notker. schluss seiner rhetorik aus einer
Brüsseler handschrift 277—286.
OrondeL die dem gedieht zu gründe lie-
gende sage 470. analogien zwischen
dem 2. teile des gedichtes und dem
des Eother 470 fg. der grundbostand
der Orendelsage 470 — 476. datie-
rung der urspningliohen form des ge-
dichtes 476 — 487. angebliche ent-
stehung des Orendel vor Morolf und
dem jüngeren Oswald 477. datierung
dos lezteren 478 fgg. Herzog Ernst kein
Spielmannsgedicht 478. datierung dos
Morolf 481 fgg. angebliche historische
anhalte zur datierung des Orendel 483 fg.
kulturhistorische 484 fg. sprachliclie
485 fg. die Morolfstrophe = ursprüng-
liche form des originales 486 fg. Unter-
scheidung von älteren und jüngeren be-
standteilen 487 fg.
Oswald, der jüngere, datierung 478 fgg.
vgl. Orendel.
Panthirios, Panthir siehe Digenis.
passional. Dresdener bruchstucke des pass.
K 321 — 324. aovisches bruchstück
aus dem 2. teile 324 fg.
Philologie, zweck und begriff der (ger-
manischen) ph. 462 fg.
physiologus. Augustin über die fulica 237.
handschriften des ph. 238. erklärung
der Verbreitung der tiergoschichtiichen
züge in weitere kreise 240 fg. einwir-
kung auf die fabeldichtung des mittel-
alters 241.
Porphirius siehe Digenis.
quodlibet des XV. Jahrhunderts aus einer
Münchencr handschrift 312 — 317.
roman. Ziglers Asiatische banise 60 — 92.
168 — 213. vgl. diesen. — quellen zu
Grimmeishausens Simplieissimus 93 — 99.
vgl. diesen.
Bother, könig, analogien zwischen diesem
und Orendel 470 fg.
runen, bedeutung des wertes 468. vgl
Lieder -Edda,
Scherers und Müllenhoffs althochdeutsche
denkmäler 466. Scherers bedeutung /or
die germanische philologio 467 fg.
Schillers Wilhelm Teil: Analog»
zum Tellschuss in einem siebenbür-
gischen märchen 99 — 102. in dem bul-
garischen von Digenis 103 fgg. vd. die-
sen; schuss des Serbenhelden MOoscli
102. analogie in dem szekler märdieo
von Tschalo Pischta 106 fgg. in einsa
armenischen märchen 109 fgg. in einem
zigeunermärchen 111 — 114. — Des
mädchens klage, beeinflusst von zwei
stücken der Herdorschen Volkslieder 255.
Schlegel, Job. Elias, seine Dido ab-
hängig von Lefrancs de Pompignan
Didon 231. Verhältnis zu Metastasios
Didone 232. — aufführung des ins fran-
zösische übertragenen Arminius in Paris
nach Grinmis bericht 232 fg. — Canat
von Lessing erwähnt 234.
Schnepperer. der. eine lügendichtung von
ihm aus einer handschrift des germani-
schen museums 317 — 320.
Serbisches märchen siehe Schiller.
Siebenbürgisches märchen siehe Schfllet.
Snorris tätigkeit an den grammatischen
abhandlungen der Snon*a-Edda siehe
diese.
Szekler märchen siehe Schiller.
Tellschuss, analogien dazu aus slavi-
schon märchen siehe Scliillcr.
tordarsons, Olaf, tätigkeit an der JIl.
grammatischen abhandlung der Snorni-
Edda siehe diese.
Vagantendichtung, ausdmck des natur-
gefühls im minnegesang xmd der v.
455 fg.
Wackemagels Jugend 466 fg.
Walter von Dunsin (Gauher de Donot
(»auchier de Doudain) , sein gedieht vou
Parcivals gralsuche (= Bemer manu-
script) 445 fg. vgl. Wolfram.
Werben, um städte. in einem Schwei-
zer gedieht aus dem jähre 1676 336' fj:.
zwei weitere Personifikationen der Schweiz
in Gengenbachs: Der altEydgenoss33T.
und in der dramatischen bearbeitung
des Joh. Casp. Wissenbach 337 fg. in
n. Sachsens klaggespräch der Stadt
Nürnberg dieses als fräuloin 33S fg.
andre beispiele dazu aus dem 16. Jahr-
hundert 339 fgg. Nürnbergs vier fniu-
lein in H. Sachsens lobspruch 341. in
üedern auf die belagenmg Magdeburgs
n. YEHZEICHinS DKB BBSPBOGHENEN STELLEN
507
Chiistus der yerlobte der Stadt 342 fgg.
ähnliche anschaunngen in liedem des
16. 18. 19. Jahrhunderts 344 - 347. Ak-
tion eines liebesverhältnisses zwischen
Leipzig und Gustav Adolf 347 fg. Nürn-
bergs und "Wallensteins 349. Vergewal-
tigung Magdeburgs durch Tilly 349 fgg.
ähnliche, aufStrassburg bezügUche Ue-
der 351 fgg. gespräch zwischen Eng-
land und miyter 353. lied auf die be-
lagerung Rheinfelds 1678 353. auf die
Schlacht bei Malplaquet 354. aufereig-
nisse des siebenjährigen krieges 354 fg.
dramatische Verwertung der umkehrung
des gedankens 355 fgg. sowie in lie-
dem des 16. und 17. Jahrhunderts 357
— 360. flUm Städte werben" in Schen-
kendorfschen und Rückertschen liedem
360 fg. in liedem aus dem deutsch -
französischen kriege 361 fgg. in Uh-
lands Konradin und Scheffels Trompe-
ter 363 fg. beispiel aus neuster zeit 364.
"Wisse, Claus, und Philipp Colin, Über-
setzer und bearbeiter der französischen
graldichtung 289 fgg. vgl. Wolfram.
Wolfram von Eschenbach, es gibt
keine gralsage, sondern nur eine gral-
dichtung 287. erstes werk über den
gral: Robert de Borons le petit gral
287 fg. deutsche bearbeitung der fran-
zösischen fortsetzungen von Crestiens
Ck)nte du Graal durch Claus Wisse imd
Philipp Cohn 289 fgg. exemplar der-
selben in der Casanatischen bibliothek
zu Rom 291 fg. Inhaltsangabe 293 —
311. 427 — 444. die französischen vor-
lagen 444 — 451. Parzivals gralsuche
nach dem gedieht Walters von DuDsin
{= Bemer manuscript) 445 fg. vgL die-
sen. Borons dichtung 446 — 450. am
Schlüsse des ei-sten teiles beziehung auf
lokale Verhältnisse (Heinrich graf von
Blois) 447 fg. unter Borons nachahmem
auch Cresfien 450 fg. vergleich der
französischen graldichtung mit der deut-
schen 451 — 454.
Ziglers Asiatische banise: bibliogra-
phisches und biographisches 60 anm. 1.
fortsetzungen, bearboitungen, nachah-
mungen 62 anm. 2. beliebtheit des
buches 62 fg. litterarhistorische ur-
teile 64 fg. inhaltsangabe 65 — 68.
komposition 68 — 74. 88 fgg. Ver-
hältnis zu Balbi 75 fg. vgl. diesen,
zu Erasmus Francisoi 77 — 80. vgl. die-
sen, zu sonstigen quellen 81. geogra-
phische und naturhistorischo excurse
des Werkes 82 fg. Übertragungen deut-
scher verkehrsarmen 84 fg. kriegs-
schilderungen 85. sonstige europäische
reminiscenzen 86 fg. lok^förbung 87 fg.
ausblicke auf das, was kommen soll
90 fgg. kunstmittel 168 fg. figuren des
romanes 169 — 183. mittel derdarstel-
lung 183 — 189. spräche und gefühls-
welt dos dichters 189 — 200. sprich-
wörtliche redewendungen 200 fgg. an-
spielungen auf europäische zeitverhält-
nisso 202 — 205. vergleich der drama-
tischen bearbeitung der Bruniusschen
trappe 206 — 213. vgl. diesen.
Zigeunermärchen siehe ochiller.
n. VERZEICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN.
Eine lausavisa desHromundr
halti s. 383 fg.
Beowulf
901—915 s. 385 — 393.
1404—1407 s. 393— 397.
Altdeutsche predigten (od.
Schönbach) H B.
5, 4 s. 115 fg.
8, 10 s. 116.
12, 30 s. 119.
19, 8 s. 116.
19, 24 fgg. s. 116.
28, 10 s. 116.
30, 18 s. 116.
37, 8 s. 116.
42, 11 s. 116.
45, 37 s. 116 fg.
50, 2—4 S.118.
51,
10
s. 117.
51,
37
s. 117.
52,
14
s. 117.
54,
24
s. 117.
55,
16
s. 117 fg.
63,
37
s. 118.
65,
24
s.118.
73,
1
s. 118.
80,
2
s. 118.
81,
12
s. 118 fg
83.
13
s. 119.
103.
, 8
s. 119.
104,
20
s. 119.
119,
23
8. 119.
119,
33
s. 119 fg
121,
4
S.120.
126,
13
s. 120.
131,
16
8.120.
135, 22 s. 120.
137, 20 s. 118.
145, 7 s. 120.
145, 9 s. 120.
147, 17 s. 120.
151, 16 s. 120.
152, 30 s. 118.
156, 3 s. 120.
162, 39 s. 120,
167, 15 8. 120.
König Tirol
9, 5 s. 244.
29, 6 s. 244.
36, 7 s. 244.
38, 5 s. 244.
41, 2. 3 s. 244.
Orendel
228 s. 490.
ou»
m. WOBfBMISIlB
Orendel
1405 8. 490.
232 8. 490.
1446 8. 490.
401/4. 407/12 8. 490.
1509 8.490.
458 8. 490.
1587 8. 490.
507 8. 490.
1632 8. 490.
666 8.490«
1637 8. 490.
894 8. 490.'
1661 8.490.
973 s. 490.
1788 8. 490.
1205 8. 490.
1874 8. 490.
1284 8. 490.
1878 s. 490.
1299 8. 490.
1888 8. 489.
2429 8.
2496 8.
2590 8.
3148/9
3173 8.
3227 8.
3454/5
3490 s.
3647 8.
3806 8.
489.
490.
490.
8.490.
490.
489.
8.489.
472 fg.
490.
489.
m. WORTREGISTER.
Altfriedsek.
Aoht, Aohte 8. 274 fg.
Actavia 8. 276.
alae8iagen 8. 261.
Almenum 8.271.
Axing 8. 274. 276.
Baduene, Badwene 8. 268,
Badun&t s. 272 fg.
Bafflo 8. 271.
Bangstede 8. 274 fg.
Bede 8.264—270.
Berstede 8. 274 fg.
bodthiug (bed- bada-) s. 264
—270.
Es-thing 8. 273 fg.
Fimel 8. 272.
Pimmilone 8.264—270.
fimmelthing 8.264—270.
Frithnn&t 8. 273.
lindthing s. 272 fg.
Öchtleburen 8. 274 fg.
Saxing 8. 274.
ThiQg8 8. 265 fg.
Tiathing 8. 272 fg.
Altnordisch.
hQfudstafir 8. 144 anm. 1.
Mittelhoehdentsch.
bongen (bouc) s. 490.
8tung (stunge) s. 117.
Kenhoehdeatseh.
abweyhon (boi Goethe)
8. 254 fg.
beith&n 8. 329.
byenen (bie) s. 330 und
anm. 1.
fSle 8. 330 fg.
feige 8. 330.
feil 8. 331 fg.
Molinge s. 331.
gemang s. 332.
Schulter s. 334.
schiebt s. 833.
schifflend s. 329.
stufe s. 334.
tappe s. 335.
verdachter s. 335.
walgung s. 330 fg,
wansinn s. 835.
't-i
Hallo a. S., Bachdrackorei des WaiHonhauflCfl.